Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing: Psychologische Distanz, Message Framing und komparativer Optimismus 9783658292058, 9783658292065, 3658292059

Marina Isabel Wieluch entwickelt auf Basis der Construal Level Theory einen Erklärungsansatz zur Wirkung verschiedener F

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Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing: Psychologische Distanz, Message Framing und komparativer Optimismus
 9783658292058, 9783658292065, 3658292059

Table of contents :
Geleitwort
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Praktische Relevanz von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing
1.2 Forschungsbedarf zu anekdotischen und statistischen Botschaften und Ziele der Arbeit
1.3 Vorgehensweise
2 Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken – Stand der Forschung
2.1 Begriffsbestimmung „Anekdoten“ und „Statistiken“
2.2 Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften
2.2.1 Relevante Größen zur Beurteilung der Wirkung von Botschaften im Sozialmarketing
2.2.2 Bisherige Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung anekdotischer Botschaften
2.2.3 Bisherige Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung statistischer Botschaften
2.3 Bisherige empirische Studien zur Wirksamkeit anekdotischer und statistischer Botschaften
2.3.1 Studien zum Vergleich der persuasiven Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften
2.3.2 Studien zu möglichen Bedingungen für die Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften
2.4 Zusammenfassende Diskussion des Stands der Forschung und Ableitung eines alternativen theoretischen Rahmenkonzepts
3 Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungsansatz auf Basis der Construal Level Theory
3.1 Construal Level Theory of Psychological Distance (CLT)
3.1.1 Grundlegende Aussagen der CLT
3.1.2 Ausgewählte Erkenntnisse aus der CLT-Forschung
3.2 Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken
3.2.1 Theoretische Überlegungen zum Einfluss von Botschaftskontext und -inhalt auf die psychologische Distanz
3.2.1.1 Botschaftskontext und psychologische Distanz
3.2.1.2 Botschaftsinhalt, Eigenschaften des Botschaftsempfängers und psychologische Distanz
3.2.1.3 Botschaftskontext und -inhalt: Primäre und sekundäre psychologische Distanz
3.2.2 Theoretische Überlegungen zum Einfluss des Abstraktionsniveaus von Botschaften
3.2.3 Theoretische Überlegungen zum Einfluss des Abstraktionsniveaus der Botschaft auf die persuasive Wirkung unter Berücksichtigung der primären und sekundären Distanz
3.2.4 Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen und Ableitung der Hypothesen
3.3 Beitrag der theoretischen Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz zur Erklärung potenzieller weiterer moderierender Effekte
3.3.1 Unrealistisch komparativer Optimismus als moderierende Größe
3.3.1.1 Das Konzept des unrealistisch komparativen Optimismus
3.3.1.2 Der moderierende Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken
3.3.2 Der moderierende Effekt des Message Framing
3.3.2.1 Abstraktionsniveaukongruenz durch Message Framing
3.3.2.2 Die persuasive Wirkung abstraktionsniveaukongruenter Botschaften in Abhängigkeit der psychologischen Distanz
3.3.3 Interaktion von unrealistisch komparativen Optimismus und Message Framing
4 Empirische Studien
4.1 Theoretische Grundlagen zur Untersuchungsmethodik
4.2 Studie 1: Der moderierende Effekt der sekundären psychologischen Distanz auf die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften
4.2.1 Zielsetzung und Hypothesen
4.2.2 Methodik
4.2.2.1 Stichprobe und Vorgehen
4.2.2.2 Stimuli und Studiendesign
4.2.2.3 Messung der zentralen Konstrukte
4.2.3 Untersuchungsergebnisse
4.2.4 Diskussion der Ergebnisse
4.3 Studie 2: Der moderierende Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften
4.3.1 Zielsetzung und Hypothesen
4.3.2 Methodik
4.3.2.1 Stichprobe und Vorgehen
4.3.2.2 Stimuli und Studiendesign
4.3.2.3 Messung der zentralen Konstrukte
4.3.3 Untersuchungsergebnisse
4.3.4 Diskussion der Ergebnisse
4.4 Studie 3: Der moderierende Effekt des Message Framing auf die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften
4.4.1 Zielsetzung und Hypothesen
4.4.2 Methodik
4.4.1.1 Stichprobe und Vorgehen
4.4.1.2 Stimuli und Studiendesign
4.4.1.3 Messung der zentralen Konstrukte
4.4.3 Untersuchungsergebnisse
4.4.4 Diskussion der Studienergebnisse
4.5 Studie 4: Interaktion der moderierenden Effekte des unrealistisch komparativen Optimismus und des Message Framing
4.5.1 Zielsetzung und Hypothesen
4.5.2 Methodik
4.5.2.1 Stichprobe und Vorgehen
4.5.2.2 Stimuli und Studiendesign
4.5.2.3 Messung der zentralen Konstrukte
4.5.3 Untersuchungsergebnisse
4.5.4 Diskussion der Ergebnisse
4.6 Zusammenfassung und Diskussion der Studienergebnisse
5 Schlussbetrachtung
5.1 Zentrale Ergebnisse und Beitrag der Arbeit zur bisherigen Forschung
5.2 Ableitung praxisrelevanter Implikationen
5.3 Ausblick auf künftige Forschung
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Stimuli der Studien
Anhang 2: Fragebogen Studie 1
Anhang 3: Fragebogen Studie 2
Anhang 4: Fragebogen Studie 3
Anhang 5: Fragebogen Studie 4

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Marina Isabel Wieluch

Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing Psychologische Distanz, Message Framing und komparativer Optimismus

Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing

Marina Isabel Wieluch

Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing Psychologische Distanz, Message Framing und komparativer Optimismus

Marina Isabel Wieluch Augsburg, Deutschland Dissertation Universität der Bundeswehr München, 2018 u.d.T.: Marina Isabel Wieluch: „Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing. Empirische Studien zum moderierenden Einfluss von psychologischer Distanz, Message Framing und komparativem Optimismus.“ Dissertationsort: Neubiberg

ISBN 978-3-658-29205-8 ISBN 978-3-658-29206-5  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-29206-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort Botschaften des Sozialmarketings haben zum Ziel, Menschen zu Verhaltensweisen zu motivieren, die wünschenswert für die Allgemeinheit sind. Aufforderungen, nicht zu rauchen, Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen oder Organe zu spenden sind Beispiele hierfür. Da diese Botschaften wünschenswertes Verhalten fördern sollen, ist es erstrebenswert, dass sie eine möglichst hohe Wirksamkeit entfalten. Aus diesem Grund besitzen Forschungsarbeiten Relevanz, die dazu beitragen, die Wirksamkeit dieser Botschaften zu erhöhen. Die vorliegende Arbeit verfolgt dieses Ziel. Häufig setzen Botschaften des Sozialmarketings einen der folgenden zwei Informationstypen ein, um ihre Anliegen zu transportieren: Die sogenannten "statistischen Belege", die ein Problem oder Risiko anhand von Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten darstellen bzw. die sogenannten "anekdotischen Belege", in denen ein Einzelschicksal dargestellt wird. Ein Beispiel für einen statistischen Beleg in einer Anti-RauchKampagne wäre die Aussage, dass 30% der Raucher eine bestimmte Krankheit entwickeln. Ein Beispiel für einen anekdotischen Beleg wäre die Kurzdarstellung des Schicksals eines Rauchers, der unter der Krankheit leidet. Beide Informationstypen sind in der Praxis verbreitet und haben große Aufmerksamkeit in der Forschung erlangt. Die bisherige Forschung hat sich insbesondere der Frage gewidmet, welcher der beiden Informationstypen wirksamer ist und somit zum Einsatz kommen sollte. Diese Frage konnte bisher aber nicht zufriedenstellend beantwortet werden, da sich in Teilen der Studien statistische Belege als wirksamer erwiesen und in anderen Teilen anekdotische Belege. Zudem wurden etwaige Wirkbedingungen, die eine Aussage erlauben würden, wann der eine oder der andere Informationstyp wirksamer ist, bisher kaum untersucht.

VI

Geleitwort

Vor dem Hintergrund dieser Forschungslücke und der praktischen Relevanz der Fragestellung für das Sozialmarketing hat die vorliegende Dissertation das Ziel, theoriebasiert Wirkbedingungen zu identifizieren, die einen Beitrag zur Erklärung leisten können, wann anekdotische und wann statistische Belege wirksamer sind und genutzt werden sollten. Nach einer umfangreichen Literaturanalyse identifiziert die Autorin die Construal Level Theorie als geeigneten Theorierahmen, um relevante Wirkbedingungen abzuleiten und stellt dar, warum die psychologische Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft einen relevanten Erklärungsbeitrag leisten kann. Obwohl diese Theorie hier einen wertvollen Erklärungsbeitrag leisten kann, wurde sie von der bisherigen Forschung nicht zur Erklärung der Wirkung von anekdotischen und statistischen Belegen herangezogen. Frau Wieluch unterscheidet in ihren Überlegungen zwischen der sogenannten primären Distanz, die sie als Distanz zum allgemeinen Kontext der Botschaft (z.B. Spende) bezeichnet, und einer sogenannten sekundären Distanz, die durch die spezifischen Botschaftsinhalte determiniert wird (z.B. das konkrete Spendenprojekt). Die Autorin leitet detaillierte Aussagen und Hypothesen zur Wirkung von statistischen und anekdotischen Belegen in Abhängigkeit der Distanzen ab. Weiterhin diskutiert Frau Wieluch zwei weitere potentielle Moderatorvariablen, den unrealistischen komparativen Optimismus sowie das Message Framing. Frau Wieluch überprüft ihre Hypothesen in mehreren empirischen Studien. Ihre Ergebnisse erlauben Empfehlungen für die Praxis, wie z.B., dass bei komparativ optimistischen Zielgruppen und negativem Message Framing anekdotische Belege wirksamer sind als statistische Belege. Insgesamt bescheinige ich der vorliegenden Dissertation einen signifikanten Beitrag zur Forschung im Marketing zu leisten. Die bearbeitete Frage wurde von der Marketingforschung bisher nicht beantwortet und besitzt sowohl praktische als auch theoretische Relevanz. Die Construal Level Theorie kann einen wertvollen Beitrag zur Erklärung der Wirkung von Anekdoten und Statistiken leisten, sie wurde in der bisherigen Forschung

Geleitwort

VII

aber noch nicht auf die hier gestellte Fragestellung angewandt. Somit liefern sowohl die theoretischen Überlegungen als auch die Studien von Frau Wieluch interessante und relevante Erkenntnisse. Die Ergebnisse der Arbeit sind zudem von praktischer Relevanz und sollten Eingang in die Gestaltung von Botschaften des Sozialmarketings finden. Ich wünsche dieser Arbeit weite Verbreitung und Frau Wieluch alles Gute und viel Erfolg für Ihren weiteren Weg.

Univ.-Prof. Dr. Sandra Praxmarer-Carus

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing an der Universität der Bundeswehr München und wurde durch die Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften im Juni 2018 als Dissertation angenommen. Nachfolgend möchte ich all jenen Danken, die mich während meiner Promotionszeit begleitet und unterstützt haben. Mein Dank gilt an erster Stelle meiner akademischen Lehrerin und Doktormutter Prof. Dr. Sandra Praxmarer-Carus für die exzellente Betreuung. Durch ihre wertvollen Diskussionsbeiträge und ihre stets unterstützende und hilfsbereite Art, leistete sie einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung dieses Werkes. Ebenfalls danken möchte ich meinem Zweitgutachter Herrn Prof. Stephan Kaiser für seine stets motivierende Art und seine wertvollen fachlichen Hinweise im Rahmen der gemeinsamen Forschungskolloquien. Herzlich danken für ihre Mitwirkung in der Promotionskommission möchte ich zudem Herrn Prof. Dr. Thomas Hartung, Frau Prof. Dr. Julia Thaler, sowie Herrn Prof. Dr. Claudius Steinhardt. Weiterhin danke ich meinen lieben Kollegen und Kolleginnen an der Fakultät, insbesondere Herrn Dr. Dirk Fischer, für die vielen inspirierenden fachlichen und freundschaftlichen Gespräche. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Mann Anton Wieluch für seine liebevolle Unterstützung während meiner gesamten Promotionszeit. Herzlich danken möchte ich auch meinen Freunden und meiner Familie, insbesondere Frau Vanessa Schaffranietz, die mich durch meine Promotionszeit begleitet haben. Marina Wieluch

Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung .................................................................................. 1 1.1

Praktische Relevanz von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing................................................. 1

1.2

Forschungsbedarf zu anekdotischen und statistischen Botschaften und Ziele der Arbeit................................................ 3

1.3

Vorgehensweise......................................................................... 5

2

Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken – Stand der Forschung ............................................................... 7 2.1

Begriffsbestimmung „Anekdoten“ und „Statistiken“ ................... 7

2.2

Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften ............................. 9

2.2.1

Relevante Größen zur Beurteilung der Wirkung von Botschaften im Sozialmarketing ......................................... 9

2.2.2

Bisherige Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung anekdotischer Botschaften ............................................... 15

2.2.3

Bisherige Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung statistischer Botschaften .................................................. 32

2.3

Bisherige empirische Studien zur Wirksamkeit anekdotischer und statistischer Botschaften ................................................... 36

2.3.1

Studien zum Vergleich der persuasiven Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften .................... 37

2.3.2

Studien zu möglichen Bedingungen für die Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften .................... 42

2.4

Zusammenfassende Diskussion des Stands der Forschung und Ableitung eines alternativen theoretischen Rahmenkonzepts ..................................................................... 44

XII

Inhaltsverzeichnis

3

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungsansatz auf Basis der Construal Level Theory ................................. 49 3.1

Construal Level Theory of Psychological Distance (CLT) ....... 49

3.1.1 Grundlegende Aussagen der CLT ......................................... 49 3.1.2 3.2

Ausgewählte Erkenntnisse aus der CLT-Forschung ........ 51

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken ....................................................... 57

3.2.1

Theoretische Überlegungen zum Einfluss von Botschaftskontext und -inhalt auf die psychologische Distanz.............................................................................. 59

3.2.1.1

Botschaftskontext und psychologische Distanz ....... 60

3.2.1.2

Botschaftsinhalt, Eigenschaften des Botschaftsempfängers und psychologische Distanz ...................................................................... 64

3.2.1.3

Botschaftskontext und -inhalt: Primäre und sekundäre psychologische Distanz .......................... 67

3.2.2

Theoretische Überlegungen zum Einfluss des Abstraktionsniveaus von Botschaften .............................. 70

3.2.3

Theoretische Überlegungen zum Einfluss des Abstraktionsniveaus der Botschaft auf die persuasive Wirkung unter Berücksichtigung der primären und sekundären Distanz.......................................................... 73

3.2.4

Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen und Ableitung der Hypothesen ......................................... 77

3.3

Beitrag der theoretischen Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz zur Erklärung potenzieller weiterer moderierender Effekte ............................................................. 84

Inhaltsverzeichnis

3.3.1

Unrealistisch komparativer Optimismus als moderierende Größe ........................................................ 85

3.3.1.1

Das Konzept des unrealistisch komparativen Optimismus ............................................................... 86

3.3.1.2

Der moderierende Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken ................... 88

3.3.2

Der moderierende Effekt des Message Framing ............. 93

3.3.2.1

Abstraktionsniveaukongruenz durch Message Framing..................................................................... 93

3.3.2.2

Die persuasive Wirkung abstraktionsniveaukongruenter Botschaften in Abhängigkeit der psychologischen Distanz .............. 97

3.3.3 4

XIII

Interaktion von unrealistisch komparativen Optimismus und Message Framing.................................................... 106

Empirische Studien ............................................................. 113 4.1

Theoretische Grundlagen zur Untersuchungsmethodik ........ 113

4.2

Studie 1: Der moderierende Effekt der sekundären psychologischen Distanz auf die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften ......................... 115

4.2.1

Zielsetzung und Hypothesen .......................................... 115

4.2.2

Methodik ......................................................................... 117

4.2.2.1

Stichprobe und Vorgehen ....................................... 117

4.2.2.2

Stimuli und Studiendesign ...................................... 118

4.2.2.3

Messung der zentralen Konstrukte ......................... 120

4.2.3

Untersuchungsergebnisse.............................................. 122

4.2.4

Diskussion der Ergebnisse ............................................. 129

XIV

Inhaltsverzeichnis

4.3

Studie 2: Der moderierende Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften ......................... 132

4.3.1

Zielsetzung und Hypothesen .......................................... 132

4.3.2

Methodik ......................................................................... 133

4.3.2.1

Stichprobe und Vorgehen ....................................... 133

4.3.2.2

Stimuli und Studiendesign ...................................... 134

4.3.2.3

Messung der zentralen Konstrukte ......................... 134

4.3.3

Untersuchungsergebnisse.............................................. 136

4.3.4

Diskussion der Ergebnisse ............................................. 146

4.4

Studie 3: Der moderierende Effekt des Message Framing auf die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften ............................................................................ 150

4.4.1

Zielsetzung und Hypothesen .......................................... 150

4.4.2

Methodik ......................................................................... 151

4.4.2.1

Stichprobe und Vorgehen ....................................... 151

4.4.2.2

Stimuli und Studiendesign ...................................... 152

4.4.2.3

Messung der zentralen Konstrukte ......................... 154

4.4.3

Untersuchungsergebnisse.............................................. 156

4.4.4

Diskussion der Studienergebnisse ................................. 171

4.5

Studie 4: Interaktion der moderierenden Effekte des unrealistisch komparativen Optimismus und des Message Framing .................................................................................. 173

4.5.1

Zielsetzung und Hypothesen .......................................... 173

4.5.2

Methodik ......................................................................... 174

4.5.2.1

Stichprobe und Vorgehen ....................................... 174

Inhaltsverzeichnis

XV

4.5.2.2

Stimuli und Studiendesign ...................................... 174

4.5.2.3

Messung der zentralen Konstrukte ......................... 176

4.5.3

Untersuchungsergebnisse.............................................. 177

4.5.4

Diskussion der Ergebnisse ............................................. 189

4.6 5

Zusammenfassung und Diskussion der Studienergebnisse .. 194 Schlussbetrachtung ............................................................ 203

5.1

Zentrale Ergebnisse und Beitrag der Arbeit zur bisherigen Forschung .............................................................................. 203

5.2

Ableitung praxisrelevanter Implikationen ............................... 207

5.3

Ausblick auf künftige Forschung ............................................ 209

Literaturverzeichnis ............................................................................ 213 Anhang ............................................................................................... 239

Abbildungsverzeichnis Abb. 1

Theoretisches Rahmenkonzept zur Wirksamkeit von Sozialmarketingkampagnen .............................................................. 13

Abb. 2

Die persuasive Wirkung lebhafter und nicht-lebhafter Informationen in Abhängigkeit der Allokation geistiger Ressourcen nach Keller und Block (1997) .............................. 20

Abb. 3

Kernaussagen des Elaboration Likelihood-Modell................... 23

Abb. 4

Extended Elaboration Likelihood Model .................................. 24

Abb. 5

Extended Transportation Imagery Model ................................. 29

Abb. 6

Grundgedanke der Construal Level Theory............................. 50

Abb. 7

Risk-Convergence-Model ........................................................ 56

Abb. 8

Überblick über die Betrachtungsebenen der theoretischen Überlegungen auf Basis der CLT zur persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken ................................................ 58

Abb. 9

Angenommener Zusammenhang zwischen Botschaftskontext und psychologischer Distanz....................................... 64

Abb. 10 Angenommene Effekte des Botschaftsinhalts ......................... 66 Abb. 11 Angenommene Effekte der primären und sekundären psychologischen Distanz ......................................................... 69 Abb. 12 Angenommene Effekte des Abstraktionsniveaus der Botschaft ............................................................................ 72 Abb. 13 Überblick zu den Hypothesen H1 und H2 zur persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken in Abhängigkeit der primären und sekundären psychologischen Distanz ............... 83 Abb. 14 Einfluss des unrealistisch komparativen Optimismus auf das wahrgenommene Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken ................................................................................ 92

XVIII

Abbildungsverzeichnis

Abb. 15 Einfluss des Message Framing auf das wahrgenommene Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken ................. 95 Abb. 16 Einfluss des komparativen Optimismus auf die Wahrnehmung von positiven und negativen Statistiken................. 107 Abb. 17 Einfluss des unrealistisch komparativen Optimismus auf das wahrgenommene Abstraktionsniveau negativer und positiver Anekdoten .............................................................................. 109 Abb. 18 Konzeptionelles Modell der Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch die sekundäre psychologische Distanz........................................ 125 Abb. 19 Schätzwerte der Verhaltensabsicht in Abhängigkeit von Botschaftstyp und sekundärer psychologischer Distanz ....... 127 Abb. 20 Schätzwerte der Einstellung zur Spende in Abhängigkeit von Botschaftstyp und sekundärer psychologischer Distanz ............................................................................... 129 Abb. 21 Konzeptionelles Modell der Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch den unrealistisch komparativen Optimismus ................................ 139 Abb. 22 Schätzwerte der Verhaltensabsicht in Abhängigkeit von Botschaftstyp und unrealistisch komparativen Optimismus .. 141 Abb. 23 Konzeptionelles Modell der durch den unrealistisch komparativen Optimismus moderierten Mediation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch die Selbstrelevanz der Botschaft ........................................................... 143 Abb. 24 Schätzwerte der wahrgenommenen Selbstrelevanz der Botschaft in Abhängigkeit von Botschaftstyp und unrealistisch komparativem Optimismus ............................................. 145 Abb. 25 Konzeptionelles Modell der Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch das Message Framing .................................................................. 158

Abbildungsverzeichnis

XIX

Abb. 26 Schätzwerte der beabsichtigten Reduktion der FacebookNutzung in Abhängigkeit von Botschaftstyp und Message Framing ............................................................................... 160 Abb. 27 Konzeptionelles Modell der durch die sekundäre psychologische Distanz moderierten Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch das Message Framing .................................................................. 162 Abb. 28 Schätzwerte der beabsichtigten Reduktion der FacebookNutzung in Abhängigkeit von Botschaftstyp, Message Framing und sekundärer psychologischer Distanz ................ 165 Abb. 29 Schätzwerte der beabsichtigten Reduktion der FacebookNutzung in Abhängigkeit von Botschaftstyp, Message Framing und sekundärer psychologischer Distanz ................ 170 Abb. 30 Konzeptionelles Modell der durch den unrealistisch komparativen Optimismus moderierten Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch das Message Framing ........................................................... 182 Abb. 31 Schätzwerte der Verhaltensabsicht in Abhängigkeit von Botschaftstyp, Message Framing und unrealistisch komparativen Optimismus ..................................................... 185

Tabellenverzeichnis Tab. 1

Theoretische Überlegungen zur Abstraktionsniveaukongruenz ................................................................................ 99

Tab. 2

Überblick über die empirische Studien .................................. 115

Tab. 3

Zu prüfende Hypothesen in Studie 1 ..................................... 116

Tab. 4

Verwendete Botschaften in Studie 1 ...................................... 120

Tab.5

Studie 1 - Mittelwerte der Verhaltensabsicht und der Einstellung über die Experimentalgruppen ............................ 123

Tab. 6

Ergebnisse der Regressionsanalyse zur Überprüfung der Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch die sekundäre psychologische Distanz ................................................................................... 126

Tab. 7

Ergebnisse der Regressionsanalyse zur Überprüfung der Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Einstellung zur Spende durch die sekundäre psychologische Distanz ................................................................................... 128

Tab. 8

Zu prüfende Hypothesen in Studie 2 ..................................... 132

Tab. 9

Verwendete Botschaften in Studie 2 ...................................... 134

Tab.10

Studie 2 - Mittelwerte der Verhaltensabsicht in Abhängigkeit von Botschaftstyp und Optimismus der Botschaftsempfänger .............................................................................. 137

Tab.11

Studie 2 - Mittelwerte der wahrgenommenen Selbstrelevanz der Botschaft in Abhängigkeit von Botschaftstyp und Optimismus der Botschaftsempfänger ................................... 138

Tab.12

Ergebnisse der Regressionsanalyse zur Überprüfung der Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch den unrealistisch komparativen Optimismus ............................................................................ 140

XXII

Tabellenverzeichnis

Tab. 13 Ergebnisse der Regressionsanalyse zur Überprüfung der durch den unrealistisch komparativen Optimismus moderierten Mediation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch die Selbstrelevanz der Botschaft ................................................................................ 144 Tab. 14 Zu prüfende Hypothesen in Studie 3 ..................................... 150 Tab. 15 Verwendete Botschaften in Studie 3 ...................................... 153 Tab. 16 Studie 3 - Mittelwerte der Verhaltensabsicht in Abhängigkeit von Botschaftstyp und Message Framing .............................. 157 Tab.17

Ergebnisse der Regressionsanalyse zur Überprüfung der Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch das Message Framing.................... 159

Tab. 18 Ergebnisse der Regressionsanalyse zur Überprüfung der durch die sekundäre psychologische Distanz moderierten Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch das Message Framing.................... 163 Tab. 19 Ergebnisse der zweiten Regressionsanalyse zur Überprüfung der durch die sekundäre psychologische Distanz moderierten Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch das Message Framing .............. 168 Tab. 20 Zu prüfende Hypothesen in Studie 4 ..................................... 173 Tab. 21 Verwendete Botschaften in Studie 4 ...................................... 176 Tab. 22 Studie 4 - Mittelwerte der Verhaltensabsicht in Abhängigkeit von Botschaftstyp, Message Framing und Optimismus der Botschaftsempfänger ............................................................. 179 Tab. 23 Ergebnisse der Regressionsanalyse zur Überprüfung der durch den unrealistisch komparativen Optimismus moderierten Moderation des Effekts des Botschaftstyps auf die Verhaltensabsicht durch das Message Framing .............. 183

Tabellenverzeichnis

XXIII

Tab. 24 Differenzen der geschätzten Verhaltensabsichten zwischen negativen und positiven Anekdoten in Abhängigkeit des unrealistisch komparativen Optimismus ............................... 187 Tab. 25 Differenzen der geschätzten Verhaltensabsichten zwischen positiven und negativen Statistiken in Abhängigkeit des unrealistisch komparativen Optimismus ............................... 188 Tab.26

Differenzen der geschätzten Verhaltensabsichten zwischen positiven Statistiken und negativen Anekdoten in Abhängigkeit des unrealistisch komparativen Optimismus .................. 189

Tab. 27 Überblick über die aufgestellten Hypothesen ........................ 194 Tab. 28 Überblick über die Ergebnisse der Hypothesenprüfung ........ 200 Tab. 29 Implikationen zum Einsatz von anekdotischen und statistischen Botschaften in Abhängigkeit von psychologischer Distanz und Message Framing ................... 209

Abkürzungsverzeichnis A

Anekdote / anekdotische Botschaft

α (alpha)

Cronbach’s Alpha

Aad

Attitude towards the Ad / Einstellung zur Botschaft

b

Regressionskoeffizient

BMVI tur

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruk-

BZgA

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

C

Kovariate

CDC

Centers of Disease Control and Prevention

CLT

Construal Level Theory

DVR

Deutscher Verkehrssicherheitsrat

ELM

Elaboration Likelihood Model

E-ELM

Extended Elaboration Likelihood Model

et al.

et altera / “und andere”

ETIM

Extended Transportation Imagery Model

F

F-Wert

H

Hypothese

HBM

Health Belief Model

HH

Haushalt

Hrsg.

Herausgeber

IMF

International Monetary Fund

KI

Konfidenzintervall

N/n

Stichprobengröße / effektive Stichprobengröße

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

m

Mittelwert

M

Moderator (PROCESS-Macro Modell 1 für einfache Moderation) Mediator (PROCESS-Macro Modell 7 für moderierte Mediation)

MSE

Mean Square Error

OECD opment

Organisation for Economic Cooperation and Devel-

P

p-Wert



R-Quadrat (Gütemaß)

S

Statistik / statistische Botschaft

s

Standard Deviation / Standardabweichung

SE

Standard Error / Standardfehler

SS

Sum of Squares / Quadratsumme

STI

sexual transmitted infection

T

t-Wert

ϴ (Theta)

bedingter Effekt

W

Moderator (PROCESS-Macro Modell 7 für moderierte Mediation) Sekundärer Moderator (PROCESS-Macro Modell 3 für moderierte Moderation)

WHO

World Health Organization

X

unabhängige Variable

Y

abhängige Variable

ŷ

Schätzwert der abhängigen Variable

1 Einleitung 1.1

Praktische Relevanz von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing

Das Sozialmarketing umfasst verschiedene Teilgebiete. Neben der Risikokommunikation, die sich Gesundheitsthemen oder der Unfallverhütung widmet, zählen Themen des Umweltschutzes und des Engagements für die Gesellschaft (z.B. durch Spenden) zu den zentralen Betätigungsfeldern (Lee & Kotler 2011, S. 20ff.). Kommunikationsmaßnahmen stellen ein zentrales Instrument des Sozialmarketings dar (Lee & Kotler, 2011, S.19). Der Fokus des Sozialmarketings liegt auf der Beeinflussung von Verhalten (Lee & Kotler, 2011, S.9). So zielen Botschaften des Sozialmarketings typischerweise darauf ab, relevante Zielpersonen davon zu überzeugen, riskantes Verhalten zu unterlassen oder zu reduzieren (z.B. Rasen oder Rauchen) oder gesellschaftlich wünschenswertes Verhalten zu zeigen (z.B. Recycling, Spenden). Allerdings weisen Botschaften im Sozialmarketing im Vergleich zu kommerziellen Kommunikationsmaßnahmen eine deutlich geringere persuasive Wirkung auf. Schätzungen zufolge führen nur etwa zehn Prozent dieser Kampagnen zu einer messbaren Verhaltensänderung (Rossiter & Bellman, 2005, S.431). Ein Grund hierfür kann darin gesehen werden, dass die Verhaltensweisen, die typischerweise durch Botschaften des Sozialmarketings beeinflusst werden sollen, oft gewohnheitsmäßig oder sogar suchterzeugend sind, und damit deutlich schwerer zu beeinflussen als Kaufverhalten (Rossiter & Bellman, 2005, S.457). Einer effektiven Botschaftsgestaltung kommt im Kontext des Sozialmarketings daher eine besondere Bedeutung zu. Betrachtet man Botschaften des Sozialmarketings weltweit, kann festgestellt werden, dass häufig mittels anekdotischer oder statistischer Belege überzeugt werden soll. Anekdoten beschreiben typischerweise das Schicksal eines einzelnen Individuums (Cox & Cox, 2000; Dickson, 1982; Greene & Brinn, 2003). Statistische Botschaften verwenden typischerweise Fallzahlen, Wahrscheinlichkeiten oder andere statistische Größen (Allen & Preiss, 1997; Dickson, 1982). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. I. Wieluch, Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29206-5_1

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Einleitung

Zahlreiche nationale und internationale Sozialmarketing-Kampagnen verwenden anekdotische Botschaften, z.B.: 

Die „Runter vom Gas“-Kampagne verwendete u.a. Plakatmotive in Anlehnung an Todesanzeigen mit der Botschaft „Gabi, Frank, Mia und Max T. Wollten schnell nach Hause.“.



Die „ins-netz-gehen.de“-Kampagne der BZgA warb mit „Julian hat nur noch Zeit für Emily. Aber Emily hat nur noch Zeit für Facebook.“.



World Vision verwendete im Rahmen der „RawHope“-Kampagne Online-Banner mit Einzelschicksalen wie „Aabu, 10 months, starving“ oder „Layla, aged 11, forced to sleep with men“.



Das amerikanische CDC (“Centers of Disease Control and Prevention“) zeigte in einer Aufklärungskampagne zu den Risiken von Tabakkonsum den 51-jährigen Roosvelt, der bereits im Alter von 45 einen Herzinfarkt erlitt mit der Botschaft „I never thought smoking could do this“.

Beispiele für statistische Botschaften finden sich ebenso zahlreich wie anekdotische Botschaften: 

Zahlreiche Plakate der „Kenn dein Limit!“-Kampagne der BZgA zu Gefahren übermäßigen Alkoholkonsums beinhalten statistische Informationen, z.B. „Fakt: Rund ein Drittel aller angezeigten schweren und gefährlichen Körperverletzungen werden unter Alkoholeinfluss verübt.“, „Fakt: Rauschtrinken bringt jährlich über 25.000 junge Leute ins Krankenhaus.“ oder „Mehr als 4.000 junge Erwachsene sind jedes Jahr unter Alkoholeinfluss in Autounfälle verwickelt – zum Teil mit tödlichem Ausgang.“.



Die Deutsche Diabetesstiftung warb 2014 mit Plakaten und Anzeigen mit der Botschaft „Millionen Deutsche haben Diabetes… und wissen es nicht.“

Forschungsbedarf

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Die Schweizer Kampagne zur Suchtprävention 1996/1997 vermittelte Fakten wie „Arbeitslosigkeit erhöht die Suchtgefahr um das 2-3fache“, „Übertriebene Schönheitsideale tragen dazu bei, dass sich zwei von drei Frauen unter 20 Jahren zu dick fühlen.“ oder „Ein Drittel aller 13-14-Jährigen darf an Familienfesten Alkohol trinken.“.



Eine World Vision-Kampagne titelte „Every 3 seconds a child dies from hunger and other preventable causes.”



Die amerikanische CDC verwendete in einer HIVAufklärungskampagne die Statistik „Every 9 ½ minutes someone in the U.S. is infected with HIV.“.



Die „TheTruth“-Kampagne zu Gefahren des Rauchens beinhaltet zahlreiche statistischen Botschaften, darunter „Fact #125 1 in 3 youth smokers will eventually die from tobacco-related disease.“, „Fact #127 In just one year, about 31,000 kids lost their dads to tobacco-related disease in the US.“ und “Fact #46 About 90% of lung cancer deaths among women who continue to smoke are tobacco related.”.

