Die Präsenz der Dinge: Anthropomorphe Artefakte in Kunst, Mode und Literatur 9783839448175

They look at us, move, and speak: humanoid artefacts. Jana Scholz discusses why they can appear alive to us.

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Die Präsenz der Dinge: Anthropomorphe Artefakte in Kunst, Mode und Literatur
 9783839448175

Table of contents :
Inhalt
1. Das Paradox der Animation
2. Dinge wahrnehmen
3. Künstlerische Figurationen anthropomorpher Artefakte
3.1 HANS BELLMER: DIE PUPPE
3.2 LA PLANÈTE JEAN PAUL GAULTIER
3.3 E.T.A. HOFFMANN: DER SANDMANN
4. Die Realität der Fiktion
5. Dank
6. Literatur
7. Abbildungsnachweise

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Jana Scholz Die Präsenz der Dinge

Fashion Studies  | Band 8

Editorial Mode ist Motor und Ergebnis kultureller Dynamiken. Kleider gehören der materiellen Kultur an; Mode ist Ergebnis des Handelns mit Kleidern und wird in ästhetischen und alltagskulturellen Praktiken hervorgebracht. Als omnipräsente visuelle Erscheinung ist Mode wichtigstes soziales Zeichensystem – und sie ist außerdem einer der wichtigsten globalen Wirtschaftsfaktoren. Die Reihe „Fashion Studies“ versteht sich als Forum für die kritische Auseinandersetzung mit Mode und präsentiert aktuelle und innovative Positionen der Modeforschung. Die Reihe wird herausgegeben von Gertrud Lehnert.

Jana Scholz, geb. 1987, arbeitet in der Wissenschaftskommunikation und als freie Autorin. Ihre Forschung konzentriert sich auf dingliche Agency und künstlerische Kommunikationsstrategien, Performativität sowie Body und Gender Studies.

Jana Scholz

Die Präsenz der Dinge Anthropomorphe Artefakte in Kunst, Mode und Literatur

Dissertation an der Universität Potsdam, 2018. Eingereicht unter dem Titel „Präsenz. Anthropomorphe Artefakte in Kunst, Mode und Literatur“. Erstgutachterin: Prof. Dr. Gertrud Lehnert. Zweitgutachter: Prof. Dr. Andreas Köstler. Druckkostenzuschuss durch die Potsdam Graduate School.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld; nach einem Vorschlag von Jana Scholz Umschlagabbildung: shellystill/stock.adobe.com Satz: Jana Scholz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4817-1 PDF-ISBN 978-3-8394-4817-5 https://doi.org/10.14361/9783839448175 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1 DAS PARADOX DER ANIMATION | 7 2 DINGE WAHRNEHMEN | 19 2.1 Materialität | 19 2.1.1 Was sind materielle Kulturen? | 19 2.1.2 Netzwerke und Agency | 22 2.1.3 Performanz und Affekt | 26 2.2 Visualität | 32

2.2.1 Was sind visuelle Kulturen? | 32 2.2.2 Geschlecht sehen | 35 2.2.3 Animation und Performanz | 38 2.3 Was sind anthropomorphe Artefakte? | 46

2.3.1 Artifizielle Körper in der Forschung | 46 2.3.2 Natürlichkeit und Künstlichkeit | 53 2.3.3 Dimensionalität und Wahrnehmung | 65

3 KÜNSTLERISCHE FIGURATIONEN ANTHROPOMORPHER ARTEFAKTE | 69 3.1 Hans Bellmer: Die Puppe | 69

3.1.1 Konstruktions-Dokumente | 69 3.1.2 Visualisierte Materialität | 76 3.1.3 Fragmentierte Perspektiven | 89 3.1.4 Geschlecht und Subjektivität | 96 3.1.5 Inszenierte Artifizialität | 101 3.2 La Planète Jean Paul Gaultier | 106

3.2.1 Modewelten | 106 3.2.2 Modekörper | 114 3.2.3 Modeszenen | 121 3.2.4 Moderäume | 130 3.2.5 Animierende Artefakte | 138

3.3 E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann | 144

3.3.1 Fiktionale Präsenz | 144 3.3.2 Natürlichkeit und Authentizität | 149 3.3.3 Körper und Fragment | 157 3.3.4 Lebende Fiktionen | 165 3.3.5 Unbestimmtheit und Illusionsproduktion | 173

4 DIE REALITÄT DER FIKTION | 183 5 Dank | 187 6 Literatur | 189 7 Abbildungsnachweise | 219

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Das Paradox der Animation

Abbildung 1: Römische Stoffpuppe, 1.-5. Jh. v. Chr., Fundort Ägypten

Dieses Gebilde gleicht dem menschlichen Körper nur vage. Da ist kein Gesicht, keine Haut, kein Haar, auch keine Kleidung oder Schmuck. Da ist kein organischer Körper, sondern drapierter Stoff, der entfernt an einen menschlichen Rumpf mit Kopf und Extremitäten erinnert. Und doch erkennen wir in diesem Gebilde sofort einen Menschen. Obwohl es nicht einmal Augen besitzt, fühlen wir uns womöglich beobachtet oder in irgendeiner anderen Weise adressiert. Vielleicht entdecken wir in den Körperformen gar etwas wie Neugierde, eine Aufforderung, etwas mit diesem Ding zu tun; es in die Hand zu nehmen und von allen Seiten zu

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betrachten. Oder wir glauben eine Bewegung zu erahnen und einen Schritt vorherzusehen. Fest steht: Wenn es um auch nur entfernt menschenähnliche Dinge geht, sehen wir immer mehr, als wir eigentlich sehen. Diese römische Stoffpuppe wurde irgendwann zwischen dem fünften und dem ersten Jahrhundert vor Christus in Ägypten hergestellt und diente vermutlich als Spielzeug. Ihre bunten Kleider und das gläserne Haar-Ornament sind nicht erhalten. Doch gerade in dieser fragmentierten Überlieferung steht sie exemplarisch für das Verhältnis von Menschen zu anthropomorphen Dingen. Wie wenig sie uns im Detail ähneln, wie bruchstückhaft, wie grotesk sie auch sein mögen – wir animieren sie permanent. Indem wir ihren Blick zu spüren glauben und ihn entgegnen, indem wir ihren Bewegungssuggestionen folgen und die Stimmungscharaktere von Farben, Formen und Materialien aufnehmen, indem wir sie vervollständigen und in abstrakten materiellen Formationen menschliche Züge erkennen. Und vielleicht, so jedenfalls lässt diese fragmentiert tradierte Stoffpuppe vermuten, ist es gerade die unvollkommene Erscheinung menschenähnlicher Dinge, die eine Verlebendigung herausfordert. Das Erkenntnisinteresse dieser Studie richtet sich auf die Wirkung ausgewählter menschenähnlicher Dinge im westlichen Kulturkreis seit dem 19. Jahrhundert. Es wird gefragt, mit welchen Strategien die visuellen Inszenierungen des materiellen Artefakts auf eine Animation zielen und welche Rolle die Agency von Dingen für deren Verlebendigung spielt. Dafür werden drei künstlerische Figurationen menschenähnlicher Dinge untersucht: Hans Bellmers Fotoserie Die Puppe (1934), die Pariser Modeausstellung La Planète Jean Paul Gaultier. De La Rue aux Étoiles (2015) und E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann (1816). Während Bellmers und Hoffmanns Geschöpfe nur vermittelt über die Fotografie und die Literatur erfahrbar sind, konnten die menschenähnlichen Dinge in der Ausstellung direkt, mit allen Sinnen erfahren werden. Dieses Buch behandelt also sehr verschiedene Darstellungskontexte, bei denen zum Teil verschiedene künstlerische Gattungen ineinandergreifen und für die der Werkbegriff mitunter problematisch ist. Deswegen spreche ich in dieser Untersuchung von künstlerischen Formaten. Mit dem Ausdruck orientiere ich mich an Dorothee Richter, die feststellt, dass sich alle bildnerischen Mittel seit den 1960er Jahren „im Übergang, in einem Schwebezustand“ (Richter 2013, 1) befinden. Verschiedene künstlerische Mittel würden verstärkt assoziiert und von multimedialen Formaten durchsetzt (vgl. ebd.). Dieser Schwellencharakter gilt insbesondere für die multimediale Modeausstellung und bis zu einem gewissen Grad auch für Bellmers fotografiertes menschenähnliches Objekt, der Ausdruck wird aber zugunsten der Einheitlichkeit gleichsam für den literarischen Text verwendet. Wie menschenähnliche Dinge erfahren werden, entscheidet sich in jedem Fall maßgeblich

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über den Präsentationskontext. Die Perspektive dieses Buchs richtet sich daher gezielt auf das Zusammenspiel von künstlerischem Format und dem darin erscheinenden Artefakt. Um den Forschungsgegenstand dieser Studie kennenzulernen, seien die zu analysierenden menschenähnlichen Dinge kurz vorgestellt. Sie alle bilden den menschlichen Körper oder seine Teile mehr oder weniger mimetisch nach, und zwar insbesondere in seiner normalerweise sichtbaren Oberfläche. Diese lebensgroßen und beweglichen Figuren bestehen aus verschiedenen Werkstoffen wie Holz, Gips, Kunststoff, Wachs und Metall. Prägnant für diese Materialhybride ist ihr sichtbarer Konstruktionscharakter aus Einzelteilen, der auch die Beweglichkeit der Glieder bedingt. Ergänzt werden die hybriden Körper durch Kleider, Haar und andere Beigaben, aber auch durch technische Elemente mechanischer und digitaler Art. Insofern sind die drei Figurationen menschenähnlicher Dinge durch die Struktur des Fragments gezeichnet. Unter Fragment (von lat. fragmentum: Bruchstück, s.a. lat. frangere: zerbrechen) ist mit Schöning der anwesende Teil eines abwesenden Ganzen zu verstehen. Der Begriff setzt also logisch eine Ganzheit voraus, die real oder ideell sein kann (vgl. Schöning 2006, 117). In dieser Untersuchung geht es damit um eine fragmentarische Struktur, womit im Wortsinn das Zerbrechen einer Einheit gemeint ist. Die Einzelteile können neu zusammengefügt oder durch Teile einer anderen Einheit ergänzt werden, doch die Signatur des Fragments bleibt erkennbar bestehen. Für die hier behandelten menschenähnlichen Dinge ist außerdem die multisensuelle Erfahrbarkeit von herausragender Bedeutung – wenn auch nicht direkt, wie in der Modeausstellung, dann vermittelt über die Fotografie oder den literarischen Text. In Abhängigkeit vom künstlerischen Darstellungskontext fordern sie spezifische Wahrnehmungspraktiken heraus, die es im Hinblick auf die Animation des Artefakts zu untersuchen gilt. Und schließlich wurden alle drei Figurationen menschenähnlicher Dinge innerhalb ihres künstlerischen Formats als „Puppen“ bezeichnet: vom Künstler, von den Kuratierenden oder vom Autoren. Allerdings widersetzen sie sich vehement Kategorisierungen und überschreiten in vielerlei Hinsicht Grenzen. Sie dekonstruieren das alltagskulturelle Verständnis von Puppen. So ist Hans Bellmers Schöpfung zwar durch den Werktitel als Puppe definiert. Doch der Künstler setzt eigentlich groteske Körperfragmente in Szene, die die Puppe lediglich über eine Pars pro Toto-Struktur evozieren. Das weiblich codierte Artefakt in E.T.A. Hoffmanns Erzählung wird abwechselnd als Puppe, Automate, Wachsgesicht oder schlicht als weibliche Figur bezeichnet. Dieses menschenähnliche Ding ist vor allem durch seine Uneindeutigkeit bestimmt. Die Modepuppen der Ausstellung entsprechen den gängigen Konnotationen der Puppe am ehesten. Doch durch eine strategisch unvollkommene digitale Animation unterlaufen auch

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sie das Bild des idealisierten Mannequins. Damit sind die drei Figurationen gerade durch ihre Transgressivität gezeichnet. Sie sind weder Alltagsdinge noch Gebrauchsartikel, weder Kitschgegenstände noch Waren. Sie überführen die Puppe aus der Populärkultur in die Kunst.1 Somit stehen künstlerische Formate und ästhetische Rezeptionsweisen im Vordergrund, wenn auch die Grenzen zur Populärkultur teils fließend sein mögen. Die zu untersuchenden menschenähnlichen Dinge erscheinen in einem künstlerischen Format und können auch selbst als Kunstwerke gelten. Hier sollen einige Anhaltspunkte genannt werden, warum die drei Figurationen als künstlerische Darbietungen bezeichnet werden können, was jeweils ein Zusammenspiel aus dem Format und dem darin erscheinenden Artefakt meint.2 So zielen die zu untersuchenden Formationen menschenähnlicher Dinge auf Einmaligkeit und Einzigartigkeit und widersetzen sich dem Standardisierten (vgl. hierzu Liessmann 2014, 218). Sie stellen „ein Gegenteil zur Anpassung und Konformität“ (Hügel 2003, 13) dar, wie Hügel über Kunst im Spannungsverhältnis zur Populärkultur schreibt. Sie formulieren tendenziell Neues, testen Grenzen aus, erschüttern Sicherheiten und stören Publikumserwartungen. Sie sind mehr als Unterhaltung. Sie verlangen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit und fordern eine kontemplative Rezeptionshaltung ein (vgl. ebd.). Diese Aspekte zur Charakterisierung der Figurationen menschenähnlicher Dinge als künstlerische Darbietungen dienen der ersten Orientierung und werden im Laufe dieses Buchs spezifiziert. Der kurze Ausblick auf den Forschungsgegenstand wirft bereits die grundlegende Frage nach angemessenen Begrifflichkeiten auf. Können die drei Figurationen tatsächlich als Puppen bezeichnet werden, wie es ihre Schöpferinnen und Schöpfer tun, wenn sie doch gängige Vorstellungen von Puppen kreuzen und als künstlerische Darbietungen auf eine Brechung von Wahrnehmungskonventionen zielen? Insa Fooken und Jana Mikota schlagen zwar explizit vor, den Ausdruck ‚Puppe‘ als „übergreifende Kategorie“ zu verwenden, „unter der man die verschiedensten Varianten künstlicher Menschen subsumieren kann.“ (Fooken/Mikota 2014, 217) Doch an die Puppe knüpfen sich hauptsächlich Konnotationen zur Mode und zum Spiel. Um eine Engführung zu vermeiden und der wahrnehmungsbezogenen Eigenart dieser „Grenzfiguren“ (Müller-Tamm/Sykora 1999, 68) gerecht zu werden, erscheint der Ausdruck ‚anthropomorphe Artefakte‘ geeigneter, der sich ebenfalls bei Fooken/Mikota findet (vgl. Fooken/Mikota 2014, 208). 1

Vgl. Ortlepp (2014) zu Alltagsdingen und Gebrauchsartikeln, Liessmann (2014) zu

2

Dabei ist von „Anhaltspunkten“ die Rede, weil es sich nach Leutner bei dem Attribut

Kitschgegenständen, Appadurai (1986) zu Waren, Hügel (2003) zu populären Kulturen. ‚ein Kunstwerk sein‘ nicht um eine substanzielle Eigenschaft von Dingen handelt, sondern um eine symbolische Zuschreibung durch das Kunstsystem (vgl. Leutner 2011, 1).

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Der Begriff führt zwei essenzielle Qualitäten zusammen: Menschenähnlichkeit (von griech. anthrōpómorphos) und Gemachtheit durch Kunst oder Wissen (von lat. arte: Kunst(fertigkeit) oder auch Wissen(schaft) sowie lat. factum: das Gemachte). Dieses Buch untersucht also anthropomorphe Artefakte, wobei verschiedene Formen von Puppen als Referenzmodelle der hier behandelten künstlerischen Formationen eine Rolle spielen werden. Es soll außerdem eine präzise Definition anthropomorpher Artefakte entwickelt werden, welche über die genannten Eigenschaften der Menschenähnlichkeit und der Gemachtheit hinausgeht. Die verschiedenen Formen von Nachbildungen des Menschen, die insbesondere bei der Darstellung des Forschungsstandes eine Rolle spielen werden, sollen übergreifend als artifizielle Körper bezeichnet werden. Dazu zählt erstens die ganze Vielfalt körperhafter menschenähnlicher Dinge wie die hier untersuchten anthropomorphen Artefakte, aber beispielsweise auch Maschinenkörper (Cyborgs, Roboter, Automaten) oder Puppen im engeren Sinne (im Spiel, in der Mode). Zweitens gehören dazu künstliche Menschen, die sich primär durch ihre Lebendigkeit auszeichnen (Golem, Homunculus, Frankensteins Schöpfung), und drittens per se körperlose anthropomorphe Figuren (Hologramme, Avatare). Der Ausdruck des artifiziellen Körpers wird vor allem eingesetzt, um der terminologischen Unschärfe zwischen unterschiedlichen Menschenimitaten in der Forschung einen sinnvollen Oberbegriff entgegenzusetzen, aber auch um die Erkenntnisse über die zu untersuchenden anthropomorphen Artefakte verallgemeinerbar zu machen. Diese Studie konzentriert sich jedoch auf die Spezifika der hier behandelten menschenähnlichen Dinge und wird zugunsten eines präzisen Forschungsergebnisses andere Formen artifizieller Körper nur am Rande betrachten. Nachdem der Gegenstand überblickshaft vorgestellt wurde, soll nun das weitere Vorgehen dieser Untersuchung erläutert werden. Bei dieser handelt es sich weder um eine empirische Studie noch um eine Geschichte menschenähnlicher Dinge, sondern um eine kulturtheoretische Analyse von Inszenierungsstrategien, die auf die Verlebendigung von Dingen zielen.3 Wie unten erläutert wird, werden drei Formationen untersucht, welche für eine solche Fragestellung prädestiniert zu sein scheinen. Wie aber sind diese Analysen theoretisch zu fundieren, wie lässt sich die Animation des unbelebten Artefaktes methodisch greifen? Erst einmal 3

Für eine Kulturgeschichte artifizieller Körper sind die einschlägigen Darstellungen bei Sykora (2002), Müller-Tamm/Sykora (1999) und von Boehn (1929a, 1929b) zu empfehlen. Eine empirische Studie zur Beziehung von Kind und Puppe legten Alexander Ellis und Granville Hall (1897) bereits Ende des 19. Jahrhunderts vor. Jüngere Studien zur Wirkung insbesondere von Robotern beziehen sich häufig auf den Uncanny ValleyEffekt, den der Japaner Masahiro Mori (2012) Anfang der 1970er Jahre formuliert hatte. Vgl. bspw. Phillips 2018.

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sind die behandelten Figurationen konkrete materielle Dinge, die gleichzeitig gerade die visuelle Wahrnehmung ansprechen. Insofern liegt es nahe, die anthropomorphen Artefakte zwischen Materialität und Visualität zu verorten und dabei an die jüngsten Forschungen zu Materiellen und Visuellen Kulturen anzuschließen. Materielle Kulturen geraten seit der Jahrtausendwende in den Fokus der Geisteswissenschaften. Für die wahrnehmungsorientierte Untersuchung menschenähnlicher Dinge sind die Material Culture Studies insofern relevant, als sie ausgehend von der Materialität des Artefakts Aufschluss geben können über Interaktionen zwischen Menschen und Dingen. Die Forschung zur Materiellen Kultur geht von einer praxis- und subjektkonstitutiven Qualität von Dingen aus. Sie formen Körperhaltungen und Bewegungen, legen Gebrauchsweisen nahe und tönen Räume atmosphärisch, wodurch sie Affekte modellieren. Dinge stellen stets ein Setting her und sind insofern als soziale Akteure zu betrachten. Anthropomorphe Artefakte legen dabei ein ganz eigenes Handlungsprogramm nahe: Sie fordern dazu auf, sie wie Menschen zu behandeln. Diese spezifische Aktivität gilt es in dieser Studie herauszuarbeiten. Visuelle Kulturen sind insbesondere seit Anfang der 1990er Jahre ein Schwerpunkt verschiedener kulturwissenschaftlicher Disziplinen. Die Forschung zur Visuellen Kultur hat gezeigt, dass wir auf Bilder reagieren. Sie affizieren Rezipierende, was an Blicksprüngen, Körperhaltungen, Gestik oder Mimik sichtbar wird. Die Visualitätsforschung kann damit Auskunft geben über die Bedeutung des Sehsinns für die Wirkungsweisen von Dingen. In einer Analyse ikonografischer Darstellungstraditionen und visueller Aneignungspraktiken soll insbesondere untersucht werden, durch welche Strategien anthropomorphe Artefakte visuelle Aufmerksamkeit erzeugen. Aufmerksamkeit verstehe ich dabei mit Lüddeckens als „konzentriertes Gerichtetsein auf Objekte (Gegenstände, Ideen, Vorgänge), die dadurch aus der Fülle der möglichen Wahrnehmungen herausgehoben werden“ (Lüddeckens 2008, 51). Der knappe Überblick über die Material Culture Studies und die Visual Culture Studies zeigt bereits eine gemeinsame Fragestellung beider Forschungsfelder auf: Warum reagieren wir überhaupt auf ein artifizielles Gegenüber, seien es Dinge, seien es Bilder? Diese Frage wurde zwar aufgeworfen, bislang aber nicht konkret untersucht. Ich gehe davon aus, dass sie durch eine Analyse der aisthetischen Situation zu beantworten ist, welche durch die Artefakte selbst wie auch durch kulturell normierte Wahrnehmungsmuster strukturiert ist. Denn wie die römische Stoffpuppe gezeigt hat, geschieht bereits beim Betrachten des Objekts etwas, das uns in dem drapierten Stoff ‚mehr‘ sehen lässt. Prägend für die Begegnung mit artifiziellen Körpern ist deswegen eine Formulierung Dominique-Octave Mannonis (1969): Je sais bien, mais quand même.

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Ich weiß es wohl, aber dennoch … Wider besseren Wissens entdecken wir Leben in unbelebten Artefakten. Diese paradoxe Wahrnehmungserfahrung kann mit Victor Turner (1989a, 1989b) als liminale Situation begriffen werden, als ein Dazwischen, das in der sinnlichen Präsenz des Artefakts seinen Ausgang nimmt. Denn menschenähnliche Dinge verweisen immer auch „auf ein Nicht-Mehr und ein Noch-Nicht, auf Übergänge und Transformationen.“ (Fooken 2012, 48) Schon der antike Mythos thematisiert solche Grenzpositionen. In Ovids Metamorphosen gibt der Bildhauer Pygmalion seiner elfenbeinernen Statue „eine Gestalt, wie sie nie ein geborenes Weib kann / Haben, und ward vom Liebe zum eigenen Werke ergriffen.“ (Ovid 2010, 10. Buch, V. 248f.) Noch bevor die Elfenbeinstatue durch die Göttin Venus erweckt wird, ist sie almost human: „Wie einer wirklichen Jungfrau ihr Antlitz, du glaubtest, sie lebe“ (ebd., V. 250). Denn Pygmalions Kunstfertigkeit ist so groß, dass sie als solche unkenntlich wird. Sein Können verberge die Kunst, heißt es (vgl. ebd., V. 252). Diese sich selbst verbergende Künstlichkeit des artifiziellen Körpers, das heißt seine Naturalisierung, wird in dieser Untersuchung durchweg Thema sein. Dem gegenüber stehen Strategien der Artifizialisierung. Damit meine ich Weisen, durch die die künstlerische Gemachtheit des Artefakts gerade herausgestellt wird. Diese Strategien betreffen sowohl die Materialität des Artefakts wie auch seine visuelle Inszenierung. Sie sind maßgeblich für die paradoxe Wahrnehmungssituation verantwortlich. Analysierbar wird diese aber nur, wenn das handlungsstiftende Potenzial der materiell-visuellen Inszenierung in den Blick gerät. Zur Analyse der Dingwirkungen werden daher kulturwissenschaftliche Performanztheorien hinzugezogen. Performativität wird als Gegenentwurf zum Ausdrucksgeschehen gedacht und bezieht sich auf das Ereignis der Wahrnehmung, in welchem etwas als gegenwärtig hervortritt. Denn anthropomorphe Artefakte lassen die Wahrnehmenden immer in eine wirklichkeitskonstituierende Situation eintreten. Die Wirkungsweisen anthropomorpher Artefakte, die diese Untersuchung erhellen will, bezeichne ich als Agency (von lat. agēns, Partizip von agere: antreiben, tätig sein).4 Die Animation (von lat. animātiō: Belebung) des Artefakts wird als Ergebnis dieser Agency verstanden. Sowohl die Agency des Artefakts als auch die Animation gilt es in dieser Studie genauer zu bestimmen. Hinter diesem Ziel steht der Gedanke, dass wir die Zukunft mit den mehr und mehr in den Fokus geratenden artifiziellen Körpern – seien es Puppen, seien es Roboter, seien es digital prozessierte anthropomorphe Figuren – besser gestalten können, wenn wir verstehen, warum wir auf sie reagieren. Vielleicht würden wir dann unsere Reaktionen auf das Artefakt nicht mehr als Paradox erfahren, das aus dem Wissen um 4

Vgl. auch den philosophischen Terminus ‚Agens‘ für „das Wirkende, Tätige als Prinzip“ (Meyer 2008, 11).

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seinen artifiziellen Charakter entsteht. Alte Dualismen zwischen Erkenntnis und Affekt, Wissen und Unbewusstem, Repräsentation und Präsenz könnten überdacht und die transformierende Kraft von Dingen könnte systematisch erschlossen werden. Diese Studie fragt daher nach den Strategien, mit denen anthropomorphe Artefakte innerhalb westlicher materieller Kulturen visuell inszeniert werden und nach den Wirkungen, auf welche diese Inszenierungen zielen. Der repräsentationskritische Ansatz dieses Buchs fokussiert die künstlerischen Gestaltungen einerseits und die Ereignishaftigkeit der Rezeption andererseits. Es geht um die Interaktionen zwischen Rezipierenden und dem ästhetischen Gebilde, durch welche Bedeutung erst hervorgebracht wird. Die sinnliche Erfahrung wird damit als Ausgangspunkt einer Agency anthropomorpher Artefakte betrachtet. Für eine solche rezeptionsorientierte Analyse künstlerischer Darbietungen ist der Begriff der Ästhetik zentral. Ästhetik (von griech. aisthētikḗ (téchnē): Wissenschaft vom sinnlich Wahrnehmbaren) wird dem wörtlichen Sinn nach zunächst als die Lehre vom sinnlich Erscheinenden oder von der Wahrnehmung begriffen, seit dem 18. Jahrhundert als die Wissenschaft vom Kunstschönen und dessen Erfahrung (vgl. Lüthe 2008, 46). Die „Anerkennung der Sinne als einer eigenständigen, durch besondere Präsenz und Datenfülle ausgezeichneten Erkenntnisform“ (Drügh 2014, 247) vollzieht sich in der Folge von Alexander Gottlieb Baumgartens Aufwertung der sogenannten unteren Seelenvermögen. Mit Baumgartens 1750 erschienenem Werk „Aesthetica“ entsteht eine neue Disziplin, die sich als bislang vernachlässigte Form der Erkenntnistheorie versteht (vgl. Seel 2000, 16). Damit „gerät auch dasjenige in den Fokus, worauf sich die Sinne richten: die Oberfläche der Dinge.“ (Drügh 2014, 247) Mit der Ästhetik kommt den Dingen folglich ein Wert auch unabhängig von Qualitäten zu, die nach Maßgabe hermeneutischer Bemühungen in den Objekten, also in ihrer Tiefe verborgen liegen (vgl. ebd.). In diesem Sinne eines von der wahrnehmbaren Oberfläche ausgehenden aisthetisch-ästhetischen Dialogs zwischen Mensch und Artefakt erforscht dieses Buch Formen von Präsenz. Das lateinische praesentia meint sowohl Anwesenheit oder Gegenwärtigkeit wie auch unmittelbarer Eindruck, Wirkung oder Kraft. Das Erkenntnisinteresse dieser Studie zielt auf diese beiden Bedeutungstendenzen: Unter Präsenz verstehe ich hier die unmittelbare Wirkung, die ein Gegenstand in seiner sinnlichen Gegenwärtigkeit entfaltet, und welche wiederum die Anwesenheit einer beziehungsweise eines Wahrnehmenden voraussetzt. In Bezug auf Wahrnehmungsoperationen kommen daher substantivierte Partizipien zum Einsatz wie Rezipierende, Betrachtende oder Lesende. Auf diese Weise soll der Vollzug des Wahrnehmens be-

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tont und gleichzeitig eine geschlechtergerechte Sprache gewährleistet werden. Jedoch spreche ich bewusst von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren und verzichte in diesem Fall auf eine geschlechterorientierte Anpassung, welche die Festschreibung von dinglichen Akteuren auf ein Geschlecht bedeuten würde. Da in diesem Buch auch eine dekonstruierende Sichtweise auf die Kategorie Geschlecht durch eine neue Perspektive auf Mensch-Ding-Interaktionen anvisiert wird, würde das dem Ziel der Untersuchung entgegenstehen. Die Auswahl der Beispiele erfolgte aus einer Fülle an Material, denn in Kunst und Populärkultur ist die Faszination menschenähnlicher Dinge ungebrochen. Die Beispiele stammen aus einem Zeitraum von genau 200 Jahren, vom Beginn des 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Mit drei unterschiedlichen künstlerischen Formaten kann nicht nur die Varianz des Themas im westlichen Kulturkreis aufgefächert werden. Es können auch die ganz verschiedenen Möglichkeiten des performativen Interaktionsfeldes ausgelotet werden, in welchem sich anthropomorphe Artefakte verorten. Indem die Spuren von Mensch-Ding-Interaktionen in der Kunst bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt werden, soll der herausragende Stellenwert menschenähnlicher Dinge für unsere Gegenwart erhellt werden. Hervorzuheben ist die vergleichbare Brisanz der drei Beispiele, die sich in einem spezifischen Interesse in Populärkultur, Kunst und Wissenschaft niederschlägt. Ihre jeweilige Resonanz zeugt nämlich von einem gewissen Konfliktpotenzial. So ist gerade Hoffmanns Sandmann weit in die Populärkultur vorgedrungen und hat international zahlreiche Adaptionen, von der Oper übers Ballett bis zum Film, erfahren. Gleichzeitig existiert eine äußerst umfangreiche und kontroverse Forschungsliteratur zu dem Nachtstück.5 Im deutschsprachigen Raum wurden Hoffmanns Nachtstücke in den ersten Jahren nach dem Erscheinen weitgehend negativ beurteilt. Zeitgenossen wie Johann Wolfgang von Goethe, Konrad Schwenck oder Heinrich Heine kritisierten das Werk zum Teil recht harsch und stellten dabei Textwirkungen von Schrecken und Grauen in den Vordergrund (vgl. hierzu Steinecke 2009, 948ff, 962ff). Dichter wie Edgar Allen Poe, Fjodor Dostojewski oder Charles Baudelaire dagegen schätzten Hoffmanns Nachtstücke, die im Ausland sehr viel positiver aufgenommen wurden (vgl. ebd.). Der Sandmann erfuhr jedoch im Anschluss an Sigmund Freuds psychoanalytische Deutung von 1919 in der deutschsprachigen Forschung eine Neubewertung. Insbesondere in den letzten

5

Die Erzählung erschien mit sieben weiteren Texten in dem Buch Nachtstücke, wobei Hoffmann den Begriff ‚Nachtstück‘ für den Sandmann erstmals wählte und die Erzählung vermutlich programmatisch an den Anfang der Sammlung setzte (vgl. Steinecke 2009, 955).

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fünf Jahrzehnten sind unzählige, teils konträre Interpretationen erschienen, die immer wieder neue Aspekte im Text entdecken und auf diese Weise die Unabschließbarkeit hermeneutischer Verfahren demonstrieren. Die Wanderausstellung zum Œuvre des Modedesigners Jean Paul Gaultier war gemessen an den Besuchszahlen weltweit ein Erfolg und wurde von den Medien international wahrgenommen, wobei gerade die animierten Modepuppen viel Aufmerksamkeit erhielten. Die Resonanz war ganz unterschiedlich: Die Mannequins wurden als „mind-blowing“ (Glickman 2012), „unnerving“ und „eerie“ (Ferguson 2011), als „uncannily expressive“ (Saad 2013), „gimmicky“ (Cardiff 2011) oder als „monstrous distraction“ (McDonald 2015) empfunden. Offenbar drängten sich die Modepuppen, welche doch für gewöhnlich der Präsentation der Kleider dienen, massiv in den Vordergrund und evozierten dabei zwiespältige Reaktionen. Von der Forschung ist das jüngste Beispiel La Planète Jean Paul Gaultier dagegen bisher nur wenig beachtet worden, was jedoch auch dem Umstand geschuldet ist, dass Mode – zumal die Modeausstellung – in der Wissenschaft weiterhin unterrepräsentiert ist. Hans Bellmers Werk ist vergleichsweise unbekannt, erfährt aber seit den 1980er Jahren zunehmend Aufmerksamkeit. In Kunst und Populärkultur werden seine umstrittenen Fotografien immer wieder zitiert, etwa von der Fotografin Cindy Sherman, dem Modedesigner Alexander McQueen oder dem Schöpfer der Animationsfilme Ghost in the Shell, Oshii Mamoru. Die Forschungsliteratur zu Bellmers Œuvre steht ähnlich wie Hoffmanns Erzählung in der Tradition psychoanalytischer Deutungen und konzentriert sich insbesondere auf geschlechtsspezifische Fragen. So wurde Die Puppe mehrheitlich als misogyn bewertet und hat im deutschsprachigen Raum eine kontroverse, feministisch geprägte Debatte evoziert. Dieser Diskurs wird in jüngster Zeit durch internationale Stimmen ergänzt, die ebenfalls sexuelle Suggestionen in den Vordergrund stellen. Noch heute haben Bellmers Fotografien den Ruf eines Skandalons. Allen drei Beispielen scheint also ein gewisser Umbruchcharakter zu eignen, der wohl ihre anhaltende Brisanz begründet und sie für eine wirkungsorientierte Analyse prädestiniert erscheinen lässt. In der Forschung wurden menschenähnliche Dinge jedoch bislang nicht explizit in materielle und visuelle Kulturen eingeordnet. Auch die Frage nach ihrer Agency wurde von der kulturwissenschaftlichen Literatur weitgehend ausgeklammert. Zur Bearbeitung dieses Desiderats sind die drei künstlerischen Figurationen besonders geeignet, denn sie demonstrieren in eindringlicher Weise, wie es zur Animation des Artefakts kommen kann. Sie beziehen die Rezipierenden in herausragender Weise ein und verdeutlichen dadurch exemplarisch die Agency menschenähnlicher Dinge. Sie stehen paradigmatisch für die paradoxe Wahrnehmungssituation, die diese evozieren.

Das Paradox der Animation | 17

Der theoretische Teil wird anthropomorphe Artefakte innerhalb materieller und visueller Kulturen verorten. Die wesentlichen Themen und Fragestellungen der Materialitäts- und Visualitätsforschung wurden oben bereits umrissen. Verbunden werden beide Forschungsfelder in dieser Studie durch das Performativitätstheorem, welches ebenfalls knapp beschrieben wurde. Die drei Ansätze bilden mithin den methodischen Rahmen einer Analyse von Interaktionen zwischen Menschen und anthropomorphen Artefakten. Ein wesentliches Ziel besteht darin, dem Grenzcharakter der hier untersuchten Artefakte terminologisch zu begegnen. Daher werden ausgehend vom Forschungsstand zu artifiziellen Körpern zunächst kulturhistorische Konzepte erarbeitet, die einer Beschreibung anthropomorpher Artefakte zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, Leib und Körper, Subjektivität und Dinglichkeit dienen können. Anthropomorphe Artefakte werden dann als sexuierte Körper charakterisiert, die gleichzeitig zwei ambivalente Körperbilder materialisieren: Opazität und Groteske. Als Abschluss des Theorieteils werden anthropomorphe Artefakte in Rückbindung an die erschlossene Materialitäts- und Visualitätsforschung in ihrem spezifischen Verhältnis von Plastizität und Bildlichkeit zu definieren sein. Dabei ist die Rolle der Wahrnehmung bei der Animation des Artefakts zu klären. Im Analyseteil werden die drei künstlerischen Figurationen menschenähnlicher Dinge achronologisch untersucht. In diesen Einzelanalysen werden auch stilistische Charakteristika der jeweils zeitgenössischen Ästhetik von Bellmers surrealistischer Fotoserie, der postmodernen Modeausstellung und Hoffmanns romantischem Nachtstück herausgestellt. Motiviert wird der Aufbau durch die zunehmende Komplexität der Argumentation, die sich in dieser Reihenfolge besonders nachvollziehbar darstellen lässt: Die Fotoserie Die Puppe wird zunächst die essenziellen Subjektivierungsstrategien geschlechtlich codierter Artefakte aufzeigen. Die Mannequins der Pariser Modeausstellung La Planète Jean Paul Gaultier: De la Rue aux Étoiles dienen als zweites Beispiel insbesondere zur Demonstration von Adressierungsstrategien und des performativen Interaktionsraums, den menschenähnliche Dinge eröffnen. Das Nachtstück Der Sandmann soll schließlich insbesondere das selbstreferenzielle Verfahren des künstlerischen Formats aufzeigen, durch welche die Agency des anthropomorphen Artefakts gleichsam verdoppelt wird. Die jeweils genannten Aspekte werden dabei aber in unterschiedlicher Gewichtung in jedem Beispiel eine Rolle spielen. Und so viel sei schon gesagt: Alle drei Figurationen spielen mit dem Paradox einer Berührung durch artifizielle Dinge. Sie alle stellen auf diese Weise die anthropozentrische Subjektposition grundsätzlich infrage.

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Dinge wahrnehmen

2.1 MATERIALITÄT 2.1.1 Was sind materielle Kulturen? Seit der Jahrtausendwende ist ein steigendes Interesse an materiellen Kulturen zu verzeichnen, das sich in einer Fülle von Publikationen, Tagungen und Forschungsverbünden niederschlägt. Es kann von einem Material Turn1 in den Geisteswissenschaften gesprochen werden. Zwar ist genau genommen eine Reihe von Disziplinen seit jeher genuin mit Dingen befasst, wie die Ethnologie, die Archäologie, die Geschichtswissenschaft, die Kunstgeschichte oder die Museologie. Doch bislang wurden die spezifische Materialität und die sinnliche Präsenz der Dinge den Bedeutungen systematisch untergeordnet. Frühe Ansätze, materielle Kulturen dezidiert als solche zu erforschen, stammen aus der Ethnologie, der Anthropologie und der Soziologie. 2 In der englischsprachigen Forschung sind materielle Kulturen bereits seit den 1980er Jahren ein Thema. Vorreiter sind hier der amerikanische Ethnologe Arjun Appadurai und der

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Der Begriff des Turns ist dafür geeignet, an Forschungstendenzen strategisch anzuknüpfen und Desiderate zu schließen, weswegen in dieser Arbeit gezielt drei jüngere, viel diskutierte Forschungsfelder aufgegriffen werden: der Material, der Visual und der Performative Turn. Um die kulturelle Diversität von Mensch-Ding-Interaktionen zu unterstreichen, werde ich dabei soweit möglich von materiellen und visuellen Kulturen im Plural sprechen.

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Auch die Psychologie ist seit Längerem mit Subjekt-Objekt-Beziehungen befasst (vgl. bspw. Habermas 1996; Winnicott 1969). Insa Fooken beschäftigt sich insbesondere mit Puppen aus (entwicklungs-)psychologischer Perspektive (vgl. bspw. Fooken/Mikota 2014; Fooken/Lohmann 2013; Fooken 2012).

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britische Anthropologe Daniel Miller, der die Material Culture Studies maßgeblich geprägt hat.3 In der Soziologie ist Bruno Latour zu nennen, der Anfang der 1990er Jahre die prominente Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) entwickelte. Neuere kulturwissenschaftliche Untersuchungen aus der Mode- und Designforschung, der Alltagskultur- und Konsumforschung widmen sich materiellen Kulturen gerade auch im Hinblick auf die Konstruktion sozialer Identitäten. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die wesentlichen Fragen der Materialitätsforschung gegeben, um anschließend zwei für das Erkenntnisinteresse dieser Studie wesentliche Aspekte zu fokussieren: einerseits die physikalische Widerständigkeit von Dingen, andererseits ihre modellierende Wirkung auf Menschen. Für die wirkungstheoretische Perspektive liefern Überlegungen von Bruno Latour, Stephan Moebius und Sophia Prinz sowie von Alfred Gell wichtige Erkenntnisse. Diese werden durch Argumentationen aus der Performanztheorie und der Ästhetik ergänzt, um eine methodische Grundlage zur Analyse der Agency anthropomorpher Artefakte als besondere Dinge innerhalb materieller Kulturen zu erarbeiten. Was sind überhaupt materielle Kulturen? Der Ethnologe Hans Peter Hahn begreift materielle Kultur als die Summe aller Gegenstände, die in einer Gesellschaft genutzt werden oder bedeutungsvoll sind (vgl. Hahn 2014, 18). Zur materiellen Kultur zählten alle berührbaren und sichtbaren Dinge, die den Menschen umgeben, wobei der Umgang mit diesen Dingen eine hervorgehobene Rolle spiele (vgl. ebd., 19). Samida/Eggert/Hahn unterscheiden zudem von Menschen geschaffene „Sachen“ und „naturgegebene Dinge“. Die Differenzierung zwischen beiden Kategorien sei teils allerdings unmöglich (vgl. Samida/Eggert/Hahn 2014, 2). Diese vorläufige Bestimmung von materieller Kultur als Summe der in einer Gesellschaft genutzten oder bedeutsamen Gegenstände, seien es Artefakte oder Naturafakte, dient der ersten Orientierung, soll aber im Laufe dieses Kapitels sukzessive durch eine eigene Definition ersetzt werden. Obwohl inzwischen physikalische Dingeigenschaften und der menschliche Umgang mit Dingen betont werden, ist das Forschungsfeld materieller Kulturen durch semiotische Perspektiven geprägt. Exemplarisch steht hierfür die Einschätzung von Hans Albrecht Hartmann und Rolf Haubl, wonach Menschen nicht vorrangig auf die physikalische Beschaffenheit der Dinge in ihrer Lebenswelt reagieren, sondern darauf, was sie ihnen bedeuten (vgl. Hartmann/Haubl 2000, 10). Auch für Hahn sind Dinge „hervorragende Träger von Bedeutungen“, die im Alltag als „Medium nichtsprachlicher Kommunikation“ vielfältig eingesetzt würden (vgl. Hahn 2014, 113). In der Trennung zwischen Zeichen und Bedeutung wird 3

Vgl. zur Geschichte und Ausrichtung der von Miller mitbegründeten Material Culture Studies Geismar et al. 2014.

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aber immer auch der westliche Geist-Materie-Dualismus gestützt, den die Forschung eigentlich zu überwinden sucht (vgl. bspw. Samida/Eggert/Hahn 2014; Hahn 2014; Scharfe 2005). Wenn Materialität und Bedeutung als zwei verschiedene Analysekategorien behandelt werden, bleibt das Verhältnis zwischen Ding und Mensch zutiefst abstrakt. Damit Interaktionen überhaupt analysierbar werden, gilt es, „die Materialität und Eigengeltung des Phänomens“ (Angehrn 2011, 93) ins Zentrum zu rücken. So muss eine Untersuchung von Artefakten bei ihrer konkreten physikalischen Form ansetzen (vgl. Miller 1994, 99). Die physikalische Konstitution der Dinge – Materialien, Gestalten, Farben und Texturen – ist dabei hochgradig suggestiv. In ihren synästhetischen Charakteren entwickeln Dinge „nahezu anthropomorphe, jedenfalls vielfältige wirk- und eigenmächtige, zu vielfältigen sozialen Interaktionen fähige Qualitäten“ (Pöpper 2015, 28). Laut König schreiben sie sich in das Verhalten ein und modellieren Affekte (vgl. König 2005, 18). Miller zufolge setzen Dinge einen Rahmen, nach dem wir unser Verhalten mehr oder weniger bewusst ausrichten: „Material objects are a setting. […] The less we are aware of them, the more powerfully they can determine our expectations, by setting the scene and insuring appropriate behaviour, without being open to challenge.“ (Miller 2010, 50) Dinge strukturieren also Praktiken und leibliche Erfahrungen: Sie evozieren Handlungen ebenso wie Assoziationen, Imaginationen und Gefühle. Gerade deswegen dienen Dinge der sozialen Distinktion und sind aus dieser Perspektive nicht unschuldig. Sie materialisieren Differenzkategorien wie Geschlecht, Alter, Klasse, Nation, Ethnos oder Religion (vgl. König 2014, 66). Effektiv werden solche Materialisierungen aber meines Erachtens erst im sinnlichen Umgang; in den Praktiken, in welche die Dinge eingebunden sind. Dinge sind also „materialisierte Erlebnis- und Handlungspotentiale, die einer Realisierung bedürfen, um wirksam zu werden“ (Hartmann/Haubl 2000, 9). Insofern könne der Umgang mit Dingen gruppen- und personenspezifische Identitäten entwerfen, stabilisieren und transformieren. „Menschen erfinden und produzieren Dinge, durch deren Aneignung sie sich selbst erfinden und produzieren.“ (Ebd., 10f.) Miller unterstreicht, dass das menschliche Subjekt überhaupt nicht außerhalb der materiellen Welt gedacht werden könne, in welcher und durch welche es konstruiert werde (vgl. Miller 1994, 86). Und für Alfred Gell ist ein Individuum gar die Summe der Dinge, welche dessen biografische Existenz bezeugen (vgl. Gell 1998, 222f.). Menschen und Dinge sind also aufs Engste miteinander verwoben. Gertrud Lehnert begreift Kultur in diesem Sinne „nicht als Ansammlung von Artefakten, sondern als einen Prozess, der aus dem besteht, was Menschen tun.“ (Lehnert 2005, 252) Dabei sei das Tun selbst ebenso wichtig wie die – oft nur ephemere – Bedeutung, die mit diesem Tun geschaffen werde (vgl. ebd., 252f.).

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Eine Analyse materieller Kulturen muss daher beim ereignishaften, sinnlichen Umgang mit Dingen ansetzen, in dem Bedeutungen erst entstehen. Materielle Kulturen bilden sich mithin in den Interaktionen von Menschen und Dingen. Das Ereignis dieser Begegnungen von Dingen und Menschen gilt es noch zu spezifizieren. Vorerst können aber materielle Kulturen als die Gesamtheit der Interaktionen von Menschen und Dingen bestimmt werden, wobei in dieser Studie ausschließlich menschengemachte und strategisch gestaltete Dinge (Artefakte) behandelt werden. Diese basale Definition materieller Kulturen wird mit soziologischen, designtheoretischen und anthropologischen Ansätzen zu differenzieren sein. 2.1.2 Netzwerke und Agency Bruno Latour hat Dingen einen neuen Stellenwert beigemessen. Mit einer „symmetrischen Anthropologie“ fordert der Soziologe eine Gesellschaft, in der die Objekte auch präsent sind, die ihr immer schon Gewicht gegeben hätten (vgl. Latour 1998, 192). Dingen eigne ein Skript, ein „Aktionsprogramm“ (Latour 1996, 47), wie Latour am Beispiel des Berliner Schlüssels aufzeigt: Sie strukturieren Handlungen und verändern gegebene Situationen. In diesem Sinne sind Dinge soziale Akteure (vgl. Latour 2001, 285). Latours Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) interessiert sich gerade für die Assoziationen von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren, welche wiederum andere Akteure modifizieren (vgl. ebd., 108). Solche gewissermaßen aktiven Netzwerke analysiert die ANT als Hybride (vgl. Latour 1998, 64). Das Konzept eines Netzwerks verschiedener Akteure wird für die Definition materieller Kulturen eine wesentliche Rolle spielen. Stephan Moebius und Sophia Prinz zufolge vernachlässigt die symmetrische Anthropologie die übergeordneten kulturellen Sichtbarkeitsordnungen sowie die sinnliche Wahrnehmung der menschlichen Akteure (vgl. Moebius/Prinz 2012, 14). Daher plädieren sie in der Einleitung ihres gleichnamigen Sammelbands für eine „Kultursoziologie des Designs“, welche die sozial ausgehandelte Bedeutung von Dingen mit der strukturierenden Funktion visueller Ordnungen sowie den materiellen Handlungsprogrammen von Artefakten zusammendenkt. Diese sei zwischen Visual und Material Turn anzusiedeln, deren Analyseprogramme mithilfe eines Konzepts der sinnlichen Wahrnehmung miteinander verschaltet werden sollten (vgl. ebd.). Moebius/Prinz verstehen die Dingwelt aufgrund ihrer aktiven Formung von körperlichen Bewegungen und Haltungen, visuellen Aufmerksamkeiten und sinnlichen Eindrücken als einen praxis- und subjektkonstitutiven Faktor (vgl. ebd., 10). An den Formationen der Artefakte, die von den Subjekten sowohl visuell als

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auch haptisch erfahren werden, bilden sich kulturelle Wahrnehmungsschemata und visuelles Wissen aus (vgl. ebd., 13). Die ästhetische Beschaffenheit und die materielle Widerständigkeit der Dinge würden körperlich-sinnliche Praktiken und Wahrnehmungsweisen ordnend vorstrukturieren (vgl. ebd., 17). Gleichzeitig könnten die Akteure das vom Design intendierte Handlungsprogramm umcodieren und die Dinge den eigenen Praktiken anpassen (vgl. ebd., 18). Insofern materialisiert die Erscheinung des Dings kulturell normalisierte Wahrnehmungsmuster und fordert zugleich zum Nachvollzug dieser normalisierten Wahrnehmung auf, wobei immer auch die Möglichkeit einer Verweigerung besteht. Das Ding ist daher die Schnittstelle aus manifesten und potenziell neuen Wahrnehmungsmustern. Artefakte sind so gesehen Umschlagpunkte kultureller Praktiken und als solche prädestiniert für Kulturanalysen. Die von Moebius/Prinz aufgeworfenen Fragen werden in dieser Studie auf anthropomorphe Artefakte in der Kunst bezogen. Es wird gefragt, in welcher Weise die sinnliche Gestaltung des Artefakts im Zusammenspiel mit dem künstlerischen Format leibliche Erfahrungen stimuliert. Dabei konzentriert sich die Untersuchung explizit um den Begriff der Agency, wo Moebius/Prinz von der „Aktivität dinglicher Materialität“ (ebd., 13) sprechen. Merkwürdigerweise ist der Agency-Begriff in praxeologischen Ansätzen unterrepräsentiert (vgl. bspw. Reckwitz 2015; Prinz 2014; Moebius/Prinz 2012). Den Terminus hat Alfred Gell an der Schnittstelle von Anthropologie und Kunstwissenschaft entscheidend geprägt. In seiner Monografie „Art and Agency. An Anthropological Theory“ beschreibt der Sozialanthropologe zunächst Intentionalität als Voraussetzung für Agency. Das Wort ‚Agency‘ diene primär zur Unterscheidung „between ‚happenings‘ (caused by physical laws) and ‚actions‘ (caused by prior intentions).“ (Gell 1998, 17) Agency is attributable to those persons (and things […]) who/which are seen as initiating causal sequences of a particular type, that is, events caused by acts of mind or will or intention, rather than the mere concatenation of physical events. An agent is one who ‚causes events to happen‘ in their vicinity. (Ebd., 16)

Gell spricht auch Dingen Agency zu, obwohl diese per se nicht intentional handeln. Hierfür unterscheidet Gell zwischen Menschen als erstrangigen Akteuren, denen Intentionalität, Autonomie und Autarkie zugeschrieben würden (vgl. ebd., 17), und Artefakten als zweitrangigen Akteuren. I am prepared to make a distinction between ‚primary‘ agents, that is, intentional beings who are categorically distinguished from ‚mere‘ things or artefacts, and ‚secondary‘ agents,

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which are artefacts, dolls, cars, works of art, etc. through which primary agents distribute their agency in the causal milieu, and thus render their agency effective. But to call artefactual agents ‚secondary‘ is not to concede that they are not agents at all, or agents only ‚in a manner of speaking‘. (Ebd., 20)

Dingen eignet also Agency, insofern sich die Agency primärer Akteure in ihnen manifestiert. Dies erläutert Gell am Beispiel der Kinderpuppe. Diese sei zwar kein „self-sufficient agent like an (idealized) human being“ (ebd.). Sie ist jedoch „an emanation or manifestation of agency, and hence a source of such potent experiences of the ‚co-presence‘ of an agent as to make no difference.“ (Ebd.) Insofern geht es dem Sozialanthropologen ähnlich wie Latour weniger um den ontologischen Status von Dingen oder Personen als um deren Position innerhalb eines Netzwerkes sozialer Beziehungen (vgl. ebd., 123). Gell zufolge stellt sich der Philosophie noch immer die Frage, wie genau Dinge und Personen zu unterscheiden sind (vgl. ebd.). Denn weil es keinen Test gebe, der Agency eindeutig nachweisen könne, gebe es auch keinen Grund nicht anzunehmen, dass etwa eine stillstehende Statue ein Bewusstsein hat, und nur still steht, weil sie dies beabsichtigt (vgl. ebd., 126). Gell kommt somit auf einen zentralen Aspekt bei der Untersuchung artifizieller Körper zu sprechen, der in dieser Studie immer wieder eine Rolle spielen wird: die Unmöglichkeit, Bewusstsein eines Akteurs sicher auszuschließen. In diesem Zusammenhang unterscheidet Gell zwischen dem internalistischen und dem externalistischen Verständnis von Agency. Die internalistische Theorie verorte die Ursachen für Verhalten wie Gedanken, Wünsche und Intentionen im Innern von Personen und nicht wie die externalistische Theorie zwischen ihnen, im öffentlichen Raum (vgl. ebd., 127). So kann die Gestaltung menschenähnlicher Artefakte wie Statuen Innerlichkeit suggerieren und mithin im Dienst internalistischer Agency-Attribuierung stehen: The ‚internalist‘ theory of agency (in its informal guise as part of everyday thinking) motivates the development of images with ‚marked‘ characteristics of inwardness versus outwardness. Paradoxically, the development of idols which depict the visible, superficial, features of the human body make possible the abduction of the ‚invisible‘ mind, awareness, and will form the visible image. (Ebd., 132)

Dies kann beispielsweise über die Augen gelingen, welche nach Gell auf die „primordial inside-outside relation“ (ebd., 133) verweisen. Weil die Augen in internalistischer Perspektive als Ausdruck eines Bewusstseins gelten, kann die Installation von Blicken bei artifiziellen Körpern der Simulation von Subjektivität

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dienen. Ähnlich kann die Gestaltung der Körperoberfläche zur Suggestion von Leiblichkeit beitragen. Die sichtbare Oberfläche des Artefakts erzeugt dann den Eindruck von Innerlichkeit, die Illusion eines „sacred centre“ (ebd., 148): „The surface of an idol is not an impermeable barrier, but a means of access to this essential interior.“ (Ebd., 147) Die Animation eines unbelebten Artefakts wird ermöglicht, wie Gell andeutet, weil die Oberfläche des Körpers im internalistischen Verständnis ein Inneres repräsentiert. Die an menschlichen Körpern eintrainierten Deutungspraktiken werden dann ebenso am anthropomorphen Artefakt vollzogen, an dessen Oberfläche der Eindruck von Innerlichkeit explizit gestaltet wurde. Im externalistischen Verständnis dagegen spielt Innerlichkeit keine Rolle. Der Ansatz geht davon aus, dass sich die Existenz von Bewusstsein der Erkenntnis entzieht und lediglich soziale Interaktionen beobachtbar sind (vgl. ebd., 130): If I can get along with the other in the give-and-take of interaction, if our practical efforts to deal with one another work out, then the other is a producer of intelligible (meaningful) behavior, and hence has a mind, intentions, volitions, etc. I cannot really tell, from the outside, whether the ‚other‘ is a zombie or an automation, who/which mimics the behavior of an ordinary human being but does not have any of the ‚inner experiences‘ we habitually associate with this behavior. But this does not matter because the whole panoply of ‚mind‘ is not a series of inner, private experiences at all, but is out there, in the public domain, as language, practices, routines, rules of the game, etc.; that is, ‚forms of life‘. Call this the ‚externalist‘ theory of agency-attribution. (Ebd., 126)

Wenn über das Bewusstsein eines Dings keine letztgültige Aussage getroffen werden kann, ist die Differenzierung zwischen primären und sekundären Akteuren eigentlich behelfsmäßig. Insofern wäre die Konklusion, im externalistischen Sinne lediglich auf die Interaktionen zu schauen und Kategorisierungen zwischen Akteuren zu vermeiden. In der Repräsentationstradition der westlichen Kulturen ist aber das internalistische Modell weiterhin dominant. Daher ist es das Ziel dieser Studie, von einem externalistischen Standpunkt aus die Inszenierungsstrategien von Innerlichkeit zu analysieren, welche das internalistische Subjektverständnis hervorgebracht hat. An dieser Stelle können folgende Erkenntnisse festgehalten werden. Anthropomorphe Artefakte sind sekundäre Akteure. Materielle Kulturen sind Netzwerke aus primären und sekundären (das heißt menschlichen und nichtmenschlichen) Akteuren, die sich wechselseitig beeinflussen. Gells Definition der Agency von Artefakten ist dabei zu differenzieren.4 Nach Gell bedeutet Agency, dass ein Ding 4

Der Begriff des sekundären bzw. passiven Akteurs wird im Folgenden dieser Differenzierung entsprechend verwendet.

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als Manifestation menschlicher Agency ein Ereignis verursacht. Gell vernachlässigt, dass nicht für alle Wirkungen von Dingen menschliche Akteure verantwortlich sind. Auch wenn Artefakte von Menschen gestaltet werden, sind die Wirkungen von Material, Form, Farbe etc. in ihrem Zusammenspiel nie vollständig absehbar. Ebenso ist den Spuren der Objektbiografie5 ein unkontrolliertes Moment eigen und die Umgebungskonstellationen im jeweiligen Präsentationskontext entfalten wiederum eigene Dynamiken. Artefakte entwickeln Agency gerade in der Unvorhersehbarkeit des Zusammenspiels ihrer Eigenschaften im jeweiligen Ereignis ihres Erscheinens. Die Agency von Artefakten ist daher allgemeiner gefasst als Wirkungsprinzip zu bestimmen und sagt etwas über die leiblichen Erfahrungen aus, die an einem Ding gemacht werden. Voraussetzung für diese Wirkungen ist der sinnliche Umgang mit diesem Ding. Um die von Gell nicht näher betrachtete sinnliche Erfahrung in ihrer Leiblichkeit greifen zu können, werden nun Ansätze aus der Performanzforschung ergänzt. 2.1.3 Performanz und Affekt Diese Studie knüpft an die performative Wende an (vgl. hierzu Bachmann-Medick 2006, 104-143). Dieses vergleichsweise junge Forschungsfeld erschließt aus Ereignissen, Praktiken, materiellen Verkörperungen und medialen Ausgestaltungen die Hervorbringungs- und Veränderungsmomente des Kulturellen (vgl. ebd., 104). Unterschieden werden zumeist zwei Begriffe des Performativen, die beide repräsentationskritisch sind: ein sprachtheoretischer6 sowie ein theater- und kunsttheoretischer (vgl. Krämer 2011, 65f.). Der diskursive Performanzbegriff wurde von Judith Butler im Feld der Gender Studies weiterentwickelt, wie unten noch erläutert wird, während Erika Fischer-Lichte ihn auf die Theateraufführung als Modellfall des Performativen bezieht. Letztere Konzeption wird nun knapp vorgestellt, um anschließend nach dem performativen Umgang mit Dingen zu fragen. Performativität lässt sich als „Gegenbegriff zur Repräsentation“ (von Hantelmann 2001, 255) greifen. Repräsentation wiederum ist laut Krämer seit der frühen Neuzeit ein Achsenbegriff für Signifikationsprozesse: Etwas repräsentiert etwas 5

Nach Hahn können Dinge eine Lebensdauer von wenigen Sekunden oder vielen Jahren besitzen und dabei den Kontext wechseln: von der Ware über den Gebrauchsgegenstand bis zum musealisierten Ding (vgl. Hahn 2014, 40ff). Diese Phasen können personifizierend als „Lebenslauf“ (ebd.) eines Dinges betrachtet werden. Die Idee der Objektbiografie ist auf Appadurai (1986) zurückzuführen.

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So untersuchte John L. Austin (1989) jene Sprechakte, bei denen das Äußern der Worte gleichzeitig das entscheidende Ereignis im Vollzug einer Handlung ist. Vgl. auch John R. Searles (2010) Sprechakttheorie.

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anderes. „Fluchtpunkt der Konzeptualisierungen des Performativen nun ist die Unterscheidung eben dieser kategorischen Trennung zwischen Zeichen und Bezeichnetem.“ (Krämer 2011, 66) Performativität erfasst mithin „eine Dimension aller kulturellen Praktiken im Spannungsverhältnis zwischen einem Ereignis und seiner Wahrnehmung“ (Krämer 2004, 21). In der Materialität, der Korporalität, der Präsenz und der Ereignishaftigkeit von Zeichen werde etwas wirksam, das die Ordnung des Zeichens unterminiere und somit als Repräsentationsgeschehen nicht mehr angemessen zu beschreiben sei (vgl. ebd., 20). Denn jeder Akt der Repräsentation schließt die Präsentation von etwas sinnlich Erfahrbarem ein und sinnliche Wahrnehmungen und Erfahrungen gehen im Semiotischen nie ganz auf (vgl. Jost 2011, 99). Nach Fischer-Lichte hebt Performativität auf die Selbstbezüglichkeit von Handlungen und ihre wirklichkeitskonstituierende Kraft ab (vgl. Fischer-Lichte 2013, 29). Performativität bezeichnet also symbolische Handlungen, die nicht etwas Vorgegebenes ausdrücken oder repräsentieren, sondern diejenige Wirklichkeit, auf die sie verweisen, erst hervorbringen. Sie entsteht, indem die Handlung vollzogen wird. Ein performativer Akt ist ausschließlich als ein verkörperter zu denken. (Ebd., 44)

Fischer-Lichte zufolge manifestiert und realisiert sich Performativität im Aufführungscharakter von Handlungen (vgl. Fischer-Lichte 2005, 41), weswegen der Begriff der Aufführung ebenso in Bezug auf (alltägliche) kulturelle Praktiken außerhalb des Theaters Verwendung findet. Er ist dabei untrennbar mit dem Begriff der Inszenierung verbunden, beide stehen in einem Spannungsverhältnis. Die Inszenierung bezeichnet die vorausgehende, wiederholbare und strategische Festlegung von Konstellationen oder Handlungen, die Aufführung hingegen die ephemere, unwiederholbare und einmalige Situation.7 Einmal geht es um die Strategie der Hervorbringung einer spezifischen Wirklichkeit, einmal um das jeweilige tatsächlich eintretende Ereignis dieser Wirklichkeitskonstruktion. Performative Prozesse sind per definitionem auf die Zukunft bezogen (vgl. Fischer-Lichte 2013, 85). Sie schaffen eine soziale und mitunter ästhetische Wirklichkeit, die es vorher nicht gegeben hat, und lösen Wirkungen aus, welche die Betroffenen in unterschiedlicher Hinsicht zu verwandeln vermögen (vgl. ebd., 71, 45). Hier liegt das verbindende Moment zum Konzept der Liminalität. Die Ritualforschung nach Victor Turner stellt nämlich einen wichtigen Impuls für die in diesem Buch fokussierte theater- und kunsttheoretische Performanzforschung. 7

Vgl. zu diesem Begriffspaar auch Bork Petersen 2013, 88; Gronau 2012, 36; FischerLichte 2000, 20.

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Nach Turner ist die liminale Phase, die der Ethnologe im Hinblick auf Initiationsriten erforscht hat, „die Zeit und der Ort zwischen zwei Bedeutungs- und Handlungskontexten. Sie ist die Zeit, in der der Initiand weder das ist, was er einmal gewesen ist, noch das, was er einmal sein wird.“ (Turner 1989a, 180) Sowohl Liminalität als auch Performativität werden greifbar als transitorische Zustände mit einer transformierenden Kraft.8 Mit diesem Wissen können Dinge nun in Bezug zur Performativität gesetzt werden. Nach Fischer-Lichte kann es auch mit per se nicht performativen Phänomenen wie Texten, Bildern oder Dingen einen performativen Umgang geben (vgl. Fischer-Lichte 2013, 52). So materialisieren heilige Dinge wie Reliquien und Fetische die heilende, schützende oder zerstörerische Macht, auf die sie verweisen (ebd., 164). Prestigedinge vermögen starke Emotionen wie Stolz oder Neid zu erregen und beispielsweise Konsumakte auszulösen (vgl. ebd., 170). Musealisierte Dinge können laut Fischer-Lichte aufgrund ihrer Auratisierung eine ästhetische Wahrnehmung hervorrufen. Performativ ist insofern der Blick auf die den Besuchenden entrückten Dinge (vgl. ebd., 172). Vermüllte Dinge könnten durch ihr Zusammenwirken eine Situation herstellen, auf welche die durch sie betroffenen Menschen reagieren müssen (ebd., 177). Gebrauchsdinge schließlich formen in ihrem Gebrauch durch den Menschen dessen Körper und bringen ihn dazu, sich so anzupassen, dass die mit ihm vollzogene Handlung gelingen kann (vgl. ebd., 168). Dabei kann laut Fischer-Lichte zwischen dem Subjekt des Handelns und den in die Handlung einbezogenen Dingen nicht klar unterschieden werden (vgl. ebd., 166f.). Gebrauchsdingen sei jedoch kaum eine eigene Agency zuzusprechen, da sie von Menschen gehandhabt würden (vgl. ebd., 165). Hier wäre Agency genauer zu definieren. Im Sinne Gells treten diese Dinge nämlich in der von Fischer-Lichte selbst beschriebenen Weise als sekundäre Akteure auf und besitzen insofern Agency. An dieser Stelle kann folgendes Ergebnis formuliert werden: Dinge sind performativ, insofern sie primäre Akteure transformieren. Dies tun Dinge durch das ihnen eigene Handlungsprogramm. Durch ihre materiellen Qualitäten und ihre sinnliche Erscheinung bestimmen sie leibliche Erfahrungen und Handlungen mit. In dieser wirklichkeitskonstituierenden Qualität von Artefakten liegt mithin ihre Performativität – und ihre Agency. Dingen eignet Agency, insofern sie primäre Akteure transformieren, und genau dann sind sie performativ. Die Rolle der Leib-

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Turner spricht in Bezug auf Kunst, Unterhaltung und Spiel von liminoiden Phänomenen, die durch Freiwilligkeit gekennzeichnet sind, wohingegen liminale Phasen eine tief ernste, furchterregende Sache seien (vgl. Turner 1989a, 66f.). Vgl. auch Turner 1989b.

