Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit Band I Prolegomena [Reprint 2013 ed.] 3110166356, 9783110166354

Vergil gilt als der am besten überlieferte lateinische Autor. Doch liegen die frühesten Handschriften immer noch mindest

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Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit Band I Prolegomena [Reprint 2013 ed.]
 3110166356, 9783110166354

Table of contents :
Vorwort
Einleitung und Resümee der Ergebnisse
I. Der Vergiltext in der antiken Überlieferung
1. Ergänzte ‘Halbverse’
2. Interpolierte Plusverse in Vergilhandschriften
3. Durch die Nebenüberlieferung bezeugte Plusverse
4. Die Abgrenzung der Bücher V und VI
5. Urteile antiker Grammatiker über den Vergiltext
6. Verswiederholungen des Vergil
7. Verswiederholungen des Montanus
8. Selbstzitate des Montanus
9. Die ‘Halbverse’ in der Aeneis-Überlieferung
II. Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen
1. Ein editorisches Experiment: durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen
2. Durch Divergenz der Handschriften entlarvte Plusverse
III. Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus
1. Ein Verszitat aus Varro Atacinus in dem Georgica-Zusatz [georg.] 2,403-419
2. Zeitperiphrasen
3. Schwalben des Montanus und die Doppelaristie in Aen. XII
4. Das Vorproöm zur Aeneis und der Culex
5. Ländliche Idylle ([Ov. rem.] 179-196 - Cul. 98-108 - [Pont.] 1,8,35-62)
6. Bildbeschreibungen des Montanus im ‘Ovid’ und ‘Vergil’ - und der Toreut Alcon
7. Die Einfälschung der Epistulae Heroidum und der Medicamina faciei femineae in das Ovidcorpus
8. Zum Vokabular der Montanus-Fragmente
9. Metrische und prosodische Eigenheiten des Montanus
10. Kühne Ellipsen im Ausdruck - Brachylogie
11. Epanalepse
12. Hypallage - Manierismus
13. Gelehrte Mythenvariationen
14. Quae ‘Montaniana’ Scaurus vocabat
IV. Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen durch Montanus
1. Der Polydorus des Montanus in den Metamorphosen und in der Aeneis
2. Vergils Dido in der Fassung des Montanus
3. Das Omen der entflammten Haare und Horazens Küchenbrand
4. Das Entfachen des Feuers und der Kohl auf dem Herd: Philemon und Baucis - der Bauer Hyrieus - Simulus im Moretum - die Trojaner am Strand
5. Hirsch- und Pferdeschmuck des Montanus in den Metamorphosen und in der Aeneis
6. Die Hirsche der Silvia, des Cyparissus und der verwandelte Aktaion
7. Die kontaminierte Iris am Beginn des 9. Buches und die Chronologie der Ereignisse in Aen. VIII-X
8. Kontamination und komplementäre Nutzung homerischer und verwandter Gleichnisse
9. Komplementär geformte Sterbeszenen des Montanus
10. Komplementäre Imitationen im Epicedion Drusi und in den Heroides
11. Komplementäre Imitationen in den Fasti, in Culex und Aetna
12. Komplementäre Imitation in Ciris und Helena-Episode
13. Komplementäre Selbstimitation des Montanus
V. Das Emendieren und Kommentieren in der antiken Editionspraxis
1. P. Valerius Cato
2. Die Vergiledition im Spiegel der Suetonvita
3. Die Revision des Dracontius durch Eugenius von Toledo
4. Synkrisis: Eugenius, Montanus, die Ausoniuskritik und Livius
5. Ausblick ins lateinische Mittelalter: Die Revision der Visio Alberici
VI. Literaturverzeichnis
VII. Register

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Otto Zwierlein Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit

w DE

G

Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Winfried Bühler, Peter Herrmann und Otto Zwierlein

Band 57

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1999

Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit Band I

Prolegomena von

Otto Zwierlein

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1999

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek —

ClP-Einheitsaufnahme

Zwierlein, Otto: Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit / von Otto Zwierlein. — Berlin ; New York : de Gruyter Bd. 1. Prolegomena. - 1999 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte ; Bd. 57) ISBN 3-11-016635-6

© Copyright 1999 by Walter de Gruyter Gmbh & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck und Buchbinderische Verarbeitung: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach

MEINEM BONNER OBERSEMINAR

Vorwort Den Anstoß zu den vorliegenden Untersuchungen gab eine mündliche Staatsexamensprüfung über Vergils Aeneis, für die ich den Schluß der Nisus-Euryalus-Episode ausgewählt hatte. Als ich den Text auf Verständnisschwierigkeiten hin durchsah, wurde mir klar, daß der Kandidat die Frage, welche Funktion dem Vers Aen. 9,430 im Zusammenhang zukomme, nicht befriedigend würde beantworten können (wie es sich in dem sehr erfolgreichen Gespräch dann auch ergab), weil es sich um einen sentimentalisch anmutenden Fremdkörper handelt, der offensichtlich von späterer Hand hinzugesetzt wurde, um das Pathos der Szene zu steigern. Diese Diagnose verlangte nach einer breiteren Absicherung: Dabei überprüfte ich zunächst die nur in einem Teil der Überlieferung gebotenen Verse, danach die vielen wiederholten Verse und Versgruppen im Vergilcorpus und gewann schon bald den Eindruck, daß diese zuallermeist nur an einer der beiden (oder auch drei) Stellen, an denen sie auftreten, formal und inhaltlich befriedigend in den Zusammenhang integriert sind. Dies zeigt sich besonders deutlich dort, wo durch die homerische Vorlage, deren Struktur Vergil übernimmt, der ursprüngliche Sitz des jeweiligen Wiederholungsverses zweifelsfrei ermittelt werden kann. Über die weiteren, oft mühevollen Schritte, die zu gehen waren, wird der Leser ein Bild aus dem folgenden Einleitungskapitel gewinnen, in dem ich zugleich die wichtigsten Ergebnisse knapp zusammenzufassen suche. Die These, daß wir den Vergil und den Ovid in einer etwa um 14-25 n.Chr. entstandenen überarbeiteten Fassung lesen, soll in den anschließenden drei Bänden durch einen fortlaufenden echtheitskritischen Kommentar zum ganzen Vergil (Bände II und III) und (im Band IV) zu exemplarisch ausgewählten Partien aus allen Werken Ovids (einschließlich der jeweiligen Appendices) im einzelnen begründet werden. Dort wird zugleich das Ziel verfolgt, die Überarbeitungsschicht aus tiberischer Zeit abzulösen und so den ursprünglichen Text soweit wie möglich wiederzugewinnen. Obwohl die Züge des erschlossenen Zudichters in allen Einzelheiten erst am Ende der Untersuchungen erfaßt werden können, schien es mir wichtig, dem Leser die Gesamtkonzeption (wie sie sich mir erst spät ergeben hat) bereits in den vorliegenden Prolegomena (Band I) vorzuführen. Dabei erwies es sich als notwendig, an einer Reihe von Stellen, denen besondere Beweiskraft zukommt, den ganzen Begründungszusammenhang, wie er an sich dem kritischen Kommentar vorbehalten ist, nach vorne zu ziehen, damit der Leser eine wenigstens einigermaßen sichere Beurteilungsbasis gewinnen kann. Ich werde ihn auch so noch häufig genug für den detaillierten Nachweis der Unechtheit von Stellen,

