Die klitischen Personalpronomina im Französischen und und Portugiesischen: Eine synchronische und diachronische Analyse 9783964562340

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Die klitischen Personalpronomina im Französischen und und Portugiesischen: Eine synchronische und diachronische Analyse
 9783964562340

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
0. Einleitung
1. Eigenschaften und typische Verhaltensweisen klitisch gebundener Elemente
2. Klitik- und Affixstatus der klitischen Personalpronomina im Französischen und Portugiesischen
3. Generative Analysen zur Grammatik der klitischen Personalpronomina in den romanischen Sprachen
4. Klitische Personalpronomina als Rexions- und Kongruenzmarkierer. Empirische Evidenzen aus dem Französischen und Portugiesischen
5. Zur Grammatik der klitischen Personalpronomina im Altfranzösischen und Altportugiesischen
6. Schlußbemerkung
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
Index

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Kaiser Die klitischen Personalpronomina im Französichen und Portugiesischen

Editionen der Iberoamericana Reihe III Monographien und Aufsätze Herausgegeben von Walther L. Bernecker, Frauke Gewecke, Jürgen M. Meisel, Klaus Meyer-Minnemann Band 44

Georg Kaiser

Die klitischen Personalpronomina im Französischen und Portugiesischen Eine synchronische und diachronische Analyse

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main

1992

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kaiser, Georg: Die klitischen Personalpronomina im Französischen und Portugiesischen : eine synchronische und diachronische Analyse / Georg Kaiser. Frankfurt am Main : Vervuert, 1992 (Editionen der Iberoamericana : Reihe 3, Monographien und Aufsätze ; Bd. 44) ISBN 3-89354-844-0 NE: Editionen der Iberoamericana / 03

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1992 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany

-lo porque qui-lo. Jânio Quadros

7

Inhaltsverzeichnis Vorwort

9

0.

Einleitung

11

1.

Eigenschaften und typische Verhaltensweisen klitisch gebundener Elemente

15

1.1

Definitions- und Beschreibungsversuche von klitisch gebundenen Elementen

15

1.2

Gemeinsame Eigenschaften und Charakteristika von klitisch gebundenen Elementen und Affixen

19

1.3

Unterschiede zwischen klitisch gebundenen Elementen und Affixen

23

2.

Klitik- und Affixstatus der klitischen Personalpronomina im Französischen und Portugiesischen

29

2.1

Die klitischen Personalpronomina im Französischen

29

2.1.1 Die klitischen Eigenschaften der gebundenen Personalpronomina im Französischen

30

2.1.2 Die Affixeigenschaften der klitischen Personalpronomina im Französischen

38

2.2

39

Die klitischen Personalpronomina im Portugiesischen

2.2.1 Die klitischen Eigenschaften der gebundenen Personalpronomina im Portugiesischen

41

2.2.2 Die Affixeigenschaften der klitischen Personalpronomina im Portugiesischen

45

3.

Generative Analysen zur Grammatik der klitischen Personalpronomina in den romanischen Sprachen

48

3.1

Die Kombinationsmöglichkeiten und -beschränkungen der klitischen Objektspronomina

49

3.2

Morphologie und Syntax der klitischen Objektspronomina

52

3.2.1 Die "klassische" Analyse: Die Klitikbewegung

52

3.2.2 Die Basisgenerierung der Objektsklitika

56

3.2.3 Klitikbewegung versus Basisgenerierung

60

3.2.4 Klitikbewegung und Basisgenerierung

69

3.2.5 Struktur und kategorialer Status der Klitikposition

72

8 3.2.6 Die Beziehung zwischen Objektsklitikon und der Komplementsposition ... 78 3.3

Morphologie und Syntax der klitischen Subjektspronomina

88

3.3.1 Die klitischen Subjektspronomina in der Subjektsposition

89

3.3.2 Die klitischen Subjektspronomina als Merkmal von INFL

97

4.

Klitische Personalpronomina als Flexions- und Kongruenzmarkierer. Empirische Evidenzen aus dem Französischen und Portugiesischen ... 104

4.1

Vorbemerkungen zu einer Analyse gesprochener Sprache im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheone

104

4.2

Status und Funktion der klitischen Subjektspronomina im Französischen

106

4.2.1 Empirische Belege

108

4.2.2 Die klitischen Subjektspronomina des Französischen als Flexionsaffixe

113

4.3

Status und Funktion der klitischen Objektspronomina im Französischen und Portugiesischen

117

4.3.1 Die klitischen Objektspronomina des Französischen als Flexionsaffixe

124

4.3.2 Die klitischen Objektspronomina des Portugiesischen als Hexionsaffixe

131

4.4

Das Stellungsverhalten der klitischen Personalpronomina im Französischen und Portugiesischen

139

5.

Zur Grammatik der klitischen Personalpronomina im Altfranzösischen und Altportugiesischen

145

5.1

Die klitischen Personalpronomina im Friihromanischen

146

5.2

Die klitischen Personalpronomina im Altfranzösischen

151

5.2.1 Die klitischen Subjektspronomina im Altfranzösischen

152

5.2.2 Die klitischen Objektspronomina im Altfranzösischen

159

5.3

Die klitischen Objektspronomina im Altportugiesischen

162

6.

Schlußbemerkung

168

7.

Quellen- und Literaturverzeichnis

170

7.1

Verzeichnis der Quellen und Korpora

170

7.2

Literaturverzeichnis

172

Index

187

9

Vorwort Das vorliegende Buch ist eine geringfügig überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich im Januar 1992 beim Fachbereich Sprachwissenschaften der Universität Hamburg eingereicht habe. Ich möchte allen danken, die mir bei der Erstellung dieser Arbeit geholfen haben. Mein Dank gilt zuallererst und ganz besonders meinem "Doktorvater" Jürgen M. Meisel, der die verschiedenen Phasen der Entstehung dieser Arbeit stets kritisch, aber auch anspornend begleitet hat. Auch dem zweiten Gutachter der Arbeit, Helmut Lüdtke, möchte ich für seine fruchtbaren und kritischen Hinweise danken. Mein ganz herzlicher Dank geht an Axel Mahlau, mit dem ich in vielen langen Gesprächen und Diskussionen eine Reihe von Punkten meiner Arbeit vertiefen und einige Mängel beseitigen konnte. Auch in den Diskussionen mit den Mitarbeitern des Forschungsprojekts DUFDE und des Lehrstuhls von Herrn Meisel habe ich wertvolle Anregungen bekommen. Sehr verbunden bin ich Heinz Werner, Mary A. Kato und Wolfgang J. Meyer für viele nützliche Ratschläge und Kritikpunkte. Ausdrücklich erwähnen möchte ich Fernando Tarallo, der leider im Frühjahr dieses Jahres verstorben ist. Während seines letzten Aufenthaltes in Deutschland im vergangenen Jahr habe ich mit ihm ausführliche Gespräche über das Thema meiner Arbeit geführt. Besonders danken möchte ich meinen Informanten, vor allem Vania Kahrsch und Françoise Hasenclever, sowie denen, die mir bei der Erstellung und Durchführung meiner "Fragebogenaktion" behilflich waren. Erwähnen möchte ich auch Antonia Mota vom Centro de Linguistica der Universität Lissabon, die mich beim Beschaffen des Korpus für das Portugiesische tatkräftig unterstützt hat. Schließlich möchte ich allen Freunden und Bekannten danken, die durch Korrekturlesen und praktische (Computer-)Tips zur Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen haben. Besonders meiner Frau Barbara sei diesbezüglich herzlich gedankt. Hamburg, im Oktober 1992 Georg Kaiser

11

0. Einleitung

Pronomina sind im Unterschied zu nominalen Ausdrücken dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht unabhängig vom sprachlichen Kontext oder der jeweiligen außersprachlichen Wirklichkeit auf Objekte und Sachverhalte Bezug nehmen. Ihre Referenz ist nur dadurch bestimmbar, daß sie in einer bestimmten pragmatischen, semantischen und/oder syntaktischen Beziehung zu einem Bezugselement (Antezedent) stehen (cf. Bußmann 1990:82,615). Der Bestimmung dieser Beziehung liegen grundsätzlich zwei Betrachtungsweisen von Pronomina zugrunde (cf. Bosch 1983). Die eine orientiert sich an deren anaphorischem Charakter, während die andere darauf basiert, daß Pronomina Pro-Formen sind, d.h. Elemente, die als "Stellvertreter" ihres Antezedenten im Satz auftreten. Diese unterschiedliche Auffassung darüber, wie Pronomina auf ihren Antezedenten Bezug nehmen, führt zu einer unterschiedlichen Klassifizierung der Pronomina. So ordnet beispielsweise die Duden-Grammatik (1984:321ff) die sogenannten Possessivpronomina, wie z.B. mein, dein etc., zur Wortart der Pronomina, während bei Grevisse (1986:947-954) die entsprechenden Wörter als "déterminants possessifs" bezeichnet werden und unter der Gruppe der Determinanten zu finden sind. Bei der Einteilung der Personalpronomina kann zwischen den Pronomina der 1. und 2. Person und denen der 3. Person unterschieden werden. Erstere dienen dazu, den Sprecher oder den Angesprochenen in einer Redesituation zu benennen, wobei sich die Referenz des Pronomens im Verlauf eines Gespräches stets in Abhängigkeit vom jeweiligen Sprecher oder Angesprochenen ändert.1 Demgegenüber referieren die Personalpronomina der 3. Person nicht auf eine in das Gespräch miteinbezogene Person. Die Funktion der Pronomina der 3. Person wird häufig darin gesehen, daß dadurch "celui qui est absent", d.h. die "non-personne", bezeichnet wird (cf. Benveniste 1946:228, Moignet 1972). Joly (1973:14) spricht präziser von der "non-personne interlocutive". Den frühen generativen Arbeiten über Pronomina liegt die Auffassung zugrunde, daß Pronomina eine Stellvertreter-Funktion wahrnehmen (cf. z.B. Lees & Klima 1963). Diese Sichtweise tritt allerdings bald in den Hintergrund bzw. wird ganz aufgegeben. In der neueren generativen Pronominadiskussion geht es nicht mehr um die Frage, wie Pronomina referieren können, sondern vielmehr darum, welchen Be1

Aus diesem Grund werden die Pronomina der 1. und 2. Person auch als 'Wechselwörter' (engl, "shift pronouns") bezeichnet (cf. Jakobson 1957:2).

12 schränkungen die Beziehung zwischen einem Pronomen und seinem Antezedenten innerhalb eines Satzes unterliegt (cf. z.B. Postal 1966:202,Fn.3, Chomsky 1973).2 Aufgrund dieser Beschränkungen, die durch die Prinzipien der Bindungstheorie festgelegt sind, werden die Pronomina in Reflexivpronomina und reziproke Pronomina ("anaphors") einerseits und nicht-reflexivische Personalpronomina ("pronouns") andererseits unterteilt (cf. Chomsky 1981, 1982b). Allen Personalpronomina gemeinsam ist, daß sie eine grammatische Funktion ausüben können. Sie können Subjekt oder Objekt eines Satzes sein. Diese Funktion ist keine inhärente Eigenschaft eines Pronomens.3 Nach Auffassung der generativen Sprachwissenschaft wird sie durch die phrasenstrukturelle Konfiguration, in der sich das Pronomen befindet, festgelegt (cf. Chomsky 1965:68-74,1986b:161).4 Ein auffallendes Merkmal von Pronomina ist außerdem, daß sie große Ähnlichkeiten zu Kongruenzmerkmalen aufweisen (cf. C. Lehmann 1982:202). Pronomina stehen zu ihrem Antezedenten in einer Kongraenzbeziehung, die in vielen Sprachen morphologisch markiert wird. In diachronischer Hinsicht besteht ein Zusammenhang zwischen Pronomina und Kongruenzmerkmalen insofern, als sich in vielen Sprachen die verbalen Flexionsmorpheme aus ursprünglich ungebundenen Personal- bzw. Demonstrativpronomina entwickelt haben (cf. Haie 1973:340, W. Lehmann 1974, Givön 1976, C. Lehmann 1982:251f). Personalpronomina sind vielfach auch dadurch gekennzeichnet, daß sie die Tendenz haben, sich - ähnlich wie Kongruenzaffixe - an ein anderes Element im Satz anzulehnen oder zu binden (cf. Givön 1976). Ein solches Verhalten ist sehr deutlich bei den Personalpronomina in den romanischen Sprachen zu beobachten. Alle romanischen Sprachen besitzen Pronomina, die sich klitisch an ein anderes Element binden und Ähnlichkeiten zu Affixen aufweisen. In der vorliegenden Arbeit sollen die besonderen und charakteristischen Eigenschaften dieser Pronomina erfaßt und analysiert werden. Dabei werden die Pronomina des Französischen und (iberischen) Portugiesischen eingehend untersucht. Beide Sprachen sind für eine Untersuchung der klitischen Pronomina in den romanischen Sprachen von besonderem Interesse. Sie weisen nicht nur viele Gemeinsamkeiten mit den anderen romanischen Sprachen hinsichtlich der klitischen Pronomina 2

Für einen wissenschaftsgeschichtlichen Überblick der Behandlung von Pronomina cf. Bosch (1983:1-31). Eine Zusammenfassung der generativen Pronominadiskussion geben Wasow (1979) und - auf das Französische bezogen Meisel (1973:44-74).

3

Die Begriffe 'Subjektspronomen' oder 'Objektspronomen' bezeichnen daher nicht immer in korrekter Weise die grammatische Funktion eines Pronomens. In der Regel ist zwar eine bestimmte Form eines Pronomens mit einer bestimmten grammatischen Funktion verbunden, d.h. ein Objektspronomen beispielsweise fungiert meist als grammatisches Objekt. Es kann aber auch in Kontexten erscheinen, in denen es diese grammatische Funktion nicht wahrnimmt. Dies ist etwa in Ac/-Konstruktionen wie in (ia) der Fall, in denen das Objektspronomen Subjekt des eingebetteten Satzes ist, oder in Sätzen wie (ib), in denen es lediglich Teil einer Präpositionalphrase ist und keine grammatische Funktion im Satz ausübt: (i) (a) Ich höre [¡An singen] (b) Ich singe für ihn.

4

Zur Problematik dieser Art der Bestimmung grammatischer Funktionen und zu alternativen Modellen cf. Marantz (1984).

13 auf, sondern auch einige Besonderheiten, die sie von den anderen romanischen Sprachen unterscheiden. Das Französische besitzt das reichhaltigste Formeninventar an klitischen Personalpronomina innerhalb der romanischen Sprachen. Neben den in allen romanischen Sprachen vorkommenden klitischen Oö/e&ispronomina verfügt es über eine vollständige Klasse von klitischen Sufo/etepronomina. Zudem gibt es im Französischen klitisch gebundene Pronominaladverbien.5 Außer dem Französischen besitzen auch das Rätoromanische und einige norditalienische Dialekte klitische Subjektspronomina (cf. Renzi & Vanelli 1983, Haiman 1988:385f, Vanelli, Renzi & Benincä 1985, Rigau 1990). Allerdings enthält in diesen Sprachen die Klasse der Subjektsklitika einige Lücken, d.h. es existiert nicht für jede Person und Numerus eine entsprechende Form. Alle anderen romanischen Sprachen kennen keine eigenen Formen der klitischen Subjektspronomina.6 Das iberische Portugiesische weist im Vergleich zu den anderen romanischen Sprachen einige Besonderheiten hinsichtlich der Stellung der klitischen Pronomina auf. Die klitischen Pronomina des Portugiesischen können sowohl vor als auch nach einem finiten Verb stehen. In den meisten anderen romanischen Sprachen hingegen erscheinen die klitischen Pronomina ausschließlich vor dem finiten Verb, die postverbale Stellung ist i.d.R. nur im affirmativen Imperativ oder bei infiniten Verben möglich. In der folgenden Untersuchung, die sich auf die Auswertung empirischer Daten des gesprochenen Französisch und Portugiesisch stützt, wird gezeigt, daß sich die klitischen Personalpronomina beider Sprachen weitgehend wie Affixe verhalten.7 Die These lautet, daß sie in beiden Sprachen als Kongruenzmarkierer fungieren und in einer Kongruenzbeziehung zum Subjekt bzw. Objekt des Satzes stehen. Im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie (cf. Chomsky 1981, Chomsky 1989), die als theoretische Grundlage dieser Arbeit dient, können diese Beobachtungen dahingehend interpretiert werden, daß im Französischen der Nullsubjekt-Parameter positiv festgelegt ist, d.h. daß das Französische eine Sprache ist, die - ebenso wie die anderen romanischen Sprachen - leere Kategorien in der Subjektsposition erlaubt. Das Besondere am Französischen ist dabei, daß diese leeren Subjekte durch die affigierten Subjektspronomina identifiziert werden können. Aus der Beobachtung, daß die klitischen Objektspronomina als Kongruenzmarkierer fungieren, folgt, daß 5

Die besonderen Merkmale und Eigenschaften der klitischen Pronominaladverbien (en und y) werden allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt (cf. dazu z.B. Sandfeld 1928:134-168, Ruwet 1972, J. Pinchon 1972).

6

In diesen Sprachen, wie z.B. dem Italienischen, Spanischen oder Portugiesischen, gibt es lediglich eine Form der klitischen Pronomina, nämlich die des Reflexivpronomens der 3. Person, die in der Subjektsfunktion verwendet werden kann. In dieser Arbeit werde ich auf die Besonderheiten dieses Pronomens allerdings nicht näher eingehen (cf. dazu z.B. Strozer 1976, Burzio 1986, Manzini 1986, Wehrli 1986, Nunes 1990).

7

Angesichts der Komplexheit der Problematik beschränke ich mich bei meiner Analyse der klitischen Pronomina auf Sätze mit einfachen Verbalphrasen. Das heißt, ich werde nicht auf das besondere Verhalten der klitischen Pronomina in Sätzen mit infiniten Verbteilen eingehen.

14 sowohl im Französischen als auch im Portugiesischen leere Objekte möglich sind, die durch die affigierten Objektspronomina identifiziert werden können. Die Analyse diachronischer Daten wird zeigen, daß die Objektsklitika bereits im Altfranzösischen und im Altportugiesischen über affixartige Eigenschaften verfügten und möglicherweise schon als Kongruenzmarkierer fungierten. Die Subjektsklitika des Altfranzösischen hingegen verhielten sich wie freie, unabhängige Wörter und sind erst im Laufe der Entwicklung zum Neufranzösischen zu Kongruenzmarkierern geworden.

15

1. Eigenschaften und typische Verhaltensweisen klitisch gebundener Elemente Die klitisch gebundenen Pronomina der romanischen Sprachen werden sehr häufig als "prototypische Klitika" angesehen (Jeffers & Zwicky 1980:222). Nicht selten wird die Bezeichnung 'Klitika' ausschließlich auf pronominale Klitika bezogen. Dabei wird übersehen, daß auch nicht-pronominale Elemente klitisch gebunden sein können. Sie sind allerdings seltener anzutreffen als pronominale Klitika. Jeffers & Zwicky (1980:222) beobachten, daß eine Sprache, die Klitika besitzt, stets pronominale Klitika, nicht aber nicht-pronominale Klitika besitzen muß. Sie stellen fest, daß es zum einen Sprachen gibt, die nur pronominale Klitika kennen, wozu ihrer Ansicht z.B. das Spanische gehört, und zum anderen Sprachen, die neben pronominalen noch andere Klitika, wie z.B. klitische Kopulaverben, besitzen (wie etwa die meisten slawischen Sprachen) oder andere klitische Partikeln aufweisen (wie z.B. Tagalog). Obwohl die romanischen Sprachen und damit auch das Französische und Portugiesische zu den Sprachen gehören, die ausschließlich pronominale Klitika kennen, werden im folgenden zunächst die besonderen Eigenschaften und Verhaltensweisen betrachtet, durch die pronominale und nicht-pronominale Klitika gekennzeichnet sind.

1.1 Definitions- und Beschreibungsversuche von klitisch gebundenen Elementen Die Suche nach einer Definition oder Erklärung für den Begriff "klitisch1 und die damit verbundenen Ausdrücke 'Klitikon' oder 'Klitisierung' erweist sich als relativ schwierig. Obwohl diese Begriffe allenthalben in der modernen Sprachwissenschaft verwendet werden, findet sich hierfür nur selten eine Definition. Selbst in vielen Arbeiten, die sich intensiv mit der Problematik von Klitika auseinandersetzen oder gar explizit den Anspruch erheben, eine Theorie der Klitika zu entwerfen, wird eine Erklärung für das, was ein Klitikon ist bzw. was unter einem Klitikon verstanden wird, nicht gegeben (cf. z.B. Rivas 1977, Borer 1984, Busch 1985). Auch die meisten sprachwissenschaftlichen Lexika oder Wörterbücher geben darüber keinen Aufschluß. In fast allen von mir konsultierten linguistischen sowie allgemeinen Wörterbüchern und Lexika gibt es weder unter dem Stichwort "klitisch' noch unter

16 'Klitikon' oder 'Klitisierung' einen Eintrag. Die gleiche Beobachtung macht auch Wanner (1987:23): "A check through some currently used linguistic lexica [...] confirms the absence of entries under the generic linguistic lemma clitic/cliticness/cliticization." Erst beim Nachschlagen unter den Begriffen 'enklitisch' und 'proklitisch' bzw. unter 'Enklitisierung' und 'Proklitisierung' oder 'Enklitikon' und 'Proklitikon' wird man in den meisten Lexika fündig. Die einzige Ausnahme ist die Neuauflage von H. Bußmanns Lexikon der Sprachwissenschaft von 1990. Dort wird unter dem Stichwort 'Klitisierung' auf die Begriffe 'Proklise' und 'Enklise' verwiesen (cf. Bußmann 1990:385). Diese Tatsache, daß erst in so junger Zeit der Begriff 'Klitisierung' in einem Lexikon Erwähnung findet, deutet darauf hin, daß dessen Verwendung noch nicht sehr alt ist. Die Begriffe 'Enklise' oder 'Proklise' hingegen scheinen schon eine längere Tradition zu haben. Ein Überblick über die Literatur zeigt, daß eine Beschäftigung mit klitischen Elementen als einheitliche Gruppe und den damit zusammenhängenden Prozessen der Klitisierung erst - wenn auch zunächst nur sehr vereinzelt - seit dem Strukturalismus existiert (cf. Wanner 1987:23). Frühestens seit Ende der 70er Jahre bzw. Anfang der 80er Jahre ist es möglich, von einer regelrechten Theorie der Klitika zu sprechen. Der Begriff Klitikon stammt aus dem (Alt-)Griechischen und leitet sich von dem Verb egklinein ('(sich) neigen') ab (cf. Gemoll 1965:238). Die griechischen Grammatiker bezeichneten ein Element als 'enklitisch', das sich hin zu einem anderen Element "neigt" und mit diesem - auf unterschiedlich starke und enge Art und Weise verbunden ist. Hierzu werden die partikelartigen Wörter wie z.B. ge (etwa 'zuletzt'), gar ('für, 'weil'), de ('aber') und oun ('folglich') gerechnet (cf. Laum 1928:235-326, Carstairs 1981:7). In den lateinischen Grammatiken wurde die griechische Terminologie übernommen und die lateinischen Partikeln que, ve, ne, ce sowie einige andere Elemente als 'Inclinativa' bezeichnet. Ebenso wie die griechischen Enklitika zeichneten sich diese 'Inclinativa' durch eine Reihe besonderer Verhaltensweisen aus. Sie waren unbetont bzw. schwachtonig und stets an ein vorangehendes Wort gebunden (cf. Wanner 1987:24). Auf eine weitere besondere Eigenschaft dieser Partikeln des Klassischen Griechisch und Latein weist Wackernagel (1892) hin. In seinem berühmt gewordenen Aufsatz "Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung" greift er eine bereits von Bergaigne (1878) u.a. gemachte Beobachtung auf, daß diese schwachtonigen Elemente eine "Vorliebe [...] für die zweite Stelle im Satz" hätten (Wackernagel 1892:342). Er überprüft Bergaignes These anhand umfangreichen Datenmaterials v.a. des Altgriechischen und Lateinischen sowie anderer indoeuropäischer Sprachen (z.B. des Altindischen oder Keltischen) und kommt dabei zu dem gleichen Ergebnis wie

17 Bergaigne, nämlich dem, daß in den indoeuropäischen Sprachen eine starke Tendenz dazu besteht, schwachtonige Wörter und Partikeln in die zweite Position im Satz zu stellen. Bei der im XIX. Jhdt. einsetzenden intensiven Beschäftigung mit den romanischen Sprachen wird beobachtet, daß diese von Wackernagel festgestellte Gesetzmäßigkeit, die auch 'Wackernagels Gesetz' genannt wird, in den modernen romanischen Sprachen offenbar nur noch sehr eingeschränkte Gültigkeit hat. Im Laufe der Entstehung und Entwicklung dieser Sprachen aus dem Lateinischen scheint sich das Verhalten der unbetonten Pronomina verändert zu haben. Sie stehen nicht mehr - wie es im Lateinischen die Regel war - in der zweiten Position und sind nicht mehr an das vorangehende Element, sondern i.d.R. an das ihnen unmittelbar folgende Verb gebunden. Diese Art von klitischer Bindung wird als 'Proklise' bezeichnet (griech. pro 'vorn, voran; vorher'), im Unterschied zur '£nklise', der Bindung an ein vorangehendes Element (cf. z.B. Meyer-Lübke 1897, Lerch 1940).1 Zusätzlich kann noch eine dritte Art der klitischen Bindung ausgemacht werden: Die Bindung von klitischen Elementen innerhalb eines Elements, wie sie etwa in portugiesischen Verbformen des Futurs oder Konditionals auftreten kann. In diesem Fall spricht man von 'Mesoklist' oder 'fndoklise' (cf. Ali 1965:204, Zwicky 1977:7, Cunha & Cintra 1984:281). Als zusammenfassender Begriff für diese verschiedenen Arten von klitischer Bindung hat sich in der heutigen Sprachwissenschaft der Begriff 'Klitisierung' eingebürgert (cf. Bußmann 1990:385, Prinz 1991:1).2 Ein Klitilcon ist dementsprechend ein Element, das sich an ein anderes anlehnt, unabhängig davon, ob es sich vor oder nach diesem Element befindet. Es ist an dieses Element gebunden, d.h. es kann nicht isoliert und unabhängig davon auftreten.3 Folglich ist ein Klitikon kein freies, unabhängiges Wort. Gleichzeitig ist es aber offensichtlich auch kein affigiertes Element, sondern scheint eine Art Sonderstellung zwischen freien Wörtern und Affixen einzunehmen. Nach Auffassung von Pike (1947:165) ist ein Klitikon ein "SEMI-FREE word". In einem der wenigen Definitionsversuche von Klitika bezeichnet er diese als "[...] intermediate between words and affixes, when these morphemes are grammatically loosely bound, but phonologically tightly bound to a free word to which they are adjacent" (Pike 1947:165). Ähnlich wie Pike spricht auch P. Matthews (1974:168) von Klitika als einer "intermediate class", die weder "full words" noch "merely prefixes or parts of a word" sind (cf. auch Klavans 1982, Zwicky 1985, Borer 1986).

1

Klavans (1982:7) weist darauf hin, daß die Unterscheidung zwischen Pro- und Enklise möglicherweise auf den Grammatiker G. Herman zu Beginn des 18 Jhdts. zurückgeht Laut J. Vendryès (Traité d'accentuation greque, Paris: Klincksieck 1904, p.63) verwendet Herman beide Begriffe zur Beschreibung von Klitika im Altgriechischen (zitiert nach Klavans 1982:7).

2

Bisweilen wird auch der Ausdruck 'Synklise' gebraucht (cf. Jucâ 1967, Petnick 1989:14.Fn.36).

3

In der englischsprachigen Literatur wird ein Element, an das sich ein Klitikon lehnt bzw. bindet, meist als "host" (cf. Zwicky 1977), bisweilen auch als "anchor" bezeichnet (cf. Carstaiis 1981). Prinz (1991:43) verwendet den Begriff 'Partner', den ich hier übernehme.

18 Aufgrund dieses Zwischenstatus, den Klitika einnehmen, sind die Versuche, die Abgrenzungen von Klitika zu freien Wörtern einerseits und den Affixen andererseits exakt festzulegen und konkret zu formulieren, bislang ohne ein befriedigendes Ergebnis geblieben. Trotz der häufig erhobenen Forderung nach einer "constrained characterization" von Klitika (cf. Klavans 1985:117) bestehen die Beschreibungen und Definitionsversuche von Klitika stets nur aus einer Aufzählung ihrer typischen Eigenschaften: "In spite of all fruitful activity, the study of clitics has not yet reached a stage where a notion could be seen as secured through a delimination or definition, allowing for a stable area of reference." (Wanner 1987:26) Einen der ersten Darstellungsversuche der typischen Eigenschaften und Verhaltensweisen klitischer Elemente unternimmt Kayne (1975). Er zeigt anhand von Grammatikalitätsproben auf, daß die sogenannten schwachen Pronomina-und Pronominaladverbien im Französischen typische gemeinsame Eigenschaften und Verhaltensweisen haben und sich dadurch deutlich von freien, unabhängigen Nomina und Pronomina unterscheiden. Die von Kayne (1975:81-92) entworfenen Tests sowie einige zusätzliche Probeverfahren (cf. z.B. Lambrecht 1981) dienen in vielen Arbeiten über klitische Pronomina der romanischen Sprachen als Grundlage zur Bestimmung von deren Klitikstatus (cf. z.B. Strozer 1976:106-113, Jaeggli 1982:89-92, Lambrecht 1981:Kap.2, Borer 1986, Wanner 1987:28ff, Kaiser & Meisel 1991). Parallel zu diesen - vorwiegend auf der Theorie der Generativen (Transformations-)Grammatik basierenden - Untersuchungen pronominaler Klitika entwickelt sich - ausgelöst durch die Arbeit von Zwicky (1977) - eine Diskussion über die universalen Verhaltensweisen von pronominalen sowie nicht-pronominalen Klitika. Der Untersuchungsschwerpunkt dieser Arbeiten liegt darin, (theorie)unabhängige Kriterien zu finden, die es erlauben, Klitika von unabhängigen Wörtern einerseits und von Affixen andererseits zu unterscheiden (cf. Zwicky & Pullum 1983, Zwicky 1985 sowie Klavans 1982,1985, Kaisse 1985 und Carstairs 1981). Diese Kriterien basieren auf allgemeinen Beobachtungen über die Besonderheiten und typischen Verhaltensweisen von Klitika und über die typischen Unterschiede von Klitika und Nicht-Klitika in verschiedenen Sprachen.4 Sie sind ebenso wie bei Kayne (1975) in Form von Tests formuliert, die es - "in favorable circumstances" (Zwicky 1985:286) - ermöglichen sollen, den relativen Grad der Unabhängigkeit bzw. Abhängigkeit eines Elementes und damit dessen Status als freies Wort, als Klitikon oder als Affix festzustellen.

4

Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang neben den bereits aufgeführten Arbeiten Untersuchungen über Klitika in verschiedenen Einzelsprachen, wie z.B. im Luisefio, einer in Südkalifomien gesprochenen aztekischen Sprache (cf. z.B. Akmajian, Steele & Wasow 1979, Kaisse 1981), und in weiteren amerikanisch-indianischen Sprachen (cf. z.B. Steele 1977, Longacre 1976, Muysken 1981) oder im Pashto, einer in Afghanistan und Pakistan gesprochenen iranischen Sprache (cf. z.B. Tegey 1975). Zum Deutschen gibt es erst in jüngster Zeit entsprechende Untersuchungen (cf. Dedenbach 1987, Wiese 1987 und insbesondere Prinz 1991).

19 Im folgenden werde ich die von Kayne und Zwicky sowie in den daran anknüpfenden Arbeiten formulierten Kriterien kritisch miteinander vergleichen und dabei versuchen, eine möglichst vollständige und adäquate "list of tendencies, general characteristic and typical features" von Klitika und Affixen zu erstellen (Klavans 1985:117).5 Eine solche Liste kann als Grundlage dafür dienen, den Klitikstatus und den Grad der Gebundenheit der französischen und portugiesischen Personalpronomina zu erfassen und zu bestimmen.

1.2 Gemeinsame Eigenschaften und Charakteristika von klitisch gebundenen Elementen und Affixen Die grundlegende, charakteristische Eigenschaft klitischer Elemente ist die, daß sie sich stets an ein anderes Element anlehnen müssen. Sie sind ebenso wie Affixe notwendigerweise an ein anderes Element gebunden. Klitika und Affixe werden daher in Anlehnung an Bloomfield (1933) - auch als 'gebundene Formen' oder 'gebundene Morpheme' bezeichnet (cf. Nida 1949:81, P.Matthews 1974:160, Zwicky 1977:2, Carstairs 1981:4). Carstairs (1981:3) gebraucht den Begriff "appendage" ('Anhängsel') "as a neutral teim to cover both inflexional affixes and clitics". Diese gemeinsame charakteristische Eigenschaft von Klitika und Affixen, stets an ein anderes Element gebunden sein zu müssen, bedeutet, daß sie niemals isoliert auftreten können. Einwortäußerungen mit Klitika oder Affixen sind immer ausgeschlossen. Darüber hinaus verfugen Klitika und Affixe über weitere typische Gemeinsamkeiten, durch die sie sich von ungebundenen Wörtern unterscheiden. Klitika und Affixe stehen unmittelbar adjazent zu dem Element, an das sie gebunden sind. Lediglich andere gebundene Elemente können dazwischenstehen. Klitika und Affixe können jedoch nicht durch nicht-gebundene, freie Elemente von ihrem Partner getrennt sein (cf. Carstairs 1981:4, Wanner 1987:28, Prinz 1991:42). Klitika und Affixe tendieren dazu, mit einem unabhängigen Wort eine phonologische Einheit einzugehen und dabei ein phonologisches Wort zu bilden (cf. Kaisse 1981 ;429, Zwicky 1985:286). Diese Beobachtung geht v.a. auf die Annahmen von Chomsky & Halle (1968:366-371) über Wortgrenzen ("word boundaries") innerhalb phonologischer Einheiten zurück. Demnach bilden Klitika (und auch Affixe) mit dem Element, an das sie sich binden, ein phonologisches Wort, da sie höchstens durch eine Wortgrenze von ihrem Partner getrennt sind. Freie Wörter hingegen, die ebenfalls in 5

Es genügt keinesfalls, sich einzig auf die Arbeiten von Zwicky zu stützen, obwohl er den bisher umfangreichsten Kriterienkatalog zusammengestellt hat. Bei seiner Formulierung und Darstellung der Kriterien zur Erfassung des Klitikstatus und Affixstatus von Elementen mangelt es nicht selten an Explizitheit und Klarheit (cf. auch die Kritik von Klavans 1982:26ff). Es ist häufig nicht klar, was genau mit den Kriterien gemeint ist und wie die Tests angewendet werden können. Vielfach fehlt es an Beispielen, die die formulierte Eigenschaft belegen bzw. klarstellen würden - zumal Hinweise auf andere Arbeiten, in denen ähnliche Kriterien bereits Erwähnung gefunden haben, nur äußerst selten gegeben werden (cf. auch Dedenbach 1987:170).

20 der Lage sind, miteinander eine phonologische Einheit zu bilden (z.B. im Englischen Präpositionen mit nachfolgender NP; cf. Zwicky 1985:286), sind mindestens durch zwei Wortgrenzen voneinander getrennt und können daher kein phonologisches Wort miteinander bilden (cf. Kaisse 1981:429, auch Sommerstein 1977:143-151). Die Unterschiede zwischen diesen beiden Arten der phonologischen Bindung können nach Ansicht von Zwicky (1985:286f) in verschiedenen Bereichen der Wirkungsweise phonologischer Regeln festgestellt und überprüft werden:6 a) Bei der Bildung einer phonologischen Einheit treten systematische phonologische Veränderungen auf. Handelt es sich dabei um ein Zusammentreffen zweier Morpheme innerhalb eines Wortes, unterliegen diese Veränderungen den sogenannten internen Sandhi-Regeln.7 Dies sind z.B. Assimilations- und Fusionsvorgänge, die beim Auf-einandertreffen zweier Vokale innerhalb eines Wortes auftreten. So wird etwa im Französischen das Wort pot ([po]) als [pot] ausgesprochen, wenn in einer abgeleiteten Form ein vokalisches Suffix folgt (cf. z.B. potée ([pote])). Ist der folgende Vokal allerdings Teil eines anderen Wortes, erhält pot keinen konsonantischen Auslaut (cf. z.B. pot à fleurs ([poafloe:r]), pot à bière ([poabje:r]))(cf. P. Matthews 1974:1 llf). 8 Unterliegt das Zusammentreffen zweier Elemente solchen internen Sandhi-Regeln, so ist anzunehmen, daß es sich bei der phonologischen Einheit dieser beiden Elemente um ein phonologisches Wort handelt. b) Die Elemente eines phonologischen Wortes verhalten sich bzgl. der prosodischen Regeln, d.h. in Bezug auf Akzentzuweisung, Intonation und Quantität, einheitlich. Sie bilden zusammen eine "unité accentuelle" (Garde 1968:16) oder einen "grupo de intensidad", wobei sie einem "mismo acento espiratorio principal" unterliegen (Navarro 1921:28, cf. auch Römer 1980:115). Klitika und Affixe tragen oft keine Betonung, sondern sind meist von der Betonung des Elements abhängig, mit dem sie eine phonologische Einheit bilden (cf. Zwicky 1985:287, Carstairs 1981:4, Klavans 1982:19). Klitika sind jedoch nicht notwendigerweise unbetont. In vielen Sprachen (wie etwa im Griechischen oder Französischen) ist es möglich, daß Klitika aufgrund einzelsprachlicher Wort- bzw. Satzintona6

Insbesondere bei der Darstellung dieser unterschiedlichen Wirkungsbereiche wird das Manko von Zwickys Arbeit deutlich. Er macht fast Uberhaupt keine Angaben darüber, wie aufgrund dieser Regeln zwischen phonologischen Wörtern und phonologischen Phrasen unterschieden werden kann. Er stellt lediglich fest, daß ein phonologisches Wort anderen phonologischen Regeln unterliegt als eine phonologische Phrase. Dabei läßt er aber völlig offen, wie diese Unterschiede aussehen. Erst aufgrund von Darstellungen und Erklärungen in Untersuchungen anderer Autoren (z.B. P. Matthews 1974, Herslund 1986) lassen sich diese definieren.

7

Im Gegensatz zu den externen Sandhi-Regeln, die außerhalb von Wörtern, also beim Aufeinandertreffen zweier Wörter, operieren (cf. Allen 1962:15). Der Begriff 'Sandhi' geht auf die altindischen Grammatiker zurück und bedeutet wörtlich übersetzt 'zusammensetzen' (cf. Bußmann 1990:656). Zu den exakten Funktionsweisen der SandhiRegeln cf. v.a. Allen (1962) und P. Matthews (1974) sowie die Arbeiten in Andersen (ed.)(1986). Häufig sind die externen und internen Sandhi-Regeln allerdings kaum voneinander zu unterscheiden, da sie nicht selten zu ähnlichen bzw. identischen Ergebnissen führen (cf. Allen 1962:15, P. Matthews 1974:111, Herslund 1986:506).

8

Die Aussprache [pat] in pot ä lait ([patale]) oder poi-au-feu ([potof0]) zeigt demgegenüber, daß es sich bei diesen Wörtern nicht um zwei Wörter, sondern um jeweils ein zusammengesetztes Wort handelt (cf. P. Matthews 1974:112).

21 tionsmuster Betonung erhalten können (cf. Klavans 1982:91ff, Zwicky 1985:287, auch Garde 1968:71-74). Eine eigenständige Betonung, d.h. eine Betonung aus semantischen Gründen wie etwa zum Ausdruck einer Emphase oder zur Hervorhebung eines Gegensatzes, ist bei Klitika nur sehr selten anzutreffen. 9 Abgesehen davon, daß Klitika betont sein können, spricht außerdem die Tatsache, daß auch viele unabhängige Wörter (wie z.B. im Englischen Präpositionen, Determinanten, Auxiliare etc.) normalerweise keinen Akzent tragen, dagegen, mit Hilfe von Betonungstests über den Klitikstatus eines Elementes zu entscheiden (cf. Zwicky 1985). Trotzdem wird das Kriterium der Betonung bzw. Betonbarkeit sehr häufig als das entscheidende, vielfach sogar alleinige Kriterium herangezogen, um Klitika zu bestimmen. 10 Die Beobachtung, daß ein Element unbetonbar bzw. betonbar ist, kann jedoch allenfalls als zusätzliche Bestätigung für Klassifizierung eines Elementes als gebunden bzw. nicht gebunden herangezogen werden: "This accentual test is probably the most populär rule-of-thumb for distinguishing clitics from independent words, but it is most unreliable; it should never, I think, be used as the sole (or even major) criterion for a Classification, though it can support a Classification established on other entena." (Zwicky 1985:287) Was das Betonungsverhalten von Affixen betrifft, so zeigt sich, daß auch sie sowohl aufgrund bestimmter Intonationsmuster betont sein können als auch eine eigenständige Betonung tragen können. Letzteres scheint bei den Affixen wesentlich häufiger vorzukommen als bei Klitika. 11 Klitika und Affixe weisen i.d.R. sowohl untereinander als auch in bezug auf das Element, an das sie gebunden sind, eine streng festgelegte Stellung auf (cf. Zwicky 1985:288, Carstairs 1981:4, Klavans 1982:19). Einige Sprachen erlauben allerdings bestimmten Klitika eine gewisse Freiheit bezüglich ihrer Stellung untereinander, nicht aber in bezug auf ihren Partner (cf. Zwicky 1985:288). Die Stellung von freien Wörtern hingegen ist normalerweise weniger rigide festgelegt. Nach Ansicht von Zwicky (1985:288) steht dieses Kriterium damit im Zusammenhang, daß Veränderungen der Stellung von Elementen innerhalb eines Wortes meist eine Änderung der 9

Nach Ansicht von Klavans (1982:1 lOff) ist dies z.B. im Türkischen oder Altspanischen möglich. Unter Hinweis auf Menendez Pidal führt Klavans (1982:113) an, daß in altspanischen Imperativen die klitischen Objektspronomina emphatisch betont werden konnten: (i) (a) Leväntetä. (b) Enti6ndem6. 10 Als Beleg für die weite Verbreitung der Auffassung, daß unbetont gleichbedeutend mit klitisch und betont gleichbedeutend mit nicht-klitisch ist, verweise ich auf Römer (1980) und die dort zitierten Definitionen und Beschreibungen von klitischen Pronomina. 11 Cf. dazu u.a. die Bemerkungen von Jaeggli (1982:54fJ-n,10) zu den Unterschieden zwischen Klitika und Affixen im Spanischen. Während die spanischen Objektsklitika keinen Einfluß auf das Betonungsmuster des Verbs haben, an das sie gebunden sind, können die spanischen Rexionsaffixe die Betonung des Verbs, an das sie sich binden, bestimmen.

22 Bedeutung, des "cognitive meaning" des ganzen Wortes zur Folge haben, während Stellungsänderungen von Elementen innerhalb von Phrasen oder Sätzen meist nur "stilistischer" Natur sind. Klitika und Affixe sind i.d.R. morphologisch nicht sehr komplex und bestehen nur selten aus mehr als einem Morphem. Sie gehören außerdem oft einer Klasse von Elementen mit einem finiten, nicht erweiterbaren Inventar an. Freie und unabhängige Wörter hingegen sind häufig moiphologisch komplex und setzen sich meist aus mindestens zwei oder mehreren Morphemen zusammen (cf. Zwicky 1985:288, Carstairs 1981:4, Klavans 1982:19). Klitika und Affixe bilden - im Gegensatz zu ungebundenen Wörtern - i.d.R. keine eigene syntaktische Konstituente. Sie können keine syntaktischen Prozesse eingehen, die Konstituenten vorbehalten sind, da sie nur "a proper part of a word-like construct" sind (cf. Zwicky 1985:288). Sie erfüllen daher normalerweise nicht die Kriterien, durch die Konstituenten gekennzeichnet sind (cf. Stechow & Sternefeld 1988:107ff): a) Sie können i.d.R. nicht durch eine Pro-Form ersetzt werden. b) Sie sind normalerweise nicht "verschiebbar"; d.h. sie können z.B. nicht topikalisiert oder disloziert werden, also nicht in eine satzexterne Position bewegt werden. c) Sie können nicht mit anderen freien oder gebundenen Wörtern durch eine Konjunktion verbunden werden. d) Sie sind nicht modifizierbar, d.h. sie können nicht durch Modifikatoren ergänzt oder erweitert werden. Aus der Tatsache, daß Klitika und Affixe keine eigene Konstituente bilden, folgt, daß sie auch keine Phrasen sein können (cf. Stechow & Sternefeld 1988:107). Dies zeigt sich auch darin, daß Klitika und Affixe weder einen Spezifizierer noch Komplemente haben können (Borer 1986:2). Die hier aufgelisteten und dargestellten Kriterien zeigen, daß Klitika und Affixe sich deutlich von ungebundenen Wörtern unterscheiden und neben der gemeinsamen Eigenschaft des Gebundenseins durch eine Reihe anderer Charakteristika gekennzeichnet sind. Zusätzlich zu diesen Kriterien sind in der Literatur vereinzelt noch weitere vorgeschlagen worden. Sie sind jedoch weniger gut geeignet, gebundene Elemente von freien zu unterscheiden, da sie meist nur sehr vage formuliert und häufig durch viele Gegenbelege widerlegbar sind. Zwicky (1985:287) beispielsweise führt als weitere mögliche typische Eigenschaft von Klitika und Affixen an, daß sie sich nur mit einfachen Wörtern ("single words") bzw. Wortstämmen verbinden. Klavans (1985) weist demgegenüber darauf hin, daß Klitika sich durchaus an (Mehrwort-)Phrasen binden können und sich in dieser Beziehung eher wie freie Wörter verhalten, so daß dieses Kriterium der Bindung an einfache Wörter nicht als Test zur Unterscheidung zwischen Wörtern und Klitika herangezogen werden kann. Auch die vielfach gemachte Beobachtung, wonach Klitika und Affixe oft eine anaphorische Funktion haben (cf.

23 Carstairs 1981:4), kann nicht als Kriterium bei der Bestimmung dieser Wörter dienen, da klitische Elemente und vor allem Affixe sehr häufig auch nicht-anaphorisch sind. Ebenfalls nur bedingt brauchbar ist das Distributionskriterium von Zwicky (1985). Demnach soll die Distribution von Klitika und Affixen "sehr einfach" sein und mit Hilfe eines einzigen Prinzips beschrieben werden können (wie z.B. "Binde das Element an das Hauptverb des Satzes" oder "Binde das Element an die erste Konstituente des Satzes" etc.). Unabhängige Wörter hingegen weisen nach Auffassung von Zwicky (1985:288) eine eher "komplexe" Distribution auf. Unklar bleibt hierbei, wie ein derartiges Prinzip in ein Syntaxmodell integriert werden kann. Außerdem wäre es durchaus denkbar, daß auch die Distribution ungebundener Wörter (z.B. von Präpositionen oder Nominalphrasen) mittels eines derartigen Prinzips formuliert werden kann (z.B. "Setze die Präposition stets unmittelbar vor eine NP").

1.3 Unterschiede zwischen klitisch gebundenen Elementen und Affixen Neben diesen Gemeinsamkeiten von klitischen Elementen und Affixen weisen die gebundenen Elemente untereinander eine Reihe von Unterschieden auf. Auch bei der Feststellung dieser Unterschiede gilt das, was für die Differenzierung zwischen freien und gebundenen Wörtern zutrifft, nämlich daß es keine allgemein gültigen Kriterien gibt: "There are no universally agreed criteria for distinguishing affixes from clitics synchronically [...]." (Carstairs 1987:256) Es scheint sogar so zu sein, daß die Unterschiede zwischen Affixen und Klitika noch schwieriger zu erfassen sind als zwischen freien und gebundenen Wörtern. Die Abgrenzungen voneinander sind noch unklarer und die Übergänge fließender. Die Überlappungen der Eigenschaften von Klitika und Affixen sind nicht nur in synchronischer Hinsicht sehr stark. Es bestehen auch deutliche diachronische Zusammenhänge zwischen beiden Wortgruppen. Sehr häufig sind Affixe aus ursprünglich klitischen Elementen entstanden, die wiederum aus freien Wörtern abgeleitet sind (cf. z.B. Givön 1971, Haie 1973, W. Lehmann 1974, Steele 1977, Jeffers & Zwicky 1980). Die Unterschiede zwischen Klitika und Affixen liegen u.a. darin begründet, daß das gemeinsame Gebundensein an ein anderes Element unterschiedlich stark und durch unterschiedliche Regeln unterschiedlich streng festgelegt sein kann (cf. z.B. Carstairs 1987:256). Klitika sind i.d.R. "weniger stark" an ihren Partner gebunden und unterliegen in bezug auf diese Bindung weniger strengen Beschränkungen. Der grundlegende Unterschied zwischen Klitika und Affixen besteht darin, daß Affixe sich ausschließlich an Wortwurzeln oder -Stämme binden und dadurch ein vollständiges Wort bilden (cf. Klavans 1982:18). Klitika hingegen binden sich nur an

24 bereits geformte, d.h. morphologisch vollständige Wörter. Klitika sind "extra-inflectional", sie sind dadurch charakterisiert, daß sie sich nur an die "rightmost or leftmost side of the word" binden (Klavans 1982:18). Sie können sich auch an Wörter binden, die bereits Klitika enthalten (cf. Zwicky & Pullum 1983:507). So können im Deutschen beispielsweise einem enklitisch gebundenen Akkusativklitikon andere schwachtonige Pronomina vorangehen (cf. Prinz 1991:117): (1)

(a) (b)

Vielleicht kann se'n sehen. Vielleicht kann Vi ja doch.

Affixe hingegen können nicht an Wörter gebunden werden, an die Klitika gebunden sind (cf. Zwicky & Pullum 1983:507). Sie unterscheiden sich von Klitika dadurch, daß die Bindung an ihren Stamm morphologischer und/oder lexikalischer Natur ist (cf. Kaisse 1983, Klavans 1985, Carstairs 1987:256, Borer 1986). Bei einer Klitisierung, d.h. bei einer Verbindung zwischen einem Wort und einem Klitikon, handelt es sich hingegen sowohl um einen syntaktischen als auch morphologischen Prozeß. Ausgehend von diesem grundlegenden Unterschied zwischen Klitika und Affixen lassen sich noch weitere (tendenzielle) Unterschiede ausmachen. Klitika sind weniger "wählerisch" als Affixe, was die Art des Elementes betrifft, an das sie sich binden. Mit anderen Worten, sie haben eine größere distributionelle Freiheit als Affixe bzw. einen geringeren Selektionsgrad in bezug auf die Kategorie ihres Partners (cf. Nida 1949:103, Zwicky & Pullum 1983:504, Klavans 1985:97). So kann sich etwa das deutsche klitische Pronomen 's an Kategorien verschiedener Art binden (cf. Prinz 1991:116f): (2)

(a) (b) (c) (d)

Ich hab's gesehen (Verb + Klitikon) ... weil icn'i gesehen hab(e) (Pronomen + Klitikon) Wie hell'i heute ist (Adjektiv + Klitikon) ... weil'i schön ist (Konjunktion + Klitikon)

Affixe haben demgegenüber einen hohen Selektionsgrad bei der Wahl ihres Partners (oder Stamms). Sie unterliegen hierbei wesentlich strengeren Distributionsbedingungen und binden sich i.d.R. nur an eine bestimmte Kategorie (cf. Zwicky & Pullum 1983:503). Sie sind nach den Worten von Carstairs (1981:4) "sensitive" in bezug auf ihren Partner und tragen häufig die der Kategorie ihres Partners bzw. Stamms entsprechenden grammatischen Merkmale (etwa Markierung von Numerus, Genus bei einem nominalen Stamm oder der Markierung des Konjugationstyps bei einem verbalen Stamm). Klitika sind nicht notwendigerweise phonologisch an das Element gebunden, an das sie syntaktisch gebunden sind (cf. Nida 1949:103, Klavans 1982, 1985). Mit anderen Worten, der syntaktische und der phonologische Partner eines Klitikons müssen nicht identisch sein. Klavans (1985) beobachtet diese Diskrepanz u.a. in einer australischen Sprache, dem Nganhcara. Dort ist der klitische Dativmarkierer ngu strukturell stets an eine Verbalphrase gebunden. Das Klitikon ist mit dem Verb je-

25 doch nur dann auch phonologisch verbunden, wenn es unmittelbar hinter dem Verb steht (cf. (3a)); andernfalls ist es enklitisch an jede beliebige unmittelbar vorangehende Konstituente gebunden (cf. (3b)-(3c))(cf. Klavans 1985:104): 12 (3)

(a) (b) (c)

nhila

pama-ng nhingu pukpe-wu ku?a wa:=ngu.

er.NOM Mann.ERG ihm

Kind.DAT Hund geben=DAT.3sg

'Der Mann gab dem Kind den Hund' nhila pama-ng nhingu pukpe-wu ku?a=ngu wa: nhila pama-ng ku?a nhingu pukpe-wu=«g« wa:

Auch im Deutschen kann man beobachten, daß der syntaktische Partner nicht mit dem phonologischen Partner identisch sein muß. Prinz (1991:140f) weist daraufhin, daß z.B. die klitische Form des Indefinitartikels zwar stets vor der NP stehen muß, an die der Artikel syntaktisch gebunden ist, daß sie jedoch enklitisch an das ihm vorangehende Element gebunden ist: (4)

(a) (b)

er hat'n Bonbon er mag'n Bonbon

Affixe hingegen sind dadurch gekennzeichnet, daß ihr syntaktischer und phonologischer Partner immer miteinander übereinstimmen (cf. Klavans 1985). Ein Klitikon kann stets eine Kombination mit einem Partner eingehen, wenn er einer Wortkategorie angehört, die für dieses Klitikon ein erlaubter Partner ist (cf. Zwicky & Pullum 1983:505). Mit anderen Worten, wenn sich ein Klitikon beispielsweise an Verben binden kann, so ist für dieses Klitikon die Bindung an jede verbale Kategorie möglich (cf. auch Prinz 1991:117). Bei Affixen ist dies hingegen nicht immer der Fall. Hier treten arbiträre Lücken ("arbitrary gaps") im Paradigma auf. So ist die Bindung eines Affixes an einen Partner häufig ausgeschlossen und kann zu Wortbildungen führen, in denen das Affix verschwunden ist. Zwicky & Pullum (1983:505) nennen hierfür als Beispiel das Fehlen des Flexionsaffixes bei der Partizipbildung des englischen Verbs stride. Bei der Bindung eines Klitikons an seinen Partner kommt es i.d.R. nicht zu Veränderungen der phonologischen oder morphologischen Form des Partners. In den obigen Beispielen in (l)-(4) bleibt die morphophonologische Form des Wortes, an das sich das Klitikon bindet, stets erhalten. Durch die Anbindung eines Affixes an seinen Stamm wird hingegen häufig die morphophonologische Form des Stammes sowie die des Affixes verändert, d.h. es kommt zu morphophonologischen Idiosynkrasien (cf. Zwicky & Pullum 1983:505). Sie sind z.B. bei der Pluralbildung von Nomina im Englischen (z.B. dice, oxen, feet), der Diminuitivbildung deutscher Nomina (Väterchen) oder der Perfektbildung englischer Verben (z.B. slept, thought, went) zu beobachten. Auch die Verbindungen, die der englische Negationsmarkierer n't mit Verben wie z.B. will oder shall eingehen kann, führen zu morphophonologischen Veränderungen. Anstatt der aufgrund der Verbformen zu erwartenden Verbindungen [du:nt] 12 Klavans (1985) verwendet das Zeichen "=" zur Kennzeichnung der phonologischen Bindung.

26 bzw. [wilnt] kommt es zur Bildung von [daunt] bzw. [wäunt]. Dies ist nach Ansicht von Zwicky & Pullum (1983:508) ein Indiz dafür, daß n't Affixstatus hat. In Verbindungen zwischen einem Klitikon und einem anderen Element gibt es keine semantischen Idiosynkrasien. Die Bedeutung einer solchen Verbindung setzt sich aus der Bedeutung beider Einzelteile zusammen. Klitika ändern nicht die Semantik ihres Partners. Affixe hingegen können bisweilen bei ihrer Bindung an einen Stamm eine semantische Veränderung hervorrufen. Die Bedeutung einer Verbindung zwischen Affix und Stamm muß nicht notwendigerweise die Summe der Bedeutungen der beiden Einzelteile sein. Als Beispiel führen Zwicky & Pullum (1983:505) das englische Wort last an, das syntaktisch zwar eine Superlativform ist, aber "an idiosyncratic ränge of meaning" besitzt. Ein weiteres Kriterium, das ebenfalls von Zwicky & Pullum (1983) angeführt wird, basiert auf der Beobachtung, daß beispielsweise im Englischen die Modalverb-Klitikverbindung could've nicht den Prozeß der sogenannten 'Subjekt-Verb-Inversion' eingehen kann: 13 (5)

(a} (b)

You could've been there. *Could've you been there?

Demgegenüber können flektierte Verben, d.h. Verbindungen aus Stamm und Affix, invertiert werden. Dies ist beispielsweise auch im Deutschen zu beobachten: (6)

(a) (b)

Du kannst mich mitnehmen, Kannst du mich mitnehmen?

Zwicky & Pullum (1983:506) folgern daher, daß Affixe - im Gegensatz zu Klitika mit ihrem Partner Einheiten für syntaktische Operationen bilden.14 Allerdings kann dieses Kriterium nur in eingeschränktem Maße zur Unterscheidung zwischen Klitika und Affixen herangezogen werden. Im Deutschen besteht nämlich auch die Möglichkeit, daß ein Klitikon, wie z.B. 's, in Fällen der Subjekt-Verb-Inversion an das präverbal stehende flektierte Verb gebunden ist:15 (7)

(a) (b)

Kann's der Peter nicht machen? Habt's ihr schon gehört?

Die Beispiele in (7) zeigen, daß dieses Unterscheidungskriterium von Zwicky & Pullum (1983) keine universelle, sondern allenfalls einzelsprachliche Gültigkeit zu

13

Zum Klitikstatus des Auxiliars 've cf. Kaisse (1983).