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lichkeit in den performativen Mensch-Ding-Interaktionen muss jetzt genauer bestimmt werden. Denn wenn bisher häufig vom Gebrauch der Dinge die Rede war, geht es bei Begegnungen mit Objekten der Kunst weniger (aber auch) um Handlungen als um leibliche Erfahrungen. Wie in dieser Studie zu zeigen ist, beruht die Wirkungsweise von Dingen auf der Möglichkeit leiblicher Berührung: der Affizierung. Zunächst ist der Affekt als reflexhafte Reaktion auf sinnliche Prozesse zu verstehen.9 Affekt (von lat. afficere: in einen Zustand versetzen, beeindrucken) meint „etwas dem einzelnen Zustoßendes beziehungsweise den Zustand der Seele nach einer Einwirkung von außen.“ (Zumbusch 2016, 529) Diese Wirkungen haben eine physiologische Seite und heben die Fassung des Subjekts vorübergehend auf (vgl. ebd.). Die Affizierung ist dabei nicht allein emotionstheoretisch zu konzipieren. Schließlich ist nicht von einer Dichotomie zwischen mentalen und emotionalen Prozessen auszugehen, sondern vielmehr von einer mentalen Verfasstheit des Emotionalen und der emotionalen Verfasstheit des Mentalen. Ebenso wenig ist die Affizierung ein rein physiologisches Geschehen, auch wenn der Begriff besonders geeignet ist, die Leiblichkeit einer Erfahrung zu untersuchen. Mit Dorothy Kwek und Robert Seyfert verstehe ich daher unter einem Affekt den Wechsel oder die Transformation eines Körpers, die durch die Begegnung mit einem anderen Körper ausgelöst wird. Dieser Wechsel ist immer zugleich körperlich und imaginär oder symbolisch, bezieht sich also immer zugleich auf Körper und Geist. (Kwek/Seyfert 2015, 128)

Kwek/Seyfert zufolge stellt eine Affektanalyse die performativen Effekte der Beziehungen zwischen (menschlichen und nicht-menschlichen) Akteuren in Rechnung; die Art und Weise wie diese Beziehungen das Wesen und die Umwelt der sozialen Akteure verändern, wenn sie miteinander interagieren (vgl. ebd., 140). Insofern ist der Begriff des Affekts ein wichtiges Instrument für die in dieser Studie vorgeschlagene Analyse performativer Interaktionen von Menschen und anthropomorphen Artefakten. 9

Obwohl eine Unterscheidung in Emotion, Gefühl und Affekt durchaus angebracht ist, werde ich die Begriffe in den Analysen nicht differenzieren, da es sich bei dieser Untersuchung nicht um eine empirische Studie handelt, sondern künstlerische Inszenierungsstrategien untersucht werden. In diesem Rahmen kann es nicht das Ziel sein, zwischen den (zeitlichen) Abstufungen von Affekt, Emotion und Gefühl bei der Rezeption trennscharf zu differenzieren. Wenn daher insgesamt vor allem vom Affekt die Rede ist, heißt das stets, dass an diese Affizierung Gefühle und Stimmungen (aber auch Reflexionen, Erinnerungen, Assoziationen, Imaginationen) anschließen können.

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Das leiblich-affektive Betroffensein ist Robert Gugutzer zufolge das empirische Kriterium für eine soziale Beziehung zwischen Menschen und Dingen (wie auch zwischen Menschen und Tieren) (vgl. Gugutzer 2015, 107). Eine soziale Beziehung sei bereits dann gegeben, wenn einer der Beteiligten leiblich ist und dadurch von einem anderen Akteur, der weder menschlich noch anwesend sein muss, spürbar affiziert wird (vgl. ebd., 120). „Dinge und Sachen bringen uns dazu, etwas Bestimmtes mit ihnen zu tun, weil Menschen leibliche Wesen sind. Leiblich sein impliziert, resonanzfähig zu sein für Gestalten, Bewegungen, Rhythmen, Farben, Stimmen, Töne etc.“ (Ebd., 111, H.i.O.) Die leibliche Kommunikation von Menschen mit Dingen sei aber keineswegs in jedem Fall eine harmonische, symmetrische oder gar gelingende Art der Interaktion. Im Gegenteil sei vielmehr der Konflikt das typisch leibliche Kommunikationsmodell (vgl. ebd., 111f.). So erscheint der Prozess sinnlicher Aneignung genau dann performativ, wenn er für den leiblich Rezipierenden einen Konflikt eröffnet und auf diese Weise eine Transformation herausfordert. Die Leiblichkeit der Mensch-Ding-Interaktionen spielt auch in Bezug auf Atmosphären eine wichtige Rolle. Schließlich geht von Dingen etwas aus, das leiblich erspürt wird, „das sich zwischen dem Ding und dem es wahrnehmenden Subjekt im performativen Raum ergießt – eine spezifische Atmosphäre“ (vgl. FischerLichte 2005, 203). Atmosphären sind nach Sabine Schouten Phänomene des Performativen, die sich zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenem im Prozess der Aufführung herausbilden (vgl. Schouten 2011, 244). Sie entstehen im Zusammenspiel von leiblich Wahrnehmenden und Wahrgenommenem und sind insofern wirklichkeitskonstituierend. Gernot Böhme hat Atmosphären als Grundbegriff einer „neuen Ästhetik“ (Böhme 2013a) etabliert. Der Leiblichkeit der Wahrnehmung räumt er dabei einen großen Stellenwert ein. Der Mensch müsse wesentlich als Leib gedacht werden, der in seinem Sich-Spüren ursprünglich räumlich sei: „Sich leiblich zu spüren heißt zugleich spüren, wie ich mich in einer Umgebung befinde, wie mir hier zumute ist.“ (Ebd., 31) Die Atmosphäre „ist die Wirklichkeit des Wahrgenommenen als Sphäre seiner Anwesenheit und die Wirklichkeit des Wahrnehmenden, insofern er, die Atmosphäre spürend, in bestimmter Weise leiblich anwesend ist.“ (Ebd., 34) Mit Atmosphären würden Gefühlsqualitäten draußen, an der Umgebung, an den Dingen erfahren (vgl. Böhme 2013b, 25). Das Konzept räumlich ergossener Gefühlsqualitäten mache insofern die ‚Introjektion der Gefühle‘ rückgängig (vgl. Böhme 2013a, 31). Als Phänomene leiblicher Erfahrung werden Atmosphären gespürt. Das Spüren bezeichnet „die ahnungsvolle Unbestimmtheit“ ebenso wie „die bis in leibliche Regungen reichende affektive Betroffenheit“ (Böhme 2013b, 59). Im Spüren

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seien verschiedenen Sinnesqualitäten durcheinander vertreten (vgl. ebd., 59) – oder, wie Schouten formuliert: Das atmosphärische Erleben beruht auf der leiblichen Substanz unserer intersensoriellen Sinnestätigkeit (vgl. Schouten 2011, 245). Atmosphären widerfahren aber nicht nur, sondern werden gezielt erzeugt. „Die ästhetische Arbeit besteht darin, Dingen, Umgebungen oder auch dem Menschen selbst solche Eigenschaften zu geben, die von ihnen etwas ausgehen lassen.“ (Böhme 2013a, 35) Die an einem Ding gestaltete Atmosphäre wird dann als „eine unbestimmt räumlich ergossene Gefühlsqualität“ (ebd., 27) in die eigene leibliche Befindlichkeit aufgenommen. Für diese Perspektive auf das Ding muss es aus seiner Begrenzung und seiner Bestimmung durch das Subjekt gelöst werden. Böhme zufolge wurde das Ding seit René Descartes nur noch durch seine In-sich-Geschlossenheit charakterisiert. „Es ist inaktiv und begrenzt.“ (Ebd., 234) Die Eigenschaften eines Dinges, seine Form, Farbe, ja sogar sein Geruch werden gedacht als dasjenige, was es nach außen hin abgrenzt. Dementsprechend wird das Dasein des Dings „ihm letzten Endes vom erkennenden Subjekt zugeschrieben, indem das Subjekt das Ding setzt.“ (Ebd., 32, H.i.O.) Böhme geht es nun darum, das Ding als „ein körperliches, sinnlich gegebenes Seiendes“ (ebd., 227) nicht mehr in seiner Abgrenzung und Einheit zu denken, sondern in den Weisen, durch die es aus sich heraustritt (vgl. ebd., 32f.). Diese Formen von Präsenz nennt Böhme die „Ekstasen des Dings“ (ebd., 33). Ekstatisch seien Dinge nicht nur im Hinblick auf Gerüche oder Farben, sondern auch in ihrer Form, die gewissermaßen in die Umgebung hineinstrahle, und den Raum mit Spannungen und Bewegungssuggestionen erfülle. Atmosphären sind daher Räume, die durch die Anwesenheit von Dingen, Menschen oder Umgebungskonstellationen, das heißt durch Ekstasen, tingiert sind (vgl. ebd.). Mit Gernot Böhme gehe ich davon aus, dass Artefakte in ihrer sinnlich erfahrbaren Materialität gestimmte Räume hervorbringen und damit Rezipierenden leibliche Erfahrungen ermöglichen. Es ist dabei gerade die Leiblichkeit, welche die Überwindung der „metaphysischen Subjekt-Objekt-Spaltung“ (ebd., 11) und die Lösung von der „Rede von der Seele“ (vgl. ebd., 31) erlaubt. Denn im Spüren ekstatischer Dinge werden Kategorisierungen in Subjekt oder Objekt, beseelt oder unbeseelt, natürlich oder artifiziell, leblos oder lebendig irrelevant. Im leiblichen Spüren gibt es keine Täuschung, sondern nur Präsenz.10 Böhmes „neue Ästhetik“ begreift Dinge nicht mehr als abgeschlossene Objekte, deren Bedeutung durch Subjekte semiotisch zu entschlüsseln ist. Vielmehr wird ihre Agency als ein Aus-sich-Heraustreten untersucht, das Menschen leiblich 10 Dieses im Hinblick auf artifizielle Gegenstände zentrale Moment wird in Kapitel 2.3.2 weiterverfolgt.

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affiziert. Eine Ästhetik der Atmosphären unterstreicht den Netzwerkcharakter der Mensch-Ding-Interaktionen, der die verschiedenen Akteure nicht, oder zumindest weniger, hierarchisiert. Insofern ist dieser Ansatz zur Analyse der affektiven Dimensionen von Mensch-Ding-Netzwerken geeignet. Die von den ekstatischen Dingen mitbestimmte Atmosphäre, die intersensoriell erfahren wird, ist allerdings abhängig von Wahrnehmungskonventionen, was Böhme nicht näher untersucht. Der Stellenwert visueller Ordnungen in den Begegnungen von Dingen und Menschen soll nun mit der Forschung zu den Kulturen des Visuellen erschlossen werden. Zuvor sind materielle Kulturen auf Grundlage der erarbeiteten Theoreme abschließend zu definieren: Materielle Kulturen sind performative und affektive Netzwerke aus primären und sekundären Akteuren, die durch eine Analyse leiblich gespürter Atmosphären erfasst werden können.

2.2 VISUALITÄT 2.2.1 Was sind visuelle Kulturen? Anthropomorphe Artefakte sind menschenähnliche Dinge, die vornehmlich visuell inszeniert und rezipiert werden. Ziel dieses Kapitels ist es daher, mit Hilfe der Forschung zu visuellen Kulturen ein methodisches Fundament für die Analyse der auf den Sehsinn gerichteten Inszenierungen von menschenähnlichen Dingen in unterschiedlichen Präsentationskontexten zu erarbeiten. Schließlich befassen sich die Visual Culture Studies mit Formen und Praktiken visueller Darstellung und Wahrnehmung. Es folgt ein Überblick über das Forschungsfeld, um anschließend wesentliche Einzelaspekte der Visualitätsforschung zu erschließen: das geschlechtsspezifische Sehen, die Animation von Bildern und den performativen Blickakt. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie anthropomorphe Artefakte durch visuelle Inszenierungen Aufmerksamkeit erzeugen und warum wir sie im Blick beleben. Gottfried Boehm hat 1994 die „Rückkehr der Bilder“, die sich auf verschiedenen Ebenen seit dem 19. Jahrhundert vollziehe, als „ikonische Wendung“ charakterisiert (vgl. Boehm 2006, 13). In der englischsprachigen Forschung ist insbesondere der Bildtheoretiker W.J.T. Mitchell zu nennen, der zwei Jahre zuvor einen „pictorial turn“ proklamiert hatte (Mitchell 1994). Mitchell zufolge zeichne sich dieser verstärkt seit den 1980er Jahren sowohl in den Humandisziplinen wie in der Sphäre der Alltagskultur ab (vgl. Mitchell 2007, 40; Mitchell 2008a, 238). Seit Anfang des Jahrtausends mehren sich vergleichbare Positionen. Inzwischen wird von einem Visual Turn gesprochen (vgl. hierzu Bachmann-Medick

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2006, 329-380), der sich insbesondere seit Ende des 20. Jahrhunderts in veränderten Wahrnehmungsangeboten, visuellen Techniken und Rezeptionsweisen bemerkbar macht.11 Oliver Grau und Thomas Veigl treffen in ihrem Band „Imagery in the 21st Century“ eine für die Visual Culture Studies in ihrer Dramatik prototypische Feststellung: „Never before has the world of images changed so fast; never before have we been exposed to so many different image forms; and never before has the way images are produced transformed so drastically.“ (Grau/Veigl 2011, 1) Sie sprechen von einer neuen globalen Komplexität der Visualisierung (vgl. ebd.). We face great difficulties in synthesizing the broad field of the visual: what images are and what they do, how they function and what effects they have – even the concept of the image cannot be clarified by an ontological or elementary definition. Images cannot be reduced to a specific technology (gravure printing or X-ray), to genres (portrait or silhouette), to practices (taking photographs or programming), to specific instruments or devices (pencil or microscope), to symbolic forms (perspectives), to a social function (edification or diagnosis), to materiality or symbolism – and yet images operate in all of these. (Ebd., 7)

Angesichts einer offenbar nur schwer kategorisierbaren Fülle von Technologien, Praktiken, Instrumenten, Formen und Funktionen des Visuellen überrascht es nicht, dass sich die Analyse visueller Kulturen „durch starke Interdisziplinarität“ (Benthien/Weingart 2014a, 7) auszeichnet. Zumal der Gegenstandsbereich des Forschungsfeldes gleichzeitig „Hoch- und Populärkultur, künstlerische wie alltäglich-profane Bilder integriert.“ (Ebd.) Entsprechend werden unter dem Bildbegriff außer „konkreten ikonischen Elementen“ (ebd., 10) meist eine ganze Reihe weiterer visueller Phänomene subsumiert. Mitchell zum Beispiel nennt nicht nur grafische Bilder, zu denen er neben Gemälden oder Zeichnungen auch Statuen und Pläne zählt, sondern außerdem optische Bilder (Spiegel, Projektionen), perzeptuelle (Sinnesdaten, Formen, Erscheinungen), geistige (Träume, Erinnerungen, Ideen, Vorstellungsbilder) sowie sprachliche Bilder (Metaphern, Beschreibungen) (vgl. Mitchell 2008a, 20). Auch Martin Schulz plädiert für einen weiten Bildbegriff, um natürliche Bilder wie Spiegel- und Schattenbilder, ephemere und prozessuale Bildphänomene im Kontext von Ritualen, Inszenierungen und Performationen sowie skulpturale und plastische Bilder einzuschließen (vgl. Schulz 2014, 186). 11 So lässt sich der Visual Turn vor dem Hintergrund einer digitalisierten Informationsgesellschaft begreifen, wie auch der Material Turn im Zusammenhang mit der Ubiquität des Digitalen betrachtet werden könnte: Womöglich hat die „zunehmende Herrschaft des Virtuellen“ das Interesse an konkreten Dingen gesteigert (vgl. Scharfe 2005, 116).

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Die Identifizierung des Bildes mit dem vermeintlich zweidimensionalen Tableau hat also ausgedient. Die Grenzen zwischen Bild und Körper, Flächigkeit und Plastizität, Statik und Prozessualität, vorgefundenen und menschengemachten Bildern, der Rezeption über den Sehsinn allein und der intersensoriellen Wahrnehmung sind in Auflösung begriffen. Doch selbst wenn die Plastizität des Bildlichen inzwischen stärker in den Fokus gerückt ist, bleibt der Bildbegriff für menschenähnliche Dinge problematisch. Obwohl ihnen Bildlichkeit eignen kann, wie unten erklärt wird, sind sie mit dem Instrumentarium einer Bildwissenschaft allein nicht hinreichend beschreibbar. Die Visual Culture Studies beschränken sich aber eben nicht auf Bilderfragen, sondern untersuchen Formen der Sichtbarmachung und Praktiken des Sehens. Insofern können sie normative Strukturen des Visuellen aufzeigen, auf deren Grundlage auch anthropomorphe Artefakte unsere Wahrnehmung zu steuern vermögen. So untersuchen Marius Rimmele und Bernd Stiegler nicht primär visuelle Objekte, sondern „prinzipielle Verflechtungs- und Bedingungsverhältnisse von Kultur und Visualität“ (Rimmele/Stiegler 2012, 10). Es geht ihnen „um die visuelle Verfasstheit von Kulturellem“ und die „kulturelle Verfasstheit von Sehvorgängen“ (ebd.). Das Feld des Visuellen nehme die Dimensionen kultureller Sichtbarkeit in den Blick (vgl. ebd., 163), welche gleichsam unter politischen und ideologischen Gesichtspunkten zu betrachten ist: „Bereits was Gegenstand des Sehens werden darf, wen oder was ich ansehe, und erst recht, wie ich mich den (imaginierten) Blicken anderer präsentiere, ist abhängig von kulturellen Bedingungen.“ (Ebd., 11) Gleichzeitig ist die visuelle Wahrnehmung mit Rolf Haubl als aktiver Prozess zu begreifen, durch den wir unsere Umwelt immer auch als das sehen, was wir in sie hineinsehen (vgl. Haubl 2000, 164). So wie das Sehen durch kulturelle Bedingungen vorstrukturiert ist, stabilisieren Sehpraktiken als aktive, performative Prozesse kulturelle Muster. Das gilt ebenso für die Bildproduktion, die in Abhängigkeit von kulturellen Bedingungen Visualisierungen hervorbringt, die selbst wiederum Wirklichkeit konstituieren und Normen fixieren. Bilder entwickeln dabei eine Wirkmächtigkeit, die wohl auch in der Informationsdichte des Visuellen begründet ist. Sie besitzen laut Sachs-Hombach/Schirra zahlreiche Darstellungsdimensionen wie Farbe, Form, Größe, Position der Einzelelemente, Liniendicke etc., die für sprachliche Darstellungen im Regelfall irrelevant seien (vgl. Sachs-Hombach/Schirra 2009, 411). Daher eigneten sich Bilder zur schnellen Erfassung komplexer Sachverhalte, zur Erzeugung erlebnisnaher Illusionen sowie zur affektbetonten Rezeption (vgl. ebd.). Diese Darstellungs- und Wahrnehmungsqualitäten gelten ebenso für vornehmlich visuell rezipierte, dezidiert plastische und menschenähnliche Artefakte, wie in dieser Studie herausgear-

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beitet werden soll. So sind nach diesem Überblick über einige wesentliche Positionen innerhalb des Visual Turn die visuellen Inszenierungsstrategien von Geschlecht zu bestimmen, die für eine Analyse anthropomorpher Artefakte essenziell sind und die stets auf eine Affizierung der Betrachtenden zielen. 2.2.2 Geschlecht sehen Die enge Verbindung von Visualität und Geschlecht findet in der Forschung zunehmend Beachtung.12 Dieser Konnex betrifft nicht nur die stets geschlechtlich codierte Produktion und Rezeption von Bildern, sondern auch die visuelle Verfasstheit von Geschlecht. Schließlich wird Geschlechtszugehörigkeit am menschlichen Körper insbesondere über visuelle Inszenierungen hergestellt: Geschlechtsproduktionen sind immer ein Spiel mit visuellen Aufmerksamkeiten. Die Voraussetzung für die Erzeugung visueller Aufmerksamkeit und mithin der Produktion von Geschlecht ist, dass Körper überhaupt sichtbar sind. So konstituiert sich Geschlecht gerade über (Un-)Sichtbarmachungen. Weiblichkeit entsteht traditionell durch das Zurschaustellen von Körperlichkeit, wohingegen Männlichkeit gewissermaßen über die Nicht-Sichtbarkeit von Körperlichkeit produziert wird. Nach Hentschel ist die Technik des Betrachtens in der westlichen Kultur eine maskulinisierte, während das Betrachtete feminisiert wird (vgl. Hentschel 2001, 11). Auch für eine Untersuchung anthropomorpher Artefakte stellt die Frage nach geschlechtsspezifischen Sehkonventionen einen Schwerpunkt dar. Denn wie Personen erhalten menschenähnliche Dinge ein Geschlecht über visuelle Inszenierungen und konzentrieren dabei visuelle Aufmerksamkeit. Und: Gerade die Geschlechtsattribuierung erzeugt die Illusion von Subjektivität.13 Hier sollen fünf Strategien zur Aufmerksamkeitserzeugung vorgestellt werden, die gleichzeitig zentrale Inszenierungsweisen von Geschlecht beim lebendigen wie beim leblosen Körper sind: Exhibition, Kontemplation, Fragmentierung, Selbstbezüglichkeit und Blickwechsel.

12 Vgl. bspw. Rimmele/Stiegler 2012; Schade/Wenk 2011; Hentschel 2001. Wobei die Relevanz der Kategorie Geschlecht für die Kulturen des Visuellen gerade von prominenten Bildtheoretikern wie Hans Belting, Gottfried Boehm oder W.J.T. Mitchell wenig bis gar nicht thematisiert wird. 13 Unter Subjektivität ist vorerst die Einheit des Bewusstseins aus Gefühl, Wahrnehmung, Denken und Willen zu verstehen (vgl. Hügli/Lübcke 2013b, 862). Ich werde später differenzierter auf diesen zentralen Begriff zurückkommen.

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Der Begriff der Exhibition (von lat. exhibitiō: das Vorzeigen oder Ausliefern) bezeichnet in dieser Untersuchung die Produktion von Weiblichkeit über eine strategische Sichtbarmachung von (artifiziellen) Körpern.14 Gemeint sind deiktische Strategien der Aufmerksamkeitserzeugung: Rahmen, Sockel, Podeste, Lichtinstallationen und Glaselemente exhibieren anthropomorphe Artefakte, indem sie einen Zeigegestus bedienen. Sie erzeugen einen visuellen Fokus. Dadurch geben sie ein Handlungsprogramm vor, nämlich eine ästhetische Wahrnehmungshaltung einzunehmen, und verleihen dem Betrachteten den Status eines Kunstwerks. Vitrinen, Sockel und Rahmen sind zugleich Ausdrucksmittel, die das Aufbrechen der Grenzen zwischen Betrachtenden und Artefakt spielerisch andeuten und damit das Lebendigwerden des Betrachteten thematisieren können.15 Weil Sichtbarkeit mit Weiblichkeit assoziiert ist, werden besonders häufig weiblich codierte Artefakte auf diese Weise inszeniert – oder anders formuliert: durch die Exhibition werden anthropomorphe Artefakte überhaupt erst weiblich definiert. Die Strategien der Kontemplation (von lat. contemplātiō: Betrachtung) und der Fragmentierung (von lat. fragmentum: Bruchstück) lassen sich anhand grundlegender Überlegungen von Laura Mulvey aufzeigen. In ihrem erstmals 1975 veröffentlichten Aufsatz „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ legte Mulvey das von einer patriarchalen Kultur dominierte Blickregime im Mainstream-Film offen.16 Die wesentliche Feststellung Mulveys bezieht sich auf die Darstellung von Weiblichkeit, deren Ziel die Erzeugung visueller Aufmerksamkeiten ist: „In their traditional exhibitionist role women are simultaneously looked at and displayed, with their appearance coded for strong visual and erotic impact so that they can be said to connote to-be-looked-at-ness.“ (Mulvey 2009, 19, H.i.O.)

14 An jedem Körper kann Weiblichkeit durch visuelle Inszenierungen evoziert werden. Dies sei betont, damit nicht der Eindruck einer Essenz von Weiblichkeit entsteht, die sich in solchen Inszenierungen ‚ausdrückt‘. Steffen Kitty Herrmann hat gezeigt, wie Männlichkeit mit Hilfe bestimmter Praktiken inszeniert wird (vgl. Herrmann 2007, 29). Dennoch wird weiterhin vor allem den Inszenierungen von Weiblichkeit ein artifizielles Moment zugeschrieben. 15 So ist nach Stoichita der Sockel für die Statue, was der Rahmen für das Bild ist: „Er gehört weder ganz zur Statue noch ganz zur Welt. Den Sockel ‚überschreiten‘ kommt einem Heraustreten der Fiktion aus dem Rahmen gleich, einem Austreten der Form aus ihrer Begrenzung.“ (Stoichita 2011, 122) 16 Der Text zählt heute zum Kanon feministischer Literatur. 2009 gab Mulvey den Aufsatz in ihrem Buch „Visual and Other Pleasures“ zusammen mit einigen Nachbetrachtungen und anderen Aufsätzen erneut heraus, wobei sie grundsätzlich an den wesentlichen Argumenten der Erstausgabe festhält.

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Dabei läuft der Fokus auf dem weiblichen Körper eigentlich dem Handlungsfluss zuwider. Die im Hollywood-Kino üblichen, den Anblick der Frau fragmentierenden Nahaufnahmen von weiblichen Körperteilen wie dem Gesicht oder Beinen dienen nicht dazu, die Narration zu entwickeln. Vielmehr werde der Handlungsfluss in Momenten der erotischen Kontemplation auf dem (fragmentierten) Körper eingefroren (vgl. ebd., 19f.). Die Fragmentierung des weiblichen Körpers im Filmbild und die Kontemplation auf seinem Erscheinen können insofern als Kernelemente der visuellen Inszenierung von Weiblichkeit im klassischen Hollywood-Film gelten. Diese normativen visuellen Strukturen werden auf artifizielle Körper übertragen, wie im Analyseteil zu demonstrieren ist. Mit dem Ausdruck Mulveys kann daher an dieser Stelle hypothetisch formuliert werden, dass anthropomorphe Artefakte to-be-looked-at-ness konnotieren. Die Strategie der Selbstbezüglichkeit ist mit Jean Baudrillard theoretisch zu fundieren. Der Philosoph hat eine Praxis untersucht, deren zentrales Moment der visuelle Fokus auf den geschlechtlich codierten Körper ist, und zwar den Striptease. Nach Baudrillard inszeniert der Striptease „das Phantom eines sexuellen Partners.“ (Baudrillard 2005, 167f.) Doch zugleich werde dieser Andere in dem autoerotischen Spiel substituiert. Die Arbeit des weiblichen Striptease liege in dieser Schaffung und Aufhebung des Anderen durch Gesten, deren Langsamkeit gleich einer Zeitlupenaufnahme erotisch wirke (vgl. ebd.). Die Langsamkeit ermöglicht die Kontemplation auf der wahrgenommenen Erscheinung und forciert ein paradoxes Spiel. Denn gerade die selbstbezügliche Abgeschlossenheit der Performerin ruft die Wahrnehmenden als Partnerinnen und Partner auf. Das Moment der Kontemplation zeigt sich auch in der „Starrheit des Blicks“ (ebd., 170) als einer autoerotischen Technik. In dieser Selbstbetrachtung sind die weit geöffneten Augen paradoxerweise verschlossen (vgl. ebd.). Denn die Frau müsse ihr eigenes Bild vor Augen haben und sich „zur Puppe machen.“ (Ebd., 171, H.i.O.) Weiblichkeit konstituiert sich also in der Selbstinszenierung zum Anblick, zum Artefakt, wodurch stets eine Partnerin beziehungsweise ein Partner evoziert wird. Im kulturellen Dispositiv der Autoreferenzialität werden Frau und Artefakt miteinander verschaltet. Als letzte Inszenierungsstrategie von Geschlecht ist der Blick zu nennen. Wer wen auf welche Weise ansieht, ist immer auch geschlechtlich konnotiert. Wir sehen „geschlechtsrollenspezifisch“ (Haubl 2000, 164) und wir erhalten im Blicken anderer ein Geschlecht. In der Kunstgeschichte gibt es eine jahrhundertealte Tendenz, „aktives Blicken als männlich zu codieren, Frauen hingegen zu Objekten des Blicks zu machen.“ (Rimmele/Stiegler 2012, 104) An anthropomorphen Artefakten, für deren Gestaltung der Blick so wichtig ist, weil er sie von anderen Dingen der materiellen Kultur unterscheidet, wird Geschlechtszugehörigkeit über

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die Inszenierung von Blickpraktiken suggeriert. Und weil anthropomorphe Artefakte uns anschauen, beziehen sie uns in die Frage nach den Zuschreibungen von Geschlecht über Blickordnungen ein. Gleichzeitig ist die Gestaltung von Blicken ein elementares Mittel, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Schließlich erwidern wir Blicke stets, ob sie artifiziell sind oder nicht – ob es sich beim Gegenüber um einen primären oder sekundären Akteur handelt. Die Inszenierung von Blicken, die visuelle Kontemplation, die Fragmentierung des Körpers im Bild, die Evokation einer Partnerin oder eines Partners durch eine inszenierte Selbstbezüglichkeit und die Exhibition evozieren also to-belooked-at-ness. Durch diese Mittel der Sichtbarmachung von Körpern werden visuelle Aufmerksamkeiten erzeugt und Geschlechtszugehörigkeit produziert. So ist die Verlebendigung weiblich codierter Artefakte auch deshalb möglich, weil an ihnen dieselben visuellen Inszenierungsstrategien von Geschlecht wie an Personen17 eingesetzt werden – so lautet zumindest die These, die im Analyseteil zu prüfen ist. Das visuell produzierte Geschlecht anthropomorpher Artefakte lässt aber in der Wahrnehmung unklar werden, ob wir es mit etwas Belebtem oder Unbelebtem zu tun haben. Gerade der eingangs beschriebene (Schein-)Blick des anthropomorphen Artefakts suggeriert dann auf der Oberfläche Subjektivität, wo keine ist. Der Stellenwert des Blicks für die Animation lebloser Objekte ist nun zu erläutern. Den Ausgangspunkt bilden wissenschaftliche Positionen zur rezipierenden Verlebendigung von Bildern. Von hier aus lässt sich womöglich erklären, warum wir auch anthropomorphe Artefakte animieren. 2.2.3 Animation und Performanz Wenn es im Folgenden um die Animation von Bildern geht, wird eine wichtige Gelenkstelle zwischen den Visual und den Material Culture Studies deutlich: die Frage nach der Agency. Obwohl es sich um ein zentrales Erkenntnisinteresse beider Forschungsfelder handelt, beziehen sie sich nicht explizit aufeinander. Diese Studie wird jedoch schrittweise die Ergebnisse beider Forschungsfelder zur Wirkungsweise von Bildern und Dingen zusammenführen, um die Erkenntnisse der 17 Person ist dem Philosophielexikon von Hügli/Lübcke zufolge die Bezeichnung für das Ich, das Selbst oder das Subjekt, insofern es außer dem Bewusstsein und dem Selbstbewusstsein einen Körper besitzt, eine erkennende und handelnde Beziehung zu seiner Umwelt sowie eine individuelle Geschichte hat, durch die das betreffende Individuum sich zu einer eigenen Persönlichkeit entwickelt mit bestimmten Anlagen, Haltungen, Charakterzügen und Meinungen über sich und die Welt (vgl. Hügli/Lübcke 2013a, 681).

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Bildwissenschaften für eine Analyse menschenähnlicher Dinge nutzbar zu machen. Dem Bildtheoretiker W.J.T. Mitchell zufolge ahmen Bilder das Leben nach und scheinen dabei ein Eigenleben anzunehmen (vgl. Mitchell 2008b, 18). Bilder würden nicht bloß als Zeichen für Lebewesen fungieren, sondern vielmehr als Lebewesen auftreten (vgl. ebd., 22). Sie werden folglich als „lebendige Wesen“ behandelt, als eine „zweite Natur, welche sich die Menschen um sich herum geschaffen haben“ (ebd., 13). So stellt Mitchell implizit die Frage der Agency in den Mittelpunkt seiner Bildtheorie. Bilder sind Dinge, die alle Stigmata der Subjektivität tragen: Sie haben sowohl physische als auch virtuelle Körper; sie sprechen zu uns, manchmal wörtlich, manchmal figürlich. Sie haben nicht nur eine Oberfläche (surface), sondern auch ein Gesicht (face), das sich an den Betrachter wendet. (Mitchell 2008a, 349)

Mitchell benennt zwar „Formen von Lebhaftigkeit oder Vitalität, die Bildern zugeschrieben werden“ (Mitchell 2008b, 22), wenn er auf Praktiken wie Totemismus, Fetischismus, Idolatrie und Animismus zu sprechen kommt (vgl. Mitchell 2008a, 348; Mitchell 2008b, 47). Es bleibt jedoch im Grunde bei der Feststellung, dass Bilder Lebendigkeit simulieren – der Vorgang der Verlebendigung wird nicht näher erklärt und die Rolle der Produzierenden und Rezipierenden vernachlässigt. Was geschieht also genau, wenn wir unbelebte Artefakte verlebendigen? Eine Antwort könnte Hans Beltings Konzept der Animation bieten. In der Bildtheorie Beltings verortet sich die Animation in der Trias von Medien, Körpern und Blicken, womit der Kunsthistoriker und Medientheoretiker das Ineinandergreifen innerer und äußerer Bilder unterstreicht (vgl. Belting 2007b, 49f.). Körper sind bei Belting Produktions- und Rezeptionsstätte von Bildern und insofern „lebende Medien“ (ebd., 70). Laut Belting nehmen Körper einerseits Bilder der Welt durch die Sinne wahr und werden andererseits durch Auftritt, Kleidung und Ausdruck in der Welt als Träger von Bildern wahrgenommen (vgl. ebd.). Die Übergänge Körper-Bild-Körper seien fließend, ohne dass sich eine Trennung zwischen dem Bild des Körpers und dem Körper als Bild durchführen ließe (vgl. ebd., 74). Und so wie unser Körper ein Medium der Bilder sei, seien die Medien Körper der Bilder (vgl. Belting 2000, 9). Demnach verleihe das Medium dem körperlosen Bild, das etwas Abwesendes repräsentiert, einen Körper und damit Präsenz. In seinem aktuellen Trägermedium ist das Bild anwesend im Raum der Lebenden, die es betrachten (vgl. ebd., 10). Im Akt der Animation wird das Bild aber wieder vom Medium gelöst:

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Die Anwesenheit des Bildes im Medium, so unbestreitbar sie von uns erfahren werden kann, birgt auch eine Täuschung in sich, denn das Bild ist auf andere Weise anwesend, als es ein Medium ist. Es wird erst zum Bild, wenn es von seinem Betrachter animiert wird. Im Akt der Animation trennen wir es in der Vorstellung wieder von seinem Trägermedium. Dabei wird das opake Medium transparent für das Bild, das es trägt: das Bild scheint gleichsam durch das Medium durch, wenn wir es betrachten. Diese Transparenz löst seine Bindung an das Medium, in dem es der Betrachter entdeckt hat. So erstreckt sich seine Ambivalenz von Anwesenheit und Abwesenheit selbst auf das Medium, in dem es erzeugt wird: in Wahrheit erzeugt es der Betrachter in sich selbst. (Belting 2001, 29f.)

Animation meint also bei Belting ein Hervortreten des Bildgegenstandes in der rezipierenden Aneignung beim gleichzeitigen Zurücktreten der Medialität. Diese „geborene (und erlernbare) Fähigkeit unserer Körper“ ermögliche es, „in unbelebten Bildern ein Leben zu entdecken“ (Belting 2007b, 50). Wie genau haben wir uns aber die Lebendigkeit vorzustellen, die wir mit unseren Körpern im Bild entdecken? Und in welchem Verhältnis steht diese Fähigkeit zur Wahrnehmung? 18 Die sinnliche Erfahrung scheint ein hochgradig aktiver Prozess zu sein, der in dieser wirklichkeitsverändernden Qualität am besten als performatives Geschehen begreifbar ist. Um die Wirkmächtigkeit von Bildern zu verstehen und auf anthropomorphe Artefakte übertragen zu können, soll der Akt der Rezeption daher im Folgenden aus performanztheoretischer Perspektive bestimmt werden. Bilder werden erst in jüngerer Zeit in ihren selbstreferenziellen und wirklichkeitskonstituierenden Qualitäten untersucht. Für den Kulturphilosophen Emmanuel Alloa sind sie keine konstatierenden, die Wirklichkeit feststellenden und verdoppelnden Repräsentationen, sondern Ereignisse, die überhaupt erst erzeugen,

18 Nicht nur diese Fragen bleiben offen, auch hilft das Verständnis vom Körper als Medium nicht weiter. Der Begriff des Mediums wird zum Passepartout, wobei das Verhältnis von Materialität und Medialität unbestimmt bleibt. Laut Wagner entwirft Belting ein Körpermodell, das einen ursprünglichen, vorgängigen, zu modellierenden Körper voraussetze (vgl. Wagner 2003, 125). Schade/Wenk kritisieren unter anderem Beltings tendenziell essenzialisierenden und ontologisierenden anthropologischen Zugang (vgl. Schade/Wenk 2011, 52). In Beltings anthropologischer Perspektive ist auch der Bildbegriff nicht immer deutlich. Spricht er vom künstlerischen Bild wie etwa Seel (2000) oder auch von profanen Bildern? Nutzt er einen weiten Bildbegriff wie Mitchell (2008a) oder Schulz (2014), der natürliche, skulpturale und prozessuale Bilder einschließt? Nehmen digitale Bilder eine Sonderstellung ein? Diese Fragen gelten häufig auch für die Bild- und Visualitätsforschung allgemein. ‚Das Bild‘ wird bisweilen gesetzt, ohne dass der Untersuchungsgegenstand eingegrenzt würde.

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was sie zeigen: „Als tätige Generatoren werden Bilder damit zu Wirklichkeitsinstanzen, die im Rahmen einer Handlungstheorie beschrieben werden müssen.“ (Alloa 2011, 39) Demnach können sie „aufgrund einer Kraft, die sie selbst vom Zuschauer erhalten haben, auf diesen wiederum wirken“ (ebd., 43). Auch Ulrike Feist und Markus Rath zufolge sind Bilder als unbelebte Artefakte in der Lage, „menschliche Handlungen aktiv zu beeinflussen.“ (Feist/Rath 2012, X) Und Horst Bredekamp formuliert als Quintessenz seiner „Lehre des Bildaktes“, dass Bilder Erzeuger von wahrnehmungsbezogenen Erfahrungen und Handlungen seien (vgl. Bredekamp 2015, 319). Voraussetzung für diese Wirkung ist aber die Anwesenheit von Rezipierenden, welche diese erblicken. So kann in Analogie zum Sprechakt vom Blickakt als einem performativen Phänomen gesprochen werden. Dabei forcieren gerade solche Bilder Blickwechsel, die selbst einen Blick darstellen (vgl. Fischer-Lichte 2013, 150). Das Handlungsprogramm, das diese Bilder aufrufen, ist es dann, den dargestellten Blick zu erwidern. So ist laut Belting der Blicktausch mit Bildern, die keine Blicke werfen können, eine Leistung der Imagination. „Sie erlaubt es uns, dargestellte Blicke so zu erwidern, als würden wir sie mit lebenden Menschen tauschen.“ (Belting 2007b, 67) Im performanztheoretischen Ansatz Erika Fischer-Lichtes meint der Blickakt ein Ereignis, das eintrete, wenn ein Subjekt durch seine Imagination ein von ihm angeblicktes Bild verlebendige und damit eine „quasi-intersubjektive“ Beziehung zwischen sich und dem Bild herstelle: „Der Blickakt bringt auf diese Weise das hervor, worauf der Blickende reagiert“ (Fischer-Lichte 2013, 151). Er konstituiert eine spezifische soziale Wirklichkeit und erweist sich daher als performatives Phänomen par excellence (vgl. ebd., 149). Auch Sybille Krämer entwickelt vom Blickakt aus Überlegungen zum Performativen und stellt fest, dass das Anschauen von Bildern ein Angeblicktwerden durch das Bild impliziere. Dieses Angeblicktwerden werde als ein Geschehen erfahren, bei dem das Bild zum Akteur wird, während dem Betrachter etwas widerfahre, das sich seiner Kontrolle entziehe, obwohl er durch seinen Blick auf das Bild dieses Geschehen überhaupt erst evoziere. Aufgrund dieser Konstellation entstehe die performative Kraft der Bilder (vgl. Krämer 2011, 71). Ihre Wirkmächtigkeit beziehen sie daher, dass „unser Dasein immer schon ein Angeblicktsein durch den Anderen und in diesem Sinne ein ‚Sein für den Anderen‘ ist“ (ebd., 70). Werden visuelle Kulturen in den Kontext von Performativitätstheorien gerückt, gerät also nicht das Bild, sondern der Blick in den Fokus. Der Blick ist dann als Ereignis unter Beteiligung primärer und sekundärer Akteure zu begreifen. In dieser Studie werde ich die hier vorgestellte Aktstruktur des Blicks auf die Wahrnehmung allgemein übertragen und vom Wahrnehmungsakt sprechen. Das Wahrnehmen ist in diesem Sinn ein performativer Akt, der eine soziale Wirklichkeit

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zwischen Wahrgenommenem und Wahrnehmenden stiftet. Gleichsam kann das Phänomen des Blicktauschs mit Bildern auf anthropomorphe Artefakte bezogen werden, an denen immer ein Blick gestaltet wird und die dadurch eine Erwiderung dieses Blicks forcieren. Anthropomorphe Artefakte sind dann passive Akteure, die den Betrachtenden die passive Erfahrung des Angeblicktwerdens eröffnen und gerade dadurch Blicke herausfordern: Hier entwickeln sie Agency. Im Blickwechsel mit menschlichen Akteuren treten sie gewissermaßen über die Grenzen ihrer Materialität hinaus. Diese Ekstase ermöglicht den Wahrnehmenden leibliche Erfahrungen, welche es nun näher zu bestimmen gilt. Bilder steuern unsere Blicke, lassen uns nähertreten oder uns abwenden, veranlassen Gespräche oder Reaktionen wie Lachen, Weinen oder Schreck. Sie können aber auch Assoziationen, Imaginationen und Gefühle provozieren, die nicht im Verhalten der Rezipierenden ablesbar sind.19 Jörg Fingerhut untersucht solche körperlichen und emotionalen Reaktionen auf Bilder und damit ihre „Macht, ein unkontrollierbares Pathos im Betrachter auszulösen“ (Fingerhut 2012, 177). Die zentrale Rolle des Körpers in der Wahrnehmung von Bildwerken zeige sich anhand der empathischen, emotionalen, körperlichen Reaktion, die in der unmittelbaren Auffassung des Ausdrucksgehaltes eines Bildes zum Tragen komme und in Körperhaltung, Mimik und Gestik sichtbar werde. Die körperliche Interaktion mit der Materialität des Werkes – der Bildoberfläche, der aufgetragenen Farbe oder der Leinwand selbst – vollziehe sich als unbewusste, aktive Körperhandlung des Sehens, zum Beispiel in Blicksprüngen des Auges und den Bewegungen des Kopfes (vgl. ebd., 191). Diese leiblichen Wahrnehmungserfahrungen können begrifflich über die ästhetische Ansteckung gefasst werden. Auf diese Weise soll erneut der Affekt als Wirkungsstruktur zwischen Akteuren herausgestellt werden. Nach Kathrin Busch meint Ansteckung „Übertragung durch Berührung“ (Busch 2007, 53). Die Idee, dass man von Bildern oder Kunstwerken berührt, begeistert oder auch befremdet werde, erhalte durch das Konzept der ästhetischen Ansteckung eine Zuspitzung (vgl. ebd.). Ansteckung vollziehe sich oftmals unbemerkt, vor allem aber ungewollt und unbewusst. Während der Rezipient klassischerweise seine Autonomie gegenüber dem Gegenstand der Betrachtung wahre, um ein ästhetisches Urteil zu fällen, operiere die Ansteckung mit Affektion und unterwandere die für Reflexionsprozesse scheinbar notwendige Distanz (vgl. ebd., 54). Dem medizinischen Begriff der Ansteckung vergleichbar, sei der virale Erreger ein Fremdkörper, der sich in den Organismus einniste und ihn verändere. „Ansteckung stellt daher eine Berührung durch Fremdes oder Anderes dar, die eine 19 In Anbetracht all dieser genannten Wirkungen haben Bilder subjektkonstituierende Qualitäten. S.a. Angerer 2000.

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Transformation des Eigenen, ein Anderswerden zur Folge hat.“ (Ebd.) Insofern kann die ästhetische Ansteckung das Performativitätstheorem konkretisieren, denn sie stellt erneut den Affekt als Wirkungsstruktur performativer Ereignisse heraus: Die Transformation der Wahrnehmenden funktioniert über ihr affektives Getroffensein. Die von Busch aufgezeigte „Befremdlichkeit“ (ebd., 53) in der Ansteckung ist bereits bei Gugutzer begegnet, der den Konflikt als typisch leibliches Kommunikationsmodell beschrieb. In dem durch die Berührung eröffneten Konflikt liegt aber das verwandelnde Moment, das in der Erfahrung eines sinnlich gegebenen Objekts seinen Ausgang nimmt, und das es erlaubt, von einem performativen Wahrnehmungsakt zu sprechen.20 Die Bedeutung der Leiblichkeit für die Möglichkeit der Affizierung durch visuelle Phänomene unterstreicht auch Sophia Prinz. Das Subjekt bilde erst durch die anhaltende, leibliche Auseinandersetzung mit den visuellen Formationen seiner Welt eine kulturell spezifische „perzeptive Syntax“ (Prinz 2014, 340) aus. Dieses „implizite visuelle Wissen“ bewirke, dass Gestalten und Bilder das Subjekt affizieren, abstoßen oder unberührt lassen (vgl. ebd.). Auf dieser Grundlage machen visuelle, räumliche und dingliche Ordnungen bestimmte Wahrnehmungsweisen und Affekte wahrscheinlicher als andere (vgl. ebd., 341). Insofern bedeutet die Unmittelbarkeit der ästhetischen Ansteckung nicht, dass dabei nicht auf kulturelle Wahrnehmungskonventionen zurückgegriffen würde. Gerade wenn Leiblichkeit als Folge von Praktiken und damit in ihrer Prozessualität gedacht wird, wird das strategische Moment der ästhetischen Ansteckung begreifbar. Produzierende können das an visuell-dinglichen Formationen ausgebildete Wissen von Rezipierenden gezielt abrufen und so eine leibliche Affizierung wahrscheinlich werden lassen. Das Modell eines performativen Rezeptionsaktes, der über die ästhetische Ansteckung funktioniert, wird nun mit dem Begriff der Emergenz vervollständigt. Laut Lehnert meint Emergenz das spontane Entstehen neuer Strukturen oder Ereignisse aufgrund des nicht völlig planbaren Zusammenwirkens verschiedener Akteure (vgl. Lehnert 2015a, 36). Die Signatur der Emergenz ist nach Wolfgang Iser die Transformation (vgl. Iser 2013, 43). Emergenzen sind gewissermaßen die Produkte eines affektiven Getroffenseins. Sie sind nicht vorhersagbar und bezeugen eine Veränderung der Affizierten. Interessanterweise entstehen Emergenzen gerade im Zusammenhang mit dem Fragmentcharakter einer Erscheinung, welcher in dieser Untersuchung eine wichtige Rolle spielen wird. Fischer-Lichte zufolge werden emergente Prozesse nämlich insbesondere dann evoziert, wenn theatrale Elemente ohne Eingliederung in 20 Vgl. weiterhin Schaub/Suthor 2005. Die Autorinnen haben sich ebenfalls um eine Profilierung des Ansteckungs-Begriffs als aisthetischem Terminus bemüht.

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irgendwelche Kausalzusammenhänge erscheinen und verschwinden und dadurch auf nichts anderes als sich selbst verweisen (vgl. Fischer-Lichte 2005, 247). In der Selbstreferenzialität dieses Erscheinens konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Phänomenalität des Wahrgenommenen. Löst sie sich wieder aus dieser Fokussierung, lassen sich die unterschiedlichsten Bedeutungen beilegen: Assoziationen jeglicher Art, also Vorstellungen, Erinnerungen, Gefühle oder Gedanken (vgl. Fischer-Lichte 2013, 66). Fragmentarische Elemente, die immer auch selbstreferenziell sind, evozieren Emergenzen, das heißt Handlungen, Reflexionen, Imaginationen oder Gefühle. Über die Struktur der ästhetischen Ansteckung stiften sie leibliche Erfahrungen und transformieren die Wahrnehmenden. Bedeutung entsteht daher im und als Akt der Wahrnehmung (vgl. Fischer-Lichte 2005, 245). Nun kommen wir noch einmal auf den Akt der Animation zurück, nach dem eingangs gefragt wurde. Bilder zielen implizit auf eine Aufhebung ihres Status als Bild im Akt der Animation. Dies verdeutlicht Gottfried Boehm, wenn er zwei Momente der Bilderfahrung nachzeichnet, die sich für ihn im „visuellen Grundkontrast“ (der ikonischen Differenz) zeigen: Bilder könnten entweder in der Illusionierung von etwas Dargestelltem aufgehen oder ihr bildliches Gemachtsein betonen (vgl. Boehm 2006, 34). In extremis verleugne sich das Bild als Bild ganz, um die perfekte Repräsentation einer Sache zustande zu bringen. „Dieses Ziel erreicht es, wenn wir als Betrachter getäuscht werden, das Bild für das Dargestellte selbst halten, es als Bild gleichsam übersehen.“ (Ebd.) Diese Auflösung der Grenze des Bildes sieht Boehm im Pygmalion-Mythos verwirklicht. Hier werde die Darstellung zu dem, was sie zuvor lediglich bezeichnete oder repräsentierte (vgl. ebd.). Dieses Phänomen kann aber mit Christiane Kruse als „transikonischer Impuls der Kunst- und Technikgeschichte“ (Kruse 2007, 165f.) verstanden werden. Laut Kruse verfolgte ein Teil der Bildproduktion der westlichen Kultur immer das Ziel, die ontische Zweiteilung von Kunst und Natur aufzuheben und künstliche Lebewesen nach der eigenen Vorstellung und nicht nach den Gesetzen der Natur zu erschaffen – künstliche Lebewesen, die wie Natur scheinen, aber Artefakte sind. Dieser transikonischen, das Bildsein des Bildes überschreitenden Absicht der Bildproduktion antworte ein Rezipierendenkreis, der Bilder als etwas Lebendiges wahrnehme und mit ihnen wie mit Lebewesen kommuniziere (vgl. ebd., 168). Die Idee des transikonischen Kunstwerks wird im Folgenden auf vollplastische, menschenähnliche Dinge bezogen.21 Schließlich demonstriert der Mythos von Pygmalion und seiner Elfenbeinstatue, dass auch oder gerade körperhafte und menschenähnliche Dinge eine Präsenz evozieren, die ihre eigene Fiktionalität infrage zu stellen vermag. Im transikonischen Kunstwerk schließt sich der Kreis zu der von 21 Die spezifische Dimensionalität anthropomorpher Artefakte und ihre Bedeutung für Verlebendigungsprozesse werden am Ende des Theorieteils diskutiert.

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Mitchell und Belting beschriebenen Animation von Bildern, denn das transikonische Kunstwerk bedient strategisch die Fähigkeit zur Verlebendigung lebloser Artefakte. Wie nun formuliert werden kann, wird diese Animation durch eine affizierende aisthetische Situation ermöglicht. In der ästhetischen Ansteckung wird die Präsenz des Wahrgenommenen unmittelbar leiblich erfahren. Die leiblichen Erfahrungen beruhen auf inkorporierten Wahrnehmungsschemata, die sich an visuellen und materiellen Gestalten ausgebildet haben. In der sinnlichen Erfahrung eines Gegenstands werden diese inkorporierten visuellen Erfahrungen abgerufen und auf das Wahrgenommene angewendet. Ergebnis der ästhetischen Ansteckung sind dann Emergenzen: Blicke, Mienen, Gesten und andere Handlungen sowie Reflexionen, Imaginationen oder Gefühle. Weil sich die Möglichkeit der Affizierung primär auf die sinnliche Gestalt richtet, geht es hier nicht um die kategorisierende Erkenntnis des affizierenden Gegenstands. Das visuell Wahrgenommene wird lebendig, weil es in seinem sinnlichen Erscheinen erfahren wird, nicht in seinem Status als Bild, Artefakt oder Lebewesen. Leben gewinnen anthropomorphe Artefakte also innerhalb eines performativen Wahrnehmungsereignisses: in der leiblichen Erfahrung ihrer sinnlichen Präsenz. Eine letzte Komponente der wahrnehmenden Animation des unbelebten Artefakts wird später ergänzt, wenn die ästhetische Erfahrung sinnlicher Gegenstände als imaginierendes Geschehen beschrieben wird. Mit der Darstellung der Materialitäts- und Visualitätsforschung wurden die methodischen Grundlagen einer kulturwissenschaftlichen Analyse anthropomorpher Artefakte erarbeitet. Die bisherigen Erkenntnisse aus beiden Forschungsfeldern erlauben an dieser Stelle folgende Synthese: Eine Analyse anthropomorpher Artefakte muss sich den sinnlich-dinglichen Ordnungen von performativen Netzwerken aus primären und sekundären Akteuren widmen. Das kausale Gefüge dieser Netzwerke bildet die leibliche Affizierung. Agency entwickeln anthropomorphe Artefakte in einer affizierenden Wahrnehmungssituation. Somit ist die Agency sekundärer Akteure als Wahrnehmungstätigkeit primärer Akteure beschreibbar. Diese methodischen Grundlagen einer kulturwissenschaftlichen Untersuchung anthropomorpher Artefakte sind nun durch kulturhistorische Aspekte zu ergänzen, die als Analysekriterien für die zu untersuchenden künstlerischen Figurationen dienen sollen. Ausgangspunkt ist ein Querschnitt der kunst-, literaturund kulturwissenschaftlichen Forschung zu artifiziellen Körpern mit einem Fokus auf „Puppen“ – geht doch die Forschung zu den von mir untersuchten Figurationen menschenähnlicher Dinge mehrheitlich davon aus, dass es sich dabei um Puppen handelt.

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2.3 WAS SIND ANTHROPOMORPHE ARTEFAKTE? 2.3.1 Artifizielle Körper in der Forschung Angesichts der Fülle an Literatur scheinen artifizielle Körper auf den ersten Blick ein weitgehend erschöpfter Forschungsgegenstand der Kulturwissenschaften zu sein. Bei näherer Betrachtung wird sich aber zeigen, dass dieser terminologisch und methodisch eher unbestimmt ist. Der Kunsthistoriker und Modetheoretiker Adam Geczy etwa untersucht in seiner Monografie „The Artificial Body in Fashion and Art: Marionettes, Models, and Mannequins“ den Einfluss von artifiziellen Körpern auf den menschlichen Körper. Von Automaten über Roboter, Marionetten, Barbies und RealDolls bis hin zu lebendigen Menschen, die Puppen oder Bilder imitieren, beleuchtet Geczy sehr verschiedene Phänomene, die in seiner These einer Inkorporierung der „Puppe“ zusammenfinden: There was once just the doll, now we wish to become that doll. In charting this qualitative transition of self, this book begins with the doll and the puppet’s role within the social imagination, and the way in which the doll, the projected, artificial self, has become incorporated, folded back onto the natural body that defined it, so as to consign the difference between natural and artificial to an historic narrative, to the past. (Geczy 2017, 2)

Dieser Ansatz steht exemplarisch für ein Forschungsinteresse, das sich selten auf die Puppe im engeren Sinne richtet. Untersuchungen, die sich dem Titel nach mit Puppen befassen, sprechen meist nicht ausschließlich über diese, sondern widmen sich ganz verschiedenen Formen artifizieller Körper (Munro 2014; MüllerTamm/Sykora 1999; Söntgen 1999; Bachmann 1991; Gendolla 1992; von Boehn 1929a, 1929b) oder sogar dem lebendigen menschlichen Körper als Artefakt (Geczy 2017; Lammer 1999). Die verschiedenen Formen artifizieller Körper bleiben dabei undefiniert. Formulierungen wie „Androiden“ (Sykora 2002; Müller-Tamm/Sykora 1999), „Kunst-Menschen“ (Sykora 2002; Müller-Tamm/Sykora 1999; Söntgen 1999), „künstliche Figuren“ (Gendolla 1992), „Kunstfiguren“ (Käufer 2006; Katharina Weber 2014) oder „Puppen-Wesen“ (Müller-Tamm/Sykora 1999) werden meist ohne Ein- und Abgrenzungen auf ganz verschiedene Phänomene übertragen: von menschenähnlichen Dingen wie Cyborgs, Robotern und Automaten, Effigien und Anatomiemodellen, Gliederpuppen im Atelier und im Theater, Kinderpuppen und Modepuppen bis hin zu künstlichen Menschen wie Frankensteins Geschöpf, dem Golem oder dem Homunculus. Gleichzeitig scheint es ein verbindendes Moment

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der verschiedenen Formen artifizieller Körper zu geben, das die gemeinsame Untersuchung nahelegt. Meines Erachtens ist dieses verbindende Moment ihre transformierende Wirkung auf Menschen – ihre Agency. Die Forschung zu artifiziellen Körpern zeichnet sich nicht nur durch eine terminologische sondern auch durch eine methodische Offenheit aus. Zwar greifen viele Arbeiten den Konnex zum Sehen auf, den Freud 1919 mit seinem Text „Das Unheimliche“ (Freud 2000) initiiert hatte (Smith 2013; Guggenheimer 2008; Gendolla 1992; Krafft 1991), oder untersuchen den artifiziellen Körper als Bild (Lammer 1999). Doch dabei wird nicht an die jüngere Visualitätsforschung angeschlossen und die artifiziellen Körper werden nicht innerhalb visueller Kulturen verortet. Genauso wenig werden sie in ihrer Materialität erforscht. Anstatt seine sinnliche Präsenz explizit zu untersuchen, findet sich häufig eine unsinnliche, quasi immaterielle Konzeption des artifiziellen Körpers als Projektionsfläche menschlicher Sehnsüchte und menschlichen Begehrens, oftmals vor dem Hintergrund psychoanalytischer Deutungsmuster.22 So sind die „künstlichen Figuren“ bei Gendolla das „Instrument oder Medium, durch das sich eine geistige Kraft artikuliert.“ (Gendolla 1992, 147f.). Krafft nennt Puppen „Spiegelung, Wunschbild, Ersatz oder Projektion einer anderen Wirklichkeit“ (Krafft 1991, 4). Smith verspricht zwar, an Forschungen zu materiellen und visuellen Kulturen anzuschließen, doch sein Text kommt nicht über die anfängliche Bestimmung der Puppe als Projektionsfigur menschlichen Begehrens hinaus: „The doll is then a fetish, a thing, a commodity, a possession, an obsession, an object of desire, an object of love, a worship, adoration, devotion, an object of lust and even object for sex.“ (Smith 2013, 9) Mit Sicherheit können artifizielle Körper Repräsentationen menschlicher Phantasmen sein. Aber sie sind auch konkrete, sinnlich erfahrbare Gegebenheiten, die als solche eine Widerständigkeit entwickeln, an der sich Zuschreibungen gerade brechen können. Ein wesentliches Desiderat der Forschung besteht also darin, artifizielle Körper zwischen Materialität und Bildlichkeit zu verorten. Die Unbestimmtheit betrifft auch das künstlerische Format, in dem der artifizielle Körper erscheint und das maßgeblich für dessen jeweilige Figuration verantwortlich ist. Bislang wurde jedoch nur die Beziehung zur Fotografie (Käufer 2006; Schade 2004; Sykora 2002; Müller-Tamm/Sykora 1999) sowie zur Malerei untersucht (Munro 2014).23 Trotz des großen Interesses an artifiziellen Körpern in 22 Psychoanalytische Deutungsfolien finden sich bei Smith 2013; Käufer 2006; Altner 2005; Sykora 2002; Söntgen 1999; Gendolla 1992; Schade 1987, auch wenn hier teilweise eine vorsichtig kritische Auseinandersetzung versucht wird. 23 Die Puppe als traditioneller Teil der Modewelt, insbesondere im Schaufenster und in der Modeausstellung, ist sehr viel umfassender und begrifflich widerspruchsfreier erforscht, wie in der Ausstellungsanalyse deutlich werden wird (Weise 2015; Riegels

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der Literatur (Unger 2015; Katharina Weber 2014; Pagliarulo 2013; Tabbert 2006; Drux 1994, 1986; Gendolla 1992; Sauer 1983; Wawrzyn 1976), hat die Literaturwissenschaft bisher gar nicht erforscht, welchen Unterschied das literarische Format für deren Darstellung macht. Zwar verweisen auch kultur- und kunstwissenschaftliche Arbeiten immer wieder auf E.T.A. Hoffmanns Olimpia-Figur (Altner 2005; Böhme 2002; Sykora 2002; Berger 1987), berücksichtigen dabei aber nicht die Spezifik eines sprachlich evozierten artifiziellen Körpers. In vielen Untersuchungen gerät der lebendige menschliche Körper in seiner Artifizialität in den Blick, doch wurden menschliche und artifizielle Körper wiederum nicht genauer bestimmt und kulturwissenschaftlich eingeordnet. Um Mensch-Ding-Interaktionen greifbar zu machen, scheint es mir notwendig, sie in Bezug zur Leiblichkeit zu stellen. An diesem Punkt setzt auch die Frage nach der Agency an. Angesichts des bestehenden Interesses an ihren Wirkungen auf Menschen ist es erstaunlich, dass bislang keine Analysen der praxis- und subjektkonstituierenden Wirkungen artifizieller Körper vorliegen. Obwohl Smith die Puppe als „evocative object“ (Smith 2013, 10) bezeichnet, entwickelt der Kunsthistoriker kein Konzept einer Agency von Dingen. Bezüge zur Performativität hat lediglich Käufer (2006) hergestellt. Performanztheoretische Untersuchungen einer Agency artifizieller Körper liegen jedoch nicht vor. Um der ausgemachten terminologischen Unschärfe in der Forschung zu begegnen, welche Differenzen und Gemeinsamkeiten von lebendigen und leblosen Schöpfungen, Leib und Körper, Dingen und Menschen nicht herausarbeitet, soll der Ausdruck ‚anthropomorphe Artefakte‘ dazu dienen, die eigenwilligen, transgressiven und künstlerischen Schöpfungen zu benennen, welche unten behandelt werden. Diese Studie widmet sich damit anthropomorphen Artefakten innerhalb materieller und visueller Kulturen, deren Agency performanztheoretisch und in Rückbindung an das künstlerische Format zu untersuchen ist. Im Folgenden werden einige für dieses Ziel besonders relevante Forschungsansätze vorgestellt: Sie betonen die sinnliche Präsenz menschenähnlicher Dinge und die durch sie irritierte Wahrnehmungssituation, sie diskutieren die Verbindung zwischen Artefakt und Kunst und sie untersuchen Weiblichkeit im Zeichen des artifiziellen Körpers. Die Literaturwissenschaftlerin und Modetheoretikerin Gertrud Lehnert beschäftigt sich explizit mit Puppen, die sie als „besondere Objekte innerhalb der Kulturgeschichte der Dinge“ (Lehnert 2012b, 264) charakterisiert. In der Geschichte der Dinge, die in den letzten Jahren an Bedeutung zunimmt, spielen Puppen eine bedeutende Rolle. […] Puppen laden mehr als andere unbelebte Objekte dazu ein, Melchior 2014; Lehnert 2012b; Pegler 2006; Taylor 2002; Schneider 1995). Puppen im Theater hat bspw. Wagner (2003) untersucht.