Vili

Vorwort

die ich in den folgenden, systematisch angelegten Kapiteln nur als getilgt anführe, auf die späteren Bände vertrösten müssen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß bei der Fülle des Materials ein anderer Weg nicht gangbar war. Wenn aus der Perspektive des erreichten Endpunktes der Eindruck entstehen sollte, es würden hier leichten Herzens ganze Versgruppen bis zum Umfange von beinahe achtzig Zeilen geopfert, so täuscht dies: Ich habe um jeden einzelnen Vers hart gerungen (wohl wissend, welche Häme rasch urteilender Rezensenten sich über so viel Wagemut ergießen wird), aber immer wieder die Erfahrung gemacht, daß die Athetese eines oder mehrerer Einzelverse nur die besonders markanten Indizien einer größeren Zudichtung beseitigt und erst deren ganzheitliche Aussonderung dem echten Vergil (oder Ovid) Genugtuung widerfahren läßt. Solange man der Vorstellung anhängt, unser Vergil- oder Ovidtext weise allenfalls die üblichen 'Benutzerspuren' auf, die der ein oder andere Leser oder Grammatiker hinterläßt, wird man die Tilgung größerer Versblöcke nicht plausibel finden. Auch meine eigenen Skrupel sind erst gewichen, als ich erkannt hatte, daß hinter der kanonisch gewordenen 'Vergil'-Ausgabe ein in den literarischen Diskussionen des Deklamationsbetriebs heimischer Dichter tiberischer Zeit steht, der als Veranstalter einer Gesamtedition der Werke Vergils das Geschäft der 'emendatio' in einem ähnlich umfassenden Wortsinne betrieb, wie es der Dichter (und Grammatiker) Valerius Cato anläßlich einer Lucilius-Ausgabe ins Auge faßte (s. S. 599ff.). Obwohl mein Interesse auf Vergil gerichtet war, konnte ich an Ovid nicht vorübergehen, weil sich herausstellte, daß der gleiche Dichter tiberischer Zeit auch den Ovid 'ediert' hat und zwar zeitlich vor der Vergilausgabe1 (wodurch die Reihenfolge der beiden Dichternamen im Titel dieser Untersuchungen begründet ist). Ovid schreibt selbst aus der Verbannung seinem Freund und 'Verleger' in Rom, er möge - wie früher - auch während der Zeit seiner Relegation für die Verbreitung seiner Schriften sorgen und insbesondere die unvollendet gebliebenen Metamorphosen edieren. Für die postume Edition der wohl im Jahre 4 n.Chr. abgebrochenen Fasti läßt sich das Datum recht genau benennen: Die Ausgabe hat den Triumph des Germanicus vom 26. Mai 17 n.Chr. zur Voraussetzung und durch den Bearbeiter ein neues, an den jungen (19 n.Chr. gestorbenen) Prinzen und dichtenden Zunftgenossen gerichtetes Proöm erhalten, ist also in die Zeitspanne 17-19 n.Chr. zu setzen. Mit Ausnahme der beiden als Auftakt belassenen Mottoverse hat der Redaktor das ursprüngliche Augustusproöm an den Beginn des zweiten Buches gerückt (wo es fehl am Platze ist: man erkennt hier das grundsätzlich konservierende Editionsprinzip!) und alle sechs Bücher durch eine große Zahl von Zudichtun-

1

Der eilige Leser wird sich davon leicht durch die Lektüre der Kapitel IV 5 und IV 1 überzeugen können.

Vorwort

IX

gen erweitert. Nach dieser Editionsmethode ist er wenig später mit der ebenfalls unvollendeten Aeneis, aber auch mit den Geórgica verfahren, während ihm die Bucolica nur sporadisch Anreize zum Eingreifen geboten zu haben scheinen. Welcher Dichter frühtiberischer Zeit diese Gesamtausgabe veranstaltet hat, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ich glaube jedoch in diesem Band (verwiesen sei vor allem auf die Kapitel III und IV) genügend Indizien zusammengetragen zu haben, die auf Iulius Montanus deuten, so daß ich ihn von Anfang an als den Urheber der Zudichtungen (und der nahezu ganzen Appendix Vergiliana, ferner des Epicedion Drusi, der Heroides, der Medicamina faciei femineae, der Nux und wahrscheinlich auch der Ibis-Invektive) einführe, obwohl seine jeweilige Autorschaft erst im Laufe dieser Untersuchungen plausibel werden wird. Wer eine solche Präjudizierung für unangemessen und die Identifizierung für nicht überzeugend hält, möge den Namen Montanus überall durch 'Bearbeiter' ersetzen und meine Zuschreibung dieser Ovid- und Vergilausgaben mit den vielen in ihnen enthaltenen Zusätzen an den Dichter Iulius Montanus als Modell ansehen, wie wir uns das Zustandekommen des in vielem unbefriedigenden und anstößigen Textes vorzustellen haben. Daß hier überall der gleiche Urheber am Werk ist, wird unmittelbar einsichtig, wenn man die im Register unter den Stichworten 'Identität des Verfassers' und 'komplementär' aufgeführten Stellen überprüft. Wer sich aber aus einer grundsätzlich aporetischen Haltung heraus einer radikalen Kritik des überlieferten Textes, wie sie hier nach langem Abwägen als unerläßlich erachtet wird, verschließt, mag diese Bände schlicht als kritischen Kommentar de Ulis eius (sc. Vergili) quaestionibus innumerabilibus, quibus grammatici agitari et perturban soient1 verwenden. Es wird sich zumindest die Erkenntnis Bahn brechen, daß die Eliminierung der von scharfsinnigen Philologen des letzten und vorletzten Jahrhunderts geleisteten echtheitskritischen Arbeit aus den Apparaten unserer heutigen Vergil- (und Ovid-) Ausgaben einen schwer verständlichen Rückschritt in der Editionstechnik darstellt. Daß die Palinurusund Deiphobus-Episoden des 6. Aeneisbuches in der uns überlieferten Form nicht von Vergil stammen, konnte man seit 1843 (dem Erscheinungsdatum der kommentierten Aeneisausgabe von Peerlkamp) wissen. Man findet von dieser und vielen gleichartigen Erkenntnissen in den heute maßgeblichen Vergilausgaben buchstäblich keine Spur mehr. Die Geschichte der Philologie vollzieht sich in manchen Disziplinen als Krebsgang. So steht zu hoffen, daß sich in der jungen Generation frei und selbständig denkende, kritische Köpfe finden werden, die das volle Methodenarsenal, in dem seit den Alexandrinern, ja, seit Herodot die Echtheitskritik eine wichtige Rolle spielt, zur Geltung bringen und auch das auf diesem Felde

Aug. util. cred. 6, 13.

χ

Vorwort

Geleistete angemessen würdigen und weitergeben. Die Erfahrungen, die ich in dieser Hinsicht in meinem Bonner Oberseminar sammeln konnte, erfüllen mich mit Zuversicht. Dort sind die hier veröffentlichten Thesen erprobt und durch energischen Widerspruch ebenso wie durch ergänzende Anregungen vielfältig verbessert worden. Die Widmung dieses Bandes soll meine Anerkennung und meinen Dank bekunden. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für das unschätzbare Privileg, daß ich ein volles Jahr ohne Lehrverpflichtungen ganz auf diese Studien verwenden durfte. Besonderer Dank gebührt meinen Mitarbeitern, allen voran Frau B. PaichKnebel, die mit unerschöpflicher Geduld meine handschriftlichen Vorlagen in den Computer eingegeben hat, ferner den Hilfskräften, die mich über Jahre hin mit nie erlahmendem Eifer unterstützt haben: J.P. Clausen, B. Mentjes, Maren Peek, Th. Riesenweber, M. Scheer. Hervorgehoben sei die Mitwirkung der folgenden aus dem Bonner Oberseminar hervorgegangenen Doctores illustres: A. Arweiler (jetzt Kiel), R. Cramer, M. Deufert (Göttingen), Rebekka Junge (Erlangen) und T. Schmit-Neuerburg. Sie haben ein gut Stück ihrer eigenen Forschungszeit, viel Geduld, Gründlichkeit und Scharfsinn, vor allem aber ihren geschulten Blick an dieses Buch gewendet. Die schwierigen Anforderungen der Computertechnik hätten wir ohne das Geschick von Rebekka Junge niemals bewältigen können. Die erstgenannten doctorum ex turba tergemini fratres haben mich noch im Stadium des Korrekturenlesens vor vielen Irrtümern bewahrt und wertvolle Ergänzungen und Präzisierungen beigesteuert. Wenn das more ursae parere et lambendo demum effingere einen neuen Vergil und einen Montanus redivivus hervorgebracht hat, ist dies auch ihr Verdienst. Den beiden Mitherausgebern, denen ich seit nunmehr zwanzig Jahren in herzlicher Zusammenarbeit verbunden bin, danke ich für das gewährte Vertrauen, Herrn Bühler für seine trotz mancher Skepsis ermunternde Kritik, Frau Dr. Grünkorn vom Verlag de Gruyter für die aufgeschlossene Förderung. Bonn, im Juli 1999