14

Zwicky & Pullum (1983:506) sehen darin eine Evidenz für ihre Annahme, daß das englische Negationselement n't sich wie ein Affix verhält. In Verbindung mit dem Auxiliar have kann es eine syntaktische Operation eingehen und invertiert werden: (i) (a) You haven't been there. (b) Haven't you been there?

15

In süddeutschen Dialekten, z.B. im Fränkischen, ist dies auch mit anderen klitisch gebundenen Pronomina, z.B. na ('ihm'), möglich: (i) (a) Du kannst na net helfen? (b) Kannst na du net helfen?

27 haben scheint. Die Beobachtung, daß ein gebundenes Element gemeinsam mit seinem Partner syntaktische Operationen eingeht, kann somit nur eine zusätzliche Evidenz für seinen Affixstatus bilden. Ein ebenfalls zusätzliches Kriterium zur Unterscheidung von Affixen und Klitika wird von Klavans (1985:98) angeführt. Sie weist daraufhin, daß Klitika die Richtung, in der sie sich an ihren Partner binden, ändern können. Demgegenüber binden sich ihrer Beobachtung nach Affixe normalerweise nur in einer Richtung an ihren Partner. Prinz (1991:101) führt ein Kriterium an, das nur für die Schriftsprache Gültigkeit hat. Seiner Ansicht nach ist die Existenz von Wortzwischenräumen (Spaden) in Verbindungen zwischen zwei Elementen ein Hinweis darauf, daß es sich nicht um eine Verbindung zwischen einem Stamm und einem Affix handelt. Ist allerdings ein gebundenes Element mit seinem Partner durch ein schriftliches Zeichen, wie z.B. durch einen Apostroph oder einen Bindestrich, oder ohne einen Wortzwischenraum verbunden, so deutet dies auf seinen Affixstatus hin. Neben diesen Unterschieden zwischen Klitika und Affixen können innerhalb der Gruppe der Klitika selbst beträchtliche Unterschiede bzgl. ihrer besonderen Eigenschaften und Verhaltensweisen ausgemacht werden. Einige Klitika sind nämlich dadurch gekennzeichnet, daß sie lediglich die morphophonologisch reduzierte Variante eines freien, unabhängigen Wortes sind.16 Sie erscheinen stets in der gleichen Position, in der auch das freie Wort stehen würde. Typisch für sie ist auch, daß sie bei der Auswahl ihres Partners einen sehr geringen Selektionsgrad aufweisen (cf. Carstairs 1981). Zwicky (1977:6) bezeichnet diese Art von Klitika als 'einfache Klitika' ("simple clitics"). Darunter fallen im Englischen z.B. die klitischen Kurzformen 's oder 've der Auxiliare is, has oder have.11 Andere Klitika hingegen stehen häufig in keinem (transparenten) morphophonologischen Zusammenhang mit einer freien Form. Sie zeichnen sich vielmehr durch eine "opake Phonologie" aus, d.h. sie können nicht mittels phonologischen Regeln aus einer vollen Form abgeleitet werden (cf. auch Prinz 1991:70). Dies trifft z.B. für die serbokroatischen Enklitika im ('ihnen') und ti ('dir') zu, die nicht durch eine phonologische Regel aus den entsprechenden vollen Formen njima und tebi ableitbar sind. Ebenso scheint in den romanischen Sprachen zwischen den klitischen Objektspronomina und den entsprechenden starken Formen kein transparenter phonologischer Zusammenhang zu bestehen (cf. Zwicky 1977:4). Hinzu kommt, daß diese Art von Klitika i.d.R. in einer völlig anderen Position als die ihnen entsprechenden Vollformen erscheinen und daher nach den Worten von Zwicky (1977:4) über eine "special syntax" verfügen. Zwicky bezeichnet diese

16 Hierbei muß streng zwischen Klitika unterschieden werden, die lediglich beim schnellen Sprechen ("fast speech", cf. Kaisse 198S) vorkommen und solchen, die auch bei normalem Sprechtempo akzeptabel sind (cf. Prinz 1991:1,89). 17 Zu den klitischen Pronomina des Deutschen, bei denen es sich Uberwiegend um einfache Klitika handelt, cf. Prinz (1991:82).

28 Art der Klitika - im Unterschied zu den einfachen Klitika - demnach als 'spezielle Klitika' ("special clitics"). 18 Im folgenden Kapitel wird anhand der hier aufgestellten Kriterien überprüft, welche der Pronomina des Französischen und Portugiesischen als 'klitisch' bezeichnet werden können und welcher Art von Klitika sie zugerechnet werden können. Es wird des weiteren zu prüfen sein, ob sie möglicherweise auch Eigenschaften besitzen, die typischerweise nur Affixe aufweisen.

18

Obwohl die Bezeichnungen 'einfache Klitika' und 'spezielle Klitika' auf Zwicky (1977) zurückgehen, ist die Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von Klitika nicht neu. Bereits Nida (1949:106) trennt zwischen "[c]litics which are bound alternates of free forms" und "[c]litics which are not relatable to free alternates".

29

2. Klitik- und Affixstatus der klitischen Personalpronomina im Französischen und Portugiesischen

2.1 Die klitischen Personalpronomina im Französischen In allen traditionellen Grammatiken des Französischen werden die Personalpronomina - abgesehen von der Unterscheidung nach Person, Numerus und Genus nach ihrer Distribution, d.h. "suivant la place qu'ils occupent" (Martinon 1927:251), unterteilt. Dabei werden prinzipell zwei Arten von Personalpronomina unterschieden, die in der Literatur verschiedenartig bezeichnet werden. Le Bidois & Le Bidois (1935:126) beispielsweise trennen zwischen 'schwachen' und 'starken' Formen ("formes faibles" und "formes fortes"), Wagner & Pinchon (1962:164) sprechen von 'vollen' und 'reduzierten' Formen ("formes pleines" und "formes réduites"). Sehr häufig werden zur Unterscheidung der Personalpronomina die Begriffe 'gebundene' und 'ungebundene' Formen ("formes conjointes" und "formes disjointes") gebraucht (cf. Sandfeld 1928:1, Grevisse 1986:1006). Die gebundenen Formen der Personalpronomina, von denen im folgenden die Rede sein wird, werden außerdem in bezug auf ihre grammatische Funktion in Subjekts- und 0£/'e£ispronomina ("pronoms sujets" und "pronoms objets") unterschieden. Somit ergibt sich die folgende Einteilung der Personalpronomina im Französischen (cf. Grevisse 1986:1007):

30 (1)

Formen der französischen

Personalpronomina

Gebundene Formen Subjektspronomina mas./fem.

Ungebundene Formen

Objektspronomina direkt indirekt reflexiv

nichtreflexiv

reflexiv

mas./fem.

mas./fem.

l.P.Sg.

je

me

me

me

moi

moi

2.P.Sg.

tu

te

te

te

toi

toi

3.P.Sg.

il/elle

le/la

lui

se

lui/elle

soi

1.P.P1.

nous

nous

nous

nous

nous

nous

2.P.P1.

vous

vous

vous

vous

vous

vous

3.P.P1.

ils/elles

les

leur

se

eux/elles

soi

2.1.1 Die klitischen Eigenschaften der gebundenen Personalpronomina im Französischen Evidenz dafür, daß es sich bei den 'gebundenen' Pronomina tatsächlich um gebundene Elemente handelt, liefert die Tatsache, daß sie nicht isolierbar sind. Sie können keine Einwortäußerung bilden, sondern müssen stets in Verbindung mit einem anderen Element auftreten (cf. Kayne 1975:83,85,Fn.13): (2)

(a) (b)

Qui est venu? - *//. Qui as-tu vu? - *Le.

Kayne (1983:129) weist - in Anlehnung an Sandfeld (1928:2) - allerdings daraufhin, daß ein gebundenes Sufe/efospronomen in isolierter Stellung möglich ist, wenn es "metalinguistisch" gebraucht wird: (3)

II ne vous a rien dit? - Qui 5a, U7

Diese Verwendung von il in (3) ist einer Umfrage von Kayne (1983) zufolge zumindest für einige Sprecher akzeptabel, der Gebrauch eines gebundenen Objektspronomens in einer entsprechenden Verwendung wird hingegen von allen Befragten abgelehnt: (4)

Tu les as vus hier? - *Qui 5a, les?

Für Kayne (1983:129) ist dieser Unterschied ein Indiz dafür, daß die Gebundenheit der gebundenen Subjektspronomina möglicherweise "weniger vollkommen" ("less thoroughly") ist als die der gebundenen Objektspronomina. Kaynes Schlußfolgerung, daß die gebundenen Pronomina aufgrund dieses Unterschieds unterschiedlich analysiert werden müssen, ist allerdings stark in Frage gestellt worden. Viele Autoren können keinen Akzeptabilitätsunterschied zwischen den Sätzen (3) und (4) beobachten

31 und lehnen eine unterschiedliche Analyse der gebundenen Pronomina ab (cf. Cl. Muller 1984, Hulk 1991, auch Lapointe 1980:24ff). Die Überprüfung der gebundenen Pronomina anhand der im vorangehenden Kapitel zusammengestellten Tests zur Erfassung des Klitikstatus zeigt, daß eine Unterscheidung der gebundenen Pronomina des Französischen aufgrund einer unterschiedlich starken Gebundenheit nicht gerechtfertigt werden kann. Sowohl Subjekts- als auch Objektsklitika verhalten sich vollkommen identisch, was ihre Gebundenheit betrifft. Sie weisen alle Eigenschaften auf, durch die typischerweise gebundene Elemente charakterisiert sind. Die gebundenen Pronomina des Französischen stehen stets adjazent zu dem Element, an das sie gebunden sind; es können allenfalls andere, ebenfalls klitisch gebundene Elemente dazwischentreten. Zwischen den gebundenen Oft/efcpronomina und dem Verb, an das sie sich binden, dürfen nur andere gebundene Objektspronomina oder die gebundenen Pronominaladverben y und en auftreten. Andere intervenierende Elemente sind ausgeschlossen: (5)

(a) Co) (c)

Paul le lui donne. Paul lui en donne. *Paul le lui maintenant donne.

Zwischen einem gebundenen Subjektspronomtn und dem Verb, an das es sich bindet, kann zusätzlich noch die Negationspartikel ne treten, die ebenfalls gebunden ist (cf. Morin 1979b:8).1 Andere Elemente können nicht dazwischen gestellt werden (cf. (6c))(cf. auch Kayne 1975:84);2 (6)

(a) Ça) (c)

Je ne le lui ai pas encore dit. Je ne lui en parle pas. *Je, souvent, vais au cinéma.

Stehen die gebundenen Pronomina hinter dem Verb, an das sie gebunden sind, ist ebenfalls ein intervenierendes Element jeder Art ausgeschlossen (cf. Kayne 1975:90f): (7)

(a) m) (c) (d)

Viens-iw? *Viens-demain-/w? Lave-/a bien! *Lave-bien-/a!

Die gebundenen Pronomina bilden mit dem Verb, an das sie sich binden, eine phonologische Einheit. Es ist allerdings kaum feststellbar, ob es sich bei dieser Einheit um ein phonologisches Wort handelt, da im Französischen nur wenige Unterschiede 1

2

In der gesprochenen Umgangssprache wird ne nur sehr selten verwendet. Morin (1979b:8) betont zwar, daß "[l]a négation ne, contrairement à ce qui est souvent affirmé, s'observe dans le français populaire spontané". Eine Auszählung des Korpus von François (1974) durch Ashby (1977:62) belegt jedoch den seltenen Gebrauch von ne: "[...] in the François corpus, ne is absent from 96,8% from its polential occurences." Die einzige Ausnahme stellt der feststehende Ausdruck Je soussigné. Jean Dupont, déclare que ... dar, der als Überrest aus einem früheren Sprachgebrauch allerdings nur in der Schriftsprache vorkommt (cf. Grevisse 1986:1021).

32 zwischen den internen und externen Sandhi-Regeln beobachtet werden können. Die gebundenen Pronomina sind durch Elision und der Liaison mit dem Verb, an das sie sich binden, verbunden. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um spezifische phonetische Prozesse, die nur innerhalb von Wortgrenzen operieren, sondern um allgemeine phonetische Prozesse des Französischen, denen auch Determinanten, Adjektive und i.d.R. auch Nominalphrasen beim Zusamentreffen mit anderen Wörter unterliegen (cf. u.a. Schane 1968). Aus diesem Grund sagt diese phonetische Bindung nur wenig über die besondere Gebundenheit der Pronomina aus (cf. Cl. Müller 1984:336). Bei allen gebundenen Pronomina, die auf einem nicht-geschlossenen Vokal enden (je, me, te, le, la; se), wird dieser elidiert, wenn das folgende Wort, an das das Pronomen gebunden ist, mit einem Vokal beginnt (cf. Schane 1967:123, Morin 1979b:4): (8)

(a) Ço) (c)

Je + arrivais Je le/la + ouvre Tu + te en vas

-> -> ->

y arrivais. Je /'ouvre, Tu f'en vas.

In der Umgangssprache ist außerdem sehr häufig die Elision des Vokals in tu zu beobachten (cf. Schane 1967:123,Fn.9, Morin 1979b:21, Grevisse 1986:1008): (9)

(a) (b)

7"aimes pas la musique? T'y arriveras pas.

Hat das gebundene Pronomen einen Schwa-Auslaut, ist dessen Tilgung auch dann möglich, wenn ein Konsonant folgt. In der Regel kann der Schwa-Laut allerdings nur dann verstummen, wenn ihm nicht mehr als ein Konsonant vorausgeht. Bei zwei vorangehenden Konsonanten ist die Tilgung des Schwa-Lautes meist ausgeschlossen (cf. P. Léon 1966:68-72, Morin 1979b:5, auch Grevisse 1986:39);3 (10) (a) (b)

Je travaille = [ätravj] oder [zatravaj] Il me detestait = [ilmadeteste] oder [imdeteste] nicht *[ilmdeteste]

Gebundene Pronomina bilden auch aufgrund von Liaison einen "phonological unit" mit dem Verb (Lambrecht 1981:17). Wenn sie auf einem Plural-i auslauten, müssen sie mit einem darauffolgenden Wort, dessen Anlaut ein Vokal ist, durch Liaison verbunden sein: (11) (a) (b)

3

Ils iront à Paris = [i(l)zirö ...] statt *[ilirö ...] Ils les envoyent à Paris [i(l)lezävwa ...] statt *[i(l)leäwa ...]

Für eine ausführliche Darstellung und kritische Betrachtung dieses sogenannten 'Drei-Konsonanten-Gesetzes' cf. Weinrich (1958:Kap.XI) sowie Baldinger (1958:47M76).

33 Hierbei unterscheiden sich die gebundenen Pronomina von Nominalphrasen. Eine auf das Plural-i endende Nominalphrase kann nicht mit dem Verb durch Liaison verbunden sein (cf. auch Kayne 1975:85): (12)

Mes amis iront ä Paris = [mesamiirö...] statt *[mesamizirö...]

Ein weiterer Unterschied phonologischer Art zwischen gebundenen Pronomina und Nominalphrasen ist dann zu beobachten, wenn sie postverbal auftreten. Hier wird deutlich, daß die Verbindung zwischen Verb und Pronomen den internen, während die Verb-NP-Sequenz den externen Sandhi-Regeln unterliegt. Treffen ein vokalisch auslautendes Verb und ein Pronomen mit einem vokalischen Anlaut aufeinander, werden beide Vokale durch einen Verschlußlaut verbunden. Sie bilden ein phonologisches Wort (cf. auch Kayne 1975:90): (13) (a) (b)

Quand partira-t-/7? Qu'a-t-e//e dit?

Folgt hingegen eine vokalisch anlautende NP dem Verb, können die internen SandhiRegeln nicht operieren:4 (14) (a) (b)

Quand partira Yves1} *Quano partira-t-yves?

Weitere Evidenz dafür, daß ein gebundenes Pronomen mit dem Verb, an das es sich bindet, ein phonologisches Wort bildt, liefert die Tatsache, daß beide als "groupe verbale syntactique" einem einzigen "accent d'intensité" unterliegen (Schane 1967:120, cf. auch Garde 1968:19). Die gebundenen Pronomina des Französischen können keine eigenständige Betonung tragen, d.h. sie können nicht zum Zweck der Hervorhebung oder zur Markierung eines Gegensatzes betont werden (cf. Kayne 1975:82): (15) (a) (b) (c)

*IL partira le premier. *Jean LA préfere. *Je LUI parlerai.

In bestimmten Kontexten können die gebundenen Pronomina allerdings durchaus eine Betonung erhalten. Dies ist dann der Fall sein, wenn sie postverbal am Satzende stehen und daher im Französischen den Satzakzent zugewiesen bekommen (cf. M. Léon 1972:82, Kayne 1975:85,Fn.13, Lambrecht 1981:21f, Klavans 1982:105f):5 4

Eine ahnliche Beobachtung kann auch bezüglich des Pronominaladverbs y gemacht werden. Es bildet ebenfalls mit dem vorangehenden Verb ein phonologisches Wort, wohingegen eine Nominalphrase nicht mit dem Verb verbunden sein kann (cf. Kayne 1975:91): (i) (a) Vas-y! (b) *Va->>! (ü) (a) Vaä Paris! (b) "Vas ä Paris!

5

Einzige Ausnahme bildet das Subjektspronomen je, das auch in postverbaler Position nicht betont sein kann (cf. Schane 1967:125): (i) Que sais-;«.

34 (16) (a} (m (c)

Quand vient-«'/? Prends-/e. Donne-le-/«/.

Die Betonung der postverbalen gebundenen Pronomina wird oft als Indiz dafür gesehen, daß sie in diesen Kontexten nicht klitisch gebunden sind. Bemerkenswerterweise wird diese Annahme allerdings nur auf die postverbalen Oiyefepronomina der 3. Person, nicht jedoch auf die postverbalen Subjektspronomina bezogen; cf. z.B. Lemieux (1988:135): "A l'impératif, les pronoms de forme faible de la troisième personne peuvent recevoir un accent [...]. Dans ce cas, ils ne sont pas clitiques; [...]." Für die postverbalen Subjektspronomina wird demgegenüber in vielen Arbeiten sogar angenommen, daß sie einen stärkeren Klitik-Charakter aufweisen und enger an das Verb gebunden sind als andere Klitika (cf. z.B. Kayne 1983, Rizzi & Roberts 1989). Für keine dieser beiden sich widersprechenden Annahmen gibt es allerdings ausreichende Evidenz. Abgesehen von der Möglichkeit, betont zu werden, verhalten sich die postverbalen Pronomina genauso wie die präverbal stehenden gebundenen Pronomina. Sie haben den gleichen Klitikstatus und sind daher in der postverbalen Position ebenso klitisch an das Verb gebunden wie die präverbalen gebundenen Pronomina.6 Das Auftreten der gebundenen Pronomina in einer betonten Position zeigt daher, daß das Kriterium der Betonbarkeit lediglich als zusätzliche Evidenz für bzw. gegen den Klitikstatus eines Elementes herangezogen werden kann (siehe dazu Kapitel 1)7 Die Stellung der gebundenen Pronomina untereinander und in bezug auf das Element, an das sie sich binden, ist streng festgelegt (cf. Perlmutter 1971, Kayne 1975:83): (17) (a) Je le lui donne, (m *Je lui le donne. (c) Tu me le donne. (d) *Tu le me donne. Die Formen der gebundenen Pronomina des Französischen sind morphologisch nicht sehr komplex. Sie bestehen nur aus einem Morphem und stellen außerdem eine kleine, abgeschlossene Gruppe von Wörtern dar (cf. Tabelle (1)). 6

Diese klitische Gebundenheit gilt im übrigen auch für die ungebundenen Formen der Objektspronomina der 1. und 2. Person in affirmativen Imperativsätzen. Sie müssen stets unmittelbar adjazent zum Verb stehen und können nicht - im Gegensatz zu unabhängigen Nomina - durch ein Adverb vom Verb getrennt sein (cf. Morin 1979a:303): (i) (a) Regarde donc la fleur! (b) Regarde-moi donc! (c) *Regarde donc moi! Cf. auch Kayne (1975:91,Fn.24): "[...] me and te appear as moi, loi strong forms. The fact their morphological form overlaps with that of of the strong form (cf. nous, vous) does not affect their clitic properties: (v) *Parlez-donc-moi."

7

Im übrigen trifft ebensowenig zu, daß die ungebundenen Pronomina stets betont sein müssen. In Äußerungen wie moi seid oder eux deux verlieren sie ihren Akzent zugunsten des nachfolgenden Wortes (cf. Grevisse 1986:1007, auch M. Léon 1972).

35 Das französische gebundene Pronomen bildet keine eigene syntaktische Konstituente. Es erfüllt i.d.R. keines der Kriterien der Konstituententests: a) Die gebundenen Pronomina sind häufig nicht pronominalisierbar: (18) (a) (b)

Je travaille -> *Moi travaille, Je te connais -> *Je connais toi.

Unter bestimmten Voraussetzungen können die gebundenen Pronomina allerdings durch eine andere Proform ersetzt werden. Statt des Subjektspronomens der 3. Person kann die entsprechende ungebundene Form verwendet werden (cf. (19a))(cf. Ch. Müller 1972). Für die Objektspronomina ist eine Pronominalisierung nur dann möglich, wenn dessen Antezedent durch den diskursiven Kontext oder die Sprechaktsituation "präsent" ist (cf. Ronat 1979:118, auch Sandfeld 1928:72), wobei die Proform allerdings nicht in der präverbalen Position stehen kann (cf. (19b)): (19) (a) (b)

//travaille -> Lui travaille. Je le reconnais -> Je reconnais lui (là-bas dans le fond). *Je lui connais.

b) Die gebundenen Pronomina sind weder topikalisierbar noch können sie disloziert werden: (20) (a) (b)

*//, (il) a terminé son travail, *Le, je (ne)(le) connais pas.

c) Die gebundenen Pronomina können weder mit freien noch mit anderen gebundenen Wörtern mittels einer Konjunktion verbunden werden (cf. Kayne 1975:85): (21) (a) (b)

*Jean et il partiront bientôt, *Jean la et le voit.

d) Die gebundenen Pronomina können nicht modifiziert, d.h. durch einen unmittelbar adjazent stehenden Modifikator oder einen Relativsatz näher bestimmt werden (cf. Kayne 1975:84,90):» (22) (a) (b) (c) (c) (23) (a) (b)

*Elles toutes partiront bientôt. *Ils deux partiront bientôt. *Viendrez-voMS autres? *Je les tous connais. *Il qui aime ça est parti. *Prends-les qui sont sur la table.

Die Überprüfimg der im Kapitel 1 zusammengetragenen Kriterien zur Bestimmung des Klitikstatus von Elementen belegt somit zweifelsfrei, daß es sich bei den gebunSie sind nur dann modifizierbar, wenn sie mit dem Modifikator keine Konstituente bilden (cf. Kayne 1975:90fn.23): (i) (a) Elles partiront toutes bientôt. (b) le les connais tous. (c) Prends-/« tous! Cf. dazu Kayne ( 1 9 7 5 : 9 1 ^ . 2 5 ) : "The sentence (i) Prends-les tous is not *Prends [les tous] but [Prends-les] tous like (ii) Je les prendrai tous."

36 denen Subjekts- wie Objektspronomina des Französischen um klitisch gebundene Pronomina handelt. Außer den in der Tabelle (1) unter der Gruppe der gebundenen Pronomina aufgeführten Formen kennt das Französische noch weitere Pronomina, die ebenfalls klitisch gebunden sind. Hierzu gehört das Pronomen on, das sowohl als Indefinitpronomen als auch als Personalpronomen der 1. Person Plural fungieren kann. Es erfüllt alle hier aufgeführten Kriterien für den Klitikstatus eines Elementes.9 Auch die traditionell als Demonstrativpronomina klassifizierten Pronomina ce und ça besitzen - in ihrer Funktion als Subjekt - alle typischen Eigenschaften klitisch gebundener Elemente. Im Unterschied zu den bisher betrachteten Klitika ist das Auftreten von ce lediglich durch die zusätzliche Bedingung eingeschränkt, daß es - zumindest in der gesprochenen Sprache - nur mit être verwendet werden kann (cf. Morin 1979b:22f, Jaeggli 1982:104): (24) (a) H)) (c) (d)

C'était vrai. Ce n'est pas possible. *Ce correspond très bien à ce qu'il a dit. *Ce devient insupportable.

Morin (1979b:23) weist daraufhin, daß im gesprochenen Französisch ce sehr häufig durch das Pronomen ça ersetzt wird (cf. auch Lambrecht 1981:20): (25) (ß) (b) (c)

Ça n'est pas si important. Ça m'est egal. Ça sera difficile.

Bei diesem als Subjekt fungierenden Pronomen ça, dessen Auftreten nicht nur in Verbindung mit être möglich ist (cf. (26)), handelt es sich ebenfalls um ein Klitikon. Der (offene) Vokal von ça unterliegt der Elision, wenn das nachfolgende Verb, an das es gebunden ist, mit einem Vokal beginnt. Das Pronomen ça bildet demnach mit dem Verb eine phonologische Einheit: (26)

ça ça avance = [sa saavâs] jedoch *[sa sa?avâs]

Wie das Beispiel (26) außerdem zeigt, kann ça allerdings ebenso wie eile oder vous auch als ungebundenes Pronomen verwendet werden, d.h. die gebundene und ungebundene Form sind homophon (cf. Morin 1979b:23f, Lambrecht 1981:20).10 Ist das

9

In der Funktion als Personalpronomen der 1. Person Plural hat on in der französischen Umgangssprache nahezu vollständig das klitische Subjektspronomen nous ersetzt. Nous hingegen wird im gesprochenen Französisch fast ausschließlich als Pronomen der ungebundenen Form verwendet (cf. Grafström 1969, Hausmann 1979, Söll

10

Diese Feststellung gilt auch - was in allen Klitik-Analysen des Französischen stets Ubersehen wird - für das Pronomen ce. Es kann sowohl als Subjekts- als auch als Objektspronomen durch Relativsätze modifiziert und folglich als nichl-klitisches Pronomen verwendet werden (cf. François 1974:446f, Grevisse 1986:10700: (i) (a) Ce qui me fait peur dans elle, c'est... (b) Ce qu'on gagne par jour ... (c) Fais ce que tu veux.

1980:135ff).

37 Pronomen ga ungebunden, kann dessen Vokal nicht elidiert werden. Außerdem ist in diesem Fall ein "optional glottal stop" möglich (cf. Lambrecht 1981:20): n (27)

ga on aime = [sa önem] oder [sa?önem]

Aufgrund dieser Beobachtungen muß die Anzahl der klitisch gebundenen Pronomina im Französischen erweitert werden. Die folgende Übersicht faßt alle klitisch gebundenen Pronomina des Französischen zusammen: (28) Die klitischen Personalpronomina des Französischen: Subjektsklitika je tu il, eile on, nous vous ils, elles ce fa

Objektsklitika me te le, la, lui; se nous vous les, leur

Diese klitischen Personalpronomina sind sämtlich dadurch gekennzeichnet, daß sie alle typischen Eigenschaften von klitisch gebundenen Elementen besitzen. Dies gilt für die Subjektsklitika im gleichen Maße wie für die Objektsklitika. Bei allen klitischen Pronomina handelt es sich ausnahmslos um spezielle Klitika. Sie verfügen über eine spezielle Syntax, d.h. sie weisen besondere syntaktische Verhaltensweisen auf und erscheinen in der Oberflächenstruktur häufig in einer anderen Position als andere pronominale oder nominale Subjekte bzw. Objekte. Außerdem kennen alle klitischen Personalpronomina entsprechende nicht-klitische Formen, aus denen sie - abgesehen von nous, vous, elle(s) und ga, die mit einem nicht-klitischen Pronomen homophon sind - i.d.R. nicht durch "phonological rules of any generality" abgeleitet werden können (Zwicky 1977:4).12 11

Murin (1981) argumentiert dahingehend, daß auch das als Objekt fungierende ea als Klitikon angesehen werden muß. Seiner Ansicht nach wird es normalerweise "without contrastive stress" in einem Satz wie (i) verwendet: (i) Le fromage, j'aime pas ga. Morin (1981:105,Fn.l4) nimmt an, daß es sich bei dem Objektspronomen sa um ein "regulär clitic" handelt, das im Gegensatz zu den anderen Objektsklitika keine "spezielle Syntax" hat Das als Objekt fungierende (a zeichnet sich jedoch aufgrund vieler anderer Eigenschaften als nicht-kliiisches Element aus. Es kann beispielsweise vom Verb durch Adverbien getrennt stehen (cf. (iia)) oder topikalisiert werden (cf. (iib)(cf. auch Auger 1990b: 11): (ii) (a) Des pommes. i'aime beaucoup ca. (b) Qa je (ne) connais pas. Aus diesem Grund kann das Objektspronomen qa nicht zu den klitischen Pronomina des Französischen gerechnet werden.

12 Prinz (1991:70) weist zwar darauf hin, daß die Klitika me [ma] und le [ld] aus moi [mwa] und lui [lui] durch eine phonologische Regel ableitbar sind, "die die vollen Vokale zu [a] reduziert und die Gleitlaute [w] und [IJ] tilgt". Allerdings handelt es sich hierbei ausschließlich um Objektsklitika, die ausnahmslos durch eine spezielle Syntax ausgezeichnet sind, da sie stets in einer anderen Oberflächenposition auftreten als nicht-klitische Objektspronomina.

38 Im folgenden Abschnitt wird zu prüfen sein, inwieweit diese speziellen Klitika auch Eigenschaften aufweisen, durch die typischerweise nur Affixe charakterisiert sind. 2.1.2 Die Affixeigenschaften der klitischen Personalpronomina im Französischen Eine Überprüfung des Affixstatus der klitischen Pronomina des Französischen anhand der in Kapitel 1 aufgestellten Kriterien belegt deutlich, daß diese Pronomina auch Eigenschaften besitzen, die typisch für Affixe sind. Sie weisen zwar nicht alle, zumindest jedoch einige dieser typischen Eigenschaften auf. Die klitischen Personalpronomina des Französischen haben einen sehr hohen Selektionsgrad, da sie ausschließlich ein Verb als Partner haben. Die Bindung an ein Element einer anderen Kategorie ist nicht möglich. Sie stehen - zumindest in Sätzen mit nicht-komplexen Verbalphrasen - stets adjazent zu dem Verb, an das sie syntaktisch gebunden sind und bilden mit diesem eine phonologische Einheit, d.h. der syntaktische Partner der klitischen Pronomina dient auch als phonologischer Partner. In bezug auf das Kriterium der Bildung einer Einheit für syntaktische Operationen scheinen sich die klitischen Pronomina des Französischen ebenfalls wie Affixe zu verhalten. Anders als die englischen Klitika bleiben die französischen Objektsklitika bei der sogenannten Subjekt-Verb-Inversion am Verb gebunden (cf. Kayne 1975:9295): (29) (a) (b) (c)

Le feras-tu? Leur parleras-tu? Me le donneras-tu?

Auch was die Bindungsrichtung betrifft, so weisen die klitischen Pronomina des Französischen große Ähnlichkeiten mit Affixen auf. Sie treten in fast allen Kontexten unmittelbar vor dem Verb auf, an das sie sich binden, und sind proklitisch gebunden.13 Lediglich in zwei Kontexten ändern sie ihre Bindungsrichtung. Dies ist in den affirmativen Imperativsätzen und in den Sätzen der sogenannten Subjektsklitikon-Inversion bzw. der Komplexen Inversion der Fall (siehe dazu Kapitel 3). In diesen beiden Fällen stehen die klitischen Pronomina enklitisch zum Verb. Hierbei müssen sie im übrigen in der Schriftsprache stets durch einen Bindestrich mit dem Verb verbunden sein. Das heißt, die postverbal gebundenen Pronomina sind nicht durch Spaden

13

Diese Feststellung gilt auch für Sätze, die eine infinite Verbfoim enthalten. Obwohl diese Sätze in dieser Arbeit unberücksichtigt bleiben, sei darauf hingewiesen, daß auch in Infinitivkonstruktionen das Klitikon stets proklitisch gebunden ist. In Sätzen mit einem Auxiliar oder Kausativverb bindet es sich an das finite (cf. (i)), in Modalsätzen an das infinite Verb des Satzes (cf. (ii)): (i) (a) Je Tai fait. (b) Elle j'est lavée. (c) Je lui fais taper la lettre. (ii) (a) Elle ne doit EâS renvoyer. (b) *Elle ne doit la ¡¡as envoyer.

39 von ihrem Partner getrennt und besitzen daher eine weitere Eigenschaft, die als typisch für Affixe angesehen wird. Die Bindung postverbal auftretenden Subjektsklitika kann außerdem zu morphophonologische Veränderungen am Verb führen. Endet das Verb mit einem Konsonanten, verstummt dieser nicht, sondern wird als [t] realisiert, wenn das folgende Subjektsklitikon mit einem Vokal beginnt (cf. Grevisse 1986:641):14 (30) (a) (b)

Que savait-¡7? [käsavetill Que prend-on? [kaprätö]

In bezug auf die übrigen im vorangehenden Kapitel aufgeführten Kriterien zur Feststellung des Affixstatus eines Elementes verhalten sich die französischen Klitika nicht wie typische Affixe. In den Kombinationsmöglichkeiten zwischen klitischen Pronomina und Verben gibt es im Französischen keine arbiträren Lücken. Die Bindung eines Klitikon an ein Verb führt meines Wissens in keinem Fall zur Bildung einer besonderen Form und dem Verschwinden der Klitik-Form. Ebenso ruft die Verbindung von einem klitischen Pronomen mit einem Verb im Französischen keine semantischen Veränderungen am Verb hervor. Auch hinsichtlich der grundlegenden Unterscheidung zwischen Affixen und Klitika scheinen sich die klitischen Personalpronomina des Französischen wie Klitika zu verhalten. Sie binden sich offensichtlich nicht an Verbstämme, sondern an flektierte Verben oder an infinite Verbformen. Als Ergebnis der Überprüfung des Klitik- und Affixstatus der gebundenen Personalpronomina des Französischen läßt sich allerdings festhalten, daß sie neben allen Eigenschaften gebundener Elemente auch eine Reihe von Eigenschaften besitzen, die für Affixe typisch sind. Bemerkenswert ist, daß die Subjekts- und die Objektsklitika gleichermaßen diese Eigenschaften aufweisen. In der hier vorgelegten Analyse wird gezeigt werden, daß alle klitischen Personalpronomina des Französischen über ihre hier konstatierten Affix-Eigenschaften hinaus auch die grundlegende charakteristische Eigenschaft von Affixen besitzen, sich an VerbStämme zu binden.

2.2 Die klitischen Personalpronomina im Portugiesischen Ebenso wie die französischen werden die portugiesischen Personalpronomina in den Grammatiken in bezug auf Numerus, Genus und Person sowie in bezug auf ihre grammatische Funktion unterteilt. Hinsichtlich der grammatischen Funktion wird 14 Grevisse (1986:640) weist außerdem darauf hin, daß der Schwa-Auslaut eines Verbs als [e] ausgesprochenen wird, wenn ihm das Klitikon je folgt: (i) (a) Aün6-je? [emei] (b) Ouvr6-je? [uvrei]

40 zwischen Subjekts- und Oft/efaspronomina unterschieden, die in vielen Grammatiken Pronomina des 'Casus Rectus' bzw. des 'Casus Obliquus' genannt werden (cf. Ali 1965:61, Cunha & Cintra 1984:279). Im Gegensatz zum Französischen kennt das Portugiesische nur für die Objektspronomina die Unterscheidung zwischen gebundenen und ungebundenen Formen, die meist als 'unbetonte' und "betonte' Pronomina ("pronomes átonos" und "pronomes tónicos") bezeichnet werden (cf. Ali 1965:61, Cunha & Cintra 1984:278f, Alvarez et al. 1986:158). Viele Grammatiken nehmen außerdem die gleiche Unterscheidung vor, indem sie die Objektspronomina danach unterteilen, ob sie mit oder ohne Präposition verwendet werden ("formas de complemento com preposifäo" und "formas de complemento sem preposi9äo") (cf. Ali 1965:61, Vázquez Cuesta & Mendes da Luz 1971:392, Hundertmark-Santos Martins 1982:114). Die folgende Übersicht zeigt die Formen und Einteilung der portugiesischen Personalpronomina (cf. Ali 1965:62, Vázquez Cuesta & Mendes da Luz 1971:392, Cunha & Cintra 1984:279): (31)

Formen der portugiesischen Subjektspronomina

Personalpronomina

gebundene Objektspronomina direkt

indirekt

reflexiv

mas./fem. mas./fem.

ungebundene Objektspronomina15 nicht-reflexiv

reflexiv

mas./fem.

l.Ps.Sg.

eu

me

me

me

mim

mim

2.Ps.Sg.

tu

te

te

te

ti

ti

3.Ps.Sg.

ele/ela

ola

Ihe

se

ele/ela

si

l.Ps.Pl.

nós

nos

nos

nos

nós

nós

2.PS.P1.

vos

vos

vos

vos

vos

vós

3.PS.P1.

eles/elas

oslas

Ihes

se

eles/elas

si

Diese Formen der Personalpronomina sowie deren Einteilung sind für das Portugiesische Portugals sowie Brasiliens zutreffend.16 In beiden Varianten ist der Gebrauch der Pluralform der 2. Person in der Umgangssprache ausgeschlossen (cf. Cunha & Cintra 1984:287). Ansonsten gibt es hinsichtlich des Gebrauchs der Pronominalformen große Unterschiede zwischen den beiden Varianten. Im brasilianischen Portugiesisch besteht eine Tendenz dazu, die gebundenen Pronomina zunehmend seltener zu verwenden. Insbesondere die gebundenen Akkusativpronomina der 3. Person sind in 15

Nach der Präposition com kontrahieren die ungebundenen Pronomina der 1. und 2. Person sowie das ungebundene Reflexivpronomen mit der Präposition zu folgenden Formen: comigo, coniigo, consigo, con(n)osco, convosco.

16

Im Galizischen gibt es zusätzlich noch die Form che ([ce]), die statt der Form le als Dativpronomen der 2. Person Plural verwendet wird (cf. Alvarez et al. 1986:163).

41 der brasilianischen Umgangssprache fast völlig verschwunden. In Sätzen mit einem finiten Verb werden sie entweder ganz ausgelassen (cf. (32a)) oder durch ungebundene Pronominalformen ersetzt (cf. (32b)):17 • (32) U) (b)

Eu vi. Eu vi ele.

Beim Gebrauch der Objektsklitika unterscheidet sich das Portugiesische Brasiliens außerdem hinsichtlich der Stellung. Anders als im iberischen Portugiesisch stehen die gebundenen Objektspronomina in Sätzen mit einem finiten Verb fast immer unmittelbar vor dem Verb (cf. (33)): (33) (a) (b)

Eu te vi. Me viu.

In der folgenden Darstellung der Klitik- und Affixeigenschaften der gebundenen Pronomina des Portugiesischen beziehe ich mich primär auf die des iberischen Portugiesisch. An den entsprechenden Stellen werde ich auch auf die Besonderheiten der Pronomina im brasilianischen Portugiesisch hinweisen.18 2.2.1 Die klitischen Eigenschaften der gebundenen Personalpronomina im Portugiesischen Ebenso wie die gebundenen Pronomina des Französischen sind auch die des Portugiesischen nicht völlig isolierbar. Sie können nicht allein stehen, d.h. Einwortsätze mit gebundenen Pronomina sind im Portugiesischen ausgeschlossen: (34)

Quem 6 que tu viste? - *0.

Eine Überprüfung anhand der Kriterien zur Unterscheidung der Klitika von freien Wörtern belegt zweifelsfrei den klitischen Charakter der gebundenen Pronomina des Portugiesischen. Die gebundenen Pronomina des Portugiesischen stehen i.d.R. adjazent zu dem Element, an das sie strukturell gebunden sind. Für die postverbal stehenden gebundenen Pronomina ist diese Adjazenz obligatorisch; d.h. es können sich keine anderen Elemente zwischen dem Verb und dem Pronomen befinden: (35) (a) (b)

Eu vi-o ontem. *Eu vi ontem o.

17

Hierzu existiert eine umfangreiche Literatur. Neben zahlreichen traditionellen Arbeiten (cf. z.B. Spitzer 1940, Camara Jr. 1957, Meier 1969) gibt es eine Reihe neuerer Untersuchungen, in denen sowohl in diachronischer wie auch in synchronischer Hinsicht Daten des brasilianischen Portugiesisch ausgewertet worden sind (cf. M. Duarte 1989, Cyrino 1991). In den Arbeiten im Rahmen des Prinzipien- und Parametermodells wird dabei vor allem diskutiert, ob und wie das brasilianische Portugiesisch als Null-Objekt-Sprache analysiert werden kann (cf. Galves 1988,1989, Farrell 1990, Kato 1991)(siehe dazu Kapitel 4).

18

Soweit nicht anders angegeben, meine ich mit 'Portugiesisch' stets die in Portugal gesprochene Variante.

42 Auch in den Fällen, in denen das gebundene Pronomen präverbal erscheint, steht es meist adjazent zum Verb. Das Pronomen kann i.d.R. nicht durch ein dazwischen stehendes Element vom Verb getrennt auftreten: (36) (a) (b)

Eu näo o vejo agora. *Eu näo o agora vejo.

Allerdings kann die Negationspartikel näo auch zwischen präverbalem Pronomen und dem Verb erscheinen. Diese Stellungsmöglichkeit der Negationspartikel wird als 'Interpolati.on' bezeichnet und ist weitgehend auf eingeleitete Neben- oder Interrogativsätze beschränkt (cf. z.B. Wanner 1982:195, Cunha & Cintra 1984:314):19 (37) (a) (b)

Disse que te näo viu. Porque me näo falas?

Die unbetonten Pronomina des Portugiesischen bilden mit ihrem Partner eine phonologische Einheit. Ahnlich wie im Französischen ist auch im Portugiesischen kaum feststellbar, ob diese Einheit durch interne Sandhi-Phänomene gekennzeichnet ist. Im Portugiesischen - wie in der Romania insgesamt - handelt es sich bei den meisten phonologischen und morphophonologischen Regeln (Vokalkontraktion, Elision, Gleitlautbildung etc.) sowohl um interne wie auch um externe Sandhi-Regeln (cf. Herslund 1986:506f).20 So kommt es z.B. zu einer Vielzahl von "rather intricate and complicated sandhi phenomena" (Herslund 1986:507), wenn einem Wort, das auf einen unbetonten Vokal auslautet, ein Wort mit Anlautvokal folgt. Diese Sandhi-Phänomene sind auch in Verb-Klitik-Verbindungen zu beobachten. Hierbei kontrahiert der Vokal eines gebundenen Pronomens mit dem Auslautvokal des vorangehenden Verbs (cf. insbesondere Viana 1883:60ff, auch Herslund 1986:507 sowie Stolz 1990:316): (38) (a) (b) (c)

Compro-o Compra-o Compra-a

= ul+Luj = aJ+Tul = a]+[a]

-> -> ->

Steht ein vokalisches Klitikon präverbal, so kommt es zur Bildung eines Gleitlautes, wenn beispielsweise die Präposition de vorangeht (cf. Herslund 1986:514):

19 Wie das Beispiel (i) von Alvarez et al. (1986:206) belegt, scheint diese Beschränkung nicht für das Galizische zu gelten: : (i) Iso xa llelo non dicia a meus pais. Außerdem können im Galizischen neben dem Negationselement auch andere Elemente (z.B. ein Subjektspronomen oder ein Adverb) zwischen das Klitikon und dem Verb gestellt werden (cf. Alvarez et al. 1986:2051): (ii) (a) Fai o que che £n digo. (b) Quen me all pillara. Im brasilianischen Portugiesisch ist die Interpolation völlig ausgeschlossen. 20

Cf. auch Vianna (1883:67), der zwar nicht von Sandhi-Phänomenen spricht, aber eine ähnliche Beobachtung für das Zusammentreffen von Vokalen innerhalb und außerhalb von Wortgrenzen macht "Nous venons de voir que dans la rencontre de voyelles d'un mot à l'autre on observe en général les mêmes règles que lorsque cette rencontre a lieu dans le corps du mot."

43 (39)

(a) (b)

de o comer [dju ku'mer] tenho vontade de o fazer [... dju fa'zer]

Die postverbal stehenden vokalischen Objektspronomina passen sich außerdem in ihrer morphophonologischen Form an das Verb an, wenn es auf einen Nasaldiphthong auslautet (cf. Cunha & Cintra 1984:280, auch Herslund 1986:515): (40)

(a) (b) (c) (d)

Däo-no. P6e-no. Tem-noi. Trouxeram-nüu.

In der Umgangssprache ist auch zu beobachten, daß sich präverbal stehende Objektspronomina an ein vorangehendes, nicht-verbales Element, das auf einen Nasaldiphthong endet, anpassen: 21 (41)

(a) fb) (c)

E assim pedia, num do tamanho, Näo no tirassem lä donde estava. Neto sou de quem no sou! Eu näo no quero.

Die gebundenen Pronomina des Portugiesischen können nicht betont werden. Sie können weder eine eigenständige Betonung tragen, d.h. Betonung zum Zweck der Hervorhebung oder zur Kennzeichnung eines Gegensatzes (cf. (41)), noch den Wortoder Satzakzent erhalten: (42) fa) (b)

*Eu näo A vi (mas vi-O). * 0 Paulo LUE deu o livro.

Die Stellung der gebundenen Pronomina ist streng festgelegt. In Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext stehen sie entweder vor oder nach dem finiten Verb des Satzes (siehe dazu Kap.4, Abschn.4): (43)

(a) (b)

Calei-me. Näo me calei.

Treten zwei Pronomina gleichzeitig auf, erscheinen sie untereinander in einer festen Reihenfolge. Die Formen verschmelzen dabei miteineinander: 22 (44)

(a) (b) (c)

Eu näo Iho dou. Ele d&-mo. O nome näo vo-lo direi.

Die Formen der gebundenen Pronomina des Portugiesischen sind morphologisch nicht sehr komplex, da sie nur jeweils aus einem Morphem bestehen. Sie bilden außerdem eine kleine, abgeschlossene Gruppe von Wörtern. 21

Die Beispiele (41a)-(41b) sind von Cunha & Cintra (1984:280) und stammen von António Nobre (Só, Lisboa: Guillard & Aillaud 1898,2.* ed., p.77) und José Règio (Fado, Lisboa: Portugàlia 1957,2.» ed., p.13). Das Beispiel (41c) ist von Jucä (Filho) (1967:163). Cf. auch die Beispiele in Williams (1938:151).

22

Zu den verschiedenen Kontraktionsfonnen der portugiesischen Objektspronomina cf. z.B. Cunha & Cintra (1984:309). Im brasilianischen Portugiesisch sind solche Formen allenfalls in der Schriftsprache möglich.

44 Das gebundene Pronomen des Portugiesischen bildet keine eigene Konstituente. Dies belegen die entsprechenden Tests: a) Es kann nicht durch eine andere Proform ersetzt werden: (45)

Eu conhefo-a

->

syntaktische

*Eu conhefo ela.23

b) Es kann weder disloziert noch topikalisiert werden: (46)

(a) (b)

*0 (eu näo) conhefo. *A (eu näo) conhefo.

c) Es kann auch nicht mit anderen freien oder gebundenen Wörtern durch eine Konjunktion verbunden werden: (47)

(a) *Eu vi Paulo e o na feira. (b) *Eunäo aeo conhefo. d) Es ist i.d.R. nicht modifizierbar, d.h. es kann nicht durch Modifikatoren, die unmittelbar nach ihm stehen, näher bestimmt werden: 24 (48)

(a) (b)

(49)

*Eu näo os todos conhefo. *Eu conhefo-os ambos. *Eu conhefo-os que estäo aqui.

Diese Konstituententests sowie alle übrigen Kriterien zur Feststellung der typischen Eigenschaften gebundener Elemente belegen, daß es sich bei den sogenannten unbetonten Pronomina des Portugiesischen um gebundene Elemente handelt. Sie weisen alle typischen Eigenschaften gebundener Elemente auf und sind - ebenso wie die gebundenen Pronomina des Französischen - klitisch gebunden. Alle weiteren Personalpronomina des Portugiesischen weisen eindeutig keine klitischen Eigenschaften auf. Dies gilt sowohl für die Subjektspronomina als auch für die sogenannten betonten Objektspronomina. Beide Arten von Pronomina sind in der Tat betonbar (cf. (50)) und können auch isoliert auftreten (cf. (51)). Außerdem stehen sie nicht notwendigerweise in unmittelbarer Adjazenz zu dem Verb, von dem sie strukturell abhängig sind (cf. (52)), und sie können auch topikalisiert werden (cf. (53)): (50)

(a) (b)

ELE näo vem mas ELA vem. Nunca vou com ELA mas so com ELE.

23

Im gesprochenen brasilianischen Portugiesisch ist der Satz eu conheso ela völlig akzeptabel (cf. (33b)). Dies ist dennoch kein Beleg dafür, daß das gebundene Pronomen a in eu conhego-a durch eine Proform ersetzt werden kann, denn im gesprochenen brasilianischen Portugiesisch ist der Satz eu conhego-a ausgeschlossen.

24

Ebenso wie im Französischen kann ein gebundenes Pronomen nur dann modifiziert werden, wenn es mit dem Modifikator keine Konstituente bildet (cf. Kayne 1975:91^.25): (i) (a) Eu [conhefo-os] todos. (b) *Eu conhefo [os todosl. Eine Ausnahme stellt das Pronomen o dar, das durch einen Relativsatz modifiziert werden kann: (ii) (a) Eu näo sei o que fazer. (b) 0 que 6 importante 6 que ... Hierbei scheint es sich - ähnlich wie im Französischen - um ein ungebundenes Pronomen zu handeln, das mit dem gebundenen Pronomen o homophon ist.

45 (51) (a) (b) (52) (53)

Quem foi que fez isso? - Ele. Quem 6 que tu amas? - Ela. Eu nunca vi isso. A ela eu vou dar o presente.

Die Liste der klitischen Personalpronomina des Portugiesischen entspricht somit den in den traditionellen Grammatiken als unbetonte Pronomina bezeichneten Formen. Lediglich das Pronomen vos fehlt in der folgenden Tabelle, da es in der gesprochenen Sprache nicht vorkommt: (54) Die klitischen Personalpronomina des Portugiesischen: me te o, a; Ihe; se nos os, as; Ihes; se Bei allen klitischen Pronomina des Portugiesischen handelt es sich um spezielle Klitika. Sie zeichnen sie sich durch eine spezielle Syntax aus, da sie in einer anderen Oberflächenposition auftreten können als die ungebundenen Pronomina. Außerdem haben sie i.d.R. keine opake Phonologie, d.h. sie lassen sich nicht mittels phonologischer Regeln aus den entsprechenden ungebundenen Formen ableiten. Im folgenden werde ich anhand der Unterscheidungskriterien zwischen Klitika und Affixen überprüfen, ob die klitisch gebundenen Pronomina des Portugiesischen ähnlich wie die des Französischen charakteristische Eigenschaften von Affixen besitzen. 2.2.2 Die Affixeigenschaften der klitischen Personalpronomina im Portugiesischen In bezug auf die grundlegende Eigenschaft der Affixe, nämlich die Bindung an einen Stamm, scheinen sich die portugiesischen Klitika ähnlich wie die französischen zu verhalten. Anders als Affixe binden sie sich offensichtlich entweder an ein flektiertes Verb oder an eine infinite Verbform. Allerdings trifft dies nicht für alle Klitikverbindungen zu. In bestimmten Kontexten können klitische Pronomina im Portugiesischen zwischen dem Stamm und den Flexionsaffixen des Verbs erscheinen. Dies ist in affirmativen Matrixsätzen der Fall, wenn das Verb im Futur oder Konditional steht (cf. Cunha & Cintra 1984:310f): (55) (a) (b)

Calar-me-ei. Calar-me-ia.

Mit anderen Worten, die klitischen Pronomina sind in diesen Fällen nicht "extrainflectional" (Klavans 1982:18), wie es für Klitika zu erwarten wäre. Sie verhalten sich vielmehr wie typische Affixe, indem sie sich - zusammen mit anderen Affixen an einen Verbstamm binden und dadurch ein vollständiges Wort bilden.

46 Eine weitere Eigenschaft der klitischen Personalpronomina im Portugiesischen, die auf ihren Affixstatus hindeutet, ist die, daß die Bindung postverbaler klitischer Pronomina morphophonologische Veränderungen am Verb hervorrufen kann. Bei allen auf -r, -s oder -z endenden Verbformen wird dieser Konsonant durch -l ersetzt, sobald das Akkusativpronomen der 3. Person hinzutritt (cf. Hundertmark-Santos Martins 1982:120ff, Cunha & Cintra 1984:280, auch Rothe 1966:536f): 'a) c)

$

e)

Eu ii-lo Tu faz e-lo Ele fä-lo Nös fazemo-Zo Eu quero faze-/o

= = = =

Eu fiz + o Tu fazes + o Ele faz + o Nos fazemos + o Eu quero fazer + o

Anders als in typischen Affixverbindungen kommt es in diesen portugiesischen VerbKlitikverbindungen allerdings zu keinen semantischen Veränderungen des Verbs. Ebensowenig scheint es arbiträre Lücken in den Kombinationsmöglichen zwischen dem Klitikon und seinen möglichen Partnern zu geben. Erscheint das Klitikon präverbal, bleibt das Verb auch in seiner morphophonologischen Form stets unverändert. Abgesehen von dieser Beobachtung deutet einiges darauf hin, daß das Klitikon in präverbaler Position nicht - wie meist angenommen wird (cf. z.B. Cunha & Cintra 1984:310) -proklitisch an das Verb gebunden ist. Dies trifft zumindest in den Fällen zu, in denen das präverbale Klitikon durch die Interpolation eines Negationselementes vom Verb getrennt steht (cf. (37)). Hier kann keine proklitische Bindung des Klitikons an das Verb angenommen werden. Es muß vielmehr entweder proklitisch an das Negationselement näo oder enklitisch an das vorangehende Element gebunden sein. Evidenz für die Enklise-Erklärung findet sich in den phonologischen Eigenschaften präverbal stehender Klitika. Wie die Beispiele in (39) und (41) belegen, können sie phonologisch mit dem vorangehenden Element verbunden sein. Außerdem deuten Rhythmus- und Betonungsfaktoren des Portugiesischen darauf hin, daß die präverbal stehenden Klitika enklitisch gebunden sind (cf. Carvalho 1989). Dies bedeutet, daß sich die portugiesischen Klitika auch an nicht-verbale Kategorien binden können. Sie besitzen daher einen geringeren Selektionsgrad bei der Wahl ihres Partners als typische Affixe. Außerdem sind der syntaktische und der phonologische Partner eines portugiesischen Objektsklitikons nicht notwendigerweise identisch, da es nicht immer phonologisch an das Verb gebunden ist. Nur bei den postverbal auftretenden Klitika besteht eine solche Übereinstimmung zwischen syntaktischem und phonologischem Partner, die für Affixe charakteristisch ist. Stimmt allerdings die Annahme, daß sich auch präverbale Klitika enklitisch binden, so weisen die portugiesischen Klitika eine Tendenz zur Bindung an ihren Partner in einer einheitlichen Richtung auf, d.h. sie verhalten sich in dieser Beziehung ähnlich wie Affixe.

47 Einen zusätzlichen Hinweis auf den Affixcharakter der klitischen Pronomina des Portugiesischen liefert das Kriterium von Zwicky & Pullum (1983), wonach nur Affixe eine Einheit für syntaktische Operationen bilden. Im Falle der Anhebung eines Verbs oder Auxiliars muß das Klitikon zusammen mit dem Verb angehoben werden (cf. I. Duarte 1983:175,Fn.l3): (57) (a) (b)

O que Ihe disse o Paulo? * 0 que disse o Paulo Ihel

Eine weitere Beobachtung liefert zusätzliche Evidenz für den Affixcharakter der portugiesischen Objektsklitika. In der Schriftsprache sind die postverbalen Klitika stets durch einen Bindestrich mit dem Verb, an das sie sich binden, verbunden. Das heißt, es fehlen die eher für Klitikverbindungen typischen Spaden. Die Überprüfung des Affixstatus der klitischen Personalpronomina des Portugiesischen zeigt somit deutlich, daß sie eine Reihe charakteristischer Eigenschaften von Affixen besitzen. Insbesondere können sich die klitischen Pronomina des Portugiesischen an Verbstämme binden und weisen damit die grundlegende Eigenschaft von Affixen auf. Im Kapitel 4 wird in einer detaillierten empirischen Analyse des Portugiesischen gezeigt werden, daß die portugiesischen Objektsklitika tatsächlich als Affixe zu analysieren sind.

48

3. Generative Analysen zur Grammatik der klitischen Personalpronomina in den romanischen Sprachen Die Überprüfung der Klitik- und Affixeigenschaften der gebundenen Personalpronomina des Französischen und Portugiesischen hat deutlich gemacht, daß diese Pronomina im Unterschied zu ungebundenen Nomina bzw. Pronomina eine Reihe syntaktischer und morphologischer Besonderheiten aufweisen. Sie sind stets klitisch gebunden, besitzen eine spezielle Syntax und außerdem Eigenschaften, die für Affixe charakteristisch sind. Gebundene Pronomina dieser Art kommen in allen romanischen Sprachen vor. Sie stellen eines der markantesten gemeinsamen Merkmale dieser Sprachengruppe dar.1 Aufgrund ihrer besonderen Verhaltensweisen waren und sind sie sehr häufig Gegenstand eigener linguistischer Untersuchungen. Im Rahmen der generativen Grammatiktheorie sind die klitischen Pronomina der romanischen Sprachen ursprünglich vor allem unter zwei Gesichtspunkten untersucht worden, aus denen sich zwei separate Forschungsgebiete entwickelten. Ausgehend von den Arbeiten Perlmutters (cf. Perlmutter 1971) wurde versucht, Regeln zu erarbeiten, durch die die Stellung mehrerer gleichzeitig auftretender klitischer Objektspronomina beschrieben werden kann. Hierbei wurde diskutiert, ob durch sogenannte 'Oberflächenstrukturbeschränkungen' die Kombinationsmöglichkeiten von klitischen Pronomina erfaßt werden können. In einem zweiten Untersuchungsschwerpunkt ging es darum, die spezielle Syntax der klitischen Pronomina in den romanischen Sprachen zu beschreiben. Dabei wurde vor allem die Frage erörtert, ob die klitischen Pronomina in der gleichen Position wie nicht-klitische Pronomina generiert werden. Mit der Ablösung des Modells der Generativen Transformationsgrammatik durch das Prinzipien- und Parameter-Modell verlagert sich die Diskussion der klitischen Pronomina auf andere Schwerpunkte. Diskutiert wird dabei unter anderem die Frage nach deren Status und der Art der Position, in der das Klitikon generiert wird bzw. in die es bewegt wird. Eine weitere Frage ist die nach dem Verhältnis zwischen dem

1

Nicht selten wird die Pronominalsyntax als eine der kompliziertesten Bereiche der romanischen Sprachen angesehen. So ist beispielsweise nach Ansicht von Bello (1910:236) der Gebrauch der klitischen Pronomina des Spanischen "una de las materias de más dificultad y complicación que ofrece la lengua".