Angesichts der hohen Bedeutung von Kommunikationsmaßnahmen im Sozialmarketing ist eine effektive Gestaltung der Botschaften von zentraler Bedeutung. Wie in Abschnitt 1.2. und Abschnitt 2.3 dargelegt wird, lassen sich in Bezug auf die Verwendung von Anekdoten und Statistiken in diesen Botschaften aus der bisherigen Forschung jedoch keine eindeutigen Empfehlungen ableiten, wann Anekdoten und wann Statistiken überzeugender sein könnten. 1.2

Forschungsbedarf zu anekdotischen und statistischen Botschaften und Ziele der Arbeit

Obwohl beide Botschaftstypen – Anekdoten und Statistiken – in der Praxis häufig zum Einsatz kommen, konnte die Forschung bisher keine eindeutige Antwort darauf geben, welcher der beiden Botschaftstypen effek-

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Einleitung

tiver in der Überzeugungswirkung ist. In der Literatur finden sich zahlreiche Studien, die sich mit der Wirksamkeit von Anekdoten und Statistiken auseinandersetzen (z.B. Cox & Cox, 2001; Dickson, 1982; Gray & Harrington, 2011; Hoeken, 2001; Kopfman et al., 1998). Bei der zentralen Frage, welcher der beiden Botschaftstypen effektiver ist, finden sich jedoch widersprüchliche Ergebnisse. Während die Ergebnisse einiger Studien zeigen, dass Statistiken in ihrer persuasiven Wirkung Anekdoten grundsätzlich überlegen sind (z.B. Allen et al., 2000; Hornikx, 2005; Kopfman et al., 1998; Baesler & Burgoon, 1994), berichten andere Forscher von einer grundsätzlichen Überlegenheit von Anekdoten gegenüber Statistiken (z.B. Brosius & Bathelt, 1994; De Wit et al., 2008; Koballa, 1986; Murphy et al.; 2013). Aus theoretischer Sicht lassen sich für beide Positionen Erklärungsansätze finden. Während statistische Botschaften ihre Wirkung vor allem durch ihren hohen Informationsgehalt entfalten könnten (z.B. Greene & Brinn, 2003), können Anekdoten aufgrund der Förderung einer bildlichen Vorstellung überzeugend wirken (z.B. De Wit et al., 2008). Weitgehend unklar bleibt jedoch, wann einer dieser Wirkmechanismen zu einer stärkeren persuasiven Wirkung führt. Angesichts der unklaren empirischen Ergebnisse zur vergleichenden Wirkung von Anekdoten und Statistiken, erscheint es notwendig, Bedingungen der Wirkung der beiden Botschaftstypen zu identifizieren. Auf den Bedarf solcher Untersuchungen wurde in der Literatur bereits aufmerksam gemacht (O`Keefe, 2002, S.229), dennoch existieren heute nur wenige Arbeiten, die sich mit der Identifikation möglicher moderierender Einflussgrößen auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken beschäftigen (z.B. Cox & Cox 2001; Slater & Rouner 1996). Eine detaillierte Empfehlung für Praktiker im Sozialmarketing, unter welchen Bedingungen Anekdoten und unter welchen Bedingungen Statistiken eingesetzt werden sollten, lassen die bisherigen Arbeiten jedoch nicht zu (vgl. Abschnitt 2.3). Ziel der Arbeit ist es daher, einen Erklärungsbeitrag dazu zu leisten, unter welchen Bedingungen Anekdoten und unter welchen Bedingungen Statistiken im Sozialmarketing eingesetzt werden sollten, um Personen von

Forschungsbedarf

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gesellschaftlich wünschenswertem Verhalten zu überzeugen. Da die in der Literatur bisher angestellten theoretischen Überlegungen zur Wirkung von Anekdoten und Statistiken (vgl. Abschnitt 2.2) bei Arbeiten, die einen Vergleich der beiden Botschaftstypen anstreben, zu widersprüchlichen Ergebnissen führen (vgl. Abschnitt 2.3), scheint es angemessen, diese theoretischen Überlegungen zu hinterfragen. Ziel der Arbeit soll sein, ein theoretisches Rahmenkonzept zu entwickeln, das bei einem Vergleich der beiden Botschaftstypen im Kontext des Sozialmarketings zuverlässigere Prognosen als bisher zu deren persuasiven Wirkung zulässt. Ein solches Rahmenkonzept basierend auf der Construal Level Theory of Psychological Distance (Trope & Liberman, 2010) wird im Verlauf dieser Arbeit vorgestellt. Basierend auf der Überlegung, dass die psychologische Distanz des Botschaftsempfängers die Wirkung von Anekdoten und Statistiken bedingt, werden weitere Wirkungsbedingungen konkretisiert. Dazu gehören der unrealistisch komparative Optimismus des Botschaftsempfängers, der – wie im Verlauf der Arbeit gezeigt werden wird – besonders im Kontext der Risikokommunikation von Bedeutung ist, sowie das Message Framing der Botschaften, d.h. die positive oder negative Formulierung von Anekdoten und Statistiken. Die theoretischen Überlegungen zu diesen Bedingungen werden empirisch überprüft.

1.3

Vorgehensweise

Im nachfolgenden Kapitel wird zunächst der Stand der Forschung zur persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken dargestellt. Nach einer Definition der beiden Botschaftstypen erfolgt eine Darstellung relevanter Größen zur Beurteilung der persuasiven Wirkung von Botschaften im Sozialmarketing. Im Anschluss werden die bisherigen theoretischen Überlegungen aus der Literatur zur Wirkung von Anekdoten und Statistiken dargestellt. Es folgt ein Überblick über den bisherigen Stand empirischer Arbeiten, die zum Ziel haben, die Wirkung von Anekdoten und Statistiken zu vergleichen. Ebenso werden Studien zu bisher untersuchten moderierenden Größen dargestellt. Kapitel 2 schließt mit einer Zusammenfassung des bisherigen Forschungsstandes und legt dar, warum die

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Einleitung

Construal Level Theory of Psychological Distance (CLT) (Trope & Liberman, 2010) einen geeigneten Ausgangspunkt für ein theoretisches Rahmenkonzept darstellt, um die Wirkung der beiden Botschaftstypen erklären zu können. In der bisherigen Forschung wurde die Möglichkeit, die vergleichende persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken auf Basis der CLT zu erklären, bisher nicht betrachtet. In Kapitel 3 wird das theoretische Rahmenkonzept auf Basis der CLT vorgestellt. Hierzu erfolgt zunächst die Darstellung der Grundaussagen dieser Theorie sowie ausgewählter Ergebnisse der Werbewirkungsforschung, die auf dieser Theorie basieren. Im Anschluss werden theoretische Überlegungen dazu angestellt, wie die CLT dazu beitragen kann, die Wirkung von Anekdoten und Statistiken zu erklären. Diese Überlegungen werden in einem theoretischen Rahmenkonzept zusammengefasst, welches die Wirkung von Anekdoten und Statistiken in Abhängigkeit der psychologischen Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft beschreibt. Im Anschluss daran werden theoretische Überlegungen dazu angestellt, wie dieses Konzept dazu beitragen kann, weitere relevante moderierende Größen zu erklären. Hier werden der unrealistisch komparative Optimismus und das Message Framing diskutiert. In Kapitel 4 werden die zur Prüfung der aufgestellten Hypothesen durchgeführten empirischen Studien vorgestellt. Nach einer kurzen Darstellung der angestellten Überlegungen zur Untersuchungsmethodik erfolgt die detaillierte Beschreibung der jeweiligen Studien und deren Ergebnisse. Studie 1 prüft dabei den moderierenden Effekt der psychologischen Distanz. In Studie 2 wird der unrealistisch komparative Optimismus als moderierende Einflussgröße untersucht, in Studie 3 das Message Framing. Studie 4 prüft eine mögliche Interaktion zwischen unrealistisch komparativen Optimismus und Message Framing bei der Beeinflussung der persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken. Kapitel 4 schließt mit einer Zusammenfassung und Diskussion der Studienergebnisse. Abschließend wird in Kapitel 5 der Beitrag der vorliegenden Arbeit diskutiert und Implikationen für die Praxis und zukünftige Forschung werden dargelegt.

2 Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken – Stand der Forschung 2.1

Begriffsbestimmung „Anekdoten“ und „Statistiken“

Persuasive Botschaften – wie sie auch im Sozialmarketing eingesetzt werden – nutzen zur argumentativen Unterstützung häufig unterschiedliche Arten von Belegen (vgl. Reynolds & Reynolds, 2002). Die Anführung eines solchen Belegs erhöht dabei die Überzeugungswirkung einer Botschaft (Reinard, 1988). Die am meisten verbreiteten Formen von Belegen sind sogenannte anekdotische und statistische Belege (Greene & Brinn, 2003). Anekdotische Belege 1 beziehen sich dabei auf wenige, meistens nur einen spezifischen Fall (Dickson, 1982), z.B. auf eine bestimmte betroffene Person (Greene & Brinn, 2003) und beschreiben deren Erfahrungen (Hastall & Knobloch-Westerwick, 2013). Bei diesem Beispiel kann es sich sowohl um eine reale, als auch um eine fiktive Person handeln (Hoeken & Greuts, 2005). Die Erfahrungen dieser Person werden dabei wahlweise in der ersten Person, z.B. in Form von Zitaten, oder in der dritten Person dargestellt (Winterbottom, Bekker, Conner & Mooney, 2008). Anekdotische Belege beinhalten einen bestimmten situativen Rahmen, einen oder mehrere Protagonisten sowie einen gewissen Handlungsplot (Greene & Brinn, 2003). Ergänzend können zudem Informationen zu Zielen, Plänen oder Ergebnissen einer Handlung dargestellt werden (Kopfman, Smith, Ah Yun, & Hodges, 1998). Anekdotische Belege weisen damit tendenziell einen hohen Detaillierungsgrad auf (Greene &

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Der Begriff „anekdotischer Beleg“ bezieht sich hier auf die in der Literatur weitgehend synonym verwendeten Begriffe „anecdotal evidence” (Slater & Rouner, 1996), „case histories” (Dickson, 1982), „exemplars” (Brosius,& Bathelt, 1994), „narratives” (Green & Brock, 2000), „narrative evidence” (Allen & Preiss, 1997), „testimonial evidence” (Ubel et al., 2001), „narrative information” (Winterbottom et al., 2008) und verwandte Begrifflichkeiten.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. I. Wieluch, Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29206-5_2

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

Brinn, 2003). Die gegebenen Informationen beziehen sich häufig auf typische Eigenschaften einer Gruppe von Ereignissen oder Personen (Uribe, Manzur & Hidalgo, 2013), beispielsweise in der Form, dass der Protagonist eine bestimmte Situation erlebt hat, die auch den Empfänger der Botschaft betreffen könnte (De Wit, Das & Vet, 2008). Anekdotische Belege vermitteln dem Empfänger eher episodische Einblicke, wodurch einzelne Aspekte betont, andere dagegen vernachlässigt werden (Brosius & Bathelt, 1994). Braddock und Dillard (2016) definieren anekdotische Belege wie folgt: “[…] a narrative is a cohesive, causally linked sequence of events that takes place in a dynamic world subject to conflict, transformation, and resolution through non-habitual, purposeful actions performed by characters” (Braddock & Dillard, 2016, S. 447). Die Autoren betonen in ihrer Definition besonders die Bedeutung einer aktiven Handlung des Protagonisten. Statistische Belege 2 stellen eine numerische Zusammenfassung einer Reihe von Fällen dar (Rieke & Sillars, 1984, zitiert nach Hornikx, 2005) und können in Hinblick auf eine bestimmte Grundgesamtheit – z.B. bestimmte Objekte, Bedingungen, Entscheidungen oder Ereignisse (Dickson, 1982) – verallgemeinert werden (Allen & Preiss, 1997). Statistische Belege beinhalten Informationen zu Anteilen, Häufigkeiten, Proportionen, Prozentsätzen, Durchschnitt, Median, Modus oder zu einer andere statistische Größe (Dickson, 1982). Im Vergleich zu anekdotischen Belegen haben diese damit einen eher abstrakten Charakter (Hastall & Knobloch-Westerwick, 2013). Da diese Form von Beleg systematisch erhoben werden muss und häufig von glaubwürdigen Quellen veröffentlicht wird, sind statistische Belege besonders valide Informationen (Brosius & Bathelt, 1994). Vereinzelt werden in der Literatur nicht nur quantitative Informationen im Sinn einer numerischen Größe, sondern auch Verallgemeinerungen im Sinne von „Die meisten…“, „Ein signifikanter An-

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Der Begriff „statistischer Beleg“ bezieht sich hier auf die in der Literatur weitgehend synonym verwendeten Begriffe „abstract information“ (Rook,1987), „quantitative evidence“ (Kazoleas, 1993), „statistical evidence“ (De Wit et al., 2008), „statistical information” (Dickson, 1982), „statistical message” (Cox & Cox, 2001; Greene et al., 2010), „general statement“ (Brosius & Bathelt, 1994) und verwandte Begrifflichkeiten.

Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung

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teil…“ oder „Millionen von Betroffenen…“ etc. im Sinn eines statistischen Belegs behandelt (z.B. Rook, 1987; Keller & Block, 1997). Die vorliegende Arbeit bezeichnet Botschaften, die einen anekdotischen Beleg beinhalten als Anekdoten bzw. anekdotische Botschaften. Ein typisches Beispiel einer solchen Botschaft findet sich in der „Runter vom Gas!“-Kampagne mit „Gabi, Frank, Mia und Max T. wollten schnell nach Hause.“ Botschaften, die einen statistischen Beleg anführen, werden als Statistik bzw. statistische Botschaft bezeichnet. Dies umfasst Botschaften wie beispielsweise „Fakt: Rauschtrinken bringt jährlich über 25.000 junge Leute ins Krankenhaus“ der „Kenn-dein-Limit!“-Kampagne der BZgA. 2.2

Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften

Sowohl anekdotische als auch statistische Belege in Botschaften können überzeugend wirken (Reinard, 1988). Zahlreiche empirische Arbeiten zeigen, dass beide Arten von Belegen die Überzeugungswirkung persuasiver Botschaften positiv beeinflussen können (z.B. Allen et al., 2000; Greene, Campo & Banerjee, 2010; Hoeken, 2001). Der folgende Abschnitt gibt zunächst einen kurzen Überblick über die Besonderheiten bei der Beurteilung der persuasiven Wirkung im Sozialmarketing im Allgemeinen und stellt anschließend theoretische Erklärungsansätze zur Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften im Speziellen dar. 2.2.1 Relevante Größen zur Beurteilung der Wirkung von Botschaften im Sozialmarketing Das Ziel von Sozialmarketingkampagnen ist es zumeist, Personen davon zu überzeugen, ihr Verhalten zu ändern – sei es unerwünschtes, riskantes Verhalten zu unterlassen (z.B. Rasen, Rauchen) oder neue, wünschenswerte Verhaltensweisen zu zeigen (z.B. Spenden, Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen) (siehe Lee & Kotler, 2011, S.9, S.20ff.). Die zentrale und letztlich zu beeinflussende Größe stellt damit eine Verhaltensänderung dar. Da eine tatsächliche Änderung des Verhaltens oft nur

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

schwer beobachtet werden kann, werden in der Werbewirkungsforschung zur Beurteilung der persuasiven Wirkung Vorstufen des Verhaltens herangezogen, wie die durch ein Werbemittel erreichte Einstellung oder die hervorgerufene Verhaltensabsicht (z.B. Batra & Ray, 1985; Petty, Cacioppo & Schumann, 1983; Vakratsas & Ambler, 1999). Sowohl die Einstellung einer Person als auch eine entsprechende Verhaltensabsicht sind Indikatoren für ein späteres tatsächlich ausgeübtes Verhalten (Ajzen & Madden, 1986; Webb & Sheeran, 2006). Die Erkenntnisse aus der Werbewirkungsforschung geben Aufschluss darüber, über welche Prozesse Werbemittel eine Verhaltensabsicht beim Botschaftsempfänger auslösen können. Zentrale Prozesse, über die Werbemittel im Allgemeinen wirken können, und die in der bisherigen Forschung zur Beurteilung der persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken herangezogen wurden (vgl. Abschnitt 2.3), sind die Bildung von botschaftskonsistenten Gedanken bzw. Überzeugungen („beliefs“) (z.B. Igartua, 2010), die Förderung von Identifikation mit den im Werbemittel dargestellten Personen (z.B. Aaker, Brumbaugh, & Grier, 2000; Kelman, 1961; Moyer-Gusé, Chung & Jain, 2011), das Auslösen von verhaltensrelevanten emotionalen Reaktionen (z.B. Edell & Burke, 1987; Ray & Wilkie, 1970; Uribe, Manzur & Hidalgo, 2013; Witte & Allen, 2000), sowie die Reduktion von Reaktanz gegenüber der Botschaft (z.B. Brehm, 1966; Dillard & Shen, 2005; Moyer-Gusé & Nabi, 2010) und die Vermeidung der Bildung von Gegenargumenten (z.B. Moyer-Gusé & Nabi, 2010; Wright, 1973; Xu & Wyer Jr., 2012). Überzeugungen stellen die Wahrscheinlichkeit dar, mit der Individuen eine Beziehung zwischen einem Objekt und anderen Objekten, Konzepten oder Zielen herstellen (Fishbein, 1963; Fishbein & Raven, 1962), z.B. zwischen dem Objekt „Gemüse“ und dem Konzept „Gesundheit“. Wird in diesem Beispiel diese Beziehung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit hergestellt, so hat das Individuum die Überzeugung „Gemüse ist gesund“. Die Beeinflussung von Überzeugungen kann ein lohnenswertes Kommunikationsziel darstellen (O’Keefe, 2016, S.69). Beispielsweise zeigen Waters und Kollegen (2016), dass Raucher, die kaum davon

Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung

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überzeugt sind, dass Rauchen zu einer Sucht führt, sich auch weniger gefährdet für negative Konsequenzen des Rauchens fühlen, wie z.B. Lungenkrebs. Eine geringe wahrgenommene Gefährdung wiederum schmälert die Absicht, mit dem Rauchen aufzuhören (Waters et al., 2016). Überzeugungen können entsprechend das Verhalten von Individuen indirekt beeinflussen. Identifikation beschreibt einen mentalen Prozess des sich geistig Hineinversetzens in einen Protagonisten einer Botschaft, d.h. Individuen bilden eine mentale Vorstellung davon, selbst der Protagonist zu sein (Cohen, 2001; Tal-Or & Cohen, 2010). Identifikation kann durch eine wahrgenommene Ähnlichkeit des Protagonisten zur eigenen Person entstehen (Slater & Rouner, 2002) und kann die Bildung botschaftskonsistenter Einstellungen (z.B. De Graff et al., 2012) und Verhaltensabsichten (z.B. Moran et al., 2013) fördern. (siehe dazu Abschnitt 2.2.2) Emotionale Reaktionen, die durch eine Botschaft ausgelöst werden (z.B. Freude, Furcht) können deren persuasive Wirkung beeinflussen. Ausgelöste Emotionen beeinflussen beispielsweise die Einstellung zur Botschaft, Überzeugungen das beworbene Objekt betreffend (z.B. Marke, Produkt, Verhaltensweise) sowie die Einstellung zum beworbenen Objekt (z.B. Edell & Burke, 1987; Holbrook & Batra, 1987). Auch die Aktivierung antizipierter Emotionen kann die Entscheidung von Individuen beeinflussen (O’Keefe, 2016, S.14f.). Aktiviert beispielsweise eine Botschaft die Antizipation der Emotion Bedauern, kann daraus eine Entscheidung resultieren, die mögliches zukünftiges Bedauern aufgrund einer Fehlentscheidung minimiert (z.B. O’Keefe, 2016, S.118; Zeelenberg, 1999). Reaktanz beschreibt einen motivationalen Zustand, der eintreten kann, wenn ein Individuum die eigene wahrgenommene Freiheit, z.B. die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, bedroht oder eliminiert sieht. Das Individuum ist bestrebt, die eigene Freiheit wiederherzustellen (O’Keefe, 2016, S.255f.). Botschaften können Reaktanz auslösen, wenn diese den Einstellungen des Individuums widersprechen, den Botschaftsempfänger jedoch auffordern, eine andere Sichtweise einzunehmen (O’Keefe, 2016,

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

S.256). Botschaften können dann als manipulativ oder als Druck erzeugend empfunden werden. Lösen Botschaften Reaktanz aus, können sie nicht überzeugend wirken, da der Empfänger die Empfehlung der Botschaft nicht annimmt. Um die eigene Freiheit wiederherzustellen, wird der Botschaftsempfänger verstärkt an seiner existierenden Einstellung festhalten oder seine Einstellung u.U. sogar entgegen der Empfehlung der Botschaft ändern (O’Keefe, 2016, S.256). Reaktanz mindert demnach die persuasive Wirkung von Botschaften und sollte möglichst vermieden werden. (O’Keefe, 2016, S.255f.) Gegenargumente zur Botschaft werden dann gebildet, wenn Individuen Informationen mit den eigenen Überzeugungen abgleichen und hierbei eine Diskrepanz feststellen (Wright, 1973). Diese spontan aktivierten Gedanken neutralisieren oder widersprechen dem Beleg in der Botschaft (Wright, 1973). Dieser kognitive Prozess verhindert eine Persuasion, z.B. eine botschaftskonsistente Einstellungsänderung (Brock, 1967; Wright, 1973). Das Bilden von Gegenargumenten kann beispielsweise durch Reaktanz verursacht werden (Rains, 2013) oder auch durch das Erkennen einer persuasiven Absicht (Brock, 1967). Ergänzend zu den oben genannten allgemeinen Wirkprozessen wird die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken im Kontext des Sozialmarketings anhand weiterer spezifischer Größen beurteilt. Wie zahlreiche Wirkungsmodelle verdeutlichen, ergeben sich im Sozialmarketing im Vergleich zu markenbezogener Produkt- oder Imagewerbung Besonderheiten in Hinblick auf die ausgelösten Emotionen sowie die Überzeugungen der Botschaftsempfänger (z.B. Health Belief Model, siehe Rosenstock, 1974; Rosenstock, Strecher, & Becker, 1988). Thaler (2012) fasst die Erkenntnisse bisheriger Wirkungsmodelle in einem theoretischen Bezugsrahmen für Sozialmarketingkampagnen zusammen (siehe auch Thaler & Helmig, 2013). Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, beeinflussen bei Botschaften im Sozialmarketing eine Reihe spezifischer Überzeugungen deren Wirkung. Dazu zählen u.a. subjektive Normen, die wahrgenommene Heftigkeit bzw. Schwere und eigene Anfäl-

Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung

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ligkeit, die Kontrollüberzeugung, sowie die wahrgenommene Selbstwirksamkeit. Abbildung 1 gibt einen verkürzten Überblick über den theoretischen Bezugsrahmen von Thaler und Helmig (2013). Die nachfolgenden, ausgewählten Überzeugungen werden zum Vergleich der Wirkung von Anekdoten und Statistiken besonders häufig herangezogen (z.B. De Wit et al., 2008; Gray & Harrington, 2011; Greene & Brinn, 2003; Greene, Campo, & Banerjee, 2010; Wilson et. al., 2005):

Abbildung 1

Theoretisches Rahmenkonzept zur Wirksamkeit von Sozialmarketingkampagnen (in Anlehnung an Thaler, 2012, S.72; Thaler & Helmig, 2013)

Subjektive Normen („subjective norms“) bezeichnen die Überzeugung eines Individuums, dass relevante Personen ein bestimmtes Verhalten von ihm erwarten, wobei diese Überzeugung mit einer Motivation einhergeht, diesen Erwartungen zu entsprechen (Fishbein & Ajzen 1975). Beispielsweise können Individuen davon überzeugt sein, dass das soziale Umfeld erwartet, sich an Wahlen zu beteiligen, Müll zu trennen oder regelmäßig Sport zu treiben und sich entsprechend verhalten. Subjektive Normen gelten als Treiber des Verhaltens (z.B. Cook, Lounsbury, &

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

Fontenelle, 1980) und können durch Sozialmarketingbotschaften beeinflusst werden (z.B. Greene et al., 2010). Die Wirkung von Botschaften der Risikokommunikation wird zudem durch folgende Überzeugungen beeinflusst: Die wahrgenommene Heftigkeit bzw. Schwere („perceived severity“) bezeichnet die Überzeugung eines Individuums, dass die negativen Konsequenzen eines Ereignisses, z.B. einer Erkrankung oder eines Unfalls, schwerwiegend sind (Rosenstock, 1974; Janz & Becker, 1984). Das Konzept bezieht sich damit auf die Schadenshöhe bei Eintreten negativer Konsequenzen. Eine hohe wahrgenommene Schwere steigert die Motivation eines Individuums, sich zu schützen und ist damit verhaltensrelevant (Rosenstock, 1974). Werden beispielsweise die Folgen einer HIVInfektion als schwerwiegend wahrgenommen, fördert dies den Gebrauch von Kondomen, um sich vor einer Infektion zu schützen. Unter wahrgenommener Anfälligkeit („perceived susceptibility“) für ein Ereignis wird die Überzeugung eines Individuums verstanden, selbst gefährdet zu sein (Janz & Becker, 1984). Das Konzept beschreibt damit die wahrgenommene Eintrittswahrscheinlichkeit eines negativen Ereignisses. Diese Überzeugung, selbst zukünftig möglicherweise von negativen Ereignissen betroffen zu sein, motiviert ebenfalls zu Verhaltensweisen, um dem betreffenden Risiko entgegenzusteuern (Janz & Becker, 1984). Beispielsweise kann die Überzeugung, selbst möglicherweise an Krebs zu erkranken, Personen dazu motivieren, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen oder krebsfördernde Verhaltensweisen wie etwa Rauchen zu unterlassen. Das Konstrukt Kontrollüberzeugung („perceived behavioral control“) beschreibt, inwieweit Individuen Ereignisse als Konsequenz ihres eigenen Verhaltens wahrnehmen und entsprechend den Eintritt von Ereignissen als selbst kontrollierbar erachten (Rotter, 1966). Eine hohe Kontrollüberzeugung eines Individuums kann dessen gesundheitsförderliche Verhaltensweise fördern, beispielweise wenn das Individuum davon aus-

Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung

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geht, das Risiko einer Krebserkrankung durch einen gesunden Lebensstil minimieren zu können. Wahrgenommene Selbstwirksamkeit („self-efficacy“) beschreibt die Überzeugung eines Individuums selbst in der Lage zu sein, eine Verhaltensweise erfolgreich umzusetzen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen (Bandura, 1977). Individuen können zwar davon überzeugt sein, dass eine bestimmte Verhaltensweise zu einem wünschenswerten Ergebnis führt; ohne die Überzeugung, dieses Verhalten auch erfolgreich umsetzen zu können, können Informationen zu wünschenswerten Verhaltensweisen die Verhaltensabsicht jedoch nicht beeinflussen (Bandura, 1977, S. 193). Beispielsweise könnten Raucher zwar grundsätzlich davon überzeugt sein, dass es sich positiv auf die Gesundheit auswirkt, mit dem Rauchen aufzuhören. Bei einer geringen wahrgenommenen Selbstwirksamkeit, also der Überzeugung selbst nicht mit dem Rauchen aufhören zu können, entsteht jedoch keine Verhaltensabsicht. Die in diesem Abschnitt vorgestellten Größen dienen der Beurteilung der persuasiven Wirkung von Botschaften im Allgemeinen und werden in der Literatur zum Vergleich der persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken ebenfalls typischerweise herangezogen (vgl. Abschnitt 2.3). Bevor auf die empirischen Befunde zum Vergleich der beiden Botschaftstypen eingegangen wird, sollen zunächst die bisherigen theoretischen Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung des jeweiligen Botschaftstyps vorgestellt werden. 2.2.2 Bisherige Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung anekdotischer Botschaften Ein Teil der Forschung vertritt die Ansicht, dass Anekdoten in ihrer Überzeugungswirkung Statistiken überlegen sein können (siehe Winterbottom et al., 2008). Die theoretischen Begründungen hierfür werden im Folgenden dargestellt.

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

Erste theoretische Ansätze, die versuchen, die Wirkung von Anekdoten zu erklären, beziehen sich auf die Forschungsarbeiten von Amos Tversky und Daniel Kahneman zur Repräsentativitätsheuristik (Kahneman & Tversky, 1973; Tversky & Kahneman, 1971) und zur Verfügbarkeitsheuristik (Tversky & Kahneman, 1973), sowie auf den Basisratenfehler (BarHillel, 1980). Nach der Repräsentativitätsheuristik beurteilen Individuen Ereignisse oder Personen auf Basis einzelner Beispiele (Tversky & Kahnemann, 1974). Wird dieses Beispiel als repräsentativ für eine bestimmte Kategorie von Ereignissen oder Personen wahrgenommen, so wird die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Beispiel der entsprechenden Kategorie angehört, hoch eingeschätzt (Tversky & Kahneman, 1974). Individuen ziehen demnach Schlussfolgerungen und bilden entsprechende Einstellungen nicht abhängig von der Stichprobengröße, sondern ziehen dazu ein einzelnes, repräsentativ wahrgenommenes Beispiel heran (Zillmann, 2006) Nach dieser Sichtweise wirken Anekdoten als Darstellung von Einzelpersonen deswegen überzeugend, weil Individuen sie zur Urteilsbildung über die Allgemeinheit heranziehen, sofern sie die Protagonisten als repräsentativ wahrnehmen (z.B. Uribe, Manzur & Hidalgo, 2013; Zillmann, 2006). Die Verfügbarkeitsheuristik besagt, dass lebhafte, detaillierte Informationen, wie z.B. eine Anekdote, einem Individuum mit einer größeren Wahrscheinlichkeit geistig präsent sind als nicht-lebhafte Informationen und leichter aus dem Gedächtnis abgerufen werden können (Tversky & Kahneman, 1973; Zillmann, 2006). Lebhafte Informationen sind demnach also leichter geistig verfügbar. Die leichtere Vorstellbarkeit von Informationen erhöht zudem die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt (Tversky & Kahneman, 1973, 1974). Im Kontext von Sozialmarketing-Botschaften ist besonders im Bereich der Gesundheits- und Risikokommunikation eine hohe Wahrscheinlichkeitseinschätzung wünschenswert, um den Empfänger der Botschaft zu überzeugen. Schätzt beispielsweise ein Raucher die Wahrscheinlichkeit für Erkrankungen aufgrund des Tabakkonsums als nur sehr gering ein, wird

Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung

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er/sie sich kaum davon überzeugen lassen, das Rauchen aufzugeben. Einen entsprechenden theoretischen Rahmen für diese Überlegung bietet das Health Belief Model (Becker, 1974), dass neben anderen Größen die wahrgenommene Anfälligkeit für ein negatives Ereignis als wichtige Grundvoraussetzung für eine Verhaltensänderung sieht. Zahlreiche Studien mit dem Ziel, die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken zu vergleichen, ziehen die Verfügbarkeitsheuristik als theoretische Grundlage heran (z.B. De Wit, Das, & Vet 2008; Dickson, 1982; Limon & Kazoleas, 2004; Uribe et al., 2013). Allerdings wird die Verfügbarkeitsheuristik als Erklärungsansatz für die Wirkung lebhafter, konkreter Information wie beispielsweise Anekdoten bereits in frühen Arbeiten angezweifelt. In den Studien von Shedler und Manis (1986) beispielweise beeinflusste die Lebhaftigkeit von Informationen sowohl die mentale Verfügbarkeit als auch die Urteilsbildung, jedoch konnte die Verfügbarkeitsheuristik den Urteilsprozess nicht erklären (Shedler & Manis 1986). Auch Sherer und Rogers (1984) konnten im Kontext von Furchtappellen die Hypothese nicht bestätigen, dass der persuasive Effekt lebhafter Informationen aufgrund der mentalen Verfügbarkeit entsteht. Die höhere Überzeugungskraft von Anekdoten im Vergleich zu Statistiken wird zudem mit dem Basisratenfehler (Aijzen, 1977; Bar-Hillel, 1980; Caroll, 1977; Nisbett & Borgida, 1975; Kahneman & Tversky, 1972; Ofir & Lynch, 1984) begründet (z.B. Brosius & Bathelt, 1994; Uribe et al., 2013). Der Basisratenfehler beschreibt die Tendenz, Informationen zu Wahrscheinlichkeiten (Basisraten) zu Gunsten von Einzelfallinformation zu vernachlässigen (Bar-Hillel, 1980). Demnach schätzen Individuen, die zuvor eine Wahrscheinlichkeitsangabe für ein Ereignis erhalten haben, die Wahrscheinlichkeit für genau dieses Ereignis falsch ein, sobald sie zusätzliche Informationen zu einem widersprüchlichen Einzelfall erhalten (für eine Meta-Analyse zum Basisratenfehler siehe Allen, Preiss & Gayle, 2006). Zur Ursache des Phänomens existieren verschiedene Begründungen. Beispielsweise geht Ajzen (1977) davon aus, dass Individuen stets diejenigen Informationen heranziehen, für die sie einen kausalen

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

Zusammenhang zur Entscheidung wahrnehmen und vernachlässigen deshalb valide Informationen, wie Basisraten, wenn diese nicht kausal für das Beurteilungsobjekt erscheinen. Nach Auffassung Ajzen‘s (1977) sind Urteile jedoch durchaus im starken Ausmaß von Basisraten beeinflusst, sofern diese Informationen kausale Implikation haben. Auch die Begründung für das Phänomen des Basisratenfehlers von Bar-Hillel (1980) weist darauf hin, dass Basisraten nicht grundsätzlich vernachlässigt werden. Die Autorin geht davon aus, dass Individuen Information nach ihrer wahrgenommenen Relevanz ordnen und dass dabei relevanter wahrgenommene Informationen weniger relevant wahrgenommene im Entscheidungsprozess dominieren. Eine Integration von Informationen unterschiedlicher Relevanz findet nicht statt (Bar-Hillel, 1980). Je spezifischer eine Information für einen beurteilenden Sachverhalt ist, umso relevanter wird sie wahrgenommen (Bar-Hillel, 1980). Bar-Hillel (1980) beschreibt spezifische Informationen als Informationen, die sich entweder auf nur wenige Fälle einer Gesamtpopulation beziehen, oder die als kausal für ein spezifisches Individuum betrachtet werden. Basisraten beeinflussen demzufolge die Entscheidung dann, wenn diese als ebenso relevant wie Einzelfallinformationen eingeschätzt werden und mit diesen integriert werden. Weitere Studien kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Basisraten für Entscheidungen herangezogen werden (z.B. Wells & Harvey, 1977), insbesondere dann, wenn die Einzelfallinformation als nicht prognosetauglich und nützlich für die Entscheidung wahrgenommen wird (Ginosar & Trope, 1980). Im Kontext des Vergleichs der persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken wird dieser Aspekt jedoch zumeist vernachlässigt. Vielmehr argumentieren die jeweiligen Autoren, die den Basisratenfehler als theoretische Begründung heranziehen, dass Anekdoten als Einzelfallinformation gegenüber Statistiken grundsätzlich vorgezogen würden (z.B. Brosius & Bathelt, 1994; Uribe et al, 2013). Ähnlich postulieren auch Borgida und Nisbett (1977) eine solche grundsätzliche Vernachlässigung von Basisraten. Die Autoren gehen davon aus, dass Basisraten deswegen vernachlässigt werden, weil sie abstrakt und wenig anschaulich sind (Borgida & Nisbett, 1977). Individuen würden Information aber umso stärker für ihre Urteilsbildung heranziehen, umso

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lebhafter sie sind, und dementsprechend abstrakte Basisraten in der Urteilsbildung vernachlässigen (Borgida & Nisbett, 1977). Nach dieser Auffassung vertrauen Individuen in ihrer Urteilbildung stärker auf Einzelfälle, wie sie typisch für Anekdoten sind. Statistiken werden dagegen kaum genutzt, um eine Entscheidung zu treffen (Taylor & Thompson, 1982). Die Annahme, dass lebhafte Informationen grundsätzlich überzeugender sind (Nisbett & Borgida, 1977), wurde von verschiedenen Autoren zur Erklärung der Wirkung von Anekdoten und Statistiken herangezogen (z.B. Limon & Kazoleas, 2004; Rook 1986, 1987; Wilson et al., 2005). Demnach sind Anekdoten vor allem deswegen überzeugender, weil sie lebhafter, persönlicher und greifbarer sind als Statistiken (Nisbett et al., 1976) und deshalb leichter zu verstehen und leichter geistig zu verarbeiten sind als Prozentsätze oder Wahrscheinlichkeiten (vgl. Brosius & Bathelt, 1994). Bereits frühe Arbeiten zu diesen sogenannten „Vividness“-Effekten weisen jedoch darauf hin, dass lebhafte Informationen nicht grundsätzlich überzeugender sind (z.B. Taylor & Thompson, 1982; Kazoleas, 1993). Entsprechend gehen zahlreiche spätere Forschungsarbeiten der Frage nach, unter welchen Bedingungen Vividness-Effekte zu erwarten sind (z.B. Kiselius & Sternthal, 1984, 1986). Beispielsweise zeigen Block und Keller (1997), dass die Präferenz für anschauliche, lebhafte Informationen im Bereich der Risikokommunikation von Eigenschaften der Botschaftsempfänger abhängen können. Trauen sich Personen zu, empfohlene Präventionsmaßnahmen erfolgreich umzusetzen, d.h. sie verfügen über eine hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugung, wirken lebhafte Informationen gegenüber nicht-lebhaften überzeugender. Bei niedriger Selbstwirksamkeitsüberzeugung tritt dieser Vividness-Effekt dagegen nicht auf (Block & Keller, 1997). Des Weiteren scheint die Präferenz von lebhaften und nicht-lebhaften Informationen (z.B. „Linda: ‚I was feeling pretty anxious…‘“ vs. „A large percentage of women told us they felt anxious“, siehe Keller & Block, 1997, S. 298f., Studie 3) von den geistig verfügbaren Ressourcen des Botschaftsempfängers zur Informationsverarbeitung abzuhängen. Keller

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

und Block (1997) gehen in ihrer Ressource-Matching-Hypothese davon aus, dass die persuasive Wirkung von lebhaften und nicht-lebhaften Informationen durch die Übereinstimmung der zur Informationsverarbeitung nötigen geistigen Ressourcen mit den verfügbaren Ressourcen entsteht. Abbildung 2 veranschaulicht den Zusammenhang zwischen persuasiver Wirkung und der Lebhaftigkeit von Informationen nach Keller und Block (1997).

