Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters: Vorarbeiten zu einer rechtsstaatlichen Lehre vom Überzeugungstäter [1 ed.] 9783428434442, 9783428034444

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters: Vorarbeiten zu einer rechtsstaatlichen Lehre vom Überzeugungstäter [1 ed.]
 9783428434442, 9783428034444

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 25

Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters Vorarbeiten zu einer rechtsstaatlichen Lehre vom Überzeugungstäter

Von

Jürgen Christoph Gödan

Duncker & Humblot · Berlin

JÜRGEN CHRISTOPH

GÖDAN

Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 25

Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters Vorarbeiten zu einer rechtsstaatlichen Lehre vom Überzeugungstäter

Von

Dr. Jürgen Christoph Gödan

D U N C K E R &

H U M B L O T / B E R L I N

Zur Aufnahme i n die Reihe empfohlen von Prof. Dr. Rudolf Sieverts, Hamburg Gedruckt m i t Unterstützung der Universität Hamburg

Alle Rechte vorbehalten © 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1975 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03444 9

Dorothee gewidmet

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg i m J u l i 1973 als Dissertation vorgelegt und entsprechend dem vorgeschriebenen Verfahren angenommen. Die mündliche Prüfung i n Form eines wissenschaftlichen Kolloquiums fand i m Januar 1975 statt. U m die Abhandlung der Öffentlichkeit so schnell wie möglich zugänglich zu machen, mußte ich schweren Herzens darauf verzichten, die Untersuchung i m Hinblick auf die i n der Zwischenzeit erschienene L i teratur zu überarbeiten. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Arbeit stellen die abschließenden Thesen zu den einzelnen Abschnitten (S. 68 f., 90, 108 f., 199 f., 239 f., 286 ff.) dar. Für das Zustandekommen dieser Monographie bin ich sowohl Personen wie Institutionen zu großem Dank verpflichtet. Ich danke Herrn Prof. Dr. Sieverts für die wohlwollende Förderung der Arbeit und ihres Autors, Herrn Prof. Dr. Schüler-Springorum für die eingehende Begutachtung und Herrn Prof. Dr. Schmidhäuser für die Aufnahme der Arbeit i n die von i h m herausgegebene Schriftenreihe. Allen drei Herren bin ich darüber hinaus i n Dankbarkeit verbunden für ihre Teilnahme an dem das Promotionsverfahren abschließenden Kolloquium — einem Stück positiver Universitätsreform, das die universitas der um Wissenschaft sich Bemühenden betont. Ich danke der Studienstiftung des deutschen Volkes für die Gewährung eines Doktorandenstipendiums sowie der Universität Hamburg für ihre Förderung des Promotionsvorhabens i n Form eines Stipendiums und eines Druckkostenzuschusses. Hamburg, i m Oktober 1975 Jürgen Christoph

Godau

Inhaltsübersicht Α. Einführung

11

Β . Die Reformdiskussion über das Problem einer Sonderbehandlung von Uberzeugungstätern

18

C. Die Rechts/igur des Uberzeugungstäters als typologisches Problem . . 113 D. Die Rechts/ififur des Uberzeugungstäters als Problem der adäquaten Begriffsbildung 201 E. Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters als normatives Problem

241

F. Abschluß

289

L i t e r a t u r - und Abkürzungsverzeichnis

291

Personen- u n d Sachregister

329

Inhaltsverzeichnis Α. Einführung

11

Β. Die Reformdiskussion über das Problem einer Sonderbehandlung von Überzeugungstätern 18 I. Überblick

über die Stationen

der Diskussion

de lege ferenda

1. § 71 E Radbruch 1922

18 18

2. § 52 „Reichsratsgrundsätze" von 1923

19

3. § 71 E 1925

20

4. Die Beschlüsse des 34. Deutschen Juristentages 1926

20

5. § 72 E 1927 u n d § 72 E 1930 a) § 72 E 1927

21 21

b) § 72 E 1930

22

6. Der 7. Deutsche Juristentag i n der Tschechoslowakei 1935 . .

23

7. § 31 E 1939

24

8. Erneute I n i t i a t i v e n 1951

26

9. Die Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission 1955

27

10. Der E n t w u r f eines Strafgesetzbuches von 1962 (E 1962)

28

11. § 48 a E 1962/SA 1964

29

12. Der Wegfall von § 48 a E 1962/SA 1964 i m Jahre 1965

32

13. Die Regelung des A l t e r n a t i v - E n t w u r f s eines Strafgesetzbuches von 1966

33

14. Die Strafrechtslehrertagung

35

1966

15. Klugs Vorschlag einer Neufassung des § 16 StGB i m Jahre 1970 I I . Die Höhepunkte

der Diskussion

de lege ferenda

1. Radbruchs Begründung der Lehre v o m ÜberzeugungsVerbrecher u n d deren Niederschlag i n § 71 E Radbruch 1922, § 71 E 1925 u n d § 52 „Reichsratsgrundsätze" über den Vollzug von Freiheitsstrafen 1923 a) Beispiele b) Rechtfertigung einer Sonderstrafe f ü r den Sondertypus des Überzeugungsverbrechers c) Die kriminalpolitische Frage nach der Zweckmäßigkeit einer Sonderstrafe f ü r Überzeugungsverbrecher

37 37

37 39 40 45

6

Inhaltsverzeichnis d) Feststellbarkeit der Uberzeugungstätereigenschaft i m Prozeß aufgrund des kriminalpsychologisch gefaßten Typus des

Uberzeugungsverbrechers

48

aa) Der kriminalpsychologische Typus bb) Äußere Merkmale f ü r das Vorliegen einer Uberzeugung cc) Die Problematik innerer Straftatbestandsmerkmale . .

48 51 52

e) Umfang u n d Fassung der Sondervorschrift für Überzeugungsverbrecher aa) Keine Beschränkung auf politische Täter bb) Das Problem der Ausnahmeregelung cc) Ablehnung des bloßen Sonderstrafvollzuges u n d des § 52 „Reichsratsgrundsätze" f) Abgrenzung des § 71 E 1925 gegen § 20 StGB a. F., die détention des französischen Rechts u n d den italienischen E n t w u r f Ferris aa) Radbruchs Ablehnung des § 20 StGB a. F bb) Radbruchs Berufung auf die détention des französischen Rechts cc) Radbruchs Berufung auf den italienischen E n t w u r f von 1921 g) Der E 1925 i m Vergleich zum E Radbruch h) Abschließende Thesen 1 - 3 2. Die A b k e h r von Radbruchs Lehre v o m Uberzeugungstäter u n d deren Niederschlag i n § 72 E 1927/E 1930 a) Die individualisierenden Lösungsmöglichkeiten aa) Strafvollzugsregelung statt Sonderstraf art? bb) Strafzumessungsregelung statt Sonderstrafart? b) Die generalisierenden Lösungsvorschläge c) Die Entwicklung der Grundgedanken des § 72 E 1927/1930 aa) Das Problem der Wertung i n bezug auf § 71 E 1925 u n d § 72 E 1972 bb) Die Bewertung des Beweggrundes durch den Gesetzgeber (Motivbewertungsklausel) cc) Die legislatorische Begrenzung des Gegenstandes u n d Umfanges der Entscheidung (Begrenzungsklausel) dd) Die Berücksichtigung der M i t t e l u n d Folgen u n d bestimmter Deliktsgruppen (Verwerflichkeits- oder M i t t e l Folgen-Klausel) d) Die K r i t i k an § 72 E 1927/1930 e) Abschließende Thesen 4 - 6

52 52 53 56

57 59 63 65 66 68 69 71 71 76 78 80 80 84 85

86 88 90

3. Die Renaissance der Lehre v o m Uberzeugungstäter i n Gestalt der Rechtsfolgenlösung des § 48 a E 1962/SA 1964 90 a) Die Rechtsfolgenlösung des § 48 a E 1962/SA 1964 als Ergebnis der Diskussion von Lösungsalternativen 91 aa) Die Beschränkung der Sonderbehandlung von Uberzeugungstätern auf den Strafvollzug, verbunden m i t einer Kennzeichnung des Überzeugungstäters i m Strafurteil ohne Einführung einer besonderen Straf art 91

Inhaltsverzeichnis bb) Die Beschränkung der Sonderbehandlung von Überzeugungstätern auf das Gebiet der Strafzumessung durch eine Strafzumessungsregel i n der Weise, daß f ü r Überzeugungstäter eine Strafmilderung vorgesehen 92 wird cc) Die Androhung einer Sonderstrafart für Überzeugungstäter bei Verwirklichung bestimmter Tatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches oder des Nebenstrafrechts als alleinige Strafart oder eine Wahlandrohung, verbunden m i t einer Wahlregel i m Allgemeinen 93 Teil dd) Aufstellung einer m i t einer Verwerflichkeitsklausel verbundenen „generellen gesetzlichen Ersetzungsregel" i m Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs, nach der bei Überzeugungstätern an die Stelle der i m Besonderen Teil angedrohten Freiheitsstrafen „eine nicht entehrende Sonderfreiheitsstràfe" i n Gestalt der Einschließung t r i t t 95 b) Stellungnahme der L i t e r a t u r zu der Rechtsfolgenlösung und dem Problem einer Sonderstrafart angesichts der Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe

99

c) Kritische Würdigung der Rechtsfolgenlösung des § 48 a E 1962/SA 1964 u n d der Stellungnahmen i n der L i t e r a t u r 102 d) Abschließende Thesen 7 - 9 108 III. Zusammenfassender Überblick über die von der Lehre vom Überzeugungstäter ausgelösten Problemkreise 110

C. Die Redits f i g u r des Überzeugungstäters als typologisches Problem 113 I. Der Typus des Überzeugungsverbrechers in kriminologischer Sicht 114 1. Der kriminalpsychologische Typus des ÜberzeugungsVerbrechers 114 2. Der soziologische Typus des Überzeugungs Verbrechers 117 3. Seeligs u n d Weindlers Untersuchungen zum Überzeugungsverbrecher 4. Der Typisierungsversuch von Greffenius 5. Der politische Überzeugungstäter 6. Die den Ersatzdienst verweigernden Zeugen Jehovas als Beispiel für religiöse Überzeugungstäter 7. Die im Schrifttum geäußerte K r i t i k an der Einheitlichkeit des kriminologischen T y p u s des Ü b e r z e u g u n g s Verbrechers

119 122 124 128 131

a) Wolfs Ablehnung der Einheitlichkeit des Typus des Überzeugungsverbrechers 131 b) Die Ablehnung eines einheitlichen Typus des Überzeugungsverbrechers durch Jescheck und Heinitz unter Berufung auf Liepmann u n d Kohlrausch 132 II. Die Heraushebung des Typus des Überzeugungsverbrechers strafrechtstheoretischen Gesichtspunkten

nach 135

8

Inhaltsverzeichnis III. Die Aufspaltung des Typus des Überzeugungsverbrechers im Radbruchschen Sinne in Gewissenstäter und Überzeugungstäter im engeren Sinne 142 1. Welzels Lehre v o m Gewissenstäter

142

a) Die Begründung Welzels

142

b) K r i t i k an Welzels Stellungnahme 145 2. Der „unbedingt Handelnde" i m Vergleich zum Überzeugungsverbrecher 147 a) Der existentielle Ansatz Ends i m Anschluß an Jaspers 147 b) K r i t i k der Stellungnahme Ends 3. Unterscheidungen zwischen Gewissens- und Überzeugungstätern u n d zwischen aktiven u n d passiven Gewissenstätern . . a) Die typologischen Untersuchungen von Peters, A r n d t , Greffenius u n d der katholischen Moraltheologie aa) Die Gewissensentscheidung bb) Der „Einstellungstäter" nach Greffenius cc) Das Verbot der Überprüfung einer Gewissensentscheidung auf ihren I n h a l t dd) Der Gewissenstäter aufgrund Unterlassens u n d positiven Tuns b) K r i t i k an der Peters'schen Unterscheidung zwischen Gewissens» u n d Überzeugungstätern c) Kritischer Vergleich zwischen der Welzelschen und der Peters'schen Unterscheidung zwischen Überzeugungs- u n d Gewissenstätern IV. Die Aufspaltung des Typus des Überzeugungsverbrechers bruchschen Sinne in politische Täter und Konfliktstäter

149 151 151 151 154 155 156 159

161

im Rad-

V. Die Beibehaltung eines allgemeinen Typus des Überzeugungstäters in § 48 a E 1962/SA 1964 bei typologischen Einschränkungen hinsichtlich des politischen Überzeugungstäters 1. Die Auseinandersetzung m i t dem Typus des Gewissenstäters i m Sinne Welzels 2. Typologische Differenzierungen des politischen Überzeugungstäters à) Die „Verfassungsfeinde"

164

165 166 167 167

b) „Opponenten" und „Nonkonformisten"

167

VI. Der Typus des Ideologie-Täters 1. Die Begründung des Typus durch Sax 2. K r i t i k des Sax'schen Typus 3. Die typologischen Differenzierungen Hofmanns

168 168 170 172

VII. Das Problem der typologischen Zuordnung von nationalsozialistischen Tätern zum Typus des Überzeugungsverbrechers 173 1. Der „heldische" u n d der „nationalsozialistische" Uberzeugungsverbrecher i m Sinne Zimmerls 173 2. Das Problem des nationalsozialistischen Uberzeugungsverbrechers heute 175

Inhaltsverzeichnis VIII.

Methodologische

Würdigung

und Kritik

der Typisierungsversuche

178

1. Der „Typus" i n der Kriminologie

179

2. Der „Typus" i m strafrechtsdogmatischen Bereich u n d i n der Methodologie 181 a) Durchschnitts- oder Häufigkeitstypus Ganzheitstypus

u n d Gestalt-

oder 183

b) Empirischer u n d normativer Typus

188

3. Die verschiedenen Typen „des" Überzeugungsverbrechers

190

4. Der strukturierte Typen-Typus des Überzeugungs Verbrecher s 194 a) Der Weg v o m „Forschungstypus" zum „flexibel s t r u k t u r i e r ten Typen-Typus" 194 b) Die Fruchtbarkeit einer Typenbildung IX. Abschließende

Thesen

197

10-15

199

D. Die Rechts f i g u r des Überzeugungstäters als Problem der adäquaten Begriffsbildung 201 I. Der Meinungsstand

201

1. Der Anknüpfungsbegriff der Überzeugung

201

2. Der Anknüpfungsbegriff des Gewissens 204 a) Die Umschreibung der Überzeugung mittels des Gewissens 204 b) Die Entgegensetzung von Überzeugung u n d Gewissen 206 II. Methodologische

Erwägungen

III. Der Gebrauchsausdruck

zur adäquaten

Begriffsbildung

von „Überzeugung"

1. „Überzeugung" i m allgemeinen Sprachgebrauch

.. 208 211 211

2. Etymologie des Wortes „Überzeugung" sowie Beispiele für seine Verwendung als Fachausdruck 213 3. „Überzeugung" als Rechtsbegriff a) „Überzeugung" i m Verfassungsrecht b) „Überzeugung" i m Wiedergutmachungsrecht c) „Überzeugung" i m Prozeßrecht

218 218 218 220

4. Zwischenergebnis

221

IV. Der Gebrauchsausdruck

von „Gewissen"

1. „Gewissen" i m allgemeinen Sprachgebrauch

223 223

2. Etymologie des Wortes „Gewissen" sowie Überblick über seine Verwendung als Fachausdruck 224 3. „Gewissen" als Rechtsbegriff 228 a) „Gewissen" i m Verfassungsrecht 228 b) „Gewissen" i m Wiedergutmachungs- u n d Flüchtlingsrecht 232 c) „Gewissen" i n Eidesnormen u n d -formein 233 d) „Gewissenlos" 234

10

Inhaltsverzeichnis V. Vergleich der Gebrauchsausdrücke „Überzeugung" und sen" im Hinblick auf den adäquaten Anknüpfungsbegriff Typen-Typus des „Überzeugungstäters"

„Gewisfür den 234

1. Vergleich zwischen den Gebraüchsausdrücken „Überzeugung" und „Gewissen" 235 2. „Überzeugung" u n d „Gewissen" i m Zusammenhang der Formulierungen der Reformdiskussion 235 3. Die W a h l des Anknüpfungsbegriffs für den Typen-Typus des „Überzeugungstäters" 238 VI. Abschließende

Thesen

16-20

239

E. Die R e c h t s f i g u r des Überzeugungstäters als normatives Problem 241 I. Prinzipielle Einwände gegen den Vorschlag lung für Überzeugungstäter

einer

Sonderbehand241

1. Gegenthese: Der P r i m a t der Staatsidee vor den P a r t i k u l a r ideen 242 a) Die Begründung der These 242 b) Gegenstimmen c) Das Problem des pluralistischen Staates

245 247

d) Pluralismus u n d Grundgesetz e) Folgerungen f ü r die K r i t i k der 1. Gegenthese

249 251

2. Gegenthese: Der Primat des Gesetzes vor dem Gewissen a) Welzels Begründung der These b) c) d) e)

Offengebliebene Fragen zu Welzels Stellungnahme Schmidhäusers Lösungsvorschläge Nolls Lösungsvorschlag K r i t i k von Peters an den grundsätzlichen Entscheidungen zugunsten des Gesetzes f) Aporien der Gegenüberstellung von Gesetz u n d Gewissen g) K o r r e k t u r der unfruchtbaren Fragestellung h) Die Hilfsthese von der Selbstaufgabe des Rechts bei A n erkennung einer Sonderstellung für Überzeugungstäter

254 255 258 260 265 267 268 272 274

3. Gegenthese: Der Primat der Sozialethik vor der I n d i v i d u a l ethik 277 II. Die Unergiebigkeït einer vergleichenden rechtsphilosophischen Untersuchung der Problematik des Überzeugungstäters III. Der Ausgangspunkt zeugungstäter IV. Abschließende

für

eine rechtsstaatliche

Thesen 21 -30

Lehre

vom

279

Über282 286

F. Abschluß

289

Literatur- und Abkürzungsverzeichnis

291

Personen- und Sachregister

329

Α. Einführung Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters ist eine „juristische Entdeckung" 1 , die auf Gustav Radbruch zurückgeht und i n dessen strafrechtlichem, rechtsphilosophischem und rechtspolitischem Lebenswerk i n immer neuen Zusammenhängen durchdacht worden ist: Wie ist ein Täter zu beurteilen, der sich aufgrund seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung zur Begehung einer Straftat für verpflichtet hielt? Diese Frage hat die Legislative seit dem Strafgesetzentwurf Radbruchs aus dem Jahre 1922 immer wieder beschäftigt und die Strafrechtswissenschaft seit dem 1924 erschienenen Aufsatz Radbruchs über den Überzeugungsverbrecher nicht mehr ruhen lassen2. Die Diskussion des Problems läßt sich auf zwei Epochen aufteilen, die sich, nicht zufällig, auf die demokratischen Perioden Deutschlands beschränken. Der erste Zeitraum umfaßt die Jahre von 1924 bis 1933 (außerhalb Deutschlands bis 1935), i n dem Radbruch, auf sich gestellt, den Disput m i t seinen Zeitgenossen führte. Die zweite Epoche setzt ein mit den Beratungen der Großen Strafrechtskommission 1954 zu diesem Thema und erreicht 1964 einen vorläufigen Höhepunkt i n der Formulierung des § 48 a E 1962 i n der Fassung des Sonderausschusses „Strafrecht" des 4. Deutschen Bundestages 3 , die an Radbruchs Entwurf anknüpft. Beide Epochen lassen Parallelen i m Ablauf der Diskussion erkennen: Neben Äußerungen i m Schrifttum stehen jeweils Beratungen juristischer Fachgremien (34. Deutscher Juristentag 1926 — Strafrechtslehrertagung 1966) und gesetzgeberische Bemühungen, eine Lösung des Problems i n einer Strafrechtsvorschrift zu fixieren (§ 71 E 1925 - § 48 a E 1962/SA 1964). Diese Koinzidenzen weisen auf eine Eigenart des Pro1 Dölle: .S. Β I f f . — Dölle hat allerdings den Begriff der „juristischen Entdeckung" nicht bezogen auf den Überzeugungstäter gebraucht, sondern sich auf Beispiele aus dem Bürgerlichen Recht u n d dem Internationalen Privatrecht beschränkt. — Otto, W.: S. 248 spricht von Radbruchs „ E r f i n dung der Überzeugungstäterschaft". 2 „Gustav Radbruchs E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches (1922)" wurde erst 1952 von Eberhard Schmidt herausgegeben. (Zitierweise: E Radbruch.) I n Radbruchs Aufsatz „Der Uberzeugungsverbrecher", ZStW 44 (1924) S. 34 ff., ist die Entwurfsbegründung zu § 71 E Radbruch abgedruckt, S. 35 f.; sie stimmt m i t der Fassung der Entwurfsedition, S. 54, von geringen sprachlichen Änderungen abgesehen, überein. 3 Zitierweise: § 48 a E 1962/SA 1964.

12

Einführung

blems hin: Es drängt sowohl zu wissenschaftlicher Durchdringung wie zu rechtspolitischer Umsetzung, ist von ebenso großem theoretischen wie praktischen Interesse 4 . Die Faszination, die von der Problematik des Überzeugungstäters ausgeht, sowie die Leidenschaftlichkeit, mit der die Diskussion geführt wird, dürften darin begründet sein, daß diese Fragestellung den Charakter eines Brennglases hat, das fundamentale strafrechtliche, rechtsphilosophische, verfassungsrechtliche und politische Streitfragen sammelt; i n ihrer Bündelung erzeugen diese Probleme „Hitzegrade", wie sie sonst nur von Fragen des Strafrechts wie ζ. B. dem Schuldprinzip, der Lehre von der Willensfreiheit, der Strafe, den Sittlichkeitsdelikten, der Abtreibung oder politischen Straftatbeständen bekannt sind 5 . Zudem ist die Problematik des Überzeugungstäters in den letzten Jahren immer drängender geworden. Gerade i n einer Zeit, i n der nicht nur politische, sondern auch religiöse Überzeugungstaten sich mehren, w i r d dem § 48 a E 1962/SA 1964 die Anerkennung als Gesetz versagt und überdies der „entfernt verwandte" § 20 StGB i. d. Fassung von 1953 gestrichen 6 , obwohl eine ipso-iure-Ehrenstrafe i n § 31 StGB (§ 45 StGB n. F.) beibehalten wird. Wie i n letzter Zeit ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Problematik des religiösen Überzeugungstäters zei4 S ehr oeder: S. 134 spricht zu Hecht i m Hinblick auf den Überzeugungstäter von „einem Kristallisationspunkt ohnegleichen". 5 Trotzdem fehlt es i n der L i t e r a t u r sowohl an einer grundlegenden Gesamtwürdigung als auch an einer Arbeit, die die S t r u k t u r der Rechtsfigur des Überzeugungstäters untersucht. V o r dem Zweiten Weltkrieg erschienen die Dissertationen von Morasch, Budzinski, Bülow, Schneider u n d Aufsätze zur Frage des Überzeugungstäters; hervorzuheben sind die Beiträge von Radbruch, Erik Wolf, Nagler, Oetker. Nach dem I n k r a f t t r e t e n des G r u n d gesetzes sind Dissertationen zu Teilfragen erschienen: Den kriminologischen Aspekt betont Greffenius, den historischen betonen Eichholz u n d Baltzer, den kasuistischen betont Burski. Von den i n F o r m von Festschrift- u n d Zeitschriftenaufsätzen publizierten einschlägigen Arbeiten sind diejenigen von Welzel, Peters, Noll u n d Heinitz bemerkenswert. β § 48 a E 1962/SA 1964 sah i m Grundsatz vor, daß dann, w e n n das Gesetz zeitiges Zuchthaus, Gefängnis oder Strafhaft androhe, an deren Stelle E i n schließung von gleicher Dauer zu treten habe, „ w e n n f ü r den Täter der Beweggrund ausschlaggebend war, daß er sich aus sittlicher, religiöser oder p o l i tischer Überzeugung für verpflichtet hielt, die Tat zu begehen", Prot, der 32. Sitzung des SA v. 16.12.1964 S. 603, 606. Diese Regelung ist weder i n das Erste noch i n das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts v o m 25. 6.1969 (BGBl. I S. 645) bzw. v o m 4. 7.1969 (BGBl. I S. 717) aufgenommen worden u n d w i r d i n der neuen K o d i f i k a t i o n des Allgemeinen Teils des StGB fehlen. — § 20 i. d. Fassung v o m 4. 8.1953 (BGBl. I S. 735) hatte folgenden W o r t l a u t : „ W o das Gesetz die W a h l zwischen Zuchthaus und Einschließung gestattet, darf auf Zuchthaus n u r dann erkannt werden, w e n n festgestellt w i r d , daß die strafbare Handlung einer ehrlosen Gesinnung entsprungen ist." Diese Vorschrift wurde durch A r t . 2 Nr. 2 des 8. S t Ä G v. 25. 6.1968 (BGBl. I S. 741) aufgehoben.

Einführung

gen 7 , ist damit allerdings die Diskussion von dem Gebiet der „Rechtsfolgenlösungen" auf das der „Tatbestandslösungen" 8 verlagert worden. Während vor Ablehnung des § 48 a E 1962/SA 1964 i m Jahre 1966 die alternativen Lösungswege einer speziellen Sanktion für Überzeugungstäter sowie einer dogmatischen Einordnung der Überzeugungstat diskutiert werden konnten, steht der wissenschaftlichen Erörterung und richterlichen Entscheidung zur Zeit nur noch der zweite Weg offen, wenn man das Problem nicht allgemein dem Strafvollzugsbereich zuweisen w i l l 9 . Schon aus diesem Grunde steht zu vermuten, daß i n der nunmehr verstärkt zur Problemlösung i n Anspruch genommenen Strafrechtsdogmatik die „Transplantation" vom Rechtsfolgenbereich i n den Tatbestandsbereich „immunbiologische Reaktionen" auslösen muß, die darauf hinzielen, den „Fremdkörper" abzustoßen. Zwar w i r d i n den Darstellungen zum Allgemeinen Teil des Strafrechts als Sitz des Problems i m System zumeist die Lehre vom Unrechtsbewußtsein lokalisiert 1 0 , aber es fällt auf, wie sogleich der Bereich des „Aufhängers" Unrechtsbewußtsein verlassen und sehr grundsätzlich argumentiert w i r d : Das Recht bzw. der Staat gäben sich selbst auf, würden sie den Überzeugungstäter „anerkennen"; Recht und Sittlichkeit träten zueinander i n Widerspruch, und Recht müsse vor Gewissen gehen, bzw. Sozialethik vor Individualethik. Überrascht stellt man fest, daß es sich bei diesen Argumenten nicht um konkret dogmatische, nur auf die speziellen Fragen der jeweiligen „Tatbestandslösungen" bezogene, handelt, vielmehr decken sie sich inhaltlich m i t den Argumenten, die gegen die „Rechtsfolgenlösungen" bereits früher vorgebracht worden sind. Man 7 Vgl. insbes. BVerfGE 32 S. 98 ff., Beschluß v. 19.10.1971 — 1 B v R 387/65 — zur Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der Glaubensfreiheit auf die Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 330 c StGB), BVerfGE 23 S. 127 ff., Beschluß v. 5. 3.1968 — 1 B v R 759/67 — zur Berücksichtigung einer die Ersatzdienstverweigerung motivierenden Gewissensentscheidung eines Mitgliedes der Zeugen Jehovas u n d BVerfG, Beschluß v. 11.4.1972 — 2 B v R 75/71 — JZ 1972 S. 515 ff. zur Frage Glaubensfreiheit u n d Eidesverweigerung. 8 „Tatbestand" w i r d hier i m Sinne der Rechtstheorie verstanden als K o r r e lat der „Rechtsfolge", d . h . als Inbegriff aller materiellen Voraussetzungen der Strafdrohung, vgl. Engisch: Mezger-Festschrift S. 130. 9 Vgl. z. B. Jescheck: Lehrbuch 1. A u f l . S. 272. Entgegen früherer Ansicht fordert er eine besondere Straf art für Überzeugungstäter; i n der 2. A u f l . fügt er hinzu, der Überzeugungstäter könne bei Unterlassungstaten straffrei bleiben, S. 309. 10 Jescheck: Lehrbuch 2. Aufl. S. 307 ff.; Schmidhäuser: Strafrecht S. 333 ff., Einführung S. 177 f.; Stratenwerth: S. 162 f.; H. Mayer: Strafrecht S. 260 f.; Schönke ! Schröder: § 59 Rnr. 116; Welzel: Strafrecht S. 176 f. hat dem Problem einen „ A n h a n g " zu dem K a p i t e l über die Möglichkeit der Unrechtseinsicht eingeräumt. — Unter dem Aspekt „Rechtsschuld u n d sittliche Schuld" betrachten das Problem Maurach: S. 412 (§ 35 I I 3); Baumann: Strafrecht S. 353 (§ 23 I I I 2); Wessels: S. 59. — Mezger / Blei schweigen zum Problem des Überzeugungs- bzw. Gewissenstäters.

14

Einführung

muß also den Rahmen weiter spannen und erkennen, daß das Problem des Überzeugungstäters, i n welcher strafrechtlichen Ausprägung auch immer, stets dieselben grundsätzlichen Fragen auf w i r f t : Kann und darf es eine Rechtsfigur des Überzeugungstäters geben? Des prinzipiellen Fragens müde, hat man den Vorschlag gemacht, das Problem des Überzeugungstäters i n Kasuistik aufzulösen, um von dem Einzelfall her das Problem neu aufzurollen 11 . Allein, abgesehen davon, daß die Problematik des Überzeugungstäters Radbruch aus der Beschäftigung m i t Fällen erwachsen ist 1 2 , hat die gerichtliche und wissenschaftlich reflektierte Kasuistik kein anderes Ergebnis erbracht als die Dogmatik: Es werden die alten Fragen neu gestellt 1 3 . Festzuhalten bleibt der fruchtbare Zweifel jeder Kasuistik, der i m vorliegenden Fall lauten würde: Kann es eine Rechtsfigur des Überzeugungstäters, typologisch, begrifflich gesehen, überhaupt geben? Topisches, an Problemen orientiertes, und systematisches, an einer bestimmten Ordnung ausgerichtetes, Denken stoßen hier aufeinander, und es fragt sich, welche der drei möglichen Antworten die zutreffende ist: Liegt der „Fehler" i m gegenwärtig anerkannten und ausgebildeten Strafrechtssystem? Ist das Problem falsch gestellt, w e i l i h m ζ. B. keine rechtliche Relevanz zukommen kann? Oder ist bisher nur das Verhältnis von System zu konkretem Problem nicht richtig gesehen worden? Die vorliegende Untersuchung sieht ihre Aufgabe darin, die grundsätzlichen Vorfragen, auf die jede Dogmatik und Kasuistik stoßen muß, i m Zusammenhang zu erörtern und zu prüfen, ob sinnvoll von einer „Rechtsfigur des Überzeugungstäters" gesprochen werden kann. Dabei ist einmal das Hauptgewicht zu legen auf die Frage der typologischen und begrifflichen „Figur", d. h. Umrißgestalt 1 4 . Kann eine „Figur" aus11

Vgl. die Diskussionsbeiträge bei der Heidelberger Strafrechtslehrertagung 1966 nach dem Bericht von Friedrichsr S. 731. 12 Radbruch: Referat S. 355. 13 Über die Beschäftigung m i t den Zeugen-Jehovas-Prozessen, die die Strafbarkeit der Ersatzdienstverweigerung aus religiösen Gründen zum I n halt hatten, ist ζ. B. Peters zu seinen grundlegenden Arbeiten über den Gewissenstäter gelangt, vgl. Engisch-Festschr. S. 468 ff. m i t Nachweisen der gerichtlichen Entscheidungen. Vgl. auch Burski: S. 3, 88 ff., der die Fälle u n tersucht, i n denen Zeugen Jehovas aufgrund ihrer religiösen Überzeugung m i t dem Gesetz i n K o n f l i k t geraten. 14 Der Ausdruck „Rechtsfigur" ist, soweit ersichtlich, selbst noch nicht zum Gegenstand methodischer Reflexion gemacht worden. Er ist jedoch durchaus gebräuchlich, vgl. ζ. B. die Arbeiten von Serick: „Die Rechtsfigur des nominee i m anglo-amerikanischen Gesellschaftsrecht" oder Grimmer: „Die Rechtsfiguren einer »Normativität des Faktischen'". — Von der „Rechtsfigur des Überzeugungstäters" sprach 1927 der spätere Reichsgerichtspräsident Bumke i n Prot, der 42. Sitzung v. 16.12.1927 des 32. Ausschusses des Reichstages i n der I I I . Wahlperiode S. 1. Der Ausdruck „ F i g u r des Überzeugungsverbrechers" w i r d von Lang-Hinrichsen: JZ 1966 S. 161 f. gebraucht. — „Rechtsfigur" ist nicht m i t „Rechtsinstitut" gleichzusetzen, sondern ist der weitere

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gemacht werden, stellt sich i n aller Schärfe das Problem, ob sie lediglich eine unverbindliche theoretische „Denkfigur" oder aber eine „Rechtsfigur", d. h. ein normatives Phänomen, sein kann. Akzeptiert man dieses Programm einer strukturellen Untersuchung, so drängt sich sogleich eine grundlegende Schwierigkeit methodischer A r t auf, die ihrerseits das Gelingen eines „Allgemeinen Teils" zum Problem des Überzeugungstäters unmöglich machen könnte: Die folgende Untersuchung muß des Leitseiles eines Gesetzes entraten, das dem an Auslegung gewöhnten Juristen eine, wenn auch noch so trügerische Sicherheit verleiht. Woher aber nun die „Anhalts"-Punkte gewinnen für eine Argumentation, die zudem den Anspruch erhebt, über fremde Ansichten kritisch zu urteilen? Woher die Begriffe Überzeugung und Gewissen nehmen, wenn der Grenzen setzende Rahmen und das sinngebende Telos des positiven Gesetzes fehlen? Wie kann im vorpositiven Raum verbindlich argumentiert werden? Denkt man diese Frage zu Ende, so gelangt man zum wissenschaftstheoretischen Problem des Anfangs überhaupt 1 5 . Und ebenso wie etwa die Erlanger Schule des wissenschaftstheoretischen Konstruktivismus „,vertrauensvoll inmitten'" der Umgangssprache beginnt, die „ w i r immer schon sprechen und weiterhin sprechen" 16 ; — ebenso wie etwa die Oxforder ordinary language philosophy bei dem Gebrauch der Wörter ansetzt 17 , — kann i m vorpositiven Raum nirgendwo anders als bei dem Medium begonnen werden, aus dem die künftigen Fachausdrücke stammen: dem allgemeinen Sprachgebrauch. W i l l man ein intersubjektives Einvernehmen über „Gewissen" oder „Überzeugung" erreichen, so bietet sich kein anderer fruchtbarer Weg an, als „vertrauensvoll inmitten" der Sprache zu beginnen, aus der auch die Rechtsbegriffe kommen 1 8 .

Begriff. Das „institutionelle Rechtsdenken" hat seinen methodischen A u s gangspunkt i n der Annahme einer Vorgegebenheit der Regelung aus der „ N a t u r der Sache" (vgl. Larenz: Methodenlehre S. 161 f., 389). Versteht m a n „Rechtsinstitut" lediglich als Normenkomplex, bei dem subjektive Rechte außer Betracht bleiben (vgl. Häberle: S. 70 ff. u n d zum Rechtsdenken Haurious), so ist auch dies enger als „Rechtsfigur". „Rechtsfigur" meint sehr v i e l unbefrachteter einen Problemlösungsgedanken auf dem Gebiete des Rechts, der als A n t w o r t auf eine Frage gedacht ist, die sich aus dem Rechtssystem selbst ergeben hat oder „ v o n außen" an das System gestellt worden ist. Gemeinsam m i t dem Rechtsinstitut k a n n die Rechtsfigur die Merkmalsvielfalt haben, die auf die Denkform des Typus hinweist. Während die „Rechtsinstitute" aber inhaltlich weitgehend hervorgebracht worden sind durch V o r gegebenheiten, sind die „Rechtsfiguren" n u r determiniert als A n t w o r t e n auf gestellte Fragen. 15 H. Seiffert: S. 105 ff., 125 ff. 16 Kamiah / Lorenzen: S. 24. 17 Vgl. Wittgenstein: S. 35, 66 (§§ 43, 109); zum Ganzen: Stegmüller: S. 576 ff., 584 ff., Bubner: S. 5 ff. 18 Vgl. die exemplarische E x p l i k a t i o n von „Gesinnung" i m straf recht-

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Wie aber kann über rechtsphilosophische Theorien, etwa über das Verhältnis von Gesetz und Gewissen, m i t der Aussicht auf Zustimmung gehandelt werden? Ist die Entscheidung der Frage nicht allein davon abhängig, welche Wertaxiome der einzelne Wissenschaftler an das Problem heranträgt? Sicherlich ist kein Wissenschaftler und keine Wissenschaft ohne Wertapriori 1 9 , aber indem man gemeinsam Wissenschaft treibt, könnten die jeweiligen Voraussetzungen durch ein gemeinsames Wissenschaftsethos überwölbt werden, das den kritischen Dialog m i t Argument und Gegenargument als das wirksamste M i t t e l ansieht, Übereinstimmung zu erzielen und Wahrheit hervorzutreiben. I n der Wissenschaftstheorie, wie sie Popper Methode der Wissenschaft i n folgendem 20 :

vertritt, besteht die

Für ein bestimmtes Problem werden Lösungsversuche ausprobiert, Lösungen werden vorgeschlagen und, sofern sie überhaupt sachlicher K r i t i k zugänglich sind, kritisiert. Alle K r i t i k besteht i n Widerlegungsversuchen, die ζ. B. zeigen wollen, daß die aufgestellte Theorie i n sich widersprüchlich ist, daß sie m i t anderen akzeptierten Theorien i n Kollision gerät, daß aus den kritisierten Prämissen Folgen abgeleitet werden können, die akzeptierten Werten zuwiderlaufen. Ist ein Lösungsversuch widerlegt, so w i r d ein anderer ebenso geprüft. Diese Methode „des tentativen LösungsVersuches (oder Einfalls)", der von der schärfsten K r i t i k kontrolliert wird, bezeichnet Popper selbst als eine „kritische Fortbildung der Methode des Versuchs und Irrtums (,trial and error')" 2 1 . Unser Wissen besteht demnach i n den Lösungen, die bisher der K r i t i k standhalten konnten. Dieses Wissenschaftsprogramm muß allerdings m i t jeder Lehre i n Widerspruch geraten, die Parteilichkeit auf ihre Fahnen geschrieben hat und bestimmte Sätze gegen K r i t i k immunisiert 2 2 . Der „kritische Rationalismus" Poppers verabsolutiert dagegen auch den eigenen

liehen Bereich durch Schmidhäuser: Gesinnungsmerkmale S. 33 ff., der ebenfalls auf den allgemeinen Sprachgebrauch rekurriert, S. 30 ff. 19 Spranger: S. 29; Sprangers 1929 geäußerte Ansicht besteht auch heute leider noch zu Recht: „ W e n n die Juristen de lege ferenda diskutieren, so haben sie nach meinem Eindruck heute dafür keine v ö l l i g gesicherte methodische Basis", S. 13. 20 Dem folgenden werden Poppers Thesen i n Positivismusstreit S. 105 ff. zugrunde gelegt; vgl. Conjectures S. V I I , S. 26 ff., 356 f., L o g i k S. 18, Gesellschaft Bd. 2 S. 275 ff. Vgl. Opp: S. 267 ff. i n der Anwendung auf die Methodologie der Sozialwissenschaften. André: S. 398 f ü h r t aus: Der forschende Jurist probiere eine Reihe von Sätzen durch u n d prüfe seine Einfälle, indem er die A u s w i r k u n g e n der Einfälle durchspiele. 21 22

Popper: Positivismusstreit S. 106. Z u r Immunisierung gegen K r i t i k vgl. Albert:

S. 30, 96 ff.

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Standpunkt nicht, sondern steht i h m selbstkritisch „gegenüber" 23 , indem er zugibt, daß er letztlich auf einer irrationalen Entscheidung beruht 2 4 . Deren Folgen jedoch lassen sich diskutieren: Sie muß, u m bestehen zu können, die Freiheit der K r i t i k , die Freiheit des Denkens, also die Freiheit des Menschen schützen 25 . Auch für Popper ist die Demokratie keine Heilslehre, aber durch ihre institutionalisierte Zulassung von K r i t i k ist sie „eine der notwendigen Voraussetzungen, die es uns möglich machen, zu wissen, was w i r t u n " 2 6 . Eine Untersuchung zur „Rechtsfigur des Überzeugungstäters" aus marxistisch-dialektischer Sicht der Wissenschaftsmethode würde daher anders aussehen müssen als die vorliegende Arbeit. Ziel dieser Arbeit ist der Versuch, die Diskussion u m den Überzeugungstäter nachprüfbarer und nachvollziehbarer zu gestalten, indem typologische und begriffliche Fragen geklärt, versteckte Wertungen offengelegt und normative Argumente erörtert werden sollen. Das Hauptanliegen der Untersuchung besteht darin, durch strukturelle Vorarbeiten die Transparenz des Redens über den Überzeugungstäter zu erhöhen, um auf diese Weise die Problematik der Lehre vom Überzeugungstäter einer rechtsstaatlichen Lösung ein Stück näher zubring en. Ein chronologischer Überblick über die Versuche, den Überzeugungstäter de lege ferenda zu berücksichtigen, soll zunächst die Vielfalt der Initiativen und Meinungen verdeutlichen und eine erste Orientierung erleichtern, ehe die Rechtsfigur des Überzeugungstäters an ihrem U r sprung, den Arbeiten Radbruchs, sowie an den Höhepunkten der Reformdiskussion aufgesucht werden kann (Teil B). Dieser Blick auf eine fünfzigjährige Problemgeschichte soll die tragenden Säulen der Argumentation i n ihrem jeweiligen Zusammenhang sichtbar werden lassen. Nur so sind die Einsichten der Weimarer Zeit einerseits m i t heutigen Überlegungen zu verknüpfen und andererseits Mißverständnisse zwischen der damaligen Argumentation und der heutigen aufzudecken und zu vermeiden. A n diese Feststellungen kann sich der „Allgemeine Teil" der Lehre vom Überzeugungstäter anschließen m i t seinen Untersuchungen zur typologischen und begrifflichen Rechts/igur (Teile C und D) und seiner Prüfung der Normativität der Rechtsfigur des Überzeugungstäters (Teil E).

23 24 25 26

Popper: Popper: Popper: Popper:

2 Gödan

Gesellschaft Bd. 2 S. 282. Gesellschaft Bd. 2 S. 284 f., Conjectures S. 357. Gesellschaft Bd. 2 S. 294. Elend S. I X .

Β. Die Reformdiekuesion über das Problem einer Sonderbehandlung von Überzeugungstätern I. Überblick über die Stationen der Diskussion de lege ferenda 1. § 71 E Radbruch 1922 I m Jahre 1922 erarbeitete der sozialdemokratische Reichsjustizminister Gustav Radbruch den „Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches", der neben der Todes- und Zuchthausstrafe auch alle Ehrenstrafen beseitigte und für Überzeugungsverbrecher eine gesonderte Strafart vorsah. § 71 E Radbruch 1922 lautete: „ A n Stelle von strengem ßung von gleicher Dauer, des Täters darin bestand, sittlichen, religiösen oder hielt 1 ."

Gefängnis und Gefängnis t r i t t Einschliewenn der ausschlaggebende Beweggrund daß er sich zu der Tat auf Grund seiner politischen Überzeugung für verpflichtet

I n den von Radbruch selbst verfaßten „Bemerkungen" 2 w i r d diese Sondervorschrift damit begründet, daß sich der Überzeugungsverbrecher grundlegend vom gemeinen Täter unterscheide. Der gemeine Verbrecher stehe „ i m Widerspruch zu sich selbst", da er, wie ζ. B. der Dieb oder der Urkundenfälscher, grundsätzlich die Schutzwürdigkeit des von i h m angegriffenen Rechtsgutes bejahe, denn der Dieb ζ. B. wolle für sich das Eigentum an der gestohlenen Sache, der Urkundenfälscher das öffentliche Vertrauen für die gefälschte Urkunde. Insofern könne der Staat dem gemeinen Verbrecher als der „Vertreter seines eigenen besseren und klügeren Selbst" entgegentreten. Demgegenüber sei der Überzeugungsverbrecher nicht aus sich selbst widerlegbar, sondern der i n der Staatsgewalt verkörperten Überzeugung stehe „eine andere 1 Die hier wiedergegebene Lesart des § 71 E Radbruch entspricht „Gustav Radbruchs E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches (1922)" S. 9. — Radbruch zitiert § 71 i n ZStW 44 (1924) S. 35: „ . . . daß er sich zu der Tat auf G r u n d seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung verpflichtet hielt." F ü r die K o r r e k t h e i t der ersten Lesart spricht, daß der auf § 71 E Radbruch aufbauende § 71 E 1925 „für verpflichtet h i e l t " schreibt. I n Radbruchs Begründung zu § 71 heißt es ebenfalls „ f ü r verpflichtet h i e l t " : S. 54 = ZStW 44 (1924) S. 35. 2 Radbruch: Weg S. 115.

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geschlossene Überzeugung gegenüber" 3 . Den Überzeugungstäter könne der Staat nicht wie einen sittlich Haltlosen bessern wollen. Die Einschließungsstrafe sei daher nicht „Besserungshaft" wie die Gefängnisstrafe 4 . Die Anwendung der Einschließung werde nicht „von der notwendig subjektiven Bewertung der Ehre des Täters abhängig gemacht, vielmehr von einem objektiv feststellbaren psychologischen Befund" 5 : dem Vorliegen einer Pflichtüberzeugung. I m Oktober 1922 legte Radbruch dem Kabinett seinen Entwurf vor, der jedoch nicht mehr beraten werden konnte, da die Regierung i m November 1922 gestürzt wurde 6 . 2. § 52 „Reichsratsgrundsätze" von 1923 A m Zustandekommen der sogenannten Reichsratsgrundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7.6.1923 7 war Radbruch als Reichsjustizminister persönlich besonders stark beteiligt gewesen 8 . § 52 Abs. 1 bestimmte: „Bestand bei einem Gefangenen nach der ausdrücklichen Feststellung des Urteils der ausschlaggebende Beweggrund zur Tat darin, daß er sich zu der Tat auf Grund seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung für verpflichtet hielt, so sind i h m die für die Strafart zulässigen Vergünstigungen ohne weiteres zu gewähren. Von der Einhaltung von Fristen, die für die Gewährung von Vergünstigungen vorgeschrieben sind, kann bei einem solchen Gefangenen abgesehen werden." Diese Vorschrift, die keine besondere Strafart für Überzeugungstäter vorsah, vielmehr eine Sonderbehandlung innerhalb der Strafarten, wurde zum Ausgangspunkt für entsprechende Verwaltungsbestimmungen i n den Dienst- und Vollzugsordnungen der deutschen Länder 9 . Sie blieben allerdings ein Fremdkörper, da der Entwurf Radbruchs von 1922, auf den § 52 „Reichsratsgrundsätze" zugeschnitten war, nicht Gesetz wurde; außerdem unterblieb eine Änderung der Strafprozeßordnung, so daß die Gerichte gesetzlich nicht verpflichtet waren, Fest3

Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 35 = Begründung zu E Radbruch S. 54. Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 36 = Begründung zu E Radbruch S. 54. 5 Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 35 = Begründung zu E Radbruch S. 54. 6 Radbruch: Weg S. 115 f.; Zeittafel, zusammengestellt von Erik Wolf, i n Radbruch: Briefe S. 319. 7 Grundsätze f ü r den Vollzug v o n Freiheitsstrafen v o m 7. 6.1923 (RGBl. I I S. 263). Vgl. allgemein Eb. Schmidt: Einführung S. 420 ff. 8 Radbruch: Weg S. 114. 9 Z u den Einzelheiten vgl. Bülow: S. 73 ff.; Preuss: Strafvollzug S. 142 f. 4

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Die Reformdiskussion

Stellungen über die Überzeugungstätereigenschaft i n den Urteilstenor oder i n die Urteilsgründe aufzunehmen 10 . Da also materielles Strafrecht und Strafprozeßrecht auf der einen Seite und Vollstreckungsvorschriften auf der anderen Seite nicht übereinstimmten, mußte es zu Komplikationen kommen 1 1 . § 52 „Reichsratsgrundsätze" blieb bis heute die einzige i n K r a f t befindliche Bestimmung, die eine Sonderbehandlung für Überzeugungsverbrecher, wenn auch lediglich für den Strafvollzug, vorsah. Durch eine der ersten Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes wurde § 52 „Reichsratsgrundsätze" aufgehoben 12 . 3. § 71 E 1925 Erst i m Jahre 1924 beriet die Reichsregierung den von Radbruch 1922 erstellten Entwurf für ein Strafgesetzbuch und nahm schwerwiegende Änderungen an i h m vor 1 3 . Todesstrafe und Zuchthaus sowie Ehrenfolgen wurden wieder vorgesehen. § 71 E 1925 lautete 1 4 : „ A n Stelle von Zuchthaus und Gefängnis t r i t t Einschließung von gleicher Dauer, wenn der ausschlaggebende Beweggrund des Täters darin bestand, daß er sich zu der Tat auf Grund seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung für verpflichtet hielt." Damit hatte man § 71 E Radbruch 1922 zwar beinahe wörtlich übernommen, aber der Kontext war ein anderer geworden. Der neue Entwurf wurde als erster „amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs" 1925 dem Reichsrat zugeleitet 15 . 4. Die Beschlüsse des 34. Deutschen Juristentages 1926 Die Bestimmung des § 71 E 1925 löste eine so rege und heftige Diskussion i n der Wissenschaft aus, daß das Thema auf die Tagesordnung des 34. Deutschen Juristentages 1926 i n K ö l n gesetzt wurde. Höpler kam i n seinem Gutachten zu dem Schluß, daß sich die Aufnahme der 10

Vgl. Bülow: S. 71; Josephi: Sp. 511. Preuss: Strafvollzug S. 143 ff., DJZ 30 (1925) Sp. 312; Turche: S. 75 f. 12 A r t . I der „Bekanntmachung einer Vereinbarung über die Beseitigung der Sonderbehandlung der Überzeugungstäter i m Strafvollzug. V o m 25. A p r i l 1933". (RGBl. I S. 232.) 13 Eb. Schmidt: Einführung S. 406; vgl. Liszt / Schmidt: S. 92. 14 Amtlicher E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung. 1925. Vgl. S. 50 f. 15 Eb. Schmidt: Einführung S. 406. Der E 1925 w i r d häufig auch als „Reichsratsvorlage" bezeichnet. 11

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i m § 71 E 1925 enthaltenen Bestimmung i n ein neues Strafgesetzbuch nicht empfehle 16 . Während Radbruch als erster Berichterstatter seine Lehre vom Überzeugungsverbrecher verteidigte und ausbaute 17 , wollte Kohlrausch als zweiter Berichterstatter die Einschließung nur für enumerativ bestimmte politische Straftaten anerkannt wissen, „wenn die Handlung nicht aus einem eigensüchtigen Beweggrund, sondern i n der Überzeugung begangen wurde, durch sie das Wohl des Staates oder der Gesellschaft zu fördern" 1 8 . I n seinen Beschlüssen folgte der Deutsche Juristentag i m wesentlichen der Meinung Kohlrauschs, allerdings m i t der wichtigen Abweichung, daß die Einschließung nicht auf politische Delikte beschränkt werden solle 19 . Diese Sonderstrafart sollte als Sanktion nur für bestimmte ausgewählte Delikte gelten. I m Anschluß an die Vorschläge beider Referenten sollten die Voraussetzungen für die Einschließung „nicht aus dem Gesichtspunkte eines sittlichen Werturteils (ehrlose oder verächtliche Gesinnung)" festgelegt werden 2 0 . 5. § 72 E 1927 und § 72 E 1930 a) § 72 E 1927

Aber auch die § 71 E 1925 bereits modifizierenden Beschlüsse des 34. DJT 1926 fanden beim Gesetzgeber keinen Anklang. Symptomatisch ist die Stellungnahme des einflußreichen Vorsitzenden des den Strafgesetzbuchentwurf beratenden Reichstagsausschusses21 Wilhelm Kahl 22, der an exponierter Stelle, der Neujahrsnummer der Deutschen Juristen-Zeitung 1927, erklärte, die Voraussetzungen für die Zubilligung einer Einschließungsstrafe müßten hinsichtlich der objektiven wie der subjektiven Seite genauer bestimmt werden: I n objektiver Hinsicht 1β

Höpler: S. 97. Radbruch: Referat S. 354 - 373, Leitsätze S. 352 f., Schlußwort S. 414 ff. 18 Kohlrausch: Leitsatz I I I 2 S. 354; das Referat Kohlrauschs ist nicht w i e dergegeben, da laut S. 374 A n m . 1 ein brauchbares Stenogramm nicht hergestellt worden ist. Vgl. jedoch Kohlrauschs Schlußwort S. 413 f. u n d Schlußbericht S. 868 f. i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 sowie Kohlrausch: Fortschritte S. 27 ff. 19 Beschlüsse i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 419 unter Ziffer 3. 20 Beschlüsse i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 419 unter Ziffer 4. 21 Die vielfach überarbeitete Fassung der Reichsratsvorlage (E 1925) wurde am 14. 5.1927 dem Reichstage zugeleitet (vgl. Eb. Schmidt: Einführung S. 406 f.). 22 Wilhelm Kahl (1849 - 1932), Prof. f ü r ev. Kirchenrecht, Staatsrecht u n d Straf recht i n B e r l i n (seit 1895), w a r bereits M i t g l i e d der Weimarer Nationalversammlung u n d gehörte dem Reichstag als Abgeordneter f ü r die Deutsche Volkspartei an. — Räuber: S. 453 schreibt Kahl den für eine Neuregelung i n vorliegender Frage bestimmenden Einfluß zu. 17

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Die Reformdiskussion

sollten Ausführung und Folgen der Tat neben der Gesinnung berücksichtigt werden, — insoweit seien die Beschlüsse des Deutschen Juristentages zu weit; nach der subjektiven Seite jedoch seien sie zu eng, da nicht nur egoistische Beweggründe die Einschließung für den Täter unangebracht erscheinen ließen. Kahl fragte: „Warum scheut man das ,sittliche Werturteil·? Diese Scheu ist eine Neuerung i m deutschen Strafrecht, den Entwürfen vor 1922 unbekannt 2 3 ." A l l e Entwürfe bis 1919 gingen, ebenso wie das zur Berichtszeit geltende Strafrecht i n § 20 StGB, von dem Anknüpfungsbegriff der „ehrlosen Gesinnung" aus, wobei Beurteilungsmaßstab die ethische Qualität der Gesinnung sein sollte 24 . Zwar gab § 72 E 1927 den Begriff der „ehrlosen Gesinnung" auf, aber die ethisch verstandene Bewertungsklausel blieb und wurde i n den Ausdruck „achtenswerte Motive" gegossen. Aufgrund der Ansicht, daß § 71 E 1925 ein „viel zu weites Anwendungsgebiet" eröffnet und „zu einer Aushöhlung des Strafrechts" geführt hätte 2 5 , sah § 72 E 1927 vor: „ A n die Stelle der angedrohten Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe t r i t t Einschließung von gleicher Dauer, wenn der Täter ausschließlich aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat und die Tat nicht schon wegen der A r t und Weise ihrer Ausführung oder wegen der vom Täter verschuldeten Folgen besonders verwerflich ist." Damit nahm der Entwurf i m Vergleich zu § 71 E 1925 drei inhaltliche Begrenzungen vor: Eine Motivbewertungsklausel sollte den Richter dazu verpflichten, achtenswerte von mißbilligenswerten Motiven zu trennen; die Tatmotive sollten ausschließliche, nicht mehr ausschlaggebende sein; eine Verwerflichkeitsklausel sollte weiterhin, also auch bei Vorliegen ausschließlich achtenswerter Beweggründe, den Richter dazu anhalten, Ausführung und Folgen der Tat zu berücksichtigen. b) § 72 E 1930

I n den Ausschußberatungen über § 72 E 1927 wurde von der SPDFraktion vorgeschlagen, den Ausdruck „aus achtenswerten Beweg28 Kahl: Sp. 5. — Auch Gerland: D J Z 32 (1927) Sp. 1515 bemängelte, der Beschluß des D J T habe sich dem Radbruchschen Vorschlag nicht unbeträchtlich angenähert, wobei der Einigungsgedanke „doch w o h l etwas zu stark m i t gesprochen hat". 24 § 85 V E 1909 (Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch); § 82 GE 1911 (Gegenentwurf z u m V o r e n t w u r f eines Deutschen Stragesetzbuchs v o n Kahl, Lilienthal, von Liszt , Goldschmidt), dort: Begründung S. 65 m i t dem Hinweis auf den „Beurteilungsmaßstab der ethischen Qualität der Gesinnung"; § 112 K E 1913 ( E n t w u r f der Strafrechtskommission) ; § 109 E 1919 ( E n t w u r f der Straf rechtskommission) ; § 109 E 1919 ( E n t w u r f von Joël, Ebermayer, Cormann, Bumke). — Vgl. zu den E n t w ü r f e n allg.: Eb. Schmidt: E i n f ü h r u n g S. 394 ff. 25 E 1927: Begründung S. 54.

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g r ü n d e n " z u ersetzen d u r c h „ a u s e h r e n h a f t e n B e w e g g r ü n d e n " 2 6 . D a m i t sollte d e u t l i c h gemacht w e r d e n , daß es sich b e i § 72 l e d i g l i c h u m e i n e n R e f l e x a u f die m i t — ipso i u r e e i n t r e t e n d e n — E h r e n f o l g e n versehene Zuchthausstrafe handelte27. Z w a r w u r d e der Abänderungsantrag v o m Ausschuß a n g e n o m m e n 2 8 , aber d i e österreichisch-deutsche p a r l a m e n tarische S t r a f r e c h t s k o n f e r e n z beschloß, z u r Fassung „ a u s a c h t e n s w e r t e n B e w e g g r ü n d e n " z u r ü c k z u k e h r e n 2 9 . I m E 1930, d e r v o n Kahl u n d Genossen i n der 5. W a h l p e r i o d e des Reichstages 1930 a u f g r u n d d e r Beschlüsse erster L e s u n g des Strafrechtsausschusses des 4. Reichstages eingebracht w u r d e 3 0 , h a t t e § 72 w i e d e r denselben W o r t l a u t w i e § 72 E 1927 3 1 . 6. D e r 7. Deutsche Juristentag i n der Tschechoslowakei 1935 W ä h r e n d das G u t a c h t e n des österreichischen Strafrechtsprofessors Rittler u n d das R e f e r a t des W i e n e r G e n e r a l p r o k u r a t o r s Winterstein eine S o n d e r s t r a f a r t f ü r Ü b e r z e u g u n g s v e r b r e c h e r a b l e h n t e n , Schloß sich der J u r i s t e n t a g 8 2 d e m R e f e r a t des P r a g e r Professors Edgar Foltin an u n d stimmte folgenden Leitsätzen zu33: 28 Prot, der 18. Sitzung v o m 7.11.1928 des 21. Ausschusses des Reichstages i n der I V . Wahlperiode: A n t r a g Nr. 90 S. 8. 27 §§ 44 ff. E 1927; vgl. Begründung S. 39 f. 28 Prot, der 18. Sitzung v o m 7.11.1928 des 21. Ausschusses des Reichstages i n der I V . Wahlperiode S. 9. 29 Prot, der 7. Sitzung v o m 10. 2.1929 (abgedruckt als Prot, des 21. A u s schusses des Reichstages i n der I V . Wahlperiode) S. 5. 80 Vgl. zum Zusammenhang: Eb. Schmidt: Einführung S. 407 f. 81 § 11 Abs. 2 des Wehrstrafgesetzes v. 30. 3.1957 (BGBl. I S. 298) lehnte sich an das V o r b i l d des § 72 E 1927/1930 an: „ W o dieses Gesetz die W a h l zwischen Gefängnis u n d Einschließung läßt, darf auf Einschließung n u r erkannt werden, w e n n f ü r das Verhalten des Täters achtenswerte Beweggründe ausschlaggebend waren u n d die Tat nicht schon wegen der A r t der Ausführung oder wegen der v o m Täter verschuldeten Folgen besonders v e r werflich ist." Diese Regelung galt bis zum Wehrstrafgesetz i n der Fassung der Bekanntmachung v o m 1. 9.1969 (BGBl. I S. 1502), das ab 1. 4.1970 geltendes Recht ist. I n dieser Fassung wurde § 11 Abs. 2 W S t G a. F. ersatzlos gestrichen. 82 Z u Unrecht sind Gutachten u n d Verhandlungen des 7. D J T zum Problem des Überzeugungstäters i n Vergessenheit geraten u n d blieben bisher unausgewertet; vgl. lediglich die A n m . 212 bei Seelig / Βellavic: S. 139. Bei dem D J T i n der Tschechoslowakei, dessen erste Tagung 1923 stattfand, handelt es sich laut Satzung (S. 3 des Verhandlungsbandes) u m „eine unpolitische Vereinigung der deutschen Körperschaften (Universität, Verbände, Vereine, Gewerkschaften usw.)" (§ 1), deren Zweck es ist (§ 3), „eine Vereinigung f ü r den Meinungsaustausch u n d f ü r den persönlichen Verkehr unter den deutschen Juristen zu bilden, die Weiterbildung des Rechtes, insbesondere i n der Tschechoslowakei, durch wissenschaftliche Mitarbeit zu fördern, sowie die gemeinsamen Standes- u n d Berufsinteressen der Juristen zu vertreten". 33 Rittler: Die strafrechtliche Behandlung des Täters aus Überzeugung. I n : 7. Deutscher Juristentag i n der Tschechoslowakei 1935. Gutachten. 1935. S. 7 3 - 8 6 ; Referate von Winterstein u n d Foltin i n : Verhandlungen. 1935. S. 100 - 111 u n d S. 111 - 117; vgl. die Diskussion S. 127 - 143.

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Die Reformdiskussion

„ I . Als Überzeugungsverbrecher ist derjenige anzusehen, der sich zu seiner Tat i n seinem Gewissen für verpflichtet hielt. II. Die über den Überzeugungsverbrecher verhängte Strafe w i r d ihres entehrenden Charakters entkleidet, soweit dies möglich ist, ohne ihren Ernst und ihre Schwere wesentlich zu beeinträchtigen. Die regelmäßig m i t dem Verbrechen verbundenen Ehrenfolgen treten dem Verbrecher aus Überzeugung gegenüber überhaupt nicht ein. I I I . Es ist dafür Sorge zu tragen, daß die prozessuale Stellung des Überzeugungsverbrechers i m Vergleich zu den übrigen Verbrechern i n keiner Weise verkürzt w i r d 3 4 . " Diese Beschlüsse sind i n mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: (1) A u f den Vorschlag des Gutachters Rittler h i n 3 5 , dem sich die Referenten sowie die Versammlung anschlossen, wurde der Überzeugungsverbrecher erstmals definiert als derjenige, „der sich zu seiner Tat i n seinem Gewissen für verpflichtet hielt". Der „Gewissenstäter" kommt hier erstmals ins Blickfeld. (2) Die Anerkennung einer nicht entehrenden Strafart für Überzeugungsverbrecher seitens der deutschen Juristen i n der Tschechoslowakei — entgegen den Vorschlägen der österreichischen Referenten — ist ein einzigartiges Exempel dafür, daß die Einstellung zur Problematik des Überzeugungsverbrechers wesentlich mitbedingt w i r d durch den Umstand, ob das beschließende Gremium eine Minderheit repräsentiert, wie die Deutschen i m tschechoslowakischen Staatsverband, oder aber eine Mehrheit, wie es bei den Verfassern und Beratern der deutschen Strafgesetzentwürfe der Fall ist 3 6 . (3) Aus demokratischem Selbstverständnis heraus wurde die Lehre vom Überzeugungsverbrecher ausdrücklich gegenüber autoritären Staatsauffassungen verteidigt 3 7 . 7. § 31E 1939 Wie der totale Staat des Nationalsozialismus zur Frage einer eigenen Strafart für den Überzeugungstäter stand, w i r d deutlich i n den Vorarbeiten für ein neues Strafgesetzbuch, die von 1933 bis 1939 andauer34

Beschlüsse i n Verh. des 7. D J T i n der Tschechoslowakei S. 144. Rittler: S. 74 f.; Winterstein: S. 100; Foltin: S. 113. 36 Vgl. die Diskussionsbeiträge von Daninger i n Verh. des 7. D J T i n der Tschechoslowakei S. 127; Schaurek i n Verh. S. 129; Eppinger i n Verh. S. 138. 37 Vgl. insbes. Rittler: S. 80 ff.; Daninger i n Verh. S. 127; Schaurek i n Verh. S. 129. 35

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ten. Daß diese Vorarbeiten gekennzeichnet waren durch den Streit zwischen radikalen Nationalsozialisten und rechtsstaatlich denkenden Juristen 8 8 , spiegelt selbst die Überzeugungstäterfrage wider. Freister z.B. argumentierte folgerichtig vom nationalsozialistischen Ansatz her, wenn er i n bezug auf den politischen Überzeugungstäter ausführte: Der „neutrale Staat" sei unehrlich, wenn er jemanden m i t unehrenhafter Strafe belege, der diesen neutralen Staat, der selbst keine bestimmte innere Geisteshaltung habe, ändern wolle. „Der Staat aber, der nichts anderes als eine Ausdrucksform des Volkes sein w i l l , der dessen Ordnung entsprungen ist und sich i n Übereinstimmung hält m i t den Geboten der Sittenordnung des Volkes, — ein Staat, von dem das Volk das selbst anerkannt hat, muß es als ein besonders unehrenhaftes Verbrechen ansehen, wenn jemand diese Einheit von Volk und Staat m i t ungesetzlichen Mitteln zu stören sich anschickt. Ein solcher Staat kann dem, der so handelt, nicht bezeugen, daß er ein ehrenhafter Mann ist 8 9 ." I n dem von Reichsjustizminister Gürtner herausgegebenen Bericht über die Arbeit der amtlichen Strafrechtskommission führte Rietzsch diese Ansicht konsequent weiter aus: „Die Normen des totalen Staates sind für jeden verbindlich; der Staat muß verlangen, daß jeder Volksgenosse sie auch innerlich als für sich verbindlich anerkennt. Niemand darf sich für berechtigt halten, den staatlichen Normen zuwiderzuhandeln. Es gibt keine ,anständigen Verbrecher 140 ." Obwohl i m Gürtner-Bericht apodiktisch festgesetzt wurde: „Dem Überzeugungsverbrecher aber w i r d ein nationalsozialistisches Strafrecht eine besondere Behandlung nicht mehr einräumen" 4 1 , kehrt i m § 31 Abs. 1 E 1939 eine Vorschrift wieder, die immerhin die Linie des § 72 E 1927 fortsetzt 4 2 : 38 Vgl. Maurach: S. 51 (§ 4 V I I 3); Jescheck: Lehrbuch 2. A u f l . S. 82 (§ 11 V). — Die Rechtswirklichkeit bestimmten die Radikalen, w i e die Aufhebung des § 52 „Reichsratsgrundsätze" (s. o. unter 2.) u n d die Änderung des § 20 StGB zeigen. Durch A r t . I Z. 3 des Gesetzes zur Abänderung strafrechtlicher V o r schriften v. 26. 5.1933 (RGBl. I S. 295) erhielt § 20 folgende Fassung: „ W o das Gesetz die W a h l zwischen Zuchthaus oder Gefängnis u n d Festungshaft gestattet, darf auf Festungshaft n u r dann erkannt werden, w e n n die Tat sich nicht gegen das W o h l des Volkes gerichtet u n d der Täter ausschließlich aus ehrenhaften Beweggründen gehandelt hat." Die Vorschrift wurde weitgehend dadurch ausgehöhlt, daß i n A r t . I Z. 5 - 9 der Novelle die Möglichkeit der Festungshaft f ü r Landes- u n d Hochverräter gestrichen wurde. — Vgl. W. Otto: S. 252 ff., 279 ff. 39 Freisler: S. 103. 40 Rietzsch: 1. A u f l . S. 89 = 2. A u f l . S. 124. 41 Rietzsch: 2. A u f l . S. 123, während es i n der 1. A u f l . S. 88 noch hieß: „ D e m Überzeugungsverbrecher aber w i r d ein nationalsozialistisches Strafrecht eine besondere Behandlung k a u m mehr einräumen." 42 E n t w u r f eines Deutschen Strafgesetzbuchs. Neudruck J u n i 1939. § 31 E

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Die Reformdiskussion

„Statt auf Gefängnisstrafe oder auf Haft kann der Richter auf Festungshaft erkennen, wenn der Täter aus ehrenhaften Beweggründen gehandelt hat, sich auch nicht gegen die Ehre oder das Wohl des deutschen Volkes vergangen hat und wenn Festungshaft nach seiner Gesamtpersönlichkeit angemessen ist." Der E 1939 wurde zwar noch von der Reichsregierung bestätigt, aber nicht unterschrieben und erlangte keine Gesetzeskraft 43 . Damit hatten die radikalen Kräfte gesiegt, die sich durch eine „ i m Prinzip rechtsstaatliche Kodifikation" nicht die Hände hatten binden lassen wollen 4 4 . 8. Erneute Initiativen 1951 Kurz nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurden die ersten Initiativen ergriffen, die auf die Wiederherstellung des § 52 „Reichsratsgrundsätze" abzielten, verbunden m i t einer prozessualen Vorschrift über die Fixierung der Überzeugungstätereigenschaft i m Strafurteil. Die KPD-Fraktion i m 1. Deutschen Bundestag stellte 1951 folgenden Antrag 4 6 : „Die Bundesregierung w i r d verpflichtet, beschleunigt dem Bundestag geeignete Vorschläge zu unterbreiten, u m 1. den i m Rahmen der Gesetze Verurteilten, die sich zu der Tat auf Grund ihrer sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung für verpflichtet gehalten haben, einen Strafvollzug zu sichern, der der Ehrenhaftigkeit der Tat gerecht wird, 2. i n die Strafprozeßordnung eine Bestimmung einzuschalten, daß das Gericht Feststellungen über den Überzeugungstäter trifft." I n der Beratung i m Plenum des Bundestages hielten Sprecher der CDU und SPD den Antragstellern die Behandlung politischer Gefangener i n der DDR vor und lehnten den Antrag als Ausdruck doppelter Moral ab 4 6 . Ein Antrag auf Übergang zur Tagesordnung wurde angenommen 4 7 . 1939 entspricht § 30 des Entwurfs eines Deutschen Strafgesetzbuchs i n der Fassung der Kabinettsvorlage v o m J u n i 1938. Die Reichsregierung hat den E 1938 nicht gebilligt; nach Umarbeitungen w u r d e der E n t w u r f 1939 erneut vorgelegt, Jescheck: 2. A u f l . S. 82 (§ 11 V). 45 Maurach: S. 51 (§ 4 V I I 3). 44 Jescheck: Lehrbuch 2. A u f l . S. 82 (§ 11 V ) ; vgl. Maurach: S. 51 (§ 4 V I I 3). 45 A n t r a g der F r a k t i o n der K P D betr. Behandlung politischer Gefangener v o m 23.1.1951. Deutscher Bundestag. 1. Wahlperiode. Drucksache Nr. 1824. 46 Abg. Tillmanns (CDU) bzw. Mommer (SPD) i n Prot, der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages v. 14. Febr. 1951 S. 4479 f. bzw. S. 4480 f. — I n § 1 A n m . 2 der DDR-Textausgabe des StGB aus dem Jahre 1954 heißt es: „Die Bestimmungen über die Festungshaft widersprechen den i m Potsdamer

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1951 w u r d e v o n seiten des L a n d e s

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Nordrhein-Westfalen

angeregt, d e m § 267 S t P O f o l g e n d e n A b s a t z h i n z u z u f ü g e n 4 8 : „ W e n n d e r ausschlaggebende B e w e g g r u n d z u r T a t nach Ü b e r z e u g u n g des Gerichts d a r i n z u f i n d e n ist, daß sich d e r A n g e k l a g t e a u f G r u n d seiner s i t t l i c h e n , r e l i g i ö s e n oder p o l i t i s c h e n Ü b e r z e u g u n g z u r T a t f ü r v e r p f l i c h t e t g e h a l t e n h a t , müssen die U r t e i l s g r ü n d e eine solche F e s t stellung treffen." 9. D i e Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission 1955 Anläßlich der Beratungen der Großen Strafrechtskommission über d e n E n t w u r f z u e i n e m n e u e n Strafgesetzbuch w u r d e auch das T h e m a des Ü b e r z e u g u n g s t ä t e r s w i e d e r a k u t u n d 1954 sowie 1955 e i n g e h e n d b e h a n d e l t 4 9 . D i e B e r e i t s t e l l u n g e i n e r Einschließungsstrafe f ü r Ü b e r z e u g u n g s t ä t e r w u r d e ebenso w i e eine S o n d e r s t r a f e f ü r aus Gewissensnot A b k o m m e n niedergelegten Grundsätzen über die Entmilitarisierung Deutschlands u n d sind daher gegenstandslos." Bei § 20 StGB findet sich daher der Vermerk „gegenstandslos". Schon i m Einführungsgesetz zum Gesetz über das Verfahren i n Strafsachen i n der Deutschen Demokratischen Republik (Strafprozeßordnung) v o m 2.10.1952 (GBl. S. 995) hieß es: „Soweit i n der Strafprozeßordnung der Begriff Freiheitsentziehung' verwendet w i r d , sind darunter die i n den §§ 14, 16 u n d 18 des Strafgesetzbuches bezeichneten Freiheitsstrafen (Zuchthaus, Gefängnis, Haft) zu verstehen." — Das Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik v. 12.1.1968 (GBl. I S. 1) kennt, von seinem Ansatz aus konsequent, keine Berücksichtigung des Überzeugungstäters. I n A r t . 2 StGB über „Grundlagen u n d Zweck der strafrechtlichen Verantwortlichkeit" heißt es: „Die sozialistische Gesellschaftsordnung gewährleistet, daß i n i h r jeder Bürger sein Leben i n voller Wahrung seiner Würde, seiner Freiheit u n d seiner Menschenrechte i n Übereinstimmung m i t den Rechten u n d Interessen der sozialistischen Gesellschaft, des Staates u n d seiner Bürger gestalten kann. Wer dennoch eine Straftat begeht, hat dafür v o r der Gesellschaft einzustehen . . . Zweck der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ist es, die sozialistische Staats- u n d Gesellschaftsordnung, die Bürger u n d ihre Rechte vor k r i m i n e l l e n Handlungen zu schützen, Straftaten vorzubeugen u n d den Gesetzesverletzer w i r k s a m zur sozialistischen Staatsdisziplin u n d zu verantwortungsbewußtem Verhalten i m gesellschaftlichen u n d persönlichen Leben zu erziehen." 47

4482.

Prot, der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages v. 14. Febr. 1951 S.

48 F ü r die M i t t e i l u n g dieser I n i t i a t i v e b i n ich dem Bundesjustizminister i u m dankbar. Dort ist sie registriert unter A Z : — R 4010/1 — Bd. 1 Bl. 14 ff. — Dr. Dallinger — 20.12.55. Soweit ersichtlich, ist diese I n i t i a t i v e den Legislativorganen nicht zugeleitet worden: Sie ist nicht i m Bundesrat als A n t r a g eingebracht u n d nicht v o m Bundesrat als Gesetzgebungsvorlage dem Bundestag zugeleitet worden, vgl. A r t . 76 GG. 49 Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission. Bd. 1. 4. Sitzung v. 1.7.1954 S. 94ff. (Referat Jeschecks u n d Diskussion); 12. Sitzung v. 25.11.1954 S. 282 (Krille); S. 294 f. (Stellungnahme des BGH). Vgl. weiter: S. 359 (Leitsätze Jeschecks). — Bd. 3. 27. Sitzung v. 3.9.1955 S. 49 ff. (Referat Krilles); S. 55 ff. (Diskussion); S. 333 f. (Leitsätze Krilles); 31. Sitzung v. 25.10.1955 S. 138 (Abstimmung, vgl. S. 338, 341).

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Die Reformdiskussion

handelnde Täter mehrheitlich abgelehnt 50 . Lediglich der Initiator einer Sonderbehandlung für Gewissenstäter, der Strafrechtslehrer Hans Welzel, sowie der Rechtsanwalt Freiherr von Stackelberg stimmten für die Einführung einer besonderen Vorschrift über das Handeln aus Gewissensnot. Dieses sei von dem Handeln aus Überzeugung deshalb zu trennen, w e i l nach Radbruch die Überzeugungstat auch Handeln aus Fanatismus, blindem Gehorsam und auf Befehl umfasse; das Charakteristische des Gewissenstäters sei stattdessen der Gewissenskampf u m die Richtigkeit einer Entscheidung 51 . Die Vorschrift sollte lauten: „ A n die Stelle der angedrohten Zuchthausstrafe t r i t t Gefängnisstrafe von gleicher Dauer, wenn der Täter sich aus Gewissensnot zu der Straftat für verpflichtet gehalten hat 5 2 ." M i t diesem Vorschlag Welzels beginnt die Entwicklungslinie der Lehre vom Gewissenstäter. Welzel setzte den Gewissenstäter scharf gegen den politischen Überzeugungstäter ab. M i t dieser Unterscheidung versuchte Welzel den seiner Meinung nach zutreffenden K e r n des Radbruchschen Gedankens zu bewahren und den übrigen Kommissionsmitgliedern die Privilegierung des Gewissenstäters unter Ausschluß des politischen Überzeugungstäters akzeptabel zu gestalten. Dem wurde aber entgegengehalten, daß auch politische Täter Gewissenstäter i m Sinne Welzels sein könnten, so daß damit das Problem nicht gelöst sei. Es sei vielmehr „ein Gebot der Selbsterhaltung des Staates, hier keinerlei Konzessionen zu machen" 53 . Rechtspolitisch entscheidend für die ablehnende Haltung der Kommission blieb aber, daß „ i n einer Krisenzeit wie der unsrigen, wo letzte Werte des Abendlandes auf dem Spiele stehen, eine gewisse Härte notwendig sein" werde 5 4 sowie die Befürchtung, m i t der Berücksichtigung des Überzeugungstäters werde „ein Zeichen der Schwäche" gegeben, „das von denen, die es angeht, bestimmt nicht mißverstanden werden würde" 5 5 . 10. Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 (E 1962) Entsprechend den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission sah auch der 1962 dem Bundestag vorgelegte und auf mehreren früheren 50

Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 138. Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61 f. 52 Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 Anlage Nr. 7 S. 338: § e. 53 Bader i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 62. 54 Krille i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 54. 55 Lange i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61. Vgl. auch Mezger i n ebenda S. 62. 51

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Entwürfen basierende Entwurf eines Strafgesetzbuchs (E 1962) keine Sonderstrafe für Überzeugungs- oder Gewissenstäter vor 5 6 . 11. § 48 a E 1962/SA 1964 Die ablehnende Einstellung gegenüber der Sonderbehandlung des Überzeugungstäters änderte sich grundlegend, als der zur Beratung des E 1962 eingesetzte Ausschuß des Bundestages sich 1964 m i t der Problematik des Überzeugungstäters beschäftigte 57 . Die i m Sonderausschuß „Strafrecht" des 4. Deutschen Bundestages vertretenen Parteien CDU/ CSU, SPD, FDP waren einmütig der Ansicht, der Überzeugungstäter i m Sinne Radbruchs dürfe nicht auf eine Stufe gestellt werden m i t dem gemeinen Verbrecher, sondern habe Anspruch auf gesonderte strafrechtliche Sanktionen 58 . Der Sonderausschuß bejahte einstimmig die Notwendigkeit einer Privilegierung des Täters aus politischer, sittlicher oder religiöser Überzeugung 59 . M i t „großer Mehrheit", aber gegen Stimmen der SPD-Ausschußmitglieder, wurde beschlossen, die Privilegierung i n der Form einer besonderen Strafart vorzusehen. Die SPD hatte eine Strafvollzugsregelung vorgeschlagen, die durch eine strafprozessuale Vorschrift über die Fixierung der Überzeugungstätereigenschaft i m Urteil begleitet werden könne 6 0 . Die sehr ausführlichen Ausschußberatungen beschäftigten sich dementsprechend nicht mit der grundsätzlichen Frage des Ob einer Sonderbehandlung — diese wurde allenfalls von Regierungsvertretern erörtert —, sondern m i t der Frage des Wie. Die endgültig beschlossene Bestimmung lautete 6 1 : 56 E n t w u r f eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 — Drucksache IV/650 des Deutschen Bundestages 4. Wahlperiode S. 166 f. zu § 43 (Arten der F r e i heitsstrafe). 57 Prot, der 26. Sitzung v o m 9.10.1964 des Sonderausschusses „Strafrecht" des Deutschen Bundestages 4. Wahlperiode S. 477 - 492. Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 528 - 542. Prot, der 29. Sitzung des SA v. 12.11.1964 S. 551 - 553. Prot, der 30. Sitzung des SA v. 3.12.1964 S. 573 - 574. Prot, der 32. Sitzung des SA v. 16.12.1964 S. 596 - 607. 58 Dies wurde schon bei der ersten Diskussion deutlich: Vgl. Prot, der 26. Sitzung des SA v. 9.10.1964 S. 482 ff. 69 Der Sonderausschuß beschloß einstimmig, daß sich eine Sonderregelung nicht n u r auf den „aus sittlicher oder religiöser", sondern auf den „aus s i t t licher, religiöser oder politischer Überzeugung" Handelnden zu erstrecken habe, Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 540 i. V. m. S. 528. eo A b s t i m m u n g : Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 540. Die A u f fassung der SPD hatte der Abg. Müller-Emmert S. 533 vorgetragen. 61 Da die Bestimmung schrittweise formuliert wurde, sind die folgenden Beschlüsse konstituierend: Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 540, 541, 542; Prot, der 30. Sitzung des SA v. 3.12.1964 S. 574; Prot, der 32. Sitzung des SA v. 16.12.1964 S. 602, 606.

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Die Reformdiskussion

„§ 48 a Einschließung (1) Droht das Gesetz zeitiges Zuchthaus, Gefängnis oder Strafhaft an, so t r i t t an deren Stelle Einschließung von gleicher Dauer, wenn für den Täter der Beweggrund ausschlaggebend war, daß er sich aus sittlicher, religiöser oder politischer Überzeugung für verpflichtet hielt, die Tat zu begehen. (2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden, wenn 1. die Tat nach den Vorschriften über Mord oder Völkermord strafbar ist, 2. nach den Umständen, die zur Tat gehören oder ihr vorausgehen, oder dem Verhalten des Täters nach der Tat das Unrecht und die Schuld so schwer wiegen, daß die angedrohte Strafe angemessen ist, oder 3. der Täter durch die Tat Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze i m Sinne des § 380 verfolgt oder sich i n ihren Dienst gestellt hat und nicht die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters und der besonderen Umstände der Tat ergibt, daß die Einschließung als Strafe angemessen ist. (3) Droht das Gesetz lebenslanges und zeitiges Zuchthaus wahlweise an, so ist für die Anwendung des Absatzes 1 die Strafdrohung maßgebend, die das Gericht i m Einzelfall zugrunde legt." Angesichts dieses frappierenden Sinneswandels i m Hinblick auf eine mehrfach i m gegenteiligen Sinne entschiedene Frage ist man versucht, ein besonderes Interesse gerade von i m politischen Kampf stehenden Parlamentariern an der anstehenden Problematik zu vermuten 6 2 . Es dürften den Abgeordneten nicht nur die Schicksale vieler ihrer Kollegen aus dem Reichstag und aus den ersten Parlamenten i n der Sowjetischen Besatzungszone vor Augen gestanden haben, die Opfer der Diktatur geworden waren, sondern auch von ehemaligen Abgeordneten, die nach dem KPD-Verbot zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, w e i l sie sich weiterhin politisch i m Sinne der alten Partei betätigt hatten. Das Beispiel des ehemaligen Mitglieds des Bundestages Renner (KPD) fiel mehrfach während der Beratungen des Sonderausschusses 63. 82

Diese Mutmaßung w ü r d e Ν agier: S. 60 f. Recht geben, der bereits 1927 argwöhnte, die Vorschrift über Uberzeugungstäter entspringe dem „Schonungsbedürfnis des Politikers", der bei einer Rebellion gegen das Recht i n seiner Person nicht „ v o m Boden des allgemeinrechtlichen Unterordnungsverhältnisses aus den schuldhaften Frevler", „sondern n u r einen unglücklichen K ä m p f e r " sehe.

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Diese Faktoren — Anschauungsmaterial und Unsicherheit des Ausgangs von politischen Kämpfen — mögen bei der Entscheidung der Ausschußmitglieder mitgespielt haben, aber sie würden, wären sie allein maßgeblich gewesen, allenfalls eine Privilegierung des politischen Überzeugungstäters — gleichsam aus standespolitischen Erwägungen eine Erweiterung der Indemnität — erklären 6 4 . Die Übernahme der Radbruchschen Formel vom Täter aus sittlicher, politischer und religiöser Überzeugung geht aber weit darüber hinaus, und wie Radbruch hatten auch die Abgeordneten nicht eine Besserstellung des politischen Täters i m Auge 6 5 . Schließlich wäre es bei einer pro-domoEntscheidung der Abgeordneten unverständlich gewesen, daß m i t Einführung des Prinzips der Einheitsfreiheitsstrafe die Vorschrift des § 48 a ersatzlos wieder gestrichen wurde. Der Gedanke einer Sonderbehandlung des Überzeugungstäters dürfte daher aus folgenden Gründen auf psychologisch aufbereiteten fruchtbaren Boden gefallen sein: (1) I m Gegensatz zur politischen Konstellation, i n der § 71 E 1925 zur Debatte stand, war die allgemeine politische Lage 1964 gekennzeichnet durch eine außenpolitische Konsolidierung des westdeutschen Staates, die begleitet war von einem relativ großen, innenpolitischen Frieden. Von Studentenunruhen war 1964 z.B. noch nichts zu spüren. Toleranz gegenüber dem straffälligen politischen Gegner erschien weniger „kostspielig" als zur Zeit der zehn Jahre zurückliegenden Beschlußfassung der Großen Strafrechtskommission. (2) Die psychologische Lage der engagierten Politiker begünstigte unter diesen Umständen die Haltung gegenüber Tätern, denen die Parlamentarier von ihrer politischen Arbeit her aufgeschlossener gegenüberstehen mußten als Ministerialbeamte oder akademische Gremien. Der Politiker kann sich selbst vor die Frage gestellt 63 Abg. Güde i n Prot, der 26. Sitzung v. 9.10.1964 S. 484; Abg. MüllerEmmert i n Prot, der 28. Sitzung v. 5.11.1964 S. 534; Abg. Heinemann ebenda S. 536; Dreher (BJM) ebenda S. 537 u n d öfter i n den darauf folgenden Sitzungen. 64 Das alte Abgeordnetenprivileg, die „ L e x Ossietzky" des § 100 Abs. 3 a. F. (bis zum 8. S t Ä G v. 25. 6.1968 — BGBl. I S. 741), wonach ein Abgeordneter bei öffentlicher Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses nach gewissenhafter Prüfung der Sach- u n d Rechtslage u n d sorgfältiger A b w ä g u n g der widerstreitenden Interessen dann nicht rechtswidrig handelte, w e n n er m i t der Rüge beabsichtigte, einen Bruch der Verfassung abzuwehren, ist sogar gestrichen worden. Das bedeutet jedoch nicht, daß der Rechtfertigungsgrund weggefallen ist, vielmehr ist n u r seine Beschränkung auf Abgeordnete weggefallen, Schönke ! Schröder: § 95 Rnr. 11. Vgl. auch Hengsberger i n L K : § 93 Rnr. 53; Dreher: § 93 A n m . 5 B. 85 Abg. Güde i n Prot, der 26. Sitzung v. 9.10.1964 S. 488, 492; Abg. Dr. Winter ebenda S. 488 f. i m H i n b l i c k auf den Strafvollzug.

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sehen, ob er dann, wenn er i m Parlament i n einer Schlacht u m „Schicksalsfragen der Nation" unterliegt, den Kampf „ m i t anderen Mitteln" fortsetzen soll 6 6 . (3) Weiterhin war die Konstellation i n den großen politischen Parteien für eine Sonderregelung günstig: Die SPD konnte den auf einen SPD-Reichsjustizminister zurückgehenden Reformvorschlag i n der Grundidee übernehmen, während der von der CDU/CSU gestellte Ausschußvorsitzende und frühere Generalbundesanwalt beim BGH, Güde, aus der praktischen Arbeit heraus die Meinung des früheren BGH-Präsidenten Weinkauff teilte 6 7 , der bereits bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission für eine Sondervorschrift für politische Überzeugungstäter hatte plädieren lassen 68 » 6Ö . 12. Der Wegfall von § 48 a E 1962/SA 1964 im Jahre 1965 § 48 a E 1962/SA 1964 wurde ein Opfer des Diskontinuitätsprinzips, wonach m i t dem Ablauf einer Wahlperiode des Bundestages die bei dem alten Bundestag, hier dem 4. Bundestag, eingebrachten Gesetzesvorlagen hinfällig werden, wenn sie nicht erneut eingebracht werden 7 0 . Zwar wurde der E 1962 i m 5. Bundestag neu eingebracht 71 , jedoch nicht i n der Ausschußfassung. Der „Sonderausschuß für die Strafrechtsref o r m " 7 2 der 5. Wahlperiode befaßte sich i n seiner 3. Sitzung m i t der Frage, welche der i n der 4. Wahlperiode beratenen Vorschriften des ββ

Solche Situationen ergaben sich ζ. B. f ü r die jeweilige parlamentarische Opposition bei den Fragen der Remilitarisierung der Bundesrepublik u n d deren E i n t r i t t i n die N A T O u n d E W G bzw. der Deutschland- und Ostpolitik. 67 Wie Abg. Güde i m Sonderausschuß mitteilte, hat sich der Präsident des BGH, Dr. h. c. Weinkauff, bei der seinerzeitigen Amtseinführung Güdes als Generalbundesanwalt zum Prinzip des Überzeugungstäters bekannt, Prot, der 26. Sitzung des SA v. 9.10.1964 S. 485. Vgl. S. 484 zu dem Bericht Güdes aus seiner Tätigkeit als Generalbundesanwalt. 68 Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 1 S. 294f.: Bericht von Bundesrichter Dr. Baldus. e ® Vgl. auch die Ausführungen der FDP-Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus, der es bereits i n Prot, der 26. Sitzung des SA v. 9.10.1964 S. 483 darum ging, den Überzeugungstäter i n der äußeren Kennzeichnung nicht m i t dem asozialen K r i m i n e l l e n gleichzustellen. 70 Vgl. Maunz i n Maunz / Dürig / Herzog: A r t . 39 Rnr. 16. 71 Bundestags-Drucksache V/32 v. 11.11.1965. 72 Der m i t der Beratung des E 1962 beauftragte Bundestagsausschuß der 4. Wahlperiode w a r zunächst ein Unterausschuß des Rechtsausschusses u n d firmierte von der 1. Sitzung v. 3. 5.1963 bis zur 9. Sitzung v. 29.11.1963 als „Unterausschuß »Strafrecht 4 des Rechtsausschusses". Nachdem der Ausschuß selbständig geworden war, hieß er ab der 10. Sitzung v. 12.12.1963 bis zur 55. Sitzimg v. 15. 6.1965 „Sonderausschuß ,Strafrecht'". Seit der 1. Sitzung v. 8.12.1965 der 5. Wahlperiode des Deutschen Bundestages ist seine Bezeichnung „Sonderausschuß f ü r die Strafrechtsreform".

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E 1962 angenommen werden sollten 7 3 . Es wurde festgestellt, daß die §§ 43 bis 50 erneut beraten werden müßten 7 4 . Damit hatten sich die i n der vorigen Legislaturperiode gefaßten Beschlüsse zu den Freiheitsstrafen gesetzgebungstechnisch erledigt. Für eine erneute Regelung i m Sinne des § 48 a E 1962/SA 1964 standen die Zeichen schlecht, da die SPD-Fraktion ihr Konzept der Einheitsstrafe durchzusetzen vermochte und i n bezug auf die Frage des Überzeugungstäters die Auffassung vertrat, die i m früheren § 48 a vorgesehene Einschließung solle ebenfalls i n der Einheitsstrafe aufgehen. Die SPD erinnerte daran, daß sie sich seinerzeit gegen eine besondere Strafart für Überzeugungstäter ausgesprochen habe und wie früher auch weiterhin die Ansicht vertrete, eine Lösung des Problems solle i m Strafvollzug gefunden werden, verbunden m i t einer Änderung der Strafprozeßordnung 75 . Aber auch bei der CDU/CSU wurde die Anzahl der Befürworter der alten Lösung des § 48 a E 1962/SA 1964 geringer; lediglich der Ausschußvorsitzende Güde schien sich weiterhin für sie einzusetzen 78 . Die Parlamentarier wollten jedoch an sich das Prinzip der Sonderbehandlung des Überzeugungstäters nicht aufgeben. Lediglich dessen Berücksichtigung i m Rahmen einer Sonderstrafart, die als Durchlöcherung des neu eingeführten Prinzips der Einheitsfreiheitsstrafe empfunden wurde, sollte entfallen. Dies wurde von allen Parteien zum Ausdruck gebracht 77 . 13. Die Regelung des Alternativ-Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1966 Der 1966 erschienene „Aiternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches — Allgemeiner Teil", verfaßt von 14 Strafrechtslehrern, kannte keine besondere Vorschrift, die dem § 48 a E 1962/SA 1964 zu vergleichen 73

Prot, der 3. Sitzung des SA v. 19.1.1966 (5. Wahlperiode) S. 5. Prot, der 3. Sitzung des SA v. 19.1.1966 (5. Wahlperiode) S. 9. 75 Abg. Müller-Emmert i n Prot, der 4. Sitzung des SA v. 20.1.1966 (5. W a h l periode) S. 34; A k t e n v e r m e r k des Abg. Müller-Emmert v. 6.5.1966: Anlage 1 zu dem Prot, der 26. Sitzung des SA v. 23. 6.1966 S. 506; Abg. Müller-Emmert i n Prot, der 67. Sitzung des SA v. 7. 6.1967 S. 1299. 7β Abg. Köppler i n Prot, der 26. Sitzung des SA v. 23.6.1966 S. 500; Abg. Güde ebenda S. 500 f. u n d Prot, der 67. Sitzung v. 7. 6.1967 S. 1300. — Nach Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe wurde noch einmal ausdrücklich k l a r gestellt, daß die §§ 47 - 50 E 1962 entfallen seien, Prot, der 109. Sitzung des SA v. 25. 9.1968 S. 2140. 77 Vgl. den A k t e n v e r m e r k des Abg. Müller-Emmert (SPD) v. 6. 5.1966 über seine Besprechung m i t den Abg. Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) u n d Dr. Güde (CDU/CSU): Anlage 1 zu dem Prot, der 26. Sitzung des SA v. 23.6.1966 S. 506; Abg. Müller-Emmert i n Prot, der 4. Sitzung des SA v. 20.1.1966 S. 34; Abg. Köppler (CDU/CSU) i n Prot, der 26. Sitzung des SA v. 23. 6.1966 S. 500. 74

3 Gödan

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wäre 7 8 . Die Verfasser waren der Ansicht, das Problem des politischen Überzeugungstäters lasse sich weitgehend durch die Revidierung des politischen Strafrechts eliminieren. Die dann noch verbleibenden politischen Täter rechtfertigten keine Sonderregelung, vielmehr genüge es, i n diesen Fällen innerhalb des Strafvollzuges psychologisch zu differenzieren. Die nicht politisch motivierten Taten aus Überzeugung entsprängen zumeist einer außergewöhnlichen Konfliktslage, die zudem durch die Unwiederholbarkeit des Konflikts gekennzeichnet seien. Hier sei ein Schuldspruch unter Strafverzicht angebracht, der lediglich bei vollendeten vorsätzlichen Straftaten gegen das Leben ausgeschlossen wird79. § 58 A E lautete: „Schuldspruch unter Straf verzieht (1) Hat der Täter Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe verwirkt, so kann das Gericht sich auf den Ausspruch der Schuld beschränken, wenn der Täter durch die Folgen der Tat bereits hinreichend bestraft erscheint oder die Tat einer außergewöhnlichen schweren Konfliktslage entsprungen ist. (2) Ein Schuldspruch unter Strafverzicht ist ausgeschlossen bei vollendeten vorsätzlichen Straftaten gegen das Leben. (3) Die Regelungen des Besonderen Teils über das Absehen von Strafe bleiben unberührt 8 0 ." Die Verfasser des Alternativ-Entwurfs glaubten damit „die seit langem gesuchte Möglichkeit einer angemessenen strafrechtlichen Reaktion für jene Ausnahmefälle echter Überzeugungs- und Gewissenstäter" gefunden zu haben 81 . Dieser Hoffnung entsprach der Gesetzgeber nicht. Zwar wurde über § 58 A E i m Sonderausschuß für die Strafrechtsreform diskutiert, jedoch wurde lediglich die erste Alternative des ersten Absatzes „Folgen der Tat" akzeptiert und schließlich i n § 16 StGB ( = § 60 n. F.) aufgenommen, während für die Ablehnung der Privilegierung der „außergewöhnlichen schweren Konfliktslage" u. a. maßgebend wurde, daß sonst „fast alle Überzeugungstäter erfaßt werden können". Zwar seien Konflikts78 Baumann, einer der Mitautoren des AE, hatte i n seinem eigenen 1963 vorgelegten E n t w u r f eines StGB i n § 30 I I noch gesagt: „ W e n n das Gesetz Zuchthaus oder Festung androht, darf auf Zuchthausstrafe n u r erkannt werden, wenn die Straftat auf niedrigen Beweggründen beruht. Niedrige Beweggründe liegen nicht vor, w e n n die Straftat aus politischer Überzeugung u n d ohne Verfolgung persönlicher Vorteile begangen w i r d . " 79 A E 1. Aufl. S. 73. 80 A E 1. A u f l . S. 108; vgl. die Begründung S. 109 = A E 2. A u f l . S. 115. 81 A E 1. Aufl. S. 109 = A E 2. A u f l . S. 115.

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fälle denkbar, i n denen ein Absehen von Strafe i n Betracht gezogen werden könne, aber es sei nicht angebracht, diesen Gedanken als durchgängiges Prinzip i n den Allgemeinen Teil aufzunehmen 82 . 14. Die Strafrechtslehrertagung 1966 Die Problematik des Überzeugungstäters erschien jedoch immer noch so aktuell, daß sich 1966 die deutsche Strafrechtslehrertagung mit der Thematik befaßte. Referenten waren Heinitz u n d Noll 8 3 . Heinitz sah die Problemlage seit Radbruchs Vorschlag verändert: Der Sinn der Strafe und der Strafvollzug würden heute anders beurteilt als i n der Weimarer Zeit 8 4 . Einen einheitlichen und individualisierbaren Typus des Überzeugungstäters gebe es nicht 8 5 . — Bei der Beurteilung von Gewissenstaten werfe A r t . 4 GG Schwierigkeiten auf und zwinge den Strafrechtler zu einem neuen Überdenken der Beziehung zwischen Recht und Sittlichkeit. Einen Rechtfertigungsgrund könne man aus A r t . 4 GG jedoch nicht herleiten 8 6 . Schuldausschließungsgründe entfielen ebenfalls, da ein „Rechtsvorwurf" erhoben werden könne 8 7 . „Das Gesetz mutet dem Einzelnen zu, auch einmal der Stimme des eigenen Gewissens zu mißtrauen und sich der allgemeinen Ordnung zu fügen 8 8 ." — Eine Beibehaltung der Einschließung würde m i t der Einheitsfreiheitsstrafe kollidieren und dieser den Charakter der Ehrlosigkeit aufprägen 89 . — Einen besonderen Strafvollzug für Überzeugungstäter lehnte Heinitz ab. Jeder Täter solle individuell behandelt werden 90 . Heinitz Schloß m i t den Worten: „ I n dem erneuten Bestreben, für Überzeugungs- oder Gewissenstäter eine Sonderbehandlung einzuführen, sehe ich ein Symptom der Erweichung unseres Rechts und unserer Demokratie, m i t der (ich) mich nicht abfinden kann 9 1 ." Noll kam zu differenzierteren Ergebnissen. Er setzte sich mit den rechtsphilosophischen und strafrechtstheoretischen Implikationen der 82 Min.Rat Corves i n Prot, der 107. Sitzung des SA v. 19. 6.1968 S. 2117. I m Ergebnis stimmten die Abg. Müller-Emmert (SPD) u n d Schwarzhaupt (CDU/CSU) zu. — Vgl. die heftige Gegenkritik der Verfasser des A E i n A E 2. A u f l . S. 210 f., abgedruckt auch i n : M i ß l i n g t die Strafrechtsreform? S. 218. 83 Die Referate sind abgedruckt i n ZStW 78 (1966) S. 615 ff. (Heinitz) u n d S. 638 ff. (Noll). Eine Zusammenfassung der Diskussion gibt Friedrichs: ebenda S. 730 ff. 84 Heinitz: S. 615 ff. 85 Heinitz: S. 619 ff. 86 Heinitz: S. 628 ff. 87 Heinitz: S. 631 f. 88 Heinitz: S. 632. 89 Heinitz: S. 633 f. 90 Heinitz: S. 635 ff. 91 Heinitz: S. 637.

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Lehre Radbruchs auseinander und ging i m Gegensatz zu Heinitz davon aus, daß die konkurrierenden Wertvorstellungen des Überzeugungstäters einerseits und des Staates andererseits inhaltlich überprüft werden müßten. Es bestände keine apriorische sittliche Überlegenheit des Staates 92 . Aufgrund dieses Ansatzes kam Noll zu folgenden Lösungsvorschlägen: (1) Der Gesetzgeber müsse unnötig weit gefaßte Tatbestände, vor allem i m politischen Strafrecht, enger fassen sowie bei der Verletzung der religiösen oder sittlichen Gefühle anderer durch einen Überzeugungstäter lediglich Ordnungswidrigkeitenrecht anwenden 9 3 . (2) Aufgrund des kategorischen Imperativs sei zu prüfen, ob ein staatliches Gebot, ζ. B. Wehrdienst zu leisten, der sittlichen Norm des einzelnen, ζ. B. den Kriegsdienst zu verweigern, überlegen sei 94 . (3) Aufgrund des Prinzips der Widerspruchsfreiheit staatlichen Handelns dürfe der Staat ein Verhalten nicht bestrafen, das er andererseits unterstütze oder sogar befehle, wie i m Beispiel der Spionage 95 . Noll sah den Gewinn der Fragestellung Radbruchs darin, „daß der Überzeugungstäter und der Gewissenstäter für den Staat und die Gesellschaft Anlaß sind, ihre eigenen Überzeugungen zu überprüfen und m i t sich selber ins Gewissen zu gehen" 9 6 . Ebenso wie die Referate waren auch die Diskussionsbeiträge kontrovers. Allgemein herrschte die Ansicht vor, daß ein einheitlich zu bewertender Typus des Überzeugungstäters nicht existiere 97 . Während Peters und Klug dogmatische Lösungen bei der Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit oder Schuld des Verhaltens für möglich hielten, sprachen sich vor allem Welzel und Stratenwerth für die Beibehaltung der Einschließung aus. Arthur Kaufmann, Maihofer, Bernmann votierten gegen die Einschließung und Güde plädierte für einen differenzierten Strafvollzug 9 8 .

92 93 94 95 96 97 98

Noll: S. 658. Noll: S. 658 f., S. 661 f. Noll: S. 659 f. Noll: S. 660 f. Noll: S. 662. Friedrichs: S. 731. Friedrichs: S. 732.

Höhepunkte der Diskussion de lege ferenda

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15. Klugs Vorschlag einer Neufassung des § 16 StGB im Jahre 1970 Einer der Autoren des Alternativ-Entwurfs versuchte anläßlich eines Anhörungsverfahrens vor dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform 1970 die rechtspolitischen Gedanken der vom Sonderausschuß abgelehnten Regelungen des § 58 A E und des § 48 a E 1962/SA 1964 zu verbinden. Klug schlug folgende Fusion vor: „§16 StGB (Absehen von Strafe) erhält folgende Fassung: (1) Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre, oder wenn die Tat einer außergewöhnlichen schweren Konfliktslage entsprungen ist. Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren v e r w i r k t hat. (2) Eine außergewöhnliche schwere Konfliktslage liegt insbesondere vor, wenn für den Täter der Beweggrund ausschlaggebend war, daß er sich aus sittlicher, religiöser oder politischer Überzeugung für verpflichtet hielt, die Tat zu begehen 90 ."

I I . Die Höhepunkte der Diskussion de lege ferenda Nach dem Überblick über die verwirrende Vielfalt von Gesetzgebungsinitiativen von 1922 bis 1970 geht es i m folgenden Abschnitt darum, diejenigen Höhepunkte der Diskussion de lege ferenda herauszuarbeiten, die dem Problem des Überzeugungstäters zu besonderer Publizität sowie zu einer bis heute anhaltenden ungebrochenen Bedeutung verholfen haben: Radbruchs Begründung der Lehre vom Überzeugungstäter und die Abkehr von ihr i n der Weimarer Zeit sowie die Renaissance und Fortentwicklung der Lehre vom Überzeugungstäter i n der Bundesrepublik. 1. Radbruchs Begründung der Lehre vom Uberzeugungsverbrecher und deren Niederschlag in § 71 E Radbruch 1922, § 71 E 1925 und § 52 „Reichsratsgrundsätze" über den Vollzug von Freiheitsstrafen 1923 Nachdem Radbruch 1920 als sozialdemokratischer Abgeordneter i n den Deutschen Reichstag eingezogen und ein Jahr später zum Reichsjustizminister ernannt worden war 1 , widmete er sich m i t ganzer K r a f t 99

Anlage 3 zum Prot, der 4. u n d 5. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (6. Wahlperiode) v. 12./13.1.1970 S. 216. Vgl. die Begründung von Klug ebenda S. 195. 1 Radbruch: Weg S. 102, 105.

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der Strafrechtsreform 2 . Sein Entwurf zu einem neuen Reichsstrafgesetz ist auch i n der gegenwärtigen Situation der Strafrechtsreform nicht von lediglich antiquarischem Interesse 3 , sondern beeindruckt durch die Geschlossenheit seiner Konzeption und die i m vorliegenden Zusammenhang besonders zu berücksichtigende richtungweisende Regelung des Strafensystems. Der Entwurf, zu dem Radbruch persönlich die Begründung verfaßt hat 4 , sah u. a. die Abschaffung der Todesstrafe und der Zuchthausstrafe sowie die Beseitigung aller Ehrenstrafen und automatischen Ehrenfolgen und weiterhin die Einführung einer Sonderstrafe für Überzeugungsverbrecher vor. M i t diesem neuartigen Strafensystem wollte Radbruch der „moralischen Lynchjustiz", die m i t der Ehrenrührigkeit der Zuchthausstrafe nach bisherigem Recht untrennbar verbunden und ein schweres H i n dernis für die Resozialisierung des Täters gewesen sei, vorbeugen: „Nicht als ein Entehrter, sondern als ein Entsühnter soll der Bestrafte i n die Gesellschaft zurückkehren 5 ." Diese Absicht versuchte der Entw u r f sogar dadurch zu untermauern, daß er jedem, der einem anderen i n Schmähungsabsicht eine durch Verbüßung oder Erlaß der Strafe gesühnte Tat zum V o r w u r f macht, Strafe androhte 6 . Die Aufhebung der Zuchthausstrafe begründete Radbruch damit, daß die verschiedenen Bezeichnungen „Gefängnis" und „Zuchthaus" eine Artverschiedenheit vortäuschten, die der Vollzug der Strafe nicht einlösen könne. Radbruchs neue Strafartbezeichnungen „Gefängnis" und „strenges Gefängnis" setzten jedoch nicht, wie man vermuten könnte, den „Etikettenschwindel" fort, da „strenges Gefängnis" nicht ein neues Wort für 2

Radbruch: Weg S. 114. Liepmann: Referat S. 46 sah i n Radbruchs E n t w u r f „weitaus den Höhep u n k t der strafrechtlichen Reformarbeit der letzten Jahrzehnte"; Eb. Schmidt: Einführung S. 406 würdigte den E n t w u r f als eine „einheitliche, i n sich geschlossene, von gesunden sozialen Einsichten u n d mutigem Fortschrittsgeist getragene Leistung" u n d bezeichnete i h n i n der Einleitung zum E Radbruch S. V I I als „das Werk eines mutigen Reformators . . . , der uns i n i h m sein tiefstes Wissen u m das letztlich Fragwürdige allen staatlichen Strafens" erschlossen u n d ein Bekenntnis abgelegt habe „zu einem i m besten Sinne humanen Strafrecht eines Staates . . . , den sich der Verfasser dieses W e r kes als sozialen Volksstaat u n d als Rechtsstaat i n einem" gewünscht habe; sein I n h a l t wisse uns „sehr Wesentliches u n d sehr Aktuelles zu den k r i minalpolitischen Problemen unserer Gegenwart zu sagen", fügte Eb. Schmidt: Einleitung S. V I I I 1952 hinzu. — Forderungen Radbruchs werden erst 50 Jahre später verwirklicht, vgl. z. B. das Vikariieren von Strafe u n d Maßnahme i n § 48 E Radbruch u n d § 67 Abs. 1, 4 StGB n. F. Der „Höhepunkt der Strafrechtsreform i m Sinne der modernen Schule", Jescheck: 2. Aufl. S. 82, ist aktuell geblieben. 4 Radbruch: Weg S. 115. 5 E Radbruch S. 53. 6 § 281 E Radbruch. 3

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Zuchthaus bedeuten sollte, sondern lediglich eine für die Strafhöhe relevante gesetzestechnische Bedeutung hatte 7 . Radbruch konnte daher auch von den „beiden Graden der Gefängnisstrafe" sprechen 8. Wenn Eb. Schmidt dieses Strafensystem allerdings als ein Bekenntnis zur sogenannten Einheitsstrafe deutet 9 , wie sie seit dem 1. 4.1970 geltendes Recht geworden ist, so ist dies nur für die Regelstrafe zutreffend, da zwar die Zuchthausstrafe beseitigt, aber gemäß § 71 an die Stelle von „strengem Gefängnis" und „Gefängnis" „Einschließung" von gleicher Dauer treten sollte, „wenn der ausschlaggebende Beweggrund des Täters darin bestand, daß er sich zu der Tat auf Grund seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung für verpflichtet h i e l t " 1 0 . Damit ging Radbruch von einem letztlich zweigliedrigen Strafensystem aus, das Gefängnis für allgemeine Täter und Einschließung für Überzeugungstäter vorsah. M i t dieser Unterscheidung war Radbruch vor die Aufgabe gestellt, Merkmale herauszuarbeiten, die eine derart gravierende Differenzierung des Strafensystems rechtfertigten. Der Bezug zur heutigen Situation w i r d dann besonders deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß die Konzeption der Einheitsstrafe, wie sie schließlich i m neuen Strafgesetzbuch verwirklicht wurde, m i t der Einführung einer besonderen Einschließungsstrafe für Überzeugungstäter letztlich für unvereinbar gehalten wurde 1 1 . Radbruch hingegen erachtete eine Sonderstrafe für Überzeugungstäter mit einer der Einheitsstrafe angenäherten Gefängnisstrafe durchaus nicht für inkompatibel. Was bewog ihn dazu, die Rechtsfigur des Überzeugungstäters einzuführen? a) Beispiele

Bereits 1911 veröffentlichte Radbruch als Heidelberger Privatdozent eine Studie über einen religiösen Überzeugungstäter, der i n Radbruchs Vaterstadt Lübeck zur Zeit der lutherischen Orthodoxie als Ketzer hingerichtet worden war. „Peter Günther, der Gotteslästerer" — so nannte Radbruch seine Schrift — hatte die Trinität sowie die Gottheit 7 § 31 E Radbruch lautet: „Die Dauer der Freiheitsstrafen ist, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, bei strengem Gefängnis mindestens ein Jahr u n d höchstens fünfzehn Jahre, bei Gefängnis mindestens eine Woche u n d höchstens fünf Jahre, bei Einschließung mindestens eine Woche u n d höchstens fünfzehn Jahre." Der Richter hatte jeweils die verschiedenen Straf ober- u n d Strafuntergrenzen bei der Verhängung von Gefängnis oder strengem Gefängnis zu berücksichtigen. Der Unterschied w a r kein qualitativer, sondern lediglich ein quantitativer, Eb. Schmidt: Einleitung S. X I X . 8 E Radbruch S. 54. 9 Eb. Schmidt: Einleitung S. X V I I I . 10 § 71 E Radbruch steht i m 9. Abschnitt „Strafbemessung". 11 Vgl. oben Β. I. 12.

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Christi geleugnet 12 . Den Schritt von der Einzelfallstudie zum Typus hat Radbruch erst als Reichsjustizminister getan: Der Begriff des Überzeugungsverbrechers sei „hervorgegangen aus amtlicher Berührung m i t dem Überzeugungsverbrechertum aller Farben" 1 3 . I n die Ministerzeit Radbruchs fielen ζ. B. die Ermordung Walther Rathenaus, der Lichtenburger Hungerstreik zahlreicher von Sondergerichten verurteilter Kommunisten, die Kapp-Prozesse und Kriegsverbrecherprozesse, die Auslieferung der Mörder des spanischen M i nisterpräsidenten Dato, der Küstriner Putsch 14 — alles Beispiele für politische Überzeugungsverbrechen. Aber Radbruch führte auch nichtpolitische Beispiele an: die Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Gründen, die Impfgegner, den katholischen Pfarrer, der aus Gewissenspflicht vor der standesamtlichen Trauung kirchlich traut 1 5 , der Ästhet, der aus künstlerischer Überzeugung einen Theaterskandal herbeiführt 1 6 . Aber auch der Sohn, der seinen Vater totschlug, u m seine Mutter vor den Brutalitäten des trunksüchtigen Vaters zu retten, soll nach Radbruchs Meinung ein Überzeugungsverbrecher sein. Die Geschichte sei „an ihren großen Wendepunkten voller Überzeugungsverbrecher. Die großen Märtyrer, die großen Ketzer, die großen Revolutionäre, was sind sie anders als ÜberzeugungsVerbrecher"? Viele Gestalten der Dichtung wie Sophokles' Antigone, Shakespeares Brutus, Schillers Teil und Kleists Michael Kohlhaas seien ebenfalls Überzeugungsverbrecher gewesen 17 . b) Rechtfertigung einer Sonderstrafe für den Sondertypus des Überzeugungsverbrechers Was ist aber das Gemeinsame dieser Beispiele, und was berechtigt, Überzeugungstaten von den allgemeinen Verbrechen abzuheben? Radbruch meinte, der Typus des Überzeugungsverbrechers lasse sich dadurch scharf von dem des gemeinen Verbrechers unterscheiden, daß 12 Radbruch: Peter Günther, der Gotteslästerer. E i n Lübecker K u l t u r b i l d aus dem Jahrhundert der Orthodoxie. Vgl. auch: Radbruch: Elegantiae S. 130 - 140 m i t der Studie „Peter Günther — N a r r u n d Held". 13 Radbruch: Referat S. 355; vgl. Radbruch: Problematik S. 43 i . V . m. S. 50, wo Radbruch zunächst von sich selbst i n bezug auf frühere Ansichten zur Frage der Gerechtigkeit sagt: „Eines Besseren aber belehrte i h n nicht etwa philosophische Spekulation, sondern politisches Erleben. Der gesamte politische Tageskampf stellt sich j a dar als eine einzige endlose Diskussion über die Gerechtigkeit." I m Überzeugungs Verbrecher gewinne „die tragische Problematik der Rechtsidee, der Widerspruch zwischen Gerechtigkeit oder Zweckmäßigkeit u n d Rechtssicherheit", am sichtbarsten Gestalt. 14 Radbruch: Weg S. 105 ff. 15 Radbruch: Referat. S. 355. 16 Radbruch: Referat. S. 365. 17 Radbruch: Referat S. 355.

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dieser sich i n „Widerspruch zu sich selbst" setze und oft schon „durch die Logik seiner eigenen Tat" überführbar sei 18 . Immer wieder hat Radbruch zur Begründung die Beispiele des Diebes und des Urkundenfälschers angeführt 1 9 . Der Dieb verletze fremden Besitz, u m eigenen Besitz zu begründen, und bejahe damit den Schutz des Eigentums; der Urkundenfälscher beanspruche für die gefälschte Urkunde den öffentlichen Glauben, obwohl er ihn durch seine Tat erschüttert. Radbruch zog daraus den Schluß, daß grundsätzlich die Schutzwürdigkeit des verletzten Rechtsgutes vom Täter bejaht würde, damit aber auch die Strafdrohung und somit die Notwendigkeit der eigenen Bestrafung. Der Staat trete dem Verbrecher daher als „Vertreter seines eigenen besseren und klügeren Selbst" entgegen 20 . Radbruch zitierte i n diesem Zusammenhang das alte Rechtssprichwort 21 : Man henkt keinen wider seinen Willen. I m Gegensatz zum gemeinen Verbrecher könne man beim Überzeugungstäter nicht von einem m i t sich selbst i m Widerspruch befindlichen und daher aus sich selbst widerlegbaren Willen sprechen. Der Überzeugungstäter handele m i t gutem Gewissen aufgrund einer in sich geschlossenen Weltanschauung, die er der des Staates entgegenstelle: Er sei ein Andersdenkender, kein — an seinen eigenen Werturteilen gemessen — Minderwertiger 2 2 . Unter Berufung auf eine höhere Norm verstoße der Überzeugungstäter bewußt gegen eine von i h m nicht akzeptierte Norm des Staates. Entweder glaube er sich i m Einzelfall von einer bestimmten Rechtsnorm entbunden, oder aber er erkenne die Verfassung des Staates, gegen dessen Normen er verstößt, nicht an. Während Radbruch mehrfach betont hat, daß der Uberzeugungsverbrecher i m Gegensatz zum gemeinen Verbrecher nicht m i t sich selbst i m Widerspruch stehe und nicht aus sich selbst widerlegbar sei 23 , hat er i n seiner ausführlichsten Darlegung des Problems, in dem Referat auf dem 34. Deutschen Juristentag 1926, das Argument vom mangelnden Selbstwiderspruch des Überzeugungstäters nicht mehr verwandt. Dieser Umstand ist in der Diskussion über Radbruchs Gedankengang bisher übersehen worden 24. Man hat sich immer wieder bemüht, Bei18

Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 35, E Radbruch S. 54. Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 35, Referat S. 357, Mensch S. 51, E i n f ü h r u n g S. 101. 20 Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 35, vgl.: Mensch S. 52 unter Bezug auf Hegel. 21 Radbruch: Einführung S. 101. 22 Radbruch: Mensch S. 52. 25 E Radbruch: S. 54 = Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 35, vgl. Mensch S. 52. 24 Budzinski: S. 44. Der Verfasser beruft sich für die gegenteilige Meinung Radbruchs auf dessen Referat auf dem 34. DJT, obwohl Radbruch gerade i n diesem Beitrag seine Argumentation umgestellt hat. Siehe weiter: Wolf: 19

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Die Reformdiskussion

spiele zu finden, i n denen auch der Überzeugungstäter den Schutz der Norm, die er verletzt, für sich beanspruche: Der Hochverräter z.B. verlange, daß seine Staatsform verwirklicht werde und spreche dem von ihm gefährdeten Staate das Recht zu strafen ab, obwohl er selbst für „seinen" Staat dereinst Schutz verlangen werde. Radbruch legte sich selbst i n seinem Referat die Frage vor, wodurch sich ein politischer Attentäter von einem Gemeinverbrecher unterscheide: Zwar spreche der Attentäter „dem Tötungsverbot i m allgemeinen" die Geltung nicht ab, aber er begehe seine Tat „ i n dem Glauben, von dieser Norm durch eine höhere Norm i n diesem Einzelfalle entbunden zu sein". „Während der Gemein Verbrecher also gegen eine von ihm selbst anerkannte Norm handelt, verstößt der Überzeugungsverbrecher wohl bewußt gegen die Rechtsnorm, aber auf Grund der Befolgung einer höheren Norm, durch die er sich von der Befolgung der Rechtsnorm, sei es allgemein, sei es i n diesem Falle, entbunden glaubt 2 5 ." Der Staat, dessen Normen verletzt seien, könne aber nicht über eine Weltanschauung, der die höherrangige Norm entnommen wurde, zu Gericht sitzen, da es nicht möglich sei zu entscheiden, „auf welcher Seite die Vernunft und ob nicht der Verbrecher von heute der Märtyrer von morgen ist" 2 6 . I n der Gestalt des Überzeugungsverbrechers trete dem Recht nicht das Unrecht gegenüber, „sondern die unwiderlegbare Ansicht von einem höheren Recht" 27 . Zwar sei der Überzeugungstäter zu bestrafen, da er trotz seiner Berufung auf eine höhere Norm vorsätzlich gegen eine Rechtsnorm verstoßen habe 28 , aber als Andersdenkender sei er als ein „sittlich ebenbürtiger Feind" 2 9 zu betrachten, dem gegenüber als Kampfmittel nur „eine A r t Kriegsgefangenschaft i m inneren Kriege" 3 0 i n Betracht käme, wie es der Ausdruck „Festungshaft" i m älteren Strafrecht angedeutet habe 81 . Demnach ist die Argumentation Radbruchs i m Hinblick auf die Unterscheidung von Gemein- und Überzeugungsverbrechern zwiespältig geworden: Verbrechen S. 8, 30 A n m . 7; Arthur Kaufmann: Unrechtsbewußtsein S. 148; Noll: ZStW 78 (1966) S. 645; Greffenius: S. 59; Eichholz: S. 103 ff.; Schroeder: S. 134 bezeichnet lediglich Radbruchs Lehre v o m Selbstwiderspruch als selbständigen Gedanken u n d weist i h n S. 480 als Ausfluß der Einwilligungstheorie zur Rechtfertigung der Strafe zurück. 25 Radbruch: Referat S. 357. 26 Radbruch: Einführung S. 101. 27 Radbruch: Referat S. 359. 28 Radbruch: Referat S. 358. 29 Radbruch: Einführung S. 102. 30 Radbruch: Mensch S. 53, vgl. auch Referat S. 361. 31 Radbruch: Einführung S. 102, Referat S. 361.

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(1) Wer sich durch seine eigene Tat i n Widerspruch setze zu von i h m anerkannten Normen, dürfe m i t „sittlicher Überlegenheit" 3 2 bestraft werden, da der Staat als „Verkörperung seines besseren Selbst" dem Täter heimzahlen dürfe, was seine Taten — nach dessen eigener Meinung — wert seien. (2) Während Radbruch zunächst geglaubt hatte, daß die für die Normverletzung gemeinhin vorgesehene Strafe einem Überzeugungstäter gegenüber schon deshalb nicht sittlich zu rechtfertigen sei, weil dieser sich nicht selbst widerspreche 33 und daher „subjekt i v aus seinem W i l l e n " 3 4 nicht zu bestrafen sei, schließt er einen Selbstwiderspruch ζ. B. des Attentäters nunmehr nicht aus. Er stellte jetzt entscheidend darauf ab, daß die sittliche Mißbilligung dann abweichend von der Allgemeinregelung entfalle, wenn sich der Täter aufgrund eines höherrangigen Rechtes zu dem Rechtsbruch für verpflichtet hielt. Die Zwiespältigkeit dieser Gedankenführung ergibt sich daraus, daß der Unterschied zwischen Gemein- und Überzeugungsverbrecher nicht mehr aus einem Gesichtspunkt heraus m i t der Folge A und Non-Α, sondern aus zwei inhaltlich voneinander unabhängigen Argumenten A und Β entwickelt wird. Die Differenzierung zwischen Selbstwiderspruch und Nicht-Selbstwiderspruch w i r d aufgegeben zugunsten der Unterscheidung Selbstwiderspruch beim gemeinen Verbrecher und Berufung auf ein höheres Recht beim Überzeugungstäter. Diese Zwiespältigkeit der Beweisführung läßt sich auch nicht dadurch überbrücken, daß man die These der jeweiligen Gegenüberstellung durch ihre Antithese stillschweigend ergänzt und etwa sagt: Der Gemeinverbrecher handelt gegen eine von i h m selbst anerkannte Norm, der Überzeugungstäter tut dies nicht; der Überzeugungstäter beruft sich auf ein höheres Recht, der Gemeinverbrecher tut dies nicht. Radbruch selbst aber führte bei der Erörterung des vorliegenden Problems aus, der Attentäter töte einen Menschen, „zwar ohne dem Tötungsverbot i m allgemeinen die Geltung abzusprechen, aber i n dem Glauben, von dieser Norm durch eine höhere Norm i n diesem Einzelfalle entbunden zu sein" 3 5 . Auch nach Radbruchs Meinung kann sich der Überzeugungstäter demnach i m Selbstwiderspruch befinden. — Es bliebe also nur die zweite These und Antithese zur Unterscheidung übrig: Der Überzeugungstäter beruft sich auf ein höheres Recht, der Gemeinverbrecher tut dies nicht. Aber gerade den Gemeinverbrecher hat Radbruch stets durch den Selbstwiderspruch charakterisiert. 32 33 34 35

Radbruch: Referat S. 359. E Radbruch: S. 54 = Radbruch: Radbruch: Einführung S. 102. Radbruch: Referat S. 357.