49 Klitikon und dem in der Komplementsposition befindlichen leeren bzw. lexikalischen Element. Damit im Zusammenhang steht die Frage nach der Art der leeren Kategorie, die in der Komplementsposition stehen kann bzw. muß. Im folgenden soll die sehr umfangreiche generative Literatur über die klitischen Personalpronomina in den romanischen Sprachen dargestellt und kritisch begutachtet werden. Dabei werden zunächst die Analysen der klitischen Objektspronomina besprochen, die einen breiten Raum in der generativen Klitikdiskussion einnehmen.2 Die Arbeiten von Perlmutter (1971) und die daran anknüpfenden Analysen der Kombinationsmöglichkeiten mehrerer gleichzeitig auftretender Objektsklitika werde ich nur knapp darstellen, da ich in meiner eigenen Analyse nicht auf diese Problematik eingehen werde. Aus dem gleichen Grund werde ich mich ebensowenig eingehender mit Untersuchungen zum Verhalten der klitische Objektspronomina in Sätzen mit komplexen Verbalphrasen befassen. In einem gesonderten Abschnitt werde ich die Arbeiten zu den Subjektsklitika betrachten.

3.1 Die Kombinationsmöglichkeiten und -beschränkungen der klitischen Objektspronomina Das von Chomsky (1965) entwickelte Standardmodell der Generativen Transformationsgrammatik erlaubt prinzipiell, daß mit Hilfe von Phrasenstrukturregeln Sätze generiert werden können, die bei ihrer "Aktualisierung" ungrammatisch sind. Um dies auszuschließen, sieht Chomsky (1965:138f) Blockierungsmechanismen ("Filter") vor, die die Anwendung bestimmter Transformationsregeln verhindern sollen. Die Oberflächenstruktur eines Satzes kann demnach nur dann aus einer Tiefenstruktur abgeleitet werden, wenn die (obligatorischen) Transformationen nicht blockiert sind. In seiner Untersuchung der Kombinationsmöglichkeiten spanischer und - in eingeschränkterem Maße auch - französischer Objektsklitika beobachtet Perlmutter (1971), daß bei der Anwendung der Transformation der Klitikbewegung3 Probleme auftreten, die durch Chomskys Blockierungsmechanismus nicht gelöst werden können. So kann z.B. die Ungrammatikalität von Satz (la) nicht dadurch erklärt werden, daß die Anwendung der Transformation der Klitikbewegung blockiert worden ist, da die gleiche Transformation durchaus zu einem grammatischen Ergebnis führen kann (lb): (1)

(a) (b)

*ü le me donnera. II me le donnera.

2

In sehr vielen generativen Arbeiten über Klitika - auch in denen, die explizit den Anspruch erheben, eine Theorie der Klitika zu entwerfen - werden die klitischen Subjektspronomina implizit ausgeschlossen. Mit dem Begriff "Klitikon' wird sich in der generativen Grammatik i.d.R. nur auf die klitischen Objektspronomina, einschließlich der klitischen Reflexivpronomina, und die klitischen Pronominaladverbien bezogen (cf. u.a. Chomsky 1981:275). Subjektsklitika sind mit dem Begriff im allgemeinen nicht erfaßt.

3

Damit ist die Anhebung des Klitikons aus der postveibalen Objektsposition in die präverbale Position gemeint (siehe dazu den folgenden Abschnitt 3.2).

50 Zur Lösung dieses Problems schlägt Perlmutter (1971) die Einführung von 'Oberflächenstrukturbeschränkungen' ("surface structure constraints" bzw. "output conditions") vor, die die Bildung ungrammatischer Klitiksequenzen nach der Anwendung der Bewegungstransformation verhindern sollen: "In all languages in which clitics move to a particular place in the sentence, there are surface structure constraints on the relative order of clitics." (Perlmutter 1971:48) Das Ergebnis ("output") einer Klitikbewegungstransformation wird durch eine "Liste" ("chart, table, template") überprüft, in der die grammatischen Kombinationsmöglichkeiten der Klitika festgelegt sind. Stimmt die Reihenfolge der in ihre Oberflächenposition bewegten Klitika nicht mit den Festlegungen in der Liste überein, wird der Satz als ungrammatisch ausgeschlossen. Nach Perlmutter (1971) sieht eine Oberflächenstrukturbeschränkung für die spanischen bzw. französischen Objektsklitika jeweils folgendermaßen aus: (2)

Oberflächenstrukturbeschränkung für spanische Objektsklitika (Perlmutter 1971:45): se 2.Ps. LPs. 3.Ps.

(3)

Oberflächenstrukturbeschränkung für französische (Perlmutter 1971:57): me ne te 3.Ps>Akk 3.Ps.Dat y en nous vous se

Objektsklitika

In Anlehnung an die von Perlmutter vorgeschlagenen Oberflächenstrukturbeschränkungen wurde versucht, auch für andere, meist romanische Sprachen in ähnlicher Weise Beschränkungen für die Reihenfolge der Klitika zu formulieren.4 Perlmutters Vorschläge wurden in der Folge allerdings auch heftig kritisiert und als inadäquat zurückgewiesen (cf. Seuren 1976, Hetzron 1977).5 Einer der Einwände gegen Perlmutters Oberflächenstrukturbeschränkungen ist der, daß sie im Grunde nichts anderes seien als eine Beschreibung dessen, was bereits in vielen traditionellen Grammatiken über die Stellung klitischer Pronomina zu finden ist (cf. Hetzron 1977:194, Herschensohn 1980a:195). Nach Ansicht von Seuren (1976:16) ist die Arbeit von Perlmutter letzten Endes nur "an incorporation of traditional grammatical views on clitics into a

4

Cf. für das Italienische z.B. Seuren (1974) und Wanner (1977). Für die Untersuchung von Klitiksequenzen in einer nicht-romanischen Sprache sei auf die Arbeit von Tegey (1975) über die Klitika im Pashto verwiesen.

5

Für eine Kritik an Perlmutters Oberflächenbeschränkungen für das Spanische cf. z.B. Contreras & Rojas (1972), Dinnsen (1972), Szabo (1974) und Sufler (1974) und für das Französische z.B. Emonds (1975) und MonvilleBurston (1985).

51 transformational frame". 6 Einer der Hauptkritikpunkte an der Analyse Perlmutters betrifft dessen Annahme, daß in allen Sprachen, die klitische Pronomina besitzen, deren Reihenfolge durch Oberflächenstrukturbeschränkungen strikt festgelegt ist (cf. Perlmutter 1971:46). Hetzron (1977:194ff) und Seuren (1976:12ff) weisen daraufhin, daß eine solche strenge Festlegung der Klitika-Reihenfolge Stellungsvariationen nicht gerecht wird, die es innerhalb von Einzelsprachen geben kann (cf. z.B. auch Wanner 1974). Abgesehen von innersprachlichen Variationen können durch die Oberflächenbeschränkungen bestimmte Klitiksequenzen nicht ausgeschlossen werden, die mit bestimmten Verben nicht möglich sind. Während beispielsweise die Klitikreihenfolge in (4a) durch die Beschränkung in (3) ausgeschlossen ist, läßt sich die Ungrammatikalität der Klitiksequenz in (4b) nicht aus (3) ableiten: (4)

(a) (b)

*ü me vous presentera, *Je vous lui presentera.

Perlmutter führt aus diesem Grund sogenannte "nonglobal constraints on clitics" ein, die nur für bestimmte Klitiksequenzen bestimmter Verben (z.B. recomendar bzw. recommander oder presentar bzw. présenter) Gültigkeit haben. Seuren (1976) kritisiert diese zusätzlichen Beschränkungen als ad fcoc-Lösungen, da sie nicht erklären, warum diese Beschränkungen für mehrere Sprachen Gültigkeit haben. Emonds (1975), der die von Perlmutter postulierten Beschränkungen ebenfalls zurückweist, nimmt an, daß die Ungrammatikalität der Sätze in (4) auf ein allgemeines Strukturerhaltungsprinzip zurückgeführt werden kann, dem alle Transformationsregeln unterliegen. Seinem Transformationsmodell7 zufolge stehen den Klitika in diesen Sätzen nur eine Landeposition vor dem Verb zur Verfügung. Da - wie er zeigt - die Klitika weder durch eine lokale noch durch eine Wurzeltransformation vor das Verb bewegt werden können, ist die Anhebung von zwei Klitika in (4) aufgrund des Strukturerhaltungsprinzips nicht möglich. Der Vorteil dieser Analyse ist der, daß im Rahmen dieses Transformationsmodells die Reihenfolge der Klitika ohne die Annahme zusätzlicher Beschränkungen erklärt werden kann (siehe auch Abschnitt 3.2.4). In der neueren generativen Klitikdiskussion wird auf die Problematik der Kombinationsbeschränkungen beim Auftreten mehrerer klitischer Pronomina kaum mehr eingegangen. Es werden vor allem Fragen diskutiert, die die spezielle Syntax der Objektsklitika betreffen. Die Frage, wie im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie das Stellungsverhalten mehrerer gleichzeitig auftretender Klitika beschrie6

7

Perlmutters Oberflächenbeschränkung für die französischen Klitika unterscheidet sich in der Tat kaum von den in vielen Schulgrammatiken des Französischen anzutreffenden "Fähnchen", die die Reihenfolge der Klitika veranschaulichen und die Lerner sich einprägen sollen (cf. z.B. Klein & Strohmeyer 1970:149, Confais 1981:153). Emonds Klitiktheorie ist eingebettet in seine Typologie der Transformationen (cf. Emonds 1976). Demnach gibt es drei mögliche Transformationsregel: Transformationen, die den höchsten S-Knoten eines Satzes betreffen (Wurzeltransformationen), strukturerhaltende Transformationen, bei denen die durch die Phrasenstrukturregeln vorgegebenden Strukturen nicht verändert werden und lokale Transformationen, die nur zwei adjazente Knoten betreffen.

52 ben werden kann, ist bisher weitgehend undiskutiert - und damit ungeklärt - geblieben.

3.2 Morphologie und Syntax der klitischen Objektspronomina 3.2.1 Die "klassische" Analyse: Die Klitikbewegung Eine der wichtigsten Untersuchungen für die generative Diskussion der klitischen Pronomina in den romanischen - und nicht-romanischen - Sprachen ist zweifelsohne die Arbeit von Kayne (1975).8 Kaynes Verdienst ist es unter anderem, zum ersten Mal die zahlreichen in den traditionellen Grammatiken und anderen Arbeiten zum Französischen niedergelegten Beobachtungen zu den französischen Pronomina (z.B. Sandfeld 1928, Martinon 1927) systematisch zusammengefaßt und im Rahmen einer Syntaxtheorie abgehandelt zu haben. Anhand von Vergleichen mit den sogenannten 'starken' Pronomina und 'vollen' Nomina macht Kayne (1975:8195) die typischen klitischen Eigenschaften der sogenannten 'schwachen' Pronomina deutlich. Den Schwerpunkt der Arbeit von Kayne (1975) bildet der Versuch, die besonderen syntaktischen Verhaltensweisen der klitischen Oèjefospronomina zu erklären. Eine der Hauptfragen ist dabei, ob diese Pronomina bereits in der Basis in ihrer Oberflächenposition generiert werden oder durch eine Transformation dorthin bewegt werden. Kayne (1975) nimmt an, daß die letztere Annahme die zutreffende sei, d.h. er vertritt die Auffassung, daß die klitischen Objektspronomina durch eine Transformation aus der Komplementsposition des Verbs in ihre Oberflächenposition bewegt werden. Seiner Ansicht werden die Objektsklitika in der Objektsposition nicht bereits in ihrer Form als Klitika, sondern als "'bare' pronouns" generiert. Diese "bloßen" Pronomina werden je nach Kontext entweder als nicht-klitische oder klitische Pronomina realisiert (cf. Kayne 1975:102).9 Mit anderen Worten, alle Formen der 8

Kaynes Arbeit ist immer wieder als "bahnbrechend" bezeichnet worden (cf. Jaeggli 1982:11). Für Strozer (1976:34) beispielsweise stellt sie "[o]ne of the most thorough studies to date of the grammar of the clitics for any Romance language [...]" dar.

9

Hier unterscheidet sich Kayne von den ursprünglichen Annahmen zur Pronominalisierung (z.B. Lees & Klima 1963) und auch von Gross (1968), da er nicht davon ausgeht, daß Pronomina aus basisgenerierten Nomina abgeleitet werden. Er nimmt an, daß die "bare pronouns" direkt - mit den entsprechenden Indizes - basisgeneriert werden. Kayne (1971) folgert dies aus der Beobachtung, daß es bei der üblichen Anwendung der Pronominalisierungsregel vor einer Klitikbewegungsregel zur Erzeugung ungrammatischer Sätze kommen kann, wie z.B. Satz (i): (i) "Je luij enlèverai la petite amie de Jean,. Eine Umkehning der Anwendungsfolge der beiden Transfoimationsregeln würde zwar den Satz (i) korrekterweise ausschließen, gleichzeitig wäre jedoch nicht mehr die Ableitung von (ii) möglich: (ii) La petite amie de Jean; le; déteste. Zur Lösung dieses Problems, das in der Literatur auch 'Kaynesches Paradoxon' genannt wird, schlägt Kayne (1971:240) vor, die Pronomina in der Basis zu generieren. In diesem Fall führt die Anwendung der Klitikbewegung vor der Pronominalisierung zu korrekten Ergebnissen: Die Pronominalisierung, die nunmehr als eine Regel verstanden wird, "which filters out [...] certain configurations of anaphoric pronouns" (Kayne 1971:240), läßt nach

53 Objektspronomina werden "from a single lexical item that is spelled out differently depending on its position in the sentence (and on case marking)" abgeleitet (Kayne 1975:69). Evidenz für diese Annahme sieht Kayne in der Beobachtung, daß klitische und nicht-klitische Objektspronomina bzw. Nomina in komplementärer Distribution stehen (cf. Kayne 1975:66ff): (5)

Ca)

Maria ne connaît que mes amis. Marie ne connaît qu'eux. * Marie ne connaît que les. Marie les connaît. *Marie mes amis connaît. *Marie eux connaît. Marie ne parle qu'à mes amis. Marie ne parle qu'à eux. *Marie ne parle qu'à leur. Marie leur parle. * Marie mes amis parle. *Marie eux parle. * Marie à eux parle.

Die klitischen Oiy'etepronomina gelangen nach Ansicht Kaynes durch die Transformation der Klitikbewegung ("Clitic Placement") in ihre Oberflächenposition. Sie werden dadurch in die Position unter den V-Knoten bewegt und dort an das Verb klitisiert (cf. Kayne 1975:76).10 Demnach kann die Klitikbewegung wie folgt beschrieben werden (cf. auch Gross 1968:22ff): (9)

Klitikbewegung ("Clitic Placement"):11 X V Y Pro Z -> 14+2 3 5 12 3 4 5

Kayne (1975) nimmt an, daß diese Regel postzyklisch ist, d.h. daß sie erst nach Abschluß des Transformationszyklus zur Anwendung kommt. Lediglich die Subjektsklitika werden noch später bewegt, da sie erst nach der Bewegung der Objektsklitika an V adjungiert werden. Dadurch kann erklärt werden, daß die Subjektsklitika i.d.R. vor den Objektsklitika auftreten und daß deren Stellung keinen Oberflächenbeschränkungen unterliegt (cf. Kayne 1972,1975:87,Fn.l8). Kayne (1975) sieht den Vorteil seiner Analyse der Objektsklitika darin, daß hierbei die wenigsten Zusatzannahmen für die Theorie benötigt werden. Bei der Annahme der Anwendung der Klitikbewegung nur die Erzeugung von Satz (ii), nicht aber die von Satz (i) zu (cf. u.a. auch Herschensohn 1980b). 10 Die Bezeichnung "Klitikbewegung' ist im Grunde genommen nicht korrekt; denn nicht das Klitikon wird bewegt, sondern ein Pronomen, das nach der Bewegung in ein Klitikon "umgewandelt" wird (cf. auch Kayne 1975:105). Außerdem wird der Begriff 'Klitikon' in diesem Fall ausschließlich auf Objektsklitika bezogen. 11 Ein Sonderfall der Klitikbewegung ist die sogenannte se-Bewegung (cf. Kayne 1975:375): (i) ^-Bewegung ("Se Placement"): X NPj V Y PrOj Z -> 125[+r]+346 1 2 3 4 5 6 Sie wird dann angewendet, wenn das Pronomen mit dem vorangehenden Nomen koreferent ist In diesem Fall erhält das bewegte Pronomen das Merkmal [+R(eflexiv)].

54 einer Basisgenerierung der Objektsklitika in ihrer Oberflächenposition müßten die Phrasenstrukturregeln erweitert werden. Zudem müßte mit Hilfe einer lexikalischen Redundanzregel festgelegt werden, daß jede subkategorisierte Objekt-NP auch als entsprechendes präverbales Klitikon realisiert werden kann. Kayne zeigt auf, daß eine solche Zusatzregel eine Reihe von Problemen für eine Analyse im Rahmen der generativen Transformationsgrammatik aufwirft. In Sätzen, in denen die Subkategorisierung eines Komplements beispielsweise durch ein Adjektiv und nicht durch das Verb bestimmt wird, würde die lexikalische Redundanzregel dem Adjektiv und nicht dem Verb das (redundante) Merkmal "Klitikon " zuweisen. Die gemäß der Redundanzregel korrekte Zuweisung dieses Merkmals an das Adjektiv hätte den ungrammatischen Satz (10b) zur Folge. Die richtige Stellung des Klitikons vor dem Auxiliar in Satz (10c) hingegen könnte nicht erklärt werden (cf. Kayne 1975:70f): (10) (a) (m (c)

Jean est fidèle à ses parents. *Jean est leur fidèle. Jean leur est fidèle.

Als weitere Alternative zur Bewegungstransformation diskutiert Kayne (1975:76f) die Annahme, daß sowohl in der Klitikposition als auch in der Komplementsposition ein Pronomen basisgeneriert wird. Mittels einer Tilgungsregel ("Pronoun Deletion rule") könnte dann das von der NP dominierte Pronomen getilgt werden: (11) Pronomentilgung ("Pronoun Deletion"): X Pro: + V Y Pro; Z -> 1 2 3 4 0 6 1 2 3 4 5 6 Diese Annahme würde nach Kayne (1975:76f) zwar korrekt die Subkategorisierungseigenschaften erfassen, es wären allerdings eine Reihe zusätzlicher Annahmen notwendig: Die Phrasenstrukturregeln müßten beträchtlich erweitert werden, und es müßten zusätzliche Filtermechanismen eingebaut werden, um zu verhindern, daß nicht identische Pronomina gleichzeitig generiert werden. Für Kayne (1975) ist dies eine Bestätigung dafür, daß im Rahmen der generativen Transformationsgrammatik die Bewegungsanalyse das Verhalten der französischen Objektsklitika am adäquatesten erklärt. Allerdings weist er auch auf einige Probleme hin, mit der die Bewegungsanalyse konfrontiert wird. Für einige Objektsklitika scheint eine transformationeile Ableitung "unnatürlich", da für sie keine "convenient postverbal NP source" existiert (Kayne 1975:385f). Hierzu zählt u.a. das bestimmten Verben 'inhärente' Klitikon se (wie z.B. in s'évanouir, s'en aller oder s'imaginer quelque chose). Kayne (1975:385-395) plädiert dennoch für die Generierung dieses Klitikons in der Komplementsposition. Er begründet dies damit, daß es sich in vieler Hinsicht ähnlich wie ein "gewöhnliches" klitisches Reflexivpronomen verhält. Kayne (1975:387ff) weist daraufhin, daß die Partizipialform des Verbs ebenso wie mit einem Reflexivpronomen auch mit dem 'inhärenten' se kongruieren kann. Außerdem beobachtet er, daß ein 'inhärentes' se nur mit Verben,

55 nicht aber mit Adjektiven vorkommen kann. Die gleiche Beschränkung trifft auch für Reflexivpronomina zu. Kayne (1975:391) folgert daraus, daß "the absence of inherent adjectival se might be reducible to the at best marginal applicability of Se-Pl with adjectives in the case of ordinary reflexives". Ein weiteres Argument für die transformationeile Ableitung des 'inhärenten' se sieht Kayne (1975:391f) darin, daß es nur dann vor einem Verb auftreten kann, wenn das Verb nicht noch gleichzeitig sowohl ein direktes als auch indirektes Objekt besitzt. Der Grund hierfür liegt seiner Ansicht nach darin, daß se aus einer dieser Objektspositionen herausbewegt werden muß. Kayne folgert daraus, daß auch den 'inhärenten' Klitika Objektstatus zugewiesen werden muß. Mit anderen Worten, auch Objektsklitika, die semantisch nicht aus einer Objekt-NP ableitbar sind, können nach Ansicht von Kayne in einer Objektsposition generiert und durch die Transformation se-Bewegung abgeleitet werden. Zusätzliche Evidenz dafür, daß die Objektsklitika im Französischen aus einer Objektsposition in ihre Oberflächenposition bewegt werden, findet Kayne im Verhalten der Klitika in sogenannten Kausativkonstruktionen. Dabei handelt es sich um Sätze mit komplexen Verbalphrasen, die das Verb faire als finites Verb enthalten (Kayne 1975:Kap.4). Kayne stellt fest, daß in solchen Sätzen (wie z.B. in (12a)) nur das direkte Objekt (cf. (12b)), nicht aber das Präpositionalobjekt des infinten Verbs pronominalisiert werden kann (cf.(12c))(cf. Kayne 1975:288): (12)

(a) m) (c)

Cela Typ fera téléphoner [ s ce garçon à ses parents]] Cela le fera téléphoner à ses parents, *Cela leur fera téléphoner ce garçon.

Kaynes Analyse zufolge kann die Ungrammatikalität des Satzes (12c) mit Hilfe der Beschränkung des Spezifizierten Subjekts erklärt werden. Diese von Chomsky (1973) formulierte Beschränkung legt fest, daß in der Struktur ... X ... [ s ... Z ... -WYV ...] keine grammatische Beziehung zwischen X und Y bestehen kann, falls Z das Subjekt von W Y V ist. 12 Für die Klitikbewegung bedeutet dies, daß ein Pronomen nicht aus einem eingebetteten Satz herausbewegt werden kann, wenn es dabei über das Subjekt des Satzes hinwegbewegt wird (cf. Kayne 1975:287). Nach Ansicht von Kayne ist folglich Satz (12c) ausgeschlossen, weil die Bewegung des Präpositionalobjekts nicht möglich ist. Das Akkusativobjekt in (12b) hingegen kann an das finite Verb des Matrixsatzes klitisiert werden, ohne die Beschränkung des Spezifizierten Subjekts zu verletzen (cf. auch Borer 1986:3f). Der Grammatikalitätsunterschied zwischen den Sätzen (12b) und (12c) bestätigt somit Kaynes Annahme der Klitikbewegung, da das Erscheinen der Objektsklitika in ihrer präverbalen Oberflächenposition auf eine Bewegung aus einer Komplementsposition in der Tiefenstruktur zurückgeführt werden muß.

12

Zusätzlich wird durch diese Beschränkung festgelegt, daß X nicht in der COMP-Position von S steht oder der eingebettete Satz nicht finit sein darf (cf. Chomsky 1973:257).

56 Kayne liefert damit eine Vielzahl von Argumenten, die für eine Generierung der französischen Objektsklitika in der Objektsposition bzw. gegen eine Basisgenerierung in deren Oberflächenposition sprechen. Er weist außerdem in überzeugender Weise nach, daß die Objektsklitika eng an das Verb gebunden sind und aus diesem Grund in eine Position unterhalb von V o bewegt werden müssen. In der Folgediskussion von Kaynes Arbeit werden allerdings eine Reihe von Argumenten gegen seine Analyse der Klitikbewegung gebracht. Vor allen Dingen zeigt sich, daß diese Analyse auf andere romanische Sprachen, die ebenfalls Objektsklitika kennen, nicht übertragbar ist. Aber auch was Kaynes Analyse des Französischen betrifft, bleiben einige Fragen ungeklärt, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen werden soll. Als Alternative zu Kaynes Analyse wird deshalb vorgeschlagen, die Klitika direkt in ihrer Oberflächenposition basiszugenerieren. 3.2.2 Die Basisgenerierung

der

Objektsklitika13

Angeregt durch die Arbeit von Kayne (1975) entwickelte sich in der Folgezeit innerhalb der generativen Grammatik eine intensive Debatte über die Beschreibung klitischer Pronomina in den romanischen Sprachen. Die Diskussion konzentrierte sich dabei in erster Linie auf die klitischen Ob/efospronomina (einschließlich der Reflexivpronomina). Wie auch bei der Diskussion um die Oberflächenbeschränkungen von Klitiksequenzen im Anschluß an die Arbeit von Perlmutter (1971) stand zunächst insbesondere die Untersuchung der klitischen Pronomina des Spanischen im Mittelpunkt der Forschungsarbeit. Als "Pionierarbeiten" können hier die beiden Dissertationen von Strozer (1976) und Rivas (1977) gelten. Beide Autoren kommen zu dem Ergebnis, daß die Kaynesche Bewegungsanalyse für die spanischen Klitika nicht übernommen werden kann. Sie stellen demgegenüber die These auf, daß im Spanischen die klitischen Pronomina in ihrer Oberflächenposition basisgeneriert werden, und schlagen aus diesem Grund eine Erweiterung der Phrasenstrukturregeln vor (cf. Rivas 1977:36 und - in etwas modifizierter Form - Strozer 1976:120): (13)

V'

->

Kl' V

Hauptargument für diese Annahme ist die Beobachtung, daß im Spanischen klitische Objektspronomina und nicht-klitische Objekte nicht bzw. nicht immer komplementär distribuiert sind: "This being the case, the complementary distribution argument (the prime motivation for a movement transformation of Cl[itic]-Pl[acement]) has no

13

Unter 'Basisgenerierung' der Objektsklitika wird hier verstanden, daß sie bereits in der Basis in ihrer Oberflächenposition generiert werden. Es sei darauf hingewiesen, daß damit bisweilen auch gemeint sein kann, daß Objektsklitika bereits in der Basis als klitische Pronomina (in der NP-Position) generiert und nicht aus Nomina bzw. Pronomina abgeleitet werden (cf. Herschensohn 1980b).

57 force in Spanish. Moreover, a movement rule which derives the clitics from pronominal NPs cannot account for the Spanish data." (Strozer 1976:46) Strozer (1976:46-54) und Rivas (1977:30-33) weisen darauf hin, daß in einer Reihe von Kontexten im Spanischen Klitika und mit ihnen koreferente nicht-klitische Nomina bzw. Pronomina gleichzeitig verwendet werden (cf. auch Garcia 1975:Kap.5). Handelt es sich bei dem Komplement des Verbs um eine indirekte Objekt-NP, ist das Auftreten des Dativklitikons stets obligatorisch: (14) (a) Pablo le habla a Maria. (b) *Pablo habla a Maria. Im Falle eines nicht-klitischen pronominalen Objektskomplements besteht ebenfalls keine komplementäre Distribution von Klitikon und nicht-klitischem Element. Das nicht-klitische Pronomen kann nur zusammen mit einem koreferenten Klitikon verwendet werden. Dies ist unabhängig davon, ob das Pronomen als direktes oder indirektes Objekt fungiert: (15) (a) (b) (c) (16) (a) (b) (c)

Pablo la conoce. Pablo la conoce a ella. *Pablo conoce a ella. Pablo le habla. Pablo le habla a ella. *Pablo habla a ella.

Steht nach dem Verb ein 'volles' direktes Objekt, sind Klitikon und Nominalphrase komplementär verteilt: (17) (a)

Pablo conoce esta poesia. Pablo conoce a Maria. Pablo la conoce. *Pablo la conoce esta poesia. *Pablo la conoce a Maria.

In einigen Varianten des Spanischen, insbesondere des in der Region des Rio de la Plata in Argentinien und Uruguay gesprochenen Spanisch, scheint das Objektsklitikon auch dann möglich bzw. sogar obligatorisch zu sein, wenn die koreferente direkte Objekt-NP das Merkmal [+belebt] trägt und daher mit der Präposition a verbunden ist (cf. auch Jaeggli 1982:14): (18)

Pablo la conoce a Maria.

Nach Ansicht von Strozer (1976) und Rivas (1977) ist die Existenz solcher sogenannter 'Klitikverdoppelungen' ein eindeutiger Beleg gegen die Annahme einer Klitikbewegung. In Sätzen wie (14a), (15b), (16b) oder (18) kann das Klitikon nicht aus der Komplementsposition herausbewegt worden sein, da diese Position besetzt ist.14

14

Strozer (1976:47) weist darauf hin, daß auch die Annahme einer Klitikbewegung unter Zuriicklassung einer pronominalen Kopie die Bewegungstheorie nicht retten kann. Eine solche Annahme könnte zwar die Fälle erklären, in denen ein Klitikon und ein nicht-klitisches Pronomen gleichzeitig auftreten (cf. (15b) und (16b)), sie scheitert aber

58 Ihrer Ansicht nach kann die Distribution der spanischen Klitika nur dadurch erklärt werden, daß sie bereits aufgrund der Phrasenstrukturregeln in einer Klitikposition generiert werden. Beide Autoren nehmen daher an, daß für jeden Satz in der Basis ein Klitikon und eine Objekt-NP generiert werden, wobei mittels einer Regel der "Kl/NPKongruenz" (Rivas 1977:65f) oder einer Regel zur "Interpretation der Oberflächenobjektsklitika" (Strozer 1976:379) die Kongruenz zwischen dem Klitikon und Objekt überprüft bzw. hergestellt wird. Strozer (1976:124;553,Fn.l4) und Rivas (1977:105) gehen beide von der Annahme aus, daß die gleichzeitige Generierung von Klitikon und entsprechender Objekt-NP in der Basis für alle - zumindest für alle romanischen - Sprachen gilt. Erst am Ende der syntaktischen Ableitung eines Satzes wird - falls notwendig - entweder das Klitikon oder die Objekt-NP durch eine Tilgungsregel, deren Funktionsweise einzelsprachlich festgelegt ist, getilgt: "At the end of the syntactic derivation, both coreferential CLs and NPs are present. A rule of CL/NP Deletion applies then and deletes either the CL, or the NE, or none of them. This rule is sensitive to the case of CL/NP pair, to whether the NP is a N[on]pr[onominal]NP or a F[ulI]Pron[oun], and in certain situations, to the animacy of the NprNP. This rule is language-anddialect dependent." (Rivas 1977:105)^ In ihrer im Vergleich zu Rivas (1977) wesentlich faktenreicheren und theoretisch fundierteren Arbeit weist Strozer (1976) darauf hin, daß nicht nur im Spanischen, sondern auch in anderen romanischen und nicht-romanischen Sprachen Klitika und Pronomina nicht komplementär distribuiert sein müssen: "[...] in several languages the clitics are not in complementary distribution with pronominal NPs, as appears to be the case in French. Rather, the clitic form and the stressed form may both oco-ocur in the same clause, without any intonational break [...]." (Strozer 1976:43) Unter anderem führt sie hierfür als Beleg Beispiele aus anderen romanischen Sprachen, wie z.B. dem Portugiesischen oder Rumänischen an (cf. Strozer 1976:43-44):16 (19) (20)

E que me importam a mim esse odio impotente, essa linguagem vergonhosa? Profesoral /' a chemat pe.. el, nu pe .. dänsa. Lehrer-der ihn hat gerufen PRAP ihn, nicht PRAP sie 'Der Lehrer hat ihn gerufen, nicht sie'

bei der Erklärung von Sätzen mit einem Klitikon und einem koreferenten nicht-pronominalen Objekt (cf. (14a) und

(18)).

15

Strozer (1976:126) nimmt eine Regel der Objektspronomentilgung an, die das Objektspronomen dann tilgt, wenn es nicht emphatisch oder nicht durch das Merkmal [+menschlich] gekennzeichnet isL Die Bedingungen für die Tilgung folgert Strozer aus der Annahme, daß ein Objektspronomen nur dann gleichzeitig mit einem koreferenten Klitikon gebraucht werden kann, wenn dieses eine emphatische Funktion hat und das Merkmal [+menschlich] trägt (cf. Strozer 1976:112ff).

16

Das portugiesische Beispiel hat Strozer aus Dias (1918:66f) entnommen, der es wiederum von Herculano zitiert; das rumänische Beispiel stammt aus Seiver (1953:116).

59 Strozer (1976:45) folgert daraus, daß in diesen Sprachen nur eine Basisgenerierung der Klitika in ihrer Oberflächenposition als adäquate Analyse in Frage kommt. Das gleiche nimmt sie auch für das Französische an, obwohl dessen Datenlage dagegen zu sprechen scheint. Strozer (1976:54) räumt zwar ein, daß es durchaus möglich wäre, daß sich das Französische hinsichtlich bestimmter (Transformations-)Regeln von den anderen romanischen Sprachen unterscheidet. Im Falle der klitischen Pronomina hält Strozer dies jedoch aufgrund der sehr großen Ähnlichkeiten, die zwischen den Klitika-Systemen der einzelnen romanischen Sprachen bestehen, für sehr unwahrscheinlich. Außerdem ist nach Ansicht von Strozer (1976:68ff) die Tatsache des gleichzeitigen Auftretens eines Klitikons mit einem koreferenten nicht-klitischen Pronomen bzw. Nomen nicht das einzige Argument, das für die Basisgenerierung des Klitikons in seiner Oberflächenposition spricht. Sie führt ein zusätzliches Argument an, das nicht nur für das Spanische, sondern auch für das Französische Gültigkeit hat. Basierend auf der Annahme, daß die präverbale Stellung der Objektsklitika in den romanischen Sprachen als Relikt einer früheren SOV-Stellung anzusehen ist (cf. z.B. Givón 1971, Otero 1975, Sasse 1977), merkt Strozer (1976:69) an, daß in diachronischer Hinsicht eine Bewegungsanalyse sehr unwahrscheinlich ist: "[...] this could very well mean that the objects [i.e. the object clitics, G.K.] are still in the base position they occupied almost two thousand years ago, that is, that they have never been 'placed' (diacronically at least) in postverbal position (cf. Hale 1973, esp. 340). If such is the case, it would make little sense, in the absense of strong synchronic arguments, to generate them in postverbal position and 'place' them in preverbal position in the course of the derivation be it by a movement transformation or by a copying rule." Einen weiteren Vorteil der Basisgenerierung sieht Strozer (1976:70) darin, daß die Klitika automatisch in der korrekten Reihenfolge generiert werden und somit keine Oberflächenbeschränkungen notwendig sind. Außerdem bietet die Basisgenerierung einen einheitlichen Ansatz, da bei Annahme einer Klitikbewegung zumindest 'inhärente' Klitika in der Basis generiert werden müßten (cf. Strozer 1976:70f). Anders als Kayne (1975) sind weder Strozer (1976) noch Rivas (1977) der Auffassung, daß die Bewegungsanalyse die wenigsten Zusatzannahmen erfordere und daher anderen Lösungen vorzuziehen sei. Nach Ansicht von Strozer (1976:57) müssen für die Klitikbewegung zwei "not altogether natural rules" (Klitikbewegung und se-Bewegung) eingeführt werden, wodurch der Transformationsapparat verkompliziert wird (cf. auch Rivas 1977:36). Die Generierung der Klitika in ihrer Oberflächenposition hingegen erfordert nur die Einführung einer zusätzlichen Phrasenstrukturregel, während gleichzeitig der Transformationsapparat vereinfacht wird. Nicht zuletzt aus diesem Grund folgern Strozer (1976) und Rivas (1977), daß die Basisgenerierung der Klitikbewegung vorzuziehen ist.

60 Diese Schlußfolgerung von Strozer und Rivas ist allerdings nicht ohne Widerspruch aufnommen worden. Trotz einer intensiven Diskussion innerhalb der generativen Grammatik, die bis heute noch andauert, ist letztendlich jedoch die entscheidende Frage einer generativen Analyse von Klitika, nämlich "whether clitics are moved or base-generated" (Burzio 1986:221), bis heute noch nicht geklärt. Auch in neuesten Arbeiten über Klitika werden beide Analysen immer wieder aufgegriffen und diskutiert, und es finden sich auch heute noch beide Vorschläge zur Generierung der Klitika." 3.2.3 Klitikbewegung versus Basisgenerierung In der Einleitung zu ihrem Sammelband über die Syntax pronominaler Klitika stellt Borer (1986) knapp einige Vor- und Nachteile von Klitikbewegung und Basisgenerierung gegenüber. Dabei sieht sie den entscheidenden Vorteil der Bewegungsanalyse darin, daß dadurch berücksichtigt wird, daß Klitika gleichzeitig morphologische und syntaktische Eigenschaften besitzen (siehe Kapitel 1). Durch die Generierung der klitischen Pronomina in der Komplementsposition eines Verbs wird nach Ansicht von Borer (1986:5) den NP-artigen Eigenschaften klitischer Pronomina Rechnung getragen und damit in einer "natürlichen Weise" auch der Tatsache, "that they satisfy the subcategorization frame of the head and are assigned the thematic (9) role by that head (and obey the selectional restrictions imposed by it) [...]". Die anschließende Anhebung der Klitika in eine vom V-Knoten dominierte Position erklärt die morphologischen Eigenschaften der Klitika, da sie mit dem Verb ein Wort bilden. Der Vorteil der Basisgenerierung besteht demgegenüber nach Meinung Borers (1986:4f) darin, daß dadurch Klitikverdoppelungskonstruktionen, d.h. Sätze, in denen ein klitisches Pronomen parallel mit einer koreferenten NP erscheint, erklärt werden können. Als weiteres, bereits im vorangegangenen Abschnitt angesprochenes Argument für eine Basisgenerierung von Objektsklitika, das Borer (1986) allerdings unerwähnt läßt, wird häufig angeführt, daß dadurch Sätze mit sogenannten 'inhärenten' Klitika wesentlich adäquater als durch die Bewegungsanalyse erklärt werden können. Jaeggli (1982:18) verwirft Kaynes Versuch einer Bewegungsanalyse für das 'inhärente' Klitikon se, indem er betont, daß zwischen dem Klitikon se und einem inhärent reflexivischen Verb keine semantische Beziehung besteht: "For example, the inherently reflexive verb sen prendre bears no simple semantic relation to prendre. It is hard to see how this change in meaning can be coded into the effect of a transformational operation, without enormously increasing the functional range of structural changes of transformations. In a 17

Cf. beispielsweise Borer (1984), die dafür argumentiert, daß die Klitika der romanischen Sprachen in ihrer Klitikposition basisgeneriert werden. Haegemann (1991:Kap.l2,Abschn.2) plädiert hingegen in Anlehnung an Kayne (1975) für eine Klitikbewegung der romanischen Klitika.

61 base analysis, on the other hand, this information would be easy to encode in the lexicon." Jaeggli (1982) weist außerdem daraufhin, daß sich Klitika in Konstruktionen des sogenannten freien, erweiterten oder nicht-lexikalischen Dativs ähnlich wie 'inhärente' Klitika verhalten. Diese Konstruktionen sind im Unterschied zu denen des lexikalischen Dativs unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß das Dativelement nicht durch den Subkategorisierungsrahmen eines Verbs gefordert wird. Zum nicht-lexikalischen Dativ werden neben dem am häufigsten in der Literatur erwähnten ethischen Dativ (z.B.(21a)) im allgemeinen u.a. der Pertinenzdativ (z.B.(21b)) oder der Dativ des Interesses (z.B. (21c)) gerechnet (cf. z.B. Abraham 1973, Leclère 1976, Bußmann 1983:80, Barnes 1980:247,1985:163ff):18 (21) (a) (m (c)

Au Mont Saint Michel, la mer te monte à une de ces vitesses! Ils m'ont cassé la jambe. Elle lui avait défait son pull.

Jaeggli (1982) zeigt auf, daß die Bewegungsanalyse für Sätze mit einem nichtlexikalischen Dativklitikon nicht nur aus semantischen Gründen "unnatürlich" ist, sondern auch aus syntaktischen Gründen ausgeschlossen werden muß. Er greift dabei ein Argument von Kayne (1975:391f) auf. Nach dessen Ansicht spricht für eine Bewegungsanalyse der 'inhärenten' Klitika, daß sie nie gleichzeitig mit zwei weiteren Objekten auftreten können (siehe Abschnitt 3.2.1). Jaeggli (1982:18) hingegen zeigt anhand von Beispielen aus dem Spanischen, daß ein nicht-lexikalisches Klitikon (des ethischen Dativs) gleichzeitig mit zwei Objekten, einem indirekten und einem direkten Objekt, auftreten kann (cf. auch Perlmutter 1971:77): (22) (a) (m (c)

Me le arruinaron la vida a mi hijo. No me le compliques la vida a mi chiquita. Te le corniste el pan a Miguel, pero a mi no te me lo comas.

Jaeggli (1982:18f) betont, daß in solchen Fällen nicht von einer Bewegungsanalyse für die Klitika ausgegangen werden kann, da die Positionen, aus denen herausbewegt werden müßte, besetzt sind. Sätze mit einem nicht-lexikalischem Dativ sind außerdem - ähnlich wie Sätze mit einem 'inhärenten' Klitikon - häufig nur mit Klitikon und nicht mit einer Dativ-à-NP möglich. Leclère (1976:88) weist auch darauf hin, daß z.B. in Satz (21a) kein mit dem Klitikon te koreferentes Pronomen möglich ist (cf. (23a)); in einem Satz mit einem lexikalischen Dativ hingegen kann ein entsprechendes disloziertes Dativpronomen auftreten (cf. (23b)):

18

In bezug auf die Unterteilung des nicht-lexikalischen Dativs bestehen in der Literatur sehr unterschiedliche und auch widersprüchliche Auffassungen, auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden kann (cf. u.a. Barnes 1980 oder Morin 1981:102).

62 (23) (a) (b)

*Ici, au Mont Saint Michel, la mer te monte à une de ces vitesses, à toil Paul te raconte de ses idioties, à toil

Leclère (1976:88) erklärt die Ungrammatikalität von Satz (23a) dadurch, daß ein ethischer Dativ nicht die Position einer à-NP einnehmen kann und demzufolge nicht disloziert werden kann. Das Klitikon in (21a) kann folglich nicht aus einer à-NP abgeleitet sein. Auch Kayne (1975) erörtert einige Schwierigkeiten, die mit einer Bewegungsanalyse für Sätze mit nicht-lexikalischen Dativklitika verbunden sind. Er führt dabei auch Sätze mit possessivischen Dativklitika an, deren Ersetzung durch eine entsprechende à-NP nur für einige wenige Sprecher akzeptabel zu sein scheint (cf. (24b)).19 Steht anstatt der à-NP eine de-NP ist der Satz vollkommen grammatisch (cf. (24c))(cf. Kayne 1975:142f): (24) (a) (b) (c)

On lui a tiré dans le ventre. ??On a tiré dans le ventre à ce garçon. On a tiré dans le ventre de ce garçon.

Kayne (1975:143) argumentiert dennoch dahingehend, daß das Klitikon in (24a) aus einer à-NP abgeleitet werden kann, da es in vielen ähnlichen Kontexten nicht nur durch eine de-NP, sondern auch durch ein à-Komplement ersetzt werden kann: (25) (a) (b) (c)

On lui a cassé le bras. On a cassé le bras à ce garçon. On a cassé le bras de ce garçon.

Obwohl Satz (25b) nach Angaben von Kayne (1975:143) "perhaps slightly less natural" als Satz (25c) ist, gibt es seiner Ansicht nach Evidenz dafür, daß "the dative clitic in these constructions is derived from an à complement and, more generally, that there are no instances of pronouns moved by Cl[itic]-Pl[acement] from the environment Prep unless Prep equals à" (Kayne 1975:145). Er zeigt, daß bei ähnlichen Konstruktionen mit dem Verb casser das Komplement mit der Präposition à grammatisch ist, während ein de-Komplement ausgeschlossen bzw. zumindest weniger akzeptabel ist. Dies ist z.B. bei einer Hervorhebung durch c'est (cf. z.B.(26)) der Fall sowie im Falle einer Pronominalisierung (cf. z.B. (27)) oder in ne ... queKonstruktionen (cf. z.B.(28))(cf. Kayne 1975:143ff):

19

(26) (a) (b)

C'est le bras qu'on a cassé à ce garçon. *C'est le bras qu'on a cassé de ce garçon.

(27) (a) (b)

On le cassera à ce garçon. *On le cassera de ce garçon.

(28) (a) (b)

On ne cassera le bras qu'à ce garçon. *?On ne cassera le bras que de ce garçon.

Morin (1981:103) weist hingegen darauf hin. daß alle von ihm befragten Sprecher Satz (24b) als grammatisch beurteilten.

63 Die Grammatikalitätsunterschiede in den Sätzen (26)-(28) bestätigen für Kayne (1975:159f) die Annahme, daß das Klitikon in (25a) aus einem a-NP-Komplement abgeleitet werden kann. Er räumt allerdings ein, daß in einigen anderen Fällen eine solche Ableitung eines nicht-lexikalischen Dativklitikons schwieriger zu belegen ist. Dennoch hält er letztendlich an der Bewegungsanalyse fest. Einige Vertreter der Bewegungsanalyse versuchen, das Problem mit den nicht-lexikalischen Dativklitika einzuschränken, indem sie darauf hinweisen, daß Konstruktionen mit einem ethischen Dativ in der gesprochenen Sprache relativ selten anzutreffen seien (cf. z.B. Perlmutter 1971:64, Herschensohn 1980a:217, Fiengo & Gitterman 1978:144).20 Herschensohn (1980a:217f) schließt daraus, daß es sich bei solchen Konstruktionen um syntaktisch markierte Äußerungen handelt, die durch eine Reihe von Diskursbedingungen beschränkt sind und nur periphere Verletzungen der Klitikbewegungsregel hervorrufen können.21 Für Fiengo & Gitterman (1978:144) lassen sich - wie ebenfalls für Kayne (1975) - diese ihrer Ansicht nach nur für wenige Sprecher akzeptablen Sätze mit ethischen Dativklitika per Bewegungsanalyse erklären. Sie schlagen vor, daß das Klitikon in (29a) aus einer zugrundeliegenden pourPräpositionalphrase abgeleitet wird (29b): (29) (a) (b)

Tu vas me lui casser la figure. Tu vas [ s tu casser la figure ä lui pour moi]

Mit dieser Annahme befinden sich Fiengo & Gitterman (1978) allerdings im krassen Widerspruch zu Kayne (1975:Kap.2, Teil 3), der explizit die Ableitung von Objektsklitika aus poMr-Komplementen - sowie aus anderen Präpositionalphrasen abgesehen von á-NPs - ausschließt. Auf die Argumente Kaynes gegen eine solche Analyse gehen sie jedoch nicht ein und liefern auch selbst keinerlei Evidenz für ihre Annahme, deren sie sich auch nicht sicher sind.22 Morin (1979a:297) weist auf ein weiteres Problem bei der Analyse von Sätzen mit einem ethischen Dativklitikon durch Fiengo & Gitterman (1978) hin. Er zeigt auf, daß ein Satz wie (30), der ein ethisches Klitikon enthält, nicht aufgrund der von Fiengo & Gitterman vorgeschlagenen Regeln abgeleitet werden kann: (30)

Je te lui en donnerais (moi, des claques ä c't animal).

Nach der Analyse von Fiengo & Gitterman (1978) kann angenommen werden, daß der Satz (31a) die zugrundeliegende Struktur von (30) darstellt. Gemäß der von ihnen - in Analogie zu Chomskys A-über-A-Bedingung (cf. Chomsky 1973) - postulierten A-vor-A-Bedingung kann nur das in (31a) adjazent zum Verb stehende Adverbialkli20

Andere Autoren (z.B. Morin 1981:104) hingegen beobachten genau das Gegenteil, nämlich eine relativ häufige Verwendung dieses Dativs gerade in der Umgangsprache. 21 Morin (1981:103) betont allerdings demgegenüber zurecht, daß ein seltener Gebrauch einer Konstruktion noch lange kein Argument für deren syntaktische Markiertheit sei. 22

Cf. Fiengo & Gitterman (1978:144): "Concerning the identity of the preposition preceding moi, which we have postulated to be pour, one cannot be certain."

64

tikon en durch die Klitisierungsregel bewegt werden (cf.(31b)). Anschließend ist durch die Regel "Hopping" nur noch die Bewegung von lui vor das Verb möglich (cf. (31c)): (31)

(a) (b) (c)

Je donnerais en ä lui pour toi. Je en donnerais ä lui pour toi. Je lui en donnerais pour toi.

Abgesehen von diesen Mängeln weist die Arbeit von Fiengo & Gitterman (1978) noch eine Vielzahl von Problemen und Inadäquatheiten auf, so daß deren Thesen letztendlich sowohl hinsichtlich der Beschreibungs- wie auch Erklärungsadäquatheit als völlig verfehlt betrachtet werden müssen. 23 Rouveret & Vergnaud (1980) versuchen die Schwierigkeiten der Bewegungsanalyse mit den nicht-lexikalischen Dativklitika durch die Annahme zu lösen, daß sie eine besondere semantische Interpretation erhalten. Ihrer Ansicht nach werden diese Klitika wie alle anderen klitischen Dativpronomina im Französischen aus einem postverbalen, präpositionslosen Dativpronomen abgeleitet, das durch die folgende Phrasenstrukturregel erzeugt wird (cf. Rouveret & Vergnaud 1980:168): (32)

V'

->

V (NP)(S)(Dativpronomen)

Demzufolge hat ein Satz wie z.B. (33a) die zugrundeliegende Struktur (33b) (cf. Rouveret & Vergnaud 1980:168): (33)

(a) (b)

Jean lui parle. Jean parle1 lui, Prep1 NP (Prep1 und NP ; sind leer)

Gemäß der Analyse von Rouveret & Vergnaud vollzieht sich die Ableitung von (33a) in drei Schritten: Zunächst wird das Pronomen bewegt (Klitikbewegung) (cf. (34a), danach werden alle Argumente des Verbs mit einem Index versehen ("Argument

23

Cf. hierzu auch Morin (1979a), Herschensohn (1980a). Viele der von Fiengo & Gitterman (1978) vorgeschlagenen Regeln werden ad hoc formuliert und bleiben unmotiviert. Nach Ansicht von Fiengo & Gitterman (1978) werden alle klitischen Pronomina aus in der Tiefenstruktur eingeführten nicht-klitischen Pronominalformen abgeleitet und aufgrund von Klitisierungsregeln in die zweite Position des Satzes bewegt, wo sie aufgrund von Regeln zur Betonungsabschwächung "geschwächt" werden. Diese Annahme, wonach Klitika im Französischen stets in die zweite Position des Satzes bewegt werden, wird lediglich mit einem Hinweis auf Zwicky (1977) unterstützt (cf. Herschensohn 1980a:211). Zwickys Diskussion der Frage, wie in den verschiedenen Sprachen die "zweite Position" unterschiedlich zu definieren ist, bleibt dabei unberücksichtigt. Es bleibt völlig offen, was Fiengo & Gitterman unter dem Begriff der zweiten Position verstehen. Eine Definition wird nicht gegeben. Auch unabhängig davon, wie eine solche Position definiert würde, ist eine derartige Klitisierungsregel empirisch unhaltbar, wie die folgenden Beispielsätze belegen (cf. Morin 1979a:294f): (i) (a) Me voilà, (b) Le veux-tu? Die französischen Objekts klitika können durchaus auch in einer satzinitialen Position erscheinen. Das gleiche gilt im übrigen auch für die Stellung der Subjektsklitika, die allerdings von Fiengo & Gitterman gar nicht zur Kenntnis genommen werden. Sie müßten ebenfalls einer solchen Klitisierungsregel unterliegen. Folglich wären zusätzliche Erweiterungen der Regel notwendig, um die Stellung der Klitika, die nicht in der zweiten Position stehen, zu ermöglichen (cf. auch Herschensohn 1980a:214).

65 Indexing Convention"24) (cf. (34b)) und schließlich wird die präpositionale NP mit dem Dativ-NP-Komplement koindiziert (Dativbindung)(cf. (34c)): (34) (a) (b) (c)

Jean luij parle1 NPj Prep1 NPj Jean lui;1 parle1 NP;1 Prep1 NP:1 Jean lui/ parle1 NP,1 Prep1 NPj1

Nach der Analyse von Rouveret & Vergnaud ist die Anwendung der letzten Regel, d.h. der Dativbindung, für alle Sätze mit präverbalen Dativklitika obligatorisch. Voraussetzung dafür ist, daß sowohl die Präposition wie auch die nachfolgende NP lexikalisch leer sind: "[...] we will assume that in a sentence of the form ... dative + V ... the dative clitic must bind an empty NP position inside a PP for a well-formed output to be produced." (Rouveret & Vergnaud 1980:168) Demnach müßte der Satz (35) ungrammatisch sein, da die NP innerhalb der PP nicht lexikalisch leer ist: (35)

Il lui a parlé à sa fille pendant trois heures.

Rouveret & Vergnaud nehmen an, daß in solchen Sätzen das Dativklitikon als 'benefaktivisch' interpretiert werden kann. Das heißt, das Klitikon erhält eine Interpretation, die von dem à-NP-Komplement unabhängig ist. Dies hat zur Folge, daß in diesem Fall die Dativ-NP eine PP außerhalb von V' kontrollieren kann und der Satz (35) dadurch wohlgeformt ist (cf. Rouveret & Vergnaud 1980:170). Neben diesen Arbeiten von Fiengo & Gitterman (1978) und Rouveret & Vergnaud (1980) sind insbesondere die Arbeiten von Quicoli (1976,1980) zu nennen, in denen die Kaynesche Bewegungsanalyse für klitische Objektspronomina weiterentwickelt worden ist. Quicoli (1976) übernimmt die auf dem Französischen basierende Annahme Kaynes, daß die Klitikbewegungstransformation eine Variable zwischen dem Verb-Term und dem Pronomen-Term enthalten muß (cf. (9)), die er durch Daten aus dem Portugiesischen bestätigt sieht. Seiner Ansicht nach zeigen die Sätze in (36), daß ein Objektspronomen über eine prinzipiell unendliche Anzahl von V-Knoten (cf. (36a)) oder über eine NP oder Adverbialphrase hinwegbewegt werden kann (cf.(36b)(36c))(cf. Quicoli 1976:200f,Fn.2): (36) (a) (b) (c)

O mèdico näo nos queria vir ver 0. José nos deu um livro 0. Eie Ihes quer bem 0.

Ebenso wie Rouveret & Vergnaud (1980) befaßt sich Quicoli vorwiegend mit der Stellung der Klitika in Kausativkonstruktionen und anderen Sätzen mit komplexen Verbalphrasen. Er übernimmt dabei weitgehend Kaynes Analyse der Klitikbewegung und dessen Annahme, daß die Möglichkeit der Klitikanhebung in solchen Sätzen 24

Durch diese Regel werden alle Argumente des Verbs mit einem Superskript Vergnaud 1980:160ff).

versehen (cf. dazu Rouveret &

66 durch die Beschränkung des Spezifizierten Subjekt festgelegt ist. 25 Ein Problem dieser Analyse ergibt sich allerdings durch die notwendige Annahme, daß die Spur des getilgten Subjektes im eingebetteten Satz (Equi-NP-Tilgung) in einigen Fällen getilgt werden, in anderen Fällen erhalten bleiben muß. Nur so kann erklärt werden, warum in (37b) kein spezifiziertes Subjekt die Anhebung des Klitikons verhindert. Für andere Sätze hingegen muß angenommen werden, daß die leere Spur des eingebetteten Subjekts vorhanden ist und somit die Anhebung des Klitikons ausschließt (cf.38b) (cf. Pizzini 1982:49ff): (37) (38)

(a) (b) (a) (b)

Juan quiere construir/o. Juan lo quiere construir. Juan le enseñó a Marta a dibujar/o. *Juan se lo enseñó a Marta a dibujar.

Ein zusätzliches Problem dieser Analyse entsteht nach Ansicht von Pizzini (1982:50f) durch die Tatsache, daß einige Sprecher die Anhebung des Klitikons in (38) durchaus akzeptieren, wenn die Objekt-NP rechts vom infiniten Verb des Nebensatzes erscheint: (38)

(c)

Juan se lo enseñó a dibujar a Marta.

Pizzini (1982) folgert daraus, daß die Beschränkungen für die Klitikanhebung in Sätzen mit komplexen Verbalphrasen nicht auf die Beschränkung des Spezifizierten Subjekts zurückgeführt werden können. Seiner Ansicht nach läßt sich das Verhalten der klitischen Pronomina im Portugiesischen und Spanischen besser durch die Annahme erklären, daß Klitika durch eine Phrasenstrukturregel basisgeneriert werden. Dies hat zwar eine Erweiterung der Phrasenstrukturregeln zur Folge, reduziert aber gleichzeitig die Anzahl der notwendigen Transformationen. Die von ihm vorgeschlagenen Transformationsregeln betreffen nur benachbarte Knoten, so daß die Beschränkung des Spezifizierten Subjekts irrelevant ist.