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sie als lebendig zu phantasieren. Sie haben Augen und schauen uns an; sie haben Körper, die – wenn auch meist nur annäherungsweise – den menschlichen gleichen, vor allem dann, wenn sie bekleidet sind. Ständig verschwimmen der Wahrnehmung die Grenzen zwischen dem Lebendigen und dem Unlebendigen. (Ebd., 261)

Puppen besitzen Lehnert zufolge etwas Sinnliches, das vielen anderen Objekten fehle. Sie seien nicht nur visuell, sondern auch haptisch wahrnehmbar (vgl. ebd., 264). So besieht die Autorin den Puppenkörper genauer: Die Puppe ist kleiner als Menschen, sie hat (meistens) steife Gliedmaßen und eine ganz andere Körperoberfläche/Haut, ihr Körper ist nicht warm, sie besitzt keine (oder nur völlig abstrahierte) Geschlechtsorgane, ihre Proportionen ähneln den menschlichen nur annähernd (beispielsweise haben alle Puppen im Vergleich zu Menschen viel zu kleine Füße und Hände) – was bleibt ist ein Rumpf mit einem Kopf und (meistens) zwei Armen und Beinen. (Lehnert 1998, 88)

Dieser Minimalkörper sei leblos und als unbekleideter vollkommen grotesk, fragmentarisiert und aus Einzelteilen zusammengesetzt, die auf menschliche Maße nur anspielen, ihnen aber nicht wirklich entsprechen, die auf menschliches Geschlecht verweisen, ohne es eigentlich darzustellen (vgl. ebd.). Doch selbst als reduzierte, oft nur angedeutete Nachahmungen erzeugten Puppen die Illusion der Lebendigkeit und würden sofort als Modell des Menschlichen wahrgenommen (vgl. Lehnert 2012b, 261). Als Simulacra24 des Lebendigen lösten sie verschiedenste Fantasien, Emotionen und Ambivalenzen aus (vgl. ebd., 264). Zudem könnten Puppen als per se unbewegliche Objekte Bewegung erahnen lassen, was die Literaturwissenschaftlerin in Zusammenhang mit dem fruchtbaren Moment nach Lessing setzt (vgl. ebd., 271f.). Gotthold Ephraim Lessing zufolge ist die Wahl des dargestellten Augenblicks im künstlerischen Bild zentral für die Wirkung, die es auf die Betrachtenden entfaltet. Von der immer veränderlichen Natur könne der Künstler nur einen einzigen Augenblick darstellen, der daher nicht fruchtbar genug gewählt werden könne: „Dasjenige aber nur allein ist fruchtbar, was der Einbildungskraft freies Spiel läßt. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzu denken können. Je mehr wir darzu denken, desto mehr müssen wir zu sehen glauben.“ (Lessing 2003, 22f.) So können Puppen Lehnert zufolge Bewegung suggerieren, obgleich sie statisch sind. 24 Den Begriff verwendet Lehnert hier nicht im postmodernen Sinn (vgl. hierzu bspw. Baudrillard 2005), sondern sie bezieht sich in diesem Kontext auf seine ursprüngliche Bedeutung als „Bild, Traumbild, Spiegelbild, Nachbildung oder Simulation“ (Lehnert 2012b, 261).

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„Sie wirken auf die Wahrnehmung wie ein Bild, das laut Lessing den ‚fruchtbaren Moment‘ einfängt, der ein Vorher und ein Nachher ahnen lässt.“ (Lehnert 2012b, 271f.) Solche Bewegungssuggestionen sind ein wesentliches Element der Agency anthropomorpher Artefakte. Sie können wiederum eher statischer oder dynamischer Art sein (vgl. Scholz 2018b, 41). Pia Müller-Tamm und Katharina Sykora unterstreichen das Verhältnis zwischen artifiziellem Körper und künstlerischem Format. Den „Kunst-Menschen“ eigne ein allegorischer Charakter, der die Auseinandersetzung mit genuin künstlerischen Fragen nach dem Verhältnis von Natur und Kunst, Schein und Sein, Wahrheit und Lüge, Wirklichkeit und Simulation, Original und Kopie, Echtheit und Artifizialität, Ganzheit und Teilung initiieren könne (vgl. Müller-Tamm/Sykora 1999, 76). „Die Kunst-Menschen sind – pointiert gesprochen – als Chiffren des Kunst-Werkes selbst zu begreifen.“ (Ebd.) Laut Müller-Tamm/Sykora markieren „Kunst-Menschen“ signifikante Grenzpositionen (vgl. ebd., 68). Sie stünden zwischen den traditionellen Hochkünsten, Naturwissenschaft, Medizin und Warenwelt (vgl. ebd.). Dieser Schwellencharakter setzt sich in der Wahrnehmung fort: „Androiden“ lösten ständig Zweifel aus, ob sie Mensch (Subjekt) oder Ding (Objekt) seien. Dies führe zur „Verunsicherung des Auges, der schöpferischen Hand und des Verstandes“ (ebd., 65). Daher verkörpern sie ein epistemologisches Problem, wie Sykora in ihrer Monografie „Unheimliche Paarungen. Androidenfaszination und Geschlecht in der Fotografie“ formuliert: Sie stellen eine grundlegende Irritation unserer Wahrnehmung dar (vgl. Sykora 2002, 7). Hier vertieft Sykora den mit Müller-Tamm entworfenen, wegweisenden Zusammenhang zwischen Geschlecht und dem Konzept der Natürlichkeit, der hier erläutert sei. Im 18. Jahrhundert entstehen antagonistisch gedachte Geschlechtscharaktere (vgl. ebd., 49).25 Die bürgerliche Gesellschaft entwickelt einerseits den biologischen Gegensatz der Geschlechter und andererseits die ebenfalls polar definierte soziale Geschlechterdifferenz, die das Weibliche zunehmend dem Privaten und das Männliche der Öffentlichkeit zuordnet. Durch die Konstituierung einer privaten Sphäre entsteht ein gesellschaftlicher Bereich, in dem dezidiert Natürlichkeit situiert wird, und der sich gegen die Künstlichkeit der öffentlichen Konventionen richtet (vgl. ebd., 50f.). „Der von allem Tand entkleidete, ‚ungekünstelte‘ Körper vor allem der bürgerlichen Frau wurde diesem Bereich zugeordnet und erhielt hier erstmals eine eigenständige Repräsentationsfunktion.“ (Ebd., 50) 25 Laut Thomas Laqueur existierten vor der Aufklärung nicht zwei gegensätzlich gedachte Geschlechter, sondern ein Geschlecht mit graduellen Unterschieden, die allerdings über die soziale Hierarchie entschieden (vgl. Laqueur 1991, 177). Das biologische Geschlecht gehörte dabei genauso zum Bereich der Kultur wie das soziale (vgl. ebd., 156).

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Das in dieser Zeit entstehende Ideal der ‚Natürlichkeit‘ impliziert jedoch eine paradoxe Wendung: Durch die raffinierte, sich selbst verleugnende Künstlichkeit verberge der natürliche Körper seine eigene Konstruiertheit (vgl. ebd., 51). Dem entspricht interessanterweise die pygmalionische Formel „So verbarg sein Können die Kunst“ (Ovid 2010, 10. Buch, V. 252). Sykora sieht ein überdeutliches Gewicht künstlicher Manipulation an der Herstellung dessen, was besonders am weiblichen Körper ‚natürlich‘ heiße, und in der Virtuosität, die in das Verdecken und gleichzeitig in das partielle Vorzeigen des Artifiziellen in der Produktion des Natürlichen investiert werde (vgl. Sykora 2002, 51f.). Weiblichkeit wurde also mit der Emanzipation des Bürgertums zur idealen Konfiguration von Natur und Artefakt (vgl. ebd., 48). Dieses Natürlichkeitskonzept ermöglichte es, dem artifiziellen Körper Natürlichkeit und der Frau Künstlichkeit zuzuschreiben. Das scheinhafte Sein, das dem Weiblichen seit dem 18. Jahrhundert attribuiert wird, verleiht der künstlichen Frau eine paradoxe Natürlichkeit (vgl. Söntgen 1999, 125). Im 18. Jahrhundert kam es nicht nur zur Inkorporation des Natürlichen in die weibliche Physis, sondern mit der Vorstellung des Körpers als Apparat im Zeichen des anatomisch-mechanischen Menschenbildes auch zur Projektion des Technischen auf den weiblichen Körper (vgl. Sykora 2002, 49). Diese merkwürdige Verschmelzung des Natürlichen mit dem Technischen im Weiblichkeitsdiskurs übertrug sich gleichsam auf die „Puppe und ihr verwandte Kunstformen“ (MüllerTamm/Sykora 1999, 81). Befördert wurde die „Amalgamierung von Frau und Maschine“ (ebd., 52) im 18. Jahrhundert noch durch die Beschwörung der Beredsamkeit des Leibes und die Physiognomik. Mit dieser Diskursivierung des Körpers wurde dessen Verengung auf die Bezeichnung des Natürlichen, Authentischen, Eigentlichen verbunden. Die Physis wurde zur „Repräsentationsinstanz für das ‚wahre, natürliche Wesen‘ einer Person“ (vgl. Sykora 2002, 50). Die vorgestellte Forschungsliteratur lässt folgendes Ergebnis zu: Im Doppelcharakter aus sinnlicher Präsenz und Illusionsproduktion konstituieren sich artifizielle Körper als Problem der Wahrnehmung. Diese Feststellung wird nun in drei Hypothesen differenziert, um sie anschließend durch kulturwissenschaftliche Theorien zu fundieren. Erstens wird, in der Tradition medizinischer Anatomie seit der Renaissance, der mechanistisch orientierten Aufklärungsphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts und dem „ingenieurstechnisch gedachten Maschinenkörper des 19. Jahrhunderts“ (Labouvie 2015, 47) der menschliche Körper bis heute als

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Artefakt konzipiert.26 Die Physis und ihre Funktionen werden durch Sport, Ernährung, Kosmetik und medizinische Eingriffe sowie moderne biotechnisch-informationswissenschaftliche Verfahren modifiziert, erweitert oder ersetzt. Im Hinblick auf seine Gestaltbarkeit kann vom „Artefakt-Charakter“ (Kastner 2014, 222) des menschlichen Körpers gesprochen werden. Aufgrund dieser Artifizialität menschlicher Selbstgestaltung können aber in der Wahrnehmung die Differenzen zwischen menschlicher Natürlichkeit und dinglicher Artifizialität, zwischen Leib und Körper verschwimmen. Zweitens betrifft die Illusionsproduktion die Geschlechtszuschreibung an artifizielle Körper. Da weibliche Natürlichkeit das Ergebnis von Gestaltungsprozessen ist und damit dem Wesen nach artifiziell, kann der artifizielle Körper diese idealiter vorführen. Und drittens wird die Wahrnehmung durch die Inszenierung von Subjektivität irritiert. Der artifizielle Körper kann nämlich zur Projektionsfläche für ein verborgenes, inneres Wesen werden, weil seit dem 18. Jahrhundert die sichtbare Physis das innere Wesen einer Person repräsentiert.27 In der als Körperoberfläche konzipierten Physis ist der artifizielle Körper aber nicht unterscheidbar vom Menschen, dessen natürliches Inneres an der potenziell künstlich manipulierten Oberfläche abgelesen werden muss. In diesem Modell der

26 Ausgangspunkt dieser Konzeption des Körpers als Artefakt ist das Wiederaufleben verschiedener Disziplinen in der frühen Neuzeit: Anatomie, Anthropometrie und Automatentechnik bringen das anatomisch-mechanische Körpermodell hervor, welches wiederum von der Philosophie der Aufklärung aufgegriffen wird. Der Körper wurde objektiviert, visualisiert, quantifiziert und auf diese Weise transparent. In dieser Abstraktion vertritt das anthropomorphe Artefakt den menschlichen Körper vollständig, weil dieses Modell des Menschen nicht Lebendigkeit voraussetzt. Dieter Kamper zufolge haben die Anatomietheater in der Absicht, die Macht des mittelalterlichen Todes zu brechen, das Gegenteil herbeigeführt: die Verbreitung der Leiche als Modell des Körpers (vgl. Kamper 2002, 168). In der „Abstraktion vom lebendigen Leib des Menschen“ (Labouvie 2015, 45) fallen der menschliche Körper und das anthropomorphe Artefakte in eins. Vgl. zum Körperbild der frühneuzeitlichen Anatomie und Anthropometrie Buschhaus 2005; Sykora 2002; Benthien/Wulf 2001; Wenner 2001. Vgl. zum Körperbild im Zeichen des mechanistischen Weltbildes Fleig 2004. Vgl. zur Gestaltbarkeit des menschlichen Körpers Geczy 2017, 120; Spreen 2015; Bittner 2013; Inthorn 2013; Mitchell 2008a, 107; Mitchell 2008b, 132. Vgl. außerdem die für die Metapher des Maschinenmenschen grundlegenden Texte von Aufklärern wie René Descartes (2015, 2009) sowie Julien Offray de La Mettrie (1990). 27 Große Bekanntheit erlangte Johann Caspar Lavaters Physiognomik aus dem Jahr 1772. Es ist auch das Jahrhundert des lesbaren Menschen. Vgl. zur Subjektivität als Ausdrucksgeschehen Bork Petersen 2013; Lehnert 2008a; Barta 1987.

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Repräsentation impliziert die gestaltete Oberfläche des artifiziellen Körpers paradoxerweise die Existenz einer darunter verborgenen Person. So machen alle drei Hypothesen eines deutlich: Artifizielle Körper problematisieren die Möglichkeit der Erkenntnis von Natur und Kultur. 2.3.2 Natürlichkeit und Künstlichkeit Um diesem Wahrnehmungsproblem zu begegnen, werden im Folgenden Kriterien einer Analyse artifizieller Körper entwickelt, mit denen später die drei ausgewählten Figurationen anthropomorpher Artefakte examiniert werden können. Dafür wird zunächst gefragt, auf welcher Basis diese als künstlich charakterisiert werden und was überhaupt unter Natürlichkeit zu verstehen ist. Anschließend wird zwischen Leib und Körper differenziert und der artifizielle anthropomorphe Körper zwischen Opazität und Groteske verortet. In einem letzten Schritt wird gezeigt, dass anthropomorphe Artefakte Subjektivität und Leiblichkeit durch die Inszenierung einer stets leiblich hervorgebrachten Geschlechtsidentität suggerieren. Diese kulturhistorischen Überlegungen sind für die zu untersuchenden Figurationen besonders relevant und daher essenziell für den nachfolgenden Analyseteil. Eine Definition der von mir untersuchten anthropomorphen Artefakte wird am Ende des Theorieteils vorgeschlagen. Der Philosoph Dieter Birnbacher nähert sich dem Begriff der Natürlichkeit ausgehend von der Polarität von Gemachtem und Gewordenem. Laut Birnbacher ist das Gewordene im idealtypischen Fall das, was vor und unabhängig vom Menschen da ist und unabhängig vom Menschen eine bestimmte Beschaffenheit hat. Das Gemachte sei das, was nur durch den Menschen da sei oder nur durch ihn eine bestimmte Beschaffenheit habe (vgl. Birnbacher 2006, 1). Doch das ‚lupenreine‘ Natürliche und das ‚lupenreine‘ Künstliche seien vielmehr gedachte Pole eines Spektrums, von dem wir lediglich den mittleren Bereich kennen (vgl. ebd., 5). Sowohl die Umwelt des Menschen wie auch die vermeintlich natürliche Beschaffenheit seines Körpers ist Ergebnis von menschlichen Eingriffen (vgl. ebd., 2, 99). Mit Baudrillard gesprochen ist der menschliche Körper nirgendwo „der unberührte Strand ohne Spuren, die Natur.“ (Baudrillard 2005, 165) Stattdessen sind auf dieser Welt nur „Hybridformen“ (Schürmann 2015, 108) zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit zu erforschen. Mit der Zuschreibung von Natürlichkeit oder Künstlichkeit wird also weniger eine Aussage über genuine Eigenschaften einer Sache getroffen. Denn alle Erscheinungen sind immer nur graduell natürlicher oder künstlicher im Vergleich zu anderen Erscheinungen. Und sie vereinen bei näherer Betrachtung stets sowohl

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relativ natürliche wie auch relativ künstliche Qualitäten. In diesem Zusammenspiel gibt es keine natürlichen oder künstlichen Sachen in Reinform. Natürlichkeit und Künstlichkeit sind vielmehr Wertungen, die auf Grundlage kultureller Vereinbarungen vergeben werden, und die lebensweltlich dazu dienen, unsere Einstellung zu einer Sache zu strukturieren. So schreibt Birnbacher: Wir bemerken aber an unserer Reaktion, wie wichtig es für uns ist, uns darüber, ob es sich um Natur oder Kunst handelt, im Klaren zu sein. Wir sehen das Natürliche anders als das Künstliche. Unsere ganze Perspektive, unsere Einstellung zu den Dingen ändert sich mit dem Wechsel der Kategorie. (Birnbacher 2006, 2, H.i.O.)

Angesichts des epistemologischen Problems, das artifizielle Körper darstellen, wird die Notwendigkeit einer Kategorisierung verständlich. Die Unterscheidung zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit dient der Strukturierung einer gewissermaßen liminalen Wahrnehmungssituation.28 Um zu differenzieren, auf welcher Grundlage wir nun eine Sache als natürlicher oder künstlicher empfinden, schlägt der Philosoph zwei Anhaltspunkte vor. Der qualitative Sinn sage etwas über die aktuelle Beschaffenheit und Erscheinungsform einer Sache aus, der genetische Sinn über ihre Entstehungsweise (vgl. ebd., 8). Artifizielle Körper erhalten das Attribut der Künstlichkeit sowohl im Hinblick auf ihre Phänomenalität als auch auf ihre Genese. Angesichts der beschriebenen Relativität dieser Künstlichkeit ist es allerdings sinnvoll, anthropomorphe Artefakte anhand zweier Strategien zu charakterisieren und dabei nicht von einer tatsächlichen Künstlichkeit, sondern von einer strategischen Gestaltung von Natürlichkeit wie auch von Künstlichkeit am artifiziellen Körper auszugehen. Diese Strategien nenne ich Naturalisierung und Artifizialisierung. Die Erscheinung menschenähnlicher Dinge, und das heißt: ihre Oberfläche, zielt einerseits auf eine Naturalisierung in der Wahrnehmung. Denn sie imitieren den scheinbar naturgegebenen menschlichen Körper. Andererseits können die Abweichungen des artifiziellen Körpers vom menschlichen Körper derart frappant sein, dass von einer strategisch artifizialisierten Erscheinung auszugehen ist. In ihrer Genese werden artifizielle Körper gerade deshalb als künstlich eingestuft, weil sie durch Kunstfertigkeit entstehen, das heißt durch eine planvolle Herstellung: Sie sind gemacht und nicht ‚geworden‘. Wird ihre Genese verschleiert, was gerade durch eine illusionistische Erscheinung gelingen kann, spreche ich von der

28 So ist in der Naturalisierung artifizieller Körper auch deren potenziell unheimliche Wirkung begründet. Denn je natürlicher sie wirken, desto schwieriger ist die Abgrenzung vom Menschen, wie der Uncanny Valley-Effekt besagt (vgl. Mori 2012).

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Strategie der Naturalisierung. Wird der Herstellungsprozess am Artefakt sichtbar hervorgehoben, ist dies als Artifizialisierung zu bezeichnen. Nach diesem Einblick in die Kulturalität von Natürlichkeit kann es nicht mehr um eine Natur des Körpers gehen, die, wenn es sie gibt, immer schon durch Überformung unkenntlich wäre. Als „Produkt kultureller Einschreibungen“ (FischerLichte 2001b, 20) erscheint der menschliche aber gar nicht so verschieden vom artifiziellen Körper. Um die Interaktionen zwischen Menschen und anthropomorphen Artefakten analysierbar zu machen, bedarf es jedoch eines sprachlichen Instrumentariums, das die Differenzierung zwischen menschlichem und nichtmenschlichem Körper erlaubt. Daher wird an dieser Stelle zwischen Leib und Körper differenziert, ohne dass jedoch der Leib als ‚Natur‘ erscheinen sollte und der Körper als ‚Kultur‘. Im Gegenteil: Leiblichkeit kann simuliert und Körperlichkeit naturalisiert werden. Wie bereits beim Konzept der Natürlichkeit geht es also auch hier nicht um eine Essenzialisierung, sondern vielmehr darum, verschiedene Weisen der Inszenierung von Leiblichkeit aufzuschlüsseln.29 Der Begriff des Leibes ist aufs Engste mit Lebendigkeit assoziiert, wohingegen das Wort ‚Körper‘ mit Leblosigkeit verknüpft ist. Die Wörter ‚Leib‘ und ‚Leben‘ gehen beide auf mhd. līp zurück. Der menschliche Leib ist begrifflich insofern vom Körper unterschieden, als er von innen erlebt wird (vgl. Prechtl 2008a, 324). Körper ist hingegen ein im Spätmittelalter von lat. corpus entlehntes Wort, „das ursprünglich wie das von ihm verdrängte lich (Leiche) den Leib unter Absehung seiner Lebendigkeit bezeichnet; in diesem Sinne sind Teilbarkeit und Zusammensetzung unterscheidende Merkmale des Körpers.“ (Koßler 2008, 314) Der Begriff des Körpers dient der ‚Fernbeschreibung‘ eines diskursiven wie materiellen Phänomens, während der Begriff des Leibes auf eine spürende Selbsterfahrung zielt. Steffen Kitty Herrmann hat beide Modalitäten gegenübergestellt.30 Der Körper ist demnach eine Potenzialität, verschiedene Dinge tun zu können, der Leib hingegen ein Feld von Dispositionen. „Er besitzt nicht die Möglichkeit etwas zu tun, sondern eine Neigung etwas zu tun.“ (Herrmann 2007, 17) Der Körper lässt sich in eine Reihe von Einzelteilen zerlegen, die sich als flächige Volumen beschreiben lassen. Der Leib dagegen formiert sich in flächenlosen Volumen, die sich spontan

29 Mit Judith Butler (1991) wird davon ausgegangen, dass leibliche Akte wiederum diskursiv bedingt sind und durch eine verstetigende Iteration als Disposition erlebt werden. 30 Hier bezieht er sich auf den Leib-Begriff bei Helmuth Plessner, Maurice MerleauPonty, Hermann Schmitz und Bernhard Wadenfels. Zur weitergehenden Lektüre sei Schmitz (2016, 1998) empfohlen, der Leiblichkeit gerade im Hinblick auf die Ergreifung durch Atmosphären erschließt.

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bilden und spürbar werden: Leibesinseln, deren Dynamik aus Engung und Weitung, aus Spannung und Schwellung besteht (vgl. ebd., 16). Der Körper ist durch den perzeptiven Sinnesapparat – also Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten – gegeben (vgl. ebd., 15), während die Leibesinseln über die Motorik zusammenfinden (vgl. ebd., 16). Während der Körper eine spezifische Position im Raum einnimmt, befindet sich der Leib in einer Situation. Der Körper bildet eine abgeschlossene Einheit im Raum, der Leib existiert in einer potenziellen Offenheit (vgl. ebd., 15): Die Stimmung oder Atmosphäre des Raumes ist mit meinem Leib verbunden, der sich in ihr ausdehnen oder aus ihr zurückziehen kann. Ich spüre an meinem Leib nicht nur Empfindungen, die von ‚innerhalb‘ meines Körpers kommen, sondern ich spüre auch außerhalb meines Körpers in den Raum hinein. Der Leib ist daher zugleich ‚drinnen‘ und ‚draußen‘, er hat keine fixen Grenzen, er ist mit einer Offenheit zur Welt hin ausgestattet. (Ebd., 16f.)

Der Leib ist laut Herrmann unmittelbar. Er ist nicht als materiell fassbares Ding greifbar, sondern allein in seiner Prozessualität zu erleben. Zum Leib können wir keinen Abstand nehmen und in unserem Spüren und Fühlen können wir uns nicht täuschen (vgl. ebd., 17). Anthropomorphe artifizielle Körper werden prinzipiell so wahrgenommen, wie wir auch andere menschliche Körper wahrnehmen – im Modus der Fremdwahrnehmung. Ihre Position im Raum ist bestimmbar, sie sind rezeptiv erfahrbar, sie sind abgeschlossene Einheiten und lassen sich als solche in Einzelteile (flächige Volumen) zerlegen, sie sind kein Feld von Neigungen, sondern von Möglichkeiten. Artifizielle Körper demonstrieren die sinnliche Erfahrbarkeit, die Positionierbarkeit, die Teilbarkeit, die räumliche Abgeschlossenheit und die Potenzialität des menschlichen Körpers. An ihnen werden Abbildbarkeit und Diskursivierbarkeit des menschlichen Körpers manifest. Um eine spürende und gelebte Leiblichkeit kann es dabei nicht gehen. Im Gegensatz dazu sind aber die spürenden und gelebten Erfahrungen, die primäre Akteure an artifiziellen Körpern machen, als leiblich zu konzipieren. Insofern werde ich in dieser Studie ‚Akte‘ nur den leiblich wahrnehmenden Menschen zusprechen und diesen auch den Aufführungsbegriff vorbehalten. Bei den zu untersuchenden anthropomorphen Artefakten werde ich von Vorführungen oder Inszenierungen sprechen und mich dabei am theaterwissenschaftlichen Performanzmodell orientieren. 31

31 Diese Entscheidung ist ein methodisches Behelfsmittel, das nicht einer Grenzziehung dienen, sondern Interaktionen zwischen Menschen und Dingen greifbar machen soll. Denn eigentlich kann in einem repräsentationskritischen, performanzorientierten Ver-

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Aus der leiblichen Perspektive primärer Akteure gilt nun Folgendes. Weil das eigenleibliche Fühlen Selbsterfahrung ist, kann mit den Sinnen nicht unmittelbar erfasst werden, ob das Gegenüber leibliche Erfahrungen macht. Gleichzeitig gibt es in der leiblichen Situation, die ein Spüren ist, keine Täuschung. Im eigenleiblichen Fühlen geht es nicht um eine erkennende Kategorisierung des Gespürten. Der Leib ist der Raum und gar nicht vom atmosphärisch getönten Raum zu trennen: Die oben beschriebene Affizierung durch die ko-präsenten Dinge ist unmittelbar. So spürt der Leib die Atmosphären und Stimmungen, die an artifiziellen Körpern gestaltet werden, in ihrer unumstößlichen Realität. Diese räumlichen Gefühlscharaktere zu spüren, bedeutet, die sinnliche Gegebenheit der Dinge zu erleben. Insofern vollzieht sich die besagte ästhetische Ansteckung im Spüren räumlich ergossener Präsenz. Nachdem Leib und Körper als zwei Erfahrungsmodalitäten erläutert wurden, stellt sich die Frage, wie am anthropomorphen Artefakt Leiblichkeit inszeniert werden kann. Als Manifestationen des wahrgenommenen und diskursivierten Körpers dokumentieren artifizielle Körper historisch gewordene Sichtweisen auf den Menschen. Aus diesem Blickwinkel fällt eines sofort auf – der Körper anthropomorpher Artefakte ist von Ambivalenz gezeichnet. In einem Moment erscheint er ganz und versiegelt, im nächsten Moment fragmentiert und unabgeschlossen. Diese Ambivalenz ist ausgehend von zwei Körpermodellen der Kunstgeschichte beschreibbar: Opazität und Groteske, welche wiederum auf eine idealisierte Körperlichkeit in der Fremdwahrnehmung und auf eine groteske Leiblichkeit in der Selbsterfahrung anspielen. Weil das eigenleibliche Fühlen per se nicht abbild- und diskursivierbar ist, geht es hier um inszenierte Leiblichkeit. Zuerst sei das Modell des opaken Körpers erläutert, anschließend die Groteske, um beide Modelle später auf anthropomorphe Artefakte zu beziehen. In der westlichen Kunst gibt es die Tendenz, bei der Körperdarstellung das Moment der Fremdwahrnehmung zu hypertrophieren. Die sinnliche Erfahrbarkeit, die Positionierbarkeit, die Teilbarkeit in Einzelteile, die räumliche Abgeschlossenheit und die Potenzialität des menschlichen Körpers werden im Bild zur Per-

ständnis von Subjektivität zwischen Auf- und Vorführung gar nicht unterschieden werden. Wenn Subjektivität ein Effekt ist, ein Reflex der Umwelt, wie unten noch anhand von Butlers Performanzbegriff erläutert wird, kann es nicht um einen im Innern verorteten subjektiven und leiblichen Antrieb gehen, welcher die Aufführung von der Vorführung unterscheiden würde. Hier wäre eine theoretische Erweiterung beziehungsweise Konkretisierung des Performanzbegriffs gefragt, die den Rahmen dieser Studie jedoch überschreiten würde.

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fektion gebracht. Dies geschieht wesentlich durch zwei Strategien: der Konstruktion des ganzen Idealkörpers aus Teilen und der Versiegelung der Körperumrisse im Bild. Das Ergebnis ist der ‚opake Körper‘.32 Die Teilbarkeit des Körpers als Voraussetzung für den Idealakt ist ein uralter Topos der Kunstgeschichte. In De inventione beschreibt Cicero, wie der griechische Maler Zeuxis für den Tempel der Juno in der Stadt Kroton ein Abbild Helenas malen sollte. Die Bewohner hatten gehört, dass er im Malen des weiblichen Körpers jeden anderen übertreffe. Zeuxis ließ sich nicht eine, sondern fünf Frauen aus der Stadt als Modelle vorführen: „Er glaubte nämlich nicht, alles, was er an Liebreiz suche, an einem einzigen Körper finden zu können, deswegen weil die Natur nicht etwas in allen Teilen Vollkommenes an einer einzelnen Person ausgebildet hat.“ (Cicero 1998, 167) In den Vier Büchern von menschlicher Proportion formuliert Albrecht Dürer ganz ähnlich: Man durchsucht oft zwei oder dreihundert Menschen, daß man kaum eins oder zwei schöner Ding an ihn findt, die zu brauchen sind. Dorum so tut not, wiltu ein gut Bild machen, daß du van etlichen das Haupt nehmest, van anderen die Brust, Arm, Bein, Händ und Füß, also durch alle Gliedmaß alle Art ersuchest. Dann van viel schöner Ding versammelt man etwas Guts, zu gleicher Weis wie das Hönig aus viel Blumen zusammengetragen wird. (Dürer 1982, 162)

Unter Berufung auf Zeuxis stellte auch Leon Battista Alberti die Forderung auf, der Maler müsse auf der Suche nach Schönheit die vollkommensten Teile verschiedenster Körper miteinander verbinden (zit. n. Mraček 2004, 23). Andere Künstler der Renaissance nahmen die Teilbarkeit des Körpers wörtlich. Leonardo da Vinci soll sich als pittore anatomista bezeichnet und gesagt haben: „Es sind mehr als zehn Kadaver notwendig, um einen Körper zu zeichnen.“ (Zit. n. Sykora 2002, 31) Später formulierte Lessing am Beispiel des schönen Bathylls im Laokoon, dass der Künstler „die schönsten Teile aus verschiednen Gemälden“ sammelt, „an welchen eben die vorzügliche Schönheit dieser Teile das Charakteristische war“ (Lessing 2003, 154). Die (virtuelle) Körperfragmentierung ist in der westlichen Kunst also Voraussetzung für die Kreation des Idealkörpers. Im Ergebnis ist diese Fragmentierung aber nicht mehr sichtbar. Der Idealakt negiert die Teilung des Körpers im Schöpfungsprozess. Der ideale Körper ist daher erstens 32 Diesen Begriff schlage ich vor, um den Körper in seiner Abgeschlossenheit und Ganzheit zu bezeichnen (vgl. Scholz 2018a). Zwar kann auch vom „monadischen Körper“ (Benthien/Wulf 2001) gesprochen werden. Da aber Ganzheit und Abgeschlossenheit einander bedingen, ist es eher eine Frage der Schwerpunktsetzung, welcher Aspekt durch die Wahl des Begriffs jeweils hervorgehoben wird.

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ein ganzer, dessen Teilbarkeit im Bild verborgen wird, und zweitens ein abgeschlossener, dessen Oberfläche im Bild versiegelt wird. So hat Linda Hentschel das Ideal des abgeschlossenen Körpers und den Ausschluss von Körperöffnungen im westlichen Kunstsystem untersucht (vgl. Hentschel 2001, 13). Die Kunsthistorikerin beobachtet eine Tendenz zur Versiegelung der Körperumrisse (vgl. ebd., 19). Hierbei werde der Frau die Porösität der Körperbegrenzungen und damit der Subjektgrenzen zugeschrieben (vgl. ebd., 35). Jene Körperzonen, die Öffnungen, Porosität und Austausch symbolisierten, würden mit einem Tabu belegt. Denn mit ihnen gingen die klaren Umrisse der mit Macht, Kontrolle und Sicherheit konnotierten Denkkategorien verloren (vgl. ebd., 47). Der weibliche – aber auch der männliche – Akt sei daher ein konstruierter Körper, ein Idealkörper. Im Akt werde die Gestalt des ganzen Körpers als natürliche allegorisiert (vgl. ebd., 53). Auch Baudrillard zufolge ist es in der „erotischen Disziplin“ notwendig, dass jeder Körper und jedes Körperteil so geschlossen, glatt und makellos wie möglich ist (vgl. Baudrillard 2005, 164). Die poröse Haut mit ihren Löchern und Öffnungen, die den Körper eigentlich nicht begrenzt und die nur von der Metaphysik als Demarkationslinie festgelegt wird, werde zugunsten einer zweiten Haut negiert. Diese zweite Haut sei frei von Ausdünstungen und Exkretionen, weder heiß noch kalt, nicht porös, ohne Narben und Unebenheiten, ohne eigenes Volumen, vor allem aber ohne Öffnungen. Alle ihre Eigenschaften (Frische, Weichheit, Transparenz, Glätte) seien Eigenschaften der Abschließung – ein Null-Wert, der aus der Negation ambivalenter Extreme resultiere. Baudrillard spricht von einem „Verglasen der Nacktheit“, das einen Zustand makelloser Abstraktion zum Ziel hat (vgl. ebd.). Ganz anders ist das in der Ästhetik des Grotesken, die Michail Bachtin am Beispiel frühneuzeitlicher Literatur beschrieben hat. Dabei geht es nicht um eine hypertrophierende Darstellung sinnlich wahrnehmbarer, ganzer und versiegelter Körperlichkeit. Eher lässt sich das Modell des grotesken Körpers als Artikulation leiblicher Selbsterfahrung begreifen: als Inszenierung des osmotischen, spürenden Verhältnisses von Ich und Raum über Leibesinseln. Nach Bachtin ist das zentrale Element des grotesken Stils die Aufhebung der Grenzen zwischen Körper und Außenwelt (vgl. Bachtin 2006, 352). Körper seien untereinander, mit den Dingen und der Welt vermischt (vgl. ebd., 364). Grundlage aller grotesken Motive ist „eine besondere Vorstellung vom Körperganzen und den Grenzen dieses Ganzen.“ (Ebd., 357, H.i.O.) Mund und Nase, aber auch beliebige andere Glieder, Organe und Körperteile könnten ein selbstständiges Leben führen (vgl. ebd., 358f.). Gleichzeitig ignoriert die groteske Ästhetik

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die geschlossene, gleichmäßige und glatte (Ober-)Fläche des Körpers und fixiert nur seine Auswölbungen und Öffnungen, das, was über die Grenzen des Körpers hinaus –, und das, was in sein Inneres führt. Berge und Abgründe bilden das Relief des grotesken Körpers, oder architektonisch gesprochen, Türme und unterirdische Verließe. (Ebd., 359, H.i.O.)

In der Groteske gibt es keine Individualität. Der groteske Körper sei kosmisch und universal (vgl. ebd., 360). Er bestehe aus Einbrüchen und Erhebungen, die schon den Keim eines anderen Körpers darstellen, er sei eine Durchgangsstation für das sich ewig erneuernde Leben (vgl. ebd., 359). Dieser Körper ist „ein werdender. Er ist nie fertig und abgeschlossen, er ist immer im Entstehen begriffen und erzeugt sich selbst stets einen weiteren Körper“ (ebd., 358, H.i.O.). Bachtin grenzt die Groteske vom „neuen Körperkanon“ (ebd., 361) ab, dessen wichtigstes Merkmal die Individualität ist. Im Zentrum dieses neuen Kanons steht der „fertige, streng begrenzte, nach außen verschlossene, von außen gezeigte, unvermischte und individuelle ausdrucksvolle Körper“ (ebd., H.i.O.). Alle ins Körperinnere führenden Öffnungen werden geschlossen: „Die glatte Oberfläche, die Körperebene erlangt zentrale Bedeutung als Grenze des mit anderen Körpern und der Welt nicht mehr verschmelzenden Individuums.“ (Ebd., H.i.O.) Undenkbar seien in diesem Körperkonzept das Abtrennen einzelner Körperteile und ihre selbstständige Existenz (vgl. ebd., 364). Im vollendeten Körper drücken die Augen „das individuelle und sozusagen innere Leben des Menschen aus, das für das Groteske irrelevant ist“ (ebd., H.i.O.). Bei der Groteske geht es um die Artikulation einer mit der Welt verbundenen, spürenden und dispositionellen Leiblichkeit. Auch der groteske Körper ist teilbar, aber in der ewigen kosmischen Erneuerung, ohne in die Abgeschlossenheit einer Körpernorm überzugehen. Im modernen Körperkanon dagegen geht es um den äußerlich wahrgenommenen, nicht gespürten aber potenziellen Körper, wobei die fixierende Vermessung und die virtuelle Teilbarkeit der Ausschöpfung seiner Möglichkeiten dienen. Am anthropomorphen Artefakt werden beide Körperbilder inszeniert: Opazität und Groteske. Auf den ersten Blick können anthropomorphe Artefakte, gerade wenn sie bekleidet sind, das Ideal des ganzen und abgeschlossenen Körpers materialisieren. Sie können aus vollendeten Einzelteilen konstruiert und als versiegelte Oberfläche gestaltet sein, die weder heiß ist noch kalt, aus der nichts heraustritt und die nichts aufnimmt: Sie können opak erscheinen. Doch während der Idealakt im Ergebnis sein Gemachtsein aus Einzelteilen verbirgt, eignet dem anthropomorphen Artefakt immer ein groteskes Moment. Diesem nicht nur virtuell sondern tatsächlich aus Teilen zusammengesetzten, gliedrigen und beweglichen Körper bleibt der Konstruktionscharakter anders als dem sich selbst naturalisierenden

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Idealakt auch nach dem Herstellungsprozess erhalten. Das anthropomorphe Artefakt thematisiert immer die eigene Produktion aus Fragmenten. Es pendelt zwischen Naturalisierung und Artifizialisierung, ist immer grotesk und ideal, wechselt zwischen Ganzheit und Fragment. In dieser Ambivalenz spielen anthropomorphe Artefakte sowohl auf idealisierte Körperlichkeit wie auch auf groteske Leiblichkeit an. Der fragmentarische Charakter des anthropomorphen Artefakts ist also gleichzeitig eine Autoreferenz auf dessen Artifizialität. Und je mehr dieser artifizielle Körper seinen fragmentarischen Charakter demonstriert, desto mehr inszeniert er eine groteske Leiblichkeit, eine chaotische Ästhetik, ein osmotisches Verbundensein von Leib und Raum. In ihrer konstitutionellen Unabgeschlossenheit sind anthropomorphe Artefakte geeignet, Teilbarkeit und Porösität zu inszenieren und so den drohenden Zerfall des geordneten Körpers in ein kosmisches Gefüge in Szene zu setzen. Die gerade am weiblichen Körper errichteten Grenzen zwischen Ich und Anderem, männlich und weiblich, Innen und Außen können dann aufbrechen. Diesem Aufbrechen der mit Tabus besetzten Körpergrenzen kann ein queeres Moment eignen. Gertrud Lehnert hat das Groteske und das Queere in einen Zusammenhang gestellt.33 Das Queere kann in dem ständigen Oszillieren der Zurschaustellungen liegen, „worin das Groteske, das Unheimliche und das Schöne, das Lebende und das Tote ständig die Plätze wechseln“ (Lehnert 2016, 28). Der Wechsel „von Lebendem und Unlebendigem, von Natur und Artefakt, Natur und Technik […], von Ganzheit und Fragment“ (ebd., 27) macht einen Umbruchcharakter deutlich, durch den der Queerness-Begriff selbst maßgeblich bestimmt ist. Und der Angriff auf die Abgeschlossenheit des Körpers ist immer auch eine Verweisstrategie auf die Herstellbarkeit und die Hergestelltheit von artifiziellem Körper und Geschlecht. Schließlich wird Geschlecht an artifiziellen Körpern gestaltet,34 und zwar primär über die Ausstattung mit anderen Artefakten. Solche materiellen Attribute zur

33 Vgl. zur Queerness auch Lehnert/Weilandt 2016; Scholz 2016; Hark 2013; Engel 2009, 2002. 34 Insofern stehen artifizielle Körper mitunter im Dienst der Fixierung von Geschlechterrollen. Und gleichermaßen dienen sie ethnischen Normierungsprozessen. Gerade Puppen sind nach wie vor meist weiß (vgl. Geczy 2017, 122). Tatsächlich gilt dies auch für die in dieser Studie behandelten Artefakte, bis auf wenige Ausnahmen in der Modeausstellung.

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Inszenierung von Geschlecht bezeichne ich in dieser Untersuchung als Drapierungen.35 Der Ausdruck ist geeignet, neben Kleidern und Schmuck auch Make-up, Frisuren sowie all jene Beigaben (Natura- oder Artefakte) einzuschließen, mit denen artifizielle Körper den Effekt einer Geschlechtsidentität erzielen. Zwar erzeugen sie die Illusion eines anatomischen Geschlechts nur auf der Körperoberfläche, befinden sich aber genau damit in der gängigen Geschlechtsproduktion. Die Genitalien sind schließlich im Alltag zumeist verborgen, und doch finden permanent Geschlechtszuschreibungen über deren Stellvertreter statt (vgl. Hirschauer 2015, 26). Insofern vollziehen wir auch an artifiziellen Körpern alltägliche Praktiken der Geschlechtsattribuierung, fern von anatomischen Gegebenheiten. Die Geschlechtsproduktion über materielle Beigaben funktioniert, weil diese ihrerseits geschlechtlich konnotiert sind (vgl. hierzu ebd., 28). Geschlecht erscheint aus dieser Perspektive eher als materielles Ensemble denn als wesentliche Essenz.36 Gerade die Gestaltung von Weiblichkeit über Drapierungen ist eng mit der Zuschreibung von Künstlichkeit konnotiert. Denn die gezielte Inszenierung von Weiblichkeit widerspricht der vermeintlichen Natürlichkeit von Geschlecht. Künstlichkeit ist nämlich dann ein Problem, wenn die Oberfläche als Ausdruck eines inneren Wesens gelesen wird. Denn eine als Inszenierung sichtbar werdende Oberflächengestaltung macht die grundsätzliche Artifizialität von Geschlechtsinszenierungen sichtbar und stellt somit das Repräsentationssystem insgesamt infrage, welches Geschlecht als Ausdrucksgeschehen interpretiert. Um als Repräsentation gedeutet werden zu können, muss daher die sichtbare Artifizialität zugunsten einer inszenierten Natürlichkeit verborgen werden. Laut Hirschauer geht es um eine „kunstvolle Natürlichkeit von Geschlechtsdarstellungen“, welche wiederum konstitutiv ist für Normalität (vgl. ebd., 46f.). Das sichtbar artifizielle Moment der Geschlechtsproduktion läuft also einer Normalisierung zuwider. Sich selbst naturalisierende Inszenierungen von Geschlecht gehen aber stets mit der Suggestion von Subjektivität und Leiblichkeit einher. Daher wird der artifizielle Körper zugleich als leiblich spürendes Subjekt

35 Der Begriff ist von Lewandowski entlehnt, der ihn in Bezug auf die Inszenierung von Weiblichkeit im pornografischen Film verwendet (vgl. Lewandowski 2012, 72). 36 Diese Sexuierung über Kleider und andere materielle Beigaben findet sich bereits in der Antike. Pygmalion bringt seiner „Elfenbeinjungfrau“ (Ovid 2010, 10. Buch, V. 275) Blumen, Vögelchen, Kleider, einen Ring, eine Kette und Perlenohrschmuck (vgl. ebd., 265ff). Die unheilvolle Pandora wiederum erhält ihr Geschlecht durch die Gaben der Olympos-Bewohner: durch Gürtel, goldene Ketten und Blüten (vgl. Hesiod 2004, V. 72-76). Pandora ist ein totum pro parte, ein aus Fragmenten göttlicher Gaben konstruiertes Ganzes.

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naturalisiert, indem ihm ein Geschlecht attribuiert wird. Diese These soll durch zentrale Argumente Judith Butlers erläutert werden. Butlers Performanzkonzept kritisiert die Kohärenz eines biologischen Geschlechts (sex) und einer sozial konstruierten Geschlechtsidentität (gender).37 Demnach gibt es keine vorgängige Geschlechtsidentität, sondern diese wird durch iterative Akte performativ erst erzeugt. Die Philosophin bestimmt die Geschlechtsidentität als Effekt (vgl. Butler 1995, 174), der auf der Körperoberfläche produziert wird: Akte, Gesten und Begehren erzeugen den Effekt eines inneren Kerns oder einer inneren Substanz; doch erzeugen sie ihn auf der Oberfläche des Körpers, und zwar durch das Spiel der bezeichnenden Abwesenheiten, die zwar auf das organisierende Identitätsprinzip hinweisen, aber es niemals enthüllen. Diese im allgemeinen konstruierten Akte, Gesten und Inszenierungen erweisen sich insofern als performativ, als das Wesen oder die Identität, die sie angeblich zum Ausdruck bringen, vielmehr durch leibliche Zeichen und andere diskursive Mittel hergestellte und aufrechterhaltene Fabrikationen/Empfindungen sind. (Butler 1991, 200, H.i.O.)

Innerlichkeit ist entsprechend Effekt und Funktion eines öffentlichen, gesellschaftlichen Diskurses (vgl. ebd.). Daraus lässt sich ableiten, dass Geschlechtsinszenierungen eine grundlegende Möglichkeit der Produktion von Identitätseffekten sind. Oder anders gesagt: Der Eindruck von Identität erzeugt sich wesentlich über Geschlechtsinszenierungen. Wird aber Identität nicht als etwas verstanden, das sich am wahrnehmbaren Körper ausdrückt, das heißt repräsentiert wird, wäre das Subjekt – wenn davon dann noch gesprochen werden kann – nicht unter der Körperoberfläche, sondern als Oberfläche zu konzipieren: Die Oberfläche verhüllt nicht das wahre Sein, sondern bringt es erst hervor. Unter Subjektivität wird seit dem 17. Jahrhundert die Einheit des Bewusstseins verstanden, das heißt das allem Gefühl, aller Wahrnehmung, allem Denken und dem Willen Zugrundeliegende (vgl. Hügli/Lübcke 2013b, 862).38 Subjektivität erscheint nach den bisherigen Ausführungen jedoch weniger als genuine Eigenschaft von Entitäten. Wie bei Gell zu sehen war, kann Bewusstsein beim Gegenüber zumindest nicht letztgültig ausgeschlossen werden. Vielmehr wird dem Gegenüber auf Grundlage spezifischer Inszenierungen eine Einheit des Bewusstseins 37 Verstärkt seit Ende der 1980er Jahre dekonstruieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Teresa de Lauretis (1987), Donna Haraway (1995), Thomas Laqueur (1991), Judith Butler (1991, 1995) oder Judith Jack Halberstam und Ira Livingston (1995) biologistische Sichtweisen auf Geschlecht. 38 Vgl. zum Begriff des Subjekts auch Mesch 2008; Prechtl 2008b; Zima 2006.

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– aus Gefühl, Wahrnehmung, Denken und Willen – attribuiert, so dass der Eindruck entsteht, es mit einem erkennenden und handelnden Individuum zu tun zu haben. Insofern geht es in diesem Buch weniger um die Differenzierung zwischen Subjekten und Objekten, sondern es geraten vielmehr die Strategien in den Fokus, mit denen Subjektivität inszeniert wird. Wenn Butler von der Zeichenhaftigkeit des Leibes spricht, das heißt von „leiblichen Zeichen“, die den geschlechtlich bestimmten Körper erzeugen (vgl. Butler 1991, 200), ist angezeigt, dass nicht nur Geschlecht und Subjektivität, sondern auch Leiblichkeit auf Interpretationen beruht. Wie oben dargestellt wurde, ist Leiblichkeit Selbsterfahrung, so dass die Leiblichkeit anderer Menschen nicht unmittelbar zugänglich ist. Wir schreiben dem Gegenüber Leiblichkeit auf Grundlage unserer Wahrnehmung seines Körpers zu. Hier kommen alltagskulturelle Praktiken zum Einsatz, bei denen dem wahrnehmbaren Körper anderer Menschen eine leibliche Ich-Perspektive – und damit immer auch Leben – attribuiert wird. Körper suggerieren Leiblichkeit, ohne dass lebensweltlich entscheidbar wäre, ob das Gegenüber tatsächlich leibliche Erfahrungen macht. Aufgrund dieses lebensweltlichen Erkenntnisdefizits sind auch artifizielle Körper durch bestimmte Inszenierungen in der Lage, den Eindruck gelebter Körperlichkeit zu erzeugen, den Eindruck, es mit einem spürenden Ich zu tun zu haben. Butlers fundamentale Idee des performativ hervorgebrachten Geschlechts verweist also auch auf die kulturelle Produktion von Subjektivität und Leiblichkeit, die nicht als Essenz greifbar sind, sondern attribuiert werden müssen. Als Ergebnis der bisherigen Untersuchung kann somit festgestellt werden, dass anthropomorphe Artefakte die Möglichkeit problematisieren, Subjektivität und Leiblichkeit an einem Gegenüber letztgültig nachzuweisen oder auszuschließen, weil diese menschlichen Differenzkriterien wesentlich auf Selbsterfahrungen beruhen. An artifiziellen Körpern zeigt sich damit die Unzulänglichkeit des Repräsentationsgedankens. Denn dieser erreicht gerade das, was er verhindern soll: die Ineinssetzung von Mensch und Artefakt. Gerade weil Geschlecht, Subjektivität und Leiblichkeit als Ausdrucksgeschehen interpretiert werden, sind diese Kategorien von anthropomorphen Artefakten imitierbar. Die artifiziellen anthropomorphen Körper in den künstlerischen Formaten werden daher auf Naturalisierungs- und Artifizialisierungsstrategien von Geschlecht, Subjektivität und Leiblichkeit zu überprüfen sein. Zuvor sind anthropomorphe Artefakte abschließend zu definieren. Eindeutig zu bestimmen sind sie meines Erachtens nur durch eine Minimaldefinition, die von der materiell-sinnlichen Gegebenheit des artifiziellen Körpers ausgeht und mithin auf der erarbeiteten

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Methodik zur Analyse von Mensch-Ding-Interaktionen beruht. So werden anthropomorphe Artefakte im Folgenden zwischen Materialität und Visualität, Plastizität und Bildlichkeit, Wahrnehmung und Imagination verortet. 2.3.3 Dimensionalität und Wahrnehmung Anthropomorphe Artefakte sind zunächst einmal dreidimensionale Körper. Als plastische Dinge sind sie durch ein bestimmtes Verhältnis zum Raum definiert, und zwar durch „die tastbare Oberflächenspannung als Verhältnis raumabweisend (konvex) und raumbildend (konkav) formwirksamer Kräfte einer Gestalt“ (Semrau 2006, 294). Dabei ist noch die vollplastische Gestalt anthropomorpher Artefakte hervorzuheben und daran anschließend die Polyperspektivität. Ihre rundplastische Körperlichkeit erlaubt eine schier unendliche Zahl von Ansichten. Als dezidiert körperhafte Gebilde sind anthropomorphe Artefakte keine Bilder, selbst wenn der Stellenwert des Sehsinns bei ihrer Rezeption groß ist. Bilder zeigen sich nach Martin Seel stets von vorn und werden im Sehen als eine (unter Umständen auch gewölbte) Fläche wahrgenommen, die von ihrer Umgebung abgegrenzt werden kann (vgl. Seel 2000, 259). Anthropomorphe Artefakte dagegen sind auf Mehransichtigkeit angelegt und entfalten in jeder Perspektive ein besonderes Verhältnis raumabweisender und raumbildender Kräfte. Dennoch eignet ihnen als plastischen Artefakten eine „Bildlichkeit“ (Winter 2006a, 27), die sich in der Wahrnehmung entfaltet. Gundolf Winter hat sich mit diesem „Bildcharakter von Skulptur“ (Winter 2006b, 52) befasst. Der Kunsthistoriker geht von der „Raumbildlichkeit“ (ebd., 56) der Skulptur aus, in welcher die faktische Dreidimensionalität und die optische Zweidimensionalität zusammenfinden (vgl. ebd., 50). Das Bildwerden der Skulptur prozessiere sich infolge eines Einbildungsgeschehens als visuelles Ereignis (vgl. Winter 2006a, 19). Die Betrachtenden vollziehen eine „Transformation des konsekutiv Kubischen in die Koexistenz des anschaulich Bildlichen“ (ebd., 20). Diese sei aber nur möglich, wenn das Artefakt nicht nur als Fakt erscheint, sondern aktiv und direkt auf sie wirkt (vgl. ebd.). So konzentriert sich Winters Konzept einer Bildlichkeit des Plastischen ebenfalls um den Blickakt: Zum Bild im Medium der Skulptur komme es immer dann, wenn „das von uns Angeblickte selbst uns anblickt“ (Winter 2006b, 73). Das anthropomorphe Artefakt ist also ein dreidimensionaler Körper, dem Raumbildlichkeit eignet. Seine optische Zweidimensionalität entsteht im Wahrnehmungsakt, der die verschiedenen Ansichten des vollplastischen Körpers synthetisiert – und ihn potenziell verlebendigt. Welche Rolle kommt dabei einer imaginierenden Wahrnehmung zu? Dieser letzte Aspekt einer Definition, der zugleich

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die oben behandelte Frage der Animation unbelebter Artefakte berührt, sei abschließend behandelt. Zunächst ist das Wahrnehmen mit Andreas Reckwitz als eine Aktivität zu bestimmen, bei welcher einzelne Sinnesorgane auf eine bestimmte Art und Weise strukturiert und auf Grundlage spezifischer kultureller Schemata angewandt werden (vgl. Reckwitz 2015, 447). Es ist nach Reckwitz immer mit bestimmten Erregungsintensitäten, mit einer spezifischen Mobilisierung von Affekten verbunden. Zum affektiven Einsatz der Sinne gehören dem Soziologen zufolge ebenso Strategien, die Affekte zu disziplinieren und gewissermaßen eine Lust an der Affektneutralität zu kultivieren (vgl. ebd., 449). Ästhetisch sind dabei jene Wahrnehmungspraktiken, „die nicht erst instrumentell in einen zweckrationalen oder normativen Handlungszusammenhang eingebettet sind, sondern die um ihrer selbst und ihres affektiven Effekts im Subjekt willen vollzogen werden.“ (Ebd., 452) Paradigmatische Fälle solcher „selbstreferenziellen oder eigendynamischen Wahrnehmungen“ biete die Kunst (vgl. ebd.). Das ästhetische Wahrnehmen ist also eine selbstreferenzielle sinnliche Praxis, die um der affektiven Wirkung willen vollzogen wird. Diese Bestimmung kann mit Martin Seel konkretisiert werden, der insbesondere die Rolle der Imagination bei der ästhetischen Wahrnehmung hervorhebt, wohingegen er den von Reckwitz betonten Stellenwert des Affekts vernachlässigt. Wie Seel in seiner „Ästhetik des Erscheinens“ formuliert, kann alles, was sensitiv wahrgenommen werden kann, auch ästhetisch wahrgenommen werden (vgl. Seel 2000, 46). Der Philosoph kategorisiert dabei die verschiedenen Vollzüge der Wahrnehmung (vgl. ebd., 47): Die sinnliche Erscheinung eines Gegenstandes kann entweder in ihrem sinnlichen Sosein (erkennend) oder in ihrem ästhetischen Erscheinen (verweilend) aufgefasst werden (vgl. ebd., 82). Die ästhetische Wahrnehmung, die einen Gegenstand in seinem ästhetischen Erscheinen auffasst, ist ein spezieller Modus der Wahrnehmung und unterscheidet sich durch eine besondere Polung des Sehens, Hörens, Tastens, Riechens und Schmeckens (vgl. ebd., 50). „Ästhetische Wahrnehmung ist Wahrnehmung von etwas in seinem Erscheinen, um dieses Erscheinens willen.“ (Ebd., 146) Ästhetisch seien Objekte, die sich in ihrem Erscheinen von ihrem begrifflich fixierbaren Aussehen, Sichanhören oder Sichanfühlen mehr oder weniger radikal abheben. „Sie sind uns in einer ausgezeichneten Weise sinnlich gegeben; sie werden von uns in einer ausgezeichneten Weise sinnlich erfaßt.“ (Ebd., 47) Das ästhetische Erscheinen eines Gegenstands ist dabei immer ein Spiel seiner Erscheinungen in einem jederzeit transitorischen Zustand (vgl. ebd., 55, 70). Die augenblickliche Fülle des Gegenstands wird in einem ästhetischen Verweilen erfahren

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(vgl. ebd., 85). Dieser Aufmerksamkeitsmodus erlaubt ein anschauendes Bewusstsein des eigenen Hier und Jetzt: „In der sinnlichen Präsenz des Gegenstands werden wir eines Augenblicks unserer eigenen Gegenwart inne.“ (Ebd., 62) Seel unterteilt außerdem drei Modi des Erscheinens. Die „kontemplative ästhetische Wahrnehmung“ (ebd., 150) liegt vor, wenn wir uns ganz auf das sinnliche Gegenwärtigsein von etwas beschränken – dann kommt es in seinem bloßen Erscheinen zur Wahrnehmung (vgl. ebd., 148). Das sinnlich-emotionale Gewahrsein existenzieller Korrespondenzen (vgl. ebd., 153) begreift Seel als atmosphärisches Erscheinen (vgl. ebd., 148). „Werden Objekte der Wahrnehmung hingegen als (meist imaginative) Darbietungen einer besonderen Art verstanden, haben wir es mit Formen eines artistischen Erscheinens zu tun.“ (Ebd., 148f.) Seel betont, dass Kunstwerke häufig auch Objekte eines bloßen und eines atmosphärischen Erscheinens seien (vgl. ebd., 156). Aber ihr Status sei damit nicht hinreichend erfasst: „Von den anderen Objekten des Erscheinens unterscheiden sich Kunstwerke grundsätzlich, daß sie Darbietungen sind.“ (Ebd.) Sie stellen sich in der genauen Organisation ihres Materials aus, um auf diese Weise etwas zur Darbietung zu bringen (vgl. ebd., 176) und sind damit „genuine Ereignisse des Erscheinens“ (ebd., 48). Sie führen eine Situation vor Augen, an der sie selbst Anteil haben (vgl. ebd., 136). Das Erscheinen von Kunstwerken ist daher ein performativer Prozess (vgl. ebd., 169): Wie alle anderen ästhetischen Objekte sind [Kunstwerke] Ereignisse des Erscheinens; als solchen kommt ihnen eine besondere Gegenwärtigkeit zu. Aber der Prozeß des Erscheinens ist ein performativer Prozeß, durch den sie etwas in seiner Gegenwärtigkeit zur Darbietung bringen. Die besondere Präsenz von Kunstobjekten geht zusammen mit einer besonderen Präsentation von Präsenz. (Ebd., 186)

Imagination39 spielt in Seels Ästhetik eine wesentliche Rolle. So seien Kunstwerke besondere Objekte der Wahrnehmung und zugleich besondere Objekte der Vor-

39 Nach Benthien/Weingart bedeutete Einbildungskraft in der vormodernen Begriffsgeschichte das an den Sehsinn gekoppelte Vermögen, Bilder aufzunehmen und zu speichern. Seit dem 18. Jahrhundert kommt der Einbildungskraft beziehungsweise dem gegenwärtig geläufigeren Begriff der Imagination (von lat. imāginātiō: Einbildung, Vorstellung, Fantasie) nicht mehr nur eine vermittelnde Funktion zwischen Wahrnehmung und Bewusstsein zu, sondern darunter werden nun auch „die kreativen Fähigkeiten zur Erfindung fiktiver Gegenstände und zum ‚bebildernden‘ Nachvollzug von Lektüre“ (Benthien/Weingart 2014b, 566) verstanden. Voraussetzung für diese Bestimmung ist die Aufwertung sinnlicher Erkenntnisleistung im 18. Jahrhundert (vgl. ebd., 566f.).

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stellung (vgl. ebd., 119). Sie ermöglichen „eine gesteigerte Hinwendung zur Gegenwart und eine gesteigertes Hinausgehen aus ihr, oft sogar: eine intensivierte Anschauung der momentanen und zugleich einer imaginären Gegenwart.“ (Ebd.) Die ästhetische Wahrnehmung sei jederzeit offen für eine imaginative Ausführung, Fortführung und Erweiterung; für ein sinnliches Vorstellen, das die Gegenwart des realen und präsenten Anschauungsgegenstands mit einer Vergegenwärtigung sei es allgemeiner, sei es irrealer, sei es räumlich und zeitlich unerreichbarer Verhältnisse auflädt (und damit wiederum bereichert). (Ebd., 147)

Die bisherigen Ausführungen erlauben an dieser Stelle folgende Synthese. Das ästhetische Erscheinen ist als performatives Ereignis zu verstehen, das einen bestimmten Einsatz der Sinne erfordert. Dieses Wahrnehmen geschieht um seiner selbst willen, das heißt um der affektiven Berührung willen. In der verweilenden Anschauung werden die Wahrnehmenden der eigenen, ich würde sagen: leiblichen Präsenz gewahr, weswegen es sich um eine liminale, transformierende Situation handelt. Die ästhetische Wahrnehmung erlaubt die imaginative Ausführung, Fortführung und Erweiterung des sinnlich Erfahrenen. Von hier aus ist die imaginierende Verlebendigung des Wahrgenommenen möglich, die eine Affizierung im Sinne der ästhetischen Ansteckung voraussetzt. Anthropomorphe Artefakte provozieren eine ästhetische und daher imaginierende Wahrnehmung, die selbstreferenziell und affektiv ist. Imagination meint dabei die Hervorbringung bildhafter Vorstellungen auf der Grundlage sinnlicher Erfahrung. Die Definition meines Forschungsgegenstandes lautet also folgendermaßen: Anthropomorphe Artefakte sind leblose, dezidiert plastische Dinge, denen Raumbildlichkeit eignet. Sie zeichnen sich durch Menschenähnlichkeit und Gemachtheit aus und sie provozieren eine ästhetische, imaginierende Wahrnehmung. Ausgehend von diesem Ergebnis ist der erarbeitete theoretische Rahmen auf die drei Figurationen in Kunst, Mode und Literatur anzuwenden.

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Künstlerische Figurationen anthropomorpher Artefakte

3.1 HANS BELLMER: DIE PUPPE 3.1.1 Konstruktions-Dokumente Im Mittelpunkt von Hans Bellmers Œuvre stehen anthropomorphe Artefakte. Den Werktiteln zufolge handelt es sich um „Puppen“, doch Bellmers menschenähnliche Figuren entwickeln eine ganz eigene Ästhetik und emanzipieren sich gewissermaßen von ihren Referenzmodellen.1 Die erste „Puppe“ konstruierte der Künstler 1933. Sie bestand aus einem HolzMetall-Skelett mit einfachen Scharniergelenken aus Schrauben und Bolzen. Hinzu kamen ein Kopf, ein Arm mit einer aus Holz geschnitzten Hand und zwei Beine mit hölzernen Füßen. Über den Torso, ein Bein und den Kopf legte Bellmer mit Leim Schichten aus Flachsfasern, darüber eine Schicht aus Gips (vgl. Webb/Short 1985, 30f.). Dieses anthropomorphe Artefakt war mit einer Höhe von 142 cm lebensgroß und existiert heute nicht mehr (vgl. Smith 2013, 292). Bellmer fotografierte es und sendete die Bilder an die Pariser Surrealisten Paul Éluard und André Breton. 1935 erschienen 18 dieser Fotografien in Bretons Zeitschrift Minotaure unter dem Titel Poupée, Variations sur le montage d’une mineure articulée. Ein Großteil dieser Bilder ist identisch mit den Zehn Konstruktions-Dokumenten, die hier untersucht werden sollen. Diese zehn kleinformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien veröffentlichte Bellmer 1957 in einer französischen Publikation mit dem Titel La Poupée, welche 1962 in deutscher Übersetzung erschien. Der erste Teil dieser Publikation, der wie das Buch den Titel Die Puppe trägt, beinhaltet eine Konstruktionszeichnung, den 1

Bellmers Artefakte referieren meines Erachtens insbesondere auf die Gliederpuppe im Atelier des Künstlers (vgl. hierzu Munro 2014) und die anatomische Puppe (vgl. hierzu Smith 2013, 72ff; Sykora 2002, 29ff).

