Die Rechtsfiguren einer »Normativität des Faktischen«: Untersuchungen zum Verhältnis von Norm und Faktum und zur Funktion der Rechtsgestaltungsorgane [1 ed.] 9783428423767, 9783428023769

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Die Rechtsfiguren einer »Normativität des Faktischen«: Untersuchungen zum Verhältnis von Norm und Faktum und zur Funktion der Rechtsgestaltungsorgane [1 ed.]
 9783428423767, 9783428023769

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KLAUS GRIMMER Die Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen"

Schriften zur

Rechtethe

Heft 24

Die Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen64 Untersuchungen zum Verhältnis von Norm und Faktum und zur Funktion der Rechtsgestaltungsorgane

Von

D r . Klaus G r i m m e r

DUNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1971 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1971 bei Alb. Sayffaerth, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 02376 5

Vorwort Das Anliegen dieser Arbeit ist die kritische Diskussion von Gehalt und Funktion der Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen", welche dem Juristen häufig zur Erklärung der Rechtsgeltung und zur Rechtfertigung der Rechtsfortbildung durch die Gerichte und als Entscheidungskriterien i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen dienen, d. h. i n Konfliktsituationen menschlichen Handelns, für welche ein Gesetz nicht unmittelbar eine Entscheidung gibt. Die Diskussion dieser Rechtsfiguren w i r d i n der Auseinandersetzung m i t dem ihnen zugrunde liegenden Wissenschaftsverständnis und i n der Analyse der logischen Struktur von Norm und Faktum sowie der Bedingungen effektiver Rechtsnormsetzungen entfaltet. Die sich anbietenden Folgerungen für das Verständnis der sozialen Funktion von Rechtsnormen und der verfassungsmäßigen Funktion des Rechtsgestaltungsapparates i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen werden aufgezeigt, sie wollen als ein Beitrag zur Lehre von der Rechtsetzungskompetenz und der Gewaltenteilung verstanden werden. Der Begriff Rechtsgestaltungsapparat dient hier zur zusammenfassenden Bezeichnung für die Organe der Rechtsanwendung, die Gerichte und die Exekutive, Verwaltungsbehörden, und damit zur Unterscheidung gegenüber den Rechtsetzungsinstitutionen und Gesetzgebungsorganen. Das Thema unserer Untersuchung hat sich als so umfassend und vielschichtig erwiesen, daß Begrenzungen notwendig waren, welche nicht immer befriedigen können. Der Mangel an einschlägigen rechtswissenschaftlichen Vorarbeiten ließ es geboten erscheinen, auf entsprechende Überlegungen und Untersuungen i n anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen zu verweisen. I m Hinblick auf die nahezu unübersehbare Fülle sozialwissenschaftlichen Schrifttums wurden i n der Literaturauswahl Kompromisse vorgenommen, mußte auf eine Wiedergabe des Standes wissenschaftlicher Diskussion zu jedem einzelnen angesprochenen Problem verzichtet werden. Versucht man den Standort der Abhandlung zu kennzeichnen, so hat diese ihre Grundlage i n Arbeiten von M a r t i n Drath zur Staats- und Rechtstheorie und von Gerhard Weisser zur normativen Sozialwissenschaft. Der Verfasser ist diesen, insbesondere aber M a r t i n Drath, für viele Gespräche, Anregungen und manchen fördernden Zuspruch zu

6

Vorwort

Dank verpflichtet. Herrn Dietrich Schultz hat er für kritische Anregungen zu danken. Die Arbeit lag der K u l t u r - und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Technischen Hochschule Darmstadt als Dissertation vor. Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann verdanke ich die freundliche Aufnahme der Arbeit i n die Reihe „Schriften zur Rechtstheorie". Darmstadt, i m März 1970 Klaus

Grimmer

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Bedeutung und Funktion der Rechtsfiguren von der „Normativität des Faktischen"

11

§ 1 F u n k t i o n der Rechtsfiguren

11

§ 2 Die „normative K r a f t des Faktischen" i n der Lehre Georg Jellineks und seiner Nachfolger

12

§ 3 Die Lehre von der Sachgesetzlichkeit u n d den rechtswissenschaftlichen Interdependenztheorien als Formen der Lehre von der „normativen K r a f t des Faktischen"

15

§ 4 Die Anerkennung einer „normativen K r a f t des Faktischen" i n der Rechtsprechung. Verfassungswirklichkeit als Rechtsquelle

17

§ 5 Die Lehre von der „ N a t u r der Sache", den sachlogischen Strukturen u n d der Sachgerechtigkeit

20

§ 6 I n h a l t und F u n k t i o n der Rechtsfigur von der „ N a t u r der Sache" i n der Rechtsprechung 24 § 7 Problematik der Rechtsfiguren von der „ N o r m a t i v i t ä t tischen" u n d ihrer Begründung

Zweites

des F a k 25

Kapitel

Methodologische Gründung und Rechtfertigung von Aussagen über eine „Normativität des Faktischen"

29

§ 8 Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft § 9 Begründung u n d Rechtfertigung von rechtswissenschaftlichen kenntnissen

29 Er30

§ 10 Sein und Sollen — Werturteil u n d Tatsachenurteil

39

§11 Rechtswissenschaft als explikative u n d als normative Wissenschaft

46

Drittes

Kapitel

Zur Logik von Norm und Fakten

49

§ 12 Abgrenzung des Begriffes N o r m

49

§ 13 Fakten als Bedingungen effektiver Normsetzung

52

8

Inhaltsverzeichnis

§14 Voraussetzungen für die Gewinnung von Rechtsnormen als abgeleitete Entscheidungen i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen

Viertes

62

Kapitel

Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

70

§15 Bedingungen der Normzielsetzung

72

§16 Bedingungen der Normstatuierung

76

§17 Bedingungen der Effektivität von Rechtsnormen

80

I. Psychologische u n d soziologische Faktoren S. 81 — I I . Organisation der Gesetzesanwendung S. 95 — I I I . Zusammenfassung S. 96 § 18 Bedingungen der Gesetzesnormqualität I. Organisationsbedingungen des Gesetzgebungsverfahrens — I I . Bedingungen der Verfassungskompatibilität S. 105

Fünftes

99 S. 100

Kapitel

Die Funktion von Rechtsnormen und die Entscheidung in gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen durch den Rechtsgestaltungsapparat § 19 Funktion und Gehalt von Gesetzen und das Grundgesetz

113 114

I. Z u r Funktion von Rechtsnormen S. 114 — I I . Gesetz und Grundgesetz S. 119 — I I I . Exkurs zur Gültigkeit, Geltung und Verbindlichkeit von Rechtsnormen S. 123 § 20 Gesetzlich nicht hinreichend geregelte Situationen und die F u n k t i o n der Gerichte und der V e r w a l t u n g 125 I. Bedingungen und Formen gesetzlich nicht hinreichend geregelter Situationen S. 125 — I I . Z u r F u n k t i o n der rechtsprechenden Gewalt und der vollziehenden Gewalt S. 128 § 21 Gestaltungskriterien für die Organe der Rechtsprechung i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen 132

Literaturverzeichnis

148

Abkürzungsverzeichnis Arch.f.ö.u.fr.U.

= Archiv für öffentliche und freigemeinnützige Unternehmen A.f.Ph. ^ Archiv für Philosophie AöR = Archiv des öffentlichen Rechts ARSP = Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie BGHZE Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes i n Zivilsachen BVerfGE = Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichtes BVerwGE = Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichtes DÖV = Die öffentliche V e r w a l t u n g H.J.f.W.u.G. = Hamburger Jahrbuch für Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik H.d.Ps. = Handbuch der Psychologie H.d.S. = Handbuch der Soziologie H.d.S.W. = Handwörterbuch der Sozialwissenschaften J.f.S. = Jahrbuch für Sozialwissenschaften JuS = Juristische Schulung JZ = Juristenzeitung K.Z.f.S.u.Sp. = Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie NJW — Neue Juristische Wochenschrift Mttbl. = Mitteilungsblätter des Instituts f ü r Gesellschaftspolitik und beratende Sozialwissenschaft, Göttingen—Köln Ö.Z.f.öff.R. = österreichische Zeitschrift f ü r öffentliches Recht Phil. Rdsch. = Philosophische Rundschau RAG, ARS = Arbeitsrechtliche Sammlung, Reichsarbeitsgericht St.G. = Studium Generale VVdStRL = Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer Z.f.öff.R. = Zeitschrift für öffentliches Recht Z.f.ph.F. ^ Zeitschrift für philosophische Forschung Abgekürzte Literaturangaben ohne Vermerk des Erscheinungsortes betreffen Veröffentlichungen i n Sammelbänden, sie sind i m Literaturverzeichnis v o l l ständig zitiert.

Erstes Kapitel

Bedeutung und Funktion der Rechtsfiguren von der „Normativität des Faktischen" §1

Funktion der Rechtsfiguren

Normen und Fakten stehen sich i n der Auswirkung des Rechtspositivismus und der axiomatischen Wertungsjurisprudenz i n Rechtstheorie und Rechtspraxis häufig unreflektiert und unvermittelt gegenüber 1 , Normen i m allgemeinen Sinne von Rechtsgeboten oder -verboten, Fakten i m Sinne sozialer Prozesse, Gebilde und ihrer Strukturen, aber auch Naturtatsachen, verstanden. Die herkömmliche Rechtswissenschaft beschränkt sich nach dem vorherrschenden Selbstverständnis ihrer Vertreter auf Logik und Interpretation der Rechtsnormen und deren dogmatische Systematisierung 2 . Überschreitungen dienen vor allem de lege ferenda der Auffindung und Darstellung von Rechtsprinzipien und Gerechtigkeitswerten 3 . Das Bemühen, Rechtswissenschaft — mehr oder weniger konsequent i n der Durchführung — als reine Rechtslehre zu betreiben 4 , läßt die Frage offen nach der Geltung von Normen, dem Zustandekommen ihres Inhaltes und nach Handlungskriterien für den Rechtsgestaltungsapparat 5 i n gesetzlich nicht genügend geregelten Situationen, verstanden 1 Vgl. hierzu neuerdings R. Lange, Konstanz u n d die Rechtswissenschaft, i n : J Z 1965, S. 737 ff. u n d ders. nochmals: Konstanz u n d die Rechtswissenschaft, i n : J Z 1966, S. 344 ff. sowie L . Raiser , Die Rechtswissenschaften i m Gründungsplan f ü r Konstanz, i n : JZ 1966, S. 96 ff. 2 Vgl. K . Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. B e r l i n usw. 1969, S. 126 ff.; R. Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, B e r l i n usw. 1966; kritisch hierzu Verf., i n : Die Mitarbeit, 1968, S. 280 ff. 3 Vgl. beispielsweise die Beiträge i n den Sammelbänden Naturrecht oder Rechtspositivismus?, hrsg. von W. Maihof er, Darmstadt, 1962, Die ontologische Begründung des Rechts, hrsg. v o n A . Kaufmann, Darmstadt 1965, J. Esser, Grundsatz u n d Norm, Tübingen 1956, R. Zippelius, Das Wesen des Rechts, 2. Aufl., München 1969, S. 68 ff. 4 So H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960, ders., Was ist juristischer Positivismus, i n : J Z 1965, S. 465 ff. 5 Der Begriff Rechtsgestaltungsapparat dient zur zusammenfassenden Bezeichnung f ü r die Organe der Rechtsanwendung, die Gerichte u n d die Exekutive, Verwaltungsbehörden u n d damit zur Unterscheidung gegenüber den Rechtsetzungsinstitutionen u n d -organen.

12

.Kap.: Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen"

als Konfliktsituationen menschlichen Handelns, für welche ein Gesetz nicht unmittelbar eine Entscheidung gibt 6 . Eine A n t w o r t auf diese Fragen w i r d häufig m i t den dogmatisierten Rechtsfiguren von der „normativen Kraft des Faktischen" und der „Natur der Sache", den „sachlogischen Strukturen" — kurz: m i t den Rechtsfiguren der „Normativität des Faktischen" versucht. Es ist jedoch dabei nicht so, daß der „Normativität des Faktischen" eine und nur eine Bedeutung von Faktischem für die Norm-Geltung, den Norm-Inhalt und die Norm-Gewinnung oder «Konkretisierung zugeordnet wird. Dies zeigt sich bereits i n der so unterschiedlichen Ausgestaltung dieser Rechsfiguren. Der Satz von der „normativen Kraft des Faktischen" dient zur Erklärung der Rechtsgeltung und ihrer Rechtfertigung, „Natur der Sache", „Sachlogik", „Sachgerechtigkeit" oder „Sachgesetzlichkeit" werden als Kriterien zur Bestimmung des angeblich gebotenen konkreten Inhaltes eines Gesetzes oder einer Einzelnorm, vor allem als Entscheidungsmaßstab i n bezug auf gesetzlich nicht hinreichend geregelte Situationen i n der Literatur und i n der Praxis des Rechtsgestaltungsapparates herangezogen. Diese Rechtsfiguren dienen dabei nicht nur zur Ausfüllung angeblicher Gesetzeslücken, sondern auch zu ihrer Auffindung.

§ 2 Die „normative Kraft des Faktischen" in der Lehre Georg Jellineks und seiner Nachfolger I. Die Rechtsfigur von der „normativen Kraft des Faktischen" geht auf Georg Jellinek zurück 7 und seinen Versuch, Staat und Recht vermittels eines Methodensynkretismus aus soziologischen, historischen und j u r i stischen Erkenntnisweisen zu erklären 8 . Für Georg Jellinek und seine Nachfolger ist staatlicher Wille menschlicher Wille, verbindliche Normen bestehen, „wenn ihr Sein und Gelten sowohl von den Herrschenden als den Beherrschten bejaht werden muß" 9 . Diese Bejahung und damit die Geltung des Rechts erklärt Jellinek aus „den letzten psychologischen Quellen des Rechts" 10 . Diese letzten „psychologischen Quellen" sind nach Jellinek die Eigenschaft des Menschen, das „ i h n stets Umgebende, das von i h m fortwährend Wahrgenommene, das ununterbrochen von i h m Geübte nicht nur als Tatsache, son6 Vgl. kritisch hierzu neuerdings M. Drath, Uber eine kohärente soziokulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, S. 68 ff. 7 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 7. Neudruck, Darmstadt 1960, S. 337 ff. 8 G. Jellinek, a.a.O., S. 25 ff.; vgl. hierzu auch R. Holubek, Allgemeine Staatslehre als empirische Wissenschaft, Bonn 1961, S. 9 ff., S. 41 ff. 9 G. Jellinek, a.a.O., S. 337. 10 G. Jellinek, a.a.O., S. 337.

§

Die „normative Kraft des Faktischen"

13

dern auch als Beurteilungsnorm" anzusehen, „an der er Abweichendes prüft, mit der er Fremdes richtet" 1 1 . Die Erkenntnis dieser „normativen Kraft des Faktischen" ist „für die Einsicht i n die Entwicklung von Recht und Sittlichkeit" 1 2 für Jellinek von der höchsten Bedeutung. „Alles Recht in einem Volke ist ursprünglich nichts als faktische Übung. Die fortdauernde Übung erzeugt die Vorstellung des Normmäßigen dieser Übung, und es erscheint damit die Norm selbst als autoritäres Gebot des Gemeinwesens, also als Rechtsnorm 13 ." Die Einsicht i n die „normative Kraft des Faktischen" gibt nach Jellinek nicht nur für die Entstehung, sondern auch für das Dasein, die Geltung einer Rechtsordnung, das rechte Verständnis. „Weil das Faktische überall die psychologische Tendenz hat, sich i n Geltendes umzusetzen, so erzeugt es i m ganzen Umfange des Rechtssystems die Voraussetzung, daß der gegebene soziale Zustand der zu Recht bestehende sei 14 ." Diese These einer vorgegebenen psychologischen Gesetzmäßigkeit sieht Jellinek in jenen Vorschriften der positiven Rechtsordnung bestätigt, welche Ausdruck eines Bestands- und Vertrauensschutzes oder eines Schutzes der Rechtssicherheit sind. Jellinek verweist dabei auf den Besitzschutz als Schutz faktischer Besitzverhältnisse einschließlich der an den faktischen Besitz gekoppelten Eigentumsvermutung, auf die A n nahme der Rechtmäßigkeit staatlicher Hoheitsakte bis zu ihrer Änderung durch richterliches Gebot, wie bei der Nichtigkeitserklärung einer Ehe, der Änderung einer Eintragung i m Personenstandsregister oder der Ungültigerklärung einer Wahl 1 5 . 11

G. Jellinek, a.a.O., S. 337. G. Jellinek, a.a.O., S. 338. G. Jellinek, a.a.O., S. 339. A u f diese Weise erhält für Jellinek auch das Problem des Gewohnheitsrechtes seine Lösung, „es entsteht aus der allgemeinen psychischen Eigenschaft, welche das sich stets wiederholende Faktische als das Normative ansieht" (S. 339). — Z u r Entstehung der gewohnheitsrechtlichen Theorie vgl. D. Nörr, Z u r Entstehung der gewohnheitsrechtlichen Theorie, S. 353 ff. 14 G. Jellinek, a.a.O., S. 339 ff. Diese These von der normativen K r a f t des Faktischen ist i n einem weiteren Erklärungsfeld auch Bestandteil mancher soziologischer Lehren, vgl. F. Tenbruck, Soziale Normen: „Das Faktische ist für den handelnden Menschen immer schon eingespannt i n ein Netz des Verhaltens, das i n die Z u k u n f t hineingreift. Es ist von seinen Erwartungen nicht zu trennen, w e i l der Mensch auf das Faktische eingespielt ist. Deshalb besitzen auch statische Normen (faktische Regelmäßigkeiten) i m Durchschnitt eine echte normative Tendenz und Kraft." (S. 276). 15 G. Jellinek, a.a.O., S. 340. — Eine so verstandene normative K r a f t des Faktischen läßt sich überall dort feststellen, wo an die Innehabung einer Position oder einer tatsächlichen Verfügungsgewalt Rechtsfolgen geknüpft werden. Sie ist weiter dort aufzufinden, wo Handlungsakte einen besonderen Glauben der Rechtmäßigkeit genießen, wie die Diskussion über die Möglichkeit zur Rücknahme fehlerhafter, begünstigender Verwaltungsakte zeigt. Faktischen Situationen ist hierbei jedoch als Folge eines postulierten Vertrauensschutzprinzipes von Gesetzes wegen oder durch die Rechtsprechung normativer Schutz zuerkannt (vgl. zuletzt K . - H . Lenz, Das Vertrauensschutz-Prinzip, Berlin 1968). 12 13

14

1. Kap.: Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen"

II. Jellinek kann für seine Ansicht noch auf einen weiteren Vorgang hinweisen: Revolutionen und Staatsumwälzungen1®. I n der Tat bot und bietet die Jellineksche These von der „normativen K r a f t des Faktischen" der Rechtspraxis eine hinreichende Erklärung um revolutionäre Rechtssetzungsakte als „faktisch legitimiert" und rechtlich verbindlich zu betrachten 17 . I m Völkerrecht entspricht dem die allgemein anerkannte Theorie der vollendeten Tatsachen, welche nicht nur für das de factoRegime bei einer Staatsumwälzung, sondern auch i m Besatzungsrecht nach der Haager Landkriegsordnung gilt 1 8 . Die Jellineksche These wäre falsch verstanden, wollte man den tatsächlichen Verhältnissen nur eine Korrespondenzfunktion für die Normqualität von Herrschaftsakten zubilligen. Vielmehr wohnt „den tatsächlichen Verhältnissen selbst normative K r a f t inne" 1 9 , denn „die Umwandlung der zunächst überall rein faktischen Macht des Staates i n rechtliche erfolgt stets durch die hinzutretende Vorstellung, daß dieses Faktische normativer A r t sei, daß es so sein solle, wie es ist" 2 0 , so daß „die einer späteren Zeit noch so unbillig scheinende Machtverteilung i n einem Gemeinwesen, die Ausbeutung abhängiger Klassen durch die herrschenden i n vollem Maße Rechtscharakter gewinnen, nicht nur i n dem Sinne, daß sie von der Macht geboten, sondern auch dadurch, daß sie von dem Unterworfenen anerkannt wird 2 1 ." M i t der Dogmatisierung der Rechtsfigur von der „normativen K r a f t des Faktischen" — und sie war nicht nur zu Jellineks Zeit Allgemeingut, sondern gehört auch heute noch zu den „Grundlehren der juristischen allgemeinen Staatslehre" 22 — vollzog sich aber oft ein Umschlag von der Gründung des Normativen i m Faktischen zur Normqualität des Faktischen selbst, ohne daß diese Normqualität näher gekennzeichnet wurde, dieses „Umschlagen" eine Rechtfertigung fand 23 . Diese Verkür16

G. Jellinek, a.a.O., S. 340. Das Reichsgericht hat wiederholt, etwa i n RGZ 100, 25 ausgesprochen, daß eine durch eine gelungene gewaltsame Umwälzung geschaffene neue Staatsgewalt als rechtsgültig anzuerkennen sei. 18 Vgl. hierzu i m einzelnen m i t weiteren Nachweisen J. A. Frowein, Das de facto-Regime i m Völkerrecht, B e r l i n u n d K ö l n 1968. 19 G. Jellinek, a.a.O., S. 341. 20 G. Jellinek, a.a.O., S. 342. 21 G. Jellinek, a.a.O., S. 343. Vgl. auch G. Dahm, Deutsches Recht, 2. Aufl., Stuttgart 1963, S. 53, F. Somlo, Juristische Grundlehre, 2. Aufl. 1927, S. 109; H. Heller, Staatslehre, 3. Aufl. Leiden 1963, S. 87, W. Goldschmidt, Der A u f bau der juristischen Welt, Wiesbaden 1963, S. 328 ff.; G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 5. Aufl. Stuttgart, 1956, S. 174ff.; C. A. Emge, Geschichte der Rechtsphilosophie, Darmstadt 1967, S. 3, S. 66 sowie E. R. Bierling, Z u r K r i t i k der juristischen Grundbegriffe, Neudruck, Aalen 1965, S. 7 u n d K . Larenz, Das Problem der Rechtsgeltung, B e r l i n 1929, S. 11 ff. 22 M. Drath, Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, a.a.O., S. 35 ff. 23 Vgl. beispielsweise B. Rehieldt, Einführung i n die Rechtswissenschaft, 17

§ 3 „Sachgesetzlichkeit" und „Interdependenz"

15

zung i m Bedeutungsgehalt der Formel von der „normativen Kraft des Faktischen" entspricht ihrer Ausdeutung i n der sogenannten soziologischen Jurisprudenz, auch i n manchen Arbeiten zur Rechtssoziologie24. Faktisches w i r d hier nicht mehr i n irgendeiner Funktion bei der Vermittlung der Normativität verstanden, sondern diese und damit das Recht selbst entfalten sich angeblich aus dem sozialen Miteinander 2 5 , durch quantitative Verallgemeinerung 26 , i n einer Entwicklung von der Handlung zur Gewohnheit, zum allgemeinen Gebarensmodell und schließlich zur subsistenten Norm (zur Sitte), zum Recht 27 .

§ 3 Die Lehre von der Sachgesetzlichkeit und den rechtswissenschaftlichen Interdependenztheorien als Formen der Lehre von der „normativen Kraft des Faktischen" Die Lehre von der „normativen Kraft des Faktischen" findet eine Ergänzung i n der Lehre vom Sachzwang und der Sachgesetzlichkeit sowie i n rechtswissenschaftlichen Interdependenztheorien. Ausgehend von der Feststellung, daß der Mensch heute seine eigene Welt i n die natürliche hineinkonstruiere, u m sich i n dieser Konstruktion selbst zu produzieren, kommt Schelsky zu der Folgerung, „daß durch die Konstruktion der wissenschaftlich-technischen Zivilisation ein neues Grundverhältnis von Mensch zu Mensch geschaffen wird, i n welchem das Herrschaftsverhältnis seine alte persönliche Beziehung der Macht von Personen über Personen verliert, an die Stelle der politischen Normen und Gesetze aber Sachgesetzlichkeiten der wissenschaftlich-technischen Zivilisation treten, die nicht als politische Entscheidungen setzbar und als Gesinnungsoder Weltanschauungsnormen nicht verstehbar sind" 2 8 . Nach Ansicht von 2. Aufl. B e r l i n 1966, S. 134, Ε. E. Hirsch, Das Recht i m sozialen Ordnungsgefüge, B e r l i n 1966, S. 255. Z u r Verpflichtung des richterlichen Impetus auf die normative K r a f t des Faktischen, welche normale Zustände legalisieren u n d unhaltbare verurteilen läßt vgl. J. Esser, Grundsatz u n d Norm, a.a.O., S. 247. 24 Vgl. Verf., Wider die verwaltete Demokratie, i n : Die Mitarbeit 1968, S. 54 f. 25 Vgl. E. Fechner, Rechtsphilosophie, Tübingen 1956, S. 35, S. 96, R. Dahrendorf, Über Gestalt u n d Bedeutung des Rechts i n der modernen Gesellschaft, i n : H.J.f.W.u.G. 1962, S. 126, H. Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, München u n d B e r l i n 1964, S. 162 ff. — I m Ergebnis ähnlich V e r treter einer dialektischen Rechtstheorie, vgl. beispielsweise i m Anschluß an G. Lukacs, Geschichte u n d Klassenbewußtsein, B e r l i n 1923, S. 57, S. 94 ff., D. Schindler, Verfassungsrecht u n d soziale Struktur, 3. Aufl., Zürich 1950, S. 16, S. Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse, Frankfurt/M., 1957, S. 42. 26 M . Rehbinder, K a r l Llewellyn, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1966, S. 544. 27 So insbesondere Th. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, Neuwied 1964, S. 92 ff. u n d G. Dahm, a.a.O., S. 20 f. 28 H. Schelsky, Der Mensch i n der wissenschaftlichen Zivilisation, i n : A u f der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf u n d K ö l n 1965, S. 453.

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1. Kap.: Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen"

Schelsky t r i t t deshalb an die Stelle eines politischen Volkswillens die Sachgesetzlichkeit, welche vom Menschen als Wissenschaft und Arbeit selbst produziert wird. Danach wandeln sich auch die Grundlagen unserer staatlichen Hersrchaft überhaupt, auch derjenigen, die mittels des Rechts ausgeübt wird. Die moderne Technik ist i n diesem Zusammenhang aus technischen, sozialen und politischen Gründen i n ihrer Hochleistungsform immer mehr staatlich, der Staat aber dadurch seinerseits immer mehr nicht politischer, sondern technischer Staat. „Der Sachzwang der technischen Mittel, die unter der Maxime einer optimalen Funktions- und Leistungsfähigkeit bedient sein wollen, enthebt von diesen Sinnfragen nach dem Wesen des Staates. Die moderne Technik bedarf keiner Legitimität; m i t ihr „herrscht" man, weil sie funktioniert und solange sie optimal funktioniert. Sie bedarf auch keiner anderen Entscheidungen als der nach technischen Prinzipien 2 9 ." Politik w i r d so auf allen Rängen zur Anwendung komplizierter wissenschaftlicher Techniken; damit gibt es aber auch ebenso hochkomplizierte Sachgesetzlichkeiten, die der Lösung der politischen Aufgaben ihren Weg vorschreiben 30 . Diese Lehre vom Sachzwang ist auch Bestandteil rechtswissenschaftlicher Interdependenztheorien, indem die angenommenen faktischen Interdependenzen innerhalb sozialer Gebilde und sozialer Prozesse als Vorgegebenheiten der Rechtsgestaltung m i t eigener, immanenter Normativität verstanden werden 31 . Faktische Interdependenz schlägt hier i n normative Interdependenz um. Dies aber nicht, weil bei gegebenen normativen Vorentscheidungen aus dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit heraus faktische Interdependenzen bestimmte normative Folgerungen implizieren. Vielmehr werden auf Grund des Postulates der Funktionsfähigkeit eines gesellschaftlichen Gesamtsystems wie seiner Teilsysteme frei gesellschaftlich entwickelten Ordnungs- und Prozeßformen normative Relevanz zugebilligt, ohne zuvor i n eine kritische Prüfung einzutreten, ob i m Hinblick auf die vorgegebenen Verfassungs- oder Gesetzesnormen andere Ordnungsformen verfassungskonform und ebenfalls funktionsfähig sind. I n diesem Zusammenhang ist an das Umwandlungsurteil des BVerfG (Feldmühle) 32 zu erinnern, welches faktisch herrschende unternehmerische Gelstaltungsmöglichkeiten als notwendige 29

H. Schelsky, a.a.O., S. 456. H. Schelsky, a.a.O., S. 457. Z u r Theorie v o m technischen Staat u n d zu den Lehren von der Sachgesetzlichkeit u n d dem Sachzwang vgl. m i t weiteren Nachweisen K . Lompe, Wissenschaftliche Beratung der Politik, Göttingen 1966, S. 28 ff. 31 Vgl. H. Huber, Weltweite Interdependenz, Bern 1968, G. W. Wittkämper, Grundlagen einer rechtswissenschaftlichen Interdependenztheorie, Man. 1967, S. 8b f t , S. 78 ff.; vgl. auch W. Krawietz, Das positive Recht u n d seine F u n k tion, Berlin 1967, § 13. 32 BVerfGE 14, 263 ff. 30

§ 4 Die „normative Kraft des Faktischen" in der Rechtsprechung

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Voraussetzungen für das Funktionieren unseres — praktizierten — W i r t schaftssystems ansah. Es handelt sich hier u m einen Zirkelschluß. A u f gabe des Gerichtes wäre es gewesen zu prüfen, ob ein anderes als das praktizierte Wirtschaftssystem der Grundgesetzordnung mehr entspräche und dieses eine andere Beurteilung der unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten erfordere.

§ 4 Die Anerkennung einer „normativen Kraft des Faktischen" in der Rechtsprechung Verfassungswirklichkeit als Rechtsquelle I. Soziale Effizienz hat die Lehre von der „normativen K r a f t des Faktischen" — insbesondere jene Georg Jellineks — nicht nur als Bildungsgut und damit als Bewußtseinsgehalt über Staat und Recht gefunden. Einen Niederschlag findet sie auch i n der Realisierung der Rechtsordnung durch den Rechtsgestaltungsapparat, wenn dieser die Verfassungswirklichkeit bei der Verfassungsauslegung und bei der Feststellung eines Bedeutungswandels von Verfassungsnormen berücksichtigt. II. Ist bei Kelsen die „normative K r a f t des Faktischen" nur die faktische Wirksamkeit des faktischen Rechtssetzungsaktes33, so w i r d insbesondere i n der Lehre über die verfassungsgebende Gewalt von C. Schmitt unter dem Einfluß der französischen Staats- und Verwaltungsrechtslehre die Theorie von der Normativität des Faktischen juristisch dogmatisch ausgebaut. „Verfassungsgebende Gewalt ist der politische Wille, dessen Macht oder Autorität imstande ist, die konkrete Gesamtentscheidung über A r t und Formen der eigenen politischen Existenz zu treffen 34 ." Nach Henke 3 5 sind dabei zwei Mächte zu unterscheiden, „ m i t denen man bei der Enstehung einer Verfassung rechnen muß. Die eine ist der vielfältige Strom der politischen Überzeugungen, Ansichten und Interessen, die, teils miteinander, teils gegeneinander, auch parallel und sich kreuzend, jeweils die politische Gestaltung des Gemeinwesens wollen, die ihren Vorstellungen von Ordnung und Gerechtigkeit entspricht: die verfassungsgebende Gewalt. Die andere ist die allen jenen Bestrebungen überlegene politische Gewalt, die für Frieden und Recht sorgt: die Staatsgewalt" 36 . Steiner geht i n der Interpretation der verfassungsge33 H. Kelsen, Was ist juristischer Positivismus? in: J Z 1965, S. 465 ff.; vgl. auch Κ . H. Revermann, Macht u n d Recht i n der deutschen Innenpolitik, M ü n ster 1965, S. 9. 34 C. Schmitt, Verfassungslehre, 4. Aufl. B e r l i n 1965, S. 75. 35 W. Henke, Die verfassungsgebende Gewalt des deutschen Volkes, S t u t t gart 1967. 36 W. Henke, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes, i n : Der Staat 1968, S. 167.

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1. Kap.: Rechtsfguren einer „Normativität des Faktischen"

benden Gewalt einen Schritt weiter, indem für i h n das demokratische Prinzip, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, ein „vorkonstitutioneller Rechtssatz" ist 3 7 . Die „verfassungsgebende Gewalt" behält als Verfassungswirklichkeit nach diesen Lehren die Eigenschaft als Rechtsquelle, Faktisches w i r d so i n der Verfassungsauslegung zur Normativität. W. Jellinek spricht von der Wirklichkeit als von einer Rechtsquelle 88 . Ähnlich E. Ehrlich 3 9 und vor allem Smend, nach dessen Ansicht die Verfassung als positives Recht nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit, als Verfassung integrierende Wirklichkeit ist, diese Wirklichkeit aber wiederum Bezugsrahmen für die Verfassungsauslegung zu sein hat 4 0 . Einfluß auf diese Überlegungen hatten soziologische Arbeiten, vor allem Emile Dürkheims, nach dessen Feststellungen sich die außerhalb des Kreises der Rechtsnormen liegende Wirklichkeit nicht i n reiner Faktizität erschöpft, sondern durch Verhaltensmuster m i t Verbindlichkeitsanspruch bestimmt wird 4 1 . III. Die Diskussion über die Verfassungswirklichkeit als Rechtsquelle entfaltete sich neuerdings unmittelbar vor allem i m Anschluß an A r t . 33 Abs. 5 GG 4 2 und wurde von Krüger i n der Auslegung von A r t . 9 Abs. 3 GG 4 3 und von Quaritsch am Verhältnis von Staat und Kirche 4 4 expliziert. Krüger teilt nicht die herkömmliche Gegenüberstellung von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, von Norm und Faktum, sondern sieht i n den Grundrechtsbestimmungen nur das positive Bindeglied zwischen geschriebener Verfassung und Verfassungswirklichkeit. Die Verfassungswirklichkeit ist aber „nicht nur eine faktische, sondern auch eine normative oder jedenfalls auf Normativität angelegte" 45 . Die sozialen Gebilde treten nach Krüger i n dem Moment, i n dem sie eine i m Vergleich zum Staat nicht unerhebliche Macht erlangen, i n die Sphäre 37 U. Steiner, Verfassungsgebung u n d verfassungsgebende Gewalt des Volkes, B e r l i n 1966, S. 19, S. 41. Steiners Interpretation ist axiomatisch auf das nicht weiter erklärte „demokratische Prinzip" gestützt u n d damit i m Ergebnis w e n i g ergiebig. 38 W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung u n d Zweckmäßigkeitserwägungen, Tübingen 1913, S. 18 f., S. 179. 39 G. Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, München 1929. 40 R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 119 fï. (S. 188 ff., S. 192). 41 Vgl. hierzu insbesondere M. Drath, Der Staat der Industriegesellschaft, i n : Der Staat 1966, S. 273 ff., ders., Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, a.a.O., S. 46 ff. 42 Verf., Das Beihilfewesen i m System des Beamtenrechts, i n : Zeitschrift f ü r Beamtenrecht 1967, S. 329. 43 H. Krüger, Sinn u n d Grenzen der Vereinbarungsbefugnis der T a r i f v e r tragsparteien, i n : Verh. des 46. Dt. Juristentages, Band 1/1, München u n d B e r l i n 1966. 44 H. Quaritsch, Kirchen u n d Staat, i n : Der Staat 1962, S. 157 ff., S. 289 ff. (S. 302). 45 H. Krüger, a.a.O., S. 32.

§ 4 Die „normative Kraft des Faktischen" in der Rechtsprechung

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der Verfassungswirklichkeit, der Staatshervorbringung ein. Da aber Verfassung per definitionem für i h n die Ordnung des Prozesses der Staatshervorbringung ist, kann diese Ordnung entweder als Verfassungsurkunde positiv gesetzt oder aus der Verfassungswirklichkeit umgesetzt sein. „Es ist die i m Prozeß der Staatshervorbringung liegende „Natur der Sache", aus der die verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten gewonnen werden 46 ." IV. Der Satz „ex factis jus oritur" ist i n Entscheidungen zum Verhältnis von Staat und Kirche, aber auch von Staat zu sozialen Organisationen und Institutionen wie Parteien und Verbänden, Bestandteil der Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichtes als auch des Bundesgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes i m Wege der Verfassungsauslegung, i n der Anerkennung einer „Normativität des Faktischen" geworden 47 . Das Bundesverfassungsgericht vertritt zwar die These, daß die Verfassung als objektiver Wille eines historischen Gesetzgebers zu deuten ist und Berücksichtigungen der Entwicklung dem Gesetzgeber vorbehalten sind 48 , eröffnet aber doch einerseits durch seine These von der soziologischen Geltung von Rechtsvorschriften 49 und andererseits durch die Anerkennung eines Bedeutungswandels von Verfassungsnormen 50 der Lehre von der „normativen Kraft des Faktischen" seine Spruchpraxis 51 . Diese Rechtsprechung ist nicht ohne Widerspruch geblieben. Sie kann nach Leibholz „zu einer A r t soziologischem Positivismus gelangen, der die Tendenz haben würde, die Rechtswissenschaft zu einer konkreten Situationsjurisprudenz zu degradieren, und der das Recht letzthin zur ausschließlichen Disposition der jeweils die Wirklichkeit beherrschenden sozialen und politischen Kräfte stellen würde. Ein solcher soziologisch-politisierender Positivismus würde letzthin nicht minder relativistisch-anarchistische und desintegrierende Folgerungen 46 So kennzeichnet zutreffend E.-H. Rittler, Die Verfassungswirklichkeit — eine Rechtsquelle?, i n : Der Staat 1968, S. 361 die Position Krügers. Vgl. hierzu auch Κ . v. Beyme, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes, Tübingen 1968, insbesondere S. 63 ff. 47 Nachweise bei H. Krüger, Verfassungsänderung u n d Verfassungsauslegung, i n : DÖV 1961, S. 727. 48 Vgl. BVerfGE 11, 325. 49 BVerfGE 3, 58 (119) ; 6,132 (199). 50 BVerfGE 2,380 (401), ähnlich BVerfGE 7,342 (351). 51 Vgl. BVerfGE 4, 175 (Legitimierung tatsächlicher Machtlagen), 5, 134 (Gesellschaftlich-politische W i r k l i c h k e i t u n d normativer Sinn), 5, 33 (Verwaltungsübung), 6, 434 f. (Religionsgesellschaften setzen Maßstab), 11, 365 (Institutionelle Verfestigung tatsächlicher Vorherrschaft), 12, 353 (Änderung der Verhältnisse, u m Vorschrift verfassungswidrig zu machen), 12, 343 u n d 13, 241 und weitere (Konkretisierung des Gleichheitssatzes), 13, 117 (Tatsächliche Übung maßgeblich f ü r das Berufsbild), 15, 103 (Änderung der tatsächlichen Lage). — Beispielsweise auch V G Ansbach, Urt. v. 19.9.1961:... das subjektive öffentliche Recht auf freie W a h l der Ausbildungsstätte findet „seine Grenze an den tatsächlichen Verhältnissen" . . .

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1. Kap.: Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen"

zeitigen, wie der von i h m so nachdrücklich bekämpfte Rechts- und Begriffspositivismus" 52 . A n diesem Streit zeigt sich das Dilemma, i n welchem sich der Richter i n seiner Verpflichtung an das Rechtsstaatsprinzip einerseits, i n seiner Abhängigkeit von der Rechtswirklichkeit andererseits befindet. Es w i r d augenfällig an den Lehren von der „Natur der Sache" und der „Sachgerechtigkeit" als weiteren Erscheinungsformen der Theorie von der „Normativität des Faktischen".

§ 5 Die Lehre von der „Natur der Sache", den sachlogischen Strukturen und der Sachgerechtigkeit I. Die Rechtsfiguren von der „Natur der Sache", den „sachlogischen Strukturen" und der „Sachgerechtigkeit" sind ebenso wie jene von der „normativen K r a f t des Faktischen" i n der Auseinandersetzung m i t der Problematik des Rechtspositivismus wieder „entdeckt" worden, nachdem sie bereits dem römischen Recht bekannt waren 5 3 . Später wurden sie dogmatisiert und damit zu einem Bestand jenes Rechtsverständnisses, welches selbst vom juristischen Positivismus angeleitet ist. Die Lehre von der „Natur der Sache" entfaltete sich i n Arbeiten der historischen Rechtsschule. Sie geht von der Annahme aus, daß der Rechtshistoriker „auf Grund seiner eigenen Erfahrung vom Rechtsproblem i n seinem Material eine große, aber begrenzte Typenzahl von Institutionen, Rechtsproblemen und Problemlösungen, d. h. von stabilisierten Ordnungs- und Problemgefügen, die jeweils wieder nur einer begrenzten Zahl von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen zugeordnet werden können: so ζ. B. Ehe, Hausverband, Hausvermögen, Erbfolge, Eigentum, Personenverbände, Kredit- und Austauschgeschäfte, Treuhand, Handeln für fremdes Interesse usw." 5 4 , erkennt. Dieses Problemgefüge w i r d als „Sachstrukturen" oder auch „sachlogische Strukturen" bezeichnet, i n i h m drückt sich die „Natur der Sache" aus. Anerkennung und Dogmatisierung hat die Formel von der „Natur der Sache" i n der Pandektenwissenschaft 55 als Korrektiv des Gesetzespositivismus und der damit verbundenen Situationsethik bei der Auslegung des Gesetzes und als Entscheidungskriterium i n nicht genügend geregelten Situationen gefunden. Diesen Lehren liegt also die Annahme zugrunde, daß die Lebensverhältnisse, wenn auch mehr oder weniger entwickelt, ihr Maß und ihre 52 G. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, Karlsruhe 1958, S. 280; vgl. auch W. Maihof er, Die Würde des Menschen, Hannover 1967, S. 58. 53 Vgl. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 377 ff. u n d die Nachweise bei G. Küchenhoff, Wegerecht als Ordnung aus der Natur der Sache, S. 712 ff. 54 F. Wieacker, a.a.O., S. 426. 55 Vgl. F. Wieacker, a.a.O., S. 430 ff.

§ 5 Natur der Sache, sachlogische Strukturen, Sachgerechtigkeit

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Ordnung i n sich tragen. Diese den Dingen innewohnende Ordnung ist die „Natur der Sache" 56 . Die Diskussion u m die „Natur der Sache" und die „sachlogischen Strukturen", die Bemühungen u m deren Konkretion wurden nach dem Scheitern eines abstrakten Vernunftrechtes und dem Zusammenbruch des totalitären Machtpositivismus i m zweiten Weltkrieg neu aufgegriffen. Das Bemühen richtete sich auf die Aktualisierung des Rechtsinhaltes gegenüber der W i l l k ü r einer gewissenlosen Situationsethik, auf die Schaffung allgemeingültiger Voraussetzungen und Forderungen einer gerechten Ordnung sozialen Handelns. Der aktuelle Rechtsinhalt einer Norm war unter Beachtung der „Natur der Sache" und der „sachlogischen Strukturen" zu entfalten. Diese Arbeiten, gefördert von rechtsphilosophischen Überlegungen, entzündeten sich nicht nur zufällig innerhalb der Zivilrechtsdogmatik, denn hier ging es zum einen u m die Aktualisierung des Rechtsinhaltes eines Gesetzeswerkes aus der Zeit um die Jahrhundertwende für eine sich rasch wandelnde moderne Industriegesellschaft, zum anderen auch u m eine Konkretion der Generalklauseln i n der Entscheidung von Interessenskonflikten 57 . Anzuführen ist hier vor allem — wenn auch selbst nicht Zivilrechtsdogmatiker — Radbruch, welcher die „Natur der Sache" zur Überwindung des neukantianischen Positivismus und des Formalismus i n der Ethik bemühte, den Versuch unternahm, aus der „Natur der Sache" die Geltungsgrenze ungerechter Gesetze, ja die Geltung überpositiver Sollsätze abzuleiten 58 , um so eine materiale Gerechtigkeit abzusichern. II. I m weitestens Sinne bezeichnet der Begriff der „Natur der Sache" i m rechtswissenschaftlichen Schrifttum das nach Sachlage Natürliche, derzeit Richtige, Gerechte, Kulturgemäße, Heilsame 59 sowie sog. Realien 56

So H. Dernburg, Pandekten Bd. 1, 5. Aufl. 1896, S. 87. Vgl. etwa BVerfGE 6, 84 fï. (91), Z u r K o n k r e t i o n des Gleichheitssatzes aus der N a t u r der Sache oder A. Kraft, Interessenabwägung u n d gute Sitten i m Wettbewerbsrecht, München u n d B e r l i n 1963, S. 74 ff., S. 267: „Der Maßstab für die Deutung u n d Abwägung der Interessen ergibt sich aus der Rechtsordnung u n d sofern sie keinen ausreichenden Hinweis enthält, aus der „ N a t u r der Sache", d.h. aus dem Wesen des Wettbewerbs, wie er unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung zugrunde liegt." 57

58 G. Radbruch, Die N a t u r der Sache als juristische Denkform, Neudruck Darmstadt 1960; vgl. auch H. Welzel, Naturrecht u n d Rechtspositivismus, S. 322 ff. u n d ders., Naturrecht u n d materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. Göttingen 1962, S. 244, S. 290 ff., wonach unabhängig v o n dem Streit u n d dem Zweifel über die materialen Wertfragen bestimmte ontologische Grundgegebenheiten bestehen, an die jede denkbare Wertung gebunden ist u n d die damit jeder Wertung feste Grenzen setzen. Der Gesetzgeber hat solche Grundgegebenheiten, bestimmte sachlogische Strukturen i m Objekt seiner Regelung zu beachten, widrigenfalls seine Regelung falsch, Un-Recht ist. 59 Vgl. H. Meier-Hajoz, Berner Kommentar, Bd. 1/1, Bern 1966, A n m . 398 ff. zu A r t . 1 SchwZGB, Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner T e i l des bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. Tübingen 1959, Bd. I, § 33 I I I m i t weiteren Nachweisen.

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1. Kap.: Rechtsfiguren einer „ N o r m a t i v i t ä t des Faktischen"

( N a t u r t a t s a c h e n u n d soziale S t r u k t u r e n ) d e r Rechtsgestaltung, welche Gesetzgeber u n d G e r i c h t e z u beachten h a b e n 6 0 . I m m e r aber w e r d e n m i t d e m B e g r i f f „ N a t u r d e r Sache" a n g e b l i c h (vor-)gegebene O r d n u n g s - u n d S i n n s t r u k t u r e n m i t g e d a c h t , w e r d e n eine p h ä n o m e n o l o g i s c h oder d i a l e k tisch e r k l ä r t e S i n n i m m a n e n z des Seins, „ d i e m i t d e n sozialen V e r h ä l t nissen gegebenen R e a l z u s a m m e n h ä n g e u n d (der) i n i h n e n liegende S i n n g e h a l t " 6 1 , eine S o l l i m m a n e n z des Seins u n t e r s t e l l t 6 2 . D i e s e m V e r s t ä n d n i s v o n einer N a t u r der Sache oder sachlogischen S t r u k t u r e n , welche B e d i n g u n g e n d a f ü r seien, daß die Menschen i h r e W i r k l i c h k e i t n i c h t als e i n Chaos, s o n d e r n als O r d n u n g e r l e b e n 6 3 , w u r d e d e r E i n w a n d entgegengesetzt, daß es sich b e i d e r N a t u r der Sache n u r u m eine S i n n g e b u n g h a n d e l t , die erst das w e r t e n d e S u b j e k t der b l o ß e n F a k t i z i t ä t v e r l e i h t 6 4 , 60 Vgl. insgesamt M. Gutzwiller, Z u r Lehre von der N a t u r der Sache, H. Schambeck, Der Begriff der N a t u r der Sache, W i e n 1964, S. 6 ff.; JR. Dreier, Z u m Begriff der Natur der Sache, B e r l i n 1965, S. 3 ff., S. 35 ff.; A. Kaufmann, Analogie u n d Natur der Sache, Karlsruhe 1965, S. 35 ff.; F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, B e r l i n 1966, S. 95 ff., A . Kraft, a.a.O., S. 88. 61 E. Fechner, Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 151; Vgl. auch ff. Henkel, E i n führung i n die Rechtsphilosophie, a.a.O., S.274ff., welcher i m Anschluß an die Schichtenlehre von Ν. Hartmann darunter die N a t u r des Menschen, seine natürlichen Fähigkeiten, Triebe, Willensziele sowie die eigenartigen Sachgesetzlichkeiten, die den einzelnen Tätigkeitsbereichen u n d Gemeinschaften der Menschen eigen sind, versteht (S. 294); ähnlich ff. Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, B e r l i n 1950, S. 19 u n d J. Messner, Das Naturrecht, 5. Aufl., Innsbruck usw. 1966, S. 334, R. Marcie , Die Öffentlichkeit als Prinzip der Demokratie, S. 268 ff. u n d — phänomenologisch gedeutet — G. Husserl , Recht u n d Welt, Halle 1929, ders. Recht u n d Zeit, F r a n k f u r t / M . 1955, S. 67 ff., S. 76 ff. I m Ergebnis ähnlich bei unterschiedlicher Begründung K . Engisch, Einführung i n das juristische Denken, 3. Aufl. Stuttgart 1964, S. 90 f. u n d K . Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 388 ff., welcher, ausgehend von der hegelianischen ursprünglichen Identität von Sein u n d Sollen nach i n den Dingen immanenten Sinnstrukturen fragt. Maihofer schließlich versucht eine Lehre v o n der N a t u r der Sache als konkretes Naturrecht auf der G r u n d lage des Existenzialismus — v o r allem i m Anschluß an M . Heidegger u n d K . Jaspers — zu entwerfen, u n d diese Überlegungen m i t der hegelianischen ursprünglichen Identität von Sein u n d Sollen zu verbinden (W. Maihofer, Recht und Sein, F r a n k f u r t / M . 1954). Recht ist nach Maihofer „gedacht u n d gemacht als eine Verallgemeinerung des aus der N a t u r der Sache einer bestimmten, gleichsam isotopen, i n der Welt der Alltäglichkeit wiederkehrenden Rolle oder Lage sich ergebenden Verhaltenssollens zum Verhaltensgesetz, nicht f ü r jedermann überall u n d immer, aber doch als verpflichtend, w e i l i n der Sache berechtigt, f ü r jeden i n solcher Rolle oder Lage" (W. Maihofer, Die N a t u r der Sache, S. 79 f.). Vgl. auch O. Ballweg, Z u einer Lehre von der N a t u r der Sache, 2. Aufl. Basel 1963, S. 67. 62 Vgl. B. Rehfeldt, a.a.O., S. 44, ff. Henkel, a.a.O., S. 162, O. Ballweg, a.a.O., S. 69 f., ff. Coing, a.a.O., S. 106 ff., ders., Naturrecht als wissenschaftliches Problem, Wiesbaden 1965, S. 14, S. 26, R. Zippelius, Wertungsprobleme i m System der Grundrechte, München 1962, S. 113 ff., S. 192 ff., ders., Das Wesen des Rechts, 2. Aufl. München 1969, S. 801, D. W. Lerner, Das Problem der O b j e k t i v i t ä t v o n rechtlichen Grundwerten, Zürich usw. 1967, S. 96 f., G. Müller, Naturrecht u n d Grundgesetz, Würzburg 1967. M Vgl. O. Ballweg, a.a.O., S. 46. 64 Vgl. insbesondere W. Weischedel, Recht und E t h i k , Karlsruhe 1956,

§ 5 Natur der Sache, sachlogische Strukturen, Sachgerechtigkeit

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weshalb sachlogische Strukturen auch nur „ontische Gegebenheiten, die sich unter einem bestimmten Gesichtspunkt als wesentlich herausheben" 6 5 seien und damit die Widerspruchsfreiheit der relativen Bewertung rechtlicher Sachverhalte innerhalb eines vorgestellten Wertsystems meinten. Eine Sollimmanenz des Seins gründet so entweder auf metaphysische Voraussetzungen, auf Objektivationen sozialer Sinngebung 66 oder auf vorgegebene Ideen und Entwicklungen. Diese können normativer oder erkenntnisleitender A r t sein 67 . I m Maße der weiteren Loslösung der Verwaltungsrechtswissenschaft, vor allem aber der Verwaltungsrechtspraxis von einem obrigkeitsmäßig-autoritär bestimmten Staatsbild finden diese Lehren aber auch dort Eingang; sie dienen hier zur Konkretion des Opportunitätsprinzipes und zur Bestimmung der Kriterien für eine gesetzmäßige Ermessensausübung und finden ihre Ergänzung i n der Lehre von der „Sachgerechtigkeit". Zur „Sachgerechtigkeit" einer Verwaltungsentscheidung gehört nach Kunze die präzise objektive Feststellung des Sachverhaltes sowie bei Ermessensentscheidungen die Auswahl derjenigen Alternative unter mehreren möglichen, „die zur sachlich besten Lösung führt. Dabei ist eine Abwägung erforderlich zwischen den Interessen des betroffenen Bürgers und den öffentlichen Interessen, die sich aus dem durch Gesetz vorgegebenen Verwaltungsziel entnehmen lassen. Sachgerecht ist i n diesen Fällen dann entschieden, wenn eine ausgewogene Wertung vorgenommen, vernünftige Maßstäbe angelegt und allen Fakten und Gesichtspunkten das richtige Gewicht gegeben wurde" 6 8 .