25

Da ich bei meiner Analyse der Klitika deren Syntax und Verhalten in komplexen Verbalphrasen unberücksichtigt lassen werde, gehe ich in meinem Literaturüberblick nicht ausführlicher auf diese Diskussion ein. Für eine kritische Beurteilung von Quicolis Analyse der Klitikanhebungsphänomene im Portugiesischen verweise ich auf die Arbeiten von Pizzini (1981,1982) und Comrie (1982). Die Kritik richtet sich v.a. gegen Quicolis Klassifizierung der Veiten, wodurch die Grammatikalitätsunterschiede bei der Klitikanhebung erfaßt werden sollen. Nach Ansicht von Quicoli (1976) ist die Anhebung des Klitikons ausgeschlossen, wenn es sich bei dem finiten Verb des Matrixsatzes um ein Verb handelt, das die obligatorische Kontrolle des Subjekts des eingebetteten Satzes verlangt. Hierzu rechnet er die Verben persuadir und prometer. Veiben hingegen, bei denen das Subjekt des eingebetteten Satzes nicht obligatorisch, sondern nur optional kontrolliert ist (z.B. querer), erlauben nach Ansicht von Quicoli die Anhebung des Klitikons an das finite Verb. Pizzini (1981:416) weist demgegenüber darauf hin, daß auch bei Verben der obligatorischen Kontrolle die Klitikanhebung möglich ist (z.B. mit procurar). Comrie (1982) betont, daß im brasilianischen Portugiesisch die Klitikanhebung bei querer praktisch ausgeschlossen ist. In einer Auswertung des Romans Terra do sem fim des brasilianischen Autors Jorge Amado beobachtet Comrie, daß Klitikanhebung in komplexen Verbalphrasen des brasilianischen Portugiesisch nur mit einigen wenigen Verben möglich ist. Comrie (1982:260) kommt - anders als Quicoli (1976) - zu dem Ergebnis, daß "the speciflcation of the set of verbs allowing Clitic-Climbing in Brazilian Portuguese is not dependent on syntactic structural differences, but rather on lexical structure and semantics." Außerdem findet Comrie, daß auch die Merkmale, die ein Klitikon trägt, eine Rolle bei der Klitikanhebung spielen, da fast ausschließlich nur Akkusativklitika der 3. Person vor das finite Verb angehoben werden.

67 Zu dem gleichen Ergebnis wie Pizzini, nämlich daß die klitischen Objektspronomina in den romanischen Sprachen basisgeneriert sind, kommt auch Burzio (1982), der ebenfalls das Verhalten dieser Pronomina in Sätzen mit komplexen Verbalphrasen untersucht. Anders als Pizzini arbeitet Burzio allerdings bereits im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie, so daß sich die Diskussion über die Auswirkungen seiner Theorie auf die Phrasenstrukturgrammatik erübrigt. Burzio befaßt sich auch kurz mit Sätzen mit einfachen Verbalphrasen im Italienischen. Hierbei nimmt er an, daß sowohl das klitische Reflexivpronomen wie auch das klitische Objektspronomen bereits in der Tiefenstruktur in präverbaler Klitikposition stehen und dort durch Koindizierung mit einem leeren Element in der Komplementsposition des Verbs verbunden sind (cf. Burzio 1982:35 sowie 1986:37): (39) (a)

Maria si guarda [e].

(b)

Maria lo guarda [e].

Einzig für die 'inhärenten' Klitika (cf. (40a)) und die von Burzio (1986:37) als "ergativisch" bezeichneten Klitika (cf. (40b)) postuliert Burzio (1986:36-42) eine andere Analyse. Diese Klitika sind seiner Ansicht nach nicht in einer präverbalen Klitikposition generiert, sondern als Affixe ohne jegliche syntaktische Funktion direkt an das Verb gebunden (cf. Burzio 1986:36-42): (40) (a) (b)

Giovanni si sbaglia. II vetro si rompe.

Die unterschiedliche Analyse von 'inhärenten' bzw. 'ergativischen' Klitika und von "normalen" Objekts- bzw. Reflexivpronomina ist nicht neu. Bereits Jaeggli (1982:19) fordert in seiner Untersuchung der spanischen und französischen Objektsklitika eine besondere Behandlung der 'inhärenten' und nicht-lexikalischen Klitika: "A minimal conclusion given these cases seems to be that at least some clitics must be generated in clitic position. With benefactives it appears that nothing at all is accounted for by positing a transformational derivation. And the grammar would have to be complicated to force cliticization of some very abstract (impossible surface) complement, if we were to maintain a classical analysis. (In this respect, notice that Kayne has to force cliticization of inherent se (cf. Kayne (1975),p.392)). It is not entirely clear how this should be done." Letztendlich kommt Jaeggli (1982:21) aber zu dem Ergebnis, daß nicht nur die 'inhärenten' und nicht-lexikalischen Klitika, sondern alle Objektsklitika in ihrer Oberflächenposition basisgeneriert werden müssen. Seiner Ansicht nach können sie in dieser Klitikposition als Objekt des Verbs identifiziert werden, und sie besitzen außerdem einen eigenen Subkategorisierungsrahmen, der etwa folgendermaßen aussieht: [ V] (cf. Jaeggli 1986:17). Somit kann die Beobachtung Kaynes, daß sich das

68 'inhärente' se genauso wie ein "normales" Objektsklitikon verhält, ohne Bewegungsregel erklärt werden (cf. Jaeggli 1982:21). Allerdings weist Jaeggli (1982:19f) auf einige Mängel der Basisgenerierung hin, die es noch zu beseitigen gilt.26 Die Basisgenerierung wird seiner Ansicht nach zwar der Existenz sogenannter Klitikverdoppelungskonstruktionen gerecht, erklärt aber nicht, warum bestimmte Verdoppelungen ausgeschlossen sind. Mit anderen Worten, durch die Basisgenerierung können zwar Sätze wie (41a) erklärt werden, gleichzeitig bleibt aber unerklärt, warum ein Satz wie (41b) nicht möglich ist. Bei der Annahme einer Basisgenerierung wäre jedoch zu erwarten, daß Satz (41b) ebenso grammatisch wie (41a) ist: (41) (a) (b)

Miguelito le regalö un caramelo a Mafalda. *La vimos la casa de Mafalda.

Ein zweiter Nachteil der Basisanalyse ist nach Ansicht von Jaeggli (1982:20) der, daß der markierte Fall als Normalfall angenommmen wird. Jaeggli vermutet, daß innerhalb der romanischen Sprachen Klitikverdoppelungen ein "marked phenomenon" zu sein scheinen, während die komplementäre Distribution das Normale sei. Die Basisanalyse geht jedoch genau von der entgegengesetzten Annahme aus. Sie nimmt an, daß "the more common construction should be one in which both the clitic and the NP lexical object cooccur" (Jaeggli 1982:20). Hiermit formuliert Jaeggli (1982) einen der am häufigsten vorgetragenen Einwände gegen die Basisgenerierung der romanischen Klitika. Dieser Einwand basiert auf der Annahme, daß die gleichzeitige Verwendung von einem Klitikon und einer koreferenten NP in den romanischen Sprachen ausgeschlossen bzw. i.d.R. nur dann möglich sei, wenn die NP in einer dislozierten Position steht. Diese Annahme dient sehr häufig als Beleg sowohl für die Generierung der Objektsklitika in der Objektsposition als auch für die Generierung der Subjektsklitika in der Subjektsposition. Auch Kayne (1975) stützt hierauf seine Analyse der Klitikbewegung. Von den Kritikern der Klitikbewegung wird allerdings gerade dieses Argument immer wieder in Frage gestellt. Bereits die Arbeiten von Strozer (1976) und Rivas (1977) zeigen, daß eine auf dieser Annahme basierende Analyse zumindest für das Spanische nicht aufrechterhalten werden kann. Strozer weist zudem darauf hin, daß auch in anderen romanischen Sprachen, wie z.B. dem Portugiesischen oder Rumänischen, keineswegs stets eine komplementäre Distribution von Klitika und koreferenten nicht-klitischen Nomina anzutreffen ist. Dies wird in vielen anderen Arbeiten bestätigt. Es zeigt sich, daß auch im Französischen - wie an anderer Stelle dieser Arbeit noch deutlich gemacht werden wird - Klitikverdoppelungen keineswegs ausgeschlossen sind.

26

Zu den Lösungsvorschlägen Jaegglis hierzu siehe weiter unten in den Abschnitten 3.2.5 und 3.2.6.

69 Des weiteren wird in der Diskussion der Klitikbewegung deutlich, daß die Frage der Generierung von nicht-lexikalischen Dativklitika im Rahmen einer Analyse der Klitikbewegung nicht zufriedenstellend gelöst werden kann. Diese Beobachtung wird auch von Emonds (1975) aufgegriffen. Entsprechend der oben erwähnten Forderung Jaegglis schlägt er deshalb in seiner Analyse der französischen Objektsklitika vor, die 'inhärenten' Klitika in ihrer präverbalen Position basiszugenerieren, da sie nicht aus einer Komplementsposition abgeleitet werden könnten. Die übrigen Klitika hingegen unterliegen nach Ansicht von Emonds einer Bewegungstransformation, so daß dessen Klitikanalyse als eine Art "Kompromiß" zwischen der Klitikbewegung und der Basisgenerierung angesehen werden kann. 3.2.4 Klitikbewegung und Basisgenerierung Bei seinen Vorschlägen zur Basisgenerierung der 'inhärenten' Klitika beruft sich Emonds (1975) auf Kaynes Analyse von Verben wie z.B. s'évanouir oder s'en aller. Er nimmt an, "that a large class of French verbs which must have reflexive pronoun objetcs (s'évanouir, s'en aller, etc.) are sub-categorized in deep structure to take a preceding clitic form" (Emonds 1975:15).27 Aus diesem Grund schlägt er die folgende Phrasenstrukturregel für das Französische vor: (42)

V' V

->

\

f

(PRO) - (CL) - TENSE

Nach Ansicht von Emonds (1975:15f) ist der (präverbale) Knoten PRO nur dann in der Tiefenstruktur lexikalisch gefüllt,28 wenn das Verb "intrinsisch pronominal" ist, andernfalls ist PRO in der Tiefenstruktur als leerer Knoten generiert. Die Klitika aller sonstigen Verben werden nicht in PRO basisgeneriert, sondern gelangen aufgrund von Transformationen postverbaler 'starker' Objektspronominalformen in ihre präverbale Position. Hierbei unterscheidet Emonds zwischen zwei Transformationen.29 Die in der postverbalen Position basisgenerierten nicht-klitischen Pronominalformen lui, eux, elle und elles werden durch eine lokale Transformationsregel über den adjazenten V'-Knoten bewegt und in die Formen des definiten Artikel le, la und les transformiert (cf. Emonds 1975:17):30 27

Emonds (1975) stützt sich offensichtlich auf Kaynes Bemerkung, daß es für das 'inhärente' se keine "convenient postverbal NP source" gäbe (cf. Kayne 1975:386). Er ignoriert dabei allerdings Kaynes - oben dargestellte - Argumente für eine Bewegungsanalyse der 'inhärenten' Klitika.

28

Der Knoten CL steht für die adverbialen Klitika y und en als Landeplatz bzw. zu deren Basisgenerierung zur Verfügung (cf. Emonds 1975:8ff).

29

Zur Transformationstheorie von Emonds siehe Abschnitt 3.1.

30

Emonds (1975:16) begründet die Annahme unterschiedlicher Transformationsregeln für die Klitika le, la und ¡es als für alle übrigen Objektsklitika dadurch, indem er auf eine Reihe von Besonderheiten der Klitika le, la und les hinweist: a) Sie weisen in Klitik-Kombinationen eine besondere Wortstellung auf (cf. Perlmutter 1971); b) sie unterscheiden sich in ihrer Form "radikaler" von den entsprechenden nicht-klitischen Pronominalformen; c) sie mar-

70

(43) le,la,les-Regel ("le,la,les rule"):

Alle anderen Objektsklitika hingegen werden in den durch die Phrasenstrukturregel in (42) generierten PRO-Knoten bewegt. Sie werden ebenfalls aus postverbalen, nichtklitischen Pronominalformen abgeleitet und gelangen aufgrund der Regel der pronominalen Klitikbewegung dorthin (cf. Emonds 1975:18): (44) Pronominale Klitikbewegung ("Pronominal clitic placement"): X1

MPRO

1 -r5

A] - Y] + Z - [np (d)-PRO] - W => 2 3 4 5 6 "1-3-0-0-6

L-FEMJ

Im Unterschied zur le,la,les-Regel kann die Regel (44) nicht lokal sein, da hierbei das Klitikon über V' und über V'-NP-Sequenzen hinwegbewegt werden muß. Nach Emonds' Transformationstheorie muß es sich folglich um eine strukturerhaltende Transformation handeln. 31 Diese Forderung wird durch das Vorhandensein des leeren PRO-Knotens erfüllt, in den die Objektspronomina bewegt werden können. Somit findet Emonds (1975:22) im Rahmen seiner Transformationstheorie eine unabhängige Evidenz für die Regel (42), d.h. für die Erzeugung eines eigenen KlitikKnotens durch die Phrasenstrukturregeln für 'inhärente' Klitika: "We have seen that the local transformation which moves (nonreflexive third person) direct objects over the verb does not require that a clitic node be generated in preverbal position in French by base rules. However, the fullblown clitic placement rule, which moves both direct and indirect object pronouns over a variable, does require such a base rule, and I have required that such base nodes can be generated only if there is a productive class of constructions for which they are filled in the deep structure. This means that the full clitic-placement rule can exist in French only by virtue of the fact that there is a lexical class of intrinsically reflexive (more neutrally 'intrinsically pronominal') verbs." Entsprechend der Analyse von Emonds gibt es - abgesehen von dem CL-Knoten zwei Positionen, in denen klitische Pronomina auftreten können. Zum einen die durch die Phrasenstrukturregeln generierte PRO-Position als Ort der Generierung für kieren das grammatische Genus; d) sie markieren eine Unterscheidung des grammatischen Kasus (vgl. lui und leur). 31

Der dritte Transformationstyp, nämlich eine Wurzeltransformation, kommt nicht in Frage, da die Klitikbewegung nicht den höchsten S-Knoten eines Satzes betrifft.

71 "intrinsische" Klitika und Landeplatz für bewegte Objektsklitika und zum anderen die Position, die bei der lokalen Transformation von le, la und les entsteht. Emonds gelingt es somit im Rahmen seines Transformationsmodells die Basisgenerierung der 'inhärenten' Klitika und gleichzeitig die Bewegung der anderen Klitika zu erklären. Alllerdings muß gefragt werden, ob eine solche unterschiedliche Analyse der klitischen Pronomina empirisch gerechtfertigt werden kann. Wie die Überprüfung des Klitik- und Affixstatus dieser Pronomina gezeigt hat, weisen sie keinerlei unterschiedlichen syntaktischen Verhaltensweisen auf. Daher bleibt offen, warum nicht alle Klitika in einer präverbalen Position basisgeneriert werden. Außerdem können durch Emonds' Klitikanalyse ebensowenig wie durch die Analyse der Klitikbewegung Klitikverdoppelungskonstruktionen erklären werden. Mit anderen Worten, auch der "Kompromißversuch" von Emonds kann nicht als eine adäquate Analyse für die Klitika der romanischen Sprachen angesehen werden. Trotz der Mängel der von Kayne (1975) entwickelten Analyse der Klitikbewegung darf die Bedeutung der Arbeit von Kayne nicht herabgesetzt werden. Sie besteht nicht nur darin, eine der ersten generativen Analysen der klitischen Pronomina der romanischen Sprachen zu sein und damit die generative Klitikdiskussion erst in Gang gesetzt zu haben. Kaynes Arbeit zeichnet sich auch durch eine gründliche und differenzierte Darstellung der sprachlichen Fakten aus und liefert eine - im Rahmen der damaligen Theorie - schlüssige Analyse der französischen Klitika. Sie muß aus diesem Grund für jede Untersuchung klitischer Pronomina in den romanischen Sprachen die Grundlage bilden und bleibt bis heute unverzichtbar. Eine ebenso umfangreiche und gründliche Arbeit wie die von Kayne ist die Klitikanalyse von Strozer (1976). Sie stellt ausführlich die sehr komplizierte Datenlage dar, die im Spanischen bzgl. des Gebrauchs der Objektsklitika besteht, und weist auch darauf hin, daß die Akzeptabilitätsurteile bzgl. einiger Klitikkonstruktionen bisweilen von Sprecher zu Sprecher stark schwanken können. Ihre Analyse basiert auf einem von ihr als repräsentativ ausgewählten Datenkorpus, wobei sie sich durchaus bewußt ist, daß eine solche Auswahl "a very direct impact on the construction of the theory" haben kann (Strozer 1976:24). Derartige Überlegungen gibt es hingegen bei Rivas (1977) nicht. Auf Akzeptabilitätsunterschiede geht Rivas überhaupt nicht ein. Nicht zuletzt deshalb muß seine Arbeit als deskriptiv unzureichend angesehen werden. Hinzu kommt, daß Rivas, obwohl er neben dem Spanischen auch das Französische analysiert, die Subjektsklitika völlig unberücksichtigt läßt. Dies ist umso erstaunlicher, als Rivas im Titel seiner Arbeit den Anspruch erhebt, eine Theorie der Klitika zu erstellen. Er gibt in seiner Arbeit weder eine Definition des Begriffs 'Klitikon' noch - anders als bei Kayne oder Strozer - Kriterien für die von ihm vorgenommene Bestimmung und Einteilung der Klitika an. Rivas (1977:24) unterteilt die Klitika lediglich "acording to case into accusative (acc) CLs, dative (dat) CLs, reflexive (refl) CLs and prepositional (prep) CLs".

72 Für die heutige generative Diskussion der Klitika, die im folgenden dargestellt werden soll, stellt sich die Frage, wie (und ob) die sprachlichen Fakten im Modell der Prinzipen- und Parametertheorie adäquater erfaßt werden können und ob die Klitiktheorien der generativen Transformationsgrammatik in dieses Modell integriert werden können. Im Mittelpunkt der modernen generativen Klitikanalysen steht insbesondere der Versuch, das besondere Stellungsverhalten der Klitika im Rahmen der X'Theorie zu erfassen. 3.2.5 Struktur und kategorialer Status der Klitikposition Unabhängig davon, ob von einer Klitikbewegung oder einer Basisgenerierung des Klitikons in einer präverbalen Klitikposition ausgegangen wird, muß geklärt werden, an welcher Stelle im Phrasenstrukturbaum die Klitikpositionen anzuordnen sind. In den meisten frühen generativen Arbeiten über die Objektsklitika wird angenommen, daß die Klitikposition(en) zusätzlich an die VP oder an V' angehängt werden. So schlägt beispielsweise Strozer (1976) etwa folgenden Strukturbaum für die spanischen Klitika vor (cf. Strozer 1976:120,136 u.a.):

[+dir]

[-dir]

Im Rahmen der Theorie der X'-Syntax und der damit verbundenen Annahme, daß alle Phrasen nach einem einheitlichen Muster mit binären Knoten aufgebaut sind, sind derartige Strukturen nicht mehr zu rechtfertigen (cf. Chomsky 1981:17-55, 1986a:160f, Kayne 1984). In den meisten Klitikanalysen wird die folgende Struktur angenommen (cf. Borer 1986:5, Di Sciullo 1990:221): Vn

(46) Kl

V

Die einzelnen Analysen unterscheiden sich letztendlich nur darin, welcher Wert der Variablen n zugewiesen wird. Rivas (1977) und Jaeggli (1982) ordnen der Variablen in der Struktur in (46) den Wert 1 zu.32 Kayne (1975:81f) hingegen postuliert, daß aufgrund der engen Bindung, die zwischen Klitikon und Verb besteht, ein Klitikon anders als ein nicht-klitisches Pronomen - unmittelbar von V° dominiert sein muß. Klitisierung wird demzufolge als ein Prozeß verstanden, der in der morphologischen Komponente angeordnet ist (cf. z.B. auch Lapointe 1980:245). Borer (1984) weist darauf hin, daß eine solche Analyse aufgrund der affixartigen Eigenschaften, durch 32

In der Analyse von Rivas (1977:34) wird der Klitikknoten als "Superclitic node that dominates the individual clitics" aufgefaßt, d.h. als Klitikknoten, von dem aus die einzelnen Klitika dominiert werden.

73 die Klitika gekennzeichnet sind, gerechtfertigt ist (cf. auch Borer 1986:5). Demgegenüber liegt die Annahme der Generierung der Klitika unter V' darin begründet, daß Klitika nicht nur Eigenschaften von Affixen besitzen, sondern auch - ebenso wie nicht-gebundene Wörter - syntaktische Eigenschaften haben. Sie können aus diesem Grund auch als 'syntaktische Affixe' bezeichnet werden (cf. Jaeggli 1986:17):33 "[...] on the one hand, clitics have syntactic functions, and as such must enter some syntactic representation, but on the other hand, they are affixal in nature, rendering their existence as independent syntactic categories problematic." (Borer 1986:8) Eine der syntaktischen Eigenschaften von Klitika ist nach Ansicht von Borer (1984), daß sie streng regieren können, da sie Spuren lizenzieren.34 Borer (1984) beobachtet, daß im Hebräischen in Klitikverdoppelungskonstruktionen die mit dem Klitikon koindizierte Objekt-NP bewegt werden kann (cf. (47a)). Wird bei diesen Extraktionen das Klitikon weggelassen, so ist der Satz ungrammatisch (cf. (47b))(cf. Borer 1986:6): (47) (a) (b)

mil £e-hikarti 'et 'axot-o; er der den-kannte-ich OM Schwester-seine35 'der, von dem ich seine Schwester kannte' *mil Se-hikarti 'et 'axot ev der den-kannte-ich OM Schwester 'der, von dem ich die Schwester kannte'

Nach Ansicht von Borer kann die NP in (47a) deshalb extrahiert werden, weil die Spur der Bewegung vom koindizierten Klitikon streng regiert wird. In (47b) hingegen fehlt das Klitikon und damit ein strenges Regens für die leere Spur, so daß der Satz aufgrund des ECPs ausgeschlossen ist (cf. Borer 1984:80ff, 1986:6).36 33 34

Diese Bezeichnung geht auf Nigel Fabb zunick, dessen Dissertation mir leider nicht zugänglich war. Cf. Jaeggli (1986) für die Literaturangabe: Nigel A. Fabb, Syntacäc Affixes, Cambridge: MIT 1984. Spuren, die bei der Bewegung von Elementen zurückbleiben, müssen aufgrund des Empty Category-Prinzips (ECP) streng, d.h. durch ein X°, regiert sein (cf. Chomsky 1981)(siehe v.a. auch Abschnitt 3.2.6 in diesem Kapitel).

35

Die Abkürzung 'OM' steht für 'Objektsmarkierer'. Zu Status und Funktion von Objektsmarkierem im Hebräischen wie auch im Rumänischen cf. Borer (1984).

36

Borer (1984) nimmt an, daß auch im Rumänischen die Objektsklitika streng regieren können. Sie beobachtet, daß genau in den Kontexten, in denen auch Klitikverdoppelungen möglich bzw. obligatorisch sind, die Objekt-NP - bei gleichzeitigem Auftreten eines Klitikons - extrahiert werden kann (cf. Borer 1984:127ff). Anders als im Hebräischen kann im Rumänischen die Objekt-NP auch in anderen Kontexten angehoben werden (cf. (ii)). In diesen Fällen kann jedoch kein Klitikon stehen (cf. (üb)): (i) pecare; credeai cä am vizut-oi e;? welche[ + f e m j glaubtest-du daß habe-ich gesehen-sie 'wen hast du geglaubt, daß ich gesehen habe?' (ii) (a) ce ; credeai cä am vizut ep. was glaubtest-du daß habe-ich gesehen 'was hast du geglaubt, daß ich gesehen habe?' (b) *ce; credeai cä am väzut-O; e(! was glaubtest-du daß habe-ich gesehen-es 'was hast du geglaubt, daß ich gesehen habe?'

74

Aoun (1985) erklärt den Grammatikalitätsunterschied zwischen den Sätzen (47a) und (47b) durch die Annahme, daß Klitika als A'-Binder fungieren. In (47a) A'-bindet das Klitikon die koreferente leere Spur der w/z-Bewegung, wodurch die Bindungsbedingung für die Variable erfüllt ist. In (47b) hingegen gibt es keinen A'-Binder für die Variable (cf. Aoun 1985:37ff). Aoun nimmt folglich an, daß Klitika in einer A'-Position stehen (cf. Aoun 1985:35). Was den strukturellen Aufbau dieser Position betrifft, so weist Aoun (1985:39) darauf hin, daß A'-Positionen - ebenso wie APositionen - in der Regel XP-Positionen sind. Demnach müßten Klitika als maximale Projektionen analysiert werden.37 Jaeggli (1986:17) betont demgegenüber in Anlehnung an Sportiche38, daß Klitika weder in A-Positionen noch in A'-Positionen stehen können, da es sich dabei um eine kleine, finite Gruppe nominaler Elemente mit stark eingeschränkten syntaktischen Eigenschaften handelt. Sie können aus diesem Grund keine maximalen Projektionen haben, so daß die einzigen Positionen, die ihnen zur Verfügung stehen, Kopf-Positionen sind (cf. auch Aoun 1985:39). In vielen Klitikanalysen wird dennoch die Annahme vertreten, daß Klitika maximale Projektionen sind. Chomsky (1989) beispielsweise nimmt an, daß die pronominalen Klitika in einer eigenen AGR-Phrase erscheinen. Er übernimmt dabei die von Pollock (1989) vorgeschlagene Trennung zwischen einer Tempus/Finitheits-Phrase und einer AGR-Phrase. Nach Ansicht von Chomsky muß dabei die Tempus-Phrase von AGR dominiert sein - und nicht umgekehrt, wie von Pollock angenommen wird.39 Um jedoch den Konflikt mit Pollocks Analyse der Verbbewegung im Englischen und Französischen, die Chomsky für richtig ansieht und daher aufrechterhalten möchte, zu vermeiden, schlägt Chomsky (1989) zwei AGR-Phrasen vor. Neben einer Subjekt-AGR-Phrase, die der INFL-Phrase entspricht und von der aus das Subjekt in einem finiten Satz regiert werden kann, postuliert er eine Objekt-AGR-Phrase, die die Verbalphrase dominiert (cf. Chomsky 1989:16):

Borer (1984:131) folgert aus dieser Beobachtung, daß im Rumänischen sowohl Klitika als auch Verben ordentlich regieren können. Sie räumt aber gleichzeitig ein, daß das Rumänische keine direkte Evidenz für die ordentliche Rektion durch Klitika liefen. 37

Aus den Ausführungen Aouns geht leider nicht hervor, ob seiner Auffassung nach die A'-Position der Klitika eine Ausnahme dieser Regel darstellen soll.

38

Cf. Jaeggli (1986) für den Literaturhinweis: D. Sportiche, Structural Invariance and Asymmetry, Cambride: MIT 1983.

39

Diese Annahme ist nach Ansicht von Chomsky notwendig, damit das Subjekt in einem finiten Satz von AGR regiert werden und dadurch die Merkmale Kasus, Numerus, Genus etc. erhalten kann (cf. auch Crysmann & Seemann 1991). Außerdem führt Chomsky (1989:15) morphologische Evidenz dafür an, daß das Tempus-Element von AGR dominiert sein muß: "[...] in a number of languages where it is possible to obtain relevant evidence, the agreement element is 'outside' the tense element in the verbal morphology, as would follow from successive adjunction if AGR dominates the tense element"

75 (48)

AGR-S" (=IP) NP

AGR-S' AGR-S 0

FP (NegP) Neg^~^AGR-P SpezAGR-0

^AGR-O'

AGR-O 0

VP

Chomsky (1989:15) nimmt an, daß die Spezifikatorposition der AGR-O-Phrase in (48) als Zwischenlandeplatz für Objektsklitika zur Verfügimg steht. Evidenz für diese Annahme sieht Chomsky in Kongruenzphänomenen in französischen und italienischen Partizipialkonstruktionen. Er beruft sich hierbei auf eine Analyse dieser Konstruktionen von Kayne (1989), der aufzeigt, daß in diesen Konstruktionen eine Objektkongruenz mit dem Partizip nur dann möglich ist, wenn das Objekt über eine Zwischenspur angehoben worden ist: (49)

(a) (b)

Combien de chaises; Paul a [e], repeintes [e\l Paul les, a [e\ repeintes [e\.

Der Analyse von Kayne (1989) und Chomsky (1989) zufolge können die w/z-Phrase bzw. das Objektsklitikon deshalb mit dem Partizip kongruieren, weil ihre Zwischenspuren sich in einer Rektionsbeziehung mit AGR-0 befinden. 40 In (50) hingegen ist nach Ansicht von Chomsky (1989) keine Kongruenz zwischen AGR und der ObjektNP möglich, da das unter V° generierte Partizip eine Barriere für die Rektionsbeziehung bildet (cf. auch Chomsky 1986b:42): (50)

(a) (b)

Paul a repeint les chaises. *Paul a repeintes les chaises.

Das Auftreten der Objekt-NP in einer Position wie in (51) ist nach Auffassung von Kayne (1989:89) deshalb ungrammatisch, weil sie dort weder basisgeneriert sein kann noch dorthin bewegt werden kann: (51)

*Paul a les chaises repeintes.

Eine Basisgenerierung der Objekt-NP schließt Kayne aus, da er annimmt, daß die Theta-Markierung im Französischen nach rechts bzw. innerhalb der Projektion des Theta-markierenden Kopfes erfolgen muß. Die Unmöglichkeit einer Bewegung des

40

Chomsky (1989) nimmt an, daß die Zwischenspur der w/i-Phrase an die AGR-O-Phrase adjungiert ist und sich damit in einer A'-Position befindet Die Spur des Klitikons ist nach Ansicht von Chomsky (1989:19) vermutlich in der Spezifikatorposition von AGR-O.

76 nicht-klitischen Objekts begründet Kayne damit, daß seiner Ansicht nach das Partizip im Französischen den Kasus an das Objekt - bereits in der Basis - weist. Aus diesem Grund kommt aufgrund der Kettenbedingung (cf. Chomsky 1981, siehe auch Abschnitt 3.2.6) nur eine A'-Position als mögliche Landeposition in Frage. Nach Ansicht von Kayne (1989:89) befindet sich die Objekt-NP in (51) jedoch nicht in einer A'-Position, so daß der Satz ungrammatisch ist. Unerklärt bleibt allerdings in der Analyse von Kayne (1989), der sich Chomsky (1989) anschließt, warum die Stellung der Objekt-NP vor dem Auxiliar, d.h. in der Oberflächenposition des Klitikons, ebenfalls ungrammatisch ist: (52)

*Paul les chaises a repeintes.

Nach Ansicht von Kayne (1989:89) ist das Auftreten des Klitikons in dieser Position deshalb möglich (cf. 49b), weil es sich seiner Ansicht nach dabei um eine A'-Position handelt. Demnach kann das Klitikon dorthin bewegt werden, ohne die Kettenbedingung zu verletzen. Kayne (1989) und ebenso Chomsky (1989) erklären jedoch nicht, warum das Klitikon in der SpezAGR-Position, die nach Ansicht von Kayne eine A-Position sein soll, zwischenlanden kann. Außerdem wird in beiden Analysen nicht klar, warum nicht auch die Objekt-NP in die gleiche Oberflächenposition wie das Klitikon bewegt werden kann. Der Analyse von Kayne und Chomsky zufolge handelt es sich hierbei nicht nur um eine A-Position, sondern zudem um eine Position, in die maximale Projektionen bewegt werden können. Letzteres folgt aus der Annahme Chomskys, wonach Klitika maximale Projektionen sind, die in die SpezAGR-Position bewegt werden bzw. dort zwischenlanden. Dies führt zu einem weiteren Problem der Analyse Chomskys; denn aufgrund der besonderen Eigenschaften von Klitika muß vielmehr angenommen werden, daß es sich bei klitischen Pronomina um bloße Köpfe und nicht um maximale Projektionen handelt (cf. Jaeggli 1986:17). Aus den genannten Gründen kann Chomskys Analyse der französischen Klitika nicht aufrechterhalten werden. Dennoch glaube ich, daß diese Lösung in die richtige Richtung geht, nämlich insofern, als Klitika als Kongruenzmarkierer angesehen werden. In meiner Analyse der französischen und portugiesischen Klitika werde ich zeigen, daß gerade diese Idee Chomskys das Verhalten dieser klitischen Pronomina adäquat erfaßt. Die Annahme, daß die klitischen Pronomina in den romanischen Sprachen als Kongruenzmerkmale fungieren, ist bisher nur in wenigen Arbeiten vertreten worden (cf. I. Duarte 1983, Saltarelli 1989). In einer Analyse der klitischen Objektspronomina des Portugiesischen nimmt I. Duarte (1983) an, daß in Nullsubjekt-Sprachen die klitischen Pronomina in INFL generiert sein können, da in diesen Sprachen INFL pronominal sein kann. In Anlehnung an Rizzi (1982) weist sie daraufhin, daß offensichtlich eine Parallelität zwischen der Beziehung zwischen einem leeren Subjekt und den Flexionsmerkmalen einerseits und zwischen einem leeren Objekt und den kliti-

77 sehen Objektspronomina anderseits besteht (cf. I. Duarte 1983:167). Dies wird beispielsweise anhand eines Satzes wie (53) deutlich (cf. Rizzi 1982:130): (53)

[NPC] ti conosco

Hierbei ermöglicht die Verbflexion, daß die Subjektsposition leer sein kann, und das Objektsklitikon, daß die Komplementsposition ein leeres Objekt enthalten kann. Rizzi (1982:130f) nimmt aus diesem Grund an, daß der INFL-Knoten in NullsubjektSprachen (abgekürzt NSLs) als pronominal interpretiert werden kann: "The most direct way of capturing [this] parallelism [...] would consist in suggesting that the characteristic property of NSL's is that their verbal inflections have (clitic-like) pronominal properties. This intuition can be straightforwardly implemented by assuming that INFL in NSL's is specified with the feature [+ pronoun]: i.e., like a clitic, it is a verbal affix with (pro-)nominal properties, specified with respect to such grammatical features as person and number; and, like a clitic, it is interpreted as a definite pronoun [...], and binds and properly governs an empty NP position." Dieser Annahme zufolge schlägt I. Duarte (1983:166) für Sprachen, die sowohl Nullsubjekte erlauben als auch Objektsklitika besitzen, folgende Struktur vor: (54)

NP[INFL...Kl][VpVNP]

Sie nimmt an, daß sowohl im iberischen als auch im brasilianischen Portugiesisch die klitischen Pronomina in einem pronominalen INFL-Knoten generiert werden. Ihrer Analyse zufolge können hingegen in Sprachen, die keine Nullsubjekte erlauben, pronominale Klitika nicht in INFL generiert werden, da der INFL-Knoten nicht pronominal ist. Ähnlich wie I. Duarte (1983) vertritt auch Saltarelli (1989) die Ansicht, daß die klitischen Pronomina in den romanischen Sprachen in INFL generiert werden. In einer diachronischen Analyse der Personalpronomina dieser Sprachen, auf die in Kapitel 5 noch ausführlicher eingegangen wird, stellt er einen Funktionswandel dieser Pronomina fest. Er nimmt an, daß im Laufe der Entwicklung aus dem Lateinischen die ursprünglich freien Pronomina zu gebundenen Kongruenzmoiphemen geworden sind. Dieser Übergang erklärt sich für Saltarelli durch eine Veränderung bzw. Erweiterung des INFL-Parameters des Lateinischen. Seiner Ansicht nach sind im Laufe der Entwicklung der romanischen Sprachen dem INFL-Knoten die Merkmale Genus und Kasus hinzugefügt worden, was die Integration der klitischen Pronomina in INFL zur Folge hat (cf. Saltarelli 1989:358). Die klitischen Objektspronomina sind gemäß dieser Analyse von Saltarelli und Duarte folglich ein Teil von INFL. Sie stehen mit dem Objekt in der Komplementsposition in einer Kongruenzbeziehung. Allerdings diskutieren weder Duarte noch Saltarelli, auf welche Weise diese Beziehung zwischen Objekt und Klitikon herge-

78 stellt werden kann, obwohl gerade die Frage nach der "Interaktion" der klitischen Objektspronomina mit der bzw. den Komplementsposition(en) des Verbs in der generativen Klitikdiskussion einen Schwerpunkt bildet (cf. auch Borer 1986:7). 3.2.6 Die Beziehung zwischen Objektsklitikon und der Komplementsposition Unabhängig davon, ob die Komplementsposition des Verbs lexikalisch besetzt oder leer ist, besteht zwischen einem Klitikon in der präverbalen Klitikposition und der Komplementsposition des Verbs eine enge Beziehung. Für Klitikverdoppelungskonstruktionen, also Sätzen, in denen in der Komplementsposition eine mit dem Objektsklitikon koreferente Objekt-NP auftritt, muß dabei die Frage geklärt werden, wie (und ob) in solchen Sätzen diesen beiden miteinander koreferenten Elementen 0-Rolle und Kasus zugewiesen werden können. Dabei muß berücksichtigt werden, daß aufgrund des 0-Kriteriums jede 0-Rolle nur einmal an ein Argument vergeben werden kann. Außerdem kann ein Kasusmerkmal jeweils nur einem nominalen Element zugewiesen werden (cf. Chomsky 1981). Aber auch für Sätze, in denen ein Objektsklitikon bzw. mehrere Objektsklitika ohne koreferente Objekt-NP vorkommen, muß diese Frage nach der 0-Rollen- und Kasuszuweisung gestellt werden. Dies folgt aus dem Projektionsprinzip, gemäß dem die thematischen Selektionseigenschaften eines Elements auf allen syntaktischen Ebenen erhalten bleiben müssen (cf. Chomsky 1981). Demnach muß die subkategorisierte Komplementsposition des Verbs auch dann vorhanden sein, wenn sie kein lexikalisches Element enthält. Chomsky nimmt an, daß in diesem Fall die lexikalisch leere Position durch eine leere Kategorie repräsentiert sein muß. Bei einer Bewegung des Klitikons aus der Objektsposition in eine präverbale Position muß deshalb in der Komplementsposition des Verbs eine Spur zurückbleiben, die mit dem Klitikon verbunden ist. Aber auch bei der Annahme, daß Klitika in der präverbalen Position basisgeneriert sind, muß die leere Objektsposition eine leere Kategorie enthalten, die mit dem Klitikon in einer bestimmten Weise miteinander verbunden ist (cf. z.B. Burzio 1982:35,1986:37, Borer 1984:252).41 In einer Untersuchung der klitischen Objektspronomina muß daher erklärt werden, welcher Art die leere Kategorie ist, die in der Objektsposition steht, falls diese Position nicht lexikalisch besetzt ist, und auf welche Weise das Objektsklitikon und die lexikalische bzw. leere Kategorie in der Objektsposition miteinander "interagieren". In der von Chomsky (1981) entworfenen Theorie der leeren Kategorien werden in Anlehnung an die im Rahmen der Bindungstheorie vorgenommene Einteilung der lexikalischen nominalen Kategorien in Anaphern, Pronomina und R-Ausdrücke - drei 41

Nach Ansicht von Burzio (1986:223) liegt der Unterschied zwischen Klitikbewegung und Basisgenerierung lediglich darin, ob diese Beziehung zwischen dem Klitikon in der präveibalen Position und der leeren Kategorie in der Objektsposition bereits auf der D-Stnjktur oder erst auf der S-Struktur besteht. Im Falle der Basisgenerierung ist diese Beziehung bereits auf der D-Stniktur vorhanden, während sie bei einer Bewegung des Klitikons erst auf der S-Struktur erzeugt wird.

79 leere Kategorien unterschieden (cf. Chomsky 1981:55ff sowie Kap.6, auch Bouchard 1984). Chomsky differenziert dabei primär zwischen der leeren Kategorie PRO einerseits und zwei Typen von Spuren andererseits, den NP-Spuren sowie den Variablen (wA-Spuren), die jeweils durch ein Bündel ("cluster") von Eigenschaften gekennzeichnet sind.42 Spuren sind leere Kategorien, die aufgrund der Anwendung einer Bewegungsregel in einer 0-markierten Ausgangsposition eines bewegten Elementes "zurückbleiben". Sie unterscheiden sich voneinander hinsichtlich der Art und Weise dieser Bewegung. Ist die Landeposition des bewegten Elements eine A-Position, so ist die zurückgebliebene Spur eine NP-Spur, die von ihrem Antezedens A-gebunden wird. Landet das bewegte Element hingegen in einer A'-Position, handelt es sich bei der Spur um eine Variable. Eine NP-Spur verhält sich demnach bezüglich der Bindungstheorie wie eine lexikalische Anapher, d.h. sie unterliegt dem Bindungsprinzip A. Demgegenüber trifft für Variablen das Bindungsprinzip C zu, da sie sich ähnlich wie referentielle Ausdrücke verhalten. Sie müssen demnach A-frei sein, jedoch im Unterschied zu R-Ausdriicken - stets von einem Operator A'-gebunden sein. Außerdem sind Variablen dadurch gekennzeichnet, daß sie stets Kasus haben müssen, NP-Spuren hingegen bekommen keinen Kasus zugewiesen (cf. Chomsky 1981:Kap.6). Nach Ansicht von Chomsky (1986a:17) muß zwischen einer Spur und ihrem Regens "a certain kind of connection" bestehen. Diese Beziehung ist durch das bereits erwähnte Empty Category Prinzip (ECP) festgelegt, wonach Spuren streng (bzw. ordentlich oder strikt) regiert sein müssen. Das heißt, das Regens der Spur muß ein X° oder mit ihr koindiziert sein (cf. Chomsky 1981:250).43 Die leere Kategorie PRO hingegen unterliegt nicht dem ECP. Im Gegensatz zu Spuren ist sie basisgeneriert und erscheint typischerweise in der Subjektsposition infiniter Satzteile, wo es vom Subjekt oder einem Komplement des Matrixsatzes kontrolliert sein kann (Chomsky 1981:68). Sie weist neben den typischen Eigenschaften von Pronomina auch Eigenschaften auf, die für Anaphern typisch sind (cf. Chomsky 1981:71). Dies hat zur Folge, daß PRO nicht nur dem Bindungsprinzip B, das für pronominale Elemente relevant ist, sondern gleichzeitig auch dem Bindungsprinzip A unterliegen müßte. Mit anderen Worten, PRO müßte in seiner Rektionskategorie gleichzeitig sowohl gebunden als auch frei sein. Um diesen Widerspruch auszuschließen, muß angenommen werden, daß PRO keine Rektionskategorie hat und folglich unregiert sein muß (cf. Chomsky 1981).

42

Genaugenommen versucht Chomsky alle drei leeren Kategorien aus einer zugrundeliegenden leeren Kategorie abzuleiten, wobei letztendlich aufgrund des Kontextes festgelegt wird, welche der drei leeren Kategorien eingesetzt wird (cf. Chomsky 1981:321ff).

43

Das ECP und damit die Definition von Strenger Rektion sind immer wieder umformuliert worden. Für eine ausführliche Diskussion dieses zentralen Prinzips der Prinzipien- und Parametertheorie und des Begriffs der Strengen Rektion cf. Lasnik & Saito (1984) sowie Chomsky (1986a:Kap.5).

80 Chomsky (1982b) ergänzt die Gruppe dieser leeren Kategorien um eine weitere Kategorie. Dabei handelt es sich um ein "pure pronominal" (pro), d.h. um ein pronominales Element ohne phonetische Matrix, das typischerweise in der leeren Subjektsposition von Nullsubjekt-Sprachen erscheint.44 Er unterscheidet somit auf der Grundlage der durch die Bindungsprinzipien A und B vorgenommenen Unterteilung in anaphorische und pronominale Ausdrücke vier mögliche nominale Kategorien, die sowohl lexikalisch als auch leer sein können. Einzig eine Kategorie mit den Merkmalen [+anaphorisch, +pronominal] kann nicht lexikalisch realisiert werden, da sie als unregierte Kategorie keinen Kasus erhalten kann. Somit gelangt Chomsky (1982b:78) zu folgender Einteilung lexikalischer und leerer Kategorien: (55) Typologie der nominalen Ausdrücke lexikalisch +anaphorisch, -pronominal] -anaphorisch, +pronominall +anaphorisch, +pronominal] -anaphorisch, -pronominal]

Anapher Pronomen R-Ausdruck

leer NP-Spur pro PRO Variable

In Anlehnung an die ursprüngliche Version des Chomskyschen Modells der leeren Kategorien nimmt Jaeggli (1982) in seiner Diskussion der romanischen Objektsklitika an, daß das leere Element in der Komplementsposition in Sätzen mit einem Objektsklitikon PRO sein muß. PRO wird als ein Pronomen ohne phonetischen Inhalt angesehen, das die Merkmale für Person, Numerus und Genus enthält. Aufgrund des PRO-Theorems, wonach PRO unregiert sein muß, darf die Komplementsposition des Verbs in Sätzen wie (56) nicht regiert sein (cf. Jaeggli 1982:26): (56) (a) (b)

Le pegué PRO. Lo puse PRO sobre la mesa.

Nach Ansicht von Jaeggli (1982) ist dies dadurch gewährleistet, daß das Klitikon in diesen Sätzen jeweils die Rektion von PRO durch das Verb absorbiert. Für diese Annahme, daß Klitika die Fähigkeit besitzen, die Rektion der Komplementsposition durch das Verb zu absorbieren, findet Jaeggli Evidenz in der Ungrammatikalität der folgenden Sätze: (57) (a) (b) (58)

*Pegué (a) PRO. *Puse (a) PRO sobre la mesa. *La vimos la casa de Malfalda.

44 Die Einführung der leeren Kategorie pro durch Chomsky (1982b) geht u.a. auf eine Kritik von Torrego zurück. Sie weist - in einem unveröffenüichen MIT-Arbeitspapier - darauf hin, daß in spanischen wA-Konstruktionen die leere Subjektsposition regiert ist, wenn das finite Verb vorangestellt ist. So kann z.B. die Subjektsposition in (i) sowohl lexikalisch (mit Juan) als auch mit einer leeren Kategorie besetzt sein (cf. auch Torrego 1984): (i) (a) Con quién podrá Juan ir a Nueva York (b) Con quién podrá e ir a Nueva York Die Subjektsposition ist in beiden Sätzen (streng) regiert; folglich kann e in (ib) nicht PRO sein (cf. Chomsky 1982b:82).

81 Die Beispiele in (57) zeigen nach Jaeggli (1982:26), daß ein leeres pronominales Element, also PRO, nur dann in der Objektsposition stehen kann, wenn gleichzeitig ein Element vorhanden ist, das in der Lage ist, die Rektion der Komplementsposition durch das Verb aufzuheben. Satz (58) belegt für Jaeggli (1982:22), daß Klitika diese Eigenschaft besitzen. Seiner Ansicht nach ist dieser Satz deshalb ausgeschlossen, weil das Klitikon die Rektion der Objektsposition durch das Verb absorbiert hat. Folglich ist die Objektsposition unregiert und das lexikalische Objekt kann keinen Kasus - der unter Rektion vergeben wird - erhalten (cf. Jaeggli 1982:22). Jaeggli (1982:22) vermutet darüber hinaus, daß Klitika die Rektion des Objekts selektiv absorbieren; d.h. ein Akkusativklitikon absorbiert ausschließlich die Rektion eines direkten und ein Dativklitikon ausschließlich die eines indirekten Objekts. Dadurch erklärt er die Grammatikalität von Satz (59), wo die Rektion des direkten Objekts durch das Verb vom Dativklitikon nicht absorbiert wird: (59)

Les entregaron las notas.

Gegen diese Analyse der Rektionsabsorption scheint jedoch die Beobachtung zu sprechen, daß im Spanischen - und insbesondere im Spanischen des Rio de la Plata kasusidentische Klitika und Objekts(pro)nomina gleichzeitig auftreten können bzw. müssen: (60) (a) (b)

Miguelito le regalo un caramelo a Mafalda. Lo vimos a Guule.

Die Grammatikalität dieser Sätze führt Jaeggli (1982) auf das Vorhandensein der Präposition a zurück. Er beruft sich hierbei auf eine von Kayne gemachte Beobachtung, wonach eine Objekt-NP nur dann durch ein Klitikon verdoppelt werden kann, wenn der NP eine Präposition vorangeht.45 Gemäß der Analyse von Jaeggli sind die Sätze in (60) im Spanischen bzw. in bestimmten Varianten des Spanischen deshalb möglich, weil die Präposition a als Kasuszuweiser fungieren kann. Im Französischen hingegen sind seiner Ansicht nach solche Klitikverdoppelungskonstruktionen ausgeschlossen, da das Französische keine unabhängigen Kasuszuweiser besitzt. Die indirekten Objekte im Französischen analysiert Jaeggli als NPs, die somit keine Präposition enthalten, die an das indirekte Objekt Kasus zuweisen könnte. Zur Erklärung der Theta-Rollen-Zuweisung an die Objekt-NP in einem Satz wie (60b) formuliert Jaeggli (1982:35f) einen besonderen Theta-Rollen-Zuweisungsmechanismus. Da ein Verb seine Theta-Rolle nur an das Argument zuweisen kann, das es regiert (cf. Chomsky 1981:276), kann die Objekt-NP in Satz (60b) keine ThetaRolle erhalten. Folglich müßte aufgrund des Theta-Kriteriums dieser Satz ausgeschlossen sein. Jaeggli (1982) nimmt daher an - und ebenso Chomsky (1981:275ff), der mit dessen Analyse der Klitika weitgehend übereinstimmt -, daß die an das Kliti45

Diese Beobachtung ist in die Literatur unter der Bezeichnung 'Kaynes Generalisierang' eingegangen (cf. Jaeggli 1982:20).

82 kon zugewiesene Theta-Rolle dem Objekt "vererbt" bzw. "übertragen" werden kann, da beide miteinander superkoindiziert sind.46 Das Theta-Kriterium bleibt daher unverletzt, Satz (60b) ist nicht ausgeschlossen. In der Kritik dieser Klitikanalyse von Jaeggli und Chomsky werden einige Schwächen deutlich, die zeigen, daß diese Analyse - v.a. die Annahme der Rektionsabsorption - nicht aufrechterhalten werden kann. So schließt z.B. Burzio (1986:166,Fn.10) die Möglichkeit einer solchen Absorption mit der Begründung aus, daß Rektion kein Merkmal, sondern eine konfigurationelle Beziehung ist: "Government absorption, unlike Case absorption, seems suspicious because, whereas Case can reasonably be regarded as a feature, which can thus be absorbed, government is a certain type of configurational relation, which we expect to change only when the configuration changes." Abgesehen von diesen konzeptuellen Schwierigkeiten weist die Annahme der Rektionsabsorption auch einige empirische Probleme auf. Burzio (1986:166,Fn.10) zeigt an einem Beispiel aus dem Italienischen, daß trotz des Vorhandenseins eines Klitikons die leere Objektsposition auch dann regiert wäre, wenn das Klitikon die Rektion durch das Verb absorbiert hätte: (61)

Giovanni gli butta l'acqua [addosso [e]]

Die leere Kategorie in Satz (61) wird nämlich von der Präposition addosso regiert und kann folglich nicht PRO sein. Ein weiterer Einwand gegen Jaegglis Analyse resultiert aus der häufig gemachten Beobachtung, daß Kaynes Generalisierung keinesfalls universale Gültigkeit hat. In vielen Sprachen sind Klitikverdoppelungen auch dann möglich, wenn keine zusätzliche Präposition - oder sonstige "dummy case marker" - vor der "gedoppelten" Objekt-NP steht (cf. Borer 1984:89,Fn.5, Suñer 1988:401 ,Fn. 13). Suñer (1988:399) zeigt zudem, daß auch im Spanischen Kaynes Generalisierung nicht zutrifft, da auch dort Sätze mit Klitika und koreferenten Objekt-NPs, denen keine Präposition vorausgeht, möglich sind: (62) (a) (b)

Yo la tenía prevista esta muerte. Lo último que escuché, claro que la encontré pesada la audición, fue el reportaje.

Im Rahmen der Analyse von Jaeggli (1982) könnte für solche Beispiele nicht erklärt werden, wie die (unregierte) Objekt-NP Kasus erhalten kann. Suñer weist außerdem darauf hin, daß Jaeggli keine Erklärung dafür liefert, warum in den spanischen Dialekten, die Klitikverdoppelungen mit direkten Objekten erlauben, die kasuszuweisende Präposition a auch dann vor der Objekt-NP erscheint, wenn das Klitikon 46

Chomsky (1981) führt diese Art der Koindizierung ein, um die sogenannte 'Freie Inversion' von Subjekten in Nullsubjekt-Sprachen zu erklaren. Dadurch soll ausgeschlossen werden, daß ein für die Bindungsprinzipien sichtbares Verhältnis zwischen zwei nominalen Elementen besteht.

83 fehlt. In Sätzen, in denen das Objekt durch die Merkmale [-spezifiziert, +belebt] charakterisiert ist, ist das Fehlen des Klitikons sogar obligatorisch (cf. Suñer 1988:396): (63) (a} (b)

No (*/o) oyeron a ningún ladrón. (*La) buscaban a alguien que los ayudara.

Nach Jaegglis Analyse wäre in den Sätzen unter (63) das Auftreten von a vor der jeweiligen Objekt-NP nicht notwendig, da kein Klitikon vorhanden ist, das deren Rektion absorbiert. Folglich kann die Objekt-NP den Kasus direkt vom Verb, d.h. ohne daß ein besonderer Kasuszuweiser vorhanden sein muß, erhalten. Suñer (1988:400) folgert daher, daß die Präposition a kein "dummy Case marker" ist, sondern vielmehr u.a. dazu dient, Belebtheit zu kennzeichnen. Sie stellt fest, daß Auftreten und Fehlen von a mit dem Merkmal [±belebt] korrelieren (cf. Suñer 1988:401):47 (64) (a) (b)

Ya las lavé todas [el. [-belebt] Ya las lavé a todas [e], [+belebt]

Aufgrund der Modifizierung von Chomskys Modell der leeren Kategorien von 1981, d.h. durch die Postulierung von pro als Pronomen ohne phonetische Matrix, das die Merkmale für Person, Numerus und Genus enthält, revidieren sowohl Jaeggli als auch Chomsky in ihre Annahme, daß die romanischen Objektsklitika als Rektionsabsorbierer fungieren können. Im Rahmen des Modells der leeren Kategorien nach Chomsky (1982b) kann PRO nicht mehr als die leere pronominale Kategorie in der Objektsposition in Sätzen wie (56) angesehen werden. Folglich gibt es auch keine Notwendigkeit für die Annahme, daß die Komplementsposition des Verbs in einem Satz mit einem Klitikon unregiert sein muß und die Rektion durch das Klitikon absorbiert werden muß. Jaeggli (1986) und Chomsky (1982b) halten weiter an der Annahme fest, daß den Objektsklitika Kasus zugewiesen wird bzw. werden kann. Die Zuweisung des Kasus an ein Klitikon wird im allgemeinen als 'Kasusabsorption' bezeichnet. Damit ist gemeint, daß das Verb den Kasus einem Morphem zuweist, das an das Verb gebunden ist (cf. Jaeggli 1986:19). Jaeggli geht davon aus, daß die an das Verb gebundenen klitischen Pronomina nicht notwendigerweise Kasus erhalten. Er ist vielmehr der Ansicht, daß Kasusabsorption parametrisch festgelegt ist. Mit anderen Worten, er nimmt an, daß in bestimmten Sprachen alle klitischen Pronomina Kasus absorbieren, während in anderen Sprachen die Kasusabsorption durch Klitika nur optional oder ausgeschlossen ist.48 Im Französischen beispielsweise müssen gemäß Jaegglis Analyse alle Klitika Kasus absorbieren. Dadurch erklärt sich für Jaeggli, daß 47

Sutler (1988:401) erwähnt noch eine weitere Unadäquatheit der Jaegglischen Analyse. Zur Erklärung der Unterschiede zwischen dem "River Plate Spanish" und dem "Standard Spanish" stellt Jaeggli (1982:25) die Hypothese auf, daß nur in der südamerikanischen Variante des Spanischen "[...] this inserted a is capable of assigning accusative Case to the complement NP, while in the latter [i.e. in Standard Spanish. G.KJ is not so". Gleichzeitig muß Jaeggli jedoch annehmen, daß auch im sogenannten Standardspanischen a als Kasuszuweiser von direkten Objekten fungiert, da in allen Varianten des Spanischen Klitikverdoppelungen mit Personalpronomina obligatorisch sind.

48

Eine ähnliche Auffassung vertitt Roberge (1986a, 1986b) bei seiner Analyse der Subjektsklitika.

84 in einer Sprache wie dem Französischen (direkte sowie indirekte) Objekt-NPs und Objektsklitika komplementär verteilt sind. Klitikverdoppelungskonstruktionen sind in diesen Sprachen demnach deshalb nicht möglich, weil die Klitika stets den Kasus absorbieren und den Objekt-NPs dadurch kein Kasus zugewiesen werden kann. Für das Spanische, das Klitikverdoppelungen erlaubt bzw. fordert, nimmt Jaeggli an, daß die Dativklitika nicht immer in der Lage sind, Kasus zu absorbieren. Seiner Ansicht nach erhalten sie nur dann Kasus, wenn die Komplementsposition des indirekten Objekts lexikalisch nicht besetzt ist. Andernfalls wird der Dativkasus an die Objekt-NP zugewiesen und das koreferente Klitikon bleibt ohne Kasus (cf. Jaeggli 1986:20f): (65)

Le entregué el libro al professor.

Die Annahme, daß die spanischen Dativklitika nicht notwendigerweise Kasus absorbieren, sieht Jaeggli (1986:22) durch die Beobachtung bestätigt, daß im Spanischen auch andere Klitika keinen Kasus absorbieren. Dies ist nach Ansicht von Jaeggli in Sätzen mit bestimmten reflexivischen Verben der Fall: (66) (a) (b) (c) (d)

Me voy al cine. Te vas de este país. María se rió de Pedro. Te quedaste calladito.

Die Klitika in diesen Sätzen können keinen Kasus absorbieren, da die Verben, an die sie klitisiert sind, intransitiv sind und keinen Kasus zuweisen. Gemäß der Analyse von Jaeggli (1986) sind die spanischen Akkusativklitika. - anders als die Dativklitika - obligatorische Kasusabsorbierer. Damit erklärt er die komplementäre Distribution von Akkusativklitikon und direkter Objekt-NP. Es bleibt aber die Frage, wie die im südamerikanischen Spanischen möglichen Klitikverdoppelungen der direkten Objekt-NPs Kasus erhalten können:49 (67)

Lo vimos a Juan.