Otto Zwierlein

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Einleitung und Resümee der Ergebnisse I.

VII 1

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

15

1. Ergänzte 'Halbverse' 2. Interpolierte Plusverse in Vergilhandschriften 3. Durch die Nebenüberlieferung bezeugte Plusverse a) Das Vorproöm b) Die Helena-Episode c) Die Zusatzverse [Aen.] 3,204^ d) Die Zusatzverse 6,289a d e) [Aen.] 2,775 und 3,153 f) Resümee

15 17 30 31 34 45 51 56 62

4. Die Abgrenzung der Bücher V und VI

63

5. Urteile antiker Grammatiker über den Vergiltext a) Der Beginn der Vergilkommentierung b) Valerius Probus c) Annaeus Cornutus d) Hyginus e) Caesellius Vindex und Sulpicius Apollinaris f) Favorinus von Arelate und der Aetna g) Anonymi bei Gellius h) Quidam bei Donat (DServ.) i) Aemilius Scaurus, Messala Corvinus und Maecenas beim Seneca rhetor

86 86 91 100 101 117 121 130 132

6. Verswiederholungen des Vergil

138

7. Verswiederholungen des Montanus a) [georg.] 4,473-480 b) [Aen.] 1,(426). 434-436

144 146 150

134

XII

Inhaltsverzeichnis

c) [Aen.] 2,792-794 154 d) [Aen.] 8,447-453 156 e) Liste der Vers Wiederholungen des Montanus im 'Vergil' . . . 161

II.

8. Selbstzitate des Montanus a) Liste von Selbstzitaten des Montanus b) [Aen.] 1,744 = [Aen.] 3,516 (und [georg.] 2,481f. = Aen. l,745f.) c) Synkrisis

173 173

9. Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung a) 'Halbverse' als Indizien späterer Einschübe Vergils? b) Die 'Halbverse' im 7. Buch c) Die 'Halbverse' 1,534; 2,767; 6,94; 8,41 d) Der 'Halbvers' 2,787 und die Chronologie der Bücher II und III e) 'Halbverse' Vergils und 'Halbverse' des Montanus f) Synkrisis

187 189 190 211

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

177 187

218 225 231

235

1. Ein editorisches Experiment: durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen 235 2. Durch Divergenz der Handschriften entlarvte Plusverse III.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

254 265

1. Ein Verszitat aus Varrò Atacinus in dem Georgica-Zusatz [georg.] 2,403-419

266

2. Zeitperiphrasen a) Die Deiphobus-Episode ([Aen.] 6,494-547. 555f. 559) . . . . b) Komplementäre Zeitperiphrasen in der Deiphobus-Episode, in Montan, frg. II und im Culex c) Montan, frg. l , l f . - Manil. 5,103; l,321f. - Ciris 493-498 . . d) Ianus, Concordia, Salus Romana, Ara Pacis - und eine 'pastorale' Zeitperiphrase ([fast.] 3,879-882) e) Nichtovidische Tageszeitschilderungen in am. I 6 und epist. XVIII f) Katalog der Zeitperiphrasen des Montanus

270 271 287 294 297 299 302

Inhaltsverzeichnis

XIII

3. Schwalben des Montanus und die Doppelaristie in Aen. XII . . . 310 a) Komplementär gezeichnete Schwalben des Montanus 310 b) Die Wagenlenkerin Juturna und die Doppelaristie des Aeneas und des Turnus 316 4. Das Vorproöm zur Aeneis und der Culex

331

5. Ländliche Idylle ([Ov. rem.] 179-196 - Cui. 98-108 [Pont.] 1,8,35-62)

333

6. Bildbeschreibungen des Montanus im 'Ovid' und 'Vergil' und der Toreut Alcon

346

7. Die Einfälschung der Epistulae Heroidum und der Medicamina faciei femineae in das Ovidcorpus a) Weitere Indizien für die Identität des Verfassers der Leanderepistel mit dem Bearbeiter der Ovid- und Vergilcorpora . . . b) [am.] II 18 c) Die Schlußgedichte des zweiten und dritten Amoresbuches . . d) Die Gedichtzahl der Amoresbücher e) Cantetur EPISTVLA in [ars] 3,345 f) Die Sammlung der Exildichtung und ihr Schlußgedicht . . . . g) Der Penelope-Brief und das Selbstporträt des Montanus in [Pont.] IV 16 h) Die Medicamina faciei femineae in [ars] 3,205-208

354 354 354 367 372 375 384 388 400

8. Zum Vokabular der Montanus-Fragmente

405

9. Metrische und prosodische Eigenheiten des Montanus a) Normwidrige Hiate - Hiatkürzung b) Normwidrige Synaloephen und Elisionen c) Halbvokale - Synizese - Synkope - Vokalkürzung d) Wortlänge und Zäsuren e) atque vor Konsonant

414 414 417 423 429 435

10. 11. 12. 13.

438 443 452 455

Kühne Ellipsen im Ausdruck - Brachylogie Epanalepse Hypallage - Manierismus Gelehrte Mythenvariationen

14. Quae 'Montaniana' Scaurus vocabat 458 a) Hecubas Klage um Polyxena im 13. Metamorphosenbuch . . . 458

Inhaltsverzeichnis

b) Iulius Montanus und Votienus Montanus

468

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen durch Montanus

477

1. Der Polydorus des Montanus in den Metamorphosen und in der Aeneis

478

2. Vergile Dido in der Fassung des Montanus a) Didos Marmorschrein b) Dido und Sychaeus c) Dido in der Aeneis und im 7. Heroidenbrief

. 488 488 493 498

3. Das Omen der entflammten Haare und Horazens Küchenbrand

. 504

4. Das Entfachen des Feuers und der Kohl auf dem Herd: Philemon und Baucis - der Bauer Hyrieus - Simulus im Moretum die Trojaner am Strand 511 a) Die Götter zu Besuch in der ländlichen Hütte 511 b) Das Entfachen des Feuers 514 c) Der Kohl auf dem Herd 517 d) Die Erkennungsszene beim Mahl 518 5. Hirsch- und Pferdeschmuck des Montanus in den Metamorphosen und in der Aeneis 524 6. Die Hirsche der Silvia, des Cyparissus und der verwandelte Aktaion 530 7. Die kontaminierte Iris am Beginn des 9. Buches und die Chronologie der Ereignisse in Aen. VIII-X 544 8. Kontamination und komplementäre Nutzung homerischer und verwandter Gleichnisse a) Das Ebergleichnis in der Mezentius-Aristie b) Arruns und das Gleichnis vom flüchtenden Wolf c) Zwei Jagdhundvergleiche (Apollo/Daphne, Aeneas/Turnus) 9. Komplementär geformte Sterbeszenen des Montanus a) Procris ([ars] 3,687-748, bes. 741-746) b) Epicedion Drusi c) Synkrisis

559 559 567 . 570 576 576 581 582

Inhaltsverzeichnis

XV

10. Komplementäre Imitationen im Epicedion Drusi und in den Heroides 587 11. Komplementäre Imitationen in den Fasti, in Culex und Aetna . . 589 12. Komplementäre Imitation in Ciris und Helena-Episode 590 Exkurs: Motiv- und Sprachverwandtschaft zwischen HelenaEpisode und weiteren Aeneiszusätzen 591 13. Komplementäre Selbstimitation des Montanus a) Der blutig gefärbte Rhein: Epiced. Drusi 385f. [trist.] 4,2,42 - [Pont.] 3,4,108 b) Das Feuer aus Kieselsteinen: [georg.] l,134f. [Aen.] 1,174ff. - [Aen.] 6,6f

V.