S. 6 ff. u n d N. Bobbio, Über den Begriff der N a t u r der Sache, S. 93 sowie E. Betti , Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften, Tübingen 1967, S. 656. 65 G. Stratenwerth, Das rechtstheoretische Problem der N a t u r der Sache, Tübingen 1957 S. 17, S. 22 ff. 66

K . Larenz, Originäre Rechtssachverhalte, S. 130 f. G. Küchenhoff, a.a.O., S. 712 f. 68 R. Kunze, Sachgerechtigkeit, S. 229. — A l s Beispiel f ü r die A r g u m e n tationsweise m i t der N a t u r der Sache i m Verfassungsrecht vgl. H. Friauf, Z u r Problematik des verfassungsrechtlichen Vertrages, i n : AöR Bd. 88 1963, S. 257 ff. „Aus der Entscheidung f ü r den Mehrparteienstaat folgt k r a f t I m p l i kationen aus der N a t u r der Sache die Zulässigkeit der K o a l i t i o n s v e r t r ä g e . . . Die Grenze der Zulässigkeit der Koalitionsverträge ergibt sich aus der L i m i t i e r u n g der Ermächtigungsgrundlagen. Beruht diese i n der Sachgerechtigkeit der verfassungsrechtlichen F u n k t i o n der Parteien, so folgt daraus, daß die Verträge den legitimen Bereich dieser Funktionen nicht überschreiten dürfen." (S. 308/309) u n d E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, Tübingen 1968, S. 54 f. (Gesetzgebungskompetenz aus der N a t u r der Sache, i m Anschluß an BVerfGE 3, 407 ff., 427 f.). — Das BVerfG ersetzt i n zunehmendem Maße seit 1965 den Ausdruck sachgerecht u n d Sachgerechtigkeit durch jenen der Sachgesetzlichkeit. 67

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1. Kap.: Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen" § 6 Inhalt und Funktion der Rechtsfigur von der „Natur der Sache" in der Rechtsprechung

Die ganze Fülle dessen, was unter „Natur der Sache" und „sachlogischen Strukturen" oder was als „Sachgerechtigkeit" verstanden wird, und die überragende Bedeutung dieser Rechtsfiguren für die richterliche Erkenntnis 8 9 läßt sich anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausbreiten 70 . Eine Analyse der Rechtsprechung stößt allerdings auf ein bemerkenswertes Hindernis: die Formel von der „Natur der Sache", nicht nur vorwiegend dogmatisch-rechtswissenschaftlich behandelt, sondern auch als eine dogmatisierte Entscheidungshilfe verwendet, verbindet häufig eine Verkürzung der Gedankenführung m i t einem Zuschnitt auf höchstrichterlich anerkannte Anwendungsfälle. Oftmals werden die Worte „Natur der Sache" selbst gar nicht verwendet, sondern werden Entscheidungen gewissermaßen „kurzgeschlossen" unmittelbar aus angeblichen Wesenheiten abgeleitet 71 . Kolb zeigt i n seiner Übersicht, daß der Begriff der „Natur der Sache" ebenso zur Kennzeichnung eines Naturvorganges oder der biologischen Natur eines Lebewesens 72 wie zur Begründung angeblich evidenter Aussagen, angeblicher Selbstverständlichkeiten oder notwendiger Schlußfolgerungen 73 benutzt wird. So w i r d die „Natur der Sache" sowohl zur 69

A. Kraft, a.a.O., S. 77. Vgl. die Nachweise bei P. Kolb, Der Begriff der N a t u r der Sache i n der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Diss. Würzburg 1963, M. Dieselhorst, Die N a t u r der Sache als außergesetzliche Rechtsquelle, verfolgt an der Rechtsprechung zur Saldotheorie, Tübingen 1968, ff. Schambeck, Der Begriff der „ N a t u r der Sache", Wien 1964, S. 104 ff., F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d N o r mativität, a.a.O., S. 103, G. Küchenhof, a.a.O., S. 71 ff. u n d i m übrigen hier angegebenes Schrifttum. 71 Vgl. etwa die Entscheidungen des B V e r f G zur demokratischen G r u n d ordnung, BVerfGE 5, 85 ff.; zum Hausfrauennachmittag, BVerfGE 5, 9; 5, 111; 6, 422; zur Atombefragung, BVerfGE 7, 374 ff.; zum Fernsehstreit, BVerfGE 12, 205 ff.; das Apothekerurteil, BVerfGE 7, 377 ff., zur Kassenpraxis der Zahnärzte, BVerfGE 11, 33 ff.; zum Beruf der Hebammen, BVerfGE 9, 338 ff., zum Umwandlungsgesetz, BVerfGE 14, 263 ff.; zur Witwerrente, BVerfGE 16, 343 ff. usw. 72 Rechtsprechungsnachweise bei P. Kolb, a.a.O., S. 20 ff. 73 Rechtsprechungsnachweise bei P. Kolb, a.a.O., S. 22 ff. Vgl. auch BVerfGE 1, 100 (aus der „ N a t u r der Sache" k e i n gesetzlich verfolgbarer Anspruch auf ein Handeln des Gesetzgebers), BVerfGE 1, 131 (Finanzausgleich f ü h r t aus der N a t u r der Sache zu einer Einschränkung der Selbständigkeit der Länder). Erinnert sei i n diesem Zusammenhang an das U r t e i l des Reichsarbeitsgerichtes, i n : Arbeitsrechtlicher Sammlung, Bd. 39, 1940, S. 383 ff. „Die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses i m A O G als eines auf dem Gedanken der Treue u n d Fürsorge u n d der sozialen Ehre begründeten Gemeinschaftsverhältnisses entspricht germanischer, besonders deutschrechtlicher Anschauung. A n einer solchen Gemeinschaft k a n n der Jude, dem jene Anschauung fremd ist, nach seiner ganzen, auf die Förderung persönlicher Interessen gerichteten rassischen Veranlagung keinen A n t e i l haben, u n d es ist i h m nach seiner N a t u r verwehrt, sich als Glied i n diese Gemeinschaft einzufügen u n d sein Denken u n d Handeln nach der Gefolgschaftsidee auszurichten" (S. 383). 70

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einer „Normativität des Faktischen"

Abstützung nichtrechtlicher Folgerungen, die als m i t den Tatsachen bereits mitgegeben betrachtet werden, als auch von rechtlichen Folgerungen, die aus einer anderweitig normativ geregelten Situation abgeleitet werden, verwendet 74 . Einen weiten Umfang nimmt die Rechtsprechung ein, i n welcher die Formel von der „Natur der Sache" entweder zur Kennzeichnung des Zweckmäßigen, Billigen oder Notwendigen 75 oder zur Umschreibung der Eigenart eines Rechtsbegriffes, Rechtsinstitutes 78 oder auch nur eines allgemeinen wirtschaftlichen Prinzipes 77 dient. Deutlich ist der Einfluß der oben gekennzeichneten Annahmen zur „Natur der Sache" i n jenen Fällen, i n denen diese Formel als Ausdruck allgemeiner rechtlicher Grundsätze oder als eine Sinnimmanenz eines Sachverhaltes oder sozialen Prozesses — teilweise unter Inbezugsetzung zu einer Rechtsidee oder einem als gegeben angenommenen gesetzlichen Ordnungssystem — angewandt wird, wie vor allem bei der Konkretion des Gleichheitssatzes 78 . Die Rechtsprechung zur „Natur der Sache" usw. ergibt insgesamt so wenig ein einheitliches Bild, wie die Rechtslehre eine einheitliche, überzeugende theoretische Erklärung liefern kann. Eine solche Vielfalt der Erklärungsformen und Anwendungsfälle muß den Verdacht erwecken, daß m i t diesen Rechtsfiguren Entscheidungen nicht begründet, sondern ersetzt werden. § 7 Problematik der Rechtsfiguren von der „Normativität des Faktischen"und ihrer Begründung I. Insgesamt haben w i r bei G. Jellinek eine Mitteilung einzelner Erfahrungen aus geschichtlicher Beobachtung vor uns. Die einprägsame Formel von der „normativen K r a f t des Faktischen" hat als deren Zusammenfassung besondere Bedeutung bekommen: sie konnte die Entstehung von Normen jedes positiven Rechts rechtfertigen, also gerade der Arten sozialer Normen, deren Geltung und Verbindlichkeit besonders erklärungsbedürftig war, weil sie eine soziale Inanspruchnahme, eine Anforderung der einen an die anderen unter besonderem Sanktionsdruck be74

Rechtsprechungsnachweise bei P. Kolb, a.a.O., S. 52 ff. Vgl. P. Kolb, a.a.O., S. 34 ff. 76 Vgl. P. Kolb, a.a.O., S. 43 ff. 77 Vgl. P. Kolb, a.a.O., S. 46 ff. 73 Vgl; P. Kolb, a.a.O., S. 49 ff., S. 68 ff. m i t Rechtsprechungsnachweisen; vgl. auch H. J. Rinck, Gleichheitssatz, W i l l k ü r v e r b o t und N a t u r der Sache, i n : JZ 1963, S. 521 ff. (S. 522), R. Schmidt, N a t u r der Sache u n d Gleichheitssatz, in: J Z 1967, S. 402 ff. u n d BVerfGE 10, 246; 11, 69; 12, 251; 19, 101 ff.; speziell zur Verwendung der Formel Sachgerechtigkeit u n d Sachgesetzlichkeit vgl. zuletzt BVerfGE 13, 341, 345 (Sachgerechtigkeit k a n n sich aus den M o t i v e n des Gesetzgebers oder dem Sinn des Gesetzes ergeben), 16, 371 f.; 16, 304; 19,114,117 usw. 75

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1. Kap.: Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen"

inhalten. Sie konnte ferner das praktische Problem der Beseitigung gültigen positiven Rechts und der Begründung der Geltung neuen positiven Rechts durch Rechtsbruch (Revolution) erklären und damit praktisch entscheiden, jedenfalls für das Erklärungs- und Begründungsbedürfnis jener Zeit. Es stehen damit für Jellinek nicht mehr faktische menschliche Willenssetzungen i m Vordergrund, sondern eine „normative Kraft des Faktischen" als eine psychologische Gesetzmäßigkeit. I n dieser nicht weiter analysierten psychologischen Gesetzmäßigkeit ist für i h n das Recht begründet. Damit sind w i r bereits konfrontiert m i t einer viel breiteren, die Verbindlichkeit allen positiven Rechts betreffenden Problematik: Gibt Jellineks Lehre ein allgemeines Gesetz wieder, so enthält es selbst den Zwang, sich i h m nicht nur äußerlich zu fügen, sondern vernünftigerweise anzuerkennen, was die These zunächst deskript i v besagt; sie w i r d selbst praeskriptiv. Als ein Sollenssatz, der jeder positiven Rechtsordnung immanent sei, selbst wenn er insbesondere den Normen der Rechtserzeugung widerspricht, kann der Satz von der „Normativität des Faktischen" nur gedacht werden, wenn er letztlich der positiven Rechtsordnung nicht widerspricht, wenigstens m i t ihrem „Sinn" konform geht. Es müßte sich dann als Grundlage der positiven Rechtsordnung, als deren Basissatz, ebenfalls die These finden, daß Faktisches normative K r a f t erhalte, nur daß dieses ein anderes Faktisches wäre als i n der skizzierten Lehre. A m revolutionären Recht war das Problem, das Jellinek so kurzerhand mit seiner These beantwortete, solange verdeckt, als Revolution sich gegen individuelle Träger politischer Herrschaft richtete und das revolutionäre Recht als ein so erzwungener Kompromiß, als eine Abtretung von Rechten des Inhabers dieser politischen Herrschaft als oktroyierte Verfassung konzipiert war und sich tatsächlich die Rechtsübertragung auch so vollzog. Seitdem aber die politische Herrschaft „objektive" Rechtsordnung ist und nicht mehr aus subjektiven Herrschaftsrechten (oder einem Bündel subjektiver Herrschaftsrechte), einer Herrschaftsposition besteht, ist das Problem neu gestellt nämlich als Problem der objektiven Geltung des Rechts und der Relevanz sozialer Ordnungsformen für das Recht. Jellinek hat i n der konstitutionellen Verfassungsära, i n welcher der monarchische Anteil noch weitgehend als subjektives Recht auffaßbar war, bereits auf diese objektive Problematik, die Geltungsfrage hingewiesen und damit i m Grunde auch die Zustimmung dieser „Herrschaftsfigur" i n einem die Revolution abschließenden Prozeß für unnötig erklärt. Der Sieg der Revolution begründete die objektive Geltung revolutionären Rechts, ohne daß es eines formellen Friedensschlusses — einer A r t Rechtsabtretung durch den Herrscher — bedurfte. Der Objektivierung der früheren Herrschermacht entspricht dabei institutionell eine Objektivierung des Geltungsgrundes der Rechtsordnung. A n die Stelle

e t i

einer „Normativität des Faktischen"

des Willens des Herrschers t r i t t eine für die Rechtsunterworfenen einem ständigen politischen Objektivierungsprozeß unterworfene Herrschaftsausübung, treten praktische, auf diesem Objektivierungsverfahren beruhende, durch begrenzte Herrschaftsakte sich vollziehende Vorgänge, die objektive Geltung für die Unterworfenen zu erzeugen vermögen, weil hier die institutionalisierten besonderen Objektivierungsverfahren Rechtsetzung und Rechtsgestaltung wirksam waren. II. Der Geltungsanspruch der Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen" ist damit gleichzeitig ein Problem des einer Staats- und Rechtsordnung zugrunde liegenden Demokratiebegriffes, der Qualifizierung des Rechtsetzungs- und Rechtsgestaltungsapparates und der Beachtlichkeit sozialer Normierungen i m übrigen. Die Ausprägung der Lehre von der „Normativität des Faktischen" bei Smend und Krüger ist selbst nur bei Zugrundelegen eines vorkonstitutionellen Demokratiebegriffes verständlich: Die Rechtswirklichkeit als sozial-effektive Ordnung innerhalb einer gegebenen Verfassung erhält insgesamt normative Relevanz zugebilligt, für die Auslegung ist nicht mehr nur der von einem historischen Gesetzgeber gemeinte Sinn eines Rechtssatzes ausschlaggebend, sondern der i n sozialen Gebilden und Prozessen ausgebildete Sinngehalt, die sich manifestierenden Ordnungstendenzen sind zu berücksichtigen. Zumindest das Verfassungsrecht w i r d damit dynamisiert. U m die Frage nach der Bedeutung sozialer Ordnungsformen handelt es sich auch bei den Rechtsfiguren der „Natur der Sache" und der „Sachgerechtigkeit", wobei zwischen dem Inhaltsproblem und dem Geltungsproblem zu unterscheiden ist. Die Gültigkeit einer Entscheidung aus der „Natur der Sache" kann letztlich ihre Rechtfertigung nur i n dem Satz von der „normativen K r a f t des Faktischen" finden; dieser Satz muß jenem von der „Natur der Sache" logisch vorhergehen. Eine Analyse der Lehren von einer „Natur der Sache" und der Entscheidungen aus der „Natur der Sache" w i r d zu differenzieren haben zwischen dem Wahrheitswert metaphysisch angeleiteter Interpretationen, dem sozialen Sinngehalt, welcher Entscheidungsmaßstäbe vermitteln soll und den Vorentscheidungen, auf Grund welcher aus sozialen Interdependenzen systemnotwendige Entscheidungen ableitbar sein sollen. Eine Diskussion der Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen" hat damit bei der Begründung und Rechtfertigung der Aussagen über eine „Normativität des Faktischen" einzusetzen, u m sich dann dem zugrunde liegenden logischen und empirischen Bezug zwischen „Norm und Faktum" zu widmen. I n diesm Zusammenhang ist nach der Existenz und dem Umfang eines vorkonstitutionellen oder verfassungsrechtlichen Demokratiegebotes zu fragen, nach der Relevanz sozial-effektiver Ord-

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1. Kap.: Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen"

nungsformen und nach den sozialen Prozessen, welche zu unterschiedlichen Normierungen führen. III. I n einer pluralistischen Gesellschaft, welche zur Entscheidung von Situations- und Handlungskonflikten das Institut der rechtsprechenden Gewalt geschaffen hat, ist die Problematik der Rechtsfiguren einer Normativität des Faktischen zugleich ein Problem der verfassungsmäßigen Funktion des Rechtsgestaltungsapparates. Nur eine Klärung der verfassungsrechtlichen Funktion des Rechtsgestaltungsapparates ermöglicht es letztlich, zu einer Aussage darüber zu kommen, was i n einer gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situation Entscheidungskriterium zu sein hat, welchem Faktischen normative K r a f t zuzuerkennen ist. IV. Gerade die Dogmatisierung der Rechtsfiguren von der „Normativität des Faktischen" ermöglichte es, eine Analyse der Normentstehungsprozesse und der Normgeltung ebenso wie eine ständig neue Reflexion über die Funktion der Rechtsnormen und ihrer Inhalte, vor allem jener zur Konstitution des Rechtsgestaltungsapparates und dessen eigener Funktion als Ergebnis sozialer Prozesse, zu vernachlässigen 79 . Sei es, daß eine Rechtswirklichkeit zur Rechtsnorm erhoben wurde, sei es, daß eine Norm als sozial akzeptiert und damit als gerecht gedeutet wurde; die Frage nach dem Grund der angeblichen psychologischen Gesetzmäßigkeiten der Normgeltung oder der Zulässigkeit eines Schlusses vom Sein auf ein Sein-Sollen blieb unbeantwortet, ebenso wie eine Präzision des Faktischen als „des sozialen Selbst" und seiner normativen K r a f t fehlte. A n die Stelle einer Analyse jener Fakten, welche Normen bewirken, und der Funktion der Normen i n gesellschaftlichen Prozessen trat die Formel von der „Normativität des Faktischen", damit aber auch ein Abbruch der Frage nach dem, was Recht bewirkt. Die „Natur der Sache" wurde zu einer außergesetzlichen Rechtsquelle 80 zur Begründung von Entscheidungskompetenzen und zur Ergänzung oder Auslegung von Rechtssätzen, um das Recht an die Gesellschaft anzupassen 81 oder u m eine Entscheidung auszuweisen als i n einem interessen- und wertfreien Raum — eben i n einer „Natur der Sache" oder einer „Sachgerechtigkeit" gegründet.

79 Vgl. BVerfGE 12, 251, „Schlußfolgerungen aus der „ N a t u r der Sache" müssen begriffsnotwendig sein u n d eine bestimmte Lösung unter Ausschluß anderer Möglichkeiten sachgerechter Lösung zwingend fordern" ; ähnlich auch BVerfGE 11, 99. 80 So kennzeichnet auch zutreffend Dieselhorst die N a t u r der Sache, vgl. M . Dieselhorst, a.a.O., S. 241 ff. 81 E. Ehrlich, Uber Lücken i m Recht, wieder abgedruckt i n E. Ehrlich, Recht u n d Leben, B e r l i n 1967, S. 80 ff. (S. 137 ff., S. 146 f.).

Zweites

Kapitel

Methodologische Gründung und Rechtfertigung von Aussagen über eine „Normativität des Faktischen" §8

Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft

I. Die Eigenart vieler rechtswissenschaftlicher Arbeiten und die Schwierigkeit einer Auseinandersetzung m i t ihnen liegt darin begründet, daß sie von einem bestimmten Vorverständnis des Rechts geleitet sind. Dies gilt auch für Arbeiten über juristische Methoden: „Jede juristische Methodenlehre gründet sich auf eine Rechtstheorie oder schließt zum m i n desten eine solche ein 1 ." Haben w i r keine Methodenlehre vor uns, sondern eine praktische Anwendung von Methoden, insbesondere solchen zur Konkretion eines Rechtssatzes oder zur Gewinnung von Entscheidungskriterien für nicht hinreichend geregelte Situationen, dann besteht die Gefahr, daß hierbei letztlich nur diejenigen Ergebnisse erzielt werden, welche schon m i t dem Rechtsbegriff und eventuell persönlichen Gerechtigkeitsvorstellungen oder anderen Vorstellungen vom richtigen Ergebnis der Arbeit zugrunde gelegt wurden. I n jedem Falle ist es angebracht, die Methode der Untersuchung, das m i t i h r Aufweisbare, den Zusammenhang, der als Erklärung dienen kann, zu klären und zu kennzeichnen 2 . Der Zusammenhang, der als Erklärung dienen kann, ergibt sich dabei nicht schon von selbst durch Anwendung einer juristischen Methode. Vielmehr bedarf es immer der kritischen Reflexion, welche Erkenntnis eine gewählte Methode von dem vorliegenden Problem zu verschaffen vermag. Bedenklich i n dieser Hinsicht ist ein unkritisches Vorgehen u m so mehr, wenn es zu einer Verengung von Rechtswissenschaft führt, wenn es den Zugang zur Frage nach den Bedingungen und 1

K . Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, a.a.O., S. V I I . Unzutreffend W. Henke, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes, a.a.O., S. 171. Selbstverständlich hat der Gegenstand einer Untersuchung die Auswahl der Methoden zu bestimmen, aber es muß Klarheit darüber herrschen, m i t welchem Wahrheitswert eine Methode Aussagen liefern kann. Es können so eine induktive Verfahrensweise zur Ermittlung eines immanentteleologischen Gehaltes eines Normensystems, ein reduktives Verfahren zur Gewinnung konkreter Schlußfolgerungen und eine funktionale Betrachtungsweise zur Ermittlung des „Stellenwertes" einer Norm durchaus nebeneinander vom Gegenstand der Untersuchung her geboten sein. 2

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2. Kap. : Rechtswissenschaftliche Aussagen

der gesellschaftlichen Funktion des Rechts oder der einzelnen Rechtsnormen verschließt und damit die Akzeptabilität seiner Ergebnisse an ein gleiches Vorverständnis bindet, das zugrunde liegende Metasystem aber selbst nicht reflektiert 3 . II. Eine neue Behandlung der Frage nach der „Normativität des Faktischen" kann deshalb nur fruchtbar sein, wenn sie nicht vorweg von der Suche nach einer „materialen Gerechtigkeit" oder einer sonstigen Erfüllung eines „Wesens" oder einer „Idee" des Rechts geleitet wird, vielmehr sollte sie das Verhältnis von Norm und Faktum einer systematischen Diskussion unterziehen. Nur so können Aspekte gegebener Zusammenhänge zwischen Normen und Fakten aufgestellt, kann die Funktion der Rechtsfiguren einer Normativität des Faktischen i n Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bestimmt werden. Es w i r d sich zeigen müssen, ob die Ergebnisse solcher Untersuchungen beitragen können zur Gewinnung von Kriterien für die Entscheidung gesetzlich nicht hinreichend geregelter Situationen überhaupt, auch soweit sie m i t anderen juristischen Konstruktionen, wie der Sozialadaequanz, gewonnen werden. Es erscheint uns hierzu weiter erforderlich, sich von dem „ptolemäischen Weltbild" der überkommenen Rechtswissenschaft zu trennen und diese als eine Disziplin der Sozialwissenschaft zu begreifen, Sozialwissenschaften verstanden als diejenigen wissenschaftlichen Disziplinen, deren Aussagen sich auf das menschliche Verhalten beziehen, soweit sich soziale, zwischenmenschliche Beziehungen ergeben, diesen Beziehungen dienende Ordnungen, die sozialen Gebilde, welche Zwecken gesellschaftlichen Zusammenwirkens (oder einer Mehrheit solcher Zwecke) dienen, sowie auch Regelmäßigkeiten des geschichtlichen Wandels dieser Beziehungen, Ordnungen und Gebilde und schließlich m i t feststellbaren gesellschaftlichen Haltungen verbundene Wertungen und Ideologien 4 .

§ 9 Begründung und Rechtfertigung von rechtswissenschaftlichen Erkenntnissen I. Eine solche Einordnung der Rechtswissenschaft i n die Sozialwissenschaften erfordert zunächst von einem spezifisch rechtswissenschaftlichen Erkenntnisverfahren ebenso wie von der Annahme einer einzigen Wahrheit und einer einzigen dazu führenden Erkenntnismethode abzusehen. 3 Z u m Verhältnis von Rechtstheorie u n d Methodenlehre insgesamt vgl. K . Latenz, a.a.O., S. 36 ff. u n d zu den methodischen Bestrebungen der Gegenwart, insbesondere der Wertungsjurisprudenz u n d dem konkreten Naturrecht, ders., a.a.O., S. 126 ff. 4 Vgl. hierzu Verf., Über wissenschaftliche Beratung der Politik, i n : Der Staat 1968, S. 223 f.

§ 9 Begründung rechtswissenschaftlicher Erkenntnisse

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Man muß sich also von der Idee eines, als solchem auch gewissen Fundamentes von Erkenntnis und der Möglichkeit eines absoluten rationalen Rechtfertigungsverfahrens freimachen, wie es uns nicht nur i n transzendentalen, sondern auch i n den hermeneutisch-positivistischen und den ontologisch-existentialisch angeleiteten Begründungsversuchen für eine „Normativität des Faktischen", insbesondere eine „Natur der Sache" oder „Sachgerechtigkeit" begegnet. Der Versuch einer rationalen Rechtfertigung von Erkenntnissen führt zu dem von Albert sogenannten Münchhausen-Trilemma 5 . Albert macht damit deutlich, daß es zur Rechtfertigung der Erkenntnis entweder die Möglichkeit des infiniten Regresses, eines logischen Zirkels i n der Deduktion (epistimologischer Zirkel bei Hegel) oder des Abbruches des Verfahrens an einem bestimmten Punkt (Manifestationstheorie der Wahrheit) gibt. Da infiniter Regreß und logischer Zirkel unannehmbar erscheinen, w i r d — abgesehen von der Zurückführung einer Aussage auf ein gesetzliches Gebot — gerade i n der Rechtswissenschaft die Möglichkeit des Abbruches des Begründungsverfahrens an der Stelle gewählt, an der man Evidenz, Selbstbegründung, unmittelbare Einsicht, Intuition usw. anzunehmen sich berechtigt fühlt. Diese Verfahrensweise endet aber i m Dogmatismus, wenn man mit Albert eine Behauptung, „deren Wahrheit gewiß und die daher nicht der Begründung bedürftig ist", ein Dogma nennt®. W i l l man sich m i t einer solchen Dogmatisierung der Erkenntnis nicht zufrieden geben, so verbleibt nur die Feststellung, daß alle unsere Erkenntnisse nicht gerechtfertigte und durch nichts positiv zu rechtfertigende Vermutungen sind, daß sich der Erkenntnisfortschritt allein durch „Conjectures and Refutations" 7 , durch Spekulation und K r i t i k dieser Spekulation i m Lichte neuer Spekulation vollzieht, wie Popper gezeigt hat. Es geht dabei 5

H. Albert, T r a k t a t über kritische Vernunft, Tübingen 1968, S. 13 ff. H. Albert, a.a.O., S. 14. Vgl. hierzu auch K . Popper, On the Sourcess of Knowledge and Ignorance, i n : ders., Conjectures and Refutations, London 1963. Popper macht auch darauf aufmerksam, daß ein solches Erkenntnis verfahren die Wahrheitsfindung an gesellschaftlich herrschende Gruppen ausliefert, nämlich an jene Personen, welche die Verbindlichkeit einer Selbstverständlichkeit feststellen, wodurch die Erkenntnisquellen soziologischen Charakter gewinnen u n d sich eine Verbindung von Erkenntnislehre u n d Ideologiekritik notwendigerweise zu ergeben hat. I n der klassischen Erkenntnislehre orientierte sich die Erkenntnisgewinnung entweder a m intellektuellen Intuitionismus oder am Empirismus, der Beobachtung u n d Sinneswahrnehmung. Beide Verfahrensweisen sind i n ihrer Verabsolutierung ungenügend, einerseits durch die Überschätzung der Spekulation u n d der deduktiven Ableitungsverfahren, andererseits durch eine Verkennung der Bedeutung der Spekulation, einer angeblichen Wahrheitsgarantie der Wahrnehmung u n d der Möglichkeit i n d u k t i v e r Schlußfolgerungen (vgl. hierzu H. Albert, a.a.O., S. 24, S. 26 ff.). — Z u r Rechtsdogmatik u n d ihren Voraussetzungen von Richtigkeit vgl. H. Ryffel, Rechts- u n d Staatsphilosophie, Neuwied 1964, S. 46 ff. 6

7 K R. Popper, Conjectures and Refutations, a.a.O.; vgl. auch ders., Logik der Forschung, 2. Aufl., Tübingen 1966, neuerdings auch Th. S. Kuhn, Die S t r u k t u r wissenschaftlicher Revolutionen, F r a n k f u r t / M . 1967, S. 143 ff.

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2. Kap.:

echtswissenschaftliche Aussagen

um eine maximale Förderung des Erkenntnisfortschrittes 8 . Die letzte Sicherheit i n der Erkenntnis ist damit nur aus dem Willen zu gewinnen, ist selbst fabriziert. „Die radikale Durchführung des Prinzips der zureichenden und damit sicheren Begründung führt also zur Ersetzung der Erkenntnis durch die Entscheidung 9 ." II. Diese Wissenschaftslehre muß sich m i t dem methodischen Prinzip der zureichenden Begründung begnügen und dabei unsere Entwürfe, Hypothesen und theoretischen Konstruktionen der Möglichkeit ständigen Scheiterns an der realen Welt aussetzen, um ihren Wahrheitswert zu ermitteln 1 0 . Ein solches Verfahren impliziert den Verzicht auf absolute — ohnehin nur selbstproduzierte — Gewißheit, kann aber durch Versuch und I r r t u m der Wahrheit näher kommen. Dieser kritische Rationalismus liegt dem hier vertretenen Wissenschaftsverständnis zugrunde. Er impliziert — und dies ist gerade für rechtswissenschaftliche Aussagen wichtig — das K r i t e r i u m der intersubjektiven Nachprüfbarkeit von Aussagen, wie es Drath für die Staats- und Rechtslehre ausgewiesen hat 1 1 . Es handelt sich auch hierbei nicht um ein K r i t e r i u m absoluter Wahrheit, sondern um eine normative Entscheidung und Vereinbarung 12 . Diese findet ihre Begründung aus dem Verständnis von Wissenschaft als einem gesellschaftsbezogenen Geschehen und aus den Leistungsanforderungen an Sozialwissenschaft, insbesondere tätiger Anwendung fähig zu sein. Das K r i t e r i u m der intersubjektiven Nachprüfbarkeit ist Vorbedingung dafür, daß sich Menschen i n wissenschaftlicher Weise verständigen können 13 . Übereinstimmung i n der Erkenntnis ist dabei kein Kriter i u m der Gültigkeit einer Aussage, ist keine Frage absoluter Wahrheit; doch hängt es unter Umständen von solcher Übereinstimmung ab, was w i r unter Wahrheit verstehen wollen, was die Objektivität wissenschaftlicher Sätze ausmacht 14 , und also auch, welche Erkenntnisse als Einsicht i n eine „Natur der Sache" anerkannt werden, welche Aussagen auszuscheiden sind. 8

1961. 9

Vgl. P. K . Feyerabend , Knowledge w i t h o u t Foundations, Oberlin (USA)

H.Albert, a.a.O., S. 32. Vgl. K . R. Popper, L o g i k der Forschung, a.a.O., S. 12, S. 47 ff. 11 M. Drath, Z u r Soziallehre u n d Rechtslehre v o m Staat, ihren Gebieten u n d Methoden, insbes. S. 41, 43, ders., Uber eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, S. 45. 12 Vgl. I. M. Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, Bern 1954, S. 64 und E. Topitsch, Sprachlogische Probleme der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, S. 19 f., S. 24 f. sowie V. Kraft, Erkenntnislehre, Wien 1960, S. 23 ff. und H. Albert, Theorie u n d Prognose i n den Sozialwissenschaf ten, S. 126 ff. 13 Vgl. I. M. Bochenski, a.a.O., S. 17 f., V. Kraft, a.a.O., S. 368, G. Weisser, Erziehung zur Freiheit unter den Bedingungen der heutigen Zeit, i n : Politische Psychologie, Bd. 4, S. 11 ff. (S. 13). 14 Vgl. H. Albert, a.a.O., S. 126 u. K . Popper, Logik der Forschung, a.a.O., S. 17. 10

§ 9 Begründung rechtswissenschaftlicher Erkenntnisse

33

Die Ausarbeitung der Methodologie hat sich an diesem K r i t e r i u m auszurichten, sie erfordert „außer der Berücksichtigung formaler auch die linguistischer und anderer faktischer Zusammenhänge, die für menschliches Problemlösungsverhalten relevant sind" 1 5 . Die Methodologie ist damit gewissermaßen nichts anderes als eine „fundamentale Technologie für das Problemlösungsverhalten, die sich an bestimmten Wertgesichtspunkten orientiert, an Wertgesichtspunkten, die m i t dem menschlichen Streben nach Erkenntnis der Wirklichkeit und damit nach Wahrheit zusammenhängen" 18 . Wichtiger Bestandteil der Methodologie der kritischen Prüfung ist, worauf Albert hinweist, ihr theoretischer Pluralismus 17 , um aus der Phantasie gewonnene Vorstellungen, Hypothesen und theoretische Konstruktionen stets der K r i t i k des Widerspruches und Scheiterns aussetzen zu können. Hieraus bestimmt sich zunächst die Bedeutung der Logik und der Empirie für die Erkenntnisgewinnung. Wenn eine Theorie an singulären Existenzbehauptungen, welche den i n einer negativen Voraussage formulierten Gesetzeshypothesen widersprechen, scheitern können muß, dann richtet sich aber auch die Rolle der Logik als Methodologie nicht an dem Satz vom zureichenden Grunde aus, sondern am Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch 18 . Hinzu kommen muß die Prüfung an Erfahrungstatsachen 19 , um eine Hypothese dem Scheitern auszusetzen zu können — ohne damit eine Dogmatisierung der Erfahrung zu verbinden. Eine empirische Prüfung i n Form der Bestätigung durch Verifizierung ist bei generellen Aussagen (Allsätze, nomologische Hypothesen) über eine „normative K r a f t des Faktischen" oder eine „Natur der Sache" grundsätzlich nicht möglich, da sich die Prüfung stets auf eine endliche Vielzahl von Fällen erstreckt, der Allsatz aber für eine unendliche A n zahl von Fällen innerhalb seiner Relevanz gelten soll. „Diese Über15

H. Albert, a.a.O., S. 40. H. A l b e r i , a.a.O., S. 40. 17 H. Albert , a.a.O., S. 49 ff. 18 Vgl. hierzu u n d zur L o g i k als Methodologie insgesamt E. Topitsch, Sprachlogische Probleme der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, S. 26 u n d passim; V. Kraft, Erkenntnislehre, a.a.O., S. 198 if., U. Klug, Juristische Logik, 3. Aufl., B e r l i n u. a. 1966, S. 1, H. Kelsen, Recht u n d Logik, i n : Forum, Jg. 1965, S. 421 u n d R. Schreiber, L o g i k des Rechts, B e r l i n u. a. 1962, S. 68, W. Bartley, The Retreat to Commitment, New Y o r k 1962, S. 162 fï. 19 Z u den empirischen Verfahrensweisen vgl. A r t . Empirische Sozialforschung, i n : H.d.S.W. Bd. 9, S. 419 ίϊ., Ε. Κ Scheuch, A r t . Methoden, i n : R. König (Hrsg.), Soziologie, Neuausgabe F r a n k f u r t / M . 1967, S. 194 ff. sowie den umfassenden Nachweis i m Handbuch der empirischen Sozialforschung, hrsg. von R. König unter M i t w i r k u n g von H. Maus, Bd. 1, Stuttgart 1962, S. 107 ff. u n d P. Lazarsfeld u n d M. Rosenberg (Hrsg.), The Language of Social Research, New Y o r k u n d London 1965. Z u den psychologischen Methoden, insbes. der Motivationsforschung, vgl. C. F. Graumann, Methoden der Motivationsforschung, i n : H.d.Ps. Bd. 1,1. Hlbd., S. 21 ff. 18

3

Grimmer

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2. Kap.: Rechtswissenschaftliche Aussagen

legung legt den Gedanken nahe, als Abgrenzungskriterium nicht die Verifizierbarkeit, sondern" — wie gesagt — „die Falsifizierbarkeit eines Systems vorzuschlagen; m i t anderen Worten, w i r fordern zwar nicht, daß das System auf emprisch-methodischem Wege endgültig positiv ausgezeichnet werden kann, aber w i r fordern, daß es die logische Form des Systems ermöglicht, dieses auf dem Wege der methodischen Nachprüfung negativ auszuzeichnen: ein empirisch-wissenschaftliches System muß an der Erfahrung scheitern können 20 ." I I I . Ein kritischer Rationalismus i m hier dargelegten Sinne ist nicht der Gefahr eines kognitiven Perfektionismus ausgesetzt, welcher wissenschaftliches Arbeiten zum Scheitern verurteilen kann. Steht zwar die Gewinnung nomologischer Hypothesen i m Vordergrund, so können doch auch solche Hypothesen und Theoreme i n einem sozial wissenschaftlichen Aussagesystem als zulässig erachtet werden, welche nur durch „begründete Vermutungen" gestützt sind. „Vermutungen, die anhand eines wissenschaftlich geschulten Denkens und des wissenschaftlichen Sinnes für Gründlichkeit und Vorurteilsfreiheit optimal gewonnen werden, unterscheiden sich von Gesetzeshypothesen nach dem Grad ihrer Überprüfbarkeit 2 1 ." Ein solches Vorgehen erscheint u m so mehr gerechtfertigt, als gerade i n den Sozialwissenschaften das Problem der Quantifizierbarkeit heute eine besondere Bedeutung hat, ohne bislang hinreichend operational gelöst zu sein 22 . Die Skala wissenschaftlicher Ergebnisse reicht dann von vielfach überprüften, praktisch endgültigen Aussagen bis zu solchen Vermutungen, deren Widerlegung zu erwarten ist. Gerade für sozio-technologische Zwecke können schon gute Annäherungen zu brauchbaren Resultaten führen 2 3 . IV. Solche methodologischen Grundannahmen können dem Einwand ausgesetzt werden, daß es sich bei der Rechtswissenschaft, wie gerade die Arbeiten zu der Rechtsfigur der „Natur der Sache" und der „sachlogischen Struktur" ihrem Sinn, nicht ihrem Bezug nach zeigen, u m eine Geisteswissenschaft handelt, welche auf den Sinnzusammenhang und das Verständnisproblem abstellt i m Gegensatz zu der i n den Naturwissen20

K . R. Popper, L o g i k der Forschung, a.a.O., S. 14/15. K . Lompe, Wissenschaftliche Beratung der Politik, Göttingen 1966, S. 87 f., Z u r Methode ausreichender Begründung, vgl. auch H. Albert, Marktsoziologie u n d Entscheidungslogik, Neuwied u n d B e r l i n 1967, S. 218 ff. Eine F o r m begründeter Vermutungen stellen letztlich auch i n d u k t i v erschlossene Aussagen dar, vgl. zum Induktionsproblem A . Pap, Analytische Erkenntnistheorie, Wien 1955, S. 92 ff. u n d R. Carnap , The A i m of Inductive Logic, i n : E. Nagel, P. Suppes, A. Tarski (Hrsg.), Logic Methodology and Philosophy of Science, Stanford, Cal. 2. Aufl. 1965, S. 303 ff. u n d W. Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, a.a.O., S. 468 ff. 22 Vgl. hierzu zuletzt G. Weisser, Quantiflzierbares u n d Nichtquantiflzierbares i n den Sozialwissenschaften, i n : WWI1968, S. 173 ff. 23 Vgl. K. R. Popper, Conjectures and Refutations, a.a.O., S. 111 ff. 21

§ 9 Begründung rechtswissenschaftlicher Erkenntnisse

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schatten herrschenden Fragestellung nach Wirkungszusammenhängen. I n der Tat verstehen viele Anhänger der Lehren von der „Normativität des Faktischen", die „Natur der Sache" oder die „sachlogischen Strukturen" als Sinnimmanenz sozialer Gebilde. Dieser geisteswissenschaftlichen Fragestellung liegt die Annahme zugrunde, historisches Geschehen sei als ein Zusammenhang von Ereignissen zu betrachten, die ihren Sinn i n sich selbst tragen und i n diesem ihren Sinn unmittelbar oder mittelbar — häufig i m bewußten oder unbewußten Rückgriff auf Transzendentalerkenntnisse — begreifbar sind 24 . Nomologisches Wissen und Theoriebildung i m Sinne des dieser Arbeit zugrunde gelegten Wissenschaftsverständnisses ist nach Ansicht jener Lehren nicht möglich, auch nicht notwendig. Es ist auch nicht zu verkennen, daß gerade für den Rechtswissenschaftler und -praktiker die Frage nach dem Sinn einer Aussage eines Gesetzes oder nach dem Sinn eines Rechtsinstitutes von großer praktischer Bedeutung ist. Dieser Sinn ist nach solchen Ansichten zwar hermeneutisch zu erschließen, aber nicht seinem Zustandekommen nach erklärbar. Er ist zwar i n sehr vielen Fällen, soweit rein geistige Fakten, beispielsweise öffentliche Aufgaben, i n Betracht kommen, äußerlich erkennbar festgelegt durch Normen des gesetzten Rechts, durch faktisch souveräne Auslegungen i m Wege der richterlichen Spruchpraxis, durch Satzungen, die von den Trägern des Gebildes ausgehen oder durch Verträge, durch unverkennbare Willensäußerungen von Personen, die das Gebilde nicht von Rechts wegen, aber faktisch beherrschen. Aber diese Sinnfestlegung kennzeichnet soziale Gebilde und Prozesse selten vollständig. — Der Sinngehalt eines Handlungsaktes ist gleichzeitig auch durch den gegebenen Problemhorizont und die Sprache der Lebenswelt bestimmt, so daß häufig eine Differenz zwischen dem gemeinten Sinn eines Setzungsaktes und der Sinndarstellung i n den Ausführungsakten besteht. Diese Differenz zu ermitteln und zu erklären ist Voraussetzung, um die Rechtswirklichkeit beurteilen und die Erfordernisse einer Rechtsordnung klären zu können. Der Sinn geht auf eine so große Zahl von verschiedenen Motiven und persönlichen Eigenschaften der Träger sozialer Gebilde zurück, daß es schwer möglich ist, i h n i n äußerlich erkennbarer Weise vollständig anzugeben, „wenn unter dem Worte Sinn alles das verstanden wird, was als letzte Ziele und Aufgaben bei einem vollständigen Verstehen der betreffenden Gebilde und Prozesse beachtet werden muß" 2 5 . 24 Grundlegend hierzu noch i m m e r J. G. Droysen, Historik, Vorlesungen über Enzyklopädie u n d Methodologie der Geschichte, 4. Aufl. München 1960, S. 328; vgl. auch Th. Viehweg, Topik u n d Jurisprudenz, 2. Aufl. München 1963, E. Betti , Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften, Tübingen 1967. 25 G. Weisser, Quantiflzierbares u n d Nichtquantifizierbares i n den Sozialwissenschaften, i n : WWI1968, S. 181.



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2. Kap.: Rechtswissenschaftliche Aussagen

Aber jene Einwände überzeugen nicht. Ein ausschließliches Verständnis der Rechtswissenschaft als Geisteswissenschaft bedeutet eine Beschränkung ihrer Aussagen auf das „Sinn-Verstehen", den Ausschluß der „Sinn-Erkenntnis", d.h. den Verzicht auf die Erklärung aus den sozio-kulturellen Wirkungszusammenhängen. Eine so verstandene Wissenschaft liefert sich manchen Bedenklichkeiten aus: dem Intuitionismus und den sprachlich-begrifflichen Analysen historisch oder sozial bedingter Zufälligkeiten und Deutungen. Letztlich w i r d so eine — vermeint liehe — Faktizität zur Normativität erhoben, was dann zu einer „normativen K r a f t des Faktischen" führt. Die Sinnproblematik ist vielmehr i n einen weiteren Erklärungszusammenhang zu stellen, um eine nomologische Hypothese über solches Verhalten, das von dem Handelnden als sinnvolles Handeln verstanden wird, selbst zu ermöglichen. Erforderlich ist hierzu nach Albert eine Theorie des Verhaltens, welche eine Erklärung der menschlichen Deutungsaktivitäten möglich macht und die Aufgabe hat, „gegebene sozial-kulturell verankerte oder vorgeschlagene Regeln, Standards oder Kriterien — also: Normierungen des Verhaltens und Maßstäbe für seine Beurteilung und die Beurteilung seiner Produkte und Konsequenzen — einer K r i t i k i m Zusammenhang mit unseren Erkenntnissen, Zielsetzungen und Idealen zu unterwerfen, sie also i n einem kritischen Kontext zu analysieren, der Dogmatisierungen irgendwelcher A r t aufhebt" 2 6 . Handlungstheorie und Handlungsbegriff dürfen dabei selbst auch nicht dogmatisiert werden, etwa i n einer einseitigen Auffassung des Menschen als handelndem Wesen, einer Veräußerlichung des Handlungsbegriffes, sondern haben die Frage nach dem Sinn eines Handelns m i t aufzunehmen 27 . Gerade bei Bestimmungen von Rechtsfolgen knüpft das Gesetz an den i n der Handlung objektivierten Sinngehalt. „Es sind auf Rechtliches sinnhaft bezogene Akte, nämlich solche der Gesetzgebung, der Prozeßführung und des rechtsgeschäftlichen Verkehrs, durch die das Recht geschaffen, erhalten und ständig erneuert wird 2 8 ." V. Das Konzept des kritischen Rationalismus, wie es dieser Arbeit zugrunde liegt, beinhaltet keine einseitige Option für logische und empirische Methoden gegen die Hermeneutik. Die empirisch-analytische Forschung kann als „die systematische Fortsetzung eines kommulativen Lernprozesses" verstanden werden, die „hermeneutische Forschung bringt einen Prozeß der Verständigung (und der Selbstverständigung), der sich vorwissenschaftlich i m Traditionszusammenhang symbolisch 26 H. Albert, T r a k t a t über kritische Vernunft, a.a.O., S. 152/153; hierzu vgl. auch Ch. Graf von Krockow, Die Entscheidung, Stuttgart 1958, S. 149 f. 27

Vgl. W. E. Mühlmann, Z u r K r i t i k des soziologischen Handlungsbegriffes, S. 152,155. 28 K. Larenz, Originäre Rechtssachverhalte, S. 136.

§ 9 Begründung rechtswissenschaftlicher Erkenntnisse

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vermittelter Interaktionen eingespielt hat, i n eine methodische Form" 2 9 . Die These aber, welche gegen eine topisch-hermeneutische Jurisprudenz gestellt wird, ist, daß die Hermeneutik zwar Einsichten i n Sinngehalte vermitteln kann, diese Einsichten aber selbst wieder zu hinterfragen, erklärungsbedürftig sind. Das Sinnverstehen w i r d dabei i n methologischer Hinsicht selbst problematisch, wenn es dabei u m die Aneignung tradierter Bedeutungsgehalte geht, er ist selbst etwas empirisch Vorfindbares 30. Ein Verständnis der Rechtswissenschaft als Geisteswissenschaft und der Vorrang der Hermeneutik bedeuten eine Beschränkung der Rechtswissenschaft selbst, welche die individuell-gesellschaftlichen Bedingungen des Rechts und seine soziale Funktion vernachlässigt. Gerade aber Probleme wie jene der Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen" können nur i n einer übergreifenden Weise fruchtbar behandelt werden. Das hier vertretene Konzept des kritischen Rationalismus ist keinem juristischen oder wissenschaftstheoretischen Neopositivismus gleichzusetzen. I m Positivismus kann die „transzendentale Frage nach den Bedingungen möglicher Erkenntnis sinnvoll nur noch i n Form einer methodologischen Frage nach den Regeln des Aufbaues und der Überprüfung wissenschaftlicher Theorien gestellt werden" 3 1 . Der Sinn der Geltung von wissenschaftlichen Urteilen oder Sätzen kann zwar durch den Rückgang auf die Genese von Bedingungen ermittelt werden, aber die Selbstkonstituierung i n der Erfahrungswelt kann dabei verlorengehen. Erkenntnistheorie stützt sich vielmehr auf ein kritisches Bewußtsein, das Resultat eines ganzen Bildungsprozesses ist. Diese Selbstkonstituierung vollzieht sich nicht nur i n der gesellschaftlichen Arbeit, sondern ist auch durch Gewaltenverhältnisse und durch Interaktionsformen zwischen den Menschen festgelegt. Die empirisch-analytisch erzielten Erkenntnisse sind selbst nicht allgemeingültig 32 , sie vermitteln vor allem auch dem Juristen keine Einsichten i n absolute Werte als Entscheidungskriterien. Was ein kritischer Rationalismus aber vor allem leisten kann — und dies ist für unser Thema von Bedeutung — ist die Grenze zwischen inter subjektiv nachprüfbaren Aussagen und subjektiven Entscheidungen auszumachen, die invididuellen und gesellschaftlichen Bedingungen von Entscheidungen klarzustellen, Einsichten i n herrschende Wertordnungen und ihre Bedingungen, Einsichten i n die Funktionsweisen und Funktionserfordernisse normativer Ordnungen, insbesondere jener des Rechtes zu vermitteln. 29

J. Habermas, Erkenntnis u n d Interesse, Frankfurt/M. 1968, S. 235. J. Habermas, a.a.O., S. 204. 31 J. Habermas, a.a.O., S. 88. 32 I. Jenkins , On the A p p l i c a b i l i t y of Scientific, Methodes to the Problems of L a w , M o r a l i t y and Social Change, i n : ABSP 1967, Bd. L U I , S. 516 ff. 30

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2. Kap.: Rechtswissenschaftliche Aussagen

VI. Die Zurückführung der Erkenntnis auf die Entscheidung und das Verständnis der Methodologie als Technologie des wissenschaftlichen Problemlösungsverhaltens hat auch — und das ist für den Juristen besonders wichtig — Bedeutung für das Verständnis und die Erklärungsbedürftigkeit der Begriffe 33 . Begriffe werden i n dieser Arbeit verstanden als auf Auswahl und Entscheidung beruhende Zusammenfassungen von Merkmalskombinationen. Weil sie auf einer Auswahl beruhen, haben sie den logischen Charakter von Definitionen 34 . Hieraus folgt jedoch nicht, daß sie auch inhaltlich bereits eindeutige Definitionen darstellen. Es ist vielmehr eine Frage der allgemeinen oder Fachsprache, ob, wieweit und i n welcher Richtung sie selbst einer expliciten Definition bedürfen. Die Lösung dieses Definitionsproblems kann selbst wiederum nur eine Definition darstellen, die ebenso auf Auswahl und Entscheidung beruht. Die Auswahl und Entscheidung hat deshalb nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten für wissenschaftliche Arbeit zu erfolgen: „ W i r haben mit den Begriffen nur die Instrumente, die es uns erleichtern, eine sonst unübersehbare chaotische Fülle des Wahrnehmbaren und des Denkbaren geistig zu ordnen 35 ." Der Begriff ist damit ein Instrument der Denktechnik. Begriffsbildungen unterliegen deshalb auch den gleichen Einflüssen wie Erkenntnis überhaupt; dies betrifft sowohl das Bedürfnis nach Bildung von Begriffen zur Zusammenfassung von Merkmalkombinationen als auch die Kenntnisnahme von Merkmalen bestimmter sozialer Gebilde oder Vorgänge. Ein Begriffssystem verweist regelmäßig — wenn nicht absichtlich selbständig gebildet — auf gemeinsame Erkenntnis- und Ordnungsintentionen, gemeinsame Glaubens- und Wertvorstellungen derjenigen Gruppe, innerhalb der es gesprochen wird 3 6 . Dies gilt vorweg für den Begriff Recht und jene Lehren von der „Normativität des Faktischen", insbesondere einer „Natur der Sache" soweit diese i n der Nachfolge der Begriffsjurisprudenz 37 aus einem vorgestellten Begriff des Rechtes oder auch nur der Gleichheit, des Eigentumes usw. hergeleitet wird. Die Begriffe unterliegen aber selbst einer Veränderung i n Raum und Zeit. Es ist deshalb auch ungenau, von einem Bedeutungswandel der Begriffe zu sprechen, damit w i r d nur ein Ergebnis abstrakt bezeichnet, aber wie und wodurch das zustandekommt bleibt i m dunkeln. 33 Z u r modernen Begriffslehre u n d der Einteilung v o n Begriffen vgl. W. Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, a.a.O., S. 368 ff. 34 Vgl. G. Klaus, Moderne Logik, B e r l i n 1964, S. 29 u n d V. Kraft, Erkenntnislehre, a.a.O., S. 16. 35 G. Weisser, Wirtschaftspolitik als Wissenschaft, Stuttgart 1934, S. 87, ders. A r t . Wirtschaft, i n : H.D.S., Stuttgart 1956, S. 981; vgl. i m übrigen auch I. M. Bochenski, a.a.O., S. 11. 38 Vgl. R. König, Einleitung S. 40 zu E. Durkheim , Regeln der soziologischen Methode, 2. Aufl., Neuwied u n d B e r l i n 1965. 37 Vgl. hierzu K . Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 17 ff.

§ 10 Sein und Sollen — Werturteil und Tatsachenurteil

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Oft dürfte es sich u m eine Änderung der Merkmalkombination handeln, zu deren zusammenfassender Bezeichnung dasselbe sprachliche Symbol verwendet wird. Es ist so einfach unmöglich, von der „Natur der Sache" beispielsweise des Eigentums zu sprechen. Es handelt sich immer nur um eine Abstraktion aus einer spezifischen Kombination, welche als „Wesens"-einsicht ausgegeben wird, ihrem Inhalt nach aber soziokulturell i n Raum und Zeit unterschiedlich bestimmt ist. § 10

Sein und Sollen — Werturteil und Tatsachenurteil

I. Bei den Aussagen über das Verhältnis von Norm und Fakten, die Rechtsfiguren der „Normativität des Faktischen", ist zu unterscheiden zwischen dem Menschen, i n dessen Bewußtsein sie existieren, dem Sachverhalt, den sie ausdrücken, und der sprachlichen Form, i n der sie auftreten 38 . Das ist für unser Thema unter dem Gesichtspunkt von Deskription und Präskription, von Seins- und Sollensaussagen zu erörtern. Aussagen über eine „Normativität des Faktischen", welche Tatsachen und Sachverhalte beschreiben, Zusammenhänge erklären, Hypothesen formulieren oder Gesetze konstatieren — seien es solche des gesetzten Rechts oder wissenschaftliche — sind deskriptive Aussagen. Sobald aber Beurteilungsmaßstäbe oder Entscheidungskriterien angegeben werden, handelt es sich um präskriptive Aussagen. Der Unterschied zwischen deskriptiven und präskriptiven Aussagen w i r d freilich häufig dadurch verdeckt, daß für den sprachlichen Ausdruck die Form der bloßen Beschreibung angeblich bestehender Rechte und Pflichten nicht feststellt, sondern festsetzt 39 . U m diesen Vorgang handelt es sich häufig auch bei der Verwendung der Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen", insbesondere der „Natur der Sache" und der „Sachgerechtigkeit", wenn sich der Autor nicht auf die Beschreibung von Zusammenhängen, vorherrschenden Stellungnahmen, Interessen und Bedürfnissen beschränkt, sondern diese Aussagen offen oder verdeckt zum Inhalt eines Normsatzes macht. Ein Gebot oder Verbot, ein „Sollen" als Inhalt einer präskriptiven Aussage, kann zwar als eine Tatsache, eine herrschende Lage betrachtet werden und ist dann empirischer Analyse zugänglich, so bei der Beschreibung sozialeffektiver Wertvorstellungen und Verhaltensmodelle 38 G. Klaus, a.a.O., S. 36 u n d R. Freundlich, Ziele u n d Methoden sprachlogischer Forschung, S. 6. 39 Vgl. hierzu H. Albert, Wertfreiheit als methodisches Prinzip, S. 81 f. Z u m Verhältnis von Norm, Sprache u n d Wahrheitswert sowie zum U n t e r schied von Normformulierung u n d Sollsätzen vgl. G. H. von Wright , N o r m and Action, a.a.O., S. 109, R. AT. Hare, Freedom and Reason, 2. Aufl., Oxford 1964, S. 51 ff.

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2. Kap.: Rechtswissenschaftliche Aussagen

und dies auch als Inhalt einer Aussage über die „Normativität des Faktischen". Die Fragestellung lautet dann aber, ob und welches bestimmte Sollen gilt, nicht: welches Sollen zu gelten hat. Die Ermittlung eines Sollens als empirischer Tatsache ist aber zu unterscheiden von der Frage nach dem Zustandekommen (Genese) dieses „Sollens", der Be Wirkung von Sollen. Dies dürfte Lathinen verkennen, wenn er von der empirischen Fragestellung aus das Verhältnis von Sein und Sollen dahingehend beantwortet, daß „oughtness is isness" 40 . Diese empirische Analyse des Sollens als des Herrschens, Vorhandenseins einer Tatsache impliziert die für den Juristen besonders wichtige Feststellung der Effektivität eines Sollensgebotes, sein In-Geltung-sein oder die Obsoletheit eines Sollensgebotes 41 . II. Diese Feststellung der sozialen Effektivität von Wertvorstellungen, Verhaltensmodellen und ihnen zugrunde liegenden Anliegen, Interessen und Bedürfnissen ergibt jedoch unmittelbar nichts für ein Sein-Sollen dieser sog. Werte oder Verhaltensweisen, wie es bei der Zuerkennung einer Normqualität an eine „Natur der Sache" oder „sachlogische Strukturen" geschieht. Philosophisch gehen solche Annahmen — wie dargelegt — auf eine phänomenologische oder ontologische Werterkenntnis 4 2 oder eine Transzendentalerkenntnis — insbesondere als Grundlage vieler Naturrechtslehren — zurück 43 . Solche Ableitungen vom Sein auf das Sollen 44 sind wegen des Bedürfnisses nach Absicherung von Aussagen, die i m Recht zur positiven oder negativen Auszeichnung von Sachverhalten führen (sollen), weit verbreitet. Sollsätze können jedoch, folgt man dem hier zugrunde gelegten wissenschaftstheoretischen Konzept, nicht aus Seinsaussagen abgeleitet werden 45 . Eine rein essentielle Sollensbestimmung ist nicht möglich. Die 40 O. Lathinen , On the Relations between Commanding, Oughtness and Isness, in: ARSP L I V . 1958, S. 331. 41 Vgl. G. H. von Wright , N o r m and Action, a.a.O., S. 118. 42 Vgl. beispielsweise Ν. Hartmann , Ethik, 3. Aufl. B e r l i n 1949 u n d M . Scheler, Der Formalismus i n der E t h i k u n d die materiale Wertethik, 4. Aufl. Bern 1954. 43 Vgl. D. Lerner, Die Verbindung von Sein u n d Sollen als Grundproblem der normativen K r a f t der „ N a t u r der Sache" i n : ARSP 1964, Bd. L, S. 405 ff. 44 I n diesem Zusammenhang w i r d vielfach v o m „naturalistischen Fehlschluß" gesprochen, vgl. u. a. H. Albert, E t h i k u n d Metaethik, i n : A.f.Ph. Bd. X I , S. 36; es w i r d darunter ein deduktives Argument verstanden, dessen Prämissen n u r explikative Aussagen enthalten, dessen Konklusion aber präskript i v e n Charakter hat. Z u r Unableitbarkeit von Forderungssätzen vgl. auch L. Nelson, K r i t i k der praktischen Vernunft, Göttingen 1916; W. Dubislav, Z u r Unbegründbarkeit der Forderungssätze, i n : Theoria 1937, S. 330 ff., G. Myrdal, Das Wertproblem i n den Sozialwissenschaften, Hannover 1956, sowie insbesondere die zit. Arbeiten von G. Weisser, K. R. Popper, E. Topitsch und H. Albert 45 Eine Stellungnahme über die Eignung der erwähnten Erkenntnisverfahren zur V e r m i t t l u n g ethischer Einsichten ist damit nicht verbunden.

§ 10 Sein und Sollen — Werturteil und Tatsachenurteil

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Versuche, aus dem Sein ein Sollen abzuleiten, sind alt. I m vorwissenschaftlichen Denken diente häufig die theologische oder kosmologische Vorstellung vom Universum oder von der Menschennatur i m Modell eines Sozialgebildes oder der Verwirklichung eines künstlerischen Planes, eines Organismus oder einer Entelechie dazu, normative Elemente i n die Seinsstrukturen hineinzulegen, um sie dann zirkelhaft daraus wieder gewinnen zu können 46 . Der Grund für die logische K l u f t zwischen Sein und Sollen liegt darin, daß bei einem logischen Schluß der Gehalt der Konklusion nicht über den der Prämissen hinausgehen kann. Es kann also bei einer Ableitung aus rein deskriptiven Prämissen keine präskriptive Aussage gewonnen werden. „Jeder Schluß muß zwei Voraussetzungen haben. Daher kann man nicht unmittelbar von dem, was ist, auf das, was sein soll, schließen; ebensowenig von der Richtung, die das Geschehen tatsächlich nimmt, auf die Richtung, die es nehmen soll; und schließlich auch nicht von dem, was der Verwirklichung irgendwelcher Werte infolge der i n der Erfahrungswelt herrschenden gesetzlichen Zusammenhänge nützlich ist, auf das, was aus sich heraus unmittelbar Wert hat 4 7 ." Jede Analyse des Problems einer „Normativität des Faktischen" hat — w i l l sie zu wissenschaftlich sinnvollen Aussagen führen — von dieser logischen Unableitbarkeit eines Sollenssatzes aus einer Seinsaussage auszugehen. Ein Sollensgebot beinhaltet die (positive oder negative) Auszeichnung eines Sachverhaltes und w i r d von einer Willensmacht getragen 48 . Die positive oder negative Auszeichnung eines Sachverhaltes muß gewollt sein. Eine Sollensaussage ohne dahinter stehende „Willensmacht" reduziert sich auf eine „Wertaussage" 49 , bestimmte Anliegen, 46 Vgl. m i t Beispielen E. Topitsch, Restauration des Naturrechts? Sachgehalte u n d Normsetzung i n der Rechtstheorie, i n : ARSP 1958, S. 189 ff. (S. 195), wieder abgedruckt i n ders., Sozialphilosohpie zwischen Ideologie u n d Wissenschaft, a.a.O., S. 53 ff. (S. 55 ff.), vgl. auch ders., V o m Ursprung u n d Ende der Metaphysik, Wien 1958, S. 3 f., S. 280 ff.; zur Herleitung des Rechts aus Fakten, A . Kaufmann, Analogie u n d N a t u r der Sache, a.a.O., S. 10/11. 47 G. Weisser, Wirtschaftspolitik als Wissenschaft, a.a.O., S. 121. Z u r logischen S t r u k t u r des normativen Syllogismus u n d seiner logischen Unmöglichkeiten w i r d auf U. Klug, Die reine Rechtslehre von Hans Kelsen u n d die formal-logische Rechtfertigung der K r i t i k an dem Pseudoschluß v o m Sein auf das Sollen, i n : Festschrift für H. Kelsen, K n o x v i l l e 1964, S. 154 ff. sowie F. Achermann, Das Verhältnis von Sein u n d Sollen, W i n t e r t h u r , 1955, S. 33 ff., S. 84 verwiesen; vgl. i m übrigen auch R. M. Hare, The Language of Morals, a.a.O., 1961, S. 28 f., Ch. Morns , Signification and Significance, Cambridge/Mass. 1964, S. 38 ff. und Ο. Weinberger, Philosophische Studien zur Logik, Praha 1964, S. 29 ff. 48 Vgl. aus dem neueren Schrifttum ζ. Β. M. Drath, G r u n d u n d Grenzen der Verbindlichkeit des Rechts, Tübingen 1963, S. 10; G. Radbruch, Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 288; A. Graf zu Dohna, Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1939, S. 14ff.; insbesondere aber H. Kelsen, Reine Rechtslehre, a.a.O., S. 5 ff. und ders., „ Z u m Begriff der Norm", a.a.O., S. 57 ff. 49 Kelsen spricht i n diesem Zusammenhang davon, daß die N o r m der Sinn

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2. Kap.: Rechtswissenschaftliche Aussagen

Interessen und Bedürfnisse werden als wertvoll bezeichnet. Das SeinsSollensproblem verändert sich damit aber i n eine rechtssoziologische Frage nach den Trägern der „Willensmacht" und nach ihrer verfassungsrechtlichen Legitimation zur Umsetzung von Seinsbefunden i n Sollensgebote sowie nach den sozialen Strukturen und Prozessen, welche Verhaltensweisen bestimmen 50 . I I I . Auch alle bisherigen Versuche 51 , seien sie ontologischer, naturrechtlicher, platonischer oder dialektischer A r t , oberste Werte 5 2 als allgemein verbindlich zu beweisen und sie damit zur verpflichtenden Grundlage für Sollensgebote zu erklären, halten einer logischen K r i t i k nicht stand. Sie beinhalten den Mangel, daß wertende Aussagen letztlich unter Heranziehung nicht wertender Aussagen über das Sein zwar „begründbar" sind, aber sich selbst nicht aus dem Sein ergeben, was nicht die Unmöglichkeit der „Vorgegebenheit einer Wertordnung" bedeutet, ebenso wie die Möglichkeit zur Nachvollziehung von Wertbegründungen bei Menschen eines ähnlichen sozio-kulturellen Milieus bestehen kann. Eine solche „Begründung" ist aber kein inter subjektiv nachprüfbarer Beweis. Der fundamentale Unterschied zwischen dem Entstehen und der Begründung von Werten und Werthaltungen w i r d meist übersehen und ist häufig Ursache von „Fehlschlüssen" der genannten A r t , m i t denen eine eigene Stellungnahme des Normautors verdeckt wird 5 3 . Werte können „ i m Gefühl bewußt" werden. Eine solche Werterfahrung ist aber einem intersubjektiv nachprüfbaren Beweis nicht zugängeines Willensaktes sei. (H. Kelsen, Z u m Begriff der Norm, a.a.O., S. 59, vgl. ders., Recht u n d Logik, i n : F o r u m X I I S. 421, 422, 495 u n d Reine Rechtslehre, a.a.O., S. 5) Z u m Sprachgebrauch des Wortes „Sollen" vgl. F. Achermann, a.a.O., S. 27 ff. 50 Vgl. N. Hoerster, Z u m Problem der A b t e i l u n g eines Sollens aus einem Sein i n der analytischen Moralphilosophie, i n : ARSP, Bd. 55, S. 11 ff. (S. 29). 51 Vgl. die Übersicht bei H. Ryffel, Rechts- u n d Staatsphilosophie, a.a.O., S. 235 ff. u n d S. 299 sowie aus dem neueren juristischen Schrifttum ff. Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 106 ff., ders., Naturrecht als w i s senschaftliches Problem, a.a.O., S. 14, S. 26, R. Zippelius, Wertungsproblem i m System der Grundrechte, München 1962, S. 113 ff., 192 ff.; ff. Henkel, E i n führung i n die Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 237 f., D. W. Lerner, Das Problem der O b j e k t i v i t ä t von rechtlichen Grundwerten, Zürich u n d St. Gallen 1967, S. 96 f., Z u r Transzendentalerkenntnis, z. B. J. Messner, Das Naturrecht, a.a.O., F. M. Schmölz, Das Naturrecht i n der politischen Theorie, Wien 1963, S. 72; zur ontologischen Wertgewinnung W. Maihofer, bspw. Die N a t u r der Sache, i n : ARSP 1958, S. 145 ff., wieder abgedruckt i n A. Kaufmann (Hrsg.), Die ontologische Begründung des Rechts, a.a.O., S. 52 ff., A. Kaufmann, Analogie u n d N a t u r der Sache, a.a.O., S. 16/17, vgl. auch G. Müller, Naturrecht u n d Grundgesetz, Würzburg 1967, dort auch eine Übersicht der einschlägigen Rechtsprechung, v o r allem des Bundesverfassungsgerichtes. 62 Z u r Schwierigkeit die Begriffe Wert u n d N o r m eindeutig zu definieren vgl. R. Lautmann, Wert u n d Norm, K ö l n u n d Opladen 1969. 53 Beispielsweise H. Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 240 ff., E. Fechner, Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 160, besonders D. W. Lerner, Das Problem der O b j e k t i v i t ä t von rechtlichen Grundwerten, a.a.O.