Im Gegensatz zu seiner früheren Analyse geht Jaeggli (1986:37f) nicht von der Annahme aus, daß die Präposition a Kasus zuweisen kann, sondern er nimmt an, daß sie in der Lage ist, eine "Kasusbrücke" herzustellen. Dadurch wird ermöglicht, daß der Akkusativkasus, den das Verb vergibt, an das direkte Objekt "übertragen" wird. Dies ist nach Ansicht von Jaeggli allerdings nur in den Varianten des Spanischen möglich, die Klitikverdoppelungen mit Akkusativobjekten erlauben. Nach dieser Analyse existieren in einem Satz wie (67) mehrere Kasuspaare, die den gleichen Kasus besitzen. Jaeggli (1986:38) nimmt an, daß in Satz (67) das Verb den Kasus an das Klitikon zuweist und dadurch mit dem Klitikon ein Kasuspaar bildet. Gleichzeitig kann das Verb die Kasusmerkmale mit der Präposition "in Einklang bringen" ("match"), da es

49

Diese Frage muß aber auch für das nicht in Südamerika gesprochene Spanisch gestellt werden, nämlich dann, wenn es sich bei dem Akkusativobjekt um ein Pronomen handelt. Hierzu macht Jaeggli (1986) allerdings keine Angaben. Cf. auch die diesbezügliche Kritik Sufiers (1988:401) an Jaegglis Analyse (siehe Fußnote 47).

85 sie regiert. Es bildet somit zusammen mit der Präposition ein zweites Kasuspaar. Dies ist allerdings nur möglich, da es sich bei der Präposition um ein nicht-nominales Element handelt. Dadurch ist die Bedingung erfüllt, daß "the Case feature of the verb is matched with only one nominal element" (Jaeggli 1986:38). Die Präposition bildet außerdem mit der Objekt-NP ein weiteres Kasuspaar. Somit erhält diese NP Kasus, und der Kasusfilter wird nicht verletzt. Auch diese Analyse der Objektsklitika von Jaeggli (1986) wirft eine Reihe von Fragen auf. So wird z.B. nicht klar, warum a nicht auch in Konstruktionen mit einem indirekten Objekt als "Kasusbrücke" fungieren kann - zumal Jaeggli (1982) explizit davon ausgeht, daß indirekte Objekte im Spanischen Präpositionalphrasen, also nichtnominale Elemente sind, deren Präpositionen als Kasusbrücke fungieren könnten. Jaegglis Analyse erklärt auch nicht, warum in den spanischen Varianten, die Klitikverdoppelungen mit direkten Objekten erlauben, Sätze mit direkten Objekten ohne Klitikon möglich bzw. obligatorisch sind (cf. (63)). Gemäß der Analyse von Jaeggli (1986) müßten solche Sätze im südamerikanischen Spanisch ausgeschlossen sein, da kein nominales Element vorhanden ist, an das der Akkusativkasus gewiesen werden könnte.50 Schließlich ist Jaegglis Annahme problematisch, daß klitische Pronomina des Spanischen keinen Kasus erhalten sollen und folglich auch nicht realisieren können. Dies scheint meiner Ansicht nach unvereinbar mit der Tatsache, daß diese Elemente - als einzige Elemente im Spanischen - morphologischen Kasus realisieren. In allen anderen Analysen der romanischen Klitika wird diesem Faktum dadurch Rechnimg getragen, daß entweder angenommen wird, daß die Klitika Kasus zugewiesen bekommen bzw. absorbieren, oder daß sie als morphologische Realisierung der Kasusmerkmale des Verbs, d.h. als "spell-out of the Case-marking features of the verb" aufgefaßt werden (cf. Burzio 1985:38, Borer 1984:37, Di Sciullo 1990:225). Was die leere Kategorie in der Objektsposition in Klitikkonstruktionen ohne "gedoppelte" Objekt-NP betrifft, hält Jaeggli (1986) die Annahme aufrecht, daß es sich dabei um ein pronominales Element handelt. Auf der Grundlage der Chomskyschen Typologie der leeren Kategorien kommt hierfür einzig das leere Pronominal pro in Frage. Die Bedingungen zur Identifizierung von pro sind nach Ansicht von Jaeggli (1986:29) dadurch erfüllt, daß pro von einem Klitikon regiert ist, das einen "set of pronominal features" enthält. Außerdem ist pro mit dem Klitikon koindiziert und bildet daher mit dem Klitikon zusammen eine Kette ("chain")(cf. Jaeggli 1986:30): (68)

NP Ti

Juan

[[[/o;,AKK][V] I. vio 8di = [ _ NP]

] NP*;] I pro

SO Im Spanischen außerhalb Südamerikas hingegen ist diese Kasuszuweisung nach Ansicht von Jaeggli deshalb möglich, weil die Präposition a und die Objekt-NP eine NP bilden. Für diese Unterscheidung liefert er allerdings keinerlei Evidenz.

86 Der Grund für diese - in allen generativen Analysen von Klitikkonstruktionen vertretene - Annahme, daß das Klitikon und das Element in der Komplementsposition miteinander koindiziert sind und eine Kette bilden, hängt mit dem Theta-Kriterium zusammen: "Recall that all clitics, with the sole exception of ethical clitics, must be linked to a thematic role in the 0 grid of the verb. This linking is expressed in terms of co-indexing." (Jaeggli 1986:28)51 Jaeggli (1986) beruft sich bei seiner Annahme auf die Complement Matching-Forderung von Borer (1984), wonach ein Komplement eines Verbs mit dem entsprechenden Klitikon koindiziert sein muß. Diese Forderung basiert auf der Annahme, daß Klitika referentielle Eigenschaften haben (cf. Borer 1984:38, auch Jaeggli 1986:23). Somit müssen sie aufgrund des Theta-Kriteriums eine Theta-Rolle zugewiesen bekommen. Befindet sich ein Klitikon aber nicht in einer Position, an die eine Theta-Rolle gewiesen wird, muß es in irgendeiner Weise mit einer Position verbunden sein, die eine Theta-Rolle erhält oder mit einem Element verbunden sein, das die Theta-Rolle zuweist: "As an element which contains a referential index, the clitic must be associated with a 9-role." (Borer 1984:38) In den meisten Arbeiten über Klitika, insbesondere in denen, die sich mit romanischen Sprachen befassen, wird dieses von Chomsky entwickelte "Kettenmodell" übernommen, d.h. auf Klitikstrukturen übertragen (cf. Borer 1984, Aoun 1985, Burzio 1986 etc.). Nach Ansicht von Roberge (1988:364) ist die Bildung einer solchen Kette Bestandteil einer "well-formedness condition on the occurence of clitics".» Di Sciullo (1990) weist allerdings darauf hin, daß die Annahme einer Kettenbildung und die damit verbundene Theta-Rollen-Übertragung an ein Klitikon nicht mit der Annahme zu vereinbaren ist, daß ein Klitikon an das Verb in der morphologischen Komponente gebunden ist. Sie kritisiert damit die Annahme, daß Klitika 51

In der ursprünglichen Konzeption des Kettenbegriffs wurde angenommen, daß dieses "linking" zwischen einer Theta-Position und einem Element in einer Nicht-Theta-Position auf eine Bewegung zurückzuführen ist (cf. Chomsky 1981, 1982a). Nach Chomsky (1981:331) ist eine Kette "a sequence of categories at S-structure coindexed by M o v e - a , each member except the first being a trace of the first member, which we will call the head of the chain". Dadurch wird erklärt, wie ein lexikalischer Argumentsausdruck in eine Nicht-Theta-Position bewegt werden kann, ohne daß dabei das Theta-Kriterium verletzt wird. Er erhält die notwendige Theta-Rolle dadurch, daß er mit einer leeren Spur in einer Theta-Position durch die Kette der Bewegung verbunden ist. Somit kann die Theta-Rolle der leeren Spur an das angehobene Argument "vererbt" bzw. "weitergeleitet" werden. In neueren Analysen wird davon ausgegangen, daß eine Kette nicht notwendigerweise aus mehreren Teilgliedem besteht. Sie kann auch nur eingliedrig sein, d.h. nur aus einer einzigen NP bestehen. Daraus ergibt sich, daß eine Kette nicht unbedingt aus einer Bewegung entstanden sein muß. Dies gilt aber auch für mehrgliedrige Ketten. Sie können ebenfalls bereits durch Koindizierung in der Basis, und damit ohne Bewegung entstanden sein (cf. Rizzi 1986b und Chomsky 1986b:95ff).

52

Roberge (1988) referiert hierbei auf ein - häufig zitiertes - Manuskript von A. Hurtado ("On clitic chains", Simon Fräser University, 1985), das mir leider nicht zugänglich war.

87 am besten "as part of a head constituent" (Borer 1984:35) beschrieben werden können und als solches mit der thematischen Matrix des Verbs verbunden sind. Demnach müssen Klitikstrukturen als [V Kl]- bzw. [Kl V]-Komposita angesehen werden, in denen bereits in der Morphologie die Theta-Rolle des Verbs gesättigt wird. Nach Ansicht von Di Sciullo (1990:216) hat dies zur Folge, daß in der Syntax keine ThetaRolle an das interne Argument des Verbs vergeben werden kann. Somit käme es zu einer Verletzung des Projektionsprinzips, das in der Syntax und nicht in der Morphologie zur Anwendung kommt. Di Sciullo (1990) schließt daraus, daß ein Klitikon nicht bereits in der morphologischen Komponente gebunden sein kann, da es in diesem Fall durch keine syntaktische Regel bzw. kein syntaktisches Prinzip mit einer anderen syntaktischen Position in Verbindung gebracht werden könnte. Mit anderen Worten, ein Klitikon kann aufgrund der "syntactic opacity of words" in Satz (69) keine Beziehung zur Komplementsposition eingehen, wenn es an das Verb affigiert ist und daher mit diesem ein Kompositum bildet (cf. Di Sciullo 1990:219): (69) (a) (b)

*Jean [ v le{ regarde] el *Gianni [ v vuole incontrar lo,] e¡

Als weiteres Argument gegen eine Analyse, wonach Objektsklitika an V o gebunden sind und folglich mit dem Verb ein Kompositum bilden, führt Di Sciullo (1990:215f) an, daß das Objektsklitikon nicht notwendigerweise morphophonologisch an das Verb gebunden ist, mit dem es semantisch verbunden ist. In Sätzen mit Auxiliaren muß das Klitikon stets vor dem Auxiliar erscheinen und darf nicht adjazent zum semantischen Hauptverb des Satzes stehen: (70) (a) (b)

Pierre luí a ecrit. *Pierre a lui ecrit.

Di Sciullo (1990:216) betont, daß eine solche Bindung des Klitikons durch eine Komposita-Analyse nicht erklärt werden kann. Satz (70) müßte ausgeschlossen sein, da ein Teil des Kompositums die Argumentsposition eines Prädikates einnimmt, die sich außerhalb des Kompositums befindet. Nach Auffassung von Di Sciullo (1990) ist das Verhalten des Klitikons in (70) nur erklärbar, wenn angenommen wird, daß das Klitikon in einer syntaktischen Position generiert worden ist. Die gleiche Annahme muß ihrer Ansicht nach auch gemacht werden, um die Beziehung, die zwischen dem Klitikon und der leeren Objekt-NP in den Sätzen (69) auf der syntaktischen Komponente besteht, zu erklären. Sie nimmt daher an, daß das Klitikon an V' adjungiert ist (cf. auch Carroll 1982b, Jaeggli 1986). Diese Position ist ihrer Ansicht nach eine A'-Position, von der aus das Klitikon die leere Kategorie (Variable) in der Argumentsposition des Verbs bindet. Wie bereits erwähnt, ist das Manko einer solchen syntaktischen Analyse, wie sie von Di Sciullo vorgeschlagen wird, daß dadurch der Tatsache, daß zwischen dem Objektsklitikon und dem Verb eine enge Bindung besteht, nicht Rechnung getragen wird. Die klitischen Pronomina der romanischen Sprachen weisen eine Reihe affix-

88 ähnlicher Eigenschaften auf, so daß angenommen werden muß, daß die Verbindung zwischen Klitikon und Verb morphologischer Natur ist: "There thus seems to be a wealth of facts which strongly suggests not only that clitic+V sequences themselves form words but moreover, that clitics behave like other affixes which one would naturally assume are generated by morphological rules in the lexicon [...]." (Lapointe 1980:245) In meiner Analyse der französischen und portugiesischen Pronominalklitika wird gezeigt werden, daß die Einwände, die gegen eine Generierung unter V° sprechen, aus dem Weg geräumt werden können. Die Daten aus dem Französischen ebenso wie die aus dem Portugiesischen liefern Evidenzen für die Annahme, daß es sich bei den französischen und portugiesischen Objektsklitika um Morpheme handelt, die als Kongruenzmarkierer fungieren. Sie unterliegen daher keinem syntaktischen Prinzip, wie z.B. dem Theta-Kriterium oder dem Kasusfilter. Eine ähnliche Analyse kann auch für die klitischen Subjektspronomina des Französischen vorgeschlagen werden. Bevor ich jedoch meine eigene Analyse darstelle, gebe ich einen Überblick über die generative Diskussion der klitischen Subjektspronomina in den romanischen Sprachen.

3.3 Morphologie und Syntax der klitischen Subjektspronomina Die Diskussion um den syntaktischen Status und die Funktion der klitischen Subjektspronomina des Französischen hat eine lange Tradition. Die Kernfrage war dabei zunächst die, ob die Subjektsklitika wie nicht-klitische Nomina bzw. Pronomina als nominale Elemente, die die grammatische Funktion des Subjekts erfüllen, interpretiert werden müssen oder ob es sich bei diesen Klitika nicht vielmehr um "durch den Gebrauch fast zu bloßen Formwörtern herabgekommene Nominative" handelt (Diez 1882:798). Viele Romanisten gehen dabei sogar noch weiter als Diez und sehen die französischen Subjektsklitika als Präfixe des Verbs an, so daß ihrer Meinung nach "z.B. ze in ze sät für das nicht grammatisch geschulte Sprachbewußtsein des Franzosen nicht mehr bedeutet als -o in amo für den Römer oder Spanier" (Meyer-Lübke 1894:97).53 Gegen diese häufig auch als 'Präfixtheorie' bezeichnete Annahme wird allerdings immer wieder eingewandt, daß in vielen Kontexten die obligatorische Setzung des Subjektspronomens nicht gegeben bzw. sogar ausgeschlossen sei und somit nicht von einem präfigierten Klitikon gesprochen werden könne (cf. z.B. Sandfeld 1928:18ff, E. Pinchon 1937, Hunnius 1991).54 53

Cf. u.a. auch Darmesteter (1877:3f), Wartburg (1934:256) oder Baldinger (1968:890-

54

Für einen - leider sehr polemisch gehaltenen - Überblick dieser teilweise sehr kontrovers geführten Diskussion cf. Hunnius (1977)(cf. auch Kaiser 1988:12-19 und Kaiser & Meisel 1991:116).

89 In den generativen Arbeiten zu den französischen Subjektspronomina wird diese traditionelle Diskussion zwar weitgehend ignoriert, die Fragestellung bleibt aber die gleiche. Es geht darum, ob die Subjektsklitika einen NP-Status einnehmen und daher in der Subjektsposition generiert werden oder ob sie als Teil von INFL unter dem INFL-Knoten generiert werden. Eine Schlüsselrolle bei diesen Untersuchungen spielt hier wiederum die Arbeit von Kayne (1975). Er vergleicht anhand der gleichen Tests und Kriterien, die er zuvor bei den Objektspronomina angewandt hat, die französischen Subjektspronomina mit den Subjektsnomina. Dabei zeigt er - unter Bezugnahme auf Beobachtungen in verschiedenen traditionellen Arbeiten (u.a. Sandfeld 1928, Martinon 1927) - den Klitikstatus der sogenannten schwachen Subjektspronomina auf (cf. Kayne 1975:84). In einem weiteren Artikel (Kayne 1972) widmet er sich v.a. der Problematik der postverbalen Subjektsklitika im Französischen und setzt damit eine Diskussion über die französischen Subjektinversionsstrukturen in Gang (cf. z.B. Langacker 1972, Obenauer 1977, Kayne & Pollock 1978). Durch die Untersuchungen der Subjektspronomina einiger in Norditalien gesprochener Varianten des Italienischen von Brandi & Cordin (1981) und Renzi & Vanelli (1983) wird erstmals die Aufmerksamkeit in der generativen Diskussion auf andere Subjektsklitika als die des Französischen gelenkt.55 In vielen Arbeiten werden die französischen Subjektsklitika mit denen der norditalienischen Dialekte verglichen (cf. Rizzi 1986c, Safir 1985,1986). Hierbei wird meist festgestellt, daß die Subjektsklitika der norditalienischen Dialekte nicht als Subjekt-NPs analysiert werden können, sondern als Teil von INFL interpretiert werden müssen (cf. auch Rigau 1990, Brandi & Cordin 1989). Die Frage, ob diese Analyse auch für die französischen Subjektsklitika zutrifft, wird kontrovers beantwortet. 3.3.1 Die klitischen Subjektspronomina in der Subjektsposition Anders als die Objektsklitika des Französischen und der anderen romanischen Sprachen scheinen die französischen Subjektsklitika auf den ersten Blick auf der Oberflächenstruktur die gleiche Position wie nicht-klitisch gebundene Pronomina oder Nomina einzunehmen (cf. Kayne 1975:84): (71)

Jean partira bientôt. Lui partira bientôt. Il partira bientôt.

Die klitischen Subjektspronomina weisen jedoch - wie bereits in Kapitel 2 gezeigt wurde - alle typischen Eigenschaften klitischer Elemente auf. Kayne (1975:86) folgert daher, daß sie - wie er es auch für die Objektsklitika annimmt - zumindest auf der Oberflächenstruktur nicht wie nicht-klitische Subjekte behandelt werden können:

55

Auch hierzu gibt es eine Reihe umfangreicher traditioneller Untersuchungen (cf. insbesondere Kuen 1957).

90 "In various ways, then, the subjects clitics behave much more like object clitics than like subject NPs. This suggests that, at least in surface structure, they are not in the configuration s [¡^[subject clitic] ...] but are syntactically more closely bound to the verb." Abgesehen von ihrem klitischen Verhalten beobachtet Kayne (1975:86) noch weitere Gemeinsamkeiten von Subjekts- und Objektsklitika, durch die sie sich von nicht-klitischen Pronomina bzw. Nomina unterscheiden. So können etwa die klitischen Pronomina auf nicht-belebte Nomina referieren (cf. (72)), während für die meisten von Kayne befragten Sprecher die Möglichkeit einer solchen Referenz mit nicht-klitischen Pronomina ausgeschlossen ist (cf. (73))(cf. Kayne 1975:86): (72) (a) (b) (73) (a) (b)

Il n'est pas mal, ton bouqin. On le lit partout, ton bouquin. ISes livres, il ne pense plus à eux. ?Ce livre-là, elle ne lit plus que lui.

Als weitere Gemeinsamkeit der klitischen Pronomina führt Kayne (1975:87) an, daß sie als einzige nominale Elemente im Französischen den Kasus morphologisch unterscheiden: (74) (a) (b) (c)

Iis sont partis. Cet enfant les voit. Sa mère leur parlera.

Bei den nicht-klitischen Pronomina und Nomina hingegen werden im Französischen keine morphologischen Kasusunterscheidungen gemacht.56 Bezüglich der klitischen Subjektspronomina beobachtet Kayne (1975:88ff) schließlich, daß sie in Subjektinversionsstrukturen in komplementärer Distribution zu Subjekt-NPs auftreten. Subjektsklitika können ausschließlich in direkten Interrogativsätzen hinter das Verb treten (cf. (75)-(76)), während für Nomina dies i.d.R. nur in mit einem Interrogativpronomen eingeleiteten Nebensätzen möglich ist (cf. (77)(78):57 *Partira Jeanl Partira-t-z7? 56

Obwohl dies für Kaynes Argumentation irrelevant ist, sei darauf hingewiesen, daß außer den klitischen Personalpronomina im Französischen auch die Relativpronomina eine Kasusunterscheidung kennen.

57

Interessanterweise steht in diesen Kontexten das Subjektsklitikon nur in komplementärer Distribution zu 'vollen' Nomina. Nicht-klitische Pronomina sind in beiden Kontexten ausgeschlossen, d.h. sowohl bei der Subjektsklitikon-Inversion als auch bei der Stilistischen Inversion (cf. Kayne 1972:112.Fn.22): (i) (a) »Partira lui! (b) "Quand est lui parti? (ii) (a) *Ce que dirai moi, c'est ceci. (b) *Je sais très bien quand reviendront eux. Kayne hat für dieses Verhalten der nicht-klitischen Pronomina keine Erklärung. Seiner Ansicht nach wäre zu erwarten, daß sich die nicht-klitischen Pronomina wie 'volle' Nomina verhalten müßten, da sie auch als 'volle' Subjekte fungieren können (cf. Kayne 1972:112,Fn.22): (il i) (a) Toi seul aimes Marie. (b) Jean seul aime Marie.

91 (76) (a) (b) (77) (a) (b) (78) (a) (b)

*Quand est Jean parti? Quand est-il parti? Ce que disait Jean, c'est ceci. *Ce que disait-//, c'est ceci. Je sais très bien quand reviendront ses enfants. *Je sais très bien quand reviendront-;/.?.

Diese Distribution erklärt Kayne mit Hilfe von zwei unterschiedlichen Transformationsregeln, die entweder nur auf Subjektsklitika ('Subjektsklitikon-Inversion') oder nur auf Nomina ('Stilistische Inversion') angewendet werden können (cf. auch Kayne 1972:79). Abgesehen von diesen beiden Inversionsstrukturen kennt das Französische noch eine weitere besondere Konstruktionsmöglichkeit der Inversion des Subjektsklitikons. In den Konstruktionen, die Kayne (1972:80) als 'Komplexe Inversionen' bezeichnet, tritt gleichzeitig zu dem postverbal stehenden Subjektsklitikon eine koreferente Subjekt-NP in der präverbalen Position auf. Diese Möglichkeit besteht in Entscheidungsfragen (cf. (79a)), in mit Interrogativpronomina eingeleiteten Interrogativsätzen (cf. (79b)) und in Sätzen, die durch bestimmte Adverbiale eingeleitet werden (cf. (79c)): (79) (a) (m (c)

Cela est-il vrai? Pourquoi cette fille a-t-elle fait cela? Sans doute cette fille reviendra-t-e//e.

Aufgrund der Distribution von Subjektsklitika und Subjektsnomina in den Sätzen der Komplexen Inversionen kommt Kayne (1972:90) - anders als bei seiner Analyse der Objektsklitika - zu dem Ergebnis, daß die klitischen Subjektspronomina direkt in der Basis generiert werden: "All NP's in French will be introduced in the base along with a subject clitic. Rather than having, for example, a phrase structure rule: NP -> Det - N COMP, we would have instead: NP -> NP'- SCL, NP' -> Det - NP - COMP, where SCL = subject clitic." Nach der Analyse von Kayne (1972) unterliegt die Realisierung eines Subjektsklitikons auf der Oberflächenstruktur allerdings einer Reihe von Beschränkungen. Es kann nur in Interrogativsätzen durch die Transformationsregel der Inversion des Subjektsklitikons unmittelbar hinter das finite Verb bewegt werden (wie z.B. in (75b),(76b) oder in (77))(cf. Kayne 1972:97ff). In Aussagesätzen kann diese Regel nicht angewendet werden. In diesem Fall kann das präverbal stehende Subjektsklitikon nur dann realisiert werden, wenn ihm keine Subjekt-NP vorausgeht. Steht vor dem Klitikon eine Subjekt-NP, muß das Klitikon durch eine besondere Regel getilgt werden (cf. Kayne 1972:90): (80) (a)

Cela + il est vrai -> Cela 0 est vrai.

92 Für die Ableitung eines Satzes mit einem lexikalisch realisierten Subjektsklitikon in präverbaler Position (wie z.B. (81b)) nimmt Kayne (1972:90) an, daß vor der Regel zur Tilgung des Subjektsklitikons eine Regel zur Tilgung der starken (Subjektspronomen)-Form zur Anwendung kommt. In diesem Fall ist die Tilgung des Subjektsklitikons nicht mehr möglich, da dem Klitikon kein Subjekt mehr vorausgeht: (81) (a) (b) Im Anschluß an der Analyse von Subjektsklitikons (82)

Lui + il est malin -> 0 + il est malin. diese Tilgung der starken Form des Subjektspronomens wird nach Kayne (1972:91) das Klitikon mittels der Regel der Adjunktion des an das Verb gebunden: 0 il + est malin.

Ebenso wie bei der Analyse der Objektsklitika geht Kayne demnach davon aus, daß die Subjektsklitika erst im Laufe der Ableitung des Satzes aus der Tiefenstruktur an das Verb gebunden werden. Sie werden allerdings nicht wie die Objektsklitika aus "reinen" Pronomina abgeleitet, sondern bereits direkt in der Basis eingeführt. Anders als bei seiner Analyse der Objektsklitika kommt Kayne hier nicht umhin, eine zusätzliche Phrasenstrukturregel anzunehmen (cf. Kayne 1972:90): (83) (a) (b)

NP NP'

-> ->

NP' -SKI Det - NP - COMP

Problematisch bei einer solchen Regel scheint mir allerdings, daß dadurch der Begriff der grammatischen Funktion in die Phrasenstrukturregeln miteinbezogen wird. Die rekursive Anwendung dieser Regeln kann zur Bildung ungrammatischer Strukturen führen, wie z.B. (84c): (84) (a) (b) (c)

NP VP VP

-> -> ->

NP' SKI V (NP) (PP) (VP) V NP' SKI

Auch Langacker (1972) weist auf einige Probleme der Analyse von Kayne hin. Unter anderem kritisiert er die von Kayne vorgeschlagenen unterschiedlichen Transformationstypen und die Reihenfolge bei deren Anwendung. Als Alternative schlägt er eine Analyse mit "fewer elementary transformational Operations" vor (Langacker 1972:64). Für die heutige generative Diskussion hat Kaynes Analyse sowie Langackers Kritik allerdings keine Relevanz mehr, da sie auf der Annahme von Phrasenstruktur- und Transformationsregeln basieren. Durch die Einführung der X'-Syntax haben sich die Phrasenstrukturregeln als redundant erwiesen, so daß sich die Diskussion dieser Regeln hier erübrigt. Das gleiche gilt auch für Langackers Vorschlag, die von Kayne angenommenen Transformationsregeln umzuformulieren und umzuordnen, da im Grammatikmodell der Prinzipien- und Parametertheorie der Transformationsapparat auf eine Transformation zurückgeführt worden ist (cf. Chomsky 1981).

93 Die Analyse der Subjektsklitika von Kayne und Langacker ist allerdings besonders in einer Hinsicht für die heutige Klitikdiskussion noch relevant. Es betrifft die Annahme, daß ein präverbales Klitikon nur dann realisiert werden kann, wenn ihm keine Subjekt-NP vorausgeht. Dadurch schließt Kayne die Bildung von Sätzen, wie z.B. (85), aus, die seiner Ansicht nach nur als Linksverschiebungen möglich sind (cf. Kayne 1972:118,Fn.46): (85) (a) (b) (c)

Celui-là, il est bête. Jean, il est venu. Marie, elle mange du fromage.

Auch Langacker ist derselben Ansicht, weist aber darauf hin, daß einige Sprecher solche Sätze auch "with no special intonation" akzeptieren, die typisch für eine Dislokation sei (Langacker 1972:44). Trotz dieser - immer wieder gemachten - Beobachtung (cf. z.B. Ronat 1979) wird in vielen Analysen der französischen Subjektsklitika die Auffassung vertreten, daß Sätze wie (85) nur als "instances of Left Dislocations, with a pause between the initial NP and the following subject clitic" möglich seien (Jaeggli 1982:95). Interessanterweise gehen dieselben Autoren, die diese Dislokationsannahme vertreten, gleichzeitig davon aus, daß es sich bei Sätzen wie in (86), in denen das Subjektsklitikon postverbal erscheint, nicht um eine Dislokation handelt (cf. Jaeggli 1982:95, Safir 1985, Rizzi 1986c, Rizzi & Roberts 1989):58 (86) (a) (b)

Jean est-i7 venu? Marie a-t-elle mangé?

Eine Begründung für die unterschiedliche Behandlung der Sätze in (85) und in (86) wird meist nicht gegeben. Nur Langacker (1972:44) weist darauf hin, daß in Sätzen mit Komplexer Inversion keine für Dislokationen typische Intonationspause zwischen der Subjekt-NP und dem Verb möglich sei. Für die Sätze in (85) wird demgegenüber meist angenommen, daß sie nur für einige Sprecher ohne Pause möglich seien und daher als Dislokation analysiert werden müßten (cf. Langacker 1972:44f, Rizzi 1986c:401). Allerdings wird für diese Annahme keinerlei empirische Evidenz geliefert: "Toutefois, peu d'études sur la dislocation précisent si ces obsérvations sont basées sur des études acoustiques ou l'observation informelle, et si la pause est présente dans tous les registres où on emploie la dislocation ou si elle caractérise un style précis." (Carroll 1982b:296) Die wenigen diesbezüglichen empirischen Analysen des gesprochenen Französischen belegen vielmehr, daß die Sätze wie (85) für alle Specher auch ohne Pause akzeptabel sind (cf. M. Léon 1972, Ronat 1979). Auch in der traditionellen Literatur wird häufig darauf hingewiesen, daß solche Sätze in zunehmendem Maße "sans pause médiane" 58

Cf. auch Cl. Müller (1984) und Hulk (1991:506), die auf diesen Widerspruch hinweisen.

94 ausgesprochen werden (cf. Bally 1932:307). In einer empirischen Untersuchung der Betonung der französischen Personalpronomina registriert M. Léon (1972) in Sätzen wie (85) nur dann eine Pause, wenn die Subjekts-NP betont werden soll. In vielen neueren empirischen Arbeiten wird die Frage nach der Notwendigkeit einer solchen Pause gar nicht mehr gesondert erörtert, da für die Autoren zweifelsfrei belegt ist, daß die Subjekt-NP in (85) nicht durch eine Pause vom übrigen Satzteil getrennt stehen muß (cf. Ashby 1977, Larsson 1979, Ronat 1979, S. Matthews 1988). Trotz dieser eindeutigen Gegenevidenz dient die Annahme, daß es sich bei Sätzen wie (85) um Dislokationen handelt, als grundlegendes Argument dafür, daß im Französischen Subjektsnomina bzw. Subjektspronomina und (präverbale) Subjektsklitika komplementär distribuiert sind. Diese Annahme wird dann zur Begründung für die These herangezogen, daß die französischen Subjektsklitika in der gleichen Position wie nicht-klitische Subjektspronomina bzw. Nomina generiert werden. So schlägt Rizzi (1986c:400f) beispielsweise vor, daß Subjekt-NP und Subjektsklitikon alternativ in der SpezIP-Position generiert werden: (87)

IP SpezIP

^ J N F L ^ ^ INFL

Marie/eile

VP mange

Zusätzliche Evidenz für seine Analyse sieht Rizzi (1986c) darin, daß für alle Sprecher des Französischen Sätze wie (88) unakzeptabel sind, in denen ein Indefinitpronomen gleichzeitig mit einem präverbal stehenden Subjektsklitikon auftritt: (88)

*Personne il n'est venu?

Demgegenüber ist das gleichzeitige Auftreten von Indefinitpronomen und Klitikon dann möglich, wenn das Klitikon "invertiert" worden ist, also postverbal steht: (89)

Personne n'est-i'/ venu?

Wie bereits erwähnt, wird für diese Sätze der Komplexen Inversion nicht angenommen, daß es sich um Dislokationen handelt. Somit stellt sich für Rizzi das Problem, wie im Rahmen seiner Analyse der Subjektsklitika das gleichzeitige Auftreten zweier Subjekte innerhalb eines Satzes erklärt werden kann. Dazu greift er - in einem neueren Aufsatz 1989 zusammen mit I. Roberts - auf einen Vorschlag von Kuroda (1988) u.a. zurück, wonach Subjekte in der Spezifikatorposition der VP basisgeneriert werden. Rizzi & Roberts (1989) nehmen an, daß in Sätzen mit Komplexer Inversion das Klitikon in der SpezIP-Position und das Subjekt in der SpezVP-Position basisgeneriert werden. In der Oberflächenstruktur erscheint die Subjekt-NP in der SpezCP-Position, während das Klitikon an das Auxiliar, das zuvor von I o nach C° bewegt worden ist, klitisiert wird:

95 (90)

CP SpezComp

C

SpezVP

Marie k

ai(-t-)ellej

tj

t,

tk

V' yo I mange

Klitisierung wird in Anlehnung an Baker, Johnson & Roberts (1989) als eine Variante der Inkorporation verstanden (cf. auch Baker 1988, Baker & Haie 1990). Nach Ansicht von Rizzi & Roberts (1989:5f) kann sich das Klitikon durch die Inkorporation in das Auxiliar mit dessen Kasusmerkmalen "verbinden". Dadurch kann dem angehobenen Subjekt der notwendige Kasus vom Auxiliar zugewiesen werden. Das Problem der Theta-Rollenvergabe lösen Rizzi & Roberts (1989), indem sie annehmen, daß das Subjektsklitikon ein expletives Pronomen ist und daher keine ThetaRolle erhält. Das lexikalische Subjekt Marie hingegen bekommt die entsprechende Theta-Rolle zugewiesen. Die Annahme, daß das postverbale Subjektsklitikon in Sätzen mit Komplexer Inversion keinen Argumentstatus besitzt, sondern ein Expletivum ist, wird in vielen Analysen der französischen Klitika vertreten (cf. z.B. Kayne 1983, Couquaux 1986). Dies wirft meiner Ansicht nach jedoch eine Reihe von Problemen auf. So bleibt zum einen unerklärt, daß die invertierten Subjektsklitika auch morphologische Genus- und Numerus- und auch Personenunterscheidungen aufweisen können. Im Französischen kann jedoch nur das Pronomen il nicht-referentielle Funktion haben (cf. Melis 1991:501). Zum anderen muß gefragt werden, welchen Status das Subjektsklitikon in Sätzen mit einer einfachen Subjektsklitikon-Inversion, wie etwa in (91), hat: (91)

A-t-27 parte?

Wird davon ausgegangen, daß das Klitikon in einem solchen Satz ebenfalls ein Expletivum ist, muß angenommen werden, daß die Theta-Rolle des Verbs einem leeren Subjekt zugewiesen wird. Dies hätte allerdings die von Rizzi & Roberts (1989) nicht gewünschte Konsequenz, daß das Französische Nullsubjekte erlaubt. Bei der Annahme hingegen, daß das Klitikon in diesen Sätzen eine Theta-Rolle zugeweisen bekommt, bedarf es einer Erklärung, warum das Klitikon diesen Argumentstatus in Sätzen mit Komplexer Inversion verliert. Das generelle Problem dieser Analysen von Rizzi & Roberts (1989) sowie von Kayne (1983) oder Couquaux (1986) besteht in der unterschiedlichen Behandlung von prä- und postverbalen Klitika. In keiner dieser Arbeiten wird eine Begründung

96 dafür gegeben, warum das Klitikon in einem Satz wie A-t-elle mangé le fromage Nicht-Argument, in einem Satz wie elle mange le fromage jedoch Argument sein soll. Außerdem wird nicht klar, warum das Klitikon in diesen beiden Sätzen einen unterschiedlichen Klitikstatus besitzen soll. Genau dies folgt jedoch aus der in diesen Analysen vertretenen Annahme, daß präverbale Klitika im Französischen auf der phonologischen Ebene klitisieren, während dies bei postverbalen Klitika bereits auf der syntaktischen Ebene der Fall sein soll. Wie die Überprüfung der Klitikeigenschaften jedoch gezeigt hat (siehe Kapitel 2), weisen die französischen Subjektsklitika keinen unterschiedlichen Klitikstatus auf und müssen folglich gleich analysiert werden (cf. auch Melis 1991, Hulk 1991). Zu einer im Ergebnis ähnlichen Analyse der romanischen Klitika wie Rizzi gelangt Burzio (1986). Auch er kommt zu dem Schluß, daß die präverbalen Subjektsklitika des Französischen in der gleichen Position wie nicht-klitische Subjekte generiert werden.59 In Anlehnung an Kayne (1983) nimmt er an, daß diese Klitika nicht auf der syntaktischen Ebene, sondern erst auf der phonologischen Ebene an das Verb klitisiert werden. Abgesehen von dem bereits diskutierten Argument, daß Sätze wie Jean il mange du fromage im Französischen ausgeschlossen seien, sieht Burzio (1986:135f) in der Stellung der Negationspartikel ne einen Beleg für seine Analyse. Er folgert aus der Tatsache, daß das Subjektsklitikon vor, die Objektsklitika sowie die Klitika se und y nach der Negationspartikel stehen, daß das Subjektsklitikon ebenso wie ein nicht-klitisches Subjekt nicht in einer Klitikposition auftritt:60 (92) (a) (b)

Il ne se construit pas d'immeubles, // n'y a pas du pam.

Gegen die Interpretation von il als syntaktisches Klitikon spricht nach Ansicht von Burzio außerdem, daß es gleichzeitig mit den Klitika se und y auftritt. Seiner Analyse zufolge sind die klitischen Pronomina se und y in (92) SubjektskWüka, was er mit deren syntaktischem Verhalten begründet, das dem der italienischen Subjektsklitika si und ci ähnelt (cf. Burzio 1986:129f). Er folgert daraus, daß es sich bei il in den Sätzen (92) nicht um ein Subjektsklitikon handeln kann, da bereits ein solches vorhanden ist.61 59

Für die postverbal stehenden Klitika liefert Burzio (1986) keine Analyse.

60

Burzio greift hier ein Argument von Couquaux (1981:35) auf, der darauf hinweist, daß in negierten französischen Sätzen nur das klitische Pronominaladverb en, nicht jedoch das entsprechende nicht-klitische NP-Komplement nach der Negationspartikel stehen können: (i) (a) La porte du garage n'était pas ouverte, (b) *La porte ne du garage était pas ouverte. (ii) (a) *La porte en n'était pas ouverte, (b) La porte n'en était pas ouverte.

61

Des weiteren bestätigt sich für Burzio (1986:1350 der NP-Status von il durch dessen Verhalten in Konstruktionen mit Anhebungsverben. Während il in (ia) angehoben werden kann, ist eine solche Anhebung für se, das von Burzio als "se moyen" bezeichnet wird, nicht möglich (cf. (ib): (i) (a) Il semble se construire beaucoup d'immeubles, (b) *H se semble construire beaucoup d'immeubles.

97 Die Analyse Burzios ist allerdings unvereinbar mit den Beobachtungen über den Klitikstatus der französischen Subjektspronomina. Denn ebenso wie bei den Klitika se und y handelt es sich auch bei il zweifellos um ein klitisch gebundenes Pronomen (cf. auch Melis 1991:499). Aus diesem Grund ist vielfach vorgeschlagen worden, daß die klitischen Subjektspronomina nicht in der Subjektsposition, sondern unter dem INFL-Knoten generiert werden. 3.3.2 Die klitischen Subjektspronomina als Merkmal von INFL62 Eine der ersten generativen Arbeiten, in der die Rolle und Funktion der klitischen Subjektspronomina ähnlich analysiert wird wie von den Vertretern der traditionellen Präfixtheorie, ist die Arbeit von Jaeggli (1982). Aufgrund der besonderen Eigenschaften dieser Pronomina folgert Jaeggli (1982:92), "that such weak forms are generated as a part of the node INFL'(ection)". Er schlägt daher eine Erweiterung des INFL'-Knotens vor, der neben den INFL-Merkmalen für Tempus und Kongruenz außerdem ein (nicht obligatorisches) Subjektsklitikon (SKI) enthält, das nach der S-Struktur an das Verb klitisiert wird (cf. Jaeggli 1982:92f): (93) Ca) (b)

INFL' -> (SKI) INFL X SKI V Y => X SK1+V Y

Diese Erweiterung des INFL'-Knoten hat zur Folge, daß INFL die [NP,S]-Position nicht mehr c-kommandieren kann. Folglich ist diese Position, die normalerweise von INFL regiert wird, unregiert.63 Das heißt, daß in einem finiten französischen Satz, der ein Subjektsklitikon enthält, eine lexikalische NP in der Subjektsposition ausgeschlossen ist, da ihr kein Kasus zugewiesen werden kann. Stattdessen muß die leere (und unregierte) Kategorie PRO erscheinen (siehe auch Abschnitt 3.2.6). Enthält ein Satz kein Subjektsklitikon, bleibt der INFL'-Knoten unverzweigt, und die [NP,S]-Position von INFL ist somit regiert. In diesem Fall ist PRO dort ausgeschlossen, und Dieser Unterschied in (i) ist für Burzio ein Beleg dafür, daß sich il wie eine Subjekt-NP verhalt und daher - anders als das Klitikon se - in der Subjektsposition generiert werden muß. 62

Ein Altemativvorschlag, der vereinzelt diskutieit worden ist, besteht darin, das Subjektsklitikon innerhalb der VP zu generieren (cf. Safir 1985, Brandi & Cordin 1981). Gemäß der Analyse von Safir (1985) kann das Klitikon dann lexikalisch realisiert werden, wenn es Kasus zugewiesen bekommt. Diesen erhalt das Klitikon allerdings nur dann, wenn die Subjektsposition des Satzes lexikalisch leer ist. Für Sätze mit Komplexer Inversion nimmt Safir (1985:209) an, daß das mit dem Merkmal [-fNOM(inativ)] spezifizierte INFL rechts an das Veib adjungiert wird, wobei es eine mit [+NOM] markierte Spur im INFL-Knoten hinterläßt. Aus diesem Grund können sowohl die nominale Subjekt-NP in der Subjektsposition als auch das innerhalb der VP generierte Klitikon Kasus erhalten und lexikalisch realisiert werden.

63

Jaeggli geht dabei von der Annahme aus, daß das C-Kommando sich auf den ersten verzweigenden Knoten bezieht, und nimmt die folgende Struktur an: (i) NP INFL' VP SCL INFL Wenn der INFL'-Knoten ein Subjektsklitikon enthält, kann INFL die [NP,S]-Position nicht mehr regieren, da nicht S, sondern INFL' den ersten verzweigenden Knoten bildet.

98 eine lexikalische NP kann Kasus erhalten. Folglich gibt es nach dieser Analyse zwei mögliche Strukturen für einen französischen Matrixsatz: (94)

(a) (b)

P R O [TNFLISKI+INFL] V P N P [¡NHJTNFL] V P

Ebenso wie etwa Rizzi oder Burzio schließt Jaeggli (1982) damit das gleichzeitige Auftreten eines Subjektsklitikons und einer Subjekt-NP in der Subjektsposition aus. Durch seine Annahme, daß die Subjektsposition von INFL nur dann regiert sein kann, wenn kein Subjektsklitikon vorhanden ist, sind auch für ihn solche Sätze im Französischen ausgeschlossen bzw. nur möglich, wenn das Subjekt in einer dislozierten Position steht. Zu einer anderen Interpretation von Sätzen mit einer Subjekt-NP und einem gleichzeitig auftretenden Subjektsklitikon gelangen die meisten Vertreter dieser "Dislokationsthese" allerdings bei der Analyse norditalienischer Dialekte. In zwei Untersuchungen dieser Dialekte von Brandi & Cordin (1981) und Renzi & Vanelli (1983) ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß diese Varietäten des Italienischen ebenfalls über klitische Subjektspronomina verfügen. Brandi & Cordin (1981) sowie Renzi & Vanelli (1983) weisen darauf hin, daß in diesen Sprachen die phonetische Realisierung der vorhandenen Subjektsklitika in bestimmten Kontexten obligatorisch ist, und zwar auch dann, wenn eine Subjekt-NP oder ein Subjektspronomen dem Verb voranstehen. So muß z.B. im Trentinischen das Subjektsklitikon in der 3. Person Singular und Plural (und auch in der 2. Person Singular) stets vorhanden sein (cf. Brandi & Cordin 1981:36f): (95) (a) (b) (c) (d) (e) (e)

El magna El Gianni el magna Lu el magna *Gianni magna *Lu magna *magna

Aufgrund dieser Verhaltensweisen der klitischen Subjektspronomina wird in den meisten generativen Analysen dieser Dialekte das Klitikon unter INFL generiert (cf. Brandi & Cordin 1981, Burzio 1986, Rizzi 1986c, Roberge 1986b, Roberge & Vinet 1989). Rizzi (1986c:393) interpretiert das trentinische Subjektsklitikon als "[phonetic] spell-out of AGR under INFL". Seiner Ansicht nach ist das Trentinische im Unterschied zum Standarditalienischen - dadurch gekennzeichnet, daß auf der Ebene der Phonetischen Form die AGR-Merkmale nicht nur am Verbstamm, sondern auch in ihrer "abstrakten syntaktischen Position" realisiert werden.64 Er schlägt daher 64

Das Trentinische besitzt neben den unter INFL generierten Subjektsklitika eine "reiche" Verbflexion, d.h. die AGR-Merkmale werden auch am Verbstamm phonetisch realisiert - wie beispielsweise das Konjugationsparadigma des Verbs parlare zeigt (cf. Brandi & Cordin 1981:33): (i) IPs.Sg. parl-o 1.PS.P1. pari-em 2.Ps.Sg. te parl-i 2.Ps.Pl. pari-«? 3Ps.Sg. el/la parl-a 3.Ps.Pl. i/le parl-a

99 folgende strukturelle Repräsentation für das Trentinische vor (cf. Rizzi 1986c:393, auch Brandi & Cordin 1981:45f): (96)

IP SpezIP

Gianni/ pro

INFL' INFL I el

VP I magna

Die SpezIP-Position ist gemäß dieser Analyse durch das unter INFL angeordnete Klitikon regiert. Diese Position kann dabei entweder mit einer NP belegt oder lexikalisch leer sein. Bei dem lexikalisch leeren Subjekt handelt es sich um ein leeres pronominales Element, also nach Chomskys Theorie der leeren Kategorien um pro (cf. Chomsky 1982b).65 Allgemein wird davon ausgegangen, daß das Auftreten von pro zwei Bedingungen unterliegt (cf. Rizzi 1986a, Jaeggli & Safir 1989). Die leere Kategorie pro muß lizenziert und ihr Inhalt ("content") identifizier bar, d.h. "wiederauffindbar" sein. Als Lizenzierungsbedingung fiir pro wird meist angenommen, daß pro streng regiert sein muß (cf. Chomsky 1981, Rizzi 1986a).66 Dies ist nach Ansicht von Rizzi im Trentinischen dadurch gewährleistet, daß INFL lexikalisch bzw. ein X°-Element ist und demnach als strenges Regens des leeren Subjekts fungieren kann. Der Inhalt von pro kann im Trentinischen dadurch identifiziert werden, daß das Trentinische eine "reiche" Verbflexion besitzt (cf. Rizzi 1986c:402). Evidenz für die von ihm vorgeschlagene Analyse des Trentinischen sieht Rizzi (1986b:402) darin, daß im Trentinischen die AGR-Merkmale in ihrer "abstrakten syntaktischen Position" nur dann sichtbar werden, wenn das flnite Verb für die 2. Person Singular oder die 3. Person Singular bzw. 3. Person Plural spezifiziert ist. Für alle anderen Kontexte kennt das Trentinische - wie dem Paradigma in Fußnote 64 zu entnehmen ist - keine Klitikformen. Ein besonderes Merkmal des Trentinischen ist es daher, daß es "gaps in the clitic paradigm" aufweist (Rizzi 1986c:403). Die Realisierung eines Subjektsklitikons unter INFL ist im Trentinischen abhängig von der Spezifizierung von Person und Numerus. Sie ist entweder obligatorisch oder ausgeschlossen, bzw. in einigen Dialekten in bestimmten Fällen auch optional. Für das Italienische fällt diese Möglichkeit weg, da es keine Subjektsklitika besitzt. Im Französischen ist die Realisierung der Subjektsklitika unter INFL nach Ansicht von Rizzi 65

Die Tilgung eines lexikalischen Subjekts ist nur dann möglich, wenn es pronominal ist. In Nullsubjekt-Sprachen wird in diesem Fall die Nullsubjekt-Option vorgezogen. Gemäß dem von Chomsky (1981:65) formulierten Avoid Pronoun-Prinzip wird ein lexikalisches Subjektspronomen nur dann realisiert, wenn es notwendig ist, d.h. a) wenn das Subjekt betont ist und hervorgehoben werden soll (Emphase) b) wenn die Interpretation des Subjekts nicht eindeutig gewährleistet ist, d.h. möglicherweise ambig ist.

66

Obwohl Chomsky (1981, 1986a:16) explizit annimmt, daß nur nicht-pronominale leere Kategorien, d.h. leeren Spuren, streng regiert sein müssen, wird in vielen Analysen von Null-Subjekt-Sprachen (z.B. Rizzi 1982, auch Chomsky 1981) die Annahme vertreten, daß auch pro dem sogenannten Empty Category-Prinzip (ECP) unterliegt und folglich streng regiert sein muß.

100 auch nicht möglich, und zwar deshalb, weil es dort für alle Personen und Numeri Klitikaformen gibt. Dieses Fehlen der "Lücken" im Klitik-Paradigma erklärt sich für Rizzi dadurch, daß die Subjektsklitika im Französischen eben nicht unter INFL, sondern in der Subjektsposition generiert werden. Diese Annahme bestätigt nach Ansicht von Rizzi (1986c:402) die "usual assumption", wonach das Französische keine NullSubjekt-Sprache sei. Eine Analyse, wonach das Subjektsklitikon im Französischen unter INFL generiert werden würde, hätte zur Folge, daß im Französischen NullSubjekte in der Subjektsposition möglich wären. Diese Argumentation Rizzis für eine solche unterschiedliche Analyse des Französischen und Trentinischen ist jedoch wenig überzeugend. Vielmehr sprechen eine Reihe von Argumenten dafür, die französischen Subjektsklitika ähnlich wie die des Trentinischen zu analysieren. Zum Beispiel gibt Rizzi (1986c) keinen überzeugenden Grund dafür an, warum "Lücken" im Paradigma der Subjektsklitika einer Sprache notwendig sein sollen, damit diese unter INFL generiert werden können.67 Es spricht vielmehr einiges dafür, daß gerade eine Sprache, die für alle Personen- und NumerusSpezifizierungen Subjektsklitika kennt, ein noch weitaus besserer Kandidat für eine Nullsubjekt-Sprache ist, deren Subjektsklitika als "spell-out" in INFL realisiert werden, als die norditalienischen Dialekte (cf. auch Kaiser & Meisel 1991:121). Hinzu kommt, daß in einigen neueren empirischen Arbeiten nachgewiesen werden konnte, daß im gesprochenen Französischen das Auftreten der klitischen Subjektspronomina in einem sehr hohen Grad obligatorisch ist (cf. hierzu z.B. Sankoff 1982, Ashby 1977, Lambrecht 1981). In der von mir durchgeführten Untersuchung wird ebenfalls gezeigt werden, daß es nur sehr wenige Kontexte gibt, in denen im gesprochenen Französischen finite Veiben ohne Subjektsklitikon auftreten. Auch nominale Subjekte treten i.d.R. zusammen mit einem Subjektsklitikon auf (siehe Kapitel 4). Unter anderem aus diesem Grund wird in einer Reihe neuerer generativer Arbeiten zum Französischen vorgeschlagen, die französischen Subjektsklitika unter INFL zu generieren (cf. z.B. Roberge 1986a,1986b, Auger 1990b, Hulk 1991, Melis 1991 und auch Kaiser & Meisel 1991). So nimmt beispielsweise Roberge (1986a:391) an, daß im Französischen das Subjektsklitikon innerhalb von INFL unter AGR basisgeneriert ist, und schlägt folgenden Strukturbaum für das Französische vor (cf. auch Roberge 1986b:66, Roberge & Vinet 1989):

67

Rizzis Hinweis auf die "usual assumption" bzgl. der Nicht-Nullsubjekt-Eigenschaften des Französischen ist nicht haltbar. Abgesehen davon, daß eine "usual assumption" nicht notwendigerweise richtig sein muß, belegt die mittlerweile über hundertjährige diesbezügliche kontroverse Diskussion innerhalb der Romanistik, daß hier keineswegs allgemeine Übereinstimmung herrscht Für eine weitere Diskussion und Kritik der Analyse von Rizzi (1986c) cf. auch Kaiser (1988:75-79) und Kaiser & Meisel (1991:120f).

101 (97)

IP SpezIP

INFL' INFL AGR I SKli

Jean/ pro

il

VP TPS

mange

Der Analyse von Roberge (1986b) zufolge kann das unter AGR basisgenerierte Subjektsklitikon ein lexikalisch leeres Element in der Subjektsposition identifizieren. Das Auftreten einer lexikalischen NP in der Subjektsposition hängt seiner Ansicht nach davon ab, ob die NP in der Subjektsposition den Kasus erhalten kann. Dies wiederum wird durch die parametrisch festgelegte Eigenschaft der Kasusabsorbierung durch das Subjektsklitikon bestimmt. Roberge (1986b:67) nimmt an, daß im sogenannten 'Standardfranzösischen' ein Subjektsklitikon stets Kasus erhalten muß. Die Folge ist, daß eine Subjekt-NP nicht gleichzeitig mit einem Subjektsklitikon auftreten kann, da das Subjektsklitikon den Kasus absorbiert und somit die Subjekt-NP keinen Kasus erhalten kann. Im umgangssprachlichen Französisch hingegen sind nach Ansicht von Roberge (1986b:67) die Subjektsklitika optionale Kasusabsorbierer. Mit anderen Worten, im gesprochenen Französisch kann eine lexikalische Subjekt-NP auch dann Kasus erhalten, wenn ein Subjektsklitikon gleichzeitig auftritt, da das Klitikon den Kasus nicht benötigt. Die Zuweisung der notwendigen Theta-Rolle an die Subjekt-NP und an das Klitikon ist durch die Annahme gewährleistet, daß das Klitikon und die Subjekt-NP eine gemeinsame Kette bilden und somit die gleiche ThetaRolle erhalten können. Ähnliche Analysen des Französischen schlagen auch Auger (1990b), Hulk (1991) oder Melis (1991) vor. Die Konsequenz dieser Analysen der Generierung des Subjektsklitikons in INFL ist die, daß das Französische als Nullsubjekt-Sprache (bzw. Nullargument-Sprache; cf. Roberge 1986a,b) angesehen werden muß. Es erlaubt, daß ebenso wie in den anderen romanischen Sprachen in der Subjektsposition die leere Kategorie pro auftreten kann. Im Anschluß an diese Beobachtung stellt sich die Frage, ob das Französische außerdem noch weitere Eigenschaften besitzt, die für Nullsubjekt-Sprachen charakteristisch sind. Nach Ansicht von Chomsky (1981:255) verfügen Nullsubjekt-Sprachen - abgesehen von der Nullsubjekt-Eigenschaft - über mindestens vier weitere, voneinander unabhängige Eigenschaften, wobei er annimmt, daß das Vorhandensein dieser Eigenschaften parametrisch festgelegt ist: 68 68

Für den kindlichen Spracherwerb bedeutet diese Annahme, daß die Kinder diese Eigenschaften nicht separat erweiben müssen, sondern lediglich erkennen müssen, ob es sich bei der von ihnen zu erwerbenden Sprache um eine Nullsubjekt-Sprache handelt Durch diese Theorie der Parameterfixierung soll erklart werden, daß Kinder - trotz

102 (98) (a) (b) (c) (d)

Freie Inversion in einfachen Sätzen: Ha mangiato Giovanni "Lange Vv/i-Bewegung" des Subjekts: L'uomo [che mi domando [chi abbia visto]] Leere Resumptivpronomen in eingebetteten Sätzen: Ecco la ragazza [che mi domando [chi crede [che possa VP]]] Scheinbare Verletzung des *[f&af-f]-Filters: Chi credi [che partirá!

In der Diskussion des von Chomsky formulierten Pro-drop- bzw. Nullsubjekt-Parameters konnte allerdings nachgewiesen werden, daß dieses "clustering of properties" (Chomsky 1981:240) nicht aufrecht erhalten werden kann. Die meisten dieser Eigenschaften erwiesen sich entweder als nicht für Nullsubjekt-Sprachen spezifisch oder konnten durch Ableitung aus anderen Eigenschaften erklärt werden (cf. Rizzi 1982). Die meisten Arbeiten stimmen allerdings darin überein, daß die Eigenschaft der Freien Inversion neben der Nullsuby'e/ci-Eigenschaft als eine spezifische Eigenschaft der Nullsubjekt-Sprachen angesehen werden kann. 69 Bei der Freien Inversion handelt es sich um die Eigenschaft einer Sprache, die es ihr erlaubt, grundsätzlich das Subjekt eines finiten Satzes sowohl in der präverbalen Subjektsposition als auch postverbal zu realisieren, ohne daß sich dadurch der propositionale Gehalt des Satzes ändert. So sind etwa die beiden italienischen Sätze in (99) miteinander weitgehend bedeutungsgleich ("roughly synonymous"; Safir 1985:172): (99) (a) (b)

Giovanni ha mangiato. Ha mangiato Giovanni.

Diese Möglichkeit der Subjektsnachstellung als spezifische Eigenschaft von Nullsubjekt-Sprachen ist allerdings auch in Frage gestellt worden. So ist z.B. Safir (1985:234ff) der Ansicht, daß das Portugiesische eine Nullsprache sei, das keine Freie Inversion besitzt (cf. auch Safir 1986:340ff).70 In den meisten Untersuchungen, in denen das Französische als Nullsubjekt-Sprache analysiert wird, gelangt man zu dem gleichen Ergebnis (cf. z.B. Roberge 1986b, Hulk 1991). Gemäß diesen Analysen, kann im Französischen das Subjekt nur in unzureichender, fehlerhafter und (fast) ausschließlich positiver Evidenz - in einem relativ kurzen Zeitraum ein sehr komplexes grammatisches System erwerben (cf. Hornstein & Lightfoot 1981, Chomsky 1986b sowie die Arbeiten in Roeper & Williams ed. 1987). 69

Auch Chomsky (1981:255) selbst geht davon aus, daß die Nullsubjekt-Eigenschaft und die Möglichkeit der Freien Inversion die "essential properlies of the pro-drop languages" sind. 70 Meiner Ansicht nach bestätigen allerdings Safirs Einwände eher die Annahme einer Verknüpfung der Null-Subjekt-Eigenschaft und der Möglichkeit zur Freien Inversion als sie zu widerlegen. Safir weist zurecht darauf hin, daß im Portugiesischen die Möglichkeit der Subjektsinversion so stark eingeschränkt ist, daß hier nicht mehr von einer Freien Inversion gesprochen werden kann (cf. z.B. Tarallo & Kalo 1989). Safir übersieht jedoch, daß die Null-Subjekt-Eigenschaft im Portugiesischen (vor allem in dem Brasiliens) längst nicht (mehr) so ausgeprägt ist wie in anderen Null-Subjekt-Sprachen. Im brasilianischen Portugiesisch wird das Subjektspronomen nicht nur dann phonetisch realisiert, wenn es betont oder ambig ist, sondern sehr häufig auch in anderen Kontexten. Mit anderen Worten, im brasilianischen Portugiesisch - und in eingeschränkterem Maße auch im europäischen - unterliegt die phonetische Realisierung des Subjekts nicht (mehr) den Bedingungen, die für eine typische NullsubjektSprache gelten (cf. Tarallo 1985, Zubizarreta 1982). In einigen Varianten des Portugiesischen (u.a. im Galizischen) finden sich sogar expletive Subjektspronomina, die in Nullsubjekt-Sprachen kategorisch ausgeschlossen sind (cf. Cunha & Cintra 1984:284, Alvarez & al. 1986:169).