Das Emendieren und Kommentieren in der antiken Editionspraxis 1. 2. 3. 4. 5.

P. Valerius Cato Die Vergiledition im Spiegel .der Suetonvita Die Revision des Dracontius durch Eugenius von Toledo Synkrisis: Eugenius, Montanus, die Ausoniuskritik und Livius Ausblick ins lateinische Mittelalter: Die Revision der Visio Alberici

593 593 594

597 597 603 607 . 609 614

VI.

Literaturverzeichnis

619

VII.

Register

623

Einleitung und Resümee der Ergebnisse "Jede Überlieferung enthält in sich schon ein exegetisches Moment. Indem sie einen Text hinüberholt von einer Gegenwart in die andere, muß sie ihn den veränderten Verstehensbedingungen anpassen. Das geschieht in der Form eines Kommentierens, das sich in den Text hineinschreibt und auf diese Weise den Text fortschreibt und kontinuiert" (J. Assmann) 1 . Dies gilt für viele Schriftzeugnisse der frühen Kulturen: Die altägyptischen, mesopotamischen und biblischen Texte, aber auch die Heldenepik im frühen Griechenland, auf dem neuzeitlichen Balkan und im mittelalterlichen Westeuropa zeigen ein beträchtliches Maß an 'mouvance'. Erst die autoritative Verfestigung durch eine als kanonisch betrachtete Edition bringt das Fließen dieser 'offenen' Texte weitgehend zum Stillstand, sie gelangen in die Obhut der Gelehrten oder Grammatiker, die den 'reinen' Textbestand sichern. Die Exegese geschieht nun durch Interlinear- oder Marginalglossierung, durch kritische Semeiose und separate Kommentare. Diese in den Nachbardisziplinen allgemein übliche Einschätzung der Überlieferungsbedingungen antiker und mittelalterlicher Literatur2 scheint in der heutigen Klassischen Philologie nur einer Minderheit von Zunftgenossen annehmbar. Die Mehrheit glaubt - im Vertrauen auf die bald zweieinhalbtausendjährige Tradition ihrer Wissenschaft -, in den Handschriften verläßliche

1 2

J. Assmann - B. Gladigow (Hrsgg.), Text und Kommentar, München 1995, 28. Siehe die im Sammelband 'Assmann - Gladigow' (vorige Anm.) genannten Arbeiten; ferner - unum ex multis - J. Bumke, Die vier Fassungen der >NibelungenklageNeue Philologie< und das »Moderne Mittelalter0' 5 ye Κοίοανον elktv ΆΧάστooá re Xoouíov re "AΧκανδοόν ϋ' "ΑΧιόν re Νoíiuová re Ώούτανίν re. met. 13,255 Quid Lycii referam Sarpedonis agmina ferro devastata meo? cum multo sanguine fudi Coeranon Iphitiden et Alastoraaue Chromiumaue Alcandrumaue HaJiumaue Noemonaaue Prvtanimaue 259 exitioque dedi cum Chersidamante Thoona (...). [Aen.] 9,765 addii Halyn comitem et confixa Phegea parma, ignaros deinde in muris Martemque cienris 769 Alcandrumque Haliumque Noemonaque Prytanimque (Im Anschluß an den 'Halbvers' 9,761 hat Montanus eine längere Kampfszene hinzugedichtet: die Verse [Aen.] 9,762-798, v. ad loc.). Siehe o. S. 140 Anm. 3. Siehe S. 18. [georg.] 2,42-46 del. Zw., v. ad loc. Der Abschnitt [georg.] 2,284-297 ist unecht.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

162 2,481 482 2,535 3,263 3,282 283

3,326 3,437 439 4,221 222

4,473 475

480 Aen. 1,313 1,434 436

2 3

4 5

6

fquid tantum Oceano properent se tingere soles hiberni. vel quae tordis mora noctibus obsteft

= Aen. l,745f.

II septemque una sibi muro circumdedit arces septemque una sibi muro circumdabit arces

(Aen. 6,783)

Il nec moritura super crudeli funere virgo nec moritura tenet crudeli funere Dido

(Aen. 4,308)

hippomanes. quod1 saepe malae legere novercae miscueruntque herbas et non innoxia verba pocula si quando saevae infecere novercae miscueruntque herbas et non innoxia verba2 II [et ros in tenera pecori sratissimus herba] cum ros in tenera pecori gratissimus herba

(georg. 2,128) (2,129) (ecl. 8,15)

cum positis novus exuviis nitidusque iuventa. volvituP. aut catulos tectis aut ova relinquens, arduus ad solem, et lineuis micat ore trisulcis deum namque ire per terrasque tractusque maris caelumque profundum terrasque tractusque maris caelumque profundum5 aspice, venturo laetentur ut omnia saeclo

~ Aen. 2,473 = Aen. 2,475

omnia4

fquam multa in foliis avium6 se milia condunt Vesper ubi aut hibernus agit de montibus imber, matres atque viri defunctaque corpora vita magnanimum heroum. pueri innuptaeque puellae, impositique roeis iuvenes ante ora parentum quos circum limus niger et deformis harundo Cocyti tardaque palus inamabilis unda alligai et novies Styx interfusa coerceñ Γbina manu lato crispans hastilia ferro1 faut onera accipiunt venientum. aut gemine facto ignavum fucos pecus a praesepibus arcent: fervei opus redolentque thvmo fraelantia mella A

(ecl. 4,51) (4,52) ~ Aen. 6,309 ~ georg. 4,433f. = Aen. 6,306 = 6,307 = 6,308 ~ Aen. 6,438 = 6,439 = 12,165 = georg. 4,167 = 168 = 169

Vgl. 280 hippomanes vero quod ... dicunt. Dieser Vers fehlt in M aufgrund des Homoioteleutons. Eine Wiederholung des Motivs von 3,426 (squamea convolvens sublato pectore terga), das in Aen. 2,474 aufgenommen ist (s. S. 141) und die Einschaltung der Verse Aen. 2,473. 475 hinter georg. 3,436 angeregt hat, siehe zu [georg.] 3,437-439. Vgl. Manil. 2,61. Der Vers ist ein weiteres Mal von Montanus in [Aen.] 1,58 abgewandelt worden inifaciat, maria ac terras caelumque profundum \ quippe feront rapidi. In Aen. 6,310 steht folia, in 311 quam multae ... ayes.

