Die "Carmina profana" des Dracontius: Prolegomena und kritischer Kommentar zur Editio Teubneriana. Mit einem Anhang: Dracontius und die 'Aegritudo Perdicae' 3110522373, 9783110522372

Der Begleitband zur neuen Editio Teubneriana der Carmina Profana des Dacontius (ca. 480-510 n. Chr.) unterrichtet in ein

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Die "Carmina profana" des Dracontius: Prolegomena und kritischer Kommentar zur Editio Teubneriana. Mit einem Anhang: Dracontius und die 'Aegritudo Perdicae'
 3110522373, 9783110522372

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Prolegomena
Kritischer Kommentar
Anhang: Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘
Literaturverzeichnis
Register

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Otto Zwierlein Die ‚Carmina profana‘ des Dracontius

Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte

Herausgegeben von Marcus Deufert, Heinz-Günther Nesselrath und Peter Scholz

Band 127

Otto Zwierlein

Die ‚Carmina profana‘ des Dracontius Prolegomena und kritischer Kommentar zur Editio Teubneriana Mit einem Anhang: Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

ISBN 978-3-11-052237-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-052753-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-052657-8 ISSN 1862-1112 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Vorwort 

 VII

 1 Prolegomena  I Die handschriftliche Überlieferung   3 II Organisation und Gliederung der Texte in dem Sammelkodex N   13  19 Kritischer Kommentar  Romulea   21 I Praefatio ad Grammaticum Felicianum   21 II Hylas   27 III Praefatio ad Felicianum Grammaticum   39 IV Verba Herculis   43 V Controuersia de statua uiri fortis   48 VI Epithalamium in fratribus dictum   52 VII Epithalamium Ioannis et Vitulae   65 VIII De raptu Helenae   93 IX Deliberatiua Achillis an corpus Hectoris uendat  X Medea   141 Orestes   186 De mensibus   268 De origine rosarum   270

 122

Anhang: Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘   275 1 Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s  2 Perdicas im ‚lucus Amoris‘   298 Literaturverzeichnis 

 303

 315 Register  Stellenregister   317 Wort-, Namen- und Sachregister 

 335

 277

Vorwort Die letzte Ausgabe des Dracontius in der Bibliotheca Teubneriana datiert aus dem Jahr 1914 (PLM V2)1. Dabei handelt es sich um eine geringfügig überarbeitete Fassung der Vollmerschen Editio maior: MGH auct. ant. 14, Berlin 1905. Zu den Schwächen dieser Ausgaben zitiert W. Schetter zustimmend die Kritik von A. Hudson-Williams2: „Readers of the poems of Dracontius as edited and expounded by F. Vollmer  … may well receive the impression that the poet was incapable of the Latin tongue and was given to turns and expressions intelligible only to himself and such painstaking students as his editor … To the text of Drac. Vollm. certainly made a valuable contribution, but his unshakable faith in the integrity of scribes led to a frequent acceptance of the false as the true; that the transmission of the text may have been left to the heedless or the ignorant is not a possibility which appears to have occurred to him.“ Die neue Teubneriana beschränkt sich auf die ‚Carmina profana‘ des Dracontius (entstanden wohl ca. 480–510 n. Chr.); sie ersetzt also Vollmers PLM Bd. 5, S. 108–2373. Fortschritte aufgrund neuer Handschriftenfunde sind nicht zu verzeichnen. Auch die anhand digitalisierter Kopien erfolgten Nachkollationen haben nur geringfügigen Gewinn erbracht. Wohl aber wird der Anspruch erhoben, daß diesem Gedichtcorpus von insgesamt 3370 Versen nach sorgfältiger Auswertung des Überlieferten und der seit Mitte des 19. Jh.s intensiv geführten gelehrten Diskussion durch zahlreiche, oft auf dem Wege der Konjekturalkritik gewonnene alte und neue Verbesserungen ein Hauch früherer Jugendfrische zurückgegeben werden konnte. Die verschiedenartigen Gedichte der Sammlung werfen ein Streiflicht auf die kulturelle Spätblüte Nordafrikas unter der Herrschaft der Vandalen. Zwei Widmungsgedichte an den Grammatiker Felicianus und drei Deklamationen4 führen in die spätantike Schule Karthagos, zwei autobiographisch getönte Epithalamien in die gesellschaftlichen Verflechtungen des Advokaten und Dichters. In den mythologischen Kleinepen ‚Hylas‘, ‚Helena‘, ‚Medea‘ und ‚Orestes‘ werden die alten Sagen vielfach abweichend von der mythographischen Vulgata

1 Poetae Latini Minores. Post Ae. Baehrens iterum rec. F. Vollmer. Vol. V: Dracontii de laudibus Dei. Satisfactio. Romulea. Orestis tragoedia. Fragmenta. Incerti Aegritudo Perdicae, BT Leipzig 1914. 2 W. Schetter, Gn 58, 1986, 4526; A. Hudson-Williams, Notes on the Christian Poems of Dracontius, CQ 41, 1947, 100–108, ebd. 100. 3 Über weitere Ausgaben des Dracontius, von den Editiones principes bis in die Gegenwart, unterrichtet die Bibliographie. 4 Εine Suasoria: ‚Hercules und die Hydra‘, eine Controversia ‚De statua viri fortis‘ und eine Ἐθοποιία: ‚Deliberatiua Achillis an corpus Hectoris uendat‘.

VIII 

 Vorwort

unter Rückgriff auf uns verlorene (darunter wohl auch griechische) Versionen neu erzählt. Man schreibt Dracontius einen ausgeprägten Originalitäts- und Innova­ tionswillen zu5. In der ‚Medea‘ und im ‚Orestes‘ stellt er herkömmlicherweise dem Drama vorbehaltene Stoffe episch dar; für den ersten Teil der ‚Medea‘ (Jason in Kolchis) hat er nach eigenen Angaben (Med. 16ff.) auf eine Pantomimenhandlung zurückgegriffen. Als Zeugnisse einer historischen Umbruchsphase beanspruchen die Dichtungen des Dracontius in jüngerer Zeit gesteigertes wissenschaftliches Interesse6. Dies manifestiert sich zuletzt in der von S. Freund und Katharina Pohl initiierten Dracontius-Tagung in Wuppertal (3.–4. November 2016) zu dem Thema „reddere urbi litteras – Wandel und Bewahrung in den Dichtungen des Dracontius“. Von der tatkräftigen jungen Forscherin dürfen wir in Kürze den ersten umfassenden Kommentar (mit Edition und Übersetzung) zu ‚De raptu Helenae‘ erwarten7. Der kritische Apparat der neuen Teubner-Ausgabe nimmt bewußt Abstand von dem in jüngerer Zeit immer häufiger zu beobachtenden Editionsprinzip, eine möglichst vollständige Dokumentation aller Konjekturen zu bieten, die je zu den einzelnen Stellen gemacht worden sind  – ohne Prüfung ihrer Plausibilität. Ein solches Verfahren macht den Apparat undurchsichtig und führt zu einer Verunsicherung des Lesers, dem (so die Fiktion) zugemutet wird, die wahllos aneinandergereihten Verbesserungsvorschläge an dem gedruckten Text zu messen. In Wirklichkeit ist es die Aufgabe des Herausgebers, mit „Fingerspitzengefühl“ (so P. Maas) zu entscheiden, welche Konjekturen im kritischen Apparat Erwähnung verdienen. Nach einem alten Grundsatz sind dies nur solche, denen bei strenger Prüfung die Probabilität bescheinigt werden kann, daß sie prinzipiell in den Text genommen werden könnten, ohne diesen zu beschädigen. An verdächtigen Stellen, an denen die ‚examinatio‘ zu keinem sicheren Schluß über die Originalität des Überlieferten geführt hat, werden auch ‚diagnostische‘ Konjekturen im Apparat geduldet.

5 Siehe Bright (1987) 248f.; Schetter Gn 63, 1991, 217f. (auf ihn beziehe ich mich auch im folgenden Satz). 6 Siehe unten die gewachsene Bibliographie seit den 1980er/1990er Jahren; zusammenfassend aus historischer Sicht: K. Vössing, Das Königreich der Vandalen, Darmstadt 2014; dort besonders das Kapitel V 6 („Vandalen und Römer: Eigenständigkeit und Akkulturation“, 96–108) [siehe auch Vössing 1997]; ferner É. Wolff (Hrsg.), Littérature, Politique et Religion en Afrique Vandale, Paris 2015 (mir liebenswürdigerweise zugänglich gemacht durch Herrn Kollegen Vössing). 7 Ihr verdanke ich die großzügig übermittelten Kopien des Codex unicus (N) der ‚Romulea‘ und eine rege, herzerfrischende E-mail-Korrespondenz, in der sie mich immer wieder zu heilsamen δεύτεραι φροντίδες veranlaßt und so viel zur Verbesserung dieses Buches (und der Ausgabe) beigetragen hat.

Vorwort 

 IX

In dieser Hinsicht verfolgt die neue Teubneriana jene streng auf die Wiedergewinnung eines möglichst Autor-nahen Textes ausgerichtete Editions­methode, die R. Tarrant jüngst „the minimalist approach“ genannt hat. Selbst ein „minimalist“, hat er deren Vorzüge (und inhärenten Gefahren) im Vergleich zum „maximalist approach“ ausgewogen dargestellt8. Der neue Apparat geht aber darin über die „minimalistische“ Editionspraxis hinaus, daß er in Ergänzung des separat publizierten Kritischen Kommentars  – wo immer es zweckdienlich erscheint – die getroffene Textentscheidung durch grammatische, metrische und exegetische Hinweise, nicht zuletzt durch die Angabe der Vorbildverse und son­ stiger sprachlicher Parallelen begründet9. Die Fundstellen der Konjekturen sind im kritischen Apparat mitverzeichnet. Die verwendeten Siglen entschlüsselt das Literaturverzeichnis10. Der hier vorgelegte Begleitband zur neuen Editio Teubneriana der ‚Carmina profana‘ des Dracontius unterrichtet in einem ersten Teil (‚Prolegomena‘) über Tradition und Organisation des Textes in den Handschriften. Der zweite Teil begründet die Textkonstitution, rechtfertigt notwendige Emendationen und erläutert umstrittene Stellen. In einem Anhang wird die chronologische Priorität des Dracontius gegenüber der ‚Aegritudo Perdicae‘ gesichert. Zwei Verbesserungsvorschläge zum Text der Episode ‚Perdicas im lucus Amoris‘ bilden den Abschluß. Die Wiedergewinnung des Dracontius ist auch ein kleines Stück Bonner Philologiegeschichte. F. von Duhn hat 1873 die erste kritische Ausgabe der ‚Carmina minora (plurima inedita)‘ vorgelegt, „geschmückt mit zahlreichen Beiträgen Büchelers“11. Eine mißgünstige Kritik aus Jena12 ist von Bücheler umgehend – in höflichem Ton, aber bestimmt – zurückgewiesen worden13. Das Dedikationsexem-

8 R. Tarrant, Texts, Editors, and Readers. Methods and problems in Latin textual criticism, Cambridge 2016, 124ff., bes. 129–140. 9 Siehe auch dazu Tarrant (142f.). 10 Die umfassende Berücksichtigung der Dracontius-Literatur ist nur durch die unschätzbare Mithilfe R. Jakobis möglich geworden, der mir auch seine eigene Dracontius-Bibliographie großzügig überlassen und viele neue Titel hinzugefügt hat. 11 So Ribbeck (1873) 461. Duhns Rezensent Schenkl (1873) würdigt die große Zahl von Emendationen, die Bücheler zur Ausgabe beigesteuert hat, „so dass er eigentlich für den kritischen Bearbeiter des Textes gelten kann“ (514). 12 RhM 29, 1874, 202f., dort 202: „Man reist in die Ferien irgend wohin, schreibt einen Codex ab, berichtigt was jeder andere auch berichtigen kann, lässt einen guten Freund ein Paar Vermutungen beisteuern, durch deren übereilten Abdruck dem Freunde nicht der beste Dienst erwiesen wird, schickt das Manuscript in die Druckerei – und die Sache ist abgethan.“ 13 F. Bücheler, Zu Dracontius. Hrn. M. S. in Jena, RhM 29, 1874, 362f. Hier der Schluß, der auch heutzutage an Aktualität nichts eingebüßt hat: „Da Ihr Ansehen beitragen kann, Fernerstehende

X 

 Vorwort

plar, das Duhn dem anderen großen Bonner Gelehrten jener Epoche, H. Usener, überreichte14, hat die Kriegsverluste überdauert. Es befindet sich in der Bibliothek des Bonner Archäologischen Instituts (Sign.: D 5 Drac 200), das bekanntlich auch die Mommsen-Bibliothek beherbergt. In dieses Bändchen hat Usener eine seit Baehrens (1883) allgemein akzeptierte Emendation M. Haupts eingetragen15 und drei Konjekturen, die C. Lohmeyer zugeschrieben sind16. Deren erste darf als echte Emendation gelten (s. S. 48f.). Keine von ihnen ließ sich in der publizierten Dracontius-Literatur aufspüren – auch nicht in den ,Schedae philologae‘ des Jahres 1891, in denen Lohmeyer dem Jubilar den Beitrag ‚De Dracontii carminum ordine‘ gewidmet hat17. Vielleicht werfen wir also hier einen Blick in das Innenleben des damaligen Bonner Philologischen Seminars. Unter den späteren Philologen der Universität Bonn hat Willy Schetter in den beiden letzten Jahrzehnten seines Forscherlebens Bahnbrechendes vor allem zur literarhistorischen und kulturgeschichtlichen Einordnung des Dracontius geleistet. Seine Einschätzung der relativen Chronologie im Verhältnis der ‚Aegritudo Perdicae‘ zu Dracontius war der Ausgangspunkt der hier vorgelegten Untersuchungen. Es ist eine besondere Freude, daß sich mein Dank für tatkräftige Unterstützung und kritische Manuskript-Lektüre (neben dem bereits oben ausgesprochenen) vor allem an fünf vorzügliche Gelehrte richtet, die alle an der ehrwürdigen Bonner Alma Mater promoviert worden sind: R. Jakobi, M. Deufert, M. Beck, Th. Riesenweber und Chr. Schmitz. Den Herausgebern der UaLG (darunter wiederum M. Deufert) danke ich für die zügige Aufnahme meiner Schrift in diese sorgfältiger Text- und Quellenuntersuchung verpflichtete Reihe. H.-G. Nesselrath hat wie in Zeiten unserer

zu einem verkehrten Urtheil über die Duhn’sche Ausgabe zu führen, so hielt ich mich die – milde gesagt – ungerechten Auslassungen zurückzuweisen für verpflichtet, denn ich habe die Ausgabe veranlasst, und dabei mitgewirkt. Das gemeine Interesse verlangt, dass nicht Momus allein das Wort führe“ (363). 14 „H. Usener | d. d. editor 18. Febr. 1873“ steht auf dem Deckblatt (alle Einträge sind mit Tinte ausgeführt). 15 Zu 2,119: Dione] „Oenone M. Haupt“. Es ist Usener entgangen, daß er diese (auch aus metri­ schen Gründen erforderliche) Emendation bereits in den Indizes der ihm überreichten Editio princeps als eigenen Vorschlag Duhns hätte lesen können (S. 93 und 111). 16 Zu 5,56: turba clientum] „dura Lohmeyer cl. laude Pis. 134“; 6,50: utra] „adulta Lohmeyer“; 8,151: gladio feruens] „feriens cl. v. 21 Lohmeyer“. 17 Siehe die Bibliographie unter ‚Lohmeyer‘. In diesen Schedae entbieten eingangs die zwölf unterzeichneten Mitglieder des traditionellen „Zwölfapostelseminars“ dem verehrten Lehrer den folgenden Gruß: ‚hermanno vsener | praeceptori dilectissimo | mvnvs professoris in hac vniversitate | fridericia gvilelmia rhenana | per qvinqve lvstra egregie gestvm | gratvlantvr | seminarii regii philologorvm bonnensis | sodales‘.

Vorwort 

 XI

gemeinsamen Herausgeberschaft als Schlußlektor noch eine Reihe übersehener Corrigenda ans Licht gefördert, Frau K. Legutke in bewährter Weise die verlagstechnische Betreuung organisiert. Der gefällige Satz der Teubner-Ausgabe wird F. Ruppenstein verdankt. Möge unserer Wissenschaft aus Edition und Kommentar so viel Nutzen erwachsen, daß sich alle, die bereitwillig und selbstlos mitgearbeitet haben, angemessen entlohnt sehen! Philologisches Seminar der Universität Bonn, den 1. Mai 2017 

Otto Zwierlein

Prolegomena

I Die handschriftliche Überlieferung Die C a r m i n a p r o f a n a des Dracontius, unter die hier – anders als in den Ausgaben von Baehrens und Diaz de Bustamante  – der Orestes subsumiert wird18, liegen nicht als geschlossenes Corpus vor, vielmehr sind sie verstreut und unvollständig auf uns gekommen: 1. der Komplex der R o m u l e a19 in dem Codex unicus N (= Napoli, Bibl. Naz. IV E 48, s. XVex/XVIin)20, der als letztes Stück die Medea enthält (diese aber in doppelter Fassung). Zunächst steht dort, als Nr. X gekennzeichnet, die Medea von der Hand des Giorgio Galbiato († ca. 1497), der Sekretär des Mailänder Humanisten Giorgio Merula war und 1493 nach Bobbio geschickt wurde, um dort einige Handschriften auszuleihen. Unmittelbar anschließend folgt – ohne Numerierung – die gleiche Medea ein weiteres Mal, geschrieben von der ersten Hand des Kodex N21. Eine knappe Beschreibung dieses Kodex findet sich bei Diaz de Bustamante 248 ff. und Bouquet–Wolff in Bouquet (1995) 73–76. Siehe hier gleich anschließend, ferner u. S. 13 ff. Am Ende des Kodex (fol. 58r unten) ist von späterer Hand als Besitzervermerk hinzugefügt worden: Antonij Seripandi ex Jani Parrhasij | testamento [s. auch Ferrari (1970) 1514]. Der gleiche Eintrag findet sich im cod. Napol. IV F 35, fol. 41r unten [s. Ferrari (1970) 157/158]22; eine Variante (Antonii Seripandi ex Iani Parrhasii munere) im cod. Napol. IV A 11 [s. Ferrari (1970) 144]. M. Ferrari (1970) hat gezeigt, daß diese Parrhasius-Handschriften aus dem Besitz oder Erbe des G. Merula stammen.

2. Der O r e s t e s (974 Verse), vermutlich ein Spätwerk, ist in zwei voneinander unabhängigen, aber aus einem gemeinsamen Hyparchetypus geflossenen Handschriften überliefert (s.  u.): B (= Bern, Burgerbibl. Bongars. 45, s. IX2/3)23 und A (= Milano, Bibl. Ambr. O 74 sup., s. XV2).

18 Baehrens (1883) hatte unter dem Kunst-Titel ‚Dracontii Carmina Profana‘ 14 Gedichte (die beiden letzten sind fälschlich dem Dracontius zugeschrieben) abgedruckt, auf die dann der Orestes gesondert folgte, Diaz de Bustamante nur die carmina 1–10. 19 Zum Titel s.  u. S. 39 ff. 20 Auf die Datierung wird demnächst K. Pohl in ihrem Helena-Kommentar näher eingehen. 21 Beide Medea-Fassungen sind aus der gleichen Vorlage gezogen, siehe u. S. 5 f. 22 Ebenso lautet der Besitzervermerk in dem 1391 (vielleicht in Mailand) geschriebenen Kodex Neapel, Biblioteca Nazionale, V B 19, s. Th. Riesenweber, C. Marius Victorinus, ‚Commenta in Ciceronis Rhetorica‘, Bd. 1: Prolegomena 122. 23 Nach Bischoff geschrieben in Fleury IX. Jh., 2. Drittel, siehe B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts, Teil I, Wiesbaden 1998, 104 (Nr. 494). Ins dritte Viertel des 9. Jh.s hatte die Handschrift H. C. Gotoff (The Transmission of the Text of Lucan in the Ninth Century, Cambridge/Mass. 1971, 15) gesetzt, vgl. W. Schetter Gn 58, 1986, 4524.

4 

 Prolegomena

3. Zitaten zweiter Hand werden a) die Gedichte De mensibus und De origine rosarum verdankt, ebenso die Kenntnis eines Carmen in honorem Thrasamundi regis, b) die wenigen Fragmente. Zu a): Siehe Bernardino Corio, Patria historia, Mediolani, apud Alexandrum Minutianum, 1503, fol 10v: „Da l’altro canto T r a n s a m o n d o Conte di Capua a laude dil quale D r a c o n t i o p o e t a elegantemente scripse, e l’opera del quale noi in caratte Langobard havendo trovata, per Giovanne Christophoro Daverio  … è stata traducta in littere latine. Onde per dignità de lo elegante poeta n’è parso mettere questi suoi versi: D e m e n s i b u s  … D e o r i g i n e r o s a r u m …“24. Zu b): Frg. 1 steht im Florilegium Veronense [Verona, Bibl. Capit. CLXVIII (155)], das auf das Jahr 1329 datiert ist (s.  u.), frg. 2 im dritten Buch der (kurz nach 1495 verfaßten) Historiae patriae libri viginti des Tristano Calco, in der Ausgabe Mediolani 1627, lib. III, 55 f. (zu beiden Fragmenten siehe Wolff 1996, 83; Luceri 215): „Dracuntius quoque Vandalorum temporibus non incultus versificator, cuius opus, quamvis alius sibi gloriam arroget, nos tamen ex Bobiensi penetrali retulimus, exque barbaricis caracteribus in consuetas transcribendum formas dedimus, sic scripsit: sericus in uentos gemmato lumine serpens tenditur, et rutilas uibrat per nubila cristas. Eorum [sc. Claudiani et Dracontii] vero uterque, et item Sidonius Apollinaris in Panegyricis, emulatus videtur Amiani Marcellini verba, qui ante sic dixerat: Dracones hastarum aureis gemmatisque summitatibus illigati, hiatu uasto perflabiles et ideo uelut ira perciti sibilantes caudarumque uolumina relinquentes in uentum“25.

Hier nun zunächst eine Liste der R o m u l e a in der Handschrift N (= Neapolitanus IV E 48): foll. 1r

Nr. I

1r–4r 4r–4v

II III

Titel Verszahl Praefatio Dracontij discipuli ad grammaticum Felicianum … 21 cum fabula Hylae Hylas 163 Praefatio ad Felicianum grammaticum … cum adlocutione 20

24 Ich zitiere nach Ferrari (1973) 36. Siehe ferner Ferrari (1970) 150 f.; Wolff (1996), 2251; Kaufmann (2006) 26; Luceri 214; Nosarti 195 f., der in Anm. 3 einen detaillierten Nachweis der späteren Ausgaben der (in ‚volgare‘ geschriebenen) Patria historia liefert. Sie wird seit der Neuauflage Venedig 1554 unter dem Titel L’historia di Milano geführt, herausgegeben von Gian Maria Bonelli. Eine revidierte Ausgabe in 3 Bänden der Edition Venedig 1554 wurde besorgt von E. De Magri et al., Milano 1855–1857 (Nachdruck 1975). De mensibus (gefolgt von orig. ros.) steht dort Bd. I, S. 13. Den Text der Ausgabe 1503 reproduziert Anna Morisi Guerra, Storia di Milano di Bernardino Corio, Torino 1978. De mensibus (gefolgt von orig. ros.) findet sich dort Bd. I, S. 93 f. Zu vergleichen sind Baehrens7 313–316, ferner PLM V (1883), 214–216; AL 874a/b R2 und die Ausgaben Vollmers und Wolffs. 25 Ich zitiere nach Ferrari (1973) 35.



 5

Die handschriftliche Überlieferung 

4v–5r

IV

5v–11r 11v–13v 13v–16r 16v–18v 19r–32v 33r–38r 38v 39r–48v 49r–58r

V VI VII – VIII IX – X –

Verba Herculis cum uideret Hydrae serpentis capita pullare post caedes Controuersia de statua uiri fortis Epithalamium in fratribus dictum26 Epithalamium Ioannis et Vitulae leer De raptu Helenae Deliberatiua Achillis an corpus Hectoris uendat leer Dracontij Medea (geschrieben von Giorgio Galbiato) ohne Titel folgt, mit ἔκθεσις der Initiale F (ert), ein weiteres Mal der Medea-Text

53 329 122 159 – 655 231 – 601 601

Die erste Hand von N schrieb die Romulea  I–VII und die an letzter Stelle stehende Fassung der Medea, ferner die prosopographisch wichtige Subscriptio zu Romul. V. Die zweite Hand von N (= N2), der „Lemmatist“, schrieb die Romulea VIII–IX, die Titel (incipit …) und die Subskriptionen (explicit …)  – außer jener, die am Ende von V von der ersten Hand mitkopiert wurde. Eine dritte Hand, die im Kodex N beteiligt ist, konnte dem Sekretär Giorgio Galbiato († um 1497) zugeschrieben werden. Seine Separat-Kopie der Medea ist als Nr. 10 in die Romulea-Handschrift miteingebunden, obwohl der erste Schreiber von N seinerseits, unabhängig von Galbiato, die gleiche Medea aus der gleichen Bobbio-Tradition bezogen hat. Dieses Zwitterverhältnis wurde bei der Organisation der Handschrift in der Weise kaschiert, daß nur vor Galbiatos Abschrift eine Nummernziffer (X.) und ein eigener Titel (Dracontij Medea) gesetzt wurde; die Kopie von N (man. prim.) schließt dann einfach zu Beginn der neuen Lage (49r) mit herausgestellter Initiale F (ert) an. Sowohl Galbiato als auch N gehen je selbständig – wenn nicht direkt, so doch über eine Zwischenabschrift  – auf das DracontiusExemplar zurück, das im Bibliothekskatalog von Bobbio des Jahres 1461 (mit der Inventar-Nr. 164) als ein „in littera longobarda“ geschriebener Dracontius-Kodex (β) aufgeführt ist. Ob man aufgrund dieses so definierten Schriftcharakters27 den

26 Von P. L. Schmidt (1984) 694 gemäß v. 103 zu in fratribus dictum ergänzt [dies ist schon bei Lohmeyer 69 (in runden Klammern) angedeutet]; aber dort handelt es sich um eine (unmetrische) Glosse, wie Bureau (2006, Anm. 20) gesehen hat (s.  u. zu 6,103). Die überlieferte Form des Titels wird durch die Subscriptio Exp. Epithalamium in fratribus dictum bestätigt. 27 Siehe Ferrari (1970) 151: „Dyaconti cuiusdam versificatoris tractatus in versibus, in littera langobarda. Mediocris voluminis“. Ähnlich behauptet Tristano Calco (s.  o.), er habe einen Dracontius-Kodex aus Bobbio „ex barbaricis caracteribus in consuetas  … formas“ transkribieren lassen, und Bernardino Corio (s.  o.), er habe ein Lobgedicht des Dracontius auf den vermeint­ lichen lombardischen Fürsten Thrasamund „in caratte Langobard“ (so nach der Ausgabe von

6 

 Prolegomena

Codex Bobiensis ins 7./8. Jh. datieren darf28, hält M. Deufert für fragwürdig29. Er erinnert daran, daß Poggio dem Mediceus II des Tacitus „litterae Langobardae“ zuspinnt, obwohl wir wissen, daß der Kodex Mitte des 11. Jh.s in Montecassino entstanden ist, „litteris Beneventanis exaratus“30. Es gilt demnach für die Medea des Dracontius das folgende Schema: β = exemplar Bobiense deperditum, fons testium N et G N = cod. Neapolitanus IV E 48, s. XVex/XVIin, foll. 49r–58r (scriptus prima manu) G = tertia manus codicis N, s. XVex, foll. 39r–48v (apographon G. Galbiati)31. Nach anderer Auffassung hat der erste Schreiber von N seine Medea aus Galbiatos Medea kopiert (oder zusätzlich Galbiatos Kopie mitberücksichtigt)32. Zurli (1998) versuchte anhand umfangreicher Listen meist trivialer Verschreibungen den Nachweis zu führen, daß N im Verhältnis zu G ein Codex descriptus (und daher eliminandus) sei – ungeachtet dessen, daß der handschriftliche Befund viel leichter zu erklären ist, wenn beide Kopisten unabhängig voneinander aus dem gleichen Hyparchetypus (dem Bobiensis selbst oder einer von ihm genommenen Abschrift) geschöpft haben (man bedenke, daß der Veranstalter der Romulea-Sammlung bei Galbiato offenbar nur eine Kopie der Medea vorfand). Hier ein Auszug aus Zurlis Fazit: „Come d’altra parte è falso che la copia di N sia stata realizzata simultaneamente sull’esemplare bobbiese e sulla trascrizione di Galbiato poiché – s’è visto – N non presenta neppure l’ombra di una lezione che non sia direttamente riconducibile alla copia di Galbiato, sicché non si dà in N una sola lezione giusta o un solo errore che presuppongano un esemplare che non sia la copia di Galbiato“ (376). Er zieht daraus den Schluß, daß ein künftiger Editor des ‚Draconzio profano‘ im Apparat dem Kopisten N überhaupt nur noch die folgenden ihm zu verdankenden K o r r e k t u r e n zuzuschreiben

1503 seiner Historia di Milano) bzw. „in lettere Longobarde“ (nach der postumen Ausgabe von 1565) gefunden und durch G. Chr. Daverio „in littere latine“ übertragen lassen. 28 Siehe die Arbeiten von Ferrari und P. L. Schmidt, ferner Kaufmann 27 mit Anm. 11. 29 Tatsächlich klingen die in Anm. 27 zusammengestellten Zeugnisse nach einem edlen Wettstreit unter Humanisten, den Titel des πρῶτος εὑρετής einer möglichst alten Handschrift für sich selbst zu reklamieren. 30 Deufert verweist auf S. Rizzo, Il Lessico filologico degli humanisti, Roma 1973, 122–126. 31 Um die in den bisherigen Medea-Ausgaben herrschende Verwirrung über die Zuordnung der Sigla N und n (s. Kaufmann 252) wenigstens teilweise aufzuheben, weise ich mit Diaz de Bustamante, Wolff und Kaufmann die Bezeichnung N der ersten Hand des cod. Neapol. IV E 48 zu, die neben Romul. 1–7 auch die an zweiter Stelle stehende Medea geschrieben hat (foll. 49r–58r). Die im Kodex unmittelbar zuvor (foll. 39r–48v) eingebundene Medea-Fassung des Sekretärs Gior­ gio Galbiato erhält die Sigle G. „G“ ersetzt also die bisher üblichen Siglen n (Diaz de Bustamante, Wolff, Kaufmann) bzw. N (Duhn, Baehrens, Vollmer). Das beiden Text-Fassungen letztlich zugrunde liegende exemplar Bobiense wird durch die Sigle β bezeichnet. 32 Siehe P. L. Schmidt (1984), 688; Kaufmann (2006) 27 f. (sie hält es für möglich, „dass der Schreiber von N neben der Handschrift aus Bobbio Galbiatos Abschrift (n) als Vorlage benutzte“) und ihre Rezensentin Paolucci 501 f., im Anschluß an Zurli (1998).



Die handschriftliche Überlieferung 

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habe: „17 docta [-to G], 26 modo [medo], 291 coniungatur [-iug-], 319 rapiebat [-ant], 425 dabo [dabos], 516 Splendebat [Spled-]“. Gegen diese These sprechen mehrere Indizien, darunter ein so äußerliches wie der Gliederungsmechanismus, durch den die ersten 31 Verse als Proöm von dem Beginn der eigentlichen Erzählung in Vers 32 (Diues apud Colchos, Phrixei uelleris aurum, pellis erat) abgeteilt sind: In N ist die Leerzeile vor Vers 32 erhalten geblieben (offenbar getreu aus der Vorlage übernommen) und der Neueinsatz zusätzlich durch ἔκθεσις der Initiale D (iues) markiert; in Galbiatos Exemplar gibt es keine Leerzeile; vielmehr steht Vers 32 am Beginn der neuen Seite (fol. 39v); der Neueinsatz wird allein durch ἔκθεσις der Initiale D (iues) kenntlich. Daß ein Kopist, der Galbiatos Medea abschreibt, bei diesen Voraussetzungen von sich aus eine zusätzliche Leerzeile eingeführt hätte, ist ganz unwahrscheinlich. Ähnliches gilt von den Korruptelzeichen in Form von drei Punkten, die als Dreieck angeordnet sind (∴). Sie sind in großer Anzahl von N (man. prim.) und G übereinstimmend aus β übernommen worden. Dies ergibt sich schon daraus, daß sie auch in den vor Galbiatos Medea liegenden Teilen der Handschrift N, soweit sie von der ersten Hand geschrieben sind, in gleicher Weise begegnen, obwohl dort eine Vorlage Galbiatos nicht zur Verfügung stand33. Aber auch in Med. 563 ist dieses Korruptelzeichen nur in N – wie üblich am linken Versrand, bevor der Text einsetzt – erhalten geblieben; in G fehlt es; also kann es nicht von dort abgeschrieben sein34. Auch das große Fenster zu Beginn der Verse 317–319 findet sich in gleicher Form sowohl in G wie in N. Es deutet aber nichts darauf hin, daß N dieses Fenster speziell aus G übernommen hätte35, vielmehr führt das gleichartige Fenster in N in der früheren Partie Romul. 4,4–7 zu dem Schluß, daß es sich hier jeweils um getreue Übernahme der Lücken-Auszeichnung im β-Exemplar (dem Bobiensis) handelt – unabhängig von der Frage, ob der Bobiensis selbst oder eine Kopie desselben die Vorlage abgab36. Daneben spricht eine Reihe von N-Lesarten gegen eine Provenienz aus G, so die in G durch Augensprung aufgrund eines Homoeoteleuton in 301 f. entstandene Verwirrung, von der in N keine Spur zu finden ist. Das gilt ebenso für den verwandten Schaden, den Galbiatos Text in 534 f. aufweist, während N davon unbehelligt geblieben ist37. Wäre N aus G abge-

33 Die zweite Hand von N (der Lemmatist) hat in den von ihm ausgeführten Partien der Handschrift (Romul. VIII und IX) keinen Wert auf die Übernahme dieser Korruptelensiglen gelegt – ∴ bis auf eine Ausnahme: In Romul. 9,114 (pariter Leo: rapiter N) sind über -ter die gleichen drei Punkte in Dreiecksform angeordnet wie in den von N und G geschriebenen Teilen. 34 Dies gilt ebenso für das unter quoscum-q(ue) in Med. 9 angebrachte Korruptelzeichen in N (es fehlt in G). 35 Im Vers zuvor (316) bietet N die von G (cum nesciret) abweichende Lesart cum nescisset (vermutlich weil meruisse folgt), in 319 aber das richtige rapiebat, wo G rapiebant überliefert. 36 Beide Fenster (Romul. 4,4–7 und 10,317–319) sind in N (das Medea-Fenster ebenso in G) um mindestens drei bis vier Buchstaben aus dem Seitenspiegel nach rechts verschoben. Dies ist nicht das Werk von N und G, sondern spiegelt die Anordnung der Vorlage, s.  u. Anm. 132. 37 N bietet 301 f. in korrekter Form: tristis abit; delubra t a c e n t, sacraria maerent, templa c a r e n t, nutrix tamen atria tantum, obwohl G von tacent zu carent gesprungen ist und deshalb folgende Version überliefert:

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 Prolegomena

schrieben, wäre die große Zahl von Divergenzen zumindest erstaunlich. Zwar ließen sich die meisten richtigen N-Lesarten auch durch Konjektur erreichen (s.  o. die von Zurli benannten in den Versen 17. 291. 319. 425. 516). Aber Beispiele wie 26 modo N: medo G, 33 diu N: dui G38, 359 facta Duhn: fata N: sata G, 583 frater N: fratri G39 deuten eher in die andere Richtung (N bewahrt das Richtige, G verschreibt)  – und wie der Kopist N in 531 aus der Korruptel Mermrius (G) das kaum je belegte, richtige Mermerus40 hätte gewinnen sollen, bliebe ein Rätsel. Ungünstig für eine Abhängigkeit der N-Fassung von G sind auch die folgenden Befunde: 132 uices N: duces Gac (doch ist die Korrektur sehr kryptisch ausgeführt); 228 tepescit iners N: topescit niers G; 571 furie (ex furire) N: fuir (exp.) furie G41.

Zu den genannten Codices tritt hinzu das F l o r i l e g i u m V e r o n e n s e (flor. Ver.) [Verona, Bibl. Capit. CLXVIII (155)]. Diese Veroneser Flores moralium auctoritatum von 1329, kompiliert von Guglielmo da Pastrengo42, bieten spärliche vier Verszitate aus den Romulea in weiter Streu-

tristis abit; delubra t a c e n t, nutrix tamen atria tantum sanguine templa c a r e n t, nutrix tamen atria tantum. Als er seinen Fehler bemerkte, trug er über der Zeile von 301, oberhalb von nutrix tamen das übersprungene Kolon sacraria maerent nach, ohne das fälschlich vorweggenommene nutrix … tantum in 301b zu tilgen (durch punktierte oder durchgezogene Linie, wie er es sonst gelegentlich tut). Darin ist er in 534 f. genauer. Auch dort ist er das Opfer eines Augensprungs geworden, hat aber jeweils in der Zeile selbst durch Nachtrag des Übersprungenen und Tilgung des fälschlich Vorgezogenen (mittels punktierter Linie) den Fehler behoben: affectu petit ipsa n e c e m mucrone parentis uel sponte pericla 535 quaerit inops, passura n e c e m uel sponte pericla mucrone parentis. Daß an beiden Stellen die Irrtümer ohne jegliche Nachwirkung auf N hätten bleiben können, wenn N eine Abschrift von G wäre, ist kaum glaublich. 38 Die Graphie für in/iu ist in G sehr häufig so, daß sie eine Verwechslung mit ni/ui heraufbeschwört. Daß N bei Abhängigkeit von G all diese Stellen (siehe Kaufmann 33 mit Anm. 53) richtig entschlüsselt hätte, scheint ausgeschlossen (siehe gleich 48 capiuntque N: capuintque G). Dagegen spricht die von G unabhängige Verschreibung Ciuis für Cuius (corr. Buecheler) in Romul. 5,55. 39 Diese Lesart ist eindeutig: Kaufmann (Anm. 54) weist Zurlis anderslautende Angabe mit gutem Grund zurück (das gilt auch für die übrigen dort genannten Fälle); in 107 bietet G m.  E. fuctura. 40 Die über -ru- gesetzte Crux zeigt, daß vermutlich schon der Kopist der Vorlage β ein ihm unbekanntes Buchstabengebilde mechanisch getreu abgeschrieben hatte. In G wurde dieses zusätzlich entstellt. 41 Kaum verständlich wären die folgenden N-Abweichungen, wenn die jeweils gut lesbaren GFassungen Vorlage sein sollten: 31 qui G: quae N; 40 nuntius G: Mutius N; 546 maneat Duhn: meneat G: me urat N. 42 So R. Jakobi in einer noch unveröffentlichten Miszelle „Zur Rezeption der Tragödien Senecas“ mit Verweis auf G. Billanovich, Petrarca e i libri della cattedrale di Verona, in: Petrarca, Verona e l’Europa. Atti del Convegno internazionale di studi (Verona, 19–23 sett. 1991), a cura di



Die handschriftliche Überlieferung 

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ung43: je eine Sentenz auf den Folien 1r, 3v, 4r, 8r (dort jeweils eingeleitet durch Bloxus [oder Blosus] in R o m u l e a) – in folgender Anordnung: frg. 1 (Quia numina semper irasci m i s e r i s possunt f e l i c i b u s autem et praestare uolunt)44, Romul. 9,5 (uirtus), 9,8–9 (uirtus); 8,131 f. (fata  – casus)  – also nicht nach Buch- und Verszahlen, sondern thematisch geordnet. Aus diesem Grund sind die weitreichenden Schlüsse über den Aufbau der Bobbienser Romulea-Sammlung, die P.L. Schmidt (1984) 690 ff., bes. 693 f. gezogen hat, bedenklich, denn sie haben zur Voraussetzung, daß der Veroneser Kompilator „vom Ende her exzerpiert“ hätte (693. 694). Aber die weite Streuung der vier Zitate spricht gegen eine kontinuierliche versweise Exzerpierung, eher für desultorische Übernahme von moralischen Sentenzen aus einem früheren Florileg. Ein solches postuliert auch Kaufmann (28 f.; vgl. 48) zur Erklärung der fehlerhaften Titelangabe in Romulea (statt in Romuleis). Jakobi zeigt in der Anm. 42 genannten Miszelle, daß die 45 Zitate aus Senecas Tragödien, die das Florilegium bietet, zum weitaus größeren Teil d r e i früheren Florilegien entnommen sind45. Ähnlich scheint es sich mit den Tibullzitaten des Florilegs zu verhalten46.

Die Überlieferung des Orestes wird zwei Handschriften verdankt, die in einem gemeinsamen Hyparchetypus (α) wurzeln47: α = fons codicum B et A B = cod. Bernensis Bongarsianus 45, s. IX2/3, foll. 52v–59r A = cod. Ambrosianus O 74 sup., s. XV2, foll. 87r–105v

G. Billanovich e G. Frasso (Studi sul Petrarca 26), Padova 1997, 117–178, dort 127–135. Der Miszelle Jakobis entnehme ich auch die folgenden Angaben: Eine Beschreibung des cod. Veronensis biete S. Marchi (Ed.), I manoscritti della Biblioteca Capitolare di Verona. Catalogo descrittivo redatto da Don Antonio Spagnalo, Verona 1996, 233–236. Die ‚Flores‘ selbst seien vollständig ediert worden von Ch. J. Gross jr., The Verona Florilegium of 1329, Diss. Chapel Hill 1959. 43 Siehe Vollmer (1905) XXXII; P. L. Schmidt (1984) 690 ff.; zuletzt Weber 49 f. (mit 42 88) und Kaufmann 28 ff. 44 Es wird von P. L. Schmidt (1984) 691–694 dem Panegyricus auf Thrasamund zugeschlagen, der ebenfalls in die Romulea integriert gewesen sei. 45 Die Seneca-Florilegien bieten überhaupt einen guten Einblick in die Entstehung und Tradierung mittelalterlicher Florilegien, s. O. Zwierlein, Prolegomena zu einer kritischen Ausgabe der Tragödien Senecas, Wiesbaden 1983 (Abh. Akad. Mainz 1983, Nr. 3), 130–171. Es zeigt sich, daß Exzerptoren ihre Vorlage zuweilen zwei- oder mehrmals durchgehen, wodurch sich die Reihenfolge der Exzerpte verwirrt, oder daß sie ihrerseits bereits aus (bis zu drei) Florilegienvorlagen schöpfen und diese ineinanderarbeiten – ebenfalls unter Mißachtung der strengen Versanordnung (S.  157–163. 165). Lange Reihen von Durchbrechungen der fortlaufenden Versfolge sind S. 159 f. (mit Anm. 103!) und 162 f. zusammengestellt. 46 Jakobi verweist auf B. L. Ullman, Tibull in the Medieval Florilegia, CPh 23 (1928), 128–174, dort 172. 47 Siehe zuletzt Grillone (2008) 20–27. Zuvor wurde seit Haase (1861, 28) nicht selten die Auffassung vertreten, A sei unmittelbar aus B abgeschrieben. Diese darf heute als widerlegt gelten.

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 Prolegomena

Der ältere Kodex B bietet eine getreuere Wiedergabe des Textes der Vorlage auch dort, wo dieser unverständlich ist; A hat nicht selten gegen B das Richtige bewahrt, oftmals aber korrupt Überliefertes durch Konjektur verbessert. Dies macht ein behutsames Abwägen der A-Varianten erforderlich48. 18 Verse (oder Versteile) des Orestes werden zusätzlich in einer mittelalter­ lichen Exzerptsammlung zitiert, die in fünf Handschriften auf uns gekommen ist: excerpta florilegii (exc. flor.): X = cod. Monacensis lat. 29110 (olim Buxheimensis), s. XIII/XIV D = cod. Berolinensis Dietzianus B Santen. 60, s. XIII/XIV H = cod. Harleianus 2745, s. XIV L = cod. Leidensis Bon. Vulc. 48, s. XIV P = cod. Vaticanus Reg. lat. 2120, s. XIII (olim pars florilegii Paris. 15155)49 Nach VOLLMER (1905) p. XXXV ist die Exzerptsammlung im 11./12. Jh. entstanden50. Unter dem Lemma Prouerbia horestis finden sich in folgender Anordnung Zitate der Verse (oder Versteile) 191 (om. L). 278–281 (om. L) [279 om. X]. 331–332. 337 (om. DL). 539. 452 (om. L). 544. 671. 903–904 (904 post 539 inser. P). 927–928 (927 om. D, 928 om. L). 951–952 (om. L). Der Teilkodex P hat den gesamten Versbestand der Orest-Exzerpte bewahrt. Neben einer Reihe nicht mitteilenswerter Eingriffe und Sonderfehler bietet er die folgenden Lesarten, die für eine stemmatische Zuordnung von Interesse sein können: 280 aut BXP: at A: as DH; 539 punisse αLP: -ire XDH; 903 pudebit αDL: pigebit XHP; 928 perfecta αX: permissa DHP; 951 quis αP: qui rell. Den Vers 904 (cum prius est in m a t r e nefas) hat der Schreiber von P aus eigener Entscheidung nach vorne gezogen und hinter 539 (nullum crimen erit m a t r e m punisse nocentem) eingeschoben, offenbar um die Härte der sentenzartigen Aussage 539 erträglicher zu machen (oder um die Stichworte matre / matrem zusammenzurücken) – ein weiteres Beispiel, wie frei die Nutzer solcher Florilegien verfahren können. Es entkräftet ebenso wie das oben zu dem Florilegium Veronense und den Seneca-Florilegien (Anm. 45) Ausgeführte die von Vollmer vorgetragene Argumentation, der Passus Orest. 427–452 sei nach 540 einzuordnen (übernommen von Rapisarda und Bouquet), weil in den ‚excerpta florilegii‘ (exc. flor.) der Vers 452 zwischen den Versen 539 und 544 stehe. Angesichts

48 Die Verdammungsurteile, die im Anschluß an Haase (29) u.  a. L. Müller (458) und Vollmer (1905, XXXIV) über den Ambrosianus gesprochen haben, sind in diesem Sinne zu revidieren (siehe auch unten zu Orest. 393). Ähnlich äußern sich Bouquet 72 und Grillone 26. 49 Siehe D. M. Robathan, The missing folios of the Paris Florilegium 15155, CPh 33, 1938, 188– 197. Dort S. 197 eine grobe Kollation der Orest-Lesarten des Teilkodex P (einige stillschweigende Berichtigungen gebe ich gleich anschließend). 50 Siehe ferner R. Burton, Classical Poets in the ‚Florilegium Gallicum‘ (Lat. Sprache u. Lit. des Mittelalters 14), Frankfurt/Bern o. J. (1983), 32. 339 ff. (s. Schetter Gn 58, 1986, 4525); Bouquet (1995) 72 f. und Grillone (2008) 20 f.



Die handschriftliche Überlieferung 

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der häufigen (oben näher erläuterten) Verwirrung der Versabfolge in den Florilegien sind solche Schlüsse unzulässig. Dies wird im Kommentar zu Orest. 427–452 weiter untermauert.

Für die Textkonstitution bieten die ‚excerpta florilegii‘ (exc. flor.) nur in Vers 281 einen Gewinn, wo im Florileg richtig sorte überliefert ist, während α die Verschreibung morte bietet. Ohne Bedeutung für die Textkonstitution sind die exempla Vaticana (ex. Vat.) = floril. Vat. Reg. lat. 215, s. IX (aus Tours),

in denen zweimal (als Vers 63 und 178) der Vers Orest. 661 zitiert wird, um die Prosodie muliērem als Muster vorzugeben.

Die genaue Entschlüsselung des bei Vollmer zu Orest. 661 als „exempla Vaticana Keilii“ eingeführten Überlieferungsträgers verdanke ich R. Jakobi: Es handle sich offenbar um „das Florileg. Vat. Reg. lat. 215 (Munk Olsen, L’ Étude II 873 f.), s. IX aus Tours, ed. H. Keil, Exempla poetarum, Halle 1872 und E. Chatelain, Revue de Philologie 7 (1883), 65 ff. Aus dem vaticanischen Florileg hat das prosodische Florileg ‚Exempla diversorum auctorum‘ Paris, BdF 4883a, s. XI, foll. 28–29 seinen Dracontius-Beleg (ed. A. Riese, Ein prosodisches Florilegium, RhM 26 (1871), 332–336; dort 336 [als v. 60 ausgeschrieben] der von Riese nicht identifizierte Beleg Orest 661). Zum Abhängigkeitsverhältnis dieser Florilegien: L. Traube MGH, Poetae car. Aev. III 273 A. 2.“ M. Deufert verweist zusätzlich auf das prosodische Florileg Venedig, Marc. Lat. Z. 497 (s. XI), wo fol. 49v, col. 1 der Vers Orest. 661 in der Fassung Nec labor est ullus mulierem sternere turpem dem Lukrez zugeschrieben ist (so F. L. Newton, Tibullus in Two Grammatical Florilegia of the Middle Ages, TAPhA 93, 1962, 253–286, dort 26625). Dazu mit bewundernswerter Umsicht R. Jakobi: „1. Die Hs. aus Venedig (s. XI Mitte lt. Munk Olsen II 875 f.) ist u.  a. bei Passalacqua, I codici di Prisciano 349 f. beschrieben; vgl. zuletzt Riesenweber, Victorinus Proleg. I 83 f. bzw. 149 f. und (mit neuester Literatur) Masi, CQ 2016, 370 ff. Das Orestzitat stammt aus dem grammatischen Florileg ff. 19–53, das auf Laurentius, den späteren Bischof von Amalfi, zurückgeht, der in Monte Cassino Handschriften der dortigen Bibliothek unmittelbar für seine Exzerpierung genutzt hat (vgl. F. Newton: Laurentius monachus Casinensis … opera, Weimar 1973, 9–11). 2. Zu diesen grammatischen Hss. gehörte m. E. eine Abschrift des prosodischen Florilegs aus Tours, das im Vaticanus erhalten ist; es wird auf dem gleichen Wege (Gerbert?) nach Italien gekommen sein, wie etwa Marius Victorinus (s. Riesenweber 77 ff.): Laurentius war wohl Schüler von Gerbert (ebd. 83). Das Florileg aus Tours ist, wie die fortlaufende Exzerpierung (Zitatketten aus dem gleichen Dichter) zeigt, nicht wie die späteren Florilegien aus anderen Florilegien geschöpft, sondern geht auf einen Grammaticus zurück, der sich seine Sammlung vornehmlich aus paganen und christlichen Schulautoren des 9. Jh.s, aber auch aus Priscian (fortlaufend die Nrr. 75–80) zusammengestellt hat. Wie die Berner Orest-Hs. zeigt, war an der Loire in dieser Zeit ein Orest-Exemplar greifbar. 3. Die Pariser Hs. schließlich ist, wie schon Keil  IV gesehen hat, vom Vaticanus abhängig. Kurzum: Das Florileg aus Tours ist die Quelle der Orest-Zitate. Ein Blick in die Keilsche

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 Prolegomena

Edition zeigt sofort, wieso aufgrund falsch plazierter Verfasser-Siglen aus einem anonymen Orest-Zitat später ein Lukrez-Zitat werden konnte.“

Im Hinblick auf die im Vorwort berührte Bonner Philologiegeschichte sei mitgeteilt, daß sich Büchelers Handexemplar des Orestes, die Ausgabe J. Maehlys (Leipzig 1866), in der Bonner Seminarbibliothek befindet (alte Inv.-Nr. 3811, Sign.: B 1312). Die mit Bleistift eingetragenen Randnotizen umfassen teils nachgetragene Handschriftenlesarten, teils eigene und fremde Konjekturen. Nur die letzteren sind hier von Interesse (ich stelle durchgehend auf die heutige Verszählung um): 38 „paterna ?“ (so schon Haase 1861; L. Müller 1866, 456; Schenkl 1867, Peiper 1875, Baeh­rens 1883)51; 61 et dans … mundi] sedans – mund[52; 72 post rarae tempora v[ („uel artae uel rarae“ konjiziert Peiper im App., nicht bei Baehrens); 81 et mystis pia; 91 fervet (so Rothm1 8, im App. Schenkls, in Peipers und Baehrens’ Text); 132 „spe sibi ?“; 133 praeterea] e praeda; 196 interea] in terra (so hatte Baehrens in 8,385 geändert); 212 indutum] indutu; am unteren Rand der Seite 9: „246. 248. 247. 249“ (so Schenkl 1867 mit L. Müller [bei Baehrens im App.], s. Rothm2 865; nicht Peiper); 258 erigit] „derigit ?“; 300 bene lusus erat (so Rothm1 12 und 2866, bei Schenkl im App.; von Peiper nicht erwähnt, bei Baehrens im Text); 309 [= 310] „nach 311 [= 312] ?“; am unteren Rand von S. 12: „337 u. 338 nach 342 ?“ (= 338. 339 nach 343); 352 occasu] „occasum ?“; 510 tunc] „cum ?“ (so A); 519 amore] more; 562 bis quino (so L. Müller 463, bei Schenkl, Peiper [ohne App.-Eintrag] und Baehrens im Text); 610 nostri sunt patris alumni] „sum – alumnus ?“; 677 nescire] rescire (so Haase [s. Peipers App.] und Baehrens [ohne Kenntnis Haases]); 870 uidit ut, armatur quod ferro more sacerdos] Bücheler tilgt das Komma und quod, verbessert das Verb zu armetur (so A und Bpc) und fügt vor more die Präposition de ein53; 875 hostia] hospes.

Nach heutigem Stand der Forschung verdienen allenfalls Büchelers Konjekturen zu 258 und 875 eine Erwähnung im Apparat; einige weitere hat er als Korrekturleser der MGH-Ausgabe Vollmers beigesteuert, s. dort zu Orest. 72. 73. 88. 423. 489. 562. 611. 691. Bestand haben persolu(en)s in 73 und inmune in 611.

51 Die Kursivierung des lateinischen Textes geht auf mich zurück (in Konsequenz des im gesamten Buch geübten Verfahrens). 52 Das Exemplar ist leider beim Binden zu stark beschnitten worden. 53 Mit Ausnahme des Konjunktivs ist dies die Lesart Rossbergs im Kommentar (1889, 97). Rossberg behält den Indikativ in der indirekten Frage bei, mit Verweis auf seinen Kommentar zu 71 (und setzt vor ut ein Komma). Vollmer schreibt vidit ut, armatur more sacerdos (ebenso Bouquet und Grillone, die allerdings auf das Komma verzichten und nur ex in spitze Klammern setzen). Die durch Konjektur eingeführte Synalöphe ferro ex erweckt bei Dracontius Verdacht, doppelten Verdacht, weil sich die Junktur ex more bei ihm nicht findet, wohl aber viermal de more.

II Organisation und Gliederung der Texte in dem Sammelkodex N  Die offenkundigen Gliederungsmittel54 des auf das oben genannte Bobbienser Exemplar zurückgehenden Gedichtbuches Romulea der Handschrift N sind einerseits die Durchnumerierung (von I bis X) der zehn Stücke55, andererseits die Auszeichnung der Titel und Schlüsse durch Incipit- und Explicit-Einträge, wie sie im Text und im Apparat der Ausgabe nachgewiesen sind. Daß die zu Beginn der Handschrift stehende Praefatio als ‚Romuleum I‘ und der folgende Hylas als ‚II‘ gezählt werden, dürfte dem vom Lemmatisten (N2) eingetragenen ‚Titulus‘: Prefa­ tio Dracontij discipuli ad grammaticum Felicianum … cum Fabula ylae widersprechen. Das gleiche gilt für das Verhältnis von Praefatio und Verba Herculis, die mit den Nummern III und IV ausgezeichnet sind. Die Numerierung stammt also kaum von Dracontius selbst, sondern von einem späteren Herausgeber56. Auch das vom Lemmatisten (N2) gegebene Stichwort a d l o c u t i o im Incipit und Explicit von III und IV III. Exp. fabula ylae. Incipit praefatio ad felicianum grammaticum: | cuius supra57 in auditorio cum ad locutione N2 IV. Exp. praefatio. Incipit ad locutio. Verba Herculis cum uideret | Hydrae serpentis capita pulare post caedes N2

gehört nicht zum ursprünglichen Titel. Dieser lautet vielmehr Verba Herculis cum uideret etc. So ist er in der Teubneriana gedruckt. Die beiden P r a e f a t i o n e s dagegen sind dort der Konvention gemäß als selbständige Einheiten beibehalten. Es handelt sich um zwei Beispiele der in den Schuldeklamationen üblichen προλαλιαί oder praelocutiones, die der Darbietung des eigentlichen Stückes (oder auch einer Tragödienrezitation) vorausgingen58. 54 Verwiesen sei auf das Standardwerk von B.-J. Schröder, Titel und Text, Berlin – New York 1999 (UaLG 54). 55 Wie oben gezeigt, ist die Medea in zwei Fassungen gegeben, aber nur einmal (als Nr. X) gezählt. 56 Siehe P. L. Schmidt (1984) 693. 57 R. Jakobi erinnert an die ähnlich verknappte Verwendung von supra in den Tituli des Codex Salmasianus, etwa in AL 218 SB, 220 SB, 235 SB, 315 SB, 330 SB (jeweils unde supra); 303 SB (in supra scriptum etc.); 349 SB (in epitaphion supra scripti Olympii). Cuius supra könne demzufolge wohl so etwas bedeuten wie „des gleichen oben (d.  h. im Titulus von Romul. 1) bezeichneten Felicianus.“ 58 Ich begnüge mich bequemlichkeitshalber mit einem Hinweis auf meine Dissertation (‚Die Rezitationsdramen Senecas‘ [1966]) S. 164 f.; s. auch Chr. Heusch (1997) 2275.

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 Prolegomena

Im überlieferten Text der Controuersia (Romul. V) sind die Gliederungsvermerke N a r r a t i o (53 N2 in marg.), E x c e s s u s (118 N in marg.), E p i l o g i (260 N in marg.) zu Recht lediglich als Randzusätze gegeben, teils von erster Hand, teils vom Lemmatisten. Sie gehören nicht in den Text. Das gilt aber auch für die dreimaligen Vermerke Q u e s t i o, die der Lemmatist (N2) zu Unrecht in einem Zuge mit den Selbsteinwürfen At inquies … in die freigelassenen Zeilen vor 168. 183 und 224 gesetzt hat. Auch diese Gliederungshinweise sind als Randzusätze des spätantiken Herausgebers einzuordnen. Das beweisen die entsprechenden At inquies-Einwürfe in der Deliberatiua Achillis (Romul. IX). Dort ist (ebenso wie in VIII) der Lemmatist zugleich der Hauptschreiber des Textes. Er hat jeweils in den Zeilen vor 9,37 und 78 die fiktiven Einwürfe des Gesprächpartners durch At inquies eingeleitet, aber Q u e s t i o jeweils an den linken Rand der Zeilen 37 und 78 gesetzt. Auch den Gliederungspunkt E p i l o g u s hat er lediglich als Randeintrag zur Zeile 141 gegeben. Analog ist in der Controuersia zu verfahren. Über diese rhetorischen Gliederungsschemata der Deklamationsstücke des Dracontius handelt Bureau (2006) im Kapitel 1.1. „Structure déclamatoire et organisation du poème dans la Controverse“. Er vertritt die m. E. nicht haltbare These, „que la structure même de l’œuvre soit scandée par les parties mêmes de la déclamation: Narratio, excessus, epilogi qui viennent interrompre comme des titres de parties la continuité du poème.“ Er sucht diese Auffassung zu stützen durch einen Verweis auf die dictio 21 des Ennodius (verfaßt im Jahre 509), in der diese argumentative Struktur am weitesten (unter den dictiones des Ennodius) entwickelt sei. Es hat den Anschein, als sei diese Deklamation gegliedert durch die Kapitelüberschriften Thema. Lex, praefatio, principium, narratio, obiectio, excessus, exempla, epilogus59. Aber wenn man die übrigen dictiones überprüft (in denen diese gliedernden Zwischenüberschriften allermeist fehlen) und zusätzlich das Schwanken der Handschriften in der Übernahme oder Unterdrückung dieser Lemmata mit ins Kalkül zieht, kommt man zu dem Schluß, daß in der dictio 21 ein Sonderfall der Überlieferung vorliegen dürfte, in der zufällig einmal die sonst als Randeinträge markierten Lemmata mehrheitlich in den Text mitaufgenommen wurden. Das gilt analog für die mit den DracontiusDeklamationen eng verwandte Vers-Controuersia AL 21 R2 (= 8 SB) aus dem Codex Salmasianus60: Dort erscheinen in der jüngsten Ausgabe Shackleton Baileys die folgenden gliedernden Zwischenüberschriften: , , Excessus, , Exemplum, , , , , Epilogus (wo die Handschrift

59 B.-J. Schröder geht in ihrem Ennodius-Kapitel (206–209) auf diese Untergliederungen nicht ein; zu Kapitelüberschriften allgemein dort 122–127. 60 Besonders Courtney (1984) hat die enge Verbindung dieser Controversia und der AchillesDeklamation AL 198 R2 (= 189 SB) zu Dracontius herausgestellt. Eine lehrreiche Einordnung solcher Vers-Controuersiae und -Ethopoiien in den antiken Rhetorikunterricht und Literaturbetrieb bietet Chr. Heusch (1997) 19–40 (zur Versifizierung dort S. 26 f. 34 ff.).



Organisation und Gliederung der Texte in N 

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epilogi bietet)61. Der Salmasianus hat also lediglich drei Gliederungsvermerke tradiert: excessus, exemplum, epilogi. Wir dürfen vermuten, daß sie in der Vorlage des Salmasianus ebenso als Randlemmata gegeben waren wie die oben vorgeführten Entsprechungen aus Romul. V und IX. Nun scheint aber Vollmer (1905) zu 5,118 das dort überlieferte Excessus durch Quint. inst. 3,9,4 stützen zu wollen. In diesem Kapitel handelt Quintilian über die Gliederung der Gerichtsrede. Nach der Meinung der überwiegenden Zahl der Rhetoriklehrer bestehe sie aus fünf Teilen (prooemium, narratio, probatio, refutatio, peroratio), manche hätten aber drei weitere Teile hinzugefügt: partitio, propositio, excessus (inst. 3,9,1). Diese seien jedoch (so Quintilian in 3,9,2–4) nicht selbständige Teile, sondern untergeordnete Bestandteile der fünf partes, so etwa die egressio (die neuerdings mit Vorliebe als excessus bezeichnet werde) ein adiutorium uel ornamentum partium: ein Hilfs- oder Schmuckmittel für die Teile. Sollen diese (teils unter den Rhetoriklehrern umstrittenen) Dispositionsschemata einen materiellen Niederschlag im Text der konkreten Reden finden? Der Redner Cicero hat keine seiner vielen Reden in die starren Gliederungsschemata gezwängt, die der Rhetoriklehrer Cicero überliefert und diskutiert; er hat auch weder beim Vortrag noch bei der Ausarbeitung der schriftlichen Publikationsvorlage die sterilen Gliederungspunkte prooemium, narratio, probatio etc. in den Text seiner Reden gesetzt. Ebensowenig kann man m.  E. annehmen, daß Dracontius in der Vers-Deklamation die poetische Fiktion durchbricht und z.  B. nach 5,167 den versammelten Hörern „Quaestio!“ zuruft, um ihnen die scholastische Dispositionsanalyse zu verdeutlichen, statt direkt den Einwand des fiktiven Interlocutors „at inquies“ etc. zu formulieren. Ganz entsprechend sind m.  E. die übrigen „metapoetischen“ Tituli in der Handschrift zu beurteilen. Sie dürften frühestens von dem grammatisch und rhetorisch geschulten Veranstalter der antiken Editio princeps als Orientierungshilfen für den Leser hinzugeschrieben worden sein.

Die sonstigen Gliederungen der Dracontiushandschrift N geschehen durch ἔκθεσις der Initiale62. Das gilt für den Anfangsbuchstaben eines jeden der elf Stücke (die beiden Medeen haben nur einmal die Nummer X, aber jeweils ἔκθεσις der Auftaktinitiale), ferner für P (auper) in 5,53; Q (uod) in 5,118; S (i) in 5,168, T (etra) in 5,183, S (i) in 5,224; V (idimus) in 5,260; N (on) in 9,37; H (ectorea) in 9,78 und D (esine) in 9,141. Das Proöm zur Medea hat N durch Leerzeile nach Vers

61 Es sei aber vermerkt, daß Shackleton Bailey alle Gedichtüberschriften (dann aber wohl auch die Kapitelüberschriften) der Anth. Lat. als sekundär einschätzt (‚quamvis ipsorum poetarum non sint‘) und sie nur mit Rücksicht auf die Bequemlichkeit des Lesers beibehält (S. XII). Zu den Gedichtüberschriften der Anthologia Latina s. B.-J. Schröder 293–296 (und jetzt, wie R. Jakobi nachträgt: A. Breitenbach, WS 130, 2017, 361–380, bes. 366f.); zum Aufbau der Deklamationen s. Dingel (1988) 35 ff. 62 Zu diesem Phänomen siehe B.-J. Schröder 103–105. – Auch der Auftakt eines jeden Verses ist in den Handschriften durch Majuskelbuchstaben hervorgehoben. Dies bleibt – wie üblich – in der Teubneriana unberücksichtigt, abgesehen von einigen wenigen Fällen im kritischen Apparat, wo durch Wiedergabe der Groß-Initialen (z.  B. H/N) das (paläographische) Verständnis für die Entstehung der jeweiligen Korruptelen oder Varianten geweckt werden soll.

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 Prolegomena

31 und ἔκθεσις von D (iues) in 10,32 abgeteilt, Galbiato lediglich durch ἔκθεσις von D (iues) in 10,32 (s.  o. S. 7). Diese Beobachtungen sprechen gegen Vollmers Vorschlag, vor 5,198 den Ausfall einer Zeile mit dem Titel einer neuen Quaestio anzusetzen (), siehe den krit. App. der Teubneriana. Denn die neue Quaestio hätte durch ἔκθεσις von F (orsitan) – und durch das übliche voraufgehende Abschlußzeichen am Ende des vorigen Abschnittes (Doppelpunkt bzw. dreifacher Punkt mit folgender Schlangenlinie) – markiert werden müssen. Wenn man non opus est laedatur so versteht, daß der Verteidiger der Stadt nicht durch Ablehnung seiner Forderungen beleidigt werden dürfe, kann man wohl ohne die Annahme eines Textverlustes auskommen. Die kritische Arbeit am Dracontiustext, wie sie sich im Bobbienser Exemplar manifestierte, spiegeln bestimmte Korruptelzeichen, die sich am linken Rand einer Reihe verderbter oder als verderbt angesehener Verse (vor dem Majuskelauftakt des jeweiligen Textes) befinden. Häufig werden sie über dem speziell als korrupt eingestuften Wort wiederholt  – oder sie erscheinen überhaupt nur dort, ohne zusätzliche Markierung am Versbeginn. Da sie oben auf das Bobbienser Exemplar zurückgeführt werden konnten (s. S. 7), sind sie im kritischen Apparat der Teubneriana (dort jeweils positionsgerecht) verzeichnet63. Hier die im Druck verwendeten Sigla mit Angabe der jeweils betroffenen Verse: ∴ Drei in Form eines Dreiecks angeordnete Punkte; es ist dies das kritische Standardsiglum des Bobiensis64. Im ‚Orestes‘ (der auf anderem Überlieferungswege auf uns gekommen ist) begegnet es fünfmal im Kodex A anläßlich des Randnachtrags von fünf

63 Als Sonderzeichen von N (man. prim.) hat die Platzanweisung °// für die am Rand nachgetragenen Verse in 2,10 und 2,50 zu gelten. Auch die Anweisung in 5,286, die Wortfolge lassos fortis umzukehren (über lassos stehen zwei kurze Striche ["], über fortis einer [']), geht auf den Kopisten N zurück. Dagegen markiert die Sigle /· über dem i von ericto in 5,130 die bereits in β gegebene Zuordnung zu der Rand­variante allecto (dort ist die Sigle /· über dem e wiederholt); ganz entsprechend ist der Befund in 10,336 (/· über lauro, wiederholt über der Randvariante electro, so NG). Einmalig für β (NG) scheint die Sigle „Punkt, gefolgt von gebogenem Kurzstrich“ über Blatea in 10,260 belegt. 64 1,6. 20; 2,17 (am rechten Rand wegen der Lücke am Versende); 2,24. 36. 64. 84 (Lücke zu Beginn). 126. 138 (Lücke am Versende). 145 (Lücke am Versende); 4,11. 22. 30; 5,38. 61. 130. 152. 197 (Lücke zu Versbeginn). 205 (Ausfall des zweiten Wortes). 208. 232 (zusätzlich /· über legis). 308. 316. 322. 323; 6,1. 13; 7,47 (am Rand und sowohl über posculis als auch über fensibus). 85; 9,105. 114; 10,9 (unter q[ue]; nur in N). 14 (NG). 59 (NG). 127 (NG). 189 (NG). 212 (NG). 256 (NG). 301 (am linken Rand, aber durch zwei Schrägstriche nachträglich getilgt, so in NG). 333 (NG). 354 (NG). 355 (NG). 372 (NG). 460 (NG). 510 (NG). 538 (NG). 563 (nur N). 576 (nur G), 576 (über anheli NG). 586 (NG). 590 (NG). 591 (NG).



Organisation und Gliederung der Texte in N 

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Varianten65, ein weiteres Mal am Rand von 533 (fol. 97r) als Korruptelzeichen. Ein entsprechendes Siglum aus vier Punkten in Form einer Raute bietet einmalig die Hs B zur Markierung des Ausfalls (und anschließenden Nachtrags) von Vers Orest. 305, s. dort den krit. App.66, †  die Crux wird nur selten verwendet; auch sie steht sowohl allein vor dem Vers als auch in Kombination mit zusätzlicher Wiederholung über dem ins Auge gefaßten Wort67, ꝶ „Such“-Anweisung: require68.

Um Verwirrungen zu vermeiden, sind bei der Darbietung des lateinischen Textes folgende Differenzierungen beachtet: = Indizierung oder konjekturale Ergänzung eines mechanisch nicht kenntlichen Textausfalls […] = Angabe oder konjekturale Ergänzung eines freigelassenen Spatiums der Handschrift {…} = Tilgungsklammern

∴ ∴ 65 Siehe Orest. 10 sororum] in marg. (dextr.): ∴ aľľ (alia lectio) furorum; 101 uultus] in marg.: ∴ ∴ ∴ ∴ ∴ ∴luctus; 114 uisura reges] in marg.: phryges; 333 cythara] in marg.: cytherea; 367 Iupiter estis] in marg. sinistr. ∴hostis. 66 Das Dreipunktedreieck findet sich auch im cod. Oblongus des Lukrez: So M. Deufert mit Verweis auf D. Ganz, Lucretius in the Carolingian Age: The Leiden Manuscripts and their Carolingian Readers, in: C. A. Chavannes-Mazel and M. M. Smith (edd.), Medieval Manuscripts of the Latin Classics: Production and Use, Los Altos Hills / London 1996, 91–102 (dort 95 f.) und D. Butterfield, The Early Textual History of Lucretius, Cambridge 2013, 220–228. 67 10,479 (am linken Rand, wiederholt über der Zeile zwischen signat und tabellas NG). 531 (über dem zweiten r von Mermerus N, über dem i von Mermrius G). 532 (NG). 583 (NG). 68 Am linken Rand der Verse 5,254; 6,103; 10,127 (ferner 2,126 Cy pro ꝶ); am rechten Rand von 7,85. Dieses Symbol vertritt das griechische Zeta (Ζ); richtig gedeutet bereits von Schenkl (1873) 5112. Hierzu ein Zitat Michael Reeves aus dem neuesten Gnomon-Heft (Gn 88, 2016, 519 f.), in dem er M. Steinmann, Handschriften im Mittelalter. Eine Quellensammlung, Basel 2013 bespricht. Den Beginn des dort aufgeführten Textes Nr. 91 referiert Reeve wie folgt: „Paulus Diaconus sends to Corbie a copy of Gregory’s letters in which he has marked with the symbol zeta (Z, for ζήτει = require) passages that need correcting.“

Kritischer Kommentar

ROMVLEA I praefatio ad grammaticvm felicianvm Die Praefatio69 gibt sich als Widmungsgedicht des Dracontius an seinen Lehrer und gelehrten Meister (12 sancte pater, o magister; 16 doctor), den die zweite Hand des Kodex N70 als den Grammatiker Felicianus (aus Karthago) identifiziert: Wie die Schriften der Altvorderen von Orpheus erzählen, er habe auf seiner Leier so süße Lieder gesungen, daß die wilden Tiere herbeikamen  – und zwar die blutrünstigen Bestien ebenso wie die friedlich gesinnten – und gebannt seinen Klängen lauschten (1–5), so müsse man Entsprechendes über ihn, den ehrwürdigen Vater und Lehrer, singen, der Karthago die zuvor verscheuchte Literatur und Dichtung zurückgebracht und Römer und Barbaren in seinem Auditorium vereint habe, eine in der Tat erstaunliche, die Reihen füllende Zuhörerschaft, die sich von dem süßen Klang seiner Stimme habe gefangennehmen lassen (12–16): O r p h e u m u a t e m renarrant ut priorum litterae c a n t i t a s s e dulce carmen uoce neruo pectine inter ornos propter amnes atque montes algidos, quem benignus grex secutus cum cruenta bestia 5 audiens melos stupebat concinente pollice 10

(tunc feras reliquit ira, tunc pauor non territat: lenta tigris, ceruus audax, mitis ursus adfuit, non lupum timebat agna, non leonem caprea, non lepus iam praeda saeuo tunc molosso iungitur; artifex natura rerum quis negat concordiam, hos chelys Musea totos O r p h e u s que miscuit),

sancte pater, o magister, taliter c a n e n d u s e s, qui fugatas Africanae reddis urbi litteras, barbaris qui Romulidas iungis auditorio, 15 cuius ordines profecto semper obstupescimus, quos capit dulcedo uestri, doctor, oris maxima.

69 Ich drucke sie hier gleich in bereinigter Form; die Begründungen folgen. 70 Es handelt sich um den „Lemmatisten“ oder „Rubrikator“ (in N sind unterschiedliche Tinten, keine Farben verwendet), der selbst die Stücke VIII und IX des Kodex N geschrieben hat, s.  o. S. 5 (und Anm. 33).

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 Kritischer Kommentar

Nostra uota te precamur ut secundes, optime, ante cuncta non recusans illud ipse pendere, non tuas si rite laudes, mente sed qua concinam: 20 nos licet nihil ualemus, mos tamen gerendus est. ergo deprecantis, oro, cinge lauro tempora.

Schon die Versarithmetik zeigt, daß die seit Vollmer (1905) eingeführte Parenthese nicht die Verse 4–11 (so alle Editionen seit 1905), sondern 6–11 umfaßt: Die 5 Eingangsverse des Orpheusvergleichs (eingeleitet durch ut priorum litterae renarrant c a n t i t a s s e Orpheum uatem: 1 f.) werden durch die 5 Apodosisverse (taliter c a n e n d u s e s, sancte pater, o magister, qui … reddis litteras Africanae urbi: 12 f.) aufgenommen, an die sich dann die 5 Schlußverse (17–21) fügen, in denen Dracontius um gütige Aufnahme seiner Poesie durch den Gönner und Inspirator, schließlich um Anerkennung als Dichter bittet71. Der anfänglich pauschale Orpheusvergleich wird um ein parenthetisches Genrebild von 6 Versen (6–11) erweitert, in denen das durch die Macht der Musik bewirkte friedliche Beiund Miteinander der gesamten Tierwelt detailliert ausgemalt und dieses an sich widernatürliche Verhalten dem Zauber der Musen und ihres Sängers Orpheus zugeschrieben wird, so daß der ganze Orpheusabschnitt durch die Stichworte Orpheum uatem und Orpheusque miscuit einen festen Rahmen erhält. Den Orpheus-Vergleich bezogen auf den Lehrer und Förderer konnte Dracontius aus der ebenfalls versifizierten Praefatio Claudians zum 2. Buch ‚De raptu Proserpinae‘ beziehen – auch wenn er ihn im einzelnen ganz anders durchführte. In beiden Praefationes wird die Leistung des Förderers im Orpheus-Mythos (bei Claudian zusätzlich im Hercules-Mythos) gespiegelt. Beide Adressaten haben das Verdienst, die dahinsiechende Musenkunst wieder zum Leben erweckt zu haben, s. Claud. rapt. Pros. 2 praef. 50 ff. tu [sc. Florentine] mea plectra moues | a n t r a q u e M u s a r u m l o n g o t o r p e n t i a s o m n o | e x c u t i s et placidos ducis in orbe choros und Drac. Romul. 1,13 q u i f u g a t a s A f r i c a n a e r e d d i s u r b i l i t t e r a s, | barbaris qui Romulidas iungis auditorio72.

71 Dabei kombiniert er das in Vers 21 anklingende Selbstbewußtsein des Horaz, der sich seiner neuartigen Dichterleistung sicher ist (carm. 3,30,14 ff. sume superbiam | quaesitam meritis et mihi Delphica | lauro cinge uolens, Melpomene, comam) mit dem aus Calpurnius übernommenen Bescheidenheitstopos (Calp. ecl. 4,14 f. nunc mea rusticitas, si non ualet arte polita carminis, at certe ualeat pietate probari), s. Romul. 1,19 f. 72 De Prisco (1974) hat versucht, diese Verse mit der Wiedereröffnung der Schule in Karthago in Verbindung zu bringen; doch s.  u. Anm. 79. Zum Orpheus-Vergleich s. Bücheler, RhM 28, 1873, 348; vor allem aber jüngst die Studie von A. Stoehr-Monjou (2005), die aus Überzeugung (s. Anm. 2) in allem dem Text Bouquets (1995) folgt.



Romul. I (Praefatio ad Gramm. Felicianum) 6–11 

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Wie oben zum Verhältnis der Verse 1 f. / 12 f. angedeutet, spiegelt auch sonst die Apodosis des Vergleichs (die Verse 12–16) bewußt das Wortmaterial und die Motivik der Auftaktverse des Vergleichs (1–5), siehe 2 dulce carmen uoce / 16 dulcedo uestri … oris, 4 quem benignus grex s e c u t u s c u m cruenta bestia / 14 barbaris qui Romulidas i u n g i s, 5 audiens … stupebat / 14 f. auditorio … obstupescimus. Demgemäß wird das zentrale Motiv von dem widernatürlichen Frieden zwischen reißenden Raubtieren und dem sonstigen zahmen Wild in der Parenthese durch Stichworte gekennzeichnet, die den Versen 4/14 entsprechen: Auf secutus cum (4) folgt adfuit (7), dem Stichwort iungis (14) gehen iungitur (9) und natura rerum quis negat concordiam, | hos … miscuit (10 f.) vorauf. Damit ist aber in Vers 9 die von keinem Herausgeber in den Text genommene Emendation i u n ­ g i t u r (Peiper; iugiter N) gesichert. Den größten Schaden hat die Praefatio des Dracontius in Vers 6 erlitten, wo ∴ ∴ Vollmer die beiden Crux-Zeichen über in und Territa (in mei Terr ita N) als Korrekturanweisungen deutet, und zwar in dem Sinne, daß ita nach in mei eingefügt werden solle, „quo inserto iumenta paene habes effectum“ (1905, S. 132, App.). Für eine solche Funktion der in der Dracontius-Überlieferung recht häufig begegnenden Korruptelzeichen73 gibt es keine Parallele. Da aber trotz dieser vermeintlichen Verbesserungsanweisungen dem so entstandenen Vers eine Silbe fehlt, ergänzt Vollmer ein nachklappendes tunc, das nun verloren am Schluß der Zeile 6 steht, obwohl es sinngemäß den Vers 7 einleiten soll. Gleichwohl findet Bouquet (1995) Vollmers Korrektur in Hinblick auf Paläographie und Sinn überzeugend (S. 2434) und nimmt sie in seine Ausgabe auf74. Aber man muß nur Vollmers Text im Zusammenhang zur Kenntnis nehmen, um zu sehen, daß die im dritten Glied holprige Anaphorik seines Verses 6 schon durch die Verse 8 f. widerlegt wird: 6 tunc f e r a s reliquit ira, tunc pauor i u m e n t a, tunc lenta tigris, ceruus audax, mitis ursus adfuit, non lupum timebat agna, non leonem caprea, non lepus iam praeda saeuo tunc molosso iungitur75.

73 Siehe o. S. 16 mit Anm. 64. 74 Diaz de Bustamante (1978) hatte sich für tunc pauor i n t e r r i t a s (Ellis 254) entschieden und die übrigen Philologen getadelt, daß sie die Lesung des Archetyps aufgegeben hätten. Daß ihm Ellis ein unmetrisches Kuckucksei beschert hat (das die unerläßliche Positionslänge der Schlußsilbe von pauor beseitigt), scheint ihm entgangen zu sein. Dracontius aber hat sein Widmungsgedicht an den verehrten Lehrer in katalektischen trochäischen Oktonaren verfaßt, die metrisch tadellos sind. 75 Es ist (lepus) non iam praeda zusammenzunehmen, vgl. 19 non si rite (tuas laudes), sed qua mente (concinam).

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 Kritischer Kommentar

Zwar werden einmal bei Alcimus Avitus (4,264) den siluarum feris die iumenta beigeordnet, aber wenn es Dracontius in Vers 6 auf die Antithese von wilden Raubtieren und zahmem Vieh angekommen wäre, hätte er wohl die ihm aus Verg. ecl. 4,22 und Hor. epod. 16,33 bekannte Junktur a r m e n t a leones verwertet, die er laud. 2,387 bei der Schilderung der Sintflut in der Form nullos m e t u u n t a r m e n t a leones, | nam p a u o r unus erat wiedergibt. In Wirklichkeit malt der Dichter in der Parenthese 6 ff. die Grundsituation der fünf Auftaktverse näher aus: Da Orpheus im unwirtlichen Thrakien inter ornos propter amnes atque montes algidos singt (3), handelt es sich bei den Tieren, die der Zauber seiner Klänge anzieht, von vorneherein nicht (auch nicht anteilig) um Haustiere76, sondern um wild lebende Tiere, die aufgespalten werden in gutmütiges Wild (benignus grex) und blutrünstige Bestien (cruenta bestia). Beide Arten finden sich friedlich beim Sänger ein, so daß die Parenthese mit dem zweiteiligen Mottovers anheben kann (6): tunc f e r a s reliquit ira, tunc pauor non territat, d.  h.: Der Klang der Leier des Orpheus bewirkt, daß die zuvor genannten Bestien unter den wild lebenden Tieren (ferae) ihr wütiges Wesen verlieren, der benignus grex unter diesen Wildtieren (ferae) aber legt seine ängstliche Scheu ab77. Das führt dann in den Versen 7–9 zu erstaunlich hybriden Kombinationen (punktierte Unterstreichung bedeutet „zahm“ bzw. „ängstliches Wild“, durchgezogene Linie „aggressiv“ bzw. Raubtiere“): 7 lenta tigris, ceruus audax, mitis ursus adfuit, non lupum timebat agna, non leonem caprea78, non lepus iam praeda saeuo tunc molosso iungitur.

76 Schon aus diesem Grund kann man Stoehr-Monjou (2005) nicht folgen, wenn sie von „l’opposition entre des animaux domestiques (iumenta) et des animaux sauvages (feras)“ spricht, „qui annonce celle entre Romains autochtones et envahisseurs vandales“ (192); vgl. 194: „Les Vandales sont ensuite symbolisés par les ferae (barbaris v. 14), les Romains par les iumenta“. 77 Das Korruptelzeichen über Territa beanstandet also zu Recht die fehlende Endung. Wegfall oder falscher Zusatz eines Buchstabens am Wortende ist ein häufiger Fehlertyp in N, so gleich wieder in 7.  18. 19 (s. den kritischen App.). Was sich in der Vorlage hinter dem von N durch ∴ in mei wiedergegebenen Buchstabenkomplex verbarg, wird man paläographisch nicht sicher deduzieren können; vermutlich liegt eine phonetisch bedingte Verschreibung des von Petschenig restituierten non in nun/nunc zugrunde (nil hatte Bücheler vermutet). Jedenfalls darf Petschenigs non territat als rundum gelungen gelten. Zu pauor non territat siehe Plaut. Epid. 529 p a u o r t e r r i t a t mentem animi; Sil. 5,80 terrente pauore, ebenso zweimal Dracontius (Orest. 157. 459); Aegr. Perd. 283 f. nec te pauor ullus | terruit. Das Verb territat begegnet viermal bei Vergil, je fünfmal bei Statius und Coripp, ferner bei Seneca, Lucan, Val. Flaccus und weiteren Dichtern. 78 Der Vers speist sich aus Hor. epod. 12,25 ut p a u e t acres agna lupos capreaeque leones.



Romul. I (Praefatio ad Gramm. Felicianum) 6. 3. 12 

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Obwohl diese beiden Gruppen in der Natur einander feind sind, bringen die Leierklänge des Orpheus sie dazu, sich in paradiesischem Frieden zu vereinen (9 f.). Inwieweit sich in diesem poetischen Bild die Realität der zeitgenössischen Bildungskultur spiegelt, darüber gehen die Meinungen auseinander79. Man darf aber wohl sagen, daß die dreistufige Orpheus-Allegorie, die A. Stoehr-Monjou (2005) in dieser Praefatio zum Ausdruck gebracht sieht („politique, religieux et culturel“)80, im Text des Dracontius selbst keinen Anhalt hat81. Abschließend sind noch einige Textstellen dieser Praefatio zu besprechen: Zu Vers 3: Seit Baehrens, dem „propter montes wenig lateinisch scheint“ (Baehr4 266), verbessert man in den Ausgaben das überlieferte atque zu adque. Aber die Präposition ad wird nur an vereinzelten Stellen vorklassischer Dichtung mit -que verbunden. Die Junktur ad montes hat immer ein Verb wie fugere, cedere, concurrere zur Voraussetzung, von dem ad als Präposition der Richtungsangabe abhängt. Inhaltlich bringt der Vers zum Ausdruck, daß Orpheus in einem Hain von Eschen singt, der am Ufer eines Flusses in den Bergen liegt (propter amnes atque montes darf als eine Art Hendiadyoin gelten wie chelys Musea … Orpheusque in Vers 11). Seit Vergils cantando rigidas deducere m o n t i b u s o r n o s (ecl. 6,71) ist die Symbiose von montes und orni in der lat. Dichtung topisch; das gilt ähnlich für Flüsse und Berge (s. Aen. 4,164 ruunt de m o n t i b u s a m n e s). Ovids Orpheus hat sich met. 10,86 f. das Plateau eines Hügels mit üppig begrünter Rasenfläche ausgesucht, für die er sich den Schatten durch das Herbeisingen verschiedenartiger Bäume erst selbst noch schafft. In Vers 12 habe ich das von Baehrens4 267 geforderte Pronomen aufgenommen. Der triviale Eingriff (Ergänzung eines haplographisch bedingten Silbenausfalls) ist aus metrischen Gründen kaum zu umgehen: pater wird in der Dichtung immer mit kurzem ă gemessen, so 31mal bei Dracontius selbst82. Trotzdem drucken alle Herausgeber nach Baehrens wieder den Versauftakt sancte pater o magister, ohne sich zur Metrik zu äußern. Daß durch die korrigierte Textfassung pater das einzige aufgelöste Element in die 21 Tetrameter eingeführt wird, macht keine Schwierigkeit im Vergleich zu der falschen Prosodie des allgegenwärtigen Nomens; denn eine solche Auflösung ist im (katalekt. troch.) Tetrameter

79 Eher skeptisch zuletzt K. Vössing, Das Königreich der Vandalen, Darmstadt 2014, 100 f. Weitere Literatur zum Thema bei L. Galli Milić, Bloss. Aem. Dracontii Romulea  VI–VII, Firenze 2008, 1834. 80 Ich begnüge mich damit, aus der Conclusion zu zitieren (201): „D’une part l’enseignement de Felicianus, magister civilisateur des Vandales, instaure un nouvel âge d’or à Carthage. D’autre part la présence d’éléments évoquant l’Orphée chrétien, Orphée-Christ ou Orphée-David, suggère une interprétation nettement plus incisive qui présente les Vandales comme de cruels hérétiques domptés par un Felicianus évangélique apportant la Paix. Enfin son maître dispense un enseignement tout romain.“ 81 Ebensowenig besteht ein Bezug zu dem Hymnus Prud. cath. 9 (Stoehr-Monjou 2005, 198. 201). 82 In ThLL X 1,668,31 ist Drac. Romul. 1,12 als einziger Ausnahmebeleg für die Messung pāter eingestuft – zu Unrecht.

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 Kritischer Kommentar

grundsätzlich jederzeit möglich. Prudentius etwa verwendet das gleiche Versmaß in cath. 9 und perist. 1. Innerhalb der 114 Verse von cath. 9 finden sich zwei Auflösungen (40 mulier attigit, 103 hominem reddidit – jeweils am Versausgang), innerhalb der 120 von perist. 1 sind es ebenfalls zwei (63 proprium dei [Versschluß], 72 grauibus ambit circulis). Vergleicht man die 68 jamb. Trimeter der Praefatio zur Psychomachie, so ist dort in den Verse 1–51 eine einzige Auflösung zu verzeichnen (17 Sodomae et Gomorrae, am Versbeginn), im Abschnitt 52–68 aber folgen drei weitere (52. 64. 66 – alle am Versauftakt); die ebenfalls in jamb. Trim. gegebene Praefatio zu hamart. enthält in 63 Versen nur eine Auflösung, den Auftakt animaeque des Verses 55. Der Dichter Ausonius dagegen scheut derlei Auflösungen überhaupt nicht: In den sieben katal. troch. Tetrametern, die er an seinen Neffen, den Grammatiker Herculanus, richtet (prof. 11), läßt er sechs Auflösungen zu, darunter den Vers lubricae nĭsĭ te iuuentae praecĭpĭtem flexus daret (11,11,4 Green), dessen erste Hälfte gut dem Auftakt sancte tu, pater, o magister entspricht. Während Ausonius die doppelte Rhythmenbeschleunigung des Verses  4 vermutlich deshalb wählt, um die Unstetigkeit der Jugend, von der im Text gehandelt wird, im Metrum widerzuspiegeln, könnte es Absicht des Dracontius gewesen sein, durch die einzige Auflösung im Widmungsgedicht an Felicianus den Begriff pater als das wesentliche Merkmal hervorzuheben, durch das er das Verhältnis zu seinem Lehrer Felicianus geprägt sieht. Die ausdrückliche Einführung des Personalpronomens (tu wird dann in Vers 17 durch te aufgenommen) ist auch aus stilistischen Gründen höchst willkommen, weil so nach elf Orpheusversen der Übergang zum Lehrer Felicianus nachdrücklich markiert wird. Als sprachliche Parallele mag ein beliebig herausgegriffener Beleg dienen: Alcestis Barc. 27 ff. hoc noster Apollo | inuitus, pater, edocuit. sed reddere uitam | tu, genitor, tu, sancte, potes. Im Hinblick auf den Vergleich mit Orpheus bietet sich das unmittelbare Vorbild, die Praefatio zu Claud. rapt. Pros. 2 an, dort die Verse 49 f. Thracius haec uates. sed tu Tirynthius alter, | Florentine, mihi: tu mea plectra moues etc. (imitiert in Sidon. carm. 13,15 haec quondam Alcides. at tu Tirynthius alter, | sed princeps, etc.); ferner Stat. silv. 2,7,98 ff. (aus dem Genethliakon des Dichters Lucan): sic ripis ego murmurantis Hebri | n o n m u t u m caput Orpheos sequebar. | sic et tu, rabidi nefas tyranni, | iussus praecipitem subire Lethen, | d u m pugnas c a n i s  … | … tacebis. Weniger glücklich war Baehrens mit seinem weiteren Vorschlag zu Vers 12, das überlieferte aliter in altior zu ändern. Er lehnt Büchelers taliter ab, obwohl damit der notwendige Rückbezug auf ut in Vers 1 gefunden war (den Baehrens nicht gesehen hat). Das Kolon taliter canendus es steht für talis canendus es („als ein solcher [der wie Orpheus die Hörer in seinen Bann zieht] mußt auch du besungen werden“), was soviel bedeutet wie talia de te canenda sunt. Man denke an die persönliche Passiv-Konstruktion Tac. ann. 2,88 c a n i t u r que adhuc barbaras apud gentes und den umgangssprachlichen Gebrauch von Adverbia als Praedikativa (Hofm.–Sz. 413 Mitte) mit Verweis auf § 101 a (dort, S. 171, z.  B. aliter sum in der Bedeutung secus sum: „ich bin von anderer Art“).



Romul. I 12 / II (Hylas) 29–30 

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II hylas 29–30 Kaum hatte Venus dem in ihrem Schoß gelagerten Liebesgott ihre Absicht kundgetan, ihn (der selbst den Donnerer und sie, die eigene Mutter, mit Liebesglut erfüllt) um den Einsatz seiner Feuer-Pfeile zu bitten (4–13), da bietet Cupido in vorauseilender Solidaritätsbekundung seine vorbehaltlose Hilfe an, ganz gleich, ob sie einen der Götter oder einen der Menschen in Liebe entflammt sehen möchte (17). Selbst Jupiter werde er, wenn sie es wünsche, in Liebesfeuer versetzen (entsprechend den früheren Liebesabenteuern des Göttervaters, die in einem Katalog aufgezählt werden) oder auch Pallas Athene, Neptun und sein Reich (19–35). Der Abschnitt über Pallas Athene wird in den meisten Ausgaben wie folgt gedruckt (zu ut/uel im Auftakt von Vers 30 siehe anschließend): 28 si Pallas placeat, nostros iam sentiet ignes uirgo ferox sexu: fugiet uiresque fatetur, 30 ut solas tractet reiecta cuspide lanas. „Si Pallas t’agrée, elle sentira nos feux, cette vierge rebelle à son sexe, elle abdiquera et avouera sa faiblesse pour, rejetant sa lance, se consacrer au travail de la laine“ (Bouquet)83.

In diesem Text versteht man weder, was das absolut gesetzte fugiet (29) konkret bedeuten, noch wie die Klausel uiresque fatetur den einschränkenden Sinn „ihre Kräfte eingestehen“ erhalten soll84. Der Gedankenduktus läuft viel eher auf die Fortsetzung von nostros iam sentiet ignes (28) durch (extra metrum) uiresque (sc. nostras) fatebitur (29) hinaus: „und sie wird unsere Macht (der auch sie unterworfen ist) eingestehen“85. Der Liebesgott war ja von der Mutter gebeten worden: ut d e s e f f e c t u m uotis de more parentis (11), und hatte versprochen alles in Liebesfeuer zu versetzen (18), alles, selbst die Fluten, durch seine Flammen zu besiegen (33: Stichwort uincentur). Unmittelbares Ziel sind die

83 Weber (1995) liest in Vers 30 mit Vollmer (1905) uel statt ut (et Peiper) und übersetzt: „Wenn dir Pallas recht sein sollte, so wird die auf ihr Geschlecht stolze Jungfrau sogleich unsere Feuerbrände spüren: Sie wird fliehen und ihre Kräfte eingestehen, oder sie mag nur noch Wolle spinnen, nachdem sie ihre Lanze beiseite gelegt hat“ (131). 84 Nicht vergleichbar ist Lucan. 8,527 metiri sua regna decet uiresque fateri, wo der ganze Zusammenhang die Begrenztheit und Relativität der eigenen Kräfte betont, die es gelte, in jeder Situation neu abzumessen und sich unbeschönigt vor Augen zu führen. 85 nostros steht also ἀπὸ κοινοῦ, ist zu beiden Objekten (ignes und uires) zu beziehen – im zweiten Falle natürlich mit der entsprechenden Angleichung an das Femininum.

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 Kritischer Kommentar

Nymphen am Peneiosquell: n o s c a n t quid sit amor, d i s c a n t tua tela (64), was sich auch in die Formel (extra metrum) nostros iam sentiant ignes uires­ que (sc. nostras) f a t e a n t u r fassen ließe. Auf diese Deutung des Zusammenhangs führt auch die in den Kommentaren genannte Ovidstelle, aus der Dracontius seinen Dialog zwischen Venus und Amor speist: Es ist die lange Rede, die Venus in met. 5,363 ff. an den geflügelten Cupido richtet, um ihn zu bitten, daß er den Unterweltsgott Dis in Liebe zur Ceres-Tochter Proserpina versetze. Er solle ihr (der Venus) und sein eigenes Reich um ein Drittel der Welt erweitern. Sie seien zu nachsichtig, weshalb man ihnen schon im Himmel Verachtung entgegenbringe. Die Macht, die ihr abhanden komme, schwäche auch die des Amor; als Beispiele möge er sich Pallas und Diana vor Augen halten, die sich der Venus entzogen hätten: 5,374 spernimur, ac mecum u i r e s minuuntur Amoris. | P a l l a d a nonne uides iaculatricemque Dianam | a b s c e s s i s s e mihi? Daß iam s e n t i e t ignes mit dem präsentischen uiresque fatetur kombiniert werden kann, hat Bouquet plausibel gemacht86, nicht zuletzt durch Verweis auf Hofm.–Sz. 307 f. („Praesens pro futuro“). Wenn aber, wie oben dargetan, die Gedankenentwicklung verlangt, uiresque fatetur auf Venus und Amor zu beziehen (also uiresque nostras zu verstehen), kann nicht unmittelbar zuvor das absolut gesetzte, auf Pallas bezogene fugiet stehen. Es dürfte ein Perseverationsfehler vorliegen, das Beibehalten der Verbalendung sentiet beim Kopieren des nachfolgenden Verbs, das ursprünglich als Partizip fugiẽs zu sexũ gestellt war: Pallas wurde ursprünglich als uirgo ferox sexũ fugiẽs umschrieben. Da in Hyl. 25 fingiert wird, Jupiter könne ein weiteres Mal Alcmene als b e h e l m t e r Krieger l i e b e n, und wenig später der hier restituierte Text mit uirgo ferox sexum fugiens folgt, darf man Juvenals Spott über Frauen, die als Gladiatorenkämpfer auftreten, als sicheres Vorbild für die sprachliche Ausformung des Erscheinungsbildes ansehen, das Dracontius von der ihrerseits „behelmten“ Athena Promachos zeichnet87, der kampfesmutigen uirgo, die sich ihrem Geschlecht entzieht88. Man vergleiche die beiden Textsegmente:

86 Bouquet (1995) 24722; dort wird auf Anm. 153 zu Orest. 195 verwiesen, wo audet für audebit steht, ferner auf ähnliche Verbindungen von Präsens und Futur etwa in Orest. 197 f. 210 und auf Vollmer (1905) S. 434 f. Vgl. zuvor Barwinski 49. 87 Es ist hinlänglich nachgewiesen, daß Dracontius Juvenal kannte, so schon Bücheler, RhM 28, 1873, 349. 88 Zu vergleichen ist das entsprechende Porträt der Minerua b e l l i p o t e n s, patrius cui c a s s i d e fulgurat ardor in Romul. 4,41 ff. Sie läßt ihren rötlich schimmernden Schild erdröhnen, gilt dem Hercules als i n t e m e r a t a soror de uertice missa Tonantis.



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Iuv. 6,252 quem praestare potest mulier galeata pudorem, quae fugit a sexu, uires amat? haec tamen ipsa u i r nollet fieri. Hyl. 25 Alcmenam galeatus amet, mucrone coruscet etc. 28 si Pallas p l a c e a t89, nostros iam sentiet ignes uirgo ferox sexum fugiens uiresque fatetur, 30 ut90 solas t r a c t e t reiecta cuspide lanas.

Damit ist aber der oben verfochtene Bezug von sexum fugiens auf die uirgo ferox gesichert, unabhängig davon, daß sich das anschließende uires bei Juvenal auf (rohe) Manneskräfte bezieht, bei Dracontius aber auf die Macht, die Venus und Amor über die ganze Welt und ihre Bewohner ausüben. Zur Bekräftigung des Ausdrucks sei auf die folgenden Parallelen (in zeitlicher Anordnung) verwiesen: Stat. Theb. 5,105 o uiduae (firmate animos et pellite sexum!) Lemniades, sancire paro; 11,315 ff. at genetrix … ibat | … |, non sexus decorisue memor; 12,177 hic non femineae subitum uirtutis amorem colligit Argia, sexuque immane relicto t r a c t a t opus: p l a c e t (egregii spes dura pericli!) 180 comminus infandi leges accedere regni; 12,529 ipsae autem nondum trepidae sexumue fatentur, Sil. 13,828 illa est, quae Thybrim, quae fregit Lydia bella, nondum passa marem, quales optabit habere 830 quondam Roma u i r o s, contemptrix Cloelia sexus. Diese Fassung des Kommentars konnte unverändert fortbestehen, als ich am 27.  9. 2016 durch eine e-mail von R. Jakobi in Kenntnis gesetzt wurde, daß fugiens bereits von Baehrens6 226 erwogen worden war. Dort lobt Baehrens das von M. Schmidt (203) mit Hinweis auf Lucan. 8,527 (s.  o. Anm. 84) vorgeschlagene uiresque fatetor (sic) als vortrefflich, setzt aber hinzu: „vielleicht ist jedoch noch fugiens zu lesen.“ Er läßt also das Kolon uirgo ferox sexu als Einheit bestehen (Duhn hat hinter sexu ein Komma gesetzt) und zieht

89 Zu der Sperrung hier und im übernächsten Vers vgl. anschließend Stat. Theb. 12,179 (einen Zusammenhang, den Dracontius in Romul. 9 ausgiebig genutzt hat, s. dort). 90 Man könnte – mit Blick auf die voraufgehende Verstrias 25–28 (dort der Nebensatz dum … con­iungat) und die wahrscheinliche Verschreibung Dũ/Et in 8,555 – den Versuch machen, die Konjunktion Vt durch Dũ zu ersetzen, also dum solas t r a c t e t (lanas) zu schreiben („sie erkennt an, indem sie …“). Aber man darf wohl zu uiresque fatetur ein adeo (bzw. ita) hinzudenken, mit dem das folgende ut korrespondiert („wird unsere Macht anerkennen – so, daß sie die Lanze zur Seite legt und sich nur noch – geschlechtsgemäß – mit Wollarbeit beschäftigt“). Auch ein bloßes konsekutives ut läßt sich wohl mit uiresque fatetur verbinden.

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 Kritischer Kommentar

sein fugiens zum folgenden, indem er übersetzt: „und weichend soll sie ihre (schwachen) Kräfte eingestehen“ – ein Gedanke, der dem von Dracontius intendierten diametral entgegenläuft, wie oben gezeigt wurde. Etwas früher im Jahr hatte Baehrens in seiner Rezension der Ausgabe Duhns (Baehr4 267) noch viel kühner eingreifen wollen: „Da fugiet ohne object ganz undeutlich ist“, vermute er: „fugie n s a c t u s q u e u i r i l e s | i n d e (iñ) c o lus (solus die hs.) tractet reiecta cuspide lanas.“ Daß seine (unhaltbaren) Vorschläge in der weiteren Diskussion unbeachtet blieben, muß nicht verwundern – und entspricht seinem eigenen ‚letzten‘ Willen: In seiner Dracontius-Ausgabe von 1883 hat er beide früheren Versuche totgeschwiegen und stattdessen uirgo ferox sexu: f u r i e t (fugiet N) uiresque fatiscet (fatetur N: fatiscet versuchsweise Bücheler) gedruckt, mit Verweis auf Sidon. 22,94 (ipsa autem nato occiso Pentheia mater | amplius ut f u r i a t numquid non sana futura est?) – auch dies wenig glücklich! Eine Überraschung ergab sich dann, als ich im Laufe meiner systematischen Durchforstung der Sekundärliteratur auf Rossb8 854 stieß (1. Nov. 2016). Dort wird in Kenntnis des von Baehrens und M. Schmidt Ausgeführten (s.  o.) folgender Textvorschlag gemacht: si Pallas placeat, nostros iam sentiet ignes | uirgo ferox sexu fugiens uiresque fatetur, | ut s o l l e r s tractet reiecta cuspide lanas  – mit dem anschließenden Zusatz: „zu sexu fugiens vergleiche ich Juven. 6,253 quae fugit a sexu, zum gedanken der ganzen stelle auch Claudian 11,33 peltata pugnas desereret cohors s e x u r e c e p t o.“ Es folgt die Verteidigung des überlieferten fatetur mit futurischem Sinn (s.  o. Anm. 86), ferner ein (ungerechtfertigtes) Insistieren auf der von Baehrens angezweifelten Relevanz der Stelle Lucan. 8,527 (s.  o.) für die Interpretation des Versschlusses uiresque fatetur, die auf die Übersetzung hinausläuft: „wird ihre Schwäche bekennen“. Der Abschnitt schließt mit der Vermutung: „einen gewissen einflusz auf die gestaltung unseres verses könnte geübt haben Stat. Theb. XII 529 …“ (s.  o.).

Der Rückblick auf den Gang der Forschung scheint somit e i n e n Gewinn abgeworfen zu haben: die Dracontius-Stelle komme ins Lot, wenn man das zuerst von Baehrens erwogene (aber falsch bezogene und deshalb später von ihm zu Recht verworfene) fugiens in Entsprechung zu Juvenals fugit a sexu mit dem Abl. separ. sexu verbindet. Man käme demnach ohne den oben vorgeschlagenen leichten Eingriff sexu fugiens aus. Dem widerspricht M. Beck mit einem scharfsinnigen sprachlichen Argument: In der Juvenalstelle sei die separativische Vorstellung gerechtfertigt, insofern dort eine gewisse „Bewegung“ oder „Entwickung“ vorliege: die Gladiatorin gebe ihr Geschlecht, ihre Weiblichkeit auf (fugit), begehre (liebe) stattdessen die rohe Manneskraft. Pallas Athene dagegen sei (von Natur) eine „manngleiche Jungfrau“ (uirago); der Akk. könne geradezu das Wesen der Göttin ausdrücken: Athene flieht ihr Geschlecht, ihre Weiblichkeit, d.  h. leugnet sie. Die in ThLL VI 1,1478,21 ff.,71 ff.; 1480,32 ff.; 1481,5 aufgeführten Belegstellen für die Konstruktion fugere + Abl. separ. sind nicht geeignet, in Hyl. 29 das überlieferte sexu f. zu stützen; denn benötigt würden nicht Beispiele für den (ganz unproblematischen) örtlichen Separativ bei fugere, sondern Parallelen für den übertragenen, abstrakten Gebrauch analog sexu f. In jedem Falle unberührt von



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dem oben gegebenen Rückblick auf die frühere Forschung bleibt die hier (erstmals in diesem Sinne) gegebene Gesamtinterpretation der Stelle. Sie war bisher durch den falschen Bezug des Versschlusses uiresque fatetur geradezu ins Gegenteil verkehrt worden.

37 36 Siue, parens, optas homines his ignibus ustos illicitos i n h i a r e (Zw., uiolare N) toros, ut non pia patris oscula nata p e t a t uel91 natus matris amator dulce nefas c u p i a t, frater uitietque sororem 40 priuignoque suo potiatur blanda nouerca: alter erit P e r d i c a f u r e n s atque altera Myrrha, etc.92

„Oder, Mutter, wenn du wünschst, daß Menschen von diesen meinen Feuern entflammt, n a c h u n e r l a u b t e n B e i l a g e r n l e c h z e n, derart, daß die Tochter nach den unkeuschen Küssen des Vaters v e r l a n g e oder der Sohn als Liebhaber der Mutter einen süßen Frevel b e g e h r e, der Bruder die Schwester entehre und die schmeichelnde Stiefmutter sich ihres Stiefsohnes bemächtige: es wird (dafür bürge ich) ein zweiter vor Liebe rasender Perdicas erstehen und eine zweite Myrrha“ (…). Die vom Codex unicus N gebotene Junktur i l l i c i t o s toros u i o l a r e („unerlaubte Lager schänden“)93 ist sachlich zu eng. Denn gleich das erstgenannte Exemplum, das Cupido als eine der Möglichkeiten anbietet, wie die Rachegelüste seiner Mutter Venus befriedigt werden könnten: ein zweiter vor Liebe rasender Perdicas94, läßt sich nicht unter den Begriff ‚Schändung eines Lagers‘ subsumieren: Perdicas entehrt ja das Bett der eigenen Mutter gerade nicht, sondern siecht stattdessen in verschwiegener, unterdrückter L i e b e s s e h n s u c h t dahin, bis

91 uel Duhn: nec N (Shackleton Bailey hat neben Duhns uel noch et zur Wahl gestellt, s. Selected Class. Papers, Ann Arbor 1997, 42518). 92 Siehe zur Stelle Ballaira 224 ff. 93 So Webers Übersetzung S.  131. Die Umstellungen und Textveränderungen, die Baehrens und Mähly (1886) 29 f. in den Versen 42 und 44 vorgenommen haben, führen in die Irre, werden in den neueren Ausgaben zu Recht nicht mehr erwähnt. 94 Das Kolon alter erit Perdica f u r e n s hat seinen Nachhall in Aegr. 118, wo sich Perdicas an die Nacht wendet (117 Nox sceleris secreta mei, Nox conscia cladis,) soli me conmendo tibi nostrumque f u r o r e m (vgl. 17 haec diri causa f u r o r i s). Zum anschließenden tu nosti quid possit Amor (119) siehe Hyl. 64 noscant quid sit amor.

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 Kritischer Kommentar

er im selbstgewählten Tod endet95. Der Ausdruck illicitos  u i o l a r e toros hätte zudem die Konnotation des moralisch/rechtlich/religiös Verwerflichen96, die im lasziven Spiel des Götterpaares Venus – Cupido gerade nicht in den Vordergrund gerückt werden sollte. Anders steht es mit den folgenden Parallelen: rac. laud. 3,354 (Vater der Verginia) D                                        formido fuit lasciua uoluptas 355 illicitosque toros o b s c e n o c r i m i n e c a p t o s horruit iratus; Aegr. 182                                        hoc maesta uerebar, illicitos ne forte toros t e m p t a r e 97 mariti cogeret acer amor matrisque grauaret honorem. Sen. Phae 96 pergit f u r o r i s socius, haud illum timor pudorue tenuit: s t u p r a et illicitos toros Acheronte in imo q u a e r i t Hippolyti pater. Lucan. 10,75 (Caesar) admisit Venerem curis et miscuit armis illicitosque toros et non ex coniuge partus.

Der an illicitos  … toros (Hyl. 37) anschließende, erläuternde ut-Satz mit den Verben petat und cupiat läßt für den zugrunde liegenden (von optas abhängigen) AcI98 ein Verb erwarten, das ein starkes Begehren zum Ausdruck bringt, nämlich i n h i a r e99; vgl. das voraufgehende anhelans aestuet (31 f.)100, ferner 113 f. respirat h i a t u s | oris; 119 zelat und die Synonymenreihe in Drac. Med. 142:

95 „Konstant ist in allen Versionen der leidende Held, der den Gegenstand seiner Leidenschaft standhaft verschweigt und bis zu skeletthafter Abmagerung dahinsiecht und dessen Krankheitsursache ein Arzt … diagnostiziert“: Schetter 2604 mit Verweis auf Hier. epist. 117,7,1 (um 404/5): legimus in scolis pueri – et spirantia in plateis aera conspeximus – aliquem ossibus uix haerentem i n i n l i c i t i s a r s i s s e a m o r i b u s et ante uita caruisse quam peste. 96 So, wenn Adam und Eva sich beflecken, indem sie von den verbotenen Früchten des Baumes im Paradies kosten (Mar. Victor aleth. 1,420 ut primum i l l i c i t o u i o l a r u n t membra sapore), oder wenn das Mädchen Scylla den heiligen Bezirk der Göttin Juno verletzt, als es beim Spiel den dorthin gerollten Ball verfolgt: Ciris 140 f. n o n ulli l i c i t a m u i o l a u e r a t inscia sedem (sc. Iunonis; vgl. 154 u i o l a t a manu sacraria diuae): „Scylla touched and thus violated Juno’s shrine“ (Lyne p. 154). Über die verderbliche Liebe dieser Scylla sagt der Ciris-Dichter 130 ff. ni Scylla nouo correpta f u r o r e | (…) | o nimium cupidis Minoa i n h i a s s e t ocellis; vgl. 163 f. (quae simul ac u e n i s h a u s i t s i t i e n t i b u s i g n e m | et ualidum penitus concepit in ossa f u r o r e m). 97 Siehe hierzu Anm. 101. 98 Zur Konstruktion s. Weber 167, mit Verweis u.  a. auf Romul. 6,30 und Orest. 598. 99 Siehe bereits Lucr. 1,36 (Mauors) pascit amore a u i d o s i n h i a n s in te, dea, uisus. Dracontius verwendet inhiare in laud. 2,758 f. (si quis) insons | contentusque suis alienis non i n h i a r i t, daneben dreimal anguis hians und 7mal hiatus. 100 Hierzu verweist Weber 166 auf Romul. 10,111: piscis aues armenta pecus fera pastor a n h e -

Romul. II (Hylas) 37 



Drac. Med. 140

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                                                         tua tela medullis excipiat (hoc Iuno petit) iuuenemque Pelasgum diligat o p t e t amet c u p i a t s u s p i r e t a n h e l e t101.

Vom ersten Vers des Epyllions102 an geht es um das Entfachen von Liebesglut (Nympharum … c a l o r e), die als Mittel der Rache dienen soll. In 53 ff. benennt Venus ihr konkretes Ziel: Die Peneiosnymphen sollen durch Amors Pfeile in Liebe zu dem schönen Hylas entbrennen und schmerzliche Strafe dadurch erleiden, daß sich die Erfüllung ihrer Wünsche hinauszögert, bis der Geliebte mannbar wird: Hyl. 62                                                          quas u r e s a g i t t i s corda uel illarum dulci continge ueneno; n o s c a n t q u i d s i t a m o r, discant tua tela : 65 Alcidis comes est comis (dazu unten) puerilibus annis (…). 68 hoc puero uiso nympharum turba c a l e s c a t; haec illis sit poena nocens, ut u o t a t r a h a n t u r 70 ipsarum i n l o n g u m, donec pubescat amatus.

Dieses uota trahere in longum schlägt den Bogen zurück zu dem oben (Hyl. 37) restituierten i n h i a r e und den genannten Synonyma. Die Korruptel inhiare / uiolare findet eine einfache Erklärung: Sowohl die Anfangssilben in/ui wie die Schlußsilben -iare/-lare sind identisch, wenn man im Wortinnern i-longa ansetzt (bzw. die Oberlänge des Buchstabens h in Rechnung stellt)103. Zudem hatte der

l a n t | flammigero surgente deo (sc. puero Idalio = Amore): also alles l e c h z t in Liebesleidenschaft, wo Amor seine Feuerbrände aussendet. 101 Die hier zusammengestellten Parallelen zeigen zugleich, daß das non pia patris oscula p e t e r e (37 f.) und dulce nefas c u p e r e (38) nicht mit illicitos t o r o s u i o l a r e gleichgesetzt werden kann. Aus diesem Grunde läßt der ‚Aegritudo‘-Dichter in 182 ff. (sehr wahrscheinlich mit Blick auf die Dracontius-Stelle) die Mutter von ihrer Befürchtung sprechen, der wilde Amor könne Perdicas dazu zwingen, unerlaubten Beischlaf im Bett eines Ehemannes zu v e r s u c h e n (illicitos … toros t e m p t a r e mariti) – nicht, durch unerlaubten Beischlaf das Ehebett eines verheirateten Mannes zu s c h ä n d e n. Zu a c e r amor vgl. Hyl. 71 pinniger a u d a x. 102 Ich verwende diesen bequemen neuzeitlichen Begriff einfach im Sinne von „Kurzepos“ – ohne gattungsspezifische Konnotationen. Siehe dazu Weber 228–247 und Kaufmann (2006) 35. Bretzigheimer bevorzugt die Bezeichnung „Kleinepos“ (362 mit Anm. 3). Chr. Schmitz verweist auf M. Baumbach – S. Bär (Hrsgg.), Brill’s Companion to Greek and Latin Epyllion and Its Reception, Leiden; Boston 2012 (dort auf das Kap. „History and Development of the Term and Concept of the ‚Epyllion‘“). 103 Zu l/i s. Zurli S. VIII der ‚Aegritudo‘-Edition; zu in/ni (~ ui) o. Anm. 38 und Kaufmann 33 mit Anm. 53.

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 Kritischer Kommentar

Schreiber in v. 5 uiolentis gelesen, was ihn leicht dazu verführen konnte, die Anfangsbuchstaben als Silbe ui- zu deuten104. Die Junktur illicitos inhiare läßt sich durch folgende Parallelen bestätigen: Apul. met. 7,21,2 (asinus) ut quemque enim uiatorem prospexerit, siue illa scitula mulier seu uirgo nubilis seu tener puellus est, ilico … f u r e n s incurrit et homines amator talis a p p e t i t et humi prostratis illis i n h i a n s illicitas atque incognitas t e m p t a t l i b i d i n e s et ferinas u o l u p t a t e s, auersa Venere inuitat ad nuptias; 7,21,4 in eam (sc. iuvenem) f u r i o s o s direxit impetus et festiuus hic amasio humo sordida prostratam mulierem ibidem incoram omnium g e s t i e b a t inscendere. Aug. epist. Divj. 6,8,1 f. haec ergo c o n c u p i s c e n t i a carnis si fuit in paradiso,  …, non utique talis qualis nunc est fuit, cuius motus et ad licita et ad illicita indifferenter i n h i a r e t; c. Iulian. 4,2,7 nam pudicitia coniugalis i n h i a n t e m c o n c u p i s c e n t i a m siue de illicito siue de licito percipere u o l u p t a t e m, frenat ab illicito, permittit ad licitum; 5,7,25 ne ad illicita rapiat, quibus i n h i a r e non cessat; c. Iulian. op. imperf. 1,70,59 f. ipsa licita i n h i a n t e r, non obtemperanter a p p e t i t, in illicitis autem aut spiritum deicit aut contra spiritum c o n c u p i s c i t; 1,71,53 ff. praecessit mala u o l u n t a s, qua serpenti subdolo crederetur, et secuta est mala c o n c u p i s c e n t i a, qua cibo i n h i a r e t u r illicito105.

65 65 Alcidis comes est †comes puerilibus annis, quem rubor ut roseus sic candor lacteus ornat; illi purpureus niueo natat ignis in ore. hoc puero uiso nympharum turba calescat.

Den Vers 65 überliefert N in der korrupten Fassung comes est comes. Die Herausgeber haben dafür P. Waglers comes est cōmis in den Text genommen, zuletzt von Weber 179 als „Paronomasie und zwar vom häufigen Typus der bis auf einen

104 Eine verwandte Verschreibung hat Baehrens (PLM V, 1883) in Orest. 251 bereinigt: ut [uir A: uix B] pacis amator. Ähnlich eingesetztes vergleichendes ut z.  B. Orest. 117. 821 (non ut inermis, | sed facibus armata rogi). Vgl. ceu in Med. 44. 179. 215. 105 Nachträglich sehe ich, daß Shackleton Bailey (1955) 178 sich nicht etwa an uiolare gestoßen hat, sondern mit Rohde (moriatur) das Verb potiatur (40) angreifen wollte. Er stellt sein capiatur (‚enslaved by love‘) zu Unrecht in eine Linie mit cupiat in Vers 39, der vermeintlich auf Perdicas anspiele („for he, like Phaedra, desired inlicitos uiolare toros but did not in fact do so“). Nach den Beispielen des inzestuösen Liebes b e g e h r e n s zwischen Vater und Tochter und Sohn und Mutter (38 petat, 39 cupiat) berührt Cupido Beispiele, in denen der Inzest wirklich vollzogen wird oder werden soll (ob fingiert oder im Mythos tatsächlich belegt, bleibt letztlich offen): frater u i t i e t que sororem | priuignoque suo p o t i a t u r blanda nouerca. Innerhalb dieser zweistufigen Gedankenentwicklung ist an potiatur nichts auszusetzen.



Romul. II (Hylas) 37. 65 

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einzelnen Laut herrschenden Lautgleichheit“ verteidigt (mit Verweis auf Hofm.– Sz. 709 f.)106. Aber inwiefern sollte der „freundliche“, „gutmütige“, „nette“ Charakter des Knaben eine besondere Attraktion für die Nymphen darstellen? Wie die beiden folgenden Verse zeigen, geht es um die Schönheit des Jungen, die den Nymphen das Herz entflammt107. Demgemäß heißt es später vom Auftritt des triumphierenden Hercules: cui iunctus Hylas p u l c h e r r i m u s haeret (95), und eine der Nymphen vergleicht den Knaben mit Hipppolyt, Paris und dem p u l c h e r Iason, ja, mit Bacchus und Apollo (104 ff.). Das deutet darauf hin, daß Venus in Vers 65 die „schmucke (anziehende) Gestalt“ des Alcidis comes „in seinen knabenhaften Jahren“ hervorgehoben, d.  h. ihn als c o m p t u s puerilibus annis gepriesen hat. Dem von der Nymphe verglichenen Gegenbild Hippolyt bescheinigt Senecas Phädra einen in c o m p t u s decor (Phae 657); comptus, auf die schöne Gestalt bezogen, begegnet zweimal in der Historia Augusta (Hadr. 26,1 statura fuit procerus, forma comptus; Ael. 5,2 comptus, decorus, pulchritudinis regiae). In der Vita Martini des Venantius Fortunatus (2,54) schreitet ein vom Engel geheilter Patient incolumi … corpore comptus aus dem Haus. Paronomasien wie Waglers comes  … comis wirken eher wie schwächliche Spielereien108. Dagegen läßt sich ein differenzierter Gleichklang vom Typ comes … comptus oftmals belegen, s. z.  B. Verg. Aen. 6,48 non comptae mansere comae; Ov. am. 1,1,20 aut puer aut longas compta puella comas; Pont. 3,3,16 (Amor) nec bene dispositas comptus ut ante comas; Sen. Ag 586 f. incomptae comas | Iliades; Symph. 59,1 non sum compta comis et non sum compta capillis, | intus enim crines mihi sunt quos non uidet ullus. Zufällig findet sich bei Hieronymus sogar einmal eine direkte Parallele zu der hier vorgeschlagenen Korrektur: Hier. epist. 107,9,3 placeat ei comes non compta atque formonsa, quae liquido gutture carmen dulce moduletur, sed grauis, pallens, sordidata, subtristis. Zwischen comes und puerilibus konnte comptus leicht in ein zweites comes verschrieben werden.

106 Rossberg hatte mit Blick auf Val. Fl. 3,537 carus vorgeschlagen (Rossb2 475)  – paläographisch wenig überzeugend. In der vermeintlichen Vorbildstelle ist clarus überliefert (es spricht Juno!), woraus Baehrens carus machen wollte. 107 In seinem ersten Zugriff hatte deshalb Baehrens comis durch pulcher ersetzen wollen (Baehr4 268). 108 Zu Recht urteilt Bouquet (25042): „bien que la correction comis pour le comes du manuscrit … semble s’imposer, l’expression n’est pas heureuse.“

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 Kritischer Kommentar

123. 128 Nach dem Sieg über den Erymanthischen Eber tritt Hercules in Begleitung des schönen Hylas im Triumph auf109. Trotz seiner vergleichbar schwachen Kräfte läßt es sich Hylas nicht nehmen, selbst das Eberfell als Trophäe zu tragen und so seinen Anteil an dem Unternehmen zu bekunden (Hyl. 94 ff.). Die Nymphen am Thessalischen Peneiosfluß (54 Penei sub fonte) betrachten voller Bewunderung den schönen Knaben und verlieben sich (durch die Pfeile Amors entflammt) in ihn (100 ff.), ganz wie es Venus von ihrem Sohn erbeten hatte (68). Schließlich schlägt Clymene ihren Schwestern vor (116 ff.), sie sollten Hylas rauben und als Geliebten bei sich, in der Tiefe des Wassers, halten. Während sie dieses Unterfangen noch mit der Begründung, es handle sich um eine Liebestat, rechtfertigt, geht Hylas zum Fluß, um Wasser zu schöpfen: 123 dum loquitur110, †cantabat Hylas fontemque petebat hauriturus aquas (urnam licet ipse tenebat). 125 ut puer est uisus, faciles risere puellae et lentum uenisse putant: placet omnibus idem. uix urnam submisit aquis dextramque tetendit, cum quo se nymphae pariter mersere sub undas.

Das Verb cantabat (123) ist im Zusammenhang ein Fremdkörper (was sollte dieses unbegründete, isolierte Detail?), wie schon Bücheler (transibat) und Baehrens (cursabat)111 gesehen haben. Webers Erklärungsversuch (201 f.) kann nicht überzeugen112. M. Deufert hat darauf aufmerksam gemacht, daß mit Büchelers transibat schön der Auftakt der Episode (94 f. interea post bella suis Tirynthius ibat | uictor ouans, cui iunctus Hylas pulcherrimus haeret) weitergeführt würde und eine gute Entsprechung zum Verb (fontemque) p e t e b a t gefunden wäre: Hylas möchte Wasser aus dem Fluß schöpfen; auf seinem Weg dorthin kommt er 109 Einen Vergleich dieser Szene mit den entsprechenden bei Theokrit (13,36 ff.) und Val. Flaccus (1,107 ff.; 3,545 ff.) hat R. Marino (114 ff.) durchgeführt – ohne auf Schwierigkeiten im Text des Dracontius einzugehen. 110 Statt Cum loquitur (N, mit Zier-Majuskel am Versauftakt) ist Dum loquitur zu schreiben – eine Junktur, die u.  a. 3mal bei Ovid, 2mal bei Iuvencus und 5mal bei Dracontius selbst erscheint (Hel. 134. 425; Med. 122. 216; Orest. 706). 111 Siehe Bähr4 268. 112 Bright hatte die ganze Szene als Pantomimus deuten wollen (S. 36 ff.); er möchte in dem vermeintlichen Gesang des Hylas eine Entsprechung zu der Darstellung Clymenes und ihrer Schwestern sehen: diese seien „not merely water nymphs, but a chorus, uniting the musical with the aquatic“ (37). Dies ist alles von Schetter mit zwingenden Argumenten ins Reich der Phantasie verwiesen worden (Gn 63, 1991, 214 f.).



Romul. II (Hylas) 123. 128 

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an den sich versteckt haltenden Nymphen vorbei (t r a n s i b a t)113. Die Wortfolge loquitur transibat, möglicherweise mit kompendiösem -tur und einer tr-Ligatur geschrieben, war wohl anfällig genug, um zu loquitur cantabat verballhornt zu werden. Problematisch scheint auch das  – meist konzessiv verstandene  – licet114. Ich habe das Kolon 124b als Parenthese abgesetzt. Denn daß mit Vers 125 eine selbständige Periode beginnt, sollte nicht bestritten werden. Dann muß aber das präzisierende urnam licet ipse115 tenebat entweder den Sinn haben: „wenngleich er (dazu) einen Schöpfkrug benutzte“, oder – wie M. Beck vorschlägt – im Sinne einer Einräumung verstanden werden („er mag einen Schöpfkrug gehabt [oder getragen] haben“). In diesem Falle wäre licet verbal, wie ἔξεστιν, zu fassen (‚es ist möglich‘, d.  h. ‚denkbar‘, ‚vorstellbar‘); der folgende Indikativ an Stelle eines parataktischen Konjunktivs machte beim Spätling Dracontius keine Schwierigkeiten. Die erstgenannte Annahme hätte zur Voraussetzung, daß zuvor von einer Aktion die Rede war, die üblicherweise keinen Krug impliziert: Hylas, vom Jagd­ abenteuer und dem l a b o r mit der schweren Siegestrophäe (96 ff.) erschöpft, geht zur Flußquelle, um sich dort (wie Narcissus nach der Jagd) am Wasser zu erfrischen116. Doch statt das Wasser mit bloßen Händen zu schöpfen (so wird es bei Val. Flaccus geschildert), trägt er einen Schöpfkrug bei sich, den er dann v. 127 mit ausgestreckter Rechten ins Quellwasser senkt. Dracontius brächte so zum Ausdruck, daß er zwei Mythenversionen kontaminiert hat117. Eleganter scheint

113 Von ihnen heißt es 125 f.: ut puer est uisus, faciles risere puellae | et lentum uenisse putant. Dieses lentum bezieht K. Pohl überzeugend auf das (subjektive) Gefühl (putant!) der Nymphen, die möglichst schnell ihr Liebesverlangen stillen möchten. 114 Dazu Weber 203 – mit m.  E. unbefriedigender Ausdeutung, sei es in den Spuren Vollmers, sei es in eigener Version: „und singt dabei, obgleich er selbst, d.  h. ohne Hilfe des Herakles, den (sc. schweren) Krug halten muß“ (aber nirgends in der Hylasmythologie trägt Herakles den Krug; vielmehr ist Hylas stets selbständig für das Wasserholen verantwortlich); die hier zitierte Auffassung ist auch unvereinbar mit Hyl. 96–99 und 127. Wenig überzeugend ändert Baehrens licet in Alcidae (Baehr4 268), wogegen schon die damit eingeführte doppelte Synalöphe spricht. 115 Bei Dracontius wird ipse öfter in abgeschwächter Bedeutung (is), beinahe als bloßes Versfüllsel, eingesetzt. 116 Siehe Ov. met. 3,413 hic p u e r, et s t u d i o u e n a n d i l a s s u s e t a e s t u, | procubuit … . | dumque s i t i m s e d a r e cupit, sitis altera creuit; | dumque b i b i t (…). Vgl. Aegr. Perd. 63 ff. ad l u c u m Perdica uenit f e s s u s q u e l a b o r e | illimes respexit a q u a s n y m p h a s q u e r e c e n t e s | umbriferumque n e m u s, mixtos per gramina flores. | ingressus postquam est lucos Perdica rigentes (…); er lädt die Gefährten ein (69 ff.), d e f e s s o s a r t u s a c m e m b r a c a l o r e g r a u a t a | … r e l e u a r e  … . nam frigida f o n t i s | uena fluit (…). 117 Bei Apoll. Rhod. 1,1207 ff. und bei Theokr. 13,36 ff. besorgt Hylas mit ehernem Krug Wasser zur Zubereitung des Abendmahls, so wohl auch in Properz 1,20 (wie aus v. 40 proposito … officio

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 Kritischer Kommentar

die Annahme Becks, daß der Dichter die Form einer concessio nutzt, um den im Mythos traditionellen Schöpfkrug auch in seiner Erzählung unterzubringen. Die Aktion, wie die Nymphen Hylas rauben, schildert Dracontius in kurzen Strichen: Bisher hatten sie Hercules und seinen jungen Begleiter aus der Ferne ihres Aufenthaltsortes neben der Flußquelle (91) beobachtet (94 ff. 100); jetzt tritt Hylas (getrennt von seinem Herrn) an das Wasser heran, so daß sie ihn unmittelbar vor sich sehen (125 f.). Alle sind von ihm entzückt. Kaum hat er die Rechte mit dem Schöpfkrug ausgestreckt und ins Wasser getaucht, da (so scheint der Gedanke weiterzulaufen) . Zusammen mit ihm tauchen die Nymphen dann gemeinsam in die Tiefe des Wassers hinab: 127 uix urnam submisit aquis dextramque tetendit,

cum quo se nymphae pariter mersere sub undas.

Die Versuche, die angestellt wurden, ohne die von Schenkl (1873, 517) eingeführte Lücke nach Vers 127 auszukommen118, sind m.  E. alle unbefriedigend119. Andererseits sind Versausfälle in der spärlichen Dracontius-Überlieferung keine Seltenheit. Die Lösung des Problems dürfte somit auf der Hand liegen. Im Rahmen der uns überlieferten literarischen Zeugnisse des Hylas-Mythos muß die Version des Dracontius überraschen, weil sich die Nymphen nicht  – wie üblich – im Wasser befinden und von dort den Knaben nach unten ziehen, sondern ihn vom Land aus rauben, d.  h. ihn oben am Ufer des Flußquells umschlingen und zusammen mit ihm nach unten tauchen. Die Darstellungen der bildenden Kunst scheinen – wie Weber 203166 ausführt – dem üblichen Typos des Raubs aus der Quelle heraus zu entsprechen. „Allerdings befinden sich verschiedene Male auch am Ufer Nymphen, die zum Teil eine Beobachterrolle einnehmen

hervorgeht [zu 43 f. s. Heyworth]); bei Valerius Flaccus (3,549 ff.) führt ihn seine Jagdleidenschaft zu einer Quelle, an der er – schweißüberströmt – zu Boden sinkt und gierig das willkommene Wasser schlürft, bevor ihn die Nymphe zu sich hinabzieht. 118 Baehrens schreibt sich im Apparat seiner Ausgabe von 1883 den Ansatz dieser Lücke selbst zu. 119 Siehe bes. Weber 202, vgl. ferner Bouquet 253 f. Anm. 77 und 78. Gefälliger wäre der Übergang von 127 zu 128, wenn man mit M. Beck ergänzte: „“ o.  ä. Er rechnet mit Ausfall aufgrund eines cum-inversum zu Beginn des verlorenen Verses, gefolgt von dem präpositionalen cum am Beginn von 128 (das cum-inversum könnte durch uix in 127 vorbereitet sein). Wie dann die Verbindung zu cum quo (128) zu denken wäre, bleibt eine offene Frage.