103 Äußerungen mit "unpersönlichen" Verben postverbal stehen. Demnach ist die Nachstellung eines Subjekts im Französischen nur unter zwei Bedingungen möglich. Erstens muß dem Verb ein expletives Subjektspronomen vorangehen und zweitens muß das Subjekt indefinit sein (Definitheitseffekt)(ci. auch Rizzi 1982, Safir 1985): (100) (a) (b)

D arrive un bateau. *I1 arrive le bateau.

Für beide Bedingungen lassen sich allerdings empirische Gegenbelege liefern. Die beiden Sätze von F. Jacob71 in (101) zeigen beispielsweise, daß zum einen solche Sätze auch ohne Expletivum vollkommen akzeptabel sind und daß zum anderen Sätze dieses Typs auch definite Subjekte haben können (cf. auch Melis 1991:498): (101) (a) (b)

Un été, 0 arriva pour quelques jours un lointain cousin de Lorraine (p.57) A mesure que nous grimpions, 0 s'abaissait la mer et 0 s'éloignait le claquement des vagues contre la falaise (p.81)

Abgesehen von diesen Belegen gegen die Annahme, daß die Subjektsnachstellung im Französischen den oben genannten Beschränkungen unterliegt, gibt es empirische Evidenz dafür, daß im Französischen Subjekte frei invertiert werden können. Es kann gezeigt werden, daß das Französische eine Nullsubjekt-Sprache ist, in der sowohl leere Subjekte als auch frei invertierte Subjekte möglich sind.

71

François Jacob, La statue intérieure, Paris: Seuil 1987.

104

4. Klitische Personalpronomina als Rexions- und Kongruenzmarkierer. Empirische Evidenzen aus dem Französischen und Portugiesischen

4.1 Vorbemerkungen zu einer Analyse gesprochener Sprache im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie Grundlage für die folgende synchronische Analyse der klitischen Personalpronomina des Französischen und Portugiesischen sind in erster Linie Grammatikalitätsurteile von Muttersprachlern.1 Dies entspricht der Arbeitsweise der generativen Grammatik, die auf der Annahme des kompetenten Sprechers basiert (cf. Chomsky 1965:3-15). In vielen generativen Untersuchungen gerade zum Französischen wird allerdings häufig davon ausgegangen, daß diese Sprache in mehrere Subsysteme unterteilt werden muß, denen unterschiedliche Grammatiken zugrundeliegen. Dabei wird meist zwischen einer 'Standard'- und einer 'Nicht-Standard'-Form der Sprache unterschieden (cf. z.B. Carroll 1982b, S. Matthews 1988, Roberge 1986b). Mit anderen Worten, es wird implizit angenommen, daß der kompetente Sprecher - ähnlich wie der Bilinguale - Zugriff auf mehrere grammatische Kompetenzen hat. Die Entscheidung des Sprechers, welches grammatische Wissen er aktiviert, hängt von der jeweiligen Gesprächssituation ab. Ausschlaggebend ist dabei eine Vielzahl von Faktoren, wie z.B. "Öffentlichkeit der Kommunikationsstruktur" und "Sozialstruktur der Gesprächspartner". Auch regionale Unterschiede spielen eine Rolle. Genauere Auskunft über die Art dieser Faktoren und der Varietäten, die einem Sprecher in einer gegebenen Situation zur Verfügung stehen, kann nur eine soziolinguistische Untersuchung leisten.2 Für die vorliegende Arbeit muß es genügen, zwischen dem sogenannten 'Standardfranzösischen' bzw. 'Standardportugiesischen' einerseits und dem 'Umgangs1

Hierbei stütze ich mich auf die Urteile und Beobachtungen in entsprechenden sprachwissenschaftlichen Untersuchungen sowie auf die Urteile von mir selbst befragter Muttersprachler. In einigen Zweifelsfällen habe ich per Fragebogen jeweils ca. 50 - 100 Sprecher um Grammatikalitäts- bzw. Akzeptabilitätsurteile gebeten. Die befragten Personen waren unterschiedlicher sozialer Herkunft und hatten eine verschiedene Schulbildung.

2

Hierfür gibt es hinsichtlich des Gebrauchs von Pronomina eine Reihe von Untersuchungen zum Französischen (cf. z.B. Ch. Muller 1979, AI 1987) und zum Portugiesischen (cf. z.B. A. Matthews 1978, Kiesler 1989, Petrack 1989).

105 französischen' bzw. 'Umgangsportugiesischen' andererseits zu unterscheiden. Mir ist dabei bewußt, daß diese Unterscheidung stark vereinfachend ist und aus diesem Grund der in einer Sprache tatsächlich vorhandenen Vielfalt an Varietäten, die dem einzelnen Sprecher zur Verfügung stehen, nur unzureichend Rechnung getragen wird. Mit der Bezeichnung 'Standard' beziehe ich mich auf die Varietäten des öffentlichen Sprachgebrauchs. Dies entspricht etwa dem von Stourdzé (1969) oder Söll (1980) als "langue élaborée" bezeichneten Sprachregister. Unter 'Umgangssprache' oder 'kolloquialer Sprache' verstehe ich Varietäten der Sprache, die vor allem im privaten und im halböffentlichen Gespräch anzutreffen sind. Sie können aber auch in der Schriftsprache (etwa in Briefen) Anwendung finden. Im folgenden geht es mir darum, die als 'Umgangssprache' bezeichnete Sprachvarietät zu untersuchen. Zu diesem Zweck habe ich bei meiner Analyse auch Daten aus Korpora des gesprochenen Französisch und Portugiesisch untersucht. Die Auswertung dieser Daten soll als zusätzliche Unterstützung der hier vorgelegten Analysen und Thesen dienen. Die Daten für das von mir erstellte Korpus des Französischen stammen zum überwiegenden Teil aus dem Forschungsprojekt DUFDE {Deutsch und Französisch Doppelter Erstspracherwerb)(abgeküTzt duf)? Hierfür wurden die Äußerungen von fünf französischen Mitarbeiterinnen aus insgesamt zwölf Aufnahmesequenzen ausgewertet. Außerdem habe ich große Teile der Korpora von Scherer (1984) (abgekürzt sch) und Ludwig (1988) (abgekürzt lud) verwendet.4 Die Daten von Scherer sind kurze - versteckt aufgenommene - Gespräche zwischen mehreren erwachsenen Personen. Bei den Korpora von Ludwig handelt es sich jeweils um Gespräche in einer Familie. Für das von mir erstellte Korpus des Portugiesischen sind die Daten dem "corpus de lingua falada" aus dem von M.F. Bacelar do Nascimento et al. (1987) herausgegebenen Portugués fundamental (abgekürzt p f ) entnommen. 5 Hierbei handelt es sich um "entrevistas" erwachsener Portugiesen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher sozialer und regionaler Herkunft. Obwohl ich in dieser Arbeit nur am Rande auf das brasilianische Portugiesisch eingehen werde, habe ich auch einige Daten des gespro-

3

Hierbei handelt es sich um ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt, das am Romanischen Seminar der Universität Hamburg angesiedelt ist und das von J.M. Meisel geleitet wird. Ziel des Projekts ist die Untersuchung und Erforschung des Spracherwerbs bilingual französisch-deutsch aufwachsender Kinder. Zu diesem Zweck wurden im Zeitraum von 1980 bis 1991 insgesamt 13 Kinder alle zwei Wochen per Video aufgenommen. Wahrend der Aufnahmen spielten abwechselnd ein französisch- bzw. deutschsprachiger Projektmitarbeiter mit dem jeweiligen Kind (cf. Schlyter 1990).

4

Mittlerweile existiert für das Französische eine relativ große Anzahl verschiedener Korpora der gesprochenen Sprache (cf. Blanche-Benveniste & Jeanjean 1987 und Koch & Oesterreicher 1990 für einen kritischen Überblick). Nach Ansicht von Koch & Oesterreicher (1990:35) gehören die Korpora von Scherer und Ludwig zu den "besten Corpora des gesprochenen Französisch".

5

Anders als für das Französische existieren für das Portugiesische bisher kaum Korpora spontaner Sprachdaten. Die wenigen vorhandenen Korpora - wie etwa die portugiesischen Daten der Bielefelder Text-corpora romanischer Sprachen von Meyer-Hermann - sind bislang nicht veröffentlicht (cf. Kiesler 1989:X).

106 chenen Portugiesisch Brasiliens ausgewertet. Die Daten hierfür stammen aus dem Projekt NURC/SP {Projeto de Estudo da Norma Lingüistica Urbana Culta de Säo Paulo)(abgeküTzt nurc). Es sind Interviews und Gespräche von Angehörigen der gehobeneren Bevölkerungsschicht in Säo Paulo.6 Ich beginne mit der Analyse der klitischen Subjektspronomina des Französischen. Im Anschluß daran befasse ich mich mit den klitischen Objektspronomina des Französischen und des Portugiesischen.

4.2 Status und Funktion der klitischen Subjektspronomina im Französischen? Wie bereits im vorangegangenen Literaturüberblick in Kapitel 3 aufgezeigt wurde, dreht sich die generative Diskussion der klitischen Subjektspronomina des Französischen und auch der anderen romanischen Sprachen, die solche Klitika kennen, vor allem um die Frage, ob ihnen der Status einer NP zugeordnet werden kann oder ob sie vielmehr als Flexive interpretiert werden müssen. Damit verbunden ist die Frage, ob diese Sprachen als Nullsubjekt-Sprachen zu beschreiben sind, d.h. als Sprachen, die leere Subjekte erlauben. In der folgenden Analyse werde ich Belege für die zweite Annahme liefern. Ich vermute, daß die französischen Subjektsklitika in INFL generiert werden und daß demzufolge das Französische als eine Nullsubjekt-Sprache angesehen werden kann. Die Überprüfung des Status der französischen Subjektsklitika mit Hilfe der Kriterien zur Bestimmung des Klitik- bzw. Affixstatus eines Elementes in Kapitel 2 hat gezeigt, daß sie alle gemeinsamen typischen Eigenschaften aufweisen, durch die sich Klitika und Affixe auszeichnen. Sie sind stets klitisch und zwar i.d.R. proklitisch an das finite Verb des Satzes (oder an eine infinite Verbform) gebunden. Sie unterscheiden sich aufgrund dieser klitischen Eigenschaften deutlich von nicht-klitischen Subjekten. Eine Analyse, bei der Klitika als Nominalphrasen interpretiert und als Subjekte in der Spezifikatorposition von INFL (bzw. der VP) generiert werden (wie z.B. Couquaux 1986, Rizzi 1986c, Rizzi & Roberts 1989), wird dieser Beobachtung nicht gerecht und muß allein aus diesem Grund als inadäquat zurückgewiesen werden. Die klitischen Subjektspronomina haben große Ähnlichkeiten mit Affixen und besitzen eine Reihe von Eigenschaften, die als typische Charakteristika von Affixen angese6

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Ziel dieses Projektes, das auch in anderen Städten Brasiliens und Südamerikas durchgeführt wird, ist es, den '"dialeto social praticado pela classe de prestigio'" zu erfassen und zu beschreiben (Teixeira & Preti 1987:3 (=nurc)). Die folgende Analyse der französischen Subjektsklitika basiert im wesentlichen auf den Ergebnissen meiner Magisterarbeit (Kaiser 1988) und der daran anknüpfenden Untersuchung von Kaiser & Meisel (1991). Im Rahmen dieser Arbeit wurden zusätzlich weitere Daten untersucht. Aus diesem Grund gibt es leichte Verschiebungen bei den Zahlen- und Prozentangaben im Vergleich zu Kaiser (1988) und Kaiser & Meisel (1991). Hinzu kommen einige neue Beobachtungen. Insgesamt bestätigt die Auswertung des quantitativ größeren Datenkorpus die Ergebnisse der früheren Arbeiten und der dort aufgestellten Thesen.

107 hen werden. Sie haben einen sehr hohen Selektionsgrad bei der Wahl ihres Partners, da sie sich ausschließlich an verbale Elemente binden. Ihr syntaktischer und phonologischer Partner sind stets identisch, und sie binden sich i.d.R. nur von einer Richtung aus an ihren Partner (siehe Kapitel 2). Ein weiteres Argument, das als Hinweis auf die affixartigen Eigenschaften der Subjektsklitika für deren Interpretation als Affixe angeführt werden kann, basiert auf der Beobachtung, daß im gesprochenen Französisch in nahezu allen Äußerungen mit einem finiten Verb ein Subjektsklitikon realisiert wird. Die Verwendung des Subjektsklitikons ist insbesondere auch dann zu beobachten, wenn ein koreferentes Subjektsnomen bzw. Subjektspronomen im Satz erscheint. Zu diesem Ergebnis kommen viele neuere empirische Untersuchungen zum Französischen (cf. z.B. Ashby 1977, Lambrecht 1981, Sankoff 1982, Barnes 1986, S. Matthews 1988). Von besonderem Interesse ist die Untersuchung von Sankoff (1982). Anhand der Analyse des Gebrauchs von Subjektsklitika im Französischen überprüft Sankoff (1982) die These, wonach syntaktische Veränderungen und neue Ausdrucksmöglichkeiten in einer Sprache auf spezifische Kommunikationsbedürfnisse zurückzuführen sind. Sie vermutet, daß es sich bei den französischen Sätzen, in denen eine Subjekt-NP und ein Klitikon gleichzeitig auftreten, um eine solche Neuerung handelt. Ihrer Ansicht nach diente die "Wiederaufnahme" ("reprise") der Subjekt-NP durch ein Klitikon ursprünglich dazu, das Subjekt zu betonen oder emphatisch hervorzuheben. Im Laufe der Sprachentwicklung hat diese "Wiederaufnahme" jedoch, so die Annahme Sankoffs, ihre ursprüngliche Funktion verloren. Während das Klitikon zunächst nur bei hervorgehobenen Subjektsnomina ("[les] SN les plus 'saillaints'") verwendet wurde, tritt es später in zunehmenden Maße auch bei geringer betonten Subjekten ("des SN moins 'saillaints'") auf (cf. Sankoff 1982:83). Eine deutliche Bestätigung für ihre These liefert die von ihr durchgeführte Analyse von Daten französischsprachiger Kanadierinnen aus Montréal und von Französinnen aus Marseille. Sankoff stellt fest, daß die kanadischen Sprecherinnen in ca. 55% aller Sätze, die eine Subjekt-NP enthalten, dieses durch ein Klitikon "wiederaufnehmen". Bei den Französinnen liegt der Prozentsatz der "Wiederaufnahme" noch weitaus höher, nämlich bei über 80%. Geht man davon aus, daß sich das kanadische Französisch eher konservativer verhält und alte Sprachstrukturen wesentlich langsamer aufgibt, als dies in Frankreich der Fall ist, bestätigen diese Ergebnisse die von Sankoff vermutete Tendenz, daß "la répétition du SN sujet par une clitique sujet ne change pas l'information qui est véhiculée, à la seule différence que cette information est fournie deux fois" (Sankoff 1982:82). Aufgrund der fast kategorischen "Wiederaufnahme" des Subjekts durch ein Klitikon kann die ursprüngliche diskursive Funktion dieser syntaktischen Operation nicht mehr ausgedrückt werden. Folglich hat eine solche Konstruktion nur noch eine morphosyntaktische Funktion, d.h. sie ist "grammatisiert" worden:

108 "Celui qui utilise la reprise avec la quasi-totalité de ses SN perd nécessairement la possibilité de l'employer pour les différencier, ce qui montre la récupération par la grammaire d'un processus à l'origine discursif, bref, la grammaticalisation." (Sankoff 1982:85) 4.2.1 Empirische Belege Die Auswertung der von mir analysierten Daten bzgl. des Gebrauchs von klitischen Subjektspronomina belegt eindeutig deren besondere Rolle und Funktion und bestätigt die Ergebnisse der Sankoffschen Untersuchung. Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß in über 93% Prozent aller finiten Sätze, d.h. in nahezu allen Äußerungen mit einem finiten Verb, ein Subjektsklitikon vorhanden ist. In fast 74% aller Sätze, die eine Subjekt-NP oder ein nicht-klitisches Subjektspronomen aufweisen, erscheint auch ein Klitikon. Eine detaillierte Analyse der Daten macht deutlich, daß die Auslassungen von Subjektsklitika nur auf wenige Kontexte beschränkt sind. Für die Erfassung dieser Kontexte müssen grundsätzlich zwei Unterscheidungen vorgenommen werden. Zum einen müssen die Sätze, die eine Subjekt-NP oder ein nicht-klitisches Subjektspronomen enthalten, von den Sätzen unterschieden werden, in denen solche lexikalischen Sujekte nicht vorkommen. Zum anderen müssen die Äußerungen mit Verben der 1. und 2. Person von solchen Äußerungen getrennt betrachtet werden, die ein finîtes Verb der 3. Person enthalten. Äußerungen ohne ein nicht-klitisches Subjektspronomen oder eine Subjekt-NP sind durch einen fast kategorischen Gebrauch des Subjektsklitikons gekennzeichnet. Das Fehlen der Subjektsklitika ist vorwiegend auf Imperativsätze beschränkt. Diese Sätze, die nur mit Verben der 2. Person Singular und Plural bzw. der 1. Person Plural vorkommen, werden im Französischen ausschließlich ohne Subjektsklitikon gebraucht.8 Abgesehen von den Imperativen kann im gesprochenen Französisch noch in einigen Redewendungen, die eher einen formelhaften Charakter haben, das Subjektsklitikon der 1. Person fehlen, wie z.B. in connais pas, sais pas.9 Ferner kann das Subjektsklitikons in Sätzen mit sogenannten 'unpersönlichen' Verben, die ein expletives Subjekt fordern, ausgelassen werden. Hierzu gehören Konstruktionen wie z.B. il faut, il semble, il paraît, il y a oder il s'agit. Ahnlich wie bei den Imperativsätzen handelt es sich hier um Konstruktionen, die auf einen sehr eingegrenzten Kontext - in diesem Fall auf die 3. Person - beschränkt sind. Die Auslassung des Klitikons in diesen Sätzen ist in der gesprochenen Sprache häufig zu beobachten. In den von mir untersuchten Daten fehlt in 12% solcher Konstruktionen das Klitikon: 8

Den Imperativsätzen kann aufgrund dieser Beschränkungen eine Sonderrolle zugewiesen werden. Aus diesem Grande wurden Imperative bei der Auswertung meiner Daten nicht berücksichtigt.

9

Hierfür gibt es in den von mir untersuchten Daten allerdings keinen Beleg.

109 (1)

(a) Cm (c) (d)

0 faut qu'on regarde ensemble (duf440:47) mais 0 faut plus le taper quand même (duf446:108a) là regarde 0 y a une couverture ici (dur820:148) 0 y a rien à manger (duf868:32)

Was das Auftreten der Subjektsklitika zusammen mit nicht-klitischen Pronomina der 1. und 2. Person betrifft, sind die Ergebnisse eindeutig. Unabhängig davon, ob das nicht-klitische Subjektspronomen präverbal (cf. (2a)-(2b)) oder postverbal (cf. (2c)(2d)) auftritt, ist der Gebrauch der Subjektsklitika stets obligatorisch: (2)

(a) (b) (c) (d)

et moi je suis venue exprès pour jouer avec toi (duf737:l) et puis nous on va ranger? (duf436:135a) tu veux aller aussi toif (duf737:77) je vais l'habiller moi parce que t'es vraiment trop lente (duf436:120)

Bei der Analyse von Sätzen, die ein nicht-klitisches Subjektspronomen der 3. Person enthalten, muß bezüglich der Art des Pronomens unterschieden werden. Handelt es sich dabei um ein Personalpronomen, so ist zu beobachten, daß es nur selten in den Daten vorkommt und dabei meistens zusammen mit einem klitischen Pronomen gebraucht wird: (3)

(a) (b)

et lui qu'est-ce qu'¡7 va faire? (duf868:171) lui il conduit (¿fuf868:249)

In zwei Fällen kommt das ungebundene Personalpronomen lui allerdings ohne das entsprechende Klitikon vor: (4)

(a) (b)

lui est sorcier (duf896:183) je croyais que lui était le sorcier (duf896:201)

Auf diese Möglichkeit des Gebrauchs von lui (und eux) wird in der Literatur immer wieder hingewiesen (cf. z.B. Ch. Müller 1972, Grevisse 1986:1011, Hunnius 1991:121, Melis 1991:500). Sätze wie (4) scheinen allerdings eher in literarischen und anderen schriftsprachlichen Texten als in der gesprochenen Sprache vorzukommen (cf. Ch. Müller 1972:67).10 Wie die Beispiele in (4) zeigen, sind solche Äußerungen aber auch im gesprochenen Umgangsfranzösischen möglich. Dies bestätigen auch die Untersuchungen von Ch. Muller (1972) sowie von mir - in Anlehnung an Muller - durchgeführte Befragungen.11 Steht das nicht-klitische Subjektspersonalpronomen postverbal, so muß das Subjektsklitikon stets realisiert sein: (5)

(a) (b)

mais il n'a pas de bâton magique lui (duf868:133) elle les a vus elle-même les cars (lud2:3,5)

10 Cf. z.B. die beiden folgenden Beispiele: (i) (a) Lui pilotait la décélération de l'inflation [...] (¿«Monde vom 31 Juli 1987, p.6) (b) Lui s'occupait de moi avec affection. (Camus, La peste, Paris: Gallimard 1947,p.49) 11 Bei einer Analyse von Sätzen wie (4) kommt erschwerend hinzu, daß aufgrund der möglichen Reduktion des Klitikons il zu i häufig kaum beurteilt werden kann, ob das Klitikon realisiert wurde oder nicht.

110

In Äußerungen, die ein Demonstrativpronomen als Subjekt enthalten, wird in den Daten meines Korpus das Subjektsklitikon ebenfalls ausnahmslos verwendet. Abgesehen von dem Demonstrativpronomen ça, das als Subjektspronomen vor allem in der formelhaften ça c'esf-Konstruktionen vorkommt, treten auch alle anderen Demonstrativpronomina stets in Verbindung mit einem koreferenten Subjektsklitikon auf.12 Dabei macht es keinen Unterschied, ob sie präverbal oder postverbal stehen: (6)

(a) Ço) (c) (d)

celle-là elle doit aller (duf436:75) celui-là il a pas d'oreille (duf822:46) elle est trop grande celle-là (duf436:70) il est cassé celui-là (dufl43:119)

Eine andere Situation ergibt sich, wenn es sich bei dem nicht-klitischen Subjektspronomen um ein Indefinit- oder ein Frage- bzw. Relativpronomen handelt. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel dargestellt, werden die Indefinitpronomina im Französischen in aller Regel ohne Subjektsklitikon verwendet:13 (7)

(a) (b)

tout le monde dort (duf446:114) rien n'est trop gros pour un sorcier (duf868:206)

Ebenfalls ohne Klitikon werden Sätze realisiert, die durch das Interrogativ- oder Relativpronomen qui eingeleitet werden. In den in meinem Korpus vorkommenden Äußerungen dieser Art findet sich kein Subjektsklitikon: (8)

(a) (b) (c) (d)

qui habite dans la maison? (dufl43:8) qui va dans l'eau? (dufl44:98) c'est un animal qui va dans le désert? (duf440:51) je crois qu'il y a quelqu'un qui est venu (duf438:192)

In einer Reihe von Untersuchungen des gesprochenen Französischen wird allerdings gezeigt, daß in Nebensätzen, die durch das als Subjekt fungierende Relativpronomen qui eingeleitet werden, der Gebrauch eines Subjektklitikons möglich ist. Lambrecht (1981:29f) weist beispielsweise darauf hin, daß das Relativpronomen qui im gesprochenen Französischen durch que ersetzt werden kann, was zur Folge hat, daß das Sujektsklitikon verwendet werden muß. Nach Lambrechts Angaben ist dies vor allem in c'esr-Konstruktionen zu beobachten (cf. (9a)-(9b)). Bauche (1920:102) liefert in seiner Untersuchung der Pariser Umgangssprache aber auch Belege für die Verwendung des Subjektsklitikons in anderen Relativsatzkonstruktionen (cf. (9c)-(9d))(cf. auch Frei 1929:188, Ashby 1977:60, Cl. Muller 1984:356f, Auger 1990a:9):

12 Das Pronomen ça kann auch - wie ich bereits in Kapitel 2 gezeigt habe - unmittelbar vor dem Verb stehen und dabei klitisch gebunden sein (cf. Morin 1979b, Lambrecht 1981:19). Für diesen Gebrauch von ça gibt es sehr viele Belege in meinen Daten: (i) (a) mais ça fait rien (duf868:178) (b) ça vient du jardin d'enfants ça (duf436:120) 13 Das Klitikon ist nur in postverbaler Position möglich, was in der gesprochenen Sprache jedoch relativ selten zu beobachten ist In meinen Daten gibt es hierfür keinen Beleg.

111 (9)

(a} (b) (c) (d)

c'est moi que/'e pars c'est nous au on conduit le vase quTTest sur le piano l'enveloppe quelle est sur la table

Lambrecht (1981:29) sieht in der Tatsache, daß solche Äußerungen in vielen Dialekten des Französischen regelmäßig vorkommen, eine "good evidence [...] for the reinterpretation of clitic pronouns as obligatory grammatical markers". Obwohl es in den von mir analysierten Daten keinen Beleg für den Gebrauch eines Subjektsklitikons wie in (9) gibt, liefert die Auswertung meines Korpus ebenfalls eine "gute Evidenz" für eine "Reinterpretation" der Subjektsklitika als Kongruenzmarkierer. In immerhin insgesamt 63% aller Sätze, die ein nicht-klitisches Pronomen der 3. Person enthalten, ist ein koreferentes Subjektsklitikon vorhanden. Die Äußerungen, in denen das Klitikon fehlt, sind fast ausschließlich Interrogativ- oder Relativsätze mit dem Pronomen qui M Mit anderen Worten, abgesehen von diesen Sätzen wird in fast allen Äußerungen mit einem nicht-klitischen Pronomen der 3. Person ein Klitikon verwendet. In Sätzen mit nicht-pronominalen Subjekt-NPs ist in den von mir untersuchten Daten ebenfalls ein hoher Anteil von koreferenten Subjektsklitika zu beobachten. Es zeigt sich, daß 57% aller Subjekt-NPs, die einem finiten Verb vorangehen, zusammen mit einem Subjektsklitikon auftreten: (10) (a) (b)

le nounours il a une jolie robe (duf820:54) la pauvre elle va s'enrhumer (duf438:150)

Die Sätze in (11) sind Beispiele für Äußerungen, in denen die präverbale Subjekt-NP ohne entsprechendes Klitikon auftritt. Bemerkenswert ist bei diesen Äußerungen, daß die Subjekte sehr häufig Eigennamen sind (cf. (1 lc)-(lld)): 15 (11) (a) (b) (c) (d)

la grosse poupée est habillée (duf438:185) la voiture peut pas sortir (dufl44:46) Jens a soif (duF820:214) ... quoique Claire s'en doutait un peu (lud2:6,2)

Der Anteil an Subjektsklitika ist noch wesentlich höher in Äußerungen mit einer postverbalen Subjekt-NP. Hier ist eine fast kategorische Verwendung des Klitikons zu beobachten: (12) (a) (m (c) (d)

il est plus dur le ventre de Caroline (duf438:51) tu crois qu'i'Z aime bien le lait le crocodile? (duf444:35) elle est trop grande la robe pour le nounours (duf820:62) qu'est-ce quelle fait la poupée demain? (duf442:37)

14 Ließe man die Sätze mit dem Pronomen qui unberücksichtigt, so würde sich der Anteil des Gebrauchs eines Subjektsklitikons in diesen Äußerungen auf fast 96% erhöhen. 15

Möglicherweise können Eigennamen einem besonderen Typ der Subjekt-NPs zugerechnet werden (cf. Sankoff 1982:83). Behandelt man daher die Konstruktionen mit Eigennamen gesondert, so ergibt sich eine Auftretenshäufigkeit von 81% für Subjektsklitika in Äußerungen mit einer präverbal stehenden Subjekt-NP.

112 Das Fehlen des Subjektsklitikons ist in Äußerungen mit nachgestelltem Subjekt lediglich in Fragesätzen möglich. Aber auch hierbei wird das Klitikon sehr selten ausgelassen. Dies belegt die Beobachtung, daß sich in meinem Korpus dafür nur ein Beispiel findet (cf. 13a). Ansonsten wird der gleiche Satztyp ausnahmslos mit einem Subjektsklitikon geäußert (cf. (13b)-(13c)): (13) (a) Co) (c)

où est le pantalon? (duf438:80) où il est le petit pantin? (duf737:5) elle est partie où ta valise? (duf737:63)

Eine Überprüfung der Satzintonation zeigt, daß in Sätzen wie (12) und (13) die postverbale Subjekt-NP meist ohne eine intonatorische Pause angeschlossen ist. Somit entfällt ein wesentliches Argument dafür, daß diese Äußerungen als Rechtsdislokationen anzusehen sind. Bereits Sandfeld (1928) kommt zu der Feststellung, daß in Äußerungen wie Elle était jolie, sa femme meist keine Pause vor dem postverbalen Subjekt gemacht wird: "La tournure est devenue coutumière dans la langue de tous les jours chez beaucoup de personnes et se trouve même souvent dans la langue écrite. Aussi la courte pause qu'il y a à l'origine devant l'explication ajoutée après coup, se trouve-t-elle souvent supprimée [...]." (Sandfeld 1928:43) Auch in allen neueren Untersuchung zur Intonation von Sätzen wie (9) wind diese Beobachtung bestätigt. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß in diesen Äußerungen die postverbalen Subjekte integraler Bestandteil des Satzes sind (cf. z.B. Harris 1978:119, Larsson 1979:17, Lambrecht 1981:86). Als Ergebnis der von mir durchgefühlten Untersuchung kann festgehalten werden, daß die wenigen Kontexte, in denen das Klitikon ausgelassen wird, sich im wesentlichen auf Äußerungen mit einem praverbalem Subjekt beschränken. Doch auch in diesen Fällen wird sehr häufig ein Subjektsklitikon verwendet. Ausgeschlossen ist das Auftreten des Klitikons nur dann, wenn die Subjekt-NP indefinit ist.16 Solche Äußerungen mit präverbalem indefiniten Subjekt sind im gesprochenen Französischen jedoch kaum anzutreffen. Indefinite Subjekte werden meist mit der (il) y-Konstruktion eingeleitet (cf. auch Lambrecht 1981:61): (14) (a) (b)

il y a un cheval sur la maison (duf436:24) il y a un petit courant d'air là qui passe (duf438:149)

Die folgende Übersicht zeigt, daß im gesprochenen Französisch in nahezu allen Äußerungen, die ein finites Verb enthalten, ein Subjektsklitikon auftritt. In Sätzen mit 16

Die Verwendung eines klitischen Subjektspronomens ist in diesem Fall nur dann möglich, wenn das indefinite Subjektsnomen generisch verwendet wird, wie das Beispiel von Sankoff (1982:84) belegt: (i) un bricoleur, tu sais, il est toujours mieux qu'un homme du métier. Jeanjean (1986:242f) weist darauf hin, daß in Sätzen mit einem genetischen Subjekt meist das kütische Pronomen

ça als dessen Antezedent diene (ii) (a) tu sais une coiffeuse ça gagne de l'argent, (b) ça se fait pas le thé parfumé.

113 Verben der 1. und 2. Person wird es ausnahmslos verwendet und auch in Sätzen mit Verben der 3. Person nur sehr selten ausgelassen, wobei diese Auslassungen auf wenige - eben dargestellte - Kontexte beschränkt sind: (15) Auftretenshäufigkeit des Subjektsklitikons Verbform koreferentes Subjekt

Auftretenshäufigkeit des Subjeksklitikons

1.+2. Person

kein koreferentes Subj. Subjektspronomen

100%17 100%

3. Person

kein koreferentes Subj. Subjektspronomen Subjekt-NP

98% 62% 80%

alle Kontexte

93%

Die in meiner Datenauswertung ermittelten Häufigkeiten der Verwendung des Subjektsklitikons bestätigen somit die Ergebnisse der Untersuchung von Sankoff (1982). Ein Subjektsklitikon erfüllt durch sein Auftreten nicht die Funktion der Hervorhebung einer Subjekt-NP. Es kann diese Funktion nicht wahrnehmen, da eine SubjektNP fast ausschließlich mit einem Klitikon verwendet wird. Das Klitikon ist "grammatisiert", d.h. es kann nicht als Nominalphrase analysiert werden, sondern fungiert vielmehr als Kongraenzmarkierer für die Subjekt-Verb-Kongruenz. 4.2.2 Die klitischen Subjektspronomina des Französischen als Flexionsaffixe Aufgrund der emprischen Evidenz kann meiner Ansicht nach in Anlehnung an die von Rizzi (1986c) für das Trentinische vorgeschlagene Analyse auch für das Französische angenommen werden, daß die Subjektsklitika ein morphologisch realisiertes Merkmal von AGR sind. Demnach kann die D-Struktur eines französischen Aussagesatzes folgendermaßen dargestellt werden (cf. auch Roberge 1986a, 1986b): (16) SpezIP

INFL' INFL AGR

VP Spez'Vp"^V' yo

Jean/ lui/ pro

17

il

Imperativsätze sind bei dieser Zählung nicht mitberücksichtigt.

mange

114 Für die Analyse eines Satzes wie in (16) kann die erstmals von Emonds (1978) vorgeschlagene Annahme übernommen werden, wonach das finite Verb im Französischen - anders als im Englischen - nach INFL angehoben wird, um dort die Finitheitsund Kongruenzmerkmale zu erhalten (cf. auch Pollock 1989, Chomsky 1989, Belletti 1990). Die AGR-Merkmale werden auf der Ebene der Phonetischen Form als Präfixe an das Verb gebunden. Nur in sehr seltenen Fällen kommt es in der gesprochenen Sprache dazu, daß das Klitikon an das Verb suffigiert wird. In den Daten meines Korpus gibt es hierfür kein einziges Beispiel. Dies liefert einen zusätzlichen Beleg für die Analyse der Subjektsklitika als Flexionsaffixe. Sie weisen dadurch eine weitere typische Eigenschaft der Affixe auf, da sie sich stets von links und folglich nur von einer Richtung an ihren Partner binden. Die Generierung des Subjektsklitikons unter INFL hat zur Folge, daß die SpezIPPosition im Französischen entweder leer oder mit einer lexikalischen, nicht-klitischen NP besetzt sein kann. Das Auftreten einer lexikalischen NP in dieser Position ist dadurch gewährleistet, daß AGR als der Kopf der IP dem Element in der SpezIP-Position den Kasus zuweist. Auch das für Nullsubjekt-Sprachen typische leere Pronomen pro kann in der SpezIP-Position erscheinen. In Anlehnung an die Standardanalysen von Nullsubjekt-Sprachen kann angenommen werden, daß INFL in diesen Sprachen ein strenges Regens ist (Chomsky 1982b, Rizzi 1982). Demzufolge ist das Auftreten von pro lizenziert. Auch die von Jaeggli & Safir (1989) geforderte morphologische Uniformität für die Lizenzierung von pro ist im Französischen erfüllt. Unter der Annahme, daß die Subjektsklitika im Französischen als Kongruenzmarkierer fungieren, kann die Verbflexion des Französischen als morphologisch uniform angesehen werden. Für jede Person im Flexionsparadigma eines französischen Verbs ist ein präfigiertes Flexionselement vorhanden.18 Die Identifizierung des leeren Subjekts ist durch die in AGR generierten und dort realisierten klitischen Pronomina gewährleistet. Die AGR-Merkmale sind dadurch ausreichend, um den Inhalt der leeren Kategorie zu identifizieren. Damit liefert die hier vorgeschlagene Analyse eine empirische Evidenz für die von Pollock (1989:385) postulierte und vielfach übernommene Annahme, daß AGR im Französischen morphologisch "reicher" als im Englischen ist (cf. auch Chomsky 1989, Iatridou 1990).19 Sie erklärt außerdem, weshalb das Subjektsklitikon im gesprochenen Französisch bei 'unpersönlichen' Verben fehlen kann. Bei dem in solchen Äußerungen auftretenden Nullsubjekt handelt es sich um ein Expletivum, das nicht der Identifizierungsbedingung unterliegt, sondern lediglich lizenziert sein muß. Mit anderen Worten, in Konstruktionen mit (il) faut etc. (cf. (1)) muß der Inhalt von pro nicht

18

Das Trentinische weist demgegenüber keine solche morphologische Uniformität auf - zumindest nicht hinsichtlich der präfigierten Klitika.

19

Aufgrund dieser "reichen" Moiphologie ist AGR im Französischen "transparent" für die Theta-Rollen-Zuweisung, bzw. es besitzt die Fähigkeit, das Verb anzuziehen (cf. Pollock 1989).

115 notwendigerweise durch ein "reiches" AGR, d.h. durch ein Klitikon unter INFL, identifiziert sein (cf. auch Jaeggli & Safir 1989:31). Die Beobachtung, daß indefinite Subjekte i.d.R. nicht zusammen mit einem Subjektsklitikon auftreten können, kann möglicherweise dadurch erklärt werden, daß das Französische eine Eigenschaft besitzt, die auch in einigen anderen Sprachen anzutreffen ist. So wird z.B. im Ungarischen die Objektskongruenz nur dann morphologisch realisiert, wenn die Objekt-NP definit ist (cf. z.B. Stolz 1991:15). Analog dazu könnte angenommen werden, daß die als AGR-Merkmale fungierenden Subjektsklitika im Französischen - ähnlich wie die Merkmale für die Objektskongruenz im Ungarischen - neben den Merkmalen für Person, Genus, Numerus sowie Kasus mit dem Merkmal [+definit] spezifiziert sind.20 Eine Konsequenz aus der hier vorgeschlagenen Analyse ist die, daß das Französische - wie alle anderen romanischen Sprachen - als Sprache angesehen werden muß, die Nullsubjekte erlaubt. Das heißt, daß der hierfür verantwortliche Nullsubjekt-Parameter im (kolloquialen) Französischen positiv festgelegt ist (siehe Kapitel 3). Zusätzliche Evidenz für diese Annahme liefert die Beobachtung, daß das Französische neben der Möglichkeit, Subjekte auszulassen, noch eine weitere typische Eigenschaft von Null-Subjekt-Sprachen besitzt. Meine Analyse zeigt, daß das Französische über die Eigenschaft der Freien Inversion verfügt. Postverbale Subjekte sind sowohl syntaktisch als auch intonatorisch in den Satz integriert (cf. v.a. auch Lambrecht 1981:86). Bei der Interpretation eines Satzes mit präverbalem Subjekt gibt es kaum Unterschiede zu der eines Satzes mit nachgestelltem Subjekt. In jedem Fall sind - legt man Safirs Definition von Freier Inversion zugrunde21 - die Sätze in (17) zumindest in gleichem Maße bedeutungsgleich wie die beiden vergleichbaren italienischen Sätze in (18): (17) (a) (b) (18) (a) (b)

Jean il mange. II mange Jean. Gianni mangia. Mangia Gianni.

Diese Beobachtung liefert damit einen Beleg für die Annahme, daß eine Korrelation zwischen der Null-Subjekt-Eigenschaft und der Fähigkeit der Freien Inversion besteht. Der Unterschied des Französischen zu einer "prototypischen" Null-SubjektSprache wie dem Italienischen, besteht darin, daß im Französischen die Inversion des 20

Auger (1990b:14f) schlägt eine ähnliche Analyse des Französischen vor. Sie weist dabei darauf hin, daß im Französischen auch zwischen einem Klitikon und einer indefiniten Subjekt-NP Kongruenz möglich ist, und zwar dann, wenn das Subjekt generisch ist (siehe auch Fußnote 16). In diesem Fall muß ihrer Ansicht nach statt eines kütischen Personalpronomens der 3. Person das Klitikon qalc' verwendet werden. Sie nimmt an, daß indefinite Subjekt-NPs nur mit diesem Klitikon "wiederaufgenommen" werden können: (i) (a) Un chien c'est le meilleur ami de l'homme (b) *Un chien, il est le meilleur ami de l'homme 21 Auch die von Rizzi (1982:173,Fn.l) aufgeführten Bedingungen für die Freie Inversion werden erfüllt: "The inversión rule of NSLs [= null subject languages, G.K.] does not involve the presence of a special marker or structural property of the clause."

116 Subjekts nur dann möglich ist, wenn dem finiten Verb ein Subjektsklitikon vorangeht. Damit unterscheidet sich das Französische von anderen Null-Subjekt-Sprachen, die Subjektsklitika besitzen (wie z.B. dem Trentinischen). Während im Trentinischen das Auftreten des Klitikons bei nachgestelltem Subjekt ungrammatisch ist (cf. (19))22, ist es in diesem Fall im Französischen obligatorisch (cf. (20)): (19) (a) (b) (20) (a) (b)

*El magna Gianni. Magna uianni. II mange Jean. *mange Jean.

Es ist bemerkenswert, daß in allen mir bekannten Arbeiten, die das Französische als Nullsubjekt-Sprache analysieren, dieser Unterschied zwischen dem Französischen und dem Trentinischen keine Berücksichtigung findet (cf. Roberge 1986a, 1986b, Melis 1991, Hulk 1991). Es wird völlig übersehen, daß im Französischen Subjekte auch mit anderen als den 'unpersönlichen' Verben postverbal auftreten können. Bei dem präverbalen Klitikon handelt es sich nicht um ein Expletivum, sondern um ein Präfix, das mit dem Subjekt des Satzes kongruiert. Das Französische erweist sich damit als ein weitaus besserer Kandidat für eine Nullsubjekt-Sprache als das Trentinische, deren Subjektsklitika als Kongruenzmorpheme fungieren. Im Gegensatz zum Trentinischen kennt es keine "Lücken" im Paradigma der Subjektsklitika, sondern besitzt für alle Personen- und Numerus-Spezifizierungen Subjektsklitikformen. Sie werden auch dann morphologisch realisiert, wenn das Subjekt postverbal erscheint. Außerdem sind die klitischen Subjektspronomina im Französischen fast immer an eine Verbform gebunden, die keine weiteren Morpheme zur Markierung der SubjektVerb-Kongruenz enthält. Die Flexionsendungen des Verbs sind im gesprochenen Französischen lediglich in der 2. und 3. Person Plural hörbar. Bei den Verben der erKonjugation ist sogar nur in der 2. Person Plural eine hörbare Flexionsendung vorhanden: (21)

je tu il/elle on vous ils/elles

mang-e mang-es mang-e mang-e mang-ez mang-ení

Im Trentinischen werden demgegenüber für alle Personen Flexionsendungen morphologisch - und phonetisch - realisiert. Die Subjektsklitika werden nur in einigen Fällen zusätzlich verwendet (cf. Brandi & Cordin 1981:34; siehe Kapitel 3). Im Französischen hingegen sind die Subjektsklitika meist die einzigen Morpheme, die die Subjekt-Verb-Kongruenz morphologisch markieren. Sie binden sich an den Stamm 22

Im Unterschied zum Trentinischen kann im Florentinischen ein expletives Subjekt in Konstruktionen mit einem postverbalen Subjekt phonetisch realisiert werden (cf. Brandi & Cordin 1981:51).

117 eines Verbs und bilden dadurch ein vollständig geformtes Verb. Die französischen Subjektsklitika verfügen daher über die grundlegende charakteristische Eigenschaft von Affixen, sich an Stammformen zu binden, und müssen nicht zuletzt aus diesem Grund als Affixe analysiert werden.

4.3 Status und Funktion der klitischen Objektspronomina im Französischen und Portugiesischen In der Darstellung der generativen Klitikdiskussion in Kapitel 3 ist deutlich geworden, daß das Verhalten der klitischen Objektspronomina der romanischen Sprachen nicht mit der Analyse der Klitikbewegung erfaßt werden kann. Die romanischen Objektsklitika können nicht in der gleichen Position wie Objekt-NPs generiert werden, da sie sich völlig anders als 'volle' NPs verhalten. Sie sind klitisch gebunden und erscheinen i.d.R. in einer anderen Position als die Objekt-NPs. Außerdem liefert die Klitikbewegung keine plausible Erklärung für Sätze mit nicht-lexikalischen oder 'inhärenten' Objektsklitika. In diesen Sätzen stehen die Objektsklitika in keiner semantischen Beziehung zu einer Komplementsposition. Hinzu kommt, daß durch die Klitikbewegung Klitikverdoppelungen nicht erklärt werden können. Es wird vielmehr implizit angenommen, daß solche Verdoppelungen nicht möglich sind. Somit kommt die Analyse der Klitikbewegung zumindest für die Beschreibung einiger romanischer Sprachen, wie z.B. dem Spanischen und dem Rumänischen, nicht in Frage, da in diesen Sprachen Verdoppelungen von Objektsklitika möglich und in bestimmten Fällen sogar obligatorisch sind. Sie scheitert aber auch diesbezüglich bei der Beschreibung des Französischen und Portugiesischen. Wie im folgenden gezeigt werden wird, sind auch in diesen beiden Sprachen - wenn auch in eingeschränkterem Maße Verdoppelungen von Objektsklitika möglich. Für eine Analyse der Klitika in den romanischen Sprachen kann daher keine Generierung der Klitika in der postverbalen Komplementsposition angenommen werden. Es muß vielmehr von deren Basisgenerierung in einer präverbalen Position ausgegangen werden. Unabhängig davon, ob die Klitikbewegung oder die Basisgenerierung die adäquatere Analyse ist, bleibt ein Kernproblem der Analyse der romanischen Klitika die Bestimmimg der Position, in der das Klitikon generiert bzw. in die es bewegt wird. Hierfür sind vor allem zwei Vorschläge gemacht worden (siehe Kapitel 3). Es wird angenommen, daß das Objektsklitikon als Teil der Kopfkonstituente V° generiert (cf. Kayne 1975, Borer 1984) oder daß es an V' adjungiert wird (cf. Jaeggli 1982, Carroll 1982b). Beide Analysen weisen jedoch einige Inadäquatheiten auf (siehe Kapitel 3). Der letztere Vorschlag, also die "syntaktische" Lösung läßt außer acht, daß zwischen dem Verb und dem Klitikon eine sehr enge Beziehung besteht, die quasi-morphologischen

118 Charakter hat (cf. Lapointe 1980, Borer 1986). Die "morphologische" Analyse, d.h. die Generierung des Klitikons unter V°, erweist sich dann als nicht haltbar, wenn angenommen wird, daß die klitischen Pronomina syntaktischen Prinzipien, wie z.B. dem Theta-Kriterium oder dem Kasusfilter, unterliegen (cf. Di Sciullo 1990). Die Analyse, die ich im folgenden vorschlagen werde, vermeidet die Probleme dieser beiden Klitikanalysen. Ich nehme an, daß die klitischen Pronomina des Französischen und Portugiesischen als Flexionsaffixe des Verbs realisiert werden. Dadurch wird die enge, morphologische Beziehung, die zwischen Klitikon und Verb besteht, erklärt. Gleichzeitig kommt es bei dieser Analyse zu keiner Verletzung syntaktischer Prinzipien. Die klitischen Objektspronomina bekommen als Flexionsaffixe keinen Kasus zugewiesen und bilden keine Kette mit dem leeren bzw. lexikalischen Element in der Komplementsposition, sondern stehen mit diesem Element in einer Kongruenzbeziehung . Diese Integration der Objektspronomina in das verbale Flexionssystem wird in der romanistischen Sprachwissenschaft häufig als 'Objektskonjugation' angesehen (cf. Bossong 1980:11). Dadurch wird auf andere - meist nicht-indoeuropäische - Sprachen Bezug genommen, die als 'objektkonjugierend' bezeichnet werden, da sie die Präsenz eines Objektes im Satz morphologisch am Verb markieren (können). Eine der ersten Untersuchungen objektkonjugierender Sprachen stammt von Grasserie (1889) (cf. Llorente & Mondéjar 1974:1, Bossong 1980:l,Fn.l). Darin werden die unterschiedlichen Formen der Objektskonjugation in verschiedenen amerikanischen Indianersprachen und in Uralsprachen sowie u.a. im Ungarischen und Baskischen verglichen. Im Anschluß an die Behandlung der genannten Sprachen geht Grasserie (1889:299) auch kurz auf das Französische ein. Er nimmt an, daß das Französische ursprünglich eine Objektskonjugation besessen hat. Im modernen Französischen hingegen gibt es seiner Ansicht nach eine solche Objektskonjugation nicht mehr, da es schon vor langer Zeit die entsprechenden Objektskongruenzmoipheme verloren hat.23 Auf dem ersten Blick scheint in der Tat nur wenig dafür zu sprechen, daß das Französische eine Objektskonjugation besitzt. Es ist keine eigene empirische Untersuchung notwendig, um die Aussage machen zu können, daß im Französischen nur in relativ wenig Äußerungen lexikalische Objekte mit koreferenten Obj ktsklitika innerhalb eines Satzes kongruieren.24 Die gleiche Feststellung gilt auch für das Portugiesische (cf. Kiesler 1989:242,245). Für eine Analyse der klitischen Objektspronomina als Kongruenzmarkierer wäre jedoch zu erwarten, daß sie regelmäßig auftreten, wenn ein Objekt vorhanden ist. Nimmt man die Häufigkeit des Auftretens von Objekts23

Grasserie vermutet, daß die meisten Sprachen ursprünglich objektkongruierend gewesen sind (cf. auch Kretschmer 1947, der diese Annahme für die indo-europäischen Sprachen vertritt). Nach Ansicht von Grasserie (1889:268f) hat die Objektskonjugation ihren Ursprung in den "idées concrètes primitives de l'esprit humain" und ist vor allen noch in solchen Sprachen vorhanden, in denen die "dispositions psychologiques qui l'ont fait naître" am ausgeprägtesten waren.

24

Alle empirischen Arbeiten über das gesprochene Französische bestätigen dies. Hulk (1991:505) spricht von einem Anteil von lediglich 6 % an Objektsverdoppelungen im Französischen.

119 klitika in Sätzen mit Objekt-NPs als alleiniges oder zumindest entscheidendes Kriterium für eine solche Analyse des Französischen oder Portugiesischen an, so läßt sich diese Analyse kaum aufrechterhalten. Trotz dieser scheinbaren Gegenevidenz gibt es eine Vielzahl von Belegen, die die Annahme rechtfertigen, daß im Französischen und Portugiesischen die Objektsklitika unter dem INFL-Knoten generiert werden und es sich somit - um zunächst bei der Terminologie der traditionellen Linguistik zu bleiben - um Sprachen handelt, die eine Objektskonjugation besitzen. Für eine Überprüfung dieser These muß erörtert werden, ob im Französischen oder Portugiesischen Objektsklitikverdoppelungen überhaupt möglich sind. Hierfür liefern die beiden Pionierarbeiten in der Diskussion um eine mögliche Objektskonjugation in den romanischen Sprachen, nämlich Heger (1966) und Rothe (1966), sowie daran anknüpfende Arbeiten (z.B. Llórente & Mondéjar 1972, Bossong 1980, Körner 1983) eine Reihe von Argumenten.25 Von besonderem Interesse ist im Rahmen meiner Untersuchung die Arbeit von Rothe (1966), da er sich insbesondere mit den beiden hier untersuchten Sprachen, also dem Französischen und dem Portugiesischen, befaßt. Für beide Sprachen postuliert er, daß sie charakteristische Züge einer typischen objektkonjugierenden Sprache aufweisen. Rothe (1966) erörtert - ähnlich wie Heger (1966) - diese Frage für das Französische exemplarisch anhand des von Tesniére (1959:175) diskutierten berühmten Beispielsatzes (cf. auch Martinet 1958:390): (22)

II la lui a donnée, á Jeart, son pére, sa moto.

Nach Ansicht von Rothe (1966) spiegeln die in der Schriftsprache gesetzten Kommata in Satz (22) lediglich die Tradition der Normgrammatik, nicht aber den tatsächlichen Sprachgebrauch wider. Rothe (1966:545) vermutet, daß "überall da, wo der aufzeichnende Linguist seine Kommata setzt", der französische Sprecher in aller Regel keine hörbare Pause macht. Er bedauert allerdings, daß es bisher keine diesbezüglichen Untersuchungen "mit modernen technischen Hilfsmitteln (Bandaufnahme)" gibt, um diese Frage definitiv klären zu können (cf. Rothe 1966:545,Fn.30). Mittlerweile existiert zwar eine große Anzahl solcher Bandaufnahmen, entsprechende intonatorische Untersuchungen sind jedoch sehr rar (cf. auch Carroll 1982b:296). Die wenigen Analysen dieser Art bestätigen Rothes Vermutung. So kommt z.B. Ronat (1979) in ihren Untersuchungen zur Intonation von ähnlichen Sätzen wie (22) zu dem Ergebnis, daß die rechts stehenden NPs bzw. PPs in einem solchen Satz nicht durch eine Pause vom übrigen Satzteil getrennt sein müssen. Sie

25

Vereinzelt ist diese Frage schon in einigen älteren Arbeiten angeschnitten worden, wie z.B. für das Italienische von Meriggi (1938) sowie für das Spanische von Meyn (1928). Von den späteren Untersuchungen zur Objektskonjugation in romanischen Hinzeisprachen sind insbesondere Kis (1970) für das Rumänische, Llorente & Mondijar (1974) und Rini (1990) für das Spanische, Aguado & Lehmann (1989) für das Katalanische sowie Stolz (1991) für das Portugiesische zu erwähnen.

120 stellt fest, daß Sätze wie (23) die gleiche Intonation haben können wie ein "normaler" Aussagesatz (cf. auch Harris 1976:44, Larsson 1979:17, Lambrecht 1981:86, Carroll 1982b:309): (23) (a) (b)

Il l'a invité elle pour son anniversaire, Je lui ai donné le disque à elle hier.

Carroll (1982b:308f) weist darauf hin, daß in den Sätzen in (23) die reguläre Wortstellung der Komplemente erhalten ist. Die Objektspronomina stehen nicht am Satzende, sondern in der Komplementsposition des Verbs, d.h. vor dem Adverb oder der Präpositionalphrase. Bei Äußerungen hingegen, in denen das Objekt nicht in seiner üblichen Position erscheint, ist anzunehmen, daß es disloziert worden ist. Carroll (1986b:309) stellt fest, daß sich die Intonation der Äußerungen in (23) ändert, wenn das Objektspronomen hinter dem Adverb bzw. der Präpositionalphrase erscheint. Sie sieht darin eine Evidenz dafür, daß es sich bei Äußerungen wie (23) um Klitikverdoppelungen handelt: "[...] si l'on place le PP devant le NP de [(23a)], il faut changer l'intonation. On voit donc que l'intonation confirme l'hypothèse que les compléments NP et PP en [(23)] sont attachés à VP et font partie intégrante de la proposition exprimée." (Carroll 1982b:309) Für das Portugiesische sind mir keine Untersuchungen der Satzintonation bekannt. Es gibt außerdem nur sehr wenige Arbeiten, in denen Äußerungen mit "gedoppelten" bzw. dislozierten postverbalen Objekten im Portugiesischen überhaupt Erwähnung finden (cf. Kiesler 1989:245). Dies liegt möglicherweise daran, daß solche Äußerungen - wie z.B. Satz (24) - im Portugiesischen äußerst selten anzutreffen sind (cf. Kiesler 1989:245): (24)

Vejo-o, o meu amigo.

Es besteht in der Literatur Einigkeit darüber, daß eine Äußerung wie (24) allenfalls als Dislokation möglich ist, bei der die Objekt-NP durch eine Pause vom übrigen Satz getrennt sein muß (cf. Rothe 1966:537, Llorente & Mondéjar 1972:21, Bossong 1980:12, Kiesler 1989:245, Stolz 1991:11). Anders verhält es sich allerdings, wenn das postverbale Objekt ein Pronomen der 1. und 2. Person ist. Bossong (1980:1 lf) nimmt an, daß in diesem Fall im Portugiesischen - ebenso wie im Spanischen, Sardischen und Rumänischen - die klitischen Objektspronomina "gemeinsam mit den selbständigen Aktantialformen auftreten": (25)

Vejo-/ea t i *

Nach Ansicht von Bossong (1980:10) sind im Portugiesischen sowie im Spanischen, Sardischen und Rumänischen die ursprünglich freien Objektspronomina der 1. und 2. 26

Dieser Beispielsatz stammt von Bossong (1980:11). Allerdings steht dort statt ti fälschlicherweise lim (cf. auch Körner 1983:122, der den Satz von Bossong übernimmt).

121 Person des Lateinischen zu "verbalgebundenen Grammemen" geworden. Er geht davon aus, daß das Klitikon in Satz (25) als Kongruenzmarkierer fungiert und das postverbale Pronomen nicht disloziert worden ist (cf. auch Kömer 1983). Die gleiche Annahme vertritt Rothe (1966) für Sätze, in denen eine Objekt-NP satzinitial steht und durch ein Klitikon "wiederaufgenommen" wird. Er nimmt an, daß sowohl im Französischen als auch im Portugiesischen solche Sätze als Klitikverdoppelungen angesehen werden können: (26) (a) (b)

Mon ami, je le vois tous les jours, O meu amigo, vejo-o todos os dias.