Verswiederholungen des Montanus

1,482 1,530

534 1,609 1,612 1,701 704 706

3

4

(6,469) = = = = ~

est locus. Hesperiam Grai cosnomine dicunt. terra antiqua, potens armis atque ubere glaebae; Oenotri coluere viri: nunc fama minores Italiam dixisse ducis de nomine gentern. hic cursus fuit. II semper honos nomenque tuum laudesque manebunt

3,163 3,164 3,165 3,166 1,17

= ecl. 5,78

I post alios, fortemque Ovan fortemque Cloanthum. fata Lyci fortemque Gvan fortemque Cloanthum

(1,222)

dant marubus famuli lymphas Cereremque canistris - georg. 4,376 expediunt tonsisque ferunt mante lia villis. ~ 377 (quibus) cura ... flqrnmis adolerepenatis; (...) ~ 379 qui dapibus mensas onerent et pocula ponant. ~ 378. 379 Κ \pallamque et pictum croceo velamen acanthó\

2,8 9

et iam nox umida caelo praecipitat suadentaue cadentia sidera somnos post ubi digressi, lumenque obscura vicissim luna premit suadentque cadentia sidera somnos

~ 1,648. 649

(4.80)

2,381

Il (anguem) attollentem iras et caerula colla tumentem2 tollentemque minas et sibila colla tumentem (deice)

2,409

Il \consequimur cuncti et densis incurrimus armis. 1 inruimus densis et circumfundimur armis (iamnis) fertur in arva ... camposque per omnis cum stabulis armenia trahit3. 4

2,775

tum sic adfari et curas his demere dictis

2,792

Iter conatus ibi collo dare bracchia circum: ter frustra comprensa manus effueit imano, par levibus ventis volucrique simillima somno.1

794

2

II diva solo fixos oculos aversa tenebat1 illa solo fixos oculos aversa tenebat

1,711

2,498 499

1

163

(4.81) (georg. 3,421) (2,383)

~ georg. 1,482 ~ 1,483 = 3,153 = 8,35 = 6,700 = 6,701 = 6,702

Ich habe die Verse [Aen.] 1,479-482 dem Montanus zugewiesen, der das Motiv vom peplum Minervae auch in Ciris 21ff. (vgl. 30. 35) verarbeitet hat. Beim echten Vergil wird die Bittprozession der Frauen aus II. 6,296ff. erst in Aen. ll,477ff. umgesetzt; das griechische peplum meidet er jedoch auch dort: es gehört nicht zum Wortschatz der uns erhaltenen Dichter vor Manilius (5,392), Montanus und Statius (Theb. 10,56) und klingt neben templum [Aen.] 1,479 besonders befremdlich. Das Gleichnis [Aen.] 2,379-382 stammt von Montanus, s. S. 427. 534 Anm. 3. R. Cramer erwägt, zusätzlich den Vers 378 zu tilgen. In georg. 1,483 heißt das Verb tulit. Das Gleichnis und die anschließende vorgreifende Zusammenfassung des späteren Geschehens ([Aen.] 2,496-505) sind unecht, v. ad loc. Zu diesem und dem voraufgehenden, ebenfalls unechten Vers [Aen.] 2,774 s. S. 56ff.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

164

3,56 57 3,63 65

3,86 87 3,103

106

(4,412)

stant Manibus arae caeruleis maestae vittis atraque cupresso, II [g| circum Iliades crinem de more solutaeì çircurn omnis famulumque manus Troianaque turba et maestum Iliades crinem de more solutae.

(11.34) (11.35)

[et genus et mansuram urbem; serva altera Troiae Pergamo, reliquias Danaum ataue immitis Achilli.l1 Γnonne vides, cum praecipiti certamine campum corripuere ruuntque effusi carcere currus. cum spes adrectae iuvenum, exsultantiaque haurit corda pavor pulsans?

~ 1,30 Aen. 5,144 = 5,145 ~ 5,137f.

3,130

II prosequitur sursens a puppi ventus euntis2

= 5,777

3,208

II adnixi torquent spumas et caerula verrunt

= 4,583

3,229 230

rursum in secessu longo sub rupe cavata Ι Γarboribus clausam circum ataue horrentibus

3,343

II et pater Aeneas et avunculus excitât Hector

3,459

II Iet quo quemque modo fusiasque ferasque

3,467

II loricam consertam hamis auroque trilicem levibus huic hamis consertam auroque trilicem loricam

laborem1

II remigium supplet, socios simul instruit armis

3,588 589

postera iamque dies primo surgebat Eoo II Γumentemque Aurora polo dimoverat umbram1 postera Phoebea lustrabat lampade terras umentemque Aurora polo dimoverat umbram II \conubio iungam stabili propriamaue

umbrisI3

1,310 = 1,311 = 12,440

3,471

4,126

1

(auro) vi potitur. quid non mortalia pectora coeis. auri sacra fames! improbe Amor, quid non mortalia pectora coeis!

dicabd\

= 6,892 (5,259f.)

(8,80)

(4.6) (4.7) = 1,73

Beide Verse [Aen.] 3,86f. sind unecht: Da sie erst eine Stadt gründen wollen, ist das -

auch im Ausdruck unangemessene - serva altera Troiae | Pergamo verfehlt; durch urbem 2 3

würde eine Doppelung zu moenia in den Text getragen, v. ad loc. [Aen.] 3,128-130 del. Zw., v. ad loc. Vielleicht eine zu 3,229b mechanisch hinzugeschriebene (nicht in die Konstruktion eingepaßte [deshalb von späteren Schreibern geänderte]) 'Konkordanzinterpolation', die nicht von Montanus stammen muß.

Verswiederholungen des Montanus 4,219

II \arrectaeque horrore comae et vox faucibus haesit]

= 12,868

4,285 286

\ atque animum nunc hue celerem nunc dividit illuc in partisque rapit varías perque omnia versât]

= 8,20 = 8,21

4,418

puppibus et laeti nautae imposuere

4,481 482

ubi maximus Atlas axem umero torquet stellis ardentibus aptum1

4,584 585

= 9,459 \Et iam prima novo sparsebat lumine terras Tithoni croceum linquens Aurora cubile.] = 9,460 = georg. 1,447

5,1 3 8 9 11

5,64 65

2

3

(6,124)

4,280

4,701

1

I ftalibus orantem dictis arasque tenentem]1 talibus orabat dictis arasque tenebat

165

coronas

II Γ mille trahens varios adverso sole colores] mille iacit varios adverso sole colores Interea medium Aeneas i a m classe tenebat certus iter fluctusque atros Aquilone secabat moenia respiciens, (...) ut pelagus te nue re rates nec iam amplius ulla occurrit tellus. maria undique et undique caelum. olii caeruleus supra caput astitìt imber noctem hiememque ferens et inhorruit unda tenebris postquam altum temere rates nec iam amplius ullae apparent terrae, caelum undique et undique pontus, tum mihi caeruleus supra caput astitit imber noctem hiememque ferens, et inhorruit unda tenebris3 si nona diem mortalibus almum Aurora extulerit radiisque retexerit orbem ubi primos crastinus ortus extulerit Titan radiisque retexerit orbem

= georg. 1,304 ~ 6,796 = 6,797

(5,89)

(3,192)

(3,195)

(4.118) (4.119)

Der Vers ist von R. Cramer getilgt worden, der zu 4,220 die Parallelen 9,630; 10,464 [10,424 ist unecht] und 11,794 vergleicht. Zu 4,204f. (dicitur ante aras media inter numina divum I multa Iovem manibus supplex orasse supinis) fügt sich nicht talibus orantem dictis arasque tenentem. Die Verse [Aen.] 4,480-493 sind unecht. Die Ersetzung des Attributs cae lifer (Atlas) durch das farblose maximus in 481, das aus monstrataue sacerdos (498, vgl. 509) gewonnene, unvergilische monstrata sacerdos. die abenteuerliche Fiktion, die nach Karthago gekommene Zauberin habe einst die Äpfel der Hesperiden gehütet, das deplazierte, aus Ovid (trist. 5,2,24; fast. 4,531f.) geholte Attribut soporiferum (papaver), die Aufspaltung der Anrede cara germana in 492 mögen als Indizien genügen. Montanus hat die Sturmschilderung des 5. Buchs nach dem Muster von 3,192f. aufgefüllt. Die Athetese der Verse 5,3-9 ist im krit. Kommentar begründet. Zu den Wiederholungsversen 5,10f. ~ 3,194f. s. S. 48 Anm. 5; 139.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

166 5,141 142 143

adductis spumarti fréta versa lacertis. [infindunt pariter sulcos, totumaue dehiscit convulsum remis rostrisaue tridentibus aeauoñ una omnes ruere ac totum spumare reductis convulsum remis rostrisaue tridentibus aeauor.