ZStW 44 (1924) S. 35, vgl. Mensch S. 52.

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Die Reformdiskussion

Radbruchs Begründung der Verknüpfung zweier unterschiedlicher Merkmale, ohne daß diese vice versa anwendbar sind, ist damit durch eine metabasis eis allo genos gekennzeichnet, die es künftig zu vermeiden gilt. Eine Sonderstrafe für Überzeugungstäter w i r d nach Radbruch letztlich dadurch gerechtfertigt, daß der Staat nicht befugt sei, über die „unwiderlegbare Ansicht von einem höheren Recht" 3 6 , auf das sich der Täter berufe, zu urteilen. Damit ist der Grundgedanke der Radbruchsehen Lehre des philosophischen Wertrelativismus angeklungen. I n einem Beitrag zu der i m Anschluß an sein Referat stattfindenden Diskussion verwahrte sich Radbruch gegen den Staat als sittliche Idee, wie ihn sein Korreferent Kohlrausch i m Anschluß an Hegel vertreten hatte: „Ich kenne keine einheitliche sittliche Idee; ich kenne nur sittliche Ideen des Staates, eine Idee des Rechtsradikalismus, eine des Konservatismus, eine Idee der Demokratie, eine des Liberalismus, eine des Sozialismus, eine des Kommunismus. Ja, welches ist denn nun die allgemein gültige Idee des Staates? Nicht eine Staatsidee, sondern m i t einander ringende Staatsideen. Nein, ich muß mich unter Ablehnung einer solchen Staatsmetaphysik, unter Ablehnung solch absolutistischer Staatsethik, zu einem Staat der Toleranz bekennen. Nach meiner A u f fassung hat der Staat keine andere Idee als die Idee der jeweiligen Mehrheit und eben deshalb die Verpflichtung, die Idee der Minderheit, die einmal Mehrheitsidee sein kann, zu achten 37 ." Damit seien i n der Frage des Überzeugungs Verbrechers „letzte Weltanschauungsgegensätze" aufgebrochen 38 . I n seinem Aufsatz „Der Relativismus i n der Rechtsphilosophie" stellte Radbruch die These auf: „Der Relativismus verlangt ein Sonderstraf recht für Überzeugungstäter 39 ." Rechtsphilosophischer Relativismus bedeute, daß jede inhaltliche Auffassung des gerechten Rechts nur unter der Voraussetzung einer bestimmten Lage der Gesellschaft und eines bestimmten Wertsystems gültig sei. Während die sozialen Umstände unendlich wandelbar seien, sei die Zahl der i n einer bestimmten sozialen Lage möglichen Wertsysteme beschränkt. Zwischen diesen möglichen Wertsystemen auf eine wissenschaftliche, beweisbare und unwiderlegliche Weise zu entscheiden, sei jedoch unmöglich. Die letzten Sollenssätze, aus denen sich die Werte ableiteten, seien axiomatisch, „nicht der Erkenntnis, sondern nur des Bekenntnisses fähig" 4 0 . Der Relativismus gehöre der theoretischen, 36 37 38 30 40

Radbruch: Referat S. 359. Radbruch: Schlußwort S. 414, vgl. auch Referat S. 362. Radbruch: Schlußwort S. 414. Radbruch: Mensch S. 84 (dort hervorgehoben). Radbruch: Rechtsphilosophie S. 100 (Zitat), Mensch S. 81.

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nicht aber der praktischen Vernunft an; er verzichte auf die wissenschaftliche Begründung letzter Stellungnahmen, nicht aber auf die persönliche Stellungnahme selbst 41 . Aus diesem Ansatz ergäben sich zwei Folgerungen: Den Kampf zu führen gegen die Überzeugung des Gegners, deren Unbeweisbarkeit offenzulegen sei, und Achtung zu zeigen vor der Überzeugung des Gegners, deren Unwiderlegbarkeit anzuerkennen sei. „Entschlossenheit zum Kampf auf der einen Seite, Duldsamkeit und Gerechtigkeit des Urteils auf der anderen — das ist die Moral des Relativismus 4 2 ." Gegenüber dem einzelnen, so zog Radbruch die Konsequenz, der sich „von der seitens des Gesetzgebers angenommenen und sanktionierten Meinung nicht überzeugen" lasse, bedeute „das positive Recht nur brutale Gewalt, nicht sittliche Autorität. Genauer: es hat nur jenes M i n i m u m an Autorität, das sich aus seiner Funktion herleitet, Ordnung und Sicherheit herzustellen, und diese kann aufgewogen werden durch das Gewicht einer etwaigen Ungerechtigkeit, welche nach der Überzeugung jenes Einzelnen i m positiven Recht enthalten ist" 4 3 . c) Die kriminalpolitische Frage nach der Zweckmäßigkeit einer Sonderstrafe für Überzeugungsverbrecher

Radbruch war demnach der Meinung, die für eine Normverletzung gemeinhin vorgesehene Strafart sei für den Überzeugungsverbrecher sittlich nicht zu rechtfertigen, da die Frage: warum dürfen w i r strafen? bei diesem anders zu beantworten sei als bei dem gewöhnlichen Verbrecher; aber auch bei der Frage nach den S traf zw ecken sei die Stellungnahme eine andere als üblich. Radbruch glaubte nämlich, daß die meisten Strafzwecke, die beim Gemeinverbrecher anerkannt würden, gegenüber dem Überzeugungsverbrecher von vornherein ausschieden 44 . Radbruch nahm zunächst Stellung zu der an i h n gerichteten Frage, ob er den Überzeugungstäter milder bestrafen wolle. Viele seiner K r i t i k e r hatten Radbruch dahingehend verstanden, daß er für eine Privilegierung des Überzeugungstäters eintrete. Radbruch ließ aber keinen Zweifel daran, daß er den Überzeugungsverbrecher keineswegs für weniger gefährlich hielt als den Gemeinverbrecher, „ i m Gegenteil, tief i n der Überzeugung verankert, ist seine Gesinnung oft viel gefährlicher als die des Gemeinverbrechers". Er wollte deshalb auch „nicht für eine mildere, sondern nur für eine andersartige Behandlung" ein41 Radbruch: Rechtsphilosophie S. 103 f. Radbruch M i t g l i e d der SPD, vgl. Weg S. 151 u n d S. 95. 42 Radbruch: Mensch S. 81. 43 Radbruch: Mensch S. 83. 44 Radbruch: Referat S. 359.

selbst w a r seit 1918

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Die Reformdiskussion

treten, die sich daraus ergebe, daß die meisten bekannten Strafzwecke dem Überzeugungsverbrecher gegenüber entfielen 45 . (1) Wolle man überhaupt am Vergeltungsgedanken festhalten, so scheide dieser jedenfalls dem Überzeugungsverbrecher gegenüber aus, da Vergeltung, wenn sie nicht Rache sein wolle, sittliche Überlegenheit des Staates voraussetze; die Berufung des Überzeugungstäters auf ein höheres Recht lasse sich aber nicht widerlegen. A k t i v e Sühne setze auf seiten des Straffälligen Schuldbewußtsein und das Bewußtsein der Minderwertigkeit voraus; daran fehle es aber bei einem Gegner der Rechtsordnung 46 . (2) Auch Strafe als Besserung sei nur dann anerkennenswert, wenn „derjenige, der bessern w i l l , auch besser ist als derjenige, der gebessert werden soll" 4 7 . Der Überzeugungstäter sei als Andersdenkender „weder besserungsbedürftig noch besserungsfähig. Seine Überzeugung, auf Gründe gestützt, kann nur durch Gründe widerlegt werden. Er kann zwar eines Besseren belehrt werden, aber er kann nicht gebessert werden". I n der Brechung der Persönlichkeit sehe er keine Besserung. Nur durch die „Ritterlichkeit des Strafvollzugs" könne allenfalls ein Gesinnungswandel herbeigeführt werden 4 8 . Der Überzeugungsverbrecher sei „ein Gegner der derzeitigen sittlichen, religiösen, politischen Macht, den diese wohl i m Interesse ihrer Selbstbehauptung bekämpfen, nicht aber selbstgerecht mit Besserungs-, m i t Vergeltungsmaßregeln belegen darf" 4 9 . (3) Schließlich komme auch die Abschreckungsfunktion der Strafe, der Radbruch zunächst noch einige Bedeutung beigemessen hatte 5 0 , nicht i n Betracht, da die Geschichte der politischen und religiösen Ideen zeige, „daß man durch abschreckende Strafe Märtyrer macht" 5 1 und damit sogar noch für deren Ideen werbe. Das M a r t y r i u m habe für Überzeugungsverbrecher aber oft beinahe etwas Verlockendes 52 . Nach 45

Radbruch: Referat S. 359, vgl. ebenfalls S. 371. I n SJZ 1948 Sp. 312 faßte Radbruch seine Meinung so zusammen: „ E r [d.h. der Verfasser Radbruch] wollte die Überzeugungs-Täterschaft niemals als einen G r u n d milderer Bestrafung angesehen wissen, vielmehr n u r als einen G r u n d andersartiger, nämlich nicht entehrender Strafe." Dieser Gedanke ist bereits aus § 31 E Radbruch zu entnehmen, der für Einschließung die gleiche Maximalstrafe von 15 Jahren Freiheitsentzug vorsah wie für strenges Gefängnis. Vgl. A n m . 111. 46 Radbruch: Referat S. 359, Mensch S. 83. 47 Radbruch: Referat S. 359. 48 Radbruch: Referat S. 360. Vgl. Radbruch / Zweigert: Einführung S. 143; Besserung hieße hier Zwangsbekehrung. 49 Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 37. 50 Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 37. 51 Radbruch: Referat S. 360. 52 Radbruch: Mensch S. 83.

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dem 2. Weltkrieg hielt Radbruch allerdings „rücksichtslos abschrekkende oder unschädlich machende Strafen" auch für Überzeugungsverbrecher wieder für möglich 53 . (4) Der Name „Einschließung" kennzeichne das Wesentliche der Strafe für Überzeugungsverbrecher, die i n der bloßen Freiheitsentziehung m i t dem Zwecke der Sicherung der Gesellschaft vor den Eingeschlossenen bestehe 54 . Aus „Notwehr gegen den inneren Feind" dürfe der Staat den Überzeugungsverbrecher vom politischen Kampffelde entfernen 55 und wie einen Kriegsgefangenen behandeln, für den nur „Internierung" als eine „ A r t Kriegsgefangenschaft i m inneren Kriege" i n Frage komme 5 6 . „Und wie die Kriegsgefangenschaft endet mit dem Kriege, so endet auch die Strafe des Überzeugungsverbrechers dann, wenn er durch eine Veränderung der Lage ungefährlich geworden ist. Das ist der Sinn der häufigen Amnestien für politische Verbrecher . . . 5 7 ." Die Bestrafung des Überzeugungs Verbrechers — dies sah Radbruch klar — sei „unter dem Namen einer Strafe nichts anderes als eine sichernde Maßnahme" 5 8 . Die Strafe habe hier „den Charakter einer Sicherungsverwahrung" 59 . Diese frappierende Kennzeichnung, die viele Fragen aufwirft, ist bisher i n der Diskussion nicht hinreichend gewürdigt worden. Sie steht i m Zusammenhang mit der bisher oft 53

Radbruch: SJZ 1948 Sp. 312. Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 37. 55 Radbruch: Mensch S. 53, vgl. Referat S. 361. 56 Radbruch: Mensch S. 83 f., 53. — Radbruchs Gedanke ist nicht m i t der bekannten Passage aus Rousseaus Contrat social (II, 5) gleichzusetzen. Radbruch spricht allein von den positiven A u s w i r k u n g e n des modernen Kriegsrechts auf den Freiheitsentzug an Überzeugungstätern, während Rousseau: S. 376 f. umgekehrt m i t der Berufung auf das Kriegsrecht die Todesstrafe rechtfertigen w i l l : „D'ailleurs tout malfaiteur attaquant le droit social devient par ses forfaits rebelle et traître à la patrie, i l cesse d'en être membre en violant ses loix, et même i l l u i fait la guerre. Alors la conservation de l'Etat est incompatible avec la sienne, i l faut qu'un des deux périsse, et quand on fait m o u r i r le coupable, c'est moins comme Citoyen que comme ennemi. Les procédures, le jugement, sont les preuves et la déclaration q u ' i l a r o m p u le treité social, et par conséquent q u ' i l n'est plus membre de l'Etat. Or comme i l s'est reconnu tel, tout au moins par son séjour, i l en doit être retranché par l ' e x i l comme infracteur d u pacte, ou par la mort comme ennemi public; car u n tel ennemi n'est pas une personne morale, c'est u n homme, et c'est alors que le droit de la guerre est de tuer le vaincu." Z u den inneren Widersprüchen, die diese Begründung der Todesstrafe i m System des Contrat social darstellt, vgl. Vossler: S. 295 ff. 57 Radbruch: Referat S. 361. 58 Radbruch: Referat S. 361. Z w a r sind die Maßregeln der Sicherung und Besserung erst 1933 eingeführt worden, sie entsprechen aber Forderungen, wie sie schon u. a. i n den §§ 4 2 - 6 2 E Radbruch (siehe insbes. § 45 „Sicherungsverwahrung") vorgesehen waren. Vgl. auch Referat S. 364. Radbruch: Referat S. 3 . 54

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Die Reformdiskussion

übersehenen Ansicht Radbruchs, daß er keine mildere Bestrafung des Überzeugungsverbrechers befürworte. d) Feststellbarkeit der Überzeugungstätereigenschaft im Prozeß aufgrund des kriminalpsychologisch gefaßten Typus des Überzeugungsverbrechers Wenn Radbruch also glaubte, daß die gewöhnlich auf eine Normverletzung stehende Strafe dem Überzeugungstäter gegenüber weder nach ihrer sozialethischen Seite hin zu rechtfertigen noch nach ihrer zweckgerichteten Seite h i n zu befürworten sei, so erhebt sich die Frage, ob die vorstehenden theoretischen Erwägungen nun auch für den Richter, der ja über die A r t der Strafe anhand der Überzeugungstätereigenschaft entscheiden soll, praktikabel sind. Es stellt sich das Problem der Feststellbarkeit der Überzeugungstätereigenschaft i m Prozeß. Hier gewinnt Radbruchs Lehre vom kriminalpsychologischen Sondertypus des Überzeugungsverbrechers, die bei i h m nicht ausdrücklich von der sozialethischen und kriminalpolitischen Fragestellung geschieden worden ist, ihr Hauptanwendungsgebiet. aa) Der kriminalpsychologische

Typus

Radbruch meinte, er habe diese schwierige Frage vergleichsweise besser gelöst als der Strafgesetzgeber von 1871, der i n der Wahlregel des § 20 StGB den Begriff der „ehrlosen Gesinnung" 6 0 geprägt hatte. „Ehrlose Gesinnung" setze ein Werturteil des Richters voraus, das diesen geradezu auf seine eigene, höchstpersönliche Wertung verweise und die Gefahr m i t sich bringe, daß der Richter seine eigene Weltanschauung i n der Beurteilung der Ehrlosigkeit zugrunde lege 61 . Demgegenüber handele es sich bei der Anerkennung eines Täters als Überzeugungstäter nicht um eine Wertung des Richters, vielmehr knüpfe das Tatbestandsmerkmal der Überzeugung an eine „kriminalpsychologische Tatsachenfeststellung" an: „Der Verbrecher aus Überzeugung ist ein kriminalpsychologischer Typus, genau so augenfällig wie der Verbrecher aus Affekt oder aus Gelegenheit, der Verbrecher aus A n lage oder aus Gewohnheit. A l l e n diesen Verbrechern aus ihrem gegebenen oder entstandenen passiven Selbst heraus t r i t t der Verbrecher aus seinem zweiten, aktiv erarbeiteten Selbst klar unterschieden gegenüber 6 2 ." Neben die von Radbruch behaupteten sozialethischen und kriminalpolitischen Unterschiede zwischen Überzeugungstäter und Ge60 § 20 StGB a. F. m i t dem Begriff „ehrlose Gesinnung" w a r bis zum 8. S t Ä G v. 25.6.1968 (BGBl. I 741) Bestandteil des Strafgesetzbuches. 61 Radbruch: Referat S. 363, Schlußwort S. 416. 62 Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 36.

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meinverbrecher setzte er jetzt einen dritten, den kriminalpsychologischen. Hier dürfte der Einfluß der kriminalpsychologischen Arbeit seines Lehrers 6 3 Franz v. Liszt deutlich werden. I n einem Aufsatz über die psychologischen Grundlagen der Kriminalpolitik unterschied Liszt bei der Gruppenbildung nach der psychischen Eigenart der Verbrecher auch die Verbrechen „aus Überzeugungstreue" 64 . Als Arten der Überzeugung gab Liszt an: (1) Die rechtliche (Michael Kohlhaas), sittliche (Zweikampf, Verweigerung des Eides), wissenschaftliche (Impfgegner), künstlerische Überzeugung (ästhetische Fehden); (2) die religiöse Überzeugung; (3) die politische, nationale, soziale Überzeugung. I m Gegensatz zum Gemeinverbrecher gehöre zum Typus des Überzeugungsverbrechers die „Überlegung" 6 5 , das „auf Gründe" 6 6 gestützte Sich-Besinnen auf die höhere Norm, das damit i n Gegensatz trete zur gedankenlosen Übertretung der Gesetze. Eine Überzeugung gegen den Andrang überkommener Werturteile und Rechtsvorschriften zu erwerben und festzuhalten, sei „nicht Sache flüchtiger W i l l k ü r , sondern nur Sache ernster Arbeit und zähen Charakters"; eine „nie selbst geprüfte Meinung, eine Meinung, die bei der ersten ernstlichen Entgegensetzung einer anderen an sich irre wird, sich selbst verleugnet, ihre Ergebnisse ableugnet und vor deren Folgen flieht, ist keine Überzeugung" 67 . Wenn jemand „aus schwer errungener eigener Gesinnung" seine Tat begangen habe, so sei er Überzeugungsverbrecher 68 . A l l e r dings soll nach Radbruch auch der „geistig minderwertige Querulant" ein Überzeugungsverbrecher sein 69 . Hier tut sich eine offenkundige Diskrepanz auf: Wie sind geistige Minderwertigkeit und ernste denkerische Arbeit unter denselben Begriff zu bringen? Wie verträgt sich eine derartige Begriffsbestimmung m i t dem Postulat Radbruchs, einen eindeutig fixierbaren, psychologisch feststellbaren Begriff bereitzustellen, wenn er selbst schon kaum zu Vereinbarendes unter einen Begriff zusammenfaßt? Falls ein Sinnes63 Radbruch: Weg S. 54 ff. * 4 Liszt: Grundlagen S. 188, vgl. auch Gutachten S. 284: „ W e r aus tiefster religiöser oder nationaler, politischer oder sozialer Ueberzeugung heraus zum erbittertsten Feind der bestehenden Rechtsordnung geworden ist, handelt durchaus nicht unehrenhaft, w e n n er diese Ueberzeugung durch seine H a n d lungen bethätigt." 65 Radbruch: Referat S. 358. ββ Radbruch: Referat S. 360. 67 Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 37 f. 68 Radbruch: Referat S. 368. 69 Radbruch: Referat S. 373.

4 Gödan

Die Reformdiskussion

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wandel Radbruchs i m Hinblick auf den Begriffsumfang stattgefunden hat, welches waren die maßgebenden Gründe? I n dem Bestreben, den kriminalpsychologischen Aspekt besonders betont herauszuarbeiten, hat Radbruch die sozialethische und kriminalpolitische Sichtweise, die oben gesondert dargestellt wurde, an vielen Stellen mit der kriminalpsychologischen verquickt, was allerdings zur Folge hatte, daß er dort, wo er eigentlich vom „kriminalpsychologischen Begriff" des Überzeugungsverbrechers zu sprechen beabsichtigte 70 , nicht näher auf die Pflichtüberzeugung als Tatmotivation eingegangen ist. Inwieweit der Begriff der Überzeugung, den er nirgends explizit definierte, kriminalpsychologisch tauglich sei, hat Radbruch nicht genauer erläutert. Ausführlicher beschäftigte sich Radbruch nur m i t der Frage, ob die Pflichtüberzeugung ausschlaggebendes Motiv des Täters gewesen sein müsse. Zunächst bezog Radbruch den Begriff der Überzeugung lediglich auf die unabweisbare Pflicht zum Handeln, nicht aber auf ein bloßes Dürfen, ein Recht, oder eine bloße Zweckmäßigkeitsvorstellung 71 . I m Gegensatz zu der Formulierung des § 71 E Radbruch 1922, der insoweit m i t dem § 71 E 1925 übereinstimmt, wonach die Pflichtüberzeugung ausschlaggebender Beweggrund des Täters gewesen sein müsse, rückte Radbruch i n seinem Referat vor dem 34. DJT von dieser ursprünglichen Fassung mit der Begründung ab, es sei für den Richter unmöglich festzustellen, ob die Pflichtüberzeugung unter mehreren gegebenen Motiven das ausschlaggebende gewesen sei 72 . Motive wie Machtgier, Eigennutz, Habsucht oder Grausamkeit könnten bei dem Täter ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Radbruch schlug vor, nicht nach dem kausalen Anteil des einen oder anderen Motivs an der Einzeltat zu fragen, sondern danach, welchen Anteil die Pflichtüberzeugung „überhaupt an dem Innenleben des Täters" hat, und kam zu dem Ergebnis, der Täter müsse „von seiner Überzeugung übermächtig beherrscht gewesen sein" 7 3 . Auch diese Formel, das ist offensichtlich, mußte später auf K r i t i k stoßen. I m Gegensatz aber zu dem Begriff „ehrlose Gesinnung", der vom Richter eine moralische Bewertung der Gesinnung selbst verlange, glaubte Radbruch, die Entscheidung des Gerichts i m Hinblick auf die Überzeugungstätereigenschaft werde „von einem objektiv feststellbaren psychologischen Befund" abhängig gemacht 74 . 70

358. 71 72 73 74

Radbruch:

E Radbruch

S. 54 = ZStW (1924) 44 S. 35, vgl. Referat S. 356,

Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 38, Referat S. 365. Radbruch: Referat S. 365 f. Radbruch: Referat S. 366. Radbruch: E Radbruch S. 54 = ZStW 44 (1924) S. 35.

Höhepunkte der Diskussion de lege ferenda

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Nach Radbruch hätte der Richter demnach zwei psychologische Prüfungen vorzunehmen: Einmal, ob überhaupt eine Pflichtüberzeugung vorliege, zum anderen, ob sie das Motivationsgeschehen beherrsche. Radbruch w i l l damit die Praktikabilität der zunächst theoretisch fundierten Lehre erweisen und den Richter davor bewahren, ein moralisches Werturteil über den Inhalt der Überzeugung abgeben zu müssen und sich dem V o r w u r f der Parteilichkeit oder Voreingenommenheit auszusetzen. Er bemühte sich also, ein normatives Tatbestandselement zu vermeiden und statt dessen ein deskriptives bereitzustellen. A u f diesen Umstand hat Radbruch stets außerordentliches Gewicht gelegt. Darüber, ob dieses Bestreben von Erfolg gekrönt sei, hat sich dann der Streit entzündet. Immerhin ist i h m der Deutsche Juristentag i n seinem Beschlüsse insoweit gefolgt, zumal auch Kohlrausch eine normative Fassung abgelehnt hatte 7 5 . I m Gegensatz zu seinen Bemühungen um einen strafrechtlichen Typus hat Radbruch aber m i t seinen Feststellungen zum kriminologischen Typus des Überzeugungsverbrechers schon zu seiner Zeit Anklang gefunden 76 . bb) Äußere Merkmale für das Vorliegen einer Überzeugung Radbruch hat es sich aber auch angelegen sein lassen, äußere Merkmale aufzufinden, anhand deren der Richter auf das Vorliegen einer Überzeugung schließen dürfe. Als ein derartiges Indiz sah Radbruch es ζ. B. an, wenn ein Attentäter, anstatt nach der Tat feige zu fliehen, die Konsequenz auf sich nimmt und sich den Behörden stellt. Wer i m Angesicht des Todes i n seiner Überzeugung schwach werde, sich auf Irrtum, Befehl, Notstand berufe, sei nie ein Überzeugungstäter gewesen. Es sei daher auch äußerst zweifelhaft, meinte Radbruch 1947, ob die nationalsozialistischen Führer überhaupt als Überzeugungstäter betrachtet werden dürften 7 7 . Wenn sich jemand nicht „die Kenntnis des Wesens der von i h m bekämpften Person beschafft", sondern aufgrund von Gerüchten die Tat begangen habe —, wenn jemand sich zu seiner Entschuldigung darauf berufe, er habe nur einem Befehl gehorcht, dann sei er kein Überzeugungstäter 78 . Die beiden letzten Beispiele illustrieren das von Radbruch besonders herausgestellte Moment der 75 Beschlüsse des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 419 Ziffer 4: „Die Voraussetzungen für die ,Einschließung' sollen nicht aus dem Gesichtspunkte eines sittlichen Werturteils (ehrlose oder verächtliche Gesinnung) . . . festgelegt werden" ; Kohlrausch: Leitsatz I I I Z. 2 S. 353, Fortschritte S. 27 f. 76 V o m kriminologischen Standpunkt aus haben den Typus bejaht: Aschaffenburg: Diskussionsbeitrag S. 395 ff., Handwörterbuch S. 837; Gaupp: S. 394 ff.; Gruhle: Handwörterbuch S. 911 f. Vgl. Rohden: S. 134. 77 Radbruch: SJZ 1948 Sp. 312. 78 Radbruch: Referat S. 368. 4*

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Die Reformdiskussion

„Überlegung" 7 9 , während die ersten das offene Sichbekennen zu der eigenen Überzeugung hervorheben. cc) Die Problematik

innerer

Straftatbestandsmerkmale

Schließlich wies Radbruch darauf hin, daß Bedenken gegen die Praktikabilität durch die ganze Strafrechtsgeschichte hindurch immer dann erhoben worden seien, „wenn es galt, feinere psychologische Unterscheidungen neben dem äußeren Tatbestand zur Geltung zu bringen". Dabei bezog er sich auf den bedingten Vorsatz, das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Heute sage man: „Ja, dann w i l l jeder Mensch ein Überzeugungsverbrecher sein. Man hat früher gesagt: dann w i l l jeder ohne das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehandelt haben 8 0 ." e) Umfang und Fassung der Sondervorschrift für Überzeugungsverbrecher aa) Keine Beschränkung auf politische Täter M i t der Projektion der Rechtsfigur des Überzeugungsverbrechers und deren sozialethischer, kriminalpolitischer und kriminalpsychologisch-forensischer Sonderstellung hatte Radbruch die Grundlinien seiner Lehre vom Überzeugungsverbrecher skizziert. Insbesondere war damit klargestellt, daß Radbruch nicht nur eine Sonderstellung für den politischen Täter anstrebte, wie es i h m aus dem französischen Recht („délits politiques" i m Gegensatz zu den „délits de droit commun") und dem italienischen Entwurf Enrico Ferris (delitti politico sociali, unter Erstreckung auf soziale Verbrechen) bekannt war 8 1 . Radbruchs Korreferent auf dem 34. DJT 1926, Kohlrausch, hatte ebenfalls nur eine Sonderstellung für politische Täter vorgesehen 82 . Radbruch war jedoch der Meinung, der Gedanke der politisch-sozialen Verbrechen — als Beispiel für ein soziales Verbrechen nannte er Verbrechen i m gewerkschaftlichen Kampfe — sei nur „der historische Durchbruchspunkt" (Ihering), „durch den ein allgemeiner Rechtsgedanke i n die Wirklichkeit" eingedrungen sei 83 . Dieser allgemeine Rechtsgedanke verlange eine Sonderbehandlung nicht deshalb, weil sich der Verbrecher i m politischen 79

Radbruch: Referat S. 358. vgl. S. 360, 368. Radbruch: Referat S. 366. 81 Radbruch: Referat S. 364. 82 Kohlrausch: Leitsatz I I I S. 353, vgl. Schlußbericht S. 869. Der D J T ist hier Radbruchs Auffassung gefolgt, vgl. Beschluß Ziffer 3 i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 419. 3 Radbruch: Referat S. 3 6 . 80

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Bereich strafbar gemacht habe, sondern weil er kraft seiner Überzeugung gehandelt habe 84 . Eine besondere gesetzliche Aufführung der sittlichen, politischen oder religiösen Überzeugungsverbrechen hielt Radbruch vom Grundsatz her für nicht erforderlich, zumal alle unter „den weiteren Begriff der sittlichen Überzeugung" fielen, da religiöse, politische, wissenschaftliche, künstlerische Überzeugungen letztlich „ i n sittliche Pflicht" ausmündeten. Als Sonderfälle habe er bei der Tatbestandsfassung die politische und religiöse Überzeugung trotzdem berücksichtigt, damit man wisse, was vorwiegend gemeint sei 85 . bb) Das Problem der Ausnahmeregelung Ein vom Prinzipiellen des Radbruchschen Ansatzes her schwer zu lösendes Problem ist die Frage, ob und, wenn ja, welche Deliktstatbestände die Anwendung der Sonderregelung für Überzeugungsverbrecher ausschließen sollten. Das Problem der Aussonderung und der Auswahl von Delikten hat nicht schon Radbruch als „außerordentlich schwierig" anerkannt, vielmehr stand die Frage, welche Tatbestände und besonderen Umstände die Verhängung einer Sonderstrafe ausschließen sollten, auch i m Vordergrund der Beratung des Sonderausschusses „Strafrecht" des Deutschen Bundestages, der sich über den Grundsatz i n Anlehnung an § 71E Radbruch 1922 und § 71E 1925 schnell einig war, aber ein diffiziles System der Ausnahmen und der Ausnahme von der Ausnahme für nötig erachtete 86 . Vom Grundsatz herkommend, hatte Radbruch zunächst als Gesetzgeber keine Ausnahmeregelung vorgesehen 87 . Erst i n seinem Referat vor dem 34. DJT 1926 stellte sich i h m das Problem drängend: Kohlrausch nämlich hatte vorgeschlagen, nach der positiven Seite hin Delikte zu benennen, bei deren Erfüllung eine Einschließung möglich sei 88 . Nachdem Radbruch die Vergeblichkeit dieses Vorgehens aufgezeigt hatte, stand er vor der Frage, ob nicht eine negative Auswahl von Delikten notwendig sei, die die Verhängung einer Sonderstrafe unmöglich machten. 84

Radbruch: Referat S. 364 f. Radbruch: Referat S. 365, vgl. ZStW 44 (1924) S. 37. 88 § 48 a Abs. 2 E 1962/SA 1964. 87 Radbruch: E Radbruch S. 54. ZStW 44 (1924) S. 38 sagte Radbruch lediglich, es sei „zu erwägen, i n w i e w e i t Tatbestände, vor allem der Mord, der neuen Bestimmung überhaupt zu entziehen seien". 88 Kohlrausch: Leitsatz I I I 2 S. 353; so auch der Beschluß Ziffer 2 i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 419: „Die Einschließung soll nicht für alle, sondern n u r für bestimmte Delikte i n Frage kommen", Ziffer 3: „Die Ausscheidung der einzelnen Delikte soll nach der positiven Seite e r f o l g e n . . . " 85

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Die Reformdiskussion

Zunächst war zu klären — Radbruch tat dies nicht expressis verbis —, wieso denn überhaupt eine Ausnahmeregelung konstruktiv möglich sei, wenn die Sonderstrafe sowohl sozial-ethisch gerechtfertigt, kriminalpolitisch zweckmäßig und kriminalpsychologisch-forensisch begründbar sei und nicht etwa eine privilegierende, sondern andersartige Strafe darstelle, die die besondere Gefährlichkeit des Täters bereits berücksichtige. Einen Anknüpfungspunkt gibt Radbruchs Bemerkung, der Gesetzgeber könne durch Ausnahmeregelungen auf die „Kampfmittel des politischen Kampfes" Einfluß nehmen und damit ein „Kriegsrecht des inneren Kampfes" schaffen 89 . Hier nahm Radbruch einen Gedanken auf, der bereits bei der sozialethischen und kriminalpolitischen Argumentation eine Rolle gespielt hatte: der Überzeugungsverbrecher als Andersdenkender, als innerer Feind, dessen Bestrafung eine „ A r t Kriegsgefangenschaft i m inneren Kriege" bedeute 90 . Wie auch das Kriegsrecht, so könnte man den Gedanken fortsetzen, durch die Haager Landskriegsordnung 1907 und die Genfer Konventionen von 1949 bestimmte Verbote enthält 9 1 , so könnte dies auch i m Bürgerkrieg, einer Rebellion, einem Attentat oder einer Sabotage gelten. Die Diskriminierung von Handlungsweisen und M i t t e l n wäre demnach seitens des verletzten Staates möglich, selbst wenn dieser eine Sonderstrafe für Überzeugungsverbrecher vorsähe. M i t dieser Erwägung kommen allerdings grundsatzfremde und bereits von Radbruch selbst abgelehnte Überlegungen wieder ins Spiel: Wenn nach Radbruchs Vorstellung durch die Ausnahme vom Grundsatz auf den Täter dahingehend eingewirkt werden soll, sich humaner Kampfesweisen zu bedienen, so ließe sich dieser psychologische Effekt — eine Kausalbeziehung einmal mit Radbruch unterstellt — nur dann erreichen, wenn die den Täter erwartende Sonderstrafe eine „Belohnung" darstellt. Gerade dagegen, eine mildere Bestrafung für Überzeugungsverbrecher vorzusehen, hat sich Radbruch aber stets energisch gewehrt. Ein zweiter immanenter Widerspruch ergibt sich daraus, daß Radbruch, wie bereits betont wurde, jegliche Ehrenfolgen, auch bei sogenannten gemeinen Verbrechen, i n seinem Entwurf abgelehnt und sich scharf gegen eine Wertung der Sonderstrafe als custodia honesta gewandt hat; wenn er nunmehr i n seinem Referat ausführte, er wolle einerseits Tatbestände unterscheiden, die i m politischen Kampfe zwar nicht zulässig seien, aber nur m i t Einschließung belegt würden, u m ihnen andererseits „unbedingt gemeine Verbrechen" entgegenzustel89

Radbruch: Referat S. 370. Radbruch: Mensch S. 83 f., vgl. Referat S. 361. 91 Vgl. Verdross: S. 148 f. zu den „Schranken der Feindseligkeit i n einem Bürgerkrieg". 90

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len, die i n allen Fällen „der gemeinen Strafe" verfielen 9 2 , so zeigt schon der Doppelsinn von „gemein", daß hier eine negative Auswahl „ehrloser" Taten getroffen werden soll, deren Tätern dann eine offensichtlich doch als custodia honesta zu wertende Hechtsfolge versagt wird. Allerdings ist zu betonen, daß diese Auswahl dann vom Gesetzgeber getroffen würde und nicht ein Werturteil des Richters wie bei der Auslegung des Merkmals „ehrlose Gesinnung" voraussetzt. Radbruch hat selbst gespürt, daß er durch eine Ausnahmeregelung seinen Grundsatz überhaupt i n Frage stellte und hat sich zu seiner Inkonsequenz bekannt 9 3 . Er wollte sie allerdings als Kompromiß werten: Er wolle „nicht nur Ritterlichkeit i m Beweggrund, sondern auch Ritterlichkeit des Kampfmittels fordern" 9 4 . Nun ist allerdings gerade die Lebensform der Ritterlichkeit untrennbar m i t einem Standeskodex verbunden. Es ist nicht auszuschließen, daß Radbruch neben Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten auch taktische Erwägungen geleitet haben, von seinem Grundsatz abzuweichen, um seinen Gegnern bei der A b stimmung über seine Thesen Wind aus den Segeln zu nehmen. Trotzdem sind seine Vorschläge i n entscheidenden Punkten abgelehnt worden 9 5 . Als Beispiele für Delikte, bei deren Vorliegen nicht auf eine Sonderstrafe erkannt werden dürfe, nannte Radbruch Mord, Brandstiftung, Sprengstoffdelikte, Eisenbahnattentate, Brunnenvergiftung und Plünderung 96 . U m aber Tatbestände umfassend auszuwählen, „dazu würde es einer langen Erwägung bedürfen" 9 7 . 92

Radbruch: Referat S. 370. Radbruch: Schlußwort S. 415. Radbruch bezieht sich dabei auf die K r i t i k von Dohna: Diskussionsbeitrag S. 407. Gerland: Diskussionsbeitrag S. 385 f. hatte auf das Problem ebenfalls eindringlich hingewiesen: „Entweder gibt es einen Überzeugungsverbrecher als psychologischen Tatbestand, der besonders behandelt werden muß, — dann gibt es keine Ausnahmen. Oder es gibt Ausnahmen, dann behandelt man die Überzeugung nicht als dasjenige Moment, welches bei der Strafzumessung entscheidet . . . Jetzt entscheidet der Staat darüber, ob die Überzeugung gewertet w i r d oder nicht, u n d fällt das W e r t u r t e i l über die Überzeugung; aber er läßt nicht mehr entscheidend sein das W e r t u r t e i l der Überzeugung." Liszt / Schmidt: S. 255 A n m . 10: „ . . . gerade hier dürfte jede Ausnahme die Regel überhaupt vernichten." 94 Radbruch: Schlußwort S. 415. Positiv hierzu: Liszt / Schmidt: S. 255 A n m . 10. 95 Schafheutie i n Prot, der 28. Sitzung des SA v o m 5.11.1964 S. 529 m u t maßte, das Fehlen von AusschlußVorschriften i n § 71 E 1925 sei der Grund dafür gewesen, daß Radbruch auf dem Juristentag m i t seinen Vorschlägen nicht durchgedrungen sei. 96 Radbruch: Referat S. 370. Radbruch: Referat S. 3 . 93

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Die Reformdiskussion

cc) Ablehnung des bloßen Sonderstrafvollzuges des § 52 „Reichsratsgrundsätze"

und

Läßt sieh demnach eine widerspruchsfreie strafgesetzliche Regelung nur unter Schwierigkeiten finden, dann, so könnte man meinen, genüge es, das Problem des Überzeugungstäters dem Strafvollzug zu überlassen. Allein, hier konnte Radbruch auf Erfahrungen zurückgreifen. A m Zustandekommen der sogenannten Reichsratsgrundsätze für den Vollzug der Freiheitsstrafen von 1923 hatte Radbruch als Reichsjustizminister nach seinen eigenen Worten „persönlich besonders stark m i t gearbeitet" 9 8 . Die Regelung des § 52 über die Überzeugungstätern sogleich zustehenden „für die Strafart zulässigen Vergünstigungen" hing allerdings deswegen i n der Luft, weil einmal Radbruchs E n t w u r f ebenso wie der È 1925, auf die sie zugeschnitten war, nicht Gesetz wurden und weil zum zweiten die Strafprozeßordnung nicht geändert wurde, so daß die Gerichte gesetzlich nicht v e r p f l i c h t e t waren, Feststellungen über die Überzeugungstätereigenschaft i n den Urteilstenor oder die Urteilsgründe aufzunehmen 99 . Das Herausgerissensein aus dem Zusammenhang führte dazu, daß Vergünstigungen für jede Strafart zugelassen waren, nicht nur für die nach § 20 StGB von 1871 wahlweise zu verhängende Festungshaft. Damit wurde, wie Liepmann es scharf k r i t i siert hatte, „die Sonderklasse des Kavaliers V e r b r e c h e r s " geschaffen, der zusammen m i t den übrigen Gefängnis- oder Zuchthausgefangenen lebte, aber sofort aller Vergünstigungen teilhaftig würde. Das mußte, vor allem bei Gemeinschaftshaft, zu unerträglichen Zuständen führen. Plastisch hat Liepmann 1924 i n einem Referat i m Beisein Radbruchs beschrieben, wie die Praxis des Strafvollzugs aussieht, selbst wenn man Einzelhaft verhängt: „ . . . i n der Zelle links ein Überzeugungsverbrecher von der kommunistischen, i n der Zelle rechts ein solcher von der nationalsozialistischen Partei, i n der Mitte ein Feld- und Wiesendieb! Und der muß nun den ganzen Tag — riechen, was seine Leidensgenossen von höherem Rang rechts und links an Tabak konsumieren, hören, wie sie ihre Parlamentsreden für die Zeit nach der Entlassung memorieren" 1 0 0 . Radbruch hat i n seinem Referat vor dem 34. DJT auch unumwunden zugegeben, daß sich die Bestimmung des § 52 „Reichsratsgrundsätze" i n der Praxis nicht bewährt habe, weil die Gefangenen nicht verstünden, warum der eine, der zur selben Strafart wie sie verurteilt worden sei, 98 Radbruch: Weg S. 114. Vgl. allgemein zu den Reichsratsgrundsätzen 1923: Eb. Schmidt: Einführung S. 420 ff. 99 Vgl. Biilow: S. 71; Josephi: Sp. 511. 100 Vgl. Liepmann: Referat S. 46 ff., Zitat S. 47 f.

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diese i n einer ganz anderen Form verbüßen dürfe. I n Wirklichkeit, dies sah Radbruch klar, habe § 52 „unter dem Schein einer Strafvollzugsverordnung eine neue Freiheitsstrafform" geschaffen. M i t diesem Gedanken gelte es Ernst zu machen, und an die Stelle einer bloßen V o l l zugsform habe eine neue Straf art, eben die Einschließung, zu treten 1 0 1 . f) Abgrenzung des § 71 E 1925 gegen § 20 StGB a. F., die détention des französischen Redits und den italienischen Entwurf Ferris

Blieb es also nach Radbruch bei der Sonder strafe, so erhebt sich die schwerwiegende Frage — eine Frage, die sich auch Radbruch selbst vorgelegt hat —, ob denn nicht gerade die Einführung dieser Sonderstrafe das Gegenteil von dem bewirke, was der Entwurf i m Ganzen anstrebe: Dieser hatte Strafe und Strafvollzug von der „moralischen Lynchjustiz" 1 0 2 reinigen wollen und alle Ehrenfolgen abgeschafft. K o m m t es aber nicht doch wieder zu einer indirekten Diffamierung des Gemeinverbrechers, wenn man die besondere Gruppe der Überzeugungsverbrecher hervorhebt und für sie eine besondere Strafart zur Verfügung stellt? Zunächst glaubte Radbruch diesen V o r w u r f m i t dem Hinweis auf den kriminalpsychologischen und kriminalpolitischen Sondertypus des Überzeugungsverbrechers zurückweisen zu können 1 0 3 . Aber erst durch die Gegenüberstellung des § 71 E Radbruch bzw. § 71 E 1925 m i t der auf den ersten Blick verwandt erscheinenden Regelung des § 20 S t G B 1 0 4 w i r d deutlich, was das Neue an Radbruchs Entwurf ist und wie die A n t w o r t auf die Frage, ob den anderen Freiheitsstrafen der „Makel der Ehrenrührigkeit" 1 0 5 mittelbar wieder aufgeprägt werde, zu lauten hat. Radbruch betonte „ m i t allem Nachdruck", daß der einzige Paragraph, der sich i n der Nähe seiner Gedanken zu bewegen scheine, eben § 20 StGB, m i t dem Vorschlag hinsichtlich des Überzeugungsverbrechers 101 102 103 104

Radbruch: Radbruch: Radbruch: § 20 StGB

Referat S. 371. ZStW 44 (1924) S. 36. ZStW 44 (1924) S. 36 f. lautete i n der zur Zeit von Radbruchs

Referat gültigen Fassung: „ W o das Gesetz die W a h l zwischen Zuchthaus u n d Festungshaft gestattet, darf auf Zuchthaus n u r dann erkannt werden, w e n n festgestellt w i r d , daß die strafbar befundene Handlung aus einer ehrlosen Gesinnung entsprungen ist." Dieser Wortlaut galt bis zum Gesetz zur Änderung strafrechtlicher V o r schriften v o m 26. 5.1933 (RGBl. I S. 295), A r t . I Ziffer 3. Die ursprüngliche Fassung wurde durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz v o m 4. 8.1953 (BGBl. I S. 735) i m wesentlichen wiederhergestellt; an Stelle von „Festungshaft" wurde „Einschließung" gesetzt. Durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz v o m 25. 6.1968 (BGBl. I S. 741) wurde § 20 ersatzlos gestrichen. 105 Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 36.

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„nicht das mindeste zu tun" habe 1 0 6 . § 20 StGB beruhe auf drei Gedanken: (1) Es gibt entehrende Strafen. (2) Es gibt Verbrecher m i t ehrenhafter Gesinnung. (3) Es muß für jene ehrenhaften Verbrecher eine custodia honesta eingerichtet werden. Demgegenüber liegt dem Radbruchschen Vorschlag eine andere Konzeption zugrunde: Zu (1): Es gibt keine entehrenden Strafen mehr 1 0 7 . Zu (2): Der Begriff „ehrlose Gesinnung" setzt ein Werturteil des Richters voraus, während eine Überzeugung aufgrund eines psychologischen Feststellungsurteils vom Richter leichter zu eruieren ist 1 0 8 . Der Anknüpfungspunkt „nicht ehrlos" erübrigt sich ohnehin, wenn die ordentliche Strafe nicht entehrend w i r k t . Z u (3): Eine custodia honesta kommt nicht mehr i n Frage, da die Strafe überhaupt als nichtdiskriminierend betrachtet w i r d und die Einschließung nicht mehr den Charakter einer Ehrenerklärung anzunehmen hat. Die Strafe für Überzeugungsverbrecher dient nach Radbruch lediglich der Sicherung der Gesellschaft vor einem möglicherweise sehr gefährlichen Täter. Sie könne daher keine „,bessere' Strafe für wohlgekleidete Herren" 1 0 9 bedeuten wie die Festungshaft ehedem 110 . Das spezifisch Neue dieses Radbruchschen Gedankens — die Ablehnung einer custodia honesta für Überzeugungstäter — ist heute in Vergessenheit geraten 111. 106

Radbruch: Referat S. 362. Radbruch: Referat S. 363. los w e i t e r wies Radbruch noch darauf hin, daß der Begriff der Gesinnung weiter sei als der der Uberzeugung u n d auch Taten aus M i t l e i d u n d Zorn umfassen könne, Radbruch: Referat S. 362. 107

109

Radbruch: Referat S. 363. Schon 1911 hatte sich Radbruch: System S. 210 f ü r eine Abschaffung der custodia honesta eingesetzt, da die Festungsstrafe „nicht bloß als nicht ehrend, sondern geradezu als ehrend, als ein M i t t e l d i n g zwischen Bestrafung u n d Dekorierung empfunden" worden sei. 111 Es w i r d heute meistens sogar behauptet, Radbruch habe sich für eine custodia honesta eingesetzt: Noll: ZStW 78 (1966) S. 638; Heinitz: S. 633 f.; Schwalm i n Prot, der 26. Sitzung des SA v. 9.10.1964 S. 478; Greffenius S. 71. — Krille i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 52 erwähnte zwar: „Radbruch hat es manchmal bestritten, daß die von i h m vorgeschlagene Sonderstrafe der E i n schließung eine Ehrenhaft sei." Die Begründung, die Krille anführt, ist j e doch nicht stichhaltig: „ E r meinte, daß sie wegen ihres Sicherungscharakters nicht als custodia honesta gewertet werden könne." Ebenso wie Krille referiert Lang-Hinrichsen: J Z 1966 S. 155. — Mißverständlich kann die Be110

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Radbruch verneinte damit einen Einfluß der Lehre von der custodia honesta und des § 20 StGB. I n der Tat lassen sich noch weitere Unterschiede zwischen beiden Vorschriften feststellen, so daß sogar schon die Rede davon war, § 20 StGB und § 71 E 1925 stellten „zwei Extreme" dar 1 1 2 . Statt dessen berief sich Radbruch auf das französische Recht und den italienischen Entwurf Ferris , deren Gedanken, dem politischen Täter eine eigene Strafe zukommen zu lassen, er lediglich verallgemeinert und auf religiöse und sittliche Überzeugungsverbrecher ausgedehnt habe 1 1 3 . Um das Besondere des § 71 E Radbruch zutreffend beurteilen zu können, empfiehlt es sich, diejenigen Vorschriften näher zu prüfen, m i t denen sich Radbruch teils zustimmend, teils ablehnend zur Begründung seiner eigenen Ansicht auseinandersetzte. A u f diesem Hintergrund läßt sich § 71 E Radbruch plastisch herausarbeiten. aa) Radbruchs Ablehnung

des § 20 StGB a. F.

Bei aller K r i t i k Radbruchs an § 20 StGB darf nicht übersehen werden, daß diese Vorschrift die Frucht einer Entwicklung war, an deren A n fang noch die Auffassung stand, daß die crimina laesae maiestatis die schwersten Verbrechen überhaupt seien 114 , und an deren Ende, i m Strafgesetzbuch von 1871, die Einsicht sich durchgesetzt hatte, daß der politische Verbrecher sogar eine privilegierende Strafart verdiene. merkung Radbruchs: SJZ 1948 Sp. 312 sein, er habe die Überzeugungstäterschaft niemals als einen G r u n d milderer Bestrafung angesehen, „vielmehr n u r als einen Grund andersartiger, nämlich nicht entehrender Strafe". U n gesagt blieb dabei i n der Kürze der Darstellung, daß Radbruch alle Strafarten von Ehrenfolgen freihalten wollte. 112 Lipmann: S. 12. Vgl. zum folgenden S. 7 ff. Der Vergleich zwischen § 20 StGB u n d § 71 E 1925 (bzw. § 71 E Radbruch) ließe sich hinsichtlich dreier weiterer Punkte vervollständigen: (1) § 20 StGB geht kasuistisch vor („Wo das Gesetz die W a h l zwischen Zuchthaus und Festungshaft gestattet . . . " ) , § 71 E 1925 jedoch generell ( „ A n Stelle von Zuchthaus u n d Gefängnis t r i t t Einschließung von gleicher Dauer..."). (2) § 20 StGB ist eine Wahlregel n u r i m Verhältnis von Zuchthaus u n d Festungshaft, § 71 E 1925 jedoch zwischen Zuchthaus bzw. Gefängnis u n d Einschließung. (3) § 20 StGB sieht n u r eine Kann-(„darf"), § 71 E 1925 jedoch eine M u ß Regelung vor ( „ t r i t t " ) . 113 Radbruch: Referat S. 364. 114 Eb. Schmidt: Einführung S. 181 zitiert als charakteristischen Zeugen Carpzov, der i m Majestätsverbrechen „ o m n i u m delictorum, quae i n homines c o m m i t t i possunt, gravissimum" sah, da es sowohl eine Gotteslästerung, einen Vatermord u n d einen Landesverrat bedeute. Selbst Friedrich der Große hat die Folter, die er grundsätzlich abgeschafft hatte (Eb. Schmidt: Einführung S. 269), zunächst bei politischen Verbrechern beibehalten (Conrad: Bd. 2 S. 445; vgl. Baltzer: S. 36 m i t weiteren Angaben).

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Die Reformdiskussion

Spätere Abgeordnete des Reichstages, der das Strafgesetzbuch von 1871 beriet, waren zur Zeit der Restauration selbst als „Demagogen" und Revolutionäre verurteilt worden 1 1 5 . Bestimmend für die privilegierte Behandlung politischer Straftäter war, wie Baltzer eingehend dargelegt hat, „das B i l d vom politischen Verbrecher, das die Verfolgungen der Opposition i m 19. Jahrhundert geprägt hatten" 1 1 6 . Aus der Geschichte der privilegierten Behandlung politischer Täter, die sich letztlich i n § 20 StGB von 1871 niederschlug 117 , interessiert hier allein der Zusammenhang zwischen der Schaffung einer besonderen Strafart für politische Straftäter einerseits und dem Ehrengesichtspunkt andererseits. I n den Beratungen zum Strafgesetzbuch von 1871 begründeten die Verfechter der privilegierenden Strafart ihre Ansicht damit, daß einerseits der Staat nicht berechtigt sei, i n eigener Sache bei Verbrechen gegen die Obrigkeit „zu der Repression den Schimpf hinzuzufügen" (Lasker) 118, daß andererseits aber der Entwurf vorsehe, bei Verurteilung zur Zuchthausstrafe die dauernde Unfähigkeit zum Dienste i m Heer und i n der Marine, sowie zur Bekleidung öffentlicher Ämter ipso iure eintreten zu lassen. Da die Zuchthausstrafe somit entehrend wirke, müsse eine Festungshaft für nicht ehrlose politische Täter zugelassen werden. Dem hielt der preußische Justizminister Leonhardt entgegen, erst die Gegenüberstellung von Zuchthaus und Festungshaft mache die Zuchthausstrafe zu einer entehrenden, während sie nach dem Entwurf nicht als solche ehrlos wirke, sondern nur m i t dem Entzug bestimmter Ehrenrechte verbunden sei 1 1 9 . Darauf entgegnete Lasker, daß diejenigen, die Zuchthäusler gemäß dem alten 115 Vgl. die Zusammenstellung bei Baltzer: S. 182. Der Abgeordnete L u d w i g von Rochau w a r sogar wegen der Teilnahme am Frankfurter Wachensturm 1833 (vgl. Baltzer: S. 66) zu lebenslänglichem Zuchthaus, der Abgeordnete Moritz K a r l Georg Wiggers 1857 i m Rostocker Hoch verrats verfahren zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. 116

Baltzer: S. 183 (Zitat), 45 ff., 158 ff. Vgl. außer Baltzer: S. 158 ff.; Sontag: S. 129 ff.; Guckenheimer: S. 14 ff.; W. Otto: S. 225 ff.; Eichholz: S. 80 ff. 118 Lasker i n Prot, der 17. Sitzung des Reichstages des Norddeutschen Bundes v. 9. 3.1870 S. 242; ebenda S. 241: „ F ü r mich n u n . . . ist i n Beziehung auf die politischen Verbrechen u n d Vergehen ein Gesichtspunkt maßgebend, der ein Princip i n sich schließt, so bedeutend, w i e vielleicht kein Princip bedeutender genannt werden mag: die Frage nämlich, ob w i r die politischen Verbrechen . . . zu den ehrlosen stellen oder nicht." S. 243: „Der leitende Gedanke aber für mich ist: W i r stellen fest, daß politische Verbrechen an sich von der Beschaffenheit sind, daß sie die Ehrlosigkeit der Regel nach nicht i n sich schließen; große Gefährlichkeit — deswegen sehr scharfe Repression, aber nicht unbedingte Ehrlosigkeit." — Vgl. zum Zusammenhang Calker: Bestimmung S. 174 f.; Baltzer: S. 165 ff. 117

119 Leonhardt i n Prot, der 17. Sitzung des Reichstages des Norddeutschen Bundes v. 9. 3.1870 S. 244.

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Sprichwort „ehrlos — wehrlos" nicht i n die Armee aufnehmen wollten, sich die Umkehrung dieses Satzes gefallen lassen müßten 1 2 0 . I n diesem Zusammenhang bedarf es besonderer Hervorhebung, daß Friedberg, der 1868 den Auftrag erhalten hatte, ein Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund zu entwerfen, den mutigen Schritt getan hatte, die Ehrenfolgen nicht ipso iure an die Zuchthausstrafe zu knüpfen, sondern es dem Richter zu überlassen, über die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte individualisierend zu entscheiden 121. Aber schon die vom Bundesrat eingesetzte Kommission, die den Entwurf Friedbergs zu überprüfen hatte 1 2 2 , strich diese Neuerung wieder und bestimmte, daß die Verurteilung zu Zuchthausstrafe die dauernde Unfähigkeit zum Dienste i n Bundesheer und Bundesmarine und zur Bekleidung öffentlicher Ämter „von Rechts wegen" zur Folge habe 1 2 3 . Da es den liberalen Kräften i m Reichstag nicht gelungen war, die von Rechts wegen eintretenden Ehrenfolgen der Zuchthausstrafe zu verhindern, mußten sie sich mit einer Wahlregel begnügen, die die Zuchthausstrafe wenigstens bei nicht ehrlosen Taten ausschloß. Das Gesinnungsmerkmal „nicht ehrlos" ist demnach lediglich die Konsequenz der ipso iure diffamierenden Zuchthausstrafe. Daß dies eine Kompromißlösung war, hat Friedberg selbst ausgesprochen 124 . Er rief i m Reichstag dazu 120 Lasker i n Prot, der 20. Sitzung des Reichstages des Norddeutschen B u n des V. 15. 3.1870 S. 298. 121 § 25 Abs. 1 E Friedberg lautete: „ M i t jeder Verurtheilung zur Todesstrafe oder Zuchthausstrafe und i n den Fällen, i n denen wegen Annahme mildernder Umstände statt auf Zuchthaus auf Gefängniß erkannt w i r d , ingleichen bei einer Gefängnißstrafe i n den durch das Gesetz besonders v o r gesehenen Fällen, k a n n zugleich auf den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden." I n : Motive 1869 S. 48 sagte Friedberg: „ I n diesem Paragraphen ist eine der tiefeingreifendsten u n d folgewichtigsten Aenderungen des Norddeutschen Strafgesetz-Entwurfes . . . gegeben." Vgl. jedoch § 30 Abs. 1 E Friedberg. — Friedberg begründete § 25 i n Motive 1869 S. 50: Indem das preußische StGB von 1851 „den Verlust der »bürgerlichen Ehre' von der Straf art abhängig macht, u n d jenen Verlust m i t jeder Zuchthausstrafe absolut u n d peremptorisch verbindet — § 11 — hat es den großen Mißstand eingeführt, daß es die ihrem Wesen u n d inneren Strafwürdigkeit nach verschiedensten u n d ungleichartigsten Handlungen, i n Bezug auf die Ehrenfolgen, i n eine gleiche, jede Individualisirung der That und des Thäters ausschließende Formel einzwängt, während es doch gerade auf keinem Gebiete mehr, als auf dem der Beurtheilung der m i t einer Strafe zu verbindenden Ehrenfolgen auf die individualisirende W i r k u n g der That u n d des Thäters ankommt." 122 Eb. Schmidt: Einführung S. 343; Baltzer: S. 159. 123 § 28 Abs. 1 K E 1869: „Die Verurtheilung zur Zuchthausstrafe hat die dauernde Unfähigkeit zum Dienste i n dem Bundesheere u n d der Bundesmarine, sowie die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter von Rechtswegen zur Folge." Vgl. Sontag: S. 65 f.; Baltzer: S. 163. 124 Friedberg i n Prot, der 15. Sitzung des Norddeutschen Reichstages v. 5.3.1870 S. 209: „Fortschritte . . . k a n n man aber vielfach nicht zu ihren äußersten Konsequenzen durchführen, sondern ein Gesetzgeber w i r d v i e l -

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Die Reformdiskussion

auf, Selbstverleugnung zu üben „und der Sache zu lieb für den Gesetzentwurf zu stimmen" 1 2 5 . Wenn Radbruch „ m i t allem Nachdruck" betonte, sein Vorschlag habe „nicht das mindeste" mit § 20 StGB zu t u n 1 2 6 , so ist dies i n Bezug auf seinen eigenen Entwurf zutreffend, da dieser keine Ehrenstrafen oder -folgen, aber dennoch eine Sonderstrafe für Überzeugungstäter vorsah. Auch ist, wie gezeigt wurde, § 71 E Radbruch i n vielen Punkten anders gestaltet als § 20 StGB a. F. Aber ein praktischer Zusammenhang zwischen ehrenmindernden Strafen und der Strafe für Überzeugungstäter kann bestehen, wenn auch nicht prinzipiell und notwendigerweise. Eine nichtentehrende Strafe kann Reflex auf eine entehrende Strafe sein. Diesen Antagonismus hat die Geschichte des § 20 StGB a. F. deutlich aufgezeigt. Jener Satz ist jedoch nicht umkehrbar: Eine Strafe für Überzeugungstäter ist, wie der E Radbruch bewiesen hat, nicht nur dann begründbar, wenn das Strafensystem entehrende Strafen vorsieht. Radbruchs Entwurf sah weder Ehrenstrafen noch Ehrenfolgen v o r 1 2 7 . U m so eher aber muß eine Lehre vom Überzeugungstäter Zuspruch finden oder sogar „provoziert" werden, wenn ein Strafgesetz ipso-iure-Ehrenfolgen an bestimmte Strafen knüpft. A n der Übung der automatischen Ehrenfolgen hat sich bis heute nichts geändert, selbst wenn das neue Strafgesetzbuch nicht mehr von Ehrenstrafen oder fach verpflichtet sein, i m H i n b l i c k auf die historische Entwicklung solcher Fragen Konzessionen zu machen, die dieser historischen Entwicklung gemäß sind." Friedberg bezog sich damit auf Moltke, der zuvor, ebenda S. 207 f., geäußert hatte, der E i n t r i t t i n die Armee sei als Auszeichnung zu betrachten. Moltke fuhr fort: „ W e n n w i r Zuchthäusler i n die Armee einstellen, so gefährden w i r dadurch die Disciplin, deren nothwendige Aufrechterhaltung Niemand bezweifeln w i r d , u n d Sie kränken dadurch zugleich das Selbstgefühl der Armee, die von der Ehre lebt u n d die das nicht verdient hat." Das Protokoll, ebenda S. 208, vermerkt hier: „ ( H ö r t ! links.)" Moltke schloß: „Die juristische Seite der Sache verstehe ich nicht, aber ich möchte bitten, daß jedenfalls das bestehende Princip nicht alterirt werde." Das Protokoll vermerkt: „(Bravo! auf beiden Seiten.)" Lasker ebenda S. 208 führte demgegenüber aus, daß „gar kein G r u n d mehr vorhanden ist, weshalb derjenige, der zur Zuchthausstrafe verurtheilt ist, nicht i n der Armee soll dienen können. (Oh! Oh! rechts.) Meine Herren, ich w a r sehr vorbereitet auf dies Oh, das Sie machen w ü r d e n ; (Heiterkeit) alle neue (!) Gedanken fangen i n der Regel m i t Oh an, w e n n Sie die Güte haben wollen, einmal die Gesetzgebung zu verfolgen." 125 Friedberg i n Prot, der 15. Sitzung des Norddeutschen Reichstages v. 5. 3.1870 S. 209. — Auch Radbruch sah sich, wie oben bemerkt, zu Konzessionen genötigt. 126 Radbruch: Referat S. 362. 127 Vgl. § 54 Abs. 1 E Radbruch: „ H a t der Täter durch die Tat das besondere Vertrauen v e r w i r k t , daß die Ausübung öffentlicher Ä m t e r erfordert, so erklärt i h n das Gericht für unfähig, während einer bestimmten Frist öffentliche Ä m t e r zu bekleiden." § 57: „Neben der Amtsfähigkeit k a n n das Gericht dem Verurteilten f ü r die gleiche Dauer auch das Recht aberkennen, i n öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, w e n n dem Täter die Ausübung dieses Rechts nicht mehr anvertraut werden kann."

Höhepunkte der Diskussion de lege ferenda

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-folgen, sondern „etikettenschwindelnd" v o n „Nebenfolgen"

spricht128.

D e r e n t e h r e n d e C h a r a k t e r des § 3 1 S t G B ( = § 45 S t G B n . F . ) w i r d gerade d u r c h die A u t o m a t i k - R e g e l u n g sichtbar, die v o m E i n z e l f a l l , i n Sicherheitsgründe

ζ. B . e i n e n A m t s v e r l u s t

rechtfertigen

können,

dem ab-

sehen z u k ö n n e n g l a u b t . D e r l ä n g e r als e i n J a h r a n d a u e r n d e n

Frei-

heitsstrafe w i r d d a m i t g e n e r e l l e i n „ M a k e l der E h r e n r ü h r i g k e i t "

auf-

geprägt, d e r d e m R e s o z i a l i s i e r u n g s g e d a n k e n

des n e u e n

Strafgesetz-

buches z u w i d e r l ä u f t . bb) Radbruchs Berufung auf die détention des französischen Rechts W ä h r e n d noch Napoleons Code p é n a l v o n 1810 b e i A n s c h l ä g e n a u f d e n K ö n i g die geschärfte Todesstrafe — v o r h e r i g e s A b h a c k e n d e r rechten F a u s t — vorgesehen h a t t e 1 2 9 , w u r d e die entscheidende N e u e r u n g des p o l i t i s c h e n Strafrechts u n t e r d e m „ B ü r g e r k ö n i g " Louis Philippe d u r c h Gesetz v o m 28. 4.1832 e i n g e f ü h r t 1 3 0 . D i e theoretische U n t e r m a u e r u n g f ü r die S o n d e r b e h a n d l u n g des p o l i t i s c h e n S t r a f t ä t e r s h a t t e 1822 Guizot gelegt, d e r d a r a u f h i n w i e s , daß die S t r a f w ü r d i g k e i t der 128 § 31 Abs. 1 StGB i. d. F. v. 4. 8.1953 (BGBl. I S. 735) lautete: „Die V e r urteilung zur Zuchthausstrafe hat die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ä m t e r von Rechts wegen zur Folge." § 31 Abs. 1 StGB i. d. F. d. 1. StRG v. 25.6.1969 (BGBl. I S. 645), i n K r a f t seit dem 1.4.1970 ( = § 45 Abs. 1 StGB n.F.) lautet: „Wer wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt w i r d , verliert für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ä m t e r zu bekleiden u n d Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen." Die Möglichkeit der Wiederverleihung von Fähigkeiten u n d Rechten, § 33 StGB ( = § 45 b StGB n. F.), ändert am Prinzip nichts u n d bleibt auch bei einem individualisierenden Feststellen von Nebenfolgen von Bedeutung, w i e § 58 E Radbruch zeigt. § 31 Abs. 2 StGB ( = § 45 Abs. 2 StGB n. F.) kennt zwar einen fakultativen Verlust von Amtsfähigkeit u n d Wählbarkeit, aber n u r zu Ungunsten eines Verurteilten, der zu einer Freiheitsstrafe von unter einem Jahr verurteilt w i r d . — Eine starke Meinung betrachtet § 31 StGB ( = § 45 StGB n.F.) als Ehrenstrafe: Schönke ! Schröder: Vorbem. zu den §§ 31 - 3 9 Rnr. 1, 2; Schmidhäuser: Strafrecht S. 620 f.; Baumann: Strafrechtsänderungsgesetz S. 44f., 51 f., D R i Z 1970 S. 8 f . : Diese Regelung sei ein „Verlustpunkt auf der Liste der Resozialisierung, der nahezu unerträglich ist." Die Beseitigung der Vorschrift sei vorrangig zu fordern. Den Strafcharakter jedenfalls von § 31 Abs. 2, 4 StGB ( = § 45 Abs. 2, 4 StGB n.F.) betonen: Jescheck: 2. A u f l . S. 603 A n m . 13; Tröndle i n L K : § 31 Rnr. 15, 31; Lackner / Maassen: § 31 A n m . 4; Maurach: S. 815 schreibt § 31 StGB „nebenstrafähnlichen Charakter" zu. Z u r Reformgeschichte des § 31 StGB ( = § 45 StGB n. F.) vgl. Tröndle i n L K : Vor § 31 Rnr. 2, 3. 129 A r t . 13 c. p. v. 12. 2.1810 bestimmte: „ L e coupable condamné à mort pour parricide sera conduit sur le lieu de l'exécution, en chemise, nu-pieds, et la tête couverte d'un voile noir. I l sera exposé sur l'échafaud pendant qu'un huissier fera au peuple lecture de l'arrêt de condamnation; i l aura ensuite le poing droit coupé, et sera immédiatement exécuté à mort." — Abgedruckt i n der Dalloz- Ausgabe des c. p. bei art. 13. 130 Recueil général Sp. 241 - 256.

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Die Reformdiskussion

„crimes politiques" weder so eindeutig noch so unveränderlich feststehend sei wie die der gemeinen Verbrechen 131 . Zwei Strafensysteme wurden durch das Gesetz 1832 vorgesehen: für die délits de droit commun Todesstrafe, Zwangsarbeit und Zuchthaus und für die délits politiques Todesstrafe, déportation und détention. Die Todesstrafe wurde, bis sie 1848 für politische Delikte abgeschafft wurde, an politischen Verbrechern jedoch nicht vollstreckt 1 3 2 . Die détention wurde die am häufigsten verhängte Strafe für politische Del i k t e 1 3 3 . A r t . 20 code pénal sah vor, daß die Strafe i n einer Festung zu vollziehen war und aus bloßer Freiheitsentziehung ohne Arbeitsverpflichtung zu bestehen hatte; der Verkehr sowohl m i t Mitgefangenen als auch mit Außenstehenden war erlaubt 1 3 4 . Wesentlich i m vorliegenden Zusammenhang ist, daß die détention seit ihrer Einführung 1832 gemäß art. 7 c. p. infamierend ist und gemäß art. 28 c. p. den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und gemäß art. 29 c. p. den Verlust der Geschäftsfähigkeit vorsieht 1 3 5 . Damit war zwar ein eigenes Strafensystem für politische Täter gewährleistet, das einen leichteren Strafvollzug vorsah, aber eine custodia honesta war damit nicht geschaffen. Der Ehrengesichtspunkt stand bemerkenswerterweise nicht i m Mittelpunkt der französischen Diskussion, sondern die Relativität obrigkeitlicher S traf Vorschriften „ i n eigener Sache". Das gesonderte Strafensystem und der leichtere Strafvollzug schienen den Unterschied zwischen délits politiques und délits de droit commun genügend zu betonen. Wenn sich Radbruch auf das französische Recht als Vorbild berief, so geschieht dies zu Unrecht gerade 131 Guizot: S. 32: „J'affirme seulement que l'immoralité des crimes p o l i t i ques n'est n i aussi claire n i aussi immuable que celle des crimes privés." Vgl. insbes. S. 114ff.: „De la poursuite et de la qualification des crimes politiques." — Chauveau / Hélie sahen den Unterschied zwischen gemeinen u n d p o l i t i schen Delikten i n deren Absolutheit bzw. Relativität, S. 313: „ . . . dans le premier cas, ce devoir a été imposé à l'homme par la Providence; dans le deuxième, au citoyen par la société." 132 Chauveau / Hélie: S. 314; art. 5 der Constitution de la République française v o m 4.11.1848 bestimmte: „ L a peine de mort est abolie en matière politique." Die Verfassung ist abgedruckt i n Duguit: S. 407 ff. 133 Baltzer : S. 40. 134 A r t . 20 c. p. v o m 28.4.1832, aufgehoben 1960; vgl. den Abdruck i n der Dalloz-Ausgabe des c. p. art. 20. 135 A r t . 7 c. p. v o m 28. 4.1832 hatte folgenden Wortlaut bis 1960: „Les peines äff lietives et infamantes sont: 1° L a mort, — 2° Les t r a v a u x forcés à perpétuité, — 3° L a déportation, — 4° Les travaux forcés à temps, — 5° L a détention, — 6° L a réclusion." A r t . 7 c. p. i n d. Fassung v. 4. 6.1960 lautet ab „2° L a réclusion criminelle à perpétuité; 3° L a détention criminelle à perpétuité; 4° L a réclusion criminelle à temps; 5° L a détention à temps." A r t . 6 c. p.: „Les peines en matière criminelle sont ou afflictives et infamantes, ou seulement infamantes." Vgl. die verschiedenen Fassungen der A r t . 28, 29 c. p. i n der Dalloz- Ausgabe des c. p.

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hinsichtlich des Gesichtspunktes, der für seinen Entwurf grundlegend war, nämlich die Abschaffung aller Ehrenfolgen i m Strafrecht. cc) Radbruchs Berufung auf den italienischen Entwurf von 1921 Der italienische Entwurf von 1921, auf den sich Radbruch ebenfalls berief 1 3 6 , sah i m Anschluß an das französische Modell ein eigenes Strafensystem für politisch-soziale Verbrecher vor, das aus Landesverweisung, einfacher Haft und verschärfter Haft bestehen sollte 1 3 7 . Als „del i t t i politico-sociali" definierte A r t . 13 des Entwurfs „die ausschließlich (esclusivamente) aus politischen Beweggründen oder i m Interesse der Gesellschaft (d'interesse collettivo) begangenen Verbrechen" 1 3 8 . Die Begründung führte aus, diese Begriffsbestimmung gehe von dem psychologischen Moment als dem entscheidenden aus 1 3 9 . Ferri hob den politisch-sozialen Verbrecher vom gemeinen dadurch ab, daß jener zwar nicht völlig altruistisch handele, aber „der soziale Egoismus, d.h. der dem allgemeinen Besten nicht entgegen gesetzte", müsse vom „antisozialen Egoismus" des Gemeinverbrechers unterschieden werden 1 4 0 . Radbruch hat m i t Hecht darauf hingewiesen, daß hier „das Problem aus einem Problem der Psychologie i n ein Problem der Wertung umgestaltet" werde 1 4 1 , denn i n der Tat fragt man: Wie soll das allgemeine Beste psychologisch feststellbar sein? Es ist wahrscheinlich, daß dieser — wenn auch mißglückte — Versuch, das Problem psychologisch zu umreißen, Radbruch zu seinen Überlegungen über den kriminalpsychologischen Typus des Überzeugungsverbrechers angeregt hat. Der Begriff des politischen Verbrechens ist bei Ferri u m den des politisch-sozialen erweitert worden, u m „auch die aus ökonomisch-sozialen Absichten und Motiven, die jedoch stets einen, zumindest indirekten, politischen Charakter hätten" 1 4 2 , m i t zuumfassen, also Delikte, „die i n der Sorge u m eine Verbesserung der Staats- und Gesellschaftsordnung zum Wohle der ganzen Gesellschaft oder einer Gesellschaftsklasse" begangen werden 1 4 3 . Diese Erweiterung, die Radbruch zwar als nicht ausreichend bezeichnet hat, war für i h n aber ebenfalls ein Ansporn weiterzudenken: „Der 188

Radbruch: Referat S. 364. A r t . 40 E Ferri. 138 A r t . 13 E Ferri (italienische Fassung S. 151). 139 E Ferri: Begründung S. 213 f. 140 e Ferri: Begründung S, 214. 137

141

Radbruch: Referat S. 356. 142 e F e r r i : Begründung S. 187 A n m . 1. 143 e Ferri: Begründung S. 187.

5 Gödan

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Die Reformdiskussion

Gedanke der politisch-sozialen Verbrechen ist nur der historische Durchbruchspunkt — u m m i t Ihering zu reden —, durch den ein allgemeiner Rechtsgedanke i n die Wirklichkeit eindringt." Es komme jedoch nicht auf das politisch-soziale Betätigungsfeld an, sondern auf die Überzeugung, aus der heraus gehandelt werde 1 4 4 . g) Der E 1925 im Vergleich zum E Radbruch Z u dem Zeitpunkt, i n dem Radbruch vor dem Deutschen Juristentag seine Thesen erläuterte und verteidigte, lag bereits der E 1925 vor, der von dem Strafensystem des E Radbruch wieder abgerückt war. Es fragt sich daher, ob die Argumentation Radbruchs i m Hinblick auf § 71 E 1925, wie sie vorstehend von ihren Prämissen her entwickelt worden ist, überhaupt m i t dem neuen Kontext des E 1925 vereinbart werden kann, wie Radbruch selbst annahm, oder ob sie lediglich i m Zusammenhang des E Radbruch 1922 konsequent durchführbar ist. Die Änderungen, die E 1925 vornahm, stehen i m Zusammenhang m i t dem weiteren Schicksal des E Radbruch. I m Oktober 1922 hatte Radbruch seinen Entwurf dem Kabinett vorgelegt, das jedoch i m November gestürzt wurde. Radbruch übernahm daraufhin wieder sein Lehramt als ordentlicher Professor des Strafrechts, Strafprozeßrechts und der Rechtsphilosophie i n K i e l 1 4 5 . Erst zwei Jahre später beriet die Reichsregierung den Entwurf Radbruchs und nahm an i h m schwerwiegende Änderungen vor, und zwar gerade, wie Eb. Schmidt hervorhebt, hinsichtlich der „besonders markanten Punkte des Entwurfs" 1 4 6 . Der neu entstandene Entwurf wurde als erster „amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs" 1925 dem Reichsrat zugeleitet 1 4 7 . Todesstrafe und Zuchthaus wurden wieder vorgesehen. Die Verurteilung zu Zuchthaus sollte Nebenfolgen nach sich ziehen, die der Entwurf allerdings nicht als Ehrenwirkungen gewertet wissen wollte, sondern als bloße „Sicherungsmaßnahmen" (§§ 54 ff. E 1925). Dies veranlaßte 144 Radbruch: Referat S. 364. — Der italienische Gesetzgeber hat i m Codice penale italiano v. 19.10.1930 i n A r t . 62 n u r das Handeln aus Gründen von besonderem moralischen Wert („per m o t i v i d i particolare valore morale ο sociale") als strafmildernden Umstand anerkannt. — Ähnliche Regelungen finden sich i n A r t . 37 Buchstabe G des Cubanischen Gesetzbuches der Sozialen Verteidigung v. 4.4.1936; A r t . 48 I V a des Brasilianischen Strafgesetzbuches v. 7.12.1940; A r t . 9 Ziffer 7 des Spanischen StGB v. 23.12.1944. — Rechtsvergleichend zur custodia honesta s. Lang-Hinrichsen: Strafensystem S. 70 ff. 145 Radbruch: Weg S. 115 f., Zeittafel i n Radbruch: Briefe S. 319. 146 Eb. Schmidt: Einführung S. 406. Vgl. Liszt / Schmidt: S. 92. 147 Daher leitet sich auch die häufig gebrauchte Bezeichnung „Reichsratsvorlage" für den E 1925 ab.

Höhepunkte der Diskussion de lege ferenda

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Dohna zu dem Ausruf: „Wenn man's so hört, will's leidlich scheinen, steht aber dennoch schief darum . . . " , denn es handele sich hier nur u m einen anderen Namen für Ehrverlust 1 4 8 . Auch Eb. Schmidt stellte fest, die Ehrenstrafen seien zwar „dem Namen nach" abgeschafft, „der Sache nach" tauchten sie aber i n der Reihe der Sicherungsmittel wieder auf 1 4 9 . Wegner fragte, wie man behaupten könne, die Ehrenstrafen seien abgeschafft, wenn der Verlust der wichtigsten bürgerlichen Ehrenrechte, als automatische Straffolge sogar, vorgesehen werde 1 5 0 . § 30 E 1925 bestimmte, daß Freiheitsstrafen Zuchthaus, Gefängnis und Einschließung seien. § 71 E Radbruch wurde dementsprechend dahingehend abgeändert, daß nunmehr „an Stelle von Zuchthaus und Gefängnis" Einschließung von gleicher Dauer angedroht wurde. I m übrigen wurde der § 71 E Radbruch wörtlich übernommen. Aber die Begründung war eine andere geworden. I m Gegensatz zu Radbruchs Grundintention spricht die amtliche Begründung davon, § 71 E 1925 sei „an die Stelle der bisherigen Festungshaft" getreten 1 5 1 und sehe vor, daß „bei einer jeden strafbaren Handlung custodia honesta als Freiheitsstrafe" 1 5 2 eintrete. Weiter ist die Rede von „idealen Beweggründen" und „achtenswerten Motiven", ganz i m Gegensatz zu der Absicht Radbruchs, ein richterliches Werturteil zu vermeiden. Leitsatz 3 seiner These zu seinem Referat von 1926 besagte: „Es empfiehlt sich nicht, die strafgesetzliche Sonderbehandlung des Überzeugungsverbrechers i n die Form der Berücksichtigung der nicht ehrlosen Gesinnung, des achtungswerten Beweggrundes oder sonst irgendwie nur durch ein Werturteil bezeichneter Motive zu kleiden 1 5 3 ." Zwar wendet sich auch die Entwurfsbegründung gegen das Merkmal der „ehrlosen Gesinnung" und w i l l die Anwendung der Einschließung „von einem objektiv feststellbaren psychologischen Befunde" 1 5 4 wie ehedem der E Radbruch abhängig machen, jedoch ist der Schritt von den „achtenswerten Motiven" i n der Begründung des § 71 E 1925 zu der Formulierung „achtenswerten Beweggründen" i m Wortlaut des § 72 E 1927 hier bereits angedeutet. Wie stellte sich nun Radbruch zu diesem Entwurf, dessen gewandelte Grundkonzeption i h m nicht verborgen bleiben konnte? Radbruch sah und suchte verständlicherweise das Verbindende. Noch betrachtete er es als Grundgedanken des E 1925, „daß auch die Zuchthausstrafe, wenigstens von Rechts wegen, nicht entehrend wirken soll". Nur lasse der 148 149 150 151 152 153 154

*

Dohna: Konnex S. 352 f., Z i t a t auf S. 352. Liszt / Schmidt: S. 92. Wegner: Justiz 2 (1926/27) S. 573. E 1925: Begründung S. 50. E 1925: Begründung S. 51. Radbruch: Leitsätze S. 352. E 1925: Begründung S. 51.

68

Die Reformdiskussion

E 1925 die Konsequenz seiner, der Radbruchschen, Vorlage vermissen. „Gewisse Rechtsverluste", so meinte Radbruch, die die Zuchthausstrafe nach sich ziehe, würden vom Entwurf nicht als Ehrenwirkungen aufgefaßt, und insoweit bleibe es bei seiner ursprünglichen Meinung, daß es einer nicht entehrenden Strafe nicht bedürfe, da es entehrende Strafe i m Prinzip nicht mehr geben solle 1 5 5 . Hier war Radbruch jedoch zu optimistisch. I n Wirklichkeit erhält sein Referat vor dem 34. DJT 1926 durch die Diskrepanz zwischen der Idee des Überzeugungsverbrechers und dem System des Entwurfs 1925, i n das sie schon nicht mehr hineinpaßte, einen tragischen Akzent. Die Lehre vom Überzeugungsverbrecher, deren Durchfechtung Radbruch allein oblag, war zu fremdartig, als daß sie ohne Komplikation hätte transplantiert werden können. Aus der Distanz betrachtet, ergibt sich, daß die Konzeption des E 1925 i n Wahrheit zu dem alten System der entehrenden Zuchthausstrafe zurückgekehrt war, dem sie die custodia honesta, wie die Begründung ausweist, gegenüberstellte. Damit war der Grundgedanke des Radbruchschen Systems — die vom Ehrengesichtspunkt unabhängige Andersartigkeit der Strafe für Überzeugungstäter — verlassen, und die Regelung des E 1925 war, wenn auch noch nicht ausdrücklich, zur Auffassung zurückgekehrt, wie sie der alte § 20 StGB widerspiegelte. I n Wirklichkeit handelte es sich bei dem § 71 E 1925 bereits u m eine Reminiszenz, die die Bearbeiter des E 1925 fasziniert haben mag, aber zum Fremdkörper i n ihrem System wurde. Von Entwurf zu Entwurf verliert der Gedanke Radbruchs an Leuchtkraft, bis er i m Dritten Reich ganz verschwindet, u m dann i n den Beratungen des Sonderausschusses „Strafrecht" des Deutschen Bundestages i n den sechziger Jahren kometenhaft wieder aufzutauchen und erneut zu verblassen. h) Abschließende Thesen 1 - 3 These 1 Die Sonderstrafe für Überzeugungsverbrecher ist nach Radbruch — entgegen allgemeiner Darstellung seiner Lehren i n der Literatur — keine privilegierende Strafe oder custodia honesta, sondern eine andersartige Strafe m i t ausschließlichem Sicherungscharakter. a) Der E Radbruch Ehrenfolgen.

kannte keine Ehrenstrafen oder automatischen

b) Radbruch setzte sich scharf gegen § 20 StGB a. F. ab, da diese Vorschrift von dem Vorhandensein entehrender Strafen und dem Wertbegriff „ehrenhafte Gesinnung" ausging. Radbruch beachtete dabei 155

Radbruch: Referat S. 363.

Höhepunkte der Diskussion de lege ferenda

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jedoch den historischen Hintergrund des § 20 StGB a. F. sowie den engen praktischen Zusammenhang zwischen einer ehrenmindernden Strafe und einer Sonderstrafe für Überzeugungstäter nicht genügend. Aus heutiger Sicht ist zu berücksichtigen, daß § 31 StGB ( = § 45 StGB n. F.) m i t seinen ipso iure eintretenden Ehrenstrafen einer Lehre vom Überzeugungstäter Vorschub leisten muß. c) Radbruchs Berufung auf die détention des französischen Rechts schlägt fehl, da diese Strafe stets infamierend war. These 2 Radbruchs typologische Unterscheidungen zwischen allgemeinen Tätern und Überzeugungstätern haben sich — von der K r i t i k unbemerkt — i m Laufe seiner Überlegungen gewandelt. Die neue Gegenüberstellung bleibt jedoch zwiespältig, da ihr ein klares Unterscheidungsmerkmal abgeht. a) Die Unterscheidungskriterien Selbstwiderspruch beim Gemeinverbrecher und Mangel an Selbstwiderspruch beim Überzeugungstäter wurden 1926 aufgegeben. Während der Gemeinverbrecher weiterhin durch den Selbstwiderspruch charakterisiert wurde, kennzeichnete Radbruch den Überzeugungstäter nunmehr dadurch, daß dieser bewußt gegen eine Rechtsnorm unter Berufung auf eine höhere Norm verstoße. b) Die Sonderstrafe für Überzeugungstäter ist nach Radbruch ethisch dadurch gerechtfertigt, daß der Staat kein Recht hat, die unwiderlegbare Ansicht von einem höheren Recht zu verurteilen. These 3 Der Begriff der „Überzeugung" bleibt bei Radbruch widersprüchlich. „Überzeugung" w i r d nur innerhalb des kriminalpsychologischen T y pus des Uberzeugungsverbrechers erörtert. M i t diesem empirischen Typus w i l l Radbruch die Feststellbarkeit der Überzeugungstätereigenschaft i m Strafprozeß erleichtern. Statt eines Werturteils über den Inhalt der Überzeugung soll der Richter ein psychologisches Feststellungsurteil über das Vorliegen einer Überzeugung abgeben. 2. Die Abkehr von Radbruchs Lehre vom Uberzeugungstäter und deren Niederschlag in § 72 E 1927/E 1930 Die Lehre Radbruchs vom Überzeugungsverbrecher und der auf ihr basierende § 71 E 1925 haben einen weiten Widerhall i n den zeitgenössischen rechtspolitischen Überlegungen gefunden, wobei eine bei wissenschaftlichen Problemen seltene, fast einhellige Ablehnung i m

70

Die Reformdiskussion

Grundsätzlichen vorherrschte 1 , wenn auch die Begründungen selbst i m einzelnen differierten. Da Radbruch wegen der Diskrepanz zwischen seinem eigenen und dem Entwurf von 1925 nicht immer widerspruchsfrei argumentiert hatte, wurde seine Lehre immanenter K r i t i k zugänglich. Sein „ K o m promiß", vom Grundsatz der Andersbehandlung des Überzeugungstäters Ausnahmen i m Hinblick auf die Begehung bestimmter Delikte zuzulassen, beschwor ein Problem herauf, dessen Schwierigkeit den Vorwand dafür liefern konnte, von der Rechtsfigur des Überzeugungstäters überhaupt abzurücken. Ein besonderes Ärgernis bot weiter der Radbruchsche Gedanke, die Sonderbehandlung des Überzeugungsverbrechers an die psychologische Feststellung des Vorliegens einer Überzeugung anstatt an eine richterliche Bewertung der Tat zu knüpfen. Dieses Prinzip der vom Gesetz anerkannten „Wertfreiheit" der Überzeugung wurde alsbald i n § 72 E 1927 ersetzt durch zwei vom Gesetz vorgeschriebene und vom Richter zu vollziehende sittliche Werturteile. Für Radbruch war der E 1927 eine „namenlose Enttäuschung" 2 . Zwar habe § 72 E 1927 nicht die Einschließung beseitigt, aber „ihre objektiv feststellbare Voraussetzung: das Ueberzeugungsverbrechen, durch die dem subjektiven Werturteil des Richters anheimgegebene Voraussetzung ,achtenswerter Beweggründe 1 " ersetzt 3 . Neben dieser „Motivbewertungsklausel" unterscheidet sich § 72 E 1927 von § 71 E 1925 durch zwei weitere Klauseln: Eine „Begrenzungsklausel" forderte die Ausschließlichkeit der beachtenswerten Beweggründe, und eine „Verwerflichkeits- oder Mittel-Folgen-Klausel" machte es dem Richter zur Pflicht, selbst beim Vorliegen ausschließlich achtenswerter Beweggründe die Verwerflichkeit der A r t und Weise der Tatausführung und/oder der vom Täter verschuldeten Folgen zu berücksichtigen. Die u m § 71 E 1925 und u m § 72 E 1927 entbrannte Diskussion ist auch heute noch von Interesse, da einmal die Verwerflichkeitsklausel i n § 48 a E 1962/SA 1964, m i t dem Überzeugungstäterbegriff verknüpft, 1 Der I n h a l t des § 71 E 1925 ist lediglich v o m 7. D J T i n der Tschechoslowakei, s. ο. Β . I. 6., i n allen Punkten gebilligt worden. Wegner äußerte sich zwar zunächst grundsätzlich positiv zu Radbruchs Idee, Diskussionsbeitrag S. 408 ff., Justiz 2 (1926/27) S. 570 ff., lehnte aber später sogar den Rechtsgedanken des § 20 StGB a. F. ab, w e i l diesem ein politischer Relativismus zugrunde gelegen habe, ein „Nichtmehrglauben an die gottgewollte Ordnung des Staates", Strafrecht S. 214. Die Mediziner Gaupp: S. 400 u n d Aschaffenburg: Diskussionsbeitrag S. 396 f. gingen i n wesentlichen Punkten m i t Radbruch einig, verlangten aber keine Sonderstrafe, sondern Sicherungsverw a h r u n g wegen der besonderen Gefährlichkeit der Überzeugungsverbrecher. 2 Radbruch: Justiz 2 (1926/27) S. 537 A n m . 1. 8 Radbruch: Justiz 2 (1926/27) S. 540 A n m . 5.

Höhepunkte der Diskussion de lege ferenda

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wiederkehrte und zum anderen Gesichtspunkte von grundsätzlicher Wichtigkeit erörtert wurden wie die Frage, ob eine generalisierende Strafartersetzungsregel i m Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs, sei es für Überzeugungsverbrecher oder für aus achtenswerten Beweggründen Handelnde, überhaupt angebracht sei oder ob dieser Sonderfall nicht individualisierend bei der Strafzumessung oder i m Strafvollzug angemessener berücksichtigt werden könne. Gerade mit dem Hinweis darauf, daß die individualisierenden Lösungen dem Problem des Überzeugungstäters am ehesten gerecht würden, war schließlich § 48 a E 1962/SA 1964 abgelehnt worden 4 . Sowohl diese grundsätzliche Vorfrage als auch die Ausgestaltung des § 72 E 1927 i m einzelnen sind daher die Untersuchung wert, ob sie das Problem des Überzeugungstäters einer Lösung vergleichsweise nähergebracht haben als § 71 E Radbruch/ E 1925. a) Die individualisierenden Lösungsmöglichkeiten aa) Strafvollzugsregelung

statt Sonder straf art?

Der Abg. Landsberg führte bei den Ausschußberatungen über § 72 E 1927 aus 5 , daß die SPD-Fraktion sich unter zwei Bedingungen m i t einer reinen Strafvollzugsregelung für Überzeugungsverbrecher einverstanden erklären könne. Wenn (1) eine Einheitsfreiheitsstrafe eingeführt und (2) auf Ehrenstrafen wirklich verzichtet worden wäre, hätte sie auf die Strafart der Einschließung verzichten können. Diese Bemerkungen sind heute sehr bedeutungsvoll, weil das 1. Strafrechtsänderungsgesetz von 1969 zwar die Einheitsfreiheitsstrafe eingeführt, eine Sonderstrafart oder -regelung für Überzeugungsverbrecher aber nicht vorgesehen hat, Ehrenstrafen aber trotzdem i n § 31 StGB ( = § 45 StGB n. F.) hat bestehen lassen. Landsberg betonte, die Schaffung einer Einheitsfreiheitsstrafe wäre für die sozialdemokratische Fraktion so wertvoll gewesen, daß sie von ihrer Forderung nach einer Sonderstrafe für Überzeugungsverbrecher abgesehen hätte. Solange aber die Verurteilung zu Zuchthaus ipso iure den Verlust der Amtsfähigkeit nach sich ziehe und zum Verlust des Wahl- und Stimmrechts führen könne 6 , brauche man eine nicht entehrende Freiheitsstrafart. 4

Vgl. oben Β . I. 12. Prot. d. 41 Sitzung v. 15.12.1927 des 32. Ausschusses des Reichstages i n der I I I . Wahlperiode S. 6. 6 §§ 44 ff. E 1927, vgl. E 1927: Begründung S. 39 f. 5

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Die Reformdiskussion

Ein Jahr später beschränkte sich Landsberg sogar nur noch auf die Forderung, die die Ehrenfolgen betreffenden Vorschriften der §§ 46 - 49 des Entwurfs zu streichen, u m eine Strafvollzugsregelung für Überzeugungsverbrecher zu ermöglichen. Er wies zugleich darauf hin, daß auch ein Strafvollzugsgesetz die i m Strafgesetzbuch normierten gesetzlichen Folgen einer Zuchthaus-, unter Umständen sogar einer Gefängnisstrafe, nicht aus der Welt schaffen könne 7 . Die SPD-Abgeordneten schlugen daher vor, den Ausdruck aus „achtenswerten Beweggründen" zu ersetzen durch aus „ehrenhaften Beweggründen", um den Zusammenhang der Vorschrift m i t den Ehrenfolgen deutlich zu machen 8 . Auch der Vertreter der Regierung setzte sich m i t der Frage auseinander 9 , ob eine reine Strafvollzugsregelung das anstehende Problem nicht angemessen lösen könne. Er erläuterte die Auffassung des Reichsjustizministeriums, die dahin ging, daß eine so folgenschwere Entscheidung nur anhand bestimmter gesetzlicher Richtlinien von einem unabhängigen Richter getroffen werden dürfe, nicht aber dürfe man sie einer „politischen Verwaltungsbehörde" übertragen. Hinzu komme, daß auch bei einer Strafvollzugsregelung der aus achtenswerten Beweggründen Handelnde zur selben Strafart zu verurteilen sei wie die gemeinen Verbrecher, aus deren Reihe man ihn dann i m Strafvollzug wieder ausscheiden müsse. Dabei könne es durchaus zu ungerechten Verschlechterungen für i h n kommen. Außer dem grundsätzlichen Bedenken, die Entscheidung über den Vollzug an Tätern, die aus achtenswerten Beweggründen handelten, der Verwaltung zu überlassen, sprachen die schlechten praktischen Erfahrungen m i t § 52 „Reichsratsgrundsätze" 10 gegen eine Strafvollzugsregelung. Während einerseits Liepmann i n bezug auf § 52 „Reichsratsgrundsätze" davon sprach, der überanstrengte Großstädter werde angesichts dieses Strafvollzuges das Gefühl nicht los, „so etwas möchtest du wohl auch einmal — erleiden" 1 1 , und Höpler das Wort vom „Hotel oder Sanatorium" 1 2 gebrauchte — ungeachtet dessen, daß § 52 „Reichsratsgrundsätze" schließlich Freiheitsentzug vorsah —, wurde inkonsèquen7 Prot. d. 18. Sitzung v. 7.11.1928 des 21. Ausschusses des Reichstages i n der I V . Wahlperiode S. 9. 8 S. ο. Β . I. 5. b). 9 Prot. d. 18. Sitzung v. 7.11.1928 des 21. Ausschusses des Reichstages i n der I V . Wahlperiode S. 5. Das Reichs Justizministerium vertrat Ministerialdirektor Dr. Bumke, der 1929 Präsident des Reichsgerichts wurde. 10 S. ο. Β . I. 2. 11 Liepmann: Referat S. 47. 12 Höpler: S. 97. Ebenso Budzinski S. 46.

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terweise von denselben Autoren wiederum betont, der sinn- und zwecklose Vollzug verbittere den Täter aus Überzeugung, erzeuge ein Gefühl unnützer Quälerei und vermehre seinen Haß gegen den Staat 1 3 . Besondere Schwierigkeiten wurden darin gesehen, daß die Strafe an Überzeugungstätern weder in gewöhnlichen Strafanstalten noch in Sonder Strafanstalten vollzogen werden könne: (1) Schon wegen der bevorzugten Behandlung der Überzeugungsverbrecher und notwendiger Sondereinrichtungen wie eigene Wäsche, Schränke, Arbeits- bzw. Schreibtische, Bücherständer, erweiterter K ü chenbetrieb etc. komme ein Strafvollzug i n normalen Strafanstalten nicht i n Frage 14 . Josephi wies darauf hin, daß bei den bevorzugten Überzeugungstätern Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit, bei den anderen aber Neid und Erbitterung die Folge seien 15 . Türcke fügte hinzu, die Überzeugungstäter seien außerdem bestrebt, Anhänger für ihre Ansichten zu gewinnen und seien der „Herd ständiger Unruhen" 1 6 . Bumke berichtete, die Vorschrift des § 52 „Reichsratsgrundsätze" habe „schwere Mißstände i m Gefolge gehabt". Gerade der Umstand, daß i n einer Strafanstalt eine große Menge von Personen untergebracht seien, die sich erst mühselig und allmählich Vergünstigungen erdienen müßten, während die gleichen Vergünstigungen Überzeugungstätern i n derselben Strafanstalt sofort zuteil würden, errege „ein gewaltiges Maß von Verbitterung und führe zu gegenseitigen Reibereien". Dieses Ergebnis habe die Reichs Justizverwaltung nur i n der Auffassung bestärkt, daß man, wenn man Personen verschieden behandeln wolle, sie auch i n verschiedenen Strafanstalten unterbringen und i m Strafvollzug von vornherein voneinander sondern müsse 17 . (2) Aber auch der Zusammenlegung der Eingeschlossenen i n gesonderten Vollzugsanstalten 18 wurden Bedenken entgegengebracht: Höp18 Höpler: S. 95 unter Bezugnahme auf Liepmann i n Frankfurter Zeitung 69. Jg. S. 192. 14 Vgl. Höpler: S. 96; Liepmann: Referat S. 48. Vgl. zu den praktischen Schwierigkeiten anhand eines Falles Frei: S. 512 ff. - Z u den Einzelheiten der Vorschriften i n Dienst- u n d Vollzugsordnungen über die Behandlung des Überzeugungsverbrechers vgl. Bülow: S. 73 ff., 102 f. Vgl. auch Bud zinski: S. 35 ff. 16 Josephi: Sp. 511. Ebenso Budzinski S. 45 f. Bülow: S. 67 befürchtete, daß ein Gefangener i n der i h m zuteil werdenden bevorzugten Behandlung eine Schwäche des Staates sehen werde; oder aber er werde sich als M ä r t y r e r fühlen, der v o m Staate nach dessen eigenem Eingeständnis ungerecht behandelt werde; vgl. Schultz: Sp. 404. 16 Türcke: S. 78. 17 Bumke (RJM) i n Prot. d. 18. Sitzung v. 7.11.1928 des 21. Ausschusses des Reichstages i n der I V . Wahlperiode S. 5. 18 Preuss: Strafvollzug S. 151 hielt trotz der hohen Kosten besondere Einschließungsanstalten f ü r unumgänglich. — Bülow: S. 104 sprach sich unter

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1er meinte, solche Anstalten müßten zu „förmlichen Brutstätten und geistigen Führerzentren staatsfeindlicher Propaganda" werden 1 9 . Liepmann berichtete, daß „der Führer des Hamburger Kommunistenputsches, der 10 Jahre Festung bekommen" hatte, i h m auf die Frage, wie er sich i n der Anstalt beschäftigen wolle, „ m i t strahlenden Augen" geantwortet habe: „Ich werde hier eine bolschewistische Hochschule einrichten 20 ." Kohlrausch forderte, den Strafvollzug so zu regeln, daß der Verkehr der Gefangenen untereinander und m i t der Außenwelt nicht zu einer agitatorischen politischen Betätigung genutzt werden könne 2 1 . Von der Strafvollzugspraxis wurde auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, die bei der Einrichtung von Sondervollzugsanstalten dadurch entstehen müßten, daß politische Straftäter unterschiedlicher und sich bekämpfender Richtungen zusammenleben müßten 2 2 . Aber auch der Ankündigung des E 1925, daß i m Vergleich zu der früheren Festungshaft die Einschließung „ m i t Rücksicht auf ihr verändertes und erweitertes Anwendungsgebiet wesentlich ernster zu gestalten" sein werde, wurde kein Vertrauen entgegengebracht 23 . Josephi fragte, wie denn die Unterscheidung zu der gewöhnlichen Gefängnisstrafe ausgestaltet werden solle, wenn nicht durch Ausschaltung des Arbeitszwanges. Die Verurteilten werde aber die „reiche Muße", die Sorglosigkeit und der Umgang mit Gleichgesinnten dazu verführen, sich immer mehr m i t ihren der Rechtsordnung feindlichen Gedankengängen zu beschäftigen und „als Ehrenhäftlinge auf Kosten der Steuerzahler ein bequemes Leben" zu führen 2 4 . Für die Praxis des Strafvollzugs wurde als „wichtigste Frage" angesehen, ob eine besondere Strafart geschaffen werden solle, wie die Entwürfe sie in der Einschließung vorsahen, oder ob die i n Frage kommenden Gefangenen weiterhin innerhalb der sonstigen Strafarten (Zuchtder Herrschaft des § 52 Reichsratsgrundsätze für Sonderanstalten oder einstweilige Unterbringung i m Untersuchungsgefängnis aus, da dessen Hausordnung den Vergünstigungen für Uberzeugungsverbrecher am ehesten entspräche. Dadurch werde eine Neutralisation der Überzeugungsgefangenen bewirkt. 19 Höpler: S. 97. 20 Liepmann: Strafen S. 137; Ν agier: S. 62 dramatisierte diese Passage: „daß . . . , wie Liepmann berichtet, die wegen Hochverrats i n Hamburg internierten Kommunisten i n der Strafhaft eine Hochschule für Kommunismus einrichteten" (Hervorhebung nicht bei Ν agier). 21 Kohlrausch: Leitsatz I I I 6. 22 Bülow: S. 96 zitiert die briefliche M i t t e i l u n g des Direktors der Strafanstalten Bruchsal; Türcke: S. 77. 23 E 1925: Begründung S. 51. 24 Josephi: Sp. 513; auch Dohna: Konnex S. 358 sah den Unterschied z w i schen Einschließung u n d Gefängnis i m Wegfall des Arbeitszwanges.

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haus und Gefängnis) besonders behandelt werden sollten, wie es nach § 52 „Reichsratsgrundsätze" geschah 25 . Der amtliche Entwurf zu einem Strafuollzugsgesetz von 1927 regelte i m 10. Titel die vom E 1925 und E 1927 vorgesehene besondere Straf art der Einschließung minutiös 2 6 . Als Neuerungen gegenüber der alten Festungshaft sind besonders hervorzuheben: Es besteht Arbeitspflicht bis zu 8 Stunden täglich; die Eingeschlossenen dürfen sich jedoch selbst beschäftigen. Weiter w i r d ihnen das Recht zu Stadtbesuchen nicht mehr zugestanden. Der Gefangene darf außerdem wählen, ob er i n einem Einzelraum oder i n einem Gemeinschaftsraum untergebracht werden w i l l . Als Vergünstigungen gegenüber den Gefängnis- und Zuchthausgefangenen sind vor allem zu nennen: eigene Kleidung, Möglichkeit der Selbstbeköstigung, Benutzung eigener Bücher und Periodica, unbeschränkter Briefwechsel, Besuche von Nichtangehörigen. Damit w i r d die Intention des Strafvollzuges an Einschließungsgefangenen deutlich: A u f Besserung und Erziehung w i r d verzichtet, der Sicherungszweck steht i m Vordergrund. Die Arbeitspflicht ist nicht etwa systemwidrig 2 7 , sondern soll lediglich der körperlichen und geistigen Gesunderhaltung dienen 28 , wie sich aus der Möglichkeit der Selbstbeschäftigung ergibt. Gentz bezeichnete diese Regelung des Strafvollzugsgesetzentwurfes als „Danaergeschenk" für den Vollzug 2 9 , während Bülow auf die weitergehende Einschränkbarkeit der Sonderrechte i n Disziplinarfällen verwies 3 0 . Bülow befürchtete aber, daß der Strafvollzug zu sehr auf politische Täter zugeschnitten sei und erhöhte Sicherheitsmaßnahmen zwar bei diesen angebracht seien, aber die, wie er errechnet hatte, 52 °/o nicht-politischen i n Frage kommenden Täter einem für sie ungeeigneten Strafvollzug unterworfen würden 3 1 . Da sich auch die Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes verzögerte, beschlossen die Landesregierungen 1932 „Grundsätze für den Vollzug der Festungshaft" 32 , die folgende Haupteinschränkungen brachten: Schließung der Hafträume während der Arbeitszeit, Beseitigung des unbeaufsichtigten Stadtbesuches, Anstaltskost, Besuchsbeschränkungen, Überwachung des Briefverkehrs. 25

Preuss: Strafvollzug S. 150. §§ 171 -188 E Strafvollzugsgesetz 1927 (Reichsratsvorlage) ; §§ 180- 197 E Strafvollzugsgesetz 1927 (Reichstagsvorläge). Vgl. zu den Einzelheiten: Bülow: S. 127 ff.; Budzinski: S. 37 f. 27 So Budzinski: S. 38. 28 So Bülow: S. 129. 29 Gentz: S. 63. 30 Bülow: S. 130. 31 Bülow: S. 130 f., 132. 32 RGBl. 1 1932 S. 407 - 409. Vgl. zu den Einzelheiten Bülow: S. 132 ff. 26

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Damit war jedoch der § 52 „Reichsratsgrundsätze" nicht aufgehoben, da dieser nicht nur auf die Festungshaft, sondern auf alle Strafarten anzuwenden w a r 3 3 . bb) Strafzumessungsregelung

statt Sonder straf art?

Von Strafvollzugsseite wurde sowohl die Sonderstrafe der Einschließung als auch die Regelung des § 52 „Reichsratsgrundsätze" abgelehnt und statt dessen eine Strafzumessungsregelung befürwortet. Den Beweggründen des Täters könne man, so wurde argumentiert, wirklich individuell allein durch das Strafmaß gerecht werden und statt eines Sonderstrafvollzugs für besondere Gefangene solle jeder Gefangene einer „ I n d i v i d u a l h a n d l u n g unterworfen werden, wie sie heute bereits der Grundgedanke des idealen Strafvollzuges" sei 34 . Andererseits ist es m i t einer bloßen Verschiebung des Problems aus dem Bereich des Strafvollzuges i n den der Strafzumessung nicht getan, da schon bald erkannt wurde, daß die Überzeugungstätereigenschaft ambivalent ist, daß sie strafmildernder und/oder straf erschwerender Umstand sein kann 3 5 . Für Oetker drängten sich gegensätzliche Erwägungen auf: eine, die zur Milde neige, eine andere, die scharfe Bestrafung verlange. I m Hinblick auf die Strafmilderung ging Oetker davon aus, daß es zwei Arten von Irrtümern gebe, die zugunsten des Täters sprächen: Der Täter könne sich i m ethischen I r r t u m befinden, wenn er die von i h m für seine Tat beanspruchte Ausnahme fälschlicherweise „ i n das Gebiet der objektiven Ethik" verlege, — oder aber er könne eine Ausnahme i n bewußter „Verletzung der objektiven E t h i k " für sich fordern 3 6 . Der erste I r r t u m wiege minder schwer als der erkannte Widerspruch zu Recht und Ethik. Es könne sich hier sogar u m einen entschuldbaren I r r t u m 3 7 handeln. I m zweiten Irrtumsfalle ließe sich dann von einer Schuldminderung sprechen, wenn der Täter trotz seiner bewußten Verletzung der Ethik aufgrund autonomer Höherwertung bemüht war, sittlich zu handeln. Oetker wies darauf hin, daß hinsichtlich der Schuldschwere nicht nur rein-rechtliche, sondern auch sittliche Wertungen eine Rolle spielen dürften: „Minderung oder gar Wegfall der sittlichen Verschuldung ist vielmehr zugleich Minderung der rechtlichen . . ." 3 8 . 33

Vgl. oben Β . I. 2. Josephi: Sp. 513; Strafanstaltsdirektor Schmidt: S. 280; Bülow: S. 104 (Zitat); Jarotzky: S. 492. 35 A u f Strafzumessungsprobleme sind insbesondere eingegangen: Oetker: S. 4 8 6 f . ; N a g l e r : S . 69 f. 36 Oetker: S. 476. 37 Oetker: S. 486. 38 Oetker: S. 487. 34

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Als schuldverstärkend könne die „besondere Gefährlichkeit des Täters für die Rechtsordnung" 30 i n Betracht kommen, die ja auch Radbruch ausdrücklich hervorgehoben hatte 4 0 . Der Wert des angegriffenen Gutes, die Größe des angerichteten Schadens und der Verdacht auf Rückfälligkeit könnten ein mögliches Defizit an ethischer Schuld wieder aufwiegen. Nagler trennte ethische und rechtliche Schuld bei der Strafzumessung scharf und meinte, wenn das Gericht der „erst nach schweren Kämpfen gelösten Pflichtenkollision" gerecht zu werden versuche, so handele es sich dabei „ u m rechtliche Bewertungen und um rechtliche Bemessungen" 41 . Nicht jedes sittliche Motiv könne das Strafmaß senken, vielmehr nähmen auch A r t und M i t t e l des Angriffs sowie der herbeigeführte Erfolg auf die Höhe des Strafmaßes entscheidenden Einfluß. Nur wenn subjektive Momente wie Motiv und Gesinnung durch Gefährlichkeitsmomente ^nicht kompensiert würden, könnte man davon ausgehen, daß der sittliche Wert einer Handlung und ein achtenswerter Beweggrund eine geringere Schuld begründeten 42 . Da die Ausschußberatungen zum Entwurf 1927/1930 auf die Alternative Strafzumessungsregelung oder Sonderstrafart bzw. Sonderstrafvollzug nicht gesondert eingegangen sind, kann nur i m nachhinein geschlossen werden, welche Gründe für die generelle Ersetzungsregel des § 72 E 1927/1930 maßgeblich waren. Räuber stellte zu Recht fest, daß die Vorschrift des E 1927 über allgemeine Strafbemessungsgründe, § 69, die speziellen Täter- und Tatmomente des § 72 E 1927 mitumfasse 43 . Daß trotzdem derselbe Sachverhalt einmal bei der Strafgröße, andermal bei der Strafart beachtet werde, erklärte er damit, daß die Strafbemessungsregeln der §§ 6 9 - 7 1 nur grundsätzliche Hinweise auf allgemein maßgebende Umstände geben wollten, während §§ 72 - 78 die gerechte Behandlung „der durch außerordentliche Umstände und Gründe besonders gearteten, typisch abweichenden Fälle" 4 4 sicherstellen sollten. Als Rechtfertigung der Schaffung des § 72 erwies sich nach Meinung Räubers „der tief reichende Unterschied von dem ungeheuren Gros aller Straftaten, welche das StrGB. m i t seinen Bemessungsgründen gerecht treffen" wolle. Da hier der Vorsatz ohne Verwerflichkeit des angestrebten Zieles entstehe 3Î

> Oetker: S. 487 f. Radbruch: Referat S. 359. 41 Nagler: S. 69. 42 Nagler: S. 70. 43 Räuber: S. 456. 44 Räuber: S. 457. 40

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und der Gesinnung die Böswilligkeit fehle, der Handelnde sich vielmehr nur i n den M i t t e l n vergreife, sei ein grundsätzlich anderer Maßstab für die vermöge ihres „sozialethischen Ursprunges nicht der üblichen Deliktssphäre" entstammenden Fälle geboten. Man sei versucht, die „Gegenwirkung eines berechtigten Interesses oder Notstandes" heranzuziehen. Diese achtenswerten Entstehungsgründe der sozialschädlichen Tat nötigten dem Beurteiler — m i t Einschränkungen nach Ausführung und Folgen — einen „grundsätzlich anderen Maßstab" ab 4 5 . Räuber verdeutlichte diesen Maßstab nicht näher, so daß die Vermutung sich aufdrängt, daß die sozialethische Rechtfertigung der Sonderstrafart hier nicht viel anders gemeint war als bei Radbruch, jedoch anhand eines vageren Begriffs: Denn „achtenswert" können nicht nur religiöse, politische oder sittliche Pflichtüberzeugungen, sondern können auch Straftaten aus Lokalpatriotismus, sportlicher Begeisterung, gekränkter Ehre, Mitleid, Freundschaft, Liebe usw. sein, ohne daß hier schärfere als gefühlsmäßige Grenzen für den Anwendungsbereich zu ziehen wären. Das würde aber bedeuten, daß es jeweils ganz auf den Einzelfall ankäme. Für diesen sind Strafzumessungsregelungen gerade zugeschnitten. Die Disparatheit dessen, was unter „achtenswerte Beweggründe" fällt, scheint demnach gegen eine besondere Strafart zu sprechen, so daß sich § 72 E 1927/E 1930 letztlich als eine Strafzumessungsregel i m Gewände einer besonderen Strafart darstellt. b) Die generalisierenden Lösungsvorschläge I m Schrifttum überwogen die generalisierenden Alternativvorschläge zu § 71 E 1925, aus denen schließlich § 72 E 1927/E 1930 als Frucht hervorgegangen ist. (1) Als ein auf einer breiten Vertrauensbasis ruhender Vorschlag sind die Beschlüsse des 34. DJT 1926 zu nennen, die den Begriff der Überzeugung aus § 71 E 1925 beibehielten, die Vorschrift jedoch nach zwei Seiten begrenzten: Eine Überzeugung sollte nur dann rechtlich beachtet werden, wenn der Täter m i t ihr altruistische Ziele verfolgt; weiterhin sollten diejenigen Delikte, deren Begehung aufgrund einer Überzeugung rechtlich beachtet werden sollte, einzeln namhaft gemacht werden 4 6 . (2) Damit war der DJT über den Vorschlag Kohlrauschs hinausgegangen, der nur für politische Delikte eine Sonderstrafe vorgesehen hatte 4 7 . 45 46 47

Räuber: S. 462. Beschlüsse i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 419. Kohlrausch: Leitsatz I I I S. 353: „Schuldmindernde Bedeutung hat die

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(3) E i n e s t a r k e M i n d e r m e i n u n g a u f d e m 34. D J T 1926 h a t t e f ü r d i e B e i b e h a l t u n g des § 20 S t G B b z w . dessen F o r t b i l d u n g u n d A u s d e h n u n g p l ä d i e r t : Goldschmidt,

D o h n a 4 8 , Gerland

u n d Landsberg

hatten folgen-

den A n t r a g gestellt: „ § 7 1 E n t w . ist z u ersetzen d u r c h eine B e s t i m m u n g , die d e m G r u n d g e d a n k e n des § 20 S t G B , e n t s p r i c h t , v o r b e h a l t l i c h e i n e r e t w a n o t w e n d i g erscheinenden n ä h e r e n B e g r e n z u n g des B e g r i f f s d e r ehrlosen Gesinnung49." Erik Wolf u n t e r s t ü t z t e diesen A n t r a g 5 0 . A u c h Nagler F o r t b i l d u n g des § 20 S t G B 5 1 .

empfahl

die

(4) E i n e w e i t e r e M e i n u n g g i n g d a h i n , d e n B e g r i f f d e r Ü b e r z e u g u n g oder d e r ehrlosen G e s i n n u n g f a l l e n z u lassen u n d i h n d u r c h d e n B e g r i f f der a c h t e n s w e r t e n B e w e g g r ü n d e z u ersetzen s o w i e die A n w e n d u n g s b r e i t e der V o r s c h r i f t d u r c h E i n f ü g u n g e i n e r V e r w e r f l i c h k e i t s k l a u s e l z u beschränken. So f o r m u l i e r t e Kadecka: „ A u f E i n s c h l i e ß u n g i s t z u e r k e n n e n , w e n n d e r T ä t e r aus t r i f t i g e n u n d achtungswerten Beweggründen gehandelt hat u n d die A n w e n d u n g der v o n i h m g e w ä h l t e n M i t t e l n i c h t t r o t z des d a m i t angestrebt e n Zieles besonders v e r w e r f l i c h i s t 5 2 . " Uberzeugung des Täters, durch eine rechtswidrige Handlung fremdes W o h l zu fördern . . . F ü r politische Straftaten kann außerdem die custodia honesta der Einschließung' i n Erwägung gezogen werden . . K r i t i s c h dazu Morasch: S. 61 f., der w i e Radbruch: Referat S. 357 bemängelte, daß die Kohlrausch'sche Formel den Verbrecher aus einer verpflichtenden Idee nicht einbeziehe. 48 Dohna: Konnex S. 352 ff. hatte außerdem vorgeschlagen, nicht das Rechtsgut oder den Deliktstypus, sondern die Gesinnung zum A n k n ü p fungspunkt f ü r die Strafart zu wählen. Danach genügten zwei A r t e n der Freiheitsstrafen: das ehrenmindernde Zuchthaus u n d die Einschließung als neutrale Strafart. Dohna wollte damit eine Vertauschung der Vorzeichen erreichen: keine Sonderstrafe f ü r Uberzeugungsverbrecher, da diese zur F o l ge habe, alle anderen Strafgefangenen als ehrlose hinzustellen, sondern Hervorhebung der ehrlosen Täter, u m dem Gros der Strafanstaltsinsassen den Ehrenmakel zu ersparen, den das Volk, ob m a n es wolle oder nicht, doch ausspreche. 49 Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 417. 50 Wolf: Diskussionsbeitrag S. 392. 51 Nagler: S. 70. 52 Kadecka: Sp. 1280. — Oetker: S. 490 ff. schlug vor, den Begriff der Überzeugung beizubehalten, aber n u r eine „achtenswerte Überzeugung" gelten zu lassen und außerdem eine Verwerflichkeitsklausel vorzusehen i m Hinblick nicht n u r auf A r t u n d Weise der Ausführung, sondern auch wegen der v o m Täter verschuldeten Folgen. Weiterhin wollte Oetker eine derartige Vorschrift aus dem Allgemeinen Teil des Strafrechts herausnehmen u n d sie den Staatsverbrechen eingliedern; bei weiteren berücksichtigenswerten Deliktstatbeständen sollte auf diese Regelung verwiesen werden. D a m i t wollte Oetker erreichen, daß die „Privatverbrechen" beiseite blieben, da der Schutz individueller Rechtsgüter nicht relativiert werden dürfe. Anderenfalls wäre zu besorgen, daß die Betroffenen Selbsthilfe übten.