§ 10 Sein und Sollen — Werturteil und Tatsachenurteil

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lieh, sie begegnet auch dem Einwand der historischen Relativität, der sozio-kulturellen Bedingtheit und der existenziellen Subjektivität. Wertentscheidungen, welche auf solcher Erfahrung beruhen, sind naturgemäß nicht faktenunabhängig. „Alle moralischen Entscheidungen beziehen sich (zwar) auf Tatsachen des sozialen Lebens, und umgekehrt geben alle Tatsachen des sozialen Lebens, die man ändern kann, zu vielen verschiedenen Entscheidungen Anlaß 5 4 ." Tatsachen können so einen unterschiedlichen Einfluß auf Wertentscheidungen ausüben. Eine Wertungsübereinstimmung zwischen verschiedenen Menschen hat demgemäß nichts mit der objektiven Gültigkeit dieser Werte zu tun. Das Zustandekommen der Wertentscheidungen und Werthaltungen kann unterschiedlich begründet sein, Übereinstimmung ist nur Zeichen von Konsens. I m Interesse der Exaktheit wissenschaftlicher Aussagen und intellektueller Redlichkeit sind Wertungen deshalb als „Gewissensentscheidungen" anzusehen 55 . Inhalt der Entscheidung kann nur eine Stellungnahme sein, welche einem realen, Potentialen, utopischen oder idealen Sachverhalt auf Grund der sich i n i h m ausdrückenden Anliegen, Interessen und Bedürfnisse eine positive oder negative „Werthaftigkeit", einen „Wert" zumißt. Der Unterschied zwischen Wertentscheidung und Tatsachenerkenntnis hat jeder Analyse der Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen" zugrunde zu liegen. Die Deutung einer „Natur der Sache" oder „sachlogischer Strukturen" w i r d leicht bestimmt vom „natürlichen Wertplatonismus" der alltäglichen Weltorientierung, welche das Entscheidungsproblem durch sprachliche Fusion von Werten und Tatsachen auf die Erkenntnisebene transponiert. Eine solche Verschmelzung der Werte m i t einer „soziomorph" gedeuteten Faktizität erleichtert ihre Dogmatisierung und Akzeptabilität i m richterlichen Urteil. Soweit m i t der Rechtsfigur der „Normativität des Faktischen" keine neuen Werterkenntnisse eingeführt, sondern diese auf kognitive (deskriptive) Aussagen üblicher A r t über tatsächlich herrschende Wertungen reduziert werden 56 , w i r d 54 K . JR. Popper, Der Zauber Piatons, Bern 1957, S. 97. Popper spricht v o m Dualismus von Tatsachen u n d Entscheidungen. 55 Vgl. z.B. E. Topitsch, Restauration des Naturrechts, i n : ders., Sozialphilosophie zwischen Ideologie u n d Wissenschaft, a.a.O., 1961, S. 65 f., H. K e l sen, Reine Rechtslehre, a.a.O., S. 23; G. H. von Wright , Varieties of Goodness, a.a.O., S. 163 fï. Kritisch zu Versuchen „wissenschaftlicher Werterkenntnis" i n der Rechtswissenschaft, u. a. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, a.a.O., S. 20, E. Fechner t Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 161, R. Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, a.a.O., S. 140 ff., E. Stein i n J. Esser u n d E. Stein, Werte u n d Wertewandel i n der Gesetzesanwendung, Franfurt/M. 1966, S. 42 u n d vor allem W. Weischedel, Recht u n d Ethik, Karlsruhe 1956, S. 29 ff. u n d U. Matz, Rechtsgefühl u n d objektive Werte, München 1966, S. 81 ff., S. 93 m i t weiteren Nachweisen. 56 Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, a.a.O., S. 22, G. H. von Wright , Varieties of Goodness, a.a.O., S. 110 f., vgl. Th. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, a.a.O., S. 314,318.

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2. Kap. : Rechtswissenschaftliche Aussagen

zwar die W i l l k ü r eines intuitionistischen Verfahrens vermieden, das Problem der Legitimierung solcher Aussagen und der Auswahlentscheidungen über sozial-effektive Werthaltungen als Anweisungen an die Praktiker des Rechtsgestaltungsapparates bleibt aber bestehen; dieses Problem hat auch die „Wertungsjurisprudenz" bislang nicht zufriedenstellend lösen können 57 , i h m ist weiter nachzugehen. IV. Der Unterschied zwischen Seinserkenntnis und Sollensaussagen ist nach unserer Ansicht allerdings nicht i n dem Sinne zu radikalisieren, als ob sich auf der einen Seite rein objektive, neutrale Erkenntnisse, auf der anderen Seite subjektive, willkürliche Setzungen gegenüber stünden. Aus dem hier zugrunde gelegten Verständnis von Wissenschaft als k r i t i schem Rationalismus folgt vielmehr, daß hinter aller Erkenntnis letzten Endes Entscheidungen stehen, und daß auch jeder Erkenntnisprozeß von Normierungen, Wertungen und Entscheidungen durchsetzt ist. Dies trifft — i n Erweiterung unserer Thematik — auch auf die Erkennbarkeit von Sollsätzen als gesetzlicher Allsätze und ihre Wiedererkennbarkeit aus ihrer sprachlichen Zeichenform oder i n einem Lebenssachverhalt zu. Eine Verifizierung ist aus den genannten Gründen nicht möglich. „Erkenntnisse" des Richters oder Rechtswissenschaftlers sind stets solche unter Ungewißheit. Es stellt sich damit aber auch die Frage, i n welcher Weise Rechtswissenschaft als Wissenschaft möglich ist, wie ihre Aussagen zu rechtfertigen sind. Eine solche Wertungsgebundenheit der Rechtswissenschaft widerstreitet nicht von vornherein dem Postulat der Wertfreiheit 5 8 , wie es Max Weber formuliert hat, läßt aber andererseits auch die Frage nach der Möglichkeit von Rechtswissenschaft als einer normativen Wissenschaft i m Sinne Gerhard Weissers 59 geboten erscheinen. Gerade die i n der Rechtswissenschaft entwickelten Lehren von der „Natur der Sache" und den „sachlogischen Strukturen" mit ihren Wertimplikationen geben der Frage nach der Bedeutung des Wertfreiheitsprinzipes für diese Wissenschaft besonderes Gewicht. Max Webers Postulat der Wertfreiheit für die Wissenschaften 60 wäre unbrauchbar, wollte man es als ein Prinzip der Neutralität der Wissen57

Vgl. hierzu insbesondere auch ff. Westermann, Wesen u n d Grenzen der richterlichen Streitentscheidung i m Zivilrecht, 1955, S. 17, 21 u n d R. Reinhard u n d W. König, Richter u n d Rechtsfindung, München 1957, S. 17 ff. 58 Vgl. Th. υ. Ferber, Der Werturteilsstreit 1909/1959, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1959, S. 21 ff. 59 Grundlegend G. Weisser, P o l i t i k als System aus normativen Urteilen, Göttingen 1951 u n d ders., A r t . Normative Sozialwissenschaften, i n : Ev. Soziallexikon, Hrsg. v. F. Karrenberg, 4. Aufl. Stuttgart 1963 sowie ders., Normative Sozialwissenschaft i m Dienst der Gestaltung des sozialen Lebens, i n : Soziale Welt, 1956, S. 2 ff. 60 Vgl. hierzu Max Weber, Die O b j e k t i v i t ä t sozialwissenschaftlicher u n d

§ 10 Sein und Sollen — Werturteil und Tatsachenurteil

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schaft und ihrer Aussagen verstehen. Nicht nur die Themenwahl — ζ. B. jene einer Untersuchung über die Normativität des Faktischen — ist wertbezogen 61 , auch die jeder sozialwissenschaftlichen Aussage vorausgehende Entscheidung für die Gesichtspunkte, unter denen die Untersuchung geführt werden soll, für die Kriterien der Stoffauslese und die anzuwendende Methodik sind unvermeidlich wertungsgebunden, weltanschaulich 62 . Das Webersche Prinzip kann daher — wie Albert zeigt — nur als ein normativ-methodisches verstanden werden, welchem nicht einmal unbeschränkte Geltung zuzusprechen ist, denn ein solcher A n spruch würde an dem Prinzip selbst scheitern, weil er selbst nur auf Grund einer Wertung erhoben werden kann. Die Funktion dieses Prinzipes kann vielmehr darin gesehen werden, zwischen der Ebene der Gegenstände, auf welche sich sozialwissenschaftliche Aussagen beziehen, den Aussagen über diese Gegenstände selbst (der Objekt-Sprache) und der Ebene der Meta-Sprache, der i n Betracht kommenden methodologischen Aussagen zu unterscheiden 63 . Dann ist mindestens — angewandt auf das hier i n Betracht stehende methodologische Problem — zwischen Wertungen als Gegenstand sozial- und also auch rechtswissenschaftlicher Aussagen, Wertungen über diese Gegenstände und der Wertbasis von Wissenschaft selbst zu trennen. Dies erfordert dann jedenfalls eine strikte Unterscheidung zwischen Aussagen über Wertungen, wie sie i n Gesetzen, Satzungen, richterlichen Urteilen oder i n einem Sachverhalt gegeben sind, Werturteilen, welche der Rechtswissenschaftler oder Richter i n der Auslegung eines Gesetzes oder i n der Deutung eines Sachverhaltes vornimmt, und der Wertbasis seiner Aussagen als solchen 64 . Die Aussagen über eine „Normativität des Faktischen" sind, soweit sie der Objektsprache zugehören, damit auch gleichzeitig ein Problem der Seinsgebundenheit des Denkens der betreffenden Personen, des k u l t u rellen Milieus, welches sie prägt, und ihrer ideologischen Aussagensteuerung. Geiger besonders weist auf die Motivation sachlich informativer Aussagen durch hinter ihnen stehende Wertungen als einen Aspekt des sozialpolitischer Erkenntnisse; Der Sinn der „Wertfreiheit" der soziologischen u n d ökonomischen Wissenschaften; Wissenschaft als Beruf, i n : Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufl., besorgt v o n J. Winkelmann, T ü b i n gen 1951. 61 Vgl. R. Dahrendorf, Sozialwissenschaft u n d Werturteil, wieder abgedruckt i n ders., Gesellschaft u n d Freiheit, München 1961, S. 27 ff. u n d R. Mayntz, Soziologie i n der Eremitage, S. 534. 62 Vgl. H. Albert, Wertfreiheit als methodisches Prinzip, S. 200 f., J. Habermas, Analytische Wissenschaftstheorie u n d Dialektik, S. 291 ff. (S. 300 ff.), H. Lieber, Philosophie, Soziologie, Gesellschaft, Berlin 1965, S. 126 f., K . Popper, Falsche Propheten, Bern 1958, S. 322 f., C. W. Mills, K r i t i k der soziologischen Denkweise, Neuwied 1963, S. 124. 63 Vgl. H. Albert, T r a k t a t über Kritische Vernunft, a.a.O., S. 63. 64 Vgl. H. Albert, a.a.O., S. 64 u n d E. Topitsch, Sprachlogische Probleme der sozialwissenschaftlichen Theorienbildung, S. 29 ff.

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2. Kap.: Rechtswissenschaftliche Aussagen

die ganze Erkenntnisproblematik durchziehenden Ideologieproblems hin 6 5 . Die Vielfältigkeit der Aussagen zur „Normativität des Faktischen" ist überhaupt nur zu begreifen, wenn diese ideologische Aussagensteuerung einer umfassenden Erklärung, vor allem der Motivation und sozialen Wirkungszusammenhänge nach, welche zu ihnen führen, erschlossen wird. Die Seinsverbundenheit des Denkens 66 und die „Kontextabhängigkeit menschlichen Problemslösungsverhaltens" 67 bergen die Gefahr i n sich, daß der Glaube an die Adäquatheit bestimmter Problemlösungen diese außer Frage stellt. Solche Erkenntnisse erfahren entweder eine Legitimierung durch Personen — wie sie die Lehre von der „normativen K r a f t des Faktischen" lange Zeit durch die Person Jellineks erfahren hat —, durch eine Ideologie, welcher sie adäquat sind oder sie finden ihre Rechtfertigung durch die Interessen, deren Schutz sie ermöglichen und die allgemein als legitim und gegenüber anderen als vorzugswürdig gelten.

§ 11

Rechtswissenschaft als explikative und als normative Wissenschaft

M i t dem Postulat der Wertfreiheit verbindet sich die Frage, ob sich der Rechtswissenschaftler m i t explikativen Aussagen über gültige Rechtsnormen und über die Gesellschaft und ihre Ordnungsbedürftigkeit sowie i n der Geschichte jeweils auftretende Anforderungen an Ordnungsbedürftigkeit zufrieden geben soll, ob er Problemlösungsmöglichkeiten nur unter gegebenen normativen Wertgesichtspunkten erarbeiten, diese einer rationalen Diskussion hinsichtlich Begründungen und Folgen unterziehen und zur gesetzgeberischen Realisierung eines gegebenen oder angenommenen Gesetzgebungszieles durch sozialtechnische Aussagen beitragen soll oder hat er auch — wie viele Vertreter einer Lehre von der „Natur der Sache" oder den „sachlogischen Strukturen" es t u n — rechtspolitische oder ethische Lösungsvorschläge zur Ordnung des sozialen Lebens zu erarbeiten. Ohne hier bereits auf die Grenze zwischen Gesetzesanwendung und Normsetzung einzugehen, ist es zweifellos das übereinstimmende, sozial e5

Vgl. vor allem Th. Geiger, Ideologie u n d Wahrheit, eine soziologische K r i t i k des Denkens, Stuttgart u n d Wien 1953 u n d W. Hofmann , Wissenschaft u n d Ideologie i n : ARSP 1967, Bd. L U I , S. 197 ff. (S. 202,205). M Vgl. ff. Albert, T r a k t a t über kritische Vernunft, a.a.O., S. 91 ff. u n d Ch. Perelman, The Idea of Justice and the Problem of Argument, London 1963, S. 88 ff., S. 154 ff. 67 Vgl. hierzu bspw. M. Sherif u n d C. W. Sherif t A n Outline of Social Psychology, New Y o r k 1956, M. Sherif u n d C. I. Hovand, Social Judgement, New Haven u n d London 1961.

§11 Explikative und normative Rechtswissenschaft

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akzeptierte Rollenverständnis des Rechtswissenschaftlers, jedenfalls durch die Entfaltung kritischer Prinzipien zur Diskussion der Wertsetzungen des Gesetzgebers oder des Rechtsgestaltungsapparates beizutragen. Eine solche rationale Diskussion von Wertproblemen hat sich unserer Ansicht nach jedenfalls auf die logischen und faktischen Zusammenhänge der Wertprobleme, insbesondere den Wertungen i m logischen Sinne letztlich zugrunde liegenden Zielen und ihren faktischen Realisierungsmöglichkeiten und Folgen, zu erstrecken. Aussagen über eine „Natur der Sache" oder „sachlogische Strukturen" können i n diesem Sinne „kritische Prinzipien" für die Entscheidung nicht hinreichend geregelter Situationen sein. Rechtswissenschaftliche Aussagen sind immer mittelbar auf die Gestaltung des sozialen Lebens ausgerichtet, sei es durch Interpretation, Systematisierung und Aufbereitung gesetzgeberischer Ordnungsentscheidungen, sei es durch K r i t i k solcher Entscheidungen oder durch Ergänzung gesetzgeberischer Entscheidungen, u m das Funktionieren des Systems rechtlich geordneten Verhaltens zu gewährleisten. Sie können nicht nur explikativ sein, sie haben auch „normativ" zu sein. Es ist dann aber ein Erfordernis wissenschaftlicher Redlichkeit, Wertentscheidungen als solche auszuweisen, sie systematisch zu entfalten 68 . Eine Differenzierung der Problematik einer Arbeit über die Rechtsfiguren der „Normativität des Faktischen" ist damit erreicht. Bei den Aussagen war zwischen ihrem Wahrheitswert und ihrer Rechtfertigung zu unterscheiden. Es wurde dargelegt, daß solche Aussagen ihre Rechtfertigung i n der Entscheidung finden; soweit sie kognitiv-informativ sind, können sie falsifiziert werden, als normativ-präskriptive Aussagen aber stellen sie Wertungen dar, welche als Gewissensentscheidungen zu rechtfertigen sind. Die Aufnahme solcher normativen Aussagen i n rechtswissenschaftliche Aussagensysteme ist eine Frage des Rollenverständnisses. Der Inhalt solcher Aussagen erwies sich daneben als ein Problem der Seinsverbundenheit und ideologischen Steuerung des Denkens. Das Problem der „Normativität des Faktischen" stellt sich damit zunächst als Frage nach der logischen Struktur von Rechtsnormen und nach den deontischen Beziehungen und sozial-effektiven Zusammenhängen zwischen Norm und Fakten, welche bei der Entscheidung gesetzlich 68 Vgl. zur Ausgestaltung einer „normativen Sozialwissenschaft" die i n A n m . 54 genannten Arbeiten von G. Weisser u n d K . Lompe, Wissenschaftliche Beratung der Politik, a.a.O., S. 180 f. I m Hinblick auf die Rechtswissenschaft vgl. G. Wittkämper, Grundlagen einer rechtswissenschaftlichen I n t e r dependenztheorie, a.a.O., S. 80 ff. Kritisch zum Erfordernis u n d zur Möglichkeit einer „normativen Sozial Wissenschaft" insbes. H. Albert, a.a.O., S. 66 ff. u n d zuletzt ders., Sozialwissenschaft u n d politische Praxis, i n : ARSP 1968, S. 247 ff. m i t weiteren Nachweisen.

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2. Kap. : Rechtswissenschaftliche Aussagen

nicht hinreichend geregelter Situationen notwendigerweise zu beachten sind. Weiter ist zu klären, was zur Ausbildung sozial-effektiver Werthaltungen und Normen führt und welche Beachtlichkeiten diesen gemäß der Verfassunggsordnung i n den gekennzeichneten Entscheidungssituationen des Rechtsgestaltungsapparates zuzukommen hat.

Drittes Kapitel

Zur Logik von Norm und Fakten § 12

Abgrenzung des Begriffes Norm

I. I n der Umgangssprache w i r d von Rechtsnormen und technischen Normen, von sittlichen, ästhetischen und logischen Normen gesprochen, oft werden auch die Ausdrücke Norm und Gesetz synonym verwendet. Eine einheitliche Bedeutung ist für den Begriff Norm, insbesondere auch für den Begriff Rechtsnorm, i m wissenschaftlichen Schrifttum nicht gegeben. Häufig verbirgt sich i n der Begriffsbedeutung eine ganze Theorie oder Lehre über das Recht 1 . I m Zusammenhang dieser Arbeit w i r d der Begriff Norm i n dem allgemeinen Sinne einer Verhaltensregel, eines Gebotes, Verbotes oder einer Gewährung von Verhaltensweisen verstanden. Es ist dabei gleichgültig, ob eine Verhaltensregel i n den Schriftsymbolen einer Sprache ausgedrückt, gesetzt ist, es genügt ihre Verstehbarkeit 2 . Der Begriff der Norm als Verhaltensregel ist zu unterscheiden von Norm i m Sinne von Regelmäßigkeit und Normalität, i n welcher Bedeutung der Begriff vor allem i n der Soziologie und Sozialpsychologie verwendet w i r d und das Vorbild als auch das durchschnittliche Normale meinen kann. Norm als Regelmäßigkeit und Normalität ist „statistisch" bestimmt. Verhaltensregelmäßigkeiten sind Gleichförmigkeiten von Verhaltensweisen, Aussagen darüber sind deskriptiver A r t 3 . 1 Z u unterschiedlichen Verwendungsformen der Begriffe N o r m u n d Gesetz vgl. m i t weiteren Nachweisen H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1. Aufl. S t u t t gart 1966, S. 275 ff., 286 ff., 303; F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, a.a.O., S. 24 ff., S. 168 ff.; Ε. E. Hirsch, A r t . Recht i n Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1966, S. 355; O. Lathinen, Z u m A u f b a u der rechtlichen Grundlagen, Helsinki 1951, S. 124; W. Heistermann, Das Problem der Norm, i n : Z.f.ph.F. 1966, S. 197, G. H. von Wright , The Varieties of Goodness, a.a.O., S. 157, Κ . Engisch f Die Idee der Konkretisierung i n Recht u n d Rechtswissenschaft unserer Zeit, Heidelberg 1953, S. 237 ff. sowie G. Spittler, N o r m u n d Sanktion, Ölten 1967, S. 9 ff. unter Berücksichtigung der soziologischen Literatur. 2 Vgl. O. Lathinen, a.a.O., E. E. Hirsch, a.a.O., Th. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, a.a.O., S. 63, H. Ryffel, Rechts- u n d Sozialphilosophie, a.a.O., S. 399. 3 Z u Verwendungsformen der Begriffe N o r m u n d Regel W. Heistermann, a.a.O., S. 198, 201 f. u n d Κ . N. Llewellyn , Jurisprudence, Chicago u n d London

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Grimmer

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3. Kap.: Zur Logik von Norm und Fakten

Sogenannte technische Normen beschreiben demgegenüber technische Gesetzmäßigkeiten i m Sinne von „Naturgesetzen" oder vereinbarte bzw. gesetzte Normen der Verfahrensweise i n der Technik 4 ; nur i m zuletzt genannten Sinne handelt es sich u m Verhaltensregeln. Der Norm- und Gesetzesbegriff i m Sinne von Verhaltensregel ist schließlich zu unterscheiden von Norm oder Gesetz i m Sinne von Prinzip. Prinzip bedeutet nach dem Sprachgebrauch entweder eine faktische oder theoretische Regelmäßigkeit oder eine Aussage über Strukturelemente, w i r d aber auch zur Bezeichnung normativer „Grundgedanken" einer Klasse von Verhaltensregeln verwendet (Strukturprinzipien, Rechtsprinzipien, Problemprinzipien und dogmatische Prinzipien) 5 . Ein Prinzip beinhaltet so immer eine deskriptive Aussage, auch wenn es sich auf praeskriptive Aussagen bezieht. II. Differenzierungen der Verhaltensregeln sind nach verschiedenen Kriterien möglich, nach dem Regelungsgegenstand, dem Verpflichtungsgrad, dem Normgeber, dem Normenadressaten, dem Sanktionsträger, d.h. jenem, welcher die Einhaltung einer Norm, ihre Effektivität gewährleistet 8 . Welches K r i t e r i u m man wählt, richtet sich vor allem nach seiner Fruchtbarkeit für eine Analyse. Für unsere Überlegungen w i r d eine Unterscheidung nach dem Normgeber und dem Sanktionsträger vorgenommen, da es sich hierbei um diejenigen empirisch feststellbaren Kriterien handelt, die für eine positive Rechtsordnung entscheidend sind. Normgeber und Sanktionsträger brauchen nicht identisch zu sein, eine ursprüngliche Identität zwischen ihnen kann sich auflösen, die Effektivität von Normen kann nicht nur durch einen, sondern auch durch mehrere Sanktionsträger gewährleistet sein. I m Anschluß an den i n der Rechtswissenschaft herrschenden Sprachgebrauch w i r d weiter unterschieden zwischen Gesetz (sowie auf Gesetz unmittelbar beruhenden Rechtsnormen, wie Rechtsverordnungen, Sat1962, S. 84, Z u m Normalitätsbegriff vgl. P. Hofstätter, Psychologie, Frankfurt/ M. 1957, S. 217 f. u n d H. Wallraff, Z u m Begriff „ N o r m a l " i n der Öko-Technischen Handlungslehre, S. 59 ff. 4 Vgl. aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum E. Huber, Recht u n d Rechtsverwirklichung, Basel 1921. 5 Vgl. zu Prinzipien i m zuletzt genannten Sinne J. Esser, Grundsatz u n d Norm, a.a.O., S. 2 ff., S. 24 ff., S. 47, S. 87; H. J. Wolff , Verwaltungsrecht I , 7. Aufl., München u n d B e r l i n 1968, S. 110 f. ® R. Dahrendorf, Homo Sociologicus, 5. Aufl., K ö l n u n d Opladen 1965, S. 28 ff., spricht i n soziologischer Interpretation von Muß-Erwartungen, SollErwartungen u n d Kann-Erwartungen. — Häufig w i r d nach dem Normadressaten einer Verhaltensregel unterschieden. Dies erscheint uns ungenau, da Verhaltensregeln allgemein von Situationen, „Gelegenheiten" ausgehen, welche durch Handlungen zu realisieren oder nicht zu realisieren sind (So auch G. H. von Wright , N o r m and Action, a.a.O., S. 83: „generality w i t h regard to occasion, and not generality w i t h regard to subject, is the distinguishing m a r k of prescriptions w h i c h deserve to be called rules").

§ 12 Abgrenzung des Begriffes N o r m

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zungen und Verwaltungsakten, soweit es sich dabei nicht u m Ermessensregelung eines Einzelfalles handelt), Vertragsnorm und Sozialnorm. Gesetze bezeichnen jene Verhaltensregeln, welche zum Normgeber staatliche Organe unmittelbar haben und deren Einhaltung durch staatliche Organe geregelt wird. Unter Vertragsnormen werden jene Verhaltensregeln verstanden, welche innerhalb staatlich gewährter Gestaltungsmöglichkeiten auf Vereinbarung beruhen, ihre Einhaltung w i r d durch vereinbarte Sanktionsformen oder durch gewillkürte staatliche Sanktion bew i r k t , d. h. eine Sanktionierung normwidrigen Verhaltens erfolgt nicht unmittelbar durch staatliche Organe, sondern es bedarf i n aller Regel der vorgängigen Tätigkeit der Vertragspartner. Der Begriff Sozialnormen umfaßt schließlich jenen weiten Bereich von anderen Verhaltensregeln, welche i n ihrem Ursprung unterschiedlich sind, deren Einhaltung mehr oder minder streng durch verschiedene gruppenspezifische oder gesamtgesellschaftliche Sanktionsformen gewährleistet ist. Bei Gesetzen w i r d herkömmlicherweise zwischen materiellen und formellen Gesetzen7 sowie allgemeinen Gesetzen, Maßnahmegesetzen und Einzelfallgesetzen unterschieden 8 ; ob eine solche Unterscheidung normlogisch und rechtssoziologisch zu rechtfertigen ist, w i r d später zu klären sein. I m Grundgesetz selbst (Art. 20 Abs. 3) und beispielsweise auch i n Art. 2 EGBGB w i r d weiter zwischen Gesetz und Recht bzw. Rechtsnorm differenziert, über die Bedeutung dieser Formulierungen besteht keine Einmütigkeit 9 . 7 Vgl. M. Drath, Der Gesetzesbegriff i n den Rechtswissenschaften, i n : St. G. 1966, S. 679 ff. (S. 685 f.), Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Kommentar, München u n d B e r l i n 1969, A n m . 91 ff. u n d 60 ff. zu A r t . 20 GG, auch E.-W. Böckenförde, Gesetz u n d gesetzgebende Gewalt, B e r l i n 1958, S. 226 ff.; Z u r Entwicklung des dualistischen Gesetzesbegriffes, H. W. Kopp, I n h a l t u n d F o r m der Gesetze, Bd. 1, Zürich 1958 u n d P. Laband, Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der preußischen Verfassungsurkunde, B e r l i n 1871, S. 3 ff., G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, Tübingen 1919, S. 235; M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Ausgabe K ö l n u n d B e r l i n 1964,1. Hlbd. S. 576 ff. 8 Z u m Stand der Diskussion vgl. Ch.-F. Menger, Das Gesetz als N o r m u n d Maßnahme, i n : V V d S t R L , H. 15 (1957), S. 32 f., H. Werhahn, Das Gesetz als N o r m u n d Maßnahme, i n : W d S t R L , H. 15 (1957), S. 64. Z u Einzelfallgesetzen vgl. insbesondere H. Schneider, Über Einzelfallgesetze, S. 159 ff.: zu Maßnahmegesetzen E. Forsthoff, Über Maßnahmegesetze, S. 225, S. 227, K . Huber, Maßnahmegesetz u n d Rechtsgesetz, B e r l i n 1963 u n d die Diskussion bei Maunz-Dürig-Herzog, a.a.O., A n m . 93 ff. zu A r t . 20 GG, K . - H . Zeidler, Maßnahmegesetz u n d klassisches Gesetz, Karlsruhe 1961, insbesondere S. 32 ff., 71 ff. sowie BVerfGE i n J Z 1969, S. 426 ff. 9 Vgl. neben den i n A n m . 1 gem. Autoren bspw. noch die unterschiedlichen Erklärungen von G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, a.a.O., S. 20, S. 33; H. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 232; C. Schmitt, V e r fassungslehre, a.a.O., S. 143, S. 146; Th. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, a.a.O., S. 63; M. Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, a.a.O., S. 24; W. Goldschmidt, Der A u f b a u der juristischen Welt, a.a.O., S. 204 ff.; H. K e l sen, Was ist juristischer Positivismus, a.a.O., S. 466; K . Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 299 f.; O. Lathinen, Z u m A u f b a u der rechtlichen Grundlagen, a.a.O., S. 80, Maunz-Dürig-Herzog, A n m . 72 f. zu A r t .

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3. Kap.: Zur Logik von Norm und Fakten

Der Begriff Rechtsnorm w i r d hier als zusammenfassende Bezeichnung verwendet für jene Verhaltensregeln, welche auf Grund ihres verfassungsgemäßen Zustandekommens Gesetze bzw. Verordnungen usw. und Vertragsnormen sind oder auf Grund ihrer Effektivierung i n der A n wendung durch die — verfassungsgemäßen — Rechtsgestaltungsorgane Rechtsqualität erlangen, also das Gewohnheitsrecht, einzelne Ermessensentscheidungen der Exekutive und richterliche Entscheidungen. Bei den Rechtsnormen ist formal weiter zu unterteilen zwischen Rechtsetzungsnormen, wozu unter anderem der organisationsrechtliche Teil des Grundgesetzes, Teile des Vertragsrechtes des Bürgerlichen Gesetzbuches, einzelne Bestimmungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, des Gerichtsverfassungsrechtes und der Prozeßordnungen sowie die Grundbestimmungen des Verwaltungsverordnungsrechtes (z. B. A r t . 80 GG) und des Verwaltungsverfahrensrechtes zu zählen sind. Die Einhaltung dieser Normen ist Voraussetzung für das Zustandekommen formal gültiger Rechtsnormen. Eine ähnliche Bedeutung haben die materialen Verfassungsbestimmungen oder andere materiale Rechtsnormen i m Verhältnis zu ihnen nach geordneten Bestimmungen. Zusammen mit den Rechtsetzungsnormen bilden sie, also vorrangig das Grundgesetz, die Rechtsgeltungsnormen (besser: die Rechtsgültigkeitsnormen, da die Gültigkeit einer Rechtsnorm von der Vereinbarkeit ihres Zustandekommens und ihres Inhaltes m i t jenen Normen abhängt). Als eine eigene Klasse von Rechtsnormen können i n diesem Zusammenhang die Entscheidungen des Rechtsgestaltunggsapparates, insbesondere der Gerichte, als „Einzelfallregelungen" angesehen werden. Zwar ist ihre Gültigkeit wie auch die anderer Rechtsnormen von sogenannten Rechtsgeltungsnormen abhängig, ihre Besonderheit aber ergibt sich aus der Stellung insbesondere der Gerichte und der Wirkungsweise ihrer Entscheidungen. Als gültige Rechtsnormen werden somit insgesamt jene bezeichnet, welche verfassungsgemäß zustande gekommen sind, unter der Geltung einer Rechtsnorm w i r d ihre Effektivität, unter der Verbindlichkeit ihre selbstverpflichtende Verhaltensbestimmung verstanden. Sprachlogisch bezeichnen diese Begriffe verschiedene Ebenen der Rechtsstruktur i n einer Gesellschaft. § 13

Fakten als Bedingungen effektiver Normsetzung

I. Bei Rechtsnormen kann i m allgemeinen danach unterschieden werden, ob sie eine Zuweisung (z. B. Statuszuweisung, Sozialhilfeleistung) zum Inhalt haben, die Regelung von Verhaltensweisen, Interaktionsprozes20 GG sowie R. Schreiber, S. 217 ff.

Die Geltung von Rechtsnormen, B e r l i n usw. 1966,

§13 Fakten als Bedingungen effektiver Normsetzung

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sen unmittelbar (Verhaltensregeln wie Strafgesetze, bürgerliches Vertragsrecht) oder die Begründung und/oder Stabilisierung sozialer Organisationen und Institutionen m i t oder ohne Befugnis zur Setzung von Verhaltensregeln (Organisationsnormen wie der organisationsrechtliche Teil des Grundgesetzes oder Bestimmungen des Gesellschaftsrechtes) betreffen. Die Organisationsnormen mögen beispielsweise eine noch nicht bestehende Institution erstmals begründen; dann mag m i t dieser Begründung ein unmittelbares Gebot, ζ. B. diese Institution m i t Menschen zu besetzen, die konkreten Akte vorzunehmen, die sie erst äußerlich ins Leben rufen, gar nicht verbunden sein. Dennoch zielen auch solche Normen ab auf unmittelbare Verhaltensregeln, weil ja die Gründung einer Organisation oder Institution geschieht, u m ein bestimmtes Verhalten bestimmter Menschen innerhalb dieser neugeschaffenen Organisation und eventuell nach außen anzuordnen oder ein bestimmtes Verhalten anderer Menschen gegenüber diesen neu errichteten Institutionen oder Organisationen. Selbst, wenn diese anschließenden Verhaltensweisen etwa nur Modalitäten der Normsetzung innerhalb dieser neuen Organisationen betreffen, so stehen diese doch wieder i n einem systematischen Zusammenhange m i t den Geboten, Verboten oder Erlaubnissen, die bestimmten Organen innerhalb dieser Organisationen gerade die Verhaltensweise der Normsetzung zuweisen 10 . W i r können für die Zwecke dieser Arbeit kurzerhand davon ausgehen, daß die Norminhalte, die w i r i n Betracht zu ziehen haben, menschliche Verhaltensweisen betreffen müssen, ohne Rücksicht, ob dies ihr eigener unmittelbarer Inhalt ist oder ob sie mittelbar auf die Regelung menschlicher Verhaltensweisen abstellen, weil sie insofern unvollständige Normen sind. II. Traditionell werden dabei bei einer Rechtsnorm oder aus ihrem Zusammenhang m i t dem gegebenen Rechtsnormensystem folgende formalen, expliziten oder impliziten Bestandteile unterschieden: a) Die — mehr oder minder konkrete — Beschreibung einer Situation (Relat i o n von Verhaltensweisen unter Bedingungen) ; 10 Makkonen unterscheidet i m Anschluß an O. Lathinen, a.a.O., S. 119, zwischen den auf ein allgemeines Verhaltensmodell abzielenden Regeln u n d Regeln, die eine Behördenreaktion begründen: Verhaltensnormen u n d Reaktionsnormen (Normen, welche Behörden zu einem bestimmten Verhalten v e r pflichten). Die Reaktionsnormen insbesondere machen seiner Ansicht nach aus Tatsachen Rechtstatsachen u n d aus Folgen Rechtsfolgen. Reaktionsnormen sind jedoch nichts anderes als spezielle Verhaltensnormen. Die Reaktionsnormen unterscheidet Makkonen v o n Normen der Reaktionsweise (Normen, welche etwas über das Wie des Verhaltens einer Behörde aussagen, w e n n sie auf G r u n d einer Reaktionsnorm t ä t i g werden, bspw. Verfahrensnormen der Prozeßordnungen), K. Makkonen, Z u r Problematik der juristischen Entscheidung, T u r k u 1965, S. 29, 31 ff.; vgl. auch H. Ryffel, Rechts- u n d Sozialphilosophie, a.a.O., S. 412.

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3. Kap. : Zur Logik von Norm und Fakten

b) die Vorschreibung (oder Gewährung) von Verhaltensweisen, welche geeignet sind, die beschriebene Situation zu verwirklichen oder nicht zu verwirklichen, d.h. die Erhebung dieser Verhaltensweise zur rechtlich gebotenen, erlaubten oder verbotenen; c) die Beschreibung von Sanktionen, welche an die Realisierung oder Nichtrealisierung der gebotenen oder verbotenen Verhaltensweisen gebunden ist, ausgedrückt i n der gesetzlichen Rechtsfolge.

Keine Rechtsnorm ist jedoch für sich independent, auch wenn häufig eine solche Independenz simuliert w i r d oder der rechtsnormative und sozialnormative Interdependenzzusammenhang nicht mitgedacht oder unbekannt ist. Jede Rechtsnorm steht vielmehr faktisch i m Zusammenhang des gegebenen Rechtsnormensystems und zielt h i n auf die Bestimmung von Verhaltensweisen einer Menge von Menschen, welche irgendwie strukturiert und normiert ist i n Gruppen oder i n Gesellschaft und deren Institutionen. Als weiterer Regelungsbestandteil kann deshalb festgestellt werden: d) Die ausdrückliche oder implizite Beschreibung einer sozialen Ordnung, eines Verhaltenssystems u n d seiner Teilsysteme, welchen zu dienen die Realisierung der gesetzlich gebotenen oder verbotenen Verhaltensweisen bestimmt ist.

Insgesamt ist hierbei zwischen deskriptiven und normativ-praeskriptiven Sinnkomponenten zu unterscheiden 11 . Das Vorliegen eines preaskriptiven oder deskriptiven Sinngehaltes ist abhängig von der Funktionsausstellung des Normadressaten i m Rechtsnormensystem. I n diesem Zusammenhang sei erinnert, daß sich praeskriptive Aussagen i n „technologische" deskriptive „Wenn-Dann-Aussagen" umwandeln lassen, indem man von der deskriptiven Sinnkomponente abstrahiert. Häufig sind Gesetze trotz ihres praeskriptiven Charakters selbst i n der deskriptiven „Wenn-Dann"-Form abgefaßt wie i m Strafrecht: Wer eine fremde bewegliche Sache wegnimmt, w i r d bestraft. A u f diese Weise ist es möglich, logisch die Kompatibilität sowohl von Normsätzen und deskriptiven Aussagen über faktische Situationen und Verhaltensweisen untereinander als auch miteinander festzustellen 12 , die Bedeutung von Fakten für Rechtsnormen zu ermitteln, worüber nun abzuhandeln ist. III. Rechtsnormen sind also ihrem Zweck nach als M i t t e l zur Erreichung von sozialen Ordnungszielen durch Regelung von Verhaltensweisen zu betrachten; die Sanktionsform kann als Effektivierungsmittel zur Ge11 Z u r logischen S t r u k t u r von Rechtsnormsätzen vgl. R. Schreiber, L o g i k des Rechts, a.a.O., S. 26 if., I. Tammelo y Outlines of Modern Legal Logic, Wiesbaden 1969, S. 86 if. 12 Vgl. A. Menne, Möglichkeiten der A n w e n d u n g der L o g i k i n der Rechtswissenschaft, i n : ARSP 1964, Beiheft Nr. 40, S. 151 ff.

§ 13 Fakten als Bedingungen effektiver Normsetzung

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währleistung derjenigen Verhaltensweisen bezeichnet werden, welche ihrerseits M i t t e l zur Erreichung der vorgestellten Ordnungsziele sind. Der logischen Abhängigkeit (die zwischen diesen beiden „ M i t t e l n " der Realisierung sozialer Ordnungszielentwürfe besteht sowie dem logischen Verhältnis) zwischen Zielen und M i t t e l n i n einem Rechtsnormensystem ist nun weiter nachzugehen: Die unmittelbare Funktion der Normen ist es, bestimmte Verhaltensweisen zu bewirken, die mittelbare liegt darin, m i t dieser Norm einen Beitrag zur Funktion der sozialen Ordnung, welche durch das Normensystem beschrieben ist, zu leisten. Voraussetzung für die Erfüllung dieser Funktionen ist es, daß die Normen effekt i v gemacht werden. Die unmittelbare Effektivität liegt darin, daß die unmittelbare Funktion, die normativ bestimmten Verhaltensweisen zu erreichen, erfüllt w i r d ; die mittelbare Effektivität besteht darin, daß m i t der Bewirkung dieser Verhaltensweisen auch die erstrebte gesellschaftliche Ordnung erreicht wird. Die unmittelbare Effektivität hat es mit den Problemen des Gehorsams und der Durchsetzbarkeit, ggf. der Erzwingbarkeit zu tun, die mittelbare Effektivität darüber hinaus m i t der Ziel-Mittel-Kalkulation innerhalb dieser Gesellschaftsordnung, die dem Inhalte der Norm (dem Gebotsinhalt) zugrunde liegt oder immanent ist. Es zeigt sich damit, jedes Gesetz ist seiner Struktur nach ein Maßnahmegesetz, unterscheidbar nur nach der Häufigkeit und Komplexität der Regelungssituation. Die Funktion der Rechtsnorm und ihr Bezug w i r d deutlich, wenn man sich folgendes vergegenwärtigt: Jede Normsetzung (geschieht innerhalb und) zielt auf gesamtgesellschaftliche oder partielle — mehr oder weniger interdependente — soziale Prozesse. Sie bezweckt die Transformation einer Situation So (Ausgangssituation) i n eine Situation Si (Endsituation). Die Situationsänderung kann die Veränderung einer gesellschaftlichen Struktur, gesellschaftliche Prozeßabläufe oder die Erbringung besonderer Leistungen betreffen, sie kann auch nur bezwecken, eingetretene Situationsänderungen auf eine ursprüngliche Ausgangssituation zurückzuführen. Jede Situation stellt eine Relation von Handlungen und ihren Bedingungen dar. Jede Handlung — oder Unterlassung — ist Realisierungsform der ihrer Setzung zugrunde liegenden Anliegen 1 3 , Interessen 14 und Bedürfnisse, ihre Objektivationen können 13 Der Ausdruck „Anliegen" w i r d i n dem Sinne von Trieben, unmittelbaren Interessen, inneren Bindungen ethischer, k u l t u r e l l e r u n d religiöser A r t als praktischer, normativer Entscheidungselemente verstanden, wie er von Weisser i n das sozialwissenschaftliche Schrifttum eingeführt wurde — vgl. hierzu G. Weisser, F o r m u n d Wesen der Einzelwirtschaften, Theorie u n d P o l i t i k ihrer Ziele, Stuttgart 1943 u n d ders., Wirtschaftspolitik als Wissenschaft, Stuttgart 1934—. Der Ausdruck „Anliegen" mag sich zwar f ü r manches philosophische V e r ständnis m i t dem verbinden, was Adorno als Jargon der Eigentlichkeit bezeichnet hat (vgl. Th. W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, F r a n k f u r t / M .

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3. Kap.: Z u r Logik von N o r m und Fakten

als W e r t oder U n w e r t bezeichnet w e r d e n 1 5 , w e l c h e r sich i n e i n e r H a n d l u n g a u s d r ü c k t oder i h r ideelles Z i e l ist. Das V e r s t ä n d n i s einer S i t u a t i o n u n d i h r e r S t r u k t u r ist d a m i t a b h ä n g i g v o n der K e n n t n i s der sie b e s t i m m e n d e n H a n d l u n g e n u n d i h r e n B e d i n g u n g e n sowie diese l e i t e n d e n A n liegen, Interessen u n d B e d ü r f n i s s e ( W e r t h a l t u n g e n ) , w o b e i zwischen Grundanliegen (unmittelbaren Anliegen) u n d mittelbaren Anliegen zu u n t e r s c h e i d e n i s t 1 0 ; d e n n i n der A k t i o n g e l t e n d e m H a n d e l n d e n (oder Unterlassenden) logisch n o t w e n d i g b e s t i m m t e G r u n d a n l i e g e n so, daß sie sein V e r h a l t e n e i n d e u t i g b e s t i m m e n 1 7 . D i e G e l t u n g der A n l i e g e n g r ü n d e t i n i h r e r G e g e b e n h e i t 1 8 . E i n e R a n g o r d n u n g der A n l i e g e n e r g i b t sich z u 1964). Der Ausdruck ist aber i m sozialwissenschaftlichen Schrifttum i m Gegensatz zum schöngeistigen u n d philosophischen Schrifttum nicht m i t einer überkommenen Bedeutung „besetzt" u n d empfiehlt sich deshalb gegenüber A u s drücken, wie „Interessen" oder „ M o t i v e " , welche i n ihrem Bedeutungsgehalt spezifiziert sind u n d i m gewöhnlichen Sprachgebrauch Triebe oder innere Bindungen nicht mitumfassen (vgl. hierzu zuletzt G. Weisser, Quantifizierbares und Nichtquantifizierbares i n den Sozialwissenschaften, in: W W I 1968, S. 173 f.). Aus den genannten Gründen erscheint uns auch der Ausdruck „Bedürfnis" weder hinreichend umfassend noch eindeutig, u m die Entscheidungselemente, welche Handlungen zugrunde liegen, zu kennzeichnen; der Ausdruck „Bedürfnis" ist zudem von der Nationalökonomie her und manchen Richtungen der Soziologie i m Sinne ausschl. ökonomischer Bedürfnisse besetzt. 14 Vgl. i n diesem Zusammenhang W. Hirsch-Weber, P o l i t i k als Interessenkonflikt, Man., Berlin/Mannheim 1967, S. 62 ff. u n d J. Habermas, Erkenntnis u n d Interesse, a.a.O., S. 242. 15 Beim I n h a l t von Sollensgeboten erscheint es uns angebracht, den A u s druck „Anliegen" jenem des Wertes vorzuziehen, u m Anklänge an philosophische Wertlehren zu vermeiden. U m die Vielschichtigkeit dessen, was m i t Anliegen bezeichnet w i r d , deutlich zu machen, u n d u m die Assoziation zu den i n diesem Zusammenhang üblichen, w e n n auch unklaren, Ausdrücken Wert, Interesse, Bedürfnis herzustellen, werden hier die Ausdrücke Anliegen, I n t e r esse u n d Bedürfnis gemeinsam verwendet. 16 Vgl. G. Weisser, zuletzt: Kurze Orientierung, unveröff. Man., 1966/1967, S. 2 ff. u n d ders., Geleitwort zu A. Bohnen: Die utilitaristische E t h i k als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, Göttingen 1964, S. X I . : A l s unmittelbare Anliegen werden m i t Weisser verstanden „ m i t einem Begehren oder einer Ablehnung verbundene Schätzungen, die ihrem Gegenstand u m seiner selbst w i l l e n positiven oder negativen Wert zuerteilen. Sie führen bei hinreichender Willensanspannung zu Entscheidungen. I n einem übertragenen Sinne k a n n m a n von Begehren oder Ablehnen sprechen, das einem Gegenstand gelten sollte. Ebenso empfiehlt es sich, den Ausdruck Grundanliegen auch auf unmittelbar bejahte innere Bindungen (moralische Pflichten, k u l t u relle Desiderate, Glaubensbindungen) anzuwenden. M a n k a n n nach dem Gegenstand, der durch die Schätzung Wert oder U n w e r t erhält, zwischen sinnlichen und geistigen Grundanliegen unterscheiden. Soweit es sich bei den Grundanliegen nicht u m unmittelbar bejahte Bindungen handelt, k a n n m a n v o n „unmittelbaren" Interessen (Nelson) sprechen. Natürlich k a n n ein Mensch meinen, daß er ein Grundanliegen bestimmten Inhalts habe, während er bei tieferer Besinnung erkennen würde, daß er den Gegenstand mittelbar auf G r u n d irgendwelcher tatsächlicher Grundanliegen schätzt, die i h m nicht bew u ß t sind. Ob etwas Grundanliegen ist, bestimmt sich nicht logisch, sondern psychologisch." 17 G. Weisser, Kurze Orientierung, a.a.O., S. 4. 18 Vgl. G. Weisser, Die „praktischen" Aussagen von Politologen u n d W i r t schaftswissenschaft, S. 119.

§ 13 Fakten als Bedingungen effektiver Normsetzung

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nächst aus dem logischen Verhältnis mittelbarer zu unmittelbaren A n liegen; ansonsten ist die Rangeinschätzung individuell und sozial vermittelt. Über ihr Zustandekommen kann die Psychologie und die Ideologiekritik Aussagen machen; worauf bei der Analyse von Fakten als Bedingungen für Rechtsnormen einzugehen ist. IV. Die Realisierung von unmittelbaren und mittelbaren Anliegen als Inhalt von Ordnungszielentscheidungen ist bedingt durch die faktische Situation und ihre technologische Struktur. Nur aus einer solchen Entscheidung und der Kenntnis der faktischen Situation — nicht nur i n ihrer technologischen Struktur — ist die Gewinnung konkreter Rechtsnormen (als abgeleiteter Entscheidungen) als Mittel zur Realisierung eines Ordnungsziels i n einer Situation durch Regelung von Verhaltensweisen möglich. Kenntnis der faktischen Situation meint — wie gesagt — Kenntnis der konkret Handelnden oder Handlungsfähigen, ihrer Anliegen, Interessen und Bedürfnisse, ihrer Handlungsbedingungen normativer oder anderer A r t sowie ihrer hierdurch mutmaßlich bestimmten Verhaltensweisen und der Folgen, welche hiervon i m Gefüge des interdependenten sozialen Lebens ausgehen werden. Nur auf dieser Grundlage kann eine Übereinstimmung m i t oder Abweichung von dem intendierten Ordnungsziel ermittelt, kann die mutmaßlich nötige rechtsnormative Einwirkung auf Verhaltensweisen berechnet werden. Kenntnis der technologischen Struktur einer Situation meint dabei Kenntnis der Zusammenhänge sowohl naturgesetzlicher A r t als auch der zwischen möglichen Verhaltensweisen, Verhaltenszielen und -mittein. Wenn eine empirische Analyse i n Form deskriptiv (explikativ)-technologischer Aussagen Bezüge zwischen einer Situation So und der einer Zielsetzung entsprechenden Situation Si i n Form von Wenn-Dann-Sätzen ergibt, ist die Formulierung sog. hypothetischer oder technologischer praeskriptiver Normen möglich 19 . Befindet sich A beispielsweise zum Zeipnkt t am Ort Ν und soll zum Zeitpunkt t' am Ort N' sein, so ist die Vorschreibung nur weniger bestimmter — alternativer — Verhaltensweisen zur Erreichung dieses Zieles möglich. Es bedarf zur A b leitung einer Norm, welche ein ausreichendes Verhalten von A vorschreibt, der Kenntnis über die Entfernung von Ν nach N' und der Kenntnis der (persönlichen) Fortbewegungsmöglichkeit des A oder der möglichen technischen Hilfsmittel und ihrer Geschwindigkeit. Eine rein technologische Norm, welche durch eine gegebene Situation und ein gesetztes Ziel bestimmt ist, kann i n der Form des „praktischen Syllogismus" dargestellt werden: 19 Z u m Begriff hypothetische u n d technische N o r m vgl. G. H. von Wright , N o r m and Action, a.a.O., S. 168 ff.

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3. Kap. Zur Logik von Norm und Fakten Du willst q, Wenn du nicht tust p, du wirst nicht erreichen q. . . . du must t u n p. 20

Bei dem so mittels eines praktischen Syllogismus ermittelten „sachlich Gebotenen" als Inhalt einer Norm handelt es sich nur u m Verhalten als Bedingung der Erreichung eines Zieles, also als Mittel hierzu; das Ziel w i r d als gegeben vorausgesetzt. Rechtswissenschaft w i r d hier zur „Rechtstechnik". Die Kenntnis der technologischen Zusammenhänge zwischen einem Ordnungsziel und einer Situation erlaubt zunächst nur die Feststellung von Handlungsalternativen oder funktional-äquivalenten Leistungen als geeignete M i t t e l zur Realisierung des Ordnungszieles. Unter funktional-äquivalenter Leistung w i r d m i t der strukturellfunktionalen Theorie jede Leistung verstanden, die den Bestand eines sozialen Systems mitbewirkt 2 1 . Unter einem System soll hierbei ein „Sinnzusammenhang von sozialen Handlungen verstanden werden, die aufeinander verweisen und sich von einer Umwelt nicht dazugehöriger Handlungen abgrenzen lassen" 22 . Die Funktionen, welche Leistungen für die Aufrechterhaltung oder Veränderung eines definierten Systemzustandes haben, sind damit Ausdruck für den latenten sinnvollen empirischen Zusammenhang der manifesten, aber auch subjektiv sinnvollen Handlungen von Individuen und Gruppen 23 . 20 Vgl. G. H. von Wright , N o r m and Action, a.a.O., S. 9 ff., S. 113 ff., ders., The Varieties of Goodness, a.a.O., S. 161; v. W r i g h t spricht bei den mittels eines praktischen Syllogismus gewonnenen Normen von autonomen Normen (G. H. von Wright , The Varieties of Goodness, a.a.O., S. 171 ff.). Dies ist irreführend, denn der praktische Syllogismus verdeutlicht — wie bereits Nelson zeigte —, n u r das zweckmäßige Mittel, ergibt aber keine Seins-Sollensableitung, Vgl. auch E. Topitsch, Restauration des Naturrechts?, S. 65, u n d K . R. Popper, Der Zauber Piatons, a.a.O., S. 96 f. 21 Vgl. T. Parsons , Die jüngsten Entwicklungen der nalen Theorie, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1964, S. 30 ff., Nachweise Struktur, i n : R. K ö n i g (Hrsg.) Soziologie, Neuausgabe S. 319 ff. u n d N. Luhmann, Funktionale Methode u n d Soziale Welt 1964, S. 1.

strukturell-funktiobei R. König, A r t . F r a n k f u r t / M . 1967, Systemtheorie, i n :

22 N. Luhmann, Soziologie als Theorie sozialer Systeme, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1967, S. 627; vgl. ders., Soziologische Aufklärung, i n : Soziale Welt, 1967, S. 97 ff., S. 109. 23 Z u r E n t w i c k l u n g dieser Theorie: B. Malinowski , The Functional Theory, i n : ders., A Scientific Theory of Culture and Other Essays, Chaple H i l l , 1954; A. R. Radcliff-Brown, Structure and Function i n P r i m i t i v e Society, London 1952; jetzt T. Parsons , The Social System, 5. Aufl. Glencoe 1964, T. Parsons u n d E. Shils (Hrsg.) T o w a r d a General Theory of Action, Cambridge, Mass. 1962; R. K. Merton , Social Theory and Social Structure, 9. Aufl. Glencoe 1964 sowie W. Buckley , Structural-Functional Analysis i n Modern Sociology, S. 236 ff. und A. Kuhn , The Study of Society, Homewood H i l l 1963, S. 26 ff.

§13 Fakten als Bedingungen effektiver Normsetzung

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Die Erkenntnisse, die durch funktionale Analysen vermittelt werden sollen, liegen nicht i n der Sinnrichtung der Kausalrelation, i n der sicheren Prognose bestimmter Wirkungen oder i n der sicheren Erklärung von Zuständen, sondern i n der Schaffung von Vergleichsmöglichkeiten über die A r t und Wahrscheinlichkeit der erwartenden und bewerteten oder erforderlichen Leistungen für ein System. Hempel und Nagel haben gezeigt, daß deshalb für eine funktionalistische Erklärung zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen: die empirisch zuverlässige Bestimmung eines Systems, die Identifizierung eines bestimmten Systemzustandes und eine Gleichgewichtstendenz des Systems 24 . Die funktionalistische Analyse kann dann Zusammenhänge von Variablen erfassen, um festzustellen, wie diese mit anderen Variablen innerhalb und außerhalb des Systems zusammenhängen. Die funktionalistische Erklärung liefert so Aussagen über zureichende Bedingungen für die Aufrechterhaltung eines Systemzustandes oder die Folgen einer Variablenänderung. Dabei besteht die Gefahr, daß streng empirisch-analytische Systemeinheiten nicht nur durch Definition eingeführt, sondern überhaupt erst gebildet werden 25 . Die strukturell-funktionale Theorie kann allerdings, verstanden als gesamtgesellschaftliche Theorie, schwerlich ein K r i t e r i u m benennen, u m willkürliche Selektion und Wertung i n der Ermittlung systembestimmender Leistungen und Strukturen zu vermeiden2®. Ein Systemzustand muß deshalb operational festgelegt sein, die funktionalen Erfordernisse dieses Zustandes müssen identifiziert werden können 27 , u m funktional-äquivalente Leistungen für die Systemerhaltung ermitteln zu können, welche alternativen Vorgänge denselben Erfordernissen zur Systemerhalten entsprechen. Diese Voraussetzungen sind beim System 28 der staatlich verfaßten Gesellschaft oder ihrer Teilsysteme gegeben, soweit diese hinreichend 24 Vgl. E. Nagel, The Structure of Science, a.a.O., S. 403, S. 421 f. und C. G. Hempel, The Logic of Funktional Analysis, S. 271 ff.; hierzu auch J. Habermas, Z u r L o g i k der Sozialwissenschaften, i n : Phil. Rdsch., Beiheft 5, Tübingen 1967, S. 86 f. 25 Vgl. G. Carlson , Betrachtungen zum Funktionalismus, S. 236 ff., S. 240 f., 251 f. ; J. Habermas, Z u r L o g i k der Sozialwissenschaften, a.a.O., S. 88. 26 Vgl. E. Nagel , Problems of Concept and Theory Formation i n the Social Science, S. 159 ff., S. 166 f., ders., The Structure of Science, a.a.O., S. 530 f. 27 D. Rüschemeyer t i n : V o r w o r t zu T. Parsons, Beiträge zur soziologischen Theorie, hrsg. u n d eingeleitet von D. Rüschemeyer, Neuwied 1964, S. 20. 28 Der hier zugrunde liegende Systembegriff bestimmt sich i m Unterschied zu C.-W. Canaris , Systemdenken u n d Systembegriff i n der Jurisprudenz, Berl i n 1969, S. 40 ff. nicht aus der F u n k t i o n des Systemdenkens, sondern als rechtsnormativ umschriebene sinnvolle Einheit. Der Systembegriff von Canaris ist demgegenüber n u r ein gewillkürtes Denkmittel. Vgl. aber zur Offenheit eines Systems u n d den Grenzen der Systembildung C.-W. Canaris, a.a.O., S. 61ff., S. 112 ff.