(8,689) (8,690)

5,255

II Säblimem pedibus rapuit Iovis armiger uncis sustulitalta petens pedibus Iovis armieer uncis

(9,564)

5,565 566 571 572

5,774

Upse caput tonsae foliis evinctus olivae stans procul in prora pateram tenet, extaque salsos

(5,536f.) (5,538) ~ georg. 3,21 4,60 +5,237

777

proicit in fluctus ac vina liquentia fundit. certatim sodi feriunt mare et aequora verruntì

5,238 = 3,290

6,564 565

[sed me cum lucis Hecate praefecit Avernis. ipsa deum poenas docuitperque omnia duxitA

6,118 6,614f. 888

6,758

(Ι Γinlustris animas nostrumque in nomen ituras] inclusas animas superumque ad lumen ituras

(6,680)

6,901

Il ancora de prora iacitur; stant litore puppes .

= 3,277

7,147 149

1

quem Thracius albis portât equus bicolor maculis (...) quem candida Dido esse sui dederat monimentum et vienus amoris quem Thracius olim (... Cisseus) ferre sui dederat monimentum et pienus amoris

2

crateras laeti statuunt et vina coronant. postera çum grima lustrabat lampade terras orta dies. ... crateras magnos statuunt et vina coronant postera Phoebea lustrabat lampade terras (Aurora) postera vix summos spargebat lumine montis orta dies, çumprimum ...

7,182

Il Martiaque ob patriam pugnando vulnera passi hic manus ob patriam pugnando vulnera passi

7,528

Il fluctus uti primo coepit cum albescere vento fluctus uti medio coepit cum albescere ponto

(1,724) (4,6) (12,113)

(6,660) (georg. 3,237)

Die Assoziation zu spumare reductis in 8,689 hat die Einschaltung des Verses 8,690 (und des Verses 5,142 als Scharnier) provoziert. Sowohl infindunt... sulcos als auch dehiscit ist dem Zusammenhang unangemessen. - Unangemessen sind auch die Verse [Aen.] 5,146f., die den Vergleich mit dem Wagenrennen weiter ausmalen und wie in [georg.] 3,106f. (Uli

instant verbere torto \ et proni dant lora) die Zügel und die Peitsche des Wagenlenkers in den Blick nehmen, vgl. undantia lora (5,146) und pronique in verbera pendent (5,147).

2

[Aen.] 6,900sq. del. Zw., v. ad loc.

Verswiederholungen des Montarais 7,565 566

7,748 749

[armati terram exercent semperque recentis convectare iuvat praedas et vivere rapto. ] canitiem galea premimus, semperque recentis comportare iuvat praedas et vivere rapto.

8,305

8,367 368

8,410 8,448 450

453 8,538 540

8,544

3

(11,522) (11,523) (11,524)

II verum ubi nulla datur caecum exsuperare potestas (consilium)' verum ubi nulla datur dextra adfectare potestas (3,670)

8,284

1

(est locus) Amsançti valles: densis hunc frondibus atrum urset utrimaue latus nemoris, medioque ... est curvo anfractu valles, accomoda fraudi armorumaue dolis. quam densis frondibus atrum urset utrimaue latus, tenuis quo semita ducit

7,591

8,149

2

167

(9,612) (9,613)

Il [et mare quod supra teneant quodque adluit infra] an mare quod supra memorem, quodque adluit infra?

(georg. 2,158)

2

Il dona ferunt cumulantque oneratis lancibus aras eripiunt, cumulantque oneratis lancibus aras

(12,215) 3

Il consonai omne nemus strepitu collesque resultant (fremitu) consonai omne nemus. vocemque inclusa volutant litora, pulsati colles clamore resultant stratisque locavit Il Γeffultum foliis et pelle Libvstidis ursae1 effultus tergo stratisque iacebat velleribus horridus in iaculis ¡ • ursae Il impositum, cinerem et sopitos suscitât ignis haec memorans cinerem et sopitos suscitât isnis

(5,149) (5,150)

(7.94) (7.95) (5,37) (5,743)

septenosaue orbibus orbis ~ 5,584 inwediunt. alii ventosis follibus auras ~ 5,585; georg. 4,171 accipiunt redduntque. alii stridentia tingunt = georg. 4,172 aera lacu: gemit impositis incudibus antrum; - 173 illi inter sese multa vi bracchia tollunt ~ 174 in numerum. versantque tenaci forcipe massam. ~ 175 (170) quam multa sub undas scuta virum ealeasque et fortia corpora volves. Thvbri pater! ubi tot Simois correpta sub undis scuta virum ealeasque et fortia corpora volvit II (penatis) laetus adit; mactat lectas de more bidentis

Der ganze Passus [Aen.] 7,572-600 (und 563-571) ist unecht, ν. ad loc. [Aen.] 8,283sq. del. Heyne, ν. ad loc. [Aen.] 8,303-305 del. Zw., ν. ad loc.

= Aen. 10,421 (1,100) (1,101)

168

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung (pacem) exquirunt; mactant lectas de more bidentis 8,667 9,1 3

9,14 15

9,16 17

9,104 106 9,151 9,259 9,294 9,339 341

725 9,523

1 2

II Tartareas etiam sedes, alta ostia Ditis Taenarias etiam fauces, alta ostia Ditis1

(4,57) (georg. 4,467)

Atque ea diversa penitus dum parte geruntur, Irim de caelo misit Saturnia Iuno audacem ad Turnum. dum variis tumulo referunt sollemnia ludis, Irim de caelo misit Saturnia Iuno Iliacam gd classem

(5,605) (5,606) (5,607)

dixit, et in caelum paribus se sustulit alis ineentemaue fusa secuit sub nubibus arcum. cum dea se paribus per caelum sustulit alis ineentemaue fusa secuit sub nubibus arcum

(5,657) (5,658)

aenovit iuvenis duplicisque ad sidera palmas sustulit ac tali fueientem est voce secutus ille ubi matrem aenovit tali fueientem est voce secutus ingemit et duplicis tendens ad sidera palmas talia voce referí sustulit exutas vinclis ad sidera palmas et duplicis cum voce manus ad sidera tendit

(1,405) (1,406) (1,93) (1,94) (2,153) (10,667)

\dixerat idque ratum Stveii per flumina fratris. per pice torrentis atraque voragine ripas adnuit. et totum nutu tremefecit Olympum Λ

[7,540]

~ 10,113 = 10,114 = 10,115

II Palladii caesis late custodibus arcis Palladium caesis summae custodibus arcis

(2,166)

II Assaracique Larem et canae penetralia Vestae Pereameumque Larem et canae penetralia Vestae

(5,744)

II [atque animum patriae strinxit pietatis imaeo\ et_ mentem2 patriae strinxit pietatis imago

(10,824)

impastus ceu plena leo per ovilla turbans (suadet enim vesana fames) manditque trahitque molle pecus mutumque metu, fremii ore cruento. impastus stabula alta leo ceu saepe peragrans (suadet enim vesana fames), si forte fugacem conspexit cap ream (...) II at Messapus equum domitor. Neptunia proles

Vgl. de sedibus imis in 4,471 und Tartara zu Beginn von 482. In 9,292 steht percussa mente.