Romul. II (Hylas) 128 / III (Praefatio ad Felicianum) 

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[Oakley Nr. 16], zum Teil die im Wasser befindliche(n) Nymphe(n) unterstützen (Nr. 10. 12. 21)“120.

III praefatio ad felicianvm grammaticvm Die Praefatio an Felicianus und der Titel ‚Romulea‘ Die an den Lehrer Felicianus gerichtete Praefatio bietet zum ersten und letzten Mal in der uns erhaltenen Dichtung des Dracontius die Junktur R o m u l e a l i n g u a, die ein Licht auf die Bedeutung des im Veronenser Florileg bezeugten Titels der Sammlung, Romulea, zu werfen vermag. Die Titel-Frage ist zuletzt von H. Kaufmann (2006) 26–31 behandelt worden – mit Verweis auf Weber 47–51 und Bouquet–Wolff (1995) 15–27121. Ein bloßer Bezug auf die Abfassung in lateinischer Sprache122 kann wohl nicht beabsichtigt sein. Denn lateinisch sind auch die christlichen Dichtungen des Dracontius abgefaßt, die nicht zu der in N überlieferten Sammlung der Romulea gehören. Insofern verdient die von P. L. Schmidt eingeführte Ausdeutung des Titels Romulea als „Gedichte im Stil der klassischen römischen Dichtung“ den Vorzug123. Dies können die kurz vor den Schluß gesetzten programmatischen Verse der Praefatio 3,14 ff. untermauern: discipuli sic quippe silent, si forte m a g i s t e r 15 tollatur, d o c t r i n a p o t e n s. qua praeduce cultor antistesque tuus de uestro f o n t e, magister, Romuleam laetus sumo pro flumine linguam et pallens reddo pro frugibus ipse poema.

Dort bekennt Dracontius, daß er aus dem Quell der Gelehrsamkeit seines Lehrers Felicianus schöpft (15 f.) und von dort als befruchtenden Strom die klassisch120 LIMC V 1 (1990), 574–579 und V 2 (1990) 396–399.  – Chr. Schmitz erinnert an Ovids Salmacis, die den ins Wasser gesprungenen Hermaphroditus ebenfalls von außen her überwältigt (Ov. met. 4,285–388, bes. 352 ff.); es seien vor allem die Entsprechungen met. 4,316 cum puerum uidit – Hyl. 125 ut puer est uisus und met. 4,330 nescit enim quid amor – Hyl. 64 noscant quid sit amor hervorzuheben. 121 Nachträglich bin ich auf die Internet-Publikation Interférences Ars Scribendi 4 (19. Juli 2006) gestoßen. Dort geht B. Bureau in dem Beitrag ‚Les pièces profanes de Dracontius. Mécanismes de transfert et métamorphoses génériques‘ gegen Ende des Kapitels 3 (Le recueil pour Felicianus, hommage au maître et manifeste littéraire) auch auf die Titelfrage ein (s.  u. Anm. 125). 122 So zuerst W. Meyer, Die Berliner Centones der Laudes dei des Dracontius, Sitzb. Preuss. Akad. Wiss., Berlin 1890, 257–296, dort 267. 123 P. L. Schmidt (1984), 69143.

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 Kritischer Kommentar

römische Beredsamkeit und Bildung (17 Romuleam  … pro flumine linguam) freudig aufnimmt, als deren Frucht er sein Gedicht präsentiert (18 reddo pro frugibus [vgl. v. 1 fructibus] ipse poema). Der Begriff lingua ist hier prägnant gebraucht für ‚dichterische Ausdrucksfülle‘124, die Gelehrsamkeit (doctrina) und damit die ganze klassische Mythologie miteinschließt125. Vers 17 ist kaum denkbar ohne die Einwirkung des Auftakts der Vergilvita des Phocas. Der grammaticus urbis Romae Phocas hat wohl im späten 4. oder im 5. Jh.126 sowohl eine Vergilvita in Hexametern mit einer Vorrede, die aus sechs sapphischen Strophen besteht, verfaßt als auch eine ars de nomine et uerbo  – ebenfalls mit einer Vers-Vorrede. In dieser Kombination von versifizierter Vorrede und nachfolgendem Gedicht – einer auch von Claudian und Prudentius geübten Praxis127  – trifft sich also Dracontius mit Phocas. In dem programmatischen Motto der Romulea lingua, verbunden mit der flumen-Metapher, dürfte sich Dracontius auch sprachlich an Phocas angelehnt haben, siehe AL 671 R2 (Phocae grammatici urbis Romae Vita Vergilii), praef. 21 ff.

                   retegenda uita est u a t i s E t r u s c i modo, qui perenne

124 Vgl. Drac. laud. 1,170 linguae l a u r u s honos soluit donanda p o e t i s. 125 Vgl. ThLL VII 2,1447,82 ff. (‚ad artem dicendi‘, ‚de facundia‘) Gell. 18,3,3 homo  … l i n g u a tunc atque f a c u n d i a nimium quantum praestabilis; 1448,38 (‚notione dilatata fere de l i t t e r i s arte dicendi exornatis‘) Salv. gub. 7,68 illic (sc. Carthagine) a r t i u m l i b e r a l i u m scolae, illic philosophorum officinae cuncta denique uel l i n g u a r u m g y m n a s i a uel morum. – Bureau (wie Anm. 121) stützt sich in seiner Interpretation des Titels ‚Romulea‘ vor allem auf die intertextuelle Beziehung zwischen Romul. 3,17 (s.  o.) / 19 (tu mihi numen eris, si carmina nostra leuaris) und Lucan. 1,63 (sed mihi iam numen) / 66 (tu satis ad uires Romana in carmina dandas). Die Schlüsse, die daraus gezogen werden (es handle sich um die Bewahrung einer Art römischer ‚Nationalliteratur‘), scheinen fragwürdig; ich begnüge mich mit den beiden folgenden Zitaten: „Or l’adjectif Romuleus dit parfaitement cette quête de l’origine, cette fascination de la tradition dans ce qu’elle a de plus spécifiquement Romain, sans pollution ni mélange de quelque influence étrangère, cet idéal d’une jeune Rome encore vierge de tout contact extérieur et réduite à construire par elle-même ce qui sera sa gloire“ (S. 28 im pdf-Ausdruck). Dracontius sehe seine Aufgabe nicht mehr darin „d’enrichir le patrimoine de Romulus en y introduisant pour les assimiler les richesses des nations, mais bien de sauver l’héritage, d’opérer avant qu’il ne soit trop tard une synthèse conservatoire“ (29). 126 Zur (umstrittenen) Datierung des Phocas verweist R. Jakobi auf R. A. Kaster, Guardians of Language: The Grammarian and Society in Late Antiquity, Berkeley – Los Angeles 1988, 339 f. Dort lautet der resumierende Schlußsatz: „P. should probably be placed in the late fourth or in the fifth century, primarily because he uses Juvenal and Lucan (…).“ 127 Vgl. z.  B. die Praefationes zum 1. und 2. Buch des Epyllions ‚De raptu Proserpinae‘. Die Orpheus-Thematik der zweiten Claudian-Praefatio hat Dracontius mit Gewißheit in seiner Praefatio Romul. I zum Hylas-Epyllion vor Augen gehabt, s. S. 22.



Romul. III (Praefatio ad Felicianum): Der Titel ,Romulea‘ 

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Romulae uoci decus adrogauit carmine sacro: 25 Maeonii specimen uatis ueneranda M a r o n e m Mantua Romuleae generauit flumina linguae. quis, facunda, tuos toleraret, Graecia, fastus, quis tantum eloquii potuisset ferre tumorem, 29 aemula V e r g i l i u m tellus nisi Tusca dedisset?

Mantua hat in Vergil ein Ebenbild Homers hervorgebracht und damit den wortgewandten Strom klassisch-römischer Dichtung, der die facundia und das eloquium Griechenlands herauszufordern vermag128. Auffällig ist die kühne Apposition (v. 26), durch die Vergil (Maro) als Personifizierung der flumina linguae Romuleae bezeichnet wird. Dem entspricht bei Dracontius (3,15) die ebenso kühne Apposition doctrina potens, die den magister (Felicianus) als Verkörperung der wirkmächtigen Gelehrsamkeit erscheinen läßt129. Die Metapher flumina deutet Dracontius im Sinne seiner Gesamtmetaphorik um: Wie die Fruchtbarkeit der Erde abhängig ist von der Regenzufuhr (vgl. 3 rore maritat) und den sonstigen klimatischen Bedingungen des Himmels, so die Kreativität des Schülers von der Verbindung zu dem fons doctrinae seines Lehrers. Aus diesem Quell schöpft er „als lebensspendendes Wasser“ (pro flumine entspricht dem rore von Vers 3) die dichterische Ausdrucksfülle und Gelehrsamkeit der Römischen Sprache und Literatur. Die ursprünglich einheitliche Metapher Romuleae  … flumina linguae bei Phocas ist also in der Dracontius-Praefatio kontextgemäß aufgelöst worden. Phocas erweist sich hier deutlich als zeitlich früher, darf also vor die Epoche der Jugenddichtung des Dracontius (also vor ca. 480) gesetzt werden. Die prononciert programmatische Verwendung des Titels Romulea (carmina) durch einen Dichter, der auch christliche Dichtung in lateinischer Sprache verfaßt hat, bringt automatisch die Antinomie ‚heidnische  – christliche Dichtung‘ ins Spiel. Während bei Phocas die Romuleae flumina linguae Vergils expressis verbis 128 Auf die bloße lat. Sprache dagegen bezieht sich AL 559,1 R2 Romuleum S i c u l a qui fingit carmen a u e n a. 129 Beiden Texten vorauf geht die ähnlich markante Apposition in Ov. Pont. 1,2,67 f. suscipe, Romanae f a c u n d i a, Maxime, linguae, | difficilis causae mite patrocinium. Erinnert sei an das Lob, das Prudentius der Beredsamkeit des Symmachus spendet – hätte er sie nur für die Sache des christlichen Gottes eingesetzt: Symm. 1,632 o linguam miro u e r b o r u m f o n t e f l u e n t e m, Romani decus e l o q u i i, cui cedat et ipse Tullius, has fundit diues f a c u n d i a gemmas! 635 o s dignum aeterno tinctum quod fulgeat auro, si mallet laudare deum, cui sordida monstra praetulit et liquidam temerauit crimine uocem.

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 Kritischer Kommentar

an der Graeca facundia Homers gemessen werden, ist der Begriff Romulea lingua in der Praefatio des Dracontius nur positiv, durch die Verbindung zur doctrina des Lehrers Felicianus, umschrieben, nicht aber negativ abgegrenzt gegenüber einer anderen Form von Dichtung, sei sie griechisch oder christlich. Der 53. Brief des Bischofs von Vienne, Alcimus Avitus130, geschrieben 499 oder 500, kann aber zeigen, daß mit dem Begriff Romulea lingua leicht „heidnisch-säkulare Literatur und Beredsamkeit“ zu assoziieren war. Der Bischof wendet sich an den ihm befreundeten Katholiken (familiari catholico), den Redner und Deklamator senatorischen Rangs Heraclius (maturitate senatoria). Dieser hat sich in einem Disput mit dem König (cum rege tractatum) vor allen Menschen als Verteidiger der Religion offenbart (82,6 f. qui … iam et hominibus appareret religionis adsertor). „Dein Mund, gewöhnt an den Pomp w e l t l i c h e r B e r e d s a m k e i t und getränkt von den überquellenden S t r ö m e n d e s unergründlich tiefen M e e r e s heidnisch-römischer Kultur, hat mit der gebotenen Behendigkeit den ihm vom Himmel geschickten Gegenstand einer würdigen Disputation ergriffen“: os sae­ cularis eloquentiae pompis adsuetum et fluentis exundantibus R o m u l e a e profunditatis irriguum alacritate debita missam sibi de supernis materiam dignae disputationis arripuit (82,7–9). „Dabei hat d i e B e r e d s a m k e i t, die vor allem ihren Part spielte bei den lustvollen Abschnitten der Beschreibung des Kosmos oder bei den Lobeshymnen auf die Triumphe des Königs, in dem Augenblick, als die bessere Sache sie als Patronin einforderte, ihren Dienst bei der Bekräftigung der Wahrheit nicht versagt“: facundia cum interfuit aut describendi mundi iucunditatibus aut regalium triumphorum praeconiis, patronam ubi primum melior pars poposcit, a d s t r u e n d a e u e r i t a t i non seruire non potuit (82,9–11). Man sieht: Die R o m u l e a profunditas wird mit der s a e c u l a r i s eloquentia auf eine Stufe gestellt. Insofern kann man die Romulea des Dracontius auch als Sammlung seiner „heidnisch-römischen Dichtungen“ verstehen.

130 Siehe MGH auct. ant. VI 2, 81,29–82,35 (Peiper).



Romul. III (Praefatio ad Felicianum): Der Titel ,Romulea‘ / IV (Verba Herculis) 6 

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IV verba hercvlis cvm videret hydrae serpentis capita pvllare post caedes 6 Der Textpassus hat in den Ausgaben folgende Form: Iuppiter omnipotens, celsi moderator Olympi, cur mihi u i p e r e i f e t u s mala fata minantur? te regnante, parens, in me coniurat iniqua [s e r p e ]n t u m cristata manus! sed forte superbi 5 [nunc] caelum terras pontum fulmenque trisulcum [her]edes et Iuno tenent, seu fulgidus ortu [desilis] ad terras seu iam defessus anheli sideris occasu maestus tua regna relinquis.

Die Ergänzungen der Lücken in den Versen 4–6 stammen von Duhn, [desilis] in 7 geht auf Bücheler zurück. Hercules beklagt sich bei seinem Vater Jupiter, daß die nachwachsenden Schlangen der Hydra ihm ein schlimmes Geschick zu bescheren drohen. Empört fragt er, wie sich unter der Herrschaft seines Vaters die Schlangenschar gegen ihn verschwören könne – oder, so korrigiert er sich selbst, haben vielleicht inzwischen die hochmütigen Giganten und Juno die Herrschaft über Himmel, Erde, Meer und den dreizackigen Blitz erobert? Hercules hatte Juppiter beim Gigantenkampf wirkungsvoll unterstützt und ihm geholfen, die Herrschaft zu sichern131. Da liegt es nahe, daß er in einem Zusammenhang, in dem nun er selbst von S c h l a n g e n bedroht wird, auf diesen gemeinsamen Kampf gegen die s c h l a n g e n f ü ß i g e n Giganten anspielt. Ich schreibe demgemäß zu Beginn des Verses 6 [anguip]edes et Iuno. Duhns abstraktes [h e r ]e d e s et Iuno sagt dem Leser nicht einmal, welche „Erben“ denn gemeint sein sollten. Es handelt sich um einen unbefriedigenden Notbehelf, der lediglich das Metrum füllen sollte132. Durch anguipedes dagegen erhält das in weiter Sperrung betont

131 Siehe die Kommentare zu Hor. carm. 2,12,6 f. domitosque Herculea manu | telluris iuuenes; West zu Hes. theog. 954; Bond zu Eur. Herc. 177 ff.; Fitch zu Sen. Hf 84 f. 965–981; ferner [Sen.] HO 87 ff. 1138–1169; Macr. sat. 1,20,8 ipse [sc. Hercules] creditur et Gigantas interemisse cum caelo propugnaret quasi uirtus deorum. 132 Die Zeilen 4–7 sind in der Handschrift N so angeordnet, daß sie über den rechten Seitenspiegel leicht hinausragen, während links ein Fenster verbleibt, das größer ist als der verlorengegangene Text (es scheinen die Verhältnisse der Vorlage genau wiedergegeben zu sein). Durch die leichte Verschiebung nach rechts läßt sich die Anzahl der jeweils links zu ergänzenden Buchstaben nicht scharf abmessen. An sich wäre Platz für je 8–10 Buchstaben. Je nach Buchstabenbreite

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 Kritischer Kommentar

vorausgestellte Attribut superbi einen befriedigenden Bezugspunkt: Als hochmütig, kühn, bedrohlich, anmaßend, ganz auf ihre eigenen Kräfte vertrauend133 werden die Giganten (und die mit ihnen im Laufe der Mythenentwicklung oft verbundenen oder auch kontaminierten Urmonstra wie Titanen, Aloaden, Lapiden, Kentauren etc.) typischerweise charakterisiert134. Dracontius konnte gleich in der ersten Handlungsepisode der Metamorphosen Ovids auf die Schlangenfüßigen stoßen, als Jupiter aus Zorn über die Giganten und die ihrem Blut entstammten Nachkommen die berühmte Götterversammlung einberuft, die mit dem Beschluß endet, das durch Gigantenblut kontaminierte Menschengeschlecht auszurotten und durch ein neues zu ersetzen. Ich beschränke mich auf einige Verse, die für Dracontius bedeutungsvoll sein konnten: met. 1,152 adfectasse ferunt regnum caeleste Gigantas135; 154 f. tum pater omnipotens misso perfregit Olympum | fulmine et excussit subiectae Pelion Ossae. Wichtig ist vor allem der Beginn der Rede Jupiters:

wird man 5–6 in Anschlag bringen dürfen. Duhns Ergänzung (her) greift deutlich zu kurz. Siehe hierzu auch o. Anm. 36. 133 So etwa Hor. carm. 3,4,50 fidens … bracchiis; s. Hom. Il. 12,135 (Lapithen) χείρεσσι πεποιθότες ἠδὲ βίηφι und Horsfall zu Verg. Aen. 6,580–584. Fantham erläutert Sen. Tro 829 f. (Pelion regnum Prothoi s u p e r b u m, | tertius caelo gradus) mit gutem Grund wie folgt: „Superbum in 829 [sic] is not warranted by Homer’s description of Prothoos, but is probably evoked by the thought of the giants’ arrogance“ (330). Die beiden trojanischen Brüder Pandarus und Bitias, die im Übermut – während der Abwesenheit des Aeneas – das Tor des trojanischen Lagers öffnen, um die Gegner zu reizen, nennt Vergil (Aen. 9,695) fratres s u p e r b o s. Ph. Hardie (Virgil’s Aeneid: Cosmos and Imperium, Oxford 1986) hat ein eindrucksvolles Porträt von ihnen geschaffen, das sie ganz auf die Stufe von Giganten erhebt. Eine Art zweiten Gigantenaufstand gegen Jupiter durch Pluton s u p e r b u s fingiert Hercules in HO 1141 ff. 134 Vgl. etwa Eur. Herc. 177 ff. Διὸς κεραυνὸν ἠρόμην τέθριππά τε ἐν οἷς βεβηκὼς τοῖσι γῆς βλαστήμασιν Γίγασι πλευροῖς πτήν' ἐναρμόσας βέλη 180 τὸν καλλίνικον μετὰ θεῶν ἐκώμασεν· τετρασκελές θ' ὕ β ρ ι σ μ α, Κενταύρων γένος, Φολόην ἐπελθών, ὦ κάκιστε βασιλέων, ἐροῦ τίν' ἄνδρ' ἄριστον ἐγκρίνειαν ἄν· Vgl. Boeth. cons. 4 carm. 7,14 ille [sc. Hercules] Centauros domuit s u p e r b o s. 135 Vgl. Ov. fast. 3,439 f. fulmina post ausos caelum adfectare Gigantas | sumpta Ioui. Vorauf geht Hor. carm. 3,4,49 ff. (siehe dort Nisbet–Rudd); s. ferner die Anm. 131 genannten Stellen, die sich vielfach vermehren lassen; verwiesen sei noch auf Billerbeck zu Sen. Hf 965–981; Tarrant zu Sen. Ag 340 ff. und Thy 804–812.



Romul. IV (Verba Herculis) 6. 30 

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met. 1,182 ‘Non ego pro mundi regno magis anxius illa tempestate fui qua centum quisque parabat inicere a n g u i p e d u m captiuo bracchia caelo (…)’136.

Die Kommentare verweisen auf Ov. fast. 5,35–42 (s. bes. 37 mille manus … et pro cruribus a n g u e s); trist. 4,7,17 serpentipedesque Gigantas; Aetna 43–73, bes. 46 f. his natura sua est aluo tenus: ima per orbes | squameus intortos sinuat uesti­ gia serpens137. Den Abschluß mag ein Satz aus dem Panegyricus II (XII) [an den Kaiser Theodosius] 44,5 bilden, in dem die artifices aufgefordert werden, die althergekommenen, weit verbreiteten Sujets zu meiden, nämlich Herculeos labores et Indicos Liberi triumphos et anguipedum bella monstrorum.

30 Hercules hatte geglaubt, nach der Bezwingung des Nemeischen Löwen ohne Gegner auf Erden zu sein – doch nun sieht er sich in einen dritten, zermürbenden Kampf verwickelt (mit einem Gegner), der aus dem Untergang zu neuem Leben entsteht138: hostes desse mihi duxi139 post bella leonis, quem nullo mucrone peti nec retibus140 ullis

136 In 1,179 f. schüttelt Jupiter nach Art seines homerischen Vorbildes dreimal und viermal das Haupthaar, cum qua terram, mare, sidera mouit. Möglicherweise hat Dracontius auch diese Reihe übernommen und sie – um den Blitz vermehrt – in seinen Vers 5 aufgenommen (caelum terras pontum fulmenque trisulcum). 137 Siehe auch Apollod. 1,6,1 εἶχον δὲ τ ὰ ς β ά σ ε ι ς φολίδας δ ρ α κ ό ν τ ω ν. In der oben zitierten Stelle aus Macrob heißt es anschließend (sat. 1,20,9) horum (sc. Gigantum) p e d e s in d r a c o n u m u o l u m i n a desinebant. 138 Bella ist hier – wie durch den Klammervermerk angedeutet – ein prägnanter Begriff. Der angeschlossene Relativsatz bezieht c a e d e s auf das Abstractum bella (der Kampf erwacht, nachdem er eine Niederlage erlitten hat, zu neuem Leben), meint aber konkret die Vernichtung (der Schlangenhälse) des Kampfgegners, der jeweils neues Leben schöpft. Ähnlich kühn wird Vers 37 gesagt: sed p r o e l i a u i c t a reformat (sc. gladius meus). Vgl. 48 f. fera colla draconum | c a e s a u i g e n t! alter s u r g i t de uulnere serpens! 139 So zwingend Baehrens statt deesse … dixi (N), wie Vollmer, Diaz und Bouquet schreiben. 140 So wieder überzeugend Baehrens (dem sich Bouquet anschließt) statt uestibus (N, beibehalten von Vollmer und Diaz); Haupts restibus läge zwar paläographisch eine Spur näher; aber mit restes zieht ein Jäger nicht gegen Großwild ins Feld, siehe Drac. Med. 405 f. (ursus ceruus aper pantherae damma leones, | r e t i a cum ueniunt aut cum uenabula uibrant, | ante necem tua praeda iacent); Gratt. cyn. 49 licet Haemonios i n c l u d a s r e t i b u s ursos. Grillone (1982, 535)

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 Kritischer Kommentar

30 implicui fretus manibus: nec Maurus †ad illum, cuius pelle tegor. nunc fortiter ecce tabescens tertia bella gero, quae caedes passa resurgunt.

Den Vers 30, der schon in der Handschrift N durch ein Korruptelzeichen über m(au)rus gebrandmarkt war141, habe ich in der Fassung Vollmers wiedergegeben, die Diaz übernommen hat. Bouquet bevorzugt Doppelpunkt nach implicui (angemessen ist ein Semikolon, s.  u.) und postuliert den Ausfall eines Verses nach Vers 30. Dies ist wenig überzeugend, weil dadurch der Bericht über den (früheren) Kampf mit dem Löwen zerdehnt würde und der Kern des Gedankens, die neue Auseinandersetzung mit der Hydra, aus dem Blick geriete. Bouquet sieht sich zu diesem Eingriff gedrängt142, weil er in dem von Baehrens gedruckten Text nec Maurus adiui keine ausreichende Grundlage für den auch nach seiner Ansicht erforderlichen Gedanken „sans être armé d’une lance“ sieht143. Aber mit quem nullo mucrone peti nec retibus ullis implicui (29 f.) sind zwei zureichende Alternativen, wie Hercules hätte dem Löwen zu Leibe rücken können, benannt. Es müssen nicht noch Lanzen, Pfeil und Bogen oder gar die Keule bemüht werden. Dies zeigen die Verse Hyl. 154 f. cum fracta leonis | colla Cleonaei t e l o p a r c e n t e necantur, aber auch die Verse 111 f. in Ps.-Claudians ‚Laus Herculis‘, die des Helden Eberjagd schildern: non spicula in illum | nodosumue rapis clauato pondere robur (carm. min. app. 2,111 f.). Vielmehr bietet Vers Romul. 4,30 das positive Komplement zu den beiden nicht eingesetzten Mitteln: fretus manibus … ad illum, | cuius pelle tegor. Vertrauend auf die pure Kraft seiner Hände (mit denen er den Löwen erwürgt)144 stellt er sich ihm, dessen Fell ihn seitdem deckt (womit der Ausgang des Unternehmens in einem Halbvers umschrieben ist). Das Relativpronomen cuius benötigt einen Anknüpfungspunkt, insofern darf (dies gegen Baehrens) an dem Enjambement ad illum, | cuius nicht gerüttelt werden. Der

hat passend Sen. epist. 121,22 (animalia … uelut r e t i b u s i n p l i c a t a) zitiert [man findet die Junktur später mindestens viermal bei Augustinus] und eine Stellensammlung der einschlägigen Jagdtopik hinzugefügt. 141 Die Punkte über dem Diphthong au (so Vollmer) oder über dem a (nach Diaz) [siehe dazu u. Anm. 145] deutet Bouquet als Tilgungszeichen: der Buchstabe a (oder vielleicht u, wie er fragend hinzusetzt) solle getilgt werden. Üblicherweise ist in N das diakritische Zeichen der drei als Dreieck angeordneten Punkte als bloßer Hinweis auf eine Korruptel gesetzt; s.  o. S. 16. 142 Siehe neben der Übersetzung „confiant en mes seules mains du Maure sur le fauve“ auch seine ‚Notes Complémentaires‘ S. 25920. 143 Man vergleiche Vollmers Eintrag in der editio maior (1905) zu Vers 30: „‚i. per iacula‘ Baeh­ rens; idem ut probaret Buecheler attulit Val. Fl. 3,587 [Mauri lancea]“. 144 Vgl. z.  B. [Sen.] HO 56 ff. quanta non fregi mala, | quot scelera n u d u s (= „ohne Waffen“) ? quidquid immane obstitit, | s o l a e m a n u s strauere.



Romul. IV (Verba Herculis) 30 

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Versschluß ad illum wird zudem durch Ps.-Claudians in illum gestützt (s.  o.). Die Korruptel läßt sich also auf nec m(a)urus eingrenzen. Genau über nec m(au)rus steht (v. 29) nec retibus (uestibus N). Wir dürfen vermuten, daß in v. 30 ein Induktionsfehler vorliegt, durch den ein ursprüngliches conuersus in necm(au)rus verschrieben wurde145. Das Gegenglied zu den beiden negativen Sätzen 29. 30a lautet also (30bf.): fretus manibus conuersus ad illum146 | cuius pelle tegor. Daß der Kampf tödlich endet, war von Anfang an durch Vers 28 (post bella leonis) klar, wird aber zum Abschluß durch cuius pelle tegor noch einmal unmißverständlich zu Bewußtsein gebracht147. Insofern muß man in Vers 30 nicht nach einem Verb in der Bedeutung mactandus oder lacerandus (so Ellis 255) suchen. Das eigentliche Kampfgeschehen ist bewußt ausgespart, der Zwang zur Kürze in kunstvolle Raffinesse umgesetzt, die der Schilderung einen individuellen Reiz verleiht148.

145 Ich habe den Kommentar zu Vers 30 in der ursprünglichen Form belassen, obwohl ich nachträglich durch Überprüfung der mir von Katharina Pohl (Wuppertal) zur Verfügung gestellten Kopien der Handschrift N feststellte, daß die von den Editoren angegebene Lesart nec maurus ∴ zweifelhaft erscheint. Man wird eher auf nec maserus geführt (mit einem untypischen a, das aus einem Schrägstrich von links unten nach rechts oben mit dort angesetztem senkrechten Kurzstrich nach unten besteht [falls nicht ein Tilgungsstrich im Spiel ist]). 146 Vgl. Drac. laud. 2,750 ut uel sic nos c o n u e r t a m u r a d i l l u m. Neben conuersus könnte man noch an congressus denken; das geht aber nicht gut mit ad illum zusammen, liegt zudem paläographisch weit von nec m(a)urus ab. Erinnert sei an Verg. Aen. 12,377 f. ille tamen clipeo obiecto c o n u e r s u s i n h o s t e m | ibat et auxilium ducto mucrone petebat. Vgl. Caes. Gall. 6,8,5 simul signa a d h o s t e m c o n u e r t i aciemque dirigi iubet; Liv. 3,5,7 et consul nuntio circumuenti fratris c o n u e r s u s a d p u g n a m; Flor. epit. 1,18 (p. 46,1) = 2,2,23 c o n u e r s i s a d externa auxilia hostibus; Frontin. strat. 2,7,8 a d iustum p r o e l i u m c o n u e r s i hostem inuaserunt. 147 Man vergleiche wieder Ps.-Claudian carm. min. app. 2,97 f. quin et flauicomis radiantia tergora uillis | c e u s p o l i u m f u s o u i c t o r r a p i s. Das Löwenfall ist die Trophäe des S i e g e r s! Dort war allerdings – entsprechend dem Ziel, das mit dem Panegyricus verfolgt wird – unmittelbar zuvor der Kampf ausführlich geschildert: 91 in noua sanguineos armantem uulnera rictus (… | … | …) i n u a d i s trepidum s o l i s q u e l a c e r t i s 95 grandia corripiens eluso guttura morsu imbellem fractis p r o s t e r n i s faucibus hostem. 148 Bei den vielen Katalogen der Taten des Hercules (eine Auswahl bis zu Seneca gibt Fitch in seinem Kommentar zu Hf 216–248, S. 188) sind oftmals die einzelnen Episoden sehr verknappt. Zum Nemeischen Löwen s. z.  B. Ov. epist. 9,97 f. quique inter laeuumque latus laeuumque lacertum | praegraue compressa fauce pependit onus; met. 9,197 his elisa iacet moles Nemeaea lacertis (mit Bömers Komm.); Sen. Hf 224 f. maximus Nemeae timor | pressus lacertis gemuit Herculeis leo; Ag 829 te sensit Nemeaeus arto | pressus lacerto fulmineus leo.

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 Kritischer Kommentar

V controversia de statva viri fortis 56. 70 Rossberg hat es als eine wichtige Aufgabe angesehen, den (oftmals komplizierten) Gedankengang dieser Deklamation aufzuzeigen149. Die narratio des Stückes beginnt folgendermaßen (53–68)150: „hier steht der arme, ein bejammernswerter, hilfloser mensch, aber ein ehrbarer bürger, immer darbend und demütig, der es wohl verdiente dasz der reiche ihn liebte, in dessen dienste er als dienstbote dienen könnte, wenn die finstere schar der stolzen clienten es zuliesze. während er aber diesem zu dienen sich herbeiläszt (dignum putans), wird er für unwürdig angesehen und seine bitten schnöde abgewiesen (fastiditur supplex). als gegner und feind des reichen wird der arme beschuldigt, der in seinem elend sich um eine clientenstelle zu bewerben gewagt, aber nicht einmal eine solche erlangt hat. indessen vor seiner ehrlichkeit (bravheit) entsetzt man sich. [doch das, wovor man zurückschrickt, ist seine ehrlichkeit.] den häusern der mächtigen wird weit mehr ein solcher freigeborener, wenn er sich zum diener hergibt, genehm sein, in dessen gegenwart ein verbrechen begangen werden darf und doch verschwiegen bleibt, oder der, wenn dieser frevel ruchbar werden sollte, ihn doch leugnet, indem er freiwillig sich erbietet zur tortur und zu kreuzesqual an leib und gliedern, ja (sich erbietet) die henkerflammen mit seinem blute zu sättigen und des folterknechts hand zu rühmen, wenn er für den reichen strafe leidet, fesseln trägt, im zuchthaus sitzt“ usw. Der Vers 56 ist korrupt überliefert. Hier der Text im Zusammenhang151: Pauper adest miserandus inops, sed ciuis honestus, semper egens humilis, dignus quem diues amaret, 55 cuius152 in obsequio famulari posset alumnus, turba s u p e r b o r u m sineret si turba clientum. qui153 dignum seruire putans indignus habetur uel f a s t i d i t u r 154 supplex; inimicus et hostis diuitis arguitur pauper, qui uota clientis

149 Rossb8 837. 150 Ich gebe Rossbergs Übersetzung mit der Änderung „darbend“ (sc. egens, so N) für „thätig“ (sc. agens, so Rossb1 5). 151 Vers 56 in der Fassung der Handschrift. – Die Markierungen in dem Versabschnitt sollen in analoger Weise Entsprechungen zum Vergleichstext hervorheben. 152 So Bücheler für überliefertes Ciuis. 153 Qui Bücheler: Quid N. 154 So Bücheler für fastidicus.



Romul. V (Controversia) 56 

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60 ausus habere miser; nec 155 tamen ipse meretur, sed probus horretur. domibus magis ille potentvm liber156 amicus erit, quisquis uult esse satelles, quo praesente nefas committitur atque siletur, aut scelus hoc157 si forte sonet, tamen ille negabit 65 sponte petens tormenta cruces, per membra, per artus carnifices flammas proprio satiare cruore (…); 70 158 talis diues qualis mendicus amari possit159 et infelix, ad crimina conscius esto160.

Zu dem doppelten turba in 56 bemerkt Duhn im App.: „Turba] tanta conicias uel torua uel simile quid“; Baehrens drehte dies in seiner Ausgabe um und schrieb Turba sup. s. si torua clientum161. Seit Vollmer (1905) steht in den Ausgaben torua … turba, eine sonst nicht belegte Junktur162. Usener aber hatte in seinem, ihm von Duhn dedizierten Exemplar das zweite turba mit Tinte unterstrichen und an den Rand geschrieben: „dura Lohmeyer cl. laude Pis. 134“163. Wenn man dem Zitat nachgeht, wird offenkundig, daß dort eine so eindringliche Schilderung Pisos als Herrn seines Hauses im Umgang mit hilfsbedürftigen Armen und den eigenen Klienten vorliegt, daß sie jedem Nachgeborenen als programmatisch erscheinen und somit als Reservoir für griffige Formulierungen dienen konnte. Da die ‚Laus Pisonis‘ in Überlieferungsgemeinschaft mit Werken der Appendix

155  Bücheler. 156 Durch liber wird c i u i s honestus (53) aufgenommen, das anschließende Prädikativum amicus weist auf dignus quem diues a m a r e t zurück. 157 Vollmer stellt die Verbesserung hinc zur Diskussion. 158  Duhn. 159 So Duhn für posset. 160 esto Vollmer: esso N: esse Duhn. 161 Nicht ganz korrekt schreibt Rossb9 67 diesen Text bereits Duhn zu („und Baehrens ist ihm gefolgt“). Vielmehr gab Duhn eben jene Fassung zu erwägen, für die Rossberg S. 67 plädiert, weil sich in 180 der gleiche Versschluß turba clientum ein weiteres Mal fände (wohl beeinflußt durch Hor. carm. 3,1,13 illi turba clientium | sit maior). Dies ist jedoch kein stringentes Argument; denn es läßt sich zeigen, daß Dracontius häufig darauf bedacht ist, seine Ausdruckswiederholungen in Wortstellung oder Semantik zu variieren. 162 Es hat den Anschein, daß Dracontius das Attribut toruus in erster Linie Tieren und Kentauren vorbehält (vgl. 8,322 toruos … biformes; ferner 8,582; Orest. 266; laud. 1,281). Das bluttriefende Freundespaar Pylades und Orest, die torui vom Schauplatz des Mutter- und Ehebrechermordes in den Palast zurückkehren (Orest. 795), kann nicht als Muster für die Rivalität unter Klienten dienen. 163 Siehe Anm. 16.

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 Kritischer Kommentar

Vergiliana tradiert wurde164, dürfen wir annehmen, daß sie dem Vergilkenner Dracontius zur Verfügung stand165: quis tua cultorum, iuuenis facunde, tuorum 110 limina pauper adit, quem non animosa beatum excipit et subito iuuat indulgentia censu? quodque magis dono fuerit pretiosius omni, diligis ex aequo, nec te fortuna colentum natalesue mouent: probitas spectatur in illis. 115 nulla s u p e r b o r u m patiuntur dicta iocorum, nullius subitos affert iniuria risus: unus amicitiae summos tenor ambit et imos. rara domus tenuem non aspernatur amicum raraque non humilem calcat f a s t o s a clientem; 120 illi casta licet mens et sine crimine constet 121 uita, tamen probitas cum paupertate iacebit;(…) 128 ista procul labes, procul haec fortuna refugit, Piso, tuam, uenerande, domum: tu mitis et acri 130 asperitate carens positoque per omnia f a s t u inter ut aequales unus numeraris amicos, obsequiumque doces et amorem quaeris amando. cuncta domus uaria cultorum personat arte, cuncta mouet studium; nec enim tibi dura clientum 135 turba rudisue placet, misero quae freta labore nil nisi summoto nouit praecedere uulgo; sed uirtus numerosa iuuat.

Es ist hier nicht der Ort für einen Detailvergleich der beiden Textpassagen. Die analogen Auszeichnungen geben dem Leser einen zureichenden Eindruck von der engen Verwandtschaft in Motivik und Ausdruck. Lohmeyer war also im Recht, die dura clientum | turba der ‚Laus Pisonis‘ (134 f.) als Vorbild für die von ihm wiedergewonnene Formulierung turba s u p e r b o r u m  … dura clientum | im Dracontiustext zu vermuten166. Man darf stützend Vers 115 (nulla s u p e r b o r u m

164 Siehe R. H. Rouse, in: L. D. Reynolds (Hrsg.), Texts and Transmission, Oxford 1983, 304. 165 Es scheint in diesem Zusammenhang von Interesse, daß in dem mittelalterlichen Pariser Florileg 15155, von dem ein Teilstück unter der Signatur Vat. Reg. lat. 2120 (foll. 11–35) in der Vaticana liegt, die ‚Orestes‘-Exzerpte (s.  o. Anm. 49) im Verbund mit Auszügen aus Tibull, H o m e r (‚Ilias Latina‘ [in Drac. Hel. genutzt!]), Properz, (Ps.) Ovid (einschließlich ‚Ibis‘), Vergil, Horaz, Juvenal, Persius, Lucan stehen und daß dort in die Tibullexzerpte Auszüge aus der A p p e n d i x V e r g i l i a n a (darunter aus dem ‚Culex‘) eingestreut sind, in die Exzerpte aus Ovids ‚De med. fac. fem.‘ aber wiederum Zitate aus ‚ C u l e x‘, ‚Aetna‘ und der ‚ L a u s P i s o n i s‘ (s. Robathan 192. 196–197). 166 Das in N überlieferte zweite turba ist ein Perseverationsfehler des Kopisten.



Romul. V (Controversia) 56. 69. 70 

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patiuntur dicta iocorum) hinzunehmen, aus dem das bei Dracontius an gleicher Versstelle erscheinende superborum entlehnt scheint. Die Junktur turba dura findet sich etwa Aug. epist. 185,7 ita cum magna agmina populorum uera mater in sinum gaudens reciperet, remanserunt t u r b a e d u r a e et in illa peste infelici animositate sistentes; vgl. Petr. Damian. epist. 48 (MGH Briefe IV, Teil 2, p. 58,14) d u r a m ipsi praepositis exhibent c l i e n t e l a m. Der Schluß dieser Kurzdeklamation über den hörigen Höfling ist nicht leicht zu verstehen: 67                    pro diuite poenas si patitur, si uincla gerens ergastula portet, se reputet cruciasse alios ut167 crimina celet: 70 talis diues qualis mendicus amari168 possit et infelix, ad crimina conscius esto. „S’il endure des tourments à la place du riche, si chargé de chaînes il fait des travaux forcés, pour cacher les crimes du riche, il en viendra à penser qu’il a maltraité autrui169. Pour que le riche et le pauvre, le malheureux, soient aimés de la même façon, il faut que ce dernier soit complice des crimes du riche“ (Bouquet).

Ausgangspunkt der Narratio170 war, daß der arme, mittellose, aber ehrbare Bürger die Dienste und die Anerkennung des Reichen (vgl. 54 dignus quem diues amaret)171 sucht. Fazit der Kurzdeklamation ist: Man erreicht die Gunst und Zuwendung des Mächtigen nicht durch Rechtschaffenheit, sondern indem man sich zum Mitwisser seiner Untaten macht. Diesen Gedanken hat Vollmer auf Juvenal zurückgeführt: Iuv. 3,49 50

quis nunc d i l i g i t u r nisi c o n s c i u s et cui feruens aestuat o c c u l t i s animus semperque t a c e n d i s ? nil tibi se debere putat, nil conferet umquam, participem qui te secreti fecit h o n e s t i.

167 et Shackleton Bailey (1955) 180: er faßt reputet … et … celet als ironische Jussive, kaum zu Recht. 168 Shackleton Baileys amare hilft nicht wirklich weiter, wie sich im folgenden zeigt. 169 Der Sinn scheint eher folgendes zu fordern: Damit der Arme die Qualen zugunsten des Reichen aushält, soll er sich vorstellen, er habe selbst anderen derlei Qualen auferlegt, um sie zu zwingen, seine Vergehen zu verschweigen. Ich nehme deshalb in Vers 69 Büchelers celent (celet N) in den Text. Einen ähnlich forcierten Selbstbetrug liest man in 9,161 ff. von Andromache: suadente dolore | ipsa sibi demens extorquet, ut Hectora credat | Astyanacta suum. 170 Siehe den krit. App. zu 5,53. 171 Vgl. 199 ff. nec laedat h o n e s t o s  … mediocris p a u p e r a m e t u r.

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 Kritischer Kommentar

Er wird im Schlußresümee des Dracontius auf die Formel gebracht: „Damit der unglückliche (wenngleich freie) Bettler vom Reichen ebenso geliebt werden kann, wie der Arme die Gunst des Reichen sucht, muß er sich zum Zeugen und Komplizen bei dessen Unrechtshandlungen machen.“ Zu Recht nimmt Bouquet (26437) Anstoß an der Reihenfolge talis diues qualis mendicus (70): „Il serait plus logique d’inverser l’ordre des corrélatifs.“ Doch sind solche Inversionen in der lateinischen Sprache nicht selten, s. Zwierlein, Petrus in Rom (2009 [22010]) 14643 mit Verweis auf Tarrant zu Sen. Thy 205–207 und M. Hillen, Studien zur Dichtersprache Senecas (Berlin 1989) 284 ff.

VI epithalamivm in fratribvs dictvm 1–5. 44. 53–57. 94 – und die Struktur des Gedichtes Seit Vollmer (1905) beginnt das Hochzeitsgedicht172 in allen Ausgaben mit einem Anführungszeichen, das ein Zitat einzuleiten scheint, dessen Ende durch das korrespondierende Schlußzeichen des Verses 56 markiert wird173: ‘Egregii iuuenes, [o] gloria summa parentum, foedus amicitiae, solamen grande clientum, dulcia cantatis dum uotis carmina uestris, facundos uos fecit amor. Venus alma, potestas 5 Delphica,174 flammipotens inuasit templa Cupido. (…) 43 quantum ego festinem laudes et carmina ferre pro meritis animisque uirum? puer alme Cupido, 45 ignea progenies et rerum perpes origo, huc ades armatus fluidis post terga pharetris, imbue pinnatis, precor, oscula blanda sagittis, morsibus alternis ut lambens lingua palatum tergat et udentur suspensis dentibus ora. 50 sponsa maritales cognoscat utra uapores (…) 53 has matronali societ de more cateruae blanditus sub fraude dolor, sub uulnere casto 55 seruatumque diu rapiat hac nocte pudorem et poenae sit merces amor, pia pignora, nati.’  uix ea fatus eram, subito uenit aliger …

172 Zur Frage nach dem ursprünglichen Titel s.  o. Anm. 26. 173 Baehrens (1883) hatte als erstes Zitat im Verlauf des Gedichtes die Rede der Venus in 81–89 markiert. 174 Über die richtige Interpunktion s.  u. zu den Versen 4–5.



Romul. VI (Epithal. in fratribus) 1–5. 44. 53–57. 94 – und die Gedichtstruktur 

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Wir sollen also glauben, daß sich der Erzähler mit uix ea fatus eram (57) auf die gesamte erste Hälfte des 122-zeiligen Hochzeitsliedes zurückbezieht. Dies ist aus mehreren Gründen ausgeschlossen175. In Wirklichkeit muß das Anführungszeichen an den Beginn des Anrufes in 44 ff. versetzt werden: ‚puer alme Cupido, | …, | huc ades …, | …, precor, (…‘). Dort bittet der Dichter, Amor möge erscheinen und mit Hilfe seiner Pfeile die beiden Brautpaare zum Liebesspiel erregen, damit in der ehelichen Vereinigung der Hochzeitsnacht die „züchtige“ defloratio erfolge und so als Unterpfand gegenseitiger Liebe Kinder gezeugt würden (56 et poenae sit mercĕs amor, pia pignora, nati)176. Auf diese konkrete Bitte antworten dann die Verse 57 ff. uix ea fatus eram, subito uenit aliger ignis | ore micans (…): das Stoßgebet „Cupido, erscheine!“ wird unmittelbar erhört, die Erfüllung der weiteren, mit dem Stoßgebet verbundenen Bitten (47–54) ist Gegenstand des anschließenden Gedichtteils. In dem Hilferuf an Amor hatte der Dichter gleich das Schlußziel benannt: die eheliche Vereinigung in der Hochzeitsnacht. Damit war er dem Stand der Dinge weit vorausgeeilt, hatte die Schilderung des Höhe- und Endpunktes der Handlung bereits bei der Vorgabe des Zieles der Aktion antizipiert177. Auf der ‚realen‘ Handlungsebene des Gedichtes mußte dieses (schon in allen Details geschilderte) Endziel Schritt für Schritt verfolgt werden. Deshalb schließt sich an den Auftritt Amors und seines Gefolges (57–71) die Ankunft der Mutter Venus auf ihrem Taubenwagen an (72 ff.)178. Mit ihr erreichen wir die Stadt Karthago179 und dort die Thermen des Maximian (96 f.), wo die Doppelhochzeit der gens Victoris (der Dra-

175 Mit der Formel uix ea fatus wird immer eine konkrete Einzel-Rede unterschiedlichen Umfangs beendet; sie kann sich nicht (wie es in 6,1–57 der Fall sein müßte) auf mehrere Anrufe (1 ff. an die Jünglinge, 22 ff. an Venus mit der Bitte um Inspiration), kombiniert mit sachlicher Exposition der Handlungsgrundlagen (54 ff.: es ist Hochzeit im Hause Victors) [insgesamt 56 Verse!] beziehen. Für die Länge der Reden, die der Abschlußformel in den sonstigen Belegen voraufgehen, ergeben sich die folgenden (in Klammern gesetzten) Verszahlen: Verg. Aen. 1,586 (4); 2,323 (1); 2,692 (3); 3,90 (5); 3,655 (41: Rede des Achaemenides); 6,190 (3); 8,520 (49: Rede des Euander); 12,650 (17: Rede des Turnus); Ov. met. 15,843 (11); Val. Fl. 1,240 (5); Claud. rapt. Pros. 1,117 (27). 176 Das Stichwort poenae hier und der nachfolgende Satz dolor sub uulnere ... rapiat ... pudorem (54-56) erzwingen in Vers 94 die allgemein verschmähte Korrektur Virginitas ... raptum ... pauescens (so Baehrens für gratum ... p.); vgl. 7,51-54; 10,303f. (raptum … pudorem). 177 Ähnlich verfährt Dracontius in dem zeitlich früheren Epithalamium, s. 7,51–60. 178 Der Dichter hatte die Göttin in 22–33 um Inspiration für sein Hochzeitsgedicht angerufen. 179 Siehe 80 moenia  … Carthaginis, 90 iam tecta subibant (tecta bedeutet hier wie z.  B. 5,215 Romula tecta [= Rom]) ebenfalls „Stadt“ (bzw. „Häuser der Stadt“), 96 at Venus attingens urbem.

54 

 Kritischer Kommentar

contius seine Rettung aus der Gefangenschaft verdankt)180 gefeiert wird181. Hier nun kann Venus (gleichsam als pronuba)182 die beiden Bräute einweisen in das nächtliche Liebesspiel (105–110)183 und Amor (der sich mit seinem Gefolge ebenfalls am Festplatz eingefunden hat) auffordern, seine honiggetränkten Pfeile auf die beiden Brautpaare zu schießen (111–114)184 – ganz so, wie es der Dichter in 46 f. von dem Liebesgott erbeten hatte. Die beiden durch Amors Pfeile entflammten Jünglinge bekunden laut ihr Liebesbegehren, können das Hereinbrechen der Hochzeitsnacht kaum noch erwarten (115–118)185. Endlich zieht man zu den Brautgemächern (119). Was dort die beiden Paare erwartet, hat der Dichter bereits in 48 ff. und 105 ff. aus zwei sich gegenseitig erhellenden und ergänzenden Perspektiven geschildert. Deshalb kann er sich weitere Details hier ersparen und sich beschränken auf einen abschließenden Segenswunsch für die zu erwartende Nachkommenschaft: Aus der Vereinigung der Neuvermählten mögen prächtige Kinder entspringen, denen es beschieden sein möge, ihrerseits ähnlich glückliche Hochzeitsfeste zu feiern; auf diese Weise möge sich das Geschlecht der Victores weiter fortpflanzen und durch seine Kindersprößlinge wachsen: 6,121 f. pignora pulchra micent et talia uota celebrent186, floribus187 et uestris crescat generata propago.

180 Siehe 6,34–40; vgl. 81–89. 181 In 101 f. (progenies crementa domus Victoris honesta | suscipit et nuribus natos iunxere parentes) wird das in 56 angeschlagene Motiv von den pia pignora, nati (s.  o.) wieder berührt, insofern hier die Voraussetzungen für die aus der ehelichen Verbindung zu erwartenden nati geschaffen werden: Der Stamm des Hauses Victor empfängt (durch die eheliche Verbindung mit dem Schwesternpaar aus einem nicht näher benannten Hause) ehrenvollen Zuwachs (vgl. Romul. 7, 116 ex hac p r o g e n i e iunctis et g e n t e togata | coniugio tali speremus numina nasci). Zu c r e m e n t a vgl. 106 (Venus zu den beiden Bräuten) c r e s c i t e f e c u n d i s gaudentes lusibus ambae. 182 In 7,61 fungiert Juno als pronuba, begleitet von der Göttin Minerva. 183 Sie tut dies in Hinblick auf die züchtigen Mädchen sehr viel verhaltener, als es der Dichter in seinem Vorgriff 48 ff. getan hatte. 184 In 111 f. (puerum genetrix i m p l e r e p h a r e t r a s | imperat) ist der bei Lucan vorliegende volle Ausdruck (8,220 i m p l e t e p h a r e t r a s | Armeniosque arcus Geticis intendite neruis) verknappt. 185 Sie werden also am Ende des Gedichtes noch einmal als Sänger eines Liebesliedes eingeführt, wodurch der Bogen zum Anfang des Epithalamiums zurückgeschlagen wird, das mit einem Preis auf ihr zu Beginn des Festes dargebotenes Hochzeitsgedicht begonnen hatte (3 f.), s. S. 56 f. 186 Siehe hierzu Luceris Kommentar S. 179 mit Verweis auf Ven. Fort. carm. 6,1,142 f. sic iterum n a t i s c e l e b r e t i s u o t a parentes | et d e n a t o r u m teneatis p r o l e n e p o t e s; AL 254,33 f. R2 (= 248 SB) sic thalamis prolem socies uideasque nepotes | pendentes gremio ludere semper aui. 187 floribus habe ich durch „Kindersprößlinge“ wiedergegeben; siehe die von Luceri (2007)



Romul. VI (Epithal. in fratribus) Gedichtstruktur 

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Damit wird am Ende des Epithalamiums der Abschlußvers 56 der Bitte an Cupido (et poenae sit mercĕs amor, p i a p i g n o r a, n a t i) aufgegriffen und weitergeführt: der Blick des Dichters dringt jetzt – über die Generation der Kinder hinaus – vor bis zu den Enkelkindern188. Dieses kunstvoll geformte Hochzeitslied wird seit Morelli (1910) 409 ff. von vielen Interpreten als schlecht strukturiert, teilweise konfus beurteilt189; es zerfalle in zwei Hälften (1–56 / 57–122), ja, in zwei gesonderte Epithalamien, von denen das erste auch als Proöm zum zweiten aufgefaßt werden könne190. Der Dichter habe es nicht verstanden, die ihm von der Epithalamientradition vorgegebenen Elemente zu einem kohärenten Ganzen zu fügen191. Die Argumentation der Kritiker kann hier nicht im einzelnen erörtert werden; sie ist durch die oben gegebene, knappe Strukturskizze implizit widerlegt. Sie wird auch durch das zeitlich frühere Epithalamium VII in Frage gestellt, wo die Motive des hypothetischen Gedichtes, das sich der vom Hochzeitsfest ausgeschlossene, eingekerkerte Dichter als seinen potentiellen Festbeitrag in der Phantasie ausmalt (1 ff.), ähnlich komplementär mit denen des „realen“ Hochzeitsliedes (25 ff.) und dem Corollarium verschränkt sind, das der Dichter in 137 ff. der Haupthandlung anfügt. Zu den Ursachen für die Kritik der neueren Forschung an der vermeintlichen Undurchsichtigkeit der Struktur des Epithalamiums VI darf man wohl auch das von Vollmer eingeführte falsche Anführungszeichen zu Beginn des Gedichtes zählen.

180 angeführten Belege Hier. epist. 54,2,1 taceo de Paula et Eustochio, s t i r p i s u e s t r a e f l o r i b u s; Auson. 10,15,9 f. Green heu quare nato, q u i f r u g e e t f l o r e n e p o t u m | ereptus nobis, Maxime, non frueris? 188 Siehe ferner 101 f. (o. Anm. 181) und Anm. 186.  – Auch in diesem Punkt hat Dracontius bereits im zeitlich früheren Gedicht VII vorgearbeitet, vgl. 55 sic fiunt dulces m o d o p i g n o r a blanda p a r e n t e s, | et genus humanum sic stat sub lege perenni; 59 f. cana Fides Pietasque iugent et casta Voluptas | brachia constringat c e l e r e s uisura n e p o t e s. 189 So für den ersten Teil auch Wolff (1996) 851. 190 Siehe Galli Milić 117 ff., die (z.  T. im Anschluß an Morelli) die Verse 1–56 als „Introduzione proemiale“, die Verse 57–120 als „Narrazione“ und 121 f. als „Conclusione“ bezeichnet. Doch sieht sie sich aufgrund der Länge des ersten Teils (56 von 122 Versen, also 46 % des Ganzen) selbst gezwungen, den Begriff „introduzione proemiale“ in Frage zu stellen; denn in den Epyllia des Dracontius beträgt – wie sie S. 120 zeigt – der Versanteil der Einleitungspartien 4 % im Orestes, 2,5 % im Hylas, 4,5 % in der Helena, 5 % in der Medea. Erhellend wäre ein vergleichender Blick auf das zeitlich frühere Epithalamium VII. 191 So zuletzt Luceri (2007) 37; vgl. Morelli 409. 411; Wolff (1996) 9245.

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 Kritischer Kommentar

4–5

facundos uos fecit amor. Venus alma, potestas Delphica, flammipotens inuasit templa Cupido.

Die hier wiedergegebene, von Duhn eingeführte und in den Ausgaben Vollmers, Wolffs (1996) und Galli Milićs (2008) beibehaltene Interpunktion der Verse 4 f. ist durch Blomgren (1966) 58 f. berichtigt worden: Es muß Venus, alma potestas, | Delphica … inuasit templa Cupido geschrieben werden. Das zeigen die Versklauseln alma potestas (jeweils auf Christus bezogen) in laud. 2,791 und Ven. Fort. carm. 3,9,65; zu vergleichen ist Stat. silv. 1,2,137 f. (Venus wendet sich an Amor) tu, m e a s u m m a p o t e s t a s, | nate. Den Doppelaspekt der Liebesgottheit, wonach Venus und Cupido in einer Art Symbiose zusammenwirken, kann Dracontius durch die asyndetische Kombination Venus … Cupido zum Ausdruck bringen, so wie er das auch bei L u n a D i a n a in Med. 188 tut; Luceri (2007) 96 vergleicht Hel. 181 pontifices H e l e n u s L a o c o n, sacrata potestas192. Die Delphica templa als Inspirationsquelle für die heidnischen Dichter hatte Dracontius bei Paulinus Petricordiae (Mart. 1,302 – dort in Konkurrenz zur Inspiration durch den hl. Martin) finden können. Weitere Informationen liefert Luceris Kommentar ad loc. Damit ist bereits das entscheidende Stichwort zum Verständnis der Delphica templa gefallen. Wolff hatte 1996 die Verse im Sinne von Diaz de Bustamante (S. 171: ‚las divinidades del amor han penetrado en los temples a ellas consagrados‘) interpretiert, übernimmt aber in seinem jüngsten Beitrag (2015, 356) die von Galli Milić (2008) in den Text gesetzte Änderung euasit (inausit N: inuasit Duhn) und erläutert: „On comprendra donc qu’ils quittent leurs temples respectifs pour aller assister au mariage.“ Beide Lösungsversuche führen in die Irre. Der Zusammenhang zeigt, daß die beiden Brüder längst zu eigenen Liedern an ihrem Hochzeitstag inspiriert worden sind (4 facundos uos f e c i t …), daß dabei sowohl die Musen Apolls (11 f.) als auch Venus mitwirken, ja, die Herzen der Jünglinge

192 M. Deufert gibt zu bedenken, daß in den beiden hier angeführten Parallelen die asyndetisch kombinierten Gottheiten bzw. Personen unmittelbar nebeneinander stehen, während Venus … Cupido weit voneinander getrennt seien. Das mache den Bezug von alma potestas sowohl auf Venus als auch auf Cupido erheblich schwieriger. Aus diesem Grund erwägt er, hinter Vers 4 eine Lücke anzusetzen, in der beispielsweise gesagt sein konnte, Venus habe sich dem Reigen der tanzenden Musen angeschlossen. Das habe dann in Vers 16 durch Musa Venus Phoebusque Cupido aufgegriffen werden können – falls es nicht doch ökonomischer sein sollte, sich von dem (scheinbaren) Muster Hel. 181 zu lösen und einfach die beiden Subjekte Venus, alma potestas, und flammipotens … Cupido asyndetisch miteinander zu verknüpfen und dem gemeinsamen Prädikat inuasit zuzuordnen (ein Plural inuaserunt ist ja nicht verpflichtend).



Romul. VI (Epithal. in fratribus) 4–5. 33 

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beherrscht werden von den Musen, Venus, Phoebus, Cupido und Hymen, dem Abkömmling des Bacchus (16 f. interius uos Musa Venus Phoebusque Cupido | et Bromius p o s s e d i t Hymen!). Es geht also in den Versen 4 f. um die Thematik, daß Venus und Amor die Aufgabe der Dichter-Inspiration (mit)übernehmen, die üblicherweise Apollo und den Musen vorbehalten ist. Diesen Gedanken faßt der Dichter in eine Metapher: Venus und Cupido sind in den Delphischen Tempel eingedrungen. Das hat Blomgren (1966) 58 f., bes. 59 richtig gesehen: „Credo enim poetam sententiam, quae antecedit, qua dixit amorem iuvenes, quos alloquitur, facundos fecisse, per figuram ita explicuisse, ut diceret Venerem et Cupidinem, amoris numina, templum Apollinis, facundiae poeticae numinis, invasisse“ (siehe auch Luceris Kommentar S. 96). Eine verwandte Metaphorik mit Blick auf die vorgegebene Abgrenzung der göttlichen Wirkungsbereiche ist in der Liebesdichtung verbreitet. Es sei erinnert an McKeown zu Ov. am. 1,1 (II 8–10. 14. 29), an Prop. 2,1,3 f. und an Ov. ars 1,25–30. Demgemäß kann bei Dracontius im unmittelbar folgenden Vers die Aufforderung ergehen (6): tempora iam lauro uel myrto cingite frontes! Apolls Lorbeer und die Myrte der Venus sind in diesen beiden Jünglingen an ihrem Hochzeitstag vereint: beide Gottheiten wirken anläßlich der Festlieder (die auch die Jünglinge schon vorgetragen haben [1–4a] und in 115 ein weiteres Mal anstimmen werden [s. Anm. 185]) zusammen.

33 Der Dichter bittet Venus um Inspiration für sein Hochzeitslied: 30 non ego lasciuos opto mihi crescere sensus, sed precor aspergant nostrum tua carmina pectus, ut ualeam cantare tuos per uota t r i u m p h o s et mixtis saltare choris, cantare choreas. „quanto a me, non desidero avere languidi sensi, ma – te ne prego! – che i tuoi carmi aspergano il nostro petto, perché io sia in grado di cantare i tuoi trionfi durante il matrimonio e di cantare insieme ai cori, danzare le ronde“ (Galli Milić).

Die Übersetzerin hat in ihrer Textfassung des Verses 33 die Verben saltare und cantare ausgetauscht (sie rechnet mit einem Irrtum des Kopisten, s. S. 161). Doch wenn die dabei vorausgesetzte spezifische Zuordnung zwischen Verb und Objekt zuträfe, hätte man nicht eine irrtümliche Vertauschung der Infinitive saltare und cantare durch den Abschreiber anzunehmen, sondern eine vom Dichter bewußt vorgenommene Veränderung der üblichen Kombinationen. Die wohl berühmteste Analogie findet sich in dem viel besprochenen e x c u d e n t   … spirantia mollius aera – d u c e n t de marmore uultus Vergils, s. Horsfall zu Aen. 6,847 f.:

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 Kritischer Kommentar

„This startling stileme, the exchange of ‚normal‘ objects between two verbs, certainly arrests the reader’s attention here, though it is less rare than one might expect“193. Dracontius selbst neckt den Leser in 8,413 mit dem Vers exultant p o t a r e cibos atque e d e r e potus! Ebenfalls aus Vergil (aber auch aus Horaz, Ovid, Juvenal, ja, schon aus den ‚Fröschen‘ des Aristophanes) wohlbekannt ist „der eigentümliche Sprachgebrauch, wonach dem Autor wie einem handelnden Subjekte beigelegt wird, was er in seinem Werk vor sich gehen läßt“194. Das gilt auch für Romul. 6,33. Denn der Dichter tanzt und singt am Hochzeitsfest nicht selbst in gemischten Chören, sondern er bittet um Inspiration, daß es ihm gelingen möge, in seinem Lied gemischte Chöre (angemessen) im Reigen tanzen und singen zu lassen195. Diese sprachliche Pretiosität dürfte auch der Grund sein, daß sich der Dichter die Wiederholung des Infinitivs cantare auf engstem Raum erlaubte196: Es handelt sich nicht um eine leere Wiederholung, vielmehr liegt eine semantische Veränderung vor: Der Dichter spielt, wie es scheint bewußt, mit der Abfolge carmina – cantare – cantare: Venus möge ihn mit i h r e m L i e d inspirieren, damit e r ihre Triumphe angemessen b e s i n g e n kann, indem in seinem Lied g e m i s c h t e C h ö r e (beiderlei Geschlechts) im Reigen tanzen und s i n g e n. Die Junktur m i x t i s saltare choris (6,33) darf nicht angetastet werden; das ergibt sich auch aus Romul. 10,523 f. saltantum fugere chori, nam festa canentes | ambusti lamenta sonant. Beide Stellen hat schon Kaufmann nebeneinander gerückt mit dem

193 Es folgen Belege und reiche Literaturangaben zu diesem stilistischen Phänomen; siehe ferner M. Hillen, Studien zur Dichtersprache Senecas, Berlin 1989, 283 f. 194 So die Formulierung R. Kassels, Kl. Schr. 367 (= RhM 109, 1966, 9). Schon Servius hatte zu Verg. ecl. 6,62 (circumdat; vgl. 63 erigit – und zuvor 46 solatur) bemerkt: mira autem est canentis laus, ut quasi non factam rem cantare, sed ipse eam cantando facere videatur. Es sei auf die Kommentare zu ecl. 6,62; 9,19 f.; Hor. sat. 1,10,36; 2,5,41 verwiesen, ferner auf Th. Riesenweber, Uneigentliches Sprechen und Bildermischung in den Elegien des Properz, Berlin 2007, 311 (zu Prop. 3,1,7) und 330 (zu Prop. 3,3,39 ff.). W. Schetter hatte Gn 63, 1991, 221 die gleiche Ausdrucksweise in Orest. 16 (purgare foro quem …) erkannt, die „das vom Dichter Erzählte als ein von ihm Bewirktes beschreibt.“ Diese Stilfigur ist (woran R. Jakobi erinnert) für die lateinische Dichtung von Vergil bis Prudentius umfassend erläutert in G. Lieberg, Poeta Creator, Amsterdam 1982. 195 Ganz offensichtlich nutzt Dracontius diese Stilmanier in Romul. 8,17–21, wo er auf knappstem Raum den Inhalt der Ilias und der Aeneis wiedergibt. 196 Es soll nicht ausgeschlossen werden, daß dem Dichter eine Art Anapher innerhalb der beiden Verse vorgeschwebt hat. Man vergleiche die lange Reihe von anaphorischen Verben des Singens in 7,64 ff. (s. Anm. 197 Ende).



Romul. VI (Epithal. in fratribus) 33. 39 

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Vermerk, daß in beiden Dichtungen die jeweiligen Chöre sowohl tanzen als auch singen197. Verwandt ist die Ausdrucksweise des Dracontius in laud. 2,802 ff.: s e x u s u t e r q u e Deo magnas in laude choreas (-eis B) certatim resonant et palmis tympana pulsant et celebrant uincente Deo saltando t r i u m p h u m.

39 Gemäß dem überlieferten Text in Vers 39 scheint sich der Dichter bei den hochgeborenen Gönnern zu bedanken, daß sie ihm Schutz gewährten, obwohl sie von ihm verletzt worden seien: „après que j’eus éprouvé divers malheurs et tant de périls mortels, ils m’ont, en guise d’indulgente protection, tendu une main pleine de bonté et, ce qui était davantage, quoique offensés par moi ils m’ont accordé le salut et avec bonté ont rétabli ma fortune“ (Wolff). Hier der fragliche Textausschnitt: 35 (…) domus excipit una sorores, quorum umbone tegor uel quorum munere uiuo: post uarios casus, post tot discrimina uitae porrexere piam placido pro tegmine dextram et, quod maius erat, laesi tribuere salutem 40 fortunamque mihi reducem pietate nouarunt.

Der Übersetzer gibt dem Partizip laesi in 39 konzessiven Sinn, bekennt aber anschließend: „On ignore à quoi Dracontius fait ici allusions, d’autant que c’est le roi, et non la famille de Victor, qu’il a outragé“ (9033). Baehrens hatte im Apparat seiner Ausgabe gefragt: „nonne laeso?“ (zuvor schon entsprechend Baehr4 269). Sein eigenes Zögern, den Text entsprechend zu ändern, hat dazu geführt, daß er bei keinem der späteren Editoren auf Gehör gestoßen ist. Diese leichte Änderung

197 Siehe Kaufmann (2006) 421 mit Anm. 566. Das gilt wohl schon von Verg. Aen. 6,644 pars pedibus plaudunt choreas et carmina dicunt (verwertet in Auson. 18,24 Green sacra ca­ nunt, plaudunt choreas et carmina dicunt); vgl. Tib. 1,3,59 hic (im Elysium) choreae cantusque uigent; Iuvenc. 3,57 compositas cantu iungit modulante choreas (sc. filia uirgo). Claudian kann die Junktur citharas cantatricesque choreas bilden (15,448), Licentius die Sphärenharmonie mit (mundum) canere et pariles agitare choreas umschreiben (carm. Aug. 8). Ob in 7,27 ff. die singenden Knaben und die Mädchen, die tanzen, das Tamburin schlagen, Flöten spielen und zur Leier singen, gemeinsam oder getrennt auftreten, scheint ungewiß. Wieder anders klingt es in 7,64 ff.: ista canant iuuenes, hoc cantent carmen adultae | et simplex aetas, pueri teneraeque puellae, | cantitet hoc ueteranus amor, reuerenda senectus | cantet: amator erit qui non cantarit amores.

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 Kritischer Kommentar

ist aber die nächstliegende Lösung des Problems. Sie verdient den Vorzug vor der Annahme, Dracontius habe in Vers 39 ganz nebenbei, allein in dem beiläufigen Attribut laesi, das Motiv einer früheren Feindschaft gegenüber Victor angeschlagen198, von der im ganzen Gedichtcorpus – auch in den autobiographisch gefärbten Stücken – sonst nirgends gesprochen wird. Wollte der Dichter ein so heikles Thema berühren, hätte dies kaum ohne zusätzliches Bekunden des Bedauerns über den eigenen Fehltritt und ohne ausdrücklichen Dank für das gütige Erbarmen geschehen können. Das lehren die Verse 7,127. 131–133 und etwa satisf. 53 f. 120. 147 f. 209. 265 f., in denen Dracontius seine tatsächliche Verfehlung gegenüber dem König Gunthamund zur Sprache bringt. Das steigernde quod maius erat verlangt nicht nach einem neuen, punk­ tuell eingeführten Beurteilungskriterium („obwohl sie von mir beleidigt worden waren“), sondern bezieht sich auf die Dichotomie des Mottoverses 36: quorum umbone tegor uel quorum munere uiuo, der in 37–40 entfaltet wird: Die Familie Victor hat dem Dichter nicht nur Schutz geboten und in äußerster Bedrängnis (post tot discrimina uitae) das Leben gerettet, sie hat ihm sogar durch ihre Wohltätigkeit seinen Lebensstandard gesichert und in erbarmungsvollem Mitleid ihm die früheren Güter zurückverschafft199. Die Klimaxverse 39 f. laeso tribuere salutem | fortunamque mihi reducem pietate nouarunt sind in einem Atemzug gesprochen: Dem Dativpronomen mihi tritt das im Dativ stehende Ptz. laeso zur Seite. Die Begriffe laeso – salutem gehören hier in gleicher Weise zusammen und beziehen sich auf die gleiche Person (Dracontius) wie in der Sentenz des Publilius Syrus (L 3) das Begriffspaar laeso – remedium: siehe Publil. sent. L 3 Meyer (p. 39) l a e s o doloris r e m e d i u m inimici est dolor. Über die Bedrohung seiner Existenz spricht Dracontius ausführlich in laud. 3,675–679. 720–735 (die Stichworte fortuna redux [s. 6,40] in 724, formido salutis 728). Zur Stütze der hier geforderten Emendation laeso beschränke ich mich auf die Wiedergabe der ersten Versgruppe: laud. dei 3,675 erige prostratum, uindex, attolle iacentem et repara afflictum tali sub clade malorum. quae per me cecidit per te spes nostra resurgat. munere percipiam Domini redeunte fauore quicquid amara dies quodcumque tempus ademit.

198 Siehe Morelli (1915) 88 f. 199 Die oben eingebrachten Markierungen zeigen, daß der Halbvers 36a (quorum umbone tegor) in 38 (Stichwort pro tegmine) expliziert wird, der Halbvers 36b (quorum munere uiuo) dagegen in 39 f.



Romul. VI (Epithal. in fratribus) 39. 103 

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103 101 progenies crementa domus Victoris honesta suscipit et nuribus natos iunxere parentes: 103 {Victorianus enim et Rufinianus} lege maritali ueniunt sub iura Dionae.

Der metrisch defiziente Vers 103 ist durch B. Bureau (2006, Anm. 20) zu Recht athetiert worden: es handle sich dabei um „une glose introduite dans un manuscrit très ancien par souci de rattacher cette pièce scolaire à des personnages sans doute connus dans l’Afrique vandale (voir Anth. Lat. 254)“200. Allerdings sind die dort verfochtenen Hypothesen über Inhalt und Reihenfolge einer ursprünglichen ‚Romulea‘-Sammlung mit Skepsis zu betrachten. Das gilt auch für die Annahme, „l’épithalame in fratribus dictum, titre assuré par la souscription de N, peut très bien ne pas être un épithalame réel, mais une pièce d’école“, einschließlich der Änderung des Namens Victoris (82. 101) in das Appellativum uictoris. Sein Hinweis jedoch: „On remarquera que le texte sans ce vers est parfaitement compréhensible“, trifft zweifellos zu. Ja, erst nach Wegfall des Einschubs wird der einheitliche Gedanke der Verse 102/104 klar erkennbar: Dadurch, daß die Eltern ihre beiden Söhne mit den beiden schwesterlichen Schwiegertöchtern verbinden (nuribus natos iunxere p a r e n t e s), werden diese aus der patria potestas entlassen und gelangen stattdessen in die Verfügungsgewalt der Göttin Venus (l e g e m a r i t a l i ueniunt s u b i u r a D i o n a e)201. Das Epithalamium scheint ganz darauf angelegt, nur den Stammvater des Hauses, Victor, namentlich herauszustellen, das Brüderpaar aber ebenso anonym zu belassen wie das Schwesternpaar, das in die domus Victoris einheiratet. Das Epithalamium VII zeigt in Vers 7 (et V i t u l a e canerem taedas per uota I o a n n i s )202, daß im anderen Falle aus Symmetriegründen nicht nur die beiden Bräutigame, sondern auch die beiden Bräute zu benennen wären, und daß die Namen gleich zu Beginn hätten eingeführt werden müssen, nicht erst in Vers 103, kurz vor dem Ende des Hochzeitsgedichts. Dieses bleibt vielmehr ganz auf

200 Die Glosse scheint ohne Rücksicht auf das Metrum hinzugesetzt worden zu sein. Andernfalls müßte man nachträgliche Verderbnis durch Ausfall annehmen, woraus die folgenden Verbesserungsversuche erwachsen sind: enim et Baehrens, Rufinianus Duhn, Rufinianus Schenkl 5115. 201 Vgl. das Lob der Venus auf die Verdienste der domus Victoris, die sich u.  a. auf die Unterstützung mittelloser junger Frauen erstrecken, denen durch die Spende einer Mitgift die Heirat ermöglicht wird, in den Worten der Venus: l e g i b u s  … n o s t r i s nudas uestire puellas (89). 202 Vgl. auch 47 (Sardoas / Sitifensibus).

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 Kritischer Kommentar

der Linie der im Vers 1 angeschlagenen Anonymität (egregii i u u e n e s, [o] gloria summa p a r e n t u m), vgl. 35 quas dedit u n a d o m u s, d o m u s excipit u n a s o r o r e s; 50 f. sponsa … utraque / sponsos; 82 (Victoris) suboles; 101 progenies (domus Victoris); 102 n u r i b u s n a t o s iunxere p a r e n t e s; 105 ad sponsas; 106 f. ambae  … uiris; 113 f. ambarum / i u u e n u m   … f r a t r u m; 122 generata propago.

114. 115–118 Der Schlußabschnitt des Epithalamiums gehört wohl zu den umstrittensten Partien des Gedichtes203:                         ille libens imbutas melle sagittas misit et a m b a r u m sensus transfixit arundo, corda ferit i u u e n u m ueniens204 et pectora f r a t r u m, 115 q u o r u m uota sonant: longa est lux ipsa diei, et cupiunt transire diem; succedere noctem exoptant p a r i b u s uotis205 spatiumque morarum lucis adoptatae transire in tempora noctis.          pergitur ad thalamos, conuiuia laeta celebrant, 120 agmina saltantum miscentur lusibus aptis. – pignora pulchra micent et talia uota celebrent, floribus206 et uestris crescat generata propago.

203 Zuletzt hat sich dazu – unter Rückgriff auf A. Luceri (2007) und L. Galli Milić (2008) – Wolff (2015) 357 f. geäußert. In seiner kommentierten Ausgabe hatte er bereits frühere Editoren und Interpreten wie Duhn, Baehrens, Vollmer (der adoptatae als Nominativ auf die nouae nuptae beziehen wollte), A. Hudson-Williams (1939), S. Blomgren (1966) in die Diskussion eingeführt. Ich gehe auf diese Debatte nicht ein, sondern gebe gleich meine eigene Sicht. 204 Die N-Lesart ueniens wird zu Recht in den beiden neueren Kommentaren gegen den Änderungsvorschlag uemens von Baehrens (s. Catull. 50,21 est uemens dea) oder uehemens (s. AL 240,2 R2) verteidigt; siehe bes. Galli Milić (es würden die einzelnen Etappen der Aktion Cupidos präzisiert: misit – ueniens – ferit) mit Verweis auf Verg. Aen. 7,499; Stat. Theb. 6,940; Aegr. Perd. 52. 205 Von Galli Milić (269) zu Recht „all’uguaglianza dei desideri di Vittoriano e Rufiniano“ bezogen (wenn dies die richtigen Namen der beiden Brüder sind), mit Verweis auf Lucan. 9,256 und Mart. 8,72,7. Zu Recht lehnt sie die Einbeziehung der Bräute in die lauten (öffentlichen) Äußerungen des Liebesverlangens als Verstoß gegen das decorum ab. Es sei erinnert an 94 uirginitas pudibunda; 98 turba pudica; 107 certate modeste; 108 modico luctamine; 110 certantia membra (im Sinne von „züchtigen Widerstand leisten“); ferner an 50 ff., 54 sub uulnere casto; 55 seruatumque diu pudorem und 82–84. 206 Hierzu s. Anm. 187.



Romul. VI (Epithal. in fratribus) 103. 114. 115–118 

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Ich verstehe die Verse wie folgt: Dem Befehl seiner Mutter Venus gehorchend schießt Amor honiggetränkte Pfeile zunächst auf die beiden Schwestern, dann trifft er besonders heftig Herz und Seele des jungen Brüderpaares. Diese geben das dadurch entfachte Liebessehnen durch laute Äußerungen der Ungeduld kund (115): Der Tag möge endlich zur Neige gehen und die Nacht anbrechen207. Damit aber die Hochzeitsnacht (mit der ersten Liebesvereinigung) besonders lang werde, möge die Zeitspanne, die der Mond noch (bis zum Abend) auf sich warten läßt, der Dauer der (üblichen) Nacht hinzuwachsen (115–118). Endlich ist es soweit: Man zieht zum Hochzeitsgemach. Es wird ein rauschendes Fest gefeiert (119 f.). Das läuft vermutlich noch weiter, nachdem sich beide Paare zurückgezogen haben und sich ihrer Liebe erfreuen. Mit guten Wünschen für die Nachkommenschaft (die einst ein ebenso schönes Hochzeitsfest feiern möge) verabschiedet sich der Dichter von den beiden Liebespaaren. Auf die Opposition longa est lux ipsa d i e i (115) – spatium morarum | lucis adoptatae (117 f.)208 scheint man bisher nicht aufmerksam geworden zu sein. Sie ist die Voraussetzung, daß die von Dracontius eingeführte Antithese „der Sonnentag mit seinem eigenen Licht“ und „der Mond mit seinem (von der Sonne) geliehenen Licht“ erkennbar wird. Aus dem Thesaurusartikel ‚adopto‘ von Prinz (ThLL I 809,30 ff.) sieht man leicht, daß die Lösungsversuche, die mit adoptare = optare operieren, substanzlos sind (das gilt auch für die vermeintlichen Parallelen bei Dracontius: laud. 2,619 und satisf. 270)209. Diese Einschätzung konnte man auch aus dem Dracontiuszusammenhang selbst gewinnen, da ja im Vers zuvor (117) das übliche Intensivum ex-optare eingesetzt war. Bei Prinz (I 811,6 f.) findet man auch bereits die beiden Dracontiusstellen zusammengerückt, die auf L u n a (und ihr „Adoptiv-Licht“) verweisen (10,149 und 6,118):

207 Nur wenn man quorum uota sonant auf das laute Bekunden der Liebessehnsucht der beiden Brüder bezieht (fortgeführt durch cupiunt – exoptant – paribus uotis, sc. den gleichgerichteten Wünschen beider Brüder), ergibt sich ein glatter Übergang zu longa est lux ipsa diei, | et cupiunt transire diem etc., womit der Inhalt ihrer Sehnsuchtsäußerungen umschrieben wird. Wer uota sonant im Sinne von uota celebrantur faßt (s. Wolff 1996, 9786), zerreißt die gedankliche Verbindung zum Folgenden. 208 Der doppelte Genitiv wurde zu Unrecht beanstandet (vgl. etwa 8,328 animarum iudicis heres [sc. Telamon, Sohn des Aeacus] und progenies … domus Victoris in 6,101). Es finden sich Beispiele bei den besten Autoren. Der Genitiv Plural ist im Zusammenhang der Klage über die lange Zeitspanne, die das Mondlicht auf sich warten läßt, besonders angebracht. Der Versschluß morarum begegnet in der Martinsvita des Paulinus Petricordiae (die Dracontius kennt) 6mal; vgl. auch Auson. 16,103 Green (te m p o r a l o n g a r u m fers incorrupte m o r a r u m) und Prud. perist. 2,338; 5,355; 10,813. Grillone (1982, 534) verweist auf die Junktur spatium tantumque morae in Verg. Aen. 10,400 und morae spatium in Ov. trist. 1,3,47. 209 Siehe Hudson-Williams (1939) 160, der sich gegen Prinz ausspricht.

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 Kritischer Kommentar

10,146 spicula saeua legit (sc. Amor), quibus olim L u n a per umbras pastorem flammata tenet nec sustinet ignes L u n a Cupidineos, S o l i s quae sustinet orbem et fratris radiis conceptus lucis adoptat. 6,117                                                                     spatiumque morarum lucis adoptatae transire in tempora noctis.

Wenn man diese beiden Partien in ihrem Zusammenhang vergleicht, wird der Schluß nahegelegt, daß die ‚Medea‘ v o r dem Epithalamium (VI) gedichtet sein muß; denn in dem ‚Medea‘-Zusammenhang wird die Antithese „Luna – Sol“ und entsprechend die Konzeption des entliehenen Mondlichtes breit entfaltet, in dem Epithalamium dagegen ein Vorwissen des Lesers vorausgesetzt. Unmutsäußerungen der vom Liebespfeil getroffenen Jünglinge über das nicht enden wollende (oder zu früh wieder einsetzende) Tageslicht und das Säumen des Mondes (oder Bitten, der Mond möge die Nacht verlängern) sind topisch in der Liebesdichtung. Verwiesen sei auf Fedelis Kommentar zu Prop. 3,20,11–14: tu quoque, qui aestiuos spatiosius exigis ignis,   P h o e b e, m o r a t u r a e contrahe l u c i s iter. nox mihi prima uenit! primae data tempora noctis!   longius in primo, Luna, morare toro210.

Auch in Claudians Epithalamium auf Honorius und Maria brennt der junge Prinzeps darauf, der Braut entgegenzuziehen211 und wünscht den Untergang der Sonne herbei (10,287 f.):                                                                                               calet obuius ire iam princeps t a r d u m que cupit discedere s o l e m.

In Catulls Hochzeitsgedicht 62 übernimmt der Abendstern die übliche Rolle (die Dracontius dem Mond zuschreibt): Catull. 62,1 ff. V e s p e r adest, iuuenes, consurgite; V e s p e r Olympo expectata diu u i x t a n d e m l u m i n a t o l l i t. surgere iam tempus, iam pinguis linquere mensas; 4 iam ueniet uirgo, iam dicetur hymenaeus. 7 nimirum Oetaeos o s t e n d i t n o c t i f e r i g n e s.

210 Den von Fedeli angeführten Epigrammen aus der Anth. Pal. sei V 123 hinzugefügt (Selene schaut durchs Fenster auf das Liebesspiel), passend zu Prop. 1,3,32. 211 Zuvor heißt es Claud. 10,14 f. i n c u s a t spes aegra m o r a s l o n g i que uidentur | stare d i e s s e g n e m que rotam non flectere P h o e b e.



Romul. VI (Epithal. in fratribus) 115–118 / VII (Epithal. Ioannis) 4-7 

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26 H e s p e r e, qui caelo lucet iucundior ignis? qui desponsa t u a f i r m e s c o n u b i a f l a m m a, quae pepigere uiri, pepigerunt ante parentes n e c i u n x e r e p r i u s q u a m s e t u u s e x t u l i t a r d o r. 30 quid datur a diuis felici optatius hora?212

In typischer Weise spielt Dracontius auch hier mit Wortwiederholungen bei veränderter Semantik, so vor allem in 116 t r a n s i r e diem („vorüber-, zu Ende gehen“) und 118 t r a n s i r e in tempora noctis („hinüberlaufen zu“, „sich hinzugesellen“).

VII epithalamivm ioannis et vitvlae 4–7 Carminis Idalii c u p e r e m nunc ebrius esse nobilium thalamis Fabiani sanguinis index. quod mihi si felix hodie fortuna dedisset, non inhonorus eram, sed laude redemptus adirem213 5 (uel recreatus agens, si214 non tamen ipse renatus) emerito referens generosas auspice laudes et Vitulae canerem taedas per uota Ioannis. laurea serta comis religans et tempora myrto prodere g e s t i r e m haec quae nunc per uota geruntur: 10 cantarem, quia Cypris adest, bona mater Amorum (…)

212 Weitere verwandte Belege finden sich in Luceris Kommentar. 213 Eram geht nicht auf die „Herrin“, wie Rossberg in Verbindung mit dem von ihm geforderten Verb adirem (abirem N, s.  u.) konstruierte (Rossb2 476; Vollmer schloß sich ihm an), sondern steht für essem (s. Kuijper 59 f.). Zu den „verderbten Versen 4–6“ s. auch Horstmann Anm. 634, deren „Textanalyse“ (einschließlich der Textfassung und Übersetzung) in mehrfacher Hinsicht problematisch erscheint. 214 So Bücheler für überliefertes sed, das durch das unmittelbar darüberstehende sed von Vers 4 zustande gekommen sein dürfte. Zu si non tamen siehe Lucil. 697 Marx (= 731 Krenkel); CE 596,2; zu si tamen ipse Ov. trist. 5,13,7. Wie oft bei Dracontius, scheint ipse hier ganz abgeschwächt (s. auch o. Anm. 115). Das Partizip agens (hier intransitiv) ist nach Luceri (2007) ἀπὸ κοινοῦ sowohl mit recreatus als auch mit renatus verbunden „e indica una disposizione d’animo, sulla scorta del significato che, preceduto da un aggettivo, il verbo possiede in Sat. 127 Captivus securus agit, Laud. 1,536 sed non purgandus agebat e 3,428 iam liber agebat.“ Zur Semantik von recreatus und renatus sei ebenfalls auf Luceri (mit Parallelen seit Cicero), ferner auf Galli Milić verwiesen.

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 Kritischer Kommentar

„Von einem Lied der Idalischen Aphrodite trunken, w ü n s c h t e i c h jetzt, am Hochzeitsfest Hochgeborener, Herold des Fabier-Geschlechtes zu sein215. Wenn mir dies heute ein gnädiges Glückslos gewährt hätte, müßte ich nicht in Ehrlosigkeit verharren, sondern durch eine solche Auszeichnung (aus meiner schimpflichen Lage) erlöst, würde ich (zur Festversammlung) hinzutreten (zumindest216 mit neuer Kraft beseelt, wenn schon nicht [gänzlich?] wiedergeboren), um im Anschluß an die rituelle Handlung des Hochzeitsstifters edle Lobeshymnen vorzutragen, und würde die Brautfackeln der Vitula (Sabina) besingen an der Hochzeit des Johannes. Lorbeerzweige ins Haar gebunden und die Schläfen mit Myrten umwunden, w ä r e e s m i r e i n d r i n g e n d e s B e d ü r f n i s kundzutun, was sich gerade an diesem Hochzeitsfest (haec … per uota) ereignet: Ich würde singen …“

Die Großperiode des Gedichtbeginns ruht auf den folgenden Eckpfeilern: a) carminis … ebrius c u p e r e m  … esse … index (1 f.), prodere g e s t i r e m  … quae … geruntur (9): cantarem (10), uulgarem (16), dixissem (18) – b) sed quia captiuo fas non est dicere carmen | nec reticere licet festiuo in tempore uati, | ista canant pueri, qui carmine uera loquentur (25–27). Vereinfacht gesagt: Der Dichter wünschte sehnlichst, ein Preislied auf das Hochzeitspaar zu singen; doch er sitzt im Gefängnis fest und kann deshalb ein solches Lied nicht selbst vortragen217. Da er aber als Dichter am Festtag auch nicht schweigen darf, legt er sein Lied einem Chor von Knaben und Mädchen in den Mund. Bevor er die Einzelthemen umreißt, die er in seinem hypothetischen Hochzeitsgedicht ausführen würde (9 ff.), nennt er in den ersten sieben Versen Anlaß und Hauptthema des Epithalamiums und berührt dabei andeutend seine eigene Situation. Die Verse 4–7 lassen sich in der überlieferten Form nicht sinnvoll konstruieren: Die unmittelbare Apodosis auf den si-Satz: non inhonorus eram, sed laude redemptus abirem (4) kann nicht mit dem abschließenden Satz et Vitulae canerem taedas per uota Ioannis verbunden werden. Vielmehr verlangt dieser Abschlußvers des ersten Textabschnittes den von Rossberg (s.  o.) geforderten Gedanken adirem et canerem. Da Rossberg, gefolgt von Vollmer, dem Verb adirem unnötigerweise ein Akkusativobjekt zuordnen zu müssen glaubte und deshalb das Hilfsverb eram fälschlich als Substantiv „die Herrin“ deutete (s. Anm.

215 Vgl. Galli Milić (279): „Ebbro del canto Idalio vorrei ora essere l’araldo del sangue fabiano, in occasione di un matrimonio fra nobili.“ Für diese der Wortstellung scheinbar zuwiderlaufende Wortverbindung (cuperem … esse … index) plädiert mit gutem Grund M. Beck. Die anschließenden, in der gelehrten Diskussion heiß umstrittenen Verse habe ich möglichst wörtlich übersetzt, um die Konstruktion deutlich zu machen. Dabei fasse ich referens (6) als Ptz. in „final-futurischer Bedeutung“ (Hofm.–Sz. 387); Galli Milić (303) verweist auf Kühn.–Stegm. 1,757: „im Anschluß an Verben der B e w e g u n g, zum Ausdruck eines Z w e c k s oder einer A b s i c h t“). 216 Zu uel im Sinne von saltem siehe Hofm.–Sz. 502; ferner Drac. Romul. 9,148 (uel medium … cadauer). 217 Vgl. auch die Verse 69 f. 106. 118–120. 126. 134.



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 4–7 

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213), sind alle Herausgeber seit Diaz de Bustamante und (wenn mir nichts entgangen ist) alle Interpreten zumindest seit Kuijper (1958) wieder zur N-Lesart abirem zurückgekehrt218 – ohne daß sie eine sinnvolle Konstruktion der Satzperiode anbieten könnten219. Bährens hatte den Vers 7 umgestellt und nach Vers 3 eingeordnet, zugleich – in Anlehnung an Rossberg (s.  o.) – das Hilfsverb eram zu dem Genitiv erae (wahlweise auch in den Ablativ era) verändert. Aber weder gehört das Substantiv era zum Sprachrepertoire des Dracontius noch paßt der Vers 7 zwischen 3 und 4; er muß vielmehr, wie es im überlieferten Text der Fall ist, den mottohaften Abschluß des ersten Gedankenabschnittes bilden. Rossbergs adirem eröffnet die Bewegung hin zum Hochzeitsfest, die alle mitfeiernden Menschen und Götter erfaßt. Das wird besonders deutlich im zeitlich späteren Gedicht 6, vgl. dort (neben uenere, uenire, adire in 21. 24. 26) 6,41 quisquis a d e s t sapiens scholasticus atque peritus a c c u r r i t l a u d a r e u o l e n s, cantare paratus: quantum ego f e s t i n e m laudes et carmina ferre 44 pro meritis animisque uirum? ‘puer alme Cupido, | … | 46 h u c a d e s …;

ferner 57–68 uenit, ibat, coit, uenit, occurrit, uenit, procedit, cucurrit, comitatur, intrat; dann 72 ff. adfuit interea Cypris, … apparet, 78 iubet ire, 90 tecta subibant, 96 ff. petit … intrauit; 119 pergitur ad thalamos. Das Verb adirem (7,4) wird aufgenommen in 10 cantarem quia Cypris a d e s t, 15 huc d u x i s s e und in der Schilderung des Hochzeitszuges 33–38, ferner 61 f. pronuba Iuno u e n i t  … comitante … Minerua. Davon abgesetzt wird die bedauer-

218 Man muß dann das Kolon laude redemptus abirem im Sinne der folgenden (aus juristischer Terminologie erwachsenen) Formeln verstehen: Drac. sat. 178 inde uocatus a b i t (dignus honore) pater: „deshalb trug er, der Ehre würdig, den Namen ‚Vater‘ davon“, „erhielt er den Namen ‚Vater‘“; Romul. 5,300 ff. sed ne fraudatus a b i r e s | F o r t u n a e quocumque b o n o, largitur honores, | diuitias confert, tribuit per bella triumphos. Siehe ferner Verg. Aen. 7,733 nec tu carminibus nostris indictus a b i b i s, | Oebale; Hor. epist. 1,9,7 cur excusatus a b i r e m; Sil. 5,564 uita donatus a b i r e s; Stat. Theb. 6,490 uictusque et collaudatus a b i s s e t; 10,434 uita tumuloque ducis d o n a t u s a b i t o. 219 Die Versuche Galli Milićs, trotz der häufigen Vertauschung von ab/ad (sie verweist selbst auf ThLL I 66,15) abire für gleichbedeutend mit adire zu erklären, bleiben hier unkommentiert. Die umgekehrte Verschreibung (abduxit/adduxit) liegt in Orest. 287 vor. Die von Wolff eingeführten Änderungen uere reatus (5: sowohl metrisch als auch gedanklich unzureichend) und ferrem statt des Partizips referens (6: aus paläographischen und stilistischen Gründen abzulehnen, vgl. nur 8 religans, 5 recreatus agens) sind in den beiden italienischen Kommentaren mit gutem Recht zurückgewiesen worden. Zur „final-futurischen“ Bedeutung des Partizips referens s. Anm. 215.

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 Kritischer Kommentar

liche Situation des Dichters in 25 (s.  o.) und 69 ff., der als Gefangener (69) Cythereae cantibus a b s e n s (71) dahinsiechen muß. Dieses absens faßt in e i n e m Wort die harte Realität, die den Dichter im Griff hält (vgl. auch 106 sic ego captiuus tot festis plausibus actus und 118 quod teneor), und bildet so das passende Gegenglied zu dem hypothetischen adirem des Eingangspassus.

10–15 In den Versen 10 ff. skizziert Dracontius die Themen, die er in seinem Hochzeitslied berührt hätte, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, als Dichter das junge Paar zu besingen. Begonnen hätte er mit Cypris, der Mutter der Amores (die in ihrem Geleitzug Reigentänze aufführen), und dem Amor-Knaben in seinen vielfältigen Erscheinungsweisen, der all die Pfeile bei sich hat, mit denen die in 16 ff. geschilderten Liebesfeuer des Mythos entfacht wurden: 10 cantarem, quia C y p r i s adest, bona mater Amorum, agmine mollifluo ducens sua pompa choreas, impubes lasciuus, atrox uiolentus, amoenus, lis pacis tacitusque loquax, fur garrulus, audax, nudus et armatus, ferus et pius, improbus insons, 15 et quod amoriferum secum huc duxisse u o l u c r e m. uulgarem, quia tela gerit …, etc.

Nach Wolff (1007) ist der überlieferte Text wie folgt zu konstruieren: „Le verbe adest (v. 10) a trois sujets, Cypris, sua pompa et Cupido (le dieu n’apparaissant que sous forme d’adjectifs, v. 12–14)“; in Vers 15 sei zu quod amoriferum ein esset zu ergänzen, der Ausdruck demnach als Periphrase für die Pfeile Amors aufzufassen220. Demgemäß übersetzt Galli Milić: „Canterei che la Cipride, buona madre degli Amori, è presente, e, in una schiera che ondeggia mollemente, il loro corteo che guida le danze, e il fanciullo lascivo, spetato, violento, piacevole, lotta di pace e silente chiacchierone, ladro, petulante, audace, nudo e armato, crudele e buono, maligno inoffensivo, e che il dio alato ha condotto qui con sé ciò che provoca l’amore“ (279)221.

220 So Wolff 79 mit Verweis auf Vollmer (1905) 152. 221 Ähnlich ein Jahr zuvor (2007) Luceri – mit dem Unterschied, daß er die drei zu adest gezogenen Substantive asyndetisch anordnet („che è qui Cipride  …, il loro corteo  …, il giovane molle …“).



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 4–7; 10–15 

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Aber die lange Reihe der Prädikationen, die sich über drei Verse erstreckt, kann schwerlich ohne Bezug zu einem im voraus genannten Subjekt stehen. Es ist m.  E. der Ausfall eines Verses zwischen 11 und 12 anzusetzen, in dem der puer Cupido eingeführt war. Bedenkt man, daß Vers 12 mit impubes lasciuus und Vers 13 mit lis pacis beginnt (in den Handschriften mit Majuskelinitialen Impubes und Lis), wird man aus paläographischen Gründen (Ausfall wegen Homoearchon) darauf zählen, daß der verlorene Vers den Auftakt Idaliusque puer geboten hat (die Junktur findet sich ebenso in Stat. Theb. 2,287). In 7,48 (sic puer Idalius permiscet mella uenenis) hätte dann Dracontius diesen Versauftakt bewußt variiert. Es dürfte also die folgende Grundstruktur anzusetzen sein: 10 cantarem, quia C y p r i s adest … 12 impubes lasciuus, atrox uiolentus, amoenus … 15 et quod amoriferum secum huc duxisse u o l u c r e m.

In dem zeitlich späteren Epithalamium VI ist der Auftritt des geflügelten Amor wie folgt geschildert: 6,57 uix ea fatus eram, subito uenit a l i g e r ignis ore micans ac fronte minax et crine coruscans, impubes lasciuus, erat cui castra uoluptas.

Die Stelle zeigt, daß auch in 7,12 der Versauftakt impubes lasciuus an eine voraufgehende Nennung Cupidos zu binden ist. Nach der dreizeiligen Entfaltung der (oft antithetischen) Eigenschaften des puer (7,12–14) hat der Dichter guten Grund, in einer Abänderung der ursprüng­ lichen Konstruktion (cantarem quia  … adest) nunmehr die Liebespfeile (quod amoriferum [sc. est]), die Amor bei sich hat, durch et secum huc duxisse (sc. uolucrem) einzuführen (es ist also jetzt der übliche AcI gewählt statt der früheren quia-Konstruktion). Alles übrige ist in den Kommentaren hinreichend geklärt – ausgenommen Vers 11. Es scheint wenig plausibel, daß nach Nennung der Cypris, die durch die Apposition bona m a t e r A m o r u m näher qualifiziert wird, diese Amores anschließend unter dem Oberbegriff sua pompa nochmals, und zwar als gleichberechtigtes Subjekt, zu Cypris hinzutreten und zusammen mit ihr und dem nachfolgend genannten (breit umschriebenen) Amor dem Verb adest zugeordnet werden. Nach gängiger Praxis des Dracontius wäre ein solcher Sonderaspekt, wie er in der Apposition zum Ausdruck kommt, durch eine Parenthese näher zu erläutern. Es bietet sich also die folgende Lösung an:

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 Kritischer Kommentar

10 cantarem, quia C y p r i s adest, bona mater Amorum (agmine mollifluo ducit sua pompa choreas), impubes lasciuus, atrox uiolentus, amoenus …

Damit wird auch die Syntax des Passus geglättet und niemand mehr in Versuchung geführt, das Partizipialgebilde ducens sua pompa als frei angegliederten Nominativ zu dem Genitiv Amorum aufzufassen222. Die Änderung von ducens (N) in ducit bedeutet angesichts der voraufgehenden Partizipienreihe agens (5), referens (6), religans (8) keinen schwerwiegenden Eingriff: die Buchstabenfolge ducitsua konnte durch Einwirken der genannten Partizipia leicht zu ducẽssua verderbt werden. Keine Gegeninstanz bildet die Formulierung a g m e n Amorum | claudit a g e n s chorĕas pictis e x e r c i t u s armis in AL 941,24 f. R2. Das Gedicht ist eine der vielen Fälschungen des Caspar Barth (siehe Luceris Kommentar S.  58 mit Verweis auf Morelli, SIFC 18, 1910, 423–427), taugt also nicht als ein von der N-Tradition unabhängiges spätantikes Zeugnis für das Partizip d u c e n s   … chorēas. Schon die von Dracontius abweichende Prosodie weist darauf hin, daß agens chorĕas nicht in unmittelbarer Abhängigkeit von ducens  … chorēas gedichtet, zumindest aber frei umformuliert wurde. Seit Ovid nutzen die antiken und spätantiken Dichter 25mal (3mal Dracontius) den Akkusativ chorēas als bakcheisch gemessenen Versschluß (chorēis wird ausnahmslos, 31mal, bakcheisch gemessen). Davor erscheint dreimal, nämlich bei Vergil (Aen. 6,644), Horaz (carm. 1,9,16) und Properz (2,9,15), anapästisches chorĕas im Versinnern. Ausonius hat dies in seinem Vergil-Cento (24) und ein weiteres Mal in epist. 13,50 imitiert. Analog sind die beiden Stellen in AL 941 (25. 89) als Klassikerreminiszenzen des Humanisten Caspar Barth zu erklären. Allerdings gibt es eine Reihe von Indizien dafür, daß Barth (der in seinen ‚Adversaria‘ [LV 11, coll. 2614 f.], Frankfurt 1624, von libelli Dracontij spricht) nicht nur die christlichen Dichtungen des Karthagers vor sich hatte, sondern auch die seit dem Ende des 15. Jh.s wiederentdeckten Romulea kannte. Der Auftritt der Venus und ihres Gefolges in AL 941,10 ff. erweckt den Eindruck, daß dort die Venus- und Amor-Auftritte des Dracontius (Romul. 6,57 ff./72 ff.; 7,10 ff.; 10,156 ff.) ineinandergearbeitet wurden. So läßt die personifizierte Voluptas von AL 941,15 eine Beziehung zu Romul. 10,161 f. blanda Voluptas | it comes vermuten, wozu wiederum zu vergleichen ist AL 941,13 it Natura comes; ferner Gratia blando | intuitu (14 f.), blanda  … Siren (20 f.) und ad i u g a blanda (22); die i u g a aber finden sich wieder Romul. 10,159. Die zweite Vershälfte 10,156 (niueas adstare columbas) hat ihre Entsprechung in AL 941,22 (niueas moderata columbas). Auch in Romul. VI, wo vor dem Eintreffen der Cypris auf dem Taubenwagen (6,72) der aliger (57 [vgl. AL 941,24]) mit einer Reihe von personifizierten Abstracta auftritt, finden sich die moderata V o l u p t a s und die candida G r a t i a (s. AL 941,14 f.). Die Formulierung Cupido | aliger obsequio stipat puer

222 Vollmer hat den ganzen Abschnitt 11–14 als Parenthese abgetrennt und dabei ducens verstehen wollen. Aber die Verse 12–14 lassen sich in einem solchen ausgegliederten Textsegment nicht an 11 anschließen.



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 10–15. 24 

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(AL 941,23 f.) dürfte kaum ohne Rückgriff auf Romul. 6,57 subito uenit aliger …; 60 f. ibat in obsequium Risus … uenit et moderata V o l u p t a s gedichtet sein.

24 Unter den Pfeilen, die Amor (gemäß der Fiktion des Dichters) anläßlich der Hochzeit bei sich hat, befinden sich auch jene, die einst Mars in Liebe zur Vestalin entbrennen ließen: 21 uel quibus, ipse furor, Mars est accensus amore, uesticolae niueos peteret cum uirginis artus223, ut daret aeternum Romana in saecla Quirinum et post fata deos faceret super astra senatum. „ainsi procura-t-il aux générations romaines l’éternel Quirinus que le Sénat, après sa mort, rangea avec sa mère parmi les dieux au-dessus des astres“ (Wolff, der am Schluß von 24 mit Schenkl senatus liest)224; „perché mettesse al mondo un Quirino eterno attraverso le generazioni romane e dopo la morte, divenuto dio, questi costituisse un senato al di sopra degli astri“ (Galli Milić; sie ändert das überlieferte deos in deus)225.

Seit Baehrens Schenkls Änderung des überlieferten deos … senatum in deum … senatus (Schenkl2 518) mit dem Verweis auf den Göttersenat Senecas (apoc. 9) abgelehnt hatte (Baehr6 228), machte man das Objekt Quirinum (23) zum Subjekt des folgenden Satzes (24)226 – eine sprachliche Entgleisung! – und zog senatum „appositive“ zu deos227. Hätte Dracontius das von Galli Milić Übersetzte (und in der Grundstruktur durch Vollmer und anderen Vorgegebene) zum Ausdruck bringen wollen, hätte er in 23 f. nicht … Quirinum | et post fata … faceret geschrieben, sondern … Quirinum, | qui post fata … faceret; vgl. 8,16 f. Homeri, | qui post fata uiget. Entsprechend wäre für Wolffs Übersetzung in der Vorlage quem  … senatus statt et … senatus zu fordern. Doch scheitert dieser Gedanke auch an dem

223 Formuliert nach Ciris 399 Tyndaridae niueos mirantur uirginis artus; vgl. Catull. 64,364. 224 Diese Lesart übernimmt auch Luceri, bezieht sie aber auf einen himmlischen Senat: „per dare alle generazioni Romane l’eterno Quirino e perché, dopo la morte, oltre le stelle il senato li consacrasse ad onori divini.“ 225 Ganz abwegig Horstmann 224: „um (den römischen Geschlechtern den unsterblichen Quirinus zu geben und) nach der Erfüllung des Schicksals den Senat zu Göttern über den Sternen zu machen.“ 226 So ausdrücklich Vollmer (1905) 408 s.  v. senatus und – zuletzt – Galli Milić 320. 227 Siehe Vollmer (1914) im Apparat.

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 Kritischer Kommentar

sachlichen Detail, daß es einen förmlichen Senatsbeschluß, in dem Romulus zum Gott Quirinus erklärt worden wäre, weder nach Livius (1,16) noch Ovid (fast. 2,475–512) noch nach Plutarch (Romul. 27–29) gegeben hat. Schenkls Änderung des durch N gebotenen deos  … senatum in deum  … senatus aber war von vorneherein mit der paläographischen Hypothek belastet, daß deos innerhalb der Reihe aeternum … Quirinum … senatum lectio difficilior ist. Sein Eingriff dürfte auch dem Sinn abträglich sein. Denn durch aeternum … Q u i r i n u m (23) ist die Apotheose des Romulus bereits umfassend umschrieben228, ein nachfolgendes post fata d e u m faceret müßte den Tod des Romulus, nicht den des Quirinus zur Voraussetzung haben. Vers 24 bezieht sich also nicht mehr auf die Epoche Mars–Romulus zurück, vielmehr hat Dracontius schon in Vers 23 durch Romana in saecla den Blick in die Zukunft eröffnet, auf die künftigen Jahrhunderte der Roma aeterna. Diese Perspektive bringt er in Vers 24 zum Abschluß mit dem Verweis auf die an Romulus/Quirinus anknüpfenden späteren Kaiserapotheosen, die ihre „ideologische“ Rechtfertigung aus der Urgeschichte Roms, dem Romulus/Quirinus-Exempel bezogen. Wie es der sprachliche Ausdruck nahelegt, bleibt Mars (21) auch in Vers 24 Subjekt, regiert also beide Verben: ut daret (Quirinum) et faceret (deos … senatum). Wenn man die elliptische Ausdrucksweise des Dichters ein wenig auffüllt, läßt sich der überlieferte Text wie folgt verstehen: (Amor hat auch jene Pfeile bei sich, durch die Mars in Liebe zur Vestalin entflammt wurde) „mit dem Ziel, daß er für die künftigen Jahrhunderte Roms den ewig waltenden (Stammvater) Quirinus hervorbringe und somit bewirke, daß nach dem Tod Vergöttlichte (d.  h. neben dem „König“ Romulus vor allem die späteren Kaiser) einen himmlischen Senat bilden (der auf ewig Roms Geschicke lenkt)“229. In der Praetexta ‚Octavia‘ wird 504 ff. dem Kaiser Nero ein Rückblick auf die Leistungen des diuus Augustus (505) in den Mund gelegt. Neros Rede endet mit dem Resümee:

228 Siehe Liv. 1,16; Ov. fast. 2,475 ff. 229 Die komprimierte Floskel post fata deos („nach ihrem Tod Vergöttlichte“) bildet das Objekt zu faceret, während (super astra) senatum Prädikativum ist („machte sie zu einem Senat über den Sternen“), d.  h. also: er schuf einen himmlischen Senat aus vergöttlichten Kaisern. Zu post fata deos vergleiche man Orest. 442 ff. quid loquar Euadnen Thebanis ignibus ustam | et post fata uiro flamma crepitante sodalem; 450 impia sacrilego nupsit post fata marito (wenngleich hier die Konstruktionen leichter verständlich sind). – Von einem senatus deorum oder einem senatus caelestis liest man auch bei christlichen Autoren wie Laktanz (inst. 1,10,8 Liberum patrem necesse est i n s e n a t u d e o r u m summae auctoritatis primaeque esse sententiae) und Augustin (civ. 7,33 [CCL 47, lin. 13]). Ein Tonantis | et caelitum s e n a t u s begegnet Mart. Cap. 3,222 (vers.); vgl. Ven. Fort. carm. 8,3,259 assensu fremit a u l a p o l i residente s e n a t u.



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 24. 33–38 

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527 armis fideque militis tutus fuit, pietate nati factus eximia deus, post fata consecratus et templis datus. 530 nos quoque manebunt astra, si saeuo prior ense occuparo quidquid infestum est mihi dignaque nostram subole fundaro domum.

Über die potentielle (hypothetische) Divinisierung des tapferen Reichen, der die Stadt beschützt hat, läßt Dracontius die personifizierte Patria in einer Proso­ popoiie am Schluß von Romul. V sprechen: Romul. 5,321 accipe tura potens deus ut Tirynthius aris, ut Thebis partus, magnus cum Castore Pollux semidei post fata uigent: his quintus adesto uirtutis ratione fide pietate uigore 325 possessure polos, scandens qua lacteus axis uertitur, aetherii qua se dat circulus orbis Lunarisque globus qua uoluitur axe tepenti aut certe qua Phoebus agit super astra iugales: sidera sic capies, poteris sic astra mereri.

33–38 Der von Tanz und Musik begleitete Gesang der Jungen und Mädchen führt zunächst die ländlichen Gottheiten auf, die zum Hochzeitsfest zusammenkommen (Venus, die pompa Veneris und Amor mit seinen Pfeilen sind bereits anwesend, s.  o. zu 10–24). Diese Verse werden in den Ausgaben in der Regel wie folgt gedruckt: Bybliades Satyris iungant Nymphisque hymenaeos, et Dryades passim coeant per prata Napaeis, 35 Oreadas Faunis iungant et Naidas omnes, et Bacchis copuletur230 Amor per castra Dionae.

230 Statt Duhns synkopiertes copletur einzuführen, wird man mit Vollmer beim überlieferten cŏpuletur bleiben und hier ebenso Kürzung des langen ō annehmen wie in laud. 1,407 et de prole nouos iterum cŏpulate iugales (= Eug. Tolet. hex. 1,291); siehe Rossberg7 45 und Komm. zu Orest. 785. Zu vergleichen sind ferner die folgenden Stellen: Ennod. dict. 24,4 uxor ad alterius transierat cŏpulam; Ven. Fort. carm. 2,4,8 carne creata uiri dehinc cŏpulatur eidem; Eug. Tolet. carm. app. 35,1 stolide cŏpulas cum funere pompam. In mittelalterlicher Dichtung ist die Kurzmessung gängig (z.  B. bei Aldhelm die Regel, 5 Belege).

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 Kritischer Kommentar



saltet et imparibus calamis Pan corniger intrans, ebrius interea231 nutet Silenus asello232.

In Vers 33 hat Galli Milić überzeugend Rossbergs Hymenaeus (-os N) wieder zu Ehren gebracht (s. den Kommentar ad loc.). Der Hochzeitsgott darf sich hier ebenso zu den Nymphen gesellen wie in 36 Amor zu den Bacchen; auch in Med. 162 nimmt er am Hochzeitszug teil. Das Verb iungant steht hier  – wie häufig  – für se iungant233. Ganz entsprechend tritt in 34 Baehrens’ socient für se socient ein. Diese Korrektur des überlieferten cohibent scheint aus inhaltlichen (und vielleicht auch aus paläographischen) Gründen den Vorzug zu verdienen vor der von Duhn eingeführten Verbesserung coeant234 (sociare bei Dracontius auch unten v. 45 und 6,53). Mit gutem Grund hat man in jüngerer Zeit auch Büchelers Amnes (35, omnes N) wieder ins Recht gesetzt unter Verweis auf Stat. Theb. 1,206; Val. Fl. 1,106; 2,537 und Mart. Cap. 5,425, v. 6235. Aber daß diese männlichen Flußgötter Subjekt des ganzen Verses 35 sein (sie also die Oreaden und Naiden mit den Faunen verbinden) sollen, ist ebenso ausgeschlossen, wie der alternative Versuch, die Dryades von 34 zum Subjekt des Prädikats iungant von 35 zu machen. Dracontius arbeitet gerne mit Wortwiederholungen auf engem Raum. Aber häufig variiert er dabei entweder die Semantik oder die Konstruktion. Hier ist es die unterschiedliche Konstruktion, die seinem doppelten iungant (jeweils an gleicher Versstelle) so viel Würze gibt, daß man sich die Wiederholung gerne gefallen läßt236. Voraussetzung für dieses Urteil ist allerdings die Änderung von Faunis zu Fauni! Es muß der naheliegende Angleichungsfehler an die Dativformen Satyr-is,

231 Die seit Duhn geführte Diskussion über die Bedeutung des Adverbs läßt sich durch einen Verweis auf 8,86 und ThLL VII 1,2183,9sqq. beenden: interea ist hier adversativ verstanden. Wie das Adverb in 8,86 ff. Hecuba und ihr Gefolge von dem zuvor geschilderten Auftritt des Priamus und seines Gefolges absetzt, so hebt der Dichter in 7,38 durch interea den trunken auf seinem Esel schwankenden Silen von dem (leichtfüßig) zu seiner Flöte tanzenden Pan ab. 232 Schon Vollmer hat auf das ovidische Vorbild ars 1,543 (e b r i u s ecce senex pando S i l e n u s a s e l l o) verwiesen. 233 Siehe Rossb7 45; ferner den krit. Apparat zu 7,58 und ThLL VII 2, 661,40 ff. (vgl. 653,82 ff.). 234 Es geht ja nicht, wie manche meinen, um sexuelle Vereinigung, sondern um das Sich-Zusammenfinden zum Hochzeitsfest. Das wird besonders deutlich, wenn man das zeitlich spätere Epithalamium VI heranzieht; siehe dort bes. 6,57–73. 235 Siehe zuletzt Wolff (2015) 358 f., zuvor Brugnoli (1998) 189–191. 236 Gleich anschließend, in 7,37/39, erscheint calamis je an gleicher Versstelle; in 37 aber handelt es sich um die Pansflöte, in 39 um eine Metonymie für Rosenduft, s. zuletzt Wolff (2015) 359 mit dem Übersetzungsvorschlag: „Qu’ils échangent des baisers imprégnés du miel des roses.“ In 32/40 wird gleiches sonet an gleicher Versstelle zunächst intransitiv, dann transitiv eingesetzt; zu Vers 40 vgl. 10,265 ludicra puniceis r e s o n a b a n t O s c u l a l a b r i s.



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 33–38 

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Nymph-is, Napae-is, Bacch-is rückgängig gemacht werden237. Wir erhalten somit den folgenden Text: Bybliades Satyris iungant Nymphisque H y m e n a e u s, et Dryades passim socient per prata Napaeis, 35 Oreadas Fauni iungant et Naidas Amnes, et Bacchis copuletur A m o r per castra Dionae. saltet et imparibus calamis P a n corniger intrans, ebrius interea nutet S i l e n u s asello.

Es leuchtet unmittelbar ein, daß sich die Faune mit den Bergnymphen zusammentun und die Flußgötter mit den Wassernymphen. Die vorgeschlagene Textkorrektur wird durch die formale Struktur der Verse 33–36 bestätigt: Wenn man die Verteilung von Subjekt (= A) und Dativ- bzw. Akkusativ-Objekt (= B) in den vier Versen prüft, ergibt sich das harmonische Muster ABBA/AB/BABA/BA238. Über die Konstruktion von iungant in Vers 33 muß hier nicht mehr gesprochen werden239, wohl aber über aliquem iungere (sc. sibi) in der Bedeutung se iungere alicui. Hier liegt es nahe, sich auf die Analogie zur Konstruktion von miscere zu berufen: der ersten Vershälfte Oreadas Fauni iungant entspricht recht genau die erste Vershälfte von Manil. 4,719 Gradiuumque Venus miscens, die Housman ad loc. im Sinne von Venus se Gradiuo admiscet erläutert und durch Ov. trist. 4,10,93 f. (iam mihi canities … uenerat antiquas miscueratque comas) und Colum. 10,261 f. (rosa  … Sabaeum miscet odorem) gestützt hat. In den Addenda (S.  159) fügt er noch [Sen.] HO 831 (uestis immiscet cutem = uestis se cuti immiscet) hinzu240. Im Thesaurus findet man s.v. iungere die Konstruktion nicht als Sonderphänomen berücksichtigt, wohl aber gibt es in ThLL VII 2,659,79 f. einen fragenden Hinweis anläßlich des Zitats Cypr. Gall. lev. 214 quin et u e l a simul nequaquam i u n g e r e fas est (sc. homines impuros): „sc. sibi pro ‚se iungere uelis‘? cf. Vulg. lev. 21,23 ut intra uelum non ingrediatur nec accedat ad altare.“ Diese Diagnose trifft zweifellos zu und darf als Bestätigung für das oben zu Oreadas Fauni iungant Ausgeführte gewertet werden.

237 Dagegen führt Schenkls doppelter Eingriff (Schenkl2 518) Oreades Faunis iungant et Naides amnes (amnes Bücheler für omnes) zu keinem befriedigenden Ergebnis. 238 Das fett hervorgehobene B soll die abweichende Konstruktion mit dem Akkusativ hervorheben. 239 Siehe o. zu Anm. 233. 240 Siehe hierzu auch Axelson, Korruptelenkult (1967) 73, ferner Zw. Krit. Komm. zu [Sen.] HO 657 (S.  371): aurea miscet pocula sanguis = sanguis se admiscet aureis poculis (i.  e. uino aurei poculi).

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 Kritischer Kommentar

Wie fügen sich die beiden in 7,37 f. abschließend genannten Landgötter an die voraufgehenden vier Verse an? Das Scharnier ist das Partizip intrans. Es wird von Galli Milić im Anschluß an Wolff (p. 822) durch ‚apparire, entrare in scena‘ wiedergegeben – mit Verweis auf das (chronologisch spätere) Epithalamium VI (dort Vers 68)241, ferner auf 6,105; Plin. epist. 5,4,2; 6,31,10; ThLL VII 2,61,19–34 (S.  206). Dies ist gewiß zutreffend und könnte vielleicht durch das spätere pronuba Iuno u e n i t  … comitante … Minerua (7,61 f.) Sukkurs erhalten. Gleichwohl sollte erwogen werden, ob in 7,37 nicht auch das Partizip intrans die Nuance des „Sich-Hinzugesellens“ zum Ausdruck bringen soll entsprechend den voraufgehenden Verben iungant, socient, iungant, copuletur. Eine solche Bedeutung ist im genannten Thesaurusartikel durchaus in Betracht gezogen, wenngleich nicht expressis verbis auf Personen bezogen, s. ThLL VII 2,62,45 f. ‚de rebus cum aliis se coniungentibus, fere i.  q. a d m i s c e r i ‘.

43 post 45 Schenkls Versversetzungen verdienen immer eine aufmerksame Prüfung. Das gilt auch für die hier vorgeschlagene, wenngleich ihm seit 1873 kein Herausgeber gefolgt ist und sein Plädoyer (Schenkl2 518) im jüngsten Kommentar mit der lakonischen Bemerkung „l’intervento non è necessario“ abgespeist wird: 42 G r a t i a uernantes annectat pulchra colores, 44 floribus ex uariis texat per prata coronas 45 lilia mixta rosis socians uiolasque hyacinthis; 43 casta P u d i c i t i a stricto placitura marito 46 purpuret et niteat gemmae pallente rubore Sardoasque iuuet rosulis Sitifensibus herbas.

Wenn ein Dichter s e c h s Verse darauf verwendet, z w e i gleichberechtigte Personifikationen einzuführen, nämlich Gratia und Pudicitia, wird er in aller Regel nicht auf Gratia ausschließlich den ersten Vers verwenden, die fünf anderen aber der Pudicitia zuteilen, sondern er wird in einem ausgewogenen Gleichmaß verfahren, so wie dies in den s e c h s Versen der z w ö l f in 33–38 genannten

241 Dort findet sich in 57 Amor ein (subito uenit), danach versammelt sich sein ganzes Gefolge (60 ibat in obsequium [vgl. 92], 61 coit, uenit, 63 occurrit [vgl. 91], uenit, 64 procedit, 65 cucurrit, 66 comitatur, 68 intrat), bis schließlich auch Venus mit ihrem Taubengespann erscheint (72 adfuit: … subuecta … apparet). Allerdings ist man dort noch weit entfernt von der Örtlichkeit, an der die Hochzeit gefeiert wird.



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 33–38; 43 post 45 

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Gottheiten und dann wieder in den f ü n f Versen (59–63) der abschließend aufgerufenen f ü n f Gottheiten der Fall ist. Man kann auch auf den entsprechenden siebenzeiligen Katalog der Personifikationen im Gefolge Amors aus dem sechsten Epithalamium (6,60–66) verweisen, der in gleichförmiger Anordnung Risus, | Libido, Voluptas, | candida Gratia, | alma Fides, Petulantia simplex, | casta Pudi­ citia, | Sobrietas | et quidquid iustos solite comitatur amores paradieren läßt. Es geht hier aber nicht nur um das numerische Gleichgewicht (drei Verse für die Blumenkränze der Gratia, drei Verse für die blaß-purpurrote Pudicitia und die bitteren sardonischen Ranunkeln), sondern auch um das Verständnis der vom Dichter intendierten Metaphorik. Er läßt hinter der keuschen Pudicitia, die dem sittenstrengen Ehemann gefallen soll (stricto placitura m a r i t o)242, die Braut Vitula aufscheinen, die auf ihrem Gesicht die Liebesröte mit der Blässe der Keuschheit verbindet und der sprichwörtlichen Bitterkeit sardinischer Pflanzen (Ranunkeln) durch Sitifensischen Rosenduft aufhilft243. Der Schlüssel zu dieser vordergründig dunklen Metaphorik steckt in der Biographie des Brautpaares: Johannes stammt aus Cagliari auf Sardinien, Vitula aus Sitifis in Nordafrika244. Um dem Leser diesen Hintersinn deutlich genug zu signalisieren, mußte dem Dichter daran gelegen sein, das Stichwort stricto … marito (43) in engen Kontakt zu Sardoas … herbas (47) zu bringen. Das ist nur in Schenkls Umstellung gewährleistet245, nicht in der überlieferten Versfolge. Gegen die Überlieferung spricht auch der Umstand, daß dort Pudicitia auf den Wiesen bunte Blumen pflücken soll, um dem Brautpaar Kränze zu flechten (44 f.). Das ist ganz untypisch für das gelidum iecur der Pudicitia (siehe Prud. psych. 238), gehört aber zu den festen Betätigungen der Gratia, siehe das Epithalamium des Statius auf Stella und Violentilla (silv. 1,2,19 ff.):

242 Siehe Galli Milić S. 341 mit Verweis auf Lucan. 2,337 (non aliter placitura uiro, sc. Catos Marcia). ∴ 243 Peipers iuuet rosulis für überliefertes iubet posculis (N) ist über allem Zweifel erhaben. Das seltene rosula hat Dracontius schon in laud. 1,717 und 2,450 genutzt (vgl. CE 492,23 roscida si r o s u l a seu grato flore amaranthi); Vertauschungen von r/p sind in der Dracontius-Überlieferung auch sonst bekannt (s. Vollmer 1905, 451. 453), u/b–Verschreibungen in jeder Art lateinischer Texttradition an der Tagesordnung (man erinnere sich an die gleichberechtigte Schreibweise Danubius/-uuius). Der Kodex B bietet im ‚Orestes‘ ausnahmslos uela statt bella. Die Junktur iuuet … herbas hat ihre besondere Pointe darin, daß sonst das Verb iuuare die Wirkung der Heilpflanzen selbst bezeichnet, s. Ov. trist. 4,10,44 (quaeque nocet serpens, quae i u u a t h e r b a, [sc. legit poeta] Macer); vgl. 2,270 quaeque i u u e t, monstrat (sc. medicina), quaeque sit h e r b a nocens. 244 Siehe Vollmer (1905) 309: „lusus de nuptiis puellae Sitifensis iuuenisque Caralitani.“ 245 Ich habe das oben im Text durch einfache Unterstreichung veranschaulicht.

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 Kritischer Kommentar

                    nec blandus Amor nec G r a t i a cessat 20 (sc. te) amplexum niueos optatae coniugis artus f l o r i b u s i n n u m e r i s et olenti spargere nimbo. tu modo fronte r o s a s, u i o l i s modo l i l i a m i x t a excipis et dominae niueis a uultibus obstas.

Verwandt ist Claudians Epithalamium auf Honorius und Maria, wo in 10,202 f. die Aufforderung ergeht: Tu festas, Hymenaee, faces, tu, G r a t i a, f l o r e s e l i g e, tu geminas, Concordia, n e c t e c o r o n a s 246.

Verwiesen sei ferner auf Reposians Zeichnung eines locus amoenus, der es verdiente, unter der Obhut der Gratia zu stehen (36 dignus quem G r a t i a seruet): 38 pingunt p u r p u r e o s c a n d e n t i a l i l i a f l o r e s; 42 hic r o s a c u m u i o l i s, hic omnis g r a t i a odorum, hic inter u i o l a s coma mollis laeta h y a c i n t h i.

Schenkls Diagnose und seine Remedur treffen also ins Schwarze! Die Ursache für den Fehler (Augensprung mit anschließendem Nachtrag und Einordnung an falscher Stelle) ist nicht auf Anhieb zu erkennen: es liegt kein ‚klassisches‘ Homoeoteleuton vor, auch kein ‚klassisches‘ Homoearchon. Aber wenn man die Anfänge und Schlüsse der hier nochmals ausgeschriebenen Zeilen (mit Majuskeln am Versbeginn) mustert, erkennt man so viele verwandte Wortlängen und Buchstabenkombinationen, daß ein Abirren des Schreibers von Vers 45 auf 46 (unter Ausfall von 43) leicht möglich war: 45 43 46

Lilia mixta rosis socians uiolasque hiacintis; Casta pudicitia stricto placitura marito Purpuret et niteat gemmae pallente rubore.

246 Im Hochzeitszug Jasons bei Dracontius (Med. 266) sind Concordia und Gratia vereint (dant faciles plausus Concordia Gratia Lusus). In der ‚Laus Serenae‘ des Claudian (carm. min. 30) wird auch wieder die Gratia aufgeboten (30,88), die das Mädchen mit den Armen umschlang. Unmittelbar anschließend heißt es dann: 30,89                                                            quacumque per herbam reptares, fluxere r o s a e, c a n d e n t i a nasci l i l i a; si placido cessissent lumina somno, p u r p u r a surgebat u i o l a e, factura cubile gramineum, u e r n a t que tori regalis imago.

Romul. VII (Epithal. Ioannis) 43 post 45; 61–63 



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61–63 Am Ende des Liedes, das der in Haft sitzende Dracontius dem Chor der Knaben und Mädchen stellvertretend in den Mund legt, macht der Indikativ pronuba Iuno uenit Schwierigkeiten, wie Galli Milić dargelegt hat: 57 tot bona p r o u e n i a n t sponsis quot dextra parentum iungit amoriferis per festa iugalia palmis. cana Fides Pietasque i u g e n t et casta Voluptas 60 brachia c o n s t r i n g a t celeres uisura nepotes.          Pronuba Iuno u e n i t fecunda sorte maritans lanigera comitante dea per uota Minerua, concordesque simul c e l e b r e n t pia sacra Dionae.

Aber das Verb uenit sperrt sich gegen eine probable Konjektur (meet Baehrens, beet Gil) und wird durch das folgende comitante gestützt247. Die in dem voraufgehenden Lied ausgesprochenen Wünsche scheinen demnach mit dem topisch auf die baldige Nachkommenschaft verweisenden Vers 60 (celeres uisura n e p o t e s, sc. casta Voluptas) abgeschlossen; die Verse 61–63 dürften eine Coda bilden, die am Ende auf die konkrete Szenerie zurücklenken soll (vgl. 10 quia Cypris a d e s t): Juno tritt als pronuba auf und vollzieht den Hochzeitsritus. Während des ganzen Hochzeitsfestes (per uota) wird sie von Minerva begleitet, so daß sie also beide gemeinsam mit Venus das Liebesfest der Vermählung feiern. Ähnlich wird am Ende des (chronologisch späteren) sechsten Epithalamiums unvermittelt der Fortgang (und Abschluß) der Handlung durch pergitur ad thalamos eingeführt: 6,119 pergitur ad thalamos, conuiuia laeta celebrant, 120 agmina saltantum miscentur lusibus aptis. – pignora pulchra micent et talia uota celebrent, floribus et uestris crescat generata propago.

Der Ausgang des stellvertretenden Liedes 7,57–63 scheint sich spiegelbildlich zu dem Gedichtschluß 6,119–122 zu verhalten: der Ausblick auf die nepotes (7,60) wird ganz ans Ende verlegt (6,121 f.), der Abschluß der szenischen Handlung (7,61–63) unmittelbar davorgesetzt. Um diese Erklärung ganz schlüssig zu machen, muß man aber wohl die von Galli Milić zu 7,63 (S. 359) ins Spiel gebrachte Konjek-

247 Siehe 8,87 et nuribus c o m i t a t a u e n i t pia uota m i n i s t r a n s (sc. Hecuba); 8,385 (Africus … ueniens comitante procella).

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 Kritischer Kommentar

tur celebrant aufgreifen. Für sie spricht auch die Verbindungspartikel -que von concordesque (63), die eine Divergenz im Modus der beiden verbundenen Verben ausschließt, zumindest nicht erwarten läßt: Wenn der Indikativ uenit gehalten werden muß, kann man schwerlich die (hier vereinfacht dargestellte) Junktur uenit … (comitante) … celebrent q u e rechtfertigen; vielmehr muß dann uenit … celebrant q u e hergestellt werden. Dies bietet sich als Abschluß des Binnenliedes auch deshalb an, weil Dracontius nach seinem autobiographischen Exkurs 7,69–136 daran anknüpfen wird, wenn er in 137–159 „in verhaltenem Murmeln“ (murmuret os tacitum) den Schluß der Handlung skizziert: Nach der Hochzeit (138 post haec uota, womit auf per uota in Vers 62 zurückgegriffen wird) übersiedelt man nach Cagliari, in das Haus des Johannes. Die mater Dione (s. 138, vgl. 63), mit der zusammen Juno und Minerva das Fest gefeiert haben, greift nun wieder hilfreich ein, indem sie für eine günstige Überfahrt über das Meer sorgt. Wieder wird ihr Auftritt (samt Gefolge) durch u e n i e n s markiert (145) – und wieder, wie zu Beginn des Gedichtes (15), hat sie den geflügelten Amor zur Seite, der mit seinen Feuerpfeilen die Elemente (kaltes Wasser und heißes Feuer) dazu bringt, sich zu vermählen (157 elementa ut uota celebrent). Damit ist der Bogen zum Anfang des Gedichtes zurückgeschlagen. Den endgültigen Abschluß bildet aber auch hier der für die Gattung des Epithalamiums typische Ausblick auf die Nachkommen: Was er hier, so endet Dracontius, noch verschwiegen habe, das werde er einst den gesegneten Enkeln zur Kenntnis geben (159 omnia reddemus quandoque nepotibus almis). Damit rücken nun die nepotes von der zweitletzten Stelle, die ihnen im Binnengedicht zugeteilt war, wie in 6,121 f. an den ihnen gebührenden Schluß.

82. 86 Der in Haft gehaltene (69), von der Teilnahme an den Preisliedern zu Ehren des Hochzeitspaares ausgeschlossene (71) Dichter fühlt sich wie ein verwundeter Soldat (73 ff.), ein im Zirkus verunglücktes Rennpferd (80 ff.) oder ein im Käfig eingeschlossener Singvogel (96 ff.). Das Gleichnis vom verunglückten Rennpferd im Zirkus bietet gleich zwei Belege für den leider (ut sunt homines) unvermeid­ lichen Krebsgang der Philologie: Der Herausgeber der maßgeblichen MGH-Edition hat die scharfsinnigen Verbesserungen seines früheren Lehrers Bücheler wieder durch den überlieferten Text ersetzt, obwohl dieser nur auf einer einzigen, an vielen Stellen korrupten Handschrift fußt und den in Wirklichkeit erstaunlich fähigen Dichter als metrischen Stümper oder schief denkenden und schlecht formulierenden Spätling erscheinen läßt:



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 61–63; 82. 86 

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80 aut uelut acer e q u u s circi i u g a ferre dicatus, orbita c o r n i p e d o sequitur quem d u c t a uolatu, si fretus propria uoluntate, fauoris alumnus plus eat in frenos et concitus axe sonoro p u l u e r i s in nubem radiatis orbibus actas 85 accipiat post c r u r a r o t a s et corruat ictus, mox248 studium dolor omnis habet plangente colore, aduersa plaudente manu, stabulisque refertur.