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Die Reformdiskussion

c) Die Entwicklung der Grundgedanken des § 72 E 1927/1930 Die amtliche Begründung zu § 72 E 1927 machte gegen § 71 E 1925 vor allem geltend, daß (1) diese Vorschrift ein viel zu weites Anwendungsgebiet erfahren würde, weil Beweggründe, A r t und Weise der Tatausführung und Folgen der Tat unberücksichtigt blieben und daß (2) § 71 E 1925 „zu einer Aushöhlung des Strafrechts" führen müsse 53 . Auch Bumke als Vertreter des Reichs Justizministeriums i m Reichstagsausschuß argumentierte, das „wichtigste Bedenken" gegen § 71 E 1925 sei „grundsätzlicher Natur": Durch die Einführung der Rechtsfigur des Überzeugungstäters i n das Gesetz würde zum Ausdruck gebracht werden, daß es auch nach Auffassung des Gesetzgebers Fälle gebe, i n denen sich jemand aufgrund seiner politischen, religiösen oder sittlichen Überzeugung für verpflichtet halten könne, Strafgesetze zu verletzen. Ein solcher gesetzlicher Ausspruch sei „ m i t dem Grundgedanken, daß das Straf recht allgemein verbindliche Normen enthalte", nicht vereinbar. Der i m Entwurf 1927 vorgesehene neue Gesichtspunkt der achtenswerten Beweggründe enthalte demgegenüber den „objektiven Maßstab" der Ansicht aller billig und gerecht Denkenden, anhand dessen der Richter ein Werturteil fällen müsse. Auch bei der durch § 71 E 1925 vorgeschriebenen Feststellung, ob jemand sich zu einer Tat aufgrund seiner Überzeugung verpflichtet gehalten habe, würde es sich „letzten Endes um ein Werturteil" handeln 5 4 . M i t dem Problem der Wertung i m Vergleich zwischen § 71 E 1925 und § 72 E 1927 ist ein Zentralproblem der Lehre vom Überzeugungstäter formuliert worden, dessen sich insbesondere Erik Wolf angenommen hat. aa) Das Problem der Wertung in bezug auf §71 E 1925 und §72 E 1972 Wolf wies als erstes darauf hin, schon Radbruch selbst habe sich nicht an seine Forderung, das ethische Element bei der Begriffsbestimmung auszuschalten, gehalten, denn er habe auf die fehlende sittliche Legitimation des Staates hingewiesen, einen „Andersdenkenden" wie einen gemeinen Verbrecher zu bestrafen. Damit habe er aber eine ethische und keine psychologische Bewertung des Überzeugungsverbrechers vorgenommen 55 . 53

E 1927: Begründüng S. 54. Bumke i n Prot. d. 42. Sitzung v. 16.12.1927 des 32. Ausschusses des Reichstages i n der I I I . Wahlperiode S. 2. 55 Wolf: Z S t W 46 (1925) S. 203 f. Dieser Ansicht haben sich Höpler: S. 67; Schneider: S. 10; Ritter: S. 336 A n m . 309 angeschlossen. 54

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Wolf ging weiter von der Überlegung aus 56 , daß der Richter aufgrund prozeßrechtlicher Prinzipien sich nicht m i t der Behauptung des Angeklagten, er habe sich aufgrund seiner Überzeugung zu der Straftat für verpflichtet gehalten, zufriedengeben dürfe. Bei der Prüfung dieser Behauptung des Angeklagten treffe der Richter ein Feststellungsurteil und zwei Werturteile: Das Feststellungsurteil beziehe sich darauf, ob der Angeklagte ein Gewißheitserlebnis gehabt habe 57 , und gehe so vonstatten, daß der Richter formal per analogiam aus dem Wissen um die Assoziationsformen, die m i t dem Evidenzerlebnis verbunden seien, auf das Vorliegen einer Überzeugung schließe 58 . Damit habe es aber nicht sein Bewenden, wie Radbruch habe glauben machen wollen. Vielmehr müsse der Richter, um das Vorliegen einer Überzeugung bei dem Angeklagten bejahen zu können, i n der Lage sein, sich i n dessen Gedankengang hineinzuversetzen und das Gewißheitserlebnis nachzuvollziehen. Z u dieser verstehenden Tätigkeit bedürfe es aber mehr als nur der psychologischen Kennzeichnung dessen, was verstanden werden soll. Wolf meinte, der Verstehensakt des Richters könne gar nicht anders gedacht werden, als daß der Richter auch zu dem Inhalt der Überzeugung Stellung nehmen müsse, um „die sittliche Möglichkeit" des Gewißheitserlebnisses prüfen zu können, d.h., der Richter müsse die Geeignetheit des Überzeugungsinhaltes als Tatmotiv würdigen 5 9 . Damit werde aber ein Werturteil abgegeben, das neben das Feststellungsurteil über das Vorhandensein einer Überzeugung trete. Wie schließlich ohne ein Werturteil festgestellt werden könne, welches Motiv das ausschlaggebende gewesen sei, bleibe ohnehin dunkel 6 0 . Ein zweites Werturteil sei darüber hinaus deshalb nicht zu umgehen, w e i l der Richter weiter feststellen müsse, daß der Angeklagte aus Pflicht gehandelt haben müsse. Unter Berufung auf K a n t führte Wolf aus, daß das Vorhandensein einer Pflicht nur aus dem Wissen um ein sie konstituierendes Sittengesetz erkannt werden könne, also Wertwissen sei 61 . Das Kennzeichnende des Überzeugungsverbrechers sei demnach nicht die psychologische Feststellung des Vorliegens einer Überzeugung, sondern die Berufung des i m ethischen K o n f l i k t stehenden Täters auf seine Pflicht 6 2 . δβ

Wolf : Verbrechen S. 11, ZStW 46 (1925) S. 212. Wolf: Verbrechen S. 11, 21. 58 Wolf: ZStW 46 (1925) S. 213. 89 Wolf: Verbrechen S. 11. Vgl. Wolf: ZStW 46 (1925) S. 212. el Wolf: ZStW 46 (1925) S. 203 f., Verbrechen S. 21. •2 Wolf: Verbrechen S. 21. 57

6 Gödan

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Es fällt auf, daß Wolf bei seinen Überlegungen vier theoretisch unterscheidbare Ebenen auf gleicher Stufe abhandelte: (1) Radbruch habe selbst gewertet: Hier hat Radbruch nicht als Richter, sondern als Gesetzgeber gehandelt; einem Gesetzgeber aber bleibt es unbenommen, seine Wertungen i n neutrale oder deskriptive Merkmale zu fassen. (2) Der Richter müsse „die sittliche Möglichkeit" eines Evidenzerlebnisses nachprüfen: Hier verwischte Wolf die richterliche Prüfung des Inhalts einer Pflichtüberzeugung auf ihre Beachtlichkeit vor dem Gesetz m i t der Feststellung des Vorliegens einer Überzeugung 63 . (3) Beachtenswert ist dagegen die Ansicht Wolfs, daß — abgesehen von einer inhaltlichen Würdigung einer Überzeugung anhand eines bestimmten Maßstabes — schon das reine Vorliegen einer Überzeugung nicht ohne verstehendes und auswählendes Verhalten des Richters möglich sei. (4) Damit ist aber nicht gesagt, daß der gesetzgeberische Begriff der Pflichtüberzeugung ein gleichgeartetes Werturteil des Richters erforderlich macht, wie es die Merkmale „ehrlose Gesinnung", „achtenswerte Beweggründe", „verwerflich" verlangen. Als Ergebnis dieser Untersuchung ist festzuhalten: (1) Gesetzgeberische und richterliche Wertung sind scharf zu unterscheiden. Eine gesetzgeberische Wertung kann sogar m i t einem Wertungsverbot für den Richter verknüpft sein. Als Beispiele sei auf die Begriffe „Gewissen", „Glauben" i n A r t . 4 GG, „Meinung" und „Kunst" i n A r t . 5 GG hingewiesen. Ein Gericht darf jeweils nur das Vorliegen des Anknüpfungsbegriffes prüfen, nicht aber den jeweiligen Inhalt von „Gewissen", „Glauben", „Meinung", „Kunst" einer Bewertung unterwerfen 6 4 . Dieses Bewertungsverbot ergibt sich dabei aus dem 63

A u f diesen Gesichtspunkt macht kritisch schon Oetker: S. 478 f. aufmerksam. Vgl. auch Morasch: S. 12. 64 Z u „Gewissen" vgl. BVerfGE 12 S. 56: „Die richterliche Prüfungsbefugnis geht . . . nicht so weit, daß die — einmal als solche erkannte — Gewissensentscheidung i n irgendeinem Sinn, etwa als ,irrig 4 , »falsch', gichtig 4 , bewertet werden dürfte. Die Frage, w i e es zu der Gewissensentscheidung gekommen ist, d. h. vor allem, welche geistigen Einflüsse auf das Gewissen g e w i r k t haben, ist n u r zulässig, soweit davon die Feststellung abhängt, ob w i r k l i c h eine »Gewissens'-Entscheidung vorliegt." Z u „Glauben" vgl. BVerfGE 12 S. 4: Der „weltanschaulich neutrale Staat" dürfe „den Glauben oder Unglauben seiner Bürger nicht bewerten". Z u „Meinung" vgl. B G H U r t . v. 17.11.1964 = N J W 1965 S. 295: A r t . 5 GG schütze „nicht n u r die Äußerung der richtigen, sondern auch die der falschen u n d nicht haltbaren Meinung". Z u „ K u n s t " vgl. B V e r w G E 1 S. 305: E i n Spielfilm sei ein Kunsterzeugnis „ungeachtet seines künstlerischen Wertes, der nicht zur Entscheidung

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Grundgesetz selbst. Die Freiheitsgarantie der Grundrechte darf nicht durch staatliche qualitative Kriterien relativiert werden, da sonst der Staat bestimmt, welchen Gebrauch der Bürger von seiner Freiheit zu machen hat 6 5 . Damit bietet die Freiheitsgarantie den Ansatzpunkt auch für die Methodik der Begriffsbildung, und das als frei Garantierte darf nicht schon bei der definitorischen Begriffsbestimmung des Grundrechtsgehalts verkürzt werden 6 6 . (2) Sowohl für die gesetzgeberische wie für die richterliche Wertung stellt sich die Frage, woher der Wertmaßstab genommen w i r d bzw. genommen werden soll. Inwiefern kann festgestellt werden, ob die hinter § 71 E 1925 stehende Wertung wertvoller bzw. weniger wertvoll ist als die hinter § 72 E 1927 stehende Wertung? Das Maßstabsproblem drängt drei grundlegende Fragen auf: (a) Es ist zu fragen nach dem Maßstab für die Grundentscheidung des Gesetzgebers, dem Überzeugungstäter eine Sonderstellung einzuräumen bzw. zu versagen. (Legislatorische Grundwertentscheidung.) (b) Es ist zu fragen nach dem Maßstab für die Auswahl bestimmter Kriterien, die das jeweilige Ziel zu konkretisieren i n der Lage sind. (Legislatorische Folgewertentscheidung.) (c) Es ist zu fragen nach dem Maßstab, den der Richter bei der Auslegung jener Kriterien anzulegen hat. (Richterliche Wertentscheidung.) I m folgenden geht es nunmehr u m die Prüfung der Klauseln, die § 72 E 1927 zur Lösung der i h m zugrunde liegenden Wertentscheidung bereitgestellt hat. I m Gegensatz zu § 71 E Radbruch und § 71 E 1925, i n denen die legislatorische Grundwertentscheidung derart getroffen worden war, daß der Staat die Überzeugung seiner Bürger ohne weitere Einschränkung zu respektieren habe, stand der Gesetzgeber des E 1927/1930 vor der Aufgabe, anhand gesetzlich zu bestimmender K r i t e rien über den Inhalt von Überzeugungen und die Folgen von Überzeugungstaten ein Werturteil zu fällen und einen Bewertungsmaßstab für den Richter bereitzustellen, u m auf diese Weise seine legislatorische Grundwertentscheidung zu konkretisieren, daß nicht i n jedem Falle der Staat die gegen das Strafgesetz verstoßenden Überzeugungstaten zu respektieren habe. Es geht m i t h i n um die Prüfung der legislatorischen des Gerichts steht". Z u m qualitativen Differenzierungsverbot u n d dem formalen Begriff der K u n s t i m Sinne des Grundgesetzes eingehend Knies: S. 217 ff.; Erbel: S. 57, 89 ff., 93 ff. „wertdifferenzierungsfreier Kunstbegriff"; F. Müller: S. 40ff.: „ K u n s t " sei nicht mehr als „eine konventionell gebrauchte Bezeichnung", die nicht i n einen „Bewertungsrahmen" eingespannt werden dürfe. 65 Vgl. Knies: S. 218 f., 222 f. ββ F. Müller: S. 38 f., 47 f. *

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Folgewertentscheidungen, wie sie i n § 72 E 1927/1930 ihren Ausdruck gefunden haben. bb) Die Bewertung des Beweggrundes durch den Gesetzgeber (Motivbewertungsklausel) Jede Bewertung des Inhalts einer Überzeugung setzt einen Maßstab voraus. Da Radbruch einen allgemeingültigen Maßstab für die Bewertung von Überzeugungen leugnete, ist jede Überzeugung gleich „viel" bzw. „wenig" wert 6 7 . Weil auch der Staat keinen allgemeingültigen Maßstab für Gut und Böse, Recht und Unrecht besitzt, steht es ihm nach Radbruch nicht zu, über den Inhalt der Überzeugung zu richten. Damit kann der Überzeugungsinhalt nach Radbruch außer Betracht bleiben. Oetker zog zu Radbruchs Auffassung eine historische Parallele, wie sie i n anderem Zusammenhang auch schon Nagler gezogen hatte: Wies dieser auf die Radikaldemokraten Froebel und Frey hin, die aus politischem Schonungsbedürfnis die Unterstrafestellung politischer Täter abgelehnt hätten 6 8 , so machte jener darauf aufmerksam, daß die Überschätzung „der Überzeugung an sich", die nicht mehr nach ihren Maximen frage, aus dem demokratischen Kampf gegen die Restauration der Ä r a Metternich stamme, wo sich m i t dem „ K u l t e der Überzeugung" weitgehende Emanzipation von den ethischen Bindungen verbunden habe 69 . Oetker meinte demgegenüber, bloßes Überzeugtsein gereiche niemand zur Ehre, vielmehr müsse der Inhalt der Überzeugung gemessen werden an „der rechtlichen und sittlichen Ordnung des Gemeinwesens" 70 . Rechtlich beachtlich sollte nach Oetkers Ansicht ein Überzeugungsverbrecher nur sein, „wenn der Täter . . . eine objektiv nicht anerkannte Ausnahme von der ethischen Norm aus ethisch beachtlichen Erwägungen (Nächstenliebe, Streben das Gemeinwohl zu fördern usw.) für berechtigt erachtet und demgemäß gehandelt hat". Damit seien, strafrechtlich formuliert, „ungesetzte Notstandsausnahmen" gemeint 7 1 . Offen bleibt allerdings bei der Oetkerschen Formel, welcher Maßstab tatsächlich anzulegen ist: Die Verweisung auf Ethik i m allgemeinen führt hier nicht weiter. 67

Vgl. Radbruch: Referat S. 362, Schlußwort S. 414. Nagler: S. 62 f. e ® Vgl. eingehend Huber: S. 356 ff., 711 ff. 70 Oetker: S. 481 ff., Zitate auf S. 482. 71 Oetker: S. 483. 68

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Kadecka 72 rügte ebenfalls die allzu formalistische Ansicht Radbruchs, der nicht frage, was der Mensch als Pflicht ansehe: ob dieser etwa zur Blutrache verpflichtet zu sein glaube oder ob er es als seine Pflicht ansehe, seinen Genossen durch ein falsches Zeugnis vor Strafe zu bewahren. Als Maßstab bot Kadecka folgende Formel an: Nicht die Übereinstimmung der Handlungsweise des Täters mit seinen „eigenen verkehrten moralischen Anschauungen", also Autonomie, sei das Entscheidende, „sondern die Uebereinstimmung oder doch die Verwandtschaft seines sittlichen Empfindens m i t dem der Allgemeinheit, m i t den sittlichen Grundsätzen, die sie anerkennt, wenn sie auch nicht danach lebt". Aber dieser Maßstab — richtet Euch nicht nach dem, was ich tue, sondern nach dem, was ich sage — trägt sein eigenes Unvermögen zur Schau. Kohlrausch — und i h m folgend der 34. DJT 1926 — behielten zwar den Begriff der Überzeugung bei, erachteten aber eine Überzeugung nur dann als berücksichtigenswert, „wenn die Handlung nicht aus einem eigensüchtigen Beweggrund, sondern i n der Überzeugung begangen wurde, durch sie das Wohl des Staates oder der Gesellschaft zu fördern" 7 8 . Diesem Vorschlag hatte schon Radbruch entgegengehalten, daß er einerseits nur auf politische Täter und zum anderen nur auf das Handeln u m anderer willen, nicht aber „ u m einer Sache, u m einer Idee willen", beschränkt sei 74 . cc) Die legislatorische Begrenzung des Gegenstandes und Umfanges der Entscheidung (Begrenzungsklausel) Eine andere Frage stellt sich, wenn der Gesetzgeber verlangt, daß die Überzeugung eine Pflicht zum Gegenstande haben und ausschlaggebendes Motiv sein müsse. Damit werden keine inhaltlichen Bewertungen wie ehrenhaft, achtenswert etc. an die Überzeugung herangetragen, sondern es w i r d festgelegt, von welcher Intensität ab eine Überzeugung — welchen Inhalts auch immer — beachtet werden soll. Die hierauf abzielende Entscheidung des Gesetzgebers ist zwar eine Wertentscheidung, aber eine solche, die jede Überzeugung, ob sie m i t der Rechtsordnung vereinbar ist oder „achtenswert" oder „verwerflich" genannt werden mag, gleichermaßen trifft. Sowohl Radbruch wie die amtliche Begründung zu § 71 E 1925 als auch Wolf legten Wert auf die Feststellung, daß Gegenstand der Überzeugung eine Verpflichtung religiösen, politischen oder sittlichen I n 72

Kadecka: Sp. 1279. Kohlrausch: Leitsätze S. 354; Beschlüsse i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 419. 74 Radbruch: Referat S. 357. 73

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halts sein müsse. Nicht aber sollte etwa ein Recht zum Handeln oder gar die bloße Zweckmäßigkeit einer Verhaltensweise genügen 75 . Dem hat Oetker entgegengehalten, daß nicht nur ein Handeln-Sollen, sondern auch ein Handeln-Dürfen Inhalt der Überzeugung sein solle und die Beschränkung auf sittliche Pflichten zu eng sei. Den Pflichten korrespondierten Gestattungen; dieser Grundsatz gelte nicht nur i n der Ethik, sondern auch i m Straf recht: I n einer Notlage entgegen der Rechtsnorm zu handeln, sei vom Recht nur zugelassen, nicht aber geboten. Es sei demnach nicht zutreffend, i m Hinblick auf den Überzeugungstäter nur von Pflichtenkollision zu reden, vielmehr könne sich auch ein K o n f l i k t zwischen einer Rechtspflicht und einem ethischen Dürfen ergeben. Die bisherigen Reformvorschläge wollte Oetker daher m i t der Formulierung verbessern, ein Überzeugungsverbrechen sei eine Tat, „die vom Täter auf Grund seiner sittlichen usw. Überzeugung für gerechtfertigt gehalten wurde" 7 6 . Oetker schlug demnach vor, die Beschränkung hinsichtlich des U m fangs der Beachtlichkeit einer Überzeugungsentscheidung aufzuheben, aber eine scharfe inhaltliche Bewertung der Überzeugung anhand eines heteronomen Maßstabes vorzunehmen. Dies würde einen weiten Einzugsbereich von Überzeugungstätern zulassen, die dann erst der Feuerprobe der legislatorischen Bewertung unterworfen würden. Diesen konsequenten Weg geht Oetker allerdings nicht, da er den intellektualistischen Überzeugungsbegriff vertritt, der Mitläufer bereits per definitionem ausschließt 77 . dd) Die Berücksichtigung der Mittel und Folgen und bestimmter Deliktsgruppen (Verwerflichkeitsoder Mittel-Folgen-Klausel) Aber nicht nur der Überzeugungsinhalt, auch die A r t der Tatbegehung müsse der sittlichen und rechtlichen Bewertung unterworfen werden, hielt man Radbruch entgegen. Trotz anerkennenswerter Überzeugung könnten die eingesetzten M i t t e l und die A r t der Ausführung verwerflich sein. Wegner drückte es so aus: Ritterrecht dürfe nur dem zugute kommen, der selber ritterlich kämpft 7 8 . Radbruch hat, wie oben gezeigt 79 , dieser Meinung Rechnung getragen, obwohl er sich damit i n 75 Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 38, Referat S. 365; E 1925: Begründung S. 51; Wolf: ZStW 46 (1925) S. 204. 7e Oetker: S. 475. 77 Oetker: S. 478. 78 Wegner: Diskussionsbeitrag S. 409. Vgl. auch Buerschaper: S. 74; Liepmann: Strafen S. 135; Kadecka: Sp. 1280; Calker: Diskussionsbeitrag S. 384. 70 Vgl. oben B. I I . 1. e) bb).

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Inkonsequenzen verstrickte. Mehrfach wurde versucht, eine allgemeine Verwerflichkeitsklausel dadurch zu konkretisieren, daß Deliktsgruppen von vornherein von einer Sonderregelung ausgenommen 80 oder nur für politische 81 oder religiöse 82 Delikte zugelassen oder positiv die Tatbestände, die für eine Überzeugungsbegehung i n Frage kommen, aufgezählt werden sollten. Den letzten Weg ist der 34. DJT 1926 i n seinen Beschlüssen gegangen 83 . „1. Die Straf art der ,Einschließung 4 ist i n das neue Strafgesetzbuch aufzunehmen. 2. Die Einschließung soll nicht für alle, sondern nur für bestimmte Delikte i n Frage kommen. 3. Die Ausscheidung der einzelnen Delikte soll nach der positiven Seite erfolgen und nicht auf politische Delikte beschränkt werden." Damit geriet aber auch der Vorschlag des DJT i n einen Zwiespalt: Während Kohlrausch die Überzeugung m i t altruistischem Inhalt i m Hinblick auf politische Täter konzipiert hatte („Wohl des Staates oder der Gesellschaft"), stimmte der Juristentag zwar der inhaltlichen Beschränkung zu, hob aber Kohlrauschs Limitierung auf politische Delikte auf, wie Leitsatz 3 zeigt. Kohlrausch hat dieses Ergebnis i n seinem Schlußbericht bedauert 84 . Es zeigt, daß die inhaltliche Beschränkung auf die „achtenswerte Überzeugung" 8 5 offensichtlich eine dornenreiche Aufgabe ist. I n jedem Fall w i r d das Bemühen deutlich, eine gesetzgeberische, offengelegte Wertentscheidung herbeizuführen. 80 Lilienthal: S. 114 schließt „Landesverrat, Meineid, Raub, Brandstiftung u n d ähnliche Dinge" aus. R. v. Hippel: S. 3 A n m . 3 legte die Generalklausel „ w e n n . . . die Tat die Lebensinteressen des Staates oder des E i n zelnen angriff" zugrunde. 81 N u r politische Delikte: Kohlrausch: Leitsätze I I I S. 353; ebenso Morasch: S. 49 ff., der dies m i t der Wandelbarkeit politischer Ideen u n d der mangelnden Gefährlichkeit politischer Verbrechen begründete: „ I s t nämlich die Staatsordnung gut, d. h. sind die meisten Volksgenossen m i t i h r einverstanden, so können i h r politische Delikte nicht gefährlich werden; ist aber der Staat schlecht . . . , so w i r d seine Existenz nicht von Dauer sein . . . " (S. 50). Auch Schüftan; S. 35 f. wollte wenigstens politische Täter privilegieren u n d begründete dies so: Wenn m a n es f ü r ein Ideal halte, für eine Idee Opfer zu bringen, so ehre m a n sich durch eine ehrenvolle Behandlung politischer Täter selbst. 82 Wachenfeld: S. 361. I m Anschluß hieran: Staff: ÖRiZ 1926 S. 113 n u r hinsichtlich politischer oder religiöser Delikte. 83 Beschlüsse i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 419. Vgl. dazu Radbruch: Referat S. 369, wo er darauf hinwies, „daß es vollkommen ausgeschlossen ist, positiv den Anwendungsbereich der Sonderbehandlung des Uberzeugungsverbrechers zu begrenzen". 84 Kohlrausch: Schlußbericht S. 869. 85 Oetker: S. 494.

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d) Die Kritik an g 72 E 1927/1930 Es nimmt nicht wunder, daß die Begriffe „achtenswert" und „besonders verwerflich" ihrerseits z. T. auf scharfe Ablehnung gestoßen sind. Zwei so unterschiedliche K r i t i k e r wie der konservative Strafrechtsprofessor Gerland und der sozialdemokratische Abgeordnete und frühere Justizminister Landsberg bezeichneten deshalb die Abgrenzungen des Entwurfs als zu vage. Gerland wies darauf hin 8 6 , daß eine derartige „Kautschukbestimmung übelster A r t " vom Richter Werturteile verlange, die so weitgehend seien, daß die Voraussetzungen nicht vom Gesetzgeber, sondern vom Gericht festgestellt würden. Gerade dadurch aber liefere man die Gerichte der Klassenpropaganda aus, zumal eine einheitliche Rechtsprechung anhand solcher vagen Begriffe gar nicht möglich sei. Landsberg machte geltend 87 , § 72 E 1927 gebe keinen Tatbestand, sondern der Richter schaffe ihn, wobei die Entscheidung von der persönlichen Einstellung des Richters wesentlich abhängen müsse. Da es für das, was „achtenswert" oder „verwerflich" sei, kein objektives K r i t e r i u m gebe, fülle der Durchschnittsrichter sie mit seiner eigenen A u f fassung aus. A m Beispiel des Kapp- Putsches erläuterte Landsberg, daß die Verwerflichkeitsklausel hinsichtlich der Ausführung der Tat kaum sachgerecht sei. Der Kapp-Putsch habe vielen Menschen das Leben gekostet, was wenig bekannt geworden sei; eine schlimmere A r t der Begehung oder Folge einer Tat als den Tod anderer Menschen könne es aber gar nicht geben. Trotzdem habe man zu Recht gegen Kapp nicht auf Zuchthaus erkannt. Jarotzky knüpfte an die Bemerkung Bumkes an, der Begriff des Überzeugungsverbrechens gehe viel zu weit und führe zu einer Aushöhlung des Straf rechts 88 : Jarotzky meinte, man werde „nicht umhin können, auch bei dem jetzigen Gesetzestext die gleiche Befürchtung zu hegen". Die Begriffe „achtenswert" und „besonders verwerflich" seien je nach der persönlichen Anschauung der Prozeßbeteiligten so vieldeutig und unbestimmt, daß sie kein sicheres und zuverlässiges Merkmal für eine scharf abgegrenzte Anwendung böten 8 9 . Die Dehnbarkeit der Begriffe sei deswegen verhängnisvoll, w e i l Grenzfälle sehr häufig sein würden, i n denen es u m die Frage der Verhängung der harten 88 Gerland: D J Z 32 (1927) Sp. 1516. Auch Wegner: Justiz 2 (1926/27) S. 572 nannte als Verfechter des Gedankens des § 71 E 1925 die „achtenswerten Beweggründe" i n § 72 E 1927 einen „Kautschukbegriff". Vgl. auch Kohlrausch: Fortschritte S. 28. 87 Landsberg i n Prot, der Sitzung des 21. Ausschusses des Reichstages i n der I V . Wahlperiode v o m 7.11.1928 S. 4. 88 Vgl. oben B. I I . 2. c). 89 Jarotzky: S. 482 (Zitat) f.

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Gefängnis- oder gar Zuchthausstrafe oder aber einer milden Einschließungsstrafe gehe. Jene zu Gefängnis oder Zuchthaus Verurteilten, denen das Gericht achtenswerte Beweggründe bei Tatbegehung abgesprochen habe, würden i m Strafvollzug besondere Schwierigkeiten machen, so daß eine Besserung dieser Gefangenen fast aussichtslos sei 90 . U m die Verwerflichkeitsklausel überflüssig zu machen, schlug Budzinski vor, „für gewisse Delikte, welche aller Erfahrung nach nicht aus achtenswerten Motiven begangen werden, wie Sittlichkeitsverbrechen, Glücksspiele, strafbarer Eigennutz" 9 1 Einschließung nicht vorzusehen. Schon diese Aufzählung zeigt aber die W i l l k ü r der Auswahl. Daß das Ausschließlichkeitserfordernis des Motivs des achtenswerten Beweggrundes keinen Beifall fand, erscheint ebenfalls nicht erstaunlich, da, abgesehen von der Frage der Erkennbarkeit eines ausschließlichen Motivs, es psychologisch ausgeschlossen erscheint, daß bei einer Tat ein Motiv „ausschließlich" gewirkt hat 9 2 . Damit stellt sich auch hier das Problem, welche und an welchem Maßstab gemessenen Bewertungen vom Gesetzgeber heranzuziehen sind. Ein Antrag, auch von Landsberg mitunterzeichnet 93 , wollte daher den Grundsatz des § 71 E 1925 beibehalten. I n der Auslegung des Ausdrucks „Überzeugung" hob sich Landsberg allerdings von Radbruch ab, da dessen einengender Begriff „herzlich wenig Anwendung" 9 4 zulasse. Eine Überzeugung, die bei dem geringsten Vorhalt zusammenbreche, sei zwar nicht wertvoll, bleibe aber trotzdem eine Überzeugung 95 . Vertrat Landsberg hier einen weiten Begriff der Überzeugung, u m keine versteckten Werturteile i n den Begriff hineinnehmen zu müssen, so wurde er an anderer Stelle diesem Grundsatz untreu, wenn er versuchte, i n das Merkmal der Pflicht den Inhalt der Verwerflichkeitsklausel hineinzuinterpretieren: So behauptete er, man könne sich keine verpflichtende Überzeugung denken, die z. B. zur Marterung des

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Jarotzky: S. 484. Budzinski: S. 50; vgl. Gerland: D J Z 32 (1927) Sp. 1516. 92 Budzinski: S. 50. Vgl. Radbruch: Referat S. 365 zum ausschlaggebenden Motiv. 93 Prot, der 18. Sitzung des 21. Ausschusses des Reichstages i n der I V . Wahlperiode v. 7.11.1928 S. 1. Der A n t r a g w u r d e abgelehnt. 94 Prot, der 41. Sitzung des 32. Ausschusses des Reichstages i n der I I I . Wahlperiode v. 15.12.1927 S. 3. 95 Prot, der 42. Sitzung des 32. Ausschusses des Reichstages i n der I I I . Wahlperiode v. 16.12.1927 S. 3. Vgl. Bumke: ebenda S. 2: Hinsichtlich der Frage, ob ein reiner Befehlsempfänger Überzeugungstäter sein könne, könne man zweifeln. 91

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Opfers führe 9 6 . Die Folterungen als M i t t e l des Inquisitionsprozesses entsprachen jedoch jahrhundertelanger rechtlicher Überzeugung. e) Abschließende Thesen 4 - 6

These 4 I n bezug auf die Beurteilung von §§ 71 E 1925, 72 E 1927/E 1930 ist zwischen gesetzgeberischen und richterlichen Wertungen zu unterscheiden. Das Maßstabsproblem stellt sich a) für die legislatorische Grundwertentscheidung, dem Überzeugungstäter eine Sonderstellung einzuräumen bzw. zu versagen; b) für die legislatorische Folgewertentscheidung über die konkrete Ausgestaltung einer Lösung gemäß a); c) für die richterliche Wertentscheidung aufgrund der durch a) und b) bereitgestellten Wertmaßstäbe. These 5 Die generalisierende Einschließungsstrafe w i r d i n § 72 E 1927/E 1930 durch legislatorische Folgewertentscheidungen an Merkmale geknüpft, die als unbestimmte Rechtsbegriffe dem rechtsstaatlichen Gebot des nulla poena sine lege zuwiderlaufen würden. Damit werden die Nachteile des § 71 E 1925 nicht aufgehoben, sondern durch andere ersetzt. These 6 Die Einschließungsstrafe des § 72 E 1927/E 1930 muß ihre Berechtigung gegenüber einer Strafzumessungs- oder Strafvollzugslösung schon deswegen besonders unter Beweis stellen, weil a) die Regelung des § 72 E 1927/E 1930 eine Strafzumessungsregelung i m Gewände einer Strafart darstellt b) der Anknüpfungsbegriff des „aus achtenswerten Beweggründen" Handelnden noch weniger justitiabel sein dürfte als der des Überzeugungstäters. Angesichts der theoretischen und praktischen Schwierigkeiten erweist sich die Regelung des § 72 E 1927/E 1930 als keine Verbesserung gegenüber § 71 E 1925. 3. Die Renaissance der Lehre vom Uberzeugungstäter in Gestalt der Rechtsfolgenlösung des § 48 a E 1962/SA 1964 § 48 a E 1962/SA 1964 knüpfte an die Tradition der §§ 71 E 1925, 72 E 1927 an und sah eine Sonderstraf art für Überzeugungstäter vor. Dieser 96 Prot, der 42. Sitzung des 32. Ausschusses des Reichstages i n der I I I . Wahlperiode v. 16.12.1927 S. 4; vgl. ebenso Prot, der 18. Sitzung v. 7.11. 1928 des Reichstages i n der I V . Wahlperiode S. 9.

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Gesetzesvorschlag stellt den Kulminationspunkt der von Radbruch initiierten „klassischen" Lehre vom Überzeugungstäter dar, die keine „Tatbestandslösung", sondern eine „Rechtsfolgenlösung" anstrebte. Aber auch i n der Diskussion u m diese Lösung wurden neue Perspektiven sichtbar. a) Die Rechtsfolgenlösung des § 48 a E 1962/SA 1964 als Ergebnis der Diskussion von Lösungsalternativen Der Sonderausschuß ,Strafrecht' des Deutschen Bundestages erörterte mehrere Lösungsmöglichkeiten einer Sonderstellung des Überzeugungstäters, wobei auffälligerweise eine „Tatbestandslösung" fehlte. Zwar waren die Abgeordneten übereinstimmend der Ansicht, daß eine Sonderbehandlung des Überzeugungstäters wünschenswert sei, aber sie gingen als selbstverständlich davon aus, daß ein aus Überzeugung Handelnder rechtswidrig und schuldhaft den jeweils i n Betracht kommenden Straftatbestand verwirkliche. Folgende Möglichkeiten wurden ins Auge gefaßt 1 : aa) Die Beschränkung der Sonderbehandlung von Überzeugungstätern auf den Strafvollzug, verbunden mit einer Kennzeichnung des Überzeugungstäters im Straf urteil ohne Einführung einer besonderen Straf art Diese Lösungsmöglichkeit wurde von den Abgeordneten der SPD i m Sonderausschuß favorisiert, da sie am ehesten m i t der von der SPD angestrebten Einheitsfreiheitsstrafe harmonisierte 2 . Der Vorschlag wurde jedoch vom Ausschuß abgelehnt 3 , der 1964 bei seinen Überlegungen noch von der Notwendigkeit mehrerer Freiheitsstrafarten ausging. Die Mehrheit der Ausschußmitglieder ließ sich davon leiten, daß eine Berücksichtigung des Überzeugungstäters i m Vollzuge nicht ausreiche, einen fühlbaren Unterschied herzustellen 4 . Hauptsächlich gehe es 1 I m folgenden werden die Stenographischen Berichte über die Sitzungen des Sonderausschusses „Strafrecht" des Deutschen Bundestages i n der 4. Wahlperiode nach Seitenzahlen zitiert: S. 477 - 492: Prot. d. 26. Sitzung des SA v. 9.10.1964; S. 523 - 542: Prot. d. 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964; S. 551 - 553: Prot. d. 29. Sitzung des SA v. 12.11.1964; S. 573 - 574. Prot. d. 30. Sitzung des SA v. 3.12.1964; S. 596 - 607: Prot. d. 32. Sitzung des SA v. 16.12.1964. Berichte über die Verhandlungen des Sonderausschusses „Strafrecht" gibt Lang-Hinrichsen: JR 1965 S. 245 f., JZ 1966 S. 158 ff.; vgl. auch Bericht des SA S. 8 f., 21 ff. 2 Abg. Müller-Emmert (SPD) i n Prot, des SA S. 482 f., 533 f. 8 A b s t i m m u n g Prot, des SA S. 540, 542. 4 Abg. Winter (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 484.

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darum, den Überzeugungstäter „nach außen" h i n als einen von den gewöhnlichen Kriminellen unterschiedenen Straftäter zu kennzeichnen 5 , bei dem die Strafart zum Ausdruck bringe, daß er nicht unehrenhaft gehandelt habe 6 . Die Einführung einer Sonderstrafart für Überzeugungstäter wurde außerdem als beste Gewähr dafür angesehen, daß die Fragen der Überzeugungstäterschaft zum Gegenstand der Prüfung i n der Hauptverhandlung und i m Urteil gemacht würden 7 . Den gleichen Effekt wollte die Minderheitsmeinung durch eine Änderung des § 267 StPO erreichen. Dem Richter sollte vorgeschrieben werden, aufgrund der Behauptung des Angeklagten, er sei Überzeugungstäter, diese Einlassung eingehend zu prüfen 8 . Nach der Ansicht der Mehrheit war nur bei einer eigenen Strafart sichergestellt, daß die Überzeugungstäter von anderen Gefangenen getrennt würden, so daß die politischen Überzeugungstäter unter den Mitinsassen keine politische Propaganda treiben könnten. Nach der Ansicht Güdes erwiesen sich die politischen Überzeugungstäter dann, wenn sie isoliert seien, als die diszipliniertesten Gefangenen 9 . bb) Die Beschränkung der Sonderbehandlung von Überzeugungstätern auf das Gebiet der Strafzumessung durch eine Strafzumessungsregel in der Weise, daß für Überzeugungstäter eine Strafmilderung vorgesehen wird Die Vertreter der Einheitsfreiheitsstrafe tendierten zudem zu einer Strafzumessungsregelung für Überzeugungstäter, die von ihrem A n satzpunkt aus konsequent war. Wenn der Richter durch eine allgemeine gesetzliche Strafzumessungsvorschrift verpflichtet werde, den Einwand, daß der Täter als Überzeugungstäter gehandelt habe, i n der Hauptverhandlung und i m Urteil zu berücksichtigen, sei i m Verbund mit der Strafvollzugslösung eine klare und umfassende Lösung des Überzeugungstäter-Problems auch vom Boden der Einheitsstrafe her gefunden 10 . Dieser Ansicht wurde von der Mehrheit entgegengehalten, daß gerade ein Überzeugungstäter großes Unheil anrichten könne, so daß wegen der Gefährlichkeit der Straftaten eine Strafmilderung nicht 5 Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) i n Prot, des SA S. 483, 535. « Ausschußvorsitzender Güde (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 485, 488. 7 Schafheutie (BMJ) i n Prot, des SA S. 486, 530. 8 Abg. Müller-Emmert (SPD) i n Prot, des SA S. 533. 9 Abg. Güde (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 484. Zurückhaltender äußerte sich Krille i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 53. 10 Abg. Müller-Emmert (SPD) i n Prot, des SA S. 489 unter Bezugnahme auf Schwalm (BMJ) S. 482, vgl. S. 533.

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generell angezeigt sei 11 . Wenn dem Richter keine besondere Strafart zur Verfügung gestellt werde, bleibe i h m nichts anderes übrig, als die Überzeugung bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Obwohl die Überzeugungstäter schwere und gefährliche Verbrechen begangen haben könnten, werde dann die ausgesprochene Strafe an der untersten Grenze des Strafrahmens liegen 12 . Nur durch die Einführung einer besonderen Strafart sei es aber möglich, daß der Richter einerseits schwere Verbrechen hart bestrafe und trotzdem Respekt vor den Motiven des Täters zum Ausdruck bringen könne 1 3 . Ein Vertreter der Minderheit befürwortete demgegenüber, daß innerhalb der Strafzumessung auf der einen Seite die Überzeugung des Täters strafmildernd zu berücksichtigen sei, während auf der anderen Seite vom Richter das gefährliche Verhalten strafschärfend i n Rechnung gestellt werden müsse 14 . Einer derartigen Lösung hatte bereits ein Regierungsvertreter entgegengehalten, sie bedeute i n Wahrheit einen Verzicht auf jede Privilegierung der Überzeugungstäter 15 . cc) Die Androhung einer Sonderstrafart für Überzeugungstäter bei Verwirklichung bestimmter Tatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches oder des Nebenstrafrechts als alleinige Straf art oder eine Wahlandrohung, verbunden mit einer Wahlregel im Allgemeinen Teil Die sozialdemokratische Fraktion wünschte eine Einschränkung der Anwendung der Sonderstrafart auf politische Delikte, bei denen die Verhängung der Einschließung vertretbar sei 16 . Diesem Vorschlag wurde entgegengehalten, daß die Bemühungen, entsprechend dem Beschluß des 34. DJT 1926 einzelne Delikte zu bestimmen 1 7 , bei denen die Einschließung als Strafart verhängt werden solle, zum Scheitern verurteilt gewesen seien, da die Phantasie nicht ausreiche, um zu erkennen, bei welchen Delikten eine Begehung durch 11

Abg. Winter bzw. Güde (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 489 bzw. S. 490. Die Feststellungen von Tietjen: S. 145 bestätigen diese Vermutung: U n ter allen Tätergruppen hatten die Überzeugungstäter durchschnittlich die niedrigsten Strafen erhalten. 13 Abg. Güde bzw. Winter (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 485 bzw. S. 534f.; Abg. Heinemann (SPD) S. 536 f. 14 Abg. Müller-Emmert (SPD) i n Prot, des SA S. 490. 15 Schwalm (BMJ) i n Prot, des SA S. 482. 16 Abg. Müller-Emmert (SPD) i n Prot, des SA S. 534, 540. 17 P u n k t 5 der Beschlüsse des 34. D J T 1926 i n Verh. des 34. D J T Bd. 2 S. 419. 12

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Überzeugung heute und i n Zukunft i n Frage kommen könnte. Selbst Raubüberfälle auf eine Bank, Urkundenfälschung und Diebstahl seien denkbar als Überzeugungsverbrechen zur Finanzierung politischen Widerstandes. Da eine Katalogisierung nur willkürlich und lückenhaft sein würde, käme lediglich eine Generalklausel i m Sinne einer allgemeinen Ersetzungsregel i n Betracht 1 8 . Dieselbe Begründung t r i f f t auf die Regelung zu, die der E 1962 i m Anschluß an die Entscheidung der Großen Strafrechtskommission, die Strafart der Einschließung abzuschaffen, vorgesehen hatte 1 9 . Der Entw u r f ließ die Einschließung nur i m Nebenstrafrecht bestehen, u m bestimmte typische Konfliktsituationen zu berücksichtigen, wenn der Täter, z. B. als Soldat, ungewollt i n einen besonderen Pflichtenkreis gestellt werde. Die Wahlregel des § 11 Abs. 2 a. F. des Wehrstrafgesetzes vom 30. 3. 1957, die an § 72 E 1927 anknüpfte, aber klarstellte, daß die achtenswerten Beweggründe nicht ausschließliches Motiv sein müßten, sondern daß es genüge, wenn sie i n dem Motivbündel „ausschlaggebend" seien, galt aber nicht für das gesamte Wehrstrafgesetz, sondern nur für im Gesetz ausdrücklich genannte Delikte 2 0 . Alle Versuche, nur bestimmte Deliktsgruppen, sei es des Neben- oder des Hauptstrafrechts, bei Begehung durch einen Überzeugungstäter m i t einer besonderen Strafart zu versehen, wurden vom Ausschuß abgelehnt 21 .

18 Abg. Diemer-Nicolaus (FDP), Winter (CDU/CSU); Schafheutle, Schwalm (BMJ) i n Prot, des SA S. 541; ebenso schon Dreher (BMJ) S. 490, der nicht einmal die Sittlichkeitsverbrechen ausnahm. Das zur Zeit der Beratungen geltende Recht sah die Androhung von alleiniger Einschließung bei §§ 201, 202, 203, 205, 206 StGB a. F. (durch das 1. StRG v. 25. 6.1969 — BGBl. I S. 645 — gestrichen) vor, sonst galt die W a h l regel des § 20 StGB a. F. (aufgehoben durch das 8. S t Ä G v. 25.6.1968 — BGBl. I S. 741) zwischen Zuchthaus und Einschließung n u r noch i n den Fällen der §§ 105, 106 StGB a. F. (Neufassung durch das 8. StÄG). I m Nebenstrafrecht galt die Wahlregel des § 11 Abs. 2 a. F. Wehrstrafgesetz i n den i m W S t G aufgeführen §§ 15, 19 - 21, 23 - 25, 28, 32 - 35, 38, 40 - 47. Wahlandrohungen von Gefängnis und Einschließung sahen § 21 Pressegesetz, §§ 36, 38 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst u n d §§ 109 b, 345 StGB vor, i n denen die Wahlregel des § 11 Abs. 2 a. F. W S t G analog angewandt wurde. Vgl. die Übersicht bei Schwalm (BMJ) i n Prot, des SA S. 480. 19 Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 138; E 1962: Begründung S. 166 f.; vgl. oben Β . I. 9. 10. 20 Vgl. zu § 11 Abs. 2 a. F. W S t G oben Β . I. 5. b). Z u „ M o t i v b ü n d e l " vgl. Schafheutie (BMJ) i n Prot, des SA S. 530 f. 21 Abstimmung: Prot, des SA S. 541.

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dd) Aufstellung einer mit einer Verwerflichkeitsklausel verbundenen „generellen gesetzlichen Ersetzungsregel" im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs, nach der bei Überzeugungstätern an die Stelle der im Besonderen Teil angedrohten Freiheitsstrafen „eine nicht entehrende Sonderfreiheitsstrafe u in Gestalt der Einschließung tritt 22 Nach der Ablehnung der geschilderten anderweitigen Lösungsmöglichkeiten kristallisierte sich eine Hegelungsform heraus, die bewußt an die Entwürfe von 1922, 1925, 1927, 1930 anknüpfte und die ausdrücklich als ein Bestandteil „heute noch gültiger Überlieferung aus der Weimarer Zeit" betrachtet wurde 2 3 . Allerdings wurde die Klausel „achtenswerte Beweggründe", die § 72 E 1927/E 193024 enthalten hatte, als zu weit empfunden. Achtenswerte Beweggründe seien bei der Strafzumessung zugunsten des Täters zu berücksichtigen, aber dieser Strafzumessungsgrund eigne sich i n seiner Unbestimmtheit nicht für eine Generalklausel 25 . Für die Einführung einer besonderen Strafart für Überzeugungstäter wurden für den Ausschuß die folgenden legislatorischen Grundwertund Folgewertentscheidungen maßgebend: (1) Die Einschließung als eine custodia honesta sei notwendig, weil es Straftäter gebe, die i m Gegensatz zum gewöhnlichen Kriminellen nicht unehrenhaft gehandelt hätten 2 6 . (2) Aufgrund des Schuldprinzips sei durch ein differenziertes sozialethisches Unwerturteil dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die Schuld des Überzeugungstäters anders geartet sei als die eines K r i m i nellen 2 7 . Sie sei dadurch geprägt, daß der Überzeugungstäter an die Stelle der Wertung der Rechtsgemeinschaft eine andere i h n verpflichtende Wertung gesetzt habe 28 . (3) Die Sonderstrafart sei unumgänglich, um einerseits bei schwerer Tat eine langandauernde Freiheitsstrafe, andererseits die Respektie22 23 24 25

Bericht des SA S. 9. Bericht des SA S. 8. § 72 E 1930 entsprach § 72 E 1927; vgl. oben Β . I. 5. b).

Dreher bzw. Schafheutie (BMJ) i n Prot, des SA S. 491 bzw. S. 529. Abg. Güde (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 485, 488; Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) S. 488; Abg. Müller-Emmert (SPD) S. 534; Schafheutle (BMJ) S. 532, 600. Allgemein w a r stets die Rede von der custodia honesta für Uberzeugungstäter. 27 Abg. Güde (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 485; Abg. Diemer-Nocolaus (FDP) S. 488; Abg. Winter (CDU/CSU) S. 489. 28 Vgl. Bericht des SA S. 8. 26

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rung der Überzeugung durch eine nicht entehrende Strafart aussprechen zu können 2 0 . (4) Die generelle Anwendbarkeit der Ersetzungsklausel müsse durch eine Verwerflichkeitsklausel dann korrigiert werden, wenn die Verhängung von Einschließung dem Charakter dieser Sonderstrafart als custodia honesta widerspreche. Dies treffe ζ. B. zu i n Fällen schwersten Unrechts wie Mord und Völkermord oder bei einem Verstoß gegen die Grundentscheidungen des Grundgesetzes 30 . Während der Ausschuß sich schnell i m Anschluß an § 71 E Radbruch und § 71 E 1925 über die „Grundformel" 3 1 einigte, daß die Sonderstrafart zu verhängen sei, „wenn für den Täter der Beweggrund ausschlaggebend war, daß er sich aus sittlicher, religiöser oder politischer Überzeugung für verpflichtet hielt, die Tat zu begehen" 32 , so beriet der Ausschuß u m so intensiver darüber, wie die Verwerflichkeitsklausel i m Anschluß an § 72 E 1927 umzugestalten sei. Die Zustimmung aller Ausschußmitglieder fanden die Einschränkungen, daß die Grundformel dann nicht anzuwenden sei, wenn „1. die Tat nach den Vorschriften über Mord oder Völkermord strafbar ist, 2. nach den Umständen, die zur Tat gehören oder ihr vorausgehen, oder dem Verhalten des Täters nach der Tat das Unrecht und die Schuld so schwer wiegen, daß die angedrohte Strafe angemessen ist 8 3 ." Eine umfangreiche Diskussion entzündete sich jedoch an der Frage, ob und gegebenenfalls welche Ausnahmen von der Sonderbehandlung derjenigen vornehmlich politischen Überzeugungstäter bestimmt werden sollten, deren Tat sich gegen den Bestand der Bundesrepublik oder die sie tragenden Verfassungsgrundsätze richtet. Von einigen Abgeordneten wurde eine weitere Einschränkungsklausel für entbehrlich gehalten. Hinter dieser Ansicht stand die Überlegung, daß i n schwerwiegenden Fällen die oben zitierte Ziffer 2 ein29 Abg. Güde bzw. Winter (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 485 bzw. 534f.; Heinemann (SPD) S. 536 f. 80 Abg. Winter (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 484; Schafheutie (BMJ) S. 531 f.; Bericht des SA S. 21 f. Die schützenswerten Verfassungsgrundsätze nennen § 88 Abs. 2 StGB a. F., § 380 E 1962, § 92 Abs. 2 StGB. 31 Lang-Hinrichsen: J Z 1966 S. 159. 32 A b s t i m m u n g : Prot, des SA S. 540 i. V. m. S. 528. 83 § 48 a Abs. 1 Ziffer 1 u n d 2 der endgültigen Fassung; A b s t i m m u n g : Prot, des SA S. 540 i . V . m . S. 528 zu Ziffer 1; S. 542 i. V. m. S. 528 zu Ziffer 2 der Endfassung. Als Beispiele f ü r Ziffer 2 gab Schwalm (BMJ) S. 542 an, daß ein Überzeugungstäter u m politischer Ziele w i l l e n einen Zug zum E n t gleisen bringe u n d dabei viele Menschen töte öder daß jemand von einem Überzeugungstäter gefoltert werde, bis er aussage.

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greife 34 . Die Mehrheit ging jedoch von einer typologischen Unterscheidung aus: Opponenten und Nonkonformisten, die sich zur Grundordnung des Grundgesetzes bekennen, stünden auf der einen Seite und fielen daher nicht unter die vorgesehene Ausnahmeregelung; auf der anderen Seite aber stünden die Verfassungsfeinde, die darauf ausgingen, ein totalitäres System der Gewalt i n der Bundesrepublik einzuführen. Verfassungsfeinde könnten aber von den Grundsätzen unserer staatlichen Ordnung aus nicht als „ehrenhafte Persönlichkeiten" 35 betrachtet werden, denen eine custodia honesta zugebilligt werden dürfe. Da das Grundgesetz sich zu positiven unverletzlichen Werten bekenne, die über A r t . 79 I I I und A r t . 1 und A r t . 20 auch unaufhebbar seien, widerspreche es der Grundentscheidung der Verfassung, wenn die Strafrechtsordnung den Feinden der Verfassung durch eine nichtentehrende Strafe Respekt zolle 36 . Bei einer Streichung der Bestands- und Verfassungsklausel würden etwa 80 Prozent aller politischen Überzeugungstäter mit Einschließung bestraft werden müssen 37 . Der Ausschuß lehnte daher die Streichung der Klausel ab 3 8 . Statt dessen sollte dem Verfassungsfeind Einschließung i n der Regel versagt sein und nur i n Ausnahmefällen gewährt werden. U m die präzise Fassung der Ausnahme von der Ausnahme der Grundformel entspann sich erneut eine ausgedehnte Debatte, i n der mehrere Möglichkeiten einer Auflockerung erörtert wurden: (1) Mehrere Abgeordnete setzten sich dafür ein, die Bestands- und Verfassungsklausel nicht als Muß-Vorschrift, sondern als Kann-Bestimmung zu fassen 39 . Dem wurde entgegengehalten, daß der Gesetzgeber eine klare Entscheidung treffen und dem Richter Maßstäbe an die Hand geben müsse. Anderenfalls würde eine sehr unterschiedliche Rechtsprechung die Folge sein 40 . Darauf wurde dieser Gedanke fallengelassen. (2) Eine Minderheitsmeinung schlug vor, die Bestands- und Verfassungsklausel nur dann eingreifen zu lassen, wenn der Täter bereits 34 Abg. Kanka (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 600; Abg. Müller-Emmert (SPD) S. 601. Vgl. Bericht des SA S. 22. 35 Schafheutie (BMJ) i n Prot, des SA S. 600. 38 Abg. Winter (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 535, 601; Abg. Güde (CDU/ CSU) S. 574; vgl. auch Abg. Heinemann (SPD) S. 536; Schafheutle (BMJ) S. 531 f., 538, 553. 37 Dreher (BMJ) i n Prot, des SA S. 601. 38 Vgl. die Anträge von Abg. Müller-Emmert (SPD) i n Prot, des SA S. 574, 599 u n d Abg. Kanka (CDU/CSU) S. 600 und die Abstimmungen S. 574 u n d 602. 39 Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) i n Prot, des SA S. 536; Abg. Heinemann (SPD) S. 537, 539; Abg. Pannhoff (CDU/CSU) S. 537. 40 Dreher bzw. Schafheutie (beide BMJ) i n Prot, des SA S. 537 bzw. S. 539, 552.

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einschlägig vorbestraft sei 41 . Der Ausschuß lehnte einen entsprechenden Antrag ab 4 2 , w e i l er sowohl als zu eng wie als zu weit empfunden wurde: zu eng, w e i l jemand den Charakter eines Überzeugungstäters nicht dadurch verliere, daß er dieselbe Tat wiederholt begehe, wie die den Ersatzdienst verweigernden Zeugen Jehovas bewiesen 43 , zu weit, w e i l die Verfassungsfeinde nicht getroffen würden 4 4 . (3) Eine Formulierungshilfe des Bundesjustizministeriums sah vor, daß die Ausnahme von der Grundformel entfallen solle, wenn „ i m Hinblick auf außergewöhnliche Umstände i n der Person des Täters die Einschließung als Strafe angemessen ist" 4 5 . Diese Formulierung wurde von den Abgeordneten jedoch als ungenau angesehen, da sie dem Richter wenig Anhaltspunkte für die Auslegung gebe, so daß sie kaum angewandt werden würde 4 6 . Es wurde weiter hervorgehoben, daß auch die besonderen Umstände der Tat, nicht nur des Täters, zu berücksichtigen seien 47 . (4) Der Ausschuß stimmte letztlich einer Regelung zu, nach der eine Ausnahme von der Ausnahme der Grundformel selbst bei Verfassungsfeinden gemacht werden soll, wenn „die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters und der besonderen Umstände der Tat ergibt, daß die Einschließung als Strafe angemessen ist" 4 8 . Diese Vorschrift wurde so verstanden, daß eine geringfügige und ungefährliche Tat durch die Gefährlichkeit eines Täters kompensiert werden könne. Ein Antrag, die beiden Grundlagen der Gesamtwürdigung, Täterpersönlichkeit und Tatumstände, nicht kumulativ, sondern alternativ anzuordnen, war abgelehnt worden 4 9 .

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Abg. Müller-Emmert (SPD) i n Prot, des SA S. 597, 603. A b s t i m m u n g : Prot, des SA S. 603. 43 Abg. Güde (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 597; Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) S. 598; Dreher (BMJ) S. 599 f. 44 Abg. Winter (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 598; Schafheutle (BMJ) S. 598. 45 Prot, des SA S. 551. 46 Abg. Müller-Emmert (SPD) u n d Abg. Güde (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 573. 47 Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) u n d Abg. Güde (CDU/CSU) i n Prot, des SA S. 599. Vgl. die Formulierungshilfe des B M J S. 596. 48 A b s t i m m u n g : Prot, des SA S. 606 i. V. m. der Formulierungshilfe S. 603 f. 49 A n t r a g der Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) i n Prot, des SA S. 604; A b stimmung S. 606. Vgl. die Stellungnahme der Abg. Kanka (CDU/CSU) S. 598 u n d Kaffka (SPD) S. 598 f. u n d Drehers (BMJ) S. 600. 42

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b) Stellungnahme der Literatur zu der Rechtsfolgenlösung und dem Problem einer Sonderstrafart angesichts der Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe Lang-Hinrichsen, der sich am ausführlichsten m i t § 48 a E 1962/SA 1964 auseinandergesetzt hat, sah die wesentlichen Gedankengänge des Sonderausschusses i n folgenden drei Punkten 5 0 : (1) I n der Abkehr des Sonderausschusses vom rechtsphilosophischen Fundament des § 71 E Radbruch und § 71 E 1925, das Lang-Hinrichsen i n dem Wertneutralismus der Radbruchschen Relativismuslehre erblickte, und der Hinwendung zur Auffassung des Grundgesetzes von der Absolutheit und Unantastbarkeit von Grundwerten der Staatsordnung; (2) i n der Abkehr von Radbruchs wertungsfreier Bestimmung des Überzeugungstäters mittels kriminalpsychologischer Merkmale und der Hinwendung zur ethischen Wertung der Motive des Täters. Durch beide Gesichtspunkte sei eine inhaltliche Beschränkung der Reichweite der Vorschrift möglich geworden, so daß manche K r i t i k des früheren Schrifttums nunmehr gegenstandslos sei. (3) Aufgrund des Schuldprinzips sei der andersartigen Schuld des Überzeugungstäters durch eine nicht entehrende Strafe Rechnung getragen worden. Diesen Grundgedanken, „eine der besonderen A r t u n g der Schuld des Überzeugungstäters entsprechende Strafe" 5 1 vorzusehen, billigte LangHinrichsen ausdrücklich. Zwar arbeite die Vorschrift m i t zahlreichen wertausfüllungsbedürftigen Begriffen, aber auch sonst könne das Strafgesetz dieser oder ähnlicher Begriffe nicht entraten. Die erforderlichen Feststellungen i m Prozeß würden kaum schwieriger sein als andere Feststellungen, die das Strafgesetz verlange. Jede Verfeinerung, die ein Gesetz bringe, bürde dem Richter neue Aufgaben auf. „Schwerwiegende Bedenken" erhob Lang-Hinrichsen allerdings gegen die Ausnahme von der Ausnahme, die den Verfassungsfeinden zugute kommen sollte. Das Prinzip der Absolutheit und Unantastbarkeit bestimmter Werte des Grundgesetzes werde damit i n Frage gestellt. Durch den großen Spielraum, der i m übrigen hier den Gerichten eingeräumt werde, werde das Vertrauen i n die Einheitlichkeit der Rechtsprechung erschüttert. Lang-Hinrichsen plädierte daher für eine kompromißlose Durchführung der Regelung für Verfassungsfeinde. Zusammenfassend kommt Lang-Hinrichsen zu dem Urteil, „daß es i m Grunde wohl doch ein bedeutender Gedanke Radbruchs war, auf die 50 51

7*

Lang-Hinrichsen: Lang-Hinrichsen:

J Z 1966 S. 160 f. JZ 1966 S. 161.

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rechtlichen Fragen hingewiesen zu haben, die die Figur des Überzeugungsverbrechers a u f w i r f t . . ." 5 2 . Auch Greffenius begrüßte § 48 a E 1962/SA 1964 grundsätzlich, sprach sich jedoch i m Gegensatz zu Lang-Hinrichsen für eine Streichung der gesamten Ziffer 3 des 2. Absatzes von § 48 a aus 53 . Die von i h m untersuchten kommunistischen Täter würden ohnehin unter die Ausnahme der Ziffer 3 fallen. Die Absolutheit der Werte des Grundgesetzes werde dadurch nicht abgeschwächt, da die Strafart der Einschließung nur die Aufgabe habe, einige Täter von den gewöhnlichen Kriminellen aufgrund ihrer Pflichtüberzeugung abzuheben. Andererseits bejahte Greffenius — von diesem Grundsatz ausgehend jedoch inkonsequenterweise — die übrigen Einschränkungen des § 48 a i n Absatz 2 Ziffer 1 und 2. Aus einer den Grundgedanken des § 48 a E 1962/SA 1964 prinzipiell ablehnenden Haltung heraus kritisierte Heinitz die Ziffer 3 5 4 . Zwar habe diese Einschränkung den Einwand ausgeräumt, daß der Gesetzgeber zur Wertneutralität des Weimarer Staates zurückkehre, aber trotzdem stehe diese Ausnahme zur Grundkonzeption der Vorschrift i n Widerspruch. Entweder respektiere der Staat die innere Überzeugung eines Menschen auch dann, wenn er den Staat bekämpfe, oder aber er gehe von der Sozialethik aus, die der Staat zugrunde gelegt hat, und dann müsse er seine Feinde „entschieden und ohne schwächliche Kompromisse" 5 5 bekämpfen. — Damit w i r d ein Argument gegenüber § 48 a gebraucht, m i t dem sich schon Radbruch hatte auseinandersetzen müssen 56 . Auch Noll meinte, die materielle Wertung der verschiedenen Überzeugungen, die der Richter vornehmen müsse, zeige deutlich die Schwäche der Konzeption des § 48 a und sei inkonsequent 57 . Zunächst sei die Voraussetzung einer Pflichtüberzeugung keine Einschränkung, da nicht gesagt werde, welche Inhalte der Pflicht ausgeschlossen w ü r den. So sei z.B. eine hedonistische Individualethik denkbar, die den einzelnen verpflichte, durch rücksichtslose Verfolgung der eigenen Interessen sich selbst zu verwirklichen. Die „unbestimmte Generalklausel" 5 8 der Ziffer 2, wonach Abs. 1 nicht anzuwenden ist, wenn „nach 52

Lang-Hinrichsen: JZ 1966 S. 161 f. Greff enius: S. 75 f. 54 Heinitz: S. 618 f. 55 Heinitz: S. 619. 56 Vgl. oben B. I I . 1. e) bb). 57 Noll: ZStW 78 (1966) S. 655. Konsequenterweise kritisiert Noll — i m Gegensatz zu Greff enius: S. 75 f. — alle Einschränkungen des § 48 a Abs. 2 E 1962/SA 1964. 58 Noll: ZStW 78 (1966) S. 656. 53

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den Umständen, die zur Tat gehören oder ihr vorausgehen, oder dem Verhalten des Täters nach der Tat das Unrecht und die Schuld so schwer wiegen, daß die angedrohte Strafe angemessen ist" 5 9 , interpretierte Noll dahin, daß die Einschließung um so weniger i n Frage kommen dürfe, je wertvollere Rechtsgüter der Täter verletze und je weniger die Ideologie seiner Pflichtüberzeugung zugleich als achtenswerter Beweggrund anerkannt werden könne. — Die „sozialpädagogische A b sicht" der Ziffer 3, wonach die Treue zur Bundesrepublik und zur rechtsstaatlichen Demokratie als sittliche Grundsätze deklariert w ü r den, deren Verletzung immer sittliche Mißbilligung verdiene, bezeichnet Noll als „an sich lobenswert", aber er hält die Einschränkung der Einschränkung i n Ziffer 3 für entbehrlich, wenn das Staatsschutzstrafrecht so reformiert würde, daß nur noch die Handlungen strafbar wären, die für den Bestand der Bundesrepublik und der rechtsstaatlichen Demokratie wirklich gefährlich seien. — Damit spricht sich Noll für eine legislatorische Teillösung des Überzeugungstäter-Problems aus, die sich letztlich i n die Schar der Versuche einreiht, diejenigen Delikte namhaft zu machen, die für eine Begehung durch Überzeugungstäter i n Frage kommen, ein Unterfangen, von dem Noll an anderer Stelle zugibt, daß es unerreichbar sei 60 . Angesichts der wachsenden Zustimmung i n bezug auf eine Sonderstrafart für Überzeugungstäter — ebenso wie von Weber 61 , Baumann62, Bauer 63, Lang-Hinrichsen 64, Stratenwerth 65 bejaht auch Jescheck 66 sie nunmehr, während Welzel 67 eine custodia honesta und Eichholz 68 eine „Sicherungshaft" wenigstens für Gewissenstäter befürworten — stellte die Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe durch das 1. Strafrechtsreformgesetz v. 25. 6.1969 (BGBl. I 645) diesen späten Teilerfolg der Radbruchschen Idee wieder i n Frage. Zwar hatte auch Radbruch neben der Gefängnisstrafe nur noch die Sonderstrafart für Überzeugungstäter gekannt 6 9 , so daß eine. Zweispurigkeit der Strafarten denkbar wäre, aber der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hatte sich 59

§ 48 a Abs. 2 Ziffer 2 E 1962/SA 1964. Noll: ZStW 78 (1966) S. 654 f. 61 Weber: S. 125. 62 Baumann: Reform S. 68 f. 63 Bauer: S. 36. 84 Lang-Hinrichsen: J Z 1966 S. 161 f. 65 Stratenwerth i n Friedrichs: S. 732. ββ Jescheck: Lehrbuch 1. A u f l . S. 272 unter Aufgabe seiner früher i n Menschenbild S. 11 u n d Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 1 S. 94 ff., 359 geäußerten Meinung. 67 Welzel: Strafrecht S. 177. 68 Eichholz: S. 191. 69 Vgl. oben Β . I I . 1. b) c). 60

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Die Reformdiskussion

i n der 5. Bundestagswahlperiode von der Sonderstraf art für Überzeugungstäter nicht nur stillschweigend abgewandt, sondern mehrere M i t glieder hatten i n Beiträgen deutlich gemacht, daß sie die Notwendigkeit einer Sonderfreiheitsstrafe für Überzeugungstäter nicht mehr einsähen 7 0 . Obwohl Peters schon 1966 darauf hingewiesen hatte, daß es für den Vertreter der Einheitsstrafe mißlich sein würde, eine besondere Strafart für Überzeugungstäter einzusetzen 71 , glaubte Greff enius auch i n einem System der Einheitsfreiheitsstrafe eine Einschließungsstrafe für Überzeugungsverbrecher beibehalten zu können. Eine Sanktion sui generis begründete er m i t der besonderen A r t der Schuld des Überzeugungstäters. Einen Widerspruch zum System der Einheitsfreiheitsstrafe bestritt er, denn „die Strafe für den Überzeugungstäter darf eben nicht auf der Ebene der gewöhnlichen Kriminalstrafe liegen" 7 2 . Auch der Alternativ-Entwurf sah eine Einschließung „für einzelne Gruppen politischer Täter" nicht als unvereinbar m i t der Einheitsstrafe an: Diese würde wegen der kriminalpolitischen Sonderstellung des Staatsschutzrechtes nicht aus den Angeln gehoben 73 . Gegen alle Versuche, die Einheitsfreiheitsstrafe zu durchbrechen, sprach sich m i t Entschiedenheit Heinitz aus. Jede privilegierte Strafart müsse i m Ergebnis dazu führen, daß der entehrende Charakter der Strafe für andere Täter betont werde 7 4 . Auch Bemmann und Maihofer betonten, gerade die Einführung einer custodia honesta lege den übrigen Strafen diskriminierenden Charakter bei 7 5 . c) Kritische Würdigung der Rechtsfolgenlösung des § 48 a E 1962/SA 1964 und der Stellungnahmen in der Literatur Die „Familienähnlichkeit" des § 48 a E 1962/SA 1964 m i t § 71 E Radbruch, §71 E 1925, §72 E 1927/E 1930, §31 E Gürtner 1939 ist unverkennbar: Vom § 71 E Radbruch/E 1925 übernahm er die Grundformel des Abs. 1, vom § 72 E 1927/E 1930 den Gedanken der Verwerflichkeitsklausel, vom § 31 E Gürtner 1939 — formal gesehen wenigstens — die 70

Vgl. oben Β . 1.12. Peters: Mayer-Festschrift S. 280. 72 Greff enius: S. 77. 73 A E 2. Aufl. S. 77, obwohl sich dadurch ein Widerspruch auftut zu der kurz vorher geäußerten Meinung, die Einführung einer nicht entehrenden Freiheitsstrafe würde gerade die Gefahr heraufbeschwören, daß die allgemeine Freiheitsstrafe einen diffamierenden Charakter bekäme. 74 Heinitz: S. 633 f.; vgl. Maurach: S. 412 (§ 35 I I 3). 75 Bemmann u n d Maihofer i n Friedrichs: S. 732. 71

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Staatsklausel und die Würdigung der „Gesamtpersönlichkeit" 76 . Trotz dieser „Verwandtschaft" unterscheidet sich die Vorschrift des § 48 a E 1962/SA 1964 von ihren „Vorfahren" nicht unerheblich. Lang-Hinrichsen und Heinitz haben bereits auf die Abkehr vom Wertneutralismus der Weimarer Verfassung und der ursprünglich kriminalpsychologischen Fassung des Überzeugungstäters hingewiesen 77 . Diese Veränderung der Problemlage hat eine Entwicklung zur Folge gehabt, die auch i n der heutigen typologischen Diskussion u m den Gewissenstäter Beachtung verdient. I m Gegensatz zu den Distinktionen bezüglich des Begriffs der Überzeugung vor 1933 und der typologischen Untersuchungen nach 1945 versuchte der Sonderausschuß „Strafrecht", die Reichweite einer Sonderbehandlung für Überzeugungstäter exakt zu begrenzen. Angesichts der Tendenz, verdeckte Vorbehalte i n Begriffs- und Typenbildungen einzubauen, anstatt sie i m Gesetz expressis verbis niederzulegen, verdienen die peniblen Bemühungen u m eine Grenzziehung, denen sich der Sonderausschuß unterzogen hat, große Anerkennung. Eine andere Frage ist es, ob die gewählten Klauseln dem Bestimmtheitsgrundsatz des A r t . 103 I I GG entsprechen 78 . Die K r i t i k , die sich § 72 E 1927/E 1930 gefallen lassen mußte, t r i f f t jedenfalls auf § 48 a nicht zu: Während jene Vorschrift sich m i t dem Begriff „achtenswerte Beweggründe" und der Aufzählung der wenig umrissenen Einschränkungen der besonderen Verwerflichkeit der A r t und Weise der Ausführung und der verschuldeten Folgen begnügte, versuchte § 48 a genauer zu spezifizieren. Über Generalklauseln kommt man dabei nicht hinaus, wenn man sich für eine generelle Ersetzungsregel entschieden hat. Dies w i r d auch i n der Literatur anerkannt 7 9 . Die prinzipielle Frage jedoch, u m die es allererst gehen sollte, lautet: Wie sind „offene" Einschränkungen überhaupt begründbar, ohne daß die gesamte Konzeption des Täters aus Überzeugung dem widerspricht? Radbruch, der seiner Lehre den sozialethischen, kriminalpolitischen und kriminalpsychologischen Typus des Überzeugungstäters zugrunde legte, mußte sich fragen lassen, warum gerade nur dieser Typus eine Sonderbehandlung erfahren sollte und nicht etwa auch Fahrlässigkeitstäter oder Ersttäter 8 0 . Gegenüber einem kriminalpsychologischen Typus 76

Vgl. oben B. I . 1. - 7. Lang-Hinrichsen: J Z 1966 S. 161; Heinitz: S. 618; vgl. Schroeder: S. 478. 78 Vgl. Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) i n Prot, des SA S. 536. Die Abg. k a m zu dem Ergebnis, eine präzisere Fassung sei k a u m möglich u n d w i d e r spreche insofern A r t . 103 I I GG nicht. 79 Noll: Z S t W 78 (1966) S. 656; Lang-Hinrichsen: J Z 1966 S. 161. 80 Krille i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 53 i n bezug auf F a h r lässigkeitstäter; Heinitz: S. 633 i n bezug auf Ersttäter m i t geringer k r i m i neller Intensität. Vgl. schon Kohlrausch: Leitsatz Nr. I I 1 S. 353: A l l e k r i m i 77

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lassen sich aber Einschränkungen ohne Hinzunahme anderer Leitgedanken nicht legitimieren. § 72 E 1927/E 1930 stellte auf das diffuse Leitbild der achtenswerten Beweggründe ab und sah sich vor die Aufgabe gestellt, einen Maßstab dafür zu suchen, unter welchen Umständen aus achtenswerten Beweggründen entsprungene Handlungen dennoch verwerflich seien. Grundgedanke war demnach die Achtbarkeit des Täters wie der Tat. Warum aber gerade die speziellen Einschränkungen, wie sie § 72 E 1927/E 1930 aufführte, und nicht andere gezogen wurden, ließ sich aus dieser Formel nicht ableiten. U m ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen, konnte sie jeweils m i t den erforderlichen Inhalten ausgefüllt werden und blieb insofern eine manipulierbare Leerformel. Von dieser Gefahr schien auch die Diskussion um den § 48 a i m Sonderausschuß nicht verschont zu bleiben. Wie ein roter Faden zieht sich nämlich durch die Beratungen, daß die neue Strafart für Überzeugungstäter eine custodia honesta sein müsse und daß nur der ehrenhaft Handelnde durch eine derartige Straf art respektiert werden dürfe 8 1 . Selbst bei der Unterscheidung zwischen den Typen des Opponenten und des Verfassungsfeindes wurde argumentiert, daß es sich bei den letzteren nicht u m „ehrenhafte Persönlichkeiten" handele 82 , obwohl nicht unmittelbar einzusehen ist, wieso es eine Frage der „Ehre" sein soll, ob jemand als Agent zugunsten eines fremden Staates oder als Opponent zugunsten einer verfassungskonformen Partei gegen die Strafgesetze verstößt. Die Hervorkehrung des Ehrengesichtspunktes könnte — mangels näherer Angaben während der Beratungen des SA — i n dreierlei Weise erklärt werden: (1) Als Übernahme eines Standesklischees, das aus der Geschichte der custodia honesta als einer Strafart für die gehobenen Stände entspränge, denen eine gemeine Strafe deshalb nicht zuzumuten sei, weil sie diese ungleich schwerer träfe als das ohnehin aus ärmlichen Verhältnissen stammende gemeine Verbrechervolk 8 3 — für eine derartige Interpretation finden sich selbstverständlich keine Anhaltspunkte; nalpsychologischen Sondertypen müßten dann konsequenterweise tatbestandlich anerkannt werden. Radbruch: Referat S. 358 hatte darauf geantwortet: N u r solche kriminalpsychologischen Typen seien anzuerkennen, „die eine strafrechtliche Sonderbehandlung erfordern", u n d zwar i m Hinblick auf die Strafzwecke. 81 V o m Beginn der Beratungen an w a r von custodia honesta u n d dem E h rengesichtspunkt die Rede: Schwalm (BMJ) i n Prot, des SA S. 480; Abg. Winter (CDU/CSU) S. 483, 489; Abg. Hubert (SPD) S. 484; Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) S. 484, 488; Abg. Güde (CDU/CSU) S. 484 f., 488; Abg. MüllerEmmert (SPD) S. 533 f.; Schafheutle (BMJ) S. 486, 532, 600. 82 Schafheutie (BMJ) i n Prot, des SA S. 600. 83 Sontag: S. 74; Baltzer: S. 41.

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ebensowenig allerdings für die eher zu vermutende Anleihe an den Begriff der „ehrlosen Gesinnung" des § 20 StGB a. F. (2) Als Gegensatz zu der ipso iure diffamierenden Strafe für gemeine Verbrecher, wie sie § 45 E 1962 für die Zuchthausstrafe vorsah und vom Sonderausschuß unverändert i n 1. Lesung übernommen wurde 8 4 . § 31 I StGB i. d. F. des 1. StRG v. 25. 6.1969 (BGBl. I 645) behält den ipso iure eintretenden Verlust der Amtsfähigkeit und des passiven Wahlrechts selbst angesichts der Einheitsfreiheitsstrafe dann bei, wenn jemand wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird. Dieser Zusammenhang zwischen der custodia honesta für Überzeugungsverbrecher einerseits und den automatischen Ehrenfolgen andererseits wurde allerdings während der Beratungen über § 48 a unterschlagen — offensichtlich, weil man wie E 1962 davon ausging, daß „keine Ehrenstrafen i m eigentlichen Sinne" 8 5 vorgesehen werden sollten. Dennoch dürften die entehrenden Nebenfolgen der Zuchthausstrafe auf die Einführung des § 48 a reflexartig gewirkt haben, selbst wenn die Abgeordneten ihr „schlechtes Gewissen" gegenüber nicht ehrlos handelnden Tätern nicht offen zugaben. Diese Interpretation w i r d durch die geschichtlichen Erfahrungen hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Ehrenfolgen und Einschließung bzw. Festungshaft seit den Beratungen über § 20 StGB a. F. und § 72 E 1927/E 1930 nahegelegt 86 . (3) Als Bewertung der Tat und des Täters i m Sinne eines sozialen Achtungsanspruches. Legt man diese allgemeine strafrechtliche A u f fassung der „Ehre" zugrunde 87 , die auch die Beratungen beherrscht haben dürfte, so stellt sich sofort wieder die Frage: Was hat als Maßstab dafür zu gelten, daß z. B. dem Verfassungsfeind der Anspruch auf soziale Achtung seiner Überzeugungstat versagt wird? Die Antwort, die der Sonderausschuß hier zu geben versucht hat, weist i n der Tat auf einen neuen Weg: Wenigstens i n § 48 a Abs. 2 Ziffer 3 werden A n griffe gegen die Verfassungsgrundsätze sowie den Bestand der Bundesrepublik Deutschland aus der Privilegierung für Überzeugungstäter herausgenommen. Ob dieser Grundsatz durch die Ausnahmen seinerseits wieder über die Maßen durchbrochen worden ist, wie Lang-Hinrichsen 69 befürchtete, mag dahinstehen: Wesentlich ist die Tendenz des Gesetzgebers, den Maßstab für die Behandlung des Überzeugungstäters 84

Vgl. Bericht des SA S. 20 f., 38. E 1962: Begründung S. 163. 86 Vgl. oben B. I I . 1. f) aa) zu § 20 StGB a. F. u n d B. I I . 2. d) zu § 72 E 1927/E 1930. 87 Vgl. Schänke / Schröder: Vorbem. zu § 185 Rnr. 1 m i t weiteren Nachweisen. 88 Lang-Hinrichsen: J Z 1966 S. 161. 85

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aus der Verfassung selbst zu entnehmen und nicht aus diffusen allgemein sozialethischen Wertungen wie „achtenswert", „ehrenhaft". Daß für die legislatorische Regelung des Problems des Überzeugungstäters der Lösungsweg anhand der Wertentscheidungen des Grundgesetzes nicht prinzipiell, sondern nur i n der Teilfrage des § 48 a Abs. 2 Ziffer 3 E 1962/SA 1964 gegangen worden ist, ist ebenso auffällig wie die Tatsache, daß bei den Beratungen auf das Grundgesetz erst zurückgegriffen wurde, u m eine Ausnahme i n malam partem zu konstruieren —, nicht aber wurde zugunsten des Überzeugungstäters untersucht, welche Auswirkungen sich aus A r t . 1, 2, 4 GG für die Lösung der Problematik ergeben. Was man von den Beratungen des Sonderausschusses hätte erwarten können, wären anhand der Grundsätze der Verfassung sorgfältig ermittelte Grundwert- und Folgewertentscheidungen zur Frage der Sonderstellung des Überzeugungstäters gewesen. Statt dessen stellte man als Hauptkriterium auf die Ehrenhaftigkeit des Überzeugungstäters und seiner Tat ab, auf einen Begriff also, der der Verfassung ebenso fremd ist, wie die damit frei konvertiblen Begriffe der Achtbarkeit oder Anständigkeit. Der prinzipielle Vorwurf, Einschränkungen der Privilegierung des Überzeugungstäters ließen sich m i t dem Konzept der Sonderstellung der Überzeugungstäter als kriminalpsychologischer Typus oder ehrenwerter Straftäter nicht widerspruchslos verknüpfen, ist nur dann zu widerlegen, wenn anhand des Maßstabs der Verfassung der Wert der Überzeugung und des Gewissens von vornherein i n Beziehung gesetzt würde zu den gleichfalls von der Verfassung geschützten und vom Überzeugungstäter angegriffenen Werten. Hebt man aber, wie es der Sonderausschuß getan hat, auf den Ehrengesichtspunkt ab, so stellt sich m i t der Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe und der Beibehaltung ipso iure eintretender Ehrenstrafen i n § 31 StGB ( = § 45 StGB n. F.) das bereits oben erörterte Problem unter anderem Aspekt neu, wie beide Regelungen miteinander i n Einklang gebracht werden sollen 89 . Diese Diskrepanz ist i n der Literatur unbeachtet geblieben. Statt dessen versuchte man die Berechtigung einer Sonderfreiheitsstrafe für Überzeugungstäter damit zu widerlegen, daß die Einschließung die Einheitsstrafe erst zur diskriminierenden mache: Ohne custodia honesta gebe es auch keine custodia inhonesta 90 . Hier w i r d jedoch ein Grund-Folge-Verhältnis umgedreht, wie es seit der Diskussion um § 20 StGB i. d. F. v. 1871 bekannt ist. Die Einführung diffamierender Strafen oder Nebenfolgen rief stets diejenigen Mahner auf den Plan, die darauf hinwiesen, daß es von der 89 90

Vgl. oben B. I I . 1. f) aa). Heinitz: S. 633 f.

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ipso iure eintretenden Ehrenstrafe Ausnahmen gebe. Solange ipso iure diffamierende Ehrenstrafen beibehalten werden, wie § 31 StGB ( = § 45 StGB n. F.) sie wieder vorsieht, kann man die Gegenposition verteidigen, daß als Reflex dieser Vorschrift eine andere besagen müsse, unter welchen Umständen die Ehrenfolge nicht eintreten dürfe. Daß die Sonderstrafart für Überzeugungstäter u. a. hierfür ein taugliches M i t tel ist, beweist die Diskussion u m § 72 E 1927, i n der die SPD-Fraktion nur dann von einer Sonderstrafart für Überzeugungstäter abrücken wollte, wenn auf Ehrenstrafen wirklich der Sache nach verzichtet würde 9 1 . Während § 48 a E 1962/SA 1964 zu der ipso-iure-Ehrenstrafenregelung des § 45 E 1962 ein Gegengewicht bot, fehlt es daran heute, weil sowohl § 48 a wie § 20 StGB a. F. und § 11 Abs. 2 a. F. WStG gestrichen worden sind, aber die Ehrenstrafe i n Gestalt des § 31 StGB (§ 45 StGB n. F.) geblieben ist. Hier besteht eine Diskrepanz, die gerade jene hätte bewegen müssen, die sich für den Ehrengesichtspunkt als den entscheidenden Grund für eine Sonderregelung für Überzeugungstäter ausgesprochen hatten. Tatsächlich war man sich i n der 1. Lesung der den Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts betreffenden Vorschrift i m Sonderausschuß des Ehrenstrafencharakters einer automatischen Regelung bewußt und sah auch den Zusammenhang m i t dem Problem des Überzeugungstäters, so daß man sich schließlich für eine fakultative Lösung entschied 92 . Die Automatik-Regelung kam erst i n der 2. Lesung unter Zeitdruck als Verlegenheitslösung zustande. U m die Verabschiedung der die Einheitsfreiheitsstrafe einführenden Novelle nicht i n Frage zu stellen, stimmte man aus taktischen Erwägungen der Automatik-Regelung zu, w e i l sie die zeitsparendere, nicht aber die richtige Lösung w a r 9 3 . Die Vertreter der SPD und FDP votierten 91

Vgl. oben B. I I . 2. a) aa). Abg. Güde (CDU/CSU) i n Prot, der 30. Sitzung des SA v. 4.10.1966 i n der 5. Wahlperiode S. 584 meinte, „es gehe hier nicht sô sehr u m eine m o ralisch zu begründende Disqualifikation des Betreffenden, sondern u m die äußere Ehre". F ü r Abg. Müller-Emmert (SPD) ebenda w a r der wichtigste Gesichtspunkt für die Ablehnung der §§ 45, 56 E 1962, daß sie „doch die W i r k u n g einer Ehrenstrafe hätten u n d auf die Dauer gesehen äußerst resozialisierungsfeindlich seien". Müller-Emmert ebenda S. 585 wandte sich gegen jede strafrechtliche „Differenzierung auf dem M a r k t der Ehre". Schafheutle (BMJ) u n d Abg. Müller-Emmert (SPD) wiesen i n der 31. Sitzung des SA v. 5.10.1966 S. 593 u n d S. 594 darauf hin, daß m a n dem Überzeugungstäter m i t der fakultativen Lösung besser gerecht werden könne. Der A u s schuß stimmte einstimmig folgender Fassung zu: „Das Gericht k a n n dem Verurteilten die Fähigkeit, öffentliche Ä m t e r zu bekleiden, u n d die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, f ü r eine bestimmte Dauer aberkennen . . . " , ebenda S. 594, A b s t i m m u n g S. 595. 93 Obwohl zwischen der 1. u n d der 2. Lesung der betreffenden Vorschriften über zwei Jahre lagen, vermochten die Vertreter des B M J den A u s schuß m i t der Eröffnung unter Druck zu setzen, daß noch 55 Bundesgesetze 92

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n u r u n t e r d e r V o r a u s s e t z u n g n i c h t gegen die A u t o m a t i k - L ö s u n g , daß es sich h i e r b e i u m k e i n e D a u e r l ö s u n g h a n d e l n d ü r f e 9 4 . D a d e m n a c h d i e Fassung des g e l t e n d e n Rechts w i d e r besseres W i s s e n n u r „aus G r ü n d e n d e r A r b e i t s ö k o n o m i e " 9 5 als „ Ü b e r g a n g s l ö s u n g " beschlossen w o r d e n i s t 9 6 , s o l l t e m a n die K o n s e q u e n z e n ziehen u n d z u r Fassung der 1. L e s u n g als der a m R e s o z i a l i s i e r u n g s g e d a n k e n ausgerichteten z u r ü c k kehren. M i t dieser Ä n d e r u n g ließe sich z w e i e r l e i v e r h i n d e r n : E i n m a l , daß i n Z u k u n f t eine V o r s c h r i f t des I n h a l t s p o s t u l i e r t w e r d e n k ö n n t e , daß u n t e r gesetzlich z u f i x i e r e n d e n U m s t ä n d e n die a u t o m a t i s c h e n E h r e n s t r a f e n doch n i c h t e i n t r e t e n ; z u m anderen, daß d e r R i c h t e r sich g e n ö t i g t sehen k ö n n t e , w e g e n d e r bereits m i t e i n e m J a h r F r e i h e i t s s t r a f e v e r b u n d e n e n E h r e n s t r a f e n das S t r a f m a ß k ü n s t l i c h g e r i n g z u h a l t e n , w e n n er d e n E i n t r i t t d e r a u t o m a t i s c h e n F o l g e n i m k o n k r e t e n F a l l f ü r u n g e rechtfertigt hält. d) Abschließende Thesen 7 - 9 These 7 B e i d e n B e r a t u n g e n ü b e r § 48 a E 1962/SA 1964 h a t das B e m ü h e n u m eine Rechtsfolgenlösung d e n B l i c k a u f die F r a g e n e i n e r T a t b e s t a n d s u n d etwa 100 Landesgesetze geändert werden müßten, w e n n m a n an der fakultativen Lösung festhalten wolle, Göhler (BMJ) i n Prot, der 127. Sitzung des SA v. 5.12.1968 S. 2566. Göhler ebenda S. 2567: „Es w i r d dann meines Erachtens k a u m möglich sein — H e r r Vorsitzender, ich sage das sehr deutlich —, bereits i n der Novelle zum Strafgesetzbuch die Einheitsstrafe einzuführen." Vgl. Göhler (BMJ) ebenda S. 2571, 2573 erneut. Der Ausschuß beschloß daraufhin bei einer Stimmenthaltung den „automatischen Verlust 94 der Amtsfähigkeit Abg. Müller-Emmert u n d der Wählbarkeit", (SPD) i n Prot, ebenda der 127. S. 2575. Sitzung des SA v. 5.12. 1968 S. 2574 erklärte, „seine Zustimmung zu der A u t o m a t i k gebe er nur unter dem Vorbehalt, daß die gesamte Problematik i n der nächsten Legislaturperiode unter Umständen anders gelöst werden könne". Er stimme n u r zu, w e i l die Novelle andernfalls nicht rechtzeitig verabschiedet werden könne. Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) ebenda sprach sich gleichfalls gegen eine „Dauerlösung" aus. Die Abg. erkannte hellsichtig: „Selbst w e n n man jetzt der A u t o m a t i k n u r als Übergangslösung zustimme, bestehe die Gefahr, daß später eine Überprüfung der einzelnen Nebengesetze und damit die unbedingt notwendige Reform der Statusfolgen unterbleibe." 95 Abg. Müller-Emmert (SPD) i n Prot, der 127. Sitzung des SA v. 5.12. 1968 S. 2574 meinte, „daß i m Augenblick aus Gründen der Arbeitsökonomie, der taktischen Durchsetzung der Novelle u n d der Reform des Strafgesetzbuches . . . nichts anderes übrigbleibe, als der vorgeschlagenen Regelung zuzustimmen". Der Abg. übernahm damit die Argumentation von Göhler (BMJ) ebenda S. 2573, daß aus „zwingenden taktischen u n d arbeitsmäßigen Gründen" der automatische E i n t r i t t der Statusfolgen beschlossen werden müsse, „da andernfalls das Straf recht i n dieser Hinsicht nicht mehr i n dieser Legislaturperiode geändert werden könnte". 98 Abg. Diemer-Nicolaus (FDP) i n Prot, der 127. Sitzung des SA v. 5.12. 1968 S. 2574.

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lösung des Problems des Überzeugungstäters versperrt. Sowohl verfassungsrechtlich wie strafrechtlich ist das Problem des Überzeugungstäters nicht zu Ende gedacht worden. a) Die Wertentscheidungen des Grundgesetzes wurden nicht für die Begründung der legislatorischen Grundwertentscheidung über das Problem des Überzeugungstäters herangezogen, sondern lediglich dazu, um Begrenzungen einer — aus anderen Gründen — für gerechtfertigt gehaltenen Rechtsfolgenlösung ableiten zu können. b) Das Schuldprinzip des Strafrechts wurde nicht für die Prüfung einer Tatbestandslösung herangezogen, sondern lediglich dazu, um als Strafzumessungskriterium und Strafvollzugsmaßstab zu dienen. These 8 Der i n den Beratungen über § 48 a E 1962/SA 1964 zugrunde gelegte Anknüpfungsbegriff der „Ehre" vermag eine legislatorische Grundwertentscheidung nicht mehr zu tragen, da die falsche Alternative „ehrloser Allgemein Verbrecher" und „ehrenhafter Überzeugungstäter", die bereits Radbruch zu Recht zurückgewiesen hatte, unterstellt wird. U m keine Bestrebungen zur Einführung einer nicht entehrenden Strafart zu provozieren, die m i t der Forderung nach einer Sonderstrafart für Überzeugungstäter verknüpft werden könnte, sollte die automatische Ehrenstrafe des § 31 StGB ( = § 45 StGB n. F.) i n eine fakultative Regelung umgewandelt werden. These 9 Da auch die wertrelativistische Maxime Radbruchs angesichts der Wertentschiedenheit des Grundgesetzes als Ansatz für eine legislatorische Grundwertentscheidung nicht i n Betracht kommen dürfte, ist zu prüfen, ob die Grundrechtsverbürgungen des Grundgesetzes eine Sonderbehandlung des Überzeugungstäters fordern. Insbesondere A r t . 4 GG ist als neuer Ansatzpunkt einer legislatorischen Grundwertentscheidung über das Problem des Überzeugungstäters zu untersuchen. Sollte das Maßstabsproblem für die legislatorischen Grundwert- und Folgewertentscheidungen anhand des Maßstabes des Grundgesetzes zu lösen sein, stellt sich das Problem der Ausnahmeregelung nicht mehr. Der Widerspruch, Ausnahmen von der Regel zuzulassen, obwohl sie dem Prinzip zuwiderlaufen, wäre dann beseitigt.

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Die Reformdiskussion

I I I . Zusammenfassender Überblick über die von der Lehre vom Überzeugungstäter ausgelösten Problemkreise Da diese Arbeit eine Darstellung der sich aus der Lehre Radbruchs ergebenden allgemeinen Probleme der Rechtsfigur des Überzeugungstäters geplant hat, außerdem die Problemstellungen zur Zeit der Weimarer Republik m i t denen der heutigen, unter der Herrschaft des Grundgesetzes stehenden Zeit nicht identisch sind, sollen als Abschluß der Darlegung der Reformdiskussion die Fragestellungen beider Epochen i n Thesenform einander gegenübergestellt werden. Damit bleibt nicht nur der ideengeschichtliche Zusammenhang gewahrt, der bei einer systematisch-abstrahierenden Darstellung notwendig leiden muß, sondern es w i r d zugleich ein Überblick über die Vielfalt der Fragen möglich, die von der Radbruchschen Lehre vom Überzeugungstäter ausgelöst worden sind. Ordnet man die bis 1933 geübte K r i t i k an Radbruchs Rechtsfigur nach ihren Hauptgesichtspunkten, so beschäftigten die Gegner dieser Lehre vor allem die folgenden Fragen: 1. Widerspricht es nicht der Idee des Staates und der Rechtsordnung, bei Verletzungen von Rechtsnormen eine anderweitig verpflichtende Instanz, sei es eine Individual- oder Gruppenmoral, gegenüber dem Geltungsanspruch der staatlichen Rechtsordnung zu berücksichtigen? Diese Frage führt zu der rechts- und staatsphilosophischen Relevanz des Problems und bezieht sich auf Radbruchs sozialethische Rechtfertigung einer Sonderstrafe für Überzeugungstäter. 2. Kann Radbruchs Behauptung zugestimmt werden, der Überzeugungsverbrecher lasse sich weder bessern noch abschrecken, noch seien Vergeltung und Sühne bei i h m zu rechtfertigen? Diese Frage soll die Gültigkeit der herkömmlichen Strafzwecke i n bezug auf die Bestrafung des Überzeugungsverbrechers sowie die Ausgestaltung des Strafvollzugs klären. 3. Stellt der Überzeugungsverbrecher tatsächlich einen kriminalpsychologischen Sondertypus dar, und hat Radbruch recht, wenn er auf die empirische Feststellbarkeit des kriminalpsychologischen Typus i m Strafprozeß hinweist, — oder setzt der Ausspruch über das Gegebensein der Überzeugungstätereigenschaft bei dem Angeklagten nicht doch ein Werturteil des Richters voraus? Diese Frage w i l l zur Prüfung der von Radbruch besonders herausgestellten Tauglichkeit seines Typus für die strafprozessuale Erkenntnis anregen.

Problemkreise

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4. Wie ist der Begriff der Pflichtüberzeugung zu formulieren? Diese Frage weist auf die legislatorische Aufgabe hin, den die Intention des Gesetzgebers exakt fassenden Ausdruck zu finden. 5. Reicht es i n der Tat aus, wie Radbruch behauptet hat, das Vorliegen einer Pflichtüberzeugung zu konstatieren, ohne auch deren Inhalt kritisch würdigen zu dürfen, ohne die A r t der Begehung, die eingesetzten Mittel, die heraufbeschworenen Folgen und die Wertigkeit des verletzten Rechtsgutes berücksichtigen zu dürfen? Diese Frage stellt das Problem der Auswahl von Merkmalen zur Diskussion, bei deren Vorliegen eine Sonderbehandlung des Überzeugungsverbrechers zu verneinen ist, und weist auf das Problem hin, anhand welcher Maßstäbe diese Aufgabe zu erfüllen ist. 6. Welche Auswirkungen hat die Lehre vom Überzeugungsverbrecher auf Rechtswidrigkeit, Schuld und Strafzumessung i n bezug auf das Verhalten eines Täters, der sich gegenüber der Verletzung einer Rechtsnorm auf ein angeblich höherrangiges Recht beruft? Diese Frage hebt die strafrechtsdogmatische Relevanz des Problems hervor. Überblickt man die Beiträge zur Rechtsfigur des Überzeugungs- und Gewissenstäters aus der Zeit nach 1945, so eröffnen sich, i m Vergleich zur Diskussion vor 1933, mehrere neue Aspekte: 1. Wie läßt es sich begründen, daß ein Normadressat dem Normbefehl auch dann zu folgen hat, wenn er sich seiner Überzeugung oder seinem Gewissen gemäß verpflichtet fühlt, unter Berufung auf eine „höhere Norm" der gesetzlichen Norm zuwiderzuhandeln? Diese Frage w i r f t das Problem der Verbindlichkeit und Geltung von Rechtsnormen auf, eine Frage, die man bis zur Formulierung der Lehre vom Überzeugungstäter als Anlaß für blasse rechtsphilosophische Theorien halten konnte. 2. Ergeben sich aus dem Bekenntnis des Grundgesetzes zu Menschenwürde und Gewissensfreiheit sowie aus dem Selbstverständnis der Bundesrepublik als einem sozialen Rechtsstaat und der Bindung der staatlichen Gewalt an eine freiheitliche demokratische Grundordnung Folgerungen für die Lösung des Problems des Überzeugungs- bzw. Gewissenstäters? Damit w i r d nicht nur die Fragestellung auch auf Verfassungsebene drängend, sondern die Verflochtenheit der anstehenden Problematik m i t den Grundwertentscheidungen des jeweiligen Staatswesens w i r d offensichtlich.

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Die Reformdiskussion

3. Kann ein einheitlicher Typus des Überzeugungstäters, wie Radbruch i h n gesehen hatte, aufrechterhalten werden, oder ist der Typus des Überzeugungstäters aufzuspalten i n Gewissenstäter, Ideologietäter, totalitäre Täter etc.? Die Postulierung des Typus des Gewissenstäters stellt den augenfälligsten Unterschied dar zwischen den Erörterungen zur Weimarer Zeit und der heutigen Diskussion. 4. Kommt eine Sonderstrafart für Überzeugungs- bzw. Gewissenstäter auch nach Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe i n Betracht, und wie hat der Strafvollzug auszusehen? Sind Rechtsfolgenlösungen noch angebracht oder sind nur Tatbestandslösungen denkbar? Die strafrechtsdogmatische Beurteilung steckt nach wie vor i n den Anfängen, da sie abhängig ist von den ebenfalls bisher ungeklärten Auswirkungen der Verfassung sowie der rechtsphilosophischen Grundposition zum Problem des Überzeugungstäters. Hält man sich diese während zweier demokratischer Epochen aufgeworfenen Fragen zur Radbruchschen Lehre vom Überzeugungsverbrecher vor Augen, so lassen sich unschwer die folgenden Problemkreise erkennen: 1. Ein typologisch-begrifflicher, 2. ein rechtsphilosophischer, 3. ein politisch-ver fassungsrechtlicher, 4. ein legislatorisch-kriminalpolitischer, 5. ein straf rechtsdogmatischer, 6. ein strafprozessualer, 7. ein vollzugskundlicher Problemkreis. I n dem häufig und ausführlich erörterten Typus-Komplex kumulieren viele Fragestellungen, die den anderen Problemkreisen angehören, so daß der Ausgang von der typologischen Untersuchung die Möglichkeit eröffnet, die Problematik der Lehre vom Überzeugungs- bzw. Gewissenstäter von hierher zu entfalten.

C. Die Rechtefigur des Überzeugungstäters als typologisches Problem Das Schrifttum beschäftigte sich eingehend m i t der von Radbruch behaupteten Typizität des Überzeugungsverbrechers, wobei Begriffe wie Überzeugung, Gesinnung und Gewissen zunächst vielfach unfixiert und gegeneinander austauschbar benutzt wurden, u m den Sachverhalt zu beschreiben, daß von einem Täter eine Ordnung durchbrochen wird, u m eine andere Ordnung zu erkämpfen, daß eine Norm verletzt wird, u m eine andere zu befolgen 1 . Während es Radbruch darum ging, i m Typus des Überzeugungstäters eine Zusammenfassung der politischen Täter sowie der aus religiösen oder sittlichen Motiven Handelnden einzuführen und die Literatur vor 1933 sich damit beschäftigte, die Einheitlichkeit dieses Typus anzuzweifeln oder zu bestätigen, war es einem Teil der Autoren nach 1945 angelegen, m i t dem Typus des „Gewissenstäters" einen Teil der bis dahin dem Typus des Überzeugungstäters zugeordneten Gruppen abzuspalten und den Sondertypus „Gewissenstäter" neu zu begründen. Der dahinterstehende Gedanke ist offensichtlich: Der Radbruchsche Typus des Überzeugungstäters erschien zu weit, als daß alle unter diesen Typus fallenden denkbaren Konstellationen i m vergleichbaren Maße als strafwürdig erachtet wurden. Insbesondere richtete sich die A n griffsrichtung dieser Unterscheidung gegen den politischen Täter, der dadurch eliminiert werden sollte, daß man eine positiv gekennzeichnete Überzeugungstätergruppe aus dem bisherigen Typus hervorhob (die sogenannten Gewissenstäter) und die verbleibenden Gruppen von Überzeugungstätern — die politischen — einer Sonderstrafart dann nicht mehr für wert erachtete. Andererseits konnte man versuchen, durch Abhebung einer NegativGruppe den Typus des Überzeugungstäters zu „säubern": Diesem Ziele diente die Einführung des Typus des Ideologie-Täters. Es bestand aber auch die Möglichkeit, aus dem Anwendungsbereich des beibehaltenen Radbruchschen Typus des Überzeugungstäters bestimmte ausdrücklich normierte Straftatbestände und Begehungsweisen auszugrenzen (§ 48 a E 1962/SA 1964). 1

Vgl. Wolf: Verbrechen S. 6.

8 Gödan

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Die Rechts/igfr des Überzeugungstäters

Schließlich war man bestrebt, an das Vorliegen der verschiedenen Typen jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen. Erkennt man den Typus des Gewissenstäters an, könnte die Tat z.B. nicht strafbar sein, während i m Falle der verbleibenden Überzeugungstätergruppen deren Mitglieder entweder wie gemeine Verbrecher oder mit einer Sonderstrafe bestraft werden könnten. Zur Stützung der verschiedenen Thesen bezieht man sich bei den vielfältigen Typisierungsversuchen immer wieder auf kriminologische Daten — oder vermutet diese, so daß es angebracht erscheint, vorab den Typus des Überzeugungsverbrechers aus kriminologischer Sicht zu beschreiben.

I. Der Typus des Überzeugungsverbrechers in kriminologischer Sicht 1. Der kriminalpsychologische Typus des Uberzeugungsverbrechers Die schärfste K r i t i k an Radbruchs kriminalpsychologischem Typus des Überzeugungsverbrechers ging dahin, daß es sich hier, wie Staff behauptet hat, nicht u m einen „dem wirklichen Leben entnommenen, sondern i n stiller Gelehrtenstube, i n der die Ideale wohnen, ersonnenen neuen Typus von Straftätern" handele 2 . Demgegenüber wurde von psychiatrischer Seite betont, der Typus des Überzeugungsverbrechers sei keine „blasse Konstruktion der Theorie", sondern ein Typus, den gerade der Psychiater häufig kennenlerne. Gaupp betonte, daß die „Seele der Menschen", die das Gesetz aufgrund ernst erworbener Pflichtüberzeugung verletzten, „ i n grundlegenden sittlichen Fragen anders beschaffen" sei als die des Gelegenheits- oder Gewohnheitsverbrechers. Insoweit sei § 71 E 1925 i n seiner Grundanschauung auf richtigem Wege 3 . Auch Aschaffenburg hielt die „Überzeugtheit" für eine grundmaßgebende Eigenschaft des Menschen und unterschied hinsichtlich des Überzeugungsverbrechers drei Gruppen: Der ideale Typus des Überzeugungsverbrechers, den er als die vielleicht interessanteste Erscheinung des ganzen Menschengeschlechts bezeichnete, sei die „unendliche Ausnahme", während „die unendlich große Zahl der Mitläufer", die „nur eine ganz kümmerliche Überzeugung" hätten, überwögen; zu berücksichtigen seien schließlich noch die 2 Staff: ÖRiZ 1926 S. 115. — Dagegen wandte sich Radbruch: Referat S. 355 unter Hinweis darauf, daß der Begriff des Uberzeugungsverbrechers hervorgegangen sei aus amtlicher Berührung m i t dem Überzeugungsverbrechertum. 3 Gaupp: S. 400.

Das typologische Problem

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Kriminellen, die sich das „Überzeugungsmäntelchen" umhingen, „ u m damit ein gutes Geschäft zu machen" 4 . Auch Höpler sah als häufigste Spielart des Überzeugungsverbrechers den Mitläufer an, der der Massensuggestion erlegen sei. Die „Menge der Irregeleiteten" würde ebenso vom Typus des Überzeugungsverbrechers umfaßt wie „die seltenen von Radbruch gezeichneten Idealmenschen" 5 . Morasch beschrieb den Unterschied zwischen dem „idealen" Überzeugungsverbrecher und dem Mitläufer so, daß jener sich seine Überzeugung erarbeitet und erkämpft habe und i h m Willenskraft und scharfes Denken zu eigen sei, während die Mitläufer leicht eines besseren zu belehren seien, zumal starke Emotionalität sie kennzeichne 6 . Während nach der Meinung Aschaffenburgs und Höplers der Typus des Überzeugungsverbrechers weit aufgefächert erschien, erblickte Nagler das charakteristische Merkmal aller Überzeugungsverbrecher i n der „Überwertigkeit einer bestimmten Gedankengruppe". Damit unterfällt allerdings — ebenso wie bei Radbruch — auch der Querulant, der von der Überwertigkeit seiner Person erfüllt ist, diesem T y pus 7 . Nagler kam daher zu dem Ergebnis, daß die Grenze zum Pathologischen schwer zu ziehen sei 8 . Auch Gaupp ging davon aus, daß sich viele Überzeugungstäter „auf jenem Grenzgebiet zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit" bewegten 9 . Aber Radbruchs Beschreibung des Überzeugungsverbrechers als eines kriminalpsychologischen Typus fand nicht nur als Einzelstudie i n der Kriminologie Anklang, vielmehr wurde der von Radbruch beschriebene Typus auch von Aschaffenburg, Gruhle und Seelig zum tragenden Bestandteil der jeweiligen kriminologischen Typologie ausgewählt. Aschaffenburg unterschied folgende psychologische Grundtypen unter dem Gesichtspunkt, welche Stärke die von außen an die Persönlichkeit herantretenden Beweggründe haben müssen, u m sie aus dem Geleise zu bringen: 1. „die Widerstandsfähigen", zu denen er ausdrücklich auch die Überzeugungsverbrecher rechnete, die sich außerhalb des Gebietes, wo 4

Aschaffenburg: Diskussionsbeitrag S. 395 f. Höpler: S. 67 ff., Zitat auf S. 71. β Morasch: S. 15. 7 Nagler: S. 56; Radbruch: Referat S. 373: „Überzeugungsverbrecher ist auch der geistig minderwertige Querulant." Auch Gaupp: S. 398 weist auf die Beherrschung durch überwertige Ideen hin. 8 Nagler: S. 57 f. 9 Gaupp: S. 398. Ebenso Birnbaum: S. 124. 5

8*

Die R e c h t s / i g r des Überzeugungstäters

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sie sich aus tiefster Überzeugung zu einem Rechtsbruch gezwungen sähen, völlig sozial verhielten; 2. die Affekt- und Trieb Verbrecher, zu denen die Überzeugungsverbrecher allerdings auch gehören könnten; 3. die Haltlosen; 4. die A k t i v e n 1 0 . Gruhle ging ebenfalls von einem psychologischen Einteilungsgesichtspunkt aus und unterschied 11 : 1. Verbrecher aus Neigung, und zwar aktive und passive Täter; 2. Verbrecher aus Schwäche; 3. Verbrecher aus Leidenschaft; 4. Verbrecher aus Ehre und Überzeugung. Hierzu rechnete Gruhle vor allem politische Verbrecher 12 . Die Zurechnung zum Typus des Überzeugungsverbrechers setze voraus, daß der einzelne nicht eigennützig gehandelt habe 13 . Die meisten Überzeugungsverbrecher begingen allerdings aus Eitelkeit, Abenteuerlust, Ruhmsucht und Fanatismus ihre Verbrechen, so daß man diejenigen, die zu solchen Überzeugungstätern bewundernd aufblickten, „tief desillusionieren" müsse. Gruhle kam zu folgendem Schluß 14 : „Vielleicht mag es einmal einen Überzeugungsverbrecher geben, der weder Phantast noch Schauspieler noch Hysteriker noch Psychotiker ist, doch w i r d eine solche anima candida sicher ungemein selten sein." Angesichts dieses pessimistischen Befundes, der die Überzeugungsverbrecher nur als große Poseure und wunderliche Heilige qualifiziert, stellt sich allerdings die Frage, ob hier nicht der Psychologe Gefahr gelaufen ist, m i t naturwissenschaftlichen Termini das zu tun, wovor Radbruch die Juristen warnen wollte: die Überzeugung des i n der Minderheit befindlichen einzelnen abzuwerten 15 . Göppinger jedenfalls hat am Beispiel der den Ersatzdienst verweigernden Zeugen Jehovas keine abnormen Reaktionen feststellen können 1 6 . 10

Aschaffenburg: Handwörterbuch S. 837. Gruhle: Psychologie S. 505, vgl. Handwörterbuch S. 911 f. 12 Gruhle: Psychologie S. 505; vgl. Rohden: S. 134. 13 Z u m M e r k m a l des nicht eigensüchtigen bzw. altruistischen Beweggrundes vgl. Kohlrausch: Leitsatz I I I 2; Beschlüsse des 34. D J T Bd. 2 S. 419; E Ferri: s. oben Β . I I . 1. f) cc); sowie ablehnend Radbruch: Referat S. 356 f. 14 Gruhle: Verstehen S. 257, vgl. Handwörterbuch S. 912. 15 Vgl. auch Sauer: S. 205: „ U n t e r den Tätern finden sich selten w o h l gereifte, lebenserfahrene Männer, vielmehr Idealisten u n d Phantasten, J u gendliche, Frauen u n d gealterte, dem Leben fremd gegenüberstehende Leute." 16 Göppinger i n Friedrichs: S. 730 f. 11

Das typologische Problem

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Exner kritisierte diese kriminalpsychologischen Einteilungen deswegen, weil eine klare Scheidung der Gruppen fehle: Ein Überzeugungsverbrecher sei i n der Terminologie Gruhles häufig ein Leidenschaftsverbrecher 17 . Auch Aschaffenburg war sich unschlüssig, ob der Überzeugungsverbrecher nicht eher zu den Affektverbrechern gehöre als zu den Widerstandsfähigen 18 . Der Einwand Exners t r i f f t allerdings nicht den speziellen Typus des Überzeugungsverbrechers, sondern die kriminalpsychologische Typologie und ihre Abgrenzungen. 2. Der soziologische Typus des Uberzeugungsverbrechers Wolf sah das Typische des Überzeugungsverbrechers nicht i n der kriminalpsychologischen Besonderheit, sondern darin, daß sowohl die einmaligen, historischen Überzeugungsverbrecher wie Brutus, Teil und Kohlhaas ebenso wie die politischen „letzten Endes immer eine sozialethische, gruppliche, keine individuell-autonome Pflichtüberzeugung durchsetzen" wollten 1 9 ; alle m i t der geltenden Rechtsordnung in K o n f l i k t geratenen Überzeugungen seien i n der Regel nicht der Ausdruck persönlicher, sondern „sozialer Sittlichkeit" 2 0 . Wolf nannte den so herausgearbeiteten Typus mißverständlich einen soziologischen, während man klarer von einem sowohl sozialethisch motivierten wie gruppensoziologisch geprägten Typ sprechen könnte. Wolf sah nämlich i m Überzeugungsverbrecher den „Träger eines Gruppengeistes" 21 , der, als der „seiner Gruppe hörige Geist", keine einmalige Gewissensentscheidung mehr kenne. Der religiöse Sektierer wie der politische Parteigänger hätten den ursprünglich eigensten K o n f l i k t des Menschen: den zwischen seiner persönlichen und seiner politischen oder religiösen Pflichtüberzeugung i n den K o n f l i k t des betreffenden Gruppengeistes mit dem Redit des Staates verschoben 22 . Wolf kam zu dem Ergebnis, „daß nicht die individuell-sittliche Gesinnung des einzelnen, sondern ein diese Gesinnung überwältigender sozialethischer Gruppengeist" vom staatlichen Gesetzgeber bei der Anerkennung des Überzeugungsverbrechers berücksichtigt werde 2 3 . 17

Exner: S. 203 f. Vgl. auch Birnbaum: S. 124; Sauer: S. 205. 19 Wolf: Verbrechen S. 24. 20 Wolf: Verbrechen S. 25. 21 Wolf: Verbrechen S. 26, vgl. schon ZStW 46 (1925) S. 213 ff. zum religiösen u n d politischen Überzeugungsverbrecher als Angehörigen von Gruppen. 22 Wolf: Verbrechen S. 27. 23 Wolf: Verbrechen S. 28. Dieser Meinung haben sich Budzinski: S. 22 u n d Schneider: S. 12 ff. angeschlossen. Schneider sieht den nicht gruppengebundenen Überzeugungsverbrecher als krankhafte Erscheinung an, S. 13. Ablehnend: Morasch: S. 12, der eingewendet hat, oberste Instanz für den Überzeugungsverbrecher bilde das Gewissen, nicht die Gemeinschaft. 18

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Die

e c h t s / i f r des Überzeugungstäters

M i t dieser Feststellung versuchte Wolf seine staatsphilosophische These vom Primat der Idee des Staates vor den Gruppeninteressen empirisch abzusichern. Wolfs Stellungnahme zu dem sogenannten einmaligen, historischen Überzeugungsverbrecher bleibt aber zwiespältig. Wolf behauptete einerseits, daß auch die einmaligen Überzeugungsverbrecher letzten Endes immer eine gruppliche Pflichtüberzeugung durchsetzen wollten 2 4 , während er andererseits mutmaßte, der einmalige Überzeugungsverbrecher würde von der juristischen Praxis zum Typus degradiert werden, falls es zu einer gesetzlichen Allgemeinbestimmung komme 2 5 . Hier w i r d die Doppelgesichtigkeit des von Wolf so genannten „soziologischen Typs" deutlich: Der sozialethisch motivierte Überzeugungsverbrecher braucht nicht notwendig ein von einer Gruppe moralisch und sozialpsychologisch geprägter Geist zu sein und umgekehrt 2 6 . A n anderer Stelle ging Wolf wieder von einem einheitlichen Typus des Überzeugungsverbrechers aus, den er als durch „Rechtsgesinnungsverfall" gekennzeichnet ansah 27 . Offen bleibt endlich, ob Wolf, so wertvoll seine Untersuchungen vor allem i m Hinblick auf die Gruppenbindung der Überzeugungstäter sind, Radbruchs Ansicht von der Typizität des Überzeugungstäters überhaupt zu treffen vermag. Wolf hat an die Stelle des psychologischen Typus einen soziologischen gesetzt und damit die Typizität des Überzeugungsverbrechers zugestanden. Radbruch hatte als typisch — i. S. Wolfs hieße dies: das Sich-Wiederholende und Gleichbleibende i m Ablauf von Seinsvorgängen 28 — angesehen, daß Überzeugungsverbrecher sich gegenüber dem bestehenden staatlichen Recht auf ein „höheres" Recht berufen und diesem den Vorzug geben. Diesen nach Meinung Radbruchs alle Überzeugungstäter verbindenden Gesichtspunkt hat Wolf jedoch nicht untersucht, er hat i h n vielmehr stillschweigend 24

Wolf : Verbrechen S. 24. Wolf: Verbrechen S. 26, so schon ZStW 46 (1925) S. 218. Vgl. Diskussionsbeitrag S. 391. 28 Z u r K r i t i k an Wolf vgl. Oetker: S. 484 f. — Oetker bezeichnete Wolfs soziologischen Typus als „unzulässige Verallgemeinerung" u n d stellte dem, ebenso unzulässig verallgemeinernd, gegenüber: „Nicht Gruppen, sondern Männer bestimmen die Volksgeschichte." 27 Wolf: Wesen S. 18: Der Überzeugungsverbrecher offenbare „Rechtsgesinnungsverfall, indem er, statt sich am Maß des objektiven Rechts zu messen, sein eigensinniges Selbst-Wollen zum Maßstab allen Rechtes macht, den Rechtswillen i n W i l l k ü r entarten läßt". Dazu steht Wolfs Erkenntnis, S. 29 f., daß der Revolutionär kein Verbrecher, sondern ein Staatsfeind sei, i n Kontrast. Wolf meinte i m Anschluß an G. Husserl , daß hier eine „ N o r m e n t fremdung" vorliegt. Diesen Gedanken hat Wolf wieder aufgegeben, vgl. Ritter: S. 338 A n m . 309. Vgl. Schroeder: S. 135. 28 Wolf: Verbrechen S. 22. 25

Das typologische Problem

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vorausgesetzt. Dies mag damit zusammenhängen, daß er durch seine Überlegungen, ob der Richter nur eine psychologische Feststellung der Überzeugungstätereigenschaft zu treffen oder ein Werturteil darüber abzugeben hat, den inhaltlichen Aspekt des Radbruchschen Typus aus den Augen verloren hatte. 3. Seeligs und Weindlers Untersuchungen zum Uberzeugungsverbrecher A m eingehendsten hat sich Seelig mit dem kriminologischen Typus des Überzeugungsverbrechers befaßt, den er nicht mehr i n ein reines kriminalpsychologisches Typenschema einpaßte; vielmehr legte Seelig seiner Typenbildung ein kombiniertes Verfahren zugrunde, das er durch das Zusammenstellen von Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen gewann. Unter Verzicht auf nur ein Einteilungsprinzip wollte Seelig zu einer anschaulicheren und lebensnaheren Typologie gelangen 29 . Aufgrund dieser „phänomenologischen" Einteilung gewann Seelig die folgenden Typen 3 0 : 1. arbeitsscheue Berufsverbrecher 2. Vermögensverbrecher aus geringer Widerstandskraft 3. Verbrecher aus Angriffssucht 4. Verbrecher aus sexueller Unbeherrschtheit 5. Krisenverbrecher 6. primitivreaktive Verbrecher 7. Überzeugungsverbrecher 8. Verbrecher aus Mangel an Gemeinschaftsdisziplin. Die Eigenständigkeit des kriminologischen Haupttyps des Überzeugungsverbrechers begründete Seelig zunächst damit, „daß bei der Tatmotivation an die Stelle der Überwindung jener Hemmung, die sonst vom Bewußtsein der Widerrechtlichkeit ausgeht, ein Antrieb infolge der wertbetonten Überzeugung t r i t t , zur Begehung der Tat verpflichtet zu sein" 3 1 . Diese Charakterisierung des Unterschieds zwischen gemeinem Verbrecher und Überzeugungsverbrecher ist neuerdings von Tietjen und Greffenius übernommen worden 3 2 . Sie stößt jedoch auf Zweifel, da sie einseitig ein Hemmungsvermögen bei dem gemeinen Verbrecher und eine Antriebskomponente bei dem Überzeugungsverbrecher zugrunde legt. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Budzinski zu einer umge29 30 31 32

Seelig: S. 20 f.; Seelig / Bellavic: S. 67. Seelig: S. 19; vgl. Seelig / Bellavic: S. 68. Seelig: S. 10; vgl. ähnlich Weindler: S. 66. Tietjen: S. 78; Greffenius: S. 60.

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Die Rechts/igfitr des Überzeugungstäters

kehrten Einschätzung des kriminalpsychologischen Unterschiedes zwischen Überzeugungsverbrecher und gemeinem Verbrecher kam: Bud zinski 33 unterschied gemeine Verbrecher und Überzeugungsverbrecher nach dem Verhältnis der Gegenmotivation zur Tat und stellte fest, daß der gemeine Verbrecher zunächst Furcht und Gesetzesgehorsam vor seiner Normverletzung überwinden müsse, während sich hinsichtlich des Überzeugungsverbrechers die Motivationslage umkehre: „Nicht die Neigung zur Tat, sondern die Bedenken dagegen gilt es zu überwinden." Anderenfalls könne der Überzeugungsverbrecher das als sittlich richtig Erkannte nicht erfüllen und mache sich vor seinem Gewissen schuldig. Seeligs Unterscheidung setzt voraus: (a) Der gemeine Verbrecher läßt sich vom Bewußtsein der Rechtswidrigkeit an sich hemmen. (b) A n die Stelle der Hemmung t r i t t beim Überzeugungsverbrecher ein Antrieb. Dieses Schema w i r d jedoch schon durch Seeligs Typologie selbst w i derlegt, die Vermögensverbrecher aus geringer Widerstandskraft, Verbrecher aus sexueller Unbeherrschtheit, primitivreaktive Verbrecher und Verbrecher aus Angriffssucht als Typen des Verbrechers nennt, Typen also, bei denen das Antriebsvermögen das Hemmungsvermögen erheblich übersteigt. Budzinskis Unterscheidung setzt umgekehrt voraus: (a) Der gemeine Verbrecher überwindet die Hemmung, die „Unrechte" Tat zu begehen. (b) Der Überzeugungsverbrecher „rechte" Tat nicht zu begehen.

überwindet

die Hemmung,

die

Während Seelig sich, u m es psychologisch zu typisieren, i m Hinblick auf den Überzeugungsverbrecher vom B i l d des Fanatikers leiten zu lassen scheint, so Budzinski von dem ebenso einseitigen des Skrupulanten. Aber nur eine Berücksichtigung sowohl des Hemmungs- als auch des Antriebsvermögens gestaltet den Unterschied i. S. Seeligs „lebensnäher": (1) I m Hinblick auf den Aspekt der Hemmung ergibt sich: (a) Der gemeine Verbrecher überwindet die Hemmung vor der Begehung einer i. S. der Rechtsordnung Unrechten Tat. (b) Der Überzeugungsverbrecher überwindet die Hemmung vor der Begehung einer i. S. seiner Wertordnung rechten Tat, die aber i m Gegensatz zur Rechtsordnung steht. 38

Budzinski:

S. 13.

Das typologische Problem

121

(2) I m Hinblick auf den Aspekt des Antriebs ergibt sich: (a) Der gemeine Verbrecher handelt aus den mannigfaltigsten A n trieben — außer dem unter b) genannten. (b) Der Überzeugungsverbrecher handelt aus dem Antrieb, zu der unter Strafe gestellten Tat aufgrund seiner Überzeugung verpflichtet zu sein. Seelig hat später nur mehr auf den Antrieb bei der Überzeugungstat abgestellt und das einseitige Bild, das allerdings heute noch unbesehen übernommen w i r d 3 4 , dadurch revidiert, daß er bei seiner Typisierung die Hemmungskomponente unberücksichtigt ließ 3 5 . Damit ist er zu der Radbruchschen Typenbestimmung zurückgekehrt. Aus der Sicht der Nachkriegszeit machte Seelig eine wichtige Feststellung, die von Weindler empirisch eruiert worden war: Während i n Zeiten ruhiger politischer und kultureller Entwicklung Überzeugungsverbrecher selten seien, seien i m Jahre 1940 unter den Strafgefangenen, die i n die Grazer Männerstrafanstalt eingeliefert wurden, 14,1 %> Überzeugungsverbrecher gewesen und hätten damit nach den Gruppen der Berufsverbrecher und Vermögensverbrecher die drittstärkste Gruppe gebildet 3 6 : Von 268 untersuchten Fällen reiner Typen waren 36 Überzeugungsverbrecher. I n allen Fällen handelte es sich u m „politische Verbrecher", deren Taten auf die Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung zurückzuführen und die zum größten Teil erst aufgrund spezifisch nationalsozialistischer Gesetze pönalisiert worden waren, und zwar 19 aufgrund des Heimtückegesetzes vom 20.12.1934 wegen abfälliger Äußerungen über den Führer, die Reichsregierung und den Krieg, 3 wegen Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. 9.1939, 3 Zeugen Jehovas wegen Teilnahme an einer wehrfeindlichen Verbindung. Nach den Motiven aufgegliedert, ergibt sich folgendes Bild: I n 9 Fällen waren die Täter Anhänger marxistischer bzw. kommunistischer Lehren, 11 Probanden handelten als frühere Mitglieder konfessioneller und nationaler Parteien und Vereinigungen; i n 8 Fällen waren religiöse Gesichtspunkte maßgebend. Zwar ist es richtig, daß der Auswertung dieses Materials der U m stand entgegensteht, daß die politischen Wertungen der Kriegszeit nicht als Maßstab für normale Zeiten genommen werden dürfen 3 7 , aber trotzdem ist ein Hinweis darauf möglich, welche Fälle, i n die Gegenwart extrapoliert, nach heutigem Recht strafbar gewesen wären: Hier 34 35 38 37

Tietjen: S. 78; Greffenius: S. 60. Seelig / Bellavic: S. 138 f. Weindler: S. 66 ff., vgl. S. 80 f. Seelig: S. 192.

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Die

e c h t s / i f r des Überzeugungstäters

kommen 6 wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilte Täter i n Frage, die der kommunistischen Partei angehörten und sich durch Herstellimg und Verbreitung von Druckschriften und Werbung von M i t gliedern strafbar gemacht hatten; 2 wegen Mordes verurteilte Teilnehmer an einem Putsch, 2 wegen Beihilfe zur Wehrdienstentziehung Verurteilte. Insofern kommt nur noch ein Satz von 3,7% Überzeugungsverbrechern an der Gesamtkriminalität i n Betracht, die nicht nach nationalsozialistischen Gesetzen bestraft wurden, deren Taten aber aus der Gegnerschaft zu dem Regime resultieren und nur den Schluß zulassen, daß selbst i n Zeiten extremer politischer Umwälzungen, am klassischen Strafrecht gemessen, maximal 4 °/o Überzeugungstäter zu verzeichnen sind 8 8 . Bei der Erörterung des Überzeugungstäter-Problems ist demnach stets auf den kriminalsoziologischen Gesichtspunkt der Werthomogenität, des ausbalancierten oder des militant ausgetragenen Wertpluralismus innerhalb einer Gesellschaft zu achten, ehe man allgemeine Urteile über den Überzeugungsverbrecher abgibt, wie z.B. Gruhle es tat. Damit w i r d aber das B i l d des Überzeugungsverbrechers uneinheitlich, wie auch Seelig zugibt: Freiheitskämpfer und Helden von morgen stehen neben irregeleiteten Mitläufern 3 9 . Als spezielle Typen des Überzeugungsverbrechers führte Seelig auf 4 0 : 1. den politischen Überzeugungstäter i n der Form des Attentäters und des hochverräterischen Geheimbündlers; 2. den religiösen Überzeugungstäter i n der Form des religiösen Sektierers; 3. den sittlichen Überzeugungstäter i n der ehrenrechtlichen Version des Duellanten, der berufsethischen und allgemein-ethischen Form des Vernichters lebensunwerten Lebens, des Sterbehelfers, des Sterilisierers und Abtreibers. 4. Der Typisierungsversuch von Greffenius I n jüngster Zeit hat sich Greffenius die Aufgabe gestellt, i n induktiver kriminologischer Arbeitsweise den Unterschied zwischen Überzeugungstäter und Gewissenstäter herauszufinden 41 , um auf der Grundlage der kriminologischen Erhebungen Anregungen für die dog38 Allerdings ist zu beachten, daß die zum Tode verurteilten Überzeugungsverbrecher i n der Untersuchung Weindlers nicht erscheinen; vgl. Seelig: S. 192. 39 Seelig / Bellavic: S. 140. 40 Seelig / Bellavic: S. 140 ff. i. V. m. S. 139. 41 Greffenius: S. 17.