Abbildung 2

Die persuasive Wirkung lebhafter und nicht-lebhafter Informationen in Abhängigkeit der Allokation geistiger Ressourcen nach Keller und Block (1997)

Wendet der Botschaftsempfänger nur wenige geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung auf, z.B. weil die Information für ihn nicht relevant erscheint, reichen diese Ressourcen zur Verarbeitung lebhafter Informationen aus, nicht aber zur Verarbeitung nicht-lebhafter Informationen. Lebhafte Informationen weisen demnach dann eine größere persuasive Wirkung als nicht-lebhafte Informationen auf, wenn die Botschafts-

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empfänger nur wenige geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung aufwenden (Keller & Block, 1997). Wendet der Botschaftsempfänger dagegen ein hohes Maß an geistigen Ressourcen zur Informationsverarbeitung auf, z.B. weil die Information als persönlich relevant wahrgenommen wird, ist es unerheblich, wie viele geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung nötig sind. Es können sowohl lebhafte als auch nicht-lebhafte Informationen verarbeitet werden (Keller & Block, 1997). Übersteigen die verfügbaren geistigen Ressourcen das Ausmaß, das nötig ist, um lebhafte Informationen zu verarbeiten, können nicht-lebhafte im Vergleich zu lebhaften Informationen überzeugender wirken (Keller & Block, 1997). Für nicht-lebhafte Informationen nehmen Keller und Block (1997) einen linearen Zusammenhang zwischen persuasiver Wirkung und geistiger Ressourcenallokation an, d.h. nicht-lebhafte Informationen sind umso überzeugender, je mehr geistige Ressourcen zur Verfügung stehen. Ein weiterer Erklärungsansatz zur Wirkung von Anekdoten basiert auf dem Elaboration Likelihood Modell (ELM; Petty & Cacioppo, 1986). Nach dem ELM hängt die Werbewirkung von der Motivation und den Fähigkeiten des Botschaftsempfängers ab, die in einer Botschaft enthaltenden Informationen geistig zu verarbeiten. Bei hoher Motivation und der Fähigkeit zur Informationsverarbeitung folgt die Informationsverarbeitung der zentralen Route. Die Botschaftsempfänger setzen sich intensiv mit den Informationen in der Botschaft auseinander, was zu einer langfristig stabilen Einstellungsänderung führen kann. Fällt die Motivation und/oder die Fähigkeit zur Informationsverarbeitung dagegen gering aus, findet keine intensive Informationsverarbeitung statt. Durch die Botschaft kann lediglich eine instabile Einstellungsänderung erreicht werden, sofern periphere Signale, wie z.B. emotionale Bilder oder Gütesiegel, vorhanden sind (Petty & Cacioppo, 1986). Abbildung 3 veranschaulicht die grundlegenden Aussagen des ELM.

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

Basierend auf dem ELM wird die Wirkung von Anekdoten in der Literatur damit erklärt, dass die vergleichsweise interessanten Anekdoten ein höheres Botschaftsinvolvement der Zielpersonen zur Folge haben, d.h. dass die Botschaftsempfänger durch die vergleichsweise interessante Botschaft stärker motiviert werden, die Informationen zu verarbeiten (Cox & Cox, 2001; Polyorat, Alden & Kim, 2007; Slater & Rouner, 1996). Eine höhere Motivation zur Informationsverarbeitung erhöht dem ELM zufolge die Wahrscheinlichkeit für eine zentrale Informationsverarbeitung und damit für eine dauerhafte Einstellungsänderung bzw. eine höhere Verhaltensabsicht Petty & Cacioppo, 1986). Bisherige Studien nutzen das ELM als theoretische Grundlage, um die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken zu vergleichen, allerdings mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen in Bezug auf die durch die Botschaften ausgelöste Verhaltensabsicht (z.B. Dardis & Shen, 2008; De Wit et al., 2008).

Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung

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Information in der persuasiven Kommunikation Person Motivation und Fähigkeit zur Informationsverarbeitung:

hoch

gering

Zentrale Route Kritische, gedankliche Auseinandersetzung mit der Information

Periphere Route Orientierung an oberflächlichen Hinweisreizen, ohne kritisches Nachdenken

Stabile Einstellung bei erfolgreicher Persuasion

Instabile Einstellung bei erfolgreicher Persuasion

Abbildung 3

Kernaussagen des Elaboration Likelihood-Modell (in Anlehnung an Petty & Cacioppo, 1986)

Ein auf die Verarbeitung und Wirkung von Anekdoten fokussiertes Werbewirkungsmodell stellen Slater und Rouner (2002) mit dem Extended Elaboration Likelihood Model (E-ELM) vor. Abbildung 4 verdeutlicht die angenommenen Wirkungsprozesse. Anekdoten wirken nach diesem Modell vor allem durch zwei Prozesse: Identifikation mit dem oder den Protagonisten und Absorption. Unter Absorption verstehen Slater und Rouner (2002) das Eintauchen in eine erzählte Welt, was durch die Konzepte „narrative engagement“ und „transportation“ abgebildet wird. Im Folgenden sollen ausgewählte Forschungsergebnisse zu den genannten Komponenten genauer dargestellt werden.

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Abbildung 4 Extended Elaboration Likelihood Model (Slater & Rouner, 2002)

Identifikation mit dem Protagonisten entsteht durch eine wahrgenommene Ähnlichkeit des Botschaftsempfängers mit dem in einer Botschaft dargestellten Protagonisten (Slater & Rouner, 2002). Unter Identifikation wird ein geistiger Prozess verstanden, bei dem Individuen in ihrer Vorstellung vorübergehend mit dem Protagonisten einer Geschichte (z.B. einer Anekdote) verschmelzen, d.h. Individuen stellen sich vor, selbst der Protagonist zu sein, teilen dessen Wissen über die erzählten Ereignisse, nehmen dessen Ziele an und teilen dessen Emotionen (Cohen, 2001; Tal-Or & Cohen, 2010, S.404). Zillmann (2006) sieht die Funktion der Identifikation mit dem Protagonisten einer Anekdote darin, dass Identifikation es Individuen ermöglicht, die eigene Person einer Personengruppe zuzuordnen und entsprechend das eigene Verhalten in Hinblick auf das Verhalten der Gruppe zu reflektieren. Das Ausmaß an Identifikation scheint neben der Ähnlichkeit auch von der Valenz der Information über den Protagonisten abzuhängen. Tal-Or und Cohen (2010) zeigen, dass Personen sich stärker mit Protagonisten identifizieren, die in einem positiven anstatt einem negativem Licht dargestellt werden. Zudem scheint eine wahrgenommene Realitätsnähe der Anekdote für den Identifikationsprozess entscheidend zu sein. Hierbei ist nicht

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entscheidend, ob es sich um eine fiktive oder reale Geschichte handelt (Busselle & Bilandzic, 2008), sondern vielmehr, ob die Geschichte als typisch wahrgenommen wird (Cho, Shen & Wilson, 2014). Zahlreiche Studien zeigen einen positiven Effekt auf die Überzeugungswirkung, wenn sich Botschaftsempfänger mit den in Botschaften dargestellten Personen identifizieren können. Demnach scheint ein positiver Zusammenhang zwischen Identifikation und der durch die anekdotische Botschaft ausgelöste Verhaltensabsicht zu bestehen (Frank et al., 2015; Moran et al., 2013; Moyer-Gusé et al., 2011). Beispielsweise testen Moyer-Gusé und Kollegen (2011) in ihrer Studie die Wirkung von VideoNarrativen zum Thema sexuell übertragbare Krankheiten (STI). Diejenigen Probanden, die sich stärker mit den Protagonisten des Narratives identifizieren konnten, gaben eine höhere Wahrscheinlichkeit an, sich auf STI testen zu lassen und mit ihren Sexualpartnern über das Thema zu sprechen (Moyer-Gusé et al., 2011). Identifikation mit den Protagonisten einer Anekdote hat zudem einen positiven Einfluss auf die Bildung botschaftskonsistenter Einstellungen (De Graff et al., 2012; Igartua, 2010; Igartua & Barrios, 2012; Murphy et al., 2013), Überzeugungen (Igartua, 2010) und Wissen (Murphy et al., 2011, 2013). Zudem reduziert eine stärkere Identifikation negative Reaktionen auf persuasive Botschaften, wie etwa die Bildung von Gegenargumenten (Moyer-Gusé & Nabi, 2010; Moyer-Gusé et al., 2011). Beispielsweise zeigen Moyer-Gusé und Nabi (2010), dass Probanden, die sich stärker mit den Protagonisten eines Narratives, der die Schwierigkeiten einer ungeplanten Schwangerschaft bei Jugendlichen thematisiert, identifizierten, weniger dazu neigten, der dargestellten Sichtweise zu widersprechen. Igartua (2010) zeigt zudem, dass ein höheres Ausmaß an Identifikation mit einem Protagonisten einer Anekdote zu einer stärkeren affektiven Reaktion, einer stärkeren kognitiven Verarbeitung und damit einhergehend zu einer komplexeren Reflexion des Erzählten führt.

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

Im Kontext der Risikokommunikation konnte zudem gezeigt werden, dass mit zunehmender Identifikation mit dem Protagonisten einer Anekdote die Wahrnehmung der eigenen Person als unverletzlich reduziert wird (Moyer-Gusé & Nabi, 2010), die eigene Anfälligkeit für negative Ereignisse höher eingeschätzt wird und Personen mehr Furcht vor diesem Ereignis empfinden (Frank et al., 2015). Gleichzeitig führt eine stärkere Identifikation zu einer stärkeren Selbstwirksamkeitsüberzeugung (Moyer-Gusé et al., 2011), d.h. je stärker sich Individuen mit den Protagonisten der Anekdote identifizieren können, desto stärker glauben sie daran, die empfohlene Verhaltensweise zur Reduktion negativer (gesundheitlicher) Konsequenzen umsetzen zu können. Zudem zeigen Moran und Kollegen (2013) im Kontext der Gesundheitskommunikation, dass Identifikation die Wahrnehmung sozialer Normen positiv im Sinne des Kommunikationsziels beeinflussen kann, was zu einer stärkeren Verhaltensabsicht führt. Einzelne Studien gehen zudem davon aus, dass das Ausmaß an Identifikation mit den Protagonisten einer Anekdote das Selbstkonzept von Personen beeinflusst. So zeigen Sestir und Green (2010), dass Personen, die sich stark mit einem Protagonisten identifizieren, dessen Charaktereigenschaften vorübergehend in ihr Selbstkonzept integrieren. Gegensätzliche Ergebnisse berichten Richter, Appel und Calio (2014) im Kontext des Selbstkonzepts „Weiblichkeit“, wonach besonders die Probandinnen, die der ein traditionelles Frauenbild verkörpernden Protagonistin in Hinblick auf sozioökonomische Kriterien unähnlich waren – d.h. bei denen ein geringeres Ausmaß an Identifikation zu erwarten war – ihr Selbstkonzept hin zu einem höheren Grad an „Weiblichkeit“ anpassten. Die bisherigen Erkenntnisse weisen zwar darauf hin, dass das Selbstkonzept von Personen durch Anekdoten beeinflusst werden kann, die Rolle der Identifikation in diesem Prozess kann jedoch nicht abschließend bewertet werden. Studien, die eine höhere über Statistiken über den von aus, dass Anekdoten ten, wie z.B. Statistiken,

Überzeugungswirkung von Anekdoten gegenProzess der Identifikation erklären, gehen daim Vergleich zu nicht-anekdotischen Botschafdie Identifikation fördern (Reinard, 1988; De

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Graaf et al., 2012). Die empirischen Befunde hierzu sind jedoch nicht eindeutig. Beispielsweise konnten Slater und Kollegen (2003) keinen Unterschied im Ausmaß der Identifikation zwischen anekdotischen und nicht-anekdotischen Botschaften feststellen. Neben der Identifikation postuliert das E-ELM (Slater & Rouner 2002) das Konzept der sogenannten „Transportation“ als zentralen Wirkmechanismus von Anekdoten. Das Konzept der Transportation geht auf die Arbeit von Green und Brock (2000) zurück. Die Autoren beschreiben Transportation als einen situativen mentalen Zustand, bei dem alle mentalen Systeme und Ressourcen auf die Geschehnisse in einer Erzählung fokussiert sind. Individuen tauchen in eine Geschichte ein und verlieren dadurch vorübergehend den Bezug zur Realität (Green & Brock, 2000, S.701f.). Transportation umfasst demnach drei Komponenten: die bildliche Vorstellung der erzählten Geschehnisse, eine emotionale Reaktion auf diese Geschehnisse und die fokussierte Aufmerksamkeit auf das Erzählte (Appel et al., 2015; Green & Brock, 2000). Ein höherer Grad an Transportation, d.h. das sich Verlieren in einer Geschichte, begünstigt die Überzeugungswirkung von Anekdoten über verschiedene Wirkmechanismen. Bisherige Studien zeigen, dass Personen mit zunehmender Transportation verstärkt mit der Geschichte konsistente Überzeugungen bilden (Green & Brock, 2000; Green, 2006; Zwarun & Hall, 2012), unabhängig davon, ob es sich um eine wahre oder fiktive Geschichte handelt (Green & Brock, 2000). Zudem werden die Protagonisten bezüglich ihrer Eigenschaften positiver bewertet (Green & Brock, 2000) und mehr gemocht („Liking“; Green & Clark, 2013). Eine starke Transportation reduziert zudem kritisches Denken (Escalas, 2004); in eine Geschichte hineinversetzte Personen achten weniger auf Fehler (Green & Brock, 2000) und bilden weniger Gegenargumente (Green, 2006; Green & Clark, 2013). Zudem scheint eine stärkere Transportation emotionale Reaktionen auf das Erzählte zu verstärken (Escalas, 2004; Dunlop et al., 2010; Green & Clark, 2013), Einstellungen im Sinne des Narratives zu beeinflussen (Escalas, 2004; Green, 2006; Murphy et al., 2013) und die Verhaltensabsicht zu steigern (Dunlop et al., 2010; Green,

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2006; Murphy et al., 2011, 2013). Im Kontext des Sozialmarketings konnte Johnson (2012) zeigen, dass eine stärkere Transportation mehr Empathie hervorruft und prosoziales Verhalten fördert. Zudem geht Green (2006) davon aus, dass ein stärkeres Maß an Transportation die mentale Simulation von unbekannten, schwierigen oder angsteinflößenden medizinischen Prozeduren, wie z.B. Krebsscreenings, erleichtert. Im Kontext der Risikokommunikation (z.B. Gefahren des Rauchens, Hautkrebsprävention) zeigen Dunlop und Kollegen (2010) u.a., dass Personen, die mehr Transportation erfahren, Anekdoten stärker auf sich selbst beziehen („self-referencing“). Dieser Selbstbezug erhöht die eigene Risikowahrnehmung, was wiederum die Absicht, Schutzverhalten zu ergreifen positiv beeinflusst (Dunlop et al, 2010, Studie 2). Neben diesen positiven Effekten der Transportation auf die Überzeugungswirkung berichten einzelne Studien auch von negativen Effekten. Beispielsweise berichten Moyer-Gusé und Nabi (2010) in ihrer Studie zu negativen Konsequenzen ungeplanter Schwangerschaften bei Jugendlichen, dass ein hohes Maß an Transportation in einen dramatischen Narrativ zu einer vermehrten statt einer verringerten Bildung von Gegenargumenten führt. Im Kontext des Glückspiels berichten McFerran und Kollegen (2010), dass Personen, die von ihrem persönlichen Glück überzeugt sind, eine stärkere Motivation aufweisen, sich in Geschichten zu verlieren. Diese hohe Transportation wiederrum führe dazu, dass diese Personen sich stärker auf das potenziell positive Ergebnis ihres Glücksspiels fokussierten und weniger auf die Wahrscheinlichkeit i.S. der niedrigen Gewinnwahrscheinlichkeit (McFerran et al., 2010). Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass Transportation an sich nicht ausschließlich zu positiven Effekten im Sinne des Kommunikationsziels führt. Zahlreiche weitere Forschungsarbeiten beschäftigen sich damit, welche Faktoren das Ausmaß an Transportation beeinflussen. Basierend auf einer Meta-Analyse stellen Van Laer und Kollegen (2013) das „Extended Transportation Imagery Model“ (ETIM) vor, welches neben den Wirkungen von Transportation auch Determinanten berücksichtigt. Abbildung

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5 zeigt das ETIM mit seinen Komponenten. Neuere Arbeiten in diesem Forschungsgebiet konzentrieren sich vor allem auf die Identifikation weiterer Einflussfaktoren auf die Transportation, d.h. weitere Eigenschaften des Narratives [z.B. Ähnlichkeit der Protagonisten zu den Rezipienten (Van den Hende et al., 2012), Art der dargestellten Konsequenz und Rolle der erzählenden Person (Banerjee & Greene, 2013), Argumentstärke (Gnambs et al., 2014)], weitere Eigenschaften des Rezipienten [z.B. Need for Affect (Appel & Richter, 2010; Thompson & Haddock, 2012), Selbstkontrolle (Johnson et al., 2015), Gefühl persönlich Glück im Spiel zu haben (McFerran et al., 2010), Need for Cognition (Thompson & Haddock, 2012), wahrgenommener Regulatory Fit (Vaugh et al., 2009)] und vereinzelt äußeren Bedingungen [z.B. Ablenkung (Zwarun & Hall, 2012)].

Abbildung 5

Extended Transportation Imagery Model (in Anlehnung an Van Laer et.al., 2013)

Neben der „Transportation“ betrachtet das E-ELM (Slater & Rouner, 2002) das „Narrative Engagement“ als mögliches Konzept zur Beschreibung der Absorption in eine Geschichte. Dieses Konzept weist starke Ähnlichkeiten mit dem der Transportation auf und wird in der Literatur teilweise synonym für Transportation verwendet (Bussele & Bilandzic, 2008). Bussele & Bilandzic (2009) beschreiben die folgenden Komponenten von Narrative Engagement: 1. Narratives Verständnis („narrative understanding“), d.h. das Ausmaß, in dem Individuen das Erzählte als

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nicht schwer verständlich empfinden; 2. Aufmerksamer Fokus auf das Erzählte („attentional focus“), d.h. das Ausmaß, in dem sich Individuen keinerlei Ablenkung bewusst sind; 3. Emotionale Beteiligung („emotional engagement“), d.h. das Ausmaß, in dem Individuen mit den Protagonisten der Geschichte mitfühlen; 4. Präsenz des Erzählten („narrative presence“), d.h. das Ausmaß, in dem Individuen einen Verlust des Realitätsbezugs und ein Eintauchen in das Erzählte wahrnehmen. Beide Konzepte - Transportation und Narrative Engagement - beschreiben den mentalen Zustand von Individuen, die in eine erzählte Welt eintauchen. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Transportation und Narrative Engagement nicht den gleichen Sachverhalt widerspiegeln. Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Quintero Johnson und Sangalang (2017) weist darauf hin, dass Transportation und Narrative Engagement unterschiedliche kognitive und affektive Prozesse beeinflussen. Zwar bestätigen die Autoren bisherige Erkenntnisse, wonach sowohl Transportation als auch Narrative Engagement die Überzeugungen, Einstellungen und die Verhaltensabsicht von Personen beeinflusst, dies geschieht den Autoren zufolge jedoch über unterschiedliche Wirkmechanismen. Quintero Johnson und Sangalang (2017) zeigen, dass ein höheres Maß an Transportation zu mehr Freude am Erzählten und einer höheren wahrgenommenen persönlichen Relevanz des Themas führt, während ein höheres Maß an Narrative Engagement zwar ebenfalls einen positiven Effekt auf die empfundene Freude aufweist, zudem jedoch auch die Reaktanz gegenüber den Empfehlungen in der Geschichte reduziert (Quintero Johnson & Sangalang, 2017). Eine Annahme des E-ELM (Slater & Rouner, 2002) ist ein positiver Einfluss der Transportation und des Narrative Engagement auf die Identifikation. Zunächst kann festgestellt werden, dass es sich bei dem Konzept der Identifikation nicht um einen Teil der Transportation handelt, sondern vielmehr um ein eigenständiges Konstrukt. Beispielweise zeigen Tal-Or und Cohen (2010), dass die Valenz einer Botschaft zwar das Ausmaß an Identifikation beeinflusst, nicht jedoch das Ausmaß an Transportation. Ähnlich zeigen Sestir und Green (2010), dass eine starke Identifikation mit dem Protagonisten, nicht jedoch das Maß an Transpor-

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tation, Einfluss auf das Selbst-Konzept der Rezipienten hat. Diese Befunde, die zeigen, dass beide Konstrukte unterschiedliche Determinanten und Konsequenzen haben, bekräftigen die von Slater und Rouner (2002) angenommene Unterscheidung. Der postulierte Einfluss der Transportation bzw. des Narrative Engagements auf die Identifikation wird von verschiedenen Arbeiten bestätigt (z. B. Green & Clark, 2013). Jedoch weisen andere Arbeiten auf eine gegenteilige Wirkrichtung hin, nämlich einen Einfluss der Identifikation auf die Absorption, d.h. je stärker Personen sich mit einem Protagonisten identifizieren können, desto mehr erleben sie eine „Transportation“ in die Anekdote (Moyer-Gusé & Nabi, 2010; Murphy et al., 2011; Van den Hende et al., 2012; Van Laer & De Ruyter, 2010), und desto stärker fällt das von den Probanden berichtete „Narrative Engagement“ aus (So & Shen, 2016). Der genaue Ursache-WirkungsZusammenhang zwischen den betrachteten Größen ist demnach in der Literatur umstritten. Zahlreiche neuere Forschungsarbeiten ziehen das E-ELM bzw. die zentralen Wirkmechanismen Transportation bzw. Narrative Engagement zur Beurteilung der Wirkung von Anekdoten heran (z.B. Banerjee & Greene, 2012, 2013; De Graaf, 2014; Frank et al., 2015; Nabi & Green, 2015; Moyer-Gusé & Nabi, 2010; Kim et al., 2012; Van Leeuwen et al., 2016). Die empirische Beweislage lässt vermuten, dass die Absorption in die Geschichte einen zentralen Aspekt darstellt, warum Anekdoten wirken können. Das Konzept der Transportation wird vereinzelt auch zur Erklärung der vergleichenden Wirkung von Anekdoten und Statistik herangezogen (z.B. Nan et. al., 2015; Murphy et al., 2013), ebenso das verwandte Konzept des Narrative Engagements (Kim et al., 2012). Dabei wird davon ausgegangen, dass anekdotische im Vergleich zu nichtanekdotischen Botschaften, wie z.B. Statistiken, zu einer höheren Transportation führen (Murphy et al., 2013). Dieser Ansatz ist jedoch kritisch zu betrachten: Auch wenn Anekdoten nachweislich über diesen Mechanismus eine Überzeugungswirkung entfalten können, so könnten Statistiken über andere Mechanismen überzeugen (z.B. Informationsgehalt, Glaubwürdigkeit, siehe Abschnitt 2.2.3.). Die persuasiven Effekte von Statistiken könnten den persuasiven Effekt durch eine Absorption in eine Anek-

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dote aus theoretischer Sicht auch übersteigen. Nötig wäre hier ein Effektvergleich. Als theoretische Basis für den Vergleich von Anekdoten und Statistiken scheint das E-ELM demnach eher ungeeignet. Des Weiteren weisen Green und Brock (2000) darauf hin, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass Personen im Kontext von persuasiven Botschaften - deren beeinflussende Absicht offensichtlich ist - in die dort erzählten Geschichten eintauchen (Green & Brock, 2000, S.702). Nur vereinzelte Arbeiten zeigen, dass das Konzept der Transportation einen Erklärungsbeitrag zur Wirkung anekdotisch gestalteter Printanzeigen von Produktwerbung liefert (Escalas, 2004, 2007; Phillips & McQuarrie, 2010), deren Beeinflussungsabsicht offensichtlich sein sollte. Im Kontext der vorliegenden Arbeit - Botschaften des Sozialmarketings, deren Beeinflussungsabsicht ebenfalls offensichtlich sein sollte - erscheint der Erklärungsbeitrag der Transportation-Theorie daher mutmaßlich wenig geeignet. Insgesamt liefert die Literatur zahlreiche Ansätze, die die Wirkung anekdotischer Botschaft aus theoretischer Sicht erklären (z.B. Basisratenfehler, Verfügbarkeitsheuristik, Repräsentativitätsheuristik, Vividness, ELM, E-ELM, ETIM). Angesichts des bisherigen Forschungsstands kann unzweifelhaft davon ausgegangen werden, dass Anekdoten in der persuasiven Kommunikation überzeugend sein können. Betrachtet man die vorgestellten Erklärungsansätze dafür, so beruhen diese implizit oder explizit auf der Annahme, dass Anekdoten konkrete, anschauliche Informationen darstellen, die bei der Informationsverarbeitung eher geistige Prozesse auslösen, die letztlich mit einer bildlichen Vorstellung des Erzählten in Zusammenhang stehen. 2.2.3 Bisherige Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung statistischer Botschaften Aus theoretischer Sicht gibt es verschiedene Ansätze, die eine persuasive Wirkung von Statistiken nahelegen. Statistische Botschaften beinhalten objektive Informationen über eine bestimmte Population, z.B. Unfallstatistiken oder Erkrankungs- und Sterberaten (vgl. Abschnitt 2.1). Autoren, die von einer persuasiven Überlegenheit von statistischen gegenüber anekdotischen Botschaften ausgehen, stützen sich auf diese Eigen-

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schaft von Statistiken. Beispielsweise gehen Greene und Brinn (2003) davon aus, dass die Überzeugungskraft von Statistiken maßgeblich durch deren hohen Informationsgehalt entsteht, der verglichen mit Anekdoten deutlich höher sei (Greene & Brinn, 2003). Die Autorinnen vergleichen in ihrer Studie die Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften zum Thema Hautkrebsrisiko durch die Nutzung von Solarien. Die Ergebnisse von Greene und Brinn (2003) zeigen einen höheren wahrgenommenen Informationsgehalt von statistischen Botschaften gegenüber anekdotischen Botschaften. Zudem führten statistische Botschaften zu einer stärkeren Verringerung der Solariennutzung, welche mit einem Vergleich der Nutzungshäufigkeit zum Zeitpunkt der Befragung und zu einem späteren Zeitpunkt in einer Follow-Up Befragung ermittelt wurde (Greene & Brinn, 2003). Auf den höheren Informationsgehalt von Statistiken bezieht sich auch der Erklärungsansatz von Kopfman und Kollegen (1998). Diese Autoren gehen davon aus, dass Anekdoten als rein emotionale Information lediglich affektive Reaktionen auslösen, wohingegen Statistiken sowohl affektive als auch kognitive Prozesse zur Folge haben (Kopfman et al., 1998). Durch die Beteiligung sowohl kognitiver als auch affektiver Prozesse sei die Überzeugungskraft von Statistiken gegenüber Anekdoten demnach höher (Kopfman et al., 1998). Die Argumentation von Kopfman und Kollegen (1998) beruht auf dem Heuristic Systematic-Model (HSM) (Chaiken, 1980). Ähnlich wie beim ELM werden im HSM zwei Wege der Informationsverarbeitung postuliert. Werden Informationen als wichtig oder persönlich relevant wahrgenommen, werden die Informationen systematisch und aufwendig verarbeitet; bei geringem Involvement dagegen erfolgt eine oberflächlichere, auf Emotionen und Heuristiken basierende, wenig kognitive Informationsverarbeitung (Chaiken, 1980). Im Gegensatz zum ELM wird angenommen, dass beide Informationsverarbeitungsprozesse auch gleichzeitig auftreten können. Bezogen auf die persuasive Wirkung von statistischen Botschaften gehen Kopfman und Kollegen (1998) von eben diesem gleichzeitigen Auftreten der Informationsverarbeitungsprozesse aus und leiten daraus einen persuasiven Vorteil statistischer Botschaften ab. Kopfman und Kollegen verwenden in ihrer Studie

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

im Kontext von Organspenden ein „within-subjects design“, d.h. alle Probanden lasen und bewerteten in dieser Studie sowohl eine statistische als auch eine anekdotische Botschaft. Die Autoren messen dabei sowohl kognitive als auch affektive Reaktionen u.a. durch offene Angaben der Probanden. Die letztliche Wirksamkeit der beiden Botschaften erfragen diese Autoren nicht in Form einer Verhaltensabsicht, sondern direkt als wahrgenommene Effektivität der Botschaft (z.B. „I felt the message was effective“). Ein weiterer Erklärungsansatz basierend auf dem HSM stammt von Dardis und Shen (2008). Diese Autoren begründen die persuasive Wirkung von statistischen Botschaften damit, dass der Informationsgehalt einer Botschaft selbst – der bei Statistiken besonders hoch ist – die Art an geistiger Verarbeitung beeinflussen kann. Stichhaltige und eindeutige Information (z.B. Wahrscheinlichkeiten) würden automatisch zu einer systematischen Informationsverarbeitung führen und so eine Überzeugungswirkung entfalten (Dardis & Shen 2008, S.225). Nicht stichhaltige und uneindeutige Informationen können dagegen zu einer gleichzeitigen systematischen als auch heuristischen Informationsverarbeitung führen, solange das Involvement der Botschaftsempfänger hoch sei (Dardis & Shen, 2008, S.225). In diesem Fall sei jedoch ein deutlich höheres Involvement nötig, um die Botschaft systematisch zu verarbeiten (Dardis & Shen, 2008, S.225). Die persuasive Wirkung von statistischen Botschaften lässt sich zudem aus den bereits im vorherigen Abschnitt dargestellten Theorien ableiten. Beispielsweise wird der Basisratenfehler zwar häufig als Beleg für eine persuasive Überlegenheit von anekdotischen gegenüber statistischen Botschaften herangezogen (z.B. Brosius & Bathelt, 1994), dennoch weist die Forschung zum Basisratenfehler auf Bedingungen hin, unter denen Basisraten, wie sie in statistischen Botschaften kommuniziert werden, für eine Urteilsbildung herangezogen werden (siehe Aijzen, 1977; Bar-Hillel, 1980; Ginosar & Trope, 1980). Basisraten beeinflussen demnach die Urteilsbildung, wenn sie eine kausale Implikation haben (Ajzen, 1977), als persönlich relevant (Bar-Hillel, 1980) und als prognosetauglich bezüg-

Theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung

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lich der eigenen Person wahrgenommen werden (Ginosar & Trope, 1980). Unter diesen Bedingungen sollten statistische Botschaften demnach mindestens ebenso überzeugend oder überzeugender sein im Vergleich verglichen mit anekdotischen Botschaften. Unklar bleibt jedoch, wann Statistiken beispielsweise als persönlich relevanter oder prognosetauglicher als anekdotische Botschaften wahrgenommen werden. Betrachtet man die beiden Botschaftstypen auf Basis des ELM (siehe Abschnitt 2.2.2), so können statistische Botschaften als starke Argumente und anekdotische Botschaften als schwache Argumente angesehen werden (siehe auch Slater & Rouner, 1996). Nach den Annahmen des ELM sind starke Argumente dann für eine Überzeugungswirkung von Botschaften entscheidend, wenn die Botschaftsempfänger die Fähigkeit und Motivation haben, die Botschaft zu verarbeiten (Petty & Cacioppo, 1986). Werden Individuen mit dieser hohen Motivation zur Informationsverarbeitung mit schwachen Argumenten konfrontiert, so kann keine dauerhafte Einstellungsänderung durch die Botschaft erreicht werden, da die Botschaftsempfänger beispielsweise Gegenargumente bilden (Petty & Cacioppo, 1986). Für den Vergleich der persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken würde dies bedeuten, dass Statistiken bei einer hohen Motivation und den entsprechenden Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung Anekdoten überlegen sein könnten. Es sei an dieser Stelle jedoch darauf verwiesen, dass es in der bisherigen Forschung auch die Ansicht gibt, dass der Botschaftstyp selbst die Motivation zur Informationsverarbeitung beeinflussen kann (vgl. Abschnitt 2.2.2). Eine eindeutige Aussage zur Wirkung von Anekdoten und Statistiken scheint auf Basis dieses Modells daher nicht möglich. Eine ähnliche Sichtweise auf die persuasive Wirkung von statistischen im Vergleich zu anekdotischen Botschaften ergibt sich aus der RessourceMatching-Hypothese (siehe Abschnitt 2.2.2). Demnach sind nichtlebhafte Informationen, wie beispielsweise Statistiken, umso überzeugender im Vergleich zu lebhaften Informationen, wie etwa Anekdoten, je mehr kognitive Ressourcen zur Informationsverarbeitung bereitstehen (Keller & Block, 1997). Nach Keller und Block (1997) können nicht-

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

lebhafte Informationen bei hoher Allokation geistiger Ressourcen lebhaften Informationen überlegen sein. Entscheidend ist den Autoren zufolge, wie viele kognitive Ressourcen zur Informationsverarbeitung benötigt werden. Werden lebhafte Informationen derart gestaltet, dass sie gemessen an der Anzahl der Wörter umfangreicher und detaillierter sind als nicht-lebhafte Informationen und somit mehr geistige Ressourcen zur Verarbeitung erfordern als eine kurze, prägnante, aber nicht-lebhafte Information, so ist der gegenteilige Effekt zu erwarten (Keller & Block, 1997). Das bedeutet, dass nicht-lebhafte Informationen auch bei niedriger geistiger Ressourcenallokation lebhaften Informationen in ihrer persuasiven Wirkung überlegen sein können, falls durch die Gestaltung vergleichsweise weniger geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung benötigt werden. (Keller & Block, 1997). Im Vergleich zu anekdotischen Botschaften existieren nur wenige theoretische Erklärungsansätze für die persuasive Wirkung von statistischen Botschaften. Deutlich häufiger wird in der Literatur auf den normativen Aspekt verwiesen, dass Statistiken aufgrund ihrer Eigenschaft als objektive Zusammenfassung repräsentativer Fälle grundsätzlich überzeugend sein sollten (z.B. “From a normative point of view, statistical evidence that comprises a sufficiently large sample of representative instances, should be more convincing than anecdotal evidence […]”, Hoeken, 2001, S.421). Die dargestellten theoretischen Ansätze, warum Statistiken überzeugen können, basieren im Wesentlichen darauf, dass die Informationsverarbeitung von Statistiken eher kognitiv und systematisch, d.h. analytischer abläuft. 2.3