Mit welch produktiver Phantasie Dracontius die Quellen, auf die er sich stützt, umformt und sie in neuem Licht erscheinen läßt, mag ein kurzer Vergleich zwischen den Versen 80 ff. und Stat. Theb. 10,548–551 zeigen249. Dort entwickelt unser Dichter aus der Kombination zweier Formulierungen des Statius einen erstaunlich kühnen Ausdruck. Bei Statius fand er geschildert, wie ein Krieger, auf seinem Kampfwagen von einer Lanze getroffen, rücklings herausstürzt, aber mit seinen Beinschienen hängen bleibt und so jämmerlich geschleift wird. Das Schlußbild bieten die Verse 550bf.: longo sequitur uaga p u l u e r e ceruix, | et resupinarum patet orbita l a t a comarum, in Imhofs Übersetzung: „weit nach folgt staubaufwühlend der Nacken, | und breit dehnt sich die Bahn des zuletzt nachschleifenden Haupthaars“250. Daraus gewinnt Dracontius einen verblüffenden Perspektivwechsel (81): Bei ihm „ f o l g t “ dem Rennpferd „eine von seinen eilig dahinfliegenden Hufen gezogene B a h n “ (orbita c o r n i p e d o sequitur quem d u c t a uolatu)251.

248 Dieses mox leitet die Apodosis zu dem si-Satz 82 ff. ein, bedeutet also nichts anderes als unser „wenn …, dann …“; vgl. sat. 141 f. und z.  B. Iuvenc. 1,551 f., 555/557 (viele weitere Belege). 249 Die Stelle ist in Galli Milićs Kommentar (S. 377) genannt, aber nicht ausgewertet. Hier der Text des Statius (in Sperrung die Wörter, die Dracontius entlehnt hat): 10,548 mirandum uisu belli scelus: arma trahuntur, fumantesque r o t a e tellurem et tertius hastae 550 sulcus arat; longo sequitur uaga p u l u e r e ceruix, et resupinarum patet orbita l a t a comarum. „Die Waffenrüstung wird geschleift, die rauchenden Räder pflügen den Boden, eine dritte Furche gräbt die Lanze; in einer langen Staubwolke folgt der hin und her fahrende Kopf des rücklings Gestürzten, der mit seinen Haaren eine breite Bahn hinter sich herzieht.“ 250 Das Attribut resupinarum ist in Enallage zu comarum gesetzt, bezieht sich aber natürlich auf den rücklings Gestürzten (vgl. 546 retroque in terga uolutus). 251 Dabei dürfte Dracontius zusätzlich das wilde Pferdegespann vor Augen gehabt haben, das bei Prudentius den Märtyrer Hippolytus in Analogie zu dem mythischen Helden schleift, s. ­perist. 11,87 ff., bes. 101 ff. huius (sc. funis) ad extremum, sequitur qua p u l u e r e summo | c o r n i p e d u m refugas orbita t r i t a uias, | c r u r a uiri innectit laqueus nodoque tenaci | astringit plantas cumque rudente ligat. Da bei Prudentius Wagen und Räder des Pferdegespanns unbe-

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 Kritischer Kommentar

Diesem Dichter schreibt man in Vers 82 das metrische Monstrum (wir bewegen uns im daktylischen Versmaß!) fretus propria uolŭntate zu, obwohl er in laud. 3,683 uoluntatis korrekt skandiert hat und nirgends in seinem Werk eine geschlossene Silbe verkürzt. Der Zusammenhang läßt keinerlei Widerstreit zwischen dem W i l l e n des Pferdes und z.  B. dem seines Lenkers erkennen. In Wirklichkeit wird das stolze Vertrauen des Pferdes auf seine S c h n e l l i g k e i t zum Ausdruck gebracht, mit dem es sich in die Riemen legt – bevor es, von den nach vorne schießenden Rädern des Rennwagens an den Hinterbeinen getroffen, verwundet stürzt: ein Abbild der selbstgewissen Beschwingtheit, mit der Dracontius das Lobgedicht auf den fremden Herrn unternommen hat, das den Zorn seines Königs auf ihn zog und ihn ins Verderben stürzte252. Bücheler hatte durch fretus propria leuitate mit leichter Hand Sinn und Metrik ins Lot gebracht. Aber seit 1905 drucken die Herausgeber (einige mit schlechtem Gewissen) die Korruptel des codex unicus N253. Ja, man glaubt das korrupte fretus propria uoluntate sogar zu autobiographischen Rückschlüssen heranziehen zu können: durch die juristische Färbung des Begriffs uoluntas werde auf die Ursache der Verletzung und Demütigung des Pferdes verwiesen, mit dem sich der Dichter vergleicht; diese korrespondiere somit „significativamente alla colpa preterintenzionale del poeta“254. Dabei scheint nicht bedacht, daß Dracontius das Attribut proprius häufig in abgeschwächter Bedeutung (= suus) verwendet. Wir werden anschließend, bei der Besprechung des Verses 86, einige antike Beschreibungen der Wagenrennen im Zirkus und der dabei ins Spiel kommenden ‚Fan‘-Parteien berühren. Vorweggenommen sei, daß dort nirgends von einer propria uoluntas (im Sinne eines störrischen, ungehorsamen Verhaltens?) der Pferde die Rede ist, wohl aber von ihrer uelocitas255, also  – in gehobener, insbesondere poetischer Sprache – von ihrer leuitas256. Dies ist auch in Büchelers zweifellos richtigen Fassung des Verses Romul. 7,82 der Fall. Sein e q u u s  … fretus propria leuitate wird in Coripps Variation non illum saluauit e q u u s leuitate per

rücksichtigt bleiben, ist der primäre Rückgriff des Dracontius auf Statius (und auf Senecas ‚Hippolytus‘, s.  u.) gesichert. 252 Siehe hierzu Chatillon 194–196; Schetter (2004) 379 f. 253 Rühmliche Ausnahme ist Luceri (2007), den ich erst nach Abschluß meiner eigenen Kommentierung einsehen (und einarbeiten) konnte. 254 Grillone (1984) 195. 255 So in Plin. epist. 9,6,2; Cassiod. var. 3,51,6 f. (zweimal). 256 Siehe Lucr. 4,195 (ubi tam u o l u c r i l e u i t a t e ferantur, sc. simulacra) und die Kommentare zu Ov. ars 1,4 (arte l e u e s c u r r u s, sc. regendi); epist. 4,45; Manil. 5,73/78; Gratt. cyneg. 534. Verwiesen sei auf die sog. Synonyma Ciceronis in Char. ed. Barwick (1925), p. 449,8: uelocitas, pernicitas, celeritas, l e u i t a s, facilitas, agilitas.



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 82. 86 

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hostes, | quo sibi fisus erat (8,617 f.) gespiegelt. Die Annahme einer Vertauschung von leuitate / uoluntate ist nicht so kühn, wie sie manchen erscheinen will: in Greg. M. dial. 4,55 p. 313,10 M. teilen sich die Handschriften in die Varianten leuitatibus / uoluptatibus (allerdings ist dort die Möglichkeit, daß uoluptatibus als Glosse zu leuitatibus eingeführt wurde, nicht ganz auszuschließen). Größere Diskussionen haben schließlich die Verse 86 f. entfacht. Dort überliefert N die Fassung mox studium dolor omnis habet plangente dolore, | aduersa plaudente manu. Seit 1905 ist in den Ausgaben die offensichtlich verderbte Folge dolor … dolore durch Rossbergs dolor … colore ersetzt, von Vollmer (1914) durch den Klammervermerk „i. factione“ erläutert, obwohl die Metonymie color = factio nirgends belegt ist257. Das Kolon studium dolor omnis habet aber pflegt man mit Vollmers Erläuterung (1905, 356) „i. studii locum occupat dolor“ zu rechtfertigen. Schmerz soll also den Platz der Gunst eingenommen haben258. Wie ließe sich das auf die Situation des Dracontius übertragen, die durch das Pferdegleichnis erhellt werden soll?259 Und welche Funktion sollte bei dieser Deutung das unterschlagene omnis erhalten? Rossberg sah sich zu der Konjektur omne herausgefordert; aber einen Hiat (wenngleich durch das folgende h gemildert) wird man nicht per Konjektur einführen260. Ein omnis mit „valore adverbiale (= omnino)“ aber ist in diesem Satz ausgeschlossen.

257 In ThLL III 1714,41 ff. werden die folgenden Einträge ‚de coloribus factionum in circo‘ gegeben: Plin. epist. 9,6,2; Cassiod. var. 1,32,4; 3,51,5; Coripp. Iust. 1,319 – mit Verweis auf Claud. 5,356. Weitere Hinweise finden sich in A. Camerons Kommentar Coripp. Iust. 1,314–344 („the origins of chariot-racing and the symbolism of the colours“), darunter Drac. laud. 2,18; AL 197,5 R2 (= 188,5 SB); Isid. orig. 18,41; vgl. auch Cameron zu Iust. 2,314 mit Verweis auf Prokops Beschreibung „of the Blue and Green partisans“ (Anecd. 7,12–13) anläßlich eines Rennens im Hippodrom mit dem Gegeneinander der Parteien in den (vier) verschiedenen Farben. 258 „aussitôt la douleur se substitue entièrement à son ardeur et on le ramène à l’écurie, tandis que les partisans de sa couleur se lamentent et que la faction adverse applaudit“ (Wolff); „subito il dolore si sostituisce interamente alla foga, tra la disperazione dei sostenitori e gli applausi della parte avversa, ed è ricondotto alla scuderie“ (Galli Milić); „subito totale sconforto pervade la squadra [studium ?], nel pianto del suo colore e il plauso della fazione avversa, ed è ricondotto alle scuderie“ (Luceri). 259 Diese Frage bliebe auch bestehen, wenn man den überlieferten Text mit Baehrens4 269 interpretieren wollte: „unter studium ist die partei welche das pferd gestellt hat zu verstehen“ (mit Verweis auf Coripp. Iust. 2,312. 336). 260 Einige Beispiele notiert Vollmer (1905) 442.

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 Kritischer Kommentar

Auch hier hatte Bücheler durch zwei geringfügige Eingriffe längst das Richtige gefunden. Sein studium c a l o r 261 omnis a b i t 262 ist geradezu genial! Aus dem Kolon aduersa plaudente manu („während die gegnerische Partei Beifall klatschte“, 87) ergibt sich ja implizit, daß zuvor die Reaktion der Partei des verunglückten Pferdes geschildert war: Diese beklagt in schmerzlicher Enttäuschung263 die Niederlage und entzieht ihrem Favoriten alle Gunst und Sympathie264. In dieser Verfassung wird das Pferd zurück in den Stall gebracht. Dieses Bild fängt passend die Situation des in Ungnade gefallenen Dichters Dracontius ein. Nur wenige Verse später wird er seinen früheren Gönnern (also sozusagen seiner eigenen Partei im Zirkusrennen) vorwerfen, daß sie ihn nach seiner Gefangensetzung vergessen haben und seit langem totschweigen (118–126. 135)265, während sein Gegner (also im Bild des Zirkus die rivalisierende Partei) ihn verleumderisch beim König angeschwärzt hat (128–131). Die in studium calor omnis abit (7,86) zum Ausdruck gebrachte Unzuverlässigkeit

261 In laud. 1,122 wird das bei Eugenius erhaltene calor in B zu solor verschrieben (Vollmer setzt zu Unrecht color in den Text); in 3,316 hat Peiper das in B überlieferte colore überzeugend zu calore verbessert. In Romul. 7,86 dürfte zunächst die gängige Verschreibung calor → color erfolgt, danach unter Einfluß des Versschlusses dolore das in N überlieferte dolor zustande gekommen sein. 262 Vgl. Ov. am. 1,7,2 dum furor o m n i s a b i t; Lucan. 5,455 (= Claud. 26,281) spes o m n i s a b i t; Ser. med. 413 dolor o m n i s a b i b i t. Die asynthetische, im Sinne eines Hendiadyoin zu fassende Kombination studium calor (omnis steht ἀπὸ κοινοῦ, lehnt sich formal an das letzte der beiden Substantive an) ist in der Stilistik des Dracontius ohne jeden Anstoß (s.  o. S. 56 zu Venus … Cupido; vgl. wenig später Vers 7,109 pontifices sacri Statulenius Optatianus oder 6,22 ergo, Venus, te, docta, uoco, f a c u n d a p e r i t a; 5,201 mediocris pauper ametur; 2,144 montes silua uocant, kombiniert mit litus et unda … sonant [142]). Der Dichter konnte in der Plinius-Epistel über Zirkusrennen (epist. 9,6,2) auf die inhaltlich verwandte Junktur studium fauorque, aber auch auf mehrere asyndetische Fügungen (etwa „Pferd, Wagenlenker“ statt „Pferd und Wagenlenker“) stoßen. 263 Dracontius macht das personifizierte Abstractum dolor zum Subjekt der Handlung: Statt „die ‚Fan-Gemeinde‘ in ihrer schmerzlichen Enttäuschung klagt“ formuliert er: „die schmerzliche Enttäuschung bricht in Klagen aus.“ Dolor steht also für dolentes (vgl. Salv. gub. 4,61 doleo et plango). Entsprechende Formulierungen verwendet Martial in seinem Epigramm auf den Tod eines Wagenlenkers (10,50,1 ff.): frangat Idumaeas tristis Victoria palmas, | plange, Fauor, saeua pectora nuda manu; | mutet Honor cultus, et iniquis munera flammis | mitte coronatas, Gloria maesta, comas. Vgl. Petr. Chrys. serm. 19,5 mortuum non artifex fistula, sed simplex p l a n g i t a f f e c t i o. 264 Das Hylas-Epyllion beginnt mit dem Stichwort Nympharum … c a l o r e am Ende des ersten Verses! Zu calor in der Bedeutung amor s. ThLL III 182,25 ff. 265 Zu vergleichen ist die Frage an den Allmächtigen in laud. 3,596 oblitusne mei es? und die Bitte precor, obliuiscere non me – mit der anschließenden Klage, daß er von allen verlassen worden sei und ihm aller Trost versagt werde (3,602–607).



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 86. 118. 123 f. 

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und den Wankelmut der factiones beim Zirkusrennen prangern auch Plinius und Cassiodor an: Plin. epist. 9,6,2 nunc f a u e n t panno pannum a m a n t, et si in ipso cursu medioque certamine hic color illuc ille huc transferatur, s t u d i u m f a u o r q u e t r a n s i b i t, et r e p e n t e agitatores illos equos illos, quos procul noscitant, quorum clamitant nomina, r e l i n q u e n t. Cassiod. var. 1,32,4 si uero eorum l u b r i c a u o l u n t a s in unius c o l o r i s migrauerit f a u o r e m, s t u d i a sua populus tam i n c i r c o quam theatro habeat pro parte quam d i l i g i t, ut is qui praesumpserit, uetitam ipse iudicetur quaesisse discordiam. var. 3,51,2 (über den Wagenlenker Thomas) is enim frequenter uictor per diuersorum ora uolitauit, plus uectus f a u o r e quam curribus. suscepit partem populi protinus i n c l i n a t a m et quos ipse fecerat tristes, laborauit iterum reddere laetiores, modo agitatores arte superans, modo equorum u e l o c i t a t e transcendens; var. 3,51,10–11 et ideo datur intellegi u o l i t a n t e s a t q u e i n c o n s t a n t i s s i m o s inde m o r e s nasci, quos auium matribus aptauerunt. … hoc tamen dicimus omnimodis stupendum, quod illic (sc. in circo) supra cetera spectacula f e r u o r a n i m o r u m inconsulta grauitate rapiatur. transit prasinus, p a r s p o p u l i maeret: praecedit uenetus et potius t u r b a ciuitatis affligitur. nihil proficientes feruenter insultant: nihil patientes grauiter uulnerantur et ad inanes contentiones sic disceditur, tamquam de statu periclitantis patriae laboretur.

Die hier gesperrt gegebenen Wörter und Wortfolgen heben die wechselnden Sympathien der einzelnen Parteien zu ihren Lieblingspferden und -wagenlenkern hervor, zusätzlich aber auch die Wankelmütigkeit dieser factiones: sie untermalen also all das, was Dracontius in s t u d i u m c a l o r o m n i s a b i t über die Sympathisanten seines Gleichnis-Pferdes gesagt wissen möchte. Die fett ausgeworfenen Begriffe tristes (mit der Opposition laetiores), maeret, affligitur, grauiter uulnerantur dagegen umschreiben die Enttäuschung der ‚Fan‘-Parteien, wenn ihr Gespann oder Wagenlenker ins Hintertreffen gerät und den Sieg verspielt – ganz in Entsprechung zu dem plangente dolore im Gedicht des Dracontius.

118. 123 f. Die Verse 123 f. dienen den Interpreten als Beleg für die juristische Betätigung des Dracontius. Der Dichter beklagt sich in dem Textpassus, daß seine früheren Gönner ihn in seiner Gefangenschaft vergessen haben. Doch sie müssen, wie er ausführt, ihr Schweigen hart bezahlen: Sie werden von ihrem schlechten Gewissen geplagt, daß sie einen Dichter verachten, indem sie ihn dem Vergessen anheimfallen lassen – einen Dichter, der vielleicht unbedeutend sein mag, aber doch …

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 Kritischer Kommentar

nam mihi quod teneor non dolor alter acerbus266 quam quod apud tales obliuio longa moratur 120 nominis inclusi. sed si me claustra fatigant temporis immodici, nec uos impune tacetis: est non leuior uobis quatiente pudore, quod licet exiguum tamen inter iura poetam 124 temnitis immemores facunda mente periti. … 134 at cum liber ero domino ignoscente reductus, 135 dum tacet os uestrum nec nos sermone iuuatis, nomina uestra, reor, praeconia nulla manebunt.

Hier die jüngsten Übersetzungen der entscheidenden Verse (122 ff.): „… per lo sprone del rimorso, poiché, incuranti, trascurate, seppure abili nell’eloquenza, un poeta modesto e t u t t a v i a p r a t i c o d i l e g g e “ (Luceri, 2007). „… poiché siete sconvolti dalla vergogna di disprezzare col vostro oblio un poeta, quantunque mediocre, t u t t a v i a u o m o d i l e g g e, voi che siete esperti dall’ ingegno eloquente“ (Galli Milić, 2008)267.

266 Duhns Zusatz steht in allen Ausgaben seit Vollmer (1905), obwohl das Hilfsverb ganz müßig ist. Statt das von Baehrens4 (269) vorgeschlagene, naheliegende tam einzufügen, bemüht man sich in den Kommentaren lieber darum, die Konstruktion non alter (~ alius) … quam zu belegen. Zuletzt hat sich Galli Milić (2008) 405 auf die nicht wirklich vergleichbare Stelle Val. Fl. 6,419 f. berufen (forma necis n o n a l t e r a surgit | q u a m ceruos u b i non umbro uenator edaci, | non penna petit, haerentes sed cornibus altis | inuenit). Hier ihre Übersetzung der Dracontius-Verse: „E per me il fatto di essere incarcerato è amaro dolore non diverso da quello causato dalla lunga durata dell’oblio del nome del prigioniero in persone di tal fatta.“ Ähnlich versteht Luceri (2007) 259 den Passus: „Draconzio intende dire che l’amarezza per il disinteresse dei suoi patroni non è meno dolorosa di quella per l’imprigionamento.“ Aber sollte man quod teneor nicht besser im Sinne eines „faktischen quod“ interpretieren und das auf der Hand liegende tam einführen? „Was aber den Umstand angeht, daß ich gefangen gehalten werde (~ was aber meine Gefangenschaft angeht), so ist mir kein anderer Schmerz so bitter wie der, daß seitens solch trefflicher Männer lang währendes Vergessen des Eingekerkerten andauert, ohne daß sein Name je genannt würde.“ Zur Stütze des von Baehrens vorgeschlagenen n o n < t a m > dolor alter a c e r b u s | q u a m dürfte ein Verweis auf Cic. fam. 1,9,5 genügen: quae cum uiderem (neque erant obscura), n o n tamen t a m a c e r b a mihi haec accidebant q u a m erant illa grata quae fecerant. Im Zusammenhang einer unerträglich langen Wartezeit (vgl. 119 ff. moratur und claustra … temporis immodici) scheint ein nachdrückliches tam gut angebracht, s. satisf. 9 t a m l o n g a uestustas; 120 tempore t a m l o n g o non decet ira pium; laud. 2,194 (elementa) t a m l o n g a conexa m o r a. Es ist verständlich, daß die bei Dracontius vorliegende Verschränkung von non … dolor alter und tam … acerbus (das letztgenannte Kolon in weiter Sperrung!) zu dem Ausfall des Einsilblers geführt hat. 267 Vgl. Horstmann 243: „Eure Strafe ist nicht geringer, weil euch ein schlechtes Gewissen quält, daß ihr einen sicher nicht überragenden, a b e r d o c h i m R e c h t v e r s i e r t e n Dichter vergessen habt, ohne zu bedenken, daß er ein erfahrener Redner ist.“



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 118. 123 f. 

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Schon früher hatte man das Kolon inter iura (123) als eine Brachylogie aufgefaßt „pour désigner la profession juridique de l’auteur“268, aber in periti (124) einen von immemores abhängigen Genitiv gesehen, der sich auf den Dichter bezieht. Die Schwäche dieser Konzeption hat jüngst Wolff (2015) wie folgt beschrieben (360): „Cette interprétation a l’inconvénient que deux mots ou groupes de mots à deux cas différents (exiguum tamen inter iura poetam et facunda mente periti) désignent la même personne.“ Deshalb neigt er dazu, sich die Auffassung der beiden italienischen Kommentare zueigen zu machen (siehe die Übersetzungen oben), „qui font de periti un nominatif pluriel apposé au sujet et rattachent l’ablativ facunda mente à ce nominatif. Dracontius développerait son argumentation sur la base de l’analogie entre sa profession et celle des personnes en question. On sait en effet par 7,116 que l’un des époux (il est difficile de préciser lequel) est issu d’une famille de juristes. De la part de spécialistes dans l’art de la parole le poète aurait pu attendre un soutien éloquent qu’il n’a pas obtenu.“ Gegen diese Deutung spricht, daß das so verstandene inter iura ein leeres Motiv innerhalb des Gedichtes bliebe: die juristische Betätigung des Dracontius wird nirgends in den Blick genommen; sie könnte auch nichts zu der im unmittelbaren Zusammenhang ausgesprochenen Drohung269 beitragen, daß die jetzt stumm verharrenden Patrone in Zukunft (wenn der Dichter wieder auf freiem Fuße sein werde) kein Lobgedicht (praeconia, 136) aus seinem Munde zu erwarten hätten. Damit diese Drohung aber wirken kann, müssen die vorenthaltenen praeconia etwas für die müßigen Patrone Erstrebenswertes sein, das heißt: sie müssen von einem Dichter kommen, der sich in der gattungsgemäßen Bescheidenheitstopik zwar als „möglicherweise mäßigen“ Vertreter seiner Zunft bezeichnet, aber doch selbstbewußt genug hinzufügt: „dennoch einen Dichter, der mit beredsamer Erfindungskraft und Kunstverstand ausgestattet ist“. Dieser Gedankengang ergibt sich m.  E. zwingend aus der ganzen Argumentationsstruktur. Folglich ist inter iura nicht zu poetam, sondern zu uos … immemores zu ziehen („daß ihr in euren Rechtsgeschäften [denen ihr täglich nachgeht]270 verachtet und mit Vergessen bestraft einen vielleicht mäßigen Dichter, aber doch einen …“). Das überlieferte periti aber ist in peritũ zu ändern (d.  h.: es ist eine fehlerhafte Angleichung an immemores rückgängig zu machen). Die Verse lauten also:

268 Siehe Wolff (1996) 11073 (mit Verweis auf Moussy). 269 Siehe hierzu Schetter (2004) 403 f. 270 Gemäß Vers 116 kommen die Angesprochenen ex … gente togata. Die unpräzise Junktur inter iura findet sich (in etwas anderer Bedeutung) Liv. 4,15,3 qui natus in libero populo i n t e r i u r a legesque und [Quint.] Decl. mai. 17,9 inter leges, i n t e r i u r a consenui. Dracontius will wohl schlicht sagen, daß die Herren Advokaten täglich in ihren juristischen Händeln Plädoyers abgeben, für ihn aber nicht e i n Wort erheben, sondern ihn einfach totschweigen und vergessen.

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 Kritischer Kommentar

123 quod licet exiguum tamen inter iura poetam temnitis immemores facunda mente peritum.

Dracontius erschwert dem Leser nicht selten das Verständnis durch eine sperrige oder verwickelte Wortstellung. Das mag oft auf puren Verszwang zurückzuführen sein271. Hier aber dürfte hinzukommen, daß in zwei Zeilen sowohl der humilitasGestus als auch der Anspruch des Dichters auf Anerkennung seiner Kunst zum Ausdruck gebracht sein wollten. Um das eine nicht durch das andere zu untergraben, war es hilfreich, wenn die auf die Patrone gemünzten Worte des Tadels dazwischengeschoben werden konnten. Die Verse sprechen also nicht von der Advokatentätigkeit des Dracontius272, sondern von seiner dichterischen Erfindungs- und Ausdruckskraft273, die den (leeren ?) juristischen Tagesgeschäften der einstigen Gönner selbstbewußt entgegengesetzt wird274.

132–134 Schenkl (1873, 518 f.) hat dem Passus folgende Versordnung gegeben (die analogen Markierungen heben die gedanklichen Entsprechungen hervor):

271 Der zu temnitis immemores gehörige Präpositionalausdruck inter iura zerreißt hier ebenso widersinnig den eng zusammengehörigen Objektsausdruck licet exiguum tamen poetam … peritum, wie etwa in 8,292 die Partikel aut das Attribut Iliacis vom zugehörigen Substantiv mentibus trennt (si pudor Iliacis aut mentibus esset honestas) oder wie in 10,15 f. (quae nosse profanum est | quod fuerit uulgasse nefas?) der Subjektsinfinitiv uulgasse vom Objektssatz quae nosse profanum est getrennt und mitten in die rhetorische Frage eingeschoben wird; siehe ferner die Tabelle freier Wortstellungen bei Vollmer (1905) 440b und unten Anm. 288. 272 Die Stelle fehlt zu Recht unter den entsprechenden Belegen in Schetters Artikel „Dracontius Togatus“ (2004, 370–378). 273 Nicht als Advokat, sondern als Dichter bittet er in 6,22 die Venus docta, f a c u n d a p ­ erita um Inspiration für sein Gedicht: per s e n s u s te funde meos, wodurch zugleich die Junktur facunda m e n t e in 7,124 gestützt wird; vgl. ferner Ennod. carm. 1,4,25 adsit, oro, fons loquelae, m e n t e uoce pectine | ars natura Musa Phoebus qua tumet f a c u n d i a. Für Quodvultdeus, dem um 453 gestorbenen Bischof von Karthago, ist Vergil ein facundissimus poeta (Quodv.  c. Iud. pag. Ar. 15,4) und Gellius sagt von Vergil: in carminibus L u c r e t i inuento usus est non aspernatus auctoritatem p o e t a e i n g e n i o e t f a c u n d i a p r a e c e l l e n t i s (1,21,5). Valerius Maximus verwendet 9,12 (ext.),7 die Junktur poetica facundia. R. Jakobi verweist auf Optat. Porf. epist. Const. 1 (p. 4 Polara), wo Homer und Vergil als primi f a c u n d i a e conditores gelten. 274 Die nebeneinandergerückten Begriffe inter iura und poetam sind aus der Sicht des Dichters nicht komplementär, sollen vielmehr eher als Opposition, ja, als eine Art Oxymoron wahrgenommen werden: Der Dichterberuf erhebt sich weit über das Geschrei der Advokaten in den Rechtshändeln des Forums. Trotzdem haben jene kein Wort für den in Ungnade gefallenen Dichter übrig.



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 123 f.; 132–134 

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125 quid prodest seruasse hominem post tanta pericla et clausum liquisse diu sub clade salutis? non male peccaui nec r e x iratus inique est, sed mala mens hominis, quae detulit ore maligno, et male suggessit tunc et mea facta grauauit. 130 poscere quem ueniam decuit, male suscitat iras 131 et dominum r e g e m que p i u m saeuire coegit. 134 at cum liber ero domino ignoscente reductus 132 (nam deus omnipotens compunget corda r e g e n t i s275, 133 quando iubet p i e t a t e sua ueniamque relaxat), 135 dum tacet os uestrum nec nos sermone iuuatis, nomina uestra, reor, praeconia nulla manebunt.

Durch die Umstellung gewinnt er eine der typischen, durch nam eingeleiteten Parenthesen (s. Hofm.–Sz. 472 f.)276, im Falle der Verse 132 f. eine Parenthese, die den Vers 134 näher erläutern soll. Die Versetzung konnte durch Augensprung vom Versbeginn et dominum (131) zu dem darunter stehenden at cum … domino (134) befördert werden. Doch erhebt sich auf formaler Ebene – also noch vor der Klärung des genauen Inhalts des Verses 133 (dazu unten) – der Einwand, daß in der veränderten Versfolge die Apodosis der Periode (Vers 136) zweifach hinausgeschoben wird: durch die Parenthese und zusätzlich durch den anschließenden dum-Satz 135. Dies könnte den Gedankenablauf zerdehnt erscheinen lassen. Schenkls Eingriff hat zur Voraussetzung, daß die Partikel nam zu Beginn des Verses 132 eine Begründung einleitet. Die jüngeren Kommentare dagegen schreiben ihr hier adversative Kraft zu277. Tatsächlich operiert Dracontius mit teilweise scharf antithetischem nam; die beste Parallele zu 7,132 (in der überlieferten Versordnung) wäre wohl Orest. 511 (nam nec inultus ero, ueniet his poena

275 Durch regentis wird regemque (131) und rex (127) aufgegriffen, durch pietate sua (133) das in 131 dem König zugeordnete Attribut pius auf Gott übertragen. Ohne den zwischengeschalteten Vers 134 rückten diese Stichworte noch enger zusammen. 276 Vgl. Drac. Romul. 10,157 ff. roseis frenantur habenis, | candida puniceis subduntur colla rosetis | (nam iuga sunt compacta rosis), fert dextra flagellum, etc.; 209 f. audiit ignipotens (hominum nam murmura sentit) | et ridens gauisus ait; Orest. 813 ibo ego per gladios flammas et mille cohortes, | 836 per freta per campos per siluas flumina montes | 814 (nam decet ultorem patris sibi quippe mereri), | 815 dum tamen eripiam clamantem nomen Orestis. Erinnert sei an die durch γάρ eingeleiteten, oft mehrzeiligen Parenthesen, die in Zwierlein, Die Urfassungen der Martyria Poly­carpi et Pionii und das Corpus Polycarpianum (2014) II 373 f. zusammengestellt sind. 277 Siehe Luceri (2007) 265, ferner Wolff (1996) 186267 und Galli Milić (2008) 417. Die beiden letztgenannten verweisen auf Kühn.–Stegm. 2,119; hilfreicher sind die Hofm.–Sz. 505–506 verzeichneten und erläuterten Belege für „anknüpfendes und adversatives nam“.

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 Kritischer Kommentar

cruenta)278. Dort werden zwei aufeinander folgende Verse (511 f.) durch die Adversativpartikel nam und sed eingeleitet. Analog lautet die überlieferte Abfolge in 7,132–134: nam deus omnipotens compunget corda regentis, quando iubet pietate sua ueniamque relaxat. at cum liber ero domino ignoscente reductus, 135 dum tacet os uestrum nec nos sermone iuuatis, nomina uestra, reor, praeconia nulla manebunt.

Sie hat ihre Entsprechung nur wenige Verse zuvor, in 7,118–120: nam mihi quod teneor non dolor alter acerbus quam quod apud tales obliuio longa moratur 120 nominis inclusi. sed si me claustra fatigant temporis immodici, nec uos impune tacetis (…).

Da der ganze autobiographische Abschnitt 118–138 in Ringen komponiert ist279, liegt es nahe, auch in der zweizeiligen Aufeinanderfolge der beiden Adversativpartikel nam … at cum (132/134) die Vollendung jenes formalen Ringes zu erblicken, der in 118/120 mit nam … sed si begonnen worden war. Den Inhalt der Verse 132 f. hat zuletzt Wolff (2015) 360 mit dem Satz umschrieben: „Le narrateur affirme que Dieu frappera de repentir le cœur du roi“. Dabei revidierte er (361) zugleich seine frühere Auffassung (der sich Luceri ad loc. angeschlossen hatte), in ueniamque relaxat läge Subjektswechsel vor: Ebensogut könne man mit Galli Milić (ad loc.) annehmen, relaxare habe hier faktitiven Sinn: „faire accorder le pardon“. Galli Milić (die S.  418 ebenso wie Luceri ad loc. eine ganze Reihe von Belegen aus christlichen Autoren für ueniam relaxare = „Verzeihung gewähren“ anführt) ist der Auffassung, Dracontius formuliere in Vers 133 parataktisch den gleichen Gedanken, der satisf. 49 f. die folgende Form hat:

278 Die umfassendste Liste dürfte sich in Rossbergs Kommentar (1888) zu Orest. 70 finden: Orest. 381. 436. 511. 941; Romul. 5,143. 208; 8,37. 432. 500; satisf. 10. 55. 113 (s. zuvor Haase 36). 279 1. Gefangenschaft (118 quod teneor, 120 inclusi … claustra, 126 clausum liquisse) – Rückkehr in die Freiheit (134 at cum liber ero  … reductus); 2. von den einstigen Gönnern vergessen (119 obliuio, 121 tacetis, 124 immemores – 135 dum tacet os uestrum nec nos sermone iuuatis); 3. nec impune (121, ferner 122 ff. – 136 praeconia nulla manebunt); 4. Zorn und Gnade des Königs (127 rex iratus, 130 ueniam … iras, 131 dominum regemque saeuire coegit – 133 ueniamque relaxat, 134 domino ignoscente).



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 132–134. 153 

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ipse meo domino deus imperat atque iubebit,           ut me respiciat restituatque pius280.

Unter Verweis auf satisf. 289. 305 und laud. 2,711 paraphrasiert sie (419): „,Dio ordina e fa perdonare‘ = ,Dio invita a perdonare‘.“ Damit ist das in N überlieferte iubet gegen den Verbesserungsversuch lubet (so Ellis 257) gesichert281, aber noch nicht die lateinische Konstruktion geklärt. M. Beck hat gesehen, daß ueniam in 133 ἀπὸ κοινοῦ gesetzt ist, also der Akk. ueniam auch zum Verb iubet gehört. Man wird kaum ohne die Annahme auskommen, daß Dracontius hier die Kopula verstellt, also iubet … ueniamque relaxat statt (extra metrum) iubet relaxatque ueniam geschrieben hat282 („wenn er Verzeihung befiehlt und gewährt“). Daran knüpft dann passend Vers 134 an, in dem iubet … u e n i a m que relaxat durch domino i g n o s c e n t e aufgegriffen wird. Es scheint charakteristisch für die von Dracontius beschworene Rangfolge ‚allmächtiger, himmlischer Gott – weltlicher Herr und König‘, daß die vom König zu erbittende uenia des Verses 130 in 133 primär von Gott angeordnet, die Konkretisierung dann in die Hand des Königs gelegt wird; siehe satisf. 99–108: in 99 und 102 verleiht Gott die uenia, in 108 bittet der Dichter den König, daß er den Befehl, uenia zu gewähren, geben – und damit seinerseits (so 109 ff.) die Anordnung des liebenden Gottes befolgen möge.

153 In Vers 153 ist das Verb ciet in der Handschrift (N) durch ein Korruptelzeichen gebrandmarkt. Trotzdem sind die Herausgeber bei folgendem Text geblieben:

280 Siehe zu dieser Stelle Schetter (1994) 389. 281 Die Überlieferung wird auch durch satisf. 103 f. 108 f. und 113 f. gestützt. quando lubet wäre eine typisch plautinische Floskel, die Dracontius aus einem Thesaurus poeticus geholt haben müßte. Sie würde hier auf die liebende Fürsorge Gottes zielen, wie aus dem unmittelbar folgenden pietate sua hervorgeht. Hierzu siehe Galli Milić (419), die auf satisf. 287–290 verweist. Doch folgt dort auf 289 (sed quia d a t u e n i a m populis p e c c a t a r e l a x a n s, sc. Deus) in 291 der Vers si ueniam frater fratri donare iubetur, wodurch aufs neue die in 7,133 überlieferte Fassung quando iubet pietate sua ueniamque relaxat bekräftigt wird. 282 Diese irreguläre Stellung von -que findet sich häufig bei Horaz (s. die Kommentare zu serm. 1,6,43; Kiessling–Heinze und Nisbet–Hubbart zu carm. 1,30,6; 2,19,27 [Rückgriff auf griech. Chorlyrik]; Nisbet–Rudd zu 3,4,11), Tibull (vor allem im 5. Fuß des Pentameters, s.  F. Leo, Über einige Elegien Tibulls [F. Bvecheler zum 13. März 1881 gewidmet], in: Kiessling – WilamowitzMoellendorff (Hrsgg.), Zu Augusteischen Dichtern, Philologische Untersuchungen H. 2, 1881, 26 f.) und Ovid; aber auch z.  B. Octavia 361 (furit ereptam pelagoque dolet uiuere matrem).

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 Kritischer Kommentar

151 inter quas (sc. undas) delphine sedens Galatea minaci283 Neptunum perfundet aquis: rorante fluento ille caput barbamque ciet284 ridente Dione.

Schon 1878 hatte Rossberg (Rossb1 7) moniert, daß es keinen Beleg für die Junktur caput ciere gibt. Der Zusammenhang verlangt ein Futur, wie die umgebenden Verba bestätigen. Ingeniös hat Rossberg aus -que ciet das geforderte (caput) quatiet gewonnen. caput quatere ist ein gängiger Ausdruck, aber er wäre nach Rossbergs Vorschlag zu dem Asyndeton caput barbam quatiet zu erweitern285. Dies wurde von Vollmer (1914) abgelehnt („malo cum asyndeto“). Das eigentliche Gravamen ist aber nicht das Asyndeton (siehe Anm. 262), sondern die Gleichordnung von Haupt und Bart in Bezug auf das Verb quatere286. Prüft man die in den Kommentaren aufgeführten denkbaren Vorbildverse Ov. met. 1,339 ora dei madidā rorantia barbā (Triton); fast. 1,375 oraque caeruleā tollens rorantia barbā (Proteus); Stat. Theb. 9,415 pectora c a e r u l e a e riuis manantia b a r b a e (der personifizierte Ismenos-Fluß), drängt sich die Lösung rorante fluento … barbā (abl. separ.)287 auf: Der von Galatea vollgespritzte Neptun „wird unter dem Gelächter der Venus seinen Kopf schütteln, wobei das Wasser aus seinem Bart herabfließt.“ Aufgrund der verwirrenden Sperrung288 war der Wortlaut rorante fluento | ille caput barba quatiet prädestiniert für den Angleichungs-

283 Der Delphin, der Galatea durchs Meer trägt, ist an sich keine belua terribilis oder minax. Hier aber, wo Galatea den Neptun neckt, indem sie Wasser auf ihn spritzt, wird der Delphin im Spiel (aufgrund seiner Größe?) als bedrohlich für den Meeresgott stilisiert. Es sei an laud. 2,241 f. erinnert, wo die Schlangen ihrem Schöpfer freudig mit dem ihnen eigenen bedrohlichen Zischen für das Geschenk des Lebens danken: auctorem uitae g a u d e t stridore m i n a c i | materies l a u d a r e necis. 284 In der MGH-Edition (1905) hatte Vollmer citet geschrieben, ist dann aber 1914 zu ciet zurückgekehrt. 285 Rossberg vergleicht 9,201 mente oculis attenta; 10,74 sit ut imber olor; 5,65 sponte petens tormenta cruces; satisf. 118 pectore mente rogans. 286 Das Verb begegnet bei Dracontius 23mal, darunter einmal auch in der Bedeutung „den Helmbusch schütteln“, s. Romul. 5,11 f. per proelia c r i s t a s | dum q u a t e r e t galeatus apex. Aber für eine Verbindung mit einem zu postulierenden asyndetischen Hendiadyoin caput barbam in der Bedeutung „bärtiges Haupt“ scheinen Belege zu fehlen. 287 Vgl. Ov. met. 1,266 (Notus) b a r b a grauis nimbis, canis f l u i t u n d a c a p i l l i s, | fronte sedent nebulae, rorant pennaeque sinusque; met. 11,655 uda uidetur | b a r b a uiri madidisque grauis f l u e r e u n d a c a p i l l i s. 288 Sie erinnert an 7,123 f. (s.  o.) oder auch an 7,78 f. (um zwei zufällige Belege herauszugreifen); s. ferner 8,546 f. (gladio uestigia nostra sequaci | captatum peruenit iter quicumque satelles); 9,167 f. und Anm. 271 (mit Verweis auf Vollmer 1905, 440b). Ganz üblich sind bei Dracontius Verschränkungen des Typs hoc ciues audite mei (10,176; vgl. 5,22).



Romul. VII (Epithal. Ioannis) 153 / VIII (Helena) 3 

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fehler barba quatiet. Nun aber störte das Asyndeton, also ergab sich caput barbamque. Übrig blieb tiet, das durch ciet wiedergegeben wurde.

VIII de raptv helenae 3 Der Dichter beginnt mit einem Prolog (1–30), dessen Inhalt Wolff wie folgt erläutert: „Celui-ci (sc. le prologue) expose d’abord le sujet (v. 1–3), puis le poète lance une invective contre l’adultère (v. 3–10), avant d’invoquer Homère et Virgile (v. 11–30).“ Wie in der Themenankündigung das Kolon aggrediar meliore uia (3) zu verstehen sei, hat die Philologen seit Ribbeck (462) beschäftigt289. Seine Klage, es werde nicht angedeutet, „in Vergleich zu welchem andern und inwiefern der beabsichtigte Weg der bessere sei“, hat zu einer Vielzahl von Lösungsvorschlägen geführt, die m.  E. zu Recht alle von Wolff (S. 115) für unzulänglich befunden wurden290. Baehrens hatte in seiner Ausgabe von 1883 unter Verweis auf Nemes. cyn. 63 meliore l y r a in den Text gesetzt. Aber uia wird durch iter (1) und das Verb aggrediar geschützt. Also sieht Wolff (ohne Baehrens zu nennen) meliore uia „synonyme du meliore lyra de Némésien, Cyn. 63“ und erläutert, der Dichter kündige damit an „qu’il se lance dans une nouvelle entreprise littéraire: après avoir écrit des œuvres de moindre importance, il aborde le genre de l’epyllion“291. Das Genre des ‚Epyllion‘ hatte Dracontius aber schon als Schüler des Grammatikers Felicianus für sich entdeckt, wie aus der Vorbemerkung zur Praefatio (Romul. I) hervorgeht. Das Widmungsgedicht empfiehlt dem verehrten Lehrer

289 Er wollte das überlieferte meliore uia zu m a i o r e uia ändern. 290 Die jüngeren Interpretationsversuche sind bei Bretzigheimer 366 f. und Kaufmann (2016) 238 mit Anm. 20 skizziert. Sie bewegen sich auf den Ebenen „literarischer Anspruch und experimentelle Neuerung“ (Weber 235), moralisierende Umdeutung, neuartige Zusammensetzung bestehender Motive, Ausrichtung an ethischen Normen (vgl. Simons 286 f., siehe ferner 292 f.), „Neuinterpretation und  … damit verbundene(r) Anspruch eines innovativen Dichters“ (Kaufmann 2016, 238). Nach Bretzigheimer (366) ist zu verstehen: „keine Neuerung durch Ausbrechen aus der Tradition, sondern eine Verbesserung im Sinne der aemulatio“; damit sei wohl zum einen gemeint „die komplexe Ausgestaltung des Themas zu einem Kleinepos (…), die Kombination unterschiedlicher Elemente und Kontamination verschiedener Quellen zu einem Gesamtgefüge“, zum anderen „die persönlichen Akzentuierungen bis ‚Berichtigungen‘ des überkommenen Materials.“ Ich verzichte auf eine Auseinandersetzung mit diesen Positionen in der Hoffnung, daß sich meine Erläuterung selbst rechtfertigt. 291 Von Bretzigheimer abgelehnt mit dem Argument: „setzt ein Corpus der profanen Werke mit geplantem Aufbau voraus“ (36716).

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 Kritischer Kommentar

das Hylas-Epyllion zur Lektüre und endet mit der Bitte (21): ergo deprecantis, oro, cinge lauro tempora. Widmungsgedicht und Epyllion wurden zusammen im Deklamationssaal des Felicianus vorgetragen (ubi dicta est [sc. Praefatio Dracontii discipuli ad grammaticum Felicianum] … cum fabula Hyllae). Im Helena-Prolog scheint es also nicht um ein höherwertiges literarisches Genre zu gehen, das Dracontius nunmehr in Angriff zu nehmen beabsichtigt, sondern um die Rechtfertigung seiner speziellen Themenwahl (nämlich den raptus Lacaenae und das nefas Paridis, quod raptor gessit adulter, 11). Das zeigt sein Anruf an die beiden Dichter Homer (12 ff.) und Vergil (19 ff.): Ein Thema, das beide Dichterfürsten übergangen haben, wählt er sich, der ruhmlose Poet: quidquid contempsit uterque | scribere Musagenes, hoc uilis colligo uates (22 f.). Mit dieser Themenwahl aber beschreitet er nach dem Originalitätsmaßstab, den Vergil selbst im Proöm zum 3. Georgicabuch gesetzt hat, d e n b e s s e r e n W e g, statt sich ein weiteres Mal an einem der vielbesungenen epischen Themen zu versuchen: georg. 3,3 cetera, quae uacuas tenuissent carmine mentes, omnia iam uulgata: quis aut Eurysthea durum, 5 aut illaudati nescit Busiridis aras? cui non dictus Hylas puer et Latonia Delos Hippodameque umeroque Pelops insignis eburno, acer equis? temptanda u i a est, qua me quoque possim tollere humo uictorque uirum uolitare per ora.

Es sind primär die Verse georg. 3,8 f., auf die sich Dracontius im dritten Vers seines Helena-Prologs durch die Formel aggrediar meliore u i a bezieht. Daß er dabei eine Junktur verwendet, die sich der äußeren Form nach (aber in inhaltlich ganz verschiedenem Zusammenhang) auch bei Lucan (9,394) und Statius (silv. 5,1,71) findet, darf nicht von seinem eigentlichen Bezugspunkt ablenken: Nur wenn das intertextuelle Signal, das zurück auf Vergils Georgica verweist, entschlüsselt wird, kann die darin versteckte Botschaft entziffert werden292. Seine neue Themenwahl hat gemäß dem Georgicaproöm auch deswegen als m e l i o r zu gelten, weil dort (georg. 3,6) ausdrücklich der H y l a s puer als eines der zum Überdruß besungenen Themen genannt wird. Mit einem solchen ‚Hylas‘-Epyllion aber hatte Dracontius seine Dichterlaufbahn begonnen. Das will er nun mit dem neuen Epyllion vom Raub der Helena b e s s e r machen, einer Thematik, die weder von Homer, noch von Vergil, den beiden größten Dichtern, berührt worden ist. Darin ist impliziert – ohne daß dies im Rahmen der humilitas-Topik

292 Ganz ähnlich steht es mit der versteckten Horazformel te diua in 8,229 (s.  u. ad loc.).

Romul. VIII (Helena) 3 



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des Proöms ausdrücklich gesagt werden könnte –, daß er, der uilis uates (23), sich Hoffnung machen darf, mit der neuen Thematik auf einem besseren Weg zu sein, der ihm (wie weiland Vergil) die Möglichkeit eröffnet, sich vom Staub der Erde zu erheben uictorque uirum uolitare per ora (georg. 3,9). Den Originalitätsanspruch, den Vergil zu Beginn des dritten Georgicabuches erhebt, hat sich auch Nemesian – mit breiter Entfaltung der Vergilischen Motivik – in seinen ‚Cynegetica‘ zu eigen gemacht. Das ist von R. Jakobi ausführlich dokumentiert worden293. Nemesian kombiniert das Originalitätsmotiv mit der Thematik der Gattungshierarchie: Durch die eingebaute Schiffahrtsallegorie werden die ‚Cynegetica‘ als ein didaktisches Werk zwischen Bukolik und Epos (einem angekündigten zeithistorischen Epos) gedeutet – auch dies wieder im Rückblick auf die Gattungsabfolge in Vergils Werkchronologie und auf das programmatische Proöm zum dritten Georgicabuch294. Der Vers selbst, in dem Nemesians meliore lyra die zentrale Stellung einnimmt (63 f.), weist im Sinne eines Schlüsselzitats auf das Georgicaproöm zurück:

Nemes. 63 f. georg. 3,46 f.

mox uestros meliore lyra memorare triumphos | accingar mox tamen ardentis accingar dicere pugnas | Caesaris.

Beide Dichter eröffnen mit diesem Vers die Ankündigung eines panegyrischen Epos295. Insofern bezieht sich die Formel meliore lyra bei Nemesian tatsächlich auf die Gattungshierarchie: das zeitgenössische Epos zum Ruhme der beiden Söhne des Kaisers (die anschließend kaum verbrämt als Patrone umworben werden) wird das an sich schon kühne Unternehmen der didaktischen Cynegetica-Dichtung296 noch übertrumpfen. Dracontius scheint dieses lange Nemesian-Proöm gekannt zu haben297. Vermutlich hat er das Attribut melior, das bei Nemesian die höhere Gattung, damit aber zugleich die panegyrische Thematik als „verdienstvoller“ einstuft, mit Vergils Motiv von der rechten Themenwahl verbunden, die

293 R. Jakobi, Nemesianus, ‚Cynegetica‘. Edition und Kommentar, Berlin/Boston 2014 (TK 46); s. dort S. 3. 66 f. 77 f. 84. 86. Vorausgegangen waren Schetter (1975 [= 1994, 177–181]) und J. Küppers, Das Proömium der ‚Cynegetica‘ Nemesians. Ein Exemplum spätlateinischer Klassiker­ rezeption, Hermes 115 (1987), 473–498. 294 Siehe Jakobi 77. 81 f. 84. 295 Siehe Jakobi 84. 296 So Jakobi 86. Bezeichnenderweise hatte Barth an dieser Stelle m a i o r e lyra gefordert, so wie Ribbeck später in Hel. 3 m a i o r e uia. 297 Jakobi (76) führt die pulcherrima Glauce aus Drac. Med. 369 (vgl. 552) auf Cyneg. 43 pulchraeque incendia Glauces zurück. Vielleicht darf man auch in Hel. 13 mollia blandifluo delibas uerba palato eine Reminiszenz an Cyneg. 76 haec uobis nostrae libabunt carmina Musae sehen (s.  u. Haupttext zu Anm. 307).

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 Kritischer Kommentar

auf möglichst unverbrauchte Sujets gerichtet sein müsse, wenn sie dem Dichter den Weg zum Ruhm eröffnen soll.

10 In dem Raisonnement über die Mutter als Garantin der echtbürtigen Stammesfortpflanzung298 verlangen Sinn, Wortfiguren und Reimtechnik, daß in Vers 10 das überlieferte mater zu matris geändert wird: Nur so erhält die Frage quota portio patris | omnis constat homo? die passende Antwort: matris fit tota propago. Durch sie wird bewußt der Bogen zur Eingangsthese nam totum de matre uenit zurückgeschlagen299. Der Genitiv matris nimmt also das doppelte d e m a t r e von Vers 7 auf (vgl. sine matre in 9)300: 7 nam totum d e m a t r e uenit, d e m a t r e creatur quod membratur homo; pater est fons auctor origo, sed nihil est m a t r e pater: quota portio patris 10 omnis constat homo? m a t r i s fit tota propago.

13 (11–30) ergo nefas Paridis, quod raptor gessit adulter, ut monitus narrare queam, te, grandis Homere – mollia blandifluo delimas uerba palato; quisquis in Aonio descendit fonte poeta, 15 te numen uult esse suum (…).

Dracontius wählt nicht die Muse, sondern Homer als (primäre) Inspirationsquelle. Dieser ist dafür besonders geeignet, weil er (v. 13) „aus seinem süß sprudelnden Mund schmeichelnd-zarte Worte hervorströmen läßt“ (an denen jeder Dichternovize sich zu laben vermag). Unmöglich kann in diesem lautmalerischen Vers, der das betörend weiche Dahingleiten des Homerischen Wortflusses nachahmt, die durch N überlieferte Lesart delimas („du schabst mit einer Feile ab“) einen Sitz haben301. Vielmehr wurde aufgrund des häufigen Austausches von 298 Bright vernimmt hier legalistische Töne (87). 299 Die zugrunde liegenden naturphilosophischen Vorstellungen sind bei Simons (224–226) erläutert. 300 Vgl. AL 798a,9 R2 non s i n e m a t r e puer, non est sine uite Lyaeus. 301 Sie steht in allen Ausgaben seit Vollmer (1905). Zu den vielfältigen Verbesserungsvorschlägen s. Weber 235 f. mit Anm. 39; Bretzigheimer 36717.



Romul. VIII (Helena) 10. 13 (11–30) 

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b/u302 das ursprüngliche delibas303 („du läßt [zartfließende Worte] wie eine Weinspende [aus deinem Mund] hinabrinnen“)304 als deliuas wiedergegeben und deshalb im 15. Jh. vom Schreiber N als delimas verkannt305. Wenn man die drei übrigen Belege für metaphorisches delimare in ThLL V 1,457, 80 ff. mustert306, sieht man sofort, daß Drac. Romul. 8,13 dort ein Fremdkörper ist. Dracontius hat für sein Lob Homers vermutlich eine sprachliche Anleihe aus dem NemesianProöm (Cyneg. 76 haec uobis nostrae libabunt carmina Musae) variiert307 und diese mit der Versklausel uerba palato verknüpft, die seit Horazens zweiter Satire (Hor. sat. 2,3,274 cum b a l b a feris annoso uerba palato) auch von Ovid, Persius und Prudentius genutzt wurde. Die Anakoluthie der Verse Hel. 11–30 erinnert sehr an die bekannte Verquickung von Anruf und Prädikation der Göttin Venus im ersten Proöm des Lukrez. Die zunächst beabsichtigte Bitte um Inspiration an die Adresse Homers (11 f.) wird gleich zu Beginn durch eine zwischengeschaltete Prädikation der besonderen Qualitäten dieses göttergleichen Dichters unterbrochen, der geeignet sei, den Platz der inspirierenden Muse einzunehmen (13–18). Bevor nun der Beginn des Anrufes wieder aufgenommen und weitergeführt werden könnte, schließt sich an die Skizze der Homerischen Ilias (17 f.) rasch noch eine dreizeilige Würdigung Vergils und seiner Aeneis an (19–21)308. Damit gleitet der Gedanke weiter ab von der intendierten Invocatio Homers (mit der Bitte um Inspiration für eine angemessene Darstellung der Paris-Helena-Thematik) zu der Feststellung: „Einen Anruf der Muse benötige ich für mein Gedicht nicht; mir genügen der unsterbliche Homer (mit seiner Ilias) und Vergil (mit seiner Aeneis) – und so rufe ich denn eure beiden Gottheiten an, wenn ich um Beistand bitte für ein Thema, das ihr beiden Musenabkömmlinge nicht für würdig befunden habt (gleich einem Fuchs, der zufrieden ist mit dem, was ihm die Löwen von ihrer Beute übriglassen, seien es auch nur die nackten Knochen). Als die maßgeblichen Repräsentanten der griechischen und lateinischen Troja-Epik bitte ich euch, nennt mir die Ursache, 302 Siehe die orthographischen Tabellen Vollmers (1905), dort S. 446. 449. 451. 303 Iannelli hatte delibes geschrieben (den gleichen Vorschlag machte unabhängig Schenkl 1873, 519), Baehrens delibans. 304 Man beachte die „weichen“ m/l/b/o-Laute in mollia blandifluo delibas uerba palato. Bretzigheimer verweist im Anschluß an Brugnoli auf Boeth. cons. 5 carm. 2,3 m e l l i f l u i canit o r i s H o m e r u s (36823). 305 Siehe demnächst M. Deuferts Kommentar zu Lucr. 3,11 (wo man jüngst vergeblich versucht hat, das korrupte limant der Hss gegen das von Avancius hergestellte libant zu verteidigen). 306 Novell. Iust. 61,1,3 iam … haec sufficienter delimata atque sancita sunt (6. Jh.), Pass. coron. 1 (artis huius delimare sermonem); Lib. pontif.  p. 117,18 delimato sermone (6. Jh.). 307 Siehe o. Anm. 297. 308 Über die Erzählform, die dabei verwendet ist, s.  o. den Text zu Anm. 194.

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 Kritischer Kommentar

die Alexander-Paris veranlaßt hat, sich eines Raubes schuldig zu machen und eine Beute aus Sparta zu entführen“. Auf diese Weise mündet der Auftakt der Invocatio 11 f. ergo nefas Paridis, quod raptor gessit adulter, ut monitus309 narrare queam, te, grandis Homere –

schließlich in die an Homer und Vergil, die beiden größten Dichter griechischer und lateinischer Zunge (28), gemeinsam gerichtete Bitte: uulgate, precor, quae causa nocentem 30 fecit Alexandrum, raptu ut spoliaret Amyclas.

Damit soll zugleich suggeriert werden, daß Dracontius bei der Wahl dieses Themas die Absicht geleitet hat, einen Beitrag zur Vervollständigung des Trojanischen Epenzyklus zu leisten, indem er die Vorgeschichte dessen nachträgt, was Homer und Vergil in Ilias und Aeneis besungen haben.

33 Im Anschluß an das Proöm beginnt die eigentliche Erzählung mit dem Parisurteil. Den Auftakt bildet die Szenerie, die seit Vollmer (1905) in folgender Textform gedruckt wird: 31 Caelicolum praetor iam sederat arbiter Idae: iam gremium caespes, iam surgens herbida tellus stabat et aetherium fuerant herbosa tribunal. soluerat Iliacus caeli uadimonia pastor (…),

309 Die neueren Philologen verbinden monitus mit dem Pronomen te, das sie als abl. auct. bestimmen (Bretzigheimer 36717 mit Verweis auf Grillo 1988, 120–124 und Weber 235 f.), obwohl auch ein Spätling wie Dracontius kaum an der Konstruktion (ad)monitus a te vorbeigekommen wäre. Grammatisch steht hier monitus absolut („inspiriert“), der Urheber der Inspiration ist aus dem Zusammenhang zu ergänzen; te ist Akk.-Objekt zu einem intendierten Verb inuoco, das nach den oben geschilderten gleitenden Gedankenverschiebungen in Vers 22 dann in Form von numina uestra u o c a n s auftritt. Dem Partizip monitus liegen die bekannten Musenanrufungen Vergils, Ovids und späterer Dichter zugrunde, s. Verg. Aen. 7,41 tu uatem, tu, diua, mone; Ov. fast. 1,467 Ipsa mone, quae nomen habes a carmine ductum; 3,261 Nympha, mone; 5,447; Val. Fl., 1,5; 6,34.



Romul. VIII (Helena) 11–30. 33 

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„Schon war der Richter des Ida als Prätor, der das Urteil über die Göttinnen fällt, zu Gericht gesessen“: Wenn es bei der Schilderung einer Amtshandlung heißt, der Imperiumsträger, sei es der rechtsprechende Prätor310, sei es der Konsul, habe seinen Sitz eingenommen, wird der Gegenbegriff stare üblicherweise jener Person zugeordnet, die vor der sublimis cathedra des Amtsträgers steht, um dessen offiziellen Bescheid (oder dessen Anweisungen beim Ablegen des Amtseides) entgegenzunehmen311. In Hel. 31 f. aber soll ein Stück ansteigenden kräuterbewachsenen Erdbodens „stehen“312, obwohl das anaphorische iam die Erwartung weckt, daß die Kola gremium caespes und surgens herbida tellus313 dem gleichen Prädikat zugeordnet sind. Dieses kann aber im Falle von iam gremium caespes niemals stabat, allenfalls das Hilfsverb fuerat sein, das aus dem folgenden fuerant (33)

310 Der Dichter spielt bewußt mit der Übertragung der römischen Gerichtsbarkeit in die freie Natur. Deshalb ist die von Bücheler und Ribbeck (462) eingeführte Ersetzung des überlieferten praetor durch pastor (dieser Begriff folgt 34) unzulässig (Brugnolis Votum zugunsten der Änderung pastor [1998, 197–199] kann nicht überzeugen). Die in juristischen Zusammenhängen typische Junktur praetor … sederat darf nicht angetastet werden; sie bildet zusammen mit gremium (hier für sedile gewählt), tribunal und uadimonia das juristische Kolorit, das die Stelle prägen soll (s. anschließend die Anmerkungen 311 und 316, ferner Grillone 2006, 92 mit Verweis auf Santini 256–261). Dem caelicolum praetor entsprechen die caeli uadimonia. Der arbiter Idae (so Stat. Ach. 1,67) begegnet wieder als bonus arbiter Idae in 221, während der Iliacus … pastor (34) von Dracontius nicht pastor Idae, sondern (neben Idaeus pastor, 148) pastor ab Ida genannt wird, s. 117 und 2,104. 311 Vgl. Liv. 43,15,5 ad tribunal praetorum stans; Tac. ann. 16,30,3 steteruntque … ante tribunal consulum. Besonders aussagekräftig ist eine Stelle aus dem Trajan-Panegyricus des Plinius, in der auch zum erstenmal das Wort g r e m i u m in der Bedeutung sedile oder consulis sella (64,1) belegt ist: Plin. paneg. 64,2 imperator ergo et Caesar et Augustus pontifex maximus stetit a n t e g r e m i u m c o n s u l i s, seditque consul principe ante se stante, et sedit inturbatus interritus, et tamquam ita fieri soleret. quin etiam sedens stanti praeiit ius iurandum, et ille iurauit  (…). Der Tenor dieser Stelle erinnert an Vulg. Ps. 118,23 (etenim sederunt principes et aduersum me loquebantur, seruus autem tuus exercebatur in iustificationibus tuis), die von Ambrosius wie folgt zitiert und kommentiert wird: hoc est: ‚me stante sederunt principes‘ et, quia tribunalium fulcro sublimes erant, dominum non uidebant (Ambr. in psalm. 118, serm. 3,42,2). – Zu gremium in der Bedeutung ‚substramina‘, ‚sedes arte factae‘ s. ThLL VI 2,2324,33 ff.; Belege für die spe­zielle Bedeutung ‚sedile‘, ‚tribunal‘ findet man dort Z. 39 ff. (die Glossae übersetzen gremium als ‚sinus et praefectoria sedes‘). 312 Schenkl sucht dies durch Ov. fast. 5,383 (saxo stant antra) zu verteidigen (Schenkl2 515); aber surgens tellus und stare gehen nicht gut zusammen. Ellis (257) muß bei seinem Versuch, die Überlieferung durch eine Paraphrase zu rechtfertigen, dem lateinischen Text so viele Ergänzungen und Querverbindungen abringen, die dort nicht stehen, daß er in Wirklichkeit das Überlieferte in Frage stellt. 313 Vgl. Hyl. 129 f. Hylas … petebat | h e r b i d a quod uitreum t e l l u s perfuderat antrum.

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 Kritischer Kommentar

herauszuziehen wäre. Zumindest das Verb stabat scheint also korrupt zu sein314. Dies wird durch die Überlegung bestätigt, daß in der überlieferten Fassung das aetherium tribunal allein durch das substantivierte Neutr. Plur. herbosa315 definiert würde: das „kräuterreiche“ Gefilde (?) allein müßte das „Tribunal unter freiem Himmel“ ausmachen316. Aber ohne die beiden erstgenannten Elemente (gremium de caespite und surgens herbida tellus) fehlen die wesentlichen Charakteristika eines (metaphorischen) Tribunals. Man darf also erwarten, daß sich hinter stabat ein Substantiv verbirgt, das durch das folgende herbosa näher qualifiziert wird und sich zusammen mit caespes und surgens herbida tellus metaphorisch als aetherium … tribunal verstehen läßt. Unter Berücksichtigung der sachlichen, metrischen und paläographischen Bedingungen kommt nur das von Baehrens eingeführte pascua317, allenfalls noch gramina in Frage318. Dabei ist vorausgesetzt, daß das anschließende et  – wie häufig – in Postposition steht, also zu konstruieren ist: iam gremium caespes, iam surgens herbida tellus et pascua herbosa fuerant aetherium tribunal. Demnach hatten „ein Graspolster als Sitz“ (für den als Prätor fungierenden Richter), eine kräuterbewachsene Bodenerhebung319 und ein gras- und blumenreicher Weideplatz das Tribunal unter freiem Himmel gebildet, das den Schönheitswettbewerb

314 M. Deufert beanstandet auch das Imperfekt (stabat) als falsches Tempus; denn das Tribunal sei ja bereits vorbei, die Entscheidung schon gefallen (s. soluerat 34). 315 Für eine solche absolute, substantivierte Verwendung des Adjektivs scheint es keine Parallele zu geben. In dem einzigen verwandten Beleg (Ambr. Abr. 2,6,27 pastores sunt magistri gregum uel diligentes et sobrii, [uel] non sinentes a g r o r u m c u l t a obteri pedis uestigio atque aduri dentibus, uel neglegentes et remissi, qui non reuocent pecus suum, quo h e r b o s a et n o n f r u c t u o s a pascantur, sed libere uagari per uarios a g r i fructus sinant) bleibt der Bezug zu dem Genitivattribut agrorum gewahrt. 316 Die Junktur aetherium tribunal bedeutet nicht, wie Vollmer (1905) 315 erläutert (Wolff schließt sich ihm an), ‚tribunal unde de deabus iudicetur‘, sondern „Tribunal unter freiem Himmel“ (während üblicherweise das Tribunal in einem Gebäudekomplex untergebracht ist, vgl. etwa Val. Max. 3,7,1a nam cum oppidum Badiam circumsederet, t r i b u n a l suum adeuntis i n a e d e m, quae intra moenia hostium erat, u a d i m o n i a in posterum diem facere iussit continuoque urbe potitus et tempore et loco, quo praedixerat, s e l l a p o s i t a ius eis dixit. 317 Pascua hatte Baehrens in den Text gesetzt (und cliuosa für herbida erwogen), Ribbeck iam stabula vorgeschlagen (paläographisch inakzeptabel, weil zusätzlich das anschließende et weichen müßte, auch von Schenkl 515 abgelehnt). 318 Gramina aber kann nicht leicht „Grasfläche“, im Sinne von pratum bedeuten, vgl. satisf. 277 fulmina non feriunt reptantia gramina terris („das am Boden entlangkriechende Gras“ [im Gegensatz zu den hochragenden Eichenbäumen], s. Romul. 5,312 gramina non tangunt, feriunt sed fulmina quercus). 319 Vielleicht soll verstanden werden: eine kräuterbewachsene Bodenerhebung mit einem erhöhten Graspolster als Sitz für den Prätor?



Romul. VIII (Helena) 33. 53 

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der Göttinnen entschied. Aus dem Vergilepitaph mit dem schließenden p a s c u a rura duces ist jedermann geläufig, daß pascua den spezifischen Aufenthaltsort des Schäfers (und seiner weidenden Herde) bezeichnet320. Die herbosa pascua aber konnte Dracontius bei Ovid finden: met. 2,689 f. diuitis hic (sc. Battus) saltus h e r b o s a q u e p a s c u a Nelei | nobiliumque greges custos seruabat equarum. Ausgangspunkt der Verderbnis war vermutlich die in den Handschriften geläufige Wiedergabe des Buchstabens b durch u und vice versa, siehe die langen Tabellen in Vollmers Indizes (1905), 446. 449. 451. Demzufolge wurde Pascua zu Pastba321, woraus dann durch Buchstabenmetathese Staba entstehen konnte.

53 Das Parisurteil hat den Tod nicht nur des richtenden Hirten selbst heraufbeschworen, sondern auch den der Eltern, Brüder und aller Verwandten in der Stadt (43 cunctos mors explicat una). Ja, wäre es doch bei dem bloßen Untergang Trojas geblieben! Das Los des Verderbens wird ganzen Völkern, ganz Griechenland zuerkannt. Drei Opfer werden besonders herausgestellt: Memnon (er kämpft auf Seiten der Trojaner), Achill und der Telamonier Ajax (46–52). Der Tod Achills wird auf die Primärursache der ganzen tragischen Verwicklungen (einschließlich des Parisurteils) zurückgeführt, die Hochzeit seiner Mutter Thetis mit Peleus322. Entsprechend könnte man (der Dichter führt die Analogie mit einem vorsichtigen forsan ein) auch den Untergang des Ajax mit seiner Mutter in Verbindung bringen, insofern die Weigerung Telamons, Hesione ihrem Bruder Priamus zurückzugeben323, ursächlich für den Raub Helenas war. Dieser aber führte zum Trojanischen Krieg, in dem (neben Ajax) ganze Völkerscharen zugleich untergingen, Kämpfer

320 Dracontius verwendet die Bezeichnung noch zweimal in der ‚Helena‘: 61 f. fontes casa p a s c u a siluae | flumina rura und 407 p a s c u a rura nemus fontes et flumina prata. 321 Hier ein paar verwandte Vertauschungen (-ba statt -ua) aus Vollmers Listen. S. 446: labare, serbant, oba, seba, noba, uolbantur, basta, barias, bago („sescenta alia“); S. 449 iuba, iubans, longeba, orbans (statt ouans); S.  451 (in der Handschrift B des ‚Orestes‘ hat der Korrektor auf Schritt und Tritt die vulgären b-Schreibungen zu u geändert): 18 lebata tollunt für leuat attollunt, 33 minerbales, 40 serbabat, 215 iubabit, 359 iubate. 322 Während der Hochzeit rollt Eris einen goldenen Apfel unter die geladenen Gäste mit der Aufschrift: „Der Schönsten“. Daraus entwickelte sich dann der Streit um den Schönheitspreis, den Paris später der Göttin Venus zuerkannte. 323 Sie war dem Telamon im früheren Krieg gegen das Laomedontische Troja von Hercules als Kriegslohn zugesprochen worden. Auf Salamis machte er sie zu seiner Ehefrau und Königin (s. DServ Aen. 8,157). Sie ist bei Dracontius die Mutter des Ajax. Diese Mythenversion liegt nach Schetter 306 sonst nur in der ‚Ilias latina‘ (624) und bei Dares (c. 19) vor.

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 Kritischer Kommentar

beiderlei Geschlechts (die Amazonen), und nach Beendigung der Kampfhandlungen selbst Kinder (Astyanax) nicht geschont wurden: 45 damnantur g e n t e s, damnatur Graecia sollers heu magnis uiduanda uiris: orbatur Eous Memnone belligero, damnatur Thessalus heros et Telamone satus, pereunt duo fulmina belli. pro matris thalamo poenas dependit Achilles, 50 unde haec causa fuit324; forsan Telamonius Aiax sternitur inuictus, quod mater reddita non est Hesione Priamo: sic est data causa rapinae, cur g e n t e s cecidere simul, cum sexus uterque concidit, infanti nullus post bella pepercit.

Schetter hat gezeigt, daß schon in den Quellen des Dracontius beide Kriegsursachen („die Wegführung der Hesione“325 und der Raub Helenas) eng ineinander verwoben waren; Eigentümlichkeiten des Dracontius seien auf dessen eklektische Aneignung des griechischen Dares (oder sonstiger gemeinsamer Quellen) zurückzuführen326. Es gab demnach eine mythographische Tradition, in der die Frage nach der uera causa der Iliupersis (s. Serv. Aen. 10,90) nicht mit dem raptus Helenae, sondern mit der Hesione-Episode beantwortet wurde. Im ‚Dares Latinus‘ wird der Kausalzusammenhang in dem Augenblick verdeutlicht, als Paris mit Helena und reicher Beute nach Troja zurückkehrt: Dares 11 p. 13,10 Priamus gauisus est sperans Graecos ob causam recuperationis Helenae sororem Hesionam reddituros et ea quae inde a Troianis abstulerunt.

Priamus sieht also in der geraubten Helena ein Faustpfand, das sich die Griechen – wie er hoffte – gegen die Rückgabe seiner Schwester Hesione und der aus Troja entführten Beute zurückholen würden. Unabhängig von der Gewichtung der beiden Kriegsursachen macht der überlieferte Text in Vers 53 Schwierigkeiten. Wie ist der Anschluß 52 f.                         sic est data causa rapinae, cur gentes cecidere simul, cum sexus uterque concidit

324 Zur Interpunktion s. Grillone (2006) 103. 325 R. Jakobi erinnert an Wageners ‚Beitrag zu Dares Phrygius‘ (1879), das Zitat dort 120 f. 326 W. Schetter, Dares und Dracontius über die Vorgeschichte des Trojanischen Krieges (s. das Literaturverzeichnis), bes. (1994) 304.



Romul. VIII (Helena) 53 

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zu verstehen? Durch die Weigerung, die Mutter Hesione dem Priamus herauszugeben, ist ein Grund für den Raub der Helena geliefert worden, der zum Trojanischen Krieg führte. Was hier in einem knappen Relativsatz zusammengefaßt wurde, scheint sich nicht leicht durch c u r gentes cecidere simul an den Vordersatz est data causa rapinae anknüpfen zu lassen. Korrekt scheint die Konstruktion data est causa, cur (…), nicht aber causa rapinae, cur. Man könnte versuchen, simul als Kopula in Postposition zu fassen: sic est data causa rapinae s i m u l c u r gentes cecidere. Doch dies empfiehlt sich nicht327. Vielmehr wird die Junktur cecidere s i m u l durch Vers 43 (cunctos mors explicat u n a) gestützt; vgl. laud. 3,173 ff. (die drei Jünglinge im Feuerofen) frigidus ignis erat, gelidis incendia flammis | mirantur c e c i d i s s e s i m u l, non feruor anhelat | torridus aut aditum lambebat flamma camini (etc.); Alc. Avit. carm. 3,197 (Adam und Eva, aus dem Paradies vertrieben) tum terris c e c i d e r e s i m u l mundumque uacantem | intrant et celeri perlustrant omnia cursu; Aldh. carm. eccl. 4,32 undecies centena s i m u l c e c i d i s s e leguntur | milia per miseram moribundis ciuibus urbem. Das hier herausgestellte sprachliche Problem wird verschärft, wenn man daran denkt, mit Iannelli die Anapher cur gentes cecidere simul, cur (cum N) sexus uterque | concidit einzuführen328. In einer solchen Wortfolge wäre zudem eine Verschreibung von cur in cum kaum zu erwarten. Man wird also die in N überlieferte Konjunktion cum nur als ultima ratio aufgeben dürfen. Die Härte des Ausdrucks ließe sich leicht durch die Änderung causa rapinae, | qua („aufgrund dessen“ oder „infolge dessen“) gentes cecidere simul beseitigen329. Diesem Glät-

327 Zum Vergleich seien die folgenden Belege für kopulative Verwendung von simul bei Dracontius aufgeführt: Romul. 5, 295                                           merito te laeta c r e a u i, infantem gremio t e n u i simul ubera paruo urbs mater tremibunda d e d i cunabula p r a e s t a n s; 10,138 inuitos a c c i r e deos, u r g e r e Tonantem, | …, | 140 naturam t u r b a r e simul (Postposition); 10,562 o c c u p a t illa grauem funesto corpore currum,  ire furor recidens [v. ad loc.] taetros simul i m p e r a t angues (Postposition); 10, 580 i n s u r g u n t clipeis, r a p i u n t simul arma phalanges mortibus alternis et mutua fata m i n a n t u r; Orest. 852                              f u g i t hos simul a p p e t i t illos, Pyladis tantum facies non terret amici. 328 So zuletzt Grillone (2006), 99. 329 Qua und Cur (es ist die Majuskel am Versbeginn zu beachten) stehen sich paläographisch (und phonetisch) nahe; cur dürfte zudem durch das vorausgehende causa assoziativ begünstigt gewesen sein.

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 Kritischer Kommentar

tungsversuch stellt M. Deufert die Alternative entgegen, das überlieferte cur im Zusammenhang eines Asyndetons und gleichzeitigen Konstruktionswechsels zu sehen: Statt (sic est data causa) rapinae et belli Troiani war die Variation causa rapinae et causa, cur gentes cecidere simul beabsichtigt; dies wurde zusammengezogen zu causa rapinae, cur … simul, also ein asyndetischer Konstruktionswechsel vom Genitiv zum cur-Satz vollzogen.

59 Der Dichter fragt in 55 ff., ob es angemessen sei, daß der Zorn der Götter über das Parisurteil ganze Völker vernichte, ob eine solche Strafe (uindicta) vonnöten sei, um Menschen, die vom rechten Pfad abgeirrt seien (errantes), in Schranken zu weisen (coercere). Letztlich seien es ja die Fata (und zwar die impia fata)330, die einen Mann dazu bewegten, ein Wagestück auszuführen331; die Bestimmungen der Fata aber seien unausweichlich: 55 Sic dolor exsurgit diuum, sic ira polorum saeuit et errantes talis uindicta coercet? compellunt audere uirum fata, impia fata, quae flecti quandoque negant, quibus o b u i a numquam res quaecumque u e n i t, quis semita nulla tenetur, 60 o b u i a dum u e n i u n t, quibus omnia clausa patescunt.

Die Unabänderlichkeit der Schicksalsbestimmungen wird dem Leser in vier anaphorischen Relativsätzen (quae  – quibus  – quis  – quibus) geradezu eingehämmert: Im eigentlichen Sinne verantwortlich sind die impia fata, „die es nicht zulassen, daß sie zu irgendeinem Zeitpunkt einmal abgeändert werden, deren Bestimmungen zuwider niemals irgendetwas eintrifft, denen, während sie sich feindlich nähern, kein Weg v e r s p e r r t werden kann, denen sich alles Verschlossene öffnet“. In der Übersetzung habe ich an Stelle des unverständlichen tenetur (N) ein Verb gewählt, das dem auf Steigerung angelegten Gedankengang

330 Das heißt: die um das Los der Menschen unbekümmerten, die Menschen zu frevlerischem Handeln determinierenden Fata; vgl. Sen. Oed 1046 o Phoebe mendax, fata superaui impia; weniger grundsätzlich verwendet Dracontius die Junktur in Romul. 5,119 f. quid fata minaris | impia supplicibus? 331 In dem Stichwort (compellunt) a u d e r e (uirum) greift der Dichter seinen früheren emotionalen Ausruf wieder auf (37 f.): heu nescia mens est, | quae mala circumstent a u s u m dare iura Mineruae!



Romul. VIII (Helena) 53. 59 

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entsprechen dürfte332. Der Dichter spielt mit dem Begriff obuia uenire, indem zuerst gesagt wird, daß sich nichts in Gegenrichtung zu den ein für allemal festgelegten, unveränderlichen Fata bewegen kann (res nulla o b u i a u e n i t), dann, daß den feindlich heranrückenden Fata (o b u i a dum u e n i u n t) kein Weg verwehrt (oder versperrt) werden kann, ja, daß sich ihnen alles Verschlossene öffnet. Welcher lateinische Verbalausdruck verbirgt sich hinter tenetur? Büchelers tuetur scheint nicht brauchbar, da tueri auch vom späten Dracontius nicht passivisch verwendet wird. Auch wäre der Ausdruck „kein Pfad wird vor ihnen geschützt“ einigermaßen verschroben, wo doch zu erwarten ist: „kein Weg wird ihnen versperrt“ (oder „verwehrt“). Dem entspräche semantisch gut das von Baehrens im Apparat als Möglichkeit erwogene uetatur; vgl. Orest. 859 quos (sc. cibos) ne ore attingat Furia a c c u m b e n t e u e t a t u r (sc. Orestes). Aber wie das soeben gegebene Zitat zeigt, muß man sich auch bei Dracontius scheuen, uetare mit dem Dativ zu konstruieren; ein quis (= quibus) uetatur läßt sich auch in später Latinität nicht rechtfertigen. Man darf wohl damit rechnen, daß Dracontius das Spiel mit dem gleichen Wortmaterial in verschiedener Bedeutung über obvia uenire hinaus fortgesetzt hat. Das führt zu der Vermutung, daß er dem quae (flecti)  … n e g a n t (58) in 59 ein antithetisches quis (semita nulla) n e g a t u r folgen ließ. Wie man sich die Genese der Korruptel vorzustellen hat (dittographischer Silbenzusatz [te]ne… tur?), bleibt Spekulation333. Die Junktur als solche ist über jeden Makel erhaben, siehe etwa Sedul. hymn. 2,57 ff. Petrus per undas ambulat | Christi leuatus dextera: | natura quam n e g a u e r a t | fides parauit s e m i t a m334. Zu vergleichen sind

332 Wolffs erläuternde Wiedergabe S. 123 (er sieht in quis einen Dat. auct.): „par qui aucun chemin n’est respecté, quand ils s’avancent“, kann nicht überzeugen. 333 Das bewußte Spiel mit doppeltem obuia uenire in verschiedener Bedeutung (vgl. die Parallelen in Anm. 351) verbietet es, die Lösung des Problems darin zu suchen, daß man hinter dem zweiten obuia eine prädikative Bestimmung zu semita nulla tenetur im Sinne von obstructa vermutet. Aus semantischen und metrischen Gründen bliebe kaum ein anderes Prädikatsnomen als obsita übrig. Nach ThLL IX 2,191,25 ff. ist (unter Berufung auf die Glossae, aber auch auf Ael. Donat [= Serv. auct.] und Isidor) damit zu rechnen, daß in später Latinität obsitus auch für obsessus, vielleicht (aber das ist sehr unsicher, s. ThLL IX 2,156,13 ff.) auch für obsaeptus eintritt; vgl. DServ. Aen. 8,307 ‚obsitum‘ quasi insitum (‚fort. indutum‘ Thilo–Hagen) et o b s e s s u m et possessum tradunt; Isid. orig. 10,197 O b s i t u s, o b s e s s u s, id est undique insidiis conuallatus (= Gloss. V 124,23); ‚obsitus‘: περιβεβλημένος. o b s e s s u s, c i r c u m d a t u s uel coopertus. obuolutus, inuolutus. ‚obsita‘: obtecta, c i r c u m d a t a, o b s e p t a, i n c l u s a. Aber an der Abfolge quibus o b u i a  … u e n i t – o b u i a dum u e n i u n t sollte möglichst nicht gerüttelt werden. 334 Erst mittelalterlich ist das leoninisch reimende Doppeldistichon, das am Ende des Gedichts Avian. fab. 28,1–16 angefügt war. Es beginnt [28,17] uix castigatur c u i s e m i t a recta n e g a t u r.

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 Kritischer Kommentar

Hor. carm. 3,2,21 f. uirtus, recludens immeritis mori | caelum, n e g a t a temptat iter u i a; Ov. epist. 7,170 (freta) temporibus certis dantque n e g a n t que u i a m; Sen. Phae 224 solus n e g a t a s inuenit Theseus u i a s; Claud. rapt. Pros. 1 praef. 4 quas natura n e g a t praebuit arte u i a s; Coripp. Ioh. 6,767 f. n e g a t a m | temptat adire u i a m.

84 Zur Jahresfeier der Wiedererrichtung Trojas nach der Zerstörung durch Hercules versammeln sich Priamus und das ganze Königshaus zu Gebet und Opfer für Jupiter und Minerva. Den Festzug bilden auf der einen Seite Priamus und die männlichen Nachkommen, auf der anderen Hecuba und die Töchter. Unter den Söhnen, die Priamus folgen, werden Hektor, Troilus und Polites herausgehoben: 8,83 ad dextram genitoris erat fortissimus Hector, Troilus ad laeuam pauido comitante Polite; 85 cetera natorum turba stipata subibat.

Zu Recht hat man in Vers 84 das Attribut pauidus beanstandet335: Polites war, wenn man ‚Homer‘ (dem Schöpfer dieser Figur) glauben darf, nicht „ängstlich“, s. Il. 2,791 ff.; 15,339 f. Eine befriedigende Lösung des Problems wurde bisher nicht gefunden336. Sie liegt m.  E. in p a r i t e r comitante, was soviel wie una oder simul comitante bedeutet337. Gegen Ende des Epyllions werden eben diese drei Brüder 624–637 wieder zusammen eingeführt, als es gilt, Paris mit seiner geraubten Braut in Troja zu empfangen. Dort wird die enge Verbundenheit des Polites mit Troilus durch einen ausführlichen Vergleich erläutert: Polites folgt ihm in allem wie ein Schattenbild. Insofern könnte man dem Adverb pariter in 84 sogar besonderen Nachdruck einräumen: „Zur Rechten Hektor, zur Linken Troilus, auf Schritt und Tritt begleitet von Polites.“ Die Junktur pariter comitante ist zumindest seit Iuvencus geläufig, siehe: Iuvenc. 3,626 inde (sc. ex castello) asinam pariter fetu comitante repertam | ducere; Cypr. Gall. gen. 1062 (senior) libens fratre pariter comitante recurrit; Coripp. Ioh. 1,390 germano pariter comitante beato;

335 Siehe Wolff (1996) 12653. 336 Siehe Wolff (2015) 362. Auch Grillone (2006) 101–103 führt nicht zum Ziel. 337 Siehe ThLL X 1,281,74 ff., dort auch der Hinweis, daß der Grammatiker Charisius (p. 244,20 B.) pariter ‚inter adverbia congregandi affert‘.



Romul. VIII (Helena) 59. 84. 229 

Ioh. 7,374

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ductoris iussu hostes explorare tribunus Caecilides numero pariter comitante feroci uectorum egreditur.

Nachdem die ersten vier Buchstaben von pariter zu paui- verschrieben waren, folgte zwangsläufig die Angleichung der Endung -ter an das benachbarte comitante, also pauido.

229 Paris brennt darauf, seine bisherige Hirtenexistenz durch ruhmvolle Taten vergessen zu machen (215 ff.), und schickt sich an, mit einer Kriegsflotte durch die Ägäis zu segeln (219, vgl. 222). Da beauftragt ihn Priamus, eine Gesandtschaft zu Telamon nach Salamis zu führen, um seine Schwester Hesione zurückzufordern. Als Abschluß seiner Rede verkündet er (woher er sein Wissen hat, erfahren wir nicht), daß Venus dem Tatendurstigen, während er dorisches Gebiet durchquert, eine Gattin bescheren wird: 228                                                        (‘…) dum Dorica regna peragras, dat Venus uxorem, faciet te †uno (ex une N) maritum’. K. Pohl erinnert (brieflich) daran, daß bereits Venus selbst dem Paris auf dem Ida eine schöne Gattin (noch unbekannten Namens) versprochen hatte, s. 64 f. ex quo pulchra Venus talem promisit in Ida, | qualis nuda fuit: talem iam pastor anhelat. Wie erfährt Priamus davon? Bei Dracontius bleibt dies im Dunkeln. Vermutlich hat er seine Dares-Quelle eigentümlich umgestaltet. Im Dares Latinus hört nämlich Priamus die Geschichte aus dem Mund des Paris selbst: Dort erbietet sich in Kap. 7 Alexander-Paris, an Stelle des zögernden Hektor die Flotte nach Griechenland zu führen, im Vertrauen auf die Hilfe der Götter; denn Venus habe ihm anläßlich des Schönheitswettbewerbs (der dort als Traumgeschehen erzählt wird) für die Zuerkennung des ersten Preises die schönste Frau Griechenlands als Gattin versprochen (daturum se ei uxorem quae in Graecia speciosissima forma uideretur). Danach heißt es (p. 9,12): unde s p e r a r e P r i a m u s Venerem adiutricem Alexandro futuram. Trotz der Warnungen des Sehers Helenus, der den Untergang Trojas und den Tod der Eltern und Brüder prophezeit, wenn Paris mit einer griechischen Braut zurückkehre (Graios uenturos, Ilium euersuros, parentes et fratres hostili manu interituros338, si Alexander sibi uxorem de Graecia adduxisset), ernennt Priamus den Alexander zum Führer der Flotte und gibt ihm Deiphobus, Aeneas und Polydamas als Begleiter zur Seite. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

338 Vgl. Drac. Hel. 41 ff. damnantur morte p a r e n t e s, | damnantur f r a t r e s, et quisquis i n u r b e propinquus | aut cognatus erat, cunctos mors explicat una. | atque utinam i n f e l i x u r b s tantum morte periret! | damnantur gentes, damnatur G r a e c i a sollers | heu magnis uiduanda uiris.

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 Kritischer Kommentar

Seit Vollmer bieten die Ausgaben in 229 wieder Duhns Text faciet te Iuno maritum339. Vollmer war der Auffassung340, Juno sei hier als pronuba eingeführt, Priamus habe den Zorn der Göttinnen übersehen. Aber im späteren Verlauf der Erzählung ist von einer förmlichen Hochzeit während der Reise, gar unter Aufbietung einer pronuba, keine Spur zu finden341. Paris wird im Seesturm nach Zypern verschlagen (427 C y p r o  … resedit; 429 C y p r u m tenuere simul, sc. rates); dort wird gerade das Geburtsfest der Venus gefeiert (435 C y p r o festa dies natalis forte Diones | illa luce fuit). Helena lädt den strahlenden Jüngling in ihr Haus und verliebt sich in ihn (490 ff.); denn der kleine Amor hat im Auftrag seiner Mutter Venus ihr Herz durch Liebespfeile entflammt (495 ff.). Für Juno, die im Schönheitswettbewerb vom arbiter Idae schnöde abgewiesen worden war, ist hier kein Platz. Da man Priams Ansprache an Paris vor dessen Seereise auch als eine Art Propemptikon verstehen darf (schon 245 stechen die Schiffe in See) und der für Paris entscheidende Höhepunkt der Reise auf dem Venusfest in C y p r u s erreicht wird, liegt es nahe, die Korruptel des Abschlußverses dieses Propemptikons durch faciet te diua maritum zu heilen, so daß man eine Reminiszenz an den Auftakt von Horazens Vergil-Propemptikon sic te diua potens C y p r i (carm. 1,3,1) gewinnt. Die gehobene Sprache in diesem Schlußvers dürfte sich gut zu der pretiösen Anrede fügen, die Paris in seiner Antwort an Priamus richtet: paremus ouantes342| optime Troiugenum343. Wenn man bedenkt, daß zwei Verse zuvor (226) Telamona zu talamona verschrieben wurde344, so konnte auch te diua zu te une verschrieben (und dann zu te uno) korrigiert werden. Wenn man aber anzuneh339 Iannelli hatte teque una geschrieben, Baehrens te iure; Rossberg wollte te uirgo lesen (Rossb2 477); aber weder Venus noch Helena sind uirgines. – Der Apparat-Eintrag von Baehrens zu 229 ‚puto Det (= dabit)‘ wird hier nur erwähnt, weil er Bright (103 mit Anm. 28) veranlaßt hat, die beiden Verbformen dat (Präsens mit Futurbedeutung) … faciet in det … faciat zu verändern: „Priam is expressing the hope that Paris will meet a suitable young lady on his travels“ (so 26428) – ein erstaunliches Abgleiten in die Trivialität angesichts des schicksalshaften Verhängnisses (Helena als Lohn für den Schönheitspreis – zugleich Ursache des Untergangs Trojas)! Der König bringe lediglich „a friendly wish“ zum Ausdruck (103): „If Priam were actually reflecting the promise of Venus, why should he mention Juno, who certainly wants nothing good for Paris? But Juno Pronuba [siehe gleich anschließend Vollmer] is the appropriate goddess to invoke for marriage; Priam’s wish is quite formulaic.“ Kein Wort davon, daß Iuno bloße Konjektur ist, deren Berechtigung erst noch zu erweisen wäre. 340 Siehe Vollmer (1905) 304 s.v. Iuno. 341 Das gilt auch für den Dares Latinus (s. S. 107). 342 Die Formel ist aus Verg. Aen. 3,189 oder 4,577 übernommen. 343 Allerdings verwendet Dracontius das an sich erlesene Wort (vgl. die Anrede an den Seher Helenus in Verg. Aen. 3,359 f. Troiugena, interpres diuum, qui numina Phoebi, | qui tripodas, Clarii lauros, qui sidera sentis) noch viermal. 344 Vgl. 262 Telamon] talamon N.

Romul. VIII (Helena) 229. 318 f. 



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men hätte, daß in Npc (uno) die Lesart der Vorlage wiedergegeben wird, nachdem der Kopist N zunächst durch Einfluß von te fälschlich une geschrieben hatte, so wird man in der handschriftlichen Überlieferung genügend Vertauschungen von schließendem -a/-o finden, um auch eine Rechtfertigung für die Verderbnis te diua → te uno zu gewinnen345.

318 f. Telamon ist über die von Antenor, dem ersten Sprecher der Gesandtschaft, vorgebrachte Rückforderung der Priamus-Schwester Hesione (die inzwischen Telamons Frau geworden ist) so aufgebracht, daß er eine Kriegsdrohung anklingen läßt: „Wenn ihr meint, die griechische Kriegsmannschaft, die ihr, Phryger, während des (ersten) Kampfes (um Troja) kennengelernt habt, sei seit den Zeiten meines Schwiegervaters (Laomedon) in die Greisenjahre gekommen, so wisset: es ist ein kriegstüchtiges Geschlecht in den Waffendienst nachgerückt, wie es sich jeder Heerführer wünscht“ – und nun werden die wichtigsten Kämpfer der neuen Generation aufgezählt, angefangen vom Telamonier Ajax über Achill bis zu Teuker und Odysseus. Sie alle freuen sich darauf, so die Botschaft, sich gegen das wiedererstandene Troja zu beweisen: 316 temporibus346 soceri senuit si Graia iuuentus, quam nostis347 per bella, Phryges: successit in armis bellipotens ducibus cunctis optata propago:

345 Vgl. wenig später 259 salutato] sol- N. Zu diu-/un- sei an (umgekehrte) Verderbnisse des Typus 237 iuuentam] iuuientam (N) erinnert; vgl. auch 238 tria] tua N; 247 aquis] aqius N. 346 Dies ist ein kühner Abl. temporis, der auch den Ausgangspunkt (~ a temporibus mei soceri) oder die von da an gerechnete Zeit (~ post tempora mei soceri) bezeichnen kann, siehe Kühn.– Stegm. I 356 (b); Hofm.–Sz. 148 (b). Ribbeck (466) und Baehrens haben temporibus soceri noch zum voraufgehenden Satz geschlagen (mit Punkt nach soceri) und dann mit Bücheler (der dies nachträglich wieder verwarf) senuit sic Graia iuuentus? als rhetorische Frage genommen. Aber das scheitert am Perspektivwechsel: Zuvor wird aus der Sicht des Ajax von m a t r i (Hesione) donasset a u u s (Laomedon) gesprochen (315); das kann nicht in einem Atemzug mit temporibus s o c e r i verbunden werden; denn „Schwiegervater“ ist Laomedon nur aus der Perspektive des Telamon. Der bloßen rhetorischen Frage senuit sic Graia iuuentus? aber fehlt ohne Bezug zu temporibus soceri und ohne den folgenden erläuternden Relativsatz quam nostis per bella (dazu anschließend) eine sinnvolle Einbettung in den Zusammenhang. 347 So Vollmer, nostris N. Baehrens hat die N-Lesart als Ausgangspunkt für seine Änderung aruis statt armis genommen und möchte quam nostris per bella, Phryges, successit in a r u i s | bellipotens … propago! als Ausruf verstehen. Aber die Griechen haben nicht zwischenzeitlich „auf ihren Gefilden“ Krieg geführt, in dem die neue Kampfmannschaft „nachgerückt“ wäre. Auch

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 Kritischer Kommentar

est mihi bellipotens non uilis pignoris Aiax; 320 eminet348 et quaerit, de qua iam gente triumphet; Thessalus Emathia fratris nutritus Achilles349 emicat et toruos exercet in arma biformes Patroclo populante simul Centaurica lustra; Tydides Sthenelusque fremunt Aiaxque secundus; 325 Nestoris Antilochus, Palamedes Teucer Vlixes exultant quod Troia redit, quod Pergama surgunt.

An dem doppelten bellipotens in 318/319 hat nach Baehrens auch Wolff Anstoß genommen (147185, wo mit einem Überlieferungsfehler gerechnet wird). Baehrens änderte das erste bellipotens (318) in armipotens (von Diaz de Bustamante mit ‚fortasse recte‘ geadelt)350 und rechnete dabei mit irrigem Ausfall durch Influenz des voraufgehenden armis. Eine überzeugende Verbesserung käme dabei nicht zustande. Dracontius scheut Wortwiederholungen nicht; oft sind sie durch semantische oder stilistische Variationen gerechtfertigt; aber auch das Streben nach anaphorischer Nachdrücklichkeit ist ihm zureichende Legitimation351. Dies dürfte auch hier in 318 f. gelten: zunächst wird bellipotens auf die gesamte nachgewachsene Generation bezogen, anschließend mit Nachdruck auf deren herausragenden Kämpfer, Telamons Sohn Ajax. In der folgenden Anrede (328) wird Telamon selbst dann von Polydamas als b e l l i g e r a r m i p o t e n s, animarum iudicis heres angesprochen: eine submissa uoce vorgetragene steigernde Variation, um den aufgebrachten König wieder zu besänftigen352. Rossbergs succrescit (Rossb1 11) ist nicht hilfreich: Das Präsens nimmt der impliziten Drohung ihr Gewicht (die Jungmannschaft wächst erst noch nach, ist also noch nicht voll einsatzbereit?). 348 Vollmers imminet geht fehl: Wie anschließend Achill e m i c a t (322), so zeichnet sich auch Telamons Sohn vor den übrigen aus: e m i n e t ! Bei dem überall sichtbaren Bestreben des Dracontius, wirkungsvolle Assonanzen und Alliterationen zu gewinnen, wird man den Dreiklang eminet – Emathia – emicat nicht für ein Spiel des Zufalls halten. 349 Achill ist fratris mei , Emathia nutritus. 350 Dagegen meldet sein Rezensent Grillone (1982) 53311 Bedenken an. 351 Siehe das Register s. v. „Wiederholungen“ und „Variationen“. 352 Wollte man einen Eingriff in den überlieferten Text erwägen, müßte man bei dem zweiten bellipotens (319) ansetzen. Die vorausgesetzte Situation (König Telamon antwortet der Gesandtschaft des Priamus, in erster Linie dem Sprecher Antenor) hat ihre Entsprechung im 7. Buch der Aeneis, wo König Latinus der zu ihm gekommenen Gesandtschaft des Aeneas, insbesondere deren Sprecher Ilioneus, antwortet: Aen. 7,267 uos contra regi mea nunc mandata referte: | est mihi n a t a, etc. (es folgt in 271 f. qui sanguine nostrum | n o m e n i n a s t r a f e r a n t). Daraus könnte man bei Dracontius den folgenden Wortlaut abzuleiten versucht sein: Hel. 299 Priamo, Troes, mea dicta referte: (…) / 319 est mihi p r o g e n i e s n o n u i l i s p i g n o r i s Aiax (vgl. Sil. 8,404–407). Aber der klugen Einrede Katharina Pohls ist es zu verdanken, daß sich diese Konjektur nicht im kritischen Apparat der neuen Teubneriana festgesetzt hat.



Romul. VIII (Helena) 318 f. 361 

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361 Das von Vollmer (1905) eingeführte ueniale precatus (ueniale uenatus N) ist auch in Wolffs Budé-Edition (1996) übernommen, obwohl Rossberg lange vor Vollmer mit der leichten Änderung u e n i a l e m i n a t u s das Ursprüngliche wiedergefunden hatte, man vgl. die Versschlüsse in laud. 2,496 (sed quia caelestis pietas u e n i a l e m i n a t u r) und satisf. 121 (nam qui inimicorum culpis u e n i a l e m i n a r i s). Dort ist jeweils von den „gnädigen“ Drohungen Gottes die Rede, der in seiner Milde die Sünder durch leichte Strafen bessert und ihnen Verzeihung gewährt. Im Zusammenhang des Helena-Passus hat der Dichter das Verhältnis zwischen dem Drohenden und dem, der Verzeihung gewährt, verschoben. Es wird dort die Reaktion des Telamon auf die Ausführungen des Antenor und Polydamas (den Sprechern der von Paris angeführten Gesandtschaft aus Troja) in einem Löwengleichnis gespiegelt. In Stichworten skizziert: Telamon ist der Löwe, Antenor und Polydamas teilen sich die Rolle des Jägers. Antenor hatte in seiner Rede (unter falschen Voraussetzungen) den Bogen beinahe überspannt, so daß Telamon iusta succensus in ira (291) antwortet. Polydamas  – nunmehr über die wirklichen Verhältnisse aufgeklärt – sucht in einer zweiten Rede (327 ff.) submissa uoce die Wogen zu glätten, indem er der mens generosa ducis (341) schmeichelt und dessen Größe und Hochherzigkeit beinahe untertänig anerkennt. Damit erreicht er sein Ziel: regis iam corda tepescunt (349) und sic rector Achiuus | frangitur (362 f.). Im Gleichnis: Der Jäger Antenor hat mit den hoch erhobenen, blinkenden Waffen (351 f.) den Zorn des Löwen Telamon erregt353. Aufgabe des Jägers Polydamas war es (im Bilde, 357 ff.), in kluger Einschätzung der Situation (sollers) den Jagdspeer wegzuwerfen, sich spontan niederfallen zu lassen und vornüber gekauert (das Gesicht zu Boden gekehrt) auszuharren354. Dieser Gestus verscheucht den Zorn des großmütigen Löwen (vgl. 341 mens generosa und 359 turpe putans), der nur im siegreichen Kampf erlegte, eigene Beute (keine wehrlosen Kadaver) frißt: „Bei all seiner Wildheit gewährt er gütige (mitleidsvolle) Nachsicht, wenn

353  Hel. 350                                                             sic magna l e o n i s i r a fremit, cum lata procul uenabula cernens uenantis crispare manu iam uerbera caudae cruribus incutiens spargit per colla per armos erecta ceruice iubas, iam tenditur altus 355 dentibus illisis et pectus grande remugit (flumina tunc resonant, montes et lustra resultant). 354  Hel. 357  f. ast ubi u e n a t o r reiecta cuspide sollers | sponte cadit pronusque iacet.

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 Kritischer Kommentar

der Jäger mit seinen Drohungen ein verzeihliches Maß nicht überschritten hat (u e n i a l e m i n a t u s) und schließlich widerstandslos aufgibt“:                                                                                     perit i r a l e o n i s turpe putans, non dente suo si praeda iacebit 360 (temnit praedo cibos, quos non facit ipse cadauer, ignoscens feritate pia, u e n i a l e m i n a t u s u e n a t o r si cesset iners): sic rector Achiuus frangitur (…).

430 post signum uenere rates recidente procella et Cyprum tenuere simul. legatio sola 430 defuit, una fretis et fluctibus acta negatur puppis in Ionium355 rabidis collisa procellis; Aegaeo nam pulsa caret.

In Vers 430 haben Baehrens und Ribbeck (461) unabhängig voneinander die Änderung uagatur für überliefertes negatur vorgeschlagen (und damit Diaz de Bustamante überzeugt). Ribbeck subsumiert diese Stelle unter die Gruppe derer, die er – trotz des späteren Publikationsdatums seines Aufsatzes – mitzuteilen für angemessen hält, „weil unbewusste Uebereinstimmung in Conjecturen immer eine gewisse Bürgschaft für ihre Richtigkeit gewährt“ (461). Doch mahnt der Umstand zur Vorsicht, daß das von N gebotene negatur in Entsprechung steht zu defuit (die beiden Synonyma rahmen den Vers) und zu caret in 432. E i n Schiff wird dem Paris bei der Sammlung nach dem Seesturm am Strand von Zypern „verweigert“ oder „vorenthalten“, und zwar aus triftigem Grund, s. Wolff 157255: „Dracontius a pris soin d’éloigner les héros positifs (Anténor, Polydamas et Énée …) de Chypre et donc de les innocenter de l’enlèvement d’Hélène.“ Das Motiv scheint eine Weiterentwicklung von Verg. Aen. 5,814 f. u n u s erit tantum a m i s s u m quem gurgite q u a e r e s; unum pro multis dabitur caput (sc. Palinurus)356. Das vorgeschlagene uagatur beeinträchtigt also die bewußt gelenkte Handlungsstruktur und macht den intertextuellen Rückbezug auf das epische Vorbild zunichte. Zugleich verstößt es gegen den Sprachgebrauch des Dracontius, der uagatur mit

355 Es ist acta … in Ionium zu verbinden, vgl. Aen. 1,390 f. (classem … in tutum uersis Aquilonibus a c t a m); ferner Lucan. 2,88 f. idem pelago d e l a t u s iniquo | hostilem in terram uacuisque mapalibus a c t u s. 356 Zu vergleichen ist Vergils Sturmbeschreibung im ersten Buch (Orontes in 1,113 ff. 220. 584 f.).



Romul. VIII (Helena) 361. 430. 490 ff. 

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direktem Akkusativobjekt verbindet, s. laud. 2,190 sic m a r e u e l i u o l u m mercator nauta uagatur; 294 aut bellator a q u a s aut iam pirata uagatur; Romul. 7,145 Cypris … f r e t a g l a u c a uagatur.

490 ff. In 444–452 wird erzählt, daß Helena von der Ankunft des Trojaners Paris gehört hat und ihn sogleich durch Diener als Gast zu sich nach Hause bitten läßt. Auf dem Weg in die Stadt (448 f. hospes ad aulam | peruolat Atridis) macht Paris mit seinem Gefolge am Venustempel halt (451 f.). Im Anschluß an das Vogelaugurium (453 ff.) betritt er in königlichem Ornat das Heiligtum und begibt sich dort zu den Altären; dabei zieht er aller Augen auf sich (488 f. delubra petens intrauit ad aras | pastor et in sese cunctorum lumina uertit). Die anschließenden Verse haben seit Iannelli und Ribbeck in den Ausgaben die folgende Form: 490 aspicit hunc errans357 oculis ornata Lacaena, effigiat per cuncta uirum, quibus ille decorus uestibus incedat uel qua lanugine malas umbret, ut in358 roseo prorumpat flosculus ore. laudat amans mirata359 uirum flammata Lacaena 495 ignibus Idaliis; nam dudum flammiger ales matre iubente puer telo candente medullas Ledaei partus furtim iaculatus amorem usserat360.

Dieser Text wird von Wolff (163) und anderen361 so verstanden, daß auch Helena im Tempel anwesend sei. Demzufolge interpretiert Wolff das Verb effigiat (491) in dem Sinne, „qu’Hélène s’imprègne complètement … de l’aspect de Pâris“362. Er fährt fort: „Le choix d’un temple comme lieu de première rencontre entre Pâris et Hélène est une innovation de Dracontius“ und verweist mit Morelli u.  a. auf

357 errans Ian.: erran N 358 So Ribbeck; et in N: et ut Baehrens. 359 So Iannelli, intrata N. 360 So Iannelli, uesserat N. 361 Z. B. Bright 124 f.; Simons 288; Bretzigheimer 392. 362 Vgl. Bretzigheimer 392: Es komme im Venustempel zur Wende in Helenas Leben: „Da sie inzwischen von Amors Pfeil getroffen ist, entbrennt sie beim Prunkauftritt des in Purpur und Gold gekleideten Prinzen (481–486) in ‚Liebe auf den ersten Blick‘. Der Fokus richtet sich darauf, wie sie den Mann mustert (490–493), seiner Attraktivität verfällt und – wohl nur im Stillen, nicht vor den Ohren der Öffentlichkeit – ihn lobt (… 494).“

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 Kritischer Kommentar

Parallelen bei Vergil (Aeneas und Dido im Tempel der Juno)363 und Chariton. Aber in den Versen 498 ff. erzählt der Dichter, daß Paris nach der Unterbrechung durch das Venus-Opfer seinen Weg zu dem gastlichen Königshaus, in dem ihm Bleibe angeboten worden war, fortsetzt und daß die Königin ihm bei seiner Ankunft entgegengeht, wie es der Gastgeberin geziemt (at pastor r e p e t i t post sacra Diones | h o s p i t i u m. r e g i n a u e n i t pallente rubore, etc.)364. Also kann Helena beim Einzug des Paris im Venustempel nicht gegenwärtig gewesen sein365. Wir haben vielmehr in 490 Ortswechsel anzusetzen: Während im Tempel der leibhaftige Paris mit seinem prachtvollen Königsornat aller Augen auf sich zog (489 in sese cunctorum lumina uertit), hat sich Helena zu Hause ihrerseits  – in Erwartung des geladenen Gastes – geschmückt (490 o r n a t a Lacaena)366 und malt sich vor ihren geistigen Augen die Schönheit des jungen Mannes in allen Einzelheiten aus. Denn Amor hatte sie bereits im Auftrag der Venus mit seinen Pfeilen in Liebe entflammt (495 ff.). Dracontius kehrt also die aus ‚Ovid‘ bekannte Situation um: Dort hatte Paris an Helena geschrieben ([Ov.] epist. 16,37 f.): ante tuos a n i m o u i d i quam lumine uultus; prima fuit uultus n u n t i a fama tui367, hier sieht Helena den Paris zunächst lediglich vor ihren geistigen Augen, malt sich in ihrer Phantasie die Details seiner Schönheit aus. Nur so erhalten die Verse 491–493 ihren Sinn: e f f i g i a t per cuncta uirum (mit den anschließenden

363 Bretzigheimer gibt zu bedenken, daß diese erste Begegnung zwischen Dido und Aeneas im Tempel „der Gegenspielerin des Aeneas und vor der Liebesphase“ geschieht (392107). 364 Vgl. 500 nam flammis perfusa genas pallentibus i b a t; 502 pastorem pudibunda p e t i t, etc. 365 Einen m.  E. nicht gangbaren Ausweg schlägt Wolff (163302) vor: „Pour rendre le passage vraisemblable il faut supposer que Pâris et Hélène se rendent séparément au palais, après la cérémonie dans le temple.“ Bretzigheimer geht auf diese Schwierigkeiten nicht im Detail ein, sondern fährt nach der Schilderung der Szene im Tempel lapidar fort: „Nach einem harten Schnitt (498) folgt das Tête-à-tête im Palast, …“ (393). 366 Die äußeren Details werden ausgespart, weil Paris 516 ff. – schmeichelnd – ihre natürliche Schönheit in Einzelheiten preisen wird. 367 Vgl. epist. 16,101 te (sc. Tyndari) uigilans o c u l i s, a n i m o te nocte uidebam,    lumina cum placido uicta sopore iacent. quid facies praesens quae nondum uisa placebas?    ardebam, quamuis hinc procul ignis erat. Hierzu vergleicht Dörrie AL 702 R2: te uigilans o c u l i s, a n i m o te nocte requiro,    uicta iacent solo cum mea membra toro. uidi ego me tecum f a l s a s u b i m a g i n e somni:    somnia tu uinces, si mihi uera uenis. Zu vergleichen sind auch die (wohl ebenfalls nichtovidischen) Verse der verlassenen Dido in Ov. epist. 7,25b.26: Aeneas o c u l i s uigilantis semper inhaeret, | Aenean a n i m o noxque diesque refert.



Romul. VIII (Helena) 490 ff. 

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indirekten Fragesätzen) bedeutet soviel wie: ‚sibi eius fingit speciem‘, s. ThLL V 2,184,79 ff., wo zu Recht verwiesen wird auf Boeth. in Porph. comm. sec. 1,11 p. 164,11 si quis equum atque hominem iungat i m a g i n a t i o n e atque e f f i g i e t Centaurum368. Durch die Verse 491 ff. ist also sichergestellt, daß der Leser Helenas aspicit hunc errans oculis als ein imaginäres Sehen entschlüsselt369. Zur Verdeutlichung hätte der Dichter a s p i c i t hunc m e n t ī s 370 o c u l i s schreiben können, eine Junktur, die in der Dichtung seit Ov. fast. 1,305 geläufig ist371, in der Prosa seit Cic. de orat. 3,163 (mentis oculi). Stattdessen wählt er die pretiöse Ausdrucksweise e r r a n s oculis, deren präzise Bedeutung sich nicht leicht erschließt372. Steht errans oculis für oculis uagantibus? Gewiß nicht im Sinne von Verg. Aen. 4,691373; ebensowenig in Entsprechung zu Ven. Fort. carm. 11,2,1 ff. quo sine me mea lux o c u l i s e r r a n t i b u s („vor meinen suchend umherirrenden [„schweifenden“] Augen“) abdit | nec patitur u i s u se reserare m e o ?374 | omnia c o n s p i c i o simul: aethera flumina terram; | cum te n o n u i d e o, sunt mihi cuncta parum. Es dürfte sich um das Vorspiegeln unwirklicher Bilder vor das geistige Auge handeln. Einen Anhaltspunkt bilden die ThLL V 2,809,59 ff. aufgeführten Belege für errare in Bezug auf ‚imagines rerum‘375: Ov. trist. 3,4b,10 (= 4,56)ff. (da der Verbannte nicht in Rom anwesend sein kann, vergegenwärtigt er sich die einzelnen Örtlichkeiten in der Phantasie [„sie schweben vor Augen“]: sint a n i m o cuncta u i d e n d a meo. | a n t e o c u l o s errant domus, urbsque et forma locorum, etc.) und Sen. Thy 281 f. tota iam a n t e o c u l o s meos | i m a g o caedis errat. Unwirk368 Vgl. Hor. ars 1–9, bes. 7 f. cuius (sc. libri), uelut aegri somnia, u a n a e | f i n g e n t u r s p e c i e s, ut nec pes nec caput uni | reddatur formae. 369 In der Argia-Episode des 12. Thebaisbuches, die Dracontius in Romul. 9 vielfältig ausbeutet (s. dort), konnte der Dichter bloßes a n t e o c u l o s   … manifestus für das ‚Offenbar-Erscheinen vor den g e i s t i g e n Augen‘ verwendet finden (12,187), das dann in 191 f. durch sed nulla a n i m o u e r s a t u r i m a g o | crebrior … quam …verdeutlicht wird. 370 Zur möglichen Längung der Schlußsilbe von mentis in der Zäsur, einer seit Vergil geläufigen Lizenz, siehe S. 173 mit Verweis auf Dainotti 159481. 371 Vgl. Manil. 4,195. 875; Sen. Ag 872 f.; Paul. Nol. carm. 24,555; 31,227. Siehe auch Drac. Romul. 9,209 f. omine non tali matrem p r a e s e n t e t ab undis | c o r d e t u o pietas, ferner Luck zu Ov. trist. 3,4b,9 (= 4,55)ff. (eine reichhaltige Sammlung von Ovid-Belegen für das Sehen mit den Augen des Geistes, darunter auch die Junktur oculis pectoris). 372 Dies gilt ähnlich für die Junktur mente oculis attente uolat in 9,201 (s. S. 138). 373 Siehe dort die Kommentare, die u.  a. auf Val. Fl. 6,277; Stat. silv. 5,1,170; Theb. 12,777 verweisen. 374 Das Reflexivpronomen se ist – ἀπὸ κοινοῦ – auch zum Verb abdit zu ziehen. 375 Doch ist in diesen Fällen (wie in den beiden ersten der hier herausgehobenen Beispiele) das errare diesen imagines selbst zugeordnet. Analog müßte es dann in Hel. 490 hunc errantem (ante oculos) heißen.

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 Kritischer Kommentar

liche Bilder werden den (geistigen) Augen im Schlaf vorgespiegelt, s. Petron. 128,6, vv.  1 f. nocte soporifera ueluti cum somnia ludunt | e r r a n t e s o c u l o s (vgl. ThLL V 2,808,38 ‚de oculis falsa specie deceptis‘); Stat. Theb. 10,150 (sobald sich der Schlafgott im Lager niederläßt, sehen die Augen unwirkliche Bilder im Traum) e r r a r e o c u l i resolutaque colla, | et medio affatu uerba imperfecta relinqui. Wie hier jeweils die (geistigen) Augen Subjekt des unwirklich, bildhaften Sehens sind, so kann Dracontius auch von Helena selbst sagen, sie erblicke den (noch) fernen Geliebten „irrend“ mit ihren (geistigen) Augen, d.  h. indem sie sich in ihrer Phantasie ein fiktives Bild von ihm ausmalt. Man kann demnach e r r a n s als Synonym für i m a g i n a n s fassen376, so wie Porphyrio die Verse Hor. carm. 4,1,37 f. in dem Sinne erläutert, daß der Erzähler dicit se Ligyrinum ex desiderio semper s o m n i a r e et, ut fit errore quodam mentis, imaginari, quasi, cum diu quaesitum tandem inuenerit, in alitem uersum ex ipsis manibus amittere. Da Helena, wie gezeigt, Paris nicht mit leiblichen Augen sieht, sondern sich seine Schönheit nur in ihrer Phantasie ausmalt, mag die Auskunft l a u d a t amans m i r a t a377 uirum zunächst erstaunlich wirken378. Aber in 442 ff. war der Leser davon unterrichtet worden, daß sich die Kunde von der Ankunft des Trojaners Paris in der ganzen Stadt verbreitete und auch zu Helena gelangte, von der ausdrücklich gesagt wird: audiit (ut) aduentum iuuenis … d e c o r i, worauf sie ihn sofort als Gast in ihr Haus laden ließ. Die Schönheit des jungen Mannes war also geschildert worden. Helena konnte sie – von den Liebespfeilen Amors getroffen – in ihrem inneren Selbstgespräch379 bewundern und rühmen380.

376 Vgl. Porph. Hor. sat. 1,5,84 f. deinde p e r s o m n u m i m a g i n a n t e m secum eandem puellam uidisse{t} concumbere. 377 So Iannelli für intrata (N). 378 Zu laudat amans vgl. 512 reginam l a u d a b a t a m a n s (sc. Paris); Med. 76 ff. Aesoniden tantum peto filia regis | nunc a m e t e t l a u d e t; mox hunc s u s p i r e t a n h e l e t, | quem mactare parat. 379 Bretzigheimer hat in dem o. Anm. 362 gegebenen Zitat („… seiner Attraktivität verfällt und – wohl nur im Stillen, nicht vor den Ohren der Öffentlichkeit – ihn lobt“) implizit die Schwierigkeit umrissen, den Vers 494 in einem Zusammenhang unterzubringen, in dem der Tempel Ort des Geschehens ist. 380 Die Junktur laudat … mirata hat viele Parallelen, zunächst bei Dracontius selbst Med. 367 m i r a t u r rex ipse Creon, l a u d a t u r Iason, | quod freta quod terras sic felix praedo uagetur und Romul. 9,189 Hectora m i r a n t e s plus te l a u d a m u s, Achilles; ansonsten etwa Hor. epist. 2,1,64 si ueteres ita m i r a t u r l a u d a t q u e poetas; Phaedr. 1,12,5 ramosa m i r a n s l a u d a t cornua; Stat. Theb. 11,537 tantum m i r a n t u r et astant | l a u d a n t e s; Mart. 3,51,1 cum faciem l a u d o, cum m i r o r crura manusque; 4,49,9 illa tamen l a u d a n t omnes, m i r a n t u r, adorant.

Romul. VIII (Helena) 490 ff.; 518. 520 



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Die Konstruktion der Schlußverse des Abschnitts (496 ff.) ist schwierig: Wolff zieht iaculatus zu amorem (163300), vielleicht, weil zwar urere medullas belegt ist, nicht aber (soweit die Thesauri reichen) urere amorem (im Sinne von incendere amorem). Aber die Wort- und Satzfolge läßt kaum eine andere Lösung zu, als puer telo candente medullas  … iaculatus zusammenzunehmen  – entsprechend Ov. am. 3,3,35 Iuppiter igne suo lucos iaculatur et arces; s. ThLL VII 1,74,7 ff. Demnach müßte die Klausel a m o r e m u s s e r a t das voraufgehende amans (sc. Lacaena, 494) im Sinne von flammata … ignibus erläutern, also für amorem i n f l a m m a ­ u e­r a t stehen; siehe hierzu ThLL VII 1,1455,2 ff., bes. 1455,18 ff. (HO 358 fortuna a m o r e m peior i n f l a m m a t magis; Plin. nat. 8,91 ad inflammandam uirorum uenerem). Für die Junktur telo candente medullas … iaculatus spricht auch eine Stelle aus der Achilleis des Statius, die zugleich das in Hel. 499 ff. angeschlossene Motiv von dem Wechsel von Röte und Blässe als offenkundiges Liebesindiz zum Gegenstand hat: Stat. Ach. 1,304 n e c l a t e t haustus a m o r, sed fax uibrata medullis in uultus atque ora redit lucemque genarum tinguit et impulsum tenui sudore pererrat. lactea Massagetae ueluti cum pocula fuscant sanguine puniceo uel ebur corrumpitur ostro, sic uariis manifesta notis palletque rubetque 310 flamma repens. Drac. Hel. 499                      regina uenit pallente rubore, 500 nam flammis perfusa genas pallentibus381 ibat: fusus uterque decor manifestum u u l g a t a m o r e m382.

518. 520 Paris beschreibt in der Schönheit Helenas das Spiegelbild der von ihm ersehnten Gattin: 520

‘Si talis erit, quam forte merebor uxorem, sic blanda genis, sic ore modesto, sic oculis o r n a t a suis, sic pulchra decore, candida sic roseo perfundens membra rubore, sic flauis o r n a t a comis, sic longior artus et procera regens in poplite membra uenusto.

381 Vgl. Val. Fl. 7,586 uiso p a l l e s c i t f l a m m a ueneno. 382 Zu diesem Motiv vgl. Drac. Hyl. 112–116.

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 Kritischer Kommentar

Obwohl Dracontius Wortwiederholungen nicht scheut, hat Fr. Leo wohl zu Recht Anstoß an dem doppelten ornata in 518 und 520 genommen383. Sein oculis armata in 518 ist freilich ein untauglicher Verbesserungsversuch. Wie bei den Induktionsfehlern üblich, wird in der Regel das spätere Wort infiziert. Man hat wohl in 520 o n e r a t a statt ornata zu schreiben: Paris schwärmt dort von dem ü p p i g e n blonden Haar der Angebeteten, so wie er anschließend ihre langen Gliedmaßen und ihren hohen Wuchs preist384. Dracontius konnte die Junktur onerata comis an gleicher Versstelle in Lucans Schilderung der Erictho finden: Lucan. 6,516                      caeloque ignota sereno terribilis Stygio facies pallore grauatur impexis onerata comis

und in einer Art K o n t r a s t i m i t a t i o n aus der wirren, mit Schlangen durchwirkten Haarmähne der Hexe das üppig fallende blonde Haar der Geliebten machen385; s. ThLL IX 2,631,17 ff. (dort 32 die Lucanstelle mit Verweis auf Physiogn. 32 p. II 49,6 si superioribus ciliis onerentur ac praegrauentur oculi). Eine verwandte Vorstellung ergibt sich aus Verg. Aen. 5,352 tergum  … leonis  … uillis onerosum – wie überhaupt die Aspekte „schmücken, (reich) ausstatten, auffüllen, aufhäufen, bis zum Überfluß mehren“ in der Semantik von onerare eine große Rolle spielen, s. ThLL IX 2,630,64 ff. Die Adnominatio ornare – onerare (518/520) hat Dracontius auch beim Auftritt der Polyxena in Romul. 9,40/42 genutzt: Romul. 9,40

uirgo Polyxene lacrimis ornata decoris et planctu laniata genas, contusa lacertos ac longis dispersa comis onerata pudore386

383 In Fällen wie Hel. 624 ff. (non inuitus adest nec gaudet fortior Hector, | quem Troilus sequitur non inuitus, tamen aeger, | non membris sed mente grauis: praesagia sensus | concutiunt animosque uiri) ist das doppelte non inuitus durch die Anapher, bezogen auf die zwei Helden (Hector  – Troilus), und durch die unterschiedlichen Gegenglieder (nec gaudet  – tamen aeger) besser gerechtfertigt. 384 Hierzu s. Wolff (2015) 364 – mit Verweis auf AL 310 R2 = 305 SB. 385 Es ist ja stete Praxis des Dracontius, von seinen poetischen Mustern sprachliche und rhythmische Formeln zu leihen, ohne sich dabei an deren ursprünglichen Sinnzusammenhang zu binden: Der Inhalt der Vorbildstelle muß bei der Übernahme der sprachlichen Floskeln nicht zwingend mittransportiert werden, vielmehr lassen sich die geborgten Formeln jederzeit in verändertem Sinne einsetzen. Das kann man etwa an den langen Listen, die Barwinski (1887) in seiner Dissertation zusammengestellt hat, gut verfolgen. 386 Wenn Dracontius in dem früheren Gedicht IX onerata pudore sagen konnte, verbunden mit longis dispersa c o m i s (so daß comis und onerata in der Versmitte zusammengerückt waren), dann konnte er in dem späteren Gedicht VIII auch flauis onerata comis sagen und so die Lucanformel mit neuem Inhalt füllen.



Romul. VIII (Helena) 518. 520. 555 



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ingemit et tantum nutu sine uoce precatur, funeris Hectorei poscens exsangue cadauer.

Mit noch größerem Nachdruck setzt Ausonius diese Adnominatio geradezu als Formel ein zum Abschluß seines Protr. in nep.: 8,95 Green consul auus, lumenque tuae praeluceo uitae. quamuis et patrio iamdudum nomine clarus posses ornatus, posses oneratus haberi, accessit tamen ex nobis h o n o r inclitus; hunc tu effice ne sit o n u s, per te ut conixus in altum 100 conscendas speresque tuos te consule fasces387.

Suis scheint in Hel. 518 eine bei Dracontius öfter anzutreffende abgeschwächte Bedeutung zu haben, beinahe als Flickwort zu stehen („so schmuckvoll mit ihren Augen“). Als passendes Attribut ließe sich sonst aus metrischen Gründen allenfalls piis finden. Das scheint aber selbst in Kombination mit modesto (517) und pudibunda (502) für den Charakter der Helena nicht angemessen.

555 Kaum hat sich das Liebespaar auf den Weg zum Strand gemacht, um gemeinsam mit dem Schiff nach Troja überzusetzen, da sieht Paris die Verfolger im Rücken. Seine umständliche Schilderung der Gefahren, durch die sie bedroht werden, unterbricht die Spartanerin mit der Aufforderung zum raschen Handeln: der König solle den Phrygern befehlen, zu den Waffen zu greifen, und die Order erlassen, daß sich seine Diener raschen Schrittes in Marsch setzen; sie selbst sollten zum Meer eilen …: 551 tunc Spartana refert: ‚Iuuenis, quid nostra retardas pectora colloquiis? Phrygibus tamen arma capessant, rex dilecte, iube, gressus celerare m i n i s t r o s imperio compelle tuo: properamus ad aequor, 555 et uacate iussis concurrens turba m i n i s t r i s.‘

387 Zu vergleichen ist ferner Petr. Pictor carm. 14,261 uestibus ornatur nitidis, gemmis oneratur. Zum Wettstreit der Mädchen um das ü p p i g s t e Haar s. Eur. Iph. T. 1147 f. ἐς ἁμίλλας χαρίτων | ἁβροπλούτοιο χαίτας εἰς ἔριν | ὀρνυμένα πολυποίκιλα φάρεα | καὶ πλοκάμους περιβαλλομένα …

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 Kritischer Kommentar

Die Zuordnung der verschiedenen Handlungsfiguren erschließt sich nicht leicht. Doch legt die parallel geformte Struktur der Episode 541 ff. die folgende Aufteilung nahe: Die t u r b a des Verses 555 ist identisch mit der Schar der Verfolger, der t u r b a sequentum von 543, die als collecta manus in 568 den Strand erreicht. Sie setzt sich zusammen aus der Graia iuuentus (545) des Menelaus, die zugleich als satellites coniugis Atridis umschrieben werden (547 f.). Unterstützung erfahren sie durch eine zypriotische Schwadron (548 hospite turma) und Kohorten bewaffneter Krieger (549). Der Graia iuuentus stehen auf Seiten des Paris die Phryger gegenüber (552), die nun ihrerseits zu den Waffen greifen sollen (wie Helena dem König anzuordnen nahelegt, 552 f.), der Umschreibung mit quicumque satelles in 547 entsprechen die Stichworte ministros und ministris in 553 und 555. Da demnach die Phryges und die ministri identisch sind, folgt aus dem Befehl arma capessant in 552, daß der weitere Befehl gressus celerare ministros (553), den Helena dem Paris auf die Zunge legt, nicht den Sinn haben kann, die Diener sollten ihre Schritte auf der (gemeinsamen) Flucht beschleunigen, sondern sie sollten mit ihren Waffen eiligst dem im Rücken nahenden Feind entgegenziehen (und diesen aufzuhalten versuchen). Tatsächlich trägt Paris anschließend selbst seine erbeutete Braut (die sich ihm an den Hals gehängt hat) zum Strand und birgt sie dort – von der Last erschöpft – sogleich ins Innere des Schiffs, das unmittelbar danach in See sticht (556 f. 563–567). Die 553 genannten Diener wirken also nicht bei der eigentlichen Flucht des Liebespaares mit. Sie erhalten vielmehr – wie man schließen muß – die Order, in Waffen sich schnellen Schrittes den heranrückenden Verfolgern entgegenzustellen. Damit ist aber zugleich die Gedankenrichtung für einen Korrekturversuch am korrupten Vers 555 festgelegt388. Vermutlich wollte Helena in 554 f. sagen: „Laßt uns zum Meer eilen, solange der Weg offen steht und die Schar der Verfolger mit den ihnen entgegengeschickten (phrygischen) Dienern im Kampf verwickelt ist“ (s. 552 f.):

388 Hier die wichtigsten der bisherigen Verbesserungsvorschläge: et uacate iussis N] atque uacat i. Ian.: et uacat auersis Buecheler: et uacet auersis Duhn: dum uacet (vel dimicet) ecfussis Ribbeck 468: dum uacat emissis (vel elusis) Baehrens: et uacat e iussis [i.  q. post iussa] Vollmer: et uacat en i. Morelli, Diaz. Gegen das von Baehrens in den Text gesetzte emissis spricht, daß Dracontius das Verb emittere gänzlich gemieden hat.

Romul. VIII (Helena) 555 



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                                                                                    properamus389 ad aequor dum uacat et390 missis (iussis N) concurrit391 turba ministris392.

Die oben erörterte Schwierigkeit, gressus celerare ministros | imperio compelle tuo als Marschbefehl gegen die anrückenden Verfolger zu begreifen, wird gemildert, wenn man in 555 missis statt iussis (ministris) schreibt, also eine der häufigen Vertauschungen von miss-/iuss- rückgängig macht, die hier durch das voraufgehende iube (553) besonders nahe lag. In dieser Textfassung wird das zunächst undurchsichtige gressus celare ministros durch das gleich anschließende missis (ad concurrendum turbae) ministris in wünschenswerter Weise verdeutlicht. Man darf annehmen, daß aufgrund einer Haplographie und zusätzlicher Einwirkung des darunter stehenden Partizips uolens aus concurri{t} (oder -re{t}?) turba die Partizipialwendung concurre(ns)turba entstand. Am Versbeginn dürfte die Ziermajuskel der Konjunktion Dũ (so Ribbeck 468) und das im Anschluß an uacat folgende et zu der Verschreibung Et uacate geführt haben. Zum Ausdruck sei erinnert an: Ov. am. 3,1,69 f. Romul. 4,17

                                teneri p r o p e r e n t u r Amores d u m u a c a t: a tergo grandius urguet opus und          trucibusque diu c o n c u r r e r e monstris | c o m p e l l o r 393.

389 Iannelli fordert hier den Hortativus properemus, aber M. Deufert verteidigt unter Verweis auf Hofm.–Sz. 326 f. („Ind. Praes. pro Imper.“) das überlieferte properamus als ein Kommando Helenas. Siehe u. Anm. 747 zu pergimus in Orest. 665. 390 Vgl. Ov. fast. 2,723 d u m u a c a t e t metuunt hostes committere pugnam; CE 1110,2 d u m u a c a t e t tacita Dinduma nocte silent. 391 Da man Tempuswechsel innerhalb eines dum-Satzes nicht leichtfertig ansetzen möchte, nenne ich die potentielle Verbesserung concurret erst an zweiter Stelle, obwohl sich die Verderbnis zu concurrens aus ursprünglichem -et noch leichter erklären ließe (aber s. 7,11 ducit/ducens). Zu restriktivem dum („solange noch“) mit Futur s. ThLL V 1,2213,31 ff. (Cic. S. Rosc. 83 quod certum est non facere, dum utrumuis licebit; Att. 11,25,1). 392 Vgl. Ov. met. 7,29 ff. (Medea im Selbstgespräch): at nisi opem tulero, taurorum afflabitur ore | c o n c u r r e t que suae segetis tellure creatis | hostibus, aut auido dabitur fera praeda draconi. Zu concurrere + Dativ in der Bedeutung „im Kampf zusammenstoßen mit“, „kämpfen mit“ s. Bömer zu Ov. met. 5,89. 393 Man beachte Hel. 553 f. gressus celerare ministros | imperio c o m p e l l e tuo. Im Sinne von „zusammenlaufen“ verwendet Dracontius die Junktur concurrit turba in 5,180 diuitis obsequio c o n c u r r i t t u r b a clientum. Zu missis … ministris (und arma capessant, 552) sei auf die Octavia verwiesen, siehe dort 366 ff. m i s s u s peragit i u s s a s a t e l l e s: | reserat dominae pectora ferro. | caedis moriens illa m i n i s t r u m | rogat infelix, | 370 utero dirum condat ut ensem; ferner 465 f. (Plautum atque Sullam) pertinax quorum furor | a r m a t m i n i s t r o s sceleris in caedem meam.