Das typologische Problem

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matische Regelung des Problems der Überzeugungstäter und Gewissenstäter geben zu können 4 2 . Dieser Versuch kann jedoch schon aus methodischen Gründen nicht als geglückt angesehen werden: (1) Die empirische Basis ist m i t insgesamt 11 Probanden zu schmal. (2) Die Auswahlkriterien für die 6 „Überzeugungstäter" und 5 „Gewissenstäter" wurden nicht mitgeteilt. (3) Das vorliegende Material weist keine Streuung auf, sondern es wurden zwei homogene Gruppen einander gegenübergestellt: 6 wegen Staatsgefährdung verurteilte kommunistische Täter und 5 wegen Ersatzdienstverweigerung verurteilte Zeugen Jehovas. Hieraus den Unterschied zwischen Überzeugungstäter und Gewissenstäter zu stilisieren, ist jedoch verfrüht, da allenfalls Unterschiede zwischen Staatsgefährdern aufgrund kommunistischer Weltanschauung und Ersatzdienstverweigerern aufgrund der Lehre der Zeugen Jehovas hergeleitet werden könnten. (4) Die psychologischen Erkenntnisse, die der Verfasser aus den m i t geteilten 11 Fällen ziehen w i l l , stützen sich nicht auf psychologische Exploration, sondern auf den Akteninhalt und bleiben daher häufig pauschale oder widersprüchliche Vermutungen 4 3 . (3) Der Verfasser geht m i t einer vorgefaßten Meinung über den angeblich induktiv herauszuarbeitenden Unterschied zwischen Gewissenstäter und Überzeugungstäter an seine Untersuchung heran und stellt seine kriminologische Darstellung der 11 Fälle ausdrücklich schon unter die Frage: „Wer ist ein Überzeugungstäter, und wer ist ein Gewissenstäter 4 4 ?" (6) Weiter bleibt das methodologische Problem unerkannt, inwiefern aus kriminologischen Erhebungen überhaupt dogmatische Schlüsse gezogen werden können. I m folgenden können die mitgeteilten Fälle daher nur als Beispiele herangezogen werden. 42

Greffenius: S. 57, 69. Die Schlüsse, die gezogen werden, sind mehrfach gekünstelt u n d hypothetisch (vgl. S. 47: „ W e r könnte beim Heranführen an die Ideen u n d Grundsätze einer Religionsgemeinschaft überzeugender w i r k e n als die eigene Mutter, w e n n m a n gerade vierzehn Jahre alt ist?") oder widersprüchlich (vgl. einerseits S. 42, andererseits S. 44 über die Psychologie der V i e r zehnjährigen). Verfasser n i m m t mehrfach seine Zuflucht zu landläufigen Faustregeln (vgl. S. 49: „ A b e r auch hier bewahrheitet sich die Tatsache, daß ein Mensch, der i m Beruf v i e l leistet, auch seinen sonstigen Interessen m i t großem Eifer nachgeht u n d umgekehrt.") u n d w ü r d i g t ζ. T. recht salopp (vgl. z. B. S. 23). 44 Greffenius: S. 17. 43

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e c h t s f i r des

berzeugungstäters

Zwei von Greffenius unberücksichtigt gelassene Arbeiten geben jedoch i m Hinblick auf den politischen Überzeugungstäter einige k r i m i nologische Aufschlüsse. 5. Der politische Uberzeugungstäter 45 Amelunxen hat i n seinen Untersuchungen außer seinen Erfahrungen als Richter einer Staatsschutzkammer eines Landgerichts den amtsinternen Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg ausgewertet, der sich auf 500 Täter i n den Jahren 1951 bis 1959/60 bezieht 46 . Tietjen hat diejenigen 174 politischen Strafverfahren, die i n den Jahren 1954 bis 1963 vom Oberlandesgericht Hamburg und der Staatsschutzkammer des Landgerichts Hamburg zur Verurteilung des Täters geführt haben, untersucht 47 . Beide Autoren kommen zu dem Ergebnis, daß es keinen einheitlichen kriminologischen Typ des politischen Straftäters der deutschen Gegenwart gibt 4 8 , sondern daß man zwei Haupttypen unterscheiden müsse: den sogenannten Staatsgefährder und den Landesverräter 49 . Die Staatsgefährdungsvorschriften sind nach dem Zweiten Weltkrieg eingefügt worden, u m den Staat vor dem „Umsturz auf kaltem Wege", d. h. ohne direkte Gewaltanwendung zu schützen; unter dieses „Präventivstraf recht" 5 0 fallen hauptsächlich die Förderung verfassungswidriger Parteien und verbotener Vereinigungen, das Verbreiten staatsfeindlicher Propaganda, die Zersetzung von öffentlichen Sicherheitsorganen, Sabotage, Geheimbündelei. Die häufigste strafbare Handlung der „Staatsgefährder" war nach der Untersuchung Tietjens die kommunistische Propagandatätigkeit (64 °/o)51. Fast alle „Landesverräter" w u r den wegen ihrer nachrichtendienstlichen Tätigkeit als Agent oder Verbindungsmann zugunsten östlicher Auftraggeber verurteilt (96 °/o)52. 45 Da zur Zeit noch keine wissenschaftlich orientierten kriminologischen Untersuchungen zur politischen K r i m i n a l i t ä t der Gegenwart (Studentenunruhen, Demonstrationen, Terrorismus) existieren, muß auf die Darstellungen politischer Straftaten aus früherer Zeit zurückgegriffen werden, u n d zwar m i t dem Vorteil, daß ein U r t e i l — schon durch die zeitliche Entfernung — nicht durch Einseitigkeit getrübt w i r d . Auch Ostermeyers kollektivpsychologische E r k l ä r u n g der Motive „sog. anarchistischer Straftäter" versteht sich als Provokation, d. h. als Aufforderung zur Forschung, Ostermeyer: S. 249 ff. 46 Amelunxen: S. 8 f. 47 Tietjen: S. 16 f. 48 Amelunxen: S. 37; Tietjen: S. 143. 49 Amelunxen: S. 9, 37; Tietjen: S. 17. 50 Tietjen: S. 20; vgl. Amelunxen: S. 13. 61 Tietjen: S. 142. 52 Tietjen: S. 22, 141.

Das typologische Problem

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Nach Amelunxen beträgt das Verhältnis von Landesverrätern zu Staatsgefährdern 2 : 3, nach Tietjen 7 : I I 5 3 . Der frappierendste Unterschied zwischen Staatsgefährdern und Landesverrätern besteht i n der Motivation zur Tat: Bei etwa der Hälfte aller politischen Straftäter war die politische Überzeugung das tragende Tatmotiv 5 4 , jedoch waren von den Überzeugungstätern, die Tietjen ermittelt hat, 95 °/o Staatsgefährder und nur 5 °/o Landesverräter, umgekehrt waren 84 °/o aller Staatsgefährder Überzeugungstäter, während die Überzeugungstäter unter den Landesverrätern nur einen Anteil von 7 % hatten 5 5 ; bei diesen spielten zu 57 °/o finanzielle Erwägungen eine wichtige Rolle, während sich von den Staatsgefährdern nur 6 % von materiellen Überlegungen leiten ließen 56 . Nach Amelunxen ist der vergleichbare A n t e i l von Überzeugungstätern an der Zahl der Landesverräter m i t 10 °/o nur wenig höher als der von Tietjen m i t 7 °/o angegebene 57 . Ebenso geringfügig ist der Unterschied, der sich bei Amelunxen aus dem A n t e i l der Überzeugungstäter an den Staatsgefährdern ergibt: Waren nach Tietjen 84 °/o aller Staatsgefährder Überzeugungstäter, so kommt Amelunxen umgerechnet auf 78 °/o58. Nach der politischen Richtung aufgegliedert, der die Überzeugungstäter folgten, ermittelte Amelunxen 93 °/o m i t kommunistischer und 7 °/o m i t neonazistischer Zielrichtung handelnde Staatsgefährder, wobei er jedoch nicht nur die Überzeugungstäter zugrunde legte 59 . Die entsprechenden Zahlen bei Tietjen lauten unter Einbeziehung derjenigen Staatsgefährder, die zwar keine Überzeugungstäter waren, aber m i t einer politischen Richtung sympathisierten: 89 % aller Staatsgefährder waren mehr oder minder kommunistisch eingestellt, 8 % neonazistisch 60 . Ein Fünftel der Landesverräter zeigten bei Tietjen eine kommunistische Gesinnung 81 , ein knappes Drittel nach den Erhebungen Amelun53

Amelunxen: S. 9, 37; Tietjen: S. 17. Tietjen: S. 77. 55 Tietjen: S. 79. 56 Tietjen: S. 86 (Tabelle). Amelunxen: S. 41 gibt Geldgewinn als H a u p t m o t i v f ü r 50 °/o aller Landesverräter an. 57 Nach Amelunxen: S. 41 w a r ein Achtel der männlichen Landesverräter Täter aus Überzeugung, die Frauen stellten keinen Bruchteil: da der A n t e i l der Männer u n d Frauen bei den Landesverrätern m i t 82 °/o bzw. 18 °/o (S. 38) angegeben w i r d , beträgt der Prozentsatz der Überzeugungstäter an den L a n desverrätern 10 %>. 58 Amelunxen: S. 44, 41. Das Verhältnis von Männern u n d Frauen liegt bei den Staatsgefährdungsdelikten m i t 89 °/o bzw. 11 °/o niedriger als bei den Landes Verratsdelikten. — Hinsichtlich des Alters hat Amelunxen: S. 38, 42 festgestellt, daß 79 °/o der Landesverräter und 70 °/o der Staatsgefährder u n ter 40 Jahre alt waren. 59 Amelunxen: S. 41. 60 Tietjen: S. 80, 142. 61 Tietjen: S. 80. 54

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echts/ififr des Überzeugungstäters

xens 62. Dieser hat weiter festgestellt, daß die wenigen Überzeugungstäter unter den Landesverrätern fast ausschließlich der Typengruppe der Infiltranten angehören, die i m Osten politisch geschult und m i t einem bestimmten Auftrag i n die Bundesrepublik entsandt worden sind 6 3 . Unterscheidet man nach der Mitgliedschaft der politischen Straftäter i n politischen Organisationen, so fällt der hohe A n t e i l der Überzeugungstäter auf: Nach Tietjen gehörten von den kommunistischen Überzeugungstätern ebenso wie von den Staatsgefährdern 7 9 % während ihres Lebens einmal zu einer kommunistischen Organisation; 87 % der Landesverräter gehörten niemals freiwillig einer kommunistischen Organisation an 6 4 . Die rechtsradikalen Staatsgefährder waren alle M i t glied einer rechtsradikalen Organisation gewesen 65 . Über die Stellung der Staatsgefährder i n den kommunistischen Organisationen ist nur wenig bekannt geworden, da die Angeklagten zu diesem Punkt regelmäßig die Aussage verweigern. Immerhin läßt sich feststellen, daß die Mitläufer den geringsten A n t e i l an den offenbar gewordenen Funktionären einnehmen 66 . Die von Wolf behauptete gruppensoziologische Prägung der Überzeugung läßt sich demnach verifizieren. Uber die Entstehung der politischen Überzeugung kann außerdem soviel gesagt werden, daß die Probanden spezifisch politische Motivationen durch Beeinflussung seitens nahestehender Personen, durch Erlebnisse i m Krieg und i n russischer Kriegsgefangenschaft, durch Eindrücke bei kommunistischen Veranstaltungen i n der DDR und durch politische Schulung erhalten haben 67 . Nach Amelunxen hat mindestens ein D r i t t e l der männlichen Staatsgefährder eine politische Schulung durchgemacht, während Tietjen 25 % solcher Fälle feststellen konnte 6 8 . Bei den Landesverrätern waren Fälle politischer Schulung nach Tietjen u m die Hälfte geringer, nach Amelunxen erhielten lediglich die I n f i l tranten eine besondere politische Schulung 69 . Die Staatsgefährder — und damit die Überzeugungstäter unter den politischen Tätern — bieten zumeist ein günstigeres Persönlichkeitsbild i n bezug auf familiäre und berufliche Angelegenheiten als die Landesverräter 70 . 82

Amelunxen: S. 40. Amelunxen: S. 83. 84 Tietjen: S. 80 (Tabelle). 85 Tietjen: S. 79, 82 f. 88 Tietjen: S. 82. E r stellte 5 Mitläufer, 5 Mitglieder, 14 kleine, 8 mittlere u n d 7 hohe Funktionäre fest. 87 Tietjen: S. 83 ff.; Amelunxen: S. 44. 88 Amelunxen: S. 44; Tietjen: S. 85 f. unter Zusammenfassung von besonderer politischer Schulung u n d Lehrgängen. 89 Amelunxen: S. 40; Tietjen: S. 86. 70 Amelunxen: S. 38 ff., 42 ff.; Tietjen: S. 143 f. 88

Das typologische Problem

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Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Tätergruppen besteht schließlich darin, daß sich mehr als ein D r i t t e l der Landesverräter westlichen Dienststellen freiwillig stellte und ein Geständnis ablegte, während die Staatsgefährder zur Selbstoffenbarung gar nicht und zu Aussage und Geständnis kaum neigten 7 1 . Tietjen hat weiter feststellen können, daß die Überzeugungstäter unter allen Tätergruppen durchschnittlich die niedrigsten Strafen erhalten haben; drei Viertel der Strafen hätten höchstens 6 Monate Gefängnis betragen. Außerdem hätten nicht einmal 10 °/o aller Täter die gegen sie erkannte Freiheitsstrafe voll verbüßt 7 2 . Durch Strafen unbeeinflußt blieben vor allem die Altkommunisten, die 17 °/o der Staatsgefährder ausmachten. Auch schwere politische Vorstrafen hätten deren Kampfwillen nicht gebrochen, sondern eher gefestigt 7 3 . Diese kommunistischen Überzeugungstäter, die Amelunxen als die persönlich achtenswertesten politischen Delinquenten bezeichnete, hätten sich teilweise unter Vernachlässigung ihrer persönlichen und beruflichen Belange für ihre Überzeugung eingesetzt 74 . Amelunxen sah den Überzeugungsverbrecher nicht als einen der besonderen Erörterung werten Typus des politischen Straftäters an, sondern unterschied, phänomenologisch-empirisch vorgehend und nach mehreren Gesichtspunkten ordnend, die folgenden speziellen Typen 7 5 : Altkommunisten Opportunisten Ost-West-Pendler Schwärmer Infiltranten Neo-Nazis. Als Überzeugungstäter kämen insbesondere die Altkommunisten und die Infiltranten, aber auch die Schwärmer und Nonkonformisten i n Betracht 7 6 . Langemann, der eine umfangreiche Studie über das Attentat vorgelegt hat, kommt zu dem Ergebnis, daß der Überzeugungsverbrecher die Täterpersönlichkeit des politischen Mörders nicht signifikant beschreibe, da alle Attentäter m i t wenigen Ausnahmen von einer Tatüberzeugung ideeller oder als echt empfundener pseudo-ideeller A r t 71 Tietjen: S. 144; zum Verhalten der politischen Straftäter i m Strafverfahren vgl. Amelunxen: S. 31 ff. 72 Tietjen: S. 145. 73 Tietjen: S. 93, 81. Vgl. ζ. T. anders Amelunxen: S. 50. 74 Amelunxen: S. 47. Vgl. als Beispiel den Täter F. bei Greffenius: S. 27 f. 75 Amelunxen: S. 47 ff. 76 Amelunxen: S. 40, 47, 77, 83.

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Die

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beseelt seien. Insofern gebe es den Überzeugungsverbrecher als Typ nicht, sondern das Charakterbild der Persönlichkeit weise nur gewisse Züge subjektiv überwertiger Pflichtüberzeugung auf, die den Tatentschluß beeinflussen könnten 7 7 . Langemann rechnet den Begriff „Überzeugungstäter" eher zur Strafrechtsdogmatik als zur Kriminologie und legt seiner Arbeit über den politischen Mord eine eigene Typologie zugrunde 78 . Diese mag i n der Tat für seinen speziellen Zweck tauglicher sein, ohne daß damit ein Urteil über die Brauchbarkeit des Typus des politischen Überzeugungstäters über die Fälle des politischen Mordes hinaus gefällt werden könnte. Wenn alle Attentäter m i t einer A r t Tatüberzeugung gehandelt haben, wie Langemann behauptet, so spricht dies eher für als gegen den Typus des Überzeugungstäters. 6. Die den Ersatzdienst verweigernden Zeugen Jehovas als Beispiel für religiöse Uberzeugungstäter Die Haltung der Zeugen Jehovas zur Wehrpflicht ergibt sich aus folgender religiöser Grundeinstellung 7 9 : Die Glaubensgemeinschaft geht vom allgemeinen Priestertum und dem Missionsbefehl Christi aus. A u f grund der Königsherrschaft Gottes ist der einzelne ganz und ohne Bindung an eine andere Macht i n den Dienst Gottes gestellt. Durch die Taufe übernimmt der einzelne die Verpflichtungen seiner Glaubensgemeinschaft, deren Nichtbeachtung Loslösung von Gott und Verlust des ewigen Lebens bedeutet. Die persönliche Indienststellung durch Wehrdienst und Wehrersatzdienst entzieht das Mitglied der Gemeinschaft seiner Verpflichtung, sein Leben allein Gott zu widmen. Daran ändert für die Zeugen Jehovas auch der Umstand nichts, daß der Ersatzdienst karitativer Dienst sein kann, denn die Zwangsverpflichtung stelle den einzelnen i n einen Aufgabenkreis hinein, dessen Folgen sogar die Übernahme von Pflichten i m Kriegsfalle nicht ausschließe. Manche Zeugen Jehovas erklärten sich statt dessen zu einer freiwilligen vertraglichen Übernahme von Krankendienst bereit. Außer der Verweigerung jeden aktiven Staatsdienstes, der über das Steuerzahlen hinausgeht, hindert die Befolgung des Missionsbefehls 77

Langemann: S. 304. Langemann: S. 98; S. 96 ff. geht Langemann von folgender Typisierung aus: A. Die Idealisten. Die vermindert Zurechnungsfähigen und W a h n sinnigen. Die „ewigen Landsknechte". Die Ausweglosen. Die indirekten Selbstmörder. B. Die Kriminellen. C. Die „ j u n g e n " Täter. Die Nachahmer. 70 Der offizielle Name der zivilrechtlichen Religionsgemeinschaft lautet: „ W a c h t t u r m B i b e l - u n d Traktat-Gesellschaft, Deutscher Zweig, e . V . " ; W a h r heit S. 158 ff. zum Gehorsam des Christen gegenüber dem Gesetz; vgl. weiter Peters: Engisch-Festschrift S. 477. 78

Das typologische Problem

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Christi die Zeugen Jehovas daran, der Ersatzdienstpflicht Folge zu leisten: Jeder Zeuge muß monatlich mindestens 8 Stunden, der „Pionierverkündiger" monatlich mindestens 100 Stunden und der „Sonderpionierverkündiger" monatlich mindestens 150 Stunden „Felddienst" leisten 80 . Bereits die von der zentralen Führung ausgestalteten zeitlichen Verpflichtungen hindern die Pioniere an einer Erfüllung staatlich auferlegter Pflichten. Die Glaubensgemeinschaft stellt außerordentlich strenge Anforderungen an ihre Mitglieder, so daß selbst dann, wenn die Ersatzdienstverweigerung straflos sein sollte, ein Einschieichen i n die Glaubensgemeinschaft, u m sich der Wehrersatzdienstpflicht zu entziehen, ausgeschlossen erscheint. Peters teilt m i t 8 1 , daß laut Angaben des Bundesverwaltungsamtes bis 1967 folgende rechtskräftige Verurteilungen wegen Wehrersatzdienstverweigerung aus Gewissensgründen vorlagen: Einmalige Verurteilung: 821 Personen, davon 783 Zeugen Jehovas. Zweimalige Verurteilung: 155 Personen, davon 153 Zeugen Jehovas. Das durchschnittliche Strafmaß bei einer Erstverurteilung lag nach Peters bei Gefängnisstrafen zwischen 3 und 6 Monaten 8 2 . Greffenius hat fünf Aktenfälle wiedergegeben 83 , aufgrund deren Analyse er zu folgendem Ergebnis kommt, das zwar nicht als statistisch signifikant für alle den Ersatzdienst verweigernden Zeugen Jehovas angesehen werden kann, aber ein beispielhaftes B i l d abgeben kann: Alle Verurteilten waren bis zur Ersatzdienstverweigerung sozial voll angepaßte Bürger m i t abgeschlossener Schul- und Berufsausbildung und intaktem Familienleben. Der Einfluß der Mutter für den Beit r i t t zur Glaubensgemeinschaft war i n mehreren Fällen entscheidend. Die erste Berührung m i t den Zeugen Jehovas fand i m Alter von 9 bis 16 Jahren statt. A l l e Täter haben der Gemeinschaft einen großen Teil 80 L a u t Feststellungen i n B V e r w G E 14 S. 320 u n d Podlech: S. 131 sowie zu den urchristlichen Parallelen. 81 Peters: Engisch-Festschrift S. 472. Schwalm i n Prot, der 26. Sitzung v. 9.10.1964 des SA S. 480 teilte m i t , unter 10 212 bis zum 1.1.1964 anerkannten Kriegsdienstverweigerern hätten sich 1701 Zeugen Jehovas befunden, v o n denen 710 zum zivilen Ersatzdienst einberufen worden seien. 600 hätten dem keine Folge beleistet. 82 Peters: Engisch-Festschrift S. 473 A n m . 5; ebenso Schwalm i n Prot, der 26. Sitzung v. 9.10.1964 des SA S. 480, der als Durchschnittsstrafe 5 bis 6 Monate Gefängnis angibt. 83 Greffenius: S. 40 ff. vgl. zur Würdigung S. 52 f.

9 Gödan

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Die

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ihrer Freizeit geopfert, obwohl die berufliche Inanspruchnahme jeweils beträchtlich war. I m Berufsleben galten sie als sehr zuverlässig, obwohl ihr Verdienst eher unter dem Durchschnittssatz der jeweiligen Berufsgruppe lag. Vor Gericht bekannten sich alle Zeugen Jehovas zu ihrer religiösen Überzeugung. Göppinger sieht i n der Sekte der Zeugen Jehovas den klassischen Fall einer Außenseitergruppe 84 . Jede Gesellschaft und jede Zeit, so führt Göppinger aus 85 , kenne Menschen, die sich als einzelne oder als umgrenzte Gruppen vom allgemein Anerkannten, von dem für ,richtig' Gehaltenen abhöben: „Bei aller Verschiedenheit i m einzelnen kennzeichnet sie das Anderssein, das Abweichen von einer als Bezug genommenen ,Norm'." Bei den Sektenangehörigen bleibt es jedoch nicht bei einer bloßen Deviation, sondern diese w i r d ihrerseits bedingt und gerechtfertigt durch eine Sondermoral. Zumeist leben die Sekten abgekapselt „neben der Gesellschaft her" 8 6 . Obwohl Sektenangehörige i n der Regel aufgrund ihrer hohen Gruppenmoral nicht kriminell werden, kann es „ i n der Verfolgung ihrer religiös motivierten, fanatisch vertretenen Missionen" 8 7 zur Verletzung von Strafrechtsnormen kommen wie i m Falle der Zeugen Jehovas. Allerdings muß man — entgegen Göppinger — zwischen der Radikalität einer Lehre unterscheiden, die es u m des Verlustes des ewigen Lebens w i l l e n verbietet, dem Staat durch Kriegs- oder Ersatzdienst zu dienen, und der möglicherweise — aber nicht notwendig — fanatischen Befolgung dieses Gebotes durch den einzelnen Sektenangehörigen. Es 84

Göppinger: S. 355 f. Göppinger: S. 354. 86 Göppinger: S. 355. — Parsons : S. 288 legt das Gewicht auf die Passivität der Sekte der Zeugen Jehovas: „ . . . i t is altogether possible for the passively inclined personalities to form a sub-cultural group which instead of actively defying the institutionalized patterns and their personal bearers, asks essentially to be ,let alone' to w o r k out their patterns ,in their o w n way* . . . They also usually involve elements of active defiance here and there, but very l i k e l y as a secondary phenomenon." — Wilson: S. 284 f. rechnet die Zeugen Jehovas zu den adventistischen oder revolutionären Sekten, die ihre Aufmerksamkeit auf den kommenden Zusammenbruch der gegenwärtigen Weltordnung richteten. Die Sekte stehe damit der Gesellschaft feindlich gegenüber. F ü r den Fortbestand der Sekte ist das „Gefühl des Abseits-Stehens" u n d der allein zählende Status innerhalb der Sekte von größter Bedeutung, S. 299. Die „Andersartigkeit" w i r d durch zwei soziale Mechanismen erreicht: durch Isolation — negativ als A b k e h r von der „ W e l t " — u n d Insulation — positiv als Gemeinschaftsbildung i n der Isolation zu verstehen, S. 294 f., als Hingabe des einzelnen an die Sekte i n F o r m von Gehorsam, dogmatischer Festlegung u n d B i n d u n g an moralische Vorschriften, S. 301. Die Spannungen zwischen den Sekten u n d der Gesellschaft beschreibt Wilson: S. 298 als Wertekonflikte. — Vgl. dazu grundlegend Coser: S. 82 ff., 108 ff. i n bezug auf die religiösen Sekten. 87 Göppinger: S. 355 f. 85

Das typologische Problem

dürfte daher voreilig sein, alle ersatzdienstverweigernden Jehovas als „matte Fanatiker" 8 8 zu bezeichnen.

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Zeugen

Bei eigenen Erhebungen unter Gefängnisinsassen hat Göppinger festgestellt, daß den Zeugen Jehovas von den Mithäftlingen viel Achtung entgegengebracht und ihre Inhaftierung mißbilligt worden sei. A u f die übrige Gefängnisgesellschaft übten sie einen günstigen Einfluß aus 89 . 7. Die im Schrifttum geäußerte Kritik an der Einheitlichkeit des kriminologischen Typus des Uberzeugungsverbrechers Obwohl i n der Literatur ein kriminologischer Typus des Überzeugungsverbrechers überwiegend bejaht w i r d 9 0 , so ist doch seit den zwanziger Jahren bis heute auch bezweifelt worden, ob ein einheitlicher T y pus des Überzeugungsverbrechers kriminologisch festzustellen sei. a) Wolfs Ablehnung der Einheitlichkeit des Typus des Überzeugungsverbrechers

Nachdem Wolf eine Reihe von Delikten auf ihre Geeignetheit, Überzeugungsverbrechen abzugeben, ausführlich untersucht hatte, kam er zu dem Schluß, daß i n den wenigsten Fällen die Pflichtüberzeugung das bei der Deliktsbegehung typischerweise vorauszusetzende Motiv sei. A m ehesten treffe dies noch auf die politischen Verbrechen zu 9 1 . I n allen anderen Fällen sei keine typische, sondern eine einmalige Konfliktslage für die Verbrechensbegehung charakteristisch, wie sie für den Notstand kennzeichnend sei 92 . Wolf warnte vor der Gefahr, aufgrund der jeder Allgemeinbestimmung eigenen Schematisierung gerade bei einmaligen Konfliktsfällen einen Durchschnittsmaßstab anzulegen. Aber nicht nur nach der Tatseite, auch nach der Täterseite läßt sich nach Ansicht Wolfs nicht typisieren. Der „typische Verbrecher", der Gewohnheits- und Berufsverbrecher, habe nur statistische, der Uber88

Göppinger: S. 140. Göppinger: S. 140. 90 Gaupp: S. 394ff.; Aschaffenburg: Diskussionsbeitrag S. 395 ff., H a n d wörterbuch S. 837; Gruhle: Handwörterbuch S. 911 f., Psychologie S. 505; Rohden: S. 134; Seelig: S. 10 f.; Weindler: S. 66 ff.; Seelig / Bellavic: S. 138ff.; Peters: Kriminalpädagogik S. 304ff.; Greffenius: S. 60; Tietjen: S. 78; Budzinski: S. 13; Nagler: S. 52 ff.; Foltin: S. 123: „Unabhängig v o m materiellen Straf recht ist j a der Lebenstyp des Überzeugungsverbrechers tatsächlich immer gegeben." 91 Wolf: Verbrechen S. 19. 92 Wolf: Verbrechen S. 20; ebenso Budzinski: S. 30. 89

9*

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Die

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zeugungsverbrecher aber historische Bedeutung, so daß auch hier nichts Typisches, d.h. sich Wiederholendes oder Gleichbleibendes, zu erkennen sei. Eine Ausnahme machten wiederum nur die politischen Verbrecher, deren K o n f l i k t stationär geworden sei, ohne, wie beim Fanatiker und Querulanten, ins Pathologische abzugleiten. Wolf hielt es daher für „klarer, redlicher und einfacher", für politische Verbrecher als solche eine Sonderbestimmung vorzusehen 93 . Zwar leugnete Wolf die Einheitlichkeit des Typus des Überzeugungsverbrechers hinsichtlich der Tat- und der Täterseite, nicht aber hinsichtlich der Tatmotivation. Bei seinen Bemühungen, an die Stelle des kriminalpsychologischen Typus einen soziologischen Typus des Überzeugungsverbrechers zu setzen, erkannte Wolf das einheitsstiftende Moment des Typus des Überzeugungsverbrechers, wie es Radbruch formuliert hatte, implicit an und kritisierte lediglich die individualistische Interpretation des so gewonnenen Typus. b) Die Ablehnung eines einheitlichen Typus des Überzeugungsverbrechers durch Jescheck und Heinitz unter Berufung auf Liepmann und Kohlrausch

Jeweils unter Berufung auf Liepmann und Kohlrausch haben nach 1949 Jescheck und Heinitz bestritten, daß es einen einheitlichen Typus des Überzeugungsverbrechers gebe 94 . Jescheck meinte, man finde zwar Täter m i t mehr oder weniger achtenswerten Beweggründen, einen einheitlichen Typus bildeten diese aber nicht 9 5 . Heinitz behauptete, Radbruch habe „auf die altruistische Motivation" abgestellt 96 . Seine Ansicht, daß es einen einheitlichen Typus des Überzeugungsverbrechers i m Sinne des psychologischen „Tatmotivs", wie Wolf i h n noch unbestritten gelassen hatte, nicht gebe, begründete Heinitz damit, daß die Motivationen aus zu unterschiedlichen Quellen flössen: religiöser Glaube, Ehrbegriff, Liebe, Mitleid 9 7 . 93

Wolf: Verbrechen S. 23. Jescheck i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 1 S. 95, 359; Heinitz: S. 619 ff. 95 Jescheck i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 1 S. 95. 96 Heinitz: S. 619 f. 97 Heinitz: S. 620, 625 f. Vgl. Winterstein: S. 107: „Es sind Verbrecher u n d Verbrechen verschiedener A r t u n d verschiedener Gattung, verschiedener Gefährlichkeit, m i t verschiedener ethischer Bewertung, denen die Rechtsordnung m i t verschiedenen A b w e h r m i t t e l n , verschiedenen Strafen u n d Sicherungsmaßnahmen entgegentreten muß." — Höpler: S. 86 hatte bemängelt, der kriminalpsychologische Typus des Überzeugungsverbrechers sei nicht „ r e i n durchgeführt"; auch Staff: Handwörterbuch S. 126 hatte es als falsch bezeichnet, daß der Überzeugungsverbrecher sich als ein kriminalpsychologischer Typus „ k l a r u n d scharf" von der Gesamtheit der übrigen Verbrecher abhebe. 94

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Das typologische Problem

Liepmann polemisiert gegen „jene ganze Unterscheidung von den aus gemeiner oder ehrenhafter Gesinnung entspringenden Verbrechen", die er als einen „Abriß der Probleme i n einem Lehrbuch der Ethik — für Anfänger" bezeichnete. Es gebe aber „keinen fest bestimmten Typus des ,Überzeugungs Verbrechers'", ebenso wenig wie den des gemeinen Verbrechers. Es verbiete sich, „die Menschen als Ganzes i n Schafe und Böcke, Egoisten und Altruisten, gemeine und Überzeugungsverbrecher zu scheiden" 98 . Kohlrausch schließlich glaubte der „Anerkennung des Überzeugungsverbrechers als eines kriminalpsychologischen Sondertypus" deshalb die Zustimmung versagen zu müssen, weil diese Anerkennung einmal aus Gleichheitsgründen zur Voraussetzung haben müsse, „daß auch alle anderen kriminalpsychologischen Sondertypen tatbestandlich anerkannt würden", zum anderen zur Folge haben müsse, „daß der Überzeugungsverbrecher für die Dauer seiner Überzeugung unschädlich gemacht würde". Die Voraussetzung sei nicht gegeben und die Folge unannehmbar 99 . A u f Kohlrauschs Einwand hat Radbruch geantwortet: „Nein, nur die kriminalpsychologischen Sondertypen müßten tatbestandsmäßig anerkannt werden, die eine strafrechtliche Sonderbehandlung erfordern 1 0 0 ." Diese Kontroverse zwischen den beiden Referenten auf dem 34. DJT 1926 verdeutlicht zwar schlaglichtartig die Reichweite der Diskussion um den Typus des Überzeugungsverbrechers, ohne jedoch, wie Kohlrausch meinte, seine Typizität i n Frage zu stellen. Zwar hatte Radbruch behauptet, der Überzeugungsverbrecher stelle einen kriminalpsychologischen Sondertypus dar, dem besondere kriminalpolitische Aufgaben entsprächen 101, nicht aber hatte er behauptet, für eine Sonderbehandlung des Überzeugungsverbrechers genüge es, diesen als kriminologischen Typus zu erweisen. Vielmehr stellt der kriminologische Typus des Überzeugungsverbrechers allenfalls einen Anknüpfungspunkt für die normative Regelung dar, ohne diese aber i m voraus festzulegen. Dem erfahrungswissenschaftlich fundierten Typus braucht keine Strafrechtsnorm zu entsprechen, noch muß diese sich auf jenen beziehen. Wenn Kohlrausch den kriminalpsychologischen Sondertypus wegen seiner normativen Konsequenzen glaubte ablehnen zu müssen, so treffen seine Einwände nicht den empirisch gewonnenen kriminologischen 98

Liepmann: Strafen S. 133. Kohlrausch: Leitsatz I I S. 353. Ebenso Krille G r S t r K o m m Bd. 1 S. 53. Vgl. Rittler: S. 86. 100 Radbruch: Referat S. 358. 101 Radbruch: Leitsatz 1 S. 352. 99

i n Niederschriften

der

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Die

e c h t s f i r des Überzeugungstäters

Typus des Überzeugungsverbrechers, sondern die an diesen geknüpften rechtspolitischen Bewertungen. Die K r i t i k Jeschecks, Heinitz 9 und Liepmanns geht zunächst deswegen ins Leere, da Radbruch gerade nicht an das typenbildende Merkmal der achtenswerten Beweggründe (Jescheck), der altruistischen Motivation (Heinitz) oder der ehrenhaften Gesinnung (Liepmann) anknüpft, sondern diese selbst als ungeeignet abgelehnt hat 1 0 2 . Das Argument der Uneinheitlichkeit der den Typus des Überzeugungsverbrechers konstituierenden täterschaftlichen Werthaltungen (Heinitz, Höpler) t r i f f t Radbruch ebenfalls nicht, da dieser nicht nach der Vergleichbarkeit oder der Anerkennungswürdigkeit von Wertinhalten typisieren wollte, sondern danach, ob der Täter sich aufgrund seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung für verpflichtet hielt, eine Straftat zu begehen. Heinitz hat selbst an anderer Stelle Radbruchs Intention zutreffend umschrieben: Radbruch habe „das entscheidende Element i n dem Ringen u m die Gewissensentscheidung" gesehen, also gerade nicht, so muß man hinzufügen, i n der Bewertung der der Gewissensentscheidung zugrundeliegenden Fallkonstellationen als „ehrlich" oder „achtenswert". Wenn Heinitz zum Abschluß seiner typologischen Betrachtung sagt, die schlimmsten Verbrechen der Weltgeschichte seien von solchen Fanatikern begangen worden, „denen man doch den Glauben an die Richtigkeit ihres Handelns nicht immer w i r d absprechen können" 1 0 3 , so t r i f f t auch dieser Einwand eine ganz bestimmte, an den kriminologischen Typus des Überzeugungsverbrechers geknüpfte rechtspolitische Entscheidung, nämlich eine privilegierende Sonderbehandlung, aber nicht die Konstruierbarkeit des Typus selbst. Die Fruchtbarkeit eines kriminologischen Typus für Rechtsetzung und Rechtsprechung ist zwar wünschenswert, aber unabhängig davon ist zunächst die Frage zu beantworten, ob der betreffende kriminologische Typus aufgrund eines unterscheidungskräftigen Gesichtspunktes gebildet werden kann. Z u Recht w i r d diese Frage heute überwiegend für den kriminologischen Typus des Überzeugungsverbrechers bejaht. Bemerkenswerterweise w i r d das unterscheidende Merkmal des Überzeugungsverbrechers, das Sich-Verpflichtet-Wissen des Straftäters gegenüber einer als höherrangig empfundenen Ordnung, allgemein auch gar nicht kritisiert. Noll ζ. B. hält die Typisierung Radbruchs, daß der Überzeugungstäter i m Gegensatz zum gemeinen Verbrecher aus bestimmten Ordnungs- und Pflichtvorstellungen heraus handelt, für widerspruchsfrei 104 . Damit stellt sich die Frage, ob die — vom k r i m i 102 103 104

Radbruch: Leitsatz 3 S. 352, Referat S. 356 f., 362 ff. Heinitz: S. 622. Noll: ZStW 78 (1966) S. 646.

Das typologische Problem

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nologischen Standpunkt aus allgemein anerkannte — Typisierung des Überzeugungsverbrechers i m normativen Bereich des Strafrechts fortgesetzt werden kann.

I I . Die Heraushebung des Typus des Überzeugungsverbrechers nach strafrechtstheoretischen Gesichtspunkten Bevor Radbruch das Spezifikum des Typus des Überzeugungsverbrechers dadurch beschrieb, daß der Überzeugungsverbrecher „ w o h l bewußt gegen die Rechtsnorm" verstoße, „aber auf Grund der Befolgung einer höheren Norm, durch die er sich von der Befolgung der Rechtsnorm, sei es allgemein, sei es i n diesem Falle, entbunden glaubt" 1 , hatte er die These vertreten, daß der Überzeugungsverbrecher deshalb nicht bestraft werden dürfte, w e i l dieser sich — i m Gegensatz zum Gemeinverbrecher — nicht i n einem Selbstwiderspruch zwischen grundsätzlicher Normanerkennung und aktueller Mißachtung der Rechtsnorm befinde. Während oben die Zwiespältigkeit der Radbruchschen Argumentation über die Unterschiede zwischen Gemeinverbrecher und Überzeugungstäter konstatiert wurde 2 , geht es nunmehr darum, die These vom vorhandenen bzw. fehlenden Selbstwiderspruch auf ihre inhaltliche Tragweite als typologisches Unterscheidungskriterium zu untersuchen, dessen sachliche Bedeutsamkeit unabhängig davon, daß Radbruch seine These i n bezug auf den Überzeugungstäter ab 1926 selbst nicht mehr vertreten hat, herauszuarbeiten ist. Die These vom mangelnden Selbstwiderspruch des Überzeugungsverbrechers ist überwiegend abgelehnt worden 3 . Man hat eingewendet, auch der Revolutionär fordere für seine Staatsform den Hochverratsschutz 4 . Arthur Kaufmann glaubt, auch der Überzeugungstäter sei aus sich selbst heraus widerlegbar, da er für sich das Recht i n Anspruch nehme, gegen das geltende Gesetz zu verstoßen, während er dieses Recht niemals auch anderen einräumen werde, wenn i h m erst die Änderung der Rechtsordnung i n dem erwünschten Sinne gelungen sei. So anerkenne auch der Überzeugungstäter „logisch notwendig die 1

Radbruch: Referat S. 357. Vgl. oben Β . I I . 1. b). 3 Wolf: Verbrechen S. 30 A n m . 7; Budzinski: S. 44; Nagler: S. 51 A n m . 3; Kaufmann: Unrechtsbewußtsein S. 148; Noll: ZStW 78 (1966) S. 645 f.; Schroeder: S. 480; Greffenius: S. 59. — Ä h n l i c h w i e Radbruch neuerdings jedoch Pawlowski: S. 145 A n m . 98, S. 287: Der gemeine Verbrecher sei subjektiv i n konsequent u n d handle deswegen unsittlich; der Überzeugungstäter aber verhalte sich sittlich, da er „ v o n ganzem Herzen" handele; ähnlich Schmidhäuser: Einführung S. 178. 4 Nagler: S. 51 A n m . 3; Budzinski: S. 44. Vgl. Wolf: Verbrechen S. 30 A n m . 7 zum F a l l des Diebstahls zugunsten Armer. 2

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Die

e c h t s / i r des Überzeugungstäters

Pflicht zur Beachtung des geltenden Gesetzes"5. Hiergegen hätte Radbruch vom Boden des philosophischen Wertrelativismus und einer subjektivistischen Ethik her folgendes einwenden können: Aus dem Recht des Staates, den der Überzeugungstäter bekämpft, könne der Überzeugungstäter deswegen nicht widerlegt werden, weil er das Recht dieses Staates als Unrecht ansieht; eine allgemeine Rechtsbeachtungspflicht, wie sie Kaufmann versteht, könne aber deswegen nicht bejaht werden, w e i l es „Recht an sich" nicht gebe, sondern nur verschiedene Rechtsordnungen, die sich kämpferisch gegenüberständen. Gerade i m Falle des Überzeugungstäters werde deutlich, daß man gedanklich von zwei Ordnungen auszugehen habe, so daß entschieden werden müsse, welche Ordnung maßgeblich für die Beurteilung des Überzeugungsverbrechers sei. Demgegenüber verbleibe der gemeine Verbrecher innerhalb der von i h m grundsätzlich anerkannten Rechtsordnung 6 . Obwohl demnach die These Radbruchs verteidigt werden kann, hat Radbruch sie teilweise modifiziert: Er hält daran fest, daß der Gemeinverbrecher „gegen eine von i h m selbst anerkannte Norm" handele, während der Attentäter ζ. B. zwar nicht dem Verbot i m allgemeinen die Geltung abspreche, aber i n dem Glauben handele, „von dieser Norm durch eine höhere Norm i n diesem Einzelfalle entbunden zu sein" 7 . Radbruch gab damit zu, daß auch der Attentäter sich i n Widerspruch setzen würde zu der von i h m verkündeten allgemeinen A u f hebung des Tötungsverbotes, wenn er sich i n den Gewahrsam der Polizei begäbe, u m sein eigenes Leben zu schützen. — Selbst bei diesem, hinter Radbruchs Überlegung stehenden Beispiel, könnte man zweifeln, ob es sich hier nicht u m eine Ausnahme von der allgemeinen Regel des mangelnden Selbstwiderspruchs handelt, die keineswegs zur Aufgabe des Prinzips führen müsse. Nach Radbruch kann es nämlich geradezu ein Indiz für das Nicht-Vorliegen der Überzeugungstätereigenschaft sein, wenn ein Attentäter nicht alle Konsequenzen auf sich nimmt und nicht bereit ist, für seine Idee als Märtyrer zu sterben 8 . Kann man demnach auch dieses Beispiel noch i m Sinne von Radbruchs ursprünglicher Lehre vom mangelnden Selbstwiderspruch des 5

Kaufmann: Unrechtsbewußtsein S. 148. Diese Argumente gelten ebenfalls f ü r den Einwand, der revolutionäre Überzeugungsverbrecher werde f ü r „seinen" Staat Hochverratsschutz v e r langen. Dieser E i n w a n d setzt voraus, daß die angegriffene w i e die künftige Ordnung vergleichbar seien. Über diese Frage k a n n es aber außerhalb der beiden i n Frage stehenden Ordnungen keinen Richter geben. Weiterhin ist das Argument bedingt durch das Gelingen der Revolution, so daß die W i derlegung des konkreten Revolutionärs hypothetisch bleibt. 7 Radbruch: Referat S. 357. 8 Vgl. Radbruch: Referat S. 368, SJZ 1948 Sp. 312. 6

Das typologische Problem

1

Überzeugungs Verbrechers interpretieren, so sollen doch diejenigen Fälle Radbruchs Unterscheidung nicht gerecht werden — hierauf hat Noll hingewiesen 9 —, „ i n denen das gemeine Delikt M i t t e l zum Zweck der Verwirklichung einer Überzeugung" darstellt: Eine revolutionäre Organisation begeht z.B. Bankraub, um sich M i t t e l für ihren Untergrundkampf zu beschaffen. Hier könnte man allenfalls fragen, ob die Verletzung des Eigentums aus der betreffenden politischen Überzeugung gerechtfertigt werden kann, — anderenfalls handelte es sich insoweit bei dem Bankraub u m keine unmittelbare Überzeugungstat. Immerhin machen alle gegen Radbruchs ursprüngliche These — auch von i h m selbst — später vorgebrachten Beispiele deutlich, daß seine Lehre vom mangelnden Selbstwiderspruch des Überzeugungsverbrechers präzisiert und m i t der modifizierten These Radbruchs von dem Sich-Verpflichtet-Wissen des Überzeugungsverbrechers gegenüber einer der Rechtsordnung entgegenstehenden Ordnung zu einem für die strafrechtliche Betrachtung wesentlichen Gesichtspunkt verknüpft werden sollte. Einen Hinweis i n diese Richtung gibt der von Dohna formulierte „logische Typus" des Überzeugungsverbrechers. Dohna sah den Unterschied zwischen dem Typus des Überzeugungsverbrechers und dem gemeinen Verbrecher darin, „daß der gemeine Verbrecher gegen die Normen verstößt, die er gegen alle anderen Menschen einzuhalten hat, während der Überzeugungsverbrecher die Normen, die er verletzt, anerkannt wissen w i l l nicht nur von sich, sondern auch von den anderen". Das Verbrechen des Überzeugungsverbrechers ließe sich i m Gegensatz zu dem des gewöhnlichen Verbrechers generalisieren. Insofern liege „ein logischer Gegensatz" zwischen beiden vor 1 0 . Später hat Dohna i n anderem Zusammenhang den Gegensatz weiter verdeutlicht: Der gemeine Verbrecher wolle nicht etwa die Geltung der Rechtsordnung i n Abrede stellen; „das Willkürliche und Widerspruchsvolle verbrecherischer Betätigung" offenbare sich gerade darin, „daß zwar der Gehorsam versagt, das Recht auf Gehorsam aber nicht bestritten" werde. Dieser „Mangel an Konsequenz" unterscheide i h n ζ. B. grundlegend vom Anarchisten, der der Rechtsordnung als Gesamtinstitution den Kampf angesagt habe 11 . 9

Noll: ZStW 78 (1966) S. 645; i m Anschluß hieran Greffenius: S. 59. Dohna: Diskussionsbeitrag S. 405 f. Vgl. auch Rittler: S. 77: „Der gemeine Verbrecher fehlt aus Sinnlichkeit, er w i r d durch Eigensucht, Haß, Neid, Eifersucht getrieben, er sucht seinen persönlichen Vorteil. Egoismus ist die Grundformel seines Wesens. Der Überzeugungsverbrecher bricht das Recht um der Sittlichkeit willen, w e i l er einer anderen ethischen Pflicht den Vorrang zuerkennt. Er folgt nicht niederen Trieben, sondern seinem Gewissen . . . " (Hervorhebungen bei Rittler). 11 Dohna: Kernprobleme S. 50 f. 10

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Die

e c h t s / i f r des

berzeugungstäters

Während die Aussage, der gemeine Verbrecher verstoße gegen Normen, „die er gegen alle anderen Menschen einzuhalten hat", wenig besagt, so läßt sich doch die Ansicht Dohnas, daß der gemeine Verbrecher zwar den Gehorsam versage, das Recht auf Gehorsam aber nicht bestreite, zu folgender Einsicht radikalisieren: Der gemeine Verbrecher leugnet die Bestimmung sfunktion, nicht aber die Bewertungsfunktion einer Strafrechtsnorm; der Überzeugung sverbrecher widerspricht sowohl der Bestimmungs- wie der Bewertungsfunktion der Norm. Diese — aus dem Streit um die Imperativentheorie und um die Zuordnung von Rechtswidrigkeit und Schuld der Strafrechtswissenschaft geläufige 12 — Unterscheidung zwischen den beiden Funktionen des Rechtssatzes erweist, unabhängig von den sonst m i t ihr verbundenen Kontroversen, bei der Abgrenzung des Überzeugungsverbrechers vom gemeinen Verbrecher ihre differenzierungsstarke und für die normative Typizität des Überzeugungsverbrechers wesentliche Wirkung. Auch heutige Vertreter der Imperativentheorie wie Engisch und Jescheck 13 geben zu, daß die Rechtsnorm zunächst einen „Bewertungsmaßstab für menschliches Verhalten" darstellt 1 4 . Die klassisch gewordene Formulierung von Mezger lautet: „Das Recht als ,Bestimmungsnorm 4 ist gar nicht »denkbar 4 ohne das Recht als ,Bewertungsnorm 4 , das Recht als Bewertungsnorm ist unbedingte logische Voraussetzung des Rechts als Bestimmungsnorm . . . Denn wer jemanden zu etwas ,bestimmen 4 w i l l , der muß zuvor wissen, zu was er i h n bestimmen w i l l : er muß jenes Etwas i n bestimmtem positivem Sinne ,bewerten 4 . Logisches Prius des Rechts als Bestimmungsnorm ist überall das Recht als Bewertungsnorm, als ,objektive Lebensordnung 415 . 44 Insofern erscheint das Recht i n seiner Bewertungsfunktion als eine Gesamtheit von Werturteilen, i n denen die Rechtsgemeinschaft Verhaltensweisen billigt oder mißbilligt. Der als Bewertungsnorm verstandene Rechtssatz umfaßt damit sowohl gebietende wie verbietende als auch gewährende Rechtsnormen, wie ζ. B. i m Strafrecht Notwehr- und 12

Vgl. Sieverts: S. 91 ff.; Jescheck: Lehrbuch 2. A u f l . S. 178 ff. jeweils m i t weiteren Nachweisen; siehe auch Lampe: S. 19 ff., 102 ff. Vgl. außerdem Radbruch: Rechtsphilosophie S. 136; Larenz: Rechtssatz S. 150ff.; Hart: Concept S. 18 ff., 234 ff. gegen die von Austin vertretene englische Variante der I m perativentheorie; Ryffel: S. 401. 13 Engisch: Einführung S. 27 f.; Jescheck: Lehrbuch 2. A u f l . S. 178 f. 14 Bockelmann: S. 24; vgl. Radbruch: Rechtsphilosophie S. 136. 15 Mezger: GS 89 (1923/24) S. 240 f., Hervorhebungen bei Mezger; vgl. dazu Sieverts: S. 96 f.

Das typologische Problem

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Notstandsrechte 16 . I m Gegensatz zum in der Bewertungsfunktion der rechtlichen Regel niedergelegten „ I t a ius esto" 17 , „Es soll so sein" oder „Man soll" 1 8 , richten sich die Straf Vorschriften i n ihrer Bestimmungsfunktion an den Rechtsgenossen, „den sie i m Einzelfall gerade angehen" 1 9 . Die Bestimmungsfunktion der Norm richtet sich auf das „ D u sollst" 2 0 . Die Aussage, daß der Überzeugungsverbrecher die Bewertungs- und Bestimmungsfunktion einer Strafrechtsnorm negiere, heißt demnach, daß er sowohl das allgemeine Werturteil der Rechtsgemeinschaft über bestimmte Verhaltensweisen als auch die konkrete Normbetroffenheit ablehnt. Es gibt nun zwei Möglichkeiten für die Weigerung des Überzeugungsverbrechers, sich als Adressat der Rechtsordnung zu normgemäßem Verhalten bestimmen zu lassen. (1) Der Überzeugungsverbrecher kann das „Es soll so sein", die Bewertungsnorm, dadurch leugnen, daß er eine Erlaubnisnorm in Anspruch nimmt. Wenn Dohna den Überzeugungs Verbrecher dadurch charakterisierte, daß sein Verbrechen zu generalisieren sei, so kann man diesen Gedanken dadurch fortsetzen, daß der Überzeugungsverbrecher, von der angegriffenen Rechtsordnung her gesehen, häufig einen verallgemeinerungsfähigen Erlaubnissatz aufstellt: „Es ist erlaubt, auch den Wehrersatzdienst zu verweigern." „Es ist erlaubt, das kapitalistische System m i t allen M i t t e l n zu bekämpfen." Dieser Modifizierung der Bewertungsnorm der angegriffenen Rechtsordnung durch die Annahme eines generellen Erlaubnissatzes folgt die Veränderung der Bestimmungsnorm, von der Ordnung des Überzeugungsverbrechers her gesehen: Nicht mehr der von der verletzten Rechtsnorm ausgehende Sollensanspruch gilt, vielmehr t r i t t nun die Bestimmungsfunktion der eigenen Bewertungsnorm des Überzeugungsverbrechers i n K r a f t : „ D u sollst den Wehrersatzdienst verweigern!" „ D u sollst das kapitalistische System m i t allen M i t t e l n bekämpfen!" 16 Bockelmann: Einführung S. 136; vgl. Engisch: Einführung S. 28 zum Beispiel der medizinischen I n d i k a t i o n bei der Schwangerschaftsunterbrechung; Larenz: Rechtssatz S. 159. 17 Sieverts: S. 97. 18 Baumann: Strafrecht S. 247 (§ 19 I I 1) bzw. Bockelmann: S. 25. 19 Jescheck: Lehrbuch 2. Aufl. S. 179. — Der Streitfrage, ob die Bewertungsfunktion der Rechtswidrigkeit, die Bestimmungsfunktion der Schuld zuzuordnen ist, so Baumann: Straf recht S. 247 (§ 19 I I 1), oder ob die w i l l e n t liche Mißachtung der Bestimmungsfunktion die Rechtswidrigkeit ausmache, so Jescheck: Lehrbuch 2. Aufl. S. 178 f., braucht hier nicht nachgegangen zu werden. 20 Vgl. Baumann: Strafrecht S. 247 (§ 19 I I 1).

Die

1

e c h t s f i r des Überzeugungstäters

Rechtsordnung

„ N o r m e n o r d n u n g " des Überzeugungsverbrechers

Bewertungsnorm

„Bewertungsnorm" Erlaubnisnorm?

τ

τ

Bestimmungsnorm

„Bestimmungsnorm"

(2) Es k a n n aber auch der F a l l e i n t r e t e n , daß d e r Ü b e r z e u g u n g s v e r brecher sich n i c h t a u f e i n e n E r l a u b n i s s a t z gegenüber e i n e r V e r h a l t e n s b e w e r t u n g d e r bestehenden R e c h t s o r d n u n g b e r u f t , s o n d e r n die Rechtso r d n u n g i n t o t o a b l e h n t . H i e r r i c h t e t sich d e r Ü b e r z e u g u n g s v e r b r e c h e r n i c h t m e h r gegen eine b e s t i m m t e N o r m , s o n d e r n gegen die V e r f a s sungs- u n d R e c h t s o r d n u n g i m g a n z e n 2 1 . Diesen F a l l h a t Gerhart Husserl i m A u g e : Husserl 22 erblickt den U n t e r s c h i e d zwischen d e m g e w ö h n l i c h e n V e r b r e c h e r u n d d e m r e v o l u t i o n ä r e n N o r m b r e c h e r d a r i n , daß j e n e r gegen eine E i n z e l n o r m verstoße, 21

Diesen F a l l hatte auch Radbruch: Referat S. 357 bereits berücksichtigt: „ E r w i l l eine Verfassung gewaltsam stürzen, die er überhaupt nicht anerkennt." 22 G. Husserl : S. 97 f. Seine Stellungnahme w i r f t w e i t e r h i n das Problem der Rechtsgeltung auf: Ritter: S. 338 A n m . 309 meinte, konsequenter könne ein „subjektiv-individualistischer Normenbeziehungsrelativismus" nicht mehr denken. Auch Wolf: Wesen S. 29 f. sprach v o n der „Normentfremdung" des Revolutionärs. Vgl. Schroeder: S. 135, 480 f. Schroeder: S. 480 f. verweist i n diesem Zusammenhang auf Rousseaus K a p i t a l „ D u droit de vie et de m o r t " i m Contrat social (II, 5), Rousseau: S. 376 f. Hier liegt aber ein M i ß v e r ständnis sowohl Husserls w i e Rousseaus v o r : Husserl spricht allein v o m revolutionären Normbrecher, Rousseau aber von der Begründung der Todesstrafe f ü r „tout malfaiteur attaquant le droit social" aus dem Prinzip des Gesellschaftsvertrages. Vgl. zu den immanenten Widersprüchen dieser Lehre Rousseaus Vossler: S. 295 ff. W i l l m a n schon Parallelen zwischen Husserl u n d Rousseau ziehen, so erscheint eine Verweisung auf Rousseaus Auffassung über den Verletzer der „religion civile" treffender: „ I I y a donc une profession de foi purement civile dont i l appartient au Souverain de fixer les articles, non pas précisément comme dogmes de Religion, mais comme sentimens de sociabilité, sans lesquels i l est impossible d'être bon Citoyen n i sujet f ideile. Sans pouvoir obliger personne à les croire, i l peut bannir de l'Etat quiconque ne les croit pas; i l peut le bannir, non comme impie, mais comme insociable, comme incapable d'aimer sincerement les loix, la justice, et d'immoler au besoin sa vie à son devoir. Que si quelqu'un, après avoir reconnu publiquement ces mêmes dogmes, se conduit comme ne les croyant pas, q u ' i l soit p u n i de m o r t ; i l a commis le plus grand des crimes, i l a m e n t i devant les l o i x " , Rousseau: S. 468 (Contrat social I V , 8). Rousseau u n t e r -

Das typologische Problem

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deren abstrakte Geltung er keineswegs angreife, und innerhalb der von i h m anerkannten Rechtsordnung verbleibe, während der revolutionäre Normbrecher gegen die Rechtsordnung verstoße, weil er eine neue an deren Stelle setzen wolle. Damit höre er aber auf, Rechtsgenosse zu sein, und stelle sich außerhalb der Rechtsordnung, die i h m daher nur mit Gewalt, nicht aber mit dem Recht antworten könne. G. Husserl beschränkt diese Aussage auf politische Überzeugungsverbrecher; wesentlich ist i h m die Unterscheidung des Innerhalb- und Außerhalbder-Rechtsordnung-Stehens. Auch der „der Rechtsordnung als Gesamtinstitution" 2 3 den Kampf ansagende Revolutionär läßt sich i n dem Schema Bewertungs- und Bestimmungsfunktion der Rechtsnorm interpretieren: Er leugnet die Grundbewertungsnormen, die die von ihm bekämpfte Rechtsordnung als spezifische konstituieren. Während also i m Falle des Erlaubnissatzes der Überzeugungsverbrecher sich noch m i t der „Appellfunktion" 2 4 eines Straftatbestandes durch Berufung auf einen Erlaubnistatbestand auseinandersetzt, also gleichsam i m betreffenden „Rechtskreis" verbleibt, bekämpft der revolutionäre Normbrecher die Rechtsordnung „von außen". Hier ist es von vornherein ausgeschlossen, daß ein innerhalb der Rechtsordnung gegebenenfalls beachtlicher Erlaubnissatz präsumiert werden könne, da keine Rechtsordnung ihren Umsturz auf revolutionärem Wege bejahen dürfte, während bei den Einzelnormverletzungen aufgrund eines behaupteten Erlaubnissatzes dessen Relevanz wenigstens innerhalb der verletzten Rechtsordnung erörterbar ist. Wenn auch beide Tätergruppen daher ihre Unterschiede haben, so stimmen sie doch grundsätzlich darin überein, daß sie sich beide von gemeinen Verbrechern dadurch unterscheiden, daß der Überzeugungsverbrecher nicht nur die Bestimmungs-, sondern auch die Bewertungsfunktion einer Strafrechtsnorm negiert. scheidet demnach scharf zwischen dem, der nicht an die „religion civile" glauben k a n n u n d der nicht bestraft, sondern verbannt w i r d , u n d dem V e r räter, der zwar die Gesetze öffentlich durch seinen Bürgereid anerkannt hat, sie aber trotzdem verletzt u n d daher aufgrund seines Selbstwiderspruchs bestraft werden kann. I n der ersten Version des Contrat social w i r d dieser Gedanke noch deutlicher ausgeführt, Rousseau: S. 340: „ T o u t citoyen doit être tenu de prononcer cette profession de foi par devant le magistrat et d'en reconnoitre expressément tous les dogmes. Si quelqu'un ne les reconnoit pas q u i i soit retranché de la cité mais q u ' i l emporte paisiblement tous ses biens." Rousseau erkennt damit n u r die Sonderstellung des den Bürgereid Versagenden an, nicht aber die des revolutionären Normbrechers, der seinen E i d ebenfalls „bricht". Während also Rousseau auf den Zeitpunkt der Eidesableistung abstellt, bezieht Husserl sich auf den Augenblick der Tat. — Vgl. zu Rousseau Fetscher: S. 190 ff. 23 Dohna: Kernprobleme S. 51. 24 Jescheck: Lehrbuch 2. Aufl. S. 241.

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Die

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I m Gegensatz zu Radbruchs These vom mangelnden Selbstwiderspruch des Überzeugungsverbrechers, die darauf hinauslief, daß der Überzeugungsverbrecher den Schutz des von i h m angegriffenen Rechtsgutes nicht für sich selbst i n Anspruch nehmen werde wie etwa der Dieb oder Urkundenfälscher, ist das hier vorgeschlagene Schema besser zum Verständnis des zunächst nur unter kriminologischen Gesichtspunkten betrachteten Unterschieds von Überzeugungsverbrechern und gemeinen Verbrechern i m Normbereich geeignet. Von Radbruchs ursprünglicher These des Selbstwiderspruchs hebt sich die hier angenommene Unterscheidung allerdings dadurch ab, daß sie nicht zugleich eine sozialethische Bewertung dieses Unterschiedes darstellt. Während Radbruch den gemeinen Verbrecher aus seinem „bösen Willen" widerlegen und i h m gegenüber die sittliche Überlegenheit des strafenden Staates begründen wollte, wobei all dies bei dem Überzeugungsverbrecher nicht zutreffen sollte, begnügt sich der hier vorgenommene Versuch einer Abhebung des Überzeugungsverbrechers vom gemeinen Verbrecher mit solchen der Strafrechtswissenschaft vertrauten theoretischen Kriterien, die eine Bewertung des Überzeugungsverbrechers i m kriminalpolitischen oder strafrechtsdogmatischen Bereich nicht präjudizieren. Damit kann der Versuch, ein strafrechtstheoretisches Pendant zum kriminologischen typusbestimmenden Merkmal zu finden, abgeschlossen werden, und es gilt nunmehr, anhand des kriminologisch fundierten und strafrechtstheoretisch indizierten Gesichtspunktes jene Ansichten zu überprüfen, die i m normativen Bereich zu Typisierungen des Überzeugungsverbrechers gelangen.

I I I . Die Aufspaltung des Typus des Überzeugungsverbrechers im Radbruchschen Sinne in Gewissenstäter und Überzeugungstäter im engeren Sinne 1. Welzels Lehre vom Gewissenstäter a) Die Begründung Welzels

Welzel ging i n seinem Votum vor der Großen Strafrechtskommission davon aus, daß bei der Diskussion über den Überzeugungstäter stets sehr einseitig vom politischen Überzeugungstäter her argumentiert werde. Man müsse jedoch zwei Gruppen unterscheiden: den Gewissenstäter und den politischen Überzeugungstäter. Die mangelnde Trennung beider Typen sei das „Grundgebrechen" der Radbruchschen Lehre. Einen Überzeugungstäter könne man nur respektieren, wenn er Gewissenstäter sei. Ein Gewissenstäter sei dadurch gekennzeichnet,

Das typologische Problem

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daß er einen Gewissenskampf u m die Richtigkeit seiner Entscheidung durchzustehen habe 1 . Gewissensentscheidung bedeute nicht die bloße subjektive Überzeugung, die jeden Einfall, jede Marotte, jeden phantastischen Gedanken umfassen könne, sondern „den i m Ringen u m Einsicht i n das sittlich Richtige m i t letztem Ernst gefaßten Entschluß" 2 , der „etwas Unentrinnbar-Letztes" sei 3 . A n diesen Sachverhalt knüpfte Welzel folgende normative Regelung: Wenn der Täter aufgrund einer persönlichen Gewissensentscheidung irrig glaube, eine obrigkeitliche Norm sei gesetzliches Unrecht und darum kein verpflichtendes Recht, so sei, bei entschuldbarer irriger Gewissensentscheidung, auf Freispruch, und bei verschuldeter auf den Ausschluß ehrenmindernder Strafen zu erkennen. Später ist Welzel nur noch davon ausgegangen, daß das Recht zwar nicht die Richtigkeit der andersartigen Gewissensentscheidung anerkennen dürfe, wohl aber deren Gewissenhaftigkeit durch eine nicht entehrende Strafe zu respektieren habe 4 . Den Wegfall des § 20 StGB a. F., selbst wenn er unzulänglich gewesen sei, bedauert Welzel 5. I m Gegensatz zum „echten Gewissenstäter" stehe dem „bloßen Überzeugungstäter" eine solche Privilegierung nicht zu, da auch der Fanatiker, der aus blindem Gehorsam heraus einen i h m gegebenen Befehl befolgt, eine Überzeugung habe. „Handeln aus blinder Überzeugung" liege ζ. B. bei den Handlangern totalitärer Regime vor. Einen solchen Täter zu privilegieren, hieße die Gewissenlosigkeit privilegieren. H i n zukomme, daß gerade die totalitären Systeme die Bedeutung der persönlichen Gewissensentscheidung negierten, wenn sie von vornherein blinden Gehorsam gegenüber Partei oder Führer verlangten. Man dürfe daher den Täter mit einer politischen Überzeugung, die die Preisgabe des persönlichen Gewissens als sittliche Leistung fordert, nicht neben dem Gewissenstäter privilegieren 6 . Was hat Welzel zu dieser Gegenüberstellung von Gewissens- und politischem Überzeugungstäter bewogen 7 ? Sicherlich haben Rücksichten 1

Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61. Welzel: Gesetz S. 395. 3 Welzel: Gesetz S. 395 A n m . 51 unter Bezug auf Luther, der gesagt habe, daß der Mensch i n seinem Gewissen schon jetzt vor dem ewigen Richter stehe. 4 Welzel: Gesetz S. 399, Strafrecht S. 177. 5 Welzel: Strafrecht S. 177. β Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 62. 7 Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61 spricht ausdrücklich von „zwei Gruppen": dem „Gewissenstäter" u n d dem „politischen Überzeugungstäter". Auch Welzels Schüler Eichholz: S. 157 hebt hervor, Welzel habe zwischen dem politischen Überzeugungstäter u n d dem Gewissenstäter unterschieden und damit, vgl. S. 166, den politischen Täter aus seiner Lehre ausgeklammert. 2

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auf die politische Lage und die besondere Gefährlichkeit von politischen Verbrechern dazu geführt, den Gewissenstäter aus dem Typus des Überzeugungstäters herauszudestillieren und so dem Typus des Gewissenstäters wenigstens zum Siege zu verhelfen. Aber diese Erwägung erklärt nicht, warum Welzel dann nicht — wie die übrigen Kommissionsmitglieder — m i t dieser Begründung die Rechtsfigur des Überzeugungstäters i m ganzen verworfen hat. Er muß also einen berechtigten Kern i n der Idee vom Überzeugungstäter gesehen haben. Dieser ist, wenn man sich die Äußerungen Welzels zum Thema Gesetz und Gewissen vor Augen hält 8 , darin zu erblicken, daß das Gewissen für den Menschen letzte Instanz ist und er auf andere Erkenntnisquellen für sittlich richtiges Verhalten nicht zurückgreifen kann. Wenn Welzel auch zwischen der objektiven Richtigkeit der Gewissensentscheidung und der subjektiven Gewissenhaftigkeit bei einer irrigen Entscheidung differenziert, so kann doch seiner Meinung nach weder die Sitten- noch die Rechtsordnung mehr vom einzelnen fordern, als daß der sein Gewissen anstrenge. Welzel weist darauf hin, daß i n den Fällen des sogenannten gesetzlichen Unrechts heute vom Täter verlangt werde, daß er geprüft hat, ob der obrigkeitliche Befehl wirklich verpflichtende K r a f t hatte, und daß der Täter schuldig gesprochen würde, der die Überlegung nicht angestellt hatte, obwohl er sie hätte anstellen können. Wenn also einerseits vom Täter verlangt werde, das Gewissen zu befragen, so müsse man den Täter privilegieren, der aus Gewissensgründen i r r i g glaubt, eine obrigkeitliche Norm sei gesetzliches Unrecht und darum kein verpflichtendes Recht. „Andernfalls würden w i r genauso diktatorisch verfahren wie jeder autoritäre Gesetzgeber 9 ." Auch Arndt meint, es sei ein Widerspruch, die Auschwitz-Mörder strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, w e i l sie ihr Gewissen unterdrückt hätten, und andererseits gegenüber Ersatzdienstverweigerern „darauf zu pochen, Gesetz sei Gesetz und das Gesetz komme vor dem Gewissen" 10 . Geht man — wie Welzel — davon aus, daß das Gewissen oberste Instanz für die Forderungen der Sittlichkeit und des Rechts ist, so erscheint das Gewissen auch als der geeignetere Anknüpfungsbegriff als der Begriff der Überzeugung, der zwar das Gewissen mitumfaßt 1 1 , aber zu weit und nicht wie der Gewissensbegriff auf die Wert- und Rechtsordnung bezogen ist. Von seinem rechtsphilosophischen Ansatz aus gelangt Welzel damit konsequent nur zu einer Privilegierung des Gewissenstäters und inso8

Diese Überlegungen werden erst i n Welzel: Gesetz S. 316 ff. u n d Strafrecht S. 177 deutlich. 9 Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61. 10 Arndt: N J W 1965 S. 2195. 11 Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61 f.

Das typologische Problem

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fern t r i f f t der Vorwurf der Kryptonormativität bei der konkreten Begriffsbildung Welzel nicht. Außerdem kann Welzel auf den Rechtsbegriff des Gewissens verweisen, wie er i n A r t . 4 GG fixiert ist 1 2 . b) Kritik an Welzels Stellungnahme

Gegenüber der Welzelschen Unterscheidung zwischen Überzeugungstäter und Gewissenstäter ist geltend gemacht worden, hier liege ein Mißverständnis der Auffassung Radbruchs vom Überzeugungsverbrecher vor. Lang-Hinrichsen bezweifelt, ob i m Grundsätzlichen überhaupt ein wesentlicher Unterschied zwischen dem von Welzel definierten Gewissenstäter und dem von Radbruch konzipierten Überzeugungstäter bestehe 13 , denn auch Radbruch würde wohl den i m blinden Fanatismus auf Befehl Handelnden nicht als Überzeugungstäter qualifizieren. Für Radbruch sei es nämlich bei der Bestimmung der Überzeugung darum gegangen, die Überlegung, die Besinnung auf die höhere Norm sowie den Anteil, den die Überzeugung an dem Innenleben des Täters habe, als das Wesen des Überzeugungsverbrechers herauszustellen 14 . Außerdem habe Radbruch von „Pflichtüberzeugung" gesprochen 15 . I n der Tat sprechen viele der Radbruchschen Ausführungen zum Typus des Überzeugungstäters für diese Meinung 1 6 , allerdings war nach Radbruch „auch der geistig minderwertige Querulant" 1 7 ein Überzeugungsverbrecher. I m Hinblick auf den Befehlsempfänger Schloß Radbruch nur den Fall aus, daß jemand zu seiner Entlastung vorbringt, er habe dem Befehl nur gehorcht, w e i l es i h m befohlen worden sei 18 . Wer sich nur m i t „Befehl ist Befehl" entschuldigt, ist damit nach Radbruch kein Überzeugungsverbrecher, aber ob derjenige, der einen Befehl „ i n blindem Fanatismus" 1 9 befolgt, nach Radbruch anders zu beurteilen 12

Vgl. Welzel: Gesetz S. 384. Lang-Hinrichsen: J Z 1966 S. 157 A n m . 24, S. 162. 14 Lang-Hinrichsen: JZ 1966 S. 157 Anm. 24 unter Bezug auf Radbruch: Referat S. 358, 366. 15 Lang-Hinrichsen: J Z 1966 S. 156 unter Bezug auf Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 37. 16 Außer den bisher angeführten Aussagen vgl. Radbruch: Rechtsphilosophie S. 182. Radbruch spricht hier von dem Angeklagten, „den sein Gewissen bindet, ungerechtes oder unzweckmäßiges Recht als ungültig zu betrachten, obgleich es gesetzt ist". 17 Radbruch: Referat S. 373. Diese Aussage Radbruchs hat Lang-Hinrichsen übersehen. 18 Welzel bezieht sich zwar niemals auf die bei Radbruch: Referat S. 373 zitierte Stelle, aber er könnte sich zweifellos f ü r den weiten ÜberzeugungsBegriff auch auf Radbruch berufen. 19 Beispiel von Lang-Hinrichsen: JZ 1966 S. 157 A n m . 24. 13

10 Gödan

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Die

echts/ififr des Überzeugungstäters

wäre als der „geistig minderwertige Querulant", ist daher nicht, wie Lang-Hinrichsen meint, ohne weiteres zu unterstellen. Hält man sich weiter die Beiträge von Gaupp, Aschaffenburg und Höpler vor Augen 2 0 , so w i r d deutlich, daß auch Psychopathen und M i t läufer unter den Typus des Überzeugungstäters gefaßt wurden 2 1 . Man könnte nun behaupten, Welzels Typus des Gewissenstäters sei dann der aufgrund einer Pflichtüberzeugung überlegt handelnde Täter, wie er bei Radbruch mehrfach geschildert worden ist. Allerdings stände dieser Gleichsetzung Welzels Herausnahme des politischen Überzeugungstäters entgegen, den er an Beispielen von Anhängern totalitärer Regime belegt und dessen Privilegierung Sorgen u m einen politischen Mißbrauch wecke. Welzel behauptet ja gerade, der politische Überzeugungsverbrecher handele gewissenlos, wenn er aufgrund einer totalitären Ideologie handele; er mache sich gerade kein Gewissen aus dem, was er tut, sondern handele aus blinder Überzeugung 22 . Hier stellt sich jedoch eigentlich die kritische Frage an Welzel: Ist es berechtigt, dem politischen Überzeugungstäter per definitionem bzw. per typologiam die Möglichkeit einer Gewissensentscheidung abzusprechen? Wäre es nicht zutreffender, nur einen Typus des Gewissenstäters zu konstruieren, anstatt von vornherein von zwei Gruppen, dem Gewissenstäter und dem politischen Überzeugungstäter, auszugehen? Sollte nicht darauf abgestellt werden, ob der Täter aufgrund einer Gewissensentscheidung gehandelt hat, gleichgültig, ob aus politischen, religiösen oder anderen Gründen? Das würde dazu führen, den Begriff der Überzeugimg i n den bisherigen Reformvorschlägen durch den des Gewissens zu ersetzen, d. h. den Gewissenstäter als den „echten" Überzeugungstäter herauszuschälen. Wenn es i n der Tat mit Welzel auf die sittliche Richterinstanz des Gewissens ankommen sollte, so müßte konsequenterweise von Fall zu Fall entschieden werden, ob eine Gewissensentscheidung vorlag, ohne daß von vornherein feststände, daß i n einem bestimmten Bereich gefallene Entscheidungen gruppenmäßig von einer Privilegierung auszuschließen sind. N i m m t man den rechtsphilosophischen Ansatz Welzels ernst, so dürfte man dieser Metabasis eis allo genos nicht folgen 23 . Dabei mögen die von Wel20

Vgl. oben C. 1.1. Vgl. heute: Z . B . Stratenwerth i n Friedrichs: S. 730 zählt auch die v e r schrobenen Psychopathen zu den Überzeugungstätern. 22 Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61. 23 I n seinen späteren einschlägigen Publikationen k o m m t diese A u f t e i l u n g i n Gewissenstäter u n d politische Überzeugungstäter nicht mehr vor, sondern es ist lediglich die Rede von Gewissenstätern. Hinweise darauf, ob Welzel die politischen Überzeugungstäter nicht mehr ausgeschlossen wissen w i l l , finden sich jedoch nicht. 1971 richtete Eichholz: S. 166 noch die Frage an 21

Das typologische Problem

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zel angeführten Fälle als Einzelbeispiele für das Nichtvorliegen einer Gewissensentscheidung durchaus zutreffend sein, jedoch nicht i n ihrer Funktion als typische Beispiele für die Herausnahme des politischen Überzeugungstäters aus der Sonderbehandlung. 2. Der „unbedingt Handelnde" im Vergleich zum Überzeugungsverbrecher a) Der existentielle Ansatz Ends im Anschluß an Jaspers

Was den Gewissenstäter vom Überzeugungstäter unterscheidet, könnte deutlicher werden, wenn man sich eine A n t w o r t der Existenzphilosophie vor Augen führt, wie sie End i m Anschluß an Jaspers zu geben versucht 24 . Mögliche Existenz w i r d zu wirklicher i n der Unbedingtheit einer Handlung, wenn der Mensch i n der Grenzsituation „das Eine" tut, das er unbedingt t u n muß. Dieses „Eine" ist ein je verschiedenes Ziel der Existenz, das nicht objektiviert werden kann, aber mit dem der Mensch als seinem existentiellen Grund i m Handeln identisch w i r d 2 5 . Der „existentielle Imperativ" lautet daher 2 6 : „Ich w i l l , daß jeder andere sei, wie ich zu werden mich bemühe: i n seiner Wahrheit er selbst zu sein. Existentiell ist die Forderung: folge nicht m i r nach, sondern folge dir selbst!" Die der Existenz gegenüberstehende Objektivität des Rechts und der Gesellschaft ist für die Existenz nur insoweit bindend, als sie die Objektivität als eigene nachvollziehen kann 2 7 . Die Sympathie der Existenzphilosophen hat stets denen gegolten, die ihr „Selbstsein" zu wahren versuchten. Nach Jaspers besteht für die Existenzphilosophie „notwendig eine Neigung zu jenen Menschen, denen die Wahl eigener Existenz und ihrer Wahrheit zu unbedingtem Ernst wurde, zu den Ketzern oder den Einzelnen" 2 8 . Kennzeichen der unbedingten Handlung sind nach End 29 : der Wille, ein „Eines, das nottut" zu verwirklichen, die Durchdringung von Freiheit und Notwendigkeit i m Handeln 3 0 , die Opferbereitschaft, die das Opfer des eigenen Lebens einschließt. Von daher ergeben sich laut End die folgenden Unterschiede zwischen dem unbedingt Handelnden und dem Überzeugungsverbrecher: seinen Lehrer: „ U n d was soll m i t dem politischen Gewissenstäter geschehen, der . . . jetzt aber ausgeklammert w i r d (Welzel, Peters)?" 24 End: S. 5 legt den K o n f l i k t Gesetz gegen Gewissen u. a. seiner Untersuchung zugrunde. 26 Vgl. End: S. 38 f. 26 Jaspers: Philosophie Bd. 2 S. 436. 27 Vgl. End: S. 50 ff. zu Jaspers 9 Begriff der „Aneignung". 28 Jaspers: Philosophie Bd. 2 S. 392. 29 End: S. 61. 30 Vgl. näher End: S. 39. io•

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Die

e c h t s / i r des Überzeugungstäters

(1) Überzeugungsverbrechen seien oft nur Ausdruck einer bestimmten Weltanschauung, auf die die i n Frage stehende Handlung sich zurückführen lasse. Unbedingte Handlungen enthielten demgegenüber einen „die eigentliche Motivation erst ausmachenden, existenziellen Rest, der sich einer kategorialen Bestandsaufnahme" entziehe 31 . Ein „unzulänglicher letzter G r u n d " 3 2 sei das Indiz für das Vorliegen einer unbedingten Handlung. Erst wo eine Weltanschauung „als eigene und einzige" ergriffen werde, würde die bloß weltanschauliche Überzeugung unbedingt. Während der Überzeugungsverbrecher oft nur i m A u f trag einer Idee tätig werde, wirke der unbedingt Handelnde „ i m Auftrag seines eigenen Grundes" 3 3 . Weiterhin sei die Schwere des Konflikts kennzeichnend, die der unbedingten Handlung vorausgeht i m Gegensatz zur „subjektiven Starrheit" 3 4 des Überzeugungsverbrechers. Den Überzeugungsverbrecher zeichneten daher arrogantia, den unbedingt Handelnden humilitas aus 35 . (2) Der Überzeugungsverbrecher richte sich gegen die Ordnung als Ganzes, er negiere die Regel, während der unbedingt Handelnde gekennzeichnet sei durch die „Dialektik von Ablehnung irdischer Normen und Treue zu i h n umgreifenden Ordnungen" 3 6 ; er verlange daher nur eine Ausnahme von der Regel. (3) Hinsichtlich des eigentlichen Feldes unbedingter Handlungen kämen grundsätzlich nur die politischen Verbrechen, Rechtsbeugung und Tötungsdelikte 3 7 i n Frage, während die verschiedensten Tatbestände Gegenstand von Überzeugungsverbrechen sein könnten. (4) Typologisch gesehen träten die Überzeugungsverbrecher i n den „sozialen Figuren" des Diktators, Usurpators, Partisanen, Anarchisten und Abenteurers auf, der unbedingt Handelnde dagegen i n denen des Häretikers, Heiligen, Märtyrers. Als Prototyp des Überzeugungsverbrechers sieht End Raskolnikow an 3 8 . (5) Obwohl für Jaspers die Überzeugung der „Glaube der Existenz" 3 9 ist und daher „Überzeugungsverbrechen" für ihn der juristische Terminus für die unbedingten Handlungen sein könnte, hält End es für richtiger, i n den unbedingten Handlungen nur einen kleinen Teil und 31 32 33 34 35 36 37 38 39

End: S. 57. End: S. 59. End: S. 58. End: S. 59. End: A n m . 310 S. 124. End: A n m . 310 S. 124. End: S. 58 f. Vgl. den „Versuch einer existentiellen Kasuistik" S. 60 ff. End: A n m . 310 S. 123 f. Jaspers: Wahrheit S. 470.

Das typologische Problem

eine besondere Erscheinungsform sehen 40 .

der Überzeugungsverbrechen

1

zu

b) Kritik der Stellungnahme Ends

K r i t i k an der Brauchbarkeit des Begriffs der unbedingten Handlung für die Rechtsordnung haben Ever s und Otto geübt 4 1 . Sie meinen, man müsse „niedriger ansetzen" (Evers). A u f das existentielle Moment könne man i n einer Rechtsordnung nicht abstellen, da eine Rechtsfindung aufgrund „liebenden Kampfes" zwischen Richter und Angeklagtem i n „existentieller Kommunikation" 4 2 nicht institutionalisierbar sei. I n der Tat kommt End zu einem so schockierenden Ergebnis wie diesem: Das Urteil des Richters wäre, da kommunikative, d. h. existentielle, Wahrheit objektiv nicht mitteilbar ist, unbegründbar 4 3 . — Weiterhin hält Evers die „unbedingte Handlung" für „noch weniger tatbestandsmäßig umschreibbar" als das Überzeugungsverbrechen 44 . (1) Abgesehen davon, w i r f t die Stellungnahme Ends aber die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Existenz und Rechtsordnung auf, die sich als unvereinbare Gegensätze gegenüberzustehen scheinen. Ist End hier nicht zu harmonisierend vorgegangen? Jaspers gibt sich keinen Illusionen darüber hin, daß i m Konfliktsfall zwischen der objektiven Institution und dem einzelnen als Ketzer „die Menge" immer auf Seiten der von Existenz durchbrochenen Ordnung stehen würde, „wenige aber auf Seiten der Existenz" 4 5 . Warum sollte es gerade der konkrete, kraft Gesetzes und laut Geschäftsverteilungsplan zuständige Richter tun? Für Jaspers selbst kann nicht zweifelhaft sein, „daß i m Konfliktsfall die Existenz als solche den Vorrang hat" 4 6 . Der einzelne ist dann i n eine Grenzsituation hineingestellt, die wie eine Wand ist, „an die w i r stoßen, an der w i r scheitern" 47 . Die Dimension des Scheiterns — denn „Chiffre der Geschichte ist das Scheitern des Eigentlichen" 4 8 — ist von End nicht gewürdigt worden: Muß der unbedingt 40

End: A n m . 309 S. 123. Evers: S. 371; H. Otto: S. 75. 42 Vgl. dazu Ënd: S. 91 ff.; für Evers: S. 371 ist entscheidend, daß ein „ k o m m u n i k a t i v e r Prozeß" den Angeklagten i n einer Totalität i n Anspruch nähme, die A r t . 1 G G verbietet. 43 End: S. 92. 44 Evers: S. 371. 45 Jaspers: Philosophie Bd. 2 S. 391. 48 Jaspers: Philosophie Bd. 2 S. 390. A u f den bekannten E i n w a n d hin, daß dann i n der Welt keine Ordnung möglich sei, antwortet Jaspers: S. 392: „Ordnung i n der Welt ist ein utilitaristischer Gedanke, der erst durch den Gehalt der Ordnung einen Sinn hat." 47 Jaspers: Philosophie Bd. 2 S. 203. 48 Jaspers: Philosophie Bd. 3 S. 183, vgl. weiter Philosophie Bd. 2 S. 249 ff., 292 ff., 369. 41

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Handelnde nicht gerade das Scheitern gefaßt und i n Nichtbeachtung aller ihn an seiner Selbstwerdung hindernden objektiven Institutionen ins Auge fassen? W i r d man diese Spannung von Seiten der Rechtsordnung überwinden können? Muß diese nicht kraft ihrer notwendig rationalen Apparatur 4 9 m i t der möglichen Existenz i n unauflöslicher Spannung leben 50 ? (2) Unabhängig von diesem existenzphilosophischen Hintergrund gibt die Darstellung Ends jedoch einige wichtige Hinweise eher phänomenologischer A r t , da die Übereinstimmung des unbedingt Handelnden m i t dem von Welzel beschriebenen Gewissenstäter Parallelitäten, aber auch bemerkenswerte Abweichungen auf weist: (a) End beschränkt den unbedingt Handelnden nicht auf den unpolitischen Bereich, sondern weist i h m ausdrücklich und insbesondere die politischen Straftaten zu 5 1 . Die Beschränkung auf einige wenige Tatbestände begründet End jedoch nicht; sie dürfte m i t der geringen Bandbreite seiner Kasuistik zusammenhängen 52 . (b) Den Überzeugungsverbrecher beschreibt End als Ideologietäter, der i m Dienst einer von vielen mitgetragenen Weltanschauung tätig werde und diese als selbstsicherer Kämpfer durchzusetzen versuche, während der unbedingt Handelnde i m schweren Kampf m i t sich selbst um das Richtige ringe. Insofern käme man zu dem Ergebnis, daß die „unbedingte Handlung", wenn i h r Anwendungsbereich auf alle Deliktstatbestände ausgeweitet würde, der Gewissensentscheidung, die ebenfalls alle Tatbestände umfassen müßte, entspräche. (3) Die Folgerungen aus diesem Sachverhalt sind jedoch wieder verschieden. Die Kategorie der „irrigen Gewissensentscheidung", die gemessen w i r d an einer objektiven Wertordnung, kann für den Existenzphilosophen nur eine contradictio sein, da es i h m nicht um V e r w i r k lichung „fremder" Essenz, sondern der Existenz geht; die Unterscheidung zwischen inhaltlicher Unrichtigkeit und Gewissenhaftigkeit der Entscheidung ist für i h n nicht möglich 53 . 49

Vgl. Jaspers: Philosophie Bd. 2 S. 389. Vgl. Jaspers: Philosophie Bd. 2 S. 392: Existenz brauche das Andere als Widerstand, „als Bewährungsmöglichkeit u n d als Verführungsgefahr". 51 End: S. 58 f. 62 End: S. 59 ff. 53 Vgl. Jaspers: Philosophie Bd. 2 S. 354 ff. Z u r Möglichkeit einer E t h i k S. 362: Aus dem Philosophieren möglicher Existenz ergäben sich keine absoluten u n d festen Gebote u n d Verbote, keine Ethik, die das Wahre künde, aber eine solche, „die u m so entschiedener i m Selbstsein den Gehalt durch dialektische Erörterung weckt". Vgl. End: S. 43 ff. Vgl. oben den „existentiellen Imperativ". 50

Das typologische Problem

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3. Unterscheidungen zwischen Gewissensund Uberzeugungstätern und zwischen aktiven und passiven Gewissenstätern a) Die typologischen Untersuchungen von Peters, Arndt, Greffenius und der katholischen Moraltheologie

Während Peters i n seiner „Kriminalpädagogik" noch von einem einheitlichen Begriff des Überzeugungstäters ausging 54 , sah er sich aufgrund seiner persönlichen Berührung m i t den Zeugen-JehovasProzessen zu der Differenzierung zwischen Gewissenstätern und Überzeugungstätern genötigt 5 5 . Peters geht nunmehr davon aus, daß die mangelnde Differenzierung von Gewissen und Überzeugung schuld daran sei, daß die Gewissensentscheidung i m Strafrecht zu wenig berücksichtigt werde 5 6 . Das werde daran deutlich, daß die Gerichte m i t Argumenten, die auf den politischen Überzeugungsverbrecher zugeschnitten seien und dort ihre Berechtigung hätten, auch die Sonderbehandlung des aus religiösen Gründen den Ersatzdienst verweigernden Zeugen Jehovas ablehnten 57 . Es sei jedoch erforderlich, den Gewissenstäter als „strafrechtlichen Sondertyp" 5 8 herauszustellen, der zwar „auch ein Überzeugungstäter", aber doch „mehr und etwas wesentlich anderes" sei 59 . aa) Die Gewissensentscheidung Unter Zugrundelegung der Definition des Bundesverfassungsgerichts 6 0 ist für Peters die Gewissensentscheidung durch drei Merkmale gekennzeichnet. (1) Sie erfolge „aus einer objektiven Wertordnung", aufgrund deren die „Entscheidung über Gut und Böse der Handlung" gefällt werde 6 1 . Der Gewissenstäter handele nicht etwa willkürlich, sondern habe sich 54

Peters: Kriminalpädagogik S. 304 ff., insbesondere S. 306. Peters: Mayer-Festschrift S. 264 A n m . 20, Engisch-Festschrift S. 469 ff. 56 Peters: Mayer-Festschrift S. 257. 57 Peters: J Z 1965 S. 490. 58 Peters: Mayer-Festschrift S. 262. 59 Peters: Mayer-Festschrift S. 263. 60 Peters: Mayer-Festschrift S. 269 A n m . 48 sieht diese Definition für den Rechtsbereich als maßgeblich an. BVerfGE 12 S. 55: „ A l s eine Gewissensentscheidung ist somit jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von ,Gut' u n d ,Böse' orientierte Entscheidung anzusehen, die der Einzelne i n einer bestimmten Lage als für sich bindend u n d unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte." Vgl. auch Leitsatz 2, BVerfGE 12 S. 45. 61 Peters: Mayer-Festschrift S. 269 f. Vgl. die ähnliche Darstellung bei Greffenius: S. 61 ff., insbes. S. 67 f. 55

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„einer über i h m stehenden Ordnung" unterstellt, an die er sich gebunden wisse und die er i m konkreten Fall auch zu verwirklichen suche. Diese Gewissensentscheidung sei trotz der Einbettung des Täters i n eine Gemeinschaft, die seine Urteilsbildung beeinflusse, „ein wesentliches Stück Einzelentschließung". Entziehe sich der einzelne der Gewissensentscheidung, so gelte dies i m religiösen Bereich als ein Sichentziehen vor Gott; handele der einzelne gegen eine gefällte Gewissensentscheidung, so bedeute dies Abfall von Gott, damit Sünde und Gefährdung des ewigen Lebens. Auch i m nicht-religiösen Bereich, so meint Peters, basiere die Gewissensentscheidung auf einer Ordnung von Gut und Böse: Der Täter empfinde sich vor der von i h m als maßgeblich „gedachten höchsten sittlichen Instanz als i n seiner Menschenwürde versagende Persönlichkeit" 6 2 . Peters meint, i n beiden Fällen träte ein „Substanzverlust der Persönlichkeit" ein: einmal durch „Lösung des Gott-Mensch-Bezuges", zum anderen durch „Verlust der Selbst- und Gesellschaftsachtung" 63 . (2) Das zweite Kennzeichen einer Gewissensentscheidung sei die Tendenz zur Verallgemeinerung 64 . Wer seine Gewissensentscheidung auf eine sittliche Ordnung gegründet habe, sehe sie auch als objektiv richtig an trotz des entgegenstehenden Gesetzeswortlautes und w ü n sche, daß seine Entscheidung auch die der anderen werde. (3) Schließlich bringe diese „Tendenz zum Wirken" auch die Bereitschaft zum Opfer m i t sich. Die Bereitschaft der Zeugen Jehovas, eine Freiheitsstrafe sowie soziale Nachteile auf sich zu nehmen, sei ein Zeugnis für ihren Glauben, m i t dem sich die Gesellschaft aber nicht beruhigen dürfe, sondern sich fragen müsse, ob ihr nach ihrem eigenen Selbstverständnis eine solche Behandlung zustehe 65 . I m Gegensatz zu der so beschriebenen Gewissensentscheidung sei die Überzeugung dadurch gekennzeichnet, daß sie sich nicht an den K r i terien „gut" und „böse", sondern richtig oder unrichtig, zweckmäßig oder unzweckmäßig ausrichte. Es handele sich hier u m Entscheidungen rein sachlicher A r t unterhalb der Grenze des Ethischen 66 . Insbesondere politische und soziale Meinungen seien weithin Angelegenheit bloßer Überzeugungen, bei der es das Gewissen freistelle, ob man gewissens62

Peters: Mayer-Festschrift S. 270. Peters: Mayer-Festschrift S. 271. Ebenso Greffenius: S. 67. 64 Peters: Mayer-Festschrift S. 271. Er spricht dort auch von „Tendenz zur Objektivierung". Greffenius drückt diesen Gedanken als „Tendenz zur A l l gemeingültigkeit des Handelns" aus, S. 64. 65 Vgl. Greffenius: S. 67 f., der als für den Gewissenstäter typische M e r k male aufzählt: Opferbereitschaft, freimütiges Bekennen, Ehrlichkeit u n d konsequentes Aufsichnehmen der Strafe. 66 Peters: Mayer-Festschrift S. 272. Ebenso Greffenius: S. 64 f. 63

Das typologische Problem

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mäßige Folgerungen aus der Überzeugung herleiten wolle oder ob es beim bloßen Fürrichtighalten bleibe. Selbst wenn Überzeugungen den ethischen Bereich berührten, vergebe sich der einzelne dann nichts, wenn er sich nach sorgsamer Abwägung „zum Stillhalten" entscheide und i h m i n der konkreten Situation kein „personaler Substanzverlust" drohe. Ob aus einer Überzeugung eine Entscheidung über „ G u t " und „Böse" erwachse, die i m Gewissen verbinde, könne der einzelne nur „aus seiner Gott-Mensch-Beziehung und seiner Verpflichtung vor Gott und sich selbst entscheiden" 67 . Peters erläutert dies an folgenden Beispielen: Überzeugung i m Sinne von bloßem Fürrichtighalten sei i n dem von H. Mayer zu Unrecht i n den Gewissensbereich gezogenen Beispiel gegeben, daß ein Mann „nach ernster Gewissensentscheidung zugunsten der geliebten Frau einen Meineid leistet" 6 8 . Diesen Fall vergleicht Peters m i t der Konstellation, daß ein Meineid zur Errettung unschuldig Verfolgter i n einem Unrechtsstaat geleistet würde. Die Anwendung der Peters'schen Kriterien für eine Gewissensentscheidung ergibt folgendes B i l d 6 9 : (1) Beim Meineid zugunsten der Geliebten werde die Entscheidung aus der konkreten persönlichen Situation getroffen, nicht aber aus einer objektiven Ordnung m i t einer ethischen Grundregel „Meineid i m Fall der Geliebten ist erlaubt" 7 0 . Der Meineid zugunsten unschuldig Verfolgter aber lasse sich objektiv rechtfertigen, da die Verfolgung und Tötung Unschuldiger „ethisch böse" sei. Wenn der Aussagende die Wahrheit sage, fördere er das Böse. (2) Der Meineid i m ersten Fall habe keine Tendenz zur Allgemeingültigkeit, sei vielmehr ein konkreter Einzelfall. I m zweiten Fall kann der Meineid Vorbild werden. (3) Die Entscheidung, einen Meineid zugunsten der Geliebten zu leisten, dränge nicht auf Offenkundigkeit, sondern sei i m Gegenteil auf Verheimlichung i n der Rechtsgemeinschaft gerichtet. Diese Tendenz ist zwar auch i m Fall des Meineids zugunsten unschuldig Verfolgter gegeben, aber der Unterschied liegt darin, daß der Aussagende nur diesem, den Eid abfordernden Unrechtsstaat gegenüber, nicht aber allgemein, seine Tat verheimlichen w i l l .

67

Peters: Mayer-Festschrift S. 273. H. Mayer: Strafrecht S. 260. β9 Vgl. Peters: Mayer-Festschrift S. 273 f.; die Punkte (2) u n d (3) zum Mayerschen Beispiel w u r d e n i m Sinne von Peters ergänzt. 70 Es wäre allenfalls zu fragen, ob die Grundregel nicht „Meineid aus Liebe ist erlaubt" heißen könnte. 68

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bb) Der „Einstellungstäter"

nach Greffenius

Es fragt sich, ob m i t dieser Abgrenzung auch der Fall des politischen Überzeugungstäters, z. B. eines kommunistischen Untergrundkämpfers, getroffen wird. Liegt hier nicht auch eine verpflichtende Ordnung m i t Verallgemeinerungstendenz und persönlicher Opfer- und Bekenntnisbereitschaft zugrunde? A n diesem Punkt hakt Greffenius m i t einer weiteren typologischen Unterscheidung ein: Man dürfe Überzeugungstaten und Delikte, die aufgrund eines bloßen Fürrichtighaltens begangen wurden, nicht gleichsetzen. Der kommunistische Täter sei zwar von der Richtigkeit seiner Ideologie überzeugt, aber das Entscheidende sei, daß er die Norm, auf die er sich zu seiner Rechtfertigung beruft, für höherrangig i m Vergleich zu der von i h m verletzten staatlichen Norm hält. Wer aber, wie der Meineidige i m Prozeß gegen seine Geliebte, aus einem Für-richtig-Halten und nicht um einer übergeordneten Norm willen handele, sei kein Überzeugungstäter, sondern, wie Greffenius ihn nennt, ein „Einstellungstäter" 7 1 , dessen innere Einstellung zumeist von Gefühlen diktiert werde 7 2 . Die Tendenz zur Allgemeingültigkeit des Handelns fehle ihm 7 3 . Damit hebe sich der Einstellungstäter allenfalls durch achtenswerte Beweggründe vom gewöhnlichen Verbrecher ab 7 4 . Den Typ des Überzeugungstäters unterteilt Greffenius i n typische Überzeugungstäter, die politischen Ideologietäter und atypische 75 . Zwar werde der Ideologietäter von einer sittlichen Verpflichtung zum Handeln angehalten, die aber „noch nicht den eigentlichen ethischen Bereich" berühre 7 6 , sondern sich i m Bereich von richtig oder unrichtig, zweckmäßig oder unzweckmäßig aufhalte 7 7 und von „rationalistischen Merkmalen" geprägt sei 78 . Demgegenüber aber sei der Gewissenstäter „ i n sittlicher Hinsicht" wertvoller als der Überzeugungstäter 79 , da er sich unter die richtende Funktion des Gewissens stelle, das i h m sage, was „gut" und „böse" sei 80 . Ist daraus aber die Konsequenz zu ziehen, daß ein politischer 71

Greffenius: S. 60. Greffenius: S. 69. 78 Greffenius: S. 61, 64. 74 Greffenius: S. 61, 69. 75 Greffenius: S. 62 f. 76 Greffenius: S. 63. 77 Greffenius: S. 65. 78 Greffenius: S. 66. 79 Greffenius: S. 64. 80 Greffenius: S. 65. — Greffenius sieht das Verhältnis von Überzeugungstäter — Gewissenstäter — Ideologietäter so, daß auch der Gewissenstäter ein Ideologietäter sei, S. 68. Wenn demnach sowohl die typischen Überzeugungstäter (S. 62 f.) als auch die Gewissenstäter (vgl. S. 64) Ideologietäter 72

Das typologische Problem

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Täter nie aufgrund einer Gewissensentscheidung handeln könne? Z u diesem Schluß gelangen jedoch weder Greffenius noch Peters. Nach Greffenius w i r d beim Vorliegen eines „echten" ethischen Konfliktes der Überzeugungstäter zum Gewissenstäter. Die Abgrenzung des Überzeugungstäters vom Gewissenstäter sei daher „quer durch die i n Betracht kommenden Täter hindurch" vorzunehmen 81 . Nur selten werde aber aus einer politischen Überzeugung eine Entscheidung über Gut und Böse resultieren 82 . Auch Peters streitet nicht ab, daß Überzeugungen Inhalt einer Gewissensentscheidung sein können 8 3 . Maßgabe ihres Gewissens- oder Überzeugungscharakters kann dann aber allein sein, ob der einzelne der jeweiligen Frage eine Bedeutung zumißt, deren zutreffende Beantwortung für ihn über Sündigwerden und über den personalen Substanzverlust, wie es Peters ausdrückt, entscheidet. Greffenius sieht schließlich i m Anschluß an Peters die „Gefahr des Substanzverlustes" als dasjenige Merkmal an, das der Gewissensentscheidung „einen sittlich zwingenden Charakter" gibt 8 4 . cc) Das Verbot der Überprüfung einer Gewissensentscheidung auf ihren Inhalt Die heikle Frage, ob die Gewissensentscheidung „aus einer objektiven Wertordnung, deren Verständnis die Entscheidung über Gut und Böse der Handlung herbeiführt" 8 5 , entspringe, während die Überzeugung nur aus dem Bereich der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit gespeist werde 8 6 , wie Peters und Greffenius an sich behaupten, verliert ihre Brisanz i m Hinblick darauf, wie denn und nach welchen Maßstäben ethische Ordnung und Überzeugungsbereich abgegrenzt werden sollen, jedoch deswegen, w e i l Peters mehrfach betont, der Inhalt der Gewissensentscheidung dürfe nicht auf seine ethische Richtigkeit oder Unrichtigkeit geprüft werden 8 7 . Gemäß A r t i k e l 4 GG habe der Staat die verschiedenen religiösen Bekenntnisse toleriert; dann sei es i h m aber auch untersagt, über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Entscheidungen i m religiösen Bereich zu urteilen. Ungenau ist demgegenüber sind, dürfte es sich hierbei u m den Haupttypus handeln, aus dem die Überzeugungstäter einen ersten Ausschnitt bilden, während die Gewissenstäter eine Untergruppe der Überzeugungstäter sind, vgl. S. 64. 81 Greffenius: S. 63. 82 Greffenius: S. 66. 83 Peters: Mayer-Festschrift S. 272 f. 84 Greffenius: S. 67. 85 Peters: Mayer-Festschrift S. 269. Vgl. Greffenius: S. 64 f. 86 Peters: Mayer-Festschrift S. 272. Vgl. Greffenius: S. 65. 87 Peters: Mayer-Festschrift S. 278, JZ 1965 S. 490, JZ 1966 S. 458 f.

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Die

e c h t s f i r des Überzeugungstäters

die Ansicht von Greffenius, es liege „ i m Wesen" einer Gewissensentscheidung, daß sie nicht auf ihre Richtigkeit nachgeprüft werden könne 88 . Damit entfällt zugleich die Prüfungsmöglichkeit, ob der Täter bei einer als i r r i g angesehenen Gewissensentscheidung i n einem überwindlichen oder unüberwindlichen I r r t u m befangen gewesen sei 89 . Wenn nach Peters „der Gewissensinhalt allein der Entscheidung des Gewissensträgers unterliegt" 9 0 , müsse das Gericht „von der Möglichkeit der Richtigkeit der Gewissensentscheidung" ausgehen 91 und dürfe nur noch die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung überprüfen. Insofern kann sich Peters auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützen 92 . dd) Der Gewissenstäter aufgrund Unterlassens und positiven Tuns Peters sieht sich damit jedoch vor ein weiteres schwieriges Problem gestellt: Hat der Staat jede aufgrund einer Gewissensentscheidung begangene Straftat straflos hinzunehmen? Es ist bemerkenswert, daß Peters jetzt weiter typologisiert. Er geht zunächst davon aus, daß die Gewissensentscheidung des einzelnen dort begrenzt wird, wo ihr der andere entgegentritt, der den gleichen Anspruch auf Freiheit hat. Aber nicht nur die Gewissensentscheidung des anderen, der ein Opfer des Täters wird, ist eine Grenze, sondern auch die der Möglichkeit der Gewissensentscheidung zugrunde liegende Freiheit des Menschen „als verantwortliches, als gottgebundenes oder als sich und dem Mitmenschen verpflichtetes Wesen" 93 . Inwieweit damit die Schranken der Gewissensfreiheit i n den Begriff des Gewissens selbst hineinverlagert worden sind, kann dahingestellt bleiben, wichtig ist i m Augenblick, daß Peters das Hauptvorkommen der beachtenswerten Gewissenshandlungen typologisch bestimmt und positiv aus dem Bereich gewissensbedingter Taten ausgrenzt: Es müsse 88

Greffenius: S. 81. Peters: Mayer-Festschrift S. 278 A n m . 69, J Z 1965 S. 490. 90 Peters: J Z 1966 S. 458. 91 Peters: Mayer-Festschrift S. 278. 92 BVerfGE 12 S. 56: „Die richterliche Prüfungsbefugnis geht jedenfalls nicht soweit, daß die — einmal als solche erkannte — Gewissensentscheidung i n irgendeinem Sinn, etwa als ,irrig', ,falsch', ,richtig', bewertet werden dürfte." Vgl. O L G Bremen N J W 1963 S. 1934; O L G K ö l n N J W 1965 S. 1449 unter Berufung auf O L G Stuttgart G A 1964 S. 60. 93 Peters: Mayer-Festschrift S. 274. 89

Das typologische Problem

1

zwischen Unterlassen und aktivem Tun 9 4 , zwischen passiven und aktiven Tätern 9 5 differenziert werden. Diesen Unterschied hatte bereits Adolf Arndt als wesentlich hervorgehoben 96 . Der Kernfall des Unterlassens ist nach Peters der, daß der Gewissenstäter einem Befehl oder einer Anordnung nicht nachkommt, weil das geforderte Handeln für i h n aus Gewissensgründen unerträglich ist. Als Hauptbeispiel dienen Peters die der Sekte der Zeugen Jehovas angehörenden Ersatzdienstverweigerer. I h r angewandtes Mittel: „einfaches passives Verhalten" sei auch „das geringst mögliche Verhalten" 9 7 . Diesem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit des eingesetzten Mittels zu dem erreichten Erfolg mißt Peters grundlegende Bedeutung bei 9 8 . Mindestmögliches, auf eine Gewissensentscheidung gestütztes Unterlassen i n auswegloser Situation müsse aber gemäß A r t . 4 GG „frei vom staatlichen Zwang zum Handelnmüssen und frei von Sanktionen" bleiben 9 9 . Aber nicht nur der aus Gewissensgründen die M i t w i r k u n g versagende Unterlassungstäter sei zu achten. Es könnten sich auch Gewissensentscheidungen i m Bereich des positiven Tuns ergeben, wenn die positive Handlung weder die Existenz des anderen noch seine Freiheit berühre 1 0 0 . I m Extremfall der Widerstandskämpfer des 20. J u l i sei darüber hinaus noch eine „Ausnahmesituation des positiven T u n s " 1 0 1 sichtbar geworden, i n der Gewissensentscheidungen i m Unrechtsstaat zur Tötung des Diktators treiben könnten. Auch diesen Fall sieht Peters noch als einen zulässigen Fall von positiver Handlung aus Gewissensgründen an 1 0 2 . Arndt ging bei seiner Unterscheidung zwischen Unterlassen und positivem Tun nicht so weit. Zwar hielt er es für „wesensverschieden", ob das Gewissen ein Tun oder Unterlassen gebiete, aber deswegen dürfe nicht jeder unter Berufung auf sein Gewissen schon tun, was dieses i h m befehle. Wer z.B. von der Sündhaftigkeit von Rüstungsmaßnahmen überzeugt sei, dürfe m i t allen Mitteln des Staates daran gehindert werden, seine Gewissensentscheidung i n die Tat umzusetzen; wem 94 Peters: J Z 1965 S. 490, Mayer-Festschrift S. 274, vgl. JZ 1966 S. 458, Engisch-Festschrift S. 474 ff. 95 Peters i n Friedrichs: S. 730. 96 Arndt: N J W 1965 S. 432 f., N J W 1966 S. 2204 ff., N J W 1968 S. 2370. 97 Peters: J Z 1966 S. 459. 98 Peters: Engisch-Festschrift S. 471, 476. 99 Peters: Mayer-Festschrift S. 276; Greffenius: S. 81; ebenso jetzt Jescheck: Lehrbuch 2. A u f l . S. 309. 100 Peters: Mayer-Festschrift S. 274. 101 Peters: Mayer-Festschrift S. 275. 102 Insofern Eichholz: S. 166 unzutreffend.

1

Die

e c h t s / i f r des Überzeugungstäters

aber sein Gewissen verbiete, selber Hand anzulegen zur persönlichen Ausführung einer vom Staat angeordneten Tätigkeit, „der soll um der Gewissensfreiheit w i l l e n unantastbar dem ganzen Staat, seiner Pracht und Herrlichkeit, gegenüberstehen" 108 . Den Ausdruck Gewissenstäter findet Arndt allerdings „nicht ganz glücklich", „ w e i l A r t . 4 GG als subjektives Recht allein die Rechtmäßigkeit eines Unterlassens" verbürge 1 0 4 . Hinter diesen Unterscheidungen von Arndt und Peters scheinen Einflüsse der katholischen Moraltheologie zu stehen 105 , wie sie ζ. B. i n den Arbeiten von Hartmann, Rudin und Miller 106 zum Ausdruck gekommen sind. Diese Autoren haben sich auch m i t der Problematik des Überzeugungsverbrechers ausdrücklich auseinandergesetzt 107 . Hartmann, dem die anderen Autoren sachlich folgen, geht davon aus, das Recht auf Gewissensfreiheit bedeute, daß der einzelne verlangen könne, nicht unter staatlichen Druck gesetzt zu werden, der ihn „zur Sünde gegen sein Gewissen" veranlassen könnte 1 0 8 . Der Staat habe dem Menschen einen für die sittliche Existenz vielleicht gefährlichen K o n f l i k t zu ersparen. Man dürfe i h n nicht i n die äußerste Situation treiben, i n der er nur noch sündigen oder zum Märtyrer seiner Gewissenstreue werden könne. Es gebe daher ein Recht, nicht gegen sein Gewissen handeln zu müssen. Ganz anders liege die Frage, ob der Mensch das Recht hat, positiv nach seinem Gewissen zu handeln und von den andern Duldung zu verlangen. Die Grenze der Gewissensfreiheit sieht Hartmann i n den Rechten anderer. Insofern habe der Staat auch „das höhere Recht" 1 0 9 , den aktiven Gewissenstäter an seiner Rechtsverletzung zu hindern. Damit werde das Gewissen des Täters nicht verletzt, da i h m nur objektiv unmöglich gemacht werde, das zu tun, was er für Pflicht halte; jede wirkliche oder vermeintliche Gewissenspflicht, eine positive Handlung zu begehen, höre aber bei der Unmöglichkeit, sie zu erfüllen, auf 1 1 0 . Diese Folgerung ist auf juristischer Seite allerdings nicht mehr gezogen worden, da sie staatliche Präventivmaßnahmen gegen potentielle Gewissenstäter rechtfertigen würde. 103

Arndt: N J W 1965 S. 433. Arndt: N J W 1966 S. 2206, vgl. N J W 1968 S. 2370. 105 Arndt: N J W 1965 S. 433 beruft sich ohne Namensnennung auf „die fruchtbare Erkenntnis der katholischen Moralphilosophie". 106 Hartmann: S. 186 ff.; Rudin: S. 139 ff.; Miller: S. 114ff. 107 Hartmann: S. 189 ff.; Rudin: S. 159 f. 108 Hartmann: S. 190. 109 Hartmann: S. 191. 110 Hartmann: S. 191; ebenso Rudin: S. 160 und Miller: S. 119. 104

Das typologische Problem

1

Die Bestrafung des Überzeugungsverbrechers, der vor seinem Gewissen durchaus bestehen könne, rechtfertigen Hartmann und Rudin damit, daß der Staat den Gesichtspunkt des Allgemeinwohls berücksichtigen und für eine Ordnung eintreten müsse; dem Überzeugungsverbrecher müsse er den Widerspruch seiner Gewissensentscheidung mit der gültigen Ordnung nachdrücklich bewußt machen 111 . Peters hat diese Lehre insofern weiterentwickelt, als er einen klaren Trennungsstrich zwischen Überzeugungsverbrecher und Gewissenstäter gezogen hat, der den genannten Vertretern der katholischen Moraltheologie noch unbekannt ist. Der Gewissenstäter hat nach Peters straflos zu bleiben, während der Überzeugungstäter lediglich i m Strafvollzug gesondert behandelt werden sollte 1 1 2 . Greffenius w i l l demgegenüber dem Überzeugungstäter und Eichholz dem Gewissenstäter eine Sonderstrafart zubilligen 1 1 8 . b) Kritik an der Peters'schen Unterscheidung zwischen Gewissens- und Überzeugungstätern

Heinitz kritisierte, daß Peters Überzeugungstäter und Gewissenstäter als ganz verschiedene Typen bezeichne, obwohl der Unterschied letztlich nur i n der jeweiligen Stärke von Intensität und Festigkeit der Überzeugung liege. Gegen jegliche Privilegierung von Überzeugungstätern oder Gewissenstätern spreche, daß „die schlimmsten Verbrechen der Weltgeschichte" von Menschen begangen worden seien, denen man eine ehrliche und echte Überzeugung und den Glauben an die Richtigkeit ihres Handelns nicht immer werde absprechen können 1 1 4 . I n dieser Stellungnahme w i r d wieder die Besorgnis gegenüber der Privilegierung von Überzeugungs- und Gewissenstätern wegen deren besonderer Gefährlichkeit deutlich. Einen grundsätzlichen Einwand hat das OLG K ö l n gegen die Unterscheidung zwischen gewissensbedingten Unterlassungstätern und ak111 Hartmann: S. 189; Rudin: S. 159. — A u f dieser Linie bewegt sich auch der BGH, w e n n er ausführt: „Die Schuld des Überzeugungstäters liegt darin, daß er bewußt an die Stelle der Wertordnung der Gemeinschaft seine eigene setzt u n d von dieser her i m Einzelfalle falsch wertet", BGHSt 2 S. 208; ebenso Peters vor seiner Lehre v o m Gewissenstäter: Kriminalpädagogik S. 304 m i t Zustimmung von Lang-Hinrichsen: JZ 1966 S. 154. 112 Peters: Mayer-Festschrift S. 276, 278 f., 280 zum Gewissenstäter, S. 280 zum Überzeugungstäter. 113 Greffenius: S. 76; den Gewissenstäter w i l l Greffenius: S. 81 straffrei ausgehen lassen u n d den Einstellungstäter bei der Strafzumessung berücksichtigen, S. 69. Eichholz: S. 191 befürwortet f ü r Gewissenstäter eine E r setzungsregel, die „Sicherungshaft" f ü r den F a l l vorsieht, daß sich der Täter „ i n ernster Gewissensnot f ü r verpflichtet" hielt, eine strafbare Handlung zu begehen. 114 Heinitz: S. 622 ff.

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Die

e c h t s / i r des Überzeugungstäters

tiven Tätern vorgebracht: Die von Arndt angeregte Differenzierung sei i n ihren Konsequenzen für den weiten Bereich der echten und unechten Unterlassungsdelikte „unabsehbar" und hebe die Grenzen zum sogenannten Überzeugungsverbrecher praktisch auf 1 1 5 . Anzeichen für die Berechtigung dieser K r i t i k lassen sich auch bei Peters feststellen, der i n seinem letzten Beitrag zur Problematik des Gewissenstäters berichtet, daß i h m selbst bei einem vor dem OLG Stuttgart gehaltenen Schlußvortrag die Frage vorgelegt worden sei, wie er den Fall lösen würde, daß ein Vater aus Gewissensgründen eine Bluttransfusion verweigern und damit das Leben des Kindes gefährden würde 1 1 6 . Peters gibt zu, das hier das Unterlassen i n das Lebensrecht eines anderen eingreife. Damit w i r d deutlich, daß Peters von den Ersatzdienstverweigerern, bei deren Tat kein Individualrecht verletzt wurde, als den typischen Fällen ausgegangen war und von dort her verallgemeinert hatte. Peters warnt nunmehr selbst davor, bei der Verteidigung von Gewissenstätern über den konkreten Fall hinauszugehen und Vergleiche m i t anderen Fällen von Gewissensentscheidungen anzustellen. Hier zeigt sich eine Gefahr, die der Typologie vom Überzeugungstäter und Gewissenstäter allgemein droht: Während Radbruch, vom politischen Verbrecher ausgehend, zu seinem Typus des Überzeugungsverbrechers gelangte 117, denkt Peters von den religiösen Tätern, und zwar der bestimmten Gruppe der Ersatzdienstverweigerer, her. Von hier aus versucht Peters, den „Sondertyp" des Gewissenstäters zu konstituieren 1 1 8 . Allerdings sieht er sich dabei gezwungen, Einschränkungen dieses Typus vorzunehmen, die die Vermutung nahelegen, daß der Typus des Gewissenstäters damit letztlich wieder auf den Ausgangsfall der Ersatzdienstverweigerer reduziert wird. Selbst wenn sich dieser Verdacht nicht bestätigen ließe, wäre zu fragen, ob ein Sondertypus des Gewissenstäters dem Typus des Überzeugungsverbrechers gegenübergestellt werden sollte, wenn zunächst noch nicht geklärt ist, ob der Typus des Überzeugungsverbrechers nicht doch ausreicht, u m auch für die als Gewissenstäter bezeichneten Fälle eine befriedigende Lösung zu erreichen. Sollte es sich allerdings erweisen, daß der „herkömmliche" Typus des Überzeugungsverbrechers dies nicht zu erreichen vermag, könnte sich ein Sondertypus des Gewissenstäters als notwendig und fruchtbar herausstellen. Schließlich käme man wahrscheinlich wieder zu anderen Ergebnissen, wenn man von der dritten Gruppe des „klassischen" Überzeu115 116 117 118

O L G K ö l n N J W 1965 S. 1449. Peters: Engisch-Festschrift S. 476 A n m . 9. Radbruch: Referat S. 355, Weg S. 105 ff. Vgl. oben Β . I I . 1. a). Peters: Mayer-Festschrift S. 262.

11

Das typologische Problem

gungstäters, der des sittlichen Überzeugungstäters, ausginge und etwa prüfte, inwieweit Künstler und Wissenschaftler als Überzeugungstäter i n Frage kämen und was das Besondere ihrer gegen das Gesetz verstoßenden Publikationen und Experimente ausmache. Hier melden sich grundsätzliche Zweifel an der Einheitlichkeit und Fruchtbarkeit typologischer Bestimmungen des Überzeugungs- und Gewissenstäters an 1 1 9 . c) Kritischer Vergleich zwischen der Welzeischen und der Peters'schen Unterscheidung zwischen Überzeugungs- und Gewissenstätern

Obgleich sowohl Peters wie Welzel vom „Gewissenstäter" ausgehen und i h n scharf vom „Überzeugungstäter" abheben, sind schwerwiegende Unterschiede i n der Argumentationsweise zu erkennen. (1) Der Ausgangspunkt

beider Autoren ist ein verschiedener:

Welzel argumentiert deduktiv von der Relation Gesetz und Gewissen her und scheidet den politischen Überzeugungstäter aus, während Peters induktiv von den Fällen der Zeugen Jehovas als Ersatzdienstverweigerer ausgeht und deren Straflosigkeit zu begründen versucht. (2) Die Stellungnahme terschiedlich:

zum Problem

des irrenden

Gewissens ist un-

Während Welzel, vom objektiven Sollensbestand herkommend, zwischen objektiver Richtigkeit und subjektiver Gewissenhaftigkeit der Gewissensentscheidung differenziert, muß er die Möglichkeit eines irrenden Gewissens bejahen, dessen Anspruch auf Straffreistellung seitens der Rechtsordnung aber verneinen. Zwar legt auch Peters eine objektive Wertordnung zugrunde 1 2 0 und geht davon aus, der Gewissenstäter sei unter eine über i h m stehende Ordnung gestellt 1 2 1 , so daß die Annahme eines irrenden Gewissens folgerichtig wäre; Peters läßt aber dieses Problem als ein allgemein theologisches und ethisches dahingestellt, indem er darauf hinweist 1 2 2 , daß zum einen auch das unüberwindlich irrende Gewissen nach allgemeiner theologischer A u f fassung bindend sei und daß zum anderen i m Rechtsbereich die Entscheidung, ob ein Gewissen irre, der gerichtlichen Beurteilung entzogen sei, da der Gewissensinhalt wegen A r t i k e l 4 GG allein der Entscheidung des Gewissensträgers unterliege. Die Gerichte dürften nur prüfen, ob eine echte Gewissensentscheidung vorliege. 119 120 121 122

Vgl. den Diskussionsbericht von Friedrichs: S. 731. Peters: Mayer-Festschrift S. 269. Peters: Mayer-Festschrift S. 270. Peters: Mayer-Festschrift S. 266 f., JZ 1966 S. 458.