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Essay Erinnerungen zum Thema Puppe und die Zehn Konstruktions-Dokumente.2 Der zweite Teil des Buchs umfasst die fotografische Serie Die Spiele der Puppe aus den Jahren 1935 bis 1937 sowie den Essay Kleine Anatomie des körperlichen Unbewussten oder die Anatomie des Bildes. Diese Serie setzt Bellmers zweites, weitaus abstrakteres Artefakt in Szene. Es handelt sich um vier artifizielle Beinfragmente, die durch ein zentrales Kugelgelenk verbunden sind. Von dieser besonders beweglichen „Puppe“ entstanden über 100 Aufnahmen. Die für diese Studie wesentlichen Aspekte des Kontrastes zwischen fragmentiertem und ganzem Körper sowie der Geschlechtsattribuierung anthropomorpher Artefakte werden am Beispiel der Zehn Konstruktions-Dokumente besonders deutlich. Daher steht der erste Teil der deutschsprachigen Ausgabe (DP) im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen. Ausgehend von der Konstruktionszeichnung mit dem Panorama im Bauch des Artefakts (Abb. 2) wird die zentrale These formuliert, um in einem zweiten Schritt das Essay und anschließend die zehn Fotografien zu analysieren. Abbildung 2: Konstruktionsskizze des Panoramas

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Grundlage dieses ersten Teils bildete das Büchlein Die Puppe von 1934, das Bellmer auf eigene Kosten von seinem Bekannten Thomas Eckstein hatte drucken lassen.

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Bei dem Panorama handelt es sich um eine hölzerne, ringförmige Trommel mit sechs Kästchen, die dem Künstler zufolge mit „kleinen Objekten, Materialien und farbigen Bildern schlechten Geschmacks“ (DP 14) gefüllt sind. Die horizontale Drehachse durchquert den Körper in der Höhe des Nabels, der das Guckloch ist. Der Knopf auf der linken Brust dient zur Betätigung. Laut Bellmer wurde Spiegelund Schaltmechanismus von seinem Bruder Fritz ausgeführt (vgl. ebd.),3 der außerdem eine Apparatur entwarf, mit der die Augen bewegt werden sollten. Diese Idee wurde jedoch nie umgesetzt (vgl. Webb/Short 1985, 30). Die Szenen in den Kästen des Panoramas sollen Bellmers Essay zufolge die „verhaltenen Mädchengedanken entblättern, damit ihre Untergründe sichtbar werden“ (DP 13). Whether Bellmer ever made six panoramas is not known but a photograph of the various parts of the Doll before assembly shows three in position, and they are said to have included a boat sinking through the ice of the North Pole and a handkerchief soiled with a young girl’s spittle. (Webb/Short 1985, 30)

Andere Kästchen sollen mit Süßigkeiten und Ausschnitten aus einem Bilderbogen der Stadt Epinal gefüllt gewesen sein (vgl. Sayag 2006, 36). Die Konstruktionszeichnung des Panoramas konzentriert zentrale Aspekte des Bellmerschen Werks. Auge und Hand werden als schöpferische Ausgangspunkte ästhetischer Verlebendigungsstrategien inszeniert. Mit dem imaginären Druck auf den Brustknopf wird uns laut Käufer unsere pygmalionische Kraft vor Augen geführt (vgl. Käufer 2006, 84). Denn der Knopfdruck verweist auf die Fotografie als künstlerisches Format, das ebenso wie das menschenähnliche Ding als „PoesieErreger“ (DP 29) zu verstehen ist. Schließlich wird der Fotografie seit ihrer Entstehung die Fähigkeit der Verlebendigung und Mortifizierung zugesprochen, was sie mit artifiziellen Körpern verbindet (vgl. Sykora 2002, 9). Es geht um einen gestaltenden Blick auf das bildlich dargestellte Artefakt, der den sexuierten,4 scheinbar menschlichen Körper überhaupt erst hervorbringt. Im Betrachten vollzieht sich die Animation des Artefakts. Zwar soll Irmelin Pritzel, die Tochter der Puppenkünstlerin Lotte Pritzel, von Bellmer als 15-Jährige in seinem Atelier eingeladen worden sein, in das Panorama 3

Munro zufolge fantasierten bereits die Brüder Goncourt „about inventing a ‚key‘ that could be inserted into a woman’s navel to control fertility“ (Munro 2014, 111).

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Der Ausdruck „Sexuierung“ findet sich ursprünglich bei Hirschauer, der feststellt, dass nicht nur Personen, sondern vielen kulturellen Objekten ein Geschlecht zugeschrieben werde (vgl. Hirschauer 2015, 27ff). Im Folgenden soll der Begriff gewissermaßen die ‚Entsubjektivierung‘ von Geschlecht unterstreichen. Vgl. auch Kap. 3.1.4.

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zu blicken (vgl. Webb/Short 1985, 30). Käufer geht jedoch davon aus, dass das Panorama sich nur als Idee darbietet, und lediglich „auf einigen Fotografien als Rohentwurf zu erahnen“ ist (Käufer 2006, 82f.). Ob Bellmer tatsächlich ein funktionierendes Panorama installierte, bleibt vor allem deswegen unklar, weil der Künstler seine Schöpfung ausschließlich im Format der Fotografie existieren ließ und sie nicht als plastisches Objekt ausstellte (vgl. Semff/Spira 2006, 9). Es ging ihm offensichtlich nicht darum, dass die Rezipierenden das Artefakt face to face betrachten und in das Panorama schauen konnten.5 Stattdessen publizierte er Fotografien, die den Blick auf die Schöpfung nur vermittelt erlauben, als Doubles des Doubles. Dies gilt allerdings für die Mehrheit der surrealistischen Puppen etwa bei André Breton, Marcel Duchamp, Paul Éluard, Max Ernst, André Masson oder Man Ray, die laut Schade nicht nur fast ausschließlich medial überliefert, sondern auch von vornherein nur zum Fotografieren hergestellt worden. Sie ‚rechnen‘ mit ihrem Fotografiert-Werden (vgl. Schade 2004, o.S.). Auch Sykora nimmt an, dass Bellmer in den primären Konstruktions- und Modifikationsakten der „Puppe“ keine eigenständige künstlerische Arbeit gesehen habe. Erst die Fotografien seien „die Erfüllung seiner Androidenfaszination“ gewesen (vgl. Sykora 2002, 220). Schließlich ist die Kamera in der Lage, das Gegebene durch Ausschnitthaftigkeit, Perspektive, Unschärfe, Komposition, Vergrößerung von Details, Schwarz-Weiß-Darstellung etc. zu verstärken und zu verfremden, so dass die Gegenstände bildlich neu verfügbar werden (vgl. Altner 2005, 35). Die „Puppe“ zeigt sich aber Marvin Altner zufolge noch in der Fotografie als ein materiell erfahrbares Objekt und stehe als solches zur medialen Reproduktion und seiner Verfügbarkeit in der Serie im Widerspruch (vgl. ebd., 207). Agnès de la Beaumelle zufolge knüpft Bellmer mit der Konstruktion seines Artefakts an die „ungeheure Popularität“ an, derer sich Mannequins, Automaten, Hampelmänner, Marionetten und Puppen in den vom Grauen des Ersten Weltkriegs geprägten Jahren 1910 bis 1920 überall in Europa und vor allem in Deutschland erfreuten (vgl. Beaumelle 2006, 41).6 Altner sieht entsprechend in den Puppen in Malerei und Fotografie aus der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten 5

In der Exposition Internationale du Surréalisme 1938 in Paris stellte Bellmer so auch nicht etwa seine anthropomorphen Artefakte aus, sondern sechs Fotografien seiner zweiten „Puppe“ (vgl. Altner 2005, 208). Die Pariser Surrealisten dagegen präsentierten aufwendig inszenierte Schaufensterpuppen, die dann von namhaften Künstlerinnen und Künstlern fotografiert wurden (vgl. Käufer 2006, 110). Nur Bellmers Demi Poupée von 1971 wurde als skulpturales Objekt ausgestellt (vgl. ebd., 80).

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Peers zufolge waren auch die 1920er Jahre geprägt von einer „universal presence of dolls in adult life. […] Dolls lounged publicly in fashionable interiors, in drawing rooms as well as bedrooms.“ (Peers 2004, 129)

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Weltkrieg „Zeichen unterdrückten Menschseins“ (Altner 2005, 213) und versteht Bellmers ersten Puppenbau als „eine Notwehr gegen den heraufziehenden Nationalsozialismus“ (ebd., 217). Doch auch persönlich-biografische Ereignisse wie „die in der Kindheit erlittene gesellschaftliche Negation [und] die anhand realer Weiblichkeit misslungene Kompensation derselben“ (ebd., 29) betrachtet Altner als Movens für die Konstruktion der „Puppe“. Diese sei ein ideales Modell, um „Bellmers kindliches Verhältnis zur Weiblichkeit zu aktualisieren“ (ebd., 22). Auch Hoffmanns Olimpia-Figur und der Besuch einer Max-Reinhardt-Aufführung von Jacques Offenbachs Oper Les Contes d’Hoffmann 1932 zählen zu den bei Altner wie in der Forschung insgesamt häufig genannten Inspirationsquellen des Künstlers. Zudem soll Bellmer durch Lotte Pritzel mit Oskar Kokoschkas „Puppe“ vertraut gewesen sein, die Hermine Moos 1919 angefertigt hatte. Altner zitiert weiterhin den vielfach erwähnten Einfluss der Cousine Ursula Naguschewski, durch die sich der Künstler angeblich inspirieren ließ (vgl. ebd., 14). In der Forschung dominieren solche biografischen und psychoanalytischen Deutungen des Werks, die sexuelle Konnotationen in den Vordergrund stellen. Exemplarisch heißt es in Stadlers „Lexikon der Kunst“: „Infolge persönlicher Umstände konstruierte [Bellmer] 1933 Die Puppe, die der Ausgangspunkt für seine erotischen Phantasien wurde.“ (Stadler 1987, 99) Laut Munro machen Künstler wie Bellmer aufmerksam auf die „intimations of a latent sexual violence between male artist and female mannequin, a body that could be controlled, manipulated and reconfigured at will.“ (Munro 2014, 8) Sie nennt sein Werk „still-shocking“ (ebd., 10). Adam Geczy konstatiert: „Bellmer’s work might easily be read as a misogynist, deeper exploration runs into more ambiguous, and sinister, conclusions.“ (Geczy 2017, 9) Sein Œuvre sei für die visuellen Künste das, was Marquis de Sade für die Literatur sei, „a tempestuous, vertiginous convulsion of the flesh in which everything is an erogenous surface to be milked, pounded, penetrated, rubbed, squeezed or bitten.“ (Ebd., 71) Dass Bellmers Werk um den adoleszenten weiblichen Körper kreise, den Geczy als Symbol für die Defloration betrachtet, „makes Bellmer’s dolls not only figures of shock and disgust, but also figures of mourning, of something indelibly, unerringly lost.“ (Ebd., 73) Susanne Baackmann erkennt in der fünften Fotografie „the most naturalistic representation of a young girl“, das lange Haar sexualisiere den „adolescent body“ (Baackmann 2003, 68). Die Figur sei gekennzeichnet von einer „fragile and vulnerable femininity“ (ebd.). Gerade deswegen nennt auch Baackmann die Fotoserie „shocking“ und fragt, ob es sich um eine „misogynist fantasy“ (ebd., 62) handle. Sie spricht von „scenarios of sadism and violence“ (ebd.). Für Horst Bredekamp haben alle Versuche, die Geschöpfe Bellmers zu erklären, den Charakter der Besänftigung eines Skandalons (vgl. Bredekamp 2015, 163).

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Die von vielen Autorinnen und Autoren wahrgenommene sexuelle Gewalt im Bild wird häufig in Bezug zu psychoanalytisch geprägten, als abnorm begriffenen sexuellen Konzepten wie Nekrophilie, Pädophilie oder infantilem Sadismus gesetzt (vgl. bspw. Werckmeister 2011, 22; Olbrich 2004, 473f.; Gendolla 1992, 218f.) – Konzepte, die sich doch eigentlich stets auf den Menschen aus Fleisch und Blut und nicht auf artifizielle Körper richten. Aus dieser Perspektive ist der Bezug zum psychoanalytischen Konzept des Fetischismus, den einige Autorinnen und Autoren herstellen, zumindest auf den ersten Blick einleuchtender. Birgit Käufer zum Beispiel versteht das künstlerische Bild des Weiblichen als Fetischisierung (vgl. Käufer 2006, 37) und den Akt des Fotografierens als Form der Kastration (vgl. ebd., 73). In solchen Ansätzen wird jedoch der Kastrationskomplex nicht hinreichend als essenzialisierendes Deutungsparadigma reflektiert. Zwar ist davon auszugehen, dass Bellmer das Werk Freuds genau kannte, ja geradezu paraphrasierte (vgl. Schade 1990, 280). Doch das Aufgreifen psychoanalytischer Ideen und das scheinbar autobiografische Verhältnis zum eigenen Werk müssen vor allem als Kreation eines Künstler-Mythos gelten. So konstatiert Smith: „The autobiographical facts leading to the creation of the dolls are well known and are emphasised incessantly to the point of becoming themselves an originary myth of genesis.“ (Smith 2013, 303) Die hier beispielhaft dargestellte Rezeption von Bellmers Œuvre in der Forschung macht nicht nur die anhaltende Bedeutung biografischer und psychoanalytischer Interpretationsmodelle in den Kulturwissenschaften deutlich. Sie gibt auch Hinweise auf die affektive Überschreitung der Bildgrenzen durch das Artefakt und die Subjektivierung von Dingen. Denn es werden Wahrnehmungserfahrungen wie Schock, Ekel oder Trauer betont und das anthropomorphe Artefakt in den Fotografien wird offenbar als Frau imaginiert – ohne zu reflektieren, wie es zur Wahrnehmung einer Szene sexueller Gewalt und zur imaginativen Ersetzung des menschenähnlichen Artefakts durch eine weibliche Person kommt. Sowohl biografische wie auch psychoanalytische Deutungen beziehen sich stark auf den Künstler und nehmen zu wenig die Betrachtenden der Fotografien als Ko-Produzierende des Bildthemas in den Blick. Die folgende Analyse soll daher einerseits die künstlerischen Subjektivierungsstrategien des fotografisch dargestellten anthropomorphen Artefakts erhellen und andererseits den Akt des Betrachtens mit den möglichen Rezeptionserfahrungen in den Vordergrund stellen. Im Sinne einer Aufführung wird der Wahrnehmungsakt als Ereignis verstanden, das individuell, einmalig und ephemer ist. Zugleich ist von einem strategischen Moment bei der künstlerischen Produktion auszugehen, das die Rezipierenden gewissermaßen manipuliert. Die Fotoserie strukturiert eine aisthetische Situation,

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ohne diese zu determinieren. So gehe ich von der grundsätzlichen Unbestimmbarkeit und Flüchtigkeit der performativen Handlung aus, gleichzeitig aber von der „ästhetischen Arbeit“ (Böhme 2013a, 35) am Bild und seiner Atmosphäre, die bestimmte Wahrnehmungserfahrungen wahrscheinlicher macht. In diesem Konzept kommen Produktion und Rezeption, planerisches Moment und realisierendes Geschehen zusammen (vgl. Merten 2006, 178). Ich knüpfe also an das oben beschriebene Konzept von Performativität an, welches die Präsenz im Gegensatz zur Repräsentation betont (vgl. von Hantelmann 2001, 255) und sich Handlungen widmet, „die nicht etwas Vorgegebenes ausdrücken oder repräsentieren, sondern diejenige Wirklichkeit, auf die sie verweisen, erst hervorbringen.“ (Fischer-Lichte 2013, 44) Als performativ verstehe ich in diesem Zusammenhang den Blickakt: Im Betrachten wird etwas erzeugt, das im Bild nicht bereits vorgegeben ist. Dieser performative Akt ist ausschließlich als ein verkörperter zu denken (vgl. ebd., 44), das heißt, er bedarf der leiblichen Anwesenheit einer beziehungsweise eines Betrachtenden. Ich fokussiere damit das performative, ästhetische Erscheinen der Fotoserie. Wie entsteht der Eindruck von Subjektivität?7 Und welche Strategien evozieren Emergenzen beim visuellen Wahrnehmungsakt? Ausgehend von den vorangegangenen Ausführungen zu Materialität, Visualität und Performativität wird die These verfolgt, dass Bellmers anthropomorphes Artefakt eine Agency entwickelt, die im Sinne der ästhetischen Ansteckung die Bildgrenzen überschreitet und den Rezipierenden transformierende leibliche Erfahrungen ermöglicht. Im Fokus auf imaginative Verlebendigungsprozesse wird untersucht, ob die Fotografien als transikonische Bilder gelten können. Dabei ist zu fragen, wie das Artefakt im visuellen Darstellungsformat in seiner Materialität erfahrbar werden kann beziehungsweise inwiefern haptische Qualitäten des Artefakts im Bild verloren gehen. Mithin wird gefragt, ob sich in der Fotoserie Die Puppe das Verhältnis zwischen männlichem Künstler und feminin codiertem Werk als kulturelles Paradigma fixiert – oder ob sie nicht vielmehr die Rezipierenden zur aktiven Bestätigung oder Infragestellung dieses Paradigmas herausfordert. Dabei wird Die Puppe als Spiel zwischen sichtbaren Oberflächen und verborgenem Innern, Fragment und imaginierter Ganzheit, Dinglichkeit und suggerierter Subjektivität analysiert.

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Dieser Eindruck wird wohl eher flüchtiger Art sein und von den Betrachtenden im Modus des ‚Als-ob‘, nicht des ‚So-Seins‘ erlebt. Im Folgenden soll es um ebendiesen womöglich unbewussten, ephemeren Eindruck gehen, dass hier ein Subjekt zu sehen ist.

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3.1.2 Visualisierte Materialität Hans Bellmers Essay Erinnerungen zum Thema Puppe erzählt die Geschichte einer Inspiration. Der Künstler fragt, wie die „jungen Mädchen in [s]eine Gedanken kamen“ (DP 10). Rekonstruiert wird die Vergangenheit über eine kontrastreiche Artefaktwelt, die in der Betrachtung einer farbigen „Glasmurmel“ (ebd.) ihren Ausgang nimmt. Herbeigelockt von diesem Wunder schmiegte sich faltiger Spitzensaum an ihre Rundungen, das verlorene Bein einer kleinen Puppe bog sich darüber hin, Zigarrenkistenholz neigte zu bedrohlicher Vertikale und sein Aufdruck verschwand oben beim Zelluloidball und den gewickelten Locken, die ihn umspielten. Dazwischen quoll eine Brust an sprödem Fächer und die seidige Schleife stieß spitz in den Kreis des blauroten Reifens, der als Gloriole Kopf und Stauung umspannte. (Ebd.)

Die geometrische Kugelform wird hier dem Winkel gegenübergestellt – ein Chiasmus, der den gesamten Text durchzieht, wenn etwa von „künstlichen Brötchen und den illusionistischen Spiegelkästen“ (DP 9), „Spitzenrüschen-Törtchen“ (DP 11) oder „weißen Tauben“ und „Rosen“ (DP 10) die Rede ist. Bellmer evoziert sprachlich die Haptik einer Dingwelt, in der feste und weiche, geschwungene und kantige, organische und artifizielle Materie amalgamieren. 8 Die Einbildungskraft entspinnt sich ausgehend von der Materialität der Dinge, die aber nur in der optischen Distanz erfahren werden. Denn die „kichernden Mädchen hinter den Zäunen“ (ebd.), die „anmaßend spielend ihre Federung an davonrennendem Reifen erprobten“ (DP 11), werden aus der Ferne beobachtet. Wie die Kamera rahmt der Zaun das Betrachtete, wobei es stets um eine visuelle Erfahrbarkeit des Haptischen geht: Standen sie nur so herum, dann war dem einwärts Geknickten, besonders bei den Knien, nicht viel mehr als das Umherstaksen junger Ziegen zuzumuten. Von vorn oder seitlich gesehen waren die Kurven weniger zum Lachen, denn die zerbrechliche Wade verstieg sich, nachdem sie in den Polstern des Knies sich ermuntert hatte, immerhin zu neugieriger Wölbung. (Ebd.)

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Das „verlorene Bein“ verweist bereits auf die Fragmentiertheit, die später in den Fotografien ausgeleuchtet wird. Die Beschreibung erinnert an die von Rilke (1996) skizzierte Dingwelt in Puppen: Zu den Wachspuppen von Lotte Pritzel.

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Das Auge folgt den Körperformen, wie die Kamera den Dinggestalten folgt, und lässt sie dabei erst entstehen. Der Künstler spricht von den „Genüssen des Abbildens“, die sich dem Fotoapparat abgewinnen ließen (vgl. DP 9f.), und fragt, ob „diese sagenhafte Distanz, ganz wie bei den Puppen, ein nötiger Bestandteil dieses Über-Süßen [war], das verfiel, wenn die Unerreichbarkeit fiel?“ (DP 12) In der distanzierenden Betrachtung wirken die Dinge als „Poesie-Erreger“ und werden zum Gegenstand einer visualisierenden Einbildungskraft. Die ersehnte „Lösung“ (DP 13) dieser in der optischen Unnahbarkeit gesteigerten Imagination findet Bellmer dann im Bau des artifiziellen Körpers: einem „Mädchen“ aus Gelenken, mit einem „Bauch als Panorama bunt elektrisch beleuchtet“ (ebd.). Bedeutete es nicht den endgültigen Triumph über die jungen Mädchen mit ihren großen beiseite stehenden Augen, wenn der bewußte Blick ihren Charme sich räuberisch einfing, wenn die Finger, angriffslustig und nach Formbaren aus, gliedweise langsam entstehen ließen, was sich Sinne und Gehirn destilliert hatten? (DP 12f.)

Die tastende Erfahrung der materiellen Formen triumphiert über den Sehsinn, wobei der bildnerische Produktionsprozess mit dem Strukturelement der Kugelform operiert: Gelenk an Gelenk fügen, den Kugeln ihren größten Drehbereich für kindliche Pose abprobieren, den Mulden sacht folgen, das Vergnügen der Wölbungen kosten, sich in die Muschel des Ohres verirren, Hübsches machen und ein wenig rachsüchtig auch das Salz der Deformationen verteilen. (DP 13)

Mit dem modellierenden, pygmalionischen Schöpfungsprozess endet der Text und die Fotoserie beginnt. An die Stelle der haptischen Erfahrung von Materialität tritt nun wiederum das Bild, die optische Distanz. Die „Lösung“ eines spürenden Gestaltens bleibt den Rezipierenden verwehrt. So steht die unerschöpfliche Materialität eines stets nur vermittelt wahrgenommenen Artefakts für eine untilgbare Inspiration ein. An seiner distanzierenden ‚Reserviertheit‘ (vgl. DP 12) steigert sich die schöpferische Imagination ins Unendliche. In der sinnlichen Widerständigkeit entwickelt das anthropomorphe Artefakt Agency, wie noch zu zeigen ist, auch wenn diese mit Gell als „passive agency“ (Gell 1998, 129) zu bezeichnen ist. Diese Agency wird eben in der Passivität, in den „Chiffren der Abwesenheit“ (Altner 2005, 8) spürbar. Denn diese Leerstellen fordern die Imagination der Betrachtenden heraus. Die im Essay beschriebene ‚Reserviertheit‘ des Artefakts überträgt sich auf die Rezipierenden, für welche es nur visuell erfahrbar ist, in Fotografie, Zeichnung und Text. Bellmer strukturiert

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eine Betrachtendenposition, die der im Text entworfenen gleicht: In der Visualisierung von Materialität eröffnet sich Raum für die imaginative Erweiterung. Die an das Essay anschließende fotografische Serie scheint auf den ersten Blick den künstlerischen Prozess der Konstruktion eines anthropomorphen Artefakts abzubilden. Dies verspricht schon der Titel. Diese Erwartung wird jedoch enttäuscht. Müller-Tamm/Sykora sprechen von einer „schrittweisen Einkleidung“ der Figur, um die Betrachtenden dann in „überraschenden Bildwechseln wieder mit deren Entschälung, Zerteilung und Neukombination“ zu konfrontieren (vgl. Müller-Tamm/Sykora 1999, 83). Für die Inszenierung des anthropomorphen Artefakts in der fotografischen Serie sprechen im Wesentlichen zwei Argumente. Erstens analogisieren die Einzelaufnahmen die Konstruktion des idealen Körpers aus perfekten Einzelteilen. Am Ende des mit der Serie ins Bild gesetzten Konstruktionsprozesses steht nicht der Normkörper, sondern der groteske Körper. Die Serie stellt sich also als kunstanatomische Studie mit dem Ziel der Konstruktion des Idealkörpers dar, die dann jedoch die Idee der Normkörperlichkeit Bild für Bild dekonstruiert. Zweitens verweist Bellmer auf die Mehransichtigkeit des Körpers in seinen Kubikdimensionen, wenn er mit der fotografischen Serie arbeitet. Dem dreidimensionalen Körper fehlt im Format der Fotografie die Polyperspektivität. Dies wird scheinbar wieder wettgemacht, indem mehrere Ansichten der Puppe ins Bild gesetzt werden. Doch immer aufs Neue werden die Betrachtenden enttäuscht. Schließlich inszeniert Bellmer zuallererst den fragmentierten Körper, den er eben nicht zum idealen ganzen Körper zusammenfügt, von dem dann auch mehrere, ideale Ansichten existieren würden, die sich wiederum in den Augen der Betrachtenden zu einer (fiktiven) Einheit fügen würden (vgl. hierzu Winter 2006a, 2006b). Damit betont die Serie aber die Fragmentierung des Körpers im Blick. Denn das „Sehen von Ansichtsseiten vereint den Körper nicht, sondern teilt ihn auf.“ (Weltzien 2001, 457) Die fotografische Serie als Darstellungsformat dient Bellmer also primär dazu, die Rezipierendenerwartungen von der Perfektion des Kunstwerks und der Produktion des Idealkörpers zu brechen. Gleichzeitig reflektiert er mit diesem künstlerischen Format seinen Bildgegenstand, das anthropomorphe Artefakt: Die „Puppe“ als Nachbildung des Menschen wird in der Fotografie wiederum verdoppelt und multipliziert sich in der fotografischen Serie weiter. „A doll, is a doll, is a doll… ihre Metamorphosen kennen weder Start- noch Zielmarkierung.“ (Käufer 2006, 85) Anhand der Zehn Konstruktions-Dokumente werden nun die für die oben formulierte Fragestellung wesentlichen Aspekte überblicksartig dargestellt, um anschließend zwei Fotografien genauer in Bezug auf Fragmentierungen und geschlechtlich inszenierte Blickordnungen zu untersuchen.

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Abbildung 3: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 1

Die erste Fotografie (Abb. 3) zeigt ein menschenähnliches Holz-Metall-Gerüst. Die Figur, die an eine Gliederpuppe für kunstanatomische Studien erinnert, sitzt auf einem Hocker, der sich augenscheinlich auf einer Türschwelle befindet. Diese Position in einer räumlichen Übergangszone lässt die Betrachtenden ein Vorher und Nachher imaginieren. Zugleich spiegelt die Schwelle laut Käufer die Position der Betrachtenden, die schauend die Bildgrenzen überschreiten (vgl. ebd., 117). Der Türrahmen wiederhole den Kader des fotografischen Bildes: „Das Rahmenmotiv visualisiert ein- sowie ausgegrenzte Bereiche und funktioniert damit als Rekurs auf den fragmentarischen Charakter der Fotografie selbst.“ (Ebd., 76) Dieses deiktische Arrangement erzeugt einen visuellen Fokus und weist das innerhalb des Rahmens Gezeigte als ästhetisches Objekt aus.

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Abbildung 4: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 2

Der Torso der menschenähnlichen Figur ist im zweiten Konstruktions-Dokument (Abb. 4) plastisch geformt. Zugleich fehlen Teile, die sie als Gliederpuppe besaß. Bellmer reduziert gerade paarig vorhandene Körperteile wie die Extremitäten. Diese Reduktion kongruiert mit der Profilansicht, welche nach Weltzien die Symmetrie der Spiegelachse des menschlichen Körpers entfernt (vgl. Weltzien 2001, 441). Mit der Inszenierung des fragmentierten Artefakts im Profil potenziert der Künstler also die „Markanz der Profillinie, die zur Kontur gewordene linea alba“ (ebd.) und spielt auf diese Weise mit der Unvollständigkeit der menschenähnlichen Figur. Die Profilansicht gilt aber Stoichita zufolge seit der Renaissance als besonders geeignet, die prinzipiell unsichtbaren Eigenschaften der Seele abzubilden (vgl. Stoichita 2011, 194). Auch der installierte Schatten betont zwar auf den ersten Blick das fehlende ‚Innenleben‘ des Kopfes. Doch mythologisch gilt der Schatten als Spiegelbild der Seele oder auch als Doppelgänger. Der Schattenriss thematisiert also einerseits die Frage nach der Subjektivität der Figur und verdoppelt in einem Spiel mit Serialität andererseits das in der Fotografie bereits duplizierte anthropomorphe Artefakt.

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Abbildung 5: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 3

Die Zeichnungen im Hintergrund von Fotografie 3 (Abb. 5) verweisen auf die Vermessung des menschlichen Körpers, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch für die chirurgische Gestaltung menschlicher Körper eine Rolle spielt (vgl. Ramsbrock 2011, 268). Mit dem rechteckigen Format der Konstruktionsskizze, vor der sich das menschenähnliche Artefakt positioniert, wird außerdem das von Käufer angesprochene Rahmenmotiv wiederholt. Das Erscheinen des Künstlers und die geschlechtlich codierten Blickordnungen in diesem Bild werden in Kapitel 3.1.4 detailliert erörtert.

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Abbildung 6: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 4

Von nun an arrangiert Bellmer fast nur noch am Boden liegende materielle Ensembles und nutzt als Kameraperspektive die extreme Aufsicht. Diese Inszenierung unterstreicht die Dinglichkeit des Abgebildeten und irritiert dadurch den Betrachtendenblick, der in den materiellen Bruchstücken dennoch Spuren von Subjektivität erkennt. So liegt die anatomische Zeichnung, die in der dritten Fotografie an der Wand hing, im vierten Konstruktions-Dokument (Abb. 6) auf dem Boden, darauf in geometrischer Anordnung die artifiziellen Körperfragmente: ein plastisch modelliertes Bein, ein Gestänge mit hölzernem Fuß, ein maskenhaftes Gesicht, ein geöffneter Torso, eine Hand mit auffällig abgespreiztem kleinen Finger, zwei angewinkelte Gestänge, die als Arme dienen könnten, das hölzerne, ringförmige Panorama, daneben zwei Kugeln sowie ein Haarzopf. Bellmer macht hier scheinbar die eigene Arbeitsweise transparent, mystifiziert sie aber vielmehr. Er zeigt die Schöpfung des anthropomorphen Artefakts als planbaren, geordneten Prozess, der jedoch genauso als Konstruktion wie als Destruktion funktioniert.

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Abbildung 7: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 5

Die Präsentation eines artifiziellen Torsos im fünften Konstruktions-Dokument (Abb. 7) entspricht den visuellen Darstellungstraditionen insbesondere weiblich codierter Körperlichkeit im westlichen Kulturkreis. Der fragmentierte Oberkörper ist vollständig plastisch modelliert und in weiße Wäsche gebettet. Das Glasauge in der Bildmitte verweist nicht nur auf die Vergeblichkeit der Suche nach einer Seele, die durch den Blick ins Innere des artifiziellen Körpers immer schon Thema ist. Das Auge schaut auch aus dem Zentrum des Bildes heraus und begegnet den Betrachtenden. Es reflektiert ihren Blick auf einen normativ dargestellten weiblich codierten Körper und irritiert dadurch den geschlechtlich bestimmten Blickakt. Das Glasauge verweist selbstreferenziell auf den Akt der Bildrezeption.

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Abbildung 8: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 6

Vollständiger ist das anthropomorphe Artefakt wieder im sechsten KonstruktionsDokument (Abb. 8). Diesmal wird die Rückseite des artifiziellen Körpers ausgeleuchtet, nicht die Vorderseite des Torsos. Diese Fotografie wird in Kapitel 3.1.3 detailliert beschrieben.

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Abbildung 9: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 7

Im Mittelpunkt der siebten Fotografie (Abb. 9) steht eine Rose, die vertikal durch das Bild verläuft und deren Blüte unterhalb des Gesichts des anthropomorphen Artefakts platziert ist. Der floral gemusterte Untergrund greift diese Symbolik auf. Im Negativ werden allerdings die Konnotationen der Rose zu Unschuld, Reinheit und Jungfräulichkeit verkehrt. Dafür leuchten der Riss im Schädel sowie Bauchnabel, Brustwarzen und die Scham strahlend weiß heraus. Einmal mehr verdoppelt sich das anthropomorphe Artefakt im Negativ, welches aber die Dimensionen des artifiziellen Körpers negiert und ihn mit der Rosenblüte und den textilen Mustern amalgamieren lässt. Während in allen anderen Konstruktions-Dokumenten Plastizität gestaltet wird, inszeniert Bellmer hier in surrealistischer Manier eine die körperhaften Grenzen der Artefakte auflösende illusorische Flächigkeit.

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Abbildung 10: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 8

Das anthropomorphe Artefakt wird in der achten Fotografie (Abb. 10) gewissermaßen in der Begegnung mit sich selbst inszeniert. Der von dunklem Tüll beinahe kreisförmig umflossene Kopf scheint einem fremden Torso zugewandt, der wiederum auf weißer Spitze platziert ist. Der leicht geöffnete Mund des Gesichts ist zur Brust gewendet. Die Augäpfel fehlen in den dunklen Augenhöhlen. In der Konstruktionsskizze (Abb. 2) war es das Auge, das buchstäblich in dem artifiziellen Torso etwas sieht: Es ist der schöpferische Blick, der die gewissermaßen blinde Materie belebt. Die Gestaltung weiblicher Züge und Körperformen sowie die textilen Drapierungen tragen auch in dieser Fotografie zur Sexuierung der Figur bei, obwohl es sich lediglich um artifizielle Körperfragmente handelt. Die im Essay angesprochene Kugelform wird in der visuellen Inszenierung als harmonisierendes und strukturierendes Moment künstlerischer Gestaltung erfahrbar.

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Abbildung 11: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 9

Die neunte Fotografie (Abb. 11) stellt ein vergleichbares Arrangement artifizieller Körperglieder dar, wieder ist der Torso frontal zu sehen und wird diesmal nicht von Stoff verhüllt. Auf Taillenhöhe ist der Kopf in Profilansicht positioniert, dazwischen der dunkle Haarzopf. Während die Konstruktionszeichnung den Betrachtendenblick in das Bauchpanorama visualisiert hatte, weist der Blick des anthropomorphen Artefakts hier vom Bauch fort. Bellmer installiert in der Blickrichtung der Figur stets ihr Unvermögen, sich selbst sehen zu können und forciert gleichzeitig mit dem passiv abgewandten Blick ein aktives Blicken der Rezipierenden. Die Irritation des Betrachtendenblicks erfolgt jedoch erneut durch das separat platzierte Glasauge, das unterhalb des Torsos am Oberschenkelansatz auf zwei Kugeln gesetzt ist. Es verweist auf die optische Fixierung der Dingwelt durch die Linse der Kamera und nimmt außerdem den Blickakt der Rezipierenden vorweg. Vervielfacht wird das Kugelmotiv durch einen runden Gegenstand über dem mittig platzierten Kopf, eine Glasmurmel oder ein Schneckengehäuse. Den Untergrund bildet als visuellen Kontrast zur Kugelform ein gestreiftes Laken. Unter der Mundpartie ist ein Stück weiße Wäsche zu erkennen.

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Abbildung 12: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 10

Eine Rosenblüte ist im zehnten Konstruktions-Dokument (Abb. 12) zwischen zwei Beinfragmente gebettet, um welche erneut weiße Wäsche gewickelt ist. Ein schwarzer Absatzschuh ist auf Fußhöhe platziert und ein helles Band windet sich links und rechts um die Beinfragmente. Als Untergrund dient ein dunkler Stoff mit hellen floralen Ornamenten. Auch diese Fotografie inszeniert eine dingliche Groteske, in der die spezifische Materialität verschiedener Artefakte konfrontiert wird und sich im Blick transformiert: Im Bild treten die Dinge in ihrer Abgrenzung hervor, scheinen aber jederzeit offen für eine verschmelzende Metamorphose. Zugleich haftet jedwedem Artefakt der Fotoserie eine Spur von Subjektivität an: Stoffe, Kugelformen, Blüten, artifizielle Körperteile – all diese Dinge evozieren die Zugehörigkeit zu einer Person. Indem Bellmer seiner Fotoserie den Titel Die Puppe gibt, forciert er eine klassische Pars pro Toto-Relation. Denn mit dieser letzten Fotografie wird verdeutlicht, dass jedes noch so groteske Bruchstück im Blick zur „Puppe“ werden kann.

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3.1.3 Fragmentierte Perspektiven Diese fragmentarische Grundstruktur soll nun durch eine detaillierte Untersuchung der sechsten Fotografie (Abb. 8) erhellt werden. Das Bild wird zunächst in Anlehnung an Panofskys Bildhermeneutik (Panofsky 2006) vor-ikonografisch, das heißt formal beschrieben, um anschließend durch die ikonografische Analyse zu einer ikonologischen Interpretation zu gelangen. Gefragt wird nach der Funktion des Fragments bei der Animation des Artefakts. In der hochformatigen Schwarz-Weiß-Fotografie lehnt im Bildvordergrund eine menschenähnliche Figur in einer Torsion mit dem Rücken zu den Betrachtenden an einer Wand. Diese blicken in normaler Aufsicht auf die Figur, eine vergleichsweise intime Perspektive. Ihre Hüfte berührt die Wand, ist jedoch leicht achsenverschoben, so dass der Stand instabil wirkt. Ihr Kopf dreht sich in einer Dreiviertelansicht über die rechte Schulter nach hinten zu den Betrachtenden der Fotografie. Dadurch ist nur ein Auge deutlich zu erkennen, die Kontur der ebenmäßigen Nase bestimmt die Ansicht. Der Mund ist leicht geöffnet, aber nur halb zu sehen. Über den bloßen Schädel verläuft vertikal ein langer dunkler Riss. Die Figur legt ihr Kinn auf der rechten Schulter ab, der Blick geht über diese Schulter nach links aus dem Bild hinaus. Ihr Blick scheint die Aufmerksamkeit von jemandem oder etwas außerhalb der Bildgrenzen zu suchen. Ein augenscheinlich am Hinterkopf angebrachter, langer dunkler Haarzopf fällt über die linke Schulter und den Rücken. Das Gesicht ähnelt einer Maske, die in einer scharfen Kante dort endet, wo der Hinterkopf ansetzen würde. Anstelle eines rechten Arms ist lediglich ein Schulterfragment erkennbar. Ein linker Arm ist auf dem Bild ebenfalls nicht zu sehen. Das Holz-Metall-Skelett des linken Beines ist nicht mit Gips ummantelt. Es führt schräg in Richtung des Bodens und verstärkt den Eindruck von Instabilität. Der rechte Oberschenkel ähnelt einem menschlichen Bein, weist allerdings eine quadratische Auslassung im Material auf. Die gipserne Körperoberfläche ist uneben und rau. Die Figur trägt ein geripptes Unterhemd, das in weiten Falten über den Oberkörper fällt. Ein Träger auf der rechten Schulter hält es in Form. Die Gestalt ist vom Unterhemd abgesehen unbekleidet, so dass das Gesäß durch den Kontrast seiner Nacktheit zum vom Hemd weitgehend bedeckten Oberkörper visuell abgegrenzt ist. Die Schultern wirken, auch durch die Torsion der Figur, vergleichsweise schmal und werden links durch das Haar bedeckt, wodurch der Fokus auf die entblößten Partien noch verstärkt wird. Der Schiefstand der Figur entspricht dem Fehlen von Horizontal- oder Vertikalachsen im Bild, was wiederum einer

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schrägen Kameraperspektive geschuldet ist.9 Der dadurch ebenfalls schräge, nur teilweise sichtbare Zimmerwinkel im Bildhintergrund läuft allerdings parallel zur Körperachse der Figur, die sich vom Gesäß zum Hals hinauf ziehen lässt: Die linea alba stellt auch hier die Frage nach der Symmetrie der anthropomorphen Figur. An der Wand rechts im Bild wirft die menschenähnliche Gestalt einen schmalen Schatten. Die Lichtquelle dürfte sich links befinden, ihr Blick weist ebenfalls in diese Richtung. Links schräg hinter ihr ist eine leicht geöffnete Tür erkennbar. Die starke Beleuchtung von hinten teilt die Fotografie kompositorisch in eine vornehmlich helle rechte und eine dunklere linke Seite. Gebrochen wird diese Aufteilung durch den dunklen schmalen Schatten in der rechten Bildhälfte und das leuchtend weiße Unterhemd im Zentrum der Fotografie. Der Zimmerwinkel wird von der Figur weitgehend verborgen. Ihr Blick ist diesem Fluchtpunkt entgegengesetzt, doch die Blickrichtung verläuft parallel zur Türkante unten links, so dass ein ebenfalls verborgener, zweiter Fluchtpunkt außerhalb des Bildraums entsteht. Die Fotografie ist erstens formal durch Instabilität bestimmt. Es gibt keine horizontale Gerade, die den Betrachtenden die Orientierung im Bildraum erleichtern würde. Die dunkle linke Bildhälfte gibt Hinweise auf ein Interieur, jedoch kann nicht sicher ausgemacht werden, wo genau sich die Figur in diesem Raum befindet. Zwar vermittelt die Nahaufnahme den Eindruck, direkt neben der Figur zu stehen. Tatsächlich ist jedoch nur wenig zu erkennen, gerade auch vom sie umgebenden Raum. Die Instabilität ihrer Pose – der Schiefstand der Hüfte, das prothetische linke Bein sowie die Torsion des Kopfes – erzeugt vielfältige Raumrichtungsbezüge. Gleichzeitig fehlen Horizontal- oder Vertikalachsen. Das Ergebnis ist ein verunsicherter Betrachtendenstandpunkt. Das Bild ist zweitens durch das bestimmt, was wir nicht sehen: Wortwörtlich bleibt vieles im Dunkeln. Eine Rückenfigur soll die Betrachtenden für gewöhnlich die Räumlichkeit nachempfinden lassen, auf welche die Figur blickt. Handelt es sich um ein Interieur, sind Innerlichkeit und Privatheit als Bildthemen denkbar. Doch wir sehen vom Raum kaum etwas. Der Bewegungsradius der Figur wird vielmehr von der Wand im Bildhintergrund sowie von vorn durch die Kamera begrenzt. Es entsteht der Eindruck von Beengtheit. Die vielfache Richtungsorientierung der Figur weist deutlich über den Bildraum hinaus, allem voran der Blick. Dieser fällt mit der Lichtquelle zusammen, die die entblößten Körperpartien des Rückenhalbaktes den Blicken der Bildbetrachtenden freigibt. Somit ist insbesondere von Interesse, was im Außerhalb des Bildes liegt: Es wird ein Beobachter suggeriert, den die Betrachtenden der Fotografie nicht sehen können – welcher 9

Solche Schrägperspektiven waren insbesondere im deutschen expressionistischen Film der 1920er Jahre verbreitet.

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aber ihre Position reflektiert. Es entsteht eine Atmosphäre der Bedrängnis, die nicht nur von dem suggerierten Beobachter in der Bildwelt ausgeht, sondern ebenso von den Betrachtenden der Fotografie. Beide drängen die Figur in eine ausweglose Position und erzeugen eine räumliche Enge. Das Betrachten des Fotos eröffnet damit eine liminale Szenerie, deren Vorher und Nachher unbestimmt ist. Diese Konfliktsituation, die sich aus der Bildbetrachtung ergibt, hängt entscheidend mit der Struktur des Fragments – dem Wortursprung nach das Zerbrochene – zusammen. Bellmers Werk fügt sich in dieser Hinsicht in die Darstellungen des menschlichen Körpers in der Kunst des 20. Jahrhunderts, die nach Zimmermann grundsätzlich durch Phänomene der Fragmentierung, Destruktion und Auflösung der Körpergrenzen gekennzeichnet sind (vgl. Zimmermann 2001, 31). Am Beispiel der beschriebenen sechsten Fotografie wird nun exemplarisch untersucht, wie Bellmer das Fragment in den Zehn Konstruktions-Dokumenten eine ideelle Ganzheit suggerieren lässt. Fokussiert werden der Konstruktionscharakter des artifiziellen Körpers, die Suggestion eines fragmentierenden Blicks und die fragmentarische Körperoberfläche. Zudem wird zu fragen sein, wie sich die Signatur des Fragments in den Darstellungsformaten, die der Künstler wählt, wiederfindet. Als isolierter Teil dieses hybriden Körpers fällt der lange dunkle Haarzopf ins Auge. Er legt den artifiziellen Körper nicht nur auf Weiblichkeit fest, er betont auch die Differenz zwischen Leben und Tod, die für das Motiv des artifiziellen Körpers so wichtig ist. Das Haar verweist auf das Lebewesen, dem es gehörte, so dass das leblose anthropomorphe Artefakt im übertragenen Sinne mit Leben versehen wird. Zugleich konnotiert der abgeschnittene Zopf den Tod, da Haare wie auch Knochen und Zähne sich so langsam zersetzen, dass sie „eine Dauerhaftigkeit besitzen, die für endliche Wesen, wie es die Menschen sind, einen besonderen Reiz darstellt.“ (Stephan 2001, 28) Das Haar ist außerdem zusammen mit den Fingernägeln der einzige nachwachsende Körperteil und dient daher seit jeher der Erinnerung an Abwesende und Verstorbene oder deren Vergegenwärtigung in magischen Zusammenhängen (vgl. Gerchow 2002, 19). Während der Haarzopf des anthropomorphen Artefakts tatsächlich ein Körperfragment ist, wird dessen Rückansicht in einem Entblößungsmotiv visuell fragmentiert. Große Falten werfend endet das weite Unterhemd genau auf den Hüften. Die helle Lichtquelle und das Fehlen von Armen und Beinen verstärken noch diesen visuellen Fokus auf dem Gesäß. Bestimmte Körperzonen in einem Spiel aus Be- und Entkleiden ästhetisch zu isolieren, ist eine konventionelle ikonografische Struktur in der Kunstgeschichte. Durch die partielle Entblößung wird der Blick auf bestimmte Körperteile gelenkt und visuelle Aufmerksamkeit erzeugt. Dadurch vollzieht sich gleichzeitig eine Fragmentierung des Körpers durch den Blick. Nach

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Weltzien ist das Körperbild nicht die Darstellung des Körpers, sondern die Darstellung seiner Wahrnehmung (vgl. Weltzien 2001, 456). So entsteht auch der artifizielle Körper nicht durch eine wirklichkeitsgetreue Nachahmung, sondern über die Anschauung, die Teile des Körpers fokussiert und andere vernachlässigt. Der Blick ist es, der Körper immer schon zerteilt. Beim Bild des Rückens geht es laut Weltzien um die Differenz zwischen sichtbar und unsichtbar (vgl. ebd., 442).10 Dadurch, dass die menschlichen Augen beide in dieselbe Richtung blicken, gebe es eine Seite des Körpers, die dem Sehen gewissermaßen abgewandt sei: „Im Bild des Rückens erscheint so die Unmöglichkeit, mit einem Blick den vollständigen Körper wahrnehmen zu können.“ (Ebd., 439) Der Blick der menschenähnlichen Figur über die Schulter verdeutlicht aber nicht nur die Unfähigkeit, sich vollständig zu sehen. Er deutet auch die Existenz eines Beobachters innerhalb der Bildwelt an, dem ihr Blick zu gelten scheint. Das Arrangement suggeriert die optische Kontrolle dieses Beobachters über das anthropomorphe Artefakt. Tatsächlich ist er aber nicht zu sehen: Der suggerierte Beobachter bleibt eine Leerstelle. Damit verweist die Fotografie auf die aisthetische Situation der Rezipierenden. Denn sie sind es, die dem selbstbezüglichen Blick des Artefakts folgen und auf dessen entblößte Rückansicht blicken. Sie werden als Partnerinnen und Partner evoziert. Bellmer unterstreicht die beschriebene Fragmentierung des Körpers im Blick, indem er den sexuierten artifiziellen Körper auch real fragmentiert. Nach Werckmeister entstehen die sexuellen Suggestionen gerade durch die Auflösung des weiblichen Körpers in seine Einzelteile und deren unorganische Zusammensetzung (vgl. Werckmeister 2011, 17). Altner spricht von einer „sexuell konnotierten Groteske in Bellmers Werk“ (Altner 2005, 215). Die Fotoserie bricht mit visuellen Darstellungskonventionen weiblich codierter, ganzer und abgeschlossener Körperlichkeit und lenkt so den Blick auf die spezifische Materialität dieses Körpers. Die Groteske des sexuierten Körpers individualisiert ihn, so dass eben durch die ‚Versehrtheit‘ Subjektivität suggeriert wird. Im Spiel mit visuellen Aufmerksamkeiten wird das menschenähnliche Artefakt gerade in der fragmentierten Körperlichkeit zum subjektivierten Akteur. Ähnliches gilt für die Darstellungsweise der Körpergrenzen. Oben wurde Gells Idee vorgestellt, wonach anthropomorphe Artefakte durch die Gestaltung der Körperoberfläche Innerlichkeit suggerieren können: „Paradoxically, the development of idols which depict the visible, superficial, features of the human body make possible the abduction of the ‚invisible‘ mind, awareness, and will form the visible image.“ (Gell 1998, 132) Interessanterweise evoziert Bellmers 10 Weltzien weist auch darauf hin, dass der Rücken als Motiv im Mittelalter insbesondere in der Groteske eine bedeutende Rolle spielt (vgl. Weltzien 2001, 443).

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Artefakt den Eindruck von Subjektivität nicht über eine idealisierende Opazität, sondern über die Permeabilität des artifiziellen Körpers. Die poröse Körperoberfläche suggeriert ein osmotisches Verhältnis von Körper und Umwelt und spielt damit auf Leiblichkeit an. Die Durchlässigkeit der Oberfläche lässt die Existenz eines inneren Wesens imaginieren, eines Subjekts, das sich in dieser individuellen Körperlichkeit artikuliert. Es ist die visuell vermittelte Haptik, die die Individualität des Körpers entstehen lässt und die Subjektivierung erlaubt. Abbildung 13: Die Puppe (Detailansicht)

Nach Bachtin ignoriert die Groteske die gleichmäßige und glatte Oberfläche des Körpers und fixiert nur seine Auswölbungen und Öffnungen, das, was über die Grenzen des Körpers hinaus- und das, was in sein Inneres führt (vgl. Bachtin 2006, 359). Interiorität und Exteriorität des Körpers verlaufen sich in Ununterscheidbarkeit. Die Oberfläche von Bellmers anthropomorphen Artefakt ist übersät mit Bergen und Abgründen, Öffnungen, Rissen, Unebenheiten (vgl. Abb. 13). Sie bilden das „Relief des grotesken Körpers“ (ebd.) und ermöglichen den Betrachtenden beinahe haptische Erfahrungen. Die Augen folgen der Textur der Körperoberfläche, so dass die spezifische Materialität des plastischen Objekts erahnbar wird. Die Oberflächenbildung als Relief ermöglicht erst den Nachvollzug des Plastischen über den Blick. Sie evoziert ein tastendes Sehen (vgl. hierzu Winter 2006b, 53) oder, mit Benthien gesprochen, einen skulpturalen Blick, „der die Proportionen und den Bau der Formen erforscht“ (Benthien 2001, 133). So werden Gips, Holz und Glas zu Haut, Knochen und Augen. In der visuellen Kontemplation auf

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der gestalteten Materialität wird die Verlebendigung möglich, die Bellmers Schöpfung menschlich erscheinen lässt. Dass die Oberfläche dieses anthropomorphem Artefakts Öffnungen, Porosität und Austausch zeigt, bedeutet einen Tabubruch, durch den „die klaren Umrisse der mit Macht, Kontrolle und Sicherheit konnotierten Denkkategorien“ (Hentschel 2001, 47) verloren gehen. Die Fotografien zeigen die poröse Haut mit ihren Löchern und Öffnungen, die laut Baudrillard für gewöhnlich zugunsten einer zweiten Haut negiert wird (vgl. Baudrillard 2005, 164). Die Nacktheit des anthropomorphen Artefakts wird hier jedoch zunächst nicht ‚verglast‘, der Körper wird nicht in „einen Zustand der Reinheit, der makellosen Abstraktion“ (ebd.) versetzt. Stattdessen ist es erst die Linse der Kamera, die den artifiziellen Körper nachträglich versiegelt und somit den Rezipierenden die tatsächlich haptische Erkundung dieser Oberfläche verbietet. Doch in der ästhetisch-imaginativen Anschauung wird dieser nur fotografisch vermittelte, tabubesetzte Körper über den Sehsinn hinaus erfahrbar. Gernot Böhme zufolge kann der gestimmte Raum „im Bild immer nur indirekt mitgeteilt werden, nämlich durch die Elemente, die für die Erzeugung seiner Atmosphäre relevant sind.“ (Böhme 2013b, 126) Ein Foto sollte daher die Möglichkeit schaffen, am Bild selbst Erfahrungen zu machen, die man eigentlich in der Anwesenheit machen würde (vgl. ebd.). Da der Raum in der Totale, das heißt in der Erfahrung, rundherum von ihm umgeben zu sein, im Bild nicht darstellbar ist, müssten die Betrachtenden Böhme zufolge quasi als Avatare in den Raum der Darstellung, also in das Bild hineingenommen werden (vgl. ebd., 127). Bellmers Fotografien fordern über die Signatur des Fragments ein solches imaginatives Eintauchen heraus, ein Überschreiten der Bildgrenzen. Dabei kann der eingefangene Moment zur Szene mutieren. Denn in einem formalen Arrangement, in der Gestaltung von Formen und Linien, generiert die Fotografie Bewegungs- und Raumsuggestionen. Marquard Smith bezeichnet Bellmers Bilder als „a nature mort, a pose plastique or as part of a tableau vivant, as part of either a still life or a moving picture“ (Smith 2013, 294). In der Fotografie, die einen Moment aus dem Zeitfluss herausgreift und fixiert (vgl. Sykora 2002, 258), verbinden sich Bewegungslosigkeit und suggerierte Bewegung in einer spannungsvollen Weise. Die Inszenierung des Artefakts drückt insbesondere in ihrer Instabilität und in dem suchenden Blick Momentaneität aus, sie erzeugt unmittelbare Präsenz (vgl. hierzu Winter 2006a, 21). Dieser im Bild fixierte, fruchtbare Augenblick lässt es umgekehrt wieder zu, eine Szene zu imaginieren. Die menschenähnliche Figur oszilliert zwischen eingefrorener Pose und angedeuteter Bewegung. Ist die Fotografie also in ihrer zeitlichen Ausschnitthaftigkeit

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dem Fragment vergleichbar,11 ist es gerade diese Unvollständigkeit, die die imaginierende Erweiterung des fixierten Moments motivieren kann. Wie Pygmalion, der ein Kunstwerk schafft, das ihm noch vor der Belebung durch Venus lebendig erscheint, so sind auch die Rezipierenden Schöpfer des lebendigen Kunstwerks. Käufer zufolge animieren uns die Möglichkeiten des Zerlegens und Zusammensetzens der „Puppe“, die einzelnen Körperteile zu verbinden und neue Formationen zu imaginieren (vgl. Käufer 2006, 77). Nicht nur die Körperteile, auch die einzelnen Fotografien der Serie, wiederum verstanden als Fragmente, können die pygmalionischen Betrachtenden in einer großen Zahl von Variationsmöglichkeiten imaginativ zusammenfügen und auseinandernehmen – ohne aber im Ergebnis je Kohärenz zu erhalten. Das gilt ebenso für die Bezüge zwischen den verschiedenen künstlerischen Formaten, Essay, Zeichnung und Fotografie, die keine Einheit bilden. Der Versuch, eine Eindeutigkeit des Bildes über den Text zu erlangen oder vice versa kann Käufer zufolge nur in Ansätzen gelingen – „vielmehr reichern sich beide gegenseitig mit Assoziationen an“ (ebd., 50). Und schließlich betrifft die fragmentarische Struktur auch das Buchformat. Laut Käufer schürt das taktile Wenden der Seiten die Hoffnung, dass sich das Puzzle zu einem Ganzen fügen wird. „Die mit der taktilen Erfahrung real gewordene Berührung scheint die Handhabbarkeit der Puppe zu verheißen, doch über das fotografische Bild bleibt ihre Unerreichbarkeit evident.“ (Ebd., 78) Während das ausgestellte plastische Artefakt den Rezipierenden erlaubt hätte, in der eigenen Bewegung mehrere Ansichten des Artefakts zu generieren und mehr als nur visuelle Sinneserfahrungen zu gewinnen, reglementiert Bellmer in der Fotografie die ästhetische Erfahrung der Betrachtenden. Er forciert einen kontemplativen Blickakt auf dem nur visuell verfügbaren ästhetischen Objekt. In dieser verweilenden Aufmerksamkeit entsteht aber ein wahrnehmendes Bewusstsein des eigenen Hier und Jetzt (vgl. Seel 2000, 62). Es kommt zur intensivierten Anschauung der momentanen und zugleich einer imaginären Gegenwart (vgl. ebd., 119). Die Unvollständigkeit des anthropomorphen Artefakts und seiner Darstellung wird sodann mit der Imagination, als einer auf sinnlicher Erkenntnis beruhenden Fähigkeit zur Erzeugung bildhafter Vorstellungen, überwunden. Dabei kann jede Fotografie, jede Buchseite und jedes Körperfragment „Poesie-Erreger“ sein und die Fiktion einer weiblichen Figur erzeugen, wo wir doch eigentlich stets nur artifizielle Körperteile zu sehen bekommen. Die Leerstellen – und das betrifft sowohl das anthropomorphe Artefakt wie auch die künstlerischen Darstellungsformate – stimulieren eine imaginative Ergänzung durch die Betrachtenden. Das 11 So betrachtet Brändle das fotografische Format ganz generell als Fragment (vgl. Brändle 2007, 97f.).

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Fragment evoziert eine Vervollständigung, eine Dynamisierung, Sexuierung, Subjektivierung und ‚Verleiblichung‘ des Artefakts. Bellmer erschafft also die schaffenden Betrachtenden. Weil aber der verweilende Blick auf diesem porösen, fragmentierten Körper ein tabuisierter ist, eröffnet sich den Betrachtenden gleichzeitig ein Konflikt. In der schauenden Neuerschaffung des Dargestellten wird der Tabubruch der Rezipierenden thematisch und ihre Position virulent. Im Vernehmen der eigenen Gegenwärtigkeit in einer liminalen Situation erfahren die Betrachtenden selbst eine Transformation. Bellmer hat sein Œuvre im Spannungsfeld zwischen materieller und visueller Kultur angesiedelt, indem er sein plastisches Werk nur fotografisch rezipierbar machte. Seine Fotoserie stellt damit die Frage nach der visuellen Erfahrbarkeit von Plastizität. Die Puppe präsentiert die imaginativen Anteile visueller Wahrnehmung und zeigt auf diese Weise den Wahrnehmungsakt als performativen. Über die affizierende Signatur des Fragments bringen die Rezipierenden in einer liminalen Situation den Bildgegenstand erst hervor, indem sie eine lebendige, weibliche Person imaginieren. 3.1.4 Geschlecht und Subjektivität Am sechsten Konstruktions-Dokument wurde exemplarisch demonstriert, dass die Fotoserie auf weiblich codierte visuelle Darstellungs- und Wahrnehmungsweisen referiert, wie die Fragmentierung des Anblicks, die Kontemplation, die Exhibition und die Selbstbezüglichkeit. Das anthropomorphe Artefakt konnotiert to-belooked-at-ness. Die nicht nur optische, sondern auch reale Fragmentiertheit und Porösität des artifiziellen Körpers stellt zugleich ebendiese ikonografischen Konventionen wieder zur Debatte und erhebt den Anspruch der Neuverhandlung. Dieser Gedanke soll im Folgenden vertieft werden. Dabei ist davon auszugehen, dass die in der Forschung vielfach formulierten affektiven Wahrnehmungserfahrungen auf Subjektivierungsstrategien beruhen, die wesentlich über die Sexuierung des Dargestellten funktionieren. Bellmer inszeniert das anthropomorphe Artefakt als Subjekt, indem er ihm Weiblichkeit attribuiert. Dies geschieht erstens durch den Werktitel, der mit der kulturhistorisch engen Verbindung zwischen Puppe und Weiblichkeit spielt (vgl. hierzu Lehnert 1998). Zweitens arbeitet er mit der abendländischen Codierung des Werks beziehungsweise des Materials als passiv und formbar (weiblich) und des Künstlers als aktiv und formgebend (männlich) (vgl. hierzu Blaschke 2006, 250), wobei der Künstler auf die genannten, konventionalisierten visuellen Darstellungs- und Rezeptionsweisen zurückgreift. Drittens kann eine Sexuierung durch die Formgebung des Artefakts selbst evoziert werden, indem eine vermeintliche körperliche ‚Natur‘

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präsentiert wird, welche aber immer schon auf naturalisierende Repräsentationen des Körpers zurückgeht. So zeigt Bellmer primäre und sekundäre weibliche Geschlechtsteile, wenn er dabei auch auf die Ganzheit und Abgeschlossenheit des dargestellten Körpers verzichtet. Viertens forciert er die Geschlechtsattribution durch Drapierungen. Solche materiellen Beigaben zu einem anthropomorphen Artefakt begegnen bereits beim Mythos von Pygmalion, der die Elfenbeinstatue mit Geschenken ausstattet, „wie die Mädchen sie lieben“ (Ovid 2010, 10. Buch, V. 259f.). Nach Sven Lewandowski legen Drapierungen wie Kleidung, Schminke, Frisur, Schuhe, etc. einen Körper auf Weiblichkeit fest (vgl. Lewandowski 2012, 72). Sie sexuieren einen Körper, weil sie selbst bereits sexuiert sind. Laut König sind es gerade die Gebrauchsgegenstände und Kleidungsstücke, die in der Regel männlichen oder weiblichen Darstellungszusammenhängen zugeordnet werden können (vgl. König 2014, 65). „Die Artefakte der Grenzbezirke des Körpers wie Kleidung, Accessoires und Werkzeug“ (ebd.) stellen kulturell codierte Männlichkeit und Weiblichkeit her. Und das gilt genauso für anthropomorphe Artefakte. So werden die anthropomorphen Körperfragmente durch einen Hut, ein Unterhemd, einen Absatz-Schuh, weiße Wäsche, Rosen sowie textile Artefakte wie Bänder, Tüll oder Spitze ergänzt. Diese Drapierungen referieren auf feminin codierte Privatheit sowie auf Mode als weiblich konnotierter Sphäre der Täuschung und des Scheins (vgl. hierzu Lehnert 2008a). In der Fotoserie greift Bellmer damit zwar die mit der bürgerlichen Emanzipationsbewegung des 18. Jahrhunderts entstandene Zuordnung von Mode und Weiblichkeit auf, welche sich in Jean-Jacques Rousseaus pädagogischer Schrift Emile oder über die Erziehung von 1762 anschaulich nachvollziehen lässt (Rousseau 1972). Doch in den meist flächigen Anordnungen der verschiedenen Artefakte installieren die Fotografien eine groteske Ästhetik, in der die Körperfragmente untereinander, mit den Dingen und mit der Welt vermischt sind. Die Schwarz-Weiß-Fotografie evoziert eine ganz eigene Plastizität, welche die artifiziellen Körperteile mit den anderen Artefakten in ein kosmisches Arrangement treten lässt. Die Serie spielt mit den anthropozentrischen Kategorien von Subjekt und Objekt, Natur und Technik, Lebendigem und Totem und installiert ein groteskes, queeres, postanthropozentrisches Chaos.12 Im Angesicht dieser ‚Unordnung‘ wird der Blick der Betrachtenden irritiert: Sie werden zu einer strukturierenden Wahrnehmung aufgefordert, die das in einer Transformation befindliche Amalgam auf Mensch oder Ding, Leib oder Körper, weiblich oder männlich festlegt. So werden die Betrachtenden im ständigen Verweis auf die künstlerische Produktion am konstruktiv12 Die Ästhetik des Grotesken ist insofern anschlussfähig an posthumanistische Konzepte (vgl. bspw. Braidotti 2013).