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 Kritischer Kommentar

IX deliberativa achillis an corpvs hectoris vendat Das Verständnis dieser hexametrischen Deklamation ist durch M. Scaffais kommentierende Studie aus dem Jahr 1995 sehr gefördert worden394. Hervorgehoben sei der Aufweis der vielschichtigen direkten oder vermittelten Quellennutzung durch Dracontius, angefangen von Homers Ilias bis zum Homerus Latinus und den Hippolyti Senecas und des Prudentius (perist. 11). In der Dokumentation der aus diesen Quellen übernommenen, häufig variierten und kontaminierten Formulierungen ließen sich noch Fortschritte erzielen. Doch ist hier nicht der Ort für derlei Detailuntersuchungen. Aber ein Beispiel, aus dem sich ein chronologisches Indiz für die Priorität der Deliberatiua gegenüber dem Raptus Helenae gewinnen läßt, sei hier vorgeführt.

Romul. 9,149 ff., bes. 177 ff. ← Stat. Theb. 12,383–388 → Romul. 8,111–115 Im ersten Teil des 12. Buches der Thebais schildert Statius u.  a. den nächtlichen Gang der Argia (die von Menoetes begleitet wird) durchs Schlachtfeld vor den Toren Thebens. Sie findet schließlich den Leichnam ihres Ehegemahls Polynices, umarmt und liebkost ihn und wird darin von der später hinzukommenden Antigone, der Schwester des Polynices, unterstützt395. Das Wetteifern der beiden Frauen beim abwechselnden Umarmen und Beweinen des toten Körpers 12,383                         ‘… mea membra tenes, mea funera plangis. cedo, tene, pudet heu! pietas ignaua sororis! 385 haec prior – ’ hic pariter lapsae iunctoque per ipsum a m p l e x u miscent auidae lacrimasque comasque, partitaeque artus redeunt alterna gementes ad uultum et cara uicibus ceruice fruuntur

hat Dracontius auf die Heimkehr des Paris nach Troja übertragen, wo Priamus und Hecuba sich darin abwechseln, dem wiedergefundenen Sohn um den Hals zu fallen und ihn zu küssen:

394 Das gilt auch für das Problem des Titelauftakts Deliberatiua, s. 293–295. 325 f.; zu beachten sind Büchelers Erläuterungen im Index Verborum Vollmers (1905) 337 f. 395 Der Gestus, vor allem das Umfangen des toten Hauptes, wurzelt letztlich in Hom. Il. 24,710– 712 und 723 f. (Andromache) Ἕκτορος ἀνδροφόνοιο κάρη μετὰ χερσὶν ἔχουσα.



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 177 ff.; 8,111–115; Stat. Theb. 12,383–388 

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Hel. 111 (mater) mox iuuenem c o m p l e x a tenet396: per colla per ora oscula diffundunt et lambere membra parentes insistunt iuuenis certatim, sed pius ardor adfectus dispensat agens, alternat utrimque 115 et uicibus cara Paridis ceruice fruuntur.

Vers 115 (in Verbindung mit dem voraufgehenden alternat) ist ein Schlüsselzitat, das den Rückbezug auf Theb. 12,388 (mit voraufgehendem alterna) ebenso offenkundig macht397 wie der wörtlich aus Sen. Tro 710 f. übernommene Vers 9,172bf. (nec turpe putabat, | quod miserum fortuna iubet) den Bezug der Deliberativa auf Senecas Troades. Aber die Situation des Anagnorismos in der Helena ist grundverschieden von der Klageszene in der Thebais. Eine unmittelbare Anregung, auf die Klage um den toten Ehegemahl und Bruder bei Statius zurückzugreifen, konnte von der Jubelszene der Rückkehr des verstoßenen Königskindes nicht ausgehen. Die Statiusszene mußte zuvor durch einen anderen Anlaß in das Gesichtsfeld des Dracontius getreten sein: durch die Suche nach literarischen Vorbildern für die Gestaltung der Ἕκτορος λύτρα in Romul. 9. Wenn Dracontius Andromache in Begleitung des Priamus (und des kleinen Astyanax) das Gefilde vor Troja durchstreifen läßt, um Leichen- und Blutreste des von Achill geschleiften toten Gemahls ausfindig zu machen, zu liebkosen und zu verehren (9,149 ff.), ist offensichtlich, daß er sich an das oben skizzierte Muster des Statius im 12. Thebaisbuch angelehnt hat (mögen auch die Such- und Klageszenen anläßlich des Sparagmos des Hippolytos, wie sie in Senecas Phaedra und im 11. perist. des Prudentius geformt sind, zusätzliches Kolorit beigesteuert haben). Das gilt auch für den anschließend ins Auge gefaßten Besuch der ganzen Familie (coniunx pater Hecuba natus | et pudibunda soror) an der Bahre Hektors (170 ff.), vgl. bes. Romul. 9, 177 heu lacerum nam corpus erat, quod m a t e r e t u x o r c o m p l e x a e per colla tenent et uulnera ferri 179 per laceros artus generoso in corpore quaerunt. 181                                       plagam, qua concidit Hector, et uulnus si nosse placet, uersate supinum corpus et occisi tractentur pectora regis: inuenient ungues, quanto descendit hiatu 185 hasta potens quantumque dedit Vulcanius ensis. Stat. Theb. 12, 288                                                                        uisuque sagaci rimatur positos et corpora prona supinat

396 Vgl. Stat. Theb. 12,373 (Argia) corpusque tamen c o m p l e x a profatur. 397 Die Parallele ist seit langem gesehen, siehe Vollmers Similienapparat.

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 Kritischer Kommentar

290 incumbens, queriturque parum lucentibus astris. 336 quid queror? ipsa dedi bellum maestumque rogaui 337 ipsa patrem, ut talem nunc te c o m p l e x a tenerem. 339                                                                                  totos inuenimus artus. 340 ei mihi, sed quanto descendit uulnus hiatu! 411 huc laceros artus socio conamine portant

Wieder finden sich Schlüsselzitate (9,184 / 12,340 und 9,182 f. / 12,289), die außer Zweifel stellen, daß Dracontius in Romul. 9 ausgiebig aus dem 12. Buch der Thebais geschöpft hat398. Erst vor diesem Hintergrund ergab sich für ihn die Möglichkeit, den Thebaiszusammenhang auch als Formulierungsmuster für eine inhaltlich ganz anders gelagerte punktuelle Szene des Helena-Epyllions zu nutzen. Seine Beschäftigung mit Romul. 9 muß also nach menschlichem Ermessen zeitlich voraufliegen!

29 Der Ratgeber hält dem Achill vor, wie sinnlos es sei, dem toten Hektor das Leichenbegängnis zu verweigern: Die piae animae der gefallenen Helden stiegen zu den Sternen empor, über die Mondsphäre hinaus in den „Kreis“ (gemeint ist wohl die Zone oder der circulus) der Sonne (s. 18 ff.). Von dort sähen sie hinab auf das kosmische Geschehen – und auf die Erde. Wenn sie dort ihrer leiblichen Überreste ansichtig würden, hätten sie nur Verachtung für diese399, so daß es ihnen jetzt, da sie ihre Freiheit erlangt hätten, geradezu peinlich sei, in diesen ihren Körpern gelebt und den Zwinger400 des engen Kerkers ertragen zu haben. Hier nun folgen die Verse, denen unser besonderes Interesse gilt: 9,27                                        tumulos aut o s s i b u s urnas dedignant a n i m a e, non curant uile sepulchrum nec401 plangunt non esse simul, quos urna polorum 30 claudit et aetherium Phoebus suspendit ad axem.

398 Beiwege sei zusätzlich vermerkt: 12,264 f. ist von Dracontius in 9,18 und Orest. 471 f. umgesetzt worden, 12,285 in 9,23 f.; 12,411 (laceros artus. s.  o.) in 9,150. 167 f. 179. Weitere Belege bei Scaffai. 399 Über die Details der Verse 23 f. siehe Schetter 333–336. 400 Zu claustra … carceris angusti s. Schetter 336 f. 401 So Vollmer jeweils im Apparat (1905: „Nec ego olim“, 1914: „Nec vel Aut dilucidius esset“): et N.



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 29 

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„Les âmes dédaignent pour leurs os les tombeaux et les urnes, ne se soucient pas d’un vil sépulcre et, enfermées qu’elles sont dans l’urne des cieux et suspendues par Phébus à la voûte éthérée, ne regrettent pas d’être séparées de leur enveloppe.“

Wolff (17620) hat in Vers 29 das überlieferte quos in quas geändert (also die Möglichkeit, daß hier eine ‚Syllepsis‘ vorliege, abgelehnt), obwohl Vollmer diese von ihm selbst stammende Konjektur verworfen hatte402. Umso erstaunlicher ist es, daß er die animae in einer u r n a polorum eingeschlossen sein läßt: „pour les âmes, le ciel tient lieu d’urne funéraire“ (17620). Auch in bildhafter Sprache kann man eine anima nicht in eine Graburne schließen! Schon Schenkl hatte mit „aura vel sphaera“ das Richtige getroffen (Schenkl2 520). Es sei an die oben paraphrasierte Parallele 9,18–20 erinnert: 18 20

sunt a n i m a e post membra p i a e; quas ignea uirtus403 tollit ad astra404 micans et solis in orbe recondit lunares non passa globos.

Die Weiterentwicklung dieser (an Lucan orientierten) Konzeption liegt in dem ‚Medea‘-Passus 500 ff. vor, wo sich die Magierin mit einem Gebet an den Sonnengott selbst richtet: 500 stelligeri iubar omne poli, quem sphaera polorum sustinet et prohibet rutilam plus ire per aethram, dum contra rapis axe rotas et colligis ignes; ipse p i a s a n i m a s mittīs et claudis in aeuum orbe tuo: miserere tuae, deus optime, nepti.

Es ist offensichtlich, daß Dracontius in Med. 500 f. (quem sphaera polorvm | sustinet) und 503 f. (claudis |  … orbe tuo) auf die frühere Formulierung von 9,29 f. (mit der von Schenkl restituierten Versklausel) quos sphaera polorvm | claudit et … Phoebus suspendit (…) zurückgegriffen und dabei auch 9,18 ff. (quas [sc.  animas pias]  … solis in orbe recondit) wieder genutzt hat. Nirgends gibt es einen Anhalt dafür, daß irdische urnae (9,27) gegen eine himmlische urna polorum in 9,29 ausgespielt werden sollten. Vielmehr liegt alles Gewicht darauf, daß den

402 In der Tat liegt es sprachpsychologisch nahe, daß im Relativsatz an die Stelle der animae piorum die verstirnten Helden selbst (ohne Rücksicht auf ihre zurückgelassenen körperlichen Hüllen) treten sollten. 403 Die Versklausel verweist auf Lucan. 9,7 ff. (semidei manes), quos i g n e a u i r t u s | innocuos uita patientes aetheris imi | fecit et aeternos a n i m a m collegit in orbes. 404 Vgl. Verg. Aen. 12,794 f. indigetem Aenean … | deberi caelo fatisque ad sidera tolli.

126 

 Kritischer Kommentar

verstirnten Helden in den majestätischen Sphären des Himmels ein Zurückblicken auf die nichtige Existenzweise ihrer irdischen Körper, die in Gräber und enge Urnen eingeschlossen werden, als peinlich erscheint405. Die scheinbare Antithetik zwischen ossibus urnas (27) und urna polorum (29) ist in Wirklichkeit Ergebnis eines mechanischen Verdrängungsfehlers: Nach Haplographie des Buchstabens s in quossp(h)(a)era (aber auch ohne diese Primärverderbnis) war der Weg offen für ein Einwirken des zwei Zeilen darüber stehenden urnas.

45. 48 Zum folgenden Textsegment bemerkt Wolff (17831): „Ici le texte veut dire que si Polyxène s’était montrée à Achille dès l’arrivée des Grecs à Troie, la guerre causée par l’enlèvement d’Hélène n’aurait pas eu lieu“; dies wird passend untermauert durch ein Servius-Zitat (Aen. 3,321): Achilles dum circa muros Troiae bellum gereret, Polyxenam uisam adamauit et condicione pacis in matrimonium postulauit (…)406. Das Latein, in dem dieser Gedanke gemäß der N-Lesart zum Ausdruck gebracht wird, ist jedoch an zwei Stellen kaum haltbar. Hier die überlieferte Fassung: 45 quem retines iratus adhuc, cognosce puellam plangentis germanus erat, cui uita daretur, ante aciem si uisa foret Troiaeque periclis407 femina bella dedit, sed femina bella negaret.

Die erste Korruptel (45) hat Baehrens durch die leichte Änderung cognosce, puellae (statt cognosce puellam) bereinigt: Der Kasus wurde versehentlich an das voraufgehende Verb angeglichen, weil verkannt wurde, daß es sich dort um einen Einwurf handelt408.

405 Dieser „polare“ Gegensatz, den der rechtschaffene Held empfindet, wenn er aus den unendlichen Räumen des Äthers, von erhabenen Sphärenklängen umtönt, auf die winzige Erde hinabblickt, die sich wie ein winziger Punkt ausnimmt, ist in der lateinischen Literatur seit Ciceros Somnium Scipionis fest etabliert. Lucan macht ihn sich zu eigen in den Antithesen cinis exiguus – tantam … umbram (9,2), semustaque membra … degeneremque rogum – conuexa Tonantis (mit den anschließenden Stichworten astriferis … axibus, aetheris imi, aeternos … in orbes, 3–9), vor allem aber 9,11 ff. (lumine uero, stellas … miratus et astra fixa polis – quanta sub nocte iaceret | nostra dies risitque sui ludibria trunci). 406 Siehe zu dieser Szene auch Scaffai 305 ff. 407 Peiper wollte pericla lesen. 408 Vgl. Damas. carm. 53,2 hic tumulus lacrimas retinet, c o g n o s c e, parentum; Sidon. carm. 7,137 f. utque tibi pateat …, paucis, c o g n o s c e, docebo.



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 29. 45. 48 

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Den Vers 48 hatte ich in die folgende, den Erfordernissen guter Latinität gemäße Fassung gebracht: (…) ante aciem si uisa foret Troiaeque periclis 48 femina quae dederat, haec femina bella negaret409,

bevor ich sah, daß Baehrens in einem seiner gewaltsamen Zugriffe (hier durch Nichtkursivierung hervorgehoben) die Version (…) ante aciem si uisa foret tibi, quaeque peregris 48 femina bella dedit, haec femina bella negaret

gedruckt hatte. Sie ist im Ganzen ebenso verfehlt wie A. Gils metrischer Fehlgriff femina bella dedisset, femina bella negaret (165)410, setzt aber in der Grundstruktur auf die gleiche Korrespondenz quae … haec, wie ich sie durch einen schonenderen Eingriff, der sich auf Vers 48 beschränkt, eingeführt habe. Der wiedergewonnene Vers T r o i a e que periclis 48 femina quae dederat, haec femina b e l l a negaret

ist – einschließlich der ‚konsonantischen‘ Valenz des h zu Beginn des Pronomens haec – eng verwandt mit Orest. 289 f.

(quae r a t i s aduexit regem, haec pignora regis spesque Agamemnonias et T r o i c a gaza reportat)411.

409 Das -que ist epexegetisch: „dem (sc. dem Bruder der wehklagenden Jungfrau, also Hektor) das Leben geschenkt worden wäre, wenn sie vor den Kampfhandlungen unter die Augen des Achill getreten wäre, so daß den Krieg, den eine Frau (Helena) unter Gefährdung der Existenz Trojas verursacht hatte, eine Frau (Polyxena) auch wieder verhindert hätte.“ Erinnert sei an Argias Aussage in Stat. Theb. 12,336 ipsa d e d i b e l l u m (s.  o.). Die Imperfekte daretur (46) und negaret (48) stehen jeweils als Irrealis der Vergangenheit, s. Hofm.–Sz. 662. 410 Der Vers zerfällt durch die Dihärese nach dem 3. Fuß in zwei metrisch völlig gleichwertige Hälften, was bei allen Hexameterdichtern (einschließlich Dracontius) verpönt war. 411 Vgl. Mart. 14,176,2 quae tu derides, haec timet o r a puer; Lact. inst. 5,15,11 quae hic mala putantur, haec sunt in caelo bona; Orient. comm. 1,567 m u n e r a quae donat moriens, haec m u n e r a non sunt; Alc. Avit. carm. 6,175 s e m i n a quae patris fuerant, haec p o n d e r a matri | infligunt duros utero turgente dolores; Ven. Fort. carm. 1,6,4 cum b o n a quae dederit haec sua l u c r a putet; 4,19,2 (terra) quae dedit, haec recipit debita m e m b r a luto; 4,26,76 nam quae larga dedit, haec modo plena metit.

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 Kritischer Kommentar

Die anaphorische Hervorhebung von femina hat wahrscheinlich ihren Ursprung in Ovids Triumphlied am. 2,12: am. 2,12,17 nec b e l l i est noua c a u s a mei: nisi rapta fuisset Tyndaris, Europae pax A s i a e que foret; femina siluestris Lapithas populumque biformem 20 turpiter apposito uertit in arma mero; femina T r o i a n o s iterum noua b e l l a mouere impulit in regno, iuste Latine, tuo; femina Romanis etiamnunc urbe recenti immisit soceros a r m a que saeua dedit.

Die Genese der Korruptel in Vers 48 erklärt sich leicht: Das Hinauszögern des ἀπὸ κοινοῦ gesetzten Begriffes bella bis beinahe an das Ende der Periode412 weckte das Bedürfnis, das in der Folge femina quae dederat nicht auf Anhieb verständliche Relativpronomen quae durch die Glosse bella zu erläutern. Diese hat dann bei der nächsten Abschrift das Relativpronomen verdrängt, damit zugleich aber auch das Metrum ruiniert, so daß dederat in dedit geändert werden mußte. Ob die Wort- und Buchstabenfolge hecfemina mechanisch oder durch konjekturalen Eingriff zu sed femina verändert wurde, sei dahingestellt; doch zeigen sich in der Dracontiusüberlieferung einige verwandte Vertauschungen, siehe 9,223 haec Bücheler: et N; Orest. 327 en Schenkl: et AB: haec Vollmer; 340 AEt (A exp.) B: Sed A: Haec Vollmer; 779 haec A: et B.

148–188 Nach der Prosopopoiie des Aeacus, der als Schattenbild aus der Unterwelt seinem Enkel Achill im Traum erschien (120–140), versucht der anonyme Berater, den erzürnten Helden durch erschütternde Klageszenen zum Einlenken zu bewegen. In der ersten (bereits eingangs berührten) werden Gattin, Vater und Sohn des Hektor in Szene gesetzt, wie sie auf den Feldern die Überreste des Geschleiften aufsuchen und ihnen eine Art letzte Ehre erweisen (148–168); in der zweiten wird die ganze verbliebene Königsfamilie Trojas im Bitt- und Klagegestus vor Achill und dem Leichnam Hektors gezeigt (169–188). Daraus erwächst ein dritter Versuch, den Zürnenden zu erweichen, indem in der Familie Hektors die Familie des Achill gespiegelt wird (189–213). Den Abschluß bildet der Vorschlag, Achill solle den Leichnam Hektors teuer an dessen Vater Priamus verkaufen und so ein

412 ἀπὸ κοινοῦ-Konstruktionen bei Dracontius hat Vollmer (1905) 440b zusammengestellt.



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 48. 148–188. 155  f.  

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Omen setzen für die künftige Tributpflichtigkeit der Trojaner an die Griechen (213b–231). Die beiden Klageszenen (148–168 / 169–188) beziehen sich im Kern auf die Schleifung Hektors, die Dracontius dem von Ovid, Seneca und Prudentius ausführlich geschilderten Sparagmos des Hippolyt und der anschließenden compositio der aufgesammelten membra nachgebildet hat413. Wir greifen hier einige textkritisch problematische Stellen heraus:

155 f. Romul. 9,148 Vel medium Priamo, generose, refunde cadauer; nam partem tractura tenet. si reddere corpus 150 et laceros artus tempta pietate negabis, e x i e t A n d r o m a c h e socero comitante per a g r o s 414 Astyanacta trahens, qua tristior orbita monstrat415, et l e g e t infelix d i s p e r s i m e m b r a mariti uepribus416 et mediis rupem complexa cruentam

413 Auch die Pentheus-Episode in Ovids Metamorphosen und in den Bacchen des Euripides (und verwandten Quellen) dürfte – wie Scaffai ausführt – zu den Mustern des Dracontius zählen. Hier die wichtigsten Belege aus Senecas Phaedra: 1068–1114. 1158. 1168–1174. 1208 f. 1244– 1274. Die zum Teil krude Thematik und die Art der Ausführung werfen ein Licht auf den jungen Dracontius in der Rhetorenschule, der in der aemulatio mit den Vorgängern vor Geschmacksverirrungen nicht gefeit war. (Das gilt aber vermutlich auch für den jungen Seneca. Jedenfalls pflegte in diesem Sinne Hugh Lloyd Jones – mit süffisant blitzenden Augen – dem Editor des Seneca tragicus Oxoniensis den Vers Phae 1267 zu rezitieren: quae pars tui sit dubito, sed pars est tui). 414 In den Versen 151–153 ist wohl ein Echo aus Senecas Phaedra vernehmbar, s. Phae 1105 ff. e r r a n t p e r a g r o s funebris famuli manus, per illa qua d i s t r a c t u s Hippolytus loca longum cruenta tramitem signat nota, maestaeque domini m e m b r a u e s t i g a n t canes; ferner 1278 f. at uos p e r a g r o s corporis p a r t e s u a g a s i n q u i r i t e. Zu 9,153 s. Phae 1246 (absconde) d i s p e r s a foede m e m b r a laniatu effero; 1256 d i s i e c t a  … m e m b r a laceri corporis. 1274 saepe efferendus. 415 Siehe Verg. Aen. 1,418 corripuere uiam interea, qua semita monstrat, übernommen in Prud. perist. 11,134 deuia qua fractum semita monstrat iter. Semita hat Dracontius durch die tristior orbita ersetzt, die er aus der orbita trita des Prudentius (perist. 11,102) gewonnen zu haben scheint. 416 Zu 153–156 vgl. Phae 1102bff. 1093 ff. Das Stichwort uepres begegnet auch in der Schilderung des Prudentius (perist. 11,127 f.): rorantes (sc. cruore) s a x o r u m apices uidi, optime papa, | purpureasque notas u e p r i b u s impositas.

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 Kritischer Kommentar

155

oscula fixa dabit dicens de rupe maritum: in qua sanguis erit rupem uocat Hectora coniux et puerum miseranda docet, ne calcet harenas, infecit quas forte cruor.

Wenn Achill den geschundenen Leichnam Hektors nicht herausgibt, werde sich Andromache in Begleitung des Priamus und des kleinen Astyanax auf die Felder begeben und die zerstreuten Teile des geschleiften Leichnams aufsammeln. Dabei werde sie mitten in den Büschen die blutigen Felsen umarmen (154), ihnen Küsse aufdrücken und von dem jeweiligen Felsen sprechen, als sei er ihr Gemahl (155). Baehrens (der de rupe zu Unrecht in de rore geändert hat) fragt im Apparat zu dem überlieferten dicens: ‚num d u c e n s ?‘. Er scheint zu meinen: „aus dem Bluttau auf den Gatten schließend“. Aber rupem complexa cruentam … dicens de rupe maritum („ein blutiges Felsgestein umarmend  … dieses statt ‚Felsen‘ ihren ‚Gatten‘ nennend“) dürfte durch das anschließende in qua sanguis erit rupem uocat Hectora coniux (156) gestützt werden. Schon Rossberg (zu Orest. 11) hatte den Vers 9,155 (de rupe maritum) in den Katalog der Stellen aufgenommen, in denen Dracontius die Präposition de „geradezu in der Bedeutung ‚anstatt‘ (gebraucht)“. In ThLL V 1,60,40 ff. ist er (freilich in irriger Ausdeutung) zusammen mit 2,42 (Iuppiter alter erit terris de fratre maritus) unter die Rubrik ‚de materie vel de condicione mutata‘ subsumiert. Es sei auf den ausführlichen Index Vollmers (1905) 336 verwiesen, dort auf den Unterabschnitt „de mutata condicione vel spe“. Vers 156 variiert gedanklich die Verse 154 f. und bildet zugleich den anaphorisch anhebenden (uocare tritt für dicere ein) Neueinsatz einer Schilderung, die das früher Gesagte mit Emphase aufgreift und um konkrete Anweisungen für Astyanax erweitert. Auch in 9,156 sucht Baehrens durch einen leichten Eingriff das überlieferte in qua sanguis erit rupem uocat Hectora coniux verständlicher zu machen (er schreibt rupe inuocat): In seiner Version würde Andromache nicht jeden blutbeschmierten Felsen ‚Hektor‘ nennen, sondern als Gattin bei jedem Felsbrocken, auf dem sie Blut sieht, Hektor anrufen. Die konjekturale Einführung einer solchen Synalöphe in den Text des Dracontius ließe sich wohl durch die entsprechenden Belege in 33. 49 (Aphärese). 73. 74. 113. 125. 194 (Prud. apoth. 502) rechtfertigen; sie wird aber doppelt bedenklich, wenn man zugleich dem Dichter den Gebrauch des Verbs inuocare unterstellen müßte, das er in seinem ganzen überlieferten Œuvre sonst nicht verwendet. Zudem hat der Schatten des Aeacus in 138–140 mitgeteilt, daß Hektor, da unbestattet, noch nicht die Wasser der Styx überquert habe; folglich dürfte er noch kein geeignetes Objekt für eine inuocatio abgeben. Der Nachdruck, mit dem die blutigen Felsen durch doppeltes dicens und uocat als ‚Hektor‘ benannt werden, könnte aus den verarbeiteten Musterszenen



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 155  f. 

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abgeleitet sein. Die in 157 f. geschilderte Anweisung Andromaches an Astyanax, nicht auf den Sandboden zu treten, der möglicherweise mit dem Blut Hektors getränkt sei et puerum miseranda docet, ne c a l c e t harenas, infecit quas forte c r u o r,

ist von Scaffai (314) auf Stat. Theb. 12,36 f. zurückgeführt worden: 12,35 saepe etiam hostiles (lusit Fortuna parumper) decepti fleuere uiros; nec certa facultas noscere, quem miseri uitent c a l c e n t ue c r u o r e m .

Man könnte zwei weitere Szenen aus dem Thebaiszusammenhang hinzufügen: Als Argia den toten Polynices findet, wäre sie beinahe auf ihn getreten (12,316 f. uidet ipsum i n p u l u e r e paene | c a l c a t u m); zuvor schon hatte sie ihre Schritte per  … l u b r i c a t a b o | gramina gelenkt und dabei Waffen berührt, allein darauf bedacht uitasse iacentes, | dum funus putat omne suum (283–288). Aber in all diesen Statius-Stellen fehlt das Moment der Anweisung, die eine Person (Andromache) einer anderen (dem Knaben Astyanax) erteilt (puerum … d o c e t , n e c a l c e t harenas). Der gleiche Erzählgestus findet sich wenig später ein zweites Mal: 9,166–168 ore cruentato puerum simul ambo m o n e b u n t, oscula det membris; ‘laceros ubicumque iacere’ d i c e t a u u s p u e r o ‘pater est quos uideris artus’.

Dieser Erzählgestus dürfte aus einer verwandten Szene Lucans übernommen sein: Cäsars Rundgang durch die Ruinen Trojas (9,961 ff.). Dort „verbietet“ der einheimische Führer dem Feldherrn, wenn er allzu sorglos seine Schritte ins hohe Gras setzt, „auf die Manen Hektors zu treten“: 9,975 ff. securus in alto gramine ponebat gressus: Phryx incola m a n e s H e c t o r e o s c a l c a r e u e t a t417.

417 Der Text läuft wie folgt weiter: d i s c u s s a iacebant | s a x a nec ullius faciem seruantia sacri: | ‘Herceas’ monstrator ait ‚non respicis aras?‘

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 Kritischer Kommentar

In dieser Schilderung Lucans spielt der Umstand eine besondere Rolle, daß alle durch die Natur zurückgeholten Überreste der einstigen Größe Trojas nun als siluae, trunci, dumeta (966 ff.), scopuli, antrum, uertex, saxum, riuus, saxa (970 ff.) den Namen ihrer früheren Bestimmungen tragen418. Deshalb heißt es in 973 geradezu mottohaft: nullum est s i n e n o m i n e s a x u m. Aus dieser Perspektive gewinnt das von Dracontius gewählte anaphorische d i c e n s de rupe maritum und (in qua sanguis erit) rupem u o c a t Hectora coniux mit der Fortsetzung et puerum miseranda docet, n e c a l c e t h a r e n a s419, | infecit quas forte c r u o r seine Berechtigung. Die Kombination von Küssen und Umarmungen mit zärtlichen Worten und Benennungen konnte Dracontius ebenfalls schon bei seinem Hauptvorbild Statius in der Argia-Episode finden, s. Theb. 12,319–321. 337. 367 ff. 385 ff., wo die oben ausgeschriebenen Verse des Wetteiferns beider Frauen (der Argia und der Antigone) beim abwechselnden Umarmen und Beweinen des toten Polynices wie folgt fortgeführt werden (389 ff.): dumque modo haec f r a t r e m m e m o r a t, nunc illa m a r i t u m, | mutuaque exorsae Thebas Argosque r e n a r r a n t, | longius Argia miseros r e m i n i s c i t u r actus: „Während die eine Gemahl ihn nennt und die andere Bruder, | Und im Wechselgespräch von Theben und Argos sie reden, | Führt Argia des weiteren aus den Verlauf ihres Unglücks“ (Imhof 1885; es folgt eine rückblickende Rede der Argia).

158 9,158 160

tardumque per oras exspectat socerum, sed non uacat: exprimit herbas, quas rubuisse uidet420; hoc nati uultibus addit, ut patrem ferat ore puer; suadente dolore ipsa sibi demens extorquet, ut Hectora credat Astyanacta suum; Priamo tamen Hectoris o s s a, si qua iacent d i s p e r s a r o t i s421, ostendet et ambo

418 Schon der Beginn des Rundgangs stellt den Begriff heraus: circumit exustae n o m e n memorabile Troiae (964). 419 Die Episode wird eingeleitet durch Lucan. 9,961 Sigeasque petit famae mirator h a r e n a s. 420 Hierzu Wolff (p. 184, n. 81) „De même chez Stace, Theb. 12,320–321, Argie devant le corps de son époux Polynice pressumque comis ac ueste cruorem | seruatura legit.“ 421 Vgl. Sen. Phae 1097 moribunda celeres membra peruoluunt r o t a e (ohne Entsprechung bei Prud. perist. 11) und 1245 f. absconde ocius | d i s p e r s a foede membra laniatu effero; doch siehe zuvor schon Prop. 1,21,7 ff. Gallum per medios ereptum Caesaris ensis | effugere ignotas non potuisse manus; | et quaecumque super d i s p e r s a inuenerit o s s a | montibus Etruscis, haec sciat esse mea.



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 155  f. 158 

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165 carnibus Hectoreis defigent oscula flentes422. ore cruentato puerum simul ambo monebunt, oscula det membris; ‘L a c e r o s ubicumque iacere’ dicet auus puero ‘pater est quos uideris a r t u s ’.

Der dritte Verbesserungsvorschlag, den Baehrens in dieser Verspartie gemacht (aber – ebenso wie die übrigen Herausgeber – nicht in den Text aufgenommen) hat, ist unumgänglich, es sei denn, man wollte sein tardumque per oras (horas N) | exspectat socerum durch tardumque per a r u a | exspectat socerum ersetzen423. Andromache kann zusammen mit dem kleinen Astyanax nicht Stunden auf den (wegen seines Alters) säumigen Priamus gewartet haben424. Ein Blick in ThLL IX 2,867,53 ff. (‚per synecdochen de quibuslibet regionibus‘) erweist die grundsätzliche Berechtigung des von Baehrens erwogenen Eingriffs, vgl. DServ. Aen. 1,1 (zu Troiae … ab oris): ‚Ab Oris‘ speciem pro genere: nam ‚oras‘ terras generaliter debemus accipere; s. Claud. 1,133 quascumque per oras | ibimus, ferner Dracontius selbst: Orest. 109 Mycenaeas … oras, 866 externas … ad oras; Romul. 6,74 australis … cardinis oras. Hier scheint orae jeweils recht allgemein, abstrakt für „Land“, „Region“, „Gebiet“ zu stehen; konkreter auf die Beschaffenheit des Geländes bezogen wäre wohl arua. Für die Wahl eines so gefärbten Wortes könnten die Vorbildszenen sprechen, denen Dracontius folgt. In erster Linie ist es wieder die Argia-Episode des Statius (s. dazu S. 122 ff.). Dort heißt es von der argivischen Ehefrau des Polynices, sie habe sich durch die hereinbrechende Dunkelheit nicht von ihrem entschlossenen Gang nach Theben, zur Auffindung des Leichnams ihres toten Gemahls, abschrecken lassen. Menoetes, ihr einziger Begleiter, schaue voll Bewunderung auf den raschen Schritt seiner doch an sich schwachen (früheren) Pflegetochter und schäme sich seines eigenen langsamen Ganges:

422 Vgl. Stat. Theb. 12,27 pars oscula figunt | uulneribus magnis et de uirtute queruntur; Lucan. 6,564 saepe etiam caris cognato in funere dira | Thessalis incubuit membris atque oscula figens | truncauitque caput compressaque dentibus ora | laxauit; Homer. Lat. 847 (Achill über den Leichnam des Patroklos gebeugt) et super exstincti prostratus membra sodalis | crudeles fundit questus atque oscula figit. 423 Da Vers 157 mit h a r e n a s endet, konnte darunter stehendes per arua vielleicht zu per h o r a s verschrieben werden; das folgende Verb exspectat war geeignet, die Assoziation an eine Zeitkomponente (wie sie in horas steckt) zu wecken. In Lucan. 6,814 bieten einige Handschriften an Stelle von Siculis … in aruis die Variante Siculis … in oris. 424 Für die leichte Verbesserung oras plädiert auch Scaffai 31353, der zu Recht hervorhebt, daß in dieser ‚Ekphrasis‘ „sono descritti luoghi e atti dei protagonisti fuori da ogni dimensione temporale.“

134 

 Kritischer Kommentar

Theb. 12,231 (…) nescit abisse diem: nec caligantibus a r u i s terretur, sed frangit iter p e r et inuia s a x a lapsurasque trabes nemorumque arcana, sereno 234 nigra die, caecisque incisa noualia fossis (…), 237 tantum animi luctusque ualent! pudet ire Menoeten tardius, inualidaeque gradum miratur alumnae.

Das tardius ire des Menoetes, der Argia auf ihrem Weg nach Theben und dort – auf der Suche nach ihrem toten Gemahl – über das Schlachtfeld425 mit den gefallenen, vielfältig verstümmelten Kriegern begleitet, ist auf den tardus Priamus übertragen, der Andromache (und Astyanax) auf ihrem Weg durch die Fluren folgt, auf dem ihr Ehegemahl Hektor geschleift worden ist, dessen Überreste sie dort aufsuchen wird. Die Stichworte aruis, incisa noualia fossis und iter per … inuia saxa (etc.) des Musterpassus, die jeweils konkrete Geländeformationen umschreiben, könnten in Romul. 9,158 für den Versschluß per arua sprechen, dem der Versschluß per agros in 9,151 (s.  o.) entspräche. Ähnlich sind in laud. 1,275 (ceruus in arua fugax … errat) die arua mit dem Versschluß per agros (1,272) und mit (per) prata (1,274) kombiniert. Konkret auf Fluren und Triften verweist der Begriff arua in Romul. 3,4 und 8,66. Bei Lucan läßt Caesar seine Truppen vor Dyrrachium auf einem verdeckten Pfad durch buschiges Gelände ziehen (6,13 mit dem Versschluß dumosa per arua), wie wir es uns auch bei Statius und Dracontius vorzustellen haben, vgl. 9,151 (s.  o.), 154 uepribus et mediis rupem complexa, 157 harenas, 159 herbas, 187 trahit … per saxa cadauer. Aber Horazens in u m b r o s i s Heliconis o r i s, Ovids Sulmo  …, inriguis o r a salubris aquis426 oder auch die Umsetzung der l o c a a r i d a aus Vulg. Mt 12,43 in daemon conlustrat  … o r a s, qua nulla excurrit … unda fontis, durch Iuvencus (2,715) zeigen, daß man Dracontius in 9,158 die Junktur tardumque per o r a s durchaus zutrauen darf.

169 Die Scharnierverse zwischen den beiden oben skizzierten Klageszenen bereiten dem Verständnis seit alters Schwierigkeiten: mortibus his si nulla uenit pietatis imago, 170 aspice quid faciant coniux pater Hecuba natus et pudibunda soror.

425 Bei Statius meist durch per campos wiedergegeben (12,295. 312. 269. 359); doch siehe agros in 12,356 (im Vergleich). 426 Siehe Hor. carm. 1,12,5 und Ov. am. 2,16,2 (mit McKeowns Kommentar).



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 158. 169 

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Der Konditionalsatz 169 si nulla uenit p i e t a t i s imago greift auf den früheren Konditionalsatz 149 f. si reddere corpus  … tempta p i e t a t e negabis zurück. Beidemale ist vorausgesetzt, daß sich Achill den Geboten der pietas versperrt, sich nicht von seinem Zorn abbringen läßt und den Leichnam nicht freigibt. Das macht jeweils ein zusätzliches pathetisches Einwirken auf das Mitgefühl Achills vonnöten. Der Inhalt des ersten Versuchs (151–168) wird durch mortibus his (169) resümiert. Das hat man aus guten Gründen nicht verstehen können und stattdessen motibus (Bücheler), moribus (Rossberg) oder uocibus (Baehrens) vorgeschlagen. Mit moribus läßt sich nichts anfangen, uocibus ist zu eng, um den Inhalt der ganzen voraufgehenden Szene wiederzugeben, Büchelers m o t i b u s h i s aber dürfte treffen: „Wenn sich aus diesen Szenen emotionaler Erschütterung bei dir kein (mitleiderregendes) Bild frommer Ehrerbietung (oder: kein Hauch von Mitleid?)427 einstellt, sieh zu, was dann (als nächstes) ins Werk setzen die Gattin, der Vater, Hecuba, der Sohn und die züchtige Schwester.“ Der Neueinsatz motibus his faßt hier ähnlich die zuvor geschilderten emotionalen Szenen zusammen wie das gleiche motibus his in Orest. 227 (m o t i b u s h i s mulier melius gauisa resumpsit | turpiter infames animos) die zuvor geschilderten (emotionsgeladenen) Scheingefechte des Aegisth428. Das Verb uenit (pietatis imago) erscheint farblos gegenüber dem mouet des vergilischen Musterverses429, wird aber wohl gestützt durch t e m p t a pietate (150)430 und durch (Pyrrhi) s u c c e d a t imago in 193. Der Aspekt der seelischen Erregung ist bei Dracontius vom Verb (mouet bei Vergil) in den voraufgestellten Ablativ-Begriff m o t i b u s verlagert. Die Junktur 427 Siehe ThLL X 1,2098,71 ff. („de pietate erga quoslibet m i s e r o s, afflictos sim.; vergit in notionem q.  e. m i s e r i c o r d i a, c l e m e n t i a, venia, gratia“). 428 Zu motus in der Bedeutung „a disturbed state of mind, passion, emotion etc.“ s. OLD s. v. motus 10; ferner ThLL VIII 1536,9 ff. (‚de affectibus animantium‘); vgl. 1537,21 (‚transfertur ad quemlibet tumultum‘). 429 Verg. Aen. 6,405 (die Sibylle zu Charon, dem Fährmann der Styx) si te nulla mouet tantae pietatis imago, at ramum hunc (aperit ramum qui ueste latebat) agnoscas. tumida e x i r a tum corda residunt; vgl. Lucan. 7,320 sed dum tela micant, non uos pietatis imago ulla nec aduersa conspecti fronte parentes c o m m o u e a n t; uultus gladio turbate uerendos. Wie Vergils Sibylle den Zorn Charons zu besänftigen sucht, so der von Dracontius aufgebotene anonyme Berater den Zorn des Achill (vgl. die Stichworte animos … feroces in 141, i r a s depone in 142 und uestri poenas … doloris [= irae] in 147). In beiden Fällen wird durch einen hypothetischen si-Satz unterstellt, daß der erste Versuch, Mitleid zu erregen (oder, so Vergil: auf den Appellcharakter der pietatis imago zu setzen), nicht erfolgreich war und deshalb durch ein wirkungsvolleres Mittel überboten werden soll. 430 Auch hier meint pietas wohl „Mitgefühl“ (das versagt wird).

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 Kritischer Kommentar

uenit imago erscheint in anderem Zusammenhang noch in [Sen.] epigr. 59,11 = AL 450 SB (= 452 R2) uerae u e n i t mihi uocis i m a g o, | blandior arguta tinnit in aure sonus.

186–188 nam quod terga ferunt431, hoc c u r r u s fecit Achillis, dum trahit extincti iuuenis per saxa cadauer432 – et domino iam damna parant de funere tracto. „En effet les meurtrissures de son dos ont été faites par le char d’Achille, quand il traînait sur les rochers le cadavre du jeune homme défunt et que ceux-ci outrageaient celui qui fut le possesseur de ce corps traîné“ (Wolff).

Diese Übersetzung ist jüngst vom Verfasser modifiziert worden, weil A. StoehrMonjou die Zuordnung des Begriffs dominus für problematisch befunden und stattdessen vorgeschlagen hat „de voir dans le mot domino une allusion au statut de protecteur de Troie qu’avait Hector“433. Der neue Übersetzungsvorschlag (auch diesmal bleibt die Partikel iam unberücksichtigt!) lautet: „et que ceux-ci [les rochers] outrageaient celui qui fut un chef en traînant son corps“ (2015, 367). In Wirklichkeit sind nicht die saxa Subjekt, sondern c u r r u s, also das vermutlich aus Senecas Hippolyt-Episode bezogene Pferdegespann434, das in 186 und 187 als Singularbegriff gefaßt ist (fecit – trahit), in 188 im Sinne von „Pferde“ das Verb parant regiert. Die Junktur t r a h i t  … cadauer wird in de funere t r a c t o wieder aufgenommen; funere steht also für cadauere. Das umstrittene Stichwort domino aber umschreibt Achill als H e r r n s e i n e s P f e r d e g e s p a n n s. Das Muster kann auch hier wieder Senecas Hippolyt abgegeben haben (Phae 1054 ff.), der die störrisch gewordenen Pferde furchtlos lenkt (1074 f. citos | c u r r u s 431 So Duhn für überliefertes dederunt, das durch das darüberstehende dedit zustandegekommen sein dürfte. Rossbergs absolut gesetztes rubent (mit Verweis auf Claud. rapt. Pros. 3,426) ist zu schwach (Rossb1 15 f.). 432 Vollmer (1905) verweist auf Lucans Erictho-Szene 6,639 per scopulos miserum t r a h i t u r, p e r s a x a c a d a u e r und auf Romul. 8,139 ff. (Cassandras Unheilsprophetie vor der Mutter Hecuba): H e c t o r e u m supplex emptura c a d a u e r | p e r m o n t e s p e r s a x a d a t u m; nec uenditur Hector | integer et l a c e r u m retines pro pignore c o r p u s | funeris Hectorei pretio maiore redemptum. 433 Wolff (2015) 367 mit Verweis auf A. Stoehr-Monjou, L’âme et le corps dans la suasoire de Dracontius: Rom. IX, un hommage à Homère, Vita Latina 191–192, 2015, p. 154–175, dort 165. 434 Sen. Phae 1063 et torua (sc. moles) c u r r u s ante t r e p i d a n t i s stetit; so auch 1075 ff.; Hf 1169 etc.; s. ThLL IV 1520,41 ff. (keine Entsprechung in Prud. perist. 11).



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 186–188 

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g u b e r n a t), bis er kopfüber vom Wagen stürzt, sich in die Zügel verwickelt und geschleift wird. Da spüren die Pferde ihr Vergehen und stürmen, dominante nullo (1089), wohin sie die Panik treibt. Hippolyt wird schließlich von einem angekohlten Baumstrunk, der sich mitten durch die Eingeweide bohrt, erfaßt und festgehalten (1098 f.), so daß selbst die Pferde ins Stocken geraten – aber dann pariter moram | dominumque rumpunt (1101 f.)435. Aus einem solchen Zusammenhang hat sich Dracontius sein c u r r u s  … domino iam damna parant (de funere tracto) geliehen436. Aber anders als bei Seneca ist Herr des Pferdegespanns nicht das spätere Opfer, also Hektor (das Pendant zu Senecas Hippolyt), sondern Achill437. Damit wird auch die Funktion der Partikel iam deutlich: Es ist inzwischen bereits so weit gekommen, daß die Pferde ihrem Herrn, Achill, aufgrund der (wiederholten) Schleifung des Leichnams Schaden zufügen. Der abschließende Vers 188 greift also über die in 186 f. geschilderte Situation hinaus (deshalb ist oben im Text nach 187 Gedankenstrich gesetzt)438 und bewertet Achills gegenwärtige Position aus der Perspektive, die Aeacus in seiner Traumerscheinung als schädlich skizziert hatte (135–140) und deren nachteilige Folgen für Achill und die Seinen der anonyme Berater dem Unversöhnlichen in 144–147 ein weiteres Mal vor Augen führte: supplicium non Hector habet, sed poena Pelasgum 145 seruatur per castra tuis, dum funera punis. Aeacus inuidiam, carus tormenta Patroclus sustinet et uestri poenas luit ille doloris.

435 Eng verwandt ist Phae 1108 maestaeque domini membra uestigant c a n e s. 436 Auch Ovids Hippolyt-Episode könnte als Vorbild gedient haben, s. etwa Ov. fast. 6,741 f. solliciti terrentur e q u i, frustraque retenti | per scopulos dominum [sc. Hippolytum] duraque saxa trahunt; Verg. Aen. 12,534 nec domini memorum … e q u o r u m. – Ob Dracontius den erstaunlichen Auftakt, mit dem die Thematik der Schleifung Hektors beginnt (9,148 uel medium Priamo, generose, refunde cadauer,| nam partem t r a c t u r a t e n e t), aus der mechanischen Kombination von Phae 1099 (medium per inguen stipite ingesto t e n e t) und 1102 ff. (… dominumque rumpunt; inde semianimem secant | uirgulta, acutis asperi uepres rubis | omnisque ruscus corporis partem t u l i t) entwickelt hat, muß offen bleiben. 437 Vgl. Homer. Lat. 999 f. altius ipsos | fert domini [sc. Achillis] successus e q u o s. 438 Der Vers erweckt den Eindruck, als sei er unorganisch angefügt. Schenkl hat das gespürt und den Ansatz einer Lücke nach 187 empfohlen (Schenkl2 520). Allerdings erlaubt sich Dracontius auch sonst den ein oder anderen Gedankensprung.

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 Kritischer Kommentar

201 planctibus Andromaches ceu praesens blanda putetur439 200 Deidamia simul, quae sollers nocte dieque mente oculis attenta uolat440; nam fluctibus altis441 carbasa prima uidens amens442 occurrit in undis perquirens, si Troia ruit, si concidit Hector, sollicita quem mente timet443.

Achill soll sich vorstellen, bei den Klagen Andromaches sei zugleich die zärtlich schmeichelnde Deidamia anwesend, „die mit Geschick bei Tag und bei Nacht Augen und Geist in aufmerksamer Schnelligkeit schweifen läßt“ (sc. um Kunde über Achill und den Stand der Dinge in Troja zu erhalten). „Denn sobald, noch auf hoher See, die vorderste Spitze eines Segels sichtbar wird, eilt sie ihm, wie von Sinnen, im Küstenwasser entgegen und sucht zu erfahren, ob Troja gefallen, ob Hektor hingesunken sei, den sie besorgten Sinnes fürchtet.“ Die Paraphrase soll verdeutlichen, wie das überlieferte uolat zu verstehen sein dürfte. Das Verb kann in ähnlicher Weise eine schnelle Bewegung zum Ausdruck bringen444 wie das von Vollmer verglichene trepidare445. Dem (mente) oculis u o l a t entspricht das unmittelbar folgende uidens  … o c c u r r i t; vgl.

439 So überzeugend Bücheler für überliefertes bland maritū, wozu von gleicher Hand am Rand die mit uel (Kürzel) eingeführte Variante putatur hinzugesetzt ist. Vielleicht hat sich der Erfinder der Lesart maritū (sie liegt im Schriftbild nicht weit von putatur entfernt) an die contagia b l a n d a m a r i t i in Med. 455 erinnert. 440 So die Hs N. Bücheler hat stattdessen nirgends belegtes uiclat (für uigilat) vorgeschlagen, Leo uocat (in mehrerer Hinsicht unpassend), Wolff (1996) 5093 und (2015) 367 uacat, was ebenfalls nicht weiterführt. Mein eigener Versuch, (attente) notat im Sinne von obseruat ins Spiel zu bringen, hat vor R. Jakobis kritischem Auge zu Recht keine Gnade gefunden. 441 Die Ausgaben bieten ausnahmslos das in N überlieferte atris, von mir in altis verbessert, bevor ich auf Duhn’s Apparat-Eintrag ‚fort. altis‘ stieß. 442 So Bücheler (animis N); vgl. Romul. 8,574 ut conspexit a m e n s sulcari puppibus undas (und die ganze Szene der Rückkehr des Paris 8,614–622; dort 619 occurrit ad undas ~ 10,282); ferner z.  B. Ov. met. 7,844 (coniugis) ad uocem p r a e c e p s a m e n s q u e c u c u r r i; Sil. 15,782 f. ruit ocius amens | in medios; Aen. 2,321 c u r s u q u e a m e n s ad limina tendit; 4,203; 9,478 (die Mutter des Euryalus) muros a m e n s atque agmina c u r s u | prima petit; etc. 443 Der Passus ist zuletzt behandelt in Wolff (2015) 367. Dort wird zu 201 (uolat) ein weiterer Vorschlag diskutiert, aber zu Recht verworfen, wenngleich der Schlußsatz „Cependant notre préférence reste la solution par uacat“ seinerseits nicht überzeugen kann. 444 Vgl. 7,81 orbita c o r n i p e d o sequitur quem (sc. equum) ducta u o l a t u (vom schnellen Lauf des Rennpferdes). 445 Siehe OLD s. v. trepido 2 („to act in haste, scurry, bustle“), auch mit Abl. konstruierbar (Liv. 2,28,1 ne [sc. plebs] in foro subitis trepidaret consiliis et omnia temere ac fortuito ageret).



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 201 

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Prud. ham. 882 u o l u c r e s q u e o c u l o s in Tartara mittit (voraufgeht in 874 illis uiua acies etc.) und adspicit hunc errans oculis in 8,490 (s. dort). Was die Junktur fluctibus atris angeht, so könnte man vermuten, Dracontius beziehe sich auf den Beginn des 5. Buches der Aeneis, wo Aeneas das hohe Meer erreicht hat f l u c t u s que a t r o s Aquilone secabat (5,2), bevor er auf die Mauern Karthagos zurückblickt. Aber dort ist die Wahl des Attributs durch Aquilone veranlaßt (‚darkened by the north wind‘, Williams), wie schon Servius ad loc. (mit Verweis auf den älteren Plinius) hervorgehoben hat und Gellius (2,30) bestätigt; die Junktur ist also auf besondere Bedingungen beschränkt446, wie sie bei Dracontius nicht vorliegen. Dort mußte vielmehr alles Gewicht darauf gelegt werden, die besondere Aufmerksamkeit der Deidamia zu charakterisieren, die sich nicht erst dann, wenn ein Schiff gelandet ist, zur Küste aufmacht, um Erkundigungen über Troja einzuziehen, sondern schon, wenn sich das Schiff noch auf hoher See befindet und gerade erst die Spitzen der Segel sichtbar werden447. Die leichte Änderung bringt also enormen Gewinn. Da die Vertauschung von alt-/atr- in der Überlieferung vieler Autoren zu beobachten ist, wird man sie auch hier ins Kalkül ziehen und mit Duhn fluctibus altis schreiben448. Das Attribut ater begegnet im ganzen Dracontius nur in zwei Formeln: Romul. 8,597 His dictis gemit aula ducis sub l u c t i b u s a t r i s 449 und Orest. 776 a t r a uorago450.

446 Siehe auch Prisc. periheg. 115 ff. post hanc est geminum mare uastum f l u c t i b u s a t r i s, | flatibus Ismarici boreae quod tunditur acris, | qui ruit aduersus celsae de partibus arcti. 447 Dracontius schafft hier eine Art Spiegelbild zu der bei Statius (Ach. 2,23 ff.) geschilderten Ausfahrt Achills aus Skyros, die Deidamia von einem hohen Turm aus verfolgt, ihre Augen auf die Segel geheftet (oculisque in carbasa fixis, 25) und gleichsam selbst aufs hohe Meer hinausfahrend (ibat et ipsa freto, et puppim iam sola uidebat, 26). Die Segelbedingungen sind dort günstig, wie mehrmals hervorgehoben wird: Ach. 2,7 f. (Achill ist als Sohn der Thetis mit dem Meer „verschwägert“, fährt über cognata … aequora). 15. 20 f. 46 f. (dum lene fretum Zephyroque fruuntur | carbasa). 448 Erinnert sei an Vergils Polyphem-Episode (Aen. 3,662–665) postquam a l t o s tetigit | f l u c t u s et ad a e q u o r a uenit, | (…), graditurque per a e q u o r | iam m e d i u m, necdum f l u c t u s latera ardua tinxit. Vgl. ferner Lucan. 9,330 sors melior classi quae f l u c t i b u s incidit a l t i s | et certo iactata m a r i; Stat. Theb. 9,371 Versschluß f l u c t i b u s a l t i s. Drac. satisf. 73 delicias mortesque parat m a r e f l u c t i b u s a l t u m. 449 Vgl. Sen. Hf 694 aterque Luctus sequitur. 450 In Romul.10,1 (s. ad loc.) ist ja mit Peiper uirginis a r t e statt u. atrae zu schreiben.

140 

 Kritischer Kommentar

219 Der Ratgeber schlägt vor, Achill solle den Leichnam Hektors verkaufen, und zwar möglichst teuer: si parua putantur, fac pretium, uictor: generosum u e n d e cadauer. 215 u e n d a t u r ceu uiuus adhuc nec munere paruo, sed u ĕ n e a t 451 tantum quantum pensabitur452 Hector. hoc placet ut fortis habeatur iudice bello mors pretiosa uiri: cunctos hortaris in hostem, si non uilis erit u e n i e n s occasus in armis, 220 qui se despiciens ciues dilexit et urbem.

Die Verse 217 ff. sind m.  E. sowohl im Thesaurus (ThLL IX 2,353,8 ff.) als auch in Wolffs kommentierter Ausgabe mißverstanden. An beiden Stellen wird occasus (219) als der einzige Beleg in der lat. Literatur für das Partizip Perf. Pass. occasus in Bezug auf einen Menschen aufgefaßt, während sonst dieses Partizip auf sol beschränkt sei (s. ThLL IX 2,352,80 ff.). Zusätzlich wird das voraufgehende Partizip u e n i e n s mit den Verben uende – uendatur – ueneat (ueniat N) der Verse 214 ff. in Verbindung gebracht und im Sinne eines passivischen qui uenit übersetzt und erläutert453: „Si ces arguments ont peu de valeur à tes yeux, fixe un prix, vainqueur, et vends ce noble cadavre. Vends-le comme s’il était encore vivant et pas pour une petite somme, vends Hector aussi cher que tu l’auras estimé454. On s’accorde à considérer comme précieux le corps d’un homme dont la guerre a scellé le courage: tu excites tout le monde contre l’ennemi si, mort en armes, il n’est pas vendu bon marché, lui qui, par amour pour ses concitoyens et sa cité, a fait peu de cas de lui-même.“

Durch die Markierungen im Text habe ich deutlich zu machen versucht, daß der Wortfolge mors pretiosa (habeatur) von Vers 218 die chiastisch zugeordnete Junktur non uilis (erit)  … occasus (219) entspricht. occasus hat also seine ganz übliche Funktion als Substantiv, steht synonym zu mors455: 451 Verbessert durch Duhn aus ueniat (N). Die von Bücheler zusätzlich eingeführte Änderung des überlieferten tantum quantum zu tanto quanto scheint problematisch: Nach ThLL X 1,1107,59. 75 handelt es sich um einen acc. mensurae, siehe auch X 1, 1109,36 ff. („saepe per acc. mensurae“), z.  B. Ps. Apul. herb. app. 112 lin. 3 tantum, quantum unus solidus pensat. 452 Siehe zuletzt Wolff (2015) 367: „vends Hector pour une somme équivalant à son poids.“ 453 So schon Vollmer (1905) im Apparat: „214 vĕniat et 219 vĕniens ab ‚venum ire‘“. 454 In Wolff (2015) 367 korrigiert, s.  o. Anm. 452. 455 Siehe ThLL IX 2,340,75 ff. (‚de interitu, pernicie‘), wo 341,8 auch auf Drac. Orest. 352 verwiesen wird: tradere captos pueros patris in occasu(s).



Romul. IX (Deliberatiua Achillis) 219 / X (Medea) 1 

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„Darin besteht Übereinkunft, daß der Tod eines tapferen Mannes, der gemäß dem Schiedsspruch des Kriegsgottes456 fällt, als wertvoll gelten soll: Du ermunterst alle zum Kampf gegen den Feind, wenn nicht geringgeschätzt wird der Tod in Waffen, so er denn bevorsteht , der sich – ohne Rücksicht auf sich selbst – für die Bürger und die Stadt eingesetzt hat.“

Der Passus endet mit einem Relativsatz (220), dem ein passender Anknüpfungspunkt nach oben zu fehlen scheint. Doch solche „frei angeschlossene Relativsätze“ sind in der Latinität nicht selten; R. Jakobi verweist auf Hofm.–Sz. 555 f. Unter den dort aufgeführten Belegen ist (so weiter Jakobi) Cic. Tusc. 5,20 (Xerxes … praemium proposuit, q u i inuenisset nouam uoluptatem) der Dracontius­stelle sehr ähnlich (hier Ersparung des Pronomens ei).

X medea 1 Das überlieferte uirginis atrae | captiuos monstrare deos suggeriert „gefangene Götter im Besitz einer schwarzen (~ unheilvollen?)457 Jungfrau“, was sich selbst ad absurdum führt. Erst durch Peipers a r t e ergibt sich ein sinnvoller Bezug: Durch die Zauberkünste einer (Hexen-)Jungfrau werden (selbst) die Götter gefangen. Das Enjambement bindet arte | captiuos zu einer festen Junktur zusammen, die für arte captos steht458. Die magischen Künste der Kolcherin sind sprichwörtlich (Manil. 5,34 Colchidos et m a g i c a s a r t e s qui uisere Iolcon | Medeae iussit). Bei Seneca ruft sie selbst all ihre uires et a r t e s gegen Jason auf (Med 562 f.); die Amme hat die Rasende oftmals a g g r e s s a m d e o s, | caelum trahentem (673 f.) gesehen und berichtet nun als unmittelbare Zeugin von der magischen Handlung (dort 684 f. tracta m a g i c i s c a n t i b u s | squamifera latebris turba desertis adest). Medea selbst will aliquid mouere f r a u d e uulgari altius (693). Von Stiefmüttern, Müttern und Hexenweibern, die derlei magische Riten durchführen, 456 Die Versklausel nach Lucan. 1,227 credidimus fatis: utendum iudice bello; vgl. 7,263. 457 Hudson-Williams (1946) 98 möchte dies mit Verg. georg. 2,130 (atra uenena) und Plin. nat. 17,33 atrae degeneresque herbae in Zusammenhang bringen. 458 Eine Parallele formaler, nicht inhaltlicher Art wäre Ov. met. 1,709, wo Pan (der vergeblich Syrinx verfolgt hatte) als a r t e noua uocisque d e u s dulcedine c a p t u s bezeichnet wird (gebannt von dem Ton, den der Wind in den Binsen verursacht); vgl. fast. 3,323 ff. quae carmina dicant, | quaque trahant superis sedibus a r t e I o u e m | scire nefas homini. nobis concessa canentur | quaeque pio dici u a t i s ab ore licet – eine Stelle, die Dracontius in Med. 14 f. imitiert (s. Kaufmann dort zu haec u a t e m nescire decet [zuvor schon Wolff (1996) 18811]).

142 

 Kritischer Kommentar

berichtet Dracontius ausführlich in laud. 2,319 ff., dort 333 f. sollicitant animas mortis iam lege quietas | cantibus infaustis, herbis atque a r t e nefanda. In Orest. 316 f. lauten die Varianten arte/altae (statt arte/atrae hier in Med. 1): callida (sc. Clytaemestra) … solatur et a r t e | fraudis. Im unmittelbaren Zusammenhang wird uirginis arte (captiuos deos) gestützt durch 5 arbitrio mulieris (sidera caeli … agi), 7 penetrat uox illa per auras, 11 possidet … funesto pectore caelum, 12 superos … premit prece nixa uirago, 13 f. quae carmina linguis murmuret aut urens species quae nomina dicat. Vgl. ferner 137 sacrilega quae uoce solet compellere caelum; 139 dum precibus elementa quatit459.

53 Juno bittet Venus um Hilfe. Um sie für sich einzunehmen, schmeichelt sie ihr mit folgender Anrede: 52 ‘lasciua Venus, iucunda modesta blanda potens mitis, fecunda uenustas amoris, pulchra uoluptatum genetrix et numen amantum, (…’)

Seit Duhn im Apparat „uenustas amoris corruptum uidetur“ vermerkt und L. Müller (423 f.) ihm mit der Feststellung sekundiert hat, daß die Endung -tas in der lateinischen Literatur nie gekürzt werde, herrscht Unsicherheit über diese Stelle. Aus diesem Grunde steht der Versschluß bei Kaufmann (2006) zwischen Cruces; denn sie beurteilt zu Recht die vorgeschlagenen Verbesserungen (uenusta decora Ribbeck 471 [malim -sta iocosa, v. Priap. 85,45], uenusta suauis Schenkl 521) als nicht überzeugend. Doch verrät der Einwand gegen den überlieferten Text, die Junktur unterbreche die Reihe der Adjektive, und uenustas werde sonst nie mit einem Genitivattribut verbunden (150), daß der Konstruktionswechsel in der Mitte der drei Verse unbeachtet geblieben ist: Nach der langen Reihe der sechs Einzelattribute (lasciua  … mitis) folgen zwei je dreigliedrige Prädikationen mit je einem Genitiv, so daß also die Junkturen fecunda  … amoris und uoluptatum genetrix einander chiastisch entsprechen: der Liebreiz der Venus ist „schwanger“ an Liebe (~ gebiert in üppigem Maße Liebe), ihre Schönheit ist Erzeugerin wonniger Lüste. Diese Kola stützen 459 Die Begriffe sacrilega arte und rea (vgl. Med. 3. 231) sind auch laud. 2,512 ff. kombiniert, wenn von Iudaea gesagt wird: s a c r i l e g a tenet a r t e uiam liuoris iniqui | et quaerit peritura dolos, quibus improba perdat | insontem sanctum r e a noxia callida fallax, etc.



Romul. X (Medea) 1. 53 

 143

sich gegenseitig. Das zeigt ein Blick auf den entsprechenden Katalog der Eigenschaften und Wirkkräfte Amors in 127 ff.; vgl. bes. 128 uapor fecunde poli; 130 tu uitae fecunda salus, tu blanda uoluptas. Zu fecunda amoris erhält man in der Erzählung von der Geburt Evas aus der Seite Adams (vom Schöpfer gewählt, um den Ehemann mit Liebe zu seiner Gattin, dem Fleisch aus seinem Fleische, zu erfüllen) geradezu einen Kommentar: laud. 1,390 somnus erat partus, conceptus semine nullo; materiem fecunda quies produxit amoris affectusque nouos blandi genuere sopores.

Auch die Kombination Venus, uenustas, uoluptas könnte angemessener nicht sein, vgl. Plaut. Bacch. 114 ff. quis istic habet? Amor, Voluptas, Venus, Venustas, Gaudium, Iocus, Ludus, Sermo, Suauisauiatio460.

Da sich der überlieferte Text hartnäckig gegen eine plausible Änderung sperrt und inhaltlich in der von β bezeugten Gestalt voll befriedigt, muß man die Prosodie von uenustăs hier zu den sonstigen Lizenzen rechnen, die sich der Spätling aus Karthago erlaubt. Unter ihnen ist eine Reihe von Beispielen, die in der sonstigen Latinität keine Parallele haben461. Die unkorrekte Kürzung der Endsilbe -tas in einem bakcheischen Wort findet eine naheliegende Erklärung: uenustas und die metrisch gleichwertigen Begriffe wie egestas, potestas, honestas rücken aus verstechnischen Gründen so gut wie immer an den Schluß des Hexameters (potestas z.  B. mehr als 300mal in antiken Texten, weit über 500mal in mittelalterlichen – gegenüber zwei Belegen für eine Stellung im Versinnern)462. Da aber die Schlußsilbe des Hexameters lang oder kurz sein kann, wird der prosodisch unsichere Dichter der Spätzeit die Schlußsilbe -tas in diesen Fällen als ‚anceps‘ wahrnehmen. Sieht er sich in der Zwangslage, uenustas im Interesse einer rhetorischen Figur ein einziges Mal an die vorletzte Versstelle zu rücken, findet er in dem ihm verfügbaren Reservoir hexametrischer Dichtung nicht ein einziges Muster für die Skandierung des Wortes im Versinnern. Also glaubt er sich berechtigt, die scheinbare ‚anceps‘-Silbe auch einmal als Kürze zu messen. Ob ihn die 460 Siehe auch Pervig. Ven. 76 Rura fecundat uoluptas, rura Venerem sentiunt. 461 Siehe Kaufmann 150121 und 40 (dort bes. Anm. 83). 462 Es handelt sich einerseits um den Wiederholungsvers 1,76 bei Lukrez (der 1,595; 5,89 und 6,65 wiederkehrt) andererseits um Ps.-Victorin. vita dom. 32 (8./9. Jh.?) sed huic nulla potestas et praesentia facta. Nur einmal läßt sich Stellung im Innern des Hexameters für egestas nachweisen: Lact. Phoen. 19 (gegenüber ca. 50/60 Endstellungen in Antike und ca. 90/100 im Mittelalter).

144 

 Kritischer Kommentar

Kenntnis der von M. Beck in Erinnerung gerufenen grammatischen Theorie463 davon hätte abhalten können, die erstrebte Stilfigur auf Kosten einer metrischen Lizenz einzuführen, kann man ebenso wenig wissen, wie man weiß, ob ihm diese Theorie bekannt war.

107. 109 Der aus dem Wasser aufgetauchte Amor schlägt die Flügel, so daß die abgeschüttelten Wassertropfen wie Feuerfunken glitzern und Flammen über das Meer fliegen. Dieser Vorgang wird durch einen Vergleich mit dem Vogel Phönix erläutert, der den von ihm aus Spezereien gebildeten Scheiterhaufen besteigt und dort mit den Flügeln Feuer schlägt, das zunächst die Duftstoffe, dann ihn selbst verzehrt: 102 sic, … | …, | Phoenix, sola genus, senio lassata uetusto, 105 cinnama cui folium nardum464 tus balsama amomum informant post saecla pyram reditura, sepulchrum conscendit factura rogos et uerberat alas ut flammas asciscat auis (sic nascitur ignis ante †alitem ambrosios iam consumpturus odores): 110 sic puer Idalius spargebat plausibus ignes.

Der Passus ist in Kaufmanns Kommentar ausführlich erörtert; der genaue Sinn der Verse 106 f. aber bleibt im Dunkeln: „Entweder fasst man sepulchrum als Objekt zu conscendit auf und bezieht rogos auf factura oder man vertauscht die Objekte (sepulchrum factura, conscendit rogos)“. In ihrer Übersetzung läßt sie den Vogel Phönix „[diesen] Haufen“ besteigen, „um daraus eine Brandstätte zu machen“465. Aber die Errichtung der Brandstätte war schon durch informant  … pyram (106) abgetan. Ein zusätzliches factura rogos wäre müßig. Vielmehr

463 Phocas 416,28 ‚as‘ syllaba terminata feminini sunt generis et tertiae declinationis ut ‚haec dignitas‘ … ‚a‘ littera in omni casu producta, cf. Ps.-Priscian. De accentibus liber 524,5. 464 Es ist vielleicht folium nardi zu schreiben, vgl. Colum. 12,20,5 adici debent h i o d o r e s: nardi folium, iris Illyrica, nardum Gallicum, costum, palma, etc.; Plin. nat. 12,42 de folio nardi plura dici par est ut principali in unguentis; 21,11 lautissimum quippe habetur e nardi folio eas dari; Mart. 4,13,3 tam bene rara suo miscentur cinnama nardo; Lact. Phoen. 83 ff. (cinnamon … et m i x t o balsama cum f o l i o. 87 his addit teneras nardi pubentis a r i s t a s). Ellis (261) verteidigt selbständiges folium durch Isid. orig. 17,9,2; der Schlußsatz lautet dort: fertur autem (sc. folium) Paradisi esse herba gustu n a r d u m referens. 465 Wolff hatte freier formuliert: „monte sur ce nid qui sera son tombeau“.



Romul. X (Medea) 53. 107. 109 

 145

folgt auf informant  … pyram konsequent der nächste Schritt: Der Vogel Phönix „besteigt“ diesen „Scheiterhaufen“, conscendit … rogos (107). Es liegt in beiden Sätzen die gleiche Variation pyra / rogus vor wie in Lucan. 3,240 quique suas struxere p y r a s uiuique calentis | c o n s c e n d e r e r o g o s. Dracontius hat also eine raffinierte Verschränkung der Satzglieder eingeführt: sepulchrum | conscendit factura rogos. Während conscendere sepulchrum nirgends belegt scheint, ist conscendere rogos seit Vergil (Aen. 4,645 f. altos | conscendit f u r i b u n d a rogos) geläufig (siehe noch Prud. perist. 2,353 und 5,221). Dracontius selbst hat diese Vergilstelle in laud. 3,510–515 genutzt, als er die mythischen Exempla Euadne (3, 510 conscendit mors uiua rogos) und Dido aufruft. Von Dido berichtet er: 3,514 ipsa p y r a m manibus propriis c o n s t r u x i t ut aram, quam pedibus f u r i a t a suis conscendit et arsit.

Zurück bleibt somit die Junktur sepulchrum … factura. Dies ist das genaue Gegenteil dessen, was wir in einer ausführlichen Schilderung des Vogels Phönix, wie sie in diesem Vergleich vorliegt, erwarten. Das entscheidende Moment ist in solchen Stellen jeweils die Überwindung des Todes (durch das Wiedererstehen aus der Asche). Dies gilt auch für Dracontius selbst, wie aus laud. 1,653 ff. und Romul. 5,115 f. hervorgeht: laud. 1,653 P h o e n i c i s exactam renouat Deus igne iuuentam exustusque senex t u m u l o p r o c e d i t adultus: 655 consumens dat membra r o g u s sine sorte s e p u l c r i. Romul. 5,115 haec (sc. Troia) igitur recidiua uiget p o s t b u s t a r e s u r g e n s P h o e n i c i s in morem.

Der wunde Punkt des Medea-Passus liegt demnach in factura (107), wofür m.  E. fugitura zu schreiben ist: Die Korruptel geht auf die häufige u/a-Vertauschung zurück, hier vielleicht durch die Varianten factura N, fuctura G ein weiteres Mal dokumentiert. Das Muster für den geringfügigen Eingriff liefert der Vers laud. 1,655: dem consumens dort entspricht consumpturus in Med. 109, dem rogus sine sorte sepulcri aber der (in dieser Weise zu ordnende) Satz conscendit rogos fugitura sepulchrum (Med. 106 f.)466. Durch die Korrektur wird in 106 f. eine wirkungsvolle formale Antithese wiedergewonnen: informant post saecla pyram r e d i t u r a, sepulchrum | conscendit f u g i t u r a rogos, der wiederum eine verwandte aus dem früheren Werk zur Seite gestellt werden kann:

466 Mit anderer Wortwahl sagt der Vers laud. 1,654 exustusque senex tumulo procedit adultus das gleiche aus. Die Form fugitura mit Akk.-Objekt findet sich auch Stat. silv. 2,3,76.

146 

 Kritischer Kommentar

laud. 2,8 nuntius aurorae quod Lucifer emicat ardens, ut f u g e t 467 astra poli, f u g i t u r u s lucis habenas.

In Vers 109 ist oben eine Crux gesetzt; denn Kurzmessung des Auftakt-a von ales ist in der ganzen lateinischen Literatur unerhört (s. ThLL I 1524,83 „peccatum ante alitem Drac. Romul. 10,109“) und wird auch bei Dracontius selbst durch 10 Belege für āles und durch Hel. 8,440 Iouis ālitis widerlegt. Von den vorgeschlagenen Verbesserungen (s. Kaufmanns Kommentar) kommt allein das von Baehrens eingeführte (auf auis in 108 zurückweisende) ipsam in Betracht, das durch die Glosse alitem verdeutlicht, in einem zweiten Schreibvorgang dann aber durch eben diese Glosse verdrängt wurde468. Ipse kommt an folgenden Versanfängen bei Dracontius in Synalöphe zu stehen: laud. 2,59 Quem ipse; 2,123 Ipse oculos; satisf. 167 Ipse inimicorum; 283 Si ipse ego; Hyl. 70 Ipsarum in longum. Mit dem Auftakt Ante ipsam ambrosios ist die doppelte Synalöphe in satisf. 283 jedenfalls verwandt; vgl. auch 282 Ecce etiam insontes; Hel. 44 Atque utinam infelix469. Aus anderen Autoren seien beispielsweise herausgegriffen: Ov. met. 10,685 meque ipsam exhortor; Homer. Lat. 149 Atque ipsam inualido; Orient. comm. 1,421 Atque ipsam ut; Paul. Petric. Mart. 3,431 Ipsam etiam; Val. Fl. 8,406 ipsam interea; Stat. Theb. 4,259 Ipsam et Amyclaeas; 7,495 ipsam urguens; Ach. 1,916 ipsam illic; ferner die Junktur ante ipsam in Lucr. 2,938 und Coripp. Iust. 2,364; schließlich ante ipsum in Verg. Aen. 2,469; 6,273 (= AL 11,29); Ov. ars 1,315; Lucan. 2,127; Iuv. 5,56.

151 Amor macht sich ans Werk, den durch Venus übermittelten Auftrag Junos zu erledigen. Er wählt Pfeile aus (spicula, 146), durch die er einst Luna-Diana in Liebe zum Hirten Endymion entbrennen ließ, und fügt erläuternd hinzu (Text und Übersetzung nach Kaufmann): 150 ,hoc‘, ait ignipotens, ‚telo Medea cremetur, quo Scythicam succendit Amor, dominaeque f a u i l l a s

467 So ist mit Arevalo zu schreiben an Stelle des überlieferten fugat B (fugiat A): Lucifer soll die Sterne vertreiben, selbst aber vor dem Sonnengespann fliehen. Der Passus 2,5 ff. ist durch vierfaches ‚faktisches‘ quod gegliedert (in 14 ist quod Relativpronomen); ut in Vers 9 scheint ebenso finalen Sinnes wie ne in 12 (vgl. inspiras, ut … uocetur) in 2,15. 468 Analog ist Hyl. 81 Napaeae] naidis N zu beurteilen. 469 Die letzten beiden Belege sind aus Kaufmanns Kapitel ‚Prosodie und Metrik‘ (40 ff.) entlehnt, s. dort Anm. 89.



Romul. X (Medea) 109. 151 

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e x c u t i a m per templa uolans, et uirgo cruenta adprobet hos arcus dominae plus posse pharetris. namque Diana feras, ceruos et figere dammas adsolet: hoc telum reges et numina figit.‘

„,Durch das Geschoss‘470, sagte der Feuergewaltige, ‚soll Medea verbrennen, durch welches Amor die Kolcherin471 entflammt hat, und ich werde d e r H e r r i n d i e [ O p f e r ] a s c h e n w e g w e h e n, wenn ich durch den Tempel fliege, und die blutrünstige junge Frau soll zugeben, dass dieser Bogen mehr vermag als der Köcher ihrer Herrin. Diana ist nämlich gewohnt, wilde Tiere, Hirsche und Rehe zu durchbohren: Dieses Geschoss durchbohrt [jedoch] Könige und Gottheiten.‘“

Die durch Sperrung hervorgehobene Verbalaussage, die Wolff durch die Formulierung „j’enlèverai à sa maîtresse ses cendres chaudes“ wiedergegeben hatte, kommentiert Kaufmann wie folgt (zu 151 f.): „Cupido will durch seinen Flügelschlag die Asche von Dianas Altar wegwehen. Dieses Bild steht für Cupidos Entschluss, Diana ihrer Priesterin zu berauben.“ Doch fügt sie einschränkend hinzu: „Welchen Vorgang favillas excutiam genau bezeichnet, ist unklar, denn sowohl für die Junktur als auch für die Aussage fehlen Parallelen.“ In Wirklichkeit dürfte es um den Ausdruck noch schlimmer bestellt sein: er scheint sinnlos im Zusammenhang der daraus abgeleiteten Folgerung, die blutrünstige472 Medea müsse (aufgrund der soeben erwähnten Handlung Amors) zugeben (adprobet!), daß d i e s e G e s c h o s s e mehr vermögen als die ihrer Herrin Diana473. Diese Folgerung setzt voraus, daß zuvor von den auf Medea geschossenen P f e i l e n Amors die Rede war. Das Objekt fauillas scheint also durch s a g i t t a s ersetzt werden zu müssen, dem einzigen naheliegenden Begriff aus der „Pfeil und Bogen“–Semantik, der in 146. 150 ff. neben spicula, telum, arcus, pharetra, excutere und figere fehlt. Demnach kündigt Amor in 150 ff. an, er werde im Flug s e i n e P f e i l e d u r c h d e n T e m p e l r a u m d e r D i a n a, M e d e a s H e r r i n, s c h i c k e n (und der mordlüsternen Diana-Priesterin eine solche Liebeswunde schlagen, daß sie von der Opferung Jasons ablas-

470 telum ist kollektiver Singular, s. Kaufmann zu 150 f. und zu 146. 471 Gemeint ist – entgegen der Auffassung Kaufmanns (215) – nicht Medea, sondern (wie in Vers 10) die Göttin Luna-Diana (so wird sie in 188 von Medea genannt). 472 Das Epitheton cruenta bezieht sich auf die aus der Taurischen Iphigenie übertragene Aufgabe der kolchischen Diana-Priesterin Medea, gestrandete Fremdlinge (wie bald Jason) am Altar der Göttin zu opfern. In diesem Sinne wird die Junktur uirgo cruenta dann ein weiteres Mal in 195 eingesetzt. 473 Wer will, mag bei „Bogen“ und „Köcher“ bleiben, aber er sollte sich bewußt sein, daß sowohl arcus als auch pharetrae für spicula eintreten kann.

148 

 Kritischer Kommentar

sen wird). Eben diese Ankündigung wird 182 ff. realisiert: Jason wird zum Altar der Diana geführt; der Liebesgott begibt sich heimlich in den Tempel (t e m p l a petit) und läßt die Pfeile in seinem Köcher ertönen (183 sonuerunt tela pharetris – von Medea fälschlich als Gunstbezeugung der Diana gedeutet). Jason erblickt den Knaben Amor im Flug grüßend (199 f. uidet ecce uolantem | atque salutantem puerum)474. Als er seine Bitte um Errettung vor dem tödlichen Schwertstoß Medeas an Venus und Cupido richtet (218 f. „succurre Venus, succurre Cupido: | iam ferior, Medea ferit“), „legte jener einen feurigen Pfeil an die glitzernde Sehne [und] schickte den Bambus[pfeil] mit Eisen[spitze] zwischen den flammenden Bogenenden hindurch, [und] sirrend flog das Geschoss: [Medeas] Innerstes entflammte, ihr Herz glühte“475 etc., schließlich ließ ihre kraftlos gewordene Rechte das Schwert fallen: 220 ignea sidereo componit s p i c u l a neruo, misit arundineum per flammea cornua ferrum, stridula t e l a uolant: rapiunt praecordia flammas (sc. Medeae) etc.

Als die Amme versuchte, Medea doch noch zur Ausführung der Tat zu überreden, und ihr schließlich das Schwert zurück in die Rechte legte, schrie Jason wieder in Todesangst auf. Das veranlaßte Amor, ein zweites Mal Pfeile auf Medea zu schießen und das schwankende Herz der in Liebe Entbrannten zu zermürben: 240 pinnatus subrisit Amor rursusque s a g i t t a s iecit et ardentis nutantia corda fatigat.

Hier haben wir nun in sagittas | iecit die unmittelbare Umsetzung der Ankündigung s a g i t t a s | excutiam von 151 f. Wenig später stellt der auf seinem Tigergespann aus Indien zurückkehrende Gott Liber (Bacchus) fest, daß der geflügelte Knabe Amor die kolchische Medea mit seinen Pfeilen durchbohrt und dabei das Heiligtum der Diana verwüstet habe: 276 sensit amoriferum Scythicam fixisse s a g i t t i s et uolucrem puerum populatum t e m p l a D i a n a e.

474 Auch der Präpositionalausdruck per templa (152) erscheint (freilich in anderem Zusammenhang) in 205 (matris et insertae pendent p e r t e m p l a coronae). 475 So die Übersetzung Kaufmanns.



Romul. X (Medea) 151 

 149

Die oben postulierte Ersetzung des korrupten fauillas durch sagittas wird also zweifach bestätigt476. Der Überlieferungsfehler wurde vermutlich initiiert durch die häufige s/f-Vertauschung und dann assoziativ weitergesponnen aufgrund der Brandsemantik des Textumfeldes (succendit, cremetur und ignipotens). Zusätzlich hat man mit einer Vertauschung der Buchstaben tt (in Ligatur) / ll und einer Graphie des g in c-gleicher Form zu rechnen477, die eine g/u-Vertauschung begünstigte. Verwirrung mag auch die Unsicherheit, wie dominaeque zu beziehen sei, gestiftet haben. Das Wort steht in nicht unmittelbar durchschaubarer Sperrung, gehört zu per templa: Das Satzglied dominae … per templa (sagittas) sollte geradezu anaphorisch durch dominae … pharetris aufgegriffen werden. Die Junktur sagittam (-as) excutere ist ganz geläufig; vgl. etwa Sen. Hf 989 f. excutiat leuis | neruus sagittas. tela sic mitti decet | Herculea (es folgen 992 ff. die Begriffe arcus, cornua, pharetra, harundo, spiculum); Phoen 428 f. (sagitta … excussa); Sil. It. 2,125–128; Coripp. Ioh. 5,330. Bei den Kirchenvätern stellt sie sich ein im Zusammenhang mit dem Psalmvers 126,4 sicut s a g i t t a e in manu potentis ita filii e x c u s s o r u m; als Beleg genügt der Passus Aug. in psalm. 126,9 (CCL 40, lin. 4) e x c u s s i sunt quidam de manu domini, tamquam s a g i t t a e; (lin. 11) de arcu e x c u t i u n t u r s a g i t t a e; (lin. 18) e x c u t e r e t illuc s a g i t t a m). Die Stringenz einer solchen Lösung favorisiert auch R. Jakobi, doch hat er sich dankenswerter Weise bemüht, dem überlieferten fauillas | e x c u t i a m wenigstens einen potentiellen Platz in der Diskussion zu sichern. Dies könnte – wie er scharfsinnig gesehen hat – allenfalls so bewerkstelligt werden, daß man in ­fauillas excutiam eine mit 6,28 verwandte metaphorische Aussage annähme478, die das Entfachen der (noch verdeckten) Liebesglut der Dianapriesterin (der u i r g o cruenta von 152) umschreiben soll. Es wäre also zu prüfen, ob 10,151 f. (d o m i n a e que fauillas | excutiam p e r t e m p l a uolans) in dem folgenden Sinne ver-

476 Ein drittes Mal durch die S. 284 ff. zu besprechende Adaptation des Passus in der ‚Aegritudo Perdicae‘, s. Aegr. 42 paruit imperio matris pharetramque s a g i t t i s plenam fundit humi tollitque e pluribus unam ‘Hoc telum est’ dicens ‚olim quo Iuppiter auro 45 decidit et Danaen fuluo compressit amore; ast’ (aliud tollit) ‚Ledam hoc quo cycnus amauit, Antiopam satyrus tenuit; iam fessa s a g i t t a est. quo, Perdica, tibi c a l a m o firmemus amorem? 477 Siehe Vollmers Tabellen der c/g- und g/c-Verschreibungen (1905, 446. 449. 452). 478 In 6,25 ff. wird das Wirken der Venus wie folgt umschrieben: praecordia dura | mollis adire soles, nolentibus ire per artus | et mentes intrare senum uenasque leuare | i g n i b u s et gelidas c a l i d i s r e p a r a r e f a u i l l a s, | ut ueteranus amet senior ceu nuper adultus. Zu fauilla „in metaphoris et translate“ s. ThLL VI 1,378,58 ff.

150 

 Kritischer Kommentar

standen werden kann: Das Bild ‚Amor fliegt (mit seinem gefüllten Köcher) durch den Tempelraum Dianas, der Herrin Medeas, und entfacht dabei das verdeckte Feuer aus der Asche‘479 solle insinuieren, daß Amor im Flug seine Pfeile auf Medea schießen und dadurch in der jungfräulichen Priesterin die Liebe zu Jason entbrennen lassen wird. Doch versteht man nicht den Sinn des metaphorischen Umweges. Was sollte der Dichter gewinnen, wenn er den mit konkreten Pfeilen ausgestatteten Amor das verdeckte Feuer aus der Asche entfachen läßt (von dem sonst nicht die Rede ist), statt direkt die zum Entfachen der Liebe vorgesehenen Pfeile im Köcher zu nutzen? Dieser Ausweg scheint in realitätsferne Spekulation zu führen. Es kommt hinzu – wie M. Deufert gesehen hat –, daß die in Anm. 478 und 479 angeführten Stellen (wenn man sie auf Medea bezieht) implizieren, daß Medea schon einmal ‚gebrannt‘ hat; sonst müßte man keine (alte) Asche wegschütteln (fauillas excutere), um die verborgene Glut neu zu entfachen. Das aber fügt sich nicht zu der, angefangen von Vers 1, mindestens siebenmal als u i r g o herausgestellten kolchischen Medea.

170 Amor fliegt auf dem Taubenwagen der Venus durch die Lüfte, jedoch so, daß er bald auf dieser, bald auf jener Taube sitzt und seine Freude daran hat, „sein Gespann nunmehr leichter zu machen und sich im Flug zu balancieren (dass sich der Wagenlenker mit seinen eigenen Flügeln in die Luft gehoben hatte, nahm das Viergespann im Flug deutlich war), suchte [dann] wiederum die Tauben auf und

479 Zum Ausdruck fauillas excutere s. Pers. sat. 6,44 f. aris | frigidus excutitur cinis; Claud. 8,471 excutiat cineres Ephyre; verwandt ist die häufige Junktur ignem (-es) excutere, so bei Dracontius selbst, Med. 99 ff. micat i g n i s ut astra | plausibus e x c u s s u s pueri, per cuncta uideres | s c i n t i l l a r e diem, uolitant super aequora f l a m m a e. In laud. 1,653–662 schildert Dracontius ausführlich, wie aufs neue Flammen aus der kalten Asche des Phönix-Scheiterhaufens emporzüngeln; s. dort 661 f. et c i n i s extinctus gelida moriente f a u i l l a | tollitur alta petens e r e c t o c r i n e uagatus. Für den hier verhandelten Zusammenhang von Interesse ist ferner der Passus aus dem 7. Buch der Metamorphosen, in dem Ovid schildert, wie sich Medea, die ihre anfäng­ lichen Gefühle für Jason zurückgedrängt hatte, beim Anblick des Jünglings in ihn verliebt. Der Dichter veranschaulicht den Vorgang durch einen Vergleich: met. 7,79 utque solet uentis alimenta assumere quaeque 80 parua s u b i n d u c t a l a t u i t s c i n t i l l a f a u i l l a crescere et in ueteres agitata r e s u r g e r e uires, sic iam lenis amor, iam quem languere putares, ut uidit iuuenem, specie praesentis i n a r s i t.



Romul. X (Medea) 151. 170 

 151

bildete nach den Rücken der Fliegenden mit dem Köcher den Abschluss“ [Kaufmann]: 165 tamen impiger ales nunc hanc nunc illam residet gaudetque iugales iam releuare suas et se pensare uolatu480 (sublatum propriis persentit in aera pinnis aurigam quadriga uolans) iterumque columbas 170 appetit et pharetris concludit dorsa uolantum.

Die in den Ausgaben gedruckte Fassung des Verses 170 wird in der hier zitierten Übersetzung nach bestem Vermögen wiedergegeben. Wolff hatte in Anlehnung an Vollmer wie folgt formuliert: „et, muni de son carquois, ferme la marche des volatiles“. Beide Versuche zeigen, daß der überlieferte Wortlaut pharetris c o n c l u d i t dorsa keinen sinnvollen Gedanken ergibt. Es geht ja in 169bf. um die Gegenbewegung zu 167–169a: Dort hatte sich Amor selbst zum Fliegen entschlossen und dadurch dem Taubengespann (auf dem er abwechselnd ritt) Erleichterung verschafft (s. das Stichwort releuare in 167), jetzt nimmt er wieder den früheren Platz ein und – so muß die Schilderung gemäß der Gedankenlogik weiterlaufen – beschwert aufs neue, mit seinem Köcher ‚drückend‘ (oder „stoßend“), den Rücken der fliegenden Tauben. Statt eines blassen onerare ist das plastische Bild von dem (mit Pfeilen gefüllten) Köcher gewählt, der den Rücken der jeweiligen Taube aufs neue (beschwerend) „hinabdrückt“ oder „bedrängt“: Für das sinnlose concludit setze ich das Verb contrudit, um den benötigten Gegenbegriff zu releuare zu gewinnen. Es dürfte eine Verwechslung der tr- mit der clLigatur vorliegen481. Bücheler hatte conlidit („zusammenschlagen“, „zusammenstoßen“) vorgeschlagen; das ist einerseits zu stark, kann andererseits nicht die erwünschte Opposition zu releuare bilden. Letzteres dürfte auch auf Peipers contundit zutreffen482, das ansonsten die beste Alternative zu contrudit darstellt, paläographisch nur geringfügig unterlegen scheint. Das Simplex trudere verwendet Dracontius in laud. 1,553 für die „Verstoßung“ aus dem Paradies (truduntur ab horto | perpetui floris), ein weiteres Mal in laud. 2,507 f. für den Sturz der sündigen Engel, „der Kohorten des Teufels“, aus dem Himmelspalast und ihre Verstoßung in die „schwere“ Verdammnis aufgrund ihrer unendlichen Schuld (praecipiti iactu quas celsa palatia caeli | exilio trusere

480 Vgl. Alc. Avit. carm. 6,12 f. Pegasus … | fingitur assumpto p e n d e n s hinnisse u o l a t u. 481 In 176 folgt an gleicher Versstelle ex c l u d i t; es wäre also auch irrige Antizipation nicht grundsätzlich auszuschließen, s. Axelson, Korruptelenkult, Lund 1967, 26. 482 Das Verb erscheint bei Dracontius einmal in Hel. 411 ubera lactantes c o n t u n d u n t frontibus agni, ein weiteres Mal als Simplex in laud. 3,648 (pectora t u n d o).

152 

 Kritischer Kommentar

graui sub perpete culpa483). Dabei gibt die Kombination trusere g r a u i (exilio) den Aspekt der Schwere und der Bedrängnis (oder der „Be-drückung“) wieder, der an unserer Stelle in Opposition zu releuare gefordert ist: „mit dem Köcher den Rücken der (fliegenden) Taube schwer lastend hinabdrücken“ (oder auch „pressen“, „bedrängen“), das soll hier durch contrudit zum Ausdruck gebracht werden484. Als Kenner des Lukrez konnte Dracontius trudere und Komposita viele Male in entsprechendem konkret-materiellem Zusammenhang verwendet finden, so etwa bei der Beschreibung der Windhose (6,431 ff.), die sich ereignet, wenn die Gewalt des Windes (uis incita uenti) die Wolke nicht zerbrechen kann, „sondern hinabdrückt (deprimit), so daß sie wie eine Säule vom Himmel ins Meer hinabgelassen (demissa) wird, freilich nur nach und nach, gleich als ob etwas mit Schlägen der Faust oder des Armes von oben gestoßen wird und sich so (nach unten) in Richtung der Fluten ausbreitet“ (434 quasi quid pugno bracchique superne | c o n i e c t u trudatur et extendatur in undas). „Hat der sich nach unten bewegende Windwirbel die vom Naß beschwerte Wolke dann auf die Oberfläche des Meeres niedergedrückt (detrusit ad aequora ponti), stürzt er sich sofort ganz ins Wasser und bringt mit gewaltigem Brausen das ganze Meer in Wallung“485. Alcimus Avitus (ein späterer Zeitgenosse des Dracontius) hat in carm. 5,324 das Dikolon qui t e r g a premat, qui limite trudat. Bei Orosius liest man: 7,35,18 in t e r g a trudebat; 5,19,7 contrususque in carcerem. Häufig begegnet das Verb in übertragenem Sinne (z.  B. in angustias contrudere), wofür ein Beispiel aus Augus­ tinus genügen möge, das zunächst die Kombination der Verben (in angustias) impulerunt und urgeberis bietet und dann endet mit quod dogma nisi correctus abieceris, istas prementes et in horrendum praecipitium contrudentes angustias non effugies (c. Iulian. op. imperf. 6,25 [CSEL 85/2 p. 381, 46]).

483 Vgl. Sidon. carm. 16,53 c u l p a nos p e r p e t e uinxit (sc. Eva, durch die Übertretung des göttlichen Gebotes). 484 Nach ThLL IV 789,16 ff. steht contrudere für detrudere, inicere, cogere, coartare. 485 Vgl. Lucr. 6,507 ff.: Die Wolken entladen den Regen, einerseits weil uis uenti contrudit (510), andererseits weil et ipsa | copia nimborum turba maiore c o a c t a | urget et e supero premit ac facit effluere imbris (510–512); vgl. 6,733 f. ad altos denique montis | contrusae nubes c o g u n t u r uique premuntur. Siehe ferner Lucr. 4,916 ff. (Schlaf stellt sich ein, wenn) distracta per artus | uis animae … contrusa magis concessit in altum („die in den Gliedern zerstreute Lebenskraft stärker zusammengedrückt sich ins Innere zurückgezogen hat“); die Junktur trudit et impellit in 6,1033; contrusit in unum in 6,211. Erinnert sei auch an Verg. georg. 3,373 (cerui) frustra oppositum trudentes p e c t o r e montem („beim Versuch, den Sperriegel der aufgetürmten Schneemassen mit der Brust wegzustoßen“)  – in der Struktur (Verb, instrumentaler Abl., Objektsakk.) verwandt ‚unserem‘ p h a r e t r i s contrudit d o r s a uolantum.

Romul. X (Medea) 170. 171. 173 



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171. 173 Bevor Amors Taubengespann Kolchis erreicht, wird eine Ekphrasis der in winterlichem Eis starrenden Örtlichkeit gegeben: 171 Nondum per Scythicas glacies stat barbara Colchis, et iam bruma rigens Arctoi tristior axis torpebat † coacta gelu et pinniger audax; et magis accessu pueri plaga maesta serenat 175 aduentum testata dei486: mox taetra fugantur nubila, caeruleos excludit flammiger imbres. Impia iam Colchis, iam saeuior ara Dianae coeperat ostendi: „La barbare Colchide n’est pas encore prise dans les glaces scythes; pourtant régnait déja l’hiver rigoureux, sinistre, du pôle arctique † et engourdi, raidi par le froid et le dieu ailé plein d’audace †.

Die Schilderung der kalten Jahreszeit hat offensichtlich durch nicht wiederzugewinnenden Textausfall gelitten, der umfangreicher sein dürfte, als es durch Wolffs Textdarbietung (173 † torpebat coacta gelu † et pinniger audax) angezeigt wird. Vers 173 bietet zwei Verstöße gegen Metrik und Prosodie, die die inhaltlich disparaten Kola cŏacta gelu || et pinniger audax (gleicher Versschluß in Romul. 2,71) auch verstechnisch als miteinander unvereinbare Textstücke ausweisen. Ihre Diskrepanz wird am auffälligsten durch den Hiat in gelu et markiert, der offensichtlich durch Versverlust zustandegekommen ist. Auch der metrisch problematische Auftakt torpebat cŏacta deutet auf eine Korruptel. Denn Dracontius beachtet in den sechs weiteren bei ihm vorfindlichen Belegen des Wortkörpers coact- ausnahmslos die richtige Prosodie. Dies rechtfertigt den leichten Eingriff Büchelers concreta gelu, den Kaufmann ad loc. durch eine Reihe von Parallelen gerechtfertigt hat487. Bei der Verschreibung könnte neben paläographischer Ähnlichkeit beider Wortkörper auch Assoziation des gängigen Synonyms (cogere/ coacta) mit im Spiel gewesen sein; man denke an Stellen wie Gell. 17,8,13 gelu coguntur; Verg. georg. 4,35 f. f r i g o r e mella c o g i t hiems; Ov. trist. 3,10,51 f.

486 In diesem Vers klingt Claud. rapt. Pros. 1,7 ff. an, siehe i a m mihi cernuntur trepidis delubra moueri | sedibus et claram dispergere limina lucem | a d u e n t u m t e s t a t a d e i; i a m magnus ab imis | auditur fremitus terris templumque remugit. 487 Petron. 123 v. 200 (et c o n c r e t a g e l u ponti uelut unda ruebat); Claud. carm. min. 34,7 f.; AL 532,1 f. R2; Mart. 4,59,4.

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 Kritischer Kommentar

nimii Boreae uis saeua marinas |  … c o g i t aquas488; Ulp. dig. 43,14,1,4 quae  … aqua plerumque hieme c o g i t u r. Nichts zwingt aber dazu, die Crux d ­ esperationis mit Wolff bereits vor torpebat zu setzen. Denn die Formulierung bruma rigens489 Arctoi t r i s t i o r axis | torpebat scheint tadellos; vgl. mens. 21 p i g r a redux torpescit hiems (es folgt in 23 algida bruma rigens); Claud. 1,269 f. prima tibi ­procedat hiems non frigore torpens, | non canas uestita niues; Colum. 10,77 Riphaeae torpentia frigora brumae490. Während der durch Textausfall verursachte Schaden in 173 nicht zu beheben ist, kann man in Vers 171 weiterkommen: Kaufmann ersetzt dort nondum durch non iam, um den inhaltlichen Widerspruch zwischen 171 (‚noch nicht Winter‘) und 172 f. (‚eisiger Winter‘) aufzulösen. Daß ein Versbeginn non iam, der unmittelbar über dem nachfolgenden Versbeginn et iam steht, in nondum verschrieben worden sein sollte, scheint wenig plausibel. Geradezu unmethodisch aber ist es, zusätzlich dann auch noch dieses et iam zu Beginn von Vers 172 in et qua zu ändern. Da die auf das überlieferte nondum folgende Formulierung wegen des nackten per glacies stat (Colchis) sehr unelegant klingt491, dürfte sich hinter dem Zeitadverb eine tiefere Verderbnis verstecken: Wir haben in dem sinnwidrigen Nondũ eine Verschreibung aus ursprünglichem H o r ( r ) i d a vor uns492. Der Vers H o r r i d a per Scythicas glacies s t a t barbara Colchis ergibt einen vorzüglichen Einsatz der Ekphrasis. Dem horrida per glacies stat entspricht Vergils glacie riget horrida barba in Aen. 4,251  – ebenfalls in einer Ekphrasis, einer Beschreibung des Atlasgebirges, das Merkur auf seinem Flug nach Karthago zu einer Pause nutzt. Dracontius konnte in diesem Flug des geflügelten Merkur ein Vorbild für Amors Flug nach Kolchis sehen. Wie in Med. 175 ff. von taetra nubila und imbres erzählt wird, so in Vergils Schilderung von uentos, nubila, nubibus

488 In siue redundatas flumine (v. 52) steckt wahrscheinlich eine Korruptel: statt flumine böte sich flamine an, s. Priscian. periheg. 655 hunc tamen immenso torrentem flumine uertit | in glaciem B o r e a s horrendo flamine s a e u u s; Orient. comm. 2,279 f. illos constringet uiolento infusa rigore | flatibus hibernis dura gelu glacies. 489 Diese Junktur ist aus Lucan. 1,17 geholt (qua bruma rigens … | a s t r i n g i t Scythicum g l a c i a l i f r i g o r e pontum) und in mens. 23 wiederholt (s. dort). 490 Zu t r i s t i o r torpebat (Bruma rigens) s. Drac. laud. 3,317 hiemis glacies aeterno frigore t r i s t i s; Ov. trist. 3,10,9 cum t r i s t i s hiems squalentia protulit ora; Lucan. 4,50 p i g r o bruma gelu siccisque aquilonibus haerens; Prud. Symm. 1 praef. 23 torpebat glacie p i g r a (uipera); Sen. Tro 624 (metaphorisch) torpetque uinctus frigido sanguis gelu. 491 Anders Horaz (carm. 2,9,4 f.): nec Armeniis in oris, | amice Valgi, stat glacies iners | mensis per omnis. 492 Der Verderbnis liegt eine Vertauschung von H/N (vgl. beispielsweise die zweite Hand des cod. N in 567/570/595 Nautae / Hunc / Nescius, jeweils Versbeginn) und von -a/-u zugrunde: Ein mit einfachem r geschriebenes Horida ist kaum von Nondũ zu unterscheiden.



Romul. X (Medea) 171. 173. 212 

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atris, uento  … et imbri. Vor allem aber erinnert Vergils Übergang vom Flug zur Ortsbeschreibung (Aen. 4,246 iamque uolans apicem et latera ardua cernit | Atlantis duri) an Drac. Med. 177 f. Impia iam Colchis, iam saeuior ara Dianae | coeperat ostendi. Wir dürfen also in dem wiedergewonnenen horrida per glacies stat eine Reminiszenz an Vergils glacie riget horrida erkennen493. Zur Junktur sei ferner verwiesen auf Sil. 4,741 horrebat glacie saxa inter lubrica … Appenninus; Rut. Nam. 1, 485 glacie riget horridus Hister; Avian. fab. 29,1 f. horrida congestis cum s t a r e t b r u m a pruinis | cunctaque durato stringeret arua gelu; Lucan. 5,434 ff. aequora lenta iacent, alto t o r p o r e ligatae | p i g r i u s immotis haesere paludibus undae. | sic s t a t iners Scythicas a s t r i n g e n s Bosporus undas, | cum glacie retinente fretum non impulit Hister, | immensumque gelu tegitur mare.

212 210 et ridens gauisus ait: ‘pirata decore, quid metuis, quem fata manent, cui494 uita superstes restat adhuc, quem regna petunt, cui pellis495 †aurata imminet et coniunx dabitur Medea sacerdos?

Alle bisher gemachten Vorschläge, das korrupte aurata in 212 zu verbessern, sind von Kaufmann mit starken Argumenten abgelehnt worden. Gleichwohl hatte ich versucht, den von Vollmer hergestellten hypermetrischen Versschluß cui pellis inaurata als das kleinere Übel zu tolerieren496. In dieser Fassung würde inaurata durch Synalöphe der Endsilbe ähnlich mit folgendem i m m i n e t verschmolzen, wie dies in Verg. Aen. 6,602 f. (cadenti-que | i m m i n e t ) der Fall ist497. Sollte Vollmers Lösung nicht zutreffen (so hatte ich weiter argumentiert), bliebe wohl nur die Annahme, daß in aurata eine Glosse vorliegt, die das Ursprüngliche verdrängt hat. Sie wäre dann hinzugesetzt worden, um entweder ein pretiöses Attribut zu entschlüsseln, das das „goldene“ Vließ als d i u e s pellis (Med. 32 f.

493 Zur Ersetzung des Abl. instr. glacie durch per glacies s. Kaufmanns Kommentar (S. 226 mit Anm. 668). 494 So Bücheler für cum (β). 495 Vgl. den Versauftakt c u i p e l l i s latos umeros (operit) in Verg. Aen. 11,679. 496 Wollte man in laud. 1,273 der Hs B folgen, läge dort ein hypermetrisches -que vor. 497 Vergleichbar scheint die hypermetrische Synalöphe vor a d u o l a t in Aen. 10,895 (s. dort Harrisons Kommentar), ebenso schon Catull. 64,298. Zwar sind hypermetrische Verse üblicherweise auf schließendes -que beschränkt; aber in Verg. georg. 2,69 (arbutus horrida) und 3,449 (uiuaque sulpura) halten die neueren Herausgeber (wie schon spätantike Grammatiker) hypermetrisches -a für hoffähig.

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 Kritischer Kommentar

und Val. Fl. 5,203) umschrieb (metrisch passend wäre wohl nur opima), oder ein Hendiadyoin nach dem Muster pellis e t a u r u m498. Für beide Versionen scheint sich kein passender Beleg zu finden. Das denkbare Hendiadyoin scheidet wohl auch deshalb aus, weil eine Interlinear- oder Randglosse inaurata kaum säuberlich sowohl aurum als auch et verdrängt hätte. Man darf vermuten, daß Dracontius durch Cic. Tusc. 1,45 oder Rhet. Her. 2,34 den in zweifacher Synalöphe verschlungenen Versschluß pell(em) inaurat(am) arietis aus der ‚Medea‘ des Ennius (scaen. 251) kannte, und deshalb dafür aufgeschlossen war, seinen Versschluß pellis inaurat(a) mit dem folgenden Versauftakt imminet zu verschmelzen, zumal er sich bei diesem verseinleitenden Verb durch das Beispiel Vergils (s.  o.) annähernd gerechtfertigt fühlen konnte. Dem setzt R. Jakobi entgegen: „Einen Hypermeter würde ich allenfalls bei -que am Hexameterende zulassen. In meinem Text steht seit Jahren eben pellis et aurum; wenn zwei Personen unabhängig das gleiche erwägen …“. So sei ihm diese Konjektur verdientermaßen zugeschrieben. Als Alternative schlägt M. Deufert vor, aurataque pellis für überliefertes cui pellis aurata zu schreiben. Man müßte dann, so seine Erläuterung, aus dem quem (212) ein cui ziehen analog der Konstruktion Verg. georg. 3,282 f. hippomanes, quod saepe malae legere nouercae | miscueruntque herbas et non innoxia uerba („ähnlich wohl auch Lucr. 2,87 f.“), s. Kühn.–Stegm. II 323 f. Diese Fassung scheint sehr attraktiv. Spätere Leser oder Schreiber mußten ja natürlicherweise bestrebt sein, die Verschmelzung der beiden Relativpronomina aufzulösen und auch dem zweiten Satz sein eigenes, der grammatischen Konstruktion angemessenes Relativ zu geben (wie man das im voraufgehenden Vers 211 durchgeführt sah). In der Dichtung be­gegnet die Junktur aurata pellis bei Catull (64,5) und Manilius (5,377).

251 Medea als Tempelpriesterin, durch Amors Pfeile zu leidenschaftlicher Liebe entflammt, fragt das noch gefesselte, wehrlose Opfer Jason: 248 ‘dic, nauta fugax, pirata nefande: est consors m a t r o n a decens an caelibe uita 250 degis adhuc nullumque domi [tibi] pignus habetur?

498 Verwiesen sei auf die Versschlüsse et auro bzw. et aurum in Ov. met. 7,155 und 213, in denen jeweils das goldene Vließ durch bloßes metonymisches a u r u m bezeichnet wird.



Romul. X (Medea) 212. 251. 267  f. 

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Sie erhält die Antwort: ‘solus’ ait captiuus ‘ago: mihi pignora nulla c o n i u g i s aut subolis.’

Wie zu erwarten, sind in der Antwort die Stichworte der Frage aufgenommen (dies ist hier durch einander entsprechende Markierungen kenntlich gemacht). In Vers 251 steht freilich in allen Ausgaben bis auf den heutigen Tag die in β überlieferte triviale Verschreibung ego statt ago. Dieses ago hatte Rossberg 1887 an die Stelle „des unmotiviert sich vordrängenden ego“ gesetzt499, um dem Verb degis aus Medeas Frage in Jasons Antwort ein synonymes Pendant zu schaffen. Ohne diesen minimalen Eingriff bliebe die zweiteilige Antwort Jasons ohne Verb, würden beide Verbalausdrücke Medeas elliptisch beantwortet. Für die Änderung spricht auch eine Ausoniusstelle, die Dracontius möglicherweise gekannt hat500. Im 9. Gedicht der Parentalia klagt Ausonius über den frühen Tod seiner Gattin (4 c o n i u g i s ereptae). Die folgenden Verse berühren sich mit den oben ausgeschriebenen des Dracontius501: 13 torqueo deceptos ego uita caelibe canos,   quoque magis solus, hoc mage maestus ago. 26   liquisti natos, pignora nostra, duos.

Daß Dracontius agere im Sinne von uiuere verwenden kann, ergibt sich aus satisf. 127 captiuus securus agit und Romul. 7,5 recreatus agens.

267 f. Cupido hat die Bitte seiner Mutter Venus erfüllt (die ihrerseits im Auftrag der Göttin Juno vorstellig geworden war) und Jason vor dem Todesstreich der DianaPriesterin Medea gerettet, ja, beide zu einem Liebespaar vereint. Dem „Triumphator“ Amor (262 ff.) spendet dessen Gefolge, eine Schar von Ehe- und LiebesPersonifikationen, lebhaften Beifall, zuletzt das Dreigestirn „Eintracht, Anmut, neckisches Liebesspiel“; denn: „ein freudiger Bräutigam war (nunmehr) Iason 499 Siehe Rossb8 857. 500 Rossberg hat mehrmals Anlaß für die Annahme gesehen, daß Ausonius zu den sprach­ lichen Mustern des Dracontius zu zählen sei. 501 Siehe Auson. 10,9,13  f. Green. Im Gedicht VII (Pater ad filium), v. 7  f. böte Ausonius auch ein Beispiel für solus ego …, solus eram – zum Ausdruck seiner Verlassenheit, nachdem der Sohn auf dem Nachen davongesegelt ist.

158 

 Kritischer Kommentar

und eine freudige Braut die Priesterin! Sie läßt den Tempel hinter sich und eilt zum Brautgemach. Da stellt sich auch Juno als Brautführerin ein und stattet der Venus in einem wortgewandten Hymnus ihren Dank (für die Rettung ihres Günstlings Jason) ab“: 266 dant faciles plausus Concordia Gratia Lusus: s p o n s u s I a s o n erat g a u d e n s et sponsa sacerdos. ad t h a l a m o s post templa ruit. tunc502 pronuba Iuno adfuit et grates Veneri facunda canebat.

Die Stelle ist in Kaufmanns Kommentar ausführlich erörtert (277–283), jedoch auf der Grundlage einer problematischen Textfassung: Sie setzt hinter 266 Punkt und gibt 267 f. als durchlaufende Periode (sponsus Iason erat gaudens et sponsa sacerdos|ad thalamos post templa dŭcit. tunc …) mit der bewußt in Kauf genommenen unmetrischen Lesart d u c i t (s. S. 281 f.). Sie erläutert: „Während sonst die Braut in einem Umzug zum Haus des Mannes geleitet wird, führt Medea hier Jason zum Hochzeitsgemach“ (281). Darauf wollte der Dichter aber schwerlich abheben, wie aus dem gleichfalls parallel gebauten Verspaar 338 f. hervorgeht: 338 mox t h a l a m o s subiere pares: l a e t a t u r I a s o n s p o n s u s et in castris Veneris M e d e a t r i u m p h a t.

Die von Bücheler gefundene Emendation beseitigt eine Verderbnis, die entweder auf eine Vertauschung der Buchstaben r/d (und u/ci) zurückgeht (s. Anm. 345) oder auf einen Ausfall des Verbs ruit vor tunc, das dann durch ducit (et) vermeintlich sinngemäß ersetzt wurde. M. Beck plädiert entschieden für den von Bücheler eingeführten Singular ruit (Baehrens hat daraus ruunt gemacht): Jason sei an beiden hier zitierten Stellen vergleichsweise passiv vorgestellt, Medea jeweils die deutlich aktivere: Sie, die jungfräuliche Priesterin, stürze sich geradezu in den Frevel, verlasse den Tempel, eile ins Brautgemach, triumphiere im Lager der Venus. Das Oxymoron ad thalamos post templa charakterisiert in seiner schärfsten Zuspitzung die Situation der Priesterin Medea, die „ihren“ Tempel zugunsten des Brautgemachs aufgibt. Dem trägt Büchelers Singular ruit in angemessener Form Rechnung. Daß der sponsus Iason jeweils an der Seite seiner sponsa gedacht ist, wird spätestens in 338 (subiere pares) offenkundig.

502 ruit tunc Buecheler: ducit et hunc β: ruunt tunc Baehrens. Zur Vertauschung von r/d s. Zwierlein, Kritischer Kommentar zu den Tragödien Senecas S. 486 und 45 zu Hf 269.



Romul. X (Medea) 267  f. 298 

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298 Diana spricht angesichts der Hochzeitsfeierlichkeiten einen Fluch über die treulos gewordene Priesterin Medea aus: perfidus egregiam contemnat nauta iugalem 295 dulcior affectus uel amara repudia mittat; funera tot uideat, fuerint quot pignora, mater, orba parens natos plangat, uiduata marito lugeat et sterilem ducat per saecula noctem; aduena semper eat, sit503 tanti causa doloris 300 auctorem confessa gemat. „Treulos soll der Seemann die hervorragende Gattin verschmähen und eine süssere Zuneigung soll die bittere Scheidung verlangen; sie soll so viele Todesfälle sehen, wie sie Kinder hatte, die Mutter, nach dem Verlust soll die Mutter ihre Söhne beklagen, ihres Ehemannes beraubt soll sie in Trauer sein und [das Leben] in Ewigkeit in unfruchtbarer Finsternis verbringen; immer soll sie als Fremde umherziehen, sich [selbst] seufzend als die Urheberin so grossen Schmerzes bekennen“ (Kaufmann, am Anfang und Schluß leicht verändert).

Wolff und Kaufmann suchen die Überlieferung auch in 298 zu rechtfertigen: „nox désigne métaphoriquement une vie sombre, triste; ducere a la sens de ‚passer (sa vie)‘, cf. Horace, Epist. 2,2,202. Même clausule saecula noctem chez Virgile, Georg. 1,468“ (allerdings in anderer Bedeutung!)504. Kaufmann bezieht zusätzlich das „auffällige“ per saecula auf Medeas übernatürliche Kräfte: Diana versuche „mit der Betonung der Ewigkeit zu verhindern, dass Medea dem Fluch durch ein ewiges Leben entkommen kann“ (300). Es bestehe kein Grund, noctem durch sortem (Ribbeck 471), uitam (Bücheler) oder senectam (Rossberg) zu ersetzen. Aber der Zusammenhang zeigt, daß zwischen den konkret auf Medeas irdisches Leben abgestimmten Verwünschungen uiduata marito | lugeat (297 f.) einerseits 503 Das handschriftlich überlieferte sit muß mit Duhn in se korrigiert werden: Aus dittographisch zustande gekommenem eat se tanti wurde eat sit tanti. Ich passe die Übersetzung entsprechend an. 504 Die hier postulierte Metapher ist in Wirklichkeit höchst selten – und überhaupt nur möglich, wenn der Leser durch eine hinzugesetzte attributive Bestimmung entsprechend gelenkt wird (in den beiden von Kaufmann aufgespürten Belegen [s. Anm. 1184] wird dies durch Genitivattribute geleistet: rei publicae noctem bzw. nox ingens scelerum). Schon die oben in der Übersetzung für notwendig empfundene Ergänzung zeigt, daß sterilem ducat per saecula noctem nicht „sie soll [das Leben] in Ewigkeit in unfruchtbarer Finsternis verbringen“ heißen kann (ganz abgesehen davon, daß die „unfruchtbare Finsternis“ ein weiteres Rätsel aufwürfe). Wolffs Wiedergabe „vive pendant des siècles dans une nuit stérile“ würde ein noctem zwingend voraussetzen; vgl. Prud. Symm. 2, praef. 52 f. n o c t i s mihi conscius | quam u i t a e i n t e n e b r i s ago.

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 Kritischer Kommentar

und aduena semper eat (se tanti causa doloris | auctorem confessa gemat: 299 f.) andererseits in Vers 298 nicht auf eine „ewige Wanderschaft“ Medeas (S. 294) – mit Blick auf ihre spätere Auffahrt in den Himmel (S. 300 und 301) – angespielt sein kann. Es liegt offenbar eine tiefere Korruptel vor, als die Gelehrten bisher angenommen haben. Die Verlassenheitstopik, die den Fluch 294 ff. prägt, findet häufig ihre Klimax in der Vorstellung des einsamen Alters. Darauf laufen hier die Stichworte contemnat iugalem – amara repudia – funera/pignora – orba parens – uiduata marito hinaus. Insofern trifft Rossbergs sterilem … (†per secla) senectam ins Schwarze (die Verschreibung von -nectam in noctem ist eine Lappalie). Das zeigt ein Vergleich der Verse 297 f. orba parens natos plangat, uiduata marito lugeat et sterilem ducat († per secla) senectam

mit einer Stelle, die Dracontius gekannt haben könnte: Paul. Nol. carm. 6,34 (Elisabeth) prole carens sterilem ducebat maesta senectam.

Da das prädikative Adjektiv maesta bereits in den Verben plangat und lugeat umgesetzt scheint, müssen wir nach einer Entsprechung zu maesta senectam suchen, die plausibel zu der (assoziativ erweiterten) Verschreibung persecla noctem führen konnte. Die Lösung dürfte in deserta senectam liegen, man denke an Medeas Klage bei Ovid (met. 8,113) nam quo deserta reuertar?505 und an die entsprechende beim Tragiker Seneca: Sen. Med 207 quamuis enim sim clade miseranda o b r u t a, e x p u l s a s u p p l e x s o l a deserta506, undique a f f l i c t a, quondam nobili fulsi patre 210 auoque clarum Sole deduxi genus;

ferner an ihre Verwünschung Jasons im Prolog dieses Dramas: 20 per urbes e r r e t i g n o t a s e g e n s e x u l pauens inuisus i n c e r t i l a r i s, iam notus h o s p e s l i m e n a l i e n u m expetat507:

505 In ‚De raptu Helenae‘ läßt Dracontius recht witzig Paris den abwesenden Menelaus beschuldigen, quod iam pulcherrima coniux | a tepido deserta uiro neglecta uacaret (Romul. 8,513 f.). 506 Erinnert sei an Vergils Dido omnino capta ac deserta (Aen. 4,330), die im Traum semper … relinqui | sola sibi, semper longam incomitata uidetur | ire uiam et Tyrios deserta quaerere terra (466 ff.). 507 Vorauf geht die Medea des Accius (trag. 415): exul inter hostis, exspes, expers, desertus, uagus. Zu vergleichen ist ferner die Zeichnung des Polynices exul (inops, profugus) u. S. 180.



Romul. X (Medea) 298 

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Dem Schlußvers des Zitats entspricht die oben hervorgehobene Formulierung des Dracontius in 299: a d u e n a semper e a t. Sie zeigt die Ebene an, auf der Medea hier gesehen wird: es ist allein ihr irdisches Schicksal in den Blick genommen, nicht ihr späteres Entschwinden auf dem Schlangenwagen. Richtig gesehen hat man dagegen, daß der Dichter Dianas Fluch später nicht etwa Punkt für Punkt erfüllt sehen wollte508. Vielmehr werden die späteren Ereignisse nur teilweise angedeutet, ja, geradezu als Gegenmodell zu den Schicksalsschlägen der Verwünschung eingeführt. Die spezielle, dem Medea-Mythos gemäße Strafe für ihre Untreue gegenüber der Göttin wird Medea selbst in einem langen Anruf an Diana formulieren und ihrer früheren Herrin zur Besänftigung fünf Leichen anbieten, darunter ihre beiden Kinder (s. bes. 416–430) – ein Sühneopfer, das die Mondgöttin annimmt und durch Zeichen der Erhörung gutheißt (430–433). Man kann also Rossbergs senectam nicht mit dem Argument in Zweifel ziehen, Medea erleide später gar keine deserta senecta. Vielmehr stellt Diana die Vereinsamung im Alter als die bittere Konsequenz ihrer zuvor ausgesprochenen Verwünschungen vor Augen. Im Zusammenhang des Fluches bedeutet das Motiv eine für die antiken Lebensverhältnisse (ohne soziale Altersabsicherung) besonders gewichtige Drohung, wie sich leicht aus den folgenden Belegen ablesen läßt: Sen. Hf 1249 senectae parce desertae, precor (Amphitryo bittet Hercules, sich nicht das Leben zu nehmen, sondern ihm als einzige Stütze im Alter zur Seite zu stehen); Homer. Lat. 36 en, haec desertae redduntur dona senectae? (der Apollo­ priester Chryses, seiner einzigen Tochter beraubt, die ihm causa suae … salutis ist [21], führt Klage vor dem Gott); Ov. epist. 9,154 Oenea desertum nuda senecta premit509. In einem Grabepigramm (CE 369) hat eine alte verwaiste Frau ihrem Kummer wie folgt Ausdruck gegeben:

Cernis ut o r b a meis, hospes, monumenta locaui et t r i s t i s senior natos m i s e r a n d a requiro. exemplis referenda mea est deserta senectus, ut s t e r i l e s uere possint gaudere maritae.

508 Siehe Kaufmann 294 f. 509 Dagegen weiß Properz zu berichten: at non Tithoni spernens Aurora senectam | desertum Eoa passa iacere domo est (2,18,7 f.).

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 Kritischer Kommentar

334 Der Vers 334 (ut Scytha mollitus blanda pietate mitescit) nimmt das mulcentur iam corda ducis von 328 auf (s.  u.). Doch erweckt die Kürzung des ersten i in mĭtescit Verdacht; denn Dracontius mißt in mens. 21 korrekt mītescit und beachtet in 16 mitis-Belegen immer die Prosodie mītis. Aus diesem Grund scheint Büchelers Vorschlag, man solle das überlieferte mitescit in tepescit verbessern, sehr erwägenswert. Wenn der ursprüngliche Versschluß pietate tepescit lautete, war die Gefahr groß, daß er haplographisch zu pietate(p)escit zusammengezogen wurde. Wollte ein späterer Schreiber einen verständlichen Satz restituieren, war unter den möglichen zu mollitus und mulcentur synonymen Begriffen mitescere das nächstliegende (wenn auch metrisch unzureichende)510 Verb. Auf tepescere wird man nicht leicht kommen, wenn man das „Besänftigen“ innerer Empörung zum Ausdruck bringen will. Und doch verwendet Dracontius tepescere zweimal im Sinne dieser gesteigerten Metaphorik: in Hel. 349 und Orest. 583 (im letztgenannten Beleg in transitiver Bedeutung: sic sensus iners tua corda tepescit …?). Insbesondere die Szene in Hel. 349 ff. entspricht (wie die folgenden Markierungen verdeutlichen) sehr eng der hier verhandelten in Med. 320 ff. und stützt somit Büchelers tepescit: Hel. 349 haec legatus ait. r e g i s iam corda tepescunt, 350 quae fuerant accensa nimis. sic magna leonis ira fremit, cum (…) 357 ast ubi … | …, perit ira leonis (…): 362 sic r e c t o r Achiuus frangitur et Phrygibus conuiuia laeta parari per septem iubet ipse dies. Med. 320

cum poenas mortesque parat, uenit Indus ad aulam Liber et egregia compressit uoce furentem: (‛…’).

510 Man erinnere sich an das metrisch falsche alitem in 109, worin Baehrens m.  E. zu Recht die erläuternde Glosse eines Schreibers erkannte, die später das ursprüngliche ipsam verdrängt hat; ebenso ist Hyl. 81 Napaeae] naidis zu beurteilen. Ein hartes Problem bietet das in der Hs N mit einem Korruptelzeichen markierte p r o d u c a t in 5,38 (mit sonst nirgends belegtem kurzen u); denn Dracontius mißt 9mal korrekt prodūcere (s. ThLL X 2,1630,68 f.: alle Belege in laud. dei [in Orest. 298 ist proludere zu schreiben]). Vermutlich hat Duhn in 5,38 richtig zu prodeat gebessert; vgl. Caes. civ. 3,86,2 quo firmiore animo proelium p r o d e a t i s; Cypr. Gall. num. 186 cumque alios sonitus iteret tuba, p r o d e a t agmen. Das barbarus omnis eat von 5,34 scheint folgerichtig durch aduena campo | prodeat aufgenommen zu werden, dem in nos tela parent von 37 das Stichwort armatus in 38 zu entsprechen. Ist das problematische producat durch Einwirkung von duces in 33 verursacht worden?



Romul. X (Medea) 334. 391  f. 

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327 haec Liber agebat. mulcentur iam corda d u c i s natamque t y r a n n u s 329 purgat et extemplo Medeae laudat amorem (…). 334 ut Scytha mollitus blanda pietate tepescit, 335 mox iubet ut generum uel pignus regis ad aulam deposito terrore rogent. 338 mox thalamos subiere pares (…)511.

391 f. Vor ihrem nächtlichen Gebet an die dreigestaltige Gottheit Luna-Hecate-Diana besprengte sich die (frühere) Priesterin Medea mit Wasser und „reinigte ihren Körper, indem sie Schwefel mit Lorbeer und Fackeln unter Rauch verbrannte“ (Kaufmann)512: 391 mox Colchis se spargit aquis et sulphura lauro cum taedis fumans purgabat membra sacerdos et campum secreta petens, ubi mille sepulchra, stabat deiecta oculos, confessa reatum, 395 et Lunam manibus tensis cum uoce precatur:

Die Konstruktion der Verse 391 f. macht den Editoren und Interpreten zu schaffen. Kaufmann versteht fumans hier als transitives Verb, auch wenn Dracontius an drei weiteren Stellen fumare als Intransitivum verwendet. Das hätte seine Parallele z.  B. beim Verb halare, das sowohl intransitiv als auch transitiv gebraucht werden kann513. Im ThLL (VI 3,2519,45 ff.) werden unter den Belegen für transitives halare die Stellen Lucr. 6,221 (notaeque grauis halantes s u l p u r i s a u r a s); 6,391 (flammas ut fulguris halent) und Mart. 10,48,3 f. (nimios prior hora uapores halat) genannt. Bemerkenswert ist, daß sich an der Martialstelle die Überlieferung zwischen nimios … uapores (β) und nimio … uapore (γ) aufteilt. Man kann also auch dort die Tendenz beobachten, den weniger üblichen transitiven Gebrauch (wofür sonst das Kompositum exhalare steht) an die Norm anzugleichen. Dieser Tendenz sind die Philologen auch an der Dracontiusstelle gefolgt. Die vorgeschlagenen

511 Man vergleiche die folgenden Belege aus Lucan und Statius, die beide zu den Musterautoren des Dracontius gehören: Lucan. 4,284 paulatim fugit ira ferox, mentesque tepescunt; Stat. Theb. 12,686 f. stetit ambiguo Thebanus in aestu | curarum, nutantque minae et prior ira tepescit. 512 Vgl. Wolff: „purifiait son corps en répandant de la fumée avec des torches de soufre pur“ (et s u l p h u r e p u r o | cum taedis fumans). 513 Siehe ThLL VI 3,2519,15 ff. („trans.“: 2519,45 ff.).

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 Kritischer Kommentar

Verbesserungen sulphure adusto (Baehrens), sulphure largo (Leo) und sulphure puro (Vollmer) scheitern jedoch daran, daß das Zusammenwirken von sulphur, laurus und taedae bei Lustrationen topisch ist, der Lorbeer also nicht leicht beseitigt werden kann514. Gegen Büchelers fumant aber spricht die offenbar erstrebte Entsprechung et … fumans purgabat – et … petens … adstabat. Kaufmann hat ihre Position geschwächt, indem sie äußert, transitives fumare sei „sonst nur an einer unsicheren Stelle belegt“ (355). Sie zielt dabei auf die Angaben in ThLL VI 1,1539,5–10 (Garg. Mart. pom. exc. 26 ed. Mai class. auct. 3, p. 426) wo die ossa palmarum Thebaicarum … carbonibus f u m a t a im Sinne von ossa  … fumigata („ausgeräuchert“ [von Rose in den Text aufgenommen]) erscheinen. Eine Analogie zu der Junktur sulphura … fumans besteht hier in keiner der beiden Textfassungen. Einschlägig wären vielmehr die beiden 1539,1 ff. aufgeführten Belege für transitives fumare („i.  q. vaporem sim. emittere“): Stat. Theb. 8,400 (sic obnixa acies pariter s u s p i r i a f u m a n t)515 und Cael. Aur. chron. 3,2,43 oui  … altera (sc. cauerna) u a p o r e m f u m e t acceptum. Es stellt sich jedoch die Frage, ob man die Akkusative in den Junkturen uaporem oder sulphura fumare nicht besser als Akkusative des Inhalts bei intransitivem Verb aufzufassen hat, s. Kühn.–Stegm. I 274 ff., bes. 277 f.: bei Verben des Schmeckens und Riechens und solchen verwandter Bedeutung (z.  B. olere unguenta exotica, scelus anhelare, flammas spirare, balsama rorans [Apul. met. 2,8,6] flere bzw. sudare electra, etc.). Bei diesen Intransitiva steht die Konstruktion mit Akk. des Inhalts in Konkurrenz zur Abl.-Konstruktion, s. Kühn.–Stegm. I 278 f. und Hofm.–Sz. 39 f. Unabhängig von dieser grammatischen Zuordnungsproblematik umschreibt jedenfalls der Ausdruck s u l p h u r a  … f u m a n s  … sacerdos bei Dracontius eine Medea, die zum Zwecke der Purgation ihres Körpers Schwefelrauch ausströmen läßt (oder Schwefelrauch verbreitet). Womit sie das tut, ist durch den instrumentalen Abl. lauro cum taedis angegeben: „durch Lorbeer mit Fackeln“, worin man wohl eine Art Hendiadyoin für „Lorbeerfackeln“ sehen darf516. Möglicherweise ist

514 Belege bei Kaufmann 35569.70.71; weitere Erläuterungen zum Lustrationsritus bei Smith und Murgatroyd zu Tib. 1,5,11–12 und Dewar zu Claud. 28,324 ff. Hervorgehoben seien Iuv. 2,157 f. cuperent l u s t r a r i, si qua darentur | s u l p u r a c u m t a e d i s et si foret umida l a u r u s und Nemes. ecl. 4,63 ff. ter uittis, ter fronde sacra, ter ture uaporo, | i n c e n d e n s uiuo crepitantes s u l p h u r e l a u r o s, | l u s t r a u i t cineresque auersa effudit in amnem. 515 Dazu der Kommentar von Lact. Plac. (p. 526 Sweeney): ex pluri ore utique uicinorum sibimet repugnantium. 516 Zur Verbindung zweier Substantiva durch cum statt durch et s. Kaufmann zu Med. 426 und 519 (mit Verweis auf Hofm.–Sz. 433 f. und Bömer zu Ov. met. 2,212; dort eine lange Liste von Belegen für den Typus Romulus cum Remo statt Romulus et Remus).



Romul. X (Medea) 391  f. 453 post 456 

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an brennende Lorbeerfackeln zu denken, die an der Spitze mit Schwefel bestrichen waren, damit sie leicht Feuer fingen. Als Alternative käme wohl nur die asyndetische Reihung sulphure lauro cum taedis fumans in Frage: „durch Schwefel und Lorbeer zusammen mit Fackeln Rauch verbreitend“. Aber die Überlieferung bietet demgegenüber die lectio difficilior. Auch diese entspricht dem auffälligen Usus, daß die Fackeln in solchen Zusammenhängen gerne parataktisch angeschlossen werden, wo wir eine Hypotaxe des Brandmaterials unter die Fackeln oder eine Konstruktion mit circumlinere erwarten würden517, so in Iuv. 2,157 f. si qua darentur | s u l p u r a c u m t a e d i s; ähnlich Colum. 8,5,11 paleasque  … s u l p u r e et bitumine a t q u e a r d e n t e t a e d a perlustrant und Serv. Aen. 6,741 aut t a e d a purgant e t s u l p h u r e aut aqua abluunt aut aëre uentilant.

453 post 456 properate, sorores Tartareae: Thebis iterum iam uota geruntur; 450 currite, per thalamos Iocastae frater et heres coniungit natam. gens est uestra: dicauit 452 mortibus impietas, affectus funera praestant. 454 uirginitas si casta placet, retinere pudorem si libet et numquam contagia blanda mariti 456 quaeritis, innuptae nuptam exhorrete sorores. 453 Cur mora? nam nihil est quod non me exaudiat umquam. 457 Si Furias saeuire precor nec sponte nocetis, non estis Furiae: nomen mutate domosque, ponite serpentes, alienas reddite flammas 460 et puerum Veneris, quem iam tempsistis, amate.