11 Gödan

162

Die Hechts/ififitr des Überzeugungstäters

Damit gerät allerdings die Eingangsfeststellung, die Gewissensentscheidung sei „objektiv gegründet" 1 2 3 , für die Rechtspraxis außer Reichweite: Es w i r d ihr implicite untersagt, die Behauptung, ein Gewissenstäter handele aufgrund einer objektiven Ordnung, zu widerlegen, wenn sie nicht nachprüfen darf, ob die Gewissensentscheidung inhaltlich objektive Züge trägt. Weiter könnte ein Nachteil darin bestehen, daß die Problematik von der Frage des irrende η Gewissens zu der anderen Frage verschoben wird, ob überhaupt eine Gewissensentscheidung vorliegt. Obwohl nur eine „Ehrlichkeitskontrolle" 1 2 4 (Dürig) erlaubt sein soll, liegt es nahe, eine nicht nachvollziehbare Gewissensentscheidung als Nicht-Gewissensentscheidung 125 oder aber bestimmte Wissens- und Lebensbereiche als „nicht-gewissensfähig" zu deklarieren. Damit verlagert sich aber die Wertungsfrage von dem „offenen", kritisierbaren Prüfungspunkt: Liegt i m gegebenen Fall ein irrendes Gewissen vor? zu dem „verdeckten", der direkten K r i t i k unzugänglicher gemachten: Liegt i m gegebenen Fall eine Gewissensentscheidung vor 1 2 6 ? Damit ist aber kein Urteil zugunsten der Auffassung Welzels gefällt worden. Welzel guillotiniert vielmehr das Problem des Gewissenstäters i m Gegensatz zu Peters dadurch, daß er davon ausgeht, das Recht könne per definitionem „als Recht" nicht die Richtigkeit der andersartigen Gewissensentscheidung anerkennen, da sonst sein Bestand als Ordnung prinzipiell unmöglich gemacht würde 1 2 7 . Statt dessen untersucht Peters am Fall der Zeugen Jehovas, ob das Recht sich wirklich „aufgibt" und kommt zu dem Schluß: „ I m Gegenteil gewinnt der Staat dadurch an Achtung." Wenn Welzel die Beachtlichkeit der Gewissensentscheidung daher auf die subjektive Gewissenhaftigkeit der objektiv unrichtigen Gewissensentscheidung limitiert, so ist das eine dogmatische Festsetzung, die er zwar m i t dem Rechtsgüterschutz und dem Bestand der Rechtsordnung zu rechtfertigen versucht, die aber verfrüht ist, da er zunächst dartun müßte, daß die von i h m beschworenen Gefahren auch tatsächlich gegeben sind. Besteht bei der Peters'schen Lösung des Problems des irrenden Gewissens die ungewollte Möglichkeit der Kryptonormativität, so kommt Welzel kraft seiner dogmatisch zweifelhaften Festsetzung gar nicht erst i n diese Gefahr. Einen Vorschlag, das hier ausgebreitete Problem offen zu diskutieren, bietet die Regelung des § 48 a E 1962/SA 1964, der durch externe 123

Peters: Mayer-Festschrift S. 271. Dürig: S. 429 unter Nr. 13. 125 Gegen diese Möglichkeit wenden sich: Dürig: Festschrift S. 272. 126 Vgl. Luhmann: S. 260. 127 Welzel: Strafrecht S. 177. 124

S. 429; Peters:

Mayer-

Das typologische Problem

1

Schrankenbildung der Schwierigkeiten begrifflich-immanenter Gewissens- und Überzeugungsbegrenzungen Herr zu werden versucht. (3) Die Unter-Typenbildung

ist verschieden:

Während Welzel den Typus des politischen Überzeugungstäters von der Möglichkeit der Gewissenstäterschaft ausschließt, versucht Peters den Typus des Unterlassungstäters aus Gewissensgründen zu begründen. I m Gegensatz zu Welzel hängt nach Peters die Qualifizierung des einzelnen als Überzeugungstäter oder Gewissenstäter allein davon ab, ob der einzelne aus seiner „Verpflichtung vor Gott und sich selbst" zu dem Ergebnis komme, daß ein bestimmtes Tun personalen „Substanzverlust" zur Folge haben würde 1 2 8 . Da bei Welzel der Ausschluß des politischen Täters dem rechtsphilosophischen Ansatz des Gewissens nicht entspricht, geht für i h n allerdings auch die Möglichkeit einer scharfen Abgrenzung verloren, die die Praktikabilität des Typus des Gewissenstäters erhöht hätte. Die rechtspolitischen Bedenken wegen der Gefährlichkeit eines politischen Gewissenstäters tauchen damit wieder auf und können von Peters nur gemildert werden, wenn man mit i h m von dem hauptsächlich zu privilegierenden passiven Gewissenstäter ausgeht. I n der Anerkennung eines Gewissensunterlassungstäters unterscheidet sich Peters i n der Typenbildung seinerseits von Welzel. Während Welzel ein Korrektiv negativ durch Aussperrung des Typus des politischen Täters zu geben versuchte, w i l l Peters die Privilegierung des Gewissenstäters wenigstens für den Typus des gewissensbedingten Unterlassungstäters erreichen. I n beiden Fällen w i r d die typologische Differenzierung zwischen Überzeugungstäter und Gewissenstäter durch weitere Typenbildung fortgesetzt. Ob allerdings der Typus eines passiven Unterlassungstäters ohne weiteres anzuerkennen ist, ist bei Peters selbst zweifelhaft geworden. Auch Welzel hat zwar i n seiner Lehrbuchdarstellung die Ausgrenzung des politischen Täters nicht ausdrücklich hervorgehoben 129 , aber die von i h m angeführten Beispiele stammen alle aus dem nichtpolitischen Bereich 1 3 0 ; er konnte die besondere Erwähnung auch deshalb unterlassen, weil er heute i m Gegensatz zu 1955 131 den entschuldbar irrenden Gewissenstäter nicht mehr freisprechen würde und somit der scharfen Abgrenzung zum Überzeugungstäter nicht mehr bedarf. 128 129 180 131

11*

Peters: Welzel: Welzel: Welzels

Mayer-Festschrift S. 273. Strafrecht S. 177. Strafrecht S. 176. V o t u m i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61.

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Die H e c h t s / i f r des Überzeugungstäters

Er plädiert nunmehr lediglich i m Falle der Gewissenhaftigkeit des Täters bei einer Normverletzung aus abweichendem Gewissensentscheid für den Ausschluß ehrenmindernder Strafen 1 3 2 . Die Begründung von Unter-Typen, wie politische Täter bzw. Unterlassungstäter, scheint von ihren Vertretern selbst nicht mehr als hinreichend fruchtbar angesehen zu werden. A n der positiven Sonderstellung des Gewissenstäters halten jedoch beide unverändert fest. Welzel erwähnt den Typus des Überzeugungstäters nicht einmal mehr 1 3 3 . Obwohl Peters an sich das Gewissen an eine objektive Ordnung bindet, die Überprüfung der Entsprechung der Gewissensentscheidung m i t der objektiven Ordnung ohne die — untersagte — Beurteilung des Inhalts der Gewissensentscheidung aber nicht möglich sein dürfte, begegnet er sich i m Ergebnis eher m i t Jaspers' und Ends Begriff der unbedingten Handlung als m i t der Unterscheidung Welzels: Peters w i l l den Gewissenstäter straffrei ausgehen lassen und den Überzeugungstäter i m Strafvollzug gesondert berücksichtigt wissen.

I V . Die Aufspaltung des Typus des Uberzeugungsverbrechers im Radbruchschen Sinne in politische Täter und Konfliktstäter Der Alternativ-Entwurf unterscheidet offen zwischen politischen Tätern und den auf schwere Konfliktsfälle „zurückgenommenen" Überzeugungstätern bzw. Gewissenstätern und gelangt zu folgender A u f gliederung 1 : (1) Politische Täter (a) Die Autoren sprechen sich für eine Revidierung des politischen Strafrechts aus 2 . (b) Die dann noch verbleibenden politischen Täter sollten innerhalb des Strafvollzuges differenziert behandelt werden. (2) Überzeugungs- bzw. Gewissenstäter i n schwerer Konfliktslage Ist die Tat einem außerordentlich schweren Gewissenskonflikt entsprungen, so kann unter Strafverzicht nur die Schuld festgestellt werden. M i t dieser Regelung, die als die „seit langem gesuchte Möglichkeit" einer angemessenen strafrechtlichen Reaktion auf die „Ausnahmefälle 132

iss 1 2

Welzel: Gesetz S. 399, Strafrecht S. 177. welzel: Strafrecht S. 176 ff.

V g L

A E 2. A u f l . S. 77, 115. Vgl. auch Noll: ZStW 78 S. 659.

Das typologische Problem

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echter Überzeugungs- bzw. Gewissenstäter" herausgestellt wird 3 , werden die Überzeugungs verbrechen wieder m i t anderen „achtbaren" Taten i n einer Vorschrift vereinigt, deren Unabsehbarkeit i n der Tatbestandsfassung die Ablehnung durch den Gesetzgeber geradezu herausforderte. Obwohl § 16 StGB ( = § 60 StGB n. F.) § 58 A E berücksichtigt, läßt er gerade die „außergewöhnlich schwere Konfliktslage" außer Betracht 4 . Die bisher schon sichtbar gewordene Disparatheit der Typologie wäre i n der Tat noch verwirrender geworden, abgesehen von der grundsätzlichen Frage, die schon gegenüber Welzel galt: Kann von vornherein und per typologiam der politische Überzeugungstäter von der für die Konfliktstäter vorgesehenen Privilegierung ausgeschlossen werden, weil zu vermuten ist, daß er nie i n einer außergewöhnlich schweren Konfliktslage handeln würde? Dafür, daß politische Überzeugungstäter nie unter § 58 A E fallen könnten, sorgt schon die Einschränkung, daß es sich bei der Konfliktstat u m eine einmalige Fehlhandlung handeln muß. Von einer Unwiederholbarkeit des Konflikts kann aber gerade bei einem politischen Überzeugungstäter nicht die Rede sein. Sofern sich seine Überzeugung oder die von i h m bekämpften politischen Zustände nicht ändern, bleibt m i t der Konfliktslage der K o n f l i k t wiederholbar. Dies gilt ebenso für religiöse Überzeugungstäter wie die Zeugen Jehovas 5 .

Y. Die Beibehaltung eines allgemeinen Typus des Überzeugungstäters in § 48 a E 1962/SA 1964 bei typologischen Einschränkungen hinsichtlich des politischen Überzeugungstäters I m Gegensatz zu allen anderen typologischen Untersuchungen hielt der das Strafrecht reformierende Bundestagssonderausschuß an dem Radbruchschen Typus des sittlichen, religiösen und politischen Über3

A E 2. Aufl. S. 115. Vgl. Protokoll der 107. Sitzung des SA v o m 19.6.1968 S. 2216; Gegenk r i t i k i n A E 2. A u f l . S. 210f.; Jescheck: ZStW 80 (1968) S. 72 wies darauf hin, daß auch der Meineid zum Schutze des Ansehens der Geliebten oder der Versuch des geschäftlich Ruinierten, seine Familie m i t i n den Tod zu nehmen, unter § 58 A E fielen; das Maß dessen, was richterlichem Ermessen überlassen bleiben dürfe, sei m i t § 58 A E bei weitem überschritten. Nach Grünwald: S. 110 f. verdient § 58 A E allerdings Zustimmung. Vgl. Klugs Vorschlag anläßlich des Anhörverfahrens i n Prot, der 4. u n d 5. Sitzung des SA v. 12./13.1.1970 S. 195, 216. 5 Bereits Winterstein: S. 106 unterschied scharf zwischen einmaligen K o n fliktstätern und „jenen, deren sittliche Überzeugung wenigstens i n einer Richtung i n grundsätzlichem u n d unüberwindbarem Widerspruch zur Rechtsordnung steht". Als Beispiel nannte Winterstein die den Kriegsdienst v e r weigernden Mennoniten. 4

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Die

echts/ifitr des Überzeugungstäters

zeugungstäters fest und versuchte nicht, politische Überzeugungstäter als Gruppe zu eliminieren. Er machte es sich zur Aufgabe, zu einer differenzierenden Betrachtung des politischen Überzeugungstäters zu gelangen. Da von vornherein offensichtlich war, daß der politische Überzeugungstäter die größten Probleme aufwerfen würde 6 , beschäftigten sich die Abgeordneten und beratenden Regierungsvertreter vor allem m i t den für diese Gruppe als notwendig erachteten Einschränkungen, ohne diese dann allerdings auf den politischen Überzeugungstäter zu limitieren. 1. Die Auseinandersetzung mit dem Typus des Gewissenstäters im Sinne Welzels Nach ausführlicher Erörterung der Welzelschen Ansicht 7 kamen die Abgeordneten zu dem Ergebnis, daß sich zwar Handeln aus Gewissensnot und aus Überzeugung i m Bereich religiös und sittlich motivierter Taten weitgehend deckten, daß aber i m Bereich der politischen Verbrechen Gewissens- und Überzeugungstaten auseinanderfallen könnten. Eine einseitige Restriktion auf die religiösen und sittlichen Überzeugungstäter könne jedoch dazu führen, daß Straftäter, deren gesonderte Behandlung wünschenswert sei, außerhalb des engen Rahmens verblieben, so daß das Problem des Überzeugungsverbrechers insofern unvollständig geregelt werde. Die Abgeordneten beschlossen daher einstimmig 8 , daß auch der politische Überzeugungstäter i n die Regelung einbezogen werden sollte, jedoch sollte negativ bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen keine Sonderbehandlung des Überzeugungstäters i n Frage komme. Hierbei wurde ζ. T. typologisch vorgegangen.

6

Dreher i n Prot, der 26. Sitzung des SA v. 9.10.1964 S. 491. Prot. d. 26. Sitzung des SA v. 9.10.1964 S. 486 ff., vgl. vor allem die Ausführungen von Schwalm i n Bericht des SA S. 9. 8 Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 540 i. V. m. S. 528. Der E n t w u r f eines 9. Strafrechtsänderungsgesetzes griff zwar i n einer Formulierungshilfe des Bundesjustizministeriums den Gedanken des Gewissenstäters noch einmal auf, indem er festlegte, daß der aus religiöser, sittlicher oder politischer Überzeugung Handelnde „aus Gewissensnot" sich zu seiner Tat f ü r verpflichtet gehalten habe (Bericht des Sonderausschusses S. 22; Lang-Hinrichsen J Z 1966 S. 160), aber dieser Vorschlag w a r nicht direkt gegen die Gruppe der politischen Überzeugungstäter gerichtet, sondern stellte eine generelle Einschränkung aller Überzeugungstäter-Gruppen dar. Insofern ist diese Regelung anders zu verstehen als die ursprüngliche Fassung Welzels, die ihrer Intention nach den politischen Überzeugungstäter t y p o logisch ausschließen wollte. 7

Das typologische Problem

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2. Typologische Differenzierungen des politischen Uberzeugungstäters Schafheutie unterschied zwei politische Überzeugungstäter-Gruppen: die „Verfassungsfeinde" 9 sowie die „Opponenten" und „Nonkonformisten" 1 0 . a) Die „Verfassungsfeinde"

Als „Verfassungsfeinde" oder „Staatsfeinde" wurden solche Täter bezeichnet, die gegen den Bestand des demokratischen Staates oder gegen die elementaren Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kämpften etwa als Agenten, die versuchten, die Bundesrepublik zu einem kommunistischen Satellitenstaat zu machen oder i n der Bundesrepublik das Gewaltsystem eines totalitären Regimes, sei es kommunistischer oder neonazistischer Prägung, aufzurichten 11 . Wer sich aber gegen die Grundwerte der Staatsordnung vergehe oder die Beseitigung dieser Staatsordnung anstrebe, könne von der Rechtsordnung dieses Staates nicht durch eine Sonderstraf art „honoriert" werden, indem diesem Täter bescheinigt würde, daß er „ehrenhaft gehandelt" habe 12 . b) „Opponenten" und „Nonkonformisten"

„Opponenten" und „Nonkonformisten" seien demgegenüber solche Täter, die sich gegen die Regierungspolitik wenden oder eine nach ihrer Meinung bedenkliche politische Richtung bekämpfen, ohne aber die Grundlagen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu verleugnen. Als i n Frage kommende Fallgruppen werden aufgeführt: die Offenbarung von Staatsgeheimnissen durch Journalisten, um eine angeblich gefährliche Politik anzugreifen; die Preisgabe von Amtsgeheimnissen seitens eines Beamten, um eine als bedenklich angesehene Regierungspolitik zu bekämpfen; die Sprengstoffanschläge auf die Berliner Mauer aus Protest gegen deren Errichtung; das Attentat auf den Potentaten eines Gewalt- und Willkürsystems aus Empörung gegen das von i h m repräsentierte System, es sei denn, es handele sich u m Mord. Bei den politischen Straftaten von Opponenten und Nonkonfor9 Schafheutle i n Prot, der 30. Sitzung des SA v. 3.12.1964 S. 574; Prot, der 32. Sitzung des SA v. 16.12.1964 S. 600; vgl. Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 540: „Staatsfeinde". 10 Schafheutie i n Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 532; Prot, der 30. Sitzung des SA v. 3.12.1964 S. 574; Prot, der 32. Sitzung des SA v. 16.12. 1964 S. 600. 11 Schaf heutle i n Prot, der 29. Sitzung des SA v. 12.11.1964 S. 552; vgl. § 92 StGB i. d. F. des 8. S t Ä G v. 25. 6.1968 sowie § 88 StGB a. F. 12 Schafheutie i n Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 532; vgl. Prot, der 32. Sitzung des SA v. 16.12.1964 S. 600.

16

Die

e c h t s f i r des Überzeugungstäters

misten sei eine generelle Privilegierung angezeigt, es sei denn, i n einzelnen Fällen wögen Unrecht und Schuld wegen der Umstände der Tatbegehung so schwer, daß eine Sonderstrafart nicht angemessen sei. Gedacht wurde hier an Taten, die einen „schweren Verstoß gegen die Toleranzidee" darstellen wie Volksverhetzung, Friedhofsschändungen, antisemitische Übergriffe und Beschimpfungen 13 . Abgesehen von dem Problem der jeweils richtigen Einordnung der Fälle i m einzelnen w i r d doch der Grundgedanke deutlich, aufgrund dessen zwischen revolutionären und reformerisch eingestellten Straftätern differenziert wird. Standpunkt und Motivation der Täter sind hier insofern verschieden, als „Opponenten" auf dem Boden der Verfassung stehen und von dorther argumentieren, während „Verfassungsfeinde" geistig und psychologisch „von außen" her agieren, selbst wenn sie i m staatsrechtlichen Sinne Inländer sind. Insoweit w i r d die verschiedene Reaktion der Rechtsordnung deutlich: Der „Opponent" w i r d zur Rechtsgemeinschaft gezählt, der er sich selbst grundsätzlich zugehörig fühlt, während der „Verfassungsfeind" die scharfe Reaktion einer Rechtsgemeinschaft spüren soll, von der er sich selbst ausgeschlossen hat. Damit w i r d ein typologischer Gesichtspunkt herausgeschält, auf den bereits Gerhart Husserl 1929 aufmerksam gemacht hatte 1 4 . I m Sonderausschuß wurde allerdings zu Recht nicht die Folgerung gezogen, der „Verfassungsfeind" sei kein Rechtsgenosse mehr. Dann wäre nicht Strafe, sondern Ausweisung oder Verbannung oder eine Maßregel die folgerichtige Sanktion des Staates.

V I . Der Typus des Ideologie-Täters Der 1967 i n die Diskussion eingeführte Ausdruck „Ideologie-Täter" 1 5 , eine bis dahin nicht gebräuchliche Wortschöpfung, die jedoch seitdem zunehmend verwandt w i r d 1 6 , verdeutlicht, welche Grenzen juristischer Typologie gesetzt sind. 1. Die Begründung des Typus durch Sax Greffenius faßt den Begriff „Ideologietäter" als Oberbegriff für Überzeugungstäter und Gewissenstäter auf 1 7 . Gegen eine so weite Spanne des Begriffes „Ideologie", die vom Gewissenstäter bis zum 13 14 15 16

731 f. 17

Schafheutie i n Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 532. Vgl. oben C. I I . Hof mann: S. 29 ff.; Sax: S. 13 ff.; Mer gen: S. 33. Vgl. Schönke / Schröder: § 13 Rnr. 16; Stratenwerth i n Friedrichs: Greffenius:

S. 63, 68.

S. 730,

Das typologische Problem

1

Schergen eines Terrorsystems reicht 1 8 , wendet Sax ein, es sei unzulässig, von einem vorgefaßten Begriff der Ideologie etwa i n dem weiten Sinne eines Vorstellungsinhaltes, der allem menschlichen Handeln ein verbindliches Richtmaß setzt, auszugehen und daraus das den verschiedenen Gruppen Gemeinsame zu deduzieren. Eine Zusammenfassung sei lediglich gerechtfertigt, wenn strafrechtliche oder kriminologische Gesichtspunkte es erforderten 19 . Es sei aber nicht einzusehen, wieso der Überzeugungstäter, wenn er aufgrund einer eigenen Gewissensentscheidung sich gegen das Anerkannte gewandt habe, m i t dem willfährigen Vollstrecker eines Terrorsystems rechtlich-kriminologisch zusammengefaßt werden könnte. Sax hält dementsprechend nur einen engen Ideologie-Begriff für fruchtbar. Er versteht unter Ideologie eine die Totalität irdischen Geschehens verbindlich erfassende Weltformel, die für Diskussion keinen Raum lasse 20 . Eine solche apodiktische Weltkonzeption sei i n der Vergangenheit i n der Ketzerinquisition und dem Nationalsozialismus zutage getreten und versuche, i n der Gegenwart als kommunistische Ideologie von der Welt Besitz zu ergreifen. Sax hält den aufgrund einer totalitären Ideologie handelnden Täter für diametral verschieden vom Überzeugungstäter 21 . Den Gewissenstäter hebt Sax vom Überzeugungstäter nicht gesondert ab 2 2 . Nach Sax ist ein Überzeugungstäter ein Mensch, der aufgrund eines höchstpersönlichen Wahrheitserlebnisses die Wahrheit rational oder auch emotional erfaßt zu haben vermeint und glaubt, sie unter bewußter Auflehnung gegenüber der von allen anderen geglaubten Wahrheit durch eine Straftat durchsetzen zu müssen. Der Überzeugungstäter rage als der Individualist aus der Masse der üblichen Straftäter heraus. Zweierlei kennzeichnen demnach den Überzeugungstäter: (1) die auf individuellem Wahrheitserlebnis beruhende freie lensentscheidung,

Wil-

(2) die Auflehnung gegen die allgemein anerkannte Ordnung zugunsten einer anderen. Demgegenüber sei der Ideologietäter ein kollektiv-psychologisches Phänomen. Aufgrund des Druckes der hinter dem Täter stehenden Terrorideologie würden die „Richtziele . . . seiner Handlungsvollzüge unausweichlich" festgelegt 23 . Eine Terrorideologie verlange nicht das 18

Sax: S. 13, 16. Sax: S. 17. 20 Sax: S. 14. 21 Sax: S. 17 f. 22 Der Ausdruck „Gewissenstäter" w i r d zwar auf S. 28 von Sax gebraucht, aber nicht v o m Überzeugungstäter differenziert. 23 Sax: S. 18. 19

1

Die

echts/ififr des Überzeugungstäters

„aktive Ergebenheitsbekenntnis auf Grund freier Überzeugungsbildung", sondern die „passive Ergebung i n ein echtes Schicksal durch bedingungslosen Gehorsam" 24 . Selbst wenn der einzelne die terrorideologischen Ziele i n seinen Willen aufnimmt und sie für unabänderlich hält, sei dies nicht die Überzeugung des Überzeugungstäters, da die Freiheit individueller Selbstentscheidung regelmäßig gar nicht möglich sei. Da der Überzeugungstäter nach Sax weiter durch seine Auflehnung gegen die bestehende Ordnung gekennzeichnet ist, könne innerhalb eines Terrorsystems nur der ein Überzeugungstäter sein, der sich gegen die Gewaltherrschaft richte, also der „Volksschädling" oder „Revisionist". Andererseits kann der an eine Ideologie Glaubende zum Überzeugungstäter dann werden, wenn er aufgrund eines eigenen Entschlusses i m für ihn feindlichen Ausland ein politisches Verbrechen begeht. Zwar lehne sich auch ein Sowjetagent wie Staschynskij gegen die freiheitlich-demokratische Ordnung eines anderen Staates auf, aber bei i h m entfalle das Merkmal der in Freiheit gefaßten Selbstentscheidung zugunsten der ideologiebedingten Straftat 2 5 . Der Ideologietäter ist demnach nach Sax gekennzeichnet durch (1) die auf kollektivpsychologischem Druck beruhende unfreie Ergebung i n eine totalitäre Ideologie, (2) bedingungslosen Gehorsam, sei es innerhalb Staatsordnung oder i m Ausland.

der

betreffenden

Damit t r i f f t sich diese Kennzeichnung i m wesentlichen m i t der des „totalitären Täters" i m Sinne Jägers 2e, die dieser aber lediglich für die nationalsozialistische Gewaltkriminalität anwandte. 2. Kritik des Sax'schen Typus M i t der Unterscheidung zwischen Ideologie- und Überzeugungstäter könnte Sax das Gleiche erreicht haben, was Welzel und weitgehend Peters, wenn auch vom Gewissenstäter herkommend, als Ergebnis fest24

Sax: S. 19. Sax: S. 18. 26 Jäger: S. 171: „ D e n Unterschied zwischen Überzeugungstätern u n d totalitären Tätern könnte m a n u. a. darin sehen, daß der totalitäre Täter sich i m Grunde weniger an einer persönlichen Überzeugung als an einer massenpsychotisch-irrationalen K o l l e k t i v w e r t u n g orientierte, die von der Existenz des totalitären Herrschaftssystems u n d den m i t i h r verbundenen k o l l e k t i v psychologischen Verhältnissen abhängig war, nicht aber — w i e oft bei Überzeugungstätern — gegen eine kontrastierende herrschende Moral u n d Gesamtordnung behauptet werden mußte." Die von Jäger: S. 62 ff. mitgeteilten „Uberzeugungstaten" haben allerdings n u r dann etwas m i t Überzeugung zu tun, w e n n m a n darunter auch die B i l l i g u n g von Befehlen versteht. Vgl. i m übrigen unten C. V I I . 2. 25

Das typologische Problem

11

hielten: den politischen Täter aus dem Begriff des Überzeugungstäters zu eliminieren. Allerdings kann Sax nicht umhin, dem Kommunisten oder Nationalsozialisten, der i n einem freiheitlich-demokratischen Staatswesen für seine Ideologie aus freiem Entschluß ein Verbrechen begeht, die Überzeugungstäterschaft zuzubilligen. Hier zeigt sich die Grenze psychologischer Beschreibungskunst. Zwar gelingt es Sax, NS-Regime-Täter und Sowjetagenten aus dem Typus des Überzeugungstäters zu entfernen, aber der aufgrund freier Selbstbestimmung zum Kommunisten oder Nationalsozialisten gewordene Bürger der Bundesrepublik läßt sich m i t den von Sax angebotenen Kategorien nicht als kollektiv-psychologisches Phänomen erfassen. Er kann ein i n seinem Bekenntnis zur Terrorideologie freier „Mensch i m Widerspruch" sein, selbst wenn er ein „Mensch i m Gleichschritt" werden w i l l . Psychologisch läßt sich hier wenig ausrichten, so wesentlich das sozialpsychologische Merkmal des Aufbegehrens der Minderheit für das Verständnis der Überzeugungstäterschaft sein mag. Wenn der Typus des Ideologietäters eine Funktion haben soll, dann könnte eine Aussonderung des Ideologietäters aus dem Typus des Überzeugungstäters nur erreicht werden, wenn man eine Wertentscheidung über die Ideologie fällt. So verfährt Greffenius i m Hinblick auf die NS-Täter: Sie seien deshalb keine Überzeugungs- bzw. Gewissenstäter, weil sie „für eine verbrecherische Ideologie" gehandelt hätten 2 7 . Eine wertbetonte Auffassung vertritt Sax aber erst i m Hinblick auf den Überzeugungstäter: Eine „streitbare Demokratie" 2 8 , die sich i n verbindlichen Wertentscheidungen verankert wisse 29 , könne den Überzeugungstäter nicht i n wertrelativistischer Weise durch eine Sonderstrafart ehren. Die Überzeugung sei nur bei der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen. W i r d demnach bei Sax schon der Überzeugungsinhalt bewertet, so muß dies erst recht bei der Ideologie der Fall sein. Wenn aber letztlich doch eine Wertung stattfinden muß, so fragt sich, welchen strafrechtlichen Sinn, den Sax von ihr zu Recht verlangt 3 0 , die psychologische 27 Greffenius: S. 80 A n m . 174. Diese Aussage paßt allerdings schlecht m i t derjenigen zusammen, wonach der I n h a l t einer Gewissensentscheidung nicht nachprüfbar sein dürfe, S. 81, es sei denn, Greffenius schlösse bei NS-Tätern die Möglichkeit einer Gewissensentscheidung generell aus. Kaufmann: Unrechtsbewußtsein S. 149 scheint diesen Weg gehen zu wollen, w e n n er betont, der NS-Täter sei „gerade nicht davon überzeugt, das Richtige zu t u n " . Eine Begründung liefert Kaufmann allerdings nicht. 28 Sax: S. 18. 29 Sax: S. 28. 30 Sax: S. 17,19.

12

Die

Unterscheidung soll.

zwischen Ideologie-

e c h t s f i r des

berzeugungstäters

und Überzeugungstäter

haben

Auch der kriminologische Ertrag des Typus des Ideologietäters ist gering, da er auf eine Zusammenfassung des NS-Regime-Täters und des Agenten einer totalitären Macht hinausläuft. Aufgrund der jeweils verschiedenen Umweltkomponente fragt es sich ohnehin, ob die bloße Addierung kriminologisch fruchtbar ist. Die Begrenzung auf den „totalitären Täter" scheint treffender zu sein. Damit w i r d aber nur ein Teil der politisch motivierten Straftaten aus dem Typus des sittlichen, religiösen und politischen Überzeugungsverbrechers herausgelöst und in eine Antithetik zu dem Haupttypus gestellt, deren Aussagekraft gering bleibt. 3. Die typologischen Differenzierungen Hofmanns Der katholische Theologe Hofmann unterscheidet Gewissenstäter, Überzeugungstäter und Ideologie-Täter. Das Handeln des Überzeugungstäters w i r d auf „Meinungen oder Wertentscheidungen, die nicht unmittelbar sittlich" sind 3 1 , eingeengt, während die Gewissensaussage eine „echte und spezifisch sittliche Bindung" 3 2 haben muß. I n der Ideologie, die das Gewissen und die Überzeugung umgreifen könne, treffe eine Tendenz zur Vereinfachung mit einer Tendenz zur Totalität zusammen. Sie trete m i t dem Gewicht einer letzten Sinngebung auf und gewinne eine Verpflichtungskraft, die den Überzeugungstäter „vielleicht praktisch nicht mehr unterscheidbar i n die Nähe des Gewissenstäters rückt" 3 3 . I m Ergebnis gelangt Hof mann dazu, den Gewissenstäter i m Falle des „passiven Widerstandes" zu entschuldigen 34 , den Überzeugungstäter aber als gewöhnlichen Rechtsbrecher zu bestrafen 35 . Z w i schen beiden Typen stehe der Ideologie-Täter. I h n strafrechtlich wie einen Überzeugungstäter zu behandeln, übersehe „das gewissensähnliche, subjektiv als echt erlebte Moment der inneren Bindung oder Verpflichtung"; ihn als Gewissenstäter gelten zu lassen, dürfte der Gemeinschaft nicht den „notwendigen Schutz" gewähren 36 . Auch dieser Versuch, einen Typus des Ideologietäters zu begründen, vermittelt keine neue Erkenntnis, da aufgrund der Möglichkeit der Ideologisierung des Gewissens und der Überzeugung ein eigener Ideologie-Typus kaum abtrennbar sein dürfte. Dies zeigt sich auch i n der 31 32 33 34 35 36

Hofmann: Hofmann: Hofmann: Hofmann: Hofmann: Hofmann:

S. 36. S. 34. S. 37 ff. (Zitat S. 39.) S. 35. S. 37. S. 40.

Das typologische Problem

1

Unsicherheit, die den Ideologietäter zwischen Überzeugungstäter und Gewissenstäter einzuordnen versucht: Obwohl Hof mann die Typen des Überzeugungstäters und Gewissenstäters streng deduktiv aus den Begriffen der Überzeugung und des Gewissens ableitet, argumentiert er unverhofft i m Hinblick darauf, daß der Ideologietäter kein Gewissenstäter sein könne, vom Ergebnis her: Anderenfalls sei der Schutz der Gemeinschaft nicht gewährleistet. Obwohl auch Hofmann einen engen Ideologiebegriff vertritt, kommt er zu einer wesentlich günstigeren Beurteilung des Ideologietäters als Sax, zumal Hofmann den Überzeugungstäter i n erster Linie als „Meinungstäter" qualifiziert 3 7 und den Gewissenstäter positiv abhebt, während Sax hier nicht ausdrücklich differenziert. Stratenwerth wiederum stellt den Ideologietäter dem Überzeugungstäter und Gewissenstäter gegenüber und differenziert nach dem persönlichen A n t e i l an der Erlangung einer Überzeugung: Der Ideologietäter beziehe seine Überzeugung gleichsam „von der Stange", ohne sein Gewissen intensiv anzuspannen 38 . Demnach erscheint hier der Überzeugungs-Begriff wieder als Oberbegriff, der Ideologietäter aber schlüpft i n die Rolle desjenigen, der vor 1933 als Mitläufer bezeichnet wurde 8 9 .

V I I . Das Problem der typologischen Zuordnung von nationalsozialistischen Tätern zum Typus des Überzeugungsverbrechers Das Problem, ob solche Täter, die aufgrund ihrer nationalsozialistischen Weltanschauung Straftaten begangen haben, dem Typus des Überzeugungsverbrechers zugeordnet werden können, ist bereits 1934 gestellt worden, wenn auch unter einem anderen Vorzeichen, als sich heute das Problem darbietet. I n einem Aufsatz über „Der politische Überzeugungsverbrecher i m neuen Staat" versuchte Zimmerl, die Idee vom Überzeugungsverbrecher den Gegebenheiten des totalitären Staates anzupassen 40 . Er unterschied zwischen „heldischen" und „nationalsozialistischen" Überzeugungsverbrechern. 1. Der „heldische" und der „nationalsozialistische" Uberzeugungsverbrecher i m Sinne Zimmerls Die Gruppe der „heldischen" Überzeugungs Verbrecher sei auch dann zu privilegieren, wenn der Täter aus einer dem Nationalsozialismus 37 38 39 40

Vgl. Hofmann: S. 34, 36, 40. Stratenwerth i n Friedrichs: S. 731 f. Vgl. oben C. 1.1. Zimmerl: Sp. 1442 ff.

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Die

e c h t s / i r des Überzeugungstäters

entgegenstehenden Idee gehandelt habe. Die Hochachtung vor dem Helden, auch wenn er als Gegner gegenüberstehe, sei „ein echt nordischer und vor allem urdeutscher Charakterzug" und ergebe sich aus der deutsch-völkischen Idee des Nationalsozialismus. Wer wie ein Soldat gekämpft habe, verdiene es auch, als Soldat behandelt zu werden. Was an einem solchen Überzeugungsverbrecher geehrt würde, sei dann gerade das, was an i h m nationalsozialistisch ist, „das Heldische an seinem Charakter", während das, „was unnationalsozialistisch an i h m ist, eben die politische Idee", zu Recht bestraft würde 4 1 . Zimmerls Schüler Schneider lehnte 1939 auch die Privilegierung des „heldischen" Überzeugungsverbrechers ab, w e i l es unmöglich sei, das Heldische objektiv zu bestimmen, und weil dann gerade den gefährlichsten Gegnern des Volkes Achtung entgegengebracht würde 4 2 . Die Gruppe des „nationalsozialistischen" Überzeugungsverbrechers setzte sich nach Zimmerl 43 aus solchen Straftätern zusammen, die sich durch „Uebereifer i m Kampfe für den nat.-soz. Gedanken" 4 4 zu Delikten hätten hinreißen lassen. Diese Taten entsprächen zwar inhaltlich der Staatsidee, widersprächen aber dem Führerprinzip, da niemand davon ausgehen dürfe, „er sei ein besserer Nationalsozialist oder habe die Idee der Bewegung besser erfaßt als der Führer selbst". Handele jedoch ein Täter gegen Gesetze aus der demokratischen Ära, die zunächst hätten übernommen werden müssen, so könnte er sich darauf berufen, i m Sinne des Führers gehandelt zu haben, und verdiente dann eine begünstigte Behandlung. Hier nun w i r d ein neuer Typus des Überzeugungsverbrechers i n die Debatte eingeführt, der sich von den bisher erörterten dadurch unterscheidet, daß er mit der herrschenden Ordnung konform geht, sich jedoch nur durch „Übereifer" auszeichnet. Die Frage, wieso nach 1933 i n einem solchen Falle das Überzeugungstäterproblem noch Schwierigkeiten aufwerfen konnte, läßt sich nur aus einer rudimentären rechtsstaatlichen Denkungsweise erklären: Opportunitätsprinzip und Gna41 Zimmerl: Sp. 1443 f. Kritisch Wolf: ZStW 54 (1935) S. 549 A n m . 22: Ob Zimmerl m i t seinem Vorschlag dem soldatischen Gedanken absoluter Disziplin, der das nationalsozialistische Recht beseele, gerecht werde, erscheine fraglich. Der militärische Gesichtspunkt spielte bei Radbruch i m Zusammenhang m i t der „Kriegsgefangenschaft i m inneren Kriege" bereits eine Rolle, s. ο. B. I I . 1. c). Daß der Staat sich durch die ritterliche Behandlung seiner Gegner n u r selbst ehre, hatte schon Schuf tan: S. 35 betont. 42 Schneider: S. 36 ff. 43 Zimmerl: Sp. 1444 f.; vgl. Schneider: S. 46 ff. 44 § 3 Ziffer 3 des Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit v. 7. August 1934 (RGBl. I S. 769).

Das typologische Problem

1

denakte hielten sich noch i m hergebrachten Rahmen; Eingriffe i n die Strafverfolgung, Einschüchterung der Richter waren demgegenüber die genuinen M i t t e l der Diktatur 4 5 . Ob also i n solchen Fällen noch i m alten Sinne von Überzeugungsverbrechern geredet werden kann, ist zweifelhaft 4 6 , da sich diese Täter nicht gegenüber einer von ihnen abgelehnten Norm des Staates auf eine andere als höherrangig angesehene Ordnung beriefen, sondern die bereits herrschende Ordnung und sich etablierende neue Ordnung nur schneller verwirklichen wollten, als dies der Führung opportun schien. Unabhängig davon ist die Frage zu stellen, ob es, von der Strafgewalt des demokratischen Nachfolgestaates aus gesehen, nationalsozialistische Überzeugungsverbrecher geben kann. 2. Das Problem des nationalsozialistischen Uberzeugungsverbrechers heute Heute stellt sich die Frage, ob ein überzeugter Nationalsozialist, der nach dem Zusammenbruch des Regimes vor dem Gericht des demokratischen Nachfolgestaates für seine Taten unter dem NS-Regime zur Verantwortung gezogen wird, dem Leitbild der Rechtsfigur des Überzeugungsverbrechers entspricht, wie es bisher die Diskussion beherrscht hat. Ein Unterschied scheint sofort ins Auge zu springen: Der nationalsozialistische Täter hat gerade nicht aufgrund eines inneren Widerstreits zwischen mehreren an ihn herangetragenen Pflichten gehandelt, sondern er hat seine i h m vom System übertragenen Pflichten, überzeugt von deren Richtigkeit, erfüllt; demgegenüber befindet sich der „klassische" Überzeugungsverbrecher in einer Pflichtenkollision zwischen einer Rechtsnorm einerseits und einer als höherrangig angesehenen Norm andererseits. Radbruch schien nach dem Ende des 2. Weltkrieges die grundsätzliche Möglichkeit, daß Nationalsozialisten Überzeugungsverbrecher gewesen sein könnten, nicht zu leugnen, hielt es aber angesichts des Verhaltens der NS-Täter nach dem Zusammenbruch für „äußerst zweifelhaft" 4 7 . Ein Überzeugungstäter nämlich bekenne sich auch vor dem Richter rückhaltlos zu seiner Überzeugung und lasse sich die Möglichkeit nicht nehmen, „den Strafprozeß als ein letztes M i t t e l großartiger politischer Propaganda zu benutzen. Wer i m Angesicht des Todes i n 45

Vgl. Jäger: S. 215 ff. Vgl. auch v o m nat.-soz. Standpunkt Schneider: S. 50 ff. 46 Dohna: Kernprobleme S. 87 nannte es die positive F u n k t i o n des Überzeugungsverbrechers, der damit i n die neue Rechtsordnung übernommen worden sei. 47 Radbruch: SJZ 1948 Sp. 312. Ebenso schon i n SJZ 1947 Sp. 136 zu den Nürnberger Prozessen: „ E i n Überzeugungstäter bekennt sich stolz zu seiner Überzeugung, hier aber sehen w i r fast n u r erbarmungswürdige Figuren . . . "

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Die

e c h t s f i r des Überzeugungstäters

seiner Überzeugung schwach wird, sich auf Irrtum, Befehl, Notstand beruft, ist nie ein Überzeugungs-Täter gewesen". Hier w i r d der enge, ideale Überzeugungsbegriff Radbruchs erneut deutlich 48 . Lange meinte demgegenüber 1947, das Problem des Überzeugungstäters erhebe sich angesichts der NS-Täter auf einer neuen Ebene: Es sei gekennzeichnet gerade nicht durch den Widerspruch zu der Idee des damaligen Staates, sondern durch Einklang mit ihr, aber durch den „Widerspruch zum allgemein anerkannten Sittengesetz" 40 . Jäger spricht heute angesichts der NS-Täter von „totalitären Tätern". Sie seien von der „Existenz des totalitären Herrschaftssystems und den m i t ihr verbundenen kollektivpsychologischen Verhältnissen" abhängig gewesen, nicht aber hätten sie ihre Überzeugung „gegen eine kontrastierende herrschende Moral und Gesamtordnung" behaupten müssen. Jäger sieht den Unterschied psychologisch: Der Überzeugungstäter orientiere sich an einer persönlichen Überzeugung, der totalitäre Täter an einer „massenpsychotisch-irrationalen Kollektivwertung" 5 0 . So gesehen, muß Jäger jedoch zugeben, daß es auch eine Gruppe von nationalsozialistischen Überzeugungstätern gegeben habe 51 . Diese Gegenüberstellungen machen deutlich, daß die Figur des Überzeugungsverbrechers i m Hinblick auf die Verknüpfung m i t einer totalitären Ideologie und einem totalitären Regime umrissen werden muß. Dabei sind, wie die obigen Überlegungen nahelegen, die folgenden Konstellationen zu unterscheiden: (1) Der NS-Täter i m Kampf gegen die demokratische Ordnung vor der Jurisdiktion des demokratischen Staates (Fall der Weimarer Zeit). (2) Der NS-Täter i m Kampf gegen die nichtnationalsozialistischen Kräfte i m NS-Staat vor der Jurisdiktion des NS-Staates (Fall der von Zimmerl, Schneider gemeinten sogenannten „nationalsozialistischen Uberzeugungsverbrecher"). (3) Der nicht-nationalsozialistische Täter i m Kampf gegen den NSStaat. (Fall der Widerstandskämpfer) (a) vor der Jurisdiktion des NS-Staates (b) vor der Jurisdiktion des demokratischen Nachfolgestaates. (4) Der NS-Täter i n der Verantwortung für seine i m NS-Staat begangenen Taten (a) vor der Jurisdiktion des demokratischen Nachfolgestaates (Fall der sog. Naziverbrechen) 48 49 50 51

Vgl. oben Β . I I . 1. d) aa). Lange: S. 200. Jäger: S. 171. Jäger: S. 171 A n m . 34.

Das typologische Problem

1

(b) vor der Jurisdiktion der Siegermächte (Nürnberger Kriegsverbr echerprozesse). Angesichts dieser Fallkonstellationen stellt sich die grundsätzliche Frage, wodurch der Typus des Überzeugungsverbrechers konstituiert werde: (1) Kommt es allein auf die Überzeugung zur Zeit der Tat an, so kann es keinen Unterschied machen, ob der NS-Täter i m demokratischen oder i m nationalsozialistischen Staat Straftaten aus Überzeugung begangen hat und vor welcher Jurisdiktion er steht. Diese Auffassung stellt rein auf die Täterpersönlichkeit ab. (2) Kommt es aber auf die Verletzung einer herrschenden Ordnung zugunsten einer vom Täter als höherrangig angesehenen Ordnung an, so entsprechen Täter aus nationalsozialistischer Gesinnung wegen ihrer i m Dritten Reich begangenen Straftaten nicht dem Typus des Überzeugungsverbrechers, da sie zur Zeit der Tat m i t der herrschenden Macht konform gingen. Dabei macht allerdings die Bestimmung der „herrschenden Ordnung" Schwierigkeiten, da diese sich i n einem totalitären Regime nicht m i t der i n den Strafgesetzen niedergelegten zu decken pflegt. Der totalitäre Täter handelt zwar stets i m Einklang m i t der politischen Herrschaftsordnung, kann aber — auch aus der Sicht, der offiziellen Rechtsordnung — unrechtmäßig handeln. I n bezug auf die offiziell i n K r a f t stehende Strafrechtsordnung ist es demnach möglich, daß der totalitäre Täter aus abweichender ideologischer Überzeugung diese übertritt, weil er der tatsächlichen Herrschaftsordnung zustimmt. Es fragt sich also, ob die von der „herrschenden Ordnung" abweichende Tat auf die formell geltende Strafrechtsordnung des „Dritten Reiches" oder die Verfassungswirklichkeit des „Führerstaates" zu beziehen ist. Da nach A r t . 103 Abs. 2 GG eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde, ist der NS-Täter an der zur Zeit des „Dritten Reiches" i n K r a f t befindlichen Strafrechtsordnung zu messen. Dann entspricht aber die Lage eines aus nationalsozialistischer Überzeugung Handelnden dem Leitbild des Überzeugungsverbrechers, wie es bisher gezeichnet worden war: Er befand sich zur Zeit der Tat i n einem Zwiespalt, ob er der Rechtsnorm oder der als höherrangig angesehenen außerrechtlichen Norm gehorchen sollte 5 2 . Aufgrund seiner ideologischen Wertungen und weltanschaulichen Prinzipien 5 3 kann sich der überzeugte Nationalsozialist auf eine Erlaubnisnorm berufen, die er als „seine Bewertungsnorm" der Bewertungs52 53

Vgl. Jäger: S. 163 ff. zum Unrechtsbewußtsein totalitärer Täter. Dazu eingehend Jäger: S. 186 ff.

12 Gödan

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Die

echts/ififr des Überzeugungstäters

norm der Rechtsordnung entgegenstellt 54 . Psychologisch gesehen, mußte dem überzeugten Nationalsozialisten die Entscheidung zum Verbrechen allerdings ungleich leichter fallen als einem Überzeugungstäter, der sich gegenüber der i m Staate herrschenden Macht i n der Minderheit weiß und m i t Verfolgung rechnen muß. Diese veränderte psychologische Ausgangslage ändert aber an der Struktur der Überzeugungstat solange nichts, als ein Terrorstaat die Strafrechtsordnung seines demokratischen Vorläuferstaates i m wesentlichen unverändert beibehält. Damit gelangt, wenn auch m i t anderer Begründung, die zweite A u f fassung vom Konstituens des Überzeugungsverbrecher-Typus zum gleichen Ergebnis wie die Meinung, die das Vorliegen einer Überzeugung allein zur Zeit der Tat genügen läßt: Auch nationalsozialistische Überzeugungsverbrecher können nicht per typologiam aus der Erörterung der Problematik des Überzeugungs- und Gewissenstäters ausgeschlossen werden 5 5 .

V I I I . Methodologische Würdigung und Kritik der Typisierungsversuche Eine Fülle von Typisierungen haben Revue passiert: der Überzeugungstäter, der Gewissenstäter, der Einstellungstäter, der Ideologietäter, der unbedingt Handelnde, der politische Überzeugungstäter und der Konfliktstäter, der heldische Überzeugungsverbrecher, der nationalsozialistische Täter, der Verfassungsfeind und Opponent, der Staatsgefährder und Wehrersatzdienstverweigerer — eine Fülle von Typen, die erst i n ihrer Konzentration auf eine Frage verweist, die i n den Einzelstudien der Literatur nicht gestellt und diskutiert worden ist: Unter welchem Gesichtspunkt wurde der jeweilige Typus gebildet, und welchem Zweck diente er? Obwohl sich die typologische Diskussion zu einer eher verwirrenden als klärenden Fülle ausgeweitet hat und stets die Rede vom Typus oder Sondertypus des Überzeugungstäters, des Gewissenstäters etc. ist 1 , wurde die die Auseinandersetzungen beherr64

Vgl. oben C. I I . Anderer Ansicht ist Kaufmann: Unrechtsbewußtsein S. 149: „ M i t dem w i r k l i c h e n Überzeugungstäter hat dieser Verbrechertyp k a u m etwas Gemeinsames." 1 Vgl. z.B. Radbruch: Leitsätze S. 352: „Der Überzeugungsverbrecher stellt einen kriminalpsychologischen Sondertypus dar" ; Liszt / Schmidt: S. 255 A n m . 10: „Schwierigkeit der Abgrenzung dieses Typus"; Engisch: Konkretisierung S. 273: § 71 E 1925 habe auf einen „tatbezogenen Tätertypus" abgezielt; Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61: „Die mangelnde Trennung beider Typen, des Gewissens- u n d des Uberzeugungstäters, ist das G r u n d gebrechen der Radbruchschen Lehre"; Bericht des SA S. 9: der „besondere Typus des Uberzeugungstäters"; Peters: Mayer-Festschrift S. 262: Es gehe darum, „den Gewissenstäter als strafrechtlichen Sonder t y p herauszustellen". 55

Das typologische Problem

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sehende methodologische Figur des Typus keiner Reflexion unterzogen 2 . Die Unbedenklichkeit, m i t der auch sonst i n der wissenschaftlichen Literatur die Worte »Typus* und »typisch' verwendet werden, ist schon mehrfach scharf kritisiert worden 3 . Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen der Typenbildung werden deutlich heute allgemein i n der kriminologischen Diskussion gesehen4, die daher einen ersten Fingerzeig für die Lösung des Typenproblems i m Bereich des Überzeugungs- und Gewissenstäters geben kann. 1. Der „Typus" in der Kriminologie Hält man sich die vielfältigen Versuche vor Augen, zu Typologien von Verbrechern und Verbrechen zu gelangen 5 , so erkennt man, daß es bisher nicht gelungen ist, eine schlechthin richtige Einteilung zu finden. Dies erklärt sich daraus, wie Exner hervorhebt, daß je nach den Zwekken, denen die Einteilung dienen soll, verschiedene Schemata notwendig werden. Da aber „die mannigfachsten Ausgangspunkte und daher auch die mannigfachsten Einteilungsgründe gewählt werden können, w i r d man eine Mehrzahl, eine fast beliebig vermehrbare Reihe von Einteilungen bilden können, von denen jede einzelne logisch einwandfrei ist, mag sie auch nicht immer fruchtbar und verwertbar sein" 6 . Als Motto über seine eigene Typologie hat Exner den Satz gestellt: „Jedesmal ein anderer Leitgedanke, jedesmal ein anderes Typenschema 7 ." 2 Vgl. n u r das obiter d i c t u m bei Heinitz: S. 619 u n d die kurzen Bemerkungen bei Sax: S. 17,19. 3 Vgl. Engisch: Konkretisierung S. 237: „Modebegriff", S. 266: Eine „ I n flation des Wortes ,Typus'" sei zu befürchten; ebenso Strache: S. 19 f.; Heyde: S. 235: „unerfreuliche V e r w i r r u n g " ; Wolff : S. 195 bemängelt, daß selbst Schriften, die das W o r t ,Typus' i m T i t e l oder i n den Kapitelüberschriften trügen, nichts darüber sagten, was sie als ,Typus' verstanden wissen w o l l ten. Nach Leenen: S. 17 löst das Denken i n Typen i n steigendem Maße „ U n behagen" aus. 4 Vgl. Exner: S. 203 ff.; Seelig: S. I f f . , 172 ff.; Mezger: Typenproblem passim; Niggemey er / Gallus / Hoeveler: S. 253 ff.; Mer gen: S. 374 ff.; aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg vgl. insbesondere Rohden: S. 127 ff. 5 Vgl. Exner: S. 203 f.; Niggemey er / Gallus / Hoeveler: S. 256 ff.; Mergen: S. 378 ff. 6 Neuerdings hat Göppinger: S. 101 diese Ansicht Exners kritisiert, w e i l es n u r Ziel der Kriminologie sein könne, „ m i t H i l f e von erkannten Merkmalskombinationen reale Typen zu gewinnen". Göppinger übersieht allerdings zweierlei: (1) Exner unterscheidet zu Recht zwischen der logischen Möglichkeit der vielfachsten Typenbildungen j e nach Ausgangspunkt u n d Zweck u n d ihrer Verwertbarkeit. (2) Göppinger hat seinen Typenbegri/f frühzeitig auf „reale Typen" eingeengt, obwohl auch Ordnungsschemata eine Berechtigung i n der Typenlehre haben können. Insofern ist sein kriminologischer T y pus wegen der besonderen Verwertbarkeitserfordernisse auch n u r eine l o gische Möglichkeit der Typenbildung. 12*

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Da offensichtlich kein noch so differenziertes Typenschema allen tatsächlichen Gegebenheiten gerecht werden und den jeweils unter einem Leitgedanken erstellten Schemata nur ein relativer Erkenntniswert zukommen kann, versteht man die Aufgabe von Typisierungen darin, „Oranungsbehelfe" zu sein, denen nur ein „Orientierungswert" zukomme, indem sie das Erkennen und Beschreiben des Standortes einzelner Phänomene erleichtern 8 . Typologien seien als „Arbeitsinstrumente" wertvoll; die „Arbeitshypothese des Typus" selbst sei nicht Ziel, sondern „Hilfsmittel, das eine erste Orientierung erlaubt" 9 . Der Wert einer jeden Typologie ergebe sich aus ihrer Brauchbarkeit für den Zweck, dem sie dienen soll, ζ. B. der Ursachenforschung, der Repression, der Resozialisation 10 . I n der kriminologischen Literatur w i r d der Typus vielfach als „Merkmalskombination" verstanden 11 . Diese Umschreibung ist dann möglich, wenn nicht übersehen wird, daß m i t diesem Ausdruck nicht ein Konglomerat von Gesichtspunkten gemeint ist, sondern eine durch einen bestimmten Leitgedanken konstituierte Kombination von Merkmalen. Eine derartige teleologische Merkmalskombination stellt demnach auch der kriminologische Typus des Uberzeugungsverbrechers dar, da er die unterschiedlichsten Straftaten unter dem Aspekt zusammenfügt, ob sich die Täter zur Begehung der Tat aus sittlicher, politischer oder religiöser Uberzeugung verpflichtet fühlten. Dieser Einzeltypus kann nun seinerseits Merkmal einer Typologie sein, die unter einem eigenständigen, teleologischen Gesichtspunkt steht: Bei Gruhle stand die Gesamttypologie unter dem Leitgedanken psychologischer Grundtypen 1 2 , wahrend Aschaffenburg von sich selbst sagte, bei der Aufstellung der Typen habe i h n „der Gesichtspunkt geleitet, welche Stärke die von außen an die Persönlichkeit herantretenden Beweggründe haben müssen, u m Jemanden aus dem Geleise zu bringen, also das Verhältnis der exogenen Beweggründe zu der endogenen Konstitution" 1 3 . 7 Exner: S. 205. Vgl. auch Niggemeyer / Gallus / Hoeveler: S. 253; H. Mayer: Typologie S. 136; Rohden: S. 131 ff. — Statt von „Leitgedanken" w i r d v i e l fach auch von „Aspekten", „Gesichtspunkten", „ K r i t e r i e n " gesprochen; vgl. Mer gen: S. 378, 379; Mezger: Kriminologie S. 166, 168; Niggemeyer / Gallus / Hoeveler: S. 253; Göppinger: S. 100 spricht von „Zielsetzungen". 8 Niggemeyer / Gallus / Hoeveler: S. 256; vgl. Rohden: S. 127. 9 Mer gen: S. 388; vgl. Rohden: S. 127. 10 Mergen: S. 384. 11 Mezger: Typus S. 3 f., Typenproblem S. 4, vgl. ζ. T. anders: Kriminologie S. 166; Niggemeyer / Gallus / Hoeveler: S. 255; Mezger: Typus S. 4 spricht auch von „Merkmalseinheit". Seelig: S. 4 ff., S. 5: „ E i n T y p ist ein K o m p l e x mehrerer innerlich verbundener Merkmale". Göppinger: S. 100 f. 12 Gruhle: Verstehen S. 256 f. = Handwörterbuch S. 907 f. 13 Aschaffenburg: Handwörterbuch S. 837. (Hervorhebungen bei A.)

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Schon hier w i r d deutlich, daß der kriminologische Typus des Überzeugungsverbrechers i n einem zweifachen Bezugssystem steht: (1) Als Sondertypus, wie er z.B. i m Anschluß an Radbruch von Gaupp beschrieben worden ist 1 4 , steht er nicht unter einem emr>irischkriminologischen Leitgedanken, sondern dient der Veranschaulichung und Substantiierung eines kriminalpolitischen Zieles: der Sonderbehandlung für Überzeugungsverbrecher. Der „kriminalpsychologische Sondertypus" des Überzeugungsverbrechers hat insofern instrumentale Bedeutung i m Hinblick auf ein normatives Ziel. (2) Als Einzeltypus und Merkmal einer alle Kriminelle umfassenden Typologie w i r d der Überzeugungsverbrecher erst kriminologisch „eingeschmolzen" und unter spezifisch erfahrungswissenschaftliche Leitgesichtspunkte gestellt. Während der Sondertypus kriminologisch isoliert „für sich" konstruiert worden ist, w i r d der Einzeltypus des Überzeugungsverbrechers i n einem kriminalpsychologischen Gesamtsystem adaptiert und erhält „Nachbartypen", mit denen er verglichen werden kann. Das Verhältnis des Sondertypus zum Einzeltypus ist dabei nicht starr fixiert: Der Sondertypus kann Einzelzüge bewahren, die für den Einzeltypus unwesentlich sind; dem Einzeltypus können Phänomene zugeordnet werden, die dem Sondertypus fremd bleiben müssen; der Sondertypus kann schließlich, wegen Wegfalls des ihn „zeugenden" Gedankens, i n Vergessenheit geraten, ebenso wie der Sondertypus bestehen bleiben kann, selbst wenn die Typologie, deren Bestandteil der Einzeltypus ist, verworfen wird. Wenn daher i n der Literatur der „kriminalpsychologische Typus des Überzeugungsverbrechers" kritisiert wird, so bleibt diese K r i t i k ungenau, da unklar ist, ob sie sich gegen den kriminologischen Sonder- oder Einzeltypus des Überzeugungsverbrechers richtet. 2. Der „Typus" im strafrechtsdogmatischen Bereich und in der Methodologie Der Typus des Überzeugungsverbrechers kann aber noch i n einem weiteren Bezugssystem eine teleologische Merkmalskombination darstellen: wenn er nicht als deskriptiver Typus aufgefaßt, sondern i n ein strafrechtlich-normatives System eingegliedert werden soll. Hinsichtlich der Denkfigur des Typus herrscht i n der Strafrechtsdogmatik Verwirrung, die die ohnehin allgemein bestehende Unsicherheit i n der Typologik noch potenziert. Während die kriminologische 14

Gaupp: S. 394 ff.

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Typenlehre m i t dem oben geschilderten Typenbegriff zunächst auskommen kann, ist es zweifelhaft, ob es für den Bereich der Strafrechtsdogmatik genügt, von teleologischer Merkmalseinheit zu sprechen, da dann jeder gesetzlich geschilderte Straftatbestand als „Typus" zu bezeichnen wäre, der ζ. B. unter den Leitgedanken des staatlichen Strafanspruches, des Rechtsgüterschutzes, der Strafwürdigkeit etc. stände. Zwar ist seit Beling i n der Strafrechtswissenschaft von „fest umrissene(n) Verbrechenstypen" die Rede, die an einem „Leitbild" orientiert seien 15 , oder man spricht von „Deliktstypus" 1 6 , „Unrechtstypus" 1 7 , „Typizität der Tatbestände" 18 , oder man unterscheidet immer noch innerhalb der Dogmatik den „kriminologischen" vom „normativen Tätertyp" 1 9 , — aber diese Verwendungen des Ausdrucks Typus i n der strafrechtlichen Literatur sind auf zunehmende K r i t i k der Methodologen gestoßen, die bemängeln, daß die strafrechtlichen Tat- und Tätertypen nicht die Voraussetzungen erfüllten, die für typologisches Denken bezeichnend seien 20 . Zwar herrscht i n der Methodologie durchaus keine Einigkeit i n der Einschätzung der Denkform des Typus, doch läßt sich zunächst so viel sagen, daß allgemein (1) zwischen Durchschnitts- oder Häufigkeitstypus Gestalt- oder Ganzheitstypus andererseits,

einerseits

und

(2) zwischen empirischen oder deskriptiven Typen einerseits und normativen oder präskriptiven Typen andererseits unterschieden wird21.

15 Beling: S. 21. Engisch: Konkretisierung S. 266 nennt Beling „den Protagonisten des Typengedankens i m Straf recht", S. 267 m i t weiteren Zitaten. Vgl. Plate: S. 46 f., 98 ff., 157 ff. zur Typenlehre Belings. 16 Vgl. z. B. Schmidhäuser: Gesinnungsmerkmale S. 160. 17 Vgl. ζ. B. Jescheck: Lehrbuch 2. A u f l . S. 184 ff. 18 Vgl. ζ. Β . H. Mayer: Straf recht S. 46; Hassemer: S. 109 ff. 19 Vgl. Schmidhäuser: Strafrecht S. 149, der jedoch den kriminologischen Tätertyp nicht gegen den erfahrungswissenschaftlichen abgrenzt. Welzel: Strafrecht S. 125 ff. (§ 17) setzt den „kriminologischen Tätertyp" m i t dem kriminologisch fundierten i m Sinne von Seelig: S. 173 gleich; Baumann: Strafrecht S. 100 f. (§ 10 3 b) rechnet den Überzeugungsverbrecher zum k r i minologischen Tätertyp, unter dem er aber — abweichend v o m sonstigen Sprachgebrauch — den rein kriminologischen, d. h. erfahrungswissenschaftlichen, zu verstehen scheint. Zutreffend Schönke ί Schröder: Vorbem. vor § 1 Rnr. 48; Engisch: Konkretisierung S. 274 i m Anschluß an Mezger. 20 Wolff: S. 202 f.; Larenz: Methodenlehre S. 441. Vgl. Engisch: K o n k r e t i sierung S. 266 f. 21 Heyde: S. 237 f.; Engisch: Konkretisierung S. 240 ff., 248ff.; Larenz: M e thodenlehre S. 424f.; Zippelius: Staatslehre 1. Aufl. S. 7 f.; Leenen: S. 43, 84 ff., 178 f.

Das typologische Problem a) Durchschnitts- oder Häufigkeitstypus und Gestalt- oder Ganzheitstypus

Von Durchschnitts- oder Häufigkeitstypus ist dann die Rede, wenn bei einer großen Zahl von Einzelfällen gemeinsame Merkmale wiederkehren, so daß die Erwartung oder die Feststellung bei dem Beobachter ausgelöst wird, daß bestimmte Merkmale i n der Regel i m Zusammenhang m i t bestimmten Einzelfällen auftreten. So spricht man etwa von „typischen Reaktionen" bei Menschen oder Tieren, von einer für die Gegend „typischen Wetterlage" 2 2 . Diese Bedeutung des Ausdrucks „Typus" hatte offensichtlich Erik Wolf vor Augen, als er behauptete, „der" Überzeugungsverbrecher lasse sich weder nach der Tat-, noch nach der Täterseite typisieren, da einerseits i n den wenigsten Fällen die Pflichtüberzeugung das bei der Deliktsbegehung vorauszusetzende Motiv sei und andererseits dem Überzeugungsverbrecher keine statistische Bedeutung zukomme 2 3 . Wolf geht dabei von folgendem Verständnis des „Typus" aus: „Der Begriff des Typus bedeutet das sich Wiederholende und Gleichbleibende i m Ablauf von Seinsvorgängen. Er muß zahlenmäßig erfaßt werden können . . ." 2 4 . Eine derartige quantitative Auffassung des „Typus" bleibt jedoch einseitig, da es auch hier auf das Bezugssystem ankommt: Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist selbst das Kontingent aller Straffälligen quantitativ gering 2 6 . Abgesehen davon, pflegt die Brisanz von Streitfragen nicht nur davon abhängig zu sein, welche zahlenmäßige Bedeutung ihnen zukommt. Die Auseinandersetzungen u m die Todesstrafe lassen sich ebensowenig wegen statistischer Irrelevanz abbrechen wie die Diskussion über das Problem des Überzeugungsverbrechers auf dem Umweg über den Häufigkeitstypus. Möglicherweise handelt es sich bei dem Typus des Überzeugungsverbrechers jedoch u m einen Gestalt- oder Ganzheitstypus. Seit den Untersuchungen von Heyde mißt Larenz dieser Version des „Typus" die Hauptbedeutung bei 2 6 . Jeder Typus ist nach Heyde „von Haus aus ein Merkmal-Ganzes, d. h. ein ganzheitlich aufzufassendes Allgemeines", das i m „Sinne von Eigenschafts-Ganzen, sozusagen ,Querschnittseinheiten 4 , nach A r t der ,mittelalterlichen Stadt*, des »Verbrechers 4, des 22

Beispiele von Larenz: Methodenlehre S. 424. Wolf: Verbrechen S. 19 ff.; ebenso Budzinski: S. 30; vgl. auch Rittler: S. 82 f., der jedoch nicht den Typus leugnet. 24 Wolf: Verbrechen S. 22. 25 Treffend H. Mayer: Strafrechtsreform S. 57: „ M a n möchte sich damit trösten, daß das jeweils nicht mehr als 1,35 °/o bis 1,40 °/o pro Jahr der straf mündigen Bevölkerung sind." 26 Heyde: S. 237 f.; Larenz: Methodenlehre S. 424; vgl. Zippelius: Staatslehre 1. A u f l . S. 6 f.; Wolff: S. 196 f. 23

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,Schizothymen' usf." aufzufassen sei 27 . I m Typus werden die einzelnen Merkmale nicht nur summiert, sondern als Gefüge erfaßt 28 . Bedeutungsvoll ist weiter die Einsicht, daß Typusbezeichnungen wie Kaufmann, Verbrecher, Romantiker „Beziehungswörter" sind, „durch die eben ein Gegebenes nicht aus sich selbst heraus, sondern vielmehr i m Hinblick auf anderes gekennzeichnet w i r d " 2 9 . Auch Zippelius geht wie Heyde stillschweigend davon aus, daß den Typen keine ontologische Essenz 30 , kein Urbild 3 1 , keine feste, stabile Form 3 2 , keine Möglichkeit ursprünglichen Erkennens 33 , kein Denken aus der Natur der Sache 34 zukommt, sondern daß „die Richtung der Typisierung d. h. die Auswahl der Typusmerkmale sich danach bemißt, unter dem Aspekt welchen Erkenntnisinteresses man die Typen bildet und welcher Funktion diese dienen sollen" 3 5 . Dieser instrumentale Gebrauch des „Typus" als einer Arbeitshypothese 36 ist offensichtlich derjenige, welcher der oben erörterten kriminologischen Typenlehre zugrunde lag. Die Perspektivität bei der Typenbildung, die bereits bei der Betrachtung der kriminologischen Typenlehre als wesentlich herausgestellt wurde, w i r d nunmehr allgemein als wesentlich für typisierendes Denken erkannt 3 7 . Welche Vorteile kommt diesem Denken i n Gestalttypen zu? Allgemein werden Anschaulichkeit, Ganzheitlichkeit und Offenheit typologischen Denkens hervorgehoben 38 . Anschaulich und ganzheitlich ist die Typenbildung insofern, als bei der Konfrontation m i t der Fülle der Phänomene diese, gesteuert durch das jeweilige Erkenntnisinteresse, geordnet werden, indem wiederkehrende Merkmalskomplexe festgehalten und dabei nur einzeln auftre27

Heyde: S. 238. Larenz: Methodenlehre S. 447: Die typologische Betracht u n g sei geeignet, „rechtliche Sinnzusammenhänge bewußt werden zu lassen. Sie ermöglicht es, viele Einzelbestimmungen, die sonst n u r als mehr oder minder zufällig (als i n das Belieben des Gesetzgebers gestellt) erscheinen würden, als Ausdruck der Eigentümlichkeit des Typus zu verstehen". 28 Zippelius: Engisch-Festschrift S. 228. 29 Heyde: S. 244. 30 Zippelius: Engisch-Festschrift S. 266, 239. 31 Engisch: Konkretisierung S. 239, 263 referierend. 32 So aber A. Seiffert: S. 3: „ v o m Sein her beliebte Zusammenhänge", vgl. S. 47 zu Typus i n re u n d i n mente u n d S. 25 ff. zu Typus u n d Universalie. 33 Strache: S. 63. 34 So aber Larenz: Methodenlehre S. 440f.: Typologisches Denken sei notwendig an der N a t u r der Sache orientiert. — Gegenüber den typusrealistischen Auffassungen hat Engisch zu Recht bemerkt, es handele sich hier u m eine „einigermaßen rechtsmetaphysische Auffassung", die geringen E r k l ä rungswert besitze, Engisch: Konkretisierung S. 271. 35 Zippelius: Engisch-Festschrift S. 226. 36 Allgemein zum Typus als Arbeitshypothese Brecht: S. 128 ff., 132. 37 Vgl. weiter Strache: S. 24, 36, 39, 45 f., 58; Leenen: S. 43; A. Seiffert: S. 12. 38 Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Leenen: S. 34 ff.

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tende Züge ausgeschieden werden. Daher kann Engisch „von dem Typus als einem vorzugsweise m i t Realität gesättigten Gedankengebilde" sprechen 39 , das lebensnah 40 sei, da es fließende Übergänge zulasse. Ein „Anschauungstypus" 41 , der eine Merkmalskombination zunächst zumeist i n t u i t i v erfaßt 42 , hat aber keinen endgültigen, sondern nur einen vorläufigen, heuristischen Erkenntniswert 4 3 . Die wissenschaftliche Arbeit besteht nun darin, den bildhaften Eindruck einer Ganzheit aufzugliedern, die Merkmale zu analysieren und i n ihrer Abhängigkeit voneinander zu erkennen. Während der anschauliche Ganzheitstypus aufgrund seiner Unschärfe und Subjektivität an sich nicht mitteilbar ist, w i r d er erst i n seiner Strukturiertheit als Merkmalsgefüge geeignet für wissenschaftliche Erkenntnis 4 4 . Als besondere Eigenart typisierenden Denkens hat man dessen Offenheit gepriesen und „geradezu als eine Befreiung von den spanischen Stiefeln der scholastisch befangenen Klassenbegriffs-Logik empfunden" 4 5 . Die Fähigkeit typisierenden Denkens zu Gradabstufungen und Reihenbildungen wurde besonders hervorgehoben 46 . So lassen sich z. B. Mineralien ihrer Härte nach i n einer linearen Reihe anordnen, oder aber man kann sie ihrer Schwere, ihrer chemischen Zusammensetzung etc. nach mehrdimensional i n Reihenordnungen bringen, wobei jeweils auch „bestimmte Festsetzungen" darüber erforderlich sind, „ i n welchen Einsichten' oder Richtungen' der betreffende Typusbegriff elastisch abstufbar sein . . . soll" 4 7 . A n diesem Punkt w i r d nunmehr deutlich, inwiefern typologisches Denken m i t strafrechtlich-systematischem kollidieren muß. Schon Radbruch hat bei seiner Würdigung der Hempel / Oppenheimschen Untersuchungen darauf hingewiesen, daß das Rechtsdenken durch die „schroffe Ablehnung jedes ,sowohl — als auch' oder ,mehr oder m i n der'" gekennzeichnet sei. Diese „harte Denkweise" i n klassifikatorischen Begriffen sei aus Gründen der Rechtssicherheit und Gleich39

Engisch: Konkretisierung S. 239. Engisch: Konkretisierung S. 242. 41 Engisch: Konkretisierung S. 247 ff. 42 Z u r I n t u i t i o n bei der Typenbildung vgl. A. Seiffert: S. 2 ff., 23; Zippelius: Engisch-Festschrift S. 227; Heyde: S. 238. 43 Wolff: S. 197; Zippelius: Staatslehre 1. A u f l . S. 7, 3. Aufl. S. 9. 44 Vgl. Zippelius: Engisch-Festschrift S. 228. 45 Heyde: S. 244. 48 Dieser Aufgabe haben Hempel u n d Oppenheim ihre A r b e i t über den Typusbegriff i m Licht der neuen L o g i k gewidmet. Vgl. dazu von juristischer Seite Radbruch: Klassenbegriffe S. 167 ff. 47 Hempel / Oppenheim: S. 44. 40

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behandlung unentbehrlich 48 . H. J. Wolff hat betont, daß wegen der „dadurch bedingten genauen systematischen Bearbeitungen des Strafrechts" die sogenannten „Deliktstypen" zu „klassifikatorischen Voraussetzungen der Bestrafung" würden, wobei es keine fließenden Übergänge zwischen Verbrechen und Nicht-Verbrechen oder auch nur zwischen zwei Verbrechenstatbeständen geben könne, wie die Konkurrenzvorschriften zeigten 49 . Die Rede von „fest umrissenen Verbrechenstypen" muß vom Verständnis eines „offenen" Typus her als Widerspruch erscheinen. Wolff meint daher auch, ein „Deliktstypus" sei kein Typus i m engeren Sinne, sondern eine „multiple Klasse" 5 0 . Dieser Ansicht hat Engisch entgegengehalten, bei den Deliktstypen handele es sich deshalb u m Typen, weil es sich hier überall um „rechtshistorisch gewachsene Individualitäten auf der Begriffsebene" 51 handele, denen die Produkte einer juristischen Kunstsprache, wie z.B. „strafbare Handlung", gegenüberzustellen seien. Dieser Gegensatz zwischen Wolff und Engisch verweist auf eine Parallelität zu dem Doppelcharakter des Ganzheitstypus als „Anschauungstypus" und als „strukturierter Typus". Ebenso wie der anschaulich erfaßte Typus zunächst nur heuristischen Wert hat, ist auch die Offenheit des Typus vorerst nur eine Vorstufe auf dem Wege zur Schaffung eines „fertigen", d. h. durchforschten Typus: Aus dem „offenen" Typus 48

Radbruch: Klassenbegriffe S. 170. Wolff : S. 203. 50 Wolff: S. 203 A n m . 62. Zustimmend: Larenz: Methodenlehre S. 441. Auch H. Mayer: Typologie S. 137 betont: „Die strafrechtlichen Tatbestände enthalten trotz Beling nicht etwa Typenbegriffe i m Sinn einer eigentlichen Typologie, sondern echte Klassenbegriffe. Der Grundsatz n u l l a poena sine lege, der i n A r t . 103 GG zum Verfassungsgrundsatz erhoben worden ist, würde sich m i t Typusbegriffen nicht begnügen". N u n hat Zippelius neuerdings zu Recht darauf hingewiesen, daß die „Offenheit" nicht n u r Typen, sondern auch Begriffen zukomme, w i e das Hecks Unterscheidung von Beg r i f f skern u n d Begriffshof schlaglichtartig erhellt, Zippelius: Wesen S. 146. Zippelius sieht daher als das Hervorstechende typisierenden Denkens die spezifische A r t der Anwendungsweise des Typus, Zippelius: Engisch-Festschrift S. 226, 232. F ü r typisierendes Denken sei bezeichnend, daß bestimmte Merkmale gegenüber anderen als vorherrschend hervorgehoben werden, während begriffliches Denken lediglich danach frage, ob die Begriffsmerkmale überhaupt erfüllt seien. Der subsumierenden Methode einerseits sei eine f ü r die typisierende Denkweise bezeichnende „zuordnend-vergleichende Methode" an die Seite zu stellen, w i e sie bei der Rechtsfortbildung durch F a l l vergleich beobachtet werden könne, Zippelius: Wesen S. 145. Z u Zippelius vgl. Leenen: S. 57 ff. Diese Denkweise, die insbesondere zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe fruchtbar ist, Wolff: S. 200 f., g i l t demnach bei der Auslegung von Einzelbegriffen, während eine vergleichend-zuordnende Methode hinsichtlich des „Deliktstypus" als einer Merkmalseinheit der m i t einzelnen T a t bestandsmerkmalen operierenden „Denkweise" des Strafgesetzes zuwiderläuft. 51 Engisch: Konkretisierung S. 271. 49

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w i r d ein „geschlossener" Typus durch die Festlegung bestimmter, i n jedem Fall als erforderlich angesehener Merkmale 5 2 . Der Weg des Gesetzgebers w i r d seinen Anfang bei bestimmten Lebenseinheiten nehmen, ehe er aufgrund seiner Wertvorstellungen eine Regelung vorn i m m t 5 3 . Wenn es, wie i m Strafrecht, auf die Berechenbarkeit der richterlichen Entscheidung ankommt, muß der „Lebenstypus" auf wenige, dafür stets vorauszusetzende Einzelzüge zum gesetzlichen Tatbestand reduziert werden. I n bezug auf den normativen „Deliktstypus" kann man daher nur als von einem geschlossenen Typus sprechen, bei dem zuweilen der als Regelungsgegenstand empfundene Anschauungstypus noch hindurchschimmert 54 . Auch Engisch, der den „Lebenstypen" noch für die Auslegung Raum zumißt, muß aber zugeben, daß selbst das Atypische dem gesetzlichen Tatbestand unterfällt 5 5 . Damit w i r d bereits deutlich, daß auch die Leitgedanken für die Merkmalskombination gewechselt haben: Aus dem offenen „Lebenstypus" ist der geschlossene normative Typus geworden, der unter dem Aspekt der exakten Beschreibung der Strafwürdigkeit bestimmten Verhaltens steht. Deliktstypus und Straftatbestand stehen auf zwei verschiedenen Entwicklungsstufen und unter je eigenen Leitgedanken. Anderer Meinung war hier die Lehre von dem sogenannten generellen oder normativen Tätertypus, die während der nationalsozialistischen Zeit „teils als Propagandamittel, teils als M i t t e l einer Einschränkung des drakonischen Kriegsstrafrechts eine zweideutige Rolle" 5 6 gespielt hat. Nach dieser Lehre genügte es nicht, daß die Tat der tatbestandsmäßigen Fassung eines Strafgesetzes entsprach, vielmehr sollte sie darüber hinaus das Leitbild des „ i m Volksbewußtsein lebendigen Typus" 5 7 des entsprechenden Verbrechenstatbestandes erfüllen: Der Täter mußte also etwa dem Lebenstyp des „Mörders" zugeordnet werden können 5 8 . Demgegenüber begnügt sich die sogenannte Lehre vom kriminologischen Tätertyp m i t dem Hinweis, daß das Strafgesetz i n einer M i n 52 Larenz: Methodenlehre S. 441; vgl. Strache: S. 41, 64. Besonders Wolff : S. 200, 203, 205 weist darauf hin, daß die T y p i k durch das jeweilige klassifikatorische System stabilisiert werden müsse. 63 Wolff : S. 200: Erstarrung der gesetzgeberischen Typen zu klassifikatorischen Rechtsbegriffen; Henkel: Einführung S. 354. 54 Larenz: Methodenlehre S. 441 A n m . 4. 55 Engisch: Konkretisierung S. 283, 276 ff. Nach Hassemer: S. 116 sollen n u r alle diejenigen Tatbestände bzw. Tatbestandsmerkmale des Straf rechts Typen sein, welche sich auf eine Wirklichkeit außerhalb des Strafgesetzsystems beziehen. 56 Engisch: Konkretisierung S. 275. 67 Mezger: ZStW 60 (1941) S. 360. 58 Vgl. Schmidhäuser: Gesinnungsmerkmale S. 112 f., Straf recht S. 148 f.; Engisch: Konkretisierung S. 275 f.

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derzahl von Straftatbeständen direkt an einen bestimmten Lebenstypus anknüpft, etwa bei der Bestrafung des Zuhälters nach § 181 a StGB a. F., des Landstreichers und Bettlers nach § 361 Z. 3, 4 StGB a. F. 5 9 . Während diese Lehre i m Zusammenhang der Problematik eines Tat- oder Täterstrafrechts eine wichtige Rolle spielt, interessiert hier die Unterscheidung zwischen „normativen" und „kriminologischen" Tätertypen i m Zusammenhang einmal mit der geläufigen methodologischen Unterscheidung zwischen empirischen und normativen Typen, zum anderen m i t der Frage, wie der Typus des Überzeugungsverbrechers einzuordnen sei. b) Empirischer und normativer Typus

Seit Georg Jellinek w i r d i n der Allgemeinen Staatslehre und i n der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre zwischen Typen, die Wertmaßstäbe setzen (der ideale Staat), und Typen, die die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen mittels Abstraktion und Vergleich ordnen (die Staatsformen), unterschieden 60 . Einmal kann der Typus dazu benutzt werden, ein B i l d der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit zu geben, Seiendes zu beschreiben; das andere M a l bezeichnet der Typus Seinsollendes 61 , indem er Wertaussagen trifft. Der empirische Typus gibt ein Abbild, der normative Typus ein Vorbild. Beide Typen stehen unter je eigenen Leitgedanken. Die grundlegende Bedeutung dieses Unterschiedes läßt sich unschwer auch i n der Typendiskussion um den Überzeugungsverbrecher nachweisen: Radbruch hatte den Leitsatz aufgestellt: „Der Überzeugungsverbrecher stellt einen kriminalpsychologischen Sondertypus dar, dem besondere kriminalpolitische Aufgaben entsprechen 62 ." Radbruch knüpfte damit an den Seinstypus normative Folgerungen. Kohlrauschs Leitsatz hielt dem entgegen: Die Folge der Anerkennung eines k r i m i nalpsychologischen Sondertypus sei, „daß auch alle anderen kriminalpsychologischen Sondertypen tatbestandlich anerkannt würden" 6 3 . Radbruch replizierte, nur diejenigen „kriminalpsychologischen Sondertypen müßten tatbestandsmäßig anerkannt werden, die eine strafrechtliche Sonderbehandlung erfordern" 6 4 . I n dieser Diskussion w i r d deutlich, daß ein empirischer Typus nicht automatisch eine normative Aussage, etwa kraft ,Natur der Sache', herbeiführt, sondern daß zur 59 60 61 62 63 64

Vgl. Schmidhäuser: Strafrecht S. 149. Jellinek: S. 34 ff.; vgl. Wolff: S. 196; Zippelius: Vgl. Zippelius: Staatslehre 1. Aufl. S. 7 f. Radbruch: Leitsätze S. 352. Kohlrausch: Leitsätze S. 353. Radbruch: Referat S. 358.

Engisch-Festschrift S. 232.

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deskriptiven Sachaussage „kriminalpsychologischer Sondertypus" die wertende Stellungnahme „strafrechtliche Sonderbehandlung" hinzutreten muß. Diese Wertentscheidung hat Radbruch mit der sozialethischen Lehre vom Selbstwiderspruch und der kriminalpolitischen Lehre vom Wegfall der meisten Strafzwecke zu rechtfertigen versucht. Vom Vorliegen eines kriminologischen Typus des Überzeugungsverbrechers kann daher nicht schon ohne weiteres auf einen entsprechenden normativen Typus des Überzeugungsverbrechers geschlossen werden. Hier zeigt sich, daß die strafrechtliche Lehre vom sogenannten kriminologischen Tätertyp Mißverständnisse heraufführen muß. Da empirischer bzw. normativer Typus unter den je eigenen Leitgedanken des Seienden bzw. Seinsollenden stehen, kann man vom erfahrungswissenschaftlichen Typus nicht auf den „entsprechenden" gesetzlichen Typus schließen. Weder entspricht jedem kriminologischen Typus ein strafrechtlicher Tatbestand, noch läßt sich jeder strafrechtliche Tatbestand kriminologisch typisieren. Zwar hat sich der Gesetzgeber bei den sog. kriminologischen Tätertypen bemüht, kriminologische Erfahrungen zu verwerten, aber durch die Hereinnahme i n ein Gesetz, durch Abgrenzung und Rechtsfolgenbestimmung entstand ein strafrechtlicher, wenn auch kriminologisch fundierter Typus 6 5 . Wie wäre der Typus des Überzeugungsverbrechers, wenn man i h n strafrechtlich, d. h. normativ, fassen w i l l , zu bestimmen? Seelig unterschied bei den „strafrechtlichen" Tätertypen neben den kriminologisch fundierten den „tatbestandlichen" Tätertyp und den „Gesinnungstyp". Von einem tatbestandlichen Tätertyp sprach Seelig dort, „wo . . . die Merkmale eines strafrechtlichen Tätertyps lediglich aus dem betreffenden gesetzlichen Tatbestand zu entnehmen sind". I n der Mitte zwischen dem kriminologisch fundierten und dem tatbestandlichen Tätertyp lägen jene Fälle, i n denen das den Typus begründende Merkmal die i n der Tat sich offenbarende Gesinnung sei. Hier gehöre zum Merkmalskomplex des Typus ein über die i m Tatbestand bezeichnete Tat „hinausgreifendes Sosein der Person", aber anders als beim kriminologischen Tätertyp sei dieses Sosein der Person „nicht etwa durch Methoden der kriminologischen Persönlichkeitsforschung zu ermitteln, sondern aus der Tat zu erschließen, die als unmittelbarer Ausdruck einer bestimmten gemeinschaftswidrigen Gesinnung erfaßt w i r d " 6 6 . Engisch 65 Seelig: S. 173; ebenso Schönke ! Schröder: Vorbem. vor § 1 Rnr. 48. — Seelig: S. 172 weist auch zu Recht darauf hin, daß der Ausdruck „normativer Tätertyp", w i e er oben als dogmatische Sonderform geschildert worden ist, irreführend sei, denn jeder gesetzliche Tätertyp sei ein normativer Typ, da er zum Rechtsbegriff geworden sei. ββ Seelig: S. 173.

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hat — unabhängig von Seelig — den i n den Gesetzentwürfen geschilderten strafrechtlichen Typ des Überzeugungsverbrechers prägnant einen „tatbezogenen Tätertypus" genannt, der nicht auf einen „eigentlichen Persönlichkeitstypus" rekurriere 6 7 . 3. Die verschiedenen Typen „des" Uberzeugungsverbrechers Selbst wenn man die oben geschilderte Fragwürdigkeit von Ausdrücken wie Deliktstypus und Tätertypus i m Strafrecht berücksichtigt, zeigt sich doch deutlich, daß der empirische und normative Typus des Überzeugungsverbrechers sich nicht decken, sondern daß beide Verwendungsweisen des Typus verschiedene Ziele mittels verschiedener Merkmalsauswahl ansteuern. Bestände denn nun wenigstens die Möglichkeit, „den psychologisch-soziologischen Totaltyp des Täters und der T a t " 6 8 bei der Strafzumessung 69 und i m Strafvollzug zu berücksichtigen? Aber auch hier muß das teleologische Aus Wahlprinzip jeder Typenbildung klar erkannt werden, das es verbietet, einen unter bestimmten Aspekten konstruierten Typus i n ein fremdes Gebiet zu verpflanzen. M i t empirischem Erkenntnisinteresse gewonnene Typen können daher nicht für Strafzumessungs- oder Strafvollzugszwecke dienstbar gemacht werden, vielmehr muß umgekehrt versucht werden, aufgrund etwa strafvollzugskundlicher Fragestellungen Typen zu bilden, für deren Konstituierung empirisches Material, neu geordnet, benutzt werden muß. Solange Psychologie, Soziologie, Kriminologie Hilfswissenschaften waren, bedurfte es der Hervorhebung nicht, daß der psychologischsoziologische Totaltyp des Täters, wie H. J. Wolff meinte, bei der Strafzumessung zum Tragen komme; sobald aber die genannten Wissenschaften von eigenen Fragestellungen ausgehen, bilden sie auch eigene Typen. — Daß ζ. B. die Strafvollzugskunde die kriminologischen Typen nicht übernehmen kann, sondern eigenständige „Behandlungstypen" entwerfen muß, w i r d daher zu Recht anerkannt 7 0 . 67

Engisch: Konkretisierung S. 273. Wolff : S. 203. ββ Nach allgemeiner Ansicht vermag bei der Strafzumessung typisierendes Denken wegen seiner Fähigkeit zu Abstufungen eine wesentliche Rolle zu spielen, so schon Radbruch: Klassenbegriffe, S. 171 f.; Wolff: S. 203; Larenz: Methodenlehre S. 441; Zippelius: Wesen S. 150. Hier w i r d der Richter v o r die Aufgabe gestellt, „die Einzelfälle zwischen zwei Extremtypen — den denkbar schwersten u n d den denkbar leichtesten F a l l dieses Verbrechens — nach dem Maß ihres größeren oder geringeren Abstandes von diesen Typen einzureihen", Radbruch: Klassenbegriffe S. 171. So schlägt Zippelius: Wesen S. 149 f. ζ. B. vor, den Spielraum der Strafrahmen „durch ein sich zunehmend verdichtendes Netz v o n Typen" auszufüllen: M a n müsse zunächst Ausgangstypen, Leitfälle, bilden u n d durch Fallvergleichung „zu einem t y pengebundenen ,Raster 4 abgestufter Strafen gelangen". 70 Mezger: Typenproblem S. 28; H. Mayer: Typologie S. 136; Einsele i n Niederschriften der Strafvollzugskommission Bd. 6 S. 116 ff.; w i e die Dise8

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Angesichts von Erwägungen, Überzeugungsverbrechern bei der Strafzumessung generell strafmildernd zu begegnen oder für sie Sondervollzugsanstalten einzurichten, stellt sich die Frage, ob denn „der" Typus des Überzeugungsverbrechers auch ein „Strafzumessungs"- oder „Strafvollzugstypus" sei. Das verwirrende Bild, das die Diskussion u m den Typus des Überzeugungsverbrechers und Gewissenstäters bietet, findet damit seine Erklärung: Der jeweilige Typus des Überzeugungsverbrechers verändert sich je nach dem neuen Bezugssystem, i n das er hineingestellt ist. Die folgenden Zusammenhänge werden deutlich: (1) Der kriminalpsychologische Sondertypus Radbruchs unter sozialethischer und kriminalpolitischer Aufgabenstellung. (2) Der kriminologische Typus des Überzeugungsverbrechers als Teil einer kriminologischen Typologie. (3) Der strafrechtsdogmatische als normativer Typus.

Typus des Überzeugungsverbrechers

(4) Der „Strafzumessungstypus" des Überzeugungsverbrechers. (5) Der „Strafvollzugstypus" handlungstypus" .

des Überzeugungsverbrechers als „Be-

Je nach ihren Leitgedanken ließen sich noch weitere Versionen bilden: (6) Der kriminalpolitische Typus des Überzeugungsverbrechers (in Ergänzung zum strafrechtsdogmatischen „Tatbestandstypus") als „Rechtsfolgentypus". (7) Der sozialethische Typus des Überzeugungsverbrechers unter dem Blickwinkel der philosophischen oder theologischen Ethik. Die verschiedenen Typisierungsversuche der Literatur und Gesetzgebungsorgane sind nunmehr daraufhin zu befragen, welchen Typisierungsgesichtspunkt sie denn i n den Vordergrund ihrer Überlegungen gestellt haben. Wegen der allgemeinen Unklarheit über die Verwendungsweise von Typen ist leider nicht davon auszugehen, daß der Leitgedanke offen zutage liegt, vielmehr kann er zum Teil nur aus dem Zusammenhang heraus erahnt werden. Legt man das Verständnis des Typus als einer teleologisch gebundenen Merkmalskombination zugrunde, lassen sich die verschiedenen Typisierungsversuche zunächst danach kritisieren, inwiefern sie dem kussion, ebenda S. 13, ergab, ist die Ziel Vorstellung, Anstaltsplanungen an wissenschaftlich als richtig erkannten Typisierungsmöglichkeiten u n d Behandlungsformen zu orientieren, „nach dem derzeitigen Stand der K r i m i n o logie u n d Strafvollzugskunde" nicht streng zu verwirklichen.

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Die

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Ziel, das sie sich jeweils selbst gesetzt haben, entsprechen und inwiefern, gemessen an dem eigenen Anspruch des Versuchs, die anvisierten Ziele ihrerseits zur Lösung der Problematik des Überzeugungs- und Gewissenstäters einen Beitrag leisten. (1) Radbruch typisierte unter dem Telos einer sozialethisch zu rechtfertigenden Sonderstrafe für bestimmte Täter m i t dem Hilfsmittel der kriminalpsychologischen Beschreibung einer Tätergruppe, wobei er den Nebenzweck verfolgte, daß die Angehörigen der so fixierten Gruppe i m Prozeß leicht feststellbar sein sollten. Es handelt sich hier u m einen Mischtypus [vgl. oben Typus (1), (7)]. (2) Wolf versuchte, Radbruchs Instrument der kriminalpsychologischen Beschreibung dadurch als ungeeignet zu erweisen, daß er sich um den Nachweis der gruppensoziologischen Bedingtheit der von Radbruch herausgestellten Überzeugungsverbrecher bemühte. Bei Wolf lag demnach das Telos der Typisierung i n der Widerlegung des Radbruchschen Typus, nicht aber i n einem strafrechtlich berücksichtigenswerten Typus. Dem Wolf sehen Gegentypus kommt daher nur ein abgeleiteter Wert zu. (3) Welzel typisierte unter dem Telos der strafrechtlichen Privilegierung mit Hilfe des Aspektes der Gewissensrelevanz für das Recht, wobei er den Nebenzweck verfolgte, politisch motivierte Taten von der Privilegierung auszuscheiden [vgl. Typus (3), (7)]. (4) Peters stellte seine Untersuchungen ebenfalls unter den Zweck einer strafrechtlichen Sonderstellung mit Hilfe des Gewissensmomentes, wobei er weiter zwischen passiven und aktiven Tätern unterschied, u m die Eindeutigkeit der intendierten Rechtsfolge zu erhöhen. End versuchte, das gleiche Ziel m i t Hilfe der „unbedingten Handlung" zu erreichen [Typen (3), (7)]. (5) Auch die typisierten Unterscheidungen des Sonderausschusses ,Straf recht 4 waren streng teleologisch ausgerichtet: Die Gruppen der „Verfassungsfeinde" und „Opponenten" wurden gebildet, w e i l nur diejenige Gruppe kriminalpolitisch anders gestellt sein sollte, die, gemessen an dem Verhältnis zur Verfassung, das Grundgesetz prinzipiell positiv bewertete [Typus (6)]. (6) Folgen diese Darstellungen der Denkfigur des Typus, so fragt sich jedoch angesichts des Typus des Ideologietäters, welchem Zweck dieser dienen soll. Zwar ging Sax immer wieder auf methodische Fragen seines Themas ein 7 1 , gab aber nirgends den legislatorischen, strafprozessualen, kriminologischen oder strafvollzugskundlichen Bezugspunkt an, den er unter Zuhilfenahme des Aspekts „Ideologie" klären wollte. Straftäter unter dem Gesichtspunkt der Ideologie zu ordnen, bleibt 71

Sax: S. 13, 17, 19, 26.

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zwar unbenommen, aber von einem anderen als einem reinen Ordnungsinteresse ist diese Einteilung nicht. Hier w i r d deutlich, daß zwar mannigfache Ausgangspunkte möglich sind, so daß mannigfache K r i t e rien gebildet werden können, wobei jede Einteilung einwandfrei zustande kommen mag 7 2 —, über die Verwertbarkeit unter strafrechtswissenschaftlichen Zwecken sagt sie nichts. Die Unfruchtbarkeit des Ideologietätertypus für die strafrechtliche Betrachtung wurde daher auch mehrfach bei dessen Darstellung deutlich. (7) Die auf den Überzeugungstäter bezogenen Einteilungen Aschaffenburgs, Gruhles, Seeligs und Weindlers dienen der kriminologischsystematischen Ordnung des Materials. Strafrechtlich typologisch wollen diese Einteilungen ihrer Intention nach nicht sein. Der von Radbruch zum Zwecke eines strafrechtlichen Gesetzesvorhabens gebildete kriminalpsychologische Typus des Überzeugungsverbrechers ist hier — trotz Beibehaltung des Ausdrucks — zu einem rein kriminologischen Typus permutiert [Typus (2)]. Damit w i r d auch die Fragwürdigkeit der Methode von Greffenius deutlich: Der Verfasser w i l l ein strafrechtliches Ziel m i t unter empirisch-kriminologischer Zwecksetzung gefundenen Daten erreichen, obwohl beide Ziele i n verschiedene Richtungen gehen 73 . (8) Die von Amelunxen und Tietjen angestellten Untersuchungen zum politischen Überzeugungstäter lassen sich ebenfalls davon leiten, das vorliegende Material der aus politischen Gründen begangenen Straftaten nach den Motivationen zu gliedern; dabei greifen sie auf den kriminologischen Typus des Überzeugungsverbrechers zurück 7 4 . Auch bei Langemann w i r d die Zweckbestimmtheit des Typus des Überzeugungsverbrechers überdeutlich: Er lehnt — allerdings voreilig — den kriminologischen Typus des Überzeugungsverbrechers allgemein ab, obwohl dieser Typus nur für sein Ziel, eine Typologie des Attentäters zu erstellen, angesichts der Tatsache, daß jeder „politische Mörder" eine A r t Überzeugung gehabt habe, nicht unterscheidungskräftig genug ist. Bedenkt man den Unterschied zwischen kriminologischer und strafrechtlicher Zielsetzung, so ist an die allein strafrechtlich relevanten 72

Vgl. Exner: S. 205 zu den kriminologischen Typenlehren. Greffenius: S. 17; S. 57 w i r d das verbindungslose Nebeneinanderstehen der Zielsetzungen besonders deutlich: „Die hier aufgestellte Typologie soll einmal dazu dienen, eine deutliche Unterscheidung zwischen den einzelnen Gruppen der Täter aus Uberzeugung zu ermöglichen, zum anderen soll sie uns Anhaltspunkte für den Vorschlag einer gesetzlichen Regelung geben." Ebenso S. 69. Demgegenüber stand bei Radbruch die Zielsetzung einer strafrechtlichen Sonderstellung bestimmter Täter i m Vordergrund, die er mit Hilfe einer kriminalpsychologischen Beschreibung zu fixieren gedachte, nicht aber wollte Radbruch einen Beitrag zur Kriminologie leisten. 74 Vgl. Tietjen: S. 78 unter Berufung auf Seelig u n d Weindler. 73

13 Gödan

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echts/ifur des Überzeugungstäters

Typisierungen des Überzeugungstäters und Gewissenstäters die Frage zu richten, inwiefern sie ihr Ziel der Privilegierung bestimmter Täter m i t Hilfe des Instrumentes „Überzeugung", „Gewissen" erreichen konnten. I m Gegensatz zu Radbruchs Intention und der des Sonderausschusses „Strafrecht" m i t § 48 a E 1962/SA 1964, eine spezielle Strafart für Überzeugungstäter zu begründen (kriminalpolitischer Typus des Überzeugungstäters), ist es das Ziel einiger moderner Autoren, schon i m Bereich des Tatbestandes, der Rechtswidrigkeit, der Schuld den Überzeugungstäter bzw. Gewissenstäter zu berücksichtigen und gegebenenfalls zu dessen Straflosigkeit zu kommen (strafrechtsdogmatischer Typus des Überzeugungstäters). Wenn die Denkfigur des Typus eine teleologische Orientierungshilfe darstellt und der Typus des Überzeugungsverbrechers zum Zwecke der Begründung einer Sonderstellung i m Strafensystem tauglich gewesen sein mag, so braucht der so gebildete Typus zur Erlangung anderer Ergebnisse, z.B. der Strafloserklärung, der Strafzumessung oder des Strafvollzuges, nicht mehr geeignet zu sein. Damit muß einer Frage ins Auge gesehen werden, der die Literatur bisher stets ausgewichen ist: Kann es „den" Überzeugungstäter, methodologisch gesehen, überhaupt geben? K o m m t es nicht auf die konkreten Fragen und Zielsetzungen an, denen eine Typisierung dienen soll und die daher erst einen Typus konstituieren? Muß man also den wissenschaftlich eingebürgerten Sprachgebrauch von „dem Überzeugungstäter" aufgeben? Zerfällt „der" Typus des Überzeugungsverbrechers i n seine Teile, „fehlt leider! nur das geistige Band"? 4. Der strukturierte Typen-Typus des Uberzeugungsverbrechers Z u einer A n t w o r t auf die Frage nach „dem" Typus des Überzeugungsverbrechers gewinnt man am ehesten Zugang, wenn man sich den Weg des typologischen Denkens über den Überzeugungsverbrecher, der sich durch ein halbes Jahrhundert hindurch verfolgen läßt, vor Augen hält. Hier t r i t t der seltene Fall ein, daß an einem Exempel die Stationen i m Werdegang eines Typus nachvollzogen werden können. a) Der Weg vom „Forschungstypus" zum „flexibel strukturierten Typen-Typus"

Zippelius meint, die Neubildung eines Typus könne durch die Lebenserfahrung nahegelegt werden oder aber durch die Konstruktion einer Merkmalskombination Zustandekommen75. Ein solcher, möglicher75

Zippelius:

Engisch-Festschrift S. 240.

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weise intuitiv erfaßter „Ausgangstypus" habe zunächst heuristischen Wert 7 6 . Bei Radbruch war der Typus des Überzeugungsverbrechers zunächst ein hypothetischer, antizipierender, experimenteller Typus, kurz: ein Forschungstypus. Dieser Typus dürfte zunächst sogar ein empirischer Häufigkeitstypus gewesen sein: I n seiner Zeit als Reichs justizminister fiel Radbruch auf 7 7 , daß bei Tätern, die i m politischen Bereich straffällig wurden oder die einer religiösen oder politischen Minderheit angehörten, häufiger die Motivation zutage trat, daß sie sich aufgrund ihrer jeweiligen Überzeugung zu der Straftat für verpflichtet hielten. A u f diese Weise wurde aus einer Mehrzahl von Einzelerscheinungen ein „Lebenstypus" 7 8 herausgehoben und auf ein „fingiertes Individualobjekt" 7 9 , den Überzeugungsverbrecher, bezogen. Neben diesem Charakter als „Kongruenztypus" 8 0 kommen dem Typus des Überzeugungsverbrechers bei Radbruch aber auch konstruktive Elemente insofern zu, als der philosophische Wertrelativismus die Erkenntnis des Problems erleichterte und mitbestimmte. M i t dem gewonnenen Typus experimentierte 8 1 Radbruch nun, indem er vom Anschauungsmaterial kriminalpsychologischer Unterschiedlichkeit ausging und die Arbeitshypothese aufstellte, das Eigenständige dieses Typus durch die Behauptung kriminalpolitischer Besonderheiten herauszuarbeiten. I n diesem ersten Stadium der Entwicklung ist der Typus des Überzeugungsverbrechers ein Forschungstypus zum Zwecke normativer Aussagen anhand empirischen Anschauungsmaterials. Ausgehend von der von Radbruch aufgeworfenen Frage und dem von i h m gebildeten kriminalpsychologischen Typus w i r d nun von Wissenschaft und Praxis i n den folgenden Jahrzehnten „ausprobiert", ob „dieser" Sondertypus auch i n anderen Zusammenhängen Gewicht hat. Es w i r d unausgesprochen die Frage gestellt: Gibt es eine diesem Sondertypus i m jeweiligen Bezugssystem entsprechende Problemlage? Der Gesetzgeber betrachtete das Problem i n kriminalpolitischer Sicht. Wissenschaftlich wurde der Radbruchsche Typus unter krimino76 Zippelius: Staatslehre 1. A u f l . S. 7, 3. A u f l . S. 9. Vgl. zur Intention bei der Typenbildung A. Seiffert: S. 2 ff., 23. A l l g . zur schöpferischen I n t u i t i o n vgl. Popper: L o g i k S. 7. 77 Vgl. Radbruch: Referat S. 355. 78 Vgl. Foltin: S. 123. 79 Engisch: Konkretisierung S. 274 f. 80 Zippelius: Staatslehre 1. Aufl. S. 6, 3. Aufl. S. 9. 81 Zippelius: Staatslehre 3. A u f l . S. 10 weist neuerdings ausdrücklich darauf hin, daß sich Typen graduell oder qualitativ abwandeln ließen, daß m a n „geradezu m i t ihnen »experimentieren'" könne, indem m a n jeweils die variierten Merkmale auf ihre Erheblichkeit prüfe.

13*

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logischem Blickwinkel geprüft und eingeschmolzen i n die kriminologische Typologie (Gruhle, Aschaffenburg). Dann folgte die Frage, ob „der" Überzeugungsverbrecher eine Sonderbehandlung i m Strafvollzug verdiene (Bülow). Nach dem 2. Weltkrieg wandte man sich dem Problem zu, ob „der" Überzeugungsverbrecher Bedeutung für die Strafrechtsdogmatik habe. Durch Weitertasten von Gebiet zu Gebiet wurden jeweils neue Merkmalseinheiten des Überzeugungsverbrechers gebildet, die i n der Zusammenschau nun ihrerseits einen Merkmalskomplex ergeben, einen „Typen-Typusdessen Komponenten nicht wie gemeinhin bei Typen Einzelzüge, sondern bereits Merkmalseinheiten darstellen. Diese Einheit eines aus Einzeltypen strukturierten Gesamttypus läßt sich mit der Beschreibung eines mathematischen Mengendiagramms veranschaulichen: Drei Kreise, die Mengen, entsprechen den von jeweiligen Leitgedanken beherrschten Einzeltypen. Die vereinigte Menge stellt den TypenTypus dar. Die Schnittmenge gibt das gemeinsame Merkmal der Mengen wieder. Das allen Typen, dem Einzel- wie dem Typen-Typus gemeinsame Merkmal ist die vielfältig variierte „Urfrage": Wie ist dem jeweiligen Zusammenhang der Umstand zuzuordnen, daß ein Mensch aufgrund seiner religiösen, politischen, sittlichen, sozialen, künstlerischen, wissenschaftlichen . . . Überzeugung, Wertordnung, Weltanschauung, Ideologie, Gesinnung . . . sich dazu verpflichtet fühlt, dazu getrieben wird, i m Gewissen gezwungen weiß . . . , eine Straftat zu begehen? Diese Frage muß hier notwendigerweise i n Form von Begriffsreihen formuliert werden, da Oberbegriffe jeweils noch nicht zur Verfügung stehen. I n der Praxis vollzog sich die Entwicklung des Typen-Typus durch ein „stumbling forward" 8 2 von Einzeltypus zu Einzeltypus. I m Hinblick auf das gemeinsame Merkmal ließe sich abkürzend, unscharf und als Orientierungshinweis allenfalls vom K o n f l i k t zweier mit Verpflichtungskraft auftretender, aber sich widersprechender Sollenssätze sprechen oder davon, daß der Täter sich gegen die Rechtsordnung stellt, weil er sich gegenüber einer als höherrangig empfundenen Ordnung gebunden weiß. Wie jeder Typus w i r d auch der Typen-Typus des Überzeugungsverbrechers durch einen Leitgedanken ausgerichtet: Er besteht darin, daß ein Querschnitt, der alle Aspekte der „Urfrage" 82 Vgl. Radbruch: Geist S. 9: Maitland habe von „ s t u m b l i n g f o r w a r d i n our empirical fashion, blundering into wisdom" gesprochen. Vgl. auch Zippelius : Wesen S. 114 zur Methode des Vorantastens. A. Seiffert: S. 6 nennt das T y pisieren selbst „ein approximatives, tastendes Verfahren".

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umfaßt, gelegt wird, um die gesamttypisch-horizontalen Zusammenhänge zwischen den einzeltypisch-vertikalen Erkenntnissen aufzudekken, die Ergebnisse der Einzelanalysen miteinander zu vergleichen und aufeinander abzustimmen, damit man dem konkreten Menschen, der zum Überzeugungstäter wird, voll gerecht werden kann. Der Typen-Typus ist jedoch kein statisches Typen-Gefüge. Der Strukturzusammenhang verändert sich, wenn ein Einzeltypus neuoder umgebildet wird. Als Beispiel möge die auffällige Tatsache dienen, daß ein strafrechtsdogmatischer Typus des Überzeugungsverbrechers erst ins Gespräch kam, als der normative Schuldgedanke i m Strafrecht allgemeine Zustimmung gefunden hatte. Wenn heute vielfach davon die Rede ist, „den" Überzeugungsverbrecher gebe es nicht, so ist dies zumeist auf den dogmatischen Einzeltypus des Überzeugungstäters zu beziehen 83 , während früher der kriminalpsychologische, der kriminalpolitische oder der sozialethische Typus i n Frage gestellt worden war. Was bedeutet dieser grundsätzliche Einwand, ein bestimmter Einzeltypus des Typen-Typus Überzeugungsverbrecher existiere nicht? Selbst wenn ein Einzeltypus „wegfallen" sollte, würde damit der TypenTypus nicht aufgehoben, sondern seine Konturen, sein Inhalt änderte sich. Sollte sich z.B. herausstellen, daß der Überzeugungs Verbrecher für die Strafrechtsdogmatik irrelevant ist, so wäre damit die Frage nach dem kriminalpolitischen Typus und den anderen Typen nicht beantwortet worden. Es wäre ζ. B. denkbar, daß eine Merkmalseinheit i m Bereich von Rechtswidrigkeit oder Schuld nicht zu realisieren ist, sondern daß das Motiv der Überzeugung unter je neuen Gesichtspunkten zu sehen und von daher verschieden zu bewerten wäre, so daß ein Typus des Überzeugungsverbrechers auf strafrechtlichem Gebiet mehr Verwirrung als Nutzen schaffen würde, ebenso wie es bei Typenbildungen ζ. B. des „Nacht-Täters" oder des „Öffentlich-Täters" der Fall wäre. Diese Überlegung verweist auf die Frage: Wann kann eine Typenbildung als sinnvoll angesehen werden? b) Die Fruchtbarkeit einer Typenbildung

Bereits Exner hat nachdrücklich darauf hingewiesen, daß, je nach den Ausgangspunkten „eine Mehrzahl, eine fast beliebig vermehrbare 83 So ζ. B. laut Diskussionsbericht FriedrichsS. 731 die Strafrechtslehrertagung: „Allgemein herrschte die Ansicht vor, daß ein einheitlich zu bewertender T y p des Überzeugungstäters nicht existiere". — Heinitz: S. 619 ff. hatte demgegenüber den kriminalpsychologischen Sondertypus, den strafrechtsdogmatischen u n d kriminalpolitischen Typus i m Auge.

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Reihe von Einteilungen" gebildet werden könne, „von denen jede einzelne logisch einwandfrei ist, mag sie auch nicht immer fruchtbar und verwertbar sein" 8 4 . Zippelius hat versucht, Postulate für die Fruchtbarkeit eines — bei i h m allerdings nur empirischen — Typus aufzustellen 85 : (1) Ein zu stark vereinfachender Typus müsse differenziert

werden.

(2) Andererseits müsse aus denkökonomischen Gründen Wert möglichste Einfachheit der Typisierung gelegt werden. (3) Durch Auswechslung oder graduelle Modifikation von merkmalen sei die Praktikabilität des Typus zu erhöhen.

auf

Typen-

Die Schwierigkeit eines Typen-Typus liegt nun darin, eine Balance zwischen den ersten beiden Postulaten zu finden. Hier bietet sich der folgende Weg an: Zwar ist es grundsätzlich erlaubt, zur Ausfüllung des Einzeltypus Untergruppen zu bilden, z. B. durch Modifizierung des dogmatischen Typus des Überzeugungsverbrechers durch den Typus des Gewissenstäters, aber die Ausspielung eines Unter-Typus gegen den Gesamttypus erscheint erst dann fruchtbar, d.h. erkenntnisfördernd, wenn feststeht, daß die ursprüngliche Fragestellung ohne A n t wort bleibt. Dies ist dann gegeben, wenn eine einheitliche A n t w o r t ausbleibt. Für das vorliegende Problem hieße das, daß z. B. zu prüfen ist, welche straf rechtsdogmatischen Folgen die Lehre vom Überzeugungstäter hat, da zunächst von der Frage auszugehen ist, ob der vielfach diskutierte Typus des Überzeugungsverbrechers nicht auch strafrechtsdogmatisch fruchtbar ist. Gelangt man hier zu keinen klaren Ergebnissen, so ist ein anderer Gesichtspunkt „auszuprobieren", kommt man aber zu einheitlichen Resultaten, so kann man anschließend Untergruppen bilden, u m Einzelprobleme schärfer herausarbeiten zu können. Zunächst ist also die Arbeitshypothese zeugungsverbrechers durchzuhalten.

des Typen-Typus

des Über-

Die Fruchtbarkeit eines Typus wird daher durch seine Eignung bestimmt, anhand signifikanter Merkmale im Hinblick auf ein bestimmtes Erkenntnisinteresse eine Regelhaftigkeit konstatieren zu können 86. Diese Regelhaftigkeit kann deskriptiv eine Erfahrungsregel, eine Wahrscheinlichkeitserwartung beinhalten oder normativ auf einen 84 85

107.

Exner: S. 205. Zippelius: Engisch-Festschrift S. 240f.; vgl. auch Göppinger:

S. 100f.,

86 Vgl. Brecht: S. 129: „Solche Typisierung kann aber wissenschaftlich sinnvoll n u r dann sein, w e n n sie sich auf eine Hypothese gründet, nach der die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Typen für die Lösung eines wissenschaftlichen Problems relevant ist."

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Wertungsmaßstab zielen 87 . Wegen der logischen Unmöglichkeit der Ableitung von Sollenssätzen aus Seinssätzen sind beide Regeln auseinanderzuhalten. Was aber sind für die Typenbildung signifikante Merkmale? Hier greift dem Sinn nach das 3. Postulat ein: Die Anknüpfungsbegriffe für die Einzeltypenbildung sind auszuwechseln, zu modifizieren, um den Begriff herauszuexperimentieren, der dem jeweiligen Leitgedanken des Typus am prägnantesten entspricht.

I X . Abschließende Thesen 10—15 These 10 Überzeugungstäter und Gemeinverbrecher unterscheiden sich k r i m i nalpsychologisch i m Hinblick auf Hemmung und Antrieb: Der Gemeinverbrecher überwindet die Hemmung vor der Begehung einer i m Sinne der Rechtsordnung Unrechten Tat; der Überzeugungstäter überwindet die Hemmung vor der Begehung einer i m Sinne seiner Wertordnung rechten Tat, die aber i m Gegensatz zur Rechtsordnung steht. Der Überzeugungstäter handelt aus dem Antrieb, zu der unter Strafe gestellten Tat aufgrund seiner Überzeugung verpflichtet zu sein; der Gemeinverbrecher handelt aus den mannigfachsten anderen Motiven. These 11 Überzeugungstäter und Gemeinverbrecher unterscheiden sich normativ: Der Gemeinverbrecher leugnet die Bestimmungsfunktion, nicht aber die Bewertungsfunktion einer Strafrechtsnorm; der Überzeugungstäter widerspricht sowohl der Bestimmungs- wie der Bewertungsfunktion der Strafrechtsnorm, indem er eine Erlaubnisnorm für sein Verhalten i n Anspruch nimmt. These 12 Die Bemühungen u m die Eliminierung politischer Straftäter aus dem Typus des Überzeugungstäters bleiben unbefriedigend: Welzels Lehre vom Gewissenstäter klammert, vom Ansatz her i n konsequent, den politischen Täter aus. Peters argumentiert zu eng von einer religiös motivierten Gruppe von Ersatzdienstverweigerern her und gelangt praktisch zum bloßen Gewissensunterlassungstäter. Der Sax'sche Typus des Ideologie-Täters bleibt widersprüchlich und unfruchtbar. Selbst Nationalsozialisten oder totalitäre Täter lassen sich nicht per typologiam aus der Erörterung der Problematik des Über87

Zippelius:

Engisch-Festschrift S. 239, 237.

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zeugungstäters ausschließen, da ihre Verbrechen der Struktur Überzeugungstat entsprechen können.

der

These 13 Offene, jederzeit nachvollziehbare typologische Eingrenzungen nach dem methodischen Vorbild des § 48 a E 1962/SA 1964 sind versteckten, i n den Typus hineinverlagerten Bewertungen vorzuziehen, u m die Diskussion über das pro et contra einer Zuordnung zum Typus zu erleichtern. These 14 Von je eigenen Leitgedanken gesteuert, lassen sich verschiedene Einzeltypen des Überzeugungstäters ausmachen: Ein kriminalpsychologischer Sondertypus, ein kriminologischer, ein strafrechtsdogmatischer Typus des Überzeugungstäters, ein „Strafzumessungs-" und „Strafvollzugs-Typus", ein „Tatbestands-" und „Rechtsfolgentypus". These 15 „Der" Überzeugungstäter ergibt sich erst i n der Zusammenschau als Einheit eines aus Einzeltypen flexibel strukturierten Typen-Typus, der von dem Leitgedanken bestimmt wird, dem konkreten Menschen, der zum Überzeugungstäter wird, v o l l gerecht zu werden, indem die gesamttypisch-horizontalen Zusammenhänge zwischen den einzeltypisch-vertikalen Erkenntnissen aufgedeckt, die Ergebnisse der Einzelanalysen miteinander verglichen und aufeinander abgestimmt werden.

··

D. Die Rechts f i g u r des Überzeugungstäters als Problem der adäquaten Begriffsbildung Es blieb bisher offen, ob denn die Arbeitshypothese, zunächst den Typen-Typus des Überzeugungsverbrechers „durchzuhalten", nicht dadurch i n Frage gestellt wird, daß bisher gar nicht feststeht, was denn „Überzeugung" meint. Könnte es nicht vielleicht sinnvoller sein, für den Typen-Typus einen anderen Anknüpfungsbegriff als den der Überzeugung zugrunde zu legen — warum nicht den des Gewissens? Zwar wurde der „Gewissenstäter" bisher nur als straf rechtsdogmatischer und kriminalpolitischer Einzeltypus gesehen, aber warum sollte es ausgeschlossen sein, statt wie bisher vom Typen-Typus des „Überzeugungs"-Verbrechers vom Typen-Typus des „Gewissens"-Täters zu sprechen, falls der Anknüpfungsbegriff des Gewissens die „Urfrage" präziser zu fassen vermag? Selbst wenn die „Konkurrenz" zwischen Überzeugungstäter- und Gewissenstäterbegriff nicht bestände, müßte zunächst ausgeführt werden, was nunmehr unter dem „ Ü b e r z e u g u n g s t ä t e r verstanden werden soll; die Aufgabe der Begriffsexplikation w i r d durch die Gegenüberstellung von „Überzeugung" und „Gewissen" u m so reizvoller. Welches ist der — bezogen auf den ermittelten Typen-Typus — adäquate Begriff?

I. Der Meinungsstand 1. Der Anknüpfungsbegriff der Uberzeugung Der von Radbruch für seinen Typus gewählte Anknüpfungsbegriff der Überzeugung stieß alsbald wegen seiner Mehrdeutigkeit auf K r i t i k . Erik Wolf hob hervor, die Überzeugung basiere nicht, wie Radbruch behauptet habe, auf der Überlegung, sondern gründe i n einem Gewißheitsgefühl. Dieses beschränke sich aber nicht notwendig auf vernunftgemäß Einleuchtendes oder auf Zweckvorstellungen, wie der neuzeitlich-rationalistische Überzeugungsbegriff nahelege. Viele religiöse und politische Überzeugungen kämen so zustande, daß sich deren Anhänger auf eine jenseits aller Vernunft liegende Offenbarung beriefen 1 . 1

Wolf: ZStW 46 (1925) S. 212 ff., Verbrechen S. 10 f.

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Oetker setzte sich seinerseits kritisch m i t Wolfs Analyse der Überzeugung auseinander. Er ging davon aus, daß Überzeugung ein Produkt des Nachdenkens sei, wobei suggestive Einflüsse durchaus mitbestimmend gewesen sein mögen. U m von einer „Überzeugung" sprechen zu können, müßten vorliegen: eine Rechenschaftsablegung über den Wert des Erstrebten sowie dessen Abwägung m i t den Anforderungen des positiven Rechts und der Ethik. Damit fielen aus dem Erscheinungsbild der Überzeugung heraus: der flüchtige Einfall und bloßes unkontrolliertes Meinen aufgrund ungeklärter ethischer Vorstellungen, — eine i n sich unüberlegte instinktgebundene Reaktion, — ein der Begründung unzugängliches Verhalten. Daß auch überrationale Erleuchtung eine Überzeugung begründen könne, bestritt Oetker nicht, unterschied aber zwischen Zwangsvorstellungen, die die Zurechnungsfähigkeit ausschließen, falls die Wucht der inneren Stimme Gegenmotive ausschalte, und dem anderen Fall, daß der Täter zum Vergleich des geoffenbarten Gebotes m i t den Anforderungen der Rechtsordnung i n der Lage war. Erachte der Täter den geoffenbarten Imperativ für höherwertig, so liege eine Überlegung und damit eine Uberzeugung vor 2 . Bereits i n dieser Kontroverse zwischen Erik Wolf und Oetker w i r d der die Diskussion um den Überzeugungsbegriff zunächst beherrschende Gegensatz zwischen der intellektualistischen und der emotionalistischen Interpretation offenkundig 3 . Die Grenzen beider Versionen des Überzeugungsbegriffs lassen sich wie folgt abstecken: Legt man das Hauptgewicht auf das Gewißheitsgefühl, so w i r d die Abgrenzung zu pathologischen Formen, zum Wahn, zum Fanatismus, zum Querulantentum, schwieriger als für den intellektualistischen Begriff 4 ; auch die vielfach erörterte Frage, ob Mitläu2

Oetker: S. 478 ff. Einen intellektualistischen Überzeugungsbegriff vertreten: Staff : ÖRiZ 1926 S. 114; Buerschaper: S. 73; Lipmann: S. 27; Budzinski: S. 15 f.; LangHinrichsen: J Z 1966 S. 156, 157 A n m . 24 i m Anschluß an Radbruchs intellektualistische Version der Überzeugung. Einen emotionalistischen Uberzeugungsbegriff vertreten: Nagler: S. 52ff.; Höpler: S. 74; Räuber: S. 449; Morasch: S. 9; Schneider: S. 17 f.; vgl. Heinitz: S. 621, der davor w a r n t , n u r einen bestimmten „ T y p der Überzeugungsbildung", nämlich denjenigen „des eigentlichen Intellektuellen", zu erfassen: „Viele Menschen bilden sich aber ihre Überzeugung nicht i m ,Ringen u m Einsicht', i n der Auseinandersetzung m i t den verschiedenen Möglichkeiten u n d der Abwägung, welches die richtige ist, sondern mehr gefühlsmäßig, oft traditional k r a f t Erziehung u n d H e r k u n f t sowie namentlich auch unter dem Einfluß der Massenmedien, ohne daß die Überzeugung weniger fest begründet zu sein b r a u c h t . . . " 4 Vgl. einerseits Nagler: S. 57 f., andererseits Oetker: S. 480f.: der Fanatiker als von einer Idee Besessener sei der konkreten Abwägung aller U m stände nicht fähig. 3

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fer Überzeugungen hätten, muß man bejahen, wenn man Überzeugung als Gewißheitserlebnis deutet 5 . A u f diese Weise läßt sich das Problem des Überzeugungstäters unschwer ad absurdum führen, indem man es m i t Abgrenzungsschwierigkeiten belastet oder — gewollt oder ungew o l l t — die rechtswissenschaftliche Gesamtproblematik zu einer psychiatrischen Frage umpolt. Verlangt man andererseits, daß eine Überzeugung „stets selbständiges, eigenes Denken" 6 voraussetze und daß ein Täter nur dann eine Überzeugung habe, wenn er „selbstverleugnend den Einsatz der ganzen Persönlichkeit auf sich n i m m t " 7 , so w i r d offensichtlich: Je höher die Anforderungen an das Vorliegen einer Überzeugung geschraubt werden, desto eher verflüchtigt sich das Problem des Überzeugungstäters zum idealen Ausnahmefall, der die Niederungen des Strafrechts gar nicht tangieren kann, sondern nur i n historischen Relationen und allenfalls mit Zitaten aus Sophokles' Antigone oder Schillers Teil erahnbar wird. Sowohl durch extensive wie durch restriktive Auslegung des von Radbruch gewählten Ausdrucks „Überzeugung" schien sich demnach das Problem des Überzeugungstäters weitgehend zum Verschwinden bringen zu lassen. A n dieser Entwicklung war Radbruch nicht unschuldig, da er selbst zunächst zwar der intellektualistischen Version des Überzeugungsbegriffs das Wort redete, schließlich aber auch dem Querulanten eine Überzeugung zubilligte 8 . So konnte es zu dem Widerspruch kommen, daß einerseits Landsberg Radbruch kritisierte, weil dessen einengender Begriff der Überzeugung „herzlich wenig Anwendung" 9 zulasse und daß andererseits Welzel Radbruch vorwarf, eine Überzeugung habe „auch der Fanatiker, der aus blindem Gehorsam heraus einen i h m gegebenen Befehl" befolge, „ohne je einen Gewissenskampf u m die Richtigkeit seiner Entscheidung durchgestanden zu haben" 1 0 . Eine weitere Schwierigkeit bestand darin, daß Radbruch das Überzeugungsverbrechen durch psychologische Merkmale gekennzeichnet wissen wollte, um dem Richter die Feststellung darüber, ob eine Überzeugung vorliege, zu erleichtern 11 . 5

Vgl. Höpler: S. 71, der von einer „Menge der Irregeleiteten" spricht. Staff: ÖRiZ 1926 S. 114. 7 Nagler: S. 54. Naglers Begriff der Überzeugung bleibt zwiespältig, da er i h n einmal als Gewißheitserlebnis sehr w e i t faßt, die ausschlaggebende Überzeugung aber durch die Gewissensbindung wieder stark einschränkt. Dasselbe gilt f ü r Budzinski: S. 15 einerseits, S. 17 andererseits. 8 Radbruch: Referat S. 358, 360, 363 einerseits, S. 373 andererseits: „Überzeugungsverbrecher ist auch der geistig minderwertige Querulant." 9 Prot, der 41. Sitzung v. 15.12.1927 des 32. Ausschusses des Reichstages i n der I I I . Wahlperiode S. 3. 10 Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61. 11 Radbruch: Referat S. 363, Leitsatz 4 S. 352. 6

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2. D e r Anknüpfungsbegriff des Gewissens a) Die Umschreibung der Überzeugung mittels des Gewissens

Ein Ausweg aus dem Dilemma der psychologischen Umschreibungen dessen, was als Überzeugung i n Betracht komme, bot sich an, als man versuchte, durch inhaltliche Kriterien zu bestimmen, wann eine Überzeugung vorliege. Rittler kommt das Verdienst zu 1 2 , die Formulierung, daß Überzeugungsverbrecher derjenige sei, der sich zu der Tat aufgrund seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung für verpflichtet hielt, genauer zu analysieren, um auf diese Weise einen neuen A n knüpfungspunkt für die Begriffsbestimmung zu finden. Rittler wies zunächst darauf hin, daß die politische Überzeugung nicht m i t der sittlichen und religiösen Überzeugung auf eine Ebene gestellt werden dürfe, weil es sich bei Religion und Sittlichkeit u m zwei Verpflichtungsmächte handele, auf die sich der Täter gegenüber einer dritten Verpflichtungsmacht, der des Rechts, berufe. Bei der „politischen Überzeugung" handele es sich demgegenüber i n Wirklichkeit um eine sittlich oder religiös fundierte Überzeugung, die sich auf einen Gegenstand neben vielen anderen wie Beruf, Nation, Wissenschaft, Kunst beziehe, nämlich auf die politische Gestaltung des Gemeinwesens. Rittler hielt die Radbruchsche Trias für verfehlt und suchte statt dessen nach einem Oberbegriff. Radbruch und Wolf hatten den Ausdruck „sittliche Überzeugung" bereits für den umgreifenden Begriff gehalten 13 , aber Rittler schlug vor, zum Überzeugungsverbrecher denjenigen zu erklären, „der sich zu der Tat in seinem Gewissen für verpflichtet hielt" 1 4 . Damit hat Rittler sittliche und religiöse Überzeugung zwar unter dem Begriff des Gewissens vereinigt, aber die Radbruchsche Intention doch insofern verändert, als nicht mehr von sachlichen Substraten, vom Kampf der Ideen 1 5 oder vom Überzeugungsverbrecher als dem „Andersdenkenden" 16 die Rede ist, sondern von demjenigen, der „einem Appell an sein sittliches Bewußtsein gehorcht h a t " 1 7 . Von diesem Ansatz aus gelangte Rittler zu einem anders gestalteten Täterkreis: Wer eine Tat beging, weil er sie „als notwendig oder zweckmäßig betrachtete für die politische, nationale, soziale, berufliche Sache, die er vertritt, ohne sich aber ihre Verwerflichkeit wie vom Standpunkt des Rechtes, so auch vom Standpunkt des Sittengesetzes aus zu ver12 13 14 15 16 17

Rittler: S. Radbruch: Rittler: S. Radbruch: Radbruch: Rittler: S.