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destruktiven Prozess der Erschaffung des anthropomorphen Artefakts beteiligt und damit auch an der Konstruktion und Dekonstruktion der Kategorien Subjekt, Leib und Geschlecht. Als fünfter und letzter Aspekt der Weiblichkeitsattribuierung seien geschlechtlich codierte Blickordnungen genannt, die in der Bildanalyse bereits angesprochen wurden. Schließlich kann nach Hirschauer buchstäblich alles für eine Geschlechtsattribution sexuiert werden: sowohl materielle Situationsbestandteile wie Kleidungsstücke und Frisuren als auch Blicke, Sprechweisen, Gesten und Körperhaltungen, Tätigkeiten und Örtlichkeiten, Namen und beliebige Wörter (vgl. Hirschauer 2015, 27, 37). Der Blick als Gestalter von Geschlecht soll im Folgenden detailliert untersucht werden, wobei die These vertreten wird, dass Bellmer diesen geschlechtsproduzierenden Blick in einem selbstreferenziellen Verfahren ins Bild setzt. Mithin wird gefragt, inwiefern die Blickordnungen in der Fotoserie einer strategischen Sexuierung des Artefakts dienen und somit auch den Eindruck von Subjektivität erzeugen. Insbesondere im oben untersuchten sechsten Konstruktions-Dokument wirkt das anthropomorphe Artefakt sehr lebendig. Die Illusion von Lebendigkeit erzeugt die Fotografie wie beschrieben durch das Entblößungsmotiv, die Augenblicklichkeit der Inszenierung, den fragmentierten und porösen Körper, der das Artefakt individualisiert und der durch die Betrachtenden imaginativ vervollständigt wird, aber vor allem durch den subjektivierenden Blick. Menschenähnliche Dinge unterscheiden sich von anderen Artefakten ganz wesentlich durch ihre Augen, die uns anzusehen scheinen. Da die Augen Innerlichkeit auf der Körperoberfläche zu suggerieren vermögen, ist die Inszenierung des Blicks eines der wichtigsten Gestaltungsmomente menschenähnlicher Dinge. Allerdings schaut Bellmers Schöpfung zwar, doch sie blickt uns niemals an.13 Damit verweist sie auf eine ikonografische Struktur der westlichen Welt, für welche die Blickordnungen in Die Puppe exemplarisch zu sein scheinen: „Männer schauen aktiv an, Frauen werden passiv angeschaut.“ (Lehnert 1998, 95) In dieser Bildtradition wird der weibliche Körper als wahrgenommener und dementsprechend inszenierter Körper bestimmt (vgl. ebd., 94). In der Inszenierung eines anthropomorphen Artefakts, dessen Blick stets von den Betrachtenden wegführt und dessen Körper gleichzeitig ihren Blicken freigegeben ist, wird die Figur in der Fotoserie also zunächst weiblich codiert. 13 Käufer dagegen schreibt, dass die Augen der Bellmerschen „Puppe“ uns unmittelbar taxierten. „Über den fotografischen Schnitt hinweg beobachten sie ihre BetrachterInnen.“ (Käufer 2006, 77) Da das anthropomorphe Artefakt tatsächlich nie zur Kamera blickt, ist lediglich vorstellbar, dass der Blick von den Betrachtenden imaginiert wird, die sich in ihrem tabuisierten Blickakt beobachtet fühlen.

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Das Wegsehen des Artefakts provoziert gleichzeitig einen kontemplativen, männlich konnotierten Betrachtendenblick auf den artifiziellen Körper, denn es erlaubt den Rezipierenden ein visuelles Verweilen, ohne sich selbst als Objekt der Anschauung zu erfahren. Wie oben ausgeführt, eröffnet sich in diesem kontemplativen Arrangement die Möglichkeit der ästhetischen Ansteckung, welche die Kommunikation zwischen Bild und Betrachtenden in Gang setzt. Im Verweilen „berührt und ergreift das Bild den Betrachter“ (Krämer 2011, 79), so dass ein schöpferischer Blickakt möglich wird, der aus dem menschenähnlichen Ding einen primären Akteur macht. In diesem männlich codierten Blicken werden Frau und Artefakt im Status des passiven, formbaren Werks austauschbar. Doch Bellmer konkretisiert den gestaltenden männlichen Blick, indem er ihn in der Konstruktionsskizze nachdrücklich als modellierenden Schöpfungsakt präsentiert: Das Auge und die Hand erzeugen den artifiziellen, weiblichen Körper (vgl. Abb. 2). Die kulturelle Produktion von Weiblichkeit wird mithin am anthropomorphen Artefakt explizit. Die Geschlechtsattribution wird nicht einfach vollzogen, sondern sie wird in einem strukturell unabgeschlossenen künstlerischen Verfahren gewissermaßen seziert. Der männlich konnotierte Schöpfer wird in der Konstruktionszeichnung als Leerstelle installiert, wenn lediglich Auge und Hand dargestellt werden. Diese Auslassung begegnete ebenfalls in dem suggerierten Beobachter in der sechsten Fotografie (Abb. 8), der selbst nicht sichtbar wurde. Die Puppe konstituiert Männlichkeit als Leerstelle, die den weiblichen Körper mitgestaltet, ohne selbst in ihrer Körperlichkeit Thema zu werden. Wird damit also das männliche Künstlerselbstbild bestätigt oder gerade infrage gestellt? Dies soll ein Blick auf das dritte Konstruktions-Dokument (Abb. 5) erörtern, in welchem Bellmer sich selbst mit dem anthropomorphen Artefakt abgebildet hat. Durch Doppelbelichtung ist er geisterhaft durchscheinend zu sehen, blickt aber im Gegensatz zu seinem menschenähnlichen Geschöpf direkt in die Kamera. Die gleichzeitige Aufnahme von Puppe und Schöpfer akzentuiert laut Sykora die Funktion der Fotografie, das Verschwinden des Autors zu indizieren: Der Künstler vergehe, zurück blieben nur die Puppe und die Fotografie als ein „Spektrum des Todes“ (Sykora 2002, 251). Die Puppe verkörpere daher die im Festhalten, im Abdruck verborgene mortifizierende Funktion der Fotografie und bringe diese ins Bild (vgl. ebd., 250). Auch Käufer macht eine Verunsicherung des Künstlerstatus aus: „Ebenso wie die Puppe im Medium der Fotografie zum ‚lebendigen Bild von etwas Totem‘ wird, so erfährt auch Bellmer eine Verwandlung zur wechselhaften Erscheinung zwischen Vergangenheit und Gegenwart.“ (Käufer 2006, 118) Sein Körper werde vom Bildrand, der zugleich Türrahmen ist, angeschnitten, so als könnte er jeden Moment aus der Fotografie entschwinden. Die Scharniere der Tür

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markierten die Bildgrenze als flexibles Gelenk zwischen Bild- und Betrachtendenraum (vgl. ebd., 121). Zwar tritt Bellmer in dieser Fotografie als Künstler zu seinem Werk. Doch in der transparenten Körperlichkeit erscheint auch die Position des männlich codierten Schöpfers nicht determiniert, sondern strukturell fragmentarisch. In einer Groteske löst er sich im Bildraum auf: Er amalgamiert mit der Konstruktionsskizze im Hintergrund und scheint selbst als Schwellenwesen aus dem Türrahmen rechts im Bild hervorzugehen. Seine Körperhaltung ist spiegelverkehrt zum Artefakt, zu welchem er sich hinunterbeugt. Während sich der hell hervortretende artifizielle Körper in scharfen Konturen von seiner Umgebung abgrenzt, geht der Künstlerkörper in der Fotografie verloren. Der in seiner Materialität schwindende, scheinbar nur noch visuell existente Menschenkörper steht im starken Kontrast zu der akzentuierten Plastizität, der scheinbar greifbaren Materialität des anthropomorphen Artefakts. Die visualisierende Fotografie inszeniert die Präsenz des Dings im Gegensatz zur Absenz des Menschen. Die Blickrichtung des Artefakts führt auch in diesem Bild fort von den Bildbetrachtenden und vom Künstler. Bellmer wiederum blickt nicht zu seiner Schöpfung, sondern direkt in die Kamera. Sein taxierender Blick macht laut Käufer „unser Involviertsein unabweisbar“ (vgl. ebd.). Das Erscheinen des greifbaren Artefakts und des schwindenden Bellmers im Bild verweist auf die Anwesenheit der leiblich Rezipierenden. Erst durch sie kommt es zum animierenden Blicktausch. Der Dialog zwischen männlichem codiertem Schöpfer und weiblich codiertem Werk wird zu einem ‚Trialog‘. Insofern hat der Künstler das imaginative Lebendigwerden des Bildes im aisthetischen Ereignis strukturell in der Fotografie verankert. Der frontale Blick des Künstlers ist ein Appell, der selbstreferenziell den Blickakt als performative Handlung reflektiert. Er fordert die Rezipierenden zur Gestaltung des Bildgegenstands auf, der mit dem Fragment als Strukturelement grundsätzlich durch Leerstellen konzipiert ist. Selbst wenn also die Fotoserie eine kulturell codierte sexuierte Blickordnung aufgreift und damit scheinbar von zwei binären, biologisch verstandenen Geschlechtern ausgeht, eröffnet sie auch eine nicht zwingend heteronormative Konstellation mit den Betrachtenden. Schließlich sind es die Rezipierenden, die im Bild nicht ein Arrangement aus Artefakten, sondern eine weibliche Figur erkennen. Die Serie setzt den sexuierenden Blick ins Bild, der Geschlecht immer auch zuschreibt und damit konstituiert. Insofern ist es der bestimmende Blick der Betrachtendenblick – und nicht zwangsläufig ein männlicher –, der das anthropomorphe Artefakt sexuiert. Damit sind es einerseits Drapierungen und Blickinszenierungen, die serialisierte Weiblichkeitsstereotype aufgreifen. Sie subjektivieren das anthropomorphe

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Artefakt, indem sie auf konventionalisierte Weiblichkeitscodes anspielen. Andererseits ist es die spezifische groteske Körperlichkeit, die Porösität und Fragmentiertheit des dargestellten Körpers, welche Individualität und fragile Subjektivität evoziert. Die strukturelle Unvollkommenheit des Fragments provoziert dabei imaginierende Betrachtende, die im performativen Ereignis des Blickakts normative Geschlechterrepräsentationen bestätigen oder infrage stellen. Indem die Fotoserie ihr eigenes Entstehen behandelt, involviert sie die Rezipierenden in das ästhetische Geschehen und verhindert gerade eine Fixierung vermeintlich stabiler Codierungen. Die Puppe dechiffriert die ikonografischen Strukturen einer heteronormativen Geschlechterordnung und verschiebt die Frage nach der Ordnung der Geschlechter von der künstlerischen Produktion auf die ästhetische Rezeption. Im performativen Vollzug des schöpferischen Blicks auf ein künstlerisches Artefakt durch die Betrachtenden eröffnet sich die Möglichkeit einer Reformulierung. 3.1.5 Inszenierte Artifizialität Bellmers Porträts eines anthropomorphen Artefakts sind auch vor dem Hintergrund medizinhistorischer Entwicklungen lesbar. Die Fotoserie setzt den sezierenden Blick der Anatomie ins Bild und unterstreicht die enge Verbindung von Kunst und Medizin in der Erschaffung des Idealkörpers. Darauf verweisen nicht nur die auf das anatomische Theater referierenden Blickarrangements (vgl. Käufer 2006, 69f.), sondern auch die anatomischen Zeichnungen und schließlich die Titel von Bellmers produktionsästhetischen Schriften wie Anatomie der Liebe oder Kleine Anatomie des körperlich Unbewussten oder die Anatomie des Bildes.14 In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts arbeiten Medizin und Industrie gemeinsam an der industriell gefertigten Prothese; zusammen mit der plastischen Chirurgie trug die Prothetik dazu bei, den Menschen als Mängelwesen zu komplettieren. Laut Ramsbrock beförderte der Erste Weltkrieg diese Entwicklung stark (vgl. Ramsbrock 2011, 267). Er stellte ein „Experimentierfeld für plastische Chirurgen dar“ (ebd., 136), da die Wiederherstellung des Körpers, insbesondere mithilfe von Gesichtsplastiken, mehr denn je gefordert war (vgl. ebd.). Die Verpflanzung von Haut zur Rekonstruktion fehlender Körperteile (vgl. ebd., 116f.) war eine wichtige medizinische Praxis geworden. Schönheitsoperationen wurden seit 1890 durchgeführt (vgl. ebd., 138). Sie widmeten sich im Gegensatz zur Wiederherstellungschirurgie dem leichteren Grade körperlichen Entstelltseins (vgl. ebd., 137). In den 1920er Jahren wurden 14 Auch laut Schmied ist sich der Künstler daher der Nähe seines Schaffens zum medizinischen Vorgehen durchaus bewusst gewesen. Der Bleistift sei für den Zeichner Bellmer eine Art Skalpell gewesen (vgl. Schmied 2006, 28).

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die „Gesetze des Schönen“ auf die Medizin übertragen: Die kunstanatomischen Proportionsstudien Leonardo da Vincis galten nun als Maß für die kosmetische Chirurgie (vgl. ebd., 147). Mit der Entstehung der Schönheitschirurgie wurde die Frage nach körperlichen Normen immer wichtiger. Laut Ramsbrock beschäftigten sich die von ihr untersuchten medizinischen Handbücher und Fachartikel bis zum Ende der Weimarer Republik mit der ‚normalen‘ Silhouette und dem ‚normalen‘ Profil. Die Vermessung von Körper und Gesicht sollte geometrische Durchschnittswerte liefern (vgl. ebd., 268). Hans Bellmer erreicht mit seinem anthropomorphen Artefakt keinen normativen Körper. Er verweilt vielmehr in dem grotesken Moment der Produktion des Idealkörpers: in der Zerteilung des Körpers, die in Kunst und Medizin konstitutiv ist für die Herstellung der Norm. Die Fotoserie macht den Produktionsprozess des opaken Körpers und zugleich des Kunstwerks zum Thema und verabschiedet damit den Anspruch der Abgeschlossenheit. Auch die technische Konstruktion des anthropomorphen Artefakts ist gewissermaßen subversiv und bricht den Wunsch nach der Vollkommenheit des Kunstwerks. Das Konzept beweglicher Augen wurde nicht umgesetzt und die technische Vollendung des Panoramas ist fraglich. Gendolla betont außerdem, dass die Mechanik insbesondere der Gelenke, mit der Bellmer sein Artefakt in Bewegung setzte, „völlig veraltet“ (Gendolla 1992, 215) war, und schon Vaucansons Automaten im 18. Jahrhundert, die hochdifferenzierten Androiden der Familie Jaquet-Droz um 1800 und die industriell gefertigten Puppen Jumeaus am Ende des 19. Jahrhunderts weit perfekter organisiert waren (vgl. ebd.).15 Lediglich mit der Fotografie bediene er sich eines neueren Formats – insbesondere, um den Eindruck einer ungewissen Lebendigkeit zu verstärken (vgl. ebd., 225). Bellmer widersetzt sich dem Totalitätsanspruch von Kunst und unterstreicht nicht nur die Unabgeschlossenheit des Körpers, welcher nach Schöning immer schon bevorzugter Gegenstand zur Veranschaulichung von Fragmentarität ist (vgl. Schöning 2006, 118), sondern auch die Unvollkommenheit des ästhetischen Schöpfungsprozesses. Damit bedient er gezielt Artifizialisierungsstrategien, die das Kunstsein des Dargestellten unterstreichen. Mit den oben beschriebenen medizinhistorischen Entwicklungen gehen Veränderungen im Menschenbild einher. Der individuelle Körper muss nicht mehr als 15 Käufer dagegen sieht in der ersten Puppe Bellmers weniger eine defizitäre Figur als eine „automatenähnliche Erscheinung“, die die Vorstellung der Cyborg erfülle (vgl. Käufer 2006, 104). Doch das Artefakt erscheint völlig dysfunktional und war vermutlich nur begrenzt beweglich. In dem bewussten Verfehlen einer Norm gleicht Bellmers Schöpfung aber den technisch anachronistischen Gaultierschen Mannequins und dem nur eingeschränkt sprech- und bewegungsfähigen Artefakt im Sandmann.

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gegeben akzeptiert werden, Körperteile sind prinzipiell austauschbar. Der menschliche Körper wird als Rohstofflager gedacht (vgl. Labouvie 2015, 46). Die Chirurginnen und Chirurgen geraten in die Position von Arrangeuren des menschlichen Körpers. Die Medizin erhält eine neue Macht über die menschliche Anatomie und ihre ästhetische Erscheinung. Als kunstanatomische Studie demonstriert die fotografische Serie auch die Machtdispositive von Kunst und Medizin über die Ordnung des Körpers. Wenn Bellmer als Künstler die Bildbetrachtenden direkt ansieht, spricht er ihnen ebendiese Machtposition zu und versetzt sie in die Rolle von Ko-Arrangeuren der menschlichen Anatomie. Indem er auf die Konstruierbarkeit des menschlichen Körpers am Beispiel des anthropomorphen Artefakts hinweist, bringt er die Aktivität der Bildbetrachtenden ins Spiel, die die artifiziellen Körperteile anordnen, umordnen, zu einem Ganzen vervollständigen. Indem die Fotoserie nicht nur den Konstruktionsprozess des artifiziellen Körpers thematisiert, sondern auch das Entstehen der Bilder im Blick durch die Betrachtenden, spricht es schließlich über die Kunst selbst – im Gewand des anthropomorphen Artefakts. So wie die Fotoserie den Körper als aus Teilen konstruierten präsentiert, so offenbart sie auch den Konstruktionscharakter von Weiblichkeit, deren Insignien referenzlos zu einem Ensemble gefügt werden. Tücher, Blumen, Kleider sind Dinge neben anderen (wenn auch anthropomorphen) Dingen. Die Puppe funktioniert konnotativ und suggestiv, als Pars pro Toto-Struktur, die die Betrachtenden mehr imaginieren als tatsächlich sehen lässt. Das Arrangement verweist dabei auf Sexualität, doch ist Sexualität in den zehn Fotografien absent. Erst in der Affizierung durch eine strategisch gestaltete Atmosphäre konfigurieren sich die wahrgenommenen Artefakte zur sexuierten Person. Die Anordnung der weiblich codierten Dinge, seien es die anthropomorphen Fragmente oder das ergänzende Dekor, erzeugt einen gestimmten Raum im Bild, der insbesondere haptische, aber potenziell auch akustische oder olfaktorische Wahrnehmungserfahrungen imaginieren lässt. Die ekstatischen Dinge treten noch im Format der Fotografie aus sich heraus: Trotz ihrer nur visuellen Verfügbarkeit erlauben sie scheinbar multisensuelle Erfahrungen. Bei der Verlebendigung von Artefakten geht es stets um die Evokation (visueller) Aufmerksamkeit. Anthropomorphe Artefakte konnotieren to-be-looked-atness und evozieren dabei strategisch Partnerinnen und Partner, die sie im Blick imaginativ animieren. So formuliert Bellmer im Essay:

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War nicht in der Puppe, die nur von dem lebte, was man in sie hineindachte, die trotz ihrer grenzenlosen Gefügigkeit zum Verzweifeln reserviert zu sein wußte, war nicht in der Gestaltung gerade solcher Puppenhaftigkeit das zu finden, was die Einbildung an Lust und Steigerung suchte? (DP 12)

In der rein visuellen Zugänglichkeit eröffnet der Künstler auch den Rezipierenden die Erfahrung einer grenzenlos gestaltbaren und doch widerständigen Materialität, die gerade in diesen beiden Qualitäten einen unerschöpflichen Imaginationsprozess zu initiieren vermag. Auf diese Weise erreicht die strukturell fragmentarische Fotoserie mit Wieland Schmieds Worten eine „Steigerung“ der Wirklichkeit (vgl. Schmied 2006, 25). Es kommt zur „Koexistenz von Sichtbarem und Unsichtbarem, Reellem und Virtuellem, Wirklichen und Möglichem“ (ebd.). Das Ereignis der Anschauung ist also für die Animation von Bellmers anthropomorphem Artefakt zentral. Seine Fotografien sind „besondere Objekte der Wahrnehmung“ und „zugleich besondere Objekte der Vorstellung“ (Seel 2000, 119). Sie zielen auf eine animierende Wahrnehmung, die einen vollständigen, dynamischen, sexuierten, menschlichen Körper entstehen lassen. Denn Bellmer ahmt den menschlichen Körper nicht derart nach, dass der artifizielle Körper nicht mehr von der natürlich geschaffenen Welt zu unterscheiden wäre. Sein anthropomorphes Artefakt simuliert Lebendigkeit nicht über ein mimetisches, naturalistisches Zitat der menschlichen Anatomie. Die Subjektivierung des leblosen Materials geschieht in den Zehn Konstruktions-Dokumenten über die Struktur des Fragments, die beständig an die Imagination der Betrachtenden appelliert. In ihrer Unvollkommenheit erfährt die Fotoserie eine Vervollständigung erst im Akt ihrer Rezeption. An den Leerstellen setzt die imaginative Verlebendigung durch die Betrachtenden an, in der ‚Reserviertheit‘ des fotografisch vermittelten Artefakts entwickelt sich dessen Agency. Mit einem unabgeschlossenen künstlerischen Verfahren werden die Betrachtenden systematisch involviert. Die Fotoserie ‚lebt‘ von ihren Assoziationen, Gefühlen und Imaginationen im performativen Akt der Rezeption: von Emergenzen. Die Erfahrung der bildlich hergestellten Atmosphäre unterscheidet sich von der Erfahrung einer Atmosphäre bei leiblicher Anwesenheit im Atmosphärenraum, der die Rezipierenden umfängt, wenn sie ihn betreten (vgl. hierzu FischerLichte 2001a, 320). Doch Bellmer simuliert in der Fotoserie Kommunikationsund Interaktionsbedingungen, die eigentlich der gleichzeitigen Anwesenheit im selben Raum vorbehalten sind (vgl. hierzu ebd., 316). Diese Simulation von leiblicher Ko-Präsenz erlaubt einen imaginativen Blickwechsel mit dem visualisierten Artefakt. Die Fotografien evozieren ein Überschreiten der Bildgrenzen und sind als transikonische Bilder zu begreifen, die das „Bildsein des Bildes“ (Kruse 2007,

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168) auflösen. Im Modus des ‚Als-Ob‘ ermöglichen sie ein leiblich spürendes Eintauchen in die gezeigte Szene, in die sinnliche Präsenz der dargestellten Formen. Die Fotoserie unterstreicht die Präsenz einer visuell vermittelten Materialität und berührt dabei eine kulturell tabuisierte Grenze zwischen Dingwelt und Menschsein. Bellmers Porträts einer amalgamierenden Artefaktwelt provozieren im Spiel mit der Suggestivität von Materialität den Akt der Animation. Ihr Skandal besteht in der Vermenschlichung des Artifiziellen, welche die Betrachtenden imaginierend vollziehen.

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3.2 LA PLANÈTE JEAN PAUL GAULTIER 3.2.1 Modewelten Die Modeausstellung La Planète Jean Paul Gaultier. De La Rue aux Étoiles im Pariser Grand Palais wurde vom 1. April bis zum 3. August 2015 gezeigt. Es war die zehnte Station einer Wanderausstellung, die 2011 erstmals im Musée des beaux-arts de Montréal in Kanada unter dem Titel The Fashion World of Jean Paul Gaultier. From the Sidewalk to the Catwalk zu sehen war. Anschließend reiste sie von Dallas nach San Francisco, Madrid, Rotterdam, Stockholm, New York, London, Melbourne, Paris, München und Seoul. Allein in Paris zog sie 420.000 Menschen ins Museum, weltweit waren es mehr als zwei Millionen. Initiiert wurde die Schau von dem Kurator Thierry-Maxime Loriot und der Direktorin des Musée des beaux-arts de Montréal Nathalie Bondil. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Modehaus Jean Paul Gaultier. Das Ausstellungsdesign stammt von Projectiles, das Skript und die Videos für die animierten Modepuppen16 vom Montrealer Künstlerduo UBU, Denis Marleau und Stéphanie Jasmin. Die Exhibition präsentierte in acht räumlich separierten Themenbereichen insgesamt 336 Objekte: neben Kleidern auch Fotografien und Filme. Bei den rund 180 Ensembles handelte es sich um Haute Couture-Entwürfe, Bühnenkostüme und Prêt-à-porter-Kleider aus den Jahren 1976 bis 2015. Gezeigt wurden sie mehrheitlich an 140 Modepuppen des kanadischen Herstellers Jolicoeur International, über 30 dieser Puppen wurden von UBU animiert. Ihre Perücken wurden eigens für die Ausstellung von Odile Gilbert entworfen. Im folgenden ‚Rundgang‘ werden jene Räume vorgestellt, in denen die animierten Mannequins eine hervorgehobene Rolle spielen. Daher werden die Ausstellungsbereiche Les Falbalas de Gaultier, Muses, Le Salon, Metropolis und Jungle urbaine nur am Rande betrachtet. Nach einer Einführung gelangen die Besuchenden in einen kleinen, in blaues Licht getauchten Raum: L’Odyssée. Hier begegnen sie einer halb liegenden Sirene aus der Kollektion Les Sirènes (Haute Couture Frühling/Sommer 2008), der Entwurf trägt den Titel Le bal des sirènes. Die Seejungfrau mit dem langen blonden Haar trägt ein Korsett aus Scharnieren, Muscheln und Perlmutt; dazu einen von Musselin und Seidenkrepp durchwirkten Spitzenrock mit Latexschuppen. Für einen Moment können Zweifel entstehen, ob hier ein lebendiger Mensch aus Fleisch

16 Wenn ich von „Modepuppen“ spreche, folge ich den Macherinnen und Machern der Schau, die die anthropomorphen Artefakte als „mannequins animés“, das heißt als animierte Modepuppen, bezeichnen (vgl. Loriot 2015). Der Ausdruck ‚Animation‘ meint hier zunächst ein (technisches) in-Bewegung-Setzen.

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und Blut sitzt oder doch ein anthropomorphes Artefakt. Denn ihr Gesicht bewegt sich, der Blick schweift umher und richtet sich direkt auf die Besuchenden, sie blinzelt, lächelt und schließlich singt sie sogar. Das synthetisch glänzende Material der Körperoberfläche und die Gliederung des Unterarms markieren die Sirene jedoch sichtbar als anthropomorphes Artefakt. Für die Animation der Mannequins durch das Künstlerduo UBU wurden verschiedene Personen gefilmt und die audiovisuellen Aufnahmen auf die Puppenköpfe projiziert. Hinweise zur Identität der aufgenommenen Personen – sie waren einem europäischen Publikum eher nicht bekannt – bot die Ausstellung aber nicht. Das Verfahren erinnert an die Arbeit des US-amerikanischen Künstlers Tony Oursler, der seit den 1990er Jahren artifizielle, abstrakte Körper als Projektionsfläche für Videofilme nutzt. Ähnlich wie den Schöpfungen Ourslers fehlten auch den Gesichtern der Mannequins in La Planète Jean Paul Gaultier im Profil Höhen und Tiefen. Nase, Wangenknochen und Augenbrauenbögen waren plastisch modelliert, Augenhöhlen, Lippen und Kinn dagegen irritierend flächig. Der individuelle Gesichtsausdruck entstand maßgeblich durch die zweidimensionale Projektion und weniger durch eine plastische Ausgestaltung des Puppenkopfs. Abbildung 14: La Mariée in L’Odyssée

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Ebenfalls im Raum L’Odyssée steht eine Sirene mit Gehhilfen, gekleidet in einen Latex-Body und einen Pailletten-Rock: La Mariée (Abb. 14).17 Der Rock imitiert einen Fischschwanz, was ironisch auf das Narrativ der Seejungfrau anspielt. Sie hat ihr Element verlassen, die Krücken erleichtern ihr nun die Fortbewegung auf der Erde. Die Gehhilfen verweisen auf transhumane Körperbilder, auf die Überwindung der nur scheinbar von der Natur determinierten conditio humana. Das Modell erscheint als eine „prothetische Figur“ (Schossböck 2012, 125): Im Spiel mit Körpernormen ist dieses weibliche Wesen nicht ganz Fisch, nicht ganz Mensch. Doch die animierte Modepuppe hat dabei nichts Monströses oder Unheimliches. Die Krücken signalisieren vielmehr Hilfsbedürftigkeit, der Gesichtsausdruck ist freundlich; die von künstlichen Korallen geschmückten Gehhilfen sind ebenso dekorativ wie der gold-schimmernde Rock und der perlmutt-glänzende Cone-Bra. Mit dem prothetischen Landgang fordert die Sirene sogar ihre Teilhabe am bürgerlichen Konzept der Ehe ein, wie der Titel La Mariée nahelegt. Das Modell bedient also das Stereotyp von der verführerischen, aber erlösungsbedürftigen Frau – und ironisiert es zugleich. Abbildung 15: Jean Paul Gaultier als animiertes Mannequin (links)

17 Die Abbildungen in diesem Kapitel entstammen entweder der Pariser oder der Münchner Ausstellung. Alle dargestellten Modelle waren ähnlich inszeniert in beiden Schauen zu sehen.

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Das nautische Thema wird durch das Motiv des Seemanns vervollständigt. Neben den Sirenen stehen mehrere Modepuppen in blau-weiß gestreiften Ensembles, wie alle Mannequins der Ausstellung auf einem Podest. In der Mitte dieser Formation befindet sich der Doppelgänger des Designers, eine Videoaufnahme seines Gesichts wurde auf einen Puppenkörper projiziert (Abb. 15). Auch dieses Mannequin trägt nautische Streifen – ein Markenzeichen des Modehauses – und zwar aus der Kollektion La Maison des Plaisirs von 1997. In einem sich endlos wiederholenden Monolog heißt Gaultier das Publikum auf Englisch und Französisch willkommen. Das bekannte Gesicht des Designers steht in spannungsvollem Kontrast zum normierten Puppenkörper. Gegenüber befinden sich in zwei Reihen aufgestellt acht singende Modepuppen. Dieser Chor von Jungfrauen trägt Kopfbedeckungen aus verschiedensten Materialien wie Plexiglas, Messing, Rosshaar oder Federn, die an einen Heiligenschein erinnern. Alle Gesichter sind animiert und zeigen verschiedene Teints. Ihre Kleider, hauptsächlich aus den Kollektionen Les Vierges (Haute Couture Frühling/Sommer 2007) und La Russie (Haute Couture Herbst/Winter 1997-1998), verweisen auf Mariendarstellungen. Seemann, Sirene und Madonna werden in dieser Sektion als zentrale Topoi des Gaultierschen Mode-Universums vorgestellt. Abbildung 16: Der Laufsteg in Punk Cancan

Punk Cancan ist der Titel des nächsten Ausstellungsbereichs. Die Besuchenden erwartet hier eine Modenschau. Doch statt lebender Models werden Puppen auf Schienen mechanisch über den Laufsteg gefahren (Abb. 16). Ein zentraler Zweck von Modenschauen, nämlich Kleider in Bewegung zu setzen, wird nicht erfüllt.

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Auch wurden die flächigen, weißen Faceless-Köpfe nicht animiert. Eine Tonspur mit der Stimme der Schauspielerin Catherine Deneuve präsentiert die vorgeführten Modelle. Abbildung 17: Publikum der Modenschau in Punk Cancan

Links des Laufstegs befindet sich prominentes Publikum (Abb. 17), wie die Modejournalistinnen Anna Wintour, Grace Coddington, Franca Sozzani, Emmanuelle Alt und Suzy Menkes. Diese ebenfalls nicht animierten Mannequins sind durch charakteristische Perücken, Kleidungsstücke, Körperhaltungen und nicht zuletzt durch Hinweisschilder mit ihren Namen identifizierbar. Dem Publikum frontal gegenüber stehen die Punks, von denen einige ebenfalls animiert sind und sich räuspern, summen, zählen, seufzen, kurze Sätze sprechen (Abb. 18). Im Vergleich zu den Matrosen und Sirenen lächeln sie wenig. Mimik und Körperhaltung drücken Ennui und kritische Distanz aus. Die Mannequins tragen Ensembles aus den Jahren 1982 bis 2014. Konzeptuell konfrontiert die Sektion Punk Cancan London und Paris als Inspirationsräume Gaultiers, subkulturelle Straßenmode und Haute Couture.18

18 Der folgende Raum Muses zeigt Gaultiers Musen, die sich im Selbstverständnis der Marke durch divergierende Körperformen, Tattoos und queere Performances von denen anderer Modehäuser abheben. Die Sektion Le Salon ist dem kegelförmigen Bustier gewidmet, das Gaultier in den 1980er Jahren von der Designerin Elsa Schiaparelli übernahm (vgl. Lehnert 2008b, 177), und das Popstar Madonna 1990 bei ihrer Blond Ambi-

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Abbildung 18: Die Punks in Punk Cancan

In dem dunklen, von den Farben Rot und Schwarz dominierten Raum A fleur de peau Classé X sind mehrere Mannequins in einer Glasvitrine mit roter Rückwand wie in einem Schaufenster ausgestellt. Sie tragen an sadomasochistische Fetischkleidung angelehnte Entwürfe mit Leder, Latex und Riemen. Die Vitrine markiert nach Gronau einen spezifischen Ort im Ort, wobei etwas der Betrachtung für würdig Erachtetes dem unmittelbaren Zugriff des Betrachters entzogen bleibt (vgl. Gronau 2010, 117). Allerdings befindet sich auf der Rückseite der Vitrine ein kleines Schauloch, welches die Rückansicht der Modepuppen ermöglicht. Dieses „Guckkastenprinzip“ (vgl. Müller-Tamm/Sykora 1999, 88) scheint die Distanz

tion-Tour trug. Der Ausstellungsbereich Jungle urbaine zeigt rund 30 Modelle mit Bezügen zu verschiedenen globalen Kulturen. Die meisten sind zentral auf einem Podest angeordnet, der Raum ist wieder in bläuliches Licht getaucht. Dadurch entsteht eine angespannte, etwas unheimliche Atmosphäre: Wie eine Armee thronen die Modepuppen über den Besuchenden.

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wieder zu relativieren und den Besuchenden eine optische Machtposition zu eröffnen. Dabei wird auf historische visuelle Apparate wie die Camera obscura oder das Diorama referiert. Die Installation ist in Anlehnung an Baudrillard gewissermaßen als Versiegelung dritten Grades zu verstehen: als ein „Verglasen der Nacktheit“, das einen Zustand der makellosen Abstraktion zum Ziel hat (vgl. Baudrillard 2005, 164). Der nackte Puppenkörper, der als künstlicher Körper immer schon versiegelt ist (vgl. Scholz 2018a), wird durch die undurchlässigen Fetischtextilien erneut verhüllt, um schließlich in der Vitrine vollends verglast zu werden. Trotz des Gucklochs bleibt es also bei der Distanzierung der Betrachtenden, die eine abstrahierende Idealisierung der Mannequins forciert. Die Gesichter sind zudem weder animiert noch plastisch modelliert und damit völlig anonym. Lediglich das Gesicht einer Modepuppe vorn in der Mitte der Vitrine ist ausgearbeitet. Sie trägt einen Ganzkörperanzug mit trompe-l’œil-Effekt, der dunkle Jacquard-Stoff überzieht sie von Kopf bis Fuß – wie eine zweite Haut. Das Ensemble nennt sich ausgerechnet Incognito (Haute Couture Herbst/Winter 2002-2003). Gegenüber des Schaukastens befindet sich die Installation L’homme miroir (Abb. 19). Ein animiertes Mannequin mit einem Ensemble aus der L’homme moderne-Kollektion (Prêt-à-porter Herbst/Winter 1996-97) ist ins Zwiegespräch mit ihrem Spiegelbild vertieft. Auf den Puppenkopf wurde eine Videoaufnahme des kanadischen Schauspielers Éric Bruneau projiziert. 19 Im Spiegel ist eine weitere Aufnahme Bruneaus zu sehen, mit der sich das Mannequin unterhält sowie das eigentliche Spiegelbild des animierten Mannequins. Die Installation unterscheidet sich durch die Inszenierung eines längeren Dialogs von den anderen animierten Modepuppen, die eher kurze, zusammenhangslose Monologe vernehmen lassen.

19 Diese Information sowie eine französische Arbeitsversion des Dialogs hat mir die Künstlerin Stéphanie Jasmin (UBU) freundlicherweise zur Verfügung gestellt, wofür ihr an dieser Stelle gedankt sei. Die Übertragung stammt von mir.

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Abbildung 19: L’homme miroir in A fleur de peau Classé X

Der Look besteht aus einem Bustier im Korsett-Stil mit Spitze und Hahnenfedern, einer Schleppe aus Tüll, einem Rollkragenpullover aus Skai und einer SmokingHose aus Wolle. Das Ensemble kombiniert sowohl männlich als auch weiblich codierte textile Formen und Materialien und problematisiert auf diese Weise die Geschlechtsattribuierung über Kleidungsstücke. So verweisen die männlich konnotierten Hahnenfedern auf die repräsentative Mode der Aristokratie, die seit der Verbürgerlichung der Kleidermode im 18. Jahrhundert für Männer nicht mehr angemessen ist (vgl. hierzu Lehnert 2008a). Mit der Frage nach einer luxuriösen, prachtvollen, erotisierten Herrenmode greift der Look aber auch Entwicklungen der letzten vierzig Jahre auf. Elke Gaugele zufolge werden seit den 1970er Jahren im Zeichen der homosexuellen Emanzipation weiblich codierte Materialfetische und textile Fetischobjekte als Kernbestandteile des Drag immer stärker öffentlich gezeigt (vgl. Gaugele 2005, 313). Die Installation fragt also nach der Wirkung von Cross-Dressing in der Zwei-Geschlechter-Ordnung (vgl. hierzu Scholz 2016) und behandelt damit ein zentrales Moment in Gaultiers Schaffen. Bereits seine erste Herrenkollektion L’homme objet von 1983 hatte textile Männlichkeitsentwürfe ironisch hinterfragt.

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Nicht nur die Kleidung, auch die entworfene modische Szene spielt mit Geschlechterzuschreibungen. Denn der Blick in den Spiegel ist ikonografisch weiblich codiert und wird schon in der mittelalterlichen Theologie mit der Todsünde der Superbia verbunden (vgl. Haubl 2000, 167). Die Installation L’homme miroir bricht mit dieser ikonografischen Tradition und codiert die Superbia männlich. So fragt das Spiegelbild das Mannequin, was es über ihn denke. Der artifizielle Mann antwortet, dass er sein Gegenüber beinahe schöner finde als sich selbst, doch es handle sich dabei ja lediglich um ein Bild. Der lange Gehrock und die Stiefel seien majestätisch, doch er würde sich mit dieser Kleidung den Blicken ausgeliefert fühlen. Daraufhin fragt das Spiegelbild, warum die Herrenkleidung heute an ihrer historischen Pracht und Vielfalt eingebüßt habe. Das Mannequin erwidert nur, dass das Spiegelbild immer wieder durch „Präsenzen“, durch „Blicke“, getrübt werde: Die Museumsbesuchenden sind es, die den nachdenklichen Dialog durch ihre Anwesenheit stören. Das animierte Mannequin bittet sein Gegenüber, zu schweigen. Sie sollten wieder still halten wie Statuen, denn es sei zu schüchtern, um sich zu unterhalten. Kurz darauf beginnt der Dialog zwischen Mannequin und Spiegelbild von Neuem. Die Sprecher adressieren indirekt die Besuchenden und thematisieren deren Präsenz. Durch diese Bezugnahme evozieren sie Aufmerksamkeit, sie konnotieren to-be-looked-at-ness. Sie involvieren die Besuchenden, die sich von einer bestimmten Position aus auch selbst im Spiegel sehen können. Ihre Spiegelungen zeigen jedoch leiblich anwesende Personen, während die Installation L’homme miroir leibliche Abwesenheit in Szene setzt. Insgesamt trägt die Ausstellung karnevaleske Züge. Sie inszeniert, der Handschrift des Designers entsprechend, ein Spektakel der Kostümierung, in dem anspielungsreiche visuelle Eindrücke geboten werden und die Polyphonie der animierten Mannequins die der Besuchenden kreuzt. Bis auf die Modepuppen in A fleur de peau Classé X sind die Mannequins nicht hinter Glas verborgen, sondern können theoretisch berührt werden. So ergibt sich eine ungewöhnliche Form der Gegenwärtigkeit, die noch dadurch gesteigert wird, dass prominente Akteurinnen und Akteure des Modesystems zum Greifen nah zu sein scheinen. 3.2.2 Modekörper Der artifizielle Körper ist für viele Designerinnen und Designer eine wichtige Inspirationsquelle. Gerade in den letzten zwei Jahrzehnten spielen zahlreiche Kollektionen beziehungsweise deren Präsentationen mit der Leblosigkeit insbesondere von Puppenkörpern. So bezog sich Alexander McQueen in seiner Kollektion

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La Poupée (Prêt-à-porter Frühling/Sommer 1997) auf Hans Bellmers anthropomorphe Artefakte, seine Couture-Kollektion Herbst/Winter 1999-2000 für Givenchy zeigte er ausschließlich an Modepuppen. Viktor & Rolf inszenierten ein lebendes Modell als Russian Doll (Haute Couture Herbst/Winter 1999-2000), mit The House of Viktor and Rolf aus dem Jahr 2008 nahmen sie Bezug auf die Puppenausstellung Théâtre de la Mode20 von 1945 und für die Couture-Schau Herbst/Winter 2017-2018 überformten die Designer die Körper lebender Models mit überdimensionalen Puppenköpfen. Der Fotograf Günter Parth setzt für Dolce & Gabbana seit den 1990er Jahren lebende Models als scheinbar leblose Puppen in Szene. Immer wieder sind an Schneiderpuppen angelehnte Kostüme zu sehen, etwa bei John Galliano für Dior (Haute Couture Herbst/Winter 2005-2006) oder für Maison Margiela (Prêt-à-porter Herbst/Winter 2015-2016). Martin Margiela selbst widmete der Schneiderpuppe eine ganze Kollektion (Prêt-à-porter Frühling/Sommer 1997) und zeigte die Prêt-à-porter-Kollektion Herbst/Winter 19981999 an unheimlichen Marionetten-Models, deren Köpfe in Folie gewickelt waren. Michael Michalsky präsentierte seine Couture-Kollektion Herbst/Winter 2016 an Miniatur-Models aus dem 3D-Drucker, die als ‚Modebotschafter‘ an die Poupées de mode des 17. Jahrhunderts erinnerten. Und Alessandro Michele schickte für Gucci Models über den Laufsteg, die unter dem Arm eine plastische Nachbildung ihres eigenen Kopfes trugen (Prêt-à-porter Herbst/Winter 20182019) – diese Reihe ließe sich schier endlos fortsetzen. Auch in Gaultiers Lebenswerk ist die Puppe ein wiederkehrendes Motiv. Bereits 1985 entwarf der Designer für Mattels Barbie und Ken eigene Kreationen. Der Torso der Schneiderpuppe, wie ihn die Parfum-Flacons des Modehauses nachbilden, gehört seit Anfang der 1990er Jahre zum Markenimage. Gaultiers Porzellan-Puppe Mundia von 2000 war eine Hommage an die französischen Parisienne-Puppen (vgl. Peers 2004, 14). Die Kollektion Les Marionnettes von 2004 präsentierten Gliederpuppen zusammen mit lebenden Models, welche die Bewegungen der Marionetten imitierten. 2006 gingen für die Kollektion Sleepy Hollow Models mit Kinderpuppen in der Hand über den Laufsteg – eine Referenz auf Tim Burtons gleichnamigen Horrorfilm aus dem Jahr 1999. Auch Gaultier selbst war 1993 in der britischen Show Spitting Image als miniaturisierte Gliederpuppe zu sehen und begrüßte das Publikum der Wanderausstellung als lebensgroßes, animiertes Mannequin (s. Abb. 15).

20 Diese Ausstellung mit rund 240 kleinen, von Couturiers eingekleideten Puppen bezeichnet Peers als das „defining event of postwar couture“ (Peers 2004, 121). Nach der Eröffnung im Louvre zog die Schau durch Europa und endete in New York (vgl. hierzu Geczy 2017, 93f.; Lehnert 2012b). Sie wird bis heute in der Mode rezipiert.

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Und doch formuliert Gaultier in einem Interview mit der Modehistorikerin Florence Müller: „Clothing interests me only if it’s worn, in movement, on a fleshand-blood person.“ (Müller 2011, 27) Auch der Kuratorin Nathalie Bondil zufolge sind Gaultiers Kleider bedeutungslos, wenn sie nicht von Menschen getragen werden (vgl. Bondil 2011, 18). Diese Behauptungen stehen nicht nur im deutlichen Widerspruch zum Ausstellungsdesign, das den leblosen Körper ins Zentrum der Schau setzte. Sie widersprechen auch der Relevanz des artifiziellen Körpers für das Modesystem insgesamt.21 Denn obwohl Kleider letztlich für lebende Menschen gefertigt werden, sind Mannequins sowohl bei der Kreation wie auch bei der Präsentation von Mode ständig gegenwärtig, als Schneiderpuppen wie als Schaufensterpuppen. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts ermöglicht die Schneiderpuppe die Fertigung von Kleidern unabhängig von der leiblichen Anwesenheit der zukünftigen Trägerinnen und Träger. Sie war ursprünglich die exakte Nachbildung der Maße eines Kunden und wurde aus Weidengeflecht oder Holz gefertigt (vgl. Schneider 1995, 70; Müller-Tamm/Sykora 1999, 42). Die ersten standardisierten Schneiderbüsten wurden 1849 vom französischen Schneider Alexis Lavigne entwickelt. Sie waren aus Papiermaché, Baumwolle und Leinen und dienten zugleich der Präsentation von Kleidern (vgl. Bolton 2016, 21). Lavignes Schüler Frédéric Stockman gründete 1867 eine eigene Firma zur Büstenherstellung, die bis 1900 mehr als 20 verschiedene „series of dressmaker-type forms following body shapes dictated by the great couture houses“ (Taylor 2002, 31) entwickelte. Laut Weise bildet die Schneiderbüste den Ausgangs- und Referenzpunkt für Entwürfe, Schnitte und Silhouetten. Dieser auf einen Torso reduzierte, fragmentierte Körper, der kein lebendiger, beweglicher und nur entfernt menschenähnlicher sei, werde meistens verleugnet, obwohl seine seit dem 19. Jahrhundert standardisierten Maße und Formen als Kleidergrößen auf den menschlichen, lebendigen Körper übertragen werden (vgl. Weise 2012, 187). Trotz ihrer Präsenz in der Öffentlichkeit wird auch der Stellenwert der Schaufensterpuppe zugunsten der Kleider in den Hintergrund gestellt. Dabei hat sie mit ihrer über die Jahre wechselnden materiellen Form an deren Wirkung und damit an der Geschmacksbildung einen wesentlichen Anteil. Sie verbreitete sich Ende des 19. Jahrhunderts, als auch die Bedeutung von in Schaufenstern ausgestellter Mode gerade in den Metropolen wuchs. Zunächst kamen noch Schneiderbüsten in den Schaufenstern zum Einsatz, bis sich die eigens für diesen Zweck produzierte Schaufensterpuppe durchsetzte. So waren Mannequins von Siegel & Stockman – 21 Unter „Modesystem“ verstehe ich mit Lehnert „die Gesamtheit der Personen, Handlungen und Institutionen unterschiedlichster Art […], die mehr oder weniger systematisch dazu beitragen, dass Kleider Mode werden.“ (Lehnert 2013, 26)

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eine Fusion der auf Schaufensterpuppen spezialisierten Firma Siegel und des Büstenherstellers Stockman – zunächst mit Wachsköpfen, Naturhaar, Zähnen aus Emaille, Glasaugen und Gelenken versehen (vgl. Taylor 2002, 31). Das steigende Beleuchtungsniveau in den Schaufenstern führte im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Ablösung der Wachspuppe, denn diese war nicht nur teuer und erforderte ständige Reparaturen, auch das Schmelzen des Wachses wurde zum Problem (vgl. ebd., 33). Alternativen boten Mannequins aus Gips oder Papiermaché. In der Nachkriegszeit wurden diese fast vollständig durch persistentere Kunststoffpuppen ersetzt. Über die Jahrzehnte wechselten sich stilisierte und realistisch gestaltete Mannequins ab.22 Heute dominiert die abstrakte Modepuppe die Schaufenster. Ihre Arme und Beine sind überlang und schlank, es fehlen Details wie Wimpern, Fingernägel oder Muskulatur. Sie ist schwarz oder weiß, teilweise auch mit Farben wie Silber oder Gold besprüht: „The abstract mannequin can wear the clothes of the future or of the historic past and look more comfortable in these fashions than a realistic figure will. It crosses color and ethnic lines and knows no age limits.“ (Pegler 2006, 98) Der Vorteil dieser alterslosen, nicht-ethnischen Puppen ohne ausgebildete Gesichtszüge, Makeup und Perücken sei, dass sie die Aufmerksamkeit nicht von den Kleidern ablenken (vgl. Schneider 1995, 126). Zudem müssten die Designerinnen und Designer weniger auf Proportionen, Größen, Gewicht und Posen achten. Eigene ästhetische Maßstäbe könnten stärker in den Vordergrund gestellt werden als beim realistic mannequin (vgl. ebd., 129). So wird auch in Modeausstellungen spätestens seit der Jahrtausendwende auf stilisierte Puppen gesetzt (vgl. Taylor 2002, 46). La Planète Jean Paul Gaultier nutzt ebenfalls seriell produzierte, abstrakte Mannequins ohne individualisierende Merkmale. Diese abstrahierende Normiertheit wird jedoch durch die Projektion von Stimme und Gesicht lebender Personen wieder durchkreuzt, was eine Individualisierung der Modepuppen in Bezug auf Geschlecht, Alter und Ethnizität zufolge hat. Diese anthropomorphen Artefakte stellen nicht die Kleidung in den Vordergrund, sondern lenken die Aufmerksamkeit auf ihre eigene dynamisch-statische, individuell-abstrahierte, lebendig-tote Hybridität. So trägt die Ausstellung mit dem Einsatz von Modepuppen zwar der meist negierten, aber tatsächlich großen Bedeutung des leblosen Puppenkörpers sowohl im Kreationsprozess als auch bei der Präsentation von Mode Rechnung. Darüber hinaus motivierte wohl der finanzielle und physische Aufwand, den menschliche Models bedeutet hätten, den Einsatz lebloser Mannequins. Mit den anthropomorphen Artefakten wird zudem der ironisch-spielerische Gestus von Gaultiers Œuvre 22 Vgl. zu den verschiedenen Typen von Schaufensterpuppen Pegler 2006, 91ff.

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unterstrichen. Hinzu kommt, dass die Ausstellung mit der Brechung der Wahrnehmungsgewohnheiten dem Innovations- und Originalitätsgebot der Mode genügt sowie der von Alicia Kühl beobachteten Tendenz, dass das Neue in der Mode sich in den Präsentationsformen zeige (vgl. Kühl 2015a; Kühl 2015b, 222). Dennoch bleibt der eingangs erwähnte kuratorische Widerspruch zwischen der Forderung nach lebenden Körpern und dem Einsatz lebloser Mannequins bestehen. Anstatt dynamisierte Kleider an lebendigen Körpern zu präsentieren, machte die Ausstellung in ihrer Simulation von Lebendigkeit die Absenz von Leben ständig spürbar. Die Forschung nennt zwei Funktionen des Körpers bei der Präsentation von Kleidern, die im oben genannten Zitat Gaultiers anklingen. Diese können zunächst aber sowohl lebende wie auch artifizielle Körper erfüllen: die Evokation von Dreidimensionalität und die Suggestion von Bewegung. Lehnert zufolge ist der Körper nötig als „Dialogpartner des Kleides, das ohne den dreidimensionalen Körper nicht nur seinen Reiz, sondern sogar seine Daseinsberechtigung verlieren würde“ (Lehnert 2005, 257). Als Mode entfalte sich Kleidung erst in der Spannung von Belebtem und Unbelebtem, im Dialog von Körper und Kleid. Und erst mit der Dreidimensionalität und Beweglichkeit des Körpers entstehe der „Modekörper“ (vgl. Lehnert 2015a, 38) und damit modische Performanz. Die Dynamisierung des Kleides am dreidimensionalen Körper birgt die Möglichkeit des Unvorhersehbaren (vgl. ebd., 34). Auch nach Petra Leutner kann sich die räumliche Ausdehnung eines Kleidungsstücks nur an einem menschlichen oder an einem künstlichen Körper wie einer Puppe vollenden. Gleichzeitig werden Kleider in Ausstellungen an Modepuppen präsentiert, die noch in ihrer Stillstellung Bewegung im Raum andeuten (vgl. Leutner 2015, 230). Sie präsentieren Bewegungen als momenthafte Posen (vgl. Weise 2015, 285). Damit bieten also auch Puppenkörper der Kleidung das Potential zum Entfalten ihrer Dreidimensionalität, und auch sie vermögen Kleider idealtypisch vorzuführen: paradoxerweise gerade weil sie nicht den Schwankungen des Lebendigen unterworfen sind, sondern sich dem Lebendigen beugen und seine Idee zum Bild erstarren lassen, das Dauer zu haben zumindest verspricht. Mehr noch: Puppen lenken nie von der Kleidung ab, sondern stellen sie in den Mittelpunkt. (Lehnert 2012b, 267)

Doch wie beschrieben lenken die anthropomorphen Artefakte in der Gaultier-Ausstellung von den Kleidern ab. Ihre Animation verschiebt den Fokus der Rezipierenden zumindest zeitweise. Die Mannequins sind nicht einfach ‚Kleiderständer‘, sondern sie konnotieren selbst to-be-looked-at-ness. Es handelt sich dadurch nicht mehr allein um eine Werkschau des Modedesigners Gaultier, sondern die ästheti-

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sche Erfahrung des Museumsbesuchs wird zelebriert. Die anthropomorphen Artefakte unterstreichen den Ereignischarakter des Wahrnehmungsakts und setzen ihn ins Zentrum des Ausstellungsbesuchs, so die These. Dieser kuratorische Fokus auf das aisthetische Ereignis erfolgt durch verschiedene Strategien. Erstens durch die Vorführung modischer Szenen, welche die Wahrnehmungsgewohnheiten mehr in Frage stellen als gängige Topoi der Mode zu bestätigen. Zwar sind solche Topoi aufgerufen: das bottom-up der Mode von der Straße zur High Fashion am Beispiel der Punks, die Modenschau als glamouröses mediales Ereignis, die Inszenierung von Geschlechtlichkeit über Kleidermode, das Self-Fashioning vorm Spiegel. Sie werden aber durch die Iteration gebrochen und wirken dadurch irritierend. Zweitens gerät die Wahrnehmungstätigkeit in den Vordergrund durch die zweidimensionale Videoprojektion, die sich am dreidimensionalen Puppenkörper bricht und hybride Körper erzeugt. Hierzu gehört auch die Inszenierung von Bewegung in der Ausstellung, die grundsätzlich fragmentarisch bleibt und die Rezipierenden auffordert, die Statik des artifiziellen Körpers mit der realen technischen Bewegung zusammenzuführen. Drittens wird die sinnliche Erfahrung thematisch durch die atmosphärische Gestaltung der Ausstellungsräume, welche die Besuchenden in ein performatives Setting einlädt und sie ihre eigene leibliche Gegenwärtigkeit verspüren lässt. Mit Seel werden die anthropomorphen Artefakte als ästhetische Objekte verstanden, die sich in ihrem Erscheinen von ihrem begrifflich fixierbaren Aussehen, Sichanhören oder Sichanfühlen mehr oder weniger radikal abheben und von uns in einer ausgezeichneten Weise sinnlich erfasst werden (vgl. Seel 2000, 47). Es soll gezeigt werden, dass die Mannequins der Ausstellung in besonderer Weise Artifizialität inszenieren und damit für die Wahrnehmung eine Herausforderung bedeuten. La Planète Jean Paul Gaultier wird als Modeausstellung mit einem künstlerischen Impetus begriffen, der Normiertheit mit Transgressivität konfrontiert, und zwar durch die Individualisierung der eigentlich abstrakten Mannequins, die Bestätigung und gleichzeitig die Infragestellung von Genderstereotypen sowie die Ironisierung klassischer Mode-Topoi. Analysiert werden die Arrangements anthropomorpher Artefakte als künstlerische Installationen,23 welche modische Szenen vorführen.

23 Schließlich sind Installationen laut Johannes Stahl auf den Raum bezogene künstlerische Arbeiten, „die auf sehr explizite Weise den Betrachterraum miteinbeziehen, das heißt im Gegensatz zur traditionellen Plastik die Grenzen zwischen Werk und Betrachterumfeld auflösen.“ (Stahl 2014, 134) Sie seien meist multimedial konzipiert und entwickelten eine gattungsübergreifende Dynamik. Ihre Wirkungsweise erstrecke sich weit in den genuinen Zuständigkeitsbereich der Betrachtenden hinein, die ihre Ein-

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Der künstlerische Charakter von La Planète Jean Paul Gaultier ist auf die gegenseitige Einflussnahme von Kunst und Mode zurückzuführen, eine Entwicklung, die in den letzten Jahrzenten zunehmend an Bedeutung gewinnt.24 Erste Verbindungen zwischen Mode und künstlerischer Avantgarde zeigten sich seit den 1960er Jahren (vgl. Fukai 2010, 288; Riegels Melchior 2014, 6), was eine Neubewertung des Modedesigns als potenziell künstlerischer Schaffensprozess provozierte. Seit den 1970er und 1980er Jahren hielten Modeausstellungen vermehrt Einzug in Kunstmuseen (vgl. Riegels Melchior 2014, 8), wobei etwa auch bewegte Installationen aus der Kunst aufgegriffen wurden (vgl. Lehnert/Kühl/Weise 2014, 41). Gleichzeitig zeigten Kunstmagazine ein verstärktes Interesse an Mode (vgl. Wenrich 2015, 347). Seit den 1990er Jahren werden Modeschaffende in Einzelausstellungen als Künstlerinnen und Künstler dargestellt (vgl. Riegels Melchior 2014, 6, 10). Die Präsentationen von Mode gleichen immer stärker denen der Kunst (vgl. Lehnert 2013, 44; Wenrich 2015, 357f.; Kühl 2015a). Dabei erhält auch Räumlichkeit eine besondere Aufmerksamkeit, und zwar nicht nur in Bezug auf den Ausstellungsort, sondern auch auf die spezifische Dimensionalität der Kleider.25 Es beginnt eine „Aufführung der Mode, die auf aufwendige, theoriebezogene Performanz und komplexe Raumsituationen setzt“ (Wenrich 2015, 354). Schon die Wahl des Ausstellungsraums für La Planète Jean Paul Gaultier unterstreicht die Verbindung von Architektur, Kunst und Mode, denn der für die Pariser Weltausstellung 1900 geschaffene Grand Palais beherbergt seit seiner Entstehung Kunst- und Modeausstellungen wie auch Modeveranstaltungen.26 Die Schau orientiert sich dabei an dem Trend der letzten drei Jahrzehnte, die Präsentation der Mode künstlerischen Strategien anzunähern und zugleich wissenschaftliche Diskurse aufzugreifen. Dazu zählen nicht nur das durch die AvantgardeKunst geprägte Konzept der Performativität, sondern auch andere von der Kunst drücke zeit- und bewegungsabhängig gewinnen. „Akustische, haptische, geruchsspezifische, visuelle und zeitliche Erlebniselemente und ihre Wechselwirkungen untereinander bestimmen die Wirkungsästhetik einer solchen künstlerischen Arbeit.“ (Ebd., 137) 24 Die Grenzen zwischen Kunst und Mode werden zunehmend fließend (vgl. Wenrich 2015, 351), was nach Lehnert typisch für die Postmoderne ist (vgl. Lehnert 2013, 46). Lehnert schlägt daher vor, Kunst und Mode als Grenzphänomene zu definieren (vgl. ebd., 47). Zum Verhältnis von Mode- und Kunstsystem vgl. auch Lehnert/Kühl/Weise 2014, insb. 29-34 sowie Leutner 2011. 25 Diese enge Verbindung von Kleidung und Architektur gewinnt insbesondere seit den 1980er Jahren an Bedeutung (vgl. Wenrich 2015, 360; Lehnert 2015b, 243). Vgl. zum Verhältnis von Kleid und Raum Lehnert 2013, 67ff.; Lehnert 2012a. 26 So zeigt das Modehaus Chanel seit 2005 mindestens zwei Mal jährlich seine Kollektionen im Grand Palais.

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angestoßene wissenschaftliche Konzepte zur Agency von Dingen, zur Animation von Bildern, zum Verhältnis von Körper und Leib etc. In diesem diskursiven Spiel werden Dynamik, Leiblichkeit und Subjektivität stets mehr suggeriert als realisiert, was aber eine Fokusverschiebung von den Ausstellungsobjekten hin zu den Besuchenden bedeutet. Somit fragt die Schau auch nach dem Stellenwert der Rezeption für die Konstitution von Mode.27 Diese Studie untersucht, inwieweit die anthropomorphen Artefakte in La Planète Jean Paul Gaultier Leben simulieren und insofern als transikonisch gelten können. Dabei wird der Ausstellungsraum als ein performativer begriffen, in welchem Artefakte als sekundäre Akteure und Besuchende als primäre Akteure Atmosphären gemeinsam hervorbringen. Der Ausstellungsbesuch wird somit zum Ereignis, das aber durch bestimmte planvolle kuratorische Strategien vorstrukturiert ist. Wie schon in der Untersuchung von Bellmers Die Puppe liegt auch in der Ausstellungsanalyse das Augenmerk auf den kuratorischen Inszenierungsstrategien einerseits und den Emergenzen des aisthetischen Ereignisses andererseits. So wird gefragt: Simulieren die Mannequins Agency oder entwickeln sie Agency? Um diese Frage zu beantworten, werden zunächst die Geschlechtsinszenierungen, die entworfenen modischen Szenen und die hybriden Körper der anthropomorphen Artefakte analysiert. Anschließend wird der performative Museumsraum beleuchtet. 3.2.3 Modeszenen Die Konfrontation von Punks und Modenschau in der Sektion Punk Cancan ist beispielhaft für die Überschrift der Ausstellung De la Rue aux Étoiles. Die Exhibition stellt nicht nur Kleidung aus, sondern führt das Modesystem selbst vor, nämlich das bottom-up von der Straßenmode zur High Fashion28 – eine Struktur, die Jean Paul Gaultiers Schaffen zutiefst inhärent ist. Sein Œuvre war immer von einem spielerischen, humorvollen Umgang mit Konventionen geprägt. Materia-

27 Vgl. hierzu Venohr 2015, 123. Der Fokus auf die Rezeption irritiert allerdings angesichts einer Sonderausstellung, die Gaultier als originären Modeschöpfer darstellt. 28 Im Gegensatz zu Georg Simmels Konzept des trickle-down in der Mode (vgl. Simmel 2014; Vänskä 2014, 452). Für Gaultiers Œuvre können daher exemplarisch Appadurais Ausführungen über eine Ästhetik der Dekontextualisierung gelten. Hier nennt Appadurai Uniformen, die in die Ordnung der Mode übergehen. Dies sei ein Beispiel für „what we might call commoditization by diversion, where value, in the art or fashion market, is accelerated or enhanced by placing things in unlikely contexts.“ (Appadurai 1986, 28)

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lien, Formen und Kontexte seiner Entwürfe greifen stets über das hinaus, was insbesondere bis in die 1980er Jahre als High Fashion galt. Gaultier bedient sich der Alltagskultur und verwandelt deren triviale Erscheinungen in Haute Couture. Seine Kreationen beziehen viele verschiedene, wenn nicht konträre Quellen, verbinden Eleganz und Vulgäres, Seltenes und Massenprodukt, Tracht und subkulturelle Kleidung – stets mit einem ironischen Gestus. Und: Haute Couture war und ist für ihn nicht Frauen vorbehalten.29 Laut Annamari Vänksä wollte die Gaultier-Ausstellung zeigen, „that it is the mundane culture, ‚the street‘, that actually determines what is in fashion.“ (Vänskä 2014, 452) Ähnlich konstatiert Barbara Vinken in Bezug auf die Mode am Ende des 20. Jahrhunderts: „Gemacht, getragen, vorgeführt wird die Mode nicht von Bourgeoisie oder Aristokratie, sondern auf der Straße.“ (Vinken 1993, 35) Die modischen Szenen in La Planète Jean Paul Gaultier demonstrieren den Einfluss der Straßenmode auf die High Fashion, wofür Gaultiers Œuvre beispielhaft steht – auch im Selbstverständnis des Designers als enfant terrible. Die Ausstellung veranschaulicht den Zitatcharakter von Mode und damit deren grundlegendes Potenzial, subversiv zu sein: Jenseits von Rationalem und Irrationalem, jenseits vom Schönen und Häßlichen und jenseits von Nutzen und Nutzlosigkeit verleihen diese Immoralität gegenüber allen Kriterien und diese Frivolität der Mode gelegentlich eine subversive Kraft [...]. (Baudrillard 2005, 143)

Die unterminierende Kraft der Mode gewinnt gerade im Hinblick auf Geschlechterinszenierungen an Relevanz. Voraussetzung für Gaultiers Spiel mit den Geschlechtern ist dabei die Fähigkeit der Mode, „unseren Geschmack, unsere ästhetischen Vorstellungen sowie unsere Bilder vom menschlichen Körper und von den Geschlechtern“ (Lehnert 2005, 258) zu prägen. „Mode ‚modelliert‘ Identitäten; sie bestimmt, wie wir Körper wahrnehmen, und sie kreiert die Geschlechtskörper, von denen wir täglich umgeben sind“ (ebd., 259). Denn gewöhnlich sehen wir nicht den nackten Körper der Menschen um uns, sondern die modischen Indikatoren des Geschlechts (vgl. ebd.; vgl. auch Hirschauer 2015).