Für Rothe (1966:544) steht fest, daß das vorangestellte Objekt in diesen Sätzen nicht unbedingt durch eine Pause vom übrigen Satz getrennt sein muß: "Die normative Grammatik tut [...] so, als handele es sich hier um zwei getrennte Konstruktionen; das wird durch die obligate Setzung des Kommas eindringlich kundgetan. Das Komma insinuiert eine Pause. Dennoch dürfte eine solche Äußerung ohne Pause gesprochen werden. Man könnte hier bestenfalls eine potentielle Pause ansetzen; [...]" Rothe (1966:544f) folgert aus dieser Beobachtung, daß es sich bei der französischen sowie der portugiesischen Äußerung in (25) nicht notwendigerweise um "zwei getrennte Konstruktionen [...], eine 'vollständige' und eine Art 'Ellipse'", handelt. Was das Französische betrifft, widerspricht Harris (1976,1978) allerdings der Auffassung Rothes (cf. auch Körner 1983:131f). Er betont, daß Äußerungen wie (26a) für französische Muttersprachler "instances of dislocation" seien, "with the 'split' intonation pattern - marked orthographically by the comma - indicating a clause boundary which the relevant NP has been moved" (Harris 1976:43). Auch in vielen generativen Untersuchungen solcher Strukturen wird Harris unterstützt (cf. z.B. Hirschbühler 1975, Cinque 1977, Ronat 1979, Larsson 1979, Carroll 1982a). Diesen Analysen zufolge sprechen nicht nur intonatorische Gründe, sondern auch syntaktische Faktoren für eine Dislokationsanalyse. Ronat (1979:109) zeigt beispielsweise auf, daß eine Objekt-NP ohne "limites à la distance structurale" links von dem koreferenten Klitikon auftreten kann (cf. auch Lambrecht 1981:57): (27)

Pierre, le fait que tu lui parles ennuie Marie.

Ronat (1979:109) analysiert folglich Äußerungen wie (26a) als "détachements à gauche", wobei sich die Objekt-NP "totalement à l'extérieur de la phrase" befindet. Den Beleg für diese Annahme liefern Äußerungen wie (28), in denen gleichzeitig zwei substantivische Objekte mit der gleichen Referenz auftreten (cf. Hirschbühler 1975:159):27 27

Nach der Analyse von Cinque (1977) ist das Objekt in Sätzen wie (26a) oder (27) durch eine Bewegungsregel an den Satzanfang bewegt worden, wobei eine pronominale Kopie zurückgelassen worden ist. In Sätzen wie (28) hin-

122 (28)

La chasse à l'étudiant, je pense que la police a toujours considéré cette activité comme un sport très agréable.

Ein weiterer Beleg dafür, daß es sich in (26a) um eine Dislokation handelt, kann darin gesehen werden, daß links auftretende Objekt-NPs im Französischen auch ohne koreferentes Klitikon verwendet werden können (cf. Körner 1983:128f). Dies belegen beispielsweise die beiden folgenden Beispiele (cf. Pohl 1976:506 und Kaiser 1988:95,Fn.ll):28 (29) (a) (b)

Une vespa d'occasion vous ne trouvez pas. La rentrée j'attaque bien.

Nach Ansicht von Kömer (1983:128) zeigt diese Möglichkeit des Nicht-Gebrauchs der Objektsklitika, daß "la position obligatoire de l'élément pronominal de la conjugaison n'est justement pas typique en français pour l'objet [...]". Für eine solche Annahme wäre zu erwarten, daß - wie es Rothe (1966:544) formuliert - die Stellung eines Objekts "[...] in Anfangsposition [...] automatisch die Realisierung der Objektkonjugationsform des in dieser Abfolge als Prädikat fungierenden Verbs hervorruft]". Auch im Portugiesischen liegt bei der Voranstellung eines Objekts keine Obligatheit der Klitikonrealisierung vor, d.h. vorangestellte Objekte müssen nicht durch ein Klitikon "wiederaufgenommen" werden (cf. Casteleiro 1975:73,1. Duarte 1989):29 (30) (a) (b)

Esse livro o Paulojâ leu. Ao Paulo nunca ofereci esse livro.

Handelt es sich bei dem vorangestellten Objekt allerdings um ein Pronomen der 1. oder 2. Person, so wird sowohl im Französischen als auch im Portugiesischen stets ein Klitikon verwendet: (31) (a) (b)

Moi, le passé me laissait de glace. A mim, o passado deixava-me indiferente.

Ein bemerkenswerter Unterschied zwischen dem Französischen und Portugiesischen ist dabei allerdings bezüglich der Kasusmarkierung des Pronomens zu beobachten (cf. Körner 1983:123). Im Portugiesischen muß das vorangestellte Objekt stets mit der Präposition a verbunden sein (cf. Hundertmark-Santos Martins 1982:572f). Im Französischen hingegen wird nur dann eine Präposition verwendet, wenn es sich um

gegen, in denen die links stehende Objekt-NP keine pronominale Kopie hat, ist sie nach Ansicht von Cinque (1977:405) in ihrer "lefthand position" basisgeneriert (cf. auch Hirschbühler 1975). 28

Auf die Existenz solcher Sätze im Französischen ist in der Literatur verschiedentlich hingewiesen worden (cf. Pohl 1976, Frei 1979, Stempel 1981). Pohl (1976) belegt anhand von zahlreichen Beispielen, daß solche Konstruktionen - anders als Frei (1979) oder Kömer (1983) vermuten - im modernen Französischen weit verbreitet sind (cf. auch Grevisse 1986:475ff).

29

Anders als im iberischen Portugiesisch werden im (heutigen) Portugiesisch Brasiliens vorangestellte Objekte ausnahmslos ohne korefexentes Klitikon verwendet (cf. Pontes 1987, Decat 1989): (i) (a) Esse, mudei de lugar. (b) A Belina, o H6Iio levou pra oflcina.

123 ein Dativobjekt handelt. Allerdings kann sie in diesem Fall - wie z.B. Satz (27) belegt - auch ausgelassen werden (cf. auch Grevisse 1986:477). Dieser Unterschied zwischen dem Französischen und Portugiesischen ist für Körner (1983:123) ein Beleg für seine Annahme, daß "[le] redoublement pronominal d'un objet, donc l'emploi simultané d'un pronom lié et d'un pronom non lié," im Portugiesischen "natürlicher" sei als im Französischen. Seiner Ansicht nach sind Klitikverdoppelungen im Französischen weniger häufig als im Portugiesischen und daher auch weniger akzeptiert.30 Als Ergebnis der Diskussion von Verdoppelungsstrukturen in diesen Sprachen kann festgehalten werden, daß Klitikverdoppelungen in beiden Sprachen sehr selten sind. Tatsache ist allerdings, daß beide Sprachen die Möglichkeit der Verdoppelung von Objektsklitika kennen. Dies kann zumindest als Indiz dafür angesehen werden, daß die Objektsklitika beider Sprachen - zumindest in solchen Verdoppelungskonstruktionen - als Flexionsaffixe fungieren, die der Kongruenzmarkierung dienen. Als Argument gegen eine solche Analyse der romanischen Objektsklitika als Affixe wird häufig angeführt, daß Klitika und Flexionsaffixe nicht über die gleiche Distribution verfügen. So verweist z.B. Carroll (1982b:324) am Beispiel des Französischen, daß Kongruenzmerkmale ausschließlich an finite Verben gebunden sind, während Objektsklitika dieser Beschränkung nicht unterliegen. Sie können auch an Partizip- und Infinitivformen gebunden sein. Ein Blick auf das Portugiesische zeigt jedoch, daß sich kongruenzmarkierende Flexionsmerkmale nicht notwendigerweise nur an finite Verben binden. Im Fall des sogenannten persönlichen Infinitivs können die Kongruenzmerkmale für Person und Numerus an einer infiniten Verbform morphologisch realisiert sein (cf. Hundertmark-Santos Martins 1982:487, Raposo 1987:87, Meisel 1991): (32) (a) (b)

É impossivel chegarmoi a tempo. Eu lamento os deputados terem trabalhado pouco.

Diese Sätze belegen, daß die Kongruenz und die Tempusmorpheme nicht notwendigerweise gleichzeitig auftreten, sondern unterschiedlich distribuiert sein können. Dies bedeutet, daß die klitischen Objektspronomina durchaus als kongruenzmarkierende Elemente fungieren können, die sowohl an finite als auch an infinite Verbformen gebunden sein können. Die Möglichkeit der getrennten morphologischen Realisierung von Kongruenzmerkmalen einerseits und Tempusmerkmalen andererseits wird häufig als Evidenz dafür gesehen, daß diese Merkmale separat in eigenen Kongruenz- und Tempusphrasen generiert werden (cf. Chomsky 1989). Ein weiterer Grund für die Annahme getrennter Kongruenz- und Tempusphrasen ist der, daß dadurch zusätzliche Landepositionen zur Verfügung stehen, die als notwendig für bestimmte Bewegungsprozesse

30

Die Auswertung der von mir untersuchten Daten belegt allerdings das Gegenteil.

124 angesehen werden. So postuliert Pollock (1989) die Existenz einer eigenen AGRPhrase u.a. deshalb, um dadurch die Verbanhebung im Französischen erklären zu können. Ohne eine Möglichkeit der (Zwischen-)Landung des Verbs in dieser AGRPhrase wären nach Ansicht von Pollock viele Stellungen von Verben und Adverbien im Französischen nicht erklärbar (cf. auch Chomsky 1989). In einer Kritik an dieser Analyse lehnt Iatridou (1990) demgegenüber die Annahme einer solchen zusätzlichen Landeposition ab. Sie zeigt auf, daß die Stellung bestimmter Adverbien nicht mit Verbbewegung zusammenhängt, sondern unabhängig davon erklärt werden muß.31 Diese Gegenargumente und Einwände zeigen, daß Zweifel hinsichtlich der Annahme einer oder mehrerer AGR-Phrasen zusätzlich zu einer Finitheitsphrase angebracht sind. Vieles scheint eher dafür zu sprechen, daß Kongruenz- und Tempusmerkmale nicht in getrennten verbalen funktionalen Kategorie angeordnet sind (cf. auch Kuroda 1988, Meisel 1991).32 Auf der Grundlage dieser Annahme werde ich im folgenden zeigen, daß die französischen und portugiesischen Objektsklitika als Kongruenzmarkierer fungieren. 43.1 Die klitischen Objektspronomina des Französischen als Flexionsaffixe Im Französischen sind - wie ich bereits erwähnt habe - Äußerungen, in denen eine Objekt-NP zusammen mit einem koreferenten Objektsklitikon verwendet wird, relativ selten. Dies wird auch durch die Auswertung der von mir untersuchten Daten bestätigt. Lediglich 10,4% aller in den Daten vorkommenden Objekte werden gleichzeitig mit einem Objektsklitikon gebraucht. Während für die Subjektsklitika des Französischen angenommen werden kann, daß durch ihren zunehmenden, fast obligatorischen Gebrauch ihre Funktion zur Hervorhebung von Subjekten verlorengegangen ist, ist eine analoge These für die Objektsklitika empirisch nicht haltbar.33 Demzufolge scheint das Objektsklitikon im Französisch keine "Grammatisierung" erfahren zu haben. Mit anderen Worten, die Objektsklitika des Französischen scheinen im Gegensatz zu den Subjektsklitika - nicht als Kongruenzmarkierer zu fungieren. Im folgenden wird aber gezeigt werden können, daß diese Schlußfolgerung nicht zwingend ist. Es gibt vielmehr eine Reihe von Evidenzen, die deutlich belegen, daß die klitischen Objektspronomina kongruenzmarkierende Affixe sind. Die von mir untersuchten Daten belegen, daß Klitikverdoppelungen im Französischen durchaus möglich sind: 31

Für einen Überblick über die aktuelle Debatte zur Generierung funktionaler verbaler Kategorien verweise ich auf Meisel (1991) und Müller (1992).

32

Meisel (1991:18) nimmt an, daß beide Merkmale zusammen die Finitheit des Verbs bestimmen: "Both AGR and T[ense] are best explained as a set of features defining finiteness. In other words, one only needs one type of category which projects X"1"1." (Meisel 1991:18)

33

Ashby (1974:89) vertritt zwar diese Annahme, liefert jedoch keine empirische Evidenz: "[...] in non-standard usage the construction with both object pronoun and noun phrase object has, by virtue of its overuse, lost much of its emphatic and expressive quality."

125 (33)

(a) (b)

tu la fais danser la police! (dufl43:146) et toi tu lui parles a ton frère non? (duf868:344)

Diese Äußerungen weisen die gleiche Satzintonation auf wie ein "normaler" Aussagesatz, d.h. die jeweilige Objekt-NP ist nicht durch eine Pause vom übrigen Satz getrennt. Außerdem befindet sie sich jeweils in der Komplementsposition des Verbs, so daß davon ausgegangen werden kann, daß sie nicht disloziert worden ist (cf. Carroll 1982b:309). Im Gegensatz dazu treten in den Äußerungen in (34) die Objekte außerhalb der VP auf. Es handelt sich hierbei somit um Dislokationen: (34)

(a) (b)

on va la monter encore dans l'ascenceur la police? (dufl43:088) tu vas /'amener au jardin d'enfants le bébé? (duf444:106)

Ebenso wie mit nicht-pronominalen Objekten sind mit pronominalen Objekten Klitikverdoppelungen möglich. Handelt es sich dabei um Personalpronomina, ist der Gebrauch des Objektsklitikons obligatorisch:34 (35)

(a) (m (c)

y a quelque chose qui m'étonne moi (duf868:318) j'peux /'prendre lui maintenant (duf868:366) tu veux me faire à moP. (duf438:50)

In Äußerungen mit anderen pronominalen Objekten treten koreferente Objektsklitika nur sehr selten auf. Für den gleichzeitigen Gebrauch von einem Objektsklitikon zusammen mit einem Demonstrativpronomen finden sich in meinen Daten zwei Belege: (36)

(a) (b)

qui est-ce qui te /'a donné ça? (duf436:32) la ça j'/'ai encore jamais vue (duf868:066) 35

Die "Wiederaufnahme" eines Relativpronomens durch ein Objektsklitikon kann durch die Daten meines Korpus nicht belegt werden. In der Literatur ist allerdings verschiedentlich auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (cf. Bouchard 1982, Zribi-Hertz 1984:75): (37)

(a) (b)

Voici le Courier que Marie /'a apporté, Voici l'homme que Marie lui a parlé.

Indefinitpronomina hingegen können nicht mit einem koreferenten Objektsklitikon verwendet werden. Das gleiche gilt auch für indefinite, nicht-pronominale Objekte. Die klitischen Objektspronomina können nur zusammen mit einem definiten Objekt verwendet werden (cf. Carroll 1982b:338);36 34 35

Der Gebrauch eines Objektspronomens ohne Klitikon ist nur in wenigen, sehr speziñschen diskursiven Kontexten möglich, wobei meist eine zusätzliche Zeigegeste notwendig ist (cf. Ronat 1979)(siehe Kapitel 2).

Wie in der oben dargestellten Diskussion deutlich wurde, handelt es sich bei Äußerungen, in denen das Objekt am Satzanfang steht, um Dislokationen. Das gleiche gilt für Äußerungen mit vorangestellten, nicht-pronominalen Objekt-NPs: (i) (a) pouniez-vous garder laclé car la voilure je Tai fermée (schl:003) (b) et les poules je les laisse là-haut? (dufl44:138) 36 Unter bestimmten Bedingungen können indefinite Objekte allerdings zusammen mit dem ebenfalls klitisch gebundenen Pronominaladverb en auftreten. Eine der Bedingungen ist die, daß en nur mit indefiniten Abhuafivobjekten in einer Kongruenzbeziehung stehen kann (cf. Carroll 1982b:338):

126 (38) (a) (b) (39) (a) (b)

*Je les ai faites des cartes pour toi. *Je lui ai dit 'Bonjour' ä quelqu'un hier. Je les ai faites les cartes pour toi. Je leur ai dit 'Bonjour' ä tous ces gens hier.

Läßt man aufgrund dieser Beobachtung, daß die klitischen Objektspronomina nur mit definiten Objekten kongruieren können, bei der Datenauswertung diejenigen Kontexte unberücksichtigt, in denen die Objekt-NP indefinit ist, verdoppelt sich der Anteil der Klitikverdoppelungen bzw. des parallelen Gebrauchs von Klitikon und Objekt auf nahezu 18,4%. Auch unter dieser Einschränkung ist der Anteil dennoch sehr gering und nicht annähernd so hoch wie im Fall der Verdoppelungen mit den französischen Subjektsklitika. Ein Vergleich mit anderen "prototypischen" objektkongruierenden Sprachen macht deutlich, daß auch in diesen Sprachen die morphologische Objektskongruenzmarkierung einer Reihe von Beschränkungen unterliegt (cf. Stolz 1991). Wie bereits erwähnt, kongruieren z.B. im Ungarischen nur definite Objekte mit dem Verb. In anderen objektkongruierenden Sprachen kann beispielsweise nur ein Objekt pro Verbform morphologisch markiert werden (z.B. im Swahili) oder es kann morphologisch nicht immer zwischen indirektem und direktem Objekt unterschieden werden (z.B. im Georgischen). Im klassischen Aztekisch, dem "Paradebeispiel für eine objektkonjugierende Sprache" (Stolz 1991:7), gibt es ebenfalls Einschränkungen bei der Objektskongruenzmarkierung, da pro Verbform nur ein definites Objekt angegeben werden kann (cf. Stolz 1991).37 Auch hinsichtlich der Obligatheit der Kongruenzmarkierung scheint es eine Parallelität zum Französischen zu geben. Stolz (1991:11) zeigt auf, daß beispielsweise im Swahili nicht-emphatische pronominale Objekte stets am Verb morphologisch markiert werden. Bei nominalen Objekten hingegen ist die Markierung der Objektskongruenz fakultativ. Ähnlich verhält es sich im Französischen. Die Realisierung des Objektsklitikon ist lediglich dann obligatorisch, wenn das Objekt ein Personalpronomen ist; bei nicht-pronominalen Objekten ist sie optional. Wenngleich Klitikverdoppelungen im Französischen sehr selten sind, müssen sie in einer Klitikanalyse des Französischen im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie erklärt werden. Mit anderen Worten, es muß eine Erklärung für das gleichzeitige Auftreten von zwei koreferenten Objekten innerhalb eines Satzes gefunden werden. Dies ist meiner Ansicht nach nur dann möglich, wenn angenommen wird, daß die klitischen Objektspronomina Flexionsaffixe sind und daher in einer Kongruenz(i)

37

(a) i'en ai fait des cartes pour toi. (b) *J'en ai dit 'Bonjour' ä quelques-uns. Obwohl ich in dieser Arbeit en nicht berücksichtige, möchte ich betonen, daß en auch als Kongmenzmarkierer fungieren kann und durchaus in die hier vorgeschlagene Analyse der französischen Klitika integriert werden kann. Unter den romanischen Sprachen wird meist das Spanische als die Sprache angesehen, in der die Objektskonjugation am weitesten fortgeschritten ist. Dort ist die Möglichkeit sowie die Obligatheit der Klitikverdoppelungen am ausgeprägtesten (cf. Llorente & Mondijar 1974, Rivero 1986c, Rini 1990). Allerdings gibt es auch hier - wie bereits in Kapitel 3 gezeigt wurde - eine Reihe von Beschränkungen.

127 beziehung zum "gedoppelten" Objekt stehen. Nimmt man dies nicht an, muß erklärt werden, wie beiden Objekten in diesen Sätzen Kasus und eine Theta-Rolle zugewiesen werden kann. Eine mögliche Erklärung der Thetarollen-Zuweisung ist die, daß das Klitikon und das Objekt eine Kette bilden und somit eine gemeinsame ThetaRolle erhalten können (cf. z.B. Chomsky 1981, 1982b, Jaeggli 1986). Die Erklärung der Kasusmarkierung ist allerdings problematischer. Da dem Französischen kein zusätzlicher Kasusmarkierer zur Verfügung steht, wie er aufgrund der Kayneschen Generalisierung gefordert wird, müßte in Anlehnung an Jaeggli (1986) angenommen werden, daß das französische Objektsklitikon in Äußerungen wie (33) keinen Kasus absorbiert bzw. erhält, damit der Objekt-NP der notwendige Kasus zugewiesen werden kann. Gegen diese Analyse spricht allerdings die Tatsache, daß die klitischen Objektspronomina morphologische Kasusmerkmale tragen. Eine adäquatere Erklärung für Klitikverdoppelungen ist meiner Ansicht nach daher die, daß die klitischen Objektspronomina als Flexionsaffixe fungieren und mit dem Objekt - und damit auch mit dessen Kasusmerkmalen - kongruieren. Als Beleg für diese Analyse sei zunächst noch einmal darauf hingewiesen, daß die klitischen Objektspronomina nicht nur alle typischen Eigenschaften von klitischen Elementen besitzen, sondern darüber hinaus auch eine Reihe von Charakteristika, die typisch für Affixe sind. Sie weisen ebenso wie Affixe und auch wie die französischen Subjektsklitika einen sehr hohen Selektionsgrad bei der Wahl ihres Partners auf. Sie sind sowohl syntaktisch als auch phonologisch stets mit einem Verb verbunden. Außerdem binden sie sich fast ausschließlich nur in einer Richtung an das Verb, an das sie i.d.R. proklitisch gebunden sind. Lediglich in den Sätzen des affirmativen Imperativs stehen sie enklitisch zum Verb. Hierbei sind sie in der Schriftsprache stets durch einen Bindestrich mit dem Verb verbunden. Des weiteren können die französischen Objektsklitika zusammen mit dem Verb bewegt werden, d.h. sie bilden mit dem Verb eine Einheit für syntaktische Operationen. Die wichtigste Evidenz dafür, daß die klitischen Objektspronomina des Französischen als Flexionsaffixe fungieren, folgt aus der Analyse der Subjektsklitika. Die Tatsache, daß es sich bei den französischen Subjektsklitika um Affixe handelt, legt nahe, daß auch die Objektsklitika auf diese Weise analysiert werden müssen. Die Überprüfung des Klitik- und Affixstatus der klitischen Pronomina des Französischen hat zum einen deutlich gemacht, daß Subjekts- sowie Objektsklitika sich in dieser Hinsicht fast völlig identisch verhalten. Es wäre aus diesem Grund unplausibel, für Subjekts- und Objektsklitika unterschiedliche Analysen vorzuschlagen (cf. auch Cl. Muller 1984, Hulk 1991). Zum anderen kann die Stellung von Subjekts- und Objektsklitika nur dann erklärt werden, wenn die Objektsklitika als Affixe analysiert werden. Die Subjektsklitika können nur dann an ein Verb affigiert werden, wenn die dazwischen tretenden Objektsklitika ebenfalls Affixe und keine Klitika sind. Wie bereits in Kapitel 1 gezeigt worden ist, können Affixe sich nämlich nur an einen Partner

128 binden, an den keine Klitika gebunden sind. Folglich müssen die Objektsklitika Affixe sein. Sie können außerdem auch deshalb keine klitisch gebundenen Elemente sein, weil sich Klitika nur von rechts oder links an ein bereits vollständiges Wort binden und nicht zwischen den Stamm und ein Affix geschoben werden können. Bei der Annahme, daß es sich bei den Objektsklitika um Klitika und nicht um Affixe handelt, wäre zu erwarten, daß sie sich entweder links an das affigierte Subjektsklitikon oder rechts an das Verb binden. Die Stellung der französischen Pronominalklitika kann demnach nicht erklärt werden, wenn davon ausgegangen wird, daß die Subjektsklitika Affixe, die Objektsklitika hingegen Klitika sind. Es kommt nur eine solche Analyse in Frage, in der auch die Objektsklitika als Affixe analysiert werden. Sie ist die einzige Analyse, die mit der von mir vorgeschlagenen Annahme vereinbar ist, daß die Subjektsklitika im Französischen Flexionsaffixe sind.38 Ich gehe daher davon aus, daß die französischen Objektsklitika zusammen mit dem Verb direkt unter V° generiert werden. Demzufolge hat meiner Ansicht nach ein französischer Matrixsatz, in dem ein klitisches Objektspronomen vorkommt, folgende DStruktur:

vois Marie/ eile/ pro Ich nehme an, daß die Position, in der das Objektsklitikon generiert wird, keine Argumentsposition ist. Das Klitikon erhält weder eine Theta-Rolle noch bekommt es Kasus zugewiesen. Ein Objektsklitikon ist ein Kongruenzmarkierer, der einen "set of specification for the features person, gender, number, and [...] case" bildet (Chomsky 1982b:86). Die Kongruenz des Klitikons zu dem Element in der Komplementsposition des Verbs wird dadurch hergestellt, daß es in einer Rektionsbeziehung zum Objekt steht. Dadurch ist meiner Ansicht nach die strukturelle Voraussetzung für die

38

Die Objektsklitika werden demnach als spezielle Flexionsmerkmale für die Objektskongruenz zusammen mit den anderen Kongruenzmorphemen sowie den Tempusmerkmalen an den Stamm eines Verbs gebunden und verfügen daher ebenfalls über die grundlegende Eigenschaft der Affixe, sich an Stämme zu binden. Sie können außerdem - ähnlich wie die Kongruenzmorpheme im portugiesischen Infinitv - an ein infinites Verb gebunden werden.

129 Objektskongruenz erfüllt. 39 Ähnlich wie ein Subjekt des Satzes mit den Subjektskongruenzmerkmalen in einer Spezifikator-Kopf-Beziehung stehen muß (cf. Chomsky 1986a), müssen die Kongruenzmerkmale für die Objektskongruenz in einer KopfKomplement-Beziehung mit dem Objekt erscheinen. Diese Beziehung bleibt auch dann aufrecht erhalten, wenn das Objektsklitikon zusammen mit dem Verb nach INFL angehoben wird, da das Klitikon eine koindizierte Spur hinterläßt. In INFL wird das Objektsklitikon ebenso wie die Merkmale für die Subjektskongruenz, d.h. das Subjektsklitikon, und die Tempusmerkmale an das Verb affigiert. Ähnlich wie die Subjektsklitika sind die französischen Objektsklitika außerdem durch das zusätzliche Merkmal [+definit] gekennzeichnet. Das heißt, sie können nur mit definiten Objekten in einer Kongruenzbeziehung stehen. Die Realisierung des Objektsklitikons ist allerdings nur dann obligatorisch, wenn es sich bei dem lexikalischen Objekt um ein Personalpronomen handelt. Diese Beobachtung stimmt damit überein, daß das Objektsklitikon in aller Regel auch dann vorhanden sein muß, wenn die Komplementsposition des Verbs nicht durch ein lexikalisches Objekt besetzt ist. Das in diesem Fall auftretende leere Objekt ist stets pronominal (cf. Chomsky 1982b, Jaeggli 1986, Rizzi 1986a, Roberge 1986b):40 (41) (a) (b)

Je /'ai vu pro à la télé, *J'ai vu pro à la télé.

Das leere, definite Pronomen pro in (41) unterliegt sowohl der Lizenzierungs- als auch der Identifizierungsbedingung (cf. Rizzi 1986a, Jaeggli & Safir 1989). Anders als in der Subjektsposition kann pro in der Objektsposition nicht von INFL streng regiert sein. INFL kann nur die VP sowie deren Spezifikator, jedoch nicht deren Komplement regieren (cf. Chomsky 1986a, Koopmann & Sportiche 1991:228). Die Lizenzierung von pro ist dadurch gewährleistet, daß es von V regiert ist. Die Kategorie V gehört im Französischen der X°-Klasse an (cf. Rizzi 1986c:519) und kann daher pro in seiner Komplementsposition streng regieren. Auch im Modell von Jaeggli & Safir (1989), wonach die morphologische Uniformität für die Lizenzierung von pro ausschlaggebend ist, kann diese Bedingung als erfüllt angesehen werden. Das Flexionsparadigma für die Objektskongruenz im Französischen ist morphologisch uniform, da es ausschließlich abgeleitete flektierte Formen besitzt:

39

Dies ist nicht der Fall, wenn angenommen wird, daß das Objektsklitikon als Flexionsmerkmal in INFL generiert wird. In den Analysen, in denen dieser Vorschlag gemacht wird, bleibt offen, wie die Kongruenz zwischen dem Klitikon und dem Objekt hergestellt wird (cf. I. Duarte 1983, Saltarelli 1989).

40

Nicht-pronominale leere Objekte sind im Französischen - wie in vielen anderen Sprachen auch - in Sätzen wie (i) möglich (cf. Raposo 1986:375f, Rizzi 1986a:509,Fn.6): (i) Elle mange . Hierbei handelt es sich um ein unspezifiziertes Objekt, dessen Realisierung optional ist Es ist allerdings fraglich, ob für solche Sätze überhaupt eine leere Kategorie in der Objektsposition angenommen werden kann (cf. Raposo 1986:387,Fn.l).

130 (42)

(je)

me

+

vois vois vois vois vois vois

Die Identifizierungsbedingung von pro ist durch das Vorhandensein des Klitikons erfüllt. Es wird als Affix an das Verb gebunden und gewährleistet eine morphologisch "reichhaltige" Spezifizierung der Kongruenzmerkmale, die mit dem leeren Objekt koindiziert sind. Dadurch kann in Satz (41a) der Inhalt des leeren Objekts identifiziert werden. Fehlt allerdings das Klitikon, sind die morphologischen Kongruenzmerkmale hierfür nicht ausreichend (cf. auch Roberge 1991:299f). Das Französische ist demzufolge eine Nullobjekt-Spräche. Es unterscheidet sich von vielen anderen Sprachen, die ebenfalls Nullobjekte kennen, dadurch, daß das Nullobjekt i.d.R. durch morphologisch "reiche" Kongruenzmerkmale identifiziert sein muß. In vielen Nullobjekt-Sprachen (z.B. im Chinesischen oder im Quechua) ist diese reiche Morphologie zur Identifizierung des leeren Objekts nicht notwendig (cf. Huang 1984, Cole 1987). Das leere Objekt erhält in diesen Sprachen seine Interpretation durch die Bindung an einen leeren Operator in der Topikposition. Das Französische erlaubt allerdings in einigen Fällen das Auftreten von Nullobjekten, deren Inhalt nicht durch ein Klitikon identifiziert ist. Dies ist in Konstruktionen mit sogenannten 'arbiträren Nullobjekten' der Fall, die in vielen Sprachen vorkommen können und nur mit einer kleinen Gruppe von Verben möglich sind (cf. Rizzi 1986a, Roberge 1991:301): (43) (a) (b) (c)

Questo conduce proMb a concludere quanto seque. Eso lleva prowh a concluir lo que sigue. Ceci pousse pro^ ä concluir ce qui suit.

Im allgemeinen wird das leere Objekt in diesen Konstruktionen als 'arbiträres pro' bezeichnet, das durch die Merkmale [+menschlich, +generisch, +plural] spezifiziert ist (cf. Rizzi 1986a:520, Authier 1989, Roberge 1991). Es ist lizenziert, weil es in diesen Sprachen von V° streng regiert werden kann (cf. Rizzi 1986a:519).41 Ahnlich wie ein leeres Expletivum benötigt ein arbiträres Nullobjekt keine "reichhaltigen" Kongruenzmerkmale zu seiner Identifizierung. Nach Ansicht von Rizzi (1986a:520f) erhält das leere Objekt die entsprechenden Merkmale für die arbiträre Interpretation aufgrund eines besonderen Zuweisungsmechanismus.42 41

Im Englischen hingegen gehört nach der Analyse von Rizzi (1986a) die Kategorie V nicht der X°-Klasse an, d.h. das Verb kann nicht als strenges Regens des leeren Objekts fungieren. Dadurch erklärt er, warum im Englischen Äußerungen wie (i) ungrammatisch sind: (i) *This music renders happy.

42

Für andere Lösungsvorschläge zur Analyse der Sätze in (43) cf. Authier (1989) und Roberge (1991). Authier (1989) analysiert die leeren Objekte in (43) als basisgenerierte freie Variablen, die auf der Ebene der logischen Form an einen lexikalischen oder leeren adverbialen Quantor gebunden sind. Nach der Analyse von Roberge (1991) kann pro in diesen Sätzen dadurch identifiziert werden, daß es auf der Ebene der Logischen Form an einen leeren Operator gebunden ist und somit seine arbiträre Interpretation erhält (cf.auch Sufier 1990).

131 Außer in Sätzen wie (43) kennt das Französische in einem weiteren Konstruktionstyp die Möglichkeit der Objektsauslassung. Dies ist in Äußerungen mit sogenannten "prépositions orphelines" der Fall, auf die Zribi-Hertz (1984) hingeweisen hat. In diesen Äußerungen ist ein leeres Objekt dann möglich, wenn es entweder auf ein topikalisiertes Objekt (cf. (44a)) oder auf ein Objekt aus dem diskursiven Kontext referiert (cf. (44b)): (44) (a) (b)

Cette valise, je voyage toujours avec A: Ton fíls a-t-il vu la Sainte-Chapelle! B: Oui. Pendant que nous visitions Notre-Dame, Pierre est passe devant .

Den Analysen von Zribi-Hertz (1984) sowie Tuller (1986:370-384) zufolge handelt es sich auch in diesen Sätzen bei dem leeren Objekt um pro. Es kann durch die Präposition streng regiert werden und ist somit lizenziert. Nach Ansicht von Tuller (1986:378) ist der Inhalt von pro dadurch interpretierbar, daß pro mit einem lexikalischen bzw. leeren Topik-Element verbunden ist (cf. auch Roberge & Vinet 1989:69ff): (45) (a)

[ TOP cette ITOP E ¡][IP

valise;][jp je voyage toujours avec proj Pierre est passe devant proj

Diese Beobachtungen und Analysen von Nullobjekt-Konstruktionen zeigen, daß das Französische mehrere Kategorien besitzt, die pro lizenzieren können,43 und verschiedene Möglichkeiten für dessen Identifizierung kennt. Im Gegensatz zu vielen anderen Nullobjekt-Sprachen ist das Französische dadurch gekennzeichnet, daß es auch leere Objekte besitzt, die nicht aufgrund der Bindung an ein Topik-Element oder durch die Zuweisung bestimmter Merkmale identifiziert werden. Es erlaubt leere pronominale Objekte mit referentiellen Eigenschaften, die aufgrund einer ausreichenden morphologischen Kongruenzmarkierung identifiziert werden können. Diese Kongruenzmarkierung ist nur dann gegeben, wenn ein Objektsklitikon vorhanden ist. Das Klitikon fungiert demzufolge als Identifizierer des leeren definiten Objekts und außerdem als (fakultativer) Kongruenzmarkierer, wenn das Objekt lexikalisch ist. 4.3.2 Die klitischen Objektspronomina des Portugiesischen als Flexionsaffixe Ebenso wie im vorangehenden Abschnitt soll bei der Analyse der portugiesischen Objektsklitika zunächst die Frage nach der Möglichkeit von Klitikverdoppelungen erörtert werden. Wie alle bisherigen Untersuchungen gezeigt haben, wird im Portugiesischen nur sehr selten ein Objekt mit einem koreferenten Klitikon innerhalb einer Äußerung verwendet. Dies bestätigt auch die von mir durchgeführte Auswertung des Datenkorpus des Portugués Fundamental (pf). 43

Abgesehen von INFL, das wie in allen Nullsubjekt-Sprachen das leere Subjekt lizenzieren kann, dienen im Französischen auch V und P als pro-Lizenzierer (cf. Rizzi 1986a:519).

132 Die gleichzeitige Verwendung von einem nicht-pronominalen Objekt und einem koreferenten Klitikon ist lediglich in einer Äußerung zu beobachten: (46)

eu, essas algas eu vi-as a boiar (pf106:60)

In der vorangehenden Diskussion solcher Äußerungen habe ich bereits darauf hingewiesen, daß nicht-pronominale, präverbal stehende Objekt-NPs auch topikalisiert sein können, d.h. ohne koreferentes Klitikon auftreten können (cf. Casteleiro 1975, I. Duarte 1989, Kiesler 1989). Dies kann als Evidenz dafür gesehen werden, daß es sich bei einer Äußerung wie (46) nicht um eine Klitikverdoppelung, sondern um eine Dislokation handelt. Diese Annahme wird dadurch gestützt, daß die Objekt-NP in (46) durch ein Subjektspronomen vom Verb getrennt steht. Vorangestellte Objektspronomina stehen hingegen meist adjazent zum Verb. Dies zeigt sich auch in den Beispielen, die in dem von mir untersuchten Korpus vorkommen (cf.(47)). Dabei ist relativ häufig die Verwendung eher formelhafte Redewendung a mim parece-me zu beobachten (cf. (48)): (47) (a) (b) (48) (a) (b)

a mim faz-me impressäo (pf964:12) que a mim me chocam um oocado (pf523:18) pois eu, a mim parece-me (pfl243:13) embora eu, a mim me parefa (pf977:103)

Das Klitikon kann in diesen Äußerungen nicht ausgelassen werden.44 Aus diesem Grund wird bisweilen angenommen, daß es sich bei Äußerungen dieser Art um Klitikverdoppelungen handelt (cf. Körner 1983). Für Äußerungen mit nachgestelltem pronominalen Objekt findet sich in den von mir untersuchten Daten nur ein einziger Beleg: (49)

6 um prazer que me dou a mim pröpria (pf977:15)

Solche Äußerungen mit pronominalen Objekten sind zwar sehr selten, doch darf davon ausgegangen werden, daß es sich dabei um Klitikverdoppelungen handelt (cf. Bossong 1980, Körner 1983). Das Objektspronomen ist nicht vom Verb durch ein dazwischenstehendes Element getrennt, d.h. es erscheint in der Komplementsposition. Außerdem ist die Verwendung des Objektsklitikons obligatorisch, wenn ein ungebundenes Objektspronomen auftritt (cf. auch I. Duarte 1983:176,Fn.17): (50) (a) (b) (51) (a) (b) 44

Dä-me a mim. *Dä a mim. Vejo-fe a ti. *Vejo a ti.

Diese Beschrankung gilt nur für Personalpronom ina. Bei der Voranstellung eines als Objekt fungierenden Demonstrativpronomens - wie z.B. in (i) - ist die Verwendung eines koreferenten Klitikons hingegen stets ausgeschlossen (cf. Hundertmaric-Santos Martins 1982:572): (i) isso diz-se muito cä para baixo (pf109:75) Objektsre/arivpronomina werden i.d.R. ebenfalls ohne Klitikon verwendet. Wie das Beispiel (ii) belegt, ist deren "Wiederaufnahme" jedoch nicht ausgeschlossen: (ii) e agora esta irmä tambim que, que Ihe morreu o marido fez a mesma coisa (pf528:23)

133 Anders als im Französischen scheinen Klitikverdoppelungen mit nicht-pronominalen Objekten im Portugiesischen völlig ausgeschlossen zu sein. In den Daten meines Korpus gibt es keinen Beleg. Postverbale, nicht-pronominale Objekte können allenfalls disloziert sein (cf. Kiesler 1989:245): (52)

Mas eu näo me importa de lhas contar, as perversöes,45

Die portugiesischen Objektsklitika können demnach nur mit pronominalen Objekten in Klitikverdoppelungen auftreten. Für die Annahme, daß sie als Kongruenzmarkierer fungieren, spricht, daß sie in diesen Äußerungen obligatorisch sind. Außerdem gibt es eine Reihe zusätzlicher Evidenzen. Die klitischen Objektspronomina des Portugiesischen weisen zum einen eine Reihe von Eigenschaften auf, durch die die Flexionsaffixe typischerweise gekennzeichnet sind. Zum anderen kongruieren sie mit dem leeren Objekt, für dessen Identifizierung sie benötigt werden. Die klitischen Objektspronomina des Portugiesischen verhalten sich nicht nur wie typische gebundene Elemente. Wie deren Überprüfung des Klitik- und Affixstatus gezeigt hat, besitzen sie darüber hinaus Eigenschaften, die ausschließlich Affixen vorbehalten sind. Hierbei sind vor allem zwei Eigenschaften hervorzuheben, die den Affixstatus der portugiesischen Objektsklitika deutlich werden lassen. Zum einen handelt es sich um die Fähigkeit, bei ihrer Bindung morphophonologische Veränderungen an ihrem Partner hervorrufen, und zum anderen um die Möglichkeit der sogenannten Mesoklise. Das Portugiesische hebt sich diesbezüglich von den anderen romanischen Sprachen ab, da diese beiden Eigenschaften der Objektsklitika in der übrigen Romania gar nicht bzw. nur in sehr eingeschränkter Form zu beobachten sind (cf. Rothe 1966:539). Auf beide Phänomene habe ich bereits in Kapitel 2 hingewiesen. Für die Möglichkeit der morphophonologischen Veränderung des Partners, die durch das Klitikon hervorgerufen werden, finden sich in den Daten viele Belege: (53) (a) (b)

e comefämo-nos a detestar todos uns aos outros (pf308:20) gra?as a deus temo-nos dado optimamente (pf725:30)

Rothe (1966) zeigt auf, daß das Portugiesische hierbei sehr große Ähnlichkeiten mit dem Ungarischen aufweist. Auch in dieser Sprache kommt es zur morphophonologischen Veränderung des finiten Verbs - nämlich zur Veränderung der Subjektskongruenzmorpheme -, wenn das Flexionsmorphem für die Objektskongruenz hinzutritt (cf. auchTesniere 1959:141ff): (54)

45

en lät-ok 'ich sehe' te lät-sz 'du siehst' ö lät 'er sieht'

-> -> ->

en lät-om 'ich sehe' + Objektsmarkierer (OM) te lät-od 'du siehst' + OM ö lät-ja 'er sieht'+ OM

Kiesler (1989:245) zitiert dieses Beispiel nach José Cardoso Pires, Baiada da praia dos cäes, 1984, p.163.

134 Der Vergleich mit dem Ungarischen macht nach Ansicht von Rothe (1966) deutlich, daß das Portugiesische als eine objektkongruierende Sprache angesehen werden muß (cf. auch Stolz 1991). Es besitzt ebenso wie das Ungarische Objektsmorpheme, die stets gebunden sein müssen und Änderungen der anderen Flexionsmorpheme hervorrufen können. Nach Auffassung von Rothe (1966:539) zeigen sich daher im Portugiesischen geradezu "in idealer Weise die für die Existenz einer Objektkonjugation relevanten Phänomene". Diese Annahme Rothes ist allerdings vielfach kritisiert worden (cf. z.B. Bossong 1980:8,Fn.26). Es wurde darauf hingewiesen, daß das Ungarische eine untypische objektkongruierende Sprache sei, da in den meisten anderen Sprachen dieses Typs durch das Hinzufügen der Objektsmorpheme an das Verb keine morphophonologischen Veränderungen hervorgerufen werden. Trotz dieses Unterschiedes zu den meisten objektkongruierenden Sprachen ist jedoch die Eigenschaft der portugiesischen Objektspronomina, morphophonologische Veränderungen an ihrem Partner hervorrufen zu können, ein deutlicher Beleg für ihren Affixstatus. Einen weiteren "Eckpfeiler für die Objektkonjugationshypothese" (Stolz 1991:17) bildet die Tatsache, daß die portugiesischen Objektsklitika sich mesoklitisch binden können. Auch hierfür gibt es in den Daten einige Belege: (55) (a) (b)

quando um dia tiver um filho dar-//ze-ei a mäxima liberdade (pf218:65) air-se-ä que o Alentejo tambem e uma regiäo muito agraria (pf770:2l)

Trotz ihrer seltenen Verwendung46 liefert die Mesoklise eines der Hauptargumente für die Annahme, daß die klitischen Objektspronomina des Portugiesischen Affixe sind. Anders kann nicht erklärt werden, wie die Finitheit- und Tempusmorpheme in Sätzen wie in (55) an das Verb affigiert werden können. Dies wäre nicht möglich, wenn es sich bei den Objektsklitika um klitische Elemente handeln würde, da sich Affixe nicht an einen Partner binden können, der ein Klitikon gebunden hat. Die mesoklitisch gebundenen Pronomina unterscheiden sich deutlich von typischen klitischen Elementen, die nur von links oder rechts an ein bereits vollständiges Wort gebunden werden können. Sie sind vielmehr "wegen folgender Postfixe gewissermaßen in den Wortkörper verortet [...], statt außen als Annex hinzugefügt [...]." (Stolz 1991:17). Durch die Mesoklise wird außerdem sichtbar, daß das Klitikon unmittelbar an den Stamm des Verbs gebunden wird. Es bildet dadurch - zusammen mit den nachfolgenden Flexionsmorphemen - ein vollständiges Wort. Dies trifft ebenfalls dann zu, wenn das Klitikon nicht mesoklitisch, sondern enklitisch an das Verb gebunden ist, d.h. das Klitikon bildet auch in diesem Fall zusammen mit den übrigen Rexionsmorphemen 46

Der Grund für das seltene Vorkommen der Mesoklise im Portugiesischen liegt vor allem darin, daß sie nur mit den Futur- und Konditionalformen des Verbs möglich ist. Häufig werden die synthetischen Formen in der gesprochenen Sprache außerdem durch die analytischen ersetzt, oder es wird statt dessen die Präsens- bzw. Imperfektform verwendet (cf. A. Matthews 1978:51).

135 ein vollständiges Wort mit dem Verb. Der einzige Unterschied zur sogenannten Mesoklise ist der, daß die Objektsklitika nach den Flexionsmerkmalen an den Verbstamm gebunden werden (cf. auch Salvi 1990:178,Fn.3). Mit anderen Worten, sowohl bei der Mesoklise als auch bei der Enklise handelt es sich um eine Suffigierung der Objektsklitika - zusammen mit anderen Affixen - an das Verb. Die portugiesischen Objektsklitika verfügen somit über die grundlegende Eigenschaft der Affixe, nämlich die, sich an Stämme zu binden. Anders verhält es sich allerdings mit den Objektsklitika, die in präverbaler Position erscheinen. Wie ich bereits in Kapitel 2 gezeigt habe, können diese Klitika phonologisch an ein vorangehendes Element gebunden sein. Präverbale Klitika können mit diesem Element eine phonologische Einheit bilden (cf. Herslund 1986) oder sich morphophonologisch daran anpassen (cf. Cunha & Cintra 1984:280). Zusätzliche Evidenz dafür, daß sich die präverbalen Objektsklitika des Portugiesischen nicht an das Verb, sondern an das vorangehende Element enklitisch binden, liefert die in Kapitel 2 bereits erwähnte Beobachtung, daß sie durch nicht-klitische Elemente vom Verb getrennt stehen können. Auch in den von mir untersuchten Daten finden sich hierfür einige Belege:47 (56) (a) Co) (c)

(...) que as näo tinham sentido (pf93:51) quena que Ihe eles dessem trezentos escudos (pfl055:18) Porque te nunca encontrei?

Abgesehen von der Möglichkeit der Interpolation deutet auch die Tatsache, daß Objektsklitika im Portugiesischen niemals in satzinitialer Position auftreten bzw. nach einem ungebundenen, schwachtonigen Element in satzinitialer Position stehen können, auf deren enklitisches Bindungverhalten hin. In beiden Fällen steht das Klitikon stets postverbal und enklitisch zum Verb:48 (57) (a) (b) (58) (a) (b)

chamou-me para lä (pfl06:43) *me chamou para lä mas diga-me uma coisa (pf837:59) *mas me diga uma coisa

Dieses Stellungsverhalten kann dadurch erklärt werden, daß klitische Pronomina einen Partner für die enklitische Bindung benötigen (cf. Carvalho 1989:409). Meine These ist die, daß die klitischen Objektspronomina des Portugiesischen stets enklitisch gebunden sein müssen, d.h. nicht nur in postverbaler, sondern auch in präverbaler Position. Dies bedeutet, daß ihr phonologischer und syntaktischer Partner nicht stets identisch sind. Diese Tatsache scheint gegen die These zu sprechen, daß 47

Bemerkenswert ist, daß in (56b) nicht die Negationspartikel näo, sondern ein Subjektspronomen zwischen dem Klitikon und dem Verb erscheint. Das Beispiel (56c) stammt aus einem Fragebogen mit Sätzen, die portugiesischen Sprechern zur Beurteilung vorgelegt wurden, und wurde von sehr vielen Befragten akzeptiert.

48

Im brasilianischen Portugiesisch hingegen erscheint das Klitikon stets in präverbaler Position: (i) (a) me preocupo com o humano (nurc343:1030) (b) mas me parece que näo deve paralisar (nurc343:460)

136 die portugiesischen Objektsklitika Affixcharakter haben, da bei Affixen der phonologische und syntaktische Partner in der Regel übereinstimmen. Andererseits bedeutet die Beobachtung, daß die portugiesischen Objektsklitika stets enklitisch sind, aber auch, daß sie sich stets nur in einer Richtung binden und damit eine der typischen Eigenschaften von Affixen aufweisen. Darüber hinaus besitzen sie - wie bereits in Kapitel 2 gezeigt wurde - noch weitere Eigenschaften, die für Affixe typisch sind. So bilden sie zusammen mit dem Verb, an das sie syntaktisch gebunden sind, eine Einheit für syntaktische Operationen. Postverbale Klitika sind außerdem stets mit Bindestrichen an das Verb gebunden, d.h. es sind keine Spatien vorhanden. Aufgrund dieser hier dargestellten Eigenschaften der klitischen Objektspronomina des Portugiesischen ist meiner Ansicht nach die adäquateste Analyse die, daß sie als Flexionsaffixe des Verbs angesehen werden. Ich nehme an, daß sie - ebenso wie die klitischen Objektspronomina des Französischen - unter V° generiert werden. Im Unterschied zu den französischen Objektsklitika werden die Objektsklitika des Portugiesischen meiner Ansicht nach allerdings rechts vom Verb basisgeneriert, da sie nur enklitisch an das Verb gebunden werden. Somit kann der folgende Strukturbaum für die D-Struktur eines portugiesischen Matrixsatzes, der ein Objektsklitikon enthält, angenommen werden:

Das Objektsklitikon ist im Portugiesischen dieser Analyse zufolge ein Kongruenzmarkierer, der die Merkmale für Person, Numerus, Genus und Kasus trägt. Es ist außerdem durch das Merkmal [+pronominal] gekennzeichnet, da es ausschließlich mit pronominalen Objekten kongruiert. Ist das pronominale Objekt lexikalisch leer - d.h. daß es sich um pro handelt -, müssen die Lizenzierungs- und Identifizierungsbedingung erfüllt sein. Ebenso wie für das Französische kann auch für das Portugiesische angenommen werden, daß V ein Lizenzierer von pro sein kann, der die Objektsposition streng regiert. Durch die Rektion von V° ist auch die Kongruenzbeziehung hergestellt, die zwischen dem unter V° generierten Klitikon und dem Element in der Komplementsposition besteht. Geht man von der Annahme aus, daß die Lizenzierung von pro aufgrund morphologischer

137 Uniformität erfolgt (cf. Jaeggli & Safir 1989), erweist sich das Portugiesische ebenfalls als Sprache, in der die Lizenzierungsbedingung für pro erfüllt wird. Das Flexionsparadigma für die portugiesische Objektskongruenz ist morphologisch uniform; es besitzt ausschließlich abgeleitete flektierte Formen, wenn man die Objektsklitika als Kongruenzmoipheme ansieht: (60)

(eu) (eu) (eu) (eu) (eu)

vejo-me vejo-fe vejo-ö/-a vejo-noi vejo-os/-as

Der Inhalt von pro kann aufgrund der "reichhaltigen" Kongruenzmerkmale identifiziert werden, die dadurch gegeben sind, daß das Klitikon lexikalisch realisiert ist. Das leere Objekt bleibt über die zurückgelassene Spur auch dann weiterhin mit diesen Merkmalen koindiziert, wenn das Klitikon zusammen mit dem Verb nach INFL angehoben wird. Allerdings sind im Portugiesischen leere Objekte nicht notwendigerweise durch ein Klitikon identifiziert. Ähnlich wie im Französischen und vielen anderen Sprachen gibt es im Portugiesischen Objektsauslassungen in Äußerungen, die kein Klitikon enthalten. So sind auch im Portugiesischen 'arbiträre' Nullobjekte möglich: (61)

Isso leva prowb a concluir o que segue.

Außerdem erlaubt das Portugiesische die Auslassung von Objekten in Äußerungen, die den französischen Sätzen in (41) entsprechen. Dabei ist zu beobachten, daß - im Unterschied zum Französischen - im Portugiesischen auch der Satz ohne das Klitikon möglich ist (cf. Raposo 1986:373): (62) (a) (b)

A Joana viu-o na TV ontem. A Joana viu na TV ontem.

Voraussetzung für das Verständnis eines Satzes wie (62b) ist, daß das leere Objekt aufgrund des sprachlichen oder pragmatischen Kontextes "wiederauffindbar" ist. In Anlehnung Huang (1984) nimmt Raposo (1986:379f) an, daß das leere Objekt in (62b) an einen leeren Operator in der CP- bzw. S'-Position gebunden ist. Durch eine Prädikationsregel wird dieser Operator auf der Ebene der Logischen Form mit dem leeren Topik verbunden, der die Interpretation des leeren Objekts ermöglicht: (63)

[ TOP Cj][s. OPj [ s a Joana viu ij na TV ontem]]

Nach Ansicht von Raposo (1986) handelt es sich bei dem leeren Objekt in (62b) nicht um pro, sondern um eine Variable. Diese Annahme sieht Raposo (1986:379) unter anderem dadurch bestätigt, daß Nullobjekte ebenso wie Variablen dem sogenannten 'Starken cross over-Effekt' unterliegen. Demnach dürfen w/i-Phrasen nicht über einen

138 koreferenten Ausdruck bewegt werden (cf. Chomsky 1976).49 Die Ungrammatikalität von Satz (64) kann somit dadurch erklärt werden, daß die w/z-Phrase nicht über ein koindiziertes Element hinweg nach CP angehoben werden kann: (64)

*Quemi e que ele, pensa que eu recomendei r, ao professor?

Die gleiche Beschränkung scheint in Sätzen mit leeren Objekten vorzuliegen: (65) (a) (b)

*Elej pensa que eu recomendei 0i ao professor. *Elei perguntou-me se eu tinha visto 0; na TV.

Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten zwischen (65) und (65) folgert Raposo (1986:379), daß die leeren Objekte in (65) Variablen sind. Die Äußerungen in (65) sind seiner Ansicht nach deshalb ausgeschlossen, weil ein leeren Operator aus der Objektsposition des eingebetteten Satzes nicht über das koreferente Subjekt des Matrixsatzes bewegt werden kann. Folglich kann das leere Objekt nicht an einen leeren Operator in CP bzw. an ein leeres Topikelement gebunden sein. Bemerkenswert ist, daß diese Äußerungen allerdings dann grammatisch sind, wenn sie ein Klitikon enthalten (cf. auch Huang 1984:541): (66) (a) (b)

Elej pensa que eu oi recomendei prot ao professor. Ele; perguntou-me se eu o ; tinha visto pro{ na TV.

Unter der Annahme, daß die klitischen Objektspronomina Flexionsaffixe sind, enthalten diese Sätze ein leeres Objekt (cf. auch I. Duarte 1983). Der Vergleich zwischen den Sätzen in (65) und (66) zeigt, daß ein leeres Objekt, das nicht an ein Topikelement gebunden sein kann, dann möglich ist, wenn ein Klitikon vorhanden ist. Mit anderen Worten, es handelt sich in diesem Fall nicht um eine Variable, sondern um pro, das durch das Klitikon identifiziert werden kann. Im iberischen Portugiesisch gibt es demnach zwei Arten von Nullobjekten, die auf unterschiedliche Weise identifiziert werden. Entweder handelt es sich um eine Variable, die durch einen Nulloperator an ein leeres Topik gebunden sein muß oder um pro, das mit "reichhaltigen" Kongruenzmerkmalen in INFL durch Koindizierung verbunden sein muß. Sind beide Möglichkeiten der Identifizierung ausgeschlossen, ist die Interpretation eines leeren Objektes nicht möglich und der Satz ist ungrammatisch. Dadurch erklärt sich die Ungrammatikalität der Sätze in (65). Für das brasilianische Portugiesische trifft diese Unterscheidung allerdings nicht zu. Es zeigt sich nämlich, daß die Beschränkungen, denen die Nullobjekt-Sätze im iberischen Portugiesisch unterliegen, für das brasilianische Portugiesisch keine Gültigkeit haben (cf. z.B. Galves 1989, Farrell 1990). Das Auftreten leerer Objekte im brasilianischen Portugiesisch unterliegt nicht dem starken cross over-Effekt. So weist Farrell (1990:333) darauf hin, daß etwa in eingebetteten Sätzen des brasilianischen 49

Im Rahmen der Bindungstheorie ist dieses Prinzip durch das Prinzip C erklärt, wonach ein R-Ausdruck (und damit auch eine Variable) innerhalb der Domäne seines - möglichen - Operators A-frei sein muß (cf. Chomsky 1986b:98).

139 Portugiesisch ein Subjekt des Matrixsatzes Antezedent eines leeren Objekts des eingebetteten Satzes sein kann. Anders als im iberischen Portugiesisch muß das leere Objekt dabei nicht durch ein koreferentes Klitikon identifiziert sein: (67) (a) (b)

Aquela casa, nunca foi pintada pelo cara. que: 0comprou 0; de mim. A Jüliaj sempre chora quando ponho 0j no berfo.

Aufgrund dieser Unterschiede zum iberischen Portugiesisch wird in allen Untersuchungen über die Nullobjekte im brasilianischen Portugiesischen die Analyse von Raposo zurückgewiesen (cf. z.B. Galves 1989, Farrell 1990, Cyrino 1991, Kato 1991). Die Grammatikalität der Sätze in (67) zeigt, daß die Nullobjekte nicht als Variablen angesehen werden können. Stattdessen nimmt Farrell (1990:333) an, daß die leeren Objekte im brasilianischen Portugiesisch als pro's analysiert werden müssen. Seiner Analyse zufolge ist in den Sätzen in (67) die Identifizierung von pro dadurch gewährleistet, daß pro im brasilianischen Portugiesisch für die 3. Person spezifiziert ist (cf. Farrell 1990:344). Aus diesem Grund muß pro in diesen Sätzen nicht mit "reichen" Verbflexionsmerkmalen koindiziert sein, um identifiziert werden zu können. Das iberische Portugiesisch hingegen kennt diese Spezifizierung von pro nicht. Das heißt, pro benötigt stets eine Identifizierung aufgrund "ausreichender" Kongruenzmerkmale. Dadurch erklärt sich die Distribution der klitischen Objektspronomina im iberischen Portugiesisch. Sie müssen stets dann lexikalisch realisiert sein, wenn ein definites, nicht-arbiträres Nullobjekt nicht an einen Topikknoten gebunden sein kann.