74 f. Referat S. 365; Wolf : ZStW 46 (1925) S. 213. 75 (Hervorhebung bei Rittler). Referat S. 357, 361. Referat S. 360. 75 (Hervorhebung bei Rittler).

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hehlen", wer die Tat nicht „unter dem Zwang seines Gewissens" beging, „wer nicht zu bekennen vermag: ,Hier stehe ich und kann nicht anders'" 18 , sei kein Überzeugungsverbrecher. Die Konjunkturritter, die Mitläufer einer Bewegung, aber auch die brutalen Gewaltmenschen, die gegen die warnende Stimme i n ihrem Inneren handelten, hätten keinen Anspruch darauf, als Überzeugungsverbrecher bewertet zu werden 1 9 . Der Unterschied zu einer rein sachlichen Auffassung von der Überzeugung w i r d i n einer Frage akzentuiert, die sich Rittler selbst stellte: „Könnte man nicht den als Überzeugungsverbrecher erklären, der das Recht bricht i m Dienste einer religiösen, sittlichen, nationalen, sozialen, politischen, wissenschaftlichen, künstlerischen Idee, kürzer ausgedrückt i m Dienste einer überpersönlichen Sache? Hier würde der äußere Zweck der Handlung entscheiden, die Gewissensfrage würde nicht gestellt 2 0 ." Ausgehend von den „politischen Verbrechen" des französischen Rechts und der „politisch-sozialen Verbrechen" des Ferrischen Entwurfes erstreckt sich die Entwicklung über die Taten „aus sittlicher, religiöser und politischer Überzeugung" bei Radbruch nunmehr auf Taten, zu deren Begehung der Täter sich „ i n seinem Gewissen für verpflichtet hielt" — eine auf den ersten Blick von zunehmender Subjektivierung gekennzeichnete Evolutionsreihe. Damit hat Rittler einen Aspekt präzisiert, der i n der Diskussion u m den Überzeugungsverbrecher schon h i n und wieder aufgetaucht war: Bisher hatte man aber Gewissen und Überzeugung unreflektiert nebeneinander verwandt 2 1 . Während Rittler, Winterstein, Foltin und der Beschluß des 7. Deutschen Juristentages i n der Tschechoslowakei den Überzeugungsverbrecher unter Bezugnahme auf das Gewissen bestimmten 2 2 , stellten Welzel, Peters u. a. die Überzeugung i n Antithese zum Gewissen. 18 Rittler: S. 75; abweichend Foltin: S. 113: Das Bewußtsein sittlicher V e r pflichtung genüge. „Nicht n u r Heilige u n d tragische Helden sind als Überzeugungsverbrecher anzusprechen." 19 Rittler: S. 75. Zustimmend Foltin: S. 113 f.; Winterstein: S. 104. 20 Rittler: S. 85; vgl. Radbruch: Referat S. 364; Rittler zustimmend, Foltin: S. 113. 21 Schon bei Radbruch w i r d der Gewissensbegriff zur Beschreibung der Überzeugung verwandt: vgl. z.B. Referat S. 358, Rechtsphilosophie S. 182f. — Vgl. weiter: Nagler: S. 54; Budzinski: S. 17; Wolf: Verbrechen S. 6; Krille i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 50: Die Uberzeugung des Täters von der Richtigkeit seines Handelns beruhe auf einem Gewissensentscheid. 22 Rittler: S. 74f.; Winterstein: S. 100 f.; Foltin: S. 113 f.; Verh. des 7. D J T i n der Tschechoslowakei S. 144 Leitsatz 1 des Beschlusses: „ A l s Überzeugungsverbrecher ist derjenige anzusehen, der sich zu seiner Tat i n seinem Gewissen f ü r verpflichtet hielt." S. ο. Β . I. 6.

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b) Die Entgegensetzung von Überzeugung und Gewissen

Ebenso wie Welzel, der i n der mangelnden Trennung zwischen Überzeugungs- und Gewissenstäter „das Grundgebrechen" der Radbruchschen Lehre sieht 2 3 , hält auch Peters „die mangelnde Differenzierung zwischen Gewissen und Überzeugung" 2 4 für den Grund, daß eine sachgemäße Lösung der Problematik bis jetzt nicht gefunden worden sei. Welzel meint, eine Überzeugung könne „jeden Einfall, jede Marotte, jeden phantastischen Gedanken umfassen", während eine Gewissensentscheidung nur „den i m Ringen um Einsicht i n das sittlich Richtige mit letztem Ernst gefaßten Entschluß" umgreife 2 5 . Peters unterscheidet Überzeugung und Gewissen danach, ob es bei der Entscheidung des Täters u m eine Frage von „richtig oder unrichtig, zweckmäßig oder unzweckmäßig" oder „ u m ,Gut' oder ,Böse'" gehe 26 . Politische oder soziale Meinungen seien die Angelegenheit bloßer Überzeugung und forderten keine gewissensmäßige Stellungnahme, sondern könnten jederzeit zurückgestellt, neu durchdacht und umgebildet werden 2 7 . — Demgegenüber definiert Peters die Gewissensentscheidung dahin, daß sie „eine aus dem Wesen des Persönlichkeitskerns getroffene Entscheidung" sei, „die i n der Verpflichtung vor der höchsten anerkannten Instanz (beim glaubenden Menschen: Gott) nach sorgfältigem Abwägen gefunden" worden sei 28 . Großen Wert legt Peters auf die Feststellung, daß die Gewissensentscheidung „aus einer objektiven Wertordnung" 2 0 erwachse und nicht „ w i l l k ü r l i c h nach rein persönlichen Maßstäben" getroffen werde 3 0 . Hofmann bezieht die Überzeugung auf die den einzelnen Wertbereichen des menschlichen Zusammenlebens zukommende „Sachgesetzlichkeit"; sie erschöpfe sich i n sachlichen Wertentscheidungen 31 . — Bei einer Gewissensentscheidung stehe die „dem Sittlichen eigene letzte Personbindung" auf dem Spiel, „die über Verwirklichung oder Verfehlung der persönlichen Daseinserfüllung, über die innere, wesentliche persönliche Integrität" entscheide 32 . I m Gewissen erfahre der Mensch 23

Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61. Peters: Mayer-Festschrift S. 257. 25 Welzel: Gesetz S. 395. 26 Peters: Mayer-Festschrift S. 272; ebenso Greffenius: S. 63 ff. 27 Peters: Mayer-Festschrift S. 273, 279. 28 Peters: J Z 1966 S. 460. 29 Peters: Mayer-Festschrift S. 269, vgl. S. 270 ff. 30 Peters: Mayer-Festschrift S. 270. 31 Hof mann: S. 36; vgl. Peters: Mayer-Festschrift S. 272: Bei Entscheidungen über Richtigkeit u n d Zweckmäßigkeit handele es sich u m Entscheidungen „ r e i n sachlicher A r t " . 32 Hof mann: S. 34; vgl. Peters: Mayer-Festschrift S. 270, der von „Substanzverlust der Persönlichkeit" spricht; ebenso Greffenius: S. 67. 24

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i n der Tiefe seines Gemütes (seiner Person, seines Ichs) die sittliche Qualität und damit die absolute Verbindlichkeit einer konkreten persönlichen Entscheidung oder Handlung durch Erleben ihrer sein ganzes Personsein, seine persönliche Selbstverwirklichung betreffende Bedeutung. Dabei seien Denken, Wollen und Fühlen noch nicht auseinandergegliedert 33 . Nach den hier vorgetragenen Meinungen kommt bei einer Überzeugung lediglich eine mittelbar sittliche Sachverantwortung, nie aber — wie bei einer Gewissensentscheidung — eine unmittelbar sittliche Selbstverantwortung i n Betracht. Daß eine Überzeugung zur Grundlage einer Gewissensentscheidung werden könne, w i r d jedoch allgemein anerkannt 3 4 . Wurde demnach der Akzent von Welzel, Peters und Hofmann nurmehr von der an Sach- und Wertbereiche geknüpften Pflichtüberzeugung auf das an das Subjekt gebundene sittliche Bewußtsein verlagert, wie es bei Rittler und Foltin zu beobachten war? Der sachliche Unterschied zwischen beiden Auffassungen über die gewissensbedingte Überzeugung besteht jedoch darin, daß Welzel, Peters und Hof mann das Gewissen an eine objektive sittliche Ordnung binden 3 5 , während z.B. Foltin ausdrücklich betont, daß die subjektive Wertordnung maßgebend sei, so daß es nicht darauf ankomme, ob der Täter vom Standpunkt einer objektiven Sittlichkeitsordnung verpflichtet war, das Recht zu brechen. Auch der Einzelgänger, der m i t seiner sittlichen oder religiösen Überzeugung allein dastehe, könne zum Überzeugungsverbrecher werden 3 6 . Damit stellen sich zwei wesentliche Fragen: (1) Ist eine Gewissensentscheidung unabhängig von einer hinter ihr stehenden intersubjektiven Ordnung möglich? (2) Gibt es einen Maßstab zur Beurteilung einer Gewissensentscheidung, oder ist jede Gewissensentscheidung — gleich welchen I n halts — beachtlich? Der sich hier auf tuende Gegensatz zwischen einem objektivierten und einem subjektivierten Gewissensverständnis stellt i n anderem Gewände die Wiederholung einer Kontroverse dar, die bereits durch Radbruchs Überzeugungsbegriff ausgelöst worden war und zu den verschiedenen legislatorischen Versuchen geführt hatte, nur die achtenswerte Überzeugungstat m i t einer besonderen Straf art zu belegen. Inso88

Hofmann: S. 30. Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61 f.; Peters: MayerFestschrift S. 272 f.; Greffenius: S. 66. 85 Welzel: Gesetz S. 393 ff., Strafrecht S. 177; Peters: Mayer-Festschrift S. 269 ff.; Hof mann: S. 32 f. 88 Foltin: S. 113 f. 34

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fern stellt der Anknüpfungsbegriff eines objektiv gebundenen Gewissens keine Erleichterung dar, sondern fügt der Überzeugungsproblematik noch das Problem des „irrenden Gewissens" hinzu. Handelt es sich bei dem Streit u m den adäquaten Anknüpfungsbegriff demnach lediglich u m ein terminologisches Scheinproblem? Ist es sinnvoll, einen unklaren Begriff durch einen anderen zu ersetzen, der schon vor hundert Jahren als wissenschaftlich unbrauchbar bezeichnet worden ist 8 7 ? Woher leitet sich die Legitimation ab, die Pflichtüberzeugung durch die Gewissensentscheidung zu ersetzen? Woher stammt der Maßstab für die Umgrenzung des i n Frage stehenden Täterkreises? Die i n der Diskussion offen gebliebenen Fragen erzwingen auch hier eine methodologische Besinnung darüber, wie bei der Begriffsbildung sinnvollerweise zu verfahren ist.

I I . Methodologische Erwägungen zur adäquaten Begriffsbildung Die Erwägungen der Literatur zum Begriff der Überzeugung und des Gewissens verdeutlichen exemplarisch eine wissenschaftliche Versuchung: die der „Begriffszauberei". Ähnlich dem Varietékûnstler, der zum Erstaunen des Publikums Kaninchen aus dem „leeren" Zylinder zum Vorschein bringt, ist der Wissenschaftler versucht, all die Einschränkungen unbemerkt i n den Begriff hineinzulegen, die dann als Resultat der Problemlösung mit Zwangsläufigkeit wieder hervorgeholt werden. Das historische Beispiel dieser Verfahrensweise ist das Naturrecht 38 . Hält man Einschränkungen oder Erweiterungen des i n Frage stehenden Täterkreises für geboten, so fordert das Postulat der Nachprüfbarkeit wissenschaftlicher Prozesse, daß die jeweiligen Maßstäbe für das pro et contra offengelegt und nicht hinter vieldeutigen Begriffen versteckt werden. 37 Rothe: S. 21 wollte schon 1869 das Wort Gewissen ganz aus der Wissenschaftssprache eliminieren, w e i l es sich hier u m „einen wissenschaftlich u n anwendbaren" Begriff handle u n d w e i l der „Sprachgebrauch . . . hinsichtlich desselben ein so ungeheuer chaotischer u n d vager" sei. Vgl. weiter Stoker: S. 5 ff. 38 Vgl. Welzel: Naturrecht S. 16: „Die Proteusgestalt der menschlichen N a t u r n i m m t unter der H a n d eines jeden naturrechtlichen Denkers die Gestalt an, die er sich wünscht. A l l das, was er für richtig u n d wünschenswert hält, hat er zuvor (stillschweigend) i n seinen ,Naturbegriff v o m M e n schen hineingelegt, ehe er es zur Begründung seiner Überzeugung v o m ,naturgemäß' Richtigen wieder herausholt." — Was Welzel f ü r „ N a t u r " ausführt, gilt gleichermaßen f ü r „Recht", w i e Wolf: Problem S. 125 ff. dargelegt hat: Wolf unterscheidet zehn verschiedene „Rechts"begriffe u n d S. 27 ff. zwölf verschiedene „Natur"-Begriffe.

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Einer weiteren Gefahr gilt es zu wehren: Bei der Verwendung von geisteswissenschaftlichen Begriffen mit der Dignität einer mehrtausendjährigen Geschichte liegt die Versuchung nahe, entweder vor dieser Vergangenheit zu kapitulieren und i n eine willkürliche Festsetzung zu flüchten oder aber Begriffe wie Überzeugung und Gewissen philosophisch klären zu wollen. Es wäre jedoch ein Fehler, der Frage nachzujagen, was denn Gewissen oder Überzeugung ihrem „Wesen" oder ihrer „Natur" nach seien 39 , und zwar aus mehreren Gründen: (1) Rechtliche Begriffsbildungen haben nicht die Aufgabe, den verwendeten Begriff von allen anderen Begriffen abzugrenzen, sondern sie haben der Problemlösung zu dienen 40 . (2) Die Begriffsbildung ist insofern keine erkenntnistheoretische, sondern eine eher technische Frage: Welcher Begriff ist der brauchbarste für das jeweils zu behandelnde Problem 41 ? (3) Für außer juristische Begriffe gilt, daß innerhalb der sprachlich in Frage kommenden Begrenzungen der für die rechtliche Problemlösung fruchtbarste Aspekt zu wählen ist 4 2 . Die Richtigkeit dieser Prämissen läßt sich unmittelbar aus dem Zusammenhang der hier zur Diskussion stehenden Begriffe aufzeigen: (1) Die typologische Betrachtung hat ergeben, daß „der" Typus des Überzeugungstäters ein aus mehreren Einzeltypen zusammengesetzter Typen-Typus ist. Jeder Einzeltypus steht aber unter einem speziellen Leitgedanken, dem sich der jeweils benutzte Begriff „anzupassen" hat. Der Anknüpfungsbegriff ist daher auf den jeweiligen Leitgedanken des Typus hin zu bilden und von ihm her zu beurteilen. Daraus ergeben sich zwei Folgerungen: (a) Es ist nicht auszuschließen, daß den verschiedenen Einzeltypen eine jeweils eigene Variante des dem Typen-Typus zukommenden Anknüpfungsbegriffs entspricht. 39

Ob derartige Was-ist-Fragen nicht auch philosophische Kardinalfehler sind, w i e Wittgenstein behauptet, k a n n hier dahinstehen, vgl. zum Zusammenhang Stegmüller: S. 579 ff. u n d zur Alternative, die Wittgenstein bietet, das Beispiel S. 47 ff. (§§ 65 ff.). 40 Vgl. Noll: Gesetzgebungstechnik S. 44: I m Recht seien keine Realdefinitionen, sondern Problemlösungsdefinitionen am Platze. 41 Vgl. Kantorowicz: Rechtswissenschaft S. 84; Begriff S. 22 ff. zum begrifflichen Pragmatismus i m Gegensatz zum verbalen Realismus. 42 Vgl. Radbruch: Rechtsphilosophie S. 2191: Die juristische Begriffsbildung sei großenteils „Begriffsarbeit zweiten Grades"; allerdings übernehme die Rechtswissenschaft keinen außerrechtswissenschaftlichen Begriff, ohne i h n teleologisch umzuformen. — Vgl. Schwinge: S. 47 ff.; Hätz: S. 65 ff.; Henkel: Einführung S. 46 ff. zu „Recht u n d Sprache". — Z u r juristischen Begriffsbildung vgl. Larenz: Methodenlehre S. 163 ff., 412 ff.; Zippelius: Wesen S. 3 ff.; Hart: Definition S. 4 ff., 8 ff. zur Rechtssprache, S. 12 ff., Concept S. 13 ff. 14 Gödan

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(b) Der dem Typen-Typus korrelierende Begriff w i r d daher notwendig sehr weit gefaßt sein müssen. (2) Es handelt sich bei der Problematik des Überzeugungstäters nicht u m ein hermeneutisches Problem, wie es dem rechtsanwendenden Juristen, der Gesetzesbegriffe vorfindet und diese interpretiert, vertraut ist, sondern um das Problem der adäquaten Begriffsauswahl. Im Verfahren de lege ferenda w i r d zunächst von einer Zielvorstellung ausgegangen und mögliche Anknüpfungsbegriffe werden daraufhin überprüft, ob sie geeignet sind, das Projekt möglichst exakt zu fassen. Während i m Verfahren de lege lata der Rechtsanwender an einen vorgefundenen Begriff gebunden ist, steht i m Verfahren de lege ferenda ein Begriff — nach der Auswahl aus mehreren i n Betracht kommenden Anknüpfungsbegriffen — erst am Ende der Untersuchung fest. Beginnt man aber — wie dies vielfach i n der Diskussion geschehen ist 4 8 — die Problemerörterung des Überzeugungsverbrechers m i t einer Begriffsanalyse der Überzeugung oder auch des Gewissens oder der Pflicht, ehe die Zielvorstellung herausgearbeitet worden ist, so läuft man Gefahr, die Begriffe so zu fassen, wie man das Gesamtproblem zu sehen wünscht, ohne die die Begriffsfassung leitenden Wertvorstellungen aufzudecken. Für den weiteren Gang der Untersuchung sind aus diesen Feststellungen die folgenden Schlüsse zu ziehen: (1) Zur Verständigung über die allgemein i n Aussicht genommenen Anknüpfungsbegriffe „Uberzeugung" und „Gewissen" sind „Arbeitsbegriffe" zu bilden. Da diese dem Typen-Typus des „Überzeugungstäters" als eines noch offenen und unstrukturierten Typus entsprechen sollen, kommt als Grundlage für die Begriffsbildung lediglich der allgemeine Sprachgebrauch i n Frage. Es sind die „Gebrauchsausdrücke" 44 i m Hinblick auf Überzeugung und Gewissen festzustellen, die auch die später zu eruierenden „Fachausdrücke" solange tragen, wie es sich nicht um formalisierte Zeichen handelt. Innerhalb des allgemeinsprachlichen „Rahmenbegriffs" der Überzeugung bzw. des Gewissens sind spezielle juristische Verwendungsweisen beider Begriffe i n Gesetzen hier nur insofern von Bedeutung, als sie Beispiele für die möglichen einzelnen juristischen Bezugsrahmen und damit für den allgemeinsprachlichen Gesamtrahmen abgeben. 48 Als Beispiel für viele vgl. Bülow: S. 57: „ . . . erscheint es praktisch, das Gesamtproblem i n einzelne grundsätzliche Fragen zu zerlegen . . . G r u n d legende Voraussetzung ist zunächst die Begriffsdefinition(Hervorhebung bei Bülow). 44 Kamiah / Lorenzen: S. 24; vgl. H. Seiffert: S. 123 ff.

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Entsprechendes gilt für die überreichen philosophischen, theologischen, pädagogischen, psychologischen und soziologischen Untersuchungen zu Gewissen und Uberzeugung, da sie jeweils i n ein spezielles System eingefügt sind und insofern — bezogen auf den allgemeinen Sprachgebrauch — nur Teilaspekte wiedergeben 45 . (2) Erst bei der problemorientierten Einzeluntersuchung w i r d sich herausstellen, ob weiterhin spezielle Aspekte von „Gewissen" oder „Überzeugung" der jeweiligen Einzelprüfung zugrunde zu legen sind oder ob möglicherweise auch „Gesinnung" 4 6 oder „Ideologie" 4 7 Begriffe sind, die Einzelgesichtspunkte adäquat wiedergeben.

I I I . Der Gebrauchsausdruck von „Überzeugung" 1. „Uberzeugung" i m allgemeinen Sprachgebrauch Der eine ist davon überzeugt, daß der Geschäftspartner ihn nicht übervorteilen w i r d ; ein anderer, daß i h n seine Frau während seiner Abwesenheit nicht betrogen hat; ein dritter, daß „seine" Fußballmannschaft den Pokal gewinnt; ein vierter, daß die demokratische Staatsform sich i n der Welt durchsetzen wird. — Aufgrund von Erfahrungen und Einstellungen werden Urteile und Prognosen abgegeben, bei denen Hoffnung und Furcht Pate stehen 1 . Niemand aber ist davon „überzeugt", daß die Erde sich u m die Sonne dreht, daß New York i n den USA liegt, daß Blei schwerer als Wasser 45 Vgl. BVerfGE 12, 54f.: Wenn „Gewissen" i m Sinne von A r t . 4 GG u n d § 25 WehrpflG i m Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs zu verstehen sei, bedürfe es „keiner Auseinandersetzung m i t theologischen u n d philosophischen Lehren über Begriff, Wesen, Ursprung des Gewissens; sie überschritte die Kompetenz des Richters u n d wäre auch rechtlich unergiebig, w e i l über viele der hier auftretenden Probleme i n den zuständigen Disziplinen tiefgehende Meinungsverschiedenheiten bestehen". — Witte: S. 158 kritisiert, die Berufung auf den Sprachgebrauch habe dem B V e r f G das M i t t e l geboten, „ u m über die Problematik des Gewissensbegriffs hinwegzugelangen". Der Weg Wittes, „das Gewissen als originär philosophisches u n d theologisches Phänomen" zu erfassen, S. 166, ist jedoch aus methodischen Gründen u n gangbar. 46 Radbruch: Referat S. 368: „ W e n n jemand aus schwer errungener eigener Gesinnung seine Tat begangen hat, ist er Überzeugungs Verbrecher." Der Ausdruck „Gesinnung" spielte bei der Beschreibung des Überzeugungstäters jedoch n u r eine geringe Rolle, da die vielfach abgelehnte Formel des § 20 StGB a. F. von „ehrloser Gesinnung" sprach. — Vgl. die Phänomenologie der „Gesinnung" bei Schmidhäuser: Gesinnungsmerkmale S. 33 ff. 47 Der Ausdruck „Ideologie" w i r d zur näheren Kennzeichnung des Überzeugungstäters etwa verwandt bei Greffenius: S. 63: „Der typische Überzeugungstäter ist ein Ideologietäter." Vgl. Hofmann: S. 38 f. zur Ideologisierung der Überzeugung. 1 Krempel: S. 81. — Z u m folgenden vgl. die Wörterbücher zur deutschen Sprache: Grimm: Bd. 11. Abt. 2 Sp. 679 ff.; Paul/Betz: S. 696f.; Duden: S. 644; Trübner: Bd. 7 S. 213 f.; Kluge: S. 802.

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ist. — Hier werden m i t naturwissenschaftlicher Sicherheit Feststellungen getroffen, die kein „Vernünftiger" (mehr) anzweifelt. Überzeugung geht auf etwas, das für unzweifelhaft gehalten wird, bei dem jedoch das Gegenteil nicht völlig auszuschließen ist, bei dem andere anders denken und verschiedene Ansichten u m Anerkennung ringen. Für die eigene Person hält man zwar an der bestimmten A n sicht fest, für die man gute Gründe anführen kann, aber allgemeingültig beweisen kann man seine Meinung nicht. Von einer Überzeugung ist man „durchdrungen", man t u t etwas aus „innerer" Überzeugung, man ist „zutiefst" von etwas überzeugt. — Die Überzeugung w i r d als integrierter Bestandteil der Person angesehen, sie hat keinen nur partiellen Bezug. Daher „leidet" man für seine Überzeugung, bleibt seiner Überzeugung „treu". Die Überzeugung ist „unerschütterlich", „felsenfest", „über alle Zweifel erhaben". Bei einer Überzeugung handelt es sich demnach u m eine tiefgehende Einsicht, u m eine persönlich gewichtige Meinung, die man „ m i t dem Brustton der Überzeugung" vertritt. Die pathetische Redeweise weist auf die starke Emotionalität die der Überzeugung zukommt.

hin,

Eine Überzeugung w i r d als wertvoll angesehen: Man „gewinnt" die Überzeugung; man entschuldigt jemanden, indem man i h m trotz des mißbilligenswerten Erfolges attestiert, etwas sei seine „ehrliche" Überzeugung gewesen. „Ehrliche" Überzeugung bewertet dabei nicht die der Überzeugung als Basis dienenden Gründe, sondern richtet sich auf die Haltung der Person, i n der sie sich zu Sachverhalten, Meinungen, Wertungen stellt. Die Haltung der Person w i r d ebenfalls kritisiert i n der Wendung: „er ist von sich überzeugt", d. h. von seinem Wert innerhalb einer Gemeinschaft. Intersubjektiv w i r d der Ausdruck dann gebraucht, wenn man seine „Überzeugung m i t anderen teilt". Hier bezieht sich die Überzeugung als Meinung, Ansicht, Werthaltung auf einen Gruppengeist. Eine Überzeugung kann also sach- und gruppenbezogen, nicht nur persönlichkeitsbezogen wie das Gewissen sein, das man m i t niemandem „teilt". Das rationale Moment der Überzeugung w i r d deutlich i n Zusammenstellungen wie: „überzeugende Gründe, Feststellungen, Ausführungen, Darlegungen", „von der Richtigkeit einer Auffassung überzeugt sein". Hier heißt „überzeugend" jedoch nicht lediglich „hinreichend begründet", sondern zugleich „einleuchtend, ein Gefühl der Sicherheit vermittelnd".

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„Jemanden von etwas überzeugen" w i l l besagen: jemanden durch Zeugen oder Beweismittel zur Anerkennung eines Sachverhalts, einer Wertung, eines Glaubensinhalts bewegen 2 . Hier w i r d „überzeugen" i n Gegensatz zu „überreden" gestellt, das nicht auf rationale Gründe bezogen ist. Selbst „von etwas überzeugt sein" heißt einen sicheren Glauben, die feste Gewißheit haben, durchdrungen sein von einer begründeten Ansicht 3 . Eine Überzeugung stellt daher ein Gefüge aus Persönlichkeits-, sachund gruppenbezogenen Elementen dar. Sie ist, bezogen auf den Überzeugungsträger, sowohl rational als auch emotional und voluntativ bestimmt. Oberzeugungsgegenstand kann jede Ansicht, Meinung, Wertung werden, deren Unbezweifelbarkeit nicht allgemein als selbstverständlich anerkannt wird. Innerhalb der i m Sprachgebrauch vorgenommenen Wertung der Überzeugung w i r d der Überzeugungs treue (als einem „Haltungswert" 4 ) Achtung entgegengebracht; der Überzeugungsinhalt w i r d demgegenüber i m allgemeinen Sprachgebrauch nicht bewertet, wie dies jedoch andererseits bei Ausdrücken wie „irrige" oder „unhaltbare" Meinung der Fall ist 5 . 2. Etymologie des Wortes „Überzeugung" sowie Beispiele für seine Verwendung als Fachausdruck Die Sprachgeschichte des Wortes „Überzeugung" zeigt einen aufschlußreichen Bedeutungswandel, zumal das Wort aus der Quelle des Rechtslebens stammt. 2

Vgl. Grimm: Bd. 11. Abt. 2 Sp. 676. Vgl. Grimm: Bd. 11. A b t . 2 Sp. 677; Kluge: S. 802; Krempel: S. 85 f.: „Überzeugung heißt: Durchdrungensein von einem wenigstens vermeintlichen Tatbestand, unter dem Einfluß gewichtiger Gründe, m i t Hilfe des Willens." 4 Unter Haltungswerten versteht Reiner: S. 28 solche sittlichen Werte, „die i n sich ruhen können, d. h. bei denen kein Einsatz für einen andern objektiven Wert notwendige Voraussetzung f ü r ihre V e r w i r k l i c h u n g ist". S. 26 f ü h r t Reiner als Beispiele Tapferkeit, Fleiß, Ausdauer, Geduld, Standhaftigkeit u n d Selbstbeherrschung an. — Vgl. Schmidhäuser: Gesinnungsmerkmale S. 88 ff. 5 E i n Ausdruck w i e „irrige Überzeugung", vgl. Krempel: S. 81, ist eine Parallelbildung zu „irriges Gewissen" u n d auf die katholische Moraltheologie beschränkt. „Achtbare Überzeugung" ist vornehmlich ein juristischer Terminus, w i e noch gezeigt w i r d . I m Gegensatz zu den normativen Ordnungen des katholischen Naturrechts und des Rechts hält sich der allgemeine Sprachgebrauch m i t einer Bewertung des Überzeugungsinhalts sichtlich zurück, verglichen m i t den vielfältigen Zusammensetzungen von „Uberzeugung" und Attribut. 3

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Die Hechts/ififur des Überzeugungstäters

Neben der Bedeutung „ m i t Stoff, Zeug überziehen" ist das Wort als Rechtsausdruck seit dem 13. Jahrhundert bezeugt®. „Überzeugen" hieß „ m i t Zeugen überführen", ζ. B. „falsche munczer sol man . . . m i t sebin ubirzugin" 7 . Noch i m 18. Jahrhundert sagte man: „was sollte der arme inqvsit thun, da er überzeugt w a r " 8 . Erik Wolf meinte, die Herkunft des Wortes aus dem germanischen Prozeß weise deutlich auf seine Auffassung hin, daß „überzeugen" heiße, „von einer überrationalen Erleuchtung Zeugnis ablegen", denn die Zeugen hätten i m Prozeß nicht das bekundet, was objektiv wahr gewesen sei, sondern hätten Zeugnis von der reinen Gesinnung des Schwörenden abgelegt 9 . Hier hat Wolf das sog. Übersiebnungsverfahren und das Verfahren auf Leumund gegen „landschädliche Leute" i m Auge 1 0 . I n Weiterbildung des Handhaftverfahrens kann der Kläger den Beklagten m i t „Schreimannen" „übersiebnen", d. h. durch siebenfaches Zeugnis überführen. Daß die Eideshelfer die Funktion von echten Wahrnehmungszeugen gehabt haben, w i r d zwar zu verneinen sein, aber Eb. Schmidt n i m m t an, daß sie beim Zulauf auf das „Gerüfte" hin, wenn nicht die Tat selbst, so doch belastende und verdächtige Umstände beobachtet haben werden 1 1 . Erst bei der Verfolgung des „landschädlichen Mannes", der der Verfolgung auch unabhängig von „Handhafte" oder „Übernächtigkeit" ausgesetzt war, waren Tatzeugen i m weitesten Sinne des Wortes oft nicht zur Stelle. Die Schreimannen verwandelten sich nun i n bloße Eideshelfer, die dem Kläger i n seinem Schwur, der Festgenommene sei ein schädlicher Mann, beitraten. I m Verfahren auf Leumund ging es nicht mehr u m den Nachweis bestimmter Taten, sondern um den Nachweis der sozialen Schädlichkeit des Beklagten. Ein überrationaler Charakter, wie Wolf ihn behauptet hat, kommt demnach, selbst i m Verfahren auf Leumund, der Überzeugung nicht zu. Seit dem 16. Jahrhundert bereitet sich der heutige Gebrauch von „Überzeugung" vor 1 2 . Man überzeugt nicht mehr durch Personen, sondern durch Gründe. U m 1815 kommt das politische Schlagwort von der „Überzeugungstreue" auf 1 3 . Von dieser Zeit an scheint der Uberzeugung der pathetische Gefühlswert zuzukommen. 6 Lexer: Bd. 2 Sp. 1684; Grimm: Bd. 11. A b t . 2 Sp. 674 m i t vielfältigen Nachweisen. 7 Heyne: Bd. 3 Sp. 1112: d. h. m i t siebenfachem Zeugnis; weitere Nachweise ebenda. 8 Heyne Bd. 3 Sp. 1112 m i t Nachweisen. 9 Wolf: Verbrechen S. 12, 31 A n m . 13. 10 Vgl. dazu Eb. Schmidt: Einführung S. 81 ff.; Conrad: Bd. 1 1. A u f l . S. 499, 511, 2. A u f l . S. 389 f.; Henkel: Strafverfahrensrecht 1. A u f l . S. 20 f. 11 Eb. Schmidt: Einführung S. 81, 83. 12

Kluge: S. 802.

Das Problem der adäquaten Begriffsbildung

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U m 1800 w i r d die Ü b e r z e u g u n g auch G e g e n s t a n d philosophischer R e f l e x i o n 1 4 . W ä h r e n d Kant u n d Fries die Ü b e r z e u g u n g i m Z u s a m m e n hang v o n Meinen, Wissen u n d Glauben i m Rahmen der L o g i k u n d M e t h o d e n l e h r e b e h a n d e l n , w i r d sie v o n Fichte u n d Hegel als P r o b l e m d e r S i t t e n l e h r e gesehen. Fichte s t e l l t seinen k a t e g o r i s c h e n I m p e r a t i v a u f : „ H a n d l e stets nach bester Ü b e r z e u g u n g v o n d e i n e r P f l i c h t ; oder: h a n d l e nach d e i n e m G e w i s s e n 1 5 . " Gegen das P r i n z i p der S u b j e k t i v i e r u n g , daß e t w a s g u t sei, w e n n j e m a n d d a v o n ü b e r z e u g t sei, daß es g u t sei, w e t t e r t Hegel. I n ganz a n d e r e r Sicht erscheint die Ü b e r z e u g u n g b e i Nietzsche. Er e r k a n n t e i n i h r n i c h t e t w a s Positives, s o n d e r n eine Fessel, die d e n Menschen d a v o n abhalte, j e w e i l s der W a h r h e i t n e u nachzujagen. Ü b e r z e u g u n g e n seien Gefängnisse u n d g e f ä h r l i c h e r e F e i n d e d e r W a h r h e i t als L ü g e n 1 6 . Überzeugungen machten parteilich 17, ja gewalttätig, w e i l „der K a m p f des G l a u b e n s a n die M e i n u n g e n " a l l e K r ä f t e a b s o r b i e r e 1 8 . W e r i m D i e n s t e e i n e r Idee arbeite, w e r d e d i e Idee selber n i e m e h r p r ü f e n , da es gegen sein Interesse sei, sie ü b e r h a u p t noch f ü r d i s k u t i e r b a r z u h a l t e n . I m a l l t ä g l i c h e n L e b e n schließlich b e h a l t e m a n seine A n s i c h t e n u n d S t a n d p u n k t e fast u n v e r ä n d e r t b e i 1 9 . 18 Grimm: Bd. 11 A b t . 2 Sp. 681; Paul / Betz: S. 697; Trübner: Bd. 7 S. 214 vermutet, daß die Zusammensetzungen „überzeugungstreu" bzw. „ Ü b e r zeugungstreue" i n den Kreisen Jahns u n d der Burschenschaften aufgekommen seien. Hegel: S. 134 (§ 140 e) kennt i n seinen 1821 erschienenen „ G r u n d linien der Philosophie des Rechts" „Überzeugungstreue". — Z u m geschichtlichen Hintergrund von Überzeugung, Überzeugungstreue u n d Überzeugungstat vgl. die Darstellung bei Huber: S. 711 ff. 14 Kant: Werke Bd. 2 S. 687 ff. ( K r i t i k der reinen Vernunft. 1781. Transzendentale Methodenlehre. 2. Hauptstück. 3. Abschnitt); Werke Bd. 3 S. 494 ff. (Logik. Einl. I X D). — Krug: passim (Von der Überzeugung nach ihren verschiedenen A r t e n u n d Graden. 1797.) — Fichte: Einleitung S. 99 ff. zur Überzeugung der Philosophen (Zweite Einleitung i n die Wissenschaftslehre. 1797. Abschnitt 10), System: S. 229 ff. zur Frage: „Wessen Überzeugung soll denn der Leitfaden des andern sein?" (Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre. 1798. § 18 V.) — Fries: Wissen S. 63 ff. zu „Wissen, Glauben u n d A h n d e n " als drei getrennte, voneinander gänzlich verschiedene A r t e n der Überzeugung. (Wissen, Glaube u n d Ahndung. 1805.) — Hegel: S. 132 ff. (Grundlinien der Philosophie des Rechts. 1821. § 140 e.) 15 Fichte: System S. 153 (§ 13). (Bei Fichte hervorgehoben.) 16 Nietzsche: Werke Bd. 8 S. 264 ff. (Der Antichrist. Nr. 54, 55.) 17 Nietzsche: Werke Bd. 8 S. 266. 18 Nietzsche: Werke Bd. 3 S. 349 (Menschliches, Allzumenschliches I. Nr. 629.) I n Nr. 634 (S. 352 f.) mißt Nietzsche der Überzeugung lediglich Wert für die wissenschaftliche Erkenntnis zu, w e n n m a n sie als Versuchs-Standpunkt verwende. Der persönliche K a m p f der Denker habe die Methoden zur Prüfung ihrer jeweiligen Überzeugung so geschärft, daß schließlich W a h r heiten entdeckt worden seien. 19 Nietzsche: Werke Bd. 3 S. 316 f. (Menschliches, Allzumenschliches I. Nr. 511.) — Vgl. bereits Leibniz: S. 553 ff. (Neue Abhandlungen über den mensch-

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Die

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Dieser letzte Gesichtspunkt wurde für die Soziologie interessant: Peirce ζ. B. nannte das Wesentliche an einer Überzeugung — neben der Beschwichtigung von Zweifeln — ihre Funktion, Gewohnheiten zu begründen und Handlungsanweisungen zu geben 20 . I m Gegensatz dazu legt Jaspers auf das existentielle Moment der Überzeugung großes Gewicht: Eine Überzeugung sei nicht rational zwingend und allgemeingültig, sondern unbedingt und geschichtlich. „Überzeugung ist Gewißheit von einer Wahrheit, die ich nicht beweise und nicht erzwinge, sondern lebe und mitlebe." Das Merkmal echter Überzeugung sei — i m Gegensatz zur zwingenden Gewißheit, die schlechthin gültig und für die ich nicht verantwortlich sei —, daß der Mensch für sie sterben könne. Die Wahrheit der Überzeugung sei obj e k t i v nicht feststellbar, sondern nur i n der „Übereinstimmung des jeweils Gesagten, des Tuns und des Lebens mit der nie gegenständlich werdenden Existenz . . ." 2 1 . Beeinflußt von der Existenzphilosophie, betrachtet Lersch die Überzeugung unter psychologischen Aspekten. Jedes Urteil enthalte einen dreifachen Anspruch: einen logischen: es w i l l richtig sein, einen ontologischen: es w i l l wahr sein, einen psychologischen: es w i l l eine Überzeugung, ein Für-wahr-Halten zum Ausdruck bringen 2 2 . Sein besonderes Augenmerk widmet Lersch der Echtheit der Überzeugung. U r teile echter Überzeugung entstammten der „Problemergriffenheit" und erwiesen sich als verbindlich für das gesamte Verhalten des urteilenden Menschen. „Der Mensch des Denkens echter Überzeugung existiert also recht eigentlich durch seinen gedachten Inhalt." Damit werde die Überzeugung jedoch nicht ins Irrationale abgebogen, vielmehr bleibe der Denkinhalt „ i n seiner Eigenbedeutsamkeit als gedankliches Gebilde durchaus unangefochten". Lediglich die Tatsache, daß der Mensch durch das Denken bestimmter Gedanken „substantiell existiert, ist ein Sachverhalt, der i m Irrationalen verwurzelt ist. Der Mensch ist eben keine liehen Verstand. Buch 4. Kap. 16): Der Mensch benötige Uberzeugungen, die sozusagen die Summe früherer Überlegungen darstellten, da die Beweise nicht immer präsent sein könnten. Tadelnswert seien nicht die Überzeugungen, sondern die Verwegenheit der Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Ohne Zweifel lebten gewöhnlich diejenigen, die am wenigsten nachgedacht hätten. Wer aber nachgedacht habe, fände wenig Veranlassung, andere zu verdammen oder gar Gewalt anzuwenden. 20 Peirce, Charles S.: H o w to Make Our Ideas Clear. Abschnitte 5.397/8. Abgedruckt bei Jonas: S. 236. 21 Jaspers: Wahrheit S. 469 f.; End: S. 123 A n m . 309 kritisiert Jaspers, da dieser i n der Überzeugung n u r das Ethos, nicht aber die Gefahr zum Exzeß sehe. — Heidegger: S. 256: „ E i n Modus der Gewißheit ist die Überzeugung. I n i h r läßt sich das Dasein einzig durch das Zeugnis der entdeckten (wahren) Sache selbst sein verstehendes Sein zu dieser bestimmen. Das F ü r w a h r - h a l t e n ist als Sich-in-der-Wahrheit-halten zulänglich . . . " 22 Lersch: S. 571 f.

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bloße Sprechwalze . . , " 2 3 — Unechtheit i m Denken trete i n der Form des täglichen Geredes oder Nachredens auf, da der Sinn der Sätze hier nicht i m „existentiellen Erlebniswissen" gegründet sei, sondern allenfalls i m „theoretischen Gegenstandswissen" 24 . Soweit die Psychologie sich sonst mit der Überzeugung beschäftigt, geschieht dies i m Zusammenhang Suggestion — Überredung — Überzeugung 25 . Nach Poll geht es beim Überreden darum, den Angeredeten für die Meinungen und Wünsche des Redenden willfährig zu machen, ohne daß logische Argumente i m Vordergrund ständen wie bei der Überzeugung 26 . Die Überredung könne bis zur Suggestion gehen. Unter Suggestion versteht Poll „die wirksame Beeinflussung zur Aneignung von dargebotenen Bewußtseinsinhalten . . . auf Grund des Eindrucks, den die A r t und Weise ihrer Übermittlung auslöst" 27 . Nicht der Inhalt der Rede, sondern der Zauber des Redens übe einen unwiderstehlichen Einfluß aus. Die i n einer Gesellschaft herrschenden Überzeugungen könnten zwar nicht unmittelbar kritisch genannt werden, ermangelten jedoch nicht einer bei aller Unzulänglichkeit vernünftigen Rechtfertigung. Jede Gemeinschaft sei auf ein „ursprüngliches Wahrhaftigkeitsvertrauen zwischen ihren Gliedern" und dem sich daraus ergebenden „Sozialglauben" angewiesen 28 . Die Struktur der Überzeugung beschreibt Poll so: Die Erfassung der Urteilswahrheit sei ein gedanklich-intuitiver Vorgang. Die sich daran anschließende Zustimmung sei willensbedingt. Hinzu trete schließlich ein noetisches Gefühl, „eine als Ruhe zu qualifizierende Kombination von Sättigung oder Erfülltheit (im Urteilsgedanken) m i t Sicherheit". Man habe sich den Gedanken persönlich zu eigen gemacht 29 . 23 Lersch: S. 572. — Die Echtheit der Überzeugung ist nicht m i t der „Reinheit" der Gewißheit i m Sinne von E. Husserl : S. 368 f. (§ 77) gleichzusetzen: Unreinheit bestehe immer dort, wo noch „andere anmutliche Möglichkeiten affektiv w i r k e n , aber w i r uns doch i n Gewißheit f ü r eine entscheiden". Es sei eine Entscheidung „ m i t schlechtem logischen Gewissen". Die Stärke der Uberzeugung entspreche dem Grade der Reinheit der Gewißheit. 24 Lersch: S. 574. 25 Hellpach: S. 82 ff.; Poll: Suggestion S. 18 ff.; Religionspsychologie S. 232 f., 261, 345 ff.; vgl. dazu Stokvis: S. 15 f. — Den Unterschied zwischen Überzeugung und Überredung hat bereits Fries: L o g i k S. 348 f. herausgearbeitet, S. 349: „ A b e r n u r i n der Ueberzeugung ist lebendige, eigne E r kenntniß, was w i r n u r durch Ueberredung wissen, ist n u r zufällig W a h r heit u n d i m m e r n u r der todte Abdruck eines fremden Geistes, dem der Ueberredete n u r als Instrument dient, . . . der gerngläubige Laie dem Pfaffen zu dessen Zwecken, der Politisch-Fanatisierte dem Demagogen." Diese U n t e r scheidung w i r f t ein neues Licht auf das Problem, ob Mitläufer Überzeugungstäter sein können. 26 Poll: Suggestion S. 18. 27 Poll: Suggestion S. 20. 28 Poll: Suggestion S. 27 (Zitat), Religionspsychologie S. 346.

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3. „Uberzeugung" als Rechtsbegriff I n einem jeweils eigenen Kontext ist „Überzeugung" als Rechtsbegriff i m Verfassungsrecht, i m Wiedergutmachungsrecht und i m Prozeßrecht anzutreffen. a) „Überzeugung" im Verfassungsrecht

I n mehreren Länderverfassungen w i r d neben der Freiheit des Glaubens und des Gewissens auch die Freiheit der Überzeugung gewährleistet 80 . Dabei w i r d Glaubensfreiheit als Freiheit der Glaubensentscheidung, Überzeugungsfreiheit als Gedankenfreiheit und Gewissensfreiheit als das Recht, sich nach dem sittlichen Bewußtsein zu entscheiden und zu handeln, interpretiert 3 1 . I m Hohenchiemsee-Entwurf zum Grundgesetz war ebenfalls vorgesehen: „Glaube, Gewissen und Überzeugung sind frei 8 2 ." I m Grundgesetz findet sich die „Überzeugung" jedoch nur i n Art. 140 i. V. m. Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren." Dieselbe Fassung fand sich bereits i n der Paulskirchen-Verfassung von 184933. b) „Überzeugung" im Wiedergutmachungsrecht

Ähnlichkeit m i t der Überzeugungstäterproblematik zeigt § 1 Abs. 1 BEG von 1953 34. Anspruch auf Entschädigung hatte, wer „wegen seiner gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung (Verfolgungsgründe) durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen ver29 Poll: Religionspsychologie S. 261; das Entscheidungsmoment bei der Überzeugung betont von philosophischer Seite E. Husserl: S. 368 f. 80 A r t . 9 der Verfassung des Landes Hessen von 1946; A r t . 4 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen von 1947; A r t . 8 Abs. 1 der V e r fassung f ü r Rheinland-Pfalz von 1947; A r t . 4 Abs. 1 der Verfassung des Saarlandes von 1947. — A r t . 7 Abs. 2 der Verfassung f ü r das L a n d Nordrhein-Westfalen von 1950: Die Jugend solle erzogen werden . . . „zur Acht u n g vor der Überzeugung des anderen", i n A r t . 131 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Bayern von 1946 w i r d die „Achtung vor religiöser Überzeugung" zu den obersten Bildungszielen gezählt; A r t . 75 Abs. 1 der Verfassung der Freien u n d Hansestadt Hamburg von 1947 bestimmt: „ E i n Beamter, der den Eid auf die Verfassung verweigert, scheidet aus dem Dienstverhältnis aus. Leistet er den Eid, glaubt aber später, i h n nicht aus innerer Überzeugung erfüllen zu können, so hat er seine Entlassung zu beantragen." Die Angaben entstammen Füsslein. 81 Zinn / Stein: A r t . 9 A n m . 3. 32 Wernicke i n B K : A r t . 4 (Erstbearbeitung) Anm. 1. Vgl. dazu Scholler: Freiheit S. 111 ff. 33 A r t . V § 144 der Verfassung der Paulskirche von 1849 lautet: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- u n d Gewissensfreiheit. — Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren." 34 Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung f ü r Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG). V o m 18. September 1953. BGHB1. I S. 1387.

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folgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder i n seinem beruflichen und w i r t schaftlichen Fortkommen erlitten hat (Verfolgter)". Die Rechtsprechung erkannte als „politische Überzeugung" nur „eine charaktervolle, auf sittlichen Grundlagen beruhende und während einer gewissen Zeitdauer bewährte Grundeinstellung i n Fragen des Verhältnisses zwischen Staat und Einzelpersönlichkeit" an 8 5 . Ein Einzelfall einer zum Ausdruck gebrachten Überzeugung genüge jedoch, wenn daraus auf eine Gesamteinstellung geschlossen werden könne 8 6 . I n der Kommentar-Literatur wurde unter Überzeugung „der starke Glaube, die feste Gewißheit, das Durchdrungensein von der Gültigkeit des eigenen Urteils" verstanden. Ein solches Urteil sei das Ergebnis einer ernsthaften gedanklichen Auseinandersetzung m i t den Geschehnissen und Begebenheiten, über die man urteile. Das Für und Wider müsse abgewogen werden. Aus dem so begründeten Glauben an die Richtigkeit des eigenen Urteils folge das ernsthafte Bestreben, gemäß der Überzeugung zu handeln, sowie das Beharren auf der Überzeugung und das Bekenntnis zu i h r 8 7 . Eine große Rolle spielte i n der Rechtsprechung interessanterweise die Praxis, nur die „achtbare" politische Überzeugung für das Zuerkennen eines Wiedergutmachungsanspruches genügen zu lassen 88 . Bei kriminell Vorbestraften spreche ζ. B. die Vermutung i n der Regel gegen eine achtbare politische Überzeugung 89 . Politische Gewalttaten könnten dann von einer achtbaren politischen Überzeugung getragen sein, „wenn i n unmittelbarer Erwiderung eines vom politischen Gegner geführten Angriffs angemessene Gegenmittel gebraucht werden" 4 0 . Bei der Verletzung fremder Einzelrechte bedürfe es stets sorgfältiger Abwägung, ob der Eingriff i n fremde Rechte verantwortet werden könne 4 1 . Zur näheren Bestimmung der Achtbarkeit 85 So bereits die Rechtsprechung zum US-EG, das ebenfalls auf die politische Überzeugung abstellte: O L G Stuttgart RzW 1949/50 S. 248 Leitsatz 2. Ebenso: O L G München RzW 1954 S. 118; O L G Karlsruhe RzW 1954 S. 150; Blessin / Ehrig / Wilden: § 1 Rnr. 5. — Der B G H RzW 1955 S. 85 verstand unter politischer Überzeugung „die feste innere Einstellung zu den Fragen der P o l i t i k " . 86 O L G Stuttgart RzW 1949/50 S. 248 Leitsatz 3. 87 Becker / Huber / Küster: § 1 Rnr. 5 a) (S. 41). 88 H . M . Vgl. O L G Bremen RzW 1952 S. 361; O L G Freiburg RzW 1952 S. 282; O L G München RzW 1954 S. 117. 89 O L G München RzW 1954 S. 117 Leitsatz b). Becker / Hub er / Küster: § 1 Rnr. 5 k) (S. 45). 40 O L G Stuttgart RzW 1951 S. 167 f. Leitsatz. Becker / Hub er / Küster: § 1 Rnr. 5 m) (S. 46). 41 O L G Bremen RzW 1952 S. 362. Entgegen Becker ! Hub er I Küster: § 1 Rnr. 5 m) (S. 46) spielte der Gesichtspunkt der Güterabwägung bei der Frage der Achtbarkeit eine wesentliche Rolle, vgl. auch O L G Stuttgart RzW 1951 S. 167 f.

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einer Überzeugung wurde auf den Gesichtspunkt der Güterabwägung zurückgegriffen. Obwohl § 1 Abs. 1 BEG von 1953 nur von einer „gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung" sprach, wurde das Erfordernis der Achtbarkeit der Überzeugung i n den Begriff der Überzeugung hineingelegt: „Nach allgemeiner deutscher Wiedergutmachungspraxis verdient nur eine achtbare Überzeugung diesen Namen 4 2 ." Angesichts dieser restriktiven Auslegung des Begriffs „Überzeugung" ist es nicht verwunderlich, daß der Gesetzgeber schließlich auf den Begriff verzichtete und bestimmte: „Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ist, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus . . . verfolgt worden ist .. ." 4 3 . Diese Formel verzichtet auf zu hohe Anforderungen an die innere Einstellung des Betroffenen 44 . Ein aufschlußreiches Experiment mit dem Rechtsbegriff der Überzeugung! Aus dem Zusammenhang der Verfolgungsgründe (Rasse, Glauben, Weltanschauung) hätte man „politische Überzeugung" allerdings von Anfang an i m Sinne von „politischer Gegnerschaft" auslegen können, wenn nicht der Gesetzgeber i n § 1 Abs. 2 BEG a. F. der politischen Überzeugung die eigene Gewissensentscheidung gleichgestellt hätte. Zur inhaltlichen Bewertung der Überzeugung oder deren M i t t e l und Folgen fanden sich allerdings i m Gesetz keine Anhaltspunkte. Die Überzeugung zu moralisieren, war ein Werk der Praxis. c) „Überzeugung" im Prozeßrecht

Eine weite Verwendung hat der Begriff der Überzeugung i n den Prozeßgesetzen gefunden 45 . § 261 StPO lautet: „Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung." Der Streit geht hier um den Modus der Gewißheit: Genügt ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, wie er bei gewissenhafter Anwendung aller Erkenntnismittel zu erreichen ist — so das Reichsgericht unter Zugrundelegung eines rationalen und naturwissenschaftlichen Begriffs der Überzeugung 4 6 —, oder ist die richterliche Überzeugung personbezogen und damit auch unter Einschluß des Gefühls zu verstehen — so der Bundesgerichtshof und die heute herrschende Meinung 4 7 ? Diese Frage ist 42

Becker / Hub er / Küster : § 1 Rnr. 5 c) (S. 43) m i t Hervorhebung. § 1 Abs. 1 des Bundesentschädigungsgesetzes i n der Fassung v o m 29. J u n i 1956 (BGBl. I S. 562) u n d v o m 1. J u l i 1957 (BGBl. I S. 663). 44 Blessin / Ehrig / Wilden: § 1 Rnr. 5 m i t weiteren Angaben. 45 Vgl. §§ 286 Abs. 1, 287 Abs. 1, 419, 435, 442, 446 ZPO; § 261 StPO; § 108 Abs. 1 VwGO. 46 RGSt 61 S. 206; vgl. eingehend Bohne: S. 19 ff. 47 BGHSt 10 S. 208 ff.; Gollwitzer i n Löwe / Rosenberg: § 261 A n m . 2 a) (S. 1417 f.) m i t weiteren Nachweisen; Mösl: S. 110 meint, die Überzeugungsbil43

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deshalb von besonderem Interesse, weil der Revisionsrichter bei einem Verständnis der Überzeugung als eines an der objektiven Wahrscheinlichkeit ausgerichteten Urteils seine Überzeugung an die Stelle der Überzeugung des Tatrichters setzen könnte 4 8 . Man hat heute erkannt, daß der Tatrichter nicht nur verstandesmäßige Erwägungen anstellt, sondern daß sein Gefühl bei der Überzeugungsbildung m i t w i r k t , ζ. B. bei dem allgemeinen Eindruck von der Persönlichkeit des Angeklagten oder der Zuverlässigkeit eines Zeugen 49 . Läßt die „von Verstand und Gefühl beherrschte" und aus dem Inbegriff der Verhandlung erwachsene, innere Stellungnahme des Richters zum Gegenstand der Untersuchung auch nur den geringsten Zweifel an der Täterschaft oder der Schuld des Angeklagten übrig, so fehlt es an der zur Verurteilung erforderlichen Überzeugung 50 . Ein bloßes Fürwahrscheinlichhalten kommt einem Für wahrhalten nicht gleich 51 . Für die Verurteilung ist die „persönliche Gewißheit" notwendig, aber auch genügend. Der Begriff der Überzeugung schließe die Möglichkeit eines anderen Sachverhalts — objektiv gesehen — nicht aus 52 . Überzeugung könne daher nicht i n einer exakten naturwissenschaftlichen Erkenntnis bestehen 53 . I n der Diskussion um die richterliche Überzeugung hat sich demnach i m Laufe der Entwicklung herausgestellt, daß sowohl rationale wie emotionale und voluntative Elemente eine Überzeugung konstituieren 5 4 . 4. Zwischenergebnis Überblickt man die vielfältigen „Fachausdrücke" von Überzeugung, so stellt sich heraus, daß sie Facetten des zuvor herausgeschälten „Gebrauchsausdrucks" von Überzeugung darstellen. Jeder der verschiedenen Aspekte des Sprachgebrauchs findet seine fachspezifische Entsprechung: dung sei nicht ein streng erlernbarer u n d erkennbarer Vorgang, vielmehr handele es sich u m „ein vielschichtiges geistig-seelisches Geschehen, das v o m logisch geschulten Verstand ebenso getragen w i r d wie v o m Gefühl". 48 BGHSt 10 S. 208; vgl. K M R - K o m m . § 261 A n m . 2 b). 49 Eb. Schmidt: Lehrkommentar S. 749; Mattil: S. 334 ff., insbes. S. 337 f.; Henkel: Strafverfahrensrecht 2. A u f l . S. 351. 50 Gollwitzer i n Löwe / Rosenberg: § 261 A n m . 2 a) (S. 1417). 51 Gollwitzer i n Löwe / Rosenberg: § 261 A n m . 2 a) (S. 1418); O L G Z w e i brücken JZ 1968 S. 675 f.; K M R - K o m m . : § 261 A n m . 2 b). 52 B G H S t 10 S. 209 f.; Eb. Schmidt: JZ 1970 S. 337 f. 53 O L G Zweibrücken JZ 1968 S. 675. 54 Henkel: Strafverfahrensrecht 2. A u f l . S. 351 spricht von einer aus v i e l fachen Elementen gebildeten, gesamtpsychischen Leistung; Mattil: S. 337 betont das voluntative Element der Entscheidung; zum voluntativen Element der Überzeugungsbildung siehe eingehend Bohne: S. 76 ff.

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Die Personbezogenheit der Überzeugung betonen Fichte, Jaspers, Lersch. Die stabilisierende Funktion der Überzeugung innerhalb einer Gemeinschaft ist sowohl i n der Philosophie (Leibniz, Nietzsche), i n der Soziologie (Peirce) und i n der Psychologie (Poll) erkannt, jedoch verschieden bewertet worden. Unter Wertungsgesichtspunkten weisen Leibniz, Hegel und Nietzsche auf die Gefahren hin, die aus der Überzeugung erwachsen können. Ein signifikantes Beispiel für die Sachbezogenheit der Überzeugung gibt die Verwendung des Ausdrucks i m Zusammenhang der richterlichen Beweiswürdigung. Die rationalen, emotionalen und voluntativen Elemente der Überzeugung finden ihre Entsprechung bei Kant (rational), E. Husserl (voluntativ), Poll sowie i n der Diskussion u m § 261 StPO. Das Gesamtgefüge der Überzeugung w i r d besonders deutlich gesehen bei Henkel, Poll und Willmann 55. Auch in der Diskussion u m den Überzeugungstäter hat es Stimmen gegeben, die die Überzeugung nicht auf einen Aspekt einengen wollten: Foltin beschränkt die Überzeugung nicht auf den rationalen Prozeß der Überlegung 56 , und Sax beschreibt den Überzeugungstäter zutreffend so 57 : Er vermeine, „auf Grund eines höchstpersönlichen Wahrheitserlebnisses die unverbrüchliche Wahrheit rational oder auch emotional erfaßt zu haben". Aus den vorstehenden Untersuchungen ist der Schluß zu ziehen, daß das Postulat, nur ein weiter Begriff der Überzeugung komme als Anknüpfungsbegriff für den Typen-Typus des Überzeugungstäters i n Frage, sich realisieren läßt: Der Sprachgebrauch bietet einen Ausdruck an, der ein Gesamtgefüge beinhaltet. Dieser Gebrauchsausdruck kommt dem methodologischen Postulat, auf Kryptonormativität bei der Begriffsbildung zu verzichten, entgegen, da der Sprachgebrauch Wertungen nicht i n den Ausdruck selbst hineinzulegen pflegt, sondern durch Attribute wie z. B. „ehrliche Überzeugung" kundtut. I m Interesse der Offenlegung von Wertungskriterien sollte daher auch i n der wissenschaftlichen Erörterung der Überzeugung von einem weiten Begriff 55 Willmann: S. 317 spricht v o m „Zusammenwirken von K o p f u n d Herz". Dieses Verständnis der Uberzeugung läßt sich bereits i n der Hochzeit der Überzeugung zu Anfang des 19. Jahrhunderts nachweisen, w i e Huber: S. 711 dargelegt hat: „ A u f der Grundlage ihrer national-demokratischen, freiheitlich-aktivistischen u n d christlich-germanischen Ideen bildete sich i n der akademischen Jugend seit 1815 eine gemeinsame Grundhaltung, die sie ihre Überzeugung nannte — ein aus religiöser Schwärmerei, ethischem D o k t r i narismus, altdeutscher Romantik, Haß gegen äußere u n d innere Tyrannei, Liebe zur Einheit u n d Größe des Vaterlands u n d unbändigem Freiheitsdrang gemischter K o m p l e x von Empfindungen, Leitgedanken u n d Willensantrieben." Vgl. Huber: S. 716. 56 Foltin: S. 113. 57 Sax: S. 17.

Das Problem der adäquaten Begriffsbildung

223

ausgegangen werden, der dann durch Zusätze eingeschränkt werden kann, falls sich dies aus bestimmten Gründen als unabwendbar erweisen sollte. Nur so ist eine rationale, das heißt nachvollziehbare und überprüfbare Diskussion möglich.

I V . Der Gebrauchsausdruck von „Gewissen" 1. „Gewissen" im allgemeinen Sprachgebraudi Die „Bandbreite" des Ausdrucks „Gewissen" scheint noch größer zu sein als die des Ausdrucks „Überzeugung" 1 . W i r sprechen einerseits davon, „das künstlerische oder wissenschaftliche Gewissen verbiete es . . . " , andererseits ist die Rede von der „Stimme des Gewissens", der man folgen müsse, da uns sonst das Gewissen „schlägt" und w i r „Gewissensangst, -qual, -pein" erleiden müssen und ein „schlechtes" Gewissen haben. Ist einmal das Gewissen sachbezogen orientiert, so das andere M a l personal. „Jemandem ins Gewissen reden", „jemandem das Gewissen schärfen" w i l l besagen, daß der andere über die Tragweite seines Verhaltens und seiner Wertwahl nachdenken solle. Wenn sich jemand „kein Gewissen aus etwas macht" oder ein „Mensch ohne Gewissen", „gewissenlos" ist, so w i r d damit ausgedrückt, daß der Betreffende verantwortungs- und skrupellos handelt und kein Wertgefühl aufbringt. „Das verbietet m i r mein Gewissen", sagt jemand, u m sich auf sein Gewissen wie auf eine Autorität, auf ein Gesetzbuch oder einen Wertkodex zu „berufen". I n den vorstehenden Redewendungen w i r d das Gewissen als etwas Stationäres behandelt, als Wertgefühl, Wertordnung oder als Mangel an Wertgefühl, als falsche Wertwahl. Wenn von der „Stimme des Gewissens" die Rede ist, so meint dies das aktuelle Betroffensein in einer bestimmten Situation, i n der sich das „Gewissen regt". Zwar kann man dann die Stimme des Gewissens „ersticken" oder „zum Schweigen bringen" oder das sich meldende Gewissen „beruhigen, beschwichtigen, betäuben", aber die Folge ist ein „schlechtes und schuldbeladenes Gewissen"; man hat „Gewissensbisse". Hat man sich jedoch „richtig" entschieden, so hat man ein „reines, gutes, ruhiges" Gewissen. I n einem Ausdruck wie „ich bringe das nicht über mein Gewissen" geht das Gewissen der Ausführung einer Tat voran 1 Vgl. zum Folgenden: Grimm: Bd. 4 Abt. 1 T e i l 3 Sp. 6213-6340; Paul/ Betz: S. 262; Kluge: S. 256; Trübner: Bd. 3 S. 173 f.; Kuhn: S. 9 ff.; Stelzenberger: Gewissen S. 7,19 f., 57, 71.

224

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und warnt i n einer konkreten Situation davor, sich „falsch" zu verhalten, indem es ein Gefühl der Bindung und Verpflichtung vermittelt. I n diesen Zusammenstellungen ist das Gewissen nicht auf die abstrakte Kenntnis von sittlichen Geboten und Verboten, sondern auf das konkrete Verhalten i n einer Konfliktsituation bezogen, i n der es darum geht, eine Entscheidung i n einer für das Selbstverständnis des Menschen wesentlichen Lage anhand der subjektiv als verpflichtend angesehenen Wertkriterien zu treffen. „Gewissenhaft" w i r d häufig i m Sinne von „sorgfältig" gebraucht, ζ. B. „eine gewissenhafte Prüfung aller Gesichtspunkte . . . " , oder i m Sinne von „pflichtbewußt", ζ. B. „ein gewissenhafter Beamter". Diese übertragenen Bedeutungen von „Gewissen" spielen auch bei Wendungen wie „auf Ehre und Gewissen" und „nach bestem Wissen und Gewissen" eine Rolle. Wenn man jemandem „etwas auf das Gewissen bindet", so hält man ihn zu erhöhter Pflichterfüllung und Sorgfalt an, indem man ihm die Angelegenheit „ans Herz legt". „Gewissen" w i r d auch für Schuld und Verantwortung gesetzt: Wenn jemand „etwas auf dem Gewissen hat", so trägt er für einen bestimmten Vorfall die Verantwortung und ist schuld daran. „Gewissenlos" w i r d ebenfalls häufig für „verantwortungslos" gesagt. Die Bestandsaufnahme ergibt, daß unter „Gewissen" ein Gesamtkomplex verstanden wird, der bisweilen sachbezogen und unpersönlich („Weltgewissen", „soziales Gewissen"), zumeist jedoch personal verstanden wird. „Gewissen" kann dann sowohl die sittliche Erkenntnis eines Wertes oder Unwertes bedeuten („das Gewissen schärfen") oder auch Wertgefühl und Wertordnung meinen („mein Gewissen verbietet m i r das") als auch personale Entscheidung i n einer Konfliktsituation („Stimme des Gewissens", das Gewissen „regt sich, schlägt"). Man „kann nicht anders", als gemäß der Stimme seines Gewissens zu handeln. Gewissen w i r d weiter m i t Schuld und Verantwortung des Menschen i n Zusammenhang gebracht und steht häufig für Pflichtbewußtsein. 2. Etymologie des Wortes „Gewissen" sowie Uberblick über seine Verwendung als Fachausdruck „Gewissen" ist eine Lehnübersetzung aus dem lateinischen „conscientia", das seinerseits eine Lehnübersetzung aus dem griechischen „syneidesis" ist 2 . Die meisten europäischen Sprachen, sowohl die romanischen, germanischen wie slawischen, folgen diesem Vorbild 3 . „Ge-wissen" 2 3

Paul / Betz: S. 262. Kluge: S. 256.

Das Problem der adäquaten Begriffsbildung

225

hieße demnach „Mit-wissen". Es ist jedoch zu bedenken, daß die Vorsilbe „ge-" ebenso eine Verstärkung ausdrücken kann wie einen A b schluß (vgl. das perfektivische „ge-") 4 . „Ge-wissen" bedeutete zunächst eine verstärkte Form von „wissen" 5 . Diese Form dürfte i n der Verdoppelung von „nach bestem Wissen und Gewissen" nachwirken (vgl. die Verdoppelung „frank und frei"): I n der mittelhochdeutschen Rechtssprache spielte „gewizzen" als Wissen eine große Rolle und erlangte die Bedeutung von „ m i t vollem Bewußtsein", aus dem sich „rechtsgültig" entwickelte 6 . Die Eindeutschung von „conscientia" w i r d zwar die soziative Bedeutung von „ge-" i m Sinne von „ m i t " (vgl. Gevatter = [compater = ] M i t vater, Pate) betont haben, jedoch erscheint es wenig sinnvoll, zu weitreichende Schlüsse aus der unsicheren Wortgeschichte zu ziehen. Während allenfalls Gewissen als „Mit-Wissen der eigenen Tat", d. h. „Zeuge der eigenen Tat" etymologisch erklärt werden kann 7 , so geht es zu weit, „Ge-wissen" als „gemeinsames Wissen", als „soziales Gewissen" zu interpretieren, dem bereits die inhaltliche Begrenzung durch die Sozialethik immanent sei 8 . Hier w i r d die wünschenswerte Auflösung der Gewissensproblematik, also das Endergebnis, bereits i n den Anfang, die Wortgeschichte, verlagert. I m Gegensatz zum Fachausdruck der Überzeugung gibt es zu den verschiedenen Fachbegriffen von „Gewissen" eine reiche Literatur, i n der auch die mannigfaltigen Fassungen gesichtet worden sind 9 . A u f diese Übersichten kann hier sogleich zurückgegriffen werden. Die stärkere literarische Beschäftigung rührt daher, daß das Gewissen ungleich stärker als die Überzeugung i n das jeweilige philosophische, theologische oder psychologische System eingebunden ist 1 0 und eine gewichtigere Rolle spielt. I n der grundlegenden Arbeit von Stoker über die Erscheinungsformen und Theorien des Gewissens, die durch neuere Arbeiten von Stelzenberger i m wesentlichen bestätigt worden ist 1 1 , werden alle 4

Trübner: Bd. 3 S. 173; vgl. zutreffend: Lückert: S. 359 f. Grimm: Bd. 4 A b t . 1 T e i l 3 Sp. 6214 ff. 6 Grimm: Bd. 4 A b t . 1 T e i l 3 Sp. 6229 ff.; Trübner: Bd. 3 S. 173. 7 Trübner: Bd. 3 S. 173. 8 Tiedemann: S. 363. 9 Vgl. insbesondere Stoker : S. 5 ff.; Stelzenberger: Gewissen S. 7 ff., Syneidesis passim; Thielicke: Bd. 1 S. 481 ff.; Müncker: S. 130 ff.; Kuhn: S. 180 ff., S. 88 ff. zu Heidegger: S. 267 ff.; Hollenbach: S. 17 ff.; Lückert: S. 357 ff.; Hafner: S. 692 ff.; Stadter: S. 15 ff. 5

10 11

Stoker: S. 22; Stadter: S. 15. Stelzenberger: Handbuch S. 526 f., Gewissen S. 14 ff., Syneidesis S. 179 ff.

15 Gödan

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echts/ifur des Überzeugungstäters

sowohl i n der Sprache wie auch i n der Wissenschaft vorkommenden Bedeutungen von „Gewissen" i n sechs Gruppen zusammengefaßt 12 : (1) Das Gewissen i m übertragenen Sinne: Das „Gewissen Menschheit", „Weltgewissen" sind analog gebildete Hilfsbegriffe.

der

(2) Das Gewissen ist die ganze Person, das Personzentrum, der Wesenskern, das Ich, das Selbst, die Natur des Menschen etc. Hier w i r d „Gewissen" als pars pro toto gedacht: Zwar ist i m „Gewissen" „das Intimste der Person gegenwärtig, aber nicht überall, wo das Intimste der Person ist, ist das »Gewissen'". (3) Das Gewissen ist das moralische Bewußtsein überhaupt, gleichgültig, ob es sich auf die eigene Handlung oder auf die einer anderen Person bezieht. I n dieser Bedeutung ist es i n den romanischen Sprachen weitverbreitet. (4) Das Gewissen ist die moralische Erkenntnis von guten und bösen Werten für mich. Unter diese Fassung des Gewissens fallen alle intellektualistischen und intuitionistischen Gewissenstheorien. Das Gewissen als Erkenntnisorgan oder als göttliches Orakel, das irrende oder zweifelnde Gewissen gehören i n diese Gruppe. (5) Das Gewissen ist ein moralischer Drang. Dieses zur A k t i v i t ä t drängende Moment, das auf ein Ideal gerichtet ist, liegt den imperativistischen Gewissensauffassungen zugrunde, die auf die Realisierung eines Sollens gerichtet sind. (6) Das Gewissen ist eine moralische Regung, die die ganze Person für sich i n Anspruch nimmt. Die Person, so beschreibt Stoker dieses emotionelle Regungsmoment, werde aus den kontinuierlich ablaufenden Erfahrungen herausgerissen und müsse sich einem Haltruf stellen. Nicht das Erkennen, auch nicht der Drang, sondern „ein wirkliches Erleben des Gegensatzes von dem Guten und dem Bösen i n uns" sei hier wesentlich. Zwar setze dieses Phänomen die beiden vorigen Momente voraus, aber durch das reelle Erleben des Gegensatzes i n bezug auf das „personale Heil und Unheil" bekomme dieses Moment eine neue Färbung 1 3 . Das Gewissen als „moralische Regung" sieht Stoker als „das »Gewissen' katexochen" an. I n seiner 1970 erschienenen Untersuchung geht Stadter von drei Bedeutungselementen aus, die „Gewissen" i n sich aufgenommen habe 1 4 : 12 18 14

Stoker: S. 48 ff. Das Z i t a t zu (2) findet sich auf S. 50. Stoker: S. 53. Stadter: S. 36 ff.

Das Problem der adäquaten Begriffsbildung

227

(1) Sittliches Empfinden, Wertbewußtsein. Hier besage „Gewissen" die allgemeine Kapazität der Wertempfänglichkeit, den Umfang und die Tiefe des Wertbewußtseins, über das jemand verfügt. (2) Gewissensakte. Vor dem Hintergrund des generellen, stationären Wertempfindens falle die Gewissensentscheidung i m konkreten Einzelfall. Das Ich wisse sich angesprochen und aufgerufen zur Stellungnahme und zur Tat. Nach der guten Tat entstehe das Gefühl beruhigender Sicherheit, nach der schlechten machten sich Schuldgefühle und Selbstvorwürfe geltend. (3) Personmitte. „Gewissen" habe auch die Bedeutung von „personales Zentrum", „eigentliches Selbst", „Wesenskern". Hierbei handele es sich um „eine nahezu numinose Dimension", aus der die „Impulse zur Selbstwerdung" stammten. Dieses Phänomen könne man auch als „normierende Macht, als unabweisbaren, gebieterischen Anspruch" charakterisieren, „der aus der verborgenen und schwer definierbaren Substanz der Person ergeht und die integrale Selbstverwirklichung bezweckt". Stelzenberger, dessen mehrfache Untersuchungen zum Thema Gewissen zu einer ähnlichen Dreiteilung gelangt sind, w i l l den Begriff des Gewissens auf die „aktuelle Funktion der persönlichen sittlichen Entscheidung" beschränken, wobei er unter „Funktion" Vorgang, Ablauf, Tätigkeit versteht 1 5 . Die Überlegungen, die die katholische Moraltheologie zu dieser Beschränkung bestimmen, sind von dem Interesse geleitet, das Problem des „irrenden Gewissens" aus der „eigentlichen" Gewissensdiskussion eliminieren zu können 1 6 . Nach Stelzenberger w i r d nämlich das „irrende Gewissen" dem Wertgefühl oder Wertbewußtsein zugeordnet 17 . Abgesehen von der Frage, ob ein Gefühl oder Bewußtsein eher „sich irren" oder „ i r r i g sein" könne als die akthafte Entscheidung i m Einzelfall, ist die Reduzierung des Begriffs Gewissen auf die Gewissensentscheidung nicht allgemein gerechtfertigt. Die Alltagssprache geht von einem umfassend weiten Verständnis aus 18 . Ob dieses Verständnis „der Komplexität der Sache" entspricht 19 , hängt davon ab, welche „Sache" man untersucht. Für den Zweck der vorliegenden Untersuchung, einen Anknüpfungsbegriff für den Typen-Typus des 15 Stelzenberger: Handbuch S. 527, Gewissen S. 38 f., 71; ebenso schon Müncker: S. 30; vgl. Dürr: S. 49. 16 Es bleibt der Moraltheologie unbenommen, einen Sinnaspekt f ü r ihre Untersuchungen hervorzuheben u n d „Gewissen" zu nennen. 17 18 19

15·

Stelzenberger: Gewissen S. 50 ff. Vgl. Thielicke: Ebenfalls Stadter: S. 37. So Stadter: S. 37.

Bd. 1 S. 483.

Die e c h t s f i r des Überzeugungstäters

Überzeugungstäters" zu ermitteln, genügt es, daß ein weiter Begriff des Gewissens nachgewiesen werden konnte. 3. „Gewissen" als Rechtsbegriff Ebenso wie der Ausdruck „Überzeugung" w i r d „Gewissen" hauptsächlich als Rechtsbegriff i m Verfassungsrecht, i m Wiedergutmachungsund Flüchtlingsrecht und i m Prozeßrecht verwendet. a) „Gewissen" i m Verfassungsrecht

I n den Grundrechtsteilen der Länderverfassungen und des Grundgesetzes20 sowie i n den Ausführungsregelungen durch das Wehrpflichtgesetz und das Gesetz über den zivilen Ersatzdienst zu A r t . 4 Abs. 3 GG und A r t . 12 a Abs. 2 GG 2 1 w i r d „Gewissen" i n den verschiedensten Verbindungen gebraucht: „Freiheit . . . des Gewissens"; niemand dürfe „gegen sein Gewissen" zum Kriegsdienst m i t der Waffe gezwungen werden; Kriegsdienstverweigerung „aus Gewissensgründen"; „Freiheit der Gewissensentscheidung". A r t . 38 Abs. 1 GG stellt fest, daß die A b geordneten des Deutschen Bundestages „nur ihrem Gewissen unterworfen" sind. Die Vermutung liegt also nahe, daß auch die Verfassung von einem weiten Begriff des Gewissens ausgeht. Das Bundesverfassungsgericht hat auf „Gewissen" i m Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs zur Deutung des verfassungsrechtlichen Begriffs des Gewissens zurückgegriffen, und die herrschende Meinung ist dieser Methode stillschweigend gefolgt 22 . Der hermeneutische A n satz liegt für das Bundesverfassungsgericht i n der Überlegung, daß die Grundlagen des politischen Zusammenlebens einheitlich für alle Staatsbürger bestimmt werden müßten und Verfassungsbegriffe daher für alle Bekenntnisse und Weltanschauungen gleich zu interpretieren seien 23 . Bereits zwei Jahre vor dem Beschluß des Verfassungsgerichts hatte das Bundesverwaltungsgericht gefordert, der Begriff des Gewissens müsse allgemeingültig und zweifelsfrei bestimmt werden, und hatte seinen Untersuchungen „pluralistisch-paritätisch" 2 4 die Aussagen des Großen Brockhaus und des Großen Herder zugrunde gelegt 25 . 20

Vgl. die Angaben oben unter I I I . 3. a). § 25 WehrpflichtG, § 15 a ErsatzdienstG. 22 Vgl. zunächst die L i t e r a t u r zum Überzeugungs- u n d Gewissenstäter: Peters: Mayer-Festschrift S. 269 A n m . 48; Welzel: Straf recht S. 176; Greffenius: S. 66 f., 67 A n m . 129; Tiedemann: S. 362. — Vgl. allgemein zu A r t . 4 GG: Herzog i n Maunz / Dürig / Herzog: A r t . 4 Rnr. 124; Zippelius i n B K : A r t . 4 (Zweitbearb.) Rnr. 32; Hamann / Lenz: A r t . 4 A n m . Β 2; Podlech: S. 21; Scholler: D Ö V 1969 S. 528; anderer Meinung: Witte: S. 158; Böckenförde: S. 67; Klein: S. 56 ff. 23 BVerfGE 12 S. 54. 24 Böckenförde: S. 67. 21

Das Problem der adäquaten Begriffsbildung

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Aber w i r d hier nicht Jurisprudenz durch Philologie ersetzt? Und kann sich nicht gerade i m Sprachgebrauch und erst recht i n Lexika ebenfalls eine normative Gewissensvorstellung niederschlagen, etwa die bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen oder bei der Mehrheit der Bevölkerung vorherrschende 26 ? Dieser Einwand ist sehr ernst zu nehmen, und er gilt, auf anderer Ebene, selbst für die „ordinary language philosophy", deren Untersuchungen ebenfalls die behauptete Allgemeingültigkeit abgehen könnte, wenn sie nur die Sprache der Philosophierenden und ihrer gesellschaftlichen Kreise zum Gegenstand der Untersuchung machen. Der Einwand wäre zutreffend, wenn man allgemein Verfassungsbegriffe „philologisieren" wollte. Insofern geht der methodische Ansatz des Bundesverfassungsgerichts i n der Tat zu weit. Die Zurückführung des verfassungsrechtlichen Begriffs des Gewissens auf den allgemeinen Sprachgebrauch ist jedoch aus zwei Gründen unumgänglich, aber auch unschädlich: 1. Ein „Jedermanngewissen", wie es A r t . 4 GG voraussetzt 27 , kann nur allgemeinverständlich und neutral bestimmt werden. 2. Selbst wenn der Sprachgebrauch nicht notwendig wertungsneutral sein sollte, so läßt er jedoch als weitestgehender Begriff alle Möglichkeiten externer Grenzziehungen offen. Überdies hat die Analyse des Sprachgebrauchs ergeben, daß der Ausdruck Gewissen keine Wertungen enthält, die seine Eignung als allgemein akzeptablen Begriff schmälern. Die Methode, i n diesem Falle den verfassungsrechtlichen Begriff von der Umgangssprache her zu verstehen, ist auch nicht sachfremd, da verfassungsrechtliche Gründe es sind, die keine andere Wahl lassen. I n Konkurrenz zum umgangssprachlichen Begriff kann allenfalls der psychologische Begriff des Gewissens treten. Soweit sich aber die Psychologie — und dort zumeist nur i n ihrer geisteswissenschaftlichen Richtung — mit dem Gewissen beschäftigt, spiegelt sie die philosophischen Grundannahmen wider und fügt sachspezifische Kontroversen hinzu, so daß keinesfalls von „dem" Begriff des psychologischen Gewissens gesprochen werden kann 2 8 . Der richtige Kern der Heranziehung 25

B V e r w G E 7 S. 246. Böckenförde: S. 67; Klein: S. 58 ff. 27 A r t . 4 Abs. 3 GG formuliert: „Niemand darf gegen sein Gewissen . . . " E i n „Gewissen" w i r d somit jedermann zugestanden, nicht n u r dem Christen oder Atheisten, dem Sozialisten oder Liberalen. Scholler: D Ö V 1969 S. 534 spricht daher zu Recht von der Gewissensentscheidung als einer „Jedermannentscheidung". 28 Vgl. die Referate bei Stein: Gewissensfreiheit S. 35 ff.; Stadter: S. 39 ff., 65 ff. ; Lückert: S. 376 ff. 26

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der Psychologie besteht darin, daß die Feststellung, ob jemand aufgrund einer Gewissensentscheidung gehandelt hat, ohne psychologische Kriterien i m Prozeß nicht zu treffen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, daß der verfassungsrechtliche Begriff des Gewissens auf ein bloß psychologisches Phänomen eingeengt werden dürfte. Kann damit die Methode des Bundesverfassungsgerichts trotz aller Bedenken gebilligt werden, so heißt dies noch nicht, daß auch das Ergebnis seiner Bemühungen sogleich überzeugen müßte. Nach dem Bundesverfassungsgericht 29 ist „Gewissen" als ein — wie immer begründbares, jedenfalls aber — real erfahrbares seelisches Phänomen zu verstehen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen „unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens" seien. Eine „Gewissensentscheidung" werde stets angesichts einer bestimmten Lage getroffen, i n der es unabweisbar werde, sich zu entscheiden; der „Ruf des Gewissens" werde dem Einzelnen vernehmbar „als eine sittliche und unbedingt verbindliche Entscheidung über das i h m gebotene Verhalten". Die Gewissensentscheidung sei stets „situationsbezogen" und könne zugleich „normbezogen" sein, „wenn es sich u m die Bewährung einer grundsätzlichen weltanschaulichen Überzeugung oder Glaubenshaltung" handele. Es sei eine „besondere Frage, welche Maßstäbe und Einflüsse auf das Zustandekommen der Entscheidung (bewußt oder unbewußt) einwirken". Das Bundesverfassungsgericht kommt zu dem Ergebnis: „Als eine Gewissensentscheidung ist somit jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von ,Gut' und ,Böse' orientierte Entscheidung anzusehen, die der Einzelne i n einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte." Die — einmal als solche erkannte — Gewissensentscheidung dürfe nicht „ i n irgendeinem Sinn, etwas als ,irrig 4 , falsch', gichtig', bewertet werden". Die „geistigen Einflüsse" dürften nur insoweit berücksichtigt werden, soweit davon die Feststellung abhänge, ob wirklich eine „Gewissens"-Entscheidung vorliege. A n diesem, anhand des allgemeinen Sprachgebrauchs gewonnenen Ausdruck des Gewissens fällt folgendes auf: (1) „Gewissen" w i r d m i t „Gewissensentscheidung" gleichgesetzt. (2) „Gewissen" w i r d einerseits empirisch als seelisches Phänomen und Bindungsgefühl verstanden, andererseits aber auf die Kategorien von „ G u t " und „Böse" bezogen, also normativ gesehen. 29 BVerfGE 12 S. 45 ff. (Beschluß des Ersten Senats v. 20.12.1960.) Die Def i n i t i o n der Gewissensentscheidung findet sich auf S. 55 u n d als Leitsatz 2 auf S. 45. — Z u den Zitaten i m Text s. S. 54, 55, 56.

Das Problem der adäquaten Begriffsbildung

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Damit stellt sich eine alte Frage erneut: Ist die „Sittlichkeit" der Gewissensentscheidung subjektiv oder objektiv zu verstehen? Diese Frage behält selbst dann ihr Gewicht, wenn zwar die Gewissensentscheidung nicht als „ i r r i g " bewertet werden darf, jedoch bei der Prüfung, ob eine „Gewissens"-Entscheidung vorliegt, geprüft werden muß, ob der Täter die Zugrundelegung sittlicher Maßstäbe bei seiner Entscheidung glaubhaft machen kann. Beide Gesichtspunkte konnten i n der Analyse des Gebrauchsausdrucks des „Gewissens" jedoch nicht nachgewiesen werden. Das „Gewissen" ist nicht auf die aktuelle Entscheidung beschränkt, und ein Bezug auf eine objektiv verstandene Sittlichkeit i m Sinne der Kriterien von „ G u t " und „Böse" läßt sich i m Sprachgebrauch nicht feststellen 30 . Wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt, es verstehe Gewissen i m Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs, so bleibt dies nur eine Behauptung, solange eine sorgfältige Analyse des Sprachgebrauchs unterbleibt. Diese ist auch i n späteren Entscheidungen nicht nachgeholt worden, obgleich sowohl die Ermittlungsmethode als auch die daraus gezogenen Schlüsse zur Vorsicht mahnten. Trotz des generellen Verdikts einer Gewissensbewertung hat das Bundesverfassungsgericht zwei methodische „Hintertüren" offengelassen und selbst benutzt: 1. Wenn das Gericht zu prüfen hat, „ob, was sich nach außen als Gewissensentscheidung kundgibt, wirklich den Charakter eines unabweisbaren, den Ernst eines die ganze Persönlichkeit ergreifenden sittlichen Gebots, einer inneren Warnung vor dem Bösen und eines unmittelbaren Anrufs zum Guten, trägt" 3 1 , dann bleibt die Gefahr bestehen, dem anderen aus „objektiven" Gründen das Gewissen abzusprechen, weil das i n Frage stehende Gebot kein „sittliches" sei. Das Problem verlagert sich nur von der verbotenen inhaltlichen Prüfung der Gewissensentscheidung zu der erlaubten Prüfung der Frage, ob überhaupt ein Gewissensspruch vorliegt 3 2 . 2. Aber nicht nur das Merkmal „Gewissens"-Entscheidung, sondern auch das Merkmal Gewissens-„Entscheidung" kann zum „trojanischen Pferd" versteckter Bewertungen des Gewissensinhalts werden. Hierfür gibt der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts selbst das Beipiel: I m Falle der sogenannten situationsbedingten oder aktuellen Kriegsdienstverweigerung, i n dem ζ. B. nur die Teilnahme an einem Atomkrieg verweigert wird, sieht das Gericht lediglich „Gewissensbedenken" 80 81

82

Insofern zutreffend Böckenförde: BVerfGE 12 S. 55.

Ebenso Luhmann: S. 260.

S. 67 A n m . 110.

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aber keine „Gewissensentscheidung" 33 . A u f diesem Umweg gelangt man zu einer Bewertung der „Gewissensgründe", von denen A r t . 12 a Abs. 2 GG jedoch ganz generell spricht, indem man „gewisse Gründe" als unbeachtlich aussondert. Der Gewissensbestimmung des Bundesverfassungsgerichts kann daher nur dann zugestimmt werden, wenn i n dem Passus „jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von ,Gut' und ,Böse' orientierte Entscheidung" die Wörter „sittliche, d. h. an den Kategorien von ,Gut' und ,Böse' orientierte" wegfallen oder durch die Wörter „nach seiner A n sicht sittliche" ersetzt werden. Die Verkürzung des Gewissens auf die Gewissensentscheidung, die sich nicht aus dem Sprachgebrauch ableiten läßt, ist demgegenüber weniger schädlich, da sie den Akzent auf den Vollzug des Gewissens i n einer bestimmten Situation setzt und nicht auf die der Entscheidung zugrunde liegende Wertordnung, die ja ebenfalls als Gewissen bezeichnet wird. U m so eher hätte an sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Definition der Gewissensentscheidung auf die Kategorien von „ G u t " und „Böse" verzichten können. Für die Auslegung der das Gewissen betreffenden Grundgesetzartikel ist es aber bedeutsam, festzuhalten, daß Gewissen i m allgemeinen Sprachgebrauch sowohl Wertbewußtsein, Entscheidung aufgrund dieses Wertbewußtseins als auch Personmitte meint und daß das Grundgesetz sowohl von „Gewissensgründen", „Gewissensentscheidung" und „Gewissen" spricht. b) „Gewissen" im Wiedergutmachungs- und Flüchtlingsrecht

I m Bundesentschädigungsgesetz w i r d den aus Gründen politischer Gegnerschaft, der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung vom Nationalsozialismus Verfolgten gleichgestellt, wer „auf Grund eigener Gewissensentscheidung" sich unter Gefährdung der eigenen Person aktiv gegen die Mißachtung der Menschenwürde oder gegen die durch den Krieg nicht gerechtfertigte Vernichtung von Menschenleben eingesetzt hat 3 4 . Diese Vorschrift war i n erster Linie für solche Widerstandskämpfer des 20. 7.1944 gedacht, die nicht politische Gegner des Nationalsozialismus waren, sich aber auf Grund humanitärer oder allgemein patriotischer, innenpolitisch nicht spezifizierter Erwägungen zu der Gewissensentscheidung durchrangen, das national-sozialistische Regime zu bekämpfen 35 . Unter „Gewissensentscheidung" versteht die Kommentar-Literatur, daß sich der Handelnde aufgrund einer inneren, sittlich 33

BVerfGE 12 S. 57; Böckenförde: S. 75. § 1 Abs. 2 Ziffer 1 BEG. 35 Dam/Loos: § 1 Rnr. 7 a); Winklmaier: den: § 1 Rnr. 44. 34

§ 1 Anm. 10; Blessin / Ehrig / Wil-

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fundierten Entscheidung zum Handeln entschloß 36 . Das Merkmal der Entscheidung setze voraus, daß der Handelnde nicht aufgrund einer unentrinnbaren Zwangslage, sondern angesichts der Möglichkeit zu einem anderen Handeln oder Unterlassen tätig geworden ist 8 7 . Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen aus materiellen oder opportunistischen Beweggründen motivierten keine Gewissensentscheidung 38 . Andererseits setze die Gewissensentscheidung keinen Gewissenskonflikt voraus 89 ; außerdem könne sie auch von einem Dritten veranlaßt worden sein 40 . Deutschen aus der „sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetischen Sektor von Berlin" darf gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet vom 22. 8.1950 die Erlaubnis für den ständigen Aufenthalt i n der Bundesrepublik nicht versagt werden, wenn sie flüchten mußten, „ u m sich einer von ihnen nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen . . . Eine besondere Zwangslage ist auch bei einem schweren Gewissenskonflikt gegeben". Gleichlautend mit diesem Passus ist § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (BVFG) i n der Fassung vom 23.10. 1961. — I n Rechtsprechung und Literatur wurde ein „schwerer Gewissenskonflikt" dann als gegeben erachtet, wenn der Betroffene sich gezwungen sah, gegen seine erkennbare und achtbare Überzeugung zu handeln und sich dieser Notlage nur durch die Flucht habe entziehen können, d. h. wenn i h m ein Bestehen der Zwangssituation auch bei A n legung eines strengen aus der gesamten Situation gewonnenen Maßstabes nicht habe zugemutet werden können 41 . c) „Gewissen" in Eidesnormen und -formein

I n Eidesnormen Rolle.

und -formein

spielt das Gewissen ebenfalls eine

Nach „bestem Wissen und Gewissen" zu handeln, geloben Schöffen (§ 51 Abs. 2 GVG), Sachverständige (§§ 79 Abs. 2 StPO, 410 Abs. 1 ZPO) 86 Winklmaier: § 1 A n m . 10; Blessin / Ehrig / Wilden: § 1 Rnr. 44; Dam/Loos: § 1 Rnr. 7 c) ohne Hinweis auf die sittliche Fundierung. 37 Winklmaier: § 1 A n m . 10; Dam / Loos: § 1 Rnr. 7 c) unter Hinweis auf eine unveröffentlichte Entscheidung des K G . 38 Dam / Loos: § 1 Rnr. 7 c); Blessin / Ehrig / Wilden: § 1 Rnr. 44. 39 Dam/Loos: § 1 Rnr. 7 c); Blessin / Ehrig / Wilden: § 1 Rnr. 44 unter A u f gabe der abweichenden Meinung i n der Vorauflage. 40 Dam / Loos: § 1 Rnr. 7 c). 41 Vgl. Ehrenforth: § 3 A n m . 6 c; Strassmann ! Nitsche: § 3 A n m . 5; B V e r w G N J W 1958 S. 1793 f.; O L G Hamburg M D R 1955 S. 507 zur Verknüpfung „Gewissen" m i t „Uberzeugung".

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Die

e c h t s f i u r des Überzeugungstäters

und Richter (§ 38 DRiG; § 31 VwGO Richter) 42 .

hinsichtlich der ehrenamtlichen

„Gewissenhafte" Pflichterfüllung geloben Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundesminister nach A r t . 56, 64 GG, Bundesverfassungsrichter (§ 11 BVerfGG), Beamte (§ 58 BBG), Dolmetscher (§ 189 Abs. 1 GVG), Notare (§ 13 BNotarO), Rechtsanwälte (§ 26 BRAO). d) „Gewissenlos"

„Gewissenlos" war ein Merkmal des inneren Tatbestandes der §§ 170 c, 170 d StGB a. F.: einer Geschwängerten „gewissenlos" die Hilfe versagen; „ i n gewissenloser Weise" die Fürsorge- und Erziehungspflichten vernachlässigen. I m Anschluß an die Rechtsprechung wurde „gewissenlos" wie folgt ausgelegt: Das Verhalten des Täters mußte eine Rücksicht auf Hemmungen sittlicher A r t i n hohem Grade vermissen lassen, weil er das Gefühl der Verantwortlichkeit entweder bewußt unterdrückt oder infolge besonders leichtfertiger Auffassung von seinen Pflichten gar nicht erst hatte aufkommen lassen 43 . Die vorstehenden Untersuchungen zum Gebrauchs- und Fachausdruck sowie zum Rechtsbegriff des Gewissens lassen den Schluß zu, daß als Anknüpfungsbegriff für den Typen-Typus des Überzeugungstäters ein weiter Begriff bereitgestellt werden kann, da der Ausdruck „Gewissen" einen Gesamtkomplex beinhaltet, aus dem i m Laufe der weiteren Erörterungen bestimmte Sinnelemente isoliert und i n jeweils speziellen Begriffen von Gewissen fixiert werden können.

V. Vergleich der Gebrauchsausdrücke „Überzeugung" und „Gewissen" im Hinblick auf den adäquaten Anknüpfungsbegriff für den Typen-Typus des „Überzeugungstäters" Vergleicht man die Ausdrücke „Überzeugung" und „Gewissen", wie der Sprachgebrauch sie uns darbietet, so ergeben sich aufschlußreiche Übereinstimmungen und Unterschiede, die für die Fassung der i n Frage kommenden Anknüpfungsbegriffe folgenschwer sein können. 42

43

Zeugen schwören „nach bestem Wissen": §§ 66 StPO, 392 ZPO.

BGHSt 2 S. 350 f.; Schönke ! Schröder: § 170 c Rnr. 8, § 170 d Rnr. 6; Heimann/Trosien in L K : § 170 c Rnr. 12, § 170 d Rnr. 11; Schmidhäuser: Gesinnungsmerkmale S. 249 f. meint, „verantwortungslos" entspreche „gewissenlos". — Vgl. außerdem § 11 W S t G i. d. F. der Bekanntmachung v. 1. Sept. 1969 (BGBl. I S. 1502): „ W o dieses Gesetz die W a h l zwischen Freiheitsstrafe u n d Strafarrest läßt, darf auf Strafarrest n u r erkannt werden, w e n n der Täter bei vorsätzlichen Taten nur m i t geringer Schuld, bei fahrlässigen Taten nicht gewissenlos oder sonst m i t schwerer Schuld gehandelt hat."

Das Problem der adäquaten Begriffsbildung

235

1. Vergleich zwischen den Gebrauchsausdrücken „Überzeugung" und „Gewissen" Sowohl Überzeugung als auch Gewissen stellen emotional, rational und voluntativ bestimmte Gesamtkomplexe dar, die sowohl personals auch sachbezogen sein können. Gliedert man die Gefüge jedoch auf und vergleicht die Einzelelemente des einen m i t denen des anderen, so ergibt sich folgendes Bild: (1) Gewissen i m Sinne von Personmitte sowie i m Sinne von Entscheidungsakt ist rein personbezogen, während Überzeugung immer auch noch Überzeugung „von etwas", also sachgerichtet ist. (2) Gewissen i m Sinne von Entscheidungsakt ist höchstpersönlich, während die Überzeugung auch intersubjektiv zu sein pflegt. (3) Gewissen als Bewußtsein oder Gefühl von Werten, die für die Person wichtig sind, deckt sich jedoch weitgehend m i t der Überzeugung als einer personalisierten Ansicht über Wertpräferenzen. Überzeugung wie Gewissen i m Sinne von Wertbewußtsein und Wertgefühl stellen den Fundus, das Reservoir dar, aus dem heraus die Gewissensentscheidung „sachlich" gespeist wird. Überzeugung und Gewissen i m „theoretischen" Sinne einerseits und Gewissen i m Sinne von Entscheidung andererseits verhalten sich dann wie Potentialität und Aktualität zueinander. Die Gesamtkomplexe von Überzeugung und Gewissen, denkt man sie sich als Kreise, decken sich demnach zum Teil; am weitesten entfernt voneinander liegen das Sachbereichselement der Überzeugung und das aktuelle Entscheidungselement i m Gewissen. Hier stehen sich, überspitzt ausgedrückt, gegenüber: die Weltanschauung und der Mensch i n der Gewissensnot einer Entscheidungssituation. 2. „Uberzeugung" und „Gewissen" im Zusammenhang der Formulierungen der Reformdiskussion Geht man von dem Zusammenhang aus, i n dem „Überzeugung" i n den Strafgesetzentwürfen verwandt wurde, so war stets davon die Rede, daß sich der Täter aufgrund seiner politischen, religiösen oder sittlichen Überzeugung zu der Straftat für verpflichtet halten mußte. „Überzeugung" als „Überzeugung von etwas" hat hier einen doppelten Inhalt: (1) „Überzeugung" bezieht sich auf weltanschauliche, glaubensmäßige, soziale, politische Lehren und Ansichten. I n diesem Kontext w i r d der sachbezogene und intersubjektive Aspekt der Überzeugung betont.

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(2) „Überzeugung" bezieht sich auf die Verpflichtung, gemäß den unter (1) bezeichneten personalisierten „Sachbereichsüberzeugungen" i n einer Entscheidungssituation handeln zu sollen. I n diesem Sinne w i r d i n der Diskussion der Ausdruck „Pflichtüberzeugung" gebraucht, und Radbruch selbst ging davon aus, jede „Pflichtüberzeugung" sei „begriffsnotwendig sittlicher A r t " 4 4 . Wenn man „Überzeugung von etwas" als „Überzeugung von einer Pflicht, in bestimmter Weise handeln zu sollen" versteht, so liegt das Schwergewicht der „Überzeugung" auf ihrem personalen Aspekt, auf dem Bindungsgefühl in einer Konfliktsituation. Hält man sich angesichts einer „Überzeugungstat" die Doppelrelation von Überzeugung als stationärer Sachb er eichsüb er zeugung und aktueller Pflichtüb er zeugung vor Augen, so drängt sich die Frage auf, welcher Unterschied dann noch zu der Definition des Überzeugungsverbrechers besteht, wie sie der 7. DJT i n der Tschechoslowakei i m Anschluß an Rittler, Winterstein und Foltin gegeben hat: „Als Überzeugungsverbrecher ist derjenige anzusehen, der sich zu seiner Tat i n seinem Gewissen für verpflichtet hielt." (1) „Gewissen" kann sich hier auf eine vorangegangene Wertentscheidung beziehen, auf ein Wertbewußtsein oder Wertgefühl und wäre dann gleichbedeutend m i t Überzeugung als einer Ansicht über Wertpräferenzen. (2) Oder aber „Gewissen" kann gleich Gewissensentscheidung gesetzt werden, dann könnte man dafür auch „Pflichtüberzeugung bei der Tatbegehung" sagen. Insofern wären beide Male die Ausdrücke „Gewissen" und „Überzeugung plus A t t r i b u t " austauschbar. (3) „Gewissen" kann i n dieser Formel — ebenso wie i n Äußerungen von Peters — bedeuten, daß der Mensch bei der Tatentscheidung in seiner „Personmitte" betroffen ist. Obwohl bei der Tatentscheidung aufgrund einer Pflichtüberzeugung i n der Person ein starkes Bindungsgefühl ebenso vorherrscht wie bei einer Gewissensentscheidung, so wirkt doch die Fassung „wer sich zu der Tat auf Grund seiner politischen, religiösen oder sittlichen Überzeugung für verpflichtet hielt" sehr viel sachbezogener als die Formulierung „wer sich zu seiner Tat i n seinem Gewissen für verpflichtet hielt". Als trennende Aspekte 44 Radbruch: ZStW 44 (1924) S. 37. Wolf: ZStW 46 (1925) S. 203 ff. u n d Staff: Wille u n d Weg 2 (1926) S. 86 ff. sprachen bereits i n den Überschriften ihrer Aufsätze von „Pflichtüberzeugung". Vgl. heute vor allem Noll: ZStW 78 (1966) S. 643, 646, 654. — Die „Pflichtüberzeugung" ist nicht m i t der „sittlichen Überzeugung" zu verwechseln, die als Sachbereichsüberzeugung verstanden w i r d , vgl. unten i m Text.

Das Problem der adäquaten Begriffsbildung

237

zwischen beiden Ausdrücken bleiben demnach die stärkere Persongerichtetheit des Gewissens und die stärkere Sachgerichtetheit der Überzeugung übrig — eine eher diffuse und nur graduell erfaßbare Differenz. Wie steht es nun aber mit dem Unterschied, auf den sich diejenigen Ansichten stützen, die die Überzeugung durch das Gewissen präzisieren oder ersetzen wollen? Diese Auffassungen leitet das Bestreben, das Sittliche einer Handlungsweise vom rein Zweckmäßigen zu trennen. „Gewissen" w i r d mit Sittlichkeit identifiziert, „Überzeugung" könne allenfalls auf Sittlichkeit gerichtet sein. Der Sprachgebrauch legt diese Unterscheidung nicht nahe, wie gezeigt wurde; ihr liegt vielmehr die Gleichsetzung von Überzeugung mit „Sachbereichsüberzeugung" zugrunde, insbesondere mit „politischer Überzeugung". Diese Identifikation übersieht dreierlei: (1) Selbst unter den Sachbereichsüberzeugungen „politische, religiöse und sittliche Überzeugung" wurde der „sittlichen Überzeugung" i n der Diskussion um den Überzeugungstäter auch durch Radbruch das Primat zuerkannt: Politische und religiöse Pflichtmotive seien sittliche Motive, aber i n diesen Motiven erschöpfe sich die sittliche Überzeugung nicht, da es auch eine wissenschaftliche oder künstlerische Überzeugung gebe. Wenn man aber die politische und religiöse Überzeugung als „Sonderfälle" der sittlichen Überzeugung begreift 4 5 , dann unterliegen auch die Sachbereichsüberzeugungen dem Maßstab der Sittlichkeit, was man darunter letztlich auch verstehen mag. (2) Die Möglichkeit, daß eine Überzeugung zur aktuellen „Pflichtüberzeugung" werden kann und daß die Strafgesetzentwürfe „Überzeugung" auch so verwendet haben, ist verkannt worden 4 6 . (3) Fällt demnach das Prädikat „zweckgerichtet" für die Überzeugungstaten weg, wie sie i n den Entwürfen bestimmt worden sind, so kommt das Werturteil „sittlich" nicht nur dem „Gewissen" als Wertbewußtsein und Entscheidungsakt, sondern ebenso der „Überzeugung" als Wertnahme und aktueller Pflichtüberzeugung zu — und umgekehrt: Ist jede Gewissensentscheidung, nur weil sie eine „Gewissens"Entscheidung ist, sittlich? Ist, wenn man von einem „irrigen Gewissen" 45 46

Radbruch: Referat S. 365.

Vgl. jedoch Schmidhäuser: Strafrecht S. 335: Der Begriff „Überzeugungstäter" sei i n der früheren L i t e r a t u r immer i m Sinne sittlicher Überzeugung (Hervorhebung bei Verf.) gebraucht worden, „ u n d das bedeutet die auf Gewissensentscheidung beruhende Überzeugung". — M a n könnte demnach sagen: Uberzeugung selbst könne einer Gewissensentscheidung entstammen, ebenso w i e die Gewissensentscheidung einer Überzeugung. „ S i t t liche Überzeugung" k a n n jedoch auch als stationäre Sachbereichsüberzeugung verstanden werden, während „Pflichtüberzeugung" die A k t u a l i t ä t der Entscheidung betont.

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spricht, nicht auch eine „irrige Überzeugung" denkbar, jeweils i m Sinne einer „falschen" Wertentscheidung? 3. Die Wahl des Anknüpfungsbegriffs für den Typen-Typus des „Uberzeugungstäters" Welcher Ausdruck, „Gewissen" oder „Überzeugung", ist nun als Anknüpfungsbegriff für den Typen-Typus des „Überzeugungs"-Täters zu wählen? Ein Anknüpfungsbegriff der „Überzeugung" hätte folgende Vorteile: (1) Es handelt sich, wie die Sprachgebrauchsanalyse ergeben hat, u m einen weiten Begriff, der durch Attribute gemäß den jeweiligen Erfordernissen näher eingegrenzt werden kann (vgl. Sachbereichsüberzeugung, Pflichtüberzeugung). (2) Der Ausdruck ist nicht m i t Wertungen überfrachtet, sondern relat i v neutral. Der Sprachgebrauch legt keine Wertungen i n den Ausdruck hinein, sondern fügt sie dem Ausdruck hinzu (ehrliche, achtbare Überzeugung). (3) I m Gegensatz zu „Gewissen" ist „Überzeugung" nicht mehrdeutig als Ausdruck der Potentialität wie der Aktualität und der Personmitte, sondern i n der Grundform als internalisierte, gewisse Ansicht von etwas präziser. Ein Anknüpfungsbegriff des „Gewissens" hätte den Vorteil, die Personbezogenheit der Gewissensentscheidung sowie deren Bedeutung für die Integrität und Würde des Menschen zu betonen — i m Gegensatz zu der immer auch vorhandenen Sachbezogenheit der „Überzeugung". „Gewissen" würde demnach den Entscheidungscharakter schärfer hervorheben. I m Gegensatz zum Ausdruck „Überzeugung" bietet der Ausdruck „Gewissen" jedoch mehr Ansatzpunkte zu einer versteckten Wertung der Gewissensentscheidung als sittlich oder unsittlich, da in den Ausdruck selbst das Erfordernis hineingelegt werden kann, als „Gewissens"-Entscheidung nur eine solche Entscheidung anzuerkennen, die an den Kategorien von „ G u t " und „Böse", i n einem objektiven Sinne verstanden, gemessen worden ist. Da die Urfrage der Ethik nach „ G u t " und „Böse" bis heute noch nicht allgemeingültig beantwortet werden konnte, stellt sich das Maßstabsproblem: Anhand welcher Ordnung soll festgestellt werden, ob eine Entscheidung eine Geunssensentscheidung ist? Angesichts dieser Abwägungen fällt die Wahl auf „Überzeugung" als Anknüpfungsbegriff für den alle Einzeltypen umfassenden Typen-Typus, wie er sich aufgrund der „Urfrage" gebildet hatte, nicht schwer:

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Das Problem der adäquaten Begriffsbildung

„Überzeugung" „Gewissen".

ist der weitere, neutralere

und eindeutigere

Begriff

als

Diese Entscheidung sagt nichts über die Verwendbarkeit des Gewissensbegriffes innerhalb eines Einzeltypus: Kraft der starken personalen und entscheidungsbetonten Färbung eignet sich dieser Begriff dort als Spezialbegriff, wo es auf die Tat ankommt, während der Gewissensbegriff dort nicht so sehr am Platze ist, wo der Täter und seine stationäre Gesinnung Gegenstand der Untersuchung sind. Bei der Verwendung des Ausdrucks „Gewissen" innerhalb der kommenden Darlegungen muß man sich stets vergegenwärtigen, daß „Gewissen" nicht i n Gegensatz zu „Überzeugung" gestellt werden kann, sondern daß innerhalb der Untersuchungen zum Typen-Typus des Überzeugungstäters das Gewissen einen besonderen Aspekt beschreibt.

V I . Abschließende Thesen 1 6 - 2 0 These 16 Der Anknüpfungsbegriff für den Typen-Typus des Überzeugungstäters ist als Begriff de lege ferenda nur anhand des allgemeinen Sprachgebrauchs aufzufinden („Gebrauchsausdruck"), während den verschiedenen Einzeltypen des Überzeugungstäters eine jeweils eigene Variante des dem Typen-Typus zukommenden Anknüpfungsbegriffs entsprechen kann. These 17 Eine Überzeugung stellt gemäß dem Sprachgebrauch ein Gefüge aus Persönlichkeits-, sach- und gruppenbezogenen Elementen dar. Sie ist, bezogen auf den Uberzeugungsträger, sowohl rational als auch emotional und voluntativ bestimmt. Überzeugungsgegenstand kann jede Ansicht, Meinung, Wertung werden, deren Unbezweifelbarkeit nicht allgemein als selbstverständlich anerkannt wird. Eine Wertung der Überzeugung w i r d durch Attribute offen gekennzeichnet. These 18 „Gewissen" meint i m allgemeinen Sprachgebrauch sowohl die abstrakte Kenntnis moralischer Gebote und Verbote als auch die konkrete Entscheidung i n einer Konfliktsituation anhand der subjektiv als verpflichtend anerkannten Werte als auch Personmitte. Jede Ideologie versucht „Gewissen" anhand ihrer Inhalte zu objektivieren. These 19 Als Anknüpfungsbegriff für den Typen-Typus des Überzeugungstäters eignet sich „Überzeugung" besser als „Gewissen", da „Überzeugung" der weitere, neutralere und eindeutigere Begriff ist. „Überzeu-

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gung von etwas" meint i n der Reformdiskussion seit Radbruch nicht stationäre Sachbereichsüberzeugung, sondern aktuelle Pflichtüberzeugung. These 20 „Gewissen" darf nicht i n Gegensatz zu „Überzeugung" gestellt werden, vielmehr kann sich „Gewissen" kraft der starken personalen und entscheidungsbetonten Färbung als Spezialbegriff innerhalb des T y pen-Typus des Überzeugungstäters dort bewähren, wo es auf die Beurteilung des konkreten Verhaltens des Täters ankommt.

··

E. Die R e c h t e f i g u r des Überzeugungstäters als normatives Problem Dem Gesamtphänomen des Überzeugungstäters ist nunmehr ein adäquater Begriff zugeordnet worden. Der typologisch-begriffliche Problemkreis ist abgeschritten, innerhalb dessen sich bisherige wie künftige Lösungen der Überzeugungstäterfrage halten. M i t dem Nachweis von Typus und Begriff des Überzeugungstäters ist die grundlegende Vorfrage beantwortet worden, ob sinnvoll von einer Denkfigur des Überzeugungstäters gesprochen werden kann. Nunmehr drängt sich das Problem auf, ob auch von einer Rechtsfigur des Überzeugungstäters die Rede sein kann. Nicht, ob die Denkfigur des Überzeugungstäters logisch möglich ist, ist jetzt die Frage, sondern ob die Figur des Überzeugungstäters sein soll, das heißt, ob sie normative Verbindlichkeit beanspruchen kann m i t der Folge, Grundlage für Rechtsprechung zu werden, m i t der weiteren Folge, auf Bürger wie Gesellschaft gestaltend einzuwirken. Der Weg zu einer rechtsstaatlichen Lehre vom Überzeugungstäter ist jedoch noch durch „Felsbrocken" versperrt, die es zunächst wegzuräumen gilt. Es handelt sich u m Argumente, die prinzipiell die Möglichkeit einer normativen Anerkennung der Sonderstellung für Überzeugungstäter bestreiten. Diese grundsätzliche K r i t i k , die sich an Radbruchs Reformvorstellungen entzündete, kreist um das Verhältnis einer Lehre vom Überzeugungstäter zum Verständnis von Recht und Staat. I n der Diskussion wurde dieser Problemkomplex vielfältig aufgefächert: Es wurden Fragen gestellt, die i n die Kontroversen der Relation von Individuum und Gemeinschaft, von Individualethik und Sozialethik und i n den Streit u m den Verpflichtungsgrund der Rechtsnorm einmünden, Fragen sehr allgemeiner Natur, die jedoch als drängend und grundlegend für die Stellungnahme zu den Vorschlägen einer Sonderbehandlung für Überzeugungstäter erlebt und erkannt wurden und die zu allererst einmal zu bedenken sind, da hier die Schlüsselprobleme liegen, deren Beantwortung die Einzelstellungnahmen determinieren.

I. Prinzipielle Einwände gegen den Vorschlag einer Sonderbehandlung für Überzeugungstäter I m Schrifttum wurde die Radbruchsche Lehre vom Überzeugungsverbrecher nicht nur als unvereinbar m i t der Staatsidee, sondern auch 16 G ö d a n

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aus ethischen, rechtstheoretischen und politischen Gründen abgelehnt, die jedoch alle eng miteinander verflochten sind. Die gegen die Lehre vom Überzeugungstäter gerichteten Gegenthesen gilt es i m folgenden kritisch zu würdigen. 1. Gegenthese: Der Primat der Staatsidee vor den Partikularideen a) Die Begründung der These

Insbesondere Erik Wolf unterzog Radbruchs Lehre dadurch prinzipieller K r i t i k , daß er die Betrachtungsweise des Problems radikal änderte und andere Maßstäbe als Radbruch anlegte. Wolf erblickte seinen Maßstab „ i n der wertbezogenen Idee des Rechtes selbst"; es komme auf das „Ethos des Staates, nicht das des Einzelnen" an 1 . Den Grundgedanken des § 71 E 1925 sah Wolf i n der Anerkennung von Verpflichtungen, die den von der Rechtsordnung begründeten „der Idee nach entgegengesetzt" 2 seien. Der Verfasser machte sich i m Streit zwischen Liberalismus und Staatsabsolutismus, i n dem der Idee zum Siege verholfen worden sei, „daß der vom Staat gegebenen Norm des Lebens keine andere gleichwertig gegenüberstehe" 3 , den Standpunkt des letzteren zu eigen und behauptete, „ i n Zeiten höchster kultureller Entwicklung" habe selbst „die religiöse Kultübung Staatsdienst" bedeutet, während der Weimarer Staat „seine nurmehr partikulare Bedeutung auf dem Gebiet der Lebensordnung" „resigniert" erklärt habe, weil er nicht mehr die sittliche Macht kat'exochen darstelle, sondern „nurmehr eine äußere soziale Zwangsorganisation" sei. M i t dieser Auffassung werde das Strafrecht ad absurdum geführt, da i h m keine „sittliche Idee zur Rechtfertigung 1' dienen könne. Nach Wolfs Ansicht liegt es statt dessen „ i m Begriff des Staates als der höchsten Macht, der eigentlichen Lebensform des Geistes, daß die Idee, i n der er gründet, ihresgleichen nicht vor sich erkennen kann" 4 . I n dem Augenblick aber, i n dem „der Idee des Staates die Idee der individualethischen Haltung, die Idee der Kultgemeinde und die Idee des Bundes oder der Partei gleichwertig erachtet werden, ist der Primat des Staates als des alleinigen Gesetzgebers prinzipiell fragwürdig geworden". Wolf wollte den „Staat i m Staate" vermeiden 5 . Er Schloß seine Erwägungen m i t dem Bedauern, „daß staatliches Den1 2 3 4 5

Wolf: Wolf: Wolf: Wolf Wolf:

ZStW ZStW ZStW : ZStW ZStW

46 (1925) S. 205, Hervorhebung bei Wolf. 46 (1925) S. 206. 46 (1925) S. 210. 46 (1925) S. 214. 46 (1925) S. 217.

Prinzipielle Einwände

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ken und staatliches Ethos unserer Zeit und unserem Volke i n noch nie gesehenem Maß fremd geworden zu sein scheint" 6 . Diese K r i t i k Erik Wolfs macht deutlich, m i t welchen Widerständen die Lehre vom Überzeugungsverbrecher zu kämpfen hat: Ein absolutistisches Staatsverständnis, das selbst vor der Gleichsetzung des Staates m i t Gott nicht zurückschreckt, wie der Vergleich des 1. Gebotes des Dekalogs m i t Wolfs Formulierung von der Staatsidee, „die ihresgleichen nicht vor sich erkennen kann" 7 , ausweist, mußte sich von dem wertrelativistischen Demokratieverständnis Radbruchs herausgefordert fühlen. Hinter diesem Zwist steht, das erkennt Wolf genau, „eine Frage grundsätzlichen Wertstandpunktes" 8 i m K o n f l i k t f a l l zwischen einzelnem und Staat. Diese Frage wiederum mündet ihrerseits i n die philosophische des Ursprungs, der Erkennbarkeit und Verpflichtungskraft von Werten. Hier setzt sich der Streit fort. Wolf nahm auch dazu dezidiert Stellung: Ethische Werte seien „nicht beliebige Kultur-Anschauungen", sondern Normprinzipien, die „aus dem zentralen Wert des Staates" „fließen" 9 . M i t dieser Stellungnahme ist das Verdikt über die Lehre vom Überzeugungsverbrecher gefallen: Sie zerstört die Idee des Staates, w e i l sie dessen absolute Idee relativiert, indem sie ihr Individual- und Gruppenwerte als berücksichtigenswert zur Seite stellt 1 0 . Radbruch hat i n einer brieflichen K r i t i k , die sich auf Wolfs Aufsatz bezieht, darauf hingewiesen, daß § 71 E 1925 „ i n einer relativistischen Auffassung der Werte" wurzele, „die den Wert des bestehenden Staates gegenüber dem beanspruchten Wert anderer Staatsauffassungen als den höheren nicht beweisen zu können glaubt. Diese Grundlage, die Sie zwar als bedauerliches Symptom schwach gewordener Staatsgesinnung auffassen, aber doch nicht widerlegen, dürfte i n der Tat schwer zu erschüttern sein" 1 1 . Zwei Jahre später kam Wolf i n bezug auf § 71 E 1925 zu dem Ergebnis: „Was i n Wahrheit diese Norm hintergründet, ist eine neue Rechtsanschauung als das Teilstück einer neuen Lebensanschauung" und hielt 6

Wolf: ZStW 46 (1925) S. 218. Wolf: ZStW 46 (1925) S. 218. Dem Sinne nach ebenso Wolf: ZStW 47 (1927) S. 397 („keine anderen Formprinzipien des äußeren Lebens neben sich als unverletzbare dulden kann".) 8 Wolf: ZStW 46 (1925) S. 217. 9 Wolf : ZStW 46 (1925) S. 209. 10 Seinen Diskussionsbeitrag auf dem 34. D J T 1926 Verh. Bd. 2 S. 392 Schloß Wolf: „Es darf nicht dahin kommen, daß jeder Überzeugungs Verbrecher die Staatsidee v e r l a c h t . . . " 11 Radbruch: Briefe. Nr. 90 v o m 2. August 1925. S. 88 f. 7

16*

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als deren Ziel fest: „Es ist ein Kampf von Weltanschauungen, der anstatt ausgetragen zu werden, i n Zukunft vermieden werden soll 1 2 ." Noch 1963 hielt Erik Wolf daran fest, daß Radbruchs Vorschlag der Sonderbehandlung des Täters aus Überzeugung die bald zur bedrohlichen Wirklichkeit werdende Gefahr außer acht gelassen habe, „durch solche Abschwächung der moralischen Autorität der Verfassung ihren politischen Gegnern eine sittliche Rechtfertigung vor der öffentlichen Meinung zu verschaffen" 13 . Wenn Wolf 1963 zusammenfassend über die Reformideen Radbruchs urteilt, einige „theoretisch überspitzte", „auch politisch allzu einseitig bedingte" würden heute „ m i t Grund für überh o l t " 1 4 gelten, so hat Wolf sicherlich vor allem Radbruchs Lehre vom Überzeugungsverbrecher i m Auge. Welche der beiden hart konfrontierten staats- und rechtsphilosophischen Konzeptionen heute als „überholt" gelten kann, steht jedoch durchaus dahin — ebenso wie die A n t w o r t auf die höchst kontroverse Frage, ob, wie Wolf andeutet, der relativistische Demokratiebegriff die Heraufkunft des Dritten Reiches begünstigt habe oder ob diese nicht vielmehr den Anhängern eines Staatsabsolutismus, der die Demokratie mißverstand, anzulasten sei 15 . Damit weitet sich das Problem des Überzeugungsverbrechers i n die allgemeinen philosophischen und politischen Bezüge der letzten 50 Jahre. Auch Staff sah den Grundfehler der Lehre vom Überzeugungstäter i n der „unrichtigen Auffassung von der Stellung des Staates zu seinen Bürgern". Der Staat sei als den Bürgern „übergeordnet gedachtes und gewolltes, selbständiges Wesen besonderer höherer A r t " zu verstehen. Staff befürchtete bei Einführung des § 71 E 1925 die „Vernichtung des ι 2 Wolf: ZStW 47 (1927) S. 403; S. 397 wiederholte Wolf den Absolutheitsanspruch des Staates. — I n seiner Antrittsvorlesung schließlich, i n der sich Erik Wolf ebenfalls wieder m i t „Verbrechen aus Überzeugung" beschäftigte, verflüchtigte sich das Argument v o m Absolutheitsanspruch des Staates i n das Motto, das der A r b e i t vorangestellt ist: einen Ausspruch des konservat i v e n Rechts- u n d Staatsphilosophen F. J. Stahl, eines der schärfsten Gegner des demokratischen Liberalismus, wonach die Befolgung einer Rechtspflicht nicht von einer „Gewissensüberlegung" abhängig gemacht werden dürfe, Wolf : Verbrechen S. 5. — 1935 lehnte Wolf das für „anständige Verbrecher" vorgesehene Privileg, die Todesstrafe durch das T r i n k e n eines Giftbechers oder Bereitlegung einer Schußwaffe selbst vollstrecken zu dürfen, m i t der v o n i h m schon 1925 vorgebrachten Begründung ab, ein Privileg f ü r Überzeugungsverbrecher stelle „eine Durchbrechung des Autoritätsgrundsatzes" dar, Wolf: ZStW 54 (1935) S. 548. „Die Anerkennung von Normen, die den v o m Staat gesetzten gegenüber gleichwertig erachtet werden, ist unmöglich, w e n n der Staat seine sittliche Überlegenheit über den Rechtsbrecher nicht preisgeben w i l l . " Wolf: ZStW 54 (1935) S. 549. 13 Wolf: Rechtsdenker S. 737. 14 Wolf: Rechtsdenker S. 736. 15 Siehe z. B. die Kontroverse zwischen Franssen: J Z 1969 S. 766 - 775 m i t reichen Literaturangaben u n d Weinkauff : J Z 1970 S. 54 - 57.