Bisherige empirische Studien zur Wirksamkeit anekdotischer und statistischer Botschaften

Aus theoretischer Sicht lassen sich sowohl Begründungen für die Überlegenheit von Statistiken als auch von Anekdoten finden. Um Empfehlungen ableiten zu können, welcher der beiden Botschaftstypen in Sozialmarketingkampagnen eingesetzt werden sollte, ist eine vergleichende Betrachtung der Wirksamkeit anekdotischer und statistischer Botschaften

Bisherige empirische Studien zur Wirksamkeit

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notwendig. Dieser Vergleich ist Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten, die jedoch kontroverse Ergebnisse hervorgebracht haben (für bisherige zusammenfassende Arbeiten dazu siehe Allen & Preiss, 1997; Hornikx, 2005; Reinard, 1988; Taylor &Thompson, 1982; Winterbottom et al., 2008; Zebregs, van den Putte, Neijens & de Graaf, 2015). Der nachfolgende Abschnitt gibt einen Überblick über bisherige empirische Studien, die die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften vergleichen, sowie bisher untersuchte moderierende Einflussfaktoren untersuchen. 2.3.1 Studien zum Vergleich der persuasiven Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften Bis auf wenige Ausnahmen (Allen et al., 2000; Brosius & Bathelt, 1994; Dardis & Shen, 2008; Dickson, 1982; Hong & Park, 2012; Hornikx, 2008; Koballa; 1986) wurde die Wirksamkeit von Anekdoten und Statistiken vorwiegend anhand von Botschaften im Sozialmarketing verglichen, z.B. im Kontext Gesundheit (z.B. Cody & Lee, 1990; Cox & Cox, 2001; De Wit et al., 2008; Kim et al., 2012; Limon & Kazoleas, 2004; Nan et. al., 2015; Slater & Rouner, 1996; Wilson et al., 2005; Yu et al., 2010), Spenden (z.B. Kopfman et al., 1998; Uribe et al., 2013), oder anderen gesellschaftlichen Themen, wie der Vermeidung von Jugendkriminalität (Baesler & Burgoon, 1994). Die bisherige Studienlage zur Frage, welcher der beiden Botschaftstypen wirksamer ist, ist nicht eindeutig. Auf Basis der jeweiligen Ergebnisse gehen einige Autoren von einer persuasiven Überlegenheit von Anekdoten gegenüber Statistiken aus (z.B. Brosius & Bathelt, 1994; Cody & Lee, 1990; De Wit et al., 2008; Dickson, 1982; Greene et al., 2010; Hastall & Knobloch-Westerwick, 2013; Kazoleas, 1993; Kim et al., 2012; Koballa, 1986; Limon & Kazoleas, 2004; Mazor et al., 2007; Rook, 1986; Rook, 1987; Uribe et al., 2013; Wilson et al., 2005). Ebenso häufig finden sich Studien, die zu einem gegenteiligen Schluss kommen, nämlich eine Überlegenheit von Statistiken gegenüber Anekdoten (z.B. Allen et al., 2000; Baesler & Burgoon, 1994; Dardis & Shen, 2008; Greene & Brinn, 2003; Hoeken, 2001; Hoeken & Hustnix, 2009; Hong & Park, 2012; Hor-

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

nikx, 2008; Kopfman et al., 1998; Yu et al., 2010). Des Weiteren existiert die Sichtweise, Anekdoten und Statistiken seien grundsätzlich gleichermaßen überzeugend (Gray & Harrington, 2011; Nan et al., 2015). Diese unterschiedlichen Bewertungen der persuasiven Wirkung von Anekdoten im Vergleich zu Statistiken beziehen sich nicht auf die Untersuchung unterschiedlicher abhängiger Variablen. Vielmehr zeigt eine genauere Betrachtung der bisherigen empirischen Studien, dass zahlreiche Studien bei der Untersuchung derselben abhängigen Größe zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. 3 Beispielsweise berichten Cody und Lee (1990), De Wit und Vet (2008) sowie Uribe und Kollegen (2013) einen stärkeren positiven Effekt von Anekdoten auf die Verhaltensabsicht, während Dardis und Shen (2008) oder Yu und Kollegen (2010, S. 696) einen stärkeren Effekt von Statistiken auf diese berichten. Cody und Lee (1990) vergleichen die Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften im Kontext von Hautkrebsrisiken. Die Ergebnisse einer Follow-Up-Befragung 10 Wochen nach Konfrontation mit der jeweiligen Botschaft zeigen eine signifikant höhere Absicht, die Haut vor Sonneneinstrahlung zu schützen, wenn die Probanden einer anekdotischen statt einer statistischen Botschaft ausgesetzt waren. Yu und Kollegen (2010) testen die Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften im Kontext des Risikos für das Fetale Alkoholsyndrom (FASD). Studentinnen, die einer statistischen statt einer anekdotischen Botschaft ausgesetzt waren, zeigten dabei im Mittel eine höhere Absicht, im Falle einer Schwangerschaft Schädigungen des ungeborenen Kindes durch Alkohol zu vermeiden. 4

3

Einen Überblick über die hier diskutierten Größen zur Beurteilung der persuasiven Wirkung von Botschaften gibt Abschnitt 2.2.1.

4

Yu et al. (2010) untersuchen zusätzlich positives und negatives Framing einer Botschaft. Die Vorteilhaftigkeit von Statistiken gegenüber Anekdoten in dieser Studie ergibt sich aus den berichteten Mittelwerten unabhängig vom Framing (siehe Yu et al., 2010, S. 696)

Bisherige empirische Studien zur Wirksamkeit

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Zahlreiche Studien berichten keinen Unterschied in der Verhaltensabsicht zwischen den beiden Botschaftstypen (z.B. Gray & Harrington, 2011; Greene & Brinn, 2003; Mazor et al., 2007; Nan et al., 2015; Zhang et al., 2014). Bezüglich der Bildung botschaftskonsistenter Einstellungen der Botschaftsempfänger werden in der Literatur ebenfalls widersprüchliche Ergebnisse berichtet. Es existieren sowohl empirische Studien, die eine durch Anekdoten ausgelöste stärkere botschaftskonsistente Einstellung berichten (z.B. Rook, 1987, Studie 1 & 2), als auch Studien die diese Wirkung bei Statistiken feststellen (z.B. Allen et al., 2000). Weitere Studien berichten keinen Unterschied zwischen Anekdoten und Statistiken bezüglich ihres Einflusses auf die Einstellung der Botschaftsempfänger (z.B. Gray & Harrington, 2011; Hong & Park, 2012; Limon & Kazoleas, 2004; Wilson et al., 2005; Zhang et al., 2014). Auch bei der Untersuchung von Überzeugungen als abhängige Größe sind die bisherigen empirischen Ergebnisse nicht eindeutig. Beispielweise berichten Brosius und Bathelt (1994) von einer stärkeren Beeinflussung der Überzeugungen der Botschaftsempfänger durch Anekdoten im Vergleich zu Statistiken (siehe auch z.B. Mazor et al., 2007), während Baesler und Burgoon (1994) zum gegenteiligen Ergebnis gelangen (siehe auch z.B. Hornikx, 2008). Inkonsistente Ergebnisse finden sich des Weiteren bei der Betrachtung für die Risikokommunikation spezifischer Überzeugungen, wie der wahrgenommenen Schwere (z.B. De Wit et al., 2008; Greene et al., 2010) oder der wahrgenommenen Anfälligkeit (z.B. De Wit et al., 2008; Greene et al., 2010; Greene & Brinn, 2003; Rook, 1986). De Wit und Kollegen (2008) vergleichen in ihrer Studie die Wirkung von Anekdoten und Statistiken im Kontext des Risikos einer Hepatitis B-Infektion unter homosexuellen Männern. Anekdotische Botschaften führten hier zu einer höheren wahrgenommenen Anfälligkeit, statistische Botschaften zu einer höheren wahrgenommenen Schwere einer Infektion (De Wit et al., 2008). Greene und Kollegen (2010) berichten dagegen im Kontext von Hautkrebsrisiken durch Solarien eine höhere wahrgenommene Schwere der Erkrankung bei Konfrontation mit einer

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

anekdotischen Botschaft, allerdings keinen Unterschied in der wahrgenommenen Anfälligkeit zwischen den Botschaftstypen. Ebenfalls im Kontext von Hautkrebsrisiken berichten Greene und Brinn (2013) eine höhere wahrgenommeine Anfälligkeit für Hautkrebs, nachdem die Probanden eine statistische Botschaft statt einer anekdotischen Botschaft gelesen hatten. Neben den genannten abhängigen Größen finden sich in der Literatur zudem Unterschiede in Hinblick auf die emotionale Reaktion der Botschaftsempfänger und den Recall, also die Erinnerung von Botschaftsinhalten. Beispielsweise zeigen die Ergebnisse von Cox und Cox (2001) sowie von Uribe et al. (2013, Studie 1) eine stärkere emotionale Reaktion der Botschaftsempfänger auf Anekdoten im Vergleich zu Statistiken. Cox und Cox (2001) erfassen die emotionale Reaktion dabei als Teil des Konzepts „Emotional Involvement“ (z.B. „I felt strong emotions while reading the ad.“) Das Emotional Involvement von Frauen, die eine anekdotische statt einer statistischen Botschaft gesehen haben, welche eine regelmäßige Mammographie empfiehlt, war dabei signifikant höher (Cox & Cox, 2001). Auch in der Studie von Uribe und Kollegen (2013) im Kontext von Organspenden führen Anekdoten zu einer stärkeren emotionalen Reaktion als Statistiken. Die emotionale Reaktion wurde hier über die Stärke der emotionalen Erregung („Arousal“) gemessen. In der Studie von Rook (1987) zeigt sich dieser Unterschied zwischen Anekdoten und Statistiken bezüglich einer emotionalen Reaktion jedoch nicht (Rook 1987, Studie 2). Gleiches betrifft den Recall. Die Ergebnisse mancher Autoren, die einen höheren Recall von anekdotischen Botschaften zeigen (z.B. Dickson, 1982; Kazoleas, 1993), werden nicht grundsätzlich bestätigt (z.B. Rook, 1986). Nur wenige bisherige Arbeiten widmen sich der Zusammenführung des offenbar widersprüchlichen empirischen Ergebnisses zum Vergleich der persuasiven Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften in Form von Review-Artikeln (Hornikx, 2005; Reinard, 1988; Taylor &Thompson, 1982; Winterbottom et al., 2008) oder Meta-Analysen (Allen & Preiss, 1997; Zebregs, van den Putte, Neijens & de Graaf, 2015). Eine abschlie-

Bisherige empirische Studien zur Wirksamkeit

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ßende Bewertung lassen aber auch diese Arbeiten nicht zu, da sie ebenfalls sich widersprechende Positionen vertreten, was nicht zuletzt an der jeweiligen Studienauswahl der Autoren liegen kann. Eine differenziertere Sichtweise auf die bisherigen Studienergebnisse nehmen Zebregs, van den Putte, Neijens und de Graaf (2015) in ihrer Meta-Analyse ein. Die Autoren gehen auf Basis der Ergebnisse ihrer Meta-Analyse davon aus, dass die Überlegenheit eines Botschaftstyps auf die untersuchten abhängigen Größen zurückzuführen sein könnte. Den Autoren zufolge sind Anekdoten wirksamer in Hinblick auf eine Steigerung der Verhaltensabsicht der Botschaftsempfänger, Statistiken hingegen beeinflussen stärker deren Einstellungen und Überzeugungen (Zebregs et al., 2015). Die Autoren begründen diese Ergebnisse damit, dass Statistiken ebenso wie Einstellungen und Überzeugungen vorwiegend kognitive Prozesse, Anekdoten und Verhaltensabsichten dagegen besonders affektive Prozesse betreffen (Zebregs et al., 2015, S. 283 f.). Die Ergebnisse dieser Meta-Analyse sind jedoch kritisch zu betrachten. Die Studienergebnisse beziehen sich auf insgesamt lediglich 15 Studien, wovon neun Überzeugungen als abhängige Größe berichten, lediglich fünf Einstellungen und sieben Studien Verhaltensabsichten (vgl. Zebregs et al., 2015, S. 284). Zudem sind die berichteten Zusammenhänge zwischen Botschaftstyp und Einstellungen, sowie zwischen Botschaftstyp und Verhaltensabsicht nur marginal signifikant, wie die Autoren anmerken (vgl. Zebregs et al., 2015, S. 286). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die berichteten Ergebnisse maßgeblich durch die Auswahl der zugrunde gelegten Studien ergeben. Beispielsweise wurden einige Studien, die die Überlegenheit von Anekdoten bei Einstellungen zeigen, nicht berücksichtigt (z.B. Brosius & Bathelt, 1994; Rook, 1986; Rook, 1987; Slater & Rouner, 1996). Umgekehrt bleiben auch einige Studien unberücksichtigt, die die Überlegenheit von Statistiken bei der Beeinflussung von Verhaltensabsichten nahelegen (z.B. Dardis & Shen, 2008). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der direkte Vergleich der Wirksamkeit von Anekdoten und Statistiken keine eindeutige Empfehlung für das Sozialmarketing zulässt. Es ist davon auszugehen, dass weder Anekdoten noch Statistiken grundsätzlich eine überlegene Wirkung auf-

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

weisen. Stattdessen ist es wahrscheinlich, dass die jeweiligen Botschaftstypen unter bestimmten Bedingungen gegenüber dem anderen Botschaftstyp eine stärkere Überzeugungswirkung aufweisen (siehe auch O’Keefe, 2002, S.229). Nur wenige empirische Studien gehen bisher potentiellen moderierenden Einflussfaktoren nach. Diese werden im folgenden Abschnitt näher erläutert. 2.3.2 Studien zu möglichen Bedingungen für die Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften Die bisher untersuchten moderierenden Effekte auf die Wirksamkeit von anekdotischen und statistischen Botschaften lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Eigenschaften der Botschaftsempfänger, die die Wirksamkeit beeinflussen, und Eigenschaften der Ausgestaltung der jeweiligen Botschaften. Bisher untersuchte moderierende Eigenschaften der Botschaftsempfänger sind das Involvement der Botschaftsempfänger (Rook, 1987; Dardis & Shen, 2008) und die Wertekongruenz (Slater & Rouner, 1996). Rook (1987, Studie 3) zeigt im Kontext von Botschaften zur Prävention von Osteoporose, dass anekdotische Botschaften besonders bei denjenigen Individuen überzeugend wirken, die sich bisher nur wenige Sorgen über Osteoporose gemacht hatten. Anekdoten waren demnach überzeugender als Statistiken, wenn die persönliche Relevanz der Botschaft eher gering wahrgenommen wurde. Dardis und Shen (2008) dagegen finden unabhängig vom Involvement eine persuasive Überlegenheit von negativen Statistiken gegenüber Anekdoten. Involvement in der Studie von Dardis und Shen (2008) wurde dabei über das Produktklasseninvolvement mit unterschiedlichen Produkten manipuliert (High-InvolvementProdukt: Aktenvernichter; Low-Involvement-Produkt: Mundwasser). An dieser Stelle sei zudem noch einmal auf die dargestellten Ergebnisse von Keller und Block (1997) verwiesen, wonach die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken von den verfügbaren geistigen Ressourcen zur Informationsverarbeitung des Botschaftsempfängers abhängen, die wiederum von der wahrgenommenen Relevanz einer Botschaft abhängen können (vgl. Abschnitt 2.2.2 und 2.2.3).

Bisherige empirische Studien zur Wirksamkeit

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Slater und Rouner (1996) untersuchen die Kongruenz der Botschaft mit den Werten der Zielperson als mögliche Wirkungsbedingung von Anekdoten und Statistiken. Die Autoren kommen auf Basis ihrer Studie zu dem Schluss, dass Statistiken überzeugender im Vergleich zu Anekdoten sind, sofern die Botschaft mit den Werten der Zielperson kongruent ist. Dagegen sind Anekdoten laut Slater und Rouner (1996) dann überzeugender, wenn es sich um eine wertinkongruente Botschaft handelt. In der Studie von Slater und Rouner (1996) im Kontext von Gefahren von Alkoholkonsum wird Wertekongruenz darüber abgebildet, inwieweit die Probanden Alkoholkonsum als normal und gesellschaftlich erwünscht bzw. akzeptiert einschätzen. Für Probanden, die Alkoholkonsum als Teil des alltäglichen gesellschaftlichen Lebens betrachten, stellt die Botschaft zu Gefahren von Alkohol eine werteinkongruente Botschaft dar, für Probanden, die diese Auffassung nicht teilen, eine wertekongruente. Vor dem Hintergrund der Studie von Rook (1987) können die Ergebnisse von Slater und Rouner (1996) so interpretiert werden, dass Personen, die Alkohol als normalen Teil des Lebens betrachten (d.h. die Botschaft war werteinkongruent), sich bisher auch wenig Sorgen um negative Folgen des Alkoholkonsums gemacht haben und die Botschaft damit bei Interpretation nach Rook (1987) weniger persönlich relevant wahrgenommen wurde. Nach Keller und Block (1997) wiederum führt diese gering wahrgenommene persönliche Relevanz zur Allokation nur weniger geistiger Ressourcen zur Informationsverarbeitung, was einen persuasiven Vorteil von konkreten, leicht zu verarbeitenden Informationen gegenüber abstrakten Informationen zur Folge hat. Die bisher untersuchten moderierenden Einflüsse von Eigenschaften der Botschaftsempfänger lassen sich damit im Kern darauf reduzieren, dass die wahrgenommene persönliche Relevanz einer Botschaft ausschlaggebend für die Wirkung von Anekdoten und Statistiken sein könnte. Studien zu gestalterischen Eigenschaften von Anekdoten und Statistiken, welche die persuasive Wirkung beeinflussen können, konzentrieren sich auf das Message Framing der jeweiligen Botschaft (Cox & Cox, 2001; Yu et al., 2010). Unter Message Framing wird in diesem Kontext verstanden,

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

ob der Botschaftsinhalt positiv oder negativ dargestellt ist. Bei einem positiven Framing werden die positiven Folgen, die durch das gewünschte Verhalten entstehen, in den Vordergrund gerückt, z.B. „Gesundheit durch regelmäßigen Sport“ oder „Leben retten durch Blutspende“ oder die Vermeidung von negativen Konsequenzen, z.B. das Vermeiden von Krebserkrankungen durch einen Rauchstopp oder die Reduktion des Unfallrisikos durch das Einhalten von Tempolimits. Ein negatives Framing von Botschaften im Sozialmarketing betont hingegen die negativen Konsequenzen, die der Zielperson drohen, wenn sie das gewünschte Verhalten nicht zeigt, z.B. „Diabetes und Herzkreislauferkrankungen bei mangelnder Bewegung“ oder „Ohne Spenden verhungern täglich Kinder“ (vgl. z.B. Lee & Aaker, 2004). Cox und Cox (2001) stellen dazu im Kontext von Mammografie-Kampagnen fest, dass negativ formulierte Anekdoten wirksamer sind als positiv formulierte. Yu und Kollegen (2010) replizieren dieses Ergebnis und zeigen zudem, dass positive Statistiken negativen Statistiken überlegen sind. Die genannten Studien lassen jedoch keine Aussage darüber zu, ob bei einem bestimmten Framing Anekdoten oder Statistiken einen persuasiven Vorteil gegenüber dem jeweils anderen Botschaftstyp haben. 2.4

Zusammenfassende Diskussion des Stands der Forschung und Ableitung eines alternativen theoretischen Rahmenkonzepts

Wie in diesem Kapitel dargestellt, existieren in der Literatur sowohl theoretische Ansätze zur Erklärung der persuasiven Wirkung von Anekdoten als auch von Statistiken. Zu den in der Literatur herangezogenen theoretischen Begründungen für die persuasive Wirkung von anekdotische Botschaften gehören die Repräsentativitätsheuristik, die Verfügbarkeitsheuristik, der Basisratenfehler, Vividness-Effekte, das ELM sowie das E-ELM und das ETIM. Dagegen wird die persuasive Wirkung von Statistiken weitgehend mit dem normativen Aspekt begründet, sie müssten aufgrund ihres Informationsgehalts und ihres repräsentativen Charakters überzeugen. Weitere Ansätze zur Erklärung für die Wirkung von statistischen Botschaften beruhen auf dem HSM. Wie in Abschnitt 2.2.3 dargestellt,

Zusammenfassende Diskussion des Stands der Forschung

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lässt sich eine persuasive Wirkung aber auch aus den für die Begründung zur Wirkung von Anekdoten herangezogenen theoretischen Ansätzen ableiten (z.B. Basisratenfehler, ELM). Ein zentraler Unterschied zwischen den Begründungen für die Wirkung von Anekdoten bzw. Statistiken besteht darin, dass Anekdoten im Kern über eine eher bildliche Informationsverarbeitung wirken, während Statistiken über eine eher systematische Informationsverarbeitung ihre persuasive Wirkung entfalten. Unbestritten können sowohl anekdotische als auch statistische Botschaften überzeugend wirken. Eine Vielzahl von Studien belegt einen positiven Effekt auf die Werbewirkung sowohl von Statistiken als auch von Anekdoten (siehe Abschnitt 2.3.1). Um praktische Empfehlungen für das Sozialmarketing ableiten zu können, ist es jedoch nötig zu wissen, wann Anekdoten und wann Statistiken das geeignetere Mittel sind, um Personen von gesellschaftlich wünschenswerten Verhaltensweisen zu überzeugen. Die empirische Studienlage zum Vergleich der beiden Botschaftstypen lässt aufgrund der teils widersprüchlichen Ergebnisse einen solchen Schluss nicht zu (vgl. Abschnitt 2.3). Diese widersprüchlichen Ergebnisse können zudem auch dahingehend interpretiert werden, dass keine der bisherigen theoretischen Erklärungen dazu geeignet ist, die vergleichende Wirkung von Anekdoten und Statistiken zuverlässig zu erklären. Von Bedeutung für eine zuverlässigere theoretische Basis wäre ein Aussagensystem dazu, unter welcher Bedingung eher die bildliche Informationsverarbeitung, über die Anekdoten zu wirken scheinen, und unter welcher Bedingung eher eine analytische Informationsverarbeitung, über die Statistiken mutmaßlich wirken, von Bedeutung für die persuasive Wirkung sind. Aus den bisher untersuchten Moderatoren zeichnet sich die wahrgenommene persönliche Relevanz einer Botschaft als eine solche Bedingung ab (vgl. Abschnitt 2.3.2). Bisherige Studien weisen darauf hin, dass bei einer geringen wahrgenommenen persönlichen Relevanz der Botschaft Anekdoten überzeugender sind als Statistiken (z.B. Keller & Block, 1997; Rook, 1987). Bei einer hohen wahrgenommenen persönlichen Relevanz der Botschaft kann aus der bisherigen Literatur kein eindeutiger persuasiver Vorteil eines der beiden Botschaftstypen abgeleitet

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

werden (z.B. Dardis & Shen, 2008; Rook, 1987, Studie 3; Slater & Rouner, 1996) Was bedeutet dabei persönliche Relevanz? In den wenigen bisherigen Forschungsarbeiten, aus denen sich die persönliche Relevanz als potenzielle Wirkbedingung ableitet, wird die persönliche Relevanz abgebildet über die bisherige Besorgnis, selbst erkranken zu können (Rook, 1987), das Produktklasseninvolvement (Dardis & Shen, 2008) und über die (In)Kongruenz der Botschaft mit den eigenen Werten (Slater & Rouner, 1996). Möchte man diese Erkenntnisse für das Sozialmarketing nutzen, so stellt sich die Frage, wann eine Botschaft persönlich relevant ist. Wann ist ein Spendenaufruf mehr oder weniger persönlich relevant, wenn man selbst offensichtlich nicht betroffen ist, sondern andere? Wann können eine Präventionskampagne oder Botschaften der Risikokommunikation mehr oder weniger persönlich relevant sein? Bei Betrachtung dieser Fragen ist eine Vielzahl von Faktoren denkbar, die die persönliche Relevanz beeinflussen könnten, z.B. „Für was soll gespendet werden? Ist die Spende für Betroffene, die mir wichtig sind oder nahestehen?“, „Inwieweit fühle ich mich von Präventionskampagnen angesprochen, da ich doch selbst im Moment nicht davon betroffen bin? Könnte ich es in Zukunft sein? Wie wahrscheinlich ist das?“, „Wie wahrscheinlich finde ich es, dass mein riskantes Verhalten zukünftig tatsächlich negative Konsequenzen für mich persönlich haben könnte?“. Das Ausmaß an persönlicher Relevanz einer Botschaft erscheint zunächst schwer bestimmbar. Beispielsweise stellt sich die Frage, wie persönlich relevant eine Botschaft der Risikokommunikation ist, wenn sich Personen zwar riskant verhalten, ihr Risiko aber verzerrt wahrnehmen. (siehe dazu im späteren Verlauf das Konzept des unrealistisch komparativen Optimismus, Abschnitt 3.3.1). Um zuverlässigere Prognosen für die Wirkung der beiden Botschaftstypen treffen zu können, sollte ein geeigneter theoretischer Rahmen in der Lage sein, all diese Formen von persönlicher Relevanz zu berücksichtigen. Neben der persönlichen Relevanz als Eigenschaft des Botschaftsempfängers kann auch die Ausgestaltung der Botschaftstypen deren Wirkung

Zusammenfassende Diskussion des Stands der Forschung

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beeinflussen. Bisher untersucht wurde hierbei das Message Framing (vgl. Abschnitt 2.3.2). Diese Studien zeigen zwar, dass das Framing die jeweilige Wirkung der Botschaftstypen beeinflusst, lassen aber keinen Schluss darüber zu, wann die jeweils überlegene Ausgestaltung – positive Statistiken bzw. negative Anekdoten – vorteilhafter ist. Um klare Empfehlungen hieraus für Botschaften des Sozialmarketings abzuleiten, wäre es nötig, auch hierzu eindeutige Aussagen treffen zu können. Zusammenfassend kann feststellt werden, dass ein geeigneter theoretischer Rahmen in der Lage sein sollte, die aufgezeigten Problematiken zu berücksichtigen und damit im Vergleich zu bisherigen theoretischen Erklärungen zu zuverlässigen Prognosen zur vergleichenden Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften beizutragen. Einen hierfür geeigneten Ansatzpunkt bietet die Construal Level Theory of Psychological Distance (CLT) von Trope und Liberman (2010). Die CLT stellt einen Zusammenhang zwischen geistigem Abstraktionsniveau und psychologischer Distanz her. Sie lässt somit Aussagen über die Wirkung von konkreten Informationen, wie z.B. Anekdoten, und abstrakten Informationen, wie Statistiken, zu. Die persönliche Relevanz der Botschaft für den Botschaftsempfänger lässt sich in dieser Theorie über die psychologische Distanz abbilden. Je psychologisch näher die Botschaft wahrgenommen wird, desto persönlich relevanter ist sie auch. Psychologische Distanz wird dabei als Kontinuum aufgefasst, d.h. Objekte können mehr oder weniger psychologisch nah oder fern sein (Trope & Liberman, 2010), also mehr oder weniger persönlich relevant. Das Konzept der psychologischen Distanz erlaubt zudem allgemeingültige Aussagen über verschiedene Formen der persönlichen Relevanz zu treffen, da psychologische Distanz sich auf verschiedenste Weise abbilden lässt (z.B. hypothetische, soziale, zeitliche Distanz) und so verschiedenste Gründe für eine eher stärker oder schwächer empfundene persönliche Relevanz der Botschaft abgebildet werden können. Zudem kann eine Betrachtung von Anekdoten und Statistiken unter Gesichtspunkten der CLT dazu beitragen, Empfehlungen für deren Ausgestaltung – hier das Message Framing – abzuleiten. Da das Abstraktions-

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Die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

niveau von Informationen ebenfalls als kontinuierliche Größe betrachtet werden kann (Trope & Liberman, 2010), können Aussagen zur Wirkung mehr oder weniger abstrakter Informationen getroffen werden. Wie im weiteren Verlauf erläutert wird, beeinflusst das Framing mutmaßlich das wahrgenommene Abstraktionsniveau der beiden Botschaftstypen, d.h. wie konkret Anekdoten wahrgenommen werden bzw. wie abstrakt Statistiken. Die Sichtweise, dass Anekdoten und Statistiken mehr oder weniger abstrakt sein können, findet sich bereits bei Keller und Block (1997) (vgl. Abschnitt 2.2.3). Im nachfolgenden Kapitel 3 werden zunächst die Grundaussagen der CLT dargestellt, sowie bisherige Forschungsergebnisse zur CLT im Kontext von Botschaften. Im Anschluss wird ein theoretisches Rahmenkonzept vorgestellt, das einen Erklärungsbeitrag dazu liefert, unter welchen Bedingungen Anekdoten oder Statistiken in Botschaften des Sozialmarketings verwendet werden sollten.

3

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungsansatz auf Basis der Construal Level Theory

Das nachfolgende Kapitel stellt die theoretischen Überlegungen zum moderierenden Effekt der psychologischen Distanz auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken dar. Dabei wird auch auf die Besonderheiten des unrealistisch komparativen Optimismus und des Message Framing eingegangen. 3.1

Construal Level Theory of Psychological Distance (CLT)

3.1.1 Grundlegende Aussagen der CLT Die CLT betrachtet im Kern den Zusammenhang zwischen geistigem Abstraktionsniveau und psychologischer Distanz. Unter geistigem Abstraktionsniveau wird hierbei verstanden, wie detailliert bzw. abstrahiert Informationen geistig repräsentiert werden. Ein niedriges Abstraktionsniveau bedeutet, dass die Gedanken sehr gegenständlich, detailliert, spezifisch, konkret, unstrukturiert und selektiv sind. Gedanken auf niedrigem Abstraktionsniveau befassen sich eher mit dem „Wie?“, als mit dem „Warum?“. Ein hohes Abstraktionsniveau wird mit einer abstrakten, globalen, dekontextualisierten, strukturierten Denkweise verbunden. Gedanken auf diesem Niveau beinhalten eher höhere Ziele des Individuums und dem Sinn seines Handelns („Warum?“). (Trope & Liberman, 2010) Die psychologische Distanz beschreibt die Distanz eines Individuums zu einem Objekt in zeitlicher, räumlicher, sozialer oder hypothetischer Hinsicht. Psychologisch ferne Objekte können beispielsweise zeitlich entfernte Entscheidungen oder Ereignisse, räumlich entfernte Personen, Personen aus einem anderen Kulturkreis oder auch als unwahrscheinlich eingeschätzte Ereignisse sein. Psychologisch nahe Objekte können Entscheidungen sein, die die eigene Person oder nahestehende Personen betreffen, zeitlich nahe oder wahrscheinlich eintretende Ereignisse. (Trope & Liberman, 2010) © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. I. Wieluch, Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29206-5_3

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Trope und Liberman (2010) gehen davon aus, dass je größer die psychologische Distanz zu einem Objekt ist, desto abstrakter und globaler werden die geistigen Repräsentationen dieses Objekts. Umgekehrt führt eine geringe Distanz zu konkreten, spezifischeren geistigen Repräsentationen der Objekte. Es besteht demnach eine Wechselwirkung zwischen psychologischer Distanz und geistigem Abstraktionsniveau. Abbildung 6 verdeutlicht diesen Zusammenhang.

nahe

niedrig

Abbildung 6

Psychologische Distanz (zeitlich, räumlich, sozial, hypothetisch)

Construal Level (mentales Abstraktionsniveau)

fern

hoch

Grundgedanke der Construal Level Theory (in Anlehnung an Trope und Liberman, 2010)

Eine weitere Annahme der CLT ist, dass das Abstraktionsniveau von Informationen die wahrgenommene Distanz zu einem Objekt beeinflusst. Werden Individuen konkreten (abstrakten) Informationen ausgesetzt, wird auch die Distanz zu diesem Objekt geringer (höher) eingestuft (Trope & Liberman, 2010). Die bisherige Forschung zeigt, dass das Abstraktionsniveau von Botschaften deren persuasive Wirkung beeinflusst. Als zentraler Aspekt für einen positiven Effekt auf die persuasive Wirkung wird hier die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung angeführt. Beispielsweise können Botschaften, die in ihrem Abstraktionsniveau dem mentalen Abstraktionsniveau des Botschaftsempfängers entsprechen, leichter verarbeitet werden und so die Überzeugungswirkung fördern (z.B. Lee, Keller & Sternthal, 2010). Auch die Kombination von Botschaftselementen mit demselben Abstraktionsniveau gelten als leichter zu verarbeiten und damit überzeugender als Botschaften, die abstraktionsni-

Construal Level Theory of Psychological Distance (CLT)

51

veauinkongruente Elemente kombinieren (z.B. Hernandez et al., 2015; White et al., 2011). (vgl. hierzu Abschnitt 3.1.2) Während der postulierte grundlegende Zusammenhang zwischen geistigem Abstraktionsniveau und psychologischer Distanz in der Literatur durch zahlreiche Arbeiten belegt ist (z.B. Fujita et al., 2006; Hansen & Trope, 2012; Henderson et al., 2006; Liberman et al., 2002; Liberman et al., 2007; Liviatan, Trope & Liberman, 2008; Todorov et al., 2007), ist der dahinterliegende Wirkungsprozess bisher nur wenig untersucht. Eine erste Antwort auf die Frage, warum die psychologische Distanz zu einem Objekt das Abstraktionsniveau dessen geistiger Repräsentation beeinflusst, gibt die Arbeit von Yan, Sengupta und Hong (2016). Die Autoren zeigen, dass der Effekt der Distanz auf das geistige Abstraktionsniveau von der Art des Verarbeitungsmodus mediert wird. Liegt eine niedrige Distanz zu einem Objekt vor, löst dies bei Individuen einen stärker bildhaften geistigen Verarbeitungsmodus aus, wodurch die geistigen Repräsentationen des Objektes konkreter werden (Yan et al., 2016). Andersherum löst eine hohe Distanz zu einem Objekt eine eher verbale, analytische Verarbeitung aus, was abstraktere geistige Repräsentationen des Objektes zur Folge hat (Yan et al., 2016). 3.1.2

Ausgewählte Erkenntnisse aus der CLT-Forschung

Erste Forschungsarbeiten konnten bereits zeigen, dass eine Betrachtung aus CLT-perspektive einen Erklärungsbeitrag zur Wirkung von Kommunikationsmaßnahmen leistet. Um die Wirkung von Kommunikationsmaßnahmen zu erklären, kommen dabei zwei mögliche Betrachtungsweisen der Distanz bzw. des Abstraktionsniveaus in Frage: 1. Die Betrachtung von Eigenschaften des Botschaftsempfängers, die die psychologische Distanz oder das Abstraktionsniveau beeinflussen oder 2. die Betrachtung von Eigenschaften der Botschaft, die ein unterschiedliches Abstraktionsniveau aufweisen oder die durch den Botschaftsempfänger wahrgenommene psychologische Distanz beeinflussen. Eine Studie, die erstere Sichtweise einnimmt, stammt von Ein-Gar und Levontin (2013), wobei die soziale Distanz der Botschaftsempfänger zu