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3. Kap.: Zur Logik von Norm und Fakten

operational rechtsnormativ bestimmt und die Variablen des Systems oder der Teilsysteme bestimmbar sind. Solche Variablen als für das System funktional-äquivalente Leistungen können durch Gesetz oder durch auf Gesetz beruhenden Rechtsnormen festgelegt sein und damit den Sinn rechtsnormativer Strukturmerkmale i m System haben. Die Variablen können aber auch rechtsnormativ „offen" sein, faktisch determiniert durch das System und seinen rechtnormativ bestimmten Entfaltungsraum 2 9 . Die funktionale Methode erlaubt hier, wie Drath gezeigt hat 3 0 , die Gewinnung von technologischem Wissen über die Leistungserfordernisse zur Systemerhaltung und -Wandlung bei Kenntnis des jeweiligen faktischen Systemzustandes, welches Wissen normativ verwertbar ist. Solches Wissen vermittelt aber nicht logisch zwingende, eindeutig determinierte Kenntnis eines Entscheidungskriteriums für den Rechtsgestaltungsapparat, da i n der Regel mehrere Leistungen funktionaläquivalent sind. Das rechtsnormativ bestimmte System oder Teilsystem w i r d — worauf noch einzugehen ist — stets ergänzt durch „Vertragsnormen" und „Sozialnormen", welche insgemsamt erst die Ordnung und Stabilität eines Systems ausmachen. Diese, i n einem weiteren Sinne normativ bestimmten Systeme oder Teilsysteme dienen häufig als Bezugsrahmen für die Feststellung einer „Natur der Sache" oder „sachlogischer Strukturen" wie eine unter diesem Gesichtspunkt durchgeführte Analyse jener Rechtsfiguren wohl zeigen könnte. Es handelt sich dann u m die Erkenntnis funktional-äquivalenter Leistungen für die Systemerhaltung. Solchen „funktional-äquivalenten Leistungen" kommt aber nicht bereits aus einer „Natur der Sache" der Charakter eines verpflichtenden Gebotes oder Verbotes zu. Zum Inhalt einer Rechtsnorm werden solche „Leistungen" erst durch die Entscheidung des Rechtsgestaltungsapparates; das System oder Teilsystem selbst w i r d damit aber gleichzeitig weiter präzisiert und entfaltet. Die Kenntis technologischer Zusammenhänge oder funktional-äquivalenter Leistungen führt also niemals zum Nachweis von sog. Sachzwängen 31 , welche eine und nur eine Entscheidung des Rechtsgestaltungsapparates als systemgemäß zulassen. Die Analyse der faktischen Situation 29

Vgl. N. Luhmann, Zweckbegriff u n d Systemrationalität, Tübingen 1968. Vgl. insbesondere M. Drath, Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, S. 36 u n d N. Luhmann, Funktionale Methode u n d juristische Entscheidung, i n : AöR Bd. 94,1969, S. 1 ff. 31 Vgl. G. Weisser, Politische B i l d u n g — n u r Information oder auch H a l tungspflege, S. 479, „logisch betrachtet, braucht dieser unbewußten Ideologie" — der Sachzwänge — „ n u r die eine oder andere der unbewußt unterstellten Grundvoraussetzungen gesinnungsmäßiger A r t entzogen zu werden, u n d es ergibt sich sofort, daß v o n eigentlichem Z w a n g nicht gesprochen werden kann". 30

§ 13 Fakten als Bedingungen effektiver Normsetzung

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kann i m Hinblick auf eine Verhaltensordnung Aussagen über ein Verhalten-Müssen nur ergeben, wenn Ordnungsziel und Ordnungsmittel identisch sind oder nur ein „ M i t t e l " zweckdienlich ist — und nur insofern kann von einem i n der „Natur der Sache" beschlossenen „gebotenen" Inhalt einer konkreten Norm gesprochen werden — niemals aber kann sie zu Aussagen über ein Verhalten-Sollen führen. V. Eine solche Eindeutigkeit ist i n der Regel nicht gegeben. I m allgemeinen bestehen zur Transformation von So i n Si mehrere alternative Verhaltensweisen V i , V2 . . . V n . Die Entscheidung für ein soziales Ordnungsziel determiniert also jedenfalls nicht notwendigerweise schon die als M i t t e l zu wählenden und möglichen Verhaltensweisen (und Saktionsformen). Denn i n irgendeinem Aktionszusammenhang i n Frage stehende Mittel unterliegen i n der Regel einer eigenen Bewertung: es gibt keine M i t t e l an sich, vielmehr bedarf es fast immer der Information über alle denkbaren Handlungsalternativen und deren selbständige Bewertung, weil jedes „ M i t t e l " nicht schon durch seinen Zweckzusammenhang „geheiligt" ist. Eine logische Entscheidbarkeit für sogenannte technologische Verhaltensregeln ist somit nur gegeben, wenn neben den Ordnungszielentscheidungen hinreichende Vorentscheidungen über zulässige Mittel getroffen sind, und zwar i n Kenntnis von deren Zusammenhang m i t zugrunde liegenden Anliegen und Interessen. Die These von der Neutralisierbarkeit des Bereichs der Mittelwahl ist unhaltbar 3 2 . Diese „Unbestimmtheit" des Mittels bei einem gegebenen Zweck betrifft nicht nur die als Mittel geeigneten Verhaltensweisen, sondern auch das „ M i t t e l " ihrer Sanktionierung. Die Klärung von Handlungsalternativen, die Analyse menschlicher Aktionsfähigkeiten und ihrer Bedingungen sowie die Aufstellung von Alternativprognosen verschiedener Verhaltensweisen als Ausdruck alternativer „ M i t t e l " sind nur Grundlagen für eine Entscheidung zwischen ihnen 3 3 ; das gilt auch für den Inhalt von Rechtsnormen als Gestaltungsmittel. VI. Die zur Realisierung eines Ordnungszieles möglichen M i t t e l unterliegen aber noch einer weiteren Einschränkung: die denkbaren oder i n weisen befähigt. Diese „Fakten" sind ebenfalls Bedingung der Normrea32 Vgl. H. Albert, A r t . Wert, i n : H.d.S.W., Bd. 11, S. 641, G. Myrdal, Das Wertproblem i n der Sozialwissenschaft, Hannover 1965. 33 Vgl. H. Albert, Theorie u n d Prognose i n den Sozialwissenschaf ten, a.a.O., S. 61, K . R. Popper, The Poverty of Historicism, 2. Aufl., London 1960, S. 58 ff., Ν. Bobbio, Über den Begriff der N a t u r der Sache, a.a.O., S. 94 f., spricht i n diesem Zusammenhang von der Möglichkeit, eine Rechtsregel aus einem Sachverhalt zu gewinnen, wenn der Sachverhalt wie ein M i t t e l zum Zweck angesehen w i r d , d. h. i h m die Eigenschaften eines Sachwertes beigemessen werden. Dies ist ungenau, bei Zwecken u n d M i t t e l n handelt es sich nicht u m zwei v ö l l i g voneinander unabhängige Klassen. Zwecke unterliegen nicht n u r der unmittelbaren u n d M i t t e l der mittelbaren Bewertung, Wirksamkeit u n d Z u verlässigkeit können nicht identifiziert werden.

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3. Kap.: Zur Logik von Norm und Fakten

lisierung. Die Mißachtung dieser Bedingungen kann die Effektivität einer Verhaltensregel beeinträchtigen oder eine solche Regelung zielund i n sich widersprüchlich sein lassen 34 . Eine solche Verhaltensregel verfehlt ihre intendierte gesellschaftsgestalterische Bedeutung 35 . — Die Unrealisierbarkeit einer Rechtsnorm wegen ungenügender Kenntnis der Regelungssituation ergibt aber nicht — wie Maihofer annimmt — die Ungültigkeit oder „Rechtswidrigkeit" einer Verhaltensregel 38 . Einer solchen Annahme liegt ein Sollensbegriff zugrunde, wonach Sollen Können impliziert und nicht nur die Geltung, sondern auch die Gültigkeit einer Verhaltensregel durch die Möglichkeit des Könnens bedingt ist. Jedes Rechtsgesetz kann unabhängig von der Beziehung zu jedem möglichen Sollens-Adressaten und dessen „Können" gültig gesetzt sein 37 . Besteht also keine notwendige Implikation von Sollen und Können, so ist „Können" doch Voraussetzung der Effektivität einer Rechtsnorm. Der Satz „Sollen impliziert Können" ist so als ein Prinzip zu verstehen, welches die oben festgestellte Distanz von Sollsätzen und Sachaussagen überbrücken kann 3 8 . § 14 Voraussetzungen für die Gewinnung von Rechtsnormen als abgeleitete Entscheidungen in gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen I. Der generelle Schluß von einer Ordnungszielsetzung auf eine konkrete Rechtsnorm ist i m Unterschied zu den technologischen Normen 34 Vgl. G. Stratenwerth, Das rechtstheoretische Problem der N a t u r der Sache, a.a.O., S. 18. 35 Vgl. bspw. manche Vorschriften i m D r i t t e n Reich oder der Besatzungsmächte, Alkoholverbote oder Regelungen i m Straßenverkehr (Zebrastreifen). Zutreffend insoweit H. Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 124 ff., zu weitgehend ders., Naturrecht als wissenschaftliches Problem, a.a.O., S. 16 ff., m i t der Annahme, daß sich aus der Existenz von Tatsachen bestimmte Probleme nicht n u r f ü r die Ordnung der Gesellschaft ergeben, welche der Gesetzgeber nicht übersehen dürfe, sondern daß schon m i t der Problemstellung auch ein gewisser Rahmen für die möglichen Lösungen abgesteckt sei. N u r unter den hier erörterten Voraussetzungen ist auch der These von O. Ballweg t Z u einer Lehre von der N a t u r der Sache, a.a.O., S. 69 f. zuzustimmen, daß Sollen nicht i m Gegensatz zum Sein steht, sondern sich vielmehr an diesem ausrichtet. 36 W. Maihofer, Die Natur der Sache, a.a.O., S. 67. 37 Z u den verschiedenen Bedeutungsgehalten des Satzes „Sollen i m p l i ziert Können" vgl. M. Moritz, Verpflichtung u n d Freiheit, i n : Theoria, L u n d 1953, S. 131 ff., welcher zeigt, daß es sich bei dem Verhältnis von Sollen u n d Können u m keine notwendige Beziehung handelt, sondern die Feststellung einer solchen Beziehung eine „moralische" Entscheidung darstellt (S. 171). Vgl. auch G. H. von Wright , N o r m and Action, a.a.O., S. 109 if., S. 122 f., S. 128 u n d hierzu E. G. Valdes, Über das Verhältnis zwischen dem rechtlichen Sollen u n d dem Sein, i n : ARSP 1965, Beiheft Nr. 41, N F 4 S. 299 ff., S. 317 f. 38 Vgl. i m Anschluß an Max Weber, H. Albert, T r a k t a t über kritische V e r nunft, a.a.O., S. 76.

§ 14 Voraussetzungen für die Gewinnung einer Rechtsnorm

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als Einzelregel nur möglich, wenn eine Vorentscheidung über ein rangmäßig bestimmtes System aller überhaupt i n Betracht kommenden A n liegen, Interessen und Bedürfnisse — die faktisch bei den Normadressaten gegebenen wie die mit der Rechtsordnung intendierten — getroffen ist und Kenntnis über die Handlungsfähigkeiten und -bedingungen bestehen; dann und nur dann lassen sich die i m Normsatz zu beschreibende Verhaltensweise und die Sanktionsform aus dem Wertsystem als logischem Obersatz und der Situation und ihrer technologischen Struktur als Untersatz ableiten, denn nur dann könnte die als Transformationsmittel von So i n Si geeignete Verhaltensweise V und die für die Effektivität einer Normierung erforderliche Sanktionsform nicht i n Widerspruch zu anderen Anliegen, Interessen und Bedürfnissen, insbesondere mittelbarer A r t , stehen 39 . Dies bedeutet: nur bei einer generellen Vorentscheidung für ein gesellschaftliches Ordnungssystem und seiner operationalen Definition ist eine widerspruchsfreie Ableitung von Rechtsnormen als abgeleiteten Entscheidungen i n einer Situation X möglich, welche der Richter nur zu erkennen und festzustellen braucht. Fehlt eine solche generelle Vorentscheidung — und es w i r d noch zu prüfen sein, ob das Grundgesetz eine solche enthält — so kann sich aus einer „Natur der Sache" einer Situation keine Ziel-Mittelentscheidung als K r i t e r i u m für die Rechtnormsetzung durch den Rechtsgestaltunsapparat i n einer gesetzlich unmittelbar nicht hinreichend geregelten Situation ergeben. Nur bei Vorliegen einer generellen Vorentscheidung für ein gesellschaftliches Ordnungssystem kann daher sinnvoller Weise von einer „Natur der Sache" oder „normativen Kraft des Faktischen" gesprochen werden, nämlich insoweit es sich u m bewertete, i n einem normativ bestimmten Anliegen- und Interessenzusammenhang stehende und durch diesen Zusammenhang eindeutig „bewertete" Fakten handelt, um m i t einem Normensystem vereinbare oder nicht vereinbare Sachverhalte i m Hinblick auf den ihnen i n diesem System zugemessenen Sinn und ihre systemgemäße Funktion 4 0 . 30

Es geht hierbei u m die Verträglichkeit von Verhaltensweisen (Handlungen) u n d ihrer Ausführbarkeiten. „Die Darstellbarkeit einer Menge von Handlungen als mögliche Gesamthandlung ist eine hinreichende u n d notwendige Bedingung f ü r die Verträglichkeit solcher Handlungen miteinander. Die Bedingungen f ü r die Möglichkeit von Gesamthandlungen sind aber zugleich auch die Bedingungen f ü r die Möglichkeit untereinander verträglicher Handlungen" (J. v. Kempski, Grundlegung zu einer Strukturtheorie des Rechts, Mainz u n d Wiesbaden, 1961, S. 31; vgl. auch ders., Recht u n d Politik, Stuttgart 1965, S. 27 ff.). 40 Ä h n l i c h A. Kraft, Interessenabwägung u n d gute Sitten i m Wettbewerbsrecht, a.a.O., S. 74, ohne daß damit den übrigen Ausführungen zugestimmt werden kann.

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3. Kap.: Zur Logik von Norm und Fakten

Dies w i r d deutlich bei der Analyse komplexer sozialer Gebilde 41 . Die Entscheidung für die Erhaltung des Sinnes eines solchen Gebildes, beispielsweise der Universitäten, Forschung und Lehre zu dienen, kann Verhaltensweisen, welche der Erhaltung dieses Sinnes widerstreiten, als unzulässig erscheinen lassen. Ein einmal gesetzter oder gemeinter Sinn kann aber auch obsolet oder durch eine neue Zielsetzung überholt werden, womit dann andere Verhaltensweisen vereinbar sind. Andererseits gewinnen auch empirische, beispielsweise wirtschaftliche Daten eine Bedeutung erst i m Hinblick auf eine angestrebte Ordnung, eine Sinnstruktur. Die Sinnstruktur eines Unternehmens, das i m Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge der Stromversorgung zu dienen hat, ist eine andere als jenes Unternehmens, welches vor allem der Arbeitsplatzbeschaffung und -Sicherung durch öffentlich-subventionierte Straßenbauten dienen soll und ist wiederum verschieden von einem Unternehmen privat-wirtschaftlich organisierter A r t , welches eine Erfolgsbewertung nach der Gewinnmaximierung, Umsatzstärke oder Marktfunktion durchführt. Vorentscheidungen über das Verhältnis von persönlicher Freiheit und „Sozialbildung" bestimmen beispielsweise Relevanz und Gehalt von Interessen und Bedürfnissen, von Sozialnormen und sozialen Gebilden sowie Prozessen und Handlungsverläufen, bestimmen die Bedeutung von wirtschaftlichen Gegebenheiten, sozialen Gruppen, Organisationen und Institutionen; diese zugemessene Bedeutung bestimmt wiederum weitgehend die A r t und Weise der Sanktionierung abweichenden Verhaltens. Die konkrete Vorentscheidung über gesellschaftliche Integration und Interaktion bestimmt die Relevanz von Prozessen der Meinungsbildung, der Gruppenbildung und der Informationswege, aber auch von Monopolisierungen u. ä. 42 . II. Nur jenes Ordnungssystem oder Teilsystem genügt den für die Ableitbarkeit konkreter Einzelnormen erforderlichen logischen Voraussetzungen, welches durch eine Kompatibilität der Ziele untereinander, der Mittel mit den Zielen, der Mittel untereinander bestimmt ist 4 3 . A u f 41 H. Cox, Analyse und Theorie der einzelwirtschaftlichen Strukturen als Gegenstand der Unternehmensmorphologie, i n : Arch.f.ö.u.fr.U. 1967, S. 310 f. 42 Z u m Verhältnis von Grundentscheidung u n d konkreten Gestaltungserfordernissen einerseits, zum Ziel-Mittel-Verhältnis andererseits vgl. bspw. G. Weisser, Mitbestimmung als eine notwendige Folgerung aus heutigem freiheitlichem Sozialismus, S. 85 ff. ; A. Christmann, Unternehmenspolitik u n d Mitbestimmung i n einer wachsenden Wirtschaft, S. 155 ff. (S. 161 ff.); ff. G. Schachtschabel f Die Z i e l - M i t t e l - P r o b l e m a t i k qualifizierter Mitbestimmung, S. 175 ff.; aus der Rechtsprechung des BVerfG, Die Entscheidungen zum Werksfernverkehr (BVerfGE 16, 147, ff.); zur Besteuerung von Spielautomaten (BVerfGE 19, 76 ff.; aber auch 17,135 ff.; 18,186 ff.), zur B r i e f w a h l (BVerfGE 21, 200 ff.). 43 Vgl. ff. Flohr, Parteiprogramme i n der Demokratie, Göttingen 1968, S. 89.

§ 14 Voraussetzungen für die Gewinnung einer Rechtsnorm

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diese Kompatibilitätsproblematik ist kurz einzugehen, denn soweit Verhaltensweisen und ihnen zugrunde liegende Anliegen, Interessen und Bedürfnisse nicht von einem vorgegebenen vollständigen und rangordnungsmäßig eindeutig gesetzten „Wertsystem" ihre Deutung erfahren — was nur i n einer statischen Gesellschaft möglich wäre, auch stellt die Rechtsordnung kein solches vollständiges System dar, andernfalls bestünde keine Veranlassung, Handlungsmaximen für den Rechtsgestaltungsapparat i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen zu diskutieren — ist die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Handlungen ebenso wie die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit gesuchter Normen als Entscheidungsmaxime eine Frage ihrer Kompatibilität m i t allen anderen rechtnormativ bereits geregelten und faktisch möglichen Verhaltensweisen. „Faktisch-kompatibel sind Tatbestände dann und nur dann, wenn ihre gleichzeitige Realisierung i n einer bestimmten historischen Situation möglich ist, wenn also die Konjunktion der sie beschreibenden Aussagen weder gültigen nomologischen Hypothesen (Theorien) noch i r gendwelchen Konsequenzen widerspricht, die aus einer Anwendung der Theorien auf die bestehende Situation resultieren 44 ." Die faktische Kompatibilität impliziert sowohl die theoretische als auch die logische, die logische Inkompatibilität sowohl die theoretische als auch die faktische. „Da jede Erweiterung der i n einem technologischen System hypothetisch unterstellten Zielkombination und jede Beschränkung der zugelassenen Mittel eine Einschränkung des Aktionsspielraumes, also eine Eliminierung möglicher Verhaltensalternativen bedeutet, w i r d bei einer solchen Modifikation u. U. sehr schnell eine Grenze erreicht, an der die unterstellten Ziele bei Verwendung der zugelassenen M i t t e l als inkompatibel angesehen werden können: die Grenze der Realisierbarkeit 45 ." Das Ausmaß der gebotenen Rücksichtnahme auf i n einer Gesellschaft wirksame, verschiedene Anliegen, Interessen und Bedürfnisse bedeutet gleichzeitig eine Einengung der realisierbaren politischen MaßnahmeKombinationen. Die Lösung des Kompatibilitätsproblemes selbst ist ein Problem der Informationserlangung und Informationsverwertung. I I I . Die Gewinnung einer erforderlichen und geeigneten konkreten Rechtsnorm zur Realisierung eines Ordnungszieles ist weiter abhängig von einer präzisen, operationalen Formulierung nicht nur der konkreten Ziele, sondern auch aller für die Entscheidbarkeit relevanten Anliegen, (Werte). Diese dürfen nicht inhaltsleer formuliert sein, also nicht durch Sätze, die mit mehreren denkbaren Sachlagen — weil empirisch zu gehaltlos — vereinbar sind. Inhaltsleere, leerformelartige Aussagen werden gern für die Formulierung von Zielen benutzt, weil „sie a) in44 45

5

H. Albert, Wissenschaft u n d Politik, a.a.O., S. 229. H. Albert, a.a.O., S. 225.

Grimmer

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3. Kap.: Zur Logik von Norm und Fakten

folge ihrer Gehaltlosigkeit m i t jeder tatsächlichen Meinung vereinbar sind, so daß sich jeder zu diesem Ziel bekennen kann, ohne seine Einstellung ändern zu müssen; b) so ,elastisch' (gehaltarm) sind, daß man die Zieladäquanz jedes beliebigen Verhaltens ohne Furcht vor logischer Widerlegung behaupten darf; u. a. w i r d dadurch Kontrolle ausgeschaltet bzw. wirkungslos gemacht; c) einen emotionell positiven ,Klang 4 haben, so daß man sich m i t ihnen besonders gut der psychologischen Funktion der Sprache (B. Juhos) bedienen kann" 4 8 . Ohne Erläuterungen ist deshalb nicht klar, was unter Formulierungen unbestimmter Rechtsbegriffe, wie „gemeiner Nutzen von Volk und Reich", „öffentliches Interesse", „öffentliche Sicherheit und Ordnung" 4 7 , „gute Sitten" 4 8 , „Ansicht aller billig und gerecht Denkenden", „Sozialadäquanz" 49 usw. verstanden werden soll, wenn man diese Rechtsbegriffe als Ausdruck von Zielen für die Ausgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung ansieht. Solche Ziele sind nicht operational definiert 50 , sie lassen keine Deduktionen zu 51 . Nicht anders sind aber auch die Rechtsfiguren von der „Natur der Sache" oder der „Sachgerechtigkeit", losgelöst von einem Kontext, aus welchem sie einen Gehalt erfahren, zu beurteilen. Eine kritische Analyse ihrer konkreten Anwendung läßt zugrunde gelegte Anliegen, Werthaltungen erkennnen, von denen her eine „Sache" ihre Bedeutung erfahren hat oder zu deren Transformation i n Rechtsnormen sie dienen. I n dieser Inhaltsleere erscheint uns die überragende Bedeutung dieser Rechtsfiguren, ihre Unverwüstlichkeit i n Literatur und Rechtsprechung 46 H. Flohr, Z u r E r m i t t l u n g des Unternehmenserfolges, S. 396. Vgl. auch E. Topitsch, Über Leerformeln. Z u r Pragmatik des Sprachgebrauches i n P h i losophie u n d politischer Theorie, S. 233 ff., G. Degenkolbe, Uber logische S t r u k t u r u n d gesellschaftliche F u n k t i o n v o n Leerformeln, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1965, S. 317 ff. sowie G. Arzt, Die Ansicht aller b i l l i g u n d gerecht Denkenden, Diss. Tübingen 1962, S. 12 ff., S. 29 ff. m i t weiteren Nachweisen aus Rechtslehre u n d Rechtsprechung. 47 Vgl. hierzu W. Mertens, Öffentlichkeit als Rechtsbegriff, Bad Homburg v. d. H. usw. 1969, S. 173 ff., Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliches Interesse, B e r l i n 1968; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 9. Aufl. München u. B e r l i n 1968, S. 81; H. I. Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. I, 7. Aufl., B e r l i n u. München 1968, S. 145 ff., S.164 ff. 48 Vgl. Sp. Simitis, Gute Sitten u n d Ordre Public, M a r b u r g 1960 sowie das Schrifttum zu § 242 BGB. 49 Aus dem verwaltungsrechtlichen Bereich ist hier an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit u n d Erforderlichkeit zu denken, welche n u r aus einer Z i e l - M i t t e l - B e s t i m m u n g erklärbar sind; ungenau insoweit P. Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, K ö l n 1961. 50 Z u r Anforderung an operationale Definitionen v o n Zielvorstellungen u n d zu ihrer Transformation i n technologische Systeme vgl. H. Albert, Sozialwissenschaft u n d politische Praxis, a.a.O., S. 265 f. Z u m Unterschied von nomineller u n d operationaler Definition siehe A. L. Zetterberg: Theorie, Forschung u n d Praxis i n der Soziologie, S. 64 ff. (S. 75 ff.). 51 Vgl. D. Braybrooke u n d Ch. F. Lindblom, A Strategy of Decision, New Y o r k 1963, S. 21 ff.

§ 14 Voraussetzungen f ü r die Gewinnung einer Rechtsnorm

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b e g r ü n d e t : sie e r m ö g l i c h t d i e T r a n s f o r m a t i o n u n d V e r d i n g l i c h u n g n a h e z u j e g l i c h e r Interessen i n Rechtsnormen, g l e i c h z e i t i g verschließt sie sich i n ihrer K ü r z e einer kritischen Nachprüfung, bleibt ausdeutbar. P r ä s k r i p t i v e Zielaussagen s i n d aber n i c h t n u r d a n n n i c h t o p e r a t i o n a l , w e n n i h r d e s k r i p t i v e r B e s t a n d t e i l e m p r i s c h z u g e h a l t l o s i s t ; sie s i n d es auch d a n n h ä u f i g n i c h t , w o r a u f Weisser a u f m e r k s a m m a c h t , w e n n b e i m i t t e l b a r e n Z i e l e n die G r u n d v o r a u s s e t z u n g e n n i c h t e r k e n n b a r sind, a u f d e n e n sie b e r u h e n , „ d e n n abgeleitete Sätze, besonders ü b e r die die Gesellschaftsgestaltung beherrschenden m i t t e l b a r e n I n t e r e s s e n u n d A u f gaben, s i n d i n h a l t s l e e r oder z u i n h a l t s a r m , w e n n die z u g r u n d e l i e g e n d e n i m logischen S i n n e ,letzten' V o r a u s s e t z u n g e n n i c h t oder n u r i n u n k l a r e n G e f ü h l e n b e w u ß t s i n d " 5 2 . Dies g i l t insbesondere f ü r d i e U m s c h r e i b u n g eines k o n k r e t e n G r u n d z i e l e s m i t A u s d r ü c k e n w i e des „ S o c i a l w e l f a r e " u n d des „ G e m e i n w o h l e s " 5 3 . Diese P o s t u l a t e s i n d i n h a l t s l e e r , der I n t e r p r e t a t i o n ausgeliefert, also n i c h t n u r v o n der V a r i a b i l i t ä t u n d soz i a l e n F o r m b a r k e i t der menschlichen B e d ü r f n i s s e a b h ä n g i g 5 4 . A u c h die K e n n t n i s i n d i v i d u e l l e r P r ä f e r e n z s k a l e n gestattet bestenfalls A u s s a g e n ü b e r sozialrelevante Interessen- u n d A n l i e g e n b ü n d e l 5 5 . Das V o r h a n d e n sein b e s t i m m t e r gesellschaftlicher Interessen k a n n n i c h t die Entscheid u n g u n t e r O r d n u n g s g e s i c h t s p u n k t e n ersetzten; sie l i e f e r n n u r F a k t e n 52

G. Weisser, Kurze Orientierung, a.a.O., S. 10. Vgl. auch die ungenügende Genauigkeit politischer Zielformulierungen, wie Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Sicherheit, Wohlstand; hierzu I. W. Hutchison , Das Problem der systematischen Verknüpfung von Normen u n d Aussagen der positiven Ökonomik i n grundsätzlicher Betrachtung, S. 7 ff. 54 Vgl. hierzu E. Küng, Wirtschaft u n d Gerechtigkeit, Tübingen 1967, S. 15 ff. K . J. Arrow, Social Choice and I n d i v i d u a l Values, 2. Aufl., New Y o r k 1963, versteht unter der sozialen Wohlfahrtsfunktion einen Prozeß oder eine Regel, die für jede Menge individueller Präferenzordnungen ( R t . . . , R n ) alternativer sozialer Zustände eine entsprechende gemeinsame soziale Präferenzordnung (R) dieser alternativen Zustände festlegt. Eine solche soziale Wohlfahrtsfunktion ist jedoch nicht konstruierbar, w e i l die Adäquatheitsbedingungen nicht miteinander kompatibel sind. N u r bei zwei Alternativen, Übereinstimmung oder D i k t a t u r , ist nach A r r o w die K o n s t r u k t i o n einer befriedigenden sozialen Wohlfahrtsfunktion möglich. — Vgl. i m übrigen H. Albert, Politische Ökonomie u n d rationale Politik, a.a.O., S. 71 u n d die Beiträge von E. Sohmen, E. Lauschmann, R. Jochimsen u n d H. K. Schneider, i n : Probleme der normativen Ökonomik u n d der wirtschaftspolitischen Beratung, a.a.O., S. 69 ff. sowie E. Streißler, Z u r Anwendbarkeit v o n Gemeinwohlvorstellungen i n richterlichen Entscheidungen, a.a.O., S. 1 ff., S. 11. Die neuere Entwicklung seit A r r o w geht dahin, „verschiedene Formen der Wohlfahrtsfunktion zu untersuchen, z.B. die Entscheidungen nach den Präferenzen der Majorität, nach der Summierung individueller Rangordnungs- oder Nutzenzahlen, nach der Summierung v o n Vorzugshäufigkeiten u. ä. m. Es w i r d dabei geprüft, welchen sozialethischen Postulaten die verschiedenen Formen v o n Wohlfahrtsfunktionen genügen. Die Frage des interpersonellen Nutzenvergleichs w i r d dabei reduziert auf die Analyse verschiedener Möglichkeiten, individuellen Präferenzskalen sozialethisch bestimmte Gewichte beizulegen", G. Gäfgen, Die Beziehungen zwischen Weif are Economics u n d politischer Theorie, S. 160. 33

55

5*

Vgl. H. Albert, T r a k t a t über kritische Vernunft, a.a.O., S. 168 f.

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3. Kap.: Zur Logik von Norm und Fakten

als Bedingungen der Realisierbarkeit i n Frage stehender Entscheidungen (Ziele). Rechtsnormen können also nicht aus der bloßen „empirischen" Beobachtung der Gesellschaft vermittels unbestimmter Rechtsbegriffe gewonnen werden, auch nicht aus der Geschichte des sozialen Lebens. „Die geschichtliche Einsicht — besonders eine soziologische Erkenntnis der Gesetze des Verlaufs der Geschichte — vermag unserem Wollen zwar Schranken zu setzen und unseren mittelbaren (technischen) Interessen an den Mitteln der Verwirklichung oberster Ziele i n vielleicht revolutionierender Weise neue Richtungen zu geben, aber nicht ihrerseits die letzten Beweggründe unseres Handelns zu bieten 56 ." Solche Normen sind auch nicht — wie bereits gezeigt — aus Wesensbegriffen der Gesellschaft oder aus der Natur der Gesellschaft oder gesellschaftlicher Teilsysteme zu gewinnen, soweit nicht das Aufgegebene zuvor i n den Begriff aufgenommen wurde. Eine Sache ergibt niemals Entscheidungen, sie kann aber Anlaß für und Begrenzungen von Entscheidungen sein. Die „Sache" ist nur Objekt von positiven oder negativen Interessen. Verhaltensgebote oder -verböte können nur aus gegebenen, hinreichend operationalen Wertentscheidungen, aus einem Sein-Sollen „gewonnen" werden. Das Faktische ist Bedingung der Realisierung solcher Entscheidungen i n der konkreten Rechtsnormsetzung — sei es richterliche oder gesetzgeberische — als ihrem „Wesen" nach abgeleiteten Entscheidungen. Eine Rechtsordnung läßt sich insgesamt deshalb auch nur aus utilitaristischen Erwägungen begründen, aus der Einsicht, daß eine Rechtsordnung für menschliches Zusammenleben bei dessen Bejahung nützlich ist 5 7 . Eine solche Bejahung als eine Grundentscheidung beinhaltet — wie Draht eindringlich nachgewiesen hat 5 8 — Folgerungen sowohl für Grund und Grenzen der Geltung einer Rechtsordnung wie für die Anforderungen an ihre Ausgestaltung. IV. Eine Rationalisierung der Entscheidungen kann — wie Lompe i m Anschluß an Weisser zeigt — nur i n der Hinsicht erfolgen, daß eine sorgfältige Entfaltung und Interpretation der den Entscheidungen zugrunde liegenden unmittelbaren und mittelbaren Anliegen und Interessen, ihrer Zusammenhänge und Implikationen vorgenommen wird, insbesondere die Konsequenzen beachtet und dargestellt werden, m i t welchen die einzelnen Entscheidungen für das gesellschaftliche Leben und die daran Beteiligten verbunden sind. Die Entscheidung als personeller Verbind56

G. Weisser, P o l i t i k als System aus normativen Urteilen, a.a.O., S. 16. Vgl. H. Hasso, Über die Begründung eines Systems, zum Beispiel des Rechts, i n : ARSP 1950/51, S. 477 ff., D. Braybrocke u n d E. Lindblom, A Strategy of Decision, a.a.O., S. 19, L. Nelson , Rechtswissenschaft ohne Recht, Leipzig 1917, S. 21, S. 55. 58 M. Drath , G r u n d u n d Grenzen der Verbindlichkeit des Rechts, a.a.O., S. 41 ff. 57

§ 14 Voraussetzungen für die Gewinnung einer Rechtsnorm

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lichkeitsgrund sorgfältig interpretierter, nicht weiter abgeleiteter A n liegen kann zwar nicht durch eine Kalkulation ersetzt werden; „wenn die politische Entscheidung aber „rational" sein soll, muß ihr eine K a l kulation zugrunde liegen, bzw. muß sie i n eine Diskussion einbezogen werden, i n der sie auch i n Frage gestellt werden kann" 5 9 i m Unterschied zum politischen oder theologischen Dezisionismus i m Sinne Carl Schmitts, Martin Heideggers, Ernst Jüngers oder Rudolf Bultmanns. Die Bildung einer konkreten Rechtsnorm kann so i n folgenden Stufen erfolgen: Formulierung des Wertsystems, Untersuchung der Umweltbedingungen: a) der Ausgangssituation, b) der Wirkungszusammenhänge, c) Vorausschätzung künftiger Umweltbedingungen, Formulierung alternativer Normierungsvorschläge unter Angabe ihrer Konsequenzen und ihrer Kompatibilität für die Realisierung der verschiedenen i n den Zielsetzungen enthaltenen Anliegen und Interessen, Auswahl der konkreten Norm. Rationale Normsetzung ist so das Resultat eines Entscheidungsprozesses, ist überlegte Wahl zwischen Handlungsalternativen. Determinanten der Entscheidung sind die Anliegen, Interessen und Bedürfnisse, das Wertsystem des Normenautors sowie seine Kenntnis der Situation, der Handlungsmöglichkeiten und der Handlungsfolgen (Informationsstand) 60 . Für den weiteren Gang unserer Überlegungen stellt sich das Problem der „Normativität des Faktischen" — sowohl i n der Lehre von der „normativen Kraft des Faktischen" als auch i n den Lehren von der „Natur der Sache", der „Sachgerechtigkeit" und der „Sachgesetzlichkeit" — zunächst als Frage nach jenen Fakten, welche a) Bedingungen für die Norm-Zielsetzungen sind, d. h. solche Zielsetzungen bestimmen oder beeinflussen, b) Bedingungen der Realisierung solcher Zielsetzungen i n konkreten Verhaltensregeln sind, c) Bedingungen der Effektivität von Verhaltensregeln sind, d) Bedingungen der Rechtsnormqualität von Verhaltensregeln sind. Erst eine A n t w o r t auf diese Fragen ermöglicht es, Gehalt und Funktion von Rechtsnormen und also auch der Rechtsfiguren von der „Normativität des Faktischen" zu deuten. Gleichzeitig w i r d damit der Bezugsrahmen für die Frage nach der Handlungsmaxime für den Rechtsgestaltungsapparat i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen geschaffen, die Frage selbst w i r d i m abschließenden Kapitel unter Beachtung der verfassungsmäßigen Funktion dieses Apparates erörtert werden. 59

K. Lompe, Wissenschaftliche Beratung der Politik, a.a.O., S. 146 f., vgl. auch H. Flohr, Parteiprogramme i n der Demokratie, Göttingen 1968, S. 57 f. 60 I m Anschluß an G. Gäfgen, Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, Tübingen 1963, S. 101.

Viertes Kapitel

Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen Vergegenwärtigen w i r uns zunächst das Ergebnis unserer bisherigen Überlegungen: Rechtsfiguren von der „Normativität des Faktischen" haben i n Wissenschaft und Praxis eine Ausgestaltung i n Form der Lehre von der „normativen K r a f t des Faktischen" und jener von der „Natur der Sache", den „sachlogischen Strukturen", der „Sachgesetzlichkeit" und der „Sachgerechtigkeit" erfahren. Eine Diskussion dieser Lehren hatte bei ihrem Wissenschaftsverständnis und der Rechtfertigung ihrer Erkenntnisse anzusetzen. Es wurde dargelegt, daß jede Erkenntnis letztlich auf Entscheidung beruht, ihre Aussagen einer ständigen K r i t i k und dem Versuch der Falsifikation zu unterwerfen sind. Das Denken selbst unterliegt dabei sozio-kulturellen Einflüssen und Bindungen. Eine Deduktion von Rechtssätzen aus einem Rechtsbegriff bedeutet nur eine Klarstellung dessen, was zuvor entscheidungsmäßig i n den Rechtsbegriff als eine Zusammenfassung von jenen Merkmalen, für welche das Sprachsymbol Recht verwendet wird, aufgenommen wurde. Eine objektive Einsicht i n eine materiale, vorgegebene Wertordnung oder ein solches Sollen ist nicht möglich, ein entsprechender intersubjektiv transmissibler Nachweis ist nicht zu erbringen. Wert- und Sollensaussagen sind als — unterschiedlich legitimierte — Setzungen zu qualifizieren. Der Nachweis einer vorgegebenen absoluten Sinnimmanenz ist zu ersetzen durch die soziologische Frage, was Sinn ausmacht und was das Sinnverständnis bestimmt. Faktisches ist nur Bedingung von Norm-Zielsetzungsentscheidungen und Bedingung ihrer Realisierung. Rechtsnormen wurden dabei verstanden als M i t t e l zur Realisierung von sozialen Ordnungszielen i n der Gestaltung des sozialen Lebens. Es zeigte sich damit aber auch bereits: Eine „Natur der Sache" oder „sachlogische Strukturen" als solche gibt es nicht. Es handelt sich vielmehr um Ordnungsvorstellungen, welche i n einer Gesellschaft, einer ihrer Gruppen oder nur bei einem Richter von einer „Natur der Sache" oder „sachlogischen Strukturen" bestehen und i n spezifischen Anliegen, Interessen und Bedürfnissen von Mitgliedern dieser Gesellschaft, der Gruppe oder des Richters begründet sind. Eine „normative K r a f t des

4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen Faktischen" als ein Mechanismus, der Norminhalt und Normgeltung bestimmt, gibt es nur i n dem Sinne, daß jede Normzielsetzungsentscheidung sowie ihre Realisierung und Effektivierung faktischen Bindungen unterliegt. Eine Untersuchung über die Rechtsfiguren der „Normativität des Faktischen" hat damit aber zunächst die grundlegende Abhängigkeit der Rechtsnormen von Fakten zu analysieren, hat zu fragen, u m welche Fakten und i n ihnen sich ausdrückende Anliegen, Interessen und Bedürfnisse es sich handelt, um aus einer so gewonnenen Einsicht die Bedingungen von Rechtsnormen und ihrer Geltung sowie i n ihrer Interdependenz zum sozialen System der staatlich verfaßten Gesellschaft und ihrer Teilsysteme die soziale Funktion von Rechtsnormen bestimmen zu können. Erst auf dieser Grundlage kann unter Beachtung der verfassungsmäßigen Funktion des Rechtsgestaltungsapparates die Funktion von Rechtsnormsetzungen aus einer normativen Kraft des Faktischen erklärt werden, können Aussagen über Entscheidungskriterien unternommen werden, welche vom Rechtsgestaltungsapparat i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen zu wählen sind. Wenn i n der nachfolgenden Untersuchung zwischen Bedingungen der Normzielentscheidung, Bedingungen der Statuierung solcher Zielsetzungen durch konkrete Normen als Gebote oder Verbote (als Mittel, welche zur Erreichung der vorgestellten Ordnung zulässig sein sollen), Bedingungen der Normeffektivität und Bedingungen der Rechtsnormqualität unterschieden wird, so geschieht dies mehr aus Gründen einer gegliederten Darstellung als aus der Annahme einer solchermaßen auch i n der Realität vorfindlichen eindeutigen Trennung. Die verschiedenen Bedingungen sind vielmehr untereinander vielfältig verflochten. Es w i r d nicht als Aufgabe dieser Arbeit angesehen, eine abschließende kategoriale Untersuchung der Rechtsnormentscheidungen und ihrer Bedingungen zu geben, welche eine effektive Rechtsnorm begründen; sondern Rechtsnormen sollen nur aus den ihnen zugrunde liegenden sozialen Prozessen erklärt werden 1 .

1

Grundlegend hierzu F. Oppenheimer, System der Soziologie, Bd. 2 Der Staat, Jena 1926; E. Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, München u n d Leipzig 1913; H. Heller, Staatslehre, hrsg. von G. Niemeyer, 3. Aufl., Leiden 1963; Th. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, Neuwied u n d B e r l i n 1964. Neuerdings v o r allem M. Drath, G r u n d u n d Grenzen der Verbindlichkeit des Rechts, Tübingen 1963, ders., A r t . Staat, i n : Ev. Staatslexikon, Stuttgart u n d B e r l i n 1966, ders., Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, S. 35 ff.

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4. Kap. : Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen § 15

Bedingungen der Normzielsetzung

I. Anliegen, Interessen und Bedürfnisse, welche Inhalt eines mittels einer Norm zu realisierenden Zieles sind, befinden sich i m Fluß der Geschichte, und zwar sowohl hinsichtlich ihres tatsächlichen Vorhandenseins als auch hinsichtlich ihres jeweiligen Auftretens, ihrer Bewußtheit; sie sind an Erlebnisinhalte gebunden. „Beispielsweise scheinen Gruppen, die von außen her nicht oder nur wenig bedroht sind, eher geneigt zu sein, die Wohlfahrt des Individuums als letzten Zweck des Zusammenlebens gelten zu lassen, während Gruppen unter starkem Druck oft i n der Erhaltung der Gemeinschaft den Endzweck des individuellen Lebens sehen. Weiter mag unter gewissen sozialen Voraussetzungen das jeweilige Heil der Seele, unter anderen dagegen der diesseitige Erfolg als höchstes Ziel des Menschenlebens angesehen werden, aber diese Voraussetzungen mögen ihrerseits wieder das Ergebnis bestimmter Normierungen darstellen — etwa wenn die Ausrichtung auf ein Jenseits ganz bewußt von einer geistlichen Führungsschicht veranlaßt und institutionell fixiert worden ist; doch kann auch umgekehrt eine betont innerweltliche Lebensauffassung als Reaktion auf die klerikale Bevormundung u m sich greifen 2 ." Zugrunde liegt allen Rechtsnormsetzungen eine Bejahung von Gesellschaft und die Entscheidung, daß Ordnung ein geringeres Übel als Anarchie ist. Normzielsetzungsentscheidungen — wobei ihre Abhängigkeit von den Bedingungen der Rechtsnormqualität zunächst vernachlässigt werden soll — fallen allgemein unter dem Einfluß von jeweils historisch bestimmbaren sozio-kulturellen Fakten, insbesondere aber von Glaubensund Wertvorstellungen, Interessen- und Bedürfnislagen anders aus, als wenn der Einfluß dieser Fakten fehlt, der Einfluß anderer gegeben ist. Es ist dabei neben den situationsgebundenen, an jene Fakten zu denken, welche i n einem „umwegreichen Sozialisierungs- und Enkulturationsprozeß" 3 die Person des Handelnden — sieht man von der Sonderstellung charismatischer Führer ab — neben seinen individuellen Anlagen bestimmen 4 , wie Erziehung, Vermittlung von Gewohnheiten, Attitüden, 2

E. Topitsch, Restauration des Naturrechts?, a.a.O., S. 68 f. — Eine systematische Darstellung letzter Zielsetzungen menschlichen Handelns gibt es nicht, sieht m a n von der A r b e i t von V. J. W i l l i , Grundlagen einer empirischen Soziologie der Werte u n d Wertsysteme, Zürich 1966, ab, welche sich v o r allem u m eine Typologie der faktisch wirksamen Wertsysteme (S. 104 if., 238 if., 313 ff.) bemüht. Z u zeitgenössischen Versuchen, höchste Werte zu identifizieren, vgl. A. Brecht, Politische Theorie, Tübingen 1961, S. 363 ff., u n d H. Ryffel, Rechts- u n d Staatsphilosophie, a.a.O., S. 207 ff., 299 ff. 3 R. König, Soziologie, Neuausgabe, F r a n k f u r t / M . 1967, S. 241 ff.; vgl. auch W. E. Mühlmann, Umrisse u n d Probleme einer Kulturanthropologie, S. 67. 4 Vgl. allgemein R. Merton , Social Theory and Social Structure, 9. Aufl., Glencoe, 1964, S. 387 ff.

§ 15 Bedingungen der Normzielsetzung

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Verhaltensbereitschaften, Integration des Über-Ich als Integration allgemein befolgter (Gruppen-)Normen 5 . A u f diese Vorformung von Handlungen i m Sozialisierungsprozeß w i r d i m Zusammenhang mit der Erörterung von Bedingungen der Normeffektivität näher einzugehen sein. Von einer Autonomie bei den Normzielsetzungsentscheidungen kann nicht gesprochen werden 6 . Jeder Normzielsetzungsentscheidung, jedem Entwurf von Verhaltensordnungen, wie jeder Handlung, liegen, wie bereits dargelegt, logisch notwendig bestimmbare Anliegen zugrunde, welche subjektiv begründet oder Ausdruck einer bewußten oder unbewußten „Wertorientierung" sind — ein Tatbestand, welcher ebenfalls bei der Analyse der Bedingungen für die Effektivität gesetzter Rechtsnormen wieder aufzugreifen sein wird. Die Anliegen, Interessen und Bedürfnisse, welche i n der Normzielsetzung zum Ausdruck kommen und eine Objektivation als „Wert" erfahren haben können, sind mit Kluckhohn als „eine explizite oder implizite für ein Individuum oder eine Gruppe charakteristische Konzeption des Wünschenswerten, welche die Auswahl unter verfügbaren Handlungsarten-mitteln und -zielen beeinflußt" 7 , zu bezeichnen. Die Wertorientierung ist dabei als eine „verallgemeinerte und i n sich gegliederte, das Verhalten beeinflussende Konzeption der Natur, der Stellung des Menschen darin, der Beziehungen von Mensch zu Mensch — sowie des Wünschenswerten und Nichtwünschenswerten, sofern es das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt und zu seinen Mitmenschen betrifft" 8 anzusehen. Wertorientierung beschränkt sich nicht allein auf ein Abschätzen einer Handlungssituation, sie vermittelt auch bestimmt ausgeformte (hierarchische) Prinzipien aus einem sozialen „Bewertungsprozeß", welcher kognitive, affektive und direktive Elemente umfaßt 9 . II. Wichtig erscheint uns i n diesem Zusammenhang, daß die Anliegen, Interessen und Bedürfnisse, welche verhaltenswirksam werden, ihrem Inhalt und ihrer Rangordnung nach weitgehend klassen-, schichten- und gruppenspezifisch 10 und damit wiederum m i t den ökonomischen Inter5

Vgl. zuletzt D. Ciaessens y Instinkt, Psyche, Geltung, K ö l n u. Opladen 1968, S. 159 ff., Don Martindale, Institutions, Organisations and Mass Society, Boston 1966, S. 43 fï. u n d A. Mitscherlich, A u f dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft, München 1963, S. 17 ff., S. 23 ff., S. 146 ff. 6 E. C. Tolman, A Psychological Modell, S. 279 ff. 7 C. Kluckhohn, Values and Valuesorientiations i n the Theory of Action, S. 388 ff. (395). ö C. Kluckhohn, a.a.O., S. 411; vgl. auch A . K u h n , The Study of Society, a.a.O., S. 221. 9 Vgl. C. F. Graumann, Die D y n a m i k von Interessen, Wertungen u n d E i n stellungen, a.a.O., S. 281; Th. N. Newcomb, R. H. Turner, Ph. E. Converse, Social Psychology, New Y o r k 1965, S. 20 ff. 10 Z u m Klassenbegriff u n d zum Unterschied von Klasse u n d Schichtung vgl. M. Teschner, A r t . Klasse, i n : Ev. Staatslexikon, a.a.O., Sp. 1063 ff.

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

essen und den darin mitbegründeten Bezugsgruppen verbunden, von sozialen Differenzierungen und Ungleichheiten abhängig sind 11 . Der individuelle Handlungsbezugsrahmen ist so i n Fakten des zwischenmenschlichen sozio-kulturellen Milieus verankert, dieses selbst aber wiederum ist von den Sozialstrukturen, ihren Veränderungen und den Verständnissen und Mißverständnissen bei ihrer Deutung bestimmt 1 2 . Eine A n t w o r t auf die Frage nach Bedingungen der Normzielsetzungsentscheidungen hat von diesen Unterschieden auszugehen und vor allem die Untersuchungsergebnisse der Soziologie zu zwei Problemen zu berücksichtigen: einmal die Arbeiten über abweichendes Verhalten und gegebene oder mögliche soziale Konflikte, zum anderen die Untersuchungen über sozialen Wandel; denn Normzielsetzungsentscheidungen können selbst als abweichendes Verhalten gegenüber einer gegebenen normativen Ordnung oder als Reaktion auf abweichendes Verhalten und als Versuch zur formellen Erledigung sozialer Konflikte verstanden werden 13 . Abweichendes Verhalten ist nach Merton 1 4 i n der Differenz zwischen (kulturellen) Zielen und den i n Normen umschriebenen M i t t e l n zur Erreichung dieser Ziele einerseits und der tatsächlichen Verteilung von Mitteln und Handlungsmöglichkeiten (institutionalisierten Mitteln) andererseits begründet. Es beruht damit auf unterschiedlicher sozialer Privilegierung und sozialer Schichtung 15 . Die soziale Schichtung ist i n der Sozialstruktur einer Gesellschaft, ihren Formen der Arbeitsteilung und der Verteilung von Macht und Herrschaft als Kriterien gesamtgesellschaftlicher Statuszuweisung begründet. Die Bedeutung des Privateigentums für die soziale Schichtung ist von der Ordnung des gesellschaftlichen Gesamtsystems abhängig. Soziale Schichtung gibt es auch i n Gesellschaften, i n welchen dem Privateigentum keine große Bedeutung zukommt 1 6 , andererseits hat das Privateigentum und die damit verbundene Verfügungsmöglichkeit i n Gesellschaften, für welche Privateigent u m auszeichnendes Merkmal ist, für die Zuordnung zu sozialen Schichten große Bedeutung. Abweichendes Verhalten, sei es durch Uberprivi11 Vgl. etwa R. H. Hymann, The Values Systems of Different Classes, S. 425 ff.; W. G. Runciman , Relative Deprivation and Social Justice, 2. Aufl., London 1967, S. 9 ff. 12 Vgl. C. W . Mills , K r i t i k der soziologischen Denkweise, a.a.O., S. 211 ff. 13 Beispielhaft sei auf die jüngste Geschichte der studentischen Unruhen u n d die — auch gesetzgeberischen — Reaktionen ihnen gegenüber hingewiesen. 14 R. K. Merton , a.a.O., S. 131 ff. 15 Z u r Begriffsdifferenz v o n sozialer Schichtung u n d sozialer Ungleichheit sowie zur E n t w i c k l u n g der Lehre vgl. R. Dahrendorf, Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, Tübingen 1966, S. 8 ff. Vgl. R. Dahrendorf, a.a.O., S. 15, welcher allerdings die systembezogene Bedeutung des Eigentums f ü r die soziale Schichtung übersieht.

§ 15 Bedingungen der Normzielsetzung

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legierung oder Unterprivilegierung veranlaßt, erweitert sich, wie Merton zeigt, bis zur Ablehnung der Ziele und/oder zugeteilten Mittel zur Realisierung vorgegebener Verhaltensziele und dem Bestreben ihrer Ersetzung durch andere. Dies kann wiederum zur Reaktion führen m i t tels erweiterten sozialen Druckes oder normierten Zwanges abweichendes Verhalten zu verhindern. I n jedem Fall ist das abweichende Verhalten für andere ein Aspekt ihrer eigenen Handlungssituation und kann seinerseits zu sozialen Konflikten führen 17 . Soziale Konflikte 1 8 sind somit selbst i n sozialen Rangunterschieden, Unterschieden i n den Entfaltungschancen, i n sozialen Schichtungen, Ungleichheiten i n Prestige, Bildung, Einkommen, Eigentum, i n der Verteilung der Machtpositionen begründet 19 . Diese Fakten — welche ihrerseits normativ stabilisiert sein können — sind gleichzeitig Elemente der Herrschaftsstruktur i n einer Gesellschaft, allen Herrschaftsverhältnissen — auch staatlichen — immanent. Positionsträger m i t gemeinsamen Anliegen, Interessen und Bedürfnissen 20 , und das bedeutet wiederum m i t Gemeinsamkeiten i n der positiven oder negativen Privilegierung, bilden dabei i n Konfliktsituationen Verbindungen aus, welche sich zu faktischen Gruppierungen verfestigen können — ein Phänomen, welches bei den Bedingungen für die Rechtsnormqualität von Verhaltensordnungen wieder aufzugreifen ist und sich dort mit der Frage nach der Organisierbarkeit von Interessen verbindet. Solche Gruppierungen tendieren ihrerseits zur Produktion von Normen, um abweichenes Verhalten zu sanktionieren und damit je nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht Herrschaft zu stabilisieren oder zu verändern. Normen sind selbst so — wie Dahrendorf zeigt — eine, allerdings nur mittelbare, Bedingung der Ungleichheit 21 . Die Rechtsordnung erweist sich i n einer Gesellschaft mit unterschiedlichen Privilegierungen ihrer Funktion nach unter anderem als Legitimierung von Herrschaft. Abweichendes Verhalten und soziale Konflikte sind neben kleinformatigem Wandel und gruppendynamischen Entwicklungen auch Elemente des sozialen Wandels 22 . Häufig beruht dieser auf Bestrebungen zur Reali17 Vgl. hierzu A. K. Cohen, Abweichung u n d Kontrolle, München 1968, S. 193 ff. 18 R. Dahrendorf, Elemente einer Theorie des sozialen Konfliktes, i n ders., Gesellschaft u n d Freiheit, a.a.O., S. 197 ff. (S. 213 ff.). Vgl. auch L. A . Coser, The Functions of Social Conflict, 2. Aufl. London 1965 u n d T. ff. Marshall, Class Citizenship and Social Development, New Y o r k 1965, S. 180 ff. sowie D. Senghaas, K o n f l i k t u n d Konfliktforschung, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1969, S. 31 ff. 19 Vgl. zum Stand der Diskussion die Beiträge i n dem Sammelband Klassenbildung u n d soziale Schichtung, herausgegeben von B. Seidel, S. Jenkner, Darmstadt 1968. 20 Vgl. W. Hirsch-Weber, P o l i t i k als Interessenkonflikt, Man. 1967, S. 83 ff. 21 R. Dahrendorf, a.a.O., S. 26 ff. 22 Vgl. hierzu allgemein die Beiträge i n den Sammelbänden Sozialer W a n del, hrsg. von ff. P. Dreitzel, Neuwied 1967 u n d Theorie des sozialen Wandels,

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

sierung — mittelbarer — ökonomischer Anliegen und Interessen, welche von unmittelbaren religiösen oder ideologischen Bindungen abhängen können 23 . III. Jede Normzielsetzungsentscheidung ist daneben von Informationen, der Aufnahmebereitschaft des Normenautors hierfür und den Formen ihrer Vermittlung abhängig 24 . Es ist dabei nicht nur an technologische Informationen zu denken, sondern auch an Informationen über effektive Verhaltensweisen und ihnen zugrunde liegende Anliegen und Interessen, über zu erwartende Reaktionen auf Verhaltensweisen und -regelungen und an Interpretationen der Relation zwischen verschiedenen Zielvorstellungen, der ihnen zugrunde liegenden i m logischen Sinne letzten Ziele (Grundanliegen) 25 .

§ 16

Bedingungen der Normstatuierung

I. Die Bedingungen der Normzielrealisierung und damit die Anforderungen an den Inhalt einer konkreten Rechtsnorm sind an A r t , Rangstelle und Komplexität, Spezialität oder Systemhaftigkeit eines Normierungszieles gebunden. Bedingungen für die Realisierung eines Normzieles sind — wie bereits kurz dargelegt — allgemein gesagt: die eine Ausgangssituation So kennzeichnenden Handlungsrelationen, ihnen zugrunde liegende oder ihnen wirksame Anliegen, Interessen und Bedürfnisse sowie sonstige Faktoren der Verhaltensorientierung, die bestehenden technologischen Gesetzmäßigkeiten, die Ausgangssituation bestimmende soziale Strukturen — Schichtungen, Organisationen, Institutionen, Rollenstrukturen und Rollenverteilungen — und Prozeßabläufe. Hieraus ergibt sich die Differenz zur Zielsituation Si und damit i m einfachsten Modellfall die zur Transformation von So i n Si erforderliche Leistung (von welcher wiederum Anfordernisse an die Effektivierung einer Rechtsnorm abhängen). Handlungen, die zur Situation So gehören oder i n ihr angelegt sind, werden von einer ihr zukommenden anderen sozialen Funktion durch eine solche rein modellhafte Normsetzung abgeschnitten — entsprechendes gilt von Anliegen, die zur Situation So hrsg. von W. Zapf, 2. Aufl. K ö l n u n d B e r l i n 1970 sowie W. E. Moore, S t r u k t u r wandel der Gesellschaft, München 1967, S. 81 ff., 119 f. u n d R. König, a.a.O., S. 290 ff. 23 Vgl. M . Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 5. Aufl. Tübingen 1963, A. Müller-Armack, Religion u n d Wirtschaft, Stuttgart 1959. 24 Vgl. G. Gäfgen, Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, Tübingen 1963, S. 126 ff.; Vgl. E. Mittenecker, Motivationen u n d Informationen i n H.d.Ps. Bd. 2, a.a.O., S. 837 ff. 25 G. Weisser bezeichnet dies als „Geschäft der Interpretation", Lasswell spricht von der „ V e r m i t t l u n g ideologischer Informationen". H. Lasswell, Polit i k u n d Moral, Stuttgart u. Düsseldorf, 1957, S. 139 ff.

§ 16 Bedingungen der Normstatuierung

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geführt haben oder i n ihr wirksam werden (Interdependenz einer Handlung oder eines Anliegens i m System). Was als Ausgangssituation aufgefaßt wird, ist realiter ein aus zahlreichen Bestandteilen zusammengesetzter Komplex, i n dem jeder Bestandteil i n Interdependenz zu anderen Situationen steht, so daß die Ausgangssituation So einen mehr oder minder willkürlichen Ausschnitt aus dem „Zustand" des sozialen Lebens insgesamt darstellt und der Eingriff i n So diese Bestandteile selbst und ihre verschiedenen Interdependenzen i n verschiedener Weise erfaßt. Wenn dergleichen als „Neben"-Wirkung bezeichnet und abgetan wird, so w i r d damit bereits eine Wertung und Entscheidung getroffen zugunsten ihrer Vernachlässigung. Auch die angeordneten Transformationsleistungen — bestehend i m Einsatz sächlicher Mittel oder persönlicher Fähigkeiten — stehen potentiell i n anderweitigen Interdependenzen. Der Eingriff i n die Situation So zur Transformierung i n Si ist also immer auch ein Eingriff i n mögliche Situationen S x , S Y usw., hat auch hier „Neben"-Wirkungen; ebensowenig ist schließlich die intendierte Situation Si eine nicht-komplexe und nichtinterdependente, d. h. eine isolierte Situation. Der Stellenwert einzelner Normierungsziele und der zu ihrer Realisierung gebotenen Mittel i m Verhältnis zu jenen anderer Gesetze w i r d i n der Gesetzgebung häufig nicht genügend reflektiert, die Kompatibilität verschiedener Gesetze nach den ihnen zugrunde liegenden Anliegen ist damit oft nicht gewährleistet, solche Regelungen führen zu verdeckten Widersprüchen. Beispielhaft sei auf das Verhältnis zwischen arbeitsrechtlichen Bestimmungen und den Zielen der sozialen Sicherung und Entfaltungsfreiheit oder zwischen wirtschaftlicher Freiheit und Konzentration hingewiesen. Interdependenzen als Bedingung der Normstatuierung werden an der „Systemhaftigkeit", den Interaktionsformen und der Mobilität einer Gesellschaft augenfällig. Die Transformation einer Situation So i n eine Situation Si bedeutet i n der Regel oft nichts anderes als eine Mobilisierung (bzw. Stabilisierung oder Steuerung von sozialen Prozessen) soziaer Gruppen oder einer Gesellschaft insgesamt. Aspekte für die Mobilität einer sozialen Gruppe oder einer Gesellschaft „westlichen" Zuschnitts sind die Form des verhaltenswirksamen sozialen Milieus und sozialer Herrschaft, die Wirksamkeit einer Rechtsordnung, von Sozialnormen, Werthaltungen und Ideologien, von Bildung sowie systembestimmende Formen von bürokratischer Organisation, die Wirtschafts- und Unternehmensstruktur, die Verteilung von Besitz und Eigentum und die Verfügbarkeit über Mittel zur Bedürfnisbefriedigung 26 . Die Bindung an das 26 Vgl. hierzu m i t weiteren Nachweisen K. M. Bolte, Mobilität, S. 224 ff., S. N. Lipset und R. Bendix, Social M o b i l i t y i n Industrial Society, 4. Aufl. Berkeley 1963.