(10,723) (10,724) = 7,691 ([12,128])

Verswiederholungen des Montanus 9,569

— 10,698 ~ 2,216

572

Ilioneus saxo atque inpenti fragmine montis Lucetium portae subeuntem igtiisque ferentem. Emathiona Liger, Corynaeum sternit Asilas, hic iaculo bonus, hic longe fallente sasitta. (...)'

9,629

II \iam cornu petat et pedibus qui spargat harenam1

= ecl. 3,87

9,647 649

9,656 658

9,665

9,717 718 9,763 10,23 24

10,272

1 2 3

4

169

~ 10,754

hic Dardanio Anchisae armiger ante fuit fidusque ad limina custos; tum comitem Ascanio pater addidit. (Acoetes), qui Parrhasio Euandro armiser ante fuit, sed non felicibus aeque tum comes auspiciis caro datus ibat alumno.

(11,31) (11,33)

sic prsus Apollo mortalis medio aspectus sermone reliquit et procul in tenuem ex oculis evanuit auram. tali Cyllenius ore loçutus mortalis visus medio sermone reliquit et procul in tenuem ex oculis evanuit auram.

(4,276) (4,277) (4,278)

II intendant acris arcus amentaque torquent aut acris tendunt arcus aut lenta lacertis spicula contorquent

(7,164) (7,165)

hic Mars armipotens animum virisque Latinis1 addidit et stimulos acris sub pectore vertit concutit et stimulos sub pectore vertit Apollo

(6,101)

II (Gygen) excipit, hinc raptas fugientibus ingerii hastas (agmina) proterit aut raptas fugientibus ingerii hastas

(12,330)

3

[quin intra portas atque ipsis proelia miscent asseribus murorum et inundant sanguine fossae1. illi alternantes multa vi proelia miscent distinet hostem agger murorum neç inundant sanguine fossae

(georg. 3,220) (11.381) (11.382)

II fnon secus ac4 liquida si quando nocte cometae

[Aen.] 9,568-589 del. Zw., v. ad loc. Vgl. Montanus in [Aen.] 9,764: furto viris animumque ministrai. Diese scheinbare Steigerung ist in Wirklichkeit eine Antiklimax gegenüber intra portas. Da in 22 moenia und in 26 muris steht, ist ein weiteres murorum in 24 verfehlt; levari obsidione (25f.) schließt intra portas (23) aus. Das umgangssprachliche non (haud) secus ac steht viermal in unechten Aeneis-Vergleichen (3,236; 8,243 [8,243-246 del. Zw.]; 10,272; 12,856 [12,856-860 del. Zw.]; v. ad locc.) und einmal in georg. 3,346; doch scheint auch der Passus [georg.] 3,345-348 unecht. Erst nach der Athetese gewinnen die Verse 3,349ff. einen befriedigenden Anschluß. Die Junktur rton secus ac liquida (nocte) scheint aus met. 8,162 non secus ac liquidis ... in undis zu stammen; eine nox liquida kann ich in der Dichtung nicht belegen.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

170

275

10,276 278

10,475

10,556

sanguinei lugubre1 rubent2. aut Sirius ardor3 ille sitim morbosaue ferens mortalibus aesris nascitur et laevo contristai lumine caelum λ κακόν òé re σήμα τίτυκται (sc. der Orion) καί re ipépei iroXXòy irvoeròv òeiKóiai βοοτοϊσιν aut unde nigerrimus Auster nascitur et pluvio contristai frigore caelum

(II. 22,30) (22,31) (georg. 3,278) (georg. 3,279)

haud tamen audaci Turno fiducia cessit litora praecipere et venientis pellere terra. ultro ánimos tollit dictis atque increpat ultro at non audaci Turno fiducia cessit; ultro ánimos tollit dictis atque increpat ultro

(9,126) (9,127)

II vaginaque cava fulsentem deripit ensem Strymonio dextram fulgenti deripit ense vaginaque eripit ensem

(10,414) (10,896 = 4,579)

II provolvens super haec inimico pectore fatur4 traicit et super haec inimico pectore fatur

10,767 11,86

(11,685)

II ingrediturque solo et caput inter nubila condii

= 4,177 5

II pectora nunc foedans pugnis. nunc uneuibus ora umuibus ora soror foedans et pectora pugnis (4,673 = [12,871])

11,171

II Tyrrhenique duces. Tvrrhenum exercitus omnis Etruscique duces equitumque exercitus omnis

11,192

6

II it cáelo clamorque virum clangorque tubarum exoritur clamorque virum clangorque tubarum

1

3 4 5 6

7

(2,313)

11,248

II postquam introgressi et coram data copia fandi

= 1,520

11,377

Ι Γdat gemitum rumpitque has imo pectore voces] ingemuitque deditque has imo pectore voces

(11,840)

11,404

2

(11,598)

7

II nunc et Tydides et Larisaeus Achilles

Ein nichtvergilisches Adjektiv, aus Lukrez, Horaz oder Ovid geholt. Der Ausdruck ist nach georg. 2,430 (sanguineisque inculta rubent aviaria bacis) geformt. Wir hören den gleichen Montanus in Aetna 602 fervens ubi Sirius ardet. Die Verse [Aen.] 10,543-560 scheinen mir unecht zu sein. [Aen.] 11,85-87 del. Zw., v. ad loc. Wie ein Centodichter stückt Montanus den neuen Vers (11,192) aus dem Auftakt von 5,451 (it [clamor] cáelo) und dem Iliupersisvers 2,313 ([exoritur] clamorque virum clangorque tubarum) zusammen. Gemeinsames Verbindungsglied ist der Begriff clamor, der aus dem übernommenen Hemiepes von 5,451 weichen kann, da er schon in 2,313 enthalten ist. Dafür tritt aber nun das verbleibende it cáelo als Äquivalent für das homerische ορώ pu (Od. 24,70) an die Stelle des Verbs exoritur. [Aen.] 11,403-407 del. Zw., v. ad loc.

Verswiederholungen des Montanus

11,432 433

11,539 11,561 11,607 11,647 11,766 767

11,774

171

quos neque Tvdides nec Larisaeus Achilles est et Volscorum egregia de %ente Camilla aemen aeens equitum et florentis aere catervas1 hos super advenit Volsca de gente Camilla aemen aeens equitum et florentis aere catervas

(2,197)

(7,803) (7,804)

II pulsus ob invidiam regno virisque superbas pulsus ob invidiam solio sceptrísque pateris

( 11,852)

II dixit, et adducto contortum hostile lacerto ocius adducto torquet hostile lacerto

(9,402)

II adventusque virum fremitusque ardescit equorum adventumque pedum flatusque audivit equorum 11 certantes pulchramque petunt per vulnera mortem objectant pulchramque petunt per vulnera mortem

(11,911) (georg. 4,218)

\hos aditus iamque hos aditus omnemque pererrat undique circuitum et certam quatit improbus hast nunc hos nunc illos aditus. omnemque pererrat arte locum

am2.] (5, •441 )

II aureus ex umeris erat arcus et aurea vati \ cassida aureus ex umero sonat arcus et arma Dianae.

11,831 11,875

(11,652)

II ivitaque cum gemitu fugit indignata sub umbras

= 12,952

II fquadripedumque putrem cursu quatit ungula campum quadripedante putrem sonitu quatit ungula campum

mugitus ve lut i cum prima in proelia taurus terríficos ciet aut irasci in cornua temptat arboris obnixus trunco, ventosque lacessit 106 ictibus aut sparsa ad pugnam proludit harena. ut que leo, specula cum vidit ab alta stare procul campis meditantem in proelia taurum et temptat sese atque irasci in cornua discit arboris obnixus trunco, ventosque lacessit ictibus. et sparsa ad pugnam proludit harena.