29 Gaultiers Mode wurde häufig mit Queerness beziehungsweise der Brechung von Genderstereotypen in Verbindung gebracht (vgl. Vänskä 2014; Lehnert 2008b, 176f.; Loschek 2002, 80; Vinken 1993, 142f.). Vänskä versteht auch die animierten Mannequins als eine Form des Queering, und zwar von Modeausstellungen. „The Gaultier exhibition was also a success in terms of queering a fashion exhibition: even if the exhibition was a parade of mannequins, these dolls were not silent dummies but some sort of hybrid post-human cyborgs à la Donna Haraway.“ (Vänskä 2014, 460)

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So vollzieht sich die Sexuierung des per se asexuellen Puppenkörpers in der Ausstellung auf seiner materiellen Oberfläche, durch Kleider, Perücken, Accessoires, geschlechtlich konnotierte Körperformen, Stimmen, Blicke und Mienen, die mehrheitlich den Codierungen einer binären Geschlechterordnung folgen.30 Zudem steht der weibliche Körper zumindest quantitativ im Zentrum und bestätigt damit die konventionelle Zuschreibung von Mode und Weiblichkeit. Wie so oft steht die Modepuppe tendenziell für die Geschlechterbinarität ein. Gleichzeitig kann jedoch die offensichtliche Konstruiertheit der anthropomorphen Artefakte in La Planète Jean Paul Gaultier die Artifizialität geschlechtlicher Identität aufzeigen. Ihre hybride Körperlichkeit bricht in dieser Perspektive Körpernormen auf, so dass auch Materialien und Formen der Kleider eine multiple Lesbarkeit evozieren (vgl. hierzu Gaugele 2005, 317). Zudem eröffnet der Assemblage-Charakter von Gaultiers Entwürfen immer einen Deutungsspielraum, gerade was Geschlechterfragen betrifft. Laut Vinken stellt Gaultier in seinen Kreationen den „künstlichen Prozeß“ der Geschlechterkonstruktion heraus (vgl. Vinken 1993, 48). Sein Œuvre gliedert sich in die postmoderne Mode ein,31 welche nach Gaugele die Struktur ‚Geschlecht‘ als deutlich kulturell konstruiertes, entnaturalisiertes Kunstprodukt erscheinen lässt (vgl. Gaugele 2005, 315). Das lässt die Kleider und die anthropomorphen Artefakte in der Ausstellung zu idealen Partnern werden: In der Nähe zum menschlichen Körper – einmal räumlich, einmal mimetisch – öffnen beide den Blick für neue Geschlechter-, Körper- und Menschenbilder und entwickeln damit eine potenziell subversive Agency. Nach Gertrud Lehnert ist Mode immer ein ästhetisches Ereignis (vgl. Lehnert 2015a, 29). Sie realisiere sich durch das Zusammenspiel von Kleidern, Körpern, Wahrnehmung und Bedeutungszuweisungen in Zeit und Raum (vgl. ebd., 30). Erst in der ‚Verkörperung‘ komme Mode in einem engeren Sinne zustande: wenn die Kleider leben, wenn sie in Bewegung geraten, wenn sie mit dem Körper eine (ephemere) Einheit bilden – den Modekörper. Hier zeigt sich die Performativität der Mode:

30 Mit einigen Ausnahmen, wie den beschriebenen Modellen L’homme miroir und La Mariée, der Puppe des Travestie-Künstlers Conchita Wurst oder der Filmaufnahme einer Modenschau mit der Sängerin Beth Ditto, die die gängigen Weiblichkeitsentwürfe des Modesystems infrage stellte. 31 Eine postmoderne Ästhetik ist unter anderem gekennzeichnet durch ihre radikale Selbstbezüglichkeit, ihre Erlebnisorientierung, die Betonung von Sinnlichkeit, Ereignishaftigkeit und Individualität, das Ineinandergreifen von Genres sowie einen ironischen Gestus. Vgl. zum Begriff der Postmoderne Baum/Höltgen 2010; Schubert 2006; Mayer 2005; Winter 2003; Hügel 2003.

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Sie bringt etwas Neues hervor, was es so zuvor nicht gab, was sich im Vollzug ergibt. […] Mode im Sinne des Umgangs mit Kleidung ist Vollzug, Inszenierung – ist Spiel. (Ebd., 34)

Mode verwirklicht sich in diesem performativen Verständnis in Aufführungen, welche wiederum Teil haben an der Konstitution von Identitäten (vgl. Lehnert 2005, 260). Mit ihren lesbaren vestimentären Zeichen mache sie die Zugehörigkeit von Menschen zu einer sozialen Gruppe und deren Abgrenzung von anderen sozialen Gruppierungen sichtbar (vgl. ebd., 251). Vestimentäre Artefakte entwickeln dabei Agency, denn sie fordern zu bestimmten Körperhaltungen beziehungsweise Bewegungen auf und machen andere unmöglich (vgl. Lehnert 2015a, 38). Sie beeinflussen Körpersprache und Ausstrahlung und sind damit konstitutiver Bestandteil von Subjektivierungsweisen. In diesem Sinne verweist die Gaultier-Ausstellung auf die ästhetische Selbstgestaltung, durch welche sich Individuen und soziale Gruppen in einer ausdifferenzierten Gesellschaft voneinander abzugrenzen suchen. Denn ein Ziel von La Planète Jean Paul Gaultier war es offensichtlich, Attitüden und damit Lebensstile von Trägerinnen und Trägern zu transportieren – wenn auch in ironischer Manier. So führten die Punk-Mannequins nicht nur die Kleidung einer Subkultur vor, sondern bildeten auch stereotypisierte Redeweisen und Körpersprachen dieses Milieus ab. Ohne eine bestimmte Tätigkeit zu verfolgen, standen sie mit einer gelangweilten, ablehnenden Haltung der Modenschau gegenüber und schienen dadurch die Trivialität des Modesystems zu kritisieren. Voraussetzung für die Lesbarkeit einer solchen von Mannequins dargestellten Körpersprache ist Katja Weise zufolge, dass sie alltäglichen Bewegungsabläufen entlehnt ist und damit kodierten und konventionalisierten Körperhaltungen entspricht. Dann ist sie für Besuchende wiedererkennbar (vgl. Weise 2015, 283). Weise befasst sich insbesondere mit kuratorischen Strategien, die darauf zielen, Kleidung in Bewegung zu versetzen und modische Szenen hervorzubringen (vgl. Weise 2012, 184). Denn Kleidermode ist von Strategien der Verkörperung abhängig, bei denen vestimentäre Objekte räumlich sowie zeitlich an und mit Körpern zur Aufführung kommen und modische Szenen hervorbringen – sei es im Alltag auf der Straße, im Büro, in der Umkleidekabine oder bei Modenschauen, Fotoshootings sowie Ausstellungen. (Weise 2015, 268)

Modische Szenen versteht Weise damit als Wechselspiel zwischen Kleid und Körper in den Aufführungen von Kleidermode (vgl. Weise 2012, 184). Die animierten Mannequins in La Planète Jean Paul Gaultier demonstrierten solche modischen Szenen und deren Räume: die ästhetische (Selbst-)Inszenierung auf dem Laufsteg,

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der Bühne, vor dem Spiegel oder auf der Straße. Nun wäre zu erwarten, dass diese Szenen auch die Kleider in Bewegung setzen. Kleider sind schließlich nach Christoph Allenspach „Bewegungsdinge“ (Allenspach 2013, 161), die wir im Alltag nicht als statische Formen, sondern als „Verlauf von Bewegungserscheinungen“ (ebd., 164) wahrnehmen. Schon im Produktionsprozess müssen Designerinnen und Designer daher den späteren Einfluss von Körperbewegungen bedenken. Auch für Kuratierende bedeutet die Exhibition von Kleidern eine Herausforderung, denn ohne den form- und bewegungsverleihenden Körper sind die Materialqualitäten nur erahnbar: Volumen, Gewicht, Textur, Farben und Lichtspiele entfalten ihre sinnlichen Dimensionen erst in der Bewegung. Videoaufnahmen, Installationen oder lebende Models sind daher immer wieder eingesetzte kuratorische Mittel, Kleider in Bewegung zu zeigen (vgl. hierzu Taylor 2002, 26ff; Weise 2012). Issey Miyakes Schau Making Things (1998) im Centre Cartier ließ die an Drahtseilen befestigten Kleider vibrieren, sobald die Besuchenden die Halle betraten. Die Wanderausstellung Waist down – Skirts by Miuccia Prada (2004-2009) bewegte Röcke mit Deckenventilatoren. Für die Schau Alexander McQueen: Savage Beauty (2011) im Metropolitan Museum führte ein Hologramm des Models Kate Moss in langsamen Bewegungen das Fließen der zarten Stoffe an ihrem Körper vor. Lebende Models wiederum wurden bereits im Paris der 1870er Jahre eingesetzt (vgl. Munro 2014, 178). Bei der Weltausstellung 1900 in Paris präsentierten lebende Mannequins zusammen mit lebensgroßen Wachsfiguren Kleider verschiedener Kulturen (Clark/de la Haye 2014, 11f.). Der Fotograf Cecil Beaton arbeitete für die Ausstellung Fashion: An Anthology mit Models aus Fleisch und Blut, ebenso wie die Kuratorin Doris Langley Moore (vgl. ebd., 42). Die Reihe Fashion in Motion im Victoria & Albert Museum zeigt seit 1999 neben Videos Live-Modenschauen mit lebenden Mannequins. Und auch Gaultier präsentierte 1985 Kreationen an lebendigen, tanzenden Models: Die Schau Le Défilé, eine Zusammenarbeit mit der Choreografin Régine Chopinot, situierte sich zwischen Ballett und Modenschau und verfolgte ganz explizit das Ziel der Dynamisierung des Kostüms. Es gibt also durchaus kuratorische Strategien, die „stetige[ ] Verformung“ (Allenspach 2013, 165) der Kleider in der Bewegung eines Körpers für die Rezipierenden erfahrbar zu machen. Doch in den modischen Szenen der Gaultier-Ausstellung sind die Exponate trotz der aufwendigen Animation der Mannequins statisch. Dynamisch sind allein die Videoprojektionen auf die Gesichter und die technische Animation des Laufstegs, die aber lediglich den Puppenkörper als Ganzen in Bewegung setzt. Die Beweglichkeit der Puppenglieder bleibt ungenutzt, so dass die Kleider letztlich starr sind.

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Zugleich suggerieren die Posen der Mannequins nicht Dynamik, sondern sind von Statik geprägt. Weder deuten ihre Körper Richtungswechsel noch divergierende Richtungsorientierungen an. Stehend, sitzend oder liegend erschließen sie den Raum nur in der Horizontalen. Ihre Körper erschaffen den Raum nicht mit, sondern sind raumabweisend. Ebenso wenig werden Interaktionen zwischen den Mannequins angedeutet, sie sind stets den Rezipierenden zugewendet. Damit wird weder das oben erwähnte Moment der Bewegungssuggestion bei der Präsentation von Kleidermode ausgeschöpft, noch werden die Kleider tatsächlich bewegt. Die modischen Szenen halten also nicht ihr Versprechen auf ein dynamisches Wechselspiel von Kleid und Körper. Nach Alicia Kühl beruhen Modenschauen „auf von DesignerInnen minutiös geplanten Inszenierungen“ (Kühl 2015b, 216). In der Modenschau als einer nichtalltäglichen Praxis seien Bewegungen vorbestimmt: choreografiert (vgl. ebd., 215f.). Kühl stellt fest, dass „Bewegungseffekte“ bei Modenschauen immer stärker in den Vordergrund rückten. Der Modenschauraum konstituiere sich demnach durch die Bewegung des bekleideten Körpers im Raum, durch die Choreografie „als künstliche und künstlerische Anleitung“ (ebd., 222). In ihren Abläufen seien Modenschauen zwar nicht vollends planbar (vgl. ebd., 216), bringen aber gerade deswegen Neues hervor (vgl. ebd., 228). Diesen Aufführungscharakter der Modenschau ironisiert La Planète Jean Paul Gaultier, wenn leblose Mannequins in mechanischer Gleichförmigkeit über den Laufsteg gefahren werden. Ebenso gleicht die Temporalität der audiovisuellen Animation einem sich ewig wiederholenden Kurzfilm, wodurch sie vorbestimmt, vorhersehbar und abgeschlossen erscheint. Die Bewegungen sind nicht nur choreografiert, sondern geschehen an artifiziellen Körpern, so dass von der Flüchtigkeit und Unvorhersehbarkeit leiblicher Performanz nicht die Rede sein kann. Somit büßen die Kleider einen Teil ihres performativen Potenzials ein, das sie am bewegten dreidimensionalen Körper entfalten könnten und das den Modekörper entstehen ließe. Den Rezipierenden werden solche Performanzen vorenthalten, stattdessen wird ihr Blick auf statische Kleider an leblosen Körpern gelenkt. Dabei wird das „vergängliche Moment der modischen Szene“ (Weise 2012, 189) zum medialen Event in Endlosschleife. Die modischen Szenen dehnen gewissermaßen Lessings fruchtbaren Moment aus, sie bieten den Rezipierenden ja ein Vor- und Nachher. Doch diese szenischen Fragmente lassen wiederum das Vor- und Nachher dieses ‚ausgedehnten Moments‘ offen und geben durch ihre ständige Iteration kaum Raum für eine imaginierende Erweiterung. Eine Narration wird letztlich nur suggeriert, die Reden und Mienen bleiben bruchstückhaft. Im Prinzip entwerfen die Inszenierungen weniger eine konsekutive Handlungsfolge

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als vielmehr räumliche Koexistenz. Die konservierende Temporalität des Museums wird nur scheinbar aufgebrochen. Ebenso wie auf Lebendigkeit nur ironisch angespielt wird, wird ein Bezug zur Außenwelt in La Planète Jean Paul Gaultier mehr parodiert als realisiert. Zwar präsentiert die Ausstellung Mitschnitte von Modenschauen und Bühnenperformances mit Gaultiers Kostümen sowie Sequenzen aus Filmen, für die der Designer Ensembles entworfen hat. Und auch mit der Modenschau inszeniert sie ja die Partizipation der Museumsbesuchenden am Modesystem und macht sich dabei die medial produzierte Verbindung von Mode und Glamour zunutze (vgl. Leutner 2008, o.S.). Letztlich bleiben diese Verweise aber Verweise. Die Außenwelt ist im Museum nur in ihren Spuren erfahrbar. Es sitzen eben keine lebendigen Stars im Publikum und es präsentieren keine lebendigen Models die Kleider. Zwar bekommen die Besuchenden mit den Entwürfen Originale zu sehen, doch diese bleiben trotz der inszenierten Nahbarkeit leblose Exponate. Die musealisierte Modenschau reflektiert das Modesystem und führt es zugleich ad absurdum, indem es die Aufführung von Mode vorführt. Das Versprechen auf Lebendigkeit, Teilhabe und Glamour wird nicht erfüllt.32 So verbleibt die Ausstellung in einem Modus des ‚Als-ob‘ und verweist dabei stets auf die eigene Artifizialität. Diese Selbstreferenzialität setzt aber die Ereignishaftigkeit des Wahrnehmungsakts in den Mittelpunkt. Im Scheitern des Verweises auf die Welt außerhalb des Museums wird das Hier und Jetzt des Ausstellungsbesuchs beschworen. Die modischen Szenen demonstrieren also Formen ästhetischer Selbstgestaltung in der Postmoderne, erweisen sich aber in ihrer Statik und Gleichförmigkeit als hochgradig artifiziell. Die Modepuppen in La Planète Jean Paul Gaultier entwickeln dabei gleichzeitig ein ganz spezifisches Verhältnis zu ihrer Dimensionalität. Denn obwohl es sich um kubische Objekte handelt, sind ihre Körper und Gesichter auffallend flächig. Der Wechsel von Licht und Schatten, Erhebungen und Vertiefungen, konkaven und konvexen Formen, der für die Gestaltung und 32 Die Kuratorin Nathalie Bondil beschreibt die Ausstellung als „living installation“ (Bondil 2011, 16): „For the senses’ physical apprehension of an original work of art is inimitable and irreplaceable; the encounter with an original imprints us all with a unique, moving and loving emotion, as it does in other phases of life. This exhibition will enable the majority of people who will never have the chance of attending a haute couture fashion show, or examining the clothes away from the dazzle of runway events, to enjoy directly the delight afforded by the fabrics and to appreciate the skilled craftsmanship involved. At close range, heart to heart.“ (Ebd., 19) Hier wird der kuratorische Versuch deutlich, die Kostüme als Kunstwerke zu präsentieren und zugleich die museale Distanz zu überwinden. Diesem Anspruch wird die Ausstellung jedoch nur bedingt gerecht.

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Rezeption von Plastiken so bedeutsam ist, spielt eine untergeordnete Rolle. Sie werden vielmehr als glatte, opake, raumabweisende Oberflächen präsentiert. Zugleich werden vor allem Frontal- und Profilansicht in Szene gesetzt. Nicht die Dimensionalität des artifiziellen Körpers steht in den Inszenierungen im Vordergrund, sondern seine Flächigkeit. Die Besuchenden haben es also mit plastischen Körpern zu tun, die eher als Oberflächen inszeniert werden. Dies ist bei Modepuppen keine Seltenheit. Gerade Schaufenster imitieren tendenziell das Tableau. Sie werden eher wie flächige Bilder gestaltet, mit meist statischen Szenarien und opaken Puppenkörpern (vgl. Scholz 2018b, 40ff). Dennoch erstaunt die den Bildcharakter der Mannequins betonende Inszenierung in La Planète Jean Paul Gaultier. Eine Schau, die den artifiziellen Körper als Träger der Kleidung derart in den Vordergrund rückt, ließe erwarten, dass die viel beschworene körperliche Dimensionalität zur Präsentation der Mode ausgeschöpft wird. Stattdessen wird ein Spannungsverhältnis zwischen Flächigkeit und Plastizität inszeniert. Diese Diskrepanz setzt sich auf einer weiteren Ebene fort, nämlich bei der Konfrontation des zwar eher flächigen, aber dennoch dreidimensionalen Puppenkörpers mit dem digitalen, zweidimensionalen Videobild. Denn diese beiden Wahrnehmungsangebote lassen sich nicht ‚nahtlos‘ zusammenfügen. Sie bilden keine Einheit, sondern evozieren eine unauflösliche Spannung, die auch nicht durch die Projektivität der menschlichen Wahrnehmung überwunden wird. Schließlich kann der projektive Wahrnehmungsakt den räumlich ausgedehnten Körper optisch zweidimensional und umgekehrt den flächigen Bildgegenstand voluminös erscheinen lassen. Entsprechend betont Belting, dass wir das körperlose Bild des Körpers auf der Fläche des Spiegels körperlich wahrnehmen (vgl. Belting 2001, 23). Umgekehrt hat Winter die „Transformation des konsekutiv Kubischen in die Koexistenz des anschaulich Bildlichen“ (Winter 2006a, 20) bei der Rezeption von Skulpturen aufgezeigt. In der raum-zeitlichen Sukzession generieren die Rezipierenden verschiedene Ansichten, die zur spezifischen Bildlichkeit der Plastik synthetisiert werden.33 Doch in La Planète Jean Paul Gaultier erfolgt keine Synthese, weder in Richtung einer wahrgenommenen Zweidimensionalität, noch in Richtung einer wahrgenommenen Dreidimensionalität. Die Erscheinung dieser anthropomorphen Artefakte bleibt hybrid. Aus kuratorischer Sicht haben die Flächigkeit der Puppengesichter und die Statik der Puppenkörper mit Sicherheit die Projektion der Videos vereinfacht. Doch die entstandene Spannung zwischen zweidimensionalem

33 Was übrigens ebenso für die Kleider gelten muss, die ihre Bildlichkeit ebenfalls in der Mehransichtigkeit entfalten.

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Videobild und plastischem Körper stellt die Rezipierenden vor Herausforderungen. Ihr Anblick irritiert nachhaltig.34 Hinzu kommen die Gelenkstellen, die besonders sichtbar am Unterarm ihren Status als zusammengesetzte Artefakte markieren, sowie die verstörende Konfrontation des normierten Puppenkörpers mit dem individuellen Gesicht. All diese Aspekte betonen aber den fragmentarischen Charakter der Mannequins. Die Rezipierenden werden auf deren Zusammengesetztheit aus hybriden Elementen hingewiesen. Die anthropomorphen Artefakte stellen damit gewissermaßen ihr Kunstsein aus. Es wird keine imitatio naturae angestrebt, sie sind keine perfekten Kopien des Lebens, sondern sie präsentieren ihre Artifizialität. In dieser Artifizialität unterstreichen sie jedoch die Gegenwart der Besuchenden. Der Körper der Modepuppe besitzt für gewöhnlich eine glatte, abgeschlossene und abweisende Oberflächenstruktur. Christian Spies zufolge ist es aber „die scharfe Begrenzung der Oberfläche, an der nicht mehr ein Inneres nach außen zur Anschauung gebracht wird, sondern die ihre Bestimmung durch das Außen auf der Oberfläche erfährt“ (Spies 2006, 92). Die opake Körperoberfläche der Mannequins reflektiert gewissermaßen den Außenraum und damit auch die Besuchenden. Diese Spiegelung wird noch durch die Monologe der anthropomorphen Artefakte verdoppelt, welche wiederum die Anwesenheit der Besuchenden reflektieren. Die abweisende Körperoberfläche ist damit ein Mittel, die Besuchenden auf ihre eigene, leibliche Präsenz zu verweisen. Mit Seel gesprochen führt die Ausstellung hier eine Situation vor Augen, an der sie selbst Anteil hat (vgl. Seel 2000, 136). Die Mannequins werden also auf den ersten Blick als opake Körper präsentiert. Im nächsten Moment entstehen jedoch Brüche, die den opaken als grotesken Körper ausweisen. Die Ausstellung entwirft anthropomorphe Artefakte, die Normkörperlichkeit zwar aufgreifen, aber zugleich infrage stellen. Diese hybriden artifiziellen Körper erzeugen dabei nicht nur visuelle Aufmerksamkeit, sie verweisen die Besuchenden auch auf deren Leiblichkeit. Mit einem strukturell fragmentarischen Ausstellungsdesign gerät die eigene Gegenwärtigkeit in den Fokus.

34 Der entstandene Kontrast wird noch verstärkt, indem die materielle Präsenz der anthropomorphen Körper mit dem „Abstraktionsgrad der Digitalschrift“ (Gronau 2012, 44) konfrontiert wird. Diese ist körperlos und besteht „nur aus fließender elektrischer Energie“ (ebd.). Der Körperlosigkeit des Digitalen werden artifizielle Körper gegenübergestellt, wobei jedoch wie beschrieben keine Einheit entsteht.

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3.2.4 Moderäume Museen sind „Sammel- und Zeigeort der materiellen, der dreidimensionalen Kultur.“ (Korff 2002, 142) Hier lässt sich die „Realpräsenz der Dinge erfahren“ (Lehnert/Kühl/Weise 2014, 37), welche aus der Fülle materieller Kultur herausgehoben und in Szene gesetzt werden. So definiert Katja Weise Ausstellen als eine „Geste des Zeigens, mit der etwas ausgewählt, herausgestellt, hervorgehoben, zum Erscheinen gebracht sowie in seiner spezifischen Materialität und Dinghaftigkeit wahrnehmbar gemacht wird“ (Weise 2012, 184). Zwar spielt im Museum der Sehsinn für die Erfahrung der materiellen Exponate die Hauptrolle, weswegen Rimmele/Stiegler Ausstellungen als „Sehschulen“ (Rimmele/Stiegler 2012, 55) begreifen. Doch gerade durch die ästhetische Distanz und den visuellen Fokus können die Dinge „einen ästhetischen Gebrauchswert“ (Wagner 2014, 303) gewinnen und mit einer affektiven Kraft aufgeladen werden (vgl. Leutner 2008, o.S.). Insbesondere an musealisierten vestimentären Objekten kann die Agency der Dinge deutlich werden (vgl. Lehnert/Kühl/Weise 2014, 37). Denn weil der körperliche Umgang in den meisten Museen nicht möglich sei, lösten Kleider in Ausstellungen aktiv etwas in den Menschen aus: Emotionen wie Staunen oder Neugierde, ästhetisches Wohlwollen oder den Impuls, etwas mit dem Ausgestellten tun zu wollen (vgl. ebd.). Nach diesen einführenden Bemerkungen zur Museologie ist zu fragen, welches räumlich-ästhetische Arrangement die Ausstellung La Planète Jean Paul Gaultier entwirft und welche affektive Kraft die anthropomorphen Artefakte dabei entwickeln. Der Raum wird bei dieser Frage insofern eine hervorgehobene Rolle spielen, als in der Modeausstellung nicht nur eine imaginative Ko-Präsenz und Simultaneität mit dem ästhetischen Objekt gegeben ist. Anders als in Bellmers Fotoserie Die Puppe und in Hoffmanns Erzählung Der Sandmann treten die Rezipierenden dem anthropomorphen Artefakt schließlich direkt gegenüber. Ausgangpunkt der folgenden Überlegungen zum Ausstellungsraum ist ein Überblick über die noch recht junge Geschichte der Modeausstellung. Obwohl einige Museen bereits seit dem vorvergangenen Jahrhundert textile Sammlungen besitzen, hat Kleidung in der Museumswelt lange eine untergeordnete Rolle gespielt (vgl. Steele 2008, 8). Mode war es schlicht nicht Wert, in Museen ausgestellt zu werden (vgl. ebd., 9). Auch Marie Riegels Melchior unterstreicht, dass diese Verbindung mit wenigen Ausnahmen ein Phänomen des 20. Jahrhunderts sei (vgl. Riegels Melchior 2014, 6). Eine solche Ausnahme dürfte das aus der Weltausstellung in London 1851 hervorgegangene Victoria & Albert Museum sein, das als erstes Kunstgewerbemuseum gilt. Als frühe Form der Präsentation von Mode sind auch die Weltausstellungen zu nennen, die seit Mitte des

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19. Jahrhunderts Kultur, Industrie und nationale Identitäten des Gastgeberlandes präsentierten (vgl. Clark/de la Haye 2014, 11). Sie boten den ersten Couturiers eine Plattform zur Präsentation ihrer Kollektionen vor einer breiten Öffentlichkeit (vgl. Lehnert/Kühl/Weise 2014, 41). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts richteten Kunstmuseen vermehrt Kostümsammlungen ein; Kleider wurden zunehmend zu akzeptierten Ausstellungsobjekten (vgl. Riegels Melchior 2014, 7). Dabei stand die historische Kontextualisierung der Kleider im Vordergrund, die an „lifelike mannequins with historically correct postures and wigs“ (ebd.) gezeigt wurden.35 Ab den 1960er befruchtete die wachsende Bedeutung der Populärkultur das Ansehen der Mode, die nun als wichtiger Teil des kollektiven kulturellen Erbes betrachtet wurde (vgl. ebd., 8). Die Auflösung der Grenzen zwischen Kunst, Mode und Design hatte nach Fukai auch ein steigendes wissenschaftliches Interesse an Mode zufolge (vgl. Fukai 2010, 288). Als richtungsweisend gilt die Ausstellung Fashion, an Anthology by Cecil Beaton im V&A Museum 1971, die neue Ausstellungsstrategien erprobte und sich am Design der Modeboutique orientierte. Zum Einsatz kamen moderne, abstrakte Mannequins (vgl. Riegels Melchior 2014, 8). In den 1970er Jahren eröffneten erste auf Kleidermode spezialisierte Museen wie das Musée de la Mode et du Costume im Palais Galliera 1977, das Kyoto Costume Institute und das Textiel- en Kostuummuseum in Antwerpen. Prägend in dieser Phase war auch Diana Vreelands Wirken. Ihre Retrospektive über Yves Saint Laurent war die erste große Ausstellung, die einem lebenden Designer gewidmet war (vgl. Steele 2008, 12). Am Costume Institute im Metropolitan Museum of Art in New York zeigte sie zwischen 1972 und 1989 15 Modeausstellungen. Seit den 1990er Jahren ist die Bedeutung von Modeausstellungen stark gewachsen und ergänzt den gleichzeitig gestiegenen Stellenwert von Modenschauen und der Präsentation in Stores (vgl. Steele 2008, 8).

35 In der Geschichte der Modeausstellung beobachtet Riegels Melchior eine Entwicklung vom Fokus auf das Kleid hin zum Fokus auf Mode, vom Ausstellungsobjekt hin zum Erlebnis der Ausstellung (vgl. Riegels Melchior 2014, 13). Während die Anfänge der Geschichte von Mode in Museen durch eine dress history geprägt war, dominiere heute die fashion museology (vgl. ebd., 9). Dress museology bezeichnet die Kostümsammlung im engeren Sinne, deren Ziel die Konservierung der Kostümgeschichte ist. Sie sei teuer und erfordere große, klimatisch angepasste Lagerbedingungen. Fashion museology dagegen erzeuge einmalige Besuchserlebnisse und erhöhe die Sichtbarkeit eines Museums (vgl. ebd., 12).

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[This] period, from the late 1990s until today, shows the intensified focus on fashion in museums, the development of new specialized fashion museums, the spread of fashion exhibitions even to museums without a fashion or dress collection, and the display of fashion in spectacular visual shows modeled on the less critical high-profile haute couture fashion shows in Paris or more critical art installation-like displays. (Riegels Melchior 2014, 6)

Seither sind Modeausstellungen für Museen von strategischem Interesse, um neue Publikumsgruppen sowie mediale Beachtung zu gewinnen (vgl. ebd., 9). Oftmals stünden die Œuvres einzelner Designerinnen und Designer im Fokus, womit die Tendenz einhergehe, diese als Künstlerinnen und Künstler zu präsentieren. Solche Ausstellungen würden häufig gemeinsam von Kuratierenden, Museen und Modeschaffenden produziert. Doch den Museen stelle sich die Herausforderung, das Spektakel des Modekonsums zu liefern und zugleich kontextualisierende und kritische Hintergründe bereitzustellen (vgl. ebd., 14). „The critical curational potential thus risks being reduced to extended marketing initiatives.“ (Ebd., 10) La Planète Jean Paul Gaultier fügt sich nahtlos in die Entwicklung der Modeausstellung in den letzten 30 Jahren. Die von der Marke Jean Paul Gaultier koproduzierte Ausstellung genügte dabei sicherlich strategischen Interessen des Modehauses wie auch der beteiligten Museen. Doch zumindest die Mode hat ihre Autonomie von Zwängen des Marktes nie behauptet (vgl. Lehnert 2005, 256). Auch der installative Charakter der Ausstellung, die den Modedesigner als Künstler präsentiert, ist wie bereits erwähnt keineswegs ungewöhnlich für Modeausstellungen der letzten Jahre. Der Erlebnischarakter36 der Schau lässt dabei zwar eine kritische kuratorische Einordnung vermissen. Doch das Ausstellungsdesign schafft „räumlich-ästhetische Erfahrungsintensitäten“ (von Hantelmann 2001, 268), die über einen bloßen Unterhaltungswert hinausweisen. Der Museumsbesuch verspricht womöglich ein Spektakel, stellt die Besuchenden jedoch vor sinnliche Herausforderungen, wie eine Analyse des aisthetisch-ästhetischen Arrangements erörtern soll. Gestaltete Räume sind immer auch „Affektivitäts-Dispositive“ (Lehnert 2013, 124). Die Inszenierung der Museumsräume in La Planète Jean Paul Gaultier zielte sehr deutlich auf die Affizierung der Besuchenden. Dies geschah maßgeblich über die spezifische Atmosphäre, welche Menschen und Artefakte im Ausstellungsraum gemeinsam hervorbrachten und welche wiederum die Rezeption

36 La Planète Jean Paul Gaultier könnte als Erlebnisausstellung verstanden werden, die in der Vielzahl und Simultaneität der sinnlichen Angebote zerstreuend wirken kann. Sie würde sich damit ebenso in die gegenwärtige Erlebnis- und Spektakelkultur fügen. Vgl. hierzu Winter 2003; Fischer-Lichte 2000, 23.

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maßgeblich prägte. Daher sei noch einmal an Gernot Böhmes Konzept von Atmosphären erinnert. Unter Atmosphären versteht der Philosoph „die Sphären gespürter leiblicher Anwesenheit“ (Böhme 2013b, 49). Sie sind „unbestimmt in die Weite ergossene Gefühle, die als ergreifende Mächte erfahren werden.“ (Ebd., 139) Weil die Subjekte zwischenmenschliche Atmosphären ständig mitproduzieren, sei die Objektivierung jedoch schwierig (vgl. ebd., 33). Atmosphären könnten aber von der Seite der Objekte her untersucht werden. Das Paradigma für diese Betrachtungsweise liefere das Bühnenbild (vgl. ebd., 133). Dabei stelle sich die Frage, welche Befindlichkeiten für den Raum als Sphäre leiblicher Anwesenheit erzeugt werden sollen (vgl. ebd., 124). Artikulationsformen wie Orientierungen, Bewegungsanmutungen, Markierungen schaffen im Raum Konzentrationen, Richtungen, Konstellationen. Da diese Artikulationen keinen gegenständlichen Raum voraussetzen, sondern sich quasi in die Leere einschreiben, bleiben sie Böhme zufolge angewiesen auf das erfahrende Subjekt. „Es ist der Raum leiblichen Spürens, – eines Spürens, das in die unbestimmte Weite auslangt, – der durch solche Artikulationen Gestalt gewinnt.“ (Ebd., 113) Die Atmosphäre einer Ausstellung entsteht aus einem Zusammenspiel vieler Komponenten, wie der architektonischen Materialität der Räume,37 der Gestaltung von Licht und Akustik, „den synästhetischen Qualitäten“ (Böhme 2013a, 132) der Exponate und nicht zuletzt der leiblichen Anwesenheit der Besuchenden. In La Planète Jean Paul Gaultier waren es die Modepuppen, welche Markierungen und damit Konzentrationen im Raum schafften und so den Gang durch die Ausstellungsräume lenkten. Sie färbten den Raum atmosphärisch. Das lag gerade auch an den textilen Artefakten, die sie präsentierten, und die selbst wesentlich zur Atmosphäre beitrugen: in ihren Farben, Formen und (visuell erfahrenen) haptischen Qualitäten. Sie strahlten als ekstatische Dinge gewissermaßen in den Raum hinein und wirkten auf die Besuchenden. Die Pariser Ausstellung setzte häufig auf eher dunkle Räume mit diffusem bläulichem oder rötlichem Licht. Die einzelnen Mannequins waren stärker beleuchtet, ragten aus dem unbestimmten Dunkel hervor, waren exhibiert. Laut Böhme spannt Licht einen Raum auf. In gewisser Weise werde der Raum sogar durch das Licht geschaffen (vgl. Böhme 2013b, 95). Das Licht gestaltete die bekleideten Modepuppen als Fixpunkte wesentlich mit: „Erst durch das Spiel des Lichts an den Dingen bekommt das Erscheinen als solches einen Charakter: die

37 So wurde die Atmosphäre von La Planète Jean Paul Gaultier mitgetragen durch die architektonischen Gegebenheiten des Grand Palais und die „historische Tiefe“ (Böhme 2013b, 134) der Stadt Paris als ‚Hintergrundfolie‘.

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Dinge muten uns in gewisser Weise an.“ (Ebd., 103) In diesem Erscheinen wurden die artifiziellen Körper zum Ereignis der Rezeption. Die Atmosphäre des Grand Palais war ebenso wesentlich durch die Akustik bestimmt. Endlos wiederholten sich die Vorführungen der anthropomorphen Artefakte; ihr Singen, Murmeln und Pfeifen. Da im selben Raum häufig mehrere Mannequins animiert waren, waren die einzelnen Monologe schwer zu verstehen. Hinzu kamen die von den Besuchenden verursachten Geräusche, so dass insgesamt eine dichte akustische Kulisse entstand. Nach Böhme ist das Akustische einer der Hauptfaktoren für die Herausbildung von Atmosphären. Musik, Geräusche oder Lärm werden gezielt zu deren Erzeugung eingesetzt (vgl. ebd., 76). Das Hören begreift Böhme als Ausweitung des leiblichen Raumes (vgl. ebd., 82). Denn im Gegensatz zum zentrifugalen Sehsinn ist der Hörsinn zentripetal (vgl. Brandstätter 2008, 130), er führt vom Draußen hin zu den Hörenden. Entsprechend eindringlich war die sinnlich-affektive Berührung durch die akustischen Vorführungen der anthropomorphen Artefakte im Grand Palais. Die Stimmen der animierten Mannequins definierten die Atmosphäre auch als leibliche Spuren. Die Stimme ist schließlich die „Artikulation leiblicher Anwesenheit“ (Böhme 2013a, 164), in ihr erhält auch ein abwesender Körper Präsenz.38 Damit spielten die Modepuppen und simulierten leibliche Anwesenheit. Weil die Stimme „ein atmosphärisches, energetisches und situatives Geschehen“ (Gronau 2012, 45) ist, wirkt sie trotz der leiblichen Abwesenheit ihrer Urheberinnen und Urheber auf die im selben Raum befindlichen Besuchenden: „Die emotionale Tönung, die die Stimme dem Raum verleiht, färbt gewissermaßen auf die eigene Stimmung ab, man schwingt mit dem Gehörten mit.“ (Böhme 2013a, 167) Die leibliche Präsenz der Besuchenden des Grand Palais wurde ebenso durch Mienen, Gesten, Gesichtszüge und Körperhaltungen der animierten Mannequins modifiziert. Als Artikulationen leiblicher Anwesenheit prägten sie die Atmosphäre in ganz verschiedenen Weisen: von der kritischen Arroganz der Punks über die freundliche Offenheit der Sirenen bis zur unheimlichen Distanziertheit der Madonnen.39

38 Insofern ist Fischer-Lichtes Formulierung in gewisser Weise zu widersprechen, wonach die technischen und elektronischen Medien „Präsenz-Effekte“, nicht jedoch Präsenz erzeugten (vgl. Fischer-Lichte 2005, 174). Zwar ist das von den Medien Aufgenommene nicht zwingend präsent, wohl aber die Aufnahme, die bei ihrer Vorführung eine eigene atmosphärische Präsenz erzeugt. 39 Diese Stimmungscharaktere ließen sich stets auch als Bewusstsein für das museale Ausgestelltsein der Mannequins lesen, was wiederum ein Hier und Jetzt des Ausstellungsbesuchs beschwor.

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So erzeugten die visuell und akustisch animierten Mannequins zusammen mit den Form- und Materialwirkungen der Kleider, den multimedialen Ausstellungsobjekten wie Filmen und Fotografien und den Präsentationsmitteln wie buntem Licht, Hinweistafeln oder Raumaufteilern eine sinnliche Dichte. Dem gegenüber stand die Iteration der modischen Szenen. Das Ergebnis war eine spannungsvolle Atmosphäre zwischen ereignishaftem Spektakel und konservierender Gleichförmigkeit. Dadurch wurde eher eine synästhetische Raumerfahrung befördert, als dass eine längere, ungestörte Kontemplation möglich gewesen wäre, wie etwa im Fall von Bellmers in Buchform publizierten Fotografien. Das Ausstellungsdesign installierte eine ambivalente Wahrnehmungshaltung, die zwischen dem undistanzierten ‚Eintauchen‘ (von lat. immergere) und einem distanzierteren ‚Auftauchen‘ (von lat. ēmergere) schwankte.40 Um es mit Walter Benjamin zu formulieren, oszillierte der Museumsbesuch zwischen „Sammlung“ und „Zerstreuung“ (vgl. Benjamin 2007, 45ff). Diese Brechungen im Wahrnehmungsprozess machten wiederum das aisthetische Ereignis selbst thematisch. Die ästhetische Inszenierung eines Raumes erzeugt also eine spezifische Atmosphäre und kann dadurch Stimmungen evozieren, Verhalten stimulieren, Kommunikation fördern und für Wahrnehmungen sensibilisieren (vgl. Scholze 2004, 257). Raumgestaltungen modellieren mithin die leiblich Anwesenden und sind daher auch aus performanztheoretischer Perspektive von Interesse.41 Untersuchungen zur Performativität des Raumes schließen mehr oder weniger explizit an ein seit den 1980er Jahren neu gewecktes Interesse der Geisteswissenschaften für den Raum an (vgl. zum Spatial Turn Bachmann-Medick 2006, 284-328). Vor diesem Hintergrund wird der Raum erst durch soziale Praktiken konstruiert und ist insofern performativ. Die performative Wende zeichnet sich seit den 1970er Jahren auch in der Ausstellung ab (vgl. Gronau 2010, 157). Schließlich entwerfen Ausstellungen Bewegungsräume mit handlungsstiftendem Charakter. Die Kohärenz der Ausstellung

40 Ich verwende hier bewusst das deutsche ‚Auftauchen‘, anstatt in diesem Zusammenhang von Emergenz zu sprechen, wobei der Gegenbegriff ‚Immersion‘ wäre. Den Terminus ‚Emergenz‘ behalte ich dem „Erscheinen von Etwas, das es bisher nicht gab“ (Iser 2013, 35f.) vor und meine damit die konkreten Hervorbringungen von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren innerhalb einer performativen Situation. Angemerkt sei außerdem, dass die beiden genannten Wahrnehmungsmodi wohl nicht streng voneinander zu trennen sind und gerade deswegen zu Emergenzen führen. So gibt es kein Entweder-Oder zwischen kritischer Distanz und Immersion (vgl. Grau 2003, 13). Zum Begriff der Immersion vgl. ebd., insb. 13-18. 41 Vgl. bspw. Weise 2012, 2015; Lehnert 2012a; Brandt/Ćurković/Kalinina 2008.

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entsteht dann durch einen „körperlichen Prozess des Abschreitens und Zusammenfügens von Ausschnitten und Perspektiven“ (ebd., 175). Auch in La Planète Jean Paul Gaultier lenkt die Ausstellungsgestaltung – von den bekleideten Modepuppen als Exponaten bis zu Präsentationsmitteln wie Hinweistafeln, Podesten, Vitrinen oder Licht und Sound – die Besuchenden durch den Raum und modelliert sie auf diese Weise. Die Installationen mit den anthropomorphen Artefakten sind dabei visuelle und akustische Markierungen, die in den sie umgebenden Raum hineinwirken. Sie spannen den atmosphärischen Raum gewissermaßen auf, den die Besuchenden wiederum als leiblich erfahrenen Bewegungsraum konstituieren. Insofern kann der Museumsbesuch als eine durch gestalterische Gesten strukturierte Körperpraxis verstanden werden. Mit der Bewegung durch den gestalteten Raum entsteht aber eine Zeitlichkeit, die der Temporalität der anthropomorphen Artefakte konträr ist. Die Endlosschleife der Animation weist auf die spezifische Modalität der Museumszeit hin: Es konserviert, es stellt die Zeit scheinbar still. Doch während sich die modischen Szenen endlos wiederholen, ist für die Besuchenden eine einmalige Erfahrung gegeben, ein Ereignis, das sie in dieser Weise niemals wiederholen können. Die modischen Szenen problematisieren also „das Verhältnis zwischen Präsenz und Repräsentation, Singularität und Wiederholung, Unmittelbarkeit und Reproduktion“ und situieren die Ausstellung im „Spannungsbereich zwischen Werk und Ereignis“ (von Hantelmann 2001, 261). Denn das Besondere ist hier, dass sich die modischen Szenen als ephemere, unvorhersehbare, einmalige Vollzüge ausgeben und damit die Demarkationslinie zwischen Inszenierung und Aufführung verwischen. Wie oben dargestellt, veranschaulichen die szenischen Vorführungen der anthropomorphen Artefakte die performative Produktion kultureller Identitäten. Gerade in der Iteration demonstrieren sie die Prozesshaftigkeit der Identitätskonstruktion, bei der nach Butler die (Geschlechts-)Identität durch eine ständige Wiederholung von Normen hervorgebracht wird. Doch menschliche Körper fügten sich nie völlig den Normen, mit denen ihre Materialisierung erzwungen werde. So entstünden innerhalb dieses Prozesses Instabilitäten (vgl. Butler 1995, 21). Artifizielle Körper hingegen sind in ihrer nicht-leiblichen Materialität lediglich in der Lage, die Hervorbringungsprozesse von Identität aufzuzeigen, für welche Leiblichkeit als Bedingung gelten muss. Die planvoll gestalteten, technisch programmierten, modischen Szenen sind vielmehr das Gegenstück zu leiblich hervorgebrachten, unvorhersehbaren, flüchtigen Vollzügen. Das Konzept der performativen Identitätskonstruktion durch die ständige Wiederholung von Handlungen wird damit ad absurdum geführt. In der zyklischen Gleichförmigkeit dieser Aufführungen enttarnen sich die Mannequins selbst als leblose Artefakte und enttäuschen

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potenziell die Besuchenden, die womöglich gehofft hatten, dass diese Performanz inszenierenden Geschöpfe zu spontanen Interaktionen fähig sein könnten. La Planète Jean Paul Gaultier installiert also ein Paradox, wenn technisch programmierte, anthropomorphe Artefakte leibliche Aufführungen imitieren. Damit betont die Ausstellung aber die performative Dimension von Medienarbeiten. Dorothea von Hantelmann hat gezeigt, dass zeitgebundene Ästhetiken wie Diaund Videoprojektionen oder Filmloops ein performatives Betrachtendenverhältnis installieren können (vgl. von Hantelmann 2001, 255). Voraussetzung ist hierfür allerdings der leibliche, ereignishafte, ephemere Akt der Rezeption solcher Arbeiten. Insofern bringen die leiblich anwesenden Besuchenden die mediatisierten modischen Szenen in La Planète Jean Paul Gaultier erst zur Aufführung. Die schauenden, sprechenden, singenden, nuschelnden, lächelnden Mannequins lösen Affekte aus wie Überraschung, Neugierde oder Ablehnung; sie provozieren körperliche Reaktionen wie Lachen, Staunen oder Scheu und lassen die Besuchenden innehalten, schauen oder fortgehen. So versetzt das Erscheinen der anthropomorphen Artefakte die Rezipierenden in die Rolle von Ko-Produzierenden. Die Ausstellung verunklart die „ästhetische Grenze“ (Gronau 2012, 41) zwischen Werk und Rezipierenden, denn die Exponate, die zu betrachten die Besuchenden gekommen sind, schauen zurück. Und auch die Betrachtenden untereinander werden in diesem Spiel mit Blicken zum Bestandteil ihrer jeweiligen Raumerfahrung. Museumsbesuchende und anthropomorphe Artefakte erzeugen in einem aisthetischästhetischen Experimentierfeld gemeinsam „Kunstereignisse, die als Aufführungen begriffen werden müssen“ (vgl. ebd.). Die Modeausstellung präsentiert in künstlerischen Installationen modische Szenen und unterstreicht dadurch den performativen Charakter von Mode. So, wie sich Mode in Aufführungen realisiert, so findet auch die Ausstellung statt: als ästhetisches Ereignis. Die anthropomorphen Artefakte entpuppen sich zwar selbst als abgeschlossene Inszenierungen, die als solche mit den Besuchenden nicht interagieren können. Doch genau an dem spannungsvollen Punkt, an der die Inszenierung ihre Inszeniertheit offenlegt, entsteht ein Fokus auf die ereignishaften Hervorbringungen im Museumsraum. Dieses Spiegelungsverhältnis, welches das Ausstellungsdesign gleichzeitig zum Thema macht, verlangt nach einer Einordnung von Körper-Haben und Leib-Sein, Inszenierung und Aufführung, Programmiertsein und Unvorhersehbarkeit. In der Doppelheit aus planvoller medialer Gestaltung und ephemerer leiblicher Erfahrung entfaltet die Ausstellung ihr reflexives Potenzial.

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3.2.5 Animierende Artefakte Die anthropomorphen Artefakte in La Planète Jean Paul Gaultier unterscheiden sich von Pygmalions Elfenbeinstatue, von der „du glaubtest, sie lebe“. Pygmalions Kunst ist so vollkommen, dass sie sich selbst verbirgt, und in der Folge wird seine Statue mit göttlicher Hilfe tatsächlich lebendig. Die Mannequins der Ausstellung verbergen ihre Künstlichkeit nicht. Zwar präsentiert sich das multimediale Ausstellungsdesign zunächst als ein pygmalionisches Simulakrum, das seine eigene Artifizialität unkenntlich macht.42 Denn die technische Animation scheint den Besuchenden die imaginative Belebung gewissermaßen abzunehmen. Statt Bewegungssuggestionen finden sie in modischen Szenen reale Bewegung vor, die die Imagination eines Vorher und Nachher auf den ersten Blick hinfällig zu machen scheint. Wie beschrieben wurde, sind die modischen Szenen in ihrer gleichförmigen Serialität jedoch fragmenthaft, und die Bewegungen sind stets nur äußerlich und dynamisieren die Kleider nicht. Die Hybridität von audiovisueller Projektion, materiellem Puppenkörper und Kleid bleibt bestehen. Das Verfahren der Animation zeigt sich als solches, wodurch der Effekt von Lebendigkeit sogleich konterkariert wird. Das Ausstellungsdesign optimiert nicht den Effekt der Echtheit, sondern macht den Effekt als Effekt kenntlich. Könnten aber die Brüche in der Darstellung nicht zumindest vorübergehend eine imaginative Animation der anthropomorphen Artefakte provozieren? Die fehlende Bewegung der Kleider könnte doch Stimulus für eine wahrnehmende Dynamisierung sein, und das Spannungsverhältnis zwischen Flächigkeit und Plastizität eine Provokation, den Dialog zwischen Körper und Kleid imaginierend zu entspinnen. Damit könnte in der Imagination der Modekörper entstehen, auf den die Mannequins stets nur verweisen. Es entstünden modische Szenen, die das performative Potenzial der Kleidung ausschöpfen und den Kleidern Leben einhauchen.43 Solche imaginativen Synthesen sind jedoch, wenn sie überhaupt entstehen, wahrscheinlich nicht von Dauer, und im nächsten Moment treten die Brüche in der Inszenierung wieder hervor und stören die imaginative Illusionsbildung. So kommt es im aisthetischen Prozess zum Wechsel zwischen dem Zurücktreten der Künstlichkeit und ihrem deutlichen Hervortreten: In der Rezeption oszillieren ‚transparente‘ und ‚opake‘ Artifizialität. Die Künstlichkeit entzieht sich zunächst als solche der sinnlichen Erfahrung, um sich im nächsten Moment als solche zu 42 Nach Baudrillard löst ein Simulakrum die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, Realität und Imagination auf (vgl. Baudrillard 2005). 43 Auch der Ausstellungsraum könnte in diesem Sinne imaginativ erweitert werden. Auf die imaginäre Dimension des Raums weist Laura Bieger (2007) hin.

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zeigen. Insofern kann sie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle bleiben oder sich als ‚störend‘ bemerkbar machen.44 In ihrer transparent-opaken Artifizialität erweisen sich die anthropomorphen Artefakte in La Planète Jean Paul Gaultier aber als Kunst, die im Vollzug nicht aufgeht. Sie fordern aktive Rezipierende, die erweitern, ausführen, zusammenführen, was als fragmentiert und hybrid dargeboten ist, und die damit umgehen, wenn diese imaginative Synthese nicht gelingt. Die sich der Rezeption eines ästhetischen Objekts stellen, das sein Kunstsein nicht verbirgt und eben dadurch Aufmerksamkeit für sein ästhetisches Erscheinen forciert. Es ist dann genau die sich zeigende Artifizialität, die eine künstlerisch-ästhetische Erfahrung fern von Alltäglichem ermöglicht. Ebenso wenig, wie Bellmers anthropomorphes Artefakt Lebendigkeit über ein mimetisches Verfahren simulierte, erzeugen die animierten Mannequins in La Planète Jean Paul Gaultier ihre Präsenz als perfekte Simulationen des Menschen. Vielmehr geht es auch hier um Leerstellen und Brüche. Die Gaultier-Ausstellung spielt dabei stärker als Bellmers Fotoserie mit den Grenzen der Imagination. Denn trotz des Fragmentcharakters der Szenen bleibt durch deren Iteration kein Raum zur imaginativen Vervollständigung. Die Bruchstücke der artifiziellen Körper bleiben unvereinbar und die sinnliche Dichte des Ausstellungsdesigns behindert eine kontemplative Illusionsbildung. So werden die Besuchenden in die Grenzen der imaginativen Erweiterung verwiesen.

44 Hier zeichnen sich Bezüge zu einer bild- und medienwissenschaftlichen Debatte ab, die oben bereits am Beispiel von Beltings Konzept der Animation angerissen wurde. Innerhalb dieser Debatte beschreiben die Begriffe ‚Opazität‘ und ‚Transparenz‘, wie die Medialität entweder hervor- oder zugunsten des Dargestellten zurücktritt. Demnach erhalten die per se körperlosen Bilder durch Trägermedien einen Körper (vgl. Venohr 2015; Ritzer/Stiglegger 2012; Schulz 2002; Belting 2001). In dieser Verkörperung kann der Bildträger opak werden, das heißt sich als „Medium“ zeigen, oder im Akt der Animation transparent werden für das Bild (vgl. Belting 2001, 30). An diese bild- beziehungsweise medienwissenschaftliche Diskussion wird hier nicht angeknüpft, denn die Puppen können nicht einfach als dreidimensionale Trägermedien verstanden werden, auf die ein zweidimensionales Bild projiziert wird. Die spezifische Materialität der Puppen hat konstitutiven Anteil an der Bildlichkeit des Videobilds und umgekehrt konfiguriert das Videobild die spezifische Erscheinung der Puppenkörper. Hinzu kommen Kleider und Perücken, die zwar Ornamentcharakter haben, aber wiederum plastische Gebilde sind. Die jeweils eigene Materialität und die immer auch Bildlichkeit konstituierenden Eigenschaften des „Trägermediums“, wenn davon überhaupt gesprochen werden kann, gilt es zu berücksichtigen.

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Doch es ist das Oszillieren von transparenter und opaker Artifizialität, durch das die Installationen Emergenzeffekte zeitigen. Fischer-Lichte hat gezeigt, dass Emergenzen gerade dann entstehen, wenn etwas in seiner materiellen Phänomenalität wahrgenommen wird, was besonders bei isolierten theatralen Elementen der Fall sei, die nicht in kausale Zusammenhänge eingebettet sind (vgl. FischerLichte 2005, 243ff). Sie evozieren ein Umspringen der Wahrnehmung zwischen der Ordnung der Repräsentation und der Ordnung der Präsenz (vgl. ebd., 273). „Das Umspringen ereignet sich und versetzt den Wahrnehmenden in einen Zustand der Instabilität.“ (Ebd., 274) So erzeugt die Fokussierung des Ausstellungsdesigns auf die Wahrnehmungserfahrung der Besuchenden eine liminale Situation. Sie ermöglicht Gefühle und Stimmungen ebenso wie Reflexionen, Imaginationen, Erinnerungen und konkrete Handlungen. Solche Emergenzen lassen den Ausstellungsbesuch als Transformationsprozess begreifbar werden. In den vorangegangenen Ausführungen wurde die Ausstellung als Spannungsfeld dargestellt, das sich zwischen simulierter Leiblichkeit und eigenleiblichem Fühlen, Inszenierung und Performanz, Referenzen und Emergenzen entwickelt. Im Kern dieses Spannungsfeldes steht das Verhältnis von Präsenz und Absenz, durch das artifizielle Körper ganz generell markiert sind, und mit welchem das Ausstellungsdesign strategisch spielte. So präsentierte die Schau, wie beschrieben, audiovisuelle Aufnahmen von Personen des öffentlichen Lebens. Auch einige nicht animierte Modepuppen waren mit charakteristischen Perücken, Körperhaltungen und Kleidungsstücken ausgestattet, die ganz bestimmten Berühmtheiten zugeordnet werden konnten und im Fall der Modenschau auch mit den zugehörigen Namen versehen waren. Diese Aufnahmen, Perücken, Körperhaltungen und Kleider können zumindest im übertragenden Sinn als Spuren lebendiger Körper gelten. Nach Sybille Krämer zeugt die Anwesenheit der Spur als ein Abdruck (von ahd. spor: Fußabdruck) von der Abwesenheit dessen, was sie hervorgerufen hat (vgl. Krämer 2007, 14). Damit verweist sie immer auch auf Vergangenes. Spuren zeigen sich laut Krämer im und am Material und gehören der Welt der Dinge an (vgl. ebd., 15). Daher repräsentieren sie auch nicht, sondern präsentieren (vgl. ebd., 16). Zwar handelt es sich in der Ausstellung eher nicht um physische Abdrücke, denen eine Berührung vorausgegangen ist (vgl. hierzu Geimer 2007), wohl aber um Spuren im Sinne eines Referenzgeschehens, das über Ähnlichkeit funktioniert. Die Spuren abwesender Personen zeigen sich so gesehen in anwesenden Artefakten – als audiovisuelle Projektionen auf den artifiziellen Körpern, in den Kleidern, Perücken und Körperhaltungen. Die Ausstellung installiert ein Verweisspiel auf reale Personen, die Mannequins täuschen vor, jemand zu sein, und simulieren somit leibliche Präsenz. Die

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Referenzen auf reale Personen werden aber durch die fragmentarische Darstellung in hybriden artifiziellen Körpern wieder gebrochen, so dass die Verweise gewissermaßen ins Nichts führen. Entsprechend werden auch niemals die Namen der Schauspielerinnen und Schauspieler genannt, welche den animierten Mannequins ihr Gesicht geliehen haben. Die Störungen und Brüche in der Darstellung lenken die Aufmerksamkeit immer wieder auf das Hier und Jetzt des Museumsbesuchs. Und wie gezeigt wurde, tragen Stimme und Mimik auch ohne die leibliche Anwesenheit der Urheberinnen und Urheber zur Atmosphäre bei, wie auch die synästhetischen Materialqualitäten von Kleidern, Perücken und Puppenkörpern eine atmosphärische Präsenz evozieren. Diese ekstatischen Dinge treten über ihre Physis hinaus und wirken in den Raum hinein. La Planète Jean Paul Gaultier spielt also mit Absenzen und provoziert dabei Präsenz. Abbildung 20: Blickendes Mannequin in L’Odyssée

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Ebenso dient das direkte Gerichtetsein der Mannequins an die Besuchenden der strategischen Aufmerksamkeitserzeugung, wodurch wiederum die Gegenwärtigkeit des Ausstellungsbesuchs unterstrichen wird. Obwohl die audiovisuellen Projektionen vorab entstanden sind, erzeugen sie den Eindruck von Simultaneität. Denn die anthropomorphen Artefakte führen nicht nur etwas vor, sie führen immer auch die Besuchenden vor. Sie adressieren die Rezipierenden in ihren Blicken (vgl. Abb. 20) und in ihren Reden, wenn etwa der Homme miroir von „Präsenzen“ um ihn herum spricht. Und die Rezipierenden werden Teil der modischen Szenen, stehen neben den Punks, gehören zum Publikum der inszenierten Modenschau, sehen sich selbst im Spiegel des Homme miroir. Die animierten Mannequins simulieren damit die Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption. Simultan zur Zeit der Besuchenden ist zwar nur die Vorführung des vorher aufgenommenen Materials. Dennoch modellieren die Artefakte die Rezipierenden. Sie bieten den Besuchenden die Erfahrung des Angeblicktwerdens und evozieren dadurch Gegenblicke. Und ihr Lächeln, die gelangweilten Mienen oder die freundlichen Worte führen zur unwillkürlichen „Gefühlsansteckung“ (Häsner et al. 2011, 87). Zwar ist die Adressierung eine Illusion, letztlich folgen die animierten Mannequins ja der Logik des Monologs. Doch die Simulation von Simultaneität forciert Interaktivität, selbst wenn die Besuchenden wissen, dass die animierten Mannequins keine leiblichen Akte in Echtzeit hervorbringen. Denn indem sie den Rezipierenden scheinbar Aufmerksamkeit schenken, wenden diese sich wiederum den artifiziellen Körpern zu – sei es auch nur, um herauszufinden, was es mit diesen Blicken, Mienen und Reden auf sich hat. Gerade die Selbstbezüglichkeit der animierten Mannequins kann die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auch nach der ‚Enttarnung‘ an die anthropomorphen Artefakte fesseln: Sie erlaubt es den Besuchenden zu betrachten, ohne selbst betrachtet zu werden. Dann ist es gerade ihr Programmiertsein, das die animierten Mannequins abgeschlossen wirken lässt, und damit die Besuchenden als Partnerinnen und Partner auf den Plan ruft. So entsteht eine Situation, in der es für das Handeln der Besuchenden nicht vordergründig relevant ist, ob ihr Gegenüber tatsächlich mentale Zustände habe und wirklich denke, fühle, glaube, wünsche (vgl. Karsten Weber 2014, 133). Selbst wenn die Rezipierenden den Simulationscharakter durchschaut haben, ist es den Artefakten gelungen, Interaktionen zu initiieren. Anders als Bellmers anthropomorphes Artefakt, welches über einen grotesken Körper Subjektivität suggerierte, entsteht in der Ausstellung der Eindruck von Subjektivität in den modischen Szenen. In ihren Blicken, Mienen und Reden simulieren die Artefakte leibliche Gegenwärtigkeit, sie inszenieren die performative Produktion von Subjektivität und sind sich sogar vermeintlich ihres Schicksals als

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Exponate bewusst. Diese scheinleibliche Subjektivität der anthropomorphen Artefakte vermag die Besuchenden in einen oszillierenden Zustand zu versetzen, bei dem sie die Artefakte mal mehr als primäre, mal mehr als sekundäre Akteure wahrnehmen. In dieser Begegnung wird ihre eigene Position thematisch, denn sie sind Angeblickte, Angesprochene, Angelächelte. Indem die Mannequins ihr eigenes Angeblicktwerden zum Thema machen und so die Präsenz der Besuchenden in Worte fassen, spiegeln sie die leibliche Präsenz der Besuchenden auch ganz konkret. Puppenkörper und Betrachtendenkörper wurden in La Planète Jean Paul Gaultier in ein reflexives Verhältnis gesetzt. Obwohl die Installationen also eine Naturalisierung strategisch verhindern, kommt es zu Emergenzen; zu Imaginationen, Reflexionen, Gefühlsansteckungen, körperlichen Reaktionen. Wenn Dinge immer schon Verhalten und Affekte modellieren, gilt dies für die anthropomorphen Artefakte der Ausstellung in spezifischer Weise. Sie sind ekstatische Dinge, die vorgeben, keine zu sein. Genau hier entwickeln sie ihre ganz eigene Agency, wenn auch als sekundäre Akteure. Sie nutzen besondere Strategien, um die Wahrnehmungssituation der Rezipierenden zu steuern. Insofern sind sie transikonisch – im Sinne einer die Grenzen der eigenen Materialität überschreitenden Kunst, die Leben erhält im Akt der leiblichen Rezeption. Die Eigenart anthropomorpher Artefakte kann nun konkretisiert werden. Sie erscheinen und gleichzeitig zeigen sie ihr Erscheinen an. Sie simulieren Menschsein und weisen auf diese Simulation hin, wodurch ihr spezifisches Sein, ihre eigene Materialität in den Fokus rückt und zum Ereignis wird. Sie thematisieren die sinnliche Wahrnehmung als Grundlage ästhetischer Erfahrung. Und indem sie die Wahrnehmung herausfordern, stimulieren sie ästhetische Erfahrung. Insofern sind anthropomorphe Artefakte Metaphern der Kunst. Sie stehen für die Kunstfertigkeit des Menschen wie auch für seine eigene artifizielle Konstitution: für den Homo artificialis.