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

Eigentum i m Verlangen nach dessen Sicherung oder Erwerb schafft dabei Abhängigkeit von jenen sozialen Gruppierungen, welche eine Eigentumssicherung als ihr Ziel haben — auch wenn eine Übereinstimmung i m übrigen, insbesondere hinsichtlich der Eigentumsverteilung nicht besteht; beispielsweise führt der Erwerb von Grundeigentum zur begrenzten Immobilität i n der Arbeitsplatzwahl. Bekannt ist die Interdependenz der Wirtschaft zwischen Bedarfs- und Bedürfnisproduktion, zwischen Wettbewerb, Unternehmenskonzentration und Wirtschaftsstruktur und die sich daraus ergebenden Anfordernisse an die Steuerung der w i r t schaftlichen Prozesse nach sog. technologischen Prinzipien, welche unter Akzeptierung des Gesamtsystems zu optimalen, der Herrschaftsform und ihren Grundanliegen entsprechenden Entscheidungen tendieren 27 . Ausdifferenzierte, aber systembestimmende Leistungsinstitutionen sind die bürokratischen Organisationen, wozu die staatliche Verwaltung und der Rechtsgestaltungsapparat selbst gehören. Als Anlaß für das Wachstum der Bürokratie führt Teschner vor allem die quantitative und qualitative Erweiterung der Verwaltungsaufgaben an, wobei er neben dem Staat auf die Massenparteien, die industriellen Großunternehmen und die Gewerkschaften verweist 2 8 . Ein enger Zusammenhang besteht — wie bereits Max Weber zeigte — zwischen der Bürokratie und dem Kapitalismus, da die rationale Kalkulation ökonomischer Risiken berechenbare Prozeßabläufe erfordern. Ebenso ist ein demokratisches Regierungssystem m i t seinen häufigen Regierungswechseln i n der Industriegesellschaft auf eine gut ausgebildete, kontinuierlich arbeitende Bürokratie angewiesen, welche ihrerseits i n der damit verbundenen Verselbständigung eine egalisierende Wirkung haben kann. Die Technisierung und Spezialisierung innerhalb der bürokratischen Leistungspositionen einerseits, die Bindung an spezielle Eingangserfordernisse und die Privilegierung des Beamtentums andererseits führen zu einer Immobilität zwischen bürokratischen Organisationen und den übrigen gesellschaftlichen Leistungsträgern. Interdependenzen sind also jeweils systemimmanente, selbstproduzierte 29 . Sie werden nicht nur durch die Summe der Rechtsnormen vermittelt, sondern durch faktische Systemhaftigkeiten des sozialen Lebens i n einer Gesellschaft. Gesetzgebung geschieht allerdings häufig — wohl auf Grund unzureichender Informationen — i n der Unterstellung einer Independenz einzelner gesetzgeberischer Gestaltungsakte, soweit nicht ex pressis verbis andere Gesetze durch ein neues Gesetz betroffen sind. Eine ungenügende Beachtung der faktischen Interdependenz oder der 27 Vgl. hierzu allgemein J. K . Galbraith, Industriegesellschaft, München u n d Zürich 1968. 28 Vgl. M. Teschner, A r t . Bürokratie i n Ev. Staatslexikon, a.a.O., Sp. 196 f. 29 Vgl. M. Drath, A r t . Staat, a.a.O., Sp. 2114 ff.

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Effektivität bestehender sozialer Systemhaftigkeit, wie etwa des i n der Bundesrepublik praktizierten Wirtschaftssystems, lassen gesetzgeberische Gestaltungsakte „auflaufen", verwiesen sei etwa auf Wirtschaftssteuerungsgesetze und Wirtschaftsförderungsmaßnahmen; dieses Problem w i r d bei der Analyse von Bedingungen der Effektivität von Rechtsnormen wieder aufzugreifen sein. II. Fakten als Bedingungen der Normzielrealisierung haben — wie erwähnt — stets einen relative Stellenwert. Faktisches steht bereits jeweils i n einem sozialen Sinnbezug, verstanden als die zu einer gegebenen Zeit und an einem gegebenen Ort Fakten zugemessene Bedeutung. Schmidt spricht i n diesem Zusammenhang i m Anschluß an Marx von der gesellschaftlichen Vermittlung der Natur und der naturhaften Vermittlung der Gesellschaft 30 . Es ist deshalb auch nur möglich, von mittelbar determinierenden Konstanten menschlichen Verhaltens i m Sinne der Kulturanthropologie zu sprechen. Zwar lassen sich als Konstanten abstrahieren: das Bedürfnis nach Nahrung, Obdach und Schutz vor den Einwirkungen der äußeren Natur; irgendeine Form der ökologischen Lebensgestaltung und Arbeit, des Bedürfnisses nach geschlechtlicher Ergänzung und irgendeiner Institutionalisierung des männlichen und weiblichen Rollenverhaltens, verbunden m i t der Hilflosigkeit des menschlichen Kleinkindes; das Bedürfnis nach Gegenseitigkeit, sozialen Interaktionsprozessen, Symboldenken und künstlerischer Ausdrucksgebung; die Entwicklung von Ordnungsvorstellungen für das menschliche Zusammenleben, verbunden mit einer impliziten Wertung über Gut und Böse, Schicklich und Unschicklich usw. 31 . Aber damit ist nicht viel gewonnen, die Kulturgegebenheiten selbst sind variabel und es lassen sich daraus keine konstanten Aussagen über ein Wesen des Menschen oder gar die Würde des Menschen ableiten, welche als „Natur der Sache" oder „sachlogische Strukturen" verbindlich feststellbar sind 32 und unmittelbar Inhalt einer konkreten Rechtsnorm als Formulierung zulässiger Verhaltensweisen zu sein haben. „Menschen verstehen sich je i n ihrer Gesellschaft und i n ihrer geschichtlichen Lage auf eine andere Weise; und wenn es so ist, daß sie i n diesem Sinnverständnis ihre Wesen erst feststellen, dann hat der Mensch viele Wesen 33 ." Kulturanthropologische Wesensbestimmungen sind deshalb 30 A. Schmidt, Der Begriff der N a t u r i n der Lehre von M a r x , Frankfurt/M. 1962, S. 51 ff. 31 Vgl. m i t weiteren Nachweisen W. E. Mühlmann, Umrisse u n d Probleme einer Kulturanthropologie, S. 19 f. 32 So W. Maihofer, Die Würde des Menschen, Hannover 1967, S. 73 f.; ff. Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 164 ff.; H. Welzel, Naturrecht u n d materiale Gerechtigkeit, a.a.O., S. 243, R. Marcie , Die Öffentlichkeit als Prinzip der Demokratie, S. 268 ff. 33 J. Habermas, Anthropologie, S. 19.

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

schon relativ, weil die Anthropologen selbst Menschen sind und das Wesen der Menschen letztlich i n der Deutung ihres eigenen, ihnen gesellschaftlich vermittelten Wesens festlegen 34 . Der Mensch erfindet immer erst den Menschen i n seiner Weltbildkonstruktion. Es ist deshalb auch eine Entscheidung des Normenautors, welchen Bedingungsgehalt er dem hic et nunc vorherrschenden B i l d vom Menschen i n der Statuierung der sozialen Ordnung beimessen w i l l . Die von einem solchen „ B i l d " ausgehende verhaltensmotivierende K r a f t ist aber selbst wieder eine beachtliche Bedingung einer Normsetzung und ihrer Effektivierung. Versuche, einen abgeschlossenen Katalog von „Realien der Gesetzgebung" aufzuzählen 35 , sind zum Scheitern verurteilt. Realien einer Gesetzgebung können jeweils nur die Sachverhalte sein, auf welche sich eine konkrete Gesetzgebung bezieht, und welche von den Ordnungszielen dieser Gesetzgebung her ihre spezifische Bedeutung als Bedingungen der Normstatuierung erhalten 38 .

§ 17

Bedingungen der Effektivität von Rechtsnormen

Das Problem der Effektivität von Rechtsnormen ist stets — auch für die dogmatische Jurisprudenz — ein Problem der Fakten. Jede Rechtsnormsetzung ist auf eine ihr vorgegebene, mehr oder minder umfassende gruppenspezifische oder gesamtgesellschaftliche Verhaltensordnung gerichtet. Die Bedingungen dieser Verhaltensordnungen sind gleichzeitig Bedingungen für die Effektivität von Rechtsnormsetzungen und ihrer Verstärkung, Modifikation oder Schwächung. Von hier aus 34

Vgl. J. Habermas, a.a.O., S. 19. Vgl. hierzu R. Stammler, Wirtschaft u n d Recht, Leipzig 1896, S. 229 ff., E. Ehrlich, Grundlagen der Soziologie des Rechts, a.a.O., S. 31 ff., S. 67 ff., E. Huber, Recht u n d Rechtsverwirklichung, a.a.O., S. 288 ff., S. 213 ff.; W. Goldschmidt, Der A u f b a u der juristischen Welt, a.a.O., S. 41 f., E. Techner, Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 87 ff., S. 130 ff. 38 So auch H. Huber, Das Recht i m technischen Zeitalter, Bern 1960, S. 8 f. — Einen beschränkten Aussagewert hat der Versuch Karrenbergs, sog. Eigengesetzlichkeiten als Vorgegebenheiten einer Gesetzgebung aufzuzeigen. Er unterscheidet zwischen echten Naturgesetzen, geschichtlichen Gesetzen u n d Gesetzen, die i n der N a t u r des Menschen begründet sind (S. 119), N a t u r gesetze sind die Lage des Landes, Bodenbeschaffenheit, die Bodenqualität, das K l i m a ; geschichtliche Gesetze, daß sich so w e n i g wie eine Rechtsordnung eine Wirtschaftsordnung beliebig variieren läßt (S. 123) ; zu den Gesetzmäßigkeiten, die i n der N a t u r des Menschen begründet sind, gehört bspw., daß dem Menschen i m Blick auf das, was er ohne Widerstand zu tragen und zu ertragen gewillt ist, Grenzen gesetzt sind, u n d daß es andernfalls zu Friktionen u n d Störungen führt, die sich aus dem Wesen des Menschen ergeben, bspw. Reibungsverluste an Energie, an Freudigkeit, w e n n eine Forderung überspannt w i r d (Steuerhöhe—Steuerhinterziehung, Versorgungsstand—Schwarzmarkt, Preisvorschriften—Produktion) (F. Karrenberg, Gestalt u n d K r i t i k des Westens, Stuttgart 1959). 35

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und von entgegenstehenden Interessen aus war deshalb auch stets die Frage nach den Bedingungen der Effektivität gesetzter Normen gestellt. Bei der Analyse der Bedingungen der Effektivität empfiehlt es sich unserer Ansicht nach zu unterscheiden: a) Psychologische und soziologische Faktoren, d. h. aa) jene Bedingungen, welche als Faktoren der Verhaltensorientierung und -bestimmung i n einer Gruppe oder Gesellschaft w i r k sam sind, wie Anliegen, Interessen und Bedürfnisse, soziale Gruppierungen und Schichtungen, Informations- und Kommunikationswege und vor allem der weite Bereich der gruppenspezifischen oder gesamtgesellschaftlichen „Sozialnormen"; bb) jene Bedingungen, welchen die Vermittlung der Effektivität von Normen unterliegt, wie Lernprozesse, Informations- und Kommunikationsprozesse, Formen sozialen Druckes und sozialen Zwanges. b) Bedingungen, welche sich aus der Struktur des Rechtsgestaltungsapparates, der Gerichte und Verwaltungsbehörden und der Verhaltensorientierung ihrer Mitglieder ergeben. I. Psychologische und soziologische Faktoren la) Auszugehen ist bei der Darstellung der psychologischen Aspekte von den Motivationsformen, welche i n Verhaltensweisen leitenden Anliegen, Interessen und Bedürfnissen wirksam werden. Motivkomplexe können durch Gewöhnung, Lernen und Automatisierung entstehen, als Ergebnisse des Sozialisierungsprozesses können sie i n Überlieferung, Vernunftüberlegung und Gefühlsantrieben beruhen. Die Motivation ist nach den Untersuchungen von Thomae als Bewegungsursache, als Aspekt (Folge) von Zustandsänderungen des Organismus, als Richtungsdeterminante, als Inbegriff verständlicher Zusammenhänge und als Entscheidungsgrund i m Wählen zu begreifen 37 . Formen des Motivationsgeschehens 38 sind — wie erwähnt — Triebe, Gefühle, Gesinnungen, Einstellungen und Bereitschaften, Bedürfnisse, Interessen und Anliegen. Die W i r k samkeit der Motivation liegt i n einer Richtungsbestimmung, „EnergieAuslösung" und sie begleitenden Verhaltensweisen. Eine energetisierende Wirkung übt die Motivation ζ. B. auf das Lernen, die Wahrnehmung und die Stabilisierung gelernten Verhaltens aus 39 . Motivation 37

H. Thomae, Die Bedeutungen des Motivationsbegriffes, S. 3 ff., S. 19 ff. S. Rubinstein, Die Interessen, S. 137; vgl. auch H. Thomae, Vorbemerkung S. 93 ff., i n : H. Thomae (Hrsg.), Die Motivation menschlichen Handelns, K ö l n u n d B e r l i n 1965, Ph. Lersch, A u f b a u der Person, 8. Aufl., München 1962, S. 123 ff., C. N. Cofer u n d M. ff. Appley, Motivation, a.a.O., S. 107 ff. u n d S. 204 ff. 39 Vgl. H. Thomae, Z u r allgemeinen Charakteristik des Motivationsgeschehens, S. 64 ff. 38

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Grimmer

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

als Richtungsbestimmung von Verhaltensweisen äußert sich als Zielorientierung i n der Ausführung jener Verhaltensweisen, welche die aufgesuchte Zustandsänderung oder den erstrebten Endzustand erreichbar erscheinen lassen, damit aber auch i n einer Norm- und Wertorientierung, die jene Verhaltensweisen regelmäßig wählen läßt, welche — unter Umständen internalisierten — gesamtgesellschaftlichen oder gruppenspezifischen Normen, Standards und Auswahlkriterien für das Verhalten i n einer Situation entsprechen 40 . Die Erfahrung alternativer Verhaltensmöglichkeiten wie auch eine kritische Umweltorientierung sind damit abhängig von der Lernbereitschaft und vom Erfahrungsaufbau i n der praktischen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit 4 1 , vom Wahrnehmungsvermögen 42 , vom Bewußtsein und der Bewußtheit 4 3 ; sie werden geprägt von den Lernprozessen, den vermittelten Lerninhalten und der Informationsverarbeitung. Lernvorgänge werden sowohl vom Handlungserfolg (Belohnung oder Bestrafung) als auch von der Kontinuität von Situationskomponenten bestimmt 4 4 ; menschliches Lernen selbst ist nach Eyferth weitgehend durch soziale Befriedigung motiviert, die Selektion des Lernmaterials w i r d jederzeit von vorgefaßten Meinungen und Vorurteilen beeinflußt 45 . Der Prozeß des Lernens selbst geschieht durch sozialen Druck als eine Form der Kommunikation derjenigen, die ein Verhalten lehren, m i t jenen, die es lernen 48 , wobei der tatsächlichen Übung mehr Bedeutung zukommt als wertenden Äußerungen. Die Motivationskraft der Belehrung wächst, wenn die Belehrung von sog. „Vorbildern" oder den Inhabern von i n einer Gesellschaft oder Gruppe hochbewerteten Posi40 Vgl. Th. N. Newcomb, R. H. Turner, Ph. E. Converse , Social Psychology, a.a.O., S. 21 f., R. Bergius, Psychologie des Zukunftserlebens, München 1957, S. 231, F. Heider, The Psychology of Interpersonal Relations, 4. Aufl., New Y o r k 1965, S. 218 ff.; M. Sherif u n d C. W. Sherif, A n Outline of Social Psychology, New Y o r k usw. 1956 S. 388 ff., G. W. Allport, Persönlichkeit, 2. Aufl. Meisenheim a. Gl. 1959, S. 190 ff. 41 Vgl. A. Gehlen, Anthropologische Forschung, Hamburg 1961, S. 35 f. 42 Vgl. hierzu i n H.d.Ps. Bd. 1/1, Göttingen 1966, die Beiträge von N. Bischoff, W. D. Keidel , I. Kohler, G. Johannson, A. Michotte, W. Witte u n d C. F. Graumann. 43 Vgl. C. F. Graumann, Bewußtsein u n d Bewußtsein, S. 79 ff. 44 Vgl. K. Eyferth, Lernen als Anpassung des Organismus durch bedingte Reaktionen, S. 99 ff. u n d ders., Das Lernen von Haltungen, Bedürfnissen u n d sozialen Verhaltensweisen, S. 347 ff. (351,358). 45 Vgl. zum psychologischen Selektionsproblem M . Sherif u n d C. W. Sherif, A n Outline of Social Psychology, a.a.O., S. 77 ff., S. 86 ff.: Z u m Problem der Vorurteile K . Eyferth, Das Lernen von Haltungen, Bedürfnissen u n d sozialen Verhaltensweisen, a.a.O., S. 361 f. Soziologische Exkurse, hrsg. von Th. W. Adorno u n d W. Dirks, 3. Aufl., F r a n k f u r t / M . 1967, S. 151 ff., A . Mitscherlich, A u f dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft, a.a.O., S. 292 ff. 46 T. Segerstedt, Bemerkungen zur soziologischen Theorienbildung, i n : K.Z.f.S.u.Sp., 1967, S. 196 f., S. 429 ff., A. Mitscherlich, a.a.O., S. 209 ff.

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tionen ausgeht 47 . Voraussetzung für das Lernen ist die Fähigkeit zur Information, zur Identifizierung, der Spracherwerb und die willkürliche Erlernung intellektueller und genetisch-motorischer Funktionen, u m Wahlakte und Rollenspezifizierungen zu aktualisieren, welche die A n triebe der eigenen Bedürfnisstruktur mit den angenommenen oder vorgetragenen Erfordernissen der Gesellschaft oder der (Klein-) Gruppe nach Möglichkeit i n Einklang bringen 48 . Die Lernprozesse und Lerninhalte selbst sind damit abhängig von der K u l t u r f o r m einer Gruppe oder Gesellschaft, welche sie vermitteln und eine gruppen- oder systemspezifische Konformität i m Wechselspiel von Anpassung und Einsicht 49 intendieren. lb) Besondere Bedeutung kommt dabei der Sprache selbst zu 50 . Sprachliche Implikationen haben einen unterschiedlichen Wahrheitsgehalt 51 . Das K i n d wächst i n die Alltagssprache hinein und erhält m i t der Bezeichnung der Dinge auch einen bestimmten Gefühlston für das Verhältnis zu den Dingen und eine Anweisung, wie „man" sich zu den Dingen verhält 5 2 . Die Vermittlung eines Wertgehaltes m i t der Sprache erleichtert die Kommunikation i n der Alltagswelt 5 3 , gibt dieser damit eine spezielle gesellschaftsintegrierende Bedeutung 54 . Die Gegenstände werden so nicht als neutrale Dinge, sondern als wert- und unwertbehaftet eingeschätzt und m i t den Symbolen der Sprache bezeichnet 55 . Die Alltagssprache als Medium der sozialen Kommunikation enthält so i n ihrer Verschmelzung mit der sozialen Lebensform „gewissermaßen eine gebrauchsfertige Gesamtorientierung, i n der deskriptive und praeskriptive Elemente miteinander verschmolzen sind" 5 6 . Vor allem durch die Sprache w i r d eine scheinbare Sinnimmanenz des sozialen Seins vermittelt. Dieser Sinngehalt ist Bedingung für jede Normsetzung, wenn 47 Vgl. M. u n d C. W. Sherif, a.a.O., S. 328, S. 260; Th. M. Newcomb u.a., Social Psychology, a.a.O., S. 225. 48 So Th. Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozialindividualen Integration, S. 35 ff. (S. 41), A. Malewski, Verhalten u n d I n t e r a k tion, Tübingen 1967, S. 72 ff., S. 102 ff. 49 Vgl. A. Mitscherlich, a.a.O., S. 23 ff. 50 E. Topitsch, Phylogenetische u n d emotionale Grundlagen menschlicher Weltauffassung, S. 65. 51 Beispielsweise: „das Gras bewegt sich i m W i n d " u n d „der M a n n arbeitet i m Haus", vgl. E. Sapir , Die Sprache, S. 108 ff. 52 Vgl. A. Gehlen, Urmensch u n d Spätkultur, 2. Aufl., F r a n k f u r t u n d Bonn 1964, S. 43. 53 Vgl. Ph. Lersch, Der Mensch als soziales Wesen, München 1964, S. 58 ff. 54 Vgl. A. Schaff, Sprache u n d Erkenntnis, Wien 1964, S. 180 ff. 55 Vgl. M. Drath, Grundgesetz u n d pluralistische Gesellschaft, S. 94 f., E. Topitsch, Konventionalismus u n d Wertproblem i n den Sozialwissenschaften, S. 107 ff., ders., Sprachlogische Probleme der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, S. 19. 56 H. Albert, Wertfreiheit als methodisches Prinzip, S. 182, vgl. ders., Politische Ökonomie u n d rationale Politik, S. 59 u n d Ch. Morris, Signs, L a n guage and Behavior, New Y o r k 1955, S. 32 ff.

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ihr Aktgehalt auch selbst auf ein Fortschreiben des gegebenen Sinnes, auf eine Sinngebung und neue Wertung abzielt 57 . Die Motivationskraft der Sprache reicht bekanntlich bis zur Stimulation affektbezogener Verhaltensweisen, i n welcher Form sie zu politischer und religiöser Propaganda 58 oder Verkündigung benutzt wird. Die Möglichkeiten der Beschreibung und der Motivation durch sprachliche Symbole nutzt auch jede Gesetzessprache. Die Schwierigkeiten einer Trennung zwischen verständlicher Alltagssprache und klarer wissenschaftlicher Sprache sind hier besonders deutlich. Die Aufgabe der Gesetzessprache ist es nicht nur, die Wirklichkeit zu beschreiben, sondern Wirklichkeit zu schaffen 59. U m Wirklichkeit schaffen zu können, muß sich die Gesetzessprache der Motivationskraft der Alltagssprache m i t den darin eingebundenen normativen Gehalten bedienen; damit verliert sie aber oft die für sprachlogische Schlußformen notwendige Klarheit, w i r d der Auslegung preisgegeben und ist dann wiederum für Wandlungen und Anpassungen der Verhaltensregeln durch die Anwender der Gesetze offen. Der Bedeutungsgehalt eines Wortes selbst unterliegt Veränderungen. Bei der Gesetzesanwendung können analytisch unterschieden werden: der Bedeutungsgehalt eines Wortes bei Erlaß eines Gesetzes, der Bedeutungsgehalt eines Wortes wie er erst einmal vom Richter oder Verwaltungsbeamten gelernt wurde und schließlich wie er sich zur Zeit der Gesetzesanwendung darstellt; auch durch einen solchen Bedeutungswandel eines Wortes vollzieht sich eine indirekte Anpassung eines Gesetzes i n seiner Eff ektivierung. lc) Der be wußten Informationsaufnahme und -Verarbeitung i m Lernprozeß parallel verläuft ein Prozeß ständigen Einflusses von „Informations-Motivationen" auf die Meinungsbildung 60 , das gilt für alle Kommunikationsprozesse der verschiedensten A r t , speziell die Benutzung von hierfür ausgebildeten Kommunikationsmitteln 6 1 . Die Verbreitung von Informationen, vor allem durch die sog. Massenkommunikationsmittel ist oft gekennzeichnet durch eine Vermengung von Tatsachenaussagen m i t Aussagen normativen Gehalts; es kommt zu Informationen m i t Suggestivkraft, welche Form der Informationsverbreitung vielfach der Aus57

Vgl. hierzu K . Larenz, Originäre Rechtssachverhalte, S. 136, S. 139. Vgl. hierzu M . Schütte, Politische Werbung u n d totalitäre Porpaganda, Düsseldorf u n d Wien 1968. 59 Vgl. K. Olivecrona, Legal-Language and Reality, S. 151 u n d U. Krüger, Der Adressat des Rechtsgesetzes, B e r l i n 1969, S. 68 ff., W. Kutschinsky, Law and Education, S. 21 ff. 80 Die Ergebnisse der empirischen Sozialforschung, der Meinungsumfragen, welche Aufschluß über das angeblich „Normale" geben, haben besonders Gewicht i n der Erzeugung von Anpassungs- oder Protesthaltungen, vgl. Ε. K . Scheuch, Sozialer Wandel u n d Sozialforschung, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1965, S. 1 ff. 61 Vgl. ff. D. Lasswell, The Structure and Function of Communication i n Society, S. 178 ff. 58

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bildung einer öffentlichen Meinung zugrunde liegen. Die Allgemeinheit der öffentlichen Meinung beruht unter anderem auf einer Gleichheit gegebener Informationen 62 , wobei „vorgeprägte Formeln, Schlagworte und stereotype Urteile i n der öffentlichen Meinungsbildung bereitwillig aufgenommen werden, da der Mensch Unsicherheitserlebnisse vermeiden w i l l 6 3 . Die öffentliche Meinung kann dabei — worauf Habermas hinweist 0 4 — als kritische Instanz gegenüber dem Vollzug politischer und sozialer Gewalt oder als Adressat für demonstrativ und manipulativ verbreitete Suggestivinformationen benutzt werden, welche A r t der Meinungsbildung nicht nur zur Konformität, sondern auch zur Rebellion mangels Konformitätsmöglichkeiten führen kann. ld) Unter den Dingen, die der Handelnde i n seiner Umwelt vorfindet, gibt es solche, die für Verhaltensweisen völlig irrelevant und andere, die von gleicher Bedeutung wie die Erscheinungen der „moralischen" Wirklichkeit sind. Der Übergang wandelt sich beständig m i t der technisch-wirtschaftlichen und kulturell-historischen Entwicklung. Auch dinglich-sächliche Erscheinungen können die gleichen Wirkungen haben, „wie die Erscheinungen der moralischen Wirklichkeit: sie wirken normativ ein auf das Verhalten des Handelnden. Sie t u n dies allerdings auch nur i n dem Ausmaß, i n dem sie einen Bestandteil des gesamten kulturellen ,Wertsystems 4 darstellen" 05 . Die Sachverhältnisse selbst können Ergebnis einer normierenden A k t i v i t ä t sein und wirken wie die Verhaltensmuster kultureller Natur als faktische Gewohnheiten, als empirisch-nachweisbare „Verhaltenszwänge" 00 . le) Die Aneignung von Werten und Normen der Gesellschaft erfolgt — psychologisch gesehen — insgesamt durch „Belohnung" normenkonformen Verhaltens (Sanktionierung abweichenden Verhaltens) und i n einem Vorgang der Orientierung i m Kindheitsalter an dem i h m dargestellten Ideal der Ordnung und Regel i n der Vermittlung durch soziale Gruppen und i n der Umweltorientierung. Bemerkungen, wie „das ist nicht fair" oder „das ist nicht recht", die über ein bestimmtes Ereignis abgegeben werden, vermitteln die Kenntnis der Normen, das rechte Verhalten selbst ist Sache der Erschließung 07 . Elemente der sozialen 62

Vgl. Ph. Lerschy Der Mensch als soziales Wesen, München 1965, S. 138. G. Schmölders, Das Irrationale i n der öffentlichen Finanzwirtschaft, Hamburg 1960, S. 35. 64 Vgl. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962, S. 256; U. Scheuner, Meinungsbildung i n der Demokratie, i n : Die Mitarbeit 1965, S. 1 ff. 65 R. König, i n : Einleitung zu E. Durkheim , Regeln der soziologischen Methode, a.a.O., S. 52. ββ Vgl. R. König, Das Recht i m Zusammenhang des sozialen Normensystems, S. 122 f. 67 Vgl. G. C. Homans, Theorie der sozialen Gruppe, 2. Aufl. K ö l n u n d Opladen 1965, S. 273. 63

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

Kontrolle von Verhaltensweisen sind so einmal die Verhaltensregeln selbst, aber auch Aktivitäten (Gefälligkeiten) Gefühle i n Gestalt zwischenmenschlicher Zu- und Abneigungen und solche i n Gestalt sozialer Einschätzungen und Rangeinstufungen von Individuen durch andere Gruppenmitglieder sowie die Interaktion zwischen Gruppenangehörigen 68 . Dem Wissen um „Recht" und „Unrecht" liegt also ursprünglich kein rationales Verhalten zugrunde. Es w i r d i m endothymen Bereich der Persönlichkeit integriert; i m Erwachsenenalter ist es i m Ergebnis eine Auslese unter den Neigungen und Bedürfnissen, „vor allem aber eine gleichsam instinktartig funktionierende Orientierung der Bedürfnisse, Strebungen und Wertungsweisen des Individuums an dem, was als „rechtmäßig empfunden w i r d " 6 9 . Die Orientierung menschlichen Verhaltens an den Normen des Rechts ist weitgehend Ergebnis eines unmerklichen Prozesses der Integration von individueller Verhaltensstruktur und gesellschaftlichen oder kulturellen Ordnungsprinzipien 70 , des Ausgleiches zwischen Ich und Ich-Ideal, von sozialer Anpassung und Einsicht 71 . Die Identifizierung m i t (sozialen) Normen und Werthaltungen sowie ihre Internalisierung i m Lernprozeß führt dazu, daß normgerechtes Verhalten nicht mehr sozial bestimmt empfunden werden muß, daß Gesolltes zum Gewollten wird 7 2 . 2a) Verhalten, dessen Steuerung durch mehr oder minder gesamtgesellschaftliche Rechtsnormen bewirkt werden soll, unterliegt so einem vielfältigen Geflecht von Motivationen und Prägungen. Es fragt sich deshalb, welches sind die sozialen Prozesse, die zur Ausbildung von sozialen Normen und Regelmäßigkeiten und zu ihrer Stabilisierung führen. Nach der soziologischen Handlungstheorie von Parsons ist — entsprechend dem Gesagten — menschliches Verhalten dadurch gekennzeichnet, daß es die Erreichung von „Zielen" anstrebt, Gegenständen 68 Vgl. G. C. Hornaus, a.a.O., S. 277 u n d R. Rommetveit, Social Norms and Roles, Oslo 1953, S. 40, S. 90 ff., S. 149. 69 H. Thomae, Recht u n d seelische Wirklichkeit, S. 57 if. (S. 64). Vgl. auch A. Bandura u n d R. H. Walters, Social Learning and Personality Development, New Y o r k 1965, S. 47 ff., R. P. Hofstätter, Die Entwicklung des Rechtsgefühls i n sozialpsychologischer Sicht, Bad Homburg, Berlin, Zürich 1966, S. 6, ders., Freiheit u n d Geborgenheit, S. 66; W. G. Sumner , Folkways (1906), wieder New Y o r k 1959, S. 2 f. u n d E. Riezler, Das Rechtsgefühl, München 1946. 70 Vgl. H. Heller, Staatslehre, a.a.O., S. 254, H. Thomae, Recht und seelische Wirklichkeit, S. 64; allerdings handelt es sich nicht i m m e r u m einen N o r m gehorsam aus Überzeugung, so E. Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, a.a.O., S. 63. 71 So auch M . Drath, Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, a.a.O., S. 46 ff. 72 Vgl. J. Pahlke, Soziale Normen u n d die Theorie rationalen Verhaltens, S. 285, S. 286, H. Popitz, Soziale Normen, i n : Europ. A r c h i v f. Soziologie, 1961, S. 187.

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oder Ereignissen gegenüber emotionell oder affektiv „reagiert" und die Handlungssituation und sie bewirkende Anliegen und Interessen i n einem gewissen Grade kognitiv kennt oder versteht. — Das Handeln ist grundlegend normativ ausgerichtet. Entscheidende Rolle kommt danach denjenigen Mustern zu, welche die Richtung des Handelns i n der Form von Zielen und Verhaltensmaßstäben bestimmen 73 . Parsons unterscheidet hierbei: a) kognitive Normen, an denen sich das Handeln hinsichtlich der Gültigkeit seiner Unterscheidungen und Urteile orientiert, b) (im weitesten Sinne des Wortes) ästhetische Normen, an denen das Maß der Befriedigung, das ein Verhalten verspricht, abgeschätzt w i r d und c) moralische Normen, an denen die Folgen einer Handlung gemessen werden. Ein Auseinanderfallen persönlicher Motivationen w i r d verhindert, da die subjektiven Rollenerwartungen bereits i n den sozialen Beziehungen institutionalisiert werden, und diese sowohl das Verhalten des Handelnden selbst als auch seine Verhaltenserwartungen gegenüber den anderen beeinflussen 74 , die repressiven Forderungen der Gesellschaft werden i n der Persönlichkeitsstruktur verankert. Diese Handlungstheorie Parsons kann zwar die Systemhaftigkeit menschlichen Verhaltens erklären, sie sagt aber nichts über die Ursachen konkreter sozialer Normen 75 . Die Person ist als Handelnder ein „Element des sozialen Systems, i n dem sie jeweils handelt, denkt, wahrnimmt, empfindet, wobei die Orientierungsobjekte andere Akteure und ihre Handlungen sind. Durch die Interaktion bilden sich mehr oder minder stabile Verhaltensmuster her73 T. Parsons , Beiträge zur soziologischen Theorie, a.a.O., S. 52 f.; vgl. auch N. J. Smelser, Theory of Collective Behavior, London 1962, S. 270 ff., T. Parsons u n d E. A. Shils, Categories of the Orientation and Organization of A c t i o n i n T. Parsons und E. Shils, T o w a r d a General Theory of Action, a.a.O., S. 53 if. Allerdings darf der Handelsbegriff nicht veräußerlicht u n d von seinem Sinnbezug gelöst werden (vgl. W. E. Mühlmann, Z u r K r i t i k des soziologischen Handlungsbegriffes, S. 155). 74 Vgl. T. Parsons, The Social System, 5. Aufl. Glencoe 1964, S. 25 ff. — Nach Gehlen sind Institutionen i n der I n s t i n k t a r m u t des Menschen begründet, weshalb jede K u l t u r aus der Vielzahl möglicher menschlicher V e r h a l tensweisen bestimmte Varianten zu gesellschaftlich sanktionierten Verhaltensmustern ausbilde (A. Gehlen, Anthropologische Forschung, H a m b u r g 1961, S. 110). Menschliches Sein ist nach Gehlen n u r als institutionalisiertes Sein möglich, da es auf die Entlastungs- u n d Stabilisierungsfunktion sozialer I n s t i tutionen angewiesen ist (A. Gehlen, Urmensch u n d Spätkultur, a.a.O., S. 10, 43, 78 ff.). Die Institutionslehre von Gehlen hat auch Eingang i n die Rechtstheorie gefunden, vgl. H. Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 262, S. 264 ff., S. 267. Diese Theorie befriedigt jedoch nicht, soweit sie die E i n w i r k u n g e n menschlichen sozialen Verhaltens i n der I n s t i n k t a r m u t begründen w i l l u n d auf Auswahlmechanismen vertraut. Auch soziales Verhalten ist von Entscheidungen nach Anliegen bestimmt. 75 Z u r K r i t i k vgl. C. W. Mills, K r i t i k der soziologischen Denkweise, a.a.O., S. 64 ff., S. 72, S. 211 u n d J. F. Bergmann, Die Theorie des sozialen Systems von Talcott Parsons, F r a n k f u r t / M . 1967; vgl. auch G. P. Murdock, Social Structure, New Y o r k u. London 1965.

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aus, sanktioneil gesteuert oder gestützt von Normen und Werten" 7 6 . Dies bedeutet, daß der Mensch sich „innerhalb der sozialen Verhältnisse, i n denen er lebt, ehe er sich weiß, immer schon i n bestimmten mitmenschlichen Rollen befindet" 77 . Individuum und Gesellschaft befinden sich i n ihrer Konstitution i n ständiger „Wechselwirkung". Das Handeln w i r d auf als sozial relevant vermittelte Normen festgelegt. Solche Normen sind — unterschieden nach ihrem Verpflichtungsgrad — das Recht selbst, aber auch Etikette, Konventionen, Takt, Zeremonien, Ritualien, Riten, Mode, Tabus, Sitte (mores) 78 , Gewohnheiten (folkways), Brauch 79 , Regeln 80 . Diese Normen können gesamtgesellschaftlich oder nur gruppenspezifisch wirksam sein. Sozialnormen sind Ergebnis individueller menschlicher Verhaltensweisen i n sozialen Kontexten. Eine „Menschenmenge", menschliches Zusammenleben, eine Gruppe oder eine Gesellschaft, ihre Interaktions- und Kommunikationsprozesse sind nur Bedingungen dafür, daß sich Sozialnormen bilden, welche selbst wiederum verhaltensmotivierend auf die individuellen Entscheidungsakte wirken. Bei der Erklärung von Sozialnormen ist deshalb zwischen jenen Fakten zu unterscheiden, welche die Setzung von Verhaltensakten bestimmen — worüber bereits berichtet wurde — und den Verhaltensweisen, ihnen zugrunde liegenden Anliegen, Interessen und Bedürfnissen, Formen zwischenmenschlicher Interaktion und Kommunikation, welche die Ausbildung der Sozialnormen bedingen. Die Individualakte können bewußte oder unbewußte Verhaltensweisen i n einer Situation — m i t oder ohne Absicht normativ zu w i r k e n — sein 81 , wobei den Verhaltensakten der Inhaber von Herrschafts- oder Führungspositionen i n einer Gruppe oder Gesellschaft und der damit verbundenen Möglichkeit zur Streuung von Informationen, zur Ausübung sozialen Druckes oder zur Ausnutzung der ihnen zuteil werdenden sozialen Achtung besondere Bedeutung zu76

Z u r Theorie sozialen Handelns, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1964, _ 77 Soziologische Exkurse, a.a.O., S. 43. Vgl. auch zum Rollenbegriff R. Dahrendorf, Homo Sociologicus, a.a.O., M. Banton, Roles, London 1965, S. 93ff.; ff. Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, Tübingen 1967; T. Parsons u n d Ε. A. Shils, Personality as a System of Action, i n T. Parsons u n d E. A. Shils , T o w a r d a General Theory of Action, a.a.O., S. 110 ff., R. Rommeveit, Social Norms and Roles, a.a.O., unterscheidet zutreffend zwischen dem soziologischen Aspekt des Rollenspielens u n d dem psychologischen Aspekt der Rollenannahme (S. 38 f.). 78 Vgl. R. König, A r t . Recht, i n : ders. (Hrsg.) Soziologie, S. 258; m i t weiteren Hinweisen; Max Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, a.a.O., S. 15 ff.; ff. Heller, Staatlehre, a.a.O., S. 85 f.; R. Bierstedt, The Social Order, 2. Aufl. New Y o r k usw. 1963, S. 227 f. 79 Vgl. R. König, A r t . Recht, a.a.O., S. 258; .W C. Sumner, Folkways, a.a.O., C. K . Allen, L a w i n the Making, 7. Aufl. Oxford 1964, S. 67 ff. 80 Vgl. u. a. R. Bierstedt, a.a.O., S. 224 f. 81 Vgl. M. Sherif u n d C. W. Sherif, A n Outline of Social Psychology, a.a.O., S. 240 u n d T. Segerstedt, Bemerkungen zur soziologischen Theoriebildung, a.a.O., S. 431, S. 54.

F. J. Stendenbach,

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kommt 8 2 . Die Ausbildung von Sozialnormen selbst ist regelmäßig an mehr oder minder umfassende Gruppen gebunden — was aber auch ihre Abhängigkeit von ähnlichen Anliegen, Interessen und Bedürfnissen, ähnlichem sozialen Status, Verfügbarkeit und Macht: der sozialen Lage als Bedingungen der Gruppenbildung bedeutet 83 . Sozialer Druck ist dabei vor allem i n kleinen Gruppen möglich, wo die Mitglieder i n Kontakt miteinander stehen. Die Entstehung sozialer Gruppen wiederum hängt von ausreichender Motivation, Gelegenheit zur Kommunikation und Interaktion sowie gegenseitiger Anerkennung der Gruppenmitglieder ab 84 . Soziale Gruppen erschöpfen sich nicht nur i n einem Netzwerk von Wechselbeziehungen, sondern sind auch i n einem „Wir-Gefühl" und i n Kollektivvorstellungen begründet, welche wie gruppenspezifische Verhaltensmodelle wirken. Gruppenmeinungen haben so normativen Charakter und bestimmen den Ablauf sozialer Prozesse 85. Sie sind vor allem i n institutionalisierten Rivalitäten wie i m Betriebe oder i m Konkurrenzwettbewerb wirtschaftlicher und politischer A r t wirksam 8 6 . Das Verhalten des einzelnen w i r d kontrolliert, „ w e i l i m Endergebnis die Abweichung von der Norm für ihn unangenehm ist, und weil die gegenseitige Abhängigkeit der Verhaltenselemente beinhaltet, daß eine relativ kleine Abweichung große Folgen haben w i r d " 8 7 . Die negativen Sanktionen gegenüber unerwünschten Verhaltensweisen, Enttäuschung von Verhaltenserwartungen oder einer Verletzung von Sozialnormen können von A k t e n der ausgesprochenen Mißbilligung und der Ermahnung bis zu Ächtung und Boykott reichen 88 . Die Entstehung von Sozial82 Vgl. M. Sherif u n d C. W. Sherif, a.a.O., S. 257 u n d G. C. Hornaus, Theorie der sozialen Gruppe, a.a.O., S. 387; A . Malewski, Verhalten u n d Interaktion, a.a.O., S. 133 ff. 83 Vgl. zur Einführung i n die Gruppentheorie: soziologische Exkurse, a.a.O., S. 155 ff. u n d R. M. Emge, Der Einzelne und die organisierte Gruppe, Mainz und Wiesbaden 1956, S. 58 ff.; R. P. Hofstätter, Gruppendynamik, Hamburg 1957, S. 76, S. 91 sowie v o r allem G. C. Hornaus, Theorie der sozialen Gruppe, a.a.O. 84 G. C. Hornaus, Theorie der sozialen Gruppe, S. 416, M. Olson jr., Die Logik des kollektiven Verhaltens, Tübingen 1968, S. 5 ff., S. 46; vgl. auch E. Durkheim , Regeln der soziologischen Methode, a.a.O., S. 109 if. u n d N. Gross, W. 5. Mason und A . W. McEachern, Explorations i n Role Analysis, 3. Aufl. New Y o r k 1965, S. 323 f. 85 W. Mangold, Gegenstand u n d Methode des Gruppendiskussionsverfahrens, F r a n k f u r t 1960, S. 61 ff., S. 100 ff. 88 Vgl. L. A. Coser, The Functions of Social Conflict, a.a.O., S. 67 ff., S. 87 ff. 87 G. C. Homans, Theorie der sozialen Gruppe, a.a.O., S. 297. 88 Vgl. bspw. R. König, Das Recht i m Zusammenhang der sozialen Normensysteme, a.a.O., S. 128 u n d G. Spittler, N o r m u n d Sanktion, a.a.O., sowie A. K . Cohen, Abweichung u n d Kontrolle, a.a.O., S. 161 ff., S. 196 ff., K . F. Schumann, Zeichen der Unfreiheit, Freiburg 1968.

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

normen beruht dann neben den spontanen A k t e n der Annahme individuell gewählter — sozial vermittelter — Handlungsalternativen i n einer vergleichbaren sozialen Lage auf der — eventuell nur erwarteten — Sanktionierung abweichender Verhaltensweisen und auf dem Interesse an Anerkennung und Achtung der Gruppe, welcher sich der A k t o r zugehörig fühlt, auch auf der Annahme, das geübte Verhalten diene der Erreichung eigener, mittelbarer oder unmittelbarer Interessen-Feststellungen, welche ihre Ergänzung i n den dargelegten sozialpsychologischen Aspekten finden. Eine besondere Bedeutung haben i m gesamtgesellschaftlichen Bereich die sozialen Integrationsmechanismen für die soziale Kontrolle, wobei vor allem auf die Arbeitsteilung und die Industrialisierung m i t ihrer Produktivitätsausrichtung, ihrem reziproken Verhältnis von Bedarf und Bedürfnis, auf das Eigentum und Formen des sozialen Konsenses als Ausdruck gesellschaftlich vermittelter mittelbarer Anliegen zu verweisen ist. Die sozial-normative Bindung läßt nach Popitz vier vorläufige Feststellungen zu, nämlich daß „jede normative Interpretation von Handlungen und Situationen die soziale Relevanz der individuellen Erlebnissphäre begrenzt" 89 ; daß soziale Normen regelmäßig eine Differenzierung verschiedener Personenkategorien, sozialer Rollen, mitsetzen 90 ; daß die Möglichkeit eines Normenkonfliktes auf Grund der Vereinigung mehrerer unterschiedlicher sozialer Rollen i n einem Menschen durch seine Stellung i n der Gesellschaft prinzipiell i n der Struktur sozialer Ordnungen angelegt ist 9 1 . Jeder sozialen Verpflichtung eines Menschen entsprechen dabei Schutzfunktionen aus der Differenzierung sozialer Rollen und i n ihnen angelegter Zugehörigkeitserwartungen. Die A r t und Weise der Ausübung von rollen-(normen-)konformen Sanktionen bedingt damit die A r t und Weise der Aufrechterhaltung und Veränderung von normierenden Sozialstrukturen 92 . Tenbruck folgert deshalb m i t einem gewissen Recht, „das Faktische ist für den handelnden Menschen immer schon eingespannt i n ein Netz des Verhaltens, das i n die Zukunft hineingreift. Es ist von seinen Erwartungen nicht zu trennen, weil der Mensch auf das Faktische eingespielt ist. Deshalb besitzen auch statische Normen (auch faktische Regelmäßigkeiten) i m Durchschnitt eine echte normative Tendenz und K r a f t " 9 3 . Diese Zusammenhänge werden anschaulich i m Unterschied zwischen zwei Formen von Vertragsnormen: 80

H. Popitz, Soziale Normen, a.a.O., S. 189. H. Popitz, a.a.O., S. 191. H. Popitz, a.a.O., S. 192. 92 ff. Popitz, a.a.O., S. 195; vgl. auch ders., Prozesse der Machtbildung, T ü b i n gen 1968. 93 F. A. Tenbruck, Soziale Normen, S. 276. 00

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aa) Verhaltensregeln, nach welchen sich die Interaktionsprozesse von Angehörigen mehr oder minder fester Gruppen ausrichten, wie Handelsbräuche, Verkehrssitten 04 , Vertragsabschlußbedingungen, Terms of Trade, Internationale Verträge. Ihre Grundlage ist tatsächliche Übung 9 5 . Diese und die Anerkennung einer solchen Übung als ein Sein-Sollen liegt auch dem sog. Gewohnheitsrecht zugrunde. Die Einhaltung solcher Normen ist zwar sichergestellt durch ihre mögliche Erzwingbarkeit mittels des staatlichen Sanktionsapparates, d.h. durch die Verfügungsmöglichkeit über hoheitliche Zwangsmittel (insoweit die dazu erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind). Ihre Einhaltung erfolgt aber i n der Regel nicht i n dieser Form der Erzwingung, sondern — soweit es sich u m freiwillige Vereinbarungen handelt — auf Grund der eigenen Verpflichtung oder — vor allem, bei der Einhaltung von allgemeinen Geschäftsbedingungen — durch möglichen sozialen Druck. Wirksam sind die Motivationsfaktoren der Treue zu einem gegebenen Versprechen, das Verlangen, sich sozialkonform zu verhalten, der Wunsch, als ein „ordentlicher Kaufmann" geachtet zu sein, das Verlangen, einer Bestrafung oder der Angst wegen Mißbilfigung oder Mißachtung der eigenen Verhaltensweisen auszuweichen und — vor allem bei Gruppengebundenheit solcher Normen — eine Gefährdung der eigenen sozialen Position zu vermeiden. Die Verpflichtung zur Erfüllung einer vereinbarten Vertragsnorm ist Bestandteil der sozialen Rolle, i n welcher die Normen gesetzt und vereinbart werden. Normgemäßes Verhalten bei Vertragsnormen w i r d so — wie bei Sozialnormen — vorwigend durch unmittelbare soziale Kontrolle bewirkt. bb) Ein zweiter Bereich von Gruppennormen regelt nicht nur das Verhalten von Angehörigen gleicher oder ähnlicher sozialer Gruppen untereinander, sondern auch das Verhalten der Gruppe zu Außenstehenden und dadurch mittelbar Verhalten und Lage dieser Außenstehenden auch, seien diese selbst i n Gruppen strukturiert oder nur vom wirtschaftlichen Gesamtsystem her durch bestimmte soziale Rollen gekennzeichnet. Hierbei ist vor allem an die allgemeinen Geschäftsbedingungen zu denken. Diese haben i m ganzen Wirtschaftsleben eine überragende Bedeutung erlangt und werden formularmäßig von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden festgelegt. I h r Zweck ist nominell die Einführung gleicher Lieferfristen, Erleichterung der Geschäftsabwicklung, Berücksichtigung der Besonderheiten eines Wirtschaftszweiges bei der Mängelhaftung, Begrenzung des Geschäftsrisikos, beispielsweise durch Ausschluß der 94 Z u Verkehrssitte u n d Handelsbräuchen vgl. Enneccerus-Nipper dey, A l l gemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, a.a.O., S. 41. 95 Vgl. M. Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, Studienausgabe, a.a.O., Bd. 1, S. 26 u n d zuletzt J. Limbach, Die Feststellung von Handelsbräuchen, S. 77 ff. m i t weiteren Nachweisen.

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4. Kap. : Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

Gewährleistungsvorschriften. Allgemeine Geschäftsbedingungen haben regelmäßig generellen Charakter, formelle Gültigkeit aber erst auf Grund einer ausdrücklichen oder — seltener — stillschweigenden Vereinbarung. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen können implizit die Ordnungsfunktion der gesetzlichen Privatrechtsordnung herabsetzen und Machtpositionen fördern 96 . A n ihrer Entwicklung läßt sich besonders deutlich ablesen, i n welchem Umfange die Setzung solcher Normen der Durchsetzung von gruppenoder schichtenspezifischen Interessen, wie der Erzielung wirtschaftlichen Gewinnes oder der Stärkung von Machtpositionen dient — bei gleichzeitiger Entfaltung einer eigenen Systemfunktion für Interaktions- und Kommunikationsprozesse 97 . cc) Beide Normbereiche lassen deutlich die gemeinsame Grundvoraussetzung von gruppenspezifischen Sozial- oder Rechtsnormen erkennen: Ähnlich soziale — arbeitsteilig bestimmte — Stellung, Herrschaft und Macht, i n der Regel sozialtypische Ausstattung mit Eigentum und Verhaltensmitteln m i t der Tendenz zur Verfestigung sozialer Herrschaftsstrukturen i n einem staatlich verfaßten gesellschaftlichen Gesamtsystem. Es ist deshalb nicht ganz korrekt, daß i m Hinblick auf die staatliche Rechtsordnung die Freiheit, solche Normen zu setzen, ein „subjektives Recht" bedeutet 98 . Der Ausbildung von Vertragsnormen liegen nach der juristischen Konstruktion Individualakte zugrunde, Vereinbarungen zwischen zwei oder mehreren Individuen i n der Form des Angebotes und der Annahme des Angebotes wie beim Leistungsaustausch oder eine Vereinbarung zur Erreichung eines Zieles bei unterschiedenen Rechten und Pflichten. Eine Vereinbarung besteht aber häufig nur der Form nach, während es sich faktisch um einseitige Herrschaftsausübung, u m ein Diktat der Vertragsnormen handelt. Der Inhalt der Vertragsnorm w i r d von den gesellschaftlich vermittelten, system-spezifischen Anliegen, Interessen und Bedürfnissen beeinflußt. Die Vertragsfreiheit kann so ineffektiv werden, indem entweder dem Vertragsabschluß eine Notwendigkeit zur Bedürfnisbefriedigung oder eine Gruppenkontrolle des Autonomiebereiches zugrunde liegt. 96

So überzeugend R. Schreiber, Die rechtliche Beurteilung allgemeiner Geschäftsbedingungen, i n : N J W 1967, S. 1441 ff., vgl. auch H. Kliege, Rechtsprobleme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Göttingen 1966, S. 17 ff. m i t weiteren Nachweisen. 97 Vgl. i n diesem Zusammenhang auch H. Melsheimer, Sicherungsübereignung oder Registerpfandrecht, K ö l n u. Opladen 1967. 98 Vgl. E. Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, T ü b i n gen 1965, S. 191 f. u n d K. Larenz, Allgemeiner T e i l des deutschen Bürgerlichen Rechts, München 1967, S. 83.

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Es bedarf keines besonderen Nachweises dafür, daß solche ursprünglich gruppenspezifischen Normen i m Wege der staatlichen Gesetzgebung oder i n der Anwendung durch den Rechtsgestaltungsapparat oft zu gesamtgesellschaftlichen Normen erhoben werden, wobei ihre faktische Bedeutung auf spezifische soziale Gruppen beschränkt bleiben kann und eine Stärkung der internen Gruppenordnung erreicht wird. Es w i r d dam i t auch verständlich, daß Gesetze auch an früher entwickelten gruppenspezifischen Normen scheitern oder i n ihrer Geltung von den sozialen Gruppen her, deren Verhaltensweisen zu regeln sie bezwecken, eine Abänderung, einen Bedeutungswandel erfahren können. 2b) Geregelte Verhaltensweisen — und damit eine weitere wichtige Form der Bedingungen für die Effektivität von Rechtsnormen — bilden sich auch i n „Assoziationen", besonders i n organisierten Assoziationen, i n sozialen Organisationen als Institutionen heraus. Solche Organisationen als zielorientierte Assoziationen sind beispielsweise Parteien, Schulen, Kirchen, Verbände, Gewerkschaften, das Militär, Betriebe, Gefängnisse oder Verwaltungen, aber auch Bestandteile der staatlichen Gesamtorganisation, wie die Regierung, das Parlament, die Gerichte, die Beamtenschaft. Die Organisationen können als zweckgerichtete soziale (Teil-)Systeme verstanden werden, deren Struktur den mehr stabilen Rahmen ausmacht, i n welchem soziale Prozesse ablaufen. Nach Mayntz ist allen Organisationen gemeinsam „erstens, daß es sich um soziale Gebilde handelt, um gegliederte Ganze m i t einem angebbaren Mitgliederkreis und interner Rollendifferenzierung. Gemeinsam ist ihnen zweitens, daß sie bewußt auf spezifische Zwecke und Ziele orientiert sind. Gemeinsam ist ihnen drittens, daß sie i m Hinblick auf die V e r w i r k lichung dieser Zwecke oder Ziele zumindest der Intention nach rational gestaltet sind" 9 9 . Das Verhalten i n Organisationen ist nach Ziegler wiederum von finanziellen Anreizen und informellen Gruppen, aber auch vom informellen Statussystem, Loyalitäten gegenüber Teilgruppen der Organisation, informellen Normensystemen und Sanktionen der verschiedensten A r t gesteuert 100 . Die Bildung von Organisationen ist abhängig von der Organisierbarkeit der Interessen: das Ausmaß einer Gleichartigkeit der Interessenlagen w i r k t sich i n unterschiedlichen Organisationsgraden aus 101 . 99 R. Mayntz, Soziologie der Organisation, Hamburg 1963, S. 36. Z u m A u f bau der Erwartungsstruktur innerhalb einer formalen Organisation u n d zur Formalisierung der Einflußfaktoren vgl. N. Luhmann, Funktionen u n d Folgen formaler Organisation, B e r l i n 1964, S. 59 ff., S. 89 ff. u n d D. Ciaessens, Rolle u n d Macht, München 1968, insbes. S. 127 ff. 100 R. Ziegler, A r t . Organisation, S. 238, vgl. auch J. G. March u n d H. A . Simon, Organisation, 7. Aufl. New Y o r k usw. 1966, S. 82; W. J. Gore, A d m i n i strative Decision-Making, New Y o r k usw. 1964, S. 178 f. 101 Vgl. dazu G. Schmölders, Das Selbstbild der Verbände, B e r l i n 1965, S. 90 f.

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

Der Begriff der Institution umfaßt i n diesem Zusammenhang nach König „die für die A k t i v i t ä t sozialer Systeme bezeichnenden und feststehenden Formen oder Bedingungen des Verfahrens i n verschiedenen Zusammenhängen" 102 . Diese Institutionen entfalten sich i n Normen und Normaggregaten (sozialen Rollen) besonderer A r t , welche i m Unterschied zu Rechtsnormen und zu Sozialnormen, wie Brauch und Sitte, i n spezifische Assoziationen eingebunden sind 1 0 3 . Diese Normen können eine formelle Ausgestaltung erfahren, insbesondere durch ihre Überführung i n Gesetzesbestimmungen: sie können rechtlich institutionalisiert werden. Die Stabilität einer sozialen Institution — auch einer gesetzesnormativ gefestigten — bleibt dabei abhängig, worauf Schelsky hingewiesen hat, von der relativen Konstanz der Qualität der i n ihr befriedigten Bedürfniskorrelation und Antriebskombination, von der Aufrechterhaltung der wechselseitigen Leistungsabhängigkeit des hierarchischen Bedürfnisaufbaues und davon, daß Folgebedürfnisse jeweils eine neue institutionelle Lösung finden 104. Die Organisationen und Institutionen sind damit i n unserem Zusammenhang i n zweifacher Hinsicht interessant: Sie tragen zur Verfestigung sozialer Strukturen und Prozeßabläufe bei — was eine eigendynamische Entwicklung nicht ausschließt — und bilden i n dieser ihrer Funktion sogar einen Widerstand gegen eine gesetzliche Gestaltung sozialer Prozesse. 2c) Bedingungen für die Ausbildung sozialer Normen und Institutionen, und das heißt vor allem, Verfügungsmittel über sozial effektive Machtmittel erhalten ihre spezifische Bedeutung für jede Rechtsnormsetzung durch ihre Tendenz zur Systemhaftigkeit, wie eingangs dieses Abschnittes i m Anschluß an Parsons dargelegt wurde. Sie bilden das sozio-kulturelle — und ökonomische Milieu, i n welchem Rechtsetzung geschieht. Sie sind die Bedingung für die Funktionserhaltung gesellschaftlicher Systeme oder Teilsysteme, wie es am Wirtschaftsund Finanzsystem der Bundesrepublik augenfällig ist. Die Systemerhaltung und seine dynamische Entfaltung sind damit gebunden an die Befriedigung der Präferenzen, welche die Systembildung bestimmen, an die Erhaltung der sozialnormativ und institutionell ausgestalteten gesellschaftlichen Repression, wenn es sich nicht als möglich erweist, systemüberwindende Reformen durch Transformation des Systems selbst zu bewirken. 102 R. König, Soziologie, a.a.O., S. 143; vgl. auch S. F. Nadel, The Theory of Social Structure, London 1965, S. 64 ff. 103 Vgl. R. König, Soziologie, a.a.O., S. 143. 104 H. Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen, wieder i n ders., A u f der Suche nach Wirklichkeit, a.a.O., S. 33 ff., vgl. auch J. Habermas, Erkenntnis u n d Interesse, a.a.O., S. 335.