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

einer bedürftigen Gesellschaft im Kontext von Spendenaufrufen untersucht wird. Die Autoren zeigen, dass Personen eine höhere Spendenbereitschaft für Wohltätigkeitsorganisationen im Vergleich zu einzelnen bedürftigen Personen aufweisen, wenn sie sozial entfernt von der bedürftigen Gesellschaft sind. Die Spendenbereitschaft für eine einzelne bedürftige Person hingegen ist den Autoren zufolge dann höher, wenn die Spender dem Spendenempfänger sozial nah sind (Ein-Gar & Levontin, 2013). Die Information, dass an eine Wohltätigkeitsorganisation gespendet werden soll, die eine Vielzahl von Personen beschäftigt und die ein globales Ziel, wie z.B. „Hunger bekämpfen“ verfolgt, stellt in dieser Studie verglichen mit dem Spendenaufruf für eine Einzelperson die abstraktere Information dar. Ebenfalls eine Eigenschaft der Botschaftsempfänger untersuchen Lee, Keller & Sternthal (2010) mit dem regulatorischen Fokus von Individuen. Diese Autoren zeigen, dass Individuen mit einem Promotionsfokus, d.h. der Orientierung am Erreichen positiver Zustände, stärker zu abstrakten geistigen Repräsentationen neigen. Individuen mit einem Präventionsfokus, d.h. deren Handeln auf die Vermeidung negativer Zustände ausgerichtet ist, neigen dagegen dazu, konkretere geistige Repräsentationen zu bilden (Lee et al., 2010). Zudem zeigen die Autoren, dass Informationen, die das gleiche Abstraktionsniveau haben wie die grundsätzliche durch den regulatorischen Fokus bedingte Neigung des Individuums zur Abstrahierung, die Einstellung zu einem Sachverhalt stärker positiv beeinflussen als Informationen, die der grundsätzlichen Neigung zur geistigen Abstrahierung entgegenstehen (Lee et al., 2010). Lee, Keller und Sternthal (2010) begründen diesen positiven Fit-Effekt zwischen Präventionsfokus und konkreten Informationen bzw. zwischen Promotionsfokus und abstrakten Informationen, damit, dass dieser Fit zu mehr Engagement im Sinne von Motivation, Interesse und Aufmerksamkeit führe, da Individuen das Gefühl bekommen, dass „es sich richtig anfühlt“ (Lee et al., 2010, S. 737). Zudem seien Informationen, die der grundsätzlichen Orientierung des Botschaftsempfängers entsprechen, leichter und flüssiger zu verarbeiten (Lee et al., 2010, S. 738). Neben der Betrachtung von Eigenschaften des Botschaftsempfängers untersucht ein weiterer Teil der CLT-Forschung die Eigenschaften der

Construal Level Theory of Psychological Distance (CLT)

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Botschaft, die ein unterschiedliches Abstraktionsniveau aufweisen oder die durch den Botschaftsempfänger wahrgenommene psychologische Distanz beeinflussen. Während Lee und Kollegen (2010) den regulatorischen Fokus des Individuums betrachten, betrachten Park und Morton (2015) den in der Botschaft inhaltlich angesprochenen regulatorischen Fokus. Neben dem regulatorischen Fokus wurde in dieser Studie im Kontext von Gefahren übermäßigen Alkoholkonsums die Wahrnehmung der psychologischen Distanz ebenfalls durch Elemente innerhalb der Botschaft variiert. 5 Die Autoren zeigen, dass Individuen ihre Einstellung stärker im Sinne der Botschaft ändern und eine höhere Verhaltensabsicht zeigen, sofern die Botschaft eine hohe Distanz suggeriert und die Botschaft einen Promotionsfokus anspricht. Keine Unterschiede zwischen Promotionsfokus und Präventionsfokus in der Botschaft zeigten sich dagegen bei niedriger psychologischer Distanz (Park & Morton, 2015). Zudem weisen die Autoren darauf hin, dass sich dieser positive Fit-Effekt zwischen Distanz und Promotionsfokus nur bei niedrigem Involvement der Botschaftsempfänger gezeigt hat (Park & Morton, 2015). White, MacDonnell und Dahl (2011) untersuchen im Kontext von Recycling-Botschaften den Zusammenhang zwischen Message Framing und Abstraktionsniveau der Botschaft. Die Autoren zeigen, dass negatives Framing kombiniert mit eher konkreten Botschaften („Wie?“-Botschaften) und positives Framing kombiniert mit eher abstrakten Botschaften („Warum?“-Botschaften) zu einer flüssigeren Informationsverarbeitung führen und die Verhaltensabsicht positiv beeinflussen. Die Autoren begründen diesen Zusammenhang damit, dass negatives (positives) Framing ein eher niedriges (hohes) Abstraktionsniveau habe und damit besser zu konkreten (abstrakten) Botschaften passe, i.S. eines Fit-Effekts (White et al., 2011). Eine Erklärung, warum positives und negatives Framing ein

5

Manipulation der sozialen Distanz über unterschiedliche Überschriften der Botschaft: “What would your best friend tell you about high-risk drinking? Drink moderately and responsibly for the sake of your best friend.” (niedrige Distanz) vs. “What would an average college student tell you about high-risk drinking? Drink moderately and responsibly for the sake of an average college student.” (hohe Distanz). (Park & Morton, 2010, S. 342)

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

unterschiedliches Abstraktionsniveau aufweist, bleiben die Autoren jedoch schuldig. Ähnlich zeigen Chandran und Menon (2004), dass das zeitliche Framing einer Botschaft als „Jeden Tag“ bzw. „Jedes Jahr“ die Verhaltensabsicht beeinflusst. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass ein zeitlich nahes Framing („Jeden Tag erkranken zahlreiche Menschen an…“) das Risiko einer Erkrankung wahrscheinlicher und konkreter erscheinen lassen als ein zeitlich fernes Framing („Jedes Jahr erkranken zahlreiche Menschen an…“) und dadurch die eigene Risikoeinschätzung und die Absicht zu Präventionsverhalten erhöhen (Chandran & Menon, 2004). Auch Chandran und Menon (2004) untersuchen den Einfluss des Message Framing (i.S. von positivem vs. negativem Framing) auf die Wirkung der von Ihnen betrachteten Botschaften. Bei negativem Framing weisen „Jeden Tag“-Botschaften eine höhere persuasive Wirkung auf, bei positivem Framing war jedoch ein zeitlich fernes Framing („Jedes Jahr“Botschaften) überzeugender (Chandran & Menon, 2004). Den Zusammenhang zwischen Framing einer Botschaft und dem Abstraktionsniveau belegen auch die Ergebnisse von Chang, Zhang und Xie (2015). Die Autoren zeigen einen Fit-Effekt zwischen positivem Framing und hohem Abstraktionsniveau sowie zwischen negativem Framing und einem niedrigen Abstraktionsniveau der Botschaft. Die zeitliche Dimension der psychologischen Distanz untersuchen Hernandez, Wright und Rodrigues (2015). Die Autoren zeigen, dass, wenn ein Kauf in ferner Zukunft geplant ist, abstraktere Botschaften, die die Vorteile eines Produktes hervorheben überzeugender wirken als konkretere Botschaften, die die Eigenschaften des Produktes hervorheben. Umgekehrtes gilt bei einem geplanten Kauf in naher Zukunft (Hernandez et al., 2015). Hernandez und Kollegen (2015) zeigen zudem, dass dieser Effekt nur dann auftritt, wenn die Flüssigkeit bzw. Leichtigkeit der Informationsverarbeitung („processing fluency“) nicht behindert wird. Entsprechend weisen die Ergebnisse darauf hin, dass die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung zentral für den beschriebenen Fit-Effekt ist.

Construal Level Theory of Psychological Distance (CLT)

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Neben den berichteten Ergebnissen zum Einfluss von psychologischer Distanz und Abstraktionsniveau im Bereich der Werbewirkungsforschung existieren zahlreiche weitere Arbeiten in anderen Bereichen des menschlichen Wahrnehmens und Entscheidens. Ausgewählte, relevante Ergebnisse werden im Folgenden kurz dargestellt. Im Kontext der Kommunikationswissenschaften untersuchen So und Nabi (2013), wie Medien die eigene Risikoeinschätzung und das Verhalten beeinflussen können. In ihrer Studie verwenden So und Nabi (2013) dazu ausgewählte Ausschnitte aus bekannten Fernsehserien, in denen einer der Protagonisten eine STI-Diagnose bekommt. Die Autoren stellen dabei in ihrem „Risk-Convergence-Model“ u.a. einen Zusammenhang zwischen der Identifikation mit dem Protagonisten, Transportation, wahrgenommener sozialer Distanz und der eigenen Risikoeinschätzung her. Je stärker sich die Probanden mit dem Protagonisten identifizieren konnten und je stärker die Transportation in die Geschichte war, umso geringer wurde die soziale Distanz zum Protagonisten wahrgenommen (So & Nabi, 2013). Eine geringere wahrgenommene soziale Distanz zum Protagonisten wiederum erhöhte das eigene wahrgenommene Risiko, was sich signifikant positiv auf die Absicht auswirkte, sich auf eine mögliche Infektion mit einer STI testen zu lassen (So & Nabi, 2013). Der Effekt der Transportation und der Identifikation auf die persönliche Risikoeinschätzung wurde dabei vollständig durch die soziale Distanz mediert (So & Nabi, 2013). Abbildung 7 zeigt den hier diskutierten Ausschnitt des „RiskConvergence-Model“. Die Ergebnisse von So und Nabi (2013) könnten insoweit für die Riskokommunikation von Interesse sein, als dass sie zeigen, dass psychologische Distanz die Risikoeinschätzung beeinflussen kann. Zudem zeigen die Ergebnisse einen Zusammenhang zwischen bisherigen Erklärungsansätzen für die Wirkung von Anekdoten (Transportation, Identifikation) und der CLT auf.

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Abbildung 7

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Risk-Convergence-Model (verkürzte Darstellung in Anlehnung an So & Nabi, 2013)

Während So und Nabi (2013) in einem spezifischen Kontext zeigen, dass eine wahrgenommene hohe soziale Distanz zum Protagonisten einer Geschichte eine geringere Verhaltensabsicht zur Folge hat, gehen Trope und Liberman (2010) ganz allgemein von einem Zusammenhang zwischen Distanz und Verhaltensabsicht aus. Je höher die psychologische Distanz zu einem Ereignis, umso geringer sei die Absicht, selbst zu handeln (Trope & Liberman, 2010). Als einen Grund führen Trope und Liberman (2010) an, dass z.B. eine hohe zeitliche Distanz dazu führe, dass ein baldiges Handeln keinen Sinn ergebe, da sich in der Zwischenzeit bis zum Eintritt des Ereignisses noch für die Entscheidung relevante Faktoren ändern können. Im Kern zeigt die bisherige Forschung zur CLT, dass die wahrgenommene psychologische Distanz des Botschaftsempfängers die Wirkung von konkreten und abstrakten Botschaften beeinflusst (z.B. Ein-Gar & Levontin, 2013). Zudem scheint eine Kombination von Elementen innerhalb der Botschaft, die dasselbe Abstraktionsniveau aufweisen, leichter zu verarbeiten zu sein und dadurch zumindest unter bestimmten Umständen für die persuasive Wirkung von Botschaften von Vorteil (z.B. Park & Morton,

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

57

2015; White et al., 2011). Weitere Arbeiten weisen darauf hin, dass es für die ausgelöste Verhaltensabsicht von Vorteil sein könnte, wenn Botschaftsempfänger eine niedrige psychologische Distanz zur Botschaft bzw. dessen Protagonisten wahrnehmen (z.B. So & Nabi, 2013). In der bisherigen Forschung wurde die persuasive Wirkung von Anekdoten im Vergleich zu Statistiken nicht unter Gesichtspunkten der CLT betrachtet. Eine solche theoretische Betrachtung erscheint jedoch plausibel, da Anekdoten als Darstellung konkreter Einzelschicksale grundsätzlich konkreter und spezifischer sein sollten im Vergleich zu Statistiken, die als Zusammenfassung mehrerer repräsentativer Fälle einen grundsätzlich eher abstrakten und globalen Charakter aufweisen sollten. Entsprechende theoretische Überlegungen werden im nachfolgenden Abschnitt angestellt. 3.2

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

Wie in Abschnitt 2.4. erläutert, stellt die CLT einen möglichen geeigneten theoretischen Rahmen zur Erklärung der persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken dar. Für eine solche Erklärung aus einer CLTPerspektive ist entsprechend eine Betrachtung der grundlegenden Konstrukte der CLT – mentales Abstraktionsniveau, psychologische Distanz und Abstraktionsniveau der Information – nötig. Zudem zeigen bisherige Arbeiten, dass sowohl Eigenschaften der Botschaftsempfänger als auch Eigenschaften der Botschaft die psychologische Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft bzw. das mentale Abstraktionsniveau beeinflussen können (vgl. Abschnitt 3.1.2) und entsprechend berücksichtigt werden sollten. Als relevante Eigenschaften der Botschaft werden in der vorliegenden Arbeit der Kontext und der Inhalt einer Botschaft, sowie das durch verschiedene Gestaltungsformen bedingte Abstraktionsniveau der Botschaft betrachtet. Der Fokus liegt hierbei auf der Gestaltung der Botschaft als Anekdote oder Statistik. Daneben wird in Abschnitt 3.3.2 das Message

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Framing als weiteres Gestaltungselement betrachtet. Der Kontext einer Botschaft gibt vor, inwiefern der Botschaftsempfänger von der Thematik selbst betroffen ist. Die Relevanz einer Betrachtung des Botschaftskontexts ergibt sich im Sozialmarketing daraus, dass unterschiedliche Botschaftskontexte, z.B. Spenden oder Risikokommunikation, wahrscheinlich je nach persönlicher Betroffenheit von unterschiedlicher persönlicher Relevanz für den Botschaftsempfänger sind. Die persönliche Relevanz wiederum steht mutmaßlich im Zusammenhang mit der psychologischen Distanz (vgl. Abschnitt 2.4.). Die theoretischen Überlegungen zum Einfluss des Botschaftskontextes werden in Abschnitt 3.2.1 dargestellt. Der Einfluss von Eigenschaften der Botschaftsempfänger auf die psychologische Distanz zur Botschaft wird zunächst ausschließlich allgemein im Zusammenhang mit den Botschaftsinhalten diskutiert. Abschnitt 3.3.1 stellt dann den Einfluss des unrealistisch komparativen Optimismus als eine relevante Eigenschaft der Botschaftsempfänger dar. Abbildung 8 gibt einen vereinfachten Überblick über die im Folgenden angestellte Betrachtung in Form eines Stimulus-Organismus-Response Modells (S-O-R Modell).

Abbildung 8

Überblick über die Betrachtungsebenen der theoretischen Überlegungen auf Basis der CLT zur persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken (eigene Darstellung)

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

3.2.1

59

Theoretische Überlegungen zum Einfluss von Botschaftskontext und -inhalt auf die psychologische Distanz

Den nachfolgenden Überlegungen liegt die Annahme zu Grunde, dass die Botschaftsempfänger typischer Sozialmarketingkampagnen bei Kontakt mit der Botschaft zunächst den Botschaftskontext wahrnehmen, bevor sie weitere Botschaftsinhalte verarbeiten. Diese Sichtweise ist konsistent mit der bisherigen Forschung, die zeigt, dass die wahrgenommene Bedeutung eines Themas die Verarbeitung von Botschaftsinhalten beeinflusst (z.B. Chaiken, 1970; Petty & Cacioppo, 1979). Um die Bedeutung des Themas der Botschaft zu bewerten, muss der Botschaftskontext zwingend wahrgenommen werden. Beeinflusst wiederum der Kontext einer Botschaft, wie Botschaftsinhalte verarbeitet werden, besteht die implizite Annahme, dass der Botschaftskontext vor einzelnen Inhalten wahrgenommen wird. Diese Annahme erscheint insofern plausibel, als dass der Kontext einer Botschaft typischerweise durch Botschaftselemente stark hervorgehoben wird, z.B. durch Slogans („Runter vom Gas!“, „Spenden Sie jetzt!“ etc.), die grafische Gestaltung von Anzeigen und Plakaten (z.B. Naturmotive in Umweltschutzkampagnen) oder auch Markenzeichen des Senders (z.B. rote Schleife bei HIV-Kampagnen). Durch diese Hervorhebung sollte der Kontext einer Botschaft demnach vergleichsweise schnell für den Botschaftsempfänger wahrnehmbar sein. Einzelne Inhalte der Botschaft erfordern dagegen, dass der Botschaftsempfänger die Botschaft weitergehend erfasst. Beispielsweise kann es bei einem Spendenaufruf nötig sein, die gesamte Botschaft zu lesen, um den genauen Spendenzweck und die Zielpersonen der Spende zu erfassen. Botschaftsinhalte einer Anekdote, wie Name und Verhalten des Protagonisten und Konsequenzen aus dessen Verhalten erfordern ebenfalls, dass die Botschaft vollständig gelesen wird. Der Effekt des Botschaftskontexts auf die psychologische Distanz sollte dem Effekt durch Botschaftsinhalte entsprechend vorgelagert sein.

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3.2.1.1

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Botschaftskontext und psychologische Distanz

Wie beeinflusst der Kontext die psychologische Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft im Sozialmarketing? Lee und Kotler (2011) unterscheiden die durch das Sozialmarketing zu beeinflussenden Verhaltensweisen, d.h. mögliche Botschaftskontexte, in gesundheitsbezogene, unfallverhütende, umweltbezogene, gesellschaftlichen und finanzbezogene Verhaltensweisen (Lee & Kotler 2011, S. 20ff.). Diese Bereiche können dahingehend unterschieden werden, ob der Botschaftsempfänger überwiegend eine Entscheidung über die eigene Person trifft oder nicht. Nach Trope und Liberman (2010) werden Entscheidungen, die die eigene Person betreffen als psychologisch näher wahrgenommen im Vergleich zu Entscheidungen andere Personen betreffend. Konsequenzen von gesellschaftlichen und umweltbezogenen Verhaltensweisen betreffen tendenziell nicht spezifisch die eigene Person, sondern die Gesellschaft als Ganzes oder andere konkrete Personen. Als Beispiele für umweltbezogene Verhaltensweisen nennen Lee und Kotler (2011) Müllvermeidung, Sparen von Papier, Wassersparen oder die Vermeidung von Luftverschmutzung. Die durch die Botschaft adressierte Person kann keine unmittelbare Konsequenz für sich selbst durch ihr Verhalten erfahren. Zwar kann die einzelne Person beispielsweise Luftverschmutzung vermeiden, indem sie häufiger auf das Autofahren verzichtet. Positive Konsequenzen, wie z.B. saubere Luft, ergeben sich jedoch nur, wenn die Gesellschaft als Ganzes sich ebenso positiv verhält. Im Gegensatz dazu kann der Einzelne von positiven Verhaltensweisen der Gesellschaft profitieren, ohne dieses wünschenswerte Verhalten selbst zu zeigen. Durch wünschenswertes Verhalten leistet der Einzelne also einen stärkeren Beitrag für die Gesellschaft als für sich selbst. Die Entscheidung für oder gegen das wünschenswerte Verhalten stellt damit tendenziell eine Entscheidung andere Personen betreffend dar. Gleiches gilt für gesellschaftliche Verhaltensweisen. Beispielhaft für diese Kategorie an Verhaltensweisen sei hier die Beteiligung an politischen Wahlen oder Spendenverhalten genannt (Lee & Kotler, 2011). Ebenso wie bei umweltbezogenen Verhaltensweisen ist anzunehmen, dass durch die Beteiligung an Wahlen stärker die Gesellschaft als Ganzes als der ein-

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

61

zelne Wähler profitiert. Der einzelne Wähler kann nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass die von ihm gewählte Partei letztlich stärkste parlamentarische Kraft wird und das politische Geschehen maßgeblich bestimmen kann. Jedoch profitiert mutmaßlich die Gesellschaft als Ganzes von einer hohen Wahlbeteiligung, da sie die Akzeptanz der gewählten Regierung steigern kann und somit politische Unruhen unwahrscheinlicher werden lässt. Durch Spenden, wie Geld- und Sachspenden oder Organ- und Blutspenden, ergeben sich primär positive Konsequenzen für andere Personen und weniger für den zum Spenden aufgerufenen Botschaftsempfänger. Betreffen Entscheidungen überwiegend andere Personen, nehmen nach Trope und Liberman (2010) Personen diese Entscheidungen als psychologisch fern wahr. Konsistent mit den Aussagen der CLT sollten demnach auch Entscheidungen, die eine Zusammenfassung mehrerer Objekte betreffen, wie etwa die Gesellschaft als Ganzes, primär psychologisch fern wahrgenommen werden. Das mentale Abstraktionsniveau der Botschaftsempfänger sollte entsprechend hoch sein (vgl. Trope & Liberman, 2010). Konsequenzen von gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen, wie beispielsweise Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht oder Krebserkrankungen betreffen dagegen hauptsächlich die einzelne Person, deren Verhalten durch Botschaften des Sozialmarketings beeinflusst werden soll. Konsequenzen von unfallverhütenden Verhaltensweisen betreffen ebenfalls überwiegend den Botschaftsempfänger selbst. Beispielsweise soll das Tragen von Fahrradhelmen oder das Anlegen von Sicherheitsgurten im Auto Personen vor Verletzungen schützen, der Verzicht auf Alkohol am Steuer Unfälle vermeiden und das Installieren von Rauchmeldern Personen im Brandfall rechtzeitig warnen, um sie vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Auch Konsequenzen von finanzbezogenen Verhaltensweisen betreffen überwiegend die eigene Person. Lee und Kotler (2011) nennen als Beispiele für Konsequenzen von finanzbezogenen Verhaltensweisen die Gefahr von Überschuldung während Zeiten der Arbeitslosigkeit oder die Gefahr, Opfer von Betrügern zu werden. Personen sollten ihre gesundheitsbezogenen, unfallverhütenden und finanzbezogenen Verhaltensweisen demnach überwiegend deshalb än-

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

dern, um potenzielle negative Konsequenzen für die eigene Person zu vermeiden oder zu reduzieren. Die psychologische Distanz zu Botschaften in dieser Kategorie von Botschaftskontexten hängt dabei vom jeweiligen Verhalten des Botschaftsempfängers ab. Nur wenn der Botschaftsempfänger die wünschenswerte Verhaltensweise bisher selbst nicht zeigt, kann er eine Entscheidung über die eigene Person treffen. Beispielsweise kann der Botschaftsempfänger selbst nicht-wünschenswerte Verhaltensweisen zeigen, etwa Rauchen, Übergewicht haben, alkoholisiert Autofahren und Angebote zur Krebsvorsorge nicht wahrnehmen. Der Botschaftsempfänger kann hier entscheiden, ob er sein Verhalten entsprechend der Botschaftsempfehlung anpassen möchte oder nicht. Es handelt sich demnach um eine Entscheidung die eigene Person betreffend und sollte entsprechen psychologisch nah wahrgenommen werden (vgl. Trope & Liberman, 2010). Diese psychologische Nähe wiederrum sollte zu einem grundsätzlich eher niedrigen Abstraktionsniveau führen (vgl. Trope & Liberman, 2010). Verhält sich der Botschaftsempfänger hingegen bereits wünschenswert, kann er durch diese Botschaften lediglich in seiner bereits getroffenen Entscheidung zu seinem bisherigen Verhalten bestärkt werden. Eine Entscheidung zu einer botschaftskonsistenten Verhaltensänderung ist jedoch nicht mehr möglich. Als Folge daraus sollten diese Botschaftsempfänger eine hohe psychologische Distanz wahrnehmen, was entsprechend in einem hohen mentalen Abstraktionsniveau resultiert (vgl. Trope & Liberman, 2010). Botschaften zu gesundheitsbezogenen, unfallverhütenden und finanzbezogene Verhaltensweisen werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Botschaftskontext „Risikokommunikation“ zusammengefasst, wenn sich die Botschaft an Zielpersonen wendet, die das wünschenswerte Verhalten selbst nicht zeigen. Als Botschaftskontext „Prävention“ werden Botschaften dieser Kategorie bezeichnet, wenn sie sich an Personen wenden, die das wünschenswerte Verhalten bereits zeigen. Wie dargestellt bestimmt der Kontext einer Botschaft, inwieweit der Botschaftsempfänger persönlich von der Thematik der Botschaft betroffen

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

63

ist, d.h. inwieweit er eine Entscheidung über die eigene Person trifft. Entsprechend können Botschaftsempfänger eine eher hohe oder eher niedrige psychologische Distanz zur Botschaft aufgrund des Botschaftskontextes wahrnehmen. Nach Trope und Liberman (2010) geht mit der psychologischen Distanz auch eine mehr oder weniger stark empfundene Dringlichkeit zu handeln einher. Auf den vorliegenden Kontext übertragen kann dies so interpretiert werden, dass Entscheidungen die eigene Person betreffend (psychologisch nahes Objekt) dringlicher wahrgenommenen werden sollten als Entscheidungen andere betreffend (psychologisch fernes Objekt). Die wahrgenommene Dringlichkeit zu handeln, wie sie Trope und Liberman (2010) betrachten, kann im Zusammenhang mit dem Botschaftskontext entsprechend als Themeninvolvement der Botschaftsempfänger interpretiert werden. Bei hoher psychologischer Distanz zum Botschaftskontext sollten Individuen ein eher geringes Themeninvolvement aufweisen, bei niedriger Distanz ein eher hohes Themeninvolvement, Die durch den Botschaftskontext wahrgenommene psychologische Distanz sollte zudem das grundsätzliche mentale Abstraktionsniveau des Botschaftsempfängers determinieren. Dieser Annahme zufolge bestimmt die durch den Botschaftskontext wahrgenommene psychologische Distanz das grundsätzliche mentale Abstraktionsniveau unter dem alle weiteren aufgenommenen Informationen, wie z.B. einzelne Botschaftsinhalte, verarbeitet werden. Abbildung 9 verdeutlicht die angenommenen Zusammenhänge.

64

Abbildung 9

3.2.1.2

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Angenommener Zusammenhang zwischen Botschaftskontext und psychologischer Distanz (eigene Darstellung)

Botschaftsinhalt, Eigenschaften des Botschaftsempfängers und psychologische Distanz

Neben dem Botschaftskontext kann angenommen werden, dass auch der Botschaftsinhalt die wahrgenommene psychologische Distanz zur Botschaft beeinflusst. Relevante Botschaftsinhalte sind bei dieser Betrachtung Inhalte, die dem Botschaftsempfänger eine zeitliche, räumliche, soziale oder hypothetische Distanz signalisieren. Ein Beispiel für solche Inhalte können im Botschaftskontext „Spenden“ die in der Botschaft dargestellten Empfänger der Spende sein. So kann der Botschaftsempfänger je nach Zielland der Spende die dargestellten Personen mehr oder weniger räumlich und sozial nah bzw. fern wahrnehmen. Ob eine hohe oder niedrige Distanz zum Botschaftsinhalt wahrgenommen wird, hängt hier von Eigenschaften der Botschaftsempfänger ab, im genannten Beispiel etwa vom eigenem Herkunftsland und kulturellem Hintergrund des Botschaftsempfängers. Beispielhafte Botschaftsinhalte umweltbezogener Botschaftskontexte könnten etwa die Darstellung zeitlich oder räumlich eher naher oder ferner Konsequenzen des Klimawandels sein. Der Einfluss dieser Botschaftsinhalte auf die wahrgenom-

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

65

mene psychologische Distanz zum Botschaftsinhalt hängt hier ebenfalls von Eigenschaften des jeweiligen Botschaftsempfängers ab, z.B. Wohnort (z.B. Zunahme von Überflutungen und Unwettern durch die Klimaerwärmung im eigenen Land vs. in entfernten Ländern) oder Alter (z.B. Frage nach „Werde ich selbst noch von den Konsequenzen betroffen sein?“ bei 16-Jährigen vs. 60-Jährigen). Relevante Botschaftsinhalte in den Kontexten „Risikokommunikation“ und „Prävention“ können Soziodemographika, das Verhalten und die Denkweise des in der Botschaft dargestellten Protagonisten, sowie Ursachen für negative Konsequenzen oder die Konsequenzen eines schädlichen Verhaltens sein. Beispielhaft als Eigenschaft des Botschaftsempfängers kann hier der unrealistisch komparative Optimismus des Botschaftsempfängers herangezogen werden. Aufgrund der Tatsache, dass Optimisten davon ausgehen, dass sie weniger wahrscheinlich als andere von negativen Ereignissen betroffen sein werden, werden sie zu in Botschaften der Risikokommunikation genannten negativen Konsequenzen eine größere psychologische Distanz wahrnehmen als nicht-optimistische Botschaftsempfänger. Ausgehend von dem in der CLT postulierten Zusammenhang zwischen psychologischer Distanz und mentalem Abstraktionsniveau (Trope & Liberman, 2010), ist anzunehmen, dass der Botschaftsinhalt durch die Beeinflussung der psychologischen Distanz das mentale Abstraktionsniveau der Botschaftsempfänger senkt bzw. erhöht. Wird das durch den Botschaftskontext bedingte mentale Abstraktionsniveau durch den Botschaftsinhalt gesenkt oder erhöht, resultiert die Botschaft demnach in mehr oder weniger konkreten bzw. abstrakten mentalen Repräsentationen beim Botschaftsempfänger. Eine weit verbreitete Annahme in der Literatur ist, dass die Inhalte von Botschaften das Botschaftsinvolvement, d.h. das subjektive Interesse an einer Botschaft unabhängig vom Kontext (Trommsdorff, 2009, S.53), beeinflussen können (z.B. Cox & Cox, 2001; Cauberghe et al., 2009; Muehling, Stoltman, & Grossbart; 1990). Signalisiert der Botschaftsinhalt eine mehr oder weniger hohe bzw. niedrige psychologische Distanz, beeinflusst dies mutmaßlich das Botschaftsinvolvement. Wird beispielswei-

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

se der Protagonist in einer Botschaft als psychologisch näher wahrgenommen, z.B. weil dieser dem Botschaftsempfänger anhand soziodemographischer Merkmale oder in seiner Denkweise ähnlich ist, so sollte das subjektive Interesse an der Botschaft höher ausfallen im Vergleich zu Botschaften, zu deren Protagonisten der Botschaftsempfänger eine hohe psychologische Distanz empfindet (z.B. räumlich weit entfernte Personen, unähnliche Denkweise und Verhalten). Abbildung 10 verdeutlicht die angestellten Überlegungen zum Einfluss von Botschaftsinhalten.

Abbildung 10

Angenommene Effekte des Botschaftsinhalts (eigene Darstellung)

Sowohl das Botschaftsinvolvement – hier bedingt durch den Botschaftsinhalt – als auch das Themeninvolvement – hier bedingt durch den Botschaftskontext – beeinflussen die Informationsverarbeitung des Botschaftsempfängers und damit die persuasive Wirkung von Botschaften (Trommsdorff 2009, S. 47ff.). Dieser Aspekt wird im weiteren Verlauf der Arbeit im Kontext der persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken in Abhängigkeit der psychologischen Distanz diskutiert werden.

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

3.2.1.3

67

Botschaftskontext und -inhalt: Primäre und sekundäre psychologische Distanz

Bisher wurde angenommen, dass sowohl der Kontext einer Botschaft, als auch der Inhalt einer Botschaft die wahrgenommene psychologische Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft beeinflussen kann. Der Botschaftskontext signalisiert dem Botschaftsempfänger eine psychologische Distanz zur Botschaft dadurch, dass der Kontext vorgibt, inwieweit der Botschaftsempfänger durch die Botschaft aufgefordert wird, eine Entscheidung über die eigene Person oder andere Personen zu treffen (vgl. Abschnitt 3.2.1.1). Der Einfluss des Botschaftsinhalts auf die psychologische Distanz hängt dagegen verstärkt von Eigenschaften der Botschaftsempfänger ab, z.B. dessen eigenes Herkunftsland in Relation zum Herkunftsland Bedürftiger in Spendenaufrufen (vgl. Abschnitt 3.2.1.2). Zum Verhältnis der Effekte von Botschaftskontext und –inhalt auf die wahrgenommene psychologische Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft ist anzunehmen, dass diese im Informationsverarbeitungsprozess zeitlich versetzt auftreten. Da es plausibel erscheint, dass Botschaftsempfänger typischerweise zunächst den Kontext einer Botschaft wahrnehmen, bevor weitere Inhalte aufgenommen werden (vgl. Abschnitt 3.2.1), sollte auch der Effekt des Botschaftskontexts auf die psychologische Distanz dem Effekt des Botschaftsinhalts vorgelagert sein. Nach dieser Annahme sollte der Botschaftsempfänger also durch den Kontext bedingt zunächst eine mehr oder weniger hohe bzw. niedrige psychologische Distanz zur Botschaft wahrnehmen. Diese Distanz soll im Folgenden als primäre psychologische Distanz bezeichnet werden. Bei der weiteren Aufnahme können einzelne Botschaftsinhalte dem Botschaftsempfänger dann zusätzlich eine mehr oder weniger hohe bzw. niedrige psychologische Distanz zur Botschaft signalisieren. Die durch Botschaftsinhalte ausgelöste Distanz soll im Folgenden als sekundäre psychologische Distanz bezeichnet werden. Die getroffene Unterscheidung in primäre und sekundäre psychologische Distanz ist insofern mit der bisherigen CLT-Forschung vereinbar, als dass aus den Arbeiten von Yan (2014) sowie Maglio, Trope und Liberman (2013) hervorgeht, dass Individuen zunächst eine anfängliche psychologische Distanz zu einem Objekt

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

wahrnehmen (nah – fern), und im Anschluss weitere Distanzdimensionen oder das Ausmaß an Distanz (nah-näher, fern-ferner) wahrnehmen können. Primäre und sekundäre Distanz können unabhängig voneinander sowohl eine hohe oder niedrige Ausprägung aufweisen. Konkret bedeutet dies, dass Botschaftsempfänger eine primär hohe Distanz bei gleichzeitig sekundär hoher oder niedriger Distanz empfinden können. Gleiches gilt für eine primär niedrige wahrgenommene Distanz zur Botschaft. Beispielsweise stellt der Kontext „Spenden“ einen primär psychologisch fernen Kontext dar, da der Botschaftsempfänger eine Entscheidung bezüglich anderer Personen treffen muss. Gleichzeitig kann der Botschaftsempfänger eine sekundär höhere oder niedrigere Distanz zu diesen Personen wahrnehmen. Beispielsweise wird ein Spendenaufruf für Bedürftige in Deutschland von Deutschen näher empfunden werden, während ein Spendenaufruf für Bedürftige im afrikanischen oder asiatischen Raum aufgrund der räumlichen und kulturellen Distanz ferner empfunden werden wird. Mit der sekundären psychologischen Distanz sollte sich auch das geistige Abstraktionsniveau der Botschaftsempfänger verändern. Wird bei hoher primärer psychologischer Distanz ein Objekt sekundär nah wahrgenommen, so sollte der Botschaftsempfänger ein weniger hohes geistiges Abstraktionsniveau aufweisen im Vergleich zur Wahrnehmung einer sekundären Ferne. Auch bei einer primär niedrigen psychologischen Distanz – also bei Entscheidungen die eigene Person betreffend – kann sekundär eine Nähe oder Ferne wahrgenommen werden. Beispielsweise kann ein Botschaftsempfänger von Risikokommunikationsmaßnahmen eine sekundär hohe psychologische Distanz wahrnehmen, selbst wenn er sich ebenfalls riskant verhält (z.B. Rasen). Dies kann dann der Fall sein, wenn Personen unrealistisch komparativ optimistisch sind. So glauben diese Personen weniger als andere von negativen Konsequenzen betroffen zu sein, obwohl sie sich ebenso riskant verhalten (Armor & Taylor, 1998; Chambers & Windschitl, 2004; Shepperd et al., 2015; Weinstein, 1980). Diese geringere Risikoeinschätzung kann auch als eine höhere hypothetische

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

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Distanz interpretiert werden. Bei gleichem Verhalten nehmen unrealistisch komparative Optimisten demnach die in Botschaften der Risikokommunikation dargestellten Konsequenzen ferner wahr, während Personen, die nicht dem optimistischem Fehlschluss unterliegen und sich ihres Risikos bewusst sind, negative Konsequenzen schädlichen Verhaltens näher wahrnehmen. Das geistige Abstraktionsniveau von unrealistisch komparativ optimistischen Personen sollte demnach auch weniger konkret sein. Vereinfacht dargestellt ergeben sich aus der obigen Betrachtung vier mögliche Kombinationen von durch Botschaften ausgelöster primärer und sekundärer psychologischer Distanz: I. primär hoch/ sekundär niedrig, II. primär hoch/ sekundär hoch, III. primär niedrig/ sekundär hoch und IV. primär niedrig/ sekundär niedrig.