4.4 Das Stellungsverhalten der klitischen Personalpronomina im Französischen und Portugiesischen Auf die besondere Stellung, die die klitischen Personalpronomina, insbesondere die klitischen Objektspronomina, im Vergleich zu nicht-klitischen Subjekten bzw. Objekten innerhalb eines Satzes einnehmen, ist in dieser Arbeit bereits mehrfach hingewiesen worden. Die spezielle Syntax bildet eine der markantesten Besonderheiten der klitischen Pronomina der romanischen Sprachen und liefert ein wichtiges Argument für ihre Analyse als Affixe (siehe Kapitel 4). Bemerkenswert ist, daß die Stellung der klitischen Pronomina in bezug auf das Verb - zumindest, was Sätze mit einfachen Verbalphrasen angeht - in den meisten romanischen Sprachen fast immer gleich ist. Sie stehen fast immer präverbal und binden sich proklitisch bzw. als Präfixe an das finite Verb des Satzes. Die postverbale Stellung ist in den meisten romanischen Sprachen nur in Sätzen des affirmativen Imperativs sowie in Sätzen mit infiniten Verben möglich. Das Portugiesische unterscheidet sich in dieser Hinsicht allerdings deutlich von den meisten anderen romani-

140 sehen Sprachen (einschließlich dem Portugiesischen Brasiliens), da die postverbale Stellung seiner klitischen Pronomina keineswegs nur auf einige wenige Ausnahmefälle beschränkt ist.50 Insofern bedarf das Portugiesische einer gesonderten Betrachtung. Wie vermutlich für alle romanischen Sprachen kann für das Französische und Portugiesische angenommen werden, daß das Verb nach INFL bewegt werden muß, um dort die notwendigen Tempus- und Finitheitsmerkmale zu erhalten (cf. z.B. Emonds 1978, Pollock 1989, Belletti 1990). Die klitischen Objektspronomina werden dabei ebenfalls angehoben. Im Französischen werden sie zusammen mit den klitischen Subjektspronomina in der Regel an das Verb präfigiert. Nur in zwei Fällen, auf die bereits hingewiesen worden ist, kommt es zu einer Suffigierung der Klitika. Dies ist zum einen bei Inversionen des Subjektsklitikons der Fall (siehe Kapitel 3).51 Zum anderen erscheinen in Sätzen des affirmativen Imperativs die Objektsklitika stets hinter dem Verb. In beiden Konstruktionstypen handelt es sich um offensichtliche Relikte aus dem Altfranzösischen. Sie können daher als Ausnahmefälle angesehen werden, in denen die Klitika ursprüngliche Verhaltensweisen aus dem Altfranzösischen noch nicht aufgegeben haben, auf die in Kapitel 5 noch näher eingegangen wird. Die postverbale Stellung des Subjektsklitikons kann darauf zurückgeführt werden, daß das Französische ursprünglich eine Verb-Zweit-Sprache gewesen ist (cf. Adams 1988, Rizzi 1991). Die Stellung der Klitika in Imperativsätzen resultiert aus einer in den frühromanischen Sprachen gültigen Regel, wonach klitische Pronomina nicht in der Erstposition erscheinen konnten (siehe Kapitel 5). Obwohl diese Beschränkung im modernen Französischen nicht mehr existiert, ist in affirmativen Imperativsätzen die postverbale Stellung der Klitika - wie in den meisten anderen romanischen Sprachen erhalten geblieben.52 Die postverbale Stellung der Objektsklitika im iberischen Portugiesisch hingegen läßt sich nicht als Ausnahme mit dem Verweis auf einige "residual cases" (Saltarelli 1989:359) erklären.53 Anders als im Französischen erscheinen die portugiesischen Objektsklitika nicht nur im affirmativen Imperativ in postverbaler Stellung. Sie ste50

Eine ähnliche Stellung der Objektsklitika wie im iberischen Portugiesisch ist - außer im Galizischen - noch im Asturianischen möglich (cf. Ferreira 1991, Salvi 1990).

51

In der französischen Umgangssprache ist die postverbale Stellung des Subjektsklitikons allerdings kaum anzutreffen. Dies zeigt sich auch in der Tatsache, daß in den von mir untersuchten Daten keine Äußerung mit postveibalem Klitikon vorkommt.

52

Im brasilianischen Portugiesisch ist dies nicht der Fall. Dort werden auch im affirmativen Imperativ die Klitika stets präverbal realisiert: (i) (a) Me de o livro! (b) *Db-me o livro!

53

Die Problematik der Stellung der klitischen Objektspronomina im Portugiesischen ist bereits in vielen, traditionellen Arbeiten beschrieben und analysiert worden (cf. z.B. Ali 1908, Figueiredo 1909, Döria 1959). Außerdem existieren mittlerweilse einige generative Untersuchungen (cf. I. Duarte 1983, Rouveret 1989, Galves 1990, Salvi 1990,1991, Uriagereka 1992).

141 hen - wie bereits gezeigt - kategorisch postverbal, wenn das Verb in satzinitialer Position oder nach einer koordinierenden Konjunktion steht. Sie treten außerdem dann stets in postverbaler Stellung auf, wenn dem Verb eine Subjekt-NP vorausgeht (cf. z.B. I. Duarte 1983:159, Rouveret 1989:339, Silva 1990:180): (68) (a) (m (c)

Deu-//ie esse livro ontem. Ela deu-Ihe esse livro ontem. A Maria deu-lhe esse livro ontem.

Ausgehend von der Analyse, daß die Klitika Flexionsaffixe sind, kann angenommen werden, daß sie in den Sätzen in (68) als Suffixe - zusammen mit den anderen Flexionsmerkmalen - an das Verb gebunden werden, nachdem sie nach INFL angehoben worden sind. Die postverbale Stellung des Klitikons ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn der Satz durch eine subordinierende Konjunktion oder ein Interrogativ- oder Relativpronomen eingeleitet wird (cf. I. Duarte 1983:159, Rouveret 1989:338, Salvi 1990:181) - dies ist unabhängig davon, ob ein Subjekt lexikalisch ist und vor dem Verb erscheint: (69) (a) (b) (70) (a) (b)

A Maria disse que (o Paulo) te viu no cinema. *A Maria disse que (o Paulo) viu-re no cinema. O que Ihes contaste? * 0 que contaste-/Aes?

Die Beispiele belegen, daß das Klitikon im Portugiesischen stets dann präverbal steht, wenn der CP-Knoten mit einem lexikalischen Element besetzt ist (cf. I. Duarte 1983:160, Rouveret 1989:338, Salvi 1990:186f).54 Diese Beobachtung wird auch durch die Auswertung des von mir analysierten Datenkorpus bestätigt. Es gibt nur sehr wenige Belege für eine postverbale Stellung eines Klitikons in diesen Kontexten. Sie sind bemerkenswerterweise nur nach der nebensatzeinleitenden Konjunktion porque zu beobachten: (71) (a) (b)

ele acha muita laracha porque fä-lo rir um bocado (pf356:44) näo consigo vencer porque custa-me imenso ver os outros (pf832:40)

Die Konjunktion porque spielt offensichtlich eine besondere Rolle in der Syntax, was möglicherweise auf ihre Semantik zurückzuführen ist. Sie dient als einleitende Konjunktion von Begründungssätzen und ist aus diesem Grund häufig gedehnt oder mit einer Pause verbunden, wie es z.B. in der Äußerung (72) der Fall ist. Dies hat möglicherweise zur Folge, daß der folgende Nebensatz vom Sprecher wie ein neu

54

Nach Ansicht von Uriagereka (1992) hängt die präverbale Stellung der portugiesischen Objektsklitika davon ab, ob die - von ihm postulierte - Fokus-Phrase lexikalisch besetzt ist.

142 begonnener Matrixsatz behandelt wird, wodurch die postverbale Stellung des Klitikons hervorgerufen wird:55 (72)

porque ... deve-se (pf990:68)

Abgesehen von den Äußerungen, in denen die CP lexikalisch besetzt ist, steht das klitische Pronomen im Portugiesischen auch dann kategorisch präverbal, wenn der Satz negiert ist (cf. (73)) oder wenn das Subjekt des Satzes ein Quantor ist (cf. (74)) (cf. I. Duarte 1983:160, Rouveret 1989:339, Salvi 1990:180): (73) (a) (b) (74) (a) (b)

O Paulo näo me viu. * 0 Paulo näo viu-me. Alguem o avisou. * Alguem avisou-o.

In diesen Fällen ist die CP-Ebene zwar nicht durch ein lexikalisches Element besetzt, in den Sätzen (73) und (74) sind aber logische Operatoren vorhanden, die auf der Ebene der Logischen Form nach CP bewegt werden müssen (cf. I. Duarte 1983:161). Ahnlich verhält es sich in Sätzen mit bestimmten Adverbien (z.B. ja, ainda, so, sempre, tambem), die ebenfalls die präverbale Stellung der Objektsklitika bedingen (cf. I. Duarte 1983:163, auch Salvi 1990:181): (75) (a) (b)

So o Paulo Ihe falou. *Sö o Paulo falou-//ie.

I. Duarte (1983) nimmt an, daß diese Adverbien auf der Logischen Form nach CP angehoben werden. Evidenz für diese Annahme sieht sie darin, daß sich diese Adverbien ebenso wie die Operatoren in (74) verhalten. Sie lösen die präverbale Stellung der klitischen Pronomina nur dann aus, wenn sie sich vor dem Klitikon im Satz befinden (cf. I. Duarte 1983:163): (76) (a) (b) (77) (a) (b)

Os amigos telefonaram-Z/ze todos. *Os amigos Ihe telefonaram todos. O Paulo falou-Ihe so. * 0 Paulo Ihe falou so.

In Anlehnung an Riemsdijk & Williams (1981:192ff) geht I. Duarte (1983:164) davon aus, daß aufgrund einer Interpretationsregel der logische Operator bereits auf der S-Struktur durch Indizes mit der CP verbunden ist. Dadurch wird die spätere Anhebung dieser Elemente nach CP ermöglicht. Die Stellung der Klitika steht demnach damit im Zusammenhang, ob der CP-Knoten bereits auf der S-Struktur "aktiviert" ist oder nicht (cf. I. Duarte 1983, Salvi 1990).56 Ist dies der Fall, wird das Klitikon nicht an das Verb suffigiert. In einem Satz

55

Im Deutschen kann die gleiche Beobachtung gemacht werden. Bei der Verwendung der Konjunktion weil wird im gesprochenen Deutschen sehr häufig nicht die für den Nebensatz obligatorische Verbendstellung gemacht, sondern das Verb steht - wie in einem Matrixsatz - in der zweiten Position (cf. auch Müller 1992).

56

Cf. auch die Analyse von Rizzi & Roberts (1989) für die Stellung der Subjektsklitika im Französischen.

143 wie (70) wird das Klitikon stattdessen in die C°-Position angehoben und anschließend phonologisch an das Element in der SpezCP-Position gebunden: (78)

[ C P 0 que [ c //teij][IP[I contastej fj][ VP t, f,]]]

Für den Fall, daß die C°-Position lexikalisch besetzt ist (cf. (69)), kann angenommen werden, daß das Klitikon in das lexikalische Element inkorporiert wird (cf. Bresnan & Mchombo 1987, Baker 1988, Rizzi & Robert 1989, Baker & Haie 1990):5? (79)

[ CP [ C que te^[wpro

Q viuj ^[yp h ij]]]

Tritt ein lexikalisches Element zwischen dem Element im CP-Knoten und dem Verb auf, so ist die Anhebung des Klitikons nach C° nicht obligatorisch. Es kann in diesem Fall entweder nach C° angehoben werden (im Falle der Interpolation) oder sich enklitisch an das links adjazent stehende Element binden. Aus der hier vertretenen Annahme, daß nur ein aktivierter CP-Knoten die Voranstellung des Klitikons bewirkt, folgt, daß es sich bei Äußerungen, in denen eine koreferente Objekt-NP in präverbaler Position steht, um Dislokationen und nicht um Klitikverdoppelungen handeln muß. In diesen Fällen steht in affirmativen Matrixsätzen das Klitikon stets postverbal (cf. z.B. Salvi 1990:181): (80) (a) (b)

A mim causa-me dö (pf836:64) *A mim me causa dö.

Die postverbale Stellung des Klitikons in diesen Sätzen ist darauf zurückzuführen, daß sich das präverbale Objektspronomen nicht in CP, sondern in einer Dislokationsposition außerhalb der CP befindet (cf. auch Salvi 1990).58 Der CPKnoten ist nicht aktiviert, folglich wird keine Anhebung des Klitikons ausgelöst. In diesem Fall bleibt das Klitikon in seiner zugrundeliegenden postverbalen Stellung und bindet sich enklitisch bzw. suffigiert an das Verb: (

8

1

)

[ D I S L

A

M

I

M

M c t a c a u s a ^ e , ] ^ t{ t, dö]]]]

Es zeigt sich, daß das besondere Stellungsverhalten der klitischen Pronomina des Portugiesischen durch die hier vorgeschlagene Analyse erklärt werden kann. Die unter V° generierten portugiesischen Klitika werden je nach Kontext nach V° bzw. C° 57 Nach Ansicht von Rizzi & Roberts (1989:5) ist Inkoiporierung eine besondere Art der Klitisiening, wobei ein nominaler Kopf in einen anderen Kopf hineinbewegt wird. 58 Nach der Analyse von Salvi (1990) ist dies auch die Position, in der das Subjekt in einem portugiesischen Sau erscheint. Diese Annahme muß er machen, da er davon ausgeht, daß das moderne Portugiesisch eine Verb-ZweitSprache ist. Dies begründet er damit, daß im Portugiesischen typische Verb-Zweit-Stellungen zu beobachten sind (cf. Salvi 1990:205): (i) (a) Que tem a Maria visto? (b) Ao outro dia acordou a menina num lindo paläcio. Gegen diese Annahme spricht allerdings, daß im Portugiesischen solche Verb-Zweit-Effekte eher Einzelfälle sind und häufig - anders als in "echten" Verb-Zweit-Sprachen - ausgeschlossen bzw. allenfalls fakultativ sind (cf. z.B. Galves 1990:259f): (ii) (a) Ontem a Maria deu um peda;o de bolo ao Joäo. (b) ?Ontem deu a Maria um pedago de bolo ao Joäo.

144 bewegt, wobei sie sich jeweils enklitisch binden. Die zurückbleibende Spur gewährleistet, daß die Kongruenzbeziehung zu dem Objekt in der Komplementsposition aufrechterhalten bleibt. Offen bleibt nur die Frage, warum ein aktivierter CP-Knoten die Anhebung des Klitikons auslöst. Ein Blick auf die diachronische Entwicklung der klitischen Pronomina liefert eine Antwort auf diese Frage.

145

5. Zur Grammatik der klitischen Personalpronomina im Altfranzösischen und Altportugiesischen In diesem Kapitel soll ein Blick auf die Entstehung und Entwicklung der klitischen Personalpronomina des Französischen und Portugiesischen geworfen werden. Dabei steht die Frage nach der Herausbildung der speziellen Syntax sowie der Grammatisierung der klitischen Pronomina im Mittelpunkt. Es geht vor allem darum festzustellen, inwiefern die in dieser Arbeit beobachteten Besonderheiten der klitischen Pronomina bereits im Altfranzösischen und Altportugiesischen anzutreffen sind. Da im Rahmen dieser Arbeit keine umfassende diachronische Analyse der klitischen Pronomina des Französischen und Portugiesischen geleistet werden kann, beschränke ich mich hier auf die Betrachtung des Zeitraums um das XIII. Jahrhundert. Ich stütze mich hierbei auf die zahlreichen, teilweise sehr umfangreichen Untersuchungen zu diesem Themenbereich und versuche die für meine Arbeit und Thesen relevanten Fakten herauszuarbeiten. Dabei bin ich mir der schwierigen Datenlage bewußt, die für das Altfranzösische und Altportugiesische besteht. Zum einen ist die Anzahl der vorhandenen Texte sehr begrenzt und zum anderen geben sie nur ein sehr ungenaues Bild der gesprochenen Sprache der damaligen Zeit wieder.1 Der Vergleich des Altfranzösischen bzw. des Altportugiesischen mit den modernen Sprachen wird zeigen, daß es nur wenige Veränderungen hinsichtlich der morphosyntaktischen Eigenschaften der klitischen Pronomina gibt. Allem Anschein nach sind die entscheidenden Veränderungen, die dazu geführt haben, daß die klitischen Pronomina zu Flexionsmerkmalen geworden sind, bereits in sehr früher romanischer Zeit, vermutlich noch in lateinischer Zeit eingetreten. Lediglich bei den klitischen Subjektspronomina des Französischen ist eine deutliche Entwicklung gegenüber dem Altfranzösischen festzustellen.

1

Eine beschränkte Möglichkeit, Rückschlüsse auf die gesprochene Sprache der damaligen Zeit zu ziehen, ist die, die vorhandenen Texte nach ihrer Nähe zur gesprochenen Sprache einzuteilen (cf. insbesondere Wanner 1985, 1987 oder Foulet 1919).

146

5.1 Die klitischen Personalpronomina im Frühromanischen Im Mittelpunkt aller diachronischen Untersuchungen der Pronomina in den romanischen Sprachen stand und steht die Beschreibung der Entwicklung ihres besonderen Stellungs- und Klitisierungsverhaltens sowie der Versuch, sie zu erklären. Ausgelöst wurde eine intensive Diskussion darüber gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts durch den von A. Tobler in mehreren Aufsätzen gemachten Hinweis, daß die schwachtonigen Pronomina im Altfranzösischen niemals in Erstposition stehen konnten (cf. Tobler 1878,1886,1889). 2 Diese Beobachtung wurde von einigen Romanisten aufgegriffen und anhand anderer altromanischer Sprachen überprüft und bestätigt. Beispielsweise Mussafia (1896,1898) findet in seiner Untersuchung der gebundenen Objektspronomina des Altitalienischen hierfür Evidenz:3 "Esaminando le scritture dei primi secoli, non tardiamo ad accorgerci di questa particolarità: che QUANDO IL VERBO STA IN PRINCIPIO DELLA PROPOSIZIONE PRINCIPALE, LA PROCLISI E ESCLUSA. Noi diciamo: Lo vidi; gli antichi dicevano: Vidilo. Noi: Mi pare o, volendo, Pormi; gli antichi non adoperavano che la seconda collocazione." (Mussafia 1896:255) Mussafia (1896) geht demnach davon aus, daß die gebundenen Pronomina im Altitalienischen normalerweise proklitisch an das Verb gebunden waren. Diese Bindung ist nur dann ausgeschlossen, wenn das Verb satzinitial oder unmittelbar hinter einer koordinierenden Konjunktion (im Italienischen e und ma) stand.4 Zu einer anderen Schlußfolgerung gelangen demgegenüber Thurneysen (1892) und Meyer-Lübke (1897) bei ihren Untersuchungen der Stellung der Klitika in altromanischen Texten. Anders als Tobler oder Mussafia sehen beide die enklitische Bindung des Klitikons an das Verb nicht als Ausnahme an. Meyer-Lübke (1897) stellt die These auf, daß die klitischen Pronomina in allen romanischen Sprachen ursprünglich stets enklitisch gebunden waren und zwar unabhängig davon, ob es sich bei dem unmittelbar vorangehenden Partner um ein Verb handelte oder nicht. Meyer-Lübke konstatiert, daß die klitischen Objektspronomina in den frühen romanischen Sprachen i.d.R. in der zweiten Position des Satzes standen, d.h. unmittelbar hinter dem ersten betonten Element des Satzes, an das sie enklitisch gebunden waren.5 Am deutlichsten 2

Sehr gute und ausführliche Zusammenfassungen dieser Diskussion finden sich in Ramsden (1963:1-24) sowie in Kok (1985:Kap.6).

3

Cf. u.a. auch Gessner (1893:34ff) für das Spanische. Für weitere Literaturhinweise auf Arbeiten über andere romanische Sprachen sowie für eine Darstellung dieser Arbeiten cf. Ramsden (1963:4ff) und auch Meyer-Lübke (1897:313ff).

4

Für eine eingehendere Darstellung und Diskussion dieser Gesetzmäßigkeit, die häufig als Tobler-Mussafiasches Gesetz' bezeichnet wird, cf. Ulleland (1960) und Wanner (1987:156-160).

5

Cf. auch die Untersuchung von Thurneysen (1892) zur Stellung von Verben und Pronomina in dem altfranzösischen Prosatext Aucassin et Nicolette. Sowohl Meyer-Lübke als auch Thurneysen stützen sich auf die von Wackernagel (1892) beobachtete Gesetzmäßigkeit, wonach in den meisten indoeuropäischen Sprachen schwachtonige Elemente regelmäßig in der zweiten Position eines Satzes erscheinen (siehe Kapitel l)(cf. auch Salvi 1991:5).

147 ist dieses Verhalten der frühromanischen Objektspronomina nach Ansicht von Meyer-Lübke (1897:318) in altportugiesischen Texten zu erkennen: "Das Grundprinzip, das für die Stellung der tonlosen Objektspronomina im [Alt]Portugiesischen maßgebend ist, ist offenbar das folgende: Die Pronomina sind enklitisch, sie werden an ein schon ausgesprochenes Wort angehängt und zwar womöglich an das erste des Satzes." Meyer-Lübke nimmt an, daß im Laufe des Xin.-XVI. Jhdts das enklitische Bindungsverhalten der romanischen Objektspronomina und damit auch deren regelmäßiges Auftreten in der zweiten Position des Satzes aufgegeben wird.6 Er führt dies auf vom Französischen ausgehende - allgemeine Veränderungen des Satzrhythmus in den einzelnen romanischen Sprachen und auf die zunehmende proklitische Bindung anderer unbetonter Elemente - wie z.B. von Präpositionen, Artikel, Konjunktionen und Subjektspronomina - zurück. Diese Veränderungen haben nach Ansicht von MeyerLübke (1897:334) eine fast ausschließlich proklitische Bindung der klitischen Objektspronomina an das Verb zur Folge. Diese - auch als 'Enklisentheorie' bezeichnete - Analyse der frühromanischen Objektspronomina sowie Meyer-Lübkes Erklärung für den Übergang von der Enklise zur Proklise war Anlaß für eine bis heute andauernde und bisweilen sehr polemisch geführte Diskussion. Unstrittig war - und ist -, daß die klitischen Pronomina der romanischen Sprachen ursprünglich enklitisch gebunden waren. Uneinigkeit herrscht aber bei der Frage nach dem Zeitpunkt des Übergangs von der enklitischen zur proklitischen Bindung der Objektsklitika in den romanischen Sprachen. Die meisten Romanisten setzen diese Entwicklung zeitlich wesentlich früher als Meyer-Lübke an. Nach Ansicht von Lerch (1934:285-347,1940) waren die französischen Objektspronomina, deren Entwicklung aus dem Lateinischen er eingehend untersucht, bereits "von Anfang an" proklitisch an das Verb gebunden. Er meint damit, daß bereits bei der Entstehung des Französischen die enklitische Bindung der lateinischen Klitika zugunsten einer proklitischen aufgegeben worden war. Für Lerch hängt diese Entwicklung mit dem Wechsel vom fallenden Rhythmus des Lateinischen zum steigenden des Französischen zusammen. Das "Proklitischwerden der Objektspronomina" kann damit nach Ansicht von Lerch (1934:305f) problemlos durch die allgemeine Änderung des Rhythmus beim Übergang vom Lateinischen zum Französischen und nicht durch Rhythmusänderungen innerhalb des Altfranzösischen erklärt werden: "[...] der Übergang von Pater-me amat zu Pater me-amat, oder, da sich diese Phase erst innerhalb des Französischen abgespielt haben soll, der Übergang von Li peres-m'aime zu Li peres m'-aime [...] ist nur für die Vertreter der 6

Auch Wanner (1987:83f) weist auf die enge Verbindung zwischen der enklitischen Bindung und der Stellung der Objektsklitika in der zweiten Position hin: "[...] second position under the operational guidance of Wackemagel's law is intimately connected with enclisis; or better stated, enclitics are in second position by nature."

148 Enklisentheorie ein zu lösendes Problem. Für uns besteht dieses Problem nicht, da wir für das Französische von vornherein keine Enklise des Objektspronomens (an ein anderes Wort als das Verbum) annehmen. Für uns sind die Objektspronomina im Französischen von Anfang an proklitisch. Daß sie es heute sind, können auch die Anhänger der Enklisentheorie nicht leugnen. Sie stehen jedoch vor der Frage, seit wann sie es sind und warum sie es geworden sind." Die Antwort auf diese Frage nach der zeitlichen Festlegung dieses Übergangs bleibt allerdings auch Lerch schuldig, da er keine Angaben darüber macht, wann er die Entstehung des Französischen ansetzt.7 Des weiteren kann Lerch mit Hilfe seiner Theorie die im Altfranzösischen weit verbreitete postverbale Stellung der Objektsklitika lediglich als Sonderfall erklären. Er führt sie auf die besondere "Natur" der Sätze, in denen die Klitika postverbal stehen, zurück (cf. Lerch 1940:478). Meyer-Lübkes Theorie hingegen erklärt solche Sätze durch das enklitische Bindungsverhalten der Klitika und deren Neigung, in der zweiten Position zu erscheinen (cf. Ramsden 1963:23). Neben Melander (1935-36), der ansonsten Meyer-Lübkes Enklisentheorie vehement verteidigt, kommen ebenso Ramsden (1963), Otero (1975) sowie Saltarelli (1989) zu dem Ergebnis, daß die proklitische Bindung der romanischen Objektspronomina sehr früh begonnen hat. Auch Wanner (1987) konstatiert in seiner Untersuchung, die wohl als die empirisch zuverlässigste Analyse der frühromanischen Klitika angesehen werden kann8, daß schon im Frühromanischen die Objektsklitika hauptsächlich proklitisch gebunden waren, während sie im Lateinischen hingegen überwiegend noch eine Tendenz zur enklitischen Bindung und zur Stellung in der zweiten Position aufwiesen: "Enclisis characterizes most Latin weak forms with 2P preference for appearance." (Wanner 1987:237) Wanner (1987) beobachtet bereits in Texten ab dem II. Jhdt. eine klare Tendenz zu einer verbbasierten Bindung ("verb based clitic placement") der klitischen Pronomina. Dies bedeutet, daß die präverbal stehenden Objektspronomina in zunehmenden Maße proklitisch an das Verb gebunden werden, von dem sie nur noch selten durch dazwischen tretende Elemente getrennt sind (cf. Wanner 1987:236). Die noch sehr häufig anzutreffenden postverbalen Klitika bleiben weiterhin enklitisch an das Verb gebunden (cf. Wanner 1987:Kap.5, auch 1985). 7

Obwohl Lerch dies implizit annimmt, es ist nicht möglich, einen festen Zeitpunkt für das Ende des Lateins und den Beginn der einzelnen romanischen Sprachen anzugeben, da es sich hierbei um eine kontinuierliche Entwicklung handelt (cf. Lüdtke 1989:10).

8

Die Arbeit von Wanner (1987) ist nicht nur die umfangreichste Untersuchung, was die Anzahl der analysierten Texte betrifft, sondern auch die qualitativ gründlichste. Er unterteilt die von ihm untersuchten Texte bezüglich ihrer Textsorte entsprechend der (vermutlichen) Nähe bzw. Feme zur gesprochenen Sprache und differenziert diesbezüglich die Auswertungen seiner Analyse (cf. Wanner 1987:139-145, auch Wanner 1985).

149 Als Ursache für das veränderte morphosyntaktische Verhalten sieht Wanner (1985,1987) allerdings nicht allgemeine prosodische Veränderungen als ausschlaggebend an, wie sie in den meisten vorangegangenen Untersuchungen angeführt werden.9 Er streitet nicht ab, daß prosodische Faktoren hierbei durchaus eine Rolle gespielt haben. Sie haben seiner Ansicht nach jedoch vor allem nur Auswirkungen auf die morphophonologische Form der Pronomina. Die Entwicklung ihres Stellungsund KlitisierungsVerhaltens erklärt Wanner (1987) mit den syntaktischen Veränderungen beim Übergang vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen. Anders als im Lateinischen steht das Verb in den friihromanischen Sprachen nicht mehr vorwiegend in der Endposition. Kennzeichnend für die frühen romanischen Sprachen ist vielmehr die häufige Stellung des finiten Verbs in der ersten oder in der zweiten Position. Dies hat nach Ansicht von Wanner (1987:423) eine "frequently accidental, i.e. non-teleological, juxtaposition between clitic and verb" zur Folge. Begünstigt wird diese Annäherung von Klitikon und Verb und schließliche proklitische Bindung des Klitikons an das Verb nach Meinung von Wanner (1987:424) durch die Kürzung der Satzlänge aufgrund pragmatischer Notwendigkeiten der gesprochenen Sprache: "The approximation of the verb and the proto-clitic pronoun through reduction in clause length is a pragmatic necessity of spontaneous speech situations. Grammaticalization of verb initial clauses is an expressive device extended to become partially automatized in spontaneous speech. These two forces, aided by functionally bound and rather frequent medialization of the verb through D [=definalized verb position, G.K.], produce the conditions necessary for the eventual reanalysis of pronoun pertinence and of verb position: The pronoun becomes a syntactic dependent of the verb because it is syntagmatically linear with it [...]." Wanner (1987) betont, daß diese Entwicklung der verbbasierten, proklitischen Bindung der romanischen Objektspronomina erst zu einem Zeitpunkt einsetzt, als der typologische Wechsel vom SOV- zum SVO-Stellungsmuster in den romanischen Sprachen bereits abgeschlossen ist. Er weist darauf hin, daß insbesondere die Übergangszeit vom Lateinischen zum Romanischen durch häufige enklitische Bindung der Klitika an das Verb gekennzeichnet ist. Die proklitische Bindung an das Verb ist somit erst eine spätere Entwicklung (cf. Wanner 1987:238, auch Wandruszka 1980:69). Mit anderen Worten, die häufig vertretene These, daß die präverbale Stellung der ro-

9

Ebenso wie Meyer-Lübke oder Lerch sieht auch Ramsden (1963) den Auslöser der proklitischen Bindung in allgemeinen rhythmischen Veränderungen. Seiner Ansicht nach hat der Übergang vom fallenden zum steigenden Rhythmus zur Folge, daß die in einigen wenigen Satztypen - insbesondere in eingeleiteten Nebensätzen - vorhandene präverbale Stellung des Klitikons schließlich per Analogie auf die anderen Satztypen übertragen wurde: "[...] I suggest that the change began in certain limited conditions where the pronoun anteposition was still frequent despite a general evolution towards postposition, and that for rhythmic reasons first, and afterwards for analogical reasons, this change thrived because it was in harmony with the changing rhythm of the language." (Ramsden 1963:118)

150 manischen Objektsklitika ein Relikt der ursprünglichen SOV-Stellung des Lateinischen sei (cf. z.B. Givön 1971:396, Otero 1975:155, Sasse 1977:124), erweist sich als empirisch nicht haltbar. Unstrittig ist in der Literatur, daß der Übergang von der enklitischen zur proklitischen Bindung - und damit zur Bindung an das Verb - in den verschiedenen romanischen Sprachen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingetreten ist. Im Spanischen ist er wesentlich später erfolgt als etwa im Französischen. Evidenzen dafür liefern "the two most notable characteristics of early Romance pronoun collocation" (Ramsden 1963:16), nämlich das Fehlen der klitischen Pronomina in der Anfangsposition und die Möglichkeit der Interpolation nicht-klitischer Elemente zwischen präverbalem Klitikon und finitem Verb. Diese beiden Charakteristika sind im Altspanischen besonders ausgeprägt (cf. Chenery 1905, Ramsden 1963 sowie Rivero 1986a, 1986b, 1986c und Barry 1987) und bleiben bis in das XVII. Jhdt. hinein im Spanischen erhalten (cf. Rini 1990). Mit anderen Worten, erst ab diesem Zeitpunkt scheint sich im Spanischen die proklitische Bindung an das Verb endgültig durchgesetzt zu haben. Aber selbst im modernen Spanischen ist die proklitische Bindung der klitischen Pronomina an das Verb keineswegs kategorisch. Wie in vielen anderen romanischen Sprachen gibt es zumindest noch Relikte der ursprünglichen enklitischen Bindung (beim affirmativen Imperativ sowie in Sätzen mit infiniten Verben). Einzig das in Brasilien gesprochene Portugiesisch hat die enklitische Bindung fast völlig aufgegeben. Im iberischen Portugiesisch hingegen ist die enklitische Bindung der klitischen Pronomina bis heute weiterhin kategorisch erhalten geblieben. Das Portugiesische besitzt immer noch beide charakteristischen Merkmale der frühromanischen Pronomenstellung (siehe Kapitel 4). Präverbale Klitika können vom Verb durch interpolierende Elemente getrennt stehen, und die postverbale Stellung der Klitika ist obligatorisch, wenn das Verb satzinitial auftritt. Die portugiesischen Klitika erscheinen darüber hinaus auch dann stets enklitisch zum Verb, wenn der Satz mit einem Subjekt eingeleitet wird. Der Vergleich mit dem Altportugiesischen wird zeigen, daß hierbei die enklitische Bindung am Verb im Neuportugiesischen sogar zugenommen und nicht abgenommen hat, wie im Falle einer Tendenz hinzu einer proklitischen Bindung zu erwarten gewesen wäre. Diese Tatsache wird in der Diskussion um die Entstehung der proklitischen Bindung in den romanischen Sprachen stets übersehen. Dies ist besonders erstaunlich bei der Arbeit von Meyer-Lübke (1897). Denn obwohl er sich bei seiner Enklisentheorie und seiner Theorie vom Übergang von der Enklise zur Proklise insbesondere auf das Altportugiesische beruft, fehlt jeglicher Hinweis darauf, daß das moderne Portugiesisch die enklitische Bindung weiterhin kennt. Im folgenden wird es mir nicht darum gehen, die hier knapp dargestellte Diskussion neu aufzugreifen und - zumindest für das Französische - die Frage nach dem

151 Zeitpunkt des Übergangs von der Enklise zur Proklise neu zu erörtern. Angestrebt ist vielmehr eine Bestandsaufnahme der Eigenschaften und Verhaltensweisen der klitischen Pronomina des Altfranzösischen bzw. Altportugiesischen (etwa des XIII. Jhdts.). Auf dieser Grundlage will ich in einem Vergleich mit dem modernen Französischen und Portugiesischen feststellen, welche Veränderungen bei den klitischen Pronomina eingetreten sind und wie diese möglichen Veränderungen im Rahmen der von mir vorgeschlagenen Analyse erklärt werden können. Ich werde zeigen, daß auch die Daten des Altfranzösischen und Altportugiesischen durch diese Analyse beschrieben werden und zudem zusätzliche Evidenz für diese Analyse liefern.

5.2 Die klitischen Personalpronomina im Altfranzösischen Die Morphologie und Syntax der Personalpronomina im Altfranzösischen sind Gegenstand vieler diachronischer Arbeiten. In allen historischen Grammatiken des Französischen nimmt die Darstellung der Personalpronomina einen breiten Raum ein (cf. z.B. Foulet 1919, Moignet 1973). Darüber hinaus gibt es eine große Anzahl von Einzeluntersuchungen, die speziell der Morphosyntax der altfranzösischen Personalpronomina gewidmet sind. Neben den bereits erwähnten Arbeiten von Meyer-Lübke, Melander oder Lerch sind hier vor allen die Arbeiten von Foulet (1924, 1935-36) sowie von Franzen (1939), Moignet (1965) oder Harris (1978) hervorzuheben. Eine der wenigen generativen diachronischen Analysen der französischen Personalpronomina ist die Arbeit von Kok (1985).10 Ebenso wie im modernen Französischen können die Personalpronomina des Altfranzösischen in gebundene und ungebundene Formen unterteilt werden. Traditionell werden diese Formen als 'schwache Formen' ('formes faibles') und 'starke Formen' ('formes fortes' oder 'pleines') bezeichnet. Diese Unterscheidung gilt im Altfranzösischen jedoch nur für die Objektspronomina, für die Subjektspronomina kennt das Altfranzösische zunächst nur eine Form. Somit ergibt sich folgende Tabelle für die Formen der altfranzösischen Personalpronomina des XIH. Jhdts. (cf. Foulet 1919:107, Moignet 1965:49, Kok 1985:18ff):

10 Von besonderem Interesse sind außerdem die Beiträge in dem von P. Hirschbühler u. A. Rochelte herausgegebenen Band 7 (1988) der Zeitschrift Revue québécoise de linguistique théorique et appliquée (cf. z.B. Hirschbühler & Junker 1988, Lemieux 1988).

152 (1)

Die Formen der Personalpronomina im A Ii französischen Subjektspronomina

gebundene Obj ektspronomina direkt

indirekt

reflexiv

mas./fem. mas./fem. l.Ps.Sg.

je (jo, jou.gie)

ungebundene Objektspronomina nicht-reflexiv

reflexiv

mas./fem.

me

me

me

moi (mi)

moi (mi)

te

te

te

toi (ti)

toi (ti)

le/la (le)

li

se

lui/li

soi (sei)

2.Ps.Sg.

tu

3.Ps.Sg.

il/ele

l.Ps.Pl.

nos

nos

nos

nos

nos

nos

2.PS.P1.

vos

vos

vos

vos

vos

vos

3.Ps.Pl

il/eles

les

lor

se

eusleles

soi (sei)

5.2.1 Die klitischen Subjektspronomina im Altfranzösischen Anders als im modernen Französisch sind die altfranzösischen Subjektspronomina, aus denen sich die klitischen Subjektspronomina des Neufranzösischen ableiten, nicht notwendigerweise klitisch gebunden. Obwohl sich bereits im Altfranzösischen Veränderungen andeuten, behalten sie ihren unabhängigen, nicht-klitischen Status "pendant toute la période de l'ancien français" bei (Moignet 1973:127). Mit anderen Worten, jedes Subjektsklitikon des Neufranzösischen ist "une forme du cas sujet qui, aux origines de la langue, a statut de mot plein, prédicatif, disjoint du verbe" (Moignet 1973:127). Die altfranzösischen Subjektspronomina verhalten sich wie unabhängige Wörter (cf. Moignet 1965:87ff, 1973:127ff, Foulet 1919:149f,329ff). Sie können alleine auftreten, d.h. sie benötigen keinen Partner, an den sie gebunden sein müssen (cf. Moignet 1973:128): (2)

Et ce voil je que vos me tenés. - Jol fait h peres. (Auc.:X,51)

Sie können vom Verb durch unabhängige, nicht-klitische Wörter getrennt sein (cf. (3)) oder in elliptischen Äußerungen ohne Verb auftreten (cf. (4))(cf. Foulet 1919:150, Moignet 1965:98): (3)

(a) (b)

Vait par les rues dunt il ja bien fut cointe (Alexius:212) Il me semble que ce serait domages trop granz, se il por ceste aventure moroit. (Queste:30,24)

153 (4)

(a) (b)

Nos en avromes le gaaing, e il la perte et le maaing. (Per.:4909) Mes je voi que nus ne vos savroit si governer et si maistrer con ge, qui votre sire sui. (Villeh.:65)

Sie können außerdem zum Ausdruck eines Gegensatzes kontrastiv betont werden (cf. (5)) oder mit einem anderen Pronomen oder Nomen durch eine Konjunktion verbunden sein (cf. (6))(cf. Moignet 1973:127): (5) (6)

(a) (b)

Os! fait cil, por le euer que cil Sires eut en sen ventre! que vos plorastes por un cien punat! ... Mais je doi plorer et dol faire. (Auc.:XXIV,42) Kar jô e la maignée mun pere n'avum deservid vers tei si la mort nun. (QLR:96,XIX,78) Or poons nos bien dire que je et vos l'avons perdu. (Artu:36,30)

Des weiteren können die altfranzösischen Subjektspronomina durch ein Adverbial oder eine Apposition (cf. (7)) oder durch einen Relativsatz (cf. (8)) näher bestimmt werden. Dabei müssen Subjektspronomen und der Relativsatz nicht unmittelbar adjazent zueinander stehen (cf. (8b))(cf. Foulet 1919:331, Moignet 1973:128): (7)

(a)

(8)

(b) (a) (b)

(...) et donerent lor chevals a mengier, et il meïsmes mengierent ce que il porent trover. (Villeh.:373) car il, ses cors, la comença et je après (Artu: 144,57) Je gui ensi paroil a toi. (Narc.:473) Dites moi se vous savez ore se je vous ai m'amor donee gui sui haute dame honoree. (Ch.:784)

Im Gegensatz zu den gebundenen Objektspronomina können die Subjektspronomina außerdem in der Erstposition eines Satzes stehen (cf. Moignet 1973:127): (9)

(a) (b)

Dist Oliver: « Jo nel sai cument quere.» (Rol.:1700) Il est si fieble qu'il ne poet en avant. (Rol.:2228)

Eine weitere Besonderheit der altfranzösischen Subjektspronomina im Unterschied zu denen des modernen Französisch ist die, daß sie normalerweise nur zum Zwecke der Hervorhebung oder zum Ausdruck eines Gegensatzes realisiert wurden (cf. Richter 1903:51). Anderfalls wurden sie ausgelassen (cf. Foulet 1919:319, Moignet 1973:128): (10)

Li long penser, Ii grief sospir, les grans dolours, Ii fort complaint, Ii durs tourmens el euer lor maint. Dementent soi et nuit et jour; toute lor vie est en dolour; plorent, giement chascuns en soi. (Pir.:128)

Das Altfranzösische war folglich eine Sprache, die Nullsubjekte erlaubte, und sie besaß auch weitere typische Eigenschaften von Nullsubjekt-Sprachen. Es kannte keine expletiven Subjekte und verfügte über die Möglichkeit, das lexikalische Subjekt frei zu invertieren.

154 Allerdings zeichnen sich bereits im XII. Jhdt. Veränderungen bzgl. dieser Nullsubjekt-Eigenschaften ab. In einer Auswertung von Texten des XII. und XIII. Jhdts. beobachtet Moignet (1965:88ff) ab der zweiten Hälfte des XII. Jhdts. und ab dem beginnenden Xin. Jhdt. "une évolution rapide par laquelle l'usage du pronom sujet tend à se développer, de façon variable, certes, selon le niveau social du langage, mais de façon irrésistible". Gemäß den Auszählungen Moignets, die mit den Ergebnissen zahlreicher anderer empirischer Untersuchungen zum Gebrauch der altfranzösischen Subjektspronomina übereinstimmen (cf. Foulet 1919:326f, Franzén 1939, Hermann 1964), nimmt im XIII. Jhdt. die Auslassung der Subjektspronomina immer mehr ab und ihre Verwendung wird - anders als in einer prototypischen Nullsubjekt-Sprache zum Regelfall: "Si, en très ancien français, l'emploi du pronom reste rare et généralement expressif, répondant à une intention d'insistance ou d'opposition, il devient par la suite plus fréquent, puis courant et normal, sans qu'aucune nuance d'insistance stylistique se laisse percevoir. Il devient la marque de la personne sujet. Dans la prose du début du XIIIe siècle, c'est l'absence du pronom sujet qui devient relativement rare." (Moignet 1973:128) Ab dem XIII. Jhdt. ist auch ein verstärkter Gebrauch expletiver Subjekte zu beobachten. Die ersten Belege finden sich bereits früher, wie z.B. im Rolandslied und im Alexiuslied (cf. Gamillscheg 1957:118, Moignet 1965:96): (11) (a) (b)

Dient Franceis: «Il nus i cuvent garde! » (Rol.:192) Quant Ii jurz passet ed il fut anuitiet (Alexius:51 )

Eine zunehmende Verwendung expletiver Subjektspronomina ist vor allem in der postverbalen Position zu beobachten. Regelmäßig erscheinen sie aber erst ab dem XV.-XVI. Jhdt. (cf. Gamillscheg 1957:118, Seefranz-Montag 1983:220f). In präverbaler Stellung bleibt ihre Auslassung allerdings bis in das moderne Französisch möglich (siehe Kapitel 4). Nicht immer übereinstimmende Ergebnisse gibt es in den Untersuchungen über die altfranzösischen Subjektspronomina bzgl. der Frage, in welchen Kontexten sie zunächst verstärkt verwendet werden. Moignet (1965:95) und Foulet (1919:315) kommen bei ihren Auszählungen in altfranzösischen Texten zu dem Ergebnis, daß sich die Verwendung von Subjektspronomina zunächst in den Nebensätzen durchsetzt und dort ab dem X m . Jhdt. die Regel darstellt. Foulet (1919:315) führt die Möglichkeit der Subjektsauslassung in Matrixsätzen darauf zurück, daß in diesen Sätzen die "Subjektsinversion" möglich ist. Diese Beobachtungen werden auch in neueren Untersuchungen bestätigt. Adams (1987) und Vanelli et al. (1985) stellen sogar fest, daß Subjektsauslassungen im Altfranzösischen ausschließlich in Matrixsätzen möglich sind und in Nebensätzen ausgeschlossen sind. Hirschbühler (1989) weist allerdings darauf hin, daß diese Annahme

155 empirisch nicht haltbar ist. Auch in altfranzösischen Nebensätzen sind Nullsubjekte möglich. Ihr Auftreten ist - ebenso wie in den Matrixsätzen - v.a. in Inversionsstrukturen zu beobachten, die auch in altfranzösischen Nebensätzen vorkommen können (cf. auch Franzén 1939, Price 1966, 1973, Hirschbühler & Junker 1988).11 Damit wird der von Foulet beobachtete Zusammenhang zwischen Subjektsinversion und der Möglichkeit der Subjektsauslassung bestätigt. In diesen Kontexten der "Inversion" stellt Foulet (1919:319ff) einen hohen Anteil an Subjektsauslassungen fest. In Kontexten hingegen, in denen das Subjekt präverbal steht, wird es in den von ihm untersuchten Texten in weitaus mehr als 90% der Äußerungen realisiert. Foulet (1919:326f) stellt außerdem in einem Vergleich verschiedener Textsorten fest, daß in Texten, die der gesprochenen Sprache am nächsten stehen (z.B. in dem Theaterstück Jeu de la Feuillée), die Auslassung des Subjekts am seltensten zu beobachten ist. Er folgert daraus, daß "en parlant on employait plus de pronoms personnels qu'en écrivant" (Foulet 1919:327). Obwohl sich demnach die regelmäßige Verwendung des Subjektpronomens schon ab dem Xffl. Jhdt. im gesprochenen Altfranzösisch durchgesetzt zu haben scheint, bleibt die Auslassung des Subjekts bis ins XVI. Jhdt. hinein möglich. In Texten des XV. und XVI. Jhdt. ist sogar eine Zunahme der Subjektsauslassung zu beobachten (cf. Ernst 1901, Vanee 1988). Dies ist vor allem wohl auf den latinisierenden Einfluß der Humanisten zurückzuführen und dürfte auf die gesprochene Sprache nur wenig Auswirkungen gehabt haben (cf. Gamillscheg 1957:117). Ab dem XVII. Jhdt. schließlich kann der Gebrauch der französischen Subjektspronomina als obligatorisch bezeichnet werden, er wird nun auch von den Grammatikern verlangt. Parallel zu dieser Entwicklung der Zunahme der Subjektsverwendung ist eine Annäherung des Subjektspronomens an das Verb und damit eine Klitisierung an das Verb festzustellen. Bereits im frühen Altfranzösischen konnte das Subjektspronomen an das Verb gebunden sein. Dies war stets dann der Fall, wenn es postverbal stand: "On notera pourtant que le pronom ne peut ainsi se séparer de son verbe qu'à condition d'être placé avant ce verbe. S'il est placé après, il doit au contraire suivre immédiatement le verbe; bien mieux, il fait corps avec lui et porte l'accent du groupe ainsi formé." (Foulet 1919:150) Es besteht demnach kein Zweifel, daß die postverbalen Subjektspronomina im Altfranzösischen klitisch an das Verb gebunden waren. Moignet (1965,1973) betont, daß auch präverbale Subjektspronomina bereits an das Verb gebunden sein können. Er weist darauf hin, daß sie ab dem XIII. Jhdt. nur noch selten durch das Dazwischentreten eines nicht-klitischen Elementes vom Verb getrennt sind. In aller Regel können nur "quelques mots grammaticaux atones", wie die Objektsklitika, die Adverbien i

11

Für einen Überblick über die verschiedenen Untersuchungen zum Subjektsgebrauch im Altfranzösischen cf. Hirschbühler (1989).

156 und en, die Negationspartikel ne und das "adverbe intensif par", zwischen präverbalem Subjektspronomen und dem finiten Verb stehen (cf. Moignet 1973:120). Unterstützt wird die Annahme, daß die Subjektspronomina bereits im Altfranzösischen klitisch gebunden sein konnten, durch die Beobachtung, daß sie auch mehrfach in einem Satz auftreten konnten (cf. Foulet 1935-36,1:302ff): (12) (a) (b)

Et jou je cuit si bien fériés que vos au long n'i pedriés ja. (Cour.:596) Et tu, as tu riens, Marion? (Rob.:559)

Solche Verdoppelungen belegen, daß die Subjektspronomina unterschiedliche Funktionen im Satz besitzen. Mit anderen Worten, bereits im Altfranzösischen existierte eine Unterscheidung zwischen gebundenen und ungebundenen Subjektspronomina. Dabei gab es zunächst i.d.R. allerdings keine morphologische Unterscheidung, d.h. die in Tabelle (1) aufgelisteten Subjektspronomina konnten als 'schwache' und 'starke' Pronomina gebraucht werden:12 "[...] nous voyons les mêmes mots fonctionner tantôt comme noms prédicatifs de la personne - c'est l'emploi dit 'tonique' du mot personnel -, tantôt comme signes purement formels de la personne de référence du verbe emploi dit 'atone'. (Moignet 1965:106) Bereits ab dem XIII. Jhdt. treten außerdem in zunehmendem Maße die ungebundenen Objektspronomina in der Funktion als Subjekt auf (cf. Brunot 1905:475, Foulet 193536): (13)

Et lors en irons moi et vos après le chevalier (Queste: 57,12)

Dieses Ersetzen der Subjektspronomina durch Formen der Objektspronomina, ist ein klarer Hinweis darauf, daß die eigentlichen Subjektspronomina nicht mehr eindeutig als Subjekte angesehen werden können und in zunehmendem Maße diese Funktion verlieren:13 "Quand on se demande pourquoi je est remplacé à l'occasion par moi, on est amené à supposer que je était devenu incapable, ou plutôt devenait moins capable, de jouer le rôle d'un pronom accentué. Le fait est si évident qu'il ne serait sans doute contesté par personne." (Foulet 1935-36,1:266) Für die von mir vorgeschlagene Analyse der klitischen Subjektspronomina im modernen Französischen im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie stellt sich angesichts dieser Beobachtungen die Frage, ob die unbetonbar und klitisch gewordenen Subjektspronomina möglicherweise bereits im Altfranzösischen in INFL integriert 12

Die einzige Ausnahme bildet das Pronomen der 1.Person Singular gie, das i.d.R. nur als 'starkes' Pronomen verwendet wurde (cf. Foulet 1935-36,1:304, Moignet 1965:53, Rheinfelder 1967:92).

13

Auf diese Entwicklung der ungebundenen Subjektspronomina aus den Objektspronominalformen werde ich in dieser Arbeit nicht näher eingehen. Ich verweise hierzu v.a. auf den umfangreichen, dreiteiligen Aufsatz von Foulet (1935-36) sowie auf die Ausführungen in Harris (1978:lllff).

157 waren. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, daß schon im Altfranzösischen ein Subjektspronomen gleichzeitig mit einem Subjekt auftreten kann (cf. Ewert 1933:158, Raynaud de Lage 1962:50): (14) (a) (b)

Mais saives hom, il deit faire message (Roi. :294) Il ne set qu'il fait Ii variés (Jeu:542)

Außerdem zeigt die Überprüfung der Affixeigenschaften der Subjektspronomina, daß sie mindestens zwei der charakteristischen Eigenschaften von Affixen aufweisen. Sie haben einen sehr hohen Selektionsgrad bei der Wahl ihres Partners, da sie sich ausschließlich an Verben binden. Außerdem dient das Verb als syntaktischer sowie als phonologischer Partner des Subjektspronomens. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, daß die Subjektspronomina bereits im Laufe der altfranzösischen Epoche zu Affixen geworden sind. Diese Entwicklung der altfranzösischen Subjektspronomina kann damit erklärt werden, daß sie "reanalysiert" worden sind (cf. Lightfoot 1979, Adams 1987).14 Saltarelli (1989) nimmt an, daß diese Reanalyse darin besteht, daß dem I-Parameter zusätzlich die Merkmale für Genus und Kasus hinzugefügt worden sind (siehe Kapitel 3). Dies hat seiner Ansicht nach zur Folge, daß die klitischen Subjekts- wie auch Objektspronomina als Markierer für Subjekt- und Objektskongruenz bzw. als Lizenzierer leerer Kategorien fungieren können. Gemäß der Analyse Saltarellis ist diese Erweiterung des I-Parameters auch ausschlaggebend für den Übergang von der Enklise zur Proklise. Subjekt- und Objektkongruenz schließt nach Ansicht von Saltarelli (1989:359) die enklitische Bindung der Pronomina aus, so daß durch die Erweiterung des I-Parameters die proklitische Bindung obligatorisch geworden ist. Saltarelli (1989) nimmt an, daß durch die Integrierung der klitischen Subjektspronomina in INFL der Verlust der Verbflexionsendungen im gesprochenen Französischen ausgeglichen wird. Er schließt sich damit der häufig vertretenen Ansicht an, wonach der zunehmende Gebrauch der klitisch gewordenen Subjektspronomina im Zusammenhang mit dem Abbau der Verbflexion steht. Er nimmt an, daß als Folge der Schwächung der Flexionssuffixe15 die Subjektspronomina klitisch an das Verb gebunden wurden und deren Funktion übernahmen (cf. auch z.B. Ewert 1933:157f). Den umgekehrter Schluß zieht Moignet (1965). Er vertritt die Annahme, daß die zunehmende Verwendung der Subjektspronomina zum Verlust der Verbendungen führte (cf. Moignet 1965:109).

14

Eine solche Reanalyse kann beim kindlichen Spracherwerb erfolgt sein (cf. Lightfoot 1979, Adams 1987). Das heißt, daß Kinder beim Spracherwerb des Altfiranzösischen die Subjektspronomina - abweichend von der Grammatik der Erwachsenensprache - als AGR-Merkmale interpretiert haben. Sie lösen dadurch einen Sprachwandel aus, der die vollständige Integrierung der Subjektspronomina in INFL zum Ergebnis hat.

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Foulet (1935-36,1:292) weist darauf hin, daß bereits ab dem XII. Jhdt. die phonetische Realisierung der Flexionsmarkierungen für Person und Nunmerus in der gesprochenen Sprache fast völlig aufgegeben war und schon der Realisierung im heutigen Französisch entsprach.

158 Eine andere, von Harris (1978) und Adams (1987) vorgeschlagene Erklärung für den zunehmenden Gebrauch der Subjektsklitika basiert auf der Tatsache, daß das Altfranzösische typische Eigenschaften einer Verfc-Zweir-Sprache besitzt.16 Es ist wie die meisten anderen frühromanischen Sprachen im übrigen auch - dadurch gekennzeichnet, daß in Matrixsätzen das finite Verb stets in der zweiten Position - unabhängig von der Kategorie und grammatischen Funktion des Elementes, das in der ersten Position steht - auftritt (cf. Foulet 1919:307ff, Price 1971:146f). Adams (1987) sowie Harris (1978) sehen einen Zusammenhang zwischen dem zunehmenden Gebrauch der Subjektsklitika und dem allmählichen Verlust des Verb-Zweit-Effekts. Er besteht ihrer Ansicht nach darin, daß im Altfranzösischen vor allem in Matrixsätzen leere Subjekte möglich waren. Adams (1987) nimmt an, daß nur in diesen Sätzen das leere Subjekt (pro) in der Subjektsposition lizenziert sein kann, da es vom finiten Verb, das nach C° angehoben worden ist, kanonisch regiert wird. Dies ist Ansicht von Adams im Französischen nur von links nach rechts möglich ist. Der Verlust des Verb-Zweit-Effekts, d.h. der Möglichkeit, das Verb in Matrixsätzen nach C° zu bewegen, hat demnach zur Folge, daß pro in der Subjektsposition nicht mehr vom flektierten Verb regiert sein kann und daher nicht mehr lizenziert ist. Somit bedeutet das Verschwinden der Verb-Zweit-Effekte den Verlust der Nullsubjekt-Eigenschaft und damit die Notwendigkeit, lexikalische Subjektspronomina zu verwenden.17 Bei dieser Analyse wird jedoch übersehen, daß der zunehmende Gebrauch der Subjektspronomina mit einer Klitisierung und Affigierung dieser Pronomina an das Verb einhergeht. Dies hat zur Folge, daß diese Pronomina nicht mehr als lexikalische Subjekte angesehen werden können, sondern vielmehr als Lizensierer leerer Subjekte, d.h. daß das Französische weiterhin als eine Nullsubjekt-Sprache angesehen werden muß: "From a diachronic perspective, the development from Old French to modern French maintains unchanged the syntactic composition of the I parameters, with its attendant null subject effect. The overt change is in the morphophonological representation of the syntactic I-parameters." (Saltarelli 1989:360f) Die Umstrukturierung des französischen Pronominalsystems betraf im wesentlichen die Subjektspronomina bzw. die Formen, die als Subjekte fungieren konnten. Die zu 16

Andere Vorschläge seien hier nur kurz erwähnt. Brunot (1966:226) sieht einen Grund für die Verbreitung der Subjektspronomina darin, daß sie als Stütze für die präverbal auftretenden Objektsklitika dienen. Franzin (1939:145) führt hingegen den zunehmenden Gebrauch der Subjektsklitika auf die Tendenz zurück, das Agens vor der Handlung auszudrücken. Bisweilen werden auch das fränkische Substrat als Auslöser bzw. Förderer der Subjektsverwendung angeführt (cf. Hilty 1975, Kuen 1957 und dagegen argumentierend Hunnius 1975).

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Den Verlust des V2-Effektes führt Adams (1987) auf eine Reanalyse im Verlauf des Spracherwerbs zurück. Im Altfranzösischen haben Kinder die im Input immer häufiger werdenden Subjekt-Verb-Objekt-Sätze nicht mehr wie Erwachsene analysiert Mit anderen Worten, während in der Erwachsenengrammatik ein SVO-Satz auf die Bewegung des Subjektes sowie des Verbs nach SpezCP bzw. C° zurückgeführt werden mußte, finden in der Kindergrammatik diese Bewegungen nicht statt (cf. Adams 1987:25): (i) Erwachsenengrammatik Reanalyse der Kinder [CPSiVj[n,ii