Prinzipielle Einwände

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Staatsbegriffes selbst" 16 . — Auch Nagler erkannte „das Prinzipielle" i n der von i h m später verneinten Frage: „ K a n n ein Staat wirklich den A k t der Selbsterniedrigung und der Selbstpreisgabe, den § 71 Α. E. ihm zumutet, auf sich nehmen . . ." 1 7 ? Schumacher erblickte die sittliche Überlegenheit des Staates über den Überzeugungsverbrecher darin, daß sein Leben dem einzelnen „biologisch überlegen" und „größer, wichtiger, wertvoller" sei 18 . Höpler gar sah i n dem § 71 einen „volksfremden Körper" i m Gesetz 19 . Nicht als prinzipielle, sondern als pragmatische Begründung wurde auch die politische Lage der Weimarer Zeit angeführt: I n einer „so unruhigen und gärenden Zeit" sei der soziale Organismus „ i n weit höherem Grade" schutzbedürftig als die Überzeugung des Rechtsbrechers. Es handele sich somit bei § 71 E 1925 um eine „durchaus unsoziale Bestimmung" 2 0 . Gerland nannte als konkreten Gegner den Kommunismus, mit dem der Weimarer Staat „einen so erbitterten Kampf u m seine Existenz zu führen h a t " 2 1 . Nach dem 2. Weltkrieg spielte die Berufung auf die politische Lage vor allem bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission 1955 eine Rolle. Krille meinte, „daß gerade i n einer Krisenzeit wie der unsrigen, wo letzte Werte des Abendlandes auf dem Spiele stehen, eine gewisse Härte notwendig sein w i r d " 2 2 . Auch Lange befürchtete, daß m i t der Sonderbehandlung des Überzeugungstäters „ein Zeichen der Schwäche" gegeben würde, „das von denen, die es angeht, bestimmt nicht mißverstanden" werde 2 3 . — Der Sonderausschuß „Strafrecht" schätzte allerdings eine derartige Gefahr gering ein, wie § 48 a E 1962/SA 1966 zeigt 24 . b) Gegenstimmen

Wegner hat auf dem 34. Deutschen Juristentag 1926 Radbruchs Staatsauffassung verständlich zu machen versucht: Es sei falsch, Radbruch vorzuwerfen, er habe keine Staatsauffassung, denn er habe „nur 19 Staff: W i l l e u n d Weg 2 (1926) S. 90. Vgl. ähnlich Budzinski S. 44: daß die staatliche Gesellschaft, welcher jeder einzelne untergeordnet ist, ein Recht hat, sich i h n dienstbar zu machen und dienstbar zu erhalten . . . " 17 Nagler: S. 63. I h m folgend Budzinski: S. 43. 18 Schumacher: S. 73. 19 Höpler i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 394. 20 Schmidt (Strafanstaltsdirektor): S. 280. 21 Gerland: E n t w u r f S. 89. 22 Krille i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 54. 23 Lange i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61. 24 N u r hinsichtlich der „Verfassungsfeinde" äußerte Schafheutie i n Prot, der Sitzung des SA v. 3.12.1964 S. 574, daß eine Einschließung „lebensgefährlich f ü r das Staatswesen" wäre.

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Die

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eben eine andere: die des Liberalismus". Dies aber fordere den „Widerspruch einer Zeit heraus, die wieder die Sehnsucht bekennt, in gleichem Schritt und T r i t t zu marschieren" 25 . Von besonderem Interesse und wert, heute festgehalten zu werden, ist die kämpferische Ablehnung, die die staatsabsolutistischen A u f fassungen auf dem 7. Deutschen Juristentag i n der Tschechoslowakei 1935 erfahren haben, i n einer Zeit also, i n der dieser Staat „sozusagen eine demokratische Insel inmitten eines Kreises mehr oder minder autoritär eingestellter Nachbarstaaten" war, wie es ein Diskussionsteilnehmer formulierte 2 6 . Insbesondere der österreichische Gutachter Rittler ging mit den Äußerungen Naglers und Wolfs sowie m i t der absolutistischen Staatsauffassung hart ins Gericht 27 . Die Gegner der Lehre vom Überzeugungstäter argumentierten, so führte Rittler aus, als ob der den Staat umstürzende Überzeugungsverbrecher von Strafe freigestellt werden sollte. Prophetisch fuhr Rittler fort: „Es scheint freilich, daß die Vorkämpfer der autoritären Staatsidee dem Staat auch die Souveränität auf dem Gebiete der Sittlichkeit zuerkennen wollen; darauf zielt wohl die neu erhobene Forderung der Einheit von Recht und Sittlichkeit ab; dann aber ist die Stunde nicht ferne, in der der Staat auch den Anspruch erheben wird, die religiöse Ordnung für seine Bürger zu sein. Der Staat würde danach die einzige ethische Macht werden, er würde wirklich Totalität erlangen . . . Es würde keinen kulturellen Fortschritt darstellen, wollte man die Entwicklung gewaltsam umbiegen und zurückleiten zu einer einzigen ethischen, i m Staate verkörperten Macht, die alles zugleich ist: Religion, Moral und Recht . . . Die Vergottung des Staates ist nur auf einer primitiven Kulturstufe möglich, nicht der unseren 28 ." Auch Foltin ließ das Argument, der Staat gebe bei der Sonderbehandlung des Überzeugungsverbrechers seinen Souveränitätsanspruch auf, nicht gelten: „Ja, ich wage sogar zu sagen, daß der Staat, der den Überzeugungsverbrecher als ehrlichen Gegner behandelt, nicht nur nichts an Autorität verliert, sondern i n den Augen seiner Bürger, deren Rechtsfühlen er dadurch entspricht, sogar gewinnt. Nur der Schwache greift gerne zu dem Hilfsmittel, seinen Gegner als ehrlos herabzusetzen 29 ." 25

Wegner: Diskussionensbeitrag S. 410. Daninger i n Verh. des 7. D J T i n der Tschechoslowakei S. 127. 27 Rittler: S. 79 ff. Rittler behandelt i m gleichen Zuge die nationalsozialistische Staatsauffassung, während Radbruch: Mensch S. 76 ff. 1933 noch zwischen nationalsozialistischem Denken, das an der rassenmäßig aufgefaßten Volksgemeinschaft orientiert sei, u n d deutschnationalem Denken, das ganz auf die A u t o r i t ä t des Staates eingerichtet sei, unterschied. 28 Rittler: S. 81 f. 26

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I n der Diskussion wurde darauf hingewiesen, daß die Forderung einer Sonderbehandlung gerade auch des politischen Überzeugungsverbrechers „ i n einem Hechtsstaate mit demokratischer Verfassung eine Selbstverständlichkeit" sein sollte 80 , da i n diesem die „Ideale der Freiheit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit" hochgehalten würden 8 1 . I m Verlaufe der i n den sechziger Jahren wieder aufgeflammten Diskussion um den Überzeugungstäter verwahrte sich insbesondere Peters gegen den Vorwurf, es schädige die Autorität des Staates, wenn das Recht von der Bestrafung des Gewissenstäters Abstand nehme. Peters stellte fest: „ I m Gegenteil gewinnt der Staat dadurch an Achtung 8 2 ." c) Das Problem des pluralistischen Staates

Versucht man die vor allem von Wolf vertretene These vom Primat der Staatsidee vor den Partikularideen wissenschaftlich zu lokalisieren, so stößt man auf das i n der Allgemeinen Staatslehre und der Politologie ansässige Problem des pluralistischen Staates 88. Da Wolf den Überzeugungstäter als soziologischen Typus und als Vertreter einer zum Staate i n Widerspruch stehenden Gruppenüberzeugung begriff, stellt sich hier nicht das Problem des Verhältnisses des einzelnen zum Staat, sondern das des „Staates i m Staate". Die Vielzahl von Verbänden, Parteien, Tarifpartnern, Kirchen, Weltanschauungsgruppen sowie die Vielfalt der von ihnen repräsentierten Wertauffassungen und Interessen legen zunächst die Vermutung nahe, als ob eine staatliche Willensbildung wegen der desintegrierenden Kräfte gar nicht möglich sei und ein Gemeinwille nur noch gewaltsam begründet werden könne. Schon Hobbes verglich die Parteiungen i m Staate m i t den Würmern i m Eingeweide eines Menschen 84 . Der moderne totalitäre Staat beansprucht den „ganzen Menschen", er kann keine Besonderheit „neben sich" dulden, handele es sich dabei u m A r beit, Familie, Freizeit oder Gesinnung, erst recht aber keine organisierten Besonderheiten. 29

Foltin: S. 119. Eppinger i n Verh. des 7. D J T i n der Tschechoslowakei S. 138, Schaurek i n ebenda S. 129. 31 Daninger i n Verh. des 7. D J T i n der Tschechoslowakei S. 128. 32 Peters: J Z 1966 S. 459; ähnlich Hof mann: S. 35. 33 Vgl. insbes. die Darstellungen bei Zippelius: Staatslehre 3. Aufl. S. 100ff.; Herzog: S. 67 ff.; Fraenkel: S. 40 ff., 66ff., 152ff., 165ff.; Loewenstein: S. 367 ff.; Beyme: Interessengruppen S. 196 ff., Regierungssysteme S. 492 ff.; Hättich: S. 53 ff.; Narr: S. 22 ff.; Besson / Jasper: S. 12 ff. 34 Hobbes: Engl. Ausg. S. 257 (Kap. 29): „ l i k e wormes i n the entrayles of a naturell man." Vgl. Zippelius: Staatslehre 3. Aufl. S. 101 zum Zusammenhang. 30

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Die Alternative zu einer monistischen Staatsauffassung bietet die balance of power der widerstreitenden politischen, weltanschaulichen und wirtschaftlichen Gruppierungen. I m Modell des modernen 35 demokratischen Staates erscheinen die pluralistischen Mächte nicht als zerstörende Faktoren, sondern als konstruktive Elemente, die i m Widerstreit miteinander zum Kompromiß angehalten sind. Konkurrenz, Diskussion und Kompromiß sind die charakteristischen Lebensformen des pluralistischen Staates 36 . Während eine anti-pluralistische Staatsauffassung von der Hypothese der Existenz eines eindeutig bestimmbaren, a priori vorgegebenen Gemeinwohls ausgeht, beruht der Pluralismus auf der Hypothese, i n einer differenzierten Gesellschaft könne „das Gemeinwohl lediglich a posteriori als das Ergebnis eines delikaten Prozesses der divergierenden Ideen und Interessen der Gruppen und Parteien erreicht werden" 3 7 . Beyme sieht „die größte Errungenschaft der rechtsstaatlichen Demokratie" darin, daß ein „Monopol auf die Definition des Gemeinwohls durch eine Gruppe" nicht mehr anerkannt werde 3 8 . Legt man den Pluralismus als „konstitutives Strukturprinzip" zugrunde, so geht es stets aufs neue darum, „alle Interessen und Meinungen möglichst umfassend zu berücksichtigen, sie gerecht gegeneinander abzuwägen und ein Optimum der Interessenbefriedigung anzustreben" 39 . Regieren und Gesetzgeben kann demnach i m pluralistischen Staat nur „von Fall zu Fall ein fortgesetztes Aushandeln von Kompromissen zwischen den einander entgegengesetzten Kräften und Anschauungen" sein 40 . A u f gabe der Rechtsordnung ist es dann, Kompetenzen und Verfahren bereitzustellen, innerhalb deren die Konflikte ausgetragen werden. Solange die einzelnen Gruppen nicht die K r a f t zu revolutionärer Durchsetzung ihrer Interessen haben, bleiben sie darauf angewiesen, ihre Einflüsse innerhalb des Schemas der Rechtsordnung geltend zu machen 41 . Während es nicht Aufgabe der Allgemeinen Staatslehre und der Politologie ist, eine spezifische Ausprägung des Staates — als pluralistischer oder anti-pluralistischer — zu rechtfertigen, stellt sich angesichts des von Wolf aufgestellten Primats der Staatsidee vor den Partikularideen die Frage, wie diese These i m Zusammenhang des Überzeugungs35 Demokratie k a n n nicht allgemein m i t Pluralismus auf eine Stufe gestellt werden, w i e die Lehre Rousseaus zeigt, nach der es keine Sondergruppen i m Staate geben darf, vgl. die Darstellung bei Fraenkel: S. 173 ff. 36 Zippelius: Staatslehre 3. A u f l . S. 101; Narr: S. 24 ff. 37 Fraenkel: S. 167 f., vgl. S. 188. 38 Beyme: Interessengruppen S. 209. 39 Zippelius: Staatslehre 3. A u f l . S. 101. 40 Zippelius: Staatslehre 3. A u f l . S. 107. 41 Zippelius: Staatslehre 3. A u f l . S. 106; vgl. Fraenkel S. 166.

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täterproblems zu beurteilen ist. Wenn w i r uns die Aufgabe gesetzt haben, die Problematik des Überzeugungstäters hic et nunc zu untersuchen, so schließt dies die konkrete verfassungsrechtliche Situation der Bundesrepublik Deutschland ein, auf deren Hintergrund die von Wolf aufgeworfene Frage neu gestellt werden soll. d) Pluralismus und Grundgesetz

Das Grundgesetz garantiert Bekenntnisfreiheit und Meinungsfreiheit, auf denen sich Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und schließlich die Freiheit der parteipolitischen Betätigung aufbauen. Diese Grundrechte schützen verschiedene Stufen eines Integrationsprozesses, i n dem die einzelnen einer atomisierten Masse zur demokratisch verfaßten Gesellschaft werden 4 2 . Wie ist dann aber Staatsgewalt, Souveränität möglich? A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG fingiert nicht etwa eine Willenseinheit des Volkes, wenn er bestimmt, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Vielmehr ist es „Sache des ganzen Volkes", politische Einheit herzustellen, die die „Bedingung der Entstehung und des Wirkens staatlicher Gewalt" ist. Ausgangspunkt des politischen Prozesses der staatlichen Willensbildung ist „die Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit der Meinungen, Interessen, Willensrichtungen und Bestrebungen und damit die Existenz von Konflikten innerhalb des Volkes" 4 3 . Konflikte zu lösen und nicht zu verdrängen oder zu ignorieren, ist die Aufgabe, vor die die politischen Einigungsbemühungen gestellt sind 4 4 . Die Konflikte müssen i n den „Prozeß politischer Einheits- und staatlicher Willensbildung eingehen und hier ausgetragen und befriedet werden". Hesse sagt demnach zu Recht: „ N u r wo daher die Aufgabe gelöst wird, politische Einheit zu bilden und zu erhalten, w i r d der Staat zur Realität und ist er als einheitlicher Handlungs- und Wirkungszusammenhang ,gegeben'. Der Staat läßt sich nur erfassen, wenn er i n diesen beiden Dimensionen, als stets zu bildende, zu bewahrende und fortzubildende Einheit und als Handeln und Wirken der i m Wege politischer Einheitsbildung konstituierten ,Gewalten' begriffen w i r d 4 5 . " Der letzte Aspekt w i r d von Hesse als „Staat" bezeichnet, der erste als „politische Einheit". Die Unterscheidung diene nur zur Verdeutlichung jener Aspekte; sie dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich u m Aspekte ein und derselben Sache handele. — „Staatsgewalt" i n einem pluralistisch organisierten demokratischen Staat heißt demnach nicht „soziale Omnipotenz", 42 43 44 45

Stein: Lehrbuch S. 124; vgl. Zippelius: 3. A u f l . S. 102; Hesse: S. 122 f. Hesse: S. 55. Hesse: S. 6. Hesse: S. 8; vgl. Denninger: JZ 1970 S. 145 ff.

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sondern „juristische Omnikompetenz" 4 6 . Diese Kompetenzenhoheit bleibt aber stets rückgekoppelt an die die Staatsgewalt hervorbringende politische Einheitsbildung. Setzt aber ein Pluralismus, um funktionieren zu können, nicht das Einigsein über ein M i n i m u m von grundlegenden Wertentscheidungen voraus? C. J. Friedrich, der der Lehre von den „agreements on fundamentals" nachgegangen ist, hat festgestellt, daß es sich hierbei nicht etwa um eine staats-, sondern um eine parteipolitische Doktrin handelt 4 7 . Die „fundamentals", deren Einhaltung von allen erwartet w i r d und auf denen „man" besteht, seien gewöhnlich die jeweilige Parteiauffassung, die der Betreffende vertrete. Der Sinn der Demokratie bestände gerade darin, ein „disagreement on fundamentals" möglich zu machen und verschiedene Auffassungen i n den wichtigsten Streitfragen der Religion, der K u l t u r , des Wirtschaftssystems nebeneinander stehen zu lassen 48 . Nur negativ gewendet gelte die Lehre vom Consensus i m Grundsätzlichen auch für die Demokratie: Wenn man über alles verschiedener Meinung sei, auch über die Demokratie selbst, dann sei die Demokratie nicht arbeitsfähig 49 . Die Bedingung für ein existenzfähiges pluralistisches Gemeinwesen ist demnach die Befolgung demokratischer Verhaltensweisen seitens aller Beteiligten. Das Grundgesetz hat diesen Überlegungen Rechnung getragen, indem es die A r t . 1 und 20 durch A r t . 78 Abs. 3 für unabänderlich erklärt und i n A r t . 18 bestimmt, daß derjenige, der bestimmte Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, diese Grundrechte verwirkt; Parteien, die die Demokratie bekämpfen, sind verfassungswidrig, A r t . 20 Abs. 2 GG. Insofern nimmt das Grundgesetz „aus dem Pluralismus von Zielen und Wertungen, die i n den politischen Parteien Gestalt gewonnen haben, gewisse Grundprinzipien der Staatsgestaltung heraus, die, wenn sie einmal auf demokratische Weise gebilligt sind, als absolute Werte anerkannt und deshalb entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt werden sollen" 5 0 . — Innerhalb dieses weit gesteckten Rahmens gilt es, Demokratie pluralistisch zu verwirklichen, indem nach Kompromiß antworten gesucht wird. Die Zukunft der Demokratie i n Deutschland, so meint Friedrich, hänge sehr stark ab von der Entwicklung demokratischer Verhaltensweisen, 48

Fraenkel: S. 166; vgl. Zippelius: Staatslehre 3. A u f l . S. 106. Friedrich: S. 67 ff. 48 Friedrich: S. 70. 49 Friedrich: S. 74. 50 BVerfGE 5 S. 139 (KPD-Urteil) ; vgl. zum Zusammenhang m i t Lehre v o m Überzeugungstäter Lang-Hinrichsen: JZ 1966 S. 159. 47

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insbesondere „von der Bereitschaft zur Duldung der Überzeugungen Andersdenkender und Andersfühlender" 5 1 . e) Folgerungen für die Kritik der 1. Gegenthese

Die These vom Primat der Staatsidee über die Partikularidee geht von einem obrigkeitlichen Staatsverständnis aus: Hie der „General Dr. von Staat" (Thomas Mann), dort der „Untertan und sein Gehorsam" (Herbert Krüger). Daß die Gruppenmächte als Teile des Volks, von dem die Gewalt ausgeht, i n ihrem M i t - und Gegeneinander den demokratischen Staat allererst konstituieren, w i r d von diesem Verständnis als Verfallserscheinung des Staates gedeutet. „Staat" und „Staatsidee" werden hier als abstrakte und stationäre Vorgegebenheiten aufgefaßt, die bereits „fertig" sind und denen nur noch gehorcht werden kann. Die Konfrontation von „Staatsidee" und „Partikularidee" verführt dazu, den K o n f l i k t zwischen Gruppenmächten, die die Mehrheit i m Staate bilden, und Minderheitsgruppen m i t Gewalt zu lösen. Statt dessen sollte nach Wegen gesucht werden, die Konkurrenz widerstreitender Mächte durch die Abwägung der jeweiligen Werte und Interessen für das Zusammenleben fruchtbar zu gestalten. I m pluralistischen Staat der Bundesrepublik ist dies jedoch prinzipiell nicht durch Konfrontation und Zwang, sondern durch Integration und Kompromiß möglich. Von einem grundsätzlichen Widerspruch zwischen Staatsidee und Partikularideen kann man i m demokratischen Staat der Bundesrepublik nicht ausgehen, vielmehr versteht sich — gerade umgekehrt — dieser Staat als eine Hervorbringung seitens der Partikularideen, als das Kräfteparallelogramm der gesellschaftlichen Mächte 52 . Bei allen Schwächen und Gefahren des pluralistischen Systems 53 erscheint es dennoch geeignet, auch den Minderheiten über das bloße Überstimmtwerden hinaus einen Platz bei der politischen Einigungsbildung zu sichern, indem ihnen die Chance zur M i t w i r k u n g und Einflußnahme ebenso eingeräumt w i r d wie die faire Austragung von Konflikten 5 4 . Copie hat demnach recht, wenn er Wolf vorwirft, seine Lehre vom Überzeugungstäter beruhe auf einem harmonistischen Modell einer Gesellschaft m i t monolithischer Wertordnung, die hierarchisch gestuft und autoritär verfestigt sei 55 . 51

Friedrich: S. 76. Vgl. Herzog: S. 72. 53 Die Schwächen liegen ζ. B. i n der fehlenden Publizität der Gruppenentscheidungsprozesse, i n der Unterrepräsentation des tatsächlich Vertretenen i n den Verbandsgremien, i n der mangelnden Berücksichtigung v o n Gemeinschaftsaufgaben, i m mangelnden Kräftegleichgewicht der Gruppen; vgl. Zippelius: Staatslehre 3. Aufl. S. 107ff.; Loewenstein: S. 414ff.; Narr: S. 53 ff.; Hesse: S. 56 A n m . 7; Stein: Lehrbuch S. 77 f.; Herzog: S. 72 f. 54 Hesse: S. 56. 55 Copie : S. 114. 62

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Daß man aber selbst von einem prinzipiellen absoluten Staatsverständnis zu pragmatischen Ausnahmen gelangen kann, zeigt der Philosoph des absoluten Staates selbst. Hegel sagt i n seiner Rechtsphilosophie: „Der i n seiner Organisation ausgebildete und darum starke Staat kann sich hierin desto liberaler verhalten, Einzelnheiten, die ihn berührten, ganz übersehen, und selbst Gemeinden (wobei es freilich auf die Anzahl ankommt) i n sich aushalten, welche selbst die direkten Pflichten gegen i h n religiös nicht anerkennen, indem er nämlich die Mitglieder derselben der bürgerlichen Gesellschaft unter deren Gesetzen überläßt und m i t passiver, etwa durch Verwandelung und Tausch vermittelter, Erfüllung der direkten Pflichten gegen ihn zufrieden ist 5 6 ." Hegel übte sogar den von i h m zitierten Quäkern und Wiedertäufern gegenüber, die den Kriegsdienst ablehnten, Toleranz, während Krüger angesichts des A r t . 4 Abs. 3 GG heute einwendet: „Mag die praktische Bedeutung dieser Nachgiebigkeit auch gering sein —, man darf dennoch nicht übersehen, daß es dem Verständnis widerstreitet, auf dem die moderne Staatlichkeit beruht. Hiermit ist die erste Bresche i n dieses Verständnis geschlagen, was nicht bagatellisiert werden darf, da auf der Unabdingbarkeit desselben und damit auf der unbedingten Erhaltung der Allgemeinheit der Pflichterfüllung das Vertrauen der Bürger aufeinander und auf den Staat beruht 5 7 ." Was für eine Verkehrung der Fronten: Hegel respektiert die Kriegsdienstverweigerer i n einem absolutistischen Staat, Krüger verwirft ein entsprechendes Grundrecht des demokratischen Staates! Gegenüber allen monistischen Staatslehren, mögen sie nun Ausnahmen zulassen oder zurückweisen, gilt der Satz Fraenkels: „Der pluralistische Staat ist ein moralisches Experiment, das jeden Tag von neuem gewagt werden muß 5 8 ." Nach Fraenkel ist der Pluralismus durch ein Doppeltes gekennzeichnet: Durch das Vertrauen, daß es möglich ist, den Gemeinwillen unter Berücksichtigung der Gruppenwillen zu gestalten, sowie durch die Erkenntnis, daß es unmöglich ist, die Freiheit zu erhalten, wenn die Gruppenwillen geknechtet werden 5 9 . Der grundsätzliche Widerstreit zwischen monistischen und pluralistischen Staatsauffassungen mündet letztlich i n das Problem des Wertpluralismus. Besson und Jasper weisen eindrücklich darauf hin, daß Pluralismus auch die unterschiedlichen Wertvorstellungen umfasse, die i n einer Gesellschaft maßgebend seien. I n einer Gesellschaft, die m i t der persönlichen Freiheit des einzelnen Ernst mache, könne es keine einheitliche, 56 57 58 59

Hegel: S. 225 (§ 270). Krüger: S. 965. Fraenkel: S. 46; vgl. Hättich: S. 55 f. Fraenkel: S. 189; vgl. Besson / Jasper: S. 16 f.

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verbindliche religiöse oder weltanschauliche Grundlage des Zusammenlebens geben. „Weder äußerer Befehl noch überkommene Tradition, sondern nur die persönliche Gewissensentscheidung" könne „Grundlage der eigenen Wertentscheidungen sein". Das führe zwangsläufig zu einer Vielzahl religiöser oder weltanschaulich ausgerichteter Gruppen, die i m Rahmen einer freien Gesellschaft nebeneinander existieren müßten. Der einzelne glaube zwar, für sich i n seiner Religion oder Weltanschauung „die" Wahrheit erfaßt zu haben, „aber da diese Wahrheit nur i n freier, persönlich wagender Gewissensentscheidung erfahren und angenommen und nur als Appell an die freie Gewissensentscheidung anderer ausgesagt werden" könne, verbiete sich „jeder Versuch, dieser Wahrheit m i t Zwangsmitteln absolute Geltung zu verschaffen". I m Verzicht auf den Anspruch der Allgemeingültigkeit bestimmter Werte und Überzeugungen offenbare sich das Unvermögen des Menschen, letzte Wahrheiten logisch zwingend und einsehbar vermitteln zu können. I n diesem Verzicht aber komme gerade die Achtung vor der Freiheit des einzelnen und seiner Gewissensentscheidung zum Ausdruck. Eine Gesellschaft, die sich zur Freiheit bekenne, sei eine unbequeme Gesellschaft, da sie ein Leben i n ständigen Konflikten bedeute, aber nur so sei die „Freiheit des einzelnen und die M i t w i r k u n g der Gruppen an der Formulierung des Gemeinwohls" aufrechtzuerhalten 60 . Die Gegenposition hat Hobbes prägnant formuliert: „Durch das Gift aufrührerischer Lehren" könnten Staatskrankheiten erzeugt werden. Eine dieser Lehren sei: Jeder einzelne Bürger hat das Recht zu entscheiden, was gute und böse Handlungen sind. Diese Lehre verleite die Bürger, jeden obrigkeitlichen Befehl erst zu prüfen und zu tadeln und dann nach eigenem Gutdünken dem Befehl zu gehorchen oder nicht zu gehorchen. Nach Hobbes ist aber das bürgerliche Gesetz der einzige Erkenntnisgrund der guten und bösen Handlungen, und der Souverän besitze allein das Recht, darüber zu urteilen. Aus der ersten schädlichen Lehre fließe eine weitere: Was der Bürger wider sein Gewissen tut, ist Sünde. Aber nicht das eigene Urteil, sondern das öffentliche Gesetz müsse von einem jeden Bürger als Richtschnur seiner Handlungen gewählt werden: „Because the L a w is the publique Conscience, by which he hath already undertaken to be guided. Otherwise i n such diversity, as there is of private Consciences, which are but private opinions, the Common-wealth must needs be distracted, and no man dare to obey the Soveraign Power, farther than i t shall seem good i n his eyes." Weil jeder i n Absicht seines Gewissens und seiner Meinungen so sehr von dem anderen abgehe, müsse der Staat notwendig i n Uneinigkeit geraten 61 . 80 el

Besson / Jasper: S. 15 f. Hobbes: Engl. Ausg. S. 249, deutsche Ausg. S. 329 f. (Kap. 29.).

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Damit weitet sich die Pluralismusthese von einer verfassungsrechtlichen, staatsrechtlichen, politologischen, soziologischen Frage zu einer philosophischen. Der Kreis Staat — Gruppe — einzelner schließt sich wieder um das Problem des Überzeugungstäters, und das Thema der nächsten Gegenthese w i r d angeschlagen. 2. Gegenthese: Der Primat des Gesetzes vor dem Gewissen Während die erste Gegenthese zur Lehre vom Überzeugungstäter hauptsächlich i n der Weimarer Zeit vertreten wurde, hat sich die heute vornehmlich vertretene These vom Vorrang der Rechtsordnung und des Gesetzes vor der Überzeugung und dem Gewissen i n ihrer Stoßrichtung geändert: Nicht mehr Staatsordnung und Gruppenmeinung werden einander gegenübergestellt, sondern nurmehr einem Teil der Staatsordnung, der Rechtsordnung nämlich, w i r d der Primat vor der abweichenden Individualordnung zuerkannt. Damit wandelt sich zugleich die Betrachtungsweise und die wissenschaftliche Fachzuständigkeit: Aus einem staats- und politikwissenschaftlichen Problem w i r d nunmehr eine rechtsphilosophische Fragestellung. Nach Welzel handelt es sich hierbei „ u m ein allgemeines, vom konkreten Verfassungsrecht unabhängiges, rechtsphilosophisches Problem, ob und inwieweit das positive Recht seine Grenze am individuellen Gewissen hat. Wie verhalten sich die Normen des Rechtes zum Gewissen des einzelnen" 1 ? M i t welcher Berechtigung kann ein Täter wegen der Nichtbefolgung einer Strafrechtsnorm zur Verantwortung gezogen werden, wenn er sich aufgrund seiner Überzeugung zu ihrer Verletzung verpflichtet fühlt? M i t dieser Frage ist das Problem der Geltung oder Verbindlichkeit der Rechtsnorm aufgezeigt, das bisher ein mehr theoretischakademisches Interesse gefunden hat, nunmehr aber unmittelbar-praktisch Bedeutung gewinnt. Sollte sich ζ. B. herausstellen, daß eine jede Strafrechtsnorm als unter Gewissensvorbehalt stehend zu betrachten ist, so wäre die Problematik schon auf rechtsphilosophischer Ebene zugunsten der Straflosigkeit des Überzeugungstäters gelöst. Welzel nimmt i n dieser Diskussion eine Sonderstellung ein, da er sich sowohl als Strafrechtler wie als Rechtsphilosoph zu Wort gemeldet hat 2 und w e i l i n den Beratungen des Sonderausschusses »Strafrecht' mehrfach eingehend auf seine Auffassungen Bezug genommen worden ist 3 . 1

Welzel: Gesetz S. 385. Welzel: Gewissen passim, Gesetz passim, Naturrecht S. 238 f., 252 f., Frage S. 21, Strafrecht S. 176 f., Diskussionsbeitrag i n Friedrichs: S. 731; Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61 f. 3 Vgl. die ausführliche Darlegung u n d Zitierung Welzels i n Prot, der 2

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Bei anderen Strafrechtlern w i r d das Geltungsproblem kaum expressis verbis diskutiert, doch bezieht der Autor stets dezidiert Stellung, so daß es wichtig wird, den zwischen den Zeilen sichtbar werdenden Begründungen nachzuspüren, da sie richtungweisend für die Sachentscheidung werden können. a) Welzels Begründung der These

Was begründet die Verpflichtungskraft des Rechts auch gegenüber dem Nonkonformisten 4 ? Welzel gibt anläßlich seines Votums für die Sonderstellung des Gewissenstäters vor der Großen Strafrechtskommission 1955 folgende A n t w o r t : Er bezeichnet die Rechtslehre Launs, die auch für Radbruch entscheidend gewesen sei, als „die einzig mögliche Rechtsauffassung" 5 . Sie besage, daß das Recht nicht heteronome Zwangsnorm, also Befehl eines Machthabers, sei, sondern Recht erst sein könne, wenn es das Gewissen des einzelnen zu verpflichten vermöge. Das Recht, meint Welzel, könne nur verpflichten kraft eines i h m innewohnenden Wertes. Deswegen könne es auch gesetzliches Unrecht geben, das zwar zu zwingen, aber nicht zu verpflichten vermöge. Dann drängt sich aber die Frage auf: Wer entscheidet über das Unrechte Gesetz, wenn nicht das Gewissen des einzelnen? Hängt damit die Rechtsqualität des Gesetzes von der subjektiven Gewissensentscheidung ab? Wäre also eine Strafrechtsnorm insoweit für den Normadressaten kein Gesetz, als sie vor der Instanz seines Gewissens nicht gebilligt werden kann? M i t diesem Problem „Gesetz und Gewissen" beschäftigte sich Welzel 1960 ausführlicher unter Bezugnahme auf die Rechtslehre Launs, die auch von Radbruch übernommen worden sei®. Er beurteilte sie nunmehr jedoch wesentlich anders: Zwar habe Laun zutreffend gesehen, daß von einem Verständnis des Rechts als einer heteronomen Zwangsregelung, wie es die Positivisten beurteilt hätten, kein Sollen, sondern nur ein Müssen ausgehen könne, aber es sei doch fraglich, wie man von diesem Ansatz Launs zu einer überindividuellen 26. Sitzung des SA v. 9.10.1964 S. 486 f. durch den Regierungsvertreter Schafheutie, ders. i n Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 530. 4 Vgl. Welzel: Frage S. 21. 5 Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61. 6 Welzel i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61: Radbruchs Stellungnahme zum Überzeugungstäter hinge eng m i t der Rechtslehre von Laun zusammen, dessen Gedankengänge die spätere Grundlage von Radbruchs Uberzeugungstäterlehre geworden sein. — Radbructi hat jedoch seine Anschauungen zum Überzeugungstäter bereits i m E Radbruch 1922 niedergelegt, während die erste Veröffentlichung Launs zum Geltungsproblem die Rektoratsrede „Recht u n d Sittlichkeit" v o m 7.11.1924 ist, auf die sich Radbruch erst i n seiner Rechtsphilosophie i n anderem Zusammenhang bezieht: S. 138 A n m . 1.

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Rechtsordnung gelangen könne 7 . Immerhin: Wenn erst die billigende Zustimmung des autonomen Gewissens fremde Befehle zu verpflichtendem Recht werden läßt, so ist nach Laun Rechtsordnung durchaus möglich als „Summe individueller subjektiver autonomer Erlebnisse des Sollens" 8 , sie besteht damit aus „Werturteilen gleichen Inhalts als Massenerscheinungen" 9 . Welzel w i r f t Laun vor, er setze objektives Sollen und subjektives Sollenserlebnis gleich, anstatt das i m Gewissen empfundene Sollen als „objektiven Bestand", als „akttranszendente Dimension" zu erkennen. Zwar gibt Welzel zu, ein „theoretischer Beweis für den objektiven Bestand eines Sollens" sei nicht zu erbringen, trotzdem hält er dessen Annahme für „wahrscheinlicher" als seine Leugnung, da nur so die „Möglichkeit menschlichen Existierens sinnvoll zu erklären" sei 10 . Nach Welzel beruht die Geltungskraft einer Sollensordnung „auf einer ihr selbst innewohnenden Qualität (als Vernunftordnung, Sinnordnung, Wertordnung)" 1 1 , kraft deren diese Ordnung den einzelnen auch i m Gewissen zu binden vermöge, unabhängig davon, ob er das Gesetz i m Einzelfall tatsächlich bejahe oder i m Gewissensirrtum verneine. K r a f t des Wertgehaltes unterscheide sich das Recht von Gewalt und sei der Rechtszwang normativ legitimiert 1 2 . Diese Auffassung führt zwangsläufig zu der Frage, wie zu entscheiden sei, wenn objektive Ordnung und subjektiver Gewissensentscheid gegeneinanderstehen. Einerseits könne eine Person i n subjektiver Wahrhaftigkeit ihre Gewissensentscheidung fällen, andererseits könne dieses Gewissen trotz unbestreitbarer Gewissenhaftigkeit material irren, indem es „das ethisch Unrichtige" 1 3 treffe. Aber da der einzelne mangels unmittelbaren Zuganges zur Sollensordnung sich lediglich auf sein Gewissen verlassen könne, so sei er auch verpflichtet, seinem Gewissen zu folgen. Damit kommt es, wie Welzel eingesteht, zu einer „tiefgehenden Antinomie", die „ i n der Sollensordnung selbst angelegt" sei, nämlich zu zwei sich widerstreitenden Geboten: „Handle nach dem Spruch deines Gewissens", dem Gebot der subjektiven Moralität, und „Tue, was dir die Pflicht i n dieser Situation gebietet", dem Gebot der

7

Welzel: Gesetz S. 388. Laun: Recht S. 13. 9 Laun: Recht S. 49, vgl. S. 47 ff. Vgl. i m übrigen: Laun: 329 ff., Staatslehre S. 21 ff. 10 Welzel: Gesetz S. 390. 11 Welzel: Gesetz S. 392. 12 Welzel: Gesetz S. 393. 13 Welzel: Gesetz S. 394. 8

Satz S. 287 ff.,

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objektiven Sollensordnung. I n der Möglichkeit dieser Antinomie sieht Welzel „die wohl tragischste Spannung unseres Daseins" 14 . Eine Rechtsordnung schließlich dürfe diese Antinomie nicht offenlassen, da dieses Offenlassen eine Entscheidung zugunsten des Gewissens zulasten des Gesetzes sei. Da w i r „keine letzte Aussage über die Richtigkeit des einen oder anderen Verpflichtungsanspruches machen können", da niemand den Beweis, das wahrhaft Verpflichtende erfaßt zu haben, zu führen vermöge, „können w i r nur die Konsequenzen bedenken", die die Entscheidung für Gesetz oder Gewissen hat. Entscheide man sich für die Vorrangigkeit des Gewissens vor dem Gesetz, würde „eine überindividuelle irdische Ordnung prinzipiell unmöglich" gemacht 15 . Ein Gesetz, dessen Geltung von der Gewissensbilligung des einzelnen abhängig sei, sei kein Gesetz mehr, denn es erhöbe Subjektivismus, Solipsismus und Anarchie zum Prinzip 1 6 . Das Recht müsse aber prinzipiell als überindividuelle Ordnung konzipiert werden, da es „nicht nur eine Ordnung für den Handelnden (oder Unterlassenden)" sei, sondern auch eine Ordnung „für den Leidenden, d. h. den von der Handlung (oder Unterlassung) Betroffenen" 1 7 . Die prinzipielle Entscheidung zugunsten des Gesetzes sei „durch das Gesetz selbst" zu rechtfertigen 18 . Welzel hebt drei Gesichtspunkte hervor: (1) Das Gesetz muß eine soziale Ordnung anstreben, „die die B i l l i gung des Gewissens der Rechtsgenossen finden könnte" 1 9 . (2) Das Gesetz muß sich auf ein ethisches M i n i m u m beschränken, um möglichst wenig m i t dem Gewissen der einzelnen i n K o n f l i k t zu kommen. (3) I m Konfliktsfalle zwischen einer derart ausgestalteten Rechtsordnung und dem Gewissen darf zwar, „ u m des Bestandes einer überindividuellen Ordnung und um des Schutzes der anderen Rechtsgenossen willen", die Geltung des Gesetzes nicht von der Gewissensentscheidung abhängig gemacht werden, das Recht müsse „als Recht, nicht bloß als Zwangsmacht, manifestiert werden" 2 0 , aber „die Gewissenhaftigkeit der abweichenden echten Gewissensentscheidung" müsse bei der Gestaltung der Rechtsfolgen i m Strafrecht berücksichtigt werden. Die 14 Welzel: auch Welzel: 15 Welzel: 16 Welzel: 17 Welzel: 18 Welzel: 19 Welzel: 20 Welzel:

1

Gödan

Gesetz S. 395; vgl. zur A n t i m o n i e der Verpflichtungsansprüche Strafrecht S. 177. Gesetz S. 397, vgl. Frage S. 29. Gesetz S. 400, vgl. Strafrecht S. 177. Gesetz S. 398, vgl. Strafrecht S. 177. Gesetz S. 398. Gesetz S. 399. Strafrecht S. 177.

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

„Ehrenhaftigkeit der Tätergesinnung" sollte dadurch zum Ausdruck gebracht werden, daß die Straftat aufgrund einer Gewissensentscheidung von anderen Straftaten deutlich abgehoben w i r d 2 1 . b) Offengebliebene Fragen zu Welzels Stellungnahme

Die Auffassung Welzels vom Vorrang des Gesetzes vor dem Gewissen läßt i n ihrer Begründung jedoch mehrere Fragen offen: (1) Ist die „Möglichkeit menschlichen Existierens" 2 2 sowie „eine überindividuelle Ordnung" 2 3 nur „sinnvoll" 2 4 zu erklären m i t der Annahme eines zugegebenermaßen nicht beweisbaren Bestandes eines objektiven Sollens? Setzt das Gewissen den Bestand der objektiven Sollensordnung nur als Satzobjekt oder auch als Sachverhaltsobjekt voraus, dem dann eine eigene Realität, eben ein „Bestand", zukommt? Wodurch weiß ich aber von diesem objektiven Sollensbestand, und wie kann ich mein Wissen darüber mitteilen? Hierauf antwortet Welzel, auch die objektive Sollensordnung sei nur i m Medium des Aktes der subjektiven Vergewisserung zugänglich, da keiner von uns i m Rate der Götter gesessen habe 25 . Der Mensch habe keinen unmittelbaren Zugang zur Sollensordnung 26 . Woher weiß der beurteilende Mensch aber dann, daß ein anderer sich i m Widerspruch zur objektiven Sollensordnung befindet? Wenn auch der Dritte i n dieser Entscheidung auf sein Gewissen angewiesen ist, woher weiß er, daß er i n seiner Feststellung, der andere habe aufgrund einer irrigen Gewissensentscheidung gehandelt, nicht auch selbst i m Gewissen i r r t 2 7 ? Die Verweisung auf die Gewissensentscheidung der anderen als Maßstab für die Richtigkeit der eigenen Gewissensentscheidung würde die Frage provozieren: Warum sind die Gewissensentscheidungen der anderen für mich verbindlich, und wer sagt mir, daß sie den objektiven Sollensbestand „besser" treffen als ich 28 ? 21

Welzel: Gesetz S. 399, vgl. Strafrecht S. 177, Naturrecht S. 253. Welzel: Gesetz S. 390. 23 Welzel: Gesetz S. 398. 24 Welzel: Gesetz S. 390. 2δ Welzel: Gesetz S. 396, vgl. Frage S. 29. 26 Welzel: Gesetz S. 395. 27 Welzel: Gewissen S. 26 f.: „Voraussetzung des Gewissensirrtums ist der Bestand materialer ethischer Werte des Handelns. Diese Voraussetzung muß jede E t h i k machen, w e n n sie echt bleiben u n d sich nicht selbst aufheben w i l l . . . Der Mensch als Person (als sittlicher Selbstzweck) ist der materiale Mindestgehalt jeder Ethik." — Zutreffend kritisiert Michaelowa: S. 101 Welzels Lehre. 28 Wegner: Justiz 2 (1926/27) S. 571 drehte den Spieß um, indem er feststellte, daß auch die das Schuldurteil fällende herrschende Meinung i r r e n könnte. Parallel zum Problem des „irrenden Gewissens" des einzelnen stellt sich damit das Problem des „irrenden Gesetzes". 22

Prinzipielle Einwände

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Die Annahme des objektiven Bestandes einer „überindividuellen Sollensordnung" 29 sowie deren Inhalt w i r f t damit schwierige erkenntnistheoretische Probleme auf 3 0 , zumal nicht immer klar wird, ob Welzel mit „objektiv" intersubjektiv oder allgemeingültig meint. (2) Wenn der Mensch zugegebenermaßen keinen Zugang zur objektiven Sollensordnung hat, wieso ist es dann dennoch möglich, daß diese a) den Menschen sittlich verpflichten, d. h. nach Welzel innerlich zu binden 3 1 , vermag, obwohl der Inhalt ihres Anspruches unzugänglich bleibt, b) eine aktuelle, als verpflichtend erkannte Gewissensentscheidung zur irrigen degradiert wird? (3) Was heißt, daß das Gewissen verpflichtet werde durch die einer Wertordnung innewohnende Qualität 3 2 ? Wer entscheidet über die Normativität und den Inhalt einer Sollensordnung erkennbar und verbindlich? Welzel müßte antworten, die Wertordnung habe ihren Wert i n sich selbst, aber da dieser nicht allgemein zugänglich ist, bleibt die „objektive Sollensordnung" 33 eine Leerformel, die jeder Mensch gemäß seinen Wertauffassungen inhaltlich ausfüllen und als verbindlich ausgeben könnte. (4) Wenn Welzel von einer Antinomie der Verpflichtungsansprüche von Gesetz und Gewissen ausgeht 34 , die „ i n der Sollensordnung selbst 29

Welzel: Strafrecht S. 177. I n früheren Arbeiten hatte Welzel trotz Ablehnung eines an ewigen u n d allgemeingültigen materialen Rechtsgrundsätzen ausgerichteten N a t u r rechtssystems betont: „Eine Norm, die die v o n i h r betroffenen Menschen nicht mehr als Personen anerkennt, sondern zur bloßen Sache degradiert, ist kein verpflichtendes Recht mehr, w e i l sie die sittlichen Mindestanforderungen an eine Gemeinschaftsordnung verletzt." Gewissen S. 28; sowie Rechtspositivismus S. 338: Die „Verpflichtungskraft findet da eine Grenze, wo sie ein Gut anzutasten befiehlt, das sittlich unter keinen Umständen v e r letzt werden darf. Das ist die sittliche Autonomie des Mitmenschen". Welzel bezeichnet an dieser Stelle die sittliche Autonomie des Menschen als „immanente Grenze des Rechts". Er kennt eine weitere immanente Grenze: die der „sachlogischen Strukturen", ebenda S. 334; vgl. auch: Naturrecht u n d materiale Gerechtigkeit 3. A u f l . 1960 S. 198, wo Welzel von „ewigen Wahrheiten der sachlogischen Sphäre" spricht. Diese materialen A u s f ü l l u n gen kehren i n „Gesetz u n d Gewissen" zwar nicht wieder, jedoch ü b e r n i m m t Welzel i n der 4. Auflage von „Naturrecht u n d materialer Gerechtigkeit" S. 240 die „Anerkennung des Menschen als verantwortliche Person" als bleibende Erkenntnis der Naturrechtslehre. N u r eine Sozialordnung, die dieses Mindestmaß erfülle, sei eine verpflichtende Rechtsordnung u n d keine bloß zwingende Machtordnung. Des damit vorausgesetzten transzendenten Sollens könne der Mensch nur „ i n der Immanenz seines Gewissens u n d seiner Vernunft inne werden", S. 242. 31 Welzel: Strafrecht S. 177. 32 Welzel: Gesetz S. 392. 33 Welzel: Gesetz S. 396. 34 Welzel: Strafrecht S. 177. 30

1*

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Die R e c h t s i g u r des Überzeugungstäters

angelegt" 3 5 sei, also prinzipiell unlösbar ist, ergibt sich dann nicht als Konsequenz, daß man den eingeschlagenen Weg als Sackgasse erkennt und nach einem Weg sucht, der die Annahme einer unlösbaren A n t i nomie nicht heraufführt? Woher weiß Welzel, daß die Antinomie „ i n der Sollensordnung selbst angelegt" ist, wenn diese doch nicht allgemein zugänglich ist? (5) Wenn es richtig ist, daß w i r nur die Konsequenzen der beiden Positionen Gesetz oder Gewissen bedenken können, welcher Maßstab gilt dann für die Entscheidung zugunsten der einen oder der anderen? (6) Wenn Welzel die Konsequenzen der Stellungnahme zugunsten des Gewissens bedenkt, warum kommt er dann trotzdem zu einer statischen Prinzipienfeststellung, indem er behauptet, eine andere als die von i h m vorgeschlagene Lösung mache eine überindividuelle Ordnung „prinzipiell unmöglich" 3 6 . Ist eine Lösung, die für alle Rechtsordnungen aller Zeiten gleich gültig sein würde, wie Welzel suggeriert 37 , i n dieser prinzipiellen Allgemeinheit überhaupt möglich? (7) Wie ist es möglich, daß Welzel nach der Begründung der prinzipiellen Entscheidung für das Gesetz auf dem Wege „durch das Gesetz selbst" 38 , d. h. durch einen logischen Zirkel, zu inhaltlichen Aussagen über die Grenzen des Gesetzes gelangt, die außerdem Allgemeingültigkeit zu beanspruchen scheinen? Letztlich gelangt Welzel m i t seiner These „Gesetz geht vor Gewissen" zu einem Ergebnis, das durch die Prämissen nicht gedeckt ist. Da die „objektive Sollensordnung" nach Welzel nur durch das Gewissen zugänglich ist, steht letztendlich nicht Gesetz gegen Gewissen, sondern Gewissen gegen Gewissen. Wenn Welzel Laun vorwirft, Aporien in dessen Lehre wiesen auf einen Fehler i m Grundansatz hin 3 9 , so w i r f t er aus einem Glashaus m i t Steinen. c) Schmidhäusers Lösungsvorschläge

Innerhalb der Schmidhäuserschen Argumentation haben sich zwischen 1958 und 1972 die Akzente verschoben. Schmidhäuser ging zunächst für den Regelfall des Überzeugungstäters davon aus, daß der Täter „die zugrundeliegende sittliche Pflicht" verletzt habe, „die Rechtsordnung als solche zu befolgen" 40 . Aber auch 85 36 37 38 30 40

Welzel: Gesetz Welzel: Gesetz Welzel: Gesetz Welzel: Gesetz Welzel: Gesetz Schmidhäuser:

S. 395. S. 397, vgl. Strafrecht S. 177. S. 397, 398, 400. S. 398. S. 389. Gesinnungsmerkmale S. 185 A n m . 70.

Prinzipielle Einwände

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hier muß man fragen, wieso diese Ansicht, die von Arthur Kaufmann übernommen worden ist 4 1 , von einer sittlichen Pflicht, „die" Rechtsordnung „als solche" zu befolgen, reden kann, ohne die konkrete Rechtsordnung auf ihren sittlichen Wert zu untersuchen. Ist es demnach „sittliche Pflicht", jede Rechtsordnung zu befolgen? Eine derartige sittliche Norm hätte die ungewollte und paradoxe Konsequenz, daß gerade sittliche von unsittlichen Gesetzesnormen nicht getrennt werden könnten. A u f die Schwierigkeiten, die sich aus einer derartigen allgemeinen sittlichen Vorschaltnorm, „die Rechtsordnung als solche zu befolgen", ergeben, hat Henkel i n anderem Zusammenhang hingewiesen: „Eine Moralnorm jedoch, welche selbst ein unsittliches Gesetz für sittlich verpflichtend erklärte, wäre ein offener Widerspruch i n sich 42 ." I m Ergebnis gelangt Arthur Kaufmann i n der Tat dazu, daß das Problem „ganz anders" liege, wenn der Überzeugungstäter sich gegen ein Gesetz wende, das „aus übergesetzlichen, naturrechtlichen Gründen ungültig" ist. Später klingt bei Kaufmann an, daß i n einem Rechtsstaat gesetzliches Unrecht solange nicht von einem Überzeugungstäter präsumiert werden dürfe, solange ein gerichtsförmiger Weg bestehe. Hier zeigt sich, daß unter der Hand die sittliche Pflicht, „die Rechtsordnung als solche" zu befolgen, wertend auf ihre inhaltliche Berechtigung untersucht worden ist. Dabei legte Kaufmann einen naturrechtlichen Maßstab zugrunde 43 . Später ist Schmidhäuser von der letztlich auf Hegel 44 zurückzuführenden Annahme einer allgemeinen sittlichen Vorschaltnorm, die Rechtsordnung als solche zu befolgen, abgegangen und betont nunmehr, daß der Überzeugungstäter nicht wegen einer sittlichen, sondern nur wegen einer von der Rechtsordnung festgesetzten rechtlichen Verfehlung zur Verantwortung gezogen werde. Das bedeute, daß die Strafe gegenüber dem Überzeugungstäter nur noch „Ausdruck einer staatlichen Zwangsordnung" sei 45 . Der Täter könne nicht wegen einer sitt41

Kaufmann: Schuldprinzip S. 138. Henkel: Einführung S. 452. 43 Kaufmann: Schuldprinzip S. 139. Bezeichnend auch ohne jegliche Begründung Greffenius S. 70: „Es herrscht Einhelligkeit darüber, daß die Geltung des Rechts nicht von der B i l l i g u n g des Einzelnen abhängig ist, vorausgesetzt, es ist materiell rechtmäßig u n d i n einer rechtsstaatlichen Demokratie ordnungsgemäß zustande gekommen." 44 Nach Hegel ist der Staat die „ W i r k l i c h k e i t der sittlichen Idee", S. 207 (§ 257) — u n d „das an u n d f ü r sich Vernünftige", S. 208 (§ 258); „höchste Pflicht" des einzelnen ist es, M i t g l i e d dieses Staates zu sein. Das objektive Sittliche hat den festen I n h a l t der „ a n und für sich seienden Gesetze u n d Einrichtungen", S. 142 (§ 144), u n d der objektive W i l l e ist das „ a n sich i n seinem Begriffe Vernünftige, ob es von einzelnen erkannt u n d von ihrem Belieben gewollt werde oder nicht", S. 210 (§ 258). 45 Schmidhäuser: Strafrecht S. 334, vgl. Einführung S. 178. Vgl. schärfer schon Copie: S. 113: „ . . . die Strafe verliert ihren ideologischen Schein und offenbart sich als das, was sie eigentlich ist, als pure Zwangsmaßregel." 42

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

liehen Verfehlung zur Rechenschaft gezogen werden, da seine Rechtsschuld und seine sittliche Schuld, die nur vor seinem Gewissen bestehe, nicht zur Deckung gebracht werden könnten, wie es an sich zur Feststellung der Rechtsschuld erforderlich sei. Rechtliche Schuld (Forum: Rechtsordnung) könne nicht ohne den Hintergrund der moralischen Schuld (Forum: Gesellschaft) und der sittlichen Schuld (Forum: Gewissen) gesehen werden, „wenn sie nicht lediglich als Voraussetzung für den Einsatz nackter staatlicher Gewalt gesehen werden soll". „Der Idee nach" seien diese Weisen der Schuld „insoweit identisch, als die rechtliche Verfehlung nur dann Rechtsfolgen gegen den einzelnen nach sich ziehen sollte, wenn sie mit den Anforderungen der Moral und den sittlichen Forderungen, die der Täter vor seinem eigenen Gewissen anerkennen muß", übereinstimme 46 . Während i m Normalfall die Strafe „ m i t gutem Grund als Machtausspruch des sittlichen Lebens" bezeichnet werden könne, w e i l der Täter „das Unerlaubte seines Handelns auch vor der Instanz seines eigenen Gewissens nicht i n Abrede" stelle, erscheine i m Fall des Überzeugungstäters, wo das Gewissen dem Täter gerade so zu handeln gebiete, „die Strafe nur noch als Äußerung der Gewalt, durch die sich die herrschende Gesellschaft den einzelnen unterwirft" 47. Trotzdem stellt Schmidhäuser i m Ausnahmefall des Überzeugungstäters der fehlenden Gewissensschuld die gegebene Rechtsschuld gegenüber. Daß trotz dieser Atypizität der Überzeugungstäter zu bestrafen sei, begründet Schmidhäuser damit, keine Rechtsordnung könne es vermeiden, gegen den Uberzeugungstäter strafrechtlich vorzugehen, „wenn sie sich nicht selbst aufgeben w i l l " . Außer i m Fall des A r t . 4 Abs. 3 GG bestimme die Rechtsordnung, „was dem einzelnen sein Gewissen zu sagen habe; i m Rahmen der Rechtsordnung w i r d der so subtile, höchst subjektive und individuelle Ausgangsbegriff des Gewissens notwendig entwertet zu einem Allerweltsgewissen" 4 8 . Insofern t r i f f t sich Schmidhäuser m i t Hobbes: „ . . . the L a w is the publique Conscience" 49 . Nunmehr w i r d nicht länger auf die apriorische sittliche Überlegenheit des Staates gegenüber dem Gewissen abgestellt, sondern auf die Notwendigkeit der Selbsterhaltung der Gesellschaft. Schmidhäuser zieht aus dieser Feststellung die Folgerung, daß die Rechtsordnung sich um die „äußerste Toleranz" bemühen müsse, die „ m i t ihrem Selbst46

Schmidhäuser: Strafrecht S. 287 f., Zitate S. 288. Schmidhäuser: Einführung S. 178. 48 Schmidhäuser: Strafrecht S. 334. 49 Hobbes: Engl. Ausg. S. 249 (Kap. 29); vgl. zum Zusammenhang oben 1. Gegenthese unter e). 47

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erhaltungswillen zu vereinbaren" sei 50 . Jeder Überzeugungstäter, der bestraft werde, sei eine Aufforderung zur Selbstkontrolle, denn w ü r den sich Überzeugungstaten faktisch häufen, so würde dies zeigen, „daß die sog. ,Rechts'-Ordnung nicht mehr vom lebendigen sittlichen Bewußtsein der Gesellschaft getragen würde" 5 1 . Trotz der klärenden Auffächerung des diffusen Sittlichkeitsbegriffs drängt auch dieser Beitrag zur Geltungsproblematik Fragen auf: (1) W i r d m i t dem Argument, keine Rechtsordnung könne es vermeiden, einen Überzeugungstäter zu bestrafen, ohne sich selbst aufzugeben, nicht doch wieder die wertneutrale Präponderanz des Gesetzes behauptet, ohne näher zu begründen, warum und wann diese Vorziehung des Gesetzes auch gerechtfertigt ist? Wenn Schmidhäuser auf den Selbsterhaltungswillen der von der Gesellschaft getragenen Rechtsordnung abstellt, so steht diesem der geistige Selbsterhaltungswillen des Überzeugungstäters entgegen, und es stellt sich allererst das Problem, wie diese Kollision entschieden werden soll. (2) Geht Schmidhäuser nach der „sittlichen" auch von der „moralischen" Unbegründbarkeit einer Bestrafung des Überzeugungstäters aus, wenn er sagt, die Strafe gegenüber dem Überzeugungstäter sei „nur noch Ausdruck einer staatlichen Zwangsordnung" 52 ? Wäre dann die Bemühung der Rechtsordnung „ u m äußerste Toleranz" 5 3 nur damit zu erklären, die „offene Gewalttat" 5 4 (Ή. Mayer) gegenüber dem Überzeugungstäter i n möglichst engen Grenzen zu halten? Wieso aber, so könnte man von Welzels Standpunkt aus fragen 55 , darf es einen „moralisch" nicht-legitimierten Zwang geben? Steht damit der Überzeugungsverbrecher außerhalb des „der Idee nach", wie Schmidhäuser festhält, an „sittlichen" und „moralischen" Maßstäben zu messenden Rechtes56? Warum aber, so drängt sich die Frage auf, darf es 50

Schmidhäuser: Strafrecht S. 335, vgl. Einführung S. 178. Schmidhäuser: Straf recht S. 335, ebenso schon: Gesinnungsmerkmale S. 185 A n m . 70. " Schmidhäuser: Strafrecht S. 334, vgl. Gesinnungsmerkmale S. 185 A n m . 70. 53 Schmidhäuser: Strafrecht S. 335. 54 H. Mayer: Strafrecht S. 260. 55 Welzel: Strafrecht S. 177: Es müsse „das Recht als Recht, nicht bloß als Zwangsmacht, manifestiert werden". 56 Schmidhäuser: Strafrecht S. 334, 288. Vgl. die K o n s t r u k t i o n von G. Husserl: S. 97 zu dem den revolutionären Einsatz gegen das Recht wagenden sog. Normbrecher, bei dem Husserl jedoch auch die rechtliche Betroffenheit verneint: „ N i m m t die Rechtsgemeinschaft den K a m p f gegen den N o r m brecher auf, so liegt i n Wahrheit Gewaltausübung seitens der Sozialität vor. Dem Handeln des Normbrechers mangelt die Normbetroffenheit. Rechtsanwendung k o m m t da, nachdem er den Rechtskreis verließ, nicht i n Frage." 81

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

einen derartigen „positivistischen Fremdkörper" i n einem nach Schmid häuser an sich „sittlich" und „moralisch" zu fundierenden Strafrecht geben? Diese Fragen münden i n die bereits gestellte: Welcher Maßstab soll zugrunde gelegt werden, um die Kollision von Gesetz und Gewissen zu lösen? Hebt man auf die „moralische" Ordnung ab, fragt sich, welchen Inhalt sie habe; hebt man auf die Zwangsgewalt der Gesellschaft ab, fragt sich, wie und unter welchen Umständen sie gerechtfertigt werden könne, zumal — wie bei Schmidhäuser — i n einem Ausnahmefall. (3) Ist die von Schmidhäuser seinen Begründungen implicit zugrunde gelegte Geltungstheorie, wonach es i m Konfliktsfalle auf die allgemeine Anerkennung der Rechtsnorm i n der Gesellschaft ankomme, stichhaltig? Diese Verknüpfung von „faktischer" Geltung und „normativer" Geltung 5 7 w i r f t ebenfalls Probleme auf, da eine Häufung von Überzeugungstaten nicht die vom „lebendigen sittlichen Bewußtsein der Gesellschaft" 58 getragene Rechtsordnung i n ihrer Werthaftigkeit in Frage stellen muß, wie Schmidhäuser jedoch annimmt. Aus dem Ansatz eines auf materialen Werten fundierten Strafrechts müßte an sich folgen, daß über Sittlichkeit nicht abgestimmt werden kann, sondern daß — nach den Worten des Bundesgerichtshofs 59 — die Normen des Sittengesetzes „aus sich selbst heraus" kraft „der vorgegebenen und hinzunehmenden Ordnung der Werte" gelten, und zwar unabhängig davon, ob diejenigen, an die sie sich m i t dem Anspruch auf Befolgung wenden, sie wirklich befolgen und anerkennen oder nicht. Selbst eine Mißachtung eines Wertes durch die Mehrheit des Volkes würde dann an der objektiven Werthaftigkeit nichts ändern können. So sehr Schmidhäuser seine Fragen zur Problematik des Überzeugungstäters radikalisiert hat, so unentschieden bleiben seine A n t w o r ten, bei denen verborgen ist, ob es Schmidhäuser für die Entscheidung der Überzeugungstäterfrage auf die subjektive Sittlichkeit des Gewissens ankommt oder auf das auf materiale Werte gegründete Gemeinwohl. So gerät man — wie bei Welzel — auch bei Schmidhäuser i n ein Dilemma: W i r d Sittlichkeit durch Gewissensentscheidungen konstituiert, so bleibt offen, wieso die Gesellschaft Sittlichkeit mit Gewalt brechen darf; hängt Sittlichkeit von einer materialen Wertordnung ab, so bleibt offen, wieso die Gewissensentscheidung des einzelnen nicht als so objektiv wertvoll erkannt wird, daß man sie rechtlich p r i v i legiert. Einen Ausweg hat Schmidhäuser bisher nicht gewiesen. 57 58

70. 59

Vgl. Henkel: Einführung S. 438 ff. Schmidhäuser: Straf recht S. 335, vgl. Gesinnungsmerkmale S. 185 A n m . BGHSt 6 S. 52.

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d) Nolls Lösungsvorschlag

Noll setzt sich i m Zusammenhang seiner Untersuchungen über den Überzeugungstäter m i t Radbruchs Geltungslehre, wie dieser sie dem Begriff des Überzeugungstäters zugrunde gelegt habe, auseinander. Zwei philosophische Voraussetzungen seien dafür maßgebend: einmal Radbruchs Relativismus, nach dem oberste Sollenssätze unbeweisbar axiomatisch, „nicht der Erkenntnis, sondern nur des Bekenntnisses fähig" seien 80 , so daß eine Stellungnahme zu einem ethischen System oder einem Rechtssystem Sache des Gewissens sei 61 , zum anderen der Trennung von Moralität und Legalität i n der Nachfolge Kants, wonach nur die ethische Norm, nicht aber die rechtliche zu verpflichten vermöge 62 . Nur die Moral kann dem Rechtssatz die verpflichtende K r a f t hinzufügen. Das Einzelgewissen müsse den rechtlichen Imperativ m i t moralischer Verpflichtungskraft ausstatten 63 . „ Z u r Pflicht w i r d das rechtlich Gebotene erst dadurch, daß es zur sittlichen Pflicht erhoben wird64." Aus diesem Ansatz Radbruchs folge konsequenterweise, meint Noll 6 5 , daß nur derjenige ethisch verpflichtet sei, der die rechtliche Norm für sich selber anerkennt und nur dann sittlicher Mißbilligung unterliegt, wenn er eine von i h m selbst anerkannte Norm verletzt. A u f den Selbstwiderspruch, der beim Überzeugungstäter fehle, hatte Radbruch mehrfach hingewiesen. Nach Radbruch vermag das Recht i n diesem Falle zwar seine Macht zu bewähren, aber seine Geltung nicht zu beweisen 66 . Diese Konzeption Radbruchs sei weder zu beweisen noch zu widerlegen, meint Noll 67. Daß nicht der Inhalt der Norm, sondern ihre Anerkennung als Norm die Verpflichtungskraft begründe, sei axiomatisch und könne nur sinnvoll diskutiert werden, wenn man die Ergebnisse dieser A n sicht i n Vergleich mit den Ergebnissen der Alternative setze. Bei seinen weiteren Überlegungen geht Noll dezisionistisch von der Auffassung aus, daß allein der Inhalt der Norm über ihre sittlich verpflichtende Wirkung entscheidet, während der Wertrelativismus für die Rechtswissenschaft, die Entscheidungen fällen müsse, keine mögliche Position sei 68 . 80 61 82 83 84 85 88 87 88

Radbruch: Rechtsphilosophie Radbruch: Rechtsphilosophie Radbruch: Rechtsphilosophie Radbruch: Rechtsphilosophie Radbruch: Rechtsphilosophie Noll: ZStW 78 (1966) S. 644 f. Radbruch: Rechtsphilosophie Noll: ZStW 78 (1966) S. 646. Noll: Z S t W 78 (1966) S. 647.

S. S. S. S. S.

100. 102. 134 f. 138. 174 Anm. 2.

S. 182.

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

Geht man von material zu bestimmenden Werten aus, so muß man — darauf weist Noll zu Recht hin — das vielfach gebrauchte Argument von der sittlichen Überlegenheit des Staates oder der Rechtsordnung, die bei Anerkennung des Überzeugungstäters aufgegeben würde, als inkonsequent betrachten: Sittliche Überlegenheit hänge nicht von der Zulassung einer Sonderstrafart oder der Privilegierung des Überzeugungstäters ab, sondern ausschließlich vom sittlichen Wert des Inhalts der Normen, die aufgestellt würden 6 9 . Auch Nolls Lösungsvorschlag fordert Fragen heraus: (1) Die Methode Nolls 7 0 , A x i o m gegen A x i o m zu setzen und lediglich die Ergebnisse zu diskutieren, erscheint zwar auf den ersten Blick erfolgversprechender als die Ansicht Welzels, da sie aufgrund ihrer Flexibilität keine prinzipielle Antinomie annehmen muß, aber sie w i r f t doch das Problem auf: Welcher Maßstab soll denn für die Erkennung der „guten" oder „schlechten" Früchte gelten? Offensichtlich müssen schon Werte vorausgesetzt werden, um die aus den Axiomen herrührenden Ergebnisse beurteilen zu können. Wie läßt sich aber „über die Qualität von Norminhalten o b j e k t i v " 7 1 urteilen, wenn die Beurteilungsmaßstäbe selbst unter das i m Ergebnis zu beurteilende A x i o m fallen müßten? Wenn aber die Beurteilungsmaßstäbe für die Ergebnisse des Axioms selbst Inhalt des Axioms sind, so w i r d nicht ein aliud beurteilt, sondern das zu Beurteilende beurteilt sich selbst. (2) Zwar geht Noll nicht von einer Antinomie von Gesetz und Gewissen aus wie Welzel, aber er kommt ebenfalls zu einem non liquet, indem er einerseits A x i o m gegen A x i o m stehen läßt, gleichwohl aber von einer „überpositiven Perspektive" 7 2 aus sittliche Wertvorstellungen überprüfen w i l l , ohne die Frage zu beantworten: Wie ist ein Werturteil möglich ohne Zuhilfenahme des Gewissens? Noll versucht dieser Frage zum Teil dadurch zu entgehen, daß er sich für die inhaltliche Überprüfung von Wertvorstellungen mit formalen Kriterien wie dem kategorischen Imperativ 7 8 oder der Widerspruchsfreiheit 74 begnügt, ohne allerdings deren Legitimität und Tauglichkeit als Maßstäbe für die Entscheidung bei konkurrierenden sittlichen Wertvorstellungen darzutun. Einen materialen Wertmaßstab gibt Noll nicht an die Hand. Nolls Methode löst daher das Dilemma von Gesetz und Gewissen nicht auf, sondern ergreift dezisionistisch für das Gesetz Partei, aller69

Noll: ZStW Noll nennt (1966) S. 646. 71 Noll: ZStW 72 Noll: ZStW 73 Noll: ZStW 74 Noll: ZStW 70

78 (1966) S. 658, 643. sie Methode der „konkretisierenden Komparation", ZStW 78 78 78 78 78

(1966) (1966) (1966) (1966)

S. 646. S. 658. S. 659. S. 660.

Prinzipielle Einwände

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dings m i t zwei Besonderheiten gegenüber der bisherigen Diskussion: Einerseits erkennt Noll zwar nicht wie Welzel und Schmidhäuser die Korrelation von Gewissen und Sittlichkeit an, andererseits zieht er aber die Konsequenz aus einer material-sittlichen Betrachtungsweise: Nicht das Gesetz an und für sich steht über dem Gewissen, wie seit Hobbes immer wieder behauptet worden ist 7 5 , sondern allein eine wertende Vergleichung der Gesetzes- und der Gewissensintention ermöglicht die Entscheidung darüber, ob dem i n der konkreten Gewissensentscheidung verwirklichten Wert der Vorrang gebührt vor der Wertnahme des Gesetzgebers. Aus diesem Ansatz zieht Noll die praktischen Folgerungen und hält ζ. B. die Norm, nach der sich der Kriegsdienstverweigerer ausrichtet, aufgrund des kategorischen Imperativs der staatlichen Wehrdienstpflicht gegenüber für sittlich überlegen 76 ; die Bestrafung des ausländischen Spions sei sittlich nicht vertretbar, solange der bestrafende Staat selbst Spione unterhalte 7 7 . e) Kritik von Peters an den grundsätzlichen Entscheidungen zugunsten des Gesetzes

Ein hartes Urteil hat Peters über die juristischen Bemühungen um das Gewissensproblem abgegeben: Die Entscheidung falle vorschnell zugunsten des Gesetzes. Auffassungen, die aus Zeiten einheitlicher sozialethischer Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft stammten, würden i n den Bereich unserer pluralistischen Gesellschaft übertragen. Einseitiges Ordnungsbewußtsein und die selbstsichere Neigung, eigene Vorstellungen als die maßgeblichen anzusehen, verschlössen den Blick für die gesellschaftliche, ethische und menschliche Problematik des Gewissenskonfliktes 78 . Das Argument des Selbsterhaltungswillens der Gesellschaft dreht Peters, jedenfalls für die religiösen Gewissenstäter, um: Der Staat solle das Gewissen seiner Bürger schon deswegen achten, w e i l „er i n dem sich i n der Verantwortung vor Gott verpflichtet wissenden Bürger i n Notzeiten einen sicheren Halt" habe 79 . Ohne selbst zu dem Geltungsproblem explicite Stellung zu nehmen, versucht Peters einen pragmatischen Weg zugunsten des Gewissenstäters anhand der Auslegung des Grundgesetzes und der Einordnung i n strafrechtsdogmatische Kategorien einzuschlagen. Aber das hier zur 75 Hobbes: Deutsche Ausg. S. 329 f. (Kap. 29), vgl. oben 1. Gegenthese unter e). 76 Noll: ZStW 78 (1966) S. 659 f. 77 Noll: ZStW 78 (1966) S. 660 f. 78 Peters: Mayer-Festschrift S. 257. 70 Peters: Engisch-Festschrift S. 471.

268

Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

Diskussion stehende grundsätzliche Problem der Geltungskraft Rechtsnorm bleibt zunächst bestehen.

der

f) Aporien der Gegenüberstellung von Gesetz und Gewissen

Beide Wege: der, den Vorrang des Gesetzes vor dem Gewissen zu postulieren, und der umgekehrte Weg, vom Primat des Gewissens auszugehen, führen zu Ausweglosigkeiten: (1) Nach Laun w i r d gesetzliches Recht erst sittliches Recht, wenn es vom einzelnen i m Gewissen gebilligt wird. Obwohl gerade der Konf l i k t zwischen Gesetz und Gewissen der für die Erkenntnis fruchtbarste Ort ist, geht Laun auf diese Konstellation nur mit wenigen Bemerkungen ein. Laun unterscheidet Konflikte zwischen Sollen und Müssen und solche zwischen Sollen und Sollen 80 . Für den K o n f l i k t zwischen Sollen und Müssen nennt Laun als Beispiele politische Umstürze, deren neues Recht von vielen als Gewaltmaßnahmen empfunden würde, sowie den einzelnen, „der sich i n seiner tiefsten Überzeugung zu einem Zweikampf für verpflichtet hält und das i h m entgegenstehende gesetzliche Verbot daher als ungerechten Zwang mißbilligt" 8 1 . Laun fährt fort: „ F ü r die in diesen Beispielen vorausgesetzten Gesinnungen — wohlgemerkt, nur für diese Gesinnungen — kämpfen autonomes Recht und Sittlichkeit auf derselben, Gewalt auf der anderen Seite. Ein Konflikt zwischen autonomem Recht und Sittlichkeit ist nicht vorhanden." Freilich, faßt man „Recht" nur als autonomes auf, so ist es m i t Sittlichkeit identisch, und es gibt nur ein Sollen, während das nicht i m Gewissen gebilligte gesetzliche Recht für den Betroffenen nur Gewalt ist. Wichtig für das Verständnis des Launschen Ansatzes ist die kompromißlose Subjektivierung des Rechts: Recht ist verbindlich nur als „Recht für mich". „Recht für alle" ergibt sich aus der Summe der Urteile „Recht für mich". I m Konfliktsfalle, i n dem das Gewissen das positive Recht nicht b i l l i gen kann, ist nur vom „Recht der anderen" zu sprechen, vom „Recht gegen mich", das nach Laun nur Gewalt sein kann. Wie ist aber zu entscheiden, wenn das „Recht der anderen" „Recht als Summe autonomer Sollenserlebnisse" ist? Steht dann nicht Gewissen gegen Gewissen, Sollen gegen Sollen? Unter einem K o n f l i k t zwischen Sollen und Sollen versteht Laun jedoch nicht diese Fragestellung, vielmehr untersucht er insbesondere den Kampf zwischen Staat und Kirche 8 2 . Es gehe auch hier nur wieder 80 81 82

Laun: Recht S. 15 ff., 50. Laun: Recht S. 15 f. Laun: Recht S. 16.

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um den subjektiven Pf lichten widerstreit, bei dem zwei oder mehrere Verhaltensmöglichkeiten wertbetont seien. Nach Laun handelt es sich bei diesen Konflikten zwischen Sollen und Sollen i n Wahrheit u m „Konflikte innerhalb der Sittlichkeit": „Sie werden von demselben Gesetzgeber gelöst, der den K o n f l i k t geschaffen hat, vom Individuum selbst. Jeder kann nur selbst i n seinem eigenen Gewissen entscheiden, welcher Wert, welches Sollen, welche Pflicht die höhere ist 8 3 ." Der Fall, i n dem das „Recht der anderen" „Recht gegen mich" anwendet, bleibt demnach bei Laun ungelöst. Wenn dann aber Gewissen gegen Gewissen stehen, so stellt sich die ernste Frage, ob denn das eine Gewissen von den vielen anderen Gewissen vergewaltigt werden darf. Hält man am Launschen Ansatz der Identität von Recht und Sittlichkeit i m autonomen Sollen fest, so gelingt es nicht, Lösungen für die Fragen zu finden: Dürfen die anderen „ i h r Recht" gegen mich durchsetzen, wenn es nicht „mein Recht" sein kann? Sollen die anderen respektieren, daß ich „ i h r Recht" nicht als „mein Recht" anerkennen kann? Damit geht die Frage dahin, ob „die anderen" eine Konfliktlösung innerhalb „ihres Rechts" für den Fall bereitstellen, daß „ein anderer" ihr Recht nicht i m Gewissen anerkennen kann, oder ob das Gewissen des Dissidenten außerhalb „ihres Rechts" bleibt. Die Launsche These, daß positives Recht erst sittliches Recht wird, wenn es i m Gewissen des einzelnen anerkannt wird, vermag i n ihrer Subjektivität keinen Ausweg zu weisen für den intersubjektiven Kollisionsfall, in dem Gewissen gegen Gewissen steht. Diese Aporie dürfte durch das Kantische „sola bona voluntas" ebenso bedingt sein 84 wie durch das primär erkenntnistheoretische Interesse Launs, ein „reines Sollen" zu destillieren 85 , wobei die Frage offenbleiben muß, wieso ein bedingtes Müssen minderwertig sein muß, wie Laun immer wieder betont 8 6 . Aber aus dem Erkenntnisgrund des Sollens folgt nicht eine Abwertung des Müssens, vielmehr kann man allenfalls das autonome Sollen i m Gegensatz zum heteronomen Müssen positiv bewerten, indem man an den Unterschied ein Werturteil anknüpft. Weiter bleibt bei Laun offen, wieso aus dem Urerlebnis des konkreten Sollens die Norm zu folgern ist, daß jeder seinem Gewissen fol83

Laun: Recht S. 17, vgl. S. 50. Ob Kant das Prinzip des allein guten Willens nicht durch die A l l g e meinheit des Gesetzes sowie durch die Vernunft eingeschränkt hat, kann hier dahingestellt bleiben, vgl. zu dieser Streitfrage Welzel: Gewissen S. 14 ff., Gesetz S. 390 ff.; Körner: S. 107 ff. 85 Vgl. insbes. Laun: Satz S. 293 ff. 86 Laun: Recht S. 9 et passim, Staatslehre S. 23: „Ohne dieses autonome Sollen bestünde kein Unterschied zwischen einem Staat u n d einer großen Räuberbande." 84

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

gen solle. Obwohl Laun sonst stets zwischen Sein und Sollen scharf unterscheidet, geht er hier davon aus, daß Sein und Sollen zusammenfallen 8 7 . Für die Lehre vom Überzeugungstäter hat die Lehre Launs gezeigt, daß selbst nach Laun nicht etwa davon auszugehen ist, daß eine positive Rechtsnorm, die der einzelne nicht i n seinem Gewissen billigt, relativ ungültig sei; sie ist dem einzelnen gegenüber kein autonomes Recht, kein autonomes Sollen, sondern Gewalt, aber aus der Sicht der anderen Rechtsgenossen kann es sich trotzdem u m Recht i m Sinne autonomen Sollens handeln und nicht um Gewalt. (2) Nach Welzel ist gesetzliches Recht dann sittliches Recht, wenn es die von i h m betroffenen Menschen „als Personen" anerkennt und gewisse „sachlogische Strukturen" beachtet 88 . Aufgrund des materialen sittlichen Gehalts des Gesetzes kann es verantwortet werden, die abweichende Gewissensentscheidung für unbeachtlich i m Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Gesetzes zu halten. Auch dieser Ansatz mündet i n Aporien. Z u allererst könnte man behaupten, ein Recht, das nicht die Gewissensentscheidung als vorrangig gelten lasse, verletze den Menschen „als Person", weil es gerade das Gewissen als Personmitte sei, das die Menschenwürde, die Selbstidentifikation, das ureigenste SelbstseinKönnen konstituiere. Weiter: Wie gezeigt wurde, kommt auch Welzel über die Konfrontation von Gewissen und Gewissen nicht hinaus, da nach i h m der Bestand des objektiven Sollens nur i m Medium des Gewissens erfahrbar ist. Zwar bemüht sich Welzel, Kriterien aufzustellen, die einen Mißbrauch des Gesetzes verhindern sollen: Aber wer garantiert dafür, daß seine Einschränkungen genügen und von allen akzeptiert werden? Schließlich: Wieso kann man Gesetz gegen Gewissen stellen und stillschweigend bei dem Vorliegen von materialen Mindestanforderungen davon ausgehen, daß das Gesetz inhaltlich ethisch wertvoller ist als der i n der Gewissensentscheidung realisierte Wert? Geht es einem i n der Tat um die normative Verbindlichkeit des Gesetzes, dann muß man auch prüfen, ob der vom Gesetz verwirklichte Wert „höher" steht. Da aber ein allgemein akzeptierter Maßstab zur Feststellung der Höherwertigkeit fehlt, ist wiederum das Gewissen aufgerufen, die Entscheidung zu treffen. 87 Laun: Satz S. 302; vgl. die insofern zutreffende K r i t i k bei Welzel: Gesetz S. 389. 88 Welzel: Gewissen S. 27 f., Rechtspositivismus S. 334 ff., Naturrecht 3. A u f l . 1960 S. 197 f. deutlicher als i n 4. A u f l . 1962 S. 244.

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Welzel befindet sich damit i n einem Dilemma: Legt er materiale Werte zugrunde, so kann er sich nicht auf einen formalen Vorrang des Gesetzes vor dem Gewissen berufen; steht Wert gegen Wert, so kann auch nach Welzel nur das Gewissen verbindlich entscheiden, und man ist wieder keinen Schritt weiter gelangt. Endlich: Wenn damit aber offen bleibt, ob die Gewissen der Rechtssetzer den objektiven Sollensbestand besser „treffen" als das Gewissen des Dissidenten, dann kann man sich nicht damit beruhigen, Rechtszwang gegen die Dissidenten auszuüben. Da nach Welzel kein Gewissen den Beweis führen kann, das wahrhaft Verpflichtende erfaßt zu haben, muß man sich seiner Ansicht nach „eindeutig für die eine oder andere Alternative entscheiden", für Gewissen oder Gesetz 89 . Welzel entscheidet sich für das Gesetz. Aber auch Voluntarismus führt i n eine sittliche Aporie: Welzel kann angesichts der von i h m festgestellten erkenntnismäßigen Gewissensbedingtheit des objektiven Sollensbestandes seine Entscheidung für das Gesetz nur dadurch rechtfertigen, daß er sich auf sein Gewissen beruft 9 0 . Hält man sich diese Aporien vor Augen, so ist damit bei Welzel ebenso wie bei Laun die entscheidende Frage unbeantwortet geblieben: Wie ist es möglich, den Dissidenten i n den Rechtsfrieden einzubeziehen und Kollisionslösungen anzubieten, die den K o n f l i k t zwischen den Gewissensentscheidungen der Gesetzgeber und der Dissidenten m i t einem M i n i m u m an Zwang entscheiden 91 ? 89

Welzel: Gesetz S. 397. Die rationalen Gründe, die Welzel für seine Entscheidung anführt, überzeugen i n ihrer Allgemeinheit nicht. Zudem v e r w i r r t , w e n n Welzel „ G e l t u n g " einmal i m faktischen Sinne (in kritischen Fällen würde eine auf die Gewissen abgestellte Regelung versagen; dies bedürfte näherer Nachprüfung anhand des Verhaltens nach dem Zweiten Weltkrieg), einmal i m theoretischen Sinne (prinzipielle Unmöglichkeit, eine überindividuelle Ordnung zu begründen) u n d schließlich i m normativen Sinne versteht (das Recht müsse nicht n u r eine Ordnung f ü r den Handelnden, sondern auch f ü r den von der Handlung Betroffenen sein). I m faktischen Sinne w i r d die Geltung eines Gesetzes aber dann nicht tangiert, w e n n der Dissident sich i n der Minderheit befindet oder der Gew a l t weichen muß. Prinzipiell begründbar ist eine überindividuelle Ordnung i m m e r dann, w e n n viele sich zu einer Ordnung bekennen, so daß ihre Gewissensentscheidungen übereinstimmen; oder aber die Ordnung w i r d durch Gewalt u n d Terror überindividuell aufrechterhalten. Schließlich: Aus dem normativen Satz, das Recht müsse „Recht für alle" sein, kann m a n nicht zwingend den Schluß ziehen: „Das schließt es aus, beim Widerstreit von Gesetz u n d Gewissen dem Gewissen prinzipiell den Vorrang zu geben", Gesetz S. 398. 90

91 Auch sonstige Allgemeinlösungen überzeugen nicht: Weder der Versuch, das Gesetz dem Gewissen zu injizieren (vgl. die L i t e r a t u r zum „Rechtsgewissen", insbes. Wieacker: S. 611 ff.; Tiedemann: S. 363 ff.), die K l a m m e r von Gesetz u n d Gewissen i n der „Rechtsperson" zu sehen (vgl. Lampe: S.

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters g) K o r r e k t u r der unfruchtbaren Fragestellung

Erzielt man demnach m i t den Prioritäten von Gesetz bzw. Gewissen keine Fortschritte, weil wichtige Fragen offen bleiben oder weil man sich i m Kreise dreht, so sollte man die Fragestellung korrigieren 9 2 . Selbst wenn man wie Welzel und Noll i m Voluntarismus keine sittliche Aporie, sondern den einzig möglichen Ausweg erkennt, so ist es prinzipiell unzutreffend, eine Alternative nur durch ein „Entweder — Oder" lösen zu wollen, ohne ein „Sowohl — Als auch" in den Blick zu nehmen93. Da die Entweder-oder-Hypothese unfruchtbar blieb, wenden w i r uns der Sowohl-als-auch-Hypothese zu: Wie lassen sich Gesetz und Gewissen optimal miteinander verknüpfen? Ohne Zögern w i r d man etwa bestätigen, daß i m Falle der Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsbetroffenheit Gesetz und Gewissen sich i n einem demokratischen Staat häufig decken. Bei der A l t e r native Gesetz oder Gewissen handelt es sich dann offensichtlich um Einzelfälle, um Minderheiten. Sind diese Dissidenten und Außenseiter aber wirklich vernachlässigenswert, wenn sie sich auf ihr Gewissen berufen, das sie verpflichtet, eine Straftat zu begehen —, aber auch jene sich auf ihr Gewissen berufen, die die Strafgesetze gegen sie schufen und jetzt anwenden? Wie ist aber die Problematik des Verhältnisses von „Mehrheits- und Minderheitsgewissen" zu lösen 94 ? Anstatt abweichende Gewissensentscheidungen zu bekämpfen und zu kriminalisieren, könnte man sich der Aufgabe widmen, „rechtsimmanente K o n f l i k t lösungen" 95 zu erarbeiten, die den Versuch unternehmen, das Gewissen des Dissidenten i n das Recht zu integrieren, anstatt es durch Poenalisierung zu externalisieren. Man hätte Kriterien zu entwickeln, nach denen dem Gewissen ein Freiraum zu gewähren ist, den das Gesetz zu respektieren hätte. Weiter geht es darum, die Vorstellung von der starren Ordnung des Gesetzes, von der aus bisher argumentiert wurde, zugunsten einer 199 ff.) oder „Gesetz und Gewissen" dialektisch aufzuheben (vgl. Maihof er s existentielle D i a l e k t i k von Selbst- u n d Aissein S. 122 ff.). A l l e Vorschläge weisen keinen Weg i n der aktuellen Konfliktsituation. 92 Vgl. Popper: Positivismusstreit S. 105 f. u n d s. o. Einführung. 93 Z w a r nicht dem eigenen Anspruch, aber dem Ergebnis nach gelangen auch Welzel u n d Noll durch die Einschränkungen der möglichen Gesetzesinhalte zu einer Versöhnung der Gegensätze, jedoch bleibt deren Prinzip i m unklaren. 94 Paul: S. 15. 95 Vgl. zum Ausdruck Zippelius: Wesen S. 47; der Sache nach rechnet Zippelius allerdings die Kollisionen des Rechts m i t den individuellen Gewissenspflichten zu den K o n f l i k t e n „ohne rechtsimmanente Lösung", S. 49, hier könne die Lösung n u r i n einem Wandel der Realitäten selbst liegen, etwa durch Revolution.

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anderen zu überwinden, die das Recht der M i t w i r k u n g und das Gesetz der Zustimmung eines jeden Rechtsgenossen öffnet, damit aus dem M i t und Gegeneinander der Vorstellungen des einen wie des anderen Rechtsgenossen über das gerechte Recht das „Recht für alle" entstehen kann. Es wäre also eine Verknüpfung von Gesetz und Gewissen zu gewährleisten, die nicht vorschnell die Alternative zugunsten der einen oder anderen These entscheidet, sondern zunächst einmal nach konkreten Lösungsmöglichkeiten fragt, die sowohl die Belange des Gewissenstäters als auch die der Rechtsordnung als auch die der Geschädigten berücksichtigen. Wenn nach Kant Recht der Inbegriff der Bedingungen ist, „unter denen die W i l l k ü r des einen m i t der W i l l k ü r des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 9 6 , so müßte dies um so mehr für die Vereinigung von Minderheits- und Mehrheitsgewissen gelten. Ein Beispiel für die Hereinnahme des Gewissens ins Gesetz bietet Art. 4 Abs. 3 GG. Welzel meint, diese Vorschrift mache nicht die Geltung des Gesetzes von der Gewissensbilligung des einzelnen abhängig, sondern berücksichtige bei der Ausgestaltung der Rechtspflicht die Gewissenslage 97 . Diese Argumentation ist jedoch ungenau: Der einzelne kann aufgrund einer Gewissensentscheidung eine bestimmte Rechtspflicht, nämlich Kriegsdienst m i t der Waffe zu leisten, für seine Person abwenden; es t r i f f t i h n dann eine andere Rechtspflicht, nämlich Ersatzdienst zu leisten. Die Geltung des Gesetzes hebt der Kriegsdienstverweigerer freilich nicht auf, weder faktisch, noch theoretisch, noch normativ, da das Gesetz auch für ihn gilt, indem es seinen Fall miteinbezogen hat und, ohne Zwang anzuwenden, eine Lösung ermöglicht. Allerdings w i r d dem Gewissen hier ein gesetzlich garantierter Freiraum zugebilligt, so daß man meinen könnte, dann stelle sich die A l t e r native Gesetz oder Gewissen ohnehin nicht mehr. Dies wäre jedoch zu legalistisch und nicht de lege ferenda gedacht: Die Frage geht ja dahin, wie weit das Gesetz dem Gewissen entgegenkommen solle und dürfe, um noch „Recht für alle" zu bleiben. Es könnte ja auch ein Zuviel des Entgegenkommens i m Gesetz selbst geben, was ζ. B. Krüger schon i m Hinblick auf A r t . 4 Abs. 3 GG annimmt 9 8 . Auch die Autoren, die eine Selbstpreisgabe oder Selbstaufgabe des Rechts bei Anerkennung einer Sonderstellung für Überzeugungstäter befürchten, gehen ja von einem bestimmten Vorverständnis von 98 97 98

Kant: Metaphysik S. 34 f. (Einleitung i n die Rechtslehre § B.) Welzel: Gesetz S. 400. Krüger: S. 965.

18 G ö d a n

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„Recht" aus, das sich selbst seiner Qualität entäußern würde, wenn ein derartiges Gesetz zustande käme. A r t . 4 Abs. 3 GG müßte für diese Autoren, wollten sie konsequent sein, bereits „unrichtiges Verfassungsrecht" darstellen. Man kann jedoch A r t . 4 Abs. 3 auch als historischen Durchbruchspunkt einer Entwicklung betrachten, die nicht nur Gewissensfreiheit proklamiert, sondern praktiziert". Danach böte diese Vorschrift ein Modell dafür, wie Krüger zu Recht annahm, daß „ein Untertan aus anderen Gewissensgründen . . . sich irgendeiner anderen staatlichen Pflicht m i t gleicher Berechtigung . . . entziehen" könnte 1 0 0 , — ein i n der Tat zunächst irritierender Gedanke. h) Die Hilfsthese von der Selbstaufgabe des Rechts bei Anerkennung einer Sonderstellung f ü r Überzeugungstäter

Viele Autoren halten Radbruchs Lehre aus rechtstheoretischen Gründen m i t dem Begriff des Rechts oder der Rechtsordnung für unvereinbar. Einprägsam hat Kohlrausch diesen Gedanken i m Leitsatz 1 seiner Gegenthesen auf dem 34. DJT 1926 formuliert: „Es liegt i m Wesen der Rechtsnorm, daß sie von jedem als verpflichtend anerkannt werden w i l l . Der § 71 bedeutet eine Selbstverneinung des Rechtsgedankens, indem er die persönliche Überzeugung, zu Rechtsverletzungen verpflichtet zu sein, privilegiert 1 0 1 ." Gerland dekretierte m i t Zustimmung Ν agier s : „ W i r stehen unter, nicht über dem Gesetz. W i r haben nicht zu fragen, ob w i r gehorchen wollen, w i r haben zu gehorchen 102 ." Jescheck meint heute z.B., wenn die Rechtsordnung die Geltung ihrer Normen von der Billigung durch den einzelnen abhängig mache, so würde sie zu einer „unverbindlichen Empfehlung" herabsinken 103 . Mehrere Autoren sind der Auffassung, die Rechtsnorm verliere ihren 99

Vgl. die Fortsetzung dieses Gedankens i n § 15 a Ersatzdienst G. Krüger: S. 965. 101 Kohlrausch i n Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 353; dem folgend Budzinski: S. 43. — Die Selbstaufgabe des Rechts befürchteten ebenfalls Gleispach: S. 194; Nagler: S. 70; Oetker: S. 483. Den gleichen Gedanken hatte Liszt: Gutachten S. 284 schon 1902 geäußert: „Die Rechtsordnung aber würde sich selbst preisgeben, w e n n sie diesen ,Ehrenmann' als etwas anderes ansehen u n d behandeln wollte als ihren Todfeind." 102 Gerland: E n t w u r f S. 89; Nagler: S. 64. 103 Jescheck: Lehrbuch 2. A u f l . S. 309 (§ 37 I I 3) spricht sich i m Anschluß an Welzel u n d Henkel f ü r Toleranz i m Sinne einer besonderen Strafart f ü r Überzeugungstäter aus. D a m i t gibt er seinen früheren Standpunkt auf, den er i n Menschenbild S. 10 f. u n d i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 95, vgl. auch S. 359, geäußert hatte. 100

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Charakter als Recht 1 0 4 oder das Recht gebe sich selbst auf 1 0 5 , wenn es zu einer gesetzlichen Sonderregelung für Überzeugungstäter komme. Dazu ist zu sagen: (1) Dieser Ansicht kann kein positivistisches Verständnis des Gesetzesrechts zugrunde liegen, da eine etwaige, den Überzeugungstäter berücksichtigende Rechtsnorm als Un-Recht empfunden wird. A r t . 4 Abs. 3 GG und § 15 a ErsatzdienstG müssen für diese Auffassung ein Skandalon sein. Faßt man aber das Argument von der Selbstaufgabe des Rechts normativ auf, so muß man i h m m i t Noll entgegenhalten 106 , die Rechtsordnung könne schon darum i n ihrer sittlichen Verpflichtungskraft durch die Berücksichtigung des Überzeugungstäters nicht gefährdet werden, da es lediglich darum gehen könne, ob die Rechtsordnung Normen aufstellt, deren sittlicher Wert höher zu veranschlagen ist als der i n der Gewissensentscheidung zum Ausdruck gekommene Wert. Dieses Argument müssen sich alle jene Autoren vorhalten lassen, denen es nicht nur auf die ethisch-neutrale Zwangsdurchsetzung des Rechtsstandpunktes gegenüber dem Überzeugungstäter ankommt, sondern die den Vorrang des Gesetzes vor dem Gewissen auch sittlich gerechtfertigt zu sehen wünschen 107 . H. Mayer bezeichnet die Bestrafung des Überzeugungstäters als „offene Gewalttat", wenn sie sich nicht „auf das höhere sittliche Recht der objektiven sittlichen A n schauung" berufen könnte. Mayer geht allerdings von der Vorgegebenheit und Erkennbarkeit einer objektiven Ordnung aus, „welche i n tau104 Henkel: Einführung S. 141 geht von der „Unverbrüchlichkeit des rechtlichen Geltungsanspruchs" aus u n d gründet diesen auf die Überlegung, daß er sonst seine Bestimmung selbst aufgeben würde, eine soziale Verhaltensordnung f ü r alle Rechtsunterworfenen zu sein. Henkel schließt sich i m E r gebnis Welzel an, w e n n er zwar nicht die Richtigkeit, aber doch die Gewissenhaftigkeit des abweichenden Gewissensentscheids anerkennt, S. 142; vgl. Welzel: Gesetz S. 399. 105 Krille i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 50: Die Rechtsordnung könne „eine bewußte Auflehnung nicht hinnehmen, w e n n sie sich nicht selbst aufgeben w i l l " . Schafheutie i n Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 530 unter Berufung auf Welzel: „Es wäre . . . das Ende der staatlichen Ordnung, w e n n das Strafrecht es dem einzelnen erlaubte, sich über das staatliche Gebot hinwegzusetzen." H. Mayer: Strafrecht S. 268 A n m . 21: „ . . . der Staat gibt sich selbst auf, wenn er dem Überzeugungs Verbrecher gewissermaßen das sittliche Recht der kriegführenden Partei einräumt." Vgl. S. 260 f. Schmidhäuser: Strafrecht S. 334: Die Bestrafung des Überzeugungsverbrechers werde „keine Rechtsordnung vermeiden können, w e n n sie sich nicht selbst aufgeben w i l l " . Gallas: S. 320: E i n Rechtssystem, das sich zu materiellen Werten bekenne, könne deren Verächter nicht schonen, „ohne sich selbst aufzugeben". 106 Noll: ZStW 78 (1966) S. 658. 107 Vgl. Jaspers: Philosophie Bd. 2 S. 392: „ O r d n u n g i n der Welt ist ein utilitaristischer Gedanke, der erst durch den Gehalt der Ordnung einen Sinn hat." Vgl. oben C. I I I . 2. b).

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send Zungen zu uns redet". Verfehle das Gewissen den „echten und endgültigen objektiven Wert", so sei es i n sittlicher Schuld 1 0 8 . Damit gelangen w i r erneut zur Aporie sich entgegenstehender Gewissen, zum gegenseitigen Vorwurf, einem irrenden Gewissen zu folgen. (2) Selbst wenn man auf eine normative Ausdeutung des Argumentes von der Selbstaufgabe verzichtet und es rein faktisch versteht, hebt sich das Recht als soziale Wirkungsmacht nicht auf, wenn es die abweichende Gewissensentscheidung berücksichtigt: Das Recht gilt faktisch, weil die Rechtsgenossen mit i h m konform gehen, sei es aus Anerkennung, aus Gewohnheit, aus Opportunismus oder weil sie sich i h m beugen aus Angst vor Repressalien oder Terror. Nur eine Rechtsordnung, deren Ge- und Verbote den Gewissen der Adressaten generell zuwiderlaufen und die zugleich auf Zwangsmittel zur Durchsetzung ihrer Normen verzichtet, höbe sich faktisch selbst auf. Für den Geltungsaspekt des Gesetzes ist daraus der Schluß zu ziehen, daß das Gesetz dem Gewissen möglichst vieler Rechtsgenossen entsprechen sollte, eine Folgerung, der für eine rechtsstaatliche Demokratie kaum zu widersprechen und die auch weitgehend faktisch verwirklicht sein dürfte, so daß eine faktische Aufgabe des Rechts schon deshalb nicht zu befürchten ist, wenn die Rechtsordnung eine Sonderstellung für Überzeugungstäter zuläßt. Sollten sich Überzeugungstaten häufen — insofern ist Schmidhäuser zuzustimmen —, so wäre dies i n einer Demokratie ein Indiz dafür, daß das Recht nicht mehr vom lebendigen Bewußtsein der Gesellschaft getragen ist und gegebenenfalls geändert werden müßte 1 0 9 . Jede Demokratie w i r d nur einen geringen Prozentsatz von Überzeugungstätern bestrafen oder tolerieren können, ohne das die Gewissen belastende Gesetz selbst ändern zu müssen. Wäre eine Demokratie denkbar, i n der 49 °/o der Mitglieder der Gesellschaft als Überzeugungstäter mit einer Sanktion belegt werden 1 1 0 ? (3) Diese Überlegungen zeigen, daß die These von der Selbstaufgabe des Rechts als argumentum ad absurdum zu werten ist. Dieses Argument besagt, daß eine Meinung — hier die Ablehnung der Sonderstellung für Überzeugungstäter — deshalb richtig sei, weil die sonst noch 108

H. Mayer: Strafrecht S. 260. Schmidhäuser: Strafrecht S. 335, Gesinnungsmerkmale S. 185 A n m . 70. 110 Pawlowski: S. 274 A n m . 135 meint, daß man sogar schon einen Staat, i n dem 20 - 30 °/o der Mitglieder der Gesellschaft i n Gefängnissen gehalten würden, k a u m als Demokratie bezeichnen könnte, gleichviel aus welchen Gründen die einzelnen festgehalten würden. — Schon einige hundert V e r gehen aus politischen Gründen können zur Änderung von Gesetzen u n d zur Amnestie führen, w i e das 3. Strafrechtsreformgesetz v o m 20. 5.1970 (BGBl. I 505) — sog. Demonstrationsnovelle — u n d das Gesetz über Straffreiheit v o m 20. 5.1970 (BGBl. I 509) zeigen. 109

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möglichen Auffassungen töricht wären 1 1 1 . Z u allererst müssen aber die anderen noch möglichen Auffassungen geprüft werden, ehe man sie für töricht erklärt, sonst ist das Ergebnis des argumentum ad absurdum nicht ein Urteil, sondern ein Vorurteil. Wenn Kohlrausch das Wesen der Rechtsnorm darin sieht, daß sie von jedem als verpflichtend anerkannt werden „ w i l l " , so gilt es demgegenüber nach Wegen zu suchen, daß die Rechtsnorm möglichst von jedem als verpflichtend anerkannt werden „kann". Es könnte sich dann herausstellen, daß das Recht sich nicht aufgibt, wenn es die Gewissen respektiert, sondern i n seiner faktischen Geltung stabilisiert wird, weil es Konflikte nicht m i t Gewalt entscheidet, und daß es normativ an Geltungskraft gewinnt, weil es die Instanz achtet, auf die es sich selbst berufen muß. Von einer anderen Position als der des Rechts aus versucht eine weitere Gegenthese die Lehre vom Überzeugungstäter prinzipiell zu erschüttern. Diese These stellt sich zwar einerseits auf den Boden der Sittlichkeit, behauptet aber, Sozialethik gehe vor Individualethik. 3. Gegenthese: Der Primat der Sozialethik vor der Individualethik Aufgrund eines angeblich ethischen Prinzips lehnte Wachenfeld die Lehre Radbruchs vom Überzeugungstäter ab: „Ein jeder hat die Pflicht, seine Ethik einzustellen auf das, was der Allgemeinheit als Sitte und Recht gilt 1 ." Nagler forderte, das Individuum dürfe nicht „dem niederen, individuell-ethischen statt dem höheren sozial-rechtlichen Zweck 111

Klug: S. 137 f. — Auch das Anarchieargument, Welzel: Gesetz S. 400, ist ein argumentum ad absurdum: Es impliziert, daß das Gewissen stark u n d zerstörerisch, die Gesellschaft aber schwach u n d ansteckungsgefährdet sei. Eine derartige Wolf-Herde-Vorstellung paßt ohnehin nicht i n ein demokratisches Modell, das v o m mündigen Bürger ausgeht sowie von einer v i e l fach pluralistisch gegliederten Gesellschaft, für die Anarchie k e i n archimedischer P u n k t ist, von der aus m a n sie aus den A n g e l n heben könnte. A n a r chie könnte, w e n n überhaupt, i n einer totalitären Gesellschaft ausbrechen, i n der die fable convenue u n d die Unterdrücker plötzlich wegfallen. So meint Laun, seine Lehre sei w e i t davon entfernt, zur Anarchie zu führen: Recht S. 23, 27, Satz S. 289; erst ein Recht, das aus den Augenblicksbedürfnissen der jeweiligen Machthaber emporwuchere, sei von Ungehorsam, Revolution u n d damit von Anarchie bedroht. — Auch das W o r t von der Knochenerweichung des Rechts, das bei Heinitz: S. 637 anklingt, gehört i n diesen Rahmen. Diese von Zeit zu Zeit angekündigte, auch das Privatrecht, vgl. Enneccerus / Lehmann: S. V, bedrohende „Rechtskrankheit" beruht allerdings auf keiner unumstrittenen Diagnose; andere Ärzte stellen möglicherweise keine Osteomalazie, sondern eine Arthrosis fest, die den Gelenkapparat schwer beeinträchtigt. 1 Wachenfeld: S. 361. Bejahend Budzinski: S. 23. — Diese Sentenz hat Radbruch: Referat S. 356 zu dem Ausruf veranlaßt: „Wie sehr w ü r d e sich die Weltgeschichte vereinfacht haben, wenn die Großen der Weltgeschichte dieses Gebot beherzigt hätten!"

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die Führung" zuerkennen. Die sozialen Pflichten gingen den individuellen bis zum Augenblick einer „auffälligen Wertdifferenz" vor. Welcher Maßstab dabei zugrunde zu legen sei, führte Nagler nicht aus 2 . Eb. Schmidt befürchtete, das unvermeidliche Inanspruchnehmen individualethischer Gesichtspunkte werde die i m Straf recht „allein maßgeblichen sozialethischen Gesichtspunkte" verwirren 3 . Lange hält die Berücksichtigung des Gewissens i m Recht deshalb für verfehlt, weil man damit einen rein individualethischen Ausgangspunkt einnehme, „während jede Rechtsordnung selbstverständlich von sozialethischen Maßstäben getragen sein muß" 4 . Auch Maurach geht bei der Beurteilung des Überzeugungsverbrechers von der Unerheblichkeit individualethischer Wertvorstellungen für das Strafrecht aus 5 . Auch diese These begegnet Bedenken: Zunächst: Was heißt Individualethik? „Ethik für sich allein", Robinson-Ethik, kann nicht gemeint sein, da der Überzeugungstäter i m sozialen Raum w i r k t . I n Lehrbüchern der evangelischen Ethik kann man zwar die Unterscheidung zwischen „christlichem Leben" und „Leben i n den Ordnungen" finden, aber dann ist i m ersten Teil von der Gemeinschaft m i t Gott die Rede 6 . Man könnte auch an „Ethik für den einzelnen" denken, an eine persönliche Tugendlehre, die vom sittlichen Handeln des einzelnen und den Normen für sein persönliches Leben spricht 7 . Gibt es aber eine derartige Ethik, der man die Sozialethik entgegenstellen könnte, indem man die Ethik aufteilt? Wendland behauptet, alle Ethik sei Sozialethik, da der einzelne eine soziale Existenz sei, der nicht auf sich allein gestellt, sondern als Glied der Gemeinschaft i n vielerlei Rollen handele 8 . — Umgekehrt könnte man alle Ethik zur Individualethik erklären, da Sittlichkeit nur der Person i n ihrer Autonomie, nicht aber sozialen Gebilden zukomme 9 . Wenn man heute trotzdem von Sozialethik spricht, so nur i m Sinne einer Akzentsetzung, nicht aber i m Sinne eines ablösbaren Teils, der einem anderen Teil über- oder untergeordnet werden könnte 1 0 . 2 Nagler: S. 69 u n d A n m . 1; vgl. weiter Morasch: S. 46: „ . . . denn die sozialethischen Normen stehen i m Rang über den individualethischen." 3 Liszt / Schmidt: S. 255 A n m . 10. — Vgl. Schmidt (Strafanstaltsdirektor): S. 280. 4 Lange i n Niederschriften der G r S t r K o m m Bd. 3 S. 61. 5 Maurach: S. 412 (§ 35 I I 3). 6 Vgl. ζ. B. Althaus: S. 67 ff., 110 ff. 7 Vgl. z.B. Kant: Metaphysik der Sitten, der i n der Tugendlehre z w i schen den „Pflichten gegen sich selbst" u n d den „Tugendpflichten gegen andere" (§§ 1 - 2 2 bzw. §§ 23 - 48) unterscheidet. 8 Wendland: S. 7 f.; vgl. Thielicke: Bd. 2 T e i l 1 S. 227 ff. (Nr. 790 ff.). 9 Vgl. Karrenberg: Sp. 1109. 10 Wendland: S. 7.

Unergiebigkeit einer vergleichenden Untersuchung

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„Individualethik" kann aber auch so gebraucht werden, daß man darunter eine individuelle „Sonderethik" versteht, der man die i n der Sozietät geltende „Allgemein-Ethik" konfrontiert. Die auf die Gemeinschaft gerichteten Wertvorstellungen eines Dissidenten werden dann als „Individualethik" hingestellt, während die die Mehrheit der Rechtsgenossen auch innerlich motivierenden Ge- und Verbote des sozialen Lebens als „Sozialethik" bezeichnet werden. Die These liefe dann auf den Satz hinaus: Die Mehrheit hat immer recht. Schließlich könnte man die sittliche Motivation zur Tat Individuai-, die das menschliche Zusammenleben ordnenden Normen aber Sozialethik nennen. Bei diesem Innen-Außen-Aspekt würde jedoch übersehen, daß auch ethische Normen, die den sozialen Bereich betreffen, „verinnerlicht" werden können. Man käme dann auf die Alternative von Gesetz und Gewissen hinaus. Was auch immer i n der Literatur unter Individual- und Sozialethik verstanden werden mag, kann i m einzelnen dahingestellt bleiben, da die These vom Primat der Sozialethik vor der Individualethik i n keinem Falle haltbar sein dürfte: „Sozialethik geht vor Individualethik" ist nicht etwa ein Aussagesatz über Ethik, sondern selbst ein ethischer Imperativ, der notwendig formal und insofern auf eine Stufe zu stellen ist m i t anderen Sollenssätzen wie: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz" oder gar: „ D u bist nichts, dein Volk (die Partei) ist alles". Solange nicht gesagt wird, welche Werte anderen Werten gegenüber vorgezogen werden sollen, handelt es sich bei der These u m eine Leerformel, die material polyvalent ist. Legt man aber die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zugrunde, so zeigt die vielfältige Verwendung von Überzeugung und Gewissen i n Gesetzen, daß individuelle Wertvorstellungen rechtlich nicht etwa unerheblich, sondern i n die Sozialethik als Ethik für die Gemeinschaft aufgenommen worden sind.

I I . Die Unergiebigkeit einer vergleichenden rechtsphilosophiscben Untersuchung der Problematik des Überzeugungstäters Alle prinzipiellen Einwände gegen den Vorschlag einer Sonderbehandlung für Überzeugungstäter waren nicht stichhaltig und führten aufgrund ihres Formalismus und ihrer Allgemeinheit zu einem non liquet. Man könnte i n der Bekämpfung der Lehre vom Überzeugungstäter nun einen Schritt weitergehen und gleichsam das „Problemkind" wissenschaftlich „ m i t dem Bade ausschütten wollen", indem man die Radbruchsche Auffassung als eine Ausgeburt seiner rechtsphilosophi-

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

sehen Lehre vom Wertrelativismus ansähe 11 , die ihrerseits abzulehnen sei. Zwar hat Radbruch selbst seine Lehre vom Überzeugungstäter stets i m Zusammenhang m i t dem von i h m vertretenen Wertrelativismus gesehen und auch von dorther begründet 12 , aber die Verweisung auf die rechtsphilosophische Quelle würde deren nähere Analyse nur dann erfordern, wenn sie allein das Problem des Überzeugungstäters hervor- und einer Lösung nähergebracht hätte. Von den verschiedenartigsten weltanschaulichen Grundpositionen aus haben jedoch Stimmen eine Sonderbehandlung des Überzeugungstäters befürwortet. A u f den ersten Blick würde man eine Affinität bei Kantianern und Existenzphilosophen vermuten, weil diese zumeist allgemeingültige materiale Wertordnungen ablehnen und die Ethik auf die sittliche Autonomie der Person oder auf das Selbst des Menschen gründen 1 3 . Andererseits w i r d man von naturrechtlichen oder wertethischen Lehren eher erwarten, daß sie dem bonum commune den Vorzug geben. Aber der Schein trügt. Peters, der sich der katholischen Moraltheologie eng verbunden weiß 1 4 , hat sogar radikaler als der Neukantianer Radbruch die Bestrafung der Gewissenstäter abgelehnt: Radbruch sah i n den von Peters behandelten Fällen nur eine besondere Straf art vor. Antipoden wie der Naturrechtler Weinkauff und der Positivist Bauer haben sich für eine Sonderbehandlung des Überzeugungstäters ausgesprochen 15 . Scheler ist vom Ansatz seiner personalistischen Wertethik aus zu dem Ergebnis gekommen: „Der ,Überzeugungsverbrecher 4 überhaupt kann unschädlich gemacht, nicht bestraft werden." Der Mensch stehe als „geistig persönliches Wesen" über dem Staat, nicht unter ihm; erst wenn der Mensch i n das vom Staat gesetzte Recht prinzipiell einwillige, 11 Nagler: S. 60 f.; Schafheutie i n Prot. d. 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 531, Prot. d. 32. Sitzung v. 16.12.1964 S. 605; Lang-Hinrichsen: J Z 1966 S. 160 f.; Noll: Z S t W 78 (1966) S. 646f.; Heinitz: S. 618; Engisch: ARSP 38 (1949/50) S. 307. 12 Radbruch: Mensch S. 83 f. besonders eindrücklich. 13

Vgl. jedoch Hensel: S. 55 ff., der zwar von einem strikten kantianischen Ansatz aus zur Autonomie der Person gelangt, aber der Rechtsordnung ein Eingehen auf innere Motive untersagt, S. 60f.; andererseits hält Max Müller: S. 85 ff. eine Verknüpfung von „existentieller Entscheidung" u n d einer O r d nungsethik f ü r möglich. 14 Dies w i r d auch i n den Stellungnahmen zum Überzeugungstäterproblem deutlich, vgl. z. B. Peters: JZ 1966 S. 458 f. 15 Abg. Güde (CDU/CSU) berichtet i n Prot, der 26. Sitzung des SA v. 9.10.1964 S. 485, der frühere Präsident des Bundesgerichtshofes habe sich anläßlich der Einführung Güdes als Generalbundesanwalt zum Prinzip des Überzeugungstäters bekannt; Weinkauff: Naturrecht S. 210 ff., J Z 1970 S. 54 ff. — Bauer: S. 36 f.

Unergiebigkeit einer vergleichenden Untersuchung

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stehe er unter dem Gebot des Staates 16 . I n seinem Hauptwerk akzentuiert Scheler scharf: Der Staat dürfe zwar Leben, nicht aber Person, d. h. Heil und Gewissen, oder Hingabe der Person fordern 1 7 . Trotz eines absoluten Staatsverständnisses hat selbst Hegel religiöse Überzeugungstäter straffrei gelassen 18 . Daß schließlich die Anerkennung einer Sonderstrafe für Überzeugungstäter auch nicht unter parteipolitischen Gesichtspunkten bestimmten Richtungen zugeordnet werden kann, zeigt die i m grundsätzlichen einhellige Befürwortung der Sonderstrafe für Überzeugungstäter i m Sonderausschuß „Strafrecht" des 4. Deutschen Bundestages 19 . So reizvoll eine geistesgeschichtliche, von den Systemen verschiedener philosophischer Schulen ausgehende Studie über das Verhältnis Überzeugungstäter und Rechtsordnung wäre, so wenig würde angesichts gleichlautender Ergebnisse bei verschiedener Ausgangslage ein Vergleich der rechtsphilosophischen Systeme und ihrer Prinzipien weiterhelfen können. Hier bietet sich eine Parallele zu einer von Zweigert i n der Rechtsvergleichung befolgten methodischen Maxime an: Es sei i n der Regel wenig fruchtbar, nur Rechtsprinzipien miteinander zu vergleichen, denn oft würde das, was i n einer Rechtsordnung das Prinzip A ermöglicht, i n einer anderen, i n der das Gegenprinzip Β gelte, durch eine Fülle von Ausnahmen von eben diesem Gegenprinzip Β erreicht 20 . Insbesondere verdeutlicht der erstellte Befund, daß das Problem des Überzeugungstäters weder auf die Lehre vom Wertrelativismus noch auf die Launsche Rechtstheorie beschränkt und deswegen noch nicht „gelöst" ist, wenn man jene rechtsphilosophischen Lehren zurückweist 21 . Obwohl ζ. B. der Sonderausschuß „Strafrecht" sowie Lang-Hinrichsen und Noll den Wertrelativismus ablehnen, haben sie die Berechtigung 16 Scheler: Idee S. 35; Scheler fährt fort, es sei keine besondere Ehre f ü r Deutschland gewesen, daß es unter den n u r allzuvielen, die gegen ihren W i l l e n i n den 1. Weltkrieg gezogen seien, so wenig Kriegsdienstverweigerer gegeben habe — i m Gegensatz zu A m e r i k a u n d England. „Weder Kirche noch Staat haben ein Recht auf Gewissenszwang. Salus a n i m a r u m suprema lex — f ü r beide." Vgl. Denninger: Rechtsperson S. 7, der diese Stellungnahme als kennzeichnend für den Ansatz Schelers ansieht. 17

Scheler: Formalismus S. 516; vgl. dazu Denninger: Rechtsperson S. 266. Hegel: S. 225 (§ 270), vgl. oben 1. Gegenthese unter e). 19 Vgl. oben Β . I. 10. 20 Zweigert: S. 198. 21 Obwohl Radbruch nach dem 2. Weltkrieg seine wertrelativistische Rechtsphilosophie modifiziert hat, vgl. Radbruch: Rechtsphilosophie S. 347 ff., ist nicht erkennbar, daß dies A u s w i r k u n g e n auf seine Lehre v o m Uberzeugungstäter gehabt hat, vgl. Radbruch: Vorschule S. 99, SJZ 1947 Sp. 136, SJZ 1948 Sp. 312. 18

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

einer Sonderbehandlung von Überzeugungstätern anerkannt 2 2 . Auch Welzel möchte ja trotz der Ablehnung der Launschen Geltungstheorie dem Gewissenstäter eine custodia honesta zubilligen 2 3 .

I I I . Der Ausgangspunkt für eine rechtsstaatliche Lehre vom Überzeugungstäter Wenn auch die jeweilige philosophische Grundanschauung eines Autors, der sich für oder gegen die Sonderstellung des Überzeugungstäters ausspricht, nicht spezieller Würdigung bedarf, so muß doch eine Plattform vorhanden sein, von der aus die verschiedenen Meinungen zur Problematik des Überzeugungstäters anhand eines einheitlichen Maßstabes bewertet werden können. Ein solcher Maßstab kann die Verfassung eines Staatswesens sein. I m Bewußtsein der rechtsphilosophischen Fragwürdigkeit einer derartigen Proposition w i r d i m folgenden das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als Wertmaßstab zugrunde gelegt. M i t dieser Entscheidung w i r d keinem abstrakten Verfassungspositivismus das Wort geredet, vielmehr dürfte unter Befürwortern wie Gegnern einer Sonderstellung des Überzeugungstäters Einigkeit darüber zu erzielen sein, daß das Grundgesetz, seinerseits unter Wertgesichtspunkten gewürdigt, eine gerechte Ordnung des Gemeinschaftslebens anstrebt und weitgehend gewährleistet. Das Grundgesetz ist die freiheitlichste bisher auf deutschem Boden aus der Erfahrung des Terrors entworfene und seit über zwei Jahrzehnten praktizierte Utopie einer politischen Ordnung 2 4 . Wenn bisweilen von der Antiquiertheit des Grundgesetzes die Rede ist, so sollte man eher die Gegenfrage stellen, ob denn die Verfassung i n vollem Maße ausgeschöpft 25 und m i t dem Geist der Freiheit ausgefüllt worden ist, i n dem ihre Schöpfer sie konzipiert haben. Diesen Elan gilt es wachzuhalten, nicht i n historisierender Auslegungsmanier, sondern w e i l das Grundgesetz angesichts der fundamentalen und stets gegenwärtigen Bedrohung der Freiheit einen Weg gewiesen hat, den 22 Schafheutie i n Prot, der 28. Sitzung des SA v. 5.11.1964 S. 531 f., Prot, der 32. Sitzung des SA v. 16.12.1964 S. 601; Lang-Hinrichsen: JZ 1966 S. 160 ff.; Noll: ZStW 78 (1966) S. 646 f., 658 ff. 23 Welzel: Strafrecht S. 177, Gesetz S. 399, Naturrecht S. 251 ff. 24 Das utopische Element sowie der Anspruch auf Beachtung auch i m gesellschaftspolitischen Bereich ergeben sich aus A r t . 1 Abs. 2 GG: „Das D e u t sche V o l k bekennt sich darum zu unverletzlichen u n d unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder (!) menschlichen Gemeinschaft (!), des Friedens u n d der Gerechtigkeit i n der Welt (!)." Angesichts der Abneigung des Grundgesetzes, Pathos zu proklamieren, ist dieser an hervorragender Stelle stehende Absatz ernst gemeint u n d ernst zu nehmen. 25 Vgl. zu Recht Hans Maier: S. 219.