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3.3 E.T.A. HOFFMANN: DER SANDMANN 3.3.1 Fiktionale Präsenz Die erste Niederschrift des Sandmanns entstand dem Verfasser E.T.A. Hoffmann zufolge im November 1815. Die von diesem Manuskript leicht abweichende Druckfassung wurde 1816 in dem Band Nachtstücke publiziert, deren Handlung hier zur besseren Nachvollziehbarkeit der folgenden Analyse knapp wiedergegeben sei. Der Student Nathanael berichtet in einem Brief an seinen Ziehbruder Lothar von einem Wetterglashändler Coppola, der in ihm Erinnerungen an eine Schreckensfigur seiner Kindheit wachgerufen hat: den Advokaten Coppelius, der mit Nathanaels Vater in alchemistische Machenschaften verstrickt war. In deren Labor zerlegte damals der Advokat Nathanaels Körper, so jedenfalls schildert es der Student rückblickend seinem Ziehbruder Lothar. Die Experimente mit Coppelius hatten schließlich den Tod des Vaters zur Folge. Diese Figur verbindet Nathanael mit dem Märchen vom Sandmann, der jenen Kindern Sand in die Augen streut, die nicht zu Bett gehen. Nathanael befürchtet nun, dass ihn Coppelius, den er als Kind mit dem Sandmann identifizierte, in seiner Studentenstadt als Wetterglashändler Coppola verfolge. Den Brief adressiert er aber versehentlich an Lothars Schwester Clara. Sie ist Nathanaels Verlobte und bemüht sich in ihrem Antwortschreiben, ihn von seinen unheimlichen Gedanken abzubringen, indem sie natürliche Erklärungen vorschlägt. Seine Unzufriedenheit über diese Reaktion bekundet Nathanael in seinem zweiten Brief, der diesmal seinen Adressaten Lothar erreicht. Darin schildert Nathanael außerdem die Begegnung mit Olimpia, der geheimnisvollen Tochter seines Physik-Professors Spalanzani. Nach diesem dritten Brief berichtet ein auktorialer Ich-Erzähler über die folgenden Begebenheiten. Nathanael kauft von dem Wetterglashändler ein Fernglas, durch das er Olimpia von seiner Wohnung aus beobachtet. Er wird zu einem Ball Spalanzanis eingeladen, wo er Olimpia singen und Klavier spielen hört und mit ihr tanzt. Von da an trägt der Student mit den dichterischen Ambitionen ihr all seine Werke vor. Anders als Clara scheint sie dabei voll und ganz auf ihn konzentriert. Trotz einer Warnung seines Kommilitonen Siegmund möchte er Olimpia einen Heiratsantrag machen. Doch als Nathanael sie zu diesem Zweck besucht, sieht er, wie Coppola und Spalanzani an ihr zerren und erkennt, dass sie eine „leblose Puppe“ ist. Nathanael wird wahnsinnig und ins Tollhaus gebracht. Nach der Pflege durch Clara und Lothar erholt er sich vorerst. Als er jedoch eines Tages mit Clara auf einen Ratsturm steigt, macht seine Verlobte ihn auf eine seltsame Erscheinung unten auf dem Marktplatz aufmerksam. Mit dem Fernglas blickt er nun

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auf Clara und nicht nach unten. Infolgedessen versucht er, sie umzubringen. Lothar kann das verhindern, aber Nathanael stürzt vom Turm und stirbt. Hoffmanns Nachtstück hat in über 200 Jahren eine dichte und vielstimmige Rezeption erfahren. Ein Großteil der Interpretationen war und ist geprägt von Sigmund Freuds psychoanalytischer Deutung. 1919 hatte Freud in „Das Unheimliche“ (Freud 2000) anhand der Erzählung seine Theorie des Kastrationskomplexes formuliert. Freud und viele andere nach ihm sahen im Sandmann „psychoanalytisch geprägte Literatur avant la lettre“ (Tepe/Rauter/Semlow 2009, 104).45 Diese Perspektive wurde in der wissenschaftlichen Diskussion der letzten vier Jahrzehnte durch eine Vielzahl von Neuinterpretationen ergänzt, die ganz verschiedene Aspekte beleuchteten: den Automatendiskurs, Liebe und Geschlecht, Wahnsinn, Visualität, Kommunikation, Identitätsentwürfe oder die Künstlerexistenz.46 Dabei wurde zumindest eines deutlich – die Uneindeutigkeit des Textes. Doch ebendiese Unbestimmtheit, deren strategischen Einsatz bereits Walter (1984), Hohoff (1988), Drux (1986, 1994) und Küpper (2005) unterstrichen haben, hat zu einer Debatte beigetragen, die für Gabriele Dillmann „zu den leidenschaftlichsten und spannendsten gehört, die die Literaturforschung kennt“ (Dillmann 2007, 100). Diese Studie beleuchtet die „extreme Offenheit“ (Hillebrand 1999, 37) der Erzählung vor dem Hintergrund einer verunsicherten Wahrnehmung, die mit einer von den Figuren selbst beschriebenen „Mitteilungsproblematik“ (Würker 1993, 118) einhergeht. So setzt sich der ins Wanken geratene Glaube an gesicherte Erkenntnis in misslingenden Kommunikationssituationen fort, was sich exemplarisch in den vielen Verwechslungen innerhalb der Erzählung zeigt. Und nicht nur die Figuren sind von einer Wahrnehmungs- und Kommunikationskrise betroffen, auch das Erzählen selbst ist davon geprägt: Die polyphone Erzählweise, die komplexe Motivstruktur und die Unzuverlässigkeit des Erzählers unterstreichen die unzulängliche Kommunikabilität sinnlicher Erfahrung. Wie argumentiert werden soll, zielt der Text insgesamt auf eine Übertragung der dargestellten Wahrnehmungs- und Mitteilungsproblematik auf die Lesenden. Damit lautet die zentrale These dieser Untersuchung, dass der Text angesichts der infrage gestellten erkennenden (diskriminierenden) Wahrnehmung eine ästhetische Erfahrung von Wirklichkeit vorschlägt. Dies geschieht nicht nur innerhalb 45 Vgl. bspw. Guggenheimer 2008; Gendolla 1992; Kittler 1977. 46 Vgl. hierzu eine Reihe von Publikationen zum Sandmann in der Literaturliste. Schon allein Jahraus (2016) versammelt 17 knapp angerissene literaturtheoretische Zugänge zu der Erzählung, von der Diskursanalyse über die Biopoetik bis hin zur Raumtheorie. Auch ein narratologischer und ein rezeptionsästhetischer Ansatz, wie ihn Walter (1984) bereits detaillierter vorgenommen hatte, sowie eine kurze Analyse aus der Perspektive der Akteur-Netzwerk-Theorie sind darin zusammengetragen.

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der Handlung, sondern auch auf der Erzählebene: Die Erzählung zielt mit einem selbstreferenziellen Verfahren auf eine imaginativ-ästhetische Lektüre. Auf dieser Grundlage animieren die Lesenden das literarische Artefakt so wie Nathanael das anthropomorphe Artefakt. Die Forschung hat den Referenzcharakter des artifiziellen Körpers auf das dichterische Werk angesprochen und dabei den Akt der Animation, den Nathanael an Olimpia vollzieht, in Zusammenhang mit der Lektüre gesetzt, ohne dass ausführliche Untersuchungen vorlägen.47 Um diese Korrespondenz zu überprüfen, erscheint es mir sinnvoll, die Lektüre als performatives Ereignis zu betrachten. Damit wird der Text erstmals performanztheoretisch untersucht. Denn Der Sandmann ist zwar ein ausgezeichnetes Beispiel für ein performatives Text-LesendenVerhältnis, wurde aber meiner Kenntnis nach nie als solcher beleuchtet. Dieser Ansatz wird durch rezeptionsästhetische und narratologische Konzepte nach Wolfgang Iser und Gérard Genette ergänzt. Im Folgenden sind einige grundlegende Bemerkungen zum performativen Ereignis der Lektüre zu treffen, um zu klären, inwiefern ein fiktionaler Text ‚Leben‘ gewinnen kann.48 Die folgende Untersuchung gründet auf der Annahme, dass literarische Texte Interaktionen mit den Lesenden steuern, um Präsenz im Prozess der Lektüre zu erzeugen. Eine performanztheoretische Perspektive sowohl auf die histoire als auch auf den discours soll die literarischen Strategien herausarbeiten, die der Kommunikation zwischen literarischem Artefakt und Rezipierenden dienen. Eine solche Perspektive auf fiktionale Texte macht insofern schon Sinn, weil die literarisch präsentierten Gegenstände keine Entsprechungen in der Wirklichkeit besitzen, sondern diese Gegenstände erst hervorbringen (vgl. hierzu Iser 1971, 10) – in Form mentaler Repräsentationen, die unter anderem Teil visueller und emotionaler Kulturen sind. Sie konstatieren nicht Wirklichkeit, sondern konstituieren sie. Die Lektüre soll daher als wirklichkeitskonstituierende ästhetische Erfahrung untersucht werden, wobei Unbestimmtheiten mit Iser als wichtigstes Umschaltelement zwischen Text und Lesenden zu begreifen sind (vgl. ebd., 33). Iser bestimmt Lesen als einen Akt (vgl. Iser 1990, 37). „Der Text gelangt folglich erst durch die Konstitutionsleistung eines ihn rezipierenden Bewußtseins zu seiner Gegebenheit, so daß sich das Werk zu seinem eigentlichen Charakter als 47 Hier ist insbesondere die knappe Analyse des Textes von Monika Schmitz-Emans (2007) zu nennen. Angesprochen ist dieser Aspekt außerdem bei Lieb 2012, 184; Brune/Kraemer 2006, 112; Kremer 1993, 208. 48 Fiktion geht auf lat. fictiō zurück und meint Gestaltung, Bildung, Erdichtung. In der Literaturwissenschaft bezeichnet Fiktionalität den imaginären Charakter von literarischen Darstellungen, die mehr oder weniger auf nichtwirklichen Sachverhalten beruhen (vgl. Harder 2006, 107).

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Prozess nur im Lesevorgang zu entfalten vermag.“ (Ebd., 39) So müsse man weniger nach der Bedeutung eines Textes fragen als danach, was dem Leser geschehe, wenn er fiktionale Texte durch die Lektüre zum Leben erwecke: „Bedeutung hätte dann viel eher die Struktur eines Ereignisses“ (ebd., 41). Es geht Iser nicht um den Sinn, sondern um die Sinnpotenziale, die ein Text parat hält (vgl. ebd., 42).49 Die Funktion eines fiktionalen Textes ist es dann, „in Interaktion mit dem Leser eine eigene (vorgestellte) Wirklichkeit zu erschaffen.“ (Köppe/Winko 2013, 87) Zur Bestimmung des Lektüreakts unterscheidet Iser zwischen „Wahrnehmen und Vorstellen als zwei verschiedenen Weltzugängen“ (Iser 1990, 221). Für die Wahrnehmung sei immer ein Objekt vorgegeben, „während die konstitutive Bedingung für die Vorstellung gerade darin besteht, daß sie sich auf Nicht-Gegebenes oder Abwesendes bezieht, das durch sie zur Erscheinung gelangt“ (ebd.). Durch die Vorstellung produzieren wir ein Bild des imaginären Gegenstandes, der als solcher im Unterschied zur Wahrnehmung nicht gegeben ist. Doch indem wir uns etwas vorstellen, sind wir zugleich in der Präsenz des Vorgestellten; denn dieses existiert während seines Vorgestelltseins nur durch uns, so daß wir in der Gegenwart dessen sind, was wir hervorgebracht haben. (Ebd., 225)

Es geht also um die bildliche Imagination beim Lesen, um die Hervorbringung visueller Repräsentationen der rezipierten sprachlichen Zeichen. Zwar ist der Akt des Lesens zunächst individuell. Da aber Texte mit dem kulturellen Gedächtnis in Zusammenhang stehen, ist das Verarbeiten von literarischen Texten niemals nur individuell und subjektiv (vgl. Brosch 2014, 104). „Literarische Visualität“ entsteht laut Brosch aus einer komplexen Interaktion, an der die Imagination der Autorinnen und Autoren, die spezifischen literarischen Darstellungsverfahren, die mentale Partizipation der Lesenden sowie die als Rahmenreferenz beiden Parteien zur Verfügung stehende visuelle Kultur beteiligt sind. Literarische Texte wirken in dieser Perspektive auch auf die visuelle Kultur zurück (vgl. ebd.). Laut Brosch 49 Dieses Buch widmet sich den literarischen Strategien im Sandmann, die auf eine Lenkung der Lesenden zielen. Die Personifizierung dieser Strukturen, die Iser im Modell des impliziten Lesers vorgeschlagen hat, wird dabei nicht übernommen. Angesichts der berechtigten Kritik an der Fülle von Instanzen bei der Erzähltextanalyse wird sich diese Untersuchung auf die fiktiven Lesenden und den fiktiven Erzähler konzentrieren. Dabei wird davon ausgegangen, dass sowohl die Lesenden- als auch die Erzählerfiktion reale Lesende zu modellieren vermögen. Da ‚der‘ Erzähler in dieser Untersuchung als Alter Ego des Protagonisten interpretiert wird, steht er grammatisch im Maskulinum. Vgl. zur Kritik am Modell des impliziten Lesers Schmid 2013, 173; Köppe/Winko 2013, 88f.

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erfordert literarische Visualisierung, anders als die visuelle Wahrnehmung, ständige Aufmerksamkeit, um die kulturell und individuell geprägten Vorstellungen, wie etwas aussieht (auszusehen hat), mit den oft kompliziert dargestellten visuellen Ereignissen des Textes zu synthetisieren. (Ebd., 105)

Das Erfordernis der Synthetisierung betrifft nicht nur literarische Visualität, sondern auch die literarisch vermittelten Emotionen. Laut Thomas Anz sind literarische Artefakte darauf angelegt, beim wahrnehmenden Subjekt bestimmte Emotionen hervorzurufen. Sie seien mehr oder weniger bewusst wahrgenommene Inszenierungen eines Spiels mit den Emotionen der Leser, weswegen Anz darüber nachdenkt, Literatur als besonders komplexe Kulturtechnik der Emotionalisierung zu begreifen (vgl. Anz 2012, 157). Der Literaturwissenschaftler unterstreicht dabei den kommunikativen Aspekt von Emotionen, die nicht nur der Informationsverarbeitung dienten, sondern auch der Informationsvergabe an andere (vgl. ebd., 162). Anz spricht hier von emotionalisierenden Reizkonfigurationen (vgl. ebd., 161). Zu den konstitutiven Bestandteilen emotionaler Kommunikation gehöre auch in schriftlichen Texten die Fähigkeit, Emotionalisierungsabsichten zu erkennen, sowie die Möglichkeit, sich auf sie einzulassen oder sich ihnen zu verweigern (vgl. ebd., 167). Die Textstrategien zur Steuerung literarischer Visualisierungsprozesse und zur Evokation von Emotionen können insofern als Reizkonfigurationen betrachtet werden, welche Rezeptionserfahrungen strukturieren, ohne sie zu determinieren. Die Verarbeitung visueller und emotionaler Reizkonfigurationen erfordert wie beschrieben eine große Aufmerksamkeitsleistung. Diese Herausforderung einer Synchronisierung der visuellen und emotionalen Angebote des Textes mit den individuell und kulturell geprägten Vorstellungen macht Lesen zu einem transformierenden Ereignis. Lesende springen laut Iser temporär aus ihren individuellen Dispositionen heraus, indem sie in der Lektüre die Gedanken eines anderen denken (vgl. Iser 1990, 251). Dies rufe eine Spannung hervor, die sich in der Affektion des Subjekts niederschlage: „Daraus entspringt dann der Eindruck, daß man in der Lektüre eine Verwandlung durchlebt.“ (Ebd., 253) Fischer-Lichte begreift die Lektüre dementsprechend als eine liminale Situation (vgl. Fischer-Lichte 2013, 143). Lesen ist ein komplexes kognitives, imaginatives, affektives und energetisches Geschehen in einer liminalen Situation, das dem lesenden Subjekt neue Möglichkeiten zu fühlen, zu denken, sich zu verhalten und zu handeln, neue Möglichkeiten zu einer verkörperten Praxis eröffnet. (Ebd.)

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Der Akt des Lesens ist daher performativ und Sprechakten, symbolischen körperlichen Handlungen und Praktiken sowie Aufführungen vergleichbar (vgl. ebd., 145). Im Folgenden wird gefragt, inwiefern Der Sandmann das tut, wovon er spricht: In welcher Weise entwickelt das anthropomorphe Artefakt Agency und mit welchen literarischen Strategien zielt die Erzählung selbst auf eine Animation im Akt der Rezeption? Zur Beantwortung dieser Frage werden zuerst die performativen Hervorbringungsprozesse innerhalb der Geschichte herausgearbeitet. So werden die Subjektivierungsstrategien der intradiegetischen Figuren Nathanael und Olimpia zu beleuchten sein und anschließend die Struktur des Fragments, die nicht nur die Konstruktionsprozesse von (artifiziellen) Körpern innerhalb der Geschichte anleitet, sondern auch die Erzählweise im Sandmann. Schließlich wird der Künstler Nathanael als Spiegelfigur des Erzählers betrachtet, wobei in einer Analyse der strukturellen Performativität des Lektüreakts auch die den Lesenden zugesprochene Rolle erörtert wird. Als zentrale Elemente einer performativen Text-Lesenden-Kommunikation werden selbstreferenzielle Strategien literarischer Emotionalisierung und Visualisierung herausgestellt. Zuletzt wird die Artifizialität des Artefakts in Korrespondenz mit der Fiktionalität des Textes zu setzen sein. Die folgende Analyse wird also mehr noch als die beiden vorangegangenen das künstlerische Format fokussieren, in dem das anthropomorphe Artefakt erscheint. Schließlich ist dieses Artefakt nicht per se ein Objekt der Wahrnehmung. Anders als die Schöpfungen Bellmers und der Modeausstellung ist es nur vermittelt über eine sprachliche Darstellung erfahrbar: Bei Olimpia handelt es sich im besonderen Maße um ein Objekt der Vorstellung. 3.3.2 Natürlichkeit und Authentizität Wie evoziert der schriftliche Text also das materielle Artefakt, in welches sich Nathanael verliebt? Abwechselnd ist von Olimpia als „Frauenzimmer“ (DS 25), „Bildsäule“ (DS 34), „Wachsgesicht“ (DS 41), „Holzpuppe“ (DS 41, 46), „Maschine“ (DS 42), „weibliche Figur“ (DS 44), „Figur“ (DS 45) und „Automat“ (DS 45, 46) die Rede. Im Moment ihrer Enttarnung wird sie als „leblose Puppe“ (DS 45) bezeichnet. Doch noch bis zum Ende der Erzählung wird nicht deutlich zwischen Automat, Figur und Puppe unterschieden (vgl. DS 45f.).50 Tatsächlich bleibt

50 Die Forschung hat Olimpia insbesondere als Automate beziehungsweise als Automatenpuppe untersucht (vgl. bspw. Unger 2015; Schmidt 2014; Pagliarulo 2013; Tabbert 2006; Vogel 1998; Wittig 1997). Auch angesichts der Fülle an Forschungsliteratur zum Automatendiskurs wird dieser Pfad hier nicht weiterverfolgt. In diesem Buch wird da-

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höchst unbestimmt, wie die Lesenden sich dieses hybride Artefakt mit Wachsgesicht, Holzfüßen und scheinbar organischen Augen vorzustellen haben. Was aber eindeutig ist, ist das Geschlecht des anthropomorphen Artefakts. Und die Inszenierung von Geschlecht trägt entscheidend dazu bei, dass es als Mensch verkannt wird. Die Liebe des Künstlers Nathanael zum weiblich codierten Artefakt ist auf Grundlage zweier paradoxer Diskurse in der Entstehungszeit des Sandmanns möglich. Da ist einerseits ein Diskurs, der Natürlichkeit als Weiblichkeitsideal veranschlagt, und andererseits ein Diskurs, der die Authentizität des Gefühls einfordert. In der Konstellation zwischen romantischem Künstler und künstlerischem Artefakt zeigt E.T.A. Hoffmann die Krisen dieser Diskurse und bietet eine Erklärung für die Möglichkeit der Verlebendigung von Artefakten an. Diese These soll zunächst durch einen Blick auf die kulturhistorischen Veränderungen seit dem 18. Jahrhundert fundiert werden. Anschließend wird Olimpia insbesondere als Materialisierung weiblicher Natürlichkeit und Nathanael als Verkörperung romantischer Authentizität analysiert. Dabei gehe ich von einem grundsätzlichen Inszenierungscharakter von Natürlichkeit und Authentizität aus: Etwas wird gerade dann als natürlich oder authentisch erfahren, wenn sich selbst verbergende Inszenierungen vorausgegangen sind. Der Anspruch an subjektive Natürlichkeit und Authentizität ist auf die Emanzipation des Bürgertums seit dem 18. Jahrhundert im Zuge der Ablösung der Ständegesellschaft zurückzuführen. Veränderte ökonomische Strukturen beförderten eine neue bürgerliche Geschlechterideologie. Die Familie hatte als Stätte gemeinsamer Produktion abgedankt, der Lebensunterhalt wurde nun außerhalb der Familie vom lohnempfangenden Mann erworben (vgl. Drux 1986, 255). Mit der Trennung von beruflicher und familiärer Existenz wurde der bürgerlichen Frau die häusliche Sphäre zugeschrieben. Diese Rollenzuweisungen wurden ideologisch untermauert, indem geschlechtsspezifische Haltungen zu Naturgaben erklärt werden. Den Mann kennzeichne Aktivität, die Frau dagegen Passivität (vgl. ebd., 256). Konstitutiv für die neue Rolle der bürgerlichen Frau waren mithin Triebverzicht, Körperdisziplinierung, die Einschränkung des Bewegungsradius und der Handlungsfähigkeit (vgl. Barta 1987, 102). Mit der Fixierung bürgerlicher Geschlechtscharaktere in einer biologischen Essenz durch Philosophen wie Jean-Jacques Rousseau war der sichtbare Körper zur Repräsentation des wahren Wesens einer Person geworden. Gerade für den

gegen die Hybridität und Unbestimmtheit Olimpias ernst genommen. Um ihrem Grenzcharakter zu begegnen, kommt der Ausdruck des anthropomorphen Artefakts zum Einsatz.

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weiblichen Körper gilt ein neues Ideal der Natürlichkeit: Um Weiblichkeit als körperliche Essenz zu naturalisieren, muss ihre Herstellung verborgen werden. Das Inszenierungsmoment bei der Produktion von Natürlichkeit wird negiert. Opulente Kleider, Schminke und Schmuck konnten das natürliche Innere verdrängen (vgl. Bork Petersen 2013, 89) und gelten der bürgerlichen Gesellschaft daher als „affectiert“.51 So wandelt sich die Mode von einer repräsentativen (aristokratischen) zu einer demonstrativen (bürgerlichen) Angelegenheit (vgl. Lehnert 2008a, 20). Die „Werte der Aufklärung“ (Ramsbrock 2011, 90) bilden nun das Fundament für das weibliche Schönheitsideal. Im 19. Jahrhundert ist eine Frau nur schön, wenn sie auch „natürlich, gesund und sittsam“ erscheint (vgl. ebd., 88). Der aufklärerische Repräsentationsgedanke gilt nicht nur für die Produktion binärer Geschlechter, sondern ebenso für die neue bürgerliche Gefühlskultur. Aristokratische Selbstinszenierungen sind nicht mehr geeignet, die privatisierte Gefühlswelt des Bürgers zu kommunizieren. Gefühle werden nun einerseits kultiviert, andererseits diszipliniert: Zwar spielt Barta zufolge das Gefühl für die Emanzipation des bürgerlichen Subjekts eine große Rolle. Doch „gesteigerte Empfindsamkeiten bis zur Selbstauflösung“ waren gefährlich (vgl. Barta 1987, 96), weswegen der am Körper ausgelebte Affekt stillgelegt sei (vgl. ebd., 98). Die im Innern gehegten Gefühle dürfen nur kontrolliert nach außen gelangen. Die Authentizität52 des Gefühls als „sichtbare Übereinstimmung von menschlichem Innen und Außen“ (Bork Petersen 2013, 94) muss produziert werden. Sie resultiert

51 Vgl. die Stichserie „Natürliche und affectirte Handlungen des Lebens“ im Göttinger Taschenkalender 1779 und 1780 von Georg Christoph Lichtenberg und Daniel Chodowiecki. Vgl. zur Etymologie lat. affectāre: vorgeben, heucheln oder auch eifrig streben, trachten. S.a. lat. affectātiō: Trachten, Streben oder in der Rhetorik: Gekünsteltes, Manier. Affectāre geht auf lat. afficere zurück: in einen Zustand oder eine Stimmung versetzen, beeindrucken, was wiederum abgeleitet ist von lat. facere: machen, erzeugen. Das Affiziertwerden ist also gar nicht zwingend ein unkontrollierter Vorgang, sondern kann ein intentionales Moment besitzen und steht daher auch semantisch der Affektation, dem Gekünstelten, nahe. 52 Der Wortherkunft nach bedeutet Authentizität (von griech. authentikós) Echtheit im Sinne eines Verbürgten, das als Original befunden wird (vgl. hierzu Saupe 2014). Ich betrachte Authentizität mit Tumanov nicht als ein Charakteristikum, „das einer Person, einem Objekt, einer Handlung inhärent ist.“ (Tumanov 2017, 51) Nach Tumanov wird vielmehr ein jeweils kontextabhängiger Authentizitäts-Pakt geschlossen. Das bedeutet für eine Analyse dessen, was als authentisch aufgefasst wird, „dass für jedes Phänomen von neuem ausgelotet werden muss, welche spezifischen Eigenschaften des Rezipienten, welche Elemente des jeweiligen Kontextes und welche Authentifizierungsstrate-

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aus der Gestaltung des Äußeren beziehungsweise der Disziplinierung des Inneren. Authentizität ist damit Produkt von (Selbst-)Inszenierungen. Wie beim Natürlichkeitsideal entsteht durch die Forderung nach Authentizität ein Paradoxon, weil auch hier die Gestaltung des Eindrucks personaler Authentizität verborgen wird. Damit geht aber die Schwierigkeit einher, die Gefühle anderer Menschen zu erkennen. Wenn Gefühle nur vorgeblich unverstellter Ausdruck eines Innern sind, tatsächlich aber Regulierungen und Kultivierungen unterliegen, ist das Gefühlsleben anderer Menschen nur mittelbar zu erfahren. Dieses Erkenntnisproblem bringt innerhalb der bürgerlichen Kultur eine besondere Authentifizierungsstrategie hervor. Auf der Suche nach der Authentizität von Erscheinung und dem wahren Selbst (vgl. Entwistle 2000, 113) wird im romantischen Gefühlsdiskurs des 19. Jahrhunderts die Steigerung des Gefühlsausdrucks zur Strategie personaler Authentifizierung. Das überschwängliche romantische Gefühl bildet ein Gegenmodell zum bürgerlichen disziplinierten Gefühl. Diese kulturhistorischen Überlegungen gilt es nun am Beispiel des Sandmanns zu exemplifizieren. Vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Weiblichkeitsdiskurses wird das Artefakt gerade durch seine Passivität als Frau naturalisiert. Die meiste Zeit befindet sich Olimpia in der feminin bestimmten häuslichen Sphäre und sitzt „vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide Ärme, die Hände zusammengefaltet, gelegt hatte“ (DS 25). „Stundenlang“ verharrt sie „in derselben Stellung“ und schaut „offenbar unverwandten Blickes“ zu Nathanael hinüber (vgl. DS 34). Dass die Augen „etwas Starres“ haben, empfindet Nathanael zwar zunächst als „unheimlich“ (DS 25) und auch ihre „Wortkargheit“ (DS 43) fällt ihm auf. Schließlich gibt Olimpia anstelle von Sätzen lediglich die Interjektion „Ach, ach“ (DS 40) von sich.53 Doch weil im 19. Jahrhundert jedes noch so kleine Detail als Ausdruck von Identität lesbar ist (vgl. Entwistle 2000, 123), erfüllt dieses Artefakt den „Anspruch auf authentischen Ausdruck des wahren Selbst“ (Lehnert 2008a, 20). Der starre Blick, die wenigen Äußerungen und sogar das Schweigen sind dann „anschlußfähige Kommunikationen“ (Vogel 1998, 38). Olimpias „gänzliche Passivität“ (DS 43) artikuliert paradoxerweise ihr „tiefes Gemüt“ (ebd.), ihr Verhalten ist eine gelungene Synthese von kultiviertem Gefühl und dessen disziplinierter Aufführung. Gerade Olimpias Zurückhaltung animiert Nathanael daher zu Gefühlsekstasen. Ihr trägt er nun all seine Gedichte, Romane, Erzählungen, Sonette, Stanzen und Canzonen vor (vgl. DS 42f.).

gien das Zustandekommen eines Authentizitäts-Paktes begünstigen.“ (Ebd., 52) Authentizität im Sinne von Echtheit ist damit als Zuschreibungsgeschehen greifbar, dessen Kriterien kontingent sind. 53 Einmal spricht sie außerdem „Gute Nacht, mein Lieber“ (DS 43).

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Aber auch noch nie hatte er eine solche herrliche Zuhörerin gehabt. Die stickte und strickte nicht, sie sah nicht durch’s Fenster, die fütterte keinen Vogel, sie spielte mit keinem Schoßhündchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte kein Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein Gähnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen – Kurz! – Stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins Auge, ohne sich zu rücken und zu bewegen […]. (DS 43)

Als romantischer Künstler geht es Nathanael um eine Selbstauthentifizierung über die Intensivierung des Gefühls. Während seine Verlobte Clara sich nicht in die Rolle der passiven Rezipientin seiner Dichtung drängen lässt, sondern sie prüft und beurteilt (vgl. DS 30), setzt Olimpia „das Außerhalb der männlichen Identität in Szene“ (Bidwell-Steiner 2011, 20). Diese „Figurenträgerin abstrakter Weiblichkeitsbestimmungen“ (Ferro Milone 2015, 155) erlaubt seiner schwärmerischen Künstlerpersönlichkeit die uneingeschränkte Entfaltung. In Nathanaels Augen entspricht Olimpia also dem Ideal weiblicher Natürlichkeit und romantischer Authentizität. In der Gebrochenheit der Sichtweisen ist Olimpias Darstellung allerdings komplex. Verkörpert sie für Nathanael weibliche Tugenden, repräsentiert sie nämlich für die bürgerliche Gesellschaft eine gekünstelte Weiblichkeit. Zum Ball ihres ‚Vaters‘ Spalanzani erscheint Olimpia sehr reich und geschmackvoll gekleidet. Man mußte ihr schöngeformtes Gesicht, ihren Wuchs bewundern. Der etwas seltsam eingebogene Rücken, die wespenartige Dünne ihres Leibes schien von zu starkem Einschnüren bewirkt zu sein. In Schritt und Stellung hatte sie etwas abgemessenes und steifes, das manchem unangenehm auffiel; man schrieb es dem Zwange zu, den ihr die Gesellschaft auflegte. (DS 38)

Rousseau beschreibt diese Mode mit derselben Metapher: „Es ist eben nicht erbauend, eine Frau zu sehen, die wie eine Wespe in zwei Teile zerstückelt ist. Das beleidigt das Auge und verletzt die Phantasie.“ (Rousseau 1972, 397) Denn „was die Natur hemmt und behindert, zeugt von schlechtem Geschmack.“ (Ebd., 396f.) Es ist der „kunstvolle und künstliche Aufbau modischer Damenkleidung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“ (Lehnert 2008a, 24), an den Olimpias modische Erscheinung erinnert und der aus bürgerlicher Perspektive die Natur unterdrückt. Insofern verkörpert das anthropomorphe Artefakt eine negativ konnotierte Weiblichkeit: nämlich eine Inszenierung von Geschlecht, die ihre Artifizialität zeigt. So deutet Nathanaels Freund Siegmund „die steife, starre Olimpia“ (DS 34) geradezu konträr. Empört fragt er seinen Kommilitonen, wie es ihm möglich war, sich „in das Wachsgesicht, in die Holzpuppe da drüben zu vergaffen“ (DS 41).

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Siegmund spielt hier auf Spiel- und Modepuppen an, deren Schulterköpfe wie meist auch Hände und Füße seit dem 18. Jahrhundert aus Wachs gegossen wurden (vgl. hierzu Lode 2008, 14). Entsprechend galten „geschminkte Frauen“ seit dem späten 18. Jahrhundert beim Bürgertum als „maskenhaft und somit nicht authentisch“ (Ramsbrock 2011, 89). Sie glichen einer Toilettenlektüre von 1779 zufolge mehr „einer Wachspuppe“ als „einem lebenden Wesen“ und hinterließen deshalb einen „widerwärtigen Eindruck“ (zit. n. Ramsbrock 2011, 89f.). Siegmunds Kritik richtet sich damit auf die sichtbare Artifizialität von Olimpias Weiblichkeitsdarstellung – oder erkennt er in ihr die Holzpuppe, die sie ist? Es bleibt unklar, ob Siegmund Olimpia als Frau kritisiert oder Nathanaels Liebe zu einem anthropomorphen Artefakt verpönt. Nathanael rechtfertigt sich als romantischer Künstler, der allein die Tiefe und Authentizität von Olimpias Gefühl erkennen kann. „Nur mir ging ihr Liebesblick auf und durchstrahlte Sinn und Gedanken, nur in Olimpia’s Liebe finde ich mein Selbst wieder.“ (DS 42) In dieser Identifikation mit dem Artefakt performiert Nathanael nach Olimpias „Bravour-Arie“ bei Spalanzanis Ball romantische Gefühlsekstasen und ist dabei mit einer auf Affektkontrolle ausgerichteten bürgerlichen Gesellschaft konfrontiert: Die künstlichen Rouladen schienen dem Nathanael das Himmelsjauchzen des in Liebe verklärten Gemüts, und als nun endlich nach der Kadenz der lange Trill recht schmetternd durch den Saal gellte, konnte er wie von glühenden Ärmen plötzlich erfaßt sich nicht mehr halten, er mußte vor Schmerz und Entzücken laut aufschreien: Olimpia! – Alle sahen sich um nach ihm, manche lachten. Der Domorganist schnitt aber noch ein finstreres Gesicht, als vorher und sagte bloß: Nun nun! (DS 38f., H.J.S.)

Beim Tanz wundert sich Nathanael, dass Olimpia nur zwei Mal aufgefordert wird, doch so hat er die „Königin des Festes“ (DS 39) für sich allein. Was Nathanael nicht bemerkt, ist „das halbleise, mühsam unterdrückte Gelächter, was sich in diesem und jenem Winkel unter den jungen Leuten erhob, […] man konnte gar nicht wissen, warum?“ (Ebd.)54 Beziehen sich die Blicke der Ballgäste auf die Art und Weise, wie Nathanael romantische Gefühlsekstasen aufführt und wie Olimpia Weiblichkeit präsentiert?

54 Zwar wird hier angedeutet, dass die Gäste Olimpia als Artefakt erkennen – später heißt es allerdings, dass nur ganz kluge Studenten den Schwindel bemerkt hätten (vgl. DS 46). Auch wenn Siegmund wohl einer dieser klugen Studenten ist, formuliert er seine Kritik ausschließlich im Konjunktiv (vgl. DS 41). Dies kommt der strategischen Offenheit des Textes zugute.

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Gilt das Lachen und Mahnen Nathanaels Schwärmerei, der mangelnden Regulation seiner Gefühle angesichts einer dramatisch-überzogenen Performance Olimpias? Oder geht es um die Tatsache, dass Olimpia ein anthropomorphes Artefakt ist? Ist ihr Gesang kunstvoll oder tatsächlich künstlich? Entspricht diese Holzpuppe nicht Siegmunds Vorstellung von weiblicher Natürlichkeit oder ist sie eine Holzpuppe? Wird in Olimpias Erscheinung die prachtvolle Künstlichkeit einer überholten Damenmode beschrieben oder offenbart sich hier ihr artifizieller Körper? Zielt der Ausdruck Wachsgesicht auf eine maskenhafte Weiblichkeit oder meint er die Puppe? Diese erzählerische Uneindeutigkeit gestaltet den Prozess der Lektüre maßgeblich, wie im Laufe dieser Untersuchung zu erläutern ist. In ihrer Passivität ist Olimpia die ideale Repräsentantin bürgerlicher Weiblichkeit und repräsentiert umgekehrt in ihrer modischen Aufmachung weibliche Artifizialität. Sie oszilliert zwischen einer positiv konnotierten, ihre Gemachtheit verbergenden Natürlichkeit und einer negativ konnotierten Künstlichkeit, die ihr Gemachtsein demonstriert. Indem Olimpia Weiblichkeit gleichzeitig naturalisiert und artifizialisiert, führt sie auch die Machbarkeit von Geschlecht vor. Die modische Erscheinung, die zurückhaltende Körpersprache und die wenigen Worte vergeschlechtlichen in diesem paradoxen Geschlechterdiskurs ein per se geschlechtloses Artefakt. Eben die kulturhistorische Identifizierung von Natürlichkeit und Weiblichkeit erlaubt die Naturalisierung des Artefakts und löst damit die Differenz zwischen Ding und Frau auf.55 Insofern ist der Germanistin Giulia Ferro Milone zuzustimmen, die E.T.A. Hoffmann in einem Queer Reading seines Spätwerks als gegendiskursiven Autoren profiliert hat. Hoffmann stehe im Kontrast zu den zeitgenössischen Diskursen um Geschlecht, Sexualität, Liebe, Familie und Kultur (vgl. Ferro Milone 2015, 9f.). In einer Epoche, in der geschlechtsspezifische Verhaltensmuster fixiert wurden (vgl. ebd., 11), unterstreicht Der Sandmann die Artifizialität vermeintlich natürlich gegebener Weiblichkeit. Der Text ist eine Satire auf herrschende Geschlechterstereotype. Indem die Erzählung die Artifizialität des romantischen Gefühls und dessen Imitierbarkeit durch ein anthropomorphes Artefakt aufzeigt, wird außerdem das Gefühl als Differenzkriterium hinfällig. Im von Hoffmann dargestellten Kommunikationssystem ist das romantische Gefühl kein Garant für das Menschsein. 55 Dass Natürlichkeit von einem Artefakt eindrucksvoller verkörpert werden kann als von einem Menschen, hatte Heinrich von Kleist 1810 in dem Text Über das Marionettentheater formuliert. Während das Bewusstsein in der natürlichen Grazie des Menschen Unordnungen anrichte, erscheine die Grazie in der bewusstlosen Marionette am Reinsten (vgl. von Kleist 2013). Hoffmann hat den Text als einer der wenigen Zeitgenossen zur Kenntnis genommen. Seine Erzählung spielt gewissermaßen dieses Paradoxon einer naturalisierten Artifizialität durch.

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Selbst die ‚tiefen‘ Empfindungen müssen produziert werden, um sich vor dem Gegenüber zu authentifizieren. Sie sind stets nur mittelbar an der Oberfläche ablesbar und daher abhängig von Zuschreibungen der Rezipierenden. Innerhalb eines Deutungshorizonts der Innerlichkeit entzieht sich gerade das der sicheren Erkenntnis durch andere, was sie zum Menschen macht. Der romantische Gefühlsdiskurs erlaubt es also, das Artefakt zu subjektivieren. Und wenn Olimpias „Ach“ nicht mehr und nicht weniger als ein Laut ist, dann sind vielleicht auch die Äußerungen der Menschen kein Ausdruck von Gefühl, Denken und Willen, sondern reine Oberflächeninszenierungen. Als Olimpia schließlich im Streit ihrer beiden Schöpfer Spalanzani und Coppola zu Nathanaels Schrecken als leblose Puppe enttarnt wird, ist die Aufregung auch in den Teezirkeln groß, die Olimpia besucht hatte. Es entsteht ein „abscheuliches Mißtrauen gegen menschliche Figuren“ (DS 46). Im ironischen Ton berichtet der Erzähler, dass bis dahin „kein Mensch“ den „gänzlich unerlaubten Betrug“ bemerkt habe (vgl. ebd.).56 Nachträglich werden nun Differenzkriterien errichtet, obwohl es sie eben innerhalb des Natürlichkeits- und Authentizitiätsdiskurses nicht gibt. Bei ihren Salonbesuchen habe Olimpia „gegen alle Sitte“ häufiger geniest als gegähnt, und das Niesen sei eigentlich das Geräusch beim „Selbstaufziehen des verborgenen Triebwerks“ gewesen (vgl. ebd.). Von nun an wurde bei „den Tees unglaublich gegähnt und niemals genieset, um jedem Verdacht zu begegnen.“ (Ebd.) Die Artefakte bestimmen, was per definitionem menschliches Verhalten ist und was nicht. Die bürgerliche Gesellschaft der Erzählung versucht dem zu begegnen, indem ein noch höheres Maß an Kunstfertigkeit in die Selbstinszenierungen investiert wird: Um nun ganz überzeugt zu sein, daß man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, daß die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, daß sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem Möpschen spiele u. s. w. vor allen Dingen aber, daß sie nicht bloß höre, sondern auch manchmal in der Art spreche, daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das Liebesbündnis vieler wurde fester und dabei anmutiger, andere dagegen gingen leise auseinander. (DS 46f., H.i.O.)

56 Auch hier ist die Formulierung „menschliche Figuren“ nebulös: Sind menschenähnliche Artefakte gemeint oder affektierte Personen? Dass „kein Mensch“ den Betrug gemerkt habe, könnte sogar ironisch verstanden werden. Damit würde nahegelegt, dass die „Teeisten“ (DS 46) in uneigentlicher Weise selbst Automaten und keine Menschen seien (vgl. Tepe/Rauter/Semlow 2009, 176).

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Natürlichkeit und Authentizität werden inszeniert, um sich Anderen gegenüber als denkendes und empfindendes Ich zu authentifizieren. Doch wegen des Inszenierungscharakters dieser Authentifizierung kann sie das Subjekt wieder nicht als solches ausweisen, denn gerade wegen der Notwendigkeit ihrer Produktion ist sie durch anthropomorphe Artefakte imitierbar. Innerhalb eines Systems der Repräsentation kann es keine gesicherte Erkenntnis des Gegenübers geben. In diesem Kapitel ging es um die Produktion naturalisierter Weiblichkeit und romantischer Authentizität als zeitgenössische Subjektivierungsstrategien. An den beiden Figuren Nathanael und Olimpia demonstriert die Erzählung das Verschwimmen der Grenzen zwischen personaler und dinglicher Artifizialität als Ergebnis der zeitgenössischen Diskurse von Natürlichkeit und Authentizität. Im Sinne eines doing naturalness oder doing authenticity stellt Hoffmann die Machbarkeit des Subjekts dar und zeigt die daran anschließenden Konzeptionen von Mensch, Geschlecht und Artefakt als Konstrukte. 3.3.3 Körper und Fragment Der Sandmann führt auf vielen Ebenen Hervorbringungsprozesse vor und lässt dabei gezielt die Grenzen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren verschwimmen. Dies betrifft ebenso die Produktion von Körpern, kreist doch die Handlung im Kern um die Herstellung anthropomorpher Wesen durch zwei Männerpaare: Coppelius und Nathanaels Vater sowie Coppola und Spalanzani. Wie dieses Kapitel erläutern wird, werden solche körperlichen Gestaltungsprozesse in der Erzählung mit der künstlerischen Produktion gekoppelt. Obwohl die Konstruierbarkeit des Körpers ein zentraler Topos der Erzählung ist, wurden die im Sandmann entworfenen Körperbilder von der Forschung bisher nur am Rande thematisiert.57 Daher sind vor der Textanalyse einige thesenhafte Vorbemerkungen zu treffen. So entfaltet die Erzählung eine Fülle physischer Metamorphosen, die im deutlichen Kontrast zur aufklärerischen anthropozentrischen Subjektposition stehen. Körper werden auseinandergenommen und zusammengesetzt, Körper werden fragmentiert und Körperfragmente produziert. Diese strukturelle Teilbarkeit des Körpers demonstriert Hoffmann sowohl am Menschen wie am Artefakt. Beide konstituieren sich als Grenzphänomene und werden in liminalen Situationen austauschbar.58

57 Am deutlichsten noch bei Kayser (2004) und Rosner (2006). 58 Nach Turner ist ein Charakteristikum der liminalen Phase „die ausgeprägte Ambiguität und Inkonsistenz von Bedeutungen sowie das Auftreten liminaler dämonischer und monströser Wesen, die Verkörperungen dieser Ambiguitäten und Inkonsistenzen sind.

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Bei der Beschreibung liminaler Verwandlungsszenen greift Hoffmann immer wieder auf den ikonografischen Fundus der frühen Neuzeit zurück. In infernalen Szenerien mit Inszenierungen grotesker Körper weist er das Streben des aufgeklärten bürgerlichen Subjekts nach körperlicher Ganzheit als Scheitern aus. Die physische Gestaltbarkeit in der histoire findet aber im discours ihr Pendant: Die Erzählweise ist ebenfalls strukturell fragmentarisch. Beiden Ebenen dient das Fragment zur Thematisierung von Produktionsprozessen. Ähnlich wie in Bellmers Fotoserie und in der Modeausstellung unterstreicht der sichtbare Konstruktionscharakter auch in Hoffmanns Erzählung die Artifizialität der jeweiligen Hervorbringungen. Die alchemistisch-wissenschaftlichen Laboratorien im Sandmann, die bislang nicht Gegenstand der Forschung waren, sind in gewisser Weise dem entworfenen Körperbild vergleichbar. Diese Labore sind hybride Gebilde aus mystischen und wissenschaftlichen Versatzstücken, in denen an menschlichen Körpern und menschenähnlichen Artefakten gearbeitet wird. Birgit Richard spricht im Kontext des Science-Fiction-Films vom „Laboruterus“ (Richard 2001, 107), in dem Leben künstlich produziert wird. Insofern können sinnbildlich auch die Laboratorien im Sandmann als hervorbringende Körperfragmente verstanden werden. Die Produkte dieser hybriden Konstruktionen sind fragmentierte Körper, denen ein destruktives Moment eingeschrieben ist. Und letztlich zerstören die Laboratorien sogar sich selbst. Diese produktiv-destruktive Kreisstruktur des Labors ist nun anhand von drei Schlüsselszenen zu erläutern. Nathanaels körperliche Integrität ist seit seiner Kindheit von der Dissoziation bedroht. In einem Brief an Lothar beschreibt er die traumatische Zerteilung durch Coppelius, für den Jungen die erste von mehreren liminalen Situationen. Jeden Abend schickt die Mutter die Kinder zu Bett, da der Sandmann komme (vgl. DS 12). Einem Schauermärchen der Kinderfrau zufolge wirft dieser den Kindern, die nicht zu Bett wollen, „Händevoll Sand“ in die Augen, so dass diese „blutig zum Kopf herausspringen“ (vgl. DS 13). Als sich Nathanael eines Abends ins Arbeitszimmer des Vaters schleicht, beobachtet er seinen Vater und den Advokaten Coppelius, in welchem er den Sandmann zu erkennen glaubt, bei der Herstellung

Als mehrdeutige Wesen vermitteln sie zwischen alternativen oder gegensätzlichen Kontexten und tragen so wesentlich zu ihrer Veränderung bei.“ (Turner 1989a, 180) Liminale Phänomene sind eine tief ernste, selbst furchterregende Sache (vgl. ebd., 66f.). Während Nathanael liminale, krisenhafte Situationen durchläuft und sich dabei mit dämonischen Wesen konfrontiert sieht, ist der mit Turner als liminoid zu charakterisierende Lektüreakt, um den es später gehen soll, etwas Spielerisches. Beide Phänomene haben einen transitorischen und transformierenden Charakter.

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menschenähnlicher Wesen. Coppelius hämmert mit einer glutroten Zange hellblinkende Massen an einem kleinen Herd mit blauer Flamme (vgl. DS 17). Nathanael ist es, „als würden Menschengesichter ringsum sichtbar, aber ohne Augen – scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt ihrer.“ (Ebd.)59 Hephaistos, dem griechischen Gott des Feuers gleich, schmiedet Coppelius menschliche Körperfragmente. Sein Wirken verbindet die schöpferische Kraft des Feuers mit einem anatomischen Interesse am Körper. Denn Coppelius entdeckt Nathanael in seinem Versteck und hebt ihn auf den Herd mit den Worten: „Nun haben wir Augen – Augen – ein schön paar Kinderaugen.“ (Ebd.) So flüsterte Coppelius, und griff mit den Fäusten glutrote Körner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen wollte. Da hob mein Vater flehend die Hände empor und rief: Meister! Meister! laß meinem Nathanael die Augen – laß sie ihm! Coppelius lachte gellend auf und rief: ‚Mag denn der Junge die Augen behalten und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir den Mechanismus der Hände und der Füße recht observieren.‘ Und damit faßte er mich gewaltig, daß die Gelenke knackten, und schrob mir die Hände ab und die Füße und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein. ‚’s steht doch überall nicht recht! ’s ist gut so wie es war! – Der Alte hat’s verstanden!‘ (DS 17f.)60

Nathanael erfährt sich in dieser liminalen Szene als anatomische Puppe, deren Fragmentierung dem Sandmann Kenntnisse für die Konstruktion Olimpias verschafft: Um anthropomorphe Körper hervorzubringen, bedarf es der Destruktion menschlicher Körper. Für diese schöpferisch-zerstörerische Struktur steht die Anatomie, die seit ihrer Renaissance in der frühen Neuzeit die körperliche Ganzheit über den Weg der Zergliederung realisiert. Mit der Enttarnung Olimpias erlebt Nathanael eine zweite liminale Situation. Hier vollzieht sich der Wechsel vom organischem zum artifiziellen Körper mit verkehrten Vorzeichen. Auch diese zweite Laborszene zeigt ein männliches Wissenschaftler-Paar, Spalanzani und Coppola, die in einen Streit verwickelt sind.

59 Diese augenlosen Gesichter referieren auf die Versuchung des heiligen Antonius, der in Nachtstücken Boschs oder Grünewalds von aus dem Dunkel erscheinenden Dämonengesichtern heimgesucht wird. Auf seine Geschichte spielt auch Hoffmanns Roman Die Elixiere des Teufels (1815/1816) an. 60 Eine ganz ähnliche Vision körperlicher Fragmentierung hatte Hoffmann in Der Magnetiseur von 1814 beschrieben (vgl. Hoffmann 2006, 190). Kayser setzt solche Szenen in Hoffmanns Werk mit den Grotesken eines Brueghel in Verbindung (vgl. Kayser 2004, 76).

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Es waren Spalanzani’s und des gräßlichen Coppelius Stimmen, die so durch einander schwirrten und tobten. Hinein stürzte Nathanael von namenloser Angst ergriffen. Der Professor hatte eine weibliche Figur bei den Schultern gepackt, der Italiäner Coppola bei den Füßen, die zerrten und zogen sie hin und her, streitend in voller Wut um ihren Besitz. Voll tiefem Entsetzen prallte Nathanael zurück, als er die Figur für Olimpia erkannte; aufflammend in wildem Zorn wollte er den Wütenden die Geliebte entreißen, aber in dem Augenblick wand Coppola sich mit Riesenkraft drehend die Figur dem Professor aus den Händen und versetzte ihm mit der Figur selbst einen fürchterlichen Schlag, daß er rücklings über den Tisch, auf dem Phiolen, Retorten, Flaschen, gläserne Zylinder standen, taumelte und hinstürzte; alles Gerät klirrte in tausend Scherben zusammen. Nun warf Coppola die Figur über die Schulter und rannte mit fürchterlich gellendem Gelächter rasch fort die Treppe herab, so daß die häßlich herunterhängenden Füße der Figur auf den Stufen hölzern klapperten und dröhnten. – Erstarrt stand Nathanael – nur zu deutlich hatte er gesehen, Olimpia’s toderbleichtes Wachsgesicht hatte keine Augen, statt ihrer schwarze Höhlen; sie war eine leblose Puppe. (DS 44f., H.J.S.)

Am Boden sieht Nathanael „ein Paar blutige Augen“ (DS 45) liegen. Es scheinen seine eigenen zu sein, die der augenlosen Olimpia eingesetzt worden waren. Körperteile können bei E.T.A. Hoffmann wie an einer anatomischen Puppe abgetrennt und wieder angefügt werden (vgl. Hoffmann 2002, 115) und gerade die Augen führen ein Eigenleben: Sie springen, rollen oder brennen (vgl. DS 13, 31, 33, 48). Die „selbstständige Existenz“ (Bachtin 2006, 364) der Augen in einem Artefakt muss aber den Rückfall vom bürgerlichen Konzept des individuellen opaken Körpers zum kosmischen grotesken Körper bedeuten. Nathanaels namenlose Angst, sein wildes Entsetzen gelten der Auflösung des Subjekts in ein kosmisches Gefüge. Phiolen, Retorten, Flaschen, Zylinder – die gläsernen Gefäße im Studierzimmer Spalanzanis61 symbolisieren das wissenschaftliche Experiment. Sie sind „Instrumente einer Biotechnologie ante litteram“ (Ferro Milone 2015, 148). Im Streit der beiden Wissenschaftler werden die gläsernen Behältnisse zerstört, welche „die Transparenz der eigentlich alchemistischen Vorgänge“ (Richard 2001, 104) symbolisieren sollen. Denn Coppola instrumentalisiert Olimpia als Waffe und schlägt damit seinen Kontrahenten derart, dass dieser effektvoll das Labor verwüstet. Dabei verletzen Glasscherben Spalanzani, zerschneiden ihm Kopf, Brust und Arm 61 Der Name geht auf den Naturforscher Spallanzani zurück, der im späten 18. Jahrhundert beweisen wollte, dass Samenschaum Froscheier nicht befruchten konnte (vgl. Laqueur 1991, 199). Zu Spallanzanis Werkzeugen zählten folglich „glühende Nadeln, Knochenscheren und das Skalpell“ (Lieb 2012, 183), was sich in der Fragmentierungsszene im Sandmann wiederfindet.

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(vgl. DS 45). Diese Szene bedeutet das Ende des Experiments ‚Olimpia‘. Mit der Zerstörung des Labors durch die „Figur selbst“ bricht die hermetische Versiegelung des artifiziellen Körpers auf. Der verglaste Idealkörper wird zum grotesken Ding. Erstmals nimmt Nathanael das hölzerne Klappern der „häßlich herunterhängenden Füße“ wahr. Mit Olimpia wird „die Utopie von der Junggesellenmaschine zerstört, weil sich das Leben nicht von dem weiblichen Anteil der Erzeugung trennen lässt.“ (Richard 2001, 107) Das Artefakt verschwindet an dieser Stelle mit Coppola aus der Erzählung und sukzessive entziehen sich auch alle andere Figuren, wie Vogel konstatiert: „Nathanael in den Tod, Coppelius im Gewühl, Clara in einem unsicheren Vielleicht, der Ich-Erzähler in unpersönlichen Satzsubjekten“ (Vogel 1998, 78).62 Die beiden Labor-Szenen haben die produktiv-destruktive Kraft von Feuer und Glas aufgezeigt. Glas wird aber durch die Schmelze verschiedener Rohstoffe, hauptsächlich Quarzsand, hergestellt.63 So entsteht ein Motivkreis aus Sand, Feuer und Glas, der im Kern auf den künstlerischen Schaffensprozess verweist. Das Glas steht in dieser Perspektive für die imaginierende Anschauung des Künstlers Nathanael, die ihm der Sandmann erst ermöglicht, und deren inspirierende Kraft als körperliche Hitze erfahren wird. Initiiert wird diese Rhetorik in der ersten Laborszene, die das Laboratorium als Knotenpunkt aller Hervorbringungs- und Zerstörungsprozesse ausweist: Coppelius hielt eine „glutrote Zange und holte hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er emsig hämmerte.“ (DS 17) Beinahe streute er Nathanael „glutrote Körner aus der Flamme“ (ebd.) in die Augen. Nach der Dissoziation durch den Sandmann stellt sich bei Nathanael ein „hitziges Fieber“ (DS 18) ein. In einem vom Sandmann inspirierten Gedicht Nathanaels, das er Clara vorliest, springen Augen „blutige Funken sengend und brennend“ in seine Brust, sind aber eigentlich „glühende Tropfen“ seines eignen Herzbluts (vgl. DS 31). Nathanael gerät sodann in den flammenden Feuerkreis und damit in den „schwarzen Abgrund“ (ebd.). Mit diesem Gedicht hofft Nathanael „Clara’s kaltes 62 Denn die Erzählung endet sprachlich in einer extremen Vagheit: „Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Clara gesehen haben, wie sie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Türe eines schönen Landhauses saß und vor ihr zwei muntre Knaben spielten. Es wäre daraus zu schließen, daß Clara das ruhige häusliche Glück noch fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im Innern zerrissene Nathanael niemals hätte gewähren können.“ (DS 49, H.J.S.) Mit dieser „Puppenhausidylle“ (Würker 1993, 127) wird Clara wie alle Figuren der Erzählung ironisch-kritisch gezeichnet, aber vor allem die erzählerische Ungewissheit unterstrichen. 63 Auf die motivische Verbindung von Sand und Glas haben Carol Brune und Lena Kraemer hingewiesen (vgl. Brune/Kraemer 2006, 113).

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Gemüt“ (ebd.) entzündet zu haben. Die „innere Glut“ beim Vortrag seines Gedichts färbt seine Wangen hochrot, Tränen quellen aus seinen Augen. Doch Clara möchte ausgerechnet, dass er „das tolle – unsinnige – wahnsinnige Märchen“ (DS 32) ins Feuer wirft. Olimpias Sehkraft wird beim Blick durch Coppolas Fernglas „entzündet“ (DS 36). Nathanaels Aufschrei bei ihrer Bravour-Arie geht der Eindruck voraus, er werde „von glühenden Ärmen plötzlich erfaßt“ (DS 38). In Liebe entflammt spricht er „von seiner Liebe in Worten, die keiner verst[eht]“ (DS 40). Trägt er Olimpia seine Poesie vor, wird ihr Blick „immer glühender, immer lebendiger“ (DS 43). Nach ihrer Enttarnung als Artefakt packt Nathanael der Wahnsinn „mit glühenden Krallen“ und er ruft: „Hui – hui – hui! – Feuerkreis – Feuerkreis! dreh dich Feuerkreis – lustig – lustig! Holzpüppchen hui schön’ Holzpüppchen dreh dich –“ (DS 45, H.i.O.). Nicht zuletzt spricht auch der Erzähler in Bezug auf den künstlerischen Schaffensprozess von einer inneren „siedenden Glut“ (DS 25f.), die es dem Publikum erfahrbar zu machen gilt. Der Motivkreis, der Glas, Feuer und Sand verbindet, steht für die dichterische Imagination ebenso wie für die Entgrenzung des Dichters. Der Körper wird zum imaginierenden Labor, Artefakte werden lebendig und Menschen zu Artefakten (jene Menschen, deren „kaltes Gemüt“ nicht zur ästhetischen Anschauung fähig ist). Die von Hoffmann produktiv-destruktiv konzipierte Imagination hinterlässt jedoch letztlich nichts als Asche. Der Sandmann, im aschgrauen Rocke, mit roten Ohren und schwarzen Strümpfen und Schuhen (vgl. DS 15), personifiziert diese Einbildungskraft, die das, was sie erobert, zerstört. Und die Holzpuppe ist vom Feuer ebenso bedroht wie das Textmedium selbst, „das aus Holz hergestellte Papier“ (Brune/Kraemer 2006, 112), auf das sie autoreflexiv verweist. So lädt der Text auch die Lesenden in den schöpferisch-zerstörerischen Feuerkreis ein, wie unten erörtert wird. Vorerst ist die dritte liminale Situation zu beschreiben, die sich am Ende des Nachtstücks in der ‚Turmszene‘ ereignet. Clara und Nathanael besteigen den Ratsturm der Stadt, wobei sie ihn auf einen „sonderbaren kleinen grauen Busch“ auf dem Marktplatz hinweist, „der ordentlich auf uns los zu schreiten scheint“ (DS 48). Nathanael faßte mechanisch nach der Seitentasche; er fand Coppola’s Perspektiv, er schaute seitwärts – Clara stand vor dem Glase! – Da zuckte es krampfhaft in seinen Pulsen und Adern – totenbleich starrte er Clara an, aber bald glühten und sprühten Feuerströme durch die rollenden Augen, gräßlich brüllte er auf; wie ein gehetztes Tier; dann sprang er hoch in die Lüfte und grausig dazwischen lachend schrie er in schneidendem Ton: ‚Holzpüppchen

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dreh dich – Holzpüppchen dreh dich‘ – und mit gewaltiger Kraft faßte er Clara und wollte sie herabschleudern […]. (DS 48)64

Unten steht „riesengroß“ der Advokat Coppelius und spricht „ha ha – wartet nur, der kommt schon herunter von selbst“ (DS 49). Dieser Ausruf wird sogleich Realität: Nathanael springt direkt auf den Advokaten zu und endet mit zerschmettertem Kopf auf dem Steinpflaster, während Coppelius im Gewühl verschwindet (vgl. ebd.).65 Drux erkennt in dem von Clara ausgemachten Busch die „buschigten grauen Augenbrauen“ (DS 15) des Coppelius (vgl. Drux 1994, 48f.). Diese GanzheitTeile-Relation bestimmt die gesamte Figurenzeichnung des Advokaten. Seine Körperteile entspringen „nichtmenschlichen Seinsstufen“ (Hoffmann 2002, 115), dem Tier-, Pflanzen- und Erdreich, wobei Farben dominieren, die Bezüge zu Feuer und Asche herstellen. Coppelius „erschien immer in einem altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und gleichen Beinkleidern, aber dazu schwarze Strümpfe und Schuhe mit kleinen Steinschnallen“ (DS 15). Die „Kleblocken standen hoch über den großen roten Ohren“ (ebd.). Hinzu kommen ein teuflisches Lachen, ein schiefes Maul, ein Paar grünliche Katzenaugen, ein erdgelbes Gesicht und große, knotige, haarige Fäuste (vgl. DS 15f.). Coppelius ist ein Konstrukt, wie auch Olimpia primär durch ihre Hybridität definiert ist. Ferro Milone zufolge werden bei Hoffmann die Grenzen zwischen heterogenen Lebensordnungen – Mensch, Tier, Pflanze, Gegenstände und Maschinen – brüchig (vgl. Ferro Milone 2015, 11), was sich gerade in der Figurenzeichnung zeigt. So ist auch Claras Beschreibung bruchstückhaft: Für schön konnte Clara keineswegs gelten; das meinten alle, die sich von Amtswegen auf Schönheit verstehen. Doch lobten die Architekten die reinen Verhältnisse ihres Wuchses, die Maler fanden Nacken, Schultern und Brust beinahe zu keusch geformt, verliebten sich 64 Achim Würker fragt, warum Nathanael nicht auf den sonderbaren Busch blickt, sondern seitwärts zu Clara (vgl. Würker 1993, 117). Und warum weist die anti-dämonologisch eingestellte Realistin den aus ihrer Sicht für „mystische Schwärmerei“ (DS 29) empfänglichen Nathanael überhaupt auf einen „schreitenden“ Busch hin? Diese unbeantworteten Fragen weisen auf eine gezielt nicht hergestellte Kohärenz des Textes hin. 65 Coppelius’ Sprechakt scheint die nachfolgende Handlung zu bewirken und könnte daher entweder als Zauberspruch (wobei die Formelhaftigkeit und eventuell die rituelle Praxis fehlen würde) oder nach Austin als perlokutionärer Akt verstanden werden, der mit der Absicht vollzogen wird, Wirkungen auf die Gefühle, Gedanken oder Handlungen des Hörers zu erzielen (vgl. Austin 1989, 118). Vgl. zu Magie und Performanz Eming 2017; Schröder 2004; Tambiah 1987.

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dagegen sämtlich in das wunderbare Magdalenenhaar und faselten überhaupt viel von Battonischem Kolorit. Einer von ihnen, ein wirklicher Fantast, verglich aber höchstseltsamer Weise Clara’s Augen mit einem See von Ruisdael, in dem sich des wolkenlosen Himmels reines Azur, Wald- und Blumenflur, der reichen Landschaft ganzes buntes, heitres Leben spiegelt. (DS 27f.)

Die Bildfragmente, welche durch die Sichtweisen verschiedener Künstler auf Clara evoziert werden, lassen sie „wie ein künstlich zusammengesetztes Produkt“ (Geltinger 2008, 58) wirken. Damit kennzeichnet die Struktur des Fragments in der Erzählung ganz wesentlich die Darstellung einer stets von Dissoziation bedrohten Körperlichkeit. Die Erzählung eröffnet eine groteske Ästhetik, in der Menschen und Dinge sich in beständigen Transformationen und Übergängen, in einem unabschließbaren Schöpfungsprozess befinden. Gleichzeitig bestimmt das Fragment die Erzählweise des Sandmanns. Das polyphone Erzählen in Briefen sowie mit einem unzuverlässigen auktorialen IchErzähler erlaubt nur fragmentarische, teils widersprüchliche Informationen von verschiedenen Figuren inklusive des Erzählers. Unsere Erkenntnis bleibt ebenso fragmentarisch wie die der Figuren in der Textwelt. Laut Andrea Bartl ist der Gegensatz von Zerfall und Einheit für die Romantik konstitutiv, was sich sowohl in den Themen der Ich-Spaltung und der Duplizität der Welt spiegele wie auch in den Grundformen romantischen Schreibens: dem Fragment und der Fragmentsammlung (vgl. Bartl 2009, 44). Nicht nur die menschlichen und nichtmenschlichen Körper im Sandmann befinden sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Einheit und Zerfall, auch die Art ihrer Präsentation spielt mit fragmentarisierten Sichtweisen und unterstreicht damit das epistemologische Problem, das anthropomorphe Artefakte darstellen. Der Fragmentcharakter des Erzählens, der in den fragmentierten Körpern sein Pendant findet, lässt sich als strategische Unbestimmtheit begreifen. SchmitzEmans formuliert: Nirgends erfahren wir eine Tatsache ‚an sich‘; jeder Vorfall ist in Sehweisen gebrochen. Dem Leser ist aber auch die Möglichkeit verwehrt, aus den perspektivischen Bruchstücken der Geschichte, deren Teile nicht recht zueinander passen, die ‚Wahrheit‘ selbst zu erschließen. Er tappt wie die Figuren selbst hinsichtlich zentraler Rätsel im Dunkeln. (SchmitzEmans 2007, 118)

Laut Brune/Kraemer spielt Hoffmann seinerseits ‚Sandmann‘, indem er den Lesenden beständig Sand in die Augen streut, ihre Wahrnehmung steuert und ihnen immer wieder den Boden unter den Füßen wegzieht (vgl. Brune/Kraemer 2006,

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123). Dies ist auch in der Textgenese abzulesen. In der Druckfassung entfielen jene Erzählerkommentare, die die Identität von Coppola, Coppelius und dem Sandmann andeuten (vgl. Lieb 2012, 169f.). Küpper zufolge zeigt der Vergleich beider Fassungen „einen deutlichen Willen Hoffmanns zur Schaffung von Ambivalenz.“ (Küpper 2005, 23) Laut Hohoff arbeitete Hoffmann auf die Irritation des Lesers hin (vgl. Hohoff 1988, 350). Und nach Walter sind Hoffmanns Änderungen stets Steigerungen „in der Darstellung von Handlungen und Affekten“ (Walter 1984, 18). Zur Motivstruktur stellt der Autor fest, daß einzelne Teile des Geschehens zu Gliedern von Zusammenhängen werden, die herstellbar erscheinen, gerade weil sie nicht ausdrücklich hergestellt werden. Alles wird bedeutend, oder genauer: es provoziert Deutung, ohne seine eigentliche Bedeutung preiszugeben. (Ebd., 27)

In der Überarbeitung der ersten Textfassung schien es Hoffmann also um eine erregende wie anregende Lektüre zu gehen. Wie das hybride anthropomorphe Artefakt Olimpia erlaubt auch das fragmenthafte literarische Artefakt keine Synthese: Die Interpretation hat gewissermaßen ebenfalls Fragmentcharakter. In dieser rezeptionsästhetischen Perspektive kann die Unbestimmtheit des Textes analog zur physischen Hybridität des anthropomorphen Artefakts betrachtet werden. Beide enttäuschen Ansprüche auf Abgeschlossenheit und Kohärenz. Diese Analogie zwischen Erzählung und Geschichte gilt es im Folgenden zu diskutieren. 3.3.4 Lebende Fiktionen Der Sandmann ist eine Erzählung über das Erzählen: eine Erzählung über das Lebendigwerden des Erzählten und damit über die wirklichkeitskonstituierende Kraft von Dichtung. Die Geschichte des romantischen, scheiternden und letztlich lächerlichen Dichters Nathanael ist als Künstlernovelle lesbar, welche eine krisenhafte Situation der Hauptfigur über die Auseinandersetzung mit der Kunst behandelt.66 In diesem Sinne geht es um die misslingende Kommunikation des Dichters

66 Nach Schmidt beginnt der „Siegeszug der Künstlernovelle“ (Schmidt 1982, 403) unter anderem mit dem Sandmann. Bei der Erzählung handele es sich um die Tragödie der autonom sich entfaltenden Imagination (vgl. ebd., 411). Charakteristisches Element der Künstlernovelle ist „die polare Spannung zwischen der kreativen Erlebniswelt des Subjekts und dem lebensweltlichen Anspruch der Gesellschaft“ (Singh 2007, 412). Der ironische Erzählgestus in Hoffmanns Text lässt aber zugleich eine Lesart als Satire auf diese Gattung zu.