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Das faktische System und seine bürokratische Organisation ist das elementare Faktum der Freiheits- und Normsetzungsbegrenzung, es bestimmt den zumutbaren Gehalt der Grundrechte, wenn die Systemhaftigkeit der staatlich verfaßten Gesellschaft gewahrt bleiben soll. I I . Organisation der Gesetzesanwendung

1. Der Zuwachs an Effektivität durch Sanktionierung abweichenden Verhaltens erfordert, „daß die verbale Formulierung, soll sie ein w i r k sames M i t t e l sein", so aussieht, „daß sie das gewünschte Verhalten bewirken wird. Das hängt von den jeweils vorherrschenden Praktiken und inneren Einstellungen der betreffenden Personen ab ..., d. h. der Praxis der Gerichte und der Rechtsanwälte" 105 . Die Verhaltensweisen der Mitglieder des Rechtsgestaltungsapparates sind auch selbst von Institutionalisierungen geprägt — nicht nur i n ihren bürokratischen Verfahrensweisen 100 . Diese institutionellen Verhaltensweisen der M i t glieder des Rechtsgestaltungsapparates bestimmen aber die Form, i n welcher Gesetzesnormen ihre sozial-effektive Auffassung und Darstellung finden, sie sind damit nicht nur Bedingung für die Effektivierung selbst, sondern auch für die Form der Vermittlung der effektiven Norminhalte. 2. Die Effektivität der Verhaltensregeln hängt nicht nur von der Organisation der Gesetzesanwendung und -Überwachung ab, sie ist auch bedingt von deren personeller Zusammensetzung, den das Verhalten leitenden Motivationen und Anliegen sowie dem Informationsstand. Arbeiten zur Soziologie des Richters 107 — und viele der dort aufgezeigten Ergebnisse gelten auch für Verwaltungsbeamte 108 — lassen erkennen, daß die Richter überwiegend gleichen sozialen Schichten, der oberen und unteren Mittelschicht zugehören, häufig aus dem höheren Beamtentum stammen, also von einem ähnlichen sozio-kulturellen Milieu geprägt sind. Dies gilt nicht nur für die heute i m Amte befindlichen Richter, sondern auch für frühere Generationen. Verbunden ist m i t dieser Milieuformung eine besondere Treue gegenüber den jeweils staatbeherrschenden sozia105

Κ . N. Llewellyn , Eine realistische Rechtswissenschaft, S. 73. Z u m Verhältnis von Verwaltungsorganisation u n d Bürokratie, vgl. M . Teschner, A r t . Bürokratie, Sp. 194 ff. 107 Vgl. W. Zapf u. a. Beiträge zur Analyse der deutschen Oberschicht, T ü b i n gen 1964, W. Zap/, Wandlungen der deutschen Elite, München 1965, K. Zwingmann, Z u r Soziologie des Richters i n der Bundesrepublik Deutschland, B e r l i n 1966; Th. Rasehorn, Was formt den Richter, S. 3 ff.; ders., Wege zu einer Soziologie des Richters, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1968, S. 103 ff., R, König u n d W. Kaupen, Soziologische A n m e r k u n g zum Thema Ideologie u n d Recht, S. 356 ff.; W. Kaupen, Die Hüter von Recht u n d Ordnung, Neuwied 1969, insbes. S. 63 ff., vgl. a u d i F. J. Davis, H. Forster jr., C. R. Jeffery, Ε. E. Davis, Society and the L a w , Glencoe 1962, S. 313 ff. 108 Vgl. H. P. Bahrdt, Die Beamten, S. 34 ff. 108

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4. Kap. : Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

len Kräften, eine Identifikation m i t dem Staatsbewußtsein, eine hierarchische Struktur des gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Instanzwesens. Als weiterer Faktor bei der Ausbildung der richterlichen Wertvorstellungen ist der Rechtsunterricht selbst zu erwähnen m i t seiner nahezu ausschließlichen Ausrichtung am gültigen Recht. „Der Richter ist i n Erfahrung und Urteilshorizont durch die Gesellschaft geprägt 1 0 9 " — aber nicht durch die gesamte Gesellschaft, sondern von jenen Schichten, welchen er sich zugehörig fühlt. Der Richter wählt für seine Entscheidungen i n der Regel das „lebende Recht", das er i m Verhalten der staatlichen Organe und der Normadressaten, welche für ihn Leitbild sind, gelebt und praktiziert vorfindet. Die Entschlüsse des Richters folgen daher häufig den Regelmäßigkeiten, den Verhaltensmustern, welche als Reaktionen auf eine Sollensregel und welche neben bestehenden Sollensregeln entstanden sind. Das konkrete, lebende Recht bildet sich so i n einer Interaktion von Rechtsnormen und Rechtsanwendungspraktiken 1 1 0 . Der Richter orientiert sich aber auch an den „Gesetzesquellen", den Beschlußprotokollen der Parlamente als vermeintlich objektiver Entscheidungsgrundlage. Die Entscheidungen des Rechtsgestaltungsapparates sind damit insgesamt der Gefahr ausgesetzt, von den gesellschaftlich vorherrschenden Kräften vorgeprägt zu sein — was sich an den Entscheidunen aus der „Natur der Sache" oder an Gesetzesauslegungen beispielhaft ablesen läßt 1 1 1 . Es sind aber nicht nur die faktischen Verhaltensmuster, welche auf die Entscheidungsbildung des Richters einwirken, es sind ebenso bewußte und unbewußte Ideologien und Motivationen, welche aus der sozialen Rolle des Richters oder aus sozio-kulturellen Gegebenheiten resultieren 1 1 2 . III. Zusammenfassung 1. Die faktische Effektivität von Verhaltensregeln mit staatlicher Sanktionsfolge w i r d garantiert durch den staatlichen „Sanktionsapparat" h i n bis zur politischen Justiz 1 1 3 , durch spezielle gesellschaftlich ausdifferen109 R. Dahrendorf, Über Gestalt und Bedeutung des Rechts i n der modernen Gesellschaft, a.a.O., S. 131. Vgl. hierzu W. O. Weyrauch, Z u m Gesellschaftsbild des Juristen, Neuwied 1970. 110 Vgl. Κ . N. Llewellyn , Jurisprudence, a.a.O., S. 21 f., S. 352 ff.; hier ist auch die A r b e i t von J. Esser, Grundsatz u n d Norm, a.a.O., zu erwähnen. 111 Vgl. B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung — Z u m Wandel der P r i v a t rechtsordnung i m Nationalsozialismus, Tübingen 1968. 112 Vgl. M. Drath, Das Verhältnis von Justiz und Staatsbürger i m Rechtsstaat, a.a.O., S. 19 ff., ders., Grundgesetz u n d pluralistische Gesellschaft, S. 142 ff., B. N. Cardozo, The Nature of Judical Process, New Haven 1960, aber auch — allerdings zu weitgehend — H. Isay, Rechtsnorm u n d Entscheidung, B e r l i n 1929, S. 55. 113 Vgl. statt aller O. Kirchheimer, P o l i t i k u n d Verfassung, F r a n k f u r t / M . 1964, S. 96 ff.

§17 Bedingungen der Effektivität von Rechtsnormen

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zierte und instituierte Organisationen, wie Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Verwaltungsbehörden. Sie w i r d aber weniger durch die Tätigkeit dieses Sanktionsapparates, sondern vor allem durch die Motivationskraft bewirkt, welche von dem Wissen u m die Sanktionsfolgen und den Sanktionsapparat — auch von dem sozialen Prestige der Richter — ausgeht, w i r d durch institutionelle Zwänge erreicht 114 . Die Bereitschaft dazu w i r d — wie gezeigt — i m Erziehungs- und Lernprozeß eingestellt, da hier die Gesellschaft als eine staatlich geordnete erfahren wird, die Ordnungsgrundsätze i n der Ubersetzung i n die Alltagssprache gelehrt und weitgehend internalisiert werden, nicht zuletzt durch eine „Metaphysierung" der Gesetzesordnung als sittlich gebotener Rechtsordnung. Dieser Metaphysierung kommt die Verwendung normativer Leerformeln, welche eine Interessenvereinbarkeit suggerieren, entgegen. Die Motivationskraft der verbalen Gesetzessprache und des Wissens u m den Sanktionsapparat, aber auch die Bereitschaft zur Internalisierung von Verhaltensregeln, ist von der Effektivität des politischen Gesamtsystems, vom gruppenspezifischen Normensystem und von der Persönlichkeitsstruktur abhängig 115 . — Die Herrschaft der Sozialnormen beruht vorwiegend auf unbewußten Mechanismen. Für den Einzelnen ist dabei der durch solche Normen gegebene institutionelle Rahmen der etablierten Gesellschaft oder etablierter Gruppen eine unverrückbare Realität. Die Repression, welche solche Normen auferlegen, entspricht der Einseitigkeit i n der Verteilung der Herrschaftsmittel an soziale Gruppen und Klassen 116 . 2. M i t Podgórecki können damit bei der Wirksamkeit der Gesetze drei Variable unterschieden werden: „Die erste unabhängige Variable ist der 114 N. S. Timasheff, A n Introduction to the Sociology of L a w , Cambridge, Mass. 1939, spricht von „ a n interaction i n w h i c h both the socioethical coordination and the imperative coordination are joined" (S. 267). 115 Adam Podgórecki, The Prestige of the L a w , S. 94. Aufschlußreich ist die Untersuchung über die Effektivität des schwedischen Hausangestelltengesetzes von 1948, welches die Arbeitsverhältnisse der Hausangestellten regelt. „ I t seems probable that the Norms of the Housemaid L a w are to an increasing degree transmitted by w o r d of mouth among friends, acquaintance and neighbours. The sheer passing of time increases the number of occasions for such personal transmission of information. Thus, w h a t originally was a distant message w i t h o u t much psychological force m y gradually have been translated into meaningful personal communication w i t h i n certain milieus of housewives and housemaids. This w a y very w e l l be a general process i n the dissemination of legal information and i n the strengthening of the motive to abide b y laws. True, i t does depend upon the attitude of the opinionleaders, those who stand at the gate of the informal communication net-works and decide whether a n o r m emanating f r o m former authority should be permitted inside and transmitted w i t h explicit or tacit approval". (A. Podgórecki, a.a.O., S. 119/120); vgl. auch die zugrunde liegende Untersuchung von V. Aubert, Einige soziale Funktionen der Gesetzgebung, S. 284 ff. 116

7

Vgl. J. Habermas, Erkenntnis u n d Interesse, a.a.O., S. 338 ff .

Grimmer

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

Inhalt und die Bedeutung, die einem bestimmten Rechtssatz durch das sozialökonomische System, innerhalb dessen er ein verpflichtendes Element des Rechtssystems darstellt, beigemessen werden. Die zweite unabhängige Variable ist das Wirken einer Subkultur i m Rahmen eines bestimmten sozialökonomischen Systems als Bindeglied zwischen den Anweisungen des Gesetzgebers und dem sozialen Verhalten der von diesem Gesetz erfaßten Personen. Die dritte unabhängige Variable, welche die Wirksamkeit einer abstrakten Rechtsnorm (sc. i m Rahmen eines bestimmten sozialökonomischen Systems und bestimmter rechtlicher Subkulturen) auf mannigfache Weise beeinflussen kann, ist die Persönlichkeitsstruktur der von dem Rechtssatz erfaßten Individuen. Erst i n Verbindung mit dem Menschen werden abstrakte Rechtsnormen wirksam und finden ihren Ausdruck i n sozialem Verhalten 1 1 7 ." Verhaltensregeln mit staatlicher Sanktionsfolge sind dabei u m so effktiver, je mehr die angeordneten Verhaltensweisen den Interessenlagen und damit verbundenen Verhaltensalternativen der Normadressaten entsprechen 118 . Die Effektivität staatlich vorgeschriebener Verhaltensweisen ist schließlich auch bedingt durch die Formen einer Stabilisierung der Verhaltenserwartungen, welche auf der Publizitätsfunktion gesetzlicher Status- und Rollenregelungen und der damit verbundenen Rechte und Pflichten begründet ist. Diese Publizität w i r d sowohl durch die Informationstätigkeit der Regierung und deren Ausrichtung an der Effizienz ihres Handelns 119 als auch durch die Berichterstattung der öffentlichen Publikationsmittel — insbesondere über gesetzwidriges Verhalten — gefördert. I n diesem Zusammenhang ist auch — worauf Drath hingewiesen hat — die Bedeutung der Verkündigungsvorschriften für Gesetze zu sehen 120 . Die Analyse der Bedingungen für die Effektivität von Rechtsnormen machte deutlich, daß es sich nicht um feststehende Bedingungen handelt, sondern um einen dialektischen Prozeß, welcher zwischen Gesellschaftsstruktur und Rechtsordnung besteht. Sie läßt erkennen, daß es die Funktion des Rechtes heute ist, gruppen-, gesellschafts- oder schichtenspezifische Anliegen, Interessen und Bedürfnisse zu legalisieren und Herrschaft zu legitimieren; hierauf w i r d i m abschließenden Kapitel einzugehen sein. 117

S. 271.

A. Podgórecki,

Dreistufen-Hypothese über die Wirksamkeit des Rechts,

118 Vgl. etwa die „Steuermoral", hierzu G. Schmölders, Das Irrationale i n der öffentlichen Finanzwirtschaft, a.a.O., S. 97 ff., S. 113 ff. 119 Vgl. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung i m Rechtsstaat, B e r l i n 1966, S. 165. 120 Vgl. M . Drath, Der Verfassungsrang der Bestimmungen über die Gesetzesblätter, i n : Gedächtnisschrift für W. Jellinek, München 1955, S. 237 fï.

§ 18 Bedingungen der Gesetzesnormqualität § 18

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Bedingungen der Gesetzesnormqualität

Die Realisierung von Gesetzesvorhaben unterliegt schließlich auch spezifischen Bedingungen, von welchen das Zustandekommen eines gültigen Gesetzes abhängig ist, welche dadurch aber auch mittelbar den Inhalt von Gesetzen bestimmen. W i r bezeichnen dies als Bedingungen der Rechts-(Gesetzes-)normqualität und meinen damit jene Fakten, welche Einfluß auf den Inhalt einer konkreten Gesetzesnorm erlangen durch das Erfordernis: a) jene Verfahrensnormen einzuhalten und jene Mehrheiten zu erlangen, an welche eine Verfassung die Gültigkeit einer (Verfassungs-) Gesetzgebung bindet (formelle Verfassungsmäßigkeit) und wovon wiederum die Handlungsbereitschaft des Rechtsgestaltungsapparates abhängig ist sowie b) jene Faktoren, welche die Entscheidung über die Kompatibilität den einer Gesetzgebung zugrunde liegenden Zielsetzungen und statuierten Verhaltensmitteln mit den Ziel- und M i t telentscheidungen des Grundgesetzes (materielle Verfassungsmäßigkeit) bestimmen. Solche Bedingungen der Rechtsnormqualität entfallen, wenn geltendes Recht durch eine unmittelbare Effektivierung von Verhaltensregeln, sei es durch Ausbildung von „Gewohnheitsrecht" oder i n revolutionären Prozessen, zustande kommt. Die normative Bedingung formeller und materieller Verfassungskompatibilität w i r d selbst dann, aber auch nur dann faktisch, wenn den Verfassungsnormen selbst faktische Wirksamkeit (Effektivität) zukommt; insoweit kann von einer faktischen K r a f t von Normen als Bedingung einer „normativen K r a f t des Faktischen" gesprochen werden. Hat eine Verfassung Effektivität, dann haben die Erfordernisse, welche für das Zustandekommen gültiger Gesetze erfüllt sein müssen, selbst weitreichende soziale Wirkungen, insbesondere auf die Ausbildung von Gruppen und Organisationen, u m die Macht zur Gesetzgebung zu erlangen und zu erhalten, sei es durch unmittelbare Teilnahme am Normsetzungsverfahren, sei es durch die Teilnahme an oder durch die Bildung von sozialen Organisationen, welche Einfluß auf das Normsetzungsverfahren haben, u m die Realisierung eines Gesetzgebungsvorhabens zu erreichen, oder um durch die Diskussion i m sozialen Kräftespiel, die Ausnützung von Konfliktsituationen, die Findung von Kompromissen die nach der Verfassung erforderliche Mehrheit i m Normsetzungsverfahren zustande zu bringen. Die mittelbare Bedeutung verfassungsrechtlicher Organisationsnormen für die Struktur der staatlich verfaßten Gesellschaft w i r d hier ebenso offensichtlich wie die Reziprozität zwischen sozialen Gruppierungen, Organisationen und Schichtungen, sozialen Rollen und Herrschaftspositionen einerseits und von Gesetzen andererseits. A u f die Bedingungen der Gesetzesnormqualität ist nicht nur deshalb einzugehen, um das ganze Spektrum von Fakten zu illustrieren, welche 7·

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

i n ein Rechtsgesetz Eingang finden, welche die soziale Funktion des Rechts ausmachen. A u f sie ist auch einzugehen, weil sie wesentlich das sozio-kulturelle Milieu und den Sinnbezug bestimmen, i n welchem der Rechtsgestaltungsapparat tätig wird. I. Organisationsbedingungen des Gesetzgebungsverfahrens Die Bindung der Gesetzesnormqualität an die verfassungsrechtlichen Organisationsnormen führt dazu, daß spezifische individuelle Fähigkeiten sowie soziale Gruppierungen und Organisationen zu Bedingungen der Rechtsnormqualität von Verhaltensregeln mit staatlicher Sanktionsfolge werden. Gleichzeitig kommt den Verfahren der politischen Wahl und der Gesetzgebung eine für das politische System spezifische, ausdifferenzierende Legitimationsfunktion zu 1 2 1 . Zu unterscheiden sind: 1. Soziologische und individualpsychologische Fakten, welche zur Bewerbung und Erlangung eines Mandates i n einer gesetzgeberisch tätigen Organisation (Parlament) führen und die aus der Persönlichkeitsstruktur resultierenden Formen der M i t w i r k u n g am Gesetzgebungsverfahren einschließlich der sich i n der M i t w i r k u n g ausdrückenden Anliegen und Interessen. Motivationsfaktoren i n der Bereitschaft, als Abgeordneter an der Gesetzgebung mitzuarbeiten, sind nach Barber schichten- und gruppenspezifisch vermittelte Gemeinwohlvorstellungen, die Vertretung spezifischer Gruppeninteressen oder der Wunsch, durch die Mitgliedschaft i n einem Parlament persönliche oder berufliche Vorteile zu gewinnen 1 2 2 . 2. Organisation und Steuerung der Meinungsbildung und Entscheidungsakte i m vorparlamentarischen und i m parlamentarischen Raum durch politische Parteien und die sie beherrschenden Personen und Gruppen. Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung gem. A r t . 21 Abs. 1 S. 1 GG mit. Ihre M i t w i r k u n g reicht von der Auswahl und Unterstützung der Kandidaten für ein Abgeordnetenmandat über die sachlich-technische Unterstützung i n ihrer Tätigkeit als Abgeordnete bis zur parteieigenen Entscheidung über politische Handlungsziele und die zur Erreichung dieser Ziele als vorzugswürdig zu erachtenden Mittel sowie der möglichst geschlossenen Vertretung der parteieigenen Entscheidung i m Parlament. Die Entscheidungsbildung selbst unterliegt regelmäßig der Spannung zwischen den i n der Partei herrschenden A n 121

Vgl. N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied 1969, S. 137 ff. J. D. Barber , The Lawmakers, New Y o r k u n d London 1965, S. 224 f. Eine empirische Untersuchung zur Motivation von Abgeordneten westdeutscher Parlamente gibt es u. W. nicht, abgesehen von den Arbeiten von Schmölders (z. B. G. Schmölders, Das Irrationale i n der öffentlichen Finanz Wirtschaft, Hamburg, a.a.O., 1960), welche sich auf die finanzpolitische Willensbildung beschränken. 122

§ 18 Bedingungen der Gesetzesnormqualität

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liegen und Interessen und jenen, welche bei den potentiellen Wählern — oft unreflektiert — angenommen werden 1 2 3 . 3. Beeinflussung der Meinungsbildung und der gesetzgeberischen und gesetzesanwendenden Entscheidungsakte durch Vertreter „organisierter Interessen" 124 . Die Interessenverbände, wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Industrie- und Gewerbeverbände, Bauernverbände, religiöse und weltanschauliche Institutionen, Beamtenverbände, Verbände von Steuerzahlern und Verbrauchern, sind selbst ein Spiegelbild der sozialen Schichtung und Struktur i n der Bundesrepublik. Die Zielsetzungen der Verbände lassen die Unterschiede i n den Anliegen, Interessen und Bedürfnissen — mögen sie nun durch die Verbandsorganisationen nur aufgenommen oder auch erzeugt und vermittelt sein — erkennen. E i n Vergleich zwischen Verbandszielen und parlamentarischer Gesetzgebung ermöglicht sehr verallgemeinerte Schlüsse auf jene sozialen Gruppierungen, welche die Gesetzgebung beeinflussen; dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, daß über die Bestimmung des (ökonomischen) Gesamtsystems oder die partielle Beeinflussung der Meinungsbildung gruppenund schichtenspezifische Anliegen und Bedürfnisse vermittelt sein können. Schmölders hat nachgewiesen, daß beispielsweise den Wirtschaftsverbänden gemeinsam sind das Interesse an der Existenzsicherung und Maximierung des Einkommensanteiles, auch durch eine Einkommensumverteilung und an einem angeblichen Gemeinwohl 1 2 5 . Der Einfluß der Verbandsmitglieder auf die verbandseigene Willensbildung ist abhängig von deren wirtschaftlicher Bedeutung und den daran orientierten verbandsinternen Gruppierungen. Privilegierte haben die größere Chance sich schnell und wirkungsvoll zu organisieren, das gemeinsame Inter123 Vgl. grundsätzlich zur Bedeutung der politischen Parteien f ü r die gesetzgeberische Willensbildung W. Weber, Spannungen u n d K r ä f t e i m westdeutschen Verfassungssystem, Stuttgart 1951, S. 27, G. Leibholz, Staat u n d V e r bände, i n : V V d S t R L H. 24 (1966), S. 15 ff. u n d H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, a.a.O., S. 367 ff. Das Problem der M i t w i r k u n g von Parteien u n d V e r bänden i n der gesetzgeberischen Willensbildung ist i m Zusammenhang dieser Arbeit n u r zu skizzieren, die L i t e r a t u r hierzu ist außerordentlich umfangreich, vgl. m i t weiteren Nachweisen Th. Maunz, Deutsches Staatsrecht, 16. Aufl., München u n d B e r l i n 1968, S. 71 ff., E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, a.a.O., S. 29 ff., S. 32 ff. u n d G. W. Wittkämper, Grundgesetz u n d Interessenverbände, B e r l i n 1963, insbes. S. 211 ff. sowie W. Hirsch-Weber u n d K . Schütz, Wähler u n d Gewählte, B e r l i n u n d F r a n k f u r t / M . 1957, S. 3 ff., S. 353 ff., G. v. Eynern f Grundriß der politischen Wirtschaftslehre, K ö l n u n d Opladen 1968, S. 153 ff. 124 Vgl. u. a. G. Winkler, Staat u n d Verbände, i n : V V d S t R L H. 24 (1966), S. 49 u n d J. H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, B e r l i n 1956, S. 181 ff., E. Buchholz, Die Wirtschaftsverbände i n der Wirtschaftsgesellschaft, Tübingen 1969, S. 22 ff., H. Rittstieg, Verbände u n d repräsentative Demokratie, i n : J Z 1968, S. 411 ff. 125 G. Schmölders, Das Selbstbild der Verbände, B e r l i n 1965, S. 74 ff., vgl. auch E. Buchholz, a.a.O., S. 51 ff.

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4. Kap. : Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

esse braucht dabei nicht intensiver zu sein12®. Eine Unterrichtung der Verbände über Gesetzgebungsvorhaben ist i n der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien festgelegt. Eine Information der Verbände über laufende und geplante Arbeiten der Bundesministerien ergibt sich zunächst stets dann, wenn von ihnen zur Vorbereitung von Gesetzen Unterlagen angefordert und sie zur Vertretung der beteiligten Fachkreise herangezogen werden. A u f breiter Basis erfolgt eine Unterrichtung aller, auch der von einem Gesetzentwurf nicht direkt betroffenen Verbände durch eine Presseerklärung der Bundesregierung. Ferner können durch Indiskretionen Informationen vorzeitig den Verbänden zugehen 127 . Die Verbände sind bemüht, ihre Interessen durchzusetzen bei Regierung und Parlament durch die unterschiedlichen Formen der Interventionen, durch Unterrichtung der Öffentlichkeit, durch die Bitte u m Unterstützung von Spitzenverbänden oder anderen Verbänden m i t ähnlichen Interessen oder durch die Aufforderung zu Demonstrationen der Mitglieder" 8 . Nach Ansicht von Stammer kann „von einer Herrschaft der Verbände, einer unausweichlichen Beeinträchtigung der Prärogative des Parlaments, einer Verminderung der Aktionsfähigkeit der Parteien und einer Ausschaltung der politisch interessierten Öffentlichkeit — zumindest i m politischen Prozeß der Gesetzgebung — nicht die Rede sein." Grenzen der Einfiußnahme zeigen sich bei den Verbänden besonders dann, „wenn i n den Parteien und i n den Parlamenten eine Integration widerstreitender Interessen und Auffassungen angestrebt und zumeist auch erzielt wurde . . . Es kann daher angenommen werden, daß ein Konkurrenzverhältnis mehrerer Verbände ihren tatsächlichen Einfluß auf die Gesetzgebung einschränkt, während i n günstigen interessenpolitischen Konstellationen eine Monopolstellung den politischen Druck verstärken kann, den ein gut informierter und vorbereiteter Großverband auszuüben vermag" 1 2 9 . W i r meinen allerdings, die Untersuchungen von Schmölders machen deutlich, daß der Einfluß der Verbände nicht unterschätzt werden darf, vor allem, wenn nicht nur die unmittelbare Transformation von Verbandszielen i n Gesetzeswerken berücksichtigt wird, sondern auch die mittelbare Bestimmung der Gesetzgebung über die Bestimmung und Vermittlung des gesellschaftlichen Gesamtsystems. 126 Nachweise bei G. Schmölders, a.a.O., S. 99, E. Buchholz, a.a.O., S. 101 ff., M. Olson jr., Die L o g i k des kollektiven Verhaltens, a.a.O., S. 109 ff., H. Popitz, Prozesse der Machtbildung, a.a.O., S. 9. 127 Z u den Informationswegen und der Häufigkeit der Kontakte vgl. G. Schmölders, a.a.O., S. 128. 128 Z u Einflußformen der Verbände vgl. auch G. Leibholz, a.a.O., S. 27 f. — Z u r Häufigkeit der einzelnen Aktionsformen u n d zu tatsächlichen Erfolgen vgl. G. Schmölders, a.a.O., S. 137 ff. 129 O. Stammer u. a., Verbände u n d Gesetzgebung, K ö l n u n d Opladen 1965, S. 226 f. Z u r unmittelbaren M i t w i r k u n g von Verbänden bei der Willensbildung staatlicher Organe vgl. am Beispiel Österreich G. Winkler, a.a.O., S. 69 ff.

§ 18 Bedingungen der Gesetzesnormqualität

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4. Einwirkungen der öffentlichen Meinung und das heißt: Berücksichtigung der sog. öffentlichen Meinung durch am Gesetzgebungsverfahren beteiligte Personen und die auf ihre Bildung gerichteten Verhaltensakte von Personen, Gruppen oder Organisationen. Die sog. öffentliche Meinung bildet sich i n dem Prozeß zwischen Publizität m i t ihrer kritischen und manipulativen Funktion und den informellen Meinungen. Die Kommunikationsprozesse i n Gruppen, welche zur Meinungsbildung führen, stehen unter dem Einfluß der Massenmedien und der Meinungsvermittlung durch „opinion leaders". „Dem Kommunikationsbereich der nicht-öffentlichen Meinungen steht die Z i r kulationssphäre einer quasi-öffentlichen Meinung gegenüber. Diese formellen Meinungen lassen sich auf angebbare Institutionen zurückführen; sie sind offiziell und offiziös als Verlautbarungen, Bekanntmachungen, Erklärungen, Reden usw. autorisiert. Dabei handelt es sich i n erster Linie um Meinungen, die i n einem verhältnismäßig engen Kreislauf über die Masse der Bevölkerung hinweg zwischen der großen politischen Presse, der räsonierenden Publizistik überhaupt und den beratenden, beeinflussenden, beschließenden Organen mit politischen oder politisch relevanten Kompetenzen... zirkulieren 1 3 0 ." Die sog. öffentliche Meinung gewinnt auch durch die Vermittlung der Umfrageforschung Einfluß auf die Entscheidungsakte i n der Gesetzgebung. Die Kenntnis von ihr und ihrem Zustandekommen macht sie lenk- und manipulierbar durch die „Besitzer" der Informationen und jene der Informationsmittel. 5. Der Stand des technologischen Wissens und die Möglichkeit zur „Organisation der Gesetzgebung". Diese Fakten begründen den großen Einfluß der staatlichen Bürokratie auf die Gesetzgebung, deren Zusammensetzung deshalb nicht nur nach fachlichen, sondern zunehmend auch nach interessenpolitischen Kriterien erfolgt, wie die Beispiele bei jeder Regierungsneubildung zeigen, zumal wenn ein Wechsel zwischen Regierung und Opposition stattfindet 131. Die Gesetzesinitiative für Bundesgesetze liegt zum überwiegenden Teil bei der Bundesregierung 132 . Gesetzesinitiativen der Beschlußkörperschaft beinhalten entweder Alternativentwürfe der „Opposition" 130

J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, a.a.O., S. 268. Vgl. U. Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems i n der Gegenwart, S. 365 ff. 132 Insgesamt gingen von 1949 bis 1965 bei den Gesetzgebungsvorschlägen 1622 I n i t i a t i v e n von der Bundesregierung, 1167 v o m Bundestag u n d 58 v o m Bundesrat aus. I n den Jahren 1963 u n d 1964 sind von den jeweils etwa 100 v o m Bundestag beschlossenen Gesetzen die Gesetzesinitiativen zu einem D r i t t e l von der Bundesregierung ausgegangen; (nach Th. Ellwein u n d A. Görlitz, Parlament u n d Verwaltung, T e i l 1 Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, Stuttgart usw. 1967, S. 83, S. 104 ff.). 131

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

zu umfassenden Gesetzesvorhaben der „Regierung" oder Initiativen zu Gesetzesänderungen oder spziellen Gesetzesvorhaben, u m die Berücksichtigung spezifischer individueller Interessen zu erreichen. Die Gesetzesinitiativen der Regierung sind dabei i n ihren politischen Zielsetzungen meist gleichlaufend m i t den Zielsetzungen jener sozialen Gruppen, welche die Parlamentsmehrheit besitzen. Die Beratungen der Gesetzesvorschläge i n den parlamentarischen „Fachausschüssen" führen zu vielfältigen Änderungen. 133 Solche Änderungsvorschläge können Folge der „Sachkenntnis" der Ausschußmitglieder oder der Anhörung von Sachverständigen sein, wonach eine andere als die vorgeschlagene Regelung zur Erreichung gegebener Ziele vorzugswürdig erscheint. Häufig sind sie aber auch Folge einer besonderen Berücksichtigung jener Interessen, welche von einzelnen Ausschußmitgliedern vertreten werden; das Ergebnis solcher Beratungen ist dann häufig ein „offener" Kompromiß. Die Rechtsnormqualität von Verhaltensregeln erweist sich so als abhängig von gruppen- und schichtenspezifischen Anliegen, Interessen und Bedürfnissen. Sie w i r d bestimmt von jenen sozialen Gruppierungen, welche die Macht der Rechtsetzung (oder Einfluß darauf) haben, aber auch von dem Widerstand aus einem interdependenten, auf Funktionsfähigkeit angelegten, differenzierten sozialen System. Die Postulierung eines angeblichen Gemeinwohles dient dabei der Rechtfertigung. Der Wille der Normsetzungsadressaten, welcher vom System vorgeformt ist, erfährt eine faktische Deutung nach solchen Gemeinwohlvorstellungen 134 . Die Annahme von Sachgesetzlichkeiten und von Sachzwängen, vor allem von solchen i n der Wirtschaft, w i r d zum Ausschluß der Diskutierbarkeit von Entscheidungen verwendet, ohne daß dabei kenntlich gemacht wird, daß eben solche „Sachgesetzlichkeiten" oder „Sachzwänge" nicht neutral, sondern aus der Vorgabe vermeintlich objektiv vorgegebener Entscheidungen und Herrschaftsansprüche und deren Akzeptierung bestimmt sind 1 3 5 . Der Zwang zum Kompromiß 1 3 6 , u m ein Gesetzgebungsziel zu erreichen, führt häufig zur Flucht i n inhaltsarme Formulierungen oder „Generalklauseln", d. h. mangels einer Einigung auf eine konkrete Ziel-Mittelentscheidung w i r d eine Entscheidungsformulierung 133 z u r F u n k t i o n meist nicht-öffentlicher Ausschußberatungen für die Legitimierung von Gesetzgebungsinteressen vgl. Ν. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, a.a.O., S. 189 f. 134 Vgl. hierzu H. Albert, T r a k t a t über kritische Vernunft, a.a.O., S. 165, S. 167 ff. 185 Vgl. G. v. Eynern, Grundriß der politischen Wirtschaftslehre, a.a.O., S. 66 ff., S. 123 ff. u n d J. K . Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft, a.a.O., S. 61 ff., S. 76 ff., S. 332 ff. 136 Vgl. E. Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, i n : V V d S t R L , H. 16, 1958, S. 16 ff., G. Lehmbruch, Proporzdemokratie, Tübingen 1967, S. 41 ff.

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gewählt, welche m i t den unterschiedlichsten Interessen und Bedürfnissen vereinbar, dem Auslegungsstreit preisgegeben, auch der Inanspruchnahme durch neue Interessen und Bedürfnisse, welche zur Realisierung drängen, offen ist. Das Verfahren der Gesetzgebung selbst differenziert dabei die Interessenauseinandersetzung aus der Komplexität des politischen Systems, formalisiert sie und vermittelt eine sozial akzeptierte Legitimationsbasis. I I . Bedingungen der Verfassungskompatibilität

1. Das Grundgesetz ist die normative Konstitutionsbasis einer territorial bestimmten Menschenmenge zur staatlich verfaßten Gesellschaft. Die Präambel des Grundgesetzes enthält die Umschreibung einiger politischer Handlungsziele 137 , welche sich das deutsche Volk als staatlich verfaßte Gesellschaft setzt. Es sind dies: Dem staatlichen Leben Ordnung geben, Wahrung nationaler und staatlicher Einheit, Ermöglichung freier Selbstbestimmung des Volkes, Schaffung eines geeinten und freien Deutschlands, Ermöglichung einer selbständigen Gliedstellung i n einem vereinten Europa, Sicherung des Friedens i n der Welt. Zusätzlich w i r d i n A r t . 20 Abs. 1 und A r t . 28 Abs. 1 und 2 GG postuliert, daß die staatlich verfaßte Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland demokratisch und sozial, rechtsstaatlich und bundesstaatlich bei eigenverantwortlicher Handlungsfähigkeit der Gemeinden zu konstituieren, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 GG) ist. Diese Zielsetzungen können nicht als abschließender Katalog verstanden werden, sie bleiben stets offen für neue Zielbestimmungen, legitimiert durch den demokratisch organisierten Willensbildungsprozeß, wie i h n das Grundgesetz vorschreibt und insoweit auch legalisiert. Die genannten Zielsetzungen, insbesondere jene der A r t . 20, 28 und 1 GG sind selbst inhaltlich nicht eindeutig bestimmt. Die Grundrechte werden i m übrigen herkömmlicherweise vor allem als subjektive Rechte und als Institutsgarantien verstanden. Indem sie Rechtsschutzpositionen umschreiben, begrenzen sie gleichzeitig die M i t tel, welche bei Verfolgung der i m Grundgesetz unmittelbar enthaltenen oder von den politischen Handlungsorganen gewählten Ziele alternativ wählbar sind. Dies bedeutet einmal eine Eingrenzung der möglichen Ziele politischen Handelns einschließlich der Ordnung des gesellschaftlichen Systems, nicht nur durch ihre mögliche unmittelbare Inkompatibilität m i t den i m Grundgesetz postulierten Zielen, sondern auch insoweit eine mittelbare Inkompatibilität entsteht, weil zu ihrer V e r w i r k 137 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschlands, 2. Auflage Karlsruhe 1968, S. 49, Th. Maunz, Deutsches Staatsrecht, 16. Aufl. München 1968, S. 42.

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4. Kap. : Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

lichung erforderliche Verhaltensweisen und Verhaltensregelungen mit Art. 1 ff. GG inkompatibel sind. Die Realisierbarkeit der politischen Ziele w i r d vom Grundgesetz nicht nur hinsichtlich der zulässigen Verhaltensregelungen durch die Gewährleistung von Grundrechten beschränkt, sondern auch hinsichtlich der „faktischen Realisierbarkeit" durch die Bestimmungen der A r t . 104 a ff. GG. über das Finanzwesen. Die Organisationsbestimmungen des Grundgesetzes können schließlich als Beschreibung jener Mittel verstanden werden, welche zur verfassungsrechtlichen Konstitution der staatlich verfaßten Gesellschaft zu wählen sind und i n welchem Rahmen eine Legitimierung politischer Ziel-Mittelentscheidungen erfolgt. Das Verständnis des Grundgesetzes als Ziel-Mittelentscheidung für politisches Handeln und gesellschaftliche Ordnung 1 3 8 widerstreitet nicht notwendigerweise einer Deutung des Grundgesetzes als Wertordnung 1 3 9 . Wie bereits früher dargelegt, können solche Ziel-Mittelentscheidungen als Objektivationen von „Werten" angesehen werden. Allerdings verschiebt eine solche Sprechweise die Problematik der Grundrechte mehr auf das Gebiet philosophischer Ethik und vernachlässigt das Konstitutionsproblem und seine dynamische Prozeßhaftigkeit. Versteht man das Grundgesetz als Vorentscheidung über Ziele und M i t t e l sowie ihre Relation i n der politischen Konstitution der Bundesrepublik 140 , so ist die Gültigkeit jeder niederrangigen Ziel-Mittelentscheidung vom Geltungsumfang des Grundgesetzes und dem Inhalt seiner Aussagen abhängig 141 . Die Zielsetzungen, welche die Präambel beinhaltet, sind dabei als verbindliche Grundentscheidungen, als rechtliche Verpflichtungen, anzusehen, denn unter anderem zu ihrer Realisierung hat sich das „Deutsche Volk" das Grundgesetz gegeben 142 . Die Begrenzungen der zulässigen politischen Mittel und der zulässigen Ordnung der staatlich verfaßten Gesellschaft ist gemäß A r t . 1 Abs. 3 GG „verbindlich" 1 4 3 . 2. Eine sprachlogische Analyse insbesondere der Sätze der Grundrechtsartikel (Art. 1 bis A r t . 19 GG) zeigt jedoch, daß sich diese durch einen hohen Abstraktionsgrad auszeichnen und damit für sich oder i m Kon138

Vgl. hierzu auch E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, a.a.O., S. 220 f. Vgl. BVerfGE 7, 198 (205) u n d Maunz—Düring—Herzog, Grundgesetz, 3. Aufl. München u n d B e r l i n 1969 A n m . 1 u n d 5 zu A r t . 1 GG, dort auch H i n weise auf das umfangreiche Schrifttum. 140 Vgl. BVerfGE 7, 198 ff. (204) u n d — bezogen auf Generalklauseln — BVerfGE 12, 45 (53 f.), 18 (92). I n diesem Zusammenhang steht auch das Problem der Verhältnismäßigkeit der Mittel, vgl. BVerfGE JZ 1969, S. 231. 141 Vgl. BVerfGE 5, 85 (127). 142 Vgl. BVerfGE 5, 85 (127). 143 Zutreffend, jedoch zu eng hinsichtlich m i t dem Grundgesetz vereinbarer Gesellschaftspolitik R. Herzog, Grundrechte u n d Gesellschaftspolitik, S. 63 ff. (dort auch weitere Nachweise) ; vgl. auch Verf., Änderungen des Grundgesetzes durch die sog. Notstandsverfassung, i n : Die Mitarbeit 1968, S. 263. 139

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text betrachtet weitgehend inhaltlich unbestimmt, leerformelartig sind 1 4 4 und keine explizite Rangordnung zwischen ihnen besteht. Sie bedürfen der Konkretion. Inhaltsarme, wenig konkrete Aussagen sind beispielsweise „die Würde des Menschen" 145 , „unverletzliche und unveräußerliche Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeiten der Welt" i n A r t . 1 GG, „alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" i n A r t . 3 Abs. 1 GG. Der Bedeutungsgehalt dieser Bestimmungen ist i n keiner Weise logisch und empirisch — auch nicht durch Zurückgehen auf einen allgemeinen Sprachgebrauch, denn diesen gibt es nicht — objektiv ermittelbar, ihre Konkretisierung bedeutet insoweit Entscheidung. Unklar ist auch das Recht der freien Meinungserlangung hinsichtlich der „allgemein zugänglichen Quellen" i n A r t . 5 Abs. 1 GG. Es bleibt ungeklärt, wer die allgemein zugänglichen Quellen bestimmt oder ob für die Meinungsbildung wichtige Informationen allgemein zugänglich zu sein haben; ebenso bleibt Undefiniert i n A r t . 5, Abs. 3 GG, was als Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre zu verstehen ist, welcher Freiheitsbegriff zugrunde gelegt wird, wo K r i t i k an der Verfassung i n „Untreue" übergeht. Unpräzis ist auch i n A r t . 6 GG die „staatliche Ordnung", unter deren besonderem Schutz Ehe und Familie stehen; ungeklärt, über welche A r t der Pflege und Erziehung der Kinder und auf welche Weise die „staatliche Gemeinschaft" wacht. A r t . 12 GG enthält zwar eine konkrete Beschränkung der politisch zulässigen Ziele und M i t t e l insoweit, als sie die freie Berufsund Arbeits wähl beeinträchtigen würden, ein solches „Freiheitsrecht" hat aber solange nur eine beschränkte Bedeutung, als nicht gleichzeitig die objektive Bestimmtheit sog. subjektiver Zulassungsvoraussetzungen erkannt und die Verpflichtung der politischen Organe postuliert wird, die Voraussetzungen für eine freie Berufs- und Arbeitswahl nach den individuellen Möglichkeiten auch faktisch zu schaffen. Eine inhaltlich-konkrete Aussage über das Eigentum und seine Schranken sowie über die Möglichkeiten einer Enteignung oder Vergesellschaftung ergeben auch die Sätze der Art. 14 und A r t . 15 GG nicht. Einerseits w i r d das Eigentum gewährleistet, Inhalt und Schranken dieser Gewährleistung können aber gesetzlich — beliebig? — bestimmt werden und letztlich i n Neuformulierung eines Eigentumsbegriffes den herkömmlichen Bedeutungsinhalt dieses Begriffes verändern. Es ist auch nicht möglich, die Verpflichtung hinsichtlich des Eigentumes und seines 144 So auch A . Podlech, Grundrechte u n d Staat, in: Der Staat, 1967, S. 341 und i n anderem Begründungszusammenhang W. Leisner, V o n der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, Tübingen 1964, S. 11 ff. sowie — allerdings i n den Folgerungen einschränkend — E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, a.a.O., S. 221. 145 Z u r Leerformelart von A r t . 1 GG und seiner je historisch-weltanschaulichen Ausdeutung Vgl. R. F. Behrendt, Die Würde des Menschen, Hannover 1967, S. 9 ff.

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

Gebrauchs oder die Möglichkeit einer Enteignung „zum Wohle der A l l gemeinheit" anders als durch Konkretion oder kraft eigener Entscheidung zu bestimmen, da weder die „Allgemeinheit" noch deren „Wohl" bestimmt genug sind. Eine Erklärung des gemeinten Eigentumsbegriffes ist auch nicht aus dem Kontext mit A r t . 1 und 2 GG möglich, solange nicht geklärt ist, inwieweit die Würde des Menschen vom Eigentum abhängig oder zur freien Entfaltung der Persönlichkeit Eigentum erforderlich ist. Der Rekurs vieler Theorien hierüber ist dubios. Inhaltlich unbestimmt bleibt die Gewährleistung eines Anspruches „auf rechtliches Gehör" (Art. 103 Abs. 1 GG), solange Voraussetzungen, Umfang und Bedeutung dieses Anspruches sowie die Verwertbarkeit beim „rechtlichen Gehör" gemachter Aussagen nicht präzisiert sind. Schwierigkeiten bereitet nicht zuletzt eine Konkretion von A r t . 2 GG, wonach das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit begrenzt ist durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz. Abgesehen davon, daß besonders der Inhalt des Sittengesetzes nicht feststeht — unter Umständen aber als i n der staatlich verfaßten Gesellschaft herrschende „ethische Mittellage" zu ermitteln ist, w i r d die Entfaltungsfreiheit immer auch durch faktische soziale Freiheitsbeschränkungen beeinträchtigt, was sich nicht einmal durch eine vollständige rechtliche Ordnung der Verhaltensweisen aufheben ließe, weil dies die Beseitigung der Entfaltungsfreiheit bedeuten würde. Als weitere Beispiele für eine ungenügende Präzision oder der Verweisung auf „Außerrechtliches" können A r t . 11, Abs. 2 GG (besonders schwere Unglücksfälle), A r t . 7, Abs. 2 GG (genügende Sicherung), Art. 13 Abs. 2 GG (dringende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Behebung der Raumnot), A r t . 15 GG (Produktionsmittel), A r t . 72 GG (Wirtschaftseinheit) angeführt werden. Gehalt und Funktion von Grundrechten sind selbst sozio-kulturell bedingt, historisch relativ, abhängig von der Herrschaftsstruktur gesellschaftlicher Systeme und deren materieller Fundierung. Ursprünglich als Abwehrrechte gegen eine absolutistische Staatsgewalt entwickelt und als Solidaritäts- und Interaktionsbasis der bürgerlichen Gesellschaft ausgeformt 14®, ist ihre Funktion heute neu i n Frage gestellt, worauf i m abschließenden Teil der Arbeit einzugehen sein wird. Die sprachlogische Offenheit der Grundrechte bindet dabei jede Aussage über eine Konkretion ihres Inhaltes an anderweitig effektive soziale Anliegen, Inter146 Vgl. etwa die Nachweise bei Th. Ramm, Die Freiheit der Willensbildung, Stuttgart 1960, S. 17 ff., S. 42 ff. u n d F. Neumann, Demokratischer u n d autoritärer Staat, F r a n k f u r t / M . u n d W i e n 1967, S. 58, S. 103 ff. sowie G. Oestreich, Die Entwicklung der Menschenrechte u n d Grundfreiheiten, a.a.O., S. 5 ff., H. Ryffel, Staats- u n d Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 314 ff., 325 ff. sowie E. Topitsch, Die Menschenrechte — ein Beitrag zur Ideologiekritik, i n : J Z 1963, S.lff.

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essen und Bedürfnisse, welche einen Sinngehalt vermitteln und an die Formen der Sinnvermittlung, also vor allem die institutionalisierte Staatsrechtswissenschaft und ihre Interpretationen 1 4 7 , eröffnet aber auch damit die normative Konstitution der K r i t i k aus ihrem verfassungsrechtlichen Bezugssystem. Eindeutiger sind die Bestimmungen über den Träger der Staatsgewalt und der Entscheidungsgewalt, nämlich das Volk und seine Repräsentanten (Art. 20 Abs. 2, S. 1 A r t . 38 GG). Hinreichend konkret sind auch die Normen über die Organisation der Entscheidungsbildung, Entscheidungsausführung und Verhaltenskontrolle, also der Gesetzgebung, Regierungsgewalt und Verwaltung sowie Gerichtsbarkeit einschließlich deren Rückkoppelung an die staatlich verfaßte Gesellschaft durch Wahlen, soweit es sich um die Organstellung i m System selbst und u m das Zustandekommen gültiger Entscheidungen handelt. 3. Aus dieser Divergenz i n der Bestimmtheit zwischen Grundrechtsnormen und Organisationsnormen kann sich ein Funktionsverlust der Grundrechte ergeben: Sie dienen selbst nicht mehr als Legitimationsbasis für Verhaltensweisen, welche mit ihnen kompatibel sind, sondern Ausformungen, welche sie i n niederrangigeren Gesetzesnormen gefunden haben, werden m i t zum Interpretationsrahmen der Grundrechte 148 . Damit ist aber der Gehalt der Grundrechte selbst mitbestimmt durch die Faktoren, welche i n der Gesetzgebung wirksam sind. Die Verfassung ist der Gefahr ausgesetzt, zu einem Instrument der Konstitutionalisierung von — vermittels der Organisationsbestimmungen der Verfassung — zur Mitbestimmung zugelassener gesellschaftlicher Kräfte zu werden 1 4 9 . Diese Zusammenhänge sind bei der Frage nach der verfassungsmäßigen Funktion der Gerichte i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen zu berücksichtigen. 4. Wenn die Kompatibilität der i n einem Gesetz ausgesagten Ziel- und Mittelentscheidungen mit dem Grundgesetz nicht unmittelbar aus diesem ablesbar ist, so begründet diese Unbestimmtheit die hervorragende 147 Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, die Normen zu interpretieren, einen möglichen Bedeutungsgehalt „auszulegen" oder auch „hineinzuinterpretieren", sei es unter Bezugnahme auf die Beratungen des Parlamentarischen Rates, auf den historischen „ K o n t e x t " , auf frühere Verfassungen, insbesondere die Weimarer Verfassung oder auf eine angebliche „ N a t u r der Sache" oder „Sachlogik" sowie system-funktionale Erfordernisse; vgl. P. Schneider f Prinzipien der Verfassungsinterpretation, i n : V V d S t R L , H. 20 Berl i n 1963, S. 45 ff. u n d H. Ehmke f daselbst, S. 99 ff. sowie M. Kriele f Theorie der Rechtsgewinnung, B e r l i n 1967 (insbes. S. 212 ff.) u n d K . Hesse, a.a.O., S. 20 ff., 5. 25 ff. m i t umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; als Beispiel eines interpretierten Verfassungstextes ist auf den Kommentar von Maunz—Düring—Herzog zum Grundgesetz zu verweisen. 148 Vgl. W. Leisner y a.a.O., S. 27 ff. 149 Vgl. W. HenniSy Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit, Tübingen 1968, S. 15.

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

Stellung der rechtsprechenden Gewalt 1 5 0 , besonders jene des Bundesverfassungsgerichtes i n der politischen Konstitution der staatlich verfaßten Gesellschaft für die Konkretisierung und Stabilisierung einer Ordnung. Die Entscheidung über die Kompatibilität ist i m Zweifelsfall vom Bundesverfassungsgericht zu treffen. Die Zusammensetzung und Systemfunktion sowie Spruchpraxis dieses Gerichtes w i r d damit zur wesentlichen Bedingung der Gesetzesnormqualität. Dieses Gericht hat sowohl über Streitigkeiten wegen Organisation und Zuständigkeiten der Staatsorgane (Rechte und Pflichten) (Art. 93 Abs. 1 Ziff. 1,3,4 GG), als auch über den Inhalt und Bedeutungsgehalt des Grundgesetzes, insbesondere der Grundrechtsartikel, zu befinden (Art. 93, Abs. 1 Ziff. 2 GG und §§ 13, 90 BVerfGG). Die Bedeutung der übrigen Gerichte darf dabei nicht zu gering angesetzt werden, denn i n vielen Fällen hängt es von ihrer vorgängigen Mutmaßung über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ab, ob das Bundesverfassungsgericht tätig w i r d (Art. 100 Abs. 1 GG) 151 . Die besondere Funktion des Bundesverfassungsgerichtes w i r d noch deutlicher, wenn seine Entscheidungsbefugnis über die Verfassungsmäßigkeit politischer Parteien (Art. 21 Abs. 2 GG) und vor allem die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, welche (letztlich) erst durch das Bundesverfassungsgericht konkretisiert wird 1 5 2 , bedacht werden 153 . 150 Vgl. hierzu allgemein M. Drath, Das Verhältnis von Justiz und Staatsbürger i m Rechtsstaat, a.a.O., S. 17 ff., ders., Die Gewaltenteilung i m heutigen deutschen Staatsrecht, S. 107 ff. 151 Vgl. H. Brinckmann, Das entscheidungserhebliche Gesetz, Berlin 1970, S. 54 ff. 152 Berücksichtigt man den v o m BVerfG statuierten Vorbehalt zur K o n kretisierung eines möglichen überpositiven Rechts, BVerfGE 1, 14 (LS 27); 3, 225, so besteht zu allen wichtigen Verfassungsfragen ein Entscheidungsmonopol, vgl. H. Lechner, Bundesverfassungsgesetz 2. Aufl. München u n d B e r l i n 1967), A n m . zu § 31 Abs. 1 (S. 194), O. Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht Bd. 2 Tübingen 1967, S. 145 sowie W. Geiger, B i n d u n gen der V e r w a l t u n g durch verfassungsrichterliche u n d verwaltungsgerichtliche Urteile, S. 121 u n d K . Hesse, a.a.O., S. 207 ff. 153

Z u I n h a l t u n d Umfang der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vgl. Leibholz—Rinck, Kommentar zum Grundgesetz anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, K ö l n 1968. Das BVerfG w i l l zwar die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, bspw. zu A r t . 3 GG, wahren (BVerfGE 8, 1 (10), 8, 28 (37), N J W 1968, S. 1457 ff.) n i m m t andererseits aber doch tatsächlich Gestaltungsakte v o r (BVerfGE 7, 377 (410), 17, 1; 17, 38; 17, 148; 18, 257; 18, 366; 20, 374; 20, 379; J Z 69, S. 232), oder setzt dem Gesetzgeber Fristen zur Beseitigung von Gesetzeslücken, interpretiert damit die Verfassung u n d bestimmt Prioritäten für die Gesetzgebung (vgl. BVerfGE 15, 337 ff.; 16, 130 ff.; 21, 12 ff.; N J W 1969, 597 ff.). Grundsätzlich zur F u n k t i o n sowie zu materiell-rechtlichen u n d verfahrensrechtlichen Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit M. Drath, Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, i n : V V d S t R L H. 9, B e r l i n 1952, S. 17 ff. (S. 112 ff.); i m übrigen vgl. die Nachweise bei Maunz—Klein i n Th. Maunz u. a. Kommentar zum Bundesverfas-

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Die „Wesensgehalts"-Garantie des A r t . 19 Abs. 2 GG erweist sich so als deklaratorisch, denn entweder sind die Grundrechtssätze inhaltlich bestimmt und dann sind sie auch geltendes Recht und nur insoweit abänderbar, als die Verfassung dies zuläßt und nur innerhalb verfassungsgemäßer Verfahren, oder ihnen fehlt eine solche inhaltliche Klarheit, dann ist die Bestimmung des Wesensgehaltes i n das Ermessen des Gesetzgebers oder des Bundesverfassungsgerichts gegeben, welches wiederum die „Ermessensentscheidungen" des Gesetzgebers auf eine Ermessensüberschreitung überprüfen kann 1 5 4 . Die richterliche Verfassungsinterpretation bindet den Gesetzgeber 155 , sie w i r d zur politischen Entscheidung, das Politische w i r d selbst inhaltlich zum Gegenstand rechtlicher Normierung 1 5 8 . Die Normen des Grundgesetzes bilden nur den Diskussionsansatz und Bezugsrahmen für die Feststellungen der Gerichte. Es ist von hier aus gar zu verständlich, daß die verschiedenen politischen Gruppierungen u m eine Einflußnahme auf die Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichtes über die von der Richterwahlordnung eröffneten Möglichkeiten hinaus bemüht sind. Es bedürfte einer besonderen Untersuchung, u m solche Einflußnahmen i n ihrer Auswirkung auf die Spruchpraxis dieses Gerichtes zu analysieren 1 5 7 . Es kann auch nicht Aufgabe dieser Abhandlung sein, eine Untersungsgerichtsgesetz, München u n d B e r l i n 1967. Vorbem. zu § 1 BVerfGG u n d H. Laufer, Typus u n d Status des Bundesverfassungsgerichts, S. 427 ff., W. Seuffert, Die Abgrenzung der Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegenüber Gesetzgebung u n d der Rechtsprechung, i n : N J W 1969, S. 1369 u n d R. Wildemann, Die Rolle des Bundesverfassungsgerichtes u n d der Deutschen Bundesbank i n der politischen Willensbildung, Stuttgart 1969. Die ordnungspolitische Bedeutung des BVerfG schätzt demgegenüber F. Ermacora, V e r fassungsrecht durch Richterspruch, Karlsruhe 1960, S. 11 ff. zu gering ein. 154 Vgl. P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 Abs. 2 GG, Karlsruhe 1962 u n d E. v. Hippel, Grenzen u n d Wesensgehalt der Grundrechte, B e r l i n 1965, insbes. S. 47 ff., ohne allerdings zu überzeugenden Ergebnissen zu gelangen, vgl. auch H. Jäckel, Grundrechtsgeltung u n d Grundrechtssicherung, B e r l i n 1967 sowie E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, a.a.O., S. 227 ff. 155 Vgl. BVerfGE 6,257 ff. (265 ff.). 156 Vgl. M. Drath, Die Gewaltenteilung i m heutigen deutschen Staatsrecht, S. 99 ff. (S. 107 ff.); R. Marcie , V o m Gesetzesstaat zum Richterstaat, Wien 1957, S. 336 ff.; H. Guradze, N o r m u n d Wert. a.a.O., S. 179. Z u r rechtsprechenden Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichtes u n d seiner Bedeutung als Organ der Gesetzgebung auch W. Flume, Richter u n d Recht, S. K . 27 f., H. Klein, Bundesverfassungsgericht u n d Staatsräson, F r a n k f u r t / M a i n u n d B e r l i n 1968, S. 30 ff., H. Lauf er, Verfassungsgerichtsbarkeit u n d politischer Prozeß, T ü b i n gen 1968, S. 479 ff., R. Marcie, Verfassung u n d Verfassungsgericht, Karlsruhe 1963, S. 204 f., W. Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, München u n d B e r l i n 1960, S. 317 f., teilweise anderer Ansicht E. Stein, Die B i n d u n g des Richters an Gesetz und Recht, B e r l i n 1958, S. 17, K . Stern, i n : Bonner Kommentar (Ausgabe 1967), A n m . 35 zu A r t . 100 GG m i t weiteren Nachweisen; Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vgl. hierzu BVerfGE 1, 97 ff.; 11,255.; 15,46 (75 f.). 157 H. Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit u n d politischer Prozeß, a.a.O., S. 169 ff., leistet hierzu Vorarbeiten.

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4. Kap.: Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen

suchung über die Abhängigkeit der Rechtsordnung von dem persönlichen „Weltbild" und der Zugehörigkeit der Bundesverfassungsrichter zu bestimmten sozialen Schichten und ihrer Prägung durch ihre Herkunft aus einem je spezifischen sozio-kulturellen Milieu 1 5 8 als Bedingung von Rechtsnormqualität vorzunehmen — auf die Zusammenhänge sei nur hingewiesen. Es soll damit aber auch die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichtes nicht überbetont werden, denn zum einen kann es nur tätig werden, wenn es angerufen wird, es ist also abhängig von den durch das Gesamtsystem einer Gesellschaft vermittelten Formen sozialen Konsenses und der Legitimierung, welche Rechtsetzungsakte dadurch erfahren; zum anderen kann sich aus einer Ähnlichkeit seiner Rekrutierung und jener der i n den Gesetzgebungsorganen bestimmenden Gruppierungen, aus einer ähnlichen sozio-kulturellen Prägung und vor allem aus einer Übereinstimmung i n den politischen Grundeinstellungen eine gleiche Beurteilung der Kompatibilität gesetzgeberischer Entscheidungen mit dem Grundgesetz ergeben.

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K. Zwingemann, Z u r Soziologie des Richters i n der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 64 ff. W. Zapf u. a., Beiträge zur Analyse der deutschen Oberschicht, a.a.O., S. 127 ff.