Schenkl (1873, 521) war der Auffassung, daß die Verse 454–456 nicht in den Zusammenhang passen, weshalb er sie nach 460 stellen wollte. Die Diagnose scheint insofern richtig, als sich 457 ff. nicht nahtlos an die Gruppe 454–456 anschließen lassen. Die Remedur aber ist irrig; denn der ganze Abschnitt über die jungfräulichen Furien erreicht zweifellos in der Paradoxie, sie sollten den

517 Vgl. die in Anm. 514 genannte Claudianstelle (lustralem … facem, cui lumen odorum | s u l p u r e caeruleo nigroque b i t u m i n e fumat, circum membra rotat doctus purganda sacerdos) oder Beispiele wie Ov. met. 3,373 f. non aliter quam cum summis c i r c u m l i t a taedis admotas rapiunt uiuacia s u l p u r a flammas; Sil. 1,354 f. (von dem Geschoß falarica) cetera pingui u n c t a p i c e atque atro c i r c u m l i t a s u l p h u r e fumant.

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 Kritischer Kommentar

Venusknaben ins Herz schließen (460), seine abschließende Klimax. Erforderlich ist stattdessen die Versetzung des Verses 453: Er muß vor 457 zu stehen kommen. Dann schließt sich nicht nur – wie Schenkl gesehen hat – precor (457) an exaudiat (453) an, sondern es wird auch die Frage cur mora? passend durch si Furias saeuire precor nec sponte nocetis weitergeführt: „Was soll der Aufschub? … Wenn ich erst betteln muß, daß die Furien wüten, und ihr nicht aus eigenem Antrieb Schaden zufügt, dann seid ihr keine Furien! Dann ändert besser euren Namen und euren Wohnsitz (verlaßt die Unterwelt), legt die Schlangen ab, gebt die euch fremd gewordenen brennenden Fackeln zurück  – und liebt den Venusknaben, den ihr bisher verschmäht habt.“ Andererseits fügen sich nach der Versetzung von 453 die Verse 454–456 in willkommener Weise als direkte Antithese an die Hochzeitsthematik der Verse 449–452. Dort werden die Furien herbeigerufen zu einer zweiten Thebanischen Hochzeit: Nach der durch impietas gekennzeichneten Verbindung zwischen Oedipus und seiner Mutter Iokaste, die (mit Hilfe der Furien, so ist impliziert) tödlich endete (Stichwort mortibus, 452), gibt nun der Bruder und Erbe Iokastes, Kreon (so in der Mythologie des Dracontius), seine Tochter in einen aus Leidenschaft (affectus, 452) erwachsenen Hochzeitsbund, den die Furien in ein gemeinsames Leichenbegängnis (funera) verwandeln sollen. Sie, die unverheirateten Schwestern, denen uirginitas casta und pudor alles bedeutet, die unempfänglich sind für die kosenden Berührungen eines Ehegemahls, sind prädestiniert, Abscheu vor der neuen Braut zu empfinden (456 nuptam exhorrete)518 und ohne Verzug deren Frevel (sie hat Medea ihres rechtmäßigen Gemahls beraubt) zu bestrafen. Dies ist der schlüssige Gedankengang, der sich nach der Versetzung des Verses 453 ergibt. Daß der Vers durch Augensprung zwischen 456 und 457 leicht verlorengehen konnte, habe ich durch Markierungen im obigen Textabdruck anzudeuten versucht. Die übersprungene Zeile wurde nachgetragen und später an falscher Stelle eingefügt.

518 Durch das Oxymoron innuptae nuptam (456) wird ein letztes Mal die Antithetik des Passus in verdichteter Form zu Bewußtsein gebracht. So wie hier die Gegenbegriffe im Wortpaar direkt aufeinanderstoßen, so waren zuvor die Abschnitte „Hochzeit“ (449–452: uota geruntur; per thalamos … coniungit natam; affectus) und „Jungfräulichkeit“ (454–456) in unmittelbare Konfrontation gesetzt. Vers 453 folgt erst als überleitender Auftakt des Schlußappells, die Furien sollten unverzüglich den Racheakt ins Werk setzen.



Romul. X (Medea) 453 post 456; 486. 488 

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486. 488 Interea Medea nouam formare coronam 485 coeperat et niueis miscebat sulphura ceris, pix et stuppa ligat, species dat quattuor aris mascula tura cremans, sterili suffire cypresso cura fuit cyproque †ligat, quod naufraga puppis perdiderat; cristata manus sancire iubetur: 490 lambere caeruleis permisit serta cerastis519.

Während im Königspalast der Ehevertrag abgeschlossen wird, flicht Medea für die neue Braut einen Kranz und macht ihn durch Schadenzauber, unter Einbeziehung giftzüngelnder Schlangen, zu einem tödlichen Hochzeitsgeschenk, dessen Blättergeflecht fälschlich wie Gold erstrahlt und deren eingebundene Blüten Gemmen vortäuschen. Der Ausdruck n o u a m formare coronam hat Diaz de Bustamante zu dem Fehlschluß geführt, Medea habe vorher bereits eine andere „Krone“ gefertigt (1978, 240). Das Attribut wird als „neuartig“ zu fassen sein520. Dagegen bieten die Verse 488 f. einen wirklichen Anstoß: Nach Kaufmann (400) wählt Medea zur Herstellung und Vergiftung der „Brautkrone“ mehrheitlich „gut brennbare Alltagsmaterialien (Schwefel, Wachs, Pech, Flachs)“. Dazu sollen aber auch „ausgefallene Substanzen wie das Kupfer eines schiffbrüchigen Schiffes“ kommen. Demgemäß erläutert sie Vers 488 (cyproque ligat etc.): „Mit Kupfernägeln aus einem Schiffswrack stärkt Medea den Zusammenhalt der Krone“ (403). Medeas Hochzeitsgeschenk ist aber keine wirkliche „Krone“, sondern ein Geflecht (man beachte das Stichwort serta in 490. 505. 512. 516 und flores in 493), mit einem Gemisch aus Schwefel und Wachs überzogen; als Bindemittel dienen Pech und Flachs (486 pix et stuppa ligat)521. Für Kupfernägel ist hier kein Platz522. Zudem war die knappe Beschreibung des Materials, aus dem der Kranz bestand, und der Art seiner Bindung bereits in 486a abgeschlossen; mit der zweiten Vershälfte von 486 beginnt der Schadenzauber: das Räuchern des Kranzes, das Besprengen mit Zypernöl (s.  u.) und das Belecken durch die Giftschlangen, die

519 Der Vers ist geformt nach Stat. Theb. 1,91 lambere sulphureas permiserat anguibus undas. 520 Siehe Kaufmann ad loc. (ferner Grillone 2006, 101). 521 Das überlieferte ligat könnte unter Einfluß der umgebenden Verben coeperat, miscebat, dat (sc. Medea) zustandegekommen sein. Der variatio halber möchte man ligant (sc. pix et stuppa) bevorzugen. Aber M. Beck gibt zu bedenken, daß der Singular dominiert, wenn die Subjekte als eine Art Einheit begriffen werden, was ja bei den beiden Bindemitteln gut vorstellbar sei („mit Pech bestrichener Flachs“ o.  ä.). 522 Auch nicht für Wolffs Interpretation: „elle … l’entoure du cuivre qu’un vaisseau naufragé avait perdu.“

168 

 Kritischer Kommentar

somit den bekräftigenden Schlußakt markieren, den Zauberritus gültig machen (sancire, 489). Medea gibt vier Duftspezereien auf den Altar, auf dem sie „zwei stark duftende Substanzen, Tropfweihrauch und Zypressenholz,“ verbrennt523, um den Kranz zu räuchern. Zu species, tura cremare und suffire cypresso fügt sich nicht „Zypernerz“ (= Kupfer), sondern das ebenfalls aus einer B a u m f r u c h t gewonnene Zypernöl524. suffire cypresso … cyproque †ligat (quod naufraga puppis | perdiderat) gehört ebenso eng (auch in der inhaltlichen Ausrichtung) zusammen wie z.  B. Plin. nat. 13,9 e uilissimis quidem (sc. u n g u e n t i s) hodieque est – ob id creditum et id e uetustissimis esse – quod constat o l e o myrteo, calamo, cupresso, cypro, lentisco, mali granati cortice. Daß das Zypernöl von einem Schiffbruch herrührt, paßt zum Schadenzauber allgemein525, besonders aber zu einem Zauber der den nauta Jason526 treffen soll. Demgemäß lautet der entsprechende Vers 519: uritur ingratus usta cum uirgine n a u t a. Das offensichtlich korrupte Verb l i g a t ist unter Einfluß des gleichen Verbs liga(n)t in Vers 486 zustande gekommen. Der Influenzfehler hat das ursprüng­ liche rigat verdrängt: Medea benetzt den Kranz mit Zypernöl527. Wie bei Medeas Purgation in 391 f. sind also zwei Aktionen kombiniert: Räuchern und Besprengen mit einer Flüssigkeit. Hier zum Vergleich die beiden Versgruppen: Med. 391 487

mox Colchis se spargit a q u i s et sulphura528 lauro cum taedis fumans purgabat membra sacerdos sterili suffire cypresso

523 Siehe Kaufmann 402. 524 Siehe ThLL Onomasticon II 798,27 ff., bes. 798,48 ff. („pro semine vel oleo ex cypro facto“); dort 53 ff. als wahrscheinliches Subst. neutr. (Plin. nat. 35,195 si uero aphronitrum et c y p r u m adiciatur et acetum); ferner II 800,29–34 oleum cyprum (neben oleum cyprium). – Erinnert sei an Vulg. cant. 4,13 emissiones tuae paradisus malorum punicorum cum pomorum fructibus cypri cum n a r d o (dazu Rufin. Orig. in cant. 2 p. 171,24 quod si ‚cyprus‘ sui generis arbor accipienda est, cuius fructus et flos non tantum o d o r i s s u a u i t a t e m, quantum et u i m c a l e f a c i e n d i a c f o u e n d i dicitur possidere, …). 525 Siehe Papyri Graecae magicae 5,65 ff. Preisendanz ἔ ν χ ρ ι σ ο ν δὲ τὸν δεξιὸν ὀφθαλμὸν μεθ' ὕ δ α τ ο ς π λ ο ί ο υ ν ε ν α υ α γ η κ ό τ ο ς und die anschließend zu zitierende ApuleiusStelle. 526 Siehe Med. 18. 44. 200. 215. 248. 294. 423. 527 Vgl. Cels. med. 5,24,3 et hoc quidem magis purgat: magis uero emollit, si pro rosa c y p r u s i n f u n d i t u r; Colum. 6,30,3 frigori fomenta adhibentur et calefacto o l e o lumbi r i g a n t u r caputque et spina tepenti adipe uel uncto liniuntur; Aug. serm. 313E ed. MiAg 1 p. 540,27 dominus in monte oliueti o l e u m pacis r i g a u i t et fouit; Plin. nat. 16,214 (nardo rigari); Stat. Theb. 12,138 f. (Iris) putris … arcanis roribus artus | ambrosiaeque r i g a t s u c i s. 528 Zu dieser Textfassung s.  o. zu Med. 391.



Romul. X (Medea) 486. 488. 494 

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cura fuit c y p r o que rigat, quod naufraga puppis perdiderat.

Als Alternative käme allenfalls litat in Betracht (sie gießt Zypernöl ins Feuer oder auf den Altar)529. In diesem Sinne erscheint litat einmal bei Apuleius, als er im 3. Buch der Metamorphosen eine Zauberszene in der Hexenküche der Pamphile beschreibt. Dort werden l i t a t und das klauselrhythmisch geschützte l i b a t synonym verwendet (auch Überreste aus einem Schiffbruch spielen dort ihre Rolle): Apul. met. 3,17,4–18,2: 4. Priusque apparatu solito instruit feralem officinam, o m n e g e n u s a r o m a t i s et ignorabiliter lamminis litteratis et i n f e l i c i u m n a u i u m d u r a n t i b u s d a m n i s 530, 5. defletorum, sepultorum etiam, cadauerum expositis multis admodum membris: hic nares et digiti, illic carnosi claui pendentium, alibi trucidatorum seruatus cruor et extorta dentibus ferarum trunca caluaria. 3,18,1 Tunc decantatis spirantibus fibris litat uario l a t i c e, n u n c r o r e f o n t a n o, n u n c l a c t e u a c c i n o, n u n c m e l l e m o n t a n o, l i b a t [litat φ] et m u l s a. 2. Sic illos capillos in mutuos nexus obditos atque nodatos c u m m u l t i s o d o r i b u s d a t u i u i s c a r b o n i b u s a d o l e n d o s (es folgt in 18,3 das Stichwort inexpugnabili m a g i c a e d i s c i p l i n a e potestate).

Aber litare ist in der Regel mit einer Art Opferhandlung oder einem Gebet an eine Gottheit verbunden. Dies ist in Medeas Kranzszene an dieser Stelle nicht der Fall. Erst in 496 legt sie das trügerische Geschenk an einem Grab nieder und richtet ein längeres Gebet an ihren göttlichen Großvater Sol, in dem sie ihn um die Wirksamkeit des tödlichen Geschenkes ersucht. Man darf wohl auch ein lautliches Argument hinzufügen: In die lange Folge von ri-/r-/c-/g-/qu- Alliterationen des Doppelsatzes sterili suffire cypresso | cura fuit cyproque rigat, quod naufraga puppis | perdiderat scheint sich rigat besser zu fügen als litat (das allein an sterili anknüpfen könnte).

494 Während Medea durch Schadenzauber und todbringendes Gift einen trügerisch gleißenden Brautkranz als Hochzeitsgeschenk zubereitet, geht die Sonne auf –

529 Siehe ThLL VII 2,1510,76 ff. (DServ Aen. 2,118 ‚litandum‘ offerendum …; sed hoc in liquidis fit, id est ‚lito‘ ut ‚libo‘) und 1512,44 ff. (lito als Übersetzung des griechischen Verbs σπένδω). 530 So F, i.e. naufragiorum reliquiis. Zimmermann verweist auf A. Abt, Die Apologie des Apuleius von Madaura und die antike Zauberei (Gießen 1908 [RVV 4,2], 222 Anm. 3).

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 Kritischer Kommentar

für Medea das Signal, ein Gebet um Wirksamkeit ihres Todeskranzes an den Sonnengott zu richten: Dum munus Medea parat haec munera Glaucae, 495 processit roseis sol mundum amplexus habenis. at maga sulphuream ponens ad busta coronam haec ait: ‘O mundi facies pulcherrima, Titan, (…)

Seit Baehrens (1883) wird der Vers 494 in der Fassung funus  … haec munera gedruckt; Bücheler wollte munus … haec funera schreiben. Leos munus … nec munera hat es nur in die Apparate geschafft, in Vollmers Zweitausgabe (1914) nicht einmal mehr dorthin. Und doch dürfte dieser minimale Eingriff (nec statt haec, handschriftlich hec) die Restitution des Ursprünglichen bedeuten: Was Medea mit aufwendiger magischer Hexerei als Hochzeitsgeschenk herstellt, sind die sprichwörtlichen δῶρα ἄδωρα, als welche der Sophokleische Aias das ihm (s. Hom. Il. 7,303 ff.) ausgehändigte Schwert Hektors bezeichnet531. Vermutlich wurde Dracontius durch seine (wohl griechische) Vorlage auf die gräzisierende Ausdrucksweise munus  … nec munera („Geschenk  – Unheilsgeschenk“) geführt532. Es sei verwiesen auf Fordyce zu Catull. 64,83 (funera Cecropiae nec funera), wo ebenfalls nec für nec tamen steht. So auch Ov. ars 2,93 (= met. 8,231) pater infelix nec iam pater; CE 428,6 nunc umbra nec umbra (s. Hofm.–Sz. 451 δ). Dracontius bietet wenig später eine ähnlich pretiöse Ausdrucksweise, s. 526 flentes s e d n o n s u a funera plangunt.

531  Soph. Ai. 661 ff. Ἐγὼ γάρ, ἐξ οὗ χειρὶ τοῦτ' ἐδεξάμην παρ' Ἕκτορος δ ώ ρ η μ α δυσμενεστάτου, οὔπω τι κεδνὸν ἔσχον Ἀργείων πάρα· ἀλλ' ἔστ' ἀληθὴς ἡ βροτῶν παροιμία· ἐχθρῶν ἄ δ ω ρ α δ ῶ ρ α κοὐκ ὀνήσιμα. 532 Dafür spricht, daß schon in der ‚Medea‘ des Euripides eine Abwandlung dieses Sprichwortes begegnet, s. Eur. Med. 618 κακοῦ γὰρ ἀνδρὸς δῶρ' ὄνησιν οὐκ ἔχει (daß Dracontius auch griechische Quellen verarbeitet, war noch in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine begründete Annahme, s. Chatillon 192). – Man würde bei Dracontius wohl eher die Formel munus nec munus oder munera nec munera erwartet haben. Aber der Numeruswechsel könnte darin begründet sein, daß zunächst das Geschenk als Ganzes, dann aber die Vielzahl der schädlichen Bestandteile dieses Geschenkes (darunter species quattuor, 486) ins Auge gefaßt ist. Der Auftakt Dum munus M. parat dürfte sich aufgedrängt haben (man mustere die sonstigen Neueinsätze mit Dum bei Dracontius); damit sah sich der Dichter in der zweiten Vershälfte wohl auch metrischem Zwang ausgesetzt. Die weniger ausgewogene Formulierung möchte auch M. Deufert selbst nicht durch seinen glättenden Versuch M u n e r a d u m Medea parat nec munera Glaucae ersetzt sehen.



Romul. X (Medea) 494 

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Durch Vers 494 (dum munus Medea parat nec munera Glaucae) greift der Dichter auf die voraufgegangene Schilderung vom Verfertigen des Brautkranzes zurück und faßt diese zugleich zusammen. Als direkte Rückbezüge können Vers 484 (interea Medea nouam formare coronam | coeperat) und die praemia taetra (=  ἄδωρα = nec munera) des Verses 491 dienen. Der Blick des Erzählers bleibt auch in 494. 496 und 506 f. noch ganz auf den materiellen Gegenstand des Kranzes und seiner schädlichen Gifte selbst konzentriert, deren Wirksamkeit durch die Anrufung des Sol garantiert werden soll. Erst in 507 ff. wird die Gleichung munera = rogi und praemia (s.  o. 491) = sepulchrum gezogen, und 508 schließlich der Wunsch ausgesprochen, „Feuertod soll den Bräutigam mitsamt seiner Nebenfrau ins Grab reißen“ (ignea mors rapiat sponsum cum paelice busto). Damit ist aber in 494 die seit Baehrens gedruckte Version dum f u n u s Medea parat haec munera G l a u c a e ausgeschlossen, denn das Brautgeschenk für Glauke soll ja, wie soeben gehört, sponsum cum paelice ins Grab reißen. Das überlieferte dum m u n u s Medea parat  … G l a u c a e 533 muß also zwingend beibehalten werden: Das Brautgeschenk ist, wie es schon der Begriff impliziert, allein für Glauke bestimmt (siehe die Übergabe in 511–517); seine Wirkung soll sich aber auch (ja,  – aus der Rache-Emotion der verstoßenen Medea heraus  – geradezu zuerst) auf den treulosen Bräutigam erstrecken, und dann auch Kreon einbeziehen, bis schließlich sogar die Leichen der durch Medeas Schwert ermordeten Kinder in der entfachten Feuersbrunst enden. Den entsprechenden Plan kennt der Leser seit 425 ff. 425 q u i n q u e dabo i n f e r i a s (sat erunt pro crimine nostro) illustres animas: niueam cum Iasone Glaucen, mortibus amborum r e g e m superaddo C r e o n t a e t n a t o s miseranda d u o s mea pignora supplex offero, sacrilegos nostro de corpore fructus, 430 ne prosit peccasse mihi.

Die Ausführung wird in 511 ff. detailliert erzählt, vgl. bes. 518 ff., wo das Brautgebinde auf dem Kopf Glaukes unheilvolle Flammen versprüht. Diese werden genährt durch die Strahlen des Phoebus, den Medea deshalb eigens um seine Hilfe angerufen hatte. Die Wirkung des Feuers ist verheerend, sie erfaßt Braut und Bräutigam (519 uritur ingratus usta cum uirgine nauta), auch den König Kreon, der seiner Tochter zu Hilfe eilt (520 f.). Der Handlungszusammenhang bestätigt also, daß in Vers 494 das überlieferte dum m u n u s Medea parat … Glaucae nicht

533 Glaucae ist nicht als Genitiv, sondern als Dativ zu werten.

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 Kritischer Kommentar

angetastet werden darf. Damit bleibt als mögliche Remedur allein Leos n e c (statt hec) munera übrig, zu verstehen im Sinne der oben erläuterten Stilfigur.

501 Nach vollbrachtem Schadenzauber richtet Medea ein Gebet um Wirksamkeit an den Sonnengott (ihren Großvater), das sie durch eine lange Epiklese einleitet: 500 stelligeri iubar omne poli, quem sphaera polorum sustinet et prohibet rutilam plus ire per aethram, dum contra rapis axe rotas et colligis ignes; ipse pias animas mittīs et claudis in aeuum orbe tuo: miserere tuae, deus optime, nepti. „ausschliessliche Lichtquelle des Sterne tragenden Himmels, den das Himmelsgewölbe trägt und daran hindert, weiter durch die leuchtend rote obere Luftschicht zu gehen, während du mit der Wagenachse die Räder in umgekehrte Richtung reisst und feuriges Licht aufnimmst; du selbst schickst die rechtschaffenen Seelen [in die Welt] und schliesst sie auf Ewigkeit in deiner Kreisgestalt ein: Habe Mitleid, bester Gott, mit deiner Enkelin.“ (Kaufmann).

Ob plus ire „weiter gehen“ heißen kann (ist soviel wie longius ire gemeint?), scheint problematisch. Mit Blick auf Hygin (s.  u.), Cic. nat. deor. 2,54 f.; Ov. met. 2,70– 75; Lucan. 7,1–3; Macr. somn. 2,7–8 (vgl. 1,21) denkt man eher an t r a n s i r e 534: die himmlische Kreisbahn (auf der sich die Sonne im Laufe des Jahres einmal durch den ekliptischen Zodiacus bewegt) hält den Sonnenwagen fest (gebietet ihm Einhalt) und hindert ihn, über seine Bahn hinauszuschießen und sich im weiten (roten) Aether zu verlieren535. Hervorgehoben seien die folgenden HyginStellen: Hyg. astr. 1,6,2 (= Isid. orig. 3,44,2) quod u l t r a eum circulum [sc. qui θερινός appellatur] s o l n o n t r a n s i t, s e d statim r e u e r t i t u r, τροπικός est appellatus; 1,7,1 sol per zodiacum circulum currens neque e x t r a eum t r a n s i e n s.

534 Aber würde trans in plus verschrieben? M. Deufert denkt an Ausfall von trans hinter rutilam (oder wegen Einwirkens des folgenden aethram) mit anschließender Heilung des Metrums durch plus. 535 Kaufmann verweist 410498 auf Sidon. carm. 2, 405 liquidam t r a n s uecta p e r a e t h r a m. Vgl. Avien. Arat. 912 f. (5 Planeten) uaga p e r totam cunctis u i a defluit a e t h r a m | semper et aduerso r e f e r u n t u r tramite mundi.



Romul. X (Medea) 501. 563. 564. 566 

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Da aber in 7,82 (si fretus propria l e u i t a t e fauoris alumnus | plus eat in frenos)536 durch plus ire eine Steigerung der Intensität, also der Schnelligkeit zum Ausdruck gebracht wird, muß man diese Bedeutung vielleicht auch in 10,501 zugrunde­ legen. Erinnert sei an Ov. met. 11,336 f. iam tum mihi currere uisus | plus homine est alasque pedes sumpsisse putares. In kaum mehr als einen Vers (503 f.) ist die Konzeption der solaren „Eschatologie“ eingefangen, gemäß der die Seelen von der Sonne ihren Ausgang nehmen und am Ende wieder zu ihr zurückkehren, s. Schetter (1994) 331; Kaufmann 411 (ad loc.). M. Deufert erklärt überzeugend den elliptischen Charakter der Formulierung: Man habe die fehlenden Elemente des absolut stehenden mittis aus der Antithese zu claudis samt seiner Elemente zu ergänzen. Auf diese Weise ergebe sich: „Du schickst die treuen [d.  h. „dir treu ergebenen“] Seelen (bei der Geburt fort aus deiner Bahn auf die Erde) und schließst sie (nach dem Tod) für immer auf deiner Bahn ein.“ Die Schlußsilbe von mittis ist vor der Zäsur gelängt; s. dazu Kaufmanns Kommentar zu Med. 89. Von den dort vorgeführten Belegen aus Romul. 10 wird man Vers 251 wohl ausscheiden; denn jambisch gemessenes ego entspricht der ursprünglichen Norm, die auch in Spätzeiten immer wieder aufgerufen werden kann. Analog ist über die Lizenz der Längung vor anlautendem h- zu befinden, von der die Verse 89. 141. 232. 303. 494 betroffen sind. In 533 hat Bücheler zu Recht das überlieferte queat in queant verbessert. Somit verbleiben neben mittīs in 503 noch zwei Fälle: 139 (Dum precibūs elementa) und 519 (Vritur ingratūs usta). Entsprechungen bei Vergil und sonstigen Dichtern berührt zuletzt Dainotti 159481.

563. 564. 566 552 ‘his’ inquit Medea ‚rogis, ubi pulchra nouerca et pater ipse Creon uel perfidus arsit Iason, uos, miseri, commendo meis’. sic fata minorum 555 corpora saeua parens funestos mittit in ignes – et currus metuenda petit: uenere dracones uiperea ceruice iubas et colla leuantes 558 squamea, cristato radiabant uertice flammae (…). 562 occupat illa grauem funesto corpore currum, ire furor recidens taetros simul imperat angues. tolluntur celeres, mox e tellure leuatae 565 iam nutant per inane rotae hinc inde labantes, aëra saeua petit uomitans q u a d r i g a uenena et poterat fuscare diem, corrumpere uentos, ni Phoebus rubuisset auus de crimine neptis et totum meliore coma537 perfunderet orbem.

536 Siehe hierzu ad loc. 537 Vgl. Claud. 1,3 sparge diem meliore coma.

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 Kritischer Kommentar

Medea wirft die Leichen ihrer beiden Kinder, die sie mit ein und demselben Schwertstoß durchbohrt hat (547 f.), in das gleiche Feuer, in dem Glauke, Kreon und Jason verbrannt waren  – und begibt sich zu ihrem Schlangenwagen, der rechtzeitig erschienen war538. Sie besteigt das Gefährt und treibt die Schlangen an, loszufahren (d.  h. Theben zu verlassen), nachdem sie sich durch fünffachen Mord gerächt und somit ihr Wüten in Theben beendet hat: Dies scheint der Sinn der umstrittenen Verse 562 f. zu sein, der sich durch die Restituierung eines einzigen Buchstabens wiedergewinnen läßt. Aus überliefertem furore sīdens ([-ns ex -nt G] β)539 hatte Duhn Furor residens hergestellt (gefolgt von beinahe allen späteren Herausgebern)540; der ursprüngliche Text aber dürfte furor recidens gelautet haben. Denn es scheint unplausibel, daß eigens berichtet würde, der personifizierte Furor Medeas habe sich auf einem Wagensitz niedergelassen  – eine groteske Vorstellung! Dagegen läßt sich furor recidens gut in Analogie zu recidente procella (8,428) oder recidentibus euris (Orest. 42)541 auf das Abflauen des rachedurstigen Wütens beziehen: Medeas furor ist abgeklungen, nachdem sie ihren Zorn durch fünf Bluttaten, darunter die Ermordung ihrer beiden Kinder542, gestillt hat. Weitere Greuel in Theben zu verüben (was den Inhalt ihres furor ausmacht),

538 Zunächst werden die Zugtiere (die Drachen) beschrieben (557 f.), dann der Wagen als ein phantastisch-magisches Fackel-Gefährt (559 ff.), das sich Medea als Schlangenquadriga (566) zunutze macht. 539 Die Handschrift N überliefert vor Vers 563 zu Recht ein Cruxzeichen. 540 Baehrens hatte toro residens gedruckt. Aber eine solche genrehafte Verniedlichung (Medea macht es sich auf einem Polster bequem) scheint dem heroischen Charakter der Szene fremd. Durch occupat currum (562) ist alles Nötige gesagt – zumal die Heroine üblicherweise auf dem Wagen steht, nicht sitzt, wie R. Jakobi unter Verweis auf LIMC VII (Artikel ‚Medea‘) Nr. 36 ff. hervorhebt: „In allen bildlichen Darstellungen, die sich sicher auf die Entrückung nach dem Kindesmord beziehen, steht die heroische Medea auf dem Wagen, der als Streitwagen, nicht als Cisium dargestellt wird. … Damit scheidet Baehrens‘ Lösung aus.“ [Das Stichwort ‚Cisium‘ bezieht sich auf das entsprechende Kapitel (24) in Joh. Chr. Ginzrot, Die Wagen und Fahrwerke der Griechen und Römer und anderer alten Völker nebst der Bespannung, Zäumung und Verzierung ihrer ZugReit- und Last-Thiere, Bd. 1, München 1817 (Nachdr.: Hildesheim 1975), 218–223 mit Taf. XLII.] Wenn man sich neuerdings wieder mit dem überlieferten, unmetrischen furore sīdens zufrieden zu geben sucht, zeigt schon die deutsche Übersetzung „befahl … im Wahnsinn …, während sie sich setzte“ die Unvereinbarkeit der unterstellten furor-Emotion mit der Körperbewegung. 541  Vgl. laud. 2,158 surgere tu uentos et crescere t u r b i n e facto praecipis, ut r a b i d a e perturbent cuncta p r o c e l l a e 160 et mare caeruleum r a p i a n t super aethera nimbi, tu rursus reprimis f l a t u s recidentibus euris et mare purpureum t r a n q u i l l o marmore tendis. 542 Sie spricht diese nachträglich (in 554) geradezu mitleidsvoll als miseri an.



Romul. X (Medea) 563. 564. 566 

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besteht für sie kein Anlaß. Also kann sie nunmehr  – furore recidente543  – den passend sich einfindenden Schlangen den Befehl erteilen, sie auf dem Drachenwagen von dem Ort ihres Frevels wegzubringen544. Gleichwohl bleibt sie ihrem Wesen nach545 metuenda (556), und speit ihr Himmelsgefährt s a e u a  … uenena (566), die den ganzen Äther zu verpesten drohen. Daß ihr Wagen Gift und Schwefel versprüht, ist  – wie M. Deufert ausführt  – in 559–561 vorbereitet, gehört offenbar zur Natur dieses Gefährts und gilt unabhängig von Medeas Seelenstimmung, läßt sich also durchaus mit furor recidens vereinbaren. Das Verb recidere an Stelle des Simplex cadere546 darf geradezu als ein Markenzeichen des Dracontius gelten (9 Belege, davon 8mal das Ptz.!). Typisch für seinen Sprachstil ist die Verwendung des Ptz. Praes. an Stelle eines (fehlenden) Ptz. Perf. nach dem Muster moriente oder pereunte für mortuo547. Demgemäß dürfte auch hier furor recidens für qui cecidit furor548 bzw. furor sedatus, (de) positus, mitigatus, placatus gesetzt sein549. Doch läßt sich eine präsentische Valenz des Partizips (Medeas furor ist im Abflauen begriffen) wohl nicht gänzlich ausschließen550. Der oftmals affektiert schreibende Spätling Dracontius hat sich nicht mit der simplen Ausdrucksweise occupat illa … currum et f u r o r e r e c i d e n t e ire imperat angues zufrieden gegeben, sondern zunächst Medea (562), dann ihren

543 Entsprechend heißt es im Löwengleichnis satisf. 142: mox p e r i t i r a c a d e n s; vgl. Hel. 358 p e r i t i r a leonis | turpe putans, non dente suo si praeda iacebit. 544 Zu ire … imperat angues s. Kaufmann zu Med. 6 f., ferner Stat. Theb. 6,548 f. (5,480); Nemes. cyn. 10 f. und die Junktur iubet ire iugales in Romul. 6,78 (= Stat. Ach. 1,58); vgl. laud. 1,211; Aegr. Perd. 203; Alc. Avit. carm. 5,646 (citatis | ire iubet stimulis rapidas super arma quadrigas, sc. pars equitum). – Von Medeas crimen/crimina wird in 303. 417. 419. 425 und 568 gesprochen, von nefas in 1. 6. 549. 545 Dieses ist schon im Proöm (1–25) hinreichend umschrieben. 546 Nach dem Muster r e c i d e n t e ruina in laud. 1,107 (vgl. Mart. 13,25,2 ne c a d a t  … r u i n a); Orest. 757 et super ossa r u a m r e c i d e n s spirantis Egisti (dazu 761 f. ‚quod super ossa rogas moechi moribunda i a c e r e ‘ , | natus ait, ‚melius r e c i d e s super ossa mariti‘). L. Müller (459) bemerkt zu 42 (recidentibus): „recidere steht hier und öfter ganz identisch mit cadere, wie sonst bei späten Autoren die inseparabilis re durchaus abundirt, früher schon bei reddere und referre.“ 547 Siehe den krit. App. zu Romul. 8,538 (moriente steht für mortuo) und 9,33. 548 Vgl. Sen. Ag 576 c e c i d i t in lucem f u r o r; AL 487a,7 R2 me uiso rabidi subito c e c i d e r e f u r o r e s; Ven. Fort. Mart. 1,76 orante uno c e c i d i t f u r o r omnibus armis. 549 Sicher perfektisch steht das Ptz. recidens in Orest. 195 und laud. 2,634 (in ThLL XI 2,319,71 ff. unter die Rubrik ‚recidunt, quae ipsa … minuuntur‘ eingeordnet), siehe den krit. App. zu Orest. 195. 550 Ähnlich ambivalent scheint die Ausdrucksweise in Orest. 577 poena sit haec matri, ut p r o s t r a t o uiuat Egisto, | ante oculos r e c i d e n t e suos.

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 Kritischer Kommentar

furor als Subjekt der Verbalhandlung eingeführt (563)551, so wie in 7,59 f. von der personifizierten Voluptas gesagt wird: casta V o l u p t a s  | brachia c o n s t r i n g a t celeres u i s u r a nepotes. Im Falle der Medea hat dies auch einen strukturellen Grund: Der Dichter schlägt am Ende der Handlung einen Bogen zurück zum Proöm, in dem er 22 ff. angekündigt hatte, er wolle in den Spuren der tragischen Muse von den Begebenheiten singen, 22 quando cruentatam fecit de matre nouercam mixtus amore furor dotata paelice flammis, squamea uiperei subdentes colla d r a c o n e s 25 cum rapuere rotis p o s t f u n e r a t a n t a nocentem: „als d e r mit Liebe vermischte W a h n s i n n aus einer Mutter eine mit Blut besprengte Stiefmutter machte, nachdem die Nebenfrau Flammen als Brautgabe erhalten hatte, als die schlangenhaften Drachen ihre schuppigen Hälse einspannend die Schuldige nach so ungeheuren Todesfällen auf ihrem Wagen fortrissen“ (Kaufmann).

Dort war Medeas furor als selbständiges, die Handlung dirigierendes Subjekt zusammen mit den schlangenartigen Drachen genannt worden, die Medea – so vieler Morde schuldig – auf ihrem Wagen aus Theben fortrissen. Hier, am Ende der Erzählung, ist eben dies Gegenstand der Handlung: Im direkten Anschluß an die letzte Untat erscheint der Schlangenwagen. Medea besteigt ihn; ihr furor (inzwischen durch fünf Morde gesättigt) gibt den Befehl zum Aufbruch aus der Stadt. Daran kann nun der Dichter gut seine Schlußbetrachtung anknüpfen: So wie Medea und ihr furor Theben verlassen haben, so mögen alle Übel, von denen die Stadt über viele Generationen hin geplagt wurde (sie werden als Personifikationen aufgerufen), ebenfalls Stadt und Menschen verlassen und der gepeinigten Region endlich Ruhe und Frieden gewähren: 570 saeue F u r o r, crudele Nefas, infausta Libido, Impietas, Furiae, Luctus, M o r s, F u n e r a, Liuor, l i n q u i t e mortales miseroque ignoscite mundo, parcite iam Thebis, diros c o h i b e t e f u r o r e s.

Der verselbständigte (abgeklungene) furor Medeas, der den Befehl zum Aufbruch aus der Stadt gibt, ist das konkrete Exemplum für die anschließend ins Allgemeine gewendete Bitte. Begründet wurde die Konzeption im Proöm, weiterent-

551 Anders verfährt er 6,78 C y p r i s iubet ire iugales (s. Anm. 544).



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wickelt im Auftritt der Juno, die Venus bittet, Amors Pfeile möchten die Dianapriesterin entflammen, ihren furor die Liebe erfahren lassen: 62 igne tuo flammata cadat f u r i b u n d a u i r a g o, discat amare f u r o r.

Ähnlich will der Dichter in 7,21 von Pfeilen singen, durch die der Kriegsgott Mars, die Verkörperung des furor, zur Liebe entflammt wurde (quibus, ipse furor, Mars est accensus amore). Die Verselbständigung des furor, der teilweise den Status einer Personifikation erreicht, ist also fest in der Dichtung des Dracontius verankert552. In Vers 564 sind alle Herausgeber seit Vollmer (1905) wieder zu Duhns Konjektur se tellure leuabant zurückgekehrt, obwohl Baehrens zu Recht die ‚nimia tautologia‘ der beiden jeweils durch ein Komma abgetrennten Kola tolluntur celeres, mox se tellure leuabant moniert hatte553. Baehrens hat richtig gesehen, daß nach tolluntur celeres (sc. angues) das Subjekt wechselt: Es wird in einem plastischen Bild liebevoll ausgemalt, wie die Wagenräder (rotae), vom Boden hochgehoben, den festen Halt verlieren und deshalb in der leeren Luft „flattern“, so daß der Wagen abwechselnd nach links oder nach rechts wankt. Um dieses Detailbild dem Text abzugewinnen, muß man  – anstatt mit Duhn an dem von den Handschriften tradierten e tellure zu rühren554  – mit Baehrens das Verb leuabant zu leuatae (sc. rotae) ändern555. Da am Ende der beiden Verse 564 f. ursprünglich leuatae und labantes556 über- (bzw. unter-)einander standen, konnte

552 Die Stellen sind alle in den gängigen Kommentaren nachgewiesen. 553 M. Deufert beanstandet auch das Tempus Imperfekt: es sei im Zusammenhang störend. 554 Die Überlieferung läßt sich stützen (beispielsweise) durch DServ. Verg. georg. 1,100 puluis e t e r r a leuari non poterit; Ov. met. 9,318 e t e r r a corpus releuare. 555 Das impliziert nicht, daß auch die von Baehrens eingeführte Interpunktion in Gänze zu übernehmen wäre. Man kann ohne Schwierigkeiten mox zu leuatae und das folgende iam zum Verb nutant ziehen: Es wird so die Schnelligkeit des Aufstiegs betont, zunächst die des Schlangengespanns, das sich befehlsgemäß (563) „schnell“ (celeres) erhebt, dann die des Wagens, konkretisiert an den Wagenrädern, die „gleich“ vom Erdboden abheben (mox e tellure leuatae) und „schon“ (iam) sich im leeren Luftraum befinden, wo sie nicht mehr sicher greifen und deshalb das Schwanken des Wagens verursachen. Schließlich wird in aëra … petit das Emporfahren der quadriga in die Höhen des Himmels in den Blick genommen. Dabei kann sich quadriga auf Wagen und Gespann beziehen, den Partizipialsatz uomitans … uenena dagegen wird man primär mit den giftspeienden Drachen in Verbindung bringen, wenngleich das Material, aus dem der Wagen bestehen soll (559–561, darunter sulphur, bitumen, uenenum), durchaus geeignet erscheint, seinerseits ätzende Giftschwaden zu erzeugen (die dann vom Wagen „ausgespieen“ würden). 556 Wie häufig, geben die Handschriften das b durch u wieder.

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 Kritischer Kommentar

leuatae durch einen Influenz- (oder Verdrängungs-)fehler leicht in leuabant übergehen. Medeas Drachenquadriga versprüht auf ihrem Weg hinauf zum Äther ätzende Giftschwaden und droht dadurch das Tageslicht zu verdunkeln und die Lüfte zu verpesten: Es scheint zwingend, daß in 566 an die Stelle des überlieferten uolitans das von Gil geforderte uomitans treten muß557. Das verlangt nicht nur die Grammatik des Verses 566, sondern auch der Handlungsablauf, in dem saeua … uomitans … uenena und die drohenden Folgen (fuscare diem, corrumpere uentos) einen festen Begründungszusammenhang bilden. Ein Partizip uolitans wäre neben aera … petit nicht nur müßig, sondern auch abträglich für das gewählte Bild von der Quadriga mit ihren flatternden Rädern, die im leeren Luftraum wegen des fehlenden Untergrundes hin und herschwanken (565 f.). Das Intensivum uomitare ist seit Columella und dem Philosophen Seneca belegt und mußte vor allem in der auf Ausdrucksverstärkung bedachten späten Latinität tendenziell an die Stelle von uomere treten. Die Junktur u o m e r e u e n e n a begegnet Damas. epigr. 46,7 fellis uomuit concepta uenena; Paul. Nol. epist. 38,4 (CSEL 29, p. 328,8) uenena thesauri mali uipereis uomant linguis; Arator. act. 1,733 f. Iudaea uenenum semper ab ore uomet | crudelior aspide surda.

574. 576. 586 Kurz nach Beginn des Epilogs wirft der Dichter einen Blick auf die vergangenen Frevel Thebens, angefangen von der Gründung der Stadt durch Kadmos. Um der Kürze willen gebe ich gleich den verbesserten Wortlaut mit der entsprechenden Interpunktion und den zur Verdeutlichung gesetzten parenthetischen Klammern und Markierungen: parcite iam T h e b i s, diros cohibete furores. inde uenit quodcumque nefas: hic Cadmus aratro 575 obruit infaustis crudelia semina sulcis, u n d e seges ferrata micat uel Martis anheli heu male conceptis praegnatur terra uenenis (emicuit galeata cohors aciesque nefanda, rumperet ensiferis cum ferrea messis aristis, 580 insurgunt clipeis, rapiunt simul arma phalanges mortibus alternis et mutua fata minantur fraternumque nefas qui gessit uindicat ensis): inde Athamas miserandus erat, miser inde Palaemon,

557 Siehe Gil (1984) 166 – ohne jegliche Begründung.



Romul. X (Medea) 566. 574. 576. 586 

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inde Iocasta fuit, turpis fuit Oedipus inde, 585 inde Eteocles erat frater Polynicis et hostis, et Polynices inops germani morte peremptus. ∴ 574 hic Duhn: sic β: ut Baehrens 576 unde Duhn: inde β ferrata Duhn: ferri N: ferri (ex -a) ∴ G anheli β

Der Hauptgedanke wird durch anaphorisches inde in 574 (dort einmalig fortgeführt durch hic), dann in 583. 584. 585 (jeweils am Versbeginn!) markiert: Von Theben gingen alle Greuel aus, seit558 Kadmos bei der Stadtgründung die Drachenzähne gesät hat, aus denen die Sparten entsprangen, die sich gegenseitig umbrachten: von dort stammten Athamas, von dort Palaemon, von dort Iokaste, von dort Oedipus, von dort die Brüder Eteokles und Polyneikes, die sich gegenseitig töteten. Vor die knappe reihende Aufzählung 583 ff. hat der Dichter eine längere Schilderung des Ursprungsmythos gesetzt, weil dieser bereits den Keim zu den späteren Familiengreueln in sich birgt. Das Grundmotto lautet: inde (nämlich aus Theben) uenit quodcumque nefas (574). Dieses inde hat in 576 das ursprüngliche, ebenfalls am Versbeginn stehende u n d e verdrängt, das von Duhn zu Recht restituiert worden ist. Den Katalog der Exempla, an deren Spitze die Aussaat der Drachenzähne durch Kadmos steht, beginnt der Dichter präsentisch (das inde uenit von 574 fortführend): obruit …, unde … micat uel … praegnatur559. Die zunächst pauschale, zweizeilige Angabe der Wirkung dieser Drachensaat wird anschließend in einer rückblickenden Parenthese (578–582) breit entfaltet, gleichsam als Aktion vergegenwärtigt (e m i c u i t galeata c o h o r s, etc.). Das unde … micat wird durch emicuit in einer Art Wortspiel aufgenommen; zugrunde liegen die Schilderungen Ovids (met. 3,102 f. Pallas adest motaeque iubet supponere terrae | uipereos dentes, populi i n c r e m e n t a futuri) und Lucans (4,550 e m i c u i t Dircaea c o h o r s)560.

558 Baehrens wollte ut lesen; aber Dracontius setzt nirgends ut in der Bedeutung ex quo (s. 8,64. 375); statt der Hypotaxe wählt er die Parataxe. 559 Die Verse 576 f. bilden ein leichtes ὕστερον πρότερον, das man nicht durch die von Rossberg vorgeschlagene Umstellung (577 vor 576) beseitigen sollte (s. Rossb8 857). 560 Wolff und Kaufmann verweisen mit gutem Grund auf ThLL VIII 930,1–9, wo  – mit dem Auftakt Lucan. 6,395 – eine Reihe von Belegen aus Prudentius, Sidonius und Dracontius aufgeführt sind, in denen micare im Sinne von „provenire, prodire, nasci (fere de rebus cum splendore quodam prodeuntibus)“ verwendet ist. Für uns von besonderem Interesse ist der auf die Zukunft weisende gute Wunsch pignora pulchra micent, mit dem das Hochzeitsgedicht Romul. VI schließt (v. 121). Dracontius war also berechtigt, in Med. 576 Ovids i n c r e m e n t a (vgl. auch met. 3,110 c r e s c i t que seges clipeata uirorum und 116 de populo, quem terra c r e a u e r a t) durch micat zu umschreiben (Rossbergs nutat [Rossb8 857] kann demgegenüber vernachlässigt werden).

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 Kritischer Kommentar

Wenn das Verb micat in 576 gesichert ist, kann das überlieferte seges ferri (ex ferra G) aus metrischen Gründen nicht gehalten werden; es ist vielmehr mit Duhn seges ferra zu schreiben561. Die Alternative wäre, in Hinblick auf Claud. 5,391 (s e g e s undique f e r r i | circumfusa m i c a t)562 das überlieferte seges ferri beizubehalten und micat (β) durch crescat (s.  o. die Ovidstellen) zu ersetzen. Aber ein ursprüngliches crescat würde kaum durch Vorgriff auf emicuit (578) zu micat verschrieben. Zudem deutet das Verb micat der Claudianstelle darauf hin, daß Dracontius – wenn er sich hier neben Ovid an Claudian orientierte (was ja oft der Fall ist) – das vorgefundene micat raffiniert umgedeutet und um dieses semantischen Spieles willen lieber die metrisch notwendige Änderung des attributiven Genitivs in das Adjektiv ferrata vorgenommen hat. Die Übersetzungen des Verses 586 müssen befremden: „la perte de son frère par Polynice et sa propre mort“ (Wolff), „und Polyneikes, der nach Verlust seines Bruders vom Tod dahingerafft wurde“ (Kaufmann)563: beidemale wird inops mit germani verbunden, als ob das Adjektiv hier im Sinne von orbus stünde. Aber die Pointe des Verses liegt in der Junktur germani morte peremptus („Polynikes, der im Tod seines Bruders [auch selbst] dahingerafft wurde“ [d.  h. sie starben beide gleichzeitig: im gegenseitigen Brudermord]). Das Attribut inops charakterisiert den Polyneikes als arm und mittellos, als exul und profugus. So fand ihn Dracontius z.  B. in Stat. Theb. 3,340 charakterisiert, ebenso zuvor ausführlich in Senecas Phoenissen, siehe Phoen 283 (exul), 372sq. (exul errat natus et patria caret | profugusque regum auxilia Graiorum rogat); 502–513 (511 hospes alieni laris  – sine crimine exul); 586 f. (ut profugus errem semper? ut patria arcear | o p e m que gentis hospes e x t e r n a e s e q u a r ? etc.), 593 f. (parua casa – exiguo lare), 597 f. (humilis lixa – seruitus); 662 (exilia).

590. 592 – und der Sinn des Epilogs In der zweiten Hälfte des Epilogs wendet sich der Dichter mit einer abschließenden Bitte an die Götter Venus, Amor und Bacchus: Wenigstens sie möchten Theben Schonung gewähren, der Stadt, die in Kadmus einen herausragenden Ursprung und Gründer hat (er ist zugleich der Ehemann der Venustochter Har561 Wofür Romul. 5,28 inter f e r r a t a s acies lituosque sonantes spricht (vgl. laud. 3,412), s. Kaufmann. Dracontius könnte diese Junktur aus Prudentius (zwei bis drei Belege) oder aus der von ihm auch sonst herangezogenen Martinsvita des Paulus Petric. (zwei Belege) gewonnen haben. 562 Es folgt in 392 e n s i f e r a e  … coronae, vgl. Med. 579 e n s i f e r i s  … aristis. 563 Dazu der Kommentar: „Als erster verwundet Polyneikes seinen Bruder tödlich.“



Romul. X (Medea) 576. 586. 590. 592 – und der Sinn des Epilogs 

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monia) und in Semele einen ruhmreichen Sproß, die Mutter des Bacchus. Hier der Text im Zusammenhang: Blanda Venus, lasciue puer, Semeleie Bacche, parcite uos saltem Thebis, quibus auctor origo aut suboles praeclara fuit: tibi mater, Iacche, 590 Thebana de stirpe, † Tartara tibi † Diones Harmoniam nupsisse ferunt. pro munere Thebae et pro tot meritis si564 funera tanta merentur, crimen erit genuisse deos! iam Creta Tonantem depositum nutrisse neget, iam Delos in undas 595 fluctuet et paueat partus meruisse deorum, te Venerem freta uestra negent, abiuret Amores Cyprus et Idalium pigeat coluisse Dionen, Vulcanus Lemno, Iuno spernatur ab Argis, Gorgone terribilis Pallas damnetur Athenis, 600 sit nefas coluisse deos, quia crimen habetur religionis honos, cum dat pro laude pericla.

Vers 590 scheint heillos korrupt. Seit der Editio princeps hat man sich vergeblich bemüht, eine Lösung zu finden. Der Chronologie nach lauten die Vorschläge: tuam Thebisque, Dione[s] (Bücheler), tuam Cadmoque, Dione[s] Baehrens, gener tibi Cadme, Diones (Bücheler), tibi, spartarcha, Diones (Leo), et, arator, tibi Diones (Kuijper 78). Sie sind alle unbefriedigend, der letzte sogar unmetrisch; gleichwohl ist ihm die Aufnahme in den Text der Ausgaben von Diaz de Bustamante und Wolff nicht verwehrt worden565. Wie man sieht, suchen die Philolo∴ gen hinter Tartara in erster Linie einen durch die Verderbnis verlorenen Hinweis auf Kadmos, vermutlich weil in 588 die Stichworte auctor origo stehen. Der Kadmosmythos bis zur Gründung der Stadt war aber bereits 574 ff. breit abgehandelt worden. Deshalb scheint die Annahme nicht verwegen, daß im Zusammenhang der Anrufung des Gottes Bacchus (590 ff.)566 hier nicht ein weiteres Mal der Stadtgründer Kadmos in den Vordergrund gerückt wird, sondern neben seine thebanische Mutter S e m e l e die ebenfalls in Theben lebende Pflegemutter I n o tritt, die ihn als Säugling heimlich bei sich versteckt und genährt hat. Es dürfte sich also hinter Tartara die nutrix eadem et matertera B a c c h i (Ibis 497) verbergen;

564 si Baehrens: sic β. 565 In Kaufmanns Kommentar zu Recht beanstandet. Bright (1987) 26267 dagegen hatte geurteilt: „Kuijper’s emendation of 590 may be viewed as certain.“ 566 Venus und die Amores kommen – außer in der Junktur Diones | Harmoniam (590 f.) – erst wieder 596 ins Spiel.

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 Kritischer Kommentar

vgl. Ov. met. 3,313 furtim illum primis I n o matertera cunis | educat; 4,416 f.; fast. 6,523 (matertera B a c c h i); Sen. Oed 445 f. Ponti regna tenet nitidi matertera B a c c h i | Nereidumque choris Cadmeia cingitur I n o (es folgt Palaemon, bei Dracontius 583 genannt). Daß Dracontius neben der Mutter (mater), die Bacchus geboren hat, auch die Pflegemutter (nutrix), nämlich die Tante (matertera), genannt hat, ergibt sich aus den Versen 591–595, wo die merita, die sich Theben um Bacchus erworben hat, durch die anschließenden Exempla auf das gignere und nutrire deos festgelegt werden: Theben hat (durch die mater Semele) den Gott Bacchus geboren wie Delos das Götterpaar Apollo und Artemis, Theben hat aber auch (durch Ino, die matertera nutrix) den Gott Bacchus heimlich genährt567, wie Kreta den ihm anvertrauten Jupiterknaben: 591                                                            pro munere T h e b a e et pro tot meritis si funera tanta merentur, crimen erit genuisse deos: iam C r e t a Tonantem depositum nutrisse neget, iam D e l o s in undas 595 fluctuet et paueat partus meruisse deorum.

Damit ist auch die in Kaufmanns Kommentar aufgeworfene Frage geklärt, „worauf sich munus und merita genau beziehen“. Es wird dort vermutet, daß munus auf die Funktion Thebens als Geburtsstätte des Bacchus ziele, merita vielleicht auf die „ausserordentliche Herrscherfamilie der Stadt“. Wie hier gezeigt, beziehen sich munus und merita gemeinsam auf das g e n u i s s e und n u t r i s s e des Gottes Bacchus (und damit implizit auch auf Theben als Hochzeitsort der Venustochter Harmonia, siehe das Stichwort n u p s i s s e). Die n u t r i x eadem et matertera Bacchi muß also zwingend genannt gewesen sein. Da aber matertera nutrix und ein zusätzlicher Hinweis auf Theben als den Schauplatz, auf dem Diones | Harmoniam nupsisse ferunt, nicht zusammen in der zweiten Hälfte von 590 Platz finden, ist der Ausfall eines Verses anzusetzen. Die Grundstruktur des Abschnittes dürfte ursprünglich folgende Form gehabt haben568:

567 Siehe DServ Aen. 5,241 indignata Iuno quod ex pellice sua Semele natus L i b e r pater ab I n o m a t e r t e r a eius esset nutritus, Athamanti uiro eius, regi Thebanorum, siue ut quidam uolunt, Orchomeniorum, furorem inmisit. 568 Ich setze mich in diesem Falle einmal über die soeben von R. Kassel (ZPE 200, 2016, 140) wieder eingeschärfte textkritische Regel ‚iuxta lacunam ne mutaueris‘ hinweg, um dem Leser ein anschauliches Bild des rekonstruierten Textes bieten zu können.



Romul. X (Medea) 590. 592 – und der Sinn des Epilogs 

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                                                         tibi mater, Iacche, 590 T h e b a n a de stirpe, tibi matertera Diones Harmoniam nupsisse ferunt. pro munere T h e b a e et pro tot meritis si funera tanta merentur, crimen erit genuisse deos!

Dabei dürfte sich Dracontius das beliebte Spiel mit dem Wechsel der Prosodie bei (anaphorischen) Wortwiederholungen (tibĭ / tibī) zueigen gemacht haben (vgl. 9,230  f. Troiă trĭbutum / Trōĭă funera). Da in dieser Fassung die Verssegmente tibi mater und tibi matertera unter- bzw. übereinander standen, ist der Auftakt ma- des Wortes matertera in 590 verloren gegangen und tibi (im Zuge einer Nachbesserung?) umgestellt worden. Aus der vox nihili tertera wurde dann beinahe zwangsläufig Tartara – der einzige Begriff, der sich einem Schreiber bei dieser Buchstabenfolge aufdrängen konnte, zudem ein Begriff, der im vorliegenden Zusammenhang von Göttern und deren räum­licher Zuordnung eine gewisse Rolle spielt. Das überlieferte Diones wurde in Kaufmanns Kommentar vorschnell aufgegeben569. Denn unabhängig davon, ob der Genitiv bei Dracontius Dionae oder (gräzisierend) Diones heißt, ist an dem Satz Diones (bzw. -ae) | Harmoniam nupsisse ferunt nichts auszusetzen (es fehlt lediglich der Hinweis auf Theben, der beim Textausfall untergegangen ist). Die Junktur Diones  | Harmoniam wird gestützt durch 8,240  f. Dione (oder -nae) | Aeneas; 8,325 Nestoris Antilochus; Orest. 622 Pyrrhus Achillis (nach dem Muster Verg. Aen. 1,41 Aiacis Oilei). In Vers 592 bringt die triviale Änderung si (statt sic), die Baehrens vorgenommen hat, einen so großen Gewinn für das Verständnis des ganzen Epilogs,

569 Siehe Kaufmann S.  460: „Auszuschliessen sind grundsätzlich alle Konjekturen, die den Gen. Diones enthalten, denn als Gen. ist bei Dracontius nur Dionae belegt“ (mit Verweis auf Vollmer [1905] 311). Dabei ist nicht bedacht, daß alle Stellen, in denen die Ausgaben den Genitiv Dionae bieten, die Schreibweise des codex unicus N aus dem 15. Jh. widerspiegeln! Ob dies die Schreibweise des Dichters selbst war, ist höchst zweifelhaft, wenn man die Stellen genauer mustert: Romul. 6,104 (Dionae ?); 7,36 (Dionae ?). 63 (Dione); 8,240 (Dione). 435 (Dione [-es Ianelli]. 498 (Dionae Duhn: -nem N: -nes Ianelli). Bei diesem Befund liegt es nahe, überall Dione zu schreiben! Denn der von beiden je unabhängigen Vertretern des Hyparchetypus β (nämlich N und G) gebotene griech. Genitiv Diones in Med. 590 wird durch den wenige Zeilen später (597) gewählten griech. Akkusativ Dionen (-em β) gestützt. Die Dichter wählen ganz überwiegend den griech. Nominativ Dione und ausschließlich den griech. Akkusativ Dionen (hierzu Kaufmann S. 148104). Den Genitiv Diones konnte Dracontius bei den Dichtern Statius (silv. 1,1,84), Val. Flaccus (7,187), Silius (4,106) und Tiberianus (carm. 1,10) lesen, die er alle kennt, ferner bei Avienus und Sidonius (hinzu kommt ein weiterer Beleg in CE 467,5).

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 Kritischer Kommentar

daß die Zurückhaltung der nachfolgenden Herausgeber erstaunen muß570. Wäre in Kaufmanns Kommentar die oben wiedergegebene Textfassung (und Interpunktion) der Verse 591 ff. zugrunde gelegt worden, wäre der h y p o t h e t i s c h e Charakter der langen Beispielreihe 593–599 vielleicht deutlicher erkannt und die Gefahr vermieden worden, den Schlußabschnitt des Epilogs als (christliche) Götterkritik des Dichters zu interpretieren571. Die Beibehaltung des überlieferten sic hat dazu geführt, daß ein vom Dichter als Hypothese fingiertes Bedingungsverhältnis („w e n n  …, dann …“) zu einem realen Begründungsverhältnis („w e i l  …, ist zu konstatieren, daß …“) umgedeutet wurde. Demgemäß lautet die Überschrift zu dem Verskomplex 593–601: „Begründung der Verbrechen mit der Verehrung der falschen Gottheiten“572 (461). Der Satz crimen erit genuisse deos (593) wird nicht als eine bedingte, von der vorausgesetzten Hypothese abhängige Aussage verstanden, sondern als „programmatische Aussage, dass es als Verbrechen erachtet werden wird, Götter in die Welt gesetzt zu haben“; das Futur (dem die nachfolgenden Konjunktive als gleichbedeutend an die Seite gerückt werden) sei deshalb gewählt, weil „die Ereignisse der Mythologie aus der Perspektive einer nachheidnischen Zeit kommentiert“ würden (461). Dies läuft am Ende (s. S. 465) darauf hinaus, „dass das eigentliche nefas die Verehrung der falschen Götter ist“. Die negative Darstellung Medeas sei „nicht so sehr durch ihre Handlungen als mächtige Zauberin bedingt wie durch ihre Zugehörigkeit zur traditionellen griechisch-römischen Religion“. Mit den beiden Schlußversen 600 f. werde den Verderben bringenden heidnischen Göttern „implizit ein Gott gegenübergestellt, der so gütig ist, dass er die Menschen dazu animiert, ihn zu loben statt sich gegenseitig zu töten“573. Es zeigt sich, daß ein einziger Buchstabe (ein korruptes sic für ursprüngliches si) zur Fehldeutung einer ganzen Tragödiendichtung führen kann. Dabei wurde vergessen, daß sich der Dichter in diesem Schlußteil des Epilogs (587 ff.) an die

570 Auch wenn Dracontius an manchen (nicht überarbeiteten?) Stellen sic als Füllwort verwendet, darf man sich nicht in Sicherheit wiegen und so verfahren, als hätte die überall zu beobachtende Vertauschung von si/sic allein in der Dracontius-Überlieferung keine Spuren hinterlassen. Im ‚Orestes‘ divergieren die Handschriften B und A zwischen si und sic an den folgenden Stellen: 68 si A: sic B; 69 si B: sic A; 429 si B: sic A; 583 sic B: si A; 635 sed C. G. Müller: sic A: si B; 705 si A: sic B. Hinzuzunehmen ist 534 sic peto Vollmer: si peto B: spero A. 571 Sie hat in dieser Auffassung eine Reihe von Vorgängern, s. etwa Bright 79 f. 84 (der Schetters Position unpräzis wiedergibt) oder R. Klein, dessen Einschätzung, es werde hier eine „aggressive Kritik am Götterkult insgesamt“ getrieben (236), sie jedoch als zu exzessiv zurückweist (46196). 572 In diesem Sinne werden dann die Einzelverse kommentiert. 573 Die Schlußklausel pro laude pericla wird in christlichem Sinne als „Lobpreis“ Gottes und „Verlust des Seelenheils“ verstanden (465).



Romul. X (Medea) 590. 592 – und der Sinn des Epilogs 

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Schutzgottheiten Thebens wendet und sie eindringlich um künftige Schonung der Stadt bittet. Durch das einleitende parcite u o s s a l t e m Thebis (588) zieht er eine deutliche Verbindung zu Vergils Schlußbitte des ersten Georgicabuches, die ähnlich emphatisch (h u n c s a l t e m euerso iuuenem succurrere saeclo | ne prohibete, 1,500 f.) an die Schutzgötter Roms gerichtet ist. Wie könnte in einer solchen Götterbeschwörung um künftige Verschonung Thebens eben dieses Theben als „das erste Beispiel eines Göttergeburtsortes“ aufgeboten sein, „der nun an seiner Berühmtheit leidet, w e i l d i e V e r e h r u n g d e r G ö t t e r V e r d e r b e n b r i n g t “ (S.  459)? Mit dem erlösenden si, das Baehrens verdankt wird, erhält das Bittgesuch des Dichters an die Schutzgötter Thebens folgende a r g u m e n t a t i v e R e c h t f e r t i g u n g: „W e n n Theben für seine Wohltaten, die es Bacchus und der Venustochter Harmonia erwiesen hat, (künftighin) leiden muß, dann wird man es als ein crimen einzuschätzen haben, Göttern die Geburt zu ermöglichen, dann dürfte (in der Konsequenz) sofort Kreta leugnen, den ihm anvertrauten Donnerer genährt zu haben, Delos wieder unstet in den Fluten treiben in Furcht, sich durch die Geburt von Göttern verdient gemacht zu haben, dann dürfte Dich, Venus, das Meer, aus dem Du geboren wurdest, verleugnen, Zypern den Amores abschwören und Idalion Verdruß darüber empfinden, Dione verehrt zu haben, dann dürfte Vulcanus von Lemnos, Iuno von Argos abgewiesen, Pallas mit ihrer schrecklichen Gorgo-Fratze von Athen verflucht werden, ja, dann dürfte es überhaupt als Frevel gelten, Götter zu verehren. Denn einer Religion ehrende Anerkennung zu zollen, müßte als Verbrechen eingeschätzt werden, wenn sie statt Ruhm Verderben bringt.“

Die lange Reihe hypothetischer Annullierungen mythologischer Gegebenheiten wirkt wie die häufig eingesetzte Negierung der Naturordnung in den rhetorischen Adynata-Exempla: Haben letztere die Funktion, einem Schwur oder einer Beteuerung absolute Gültigkeit zu verleihen, so soll im Medea-Epilog die Reihe mythologischer Exempla, die gegebenenfalls rückgängig zu machen wären, der an die Schutzgottheiten gerichteten Bitte um künftige Schonung Thebens den Charakter unwiderstehlicher Dringlichkeit verleihen. Die Schlußbitte an die Götter im Epilog des ‚Orestes‘ (963–974) bestätigt den rein paganen Tenor und die gleichgerichtete Tendenz beider Epiloge: Für Theben wie für Mykene soll es mit den Freveln, die früher in den beiden Städten verübt wurden, genug sein (Orest. 969) crimina  … sat erant. In Zukunft sollen die jeweils angerufenen Götter die Stadt oder die ganze Region schonen (Orest. 973 uestro i a m p a r c i t e mundo, vgl. Med. 588) und das Verüben von Verbrechen unterbinden (Orest. 974 atque usum scelerum miseris arcete Pelasgis)574. 574 Was von Brights These, die ‚Orestis tragoedia‘ sei „a poem of evangelical Christian intent“ (139) oder „a Christianized retelling of the Orestes story“ (206), zu halten ist, hat W. Schetter Gn 63, 1991, 219 beleuchtet.

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 Kritischer Kommentar

orestes 33 Während der Rückfahrt der Flotte aus Troja mustert Agamemnon bei sich still die Reichtümer Asiens, die er erbeutet hat. In Gedanken nimmt er bestimmte Zuteilungen vor: in einem ersten Abschnitt von vier Versen Geschenke an die Göttertrias Jupiter, Juno, Minerva und an alle Götter, die auf Seiten der Danaer standen, in einem zweiten Abschnitt (einer Dreierreihe von je zwei Versen) Geschenke an die Familie: die Ehefrau Klytämnestra und die beiden Kinder Orest und Elektra: 30 diuitias Asiae rex censens corde silenti maxima fulmineo dictabat dona T o n a n t i, optima I u n o n i scribebat munera magnae, apta M i n e r u a l i dona addicebat A t h e n a e 575 omnibus et s u p e r i s, Danais quicumque fauebant. 35 nescius uxoris scelerumque ignarus Egisti dona C l y t a e m e s t r a e non dignae multa parabat, plurima subridens genitor disponit O r e s t i quae aptabat pietatis amor uel origo paterna, non tamen aequa suis meritis animisque futuris576 40 dona uerecundae seruabat pulcra p u e l l a e.

575 Die Junktur Mineruali … Athenae ist ungewöhnlich, aber man vergleiche 350 materna nouerca und 586 Argolicas … Mycenas. 576 Rothmaler (1865 = Rothm1) hatte S. 5 zu Unrecht Vers 40 nach 36 einordnen wollen, worin ihm nur Schenkl (1867) gefolgt ist. Peiper und Baehrens kehrten zur überlieferten Versordnung zurück. Sie waren die letzten Herausgeber, die  – wie zuvor C. G. Müller  – Vers 39 eng mit 40 verbunden und auf Elektra bezogen sahen; Vollmer setzte in seinen beiden Ausgaben einen fatalen Strichpunkt hinter futuris, ebenso Bouquet und Grillone, die beide in Vers 39 ausdrücklich „i ‚meriti‘ e il ‚coraggio‘ di Oreste“ hervorgehoben wissen wollen (ebenso Bright 142 f.). In Wirklichkeit wird durch s u i s (A) meritis animisque futuris (vgl. 6,44 pro meritis animisque u i r u m) auf das in 284 ff. geschilderte beherzte Eingreifen Elektras vorausverwiesen, die den kleinen Orest vor dem Zugriff der verbrecherischen Mutter (und des Ehebrechers Aegisth) rettet und ihn persönlich zu Schiff nach Athen überführt. Dracontius kann qualifizierende attributive Bestimmungen (non tamen aequa …), die wir üblicherweise im Anschluß an die Hauptaussage (dona … pulcra) erwarten, auch vorausstellen (vgl. die ungewöhnliche Stellung in 490, s. Anm. 702). Hier lag für das Abweichen von der Norm ein besonderer Grund vor: das Streben nach variatio im Aufbau der drei Doppelverse, durch die sich zugleich ein nachdrücklicher Abschluß des ganzen Abschnitts erzielen ließ.



Orestes 33 

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Vers 33 ist korrupt überliefert: Statt der hier wiedergegebenen Version, die (von apta, s.  u., abgesehen) Mähly und Baehrens verdankt wird577, bieten die Handschriften atque mineruales donis addebat athenas. Diese Fassung hat als erster F. Haase1 (36) mit dem Argument verteidigt, das Verb addere sei hier ‚singulari structura‘ in Entsprechung zu afficere aliquem aliqua re konstruiert. Aber der einschlägige Artikel in ThLL I 580,10–592,19 bietet keinen Anhalt für eine solche Konstruktion. Auch Haases Berufung auf Orest. 288 (et bene sollicitum studiis sapientibus addit [sc. Electra Oresten]), wo er addit ohne Not durch ‚auget, instruit‘ erläutert, ist keineswegs zwingend. Die beiden Haupteinwände gegen den überlieferten Text aber sind: 1. Der Zusammenhang verlangt eine Nennung der Göttin Athene, nicht der Stadt Athen (so Rossberg ad loc.). 2. Die Anknüpfung des folgenden Verses mit dem Dativ omnibus et superis fügt sich nicht zu der von Haase verteidigten Konstruktion. Dieser Fessel kann man sich auch nicht dadurch entledigen, daß man mit Haase in einem Klammervermerk postuliert: „(qui [sc.  v. 33] erit post v. 34 ponendus)“. Eine Versumstellung, die die Göttertrias zertrennt, ist ausgeschlossen! Das führte L. Müller (459) zu dem Lösungsversuch atque Minerual e m donis a u g e b a t Athen a m. | omnibus h a e c superis etc. Der dreifache Eingriff zeitigt kein befriedigendes Ergebnis. Aber auch Peipers atque minerual e m donis a d o l e b a t Athen a s | omnibus e x superis ist ein nicht überzeugender Notbehelf. Er hat den jüngsten Herausgeber (Grillone 2008) zu einer erstaunlich hybriden Fassung animiert, nämlich das überlieferte Mineruales donis addebat Athenas mit omnibus ex superis zu kombinieren578. Das Ergebnis des Rückblicks: Wir haben uns an den Apparat-Eintrag bei Baehrens zu halten: „interpolatio orta est, ubi addicebat abiit in addebat (Mineruali dona ampla addebat Athenae Mähly579; ceteri augebat [L. Müller] et ditabat [Schenkl] et adolebat [Peiper] conicientes et urbem pro dea fere patientes neclexerunt u. 34, quem ante 33 ponebat Haasius)“. In der Reihe der Verba des Z u e r k e n n e n s von Geschenken formt a d d i c e b a t weit besser als addebat eine mit dictabat und scribebat verbundene Dreiergruppe, der die anschließende Dreiergruppe parabat, disponit und seruabat korrespondiert. Die scheinbare lectio difficilior donis dürfte durch Einfluß der unmittelbar darunter stehenden Dativformen superis und danais zustande-

577 Der Dat. Sing. und das Akk.-Objekt dona Mähly, das Verb addicebat Baehrens (der zur Stütze auf Vell. Pat. 2,25,4 agrosque omnis a d d i x i t d e a e verweist). 578 Lucarini beschränkt sich in seiner Rezension auf die Feststellung (316 f.), man könne wohl in der Tat beim überlieferten Verb addebat bleiben, sollte aber atque Minerualem donis addebat Athenam lesen (denn es sei die Göttin Athena, nicht die Stadt gefordert). 579 Gegen diese Lösung spricht die doppelte Synalöphe, die dem synalöphenscheuen Dracontius durch Konjektur aufgebürdet wird.

188 

 Kritischer Kommentar

gekommen sein. Ein Zwang zur Variation (dona/donis) besteht nicht, wie die parallelen Fügungen in 31 und 32 (siehe oben die analogen Markierungen) und die Entsprechungen in 36. 37 und 40 zeigen: Der Dichter setzt in diesem kurzen Versabschnitt viermaliges dona und einmaliges munera katalogartig jeweils in den gleichen Kasus. Wohl aber vermißt man in 33 ein Attribut zu dona (in Entsprechung zu maxima – optima und multa – plurima – pulcra, non tamen aequa), während das stark betonte a t q u e Mineruae (ich wähle die Kurzform des Gedankens) vor omnibus et superis überrascht580, zumal die Reihe asyndetisch beginnt (maxima  … dona Tonanti, | optima Iunoni  … munera). Aus der anschließenden Versgruppe 35 ff. läßt sich als Ersatz für atque wohl am besten a p t a gewinnen (s. Vers 38); weniger passend scheint a e q u a (s. Vers 39); vgl. z.  B. Hor. epist. 1,7,43 magis a p t a tibi tua d o n a relinquam; Ov. ars 2,261 nec dominam iubeo pretioso m u n e r e d o n e s; | parua, sed e paruis callidus a p t a d a t o; Ps.Hil. Macc. 129 sunt haec a p t i s s i m a d o n a.

68. 70 ‘Filia, noster amor et noster, nata, reatus, uiuis an effigies et imago uolatilis extas? si diuis non es sacrata morte dicata, gaudeo; da ueniam, si corruis ense deorum. 70 nam uiuam te membra docent tactusque fatentur. 68 si diuis non Peiper: sicl[  .  .  .  .  .  ]on (litt. mediae sub macula evanuerunt) B: si uiuis et non A: si Diti non Baehrens: si barathro non Vollmer 70 docent tactusque A: docen tact- B

Agamemnon ist überrascht, in Tauris seine Tochter Iphigenie als Tempeldienerin der Diana vorzufinden, obwohl ihm ihre Opferung am Altar der Göttin bekannt war (siehe 54–56). Daher fragt er staunend, ob sie lebe oder als Schattenbild vor ihm stehe, und fügt erläuternd hinzu: „Wenn du nicht in einem rituellen Opfertod den Göttern hingegeben worden bist, freue ich mich; gewähre mir Verzeihung, wenn du doch unter dem den Göttern geweihten Schwert (vgl. 55) gefallen bist.“ Das antithetische Konditionalgefüge wird durch die (oben markierten) Begriffe si diuis …, si … deorum gerahmt. Das stützt Peipers Konjektur diuis. Vollmer hatte noch in der MGH-Ausgabe (1905) die B-Lesart des Verses 68 korrekt angegeben (Sic l…on); in der Ausgabe von 1914 stellt er fest, daß seine frühere Ergänzung

580 Daß die Folge atque … et hier gleichwohl nicht zwingend auszuschließen ist, lehrt z.  B. laud. 1,740.



Orestes 33. 68. 70 

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sic lon das unter einem Tintenfleck unlesbar gewordene ‚spatium‘ nicht auszufüllen vermöge, daß statt lon vielmehr baon zu lesen sei. Dies wird aber nicht als bloße Konjektur eingeführt, sondern der Handschrift B nunmehr die Lesart „Sic ba … non es (mediae evanuerunt: a non plane certa)“ zugeschrieben. Rapisarda übernimmt alle Angaben Vollmers (1914) in Text und Kommentar, ebenso Bouquet; Grillone (2008) fügt zur vermeintlichen B-Lesart ‚b … on‘ hinzu: „IV fere litt. mac. del.“, gibt aber als Text nicht sic barathro non, sondern si (so A) barathro non. In Wirklichkeit hatte Vollmer in der früheren Ausgabe zu Recht den Buchstaben vor dem Tintenklecks als l angegeben (wie alle Herausgeber vor ihm, man vergleiche bes. den krit. Apparat von Baehrens); seine spätere Angabe „ba … non“ ist pure Phantasie. Auch im Mikrofilm ist der Versbeginn einwandfrei als S icl[  .  .  .  .  .  ]on zu identifizieren581. Man darf annehmen, daß in B (wie öfter) das d der Vorlage als cl mißdeutet (also Sicliuis non geschrieben) wurde582, während in A das ursprüngliche Si diuis unter Einfluß des darüberstehenden uiuis (67) zu Si uiuis wurde. Das aber erzwang im Interesse eines korrekten Gedankengangs die leichte (wenngleich unmetrische) Nachbesserung si uiuis non es … morte dicata. Der Hyparchetypus, auf den B und A gemeinsam zurückgehen, hatte also Si diuis non es  … dicata, nicht Si barathro non es … dicata. Vollmers barathro wäre auch in stilistischer Hinsicht eine im Munde des Agamemnon kaum angemessene Wortwahl583 und zudem prosodisch fragwürdig: Dracontius mißt das Nomen stets (viermal) baccheisch und setzt es nur an den Versschluß. Die Verse 69–71 sind in der Handschrift B zweimal wiedergegeben. Entgegen den Angaben der neueren Herausgeber zu Vers 70 ist in der Wiederholung die

581 Die Majuskeln zu Versbeginn werden kontinuierlich in ἔκθεσις gegeben. Unter dem Tintenfleck verbergen sich nicht vier, sondern gut fünf Buchstaben. – Vollmer beruft sich für seine Neueinschätzung des B-Textes in Orest. 68 auf Photographien (1914, p. VII): „cuius [sc. codicis] nunc photographa apud me habeo“. 582 Ebensogut könnte si/sic- und d/l-Vertauschung vorliegen; zu letzterer siehe etwa Orest. 26 redux A: relux B; 44 dux A: lux B; 82 lugenda Rothmaler: luc- B: ducendo A. 583 Der wegen seines schlechten Gewissens befangene Vater wird notwendig hervorheben, daß seine Tochter (im Interesse des Heereszuges der Griechen gegen Troja) der G ö t t i n D i a n a geopfert werden mußte, der Agamemnon ein Gelübde abgestattet hatte, das der Seher Kalchas einforderte. Es wäre geradezu barbarisch, wenn er in dieser heiklen Situation Iphigenie gegenüber die Formulierung si b a r a t h r o non es s a c r a t a morte dicata wählen würde. Welcher der vielen variierenden Mythen-Fassungen der Spätling Dracontius auch gefolgt sein mag: Die Göttin besteht nur auf die grundsätzliche Einhaltung des Gelübdes, zeigt sich aber von ihrer milden Seite und gibt sich mit einem stellvertretenden Tieropfer zufrieden. Dies wird im Detail durch Iphigenie selbst erläutert (80–83), danach in Agamemnons Dank- und Bittgebet an Diana (85–101) weiter erhellt; siehe zuvor schon 53–56.

190 

 Kritischer Kommentar

Wortabtrennung docen tactusque (B) nicht zu docent actusque verändert worden; vielmehr bietet B beidemale docen tactusque, wenngleich in der Wiederholung der Abstand zwischen -en tac- stark geschrumpft ist. Trotzdem wird der Vers seit Peipers Ausgabe (1875) in der von Schwabe (1867, 7) vorgeschlagenen Fassung docent actusque gedruckt. Dabei bot die A-Version docent tactusque hinreichend Anlaß, der Sache auf den Grund zu gehen. Agamemnon beantwortet in Vers 70 seine zuvor gestellte Frage selbst: Iphigenie muß lebendig sein, sonst hätte sie ihn nicht umarmen (s. Vers 60) und er nicht ihre Berührung spüren können: das ist in m e m b r a docent t a c t u s q u e fatentur als Abwandlung eines gewöhnlichen Hendiadyoin zum Ausdruck gebracht. Das Stichwort t a c t u s liefert in diesem Zusammenhang das entscheidende Argument der Schlußfolgerung: Einen Geist ohne Leib kann man nicht berühren. Das ist in das Bewußtsein der Menschheit nicht erst durch die Episode des ‚ungläubigen‘ Apostels Thomas eingeschrieben, sondern jedem Leser Homers vertraut, der die vergeblichen Versuche des Odysseus, die ψυχή seiner verstorbenen Mutter zu umarmen, mitverfolgt hat584 – ein Motiv, das Vergil dann dreimal durchspielen läßt: zwischen Orpheus und Eurydike, Aeneas und Creusa und zwischen Aeneas und seinem Vater Anchises585. Für die Kombination von amplexus und tactus liefert Seneca passende Belege, etwa in der Szene, in der Hippolyt entrüstet den Versuch Phaedras, ihn zu umarmen, zurückweist: Sen. Phae 704 Procul impudicos corpore a casto amoue 705 tactus – quid hoc est? Etiam in amplexus ruit?586

Ein Phantasma dagegen entzieht sich jeglicher Art von Berührung; das weiß auch Alcimus Avitus, ein Zeitgenosse des Dracontius, wenn er carm. 2,68 die Formulierung delusos fugiens uano phantasmate tactus verwendet587.

584 Hom. Od. 11,204–224. 585 Verg. georg. 4,499 ff.; Aen. 2,791 ff.; 6,697 ff. 586 Verwiesen sei auf die Klage Amphitryons über den beständig abwesenden Sohn: semper absentis pater | fructum tui tactumque et aspectum peto (Hf 1256 f.). 587 Die Variante actusque läßt sich nicht für Iphigenies „Handeln“, das sich auf Umarmen und Küssen beschränkt (60 f.), in Anspruch nehmen. Die übliche Semantik verweist vielmehr auf moralisches oder sittliches Handeln in größeren Zusammenhängen. So verwendet den Begriff auch Dracontius, siehe Romul. 9,5 ff. egregias mentes u i r t u s delectat in hoste, inuidia mens summa caret, laudare decora nouit et i n g e n t e s attollere gestiet a c t u s.



Orestes 70. 72–73 

 191

72–73 Als Agamemnon zu der Überzeugung gekommen ist, daß er kein Phantom vor sich sieht, sondern seine leibhaftige Tochter, richtet er verwundert eine doppelte Frage an sie: welchem Umstand es zuzuschreiben sei, daß Iphigenie 1. getrennt von der Mutter weiter im Tempel der Göttin lebe588, 2. daß sie dort sogar die Dienste einer Priesterin versehe (heilige Handlungen für Diana verrichte): 71 dic igitur, qua sorte manes a matre dirempta ad delubra deae †posterarum tempora uita† et, quod plus miror, persoluens sacra Dianae? 72 posterarũ tempora uita B: post tergum brachia uincta A 73 persoluens sacra Buecheler: p(er) [  .  .  .  .  .  .  .  ] sacra B: nemorali (n ex m) sacra A

Die zweite Frage übersteigt noch den Grad des Verwunderns (quod plus miror), das bereits in der ersten mitklingt: „nicht nur fern der Mutter im Tempel der Göttin, sondern sogar als deren Priesterin!“ Erst im zweiten Teil der Doppelfrage wird also das Motiv ‚Iphigenie als Dianapriesterin‘ eingeführt. Folglich kann nicht bereits im ersten von einem potentiellen Detail des Priesterstandes, der kultischen Stirnbinde, gesprochen worden sein. Damit fallen alle Versuche, das korrupte posterarũ tempora uita (B) bzw. post tergum brachia uincta (A) auf der Grundlage der vom Erstherausgeber C. G. Müller eingeführten Konjektur circumdata tempora u i t < t > a zu bessern, also Schenkls idiomatisch ohnehin fragwürdiges posta per tempora uita, aber auch z.  B. praecingens tempora uita589 oder Versionen vom Typus uerbenis tempora uincta (uincta A, s. Verg. Aen. 12,120)590. Was steckt hinter posterarũ? Der Kopist A hat mit diesem Buchstabenkomplex der Vorlage postergum assoziiert (und diese falsche Vorstellung dann zu 588 Der Leser hat sich selbst die bei Dracontius vorausgesetzte Situation des Mythos zu vergegenwärtigen, daß Iphigenie während des Opfers am Diana-Altar in Aulis nach Tauris, in den dortigen Dianatempel, entrückt wurde. Aus der Sicht Agamemnons ist es verwunderlich, daß sie, wenn sie dem von der Göttin geforderten Sühnetod entkommen konnte, nicht zur Mutter zurückkehrte [die ihr eine standesgemäße Hochzeit hätte ausrichten können], sondern im Dianaheiligtum (auf Tauris) blieb (manes). 589 Vgl. Romul. 6,13 Pallados armisonae crinem p r a e c i n g a t oliua; Sen. Med 70 p r a e c i n g e n s roseo tempora uinculo (sc. Hymen). 590 Bloßes tempora uincta (mit Ellipse des üblichen Ablativs uitta, infula, taeniis, hedera, coronis, frondibus, sertis, racemis, lauro etc.) läßt sich, soweit ich sehe, nicht belegen. Kuijper (82), der die A-Lesart tempora uincta mit einer unhaltbaren Konjektur (post sacrum) kombiniert, geht auf dieses und die anderen damit verbundenen Probleme nicht ein.

192 

 Kritischer Kommentar

brachia uita weitergesponnen)591. Man wird also den Auftakt p o s t ernst nehmen müssen. Vollmers „postremum tempora uincta (i. post varia fata nunc antistita)“ scheint jedoch doppelt ungeeignet: weder ist das Adverb postremum / -mo (das überdies im Wortschatz des Dracontius fehlt) gedanklich und stilistisch angemessen noch elliptisches uincta592. In keiner seiner beiden Ausgaben erwähnt er Peipers Textfassung (manes) ad delubra deae p o s t ardua593 tempora u i t a e, obwohl damit m.  E. die Richtung gewiesen war, in der die Heilung zu suchen ist: Agamemnon fragt verwundert, wieso Iphigenie, fern von der Mutter, im Tempel der Göttin bleibe, obwohl sie im Dianabezirk in höchster Lebensgefahr geschwebt habe. Bücheler hatte sich Peipers post rarae tempora u[ an den Rand seines Handexemplars des Orestes (in der Ausgabe Mählys) geschrieben594, beim Korrekturlesen der MGH-Edition Vollmers aber prostrata in tempora uitae konjiziert. Dies ist gewiß keine befriedigende Lösung (weshalb die Konjektur in Vollmers PLM-Ausgabe hat weichen müssen); aber an dem von Peiper restituierten (in der hexametrischen Dichtung allgegenwärtigen) Versausgang tempora uitae dürfte er zu Recht festgehalten haben. Wenn also vermutlich post und tempora uitae als Eckpfeiler feststehen, scheint sich als gemeinsamer Nenner von posterarũ und postergum am ehesten post aspera (tempora uitae) anzubieten595: Agamemnon fragt die Tochter verwundert, wie es komme, daß sie – getrennt von ihrer Mutter – im Diana-Heiligtum596 geblieben sei, obwohl sie dort eine für ihr Leben gefahrvolle (ihr Leben hart

591 Hier liegt eine offensichtlich unhaltbare Interpolation vor, die auf die Zeit vor der Überfahrt der griechischen Flotte von Aulis nach Troja zurückblickt. Damals sollte Iphigenie als Opferlamm (aber schwerlich in Fesseln!) der Göttin Diana dargebracht werden, um den Griechen günstige Winde für die Überfahrt zu erkaufen (55. 68; siehe Eur. Iph. T. 10–40). Dies liegt mindestens zehn Jahre zurück. Jetzt dagegen, nach siegreichem Feldzug, will Agamemnon im Tempel der Diana ein Gelübde erfüllen (47 ff.), bei dem er zu seiner Verblüffung die Tochter als Tempeldienerin mit dem Weihrauchfaß antrifft (s. 52. 58 f.). Von einem früheren Gelübde Agamemnons an Artemis hören wir Eur. Iph. T. 20 f. 592 Siehe Anm. 590. Trotzdem versteigt sich Zurli (2001) 304–307 zu dem kuriosen Vorschlag ad delubra deae post, ergo tempora uincta, | et, quod plus miror …! Lucarini 316 (s. Anm. 748) plädiert für qua sorte m e a s   … | ad delubra deae, postremo tempora uincta | et  … persol u i s sacra Dianae. Die Einführung dieses Verbs (meas) dürfte auf einem Mißverständnis hinsichtlich der Situation Iphigenies beruhen, s.  o. Anm. 588, ferner Anm. 591. 593 Im krit. App.: ‚post ardua (uel artae uel rarae) t. uitae‘. 594 Siehe o. S. 12. 595 Der Verballhornung in B dürfte Buchstabenmetathese (a…ra/…arũ [offenes a als u gelesen]) und „Verschlucken“ der sp-Kombination im Anschluß an post zugrunde liegen. 596 Der Leser (und Hörer) ergänzt aus seinem mythologischen Wissen von sich aus, daß das Diana-Heiligtum in Aulis gegen das in Tauris eingetauscht worden war.



Orestes 72–73 

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bedrängende) Zeit habe durchmachen müssen597. Die Junktur aspera tempora paßt hier ebenso gut wie laud. 3,687 f., wo sie die Heimsuchungen des alttestamentlichen Büßers Iob bezeichnet: lucida redde, precor, qui t e m p o r a subtrahis Iob | a s p e r a, restituens quicquid malus hostis ademit. Dracontius verwendet das Wort asper noch 12mal, mit Dativ verbunden in Orest. 416 asper erat famulis regalibus598. Die erstaunte Frage ihres Vaters wird Iphigenie anschließend (81 ff.) mit einem Lobpreis auf die Milde und erbarmungsvolle Liebe der Göttin beantworten, durch die ihr Rettung zuteil geworden sei: 81 at mitis p i a templa deae: miserante D i a n a pro me cerua datur lugenda uicaria nullis. sic rapior cultris et seruio turis alumna599.

Aus dieser Perspektive gibt Iphigenie in 81 f. und 83 eine gut kalkulierte Antwort auf 71 f. und 73 (vgl. 52): 71 dic igitur, qua sorte manes a matre dirempta ad delubra deae post aspera tempora uitae et, quod plus miror, persoluis sacra Dianae?

Die Stichworte mitis, pia600 und miserante (vgl. 89 mitior) bilden die passende Opposition zu aspera601 und stützen somit die hier vorgeschlagene Restitution des Textes. 597 Zur Formel post aspera tempora uitae vgl. 271 a s p e r a s o r s hominum (dazu Sen. Med 431 o d u r a fata … et s o r t e m a s p e r a m) und die Floskel per lubrica tempora uitae der zeitgenössischen Dichter Mar. Victor (aleth. praef. 80) und Paulinus Pell. (euch. 107); ferner ThLL II 810,83 ff. Von den dort aufgeführten langen Listen sind für unseren Zusammenhang weniger die Junkturen mit uita selbst wichtig (Phaedr. 3,7,12 in siluis a s p e r a m u i t a m trahens; Iust. 18,6,4 [pro salute patriae] a s p e r i o r e m u i t a m) als jene, die das Bedrängende der gefahrvollen Situationen beschwören, s. Cic. Balb. 23 periculosis atque a s p e r i s t e m p o r i b u s [hierzu Phil. 7,6 in a s p e r r i m i s belli ciuilis periculis]; de orat. 1,3 in his uel a s p e r i t a t i b u s rerum uel angustiis t e m p o r i s; Val. Max. 4,2,2 in a s p e r o ac difficili t e m p o r u m articulo (plurimum salutis urbi atque Italiae attulit); Gell. 16,10,13 a s p e r i s reipublicae t e m p o r i b u s; Arnob. nat. 6,14 aduersisque in rebus atque in t e m p o r i b u s a s p e r i s. 598 Die Konstruktion ‚asper alicui rei‘ wird ThLL II 814,72 durch Verg. Aen. 8,365 (rebusque ueni non asper egenis) und Sil. 12,348 (paci) belegt. Ganz gängig ist die Verbindung mit dem Dativ der Person, vgl. (neben der genannten Dracontiusstelle) Hor. ars 163 monitoribus asper. 599 Siehe anschließend die Verse 93. 89–95. 600 Zu pius = misericors, clemens s.  o. Anm. 427. 601 Siehe ThLL II 815,15 ff. (20 f. lenis, mitis [„mitigo. adde: Quint. decl. 260 p. 68 al.“]; vgl. ferner Verg. Aen. 1,291 a s p e r a tum positis m i t e s c e n t saecula bellis; Serv. georg. 1,100 quo possit utriusque t e m p o r i s a s p e r i t a s m i t i g a r i; Cic. Q. Rosc. 11 (directum, a s p e r u m, sim-

194 

 Kritischer Kommentar

In Vers 73 sah der Humanisten-Schreiber A – ebenso wie der Kopist B lange vor ihm – das freigelassene Fenster des Musterkodex, mit voraufgehendem Kürzel p(er), vor sich und hat dies nach Gutdünken mit einem Attribut (nemorali) gefüllt, das der Göttin Diana häufig beigelegt wird602. B dagegen bewahrte getreu die Überlieferung samt dem freigelassenen „spatium“ von ca. 7 Buchstaben. Dieses ist von Bücheler mit p(er)-soluens gefüllt worden (vgl. Romul. 8,80 annua p e r s o l u e n s ingratis munera diuis). Doch fügt sich der mit et angeschlossene zweite Fragekomplex gedanklich präziser an das Hauptverb m a n e s (… ad delubra deae), wenn man mit Lucarini (316) et … persol u i s schreibt603.

85 Nachdem Agamemnon  – betrübt und erfreut zugleich  – von Iphigenie die Umstände ihrer Opferung (und zugleich ihrer Errettung) in Aulis erfahren hat, richtet er ein Bittgebet an die Göttin Diana: casibus auditis doluit gauisus Atrides; 85 qui numen ueneratus ait prece pectore ture: ‘Plectriferi germana dei, Letoia Phoebe, nomine tu quocumque, dea praeclara, uocaris, numine mox ipso tribuis quodcumque rogaris.

Vers 85 wird seit Vollmer (1905) – bis zu Grillone (2008) – in der oben wiedergegebenen Fassung gedruckt. Aber schon die Überlieferungsverhältnisse604 deuten darauf hin, daß ait durch agit ersetzt werden muß. Zu dieser Verwendung des Verbs agere genügt ein Verweis auf ThLL I 1366,80sq.; 1391,16sqq.; ferner auf Med. 327 (mit Apparat). Mit dem Verb wird ein Trikolon instrumentaler Ablative (prece pectore ture) verbunden, das sich durch die Intervention zweier Philologen, Rossberg und Vollmer, herausgebildet hat. Überliefert ist precepto reture in B, precepta repertae in A. Daraus wollte Rossberg (der mit Rothm2 864 numen ueneratus agit durch n. uen. adit ersetzt) prece caespite ture

plex – m i t e, moderatum); Quint. inst. 5,13,57 factum … a s p e r i u s aut m i t i u s; Cels. 2,8 p. 47 D m i t i o r a signa et a s p e r i o r a (sc. morbi); Sidon. carm. 2,439 f. a s p e r a miscens m i t i b u s; Ven. Fort. carm. 4,26,151 f. nam puer atque senes, niger albus, turpis honestus, | debilis et fortis, m i t i s et a s p e r obit. 602 Rothmaler (1858) 8 hatte pharetratae vermutet. 603 Ich hatte diese Vermutung auch selbst im Mskr. niedergelegt, bevor ich durch R. Jakobi auf Lucarini verwiesen wurde, s.  u. Anm. 748. 604 85 agit BApc: ait Aac: adit Rossberg.



Orestes 73. 85 

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gewinnen605, während Vollmer (n. uen. ait) prece pectore ture hergestellt hat606. Wie aber soll dieses Trikolon mit ait (oder auch agit) zusammengehen? In den Versen 86 ff. hören wir zweifellos ein laut gesprochenes Gebet, das Agamemnon im Tempel, vor dem Götterbild stehend, an Diana richtet. Dieses wird vom Erzähler ganz konventionell durch agit prece eingeleitet. Vollmers ait … pectore hätte nur Sinn, wenn es sich um ein stilles Gebet handelte, kann aber auch dann nicht mit prece gleichgeordnet werden, sein ait  … ture aber ergibt eine beispiellose Junktur. Dieser Instrumentalis würde sich vielleicht zu dem ursprünglichen agit fügen (agit prece  … ture), wenn wir uns vorstellen, daß das Gebet durch Weihrauchinzensionen begleitet wurde. Aber pectore läßt sich in der Ankündigung eines feierlich gesprochenen Gebetes weder in Verbindung mit agit noch mit ait vertreten – es sei denn, agit prece sollte durch einen Adverbialausdruck wie pectore puro qualifiziert werden. Damit richtet sich unser Blick zurück auf den überlieferten Wortlaut: Der Instrumentalis prece wird durch beide Handschriften gestützt; ture ist aus der B-Lesart reture gewonnen, die jedoch im Verdacht steht, unter Einwirkung von turis alumna (83, vgl. turibula 52) zustandegekommen zu sein. Folglich ist die A-Variante repertae ernst zu nehmen. Sie eröffnet die Möglichkeit, in Verbindung mit dem restlichen Buchstabengebilde pto (B) bzw. pta (A) eine überzeugendere Lösung zu finden als die bisher vorgeschlagenen. Es muß m.  E. prole reperta gelesen werden607: Sobald Agamemnon (der seine Tochter tot geglaubt hatte)608 von Iphigenie über ihre Errettung durch die gnädige Diana unterrichtet worden war, „verehrt er die Gottheit und richtet das folgende Gebet an sie, d a n u n s e i n e T o c h t e r w i e d e r g e f u n d e n w a r “. Dieses Schlußkolon p r o l e reperta führt unmittelbar zum Kern des folgenden Bittgebetes: p i g n o r a

605 Dabei beruft er sich auf Prud. apoth. 187 ridiculosque deos uenerans sale, caespite, ture und perist. 5,50 aut ara ture et caespite precanda [?] iam nunc est tibi). Aber wenn im Text des Dracontius das Trikolon zu ueneratus gezogen wird, fehlt ein Übergang von adit zum unmittelbar anschließenden direkten Anruf an die Göttin. 606 Die weiteren Verbesserungsvorschläge verzeichnet der krit. Apparat. 607 Vgl. den Versschluß iam prole perempta in laud. 3,342; ferner Ov. am. 3,10,45 cum sit tibi n a t a r e p e r t a; met. 5,518 en quaesita diu tandem mihi n a t a r e p e r t a e s t. – Es ist gut verständlich, daß der Schreiber des gemeinsamen Hyparchetypus aus dem Buchstabengebilde preceprolereperta als erstes das Wort precepto ausgliederte (unter Wegfall von -le vor re-). Das wurde dann in B ebenso übernommen (in Kombination mit verschriebenem reture, dazu oben). Der Kopist von A aber hat den Wortlaut des Hyparchetypus in einen korrekten Satz auszuformen versucht und das in der Vorlage vorgefundene precepto reperta zu precepta repertae (sc. agit) geändert („diskutiert gegenüber der Wiedergefundenen Gebote“). Das trifft inhaltlich nicht zu, ergibt aber im Rahmen des Verses einen grammatisch korrekten Satz. 608 Ebenso Klytämnestra, s. 194 unaque natarum cinis est per templa Dianae.

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 Kritischer Kommentar

redde … p a t r i (94): Die Göttin möge die Errettung Iphigenies aus dem Tod zu ihrem eigentlichen Ziel führen, dem Vater die wiedergefundene Tochter zurückzugeben, damit er in Begleitung der Jungfrau nach Mykene zurückkehren (98 f. [si non] comitante Mycenas | uirgine pergo redux) und die Totgeglaubte der trauernden Mutter zurückgeben könne (plangenti reddere m a t r i | quam putat extinctam). Dieses Ansinnen, die jungfräuliche Tempelpriesterin für Vater und Mutter freizugeben, weckt den Zorn der Göttin, so daß Agamemnon, tief erschrocken, verstummt und zurückweicht, voller Trauer die Schiffe am Meeresufer aufsucht und die Heimreise fortsetzt.

93 post 88 Die einsträngige Überlieferung des ‚Orestes‘ (A und B gehen auf den gleichen Hyparchetypus zurück)609 hat durch eine Reihe von Versausfällen und Versversetzungen gelitten, die durch die Divergenz der Handschriften aufgedeckt werden. Deshalb darf Schenkls Umstellung des Verses 93 (er fügt ihn in seiner Ausgabe 1867 zwischen 88 und 89 ein) die gebührende Aufmerksamkeit beanspruchen. Doch seit Rossbergs Widerspruch (1888, 14 f.) ist Schenkls Versordnung nicht nur aus den Texten, sondern auch aus den Apparaten verschwunden. Hier das Textsegment aus dem Gebet Agamemnons an die Göttin Diana: Plectriferi germana dei, L e t o i a P h o e b e, nomine tu quocumque, d e a p r a e c l a r a, uocaris, 88 numine mox ipso tribuis quodcumque rogaris. 93 tu rapis610 ex aris611 animas et morte parata 89 mitior612 exsistens, sacrum largita cruorem, 90 luctibus613 omissis donans lamenta parentum (mucro sacerdotum feruet ieiunus et expers 92 sanguinis humani, contentus sanguine uili): 94 pignora redde, precor, regi post funera patri, 95 ut prosit dempsisse neci: tibi, D e l i a, supplex mille dabo pecudes, ceruos hircosque suesque, cornibus armatas lunata fronte iuuencas.

609 Siehe zuletzt Grillone (2008) 20–27. 610 Vgl. 83 sic r a p i o r cultris. 611 Siehe 80 sed uictima trador a d a r a s. 612 Vgl. 81 f. at m i t i s pia templa deae: m i s e r a n t e D i a n a | pro me cerua datur lugenda uicaria nullis. 613 Siehe 82 cerua … l u g e n d a uicaria n u l l i s (s. vorige Anm. 612)



Orestes 85; 93 post 88 

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Rossberg erkennt zu Recht in 86–88 eine erste gedankliche Einheit. „Mit v. 89“, so fährt er fort, „beginnt eine neue Periode mit 3 Partizipien existens, largita, donans, welche von dem Hauptverbum t u r a p i s v. 93 abhangen. Zwischen v. 90 und 93 sind parenthetisch eingeschoben v. 91. 92 ähnlich wie 10,440–442 (ebenfalls in einer Anrede). v. 94 schliesst an den Preis der Göttin die Bitte an.“ Rossberg hatte noch nicht E. Nordens ‚Untersuchungen zur Stilgeschichte der Gebets- und Prädikationsformeln‘ zur Verfügung614. Dort konnte man seit 1913 viele Beispiele gesammelt finden, in denen Anaklesen durch „Du“-Prädikationen, relativische Prädikationen und partizipiale Prädikationen615 weitergeführt werden, die sich ihrerseits vermischen können. Einen Beleg dafür, daß zunächst drei Partizipialprädikationen (am Schluß erweitert durch eine zweizeilige Parenthese) gegeben werden, bevor endlich das „Hauptverb“ mit der tu-Prädikation folgt, wird man vergeblich suchen. Auch das von Rossberg angeführte Gebet an den Unterweltsgott und die Furien Med. 436 ff., geprägt durch Relativstil und anaphorische si-Sätze, ist nicht vergleichbar. Bei Dracontius selbst lassen sich Parallelen zu der von Schenkl postulierten Anordnung der (untergeordneten) partizipialen Prädikationen finden, die in unmittelbarem Kontakt zu dem Hauptsatz („Du entraffst die bedrohten Lebewesen den Opferaltären, auf denen der Todesstoß vorbereitet war“)616 das Handeln der Gottheit konkretisierend erläutern617. Nur in dieser wiederhergestellten Vers­

614 Siehe Norden, agnostos theos 141 ff. 615 Hierzu Norden 166 ff. 173. 201–207. 616 So hat man den Vers 93 mit M. Deufert zu verstehen, der ex aris et morte parata (rapis animas) verbindet („vom Altar und dem auf ihm vorbereiteten Tod wegreißen“), also den Ausdruck als Hendiadyoin für ex aris, ubi mors parata erat interpretiert. Diese Auffassung verdient den Vorzug vor dem Versuch, et im Sinne von etiam zu fassen und demgemäß zu übersetzen: „Du entraffst … noch im Moment des vorbereiteten Todesstoßes“. 617  Drac. laud. 3,1 ff.: Luminis aeterni lumen, lux lucis origo orbis et astrorum, iubar aetheris, aeris auctor, pax elementorum, naturae conditor et fons, sideris innumeri numerus quem non latet omnis, 5 nomina dans astris et stellas cursibus aptans immobilesque iubens septem constare triones, axe licet uoluente polo stent sidera pigra, qui numeras cunctas quas praefert litus harenas, scis, Deus, et pelagi quantos ferat unda liquores 10 per freta cuncta maris totum factura coactu. Entsprechend ist das Gebet an die Trivia Diana in Med. 188 ff. zu beurteilen. Dort wird 190 ff. (nach der Anaklese) die Herrschaft der Trivia über die drei Reiche des Kosmos expliziert: 190 nam tria regna tenes: tu caelo Cynthia regnas, uenatrix terrena micas, capis atria Ditis,

198 

 Kritischer Kommentar

ordnung schließt die Bitte in 94 glatt an. Das beweist das inhaltlich verwandte Stoßgebet, das der todgeweihte Jason auf dem Opferaltar der Diana in Kolchis an Amor richtet. Dracontius hat die dortige Situation, in der Jason vom Opfermesser der Diana-Priesterin Medea bedroht618 und als uictima (iacens) feriendus in aris (Med. 208) im letzten Augenblick dem bereits zum Todesstoß erhobenen Opferschwert619 entgeht620, in Agamemnons Gebet, speziell in Vers Orest. 93 (s.  o.), eingefangen. Jasons Anruf an den Gott Amor lautet: Med. 201                          ‘numen, quod mundus adorat, si caelum, si terra tui sunt, alme, triumphi uel quidquid natura creat, si sanguinis expers mortis et infaustae, si sunt tamen hostia flores 205 matris et insertae pendent per templa coronae sanguine uirginei tantum c o n t e n t a pudoris: eripe me his, inuicte, malis. ego uictima seruor (atque utinam seruer), iaceo feriendus in aris.’

Wie hier unmittelbar vor der Bitte (207)621 das Motiv von der Blutlosigkeit des Opfers hervorgehoben wird, bei dem sich der Tempel „zufrieden gibt“ mit dem Blut der deflorierten jungfräulichen Braut, so stehen auch in dem Orest-Passus unmittelbar vor der Bitte (94) die Stichworte contentus, sanguine uili und expers sanguinis (humani): Diana verzichtet auf Menschenblut; das Opfermesser gibt sich zufrieden mit dem wohlfeilen Blut einer Hindin: Orest. 89                                                sacrum largita cruorem, 90 luctibus omissis donans lamenta parentum (mucro sacerdotum feruet ieiunus et expers 92 sanguinis humani, c o n t e n t u s sanguine uili): 94 pignora redde, precor.

tempora distribuens regnis et cursibus apta: iam grates audita loquor. Zu Hudson-Williams’ apta s. Kaufmann 236; vgl. laud. 1,746 (spes hominum intendens et uota precantia complens); 2,33 ff. (penetrans – implens – iuuans – ministrans); 2,153 (infundens); 2,596 (nil addens minuensque tibi); 2,698 (pocula larga parans sitientibus). 618 Siehe Med. 181 nudato mucrone furens. 619 Med. 216 f. iam uirgo leuabat | destricto m u c r o n e manum. 620 Med. 224 marcida funereum laxauit dextera ferrum – sehr zum Unwillen der Amme, die als Opferdienerin fungiert: 225 „dic, uirgo, quid haeres?“ | increpat, „ecce feri. fibrae rapiantur et exta, | consultum det fata iecur. Medea moraris? | occidimus, etc. 621 Sie ist durch Unterstreichung markiert (die Markierungen hier und in dem folgenden ‚Orestes‘-Auszug heben in analoger Weise die jeweiligen Entsprechungen hervor).



Orestes 93 post 88; 94 

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Beide Stellen stützen sich gegenseitig: Zwischen Orest. 92 und 94 ist ebensowenig Platz für einen weiteren Vers wie zwischen Med. 206 und 207. Die Verse Orest. 87–91 bieten eine verwirrende Reihe gleicher oder ähnlicher Anfangsbuchstaben: nomine / numine / tu / mi / luc- / muc-. Es schließen in 88 mox, in 93. 89 exarisanim / exsistenssacrum, ferner (mo)rteparata / largita an. Dies alles konnte leicht einen Augensprung von 88 zu 89 verursachen. Der am Rand nachgetragene Vers 93 wurde später an falschem Ort integriert.

94 Wie oben abgedruckt, lautet die Überlieferung: 94 pignora redde, precor, regi post funera patri, ut prosit dempsisse neci.

Bouquet behält diesen Text bei und übersetzt: „rends, je t’en supplie, son enfant à un roi que le deuil a rendu père, afin que tu ne l’aies pas sauvée du trépas inutilement“622. Das hier aufscheinende Bild eines Agamemnons, der sich erst nach dem (vermeintlichen) Tod der Tochter seiner Vatergefühle bewußt geworden sei, lehnt Grillone (2008) 109 f. zu Recht ab. Er nimmt deshalb die von Baehrens vorgeschlagene und von Vollmer (1905) akzeptierte Verbesserung r e d u c i  … patri wieder auf und faßt – mit Blick auf die Kämpfe in Troja – funera als Synonym zu strages623. Aber das Stichwort redux wird erst im Vers 99 im Hinblick auf die Rückkehr nach Mykene gesetzt. Der früheste Heilungsversuch (regi post funera, s. Schwabe 1867, 9 f.) scheint nur ein einziges Mal auf Gefallen gestoßen zu sein: in Peipers Ausgabe von 1875. Danach ist er aus der Diskussion verschwunden. Während Peiper im Apparat zu Unrecht den Eindruck erweckt, Schwabe habe das von ihm hergestellte regi auf Priamus bezogen, wollte Schwabe in Wirklichkeit seinen Eingriff wie folgt verstanden wissen: ‚filiam, quam pro salute Graecorum r e x e t d u x Graecorum olim tibi uoui, quam pridem mortuam esse putaui, quam diu luxi, nunc redde mihi p a t r i ‘ – oder in den Worten R. Jakobis: „Gib dem V a t e r sein Kind zurück, welches er als K ö n i g opfern mußte“ (Sperrungen

622 Es wird also die von Rossberg (1888) in Anlehnung an Rothmaler formulierte Erläuterung der Junktur regi … patri wieder aufgegriffen: ‚dem Könige, der nach dem (vermeintlichen) Tode der Tochter wieder Vater ist‘. 623 Vgl. Orest. 202; Claud. 23,17 longi … post funera belli.

200 

 Kritischer Kommentar

Zw.)624. Eine solche pointierte Antithese würden wir gewiß dem Tragiker Seneca zutrauen, aber auch dem Spätling Dracontius? M. Beck sieht sprachliche Härten: weniger in funus an sich, das hier im Sinne von „gewaltsamer Tod, Mord“ o.  ä. zu verstehen sei, als in dem Genitiv regis. Dieser müsse ja im weitesten Sinne subjektiv sein („nach der Tötung durch den Vater“ o.  ä.); es sei aber fraglich, ob funus eine solche Tätigkeitsvorstellung zulasse (V. 917 sei hierin nicht wirklich vergleichbar). Diese Erörterungen haben mich veranlaßt, zu meiner ursprünglichen Textfassung zurückzukehren:

pignora redde, precor, regi (corr. Zw.) post funera patri.

Nachdem Agamemnons Königreich so viele Menschenleben (vor Troja und im Sturm auf der Rückfahrt) verloren hat (was ihn, den König, besonders trifft), möge die Göttin doch (wenigstens) dem Vater die Tochter zurückgeben! Zu regni funera vgl. Sen. Oed 71 adfusus aris supplices tendo manus matura poscens fata, praecurram ut prior patriam ruentem neue post omnis cadam fiamque regni funus extremum mei625.

119 / 122 Agamemnons Umweg zum Diana-Tempel in Tauris wird zum Desaster: Die Göttin zürnt ihm ob seiner Bitte, die unverhofft wiedergefundene Tochter mit nach Mykene zurücknehmen zu dürfen. Während er sich noch auf hoher See befindet, ist die vorausgefahrene Flotte mit den Schätzen und den Gefangenen Trojas bereits im Hafen Mykenes angelangt. Klytämnestra mischt sich unter die Schaulustigen, in großer Furcht vor der bevorstehenden Bestrafung durch den Gemahl

624 Schwabe verweist noch auf die Junkturen pignora (bzw. -re) regis in 289. 312, ferner auf post funera in 917 („quod singulari brevitate et vi dictum est“), wo in Wirklichkeit post tot funera mentis zusammenzunehmen ist (siehe zur Stelle ThLL VI 1,1606,16). 625 In Orest. 384–391. 409 f. werden die Opfer, die Troja dem Königreich Mykene unter Agamemnon abverlangt hat, aus der Perspektive der mißgünstigen Clytemestra – nach dem Königsmord – geschildert. Siehe ferner die in Anm. 623 aufgeführten und die folgenden Stellen: Verg. Aen. 2,283 ff. ut te (sc. Hector) post multa tuorum | funera, post uarios hominumque urbisque labores | defessi aspicimus! Cypr. Gall. iud. 374 f. Zebeus ductor post funera tanta suorum | et Salmana fugit.



Orestes 94; 119/122 

 201

wegen des Ehebruchs. Als sie den Herrscher nicht vom Schiff steigen sieht, schöpft sie neue Hoffnung, ihr Frevel könne ungesühnt bleiben. Der Dichter malt die schwankenden Gefühle der Frau mit klangvollen Reimen, Alliterationen und Assonanzen hingebungsvoll aus (117 ff.): constitit insipiens ut adultera regia coniux 118 publica planctigeris e x s e c r a n s gaudia uotis, 121 atque oculos per cuncta iacit mandante timore 120 supplicium e x s p e c t a n s scelerum ueniente marito 119 (anxia sollicito quatiuntur c o r d a pauore 122 et pallor premit ipse g e n a s feruore recenti, attamen infelix a n i m o uersatur626 adulter). ast ubi non uidit descendere puppe tyrannum, 125 impunita putans sua crimina posse manere gaudet et internae mentis secreta fatetur permixtus candore rubor pallore fugato, et lasciua reos pulcrescunt gaudia uultus. 119 et 121 inter se mutavit Baehrens, 119 et 120 Haase2, Rothm1 6 (quem secutus est Schwabe 11), 120 et 121 Rossberg

In den Ausgaben und Kommentaren nach Baehrens (1883) und Rossberg (1888) sind alle Hinweise auf die in diesem Passus vorgenommenen Versumstellungen verschwunden. Dabei ist es offensichtlich, daß die Verse 121 und 122 nicht – wie überliefert  – aufeinanderfolgen können; denn et pallor premit ipse genas (122) schließt nicht an den ‚Handlungs‘-Vers 121 atque oculos per cuncta iacit an. Vielmehr ist Vers 122 Teil der oben als Parenthese ausgegliederten Schilderung der inneren Gefühle Klytämnestras. Diese parenthetische Dreiergruppe gehört eng zusammen; das zeigt sich auch in formalen Details: 119 (anxia sollicito quatiuntur corda pauore 122 et pallor premit ipse genas feruore recenti, attamen infelix animo uersatur adulter).

Es wird die Wirkung der Emotionen auf Herz (corda), Gesicht (genae) und Gemüt (animus) geschildert. Die beiden Verse 119. 122 sind durch Reime (pauore, feruore),

626 L. Müller (460) hat erwogen, uersatur in seruatur zu ändern; aber die Überlieferung wird gestützt durch Stat. Theb. 12,191 sed nulla a n i m o u e r s a t u r imago | crebrior, Aonii quam quae de sanguine campi | nuda uenit poscitque rogos.

202 

 Kritischer Kommentar

Alliteration und Assonanz (corda pauore – pallor premit – feruore) zusammengebunden627, wozu die Entsprechung feruore – uersatur tritt. M. Deufert hat gesehen, daß die Verskombination 117 f. (constitit  … exsecrans) / 121. 120 (atque oculos iacit  … exspectans) eine ausgewogene Abfolge ergibt: sie reiht sich unters Volk  …, verfluchend / und schaut um sich voll Furcht …, Strafe erwartend bei der Rückkehr des Gatten. Die Furcht vor Strafe sei der Hauptgedanke; ihn entfalte dann die Parenthese. Danach greift Vers 124 (a s t u b i n o n u i d i t descendere puppe tyrannum) auf 121 (s.  o.) zurück: Sie sieht, daß der Gebieter nicht unter denen ist, die aus dem Schiff steigen, und freut sich innerlich im Glauben, der Strafe entgehen zu können. Die Verse 126–128 malen die gegensätzlichen Gefühle zu den in der Dreiergruppe 119. 122–123 geschilderten: dort die innere Angst, jetzt die innere Freude. 127 verweist auch lautmalerisch auf die frühere Dreiergruppe zurück. Wie ist die von Baehrens rückgängig gemachte Verstellung der Verse 121/119 zustandegekommen? Ein Schreiber, der nach Vers 118 (mit dem zentralen Partizip e x s e c r a n s) den Vers 121 (mit dem Beginn atque oculos und der markanten Klausel timore) in den Blick genommen hatte: 118 publica planctigeris e x s e c r a n s gaudia uotis, 121 atque oculos per cuncta iacit mandante timore

springt beim Wiederaufsuchen seines Ausgangswortes versehentlich auf das Partizip e x s p e c t a n s in 120 und die damit verbundene verwandte Laut-Kombination im anschließenden Vers: 120 supplicium e x s p e c t a n s scelerum ueniente marito 119 (anxia sollicito quatiuntur corda pauore,

und fährt deshalb mit 119 fort statt mit dem intendierten Vers 121. Der Fehler wird anschließend bemerkt und korrigiert; aber das kritische Zeichen, das den Vers 121 als Nachtrag auswies, blieb bei späterem Kopiervorgang unbeachtet.

627 Aufgenommen in 127 permixtus candore rubor pallore fugato.



Orestes 119/122; 257 

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257 Dixit et exutum tutanti tegmine regem 255 callida funereo perfundit corpus amictu. sed capiti dum quaerit iter tunicaeque fenestram, illa m a n u m r e t i n e n s armatum acciuit Egistum. Et ferit incautum caput impius impete mortis (…)

Es stellt sich die Frage, wie der Gattenmord bei Dracontius abläuft628: Hatte Klytämnestra die Absicht, selbst die Tat zu vollbringen, hält dann aber ihre Hand zurück (257) und ruft stattdessen den bewaffneten Ägisth herbei, der dem König das Haupt mit der Doppelaxt spaltet? Nur in diesem Falle könnte das überlieferte illa m a n u m retinens durch Vollmers Parallele Ov. met. 6,35 (uixque manum retinens) gestützt werden. Oder hält sie die Hand des Agamemnon fest, der nach einem Ausgang aus dem Todesgewand629 tastet? In Wirklichkeit war die Untat von Anfang an klar aufgeteilt: Klytämnestra als der schwächere weibliche Teil (180 ff.) übernimmt den Trug mit dem selbstgewebten Gewand ohne Öffnung für den Kopf (208 ff.), Ägisth aber verrichtet die blutige Arbeit mit dem Schlachtbeil (189 ff. 213 f. 220 ff.), siehe vor allem: 209 (Clyt.) bellorum maculis et crasso sanguine uestem 210 rex ferus imbutus ueniet; mutare necesse est indumenta duci; tunicam dabo uertice clauso. dum caput indutum cupit exertare tyrannus, egredere praeuentor atrox uiolentus: Atridis finde secure caput ceruicem colla cerebrum.

Dementsprechend heißt es beim Einlaufen des königlichen Schiffes: 235 i l l a rapit t u n i c a m, p a s t o r rapit inde b i p e n n e m. officio stat quisque suo: celatus adulter intra claustra latet, mulier progressa parumper morte maritali tunicam subnixa ferebat.

Ägisth hat sich im Schlafgemach (248) versteckt und wartet dort, bis Klytämnes­ tra dem König das Gewand ohne Kopföffnung übergeworfen hat. Während der betrogene Gemahl nach einem Ausgang sucht, hält sie die Tunika mit der Hand

628 Über die verschiedenen Versionen seit Homer unterrichtet Friedrich (1967) 143–152. 629 Entsprechend dem ἄπειρον ἀμφίβληστρον des Aischylos (Ag. 1382), s. Ed. Fraenkels Kommentar und Tarrants Kommentar zu Sen. Ag 875–907.

204 

 Kritischer Kommentar

fest und ruft den bewaffneten Ehebrecher zu seinem Einsatz: Es ist also in 257 illa manu{m} retinens (sc. tunicam) zu schreiben630.

287; 288 post 290 Unabhängig voneinander haben Baehrens und Rossberg die Verse 289 f. vor 286 gestellt631, nachdem sie Schenkl vor 305 eingeordnet hatte – wo sie viel zu spät kommen. Recht hat Rossberg mit dem Argument: „Dass sie an der Stelle, wo sie überliefert sind, nicht passen, geht schon daraus hervor, dass c u i u s (v. 291) sich eng an v. 288 anschließt.“ Problematisch aber ist sein anschließendes Urteil: „In der von Baehrens und mir [sc. Rossb4 570] vorgeschlagenen Stellung dagegen schliesst sich in v. 289 die Art und Weise, in welcher das s e r v a v i t (v. 285) erfolgte, zwanglos an“ (34 f.). Das ist gerade nicht der Fall. Vielmehr werden beide hier implizit gestellten Anforderungen an einen konsequenten Gedankenfortschritt nur erreicht, wenn man Vers 288 hinter 290 rückt: Clade repentina premitur Pelopeia uirgo, 285 sed tamen ultorem patris seruauit Oresten: faucibus eripiens germanum Electra parentis 287 imposuit puppi secumque a b d u x i t Athenas 289 (quae ratis a d u e x i t regem, haec pignora regis 290 spesque Agamemnonias et Troica gaza r e p o r t a t) 288 et bene sollicitum632 studiis sapientibus addit. 291 cuius erat nimium fidus P y l a d e s amicus. iunxerat hos studium sollers et gloria linguae.

Durch die Umstellung des einen Verses 288 (er war hinter der zwischengeschobenen Parenthese 289 f. verlorengegangen, wurde nachgetragen und dann falsch eingeordnet) wird ein glatter Anschluß nach unten erreicht (cuius greift auf das Objekt bene sollicitum zurück). Zugleich aber bleibt die in der überlieferten

630 In 263 dagegen hat Haase zu Recht regina laudante manu hergestellt. 631 Vollmer hat dies noch im Apparat festgehalten (ohne Konsequenz im Text), danach verschwindet auch dieser bloße Hinweis aus den Ausgaben. 632 Das einhellig überlieferte sollicitum (~ „geistig geweckt“) sollte nicht mit Rothmaler zu sollicita verändert (also auf Elektra bezogen) werden. Das zeigt 292 iunxerat hos (sc. Orest und Pylades) studium s o l l e r s et gloria linguae. Es sei ferner verwiesen auf Coripp. Ioh. 1,520 (bene s o l l i c i t o dispensans p e c t o r e curas); Claud. carm. min. 29,1 (quisquis s o l l i c i t a mundum ratione secutus | semina rimatur rerum); Aegr. Perd. 19 f. (nam nuper Athenas | uenerat et studiis animos praebebat et aures, s. den Text S.  292). Zur Entsprechung zwischen Orest. 288 (in der überlieferten Version mit sollicitum) und Aegr. Perd. 19 f. s. Zurli (2001) 299 ff., bes. 304.



Orestes 257. 287; 288 post 290 

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Anordnung vorgegebene notwendige Explikation der Aussage seruauit Oresten in 285 gewahrt: Die Rettung des kleinen Orest durch die Schwester Elektra wird im Detail erläutert, die Auskunft seruauit Oresten also durch faucibus eripiens … parentis | imposuit puppi secumque abduxit Athenas weitergeführt633: Elektra entreißt den kleinen Bruder dem Rachen der Mutter, setzt ihn auf „das Schiff“ und entführt ihn in ihrer Begleitung nach Athen634. Um welches Schiff es sich handelt, kann der Leser zunächst nur durch das Stichwort p u p p i erahnen, wodurch auf die Ankunft der regia p u p p i s in 233 zurückverwiesen wird. Diese Identität des Schiffes aber muß notwendig eigens verdeutlicht werden. Das leistet die Parenthese 289–290, die deshalb unmittelbar an Vers 287 anschließen muß. In dieser Parenthese wird das Stichwort p u p p i (von 287) durch ratis aufgenommen und dieses Schiff nun mit demjenigen gleichgesetzt, das zuvor den König Agamemnon nach Mykene zurückgebracht hatte (aduexit). Eben dieses Schiff bringt jetzt den künftigen Rächer Agamemnons (samt dem Troja-Schatz) nach Athen in Sicherheit (abduxit / reportat) vor der blutdürstigen Mutter. Dort gibt Elektra den aufgeweckten Jungen in die Schule, wo er mit dem Freund Pylades vertraut wird.

633 Keinesfalls darf die überlieferte Abfolge Pelopeia uirgo (284)  – ultorem patris Oresten (285) – germanum Electra p a r e n t i s [faucibus] (286) durch die nach 285 eingeschobene Parenthese zertrennt werden. 634 In 287 ist das überlieferte adduxit in ab-duxit zu ändern (vgl. die Verschreibung aduexit A: abexit B gleich anschließend in 289): Elektra e n t führt den kleinen Bruder aus Mykene nach Athen (Athenas A: -is B). Nur so schließt die Parenthese folgerichtig an: quae ratis ad-uexit regem, haec pignora regis … re-portat: Das gleiche Schiff, das … „gebracht“ hatte, „führt“ nun wieder „weg“: re-portat bezeichnet die gleiche Aktion wie ab-duxit. Dieses letztere Verb wurde unter Einfluß von ad-uexit zu ad-duxit verschrieben. Erinnert sei an Senecas Agamemnon-Tragödie: Dort wird die entsprechende Szene der Rettung Orests (vermutlich nach dem Vorbild eines hellenistischen Dichters) breit ausgestaltet. Für unseren Zusammenhang genügt ein Verweis auf die Verse Ag 944 f. Dort schaut Elektra dem mit seinem Pferdegespann davonbrausenden Retter Strophius nach, der den kleinen Orest zu sich auf den Wagen genommen hatte (wo bereits Pylades sitzt): excessit, abiit, currus effreno impetu | effugit aciem. Das Pferdegespann ist bei Dracontius durch das Schiff ersetzt. Aber beidemale geht es um das „Weg-bringen“, „Fort-führen“, „Ent-Fliehen“ des gefährdeten Königskindes  – bei Dracontius mit dem Zielakkusativ Athenas verbunden, an den dann im Anschluß an die Parenthese Vers 288 anknüpfen kann. [Dies war lange geschrieben, als ich auf den lapidaren Satz L. Müllers stieß (461): „288 wohl secumque abduxit Athenas.“ Da der Leser eine Begründung erwarten darf, habe ich die Anmerkung unverändert stehen lassen.]

206 

 Kritischer Kommentar

360 Dorylas betet zu den Göttern, sie möchten seinem trügerischen Unternehmen Erfolg bescheren:                                                              mendacibus ausis, uos precor, annuite et fallacia uota iuuate: 360 credar et aduertar m e n d a x adsertor h o n e s t u s. tollere nam insontes cupio de sorte paterna, quam mater plectenda parat uel uitricus hostis.

Bis zur MGH-Edition Vollmers (1905) war der geringfügige Eingriff Hagens (s.  Peiper 1875,48) in den Ausgaben anerkannt: statt der B-Lesart honestis hatte sich Hagens honestus durchgesetzt, von Rossberg wie folgt wiederge­ geben: „möge man mir doch glauben und ich Lügner angesehen werden als ehr­ licher (glaubwürdiger) Gewährsmann“ (44). Seit der späteren Teubner-Ausgabe ­Vollmers (1914) jedoch ist honestus durch die A-Version (h)orestis verdrängt, in der Übersetzung Bouquets: „Puissé-je être cru et écouté, bien que je mente, quand je plaiderai la cause d’Oreste.“ Aber die A-Version dürfte ein Nachhall des Versschlusses fugientis O r e s t i s von 353 sein. Denn wie gleich aus dem hier folgenden Vers 361 (tollere nam i n s o n t e s cupio de sorte paterna) hervorgeht, sieht sich Dorylas nicht allein als Anwalt seines Zöglings Orest, sondern beider Atridenkinder. Orest fährt ja in Begleitung seiner älteren Schwester Elektra auf dem gleichen Schiff, von dem Dorylas die Kunde verbreiten will, es sei samt den Insassen in den Meeresfluten versunken. Also ist er nicht adsertor Orestis, sondern adsertor Atridum635, vgl. 355 (demersit A t r i d a s) und die Ausführung des Plans 367 ff. mit den Pluralbegriffen pueri (370), miseris … uectis (372), mergentes (373) und der Selbstbezeichnung comes et nutritor A t r i d u m (374). Die Quintessenz seiner Bitte an die Götter läuft also auf das Oxymoron mendax honestus hinaus: Obwohl er Lügner sein wird, möge er als ehrenvoller, glaubwürdiger Gewährsmann gehört werden. Zu vergleichen sind Stellen wie Cic. Lig. 16 (honesto … mendacio); off. 3,93 (honestius mentietur); Balder. Burdig. carm. 239 (honeste Graecia mendax).

635 Dadurch unterscheidet er sich von dem Pädagogen in der ‚Elektra‘ des Sophokles, der seit dem ersten Vers ganz auf Orest fixiert ist und in 660 ff. die lange Truggeschichte vom Tod eben dieses Orestes beim Wagenrennen vorträgt.



Orestes 360. 383 

 207

383

aedibus in mediis quae sic est orsa profari: ‘Eximii proceres Danaum (…)’.

383 extorsa (est orsa Peiper) profari B: exorsa profatur A; cf. 809

Alle Herausgeber außer Grillone (2008) haben die durch Peiper (1875) geringfügig korrigierte B-Lesart in den Text gesetzt. Grillone plädiert stattdessen für elliptisches exorsa unter Verweis auf die ganz entsprechende Überlieferungssituation in 809 (extorsus [est orsus Peiper] B: exorsus A). An beiden Stellen bietet B die gleiche lectio difficilior, hinter der sich eine phonetische Variante zu est orsverbirgt. In 383 hat auch A der Ellipse mißtraut und aus dem von exorsa abhängigen Infinitiv profari das Verbum finitum profatur gemacht, wodurch exorsa nun als Partizip untergeordnet wird. Geht man der Sache auf den Grund, findet man, daß elliptisches sic orsus/ orsa in der Dichtung seit Vergil die Regel ist, nirgends aber elliptisches sic e x orsus / e x orsa begegnet. Ich gebe eine Auswahl von Belegen für elliptisches s i c o r s u s / o r s a; dabei wird im Feminin formelhaftes sic orsa loqui bevorzugt (in der folgenden Tabelle durch Unterstreichung markiert; Dracontius scheint auf diese Formel durch sic est orsa profari zu reagieren): Aen. 1,325; 2,2; 6,125; Ov. met. 4,320; 5,300; 6,28; fast. 4,222; Lucan. 10,85. 193; Stat. Theb. 7,247; 10,125; Val. Fl. 5,403. 552; Sil. 3,132; 13,70; 17,370; Claud. 18,391; rapt. Pros. 3,18; Sidon. Apoll. carm. 5,56; Alc. Avit. carm. 2,240. Dracontius bevorzugt s i c o r s u s a i t (Romul. 8,402. 461. 531; Orest. 892; ebenso Coripp. Ioh. 6,538; 7,409; 8,242; Iust. 2,178); daneben hat er elliptisches s i c o r s a Dione in Romul. 10,81 (vgl. Coripp. Ioh. 1,247 tunc sic orsa loqui). Bei der Wahl des Compositum exorsus dagegen lautet die Formel s i c e s t e x o r s u s im Vers (Mar. Victor. aleth. 1,497), in der Prosa üblicherweise sic exorsus est; so je einmal bei Cicero und Gellius, zweimal in der Hist. Augusta; achtmal bei Augustinus (wenn man die Fälle, in denen est durch es, sit, fuisset ersetzt ist, hinzuzählt).

208 

 Kritischer Kommentar

393 392 inde ferox percussus obit sub morte securis que sua proles iacuit modo uindice fluctu.