Abbildung 11

Angenommene Effekte der primären und sekundären psychologischen Distanz (eigene Darstellung)

Abbildung 11 fasst die hier vorgenommene Differenzierung zwischen primärer und sekundärer psychologischer Distanz und die in den vorheri-

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

gen Abschnitten beschriebenen daraus resultierenden Effekte zusammen. Neben dem Botschaftskontext und dem –inhalt wurde einführend in diesem Kapitel auf das Abstraktionsniveau von Botschaften als relevante Größe hingewiesen. Der Einfluss des Abstraktionsniveaus von Botschaften auf die psychologische Distanz wird im nachfolgenden Abschnitt diskutiert. 3.2.2

Theoretische Überlegungen zum Einfluss des Abstraktionsniveaus von Botschaften

Botschaften können eher konkret oder abstrakt gestaltet sein, d.h. Botschaftstypen können sich in ihrem Abstraktionsniveau unterscheiden. Die in dieser Arbeit primär interessierenden Botschaftstypen stellen Anekdoten und Statistiken dar. Bei vergleichbarem Botschaftsinhalt stellen Anekdoten als Darstellung eines Einzelschicksals (z.B. “Vanessa, 31, hatte einen schweren Unfall, weil sie durch ihr Smartphone abgelenkt war…“) tendenziell konkrete, spezifische Informationen dar (vgl. Abschnitt 2.1), während Statistiken als Zusammenfassung mehrerer Fälle (z.B. „25% der schweren Unfälle passieren, weil Autofahrer während der Fahrt durch ihr Smartphone abgelenkt sind…“) tendenziell abstrakte, globale Informationen darstellen (vgl. Abschnitt 2.1). Anekdoten haben demnach ein niedriges Abstraktionsniveau, Statistiken ein hohes. Für den Einfluss des Abstraktionsniveaus von Botschaften auf die Informationsverarbeitung lassen sich zunächst zwei mögliche Effekte ableiten. Erstens beeinflusst das Abstraktionsniveau von Botschaften die wahrgenommene psychologische Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft und damit das mentale Abstraktionsniveau (Trope & Liberman, 2010; vgl. Abschnitt 3.1.1). Konkrete Informationen, wie Anekdoten, fördern die bildliche Vorstellung von Objekten (vgl. Abschnitt 2.2.2), d.h. konkrete Informationen senken das mentale Abstraktionsniveau von Individuen (vgl. Yan et al., 2016). Ausgehend von dem in der CLT (Trope & Liberman, 2010) grundlegend postulierten Zusammenhang zwischen

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

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psychologischer Distanz und mentalem Abstraktionsniveau, sollte die Botschaft dementsprechend durch das gesenkte mentale Abstraktionsniveau psychologisch näher wahrgenommen werden. Abstrakte Informationen wie Statistiken sollten dagegen eine stärker analytische Informationsverarbeitung fördern und somit das mentale Abstraktionsniveau erhöhen (vgl. Yan et al., 2016). In der Folge sollten abstrakte Botschaften dem Botschaftsempfänger psychologisch ferner erscheinen (Trope & Liberman, 2010; vgl. Abschnitt 3.1.1). Zweitens beeinflusst das Abstraktionsniveau von Botschaften die wahrgenommene Leichtigkeit der Informationsverarbeitung. Konkrete Informationen (z.B. Anekdoten) gelten dabei als grundsätzlich leichter zu verarbeiten verglichen mit abstrakten Informationen – sie benötigen tendenziell weniger kognitive Ressourcen zur Informationsverarbeitung (Keller & Block, 1997). Eine wahrgenommene Leichtigkeit der Informationsverarbeitung entsteht zudem durch eine Übereinstimmung des Abstraktionsniveaus der Botschaft mit dem mentalen Abstraktionsniveau des Botschaftsempfängers (z.B. Lee et al., 2010). Zielpersonen, die eine hohe psychologische Distanz zur Botschaft empfinden, denken auf einem höheren Abstraktionsniveau, wohingegen Zielpersonen, die eine geringe psychologische Distanz aufweisen, zu Gedanken auf einem geringeren Abstraktionsniveau neigen (Trope & Liberman, 2010). Das Abstraktionsniveau von Statistiken sollte stärker mit dem grundsätzlich höheren geistigen Abstraktionsniveau übereinstimmen, wie es bei psychologisch fernen Botschaftskontexten zu erwarten ist (vgl. Abschnitt 3.2.1.1) und damit einen positiven Effekt auf die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung haben. Dagegen sollte das Abstraktionsniveau von Anekdoten mit dem im Grundsatz niedrigeren geistigen Abstraktionsniveau bei psychologisch nah wahrgenommenen Botschaftskontexten kongruent sein. Neben der Übereinstimmung des Abstraktionsniveaus der Botschaft mit dem mentalen Abstraktionsniveau des Botschaftsempfängers, können auch in sich abstraktionsniveaukongruente verglichen mit inkongruenten Botschaften leichter verarbeiten werden (vgl. Abschnitt 3.1.2). Beispielsweise zeigen White und Kollegen (2011), dass eine Kombination aus

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

negativem Framing (geringes Abstraktionsniveau) und „Wie?“Botschaften (geringes Abstraktionsniveau) leichter zu verarbeiten und in der Folge persuasiver ist als derartige Botschaften mit positivem Framing (hohes Abstraktionsniveau). Zusammenfassend beeinflusst das Abstraktionsniveau der Botschaft die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung durch 1. die Abstraktheit bzw. Konkretheit der Information an sich, deren Verarbeitung ein unterschiedliches Maß an kognitiven Ressourcen benötigt, 2. die Kongruenz zwischen mentalem Abstraktionsniveau und Abstraktionsniveau der Botschaft, und 3. durch die Abstraktionsniveaukongruenz innerhalb der Botschaft. Abbildung 12 stellt die beschriebenen Effekte des Abstraktionsniveaus der Botschaft grafisch dar.

Abbildung 12

Angenommene Effekte des Abstraktionsniveaus der Botschaft (eigene Darstellung)

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

3.2.3

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Theoretische Überlegungen zum Einfluss des Abstraktionsniveaus der Botschaft auf die persuasive Wirkung unter Berücksichtigung der primären und sekundären Distanz

Im vorherigen Abschnitt wurde dargelegt, wie das Abstraktionsniveau von Botschaften das mentale Abstraktionsniveau von Individuen und damit die psychologische Distanz zur Botschaft beeinflussen kann. Zudem wurde der Einfluss auf die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung diskutiert. Um den Einfluss des Abstraktionsniveaus von Botschaften auf deren persuasive Wirkung zu erklären – und damit die Wirkung von Anekdoten und Statistiken – ist es notwendig zu betrachten, wann die beschriebenen Effekte einen persuasiven Effekt aufweisen. Hierzu sollen die durch das Abstraktionsniveau der Botschaft bedingten Effekte in Abhängigkeit einer hohen oder niedrigen primären sowie sekundären psychologischen Distanz diskutiert werden. Als erster möglicher Effekt des Abstraktionsniveaus der Botschaft wurde die Förderung der bildlichen Vorstellung, d.h. die Senkung des mentalen Abstraktionsniveaus, durch konkrete Informationen diskutiert (vgl. Abschnitt 3.2.2). Wie stark die bildliche Vorstellung durch konkrete Informationen wie Anekdoten gefördert werden kann, hängt mutmaßlich vom Ausmaß der bereits vorliegenden bildlichen Vorstellung ab, d.h. vom mentalen Abstraktionsniveau des Botschaftsempfängers. Je konkreter, d.h. bildhafter die Vorstellungen der Botschaftsempfänger bereits sind, umso weniger sollten Anekdoten zu einer bildlichen Vorstellung beitragen können. Wie in Abschnitt 3.2.1.1 diskutiert, sollte das mentale Abstraktionsniveau bei primär psychologisch fernen Botschaftskontexten höher sein verglichen mit primär nahen Botschaftskontexten. Betrifft ein Botschaftskontext die eigene Person, sollte sich der Botschaftsempfänger den Sachverhalt (z.B. Rasen) bereits bildlicher vorstellen können, als wenn dies nicht der Fall ist (z.B. in Spendenkampagnen dargestellte Armut). Ebenso können sowohl für psychologisch nahe als auch ferne Botschaftskontexte Botschaftsinhalte dem Empfänger mehr oder weniger nah sein, was ebenfalls das mentale Abstraktionsniveau beeinflusst (vgl. Abschnitt 3.2.1.2).

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Das bedeutet, dass Botschaftsempfänger, die eine sekundär niedrige psychologische Distanz wahrnehmen (z.B. Betroffene der Botschaft stehen dem Empfänger nahe), sich einen bestimmten Sachverhalt bereits besser, d.h. detaillierter und konkreter, vorstellen können. Zusammengenommen sollten die durch die Botschaft hervorgerufenen geistigen Repräsentationen bei primär und sekundär fernen Botschaften am abstraktesten, d.h. am wenigsten bildhaft sein (vgl. Abschnitt 3.2.1.3). Liegt keine bildliche Vorstellung eines Sachverhaltes vor, kann der die bildliche Vorstellung fördernde Effekt von Anekdoten besonders stark ausfallen. Bei primär fernen, aber sekundär nahen Botschaften ist das mentale Abstraktionsniveau weniger abstrakt (vgl. Abschnitt 3.2.1.3). Entsprechend kann angenommen werden, dass Anekdoten die bildliche Vorstellung weniger stark fördern können, da bereits ein gewisses, wenn auch geringes Maß an bildlicher Vorstellung vorliegt. Werden die Botschaften als primär und sekundär nah wahrgenommen, ist das mentale Abstraktionsniveau besonders niedrig (vgl. Abschnitt 3.2.1.3). Der Botschaftsempfänger hat hier bereits eine sehr bildliche, konkrete Vorstellung des Sachverhalts. Ist die Vorstellung bereits sehr konkret, sollten Anekdoten als konkrete Information nur wenig dazu beitragen können, diese Vorstellung weiter zu konkretisieren. Andererseits ist bei primär nahen, aber sekundär fern wahrgenommenen Botschaften davon auszugehen, dass das mentale Abstraktionsniveau weniger konkret ist (vgl. Abschnitt 3.2.1.3). Anekdoten können hier die bildliche Vorstellung vergleichsweise stärker fördern. Als zweiter möglicher Effekt des Abstraktionsniveaus der Botschaft wurde in Abschnitt 3.2.2 der Einfluss auf die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung diskutiert. Eine leichte Informationsverarbeitung ist besonders dann entscheidend für die persuasive Wirkung von Botschaften, wenn nur wenige geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung aufgewendet werden (vgl. Keller & Block, 1997) bzw. das Involvement der Botschaftsempfänger gering ist (Schwarz, 2004). Das Involvement der Botschaftsempfänger hängt sowohl von der primären als auch der sekundären psychologischen Distanz ab. Während erstere mutmaßlich das Themeninvolvement determiniert, beeinflusst zweitere das Botschaftsinvol-

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

75

vement (vgl. Abschnitt 3.2.1.3). Ist sowohl das Themen- als auch das Botschaftsinvolvement gering, sollten besonders wenige kognitive Ressourcen zur Informationsverarbeitung aufgewendet werden. Der Leichtigkeit der Informationsverarbeitung sollte damit für die persuasive Wirkung von Botschaften eine besondere Bedeutung zukommen. Von einer etwas weniger hohen Bedeutung ist dagegen bei niedrigem Themeninvolvement auszugehen, wenn durch den Botschaftsinhalt eine niedrige psychologische Distanz signalisiert wird und damit ein tendenziell hohes Botschaftsinvolvement vorliegt. Grundsätzlich sollte die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung bei hohem Themeninvolvement einen eher geringen Einfluss auf die persuasive Wirkung von Botschaften aufweisen. Ist unter dieser Bedingung das Botschaftsinvolvement jedoch gering, so ist anzunehmen, dass eine leichte Informationsverarbeitung bedeutender ist. Der Effekt der Leichtigkeit der Informationsverarbeitung auf die persuasive Wirkung von Botschaften wird dann entsprechend weniger gering ausfallen. Als erster Grund, warum das Abstraktionsniveau die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung beeinflusst, wurde in Abschnitt 3.2.2 erläutert, dass konkrete Information weniger geistigen Ressourcen zur Informationsverarbeitung benötigen und damit grundsätzlich leichter zu verarbeiten sind. Nach der Ressource-Matching-Hypothese von Keller und Block (1997) entsteht ein persuasiver Effekt von Botschaften dann, wenn die nötigen geistigen Ressourcen zur Verarbeitung einer Information mit den verfügbaren geistigen Ressourcen des Botschaftsempfängers übereinstimmen. Den Autoren zufolge haben lebhafte, konkrete Informationen einen persuasiven Vorteil gegenüber weniger lebhaften, abstrakten Informationen, wenn der Botschaftsempfänger nur wenige geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung aufwendet (Keller & Block, 1997). Bei einem hohen Ausmaß an verfügbaren geistigen Ressourcen zur Informationsverarbeitung können dagegen auch weniger lebhafte, abstrakte Informationen überzeugend bzw. in ihrer persuasiven Wirkung lebhaften, konkreten Informationen gegebenenfalls sogar überlegen sein (Keller & Block, 1997). Wie viele geistige Ressourcen Botschaftsempfänger zur Informationsverarbeitung aufwenden, hängt dabei unter anderem von

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

deren Involvement ab (Keller & Block, 1997), von welchem angenommen wird, dass es durch die primäre und sekundäre psychologische Distanz bestimmt wird. Je höher primäre und sekundäre Distanz, desto weniger geistige Ressourcen werden aufgewendet. Entsprechend weniger sollten abstrakte Informationen wie Statistiken den geistig verfügbaren Ressourcen entsprechen. In Abschnitt 3.2.2 wurde erläutert, dass das Abstraktionsniveau der Botschaft die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung fördert, wenn es kongruent zum mentalen Abstraktionsniveau des Botschaftsempfängers ist. Demnach ergibt sich ein positiver Effekt auf die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung konkreter Information (z.B. Anekdoten) bei niedrigem mentalem Abstraktionsniveau und abstrakten Informationen (z.B. Statistiken) bei hohem mentalem Abstraktionsniveau. Da das mentale Abstraktionsniveau von der primären und sekundären psychologischen Distanz abhängt (vgl. Abschnitt 3.2.1.3), ist zu erwarten, dass auch der genannte Fit-Effekt von der jeweiligen Distanz beeinflusst wird. Grundsätzlich ist das mentale Abstraktionsniveau bei fernen Botschaftskontexten (hohe primäre psychologische Distanz) hoch, d.h. Individuen bilden abstrakte mentale Repräsentationen der Botschaft. Abstrakte Informationen (z.B. Statistiken) sind mit diesem hohen Abstraktionsniveau grundsätzlich stärker kongruent im Vergleich zu konkreten Informationen (z.B. Anekdoten). Wird bei der weiteren Informationsaufnahme aufgrund des Botschaftsinhalts eine niedrige sekundäre psychologische Distanz wahrgenommen, so sollte auch das mentale Abstraktionsniveau sinken, d.h. weniger abstrakt sein. Statistiken sind dann weniger kongruent mit dem geistigen Abstraktionsniveau. Bei nahen Botschaftskontexten (niedrige primäre psychologische Distanz) entsprechen dagegen Anekdoten im Vergleich zu Statistiken grundsätzlich besser dem niedrigen mentalen Abstraktionsniveau. Wird jedoch bei der weiteren Informationsaufnahme durch den Botschaftsinhalt eine hohe sekundäre psychologische Distanz wahrgenommen, steigt das geistige Abstraktionsniveau. Die Kongruenz von Anekdoten mit dem mentalen Abstraktionsniveau sollte dann weniger ausgeprägt sein.

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

77

Abschließend wurde in Abschnitt 3.2.2 angenommen, dass die Kongruenz im Abstraktionsniveau innerhalb der Botschaft eine leichte Informationsverarbeitung fördert. Dieser Effekt erscheint zunächst unabhängig von der primären und sekundären psychologischen Distanz. Eine Änderung in der wahrgenommenen Kongruenz von Botschaftselementen innerhalb der Botschaft ist nur dann zu erwarten, wenn die Wahrnehmung der Abstraktheit bzw. Konkretheit dieser Elemente beeinflusst wird. Dieser Aspekt wird in Abschnitt 3.3.1 aufgegriffen. Wie bereits die zuvor dargestellten Effekte des Abstraktionsniveaus der Botschaft auf die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung, sollte auch die Abstraktionsniveaukongruenz innerhalb der Botschaft wie eingangs erwähnt die persuasive Wirkung von Botschaften umso stärker fördern, je geringer das Involvement der Botschaftsempfänger ist, d.h. je höher primäre und sekundäre psychologische Distanz wahrgenommen werden (mit: primär hoch/sekundär hoch > primär hoch/sekundär niedrig > primär niedrig/sekundär hoch > primär niedrig/sekundär niedrig). 3.2.4

Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen und Ableitung der Hypothesen

In den bisherigen theoretischen Überlegungen wurde davon ausgegangen, dass Individuen aufgrund des Botschaftskontexts eine primär hohe oder niedrige Distanz wahrnehmen. Entsprechend weisen sie ein grundsätzlich höheres oder niedriges mentales Abstraktionsniveau auf (siehe Abschnitt 3.2.1.1.). Bei der weiteren Informationsaufnahme wird dieses grundsätzliche Abstraktionsniveau durch die wahrgenommene sekundäre Distanz zu einzelnen Botschaftsinhalten beeinflusst (siehe Abschnitt 3.2.1.2.). Botschaften können in Abhängigkeit ihres Abstraktionsniveaus diesem mentalen geistigen Abstraktionsniveau mehr oder weniger entsprechen (siehe Abschnitt 3.2.1.3 und 3.2.3). Zudem können konkrete Informationen auch ein konkretes geistiges Abstraktionsniveau fördern, d.h. zu einer bildlicheren Vorstellung eines Sachverhalts beitragen. Je niedriger das geistige Abstraktionsniveau bereits ist, umso kleiner wird der zusätzliche Effekt von konkreten Informationen

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

für diese konkretere Vorstellbarkeit mutmaßlich sein (siehe Abschnitt 3.2.2 und Abschnitt 3.2.3) Eine weitere Annahme war, dass die wahrgenommene primäre und sekundäre psychologische Distanz des Botschaftsempfängers dessen Involvement (Themen- und Botschaftsinvolvement) beeinflusst. Je geringer die psychologische Distanz wahrgenommen wird, desto persönlich relevanter werden Botschaften wahrgenommen und desto mehr geistige Ressourcen wendet der Botschaftsempfänger zur Informationsverarbeitung auf. Je mehr geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung wiederum zur Verfügung stehen, umso geringer wird der Einfluss einer leichten Verarbeitbarkeit von Informationen. Die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung kann dabei durch das Abstraktionsniveau der Botschaft beeinflusst werden, einen Fit von Botschaftselementen mit demselben Abstraktionsniveau und durch die Übereinstimmung des Abstraktionsniveaus der Botschaft mit dem mentalen Abstraktionsniveau des Botschaftsempfängers. (siehe Abschnitt 3.2.2 und Abschnitt 3.2.3) Wie können diese theoretischen Überlegungen dazu beitragen, die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken im Kontext des Sozialmarketings zu erklären? Basierend auf den dargestellten Überlegungen ergeben sich folgende Annahmen für die Wirkung von Anekdoten und Statistiken im Kontext des Sozialmarketings: Für Botschaftskontexte, die dem Botschaftsempfänger primär fern sind (z.B. Spenden, Umweltschutz), weisen die Botschaftsempfänger ein grundsätzlich hohes mentales Abstraktionsniveau auf. Statistiken als abstrakte Informationen entsprechen grundsätzlich diesem mentalen Abstraktionsniveau. Durch die hohe wahrgenommene primäre psychologische Distanz ist das Themeninvolvement der Zielpersonen tendenziell gering. Nehmen die Botschaftsempfänger neben der primären auch eine sekundär hohe Distanz wahr (z.B. Spenden für Menschen in einem fernen Land), sollte neben dem Themeninvolvement auch das Botschaftsinvolvement gering sein. Das mentale Abstraktionsniveau sollte durch die hohe primäre und hohe sekundäre Distanz zur Botschaft besonders hoch sein. Das bedeutet, die Botschaftsempfänger können sich

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

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die in der Botschaft beschriebene Situation besonders schlecht vorstellen. Anekdoten, die durch die Darstellung eines Einzelschicksals die Vorstellbarkeit von Situationen erhöhen, können bei dieser Gruppe von Probanden einen besonders hohen Beitrag zu einer konkreteren geistigen Vorstellung leisten. Durch die besonders hohe wahrgenommene Distanz ist zudem das Involvement (geringes Themen- und Botschaftsinvolvement) der Botschaftsempfänger besonders niedrig. Da hierdurch besonders wenige geistige Kapazitäten zur Informationsverarbeitung aufgewendet werden, ist es von besonderer Bedeutung für die persuasive Wirkung, dass die Botschaften sehr leicht und flüssig zu verarbeiten sind. Leicht zu verarbeitende Informationen sind dabei entweder besonders konkrete Information, also Anekdoten, oder Informationen, die dem mentalen Abstraktionsniveau entsprechen, was für diese Gruppe Statistiken wären. Eine Annahme zur Überlegenheit einer der beiden Einflussgrößen „Abstraktionsniveau der Botschaft“ und „Fit zum mentalen Abstraktionsniveau“ auf die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung und damit auf die persuasive Wirkung von Botschaften kann nicht getroffen werden. Entsprechend kann keine Annahme zur Überlegenheit anekdotischer oder statistischer Botschaften für diese Gruppe getroffen werden. Lediglich der potenziell hohe Effekt von Anekdoten, die bildliche Vorstellbarkeit zu erhöhen (und damit die sekundär wahrgenommene Distanz zu reduzieren) lässt eine leicht höhere Wirkung von Anekdoten gegenüber Statistiken denkbar erscheinen. Auch für Botschaftsempfänger einer primär psychologisch fernen Botschaft, die allerdings eine sekundär niedrigere Distanz wahrnehmen (z.B. Spenden für ein Projekt in der Nachbarschaft), entsprechen statistische Botschaften zunächst dem durch den Botschaftskontext bedingtem grundsätzlich hohen mentalen Abstraktionsniveau. Im Vergleich zu denjenigen Botschaftsempfängern, die eine sekundär hohe Distanz wahrnehmen, können diese Individuen sich die in der Botschaft beschriebene Situation jedoch bereits bildhafter vorstellen. Ihr mentales Abstraktionsniveau ist weniger hoch. Der die bildliche Vorstellung fördernde Effekt von Anekdoten sollte für diese Individuen entsprechend niedriger ausfallen. Durch die weniger gering wahrgenommene persönliche Relevanz der

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Botschaften (niedriges Themen-, aber hohes Botschaftsinvolvement), sollten zudem vergleichsweise mehr geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung aufgewendet werden, wodurch auch abstraktere Botschaften wie Statistiken tendenziell eher verarbeitet werden können und überzeugend wirken können. Eine leichte Informationsverarbeitung wird weniger wichtig. Das bedeutet zum einen, dass zwar auch der Fit des Abstraktionsniveaus der Botschaft zum geistigen Abstraktionsniveau im Vergleich zur Situation einer sekundär wahrgenommenen Ferne weniger wichtig wird. Es bedeutet aber auch, dass das Abstraktionsniveau von Botschaften eine geringere Rolle spielt, also die leichtere Verarbeitbarkeit von Anekdoten weniger relevant ist. Zusammengenommen sprechen diese Annahmen dafür, dass für Botschaftsempfänger von primär fernen Botschaften bei sekundär wahrgenommener Nähe Statistiken im Vergleich zu Anekdoten eine überlegene persuasive Wirkung aufweisen sollten. Für Botschaftskontexte, die dem Botschaftsempfänger primär psychologisch nahe sind, also Entscheidungen die eigene Person betreffend beinhalten (z.B. Risikokommunikation), weisen die Individuen den hier angestellten theoretischen Überlegungen zufolge ein geringes grundsätzliches mentales Abstraktionsniveau auf. Anekdoten als konkrete Informationen entsprechen diesem mentalen Abstraktionsniveau. Das Themeninvolvement i.S. der persönlichen Relevanz des Botschaftskontexts ist tendenziell eher hoch. Empfinden die Botschaftsempfänger auch eine sekundär niedrige Distanz (z.B. weil sie sich ihres Risikos bewusst sind und sich in der Botschaft wiederfinden), weisen sie ein sehr geringes mentales Abstraktionsniveau auf, d.h. sie haben bereits sehr konkrete bildliche Vorstellungen zu der in der Botschaft beschriebenen Situation. Anekdoten können diese Vorstellung nur wenig konkretisieren. Durch das eher hohe Involvement (hohes Themen- und Botschaftsinvolvement) der Botschaftsempfänger stehen eher viele geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung zur Verfügung. Entsprechend können neben anekdotischen auch statistische Botschaften verarbeitet werden und beispielsweise über ihren hohen Informationsgehalt (vgl. Abschnitt 2.2.3) überzeugend wirken. Die Leichtigkeit, mit der Informationen verarbeitet werden

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

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können, ist wenig relevant für die Überzeugungswirkung, d.h. weder die Tatsache, dass Anekdoten dem geistigem Abstraktionsniveau entsprechen, noch dass sie durch ihr niedriges Abstraktionsniveau leicht zu verarbeiten sind, sollte die persuasive Wirkung maßgeblich beeinflussen. Treffen diese Annahmen zu, sollten Anekdoten und Statistiken eine vergleichbare persuasive Wirkung entfalten können. Diese Annahme entspricht auch der Sichtweise von Keller und Block (1997), wonach bei hoher Verfügbarkeit geistiger Ressourcen zur Informationsverarbeitung sowohl Anekdoten als auch Statistiken überzeugen können. Gesetzt dem Fall, Statistiken würden als besonders starkes Argument wahrgenommen, wäre nach dem ELM (Petty & Cacioppo, 1986) auch eine leicht höhere Überzeugungswirkung von Statistiken gegenüber Anekdoten denkbar. Gleiches wäre auch dann denkbar, wenn die zur Verfügung stehenden kognitiven Ressourcen zur Informationsverarbeitung die benötigten Ressourcen zur Verarbeitung von Anekdoten übersteigen würden (Keller & Block, 1997). Nehmen nun Botschaftsempfänger einer primär nahen Botschaft diese als sekundär fern wahr (z.B. Botschaften der Risikokommunikation bei optimistischen Botschaftsempfängern), weisen sie ein weniger niedriges mentales Abstraktionsniveau auf. Das bedeutet, diese Individuen können sich die in der Botschaft beschriebene Situation weniger konkret vorstellen. Der Beitrag zu einer bildlicheren, konkreteren Vorstellung von Anekdoten kann hier größer sein. Durch die sekundär wahrgenommene hohe Distanz wird die Botschaft als weniger persönlich relevant wahrgenommen, d.h. das Involvement ist insgesamt weniger hoch (hohes Themen-, aber niedriges Botschaftsinvolvement). Entsprechend werden weniger geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung aufgewendet und die Bedeutung einer leichten und flüssigen Informationsverarbeitung für die persuasive Wirkung von Botschaften steigt. Da Anekdoten sowohl dem grundsätzlichen mentalen Abstraktionsniveau entsprechen und zudem ein geringes Abstraktionsniveau aufweisen, sollten Anekdoten gegenüber Statistiken überzeugender wirken.

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Die angestellten Überlegungen können in folgende Hypothesen zum moderierenden Einfluss der psychologischen Distanz überführt werden: H1:

Weisen Botschaftsempfänger eine primär hohe psychologische Distanz zur Botschaft auf,

a)

haben statistische Botschaften im Vergleich zu anekdotischen Botschaften eine stärkere persuasive Wirkung, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft gering wahrgenommen wird.

b)

haben weder statistische noch anekdotische Botschaften einen persuasiven Vorteil, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft hoch wahrgenommen wird. 6

H2:

Weisen Botschaftsempfänger eine primär niedrige psychologische Distanz zur Botschaft auf,

a)

haben anekdotische Botschaften im Vergleich zu statistischen Botschaften eine stärkere persuasive Wirkung, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft hoch wahrgenommen wird.

b)

haben weder statistische noch anekdotische Botschaften einen persuasiven Vorteil, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft gering wahrgenommen wird. 7

Abbildung 13 fasst die angestellten theoretischen Überlegungen sowie die daraus resultierenden Hypothesen zur persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken noch einmal zusammen.

6

Der Autorin ist bewusst, dass es sich bei dieser Hypothese um eine Nullhypothese handelt und diese empirisch nicht überprüfbar ist. Die Hypothese gibt jedoch den theoretisch vermuteten Zusammenhang wieder und wird daher aus Gründen der vollständigen Darstellung der theoretischen Überlegungen aufgeführt.

7

Der Autorin ist bewusst, dass es sich bei dieser Hypothese um eine Nullhypothese handelt.

Theoretische Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz

Abbildung 13

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Überblick zu den Hypothesen H1 und H2 zur persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken in Abhängigkeit der primären und sekundären psychologischen Distanz (eigene Darstellung)

Neben den angestellten Überlegungen zu einem moderierenden Effekt der psychologischen Distanz auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken muss zudem von einem Haupteffekt der psychologischen Distanz ausgegangen werden. Trope und Liberman (2010) weisen darauf hin, dass die Verhaltensabsicht von der psychologischen Distanz beeinflusst wird: Ereignisse, die beispielsweise als räumlich nah oder wahrscheinlich eintretend empfunden werden, erhöhen die Dringlichkeit des Handelns. Auch So und Nabi (2013) zeigen einen positiven Einfluss von wahrgenommener psychologischer Nähe auf die Verhaltensabsicht. Die Verhaltensabsicht sollte demnach umso größer sein, je geringer die

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

wahrgenommene psychologische Distanz des Botschaftsempfängers bestehend aus primärer und sekundärer Distanz - zur Botschaft ist. H3: Je geringer die psychologische Distanz zur Botschaft wahrgenommen wird, umso stärker führen Botschaften unabhängig vom Botschaftstyp zu botschaftskonsistenten Reaktionen der Botschaftsempfänger. 3.3

Beitrag der theoretischen Überlegungen zum Einfluss der psychologischen Distanz zur Erklärung potenzieller weiterer moderierender Effekte

Im vorherigen Abschnitt wurde der Einfluss der primären und der sekundären psychologischen Distanz auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken diskutiert. Dieses theoretische Rahmenkonzept kann dazu beitragen, weitere moderierende Effekte auf die Wirkung der beiden Botschaftstypen zu erklären. Aufgrund der widersprüchlichen Ergebnisse zur vergleichenden Wirkung von Anekdoten und Statistiken in der bisherigen Forschung (vgl. Abschnitt 2.3), ist die Identifikation relevanter Moderatorvariablen bedeutsam, um praktische Implikationen für den Einsatz von Anekdoten und Statistiken in Botschaften des Sozialmarketings ableiten zu können. Als eine relevante moderierende Größe wurde bereits auf den unrealistisch komparativen Optimismus der Botschaftsempfänger verwiesen. In der bisherigen Betrachtung stellt dieser eine mögliche Ursache für eine sekundär hoch wahrgenommene psychologische Distanz dar. Weitere Effekte des Optimismus auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken werden in Abschnitt 3.3.1 vorgestellt. In der Literatur zu Anekdoten und Statistiken wird vereinzelt auf das Message Framing als relevante moderierende Größe hingewiesen (z.B. Cox & Cox, 2001). Eine abschließende Empfehlung für den Einsatz von Anekdoten und Statistiken mit unterschiedlichem Framing lassen die bisherigen Ergebnisse jedoch nicht zu (vgl. Abschnitt 2.3.2). Abschnitt 3.3.2 diskutiert, wie das in dieser Arbeit vorgestellte theoretische Rah-

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

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menkonzept dazu beitragen kann, den moderierenden Effekt des Message Framing auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken weitergehend zu erklären. Abschließend wird in Abschnitt 3.3.3 eine mögliche Interaktion der moderierenden Effekte des Message Framing und des unrealistisch komparativen Optimismus diskutiert. 3.3.1

Unrealistisch komparativer Optimismus als moderierende Größe

Im Kontext der Risikokommunikation kommt dem unrealistisch komparativen Optimismus als interessierende Größe eine besondere Bedeutung zu. Unrealistische Optimisten unterschätzen ihr Risiko, selbst von einem negativen Ereignis betroffen zu sein (Armor & Taylor, 1998), neigen aber gleichzeitig zu riskantem Verhalten (Fisher & Fisher, 1992; Shepperd et al., 2015). Optimismus der Botschaftsempfänger führt allerdings dazu, dass diese nur schwer durch Botschaften der Risikokommunikation zu erreichen sind (Menon, Block & Ramanathan, 2002). Für die Risikokommunikation bedeutet dies, dass eine besonders relevante Zielgruppe nur schwer durch Kommunikationsmaßnahmen erreichbar ist. Aus theoretischer Sicht scheint der unrealistisch komparativen Optimismus die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften über den zuvor beschriebenen Effekt einer höheren sekundären psychologischen Distanz hinaus zu beeinflussen. Die sekundäre psychologische Distanz bezieht sich auf die Tatsache, dass Botschaftsinhalte vom Botschaftsempfänger mehr oder weniger persönlich relevant (d.h. psychologisch nah) wahrgenommen werden und damit die Wirkung von konkreten und abstrakten Informationen beeinflusst. Beispielsweise kann angenommen werden, dass unrealistisch komparative Optimisten eine höhere sekundäre Distanz zu in Botschaften der Risikokommunikation beschriebenen negativen Konsequenzen wahrnehmen, da sie davon ausgehen, selbst weniger wahrscheinlich von diesen betroffen zu sein. Wie in Abschnitt 3.2 beschrieben, sollten in dieser Situation konkrete Botschaften abstrakten überlegen sein.