Fünftes Kapitel

Die Funktion von Rechtsnormen und die Entscheidung in gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen durch den Rechtsgestaltungsapparat Der Gang unserer bisherigen Überlegungen war: Rechtslehre und Rechtspraxis verwenden die Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen" zur Erklärung der Rechtsbildung und Rechtsgeltung sowie als Entscheidungsmaxime i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen; die Rechtsfiguren wurden dogmatisiert. Ein neuer Zugang zu den damit angesprochenen Problemen hatte bei der Frage nach der Begründung und Rechtfertigung rechtswissenschaftlicher Aussagen einzusetzen. Aus dem hierbei zugrunde gelegten Wissenschaftsverständnis ergab sich zunächst, daß der Schluß von Faktischem auf ein Sollensgebot, welches als Entscheidungsmaxime zu dienen hat, allgemein nicht möglich ist. Die Gewinnung konkreter Rechtsnormen ist gebunden an die Kenntnis der Regelungssituation und ihrer technologischen Struktur sowie an eine Vorentscheidung über Gestaltungsziele und Gestaltungsmittel. Fakten wurden so erklärt als Bedingungen effektiver Normsetzungen, Rechtsnormen dabei verstanden als Gestaltungsmittel zur Realisierung sozialer Ordnungsziele durch die Bestimmung menschlicher Verhaltensweisen. Die Relevanz von Fakten für effektive Rechtsnormen wurde analysiert, unterschieden nach den Bedingungen der Normzielsetzungen, der Normstatuierungen, der Effektivität von Normen und der Gesetzesnormqualität. Die Formel von der „Normativität des Faktischen" als Erklärungsmittel für Rechtsbildung und Rechtsgeltung wurde auf diese Weise aufgelöst, Rechtsbildung und Rechtsgeltung als soziale Prozesse entfaltet. Zu leisten bleibt, was Gestaltungskriterium i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen zu sein hat. Auszugehen ist hierbei von der Funktion von Rechtsnormen, insbesondere Verfassungs- und Gesetzesnormen, um i n diesem Kontext die Bedeutung gesetzlich nicht hinreichend geregelter Situationen i m System der staatlich verfaßten Gesellschaft zu bestimmen. Die Gestaltungskriterien für solche Situationen sind anschließend aus der verfassungsmäßigen Funktion des Rechtsge8

Grimmer

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

staltungsapparates zu entfalten, denn nur insoweit für diesen eine allgemeine Handlungsanweisung besteht, ist i h m eine Gestaltungsmöglichkeit gegeben.

§ 19

Funktion und Gehalt von Gesetzen und das Grundgesetz I . Zur Funktion von Rechtsnormen

1. Rechtshistorisch-vergleichende Untersuchungen zeigen, wie die Ausformung jedes Normtypes abhängig ist von spezifischen sozio-kulturellen Bedingungen 1 . Der Zusammenhang zwischen jeweils herrschenden gesellschaftlichen Werthaltungen und Ideologien m i t dem „Recht" ist nicht nur — worauf jüngst Drath wieder aufmerksam gemacht hat — i m Familien- und Strafrecht offensichtlich, sondern durchzieht notwendigerweise das ganze Rechtssystem bis zur Funktion der Grundrechte und ihrem Gehalt 2 . Allerdings kann eine unterschiedliche Intensität der Bindungen oder m i t anderen Worten: eine unterschiedliche Entsprechung von Normtypen und Entfaltung von gesellschaftlichen Systemen festgestellt werden: Relativ konstant und m i t unterschiedlichen sozialen Strukturen vereinbar sind jene Normen, deren Sinn es nicht ist, die Umwandlung eines Types gesellschaftlicher Ordnung i n einen anderen, die Veränderung der sozialen Lage, des Status von Mitgliedern einer Gesellschaft oder der sozialen Struktur einer Gesellschaft, die Austeilung von Leistungen oder die Zuweisung von Positionen zu regeln, sondern die formal den Prozeß der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, insbesondere die formal-rationale Ausgestaltung und Abwicklung der Leistungsaustausch- und Interaktionsprozesse zu bewirken haben oder die mögliche gesellschaftliche Organisationsform einschließlich der staatlichen Willensbildung und ihre zweckrationale Ausgestaltung als Folgerung aus dem Sinn (Zielebündel), welchem zu dienen ein solches soziales Gebilde bestimmt ist, und der gegebenen Situation regeln. Als Beispiel kann einerseits die Weiterentwicklung vieler Regelungsformen des römischen Rechts, vor allem i m Bereich des Schuldund Sachenrechts oder die Übernahme ganzer Gesetzessysteme, vor allem des Schuld-, Handels- und Gesellschaftsrechts durch andere Länder, andererseits der Wandel und die Veränderungen innerhalb eines 1 Vgl. F. Neumann, Demokratischer u n d autoritärer Staat, a.a.O., S. 54 f; W. Friedmann, L a w i n a Changing Society, London u. New Y o r k 1964, S. 19 ff. (dt. Recht u n d sozialer Wandel, F r a n k f u r t / M . 1969, S.13ff. 73ff.); T.H.Marshall, Class, Citizenship and Social Development, New Y o r k 1965, S. 71 ff.; G. Gurwitch , Grundzüge der Soziologie des Rechts, a.a.O., S. 158 f. 2 M. Drath, Grundgesetz u n d pluralistische Gesellschaft, a.a.O., S. 85 ff. ; vgl. auch O. Brusiin, Über das juristische Denken, Helsingfors usw. 1951, S. 135 ff.; Α. V. Dicey, The Relation between L a w and Public Opinion, S. 121 ff. ; R. Zippelius, Wertungsproblem i m System der Grundrechte, a.a.O., S. 165.

§ 19 Funktion und Gehalt von Gesetzen und das Grundgesetz

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Gesetzessystems wie dem Bürgerlichen Gesetzbuch seit 1900 angeführt werden 3 . Die relative Konstanz und Versetzbarkeit der oben gekennzeichneten Normbereiche erscheint uns allerdings weniger i n einer Ungebundenheit der Menschen gegenüber der formalen Ausgestaltung mancher sozialer Prozesse, sondern vielmehr i n der ähnlichen Grundstruktur der ein Normensystem pflegenden oder übernehmenden Gesellschaften und ähnlichen systembestimmten Anliegen, Interessen und Bedürfnissen begründet, mögen diese auch durch zwischenstaatliche Austauschformen vermittelt sein. Solche Rechtsnormen können i n der Instituierung von Verhaltensweisen durch Sozialnormen bei Fehlen von Adaptionsvoraussetzungen überformt werden, bei Wegfall ihrer Befriedungsmöglichkeit als Kontrollmechanismen ausfallen. 2. Effektive Gesetzesnormen entstehen so i n der Spannung zwischen den vielfältig gesellschaftlich vermittelten und transformierten Anliegen, Interessen und Bedürfnissen des Normengebers (der i m Normsetzungsverfahren bestimmenden sozialen Gruppen und Schichten) und den Bedingungen, die sich ergeben aus der technologischen Struktur einer Situation, aus dem Aufbau und der Gliederung einer bestimmten Gesellschaft und den i n ihren Mitgliedern verhaltenswirksamen Anliegen als Realisierungsbedingungen der durch eine Rechtsordnung verfolgten Form des sozialen Lebens. Es wurde dargelegt, daß die Regelungssituation und sie bestimmende Handlungsrelationen mehr oder minder interdependente Bestandteile mehr oder minder umfassender sozialer Systeme sind. Solche sozialen Systeme, seien es gesamtgesellschaftliche oder partielle, sind strukturiert, wobei zwischen den Aspekten der sozialen Schichtung, der Organisationen und Institutionen, den formellen und informellen Gruppen und daraus resultierenden sozialen Positions- und Rollensystemen unterschieden wurde. Besondere Bedeutung kommt als Bedingungen der Organisierbarkeit der sozialen Schichtung und als Merkmal für den sozialen Status zu: der Arbeitsteilung, dem Eigentum, Besitz und Einkommen, dem Prestige und der Macht neben besonderen subjektiven Handlungsfähigkeiten. Die Annahme, daß Privateigentum allein Bestimmunsfaktor der sozialen Schichtung sei, erwies sich als unhaltbar, sehr wohl aber verschafft Eigentum nicht nur den Zugang zu sozialen Positionen und 3 Vgl. J. Carbonnier, Die großen Hypothesen der theoretischen Rechtssoziologie, S. 136 ff., F. v. Hippel, Z u m A u f b a u u n d Sinnwandel unseres P r i v a t rechts, Tübingen 1957, F. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen P r i v a t rechtsgesetzbücher u n d die E n t w i c k l u n g der modernen Gesellschaft, K a r l s ruhe 1953, ders., Das bürgerliche Recht i m Wandel der Gesellschaftsordnungen, Karlsruhe 1960. — R. Wiethölter, Die Position des Wirtschaftsrechts i m sozialen Rechtsstaat, S. 41 ff., Z u r Rezeption fremden Rechts als sozialem Prozeß vgl. E.E.Hirsch, Das Recht i m sozialen Ordnungsgefüge, a.a.O., S. 89ff., dessen Folgerungen uns allerding nicht i m m e r hinreichend begründet erscheinen.



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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

m i t ihnen verbundener Macht, sondern auch die Verfügungsmöglichkeit über M i t t e l der Verhaltensbeeinflussung. Normen als Strukturprinzipien einer Gesellschaft erwiesen sich selbst als Bedingungen der sozialen Schichtung und damit sozialer Ungleichheiten, wie sie umgekehrt i n ihren Veränderungen durch die sozialen Schichtungen und Privilegierungen mitbedingt sind. Die Analyse der Bedingungen effektiver Gesetzesnormen ergab weiter, daß jede Situation, jedes mehr oder minder umfassende soziale System, alle Positionen und Verhaltensmuster gesetzesnormativ und sozialnormativ vorgeprägt sind. Die Kulturbedingtheit und Relativität solcher sozialer Normen kann m i t Popitz umschrieben werden „als soziale Plastizität des Menschen — seine Formbarkeit, seine Reagibilität auf die verschiedensten Ordnungsentwürfe — und als soziale Produktivität: die Gestaltungskraft und Phantasie, mit der Menschen die Ordnungen ihres sozialen Lebens entwerfen, biologische Gegebenheiten interpretieren, Bedingungen umformen und sie selbst i n ihrem Verhalten stilisieren" 4 . Gesetzes- und Sozialnormen bedeuten so ein sich gegenseitig Feststellen oder aber auch nur: ein einseitig Festgestellt werden 5 . Allerdings können die m i t der Rollen-Struktur und ihrer sozial-normativen Abstützung verbundenen Verpflichtungen auch habitualisiert werden, sie können „aus einer Zumutung von außen zu einer Selbstverständlichkeit von innen werden"®. 3. Träger spezifischer Anliegen, Interessen und Bedürfnisse verbunden i n Gruppen und Organisationen, tendieren zur Realisierung ihrer Ordnungsziele. Sie bewirken i n Ausnutzung sozialer Machtpositionen und vermittels Organisationsbildungen Umsetzungen ihrer gruppen- oder schichtenspezifischen Ordnungsziele i n gesamtgesellschaftliche Normen, i n Rechtsnormen, u m so i n Ausnutzung der formalen Legitimationsfunktion der Verfahren des staatlichen Rechtssetzungsapparates die Effektivität interessenkonformen Verhaltens und die Sanktionierung abweichenden Verhaltens zu gewähleisten, die Kriterien zur Konfliktentscheidung festzulegen. Mangels hinreichender Vorherrschbarkeit von Entwicklungen der gesamtgesellschaftlichen Prozesse sind solche Umwandlungen grupppenspezifischer Normen zu gesamtgesellschaftlichen Herrschaftsnormen häufig reaktiv. Ein normenkonformes Verhalten w i r d durch die Entlastung von Entscheidungen bei der Verhaltensorientierung an Normen und durch die formale Rechtfertigung aus der Regelungsbedürftigkeit gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens erreicht, auch wenn eine inhaltliche Akzeptierung nicht immer gegeben ist 7 . 4

H. Popitz, Soziale Normen, a.a.O., S. 187/188. Vgl. M. Drath, Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, a.a.O., S. 60 ff. 6 H. Popitz, a.a.O., S. 197. 7 Vgl. M. Drath, Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, a.a.O., S. 46 ff. 5

§ 19 Funktion und Gehalt von Gesetzen und das Grundgesetz

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Verbunden mit einer stärkeren Komplexität sozialer Systeme und Pluralität i n ihnen wirksamer Anliegen ist das Verlangen nach Sicherung der Erwartungslagen und der Regelhaftigkeit sozialer Prozesse, juristisch ausgedrückt i n dem Postulat der Rechtssicherheit, welchem ein eigener, sozial-akzeptierter normativer Gehalt zugewachsen ist 8 . Rechtssicherheit w i r d allerdings zu einem Selbstzweck des Rechtes und entfaltet eine eigene soziale Stabilitätsfunktion, wenn das Recht nicht mehr als schlechthin verpflichtendes verstanden wird, sondern nur noch Ordnungsinstrument ist. I m Postulat der Rechtssicherheit kommt so „die Legitimation eines funktionellen Zusammenhanges zum Ausdruck" 9 . Das Vertrauen i n die Wirksamkeit des Rechtes ist damit auch konstitutive Bedingung der Rechtssicherheit. Die Rechtssetzung selbst erfährt dabei ihre Legitimation durch den sozialen Konsens über die Verfahren der Legitimierung, wobei sie i n komplexen und hochdifferenzierten Gesellschaften durch ihre Instituierung und gesamtgesellschaftliche Ausdifferenzierung einer unmittelbaren kritischen Infragestellung entzogen werden. Rechtssicherheit und Legitimität der Rechtsetzungsverfahren vermitteln eine gemeinschaftsbildende Funktion der Rechtsnormen 10 und damit eine mittelbare Integration einer Gesellschaft auf der Basis jener Anliegen und Interessen, wie sie von sozialherrschenden Gruppen und Schichten i m Gesetz objektiviert werden. 4. Die Sicherung von Erwartungslagen w i r d allerdings durch sog. „offene Rechtsnormen" i n Frage gestellt. Vor allem Konfrontationen gesellschaftlich bedeutsamer Machtgruppen m i t unterschiedlichen A n liegen und Interessen, unterschiedlichen sozial-normativen Prägungen i n Rechtsetzungsorganen führen zu Kompromissen. Diese sind Bedingung des Funktionierens von Gesellschaft, wenn das Postulat rationaler Gestaltung anerkannt und zu einer Gesamtmaxime nicht eine nur gruppenspezifische erhoben werden soll 11 . Beispiel ist die Setzung des Grundgesetzes als typische Kompromißordnung 1 2 m i t der Verwendung interessenspezifisch ausdeutbarer, häufig inhaltlich unbestimmter Formulierungen der Ordnungspostulate. Das Zustandekommen des Parteiengesetzes zeigt, wie ein Gesetz eine Ausgestaltung erfuhr, m i t welcher die 8 Vgl. F.-X. Kaufmann, Sicherheit als soziologisches u n d sozialpolitisches Problem, Stuttgart 1970, S. 96 ff. m i t weiteren Nachweisen. 9 F.-X. Kaufmann, a.a.O., S. 101; vgl. auch H. Popitz, Prozesse der Machtbildung, a.a.O., S. 35, S. 38. 10 Vgl. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, München 1969, S. 5 f. 11 Ä h n l i c h bereits G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, a.a.O., S. 341 u n d J. Stone, Social Dimensiones of L a w and Justice, Stanford 1966, S. 164 ff., Neuerdings H.Flohr, Parteiprogramme i n der Demokratie, Göttingen 1968, S.179 ff. 12 Vgl. hierzu K . - B . v. Doemming, R. W. Füsslein u n d W. Matz, Entstehungsgeschichte der A r t i k e l des Grundgesetzes, i n : J.ö.R. 1951, S. 41 ff.

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

„rechtsfrei" bereits entfalteten Strukturen der maßgeblichen Parteien vereinbar waren. Ursache für „offene Rechtsnormen", vor allem Generalklauseln kann i m Wirtschaftsrecht — wie Neumann nachgewiesen hat — auch eine Konfrontation des „Staates" m i t gesellschaftlich bedeutsamen Machtgruppen sein 13 . Eine „Flucht i n die Generalklausel" ist schließlich auch begründet i n der Unmöglichkeit einer abschließenden enumerativen Regelung komplexer Lebenssachverhalte, an deren Stelle ein generelles Unwerturteil gesetzt w i r d (Beispiel: §§ 138, 242 BGB). Generalklauseln oder „pseudo-normative Leerformeln" bilden ihrerseits eine Legitimationsbasis zur Transformation gruppenspezifischer Normen i n gesamtgesellschaftliche „offene Rechtsnormen", vor allem Ermessensbestimmungen i m Wirtschafts- und Verwaltungsrecht haben auch den Charakter rasch einsetzbarer, technologischer Steuerungsinstrumente (Stabilitätsgesetz, Bundesbankgesetz, Bundesbaugesetz). Der Zwiespalt zwischen dem Prinzip der „Gesetzmäßigkeit" als Sicherung von Erwartungslagen und den Anforderungen der Effizienz politischer Maßnahmen w i r d hier offensichtlich. Nicht anders als m i t den Generalklauseln verhält es sich mit den sogenannten institutionellen Rechtssicherungen, wie dem Eigentum, dem Vertrag und der Vertragsfreiheit, dem Verein, der Ehe, den öffentlichen Körperschaften usw. Sinn dieser Rechtsfiguren ist eine legalisierte Selbstordnung sozialer Gebilde. Die i n diesem Autonomiebereich entwickelten normativen Modelle finden dann Eingang i n die Rechtsordnung i m übrigen 1 4 . Dabei darf nicht übersehen werden, daß es die institutionellen Rechtsgarantien sind, welche die Struktur einer Gesellschaft wesentlich kennzeichnen und nur systemimmanente Veränderungen tolerieren 15 . Die rechtlich gewährleisteten Institutionen bedeuten so Reservate für Normsetzungen 1® jener, welche vorweg auf Grund ihrer sozialen Position den Inhalt dieser Institute (z. B. des Eigentumes und Erbrechtes) festgelegt haben. Sie stellen ein normatives Bezugssystem für gesamtgesellschaftlich transformierbare 13 F. Neumann, Der Funktionswandel des Gesetzes i m Recht der bürgerlichen Gesellschaft, i n : ders., Demokratischer u n d autoritärer Staat, F r a n k f u r t u n d Wien 1957, S. 31 ff. (S. 63). 14 Ungenau insoweit P. Trappe, Die legitimen Forschungsbereiche der Rechtssoziologie, Tübingen 1967, S. 22 f.; H. Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 125, S. 273, i m übrigen vgl. hierzu E. Ehrlich, G r u n d legung der Soziologie des Rechts, a.a.O., S. 352 ff.; G.Jellinek t Allgemeine Staatslehre, a.a.O., S. 359; Th. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, a.a.O., S. 92 ff.; R. Dahrendorf, Über Gestalt u n d Bedeutung des Rechts i n der modernen Gesellschaft, a.a.O., S. 129. 15 Vgl. insgesamt hierzu auch K . Renner, Die Rechtsinstitute des P r i v a t rechts u n d ihre soziale Funktion, Neuausg. Stuttgart 1965. 16 Vgl. G. Davy , Das objektive Recht der I n s t i t u t i o n u n d die A b l e i t u n g des subjektiven Rechts, S. 21 f.

§19 Funktion und Gehalt von Gesetzen und das Grundgesetz Beherrschungsformen dar, indem sie mindestens mittelbare setzungsbefugnis" sichern 17 .

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5. Eine inhaltliche Festlegung rechtsnormativer Verhaltens- und Entscheidungsmaximen erfolgt also insgesamt weitgehend nicht durch die Gesetzesordnung, sondern auf Grund der Gesetzesordnung, auf Grund der von der Gesetzesordnung eingeräumten oder zugelassenen Privilegierung für die Festlegung von Handelsmaximen. Eine soziale Auflösung von Konfliktsituationen kann dabei nur bewirkt werden durch die Gewährleistung differenzierter Handlungsmaximen und deren Internalisierung oder durch eine Rationalisierung politischen Verhaltens und Akzeptierung des Kompromisses als Konstitutionsbasis einer staatlich verfaßten Gesellschaft. Jeder Gesetzgebungsakt setzt m i t den Bedingungen seiner Effektivität gleichzeitig die Grenzen seiner Systemfunktion, wie sich aus der Analyse der Bedingungen einer Statuierung und Realisierung von Normzielsetzungen ergab. Das Fehlen solcher Funktionsbedingungen führt zur Ineffektivität einer Normsetzung, wie die betriebliche Mitbestimmung i n den ersten Jahren ihrer Einführung beispielhaft zeigt 18 . Diese Abhängigkeit beruht nicht nur auf der i m vorigen Kapitel dargelegten Interdependenz zwischen Rechtsnormensystem und gesellschaftlichem Gesamtsystem, auch wenn diese Interdependenz nicht immer i n den Blick kommt. Aber das Rechtsnormensystem erlangt Effektivität nur vermittels seiner sozial-normativen Geltung, es erlangt Systemhaftigkeit nur auf der Grundlage sozial-normativer Regelhaftigkeiten, vor allem der sozialen Interaktions- und Kommunikationsmodelle und es gewinnt den Inhalt von „offenen Rechtsnormen" (institutionellen Regeln) erst i n bezug auf außerrechtliche Normativitäten. Die Bedeutung von Sozialnormen für jedes Rechtssystem ist damit augenfällig. I I . Gesetz und Grundgesetz

1. Die Ausbildung der Rechtsnormen als Realisierung spezifischer A n liegen, Interessen und Bedürfnisse oder als genereller Kompromiß ist begünstigt durch einen formalen Rechtsstaat, welcher nicht nur einen Vorrang der „Zwecke des Staates" vor denen der Menschen, sondern auch eine Vorherrschaft der i n Besitz der Staatsgewalt gelangenden politischen Kräfte und Mächte über alle anderen setzt. „Diese scheinbar formale Konzeption (sc. die des formalen Rechtsstaates) führt so aus der 17 Vgl. W. E. Jennings , Die Theorie der Institution, S. 103 f. u n d V. Leontowitsch, Die Theorie der I n s t i t u t i o n bei Mauric Hauriou, S. 263. 18 Vgl. etwa O. Blume, Normen u n d W i r k l i c h k e i t einer Betriebsverfassung, Tübingen 1964, S. 36 ff.

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

normativen K r a f t der Faktizität heraus nahezu unvermeidlich zu einer materialen Tendenz dieses obrigkeitlichen Rechtsstaats 19 ." Der spezifische Ideologiegehalt des Gesetzesbegriffes w i r d damit offenbar. „Die Behauptung von der Suprematie des gesetzten Rechts impliziert zunächst die weitere Behauptung, daß soziale Maßnahmen nur und ausschließlich durch Gesetzgebung herbeigeführt werden dürfen. Der Vorrang der Gesetzgebung ist aber deshalb behauptet, weil das Bürgertum, jedenfalls i n England und Frankreich, einen wichtigen Anteil am Gesetzgebungsprozeß hatte. Gesetze aber sind immer Eingriffe i n Freiheit oder Eigentum. Wenn solche Eingriffe nur durch Gesetz oder auf der Grundlage von Gesetzen vorgenommen werden können, und wenn das Bürgertum i m Parlament entscheidend vertreten ist, dann impliziert die Doktrin, daß diejenige Gesellschaftsschicht, die das Objekt der Intervention ist, sich die Eingriffe selbst zufügt und selbstverständlich ihre Interessen dabei berücksichtigt 20 ." Diese Feststellung gilt i n dem allgemeinen Sinne, daß eine soziale Gruppe oder Schicht, welche das Gesetzgebungsverfahren beherrscht, i n der Regel nicht oder nur i n dem Maße zu Selbstinterventionen neigt, als zur Erhaltung des Gesamtsystems i m übrigen i m Wege der Kompromißfindung notwendig ist. Gesetze bewirken so Verhüllung der Herrschaft einer spezifischen sozialen Schicht oder Gruppe, indem sie gleichzeitig die Funktion haben, die Berechenbarkeit des ökonomischen Systems und die Garantie eines M i n i mums an Freiheit und Gleichheit zu gewährleisten 21 . Das Gesetz ist damit aber nicht nur logisch stets Maßnahmegesetz. Die oft diskutierte Unterteilung zwischen Allgemeingesetz und Maßnahmegesetz ist nicht aufrecht zu erhalten 22 . Eine Allgemeinheit w i r d für jedes Gesetz bei gleichen Situationsmerkmalen durch A r t . 3 GG vermittelt. I m Hinblick auf die stetigen Organisationserfordernisse der Gesellschaft ist jedes Gesetz ein politisches Führungsinstrument und jedes eine Maßnahme zur Realisierung eines sozialen Ordnungszieles 23 . Aber auch jede als Maßnahmegesetz deklarierte Verhaltensregelung bekommt durch die Interdependenz der sozialen Prozesse und ihre Datensetzung innerhalb dieser Interdependenz Allgemeinheitscharakter; nur beispielhaft 19 W. Maihofer, Die Würde des Menschen, a.a.O., S. 58; vgl. auch E.-W. Böckenförde, Entstehung u n d Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, S. 67 ff. 20 F. Neumann, a.a.O., S. 47. 21 Vgl. F. Neumann, a.a.O., S. 50 u n d E. W. Böckenförde, Gesetz u n d gesetzgebende Gewalt, a.a.O., S. 226 f. 22 Ähnlich, w e n n auch m i t anderer Begründung K . Zeidler, Maßnahmegesetz u n d klassisches Gesetz, a.a.O., S. 145 ff., W. Krawietz, Z u r K r i t i k am Begriff des Maßnahmegesetzes, i n : D Ö V 1969, S. 127 ff.; vgl. auch BVerfGE i n DÖV1969, S. 424 ff. 23 Vgl. auch Th. Ellwein u n d A . Görlitz, Parlament u n d V e r w a l t u n g (1. Teil), a.a.O., S. 146, S. 148 u n d E. W. Böckenförde, Gesetz u n d gesetzgebende Gewalt, a.a.O., S. 131.

§ 19 Funktion und Gehalt von Gesetzen und das Grundgesetz

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sei auf die sozialen und wirtschaftlichen Implikationen eines Maßnahmegesetzes wie des Investitionshilfegesetzes verwiesen. Ein Gesetz kann nicht unmittelbar i m sittlich-ethischen Sinne gut oder schlecht sein. Es kann nur richtig oder falsch sein, indem die i m Gesetz beschriebenen Sachverhalte und die i m Hinblick auf diese Sachverhalte gebotenen oder verbotenen Verhaltensweisen geeignete M i t t e l zur Verwirklichung der Ziele (und den ihnen zugrunde liegenden Anliegen und Interessen) sind, zu geeigneten Leistungen für die Funktion eines gesellschaftlichen Systems, eines als vorzugswürdig erachteten Typs gesellschaftlicher Ordnung führen. Gut oder schlecht i m sittlich-ethischen Sinne können nur die zugrunde gelegten Ziele und die ausgewählten Mittel sein, was eine Frage der Wertentscheidung ist. Ein Gesetz kann allerdings ein sittlich-ethisches Urteil zum Gegenstand haben, wie beispielsweise § 826 BGB, zu unterscheiden davon ist das Rechtswidrigkeitsurteil (etwa i n § 823 BGB). 2. Gesetze als Ausdruck von Anliegen, Interessen und Bedürfnissen spezifischer sozialer Gruppen und Schichten erfahren — wie dargelegt — ihre rechtsnormative Legitimation durch ein Gesetzgebungsverfahren entsprechend den Bestimmungen des Grundgesetzes. Als Ziel-Mittelentscheidungen sind solche Gesetze gleichzeitig Konkretionen der allgemeinen Wertungen der Grundrechte, welche i n ihrer inhaltlich offenen Formulierung nicht i n eindeutige Sollsätze als Umschreibung des ganzen Gehaltes eines Grundrechtes übersetzbar sind 24 . Das Bundesverfassungsgericht stellt zwar fest, wann eine Negation eines Grundrechtes oder eine Überschreitung des gesetzgeberischen Ermessens vorliegt, indem es über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes entscheidet. Es hat aber in der Regel nicht festzustellen, welchen weiteren Funktionsgehalt ein Grundrecht besitzt, i n welcher Weise dieser zu realisieren ist. Die Verfassung unterliegt damit nicht nur der bereits angesprochenen Gefahr eines Funktionsverlustes. Anstelle Konstitutionsbasis einer staatlich verfaßten Gesellschaft zu sein, kann sie i n einem formalen Rechtsstaat absinken zur Legitimationsbasis für die Einsetzung rechtstechnischer Instrumente zur Durchsetzung gruppen- und schichtenspezifischer Herrschaft und ihrer Stabilisierung. Die Realisierung eines angeblichen Auftrages des Gesetzgebers zur Verwirklichung der Freiheitsrechte 25 kann zu deren Beschränkung führen. 24 Vgl. M. Drath, Grundgesetz u n d pluralistische Gesellschaft, S. 122 ff.; zur Entwicklung des Grundrechtsverständnisses seit der französischen Revolution i n diesem Zusammenhang: W. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, München u n d B e r l i n 1960, S. 22 ff. — Z u m logischen Übersetzungsproblem vgl. O. Weinberger, Philosophische Studien zur Logik, Praha 1964, S. 34. 23 So W. Schaumann, Der A u f t r a g des Gesetzgebers zur V e r w i r k l i c h u n g der Freiehitsrechte, i n : J Z 1970, S. 48 ff.

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

Einer solchen faktischen Funktion der Grundrechte w i r d das Postulat gegenübergestellt, die Grundrechte i n einem eigenen normativen Gehalt zur Entfaltung zu bringen, ihnen die Funktion zuzuerkennen, einen institutionellen Rahmen zur Entfaltung differenzierten sozialen Lebens zu vermitteln, reale Konstitutionsbasis einer staatlich verfaßten Gesellschaft zu sein, die Gleichheit aller vor dem Gesetz und soweit es keine gesetzliche Regelung gibt, zu gewährleisten. Ein solches Verständnis der Funktion der Grundrechte entspricht der Ablösung eines absolutistischen Obrigkeitsstaates durch eine parlamentarische Demokratie, wie sie das Grundgesetz konzipiert. I n einer parlamentarischen Demokratie kann es nicht nur Zweck der Grundrechte sein, Freiheitsrechte des Bürgers als „subjektive öffentliche Rechte" gegenüber einer absolutistischen Staatsgewalt auszugrenzen, denn Träger der Staatsgewalt und Träger der Gesetzgebung sind i n einer neuen Weise identisch geworden, es sind die politischen Parteien, welche die jeweilige parlamentarische Mehrheit besitzen 20 . Als Zweck der Grundrechte i n einer parlamentarischen Demokratie w i r d angesehen eine Beschränkung der politischen Gestaltung der Sozialordnung durch die parlamentarische Mehrheit und die ihr verbundene Exekutive zu setzen und gleichzeitig die Entfaltung jener sozialer Gruppen und Schichten zu gewährleisten, welche nicht i m Besitz der parlamentarischen Mehrheit sind, u m eine individuelle Entfaltung und M i t w i r k u n g i n der Gestaltung des Staates zu sichern und damit eine — anders als von Smend verstandene — reale soziale Integration zu einer staatlich verfaßten Gesellschaft zu ermöglichen 27 . Diese Überlegungen finden ihre Ergänzung i n der Arbeit von Luhmann über die Funktion der Grundrechte. Luhmann zeigt, daß sich der Zusammenhang zwischen den Grundrechten selbst aus der Einheit ihrer Funktion und Identität des sozialen Bezugsproblems, dem sie entspringen und an das sie gebunden sind, bestimmt. „Sie verhindern eine Entdifferenzierung und Simplifizierung der sozialen Ordnung, indem sie verschiedene Untersysteme der Gesellschaft i n ihren getrennten Kommunikationskreisen und unterschiedlichen Sondersprachen gegen Tendenzen zur Politisierung der Sozialordnung abschirmen 28 ." Die spezielle Schutzfunktion der Grundrechte betrifft die Konstitution der Persönlichkeit, die Generalisierung der Verhaltenserwartungen, die wirtschaftliche Bedarfsdeckung und die verbindliche Problementscheidung 29 . Der Sinn der Grundrechte ist nach Luhmann weder aus den Interessen des egalisierten Einzelmenschen, noch aus denen des Staates oder einer dialektischen Verbindung beider zu verstehen. „Grundrechte sind nicht lediglich Träger der Sollsugge26

VI. H. Flohr, Parteiprogramme i n der Demokratie, a.a.O., S. 33 ff. Vgl. E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, a.a.O., S. 220, W. Maihofer, Hegels Prinzip des modernen Staates, S. 245. 28 N. Luhmann, Grundrechte als Institution, B e r l i n 1965, S. 187. 29 N. Luhmann, a.a.O., S. 189. 27

§19 Funktion und Gehalt von Gesetzen und das Grundgesetz

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stion von Werten dieser Untersysteme der allgemeinen Gesellschaftsordnung. Ihre Funktion ergibt sich letztlich aus den Problemen der Systembildung und der sozialen Differenzierung. I n einer differenzierten Sozialordnung w i r d die Existenzmöglichkeit der Untersysteme durch die Gesamtordnung vermittelt. Darauf gründet sich die Möglichkeit, daß sie i m Verhältnis zueinander relativ autonom gesetzt und an eigenen Wertideen ausgerichtet werden können 30 ." Eine solche Sozialtheorie der Grundrechte legt die oben dargelegte Bedeutung und Funktion von Sozialnormen offen. Es bietet sich die Folgerung an, daß die demokratische Verfassung selbst erst ihre Realisierung durch das i n sozialen Teilsystemen m i t eigenen Sozialnormen verlaufende soziale Leben als ihr Funktionserfordernis erfährt. Was Luhmann speziell für die Grundrechte ausführt, läßt sich auch für den organisatorischen Teil der Verfassung und für andere Gesetzeswerke, wie das Betriebsverfassungsgesetz, das Handelsrecht und Gesellschaftsrecht zeigen. Das Gesetz als Mechanismus der sozialen Kontrolle steht so selbst i n den Mechanismen sozialnormativer Verhaltenssteuerung i n einzelnen Kommunikationskreisen und den Mechanismen, welche sich aus den Bedürfnissen der Systembildung und -erhaltung, aus den Herrschaftsformen der Systemsteuerung ergeben 31 . Individuelles Leben, wie staatliche Ordnung, realisiert sich i n einer freiheitlichen Demokratie i n vielfältigen sozio-normativen Formen. I I I . Exkurs zur Gültigkeit, Geltung und Verbindlichkeit von Rechtsnormen

Versucht man, auf Grund der bisherigen Überlegungen und Analysen den Gehalt von Gültigkeit, Geltung und Verbindlichkeit 3 2 einer Rechtsnorm oder eines Rechtsnormensystems entsprechend den eingangs gegebenen Definitionen näher zu bestimmen, so ergibt sich: Die Funktion von verfassungsrechtlichen oder anderen „Verfahrensnormen" ist es, die „objektive Gültigkeit" individueller oder gruppenspezifischer Bedürfnisse, Anliegen und Interessen zu begründen. Die Verfahrensnormen selbst unterliegen dabei den gleichen wie für die Geltung und Verbindlichkeit von anderen Normen gegebenen Bedingungen. 30

JV. Luhmann, a.a.O., S. 197. Vgl. hierzu auch T. Parsons , L a w and Social Control, a.a.O., S. 71 f. Z u m Stand der Diskussion vgl. zuletzt R.Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, a.a.O., S. 68 ff., ohne daß der Würdigung u n d K r i t i k Schreibers an den i n der L i t e r a t u r entwickelten Begriffen der Geltung u n d Verbindlichkeit gefolgt werden k a n n (vgl. Verf. i n : Die Mitarbeit, 1968, S. 280 ff.). — Z u r Gültigkeit insbesondere vgl. Ν. Bobbio, Über den Begriff der „ N a t u r der Sache", a.a.O., S. 97, u n d H. Kelsen, Was ist juristischer Positivismus, a.a.O., S. 467; ders., Reine Rechtslehre, a. a. O., S. 10 f. sowie G. H. von Wright, N o r m and Action, a.a.O., S. 199. Kelsen verwendet allerdings die Begriffe Gültigkeit u n d Geltung entgegengesetzt dem hier zugrunde gelegten Sprachgebrauch. 31

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

Die Geltung von Rechtsnormen ist abhängig von den „Einsatzfaktoren", welche ihre Effektivität begründen; da diese Einsatzfaktoren aber abhängig sind von der Struktur einer Regelungssituation und diese bestimmenden Anliegen, Interessen und Bedürfnissen, ist auch die Geltung von Rechtsnormen interessengebunden 33 . Diese Anliegen- und Interessenbindung ist nicht deckungsgleich m i t der verfassungsrechtlichen Bindung der Normsetzungsakte, sie findet vielmehr ihre Rechtfertigung i n gruppen- und schichtenspezifischen Verhaltensmodellen. Zusätzlich ist die Rechtsgeltung von der Handlungsbereitschaft und den institutionellen und individuellen Handlungsregeln des Rechtsgestaltungsapparates abhängig. Eine solche Abhängigkeit kann schließlich auch für die Verbindlichkeit von Rechtsnormen festgestellt werden, wie das Obsoletwerden und der Bedeutungswandel von Normen zeigen. Eine Rechtsnorm ist verbindlich i m subjektiven und objektiven Sinne, wenn die einer Rechtsnorm oder Rechtsordnung zugrunde liegenden Bedürfnisse, Anliegen und Interessen bei den Aktoren des normierenden Aktes und den Adressaten dieses Aktes konkordant sind 3 4 ; die Verbindlichkeit einer Rechtsnorm ist auch rational begründbar 35 . Gültigkeit, Geltung und Verbindlichkeit einer Norm oder eines Normensystems erweisen sich so als abhängig von unterschiedlichen und unterschiedlich wirksamen system-, teilsystem- oder gruppenspezi33 Vgl. hierzu H. Heller, Staatslehre, a.a.O., S. 87 u n d M. Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, a.a.O., Bd. 1, S. 24 und S. 26, sowie R. Dahrendorf, Über Gestalt und Bedeutung des Rechts i n der modernen Gesellschaft, a.a.O., S. 128 f., H. Garm, Rechtswirksamkeit u n d faktische Rechtsgeltung, i n : ARSP 1969, S. 170 — Logisch falsch ist es allerdings, den Begriff der Geltung m i t einem ethischen Postulat an den I n h a l t des Rechts zu verbinden — so H. Welzel, Macht und Recht, a.a.O., S. 841 —, es handelt sich dann u m eine Vermischung von deskriptiven u n d präskriptiven Aussagen. U n k l a r B. Rehfeldt, E i n f ü h rung i n die Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 129 ff. u n d H. Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 438 ff. (S. 454) m i t der Unterscheidung v o n faktischer Geltung u n d Sollgeltung: Eine Geltung k a n n n u r faktisch sein, daneben k a n n es der Sinn eines Sollsatzes sein, zu gelten. U m eine Verbindung der Begriffe Gültigkeit u n d Geltung i m dargelegten Sinne handelt es sich, w e n n Schreiber die Geltung als Eigenschaft von Rechtsnormen erklärt u n d sie m i t den Begriffen der faktischen Geltung, der verfassungsmäßigen Geltung u n d der ideellen Geltung umschreibt (R. Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, a.a.O., S. 41 ff., S. 58 ff., S. 68 ff. (S. 255)) oder w e n n K . Makkonen, Z u r Problematik der juridischen Entscheidung, a.a.O., S. 60 f., die Geltung einer Rechtsnorm m i t der Existenz der Rechtsnormen, d. h. m i t der Tatsache, daß sie gegeben, daß die Relation zwischen Rechtstatsache u n d Rechtsfolge herrschend gemacht ist, verbindet. Z u unterschiedlichen Geltungsbegriffen vgl. i m übrigen U. Klug, Rechtslücke u n d Rechtsgeltung, a.a.O., S. 88 ff. u n d BVerfGE 3, 58 (119), 6,132 (149). 34 Vgl. M. Drath, Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, a.a.O., S. 60 f.; G. Weisser, P o l i t i k als System aus normativen Urteilen, a.a.O., S. 17. 35 M. Drath, G r u n d u n d Grenzen der Verbindlichkeir des Rechts, a.a.O., S. 38 ff., vgl. auch E. K. Heinz, „Geltung" u n d „Verbindlichkeit" i m Bereich normativer Ordnungen, i n : ARSP 1969, S. 355 ff.

§ 20 Funktion der Gerichte und der Verwaltung

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fischen Bedürfnissen, Anliegen und Interessen. Gültigkeit, Geltung und Verbindlichkeit von Rechtsnormen werden so, wie i n Abwandlung von Georg Jellineks Formulierung gesagt werden kann, von einer unterschiedlich „normierenden K r a f t " unterschiedlicher Fakten bestimmt.

§ 20 Gesetzlich nicht hinreichend geregelte Situationen und die Funktion der Gerichte und der Verwaltung I. Bedingungen und Formen gesetzlich nicht hinreichend geregelter Situationen

1. Die industriellen Großgesellschaften unserer Zeit sind höchst komplizierte und differenzierte Gebilde. Diese Gebilde, verstanden als Totalität aller sozialen Beziehungen und Haltungen, Institutionen und Teilgebilde sind einem raschen Strukturwandel unterworfen. Dieser Wandel läßt sich nicht nur innerhalb einzelner Bereiche, wie des technischwirtschaftlichen, feststellen, sondern auch i n einer zunehmenden Interdependenz gesellschaftlicher Prozesse bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung spezifischer „Leistungsinstitutionen". Der von komplexen organisatorischen Gebilden und organisierten A k tivitäten geprägte Bereich der Gesellschaft ist damit gewachsen und beeinflußt auch die nicht organisierten Formen des Gemeinschaftslebens. „Die Menschheit lebt heute nicht nur unter dem Zwang, ihr soziales Leben überaus intensiv zu organisieren, sie muß diese Organisation ihres Lebens auch unablässig bis i n die Grundlagen herab ändern, weil neue Bedingungen die alten Organisationsformen untauglich machen 36 ." Menschliches Zusammenleben bedarf deshalb einer supraindividuellen Ordnung und selbständiger Entscheidungsinstitutionen, wie Drath dargelegt hat, u m mindestens Formen der Verträglichkeit von Handlungen und die Entscheidungsmöglichkeit i n Konfliktsituationen herzustellen 37 . Der Bereich konkreter, eindeutiger Gesetzesnormen kann i n einer dynamisch sich wandelnden Industriegesellschaft nie alle auftretenden Konfliktsituationen unmittelbar abdecken und Verträglichkeit von Verhaltensweisen herstellen, auch wenn sie als Instrument rationaler Planung und sozialer Verhaltenssteuerung dispositiv i n die Zukunft wirken und damit sekundär ein sonst nicht stattfindendes „neues" Verhalten herbeiführen. 36 G. Weisser, Normative Sozialwissenschaft i m Dienste der Gestaltung des sozialen Lebens, i n : Soziale Welt 1956, S. 2, ders., Die zunehmende Organisationsbedürftigkeit der Gesellschaft u n d ihre Probleme, S. 173 ff. 37 M. Drath, G r u n d u n d Grenzen der Verbindlichkeit des Rechts, Tübingen 1963, S. 27 ff. und ders., Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats u n d des Rechts, vgl. auch Max Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, a.a.O., S. 39 f.

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

2. Konfliktsituationen, für welche ein Gesetz nicht unmittelbar einen operationalen Entscheidungsmaßstab enthält, können folgenden Anlaß haben: a) der Pluralismus unseres gesellschaftlichen Lebens besteht nicht nur i n einer Fülle typischer Lebensvorgänge und -beziehungen, sondern verläuft auch i n nicht „reinen Typen"; es bilden sich immer neue Typen, alte Typen erfahren immanente Veränderungen, es gibt Perioden des Uberganges, so daß w i r statt der strikten „ T y p i k " , welche die Rechtsordnung enthält, i n der sozialen Realität letztlich nur kontinuierliche Übergänge finden. Selbst eindeutige Gesetzesnormen können Interpretationsprobleme aufwerfen, begründet i n dem Problem der Wiedererkennbarkeit von Sollsätzen als gesetzlichen Allsätzen i n konkreten Lebenssachverhalten und ihrem alltagssprachlichen Ausdruck, b) Gesetze sind i n dem Aussagegehalt ihrer Gebote oder Verbote — wie dargelegt — häufig offen, sei es auf Grund des Kompromißcharakters vieler Rechtssätze oder weil der Gesetzgeber angesichts der Unübersichtlichkeit oder Unbestimmtheit der Sozialbefunde Regelungsbefugnisse „der individualisierenden Betrachtung und Beurteilung des Rechtsanwenders" übertragen hat 3 8 und selbst nur eine generelle Wertung statuierte. Solche Normen sind selbst entweder empirisch (weitgehend) gehaltlos oder zumindest zur logischen Subsumtion von Lebenssachverhalten weder hinreichend konkret noch operational wie die Generalklauseln etwa m i t einem Bezug auf Treu und Glauben, die Verkehrssitte, die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt 39 , das öffentliche Interesse, die öffentliche Sicherheit und Ordnung 4 0 . Hierzu zählen auch jene Normen, welche Begriffe beinhalten, denen keine eindeutige Definition zugeordnet ist und deren Bedeutungsgehalt auch nicht aus der Alltagssprache eindeutig zu ermitteln ist: die unbestimmten Rechtsbegriffe. Besonders „leerformelbedroht" sind — wie gesagt — die Normen des Staats- und Verfassungsrechtes 41 und jene Normierungssituationen, i n welchen starke Interessen38

H. Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 329 f., S. 357 ff. m i t weiteren Nachweisen. Z u m Problem des Verwaltungs- u n d Gerichtsermessens vgl. m i t weiteren Nachweisen J. Wolff, Verwaltungsrecht Bd. I, a.a.O., § 31 I I ; H. Ehmke, Ermessen u n d unbestimmter Rechtsbegriff i m Verwaltungsrecht, Tübingen 1960, F. Ossenbühl, Ermessen, Verwaltungspolitik u n d unbestimmter Rechtsbegriff, i n : D Ö V 1970, S. 84 ff. 39 Eine solche N o r m k a n n aber bei Berücksichtigung der technologischen S t r u k t u r eines Sachverhaltes u n d bei gegebener Zielwertentscheidung h i n sichtlich der zulässigen M i t t e l eingrenzbar sein. Dies gilt auch f ü r Verhaltensregelungen, welche auf „ Z u m u t b a r k e i t " abstellen. 40 Vgl. hierzu F. Werner, Z u m Verhältnis v o n gesetzlichen Generalklauseln u n d Richterrecht, Karlsruhe 1966, S. 7 ff. Z u unbestimmten Rechtsbegriffen vgl. auch BVerfGE 13, 153 (164) sowie J. Wolff, Verwaltungsrecht I, a.a.O., §31, I c und H.Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, a.a.O., S.356ff.; insgesamt vgl. K . Engisch, Einführung i n das juristische Denken, a.a.O., S. 108 ff. 41 Vgl. hierzu die Beispiele bei H. Jahrreiss, Verfassungsrechtsprechung u n d Verfassungsgericht, i n : Mensch u n d Staat, K ö l n u n d B e r l i n 1957, S. 137 ff. sowie G. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, a.a.O., S. 267.

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gruppen tätig sind, c) U m nicht hinreichend geregelte Situationen handelt es sich auch bei den i m Sinne der herrschenden Lehre sogenannten Gesetzes- und Rechtslücken 42 . Nach den hier entwickelten Gedanken zur Logik von Norm und Faktum liegt allerdings nicht schon dann eine Gesetzeslücke vor, wenn Verhaltenswesen (die Verwirklichung eines Sachverhaltes) nicht erkennbar rechtlich geregelt sind, sondern erst dann und nur dann, wenn sich ergibt, daß die Realisierung eines Sachverhaltes i m Widerspruch zu den einem gegebenen Normensystem zugrunde liegenden, i m logischen Sinne letzten Grundentscheidungen oder mittelbaren Entscheidungen steht. Andernfalls handelt es sich nicht u m Gesetzeslücken, sondern um Lücken einer Rechtsordnung i m Hinblick auf ein rechtlich bedeutungsloses Wunschrecht 43 . Sprachlogisch lassen sich zwei Normtypen unterscheiden: Gesetze, welche i n ihren Sätzen eine Entscheidung zum Inhalt haben und Gesetze, welche eine Entscheidung nicht zum Inhalt, sondern zum Gegenstand haben. Gesetze, welche eine Entscheidung zum Inhalt haben, sind jene, die i n ihrem Bedeutungsgehalt interpretierbare ZielMittelentscheidungen ausdrücken. Gesetze, welche eine Entscheidung nicht zum Inhalt, sondern zum Gegenstand haben, sind jene, welche die Entscheidung, die Konkretion einer Einzelnorm ausdrücklich oder implizit an den Rechtsgestaltungsapparat delegieren, wie Generalklauseln, Ermessensnormen. Dem System Rechtsordnung sind gewissermaßen „Mangellagen" immanent. Je rascher sich die sozialen Verhältnisse wandeln und der Gsetzgeber selbst diese Wandlungen kanalisiert und lenkt, je zahlreicher und häufiger, aber auch je partieller und begrenzter die A k t e der Gesetzgebung sind, desto mehr w i r d die Einheit der Rechtsordnung, werden insbesondere viele durch die soziale Interdependenz bewirkte Fernund Nebenwirkungen nur schwer zu einem geordneten rechtsnormativen System koordinierbar sein. Wenn die Verfassung selbst institutionell von einem Wechsel der politischen Mehrheit und damit der Ordnungs42 Vgl. zum juristischen Sprachgebrauch U. Klug, Rechtslücke u n d Rechtsgeltung, a.a.O., S. 71 ff., welcher zwischen echten u n d unechten Lücken, absichtlichen u n d unabsichtlichen Lücken, primären u n d sekundären Lücken, Gesetzes· u n d Rechtslücken, vorläufigen Gesetzeslücken, immanenten u n d transzendenten Lücken unterscheidet; vgl. auch Enneccerus-Nipper dey, a.a.O., § 58, welcher danach differenziert, ob das Gesetz v ö l l i g schweigt (entweder absichtlich oder w e i l die Frage übersehen wurde, oder w e i l die Frage nicht entschieden werden konnte, da sie erst nach Erlaß des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse entstanden ist) oder ob sich zwei gleichrangige Gesetze widersprechen, oder ob die A n w e n d u n g einer N o r m zu Ergebnissen führen würde, welche der Gesetzgeber vernünftigerweise nicht so geordnet hätte. Vgl. auch A. Meier-Hayoz, A n m . 251 ff. zu A r t . 1 Schwz. ZGB. 43 Ä h n l i c h m i t weiteren Nachweisen C. W. Canaris, Die Feststellung von Lücken i m Gesetz, B e r l i n 1964, S. 98 u n d R. Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, a.a.O., S. 189 ff.

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

intentionen des Gesetzgebers ausgeht, dann muß Heterogenität der hieraus resultierenden Ordnungsinhalte besonders deutlich sein. I I . Zur Funktion der rechtsprechenden Gewalt und vollziehenden Gewalt

1. Die „Mangellage" ist keine definitive. Was inhaltlich dem System Rechtsordnung zu mangeln scheint, w i r d „überformt" durch eine funktionale Delegation einer Entscheidungskompetenz an die rechtsprechende Gewalt und die Exekutive. I m nachfolgenden sollen A r t und Umfang dieser funktionalen Delegation hauptsächlich für die Gerichte analysiert werden. Auszugehen ist von A r t . 20 Abs. 2 GG, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Sie w i r d vom Volk i n Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. A r t . 92 GG wiederholt nochmals: „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut." Die „rechtsprechende Gewalt" unterliegt dabei gem. A r t . 20 Abs. 3 GG der Bindung an „Gesetz und Recht", nach A r t . 97 Abs. 1 GG sind die Richter „unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen". Die Staatsgewalt w i r d danach vom Volk unmittelbar i n Wahlen, Abstimmungen und mittelbar durch besondere Organe ausgeübt, wozu auch das Organ der rechtsprechenden Gewalt gehört. Den Gerichten kommt so eine verfassungsunmittelbare Gewaltenträgerschaft zu, was nicht immer genügend beachtet wird; i m Vordergrund der Überlegungen steht häufig die Bindungsklausel „an Gesetz und Recht". Während A r t . 20 Abs. 2 GG eine funktionale Delegation von Gestaltungskompetenzen und Ausübung der „Staatsgewalt" enthält, kann A r t . 20 Abs. 3 GG als formale Begrenzung der Gestaltungskompetenz verstanden werden. Die Bindung an Gesetz und Recht 44 w i r d hier verstanden als Bindung an Normen der Verfassung und i m Gesetzgebungsverfahren gültig zustande gekommene Normen und aus solchen ableitbaren Rechtssätzen sowie als unmittelbare Bindung an das Grundgesetz (Art. 1 Abs. 3 GG). Die Bindung an Gesetz und Recht umschreibt zunächst den unmittelbaren Tätigkeitsbereich der Gerichte: Es ist jener Bereich, welcher durch die Normiertheit de lege lata i n der besonderen Weise des Rechts gekennzeichnet ist. Die Frage stellt sich damit, wann eine solche Normiertheit de lege lata gegeben ist. I m Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip und das damit verbundene Postulat der Rechtssicherheit 45 wurde die 44 Vgl. hierzu aus der L i t e r a t u r etwa Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, A n m . 72 zu A r t . 20 GG, K . Roth-Stielow, Die Auflehnung des Richters gegen das Gesetz, V i l l i n g e n 1963, S. 33 f., R. Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, a.a.O., S. 225 f. 45 Vgl. Maunz-Dürig-Herzog, m i t weiteren Nachweisen.

Grundgesetz, A n m . 61 u n d 62 zu A r t . 20 GG

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Zuerkennung einer Rechtsnormqualität an Gesetzgebungsakte m i t dem Postulat der Rechtsklarheit verbunden, d.h. der Forderung, daß die Rechtsunterworfenen klar erkennen können müssen, was Recht sein soll 46 . Begründet w i r d diese Forderung auch damit, daß mangels hinreichender Eindeutigkeit der Grundrechte jedenfalls gesetzliche Eingriffe i n Freiheit und Eigentum stets konkret zu sein haben, u m berechenbar zu sein 47 . Das Postulat der Rechtsklarheit w i r d dabei vielfach i m Sinne einer Bindung von Gesetz und Recht an die Gesetze der Logik als eines verfassungsmäßigen Bestandteiles von Gesetz und Recht verstanden 48 . Dies hat zur Folge, daß pseudo-normative Leerformeln i n ihrer Rechtsnormqualität i n Frage zu stellen sind 49 . Ein solch strenges Verständnis der Rechtsnormqualität ist unserer Ansicht nach nicht vertretbar. Das Grundgesetz ist zwar i n seinen Ziel-Mittelrelationen durch Gesetze konkretisierbar. Diese Konkretion kann aber ihrerseits „offen" und zur endgültigen Klarstellung der rechtsprechenden Gewalt und Exekutive überantwortet sein, u m systemfunktionale Gestaltungen zu erlauben bei Wahrung einer umfassenden Eigenfunktion der Gerichte; die Wertung der Gesetze muß aber erkennbar sein. Aufgabe ist i n solcher Lage eine Neubesinnung über die Funktion der rechtsprechenden Gewalt und der Verwaltung. Die Bindung der Rechtsnormqualität an eindeutig operationale Gesetzesaussagen würde eine Handlungskompetenz der rechtsprechenden Gewalt allein an jene Normen binden, welche ihrem Gehalt nach eindeutig sind. Die Institution der rechtsprechenden Gewalt würde damit an einen Rechtsnormbegriff gebunden, der diese als „Gewalt" letztlich aufhebt 50 , ihre von dem gesellschaftlichen Leben als System zwischenmenschlicher Beziehungen, ebenso wie von der Rechtsordnung als „Normensystem mit Mangellagen" geforderte Funktion unmöglich macht und dies, obgleich sie i n den einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes ersichtlich akzeptiert, d. h. aber verfassungsrechtlich bejaht ist, und es sich also zunächst einmal u m ihre theoretische Herausarbeitung handelt 51 . 46

Vgl. BVerfGE 5, 31; 11,238; ferner 1, 45; 8, 326; 9,149 ff.; 13,161. Vgl. Th. Maunz, Deutsches Staatsrecht, a.a.O., S. 59, H. v. Mangoldt u n d F. K l e i n , Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl. Bd. 1 u. 2 B e r l i n 1957—1964, A n m . I I I , 2 zu A r t . 20 GG, D. Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, Tübingen 1961, G. Kohlmann, Der Begriff des Staatsgeheimnisses u n d das Verfassungsgebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften, K ö l n 1969, S. 251 ff.; BVerfGE 17, 314. 48 So R. Schreiber, L o g i k des Rechts, Heidelberg 1965. 49 Diese Auffassung w i r d v o r allem von G. W. Wittkämper, Grundlagen einer rechtswissenschaftlichen Interdependenztheorie, a.a.O., S. 98 ff. i m A n schluß an verschiedene philosophische u n d rechtswissenschaftliche Lehren vertreten. 50 Vgl. zum Umfang der rechtsprechenden Gewalt Leibholz-Rinck, Grundgesetz, Nachtrag A p r i l 1968, A n m . 1 zu A r t . 92 GG m i t Rechtsprechungsnachweisen. 51 Vgl. allgemein E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, a.a.O., 47

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Grimmer

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

Verfassungsrechtlich ist auf A r t . 20 Abs. 2 GG i n Verbindung m i t A r t . 1 Abs. 3 GG zu verweisen. A r t . 20 Abs. 2 GG delegiert die „Gewaltenausübung" i m Sinne einer Rechtsetzungskompetenz m i t Geltungsanspruch an die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. Funktion der Rechtsprechung ist es danach über die Verträglichkeit oder Unverträglichkeit von Handlungen m i t der Verfassungs- und Gesetzesordnung zu befinden, und mangels hinreichend eindeutiger Gesetzesregelung i n Ausübung mittelbarer Staatsgewalt Einzelnormsetzungen i m Rahmen von A r t . 1 Abs. 3 GG vorzunehmen, damit willkürliche „Gewaltausübung" (Art. 2 Abs. 1 GG) unterbunden, die Verfassungsordnung realisiert und die Verträglichkeit von Verhaltensweisen i m Konfliktfall herbeigeführt wird, der Staat als organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit 5 2 zur Entfaltung kommt. Die Rechtsetzungskompetenz der rechtsprechenden Gewalt findet ihre grenzen dort, wo es sich u m die Lösung politisch-weltanschaulicher Gestaltungsprobleme handelt, insoweit ist nur eine unmittelbare Kompetenz der Gesetzgebungsorgane gegeben53. Die Gestaltungsfunktion der rechtsprechenden Gewalt ist deshalb stets unsystemimmanent, auf die Entfaltung des durch das Grundgesetz umschriebenen Systems der staatlich verfaßten Gesellschaft insgesamt gerichtet 54 . Gewaltenträgerschaft der Gerichte bedeutet also, daß ihnen die Funktion der Konfliktentscheidung auch dann zukommt, wenn sich aus der Bindung an „Gesetz und Recht" keine unmittelbare Entscheidungsmaxime ergibt. Hierauf ist i m folgenden weiter einzugehen. Drath hat auf diese besondere Funktion der Gerichte nach dem Grundgesetz zuerst aufmerksam gemacht 55 , sie hat allerdings nichts — wie Drath ebenfalls nachgewiesen hat — m i t der vielfach falsch verstandenen Gewaltenteilungslehre von Montesquieu zu tun 5 8 . Die Gewaltenträgerschaft S. 17, V. Doehring, Der „Pouvoir neutre" u n d das Grundgesetz, i n : Der Staat 1964, S. 201 ff., Ch.-Fr. Menger, Moderner Staat u n d Rechtsprechung, T ü b i n gen 1968, W. Leisner, Die quantitative Gewaltenteilung, i n : D Ö V 1969, S. 405 ff., N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, München 1970, S. 107 ff.; BVerfGE 3, 247; 7, 188; B V e r f G i n : J Z 1969, S. 294 ff. 52 Vgl. H. Heller, Staatslehre, a.a.O., S. 216 ff. 53 Vgl. BVerfGE 3, 244 f.; B V e r f G i n : N J W 1969, S. 600. 54 Weit verbreitet ist heute noch ein engerer Begriff der rechtsprechenden Gewalt, vgl. K. Löwenstein, Verfassungslehre, Tübingen 1969, S. 39 ff. ; P. Schneider, Z u r Problematik der Gewaltenteilung i m Rechtsstaat der Gegenw a r t , S. 168; H.Jahrreiss, Die Wesensverschiedenheit der A k t e des H e r r schers u n d das Problem der Gewaltenteilung, S. 119 ff. E i n solches Verständnis der rechtsprechenden Gewalt f ü h r t notwendigerweise zu einem Funktionsverlust der Verfassung. 65 M. Drath, Die Gewaltenteilung i m heutigen deutschen Staatsrecht, a.a.O., S. 107 ff., 135 ff. u n d ders., Das Verhältnis von Justiz u n d Staatsbürger i m Rechtsstaat, a.a.O., S. 17 ff., vgl. auch F. Neumann, Demokratischer u n d autoritärer Staat, a.a.O., S. 45 f. 56 M. Drath, Die Gewaltenteilung i m heutigen deutschen Staatsrecht, S. 102 ff.