Seit Baehrens (1883) drucken die Herausgeber den Vers 393 in der von L. Müller (1866) hergestellten (oben wiedergegebenen) Fassung636, in der das pyrrhichische sua als jambisches Wort mit gelängtem Schluß-a in der Arsis vor doppelkonsonantischem Wortbeginn (proles) gemessen werden muß. Das wäre bei Dracontius grundsätzlich nicht ausgeschlossen (s. Vollmer 1905, 442). Allerdings finden sich Belege für derart gelängte pyrrhichische Possessivpronomina nur im Schlußteil des 3. Buchs von De laudibus Dei: 3,596 f. obliuiscere non me, | omnipotens, sed facta meā: grauor undique pressus; 3,665 uincula solue meā, stridentes frange catenas; 3,737 quamuis nemo tuā praeconia congrua dixit. Von den Romulea bieten die (frühen?) Deklamationsstücke 4 und 9 die folgenden Beispiele gelängter Pyrrhichia: 4,17 den Versauftakt hoste sinē, trucibusque … und 9,129 den zweiten Versteil me uita piā promouit ad urnas. Aus dem Orestes sind die beiden Belege für gelängtes dea (im Nominativ), jeweils vor der Hephthemimeres, hinzuzufügen: Orest. 87 deā praeclara und 102 deā crudescit. Dieser Befund läßt L. Müllers Heilungsversuch, der eine metrische Rarität per Konjektur in den Orest-Text bringt, fragwürdig erscheinen. Müller geht bei seinem Emendationsversuch bewußt von dem metrisch fehlerhaften Versauftakt quae sua proles der Handschrift B aus, weil die A-Überlieferung als durch und durch interpoliert gilt. Unbestreitbar bietet A mit quo sua cum proles einen vorzüglichen Anschluß an Vers 392: Es liegt eine kunstvolle Tmesis für prosaisches quocum sua proles vor637 bzw. eine Anastrophe638, in der quo sua cum proles die weniger elegante Wortstellung cum quo sua proles vertritt (vgl. die Postposition von sine in dem oben zitierten Vers 4,17 oder auch allgemein Umstellungen wie laud. 3,595 aut tua quo … clementia … recessit). Nach Klytämnestras Worten

636 Als Alternative hatte er que erwogen, s. S. 462. Haase und Peiper versuchten es mit quae, in der Ausgabe (1875) bevorzugte Peiper quae superat proles: alles unbefriedigend! 637 Zum Phänomen ‚Tmesis‘ s. Kühn.–Stegm. II 592 f. (enklitische Wörter, besonders Pronomina [in unserem Falle sua] schieben sich mit Vorliebe hinter das betonte Anfangswort [quo] an die zweite Stelle des Satzes); Hofm.–Sz. 200 und 217; Löfstedt, Peregr. Aeth. 186 ff. Verbreitet ist Tmesis bei quocumque, seit Lucr. 6,389 quo cuiquest cumque uoluntas. Vgl. etwa Verg. Aen. 8,74 quo te cumque; Hor. carm. 1,7,25 quo nos cumque; epist. 1,1,15 quo me cumque; Ov. met. 7,584 quo se cumque; Arator ad Parth. 61 quo te cumque loci contingeret esse, etc. 638 Zu dem stilistischen Phänomen ‚Präposition in Anastrophe‘ siehe zuletzt Dainotti (2015) Anm. 183; es ist verknüpft mit dem Wackernagelschen Gesetz, wonach das unbetonte Pronomen an die zweite Stelle rückt, s. Dainotti Anm. 666 (vgl. auch Anm. 737).



Orestes 393 

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mußte der kriegswütige Agamemnon vom Schwert durchbohrt sterben; zusammen mit ihm seien nun auch (modo) (gemäß dem Bericht des Dorylas) seine beiden Kinder umgekommen, nämlich den Fluten zum Opfer gefallen639. Allein diese vorzügliche A-Lesart, die kein Interpolator durch Konjektur aus qu(a)e sua proles640 hätte herstellen können, wäre zureichend, die Verdammungsurteile, die L. Müller (458) und Vollmer (1905, XXXIV) über den Zeugniswert des Ambrosianus gesprochen haben, ins rechte Verhältnis zu setzen: So richtig es ist, daß A überall dort, wo die Vorlage korrupt war, durch Konjekturen nachzuhelfen versucht hat, so ist es doch ebenso wahr, daß A unabhängig von B originäre Überlieferung bietet, die an vielen Stellen das Richtige bewahrt hat, wo B in die Irre gegangen ist.

639 Das gemeinsame Prädikat iacuit ist dem Subjektsbegriff quo sua cum proles zeugmatisch in der Weise zuzuordnen, daß man zu quo aus dem Vordersatz sub morte iacente suppliert, also versteht: quocum sub morte iacente modo sua proles iacuit. Die modal-kausale Bestimmung uindice fluctu gilt ebenso allein als Präzisierung für die spezielle Todesart der Kinder (gemäß der Trugrede des Dorylas) wie zuvor das Kolon sub morte securis als Spezifizierung der Todesart des Agamemnon. Derlei brachylogische (oder kontaminierend-verschränkende) Ausdrucksweise ist bei griechischen und lateinischen Autoren vielfach anzutreffen (Kühn.–Stegm. II 565 f.; Hofm.–Sz. 831–834; dort 834 auch unter dem Begriff „Doppelzeugma“ Verschränkungen parallel entsprechender Teile zweier Aussagen). Die A-Lesart kann also m.  E. nicht mit dem Argument in Zweifel gezogen werden, daß sie bei streng logischer Konstruktion die Auffassung nahelege, auch Agamemnon sei in den Fluten ertrunken. So viel gedankliche Mitarbeit, wie oben angedeutet, darf der Dichter von seinem Leser verlangen. Er mutet ihm ja auch auf Schritt und Tritt selbständige Differenzierung der semantischen Begrifflichkeit zu (siehe den Index s.  v. ‚Wiederholungen mit veränderter Semantik‘). Zum Vergleich sei als beliebig herausgegriffenes Beispiel das Hector-­ Epitaph des Ausonius genannt, dessen Pointe in der zeugmatischen Zuordnung der unterschiedlich nuancierten Begriffe sepulta und conduntur liegt: Auson. 12,14,1 f. Green Hec­toris hic ­t u m u l u s, cum quo sua Troia sepulta est: | c o n d u n t u r p a r i t e r, qui periere simul. Siehe auch unten Deuferts Erläuterung der elliptischen Ausdrucksweise in 503 f. 640 In der durch B überlieferten Version liegt haplographischer Ausfall (sua [cum]) und triviale Verschreibung quo/que vor.

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 Kritischer Kommentar

416 415                                                           ore minaci asper erat f a m u l i s regalibus, aduena u e r n i s;641 imperium non mite dabat, quibus ipse profecto si f a m u l a r e t u r, crimen sibi turpe putarent. „Grimmigen Blicks war er (der im Regieren unerprobte Aegisth) streng gegenüber den Dienern des königlichen Palastes, er, der zugelaufene Fremdling, gegenüber den Einheimischen, im Haus Geborenen! Er übte ein hartes Regiment aus gegen Diener, die es wahrlich als schimpfliche Schmach für sich erachten würden, wenn er selbst ihnen als (Unter-) Sklave zu dienen hätte“642.

Der Begriff aduena erhält im konkreten Zusammenhang nur dann seine Pointe, wenn er sich mit antithetischem uernis zu einem Oxymoron verbindet, das zugleich durch die bei Dracontius beliebte Stilfigur der Alliteration (aduena uernis) kraftvollen Nachdruck gewinnt. Im Vergleich dazu fehlt dem überlieferten seruis das Salz. Bei der Genese der Korruptel wirkten vermutlich gedankliche Assoziation und optische Buchstabenmetathese zusammen: das dem Kontext sorgsam angepaßte spezifische Nomen wurde gegen das gewöhnliche, allgemein verwendbare Synonym seruis ausgetauscht. In gleicher Weise wie hier werden in 547/549 die Bezeichnungen f a m u l i und u e r n u l a turba nebeneinandergestellt, später dann abwechselnd seruilis amor (668)643, cuicumque ministro (676), pars u e r n u l a (680), turba ministra (695), ministris (704), f a m u l o s (718), f a m u l i (725) genutzt644. Die Wahl des Begriffes uernae in 416 verschärft passend die tyrannischen Züge in der Schilderung Ägisths, weil er so als das Gegenbild des guten Hausherrn erscheint, der üblicherweise mit den im Haus lebenden oder gar dort geborenen Bediensteten einen engen, vertrauten Umgang pflegt. Das ließe sich durch

641 uernis Zw.: seruis AB. [Mit mail vom 10. 11. 2016 schreibt R. Jakobi: „uernis bereits Haase“!] Der Versuchung, die allgemein akzeptierte Interpunktion aufzuheben, also aduena uernis | imperium non mite dabat als fortlaufende Satzeinheit zu begreifen, wird man schon aus metrischen Gründen widerstehen: Syntaktischer Einschnitt nach dem 4. Daktylus (‚bukolische Diärese‘) mit anschließendem Enjambement begegnet außer in 415 nur noch in 477 und 516. 642 Rossberg (49) verweist auf die Vorbildstelle Claud. 18,148 ff. (über Eutropius): ipsi quin etiam tali consorte fremebant | r e g a l e s f a m u l i, q u i b u s est illustrior ordo | seruitii, sociumque diu spreuere superbi (die Eunuchen im Königspalast). 643 Das Substativ seruus findet sich im ganzen ‚Orestes‘ nicht, in den übrigen Schriften des Dracontius zusammen kaum mehr als 5mal. 644 Vgl. ferner 456 alumna manus, 610 alumni (= famuli), 83 seruio turis alumna.



Orestes 416. 423 

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viele Stellen aus Horaz, Tibull und Martial belegen. Es sei hier stellvertretend das zeitlich benachbarte Gebet des Paulinus Pellaeus zitiert:

Paul. Pell. orat. 15 adsit laeta domus epulisque alludat inemptis u e r n a satur645 fidusque comes nitidusque minister, morigera et coniunx caraque ex coniuge nati646.

423 sceptra triumphorum data sub pastore tyranno 420 pro p r e t i o scelerum, m e r c e d e m sanguinis ostrum, matronale nefas, uxorem dedecus aulae quis, rogo, non gemeret? tamen hos formido iubebat i n f a m i parere p r o b r o: timuere bubulcum acrius, Hectoreos qui non timuere furores.

In 423 habe ich metonymisches infami  … p r o b r o hergestellt, wo die Handschriften infami  … bono (uono) überliefern647. An das Schimpfwort „verrufener Schandkerl“648 schließen sich bubulcum („Ochsentreiber“)649 im gleichen Vers und uerbero plectibilis in 426 gut an; es führt andererseits das voraufgehende c r i m e n turpe (418)650 und uxorem d e d e c u s aulae passend weiter, denn laut

645 Vgl. hierzu und zum folgenden Vers den Schluß des Martialepigramms 2,90 (9 f.): sit mihi u e r n a s a t u r, sit non doctissima c o n i u n x, | sit nox cum somno, sit sine lite dies. 646 Siehe auch Paul. Nol. carm. 27,37 ff. quem (sc. patronum) et sine natali deuota frequentia semper | concelebrat, tamen ut proprii per erilia u e r n a e | festa relaxemur curis et uota canamus. 647 Siehe ThLL X 2,1482,68 ff. („m e t o n y m i c e“: „conviciose de ipsis h o m i n i b u s probrosis“), dort u.  a. Cic. Phil. 11,36 (Antonios … Romani nominis p r o b r a atque dedecora [man beachte antekonsonantisches atque in der rhythmischen Formel (O3)]); es fehlt Boeth. cons. 4,2,46 (probra steht dort für improbi). 648 Vgl. später in den Versen 538. 719. 735 und 766 das ebenfalls auf Aegisth gemünzte metonymische Schimpfwort n e f a s. So bezeichnet Cassandra in Romul. 8,165 ihren Bruder Paris, der den Untergang Trojas herbeiführen wird (macteturque nefas); vgl. Austins Kommentar zu [Verg.] Aen. 2,585 (exstinxisse nefas), wo das Schimpfwort analog für Helena gebraucht wird. 649 In 275 ff. wird Ägisth cultor agelli | aut desertor iners, ouium pecorumque magister genannt. 650 Hier liegt keine echte Metonymie vor, wohl aber in der Parenthese 453 (dum regnaret iners, Parcarum c r i m i n a, pastor), siehe ThLL IV 1195,5 ff.; dort wird 27 f. auch Drac. Orest. 453 genannt. Metonymisches crimina verbindet sich hier ebenso glatt mit Aegisth wie in Ov. epist. 16,296 (et tua sim, quaeso, c r i m i n a solus ego) mit Paris. C. G. Müllers Konjektur crimine (für crimina) ist also unnötig, wenngleich sie durch Orest. 342 (inpia sic Lachesis P a r c a r u m l e g e bipennis | censuerat regem tam turpi morte perire?) und Mart. 10,61,2 c r i m i n e quam f a t i sexta peremit hiems gestützt werden könnte.

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 Kritischer Kommentar

ThLL X 2,1481,36 ff. wird probrum gerne mit dedecus651, flagitium, uitium, crimen652 und facinus verbunden. Da probrum oft zu probum verschrieben wird653, konnte aus probro/-bo unschwer das überlieferte bono (B2A) und uono (B1) werden654. Dracontius scheint den wohl im 4. Jh. (vor Ausonius) tätigen neuplatonischen Dichter Tiberianus in seinen geistlichen Dichtungen ‚Satisfactio‘ und ‚De laudibus Dei‘ imitiert zu haben655. In seiner Invektive auf die verderbliche Wirkung des Goldes (carm. 2)656 macht Tiberianus dieses auch zum Auslöser des Trojanischen Krieges: „So war auch Gold die Ursache, daß das Griechenheer Troja verwüstete; der Preis war ein wahrlich würdiger Lohn: das verrufene Schandstück (sc. Helena), für das der Ehebrecher (Paris) den Schönheitspreis verkaufte“: 2,15 sic etiam ut Troiam popularet Dorica pubes, aurum causa fuit, p r e t i u m dignissima m e r c e s: i n f a m i p r o b r o palmam conuendit adulter657.

651 z.  B. Cic. Phil. 11,36 (s. Anm. 647). 652 z.  B. Cic. S.  Rosc. 48; Sen. Oed 87; vgl. ferner ThLL IV 1195,29 ff. (Synonyma zu probrum; darunter crimen). 653 Siehe ThLL X 2,1480,38 ff., z.  B. Sen. Thy 177. Verwiesen sei auf F. Bücheler, r r im anlaut benachbarter silben im latein (sic), Jbb. f. class. Phil. 17 (= Neue Jbb. f. Philologie und Pädagogik 105), 109–119, dort 110: „dasz probrum dem volke in der aussprache schwierigkeiten machte, läszt sich mit hinlänglicher sicherheit schlieszen aus dem öfteren ersatz desselben durch probum (zb. probosae überliefert bei Appulejus met. 10,5 s. 185,8 Eyss. [= 10,5,4]) wie aus dem bedürfnis eines grammatikers (gram. lat. 4 s. 201,27 K.) den unterschied inter probum et probrum wie inter os et hos, labat et lavat usw. zu definieren.“ 654 Rothmalers bonos dagegen und Vollmers nouo sind unbefriedigende Notbehelfe. 655 Siehe Silvia Mattiacci, I Carmi e i Frammenti di Tiberiano, Firenze 1990, 168 f. 656 Das Kataloggedicht von 28 Versen mit mehrfach wiederholtem anaphorischem aurum / auro in verschiedenen Verspositionen erinnert an Klytämnestras Versuch, den ungeduldigen Ägisth mit weiblicher List und trügerischem Goldschmuck zu umgarnen (Orest. 316–337). Dabei deklamiert sie auch Verse, z.  T. mit anaphorischem aurum / auro, die an Tiberianus erinnern: Orest. 321 ff. ‚His‘ ait ‚Argolicos e m i m u s per r e g n a fauores | m u n e r i b u s proceresque nouos ueteresque trahemus | in nostram transire f i d e m; nam principis uxor | cuiuscumque libet, licet extet p u l c r a p u d i c a, | censibus his ornata nitens placare maritum | aggreditur; 331 f. p u l c r i u s est a u r u m, sed femina pulcrior a u r o: | a u r o f o e d a placent, a u r o decorantur h o n e s t a. Vgl. Tiberian. 2,19 ff. a u r o e m i t u r f a c i n u s, p u d o r almus u e n d i t u r a u r o, | tum p a t r i a atque parens, leges pietasque f i d e s q u e: | omne n e f a s a u r o tegitur, f a s proditur a u r o; ferner 5 a u r u m, quod penetrat thalamos rumpitque p u d o r e m. 657 „Gold“ dürfte in diesem Zusammenhang insofern eine Rolle spielen, als Helena ihre reiche Mitgift nach Troja mitbrachte, s. Bömer zu Ov. met. 13,200 accusoque Parim p r a e d a m que Helenamque reposco mit Verweis auf Hom. Il. 7,350 f.; s. auch Ov. epist. 5,92 (Helena dote superba). Aber es kann wohl auch – wie H.-G. Nesselrath vermutet – an den goldenen Eris-Apfel gedacht sein, der zur Ursache des Paris-Urteils (und damit zum Auslöser des Trojanischen Krieges) wurde.



Orestes 423; 427–452 / 424–426 

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Hier haben wir offensichtlich die unmittelbare Vorlage, aus der Dracontius sein Schimpfwort infami … probro bezog658: Tiberianus hatte es659 auf die übelbeleumundete Helena (mit Blick auf ihren adulter Paris) gemünzt660, Dracontius überträgt es auf den adulter ihrer Schwester Klytämnestra (Ägisth), ein berüchtigtes Paar, über das Seneca seine Cassandra das abschließende Urteil hatte fällen lassen: uterque tanto scelere respondet suis: | est hic Thyestae natus, haec Helenae soror (Ag 906 f.)661.

427–452 / 424–426 Der vermutlich größte Makel der beiden Dracontius-Ausgaben F. Vollmers besteht  – wenn man von der nicht plausiblen grundsätzlichen Geringschätzung der Handschrift A absieht662 – in der Versetzung des Versabschnittes Orest. 427–452 nach 540. Das πρῶτον ψεῦδος geht zu Lasten L. Müllers (462), der den Passus nach 271 einordnen wollte. Vollmer sieht seine eigene Umstellung663 bestätigt durch die Versabfolge 539. 452 in den mittelalterlichen ‚excerpta florilegii‘ (exc. flor.), die insgesamt 18 ‚Orestes‘-Verse (darunter 5 Halbverse) enthal-

658 Daß er dabei die von Tiberianus als Länge gewertete anceps-Silbe seinerseits (wie z.  B. ­Catull. 91,4 turpi … probro und Cypr. Gall. num. 541 [beide in daktyl. Versmaß]) als Kürze gemessen hat, entspricht dem von Dichtern in solchen Fällen gerne befolgten Variationsmuster. 659 Der Codex unicus H überliefert infamem, von Baehrens (dem sich Riese und die meisten der neueren Gelehrten anschließen) zu infami geändert. Mattiacci (137) will die überlieferte Form beibehalten; aber der Dracontius-Beleg und die hier zusammengestellten Parallelen (s. die folgende Anm.) stützen die Emendation. 660 Nicht ohne zugleich den sarkastischen Hieb des Senecanischen Chores auf das personifizierte Unheil aus Kolchis anklingen zu lassen: Medea, ein schlimmeres Übel als das Meer, über das es nach Griechenland kam: ein Lohn würdig des ersten Schiffes: Sen. Med 361 quod fuit huius p r e t i u m cursus? | aurea pellis | maiusque mari M e d e a m a l u m, | m e r c e s prima d i g n a carina. Diesem abstrakten Schimpfwort m a l u m (sc. Medea) hat Tiberianus sein p r o b r u m (sc. Helena) nachgestaltet; vgl. ferner o. Anm. 648 (Helena – wie Paris und Aegisth – als nefas beschimpft). Es sei an Horaz erinnert, der Helena als infamis (epod. 17,42) oder adultera (ihren hospes als famosus) bezeichnet (carm. 3,3,25 f.) und Cleopatra als fatale m o n s t r u m beschimpft (carm. 1,37,21); die Kommentare bieten jeweils reiches Parallelenmaterial, s. auch die turpis Helena in Sen. Tro 1135 f. 661 Zum ‚Abstractum pro concreto‘ in „affektischen Hypostasierungen“, besonders in „herabsetzenden Benennungen“ s. Hofm.–Sz. 746 α) und Kühn.–Stegm. I 81 f. 662 Vollmer (1905) XXXIV. 663 Sie ist übernommen in den ‚Orestes‘-Ausgaben Rapisardas und Bouquets (s. den Kommentar S. 189), während Grillone (2008) zur überlieferten Versfolge zurückgekehrt ist (s. seinen Kommentar S. 126 f.).

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 Kritischer Kommentar

ten664. Dies ist ein trügerisches Argument, wie bereits oben in den Prolegomena (S. 10  f.) dargetan wurde. Die erste Sentenz (191) zielt auf Mars, 278–281 auf felices / credere fatis, 331 f. auf aurum (daran schließt sich 337 sordida mens regnare cupit an). Es folgt die uns interessierende Gruppe: 539 nullum crimen erit m a t r e m p u n i r e nocentem. 452 quid sit honestus amor, multae didicere puellae. 544 hic p a t r e m docet esse suum quem u i n d i c a t armis665.

Wenn man sich vor Augen führt, daß aus den mehr als 330 Versen, die zwischen den Exzerpten 337 und 671 liegen, lediglich diese drei Sentenzen Eingang in das Florileg gefunden haben, wird deutlich, daß man daraus keine zwingenden Schlüsse über die Reihenfolge dieser rund 330 Verse in den Dracontius-Handschriften ziehen kann. Wie oben gezeigt666, bieten die Florilegien häufige Veränderungen der Versabfolge; dies gilt beispielsweise auch für den Kodex P des hier zur Diskussion stehenden Florilegs. Selbst aus dem kümmerlichen Exzerptbestand der Versfolge 539. 452. 544 geht hervor, daß diese nicht die ursprüngliche Reihenfolge widerspiegelt. Denn Vers 452 („viele Frauen haben ein Beispiel ehrenhafter Liebe gegeben“)667 zerreißt den thematischen Zusammenhang zwischen 539 („es ist kein Frevel, die schuldige Mutter zu bestrafen“) und 544 („durch mit dem Schwert ausgeführte Rächung des Vaters bezeugt der Sohn die Echtheit der leiblichen Vaterschaft“)668, so wie der ganze Abschnitt 427–452 die

664 Siehe jeweils den krit. App. seiner beiden Ausgaben, vor allem aber die Praefatio der MGHAusgabe 1905, dort p. XXXVsq.; ferner oben S. 10 f. 665 Es schließen sich an: 671 (gaudia dant gressus celeres, quos denegat aetas). 903 f. (prius est in matre nefas). 927 f. (incusare deos). 951 f. (caelestia iura mouere). 666 Siehe ferner o. Anm. 45 und S. 10 f. 667 Das Florileg bietet fälschlich didicere statt docuere. 668 „Denn indem der Sohn, entflammt durch die Ermordung des Vaters, in pflichtschuldiger Liebe den Vater rächt durch den gewaltsamen Tod der Mutter (541 f.), nimmt er durch die Bestrafung des (mit Ägisth begangenen) Ehebruchs als pflichtbewußter Rächer und Erbe Agamemnons (545 dignus adulterii uindex, pius ultor et heres | noster) zugleich die Mutter in Schutz vor üblen Anschuldigungen hinsichtlich der früheren Zeit (ihrer Ehe mit Agamemnon) [543]“; d.  h. (in rhetorischer Zuspitzung): dadurch daß Orest seinen Vater mit der Waffe rächt, verbürgt er sich dafür, daß Agamemnon sein echter Vater ist, und reinigt seine Mutter [ich zitiere im folgenden Rossbergs Kommentar S. 64] „von dem Vorwurfe, dass sie auch schon in früherer Zeit Ehebruch getrieben habe und er selbst von der Mutter in ehebrecherischem Umgange erzeugt sei“ (es schließt sich ein Hinweis an auf Auson. 23,117 Green [vom Kaiser Commodus] criminibus fassus matris adulterium). Das Motiv wird wenig später (589 ff.) von Pylades aufgegriffen, als er den zaudernden Orest auffordert, das Blutrache-Gesetz der erzürnten Griechen (Danaum praescripta dolentum) zu wahren, ne, iugulatricem p a t r i s dum uiuere censes, | credaris n o n e s s e s u u s.



Orestes 427–452 / 424–426 

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Rede des im Traum erschienenen Agamemnon-Schattens (527–551) durch einen nicht zur Thematik des Tyrannen- und Muttermordes passenden Einschub zer­ reißen669 und auf die doppelte Länge zerdehnen würde: Es ist ausgeschlossen, daß diese Anordnung die wiedergewonnene Urfassung des Dracontius repräsentiert. Dagegen erfüllt dieser teilweise katalogartige Passus an dem Ort, an dem er von den Handschriften überliefert ist, eine wichtige Funktion: Er vertritt im Sinne einer allgemeinen Reflexion des Dichters670 das Interludium eines Tragödien-Chores, der die Thematik der Handlung im Mythos spiegelt (und ggf. bewertet) und dadurch zugleich Zeitintervalle in der Handlungsstruktur überbrückt – im vorliegenden Falle einen Zeitsprung von 7 Jahren und 8 Monaten bis zur Anschlußstelle Orest. 453! Dort unternimmt Dracontius den Schritt von der ‚Agamemnon‘- zur ‚Choephoren‘-Handlung. Die Scharnierverse 453 Dum regnaret iners, Parcarum crimina, pastor et simul i l l i c i t o sese fruerentur a m o r e 455 annorum septem spatiis et mensibus octo, ibat alumna manus (…)

sind formal mit dem in seiner Position umstrittenen Abschnitt verzahnt, dessen abschließende Euadne-Verse das positive Gegenbild zu 454 (illicito amore) zeichnen, vgl. die Stichworte funus quos iunxit a m a n t e s (448), c o n u b i u m f e l i x, exemplum grande p u d o r i s (449) und den Schlußvers quid sit h o n e s t u s a m o r, multae docuere puellae (452). Zusätzlich schafft Vers 454 eine Verbindung zurück zu den Versen 436–439 des in seiner Stellung verdächtigten Passus mit dem Tadel des doppelten Vergehens Klytämnestras (vgl. bes. die Stichworte

669 Ähnlich urteilt Schetter 35126, der mit dem Gedanken spielt, „die Versreihe in Orests Rede vor dem Muttermord, zwischen die Verse 749 und 750“, einzuordnen. Für diese Anordnung plädiert ausführlich Bright (169 f. 177–180. 27453), ohne Schetter zu nennen. Aber auch dort fügt sich der Abschnitt nicht in den Rededuktus. Behält man die überlieferte Anordnung bei, gewinnt Schetters These von der zweiteiligen Strukturierung des Epyllions an Plausibilität: Den jeweils sechs Versen, die in der einleitenden Inhaltsübersicht dem Agamemnon- und dem Orestteil gewidmet sind (1–6; 7–12), entsprechen in der Ausführung 428 Verse Agamemnon-Handlung und 422 Verse Oresteshandlung (wenn die durch lückenhafte Überlieferung erlittene Verseinbuße vernachlässigt wird). Im Falle der von Vollmer vorgenommenen Umstellung würde daraus das Verhältnis 402 : 448 (ebenso in der von Schetter erwogenen Anordnung). 670 Thematisch verwandt ist die Exemplareihe laud. 3,468–526 (Judith, Semiramis, T a m y r i s, E u a d n e, Dido, Lucretia)  – mit dem Resümee: m i l i a f e m i n e i s numerantur ubique c a t e r u i s | e x e m p l a s c e l e r u m; m o d i c a e uel laudis amore | aut certe f e c e r e p i e pro numine uano (3,524 ff.), s. Orest. 452 quid sit h o n e s t u s a m o r, m u l t a e docuere p u e l l a e).

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 Kritischer Kommentar

coniunx, uxor, crimen adulterii). Der erste Anschlußvers aber (453 dum regnaret iners … pastor) weist auf 413 ff. zurück (uilis adulter | nescius atque rudis regnorum frena tenere, etc.; s. 419 das Stichwort pastor), eröffnet aber auch einen Bezug zur Exemplareihe 427 ff. mit den Stichworten regem (hierzu anschließend) – regina (427), regia tecta (430), regina Pelasgum (436). Die Anknüpfung des umstrittenen Abschnitts 427 ff. nach vorne ist durch die Verbindung des Katalogs verbrecherischer Frauen (Tamyris, Medea, die Lemniaden) mit dem in 420 f. benannten matronale nefas Klytämnestras, der merces sanguinis (ostrum) und der uxor als dedecus aulae gegeben – Begriffe, die ebenfalls in 438/439 ihren Nachhall finden. Ob zwischen 424 und 425 eine Lücke liegt, in der möglicherweise ein weiteres Stichwort, das den Anschluß nach oben erleichterte, verlorenging, ist umstritten. Man könnte den Ausfall eines Verses vom Typ | ius Agamemnonium („ die Herrschaft Agamemnons“). Aber dann wäre der mit fuerat angeschlossene Folgesatz seinerseits problematisch. Hier der Text des schwierigen Abschnitts (ohne Interpunktion in 425): 423                                                                                                                                       timuere bubulcum acrius, Hectoreos qui non timuere furores. 425 ius Agamemnonium fuerat post Pergama capta uerbero plectibilis comes armipotentis Achilli. 427  †Possedit regnum† Tamyris regina Getarum, sed nil turpe gerens uindex fuit illa suorum.

Der Schlußvers (426) des ersten Absatzes dürfte auf den Gedanken hinauslaufen: „Ein Schurke, der Prügel verdient, ist nach Trojas Fall Kampf- oder Bundesgenosse des waffenmächtigen Achill“. Das Stichwort Hectoreos  … furores (424) schützt das überlieferte Achilli671 vor der Änderung Atridis, die Baehrens vorgeschlagen hat. Hektor ist durch Achill getötet worden, Agamemnon war Achills Bundesgenosse. In seine Rechte ist nun durch die Schandtat seines Weibes und ihres Buhlen der uerbero Ägisth eingetreten. Dieser Gedanke läßt sich dem über-

671 So A, acillis B. In gleicher Weise gehen die beiden Handschriften in 78 und 899 auseinander. Nur in 622 bieten beide achillis. Das spricht für Aufrechterhaltung des ungewöhnlicheren Genitivs in 78. 426. 899. M. Beck hat gesehen, daß die Klausel armipotentis Achilli in 426 und 899 aus Verg. Aen. 6,839 geborgt ist und somit geschützt sein dürfte. Verwiesen sei auf E. Nordens Erläuterungen zur Vergilstelle im Anhang VI seines Kommentars (S. 411: „GENITIV AUF -i (ei) Oder -is“ und das zugrundeliegende Prinzip der Dissimilierung von Endungen zweier aufeinanderfolgender Worte), ferner auf die neueren Kommentare zu Aen. 1,30 und 3,87 (jeweils immitis Achilli); 2,275 indutus Achilli; 6,839 und georg. 3,91.



Orestes 427–452 / 424–426 

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lieferten Text am einfachsten durch Bouquets Interpunktion (Komma nicht vor, sondern nach fuerat), verbunden mit der Ansetzung einer Ellipse von est im Schlußsatz, abgewinnen: „fuerat est employé au sens de ‚était passé‘, ‚n’avait plus cours‘; cf. l’euphémisme fuit: ‚il a vécu‘; cf. Virgile, En. 2,325–326: fuimus Troes, fuit Ilium et ingens | gloria Teucrorum.“ Also: „Mit der Herrschaft Agamemnons ist es vorbei672. Ein Schurke, der Prügel verdient, ist jetzt der Gefährte des waffenmächtigen Achill“ (d.  h. Ägisth nimmt die Rechte Agamemnons [des Gefährten des Achill] ein [obgleich auch Achill bereits tot ist]). Bei dieser Interpretation des überlieferten Textes im Sinne einer etwas outrierten Pointe kann auf Schenkls komplizierte (und sachlich höchst zweifelhafte) Eingriffe verzichtet werden: er hatte Ausfall einer mehrere Verse umfassenden Thersites-Episode nach 424 mit zusätzlicher Lücke nach 426 angenommen (uerbero plectibilis … Achillis bezog er auf Thersites, das von Mähly übernommene luerat [statt fuerat] auf „plagam illi ab Ulixe inflictam propter Agamemnonis cavillationem“). Ausscheiden muß auch der Lösungsansatz Rapisardas (s. zu 425–26) und die zuletzt von Grillone (2008) hergestellte Textform, in der die bisher einhellig akzeptierte Auffassung, mit 427 beginne ein neuer Abschnitt, aufgegeben wird: 425 ius Agamemnonium fuerat; post Pergama capta, uerbero plectibilis, comes armipotentis Achillis 427 possedit regnum. Tamyris regina Getarum, sed nil turpe gerens, uindex fuit illa suorum. „[Prima] aveva avuto il potere Agamennone: dopo la presa di Troia si impadronì del regno, da compagno dell’armipotente Achille, un mascalzone degno di percosse [sc. Egisto]. Tamiri, regina dei Geti, vendicò i suoi, ma non fece nulla di vergognoso.“

Der erste Satz der Übersetzung müßte im Lateinischen ius fuerat Agamemnoni(s) oder penes bzw. apud Agamemnonem lauten. Der zweite Satz zerstört den markanten Abschluß der Deklamation mit der Antithese uerbero plectibilis – (comes) armipotentis Achilli (426) durch das Enjambement possedit regnum. Dieses verdirbt zugleich den scharfen Neueinsatz der Exemplareihe 427–452 und stiehlt dem an erster Stelle stehenden Tamyrisexemplum eben jene Untat (die grausame,

672 Zu i u s A g a m e m n o n i u m fuerat s. ThLL VII 2,693,4 ff. („de potestatum summa in rebus publicis“), dort etwa Sall. Jug. 14,1 i u s e t i m p e r i u m eius (sc. regni Numidiae) penes uos esse; Liv. 45,13,15 usu regni contentum scire d o m i n i u m e t i u s eorum, qui dederint, esse; Lucan. 2,321 totius sibi i u s promittere mundi; dagegen bedeutet ius Latium in Claud. 15,454 f. soviel wie „römisches Herrschaftsgebiet“ (i u s L a t i u m, quod tunc Meroe Rubroque solebat | Oceano cingi, Tyrrhena clauditur unda).

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 Kritischer Kommentar

hinterlistige Ermordung des Königs Kyros), die allein den Vergleich mit der Untat Klytämnestras, dem Gattenmord, ermöglicht. Die Exemplareihe 427–452 wurde oben als episches Analogon zu dem Interludium eines tragischen Chores bewertet, das ein Zeitintervall von sieben Jahren und acht Monaten überbrückt. Es ist evident, daß das voraufliegende Deklamationsstück nicht überlappend mit dem Satz possedit regnum in diese verkappte Chormonodie hineingreifen kann. In diesem chorliedartigen Intermezzo werden Beispiele aus früheren Zeiten aneinandergereiht, die als Folie für das frevlerische Handeln Klytämnestras dienen können. Die erste Dreiergruppe (Tamyris, Medea, die Lemniaden) wird als b a r b a r a t u r b a skythischer Herkunft (435–436) bezeichnet. Von ihr wird die griechische Dreiergruppe Klytämnestra, Alcestis und Euadne (436–452) dadurch abgesetzt, daß zunächst Klytämnestra als Repräsentantin Griechenlands mit seiner reichen Rechtskultur eingeführt wird, so daß G r a e c i a  … l e g u m fecunda creatrix (437) einen scharfen Kontrast zu b a r b a r a turba (436) abgibt. Umso härter fällt das Urteil über Klytämnestra aus, wenn ihr im Vergleich zu dem pauschalen in crimine tanto auf Barbarenseite (435) ein Doppel-crimen zugeschrieben wird (439 crimen adulterii geminasti caede mariti) – wo ihr doch in Alcestis und Euadne griechische Exempla ehrenhafter Gattenliebe vor Augen hätten stehen müssen. Die beiden ersten Exempla der Barbarinnen-Gruppe scheinen den folgenden Gedanken zum Ausdruck zu bringen: „Tamyris, die Königin der Geten, hat den König Kyros umbringen lassen; doch hat sie darin nichts Schändliches getan, denn sie rächte ihren Sohn. Wenn Medea Unrecht begangen hat, so findet sie darin mildernde Umstände, daß sie entflammt war vom Zorn über das schändliche (neue) Liebesbündnis, als sie den Königspalast in Brand steckte, zur Witwe gemacht, obwohl ihr Mann lebte, durch die Nebenbuhlerin Glauce.“ Trifft dies zu, kann der überlieferte Auftakt des Verses 427 Possedit regnum („nahm die Königsherrschaft in Besitz“) nicht richtig sein. Die Analogie zu den beiden crimina der Klytämnestra (insbesondere zu dem Mord an ihrem Gatten) verlangt auch in 427 den Hinweis auf eine konkrete Gewalttat (wenngleich diese aufgrund der Umstände – der Rache für den ermordeten Sohn – entschuldigt wird). Diesem Erfordernis dürfte am besten Mählys Korrektur O c c i d i t r e g e m entgegenkommen673. Verwandt ist der Neueinsatz E x t i n c t u m sub fraude ducem in 338. Die Korruptel dürfte einerseits durch die häufige (phonetisch bedingte) Vertauschung von c/sc/s und i/e begünstigt worden sein, andererseits durch die irrige

673 Spondeisches Hemiepes begegnet wenig später wieder, in 455 und 480, vgl. die spondeischen Anfangsvershälften 466. 471. 478. 493. 505. 506, etc.



Orestes 427–452 / 424–426; 430 

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gedankliche Verknüpfung mit den beiden voraufgehenden Versen, wie sie sich in der oben ausgeschriebenen Textfassung Grillones darstellt. In der MGH-Edition hatte Vollmer praecidit regnum geschrieben. Dieses Verb sollte darauf anspielen, daß Kyros nach dem Bericht des Valerius Maximus 9,10 (ext.),1 geköpft wurde. Dies wäre jedoch in dem gerafften, sehr allgemein gehaltenen Zweizeiler 427 f. zu speziell (vgl. dagegen die ausführlichere Darstellung in laud. 3,501–506, mit Vollmers Hinweis auf Hdt. 1,214) und würde zudem die Semantik von praecidere über Gebühr strapazieren. Deshalb hat Vollmer in seiner zweiten Ausgabe (1914) praecidit aus dem Text genommen und Crux gesetzt. Mählys Occidit regem scheint die Lösung, die der Zusammenhang erfordert674. Der Suche nach einem ausdrucksstärkeren Verb vom Typus prostrauit erteilt M. Deufert eine Absage: gerade weil die Tat der Tamyris gegenüber denen Klytämnestras ‚klein geredet‘ werden solle, passe ein blasses Verb wie occidere besser675. Mählys Occidit regem empfiehlt sich auch wegen der Entsprechung zu c a e d e mariti (439), wodurch Klytämnestras Vergehen umschrieben wird.

430 427 Occidit regem Tamyris regina Getarum, sed nil turpe gerens uindex fuit illa suorum. si fecit Medea nefas, flammata dolore 430 turpis (Zw.) amoris erat, cum regia tecta cremabat incolumi uiduata uiro de paelice Glauce.

Das überlieferte, viel zu sentimental klingende dulcis amoris zu Beginn von Vers 430 (wir haben einen eher nüchternen Katalog, keine Liebeselegie vor uns) ließe

674 Darin darf man sich auch nicht durch Bouquets Verweis auf Hel. 118 (r e g n i de stirpe creatum) und 288 (conubium r e g n i) irre machen lassen. Wolff (S. 12972) verteidigt die Überlieferung in Hel. 118 passend durch die Parallele Stat. Theb. 12,380 (etsi r e g n a uetant [~ „Anordnungen des Herrschers bzw. der Obrigkeit“, „die königlichen Erlasse“); kaum zu Recht aber stellt er zu diesen Belegen Orest. 427, wo der Begriff regnum viel zu allgemein sein dürfte, um die im Zusammenhang erforderliche Ermordung eines konkreten Königs (Kyros) zu bezeichnen. Westhoff behandelt das sprachliche Phänomen „substantiva abstracta vice concretorum funguntur“ S. 5 f. Für regnum i.  q. rex nennt er 8,118. 288. 482; 10,515; Or. 313. Überall ist dort der Begriff regnum weiter gefaßt im Sinne von „königlich“, „charakteristisch für Königsherrschaft“, „dem Königtum angemessen oder zugehörig“. 675 Anders steht es in laud. 3,501 ff. Dort werden die crudelia bella der Skythin Tamyris und ihr Trug an dem Perserkönig Kyros herausgestellt, den sie als Rächerin ihres Sohnes, von wildem Zorn getrieben (mens furiata dolore), mit dem Kopf in einen Schlauch stecken ließ, der mit dem Blut seiner ermordeten Soldaten gefüllt war.

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 Kritischer Kommentar

sich nur halten, wenn Medea den V e r l u s t der „süßen“ Liebe zu beklagen hätte. Es geht aber im Zusammenhang nicht um „la douleur que lui valait la douceur de l’amour“ (so Bouquet), sondern um Medeas Zorn676 über das neue Liebesbündnis, das als schändlich (turpis) bewertet wird, weil eine paelex (Glauce) die rechtmäßige Ehefrau zur Witwe macht, obwohl ihr Mann Jason noch am Leben ist. Der Dichter hat also nicht primär das Verhältnis Medea – Jason (d.  h. die Treulosigkeit des Ehemanns) im Blick677, sondern die Schändlichkeit des neuen Liebesbundes zwischen Jason und der paelex. Dies ist ein t u r p i s amor, wie schon Glauces Vater, der rector Thebanus Kreon geurteilt hatte, s. Med. 376 progenies mea t u r p e cupit678. Ähnlich bewertet Horaz die Liebesverbindung mit einer meretrix als turpis (sat. 1,4,111) oder Ovid die Liebe der Phaedra zu ihrem Stiefsohn (rem. 64 Phaedrae t u r p i s abibit a m o r)679. Dracontius hat offenbar die beiden ersten Exempla seines Katalogs stilistisch so miteinander verbunden, daß er nicht nur die Begriffe regem – regina durch das Stichwort regia aufnahm, sondern auch dem n i l t u r p e gerens (428) den dolor t u r p i s amoris (429 f.) entgegensetzte. Ähnlich verfährt er bei der Verknüpfung von Alcestis und Euadne: Alcestis ist pia coniugis, i n p i a de se (441); Euadne sucht den Tod in den Flammen, i n p i a cum pietas, affectus dulcis amaram680 | iussit … necem (444 f.). Man könnte weiter anführen, daß die Lemniaden-Episode

676 Es wird immer wieder verkannt, daß dolor nicht nur „Schmerz“, sondern beinahe ebenso oft „Zorn“ bedeutet, also synonym zu ira steht; s. ThLL V 1,1841,25 ff. (Zwierlein, Lucubr. I 197 zu Sen. Phae 549; Lucubr. II 96 mit Anm. 2). Daß hier nur „Zorn“ gemeint sein kann, macht die Verbindung mit flammata deutlich. 677 In diesem Falle müßte man so etwas wie (extra metrum) laesi oder polluti amoris fordern, vgl. Ov. trist. 2,387 tingeret ut ferrum natorum sanguine mater (sc. Medea), c o n c i t u s a laeso fecit amore d o l o r. Verg. Aen. 5,5 (von Dido) duri magno sed amore d o l o r e s polluto, notumque furens quid femina possit, triste per augurium Teucrorum pectora ducunt. 678 Aus anderer Perspektive ist die Reaktion der Göttin Diana auf die Treulosigkeit ihrer Priesterin Medea zu vergleichen, die ihren Tempeldienst verlassen hat, um sich Jason anzuschließen: Sie verwünscht das neue Bündnis mit folgendem Fluch (Med. 292 f.): displiceat quandoque uiro, cui turpiter audax | s a c r i l e g u s processit amor. 679 Ibis 295 ist ein junger Mann, der von einem Offizier mißbraucht worden war, ein t u r p i dilectus a m o r e | … puer. Aus christlichen Dichtern sei Orientius (5. Jh.?) genannt. Er leitet die alttestamentliche Episode von der Entehrung der Dina durch Sichem (der die Tochter Jakobs liebte und sie heiraten wollte) in comm. 1,353 f. mit dem Satz ein: De sacris, inquam, de sacris percipe libris, | obprobrio quanto t u r p i s a m o r fuerit. 680 Hier ist der gegenüber amor leicht verfremdete Begriff affectus mit dulcis verbunden, zudem steht das Attribut in einem Oxymoron hart neben amaram … necem und zwar in einem Zusam-



Orestes 430. 445 

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durch das Stichwort f a c i n u s que nefandum (434) jedenfalls klanglich an den Medea-Auftakt si f e c i t Medea nefas (429) zurückgekoppelt ist, der Übergang zu Klytämnestra in 436 (r e g i n a Pelasgum) aber auf 427 r e g i n a Getarum zurückverweist, etc. Die Konjektur turpis amoris wird also auch durch diese offenbar bewußt eingesetzten stilistisch-klanglichen Gestaltungsprinzipien gestützt. Ob die Verderbnis zu dulcis mechanisch durch t/d-Vertauschung681 angeregt wurde, oder eher als assoziative Interpolation im Anschluß an falsch verstandenes dolor („Schmerz“) zu bewerten ist, muß offen bleiben682.

445 442 quid loquar Euadnen Thebanis ignibus ustam et post fata uiro flamma crepitante sodalem, impia cum pietas, affectus dulcis amaram 445 iussit o b i r e necem, quae contra uulnera luctus fortior igne fuit, crudelibus usa medellis, et simul ad manes in puluere coniugis i u i t ? pertulit urna duos, funus quos iunxit, amantes. conubium felix! exemplum grande pudoris! 450 impia sacrilego nupsit post fata marito: pronuba flamma fuit, thalami rogus et pyra lectus.

In Vers 445 überliefern die Handschriften iussit habere necem, Rossberg (s. u. Anm.  690) wollte iussit a u e r e necem schreiben, wie dann Bouquet tatsächlich druckt. Doch fügt sich in diesem Zusammenhang das Verb auere nicht gut zu iussit: Die Liebe zu ihrem Ehemann „befahl“ Euadne nicht, einen bitteren Tod zu „ b e g e h r e n “, sondern, wie aus 445bf. hervorgeht, gegen die Wunden ihres Grams ein g r a u s a m e s H e i l m i t t e l a n z u w e n d e n (man beachte das Stichwort medellis), nämlich i n d e n b i t t e r e n F e u e r t o d z u g e h e n (selbst tapferer als das Feuer, d.  h. seine Flammen nicht scheuend). Das führt auf (amaram) iussit o b i r e necem – eine Abwandlung des gängigen mortem obire683. menhang, in dem der Katalog zu einer einläßlichen Schilderung ausgeweitet ist. Insofern werden die oben gegen dulcis in 430 erhobenen Einwände nicht durch dieses dulcis in 444 entkräftet. 681 Siehe gleich wieder in 433 atque A: adque B; ebenso in 199 und 244 (in meinem Apparat bewußt nicht verzeichnet); ferner 443 crepitante A: -dante B. 682 Das gilt auch für die Frage, ob eine Einwirkung des affectus d u l c i s von 444 (siehe gleich anschließend) anzunehmen ist. 683 Verlust oder Zusatz von h vor anlautendem Vokal ist in der Dracontiusüberlieferung (und sonst) ein ständig begegnendes Phänomen (A schreibt z.  B. immer horest- für Orest-). Grillone (128) verweist auf 135, wo habita in B zunächst als auita wiedergegeben war und dann zu hauita

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 Kritischer Kommentar

In 447 wird das Stichwort aufgenommen und seinerseits variiert: Was pietas und affectus dulcis von Euadne gefordert haben (nämlich o b i r e necem, 444 f.), das hat sie 447 umgesetzt: simul ad manes in puluere coniugis i u i t684. Gegen Rossbergs mortem a u e r e gibt es auch sprachliche Bedenken: Es fehlen sichere Belege für die Verbindung von auere (das gewöhnlich mit dem Infinitiv konstruiert wird) mit einem direkten Objekt in Form eines Nomens685. Ciceros angebliches idque a u e o genus legationis (Att. 15,11,4) ist eine Konjektur Jac. Gronovs für vermutlich ursprüngliches (addi potest) ad id genus legationis, das in den Handschriften zu a d e o g.  l. verderbt wurde. Shackleton Bailey setzt eine Crux vor adeo und verwirft das daraus entwickelte aueo der übrigen Herausgeber mit dem Argument: „but Stat. Theb. VII. 12 seems to be the only classical example of aveo governing a noun, and C.’s sentiments about the legatio were scarcely so impassioned as aveo would suggest. (…)“. Doch auch die StatiusStelle (habet codd.: auet Schrader) hält nicht, was sie verspricht: Das überlieferte habet ist in Hills Apparat mit starken Argumenten verteidigt worden686. Von solchen Bedenken spricht Grillone nicht, wenn er in seinem Kommentar (128) die Änderung zu auere für unnötig erklärt: „non vi sono elementi validi per preferire, ad habere necem, „darsi la morte“ (così pl. edd., Vr. [= Vollmer], e di recente Langlois [Latomus 64,] 2005, p. 1013)“. Diese Deutung des überlieferten habere necem ist nicht überzeugend. Das hatte schon Bouquet gesehen. Zwar geht er fehl, wenn er Rossbergs Konjektur für eine „correction heureuse“ hält, hat aber gewiß darin recht, daß er das überlieferte habere necem für „plat et d’une latinité douteuse“ hält. Gegen das oben geforderte obire necem könnte sich der Einwand erheben, Dracontius verwende üblicherweise bloßes obire für „sterben“, „in den Tod gehen“, also die im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgerte elliptische Form für ursprüngliches mortem (oder diem) obire687. Aber in Orest. 444 f. verlangte das

korrigiert wurde. Eine eng verwandte Emendation wird Bücheler zu Romul. 7,86 verdankt: calor (cf. 2,1) omnis a b i t für dolor omnis h a b e t (N). 684 Die bewußte Wiederaufnahme und Variation bestimmter Begriffe prägt den hier ausgeschriebenen Passus, siehe post fata (443. 450), necem (445), ad manes (447), funus (448) – ignibus ustam (442), flamma crepitante (443), igne (446), urna (448), flamma, rogus, pyra (451) – uiro … sodalem (443), simul … in puluere coniugis (447), duos … quos iunxit amantes (448), conubium (449), nupsit … marito (450) – impia pietas (444), pudoris (449), impia (450). Das Entsprechungspaar obire necem / ad manes … iuit fügt sich vorzüglich in die hier vorherrschende Stilmanier. 685 Siehe ThLL II 1313,39 ff. (der Leser muß sich die vermeintlichen Ausnahmen selbst zusammensuchen). 686 Fraglich bleiben auch die Konjekturen auebant (habebant codd.) hereditatem und auendae (haben- codd.) sunt diuitiae in Apul. flor. 19,7 und Salv. eccl. 1,31. 687 So in Romul. 5,214; 8,177. 651; 9,190; Orest. 392. 772. 954.



Orestes 445. 454. 457. 458  f. 

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bewußt gesuchte Spiel mit antithetischen Begriffen688 eine nähere Qualifizierung des Verbalausdrucks im Sinne einer Opposition zu affectus d u l c i s. Folglich mußte hier obire um den spezifizierenden Objektsbegriff a m a r a m   … necem erweitert werden689. Das ist lediglich eine Variante zu der Präzisierungsart, die der Dichter in Orest. 954 wählt: o b i t  … iusto mucrone peremptus; vgl. 392 percussus o b i t sub m o r t e securis; Romul. 8,651 qua (sc. face) Phryges incurrant o b i t u m sine crimine m o r t i s690.

454. 457. 458 f. Dum regnaret iners, Parcarum crimina, pastor et simul illiciti sese fruerentur amores 455 annorum septem spatiis et mensibus octo, ibat alumna manus tumulis regalibus omnis noctibus in mediis flens per haec tempora regem, anxia quae gemitu et tremulis ululatibus usa temperie moderante fremit terrente pauore. 454 illicito s. fr. amore Maehly (illiciti s. fr. amore iam C. G. Müller): illiciti sese (-is esse B) fr. amores α

Die (trotz Grillones Verteidigungsversuch) sprachlich verdächtigen Pluralformen illiciti … amores wurden eingeführt, um dem Verbalausdruck sese fruerentur ein passendes Subjekt zu schaffen. Aber die Kombination dum regnaret … pastor et simul … sese fruerentur amore ist durchaus zureichend für das Verständnis: der Leser ergänzt von selbst im zweiten Satz „das ehebrecherische Paar“. Zwar kann der Singular amor häufig als Abstractum für konkretes homo amatus eintreten

688 Siehe impia pietas, 446 crudelibus medellis; dagegen impia sacrilego in 450. 689 Vgl. Cic. Mil. 86 illud uolnus …, quo taeterrimam mortem obiret; Suet. Aug. 4,1 mortem obiit repentinam. Die Opposition affectus dulcis  – amaram  … necem hat ihre Parallele in Med. 295 dulcior affectus – amara repudia (wo ich uel mit Kaufmann als eine nachgestellte Konjunktion einschätze, nicht als eine vor amara gesetzte Steigerungspartikel, wofür sich Paniagua 148 ff. ausspricht). 690 [Am 16. 11. 2016 konnte ich per Fernleihe Rossbergs Observationes Criticae (Rossb1) einsehen. Dabei stellte ich fest, daß zwar zu Recht in allen Ausgaben und Kommentaren (auch in Rossbergs eigenem, S. 52) Rossberg die Konjektur auere (für überliefertes habere) zugeschrieben wird, daß er aber immerhin (was später totgeschwiegen wurde) zunächst an o b i r e gedacht hatte. Auch wenn er diesen ersten Einfall verwarf, weil nex vornehmlich den gewaltsamen Tod bezeichne (Rossb1 22), muß die Konjektur nunmehr ihm zugeschrieben werden.]

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 Kritischer Kommentar

(s. ThLL I 1970,9sqq.)691, aber einen Beleg für den Plural amores im Sinne von amantes wird man wohl nicht finden. Nicht vergleichbar ist Orest. 764 (criminibus ne fructus eat morientis amoris), wo das abstrakte morientis amoris soviel wie morientium amantium bedeuten dürfte, so wie gleich anschließend in 766 (supplicio sociante nefas) das Abstractum nefas für nefandos (sc. Klytämnestra und Aegisth) gesetzt zu sein scheint692. Der etwas unvermittelte Übergang vom Singular in den Plural in 453 f. hat in der Aufeinanderfolge von 764 (s.  o.) und 765 (aut operae pretium c a p i a t i s sorte malorum) eine gewisse Parallele. Somit liegt es nahe, Mählys leichte Verbesserung illicito sese fruerentur amore in den Text aufzunehmen. Sie läßt sich stützen durch Apul. met. 5,7,5 iam mutuis amplexibus et festinantibus sauiis s e s e p e r f r u u n t u r. Die Junktur amore illicito begegnet Tac. ann. 12,5,1; Iuvenc. 3,43; vgl. Orest. 503 pessima coniunx | criminibus succensa suis et a m o r e p u d e n d o. Nachdem in 453 ff. die Zeitdauer der Herrschaft des unfähigen „Hirten“ samt des unzüchtigen Liebesbundes mit sieben Jahren und acht Monaten angegeben war, heißt es weiter, daß während dieser Zeit mitten in den Nächten die ganze Dienerschaft zum Königsgrab zu gehen pflegte und den König beweinte: 455 (… annorum septem spatiis et mensibus octo,) ibat alumna manus tumulis regalibus omnis noctibus in mediis flens per haec tempora regem. 457 per hec tempora regem B: tempora perdita regum A

Rossberg hat die überlieferte B-Lesart (die alle Herausgeber seit Peiper [1875] übernehmen) unter die Lizenzstellen einer „Verlängerung kurzer Endsilben vor h … in der Arsis vor der Hephthemimeres“ eingereiht (S. 37 zu 307)693. Dort scheint das gelängte per der einzige Einsilbler neben 14 zwei- oder dreisilbigen Belegen zu sein. Unter den ca. 265 Beispielen für per im Dracontius steht die Präposition nur noch 4mal vor h (3mal per herbas, einmal per horas  – jeweils am

691 Westhoff (5) verweist für Dracontius auf 2,118; 8,168; Orest. 66. 668 (die Bedeutung amore inflammatus sieht er hinter dem Terminus amor in 7,66 und 10,66). 692 Zu beachten ist jedoch 232 dum commune nefas aequali mente fruuntur. 693 Beherzigenswert ist seine Erläuterung, es zeige sich ein Gefühl für die Verschiedenheit des h von den übrigen Konsonanten darin, „dass solche Verlängerungen kurzer Endsilben vor h meist nur unter Mitwirkung der Arsis und Caesur stattfinden.“ Demgemäß teilt er seine Tabelle auf nach Belegen von Verlängerung vor h in der Arsis vor der Penthemimeres (19 Fälle), in der Arsis vor der Hephthemimeres (15 Beispiele), in der Arsis vor der Trithemimeres (12 Beispiele). Gegenüber diesen zahlreichen Stellen enthält seine Sammlung nur 5 Fälle für „Verlängerung vor h unter blosser Mitwirkung der Arsis …, und zwar stets nach der ersten Arsis des Verses“.



Orestes 454. 457. 458  f. 

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Versende); eine Längung tritt dort nicht ein. Da Normalisierung der Wortstellung eine häufige Fehlerursache in der Dracontius-Überlieferung ist, durfte sich der Erstherausgeber C. G. Müller (gefolgt von Maehly) berechtigt fühlen, haec per tempora statt per haec t. zu schreiben, wohl in der Annahme, daß sich der Dichter eine so leicht zu erreichende Bewahrung der Versnorm nicht hätte entgehen lassen694. Aber wäre eine solche Aussage, die Dienerschar sei „während dieser Zeit“ mitten in den Nächten zum Grab des Königs gezogen, überhaupt glaubhaft? Man hat volles Verständnis, daß sich G. Luck in seiner Rezension der Ausgabe Grillones mit diesem Text nicht zufriedengeben wollte, sondern den Vorschlag machte, per durch post zu ersetzen. Ein solches post harmoniert jedoch kaum mit der einleitenden Konjunktion dum (453 d u m regnaret iners … pastor). Andererseits erweckt später der Diener Dorylas, als er Orest und Pylades auf ihrem Weg nach Mykene trifft und ihnen die Situation in der Stadt schildert (639 ff.), tatsächlich den Eindruck, als würden er und die getreuen Anhänger des ermordeten Königs „beständig“ zum Grab gehen und klagen, in Erwartung, daß sich sein Versprechen (511 ueniet his poena cruenta) bald erfüllt: 651 nos tamen a d t u m u l u m magni genitoris e u n t e s p l a n g i m u s a d s i d u e; cuius promissa tenemus, quamuis Cassandrae fuerint responsa priora, quod superest cito poena reis.

Offenbar vertraut der Dichter darauf, daß der Leser nicht allzu scharf nachrechnet und den nächtlichen Gang zum Grab, der vielleicht nur anläßlich der jährlichen Wiederkehr des Todestages oder an sonstigen besonderen Gedenktagen stattfand, nicht unmittelbar mit der speziellen Zeitangabe ‚sieben Jahre und acht Monate‘ verknüpft695. Bietet die von den Herausgebern einhellig verworfene A-Lesart flens tempora perdita r e g u m einen Ausweg? Beweint die Dienerschar „die untergegangene Zeit ihrer Könige“ (sc. jetzt, da ein hergelaufener Hirte den Königsthron seit

694 Zur Postposition von per sei verwiesen auf Orest. 372 ne fuga sit miseris optata p e r aequora uectis; 487 notum iter inuenient, sua p e r uestigia current; laud. 1,216 caeli per sidera, ferner auf das oben zu 393 (quo sua cum) Ausgeführte (s. bes. Dainotti Anm. 183). Eine verwandte Aufnahme einer konkreten Zeitangabe durch haec per tempora fände sich CE 762 Hic requiescit in pace Mercasto | Qui florentem aeuum sexaginta egit per annos. | Iucundam uitam h a e c p e r t e m p o r a duxit. 695 Der Dichter darf die Angabe eines konkreten Anlasses vernachlässigen. Das Zeitmaß ist seit Hom. Od. 3,305 vorgegeben. Das Ausmalen der Trauerbekundungen, die dem ermordeten König auch nach so langer Zeit noch seitens seiner Dienerschar zuteil wird, bleibt der freien Phantasie des Dichters überlassen.

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 Kritischer Kommentar

beinahe acht Jahren usurpiert hält)? Der Genitiv Plural regum stellt eine Verschlechterung dar gegenüber der B-Lesart flens … regem; denn er lenkt die Erwartung fälschlich in Richtung einer Klage über die untergegangene Königsära, während es in Wirklichkeit allein um den ermordeten König Agamemnon geht. Das beweist die anschließende Anrede des Dorylas an den toten König: optime r e x quondam, sed nunc miserabilis umbra (462), das beweisen auch die weiteren Konkretisierungen wie 479 pastor t u a r e g n a tenet, 482 u i c t r i c i a r e g n a tenere (sc. die des Triumphators Agamemnon), 530 ut pastor m e a r e g n a notet (es spricht Agamemnons Schatten), 604 ad t u m u l u m p a t r i s, 651. 735696. Es scheint, daß der Schreiber von A sich an der gedanklich und metrisch ungewöhnlichen Ausdrucksweise des in B vorliegenden ursprünglichen Textes gestoßen und – wie oft – nachgebessert hat. Wir werden bei der Besprechung von Orest. 740 sehen697, daß sich Dracontius nicht gescheut hat, nach dem pér haec hier (Längung vor h in der Arsis) dort sogar ein per haéc zu wagen, also Dehnung von per in der Thesis, gerechtfertigt durch folgendes ‚vokalisches‘ h. Die Dienerschar, die nachts das Grab Agamemnons aufsucht und den König beweint, bringt  – ängstlich  – ihr Seufzen und Klagen mit zügelnder Mäßigung vor, weil Furcht sie einschüchtert: 458 anxia quae gemitu et tremulis ululatibus usa temperie moderante fremit terrente pauore. 458 gemitu (-tũ B) et α: gemitum Rothm1 18 459 fremit Rossb4 571: tremit α: premit Rothm1 18 (coll. 159. 340) pauore A: -em B

Seit Peiper (1875) haben die Herausgeber Rothmalers gemitum  … p r e m i t gedruckt, obwohl Rossberg das überlieferte gemitu et verteidigt und tremit (459, das Verb steht unter tremulis: Influenzfehler!) überzeugend zu f r e m i t verbessert hatte. Allein Grillone ist zu gemitu et zurückgekehrt, macht aber seinen Revisionsversuch durch Beibehaltung des überlieferten Verbs tremit gleich wieder zunichte. Denn darin sind sich alle früheren Herausgeber mit gutem Grund einig gewesen: Das überlieferte tremit läßt sich weder mit den auf Klang und Akustik

696 Durch die Pluralformen tumulis regalibus (456) und noctibus in mediis (457) muß man sich nicht verwirren lassen: Sie stehen stellvertretend für Singularbegriffe (tumulo regali, nocte media), siehe Westhoffs Quaestiones grammaticae (1883), 4 ff.: „in nominibus concretis Dracontius saepe numerum pluralem pro singulari admisit“ – mit einer Fülle von Belegen (darunter tumuli, busta, thalami, tori). Auch die weiteren Hinweise in der Ansprache des Dorylas zielen immer nur auf den einen König Agamemnon, s. 464 mortem peperit … triumphus und 478 morieris inultus. 697 Siehe S. 252  ff.



Orestes 457. 458  f. 473 

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ausgerichteten Substantiva gemitus und ululatus vereinbaren, noch mit dem modalen Abl. abs. temperie moderante. Rossbergs Emendation ist makellos, vgl. Verg. Aen. 4,667 f. lamentis gemituque et femineo ululatu | tecta fremunt, resonat magnis plangoribus aether; 7,395 t r e m u l i s u l u l a t i b u s aethera complent; Ov. met. 3,528 Liber adest festisque fremunt ululatibus agri; 9,207 saepe illum gemitus edentem, saepe frementem (sc. Hercules auf dem Scheiterhaufen)  … uideres; Orest. 695 cognoscit turba ministra | Agamemnonium … | et plausu gaudente fremunt sine uocibus oris (v. ad loc.); 549 o r e fremunt f a m u l i; schließlich als Beispiel gedämpfter Stimmlaute ein Zitat aus Marius Victor: aleth. 3,266

                                     sed uocem nemo remittit non intellectis, et si quis temptat hiare, sibilat aut rupti fremitu sermonis anhelat aut stridit gemituque minas imitatur acuto.

473 472                                                                               si stat post fata superstes spiritus, exaudi lacrimas luctusque tuorum! rumpe solum, findatur humus telluris hiatu (…) 473 luctusque (flu- B) C. G. Müller: fletusque A

C. G. Müllers leichte Korrektur scheint keinen der späteren Editoren überzeugt zu haben, obwohl die von Dracontius überall gesuchte Alliteration sehr für diese Justierung spricht und die triviale B-Korruptel sich durch Dittographie des langen s (lacrimaſſluctusque) gut erklären läßt. Rossberg erinnert an den Versschluß Stat. Theb. 5,46 pande nefas laudesque tuas g e m i t u s q u e t u o r u m (aber spricht dieser nicht eher für luctusque tuorum?) und möchte in lacrimas fletusque eine pleonastische Verbindung nach dem Muster breuis et paruus (193) sehen. Aber wenn Dorylas am Grab Agamemnons den Schatten des Königs auffordert: exaudi lacrimas luctusque (statt fletusque) tuorum, so fügt sich dies gut zu der Einleitung dieser Grab-Episode (456 ff., s.  o.): für das dortige Partizip flens (457) steht hier lacrimas (473), das ausdrucksvolle g e m i t u et tremulis u l u l a t i b u s usa |  … f r e m i t (458 f.) aber und der ebenso eindringliche Vers 461 (euomit in g e m i t u s uoces et uerba d o l o r i s) werden hier in l u c t u s que (473) eingefangen. Man vergleiche auch Vers 90 (l u c t i b u s omissis donans l a m e n t a parentum) und poetische Muster wie Ov. met. 13,282 nec me lacrimae luctusque timorque | tardarunt; Sen. Tro 1009 ff. dulce maerenti populus dolentum, | dulce lamentis resonare gentes; | lenius luctus lacrimaeque mordent, | turba quas fletu

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 Kritischer Kommentar

similis frequentat; Lucan. 7,706 f. prohibe lamenta sonare, | flere ueta populos, lacrimas luctusque remitte; Sil. 13,289 expers luctus lacrimaeque; CE 1561,2 f. exitus iste tuus prostrauit corda t u o r u m | perpetuas nobis lacrimas luctumque relinquens.

489. 490 (post 493). 497 Sieben Jahre und acht Monate nach dem gewaltsamen Tod Agamemnons bahnt sich die Rache an: Bei einem Besuch des Grabes mitten in der Nacht richtet Dorylas, der ehemalige Erzieher des Orest, zunächst flehende Bitten an den Schatten des ermordeten Königs (er möge aus der Unterwelt hervorbrechen und den frevlerischen Usurpator samt der buhlerischen Gattin bestrafen, 462 ff.), dann an die Götter der Unterwelt selbst, insbesondere an die Furien (483 ff.)698: di, regitis quicumque chaos crudele barathri, rumpite tartareas proscisso gutture fauces, 485 mittite uirgineas funesta in tecta cerastas! ne dubitate: truces uenient ad regna Thyestis, 487 notum iter inuenient, sua per uestigia current 488 (non estis Furiae, si quaeritis ante rogari 489 ad quodcumque nefas, si non et sponte nocetis)699. 491 spes mihi maior adest: Thebis uicina petuntur, moenia tartareis quondam sacrata tenebris 493 et claro priuata die sub luce diurna. 490 sed dubito quia iusta peto, tamen oro cruenta. 494 ergo precor, cum iusta truces sententia mortis 495 participes scelerum percusserit ense seuero, uos Acheronteis tortoribus addite flammas700 et furiis augete malum mortale uenenum,

698 Die letztgenannte Bitte ist eng verwandt mit jener, die Dracontius zuvor seiner Medea in den Mund gelegt hatte, s. Med. 433 ff., bes. 446 ff. Die Übereinstimmung erstreckt sich bis in die Formulierungen, vgl. vor allem Med. 457 f. / Orest. 488 f.; (zum Stichwort uirgineas … cerastas, Orest. 485, s. Med. 454 ff. [uirginitas] und Med. 440 [cerastae]). 699 Seit Baehrens (1883) wird in allen Ausgaben et … nocetis gedruckt; überliefert ist: licet … potestis B: nisi (mihi Haase2) … uenitis A. Mit Ausnahme der Versumstellung gebe ich in diesem zitierten Abschnitt den textus receptus. 700 Es liegt ein verkürzter Vergleich vor: tortoribus steht für poenis tortorum. Denn uos kann hier schwerlich reflexiv sein, und ein Einschnitt nach addite mit der nachfolgenden Änderung flamm i s | et furiis empfiehlt sich aus metrischen Gründen nicht: Es scheint im ganzen ‚Orestes‘ nur zwei Belege für versübergreifenden Neueinsatz nach dem 5. Daktylus zu geben: Orest. 111 und 367.



Orestes 473. 489. 490 (post 493). 497 



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torqueat auctores scelerum crudelis Enyo: non sat erunt quaecumque reis tormenta paratis."

490 post 493 transp. Zw.; 488–490 post 493 traici voluit Rossberg; de ordine 490. 488sq. 491–493. 486sq. cogitaverat Baehrens

Die Götter des grausamen (crudele) Unterweltabgrundes sollen die schlangenbewehrten jungfräulichen Furien in den von Todesverderben geschwängerten Palast schicken und diese dort wüten lassen. Zweifellos würden sie voll Ingrimm zum (ehemaligen) Herrschaftssitz des Thyest kommen, den ihnen bekannten Weg (wieder)finden und auf ihren eigenen (aus Thyesteszeiten hinterlassenen) Spuren herbeieilen (es entspräche ja ihrem Wesen, ganz von selbst, ohne daß es einer Bitte bedürfte, sich zu jeglichem Frevel einzufinden). Daß sie aber hierher, nach Mykene, kommen würden, darin bestärkt den Dorylas der besondere Umstand, daß sie dabei in die Nachbarschaft von Theben kämen (den bereits Med. 449 beschworenen Schauplatz der Inzesthochzeit von Oedipus und Iokaste)701 und zu der mauerumringten Stadt, die vormals Tartarischer Finsternis geweiht wurde, als sie am hellen Tag des Sonnenlichtes verlustig ging. Ob nun allerdings – so fährt Dorylas in 490 fort – das, was er erbitte, zureichend (iusta) sei, darüber hege er Zweifel (vgl. 499 non sat erunt  … tormenta); aber jedenfalls erflehe er Strafen, die in seinen Augen grausame Peinigungen darstellen (cruenta)702. So laute denn seine Bitte an die Furien (494 ff.): Nach Vollzug der gerechten703 Bestrafung der beiden Frevler (Ägisth und Klytämnestra) durch das Schwert der Rächer möchten sie den Peinigern im Acheron zusätzlich Feu-

701 Ich habe nach Thebis uicina petuntur Komma gesetzt, mit dem folgenden moenia beginnt eine zweizeilige Apposition. Zu substantiviertem Thebis uicina vgl. Manil. 5,174 nunc Cancro uicina canam; Sil. 12,5 prorumpit Capua Poenus uicinaque late | praemisso terrore quatit; ferner Sedul. carm. pasch. 4,42 ff. talia Dauiticam post facta reliquerat urbem | Bethaniae uicina petens, eademque reuersus | c l a r e s c e n t e d i e properabat uisere tecta (in 4,40 steht sacri gradiens per m o e n i a templi). Den Sedulius hat später Arator vor Augen, s. act. 1,626 Samariae uicina petens. 702 Um den Vers 490 richtig zu verstehen, muß man sich erstens daran erinnern, daß Dracontius dubito, q u i a iusta peto wählen kann, um „ich zweifle, daß ich Angemessenes erbitte“ zum Ausdruck zu bringen (Rossberg hat zu Orest. 673 mehr als 10 Belege für diese Konstruktion bei Dracontius zusammengestellt), zweitens die gelegentlich invertierte Anordnung der Partikeln sed / tamen in Rechnung stellen; es mag genügen, auf den vorgezogenen non tamen aequa-Satz in Orest. 39 f. zu verweisen: n o n t a m e n a e q u a suis meritis animisque futuris | dona uerecundae seruabat pulcra puellae (s.  o. Anm. 576). 703 In der Aufeinanderfolge von i u s t a peto und i u s t a sententia mortis (490. 494) spielt Dracontius in bewährter Weise mit der breiten Semantik des Begriffes iustus.

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 Kritischer Kommentar

erflammen zur Verfügung stellen und durch Schlangenpeitschen die Schmerzen des qualvollen Giftes mehren. Die grausame (c r u d e l i s) Enyo soll die Urheber der Verbrechen quälen – auch wenn letztlich alle Folter, mit denen die Furien die beiden Schuldigen überziehen, ungenügend sein werden! Dies dürfte der Gedankengang der nicht leicht zu durchschauenden Textpartie sein. Er läßt sich nur gewinnen, wenn man den Vers 490 nach 493 eingliedert. An seinem überlieferten Ort stört er so sehr, daß Schenkl zwischen 490 und 491 (nach seiner Zählung zwischen 489 und 490) den Ausfall einiger Verse angenommen, Bouquet aber den Auftakt von 490 mit antithetischem sed in nec umgeändert hat704. Die oben eingeführten Markierungen zeigen, daß er zwischen 493 und 494 wegen vielfältigen Wort- und Buchstabenähnlichkeiten größter Gefahr ausgesetzt war, übersprungen zu werden (mit folgendem Nachtrag und späterer Integration an falschem Ort)705. Der Abschnitt fordert den Leser auch durch den unvermittelten Übergang in eine (parenthetische) direkte Anrede an die Furien heraus und zwingt ihn überdies, Farbe zu bekennen, welcher der beiden Lesarten er in 489 den Vorzug geben möchte: 487 (…) notum iter inuenient, sua per uestigia current 488 (non estis Furiae, si quaeritis a n t e rogari 489 ad quodcumque nefas, si non et sponte nocetis). 491 spes mihi maior adest: Thebis uicina petuntur etc.

Das Verständnis der direkten Anrede an die Furien in 488 wird erleichtert, wenn man berücksichtigt, daß der Dichter dort ein Motiv wieder aufnimmt, das er bereits in seiner ‚Medea‘ eingeführt hatte. Dort endet Medea ihre Bitten an die Furien wie folgt: Med. 453 Cur mora? nam nihil est quod non me exaudiat umquam. 457 si Furias saeuire precor nec sponte nocetis, non estis Furiae: nomen mutate domosque,

704 Die von Baehrens und Rossberg vorgeschlagenen Versumstellungen sind aus verschiedenen Gründen unbefriedigend. Das muß hier nicht im einzelnen dargelegt werden. 705 Aus ähnlichen Gründen ist wenig später in A der Vers 511 ausgefallen; man beachte auch dort die Buchstabenentsprechungen und Homoeoteleuta (510–512): impete mortifero subita cum fraude profana. nam nec inultus ero, ueniet his poena cruenta. sed ne plura loquar, uerum est Cassandra locuta. Homoearcha sind die Ursache für den Verlust der Verse 664–665 in A: 664 hebt an mit accelerare gradus, 666 mit acceleramus (B: -emus A) iter.



Orestes 489. 490 (post 493). 497 

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ponite serpentes, alienas reddite flammas 460 et puerum Veneris, quem iam tempsistis, amate706.

Den Versschluß nec sponte nocetis in 457 hat Baehrens zum Anlaß genommen, in Orest. 489 das in B überlieferte licet sponte potestis zu der oben abgedruckten Fassung et (so Peiper) sponte n o c e t i s abzuändern, worin ihm die späteren Herausgeber einhellig gefolgt sind (A überliefert nisi  … uenitis). Aber während im Medea-Zusammenhang das Verb nocetis das voraufgehende saeuire passend weiterführt und auch durch den folgenden Hinweis auf die Strafwerkzeuge der Furien, serpentes und flammae, eine Stütze erfährt, ist im Kontext des OrestAbschnittes nicht von „Schädigung“ die Rede. Auch ergibt sich von sponte nocetis kein Übergang zu spes mihi maior adest: Thebis uicina petuntur (491). Dagegen fügt sich die A-Lesart uenitis vorzüglich in die Reihe der umgebenden Verba ein: mittite (uirgineas … cerastas) – uenient – (notum iter) inuenient – (sua per uestigia) current und (Thebis uicina) petuntur (491). Das sinnlose potestis (B) scheint aus sponte und uenitis kontaminiert zu sein (der Schreiber der Hs B hat eine Fülle solcher dittographischer Verballhornungen zustande gebracht). Hinter l i c e t (B) dürfte sich das Ortsadverb h u c (uenitis) verbergen, (vgl. 544 die Verschreibung suum A flor.: sicũ B), das anschließend durch Thebis uicina und moenia (sc. Mycenarum) konkretisiert wird707. Zu dem so wiedergewonnenen Ausdruck si non huc sponte uenitis sei verwiesen auf Ov. am. 2,9,37 huc tamquam iussae ueniunt iam sponte sagittae und Verg. ecl. 7,11 huc ipsi potum uenient per prata iuuenci (dazu DServ ‚ipsi‘ id est sponte sua). Die A-Lesart sponte u e n i t i s in Orest. 489 (mit voraufgehendem si quaeritis a n t e r o g a r i in 488), wird bestätigt durch die offensichtliche Vorbildstelle Stat. Theb. 5,156 Stygiaeque Acheronte recluso a n t e p r e c e s u e n e r e deae. Schwierigkeiten macht auch Vers 497 in der überlieferten Fassung et furi(i)s augete malum mortale uenenum: Wenn das von Orest und Pylades mit dem Schwert getötete Frevlerpaar Klytämnestra und Ägisth i m A c h e r o n durch die Furien noch zusätzlich besonders hart gepeinigt werden soll, scheint die Aufforderung augete malum m o r t a l e ueneni708 (also: „steigert das t ö d l i c h e Gift­ übel!“) fehl am Platze. Man wird sich ja nicht mit der Ausflucht zufrieden geben

706 Siehe die Erläuterungen ad loc. 707 Der Schreiber von A hat versucht, aus dem sinnlosen non licet sponte ein wenigstens vordergründig erträgliches non nisi sponte zu machen. 708 Der Genitiv ueneni, den ich hier wieder herstelle (497), ist in der Überlieferung irrtümlich an das voraufgehende malum mortale angeglichen worden. Zum Ausdruck vgl. Paul. Petric. Mart. 4,529 post tartarei u i r u s l e t a l e u e n e n i; Ov. met. 4,500 liquidi … monstra ueneni; 7,525 dum uisum mortale malum, sc. die Pest (lues); mortale steht dort prädikativ [525-7 del. Tarrant].

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 Kritischer Kommentar

können, mortale sei hier – ohne Rücksicht auf die konkrete Situation – als stehendes Epitheton ornans verwendet. Denn bei Dracontius bedeutet mortalis in 11 von 14 Belegstellen „sterblich“, ist also im passiven Wortsinne verwendet. Die drei Ausnahmen beziehen sich einheitlich auf „tödliche“ Drohungen; dabei ist mortalis nicht attributiv verwendet, sondern steht in allen drei Fällen als Inhaltsakkusativ vor dem versschließenden Verb minari: laud. 2,232 mortale minantes, Orest. 617 mortale minatus, Orest. 823 mortale minatur. Der letztgenannte Beleg betrifft das furienhafte Auftreten des Klytämnestra-Schattens im Königspalast: Ausgestattet mit Feuerfackeln und züngelnden Schlangen, treibt sie Orest in den Wahnsinn. Hier hat das „tödliche“ Bedrohen seinen Platz. In der Unterwelt dagegen können Feuerfackeln und Schlangenpeitschen nicht als Steigerung des „tödlichen“ Giftes, des malum m o r t a l e ueneni, eingesetzt werden. Also ist in 497 wohl malum f u r i a l e ueneni zu schreiben709. Dies hat zur Konsequenz, daß der überlieferte Versauftakt et furi(i)s, den Rossberg (ad loc.) aus sachlichen Gründen für unhaltbar erklärt hatte710, nunmehr auch aus stilistischen Gründen verworfen werden muß (eine Doppelung furiis augete malum furiale im gleichen Vers innerhalb einer Anrede an die Furien kommt schwerlich in Betracht). Die von Rossberg vorgeschlagene Emendation et f l a g r i s überzeugt inhaltlich und formal. Es werden demnach die typischen Attribute der Furien, lodernde Fackeln711 und Schlangenpeitschen712, aufgerufen, um eine Verschärfung der Strafen für die beiden Mörder und Ehe­ brecher im Acheron zu erreichen. Die Verderbnis dürfte aus der häufigen Vertauschung von u/o und i/t (auch in den Dracontiushandschriften)713 entsprungen sein, primär vermutlich aus der Verschreibung -uriale in -ortale. Denkbar ist eine zusätzliche Einwirkung des doppelten m in der Abfolge malumfuriale. Man darf annehmen, daß in einer

709 Vgl. Verg. Aen. 7,375 = Paul. Petric. Mart. 4,131 serpentis furiale malum; Ov. met. 4,506 furiale uenenum; Sen. Thy 94 furiali malo; Dracontius selbst bietet zweimal die Junktur furiale nefas (laud. 3,266. 476). 710 „(…), da doch die Furien nicht aufgefordert werden können durch die Furien etwas zu thun.“ 711 So z.  B. Ov. met. 4,508 f. (der ganze Tisiphone-Abschnitt met. 4,481–509 ist für die Dracontiusstelle bedeutsam). 712 Siehe die Sammlung von Belegstellen in Rossbergs Kommentar S.  59 (auszuscheiden ist Val. Fl. 4,392 ff.) mit Verweis u.  a. auf Drac. Romul. 10,465. 483; Prud. Symm. 1,361 (saeua sororum agmina uipereo … f l a g r o). Tisiphone traktiert die schuldigen Seelen in der Unterwelt mit Schlangenpeitschen in Verg. Aen. 6,570 und Lucan. 6,730 f. 713 Zu u/o vgl. Vollmers Index orthographicus in der MGH-Edition; zu i/t z.  B. Orest. 5 serta A: seria B; 93 Tu rapis A: Iurapis B; 568 nectareum Aac: neciareum B: nectarei Apc; 811 raptatur A: rapiatur B. Verwiesen sei ferner auf Orest. 10 sororum α: furorum Amg; 98 micenas A: licenas B.



Orestes 497. 533 

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frühen Überlieferungsphase, in der furiale noch erhalten war, das Attribut durch einen Antizipationsfehler die Verschreibung von flagris in furiis bewirkt hat714.

533 Der Schatten Agamemnons fliegt nachts nach Athen und redet den schlafenden Jünglingen Pylades und Orest im Traum ins Gewissen: 527 ‘non pudet, o iuuenes’, dixit, …, 530 ut pastor mea regna notet promotus in arce sanguinea mercede, cluat sub crimine multo laetus et indomitus, tumida ceruice supinus, plaudat et i n f a m i s uos iam, sic f a m a, perisse?

Vollmer (1905) 380 umschreibt notet hier (530) wohl zu Recht mit foedet („besudelt“, „fügt einen Schandfleck zu“), wenngleich das Verb an den übrigen drei Stellen, in denen es Dracontius mit negativer Konnotation verwendet (2,48; 9,123; laud. 3,534 f.), jeweils „mit Worten tadeln, herabsetzen, schelten“ bedeutet715. Größere Schwierigkeit macht der Vers 533. Er hat in der Überlieferung doppelt gelitten: Statt plaudat et (A)716 überliefert B plaudeat, wofür Baehrens2 (637) gaudeat herstellen, Rossberg (mit Schenkl) prodeat schreiben wollte. Aber in B liegt wohl lediglich eine der dort häufig anzutreffenden Buchstabenmetathesen vor. Agamemnon dürfte auf die Situation von 380 anspielen, wo der Erzieher des Orest für seine trügerische Todesnachricht belohnt wird, quod g a u d i a ferret | mentibus incestis717. Agamemnos Schatten scheint diese fingierte Trugrede unter

714 [Beim abschließenden Überprüfen der Sekundärliteratur bin ich auf L. Müllers malum f e r a l e gestoßen (462). Es bestätigt die oben formulierten Anstöße, kann diese aber nicht in gleichem Maße wie das hier empfohlene furiale beseitigen.] 715 M. Beck verweist auf ThLL X 2,2477,72 ff. (unsere Stelle dort 74 f.): Der ut-Satz stehe als Subjektsatz in Konkurrenz zu einem quod-Satz bzw. einem AcI (cf. Hofm.-Sz. 632); ein solches ut erfordere in aller Regel den Konjunktiv (dies gegen den Versuch, L. Müllers quod  … tenet [462] durch ut … tenet zu ersetzen, s. Grillones Apparat und Kommentar). Bouquet 196348 hatte gemäß Hofm.-Sz. 645 hervorgehoben: „ut tend à s’introduire à la place de quod derrière les verbes de sentiments“. 716 Der dicht an den Beginn von infamis gerückte, nach links geöffnete Halbbogen wird von Vollmer als et gedeutet. Eine Parallele für diese Schreibweise gibt es in der Hs A nicht (siehe auch Bouquet 196352). 717 Daraus muß man kein Argument zugunsten der von Baehrens vorgeschlagenen Änderung gaudeat ableiten, eines Ausdrucks, den Rossberg (zu 533) als „ziemlich matt“ beurteilt. Im Vergleich zu dem expressiven plaudat fällt gaudeat beträchtlich ab. Zum Ausdruck der Scha-

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 Kritischer Kommentar

den Begriff fama zu subsumieren, dem Baehrens eine für den Erzählzusammenhang wichtige Funktion zuteilt: „die worte nam fama sind fast unentbehrlich, indem damit Agamemnon den jünglingen mitteilt, was ihnen ja noch unbekannt sein muste, dasz sie nemlich in der heimat tot gesagt würden“ (Baehr2 637). Aus diesem Grunde hat er aus dem überlieferten uos iam non fama (A: uos iãñ fama B) die Kombination uos iam mit der Parenthese (nam fama) gemacht, die sich in dieser Form jedoch nicht glatt in die Satzkonstruktion fügt. Zu erwarten ist vielmehr, wie man etwa aus Sil. 6,631 (tunc Arcadius, s i c f a m a, locabat | inter desertos fundata Palatia dumos) oder 8,190 entnehmen kann: sic fama. Wenn man von der Wort- und Buchstabenfolge uosiamsic ausgeht und die Möglichkeit störender Einwirkung des unmittelbar folgenden sic peto (534) und des non sic (536) in Rechnung stellt, scheint die geringfügige Verschreibung uosiamnõ denkbar. Der Dichter dürfte hier ähnlich mit der Stilfigur infamis / fama spielen, wie dies Orosius in 5,19,14 (infamis fama percrebruit) tut718.

546 541 n a t u s amore pio flammatus morte paterna uindicet ut patrem qui matrem strauerit ictam, crimina purgabit matris de tempore prisco719; nam patrem docet esse suum quem uindicat armis, 545 dignus adulterii uindex, pius ultor et heres noster, amor Danaum – sunt odia saeua deorum.

Der Schatten Agamemnons argumentiert sehr grundsätzlich, so, als ob er allgemeingültige Verhaltensnormen auf die konkrete Situation des Orest übertrage. Auf diese Weise kann er leicht von der dritten Person (einem kollektiven natus) in die zweite übergehen und seinen Sohn Orest direkt ansprechen: 540 iure n e c a b i s; 545 f. pius ultor et heres | n o s t e r. An der letzten Stelle ziehe ich  – gegen die communis opinio – noster zu heres (und ultor); ein vergleichbares Enjambement

densfreude setzt Dracontius das Verb auch in Romul. 7,87 ein (aduersa plaudente manu). Er darf plaudere ebenso mit dem AcI verbinden, wie dies bei gaudere (ThLL VI 2,1703,78 ff.) und sonstigen Verba affectus geläufig ist; s. ThLL X 1,2364,42: Euagr. vita Anton. 24 p. 879 ille, qui uniuersa maria a se deleta plaudebat; Anon. in Phil. 5A plaudebat ‚se legis‘ obseruatione Iudaicae ‚confidere in carne‘; Romul. fab. 92,2 rec. vet. pulex plaudebat se esse meliorem quam camelus; Ven. Fort. carm. 5,8,7 f. plaudimus instanter communia uota tenere, | ciuibus et patriae te reuocasse diem. 718 Für Ägisth ist das Attribut infamis im ‚Orestes‘ geradezu topisch. Es sei ferner erinnert an (Vulg.) 2 Kor 6,8 per gloriam et ignobilitatem per i n f a m i a m et bonam f a m a m (etc.). 719 Zu dieser Stelle siehe Anm. 668.



Orestes 533. 546 

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mit syntaktischem Einschnitt nach dem 1. Trochäus720 findet sich 475 f. und 591 f. Rossberg wollte noster amor durch 610 (nostri sunt [„auf unserer Seite stehen“] patris alumni) stützen. Aber noster amor Danaum721 („uns gehört die Liebe der Danaer“, so Rossberg zu 546  ff.) schließt nicht an die auf Orest bezogenen Prädikationen des Verses 545 an; andererseits genügt das bloße amor Danaum („du Liebling der Danaer [= der Griechen]“) vollauf, um die in 547 anschließende Konkretisierung uobiscum uernula turba | sentiet, etc. vorzubereiten: Wie später in der Rede des Pylades (610) wird auch hier zum Ausdruck gebracht, bei dem aus Pietät gegenüber dem Vater auszuführenden Rachewerk werde das Griechenvolk, das den Sohn und Erben Agamemnons liebt, tatkräftig mitwirken. In einem die Grundsatzthematik abschließenden Ausruf (sunt odia saeua d e o r u m)  – vergleichbar dem Halbvers 655b uobis d i u i n a fauebunt – wird dann als Klimax das entscheidende Argument berührt: Die grausame Rache ist ein Gebot der erzürnten Götter! Orest und Pylades sind aufgerufen, die grausame Strafe der Götter zu vollführen. Der Dichter betont hier den besonderen Umstand, daß Orest auf Weisung des Gottes Apollo handelt, der er sich nicht entziehen darf722. Dies war bereits in der Prophezeiung Cassandras angeklungen: 146 uos (sc. Clyt. und Aeg.) licet et similis maneat censura polorum, sit saltem mora longa reis, dum crescit Orestes. uictima carnificis nati post funera patris mater eris, tecumque ferox ferietur adulter 150 Pyladis fodiente manu (mihi credite) cari.

Die auf die Ermordung des Vaters einst folgende Ermordung der Mutter durch den Sohn Orest (und der damit verbundene Fall des Ehebrechers durch die Hand des Pylades) ist die Strafe des Himmels: censura polorum723. Darauf weist der Schatten Agamemnons in 546 zurück, nachdem er bereits in 511 ff. der an seinem Grab versammelten Schar der Getreuen zugerufen hatte, Cassandra habe wahrheitsgemäß seinen Mördern die künftige Rache angekündigt: credite Cassandrae, uerax Cassandra sacerdos (513). Wenn diese Zusammenhänge erkannt sind (wir kommen unten zu Vers 588 auf das Thema zurück), verbieten sich alle Eingriffe in den Text, insbesondere

720 Dieser vergleichsweise seltene Einschnitt tritt bei Vergil etwas häufiger in der zweiten Aeneis­hälfte auf, s. Dainotti (2015) 72233. 721 So A (vgl. 378), danais B. 722 Man vergleiche die Kommentare zu Aesch. Choeph. 900 ff.; Eur. El. 973; Soph. El. 1425. 723 Siehe u. zu 588.

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 Kritischer Kommentar

die Ersetzung des überlieferten deorum durch Peipers banales duorum724, das bis auf den heutigen Tag die Ausgaben verunziert725. Da Dracontius schon laud. 3,422 das Anfangs-o von odia in der ‚Hebung‘ als Länge gemessen hat, muß man sich auch nicht mit sachlich unzutreffenden Versuchen wie omina laeua deorum oder taedia saeua reorum abgeben: das überlieferte odia … deorum ist makellos (wenn man der freien Prosodie des Dracontius Rechnung trägt), vgl. DServ. Aen. 1,10 (nam si iustus est Aeneas, cur o d i o d e o r u m laborat?) und Aen. 1,11 tantaene animis c a e l e s t i b u s i r a e ?

562. 565 561 transigo funereum materna in u i s c e r a ferrum 565 (u i s c e r a, lucis iter uel magni ianua mundi!)726, 562 quae perpessa727 diu728 bis quino mense pericla conceptus portare729 meos stimulante dolore, 564 semina naturae, blandae primordia uitae? 566 ast ubi sortitus nascendi iura peregi, flumine pectoreo dedit ubera lactea labris, dulcia nectareum fundentia mella saporem: fit nutrix quae mater erat, regina ministra. 565 post 561 transpos. Maehly 562 perpessa Baehrens: perpenda B: perpendo A pericla (quod falso A tribuit) Peiper: pericia B: periclo A: peracto Maehly (cf. laud. 2,691)

724 Er druckte in seiner Edition von 1875 pius ultor et heres, | noster amor. Danais (so B) sunt taedia saeua duorum; ein gutes Jahrzehnt später versuchte es Rossberg (1888) mit ebenso unhaltbarem pius … heres. | noster amor Danaum, sunt taedia saeua r e o r u m. 725 Seit Vollmer (1905) in der von Peiper nicht beabsichtigten Kombination mit odia saeua, in der duorum als ein im Zusammenhang gewagter Gen. obi., abhängig von odia, erklärt zu werden pflegt. 726 Die Junktur ianua mundi steht Sen. Hf 964 für das Himmelstor; Rossberg (zu 565) verweist u.  a. auf Prud. psych. 89 tu princeps ad m o r t i s i t e r, tu i a n u a l e t i. Statt ianua leti hat Dracontius viermal limina mortis, in laud. 2,524 in Kombination mit letique uias. 727 Zwischen mundi und diu konnte perpessa (so Baehrens) leicht zu perpenda (so B [hatte die Vorlage -pẽda?) verderbt werden. 728 Vgl. abundantes diu in Sen. Hf 742 l o n g a permensus d i u | felicis aeui s p a t i a oder diu mit anschließender Präzisierung in Mart. 6,30,4 f. at nunc cum dederis d i u moratus, | p o s t s e p t e m, puto, u e l n o u e m Kalendas, | uis dicam tibi ueriora ueris? 729 Obwohl Dracontius oft den Inf. perf. statt praes. setzt (s. Vollmers Index der MGH-Edition S. 436), wird man hier dem durativen portare (B) den Vorzug vor der A-Lesart portasse einräumen, diese vielmehr als eine unter dem Einfluß von perpessa entstandene Korruptel ansehen (anders portasse und inuenisse, gefolgt von punire, in laud. 3,459 f.).



Orestes 562. 565 

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Die Verse 566 ff. umschreiben die Rolle der Mutter nach der Geburt: sie wird zur Amme, die den Säugling nährt. Das Resümee in 569 (fit nutrix quae m a t e r erat) zeigt, daß in der voraufgehenden Periode der Begriff „Mutter“ Subjekt der Handlung sein muß. Diesen Begriff hat der Leser aus Vers 561 herauszuziehen, in dem das Attribut m a t e r n a (in uiscera) für m a t r i s (in uiscera) steht. Diese logische Operation aber wird nur möglich, wenn der Rückbezug von 566 ff. auf 561 nicht durch das nachklappende uiscera lucis iter uel magni ianua mundi des Verses 565 abgeschnitten wird. Vers 565 muß mit Mähly hinter 561 gestellt und als parenthetischer Ausruf im Vokativ, mit Epanalepse von uiscera, derart untergeordnet werden, daß das Relativpronomen quae (perpessa, sc. est) des Verses 562 auf das sinngemäße Subjekt m a t r i s (sc. uiscera) des Verses 561 zurückweisen kann730. Der Infinitiv portare in Vers 563 ist von pericla (562) abhängig: Die Mutter hat zehn lange Monate die Gefahren (und Mühen) erdulden müssen (perpessa diu bis quino mense [s.  u. die Prudentiusstelle] pericla), die mit dem schmerzvollen Austragen der Empfängnis (des Samens der Natur, der Urelemente des süßen Lebens) verbunden sind (563 f.). Die mit der Schwangerschaft verknüpften labores werden oft hervorgehoben, z.  B. Ov. met. 8,500 et quos s u s t i n u i bis mensum quinque l a b o r e s; Sen. Phoen 535 f. per decem mensum graues uteri labores (s. Bömer zu Ov. fast. 1,33). Zur freien Verwendung des Infinitivs bei Dracontius siehe Vollmers Index der MGH-Ausgabe S. 436 f.; im übrigen Hofm.–Sz. 351. Statt p e r i c l a lesen die Neueren in 562 wieder mit L. Müller (bis quino mense) p e r a c t o (peracto schon Maehly), gestützt auf laud. 2,691 f. Aber dort faßt Dracontius den Zeitpunkt der Geburt (bis quinis mensibus actis) ins Auge, nicht – wie an unserer Stelle – die lange Dauer der Schwangerschaftsbeschwerden. Bis quino mense (562) ist als adnominaler Ablativ mit pericla verbunden: „zehnmonatige Gefahren“, siehe gleich anschließend Vers 567, wo im überlieferten Wortlaut der qualitative Ablativ flumine pectoreo zu ubera lactea gehört: „die milchgebenden Zitzen mit der Brustflüssigkeit“ (Rossberg 67)731. Synkopiertes pericla begegnet bei Dracontius noch 8mal als Hexameterschluß (ein weiteres Mal im Pentameter), einmal in Verbindung mit ferre (Hyl. 153 f.); vgl. Ennod. carm. 1,9,62 … quotiens fuerit s u f f e r r e p e r i c l a. Hilfreich sind Rossbergs Hinweise auf Prud. perist. 10,781 f. per huius alui fida c o n c e p t a c u l a, | per hospitalem

730 Wie in den sonstigen Versumstellungen der ‚Orestes‘-Überlieferung ist auch in 561/565 die Genese des Fehlers aus der Wort- und Buchstabengleichheit oder -ähnlichkeit leicht erklärlich. 731 Als Alternative hatte Rossberg die erwägenswerte Änderung flumina pectoreo dedit ubere lactea labris vorgeschlagen (Rossb4 572): „spendete sie meinen Lippen aus den Zitzen der Brust Ströme von Milch“. Obwohl sie durch den lacteus umor Ovids (met. 9,358; 15,79) gestützt werden könnte, verkennt er nicht die Nähe der überlieferten ubera lactea zu Verg. georg. 2,525 und die Ähnlichkeit des Versausgangs zu Vergils teneris immulgens u b e r a l a b r i s (Aen. 11,572).

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 Kritischer Kommentar

m e n s e b i s q u i n o larem; Ov. met. 8,500 und Sen. Phoen 173 (s.  o.). Zu der aus Prudentius geholten Junktur b i s q u i n o m e n s e (mit dem Abl. Sing. der Zeitdauer, wo wir den Plural erwarten würden) sei noch verwiesen auf Ven. Fort. Mart. 1,478 hanc famam in populum b i s q u i n o d a e m o n e fusam; Flor. Lugd. (9. Jh.) carm. 4, 95 ob hunc Aegyptum q u i n o b i s u e r b e r e plectis; carm. Scot. (9. Jh.) 14,1,10 Ioth bene principium est, bis quino rhmate lex est. Anders noch Servius zu Verg. Aen. 2,126 bis qvinos silet ille dies dicimus et ‚bis quinis silet ille diebus‘ (vgl. Ov. fast. 4,384 inter bis quinos … uiros; entsprechend auch Manil. 3,567; Stat. Theb. 1,576; Sil. 16,215).

579 Orest sucht sich im Gespräch mit Pylades dem Muttermord zu entziehen: Ihre Strafe soll sein,  – selbst dem Tod entronnen  – mit eigenen Augen zusehen zu müssen, wie Ägisth unter dem Schwert niedersinkt: mit Trauer soll den ehebrecherischen Buhlen fallen sehen, die mit Freuden den Tod des Atriden verfolgte: 577 poena sit haec matri, ut prostrato uiuat Egisto, ante oculos recidente suos; muliercula tristis aspiciat moechum, quae gaudens732 uidit Atriden.

Nach Baehrens (1883) haben alle Herausgeber einschließlich Grillone (2008) die B-Lesart garrula in den Text gesetzt, vermutlich unter dem Eindruck des Kommentars von Rossberg (1888), der garrula für einen Gegensatz zu tristis hält und – sehr gekünstelt – erläutert: „Wer schwatzt, ist nicht traurig, sondern ‚leichtherzig, munter‘. Auch v. 319 blickt eine ähnliche Bedeutung durch. Das gaudens in cod. A ist eine Glosse.“ Die parallel konstruierte, scharfe Antithese des Schlußsatzes verlangt pointiert gesetzte Entsprechungsglieder, nicht vage Umschreibungen: aspiciat – uidit, moechum – Atriden, tristis – gaudens733. Keinesfalls kann garrula als Gegenglied zu tristis fungieren, weil durch das Prädikativum auf die konkrete Mordszene 263 ff. zurückverwiesen wird, wo keine „geschwätzige“ Klytämnestra auftritt, sondern eine, von der berichtet wird, sie habe den Todesstreich gelobt,

732 So die A-Lesart; garrula B. 733 Es sei an das Oxymoron gaudia maesta erinnert, mit dem das Epyllion beginnt! Vgl. ferner 63 uultus gaudia plorant; 101 in gaudia planctus; 118 ff. [von Klytämnestra] (adultera regia coniux) publica p l a n c t i g e r i s exsecrans g a u d i a uotis; 125 ff. (impunita putans sua crimina posse manere) g a u d e t   … | et lasciua reos pulcrescunt g a u d i a uultus. [Nachträglich lese ich bei Bright 27566: „Far more persuasive is the contrast between tristis and gaudens.“]



Orestes 562. 579. 587. 588 

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mit dem der „Hirte“ den Asiae domitor (269 f.) niederstreckte (also sich darüber gefreut): regina l a u d a n t e manum rex concidit insons | saucius et tremulo quatiebat corpore terram (263 f.). Dies liegt auf einer Linie mit ihrer F r e u d e über die vorausgegangenen Scheingefechte, die Aegisth in 220 ff. vollführt hatte. Ihre Wirkung auf Klytämnestra wird wie folgt beschrieben: 227 motibus his mulier melius g a u i s a resumit turpiter infames animos: redit illa uoluptas.

Die vermeintliche ‚lectio difficilior‘ garrula aber verliert ihren Nimbus, wenn man gewahr wird, daß just in der Zeile über gaudens das auffällige Nomen muliercula steht. Der Schreiber des Kodex B hat auf Schritt und Tritt Verballhornungen zustande gebracht, die aus Influenzfehlern erwachsen sind. Offenbar ist auch hier das Auge des Kopisten von gaudens auf das darüber stehende muliercula abgeglitten. Auf diese Weise wurde es möglich, daß er assoziativ auf garrula kommen konnte – ein Attribut, das er in 319 tatsächlich der Klytämnestra beigelegt gefunden hatte.

587. 588 Pylades reagiert geradezu empört auf den verzagten Kompromißvorschlag des Orest: „Sollen wir tatsächlich in das Argolische Mykene ziehen, um der Mutter ihre Verbrechen gütig nachzusehen? Welche Erdregion verdient es mehr (oh ungeziemend-schändliches734 Vergehen!), von den Strafen der Götter getroffen zu werden?“ 586 imus ad Argolicas ueniam donare Mycenas criminibus matris? magis est quae dignior ora (a scelus indignum!) poenis ferienda deorum? quaeso caue, iuuenis, Danaum praescripta dolentum, 590 ne, iugulatricem patris dum uiuere censes, credaris non esse suus. 587 ora B: hora A; cf. 109 588 deorum Zw.: duorum (ex 556. 608?) α; v. ad 546

Hier sieht Pylades in Orest, dem es obliegt, den Tod des Vaters an der Mutter zu rächen, ganz offensichtlich den Vollstrecker der von den Göttern verhängten Strafen: Pylades variiert in seiner Gegenrede die Argumente, mit denen zuvor der

734 Das Wortspiel dignior … indignum läßt sich im Deutschen kaum angemessen wiedergeben.

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 Kritischer Kommentar

Schatten des Agamemnon die beiden Jünglinge im Traum zur Rache aufgerufen hatte. Dem oben behandelten Abschnitt 537–551 mit dem umstrittenen Vers 546 (amor Danaum – sunt odia saeua deorum) entsprechen die hier ausgeschriebenen Verse. Sie verlangen allerdings nach den oben gegebenen Ausführungen zwingend in 588 die Änderung deorum an Stelle des überlieferten duorum: Pylades greift in der Junktur poenis … deorum die censura polorum, die Cassandra in dem Rächer Orest verkörpert sieht (146 f.), und die odia saeua deorum des Agamemnonschattens auf735. Wie an der letztgenannten Stelle ist auch hier der Genitiv deorum mit dem Genitiv Danaum (546. 589) eng verbunden und beidemale ist das Motiv angeschlagen, daß der Sohn, der seinen Vater an der Mutter rächt, die Echtheit seiner leiblichen Abkunft vom Vater verbürgt (541–544. 590 f.). Eine Änderung des überlieferten ora (587) etwa zu oro (so Schenkl, aufgenommen von Bouquet)736 verbietet sich schon aufgrund der Parallele 109 (fama M y c e n a e a s uolitans repleuerat o r a s). In 586–588 wird ebenso auf die Frevel des Atridenhauses angespielt wie später in 781 ff. (s o l negat almus equos i t e r u m d e m o r e M y c e n i s, etc.). Die Junktur poenis deorum hat ihre Parallelen in Verg. Aen. 6,565 ipsa (sc. Hecate) deum poenas docuit (von Servius kommentiert durch aut q u a s d i i n o c e n t i b u s s t a t u e r u n t); Auson. 19  (Cupid. cruc.) 56 f. Green myrtus  … | inuidiosa deum poenis; Cic. Pis. 46 deorum immortalium has esse in impios et consceleratos poenas certissimas (es folgen Anspielungen an den Orest-Mythos, in 47 ausdrücklich genannt). Das Verb ferire in Verbindung mit einer strafenden Gottheit begegnet bei Dracontius selbst noch etwa laud. 1,90 ff. (94 et nullum f e r i a t c e n s u r a T o n a n t i s; 96 ferit) und Romul. 10,413 ff. (von der strafenden Persephone: 417 f. mereor pro crimine p o e n a m, | te f e r i e n t e tamen; 421 qui [sc. Iason] mecum f e r i e n d u s erat).

735 Dreimal wird zum Ausdruck gebracht, daß der rächende Orest (und sein Mitstreiter Pylades) das Racheschwert der Götter führen, so wie Agamemnon in Vers 69 darauf anspielt, daß Iphigenie, die auf dem Altar vom Schwert des Opferpriesters getroffen werden sollte (vgl. 55 agmine pro Danaum cultro feriente litatam), durch das Schwert der Götter gefallen wäre (si corruis ense deorum). 736 Wie die Einwürfe oro in Romul. 1,21 und 10,420 zeigen, stehen sie im Zusammenhang von Aufforderungen oder Bitten, nicht (wie bei Bouquet) in rhetorischen Fragen.



Orestes 587. 588; 617–620 

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617–620 616 talibus adloquiis accensus felle doloris erigitur iuuenile737 fremens mortemque minatur738 (dentibus inlisis frangebat murmura morsus) et, quasi adulterium caperet pastoris Egisti 620 matris in amplexus infamia membra ligare, percutit absentes nullo moriente reorum.

Seit Vollmer (1905), der das überlieferte ligaret in ligare geändert hat, bieten die Ausgaben die Verse 619 f. in der hier wiedergegebenen Fassung. Doch wie von adulterium capere ein Infinitiv abhängig gemacht werden könnte, hat niemand erklärt. Eine solche Konstruktion ist auch in der Latinität des Dracontius ausgeschlossen. Schenkl hatte die Überlieferung durch den Einschub einer Konjunktion ( infamia m. ligaret) zu retten versucht. Aber Dracontius setzt cum nirgends in Synalöphe. Baehrens schrieb (wie zuvor Mähly und Haase2) ligantis (sc. Egisti) – ohne Rücksicht auf eine plausible paläographische Erklärung. All diese Bemühungen lassen zudem das Gravamen unberücksichtigt, daß adulterium capere nicht im Sinne von adulterium detegere („abfasste, ertappte“: Rossberg) verstanden werden kann. Bouquet übersetzt: „comme s’il prenait sur le fait Égisthe le berger adultère en train d’enlacer ses membres infâmes à ceux de sa mère pour l’étreindre“ und rechtfertigt den von ihm postulierten „sens particulier“, den das Verb capere hier habe (206433), durch einen Verweis auf ThLL III 323,84sq. Doch dort stoßen wir auf Belege für obliuionem capere (Plin. nat. 7,80 und Hygin. fab. 125,2), die nichts zur Erklärung der Dracontius-Stelle beitragen können. Selbst wenn man die Belege der Rubrik c (‚de rebus quae s e n s i b u s vel a n i m o apprehenduntur‘: 3,321,11 ff.) durchmustert, die man eher als einschlägig ansehen könnte, wird man feststellen, daß dort dem Verb capere die Bedeutung „mit den Sinnen“ oder „mit dem Verstand“ „er-fassen“ (per-cipere, perspicere, sentire, intellegere) jeweils durch spezielle Signale im Kontext zuwächst, so z.  B. Drac. laud. 2,662, wo der Vater Tobias, geheilt von der Erblindung, gemino capit orbe diem („mit beiden Augen das Tageslicht empfängt [oder „einfängt“]“). Für das überlieferte quasi adulterium caperet in Orest. 619 ist all dies nicht hilfreich.

737 Zwischen iuuenile (A) und iuuenale (B) läßt sich keine sichere Entscheidung treffen. Aber die Verse 605 f. bringen die iuuentus mit der uirtus zusammen; die Junktur uirtus iuuenilis be­ gegnet Coripp. Ioh. 4,518. Auch accensus (614) geht passend mit iuuenile zusammen, s. Octavia 189 iuuenilis ardor impetu primo furit (nach Sen. Tro 250); Stat. silv. 2,2,137 (iuuenile calens). 738 So schreibe ich an Stelle des überlieferten m. -tus unter Verweis auf Stat. Theb. 11,295 und Cypr. Gall. exod. 349. Die Korruptel dürfte durch Einwirken des darunter stehenden morsus (618) zustande gekommen sein.

242 

 Kritischer Kommentar

Auch die Ansicht Bouquets, adulterium  … Egisti stehe für Egistum adulterum, ruft Zweifel hervor, wenn man den weiteren Zusammenhang berücksichtigt: Die Person des Ägisth soll hier nicht im Vordergrund stehen, denn s e i n e n Tod hatte Orest bereits beschlossen. Was Pylades in seiner Erwiderungsrede scharf aufs Korn genommen hatte, war Orests Zurückweichen vor dem Muttermord (558–573) und der faule Kompromiß, den Vater durch den Tod des Ägisth zu rächen, die Mutter aber lediglich damit zu bestrafen, daß sie den Sturz des Buhlen lebenden Auges mitansehen muß. Wenn Orest in 616 ff. auf diesen Tadel reagiert, sollte zum Ausdruck kommen, daß nicht nur Ägisth, sondern beide Frevler (608 truncet  … colla d u o r u m), also jetzt auch die Mutter, den Tod zu erleiden haben. Das macht es erforderlich, daß in 619 ff. vor dem percutit absentes (wo beide Schuldigen in den Blick treten) zunächst die Mutter herausgestellt wird739. Dies erreicht man durch die Änderung von matris zu mater (die Verschreibung zu matris in amplexus war nach den unmittelbar voraufgehenden Genitiven pastoris Egisti beinahe zu erwarten)740. Damit einhergehen muß die Korrektur von adulterium caperet zu adulterio cuperet741, wodurch nun der Infinitiv ligare einen passenden Bezugspunkt erhält: et, quasi adulterio cuperet pastoris Egisti 620 mater in amplexus i n f a m i a m e m b r a ligare, percutit absentes nullo moriente reorum „und als ob die Mutter versuchte742, im Ehebruch mit dem Hirten Ägisth die schamlosen Glieder zu Umarmungen zu verschlingen, durchhieb er die Abwesenden mit dem Schwert, ohne daß einer der Schuldigen umkam.“

739 Der Schatten des Agamemnon hatte zweimal die frevlerische Klytämnestra als Objekt der rächenden Strafe in den Vordergrund gerückt: 503 ff. als p e s s i m a c o n i u n x (die ihren Mann c r i m i n i b u s s u c c e n s a s u i s e t a m o r e p u d e n d o | uel fama prostante sua mulie­ bribus armis | extinxit), 508 f. als a d u l t e r a c o n i u n x und 539 ff. als schuldbehaftete Mutter (vgl. 539 das Motto: m a t r e m punisse nocentem; 543 crimina m a t r i s). Auch Pylades kehrt in 587 ff. die Frevel der Mutter hervor und verlangt (mit dem Munde Agamemnons sprechend) den Tod Klytämnestras in der Rolle einer uictima m a t e r (601). 740 Erinnert sei an den verwandten Versanfang matris in exitium Orest 7 und 732. Dagegen bildet mater in 149. 851 und 897 (sed adultera forsan | mater erat) den Versauftakt. 741 Sobald cuperet zu caperet verschrieben war (u/a-Vertauschungen sind wegen des „offenen“ a nicht selten, s. S. 145 und 255), wurde adulterio als Objekt angeglichen (zumal o/u/ũ aus phonetischen Gründen sehr häufig verwechselt werden). 742 Vgl. Orest. 212 dum caput indutum c u p i t exertare tyrannus; 266 dum c u p i t exsiliens euadere retia toruus; Romul. 9,204/206 f. te … laudare c u p i t et b r a c h i a c o l l o | n e c t e r e mellifluis adiungens oscula labris.



Orestes 617–620. 656 

 243

Auch in dem früheren Passus, in dem von Luftstreichen gegen Abwesende gesprochen wird (220 ff.: Ägisth „trifft“ mit dem Schwert den abwesenden Feind, Agamemnon: 223 absentemque ferit … hostem), ist Klytämnestra die aktiv Handelnde, die das Verbrechen plant, aber auch die aktive, schamlose Liebhaberin, die ihrer Wollust nachgibt, sich an den Hals des vom Lande kommenden Hirten hängt und ihn leidenschaftlich küßt, worauf Ägisth die Küsse „erwidert“: 227 motibus his mulier melius gauisa resumpsit turpiter i n f a m e s animos: redit illa uoluptas. impete plectibili per rustica colla pependit 230 dulcia lasciuis defigens basia labris; ille uicem redhibens dabat oscula crebra p e r a r t u s.

Zu dem Ausdruck adulterio … pastoris Egisti … in amplexus … membra ligare sei erinnert an Ov. ars. 2,484 haeret adulterio cum cane nexa canis.

656                                                                                               properate, sodales 655 indole Cecropia: uobis diuina fauebunt; regia familia scelus hoc punire precantur.

Auf ihrem Weg nach Mykene treffen Orest und Pylades auf Dorylas, den früheren Erzieher. Dieser schildert die wüste Herrschaft des Ehebrechers und Mörders Aegisth und fordert die beiden Freunde auf, rasch zu handeln. Die Götter ständen ihnen zur Seite; auch die Dienerschaft des Köngshauses bäte darum, dieses Verbrechen zu bestrafen. In allen ‚Orestes‘-Ausgaben steht die scheinbare lectio difficilior r e g i a f a m i l i a   … precantur (so B), obwohl Dracontius aus prosodischen Gründen nirgendwo in daktylischer Dichtung das Substantiv familia lesen konnte und er selbst in 33 Belegen Wörter des Stammes famul* immer richtig mit kurzem a mißt. Auch scheint regia familia sonst nirgends – jedenfalls nicht vor dem Mittelalter – die königliche Dienerschaft zu bezeichnen, allenfalls als militärischer Terminus technicus im Sinne von „Soldatencorps des Königs“ zu begegnen743. In 416 hatte der Erzähler selbst die Willkürherrschaft Aegisths geschildert, die besonders die

743 Siehe ThLL VI 1,240,8 (die Dracontiusstelle ist 244,10 als Singularität verzeichnet); christliche Belege wie Tert. coron. 12 [CSEL 70 p. 180,32] (est et alia militia: regiarum familiarum) und Ambr. epist. 10,76,12 (prodire de Arrianis nullus audebat, quia nec quisquam de ciuibus erat, pauci d e f a m i l i a r e g i a, nonnulli etiam Gothi) scheinen dort zu fehlen.

244 

 Kritischer Kommentar

alteingesessenen Diener des Königshauses getroffen habe (asper erat f a m u l i s r e g a l i b u s, aduena uernis)744. Wenn nun die gleiche Thematik durch den Mund des Dorylas in variierter Form wiederholt wird und dabei in der A-Überlieferung die r e g a l e s f a m u l i   … precantur, erfährt die metrisch korrekte A-Version durch 414 eine unverächtliche Stütze, die durch die o. zu Anm. 644 aufgeführten Bezeichnungen der Dienerschar weiter verstärkt wird. Bei der B-Lesart scheint es sich um eine mittelalterliche prosaische Glosse zu handeln.

669 663 dixerat haec senior. spes haec745 accendit amicos a c c e l e r a r e gradus: prope iam non esse Mycenas 665 quisque dolent iuuenes, sed ‘Pergimus’ inquit Orestes, ‘A c c e l e r e m u s iter’ subicit Pylades et inquit ‘Ito prior, senior; nos f e s t i n a r e necesse est746; audiat haec seruilis amor secretus in aurem et subito speret nos quarta luce uenire.’ Die durch die Rede des Dorylas geweckte Hoffnung „stachelt die Freunde an, ihre Schritte zu beschleunigen; beide Jünglinge bedauern, daß die Stadt Mykene noch nicht in unmittelbarer Reichweite ist, aber Orest antwortet: ‚Wir dringen rasch weiter vor zum Ziel‘, Pylades fügt hinzu: ‚Laßt uns die Expedition beschleunigen!‘ und fährt fort: ‚Geh’ du voraus, Alter; es ist Eile geboten: Die getreue Dienerschar soll dies als heimlich ins Ohr geflüsterte Kunde vernehmen und darauf gefaßt sein, daß wir am vierten Tag plötzlich erscheinen.‘“

Baehrens hat in 667 nos in non geändert, möglicherweise in der Annahme eines Verdrängungsfehlers (nos steht zwei Zeile später an gleicher Versstelle). Tatsächlich scheint sich die Aufforderung zur Eile (nos festinare necesse est) nicht mit dem Inhalt der Meldung zu vertragen, die dem Alten (der v o r a u s g e h e n soll) zu überbringen aufgetragen wird: er soll ankündigen, daß die beiden Freunde „soudaine dans trois jours“ folgen werden (so Bouquet). Aber Baehrens’ Versuch, diesen Anstoß dadurch zu beseitigen, daß er das überlieferte nos zu n o n ändert, führt seinerseits zu dem nicht hinnehmbaren Widerspruch, daß Pylades zu Beginn seiner Äußerung die Eilbedürftigkeit implizit konzedieren (666 acceleremus iter), im nächsten Satz (667) aber verneinen würde.

744 Hierzu o. zu S. 210  f. 745 spes haec meint „die aus diesen Worten erwachsene Hoffnung“. 746 Die Markierungen in diesem und in den folgenden Versen sollen die Entsprechungen zu den nachfolgend ausgeschriebenen (analog markierten) Textsegmenten hervorheben.



Orestes 656. 669 

 245

Gibt es eine Möglichkeit, die Dreitagesfrist mit dem Auftakt acceleremus iter (666) in Einklang zu bringen? Dracontius führt Pylades gerne als den besonnenen Freund ein, der Orests feurigen Eifer durch klugen Rat in die rechten Bahnen lenkt. Während Orest vom Zuspruch des Dorylas so entflammt ist, daß er geradewegs zum Ziel vordringen will, dem Diener Dorylas also mit Bestimmtheit antwortet: pergimus! (665)747, erkennt Pylades die Möglichkeit, durch das unverhoffte Auftauchen des alten Pädagogen den früheren Plan zu modifizieren. Daher die Aufforderung an alle Anwesenden: acceleremus iter! (666). Denn ursprünglich (609 ff.) wollte Pylades selbst als Kundschafter vorausgehen, um die Dienerschaft des ermordeten Agamemnon heimlich zu instruieren und ihnen die bevorstehende Ankunft des Rächers Orest anzukündigen – in der Erwartung, daß sie diesem gewogen sein und für ihn zum Schwert greifen werden: ibo libens comes ipse tuus per tela, per ignes 610 nec metuam quemquam, nostri sunt patris alumni. sed dabo consilium sollers immune salubre: explorator eam; tacita quos uoce monebo aduentus sperare tuos. quae turba ministra credula dum fuerit, nobis mox corde fauebunt 615 ac pro te rapient gladios: sic tutius itur.

Jetzt modifiziert Pylades den Plan: Der alte (den königlichen Dienern vertraute) ehemalige Erzieher des Orest soll in die Stadt vorausgehen und heimlich die bevorstehende Ankunft ankündigen. Die Umsetzung dieser neuen Strategie wird 673 ff. im Detail geschildert: indicat occulte paucis, quia uiuit Orestes et uenturus erit uindex s u b l u c e f u t u r a 675 sanguinis auctoris, monitis urgentibus omnes ut taceant furtimque ferant cuicumque ministro (…).

Der Alte soll also bei seiner Ankunft in Mykene die Rückkehr des Orest für den Beginn des folgenden Tages ankündigen. Das paßt zu der Aufforderung acceleremus iter (666) und zu der dicht auf die Rückkehr des Dorylas folgenden Ekphrasis des Sonnenaufgangs in 682 ff. Unvereinbar mit dieser Konzeption scheint 747 Zum absoluten Gebrauch von pergere bei Dracontius (oft in der Bedeutung proficisci) s. Kaufmann zu Med. 163 (Anm. 646) und 358. Möglicherweise liegt hier in pergimus ein ähnlicher Fall eines imperativischen Indikativs Präs. vor wie in dem von M. Deufert erkannten Kommando properamus der Helena in Hel. 554 (s. dort). Daran gemessen stellt anschließend (666) der in A überlieferte Exhortativus acceleremus (-amus B) die lectio difficilior dar (er steht ebenso in Verg. Aen. 6,630; 9,221), die einen passenden Übergang zum anschließenden Imperativ ito bildet.

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 Kritischer Kommentar

dagegen die aus 669 herausgelesene Kunde, es würden erst noch drei weitere Tage verstreichen, bis nach Sonnenaufgang des vierten Tages Orest und Pylades in Mykene eintreffen. Das hat Lucarini (317) zu der Konjektur nos orta luce uenire bewogen, die er zu Recht durch das folgende sub luce futura (674) gestützt sieht748. Es ist ja von vorneherein widersinnig, daß das zur Rache entschlossene Freundespaar, als es nach einer bereits längeren zurückgelegten Wegstrecke (s. 628 ff. 638 und 639) in einiger Entfernung von Mykene (664) mit Dorylas zusammentrifft, die nunmehr vereinbarte Beschleunigung des Unternehmens an eine Dreitagefrist bindet. Denn innerhalb von drei Tagen könnten die beiden gut trainierten Jünglinge Pylades und Orest (s. 293 ff. 525 ff., bes. 529 grandibus instructi studiis et fortibus armis), die sich für ihre Racheexpedition lediglich mit einem Schwert gegürtet haben (627 mentibus armantur, solis mucronibus usi), den gesamten Weg von Athen nach Mykene bewältigen749. Da klingt es ganz unplausibel, daß der kurz vor dem Ziel zur Beschleunigung des Unternehmens als heimlicher Informant in die Stadt zurückgeschickte Dorylas den Auftrag erhalten haben soll, die geheime Intrige mit der Vorgabe einer Dreitagefrist zu inszenieren. Das unverhoffte Zusammentreffen mit Dorylas verhilft ja gerade zur Einsparung der ursprünglich geplanten Späheraktion des Pylades und eröffnet die Möglichkeit, unmittelbar mit der Inszenierung der Intrige zu beginnen: Der alte Pädagoge eilt freudig beschwingt (670 f.) in die Stadt zurück und hat, dort angekommen (iamque iter emensum, 672), noch den Abend (und die folgenden nächtlichen Stunden) vor sich, um die königstreuen Diener zu instruieren und die nötigen Vorkehrungen treffen zu lassen (vgl. 680 f.). In 682 ff. bricht dann – post astra – der neue Tag an.

748 [Bis zum 8. 11. 2016 hatte ich mir die Konjektur orta selbst zugeschrieben. An diesem Tag erhielt ich durch die liebenswürdige Unterstützung R. Jakobis in einem E-mail-Anhang die Kopien der folgenden Dracontius-Beiträge (s. Literaturverzeichnis): Hamblenne, Lucarini, Nosarti, Paolucci. Nach Lektüre hatte ich persoluis (Orest. 73) und orta (Orest. 669) an Lucarini (316 und 317), tenue in ros. 4 an Nosarti (199 ff.) abzutreten.] Siehe zu 674 Grillones Kommentar [von Lucarini (317) zustimmend zitiert]: „futura, equivalente a uentura (cfr. p. es. Rom. 10,476), postera (cfr. p. es. Ciris 349) o altera (cfr. p. es. Ov. met. 3,149), denota il giorno ‚seguente‘, come conferma poco dopo, nei vv. 682 sg. l’espressione reddidit interea rutilum post astra refundens | depositum natura diem e nel v. 684 sol micat, che denota il sorgere del sole prima degli eventi del giorno sequente“. 749 Der Landweg von Athen nach Mykene bemißt sich auf ca. 120 km. Die mit schwerem Schild und Speer bewaffneten Hopliten Xenophons legen mehrmals einen Marsch von rund 110 km (20 Parasangen) in drei Tagen zurück (1,2,5; 1,2,7; 1,2,19), in 4,7,15 einen Marsch von ca. 275 km (50 Parasangen) in 7 Tagen. Dies entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 40 km pro Tag. In 1,2,6 schaffen sie an einem Tag ca. 44 km (8 Parasangen), in 1,2,11 an drei Tagen sogar je ca. 55 km (zusammen 30 Parasangen), in 1,4,2 wieder an zwei Tagen rund 82,5 km; in 1,5,1 fünf Tage lang je ca. 40 km (insgesamt 35 Parasangen).



Orestes 669 

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Sobald die Sonne aufgegangen ist (684 sol micat), sehen wir Orest in Begleitung seines Freundes vor der Stadtmauer; 695 betreten sie die Stadt, um das Rachewerk zu vollbringen. Am Ende der Rachehandlung wird dann die Abendsonne in den Ozean zurückgleiten und die Nacht sich erheben (803 ff. transierat funesta dies, sol merserat undis | oceano stridente rotas etc.). Wie in der griechischen Tragödie (und ihren späteren Brechungen) zu erwarten, vollzieht sich also die gesamte Rachehandlung innerhalb einer ‚Tagesspanne‘750. Das Vorbild, dem Dracontius folgt, scheint letztlich in der Elektra des Sophokles zu wurzeln. Dort entwickelt Orest sogar den Intrigenplan erst nach Ankunft in Mykene, kurz nach Sonnenaufgang, also ebenfalls noch innerhalb des schicksalhaften κύριον ἧμαρ. Der Pädagoge hat dort die Aufgabe, zur gegebenen Zeit die Lage im Haus auszukundschaften (39 ff.) und während des Stückes an der Intrige mitzuwirken (vgl. 660 ff. 1326 ff.). Intrigenplan und Vorbereitung durch den Pädagogen sind in der epischen Erzählweise des Dracontius um wenige Zeit nach vorne gezogen: die Inszenierung der Intrige durch den Pädagogen hebt bereits am Abend und in den Nachtstunden vor Sonnenaufgang an. Aber es widerspräche jeglicher Kunstform griechischer Dramenstruktur, zwischen Auftakt und Durchführung der Intrige eine Pause von drei Tagen einzu­legen. „Gleich (oder „plötzlich“) mit Sonnenaufgang“ bedeutet die Junktur luce noua … s u b i t o auch in Lucan. 4,32. In der Dichtung wird orta mit lux kombiniert z.B. Ov. fast. 4,679 t e r t i a post Hyadas cum lux erit orta remotas751; Val. Fl. 7,23 nec minus insomnem lux orta refecit amantem; Mart. 9,39,1 prima Palatino lux est haec orta Tonanti. Die Zeitangabe orta luce im Ablativ („bei Tagesanbruch“) begegnet seit Cäsar Gall. 5,8,2 longius delatus aestu orta luce sub sinistra Britanniam relictam conspexit; vgl. Liv. 5,47,7 luce orta uocatis classico ad concilium militibus ad tribunos; ferner 22,25,17; 24,38,4 – und viele anderen Stellen bis zu Oros. 4,10,6. Präziser formuliert Livius z.  B. 2,51,7 p o s t e r o d i e luce orta; 8,38,3 nec dissimulabant orta luce p o s t e r o d i e facturos; ähnlich Vergil in Aen. 7,148 f.; 12,113 f. Aber weit häufiger hat der Leser den intendierten Zeitpunkt aus dem unmittelbaren Zusammenhang zu entnehmen. In Orest. 669 und 674 erläutern sich die Angaben orta luce und sub luce futura gegenseitig selbst.

750 Siehe J. P. Schwindt, Das Motiv der ‚Tagesspanne‘ – Ein Beitrag zur Ästhetik der Zeitgestaltung im griechisch-römischen Drama, Paderborn 1994. 751 Allein diese Stelle würde zureichen, Grillones Erläuterung des Verses 669 zu widerlegen. Er glaubt, quarta luce im Sinne von „verso la quarta ora … dopo le sei del mattino“ verstehen zu können und paraphrasiert demgemäß: „e confidino (i servi) che noi arriveremo presto, entro le dieci nella mattinata“, wodurch angedeutet werden solle, die Ankunft vollziehe sich „vicino al momento di massima attività dei mercati greci e del foro romano, come dice Mart. 4,8,3: in quintam vanos extendit Roma labores.“ [Gegen diese Auffassung wendet sich auch Lucarini (317)].

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 Kritischer Kommentar

696–697 695 postquam introgressus752, cognoscit turba ministra os Agamemnonium, gressus oculosque manusque et planctu gaudente fremunt sine uocibus oris. ‘Iam portae claudantur’, ait Pylades Oresti. claustra ligant aditus, crepuerunt classica Martis753.

Das Oxymoron „fröhliches Wehklagen“ bzw. „joie douloureuse“ (Bouquet) fügt sich schwerlich zur Handlungssituation, in der angesichts der Rückkehr Orests, des künftigen Herrschers, uneingeschränkte Siegeszuversicht herrscht, die denn auch in einem kurzen, wohlvorbereiteten Handstreich zu dem erhofften guten Ende führt754. Baehrens hatte in 697 affectu gaudente geschrieben. Paläographisch einfacher und der Dichtersprache gemäßer wäre et p l a u s u gaudente fremunt. Der Einzug Orests, der als Ebenbild des Vaters Agamemnon geschildert wird, gleicht ja einem „kleinen“ Triumph – allerdings wird die ouatio wegen der besonderen Umstände ohne laute Zurufe (sine uocibus oris) bekundet. In einem solchen Zusammenhang wäre der Ausdruck plausu gaudente fremunt besonders angebracht, wie zwei Vorbilder zeigen, in denen die triumphale Rückkehr des Augustus (bzw. des Germanicus im Beisein des Augustus) beschrieben wird: Verg. Aen. 8,717 Ov. trist. 4,2,53

l a e t i t i a ludisque uiae p l a u s u q u e f r e m e b a n t; ipse (sc. Augustus) sono p l a u s u q u e simul f r e m i t u q u e canente         quadriiugos cernes saepe resistere equos755.

Entsprechend heißt es bei Coripp zum Auftakt der Ankunft des neu erhobenen Kaisers Iustinus: Coripp. Iust. 1,295

uox ingens facta est, p l a u s u s et g a u d i a surgunt.

752 Zu vergleichen sind Verg. Aen. 1,520; 11,248 (dort geht 244 atque iter emensi voraus, vgl. Orest 672 iamque iter emensum). 753 So L. Müller (467) für überliefertes mortis. Er verweist auf 27 (Martia … classica) und Tib. 1,1,4. Weitere Argumente zugunsten von Martis bringt Weyman 159. 754 Bouquets Verweis auf Stat. Theb. 7,493 lacrimis gaudentibus scheint problematisch: Dort nimmt Polyneikes die Mutter Iokaste, von der er im Exil von Argos lange getrennt war, mit Tränen der Freude über das Wiedersehen (trotz der bedrohlichen Umstände) in die Arme. Für diesen Anfall weichlicher Rührseligkeit wird er sogleich von der Mutter getadelt. 755 Durch die Junktur plausu fremere (o.  ä.) wird gerne der Beifall der Zuschauer bei Wettkämpfen umschrieben, s. Sil. 16,336 conclamant plausuque fremunt; Verg. Aen. 5,148. 338.



Orestes 696–697 

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Auch das Motiv von der Ebenbildlichkeit Orests mit dem Vater Agamemnon, die bei den Getreuen Wohlgefallen weckt und mit Beifall bedacht wird, hat eine Analogie bei Vergil, nämlich im Trojaspiel des 5. Buches, wo die Zuschauer in den jungen Reitern die Gesichtszüge ihrer Vorfahren erkennen und ihnen erfreut Beifall spenden: Verg. Aen. 5,575

excipiunt p l a u s u pauidos g a u d e n t q u e tuentes Dardanidae ueterumque agnoscunt ora parentum.

Es hat demnach den Anschein, daß der Zusammenhang in Orest. 695 ff. ein fröhliches Beifallsbekunden ohne laute Zurufe (sine uocibus oris) verlangt, und daß dies in der üblichen Dichtersprache durch p l a u s u gaudente fremunt zum Ausdruck gebracht würde756. Konnte Dracontius dafür p l a n c t u g. fr. einsetzen, indem er planctus neutral als „Klatschen mit den Händen“ verstand? Ein Weg zu dieser Bedeutung eröffnet sich vielleicht durch die Analogie des Flügelschlagens der Vögel, das auch durch planctus wiedergegeben werden kann, s. Petron. 136,6 vers. 5 (planctibus insolitis) und Langen zu Val. Fl. 4,494: „planctibus i.  e. alarum plausu; plangendi verbum hac notione scriptum reperitur Ov. met. XI, 75; Sil. I, 589; XIII, 840 [plangentibus alis]; alia est sententia Ov. am. II, 6, 3 [s. dort McKeown, ferner Stat. Theb. 3,514].“ Durch ThLL X 1,2307,8 wird man in einem Klammerzusatz auf Flor. epit. 4,2,45 verwiesen, wo der Traum des Pompeius in der Nacht vor Pharsalus (s. Lucan. 7,7–44) berührt und dabei das Beifallklatschen der Zuschauer (p l a u s u s) als magni … omina p l a n c t u s (Lucan. 7,21) gedeutet wird. Dies spricht eher gegen die Möglichkeit, planctus als einfaches Synonym zu plausus zu verwenden757.