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Statistiken sind jedoch nicht nur abstrakte Information, sondern auch eine Information über eine durchschnittliche Population (vgl. Abschnitt 2.1). Dieser Durchschnitt stellt wiederum den Ausgangspunkt von Optimismus dar. Unrealistisch komparative Optimisten vergleichen sich nicht mit dem Durchschnitt (Shepperd et al., 2015). Dies lässt den Schluss zu, dass unrealistisch komparativer Optimismus nicht nur die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft beeinflusst, sondern auch die Wahrnehmung statistischer Botschaften. Es ist daher wahrscheinlich, dass unrealistisch komparativer Optimismus die Wirkung der beiden Botschaftstypen über die in Abschnitt 3.2. dargestellten Effekte hinaus beeinflusst. Im Folgenden wird zunächst das Konzept des unrealistisch komparativen Optimismus vorgestellt und im Anschluss dessen moderierender Effekt auf die Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften diskutiert. 3.3.1.1

Das Konzept des unrealistisch komparativen Optimismus

Zahlreiche Individuen gehen davon aus, dass sie selbst im Vergleich zu anderen, die das gleiche riskante Verhalten zeigen, weniger wahrscheinlich von negativen Konsequenzen dieses Verhaltens betroffen sein werden (Armor & Taylor, 1998). Beispielsweise zeigt Weinstein (1980), dass Individuen, wenn sie danach gefragt werden, im Durchschnitt die Wahrscheinlichkeit für negative Ereignisse niedriger einschätzen, als die wahre durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis für die durchschnittliche Bevölkerung. In der Literatur wird dieses Phänomen der Unterschätzung auch als Self-Positivity Bias (z.B. Yan & Sengupta, 2013), unrealistischer Optimismus (z.B. Weinstein, 1980), komparativer Optimismus (z.B. Chambers & Windschitl, 2004) oder auch unrealistisch komparativer Optimismus (z.B. Shepperd et al., 2015) bezeichnet. Diese Konzepte beziehen sich auf einen situativen, kontextspezifischen Optimismus und sind klar von einem dispositionalen Optimismus (Scheier & Carver, 1985) zu unterscheiden, welcher nicht Gegenstand dieser Arbeit ist. Das Konzept des Self-Positivity-Bias wird in der Literatur beschrieben als „a gap between risk perceptions of self and other people” (Chandran &

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

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Menon, 2004, S.375). Self-Positivity-Bias wird dabei typischerweise als Fehlschluss auf Gruppenebene betrachtet. Schätzt die Stichprobe im Mittel das eigene Risiko im Vergleich zu dem anderer Vergleichspersonen geringer ein, so liegt ein Self-Positivity-Bias in der Stichprobe vor (z.B. Yan & Sengupta, 2013). Die Erfassung des unrealistischen Optimismus erfolgt ebenfalls auf Gruppenebene. Schätzt eine Gruppe die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines bestimmten negativen Ereignisses im Mittel geringer ein als die wahre, beobachtbare Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis, liegt unrealistischer Optimismus vor (z.B. Weinstein, 1980). Komparativer Optimismus beschreibt die Tendenz zu glauben, man selbst wäre weniger von bestimmten negativen Ereignissen betroffen als eine relevante Vergleichsgruppe (z.B. Chambers & Windschitl 2004, S. 813). Komparativer Optimismus ist damit im Wesentlichen mit dem Konzept des Self-Positivity-Bias gleichzusetzen, wobei als komparativer Optimismus häufiger die Fehleinschätzung eines Individuums als die einer Gruppe bezeichnet wird. Sowohl komparativer Optimismus als auch das Konzept des Self-Positivity-Bias können in Abhängigkeit der Vergleichsperson auch einen realistischen Teil einer geringeren Risikoeinschätzung beinhalten. Beispielsweise werden häufig Freunde oder Studienkollegen als Vergleichsgruppe herangezogen (z.B. Menon, Block & Ramanathan, 2002). Hier ist es denkbar, dass Probanden ihr Risiko für bestimmte Ereignisse aus berechtigten Gründen geringer als das der Vergleichsgruppe einschätzen. Pflegt eine Person beispielsweise den gesündesten Lebensstil in ihrem Freundeskreis, kann es berechtigt sein, das persönliche Risiko für bestimmte Erkrankungen geringer einzuschätzen. In diesem Fall ergäbe sich auch keine Notwendigkeit, diese Personen durch Botschaften der Risikokommunikation besonders erreichen zu müssen. Für die vorliegende Arbeit erscheint das Konzept des unrealistisch komparativen Optimismus von besonderer Bedeutung. Unrealistisch komparative Optimisten – im folgenden Optimisten genannt – gehen davon aus, dass sie weniger wahrscheinlich von einem negativen Ereignis betroffen sein werden als eine durchschnittliche, vergleichbare Person (Shepperd et al., 2015). Das Konzept bezieht sich demnach ausschließ-

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

lich auf eine ungerechtfertigte Unterschätzung des Risikos. Es gibt keinen Grund, warum das eigene Risiko geringer sein sollte, als das durchschnittliche Risiko einer „Person wie ich“. Dennoch belegen bisherige Studien im Kontext gesundheitlicher Risiken, dass etwa über 50% der Probanden eine solche optimistische Risikoeinschätzung abgeben (z.B. Radcliffe & Klein, 2002; Waters et al., 2011). Unrealistisch komparativer Optimismus wird zudem mit riskantem Verhalten in Verbindung gebracht (z.B. Dillard, Midboe & Klein, 2009; Kim & Niederdeppe, 2013; vgl. Shepperd et al., 2015). 3.3.1.2

Der moderierende Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken

Bezogen auf die in Abschnitt 3.2 dargestellten theoretischen Überlegungen zur psychologischen Distanz im Sozialmarketing, liegt im Kontext von Botschaften der Risikokommunikation eine primär niedrige psychologische Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft vor, da sich die Botschaft auf die eigene Person bezieht (z.B. eigenes Verhalten). Dies sollte auch für optimistische Botschaftsempfänger zutreffen. Zwar unterschätzen diese ihr Risiko von negativen Konsequenzen durch ihr Verhalten betroffen zu sein (Shepperd et al., 2015), wie es der Botschaftsinhalt vermittelt. Trotzdem sollten sie sich bewusst sein, dass sie das jeweilige Verhalten zeigen (z.B. Rauchen, Rasen), welches der Botschaftskontext signalisiert. Unrealistisch komparativer Optimismus führt demnach dazu, dass die wahrgenommene sekundäre psychologische Distanz des Botschaftsempfängers steigt, nicht jedoch die primäre psychologische Distanz. Optimisten nehmen also im Vergleich zu nicht-optimistischen Botschaftsempfängern die Botschaft sekundär betrachtet ferner wahr. Überträgt man die zuvor angestellten theoretischen Überlegungen zur Situation einer primär niedrigen, aber gleichzeitig sekundär hohen psychologischen Distanz auf den Aspekt des unrealistisch komparativen Optimismus, ist davon auszugehen, dass unrealistisch komparativer Optimismus die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken wie folgt moderiert:

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

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Aufgrund der Tatsache, dass Optimisten selbst ein riskantes Verhalten ausüben und Botschaften der Risikokommunikation zur Änderung dieses Verhaltens auffordern, sollten Optimisten genauso wie Nicht-Optimisten grundsätzlich ein niedriges mentales Abstraktionsniveau aufweisen. Anekdoten als konkrete Information sollten unabhängig vom Optimismus bei Botschaften der Risikokommunikation, die primär psychologisch nah sind, dem mentalen Abstraktionsniveau grundsätzlich besser entsprechen als Statistiken. Durch die höhere sekundäre psychologische Distanz von optimistischen Zielpersonen kann davon ausgegangen werden, dass diese ein weniger konkretes mentales Abstraktionsniveau aufweisen als Individuen, die ihr Risiko realistisch einschätzen. Je optimistischer Personen sind, desto weniger konkret sollten sie sich die in einer Botschaft beschriebenen negativen Konsequenzen vorstellen können. Da Anekdoten überwiegend über die Förderung einer bildlichen Vorstellung wirken (siehe Abschnitt 2.2.2), sollten Anekdoten zu einem konkreteren mentalen Abstraktionsniveau beitragen können. Dieser positive Effekt von Anekdoten sollte umso größer sein, je optimistischer die Zielpersonen sind. Je weniger optimistisch die Botschaftsempfänger sind, umso konkreter ist ihr mentales Abstraktionsniveau bereits, d.h. der zusätzliche Beitrag von Anekdoten zu einer bildlichen Vorstellung sollte dann begrenzt sein. Aufgrund der wahrgenommenen hohen sekundären Distanz, sollten Optimisten die Botschaft als weniger persönlich relevant wahrnehmen als Nicht-Optimisten, die sich über ihr Risiko bewusst sind. Das Botschaftsinvolvement sollte entsprechend mit steigendem unrealistisch komparativem Optimismus abnehmen. Je niedriger das Involvement der Botschaftsempfänger, umso wichtiger ist es, dass Informationen leicht zu verarbeiten sind (Schwarz, 2004). Dies liegt darin begründet, dass bei niedrigem Involvement nur wenige geistige Ressourcen zur Informationsverarbeitung zur Verfügung stehen (Keller & Block, 1997). Anekdoten sind im Vergleich zu Statistiken aus zwei Gründen leichter zu verarbeiten: (1) sie sind kongruent mit dem primären mentalen Abstraktionsniveau bei primär nahen Botschaftskontexten (siehe Abschnitt 3.2.2), weil es sich

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

um konkrete Informationen handelt (siehe Abschnitt 2.1), und (2) konkrete Informationen sind grundsätzlich eher leichter zu verarbeiten als abstrakte (Keller & Block, 1997). Aufgrund dessen kann bei Optimisten als Botschaftsempfängern von einem persuasiven Vorteil von Anekdoten gegenüber Statistiken ausgegangen werden. Weisen Personen dagegen keinen unrealistisch komparativen Optimismus auf, ist ein höheres Involvement (hohes Themen- und Botschaftsinvolvement) und damit einhergehend ein höheres Maß an verfügbaren geistigen Ressourcen zur Informationsverarbeitung wahrscheinlich. Die Bedeutung einer leichten Informationsverarbeitung ist damit gering. Sowohl die Übereinstimmung zwischen Abstraktionsniveau der Botschaft mit dem mentalen Abstraktionsniveau, als auch die Konkretheit einer Information sind weniger von Bedeutung (vgl. Abschnitt 3.2.3). Entsprechend kann bei nichtoptimistischen Personen kein persuasiver Vorteil von Anekdoten gegenüber Statistiken angenommen werden. Zusammengefasst erklärt das in Abschnitt 3.2 dargestellte theoretische Rahmenkonzept den moderierenden Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf die Wirkung von Anekdoten und Statistiken durch (1) die Übereinstimmung des mentalen Abstraktionsniveaus mit dem der Botschaft, (2) die Förderung der bildlichen Vorstellung bzw. der Senkung des mentalen Abstraktionsniveaus, (3) das Involvement der Botschaftsempfänger und den daraus resultierenden zur Verfügung stehenden geistigen Ressourcen der Botschaftsempfänger. Dieses Rahmenkonzept beruht auf der Grundannahme, dass Anekdoten als Darstellung eines Einzelschicksals grundsätzlich eher konkrete Informationen sind verglichen mit Statistiken, die als Zusammenfassung mehrerer Fälle abstrakte Informationen darstellen. Die oben dargestellte Wirkung sollte entsprechend auf jegliche Form konkreter und abstrakter Informationen übertragbar sein (z.B. „Wie?“-Botschaften vs. „Warum?“-Botschaften). Bei der Diskussion des moderierenden Effekts des unrealistisch komparativen Optimismus auf die Wirkung von Anekdoten und Statistiken erscheint jedoch ein weiterer Aspekt relevant. Optimisten vergleichen sich nicht mit dem Durchschnitt (Shepperd et al., 2015). Im Gegensatz zu

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

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anderen Formen abstrakter Informationen beziehen sich Statistiken jedoch grundsätzlich auf eine bestimmte Population – beispielsweise das durchschnittliche Risiko für Erkrankungen von Rauchern – und stellen damit eine Information über diesen Durchschnitt dar. Entsprechend ist es wahrscheinlich, dass mit steigendem Optimismus die wahrgenommene psychologische Distanz zu der dargestellten Personengruppe in der Botschaft (dem Durchschnitt) steigt. Als Folge daraus ist es wahrscheinlich, dass Statistiken dadurch von optimistischen Botschaftsempfängern noch abstrakter wahrgenommen werden. Wie bereits dargestellt, sollten Informationen möglichst konkret sein, um optimistische Botschaftsempfänger zu überzeugen. Daraus ergibt sich, dass mit zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus nicht nur die persuasive Wirkung von Anekdoten steigt, sondern auch, dass mit zunehmendem Optimismus die persuasive Wirkung von Statistiken sinkt. Nicht-optimistische Botschaftsempfänger dagegen unterschätzen ihr Risiko nicht, sondern gehen davon aus, das gleiche Risiko für ein negatives Ereignis zu haben, wie eine durchschnittliche, ihnen ähnliche Person (Shepperd et al., 2015). Deshalb ist es wahrscheinlich, dass sie Statistiken nicht nur aufgrund ihrer höheren verfügbaren Kapazitäten zur Informationsverarbeitung verarbeiten können, sondern diese aufgrund der geringeren psychologischen Distanz auch als weniger abstrakt wahrnehmen. Statistiken widersprechen damit bei Nicht-Optimisten weniger dem primären mentalen Abstraktionsniveau. Allerdings spielt für diese Personengruppe der Fit von Informationen zum mentalen Abstraktionsniveau auch eine geringere Rolle (vgl. Abschnitt 3.2.3). Zusammengenommen ist anzunehmen, dass unrealistisch komparativer Optimismus das wahrgenommene Abstraktionsniveau von statistischen Botschaften erhöht. Zudem ist es theoretisch denkbar, dass unrealistisch komparativer Optimismus auch das wahrgenommene Abstraktionsniveau von anekdotischen Botschaften beeinflussen könnte. Durch die Darstellung eines Einzelschicksals haben Anekdoten die Möglichkeit, die optimistische Denkweise der Zielperson aufzugreifen (z.B. „Toni hätte nie gedacht, dass ihm das passieren könnte.“). Da Optimisten in diesem Fall die gleiche Denkweise wie der Protagonist der Anekdote aufweisen, soll-

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

ten sie sich die Botschaftsinhalte besser vorstellen können, die Botschaft persönlich relevanter bzw. sekundär psychologisch näher erscheinen. Das mentale Abstraktionsniveau sollte also konkreter werden. Das bedeutet, dass Botschaften, die eine solche optimistische Denkweise aufgreifen, relativ gesehen mit zunehmendem unrealistisch komparativen Optimismus konkreter wahrgenommen werden sollten. Das Aufgreifen einer optimistischen Denkweise bietet sich aus praktischer Sicht besonders dann an, wenn durch die Botschaften Optimisten erreicht werden sollen, was aufgrund deren Neigung zu riskantem Verhalten (Shepperd et al., 2015) relevant erscheint. Abbildung 14 veranschaulicht den angenommenen Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf das wahrgenommene Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken.

Abbildung 14

Einfluss des unrealistisch komparativen Optimismus auf das wahrgenommene Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken (eigene Darstellung)

Zusammenfassend kann folgender Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken angenommen werden: H4:

Das Ausmaß des unrealistisch komparativen Optimismus moderiert die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken: Je größer das Ausmaß an unrealistisch komparativen Optimismus

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

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der Botschaftsempfänger, desto geringer ist die persuasive Wirkung statistischer Botschaften im Vergleich zu anekdotischen Botschaften. 3.3.2

Der moderierende Effekt des Message Framing

Als weiterer potenzieller moderierender Einfluss auf die Wirkung von Anekdoten und Statistiken wurde in Abschnitt 2.3.2 das Framing einer Botschaft identifiziert. In der Literatur finden sich Hinweise darauf, dass nicht jede Anekdote einen persuasiven Vorteil gegenüber Statistiken aufweist, sondern dies vom Framing der Botschaft abhängt. Beispielsweise berichten Cox und Cox (2001) von einem sogenannten BackfireEffekt von positiv geframten Anekdoten, d.h. dass Probanden, die dieser Botschaft ausgesetzt waren, eine geringere Verhaltensabsicht aufwiesen, als Probanden einer Kontrollgruppe ohne Botschaft. Zudem gibt es erste empirische Belege dafür, dass positive Statistiken einen stärkeren persuasiven Effekt aufweisen als negative Statistiken (Yu et al., 2010). Die Ergebnisse lassen keine Rückschlüsse darauf zu, ob Botschaften im Sozialmarketing nun negative Anekdoten oder positive Statistiken verwenden sollten. Aus den bei Cox und Cox (2001) berichteten Mittelwerten für die Verhaltensabsicht geht hervor, dass Statistiken bei positivem Framing gegenüber Anekdoten überlegen sein könnten und Anekdoten verglichen mit Statistiken bei negativem Framing (Cox & Cox 2001, S. S.96). 3.3.2.1

Abstraktionsniveaukongruenz durch Message Framing

Betrachtet man den Zusammenhang von Anekdoten und Statistiken mit dem Message Framing auf Basis des in Abschnitt 3.2.4 dargestellten theoretischen Rahmenkonzepts auf Basis der CLT, so ergibt sich folgende mögliche Erklärung zum moderierenden Effekt des Message Framing: Anekdoten stellen ein spezifisches Einzelschicksal dar, während Statistiken sich grundsätzlich auf eine Zusammenfassung mehrerer (anonymer) Fälle beziehen (siehe Abschnitt 2.1). Anekdoten weisen demnach ein geringeres Abstraktionsniveau auf und Statistiken ein höheres. Das Abs-

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

traktionsniveau einer Botschaft kann aber nicht nur vom verwendeten Botschaftstyp (i.S. von Anekdote vs. Statistik) abhängen, sondern auch vom Framing dieser Botschaft. Bereits White et al. (2011) gehen davon aus, dass Botschaften mit einem negativen Framing ein geringeres Abstraktionsniveau aufweisen im Vergleich zu einem positivem Framing. Im Kontext des Sozialmarketings beschreiben Botschaften mit negativem Framing typischerweise negative Konsequenzen von bestimmten Verhaltensweisen, z.B. Unfälle durch überhöhte Geschwindigkeit oder Ablenkung am Steuer, Krebs und andere Erkrankungen durch Rauchen oder im Kontext von Spendenverhalten Hunger und andere negative Konsequenzen, die andere erleiden müssen, wenn man nicht spendet. Im Gegensatz dazu beziehen sich Botschaften mit positivem Framing häufig auf das Vermeiden von negativen Konsequenzen, z.B. die Vermeidung eines Unfalls durch angepasste Geschwindigkeit, das Vermeiden von tabakbedingten Erkrankungen durch Verzicht auf das Rauchen oder das Beseitigen negativer Zustände wie Hunger durch eine Spende. Botschaften mit negativem Framing betonen demnach das Eintreten oder Vorhandensein von negativen Konsequenzen oder Ereignissen, während positiv geframte Botschaften typischerweise das Vermeiden oder die Abwesenheit von negativen Konsequenzen oder Ereignissen betonen. Das Vorhandensein von Situationen sollte jedoch konkreter vorstellbar sein als deren Abwesenheit. Diese Annahme wird durch die Message Framing Literatur gestützt, wonach das Nicht-Eintreten bzw. NichtVorhandensein sowohl positiver als auch negativer Zustände (sog. „nonloss“, „non-gain“) weniger überzeugend sind als das Eintreten bzw. Vorhandensein von Zuständen (Dijkstra et al., 2011). Es soll daher zunächst davon ausgegangen werden, dass positives Framing eine Botschaft relativ abstrakter, und negatives Framing Botschaften relativ konkreter macht. Unter der Annahme, dass das Framing einer Botschaft grundsätzlich deren Abstraktionsniveau beeinflusst, wird auch das wahrgenommene Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken durch das Framing beeinflusst. Bezogen auf die obigen Ausführungen sollte sich das Abs-

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

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traktionsniveau von Anekdoten durch ein positives Framing der Botschaft erhöhen. Das würde bedeuten, dass positive Anekdoten im Vergleich zu negativen Anekdoten weniger konkret wahrgenommen werden. Analog ist eine Verschiebung hin zu einem weniger hohen Abstraktionsniveau von Statistiken durch negatives Framing wahrscheinlich, d.h. negative Statistiken sollten im Vergleich zu positiven Statistiken weniger abstrakt wahrgenommen werden. Abbildung 15 verdeutlicht den beschriebenen Einfluss des Message Framings auf das wahrgenommene Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken.

Abbildung 15

Einfluss des Message Framing auf das wahrgenommene Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken (eigene Darstellung)

Die bisherige Forschung im Bereich der CLT zeigt, dass die Kombination von Botschaftselementen, die das gleiche Abstraktionsniveau aufweisen, leichter zu verarbeiten sind und die Verhaltensabsicht stärker positiv beeinflussen im Vergleich zu Botschaftselementen mit unterschiedlichem Abstraktionsniveau (z.B. White et. al., 2011). Unter der Annahme, dass Anekdoten konkrete Informationen und Statistiken abstrakte Informationen darstellen, handelt es sich sowohl bei einer Kombination aus negativem Framing mit einer Anekdote als auch bei einer Kombination aus positivem Framing mit einer Statistik um abstraktionsniveaukongruente Botschaften. Abstraktionsniveaukongruente Botschaften sollten gegenüber jeder Form von inkongruenten Botschaften überlegen sein. Aufgrund des potenziell positiven Effekts der Abstraktionsniveaukongruenz auf die persuasive Wirkung von Botschaften und der Tatsache, dass es

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

aus theoretischer Sicht keinen Grund zur Annahme gibt, dass inkongruente Informationen einen persuasiven Vorteil haben könnten, kann folgende Hypothese formuliert werden: H5:

Das Framing einer Botschaft moderiert die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken:

a)

Statistische Botschaften haben bei positivem Framing der Botschaft im Vergleich zu einem negativen Framing eine stärkere persuasive Wirkung.

b)

Anekdotische Botschaften haben bei negativem Framing der Botschaft im Vergleich zu einem positiven Framing eine stärkere persuasive Wirkung.

c)

Statistische Botschaften haben bei positivem Framing der Botschaft im Vergleich zu anekdotischen Botschaften eine stärkere persuasive Wirkung.

d)

Anekdotische Botschaften haben bei negativem Framing der Botschaft im Vergleich zu statistischen Botschaften eine stärkere persuasive Wirkung.

H5a und H5b sind damit konsistent mit den bisherigen Erkenntnissen aus der Forschung zur persuasiven Wirkung von Anekdoten und Statistiken (Cox & Cox, 2001; Yu et al., 2010). Durch die Betrachtung der Abstraktionsniveaukongruenz kann darüber hinaus ein Vergleich zwischen Anekdoten und Statistiken bei gleichem Framing angestellt werden (H5bc & H5d). Bei positivem Framing sind damit Statistiken als kongruente Information Anekdoten als inkongruenten in ihrer persuasiven Wirkung überlegen. Bei negativem Framing stellen dagegen Anekdoten den abstraktionsniveaukongruenten Botschaftstyp dar und sind damit Statistiken mutmaßlich überlegen. Durch die getroffene Annahme kann jedoch darüber hinaus nicht erklärt werden, wann eine der beiden abstraktionsniveaukongruenten Botschaf-

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

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ten – positive Statistiken oder negative Anekdoten – überzeugender sein könnte. Dieser Frage geht der nachfolgende Abschnitt nach. 3.3.2.2

Die persuasive Wirkung abstraktionsniveaukongruenter Botschaften in Abhängigkeit der psychologischen Distanz

Sowohl positive Statistiken, als auch negative Anekdoten stellen in sich abstraktionsniveaukongruente Botschaften dar. Positive Statistiken sind dabei besonders abstrakte Informationen, negative Anekdoten besonders konkrete. Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt, sind unter den getroffenen Annahmen diese abstraktionsniveaukongruenten Botschaften inkongruenten Kombinationen vorzuziehen. Aus praktischer Sicht erscheint es relevant, Empfehlungen ableiten zu können, unter welchen Bedingungen positive Statistiken und wann negative Anekdoten für die Kommunikation verwendet werden sollten. Zur Beantwortung dieser Fragestellung ist es relevant zu betrachten, warum Abstraktionsniveaukongruenz einen positiven Effekt auf die persuasive Wirkung von Botschaften hat und unter welchen Bedingungen. Als zentraler Mechanismus für positive Effekte von abstraktionsniveaukongruenten Informationen geht die bisherige Forschung von der Leichtigkeit bzw. Flüssigkeit der Informationsverarbeitung (sog. „processing fluency“) aus (z.B. Hernandez et al., 2015; White et al., 2011). Diese Leichtigkeit der Informationsverarbeitung ist dann von besonderer Bedeutung, wenn das Involvement der Botschaftsempfänger gering ist (Schwarz, 2004), bzw. die persönliche Relevanz der Botschaft als gering wahrgenommen wird (vgl. Keller & Block, 1997). Im Terminus der CLT ausgedrückt: die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung ist umso relevanter für die persuasive Wirkung, je höher die psychologische Distanz zur Botschaft wahrgenommen wird. Übereinstimmend damit können Park und Morton (2015) einen positiven Effekt abstraktionsniveaukongruenter Informationen lediglich bei einer hohen psychologischen Distanz bzw. einem niedrigen Involvement nachweisen. Das bedeutet, dass die Abstraktionsniveaukongruenz innerhalb der Botschaft die persuasive Wirkung von Botschaften umso stärker beeinflus-

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

sen sollte, je größer die wahrgenommene psychologische Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft ist. Die bisherigen Überlegungen beziehen sich darauf, dass in sich abstraktionsniveaukongruente Botschaften leichter zu verarbeiten sind und die Bedeutung dieser leichten Informationsbedeutung mit zunehmender psychologischer Distanz zunimmt. Wie leicht Informationen zu verarbeiten sind, hängt aber auch von der Übereinstimmung des Abstraktionsniveaus der Botschaft mit dem mentalen Abstraktionsniveau ab (vgl. Abschnitt 3.2.2). Wird angenommen, dass das Framing einer Botschaft deren Abstraktionsniveau beeinflusst (vgl. Abschnitt 3.3.3.2), so wird auch diese Übereinstimmung der Botschaft mit dem mentalen Abstraktionsniveau beeinflusst. Negatives Framing senkt das Abstraktionsniveau von Botschaften, positives Framing dagegen macht Botschaften abstrakter. Besonders konkrete Botschaften sind damit negative Anekdoten. Positive Anekdoten sind dagegen weniger konkret. Positive Statistiken stellen besonders abstrakte Informationen dar, wohingegen negative Statistiken weniger abstrakte Informationen darstellen. Sind Botschaftskontexte dem Botschaftsempfänger primär nah, weist dieser ein grundsätzlich eher niedriges mentales Abstraktionsniveau auf. Diesem mentalen Abstraktionsniveau sollten negative Anekdoten am besten entsprechen, positive dagegen weniger gut. Statistiken als abstrakte Informationen entsprechen in ihrem Abstraktionsniveau dem mentalen Abstraktionsniveau grundsätzlich weniger als konkrete Anekdoten. Negative Statistiken, die durch das Framing weniger abstrakt sind, sollten allerdings eine etwas größere Übereinstimmung mit dem mentalem Abstraktionsniveau aufweisen als positive Statistiken. Bezüglich eines FitEffekts zwischen Abstraktionsniveau der Botschaft und mentalem Abstraktionsniveau sollte bei psychologisch nahen Botschaftskontexten gelten: Anekdotenegativ > Anekdotepositiv > Statistiknegativ > Statistikpositiv Bei psychologisch fernen Botschaftskontexten weisen Botschaftsempfänger ein grundsätzlich eher hohes mentales Abstraktionsniveau auf.

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

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Positive Statistiken sollten diesem hohen Abstraktionsniveau am besten entsprechen, gefolgt von negativen Statistiken, die weniger abstrakte Informationen darstellen. Positive Anekdoten als weniger konkrete Informationen sollten zudem dem hohen mentalen Abstraktionsniveau weniger entgegenstehen verglichen mit negativen Anekdoten. Die unterschiedlich geframten Botschaften sollten bei fernen Botschaftskontexten wie folgt mit dem mentalen Abstraktionsniveau übereinstimmen: Statistikpositiv > Statistiknegativ > Anekdotepositiv > Anekdotenegativ Zur Frage, wann negative Anekdoten und wann positive Statistiken im Sozialmarketing eingesetzt werden sollten, würde eine reine Betrachtung des beschriebenen Fit-Effekts nahelegen, dass bei niedriger primärer Distanz negative Anekdoten positiven Statistiken vorgezogen werden sollten und bei hoher primärer Distanz positive Statistiken gegenüber negativen Anekdoten. Die Bedeutung der Übereinstimmung des Abstraktionsniveaus der Botschaft mit dem mentalen Abstraktionsniveau des Botschaftsempfängers für die persuasive Wirkung hängt jedoch mutmaßlich – ebenso wie die Abstraktionsniveaukongruenz innerhalb der Botschaft – auch von der sekundären psychologischen Distanz des Botschaftsempfängers ab. Je größer diese Distanz wahrgenommen wird, desto stärker sollte dieser Fit-Effekt die persuasive Wirkung der Botschaften beeinflussen (vgl. Abschnitt 3.2.4). Tabelle 1 zeigt, wie die Abstraktionsniveaukongruenz innerhalb der Botschaft und die Abstraktionsniveaukongruenz mit dem mentalen Abstraktionsniveau mutmaßlich zusammenhängen.

100 Tabelle 1

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT Theoretische Überlegungen zur Abstraktionsniveaukongruenz Psychologische Distanz primär nah sekundär nah

Abstraktionsniveaukongruenz innerhalb der Botschaft Bedeutung der Abstraktionsniveaukongruenz innerhalb der Botschaft Übereinstimmung mit dem primären mentalen Abstraktionsniveau Bedeutung der Abstraktionsniveaukongruenz der Botschaft zum mentalem Abstraktionsniveau

sekundär fern

primär fern sekundär nah

sekundär fern

Anekdotenegativ & Statistikpositiv

gering

weniger gering

Anekdotenegativ > Anekdotepositiv > Statistiknegativ > Statistikpositiv

gering

weniger gering

weniger hoch

hoch

Statistikpositiv > Statistiknegativ > Anekdotepositiv > Anekdotenegativ

weniger hoch

hoch

Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt, ist eine zentrale Frage, die sich aus der bisherigen Forschung nicht beantworten lässt, wann negative Anekdoten und wann positive Statistiken in Botschaften des Sozialmarketings verwendet werden sollten. Aus den oben angestellten Überlegungen ergeben sich folgende Schlussfolgerungen für die persuasive Wirkung dieser Botschaften in Abhängigkeit der primären und sekundären psychologischen Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft: Bei psychologisch nahen Botschaftskontexten entsprechen negative Anekdoten am besten dem mentalen Abstraktionsniveau. Gleichzeitig stellen diese abstraktionsniveaukongruente Botschaften dar. Positive Statistiken sind zwar ebenfalls in sich abstraktionsniveaukongruent, weisen jedoch die geringste Passung zum mentalen Abstraktionsniveau auf. Sind Botschaften primär psychologisch nah, kommt der Leichtigkeit der Informationsverarbeitung dann eine Bedeutung zu, wenn die Botschaft sekundär psychologisch fern wahrgenommen wird (vgl. Abschnitt

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

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3.2.3.sowie 3.2.4). Sowohl eine leichte Informationsverarbeitung durch in sich kongruente Botschaften, als auch durch die Passung zum mentalem Abstraktionsniveau sind also am wahrscheinlichsten dann von Bedeutung, wenn weniger kognitive Ressourcen zur Informationsverarbeitung bereitstehen (vgl. Abschnitt 3.2.3). Entsprechend sollten bei primär niedriger, aber sekundär hoher psychologischer Distanz, negative Anekdoten positiven Statistiken in ihrer persuasiven Wirkung überlegen sein. Dafür spricht auch, dass diese Individuen sich den beschriebenen Sachverhalt in der Botschaft weniger konkret vorstellen können und Anekdoten hier einen vergleichsweise größeren Effekt durch die Förderung einer bildlicheren Vorstellung haben können (vgl. Abschnitt 3.2.2). Negative Anekdoten sollten in dieser Gruppe aufgrund der oben beschriebenen absolut leichten Verarbeitbarkeit allen anderen Kombinationen von Botschaftstyp und Framing in ihrer persuasiven Wirkung überlegen sein. Entsprechend sollten negative Anekdoten in ihrer Wirkung positiven Statistiken überlegen sein. Weitere Prognosen sind auf Basis der angestellten Überlegungen nur schwer zu treffen. Beispielsweise kann keine Aussage darüber getroffen werden, wie positive im Vergleich zu negativen Statistiken wirken. Zwar sind positive Statistiken in sich abstraktionsniveaukongruent, jedoch entsprechen sie am wenigsten dem mentalen Abstraktionsniveau. Negative Statistiken dagegen entsprechen dem mentalen Abstraktionsniveau im Vergleich zu positiven Statistiken etwas besser, sind dafür aber ins sich abstraktionsniveauinkongruent. Ein Vergleich der beiden in sich inkongruenten Botschaften – positive Anekdoten und negative Statistiken – kann nur auf Basis der Passung zum mentalen Abstraktionsniveau geschehen. Positive Anekdoten sind dabei weniger konkrete Informationen, negative Statistiken weniger abstrakte Informationen. Eine Überlegenheit von positiven Anekdoten gegenüber negativen Statistiken erscheint auf Basis der obigen Überlegungen daher wahrscheinlich, jedoch sollte der Unterschied zwischen „weniger abstrakt“ und „weniger konkret“ in der Wahrnehmung von Individuen sehr gering ausfallen.