§ 20 Funktion der Gerichte und der Verwaltung

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der „rechtsprechenden Gewalt" dokumentiert sich am augenfälligsten am Bundesverfassungsgericht. Ein gewisses Bewußtsein dieser besonderen Funktion der Gerichte mag die Ursache dafür sein, daß nach dem Grundgesetz die rechtsprechende Gewalt nicht dem einfachen Gesetzesvorbehalt unterliegt 5 7 . Die Gewaltenträgerschaft der Gerichte hat sich zunehmend i n der Rechtsprechung entfaltet, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen 58 . Die Funktion der Gerichte: Organ der Rechtsanwendung und -durchsetzung und Organ gebundener Einzelnormsetzung i m Rahmen des Grundgesetzes zu sein, erscheint sozial akzeptiert. I n einem umwegreichen sozialen Prozeß, welcher hier nicht näher zu verfolgen ist, wurde die rechtsprechende Gewalt i m System der staatlich verfaßten Gesellschaft ausdifferenziert und entpolitisiert und i n ihrer Organstellung formalisiert. Ihre Einzelnormsetzungen erfahren zwar keine demokratischparlamentarische Legitimation, sondern sind vermittelt durch den sozialen Status der Richter und die Verfahren der Rechtsprechung 59 . Es bleibt aber den Gesetzgebungsorganen vorbehalten, durch Gesetz Grundrechtsnormen i n anderer Weise als es ein Gericht getan hat für die rechtsprechende Gewalt bindend zu konkretisieren, richterliche Gestaltung durch Gesetzgebung zu überformen (Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau). 2. Anders als die Funktionsstellung der rechtsprechenden Gewalt ist jene der vollziehenden Gewalt zu bestimmen. Bei der rechtsprechenden Gewalt steht die Bindung an „Gesetz und Recht" i m Vordergrund, mangels einer inhaltlich eindeutigen Gesetzesnorm hat die rechtsprechende Gewalt die Funktion, über die Verträglichkeit von Handlungen i m Rahmen der Grundrechtsordnung zu befinden; ihre Verfahren sind durch „rationale Entscheidung" gekennzeichnet. Verwaltungshandeln hat demgegenüber — soweit es sich nicht u m gebundene Gesetzesausführung handelt — soziale Gestaltung nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten auf der Grundlage gesetzgeberischer ZielMittelentscheidungen zu sein. Mangels eindeutiger Bestimmbarkeit ihrer 57 Vgl. M. Drath, Die Gewaltenteilung i m heutigen deutschen Staatsrecht, a.a.O., S. 135 ff. sowie Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz A n m . 75 ff. zu A r t . 20 GG m i t weiteren Nachweisen, Leibholz-Rinck, Grundgesetz, K ö l n 1966 A n m . 16 zu A r t . 20 GG u n d K . Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 178ff., S.203ff.; ergänzend: W.Birke, Richterliche Rechtsanwendung u n d gesellschaftliche Auffassungen, K ö l n 1968, S. 17 ff., S. 22 ff. 58 Vgl. Maunz-Dürig-Herzog, A n m . 89 ff. zu A r t . 20 GG m i t weiteren Nachweisen u n d Leibholz-Rinck, Grundgesetz A n m . 24 zu A r t . 20 GG sowie ders., Grundgesetz, Nachtrag, unter A n f ü h r u n g von BVerfGE 21, 79, welche E n t scheidung allerdings die Funktionsstellung der Gerichte enger auffaßt. 59 Vgl. O. Kirehheimer, Politische Herrschaft, Ausgabe F r a n k f u r t 1967, S. 145; N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, a.a.O., S. 55 ff., S. 242 ff.

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

Handlungssituation und mangels hinreichender Vorhersehbarkeit von Situationsveränderungen sind die gesetzgeberischen Gewährungen von Handlungsermessen Voraussetzung jeder effektiven Verwaltung 6 0 , ihre — abgeleiteten Rechtsetzungsentscheidungen 61 — sind nach Verfahren der Entscheidungs- und Spieltheorie zu gewinnen. Das Prinzip der strikten Gesetzesbindung und Rechtssicherheit 62 w i r d dabei ergänzt durch die politische Verantwortlichkeit vor allem gegenüber der Mehrheit eines Parlamentes, welche das Gesetzgebungsverfahren bestimmt und die Regierung stellt, ihre politischen Ziele mittels der vollziehenden Gewalt realisiert. Die politische Kontrolle hat dabei durch die parlamentarische Opposition und letztlich durch den Wähler zu geschehen, sie erfordert rationales politisches Verhalten 6 3 .

§ 21

Gestaltungskriterien für die Organe der Rechtsprechung in gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen

I. Die Tätigkeit der Organe der Rechtsprechung kann entsprechend den Verfahrensnormen jederzeit vom Bürger oder von anderen staatlichen Organen veranlaßt werden. Für den Richter kann seine Handlungssituation dadurch gekennzeichnet sein, daß Gestaltungskriterien i n einem hinreichend operationalen Gesetz gegeben sind, daß eine „Generalklausel" für die Gestaltung nur allgemeine, offene Werte vorgibt oder daß der Richter die Gestaltungskriterien selbst auf der Grundlage der Grundrechte zu entfalten hat. Die Situation der vollziehenden Gewalt ist insofern anders, als diese an einen vorrangigen Gestaltungsauftrag durch Gesetz oder Regierungsakt gebunden ist. Die Grundrechtsordnung ist für sie deshalb i n der Regel nicht unmittelbar Entscheidungsgrundlage, sondern die i m Grundgesetz festgelegten Wertungen bilden die Begrenzung ihrer Handlungsmöglichkeiten bei der Ausführung gesetzlicher Gestaltungsanweisungen. 1. Bei hinreichend operationalen Gesetzen handelt es sich hier u m den Bereich der sogenannten Rechtsanwendung, verstanden als Tätigkeit des Richters, eine gegebene Situation als Folge von Handlungen auf ihre 60 Vgl. hierzu zuletzt F. Ossenbühl, Ermessen, Verwaltungspolitik u n d u n bestimmter Rechtsbegriff, a.a.O., S. 85 m i t weiteren Nachweisen. 61 Vgl. W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, Bad Homburg usw. 1969, S. 75 ff., 149 ff., die Problemlage ist allerdings bei Schmidt nicht k l a r erkannt. 62 Hierzu insbes. H. Kupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre, Tübingen 1965, S. 177 ff. 63 Vgl. Verf., Modell rationalen politischen Verhaltens, i n : F r a n k f u r t e r Hefte 1970, S. 302, T. Eckhoff u n d K. D. Jacobsen, Rationality and Responsib i l i t y , Kopenhagen 1960.

§ 21 Gestaltungskriterien für die Organe der Rechtsprechung

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Übereinstimmung m i t einer gebotenen bzw. auf ihre Nichtübereinstimmung m i t einer verbotenen Situation zu prüfen und die gesetzlichen oder „vereinbarten" Rechtsfolgen festzustellen. Die Entscheidung darüber, ob ein Sachverhalt oder eine Verhaltensweise Teile einer rechtlich hinreichend geregelten Situation sind, ist demnach davon abhängig, ob es eine Rechtsnorm oder ein Rechtsnormensystem gibt, welche i n ihrem deskriptiven Teil (Tatbestand) die Beschreibung einer der faktischen Situation (Verhaltensweise, Sachverhalt) entsprechenden Situation enthalten. Die Ermittlung der Rechtsfolgen geschieht i m sogenannten Subsumtionsverfahren. A u f die Probleme der Gesetzauslegung und -anwendung 6 4 und auf die logische Struktur richterlicher Urteile braucht i n unserem Zusammenhang hier nicht eingegangen zu werden. 2. Bei Generalklauseln ist das Subsumtionsverfahren nicht möglich, da diese keinen durch Merkmale umrissenen Tatbestand haben, der als Obersatz eines Subsumtionsschlusses zu fungieren vermöchte 65 . So ist zum Beispiel eine Norm, welche als Entscheidungskriterium das „öffentliche Interesse" postuliert, nicht operational, da das öffentliche Interesse nicht eindeutig ist und auch die Öffentlichkeit, deren Interessen realisiert werden sollen, nicht stationär ist* 6 . Eine Entscheidung nach Gemeinwohlvorstellungen ist auch nur, wie Streißler gezeigt hat, bei großer Homogenität der sozialen Wertungen und bei ausgeformten sozialen Wertpräferenzen durchführbar 67 . Beide Voraussetzungen zusammen sind aber i m allgemeinen nicht gegeben. 64 Vgl. K. Makkonen, Z u r Problematik der juridischen Entscheidung, a.a.O., S. 97 ff. u n d K . Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 212 f., S. 233 ff. sowie K. Engisch, Einführung i n das juristische Denken, a.a.O., S. 43 ff., ders., Logische Studien zur Gesetzesanwendung, Heidelberg 1960, S. 19, R. Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, a.a.O., S. 156 ff., S. 168 ff., S. 173 ff., F. Wieacker, Methoden der Auslegung des Rechtsgeschäfts, i n : J Z 1967, S. 385 ff., O. A . Germann, Probleme u n d Methoden der Rechtsfindung, Bern 1965, S. 147 ff., A . Meier-Hayoz, a.a.O., A n m . 132 ff. zu A r t . 1 Schwz. ZGB., G. Stratenwerth, Z u m Streit der Auslegungstheorien, S. 257 ff. 65 I m einzelnen hierzu K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 219. 86 F ü r die Formel von den „guten Sitten" vgl. entsprechend Esser, i n : J.Esser u n d E.Stein, Werte u n d Wertewandel i n der Gesetzesanwendung, a.a.O., S. 25 ff., f ü r die Formel „Ansicht aller b i l l i g u n d gerecht Denkenden" vgl. G. Arzt, Die Ansicht aller b i l l i g u n d gerecht Denkenden, Diss. Tübingen 1962, welcher die Absurdität einer Begründung v o n guten Sitten oder V e r kehrssitte oder T r e u u n d Glauben m i t der i n der Rechtsprechung (S. 12 ff.) üblichen Formel durch die „Ansicht aller b i l l i g u n d gerecht Denkenden" aufweist (S. 29 ff.). A r z t i r r t jedoch, w e n n er meint, daß die „ N a t u r der Sache" dem Richter die Gewinnung einer Entscheidung hinsichtlich des Wertungsgehaltes der Generalklauseln unmittelbar ermöglicht. Erst i n einer Wertentscheidung bestimmt sich die normative Relevanz einer Sache. — Als Beispiel einer höchstrichterlichen Entscheidungsbegründung, w i e sie hier kritisiert w i r d , sei auf Β G H Z 30,140/142 verwiesen. 67 E. Streißler, Z u r Anwendbarkeit von Gemeinwohlvorstellungen i n richterlichen Entscheidungen, a.a.O., S. 1 ff., S. 11, S. 18 f.

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

3. Die logisch eindeutige Bestimmung des normativen Sinnes der Elemente einer nicht unmittelbar gesetzlich geregelten Situation ist auch nicht mittels des Ähnlichkeitsschlusses (argumentum a simili) und des Umkehrschlusses (argumentum e contrario) möglich. Diese Argumentationen leiden unter der häufig unexakten Formulierung der Normen. Beim Ähnlichkeitsschluß hängt das vor allem damit zusammen, daß selten genug definiert ist, was unter einer Ähnlichkeit verstanden werden soll. Formal logisch zwingend ist das argumentum a simili nur, wenn es i n einen Deduktionsschluß überführt wird. Das kann nur durch die Definition eines Ähnlichkeitskreises geschehen, die Feststellung eines solchen Ähnlichkeitskreises wäre aber bereits richterliche Entscheidung 88 . 4. Der Richter und der Verwaltungsbeamte, welchen durch eine Generalklausel eine Entscheidung aufgegeben ist, haben aber die Möglichkeit, die gesetzesnormativen Grundwertungen festzustellen, welche dem Geltungsbereich der anzuwendenden Generalklausel entsprechen. Voraussetzung ist die Annahme, daß Gesetzesnormen insgesamt als Normensystem zu verstehen sind 69 und das Normensystem i n sich widerspruchsfrei 7 0 zu sein hat, „Systemlücken" 71 sind dabei nicht ausschließbar. Erkenntnisverfahren zur Festellung von Grundwertungen sind die reduktiven bzw. induktiven Schlußverfahren innerhalb eines gesetzesnormativen Gesamtsystems. Die immanent-teleologische Reduktion 7 2 dient der Ermittlung des Ziel-Mittel-Verhältnisses, der einer Norm zugemessenen „Ordnungs-Zweckmäßigkeit", und ermöglicht damit die Beibehaltung dieses Zweckmäßigkeitsgesichtspunktes i n einer veränderten Situation bei gleichbleibender Grundwertung 7 3 . Das induktive Verfahren führt demgegenüber zur Feststellung der Grundprämissen eines Normensystems, von welchem ein Gesetzgeber i n der Normsetzung ausging, und welche auf andere Situationen übertragbar sind, insoweit das gesamte Wertungssystem ermittelbar und ermittelt ist 7 4 . Wenn das in68 Vgl. U. Klug, Juristische Logik, a.a.O., S. 124 ff., K . Engisch, Einführung i n das juristische Denken, a.a.O., S. 142 ff. u n d R. Schreiber, Logik des Rechts, a.a.O., S. 47 ff., diese Verfahren können allerdings dem Richter Argumente zur Beurteilung einer ungeregelten Situation geben (vgl. hierzu Th. Heller, Logik u n d Axiologie der analogen Rechtsanwendung, B e r l i n 1961, S. 144). 69 Vgl. C.-W. Canaris , Systemdenken u n d Systembegriff i n der Jurisprudenz, a.a.O., S. 86. 70 Vgl. R. Schreiber, Allgemeine Rechtslehre, B e r l i n usw. 1969, S. 53. 71 So C.-W. Canaris , a.a.O., S. 131. 72 Vgl. Ε. v. Hippel, Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsaktes, 2. Aufl. B e r l i n 1960. 73 Vgl. m i t Beispielen C.-W. Canaris , Die Feststellung v o n Lücken i m Gesetz, a.a.O., S. 151 u n d H. Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, a.a.O., 5. 251. Neuerdings hat v o r allem i m Zivilrecht die Frage nach dem Normzweck bei der E r m i t t l u n g des Norminhaltes Bedeutung gewonnen, vgl. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, a.a.O., S. 528. 74 Vgl. wiederum m i t Beispielen C.-W. Canaris , a.a.O., S. 100 ff. u n d zu sog. speziellen Rechtsprinzipien als teleologisch-axiologisch-ideologischen G r u n d -

§ 21 Gestaltungskriterien für die Organe der R e c h t s p r e c h u n g 1 3 5 duktive Verfahren auch nicht zu logisch m i t wahr oder falsch entscheidbaren Ergebnissen führt, so können auf diese Weise und mittels der immanent-teleologischen Reduktion doch kontrollierte Aussagen über Rechtsprinzipien und damit ein Bezugsrahmen für Abwägungen i m einzelnen gewonnen werden. A n sie hat sich der Richter aus Gründen der Rechtssicherheit (möglichst langes Festhalten an den objektiven Grundlagen des Gesetzes zur Verhinderung von Willkür) und der Rechtsgleichheit (Anwendung gleicher Wertungen innerhalb wie außerhalb des Gesetzes und somit Vermeidung von Widersprüchen zwischen gesetzlichen und richterlichen Werturteilen i m gleichen Rechtsgebiet) „zu halten" 7 5 . Rechtsprinzipien i m dargelegten Sinne sind letztlich Entscheidungen des Gesetzgebers, und zwar grundlegende 7®. Sie sind gültig, soweit sie verfassungskonform sind, ihnen kann die gleiche Bedeutung zukommen wie Gesetzen. Ihre Anwendung ist Rechtsfindung 77 , sie sind anwendbar, soweit aus ihnen eine konkrete Ziel- und Mittelwertung i m Hinblick auf eine faktische Situation ableitbar ist 7 8 . Diese Bedingung ist aber nur auf der Ebene mittlerer Abstraktion erfüllbar. Der Sprachgebrauch, was als Rechtsprinzipien verstanden wird, und ihre Klassifizierung ist allerdings außerordentlich mannigfaltig. Soweit diese Ausdruck finden i n Worten, wie Gerechtigkeit, Objektivität, Personenwürde, Freiheit, lagen eines Normensystems, A. Meier-Hayoz, a.a.O., A n m . 408, zu A r t . 1 Schw. Z G B m i t dem Hinweis, daß eine Zweckbetrachtung — richtiger Zielbetrachtung — solange unzureichend ist, insoweit nicht auch die Grundsätze der M i t t e l w a h l festgestellt werden. Meier-Hayoz verkennt, daß bereits die E r m i t t l u n g eines Systems v o n Grundwerten zur Feststellung m i t diesem i n kompatibler Mittelwertungen führen kann. Kritisch K . Makkonen, Z u r Problem a t i k der juridischen Entscheidung, a.a.O., S. 197 ff., welcher den logisch nicht möglichen Schluß v o n einer Klasse von Normen auf eine andere Klasse nicht differenziert gegenüber dem hier als zulässig erachteten Verfahren des Schlusses von einer Klasse von Normen auf diesen zugrunde liegende W e r t u n gen als Entscheidungskriterien f ü r nicht unmittelbar geregelte Situationen. 75 A. Meier-Hayoz, a.a.O., A n m . 411 zu A r t . 1 Schw. ZGB. 76 Vgl. zum Nachweis solcher Prinzipien etwa W. Goldschmidt, Der A u f b a u der juristischen Welt, a.a.O., S. 57 ff., S. 72 fï. ; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, a.a.O., S. 674 ff., H. Coing , Die obersten Grundsätze des Rechts, a.a.O., Heidelberg 1947, W. Friedmann, Legal Theory, 4. Aufl. London 1960, S. 366 ff. — Nach Pound sind die „ j u r a l postulates" der nordamerikanischen Gesellschaft i m 20. Jahrhundert (R. Pound, Jurisprudence, New Y o r k 1959, Bd. 3, S. 8 ff.) the security of the person f r o m intentional aggression; the security of possession and property i n things discovered and appropriated, created b y one's o w n labor, or acquired under the existing social and economic of repressentations and promises; assumption that things inherently dangerous unless controlled w i l l be kept under control. 77 Z u r Entscheidung aus Rechtsgrundsätzen als Rechtsfindung vgl. H.J. Wolff, Rechtsgrundsätze u n d verfassungsgestaltende Grundentscheidungen als Rechtsquellen, S. 33 ff. (S. 52). 78 Es handelt sich hier nicht u m Rechtsfindung praeter legem, wie R. Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, a.a.O., S. 188 ff. unzutreffend annimmt. Vgl. auch W. Flume, Richter u n d Recht, Κ 19 f. u n d B G H Z 42, 210; BVerfGE 20, 87 (93) sowie M. Baring, Die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts — eine Rechtsquelle?, i n : Jurist. Jb. Bd. 6 (1965/66), S. 27 ff.

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

Gleichheit, Treue, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Friede, Heiligkeit, Güte, Wahrheit, Billigkeit, Zweckmäßigkeit usw. 79 sind sie inhaltsleer und nicht operational. Irgendwelche exakte Kriterien zur Bestimmung der Allgemeinheit eines solchen Prinzips lassen sich generell nicht beibringen 80 . „Bei aller Gesetzgebung sind auch stets gewisse „allgemeine Rechtsgrundsätze" (Erik Wolf), „rechtsethische Prinzipien" (Larenz), „Maximen gerechten Handelns" (Wieacker), „also Grundgebote der Gerechtigkeit, der Sittlichkeit, des bonum commune als das zu V e r w i r k lichende" 81 vorausgesetzt, aber immer i n bezug auf konkrete historische Situationen und soziale Problemlagen. Eine Ubertragbarkeit auf eine andere historische Situation ist dann aber nur möglich, wenn eine feststellbare Ähnlichkeit vorliegt. Der Rekurs auf solcher A r t Rechtsprinzipien vermittelt i n der Regel keine eindeutigen Entscheidungskriterien 8 2 , nicht nur wegen der logischen Problematik eines Induktiv-Deduktiv-Schlusses. I n ihrer Allgemeinheit verweisen solche Rechtsprinzipien auf außerrechtliche Objektivationen von Anliegen und Interessen. Esser hat 8 3 die besondere Bedeutung von Rechtsprinzipien i m Sinne von außergesetzlichen („vorpositiven") Bewertungsmaßstäben — nicht nur für die Entscheidung gesetzlich nicht hinreichend geregelter Situationen — nachgewiesen, die von der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft geformt, inhaltlich näher bestimmt und i n ihrer Reichweite abgegrenzt („positiviert", „judiziabel gemacht") werden. Sie sind nicht dem Gesetz entnommen. Sie entspringen aber auch nicht einem Naturrechtssystem m i t unabänderlichem Inhalt. Rechtsprinzipien dieser A r t entstammen nach Esser einem juristisch vorpositiven Bereich und der allgemeinen Überzeugung 84 . Zunächst unbewußt drängen sie zur Formulierung und werden durch Richterspruch zum Inhalt des positiven Rechts transformiert 8 5 ; solche Rechtsprinzipien werden am konkreten Fall entdeckt, ihre Anwendung bedeutet Gestaltgebung 88 , i n der judiziellen oder legislativen Ausprägung werden sie zur verbindlichen Weisung 87 . Das 79 Vgl. hierzu die Übersicht bei K . Makkonen, Z u r Problematik der j u r i dischen Entscheidung, a.a.O., S. 153 ff. 80 K . Makkonen, a.a.O., S. 168. 81 A . Kaufmann, Analogie u n d Natur der Sache, a.a.O., S. 9. 82 So auch H. J. Wolff , Verwaltungsrecht, Bd. 1 a.a.O., S. 110 f. Nach Larenz (K. Larenz, Allgemeiner T e i l des deutschen bürgerlichen Rechts, a.a.O., S. 50 if.) ergeben Rechtsprinzipien f ü r sich noch keine Regelung, begrenzen aber als Ausdruck von Sinnfestlegungen gesetzgeberische Entscheidungsmöglichkeiten. Larenz verkennt, daß der Gesetzgeber auch eine „Sinnfortschreibung" vornehmen kann. 83 J. Esser, Grundsatz u n d N o r m i n der richterlichen Fortbildung des P r i v a t rechts, Tübingen 1956. 84 J. Esser, a.a.O., S. 53 f., S. 59. 85 J. Esser, a.a.O., S. 52. 86 J. Esser, a.a.O., S. 268. 87 J. Esser, a.a.O., S. 50 f., vgl. auch K . Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 137 ff.

§ 21 Gestaltungskriterien für die Organe der R e c h t s p r e c h u n g 1 3 7 kodifizierte Recht w i r d nach Esser nicht lediglich aus sich selbst, aus der Vorstellung des Gesetzgebers oder aus gesetzesimmanenten Sinngehalten ausgelegt, sondern auch nach vorpositiven Entscheidungsmaximen und Bewertungsgrundsätzen 88 . Esser hat damit als einem bedeutenden Befund der Rechtstatsachenforschung gezeigt, was der Richter tatsächlich tut, was für Entscheidungskriterien er „wählt". Zu klären bleibt aber, i n welcher Weise die Aufnahme außergesetzliche Bewertungsmaßstäbe verfassungsrechtlich zu legitimieren ist. 5. Eine Berufung auf die „Natur der Sache" oder „Sachgerechtigkeit" w i r d zwar — wie eingangs dargelegt — i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen häufig vorgenommen, ist aber nach den anggestellten Überlegungen i m allgemeinen unmöglich. Die Rechtsfigur der „Natur der Sache" dient dann zur Transformation präjuristischer Werturteile 8 9 . Die „Natur der Sache" erlaubt auch für sich keine Interessenabwägung, solange nicht feststeht, welche i n ihr ausgedrückten Interessen zu schützen sind, welches Interessensystem „funktionieren" soll 90 . Die Bedeutung der Fakten ergibt sich aus der ihnen zuteil werdenden Deutung, Bescheidung. Da aber jedes Faktum i m Moment seiner Wahrnehmung eingespannt ist i n das Netz menschlicher Anliegen, Interessen und Bedürfnisse, menschlicher Handlungen, ist jedes Faktum damit auch ein stets gedeutetes und beschiedenes. Wie aber die Anliegen, Interessen und Bedürfnisse individuell und gruppenspezifisch sind, so ist auch die Bedeutung eines Faktums für verschiedene Individuen und Gruppen unterschiedlich. Die Bedeutung kann für Gruppen, welche ihre Anliegen i m Normsetzungsverfahren objektivieren und verdinglichen können, eine andere sein als für jene, welche andere Normzielsetzungen verfolgen. Die Frage nach der Natur der Sache oder nach der Sachgerechtigkeit stellt sich damit als Frage nach jener Bedeutung eines Sachverhaltes und nach jenen i h n auszeichnenden normativen Strukturen, welche die Rechtsgestaltungsorgane zum Inhalt ihrer verbindlichen Entscheidungen zu machen haben, d. h. welche Bedeutung ihnen innerhalb der Ziel-Mittelrelationen des Normensystems zugemessen wird. Die Aufnahme sozialer Wertungen bedeutet aber keine Ordnung aus der „Natur der Sache", sondern eine Ordnung nach den Wertentschei88

Vgl. auch K. Larenz, a.a.O., S. 266 if. u n d F. Wieacker, Gesetz u n d Richterkunst, Karlsruhe 1958, wonach außergesetzliche Grundlagen f ü r die richterliche Rechtsfindung ausdrückliche Wertungen des Verfassungsgebers, K o n sens der Rechtsdenkenden ihrer Zeit, ausgeformte Grundsätze richterlicher B i l l i g k e i t beispielsweise zu § 242 BGB, die N a t u r der Sache, sachlogische S t r u k turen sowie bewährte Rechtslehre u n d anerkannter Gerichtsbrauch sind. 89 Vgl. hierzu A.Kraft, Interessenabwägung u n d gute Sitten i m Wettbewerbsrecht, a.a.O., S. 75 f. 90 Ungenau insoweit A. Kraft, a.a.O., S. 88.

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

düngen und Normierungen der sie tragenden sozialen Gruppen oder Schichten 91 . Der Bezug auf eine „Natur der Sache" kann dann nur bedeuten, daß die sich i n einer Situation, etwa einem Mietverhältnis oder der Ehe ausprägenden Sozialstrukturen und ablesbaren Sozialnormen Inhalt der Gerichtsentscheidung werden. Argumentation aus der Natur einer solchen „Sache" ist dann immer Argumentation aus der normativen Struktur der hier konkret gegebenen zwischenmenschlichen Beziehungen, i m weitesten Bereich ihrer „Bezugsfelder" 92 . Gleiches gilt für die Feststellung technischer Abläufe, beispielsweise i m Straßenverkehr, bei gegebenen Wertungen. Die Rechtsfigur von der „Natur der Sache" ist — solange diese Zusammenhänge nicht erkannt werden — nur ein Element der Rechtfertigungsideologie des Richters, das es erlaubt, eigene herrschaftliche Tätigkeit zu dissumulieren. Da nach unseren Verfassungsprinzipien jede Herrschaftsfunktion demokratisch legitimiert sein muß, enthält jene Formulierung zugleich unbewußt die Erklärung, daß es für diese besondere Funktion des Richters der demokratischen Legitimierung nicht bedürfe. Sie w i r d nicht als Protest gegen die Verfassungsnorm der Demokratie gemeint sein, aber sie ist der Versuch, m i t einem unzulänglichen M i t t e l die Richterfunktion als Herrschaft unter einer richterlichen Unabhängigkeit zu „versöhnen" m i t dem Prinzip der Demokratie. Die Annahme, daß die soziale Ordnung — wie eingangs ausgeführt — von Sachgesetzlichkeiten und unabänderlichen, ihr immanenten Ordnungsmerkmalen und Wesenheiten vielfach eindeutig determiniert sei, kann dazu führen, daß ein Richter unrefiektiert Anliegen und Interessen spezifischer sozialer Gruppen und Schichten über die Gestaltung des Einzelfalles hinaus durch die Bindungswirkung oberstgerichtlicher Entscheidungen zu gesamtgesellschaftlichen Normen transformiert. II. Es kann somit festgestellt werden, daß weder unmittelbar aus einer Generalklausel konkrete Gestaltungskriterien für gesetzlich nicht hinreichend geregelte Situationen entwickelt, noch diese i n der Regel m i t telbar durch Analogieschluß, Rekurs auf das Rechtssystem und i n i h m manifeste Rechtsprinzipien oder aus einer „Natur der Sache" entfaltet werden können. Beim Fehlen einer inhaltlichen Entscheidungsanweisung (Lücken i m Gesetz) stehen dem Richter herkömmlicher Weise die gleichen — unzureichenden — Methoden zur Lückenfüllung zur Verfügung 93 wie bei der Ausfüllung von Generalklauseln. 91 Unzutreffend H. Schambeck, Der Begriff der N a t u r der Sache, a.a.O., S. 112 f., wonach die N a t u r der Sache es ermöglicht, alle Teile des Soziallebens einer sachgerechten gesetzlichen Regelung zuzuführen u n d eine sachlogische Ergänzung der normlogischen Geschlossenheit der positiven Rechtsordnung zu erreichen; ähnlich H. Guradze, N o r m u n d Wert, S. 169. 92 So a u d i M. Drath, Grundgesetz u n d pluralistische Gesellschaft, a.a.O., S.124 ff. 93 Vgl. hierzu zuletzt A . Meier-Hayoz, Lücken inter legem, S. 150 ff.

§ 21 Gestaltungskriterien für die Organe der R e c h t s p r e c h u n g 1 3 9 1. Es w i r d deshalb vorgeschlagen, zur Gewinnung von Entscheidungskriterien i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen auszugehen von der skizzierten verfassungsmäßigen Funktion der Gerichte, mittelbares Organ der Gewaltenausübung des Volkes i n der Anwendung und für die Konkretion des Systems Rechtsordnung i n gebundener Rechtsschöpfung 94 zu sein. I n dieser Funktion sind die Gerichte aber nicht nur an das Rechtsstaatsprinzip, sondern auch an die übrige Konstitutionsbasis des Grundgesetzes für eine staatlich verfaßte Gesellschaft, insbesondere an das Demokratieprinzip und das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes als ihre Strukturprinzipien sowie die institutionellen Gewährleistungen der Grundrechte gebunden. Demokratieprinzip und Sozialstaatsprinzip dabei nicht nur verstanden als Legitimationsbasis, vermittels des Gesetzgebungsverfahrens gruppen- und schichtenspezifische Anliegen und Interessen rechtsnormativ zu verobjektivieren, sondern verstanden auch als Postulat, eine reale Entfaltung aller Gruppen und Schichten der staatlich verfaßten Gesellschaft zu gewährleisten, gleich vor jeder Gesetzgebung, soweit keine eindeutige gesetzliche Statuierung gegeben ist. Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt ist es dann, bei der Konkretion offener Rechtsnormen als Bezugsrahmen ihrer Einzelnormsetzungen sozial-effektive Anliegen, Interessen und Bedürfnisse insgesamt zu berücksichtigen, soll ihre Rechtsnormsetzung nicht willkürlich sein. Das Demokratiegebot des Grundgesetzes ist so als inhaltliche Normsetzungskompetenz für die Organe der Rechtsprechung zu verstehen, wenn der Gesetzgeber seine Normsetzungskompetenz nicht oder nicht hinreichend eindeutig ausübt. Die Leistungen der Gerichte haben dabei der gekennzeichneten Funktion der Verfassung zu entsprechen, Systembildung und soziale Differenzierung, bei Gewährleistung der Entfaltungsfreiheit und relativen Autonomie gesellschaftlicher Teilsysteme i n ihrer sozial-normativen Ausprägung, zu ermöglichen. Ein solches Funktionsverst£ndnis der Organe der Rechtsprechung findet seine soziale Rechtfertigung darin, daß — wie dargelegt — das System Rechtsordnung nicht als ein absolut für sich stehendes normatives System zu verstehen ist, sondern nur als eine besondere Ausprägung i m sozialen Normensystem m i t besonderem Geltungsanspruch. Neben und i n Ausfüllung der Gesetzesordnung liegen überall dort, wo faktische Regelhaftigkeit soziale Präferenzen oder Zuordnungen ausdrückt, soziale Normativitäten vor. Der Richter w i r d auf diese Normativitäten durch „offene Rechtsnormen" verwiesen, welche ihren Inhalt erst i m Rekurs auf außerrechtliche Wertungen ge94 Vgl. hierzu aus der L i t e r a t u r m i t weiteren Nachweisen O. Bachof, Grundgesetz u n d Richterrecht, Tübingen 1959, A. Arndt, Gesetzesrecht und Richterrecht, i n : N J W 1963, S. 1273 ff., R. Zippelius, Z u m Problem der Rechtsfortbildung, i n : N J W 1969, S. 1981 ff., ders. Rechtsnorm und richterliche Entscheidungsfreiheit, i n : J Z 1970, S. 241 ff.

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5. Kap. : Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

Winnen lassen 95 ; beruht die Offenheit auf einem „Kompromiß" i n der Gesetzgebung, so ist dabei der Verweis auf unterschiedliche sozial-effektive Anliegen und Interessen offensichtlich. I m übrigen kommt es aber nicht auf den je historischen Gesetzgeber an, sondern auf die A r t und Weise wie der Geltungsanspruch eines gültigen Gesetzes auszufüllen und zu effektivieren ist. Nur eine Präzisierung gegebener unbestimmter Rechtsnormen i n einem solchen sozial-normativen Bezugsrahmen und damit eine Transformierung solcher Sozialnormen i n konkrete Rechtsnormen durch Richterspruch kann dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes entsprechen, verstanden als Gewährleistung einer effektiven Teilhabe der unterschiedlichen sozialen Gruppen und Schichten an der ständig zu konkretisierenden Ordnung der staatlich verfaßten Gesellschaft 98 , kann den Widerspruch zwischen Gewaltenträgerschaft und Gesetzesbindung der Organe der Rechtsprechung i n der Entfaltung der konkreten Rechtsordnung aufheben 97 . Das bedeutet: Die Gerichte haben i n der Gestaltung gesetzlich nicht hinreichend geregelter Situationen nicht schlechthin Ordnungsvorstellungen jener zugrunde zu legen, welche das Gesetzgebungsverfahren und seine Ergebnisse i m übrigen bestimmen. Der Gesetzgeber, auf den Art. 1 Schwz. ZGB abhebt, hat also nicht stets die derzeitige Parlamentsmehrheit zu sein. Die Rechtsgestaltungsorgane haben vielmehr — und dies gilt logischerweise auch für die Konkretion der inhaltlich nicht eindeutigen Grundrechtssätze — eine solche Konkretion unbestimmter Rechtssätze zu setzen, welche am umfassendsten kompatibel sind m i t i n einer Gesellschaft tatsächlich sozial-normativ wirksamen Anliegen, Interessen und Bedürfnissen, — Werthaltungen —, i m Hinblick auf die Ziel-Mittelrelationen, die Wertungen i n der Verfassung 98 und dem zur Diskussion 95 Augenfällig ist dies bei einem Verweis auf das „öffentliche Interesse". Eine Auslegung, welche auf eine spezifische Öffentlichkeit u n d nicht auf die „staatsbürgerliche Öffentlichkeit" (vgl. W. Mertens, Öffentlichkeit als Rechtsbegriff, a.a.O., S. 193 ff., ff. J. Wolff , Verwaltungsrecht, Bd. 1, a.a.O., S. 149) abstellt, ist w i l l k ü r l i c h . 96 Grundlegend hierzu M. Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, wieder abgedruckt i n ff. Rausch, (Hrsg.), Z u r Theorie u n d Geschichte der Repräsentation u n d Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 260 ff. 97 Vgl. hierzu auch M. Drath, Bemerkungen zur Theorie des Gesetzgebungsstaates, i n : K.Z.f.S.u.Sp. 1965, S. 557 ff. 98 Vgl. Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, A n m . 70 zu A r t . 20 GG, Z u r V e r fassungsauslegung vgl. dabei E. Forsthoff, Z u r Problematik der Verfassungsauslegungen, Stuttgart 1961; G. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, a.a.O., S.277ff., S.280, auch schon S. 185 u n d S. 314; H . K r ü g e r , Verfassungsänderung u n d Verfassungsauslegung, i n : D Ö V 1961, S. 727, ff. Quaritsch, Kirche u n d Staat, i n : Der Staat 1962, S. 302 m i t weiteren Nachweisen; ff. ff. Klein, Verfassungsgericht u n d Staatsraison, F r a n k f u r t u n d Ber-

§ 21 Gestaltungskriterien f ü r die Organe der Rechtsprechung

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stehenden Gesetzgebungsbereich i m Hinblick auf die rechts- und verfassungsmorphologisch 99 zu ermittelnden, zugrunde liegenden und i n gedanklichen Gebilden sich ausdrückenden, sich aus ihrer sozialen Bedingtheit immanent wandelnden Sinnstrukturen der Rechtsinstitute 100 . Konkretion unterscheidet sich dann von freier Rechtsfindung etwa i m Sinne der Freirechtsschule dadurch, daß der Richter i n Anlehnung an Sozialnormen, unter Umständen auch an bloß faktisches soziales Verhalten als Ausdruck angewendeter Präferenzen, wie etwa i m allgemeinen Sprachgebrauch, eine soziale „Sinngebung" aufzufinden vermag und seiner Entscheidung unterlegt. Die realen sozialen Interdependenzen, „die Struktur jener realen oder wenigstens real möglichen Welt, die für das Recht Anwendungsbereich oder Anknüpfungspunkt ist" 1 0 1 , haben dabei den Bezugsrahmen für den Rechtsgestaltungsapparat zu bestimmen. Aufgabe ist die Konstruktion „optimaler Gesamthandlungen" 102 , um Auskömmlichkeit i n der staatlich verfaßten Gesellschaft zu gewährleisten, die „Friedensfunktion" des Rechts und der Rechtsgestaltungsorgane i n der Gewährleistung sozialer Entfaltungsfreiheit zu erfüllen. Allerdings geht es i n der Regel nicht u m „optimale Gesamthandlungen" einer Gesellschaft insgesamt. Bereits der Geltungsanspruch vieler Gesetze ist partiell, gesetzlich nicht hinreichend geregelte Situationen stehen nicht stets i n absoluter Interdependenz. Entsprechend sozialer Differenzierung und Strukturierung i n relativ independente Teilsysteme, Organisationen und Institutionen ist die Relevanz effektiver sozialer Normativitäten und Präferenzen unterschiedlich. Die Beachtlichkeit gruppenspezifischer Normierungen ist damit abhängig von ihrer Interdependenz oder relativen Independenz zum sozialen System und seiner Gliederung i m übrigen. Das heißt: Nur bei vollständiger Independenz einer Regelungssituation haben die Gerichte die gruppenspezifischen Verhaltensmodelle von i n einer Situation Hanl i n 1968, S. 16 ff.; J. Stein, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung, i n : N J W 1964, S. 1745, ff.; H. S. Zacher, Soziale Gleichheit, i n : ÄoR 1968, S. 340 f., S. 352; M. Kriele, Theorie und Rechtsgewinnung, B e r l i n 1967, S. 212 ff., S. 243 ff., R. Zippelius, Das Wesen des Rechts, a.a.O., S. 97. Eine eindringliche Darstellung der Zusammenhänge von Lebensweise u n d Lebensordnung u n d den Entscheidungskriterien f ü r den Rechtsgestaltungsapparat i n nicht hinreichend geregelten Situationen bei weltanschaulichem Pluralismus hat zuletzt D r a t h gegeben (M. Drath, Grundgesetz u n d pluralistische Gesellschaft, S. 85 ff.). 99 Vgl. hierzu am Beispiel der Unternehmensmorphologie H. Cox, Analyse u n d Theorie der einzelwirtschaftlichen Strukturen als Gegenstand der U n t e r nehmensmorphologie, i n : Arch.f.ö.u.fr.U. 1967 S. 289 (S. 311). 100 Grundlegend K . Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts n d ihre soziale Funktion, Stuttgart 1965. 101 K . Engisch, V o m W e l t b i l d des Juristen, 2. Aufl. Heidelberg 1965, S. 12. 102 Vgl. J. v. Kempski, Handlung, M a x i m e u n d Situtation, S. 233 ff.

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5. Kap. : Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

delnden als Bezugsrahmen für die Normkonkretion zugrunde zu legen, andernfalls hat die Gestaltung je nach der „sozial-ethischen Mittellage" 1 0 3 unter Berücksichtigung des Geltungsumfanges eines zu konkretisierenden Gesetzes, der Intensität der Betroffenheit von einer Entscheidung und dem Grade der Interdependenz zu erfolgen 104 . Soziale Institutionen jeder A r t erfahren so ihre gesamtnormative Objektivation, nicht nur als sektorale Teilbereiche des sozialen Lebens, wie auch „objektive Individualitäten institutioneller Grupen" und „Sozialnormen" ihre Anerkennung als spezifische Ordnungselemente finden 105. Eine Interdependenz von Gesetzesnorm- und Sozialnormsystem verweist dabei die Auslegung auf die Erkenntnisse der strukturell-funktionalen Erfordernisse der Systembildung und -erhaltung. Ein solches Verständnis der Funktion der Organe der Rechtsprechung impliziert eine Aufgabe des Prinzips der Systemhaftigkeit der Rechtsordnung und ihrer absoluten Widerspruchsfreiheit. Dieses Prinzip erscheint uns auch nicht länger haltbar. Die Ermittlung gesetzlicher Grundwertungen geschieht bereits auf einer so hohen Stufe der Abstraktion, daß die Feststellung der Widerspruchsfreiheit stets ein Interpretationsproblem ist, eine Umsetzung von Grundwertungen i n konkrete Entscheidungen des Richters zusätzliche Entscheidungen erfordert. Die Konkretion verfassungsrechtlicher oder gesetzgeberischer Grundentscheidungen kann zudem stets nur i m Hinblick auf eine Regelungssituation erfolgen. Die Konkretion selbst, d. h. die abgeleiteten mittelbaren Normen müssen logisch notwendig je nach Situation und ihrer technologischen Struktur verschieden ausfallen, wie bereits früher erörtert wurde. Es w i r d deshalb vorgeschlagen, das Prinzip der Widerspruchsfreiheit zu ersetzen durch das Prinzip der Verträglichkeit von Verhaltensweisen. Eine Entscheidung über „Verträglichkeit von Verhaltensweisen" ist aber nicht auf der Ebene eines logisch widerspruchsfreien Gesetzessystems zu treffen, sondern hat auf der Grundlage bestehender sozialer Interdependenzen oder relativer Independenzen zu erfolgen. Pluralität i m sozialen System ist zu erhalten, u m das Grundrecht der sozialen Entfaltungsfreiheit, das Prinzip Demokratie zu effektivieren. Auslegungsschwierigkeiten ergeben sich dabei aus der Möglichkeit, daß soziale Teilsysteme und Grupen i n ihren sozial-effektiven Anliegen, Interessen und Bedürfnissen — manipulativ — fremd bestimmt sein können. Als Aufgabe des Rechtsgestaltungsapparates erscheint es uns, 103 Vgl. W. A. Jöhr, Der Kompromiß als Problem der Gesellschafts-, W i r t schaf ts- und Staatsethik, Tübingen 1958. 104 Eine solche Differenzierung ermöglicht es, dem Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit der M i t t e l zu entsprechen, vgl. hierzu BVerfGE J Z 1969, S. 231. los Vgl, hierzu G. Gurvitch, Die Hauptideen Maurice Hourious, a.a.O., S. 55 u n d A. Desqueyrat, Die Institution, a.a.O., S. 118 ff. (S. 125).

§ 21 Gestaltungskriterien für die Organe der R e c h t s p r e c h u n g 1 4 3 jene Anliegen, Interessen und Bedürfnisse festzustellen, welche unabhängig von sozialer Fremdbestimmung, beispielsweise durch das faktische ökonomische System, einer Gruppe oder Schicht eigen sind, jedenfalls aber die Eigenbestimmung institutionell zu sichern. 2. Ein solches Verständnis der rechtsprechenden Gewalt bedeutet keine Aufhebung des Unterschiedes zwischen dieser und der gesetzgebenden Gewalt oder den Regierungsakten 106 . Es bedeutet auch keine Preisgabe des „Vorbehaltes des Gesetzes" und des „Vorranges des Gesetzes" 107 und des damit verbundenen Verständnisses von Demokratie als Teilhabe an politischer Willensbildung, und als Herrschaft der Mehrheit und Feststellung der Mehrheit i n freier Abstimmung 1 0 8 , denn eine rechtsetzende Funktion w i r d der rechtsprechenden Gewalt nur zuerkannt, soweit die Organe der Gesetzgebung keine oder keine eindeutige Regelung getroffen haben. Bei Entscheidungen innerhalb einer Generalklausel handelt es sich hinsichtlich des Obersatzes formal u m reine Rechtsanwendung, auch wenn i m Hinblick auf den Untersatz — und das ist das wichtigste dabei — neues Recht erzeugt w i r d ; die Richter werden durch eine Generalklausel entweder — wie oben dargelegt — auf die „Wertewelt" aller Gesellschaftsmitglieder oder der von dem Geltungsrahmen eines Gesetzes erfaßten sozialen Gruppen oder Institutionen i n der ethischen und kulturellen Mittellage verwiesen. Halten sie sich i n solchermaßen gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen nicht wie extreme Freirechtler allein an ihr subjektives Gewissen, sondern gehen sie von einer historisch jeweils gegebenen Wertewelt einer emprisch festgestellten, hinreichend konkret umschriebenen Gruppe von Gesellschaftsmitgliedern aus, weil nur dies der „immanenten Teleologie" eines Gesetzes entspricht, so sind die Richter nicht Rechtserzeuger i n bezug auf den „Obersatz". Sie „erkennen" nur den Tatbestand der Existenz einer gegebenen Normativität, der allerdings i n tatsächlichen Anliegen, Interessen und Bedürfnissen der betreffenden Gesellschaftsmitglieder besteht. Diese Einschätzung gewisser Gegenstände materieller oder geistiger A r t bzw. ihre 106 Vgl. hierzu die Abgrenzungen des Bundesverfassungsgerichtes i n Leibholz-Rinck, Grundgesetz, A n m . 18 zu A r t . 20 GG, H. Wolff , Verwaltungsrecht Bd. 1, a.a.O., S. 76 ff. m i t weiteren Nachweisen u n d G. Kassimatis, Der Bereich der Regierung, B e r l i n 1967, S. 133 ff. sowie von der institutionellen Seite her G. Gurvitch, Die Hauptideen Maurice Hourious, a.a.O., S. 23 ff. (S. 59, S. 68). 107 Z u der Unterscheidung von Vorbehalt u n d Vorrang des Gesetzes u n d zum Verfassungsrang des Gesetzesvorbehaltes sowie dessen F u n k t i o n vgl. Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Anm. 127 u n d 128 zu A r t . 20 GG m i t w e i teren Nachweisen. 108 Vgl. allgemein: H. Ryffel, Rechts- u n d Staatsphilosophie, a.a.O., S. 433 ff; eine Übersicht zu dem m i t dem Grundgesetz verbundenen Demokratiebegriff u n d dessen unterschiedliche Ausdeutung bieten Maunz-Dürig-Herzog, Anm. 30—33 u n d A n m . 50 zu A r t . 20 GG.

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5. Kap. : Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

Ablehnung ist eine Wertung. Aber die Richter gehen nicht deswegen von dieser Wertung aus, weil sie ihrer Uberzeugung entsprechen, sondern weil ein gültiges Gesetz es ihnen auferlegt, entsprechend diesen Wertungen als Inhalt der „Obersätze" zu urteilen. Die guten Sitten i m Sinne der Rechtssprache 109 sind ja nicht an und für sich gut, sondern sind diejenigen Sitten, die für die empirische Gesellschaft als gut gelten 110 . Ob die guten Sitten gut sind oder nicht, ergibt sich aus Entscheidungen und nicht aus Feststellungen; aber es sind ζ. B. i n § 826 BGB oder § 346 HGB Entscheidungen einer gesellschaftlichen Gruppe, und die Existenz solcher getroffenen gesellschaftlichen „Entscheidungen" ist ihrerseits festzustellen 111 . A n sie ist der Richter gebunden, und u m sie als Inhalt der Obersätze zugrunde legen zu können, muß er sie feststellen 112 . Eine so verstandene Funktion der rechtsprechenden Gewalt setzt nicht nur voraus Demokratie als Teilhabe an politischen Willensbildungen und damit als Möglichkeit, gruppenspezifische Interessen i n gesamtgesellschaftliche Normen zu transformieren, sondern führt auch die Gewaltenträgerschaft des Volkes und ihre Manifestation i n unterschiedlichen Organen auf der Grundlage der Grundrechte konsequent durch. Die konkrete Ordnung der Rechtsverhältnisse und auch die Konkretion des Rechtssystems hat so i n gesetzlich nicht hinreichend geregelten Situationen i n Beachtung aller sozial-effektiven Anliegen, Interessen und Bedürfnisse zu erfolgen. Der Umfang des Geltungsanspruches der Verfassung oder eines Gesetzes und die Interdependenz der Regelungssituation begrenzen dabei die rechtsnormative Relevanz der Sozialnormativitäten, sie ist am umfassendsten bei der Konkretion der Verfassung. Die Beachtlichkeit der Sozialnormativitäten hängt aber auch von ihrer Kompatibilität m i t Ziel-Mittelentscheidungen (Wertungen) eines die Regelungssituation i m übrigen betreffenden Gesetzes oder des Grundgesetzes selbst ab. Die „Offenheit" vieler Normen des Grundgesetzes verweist dessen Konkretion jedoch wiederum auf die dargelegte Funktion der Verfassung, Entfaltungsfreiheit und differenzierte Systembildung 109 Vgl. beispielsweise U. Meyer -Cording, Gute Sitten u n d ethischer Gehalt des Wettbewerbsrechts, i n : J Z 1964, S. 273 ff., S. 310 ff. 110 Vgl. G. Otte, Wesen, Verkehrsanschauung, wirtschaftliche Betrachtungsweise, i n : JuS 1970, S. 154 ff. m i t weiteren Nachweisen. 111 W. Birke, Richterliche Rechtsanwendung u n d Gesellschaftliche Auffassungen, K ö l n 1968, S. 45 ff. (S. 51 f.) empfiehlt die A n w e n d u n g demoskopischer Verfahren. W i r meinen demgegenüber, daß es sich bei der Feststellung von sozialen Normativitäten vor allem u m ein Problem der Ausbildung u n d Offenheit des Richters handelt, allerdings können i n Grenzsituationen ad-hoc E r hebungen die Auffindung einer Entscheidung auch erleichtern, vgl. hierzu auch H. D. Lasswell, P o l i t i k u n d Moral, a.a.O., S. 26, S. 121 ff. 112 Vgl. G. Weisser, Die Ratschläge des Sozialwissenschaf tiers sollten systematisiert werden, i n : Soziale Welt, 1957, S. 11 f.; anderer Ansicht H. Guradze, Normative Rechtswissenschaft, in: Soziale Welt, 1957, S. 1 ff.

§ 21 Gestaltungskriterien für die Organe der R e c h t s p r e c h u n g 1 4 5 zu gewährleisten, verweist damit auf die Sozialnormativitäten dieser Gesellschaft als ihre Konstitutionsform. 3. Ein Gesetzeswerk enthält häufig sowohl operationale Einzelbestimmungen als auch Generalklauseln, also sowohl Gesetze, welche eine Entscheidung zum Inhalt haben als auch solche, welche eine Entscheidung nur zum Gegenstand haben. Es ergibt sich die Frage, wann der Richter (oder Verwaltungsbeamte) von einer Norm, welche eine Entscheidung zum Inhalt, auf eine Norm, welche eine Entscheidung nicht zum Inhalt sondern für ihn zum Gegenstand hat, übergehen kann. Auszugehen ist hier wiederum von der verfassungsmäßigen Entscheidung des Verhältnisses von gesetzgebender Gewalt und rechtsprechender Gewalt zum Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip einschließlich des Prinzipes der Rechtssicherheit. Der unbestrittene Vorrang der gesetzgebenden Gewalt bedeutet die Möglichkeit, gruppenund schichtenspezifische Normsetzungsziele i n gesamtgesellschaftliche zu transformieren. Die konkrete Norm als abgeleitete Entscheidung ist aber bedingt durch die Regelungssituation und ihre technologische Struktur, wie sie sich bei der Gesetzgebung darstellte. Eine Änderung der Situation erfordert dann aber notwendigerweise eine Änderung der Norm als Mittel zur Sozialgestaltung bei Konkordanz der zugrunde gelegten Zielsetzung. Richterliche Rechtsfortbildung ist i n einem solchen Fall gesetzessystem-immanente Rechtsanpassung. Eine eingetretene Veränderung braucht nicht nur die technologische Struktur einer Situation, sondern kann die einer Gesetzgebung zugrunde liegenden Anliegen, Interessen und Bedürfnisse oder die sich an eine Gesetzgebung anschließende Stabilisierung von Verhaltenserwartungen 113 betreffen. Richterliche Rechtsetzung erscheint auch i n diesem Falle als zulässige Form der Rechtsanpassung bei Erhaltung des Vorranges der gesetzgebenden Gewalt. Es geht i n diesem Falle dem Grunde nach um die Erhaltung einer Konkordanz i n der Zielsetzung einer Gesetzgebung, wie sie sich i n sozialen Verhaltensweisen ausdrückt. Veränderungen können auch i n der Weise eintreten, daß sich ein ursprünglich herrschendes Verständnis i n der Interpretation der „verfassungsmäßigen Ordnung", der Grundrechte, an welche jede Gesetzgebung gebunden ist, wandelt, oder daß sich aus der Entfaltung bislang sozial nicht wirksamer oder erkannter gruppen- oder schichtenspezifischer Anliegen, Interessen und Bedürfnisse eine Konfrontation unterschiedlicher realer Interpretationen und Inanspruchnahmen der Grund113 Vgl. zu dem hier i n Verbindung stehenden Vertrauensschutzprinzip R. Schreiber y Die Geltung von Rechtsnormen, a.a.O., S. 148 ff. u n d W. Herschel, Rechtssicherheit u n d Rechtsklarheit, i n : J Z 1967, S. 727 ff. u n d K.H.Lenz, Das Vertrauensschutzprinzip, B e r l i n 1968, m i t weiteren Nachweisen.

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Grimmer

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5. Kap.: Rechtsnormen und Rechtsgestaltungsapparat

rechte ergibt. I n einem solchen Falle folgt die Vollmacht zu richterlicher Rechtsetzung aus dem Vorrang der Verfassungsordnung i n Verbindung m i t den sich aus dem Demokratieprinzip ergebenden Anforderungen an die Konkretion dieser Ordnung. Es handelt sich hierbei u m die m i t „verfassungskonformer Auslegung" 1 1 4 umschriebene Verpflichtung des Richters i n der Rechtsanwendung und u m deren eigentlichen Grund. Beispiele für die hier angesprochene Problematik sind die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über Auflauf, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Hausfriedensbruch i m Verhältnis zur Freiheit der Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit, aber auch Bestimmungen über Sittenwidrigkeit i m Wettbewerb oder Boykottmaßnahmen 115 . Ein letzter Fall der Bevollmächtigung zu richterlicher Rechtsetzung ist gegeben, wenn eine Gesetzesnorm i m Widerspruch zu den i m Grundgesetz statuierten Ziel-Mittelrelationen und Verfahrensordnungen oder zu den durch das Grundgesetz gewährten „Rechten" i n ihrer Interpretation nach der „sozial-ethischen Mittellage" steht, oder nur als i n solchem Widerspruch stehend erkannt wird. Es handelt sich hier letztlich u m einen Schutz vor Diskriminierungen, welche zur Feststellung der Verfassunggswidrigkeit eines Gesetzes führen können. I n den beiden zuletzt genannten Fällen liegt der Vorrang der Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht, u m eine Einheitlichkeit i n der Auslegung der Verfassungsordnung zu wahren. Aber es hängt wesentlich von der Einstellung eines Gerichtes ab, ob das Bundesverfassungsgericht tätig wird 1 1 6 . 4. Die Organe der Rechtsprechung haben so — insoweit sie nicht reine Rechtsanwendung i m engeren Sinn betreiben — anders als nach der Lehre von Smend 1 1 7 , real-integrativ das soziale System i m Ausgleich aller Kräfte zu entfalten, damit immanent zu tradieren und Rechtsfortbildung zu leisten. Nur so können sie ihre Funktion erfüllen, nicht nur die Gebote der Rechtsordnung verstanden als System abstrakter Sollensnormen zu realisieren, nicht nur eine Ordnung nach gruppenspezifischen Anliegen, Interessen und Bedürfnissen zu konkretisieren und zu verfestigen, sondern auch ausdifferenziertes Organ zur Ausübung von 114 Maunz-Dürig-Herzog, A n m . 67 zu A r t . 20 GG, O.Bachof, i n : V.V.d.St. R.L., H. 12, S. 54, H. Box, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, Stuttgart 1966, M. Imboden, Normenkontrolle u n d Verfassungsinterpretation, 5. 133 ff.; H. Spanner, Die verfassungskonforme Auslegung i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, i n : ÄöR, Band 91, S. 503 ff. m i t Rechtsprechungsnachweisen. 115 Vgl. M. Drath, Grundgesetz u n d pluralistische Gesellschaft, a.a.O., S. 122 ff. 116 R. Novak , Die Fehlerhaftigkeit v o n Gesetzen u n d Verordnungen, Wien u n d New York, 1967, ff. Brinckmann, Das entscheidungserhebliche Gesetz, B e r l i n 1970, S. 54 ff. 117 R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 136 ff.

§ 21 Gestaltungskriterien für die Organe der Rechtsprechung

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Staatsgewalt des ganzen Volkes zu sein und damit gerade die Konkordanz aller sozialer Normen jeder A r t zu ermöglichen, d.h. aber: i m demokratischen Rechtsstaat dessen Fundament, die Demokratie, auch i n ihrer spezifischen richterlichen Funktion zu verwirklichen. Das demokratische Prinzip ist so i n der gesamten Rechtsprechung zu v e r w i r k l i chen. Es ist Grundlage für die Entfaltung und Fortentwicklung des Normenbereiches und einer sozial differenzierten Integration. Das demokratische Prinzip modifiziert das abstrakt verstandene Rechtsstaatsprinzip, u m eine Fortbildung des Rechts i m Hinblick auf die soziale Dynamik und um diese selbst zu ermöglichen. Die soziale Wirklichkeit ist so Bestandteil nicht nur der „Rechtswirklichkeit", sondern auch des Rechtssystems 118 . Der Richter hat dabei das Risiko des Irrtums i n einer Funktion, welche es i h m auferlegt, einen Systemausgleich zu bewirken, eine freie Systementfaltung zu ermöglichen, Rechtssicherheit zu vermitteln. Er hat eine rationale Kalkulation vorzunehmen, um soziale Interdependenzen zu erkennen und Auswirkungen möglicher Einzelnormsetzungen berücksichtigen zu können. Ein solches Verständnis der Organe der Rechtsprechung erfordert, die rechtswissenschaftlichen Auslegungsverfahren, die Anwendbarkeit rechtssoziologischer und sozialwissenschaftlicher Methoden i n der Rechtswissenschaft und die Ausbildungsanforderungen an den Juristen neu zu bedenken 119 , die Funktion des Rechts und der Rechtsgestaltungsorgane i n der instrumentellen Planung sozialer Ordnung zu überprüfen; hierauf ist abschließend aufmerksam zu machen.

118 Bewußt w i r d dieses Problem regelmäßig i m Zusammenhang m i t der normativen K r a f t erfolgreicher revolutionärer Veränderungen, worauf bereits G. Jellinek hingewiesen hat. Die Frage, i n w i e w e i t der Richter verpflichtet ist, die „alte Ordnung" zu verteidigen oder zur Funktionsfähigkeit des „neuen Systems" beizutragen, indem er die Prämissen des neuen Systems seinen E n t scheidungen zugrunde legt, k a n n hier nicht erörtert werden, es ist dies auch keine rechtswissenschaftliche Frage, w i e sich beim Übergang v o m Deutschen Kaiserreich zur Weimarer Republik beispielhaft zeigte. 119 Vgl. hierzu Drath, Grundgesetz und pluralistische Gesellschaft, a.a.O., S. 124 ff. u n d G. Wittkämper, Grundlagen einer rechts wissenschaftlichen Interdependenztheorie, a.a.O., S. 122 ff.

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