756 Darauf deuten auch die folgenden Stellen hin: Ov. met. 4,735 (Perseus hat Andromeda gerettet) litora c u m p l a u s u c l a m o r superasque deorum | impleuere domos; g a u d e n t generumque s a l u t a n t | auxiliumque domus s e r u a t o r e m que fatentur; Lucan. 1,133 (beim Anblick des Pompeius); Sil. 11,492 f. elataque turba fauore | certatim ingenti celebrat noua g a u d i a p l a u s u; Ven. Fort. Mart. 4,488 concordi animo cecinerunt g a u d i a p l a u s u; vgl. Drac. Romul. 10,266 f. (dort die Wortkombination in weiter Sperrung). Zur Junktur gaudente fremunt s. Romul. 6,70 f. placent populos … mouere | in fescenninos f r e m i t u s et g a u d i a mentis; Stat. Theb. 7,673 (der Löwe auf Beutejagd) it f r e m i t u g a u d e n s („froh aufbrüllend“). 757 Bei Lucan (7,7–44) bleibt der Beifall im Theater (p l a u s u s, 12), der verglichen wird mit den früheren Huldigungen (unter dem Beifall des Senats: p l a u d e n t e senatu, 18), terminologisch scharf getrennt vom Brüsteschlagen (p l a n c t u s) der Trauer um Pompeius’ Tod, auf das hin der Traum ausgedeutet wird (22), und von der unterdrückten Trauer im Rom des tyrannischen Siegers Caesar, bei der die Klageweiber nur in heimlichen Seufzern ihren Schmerz kundtun durften, statt  – wie es ihr Wunsch gewesen wäre  – gemeinsam vor versammeltem Publikum den Toten (mit Brüsteschlagen) zu beweinen (qui te non pleno pariter p l a n x e r e theatro, 44).

250 

 Kritischer Kommentar

Somit scheint ein verläßlicher Beleg für planctus in der Bedeutung „Beifall“ zu fehlen. Das gibt den Ausschlag zugunsten der Entscheidung, die leicht zu gewinnende Verbesserung plausu in den Text zu setzen. Damit kommen wir zu Vers 696: Wenn man die eingangs skizzierte Situation der bejubelten Rückkehr des Königssohnes angemessen würdigt, wird man in 696 die von Grillone verteidigte A-Lesart oculosque m i n a c e s als unpassend empfinden. Es dürfte sich um eine Interpolation handeln, die unzeitig die Drohgebärde des Pylades bei der Ermordung des Ägisth (713 ore fremens et fronte minax, mucrone coruscus) auf den von den königstreuen Dienern freudig empfangenen Orest überträgt. Die Korruptelen in der Handschrift B sind nicht von der Art, daß der Schreiber aus der vordergründig unanstößigen Junktur oculosque minaces einen zweigliedrigen Hexameterschluß oculosque manusque hergestellt hätte, wie er sich ebenso in der Martinsvita des Paulinus Petricordiae (2,120) findet. Dracontius hat in 696 abwechselnd das o s Agamemnonium mit den gressus und die o c u l i mit den manus kombiniert, während Seneca (den Peiper zum Vergleich anführt) in der Klage Andromaches über die fatale Ähnlichkeit des Astyanax mit seinem Vater Hektor (Tro 464–468) eine rahmende Anordnung wählte, in der die u u l t u s den Anfang bilden und die nachfolgende Reihe incessus, habitus, fortes manus, celsus umeris wieder zurückgeführt wird zur grimmig drohenden Stirn (f r o n t e sic torua m i n a x) und zum Haar, das sich beim Kopfschütteln zerstreut über den Nacken ergießt. Die manus stehen zwischen Augen und Kopf in Verg. Aen. 3,490 (sic oculos, sic ille manus, sic ora ferebat  – von Peiper neben dem Senecapassus herangezogen)758 und sie erscheinen (wie in Orest. 696 mit schließendem -que am Versende) in laud. 1,396 oculos, os, colla manusque (s. Rossbergs Kommentar).

758 Schon L. Müller (463) hatte die Vergilstelle zur Verteidigung der B-Lesart oculosque manusque aufgeboten. Bright (27570) erinnert an Hom. Od. 4,149 f.: Telemach wird wiedererkannt, weil er die Füße, Hände und blitzenden Augen seines Vaters hatte und ihm auch an Haupt und lockigen Haaren ähnlich war.



Orestes 696–697. 719 

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719 Praecipitate nefas solio de principis actum 720 et pede tractus eat fera uictima regis Atridis. 719 actum Baehrens: ictum α

Baehrens hat mit seiner geringfügigen Justierung nirgends Beifall gefunden; in den jüngsten Editionen wird sie nicht einmal mehr in den Apparaten erwähnt. Damit hat sich Rossbergs Auffassung durchgesetzt, der wie folgt übersetzt und kommentiert hatte: „,Stürzet das Scheusal (nefas concret, s. zu v. 538), wenn es seinen Todesstoss weg hat (ictum), vom Fürstenthron herunter‘. Noch hat Pylades nicht zugestossen (vgl. v. 723); deshalb ist der Zusatz ictum nicht überflüssig. Damit erledigt sich die Änderung von Baehrens in actum von selbst.“ Aber eine solche syntaktisch untergeordnete Vorbedingung für die Aktion („wenn es seinen Todesstoß weg hat“), die damit zunächst einmal aufgeschoben würde, verfehlt den Charakter eines militärischen Kommandos. Daß diese umständliche Befehlskonstruktion nicht richtig sein kann, zeigt Pylades in 723 f., wo er umgekehrt durch a n t e t a m e n nostram perfundat sanguine dextram zu erkennen gibt, daß er selbst den Anfang zu machen gedenkt (und diese Ankündigung auch gleich in die Tat umsetzt): Bevor die Diener Ägisth vom Thron stoßen und ihn (wie es 348 von Agamemnon berichtet wird) an den Füßen wegschleifen (720. 725), um ihn per mille secures (727) zu zerfleischen, will er selbst seine Hand mit dem Blut des Frevlers netzen und ihm das Schwert in die Seite stoßen. Dieser hier nachträglich als zeitlich vorrangig vor der Lynchjustiz der Diener angekündigte Schwertstoß kann nicht bereits in 719 durch ictum als vorrangig vor jeglicher Aktion überhaupt eingeführt worden sein. Dracontius verwendet in p r a e c i p i t a t e   … de solio  … a c t u m den gleichen, die Handlung ausmalenden, fülligen Ausdruck, wie er in der gängigen Junktur praeceps actus vorliegt; vgl. Cic. Caec. 49 f. (man streitet sich über die Wortbedeutung von detrudi): neminem statui detrusum qui non adhibita ui manu demotus et a c t u s p r a e c e p s intellegatur. deiectus vero qui potest esse quisquam nisi in inferiorem locum de superiore motus? Sil. 11,79 ff. (man stürzt den hochmütigen Gesandten vom Tarpejischen Felsen) acri | propulsum dextra  … tanto per limina templi | turbine p r a e c i p i t e m reuoluti corporis a c t u m. Ähnlich abundante Formulierungen wählt der Dichter Orest. 757 ruam recidens; 793 uerbere corporeo p r e s s a s q u a t i e b a t arenas; 145 amputat eripiens.

252 

 Kritischer Kommentar

740 conturbata parens nudis exerta papillis 740 orabat natum: ‘per haec, puer, ubera, parce! per superos patremque tuum, per cara sororis pectora, quae nostro te tunc rapuere furori, et per Pyladen (quod plus est) t e s t o r amicum: da ueniam, miserere, p r e c o r, miserere parenti, 745 si dici sum digna parens.’ 740 pe hec puer B: puer ista per A

Baehrens sah in parce (so α) am Ende des Verses 740 eine Glosse. In seinem Text (per te, puer, ubera sacra, etc.) lief Klytämnestras pathetische Beschwörungsformel über viermaliges per  … auf das Verb testor zu, an das sich erst in der fünften Zeile die eigentliche Bitte da ueniam, miserere, precor anschloß. Aber diese Fassung leidet an dem Wegfall des für die ‚dramatische‘ Erzählung unerläßlichen deiktischen haec759 und bietet ein Attribut, das im Munde der Klytämnestra unpassend und auch sonst in dieser Junktur ohne Parallele ist. Die in den Ausgaben seit Vollmer (1905) aufgenommene leicht verbesserte B-Version per haec, puer, ubera, parce hat zur Voraussetzung, daß per vor ‚konsonantischem‘ h(aec) auch in der Senkung gelängt werden kann. Dies scheint den Schreiber des Kodex A so gestört zu haben, daß er nachbesserte und durch puer ista per ubera eine metrisch korrekte Form zu gewinnen suchte. Dabei konnte er sich im Ausdruck sogar auf Vorbilder wie [Sen.] HO 925 f. stützen: p e r h a s aniles ecce te supplex comas | atque ubera ista paene materna obsecro. Aber der Beginn einer Anrede mit bloßem puer scheint unerhört. Die drei engsten Parallelen haben alle ‚puer o‘ mit folgendem Epitheton: Ov. met. 4, 320 ‚puer o dignissime credi | esse deus …‘; Stat. silv. 2,7,41 ‚puer o dicate Musis, …‘; Mart. 9,36,7 ‚puer o dulcissime‘, dixit. Die anderen Auswege, die man vor Baehrens beschritten hatte, sind mit der Hypothek belastet, daß in den Text des synalöphenscheuen Dracontius eben eine solche Synalöphe durch Konjektur eingeführt werden müßte. L. Müller wollte per haec, puer, ubera, parce lesen (1866, 463); Peiper hat diese Version 1875 als vermeintlich eigene Verbesserung gedruckt. Diese Formel begegnet (kombiniert mit verschliffenem te) Plaut. Rud. 627 (per ego haec genua te optestor, senex), vgl. Ov. met. 10,29; Stat. Theb. 10,360; Verg. Aen. 4,314 (per ego has lacrimas);

759 Siehe Aesch. Choeph. 896 f. (Κλ.) ἐπίσχες, ὦ π α ῖ, τόνδε δ' αἴδεσαι, τ έ κ ν ο ν, | μαστόν.



Orestes 740 

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Stat. Ach. 1,267 (per ego hoc decus)760. Dracontius verschleift aber niemals das Schluß-o von ego, sondern nur (insgesamt 6mal) den Anfangsvokal (z.  B. Orest. 373 uidi ego; 813 ibo ego) und er läßt diese Lizenz nur (in allen sechs Fällen) in der ersten Kürze am Versbeginn zu. Die Formel hätte zudem in Orest. 740 eine elliptische Konstruktion zur Voraussetzung. Dieses Phänomen begegnet in Anrufungsformeln öfter: Selbst bei Vergil kann das Verb, das die Bitte zum Ausdruck bringt (oro), fehlen, s. Harrison zu Verg. Aen. 10,597 und Hills Apparat zu Stat. Theb. 9,632 f. (11,367 ff. 708 f.). Nimmt man Vergils Ellipse des Verbs in per te, per qui te talem genuere parentes und seine grundsätzliche Offenheit, te (me, se) zu verschleifen, zum Muster, ließe sich aus Mählys Fassung aus dem Jahr 1866 (per haec, precor, ubera, parce) ein näher an der Überlieferung bleibendes per haec, puer, ubera, parce gewinnen. Postposition des enklitischen te in Bitt- und Schwurformeln ist üblich, s. z.  B. Sen. Ag 929; Hf 1183761; Phaedr. app. 28,3 (per te oro superos perque spes omnes tuas). Daß das enklitische te in Synalöphe mit folgendem Ein- oder Mehrsilbler treten kann, lehrt der wenig später folgende Vers Orest. 746 (genitor te ex-spectat). Vollmer (1905, 442) verzeichnet die weiteren Belege laud. 2,211; Romul. 4,18; 8,462, ferner Verschleifung des Einsilblers me in laud. 3,626; Med. 207. 453; Orest. 572 und se in laud. 1,267762. Aber wird man eine solche bei Dracontius weitgehend vermiedene Synalöphe durch Konjektur einführen, wenn dadurch zusätzlich eine harte Ellipse in Kauf genommen werden muß – nur, um der Präposition per vor haec eine Positionslängung zu verschaffen? Es ist unstreitig, daß bei Dracontius eine kurze Schlußsilbe in der ‚Arsis‘ sowohl vor doppelkonsonantisch beginnendem Wort als auch vor h gelängt werden kann (nicht muß), siehe Vollmers Tabellen (1905, 442)763. Die gleiche Lizenz hat aber – wenngleich in erheblich geringerer Zahl – auch Heimatrecht in der ‚Thesis‘. In diesem Sinne ist per haéc in Orest. 740 ebenso legitim wie pér haec in Orest. 457 (s. dort) und at híc (Romul. 9,89), nec (5,60) ebenso wie át his in 2,45 und néc hoc in 8,201764. 760 Verwiesen sei ferner auf Theb. 10,694 f. per ego oro tuosque, | n a t e, meosque annos miseraeque per ubera m a t r i s, | ne uati, ne crede, p u e r! 761 Hierzu die Erläuterungen von Fitch und Billerbeck. 762 Gemäß Nordens Tabelle „Art der Monosyllaba in Synaloephe“ (Aen. VI, 4. Aufl. [Nachdr.: Darmstadt 1957] S. 457) wird te in der Aeneis 22mal verschliffen (me 28mal, se 25mal). Notiert habe ich ferner ex. gr. me haec in Stat. Theb. 3,370; Paul. Pell. euch. 85; te hic in Cic. carm. frg. 49,1 BLÄN. (FPL p. 178); Verg. ecl. 2,73; Ven. Fort. carm. 6,5,288; te hoc in Hor. sat. 2,3,132. 763 Die ‚Aegritudo Perdicae‘ differiert hierin erheblich von Dracontius, siehe Wolff (1988) 85; Zurli 1996, 251 ff., bes. 254–257. 764 Vollmer (1905, 442) führt zusätzlich folgende vor h gelängte Einsilbler auf: a) in der Arsis: laud. 2,472 quíd homines; 3,215 séd hic; satisf. 62 út habeant; Romul. 6,108 séd hoc; 9,69 quís hos­ tis; b) in der Thesis: laud. 3,674 ēt haec; satisf. 135 dāt hostibus (Romul. 5,93 entfällt).

254 

 Kritischer Kommentar

Die eingangs zitierte Textform ist also korrekt. In der ersten Bitte, die Klytämnestra unter Vorzeigen der nackten Brüste an ihren Sohn richtet, bringt sie zunächst die Quintessenz der ganzen pathetischen Szene zum Ausdruck, bevor sie in einem zweiten Einsatz ausführlicher nachfaßt und in drei anaphorischen per-Sätzen zu dem beschwörenden Abschluß gelangt: (te) testor: da ueniam, miserere, precor, miserere parenti. Es ist dies wohl lediglich eine pathetische Erweiterung der üblichen Junktur parce, precor, die auch sonst in Sperrung auftreten kann, vgl. Tib. 2,6,29 parce, per immatura tuae precor ossa sororis; Sen. Oed 1020 iam parce uerbis, mater, et parce auribus: per has reliquias corporis trunci precor, per inauspicatum sanguinis pignus mei, per omne nostri nominis fas ac nefas.

763 Orest hat der verbrecherischen Mutter, die er truculenta uirago nennt, angekündigt, daß sie durch seinen Schwertstreich fallen werde (752 ut iaceas mucrone meo). Daraufhin bittet Klytämnestra: Wenn er entschlossen sei, die Rache (die Pylades bereits an Ägisth vollzogen hat) auf beide Schuldigen auszudehnen, dann möge er doch wenigstens gewähren, daß sie nicht durch die Hand des Sohnes, sondern die des Pylades umkomme, also durch das gleiche Schwert wie Ägisth, und daß sie als Urheberin und Mittäterin der Frevel über den noch in den letzten Zügen liegenden Körper Ägisths niedersinke. Ihrer beider Blut möge sich mischen und allen Schatten in der Unterwelt bezeugen, daß jene, die gemeinsam Verbrechen verüben, ein und dasselbe Los bei der unheilvollen Bestrafung zu gewärtigen haben: 755 ‘si placet ulcisci genitorem’ dixit ‚in ambos, Pyladis me dextra necet, necet ensis et idem, et super ossa ruam recidens spirantis Egisti et scelerum complex et nostri criminis auctor; mixtus uterque cruor testabitur omnibus umbris, 760 consortes scelerum quia sors manet una malorum.’

Alle Elemente dieser sechszeiligen Bitte (755–760) werden in der ebenfalls sechszeiligen Antwort Orests wieder aufgenommen (761–766):



Orestes 740. 763. 785 

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761 ‘quod super ossa rogas moechi moribunda iacere’, natus ait, ‘melius recides super ossa mariti; nec cruor amborum miscebitur, ense nec uno [Zw.], criminibus ne fructus eat morientis amoris 765 aut operae pretium capiatis sorte malorum supplicio sociante nefas: discreta iacebis.’

Schwierigkeiten aber macht dabei der Vers 763 in der überlieferten Version nec cruor amborum miscebitur ense m i n a c i. Er bezieht sich zurück auf die Elemente mixtus uterque cruor (759) und necet ensis et idem (756). Das Attribut m i n a c i (763) ist in diesem Zusammenhang ohne jegliche Funktion, zumal wenn man zusätzlich den Blick auf das bloße mucrone meo in 752 zurücklenkt. Wir benötigen stattdessen eine Entsprechung zu et idem in 756. Als metrisch passende Lösung bietet sich an: ense nec uno. Dem Pyladis me dextra necet, necet ensis et idem in 756 (mit nachgestelltem et !) entspricht in 763 (nec cruor amborum miscebitur) ense nec uno (mit nachgestelltem nec !): „… und auch nicht mit ein und demselben Schwert “ (vgl. 717 non una morte perempti). Durch Einfluß von miscebitur ist aus necuno die Korruptel minaci entstanden765, bei deren Genese auch die häufig anzutreffende Verschreibung u/a („offenes a“) eine Rolle gespielt haben dürfte. Ob eine zusätzliche Reminiszenz an den Versschluß ore minaci (415) oder an fronte minax (713) vorliegt, sei dahingestellt. Eine zu ense nec uno verwandte Ausdrucksweise findet sich Romul. 10,547 f. (Medea beim Kindermord) haec ait et geminos uno simul ense nouerca | transegit pueros.

785 Orest schleppt die Mutter zum Grab des Vaters und bietet ihm die Frevlerin als Totengabe an; er wolle sie als Opferlamm schlachten: 768 ‘Sancte parens, quia sensus iners et spiritus extas, accipito inferias, quas offero. uictima iusta est: 770 macto Clytaemestram matronam regis Egisti atque (utinam non!) ante tuam.

765 Weniger leicht scheint sich die Korruptel zu erklären, wenn man ense s u b uno als ursprünglichen Text voraussetzt, eine Alternative, die M. Deufert mit Verweis auf OLD s.  v. sub 13a ins Spiel bringt.

256 

 Kritischer Kommentar

Klytämnestra kann noch in einem Stoßseufzer an Sol, die Elemente der Natur und die Unterwelt die Undankbarkeit des Sohnes für die Mühen des Gebärens und Säugens beklagen; doch sie stößt auf taube Ohren (779); die Ehrerbietung gegenüber der leiblichen Mutter (pietas) vermag lediglich zu bewirken, daß Orest (beim Todesstreich) das Gesicht abwendet (780): 779 dixerat haec genetrix, surdis tamen auribus inquit. quod potuit pietas, uultus auertit Orestes.

Obwohl anschließend in 781–784 die kosmische συμπάθεια, die den Muttermord begleitet, breit geschildert wird (es tritt eine Sonnenfinsternis ein wie einst beim Thyestesmahl), scheint uns der überlieferte Text eine genaue Auskunft darüber, wann und wie Orest den Todesstoß setzt, zu versagen. Doch bietet er unmißverständlich die Reaktion Klytämnestras nach dem Schwertstreich: Sie beißt „mit zusammengepressten Zähnen“766 in das purpurrot gefärbte Gewand (um den Schmerz zu ertragen)767 und sinkt nieder – sorgsam darauf bedacht, ihre Blöße zu bedecken768: 781 sol negat almus equos iterum de more Mycenis atque tenebroso subtexitur aëre caelum (et non legitimam timuit mox Graecia noctem, extimuit natura chaos, elementa tenebras)769, 785 laudat Enyo nefas, dextram capulabat Erinys: pallia purpurea praestricto dente momordit, concidit et tunicam manibus tendebat ad imos usque pedes, metuens ne mortua nuda iaceret.

766 Siehe Schetter (1994), 356 – mit folgender Präzisierung in Anm. 41: „‚mit zugeschnürten‘, d.  h. ‚gegeneinander gedrückten‘, also ‚zusammengebissenen Zähnen‘.“ 767 Hier scheint eine Weiterentwicklung der Szene vorzuliegen, die Lucan vom Tod des Pompeius zeichnet (8,612 ff.): Beim Anblick der gezückten Schwerter verhüllte dieser sein Antlitz, preßte die Augen zu und hielt den Atem an (lumina pressit | continuitque animam), damit er nicht versucht sei, irgendwelche Laute auszustoßen und durch Tränen die immerwährende Dauer seines Ruhmes zunichte zu machen. Als dann der todbringende Achillas mit dem Schwert die Seite durchstochen hatte (postquam mucrone latus funestus Achillas | perfodit), zeigte er mit keinem Seufzer, daß er vom Stoß berührt sei (nullo gemitu consensit ad ictum) oder der Untat Beachtung schenke, sondern hielt den Körper reglos (seruatque immobile corpus) und erprobte sich im Sterben, etc. [Paraphrase in Anlehnung an W. Ehlers]. 768 Dieses weit verbreitete literarische Motiv ist in den Kommentaren ausführlich besprochen; siehe auch Bömer zu Ov. met. 13,479 f. 769 Um die Schilderung des Tathergangs und seiner Begleiterscheinungen nicht als überdehnt erscheinen zu lassen, habe ich diese beiden Verse, die auch durch das Tempus Perfecti aus dem unmittelbaren Erzählkontext herausfallen, als Parenthese ausgegliedert.



Orestes 785 

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Der neuralgische Punkt des Passus liegt demnach in Vers 785: Enyo lobt die Freveltat, die Erinys legt die Rechte an ihr Schwert – so, wenn wir Vollmer (1905) 325 („Erinys in Orestem profectura“), Hudson-Williams (1939, 161), Rapisarda (ad loc.), Bouquet („Enyo loue le crime, l’Érinye arme sa main“) und Grillone (150)770 glauben, die alle der Auffassung sind, man könne das überlieferte capulabat in diesem Sinne verstehen. Rossberg (90) wollte cŏpulabat lesen („‚die Erinye schlug mit der Hand ein‘, nämlich in die der Enyo zur Bekräftigung ihrer Zustimmung“), Mähly (dem u.  a. Peiper und Baehrens folgten) hatte zuvor culpabat vorgeschlagen771. Aber der Erinys durch culpabat („sie beschuldigte ihn“) einen Vorverweis auf ihre spätere Verfolgung des Orest wegen des Muttermords zuzuschreiben, verstößt gegen die Handlungsstruktur des ‚Orestes‘, in der die Erinyen durch den furiengleich auftretenden Schatten der Klytämnestra ersetzt sind. Dies hat Schetter (356 ff.) überzeugend herausgearbeitet. Auch er hält an capulabat fest, läßt aber Erinys nicht ihre, sondern Orests Rechte mit dem Schwertgriff versehen (357): sie drücke Orest den Schwertgriff in die Hand (359) und löse damit eine Bitte aus dem früheren Gebet des Dorylas (485 ff.) ein, der die Unterirdischen aufgefordert hatte, die Jungfrauen mit den Schlangenhaaren in das Haus des Verderbens zu schicken (358). Der furchtbare Moment, in dem der tödliche Streich geführt, der Muttermord vollzogen werde, sei jedoch effektvoll ausgespart worden (356 f.); gleichwohl lasse sich innerhalb des Erzählverlaufs der Augenblick des Muttermords genau lokalisieren: „in der narrativen Aussparung zwischen den Versen 785 und 786“ (358). In ThLL III 382,40 ff. hat der Artikelverfasser Bannier die Stellen Colum. 6,2,4 und Drac. Orest. 785 als die einzigen Belege für das Verb capulo in der Bedeutung vincire, laqueo circumdare aufgeführt. Daß dextram capulabat Erinys in 785 nicht „Erinys umgab die Rechte mit einer Schlinge“ heißen kann, liegt auf der Hand. Aber auch die Columellastelle gibt nichts her; denn dort ist neben capulantur das zweifellos richtige copulantur handschriftlich bezeugt (kein Hinweis bei Bannier). Die R-Version (sed laquei, quibus copulantur [sc. iuuenci], lanatis pellibus inuoluti sint, ne tenerae frontes sub cornua laedantur) nimmt folgerichtig das voraufgehende asseres …, ad quos religari possint iuuenci (§ 3) und das unmittelbar vor § 4 stehende cannabinisque funibus cornua iuuencorum ligato auf, gehört also in den Text. Zur Junktur laqueis copulare s. Val. Max. 7,4 (ext),2 Hannibal Can-

770 Er verweist auf Schetter (1985) 62. 771 Dieser Begriff ist erst später am Platze, wenn es nach der Tat von den zusammengelaufenen Griechen heißt: nemo tamen facinus u e r b i s c u l p a b a t apertis (801).

258 

 Kritischer Kommentar

nensem populi Romani aciem nonne prius quam ad dimicandum descenderet conpluribus astutiae copulatam laqueis ad tam miserabilem perduxit exitum? Somit stünde das Orest. 785 überlieferte capulabat völlig allein in der vermeintlichen Bedeutung uincire. Das Verb soll aber nach Auskunft der genannten Interpreten eine Analogiebildung zu armare sein, also „die Rechte mit dem Schwertgriff versehen“ und dann „die Rechte mit dem Schwert bewaffnen“ heißen. Das stimmt von vorneherein nicht zu der vorgeblichen Semantik des Columella-Belegs. In Wirklichkeit liegt in Orest. 785 die gleiche o/a-Vertauschung vor wie in dem Columella-Passus; denn ein Verb capulare, das „die Rechte mit dem Schwert bewaffnen“ bedeuten soll, verfehlt ja die im Zusammenhang erforderliche Nuance „mit der Rechten zustoßen“. Diese läßt sich aber gewinnen, wenn man manum copulabat Erinys in dem Sinne faßt, daß die Erinys ihre Hand mit der zustoßenden Hand des Orest verbindet, ihn also beim Muttermord unterstützt. Man wird demnach gut daran tun, das Lemma „1. capulo, -āre [a 2. capulum Th.] …“ in ThLL III 382,40 (und die entsprechenden Einträge in den sonstigen Lexika, etwa OLD) zu streichen. Wir haben gehört, daß Orest sein Gesicht aus Pietät vor der eigenen Mutter im Moment der Untat abwendet (780)772. Damit verbunden scheint die Vorstellung, daß seine Rechte beim Schwertstreich zögert. Folglich hilft Erinys nach: Sie umfaßt mit ihrer Hand die Hand des Orest und gibt ihm Kraft, gemeinsam mit ihr zuzustoßen. So ist m.  E. das von Rossberg gefundene cŏpulabat hier zu verstehen (zur Kurzmessung von copul- s.  o. Anm. 230). Dracontius orientiert sich hierbei offenbar an Vorbildern wie Senecas Medea und Thyest. Im Monolog der Medea vor dem Kindesmord sucht sich die weich gewordene Mutter wieder zur Tat zu ermannen. Sie spürt, daß ihr Zorn (dolor!) aufs neue anwächst (951 ff.), ihr Haß wieder in Wallung gerät und die altehrwürdige Erinys sich wieder ihrer unwilligen Hand bemächtigt: repetit inuitam manum | antiqua Erinys – ira, qua ducis, sequor (952 f.). Noch deutlicher wird Atreus in seinem Zorn (dolor!) bei der Planung des künftigen Frevels (Thy 275 ff.): Er ruft die Daulische Kindsmörderin Procne auf: sie möge ihm zur Seite stehen und seine Hand zum Mord anstoßen: assiste et m a n u m | i m p e l l e nostram. Daß Erinys oder eine Mehrzahl von Furien unmittelbar vor einer Freveltat in Erscheinung treten und die Täter antreiben, ist ein typischer Gestaltungszug in den Tragödien Senecas, siehe den Folgepassus der genannten Medea-Stelle (962 ff.) oder auch Hf 982 ff. flammifera

772 Bei Euripides verhüllt Orest sein Haupt, bevor er sein Schwert in den Leib der Mutter stößt, s. Eur. El. 1221 ff. ἐγὼ μὲν ἐπιβαλὼν φάρη κόραις ἐμαῖς | φασγάνωι κατηρξάμαν | ματέρος ἔσω δέρας μεθείς.



Orestes 785 

 259

Erinys uerbere excusso sonat | rogisque adustas propius ac propius sudes | in ora tendit773; Thy 249 ff. (aufgenommen in Oct 160 ff. 262 ff.). Der Dichter gibt uns also in den Versen 770 (macto Clytaemestram), 780 (uultus auertit Orestes), 781 f. (das Zurückweichen der Sonne bei der Tat) und in 785 die wesentlichen Punkte des Tathergangs zur Kenntnis. Noch während des Vollzugs lobt Enyo die Greueltat (785 l a u d a t Enyo nefas) – ganz so, wie früher Klytämnestra die Hand des Ägisth gelobt hatte, während Agamemnon unter den Schwerthieben zu Boden ging (263 regina l a u d a n t e manum rex concidit insons). Die Erinys aber vereinigt ihre Hand mit der des Orest (785 manum copulabat): gemeinsam führen sie den Todesstoß. Daran schließt sich nun folgerichtig der Bericht über die Reaktion der getroffenen Klytämnestra an, die – wie früher ihr Gemahl – tödlich verwundet zu Boden sinkt (concidit)774.

773 Erinnert sei an den Juno-Monolog Hf 118 ff., wo die Göttin ankündigt, daß sie mit ihrer Hand die Pfeile des wahnbesessenen Hercules auf die Kinder lenken werde (die Ausführung durch Hercules erfolgt 989 ff.), und sarkastisch hinzufügt, sie werde zu guter Letzt doch noch dem Hercules beim Kampf gewogen sein; nach vollbrachter Freveltat möge denn der göttliche Vater diese blutbesudelten Hände in den Himmel aufnehmen: 118                                                                                            stabo et, ut certo exeant emissa neruo tela, l i b r a b o m a n u, 120 r e g a m furentis a r m a, pugnanti Herculi tandem fauebo – scelere perfecto licet admittat illas genitor in caelum m a n u s. Also auch hier lenkt die göttliche Hand die Hände des Übeltäters, hier die des unfreiwilligen Mörders seiner Kinder. 774 Wir haben hier bei der Ausdeutung des Satzes dextram copulabat Erinys (785) die ‚natürlicherweise‘ zu erwartende, elliptische Formulierung zugrunde gelegt: Erinys dextram s u a m iungebat . Gemäß den Ausführungen zu Romul. 7,33–36 (s.  o.) stellt sich die Frage, ob copulare aliquem/aliquid auch wie iungere oder miscere aliquem/aliquid (= se iungere/miscere alicui oder alicui rei) konstruiert werden kann. In diesem Falle wäre dextram copulabat Erinys im Sinne von Erinys se copulabat dextrae Orestis zu verstehen. Für eine dabei vorauszusetzende stärker abstrakte Konzeption des Nomens Erinys ließen sich vielleicht Stellen wie Stat. Theb. 5,200 ff. geltend machen:                                                                                   uigilant nuptaeque nurusque in scelus, atque hilares acuunt fera tela sorores. inuasere nefas, c u n c t o sua r e g n a t Erinys p e c t o r e. Aber eine Parallele für diese Konstruktion des Verbs copulare scheint zu fehlen. Auch dürfte die Personifizierung der Erinys in Orest. 785 durch das voraufgehende laudat E n y o nefas gesichert sein. Die P e r s o n Erinys aber kann sich nicht mit der Rechten des Orest verbinden; also ist dextram s u a m zu verstehen und die bei copulare übliche Konstruktion (hier in einer elliptischen Ausdrucksweise) beizubehalten.

260 

 Kritischer Kommentar

813. 836. 814 Als gemeldet wird, daß Pyrrhus Hermione, die Verlobte Orests, geraubt hat, übergibt Orest die Regierungsgeschäfte an Pylades und bricht selbst auf, um Pyrrhus zu bestrafen775: 810 ‘Nos alius uocat ecce labor, nouus ignis amoris. quid faciam? scelus est: passim raptatur adulta sponsa toris promissa meis! Tu regna guberna; 813 ibo ego per gladios flammas et mille cohortes, 836 per freta per campos per siluas flumina montes 814 (nam decet ultorem patris sibi quippe mereri), 815 dum tamen eripiam clamantem nomen Orestis.’

Statt raptatur (A) bietet in 811 die Handschrift B rapiatur, eine der häufigen t/iVertauschungen. Das Intensivum fügt sich vorzüglich in den Ausruf der Entrüstung776. Der Ausdruck p a s s i m raptatur adulta sponsa scheint eine treffende Umsetzung des ovidischen raptaturque comis p e r u i m noua nupta prehensis (met. 12,223); denn passim kann nicht nur so viel wie ‚temere‘ bedeuten (s. Med. 313 [natam] ignoto p a s s i m nupsisse marito), sondern auch ‚effrenate, immoderate‘777. Im Hinblick auf 815 clamantem nomen Orestis sei auch das raptatur in der Schilderung der gewaltsamen Kampfszene Stat. Theb. 9,160 f. zum Vergleich empfohlen: ipse manu Tyria tibi captus Adrastus | raptatur, teque ante alios, t e u o c e manuque | i n u o c a t. Der jüngste Vorschlag, inulta für überliefertes adulta zu lesen778, scheint nicht nur aus paläographischen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen bedenklich. Denn adulta | sponsa steht für „die (inzwischen) heiratsfähige Verlobte“, vgl. adulta uirgo in Hor. carm. 3,2,8; Sen. Phoen 575 und bei Dracontius selbst, s. laud. 1,383 ff. nam iuuenis de parte breui formatur a d u l t a | u i r g o decora 775 Der Gestus ist eng verwandt mit dem Aufbruch des Hercules zur Bestrafung des Tyrannen Lycus in Sen. Hf 629 ff. Hercules läßt dort Theseus zurück, um die Stellung in Theben zu halten (637 Theseu, resiste, ne qua uis subita ingruat); ihn selbst ruft der Kampf gegen Lycus (638 me bella poscunt …). Der Wortlaut des Verses 810 ist aus Stat. Ach. 1,539 (nos uocat iste labor) geschöpft. 776 Ein solcher kann durch den bloßen Indikativ zum Ausdruck gebracht werden. Ein deiktisches en, wie es in B überliefert scheint, ist nicht vonnöten, die Junktur passim en ohne Parallele in der antiken und spätantiken Dichtung, Synalöphe des Einsilblers en in der 4. ‚Hebung‘ bei Dracontius verpönt. 777 In diesem Sinne interpretiert die Oreststelle Kruse in ThLL X 1,614,68 (seine Textfassung lehnt sich an Rapisarda an: scelus est, passim rapiatur …?). 778 Lucarini 318 mit Verweis auf Sen. contr. 1,6,5 non eris inulta, nam raptor non erit impunitus.



Orestes 813. 836. 814 

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rudis matura tumentibus annis, | coniugii subolisque capax779. Es ist offenbar vorausgesetzt, daß Hermione dem Orest schon in zartem Alter zur Ehe versprochen worden war (812)780. Der Dichter hat also bewußt auf die Korresponsion zwischen a d u l t a sponsa und toris p r o m i s s a meis abgestellt781. Seine Entschlossenheit, Hermione zu befreien, bekundet Orest in den Versen 813 und 836, in denen er die Hindernisse aufzählt, die zu überwinden sein mögen: 1. (813) die Waffen des Gegners (Schwerter, Feuerflammen, tausend Kohorten), 2. (836) die Schwierigkeiten des Weges (freta, campi, siluae, flumina, montes). Trotz allem (tamen, 815) werde er Hermione (die seinen Namen ruft)782 dem Räuber entreißen. Wie die Markierungen zeigen, ist der Vers 836 wegen des anaphorischen per an jeweils gleicher Versstelle und wegen einer Reihe weiterer Homoeoteleuta und ähnlicher Buchstabenkombinationen ausgefallen; er wurde am Rand nachgetragen und dann um 23 Zeilen versetzt in den Haupttext integriert – vermutlich (so M. Deufert) nicht rein mechanisch, sondern mit Blick auf das Stichwort omnibus locis in 835. Gleichwohl ist Vers 836 an der überlieferten Stelle ein Fremdkörper. Dort tritt Klytämnestra als furiengleicher Schatten auf, um Orest in den Wahnsinn zu treiben. 825–828 werden Orests Versuche geschildert, sich der Peinigerin innerhalb des Palastes durch Flucht und Versteck zu entziehen: Sie erweisen sich alle als vergeblich. Klytämnestra bekräftigt dies 833 ff.: Möge er alle Türen mit Erz und Eisen verschließen und tausend Öffnungen783 mit Kalkstein vermauern, sie werde als wütender Schatten an all diesen Örtlichkeiten zu ihm eindringen. Nur so erhält die Junktur p e r n i c e m   … matrem in 838 ihren Sinn: es spielt sich alles im Königspalast ab. Für freta, campi, siluae, flumina, montes ist hier kein Platz. Das zeigen auch die Verse 839 ff., in denen Orest den Schatten der Mutter schließlich zur Flucht zwingt: Sie läßt einen mit Wahn Geschlagenen zurück, der infremit inpatiens, t o t a d i s c u r r i t i n a u l a (849). Überall im Haus sieht er nun (850 ff.) in seinem Irrsinn die Mutter (wie sie es ihm angedroht hat), ihre

779 Vgl. Romul. 7,64 ista canant i u u e n e s, hoc cantent carmen a d u l t a e. 780 Zu dieser Problematik s. Bright 184. 781 Auch die vorgeschlagene Interpunktion scelus est passim, rapiatur inulta sponsa …? scheint sich nicht zu empfehlen: man wird passim zum Hauptverb raptatur zu ziehen haben; vgl. Ov. met. 7,567 f. utile enim nihil e s t; p a s s i m posito q u e pudore | fontibus et fluuiis … haerent. 782 clamantem nomen Orestis (815) hat eine enge Parallele in Ov. epist. 8,9; Rossb1 31 vergleicht Stat. Ach. 2,83 clamantem nomen Achillis. 783 In diesem allgemeinen Sinne ist das Wort fenestrae (834) zu fassen; erinnert sei an die Bresche, die Pyrrhus Verg. Aen. 2,479 ff. mit der Axt in das Eingangstor des Königspalastes schlägt (für unsere Stelle besonders bedeutungsvoll die Kola postisque a c a r d i n e uellit | a e r a t o s und ingentem lato dedit ore f e n e s t r a m).

262 

 Kritischer Kommentar

Schlangen und ihre Feuerfackeln, so daß ihn alle beweinen und er im ganzen Palast bejammert wird (862: et t o t a plangitur a u l a). Es ist also deutlich, daß die Drohrede der u m b r a Clytaemestrae nachdrücklich mit dem abgewandelten Didozitat endet (835): omnibus ipsa locis adero tibi saeuior u m b r a 784. Der Vers 836 gehört nicht hierher; er ist versprengt worden.

859 inter delicias epulis regalibus aptas 855 esurit et facibus prohibetur tangere mensas. s i c i n f e r n a f a m e s animo torquetur inane: prandia conspiciens dapibus conferta potentum ingemit, ac nullus cibus est, sed imago ciborum, quos ne contingat furia accumbente uetatur. 859 ne contingat Baehrens: nec ut attingat A: nocet adtinguat B furia accumbente A: furiaccibente B: furia cohibente Hagen2

Orest fühlt sich im Wahn vom furiengleichen Schatten seiner Mutter verfolgt, die ihn mitten in den Köstlichkeiten der fürstlichen Tafel durch lodernde Fackeln daran hindert, an die Speisen zu rühren. Dies wird in 856 ff. mit der Situation in Vergils Unterweltsschilderung Aen. 6,603 ff. verglichen, wo Tantalus785 (bei Dracontius metonymisch als inferna fames bezeichnet)786 der folgenden Strafe unterworfen ist:                                                                                                                                                         lucent genialibus altis aurea fulcra toris, epulaeque ante ora paratae 605 regifico luxu; furiarum maxima iuxta accubat et manibus prohibet contingere mensas, exsurgitque facem attollens atque intonat ore.

784 Siehe Verg. Aen. 4,384 ff. sequar a t r i s i g n i b u s absens | et  … | o m n i b u s u m b r a l o c i s a d e r o. dabis, improbe, poenas. 785 Siehe zu diesem locus conclamatus zuletzt Horsfalls Kommentar (2013) 416 ff. 786 Dies wurde zuerst von Vollmer (1905) erkannt (von ihm noch auf die Lapithen bezogen); siehe den Similienapparat ad loc. und den Wortindex s.  v. fames; vgl. ThLL VI 1,233,64 ff., dort Z. 74 Orest. 856 (inferna fames: ‚sc. Tantalus, alii‘). Verwandt ist die Metonymie in laud. 1,282 (Marsyla fames). Zu metonymischem Gebrauch von fames in der Tantalusschilderung des ‚Hercules‘ Senecas (Hf 752 ff.) s. Billerbecks Kommentar S.  453 (Hf 755 destituunt famem = fame cruciatum). Eine umfassende Stellensammlung zum Tantalus-Mythos bietet Tarrant zu Sen. Ag 19 ff.; sie ist ausgiebig genutzt von Billerbeck zu Sen. Hf 752–755 (S. 452); vgl. McKeown zu Ov. am. 2,2,43 f.



Orestes 836. 859. 902. 917; 934 post 924 

 263

Die Entlehnungen (und Variationen) werden durch die Markierung unmittelbar augenscheinlich. Dracontius dürfte Vergils furiarum maxima iuxta | accubat durch furia accumbente („sie läßt sich zu Tische nieder“) variiert (und ‚dynamisiert‘?) haben787. Für Hagens Eingriff (furia cohibente) besteht kein Anlaß. Am Versbeginn jedoch ist weder die B-Lesart quos nocet adtinguat noch die A-Variante quos nec ut attingat zu halten. Die scheinbar verständlichere A-Version wurde von Vollmer und zuletzt wieder von Grillone in den Text gesetzt (Grillone will nec für ne  … quidem nehmen); aber sie geht nicht mit uetatur zusammen. Am überzeugendsten scheint das von Baehrens in Anlehnung an Vergils prohibet c o n t i n g e r e gewählte (und von Bouquet übernommene) n e c o n t i n g a t   … uetatur. Daß contingat zu attingat verderbt wurde, mag ebenso den Einflüssen des darüber stehenden ac und des darunterstehenden faciat zuzuschreiben sein wie der falschen Wortabtrennung ne con / nec ut / nocet788.

902. 917; 934 post 924 Nachdem Orest mit seiner Schwester Iphigenie aus Tauris in die Heimat zurückgekehrt war, klagt ihn Molossus, der Sohn des Pyrrhus, vor dem Areopag in Athen eines doppelten Vergehens an (887 ff.): a) Hinrichtung seiner eigenen Mutter Klytämnestra (895–897. 900–904) und b) Ermordung des Pyrrhus im Tempel (897–899). Selbst als Erzfrevlerin (902 rea maxima), durch Ehebruch und Gattenmord doppelt schuldig (900 f.), hätte die Mutter nicht durch Orests Schwert fallen dürfen, sondern durch das Eingreifen eines gerechten (unabhängigen) Richters (902 iudice iusto)789. Orest beruft sich in seiner Verteidigung auf ein Gottesurteil

787 Vergils accubat ist erhalten geblieben in Val. Fl. 2,192 ff. i n f e r n i q u a l i s sub nocte barathri | a c c u b a t attonitum Phlegyan et Thesea iuxta | Tisiphone saeuasque dapes et pocula libat und Stat. Theb. 1,712 ff. (Megaera) aeterno premit a c c u b i t u (sc. den Phlegyas). Dagegen wählt Silius die ‚dynamische‘ Version (Sil. 13,291 ff.): adit omnia iamque | concilia ac mensas contingit et abdita nube | a c c u m b i t que toris epulaturque improba Erinys. Vgl. Vergils tu das epulis a c c u m b e r e diuum (Aen. 1,79) und z.  B. Acc. trag. 217 (durch Nonius überliefert) ne cum tyranno quisquam epulandi gratia | a c c u m b a t mensam aut eandem uescatur dapem. 788 Hier liegt vielleicht zusätzlich dittographisches Einwirken von Quos vor. 789 [Nachträglich (s. Anm. 748) ist mir Lucarinis scharfsinniger Einwand (318) bekannt geworden, man könne nicht „definire iudex colui che percutit“, es müsse vielmehr uindice iusto geschrieben werden. Dagegen spricht jedoch die Formulierung in 494 f. cum i u s t a truces sententia mortis | participes scelerum percusserit ense seuero. Auch in laud. 3,445 ist das handschriftlich überlieferte sub iusto iudice m.  E. zu Unrecht durch Arevalo in sub iusto uindice geändert worden. Während diese Junktur als Formel nirgends belegt scheint, sind iudice (sub) iusto

264 

 Kritischer Kommentar

(911 ff.): er sei durch die Götter von seinem krankhaften Irrwahn befreit worden, stehe nunmehr gesund vor dem ehrwürdigen Tribunal und sei fähig, Frevelhaftes von Erlaubtem zu unterscheiden. Es folgen die Verse 921 ff. (zur Umstellung von 934 anschließend): 921 non de lite mea sententia uestra ferenda est, sed de iure deum, qui me purgasse probantur, dum medicinalem tribuunt per corda salutem. 924 nemo poli seruare deum790, puto, uellet iniquum: 934 b) P y r r h u s erat r a p t o r, uindex post bella r a p i n a e 925 iustior inuenior, a) dum m a t r e m uindicat ultor; 926 si ulciscenda rea genetrix, quid iam pater insons? 927 quis, rogo, sacrilegus, quis demens audeat almos accusare deos, quibus est perfecta potestas?

Das ehrwürdige Richtergremium habe nicht über seine eigene Streitsache (de lite mea, 921) zu befinden, sondern über den Rechtsspruch der Götter (de iure deum, 922), die ihn offensichtlich durch die Heilung vom Wahnsinn von Schuld freigesprochen hätten. Denn keiner der himmlischen Götter würde einen i n i q u u m (924: „einen, der Unrechtmäßiges getan hat“) retten. An diesen Begriff iniquum wird nun in drei kurzen Versen (934. 925. 926) der juristische Sachverhalt gehängt, der bewußt möglichst beiläufig berührt wird (es soll ja eben nicht de lite mea geurteilt werden!), damit der Hauptgedanke ohne große Ablenkung von 924 nach 927 ff. weiterlaufen kann. Der Tenor des parentheseartigen Einschubs lautet: „Und tatsächlich bin ich selbst nach den Maßstäben des Anklägers nicht etwa iniquus, sondern iustus“ (das Stichwort iustior in 925 weist mit Bedacht auf iniquum zurück). In bewährter chiastischer Abfolge wird zunächst der Anklagepunkt b) aufgenommen: „Pyrrhus (wegen dessen Ermordung ich angeklagt bin) war ein Räuber [er hat meine Verlobte Hermione geraubt]. Als Rächer eines Brautraubes aber, der begangen wurde, als der Krieg

und sub iudice iusto beliebte Floskeln in der christlichen und mittelalterlichen Dichtung, s. CE 543,5 und 778,9.] 790 Rossberg hat mit gutem Grund das von Baehrens eingeführte reum abgelehnt (nemo poli wäre auch für die Latinität des Dracontius eine Zumutung, falls nicht mit Hagen2 polis zu schreiben ist, vgl. satisf. 238) und klar gemacht, daß nemo deorum poli zu verbinden ist. Verwiesen sei auf Prud. perist. 10,237 si deorum nemo rapuit uirginem; apoth. 77 credite, nemo deum uidit, mihi credite, nemo; Symm. 2,572 nemo deum monuit; vgl. ferner Paul. Petric. Mart. 1,111 ille hominum terraeque deus pontique polique. Substantiviertes iniquus ist seit Cicero und Horaz (epist. 1,6,15) geläufig (ThLL VII 1,1646,32 ff.); bei Dracontius findet es sich z.  B. laud. 2,475 quod gessit i n i q u u s). 586 (quod tunc malefecit i n i q u u s).



Orestes 917; 934 post 924 

 265

längst vorbei war791, bin ich iustus (das wird durch das Urteil in 954 bekräftigt: r a p t o r obit P y r r h u s, iusto mucrone peremptus) und ich werde umso mehr gerechtfertigt (iustior) erscheinen792, als der Ankläger (Molossus) [gleichzeitig: Anklagepunkt a)] Rache für die Mutter (Klytämnestra) fordert. Wenn aber für die Mutter, die doch eine Frevlerin war, Rache verlangt wird, welchen Anspruch darf dann der [von mir an der Mutter gerächte] Vater (Agamemnon) erheben, der ohne Schuld war?“ Danach wird der Faden des Gottesurteils (das keinen iniquum retten würde, 924) weitergesponnen: „Wer, so frage ich, ist ein solcher Götterfrevler, wer so wahnsinnig, daß er die gütigen Götter (wegen meines Freispruchs) anklagen wollte, denen absolute Machtvollkommenheit eignet?“ Wollte der Gegner aber einwenden, wieso es dann überhaupt zu dem krankhaften Wahn gekommen sei (931), so sollten die hohen Herren wissen: 932 933

cura doloris erat, proceres, nec poena r e a t u s: taedia sollicitant animos mentemque fatigant.

„Es war der Kummer und Schmerz (der mit der Rachepflicht für den Vater und die geraubte Verlobte verbunden war), nicht Strafe für eine Verschuldung: Verdruß bekümmert das Gemüt und zermürbt den Geist.“

Es folgt das Schlußresümee, das in einer Ringkomposition auf das einleitende a r g u o (893), aufgenommen durch a r g u o r in 918 und auf das 921 f. eingeführte Hauptargument (sententia uestra ferenda est de iure deum, qui me purgasse probantur) zurückgreift: 935 a r g u i t unus iners quem comprobat ordo deorum. quaeso, duces legum, sententia uestra resoluat purgatum sub iure deum, sub sorte benigna. „Ein einzelner unwirksamer Kläger beschuldigt mich, den der ganze Götterstaat rechtfertigt. So bitte ich denn, ihr Gesetzesausleger: sprecht auch ihr mich durch euer Urteil frei, mich, der bereits losgesprochen ist nach dem Recht der Götter und der Gunst des Geschicks.“

791 Das ist eine Replik auf die hochtrabende Prädikation, die Molossus für die Rolle seines Vaters im Krieg gegen Troja gefunden hatte, als er ihn 899 euersorem Asiae, natum armipotentis Achillis nennt. 792 Was hier mit Blick auf 954 im Sinne von iustior inuenior, dum matrem uindicat ultor etc. expliziert wurde, hat Orestes in seinem Plädoyer verkürzend zusammengezogen. Die Quintessenz lautet: Wenn Molossus Rache für die Ermordung der Mutter verlangt, obwohl er deren Schuld einräumt, dann ist Orestes umso mehr berechtigt, nicht nur den nach Abschluß des Krieges begangenen Brautraub, sondern auch den Mord an dem unschuldig umgebrachten Vater zu bestrafen.

266 

 Kritischer Kommentar

Schon die Paraphrase und die Übersetzung dürfte die Umstellung des Verses 934 rechtfertigen, die Schenkl verdankt wird, der aber zu Unrecht die Dreiergruppe 934. 925. 926 hinter 916 gerückt hat. Vorauf geht Mähly mit der (wenig glücklichen) Einordnung der Verse 925. 926 nach 920. Rossberg (dessen Nachzeichnung des Gedankengangs der Rede des Orest auch heute noch lesenswert ist, s. Rossb4 574 f.) beurteilte die Verse 925. 926 zwar als nicht sehr passend in ihrer Umgebung, aber als tolerabel, wenn man „dem späten Africaner“ seine eingeschränkten Voraussetzungen zugute halte. Wenn doch umgestellt werden solle, seien die beiden Verse am besten vor 934 einzuschieben (575). Dieser Versordnung folgt Bright 195. 278102. Daß die drei genannten Verse, wenn auch in anderer Gruppierung und in anderem Zusammenhang, eng zusammengehören, ist im Haupttext gezeigt. Die von Schenkl vorgenommene Umsetzung dieser Dreiergruppe nach 916 verbietet sich schon deshalb, weil Orest dort noch nicht zum Gegenstand der Klage vorgedrungen ist, sondern noch seine redeeinleitende captatio benevolentiae formuliert. Dies wird besonders deutlich an den Versen 913 und 917 ff.: 913 gaudeo securus quod apud uos causa mouetur, sunt quibus uxores, quibus est affectus amandus, 915 et meminisse reor primaeui temporis annos, quid sit amor sponsae, thalami quae uota futuri. 917 dis superis grates, quod post tot funera mentis793 arguor adsistens inter subsellia sospes. incolumis u e n e r o r sanctum per iura tribunal, 920 a licito discerno nefas. tractate, u e r e n d i. Die von Schenkl vor 917 eingefügte Versgruppe ist dort ein Fremdkörper. Die Verse 913–916 sind Teil der noch ganz allgemein gehaltenen captatio benevolentiae, sind der Versuch des wegen Bestrafung des Räubers seiner Braut angeklagten Orest, die verheirateten Richter als mitempfindende Ehemänner und vormalige Verlobte zu umgarnen und auf seine Seite

793 „Nacht des Wahnsinns“ (Rossberg); „après que mon esprit a subit dans d’accès de folie“ (Bouquet); vielleicht: „nach so vielen Umnachtungen meiner Sinne“, siehe 837 pectora turbat, 845 perfurit, aber auch 871 f. expulsus terrore furor: mors proxima mentem | reddidit et partem tribuere aduersa s a l u t i s (in Entsprechung zu s o s p e s und i n c o l u m i s in 918 f.). Zunächst gibt es noch Rückfälle, die Iphigenie durch nächtliches Gebet heilt (884 ff.): sed uidet interdum uitiata mente furentem | n i l s a n o sermone loqui. quem nocte precatu | purgat et ablata migrat cum fratre Diana (vgl. Orests eigene Ausdeutung oben, 931–933). Angesichts der Versklauseln uulnera (-e) mentis in Ov. Pont. 4,11,19; Paul. Petric. Mart. 4,637; Ennod. epist. 7,29 v. 3 f. (vgl. Boeth. cons. 4 carm. 3,38) könnte man fragen, ob funera in u u l n e r a zu ändern sei. Dagegen spricht jedoch das oben zitierte mentem reddidit, das einen vorgängigen gänzlichen Ausfall, eine de-mentia, voraussetzt (s. Hor. sat. 2,3,128–141; Paul. Petric. Mart. 4,221 f. tandem consumpto penitus fractoque furore | admisit s a n u m uecors dementia s e n s u m), hier also den Begriff funera im Sinne von Lucan. 4,231 f. pro dira pudoris funera verlangt. Wie in Verg. Aen. 1,232 (tot funera passis, sc. Troibus) kann auch in Orest. 917 (post tot funera mentis) und in Med. 592 (sic funera tanta merentur) funera für clades oder ruinae stehen. Siehe Vollmers Einordnung unserer Stelle in ThLL VI 1,1606,16.



Orestes 917; 934 post 924 

 267

zu ziehen: Von ihnen, die wissen, was die Liebe zu einer Frau bedeutet, darf er bei der späteren Beurteilung des juristischen Sachverhaltes Verständnis und Mitgefühl erwarten. Erst mit t r a c t a t e, uerendi (920) kommt er zum Gegenstand des Prozesses (non de lite mea …, sed de iure deum). Die Aufforderung tractate (920) wird dann 939 (facta tractantur Orestis) eingelöst.

Seit der Ablehnung der verschiedenen Umstellungsvorschläge durch Vollmer in der MGH-Edition (1905) sind die entsprechenden Hinweise selbst aus den Apparaten der neueren Ausgaben verschwunden. Dabei ist offensichtlich, daß Vers 934, an dessen Ende seit Vollmer Doppelpunkt gesetzt wird, keine selbständige syntaktische Einheit bilden kann. So nimmt denn Bouquet (1995) den aus mehreren Gründen mißglückten Notbehelf Peipers (post b e l l o statt post bella) in den Text, während Vollmer in seiner zweiten Ausgabe (1914) im Apparat ipse statt bella konjizierte (!) und die Frage stellte: an post 934 versus excidit? Versausfall hatte schon Baehrens angezeigt, aber mit gutem Grund vor 925. Dorthin muß mit Schenkl Vers 934 gerückt werden; dort füllt er aufs beste die von Baehrens konstatierte Lücke. Die Stichworttechnik des ganzen Passus (man vergleiche nur 928 f. accusare deos / accuset … diuos794 und 930 f. obiciat / obiciat) macht deutlich, daß auch in dieser Dreiergruppe 934 Pyrrhus erat r a p t o r; uindex post bella r a p i n a e 925 iustior inuenior, dum matrem uindicat ultor. 926 si ulciscenda r e a genetrix, quid iam pater insons?

u i n d e x bewußt durch u i n d i c a t weitergeführt wird wie zuvor r a p t o r durch r a p i n a e und danach u l t o r durch u l c i s c e n d a. Auch klanglich ist eine Reimwirkung zwischen 934 und 925 erstrebt (es sind die Binnenreime an der Zäsurstelle zu berücksichtigen!): raptor – iustior inuenior – ultor. Der Ausfall (mit anschließendem Nachtrag und falscher Eingliederung) erklärt sich durch Augensprung infolge ähnlicher Buchstabenverbindungen wie puto uellet / post bella [in B meist durch uel(l)a wiedergegeben], seruare / eratra(ptor), deum / uindex / dum / uindic(at), vielleicht auch Pirrhus / Iustior (so die Hss.): 924 Nemo poli seruare deum, puto, uellet iniquum: 934 Pirrhus erat raptor, uindex post bella rapinae 925 Iustior inuenior, dum matrem uindicat ultor795.

794 Vgl. accusat in 888. 795 Der Ausfall des Verses 927 in A beruht vor allem auf dem Homoeoteleuton pater insons / audeat almos.

268 

 Kritischer Kommentar

de mensibvs 3                            FEBRVARIVS 3 Sol hiemis glacies soluit iam uerbere †niues; cortice turgidulo rumpunt in palmite gemmae.

Den unmetrischen Schluß des Verses 3, wie er durch Corio überliefert ist, hat vor wenigen Jahren Nosarti (2006, 195 ff.) durch die bei Val. Fl. 2,214 vorgegebene Hexameterklausel uerbere uictas glücklich geheilt. Er bezieht sich dabei in erster Linie auf das Vorbild des Lukrez (von Dracontius öfter imitiert), bei dem zweimal von „Schlägen“ der Sonnenstrahlen die Rede ist (5,484 f. 1103 f.), denen die Kraft eignet, materielle Dinge weich und spröd zu machen, d.  h. metaphorisch gesprochen, sie zu „besiegen“, s. 5,1102 ff. cibum coquere ac flammae mollire uapore | S o l docuit, quoniam mitescere multa uidebant | u e r b e r i b u s r a d i o r u m atque aestu uicta per agros. Die Sonne taut also bei Dracontius das durch die „Schläge“ der Sonnenstrahlen „besiegte“ Wintereis auf. Ein attributiver Genitiv kann hier bei uerbere ebenso fehlen wie z.  B. in dem Löwengleichnis des Priscian (Anast. 1,67/69 ut leo … non mouet arma, suas stimulat nec u e r b e r e uires), wo ein Vergleich mit dem verwandten Gleichnis bei Coripp (Ioh. 5,232 ff. ut leo … | … stimulis et u e r b e r e c a u d a e | aspera terga ciens in proelia suscitat iras) zeigt, daß der Leser uerbere caudae zu verstehen hat. Das Auftauen des Wintereises durch die Sonne wird auch sonst gerne als ein gewalttätiges Einwirken beschrieben, das in metaphorischer Sprache einem „Verwunden“ oder „Siegen“ entspricht796, siehe Ov. met. 2,808 (Cecropis) liquitur, ut g l a c i e s incerto saucia s o l e; [Sen.] HO 1286 ff. sic arctoas laxare niues | quamuis tepido sidere T i t a n | non tamen audet uincitque nefas797 | s o l i s adulti g l a c i a l e i u b a r (hierzu Axelson, Korruptelenkult 18 f.). Manche Interpreten haben sich für den von Alfonsi vorgeschlagenen Versschluß uere r e n i d e n s erwärmt798. Dieser scheint durch ein verwandtes Gedicht über die römischen Monate aus der Anthologia Palatina gestützt zu werden, wo es vom Februar heißt (Anth. Pal. 9,384,3 f.):

796 Dazu fügt sich in Vers 4 das expressive Verb rumpunt (sc. gemmae). 797 So die A-Überlieferung für faces (E). 798 So zuletzt auch Stoehr-Monjou (2013) 132.



De mensibus 3. 23 

 269

αὐτὰρ ἐγὼ θαμινῇσι γύην νιφάδεσσι διαίνω   τεύχων ε ἰ α ρ ι ν ῆ ς ἔγκυον ἀ γ λ α ΐ η ς. „Ich aber tränke die Flur mit vielem Schnee, sie schwanger machend mit (~ für den) Frühlingsglanz.“

Aber niemals wird renidere („widerscheinen“) auf die Sonne selbst bezogen, sondern auf die Gegenstände, die die Sonne reflektieren. Es sei an das Frühlingsgedicht des Statius erinnert, das kurz nach Beginn Meer und Erde von der Frühlingssonne widerstrahlen, die Bäume sich mit Blättern schmücken und die Vögel ihre im Winter verstummten Lieder singen läßt: Stat. silv. 4,5,5

I a m trux ad Arctos Parrhasias h i e m s concessit altis obruta s o l i b u s ,      i a m pontus ac tellus r e n i d e n t 799      in Zephyros Aquilone fracto.

Man wird also künftig die Februar-Verse des Dracontius in der von Nosarti hergestellten Fassung lesen.

23                    DECEMBER 23 Algida bruma niuans onerat iuga celsa pruinis et glaciale gelu nutrit sub matribus agnos. „La froidure hivernale, porteuse de neige, charge les sommets élevés de givre, et la dureté du gel maintient les agneaux à la mamelle sous leur mère“ (Wolff).

Das Verb niuare ist nirgends belegt. Wenn der Winterfrost hier die hochragenden Berggipfel mit etwas belädt oder bedeckt (onerat) und es stünde neben Reif (pruinae) auch Schnee zur Auswahl, würde man den Schnee nicht in ein Attribut verstecken und die pruinae in den Vordergrund rücken, sondern eher umgekehrt verfahren. Kurz: niuans ist eine durch Textverderbnis zustande gekommene vox nihili. Benötigt wird die bruma rigens, die Dracontius auch Romul. 10,172 aufbietet:

799 Hierzu fügt sich Prud. perist. 12,54 sic prata uernis floribus r e n i d e n t.

270 

 Kritischer Kommentar

10,171 H o r r i d a 800 per Scythicas g l a c i e s stat barbara Colchis, et iam bruma rigens Arctoi tristior axis torpebat concreta g e l u.

Zugrunde liegt vermutlich: Lucan. 1,17 f. (et) qua bruma rigens ac nescia uere remitti astringit Scythicum g l a c i a l i frigore pontum (vgl. 6,478; 9,874).

Den Dezember charakterisiert Martial zum Auftakt seines Epigramms 7,95 (v. 1) wie folgt: Bruma est et riget h o r r i d u s D e c e m b e r, Paulinus Nolanus aber umschreibt zu Beginn von carm. 10 die vier Sommer und Winter, in denen er vergeblich auf einen Brief seines Korrespondenzpartners wartete, mit folgenden Worten: Quarta redit duris haec iam messoribus aestas | et totiens c a n o bruma g e l u riguit. Die Kombination von algere und rigere findet sich Claud. 7,167 stetit arce suprema, | algenti qua zona riget Saturnia tractu.

de origine rosarvm 4 Venus entzieht sich dem Liebesbegehren des Mars und streift mit nackten Füßen durch blühende Wiesen. Doch es hat sich heimlich ein bösartiger Dorn in die weichen Gräser eingenistet; dieser verletzt nun die Fußsohle der Göttin mit einer leichten Wunde: 1 Laeditur801 alma Venus, dum Martis uitat amores   et pedibus nudis florea prata premit: sacrilega placidas irrepsit802 spina per herbas 4   et t e n e r o p l a n t a s uulnere mox lacerat.

800 Siehe o. zu Med. 171. 801 [Nachträglich (s.  u. Anm. 805) wurde die von Nosarti (199) mit Blick auf Repos. 58 (ne purpurei l a e d a t te s p i n a roseti) erwogene, aber dann doch verworfene Konjektur laeditur für das bei Corio überlieferte sinnlose dicitur in den Text aufgenommen (vgl. Prud. apoth. 66 nec s p i n e a l a e d e r e texta [vom brennenden Dornbusch]; [Ov.] Nux 113 at rubus et sentes tantummodo l a e d e r e natae | s p i n a que uindicta cetera tuta sua est). Aus paläographischer Sicht liegen beide Wortformen (Leditur/Dicitur) eng genug beieinander, um die Korruptel plausibel erscheinen zu lassen. Dracontius nutzt das Verb öfter (z.  B. 5,199 und satisf. 303). Als Hexameterauftakt begegnet laeditur auch Stat. Theb. 7,45.] 802 „Resultatives Perfekt der progressiven Aktionsart“, siehe M. Hillen, Studien zur Dichtersprache Senecas (UaLG 32), Berlin 1989, 188. Statt des Zustandes (die weichen Gräser und Blu-



De mensibus 23 / De origine rosarum 4 

 271

Unter Berufung auf Reposian 99 (florea ne t e n e r a s uiolarent spicula p l a n t a s) geben Alfonsi, Zurli und Wolff (in der Budé-Edition)803 dem Vers 4 des Dracontius die folgende, veränderte Form:

et t e n e r a s p l a n t a s uulnere mox lacerat.

Dies ist aus methodischen Gründen bedenklich: Die Erfahrung lehrt, daß in der Überlieferung sehr häufig Sperrungen von Attribut und Substantiv (tenero  … uulnere) zugunsten einer Angleichung an das benachbarte Substantiv (plantas) aufgehoben, nicht aber kunstvolle Sperrungen (tenero plantas uulnere statt teneras plantas uulnere) neu eingeführt werden. Solche kunstvollen Sperrungen aber gehören seit den Neoterikern zum Repertoire der römischen Dichter. Gerade der als Muster angeführte Reposianvers mit seiner gesuchten ‚abcAB-Wortstellung‘ (die zusätzliche Plazierung des Verbs ins Zentrum gibt ihm beinahe den Charakter eines versus aureus!) kann zeigen, daß die Änderung zu teneras plantas in die Irre geht. Es ist ja zusätzlich zu bedenken, daß auf diese Weise ein Gleichklang zum voraufgehenden Vers placidas … herbas hergestellt würde, einem Vers, der seinerseits durch die Wortstellung ‚abcAB‘ beweist, daß Dracontius nicht weniger als Reposian auf kunstvolle Sperrung bedacht ist804. Die Änderung bringt auch den semantischen Nachteil mit sich, daß nun uulnere für sich steht und so viel zu drastisch wirkt (als handle es sich um eine Kriegswunde). Das Spielerische des ganzen Gedichtes muß durch die Konkretisierung „leichte Wunde“ gewahrt bleiben, während plantas (wie in Vers 10) gut ohne Attribut stehen kann, da ja in Vers 2 bereits von pedibus nudis die Rede war. Die genannten Forscher haben aber mit ihrer Änderung ein durchaus verdienstvolles diagnostisches Signal gesetzt: tener ist kein passendes Attribut zu uulnus. Ich habe deshalb t e n u i  … uulnere geschrieben und damit eine in der Dichtung häufig begegnende Junktur wieder hergestellt, man vergleiche Sen. Hf 564 effugit tenui uulnere saucius; Prud. psych. 507 uix in cute summa | praestringens paucos tenui de uulnere laedit | cuspis Auaritiae; perist. 10,986 si puncto leui | tenuiue linguam contigissem uulnere; AL 812 R2, 5 f. postquam aurata delegit cuspide telum | caecus amor tenuique offendit uulnere pectus805.

men sind von einem Dornzweig durchsetzt) wird die malerisch wirkende ‚dynamische‘ Aktion gewählt (der Dornzweig hat sich eingeschlichen). 803 Siehe ferner seinen Kommentar S. 2284. 804 Vgl. die Variation ‚AabBc‘ in Vers 2. 805 [Auch diese Konjektur war am 8.  11. 2016 (s. Anm. 748) abzutreten, s. Nosarti 198–201, obgleich Nosarti in Analogie zu Belegen für durum uulnus hier an tenero uulnere festhalten möchte, indem er eine Hypallage des Attributs annimmt: In den besprochenen Fällen von durum

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 Kritischer Kommentar

12 Die vier Schlußverse haben in der jüngsten Budé-Edition (1996) folgende Gestalt: 11 sanguineis Cytherea genis, sic crimina punis,   uiuacem ut spinam flammea gemma tegat? sic decuit doluisse deam, sic numen Amorum,   uindicet ut blandis uulnera muneribus. „Cythérée aux joues vermeilles, est-ce là punir les fautes que de couvrir d’une gemme flamboyante la vivace épine? Il convenait que la déesse, que la divinité des Amours, souffre ainsi, pour venger sa blessure par de doux présents“ (Wolff).

Zu Recht kommentiert der Übersetzer den Gedichtschluß mit dem Satz: „La pointe finale permet de présenter Vénus comme une divinité qui rend le bien pour le mal“ (2289). Dieses Paradox war schon in Vers 6 vorbereitet: (spina) quae scelus admisit, m u n u s odoris habet. Aber wie paßt zu diesem scelus und zu dem entsprechenden sic crimina punis (11) das neu eingeführte Attribut uiuacem (spinam)? Wolff lehnt mit gutem Grund das in N überlieferte ueracem, ebenso die vorgeschlagenen Verbesserungsversuche uracem (einen nicht belegten Neologismus), uoracem (metrisch unzureichend) ab. Gegen das von Baehrens eingeführte mordacem 806 dürfte sprechen, daß diesem Vorschlag die paläographische Probabilität fehlt; sachlich aber wäre dieses Attribut (anders als uiuacem) zumindest akzeptabel, da es etwas Negatives zum Ausdruck bringt, also in die durch die Begriffe scelus und crimina vorgegebene Richtung zielt. M. E. hat Dracontius f u r a c e m geschrieben. Dieses Wort liegt  – wenn man berücksichtigt, daß die Handschriften die Anfangsbuchstaben in Majuskeln geben  – paläographisch nahe bei Veracem807 und fügt sich harmonisch in den Tenor des Gedichtes. Insbesondere erhält nun die sacrilega … spina von Vers 3 in der furax … spina des drittletzten Verses ihr angemessenes Pendant808. Dem

uulnus „vediamo che lo spostamento dell’aggettivo avviene dalla causa (caestus, lapides, ferrum, nodus) all’effetto (uulnus); in Draconzio invece lo spostamento avviene dalla parte del corpo, dove la spina è penetrata, cioè la tenera e delicata pianta del piede di Venere, all’effetto prodotto dalla spina stessa (uulnus).“] 806 [Empfohlen von Nosarti (202) unter Verweis auf ThLL VIII 1483,80 ff. (s.  v. mordax) und 1485,82 ff. (s.  v. mordeo), ferner auf laud. 1,507 (mordaces hamos).] 807 Auch aus phonetischen Gründen sind f/u-Verschreibungen nicht selten, siehe zu Dracontius Vollmers Index 449 (rechte Spalte) und vielleicht Orest. 86 plectriferi/plectriiuri (Vollmer 452). 808 Wie diese sacrilega und furax spina durch die Pflanzen kriecht (irrepsit … per herbas), so stiften die Schlangen aus dem Hinterhalt des Pflanzengestrüpps Schaden und müssen deshalb dort aufgespürt werden (laud. 2,277 ne furtim noceant angues quaeruntur in herba).



De origine rosarum 12 

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Advokaten Dracontius war das Begriffspaar sacrilegus  – fur seit seiner Ausbildung als Rhetor durch die Definitionsfrage utrum f u r an s a c r i l e g u s sit iudicandus geläufig809, dem in Karthago lebenden Christen Dracontius vielleicht auch Augustins Brief über die rechtswidrige Usurpation eines Bischofstitels durch einen Delinquenten, dem ein Advokat namens Nummasius vorwarf, quod p e r o c c u l t u m s a c r i l e g i i propemodum f u r t u m episcopalis nominis i n u a s e r i t principatum810. Dem Verb inuaserit hier entspricht im Gedicht des Dracontius das Verb i r r e p s i t (3): Der Dorn hat sich  – wie ein Dieb  – heimlich eingeschlichen811. Wenn man den Satz sacrilega … i r r e p s i t spina (3) in diesem Sinne versteht, erhält er in furacem ut spinam (gemma) t e g a t (12) ein vorzüglich passendes Gegenglied; denn Kennzeichen des Diebes ist es, daß er verdeckt (verschleiert) handelt, wie Dracontius selbst ausführt, s. laud. 2,309 ff. quid f u r n o c t u r n u s, prauo u e l a t u s in actu | n e c a p i a t u r, agat ferro comitante p e r u m b r a s, | multorum nos saeua docent exempla priorum. Das furta tegere ist geradezu topisch, s. Ov. ars 2,555; met. 9,558; Mart. 1,34,2; Claud. 10,141. Dabei wird in furacem  … spinam mit dem Aspekt des heimlichen und verdeckten Handelns auch ein Element der Kühnheit und Verwegenheit verbunden sein, ganz gemäß den abundanten Adverbia, die im entsprechenden Thesaurusartikel zusammengestellt sind (s. Anm. 811), unter denen sich neben latenter und Synonyma auch temere findet. Eugenius von Toledo (carm. 69,4) faßt dies in den Satz multa  … r a p t i m minuit audacia furax, bei Sueton aber lesen wir (Vit. 12,1), daß der Kaiser Vitellius über seinen Lustknaben ob nimiam contumaciam et furacitatem erbost war und ihn deshalb verkaufte.

809 Siehe Cic. inv. 1,11 definienda res erit uerbis et breuiter describenda, ut, si quis sacrum ex priuato s u b r i p u e r i t, utrum f u r a n s a c r i l e g u s sit iudicandus; ferner 2,55 f u r s i t a n s a c r i l e g u s, qui uasa ex priuato sacra s u b r i p u e r i t; Quint. inst. 3,6,33 iustumne sit s a c r i l e g i u m appellari quod obiciatur uel f u r t u m uel a m e n t i a m; 3,6,41 sitne s a c r i l e g u s qui pecuniam priuatam ex templo f u r a t u s est; 5,10,39; 7,3,9; 9,4,23; Sen. dial. 4,28,8 punit f u r t a s a c r i l e g u s; epist. 87,22 (ex s a c r i l e g i o enim et f u r t o pecunia nascitur). 810 Siehe Aug. epist. 108,13 (CSEL 34,2 p. 626,10–12); vgl. in evang. Ioh. 50,10 (f u r est Iudas, et, ne contemnas, f u r e t s a c r i l e g u s): si crimina discernuntur in foro qualiscumque f u r t i et peculatus (peculatus enim dicitur furtum de re publica), et non sic iudicatur f u r t u m rei priuatae quomodo publicae, quanto uehementius iudicandus est f u r s a c r i l e g u s, qui ausus fuerit non undecumque tollere, sed de ecclesia tollere? 811 Siehe ThLL VII 2,401,36 ff. ‚respicitur introitus  … clandestinus  … (nonnumquam accedit notio i n v a d e n d i i n l o c u m i n d e b i t u m, sc. i m p o r t u n e, i l l i c i t e)‘. Oftmals treten abundante Adverbia hinzu, die die Semantik verdeutlichen (401,39 ff.): sensim, l a t e n t e r, t e m e r e, o c c u l t e, o c c u l t i u s, paulatim, minutatim. Vgl. 403,69 (irrepere) ‚fere i.  q. fraudulenter invadere‘.

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 Kritischer Kommentar

Der Rosendorn, also die spina im Gedicht des Dracontius, ist s a c r i l e g a, weil sie nicht irgendeinen Menschen, sondern die G ö t t i n, Lukrezens alma Venus, die sich auf weichem Wiesengrund wähnte, getäuscht hat und sie frech an der nackten Fußsohle verletzte; sie ist f u r a x, weil sie sich, wie ein verwegener Dieb, heimlich in den Grasteppich einschlich (3 irrepsit) und im Verborgenen ihr crimen (11) beging (vgl. 1 laeditur, 4 plantas lacerat, 6 scelus admisit), aus dem ihr ein rotes Blütengewand erwuchs (5 u e s t i t u r spina rubore)812. Die sacrilega spina am Dornbusch wird durch die entsprungene, sternengleich strahlende Rose „geheiligt“ bzw. „gerechtfertigt“ (8 sancit uepres a s t r a i m i t a t a r o s a)813, den Frevel (6), einen aggressiven diebischen Akt, erwidert die segenspendende Göttin mit einem G e s c h e n k von Rosenduft, die crimina (11) der furax spina bestraft sie nicht, sondern sie läßt eine Blütengemme erstrahlen, die den Dorn verdeckt. Als Göttin der Liebe vergilt sie den vom Dorn verursachten Schmerz und ihre Wunde mit freundlichen G a b e n (14): Aus der spina sacrilega furax wird eine huldvoll B e s c h e n k t e!

812 Vgl. AL 85,2 f. (= 73,2  f. SB) aut sentibus haesit | Cypris et hic [an hinc?] s p i n i s ­i n s e d i t s a n g u i s acutis.  – Zu uestitur / furax s. Ov. ars 3,447 forsitan ex horum numero cultissimus ille | fur sit et uratur u e s t i s amore tuae. Bei Seneca versteckt Elektra das Gesicht des kleinen Orest hinter einem Kleidungsstück (Ag 904) Germane, uultus u e s t e f u r a b o r tuos. Die ­Metapher u e s t i r e (samt dem Attribut tenui!) nutzt auch Apuleius in einem verwandten Zusammenhang (met. 10,29,2): plane t e n u i specula solabar clades ultimas, quod u e r in ipso ortu iam ­g e m m u l i s f l o r i d i s cuncta depingeret et iam p u r p u r e o nitore p r a t a uestiret et commodum dirrupto spineo tegmine spirantes cinnameos o d o r e s promicarent rosae, quae me priori meo Lucio redderent. Für das Stichwort f u r war hier kein Anlaß, es erscheint aber in dem oben genannten Reposian-Gedicht, das Dracontius kannte, s. Repos. 103 Ille (sc. Mars) inter flores furtiuo lumine tectam | spectat hians Venerem. Die ganze Situation dort ist nach Ov. am. 1,5 gezeichnet. Ovid gibt durch die Verse 3–8 auch die von Baehrens restituierte Lesart f u r t i u o lumine tectam vor. Als Gegenbegriff zu furtiuus erscheint bei Ovid (1,5,16) proditione sua. 813 Dieser Vers scheint ein ins Negative gewendetes Analogon in Medeas Liebeszauber zu haben, der das Hochzeitsgeschenk für Creusa zu einem Todesgeschenk macht, s. Romul. 10,489 ff. cristata manus sancire iubetur: | lambere caeruleis permisit serta cerastis. | exitiale rĕpit mox p r a e m i a taetra uenenum, | atque aurum mentita nocens r a d i a r e c o r o n a | creditur et g e m m a s f l o r e s i m i t a n t u r iniqui.

Anhang Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

1 Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s Die ‚Aegritudo Perdicae‘ wird in der Regel in den Umkreis des nordafrikanischen Dichters Dracontius gesetzt814. Vollmers Versuch, das Gedicht dem Dracontius selbst zuzuschreiben, wurde von Wolff (1988) und Zurli (1996) widerlegt. Ob das Epyllion vor oder nach Dracontius entstanden ist, scheint ungeklärt: Während man früher die Priorität des Dracontius annahm, hat Willy Schetter hängigkeit des Dracontius vom ‚Aegritudo‘-Dichter verfochten815. „La die Ab­ ­questione era e resta sub iudice“, so Zurli (1996) 261. Grundlage dieser Urteile ist eine Reihe von Textparallelen, die ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis wahrscheinlich machen816. Läge die Priorität beim ‚Aegritudo‘-Dichter, würde dies bedeuten, daß sich Dracontius nicht nur im ‚Hylas‘-Epyllion, das er als junger Rhetorikschüler in Karthago dem Auditorium seines Lehrers Felicianus vortrug817, an das qualitativ eher minderwertige Kleinepos angelehnt hätte, sondern auch in den epischen Dichtungen der reifen und späten Jahre (‚Helena‘, ‚Medea‘, ‚Orestes‘), ja sogar in dem geistlichen Panegyrikus818 ‚De laudibus Dei‘, der in der Gefangenschaft der neunziger Jahre entstanden ist. Dies weckt die Erinnerung an die ironische Frage, die vor Jahren B. Axelson in seiner grundlegenden Studie zur Methodik der literarischen Prioritätsbestimmung im Hinblick auf das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Lygdamus und Ovid gestellt hat819: „wie könnten die 145 Disticha, die 290 Verse des Lygdamus einen so enormen, so ganz unvergesslichen Eindruck auf Ovid gemacht haben, dass er in sämtlichen Perioden seines langen Dichterlebens, von den jugendlichen

814 Siehe Bright 222–247. Verwiesen sei auf die knappe Skizze des Forschungsstandes in Zurlis Teubneriana (1987, dort S. Vf.) und auf Zurli (1996). Zurlis Rezensent Hunt (1990) hatte sich sehr allgemein geäußert: „The poem was probably composed in North Africa in the fifth century A.D.“ (132). 815 Schetter (1991) = ‚Kaiserzeit und Spätantike‘ (1994), 260–279, dort 268–275. An diese Vorgabe wurde die chronologische Abfolge der gesammelten Schriften geknüpft. Weber 16066 enthält sich in der Frage der Datierung der ‚Aegritudo Perdicae‘ und der Beziehung dieses Textes zum Werk des Dracontius eines Urteils, verweist stattdessen auf die letzten einschlägigen Äußerungen, an deren Ende die soeben genannte Studie Schetters steht. Ähnlich verfahren Bouquet–Wolff in Bouquet (1995) 12. 816 Vgl. die Listen in Morelli (1920) 751, Wolff (1988) 82 f. und Schetter 1991 = 1994, dort 26827 und 269. 817 Siehe Schetter 1991 = 1994, dort 270 mit Anm. 35. 818 Diesen Terminus benutzt Schetter 1991 = 1994, dort 344. 819 Axelson 1960 = 1987, dort 284.

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 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

Amores bis zu den Klageliedern des Alters, sich immer wieder von den Brosamen nährte, die vom Tischlein des Dilettanten fielen?“ Überträgt man die von Axelson in jener Untersuchung musterhaft vorgeführte „logisch-stilistische Parallelenanalyse“820 auf die hier genannten Similienlisten, kristallisieren sich einige Fälle heraus, in denen die Priorität des Dracontius hervorsticht.

Drac. laud. 1,671 / Aegr. 35 Der Schlüsseltext für Schetter war Aegr. 35: „Für die Priorität des ‚Aegritudo‘Dichters sprechen jedoch eindeutig Aegr. 35 und Dracontius laud. dei 1,671. Der Vers Aegr. 35 e t r o s a p u r p u r e u m spargens per prata r u b o r e m knüpft umgestaltend an ‚Culex‘ 399 an: (hic et acanthos) / e t r o s a p u r p u r e u m crescent pudibunda r u b o r e m. Dracontius griff in dem Vers laud. dei 1,671 roscida p u n i c e u m s p a r g e n s aurora r u b o r e m die Formulierung des ‚Aegritudo‘-Dichters p u r p u r e u m s p a r g e n s   … r u b o r e m modifizierend auf, indem er purpureum durch das gewähltere puniceum ersetzte, und übertrug sie auf die Morgenröte“ (269). Daß der ‚Aegritudo‘-Dichter sich in der Ekphrasis des lucus Amoris mit seinen Bäumen und Blumen (25 ff.) an der Schilderung der beiden loci amoeni im ‚Culex‘ orientiert (110 ff. und besonders 397 ff.), dem er auch in dem Kunstgriff der abschließenden Grabinschrift folgt, liegt nahe. Daß aber Dracontius im Zusammenhang seiner ausführlichen Schilderung des Wechsels von Tag und Nacht, den er als Sinnbild der Wiederauferstehung von den Toten begreift821, an den Hain der ‚Aegritudo‘ erinnert worden sein sollte und sich von dort eine Blumenfloskel entliehen hätte, um sie auf das Erglühen der Morgenröte zu übertragen, scheint fragwürdig. In Wirklichkeit dürfte Dracontius in seinem Aurora-Vers einer Schilderung der Morgenröte in der weit verbreiteten ‚Vita s. Martini‘ des Paulinus Petricordiae (um 470 geschrieben) verpflichtet sein. Wir haben also vermutlich die folgende chronologische Reihung anzusetzen:

820 Auf diesen Begriff bringt Axelson seine Methode in dem unmittelbar anschließenden Aufsatz ‚Das Geburtsjahr des Lygdamus‘ (Eranos 58, 1960, 281 = 1987, 298). 821 Drac. laud. 1,606 ff./621 ff., bes. 663–682 ff. (mit der aus den Vergleichsbeispielen gezogenen Folgerung 683 ff. tot simul exemplis moniti defuncta renasci | credamus uirtute dei, qua cuncta creauit etc.).



Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s 

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Culex 399 (hic et acanthos) | et rosa purpureum crescent pudibunda ruborem Vit. Mart. 3,339 cum praeuia solem | nuntiat acceptum spargens aurora ruborem Drac. laud. 1,671 roscida puniceum spargens aurora ruborem ducit ubique diem Aegr. 35 (illic flos narcissus …) | et rosa purpureum spargens per prata ruborem

Die Junktur puniceum ruborem ist dem Dracontius eigentümlich822; er verwendet sie ein weiteres Mal laud. 3,307 (tellus) puniceum retinens ingenti sole ruborem (vgl. Orest. 792 puniceo … cruore und ros. 10 puniceo sanguine). Nichts deutet darauf hin, daß diese Floskel durch Modifikation des Verses Aegr. 35 gewonnen wäre. Andererseits leitet sich die wörtlich gleiche Vershälfte spargens aurora ruborem deutlich aus der kaum mehr als zwei Jahrzehnte älteren (also beinahe zeitgenössischen) Martinsvita ab823. In beiden Stellen geht es um das Naturphänomen, daß Aurora ihre Röte am Himmel ‚spargit‘, eine Ausdrucksweise, die auch der wenig jüngere Alcimus Avitus übernommen hat (carm. 5,582 uix acies primosque nitens aurora rubores | spargebat mundo)824. Demgegenüber scheint die Junktur rosa spargens per prata ruborem (Aegr. 35) sekundär (s.  u.) – ebenso sekundär wie der unmittelbar voraufgehende Vers Aegr. 33 f. (candidus illic | f l o s narcissus amat ueteris uestigia fontis) gegenüber Hyl. 136 (nos Hyacinthus amat, noster Narcissus ab undis). Es dürfte also in Aegr. 35 eine Kombination von Cul. 399, Drac. laud. 1,671 und (s.  u.) Hyl. 138 (quidquid floris olet, quidquid dant prata ruboris) vorliegen. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Hyl. 138 und Aegr. 35 läßt sich – wenn man die Verse isoliert betrachtet – nicht sicher bestimmen; mit Gewißheit aber verläuft im Verhältnis von Hyl. 136 und Aegr. 33 f. die Richtung der Abhängigkeit nicht von Aegr. 33 f. zu Hyl. 136, sondern umgekehrt; denn Dracontius stützt sich in seiner Schilderung des locus amoenus Hyl. 136 ff. auf Claudians Ekphrasis des Schauplatzes, an dem Proserpina geraubt wurde. Ich stelle die hier einschlägigen Texte zusammen:

rapt. Pros. 2,128 pratorum spoliatur honos: haec lilia fuscis intexit uiolis; hanc mollis amaracus ornat; 130 haec graditur stellata rosis, haec alba ligustris. te quoque, flebilibus maerens Hyacinthe figuris,

822 Dagegen ist roscida … aurora seit Epiced. Drus. 281 f. und Sil. 15,439 f. belegt, mehrmals bei Coripp (Mitte 6. Jh.). 823 W. Schetter hatte noch keine computergestützte Thesauri zur Verfügung; so läßt sich gut verstehen, daß ihm der Vers aus der Martinsvita des Paulinus Petricordiae entgangen ist. 824 Aus Alc. Avit. epist. 51 (ed. Peiper 80,18 ff.) ergibt sich als Abschluß des Werkes De spiritalis historiae gestis das Jahr 507 n. Chr., s. Arweiler (1999) 1.

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 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

Narcissumque metunt, nunc inclita germina ueris825, praestantes olim pueros: tu natus Amyclis, hunc Helicon genuit; disci te perculit error, 135 hunc fontis decepit amor; te fronte retusa Delius, hunc fracta Cephisus harundine luget. Hyl. 134 non est flere tuum. mundum tibi nullus ademit: nos rosa, nos uiolae, nos lilia pulchra coronant, nos Hyacinthus amat, noster Narcissus ab undis826: fontigenis dat serta comis redimitque capillos quidquid floris olet, quidquid dant prata ruboris. tu noster iam sponsus eris sine fine dierum; Aegr. 31 fonsque regit medio pronum827 per gramina lapsum: illic dispersi flores mixtique colores ostendunt, Veneris quid amor; nam candidus illic flos narcissus amat ueteris uestigia fontis 35 et rosa purpureum spargens828 per prata829 ruborem.

Vereinfacht dargestellt: Dracontius hat die drei Blumensorten rosa, uiolae, lilia, die Personifizierungen Hyacinthus und Narcissus, ferner die prata und den fontis amor aus Claudians Darstellung übernommen – die letztgenannte Junktur umgestaltet zu nos (sc. die Quellnymphen) Hyacinthus amat. Der ‚Aegritudo‘-Dichter hat im Interesse der variatio den Hyacinthus des Dracontius ausgespart, dafür das aus Dracontius übernommene Verb amat dem f l o s   … narcissus beigelegt und den Versschluß dant prata ruboris (Hyl. 138) zu spargens per prata ruborem (Aegr. 35) umgemünzt, unter zusätzlicher Nutzung von Drac. laud. 1,671 (s.  o.).

825 Die Kombination der hier genannten Blumen ist seit Ovid topisch (oft auch in Variation); vgl. z.  B. Reposian 37.38.42 f. [Die hier von Baehrens eingeführte Versumstellung ist unausweichlich; sie macht einen Augensprung von per (frondes) redolentia mala (Repos. 41) zu purpureos candentia lilia (flores) (38) rückgängig.] 826 Das in N überlieferte ab undis wird von Giarratano (12), Bouquet und Weber (209) gegen die von Baehrens eingeführte Konjektur alumnus (auch Vollmer hat sie in den Text gesetzt) verteidigt unter Verweis auf Romul. 2,104 (= 8,117) pastor ab Ida und 9,209 matrem (= Thetidem) ab undis. Man sollte zusätzlich die Pentadiusverse ‚De Narcisso‘ AL 265 und 266 R2 (= 259 und 260 SB) heranziehen. Vgl. die Versschlüsse Narcissus in undis in AL 39,1 und 146,1 R2 (= 26,1 und 135,1 SB). 827 Zu dieser Textfassung s.  u. S. 298  ff. 828 Baehrens dachte daran, spargit zu lesen, wodurch die Syntax der Periode geglättet würde. 829 Vgl. Hylas 21 f. (Jupiter in Gestalt des Stieres) rursus mugire per herbas | confessum per prata bouem.



Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s 

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Die von Claudian eingeführten und von Dracontius beibehaltenen Personifizierungen (Hyacinthus und Narcissus) sind in der ‚Aegritudo‘ aufgegeben (wie schon die Formulierung f l o s narcissus zeigt), wodurch das Verb amat zusätzlich als formelhafte Übernahme kenntlich wird. Wo der Ursprungsmythos des Narziss die Liebe zu seinem eigenen im Quellwasser gespiegelten Bild herausstellt, schildert der ‚Aegritudo‘-Dichter, daß auf der Grasfläche verstreute Blumen in gemischten Farben Zeugnis dafür ablegen, was die Liebe der Venus bedeute, und hebt nun als erstes hervor, daß die weiße Narziss b l u m e mit Vorliebe dort wachse, wo sich die Spuren des früheren Quells befänden (es wird also vorausgesetzt, daß dieser Quell mit dem im Venus-Hain angesiedelten identisch ist)830. Darauf folgt die Rose, die ihr purpurnes Rot über die Wiese ausbreite. Dieses Bild hat in der Formulierung, wie oben gezeigt, Hyl. 138 und laud. 1,671 zur Voraussetzung, es deutet aber inhaltlich auch auf das Dracontius-Gedicht ‚De origine rosarum‘, in dem der Ursprung der Rosenblume besungen wird. Dieser ist mit einer Liebeswunde der Venus selbst verbunden (1 laeditur alma V e n u s, dum Martis uitat a m o r e s). Zum Vergleich mit dem Passus aus der Aegritudo seien besonders die folgenden Formulierungen empfohlen: florea prata (ros. 2), f u n d i t u r   … c r u o r, uestitur  … rubore (5), s a n g u i n e cuncta rubent croceos dumeta per agros (7), astra imitata rosa (8), Cypris  … p u n i c e o s a n g u i n e (9 f.), sic decuit doluisse deam, sic numen amorum (13). Die hier ausgeschriebenen Zitate fügen sich aufs beste zu dem summarischen Vers Aegr. 35 zusammen: et rosa p u r p u r e u m s p a r g e n s per prata ruborem. Der Verbalausdruck s p a r g e n s ruborem variiert den Satz f u n d i t u r cruor des Rosengedichts (gefolgt von rubore und sanguine cuncta rubent), ist aber zusätzlich gespeist durch Drac. laud. 1,671 und Hyl. 138. Die hier herausgestellten Beziehungen zu dem Dracontius-Gedicht ‚De origine rosarum‘ entschlüsselt der ‚Aegritudo‘-Dichter in einer unmittelbar anschließenden Parenthese selbst, indem er den Vers Aegr. 35 wie folgt expliziert: Aegr. 36

(seu Veneris cruor est831 seu flamma Cupidinis ista832, nescio, sed gratum memini833 quia seruit amori).

830 Die Formel ueteris uestigia fontis konnte der ‚Aegritudo‘-Dichter leicht aus den folgenden Vorbildern gewinnen: Catull. 64,295; Verg. Aen. 4,23 ueteris uestigia flammae; Ov. am. 3,8,19; Lucan. 4,659 en ueteris cernis uestigia ualli; Paul. Petric. Mart. 5,531 uicus erat, ueteris quondam uestigia castri. 831 Siehe hierzu Wolff (1996) 821. 832 Vgl. Culex 408 f. non illic n a r c i s s u s abest, cui gloria formae i g n e C u p i d i n e o proprios exarsit in artus. 833 Die Formel nescio, sed gratum … im Sinne von: „Ich weiß nicht, aber gerne …“ (gratum adverbiell) scheint nur noch bei Luxurius AL 314,2/5 R.2 [= 309 SB]) belegt.

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 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

Somit lautet das Fazit des hier angestellten ersten Vergleichs: Abhängigkeit des Dracontius vom ‚Aegritudo‘-Dichter kann ausgeschlossen werden. Stattdessen gibt es klare Indizien für eine Nutzung des Dracontius-Corpus durch den Dichter der ‚Aegritudo‘, der freilich kontaminierend weitere Quellen (z.  B. den ‚Culex‘) hinzugezogen hat.

Drac. Hyl. 4–93 / Aegr. 40–42. 22–25. 77 ff. In der Eingangsszene des ‚Hylas‘ beklagt sich Venus bei Cupido über die Kränkung durch die Peneiosnymphen. „Hier finden sich wie in der ‚Aegritudo‘ die Beleidigung der Venus, ihr Entschluß zur Rache und deren Durchführung durch Cupido. Die umfangreiche Szene zwischen Venus und Cupido (v. 4–70) mutet wie eine ausführliche dialogische Umsetzung des knappen Berichts Aegr. 41 an: namque illi (sc. Cupidini) c o n q u e s t a V e n u s m a n d a u e r a t ignes“: so Schetters Argumentation mit dem Zitat S.  271. Nimmt man den folgenden Satz paruit i m p e r i o m a t r i s hinzu834, spricht auch hier umgekehrt alles dafür835, daß der lange Dialog zwischen Göttin und Sohn bei Dracontius durch den ‚Aegritudo‘-Dichter in eineinhalb Verse zusammengezogen wurde. Dracontius selbst hat sich u.  a. an dem Aristaeus-Finale des 4. Georgicabuches (333–346) und an Ovids Metamorphosen orientiert836. Auf deren MyrrhaEpisode (met. 10,300–502) bezieht er sich in dem Vers Hyl. 41 alter erit Perdica furens et altera Myrrha837. Auch hier, im ‚Hylas‘ des Dracontius, verkörpert Perdicas bereits den Liebhaber der Mutter838, nicht den der Stiefmutter, wie dies in der bekanntesten griechischen Übertragung der ursprünglich orientalischen Novelle der Fall war839. Der ‚Aegritudo‘-Dichter hat diese sekundäre Weiterentwicklung

834 Zu mandauerat und imperio vgl. Hyl. 9 posco; 12 precor … posco; 13 non iubeo; 15 iube … manda; 17 iubes; 43 si iusseris; 83 ut possit complere dolos ac iussa parentis. 835 Zu conquesta Venus (Aegr. 41) siehe Hyl. 51 lamenta parentis | si placet ulcisci; 62 est gemitus haec causa mei; 71 iret adhuc in uerba dolor, ni …; zu mandauerat i g n e s (Aegr. 41) die lange Reihe Hyl. 16 quid petis uri; 18 exprime: flammetur; 19 si cupias … flammare; 28 nostros iam sentiet ignes; 35 succendo pharetris; 36 his ignibus ustos; 44 flammetur; 49 ignis opem de prole rogat; 62 quas ure sagittis. 836 Siehe Schetter 271 f. mit Anm. 39 (Hyl. 19–27 und met. 6,103–114: die Verwandlungen Jupiters); ferner Weber 152–156. Dort S. 162 der Hinweis auf „eine erstaunlich ähnliche Rede des Liebesgottes in einer vergleichbaren Szene mit seiner Mutter“ in Nonnos, Dionys. 33,118–139. 837 In der Struktur nach Verg. ecl. 4,34 gebildet, s. Schetter 272; Weber 159. 838 Siehe Ballairas Erläuterung S. 224 ff. 839 Dort wird die Liebe des Antiochos (des Sohnes des Seleukos I. Nikator) zu seiner Stiefmutter Stratonike (der Tochter des Demetrios Poliorketes) durch den Arzt Erasistratos von Keos auf-



Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s 

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hin zur frivolen Verschärfung des Inzestmotivs (vermutlich unter Berücksichtigung einer weiteren Vorlage) übernommen und entfaltet. Von einem „inzestuösen Traum“ während der Mittagsruhe im Hain (Schetter 261) oder einer „sexual visitation“ (Hunt 56) sollte man aber nicht sprechen: Wenn Byblis im Traum uisa est quoque iungere fratri | corpus (Ov. met. 9,470 f.) oder Horaz nocturnis somniis den schönen Ligurinus captum tenet (carm. 4,1,37), geht das ohne Mitwirkung Amors vonstatten. Der ‚Aegritudo‘-Dichter inszeniert nicht eine Metamorphose, um Cupido in Gestalt seiner Mutter Castalia dem Perdicas im Traum „beiwohnen“ zu lassen840 (dies würde ja die Grundstruktur der Perdicas-Novelle auf den Kopf stellen, den jungen Mann gleich zu Beginn der Erzählung an das Ziel des Begehrens bringen, das noch gar nicht geweckt ist und dessen Erfüllung er sich bis in den Tod versagen wird). Vielmehr läßt er Cupido die verderbenbringende Gestalt841 der Castalia annehmen, damit er/sie den Sohn (im Traum) mütterlich umarmt und ihm dabei den brennenden Liebespfeil ins Herz bohrt (man denke an Venus und Adonis in Ov. met. 10,525 ff.)842. Dem complexusque dedit per somnia (Aegr. 80)843 entspricht bei der unmittelbar anschließend geschilderten Begegnung des heimgekehrten Sohnes mit der Mutter der Vers 91: oscula quoque dedit materni844 plena doloris845. Perdicas hat also im Traum die Begegnungsszene vorweggenommen, wie er selbst – konsterniert – in einem inneren Monolog zum Ausdruck bringt (96): ‚heu, ego quam uidi per somnia tristia demens, | mater erat?‘ Es heißt dort mit gutem Grund quam u i d i per somnia, nicht etwa cui concubui oder corpus iunxi. Der Metamorphose Amors in Aegr. 77 ff. liegt die Cupido-Venus-Szene des ersten Aeneis­ buches zugrunde, vgl. bes. die wörtlichen Anklänge in Aen. 1,658 f. ut faciem m u t a t u s et o r a C u p i d o | pro dulci Ascanio ueniat; 687 cum d a b i t a m p l e x u s atque oscula

gedeckt, s. Rohde (1876 = 31914) 55 f. und Mesk (1939) 166 f. In der griechischen Fassung der Perdikas-Erzählung liebt Perdikkas II., der Sohn und Nachfolger Alexanders I. von Makedonien, das Kebsweib Phila seines (bereits verstorbenen) Vaters; s. Mesk (1939) 167. 168 f. 840 Schetter 261. 841 Zu t r i s t i s imago (80) ist die Ankündigung matris p e r i t u r u s amore in Vers 21 zu vergleichen. 842 Ähnlich nutzt der Sonnengott seine Wandlung in die Mutter Eurynome, um sich der Geliebten Leucothoë zu nähern (met. 4,219 ff.) und küßt (als Mutter) die ihm teure Tochter (ceu mater carae dedit oscula natae). 843 Vgl. das complexus dare zwischen Myrrha und ihrer Amme (met. 10,388). 844 So Baehrens an Stelle der Lesart maternae der Hs H, deren Textversion (einschließlich doloris als genus fem.) Zurli (1996) 239–242 gegen seine frühere Konjektur materna et plena pudoris verteidigt, u.  a. unter Verweis auf Löfstedt, Vermischte Studien (Lund 1936), 114 f. Mariotti – Rizzo (1994) 4674, die Zurli zum Umdenken veranlaßt haben, schließen sich Baehrens an und übersetzen: „gli diede anche baci pieni di amore materno“. 845 Vgl. Drac. Hyl. 6 oscula pura rogans (Amor im Schoß der Mutter Venus, siehe Med. 126 et puerum c o m p l e x a fouet dans oscula nato); Orest. 60 f. regia uirgo cito per patris colla pependit, | oscula pura petens et dans (in Anlehnung an Cul. 293 oscula cara petens, sc. Orpheus).

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 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

dulcia figet (sc. Amor in Gestalt des Ascanius)846; 715–719. Auf diese Vergilszene rekurriert auch Dracontius in Hyl. 71 ff., als er Cupido die Gestalt einer Wassernymphe annehmen läßt, die sich dann unter die Schar der anderen Peneiusnymphen mischt und diese mit ihren Liebespfeilen verwundet, s. Weber 182 f. Der ‚Aegritudo‘-Dichter scheint diesen Zusammenhang gesehen zu haben; denn neben den genannten Vergilreminiszenzen finden sich in den szenisch dem ‚Hylas‘ verwandten Verspartien der ‚Aegritudo‘847 auch Anklänge an Dracontius – öfter mit wohl bewußt verfremdeter Zuordnung848.

Drac. Hyl. 19 ff. / Med. 146 ff. / Aegr. 42 ff. In Aegr. 42 ff. sucht Cupido in einem Selbstgespräch nach einem angemessenen Pfeil, mit dessen Hilfe er den Rachewunsch seiner Mutter Venus (16 f. 41 f.) erfüllen kann849. Er greift zunächst nach dem Pfeil, durch den er einst Jupiter dazu gebracht hat, als Goldregen (vom Himmel) herabzufallen und Danaë mit goldgelbem Liebessamen zu schwängern, dann nach zwei weiteren, durch die er bewirkte, daß Jupiter als Schwan die Leda liebte bzw. als Satyr die Antiopa in den Armen hielt. Doch befindet er all seine Pfeile für kraftlos: Sie haben früher ihre Liebeswunden geschlagen; für Perdicas muß ein neues Geschoß gefunden werden. Dies holt er sich aus einem Schilfgebüsch am Ufer des Bächleins, wo 846 Die Floskel paruit officio (78) dürfte aus dem gleichen Versauftakt in Claud. cons. Stil. 2,271 stammen (s. Claud. 22,270 ff. nec segnius illa [sc. dea Roma] | p a r u i t o f f i c i o, raptis sed protinus armis | ocior excusso per nubila sidere tendit), die Junktur Castaliam r e d d i t Perdicae nomine m a t r e m [sc. Cupido] auf Claud. carm. min. 17,24 verweisen (vom Standbild zweier Brüder, von denen der eine der Mutter, der andere dem Vater ähnlicher sieht): alter in alterius r e d d i t u r ore p a r e n s. 847 In beiden Epyllien verläßt Cupido die klagende Venus, ergreift seine Waffen und fliegt zur Erde hinab. In beiden spielt ein Hain eine Rolle, in dem Amor seine Gestalt verwandelt, um seine Liebespfeile (Hyl. 111 / Aegr. 81) ans gewünschte Ziel zu bringen: Hyl. 80 uolucer fugiens nemus i n t r a t opacum, | moxque dei uultus uestiuit imago Naidis; 90 misceturque puer N y m p h i s sub fronte puellae / Aegr. 25 lucus erat; 40 ff. lucus Amoris erat; delapsus ab aethere pinnis | … | … pharetramque sagittis | plenam fundit humi (vgl. Hyl. 71 ff.); Aegr. 63 ff. ad lucum Perdica uenit … | inlimes respexit aquas n y m p h a s q u e recentes | umbriferumque nemus … | i n g r e s s u s postquam est lucos; 77 ff. tunc aliger ille | paruit officio mutatusque ore Cupido | complexus… dedit … tristis imago. 848 Hyl. 75 euolat armatus. uix caelum liquerat ales, | iamque tenet terras / Aegr. 22 qui Cecropias nunc deserit arces, | iam praeda est Veneris, iam flammis atque sagittis | armatus tenuit seruans iter omne Cupido. Bemerkenswert ist die Übereinstimmung in der seltenen, späten Verwendung von dimittere für relinquere, s. Hyl. 72 d i m i t t e n s matrem, aufgenommen (in verändertem Zusammenhang) in Aegr. 86 quam (sc. matrem)  … d i m i s e r a t olim. Ebenfalls in verändertem Zusammenhang ist der Versauftakt illicitos … toros von Hyl. 37 eingesetzt in Aegr. 183, s. S. 32. 849 Das Motiv stammt ursprünglich aus Ov. met. 5,379 ff.; s. Schetter 274.



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er ein Rohr samt Wurzeln ausreißt, um daraus einen besonders wirksamen Pfeil herzustellen850: Aegr. 42 paruit imperio matris pharetramque sagittis plenam fundit humi tollitque e pluribus unam ‘Hoc telum est’ dicens ‘olim quo Iuppiter auro 45 decidit et Danaen fuluo compressit amore; ast’ (aliud tollit) ‘Ledam hoc quo cycnus amauit, Antiopam satyrus t e n u i t; iam fessa sagitta est. quo, Perdica, tibi calamo firmemus amorem? uulnera iam nostrae ueteres fecere sagittae, 50 nunc noua uisenda est.’ dixit riuumque secutus quaerit harundineas scrutatus limite siluas. nec mora nata deo est: namque obuia uenit harundo, quam puer excussam totis radicibus aufert (etc.).

Die drei „Jupiter-Pfeile“ hat der ‚Aegritudo‘-Dichter aus dem oben berührten Venus-Cupido-Dialog des ‚Hylas‘ geborgt. Dort fragt Cupido die gekränkte Mutter: o genetrix, quo tela uocas …? (16), und verspricht ihr Genugtuung, selbst wenn sie Jupiter als Ziel benennen sollte (19 si cupias ipsum flammare Tonantem). Zur Bekräftigung zählt er all die früher durch seine Pfeile verursachten Liebeseskapaden des Donnerers auf (Hyl. 20–27 – frei nach dem Katalog in Ov. met. 6,103– 116)851. Neben den Stichworten satyrus cygnus (Hyl. 24) findet sich dort auch der Vers, cadat aureus imber, | diuitias ut tecta pluant (Hyl. 22 f.). Der umfangreiche Katalog in Hyl. 19 ff. kann nicht aus den drei Exempla der ‚Aegritudo‘ entwickelt sein, sondern geht klar auf die genannte Arachne-Episode Ovids zurück. Also sind die drei soeben benannten Stichworte der ‚Aegritudo‘, die sich so bei Ovid nicht finden852, aus dem ‚Hylas‘-Epyllion entlehnt.

850 Möglicherweise kam die Anregung zu dieser Erfindung aus Reposians ‚De concubitu Martis et Veneris‘, wo berichtet wird, „daß die Quellen des Hains von Röhricht umstanden sind, dessen sich Cupido zur Herstellung seiner Pfeile bedient (v. 48 ff.): texerat hic liquidos f o n t e s non uilis h a r u n d o, / sed qua saeva puer conponat tela Cupido“ (so Schetter 266). Nach Schetter hat Reposian sowohl auf die ‚Aegritudo‘ als auch auf Dracontius eingewirkt (264–268). 851 Siehe oben Anm. 836. 852 In dem langen Katalog sind die drei hier zu erörternden Episoden folgendermaßen umschrieben: met. 6,109 fecit olorinis Ledam recubare sub alis; | addidit, ut satyri celatus imagine pulchram | Iuppiter implerit gemino Nycteida fetu, | (Amphitryon fuerit, cum te, Tirynthia, cepit,) | aureus ut Danaën, Asopida luserit ignis (etc.). Zurli verweist im Apparat der Teubneriana zu Aegr. 44 auf Stat. silv. 1,2,136 in hanc uero cecidisset Iuppiter auro, wo das sachlich befremdende Attribut vielleicht trotz Vollmers Erläuterungsversuch (im Kommentar ad loc.) mit Herzog zu u e r < s > o (auro) geändert werden sollte („Jupiter mittels ‚gewandelten Goldes‘“, d.  h. „in der Form von Gold, das durch Wandlung zustandegekommen ist“). Die poetische Sprache liebt ja

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 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

Da der Cupido des ‚Aegritudo‘-Dichters nur drei Pfeile aus Jupiter-Episoden prüft, kann er sich kaum als Vorbild für den Venus-Cupido-Passus in Dracontius’ ‚Medea‘ empfohlen haben, wo er als passenden Pfeil, der die kolchische TempelPriesterin in Liebe zu Jason entbrennen lassen könnte, jenen Pfeil auswählt, der einst „Medeas Herrin, die dreieinige Göttin Diana-Luna-Proserpina“ mit Leidenschaft zu dem schönen Hirten Endymion erfüllte853. Dieser Medea-Diana-Bezug spielt auch bei der späteren Ausführung des Plans eine zentrale Rolle (s. 185 ff.), muß demnach als Leitmotiv einer einheitlichen Erfindung verstanden werden, die dem Dracontius zuzuschreiben ist. Wie im ‚Hylas‘ hat er auch in der späteren ‚Medea‘ die ganze nachfolgende Handlung aus einem Dialog zwischen Venus854 und Cupido entwickelt, der dazu führt, daß der Liebesgott seine Pfeile im ersteren Falle auf die Quellnymphen, im zweiten Falle auf die Diana-Priesterin Medea richtet. Zu dieser Gesamtkomposition aus einer Hand gehört auch das Selbstgespräch Cupidos über die Wahl des angemessenen Pfeiles: Drac. Med. 146 spicula saeua legit, quibus olim L u n a per umbras pastorem flammata t e n e t nec s u s t i n e t ignes Luna Cupidineos, Solis quae s u s t i n e t orbem et fratris radiis conceptus lucis adoptat. 150 ‘Hoc’ ait ignipotens ‘telo Medea cremetur, quo Scythicam succendit Amor, dominaeque sagittas excutiam per templa uolans, et uirgo cruenta approbet hos arcus dominae plus posse pharetris. namque D i a n a feras, ceruos et figere dammas 155 adsolet: hoc telum reges et numina figit.’

Dieses Selbstgespräch hat der ‚Aegritudo‘-Dichter 42 ff. der äußeren Form nach imitiert, wie besonders die Entsprechungen hoc telum / telo, quo zeigen. Doch inhaltlich mußten Änderungen vorgenommen werden: Der Pfeil aus der LunaEndymion-Episode war im speziellen Zusammenhang des Medea-Mythos angemessen, nicht aber in der ‚Aegritudo‘-Konzeption, wo es um einen besonders wirkungsvollen Pfeil geht, der alles bisher Erprobte übersteigt. Da bot sich von selbst die Übersteigerungsformel der ‚Hylas‘-Szene (19 si cupias i p s u m flammare

kühne Verschiebungen und Vertauschungen von Satzgliedern und deren Beziehungen, von Servius zu Aen. 1,9 (‚uoluere casus‘ id est ‚casibus uolui‘) unter den Begriff ‚Hypallage‘ gestellt. Siehe M. Hillen, Studien zur Dichtersprache Senecas, Berlin 1989 (dort das umfangreiche Kapitel „Hypallage“, S. 148–289). 853 Siehe Schetter 274 f. 854 In der ‚Medea‘ des Dracontius verfolgt Venus nicht eigene Ziele, sondern vertritt ein Anliegen der Göttin Juno.



Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s 

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T o n a n t e m) an, mit dem Ergebnis, daß von dort drei „Jupiterexempla“ geborgt und in die Form des Cupido-Raisonnements der ‚Medea‘ gegossen wurden. Oben wurde gezeigt, daß der ‚Aegritudo‘-Dichter seine Anlehnung an das ‚Hylas‘-Epyllion durch drei Stichwortentsprechungen zu erkennen gegeben hat. Seine Abhängigkeit von der ‚Medea‘ des Dracontius verrät, von den genannten Junkturen hoc telum … quo (44, vgl. hoc quo 46) abgesehen, auch das unscheinbare Verb t e n u i t in 47 (Antiopam satyrus t e n u i t ), das aus Med. 146 ff. (s.  o.) entliehen ist. Dort h ä l t nachts die Göttin Luna den Hirten Endymion (in Liebe umschlungen)855, die das Feuer des Liebesgottes nicht a u s h a l t e n kann, obwohl sie doch die glühende Sonnenscheibe a u s h ä l t. Dracontius hat das Verb tenet in den Zusammenhang eines pretiösen Wortspiels gerückt (tenet … sustinet … sustinet), der ‚Aegritudo‘-Dichter löst es aus seinem speziellen Beziehungsgeflecht und überträgt es unspezifisch auf Jupiter, der als Satyr Antiopa „gehalten“ oder „in Besitz genommen haben“ soll, wo doch Ovid zeigt (s.  Anm. 852), daß die durch Überlistung erzwungene Zeugung des Zwillingspaars Amphion und Zethos zu umschreiben war. So vermag allein der Vers Aegr. 47 in der Wortfolge satyrus t e n u i t bereits die kontaminierende Vermischung zweier Dracontiusszenen sinnfällig zu machen, repräsentiert durch die Verse Hyl. 24 und Med. 146 f.

Drac. Orest. 795 ff. / Aegr. 84 Als Orest und Pylades ihre Rachetat ausgeführt haben, begeben sie sich zurück in den Königspalast: Orest. 795 tunc r e p e t u n t pariter r e g a l i a l i m i n a torui856. 798 r e g i a sanguineos susceperat aula sodales; conueniunt Danai, r e g i s sub honore salutant, 800 pars dolet Atriden, set pars dolet altera m a t r e m.

855 Zu tenet im Sinne von complexa tenet s. Rossb8 847 f. – Es scheint hier nicht die sexuelle Vereinigung gemeint zu sein wie etwa bei Properz (2,15,15 f.) und Pausanias (wo Endymion 50 Töchter mit Selene gezeugt haben soll: 5,1,4), sondern die Liebe der Göttin zum Schläfer Endymion; vgl. Cic. Tusc. 1,92 Endymion uero, si fabulas audire uolumus, ut nescio quando in Latmo obdormiuit, …, nondum, opinor, est experrectus. num igitur eum curare censes, cum Luna laboret, a qua consopitus putatur, ut eum d o r m i e n t e m o s c u l a r e t u r ? Mart. 10,4,4 quid tibi dormitor proderit Endymion …? Siehe Mayors Kommentar zu Iuv. 10,318. Die adverbielle Bestimmung per umbras entspricht der Angabe σκοτίῃ ἐνὶ νυκτί in Apoll. Rhod. 4,60 (wo wiederum der Schläfer das Ziel der Begierde zu sein scheint). 856 Vgl. Stat. Theb. 11,756 l i m e n tumidus r e g a l e p e t e b a t.

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 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

Aus dieser Stelle hat der ‚Aegritudo‘-Dichter seine regalia limina übernommen: Aegr. 82

qui (sc. Perdica) postquam somno miser est deceptus acerbo, ardet in incesta puero stimulante figura i n g r e d i t u r que suae r e g a l i a l i m i n a m a t r i s.

Denn im ganzen Gedicht wird sonst nur auf die M u t t e r Castalia abgehoben, nie wird sie als Königin bezeichnet857, und nie von einem Königspalast gesprochen. Dagegen begegnet im ‚Orestes‘ 7mal das Adjektiv regalis und darüber hinaus 51mal der Wortstamm reg* (regina, regia coniunx etc.); die r e g a l i a limina aber sind in einen Zusammenhang eingebunden, in dem gleich anschließend die Junkturen r e g i a aula und r e g i s sub honore folgen. Es ist also offenkundig, daß in Aegr. 84 die fertige Floskel regalia limina858 entliehen und unpassend in einen Zusammenhang eingesetzt wurde, in dem Castalias Königinnenstatus ausgespart war.

Drac. Orest. 157 ff. 580 ff. 565; Romul. 5,5 f.; 8,154; 10,297; laud. 3,496 / Aegr. 178–188 Nachdem in der ‚Aegritudo‘ der Arzt Hippokrates dem Liebeskranken den Puls gefühlt und die Ursache seines Siechtums der Mutter kundgetan hat (173 causa subes, m a t e r), besucht diese ihren Sohn am Krankenlager (176 f. natumque cubantem | aggreditur) und schlägt ihm Alternativen vor (redditque pio de pectore uoces): Hochzeit mit einem jungen Mädchen oder einer verwitweten Frau – wenn nur nicht der heftige Amor dazu nötige, das verbotene Ehegemach ihres Gatten zu berühren und so die Ehre der Mutter zu beflecken: ‘Nate, precor, miserere mei, miserere tuorum: lumina tu partus, tu me facis esse parentem. 180 indica: si uirgo est, hymenaeos iungere possum; si uero m a t r o n a foret uiduata marito, ne dubites, cura mea est. hoc maesta uerebar, illicitos ne forte toros temptare mariti cogeret acer amor m a t r i s que grauaret honorem.’

857 Siehe auch Bright 241. 858 Sie scheint in der Dichtung nur zwei Parallelen im Singular zu haben: Stat. Theb. 11,756 (s. Anm. 856) und Claud. carm. min. 30,130 f. tales sceptriferi uisurae tecta parentis | l i m e n Honoriades p e n e t r a n t r e g a l e sorores.



Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s 

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Der Passus steckt voller Reminiszenzen an Dracontius: Über illicitos … toros temptare (183) wurde im Rahmen des Hylas-Epyllion gehandelt (S. 31 ff.). Die Begriffe mariti … matrisque in 183 f. sind komplementär, müssen sich also auf die Mutter Castalia und ihren Gatten (Perdicas’ Vater) beziehen. Umso erstaunlicher ist, daß zwei Verse zuvor in der Alternative uirgo – matrona der Begriff marito in allgemeinem Sinne bei der Umschreibung einer Witwe, die ihren Ehegemahl verloren hat, verwendet worden war. Der Anonymus hat dort eine von Dracontius geprägte Formel übernommen, siehe Romul. 5,5                                                                                                                                             uiduare maritis m a t r o n a s, orbare patres, iugulare propinquos. 8,153 patriamque premit (sc. genitor) natosque nefandus odit et Andromachen quaerit uiduare marito. 10, 297 orba parens natos plangat, uiduata marito lugeat et sterilem ducat per saecula noctem859. laud. 3,496 femina prima ducum Nino uiduata marito860.

Perdicas’ Reaktion auf Castalias Angebot wird wie folgt geschildert: Aegr. 185

Ille silet solumque t r a h i t s u s p i r i a l o n g a auertens faciem nec matrem cernere rectis luminibus poterat sacro prohibente pudore861. ‘ Ma t e r’ ait ‘discede, precor: plus uris a m a n t e m.’

Die Junktur suspiria longa trahere scheint aus Dracontius geholt: sie begegnet sonst nur im ‚Orestes‘ – einmal, als Klytämnestra den unheilvollen Spruch der

859 Siehe Orest. 390 f. (Clyt. über Agam.) conisus uiduare n u r u s, orbare parentes | et natos spoliare rudes pietate paterna; damit verwandt ist Romul. 8,629 f. heu quantos raptura uiros (sc. Mors), quae fata datura | aut quantas per bella n u r u s uiduare parata! 860 Die Formel begegnet ein weiteres Mal in einem Medea-Epigramm aus Vandalischer Zeit (AL 102 R2 (= 91 SB), offensichtlich auch dort unter Einfluß des Dracontius: 102,3 sed quamuis m a t e r uiuo uiduata marito coniugis in poenam pignora cara metat (…), vgl. Romul. 8,538 ut uiuum linquam non iam moriente marito, post thalamos primi cui debent fata secundum (wo moriente für mortuo steht, s. Rossb7 50). R. Jakobi verweist auf F. Munari, Kl. Schr. (Berlin 1980) 179 und – zur Datierung in Vandalische Zeit – auf L. Zurlis Edition ‚Unius poetae sylloge‘ (Hildesheim 2007) 119; ferner auf dessen Monographie gleichen Titels (Hildesheim 2005 [Spudasmata 105]), S. 72; schließlich auf den Kommentar von N. M. Kay, Epigrams from the Anthologia Latina (London 2006), 100 ff. 861 Ähnlich ist die Reaktion nach der „Brautschau“, die die Mutter veranstaltet hatte: Aegr. 234 f. has tristis Perdica uidens et lumina flectens | in matrem t r a x i t d u r o s u s p i r i a c o r d e, etc.

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 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

Cassandra gehört hat und voller Sorge zurück ins Haus geht, ihre Angst aber vor dem neugierigen Ägisth zu verbergen sucht: Orest. 157

maesta domo quasi laeta redit terrente pauore, ingrediens thalamos s u s p i r i a l o n g a t r a h e b a t corde premens g e m i t u s et gaudia uultibus aptans,

ein zweites Mal aber, als Pylades den zögernden Freund zum Muttermord drängt: Orest. 580 dixerat haec dubius (sc. Orestes), sed non cunctator862 amicus dentibus infrendens s u s p i r i a t r a x i t ab imo pectore l o n g a ferox et sic aggressus Orestem increpitat (…)863.

Diese zuletzt genannten tiefen Seufzer des Pylades folgen als Reaktion auf die vor ihm ausgebreiteten Bedenken Orests, das Schwert in den Schoß der Mutter zu stoßen, die die langen Beschwerden der Schwangerschaft ertragen und ihm so das Lebenslicht geschenkt habe864: 561 transigo funereum m a t e r n a in uiscera ferrum 565 (uiscera, l u c i s iter uel magni ianua mundi!), 562 quae perpessa diu bis quino mense pericla conceptus portasse meos stimulante dolore, 564 semina naturae, blandae primordia uitae? 566 ast ubi sortitus n a s c e n d i iura peregi, (…) 569 fit nutrix quae m a t e r erat (…).

Mit einer Reminiszenz an diese Verse über die materna uiscera als Weg zum Lebenslicht scheint die Mutter Castalia ihre Anrede an den in verschwiegenem Liebesschmerz dahinsiechenden Sohn einzuleiten, die jener mit dem oben vorgeführten Pylades-gleichen Seufzer beantwortet (s.  o. Aegr. 185):

862 Vgl. Stat. Theb. 3,79 ff. inde ultro Phlegyas et n o n c u n c t a t o r iniqui | Labdacus  … ire manuque | proturbare parant. 863 Dracontius selbst mag sich an Reposian (17 f.) inspiriert haben: dum Mars, dum blanda Cythere | imis ducta t r a h u n t s u s p i r i a c r e b r a medullis | dumque intermixti captatur spiritus oris. Bloßes suspiria trahere erscheint Ov. met. 2,753; Val. Fl. 8,457 und Sil. 1,530 tum creber peni­ tusque t r a h e n s s u s p i r i a sicco | fumat ab ore uapor. Das Seufzen Myrrhas bei der Nennung des Vaters in Ov. met. 10,402 f. (Myrrha patre audito s u s p i r i a d u x i t ab imo | pectore, s. Orest. 581  f.) vergleicht Ballaira 224 mit Aegr. 185. 864 Die Textfassung des folgenden Versabschnitts ist o. S. 236  f. begründet.



Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s 

Aegr. 178

 291

N a t e, precor, miserere mei, miserere tuorum: l u m i n a tu p a r t u s, tu me facis esse p a r e n t e m.

„Son, I beg you, have pity on me, have pity on your own: you are the glory of my childbearing, you it is who make me a parent“, so übersetzt Hunt (er lehnt im Kommentar Rohdes limina ab, das Vollmer [1914] in den Text aufgenommen hatte)865. Blickt man auf Orest. 565, wo der Sohn den Schoß der Mutter als Weg zum Lebenslicht (l u c i s iter), als Tor zum Eintritt in das große Weltgebäude (ianua mundi) preist, darf man wohl in Aegr. 179 die etwas eigenwillige Umkehr dieses Bildes aus der Perspektive der Mutter sehen. Die Verkehrung der Handlungsperspektive dürfte sich durch das Einwirken des Verses 566 erklären, wonach Orest866 nicht „passiv“ geboren wird, sondern das Gesetz des Handelns an sich zieht: ast ubi sortitus n a s c e n d i i u r a p e r e g i: „als ich mein Recht auf die Geburt, welches durch Schicksalsschluss mir zugefallen war, ausgeübt hatte“ (Rossberg ad loc.). Auf diese Weise ist tatsächlich er es, der Klytämnestra zur Mutter macht. Demgemäß kann der ‚Aegritudo‘-Dichter mit Blick auf dieses Vorbild seine Castalia sagen lassen, Perdicas, das Ruhmeslicht ihrer Niederkunft867, habe bewirkt, daß sie „Mutter“ geworden sei868. Jedenfalls deutet der Umstand, daß bei beiden Dichtern das Gebärmotiv mit dem eigentümlichen suspiria longa trahere des jeweiligen Dialogpartners verknüpft wird, darauf hin, daß der ‚Aegritudo‘-Dichter die berühmte Orestszene in der Gestaltung des Dracontius vor Augen hatte.

865 Rohde (in Baehrens [s. ‚Aegritudo Perdicae (Ausgaben und Kommentare)‘] 1877, 48) wollte limina partus als „Anfang und Ende“ ihres Gebärens verstehen, also als Hinweis, daß der Sohn ihr einziges Kind sei. Dies läßt sich gewiß nicht halten. Aber auch wenn man me facis ἀπὸ κοινοῦ nehmen und zusätzlich mit limina partus verbinden wollte (vgl. 553 f. sodali | dum narrare parat s u a s o m n i a, noscit [sc. sua somnia] ab ipso), wäre die Verschrobenheit des Gedankens („Du machst mich zur S c h w e l l e d e i n e r G e b u r t, du machst, daß ich Mutter bin“) so groß, daß man sich auf dieses Experiment lieber nicht einläßt. 866 Oder sein Embryo, siehe Orest. 563 f. 867 Zu lumina partus kann man vergleichen: Ven. Fort. carm. 4,22,12 quae (sc. genetrix) meruit p a r t u l u m i n a ferre suo; Sedul. Scott. carm. 2,79,13 florentem iuuenem p e p e r i s t i s nobile l u m e n; Vulg. Osee 9,11 g l o r i a eorum a p a r t u et ab utero et a conceptu; Zeno Veron. 1,59,2 ad hanc igitur g l o r i a m tardi p a r t u s ubertas et fecunditas desperata profertur. 868 Ob auch Orest. 569 (f i t nutrix quae m a t e r e r a t ) bei der Prägung des Ausdrucks me f a c i s e s s e p a r e n t e m eine Rolle gespielt hat, lasse ich offen.

292 

 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

Orest und Perdicas in Athen Aegr. 18 hinc quoque partus amor redeunti ad tecta parentum, infelix Perdica, tibi (nam n u p e r A t h e n a s 20 uenerat et s t u d i i s animos869 praebebat et aures); hinc quoque regreditur matris periturus amore. infelix, qui Cecropias nunc deserit arces. (…) 85 matris enim miserae caros dinoscere uultus non poterat, quam p a r u u s a d h u c dimiserat olim, cum peteret diuae d o c t i s s i m a templa Mineruae.

„Der Prinz Perdicas war nach Athen gekommen, um sich dem Studium zu widmen. Dort ehrte er alle Götter durch Opfer und Gebet, nur Venus und ihren Sohn Amor (Cupido) nicht. Darüber erzürnt, beschloß die Göttin, ihn zu verderben. Als er sich auf dem Wege aus Athen in die Heimat mit seinen Gefährten ermüdet in einem Haine zum Schlafe niederlegte, erschien ihm auf Geheiß der Venus im Traume der Liebesgott in Gestalt seiner Mutter Castalia, die er als Kind verlassen hatte und daher von Antlitz nicht mehr kannte; sie umarmte ihn und flößte ihm rasende Liebe zu dem Trugbild ein. In der Heimat trat ihm die Mutter entgegen: entsetzt erkannte er in ihr die Traumgeliebte.“ In dieser Weise erläutert Mesk (167 f.) das vom ‚Aegritudo‘-Dichter eingeführte Motiv eines Athen-Aufenthaltes des Perdicas, das sich sonst nirgends zu finden scheint. Es wurde hinzuerfunden, um die Voraussetzung für die inzestuöse Liebe zur eigenen Mutter zu schaffen. Doch hat Mesk einen Widerspruch in der Zeitangabe zwischen 19 (nuper) und 86 (paruus adhuc) gespürt, über den sich der Dichter hinweggesetzt habe870. Wer als Jüngling ins Elternhaus zurückkehrt, ohne die Züge der Mutter zu kennen, muß eine lange Trennung hinter sich, also als kleines Kind die Eltern verlassen haben – aber als kleines Kind begibt man sich nicht studienhalber nach Athen. Der ‚Aegritudo‘-Dichter schöpft auch dort, wo er neuert, aus Quellen, die ihm passenden Stoff oder bereitliegende Formulierungen liefern. Wieder richtet sich unser Blick auf den ‚Orestes‘, dessen Titelfigur ebenfalls nach Athen gebracht wird und von dort schließlich als Rächer nach Mykene zurückkehrt. Dabei knüpft Dracontius – wie Schetter (352) gezeigt hat871 – nicht an die griechische Tragödie, sondern an die frühepische Version der Orestessage an, in der Orest sein Exil nicht in Phokis, sondern in Athen verbringt (s. Hom. Od. 3,306 f.)872:

869 animum Baehrens (es ist eine Angleichung an aures erfolgt, s. Hunts Kommentar S. 40). 870 Wenngleich nuper auch „vor längerer Zeit“ bedeuten kann. 871 Unter Verweis auf Friedrich (1967) 181. Siehe in jüngerer Zeit Bouquet (1995) 101211 und Grillone (2008) 118. 872 Zur Textgestaltung des folgenden Abschnitts s. S. 204 f.



Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s 

 293

Orest. 285 sed tamen ultorem patris seruauit Oresten: faucibus eripiens germanum Electra parentis 287 imposuit puppi secumque abduxit A t h e n a s 289 (quae ratis aduexit regem, haec pignora regis 290 spesque Agamemnonias et Troica gaza reportat) 288 et bene sollicitum s t u d i i s s a p i e n t i b u s addit. 291 cuius erat nimium fidus Pylades amicus; iunxerat hos s t u d i u m sollers et gloria linguae873.

Hier konnte der ‚Aegritudo‘-Dichter im Zusammenhang eines erzwungenen Athenaufenthaltes, der von der älteren Schwester Elektra als Bildungschance für ihren Bruder begriffen wurde, das Stichwort studiis finden, das er in Aegr. 20 übernommen und in 87 (diuae d o c t i s s i m a templa Mineruae) andeutend umschrieben zu haben scheint. Der kleine Orest war bis zu Beginn seines zwölften Lebensjahres in der Obhut der Mutter (572 donec ab undecimis me aetas eximeret annis) und kehrte nach sieben Jahren und acht Monaten (455), also mit knapp zwanzig Jahren, als Rächer aus Athen zurück. Wollte man diese Zahlen auch in den beiden ‚Aegritudo‘-Partien voraussetzen, blieben doch starke Zweifel, ob ein Kind vom Anfang des zwölften bis zum zwanzigsten Lebensjahr das Aussehen seiner Mutter so sehr vergessen kann, daß er sie in einer Traumszene nicht wiedererkennt. Aber darüber setzt sich der ‚Aegritudo‘-Dichter hinweg874.