Ausgangspunkt f ü r eine rechtsstaatliche Lehre

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w i r wie selbstverständlich gehen. Der freiheitlich demokratischen Grundordnung gilt es i m folgenden gerecht zu werden, w e i l w i r sie für gerecht halten. Das Problem „Überzeugungstäter und Rechtsordnung" w i r d damit konkret unter die Entscheidungsgewalt des Grundgesetzes gestellt. Dies ist nicht nur ein legitimer, sondern auch ein zustimmungsfähiger Modus, da das Grundgesetz auf demokratische Weise zustande gekommen ist, weithin vom Willen der Rechtsgenossen getragen w i r d und als Grundlage faktischer staatlicher A k t i v i t ä t dient. Wenn das Problem des Überzeugungstäters zwar nicht für alle Rechtsordnungen, wie die rechtsphilosophische Betrachtungsweise es weithin fordern würde, sondern nur für das Grundgesetz i n den Blick genommen werden soll, so doch i n dem durch die Beschäftigung mit den drei Gegenthesen geschärften Bewußtsein: „ W i r sind aufs Glatteis geraten, wo die Reibung fehlt, also die Bedingungen i n gewissem Sinne ideal sind, aber w i r eben deshalb auch nicht gehen können. W i r wollen gehen; dann brauchen w i r die Reibung. Zurück auf den rauhen Boden 2 6 !" Mangelnde „Reibung" ist insbesondere bei den rechtsphilosophischen Geltungstheorien festzustellen, die sich bemühen, Effektivität und Legitimität des Rechts vom Codex Hammurabi bis zur Charta der Vereinten Nationen durch eine „Weltformel" zu erklären und zu begründen. Die heute herrschende Lehre, die von der „generellen Anerkennungstheorie" ausgeht 27 , vermag zwar die tatsächliche Geltung des Gesetzes zu erklären, versagt aber gerade gegenüber dem Überzeugungstäter, der dem Recht seine Anerkennung versagt, und dem gegenüber die Verpflichtungskraft des Rechts legitimiert werden muß 2 8 . Dies ist aber nicht dadurch möglich, daß das Problem des Überzeugungstäters ausgeklammert und für unbeachtlich erklärt wird. Geltungstheorien von zu großer Reichweite sind aber notwendigerweise so allgemein gefaßt, daß sie zu nichtssagenden Leerformeln werden müssen, die m i t allen konkreten Inhalten gefüllt werden können. Einen Ausweg bieten hier allenfalls „middle-range-theories" 29 , die auf unterschiedliche Modelle von Rechtsordnungen zuzuschneiden wären. 26

Wittgenstein: S. 65 (§ 107). Vgl. zur Begründung Dohna: Kernprobleme S. 45 ff. u n d die umfassenden Literaturhinweise bei Welzel: Frage S. 12 A n m . 28; i m angelsächsischen Bereich vgl. Hart: Concept S. 97 ff. 28 Radbruch: Vorschule S. 36; Welzel: Frage S. 21, daran anschließend Wiethölter: S. 159 f. 29 Vgl. die K r i t i k an der universalen Theorie Parsons* bei Merton: S. 5 („theories of the middle range"). 27

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Die Rechtsigur des Überzeugungstäters

Eine dem Grundgesetz verpflichtete normative Geltungstheorie hätte etwa die folgenden, aus den laut A r t . 79 Abs. 3 GG für unabänderlich erklärten A r t . 1 und 20 hergeleiteten Züge zu berücksichtigen: (1) Die Geltungstheorie w i r d vom Majoritätsprinzip beherrscht. I m Wege der Mehrheitsentscheidung der legislativen Organe zustande gekommene Gesetze „gelten" als Recht, d. h. es w i r d fingiert, daß es sich um „Recht für alle" handelt, obwohl es nicht „Recht von allen" ist. Die widerlegliche Vermutung der Legitimität w i r d gerechtfertigt durch die i m pluralistischen Staat herrschende Vertretung vieler Interessen und die durch Repräsentation vermittelte Selbstbindung der Rechtsgenossen einerseits und die Bindung der staatlichen Organe an die Wertprinzipien des Grundgesetzes andererseits. (2) Die demokratische Geltungstheorie w i r d beherrscht vom Minderheitenschutz. Der überstimmten Minorität w i r d ein Bestand von Rech-* ten eingeräumt, der durch einfachen oder sogar qualifizierten Mehrheitsbeschluß nicht aufgehoben werden kann. Des besonderen Schutzes bedürftig sind dabei stationäre Minderheiten, also rassische, völkische oder weltanschauliche Gruppen, die nie i n die Lage kommen werden, Einfluß auf die Gesetze i m Gesetzgebungsverfahren zu nehmen. (3) Die demokratisch-liberale Geltungstheorie w i r d beherrscht vom Sozialstaatsprinzip. Der status activus und negativus des Rechtsgenossen w i r d ergänzt durch einen status positivus, der ihn der Solidarität der Rechtsgemeinschaft versichert. Dies gilt ebenso wieder für Minderheiten, deren Randexistenz nicht zum Anlaß genommen werden darf, ihnen aktive Kooperation zu verweigern. (4) Die demokratische, liberale und soziale Geltungstheorie w i r d beherrscht vom personalen Prinzip der Menschenwürde, das als oberstes Konstitutionsprinzip nicht nur dieser Staatsordnung zugrunde gelegt, sondern auch als Fundament jeder menschlichen Gemeinschaft bekannt wird. Daraus folgt, daß jeder Mensch als Subjekt und nicht als Objekt des Rechts anerkannt w i r d und daß die Rechte, deren der Mensch bedarf, u m i n Selbstachtung leben zu können, die Verfassungswirklichkeit bestimmen müssen. So trügerisch es wäre, vom Majoritätsprinzip eine A n t w o r t auf „gerecht" oder „ungerecht" erwarten zu wollen, so legt es doch, material gebunden durch das liberale, soziale und personale Prinzip, einen Grund für die maximale Vertretung aller i m Staate vorkommenden Meinungen. So sehr auch der Wille des Wählers durch Repräsentationsreihen „gebrochen" werden mag, so erscheint doch das parlamentarische System ebenfalls als ein praktizierbares Maximum des Prinzips „volenti non fit iniuria", m i t dem Kant das Prinzip der Volkssouveränität begründet hat 3 0 .

Ausgangspunkt f ü r eine rechtsstaatliche Lehre

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Angesichts des ausbalancierten Gleichgewichts von Mehrheitsentscheidung und Minderheitenschutz, von Sozialprinzip und Personalprinzip kann eine auf die Verfassung des Grundgesetzes zugeschnittene Geltungstheorie des Rechts ihre Verbindlichkeit auch gegenüber Dissidenten behaupten, da sie „dessen Recht" in das „Recht für alle" aufzunehmen versucht, ohne von vornherein Gewalt anzuwenden. Damit legt die Verfassung ein Verständnis des Rechts zugrunde, das von dem Angebot zu friedlicher Einigung beherrscht wird, indem es mehrere Instrumente bereitstellt, die heteronomen Zwang soweit wie möglich durch Verständigung miteinander ersetzen sollen. Insofern hat Pawlowski für die Rechtsordnung kraft des Grundgesetzes recht, wenn er, allerdings allgemein, formuliert: „Das primäre Kennzeichen des Rechts ist daher die Einigung und nicht die einseitige Gewalt, die Gewaltherrschaft 31 ." Für das Strafrecht zieht Pawlowski die Konsequenz, daß das Verhältnis der Herrschaft durch Bestrafung von Außenseitern und Minderheiten überwunden und durch ein „Rechtsverhältnis" ersetzt werden solle, das es ermögliche, den Außenseiter als gleichberechtigtes Mitglied i n die Rechtsgemeinschaft zu integrieren, zumal dieser meist nur partiell andere Bestrebungen habe als die Mehrheit 3 2 . Diese — wiederum zu allgemeinen — Feststellungen und Forderungen gilt es anhand des Grundgesetzes zu überprüfen und zu konkretisieren. Damit w i r d ein rechtsordnungsimmanenter Ansatz der Problematik des Überzeugungstäters verfochten, der die Blickweise gegenüber der bisherigen Diskussion weithin verändern wird. Angesichts des Grundrechts Verständnisses der Weimarer Zeit blieb Radbruch seinerzeit nichts anderes übrig, als seine Vorschläge unabhängig von der Verfassung zu begründen. Dieser aus der Not geborene Ansatz hat weithin bis heute derart nachgewirkt, daß die anstehende Problematik lediglich als überpositive Spekulation über den Dualismus zwischen Individuum und Gemeinschaft, Gesetz und Gewissen, subjektiver Gewissensentscheidung und objektiver Rechtsordnung aufgefaßt worden ist. Dieser Ansatz hat sich als unfruchtbar erwiesen. Statt dessen sollte der konkreten Frage nachgegangen werden, wie die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland das Problem des Überzeugungstäters löst. Nur so besteht eine Chance, der Nichtnachvollziehbarkeit und Unverbindlichkeit allgemeiner spekulativer Aussagen zu entgehen und zu einer konkreten Konfliktentscheidung anhand der Verfassung zu gelangen. 30

Kant: Metaphysik S. 313 f. (Rechtslehre. § 46). Pawlowski: S. 40, vgl. S. 151 f., 158 f.; S. 152: „Das Recht ist eine A r t , sich zu einigen (verständigen), ohne Gewalt anzuwenden." 32 Pawlowski: S. 291 f., vgl. S. 268 f., 274 f., 278 f. 31

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Die Hechtsfigur des Überzeugungstäters »

I V . Abschließende Thesen 2 1 - 3 0 These 21 Die These vom Primat der Staatsidee vor den Partikularideen entspringt einem monistischen Staatsverständnis, das der pluralistischen Ordnung des modernen demokratischen Staates zuwiderläuft. Während die Konfrontation von Staatsidee und Partikularidee dazu verführt, Konflikte zwischen herrschenden Gruppen und diesen widersprechenden Gruppen m i t Gewalt zu lösen, bietet das pluralistische Modell einen Ausgleich der Gegensätze durch Konkurrenz, Diskussion und Kompromiß an. These 22 Die These vom Vorrang des Gesetzes vor dem Gewissen führt zu Aporien. a) Welzel entscheidet die Antinomie zwischen Gesetz und Gewissen zwar zugunsten des Vorranges des Gesetzes, aber da die objektive Sollensordnung nach Welzel nur durch das Gewissen zugänglich ist, steht letztlich Gewissen gegen Gewissen. b) Schmidhäuser begründet den Vorrang des Gesetzes vor dem Gewissen m i t dem Selbsterhaltungswillen der Gesellschaft, rechtfertigt seine Wertentscheidung jedoch nicht, obwohl das Straf recht nach Schmidhäuser der Idee nach sittlich und moralisch fundiert ist und dem Überzeugungstäter sittliches Verhalten zugebilligt wird. c) Noll entscheidet sich i m Widerstreit der — nach seiner Meinung — weder begründbaren noch widerlegbaren Axiome von Normanerkennung bzw. Norminhalt zugunsten des material wertvolleren Gesetzes, ohne aber die Maßstäbe für die Entscheidung bei konkurrierenden sittlichen Wertvorstellungen legitimieren zu können, da sie selbst Inhalt des Axioms sein müssen. These 23 Auch Formalismus oder Voluntarismus bei der Entscheidung zwischen Gesetz und Gewissen führen nicht aus der Aporie heraus: a) A u f einen formalen Vorrang des Gesetzes vor dem Gewissen kann sich nicht berufen, wer die Rechtsordnung nicht wertfrei sieht, sondern auf materiale Werte gründet. b) Voluntarismus bei der Entscheidung über den Vorrang des Gesetzes vor dem Gewissen entläßt dann nicht aus der Aporie, wenn die Entscheidung für das Gesetz Sache des Gewissens ist.

Thesen

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These 24 Die Launsche These, daß positives Recht erst sittliches Recht wird, wenn es i m Gewissen des einzelnen anerkannt wird, vermag i n ihrer Subjektivität keinen Ausweg zu weisen für den intersubjektiven K o l l i sionsfall, i n dem das Gewissen der Mehrheit gegen das Gewissen der Minderheit steht. These 25 Da die Alternative Gesetz oder Gewissen i n die Sackgasse führt, ist die Fragestellung zu korrigieren. Statt einer ausweglosen Entwederoder-Hypothese hat man sich der Sowohl-als-auch-Hypothese zuzuwenden und zu prüfen, wie sich Gesetz als Mehrheitsgewissensentscheidung und Gewissen als Minderheitsgewissensentscheidung miteinander verknüpfen lassen. Das klassische Beispiel einer solchen rechtsimmanenten Konfliktlösung ist A r t . 4 Abs. 3 GG. These 26 Die weitverbreitete These von der Selbstaufgabe des Rechts bei Anerkennung einer Sonderbehandlung für Überzeugungstäter ist als argumentum ad absurdum zu bewerten, das lediglich als Verdacht, nicht aber als Beweis vorgebracht werden kann, da weder faktisch noch normativ der Wegfall der Geltungskraft des Rechts nachgewiesen wird. These 27 Die These vom Primat der Sozialethik vor der Individualethik geriert sich als ethischer Aussagesatz, ist aber selbst ein moralischer Imperativ, bei dem offen bleibt, welche Werte des Gemeinwesens denen des Individuums vorgehen. Als Leerformel deckt diese These auch Sätze wie „Gemeinnutz geht vor Eigennutz", „ D u bist nichts, dein Volk (die Partei) ist alles." These 28 Die These von der Sonderbehandlung des Überzeugungstäters läßt sich nicht m i t der Zurückweisung der wertrelativistischen Rechtsphilosophie widerlegen, da die Forderung einer Sonderstellung des Überzeugungstäters von Vertretern kontroverser rechtsphilosophischer Systeme gleichermaßen erhoben wird. These 29 Eine rechtsstaatliche Lehre vom Überzeugungstäter hat von einer auf das Grundgesetz zugeschnittenen konkreten Geltungstheorie auszugehen, die angesichts des ausbalancierten Gleichgewichts von Mehrheitsentscheidung und Minderheitenschutz, von Sozialprinzip und Personalprinzip ihre Verbindlichkeit auch gegenüber Dissidenten behaup-

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Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters

ten kann, da sie „dessen Recht" i n das „Recht für alle" aufzunehmen versucht, ohne von vornherein Gewalt anzuwenden. These 30 Die Problematik des Überzeugungstäters ist entgegen der i n der Literatur verfolgten Linie nicht anhand unverbindlicher allgemeiner spekulativer Aussagen, sondern rechtsimmanent und konkret anhand des Grundgesetzes zu entscheiden.

F. Abschlug Vor den Türen des positiven Rechts endet der „Allgemeine Teil" der Lehre vom Überzeugungstäter, sofern er sich als strukturelle Untersuchung über die Rechtsfigur des Überzeugungstäters begreift. Wie jede allgemeinere Aussage w i r k t die Einsicht, die sie vermittelt, enttäuschend und aufklärend zugleich 1 . (1) Der der Kasuistik verschriebene Praktiker des Rechts sucht vergebens nach der Lösung „seines" Falles, darf allerdings eines nicht übersehen: Ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung dürfte darin zu erblicken sein, daß die meisten der bisher eingeschlagenen Lösungswege sich als Sackgassen herausgestellt haben. Die Funktion der vorliegenden Arbeit als Wegweiser besteht i n praktischer Hinsicht einmal, negativ gewendet, darin, von zeit- und kraftzehrenden Irrwegen abzuraten, zum anderen, positiv gewendet, darin, die Richtung, i n der die Lösung hic et nunc zu finden ist, aufzuzeigen. Die Wegweisung selbst könnte als „selbstverständlich" empfunden werden. U m so besser! Wie die strafrechtliche Literatur jedoch vermuten läßt, gilt für sie noch der Satz: Verfassungsrecht vergeht, Strafrechtsdogmatik besteht. Hinzu kommt i m vorliegenden Fall eine tief bedauerliche Distanz zwischen Strafrechtswissenschaft und Verfassungsrechtswissenschaft, Gliedern einer Rechtswissenschaft, i n der die Rechte nicht weiß, was die Linke tut 2 . Daß § 48 a E 1962/SA 1964 ohne Rückkopplung an A r t . 4 GG beraten und beschlossen wurde, beweist ebenfalls, wie wenig „selbstverständlich" es ist, i m strafrechtlichen Bereich Grundrechte zur Konfliktentscheidung heranzuziehen. 1 Vgl. Mach: S. 68 f. zu entsprechenden Beobachtungen bei der Formulierung physikalischer Prinzipien. 2 I m Bericht über die Diskussion über den Überzeugungstäter auf der H e i delberger Strafrechtslehrertagung 1966 fehlt jeder Hinweis auf das G r u n d gesetz, Friedrichs: S. 730ff.; vgl. die Hinweise bei Heinitz: S. 628ff.; Welzel: Gesetz S. 384, 400; Peters: Mayer-Festschrift S. 266 f., 276, 279; Schmidhäuser: Strafrecht S. 334; Greffenius: S. 77 ff.; eingehend n u r Burski: S. 49 ff. — Umgekehrt hat die Verfassungsrechtslehre die v o m Strafrecht aufbereitete Überzeugungstäterproblematik bisher weitgehend ignoriert, vgl. als Beispiel die Tagung der Vereinigung der Staatsrechtslehrertagung 1969 über das Thema Gewissensfreiheit: obiter dicta finden sich bei Bäumlin in V V D S t R L 28 (1970) S. 18, 26; Böckenförde ebenda S. 60 A n m . 83, S. 143; Zippelius ebenda S. 91; Brohm ebenda S. 101, 102; Marcie ebenda S. 114; vgl. die sonstigen Hinweise bei Hamann: S. 76 ff. ; Zippelius i n B K A r t . 4 (Zweitbearbeitung) Rnr. 43; Scholler: Freiheit S. 196 ff., D Ö V 1969 S. 532.

19 G ö d a n

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Abschluß

Hier gilt es Abhilfe zu schaffen, damit das Problem des Überzeugungstäters nicht stereotyp, sondern stereoskopisch beantwortet wird. (2) Die vorliegende Untersuchung glaubt i n mehrerer Hinsicht aber auch aufklärend wirken zu können, indem sie den Rahmen aufweist, innerhalb dessen sich mögliche Antworten auf mögliche Fragen zur Problematik des Überzeugungstäters halten werden. (a) Die Struktur der Rechtsfigur des Überzeugungstäters als sinnvolle Denkmöglichkeit konnte in typologischer und begrifflicher H i n sicht weiter geklärt werden. (b) Die Prüfung der normativen Berechtigung einer Lehre vom Überzeugungstäter konnte soweit vorangetrieben werden, daß die Gegenthesen gegen eine mögliche Lehre vom Überzeugungstäter zurückgewiesen wurden und die positive Ausgestaltung einer künftigen Lehre vom Überzeugungstäter unter den Maßstab des Grundgesetzes gestellt wurde. (c) Die kriminalpolitischen Bemühungen um das Problem des Überzeugungstäters zeigten ebenfalls die Notwendigkeit auf, anhand der verfassungsrechtlichen Grundwertentscheidungen zu einer Lösung der anstehenden Problematik zu gelangen. I n der Zukunft stellt sich die Aufgabe, das Problem des Überzeugungstäters sehr viel radikaler zu durchdenken, als dies bisher geschehen ist. Man w i r d sich nicht m i t Rechtsfolgenlösungen bescheiden können, sondern w i r d auch den Stachel möglicher Tatbestandslösungen aushalten müssen. Radbruchs Gedankengänge, die in ihren Anfängen fünfzig Jahre zurückliegen, haben sich als Impuls erwiesen. Seine „juristische Entdeckung" war nicht nur ein selbständiger erkenntnisfördernder A k t , sondern sie hat, wie jede echte juristische Entdeckung, „unser Denken auf Grund der neuen Erkenntnisse auf neue Grundlagen gestellt und neue Wege gewiesen" 3 .

3 Dölle: S. Β 3 i n bezug auf die konstitutiven Elemente einer Entdeckung i m allgemeinen.

Literatur- und Abkürzungsverzeichnis Vorbemerkung 1. Z u m Literaturverzeichnis: I m Anmerkungsapparat zitierte Autoren, denen kein Doppelpunkt, sondern „ i n " folgt, sind unter dem nach „ i n " folgenden Schrifttum aufzusuchen. Mehrere Schriften eines Autors sind alphabetisch gemäß dem i m A n merkungsapparat verwandten Ordnungswort aufgeführt. 2. Z u m

Abkürzungsverzeichnis:

a) Die nicht fachspezifischen, sondern allgemein bekannten A b k ü r z u n gen werden nicht aufgelöst. Z u r Auflösung vgl. das i n vielen Auflagen erschienene W e r k : Duden. Hechtschreibung der deutschen Sprache u n d der Fremdwörter. Mannheim, Wien, Zürich: Bibliographisches I n s t i tut. (Der Große Duden. Bd. 1.) b) Die bei der Titelaufnahme verwendeten Abkürzungen sind die b i b l i o thekarisch üblichen. Z u r Auflösung vgl. das Verzeichnis bei Fuchs, Hermann: Kommentar zu den Instruktionen f ü r die alphabetischen Kataloge der Preußischen Bibliotheken. 4. unveränd. A u f l . Wiesbaden: Harrassowitz 1966. S. 268 ff. Die Abkürzungen werden bei der alphabetischen Einordnung als zusammenhängender Buchstabenblock behandelt. AE

Alternativ-Entwurf meiner Teil. Tübingen: M o h r 1. A u f l . 1966. 2., verb. Aufl. 1969.

a. F.

alte Fassung

Albert

Albert, Hans: Traktat über kritische Vernunft. 2., unveränd. A u f l . Tübingen: M o h r 1969. (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften. Bd. 9.)

Althaus

Althaus, Paul: Grundriß der Ethik. 2., neu bearb. A u f l . Gütersloh: Bertelsmann 1953.

Amelunxen

Amelunxen, Clemens: Politische Straftäter. E i n Beitrag zur Kriminologie der Staatsgefährdung. Hamburg: K r i m i n a l i s t i k ' 1964.

André

André , Achim: Was heißt rechts wissenschaftliche Forschung? E i n Beitrag zur Wissenschaftstheorie auf dem Gebiet der Jurisprudenz. I n : JZ 1970 S. 396-401.

19*

eines Strafgesetzbuches.

Allge-

292

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis A r c h i v des öffentlichen Rechts

AöR Arndt:

N J W 1965

Arndt, Adolf: Die Zeugen Jehovas als Prüfung u n serer Gewissensfreiheit I n : U m w e l t und Recht. 3. I n : N J W 1965 S. 432 - 433.

Arndt:

N J W 1966

—,—: Das Gewissen i n der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung. I n : U m w e l t u n d Recht. 2. I n : N J W 1966 S. 2204 - 2206.

Arndt:

N J W 1968

—,—: Ersatzdienstverweigerung aus Gewissensgründen. I n : N J W 1968 S. 2370.

Aschaffenburg: Diskussionsbeitrag

Aschaffenburg, Gustav: Diskussionsbeitrag. I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 395 - 397.

Aschaffenburg: Handwörterbuch

—,—: Kriminalanthropologie u n d Kriminalbiologie. I n : Handwörterbuch der Kriminologie u n d der anderen strafrechtlichen Hilfswissenschaften. Hrsg. von Alexander Elster u. Heinrich Lingemann. Bd. 1. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1933. S. 825 - 840.

Baltzer

Baltzer, Christian: Die geschichtlichen Grundlagen der privilegierten Behandlung politischer Straftäter i m Reichsstrafgesetzbuch von 1871. Bonn: Röhrscheid 1966. (Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen. Bd. 69.) Zugleich Bonn: Jur. Diss. ν. 1966.

Bauer

Bauer, Fritz: Wertordnung u n d pluralistische Gesellschaft. I n : Die deutsche Strafrechtsreform. Hrsg. v. Leonhard Reinisch. München: Beck 1967. (Beck'sche Schwarze Reihe. Bd. 47.) S. 24 - 39.

Baumann:

DRiZ 1970

Baumann, Jürgen: Resozialisierungsgedanke u n d Rechtsgüterschutz i m 1. u n d 2. Strafrechtsreformgesetz. I n : D R i Z 48 (1970) S. 2 - 9.

Baumann:

Entwurf

—,—: E n t w u r f eines Strafgesetzbuches, allgemeiner Teil. Tübingen: M o h r 1963. (Recht u n d Staat i n Geschichte u. Gegenwart. H. 274/ 275.)

Baumann:

Reform

—,—: Die Reform des Allgemeinen Teils eines StGB. I n : Die deutsche Strafrechtsreform. Hrsg. v. Leonhard Reinisch. München: Beck 1967. (Beck'sche Schwarze Reihe. Bd. 47.) S. 89 - 105.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Baumann:

Strafrecht

-—,—: Straf recht. Allgemeiner Teil. E i n Lehrbuch. 5. neubearb. A u f l . Bielefeld: Gieseking 1968.

Baumann: Strafrechtsreformgesetz

—,—: Strafrechtsreformgesetz. Ergänzung zum L e h r buch Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. A u f l . 1968. Bielefeld: Gieseking 1970.

BBG

Bundesbeamtengesetz

Becker / Huber / Küster Becker, Ingeborg, Harald Huber, Otto Küster: desentschädigungsgesetz. Kommentar. Berlin, F r a n k f u r t a. M. : Vahlen 1955.

Bun-

BEG

Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung

Beling

Beling, Ernst: Die Lehre v o m Verbrechen. Neudruck der Ausgabe Tübingen 1906. Aalen: Scientia-Verl. 1964.

Bericht des SA

Besson / Jasper

Bericht des Sonderausschusses „Strafrecht" über die Beratung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 — Drucksache IV/650 — v o m 30. J u n i 1965. Deutscher Bundestag. 4. Wahlperiode. Bonn: Heger i n K o m m . 1965. Besson, Waldemar, Gotthard Jasper: Das L e i t b i l d der modernen Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung. München, Frankfurt, Berlin, Hamburg, Essen: List 1965.

Beyme: Interessengruppen

Beyme, Klaus von: Interessengruppen i n der Demokratie. 3., durchges. A u f l . München: Piper 1971.

Beyme: Regierungssysteme

—,—: Die parlamentarischen Regierungssysteme i n Europa. München: Piper 1970.

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes sachen

Birnbaum

Birnbaum, Karl: Kriminalpsychopathologie u n d psychobiologische Verbrecherkunde. 2., wesentl. erw. A u f l . B e r l i n : Springer 1931.

BK

Kommentar zum Bonner Kommentar.) Hamburg: H e i t m a n n 1950 ff. (Loseblattausgabe.)

Blessin / Ehrig l Wilden

Blessin, Georg, Hans-Georg Ehrig, Hans Bundesentschädigungsgesetze. Kommentar. 3., verm. neubearb. A u f l . München, B e r l i n : Beck 1960.

Grundgesetz.

i n Straf-

(Bonner

Wilden:

294

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

BMJ

Bundesministerium der Justiz

BNotarO

Bundesnotarordnung

Bockelmann

Bockelmann, Paul: Einführung i n das Recht. München: Piper 1963.

Böckenförde

Böckenförde, Ernst-Wolfgang : Das Grundrecht der Gewissensfreiheit. I n : Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. H. 28. B e r l i n : de Gruyter 1970. S. 33 - 81.

Bohne

Bohne, Gotthold: Z u r Psychologie der richterlichen Überzeugungsbildung. K ö l n : Pick 1948.

BRAO

Bundesrechtsanwaltsordnung

Brasil. StGB

Brasilianisches Strafgesetzbuch v o m 7. Dezember 1940. M i t Einl. versehen u. übers, von Dietrich LangHinrichsen. B e r l i n : de Gruyter 1953. (Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher. 61.)

Brecht

Brecht, Arnold: Politische Theorie. Die Grundlagen politischen Denkens i m 20. Jahrhundert. Tübingen: M o h r 1961.

Bubner

Bubner, Rüdiger: Einleitung. I n : Sprache u n d Analysis. Texte zur englischen Philosophie der Gegenwart. Hrsg., übers, u. eingel. von Rüdiger Bubner. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1968. S. 5 - 30.

Budzinski

Budzinski, Wilhelm: Der Überzeugungsverbrecher. Freiburg: Jur. Diss. ν. 1931.

Bülow

Bülow, Hans Jürgen von: Der Sonderstrafvollzug am Täter aus Überzeugung. Breslau-Neukirch: Kurtze 1933. (Strafrechtliche Abhandlungen. H. 327.) Zugleich Freiburg i. Br.: Jur. Diss. ν. 1933.

Buerschaper

Buerschaper (ο. V.) : Der politische Verbrecher Entwürfe zu einem neuen Strafgesetzbuche. I n : D R i Z 18 (1926) S. 73-75.

im

Bundestags-Drucksache Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Wahlperiode 1949 ff. Anlagen zu den stenographischen Berichten. Bd. 1 ff. Drucksachen. Bonn: Heger i n K o m m . Burski

Burski, Ulrich von: Die Zeugen Jehovas, die Gewissensfreiheit u n d das Strafrecht. Freiburg i. Br. : Jur. Diss. ν. 1970.

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis BVerfGE BVerfGG BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

Calker:

Calker, Fritz van: Die Bestimmung der Strafart nach der Gesinnung, aus welcher die Handlung entsprungen ist. (§ 20 StrGB.) I n : Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts. Allgemeiner Teil. Bd. 3. B e r l i n : Liebmann 1908. S. 173 - 188.

Bestimmung

Calker: Diskussionsbeitrag

—,—: Diskussionsbeitrag. I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2. S. 380 - 385.

Chauveau / Hélie

Chauveau, Ad(olphe), F(austin) Hélie: Théorie code pénal. 2. éd. belge annotée. Tome 1. Bruxelles: Bruylant-Christophe 1858.

Codice penale italiano

Das italienische Strafgesetzbuch v o m 19. Oktober 1930. I l codice penale italiano. Zweisprachige A u s gabe. B e r l i n : de Gruyter 1969. (Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung. 90.)

Conrad

Conrad, Hermann: Deutsche Hechtsgeschichte. Karlsruhe: C. F. Müller. Bd. 1. Frühzeit u n d Mittelalter. 1. Aufl. 1954. 2., neubearb. A u f l . 1962. Bd. 2. Neuzeit bis 1806. 1966.

Copie

Copie , Hans: Grundgesetz und politisches Straf recht neuer A r t . Tübingen: M o h r 1967.

Cos er

Coser, Lewis Α.: Theorie sozialer Konflikte. Neuwied a. Rh., B e r l i n : Luchterhand 1965. (Soziologische Texte. Bd. 30.)

C. p.

Code pénal — s. Dalloz- Ausgabe des code pénal.

du

Cuban. Gesetzbuch der Das Cubanische Gesetzbuch der Sozialen VerteidiSozialen Verteidigung gung v o m 4. A p r i l 1936 (in K r a f t seit dem 9. Oktober 1938). Berlin: de Gruyter 1957. (Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung. 72.) Dalloz- Ausgabe code pénal

Dam/Loos

des

Code pénal. Annoté d'après la doctrine et la j u r i s prudence avec renvois aux publications Dalloz. 60. éd. Paris: Jurisprudence général Dalloz 1963. Dam, H. G. van, Heinz Loos: Bundesentschädigungsgesetz. Kommentar. Berlin, F r a n k f u r t a. M.: Vahlen 1957.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

296

DDR-Textausgabe des StGB

Strafgesetzbuch u n d andere Strafgesetze. E r w . T e x t ausgabe m i t A n m . u. Sachreg. Hrsg. von dem M i nisterium der Justiz der Deutschen Demokratischen Republik. B e r l i n : V E B Deutscher Zentralverl. 1954.

Denninger:

J Z 1970

Denninger, Erhard: Polizei u n d demokratische Politik. I n : J Z 1970 S. 145- 152.

Denninger: person

Rechts-

—,—: Rechtsperson u n d Solidarität. E i n Beitrag zur Phänomenologie des Rechtsstaates unter besonderer Berücksichtigung der Sozialtheorie M a x Schelers. Frankfurt, B e r l i n : Metzner 1967.

DJT

Deutscher Juristentag

DJZ

Deutsche Juristen-Zeitung

Dölle

Dölle, Hans: Juristische Entdeckungen. Festvortrag. I n : Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Düsseldorf 1957. Bd. 2: Sitzungsberichte. A b t . B. Tübingen: M o h r 1959. S. Β 1 - Β 22.

DÖV

Die öffentliche V e r w a l t u n g

Dohna: Diskussionsbeitrag

Dohna, Alexander Graf zu: Diskussionsbeitrag. I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 405 - 408.

Dohna: Kernprobleme

—,—: Kernprobleme der Rechtsphilosophie. M i t Nachwort von Erik Wolf. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1959. (Libelli. Bd. 57.) (Unveränd. Nachdruck der 1940 i n Philosophische Untersuchungen Bd. 8 ersch. Ausgabe.)

Dohna: Konnex

—,—: Der innere Konnex von Freiheits- u n d E h renstrafen. I n : MSchrKrimPsych 17 (1926) S. 352 - 359.

Dreher

Strafgesetzbuch. M i t Nebengesetzen u n d Verordnungen. Erl. von Eduard Dreher. 33., neubearb. A u f l . des von Otto Schwarz begr. Werkes. München: Beck 1972. (Beck'sche Kurz-Kommentare. Bd. 10.)

DRiG

Deutsches Richtergesetz

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

Duden

Duden. Stilwörterbuch der deutschen Sprache. 5. A u f l . Mannheim: Bibliographisches I n s t i t u t 1963. Große Duden. Bd. 2.)

Diirig

(Der

Dürig, Günter: A r t . 103 I I I G G u n d die „Zeugen Jehovas". Z u r Mehrfachbestrafung der Ersatzdienstverweigerer aus Gewissensgründen. I n : J Z 1967 S. 426 - 431.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Dürr

Duguit

E 1919

E 1925

E 1927

E 1930

E 1939

E 1962

E Ferri

Dürr, Otto: Probleme der Gewissens- u n d Gesinnungsbildung. 2., erw. A u f l . Heidelberg: Quelle & Meyer 1962. Duguit , Léon, Henry Monnier: Les constitutions et les principales lois politiques de la France depuis 1789 précédés de notices historiques. Continué par Roger Bonnard. 6. éd. Paris: Pichon & Durand-Auzias 1943. E n t w u r f von 1919. I n : Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Veröff. auf Anordnung des Reichs-Justizministeriums. T e i l 2. B e r l i n : de Gruyter i n Komm., München: Schweitzer i n K o m m . 1920. Amtlicher E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung. Veröff. auf Anordnung des Reichsjustizministeriums. T. 1. E n t w u r f ; T. 2. Begründung (in einem Bd.) Berlin, Leipzig: de Gruyter i n K o m m . 1925. Zugleich als Nachdruck i n : Materialien zur Strafrechtsreform. Bd. 3. Bonn, Bad Godesberg: Heger i n K o m m . 1954. E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung u n d zwei Anlagen. B e r l i n : Heymann i n K o m m . 1927. (Drucks. 3390 v. 19.5.1927. Reichstag. I I I . W a h l periode.) Zugleich als Nachdruck i n : Materialien zur Strafrechtsreform. Bd. 4 Bonn, Bad Godesberg: Heger i n K o m m . 1954. E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs. B e r l i n : H e y m a n n i n K o m m . 1930. (Antrag Kahl u. Genossen. Drucks. 395 v. 6.12.1930. Reichstag. V. Wahlperiode.) Zugleich als Nachdruck i n : Materialien zur Straf rechtsreform. B d . 5. Bonn, Bad Godesberg: Heger i n K o m m . 1954. E n t w u r f eines Deutschen Strafgesetzbuchs. Neudruck J u n i 1939. (Ohne Ort.) E n t w u r f eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 m i t Begründung. Bonn: Heger i n K o m m . 1962. (Drucks. IV/650 v. 4.10.1962. Deutscher Bundestag. 4. Wahlperiode.) Relazione sul progetto preliminare d i codice penale italiano. L i b r o 1. Denkschrift u n d V o r e n t w u r f zu einem Italienischen Strafgesetzbuch. Buch 1. Roma: „L'universelle" 1921.

298

L i t e r a t u r - und Abkürzungsverzeichnis

E Friedberg

E n t w u r f eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund. B e r l i n : v. Decker J u l i 1869.

E Radbruch

Gustav Radbruchs E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches (1922). M i t e. Geleitwort von Thomas Dehler u. e. Einl. v. Eberhard Schmidt Tübingen: M o h r 1952.

E Strafvollzugsgesetz 1927 (Reichsratsvorlage)

Amtlicher E n t w u r f eines Strafvollzugsgesetzes nebst Begründung. Veröffentlicht auf Anordnung des Reichs j ustizministeriums. T. 1: Entwurf. T. 2: Begründung. Berlin, Leipzig: de Gruyter i n K o m m . 1927.

E Strafvollzugsgesetz 1927 (Reichstagsvorlage)

E n t w u r f eines Strafvollzugsgesetzes. B e r l i n : Heymann i n K o m m . 1927. (Drucks. 3628 v. 13.9.1927. Reichstag. I I I . periode.)

Ehrenforth

Ehrenforth, Werner: Bundesvertriebenengesetz. Kommentar. Berlin, F r a n k f u r t a. M.: Vahlen 1959.

Eichholz

Eichholz, Georg: Der Gewisisenstäter. Die Geschichte der strafrechtlichen Privilegien. Bonn: Jur. Diss. ν. 1971.

End

End, Heinrich: Existentielle Handlungen i m Strafrecht. Die Pflichtenkollision i m Lichte der Philosophie von K a r l Jaspers. München: Beck 1959.

Engisch: ARSP 38 (1949/50)

Engisch, Karl: Gustav Radbruch als Rechtsphilosoph. I n : Archiv für Rechts- und Staatsphilosophie 38 (1949/50) S. 305-316.

Engisch: Einführung

—,—: Einführung i n das juristische Denken. Stuttgart: Kohlhammer 1956. (Urban-Bücher. 20.)

Engisch: Konkretisierung

—,—: Die Idee der Konkretisierung i n Recht u n d Rechtswissenschaft unserer Zeit. Heidelberg: W i n t e r 1953. (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. K l . Jg. 1953, 1.)

Engisch: Mezger-Festschrift

—,—: Die normativen Tatbestandselemente i m Strafrecht. I n : Festschrift f ü r Edmund Mezger. München, B e r l i n : Beck 1954. S. 127 - 163.

Enneccerus /

Wahl-

Lehmann: Enneccerus, Ludwig: Recht der Schuldverhältnisse. 15. Bearb. von Heinrich Lehmann. Tübingen: Mohr 1958. (Enneccerus / K i p p / Wolff: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Bd. 2.)

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Erbel

Erbel,

Günter:

I n h a l t u n d Auswirkungen der ver-

fassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1966. Ever s

Evers, Hans-Ulrich: Existenzphilosophie u n d rechtliche Pflichtenkollision. I n : JR 1960 S. 369 - 372.

Exner

Exner, Franz: Kriminologie. 3. verb. u. erg. Aufl. Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer 1949.

Fetscher

Fetscher, Iring: Rousseaus politische Philosophie. Z u r Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs. 2., erw. A u f l . Neuwied a. Rh., B e r l i n : Luchterhand 1968. (Politica. Bd. 1.)

Fichte: Einleitung

Fichte, Johann Gottlieb: Zweite Einleitung i n die Wissenschaftslehre. I n : Erste u n d zweite Einleitung i n die Wissenschaftslehre. Hrsg. von Fritz Medicus. 2. Aufl., durchges. Neudruck. Hamburg: Meiner 1954. (Philosophische Bibliothek. Bd. 239.)

Fichte: System

—,—: Das System der Sittenlehre nach den P r i n zipien der Wissenschaftslehre. Neudruck der 2. A u f l . H a m b u r g : Meiner 1963. (Philosophische Bibliothek. Bd. 257.)

Foltin

Foltin, Edgar: Die strafrechtliche Behandlung des Täters aus Überzeugung. I n : 7. Deutscher Juristentag i n der Tschechoslowakei. Verhandlungen. Reichenberg: Sudetendeutscher Verl. i n Komm. 1935. S.111 - 127.

Fraenkel

Fraenkel, Ernst: Deutschland u n d die westlichen Demokratien. 4., unveränd. A u f l . Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer 1968.

Franssen

Franssen, Everhardt: Positivismus Strategie. I n : JZ 1969 S. 766-775.

Frei

Frei, Ernst: Z u r Frage der Überzeugungstäterschaft. I n : Die Justiz 7 (1931/32) S. 512 - 517.

Freisler

Freisler, Roland: Strafensystem. I n : Denkschrift des Zentralausschusses der Strafrechtsabteilung der Akademie für Deutsches Recht über die Grundzüge eines Allgemeinen Deutschen Strafrechts. Hrsg. v. Roland Freisler. B e r l i n : v. Decker 1934. S. 100 - 115.

als

juristische

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

300 Friedrich

Friedrich, Carl Joachim: Demokratie als Herrschaftsu n d Lebensform. Heidelberg: Quelle & Meyer 1959. (Studien zur Politik. Bd. 1.)

Friedrichs

Friedrichs, Karl Α.: Die Diskussionsbeiträge bei der Heidelberger Strafrechtslehrertagung 1966. I n : ZStW 78 (1966) S. 725 - 733.

Fries: L o g i k

Fries, Jakob Friedrich: System der Logik. 3., verb. A u f l . Heidelberg: W i n t e r 1837.

Fries: Wissen

—,—: Wissen, Glaube u n d Ahndung. Jena: Göpferdt 1805.

Füsslein

Füsslein, Rudolf Werner: Deutsche Verfassungen. 3., erg. Aufl. Berlin, F r a n k f u r t a. M.: Vahlen 1959.

Gallas

Gallas, Wilhelm: Pflichtenkollision als Schuldausschließungsgrund. I n : Festschrift f ü r Edmund Mezger zum 70. Geburtstag. München, B e r l i n : Beck 1954. S. 311-334.

Gaupp

Gaupp, Rfobert): Der Überzeugungs Verbrecher. I n : MSchrKrimPsych 17 (1926) S. 394 - 401.

GB1.

Gesetzblatt

GE 1911

Gegenentwurf zum V o r e n t w u r f eines deutschen Strafgesetzbuchs. Aufgestellt von W. Kahl, K. Lilienthal, F. v. Liszt, J. Goldschmidt. (Bd. 1. Entwurf.) (Bd. 2.) Begründung. B e r l i n : Guttentag 1911.

Gentz

Gentz, Werner: Die praktische Ausgestaltung des Strafvollzuges. I n : Reform des Strafvollzuges. Kritische Beiträge zu dem Amtlichen E n t w u r f eines Strafvollzugsgesetzes. Hrsg. von Lothar Frede u n d Max Grünhut. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1927. S. 55 -101.

Gerland: Diskussionsbeitrag

Gerland, Heinrich: Diskussionsbeitrag. I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 385 - 389.

Gerland:

DJZ 32 (1927)

—,—: Der Ueberzeugungsverbrecher i n der Reichstagsvorlage des Strafgesetzbuchs. I n : D J Z 32 (1927) Sp. 1514 - 1518.

Gerland:

Entwurf

—,—: Der E n t w u r f 1925. Allgemeiner Teil. Kritische Bemerkungen. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1926. S. 186 - 204.

GG

Grundgesetz

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Gleispach

Göppinger Greffenius

Grimm

Grimmer

GrStrKomm Grünwald

Gruhle: buch

Handwörter-

Gruhle:

Psychologie

Gruhle:

Verstehen

GS Guckenheimer

Gleispach, W(enzel) Graf: Strafbemessung. I n : Reform des Straf rechts. Kritische Besprechung des A m t l i c h e n Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs. Hrsg. von P. F. Aschrott u n d Ed. Kohlrausch. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1926. S. 186 - 204. Göppinger, Hans: Kriminologie. Eine Einführung. München: Beck 1971. Greffenius, Gunter: Der Täter aus Uberzeugung u n d der Täter aus Gewissensnot. Hamburg: K r i m i n a l i s t i k - V e r l . 1969. (Kriminologische Schriftenreihe. Bd. 41.) Zugleich Mainz: Jur. Diss. ν. 1968. Grimm, Jacob, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig: Hirzel. Bd. 4. A b t h . 1. Th. 3: Getreide — gewöhniglich. Bearb. v. Hermann Wunderlich. 1911. Bd. 11. A b t . 2: U — Umzwingen. Bearb. v. Victor Dollmayr. 1936. Grimmer, Klaus: Die Rechtsfiguren einer „ N o r m a t i v i t ä t des Faktischen". Untersuchungen zum V e r hältnis von N o r m und F a k t u m und zur F u n k t i o n der Rechtsgestaltungsorgane. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1971. (Schriften zur Rechtstheorie. H. 24.) Große Strafrechtskommission. — Siehe: Niederschriften der G r S t r K o m m Grünwald, Gerald: Das Rechtsfolgensystem des Alternativ-Entwurfs. I n : ZStW 80 (1968) S. 89 - 118. Gruhle, Hans: Kriminalpsychologie. I n : Handwörterbuch der Kriminologie u n d der anderen strafrechtlichen Hilfswissenschaften. Hrsg. von Alexander Elster u. Heinrich Lingemann. Bd. 1. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1933. S. 907 - 914. —,—: Verstehende Psychologie. (Erlebnislehre.) Ein Lehrbuch. Stuttgart: Thieme 1948. —,—: Verstehen u n d Einfühlen. Gesammelte Schriften. Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer 1953. Der Gerichtssaal Guckenheimer, Ed(uard): Der Begriff der ehrlosen Gesinnung i m Strafrecht. E i n Beitrag zur strafrechtlichen Beurteilung politischer Verbrecher. Hamburg: Gente 1921. (Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft. H. 1.) Zugleich Hamburg: Jur. Diss. ν. 1921.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

302

Guizot, F(rancois Pierre Joseph): mort (en matière politique). Nouv. éd.

Guizot

De la peine de

Bruxelles: Société belge de librairie 1838. GVG Häberle

Gerichtsverfassungsgesetz Häberle, Peter: Die Wesensgehaltsgarantie des 19 Abs. 2 Grundgesetz. Zugleich ein Beitrag institutionellen Verständnis der Grundrechte zur Lehre v o m Gesetzesvorbehalt. 2., erg. A u f l . Karlsruhe: M ü l l e r 1972. (Freiburger rechts- u n d staatswissenschaftliche handlungen. Bd. 21.)

Art. zum und

Ab-

Häfner

Häfner, H.: Das Gewissen i n der Neurose. I n : Handbuch der Neurosenlehre u n d Psychotherapie. Bd. 2. Spezielle Neurosenlehre. München, B e r l i n : Urban & Schwarzenberg 1959. S. 692 - 726.

Hättich

Hättich, Manfred: Nationalbewußtsein u n d Staatsbewußtsein i n der pluralistischen Gesellschaft. 2. Aufl. Mainz: v. Hase & Koehler 1966.

Hamann

Hamann, Andreas: Grundgesetz u n d Strafgesetzgebung. Neuwied, B e r l i n : Luchterhand 1963. (Reihe Strafrecht, Strafverfahren, Kriminologie. Bd. 7.) Hamann, Andreas: Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v o m 23. M a i 1949. E i n K o m mentar f ü r Wissenschaft u n d Praxis. Fortgeführt v o n Andreas Hamann j r . u n d Helmut Lenz. 3., v ö l l i g neu bearb. u. wesentl. erw. Aufl. Neuwied, B e r l i n : Luchterhand 1970.

Hamann / Lenz

Hart:

Concept

Hart:

Definition

Hart, H. L. Α.: The concept of law. 4. ed. Oxford: Clarendon Press 1967. —,—: Definition & theory i n jurisprudence. Oxford: Clarendon Press 1953.

Hartmann

Hartmann, Albert: Toleranz und christlicher Glaube. F r a n k f u r t a. M.: Knecht 1955.

Hassemer

Hassemer, Winfried: Tatbestand u n d Typus. U n t e r suchungen zur strafrechtlichen Hermeneutik. Köln, Berlin, Bonn, München: Heymann 1968. (Annales Universitatis Saraviensis. Schriftenreihe. Rechts- u. Wirtschaftswissenschaft!. Abt. H. 33.) Zugleich Saarbrücken: Jur. Diss. 1967.

Hätz

Hätz, Helmut: Rechtssprache u n d juristischer griff. V o m richtigen Verstehen des Rechtssatzes. Stuttgart: Kohlhammer 1963. (res publica. Bd. 10.)

Be-

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Hegel

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Hechts. Hrsg. v. Johannes Hoffmeister. 4. Aufl. Unveränd. Nachdruck. Hamburg: Meiner 1962. (Philosophische Bibliothek. Bd. 124 a.)

Heidegger

Heidegger, Martin: Sein und Zeit. 10. A u f l . Tübingen: Niemeyer 1963.

Heinitz

Heinitz, Ernst: Der Überzeugungstäter recht. I n : ZStW 78 (1966) S. 615 - 637.

Hellpach

Hellpach, Willy: Sozialpsychologie. 3., durchges. A u f l . Stuttgart: Enke 1951.

Hempel / Oppenheim

Hempel, Carl G., Paul Oppenheim: Der Typusbeg r i f f i m Lichte der neuen Logik. Wissenschaftstheoretische Untersuchungen zur Konstitutions-Forschung u n d Psychologie. Leiden: Sijthoff 1936.

Henkel:

Henkel, Heinrich: Einführung i n die Rechtsphilosophie. Grundlagen des Rechts. München, Berlin: Beck 1964.

Einführung

im

Straf-

Henkel: Strafverfahrensrecht

—,—: Strafverfahrensrecht. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer. 1. Aufl. 1953. 2., neubearb. Aufl. 1968.

Hensel

Hensel, Paul: Hauptprobleme der Ethik. 2., unveränd. A u f l . Leipzig, B e r l i n : Teubner 1924.

Herzog

Herzog, Roman: Allgemeine Staatslehre. F r a n k f u r t a. M.: Athenäum-Verl. 1971. (Lehrbücher des öffentlichen Rechts. Bd. 1.)

Hesse

Hesse, Konrad: Grundzüge des der Bundesrepublik Deutschland. 4. neubearb. A u f l . Karlsruhe: C. F. M ü l l e r 1970.

Heyde

Heyde, Joh's Erich: Typus. E i n Beitrag zur Typologik. I n : Studium Generale 5 (1952) S. 235 - 247.

Heyne

Heyne, Moriz: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1 - 3 . Leipzig: Hirzel 1890 - 95.

Hippel

Hippel, Robert von: Deutsches Straf recht. Bd. 2. Das Verbrechen. Allgemeine Lehren. Berlin: Springer 1930.

h. M.

herrschende Meinung

Verfassungsrechts

304

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

Hobbes: Deutsche Ausg. Hobbes, Thomas: Leviathan oder von Materie, Form u n d Gewalt des kirchlichen u n d bürgerlichen Staates. Hrsg. u. eingel. v. J. P. Mayer. Zürich, Leipzig: Rascher 1936. Hobbes: Engl. Ausg.

—,—: Leviathan. Repr. f r o m the ed. of 1651. 5. repr. Oxford: Clarendon Pr. 1958.

Höpler

Höpler, Erwein: Gutachten . . . über die Frage: Empfiehlt sich die Aufnahme der i m § 71 des neuen Strafgesetzentwurfs enthaltenen Bestimmung, nach welcher an Stelle v o n Zuchthaus oder Gefängnis „Einschließung" treten soll, w e n n der Täter sich zu der Tat auf G r u n d seiner sittlichen, religiösen, oder politischen Uberzeugung f ü r verpflichtet hielt? I n : Verhandlungen des 34. Deutschen Juristentags (Köln). Bd. 1 (Gutachten). Berlin, Leipzig: de Gruyter 1926. S. 58 - 97.

Hofmann

Hofmann , Rudolf: Der Ideologie-Täter u n d das Problem des irrenden Gewissens i n theologischer Sicht. I n : Hof mann, Rudolf, Walter Sax: Der IdeologieTäter. Karlsruhe: Badenia Verl. 1967. (Veröffentlichungen der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg. Nr. 5.) S. 29 - 41.

Hollenbach

Hollenbach, Johannes Michael: Sein u n d Gewissen. Uber den Ursprung der Gewissensregung. Eine Begegnung zwischen M a r t i n Heidegger u n d thomistischer Philosophie. Baden-Baden: G r i m m 1954.

Hub er

Hub er, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1. Reform u n d Restauration 1789 bis 1830. Stuttgart: Kohlhammer 1957.

Husserl , E.

Husserl, Edmund: Erfahrung u n d Urteil. suchungen zur Genealogie der Logik. 3. A u f l . Hamburg: Ciaassen 1964.

Husserl , G.

Husserl, Gerhart: Recht u n d Welt. I n : Recht u n d Welt. Rechtsphilosophische Abhandlungen. F r a n k f u r t a. M.: Klostermann 1964. (Juristische Abhandlungen. Bd. 1.) S. 67 -114. Zuerst ersch. i n : Festschrift f ü r Edmund Husserl. Halle a. d. S. : Niemeyer 1929. S. 111 - 158.

Unter-

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

305

Jäger

Jäger, Herbert: Verbrechen unter totalitärer H e r r schaft. Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkriminalität. Ölten, Freiburg i. Br.: Walter 1967.

Jarotzky

Jarotzky, H. v.: Die Strafe der Einschließung i m neuen Strafrecht. I n : MSchrKrimPsych 21 (1930) S. 480 - 493.

Jaspers: Philosophie

Jaspers, Karl: Philosophie. 3. A u f l . Bd. 1 : Philosophische Weltorientierung. Bd. 2: Existenzerhellung. Bd. 3: Metaphysik. Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer 1956.

Jaspers: Wahrheit

—,—: V o n der Wahrheit. München: Piper 1958.

i. d. F.

i n der Fassung

Jellinek

Jellinek, Georg: Allgemeine Staatslehre. 3. A u f l . 6. Neudruck. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1959.

Jescheck: Lehrbuch

Jescheck , H ans-Heinrich: Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1. A u f l . 1969 2., neubearb. u. erw. A u f l . 1972.

Jescheck: Menschenbild —,—: Das Menschenbild unserer Zeit u n d die Strafrechtsreform. Tübingen: M o h r 1957. (Recht u n d Staat i n Geschichte u n d Gegenwart. H. 198/199.) Jescheck: ZStW 80 (1968)

—,—: Die kriminalpolitische Konzeption des A l t e r n a t i v - E n t w u r f s eines Strafgesetzbuchs (Allgemeiner Teil). I n : ZStW 80 (1968) S. 54 - 88.

Jonas

Jonas, Friedrich: Geschichte der Soziologie I V . Deutsche u n d amerikanische Soziologie. M i t Quellentexten. Reinbek bei H a m b u r g : Rowohlt 1969. (rowohlts deutsche enzyklopädie. 308/309.)

Josephi

Josephi (ο. V.): Die Strafe des Überzeugungsverbrechers i m geltenden u n d i m künftigen Strafrecht. I n : Mecklenburgische Zeitschrift f ü r Rechtspflege, Rechtswissenschaft, V e r w a l t u n g 42 (1926) Sp. 510514.

JR

Juristische Rundschau

Jur. Diss,

Juristische Dissertation

i. V. m.

i n Verbindung m i t

JZ

Juristenzeitung

2

Gödan

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

306 Kadecka

Kadecka (ο. V.): Empfiehlt sich die Aufnahme der i m § 71 des neuen Strafgesetzentwurfs enthaltenen Bestimmung, wonach an Stelle von Zuchthaus oder Gefängnis „Einschließung" treten soll, w e n n sich der Täter auf G r u n d seiner sittlichen, religiösen oder politischen Ueberzeugung f ü r verpflichtet hielt, die Tat zu begehen? I n : D J Z 31 (1926) Sp. 1276 - 1280.

Kahl

Kahl, Wilhelm: Gesetzgebungssorgen i m neuen Jahr. I n : D J Z 32 (1927) Sp. 1 - 8.

Kamiah / Lorenzen

Kamiah, Wilhelm, Paul Lorenzen: Logische Propädeutik oder Vorschule des vernünftigen Redens. Rev. Ausg. Mannheim: Bibliograph. Inst. 1967. (BI-Hochschultaschenbücher. 227/227a.)

Kant:

Metaphysik

Kant, Immanuel: Metaphysik der Sitten. Hrsg. v. Karl Vorländer. H a m b u r g : Meiner 1959. (Philosophische Bibliothek. Bd. 142.)

Kant:

Werke

—,—: Werke i n 6 Bänden. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Wiesbaden: Insel-Verl. Bd. 2. K r i t i k der reinen Vernunft. 1956. Bd. 3. Schriften zur Metaphysik u n d Logik. 1959.

Kantorowicz:

Begriff

Kantorowicz, Hermann: Der Begriff des Rechts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht o. J. (Um 1957.) (Kleine Vandenhoeck-Reihe. 152/153.)

Kantorowicz: Rechtswissenschaft

—,—: Rechtswissenschaft u n d Soziologie. Ausgewählte Schriften zur Wissenschaftslehre. Karlsruhe: C. F. M ü l l e r 1962. (Freiburger rechts- u n d staatswissenschaftliche A b handlungen. Bd. 19.)

Karrenberg

Karrenberg, Friedrich: Sozialethik. I n : Evangelisches Staatslexikon. 4., vollständig neu bearb. Aufl. Stuttgart: Kreuz-Verl. 1963. Sp. 1109 -1119.

Kaufmann: prinzip

Schuld-

Kaufmann: Unrechtsbewußtsein

Kaufmann, Arthur: Das Schuldprinzip. Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung. Heidelberg: W i n t e r 1961. (Heidelberger Rechtswissenschaftliche A b h a n d l u n gen. N. F. Abh. 9.) —,—: Das Unrechtsbewußtsein i n der Schuldlehre des Strafrechts. Zugleich ein Leitfaden durch die moderne Schuldlehre. M i t e. V o r w o r t von Gustav Radbruch. Mainz: Krach o. J. (1950.) Zugleich Heidelberg: Jur. Diss. ν. 1949.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis K E 1869

E n t w u r f eines Strafgesetzbuchs f ü r den Norddeutschen Bund. Berlin: 31. Dezember 1869. Sogenannter Kommissionsentwurf.

K E 1913

E n t w u r f der Strafrechtskommission (1913). I n : Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Veröff. auf Anordnung des Reichs-Justizministeriums. T e i l 1. B e r l i n : de Gruyter i n Komm., München: Schweitzer i n K o m m . 1920.

KG

Kammergericht

Klein

Klein, Martin: Beweis u n d Gewissen. Z u r Beweisw ü r d i g u n g i m Anerkennungsverfahren des Kriegsdienstverweigerers. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1972. (Schriften zum öffentlichen Recht. Bd. 188.)

Klug

Klug, Ulrich: Juristische Logik. 3., erw. u. veränd. A u f l . Berlin, Heidelberg, New Y o r k : Springer 1966.

Kluge

Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch deutschen Sprache. 18. Aufl. bearb. von Walther Mitzka. B e r l i n : de Gruyter 1960.

KMR-Komm.

K M R Kommentar zur Strafprozeßordnung u n d zum Gerichtsverfassungs- u n d Ordnungswidrigkeitengesetz. Begründet von Th. Kleinknecht, H. Müller, L. Reitberger. 6. neubearb. u. erw. A u f l . hrsg. v o n Hermann Müller, Walter Sax. Bd. 1. Strafprozeßordnung. Darmstadt: Stoytscheff 1966.

Knies

Knies, Wolf gang: Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem. München: Beck 1967. (Münchener Universitätsschriften. Reihe der J u r i stischen Fakultät. Bd. 4.)

Körner

Körner, Stephan: Kant. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1967. (Kleine Vandenhoeck-Reihe. 252 S.)

Kohlrausch: schritte

Fort-

der

Kohlrausch, Eduard: Fortschritte u n d Rückschritte i n den kriminalpolitischen Bestimmungen des neuesten Strafgesetzentwurfs. Referat. I n : Mitteilungen der Internationalen K r i m i n a l i s t i schen Vereinigung. N. F. Bd. 3. 22. Tagung der Deutschen Landesgruppe zu Karlsruhe v o m 11.-13. September 1927. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1928. S. 9 - 42.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

308 Kohlrausch:

Leitsätze

—,—: Leitsätze des Berichterstatters. I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 353 - 354.

Kohlrausch: bericht

Schluß-

—,—: Schlußbericht.

Kohlrausch: wort

Schluß-

I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 868 - 869.

Krempel

—,—: Schlußwort. I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 413 - 414. Krempel , Α.: Was heißt Überzeugung? I n : Königsteiner Blätter 2 (1956) S. 81 - 86.

Krüger

Krüger, Herbert: Allgemeine Staatslehre. Stuttgart: K o h l h a m m e r 1964.

Krug

Krug, Wilhelm Traugott: V o n der Überzeugung nach ihren verschiedenen A r t e n u n d Graden. Jena: Voigt 1797.

Kuhn

Kuhn, Helmut: Begegnung m i t dem Sein. Meditationen zur Metaphysik des Gewissens. Tübingen: M o h r 1954.

Lackner / Maassen

Lackner, Karl, Hermann m i t Erläuterungen. 7. neubearb. A u f l . München: Beck 1972.

Lampe

Lampe, Ernst-Joachim: Das personale Unrecht. Berlin: Duncker & H u m b l o t 1967. (Schriften zum Strafrecht. Bd. 7.)

Maassen:

Lang-Hinrichsen: 1965

JR

Lang-Hinrichsen, Dietrich: der Strafrechtsreform Deutschland. I n : J B 1965 S. 244 - 247.

Lang-Hinrichsen: 1966

JZ

—,—: Der Überzeugungstäter Strafrechtsreform. I n : J Z 1966 S. 153 - 162.

Strafgesetzbuch

Z u m gegenwärtigen Stand in der Bundesrepublik

in

der

deutschen

Lang-Hinrichsen: Strafensystem

—,—: Das Strafensystem i m ausländischen Strafrecht. Bonn: Röhrscheid 1955. (Rechtsvergleichende Untersuchungen zur gesamten Straf rechts Wissenschaft. H. 16.)

Lange

Lange, R(ichard): Urteilsanmerkung. I n : Deutsche Rechts-Zeitschrift 2 (1947) S. 200-201.

Langemann

Langemann, Hans: Das Attentat. Eine k r i m i n a l w i s senschaftliche Studie zum politischen K a p i t a l v e r brechen. Hamburg: K r i m i n a l i s t i k 1956.

Larenz: Methodenlehre

Larenz, Karl: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 2., neu bearb. Aufl. Berlin, Heidelberg, New Y o r k : Springer 1969.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Larenz: Rechtssatz

—,—: Der Rechtssatz als Bestimmungssatz. I n : Festschrift für K a r l Engisch zum 70. Geburtstag. F r a n k f u r t a. M . : Klostermann 1969. S. 150 - 160.

Laun: Recht

Laun, Rudolf: Recht u n d Sittlichkeit. 3., erw. A u f l . B e r l i n : Springer 1935.

Laun: Satz

—,—: Der Satz v o m Grunde. E i n System der E r kenntnistheorie. 2., erw. A u f l . Tübingen: M o h r 1956.

Laun: Staatslehre

—,—: Allgemeine Staatslehre i m Grundriß. 8., wesentl. erw. Aufl. Schloß Bleckede a. d. Elbe: Meissner 1961.

Leenen

Leenen, Detlef: Typus u n d Rechtsfindung. Die Bedeutung der typologischen Methode f ü r die Rechtsfindung dargestellt am Vertragsrecht des BGB. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1971. (Schriften zur Rechtstheorie. H. 26.) Zugleich München: Jur. Diss. ν. 1971.

Leibniz

Leibniz, Gottfried Wilhelm: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Übers., eingel. u. eri. von Ernst Cassirer. 3. Aufl. Unveränd. Nachdruck. Hamburg: Meiner 1971. (Philosophische Bibliothek. Bd. 69.)

Lersch

Lersch, Philipp: A u f b a u der Person. 10. A u f l . München: B a r t h 1966.

Lexer

Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches buch. Bd. 1 - 3. Leipzig: Hirzel 1872 - 78.

Handwörter-

Liepmann:

Referat

Liepmann, Moritz: Die „Grundsätze über den V o l l zug der Freiheitsstrafen" v o m 7. 6.1923. I n : Mitteilungen der Deutschen Landesgruppe der Internationalen kriminalistischen Vereinigung. 19. Versammlung zu H a m b u r g v o m 11. bis 13. 6.1924. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1924. S. 32 - 58.

Liepmann:

Strafen

—,—: Strafen. I n : Reform des Straf rechts. Kritische Besprechung des Amtlichen Entwurfs eines Allgemeinen Strafgesetzbuchs. Hrsg. von P. F. Aschrott u n d Ed. Kohlrausch. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1926. S. 120 -141.

Lilienthal

Lilienthal, K(arl) v(on): Der neue E n t w u r f StGB. I n : MSchrKrimPsych 16 (1925) S. 113 - 145.

eines

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

310 Lipmann

Liszt : Grundlagen

Liszt:

Gutachten

Lipmann, Hans: Gesinnung und Straf art. Bonn: Jur. Diss. ν. 1930. Liszt, Franz von: Die psychologischen Grundlagen der K r i m i n a l p o l i t i k . I n : Strafrechtliche Aufsätze u n d Vorträge. Bd. 2. B e r l i n : Guttentag 1905. S. 170 - 213. —,—: Gutachten über die Frage: Nach welchen Grundsätzen ist die Revision des Strafgesetzbuchs i n Aussicht zu nehmen? I n : Verhandlungen des 26. Deutschen Juristentages. Bd. 1. Gutachten. B e r l i n : Guttentag 1902. S. 259 - 302.

Liszt / Schmidt

Liszt, Franz von: Lehrbuch des Deutschen Strafrechts. 25., vollkommen durchgearb. u. z . T . umgestaltete Aufl., besorgt von Eberhard Schmidt Berlin, Leipzig: de Gruyter 1927.

LK

Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar. Begründet von L. Ebermeyer, A. Lobe, W. Rosenberg. 9. A u f l . Hrsg. von Paulheinz Baldus u. Günther Willms. L f g. 1 — B e r l i n : de Gruyter 1970 —

Löwe / Rosenberg

Löwe, (Ewald), (Werner) Rosenberg: Die Strafprozeßordnung u n d das Gerichtsverfassungsgesetz. Großkommentar. 22., neubearb. A u f l . von Hanns Dünnebier, Walter Gollwitzer, Max Kohlhaas, Werner Sarstedt, Karl Schäfer. Bd. 2. Lieferung 1. Berlin, New Y o r k : de Gruyter 1971.

Loewenstein

Loewenstein, Karl: Verfassungslehre. 2. A u f l . Tübingen: M o h r 1969.

Lückert

Lückert, Heinz-Rolf: Konfliktpsychologie. 4./5. A u f l . München, Basel: Reinhardt 1965.

Luhmann

Luhmann, Niklas: Die Gewissensfreiheit Gewissen. I n : AöR 90 (1965) S. 257 - 286.

Mach

Mach, Ernst: Die Mechanik i n ihrer historisch-kritisch dargestellt. 8., m i t der 7. gleichlautende A u f l . Leipzig: Brockhaus 1921.

Maier

Maier, Hans: Politische Wissenschaft i n land. München: Piper 1969.

u n d das

Entwicklung

Deutsch-

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Maihofer

Maihofer, Werner: Recht u n d Sein. Prolegomena zu einer Rechtsontologie. F r a n k f u r t a. M.: Klostermann 1954. (Philosophische Abhandlungen. Bd. 12.)

Mattil

Mattil, Friedrich: Überzeugung. I n : Goltdammer's Archiv f ü r Strafrecht 1954 S. 334 342.

Maunz / Dürig / Herzog

Maunz, Theodor, Günter Grundgesetz. Kommentar. 3. A u f l . Bd. 1.2. Lfg. 1 - 12. München: Beck 1971.

Maurach

Maurach, Reinhart: Deutsches Strafrecht. Allgemeiner Teil. E i n Lehrbuch. 4., v ö l l i g neubearb. A u f l . Karlsruhe: M ü l l e r 1971.

Mayer, ff.: Straf recht

Mayer, Hellmuth: Straf recht. Allgemeiner Teil. Stuttgart, K ö l n : Kohlhammer 1953.

Mayer, ff.: Strafrechtsreform

—,—: Strafrechtsreform f ü r heute u n d morgen. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1962. (Kriminologische Forschungen. Bd. 1.)

Mayer, H.: Typologie

—,—: Typologie der Gewohnheitsverbrecher u n d Rezidivisten. I n : Kriminalbiologische Gegenwartsfragen 5 (1962) S. 135 -153.

MDR

Monatsschrift f ü r deutsches Recht

Mergen

Mergen, Armand: Die Kriminologie. Eine systematische Darstellung. Berlin, F r a n k f u r t a. M.: Vahlen 1967.

Merton

Merton, Robert Κ .: Social theory and social structure. 9. rev. and enlarged ed. New Y o r k : The Free Press usw. 1965.

Mezger: GS 89 (1923/24)

Mezger, Edmund: Die subjektiven Unrechtselemente. I n : GS 89 (1923/24) S. 207 - 314.

Mezger: Kriminologie

—,—: Kriminologie. München, B e r l i n : Beck 1951.

Dürig,

Roman

Herzog:

—,—: Das Typenproblem i n Kriminologie u n d StrafMezger: Typenproblem recht. München: Bayer. Akad. d. Wiss.; Beck i n K o m m . 1955. (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. K l . Jg. 1955. H. 4.) Mezger: Typus

—,—: Typus. I n : Kriminalbiologische Gegenwartsfragen 2 (1955) S. 3 - 9.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

312 Mezger: ZStW 60

—,—: Tatstrafe u n d Täterstrafe, Kriegsstrafrecht. I n : ZStW 60 (1941) S. 353 - 374.

Mezger / Blei

Mezger Edmund, Hermann gemeiner Teil. 14., neubearb. A u f l . München: Beck 1970.

Michaelowa

Michaelowa, Klaus: Der Begriff der straf rechtswidrigen Handlung. Zugleich ein kritischer Versuch zur Systematik des Schuldstrafrechts. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1968. (Strafrechtliche Abhandlungen. N. F. Bd. 1.)

Miller

Miller, Josef : Gewissensbildung. Innsbruck, Wien, München: Tyrolia-Verl. 1960. (Sehen — Urteilen — Handeln. Schriften ,Volksboten 4 . Nr. 9.)

Blei:

insbesondere

im

Straf recht. I. A l l -

des

M i ß l i n g t die Strafrechtsreform?

M i ß l i n g t die Strafrechtsreform? Der Bundestag zwischen Regierungsentwurf von 1962 u n d A l t e r n a t i v - E n t w u r f der Strafrechtslehrer von 1966. Hrsg. v. Jürgen Baumann. Neuwied, B e r l i n : Luchterhand 1969. (Luchterhand Texte. 12.)

Mösl

Mösl, Albert: Sachverständigengutachten u n d freie Beweiswürdigung i m Strafprozeß. I n : D R i Z 1970 S. 110-114.

Morasch

Morasch, Georg: Die strafrechtliche Behandlung des sogenannten Überzeugungsverbrechers. Tübingen: Jur. Diss. ν. 1928.

Motive 1869

Motive zu dem Entwürfe eines Strafgesetzbuches f ü r den Norddeutschen Bund. B e r l i n : v. Decker i m J u l i 1869. Siehe auch: E Friedberg

MSchrKrimPsych

Monatsschrift rechtsreform

Müller,

F.

Müller, Friedrich: Freiheit der K u n s t als Problem der Grundrechtsdogmatik. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1969. (Schriften zum öffentlichen Recht. Bd. 102.)

Müller,

M.

Müller, Max: Existenzphilosophie i m geistigen Leben der Gegenwart. 3., wesentl. erw. u. verb. Aufl. Heidelberg: Kerle 1964.

Müncker

für

Kriminalpsychologie u n d

Straf-

Müncker, Theodor: Die psychologischen Grundlagen der katholischen Sittenlehre. 4. Aufl. Düsseldorf: Patmos 1953. (Handbuch der katholischen Sittenlehre. Bd. 2.)

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Nagler

Nagler, Johannes: Der Überzeugungsverbrecher. I n : GS 94 (1927) S. 4 8 - 7 1 .

Narr

Narr, Wolf-Dieter: Pluralistische Gesellschaft. Hannover 1969. (Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale f ü r Politische Bildung. Gesellschaft u n d Politik. 2.)

n. F.

neue Fassung

Niederschriften der GrStrKomm

Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission. Bonn: Bundesdruckerei. Bd. 1: Grundsatzfragen. 1. — 13. Sitzung. — 1956. Bd. 3: Allgemeiner Teil. 26, — 37. Sitzung. — 1958.

Niederschriften über die Beratungen der 6. ArbeitsNiederschriften der Strafvollzugskommis- tagung der Strafvollzugskommission v o m 14. - 1 8 . sion A p r i l 1969. Bd. 6. Bonn 1969. Nietzsche

Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke Bänden. Bd. 3. Menschliches Allzumenschliches. Bd. 8. Der Antichrist. Stuttgart: Kröner 1964.

in

zwölf

Niggemeyer / Gallus / Hoeveler

Niggemeyer, B(ernhard), H. Gallus, H.-J. Hoeveler: Kriminologie. Leitfaden f ü r Kriminalbeamte. Wiesbaden: Bundeskriminalamt 1967.

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Noll: Gesetzgebungstechnik

Noll, Peter: Z u r Gesetzgebungstechnik des A l t e r nativ-Entwurfs. I n : Programm für ein neues Strafgesetzbuch. Hrsg. von Jürgen Baumann. F r a n k f u r t a. M., H a m b u r g : Fischer Bücherei 1968. (Fischer Bücherei. Informationen zur Zeit. 952.) S. 42 - 49.

Noll: ZStW 78 (1966)

—,—: Der Überzeugungstäter i m Straf recht. I n : ZStW 78 (1966) S. 638 - 662.

Oetker

Oetker, Friedrich: Wolf, Verbrechen aus Überzeugung. (Rezension.) I n : Kritische Vierteljahresschrift f ü r Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Folge 3. Bd. 22 (1929) S. 474 - 495.

OLG

Oberlandesgericht

Opp

Opp, Karl-Dieter: Methodologie der Sozialwissenschaften. Einführung i n Probleme ihrer Theorienbildung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1970. (rowohlts deutsche enzyklopädie. 339/341.)

314

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

Ostermeyer

Ostermeyer, Helmut: Der lange Weg der Gewalt. Versuch einer E r k l ä r u n g für die Motive sog. anarchistischer Straftäter. I n : Zeitschrift f ü r Rechtspolitik 5 (1972) S. 249 - 252.

Otto, H.

Otto, Harro: Pflichtenkollision u n d Rechtswidrigkeitsurteil. Hamburg: Cram, de Gruyter & Co. 1965. (Hamburger Rechtsstudien. H. 56.) Zugleich H a m b u r g : Jur. Diss. ν. 1965.

Otto, W.

Otto , Wilfried: Die Festungshaft. Ihre Vorläufer, Geschichte u n d Z u k u n f t . M i t e. rechtsvergleichenden Darstellung des österreichischen u n d tschechoslowakischen Rechts. Jena: Jur. Diss. ν. 1938.

ο. V.

ohne Vornamen

Parsons

Paul

Paul / Betz

Pawlowski

Parsons, Talcott: The social system. 5. ed. Glencoe: Free Press 1964. Paul, Egbert: Gewissen und Recht, Demokratie und Rechtsstaat. Köln, Berlin, Bonn, München: Heymann 1970. Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. 5., v ö l l i g neubearb. u. erw. Aufl. von Werner Tübingen: Niemeyer 1966.

Betz.

Pawlowski, Hans-Martin: Das S t u d i u m der Rechtswissenschaft. Eine Einführung i n das Wesen des Rechts. Tübingen: Mohr 1969.

Peters: Engisch-Festschrift

Peters, Karl: Abschließende Bemerkungen zu den Zeugen-Jehovas-Prozessen. I n : Festschrift f ü r K a r l Engisch zum 70. Geburtstag. F r a n k f u r t a. M.: Klostermann 1969. S. 468 - 489.

Peters: J Z 1965

—,—: Urteilsanmerkung. I n : J Z 1965 S. 489 - 490.

Peters: JZ 1966

—,—: Bemerkungen zur Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur Wehrersatzdienstverweigerung aus Gewissensgründen. I n : J Z 1966 S. 457-461.

Peters: K r i m i n a l pädagogik

—,—: Grundprobleme der Kriminalpädagogik. B e r l i n : de Gruyter 1960.

Peters: Mayer-Festschrift

—,—: Überzeugungstäter u n d Gewissenstäter. I n : Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft. Festschrift für H e l l m u t h Mayer zum 70. Geburtstag am 1. M a i 1965. Berlin: Duncker & Humblot, 1966. S. 257 - 280.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Plate

Plate, Hartwig: Ernst Beling als Strafrechtsdogmatiker. Seine Lehren zur Begriffs- u n d Systembildung. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1966. (Schriften zum Strafrecht. Bd. 6.) Zugleich Hamburg: Jur. Diss. ν. 1967.

Podlech

Podlech, Adalbert: Das Grundrecht der Gewissensfreiheit u n d die besonderen Gewaltverhältnisse. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1969. (Schriften zum öffentlichen Recht. Bd. 92.) Zugleich Heidelberg: Jur. Diss. ν. 1969.

Poll: Religionspsychologie

Poll, Wilhelm: Religionspsychologie. religiösen Kenntnisnahme. München: Kösel 1965.

Poll: Suggestion

—,—: Die Suggestion. Wesen u n d Grundformen. München: Kösel 1951.

Popper:

Popper, Karl R.: Conjectures and refutations. The g r o w t h of scientific knowledge. 2. ed. London: Routledge & Paul 1965.

Conjectures

Formen

der

Popper: Elend

—,—: Das Elend des Historizismus. 2. unveränd. A u f l . Tübingen: M o h r 1969. (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften. Bd. 3.)

Popper: Gesellschaft

—,—: Die offene Gesellschaft u n d ihre Feinde. 2. A u f l . Bd. 1.2. Bern, München: Francke 1970. (Sammlung Dalp. Bd. 84. 85.)

Popper: Logik

—,—: L o g i k der Forschung. 3., verm. A u f l . Tübingen: M o h r 1969.

Popper: Positivismusstreit

—,—: Die L o g i k der Sozialwissenschaf ten. I n : Der Positivismusstreit i n der deutschen Soziologie. 2. A u f l . Neuwied, B e r l i n : Luchterhand 1970. S. 103 - 123.

Preuss: D J Z 30 (1925)

Preuss (ο. V.): Z u r Reform Preußen.

des Strafvollzuges

in

I n : D J Z 30 (1925) Sp. 309 - 313. Preuss: Strafvollzug

—,—: Der Ueberzeugungstäter. I n : Strafvollzug i n Preußen. Hrsg. v o m Preußischen Justizministerium. Mannheim, Berlin, Leipzig: Bensheimer 1928. (Schriftenreihe der Verwaltungsakademie Berlin. Bd. 5.) S. 141 - 152.

316

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

Prot, der . . . Sitzung des Norddeutschen Reichstages

Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes. 1. Legislaturperiode. Session 1870. Bd. 1. Berlin: Verl. der Buchdruckerei der „Norddeutschen Zeitung" 1870.

Prot, der . . . Sitzung des 32. Ausschusses des Reichstages i n der I I I . Wahlperiode

Reichstag. I I I . Wahlperiode 1924/27. 32. Ausschuß (Reichsstrafgesetzbuch.) (Gedruckte stenographische Berichte der AusschußVerhandlungen).

Prot, der . . . Sitzung des 21. Ausschusses des Reichstages i n der I V . Wahlperiode

Reichstag. I V . Wahlperiode 1928/30. 21. Ausschuß (Reichsstrafgesetzbuch). (Gedruckte stenographische Berichte der AusschußVerhandlungen.)

Prot, der . . . Sitzung des Verhandlungen des Deutschen Bundestages. W a h l Deutschen Bundesperiode 1949 ff. Stenographische Berichte. Bd. 1 ff. tages Bonn: Heger i n K o m m . Prot, der . . . Sitzung des a) Deutscher Bundestag. 4. Wahlperiode. SonderSA ausschuß „Strafrecht", b) Deutscher Bundestag. 5. Wahlperiode. Stenographischer Dienst. . . . Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform. Bonn: Heger i n K o m m . 1963 ff. (Gedruckte stenographische Berichte der Ausschußverhandlungen.) Radbruch:

Briefe

Radbruchy Gustav: Briefe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1968.

Radbruch:

Einführung

—,—: Einführung i n die Rechtswissenschaft. 5. u. 6. durchgearb. Aufl. Leipzig: Quelle & Meyer 1925. (Wissenschaft u n d Bildung. 79/79a.)

Radbruch:

Elegantiae

—,—: Elegantiae j u r i s criminalis. 14 Studien zur Geschichte des Strafrechts. 2., neubearb. u. erw. A u f l . Basel: Verl. f ü r Recht u n d Gesellschaft 1950.

Radbruch:

Geist

—,—: Der Geist des englischen Rechts. 3. A u f l . Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1956. (Kleine Vandenhoeck-Reihe. 20.)

Radbruch: Justiz 2 (1926/27)

—,—: A b b a u des Straf rechts. Bemerkungen über den E n t w u r f 1925 m i t A n m . über den E n t w u r f 1927. I n : Die Justiz 2 (1926/27) S. 537 - 543.

Radbruch: Klassenbegriffe

—,—: Klassenbegriffe und Ordnungsbegriffe i m Rechtsdenken. I n : Radbruch: Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutung f ü r das Strafrechtssystem. Nachdruck. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1967. S. 167 - 175.

Radbruch:

—,—: Leitsätze des Berichterstatters. I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 352 - 353.

Leitsätze

L i t e r a t u r - und Abkürzungsverzeichnis Radbruch:

Mensch

—,—: Der Mensch i m Recht. Ausgewählte Vorträge u n d Aufsätze über Grundfragen des Rechts. 2. unveränd. A u f l . Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1961. (Kleine Vandenhoeck-Reihe. 51/52.) Folgende Aufsätze werden zitiert: Der Erziehungsgedanke i m Strafrecht. S. 50 - 62. Autoritäres oder soziales Strafrecht. S. 63 - 79. Der Relativismus i n der Rechtsphilosophie. S. 80-87.

Radbruch: Peter Günther

—,—: Peter Günther, der Gotteslästerer. E i n L ü becker K u l t u r b i l d aus dem Jahrhundert der Orthodoxie. Lübeck: M. Schmidt 1911.

Radbruch:

Problematik

- : Die Problematik der Rechtsidee. I n : Dioskuren 3 (1924) S. 43 - 50.

Radbruch: sophie

Rechtsphilo- —,—: Rechtsphilosophie. 6. A u f l . nach dem Tode des Verf. besorgt u. biographisch eingel. von Erik Wolf. Stuttgart: Koehler 1963.

Radbruch:

Referat

—,—: Referat.

Radbruch:

Schlußwort

Radbruch:

SJZ 1947

—,—: Schlußwort. I n : Verh. des 34. D J T Bd. 2 S. 414 - 416. —,—: Z u r Diskussion über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit. I n : Süddeutsche Juristen-Zeitung 2 (1947) Sp. 131 136.

Radbruch:

SJZ 1948

—,—: Der politische Mord. I n : Süddeutsche Juristen-Zeitung 3 (1948) Sp. 311 312.

Radbruch:

System

—,—: Das System der Freiheitsstrafen i m Vorentwurf. I n : MSchrKrimPsych (1911) S. 207 - 212.

Radbruch:

Vorschule

—,—: Vorschule der Rechtsphilosophie. 3., verb. A u f l . Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1965. (Kleine Vandenhoeck-Reihe. 80/81.)

Radbruch:

Weg

—,—: Der innere Weg. A u f r i ß meines Lebens. 2., unveränd. A u f l . Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1961. (Kleine Vandenhoeck-Reihe. 110/112.)

Radbruch: (1924)

ZStW 44

—,—: Der Überzeugungs Verbrecher. I n : ZStW 44 (1924) S. 34 - 38.

I n : Verh. des 34. D J T Bd. 2 S. 354 - 373.

Radbruch / Zweigert

Radbruch, Gustav: Einführung i n die Rechtswissenschaft. 11. durchges. A u f l . nach dem Tode des Verf. besorgt von Konrad Zweigert. Stuttgart: Koehler 1964.

318

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

Räuber

Räuber, Fr.: Der Überzeugungsverbrecher u n d der aus achtenswerten Beweggründen Handelnde nach den Strafrechtsentwürfen. I n : MSchrKrimPsych 22 (1931) S. 449 - 467.

Recueil général

Recueil général des lois et des arrêts, en matière civile, criminelle, commerciale et de droit public. Par J.-B. Sirey u. a. Série 2. A n 1832. Partie 2. Paris 1832. Sp. 241 - 256.

Reiner

Reiner, Hans: Das Prinzip von Gut u n d Böse. Freiburg: A l b e r 1949.

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts i n Strafsachen

Rietzsch: 1. Aufl.

Rietzsch (ο. V.): Strafensystem. I n : Das kommende deutsche Straf recht. Allgemeiner Teil. Bericht über die A r b e i t der amtlichen Strafrechtskommission. Hrsg. v. Franz Gürtner. B e r l i n : Vahlen 1934. S. 85 - 105.

Rietzsch: 2. Aufl.

—,—: Die Strafen u n d Maßregeln der Sicherung, Besserung u n d Heilung. I n : Das kommende deutsche Straf recht. Allgemeiner Teil. Bericht über die A r b e i t der amtlichen Strafrechtskommission. Hrsg. v. Franz Gürtner. 2. A u f l . nach den Ergebnissen der 2. Lesung neu bearb. B e r l i n : Vahlen 1935. S. 118 - 162.

RJM

Reichsj ustizministerium

Ritter

Ritter, Johannes Martin: Verrat u n d Untreue an Volk, Reich u n d Staat. Ideengeschichtliche E n t w i c k l u n g der Rechtsgestaltung des politischen Delikts i n Deutschland bis zum Erlaß des Reichsstrafgesetzbuches. B e r l i n : de Gruyter 1942. (Schriften der Akademie für Deutsches Recht. G r u p pe Straf recht u n d Strafverfahren. Nr. 12.)

Rittler

Rittler, Theodor: Die strafrechtliche Behandlung des Täters aus Überzeugung. I n : 7. Deutscher Juristentag i n der Tschechoslowakei. Gutachten. Reichenberg: Kraus i n K o m m . 1935. S. 73 - 86.

Rnr.

Randnummer

Rohden

Rohden, Friedrich von: Einführung i n die k r i m i n a l biologische Methodenlehre. E i n Lehrbuch f ü r P r a k t i k e r der Strafrechtspflege u n d des Strafvollzugs. Berlin, Wien: U r b a n & Schwarzenberg 1933.

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Rothe

Rothe, Richard: Theologische Ethik. 2., v ö l l i g neu ausgearb. Aufl. Bd. 2. Wittenberg: Koelling 1869.

Rousseau

Rousseau, Jean Jacques: D u contract social; ou, principes d u droit politique. I n : Oeuvres complètes. 3. Paris: Ed. Gallimard 1964. (Bibliothèque de la Pléiade. Vol. 169.) S. 347-470; S. 281 - 346 ist die Première version abgedruckt.

Rudin

Rudin , Josef: Das Gewissen i n katholischer Sicht. I n : Das Gewissen. M i t Beiträgen von E. Blum u. a. Zürich, Stuttgart: Rascher 1958. (Studie aus dem C. G. J u n g - I n s t i t u t Zürich. 7.) S. 139 - 165.

Ryffel

Ryffel, Hans: Grundprobleme der Rechts- u n d Staatsphilosophie. Philosophische Anthropologie des Politischen. Neuwied, B e r l i n : Luchterhand 1969.

RzW

Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht

SA

Sonderausschuß „Strafrecht" bzw. Sonderausschuß f ü r die Straf rech tsreform. — Siehe: Prot, der . . . Sitzung des SA Sauer, Wilhelm: Kriminologie als reine u n d angewandte Wissenschaft. E i n System der juristischen Tatsachenforschung. Berlin: de Gruyter 1950.

Sauer

Sax, Walter: Der Ideologie-Täter u n d das Problem des irrenden Gewissens i n juristischer Sicht. I n : Hof mann, Rudolf, Walter Sax: Der IdeologieTäter. Karlsruhe: Badenia-Verl. 1967. (Veröffentlichungen der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg. Nr. 5.) S. 13 - 28.

Sax

Scheler: Formalismus

Scheler, Max: Der Formalismus i n der E t h i k und die materiale Wertethik. Neuer Versuch der Grundlegung eines ethischen Personalismus. 4., durchges. A u f l . Bern: Francke 1954. (Gesammelte Werke. Bd. 2.)

Scheler: Idee

—,—: Die Idee des Friedens und der Pazifismus. Aus dem Nachlaß hrsg. Berlin: Neue Geist Verl. 1931.

Schmidhäuser: führung

Ein-

Schmidhäuser, Eberhard: Einführung i n das Strafrecht. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1972. (rororo Studium. 12.)

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

320

Schmidhäuser: Gesinnungsmerkmale

—,—: Gesinnungsmerkmale i m Straf recht. Tübingen: M o h r 1958.

Schmidhäuser: recht

—,—: Straf recht. Allgemeiner Teil. Lehrbuch. Tübingen: M o h r 1970.

Straf-

Schmidt (Strafanstaltsdirektor)

Schmidt (ο. V.) : Das Strafensystem des neuen Strafgesetz-Entwurfs. I n : MSchrKrimPsych 17 (1926) S. 275 - 284.

Schmidt, Eb.: E i n führung

Schmidt, Eberhard: Einführung i n die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege. 3., v ö l l i g durchgearb. u. veränd. A u f l . Göttingen: Vandenhoeck & Huprecht 1965. (Jurisprudenz i n Einzeldarstellungen. Bd. 1.)

Schmidt, Eb.: Einleitung —,—: Einleitung. I n : Gustav Radbruchs E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches. Tübingen: M o h r 1952. S. V I I - X X I V . Schmidt, Eb.: JZ 1970

—,—: § 261 StPO i n der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung. I n : J Z 1970 S. 337 -343.

Schmidt, Eb.: L e h r komm.

—,—: Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung u n d zum Gerichtsverfassungsgesetz. T e i l 2. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1957. (Jurisprudenz i n Einzeldarstellungen. Bd. 8, 2.)

Schneider

Schneider, Siegbert: Der politische u n d Überzeugungsverbrecher. M a r b u r g : Jur. Diss. ν. 1939.

Schönke / Schröder

Schönke, Adolf, Horst Kommentar. 16., neubearb. A u f l . München: Beck 1972.

Scholler:

DÖV

Scholler, Heinrich: Gewissen, Gesetz u n d Rechtsstaat. I n : D Ö V 1969 S. 526-535.

Scholler:

Freiheit

—,—: Die Freiheit des Gewissens. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1958. (Schriften zum öffentlichen Recht. Bd. 2.) Zugleich München: Jur. Diss. ν. 1957 u. d. T.: Das Grundrecht der Freiheit des Gewissens i n A r t i k e l 4, Absatz 1 des Grundgesetzes f ü r die Bundesrepub l i k Deutschland.

Schroeder

Schröder:

religiöse

Strafgesetzbuch.

Schroeder, Friedrich Christian: Der Schutz von Staat u n d Verfassung i m Strafrecht. Eine systemat. Darstellung, entwickelt aus Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung. München: Beck 1970. (Münchener Universitätsschriften. Reihe der J u r i stischen Fakultät. Bd. 9.)

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

321

Schüftan

Schüftan, Walter: Die Sonderbehandlung des p o l i tischen Verbrechers v o m Republikschutzgesetz bis z u m E n t w u r f 1925. Breslau: Jur. Diss. ν. 1928.

Schultz

Schultz (ο. V.): Der „Ueberzeugungstäter" i m Strafvollzug. I n : D J Z 36 (1931) Sp. 403 - 405.

Schumacher

Schumacher, Oskar: U m das Wesen der Strafrechtsschuld. Eine Auseinandersetzung m i t modernen Schuldgedanken. Mannheim, Berlin, Leipzig: Bensheimer 1927. (Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft. H . 10.) Schwinge, Erich: Teleologische Begriffsbildung i m Strafrecht. E i n Beitrag zur strafrechtlichen Methodenlehre. Bonn: Röhrscheid 1930. (Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen. H. 14.) Seelig, Ernst: Die Gliederung der Verbrecher. — Die kriminalpolitische Bedeutung der Typenlehre. I n : Seelig, Ernst, Karl Weindler: Die Typen der Kriminellen. Berlin, München: Schweitzer 1949. S. 1 - 23, S. 160 - 194.

Schwinge

Seelig

Seelig / Bellavic

Seiffert,

A.

Seiffert,

H.

S er ick

Sieverts

21 G ö d a n

Seelig, Ernst: Lehrbuch der Kriminologie. Neubearb. u. ergänzt von Hanns Bellavic. 3. A u f l . Darmstadt: Stoytscheff 1963. Seiffert, Aug(ust): Die kategoriale Stellung des T y pus. Meisenheim/Glan, Wien: Westkulturverlag 1953. (Zeitschrift f ü r philosophische Forschung. Beiheft 7.) Seiffert, Helmut: Einführung i n die Wissenschaftstheorie. Bd. 1. Sprachanalyse, Deduktion, I n d u k t i o n i n N a t u r - u n d Sozialwissenschaften. München: Beck 1969. (Beck'sche Schwarze Reihe. 60.) Serick, Rolf: Die Rechtsfigur des nominee i m angloamerikanischen Gesellschaftsrecht. I n : V o m deutschen zum europäischen Recht. Festschrift f ü r Hans Dölle. Bd. 1. Deutsches P r i v a t - und Zivilprozeßrecht. Rechtsvergleichung. Tübingen: M o h r 1963. S. 415 - 433. Sieverts, Rudolf: Beiträge zur Lehre von den subj e k t i v e n Unrechtselementen i m Straf recht. Hamburg: Friederichsen, de Gruyter 1934. (Hamburger Rechtsstudien. H. 19.)

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

322 Sontag

Sontag, Karl Richard: Die Festungshaft. E i n Beitrag zur Geschichte des deutschen Strafensystems u n d zur Erläuterung des Reichsstrafrechts. Leipzig, Heidelberg: Winter 1872.

Span. StGB

Das Spanische Strafgesetzbuch v o m 23. Dezember 1944. B e r l i n : de Gruyter 1955. (Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Ubersetzung. 69.)

Spranger

Spranger, Eduard: Der Sinn der Voraussetzungslosigkeit i n den Geisteswissenschaften. Unveränd. Nachdruck der 1. A u f l . v. 1929. Heidelberg: Quelle & Meyer 1963.

Stadter

Stadter, Ernst: Psychoanalyse u n d Gewissen. Von der ,Stimme Gottes' zum ,Uber-Ich'. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer 1970. (Urban-Taschenbücher. Reihe 80. 802.)

StÄG

Strafrechtsänderungsgesetz

Staff : Handwörterbuch Staff, Α. von: Überzeugungsverbrecher. I n : Handwörterbuch der Rechtswissenschaft. Hrsg. von Fritz Stier-Somlo und Alexander Elster. Bd. 6. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1929. S. 124 -129. Staff:

ÖRiZ

—,—: Der Überzeugungs Verbrecher. I n : österreichische Richterzeitung 1926 S. 112-115.

Staff: W i l l e u n d Weg

—,—: Der Verbrecher aus Pflichtüberzeugung. I n : W i l l e u n d Weg 2 (1926) S. 86 - 94.

Stegmüller

Stegmüller, Wolfgang: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Eine kritische Einführung. 4., erw. A u f l . Stuttgart: Kröner 1969. (Kröners Taschenausgabe. Bd. 308.)

Stein: Gewissensfreiheit

Stein, Ekkehart: Gewissensfreiheit u n d Demokratie. Tübingen: M o h r 1971. (Wirtschaft u n d Gesellschaft. 4.)

Stein: Lehrbuch

—,—: Lehrbuch des Staatsrechts. 2., neubearb. A u f l . Tübingen: M o h r 1971.

Stelzenberger: sen

Gewis-

Stelzenberger, Johannes: Das Gewissen. Paderborn: Schöningh 1961.

Stelzenberger: buch

Hand-

—,—: Gewissen. I n : Handbuch theologischer Grundbegriffe. Bd. 1. München: Kösel 1962. S. 519 - 528.

Stelzenberger: sis

Syneide- —,—: Syneidesis, conscientia, Gewissen. Paderborn: Schöningh 1963. (Abhandlungen zur Moraltheologie. Bd. 5.)

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

323

StGB

Strafgesetzbuch

Stoker

Stoker, G(erhardus) H(endrik): Das Gewissen. E r scheinungsformen u n d Theorien. Bonn: Cohen 1925. (Schriften zur Philosophie u n d Soziologie. Bd. 2.)

Stokvis

StPO

Stokvis, Berthold: Suggestion. I n : Handbuch der Neurosenlehre u n d Psychotherapie. Bd. 4. München, B e r l i n : U r b a n & Schwarzenberg 1959. S. 1 - 59. Strafprozeßordnung

Strache

Strache, Karl-Heinz: Das Denken i n Standards. Z u gleich ein Beitrag zur Typologik. B e r l i n : Duncker & H u m b l o t 1968. (Schriften zur Rechtstheorie. H. 12.) Zugleich München: Jur. Diss. ν. 1968.

Strassmann / Nitsehe

Strassmann, Walter, Walter Nitsehe: benengesetz. 2., neubearb. A u f l . München, B e r l i n : Beck 1958.

Stratenwerth

Stratenwerth, Günter: Straf recht, Allgemeiner Teil I. Die Straftat. Köln, Berlin, Bonn, München: Heymann 1971.

StRG

Strafrechtsreformgesetz

Thielicke

Thielicke, Helmut: Theologische Ethik. Tübingen: M o h r Bd. 1. Prinzipienlehre. 2., erg. Aufl. 1958. Bd. 2. Entfaltung. T e i l 1. Mensch u n d Welt. 2., durchges. A u f l . 1959.

Tiedemann

Tiedemann, Klaus: Tatbestandsfunktionen i m Nebenstrafrecht. Untersuchungen zu einem rechtsstaatlichen Tatbestandsbegriff, entwickelt am Problem des Wirtschaftsstrafrechts. Tübingen: M o h r 1969. (Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen. Bd. 27.)

Tietjen

Tietjen, Jürgen: Politische Straftaten vor H a m b u r ger Gerichten 1954 - 1963. Eine kriminologische U n tersuchung. Hamburg: K r i m i n a l i s t i k Verl. 1967. (Kriminologische Schriftenreihe. Bd. 33.) Zugleich Gießen: Jur. Diss. ν. 1968.

Trübner

Trübners deutsches Wörterbuch. I m Auftrage der Arbeitsgemeinschaft f ü r Deutsche Wortforschung hrsg. von Alfred Goetze. B e r l i n : de Gruyter Bd. 3. G - H. 1939. Bd. 7. Τ - V. 1956.

21*

Bundesvertrie-

324

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

Tür che

Türcke , (ο. V.) von: Der Uberzeugungstäter i n dex Praxis des Strafvollzugs. I n : ZStW 53 (1934) S. 74 - 80.

V E 1909

V o r e n t w u r f zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Bearb. von der hierzu bestellten SachverständigenKommission. Veröff. auf A n o r d n u n g des ReichsJustizamts. B e r l i n : Guttentag i n Komm. 1909.

Verdross

Verh. des 7. D J T i n der Tschechoslowakei

Verdross, Alfred: Völkerrecht. 4. neubearb. u. erw. Aufl. unter Mitarb. v. Karl Zemanek. Wien: Springer 1959. (Rechts- u n d Staatswissenschaften. 10.) 7. Deutscher Juristentag i n der Tschechoslowakei. Verhandlungen. Reichenberg: Sudetendeutscher Verl. i n K o m m . 1935.

Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2

Verhandlungen des 34. Deutschen Juristentages zu K ö l n v o m 12. - 15. September 1926. Bd. 2 (Stenographischer Bericht). Berlin, Leipzig: de Gruyter 1927.

Vorbem.

Vorbemerkung

Vossler

Vossler, Otto: Rousseaus Freiheitslehre. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1963.

W D S t R L 28 (1970)

Bäumlin, Richard, Ernst-Wolf gang Böckenförde: Das Grundrecht der Gewissensfreiheit. Berichte u n d Diskussionen auf der Tagung der V e r einigung der Deutschen Staatsrechtslehrer i n Bern am 2. u n d 3. Oktober 1969. I n : Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. H. 28. B e r l i n : de Gruyter 1970. 5. 3 -148.

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

Wachenfeld

Wachenfeld (o.V.): Der Allgemeine Teil des Strafgesetzentwurfs von 1925. Eine kritische Betrachtung. I n : A r c h i v für Straf recht u n d Straf prozeß (Goltdammers Archiv) 69 (1920/25) S. 353 - 366.

Wahlper.

Wahlperiode

Wahrheit

Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt. Hrsg. von der Wachtturm B i b e l - u n d Traktat-Gesellschaft, Deutscher Zweig e. V. Wiesbaden 1968.

Weber

Weber, Hellmuth von: Strafrechts. 2. A u f l . Bonn: D ü m m l e r 1948.

Wegner: Diskussionsbeitrag

Wegner, Arthur: Diskussionsbeitrag. I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 408 - 411.

Grundriss

des

deutschen

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis Wegner: Justiz 2 (1926/27) Wegner: Strafrecht

— : Schuldurteil u n d Pharisäertum. I n : Die Justiz 2 (1926/27) S. 567 - 574.

—,—: Strafrecht. Allgemeiner Teil. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1951. (Jurisprudenz i n Einzeldarstellungen. Bd. 6.) WehrpflG Wehrpflichtgesetz Weindler Weindler, Karl: Die kriminologischen Typen i n der Wirklichkeit. I n : Seelig, Ernst, Karl Weindler: Die Typen der Kriminellen. Berlin, München: Schweitzer 1949. S. 24-159. Weinkauff: JZ 1970 Weinkauff, Hermann: Was heißt das: „Positivismus als juristische Strategie"? I n : J Z 1970 S. 54-57. Weinkauff: Naturrecht —,—: Das Naturrecht i n evangelischer Sicht. I n : Naturrecht oder Rechtspositivismus? Hrsg. von Werner Maihof er. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1962. (Wege der Forschung. Bd. 16.) S. 210-218. (Zuerst ersch. i n : Zeitwende 23 [1951/52] S. 9 5 - 102.) Welzel: Frage Welzel, Hans: A n den Grenzen des Rechts. Die Frage nach der Rechtsgeltung. Köln, Opladen: Westdeutscher Verl. 1966. (Arbeitsgemeinschaft f ü r Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften. H. 128.) Welzel: Gesetz —,—: Gesetz u n d Gewissen. I n : Hundert Jahre deutsches Rechtsleben. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen J u ristentages 1860-1960. Bd. 1. Karlsruhe: C. F. M ü l l e r 1960. S. 383-400. Welzel: Gewissen —,—: V o m irrenden Gewissen. Eine rechtsphilosophische Studie. Tübingen: M o h r 1949. (Recht u n d Staat i n Geschichte u n d Gegenwart. H. 145.) Welzel: Naturrecht —,—: Naturrecht u n d materiale Gerechtigkeit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 3., durchges. A u f l . 1960. 4., neubearb. u. erw. A u f l . 1962. (Jurisprudenz i n Einzeldarstellungen. Bd. 4.) Welzel: Rechtspositivis- —,—: Naturrecht u n d Rechtspositivismus, mus I n : Naturrecht oder Rechtspositivismus? Hrsg. von Werner Maihof er. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1962. (Wege der Forschung. Bd. 16.) S. 322 - 338. Zuerst ersch. i n Festschrift für Hans Niedermeyer. Göttingen: Schwartz 1953. S. 279 ff.

326

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

Welzel: Strafrecht

—,—: Das Deutsche Straf recht. 11. neubearb. u. erw. A u f l . B e r l i n : de Gruyter 1969.

Wendland

Wendland, Heinz-Dietrich: Einführung i n die Sozialethik. B e r l i n : de Gruyter 1963. (Sammlung Göschen. Bd. 1203.)

Wessels

Wessels, Johannes: Straf recht. Allgemeiner Teil. Karlsruhe: M ü l l e r 1970. (Schwerpunkte. Bd. 7.)

Wieacker

Wieacker, Franz: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. 2. neubearb. A u f l . Vandenhoeck & Huprecht 1967. (Jurisprudenz i n Einzeldarstellungen. Bd. 7.)

Wiethölter

Wiethölter, Rudolf: Rechtswissenschaft. F r a n k f u r t a. M., H a m b u r g : Fischer-Bücherei 1968. (Funk-Kolleg zum Verständnis der modernen Gesellschaft. Bd. 4.) (Fischer Bücherei. 920.)

Willmann

Willmann, Otto: A b r i ß phische Propädeutik. 5., unveränd. A u f l . Freiburg: Herder 1959.

Wilson

Wilson, Bryan R.: Eine Analyse der Sektenentwicklung. I n : Religionssoziologie. Hrsg. u. eingel. von Friedrich Fürstenberg. Neuwied a. Rh., B e r l i n : Luchterhand 1964. (Soziologische Texte. Bd. 19.) S. 278 - 304.

Winklmaier

Winklmaier, Franz: Bundesentschädigungsgesetz. F r a n k f u r t a. M.: Verl. Kommentator 1956 ff. (Loseblattausgabe.) (Die WK-Reihe. 136.)

Winterstein

Winterstein, Robert: Die strafrechtliche Behandlung des Täters aus Uberzeugung. I n : 7. Deutscher Juristentag i n der Tschechoslowakei. Verhandlungen. Reichenberg: Sudetendeutscher Verl. i n K o m m . 1935. S. 100 -111.

Witte

Witte, Franz Werner: Der Gewissensbegriff des A r tikels 4 Absatz 3 des Grundgesetzes. I n : AöR 87 (1962) S. 155 - 196.

Wittgenstein

Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. F r a n k f u r t a. M.: Suhrkamp 1967.

Wolf: Diskussionsbeitrag

Wolf, Erik: Diskussionsbeitrag. I n : Verh. des 34. D J T 1926 Bd. 2 S. 389 - 392.

der Philosophie.

Philoso-

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

327

Wolf: Problem

—,—: Das Problem der Naturrechtslehre. Versuch einer Orientierung. 3. durchges. u. erw. Aufl. Karlsruhe: C. F. M ü l l e r 1964. (Freiburger rechts- u n d staatswissenschaftliche A b handlungen. Bd. 2.)

Wolf : Rechtsdenker

—,—: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. 4. A u f l . Tübingen: M o h r 1963.

Wolf : Verbrechen

—,—: Verbrechen aus Überzeugung. Heidelberger Antrittsvorlesung. Tübingen: M o h r 1927. (Recht u n d Staat i n Geschichte u n d Gegenwart. H. 52.)

Wolf: Wesen

—,—: V o m Wesen des Täters. Tübingen: M o h r 1932. (Recht u n d Staat i n Geschichte u n d H. 87.)

Gegenwart.

Wolf: ZStW 46 (1925)

—,—: Das T a t m o t i v der Pflichtüberzeugung als V o r aussetzung einer Sonderstrafe. I n : ZStW 46 (1925) S. 203 - 218.

Wolf: ZStW 47 (1927)

—,—: Z u m Problem der Anerkennung v o n Überzeugungsverbrechen. I n : ZStW 47 (1927) S. 396 - 403.

Wolf: ZStW 54 (1935)

—,—: Das künftige Strafensystem u n d die Zumessungsgrundsätze. I n : ZStW 54 (1935) S. 544 - 574.

Wolff

Wolff , Hans J.: Typen i m Recht u n d i n der Rechtswissenschaft. I n : Studium Generale 5 (1952) S. 195 - 205.

WStG

Wehrstrafgesetz

Z.

Ziffer

Zimmerl

Zimmerl, Leopold: Der politische Überzeugungsverbrecher i m neuen Staat. I n : D J Z 39 (1934) Sp. 1442 - 1446.

Zinn / Stein

Zinn, Georg August, Erwin Stein: Die Verfassung des Landes Hessen. Kommentar. Bd. 1. Bad H o m b u r g v. d. H., B e r l i n : Gehlen 1954.

Zippelius: EngischFestschrift

Zippelius, Reinhold: Die Verwendung von Typen i n Normen u n d Prognosen. I n : Festschrift f ü r K a r l Engisch zum 70. Geburtstag. F r a n k f u r t a. M.: Klostermann 1969. 5. 224 - 242.

Zippelius:

—,—: Allgemeine Staatslehre. München: Beck I . A u f l . 1969. 3. neubearb. A u f l . 1971.

Staatslehre

L i t e r a t u r - u n d Abkürzungsverzeichnis

328 Zippelius:

Wesen

—,—: Das Wesen des Rechts. Eine Einführung i n die Rechtsphilosophie. 2., neubearb. u. erw. A u f l . München: Beck 1969. (Beck'sche Schwarze Reihe. Bd. 35.)

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZStW

Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft

Zweigert

Zweigert, Konrad: Z u r Methode der Rechtsvergleichung. I n : Studium Generale 13 (1960) S. 193 - 200.

Personen- und Sachregister Vorbemerkung I n das Personenregister w u r d e n n u r diejenigen Autoren aufgenommen, die der Text der A r b e i t erwähnt. Das Sachregister ist nach dem Prinzip des engen Schlagwortes aufgebaut. Verwiesen w i r d bei einem weiten auf ein enges Schlagwort, sofern die Seitenangaben sich nicht decken. Absehen von Strafe 37 achtenswerter Beweggrund 76 - 78, 80, 88 - 90, 95, 103 f. A l t e r n a t i v - E n t w u r f 33 - 35, 164 f. Amelunxen 124 - 127, 193 Anschauungstypus 185 f. Antinomie 256 f., 259 f., 266 A n t r i e b u n d Hemmung 119 - 121, 199 Arbeitsbegriff 210 argumentum ad absurdum 276 f. Arndt, A. 157 f., 160 Aschaffenburg 114 - 117, 193, 196 Ausnahmeregelung 53 - 55, 106, 109 Bauer 101, 280 Baumann 101 Begrenzungsklausel 70, 85 f. Begriffsbildung 208 - 211 Beling 182 Bemmann 36, 102 Besson 252 Bestimmtheitsgrundsatz 103 Bestimmungs-, Bewertungsfunktion der N o r m 138 - 141 Beyme 248 Budzinski 89, 119 f. Bülow 75, 196 Bumke 73, 80, 88 CDU/CSU 26, 29, 32 f., 91 - 98 Copie 251 custodia honesta 54 f., 58 f., 64, 95 98, 101 f., 104 - 109 s. α. Einschließung DDR 26, 126 Deliktstypus 182, 186 f.

Demokratie 11, 24, 84, 171, 246-254, 272, 276 détention 63 - 65 Deutscher Juristentag (1926) 20 f., 68, 87 Deutscher Juristentag i n der Tschechoslowakei (1935) 23 f., 246 Dohna 67, 79, 137 - 139 Dürig 162 Durchschnittstypus 183 E 1925 20, 66 - 68, 96, 102 E 1927 21 f., 69 - 71, 96, 102 - 107 E 1930 22 f., 102 - 107 E 1939 24, 102 f. E 1962 28 f. E F e r r i 65 f. E Radbruch 18 f., 37 - 55 Ehrenstrafen, -folgen 38, 57 - 63, 66 68, 104 - 109, 143, 258 s. α. custodia honesta, Einschließung Ehrlose Gesinnung 50, 58, 67 Eichholz 101 Einheitsfreiheitsstrafe 33, 39, 91 f., 101 f. Einschließung 39, 47 f., 95 - 98 s. a. custodia honesta Einstellungstäter 154 f. Einzeltypus 181, 197 End 147 - 150, 192 Engisch 138, 186 f., 189 f. Erlanger Schule 15 Erlaubnisnorm 139 - 141, 177 f. Ersatzdienstverweigerer 128-131, 160 Evers 149 f.

330

Personen- und Sachregister

Existenzphilosophie 147, 149 f., 216 f., 280 Exner 117, 179, 197 f. Fachausdruck 210 F D P 29, 91 - 98 Ferri 52 Fichte 215, 222 Folgewertentscheidung 83, 106, 109 Foltin 23, 205, 222, 236, 246 Forschungstypus 194-196 Fraenkel 252 Freisler 25 Friedberg 61 f. Friedrich 250 f. Fries 215 Ganzheitstypus 183 - 188 Gaupp 114 Gebrauchsausdruck 210, 239 Geltungsproblem 111, 254-258, 264 f., 271, 273, 276 f., 283 - 285, 287 Gentz 75 Gerland 79, 88, 245, 274 Gesetz u n d Gewissen 142 - 145, 161 f., 254 - 277, 286 f. Gestalttypus 183 - 188 Gewissen 82, 143 f., 204-208, 223240, 254 - 277 Gewissenlos 234 Gewissensentscheidung 142 - 144, 151 - 153, 207, 230 - 232, 236, 254 - 277 - , irrige 150, 155 f., 161 - 163, 208, 227, 231, 255 - 260, 276 Gewissensfreiheit 155 - 158 Gewissenstäter 24, 28, 101, 112- 114, 122 f., 142 - 147 - aufgrund positiven Tuns 156-159 - aufgrund Unterlassens 156 - 159, 163 f. Göppinger 116, 130 f. Goldschmidt 79 Greffenius 100, 102, 119, 122- 124, 129 f., 154 - 156, 168, 171, 193 Große Strafrechtskommission 27 f., 245 Gruhle 115 - 117, 193 Grundgesetz 97, 105 f., 109, 111, 218, 228, 249 - 251, 282 - 285, 287 f. s. a. Bestimmtheitsgrundsatz, Demokratie, Gewissensfreiheit Grundwertentscheidung 83, 106, 109 Güde 32 f.

Gürtner 25 Guizot 63 f. Hartmann, Α. 158 f. Häufigkeitstypus 183 Hegel 44, 215, 252, 261, 281 Heinitz 35 f., 102, 132 - 134, 159 H e m m u n g u n d A n t r i e b 119 - 121, 199 Hempel 185 f. Henkel 222, 261 Hesse, K. 249 Heyde 183 f. Hobbes 247, 253, 262, 267 Hofmann 172 f., 206 f. Höpler 20, 72 - 74, 115 f., 245 Husserl, E. 222 Husserl , G. 140, 168 Ideologietäter 113, 150, 154, 168- 173 Imperativentheorie 138 I n d i v i d u a l e t h i k 277 - 279, 287 I r r t u m 76 Jäger 170, 176 Jarotzky 88 Jaspers 147 - 150, 216, 222 Jellinek, G. 188 Jescheck 101, 132 - 134, 138, 274 Josephi 73 f. Kadecka 79, 85 Kahl 21 - 23 Kant 215, 222, 269, 273, 280, 284 Kaufmann, Arthur 36, 135 f., 261 Klassenbegriff 185 f. Klug 36 f. Kohlrausch 21, 44, 51 - 53, 74, 78, 85, 87, 132 - 134, 188 f., 274, 277 Kommunismus, Kommunisten 30, 121 - 127, 154, 167, 171, 245 Kompromiß 248 f., 251 K o n f l i k t 249, 251, 268 f., 271 Konfliktstäter 164 f. K P D 26, 30 Krille 245 Kriminologie 4 8 - 5 2 , 114- 135, 179 181 s. α. Tätertyp, Überzeugungstäter Krüger 251 f., 273 f. K r y p t o n o r m a t i v i t ä t 145, 162 f., 222 Landesverräter 124-127 Landsberg 71 f., 79, 88 - 90, 203

Personen- u n d Sachregister Lang-Hinrichsen 99 - 101, 103, 145 f., 281 Lange 176, 245, 278 Langemann 127 f., 193 Larenz 183 Lasker 60 f. Laun 255 f., 268 - 271, 281 Leonhardt 60 Leibniz 222 Lersch 216 f., 222 Liepmann 56, 72 - 74, 132 - 134 Liszt 49 Maihof er 36, 102 Majoritätsprinzip 264, 284 f. Maßstabsproblem 109, 260, 266, 270, 282 Maurach 278 Mayer, H. 263, 275 f. Menschenwürde 284 Methodologie 12 - 17, 208 - 211, 281 s. a. Antinomie, argumentum ad absurdum, Kryptonormativität, Maßstabsproblem, Relativismus, Sprachgebrauch, Typus, Wertungsproblem Mezger 138 Miller 158 f. Minderheit 251, 284 f. Moraltheologie 158 f., 227, 280 Morasch 115 Motivbewertungsklausel 70, 84 f. Nagler 77, 79, 115, 245 f., 274, 277 f. Nationalsozialismus, Nationalsozialisten 24 - 26, 51, 121, 125, 167, 171 178, 220 Nebenstrafrecht 93 f. Nietzsche 215, 222 Noll 35 f., 100 f., 134, 137, 265-267,

281, 286

Oetker 76, 84, 86, 202 Oppenheim 185 f. ordinary language philosophy 15, 229 Otto, ff. 149 f. Partikularideen 242 - 254, 286 Pawlowski 285 Peirce 216, 222 Peters, K. 36, 102, 129, 151 - 164, 170, 192, 199, 205 - 207, 236, 267 f., 280 Pflichtenkollision 86

Pflichtüberzeugung 236 - 240 Pluralismus, pluralistischer Staat 122, 247 - 254, 267, 284, 286 Poll 217, 222 Politischer Überzeugungstäter 28, 31 f., 34, 52 f., 93 f., 96 f., 113, 116, 124- 128, 131 f., 142-148, 150 f., 1541, 163- 178, 199 f., 219 f. Popper 16 f. Radbruch 11, 18 - 20, 28, 37 - 69, 101 f., 110- 112, 114- 116, 133- 137, 145 f., 175 f., 185 f., 188 f., 191 f., 195, 201 205, 242 - 245, 255, 280, 285 Räuber 77 f. „Recht f ü r alle", „Recht für mich" 268 - 271, 284 f., 287 f. Rechtsfigur 14 f. Rechtsfolgenlösung 13, 91 Rechtsinstitut 14 Rechtsphilosophie 279 - 282 s. α. Bestimmungs-, Bewertungsfunktion der Norm, Existenzphilosophie, Geltungsproblem, Gesetz und Gewissen, Gewissen, Individualethik, Methodologie, Moraltheologie, Pluralismus, Relativismus, „Selbstaufgabe des Rechts", Sollen, Sollensordnung, Sozialethik, Staatsidee, Überzeugung, Voluntarismus, Wertungsproblem Rechtsstaat 282 - 285 s. a. Demokratie, Verhältnismäßigkeit „Reichsratsgrundsätze" 19 f., 56 f., 72 76 Relativismus 44 f., 99, 109, 136, 171, 243 f., 265, 279 f., 281 f., 287 Religiöser Überzeugungstäter 12 f., 128-131, 152 f ? , 160, 165 Revolutionär 140 f., 168 Rittler 23 f., 204 f., 236, 246 Rudin 158 f. Sachbereichsüberzeugung 236 - 240 Sax 168 - 172, 192 f., 199, 222 Scheler 280 f. Schmidhäuser 260-264, 267, 276, 286 Schmidt, Eb. 39, 66 f., 214, 278 Schneider 174, 176 Schuld 76 f., 95, 102, 262 s. a. Unrechtsbewußtsein Schuldspruch unter Strafverzicht 34

332

Personen- und Sachregister

Schumacher 245 Seelig 115, 119 - 122, 189 f., 193 „Selbstaufgabe des Rechts" 274 - 277, 287 Selbsterhaltungsprinzip 262 f., 267, 286 Selbstwiderspruch des Uberzeugungstäters 40 - 43, 135 - 137, 265 Sollen 255 - 257, 268 - 270 Sollensordnung 161 - 164, 255 - 260, 271 s.a. Wertordnung Sönderausschuß „Strafrecht", Sönderausschuß f ü r die Strafrechtsreform 29 - 33, 53, 90 - 108, 192, 281 Sonderstrafart 4 0 - 4 8 , 9 5 - 9 8 , 101 f., 106, 159 s. a. Ausnahmeregelung, custodia honesta Sondertypus 181 Sozialethik 277 - 279, 287 Sozialstaatsprinzip 284 SPD 22 f., 26, 29, 32 f., 91 - 98 Sprachgebrauch 15, 211 - 213, 222 - 224, 228 f. Staatsabsolutismus 242 - 248, 252 - 254 Staatsidee 242 - 254, 286 Staatsgefährder 124 -127 Stackelb erg 28 Stadter 226 Staff 114, 244 f. Stelzenberger 225 - 227 Stoker 225 f. Strafrechtsdogmatik 13, 36, 52, 111, 138-141, 1811, 191, 194, 196- 198 s. a. Schuld, Tätertyp Strafrechtslehrertagung (1966) 35 f. Strafvollzug 56 f., 71 - 76, 91 f., 190 f., 196 s. a. custodia honesta, détention, Ehrenstrafen, Einheitsfreiheitsstrafe Strafzumessung 76 - 78, 92 f., 190 f. s. a. achtenswerter Beweggrund, ehrlose Gesinnung Strafzwecke 45 - 48, 110 Stratenwerth 36, 101, 173 Suggestion 202, 217 Tätertyp - kriminologisch fundierter 189 - kriminologischer 182, 187 - 189 - normativer 182, 187 f. - tatbezogener 190

Tatbestandslösung 13, 36, 91 Tatbestandsmerkmal 51 f. Tietjen 119, 124 - 127, 193 Türcke 73 Typen-Typus des Überzeugungstäters 194 - 200 Typologie 179 f. Typus 118, 178 - 190 - empirischer 188 f. - geschlossener 186 f. - i n der Kriminologie 179-181 - i n der Strafrechtsdogmatik 181 f. - normativer 187 f. - offener 184 - 187 s.a. Typen-Typus, Überzeugungstäter-Typus Überlegung 201 f. Ubersiebnungsverfahren 214 Überzeugung 49 - 51, 201 ^ 203, 211 223, 234 - 240 Uberzeugungstäter - Abgrenzung zum Einstellungstäter 154 f. - - zum Gemeinverbrecher 40 - 44, 119-121, 134 f., 142, 199 zum Gewissenstäter 122 f., 142164 zum Ideologietäter 170 - 173 zum „unbedingt Handelnden" 147 -150 - kriminalpsychologischer Typus 48 51, 103 f., 110, 114-117, 133 - nationalsozialistischer 173 - 178 - soziologischer Typus 117-119 - Tatmotivation 50, 119 - 121, 125, 132 - Typen-Typus 194 - 200 - Typus 113 - 178, 181, 188 - 199 s. a. Einstellungs-, Gewissens-, Ideologie-, Konflikts-, politischer-, religiöser Täter, „unbedingt Handelnder" „Unbedingt Handelnder" 147 - 150 Unrechtsbewußtsein 13, 52, 177 Verbindlichkeit s. Geltungsproblem Verfassungsfeinde 97, 1041, 1671 Verfassungsklausel 97 f. Verhältnismäßigkeit 157 Verwerflichkeitsklausel 70 f., 86 f., 951 Voluntarismus 271 f., 286

Personen- u n d Sachregister Wachenfeld 277 Weber, H. v. 101 Wegner 86, 245 Weindler 119 - 121, 193 Weinkauff 32, 280 Welzel 28, 36, 101, 142 - 147, 161 - 166, 170, 192, 199, 203-207, 254-260, 266 f., 270 - 273, 282, 286 Wendland 278 Wertordnung 151 - 153, 161 - 164, 255 260, 264, 275 f. Wertrelativismus s. Relativismus Wertungsproblem 80 - 84, 252 f. s. α. Antinomie Wiedergutmachungsrecht 218 - 220, 232 f.

Willmann 222 Winterstein 23, 205, 236 Wissenschaftstheorie 16 f. Wolf, Erik 79 -82, 117 - 119, 131 f., 183, 192, 201 f., 204, 214, 242-249, 251 Wolff, H. J. 186

Zeugen Jehovas 98, 116, 123, 128 - 131, 151 f., 157, 165 Zimmerl 173 -176 Zippelius 184, 194 f., 198 Zwang 251 Zweigert 281