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Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Bei psychologisch nahen Botschaftskontexten, bei denen der Botschaftsempfänger gleichzeitig auch eine sekundäre Nähe zur Botschaft wahrnimmt, sind keine Unterschiede in der Wirkung unterschiedlich geframter Botschaften nach den angestellten Überlegungen zu erwarten. Da angenommen wurde, dass sich die Unterschiede in der persuasiven Wirkung positiver und negativer Anekdoten und Statistiken durch deren unterschiedliche Leichtigkeit der Informationsverarbeitung heraus ergeben, diese aber bei dieser Personengruppe mutmaßlich von untergeordneter Relevanz für die persuasive Wirkung von Botschaften sind (vgl. Abschnitt 3.2.4), sind keine entsprechenden Effekte zu erwarten. Ausgehend von diesen Überlegungen kann für psychologisch nahe Botschaftskontexte die folgende Hypothese zum angestrebten Vergleich zwischen positiven Statistiken und negativen Anekdoten formuliert werden: H6:

Weisen Botschaftsempfänger eine primär niedrige psychologische Distanz zur Botschaft auf,

a)

haben negative anekdotische Botschaften im Vergleich zu positiven statistischen Botschaften eine stärkere persuasive Wirkung, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft hoch wahrgenommen wird.

b)

haben weder positive statistische noch negative anekdotische Botschaften einen persuasiven Vorteil, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft niedrig wahrgenommen wird. 8

Im Kontext primär psychologisch ferner Botschaftskontexte stellen positive Statistiken die am besten mit dem insgesamt hohen mentalen Abstraktionsniveau übereinstimmenden Botschaften dar. Gleichzeitig sind diese in sich abstraktionsniveaukongruent und können damit tendenziell leicht verarbeitet werden. Negative Anekdoten sind zwar ebenfalls durch ihre innere Abstraktionsniveaukongruenz leicht zu verarbeiten, 8

Der Autorin ist bewusst, dass es sich bei dieser Hypothese um eine Nullhypothese handelt

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

103

entsprechen aber als sehr konkrete Informationen am wenigsten dem mentalen Abstraktionsniveau. Nehmen Botschaftsempfänger bei hoher primärer Distanz eine sekundäre Nähe zur Botschaft war, hat die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung einen weniger hohen Effekt auf die persuasive Wirkung von Botschaften im Vergleich zu einer primär und sekundär hohen wahrgenommenen Distanz (vgl. Abschnitt 3.2.3). Durch die vergleichsweise weniger niedrige Allokation geistiger Ressourcen können statistische Botschaften tendenziell eher verarbeitet werden, anekdotische Botschaften können die zusätzliche bildliche Vorstellung der Situation in der Botschaft aber weniger stark erhöhen (vgl. Abschnitt 3.2.3). Für einen Vergleich positiver Statistiken und negativer Anekdoten ist daher anzunehmen, dass negative Anekdoten keine Vorteile gegenüber positiven Statistiken aufweisen. Positive Statistiken entsprechen dem mentalen Abstraktionsniveau, sind in sich kongruent und können trotz ihrer Abstraktheit tendenziell ähnlich gut verarbeitet werden wie negative Anekdoten. Negative Anekdoten können zwar ebenfalls verarbeitet werden und sind in sich abstraktionsniveaukongruent, entsprechen aber nicht dem mentalen Abstraktionsniveau und können die bildliche Vorstellung nur geringfügig fördern. Ein Wirkungsunterschied entsteht demnach maßgeblich durch die Passung zum mentalen Abstraktionsniveau. Es kann daher angenommen werden, dass positive Statistiken gegenüber negativen Anekdoten einen persuasiven Vorteil aufweisen. Diese Annahme basiert zudem darauf, dass die Bedeutung einer leichten Informationsverarbeitung – und damit der Passung zum mentalen Abstraktionsniveau – mit zunehmender psychologischer Distanz zur Botschaft steigt. Das bedeutet, dass der Leichtigkeit der Informationsverarbeitung bei primär hoher und sekundär niedriger Distanz zwar eine geringere Bedeutung zukommt als bei primär und sekundär hoher wahrgenommener Distanz, absolut betrachtet die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung jedoch durchaus von Bedeutung ist, da es sich um einen primär psychologisch fernen Kontext handelt und das Themeninvolvement damit gering sein sollte. Bei primär fernen Botschaftskontexten bei gleichzeitig sekundär wahrgenommener Ferne sollte der Leichtigkeit der Informationsverarbeitung

104

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

damit die größte Bedeutung zukommen, da sowohl das Themen- als auch das Botschaftsinvolvement gering sein sollten. Auch hier stellen positive Statistiken die mit dem mentalen Abstraktionsniveau kongruenten Botschaften dar. Sowohl positive Statistiken als auch negative Anekdoten sind in sich abstraktionsniveaukongruent und fördern damit die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung. Im Gegensatz zur vorherig betrachteten Gruppe können sich diese Individuen die beschriebene Situation jedoch kaum bildlich vorstellen. Der die bildliche Vorstellung fördernde Effekt von Anekdoten sollte demnach bei dieser Gruppe besonders groß sein. Gleichzeitig sinkt durch die sehr hohe wahrgenommene Distanz die Verarbeitungswahrscheinlichkeit von Statistiken. Entsprechend ist davon auszugehen, dass negative Anekdoten in dieser Gruppe ebenso überzeugend sein könnten wie positive Statistiken. Positive Statistiken sind zwar kongruent mit dem mentalen Abstraktionsniveau und durch ihre innere Abstraktionsniveaukongruenz leicht zu verarbeiten. Gleichzeitig werden sie jedoch weniger wahrscheinlich verarbeitet aufgrund der sehr niedrigen Allokation kognitiver Ressourcen zur Informationsverarbeitung. Negative Anekdoten entsprechen zwar am wenigsten dem mentalen Abstraktionsniveau, aufgrund der Tatsache, dass sie jedoch eine höhere Verarbeitungswahrscheinlichkeit haben und im hohen Maße die bildliche Vorstellung fördern können, könnten sie ebenso überzeugend wirken wie positive Statistiken. Zusammenfassend kann folgende Hypothese angenommen werden: H7: a)

Weisen Botschaftsempfänger eine primär hohe psychologische Distanz zur Botschaft auf, haben positive statistische Botschaften im Vergleich zu negativen anekdotischen Botschaften eine stärkere persuasive Wirkung, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft niedrig wahrgenommen wird.

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

b)

105

haben weder positive statistische noch negative anekdotische Botschaften einen persuasiven Vorteil, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft hoch wahrgenommen wird. 9

Wie in diesem Kapitel dargestellt, hängt der moderierende Effekt des Message Framings auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken mutmaßlich von der primären und sekundären psychologischen Distanz des Botschaftsempfängers zur Botschaft ab. Die Hauptursache hierfür ist darin zu sehen, dass das Framing der Botschaften deren Abstraktionsniveau beeinflusst und somit den Fit zum jeweiligen mentalen Abstraktionsniveau. Neben dem Message Framing wurde angenommen, dass auch das Ausmaß des unrealistisch komparativen Optimismus als besondere Ursache für eine hohe sekundäre psychologische Distanz das wahrgenommene Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken beeinflusst. Dieser Einfluss gilt als wahrscheinlich, da sich Botschaftsempfänger mit zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus zusehends weniger mit dem Durchschnitt einer Population vergleichen, auf den sich Statistiken grundsätzlich beziehen (vgl. Abschnitt 3.3.2). Diese Besonderheit des unrealistisch komparativen Optimismus soll im nachfolgenden Abschnitt unter dem Aspekt des hier diskutierten moderierenden Einfluss des Message Framing auf die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften betrachtet werden.

9

Der Autorin ist bewusst, dass es sich bei dieser Hypothese um eine Nullhypothese handelt.

106

3.3.3

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Interaktion von unrealistisch komparativen Optimismus und Message Framing

Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt, moderiert die psychologische Distanz des Botschaftsempfängers mutmaßlich den moderierenden Effekt des Message Framings auf die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften. Da es sich bei unrealistisch komparativen Optimismus um eine Ursache für eine hohe sekundäre psychologische Distanz bei primär nahen Botschaftskontexten handelt, sollten für optimistische Individuen zunächst die gleichen Effekte zu erwarten sein, wie sie H6a formuliert. Dieser Hypothese zufolge sollten negative Anekdoten positiven Statistiken in ihrer persuasiven Wirkung überlegen sein. Beide Botschaften sind aufgrund der Abstraktionsniveaukongruenz zwischen Framing und Botschaftstyp leicht zu verarbeiten (vgl. H5), und die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung ist für Individuen, die wenig zur Informationsverarbeitung motiviert sind, von Bedeutung (z.B. Schwarz, 2004). Allerdings entsprechen negative Anekdoten zusätzlich dem mentalen Abstraktionsniveau dieser Botschaftsempfänger aufgrund des Botschaftskontextes. Daneben besteht eine Besonderheit des unrealistisch komparativen Optimismus darin, dass er zudem das wahrgenommene Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken beeinflusst. Da sich optimistische Botschaftsempfänger nicht mit dem Durchschnitt vergleichen, sollten sie Statistiken, die sich per Definition auf diesen Durchschnitt beziehen, als psychologisch ferner und damit abstrakter wahrnehmen, je optimistischer sie sind (vgl. Abschnitt 3.3.1). Unrealistisch komparativer Optimismus beeinflusst damit die Abstraktionsniveaukongruenz zwischen Message Framing und Botschaftstyp. Unter sonst gleichen Bedingungen kann daher angenommen werden, dass die Abstraktionsniveaukongruenz zwischen positivem Framing und statistischen Botschaften bzw. die Inkongruenz zwischen negativem Framing und statistischen Botschaften, mit zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus steigt. Werden statistische Botschaften zunehmend abstrakt wahrgenommen, d.h. negative und positive statistische Botschaften gleichen sich bezüglich ihrer

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

107

(Nicht-) Übereinstimmung mit dem mentalen Abstraktionsniveau an, kann ein Wirkungsunterschied nur noch über die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung durch eine Abstraktionsniveaukongruenz innerhalb der Botschaft entstehen. Mit zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus sollte demnach der persuasive Vorteil positiver gegenüber negativer Statistiken steigen. Abbildung 16 verdeutlicht den angenommenen Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf das wahrgenommene Abstraktionsniveau positiver und negativer Statistiken.

Abbildung 16

Einfluss des komparativen Optimismus auf die Wahrnehmung von positiven und negativen Statistiken (eigene Darstellung)

Unrealistisch komparativer Optimismus könnte zudem die Abstraktionsniveaukongruenz zwischen negativem Framing und anekdotischen Botschaften beeinflussen, sofern diese Botschaften das optimistische Gedankengut der Zielperson aufgreifen (siehe dazu Abschnitt 3.3.1). Diese Art von Anekdoten kann eine wahrgenommene Nähe der optimistischen Botschaftsempfänger zum Protagonisten der Anekdote erzeugen, da die Botschaftsempfänger ebenfalls nicht davon ausgehen, dass ihnen selbst etwas Negatives im Leben passieren könnte. Aufgrund der geringer wahrgenommen psychologischen Distanz zum Protagonisten sollte diese

108

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

Art von Anekdoten mit zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus konkreter empfunden werden, wodurch die Abstraktionsniveaukongruenz zwischen negativem Framing und anekdotischen Botschaften gestärkt werden sollte. Ein positives Framing von Anekdoten lässt hingegen keine Darstellung eines optimistischen Protagonisten zu. Da dieser Protagonist das erwünschte Verhalten zeigen muss, um so die mögliche negative Konsequenz vermeiden zu können, muss sich dieser Protagonist zwangsläufig seines Risikos bewusst sein. Die Darstellung eines optimistischen Protagonisten, der sich dennoch positiv verhält erscheint nicht plausibel, zumal unrealistisch komparativer Optimismus auf dem Vergleich von ähnlichen Personen beruht, die dasselbe riskante Verhalten zeigen. Die Darstellung eines Protagonisten, der sein Risiko im Vergleich zu anderen Personen mit dem gleichen riskanten Verhalten unterschätzt, ist schlicht nicht möglich, wenn sich dieser Protagonist nicht riskant verhält. Da das Framing der Botschaft entsprechend mit der Darstellung mehr oder weniger optimistischer Protagonisten einhergeht, ist davon auszugehen, dass sich mit zunehmendem Optimismus der Botschaftsempfänger der persuasive Vorteil negativer Anekdoten gegenüber positiven Anekdoten vergrößert. Abbildung 17 verdeutlicht den angenommenen Effekt des unrealistisch komparativen Optimismus auf die Wahrnehmung positiver und negativer Anekdoten.

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

Abbildung 17

109

Einfluss des unrealistisch komparativen Optimismus auf das wahrgenommene Abstraktionsniveau negativer und positiver Anekdoten (eigene Darstellung)

Da sich nicht-optimistische Individuen sowohl mit einzelnen Personen als auch mit der durchschnittlichen Population vergleichen können, sollten die beschriebenen Effekte der Änderung in der Abstraktionsniveaukongruenz für diese Individuen nicht auftreten. Im Fall von anekdotischen Botschaften mit explizit optimistischem Protagonisten wäre es auch denkbar, dass nicht-optimistische Botschaftsempfänger zu diesem Protagonisten eine größere psychologische Distanz wahrnehmen verglichen mit der durchschnittlichen Population, wie sie in statistischen Botschaften dargestellt wird. Zum Verhältnis der beiden abstraktionsniveaukongruenten Botschaften zueinander ist zunächst festzuhalten, dass es sich bei negativen Anekdoten um eine kongruente Botschaft auf niedrigem Abstraktionsniveau handelt und bei positiven Statistiken um kongruente Botschaften auf hohem Abstraktionsniveau. Auf Basis des in Abschnitt 3.2.4 vorgestellten theoretischen Rahmenkonzepts und den theoretischen Überlegungen zum Einfluss des unrealistisch komparativen Optimismus (Abschnitt 3.3.1), sollten konkrete Informationen diese Botschaftsempfänger stärker überzeugen, als abstrakte. Dies spricht für eine zunehmende persuasive Überlegenheit von negativen Anekdoten gegenüber positiven Statistiken mit

110

Relevante moderierende Variablen: Ein Erklärungs-ansatz auf Basis der CLT

zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus. Für diese Annahme spricht auch, dass nach Trope und Liberman (2010) psychologisch nahe Objekte (z.B. Personen oder Ereignisse) als dringlicher und relevanter wahrgenommen werden als psychologisch ferne (vgl. H3). Da Informationen auf niedrigem Abstraktionsniveau psychologische Nähe signalisieren können, sollten negative Anekdoten eine stärkere Verhaltensabsicht auslösen als positive Statistiken. Im Kontext des unrealistisch komparativen Optimismus ist zudem zu berücksichtigen, dass sich optimistische Botschaftsempfänger nicht mit durchschnittlichen Personen, wie sie Gegenstand von Statistiken sind, vergleichen und somit eine hohe psychologische Distanz zum Referenzpunkt der Botschaft (=Durchschnitt) wahrnehmen. Da abstrakte Informationen aber psychologische Ferne signalisieren, könnte dies dazu führen, dass optimistische Botschaftsempfänger in ihrer Annahme bestärkt werden, dass nur andere Personen von diesem Risiko betroffen sind, nicht aber sie selbst. Zusammenfassend kann angenommen werden, dass mit zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus der Botschaftsempfänger der persuasive Vorteil von negativen anekdotischen gegenüber positiven statistischen Botschaften steigt. Die dargestellten Zusammenhänge zwischen Botschaftstyp, Message Framing und unrealistisch komparativen Optimismus lassen sich in folgende prüfbare Hypothese überführen: H8:

Die persuasive Wirkung der Abstraktionsniveaukongruenz zwischen Botschaftstyp (Anekdote vs. Statistik) und Message Framing hängt vom unrealistisch komparativen Optimismus der Botschaftsempfänger ab:

a)

Mit zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus der Botschaftsempfänger steigt der persuasive Vorteil von negativen anekdotischen Botschaften gegenüber positiven anekdotischen Botschaften.

b)

Mit zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus der Botschaftsempfänger steigt der persuasive Vorteil von positiven

Beitrag der theoretischen Überlegungen zur Erklärung weiterer moderierender Effekte

111

statistischen Botschaften gegenüber negativen statistischen Botschaften. c)

Mit zunehmendem unrealistisch komparativem Optimismus der Botschaftsempfänger steigt der persuasive Vorteil von negativen anekdotischen Botschaften gegenüber positiven statistischen Botschaften.

4

Empirische Studien

Das nachfolgende Kapitel stellt die Ergebnisse der durchgeführten empirischen Studien zur Prüfung der zuvor aufgestellten Hypothesen vor. Hierzu werden zunächst allgemeine theoretische Grundlagen zur Untersuchungsmethodik vorgestellt und eine Einordnung der jeweiligen Studien in das vorgestellte theoretische Rahmenkonzept zur Wirkung von Anekdoten und Statistiken im Sozialmarketing vorgenommen. Im Anschluss werden die einzelnen Studien und deren Ergebnisse berichtet. Das Kapitel schließt mit einer Diskussion der über die Studien hinweg gewonnenen Ergebnisse. 4.1

Theoretische Grundlagen zur Untersuchungsmethodik

Die Werbeforschung lässt sich in zwei grundsätzliche Richtungen einteilen: eine experimentelle und eine modellierende (Geuens & De Pelsmacker, 2017). Während die experimentelle Forschung zum Ziel hat, auf Basis kontrollierter Manipulationen Wirkweisen von Botschaften und deren Ursachen zu ergründen, liegt der Fokus der modellierenden Forschung darauf, auf Basis von „Big Data“ Vorhersagen zu treffen (z.B. zu Umsatzsteigerungen durch Werbemaßnahmen), wobei Kausalitäten und theoretische Begründungen zumeist unberücksichtigt bleiben (Geuens & De Pelsmacker, 2017). Die vorliegende Arbeit ist der ersteren – der experimentellen – Richtung der Werbeforschung, zuzurechnen. Die in diesem Kapitel berichteten empirischen Studien basieren allesamt auf experimentellen Designs, die zum Ziel haben, die aufgestellten Hypothesen und damit die theoretischen Überlegungen zu potenziellen moderierenden Einflüssen auf die persuasive Wirkung von Anekdoten und Statistiken zu prüfen. Die Prüfung moderierender Effekte ist sowohl mittels Varianzanalyse, als auch mittels Regressionsanalyse möglich (Baron & Kenny, 1986). Sollen kontinuierliche unabhängige moderierende Variablen mittels Varianzanalyse getestet werden, besteht ein üblicher Ansatz in der Dichotomisierung der Variablen, z.B. mittels Median-Split (Iacobucci et al., 2015). Kritik an © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. I. Wieluch, Die persuasive Wirkung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Sozialmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29206-5_4

114

Empirische Studien

dieser weit verbreiteten Vorgehensweise besteht u.a. darin, dass mit der Dichotomisierung einer kontinuierlichen Variable ein Informationsverlust einhergeht. Ausprägungen nahe über- und unterhalb des Medians werden als maximal unterschiedlich betrachtet. Ausprägungen, die nur leicht oberhalb bzw. unterhalb des Medians liegen werden mit extremen Ausprägungen in dieselbe Kategorie eingeteilt (Hayes, 2013). Einige Autoren empfehlen daher, kontinuierliche Variablen als solche zu belassen und moderierende Effekte stattdessen mittels Regressionsanalyse zu prüfen (z.B. Hayes, 2013; McClelland et al., 2015; Rucker, McShane, & Preacher, 2015). Auch wenn diese Empfehlung in der Literatur nicht einhellig geteilt wird (Iacobucci et al; 2015), wird in dieser Arbeit ein regressionsbasierter Ansatz für die Moderationsanalyse bevorzugt. Eine kontinuierliche Betrachtung der in den nachfolgend berichteten Studien untersuchten moderierenden Variable „Optimismus“ spiegelt zudem die zuvor angestellten theoretischen Überlegungen teilweise treffender wider. Eine Dichotomisierung kontinuierlicher Variablen wird daher in den nachfolgenden Studien vermieden, sofern die Datenlage dies zulässt. Liegen zu wenige Datenpunkte für eine zuverlässige Schätzung bei kontinuierlicher Betrachtung der Variablen vor, wird dagegen eine Dichotomisierung vorgenommen. Für diejenigen nachfolgenden Studien, die dichotome moderierende Variablen betrachten, hat ein regressionsbasierter Ansatz keinen Vorteil gegenüber einer Varianzanalyse, aber auch keine erkennbaren Nachteile. Aus Gründen der Einheitlichkeit werden diese moderierenden Effekte ebenfalls regressionsbasiert geprüft. Zur regressionsbasierten Prüfung der moderierenden Effekte wurde das SPSS-Macro PROCESS von Hayes (2013) verwendet. Neben einer einfachen Moderationsanalyse ermöglicht PROCESS eine Überprüfung verschiedenster Moderations- und Mediationsmodelle, wie moderierte Mediationen oder moderierte Moderationen. Die Überprüfung derartiger Modelle nach dem Ansatz von Hayes (2013) wird zunehmend in der Marketingforschung angewandt (z.B. Ferraro, Kirmani, & Matherly, 2013; Kähr et al., 2016; Müller-Stewens et al., 2017) und kann zwischenzeitlich als etablierte Methode betrachtet werden.

Studie 1: Der moderierende Effekt der sekundären psychologischen Distanz

115

Tabelle 2 gibt einen Überblick über die durchgeführten Studien. Die primäre psychologische Distanz wurde durch die Verwendung verschiedener Botschaftskontexte berücksichtigt, die zur jeweiligen Stichprobe als entweder primär fern (Studie 1 & Studie 3) oder nah (Studie 2 & Studie 4) betrachtet werden können. Die sekundäre psychologische Distanz wurde einerseits manipuliert (Studie 1), andererseits über den unrealistisch komparativen Optimismus der Botschaftsempfänger gemessen (Studie 2 & Studie 4) bzw. über das Ausmaß, zu dem eine Person suchtgefährdet ist (Studie 3, Kontext Facebooksucht). Das Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken wurde über das Message Framing manipuliert (Studie 3 & Studie 4). Tabelle 2

Überblick über die empirische Studien

Studie 1

Studie 2

Studie 3

Studie 4

Spenden

Risikokommunikation

Prävention

Risikokommunikation

Primäre psychologische Distanz

hoch

niedrig

hoch

niedrig

Sekundäre psychologische Distanz

manipuliert

gemessen

gemessen

gemessen

Abstraktionsniveau von Anekdoten und Statistiken

--

--

manipuliert

manipuliert

Kontext

4.2

Studie 1: Der moderierende Effekt der sekundären psychologischen Distanz auf die persuasive Wirkung anekdotischer und statistischer Botschaften

4.2.1 Zielsetzung und Hypothesen Die erste Studie wurde entwickelt, um zu prüfen, inwieweit die sekundäre psychologische Distanz des Botschaftsempfängers die persuasive Wir-

116

Empirische Studien

kung von anekdotischen und statistischen Botschaften im Kontext primär psychologisch ferner Botschaftskontexte beeinflusst. Mit der Studie werden die Hypothesen H1 und H3 überprüft. Tabelle 3 gibt diese wieder. Tabelle 3 H1

Zu prüfende Hypothesen in Studie 1

Weisen Botschaftsempfänger eine primär hohe psychologische Distanz zur Botschaft auf, a) haben statistische Botschaften im Vergleich zu anekdotischen Botschaften eine stärkere persuasive Wirkung, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft gering wahrgenommen wird. b) haben weder statistische noch anekdotische Botschaften einen persuasiven Vorteil, wenn die sekundäre psychologische Distanz zur Botschaft hoch wahrgenommen wird.

H3

Je geringer die psychologische Distanz zur Botschaft wahrgenommen wird, umso stärker führen Botschaften unabhängig vom Botschaftstyp zu botschaftskonsistenten Reaktionen der Botschaftsempfänger.

Zur Prüfung der Hypothesen wurde eine experimentelle Befragung im Kontext einer Spendenkampagne für wohltätige Zwecke durchgeführt. Aus praktischer Sicht stellt dies einen relevanten Kontext dar. Die meisten Wohltätigkeitsorganisationen, wie World Vision U.S. oder der World Wide Fund For Nature (WWF), sind in hohem Maße von Spendengeldern abhängig. Das Einwerben von Spendengeldern stellt daher eine Notwendigkeit für diese Organisationen dar. Jedoch nimmt die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zusehends ab, besonders unter den unter 50Jährigen (Charities Aid Foundation, 2014). Um die Spendengelder stehen Wohltätigkeitsorganisationen zudem auch im Wettbewerb zueinander. Entscheidend für ein erfolgreiches Einwerben von Spendengeldern ist auch, wie effizient Wohltätigkeitsorganisationen ihre Gelder einsetzen. Wünschenswert ist dabei, dass die Ausgaben für Spendenkampagnen und andere operative Ausgaben möglichst gering ausfallen und ein möglichst hoher Prozentsatz der Spendengelder auch wirklich dem Spendenzweck zukommt (siehe z.B. „Charity Navigator“). Entsprechend ist eine wirksame Werbegestaltung von hoher Bedeutung für Wohltätigkeitsorganisationen.

Studie 1: Der moderierende Effekt der sekundären psychologischen Distanz

117

Studie 1 manipuliert sowohl den Botschaftstyp (Anekdote vs. Statistik), als auch die sekundäre psychologische Distanz des Botschaftsempfängers (hoch vs. niedrig) über den Botschaftsinhalt. Als abhängige Größen wurden die Verhaltensabsicht berücksichtigt, d.h. die Wahrscheinlichkeit, mit der die Probanden spenden würden, sowie die Einstellung zur Spende. 4.2.2 Methodik 4.2.2.1

Stichprobe und Vorgehen

517 Probanden eines bevölkerungsrepräsentativen Panels 10 im Alter zwischen 20 und 65 wurden für die Teilnahme an der Online-Studie rekrutiert (50,3% weiblich, Durchschnittsalter 43,3 Jahre). Die Probanden bildeten dabei ein breites Spektrum an beruflichen Tätigkeiten (u.a. Angestellte: 44,5%, Arbeiter: 12,8%, in Ausbildung: 7,3%, im Ruhestand: 9,3%), Einkommensklassen (u.a. monatliches Haushaltsnettoeinkommen 1000-2000€: 27,7%, 2000-3000€: 32,4%, 3000-4000€: 13,6% bei durchschnittlich 2,28 Personen / HH) und Bildungsabschlüssen (Hauptschulabschluss: 14%, mittlere Reife: 37%, Fach-/Abitur: 24,3%, abgeschlossenes Studium: 24,5%) ab. 53 Prozent der Probanden gab an, selbst Kinder zu haben. 47,4 Prozent der Befragten gaben an, in den letzten 12 Monaten weder Geld- noch Sachspenden getätigt zu haben. Die Incentivierung der Probanden erfolgte durch den Anbieter des Panels nach dessen Richtlinien. Die Studie beinhaltete eine Kontrollfrage zu einer zentralen Information der Botschaft, nämlich dem Herkunftsland der bedürftigen Personen in der Botschaft. Da diese Information wiederholt in den Botschaften genannt wurde, ist davon auszugehen, dass Probanden, die diese Frage nicht korrekt beantworten konnten, die Botschaft nicht (aufmerksam) gelesen haben und die dazugehörigen Fragen somit nicht gewissenhaft

10

Mit der Datenerhebung wurde der Paneldienstleister „Research Now“ beauftragt. Informationen zur Panelqualität sind über die Homepage des Anbieters verfügbar.

118

Empirische Studien

beantworten konnten. Aus diesem Grund werden bei der Datenanalyse nur diejenigen Probanden berücksichtigt, die die Kontrollfrage korrekt beantworten konnten (n= 438). 4.2.2.2

Stimuli und Studiendesign

Der Studie liegt ein 2 (Botschaftstyp: Anekdote, Statistik) x 2 (räumlich soziale Distanz: nah/ Deutschland, fern/ Japan) between-subjects Design zu Grunde. Die Probanden wurden zufällig einer der Experimentalgruppen zugewiesen. Alle verwendeten Botschaften enthielten einen Spendenaufruf für ein fiktives Projekt, welches krebskranken Kindern und deren Familien ermöglicht, sich nach einem Krankenhausaufenthalt in bedarfsgerecht eingerichteten Ferienhäusern zu erholen. Als fiktiver Sender der Botschaft wurde ein Verein zur Kinderkrebshilfe gewählt. Der Botschaftstyp wurde dabei wie folgt manipuliert: Anekdoten nannten den Namen eines kleinen Mädchens mit Alter und Wohnort, welches an Krebs leidet. Die darunter aufgeführte Information zur Möglichkeit einer Erholung in speziellen Ferienhäusern bezog sich dabei auf dieses konkrete Kind und dessen Familie („In unseren […] Ferienhäusern hat sie die Möglichkeit…“). Die verwendeten Statistiken nannten die gerundete Anzahl der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren, die jedes Jahr an Krebs erkranken Die gewählte Statistik basiert auf Fallzahlen des Projektes GLOBOCAN der International Agency of Research on Cancer bzw. der WHO. GLOBOCAN weist für die die Alterskategorie 0-14 Jahre 1769 Fälle von Krebserkrankungen für Japan und 1955 Fälle für Deutschland aus (GLOBOCAN, 2012). Da lediglich der Botschaftstyp manipuliert werden sollte und Verzerrungen aufgrund unterschiedlich hoher Fallzahlen vermieden werden sollte, wurde auf die exakte Nennung der Fallzahlen verzichtet. Stattdessen wurde unabhängig vom manipulierten Zielland die einheitliche Statistik von „rund 1.800“ präsentiert. Die darunter aufgeführte Information zur Möglichkeit einer Erholung in speziellen Ferienhäusern bezog sich dabei auf krebskranke Kinder und deren Familien im Allgemeinen („In unseren […] Ferienhäusern haben diese Kinder die Möglichkeit…“). Bei der Manipulation der beiden Botschaftstypen wurde zudem darauf geachtet, dass sich Anekdoten und Statistiken nicht zu stark in der

Studie 1: Der moderierende Effekt der sekundären psychologischen Distanz

119

Anzahl der Wörter unterscheiden (Anekdoten: 33 Wörter, Statistiken: 43). Auf diese Weise sollten Verzerrungen aufgrund unterschiedlicher starker Beanspruchung kognitiver Ressourcen zur Informationsverarbeitung aufgrund einer unterschiedlichen Botschaftslänge vermieden werden (siehe auch Keller & Block, 1997). Dieses Vorgehen dient dem Untersuchungsziel, Wirkweisen der Botschaftstypen unabhängig von ihrer Ausgestaltung zu untersuchen. Primär handelt es sich im Kontext „Spenden“ um eine psychologisch ferne Entscheidung, da andere als man selbst betroffen ist. Die sekundäre psychologische Distanz wurde durch die Wahl des Ziellandes manipuliert. Botschaften mit einer niedrigen sekundären psychologischen Distanz waren auf Deutschland bezogen. Botschaften mit einer hohen sekundären psychologischen Distanz bezogen sich auf Japan. Da die Teilnehmer der Studie aus Deutschland stammten, kann davon ausgegangen werden, dass sie eine geringere psychologische Distanz zu Bedürftigen in Deutschland aufweisen als zu Bedürftigen in Japan, die räumlich weit entfernt sind und auch kulturell weniger nah sind. Die Wahl von Japan zur Manipulation einer sekundären psychologischen Ferne wurde bewusst getroffen, um andere mögliche Störfaktoren zu minimieren. So wurde angenommen, dass durch das vergleichbare Bruttoinlandsprodukt (IMF, n.d.) und die vergleichbaren Gesundheitsausgaben pro Kopf (OECD, n.d.) für keines der beiden Länder eine stärkere Bedürftigkeit wahrgenommen wird. Dies hätte unerwünschte mögliche Unterschiede bei der Erhebung der Spendenbereitschaft zur Folge haben können, welche nicht auf den Botschaftstyp oder die sekundäre psychologische Distanz zurückzuführen sind. Daneben erschien Japan aufgrund der vergleichbaren Fallzahl an Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen für diese Studie geeignet. Die verwendeten Botschaften können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden.

120

Empirische Studien

Tabelle 4

Verwendete Botschaften in Studie 1

Sekundär nah (Deutschland)

Anekdote

Statistik

„Anna, 4, aus München, hat Krebs.

„Jedes Jahr erkranken rund 1.800 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren in Deutschland an Krebs.

In unseren bedarfsgerecht eingerichteten Ferienhäusern in ganz Deutschland hat sie die Möglichkeit, nach ihrem Krankenhausaufenthalt zusammen mit ihrer Familie neue Kraft zu schöpfen. Ihre Spende hilft heilen.“

In unseren bedarfsgerecht eingerichteten Ferienhäusern in ganz Deutschland haben diese Kinder die Möglichkeit, nach ihrem Krankenhausaufenthalt zusammen mit ihren Familien neue Kraft zu schöpfen. Ihre Spende hilft heilen.“

Sekundär fern (Japan)

„Ayumi, 4, aus Kyoto, hat Krebs. In unseren bedarfsgerecht eingerichteten Ferienhäusern in ganz Japan hat sie die Möglichkeit, nach ihrem Krankenhausaufenthalt zusammen mit ihrer Familie neue Kraft zu schöpfen. Ihre Spende hilft heilen.“

„Jedes Jahr erkranken rund 1.800 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren in Japan an Krebs. In unseren bedarfsgerecht eingerichteten Ferienhäusern in ganz Japan haben diese Kinder die Möglichkeit, nach ihrem Krankenhausaufenthalt zusammen mit ihren Familien neue Kraft zu schöpfen. Ihre Spende hilft heilen.“

4.2.2.3

Messung der zentralen Konstrukte

Zur Überprüfung der Manipulation der sekundären psychologischen Distanz wurden folgende zwei Items verwendet: „Ich fühle mich stark mit den im Spendenaufruf gezeigten Kindern verbunden“ und „Ich fühle mich stark mit den Kindern in [Deutschland / Japan] verbunden“ mit 1=„trifft überhaupt nicht zu“ bis 7=„trifft voll und ganz zu“ (Cronbach α=.91). Je

Studie 1: Der moderierende Effekt der sekundären psychologischen Distanz

121

stärker sich die Probanden mit den Kindern verbunden fühlen, umso psychologisch näher sollten sie den Spendenaufruf empfinden. Als zentrale abhängige Größen wurden in dieser Studie die Verhaltensabsicht sowie die Einstellung zur Spende gemessen. Sowohl die durch eine Botschaft ausgelöste Verhaltensabsicht als auch die Einstellung sind zentrale Konstrukte zur Erfassung der persuasiven Wirkung von Botschaften (siehe Abschnitt 2.2.1). Die Verhaltensabsicht der Probanden wurde mit einem Item auf einer 7Punkt Ratingskala gemessen: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie für das dargestellte Projekt spenden würden?“ (1= „sehr unwahrscheinlich“ bis 7= „sehr wahrscheinlich“) Die Einstellung zur Spende wurde mit vier Items in Anlehnung an Morman (2000), sowie Lee und Aaker (2004) auf 7-Punkt-Skalen gemessen (Cronbach α= .95) „Eine Spende für das Projekt finde ich…“ (1=„sehr negativ“ bis 7=„sehr positiv“; 1=„sehr unwichtig“ bis 7=„sehr wichtig“, 1=„überhaupt nicht wirkungsvoll“ bis 7=„sehr wirkungsvoll“, 1=„überhaupt nicht nützlich“ bis 7=„sehr nützlich“). Alle vier Items wurden für die Analyse zu einem Einstellungswert gemittelt. Als Kovariaten für die durchgeführten Analysen wurde das bisherige Spendenverhalten, das Vorhandensein eigener Kinder als möglicher Indikator für ein erhöhtes Themeninvolvement, sowie die berufliche Tätigkeit berücksichtigt. Die berufliche Tätigkeit wurde deshalb berücksichtigt, da sie die Absicht zu spenden insofern beeinflussen kann, als dass ein eigenes berufliches Einkommen oder eine Rente notwendig ist, um eine finanzielle Spende zu tätigen. Das bisherige Spendenverhalten wurde vor Konfrontation mit den Stimuli mit dem Item „Haben Sie in den letzten 12 Monaten gespendet?“ gemessen, mit den Antwortoptionen 1=„nein“, 2=„ja“, einmalige Geld- oder Sachspende“ und 3=„ja, mehrmalige Geld- oder Sachspende“. Das Vorhandensein von Kindern wurde dichotom erfasst („Haben Sie Kinder?“ mit 1=„ja“ und 2=„nein“). Die berufliche Tätigkeit erfasste die Kategorien „in Ausbildung (Schüler/Lehrling/Student)“, „Arbeiter“, „Angestellter“, „Beamter“, „selbständig /

122

Empirische Studien

freiberuflich tätig“, „Hausfrau/ Hausmann“, „im Ruhestand“ und „zurzeit arbeitslos“. Daneben bestand die Möglichkeit, keine Angabe zu tätigen. 4.2.3

Untersuchungsergebnisse

Die Manipulation der sekundären psychologischen Distanz war erfolgreich. Probanden, die mit einem Spendenaufruf für Deutschland (nah) konfrontiert wurden, fühlten sich mit den Kindern verbundener als diejenigen Probanden, die einen Spendenaufruf für Japan sahen (mDeutschland= 4.19 vs. mJapan= 3.16, t= 5.86, p