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mit seinem Publikum sowie um seinen (sich erfüllenden) Wunsch nach einer Synthese von Imagination und Realität, einer künstlerischen Durchdringung seiner Wirklichkeit. Deutlich wird dies durch eine performanzorientierte Perspektive auf die von Nathanael belebten Fiktionen innerhalb der Erzählung. In der kontemplativ-fokussierenden Inszenierung des Artefakts steht der erste Blick Nathanaels auf Olimpia exemplarisch für alle folgenden. Neulich steige ich die Treppe hinauf und nehme wahr, daß die sonst einer Glastüre dicht vorgezogene Gardine zur Seite einen kleinen Spalt lässt. Selbst weiß ich nicht, wie ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes, sehr schlank im reinsten Ebenmaß gewachsenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer saß im Zimmer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide Ärme, die Hände zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie saß der Türe gegenüber so, daß ich ihr engelschönes Gesicht ganz erblickte. Sie schien mich nicht zu bemerken […]. (DS 24f.)

Die Ästhetisierung des Artefakts wird zunächst über den Sehsinn vollzogen, wobei bestimmte Inszenierungsweisen eine Animation in der ästhetischen Anschauung befördern. Der Protagonist blickt immer wieder durch Hindernisse auf Olimpia: Glastüren, Fenster und Vorhänge durchziehen motivisch die Handlung (vgl. DS 16, 24, 25, 37) und stellen stets einen Rahmen her, der das innerhalb der Bildgrenzen Befindliche als Schauplatz ausweist. Zugleich bleibt das Betrachtete dem Zugriff des Betrachters entzogen. Durch dieses Spiel zwischen Nähe und Distanz, Verdecken und Enthüllen, wird Olimpia zum exhibierten ästhetischen Objekt, das visuelle Aufmerksamkeit forciert. Sie konnotiert to-be-looked-at-ness. Der visuelle Fokus und die distanzierende Inszenierung kreieren ein weiblich codiertes Kunstwerk. Und das blinde Artefakt erlaubt es Nathanael, stets nur der Blickende, nicht der Angeblickte zu sein. Dies ermöglicht die ungestörte Kontemplation auf Olimpias Erscheinen und löst „Sehnsucht und glühende[s] Verlangen“ (DS 37) aus. Das ästhetisierte Artefakt evoziert den Künstler als Partner. Das Taschenperspektiv, das Nathanael dem „Mechanicus und Opticus“ (DS 35) Coppola abkauft, steigert noch die ästhetisierende Kontemplation auf dem weiblich codierten Artefakt. Das Fernglas aus dem Labor des Sandmanns67 optimiert die imaginierende Anschauung: Es rahmt erneut das Betrachtete und simuliert eine visuelle Nähe, wo eigentlich eine räumliche Distanz besteht (vgl. Gendolla 1992, 169). So scheint die blinde Olimpia im Blick durch das Perspektiv schließlich doch sehen zu können:

67 Schließlich können die hellblinkenden Massen, die Coppelius im Labor aus der Glut holt und bearbeitet (vgl. DS 17), als künstliche ‚Augen‘ interpretiert werden.

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Nun erschaute Nathanael erst Olimpia’s wunderschön geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar seltsam starr und tot. Doch wie er immer schärfer und schärfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpia’s Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entzündet würde; immer lebendiger und lebendiger flammten die Blicke. Nathanael lag wie festgezaubert im Fenster, immer fort und fort die himmlisch-schöne Olimpia betrachtend. (DS 36)

Wiederholt nimmt Nathanael das Artefakt zunächst in seiner Artifizialität wahr. Doch diese ‚Störungen‘ führen stets zur Naturalisierung des artifiziellen Körpers – zunächst nur in der visuellen, doch später auch in der haptischen Erfahrung. In der Berührung des Werks durch den Künstler beginnen „in der kalten Hand Pulse zu schlagen und des Lebensblutes Ströme zu glühen.“ (DS 39) Und im Kuss scheinen Olimpias „eiskalte Lippen […] zum Leben zu erwarmen“ (DS 40). Wie Pygmalion gestaltet Nathanael den begehrten Körper mit Hilfe seiner Sinne: sehend und tastend.68 Dabei begünstigt die Statik des artifiziellen Körpers noch den Akt der Animation. Die kontemplative Inszenierung der steifen, starren Olimpia, die meist reglos an einem Tisch sitzt, fängt den fruchtbaren Augenblick ein und stimuliert die Imagination. Damit ist es stets die sinnliche Erfahrung, in der das Artefakt Leben gewinnt. Oder anders gesagt: Das anthropomorphe Artefakt entwickelt Agency in der imaginativ-ästhetischen Wahrnehmung des Künstlers. Ganz ähnlich geht es auch in der Beziehung Nathanaels zur Figur des Sandmanns um eine Ästhetisierung seiner Realität. Das vom Sandmann verkörperte „böse Prinzip“ (DS 30) hat seit seiner Kindheit eine inspirierende Wirkung auf Nathanael. Der Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das so schon leicht im kindlichen Gemüt sich einnistet. Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolten, Hexen, Däumlingen u. s. w. zu hören oder zu lesen; aber obenan stand immer der Sandmann, den ich in den seltsamsten, abscheulichsten Gestalten überall auf Tische, Schränke und Wände mit Kreide, Kohle, hinzeichnete. (DS 14)

68 Bei Pygmalion ist der Tastsinn – das Modellieren – für die Belebung zentral (vgl. Stoichita 2011, 27): „Oftmals berührt er sein Werk mit der Hand und versucht, ob es Fleisch, ob Elfenbein sei“ (Ovid 2010, 10. Buch, V. 254f.). Als Pygmalion nach der Verlebendigung der Statue durch die Göttin Venus zu ihr eilt, um sie zu küssen, „schien sie zu erwarmen.“ (Ebd., V. 282) Sie wird zum leiblich spürenden Subjekt: „Die Jungfrau fühlte die Küsse“ (ebd., V. 292). Olimpia dagegen fehlen Subjektivität und Leiblichkeit bis zuletzt.

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Der Vater fördert die Fantasiebegabung seines Sohns noch, indem er ihm „wunderbare Geschichten“ erzählt und „Bilderbücher in die Hände“ gibt (vgl. DS 12). Daher ist Nathanael später sogar enttäuscht, als die inspirierende Wirkung der düsteren Märchenfigur nachlässt, was ihn wiederum zum Verfassen des bereits erwähnten Gedichts inspiriert: Die Gestalt des häßlichen Coppelius war, wie Nathanael selbst es sich gestehen mußte, in seiner Fantasie erbleicht und es kostete ihm oft Mühe, ihn in seinen Dichtungen, wo er als grauser Schicksalspopanz auftrat, recht lebendig zu kolorieren. Es kam ihm endlich ein, jene düstre Ahnung, daß Coppelius sein Liebesglück stören werden, zum Gegenstande eines Gedichts zu machen. Er stellte sich und Clara dar, in treuer Liebe verbunden, aber dann und wann war es als griffe eine schwarze Faust in ihr Leben und risse irgend eine Freude heraus, die ihnen aufgegangen. (DS 30f.)

Am Traualtar erscheint sodann Coppelius und berührt Claras Augen, die daraufhin in Nathanaels Brust springen. Coppelius wirft ihn in einen Feuerkreis. Nathanael blickt in Claras Augen, „aber es ist der Tod, der mit Clara’s Augen ihn freundlich anschaut.“ (DS 31) Als Nathanael seiner Verlobten das Gedicht vorliest, glaubt er, sie mit seinem schwärmerischen Gedicht affiziert zu haben. Wie Olimpia ruft er nun selbst „Ach“, für ihn Ausdruck höchster Gemütsbewegung. Doch seine Emotionalisierungsstrategie scheitert: Clara möchte, dass er das Gedicht verbrennt, woraufhin Nathanael sie ein „lebloses, verdammtes Automat“ nennt (vgl. DS 32). Auch als Künstler geht es Nathanael um eine Ekstase des Gefühls. Diese Codierung von Emotion wird von seinem Publikum aber nicht als authentisch akzeptiert. Nicht nur Clara, selbst der Erzähler nennt Nathanaels literarisches Schaffen langweilig (vgl. DS 30, 32). Gerade die Übersteigerung ist für sein Publikum ein Inszenierungssignal; so hat das Erkennen der Emotionalisierungsabsicht eine Verweigerung zur Folge. Zwar verfehlt Nathanaels Emotionalisierungsstrategie ihr Ziel, aber sie bedeutet dennoch eine Ästhetisierung seiner Realität. Das Gedicht setzt nämlich laut Guggenheimer eben jene szenische Abfolge in Gang, die es selbst beschreibt (vgl. Guggenheimer 2008, 32). Die literarische Fantasie von Coppelius, der Nathanaels Liebe zu Clara stört und deren Augen ihm den eigenen Tod spiegeln, wird im Verlauf der Handlung Realität. Die durch Coppelius personifizierte künstlerische Inspiration isoliert Nathanael zunehmend von seiner sozialen Umwelt: Der Künstler gerät in den „Feuerkreis“, was letztlich seinen Mordversuch an Clara und den eigenen Tod zufolge hat. Das böse Prinzip, von dem sich Nathanael bedroht fühlt, ist die eigene schöpferische Kraft, die zwar ihr Pub-

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likum nicht erreicht, jedoch sein Leben gestaltet. Die Fiktionen innerhalb der Erzählung, das Ammenmärchen, die Kinderzeichnungen und sein Gedicht vom Sandmann, überschreiten die Grenze zur Wirklichkeit. In ihrem Erscheinen sind sie wirklichkeitskonstituierend und selbstreferenziell – performativ. Anders als Pygmalion ist Nathanael nicht in der Lage, das weiblich codierte Kunstwerk vollends zum Leben zu erwecken. Mit dem Streit Coppolas und Spalanzanis ist Nathanaels ästhetische Sicht auf das Artefakt unwiederbringlich verloren. Letztlich scheitert die verlebendigende Imagination an Olimpia, wie auch seine Kunst nicht in der von ihm intendierten ästhetischen Ansteckung seines Publikums Leben gewinnt. Insofern stellt das anthropomorphe Artefakt zwar eine Reflexionsfigur des künstlerischen Formats dar, sie demonstriert aber auch die Grenzen von Kunst und deren Mitteilbarkeit. Die Sandmann-Figur hingegen, die aus dem Märchen in die Realität tritt, wo sie sich in menschliche Gestalten wie Coppola oder Coppelius transformiert, bleibt bis zum Schluss undurchdringlich: Es ist nicht entscheidbar, ob sie zur Welt der Fiktion oder der Wirklichkeit gehört. Sie ist eine so gelungene Schöpfung Nathanaels, dass ihre Artifizialität unkenntlich wird. Die Sandmann-Figur steht für den absoluten Rückzug in eine ästhetische, imaginierende Wirklichkeitserfahrung. Sie ist das transikonische Kunstwerk, das kraft performativer Akte lebendig wird. Das satirisch gezeichnete Scheitern Nathanaels ist im Verkennen der idealen romantischen Kunstfigur begründet.69 Wie finden sich nun die beschriebenen vielfältigen Hervorbringungsprozesse von Subjektivität, Körpern und lebenden Fiktionen innerhalb der Textwelt auf der Erzählebene wieder? Dies soll eine Analyse der selbstreferenziellen, auf Wirklichkeitskonstitution zielenden Erzählstrategien erhellen. Hierfür dient das Modell der strukturellen Performativität nach Häsner et al., welches danach fragt, „wie der Text das macht, wovon er spricht, oder gegebenenfalls etwas anderes macht, als er behauptet“ (Häsner et al. 2011, 84). Strukturelle Performativität verweist auf die Machart eines Textes und bezeichnet „die textuellen Strategien und Strukturen, die der Inszenierung von Körperlichkeit, sinnlicher Präsenz oder ereignishaftem Vollzug dienen“ (ebd., 83). Denn das Defizit schriftlicher Texte besteht darin, dass sie keine Simultaneitäts- oder Koinzidenzrelationen aufweisen können (vgl. ebd.): Wie schon Iser feststellte, fehlt bei der Beziehung zwischen Text und Lesenden die gemeinsame Situation (vgl. Iser 1990, 109). Dieses Defizit kann jedoch durch Strategien der Erzählebene kompensiert werden, die sich an der Kommunikationssituation der theatralen Aufführung orientieren (vgl. Häsner et al. 69 Schließlich setzt schon der Titel der Novelle den Sandmann und nicht etwa Olimpia in den Fokus. Der Sandmann muss als vollkommenes Kunstwerk des Dichters bei dessen Tod folgerichtig „im Gewühl“ verschwinden, in Nathanaels „zerschmettertem Kopf“ (DS 49), aus dem er hervorgegangen ist.

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2011, 83). Sie umfassen das Fingieren von Mündlichkeit, die Evokation von Körperlichkeit, die Multiperspektivierung, Verfahren der Blicklenkung und Visualisierung, Apostrophierungen der Lesenden als anwesende Kommunikationspartnerinnen und -partner sowie generell Modellierungen der Rezipierenden (vgl. ebd., 83, 76). Erzählerinnen und Erzähler können also eine Gesprächssituation mit den Lesenden inszenieren, sie zu bestimmten Reaktionen auffordern oder die Möglichkeiten des Erzählens erörtern (vgl. Fischer-Lichte 2013, 140). Solche theatralen, autoreferenziellen Textstrategien lenken die Aufmerksamkeit auf den Erzählvorgang selbst (vgl. ebd., 140f.). Der Sandmann ist ein hochgradig selbstreferenzieller Text, der als exemplarisch für die strukturelle Performativität gelten kann.70 So gibt der Erzähler sein Erzählen als mündliches Ereignis im Hier und Jetzt aus, und zwar insbesondere durch Lesendenadressierungen, welche Simultaneität und Ko-Präsenz suggerieren. Er reflektiert den eigenen Erzählprozess und erzeugt dabei Brüche und Leerstellen, welche die Lesenden als Partnerinnen und Partner evozieren, so dass der Eindruck einer unmittelbaren Interaktion von Erzähler, Figuren und Lesenden entsteht. Diese theatralen Mittel der Erzeugung von Nähe und Präsenz dienen der Modellierung von Rezipierenden. Als zwei zentrale Kommunikationsstrategien im Sandmann werden im Folgenden die Verfahren literarischer Visualisierung und Emotionalisierung beleuchtet. Der Text ist stark von der Referenz auf die Malerei geprägt,71 wodurch der Erzähler das Erzählen selbst problematisiert. Wie „ein guter Portraitmaler“ (DS 27) sucht er den Lesenden das „innere Gebilde mit allen glühenden Farben und 70 Die „funktionale Performativität“ eines Textes dagegen bezieht sich nach Häsner et al. auf dessen kulturelle Wirkmächtigkeit (vgl. Häsner et al. 2011, 84). Dieser Begriff spielt für die Untersuchung textimmanenter Strategien der Lesendenlenkung, wie sie in diesem Buch vorgeschlagen wird, weniger eine Rolle, auch wenn eine Untersuchung der funktionalen Performativität im Hinblick auf die Rezeptionsgeschichte des Sandmanns mit Sicherheit ergiebig wäre. Schließlich greift schon allein die wissenschaftliche Diskussion seit den 1970er Jahren unterschiedlichste Aspekte aus verschiedenen Perspektiven auf, ohne dabei zu einem Konsens zu gelangen. Hierzu formuliert Walter: „Daß sich die Erzählung scheinbar immer wieder und dann letztlich doch nicht den unterschiedlichsten Verstehenshorizonten ihrer Interpretation fügt, daß sie überhaupt in so gegensätzlicher Weise rezipiert werden konnte, ist vielleicht im Text selbst angelegt, ja könnte vom Autor auch gewollt sein.“ (Walter 1984, 16f.) So wäre die sich in der wissenschaftlichen Rezeption entfaltende funktionale Performativität mitbestimmt durch die im Text angelegte strukturelle Performativität. 71 Häufig wird auch ganz konkret auf Maler wie Ruisdael, Battoni, Callot oder Chodowiecki verwiesen (vgl. DS 28, 31).

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Schatten und Lichtern“ (DS 26) erfahrbar zu machen. Ihm kommt aber „keine Rede in den Sinn, die nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes abzuspiegeln“ (DS 27) vermag. Volker Pietsch zufolge wird das perzipierbare Bild als scheinbar unverschlüsseltes Ideal dem allzu abstrakten Wort vorgezogen (vgl. Pietsch 2008, 9). Doch tatsächlich wählt der Erzähler das Wort anstelle des Bildes, und mit Worten beschreibt er paradoxerweise die Insuffizienz der Worte. Der reflexive Verweis auf die Kommunikationsproblematik modelliert die Lesenden als Partnerinnen und Partner, in denen seine Bilder ‚auferstehen‘ sollen. Die Unzulänglichkeit literarischer Beschreibung müssen sie durch „innere Bilder“ selbst ausgleichen. So fallen Rezeption und Produktion in einem imaginierenden Leseakt in eins. Im Sinne einer Leseanleitung ist der Bezug zur Malerei schon in der Werkbezeichnung als Nachtstück gegeben. Seit Giorgio Vasari werden darunter Gemälde mit Nachtszenen, Hell-Dunkel-Kontrasten oder schaurigen Sujets verstanden, wie etwa bei Pieter Bruegel dem Jüngeren oder Salvator Rosa (vgl. Steinecke 2009, 953). Für ein literarisches Nachtstück ist ein Erzählen folgerichtig, das wesentliche Elemente im Dunkeln belässt. Der Text arbeitet mit einer ‚visuellen‘ Aufmerksamkeitslenkung, die er zugleich reflektiert. Wie im Gemälde wird der Blick zunächst auf die hellen Partien gelenkt, wobei die dunklen Partien eine imaginative Ausführung durch die Rezipierenden erfordern. Wie Nathanael die Züge von Olimpias Gesicht „undeutlich und verworren blieben“ (DS 34), weswegen er sein Perspektiv einsetzt, sind auch die Lesenden auf eine vermittelte Wahrnehmung angewiesen. Sie können das undeutlich Erzählte nur in gebrochenen Perspektiven erfahren, wodurch der Einsatz ihrer ausführenden, erweiternden, ergänzenden Imagination gefordert ist. Der Text zielt auf die Evokation von Vorstellungsbildern bei den Lesenden, indem er in einem selbstreferenziellen Verfahren an ihre Einbildungskraft appelliert und über Leerstellen literarische Visualisierungsprozesse steuert. Der Sandmann exemplifiziert mit Nathanaels Geschichte die Produktivität des subjektiven Betrachtendenblicks und thematisiert auf diese Weise den zeitgenössischen Visualitätsdiskurs. Dabei wird Visualität als Garant sicherer Erkenntnis und gelungener Kommunikation aufgerufen, um sie dann aber als unzuverlässig, subjektiv und inkommunikabel zu zeigen. Laut Crary macht sich die Entdeckung des subjektiven Sehens in der Zeit von 1810 bis 1840 in zahlreichen Disziplinen bemerkbar. So seien noch vor Mitte des 19. Jahrhunderts wichtige Strömungen in den Wissenschaften, in Philosophie, Psychologie und Kunst, zu dem Ergebnis gekommen, dass weder das Sehen, noch irgendein anderer Sinn Anspruch auf Objektivität oder Gewissheit erheben könne. Die Funktion des Sehens war von seiner

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komplexen und kontingenten Ausübung durch die Betrachtenden abhängig und damit fehlerhaft, unzuverlässig und willkürlich geworden (vgl. Crary 2002, 21). Hoffmanns Text demonstriert die Krise eines diskriminierenden Sehens und den Zweifel an den auf visueller Erfahrung basierenden Erkenntnissen. Nathanaels Beziehung zum anthropomorphen Artefakt zielt auf die Ästhetisierung seiner Realität, wie auch die Rede des Erzählers als Vorschlag für eine ästhetisierende Wirklichkeitswahrnehmung zu verstehen ist. Weder für die Figuren der Textwelt noch für die Lesenden der Erzählung geht es um die Zuverlässigkeit von Informationen, sondern allein um die Hervorbringung ästhetischer Bilder. Inwiefern arbeitet Der Sandmann nun auf eine Affizierung der Lesenden hin? Die Emotionalisierungsstrategien des Textes entfalten zunächst auf der Ebene der histoire strukturelle Performativität. Die dargestellten körperlich-emotionalen Grenzsituationen – die Fragmentierung des jungen Nathanael durch den Sandmann, der Tod des Vaters, der Kampf Spalanzanis und Coppolas um Olimpia, Nathanaels Sturz vom Turm – zielen auf die emotionale Berührung der Lesenden. Dies wird noch potenziert durch eine sprachlich affizierende Schilderung dieser Ereignisse auf der Erzählebene. Hast du, Geneigtester! wohl jemals etwas erlebt, das deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfüllte, Alles Andere daraus verdrängend? Es gärte und kochte in dir, zur siedenden Glut entzündet sprang das Blut durch die Adern und färbte höher deine Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen und die Rede zerfloß in dunkle Seufzer. (DS 25f.)

Zur „Gefühlsansteckung“ (Häsner et al. 2011, 87) der Lesenden schildert der Erzähler ganz ähnlich wie Nathanael emotionale Erregungszustände gerade auch in ihrer körperlichen Dimension. Mit einer ekstatischen Redeweise soll das (imaginierte) Gegenüber „entzündet“ werden. Der Ausdruck von Emotionen ist schließlich eine der dominanten Techniken der Emotionalisierung (vgl. Anz 2012, 167).72 In diesem Sinne können die dargestellten Emotionen die Textgrenzen überschreiten und eine außertextuelle Wirkung entfalten (vgl. Häsner et al. 2011, 86). Der Erzähler schildert hier aber nicht nur emotional-körperliche Erregungszustände, sondern schreibt sie den Lesenden in expliziten Anreden zu. Diese aufmerksamkeitssteigernde Technik ist ein Appell, das heißt eine 72 Wobei die Emotionen, welche Textstrategien hervorrufen sollen, von den Emotionen zu unterscheiden sind, „die sie bei realen Rezipienten tatsächlich und empirisch nachweisbar hervorrufen“ (Anz 2012, 159). Um letztere geht es in dieser Studie nicht, sondern um Verfahren der Rezeptionslenkung, die nicht immer aufgehen und in ihrer Komplexität auch nicht auf eindimensionale Leseerfahrungen angelegt sind.

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meistens implizit ausgedrückte Aufforderung an den Adressaten, eine bestimmte Position zum Erzählten, zu seiner Erzählung, zur erzählten Welt oder zu einzelnen ihrer Figuren einzunehmen. Der Appell ist schon an sich ein Modus, die Präsenz eines Adressaten auszudrücken. (Schmid 2013, 178)

Die emotionalen Reaktionen auf das Gelesene sind dann Resultat einer ästhetischen Ansteckung, Emergenzen des Lektüreakts. Sowohl der Erzähler wie auch Nathanael intendieren eine Übertragung körperlich-emotionaler Erregungszustände auf das Publikum. Wenn allerdings in der Textwelt Nathanael mit dieser Emotionalisierungsstrategie scheitert, ist das Gelingen auf der Erzählebene ebenso fraglich. Selbstironisch eröffnet der Text die Möglichkeit, dass Lesende in ganz anderer Weise emotionalisiert werden, als es die Erzählung vordergründig nahelegt. In dieser Perspektive verdoppelt der Erzähler in seinem fingierten Lesendendialog die erzählte Beziehung zwischen Nathanael und dessen Publikum, um die abschreckende Wirkung einer übersteigerten Schilderung intensiver Erregungszustände noch konkreter erfahrbar zu machen. Dabei eröffnet er wiederum einen Spielraum für den identifizierenden Mitvollzug oder die ablehnende Verweigerung. Und je nachdem, ob die Lesenden die Emotionalisierungsabsicht wahrnehmen oder nicht, sind sie womöglich erheitert oder verärgert ob der Artifizialität dieses Spiels. In beiden Fällen sind die Lesenden im Prozess der Lektüre emotional modelliert worden. Bei Hoffmanns Text handelt es sich also um eine doppelte Künstlernovelle, und zwar vom Dichter Nathanael und vom Erzähler des Sandmanns. Sowohl innerhalb der Narration als auch beim Erzählverfahren geht es um die Erzeugung des transikonischen Kunstwerks: einer Dichtung, die in der ästhetischen Ansteckung Bilder und Emotionen evoziert. Der Text tut in diesem Sinne das, wovon er spricht. Die zahlreichen Hervorbringungsprozesse innerhalb der Textwelt werden auf der Erzählebene verdoppelt und provozieren in dieser Selbstreferenz Hervorbringungen im Akt des Lesens. Indem die Erzählung eine gemeinsame Situation simuliert, forciert sie eine Beteiligung der Rezipierenden und erzeugt auf diese Weise ästhetische Präsenz. Wenn Worte auch Taten sind; wenn wir handeln, indem wir sprechen (vgl. Krämer 2003, 19), führt Hoffmanns Nachtstück dies exemplarisch vor. 3.3.5 Unbestimmtheit und Illusionsproduktion Der Sandmann ist ein Text, der widersprüchliche Sinnpositionen entwirft und gezielt mit Ungereimtheiten und Leerstellen arbeitet. Den Appellen der Erzählung nachzukommen, heißt daher nicht, hermeneutische Eindeutigkeit gewonnen zu

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haben. Es ist vielmehr die Frage, welche Möglichkeiten und Herausforderungen die strukturelle Offenheit des Textes für seine ästhetische Erfahrung bedeuten kann. Die Irritationen in der Lektüre entstehen insbesondere durch die komplexen Spiegelungsverhältnisse, welche die Erzählung entspinnt. Diese führen innerhalb der Textwelt zu zahlreichen Verwechslungen. Das gilt in erster Linie für die Doppelgänger der Erzählung, den „Sandmann Coppelius“ und den „Landmann Coppola“ (DS 34f.). Nicht nur der Erzähler vertauscht die beiden (vgl. DS 44),73 sogar Clara spricht vom „Wetterglashändler Coppelius“ (DS 23), nachdem sie in ihrem Brief Nathanael zu überzeugen gesucht hatte, dass der Optiker Coppola und der Advokat Coppelius nicht ident seien. Doch Nathanael vertauscht auch Clara und Olimpia, wenn er Clara ein Automat nennt und Olimpia heiraten will, und er adressiert seinen ersten Brief an Clara statt wie beabsichtigt an Lothar, wodurch die merkwürdige Symbiose zwischen Nathanaels Ziehgeschwistern unterstrichen wird.74 Diese Identifikationen überschreiten sogar die Grenzen der Textwelt und setzen den Erzähler und Nathanael sowie den Erzähler und die Lesenden und damit auch die Lesenden und Nathanael in ein Spiegelungsverhältnis. Inszeniert werden all diese identifizierenden Beziehungen als Spannung zwischen Monolog und Dialog, womit auf die Ovidsche Episode von Echo und Narziss angespielt wird (vgl. hierzu Kicaj 2016). Sie dienen der Einbeziehung der Lesenden in die Textwelt, deren Leerstellen sie füllen sollen. Im Zentrum der Inszenierung von Unbestimmtheit steht der unzuverlässige Erzähler,75 der die Kontrolle über das Erzählte suggeriert, jedoch in entscheidenden Szenen wichtige Informationen nicht liefert. In diesen Momenten entsteht eine 73 Wie oben im Zitat angezeigt, s. S. 160. 74 Clara und ihr Bruder Lothar sind die verwaisten Kinder eines weitläufigen Verwandten, die von Nathanaels Mutter großgezogen wurden. Das Liebespaar ist also nicht nur miteinander verwandt, sondern Clara ist Nathanaels Ziehschwester. Da er Lothar mit „mein herzlieber Bruder“ (DS 33) anspricht, müsste Nathanael Clara eigentlich seine Schwester nennen (vgl. Rosner 2006, 120). So entsteht ein inzestuöser Eindruck (vgl. Würker 1993, 100). Die Verschleierung der verwandtschaftlichen Verhältnisse kommt aber wiederum dem massiven Unbestimmtheitsbetrag der Erzählung zugute. 75 Als unzuverlässig ist dieser Erzähler aufgrund einiger Aspekte zu charakterisieren, die Ansgar Nünning zur Bestimmung des unreliable narrator vorgeschlagen hat. Es handelt sich um einen Ich-Erzähler, der auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung explizit in Erscheinung tritt und persönliche Stellungnahmen sowie Lesendenanreden nutzt. Es handelt sich außerdem um einen Monologisten. Das wichtigste Kennzeichen ist aber laut Nünning die Diskrepanz zwischen dem, was der Erzähler dem fiktiven Adressaten zu vermitteln sucht und einer zweiten Version des Geschehens, die sich die

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Kongruenz zwischen dem Erzähler und Nathanael. So muss der Erzähler zwar beispielsweise schon um Olimpias Artifizialität und Nathanaels tragischen Tod wissen, nimmt aber immer wieder die Perspektive des Protagonisten ein. Wir sehen und hören das, was Nathanael sieht und hört, und wir wissen nur, was er weiß. Um die Diskrepanz zwischen dem Wissen des Erzählers und Nathanaels eingeschränkter Sicht zu überbrücken, kommen modalisierende Wendungen zum Einsatz (vgl. hierzu Genette 1998, 144), wie „es schien ihm“, „ihm war es“, „als ob“ etc. (vgl. bspw. DS 31, 36, 38, 39, 40, 42, 43, 44). Narratologisch betrachtet wird hier intern fokalisiert, wobei angezeigt wird, dass diese Fokalisierung den Lesenden die Möglichkeit auf gesicherte Erkenntnisse verwehrt. Damit wird „beim Leser die Erwartung auf ein klärendes Wort oder eine wertende Stellungnahme des Erzählers nicht nur aufgebaut und enttäuscht, sondern auch durchgehend erhalten.“ (Walter 1984, 24) Die zwischen auktorial und personal wechselnde Erzählsituation belässt die beiden dominierenden Deutungen des Textes, wonach Nathanael entweder wahnsinnig oder das Opfer einer dämonologischen Verschwörung ist, und Olimpia entsprechend entweder lediglich in seiner Wahrnehmung lebendig oder ein alle Figuren täuschendes anthropomorphes Artefakt, in einem Konkurrenzverhältnis.76 Dieses Zurücktreten des Erzählers hinter seinen Protagonisten wird jedoch durch metanarrative77 Passagen aufgebrochen, in denen der Erzähler auf die Erzählsituation selbst ausgerichtet ist. Die histoire pausiert und wir folgen seinem visualisierenden discours. So beginnt der Erzähler seinen vermeintlich mündlichen Vortrag über Nathanaels Schicksal mit dem Satz: „Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfunden werden, als dasjenige ist, was sich mit meinem armen Freunde, dem jungen Studenten Nathanael, zugetragen, und was ich dir, günstiger Rezipierenden durch implizite Zusatzinformationen erschließen können (vgl. Nünning 2013, 6). Ein ganz konkretes Beispiel für die Unzuverlässigkeit des Erzählers ist die Passage, in der er vom zweifelhaften „Riesenschatten“ des Ratsturms zur Mittagsstunde berichtet (vgl. DS 48). 76 Vgl. zu den verschiedenen Deutungen insb. Tepe/Rauter/Semlow 2009. Schon Freud legte nahe, dass der Dichter die Lesenden bis zum Ende im Unklaren lassen kann, ob die von ihm erschaffene Welt auf dem „Boden der gemeinen Realität“ stehe oder ob sie fantastisch sei (vgl. Freud 2000, 273). Die „Fiktionssignale“ (vgl. hierzu Zipfel 2014) des Textes sind nie eindeutig. 77 Metanarrationen sind Textpassagen, die auf die Machart der Erzählung hinweisen; sie sind „die Reflexion des Erzählers auf den Akt des Erzählens“ (Zipfel 2014, 115). Im Sandmann stellen diese Unterbrechungen der Handlung im Leseereignis ein Retardissement dar, was als Analogie zu Nathanaels „langweiliger“ Dichtung verstanden werden könnte.

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Leser! zu erzählen unternommen.“ (DS 25) Hat der Erzähler die Geschichte nun erfunden oder ist sie so unwahrscheinlich, dass sie gerade deshalb nur wahr sein kann? Seine Rede eröffnet erst die Möglichkeit, dass die Wahrnehmung aller Figuren der Textwelt, inklusive seiner eigenen, imaginativ war, dass „das ganze Leben […] Traum und Ahnung“ (DS 29) sein könnte. In der Metanarration macht sich der monologisierende Erzähler zu Nathanaels Spiegelfigur, dem ebenfalls das an seiner Dichtung interessierte Publikum fehlt: Mich hat, wie ich es dir, geneigter Leser! gestehen muß, eigentlich niemand nach der Geschichte des jungen Nathanael gefragt; du weißt ja aber wohl, daß ich zu dem wunderlichen Geschlechte der Autoren gehöre, denen, tragen sie etwas so in sich, wie ich es vorhin beschrieben, so zu Mute wird, als frage jeder, der in ihre Nähe kommt und nebenher auch wohl noch die ganze Welt: Was ist denn? Erzählen Sie Liebster? – So trieb es mich denn gar gewaltig, von Nathanaels verhängnisvollem Leben zu dir zu sprechen. (DS 26)

Hoffmanns Erzähler tritt als „Quelle, Garant und Organisator der Erzählung“ (Genette 1998, 119) auf. Schließlich gibt er an, Nathanael, Lothar und Clara persönlich zu kennen und die drei Briefe von „Freund Lothar“ erhalten zu haben (vgl. DS 25, 27). Der Erzähler bemüht sich um die Verifizierung des Berichteten, indem er einerseits die Quellen seiner Informationen nennt und andererseits die Gefühle beschreibt, die das Erzählte in ihm wachruft (vgl. hierzu Genette 1998, 184). Doch er ist nie Teil der Geschichte, so dass eine Leerstelle des Textes bleibt, ob Clara, Lothar und Nathanael den Erzähler tatsächlich kennen, der von Claras schlussendlichem Schicksal auch nur vom Hörensagen weiß (vgl. DS 49). Insofern ist seine „Beglaubigungsfunktion“ (Genette 1998, 184) unglaubwürdig. Die monologische Struktur spricht dann sogar dafür, dass die Figuren Imaginationen des Erzählers sind: Er hat sie sich ‚ausgemalt‘ und sich in Nathanael ein Alter Ego geschaffen. Die Metanarration kann sowohl illusionsbrechende Funktionen haben, wie sie auch zur Authentifizierung des Erzählten und zur Evokation von Mitgefühl beitragen kann (vgl. Neumann/Nünning 2009, 205).78 So authentifiziert im Sandmann paradoxerweise die Autoreferenzialität des Erzählens die Fiktion als Realität. Der Text suggeriert hier ein Bewusstsein für seine Fiktionalität, was ihn potenziell naturalisiert. Er betont die Existenz zweier Ebenen, Geschichte und Er-

78 Horn geht davon aus, dass gerade Illusionsstörungen „Ästhetisches“ ermöglichen (vgl. Horn 1981, 43). Selbst wenn es zur Störung der Illusion kommt, wenden sich die Rezipierenden anschließend wieder dem illusiven Glauben zu und zwar „um des erhofften ästhetischen Genusses willen“ (ebd., 48).

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zählung, und damit die eigene Artifizialität. Dies stört aber nicht die Illusion. Gerade hier entsteht Nähe, denn die Metanarration bedeutet eine Hinwendung zum Hier und Jetzt des Lesenden, wie folgende Textstelle verdeutlicht: Aber es war dir, als müßtest du nun gleich im ersten Wort Alles Wunderbare, Herrliche, Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen, recht zusammengreifen, so daß es, wie ein elektrischer Schlag, alle treffe. Doch jedes Wort, Alles was Rede vermag, schien dir farblos und frostig und tot. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst, und die nüchternen Fragen der Freunde schlagen, wie eisige Windeshauche, hinein in deine innere Glut, bis sie verlöschen will. Hattest du aber, wie ein kecker Maler, erst mit einigen verwegenen Strichen, den Umriß deines innern Bildes hingeworfen, so trugst du mit leichter Mühe immer glühender und glühender die Farben auf und das lebendige Gewühl mannigfacher Gestalten riß die Freunde fort und sie sahen, wie du, sich selbst mitten im Bilde, das aus deinem Gemüt hervorgegangen! (DS 26)

Einerseits geht es dem Erzähler als Zeuge darum zu berichten, was sich zugetragen hat. Andererseits geht es ihm als potenziellem Erfinder von Fiktionen darum, ein inneres, aus seinem Gemüt hervorgegangenes Bild zu transportieren. In dem simultan konzipierten Akt von Produktion und Rezeption werden die Freunde affiziert von dem entworfenen Bild des Erzählers. Und sie sind sogar selbst mitten im Bilde, sind Teil dieser Geschichte. Die Freunde meint auch die Lesenden der Erzählung: Im adressierenden Du konzipiert der Erzähler die Lesenden einerseits als Produzierende, als sein Alter Ego, andererseits aber als Rezipierende, als sein Publikum. Der Text spricht an dieser Stelle von dem Leseakt, den die Lesenden just in diesem Moment vollziehen. Sie sind die aus dem Gemüt des Erzählers hervorgegangene Lesendenfiktion, die sie dank einer produktiven visualisierenden Lektüre im Text, im Bilde sehen. Trotz der fehlenden gemeinsamen Situation scheint der Erzähler das Hier und Jetzt der Lesenden zu ‚kennen‘. Die Erzählung erzeugt damit eine selbstreferenzielle Präsenz. Zugleich weist sie paradoxerweise die Lesenden als Artefakte aus, denn sie finden sich als Fiktionen in einem Text wieder. Wenn aber die Lesenden im leiblichen Akt des Lesens zu artifiziellen Fiktionen werden, was ist dann real? Mit einem hochgradig artifiziellen Netz von identifizierenden Beziehungen auf intra- wie extradiegetischer Ebene wird nicht nur die Lektüre irritiert, sondern die Lesenden werden auch strategisch involviert. Kommuniziert der Erzähler über das literarische Artefakt mit einem fingierten Leser, richtet Nathanael sich mit seinen Monologen an das anthropomorphe Artefakt. Das leblose Artefakt Olimpia evoziert Nathanael als Partner und der leblose Text evoziert die Lesenden als Partnerinnen und Partner: Die Lesenden füllen die Leerstellen des Textes so wie

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Nathanael Olimpias Leerstellen füllt. Und die Lesenden sind für den Erzähler ebenso Leerstelle wie Olimpia für Nathanael, zum Leben erweckt durch seine Imagination. Lesende und Erzähler imaginieren beide die Anwesenheit des jeweiligen Gegenübers. Jede Partei wird durch die andere hervorgebracht. Diese merkwürdig dialogisch-monologische Kommunikation zwischen Mensch und Artefakt setzt sich fort in der vermeintlichen Interpretation des Erzählten, die der Text selbst gibt. Nach Olimpias Enttarnung erklärt ein Professor den Teeisten: „Hochzuverehrende Herren und Damen! merken sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze ist eine Allegorie – eine fortgesetzte Metapher! Sie verstehen mich! – Sapienti sat!“ (DS 46) Die Allegorie als die Ersetzung eines eigentlichen durch einen uneigentlichen Ausdruck, als ein (personifizierendes) Bild zur Darstellung eines abstrakten Begriffs, dient im Allgemeinen als „Appell an den kreativen Leser, eigene Bedeutungshypothesen aufzustellen.“ (Meyer 2013, 102) Die Erzählung hypertrophiert jedoch die Unbestimmtheit der Allegorie, denn diese „Allegorie“ spart nicht nur den eigentlichen Gehalt aus, sondern auch den uneigentlichen Ausdruck – die Rede ist nur von einem ominösen „das Ganze“ –, so dass der eigentliche Gehalt gar nicht entschlüsselt werden kann. Der Ausspruch ist dann selbst eine Allegorie auf ein unentschlüsselbares literarisches Verfahren. All diese Unbestimmtheiten und Leerstellen des Textes stimulieren die Lesenden „zu einer projektiven Besetzung des Ausgesparten“ (Iser 1990, 265). Sie bieten ihnen Anhaltspunkte zur imaginativen Ergänzung, Ausführung, Erweiterung des Dargebotenen (vgl. Seel 2000, 143). So wie die höchst unbestimmte, hybride Olimpia zielt auch die fragmentierende Erzählweise auf eine animierende Wahrnehmung über die Besetzung ihrer Leerstellen. Mit dem anthropomorphen Artefakt als Reflexionsfigur der künstlerischen Produktion betont die Erzählung ähnlich wie Bellmers Fotoserie die eigene Verfertigung, an der sie die Lesenden beteiligt. Sie schreibt sich über ein selbstreferenzielles Verfahren in deren Realität ein. Wie das anthropomorphe Artefakt entwickelt also auch das literarische Artefakt Agency im aisthetischen Ereignis. Dabei entzieht sich Bedeutung jedoch strukturell. Die Lesenden des Sandmanns können mithin nur das Erscheinen der Erzählung konstatieren und die ästhetische Erfahrung, welche das Ereignis ihrer Rezeption darstellt. Das Verhältnis zwischen anthropomorphem und literarischem Artefakt gilt es in einem letzten Aspekt dieser Untersuchung zu vertiefen. Bei der Herstellung anthropomorpher Artefakte geht es gerade um eine Kunst(fertigkeit), die sich selbst verbirgt. Je künstlicher das Produkt, desto weniger ist es als solches erkennbar und desto natürlicher wirkt es. Eine naturalisierte Artifizialität ist aber gefähr-

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lich, wie Nathanaels Geschichte demonstriert, denn wenn die Unterscheidung zwischen ‚natürlichen‘ und ‚artifiziellen‘ Auslösern von Affekten nicht gelingt, wäre auch das Ich mit seinen Gedanken und Empfindungen letztlich ein Artefakt, ein ‚Quasi-Mensch‘ mit ‚Quasi-Gefühlen‘. Letzteren Terminus hat die Fiktionalitätstheorie eingeführt, um emotionale Reaktionen auf literarische Texte zu bestimmen. Wie Kendall L. Walton feststellte, tut das Wissen um die ‚Als-Ob‘-Situation fiktionaler Literatur den emotionalen Reaktionen keinen Abbruch. In seinem prägenden und viel diskutierten Fiktionalitätskonzept nennt Walton diese Reaktionen auf fiktionale Texte jedoch „Quasi-Gefühle“ (Walton 2007, 96), denn im Modell eines Paradoxons der Fiktion beruhen Gefühle auf Überzeugungen. Wenn Lesende aber wissen, dass es sich um Fiktion handelt, sind ihre emotionalen Reaktionen auf die Lektüre paradox und daher ‚Als-ob‘-Gefühle. Sie gehören zur fiktionalen Welt (vgl. ebd., 112) und veranlassen im Gegensatz zu Emotionen, die sich auf einen realen Sachverhalt beziehen, keine Handlungen (vgl. ebd., 97f.). Doch selbst wenn die Auslöser in fiktionale und reale zu unterscheiden wären, sind doch die physiologischen Wirkungen nicht unterscheidbar, worauf auch Klimek hinweist (vgl. Klimek 2010, 225).79 Obwohl also fraglich ist, wie leiblich erfahrene Reaktionen fiktionalen Status haben können, ist die Fiktionalitätsforschung von der Idee eines Fiktionsparadoxes bis heute geprägt. 80 Dabei hat die Emotionsforschung inzwischen neue Impulse geliefert und unterstreicht die kognitive Dimension von Gefühlen. „Diesem neuen Paradigma zufolge können Wahrnehmungen, Phantasien, Annahmen, Erinnerungen und Ähnliches – und nicht nur Überzeugungen – als kognitive Basis von Gefühlen funktionieren.“ (Vendrell Ferran 2014, 328) Imaginationen können demnach ähnliche Gefühle wie reale Situationen und Objekte veranlassen (vgl. ebd., 330). Dass wir die literarische Fiktion annehmen, als ob sie Wirklichkeit wäre, ohne dabei das Bewusstsein für ihre Fiktionalität zu verlieren, bezeichnet Vendrell Ferran als „imaginative Einstellung“ (Vendrell Ferran 2010, 91). Dabei behandeln wir das Imaginierte, als sei es real (vgl. ebd., 98), ohne jedoch zu vergessen, dass es sich um Fiktion handelt – oder wenn wir es tun, dann nur für eine kurze Zeit (vgl. ebd., 95). Im Mittelpunkt dieser Einstellung stehe die Suche nach ästhetischer Erfahrung (vgl. ebd., 106): 79 Zur Körperlichkeit emotionaler Reaktionen auf Fiktion vgl. auch Mellmann 2006, 157ff. 80 Alex Neill (2007) und Peter Lamarque (2004) haben das Fiktionsparadox zwar kritisch beleuchtet, halten aber im Prinzip an einer Trennung zwischen realen und fiktionalen Gefühlen fest. Vgl. zum Paradoxon der Fiktion beziehungsweise seiner Kritik den einschlägigen Sammelband von Klauk/Köppe (2014).

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Diese emotionalen Erlebnisse erweitern in gewisser Hinsicht unseren Erfahrungshorizont, zeigen andere Formen des Denkens und Fühlens auf und haben Anteil an unserer Ausbildung zu moralischen Wesen. Fiktionale Emotionen sind insofern auch fähig, unser Handeln und Denken zu prägen und unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht von realen Emotionen. (Ebd., 104)

Diese Ideen aus der Fiktionalitätsforschung lassen sich auf die Wirkung anthropomorpher Artefakte übertragen. Wenn für Literatur, Kunst, Film und andere künstlerische Formate gilt, dass sie emotionale Reaktionen auslösen können, obwohl die Rezipierenden um deren fiktionalen Status wissen, gilt das ebenso für anthropomorphe Artefakte, von denen wir wissen, dass sie ‚gemacht‘ sind. Die imaginative Einstellung bei der ästhetischen Erfahrung stellt gewissermaßen einen Gegenentwurf zur Repräsentationslogik dar, sie unterscheidet nicht zwischen fiktionalen und realen Auslösern von Affekten. Das fiktionale ‚Als-ob‘ ist im imaginierenden Akt der Rezeption ein ‚Es-ist‘ – das gilt sowohl für künstlerische Artefakte als auch für anthropomorphe Artefakte. Je sais bien, mais quand même … Nathanael folgt einer solchen imaginativen Einstellung, die auf eine ästhetische Welterfahrung zielt. Dadurch gelingt seine Kommunikation mit Olimpia zunächst. Erst mit dem Streit um Olimpia und der Erkenntnis Nathanaels, dass es sich um eine leblose Puppe handelt, wird die kategoriale Trennung von Schein und Sein überhaupt wirkmächtig. Erst dann unterliegt Nathanael einer Täuschung, weil er Präsenz und Repräsentation identifizierte und sich in das Zeichen, nicht in das Bezeichnete, verliebte. An diesem Punkt stürzt ihn die fehlende Unterscheidung zwischen realen und fiktionalen Auslösern von Affekten ins Unglück. Der Text problematisiert mithin den Ausdrucksgedanken des Repräsentationssystems, der zwar den Anspruch an die Erkenntnis von Wahrheit und Sein erhebt, aber letztlich ein reines Interpretationsgeschehen ist. Er erlaubt keine gesicherte Erkenntnis des Gegenübers.81 In dieser Logik kann nur das Ich sich selbst vor sich selbst als fühlendes, denkendes und imaginierendes Subjekt authentifizieren. Der Unzuverlässigkeit aisthetischer Erfahrung wird damit im Sandmann die Selbstvergewisserung im Fühlen, Denken und Imaginieren gegenübergestellt. So könnte zwar das Gegenüber vom Ich imaginiert, von ihm selbst hervorgebracht sein, aber

81 Dieses Problem ist als Erbe der Aufklärung zu betrachten und wird besonders deutlich in René Descartes’ Meditationen von 1641. Weil die sinnliche Erfahrung trügerisch ist, ist die Existenz der Welt nicht verbürgt. Garantiert ist (außer der Existenz Gottes) allein das Ich, das sich im Denken seiner selbst vergewissert (vgl. Descartes 2009). Vgl. zu den Folgen der cartesianischen Subjektkonstitution Labouvie 2015, 32ff; Herrmann 2007, 18; Böhme 2002, 28.

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genau dadurch würde es die Existenz des Ich garantieren. Der Text zeigt den Lesenden also einen Ausweg aus der semiotischen Tragödie Nathanaels auf: Er evoziert in einem selbstreferenziellen Verfahren Emergenzen, mithin Bilder und Empfindungen, wodurch sich die Lesenden ihrer eigenen Existenz versichern. Um solche Emergenzen entstehen zu lassen, müssen die Lesenden wie Nathanael einer imaginativen Einstellung folgen. Dann wird die Artifizialität des anthropomorphen Artefakts gewissermaßen transparent, wie auch die Fiktionalität des literarischen Artefakts zurücktritt. Und wenn Nathanaels Leben im Spiegel seines artifiziellen Gegenübers zur Fiktion wird, werden auch die Lesenden gewissermaßen artifizieller Teil der Textwelt. Im Plädoyer für die Fiktion fingiert der Text nicht nur Präsenz, er erzeugt Präsenz: Emergenzen im Akt des Lesens. Nur in der ästhetischen Anschauung ist die Welt überhaupt erfahrbar – dies schlägt die Erzählung vor. Denn am Schluss entziehen all die erzählten Hervorbringungen ihre Präsenz und verschwinden mit Nathanaels Tod in der Unbestimmtheit, so wie die Erzählung nach dem Ereignis der Lektüre selbst verschwindet.

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Rainer Maria Rilke: Archaїscher Torso Apollos Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt, darin die Augenäpfel reiften. Aber sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber, in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt, sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug der Brust dich blenden, und im leisen Drehen der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen zu jener Mitte, die die Zeugung trug. Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz unter der Schultern durchsichtigem Sturz und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle; und bräche nicht aus allen seinen Rändern aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern. (Rilke 2006)

Rilkes Sonett von 1908 veranschaulicht prägnant das Ergebnis dieser Studie. Das Gedicht zeigt nicht nur beispielhaft die sinnliche Präsenz eines fragmentierten Artefakts, das im Betrachten vervollständigt, dynamisiert, sexuiert, verleiblicht und subjektiviert wird. Es führt auch exemplarisch die Affizierung durch menschenähnliche Dinge vor. Kurz, das Gedicht demonstriert den Akt der Animation. Rilke formuliert poetisch die in diesem Buch untersuchte These, dass anthropomorphe

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Artefakte Agency in der sinnlichen Erfahrung entfalten. Ihre Wirkmacht liegt in den Emergenzen des aisthetischen Ereignisses. Und in Rilkes Sonett wird die Transformation durch das menschenähnliche Ding nicht als Paradox erfahren. Sie vollzieht sich nicht trotz des Wissens um die Artifizialität des Artefakts, sondern gerade ob dieses Wissens. Das Sonett unterstreicht die Realität der Fiktion: die Wirklichkeit des künstlerisch Gebildeten, Geformten und Gestalteten, das im Wahrnehmen wiederum gebildet, geformt und gestaltet wird und auf diese Weise Wirklichkeit konstituiert.1 Für die Verlebendigung des unbelebten Artefakts soll nun am Beispiel der von mir untersuchten menschenähnlichen Dinge eine Erklärung vorgeschlagen werden. In ihrer vornehmlich visuell gestalteten Materialität provozieren die anthropomorphen Artefakte im Zusammenspiel mit dem künstlerischen Format eine ästhetische Wahrnehmung. Diese erlaubt die imaginative Ausführung, Fortführung und Erweiterung des sinnlich Erfahrenen und ist daher als performatives Ereignis zu verstehen. Sie erfordert einen bestimmten Einsatz der Sinne und geschieht um ihrer selbst, das heißt um der affektiven Berührung willen. In der ästhetischen Ansteckung kommt es zur unmittelbaren Affizierung durch die sinnliche Präsenz des Wahrgenommenen. So werden die Wahrnehmenden in der verweilenden Anschauung der eigenen, leiblichen Präsenz gewahr, weswegen es sich um eine liminale, transformierende Situation handelt. Die drei Figurationen anthropomorpher Artefakte strukturieren eine Wahrnehmungssituation, in der sie etwas in seiner Gegenwärtigkeit zur Darbietung bringen und sie sind insofern performative ästhetische Objekte, als sie die Rezipierenden zum affektiven und imaginativen Vollzug der Wahrnehmung auffordern. In ihrem artistischen Erscheinen, bei dem immer auch das sinnlich-emotionale Gewahrsein von Atmosphären eine Rolle spielt, entfalten sie eine Präsenz, die zunächst auf nichts als sich selbst verweist: Sie lenken den Fokus auf das Wahrnehmungsereignis, das sie selbst darstellen. Sie zeigen wie sie zeigen was sie zeigen (vgl. Seel 2000, 271). Alle drei Figurationen evozieren die Rezipierenden als Partnerinnen und Partner, indem sie die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt des Wahrnehmungsaktes lenken und die leibliche Gegenwart der Rezipierenden unterstreichen. Sie erscheinen, und das tun sie immer im Zusammenspiel mit einem künstlerischen Format. In ihrer Artifizialität spiegeln die anthropomorphen Artefakte das künstlerische Format und sind damit Reflexionsfiguren der Kunst. Für den Akt der Animation ist nicht der mimetische Impuls entscheidend. Keines der behandelten menschenähnlichen Dinge zielte primär mit den Mitteln einer 1

Hier beziehe ich mich auf die Wortherkunft von Fiktion: Das lateinische fictiō ist abgeleitet von lat. fingere, das sowohl gestalten, bilden oder formen meint, als auch sich vorstellen, sich einbilden.

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detailgetreuen Wirklichkeitsnachahmung auf eine Verlebendigung. Sie konstituierten sich gerade in der Differenz zur ‚Realität‘, in einer strategischen Artifizialisierung, die über die Signatur des Fragments funktioniert. Mit Boehm gesprochen täuschen sie etwas vor und demonstrieren zugleich die Kriterien und Prämissen dieser Erfahrung (vgl. Boehm 2006, 35). Die Demonstration von Artifizialität durch eine fragmentarische Grundstruktur tut einer animierenden Wahrnehmung aber nicht zwingend Abbruch. Denn das Wahrgenommene geht in der Repräsentation nie auf. Seine sinnlichen Qualitäten bleiben bestehen und erzeugen weiterhin eine affizierende Präsenz. Ein autoreflexiver Verweis auf die Gemachtheit des Dargestellten kann sogar Anreiz für dessen Animation sein. Denn weil die Rezipierenden in der ästhetischen Erfahrung immer schon um die Artifizialität des Artefakts wissen, eröffnet die Demonstration dieser Artifizialität erst die Möglichkeit, dass auch die Offenlegung der Täuschung eine Täuschung ist und mithin das Dargestellte wahr. So geht es bei der Animation von Artefakten in der Wahrnehmung stets auch um ein Spiel mit dem Täuschungscharakter von Kunst – die niemals weniger präsent ist, wenn sie ihr Täuschen demonstriert. Gerade hier entwickelt Kunst Gegenwärtigkeit. Ausgehend von diesen Erkenntnissen wäre in einem anderen Rahmen zu überprüfen, ob menschenähnliche Dinge generell erscheinen und auf diese Weise Imaginationsprozesse anregen, die eine Animation erlauben. Im Rückblick auf die eingangs vorgestellte römische Stoffpuppe liegt die Vermutung nahe, dass menschenähnliche Dinge auch außerhalb der Kunst eine ästhetische Wahrnehmungssituation strukturieren und niemals nur erkennend aufgefasst werden. Ihre besondere Wirkmacht läge dann in ihrer affektiv-imaginativen Kraft, wodurch sie sich ständig in den Vordergrund drängen und die Position der leiblich Rezipierenden immer wieder aufs Neue virulent werden lassen. Insofern bestünde die Agency menschenähnlicher Dinge in ihrer Fähigkeit, Menschen zu transformieren. Abschließend seien noch folgende weitere Ergebnisse dieser Untersuchung festgehalten. Die Künstlichkeit weiblich codierter artifizieller Körper steht seit dem 18. Jahrhundert erstens nicht mehr im Widerspruch zu deren Naturalisierung, da auch bei Personen Natürlichkeit Produkt artifizieller Gestaltung ist. Wenn im Paradigma des aufklärerischen Weltbildes auch der menschliche Körper als ein Artefakt konzipiert ist, fallen Mensch und Artefakt zweitens auch in dieser Hinsicht in eins. Und wenn die Physis das wahre, innere Wesen repräsentiert, eröffnet die gestaltete Oberfläche des anthropomorphen Artefakts die Möglichkeit, sie als Ausdruck eines inneren Wesens zu lesen. Anthropomorphe Artefakte verkörpern die Paradoxa einer artifiziellen Natürlichkeit, einer artifiziellen Leiblichkeit sowie einer artifiziellen Innerlichkeit. Hier zeigt sich der besondere Stellenwert men-

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schenähnlicher Dinge für das menschliche Selbstverständnis, denn sie sind einerseits Abbild des Menschen und andererseits sein Vorbild. Diese sekundären Akteure stellen für vorgefasste theoretische Bestimmungen des Anthropos eine Herausforderung dar. Ihre Agency liegt auch in der Stimulation neuer Definitionen des Menschen. In der Groteske der untersuchten menschenähnlichen Dinge wurden immer wieder post-anthropozentrische Positionen entworfen und die Grenzen zwischen Ich und Welt angegriffen. Die anthropomorphen Artefakte weisen Differenzkriterien wie Leiblichkeit und Subjektivität als Selbsterfahrungen aus, die einem Gegenüber nur attribuiert werden können, ohne letztgültige Gewissheit über dessen ontologischen Status zu besitzen. Ihre groteske Ästhetik scheint die Trennung zwischen Mensch und Ding, Lebendigkeit und Leblosigkeit, Kunst und Natur, Subjekt und Objekt aufzulösen und eine Neuverhandlung einzufordern. In ihrer sinnlichen Präsenz appellieren die anthropomorphen Artefakte an uns, das Paradox der Animation zu überwinden, die Wirklichkeit des Artifiziellen zu erkennen und die Realität der Fiktion zu akzeptieren. Diesen Appell können wir in einer Zeit zunehmend undurchdringlicher Interaktionen zwischen Dingen und Menschen nur schwer überhören.

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Dank

Meiner Erstbetreuerin Prof. Dr. Gertrud Lehnert danke ich für den intensiven Austausch der vergangenen Jahre, der mich herausgefordert hat, meine Positionen zu schärfen, sowie für die Freiheiten, die sie mir im Schreibprozess und beim Entwickeln von Ideen immer gelassen hat. Gleichzeitig möchte ich ihr für ihr großes Engagement als Betreuerin danken, das ich sehr zu schätzen weiß. Für die offenen und heiteren Gespräche, die mir stets neue Denkrichtungen aufgezeigt und mir geholfen haben, mein Arbeitsfeld zu konturieren, danke ich meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Andreas Köstler. Meinen Kommilitoninnen bin ich dankbar für ihre Kollegialität und für ihr Interesse, sich bei den durchweg angenehmen, gemeinsamen Diskussionen in das Thema und den Arbeitsstand hineinzudenken. Für ihre interessierten Nachfragen und ihre empathische Anteilnahme am Schreibprozess über die vergangenen Jahre möchte ich außerdem meinen Kolleginnen und Kollegen danken. Der Potsdam Graduate School danke ich für die Unterstützung beim Druck dieses Buchs. Meiner langjährigen Freundin bin ich sehr dankbar für die Gespräche über diese Dissertation, aber auch über die alltäglichen Herausforderungen dieser Lebensphase, die wir teilen konnten. Meinem Freund danke ich für seine Akzeptanz und für die vielen Aufheiterungen, die vielleicht nötiger waren als alles andere. Ich danke ganz besonders meiner Familie, die mich bei allem unterstützt, was ich tue, und mir die Freiheit lässt, allem nachzugehen, was kommt. Dieses Buch kreist um die ästhetische Gestaltung der Welt und um das ästhetische Erleben von Wirklichkeit. Damit gilt mein Dank auch den Künstlerinnen und Künstlern, deren Schaffen Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist.

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7

Abbildungsnachweise

Abbildung 1: Römische Stoffpuppe, 19 cm hoch, Leinen, Papyrus, Reste von Wolle, Glasfragment, 1.-5. Jahrhundert v. Chr., Fundort Oxyrhynchus, Ägypten. Quelle: © Trustees of the British Museum. Abbildung 2: Konstruktionsskizze des Panoramas, Hans Bellmer: Die Puppe, Federzeichnung, 1934. Quelle: DP 13. Abbildung 3: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 1, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 17. Abbildung 4: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 2, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 18. Abbildung 5: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 3, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 19. Abbildung 6: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 4, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 20. Abbildung 7: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 5, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 21. Abbildung 8: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 6, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 22. Abbildung 9: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 7, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 23. Abbildung 10: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 8, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 24. Abbildung 11: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 9, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 25. Abbildung 12: Zehn Konstruktions-Dokumente: Fotografie 10, Hans Bellmer: Die Puppe, Schwarz-Weiß-Fotografie, 1934. Quelle: DP 26. Abbildung 13: Die Puppe (Detailansicht), Schwarz-Weiß-Fotografie, 13,8 x 9,9 cm, 1936, frühere Sammlung Paul Éluard, Bibliothèque Paul Destribats, Paris; Quelle: Semff/Spira 2006, 86.

220 | Die Präsenz der Dinge

Abbildung 14: La Mariée in L’Odyssée, La Planète Jean Paul Gaultier. De la Rue aux Étoiles, Grand Palais Paris, vom 1. April 2015 bis 3. August 2015. Quelle: eigene Aufnahme vom 28.6.2015. Abbildung 15: Jean Paul Gaultier als animiertes Mannequin (links), Jean Paul Gaultier: From the Sidewalk to the Catwalk. Kunsthalle München vom 18. September 2015 bis 14. Februar 2016. Quelle: eigene Aufnahme vom 13.2.2016. Abbildung 16: Der Laufsteg in Punk Cancan, Jean Paul Gaultier: From the Sidewalk to the Catwalk. Kunsthalle München vom 18. September 2015 bis 14. Februar 2016. Quelle: eigene Aufnahme vom 13.2.2016. Abbildung 17: Publikum der Modenschau in Punk Cancan, Jean Paul Gaultier: From the Sidewalk to the Catwalk. Kunsthalle München vom 18. September 2015 bis 14. Februar 2016. Quelle: eigene Aufnahme vom 13.2.2016. Abbildung 18: Die Punks in Punk Cancan, Jean Paul Gaultier: From the Sidewalk to the Catwalk. Kunsthalle München vom 18. September 2015 bis 14. Februar 2016. Quelle: eigene Aufnahme vom 13.2.2016. Abbildung 19: L’homme miroir in A fleur de peau Classé X, Jean Paul Gaultier: From the Sidewalk to the Catwalk. Kunsthalle München vom 18. September 2015 bis 14. Februar 2016. Quelle: eigene Aufnahme vom 13.2.2016. Abbildung 20: Blickendes Mannequin in L’Odyssée, Jean Paul Gaultier: From the Sidewalk to the Catwalk. Kunsthalle München vom 18. September 2015 bis 14. Februar 2016. Quelle: eigene Aufnahme vom 13.2.2016.

Kulturwissenschaft Johannes F.M. Schick, Mario Schmidt, Ulrich van Loyen, Martin Zillinger (Hg.)

Homo Faber Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2018 2018, 224 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3917-9 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3917-3

Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.)

POP Kultur + Kritik (Jg. 7, 2/2018) 2018, 176 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 16,80 € (DE), 978-3-8376-4455-5 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-4455-9

María do Mar Castro Varela, Paul Mecheril (Hg.)

Die Dämonisierung der Anderen Rassismuskritik der Gegenwart 2016, 208 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-3638-3 E-Book: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3638-7 EPUB: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3638-3

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Kulturwissenschaft Fatima El-Tayeb

Undeutsch Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft 2016, 256 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3074-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3074-3

Rainer Guldin, Gustavo Bernardo

Vilém Flusser (1920–1991) Ein Leben in der Bodenlosigkeit. Biographie 2017, 424 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4064-9 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4064-3

Stephan Günzel

Raum Eine kulturwissenschaftliche Einführung 2017, 158 S., kart., zahlr. Abb. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3972-8 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3972-2

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