Drac. laud. 2,297 ff. / Med. 457 ff. / Orest. 1 ff. 831 f. 965–974 / Aegr. 1–11 Die im bisherigen Verlauf der Untersuchung aufgedeckten literarischen Motive und Sprachformeln, die Dracontius und dem ‚Aegritudo‘-Dichter gemeinsam sind, lassen durchgängig Dracontius als die Quelle erscheinen, aus der dem ‚Aegritudo‘-Epyllion die Gestaltungsmuster zugeflossen sind. Dies gilt auch für den Auftakt des Gedichts:

873 Orests Athenaufenthalt kommt noch 516 f. in den Blick. Dort spricht der Schatten Agamemnons seinen (inzwischen ausgebildeten) Sohn Orest (altus Orestes | illic quippe fuit) und Pylades an als iuuenes grandibus i n s t r u c t o s s t u d i i s et fortibus armis (527/529); vgl. ferner 592. 638. 655 (und – zur Rückkehr nach Mykene – 685 uiderat Atrides muros, quos l i q u e r a t i n f a n s). 874 Durch Chr. Schmitz bin ich nachträglich auf die Studie von T. Privitera (1996) hingewiesen worden, die ihrerseits das „Athen-Motiv“ bei Dracontius und in der ‚Aegritudo‘ ausführlich erörtert (s. besonders 142 ff.) und  – in Anlehnung an eine beiläufige Bemerkung D. Romanos (1958–59, 171) – beide Gedichte miteinander in Verbindung bringt, ja, eine strukturelle Abhängigkeit der ‚Aegritudo‘ (insbesondere der Figur des Perdicas) vom ‚Orestes‘ vermutet. Auf sie bezieht sich dann Zurli (2001) 299 ff.

294 

 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

Aegr. 1 Dic mihi, parve p u e r: numquam tua tela quiescant? 2 n o n s a t e r a n t frondes, non … nec … nec …? 5 hoc tibi restabat postremum, saeue Cupido: ad dirum matris iuuenem compellis amorem! 7 m u t a, p r e c o r, f l a m m a s a l i a s que intende sagittas875. 8 quid possit nosti p i e t a s et p e r f i d a m a t e r, et Paphiae quam t r i s t e d e c u s a r c e r e f u r o r e m876.

Der Gestus der empörten Frage n o n s a t e r a n t   …, non  … nec  … nec …? (und wohl auch die Zuspitzung in 5 f. hoc tibi restabat postremum  … matris  … amorem)877 geht auf Dracontius zurück, vgl. laud. 2,297 n o n s a t e r a n t …? 301 … n e c   … s a t e s t  … . Im ‚Orestes‘ begegnet er einmal als Frage: Orest. 831 i m p i e, n o n s a t e r a t p i e t a t i s uulnus acerbum878, ut scelerata manus macularet sacra deorum?,

zweimal in abgewandelter Form, das letzte Mal im abschließenden Gebet, wo sich im Schlußvers auch das Verb arcere – ebenfalls in der Versklausel – findet, das in Aegr. 9 Paphiae … a r c e r e furorem eingegangen sein dürfte879: Orest. 499 n o n s a t e r u n t quaecumque reis tormenta paratis. 965 uos p i e t a s miseranda rogat, uos mitis honestas880 (…): 969 crimina Lemniadum s a t e r a n t, Danaeia festa, 970 quae thalamos fecere rogos881, et facta Thyestis innumerumque nefas, quod sit narrare pudoris882 (…)

875  Vgl. Med. 457 si Furias saeuire p r e c o r nec sponte nocetis, non estis Furiae: nomen m u t a t e domosque, ponite serpentes, a l i e n a s reddite f l a m m a s 460 et p u e r u m V e n e r i s, quem iam tempsistis, amate. 876 Vgl. Aegr. 17 haec d i r i causa f u r o r i s. 877 Vgl. die Überbietungsformel in Drac. Hyl. 19–44, dort 38 natus matris amator (s.  o. S. 31 f.). 878 In p i e t a t i s u u l n u s a c e r b u m darf man zugleich eine der Vorbildformeln sehen, die in Aegr. 8 f. anklingen: quid possit nosti p i e t a s et perfida mater, | et Paphiae quam t r i s t e d e c u s arcere furorem. 879 Vielleicht in Kontamination mit Lucan. 2,295 f. procul hunc a r c e t e f u r o r e m, | o superi. 880 Vgl. Aegr. 89 pietatis honore; 138 maternae pietatis honos; 183 f. ne … acer amor matris … gravaret h o n o r e m. 881 Vgl. Aegr. 4 (non sat erant …,) non tristes epulae, per quas petit aera Tereus? 882 Vgl. Aegr. 10 f. claudite nunc animos miserandaque pectora, matres, | ne scelus hoc uestras iteratum polluat aures und die Stichworte pudor/Pudor in Aegr. 187. 197. 199. 201. 200–218 (204 f. uerbaque multa … | Perdicae miseri moriuntur in ore p u d i c o; 213 improbe, quae mandas non possum dicere matri).



Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s 

973

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                                        uestro iam parcite mundo atque usum scelerum miseris a r c e t e Pelasgis.

Die Verse 8 f. waren seit Rohdes scheinbarer Textverbesserung et, perfide, mater883 lange verkannt. Nur Riese hatte 1906 (S. 285 f.) noch einmal den Versuch gemacht, mit dem im codex unicus H überlieferten perfida auszukommen und perfida mater auf Venus als Urheberin von Liebesfuror zu beziehen. Dies ist durch Mariotti–Rizzo (1994) mit Verweis auf Hor. carm. 3,27,67 p e r f i d u m ridens V e n u s (S. 466) gesichert worden. Der emotional involvierte Dichter sucht den Knaben Cupido zu veranlassen, der rachsüchtigen Mutter (17 hinc offensa dea est, haec diri causa furoris) wenigstens insoweit den Gehorsam zu verweigern (vgl. 42 paruit imperio matris), als er eine andere Form der Strafe wählt. Denn er wisse, was das Zusammenspiel zwischen pflichtbewußter Kindesliebe (die pietas Cupidos gegenüber Venus) und der schadenfroh-trügerischen Mutter (perfida mater) zu bewirken vermag884. Auch sei ihm bewußt, welch eine verderbliche Heldentat es ist (triste decus), den von Venus erregten Liebesbrand abwehren zu wollen. Dies mag eine Anspielung sein auf den Perdica furens in Hyl. 41 (und auf die nachfolgende Perdicas-Erzählung); es stellt sich aber auch die Frage, ob zu Beginn des 6. Jh.s in irgendeiner Form (z.  B. in einer der vom ‚Aegritudo‘-Dichter genutzten Quellen) noch Kenntnis von Theokrits Daphnis vorhanden war885. Das pointierte Oxymoron triste decus hat der ‚Aegritudo‘-Dichter kaum von sich aus erfunden. Vielmehr dürfte er sich an die lange Oxymora-Reihe erinnert haben, mit der Dracontius seinen ‚Orestes‘ beginnt886. Die vermutlich von dort

883 Siehe Rohdes Anhang zu der von Baehrens 1877 herausgebrachten ‚Aegritudo‘-Edition. 884 Dieses Wissen hat Cupido in dem langen Katalog der bereitwillig gewährten Dienste zu Beginn des ‚Hylas‘ kundgetan, dort schließlich auch die Verwandlung in eine Najade vollzogen, ut possit complere d o l o s a c i u s s a p a r e n t i s (2,83; vgl. 111 armat tela d o l i s). Der (bisherige) Gipfel des verwerflichen Zusammenwirkens aber wurde – so darf man supplieren – in dem von Dracontius durchgespielten Medea-Drama erreicht, wo die lasciua Venus (52. 122) im Auftrag Junos den gehorsamen Sohn zu Pfeilen greifen läßt, die am Ende die Ermordung Kreons, Kreusas, Jasons und der Kinder Jasons durch die eigene Mutter bewirken werden. Das mitleidlosneckische Spiel der Götter mit den Menschen wird nicht nur durch das zu Venus gestellte Attribut lasciua (oder blandita, 127) zum Ausdruck gebracht, sondern auch durch die entsprechenden Reaktionen Amors (145 risit Amor, 210 et ridens g a u i s u s, 262 ff.), womit Aegr. 209 saeue puer, semper lacrimis et funere g a u d e s zu vergleichen ist, wo der liebeskranke Perdicas wünscht, Cupido könnte seine Liebespfeile gegen sich selbst kehren – ut credas quid possit amor (212), ein deutlicher Rückverweis auf Aegr. 7–9. 885 Siehe Theocr. 1,66 ff. (66 ὅκα Δάφνις ἐτάκετο) und 1,95–103. 886 Drac. Orest. 1 ff. gaudia maesta canam detestandosque triumphos | … festiua cruenta etc.; s. Rossberg (1888) 5 f. und die späteren Kommentare; ferner Orest. 8 impietate pium, reprobae

296 

 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

bezogene Stilfigur aber hat er in eine Floskel gegossen, die aus Silius Italicus entlehnt scheint887.

* Für eine Datierung der ‚Aegritudo Perdicae‘ n a c h Dracontius sprechen auch prosodische Lizenzen wie die dreimalige Kurzmessung des langen -a der Imperative muta (7), indica (180), certa (238), die bei Dracontius (noch?) gemieden ist, während sonst die beiden Dichter in Prosodie und Metrik eng verwandt sind888. Auf zeitliche Nähe zu Luxurius deutet vielleicht der idiomatische Ausdruck nescio, sed gratum memini (bzw. ferimus) im Sinne von: „Ich weiß nicht, aber gerne (gratum adverbiell) erwähne ich“ bzw. „ertrage ich“ (Aegr. 37 / AL 314,2/5 R.2 [= 309 SB])889. Ein sicherer Terminus ante quem für die Entstehung der ‚Aegritudo‘ im 6. Jh. läßt sich nicht benennen. Der äußere Anschein deutet darauf hin, daß in dem Boethius des Maximian, der als hilfreicher Arzt in Liebesdingen auftritt (eleg. 3,47 ff.), Züge gespiegelt werden, die für den Hippokrates der ‚Aegritudo‘ charakteristisch sind (Aegr. 152 ff.): In beiden Dichtungen verschweigt ein aus unerfüllter Liebe hinsiechender junger Mann den Grund seiner psychischen Krankheit, bis ein hochangesehener Arzt (Hippokrates)890 bzw. ein weiser, in Liebesdingen erfahrener Mann (Boethius)891 das Geheimnis lüftet. Einer Heilung steht in

probitatis Orestem; 15 n e f a s l a u d a b i l e nati; 19 furor … pius, pietas … noxia und o. zu Orest. 831 (Anm. 878). 887 Sil. 2,435 (die Strafe, die Regulus erträgt, ist ein triste decus) und 6,584 ff. (die Mutter des Serranus hatte vergeblich gewünscht, daß ihr verwundeter Sohn sich nicht durch das triste decus, das ‚verderbliche Heldentum‘ seines kriegerischen Vaters zum Waffenkampf aufstacheln ließe). Silius Italicus wird im 5. und 6. Jh. in Nordafrika gelesen, sowohl vom späten Epiker Coripp als auch von Dracontius, s. Vollmers Similienapparat in der MGH-Ausgabe (1905): Romul. 2,33; 8,205. 453; 9,43; 10,91; Orest. 15. 29. 157. 293. 395. 563. 698. 707. 915. 888 Siehe die Appendix in Zurlis Teubneriana S.  14 f.; Vollmers ‚Notabilia metrica‘ (1905) 441 ff. und Wolff 83 ff. 889 Siehe o. zu Anm. 833. 890 Wie in der ‚Aegritudo‘ der alterprobte und erfahrene Hippokrates am Ende der Untersuchungsszene aus der Schar der herbeigerufenen Ärzte (138 ff.) heraustritt und die Diagnose ‚Liebeskrankheit‘ stellt, die nicht in die Kompetenz der Medizin falle (152–174), so in Heliod. Aeth. 4,7,4 der gelehrte Arzt Akestinos: ἰατρικὴ γὰρ οὐδὲν ἂν οὐδαμῶς ἀνύσειε πρὸς ταύτην. Der ‚Aegritudo‘-Dichter bewegt sich hier also deutlich in den Bahnen der griechischen Novellistik. 891 W. Chr. Schneider, Die elegischen Verse von Maximian, Stuttgart 2003, 16 verweist auf Heliod. Aith. 4,10 (Charikleia und der weise Kalasiris). Heliodor vereinigt also beide diagnostische Szenen in seiner Erzählung: sowohl die auf medizinische Erfahrung bauende (s. Anm. 890) als auch jene, die der Weisheit praktischer Lebensphilosophie vertraut (so bei Maximian).



Die Datierung der ‚Aegritudo‘ in die 1. Hälfte des 6. Jh.s 

 297

beiden Fällen das Schamgefühl (pudor) entgegen, das im Falle der ‚Aegritudo‘ als einzigen Ausweg den im Delirium vorweggenommenen Selbstmord offenhält, in der Elegie dagegen zur Heilung von der Liebe und zur Trennung des Liebespaares führt. Die Grundsituation ist also in beiden Dichtungen ähnlich; dies zieht automatisch eine Verwandtschaft im sprachlichen Ausdruck nach sich. Deshalb hat schon F. Wilhelm mit gutem Grund in analogem Zusammenhang892 davor gewarnt, direkte Abhängigkeit zu postulieren, wo in Wirklichkeit eine allen verfügbare Topik des Liebeskranken ausgeschöpft wird, die in jeder Art von erotischer Poesie immer wieder ähnlich eingesetzt werden konnte (608 f.). Demgemäß mahnt auch Zurli (1991) zur Vorsicht: es könne in beiden Texten unabhängige Nutzung „di tecnicismi medici ‚vulgati‘“ vorliegen (314). Wenn er am Ende doch (vor allem wegen des von beiden Autoren benutzten Stichwortes conscia) der Ansicht zuneigt, daß Maximian die ‚Aegritudo‘ gekannt habe (317 f.), muß wohl eingewendet werden, daß das nur mit Mühe verständliche fessae  … c o n s c i a uenae der ‚Aegritudo‘ (v. 166) kaum unmittelbar das an Ov. am. 2,1,8 orientierte agnouit taciti c o n s c i a s i g n a mali des Maximian (3,58) inspiriert haben kann, sondern eher einer gemeinsamen Quelle entsprungen ist, die der ‚Aegritudo‘Dichter kryptisch verarbeitet hat. Man wird sich also mit der Feststellung bescheiden müssen: Die ‚Aegritudo‘ gehört in die Zeit nach Dracontius; sie zeigt sprachliche Gemeinsamkeiten mit Luxurius (s.  o.) und vorwiegend inhaltliche auch mit Maximian893. Sie scheint sich gut in die erste Hälfte des 6. Jh.s. zu fügen.

892 F. Wilhelm, Maximianus und Boethius, RhM 22 (1907) 603–614. 893 Maximians Elegien dürften in der Mitte des 6. Jh.s verfaßt sein, siehe Schneider 50 ff.

2 Perdicas im ‚lucus Amoris‘ Aegr. 31 Der lucus Amoris, in dem Perdicas auf seinem Rückweg aus Athen Rast macht, um der Mittagshitze zu entgehen, wird als typischer ‚locus amoenus‘ gegeben mit schattigen Bäumen, farbenfrohen Blumen, einem rinnenden Bach und singenden Vögeln. Von dem Bach heißt es: Aegr. 31 f o n s que regit medio pronum (vel curuum) [Zw.] per gramina lapsum („und in der Mitte lenkt ein Bach seinen abschüssigen (oder: gewundenen) Lauf durchs Gras“).

Der Codex unicus H (15. Jh.) bietet nota per gramina lapsa, also eine doppelte fehlerhafte Angleichung an per gramina894. Rohde hatte mota … l a p s u m (oder motu/m … lapsus) vorgeschlagen895, Riese (1906) im krit. Apparat torta … lapsum, Barbasz (1924) notum … lapsum erwogen. Zurli meint (im App.) nota … lapsum durch Verweis auf Ciris 300 (nec) Dictaeas ageres a d g r a m i n a n o t a | capellas verteidigen zu können; aber dies ist eine Scheinparallele; denn in Aegr. 31 fehlt ein Pendant zu capellas, also ein Bezugswort für nota (die d e n Z i e g e n b e k a n n t e n Weideplätze). Zu Recht mahnt Hunt (46): „nota is doubly suspect, for it combines a metrical license (notā) and a vague sense.“ Er verwirft mota und torta und verlangt stattdessen ein Attribut zu lapsum: „something like liquidum or placidum.“ Nach Musterung der vielen verwandten Beschreibungen zeigt sich, daß für unsere Stelle kaum mehr als zwei passende Attribute übrig bleiben: pronum (sc. lapsum) oder curuum. Zugunsten von pronum sprechen paläographische Erwägungen896 und der Umstand, daß in die verwandten loci amoeni bei Claudian und Ovid jeweils ein von der Höhe eines Hügels herabrinnender Wasserlauf integriert ist, siehe

894 Vgl. dagegen die Sperrung m i x t o s per gramina f l o r e s in Aegr. 65; ferner Verg. georg. 4,19 t e n u i s fugiens per gramina r i u u s; Stat. Ach. 2,115 u a g o per gramina p a s s u; Claud. rapt. Pros. 2,37 a e q u a l i tendit per gramina p a s s u. 895 „lapsum regere nach Analogie von uestigia, iter regere“; zu mota: „die Gräser bewegen sich und schwanken, wenn der Bach sie streift“ (Rohde [in Baehrens 1877] 47). 896 Der Weg von pronũ zu notũ (→ nota) wäre nicht weiter als der von probro zu bono / uono in Orest. 423, s.  o. S. 211  f.





Perdicas im ‚lucus Amoris‘ 

rapt. Pros. 2,101 ff. Ov. fast. 4,427 f.

 299

forma loci superat flores: curuata t u m o r e paruo planities et mollibus edita c l i u i s creuerat i n c o l l e m; uiuo de pumice fontes roscida mobilibus lambebant gramina riuis897; ualle sub umbrosa locus est aspergine multa   uuidus e x a l t o d e s i l i e n t i s aquae.

Als weitere Stützen für das vorgeschlagene pronum … lapsum könnten die folgenden Belege gelten: Epiced. Drus. 250 uade age et immissis l a b e r e pronus aquis (Anrede an den Tiber); Prud. perist. 5,485 nec non et ipsa (sc. uirtus) nunc iubet | seruire sancto corpori | p o n t u m quietis l a p s i b u s | ad curua pronum litora; Claud. 3,158 ire uagas quercus et fulmen stare coegi | uersaque non prono c u r u a u i f l u m i n a l a p s u | in fontes reditura suos (wo curuare im Sinne von „rückwärts fließen lassen“ gebraucht ist).

Demgegenüber scheint curuum paläographisch weniger plausibel: Zwar konnte aufgrund der häufigen (phonetisch bedingten) Vertauschung von o/u und u/o898 aus curuũ per gramina leicht corua per gramina werden. Aber der Schritt von corua zu nota scheint nicht eben trivial899. Wenn man curuum gleichwohl als mögliche Verbesserung in der Diskussion halten möchte, so liegt dies an dem sprachlichen Reiz der spielerisch antithetischen Kombination von „gekrümmt“, „gewunden“ mit dem Verb regit. Die nächste Parallele wäre wohl ein vermutlich auch zeitlich benachbartes Textsegment aus Coripp: Ioh. 2,65 et quis flumineis f o n t e s interserit undis, Silzactae Caunesque leues, qua m o n t i s a b a l t o dirigit incuruis a m n e m per gramina ripis900, Vadara, quem planos currentem fundit in agros901.

897 Man vergleiche den Kommentar von C. Gruzelier (Oxford 1993) S. 182 ff. 898 Siehe Zurlis Tabelle S. VII der Teubneriana; ferner Vollmers Index zur Dracontius-Edition [1905] S. 447. 448) und O. Zwierlein, Die Urfassungen der Martyria Polycarpi et Pionii und das Corpus Polycarpianum, Bd. 1: Editiones Criticae, Berlin/Boston 2014, 17495. 899 Immerhin wäre etwa in Romul. 8,247 (curuasque Ian.: uouasque N) eine Verderbnis zu notasque gut vorstellbar. 900 Zur Sperrung vgl. 4,308 u o l u c r e s per gramina c u r s u s | corripuit. 901 Vgl. Ov. fast. 3,520 (Tiberis curuis  … aquis); Verg. georg. 2,11 (flumina late | curua); Sil. 9,227 ff.; Avien. orb. terr. 1271 flumina … rigidas c u r u a n t l a b e n t i a ripas.

300 

 Dracontius und die ‚Aegritudo Perdicae‘

Aegr. 73 An einem heißen Sommermittag, als Mensch und Tier, erschöpft von der Hitze der Hundstage, Schutz unter schattigem Laubdach suchen (59–62), kommt Perdicas, fessus labore, an einen Hain mit frischen Gewässern, schattigen Bäumen (umbriferum … nemus), Blumen und Gras (63–65). Als er in den „frostigen“ Hain (lucos rigentes) eintritt, fordert er die Gefährten auf (67 ff.), sich an diesem Ort von der Sonnenhitze zu erholen (membra c a l o r e g r a u a t a  … releuare): („…) nam f r i g i d a fontis | uena fluit, flores sunt hic, hic dulcia prata.“ Nach seiner kurzen Ansprache (68–71) läßt man sich im Gras nieder (75), ißt und trinkt und macht einen Mittagsschlaf (in dem Perdicas seine verhängnisvolle Traum-Begegnung mit dem Schattenbild des in die Mutter Castalia verwandelten Cupido haben wird). Zwischen Ansprache und Lagerung schaltet der anteilnehmende ‚Aegritudo-Dichter‘ einen seiner pathetischen Ausrufe ein, mit denen er – den Leser auf den künftigen Gang der Handlung einstimmend – die „Erzählkontinuität“ durchbricht902. Dementsprechend gebe ich die Verse 72–74 als Parenthese: 72 (heu, Perdica, g r a u i s a e s t u s radiosque micantes solis te fugisse putas f r i g u s que [Zw.: lucosque H] petisse? ignoras: intus g r a u i o r tibi f l a m m a paratur!) 75 sic postquam fatus, fusi per gramina terrae accipiunt epulas et dulcia dona Lyaei, post somno reparant uires.

Die mannigfaltigen Verbesserungsversuche, die zu dieser Stelle vorgetragen worden sind, wurden von Vitale (1999) 221 f. ausführlich besprochen. Hervorgehoben seien zu Aegr. 73 Sh. Baileys poenasque und Watts ignesque anstelle des überlieferten lucosque. Erforderlich ist m.  E. ein Gegenbegriff zu grauis aestus (72) und grauior flamma (74) – zwei Junkturen, die Perdicas’ calore grauata (s.  o.) aufnehmen. Es muß f r i g u s que gemeint sein (in Weiterführung der f r i g i d a fontis uena aus Perdicas’ Ansprache), woraus durch Einfluß der beiden voraufgehenden Nennungen des Hains (63 ad lucum, 66 ingressus … lucos … rigentes) lucosque geworden ist. Der emotional mitfühlende Dichter schiebt also den folgenden pathetischen Frage-/ Antwort-Ausruf ein: „Weh, Perdicas, du glaubst, der drückenden Hitze und den gleißenden Strahlen der Sonne entronnen zu sein und die Kühlung aufgesucht zu haben? Du irrst: Drinnen (sc. im Hain)

902 Zu dieser „lebhaft bewegte(n), subjektive(n) Erzählweise“ siehe grundlegend Schetter (1994) 260 ff.



Perdicas im ‚lucus Amoris‘ 

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wird dir eine noch schlimmere Feuersglut bereitet!“ Das antithetische Begriffspaar aestus und frigus (entsprechend der allgemein gültigen Opposition fugere – petere)903 ist seit Lukrez, Varro und Caesar geläufig904. Der Terminus frigus ist in der Verbindung mit umbriferum nemus (65) nicht – wie man meinen könnte – zu stark; das ergibt sich schon aus der Junktur lucos rigentes (66), die ein Vorbild bei Tiberianus hat (AL 809 R2, 11 roscidum nemus rigebat inter uda gramina), ferner aus 70 f. frigida fontis | uena fluit (s.  o.). Auch die bereits oben zitierte Vorbildstelle eines locus amoenus in Claudian bietet – bevor die verschiedenen Baumsorten des Hains im einzelnen aufgezählt werden – das hier aufgebotene Gegensatzpaar (aestus solis / frigus luci): rapt. Pros. 2,105

siluaque torrentes ramorum frigore s o l e s temperat et medio brumam sibi uindicat a e s t u905.

Es sei auf einige frühere Ausdrucksmuster verwiesen, etwa auf Verg. ecl. 1,51 f. fortunate senex, hic inter flumina nota | et fontis sacros frigus captabis opacum oder Hor. carm. 3,13,10 frigus amabile (vom fons Bandusiae, ebenfalls zur Zeit des Hundssterns). Eine ‚Siesta‘ zur Mittagszeit unter der Sonnenhitze (a e s t u s) der Zeit des Krebses nutzt der Lieblingshirsch des Cyparissus, um sich Kühlung im Schatten eines Baumes zu verschaffen (arborea frigus ducebat ab umbra: Ov. met. 10,129).

903 Vgl. z.  B. Ov. trist. 1,2,31 f. rector in incerto est nec quid f u g i a t u e p e t a t u e | inuenit: ambiguis ars stupet ipsa malis. 904 Vgl. z.  B. [Verg.] catal. 13,3 nec ferre durum f r i g u s aut a e s t u s pati. Demgemäß muß m.  E. auch in Drac. laud. 2,215 geschrieben werden: imber hiems [„Sturm“] pelagus nix frigus et aestus [frigus et ast(ra) B: frigus et aestas edd. (A hat – in veränderter Wortfolge – aestas hiemps pelagus nix frigus)]; vgl. Ven. Fortun. Mart. 1,59 ff. f r i g o r i s iste capit partem, capit ille t e p o r i s, 60 inter utrosque inopes partitur f e r u o r e t a l g o r et noua mercandi fit nundina f r i g u s e t a e s t u s, unaque paupertas satis est diuisa duobus. 905 Auch hier ist Gruzeliers Kommentar (S. 184) hilfreich: Sie verweist u.  a. auf Claudians Vorbild Ov. met. 5,389 f. (silua) frondibus ut uelo P h o e b e o s submouet i g n e s; | frigora dant rami, Tyrios humus umida flores und auf Stat. silv. 1,2,154 f.

Literaturverzeichnis Forschungsberichte: Castagna, L. (Hrsg.): Studi draconziani (1912–1996), a cura di L. Castagna. Contributi di L. Castagna, G. Galimberti Biffino, L. Galli, B. M. Mariano, Napoli 1997 (Studi latini; 21) Galli, L.: Studi sull’ Aegritudo Perdicae. Dall’editio princeps del 1877 al 1994, BStudLat 26, 1996, 219–234

Dracontius-Ausgaben (und Kommentare)906 Arevalo, Faust.: Dracontii, Blossii Aemilii Carmina, rec. Faust. Arevalo, qui prolegomena, varias vett. edit. lectiones, perpetuasque notationes adiecit, Romae 1791 Migne, J.-P.: Dracontii, Blossii Aemilii, Presb. Hisp., Opera. Accurante J.-P. Migne, Parisiis 1847 (PL 60) Mai, A.: Dracontii, Blossii Aemilii Raptus Helenae, in: Appendix ad Opera edita ab Angelo Maio continens quaedam scriptorum veterum poetica, historica, philologica e codicibus collecta, Romae 1871 de Duhn, F.: Dracontii, Blossii Aemilii Carmina minora plurima inedita ex codice Neapolitano ed. Fr. de Duhn, Lipsiae 1873 Baehrens, E.: Dracontii carmina profana rec. Aemilius Baehrens, in: Poetae latini minores 5, Lipsiae 1883, 126–217 –: Orestis tragoedia rec. Aemilius Baehrens, in: Poetae latini minores 5, Lipsiae 1883, 218–261 Vollmer, F.: Fl. Merobaudis reliquiae Blossii Aemilii Dracontii carmina Eugenii Toletani episcopi carmina et epistulae cum appendicula carminum spuriorum edidit Fridericus Vollmer, Berolini 1905 (MGH, auct. ant. 14) [Nachdruck 1961] –: Poetae Latini Minores. Post Ae. Baehrens iterum rec. F. Vollmer. Vol. V: Dracontii de laudibus Dei. Satisfactio. Romulea. Orestis tragoedia. Fragmenta. Incerti Aegritudo Perdicae, BT Lipsiae 1914 Riese, A.: Dracontii Ad Trasimundum comitem Capuae De mensibus. De origine rosarum rec. A. Riese, in: Anthologia latina [= AL] I2 2, Lipsiae 1906, Nr. 874ab [beide Gedichte enth. in: Baehrens 1878, 315 f.; PLM 5, 1883, 214–216; ed. Vollmer 227 f.] Diaz de Bustamante, M.: Draconcio y sus Carmina profana / est. biograf., introd. y ed. crit. por J. M. Díaz de Bustamante, Santiago de Compostela 1978 (Monografías de la Univ. de Santiago de Compostela; 44) Moussy, C. – Camus, C.: Dracontius: Œuvres 1: Louanges de Dieu, livre I et II / texte établi, traduit et commenté par Claude Moussy et Colette Camus, Paris 1985 Moussy, C.: Dracontius: Œuvres 2: Louanges de Dieu, livre III, Réparation / texte établi et traduit par Claude Moussy, Paris 1988 Bouquet, J. – Wolff, É.: Dracontius: Œuvres 3: La tragédie d’Oreste. Poèmes profanes I–V / introd. par Jean Bouquet et Étienne Wolff; texte établi et traduit par Jean Bouquet, Paris 1995 (= 2002)

906 Spezialausgaben des Orestes sind anschließend gesondert zusammengestellt.

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 Literaturverzeichnis

Wolff, É.: Dracontius: Œuvres 4: Poèmes profanes VI–X. Fragments / texte établi et trad. par Étienne Wolff, Paris 1996 (= 2002 = 2014) Weber, B.: Der Hylas des Dracontius: Romulea 2, Stuttgart–Leipzig 1995 (BzA 47) [Diss. FU Berlin 1993] Kaufmann, H.: Dracontius, Romul. 10 (Medea). Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar [von] Helen Kaufmann, Heidelberg 2006 [Diss. Freiburg (Schweiz) 2005] Luceri, A: Gli epitalami di Blossio Emilio Draconzio (Rom. 6 e 7) / [introd., trad. e commento] a cura di Angelo Luceri, Roma 2007 (Biblioteca di cultura romanobarbarica; 10) Galli Milić, L.: Blossii Aemilii Dracontii Romulea VI–VII / a cura di Lavinia Galli Milić, Firenze 2008 [Thèse de l’université de Genève, 2006] Gasti, F.: Blossio Emilio Draconzio. Medea, a cura di F. Gasti, Milano 2016

Orestes (Ausgaben und Kommentare) Müller, C. G.907: Poetae incogniti carmen epicum, inscriptum Orestis tragoedia, quod ex codicibus Bongarsiano et Ambrosiano primum edidit Dr. Carolus Guilielmus Müller, Rudolstadii ex officina G. Froebelii, 1858 (Nachdruck [mit einem Anhang „Curae secundae” auf S. 31] als Progr. Rudolstadt 1859 [Druck der Fürstl. priv. Hofbuchdruckerei])908. Maehly, J.: Anonymi Orestis Tragoedia. Emendatiorem edidit Jacobus Maehly, Lipsiae 1866 Schenkl, C.: Orestis Tragoedia. Carmen epicum saeculo post Christum natum sexto compositum emendatius edidit Carolus Schenkl, Pragae 1867 Mai, A.: zusammen mit De raptu Helenae, s.  o. (Rom 1871) Peiper, R: Dracontii Orestes Tragoedia, Vratislaviae 1875 (im Anhang Beiträge von F. Haase und H. Hagen, s.  u. ‚Sekundär­literatur’) Baehrens, E. (s.  o. PLM vol. 5, Lipsiae 1883, 218–261) Rossberg, K.: Materialien zu einem Commentar über die Orestis tragoedia des Dracontius. Als Vorläufer einer commentierten Ausgabe der Werke des Dracontius veröffentlicht. Progr. d. Andreanum Hildesheim, Berlin 1888. 1889 Vollmer, F.: (s.  o. MGH 1905, 132–196 und PLM, 2Lipsiae 1914, 193–234) Giarratano, C.: Blossii Aemilii Dracontii Orestes, Napoli 1906 Rapisarda, E.: Draconzio. La tragedia di Oreste / testo & commento di E. Rapisarda, Catania 1951 (Biblioteca di Saggi e Lezioni accademiche) –: Draconzio. La tragedia di Oreste / testo con introd., trad., comm. e indici di E. Rapisarda, Catania 1964 [Nachdruck der Ausgabe von 1951, mit beigefügter Übersetzung]

907 Der eigentliche Name ist Karl Wilhelm Müller; er hat selbst in lateinischem Zusammenhang nur die beiden Vornamen latinisiert (Carolus Guilielmus), daher das Kürzel C. G. Es wird in dieser Arbeit durchgehend auch im deutschen Text beibehalten, um Verwirrungen zu vermeiden. 908 Es handelt sich ursprünglich um einen Festbeitrag zu einer Gratulationsadresse, die der Direktor (C. G. Müller) und das Professorenkollegium des Gymnasium Rudolstadt der Universität Jena zur 300-Jahresfeier (15.-17. August 1858) darbrachten: ‚Universitati literarum Jenensi solennia saecularia tertia diebus XV, XVII (!) et XVII mensis augusti anni MDCCCLVIII celebranda pie gratulantur Gymnasii Rudolstadiensis director et professorum collegium.‘ Von hier rührt die in der Literatur öfter begegnende Angabe des Erscheinungsortes ‚Jenae 1858‘.

Literaturverzeichnis 

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Marsili, A.: Dracontii Orestis Tragoedia, Pisa 1957 Bouquet, J.: Paris 1995 (s.  o.) Grillone, A.: Blossi Aem. Draconti Orestis Tragoedia: introduzione, testo critico e commento / a cura di Antonino Grillone, Bari 2008 (Quaderni di Invigilata lucernis; 33)

Aegritudo Perdicae (Ausgaben und Kommentare) Baehrens, E.: Unedirte lateinische Gedichte, Lipsiae 1877 (mit E. Rohdes Anhang S. 47 f.) – (s.  o.) PLM vol. 5, Leipzig 1883, 112–125 Buecheler, F. – Riese, A.: Anthologia Latina [= AL] I2 2, rec. A. Riese, Lipsiae 1906 (Nachdr.: 1964), c. 808, p. 285–296 (Add. et Corr. p. 391) Vollmer, F. (s. o.) PLM vol. 5, 2Lipsiae 1914, 238–250 Romano, D.: Interpretazione della Aegritudo Perdicae. Appendice, Atti Acc. Palermo S. IV 19, 1958–59 (1960), parte II p. 194–209 (Text und Übers.) Mariotti, S. et al., Aegritudo Perdicae, Scholis Romae habendis impressa, Quaderni Athena N. 2, 1966, 17–29 Hunt, J. M.: The Aegritudo Perdicae, ed. with transl. and comm., Diss. Bryn Mawr Coll., Penn. 1970 (1971) Zurli, L.: Aegritudo Perdicae, Leipzig 1987 (Teubneriana) [s. die Rezension von J. M. Hunt, CPh 85, 1990, 132–147]

Sekundärliteratur Agudo Cubas, R. M.: Dos epilios de Draconcio. De raptu Helenae e Hylas, CFC 14, 1978, 263–328 Alfonsi, L.: Dracontiana, Aevum 34, 1960, 100–103 Amato, Eug.: Draconzio e l’ étopea latina alla scuola del grammatico Feliciano, in: Ethopoiia. La répresentation de caractères entre fiction scolaire et réalité vivante à l’ époque impériale et tardive. Eugenio Amato et Jacques Schamp (Edd.). Salerno 2005 (Cardo. Études et textes pour l’identité culturelle de l’ antiquité tardive; 3), 123–142 Arduini, P.: Alcuni esempi di tecnica allusiva nel proemio dell’Orestis tragoedia di Draconzio, Orpheus 8, 1987, 366–380 Arena, C.: Rapporti fra Reposiano e Draconzio, MSLC 3, 1951, 110–123 Arweiler, A.: Die Imitation antiker und spätantiker Literatur in der Dichtung ‚De spiritalis historiae gestis‘ des Alcimus Avitus, Berlin 1999 (UaLG 52) Axelson, B.: Lygdamus und Ovid, Eranos 56, 1960, 92–111 (= Kleine Schriften, herausgegeben von A. Önnerfors u. C. Schaar, Lund 1987, 283–297). Baehrens, E.: s.  o. unter ‚Dracontius-Ausgaben‘ Baehr1 = Baehrens, E.: Zu Orestis tragoedia, RhM 26, 1871, 493–494 Baehr2 = –: Kritische Satura, Jahrbücher für classische Philologie 18 (= Neue Jahrbb. f. Philologie und Pädagogik 105), 1872, 636–638 (zum ‚Orestes‘) Baehr3 = –: Kritische Satura, Jahrbücher für classische Philologie 19 (= Neue Jahrbb. f. Philologie und Pädagogik 107), 1873, 69–70 (zu Drac. rapt. Hel.) Baehr4 = –: Rezension zu Dracontii carmina minora (ed. F. de Duhn, Leipzig 1873) in: Jahrbücher für classische Philologie 19 (= Neue Jahrbb. f. Philologie und Pädagogik 107), 1873, 265–271

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 Literaturverzeichnis

Baehr5 = –: Zu Dracontius, Jahrbücher für classische Philologie 19 (= Neue Jahrbb. f. Philologie und Pädagogik 108 [sic]), 1873, 851–852 Baehr6 = –: Jahresbericht über die römischen Epiker, in: JAW = Bursian, = Jahresbericht über die Fortschritte der Altertumswissenschaft 1, 1873, 211–230, dort 224–230 über die Romulea des Dracontius Baehr7 = –: Neue Verse des Dracontius, RhM 33, 1878, 313–316 Ballaira, G.: Perdica e Mirra, Riv. Cult. Class. Medioev. 10, 1968, 219–240 Barbasz, W.: In Aegritudinem Perdicae (Anth. Lat. 808 R.) animadversiones, Eos 27, 1924, 29–39 Barwinski, B.: Quaestiones ad Dracontium et Orestis tragoediam pertinentes. Quaestio I. De genere dicendi. Diss. inaug. Gottingae 1887 –: Quaestiones ad Dracontium et Orestis tragoediam pertinentes. Quaestio II. De rerum mythicarum tractatione. Pars III. De rationibus prosodiacis et metricis. Progr. d. Gymn. Deutsch-Krone 1888. 1890 –: De Dracontio Catulli imitatore, RhM 43, 1888, 310–311 Blomgren, S.: In Dracontii carmina adnotationes criticae, Eranos 64, 1966, 46–66 Bodelón, S.: Draconcio y el reino vándalo, Epos 17, 2001, 29–53 Bouquet, J.: s.  o. unter ‚Dracontius-Ausgaben‘ –: L’imitation d’Ovide chez Dracontius; in: Colloque Présence d’Ovide. Ed. par R.Chevallier. Paris 1982 (Université de Tours. Inst. d’études latines et Centre de recherches A. Piganiol. Coll. Caesarodunum; 17bis), 177–187 –: L’Orestis Tragoedia de Dracontius et l’Agamemnon de Sénèque, ALMArv 16, 1989, 43–59 –: L’influence de la déclamation chez Dracontius; in: Les structures de l’oralité en latin. Colloque du centre Alfred Ernout, Université de Paris IV 2,3 et 4 juin 1994. Textes réunis par Jacqueline Dangel et Claude Moussy. Paris: Presses de l’université de Paris-Sorbonne, 1996 (Lingua Latina. Recherches linguistiques du Centre Alfred Ernout), 245–255 –: Le songe d’Oreste et de Pylade dans l’Orestis tragoedia de Dracontius; in: Ars Pictoris, Ars Scriptoris. Peinture, Littérature, Histoire. Mélanges offerts à Jean-Michel Croisille. Textes réunis par Fabrice Galtier et Yves Perrin, Clermont-Ferrand 2008 (Collection ERGA. Littératures et représentations de l’Antiquité et du Moyen Age; 11), 173–184 Brakman, C.: Miscella quarta, Leiden 1934 Bretzigheimer, G.: Dracontius’ Konzeption des Kleinepos De raptu Helenae (Romul. 8), RhM 153, 2010, 361–400 Bright, D. F.: The Miniature Epic in Vandal Africa, Norman 1987 [siehe hierzu W. Schetter Gn 63, 1991, 213–223] – (= Bright2): The chronology of the poems of Dracontius, C&M 50, 1999, 193–206 Brugnoli, G.: Dracontiana (Romul. 6–8), GIF 50, 1998, 185–209 [zur Ausgabe von É. Wolff] –: L’‘Ilias latina’ nei ‚Romulea‘ di Draconzio, in: Posthomerica. 3 (Genova 27 aprile 1999) / a cura di Franco Montanari e Stefano Pittalunga, Genova 2001 (Pubblicazioni del D.AR.FI.CL. ET. Nuova serie; 196), 71–85 Bücheler, F.: s.  o. unter ‚Dracontius-Ausgaben‘ (Beiträge zu de Duhn, F., Leipzig 1873) –: Zu Dracontius. Hrn. M. S(chmidt) in Jena, RhM 29, 1874, 362–363 Buech1 = Buecheler, F.: Coniectanea (zu ‚De raptu Helenae‘), RhM 27, 1872, 477 Buech2 = –: In Dracontium, Iuvenalem, Nigidium, RhM 28, 1873, 348–349 Buech3 = –: adnotatio marginalis autographa: handschriftliche Randeinträge Büchelers in sein Exemplar der Orestes-Ausgabe J. Maehlys Bureau, B.: Les pièces profanes de Dracontius. Mécanismes de transfert et métamorphoses

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–: L’Aegritudo Perdicae non è di Draconzio, in: C. Santini – L. Zurli (Hrsg.), Ars narrandi: Scritti di narrativa antica in memoria di Luigi Pepe, Neapel / Perugia 1996, 233–261 –: A proposito di collazioni novecentesche: il caso della ‚Medea‘ di Draconzio, RFIC 126, 1998, 364–377 –: Dracontiana, GIF 53, 2001, 299–307 Die Konjekturen von Haupt, Leo, Peiper (in den ‚Romulea‘), Traube und Wagler sind den beiden Ausgaben Vollmers zu entnehmen.

Register

Stellenregister Accius trag. – 217 – 415 Aegr. Perd. – 1–11 – 8  f. – 9 – 10  f. – 18–22 – 19  f. – 22  ff. – 22–25 – 25 – 31 – 31–35 – 33  f. – 35 – 36  f. – 37 – 40  ff. – 40–42 – 42  ff. – 42–48 – 47 – 63  ff. – 72–74 – 73 – 77  ff. – 80 – 81 – 84 – 85–87 – 86 – 91. 96 – 118 – 152  ff. – 166 – 178  f. – 178–188 – 182  ff. – 183 – 185  ff. – 234  f.

A. 787 A. 507 293  f. 294+878 294 A. 882 292 A. 632 A. 848 282 A. 847 298  f. 280 279 279  ff. 281 281. 296 A. 847 282 284  ff. A. 476 287 A. 116. 847 300 300  ff. 282  f.; A. 847 283 A. 847 287  f. 292  f. A. 848 283 A. 94 296  f. 297 288. 291 288  ff. A. 101 A. 848 289 A. 861

Aeschylus Ag. – 1382 A. 629 Choeph. – 896  f. A. 759 – 900  ff. A. 722 Aetna – 46  f. 45 Alcestis Barc. – 27  ff. 26 Alcimus Avitus epist. – 51 (80,18  ff. Peip.) A. 824 – 53 (82,6  ff. Peip.) 42 carm. – 2,66 190 – 3,197 103 – 4,264 24 – 5,324 152 – 5,582 279 – 6,12  f. A. 480 Aldhelm carm. eccl. – 4,32 103 Ambrosius Abr. – 2,6,27 A. 315 in psalm. 118, serm. – 3,42,2 A. 311 Anthologia Latina (AL) AL 21 R2 (= 8 SB) 14 AL 85,2  f. R2 (= 73,2  f. SB) A. 812 AL 102,3  f. R2 (= 91,3  f. SB) A. 860 AL 198 R2 (= 189 SB) A. 60 AL 254,33  f. R2 (= 248 SB) A. 186 AL 310 R2 (= 305 SB) A. 384 AL 314,2/5 R.2 (= 309 SB) A. 833; S. 296 AL 452 R2 (= 450 SB) 136 AL 559,1 R2 A. 128 AL 671 R2 praef. 21–29 40 AL 702 R2 A. 367 AL 798a,9 R2 A. 300 AL 809 R2,11 301 AL 941,10  ff./24  f. R2 70

318 

 Stellenregister

Anth. Pal. – 5,123 – 9,384,3  f. Apollodor – 1,6,1 Apoll. Rhod. – 1,1207  ff. Apuleius met. – 3,17,4–18,4 – 5,7,5 – 7,21,2. 4 – 10,29,2 Arator act. 1,626 Augustinus civ. – 7,33 epist. – 185,7 epist. Divj. – 6,8,1  f. in evang. Ioh. – 50,10 c. Iulian. – 4,2,7 – 5,7,25 c. Iulian. op. imperf. – 1,70,59  f. – 1,71,53  ff. – 6,25 Ausonius – 7,7  f. Green – 8,95 ff. Green – 10,9,13  f. Green – 10,15,9  f. Green – 11,11,4 Green – 12,14,1  f. Green – 18,24 Green – 19,56  f. Green – 23,117 Green Avian fab. 28,{17} Biblia Vulgata Ps 118,23

A. 210 268  f. A. 137 A. 117

169 224 34 A. 812 A. 701

A. 229 51 34 A. 810 34 34 34 34 152 A. 501 119 157+501 A. 187 26 A. 639 A. 197 240 A. 668 A. 334

A. 311

Mt 12,43 134 2Kor 6,8 A. 718 Boethius cons. – 4 carm. 7,14 A. 134 – 5 carm. 2,3 A. 304 in Porph. comm. sec. – 1,11 p. 164,11 115 Caesar Gall. 6,8,5 A. 146 Calpurnius ecl. 4,14  f. A. 71 Carmina Epigraphica (CE) CE 369 161 CE 428,6 170 CE 762 A. 694 CE 1110,2 A. 390 CE 1561,2  f. 228 Cassiodor var. – 1,32,4 85 – 3,51,2 85 – 3,51,10–11 85 Catull – 62,1–30 64 – 64,83 170 – 64,298 A. 497 Cicero Pis. – 46 240 Tusc. – 1,45 156 – 1,92 A. 855 – 5,20 141 fam. – 1,9,5 A. 266 Att. – 15,11,4 222 Ciris – 130  ff. A. 96 – 140  f. A. 96 – 154 A. 96 – 163  f. A. 96 – 300 298 – 399 A. 223

Stellenregister 

Claudian – 1,269  f. – 5,391 – 10,14  f. – 10,202  f. – 10,287  f. – 11,33 – 15,448 – 18,148  ff. – 22,270  ff. rapt. Pros. – 1 praef. / 2 praef. – 1 praef. 4 – 1,7  ff. – 2 praef. 49  f. – 2 praef. 50  ff. – 2,101  ff. – 2,105  f. – 2,128–136 carm. min. – 17,24 – 29,1 – 30,88–92 [Claud.] carm. min. app. – 2,97  f. – 2,111  f. Columella – 6,2,4 – 10,77 – 10,261  f. Coripp Ioh. – 1,390 – 1,520 – 2,65  ff. – 5,232  ff. – 6,767  f. – 7,374–376 – 8,617  f. Iust. – 1,295 Culex – 110  ff. – 397  ff. – 399 – 408  f.

154 180 A. 211 78 64 30 A. 197 A. 642 A. 846 A. 127 106 A. 486 26 22 299 301 279  f. A. 846 A. 632 A. 246 A. 147 46 257 154 75

106 A. 632 299 268 106 107 82  f. 248 278 278 279 A. 832

Cyprianus Gallus gen. – 1062 lev. – 214 (Vulg. lev. 21,23)

 319

106 75

Damasus carm. 53,2 Dares (lat.) – 7 (p. 9,12) – 11 p. 13,10 – 19 Dracontius Romul. – 1 (Praef.) – 1,1–21 – 1,3 – 1,6–11 – 1,9 – 1,11 – 1,12 – 1,13 – 1,17–21 – 1,19  f. – 1,21

21–26 25 22–25 23+75 25 25  f. 22 93  f. A. 71. 75 93  f.



282  f. A. 63 285 284  ff. A. 877 285 285 285. 287 29 27–31 A. 90 31  ff.; A. 848 282. 295 130 A. 93 A. 63 33 36 33 34  f.

– 2 (Hyl.) – 2,4–93 – 2,10 – 2,16 – 2,19  ff. – 2,19–44 – 2,20–27 – 2,22  f. – 2,24 – 2,25–30 – 2,29  f. – 2,30 – 2,37 – 2,41 – 2,42 – 2,42/44 – 2,50 – 2,53  ff. – 2,54 – 2,62–70 – 2,65

A. 408 107 102 A. 323

320 

 Stellenregister

(Drac. Romul.) – 2,71  ff. – 2,72 – 2,75  f. – 2,80  f. – 2,81 – 2,83 – 2,90 – 2,111 – 2,112–116 – 2,123 – 2,123  ff. – 2,127  f. – 2,128 – 2,129  f. – 2,134–139 – 2,136 – 2,138 – 2,144 – 2,154  f.

284; A. 847 A. 848 A. 848 A. 847 A. 468. 510 A. 884 A. 847 A. 847 A. 382 A. 110 36  ff. 37  f.+119 38  f. A. 313 280  f. 279+826 280. 281 A. 262 46



– 3 (Praef.) – 3,4 – 3,14–18

134 39



– 4 (Verba Herculis) – 4,1–8, bes. 6 – 4,5 – 4,4–7 – 4,17 – 4,28–32, bes. 30 – 4,37 – 4,41  ff. – 4,48  f.

43–45 A. 136 7+36; A. 132 121 45–47 A. 138 A. 88 A. 138



– 5 (Controuersia) – 5,5  f. – 5,11  f. – 5,22 – 5,28 – 5,38 – 5,53 – 5,53–68 – 5,54 – 5,55 – 5,56 – 5,67–71

289 A. 286 A. 288 A. 561 A. 510 15 48–51 51 A. 38 48  f. 51  f.



– 5,69 – 5,115  f. – 5,118 – 5,119  f. – 5,130 – 5,167 – 5,168 – 5,180 – 5,183 – 5,198 – 5,199  ff. – 5,215 – 5,224 – 5,260 – 5,286 – 5,296 – 5,300  ff. – 5,312 – 5,321–329

A. 169 145 15 A. 330 A. 63 15 15 A. 393 15 16 A. 171 A. 179 15 15 A. 63 A. 327 A. 218 A. 318 73



– 6 (Epithal. in fratribus) – 6,1–57 – 6,3  f. – 6,4  f. – 6,6 – 6,11  f. 16  f. – 6,22 – 6,22  ff. – 6,25  ff. – 6,33 – 6,34–40 – 6,35–40 – 6,36 – 6,39 – 6,41–46 – 6,44 – 6,46  f. – 6,47–54 – 6,48  ff. – 6,54–56 – 6,56  ff. – 6,57–68 – 6,57–59 – 6,57–71 – 6,57–73 – 6,60–66 – 6,70  f.

52  ff. A. 185 56  f. 57 56  f.+192 A. 262. 273 A. 175. 178 A. 478 57  ff. A. 180 59  f. A. 199 59  f. 67 52  f.; A. 576 54 53 A. 183 A. 176 53.55 67; A. 241 69 53. 70  f. A. 234 77 A. 756

Stellenregister 

(Drac. Romul.) – 6,72  ff. – 6,78 – 6,81–89 – 6,87–89 – 6,90 – 6,94 – 6,96  f. – 6,101  f. – 6,103 – 6,105  ff. – 6,106 – 6,111  f. – 6,111–114 – 6,114 – 6,115–118 – 6,117  f. – 6,119  f. – 6,119–122 – 6,121 – 6,121  f.

– 7 (Epithal. Ioannis) – 7,1  ff. – 7,5 – 7,1–10 – 7,4–7 – 7,7 – 7,10–15 – 7,11 – 7,12 – 7,12–14 – 7,21 – 7,21–24 – 7,25  ff. – 7,27  ff. – 7,32/40 – 7,33–38 – 7,37 – 7,37/39 – 7,38 – 7,43 post 45 – 7,48 – 7,51–54 – 7,51–60 – 7,55 – 7,57–63

53. 67. 70 A. 544. 551 A. 180 A. 201 A. 179 A. 176 53. 67 A. 181 A. 26; S. 61  f. 54 A. 181 A. 184 54 62  f. 62  ff. 63  f. 54. 63 79 A. 560 54  f. 79. 80

55 157 65  f. 65  ff. 61. 67 68  ff. 69  f.; A. 391 69 69 177 71  f. 55. 66 A. 197 A. 236 73  ff. 76 A. 236 A. 231 76  ff. 69 A. 176 A. 177 A. 188 79



 321



– 7,59 A. 188 – 7,59  f. 176 – 7,59–63 66 – 7,61–63 79  f. 76 – 7,64 A. 779 – 7,64  ff. A. 196. 197 – 7,69–136 80 – 7,78  f. A. 288 – 7,80–87 81 – 7,81 A. 444 – 7,82 173 – 7,86 A. 683 – 7,86  f. 80  ff.; A. 261 – 7,106 68 – 7,109 A. 262 – 7,116 A. 181 – 7,118 68; A. 266. 279 – 7,118–120 90 – 7,118–124 85  ff. – 7,123  f. 85  ff.; A. 288 – 7,124 A. 273 – 7,125–136 89  ff. – 7,127 60 – 7,128–131 84 – 7,130/133 91 – 7,131–133 60 – 7,132–136 88  ff. – 7,133 A. 281 – 7,137  ff. 55 – 7,137–159 80 – 7,151–153 91  f.



– 8 (Hel.) – 8,3 – 8,10 – 8,11 – 8,11–30 – 8,11  f. – 8,12  ff. – 8,13 – 8,16  f. – 8,17–21 – 8,19  ff. – 8,22  f. – 8,29  f. – 8,31–34

93  ff. 96 94 96  ff. 97 94 96  f.; A. 297 24. 71 A. 195 94 94 98 98  ff.

322 

 Stellenregister

(Drac. Romul.) – 8,37  f. – 8,41  ff. – 8,45–54 – 8,52  f. – 8,55–60 – 8,59 – 8,61  f. – 8,64  f. – 8,66 – 8,84 – 8,86 – 8,87 – 8,111–115 – 8,139  ff. – 8,153  f. – 8,165 – 8,181 – 8,229 – 8,240 – 8,292 – 8,299/319 – 8,316–326 – 8,318  f. – 8,320 – 8,325 – 8,349–364 – 8,350–357 – 8,358 – 8,358–363 – 8,361 – 8,385 – 8,407 – 8,411 – 8,413 – 8,427.429 – 8,430  f. – 8,435 – 8,442  ff. – 8,444–452 – 8,448  f. – 8,453  ff. – 8,488  f. – 8,490 – 8,490  ff. – 8,491–493

A. 331 A. 338 102 102 104 104  ff. A. 320 107 134 106  f. A. 231 A. 247 122  ff. A. 432 289 A. 648 56 A. 292; S. 107  ff. 183 A. 271 A. 352 109  f. 109  f. A. 348 183 162 A. 353. 354 A. 543 111  f. 111  f. A. 247 A. 320 A. 482 58 108 112  f. 108 116 113 113 113 113 114 113  ff. 114  f.



– 8,494 – 8,495  ff. – 8,496  ff. – 8,498  f. – 8,499–501 – 8,500. 502 – 8,512 – 8,513  f. – 8,518 – 8,518/520 – 8,538 – 8,541–550 – 8,546  f. – 8,551–555 – 8,552 – 8,552  f. – 8,553  f. – 8,555 – 8,556  f. 563–567 – 8,568 – 8,574 – 8,597 – 8,614–622 – 8,624  ff. – 8,624–637 – 8,651

116 114 117 114 117 A. 364 A. 378 A. 505 119 117  ff. A. 547. 860 119  f. A. 288 119  ff. 120+389 120  f. A. 393 A. 388 120 120 A. 442 139 A. 442 A. 383 106 223



– 9 (Delib. Achillis) – 9,5  ff. – 9,18 – 9,18–20 – 9, 23  f. – 9,27–30 – 9,33 – 9,37 – 9,40.42 – 9,45–48 – 9,78 – 9,141 – 9,144–147 – 9,148 – 9,148–188 – 9,148–158 – 9,151–153 – 9,153–156 – 9,154  f. – 9,155

A. 587 A. 398 125 A. 398 124  f. A. 547 14. 15 118 126  f. 14. 15 14. 15 137 A. 216. 436 128  f. 129  f. A. 414 A. 416 130 130

Stellenregister 

(Drac. Romul.) – 9,156 – 9,157  f. – 9,158 – 9,158–168 – 9,161  ff. – 9,166–168 – 9,167  f. – 9,169 – 9,172bf. – 9,177  ff. – 9,182  f. 184 – 9,186–188 – 9,189 – 9,189–213 – 9,199–204 – 9,201 – 9,209  f. – 9,213–220 – 9,213–231

130 131 132  f. 134 132  f. A. 169 131 A. 288 134  f. 123 122  f. 124 136  f. A. 380 128 138  f. A. 372 A. 371 140  f. 129



A. 34 A. 458 A. 271 176 16 142  f. 177 A. 378 A. 479 144  ff. A. 39 106; A. 510 A. 100 A. 674 143 A. 327 33 64. 286  f. 287 146  ff. 70 A. 276 74 150  ff. 153  ff.

– 10 (Med.) – 10,9 – 10,14  f. – 10,15  f. – 10,22–25 – 10,32 – 10,52–54 – 10,62  f. – 10,76  ff. – 10,99  ff. – 10,102–110 – 10,107 – 10,109 – 10,111 – 10,118 – 10,127  ff. – 10,138/140 – 10,140–142 – 10,146  ff. – 10,146–149 – 10,150–155 – 10,156  ff. – 10,157 ff. – 10,162 – 10,165–170 – 10,171–178



– 10,171  ff. – 10,176 – 10,177  f. – 10,182  ff. – 10,188 – 10,188–193 – 10,201–208 – 10,209 f. – 10,210–213 – 10,220–222 – 10,240  f. – 10,248–252 – 10,260 – 10,262  ff. – 10,265 – 10,266 – 10,266  f. – 10,266–269 – 10,276  f. – 10,292  f. – 10,294–300 – 10,295 – 10,297  f. – 10,301  f. – 10,303  f. – 10,317–319 – 10,320–338 – 10,334 – 10,336 – 10,338  f. – 10,367 – 10,369 – 10,376 – 10,391  f. – 10,391–395 – 10,405  f. – 10,416–433 – 10,417  f. 421 – 10,425–430 – 10,436  ff. – 10,446  ff. – 10,449–452 – 10,453 post 456 – 10,454–456 – 10,455 – 10,457  f. – 10,484–490

269  f. A. 288 155 148 56 A. 617 198 A. 276 155  f. 148 148 156  f. A. 63 157 A. 236 A. 246 A. 756 158 148 A. 678 159  ff. A. 689 289 7+37 A. 176 7+36 162  f. 162  f. A. 63 158 A. 380 A. 297 220 168 163  ff. A. 140 161 240 171 197 A. 698 166 165  f. 166 A. 439 A. 698 167  ff.

 323

324 

 Stellenregister

(Drac. Romul.) – 10,487  ff. – 10,489  ff. – 10,494 – 10,500–504 – 10,508 – 10,518  ff. – 10,523  f. – 10,526 – 10,531 – 10,534  f. – 10,559–561 – 10,562  f. – 10,562–566 – 10,563 – 10,564 – 10,566 – 10,570–573 – 10,573–586 – 10,576 – 10,576  f. – 10,580  f. – 10,586  f. – 10,587–601 – 10,588 – 10,589–593 – 10,590 – 10,591–595 – 10,592 – 10,593–601

168  f. A. 813 169  ff. 125. 172  f. 171 171 58 170 8 7+37 175 A. 327 173  ff. 7. 176 177 178 176 178  ff. 179 A. 559 A. 327 180 180  ff. 185 183 181  f. 182 183  f.; A. 793 184  f.

Orest. – 1–12 – 16 – 27 – 30–40 – 39  f. – 42 – 68–70 – 69 – 70 – 71–73 – 73 – 81–83 – 85 – 86–97 – 93

A. 669 A. 194 A. 753 186  ff. A. 576. 702 A. 546 188  ff. A. 735 189  f. 191  ff. 194 193 194  ff. 196  ff. A. 616



– 93 post 88 196  ff. – 94 199  f. – 109 240 – 117–128 201 – 119/121 200  ff. – 146  f. 240 – 146–150 235 – 157  ff. 290 – 195 A. 549 – 209–214 203 – 227 135 – 227  f. 239 – 227–231 243 – 235–238 203 – 251 A. 104 – 257 203  f. – 263 259 – 263  f. 239 – 263  ff. 238 – 271 A. 597 – 281 11 – 284  ff. A. 576 – 284–292 204  f. – 285–292 293 – 287 A. 219. 634 – 288 187. 204; A. 632 – 289  f. 127 – 292 A. 632 – 305 17 – 316  f. 142 – 321  ff. A. 656 – 331  f. A. 656 – 338 218 – 342 A. 650 – 352 A. 455 – 360 206 – 380 233 – 383 207 – 384–391 A. 625 – 392 223 – 393 208  f. – 409  f. A. 625 – 414 244 – 416 193. 210  f. – 423 211  ff. – 423–428 216  ff.

Stellenregister 

(Drac. Orest.) – 425–428 – 427 – 427–452 post 540 – 430 – 442  ff./450 – 445 – 452 – 453–456 – 453–459 – 456  ff. – 457 – 457  ff. – 458  f. – 471 – 473 – 483–499 – 488  f. – 489 – 490 post 493 – 491 – 494  f. – 497 – 499 – 503  ff. 508  f. – 510–512 – 511 – 511  ff. – 516  f. – 527–551 – 527–533 – 533 – 537–551 – 539 – 539  ff. – 539. 452. 544 – 541–545 – 541–546 – 545  f. – 546b – 549 – 561–569 – 565 post 561 – 565.566 – 569 – 577 – 579

217 218  f.; A. 674 10  f. 213  ff. 219  ff. A. 229 221  ff. 214; A. 670 215 223  ff. 227; A. 696 223  ff. 253 227 223. 226 A. 398 227  f. 228  ff. A. 698; S. 230 230  f. 229  f. A. 701; S. 231 A. 789 231  f.+708 294 A. 739 A. 705 89  f. 225 171. 235 A. 873 215 233  f. 16. 233  f. 240 10  f. A. 739 213  f. A. 668 234  ff. 234  f. 235  f. 227 236  f. 291 237 291 A. 868 A. 550 238  f.



– 580  ff. – 583 – 586–588 – 587 – 587  ff. – 588 – 589  ff. – 609–615 – 617 – 617–621 – 622 – 638  f. – 651  ff. – 655b – 656 – 661 – 663–669 – 664  f. – 665 – 666 – 666  ff. – 667 – 669 – 670  f. – 672 – 673–676 – 673  ff. – 674 – 680  ff. – 682  ff. – 685 – 695  ff. – 696 – 699 – 719 – 739–745 – 740 – 755–766 – 757 – 761–766 – 761  f. – 763 – 764 – 766 – 768–772 – 776 – 779  f.

 325

290 162 239  f. 240 A. 739 240 A. 668 245 A. 738 241  ff. 183 246 225 235 243  f. 11 244  ff. A. 705 A. 389. 747 245 247  f.; A. 747 244 244  ff.; A. 751 246 246 245 245 246+748 246 245. 246 256875 225. 248  ff. 250 A. 753 251 252  ff. 226. 252  f. 254  f. A. 546 254  f. A. 546 254  f. 224 224. 255 255 139 256

326 

 Stellenregister

(Drac. Orest.) – 781  ff. – 781–784 – 785 – 795  ff. – 801 – 803  ff. – 809 – 810 – 810  ff. – 811 – 813  ff. – 825–838 – 831 – 831  f. – 835 – 836 post 813 – 839–862 – 852  f. – 854–859 – 859 – 871  f. – 884  ff. – 899 – 902 – 904 – 913–920 – 917 – 921–928 – 924 – 931–933 – 934 post 924 – 935–937 – 954 – 963–974 – 965–974

240. 256  ff. 256 255  ff.; A. 230 287  f. A. 771 247 207 A. 775 260  ff. 260  f. A. 276 261 A. 886 293  f. 261. 262 260  ff. 261 A. 327 262  f. 105 A. 793 A. 793 A. 791 A. 789 10 266 A. 793 264  f. A. 790 265 263  ff. 267  f. 265 223. 265; A. 792 185 293  ff.



mens. – 3  f. – 21 – 23

268  f. 154 154+489. 269  f.



ros. – 1 – 1–4

A. 801 270  f.



– 4 – 12

271 272  ff.



laud. – 1,90  ff. – 1,107 – 1,122 – 1,170 – 1,273 – 1,275 – 1,282 – 1,383  ff. – 1,390–392 – 1,396 – 1,536 – 1,553 – 1,653  ff. – 1,653–662 – 1,654 – 1,671 – 1,746 – 2,5  ff. – 2,9 – 2,33  ff. – 2,158–162 – 2,215 – 2,241  f. – 2,297  ff. – 2,309  ff. – 2,319  ff. 333  f. – 2,387 – 2,496 – 2,507  f. – 2,512  ff. – 2,691  f. – 2,750 – 2,758  f. – 2,791 – 2,802  ff. – 3,1  ff. – 3,173  ff. – 3,316 – 3,342 – 3,354  ff. – 3,422 – 3,428 – 3,445

240 A. 546 A. 261 A. 124 A. 496 134 A. 786 260 143 250 A. 214 151 145 A. 479 A. 466 278  f. A. 617 A. 467 146+467 A. 617 A. 541 A. 904 A. 283 293  f. 273 142 24 111 151 A. 459 237 A. 146 A. 99 56 59 A. 617 103 A. 261 A. 607 32 236 A. 214 A. 789

Stellenregister 

(Drac. laud.) – 3,468–526 – 3,496 – 3,501–506 – 3,510–515 – 3,596. 602–607 – 3,675–679 – 3,687  f. – 3,720–735

satisf. – 49  f. – 53  f. – 73 – 99–108/109  ff. – 103  f. 108  f. 113  f. – 120 – 121 – 127 – 142 – 147  f. – 178 – 209 – 265  f. – 277 – 287–290 – 291

Ennius scaen. 251 Ennodius dictio 21 carm. 1,4,25 Eugenius Tolet. carm. 69,4 Euripides Herc. – 177  ff. El. – 973 – 1221  ff. Med. – 618 Iph. T. – 10–40 – 20  f. – 1147  f.

A. 670 288  f. 219+675 145 A. 265 60 193 60

90  f. 60 A. 448 91 A. 281 60 111 A. 214; S. 157 A. 543 60 A. 218 60 60 A. 318 A. 281 A. 281

156 14 A. 273 273

A. 134 A. 722 A. 772 A. 532 A. 591 A. 591 A. 387

Florus epit. – 1,18 = 2,2,23 – 4,2,45 Frontinus strat. 2,7,8 Gellius – 1,21,5 – 17,8,13 Grattius cyn. 49

A. 146 249 A. 146

A. 273 153 A. 140

Heliodor Aeth. – 4,7,4 A. 890 – 4,10 A. 891 Herodot – 1,214 219 Hieronymus epist. – 54,2,1 A. 187 – 107,9,3 35 – 117,7,1 A. 95 Hist. Aug. Ael. 5,2 35 Hadr. 26,1 35 Homer Il. – 7,303  ff. 170 – 7,350  f. A. 657 – 12,135 A. 133 – 24,710–712. 723  f. A. 395 Od. – 3,305 A. 695 – 3,306  f. 292 – 4,149  f. A. 758 – 11,204–224 A. 584 Homer. Lat. – 36 161 – 624 A. 323 – 847 A. 422 – 999  f. A. 437 Horaz carm. – 1,3,1 108

 327

328 

 Stellenregister

(Horaz carm.) – 1,12,5 – 1,37,21 – 2,9,4  f. – 2,12,6  f. – 3,1,13 – 3,2,21  f. – 3,3,25  f. – 3,4,49  ff. – 3,4,50 – 3,13,10 – 3,27,67 – 3,30,14  ff. – 4,1,37 epod. – 12,25 – 16,33 – 17,42 sat. – 1,10,36 – 2,3,274 – 2,5,41 epist. – 1,9,7 – 2,1,64 ars – 1–9, bes. 7  f. Hygin astr. – 1,6,2 – 1,7,1 Iuvenal – 2,157  f. – 3,49–52 – 6,252  ff. – 6,253 Iuvencus – 2,715 – 3,57 – 3,626 Laktanz inst. 1,10,8 Laus Pisonis – 109–137 – 134  f. (115)

A. 426 A. 660 A. 491 A. 131 A. 161 106 A. 660 A. 135 A. 133 301 295 A. 71 116 A. 78 24 A. 660 A. 194 97 A. 194 A. 218 A. 380 A. 368

172 172

A. 514 51 29 30 134 A. 197 106

A. 229 50 f. 49. 50  f.

Licentius carm. Aug. 8 Livius – 1,16 – 3,5,7 – 4,15,3 Lucan – 1,17  f. – 1,63/66 – 1,133 – 1,227 – 2,88  f. – 2,295  f. – 2,337 – 3,240 – 4,32 – 4,284 – 4,550 – 5,434  ff. – 6,13 – 6,516 – 6,564  ff. – 6,639 – 6,814 – 7,7–44 – 7,320  ff. – 7,706  f. – 8,220  f. – 8,527 – 8,612  ff. – 9,1–9. 11  ff. – 9,7  ff. – 9,330 – 9,394 – 9,961 – 9,961  ff. – 9,973 – 9,975  ff. – 10,75  f. Lukrez – 1,36 – 3,11 – 4,195 – 4,916  ff. – 5,484  f. – 5,1102  ff.

A. 197 A. 228 A. 146 A. 270 A. 489; S. 270 A. 125 A. 756 A. 456 A. 355 A. 879 A. 242 145 247 A. 511 179 155 134 118 A. 422 A. 432 A. 423 249+757 A. 429 228 A. 184 A. 84; S. 29 A. 767 A. 405 A. 403 A. 448 94 A. 419 131 132 131 32 A. 99 A. 305 A. 256 A. 485 268 268

Stellenregister 

(Lukrez) – 6,431  ff. – 6,507  ff. – 6,733  f. Macrob sat. – 1,20,8 – 1,20,9 Manilius – 4,719 – 5,34  f. – 5,174 Mar. Victor aleth. – 1,420 – 3,266–269 Martial – 2,90,9  f. – 3,51,1 – 4,49,9 – 10,50,1  ff. Mart. Capella – 3,222 (vers.) – 5,425, v. 6 Maximian eleg. – 3,47  ff. – 3,58 Nemesian cyn. – 43 – 63  f. – 76 ecl. – 4,63  ff. Nonnos Dionys. – 33,118–139 Octavia – 366  ff. 370. 465  f. – 504  ff. / 527  ff. Optat. Porf. epist. Const. 1 (p. 4 Polara)

152 A. 485 A. 485

A. 131 A. 137 75 141 A. 701

A. 96 227 A. 645 A. 380 A. 380 A. 263 A. 229 74

296 297

A. 297 93. 95 A. 297; S. 97 A. 514

A. 836

A. 393 72  f.

A. 273

Orientius comm. 1,353  f. Orosius – 5,19,14 – 7,35,18 Ovid am. – 1,1 (McKeown II 8–10, al.) – 1,5,3–8. 16 – 2,1,8 – 2,9,37 – 2,12,17–24 – 2,16,2 – 3,1,69  f. – 3,3,35 – 3,10,45 ars – 1,4 – 1,25–30 – 1,543 – 2,93 – 2,484 epist. – 5,92 – 7,25b.26 – 7,170 – 9,97  f. – 9,154 – 16,37  f. – 16,101  ff. – 16,296 met. – 1,152 – 1,154  f. – 1,179 – 1,179  f. – 1,182–184 – 1,266 – 1,339 – 1,709 – 2,689  f. – 3,102  f. – 3,110. 116 – 3,313 – 3,413

A. 679 234 152

57 A. 812 297 231 128 A. 426 121 117 A. 607 A. 256 57 A. 232 170 243 A. 657 A. 367 106 A. 148 161 114 A. 367 A. 650 44 44 A. 136 A. 136 45 A. 287 92 A. 458 101 179 A. 560 182 A. 116

 329

330 

 Stellenregister

(Ov. met.) – 3,528 227 – 4,219  ff. A. 842 – 4,285–388, bes. 352  ff. A. 120 – 4,481–509 A. 711 – 4,500 A. 708 – 4,735 ff. A. 756 – 5,363  ff. 28 – 5,375 28 – 5,379  ff. A. 849 – 5,389  f. A. 905 – 5,518 A. 607 – 6,35 203 – 6,103–116 A. 836; S. 285 – 6,109  ff. A. 852 – 7,29  ff. A. 392 – 7,79–83 A. 479 – 7,567  f. A. 781 – 7,844 A. 442 – 8,113 160 – 8,500 237 – 9,197 A. 148 – 9,207 227 – 9,358 A. 731 – 9,470  f. 283 – 10,86  f. 25 – 10,129 301 – 10,300–502 282 – 10,402  f. A. 863 – 10,525  ff. 283 – 11,336  f. 173 – 11,655 A. 287 – 12,223 260 – 13,200 A. 657 – 13,282 227 – 15,79 A. 731 fast. – 1,375 92 – 1,467 A. 309 – 2,475–512 72 – 2,723 A. 390 – 3,323  ff. A. 458 – 3,439  f. A. 135 – 4,427  f. 299 – 5,383 A. 312 – 6,523 182 – 6,741  f. A. 436

trist. – 1,2,31 – 2,270 – 2,387  f. – 3,4b,9 (= 4,55)ff. – 3,10,51  f. – 3,10,52 – 4,2,53 – 4,7,17 – 4,10,44 – 4,10,93  f. Pont. – 1,2,67  f. [Ov.] Ibis – 295 – 497 [Ov.] Nux 113

A. 903 A. 243 A. 677 A. 371 153 A. 488 248 45 A. 243 75 A. 129 A. 679 181 A. 801

Panegyrici lat. – 2 (12),44,5 45 Papyri Graec. mag. – 5,65  ff. A. 525 Paulinus Nolanus carm. – 6,34 160 – 27,37  ff. A. 646 Paulinus Pelleius orat. 15–17 211 Paulinus Petricordiae Mart. – 1,302 56 – 3,339 279 – 4,221  f. A. 793 – 4,529 A. 708 Pervigilium Veneris – 76 A. 460 Petron – 123, v. 200 A. 487 – 128,6, vv.1  f. 116 – 136,6, v. 5 249 Petrus Chrys. serm. 19,5 A. 263 Petrus Pictor carm. 14,261 A. 387 Phaedrus – 1,12,5 A. 380

Stellenregister 

Phocas – 416,28 A. 463 Physiogn. 32 p. II 49,6 118 Plautus Bacch. 114  ff. 143 Plinius epist. – 9,6,2 A. 262; S. 85 paneg. – 64,2 A. 311 Plutarch Romul. 27–29 72 Porphyrio Hor. carm. 4,1,37  f. 116 Hor. sat. 1,5,84  f. A. 376 Priscian Anast. 1,67/69 268 periheg. – 115  ff. A. 446 – 655 A. 488 Properz – 1,3,32 A. 210 – 1,20,40 A. 117 – 1,21,7  ff. A. 421 – 2,1,3  f. 57 – 2,18,7  f. A. 509 – 3,1,7 A. 194 – 3,3,39  ff. A. 194 – 3,20,11–14 64 Prudentius apoth. – 66 A. 801 cath. – 9,40.103 26 ham. – praef. 55 26 – 882 139 perist. – 1,63. 72 26 – 10,237 A. 790 – 10,781  f. 237 – 11,87  ff. 101  ff. A. 251. 415 – 11,127  f. A. 416 – 11,134 A. 415

psych. – praef. 17. 52. 64. 66 – 89 – 238 Symm. – 1,632  ff. – 2, praef. 52  f. Publilius – sent. L 3 Meyer (p. 39)

Quintilian inst. 3,9,1–4 [Quint.] Decl. mai. 17,9 Quodvultdeus – c. Iud. pag. Ar. 15,4 Reposian – 17  ff. – 36–42 – 42  f. post 38 – 48  ff. – 58 – 99 – 103 Rhetor Her. – 2,34 Sedulius carm. pasch. – 4,42  ff. hymn. 2,57  ff. Seneca Hf – 118  ff. – 224  f. – 629  ff. – 637  f. – 694 – 982  ff. – 989  ff. – 1249 – 1256  f. Tro – 464–468 – 710  f.

 331

26 A. 726 77 A. 129 A. 504

60

15 A. 270 A. 273

A. 863 78; A. 825 A. 825 A. 850 A. 801 271 A. 812 156

A. 701 105

A. 773 A. 148 A. 775 A. 775 A. 449 258  f. 149; A. 773 161 A. 586 250 123

332 

 Stellenregister

(Seneca Tro) – 829  f. – 1009  ff. – 1135  f. Phoen – 283. 372  f. 502–513 – 535  f. – 586  f. Med – 20–22 – 207–210 – 360 – 431 – 562  f. – 673  f. – 684  f. – 693 – 951–953 – 962  ff. Phae – 96  ff. – 224 – 704  f. – 1054  ff. – 1063 – 1068–1114 – 1074  f. – 1089 – 1093  ff. – 1097 – 1099 – 1101  f. – 1102  ff. – 1102bf. – 1105  ff. – 1108 – 1158. 1168–1174 – 1208  f. – 1244–1274 – 1245  f. – 1246. 1256. 1274 – 1278  f. Oed – 71–74 – 445  f. – 1020–1024 – 1046

A. 133 227 A. 660 180 237 180 160 160 A. 660 A. 597 141 141 141 141 258 258 32 106 190 136 A. 434 A. 413 136 137 A. 416 A. 421 A. 436 137 A. 436 A. 416 A. 414 A. 435 A. 413 A. 413 A. 413 A. 421 A. 414 A. 414 200 182 254 A. 330

Ag – 829 A. 148 – 906  f. 213 – 944  f. A. 634 Thy – 249  ff. 259 – 275–277 258 – 281  f. 115 epist. – 121,22 A. 140 apoc. 9 71 [Sen.] HO – 56  ff. A. 144 – 358 117 – 657 A. 240 – 831 75 – 925  f. 252 – 1141  ff. A. 133 – 1286  ff. 268 [Sen.] epigr. 59,11 136 Servius / DServ (= Serv. Dan.) Verg. ecl. – 6,62 A. 194 Verg. Aen. – 1,10 236 – 3,321 126 – 10,90 102 DServ. Aen. – 5,241 A. 567 – 8,157 A. 323 Sidon. Apoll. carm. – 7,137  f. A. 408 – 13,15 26 Silius Italicus – 2,435 A. 887 – 4,741 155 – 5,564 A. 218 – 6,584  ff. A. 887 – 6,631 234 – 8,190 234 – 11,492  f. A. 756 – 12,5 A. 701 – 13,289 228 – 13,291  ff. A. 787 – 13,828  ff. 29

Stellenregister 

Sophokles Ai. 661  ff. El. 1425 Statius Theb. – 1,91 – 1,206 – 1,712  ff. – 2,287 – 3,79  ff. – 3,340 – 5,46 – 5,105 – 5,156 – 5,200  ff. – 6,490 – 7,12 – 7,493 – 7,673 – 9,160  f. – 9,371 – 9,415 – 10,150 – 10,434 – 10,548–551 – 10,694  f. – 11,315  ff. – 11,537 – 12,27  f. – 12,36  f. – 12,177  ff. – 12,179 – 12,187. 191  f. – 12,231–238 – 12,264  f. – 12,283–288 – 12,285 – 12,288–290 – 12,316  f. – 12,319  ff. – 12,320  f. – 12,336 – 12,336–340. 411 – 12,367  ff. – 12,373 – 12,380 – 12,383–388

A. 531 A. 722

A. 519 74 A. 787 69 A. 862 180 227 29 231 A. 774 A. 218 222 A. 754 A. 756 260 A. 448 92 116 A. 218 81+249 A. 760 29 A. 380 A. 422 131 29 A. 89 A. 369 134 A. 398 131 A. 398 123  f. 131 132 A. 420 A. 409 124 132 A. 396 A. 674 122  f.

– 12,385  ff. – 12,389  ff. – 12,529 – 12,686  f. Ach. – 1,304  ff. – 1,539 – 2,23  ff. silv. – 1,2,19  ff. – 1,2,136 – 1,2,137  f. – 2,7,98  ff. – 4,5,5  ff. – 5,1,71 Sueton Vit. 12,1 Tacitus ann. – 2,88 Theokrit – 1,66  ff. 95–103 – 13,36  ff. Tiberianus carm. – 2,15–17 – 2,17 – 2,19  ff. (2,5) Tibull – 1,1,4 – 1,3,59 – 2,6,29 Val. Flaccus – 1,106 – 1,107  ff. – 2,192  ff. – 2,214 – 2,537 – 3,545  ff. – 3,549  ff. – 6,419  f. – 7,586 Val. Maximus – 3,7,1a – 7,4 (ext.),2

132 132 29 A. 511 117 A. 775 A. 447 77  f. A. 852 56 26 269 94 273

26 A. 885 A. 109. 117

212 A. 658 A. 656 A. 753 A. 197 254 74 A. 109 A. 787 268 74 A. 109 A. 117 A. 266 A. 381 A. 316 257

 333

334 

 Stellenregister

(Val. Maximus) – 9,10 (ext.),1 – 9,12 (ext.),7 Velleius Paterculus – 2,25,4 Venantius Fortunatus carm. – 3,9,65 – 6,1,142  f. – 8,3,259 – 11,2,1  ff. Mart. – 1,59  ff. Vergil ecl. – 1,51  f. – 4,22 – 6,62 – 6,71 – 7,11 – 9,19  f. georg. – 1,500  f. – 2,69 – 2,525 – 3,3–9 – 3,9 – 3,46  f. – 3,282  f. – 3,373 – 3,449 – 4,35  f. – 4,333–346 – 4,499  ff. Aen. – 1,11 – 1,41 – 1,79 – 1,232 – 1,390  f. – 1,418 – 1,658  f. 687. 715–719 – 2,283  ff. – 2,321 – 2,325  f.

201 A. 273 A. 577

56 A. 186 A. 229 115 A. 904

301 24 A. 194 25 231 A. 194 185 A. 497 A. 731 94 95 95 156 A. 485 A. 497 153 282 A. 585 236 183 A. 787 A. 793 A. 355 A. 415 283 A. 625 A. 442 217

– 2,479  ff. – {2,585} – 2,791  ff. – 3,189 – 3,359  f. – 3,490 – 3,662–665 – 4,164 – 4,246 – 4,251 – 4,330 – 4,384  ff. – 4,466  ff. – 4,577 – 4,645  f. – 4,667  f. – 5,2 – 5,5  ff. – 5,352 – 5,575 – 5,814  f. – 6,405  ff. – 6,565 – 6,580–584 – 6,602  f. – 6,603–607 – 6,644 – 6,697  ff. – 6,847  f. – 7,41 – 7,267 – 7,395 – 7,733 – 8,717 – 9,478 – 9,695 – 10,895 – 11,572 – 11,679 – 12,377  f. – 12,534 – 12,794  f. Ps.Vergil catal. 13,3

A. 783 A. 648 A. 585 A. 342 A. 343 250 A. 448 25 155 154 A. 506 A. 784 A. 506 A. 342 145 227 139 A. 677 118 249 112 A. 429 240 A. 133 155 262 A. 197 A. 585 57 A. 309 A. 352 227 A. 218 248 A. 442 A. 133 A. 497 A. 731 A. 495 A. 146 A. 436 A. 404 A. 904

Wort-, Namen- und Sachregister abire + Prädikativum A. 218 Ablativ adnominal 237 absens 68 Abstraktum, personifiziert 70. 73; A. 263; S. 174. 176; A. 660 Abstrakta statt Konkreta A. 138. 660. 661. 674; S. 223  f. abundant A. 728; S. 251. 273+811 Achillas A. 767 Achill(es) 14. 53. 102. 109. 110+348.349. 122  ff. 126; A. 409; S. 128. 130; A. 422; S. 135+429. 136  f.+437. 139+447. 140. 183. 216  f.+671; A. 782. 791 – Achillesdeklamation A. 60 – Achilli/-is (Gen.) A. 671 actus A. 587 adirem 65–68 addicebat 186  f.+577 adlocutio 13 Adnominatio 118  f. adulta (sponsa) 260 Advokat, s. Dracontius Adynata 185 Aeacus, Unterweltsrichter A. 208; S. 128. 130. 138 – Schatten des Aeacus 128. 130 Aegisth/Ägisth 135; A. 576; S. 203. 210  f. 213; A. 668; S. 216  f. 224. 229. 231; A. 718; S. 238. 239. 242  f. 250  f. 254. 259. 290 Aegritudo Perdicae – Datierung (nach Drac.) 277  ff. 296  f. – Hain (s. lucus Amoris) 278. 281. 283  f.; A. 850; S. 292. 298  ff. – metr. Differenz zu Drac. A. 763; S. 296+888 – Nähe zu Luxurius 296 aemulatio (literarische) A. 413 Aeneas 107; A. 352; S. 114; A. 367; S. 139. 183. 190. 236 aestus – frigus 301 Agamemnon 186–202. 203. 205. 209; A. 639. 668  f.; S. 215–217. 226–228. 233–235. 240+735.739. 243. 245. 248–250. 251. 259. 265 A. 873



– ‘Agam.’-Handlung, s. Gelübde 215; A. 669 – Grab Agamemnons 224–228. 235. 255 – Schatten Agamemnons 215. 226–228. 233–235. 240; A. 739. 873 agere = uiuere 157 agens + Prädikativum A. 214 agit (prece) statt ait 194 Aias / Ajax 101. 109  f. 170. 183 Akestinos, Arzt A. 890 Alcestis 218. 220 Alc. Avitus an Heraclius 42 Alexander, s. Paris ălitem ? 146; A. 510 Alliteration A. 348; S. 169. 201  f. 210. 227 Amazonen 102 Amnes (personifiziert) 74 Amor (s. Cupido) 28  f.; A. 100. 101; S. 53. 74. 108. 114. 143. 144. 146–148. 150. 153. 154. 180. 198. 283; A. 845; S. 284; A. 847; S. 288. 292; A. 884; S. 298 – aliger (geflügelt) 28. 53. 69. 70  f. 80. 144. 147. 148. 150 – Amor-Knabe (vielfältige Gestalt) 68. 148. 165  f. 295 – Amor und Gefolge 53. 54; A. 241; S. 77 – Amors Hain, s. Hain – Amors Pfeile 27. 33. 36. 53. 54. 63  f. 68. 71. 72. 73. 80. 108; A. 362; S. 114. 116. 146–148. 150. 156. 177; A. 847. 884 – Amor als Triumphator 157 amor = homo amatus 223 Amores (im Zug der Venus) 65. 68. 69  f.; A. 566 Anagnorismos 123 Anakoluthie (s. Gedankensprung) 97 Analogiebildung 258 Anaphern/anaphorisch 23; A. 196; S. 99. 103. 104. 110; A. 383; S. 128. 130. 132. 149. 179. 183. 197; A. 656; S. 254. 261 Anastrophe 208

336 

 Wort-, Namen- und Sachregister

Andromache A. 169. 395; S. 123. 130  f. 133  f. 138. 250. 289 Angleichungsfehler, s. Fehler anguipedes 43. 45 Annominatio, s. AdnomAnrufungsformel 253 Antenor 109; A. 352; S. 111 Antigone 122. 132 Antinomie ‘heidnisch – christlich’ 41 Antizipationsfehler A. 481; S. 233 ἀπὸ κοινοῦ A. 85. 214. 262; S. 91; A. 374; S. 128+412; A. 865 Apollo 35. 56  f. 235 – Apollo und Artemis 182 – Apollo und Venus 56  f. Apostrophe, s. ‘puer o’ Appendix Vergiliana, s. Laus Pisonis Apposition 41+129. 69; A. 701 – (s. Personifikationen) Arachne-Episode Ovids 285 arbiter Idae 98; A. 310; S. 108 Areopag, s. Athen Argia 122; A. 396. 409; S. 131  f. – Argia-Episode A. 369; S. 133  f. Aristaeus-Finale 282 Artemis (s. Diana) 182; A. 191 asper 192  f. Assonanz A. 348; S. 201  f. Astyanax A. 169; S. 102. 123. 129–134. 250 asyndet. Kombinationen 56; A. 221. 262. 286; S. 92. 93. 104. 165. 188 – Helenus Laocon 56 – Luna Diana 56 – Venus … Cupido 56 at inquies 14  f. ater 139 Athamas 179 Athen (Fluchtort Orests)  185; A. 575. 576; S. 186  f. 204  f. 233. 292  f.+873. 298 – Areopag 263 – Athen – Mykene 246 Athene (Pallas)  27–31. 187 – Athena (Promachos) 28; A. 578 auere necem ? 221  f. Augensprung 7. 78. 89. 166. 199. 267; A. 825 Augustus 72. 248 Aulis A. 588. 591. 596; S. 194

Aurora A. 509; S. 278  f. aurum, anaphorisch A. 212+656  f. autobiographisch 60. 80. 82. 90 Bacchen 73–75; A. 413 Bacchus (Liber) 35. 57. 148. 162  f. 180–182. 185 barathrum 188  f. 228  f.; A. 787 barbara turba 218 barbari 21  f.; A. 76. 510 Barth, Caspar 70 bella (prägnant) A. 138 bellipotens 109  f. Bildungskultur (s. Karthago) 25 bis quino mense 236–238. 290 Bitte (um Schonung/Inspiration etc.) 53; A. 175; S. 55. 64; A. 265; 94. 97  f. 148. 157. 176. 180. 185. 197  f. 200. 206. 228–230. 254. 257 – Bittgebet 53. 125; A. 583; S. 163. 169  f. 172. 194–199. 211. 257; A. 793; S. 294 – Bittformel 197  f.; A. 736; S. 252  f. Bobbio 3. 5 – Katalog von 1461 5 – cod. Bobiensis 4. 5. 6  f. 16 Boethius bei Maximian/Hippokrates in ‘Aegr. Perd.’ 296 Bonner Philologie 12 Brachylogie 87; A. 639 Brautkranz 169. 171 bruma rigens 153  f. 269  f. Buchstabenmetathese 101; A. 595; S. 210. 233 Bücheler 12 Bukolik 95 Byblis 283 Caesar (Troja/Dyrrach.) 131. 134 Cagliari 77. 80 calamis A. 236 Calco, Tristano 4; A. 27 calor (= amor) 33. 84+264. 72  f. A. 683 captatio benevolentiae 266 capulabat ? s. cŏpulare 256–259 caput quatere (nicht ciere) 92  f. Carmina profana A. 18



Cassandra  A. 432. 648; S. 213. 225; A. 705; S. 235. 240. 290 Castalia 283. 288–292. 300 – Cupidos Traumbild 300 censura polorum 235. 240 Charikleia A. 891 Charon A. 429 ‘Choephoren’-Handlung 215 Chor (Knaben/Mädchen) 58  f. 66. chorēas/chorĕas 70 Chorlied (Tragödienchor) 215. 218 Chronologie, s. zeitliche Priorität Claudians ‘Praefatio’ (rapt. Pros. 2) 22 Cleopatra A. 660 Clymene 36 cŏacta ? 153 codex Ambrosianus 10+48. 209 codex Salmasianus A. 57; S. 14  f. cognosce (Einwurf) 126 color = factio ? 83  f. comitante/comitata uenit 79  f.+247. 106  f. compositio membrorum, s. Hippolyt comptus 35 Concordia 78. 158 concurrere + Dat. 121392 Controuersia 14+60. 48  ff. – Vers-Controuersia 14+60 contrudere 151  f. conuersus 47 cŏpulare/cŏpula A. 230; S. 257–259 Corio, Bernardino 4; A. 24. 27; S. 268; A. 801 Corollarium  55 crementa A. 181; S. 61 Creo (s. Kreon) crimina, meton., s. Schimpfwörter A. 650 cruenta (uirgo) 147+472. 149. 286 Crux A. 40; S. 17. 23 cum statt et (Romulus cum Remo) A. 516 – cum nicht in Synalöphe 241 Cupido 27. 28. 31; A. 105; S. 53. 55. 56. 57. 157. 284; A. 847  f. 850; S. 286  f. 294; A. 884 – s. Amor (-Knabe) – s. Castalia 283. 300 – s. puer (Cupido) 67. 69. 295 – s. Venus – Cupido 28. 32. 56  f.; A. 262; S. 148. 282  f. 285  f.

Wort-, Namen- und Sachregister  

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currus = „Pferdegespann“ 136 Cyparissus 301 Cypris (s. Venus) 65. 67–70. 79. 281 cyprus 168 Daphnis, s. Theokrit Dares – griechisch 102. 107 – lateinisch A. 323; S. 102. 107; A. 341 – Phrygius A. 325 Daverio, Giov. Christ. 4; A. 27 de ~ „an Stelle von“ 130 Deidamia 138  f.+447 Deiphobus 107 Deklamationen 13. 14  f. 48. 51. 122. 208. 217. 218 – s. Achillesdeklamation – Deklamationssaal  94 – Vers-Deklamation A. 60; S. 15 – s. Rhetorenschule A. 413 delibare 96  f. Deliberatiua 14. 122+394 delimare (metaph.) 96  f. Delos 94. 181. 182. 185 Delphica templa (s. Inspiration) 52. 56  f. Delphin A. 283 de more A. 53 diagnostische Konjektur 271 diakritische Zeichen 16; A. 141 – s. Zeta Diana 28. 146–150. 153. 155. 159. 161. 194  ff. 200 – Diana / Medea 147  ff. 161; A. 678; S. 286 – Dianas Milde A. 583; S. 193. 198 – s. Priesterin (der Diana)  A. 472; S. 147. 149. 159. 188. 191  f. 198. 286 Diana-Luna-Proserpina (s. Luna) 146. 163. 286 Dichter – Anspruch/Anerkennung 88 – Ausdruckskraft 88 – s. humilitas-Gestus didaktisches Gedicht 95 Dido 114; A. 363. 367; S. 145; A. 506. 670. 677; S. 262 Dienerschaft 119  f. 210. 224  ff. 243  ff. 250  f.

338 

 Wort-, Namen- und Sachregister

dimittere = relinquere A. 848 Dina, Tochter Jakobs A. 679 Dione (s. Venus) A. 15; S. 61. 73. 75. 79. 80. 92. 108. 114. 181–183 – Dione/-es (-nae?)/-en 183+569 Dispositionsschemata 15 – s. Gliederungstopoi Dittographie 105; A. 503; S. 227. 231; A. 788 diu abundant A. 728 diua 108 diuus Augustus 72 dolor = ira  A. 429. 676; S. 258 Doppel-crimen 215. 218. 263 Doppelhochzeit 53 Dorylas 206. 209. 225  f. 227. 228  f. 243–246. 257 Drachenzähne 179 Dracontius, s. Dichter – Advokat und Dichter 88. 273 – Autobiographisches 60. 80. 82. 90 – Existenzbedrohung  60 – im Gefängnis 54  f. 66. 68. 79. 80. 84  f.; A. 266. 279; S. 277 – in Ungnade gefallen 84; A. 274 – juristische Betätigung 85. 87 – s. Rhetorenschule A. 413 dreigestaltige Gottheit 163. 286 Dreipunktedreieck 7+33. 16  f.; A. 141 – (Lukrezüberlieferung) A. 66 dubito quia  A. 702 dŭcit ? 158 dum – bei Neueinsatz A. 532 – restriktiv A. 391 δῶρα ἄδωρα 170 effigiat 113–115 Einwurf oro A. 736 ἔκθεσις (der Initiale) 5. 7. 15  f.; A. 581 Ekphrasis A. 424; 153  f. 245. 278. 279 Elektra 186. 205  f.; A. 812; S. 293 Ellipse/elliptisch 72. 157. 173; A. 589; S. 192. 207; A. 639; S. 217. 222. 253; A. 774 – im Anruf 253 Enallage A. 250 Endymion 146. 286  f.+855 Ennodius, dictio 21 14

Epanalepse 237 Epiklese (Sonnengott) 172 Epilog 178. 180. 183  ff. Epilogus 14  f. Epithalamien A. 26; S. 52  ff. 65  ff. Epithal. VI (Struktur) 52  ff. 55 – Ringkomposition A. 185 Epithal. VII (Struktur) 66  ff. Epos – panegyrisches 95 – zeithistorisches 95 – Epenzyklus (Troja) 98 Epyllion (Kleinepos) 33+102. 93  f. Eris A. 322. 657 Erinys  256–259; A. 787 errans ~ imaginans 113–115. 139 Erymanthischer Eber 36 et in Postposition 100 Eteoclĕs  154 Eteokles 179 Euadne A. 229; S. 145. 215. 218. 220. 221  f. Excerpta florilegii 10  f. 213 Excessus 14  f. excutere (sagittas) 147–149 – exc. fauillas ? 149  f.+479 Exempla(reihe), (myth.) 14. 45. 179. 182. 185; A. 670; S. 216–220. 273. 285. 287 Exposition der Handlung A. 175 factiones (Zirkusrennen) 83+257. 85 faktisch, s. quod faktitiv 90 facundus (vom Dichter) 41  f. 56  f. 86–88+273 fames meton. (s. inferna fames) 262+786 Fata – impia fata 104 fecunda amoris 142  f. Fehler (der Überlieferung) – Angleichungsfehler 74. 87. 92  f. 107. 126; A. 708. 741; S. 271; A. 869; S. 298 – Induktionsfehler 47. 118 – Influenzfehler A. 261; S. 109. 110; A. 510. 521; S. 168. 178. 187. 189; A. 634; S. 226; A. 729; S. 239. 255. 263. 300



Wort-, Namen- und Sachregister  

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– Verdrängungsfehler 126. 128. 146. 155  f.; A. 510; S. 168. 178. 179. 244 – s. Versumstellung Felicianus (Karthago) 13. 21; A. 80; S. 26. 39  ff. 93  f. 277 – doctrina potens 40. 41  f. fenestra 203; A. 783 Fenster (in Handschrift) 7+36; A. 132; S. 194 ferire 240 flagris 233 Fleury A. 23 flores: ‘Kindersprößlinge’ A. 187 Florilegien 8  f. 12–15. 182  ff. – s. excerpta florilegii 10  f. – s. exempla Vaticana 11  f. – Florilegienhs P 10 – Proverbia horestis 10 – Florilegium Veronense 4. 8  f. 10. 39 – Pariser Florileg 15155 10+49; A. 165 – prosodisches Florileg 11 – Seneca-Florilegien 9+45. 11 – Versabfolge verändert 9+45. 10  f. 213  f. Fluch (Verwünschung) 159–161; A. 678 flumen–Metapher 40 folium nardi A. 464 Fragmenta (Dracontii) – Überlieferung 4 frigus, s. aestus Fuchs, s. Gleichnis fuerat = (olim) fuit/erat ~ non iam exstat 217 fugere (+Akk. / Abl. sep.) 26–30 fumare, s. halare 163  ff. funus/funera 170. 199  f. – regni funus 200 – funera = clades, ruinae A. 793 fur an sacrilegus, s. spina 273 furialis 232  f. Furien 165  f. 197. 228–232. 258 – jungfräulich 165  f. 229 – furiengleich 257. 261  f.

gaudere + AcI A. 717 Gedankensprung A. 438 Gefangenschaft – s. Dracontius/Gefängnis – Rettung aus Gef. 54 Gelübde Agamemnons A. 583. 591 Genitiv, doppelter A. 208 Germanicus 248 Gesandtschaft 107. 109; A. 352; S. 111 Glauce A. 297; S. 171. 218–220 Gleichnis (s. Metapher) 80  ff. – Fuchs / Löwe 97 – Löwengleichnis  111; A. 543; S. 268 – Rennpferd (Zirkus) 80. 84. 85 – Singvogel 80 – Soldat 80  f. Gliederung, s. Romulea Gliederungstopoi  13. 14  f. – s. Epilogus, Excessus – s. Narratio, Quaestio Glosse A. 26. 200; S. 61. 83. 128. 146. 155  f.; A. 510; S. 238. 244. 252 Götter – Spiel mit Menschen  295+884 – Wirkungsbereiche 57 Götterkritik (christliche?) 184 Göttertrias 186. 187 Gottesurteil 263. 265 Grab, s. Agamemnon Grabinschrift  278 Graia iuuentus 109. 120 Graphie A. 38 Gratia 70. 76–78. 158 – s. Pudicitia gremium (sedile, tribunal) 98–100+310.311 Griechische Quellen (des Dracontius) 102. 170+533. 282. 292 (A. 890) Guglielmo da Pastrengo 9 Gunthamund – Bitte um Verzeihung 60. 90  f.

Galatea 92 Galbiato, Giorgio 3. 5  f. 7. 15 galeatus 29 γάρ (parenthetisch) A. 276 Gattungshierarchie 95 gaudens 158. 238  f.

h vor anlautendem Vokal (phonetisch bedingt) A. 683 haec deiktisch  252 Hain (Amor / Orpheus / Venus) 25. 278. 281. 283; A. 847. 850; S. 292. 300  f. halare 163

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 Wort-, Namen- und Sachregister

Haplographie 25. 121. 126. 162; A. 640 Harmonia 181–183. 185 Hector/Hektor (hectoreus) A. 169; S. 106  f.; A. 380. 383; S. 119. 122  ff.; A. 409; S. 128. 130. 132–134. 136–138. 140; A. 625. 639; S. 211. 216. 250 – Ἕκτορος λύτρα 123 – Hektors Schwert 170 Hecuba A. 231. 247; S. 106. 122  f. 134  f.; A. 432 Helena A. 20. 190; S. 94. 108+339. 111. 113  ff. 116  f. 119. 120; A. 389. 409. 648; S. 212  f.+660; A. 747; S. 277 – Lohn für Schiedsspruch  A. 339 – Raub Helenas 93  ff. 94. 112. 122; A. 505 – causa belli 101  ff. 126 – Helenas Mitgift A. 657 – im Venustempel ? 113  ff. – Helena-Epyllion 93  f. 124 – Helena-Prolog 94 – s. Paris – Helena 97. 113  f. 116  f. 212  f. Helenus 107; A. 343 Hendiadyoin 25; A. 262. 286; S. 156. 164. 190; A. 616 Heraclius, s. Alc. Avitus herbosa 98. 100  f. Hercules-Mythos 22 – Hercules – Hydra 43  ff. – Hercules – Hylas 35. 36  ff. – Nemeischer Löwe 45; A. 148 – Katalog der Taten A. 148 – Hercules/Laomedon A. 323 Hermaphroditus A. 120 Hermione 260  f. 264 Hesione  101  ff. – Mutter des Ajax 101+323. 103; A. 346 – Schwester des Priamus 101  f. 107. 109 Hiat, s. Metrik Hippodrom A. 257 Hippokrates (Aegr. Perd.), s. Boethius Hippolytus (Ovid, Seneca, Prudentius) 32. 35; A. 251; S. 122; A. 414; S. 136  f. 190 – compositio membrorum 129 – Sparagmos 123. 129 Hochzeit A. 175; S. 66. 71. 80. 101. 108. 166; A. 588

– Fest 54  f. 58. 63. 66  f. 73; A. 234; S. 79. 159. – Gäste  67. 73  f.+235; A. 322 – Gedicht (Lied) 52  ff. 55. 57. 61. 64. 66. 68; A. 560 – Geschenk 167. 169  f.; A. 813 – Gott  74 – Nacht 53. 54. 63 – Ort 53  f.; A. 241; S. 182. 229 – Paar 66. 80 – Ritus 66. 79 – Tag 56  f. – Thematik 166 – Zug 63. 67. 74; A. 246; S. 158 – Doppelhochzeit 53 – Inzesthochzeit 229 Homer 41  f.; A. 133. 136. 273; S. 93  f. 96  ff. 106. 122; A. 433; S. 190; A. 628 – Ilias / Aeneis A. 195; S. 97 Homoearchon 69. 78; A. 705 Homoeoteleuton 7. 78; A 705; S. 261; A. 795 humilitas-Gestus/-Topik 88. 94 Hylas – beliebtes Epyllienthema 94 – Epyllion A. 127. 264; S. 94. 289 – Mythologie A. 114 Hymen (Hymenaeus) 57. 73  f. 78; A. 589 Hypallage A. 852 – Hypallage des Attributs A. 805 hypermetrisch 155 Hypotaxe (hypotaktisch) 165; A. 558; S. 251 hypothetisch (Hypothese) 55. 61. 66. 68. 73; A. 429; S. 184  f. ὕστερον πρότερον A. 559

ianua mundi  A. 726 Iason/Jason (s. nauta Iason) 35; A. 246. 380; S. 141. 147  f. 150. 156  ff. 160. 168. 171. 173  f. 198. 220. 240. 286; A. 884 Ilioneus A. 352 Iliupersis (s. trojan. Krieg) 102 – uera causa 102 illicitos toros 31  f.; A. 848; S. 288  f. Imitation – Imitationsverfahren A. 385 – Kontrastimitation 118 impubes lasciuus 68–70



Induktionsfehler, s. Fehler infamis – fama 234 inferna fames, s. Tantalus 262 Infinitiv – freie Verwendung 237 – Perf. statt Präs. A. 729 Influenzfehler, s. Fehler ingratūs 173 inhiare 31  ff. – inhiare illicita 34 iniquus substantiviert A. 790 in littera langobarda A. 27; S. 6 Ino 182 inops 48; A. 507; S. 179  f. Inspiration (des Dichters) – Apoll und Venus  56  f. – Bitte an Venus A. 175. 178; S. 57 – Delphica templa 56 – Homer 96  ff. – Venus und Amor 56  f. Intensivum 63. 178. 260 interea (adversativ) A. 231 inter iura 86  ff. Interlocutor (fiktiv) 15 Interludium 215. 218 Interpolation 187; A. 591; S. 208  f. 221. 250 intrans 76 Inversion 52 – von tamen / sed A. 702 inuocare 130 Invocatio 97  f. 130 Inzest – Inzesthochzeit 229 – Inzestmotiv 281 – inzestuös A. 105; S. 283. 292 Ioannes aus Cagliari 61. 65  f. 77. 80 – Braut Vitula aus Sitifis 61. 77 Iokaste/Iocasta 165  f. 179. 229; A. 754 Iphigenie A. 472; S. 188; A. 583; S. 190–196; A. 735; S. 263; A. 793 – Schattenbild? 188 ipse (abgeschwächt) A. 115. 214 iubet / lubet 91+281 iungere = se iungere 74  f. iungere aliquem ~ se alicui 75; A. 774 – s. miscere

Wort-, Namen- und Sachregister  

 341

Iuno/Juno A. 96; S. 33. 43. 108. 114. 142. 146. 157. 177. 181. 186; A. 567; S. 185; A. 854. 884 – Juno als pronuba A. 182; S. 67. 76. 79; A. 339; S. 108. 158 – Juno – Minerva A. 182; S. 67. 76. 80. 186 – Juno-Monolog (Hf) A. 773 juristische Terminologie A. 218; S. 82. 98  ff.; A. 310  f. – sedere/stare A. 310  f.; S. 86 ius Agamemnonium 216  f. Juvenal bei Dracontius 28 iuuenalis/iuuenilis A. 737 Kadmos 178  f. 181 Kaiserapotheose 72 Kalasiris A. 891 Karthago 21; A. 72; S. 53; A. 273; S. 139. 154. 273. 277 Klageszene(n) 123. 128  f. 134 Klytämnestra 186; A. 608; S. 200  f. 203. 208; A. 656; S. 213. 215  f. 218  f. 221. 224. 229. 231  f. 238+733. 239; A. 739; S. 243. 252. 254. 256  f. 259. 261. 263. 265. 289. 291 – Klytämnestra-Schatten 232. 257. 261. 263 Kommando (Ind. Präs.) A. 389 Konstruktionswechsel 69. 74. 104. 142 Korruptelzeichen 7. 16  f. 23; A. 77; S. 46. 91; A. 510 – s. Dreipunktedreieck Kreon (Creo) 166. 171. 173  f. 220; A. 884 Kreta 182. 185 Kriegsursachen 97  f. 101. 103; A. 339. 409; S. 212; A. 657 Kyros  218  f.+674  f. Laomedon(tisch) A. 323; S. 109+346 Latinus (rex) A. 352 Laus Pisonis 49  f. lautmalerisch 96. 202 Leerzeile (Gliederung) 7. 15 Lemmatist 5; A. 33; S. 13  f.; A. 70 Lemniaden 29. 216. 218. 220. 294 Liber, s. Bacchus

342 

 Wort-, Namen- und Sachregister

licet 37  f. Ligatur 37. 149. 151 Ligurinus 283 lingua (Romulea) 39  ff. 293 litare 169 Lizenz, s. Metrik locus amoenus 78. 278  f. 298. 301 Löwe, s. Gleichnis – Löwengleichnis  111; A. 543; S. 268 Loire 11 (sub) luce futura 246  f. lucus Amoris 278; A. 847; S. 298  ff. Lücke/Ausfall (s. auch ‘Versausfall’) 7. 16. 17; A. 64; S. 38+119. 43. 46; A. 192. 200; S. 69. 78. 86. 110; A. 438; S. 153  f. 158; A. 534; S. 182  f. 196; A. 640. 669; S. 216  f. 230. 267+795 Luftstreiche, s. Scheingefecht 243 Luna–Diana 146; A. 471 Luna–Hecate–Diana 163. 286 Lukrez 11  f.; A. 66; S. 97; A. 462; S. 152. 268. 274. 301 – Proöm zu Buch 1 97 Lustration 164 Lusus (personifiziert) A. 246; S. 157  f. lux adoptata (Mondlicht) 62–64 Lygdamus / Ovid 277 Magie, s. Zauber 125. 141; A. 525; S. 170; A. 538 Majuskel (am Versbeginn) 15+62. 16; A. 110; S. 69. 78; A. 329; S. 121; A. 581; S. 282 malum, s. Schimpfwörter A. 660 Mars – Mars u. die Vestalin 71  f. matertera (Bacchi) 181  ff. Maximian, s. Thermen 53 Maximian (Elegiker), s. Boethius Medea – Überlieferung 3. 5  ff. – zur Chronologie 64 – Werk der Reifejahre 277 meliore lyra 93. 95 meliore uia 93  ff. Memnon 101 Menelaus 120; A. 505 Menoetes 122. 133  f.

mens. (De mensibus) – Überlieferung 4 mercĕs 53. 55 Mermerus  8; A. 67 Merula, Giorgio 3 Metaphorik 40. 41. 57. 77. 97. 100. 149  f.; A. 490; S. 159. 162. 268; A. 812 Methodik (Prioritätsbest.) 277 Metrik A. 15. 26. 74; S. 25. 61. 67. 80. 82. 100; A. 333; S. 119. 127. 143  f. 153. 158. 162; A. 532. 540; S. 180  f. 189. 208; A. 641; S. 226; A. 700; S. 252. 268. 272. 296+888. 298 – ‘Auflösung’ 25  f. – Dihärese nach 3. Fuß 127+410 – bukolische Dihärese  A. 641 – Einschnitt nach 5. Dakt. (mit Neueinsatz) A. 700 – Enjambement (Einschnitt nach 1. Troch.) 234  f. – Hiat (krit. App. 10,327) 83. 153 – s. hypermetrisch 155  f. – Lizenz A. 370; S. 143  f. 173. 224. 253 296 – Prosodie (ed. Teubn. p. XVsq.) 11. 25. 70. 143. 153. 162. 189. 236. 243. 296 – Dehnung kurzer Schlußsilbe (Einsilbler inklusive) s. krit. App. zu 5,35; Orest. 740 – in Arsis vor Zäsur A. 370; S. 173. 253 – in Arsis/Zäsur vor Doppelkonsonant (inkl. Pyrrhichia wie mea, tua) 208+637. 253 – vor h- in Arsis/Zäsur 127. 173. 224+693. 226. 253 – vor h- in Thesis 226. 253 – Kürzung eines langen Vokals (ed. Teubn. p. XVsq.) A. 230; S. 153 (?). 162 (?); A. 510 (?); S. 296 – spondeisches Hemiepes A. 673 – s. Synalöphe – Tetrameter (kat. troch.) 25  f. – Trimeter (iamb.) 26 – Diskrepanz zur Aegritudo Perdicae  A. 763; S. 296+888 micare 179+560



Minerva  A. 88. 182; S. 67. 76. 79. 80; A. 331; S. 106. 186. 292  f. – Minerualis … Athena 186  f.+575 minister, s. satelles 120  f. miscere, s. iungere  75 missis/iussis A. 388; S. 121 mĭtescit ? 162 mittīs 172  f. Molossus 263. 265 monitus („inspiriert“) 98309 moriente = mortuo 175547; A. 860 mortalis 231  f. – mortale minatus/-ur 232 motus (motibus) 135+428 mox A. 248 muliērem 11 munus nec munera 170  ff. Musen Apolls 56 – Musenanruf A. 309 Muster/Vorbild – Mustervers/-szene 11. 26. 28; A. 106. 136; S. 50; A. 162. 192. 232; S. 92. 112; A. 385; S. 123  f. 129. 130. 132  f. 134  f. 136; A. 436; S. 143. 145. 154. 156; A. 500. 511; S. 175+546. 183. 194; A. 634. 642; S. 227. 231. 247  f. 252  f. 258. 268. 271; A. 830; S. 286. 291. 293; A. 878; S. 301; A. 905 Muttermord 215. 238. 242. 256  ff. 290 Mykene 133. 185. A. 575; S. 196. 199  f. 205+634. 225. 229. 239. 243. 244  ff. 256. 292; A. 873 – Argolicas … Mycenas A. 575 Myrrha 31. 282; A. 843. 863 Mythen – Katalog 27; A. 148; S. 77. 142  f. 179. 215. 216. 219  f. 285+852; A. 884 – Versionen 37; A. 323. 583 mythographische Tradition/Vulgata 44. 102 Mythos / Mythologie (mythologisch) 22; A. 105. 114; S. 38. 40. 161. 166. 179. 181. 184. 185; A. 588. 596; S. 215. 240; A. 786; S. 281. 286 nam – adversativ (antithetisch) 89  f. – begründend 89+276

Wort-, Namen- und Sachregister  

 343

Narratio 14  f. 48. 51 nauta Iason 168 nefas – nefas Paridis, s. Themenwahl – nefas, meton. s. Schimpfwörter negatur 112 Nemeischer Löwe, s. Hercules nepotes A. 186; S. 79  f. 176 Neptun 27. 92 Nero 72 nescio, sed gratum A. 833 niuans ? s. bruma rigens 269  f. Nominativ, frei angegliedert 70 Novellistik, griechische A. 890 obire necem 221  ff. obsitus ~ obsessus ? A. 333 obuia uenire 105 occasus = mors 140  f. oculis – errans oculis 113. 115  f. – mentis oculis 115 ōdia 234  ff. Odysseus 109. 190 Oedipus 166. 179. 229 onerare, s. ornata 118 – onerata comis 118 (per) oras ~ (per) arua ? 133  f. orbita 81. 129 Orest A. 162. 576; S. 186. 196. 204  ff.; A. 668; S. 225. 228. 231  f. 233  f. 235. 238. 239  f. 242  f. 244  ff. 248  ff. 254–259. 260  f. 262. 263–267 – Ebenbild des Vaters 248 – folgt Weisung Apolls 235. 240+735 – Orestes-Überlieferung 3. 9  ff. – zweiteilige Struktur A. 669 – Werk der Reifejahre 277 Originalitätsanspruch (des Dichters) 94  f. – in Nemesians Cynegetica 95 – in Vergils Georgica 94  f. ornata/onerata 119  f. oro s. Einwurf Orpheus 21  f. 24  ff.; A. 127; S. 190 – Orpheus-Allegorie 25+80 orsus/orsa 207 orta luce 246  f.

344 

 Wort-, Namen- und Sachregister

Ortswechsel 114 Oxymoron A. 274; S. 158; A. 518; S. 206. 210; A. 680. 733; S. 248. 295 – Oxymora Orest. 1  ff. 295 Palaemon 178  f. 182 Pamphile (in Hexenküche) 169 panegyrisch, s. Epos Pantomimenhandlung A. 112 Paralellenanalyse, logisch-stilistische 278 Parasangen (Wegemaß) A. 749 Parataxe (parataktisch) 37. 90. 165; A. 558 Parenthese (parenthetisch) 22–24. 37. 69; A. 222; S. 89. 178  f. 197. 201  f. 204  f.; A. 650; S. 230. 234; A. 769; S. 264. 281. 300 – parenth. Ausruf (Vok.) 237 Paris (Alexander) 35. 98; A. 322; S. 107. 108. 111. 112. 113  f. 120. 122  f.; A. 442. 505. 648. 650; S. 213+660 Paris – Helena 97. 102. 106. 113  f. 116  ff. 212  f. Parisurteil 98 – Kriegsursache (s.  o.) 97  f. 101; A. 339; S. 212 pariter comitante 106  f. Paronomasien 34  f. Parrhasius, Janus 3 Partizip Praes. – final-futur. Bedeutung A. 215 – ersetzt Ptz. Perf. 175; A. 860 pascua (herbosa) 100  f. passim 260+781 pastor Iliacus (p. ab Ida) A. 310 pater 22. 25  f. Patria (personifiziert) 73 Peneiosnymphen 33. 282 Pentheus (Eur. Bacch., Ov. met.) A. 413 pēr – in Arsis vor haec 224–226 – in Thesis vor haec 226. 252  ff. – s. Metrik, Dehnung per in Postposition A. 694 per statt abl. instr. 155+493 Perdicas 31; A. 104. 116. 476; S. 282. 284  f. 288  f. 291. 292  f.; A. 882; S. 295. 298. 300

– Liebhaber der Mutter (Stief mutter) 282 – Traum des Perdicas 283. 300 Perfekt, resultativ A. 802 pergere A. 747 – pergimus (Kommando) A. 389. 747 – s. properamus pericla 236  f. Perseverationsfehler 28; A. 166 Personifikation(en) 41. 70. 73. 76; A. 263; S. 92. 157. 174. 176  f. ; A. 660. 774; S. 280  f. – im Gefolge Amors 77. 136 – als Apposition 41 Perspektivwechsel 81 Phantasma 190 Phocas, Vergilvita 40  f. – Datierung A. 126; S. 41 Phönix 144  f.; A. 479 Phryges A. 16; S. 109. 120 pietas (pius) A. 71. 188; S. 59  f. 73. 79; A. 275; S. 90  f.; A. 281; S. 111. 122  f. 129. 134  f. 162  f. 186; A. 600. 656. 668; S. 220  ff. 234; A. 724; S. 256. 258; A. 859. 880; S. 295; A. 886 planctu 248  ff. plaudere + AcI, s. gaudere A. 717 plausu fremere A. 755 plausu gaudente 248  ff. Plautus – plautinische Floskel A. 281 Plural statt Singular (konkreter Nomina)  A. 696 plus ire 172  f. Polites 106 Polydamas 107. 110  ff. Polynices (-eikes) 122. 131  ff.; A. 507; S. 179  f.; A. 754 – Polynicĕs 179 pompa Veneris, s. Venus Pompeius, Tod des Pomp. A. 767 post fata 71  f.+229 Prädikation – Partizipialprädikation 197 – tu-Prädikation 197 Praefatio, s. Romulea praelocutiones 13



Präposition in Anastrophe A. 638 Praesens pro futuro 28+86 praetor A. 310 precibūs 173 Priamus A. 231; S. 101  ff. 106  ff.; A. 352; S. 122  f. 128. 129  f. 132  ff. 199 Priester – Chryses 161 – Opferpriester A. 735 Priesterin – Diana-Priesterin 147. 149  f. 159. 196; A. 678; S. 268 – Iphigenie  191  f. 196 – Medea  147+472. 149  f. 156  f. 159; A. 678; S. 286 – Tempel-Priesterin 147  f. 156. 158. 191  f. 196. 198 Prioritätsbestimmung, s. Methodik 277 probrum, s. Schimpfwörter prodŭcat ? A. 510 προλαλιαί 13 Pronomen, erspart 141 Proöm 7. 15 Propemptikon 108 proprius = suus 82 Prosodie, s. Metrik – Prosodiewechsel 183 Prosopopoiie (s. Patria) 73. 128 Pudicitia (s. Gratia) – Pudicitia – Vitula 76  ff. puer Cupido 52  f. 67. 69. 148; A. 850 – puer Idalius A. 100; S. 69. 144 – puer (Veneris) A. 184; S. 113. 117. 165. 181. 231; A. 845 ‘puer o’ als Apostrophe 252 puniceus cruor (sanguis) 117. 278  f. Purgation 164. 168 Pylades A. 162; S. 103; A. 632; S. 205. 214. 225. 231. 233. 235. 238  ff. 242–246. 248. 250  ff. 287. 290. 293+873 quae – haec 127+411 Qu(a)estio 14  f. 16 quarta luce 244  ff. -que – epexegetisch A. 409 – invertiert 91+282

Wort-, Namen- und Sachregister  

 345

Quellen (literarische) 11. 81; A. 290; S. 102. 107. 122; A. 413. 532; S. 282. 292. 293. 295. 297 Quirinus, s. Romulus 71  f. quocumque in Tmesis 208+637 quod, faktisch A. 266 Randlemmata 15 raptatur (nicht rapiatur) 260; A. 713 raptum (nicht gratum) A. 176 raptus Helenae, s. Helena – s. Themenwahl recidens 173  ff. referens (final-futur. Bed.) A. 215 regalia limina 287  f. regia familia/regales famuli 243  f. Reim 96; A. 334; S. 201. 267 Relativpronomina, verschmolzen 156 Relativsatz, frei angeschlossen A. 138; S. 141 Rennpferd, s. Gleichnis repūdia 159 Rhetorenschule A. 413 Rhythmus- oder Prosodiewechsel 183 rigat 168  f. Ringkomposition 90. 265 – s. Epithal. VI Römer/Barbaren/Vandalen A. 6; S. 21; A. 76. 80 Romulea profunditas/saecularis eloquentia 42 Romulea 4  ff. 34  ff. 53. 60 – Gliederung in N 13. 15  f. – Praefatio 13 – s. ἔκθεσις – s. Überschriften 14  f. – Titel 4  f. 9. 39  ff. – Überlieferung 3. 4  ff. Romulus (s. Quirinus) 71  f. – Apotheose (s. Kaiserapotheose) 72 ros. = De origine rosarum – Überlieferung 4 rosula A. 243 Rufinianus, s. Victorianus Salamis A. 323 Salmacis A. 120 Salmasianus A. 57; S. 14  f.

346 

 Wort-, Namen- und Sachregister

saltem  181. 185 satelles (s. minister) 49. 120  f.+393 Schadenzauber 167  ff. 172 Schattenbild (Vergleich) 106 Scheingefecht, s. Luftstreich 135. 239 Schiffahrtsallegorie 95 Schiffbruch 168  f. Schimpfwörter (probrum, nefas, crimina, malum) 211  f.; A. 660 Schlangenwagen (Drachenquadriga) 161. 173–178 Schlüsselzitat 95. 123  f. Schönheitspreis A. 322. 339; S. 212 Schönheitswettbewerb 100. 107. 108 Schutzgottheiten 185 Schwangerschaft – Beschwerden der 237. 290 Schwurformel 253 Scylla A. 96 sedere/stare, s. jurist. Terminologie  A. 311 Seesturm 108. 112 – s. Sturmbeschreibung Selbstgespräch (Helenas) 116 Semele 181  f. Senat – senatus deorum/senatus caelestis  A. 229 – Göttersenat 71 – himmlischer Senat 72 Seneca–Florilegien, s. Florilegien sexu fugiens 27–30 si/sic 183  ff. Sibylle A. 429 sic fama 233  f. Sichem A. 679 Silius-Reminiszenzen A. 887 simul – cecidere simul 102  ff. – kopulativ 103  f.+327 sine in Postposition 208 Sitifis (Nordafrika) 77 Skyros A. 447 sociare = se sociare 74 solare Eschatologie 173 sollicitus A. 632 somnium Scipionis A. 405

sonare (intr./trans.) A. 236 Sonnengott, s. Epiklese 125. 170  ff. (A. 842) Sparagmos, s. Hippolytus Sparten 179 Sperrung, s. Verschränkung A. 89; S. 43; A. 266; S. 92. 149; A. 756; S. 254. 271; A. 894. 900 sphaera polorum 125. 172 Sphärenklänge A. 405 spina furax / sacrilega 272  ff. sprachpsychologisch A. 402 Stichworttechnik  10. 22. 23; A. 199. 275. 331; S. 120. 157; A. 510; S. 193. 198. 205. 215  f. 220  f. 222; A. 698; S. 264. 267. 285. 287. 293 Stilfigur ‘poeta creator’ 58+194 – s. munus nec munera Struktur, s. Epith. VI Sturmbeschreibung 112+356 – s. Seesturm Styx (stygisch) 118. 130; A. 429; S. 231 Subjektswechsel 90. 177 Subscriptiones 5+26 supra (in den Tituli) 13+57 suus, abgeschwächt 119 Syllepsis 125 συμπάθεια, kosmische 256 Synalöphe Anm. 53; S. 130. 155. 252  f. – doppelte Synalöphe A. 114; S. 146. 156; A. 579 – en in Synal. ? A. 776 – hypermetrisch 155+497 – ipse in Synal. 146 – Monosyllaba (te, me) 253+762 – synalöphenscheu A. 579; S. 252 Synkope A. 230; S. 237 Synonyma 32  f.; A. 256; 93. 112. 116. 140. 153. 157. 162. 169. 210; A. 652. 676; S. 249. 273 – vertauscht 153. 210 talis – qualis 52 Tamyris A. 670; S. 216–219+675 Tantalus 262 – meton. inferna fames 262 tantum quantum (acc. mensurae) A. 451 tardus/tardius 134



Taubengespann, s. Venus Tauris A. 472; S. 188; A. 588. 596; S. 200. 263 te enklitisch, Postposition 253 – in Synalöphe 253 tecta („Stadt“, „Häuser“) A. 179 Telamon A. 208; S. 101  f. 107. 109  ff. Tempel der Venus 113  f. Tempus A. 314. 769 – Tempuswechsel A. 391 tepescere 162  f. territat A. 77 Teuker 109 Theben 73. 122. 132  ff. 165  f. 174. 176. 178–185. 220. 221. 228–231; A. 775 – Thebens Frevel 178  ff. Themenwahl 93–95. 97  f. – nefas Paridis 94 – raptus Lacaenae 94 Theokrits Daphnis 295 Thermen Maximians 53 Thetis (Mutter Achills) 101; A. 447 – Hochzeit mit Peleus: Primärursache des trojan. Krieges 101 Thrasamundus – carm. in honor. Thras. regis 4; A. 27. 44 tibĭ / tibī 183 Tierfriede 22  f. 25 Tieropfer (stellvertretend) A. 583 Tmesis (s. quocumque) 208; A. 637 Tod, s. Pompeius – Todesgewand 203 – Todesstoß tödlicher Streich 152. 197  f. 238. 251. 256  f. 259. toruus 49+162 Tours 11 Tragödie – Tragödienchor, s. Chorlied 215. 218 – Tragödienstoffe – episch erzählt 218. 247. 277 transire 62. 64  f. Tribunal (metaphorisch) 98 – tribunal A. 310 – aetherium tribunal 100+316 Tributpflicht der Trojaner 129 triste decus 295+887

Wort-, Namen- und Sachregister  

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Trivia (s. Diana) A. 617 Troilus 106; A. 383 Troja (trojanisch) A. 133; S. 101; A. 323; S. 106  f.; A. 339; S. 109. 111. 113. 116. 119. 122  f.; A. 409; S. 128. 131. 132. 138  f. 186; A. 583. 591; S. 199  f.; A. 648; S. 212+657. 216 – Troja-Beute/Schatz 102. 205; A. 657 – Troja-Epik 97. 98 – Trojanischer Krieg (s. Iliupersis) 101. 103. 212; A. 791 – Trojaspiel (Aen. 5) 249 turba (sequentum) 119. 120  f. 210 turpis amor 220  f. Überbietungsformel 286. 294+877 Überschriften – Gedicht-, Kapitel- 14  f. Ursprungsmythos 179. 281 Usener A. 14  f.; S. 49 ut = ceu (vergleichend) A. 104 uadimonia 98; A. 310 uagari + Akk. 112  f. Variation(en) A. 161; S. 69. 74. 82. 97. 104. 110. 122. 130. 145; A. 576; S. 188; A. 658; S. 222  f.; A. 684; S. 239. 244. 263; A. 804; S. 280; A. 825; S. 281 uel = saltem A. 216 ueniam relaxare 90  f. Venus (s. Cypris/Dione) 27  ff. 33. 35. 52. 53  f. 56  f. 61. 97; A. 322; S. 107; A. 339; S. 142; A. 478; S. 158. 180  f. 185. 270. 272. 274. 281 – pompa Veneris 68–70. 73. 80 – Venus, alma potestas 56 – lasciua Venus perfida mater 142. 294  f.+884 – Venus und Adonis 283 – Venus – Amor 27–29. 56. 57. 70. 73. 292 – Venus – Apoll, s. Apollo 56  f. – Venus – Cupido 27  f. 32. 52. 56  f.; A. 262; S. 148. 282  f.; A. 847; S. 285  f. – mit Taubengespann 53. 70; A. 241; S. 150  ff.

348 

 Wort-, Namen- und Sachregister

– Venusfest (Zypern) 108 – s. Tempel der Venus uenustăs 142  f. uepres A. 416 Verdrängungsfehler – s. Fehler Vergil – flumina linguae Romuleae 41 – Vergil / Homer 41  f.; A. 133. 136. 273; 93  f. 97  f. 190 – Vergilepitaph 101 Vergleich (verkürzter) A. 700 Verlassenheitstopik 160 uerna 210  f. Vers – ausfälle (s. ‘Lücke’) 17. 38+119. 69. 153. 166. 196. 204. 216; A. 705; S. 261. 267+795 – Controversia 14+60 – Deklamation A. 60; S. 15 – Umstellung (Versversetzung) 10. 67. 76. 78. 89. 166. 183; A. 576; S. 187. 196  ff. 201. 204; A. 633; S. 213; A. 699. 704. 730; S. 261. 266; A. 825 – Vorrede 22. 40 – zwang 88 Verschränkung (s. Sperrung) 55; A. 266. 288; S. 145; A. 639 Verstirnung der piae animae 124  ff.+402 Vertauschungen (Buchst.) 57; A. 219. 243; S. 83; A. 321; S. 109. 121. 128. 139. 144. 145. 149; A. 492; S. 158; A. 502. 570. 582; S. 218. 221. 232; A. 741; S. 258. 260; A. 852; S. 299 Verwünschung, s. Fluch Vestalin, s. Mars 71  ff. uestire, meton. A. 812 uetare 105. 262  f. uicina substantiviert A. 701; S. 230  f. Victor 53  f. 59  f. 61  f.

– s. gens Victoris {Victorianus et Rufinianus} A. 26; S. 61. 103 uilis uates 94 Vitula, s. Ioannes 5. 65  f. 77 uix ea fatus eram 53+175 Vogelaugurium 113 uolare ~ trepidare 138 uolŭntate / leuitate 82  f. Voluptas (personifiziert) A. 188; S. 70. 77. 79. 143. 176 uomitans (Intensivum) 173; A. 555; S. 178 Vorbild, s. Muster Widmungsgedicht 21; A. 74; S. 26. 93  f. Wiederholungen mit veränderter Semantik oder Konstruktion A. 161; S. 58. 65. 74. 110. 118. 183; A. 639. 656. 703; S. 244 Wortspiel 35. 58. 65; A. 310; S. 105+333. 179  f. 183. 223. 229. 234; A. 734; S. 287. 299 Wortstellung A. 215; S. 208. 271 – freie A. 271 – normalisiert 225 – variiert A. 161 – verwickelt 88 Xenophons Hopliten (Marschgeschwindigkeit)  A. 749 Zauber(künste) 24. 241. 167  f. 169+530. 172. 184; A. 813 Zeitintervall (in Handlung) 215. 218 zeitliche Priorität – Dracontius/Aegr. Perd. 277  ff. – Romul. 9 vor 8 122  ff. Zeitsprung 215. 218 Zeta (= ζήτει = require) A. 68 Zeugma A. 639 Zirkus(rennen), s. Gleichnis A. 262 Zypern 108. 112. 185 – Zypernerz 168 – Zypernöl 167  ff.