(8,596)

12,103

(10,454) (10,455) (georg. 3,232) (3,233) (3,234)

1

[Aen.] 11,428-433 del. Zw., ν. ad loc.

2

Vgl. 10,762f. ingentem quatiens Mezentius hastam \ turbidus ingreditur campo. Der leiernde Ton des Verses 766 (vgl. [Aen.] 9,550 hinc acies atque hinc acies astare\ [Aen.] 12,479 iamque hic germanum iamque hic ostentat; dagegen 9,57f.), die Wiederholung von circuit (761) in pererrat \ undique circuitum (das Adverb ist ein unpassendes Versfüllsel) und das unzeitige certam quatit... hastam (erst in 783 setzt Amins zum Speerwurf an, erst 799ff. können wir den geschleuderten Speer verfolgen) lassen die Verse [Aen.] 11,766f. als montanisch erscheinen.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

172 12,125 127

128

nec non mediis in milibus ipsi ductores auro volitant ostroque superbi, [et genus Assaraçi1 Mnestheus et fortis Asilas et Messapus eauum domitor. Neptunia prolesI2 at Messapus equum domitor. Neptunia proles

12,155

II terque quaterque manu pectus percussit honestum terque quaterque manu pectus percussa decorum

12,275

II \eereeium forma iuvenem et fuleentibus armis1

12,309 310

\olli dura quies oculos et ferreus ureet somnus. in aeternam conduntur lumina nocteni] olii dura quies oculos et ferreus urget somnus. in aeternam clauduntur lumina noctem

12,447 448

12,549

553

(7,691) = [9,523]

(4,589)

= 6,861

(10.745) (10.746)

videre Ausonii, eelidusque per ima cucurrit ossa tremor obstipuere animi eelidusque per ima cucurrit ossa tremor

(2,120)

omnes Dardanidae, Mnestheus acerque Serestus et Messapus equum domitor et fortis Asilas Tuscqmmque phalanx Euandrique Arcades alae. pro se quisque viri summa nituntur opum vi: nec mora nec requies. vasto certamine tendunt.] instat Mnestheus acerque Serestus

[127f.]

(9,171 ~

[9,779]) (11.834) (11.835) (5,501) (Enn ann. 151) nec mora nec requies ([georg.] 3,110 ~ [Aen.] 5,458) hoc pius Aeneas misso certamine tendit (5,286)

omnis copia Teuçrum Tvrrhenique duces Euandrique Arcades alae pro se quisque viri et depromunt tela pharetris Romani scalis: summa nituntur opum vi3

12,640

12,666

II (vidi) oppetere insentem atque ineenti vulnere victum at Lausum socii... ferebant

(10.841)

flentes, ingentem atque ingenti vulnere victum

(10.842)

Turnus et obtutu tacito stetit; aestuat imens uno in corde pudor mixtoque insania luctu

1

2

3

~ 10,870 = 10,871

Vgl. georg. 3,35f. Assaraçi,proles demissaeque ab love gentis \ nomina; Aen. 1,284 cum dqmus Assaraçi (...). Ebenfalls unecht sind 9,259 (Assaraçique Larem) und 9,643 (gente sub Assaraçi). Montanus wollte das allgemeine ipsi | ductores konkretisieren und hat dabei den aus dem Truppenkatalog bereitliegenden Vers 7,691 genutzt, den er schon in [Aen.] 9,523 aufgeboten hatte. In [Aen.] 12,549f. wird er die Versatzstücke - in anderer Kombination - ein weiteres Mal bringen. Der echte Vergil variiert: expugnare Itali summaque evertere opum vi | certabant (9,532f.).

Verswiederholungen des Montanus 668 12,749 750

12,784

12,871 12,882 884

II et furiis agitatus1 amor et conscia virtus (inclusum ... flumine nactus) cervum aut puniceae saeptwri formidine pennae hos (sc. cervos) non ... canibus, non cassibus ullis puniceaeve agitant pavidos formidine pennae II [rursus in aurieae faciem mutata Metisci1 atque huic, in faciem soror ut conversa Metisci aurieae ... regebat II funeuibus ora soror foedans et pectora pusnis]2

173 ~ 5,455

(georg. 3,371) (3,372) (12,623) = 4,673

3

[immortalis ego? aut quicquam mihi dulce meorum te sine4, frater, erit? o quae satis ima dehiscat terra mihi. Manisque deam demittat ad imos?] si bene quid de te merui, fuit aut tibi quicquam dulce meum quid ago ? aut quae iam satis ima dehiscat terra mihi? subducta ad Manis imos desedimus unda

8. Selbstzitate

des

(4.317) (4.318) (10.675) (10.676) (3,565)

Montanus

Nicht selten greift Montanus auf Formulierungen, die er selbst geprägt hat, ein weiteres Mal oder auch mehrere Male zurück, zitiert sich also selbst. Dies geschieht in größerem Ausmaße dort, w o er Parallelszenen dichtet; in kürzeren Floskeln wiederholt er sich auf Schritt und Tritt. Ich gebe hier nur eine Auswahl von Beispielen, unter die ich auch Versübernahmen aus anderen Autoren subsumiere, die Montanus zweimal verwendet, wodurch er sich sozusagen auch selbst einmal zitiert. Ich wähle die knappe Katalogform und setze den ad locc. gegebenen (oder noch zu gebenden) Unechtheitsnachweis voraus.

a) Liste von Selbstzitaten des Montanus Epiced. Drusi 45 quid, tenuisse animum contra sua saecula rectum, altius et vitìis exeruisse caput (...)? 1

2 3 4

Eine Variation der montanischen Formulierung von [Aen.] 3,330f. ereptae magnoflammatus amore \ coniugis et scelerum furiis agitatus Orestes ([Aen.] 3,330-343 del. Zw., v. ad loc.). Siehe zu [Aen.] 11,86. Vgl. Prop. 2,14,10 immortalis ero, si altera talis erit. Vgl. georg. 3,42 te sine nil altum mens incohat.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

174 [fast. 1,299 300

credibile est illos pariter vitiisque locisque altius humanis exeruisse caput.

Epic. 119

tandem ubi per lacrimas licuit, sic flebilis orsa est singultii medios impediente sonos: [trist.] 1,3.41 hacprece adoravi superos ego, pluribus uxor, 42 singultu medios impediente sonos1. Epic. 361 [trist.] 2,425 426

ecce necem intentam caelo terraeque fretoque, casurumque triplex vaticinantur opus [explicat ut causas rapidi Lucretius ignis casurumque triplex vatìcinatur opus]

Ciris 400

has adeo voces atque haec lamenta per auras fluctibus in mediis questu volvebat inani, ad caelum infelix ardentía lumina tendens. 403 lumina, nam teñeras arcebant vincula palmas2. Aen. 2,403 ecce trahebatur passis Priameia virgo crinibus a tempio Cassandra adytisque Minervae ad caelum tendens ardentía lumina frustra. 406 II [lumina, nam teñeras arcebant vincula palmas.] [am.] 3,10,34 [fast.] 4,641 642

inrìta deceptì vota colentis erant [rege Numa fructu non respondente labori inrìta deceptì vota colentis erant

[am.] 3,13,13

ducuntur niveae populo plaudente iuvencae, quas aluit campis herba Falisca suis colla rudes operum praebent ferienda iuvenci. quos aluit campis herba Falisca suis (iam videor) colla boves niveos certae praebere securi, quos aluit campis herba Falisca suis3

[fast.] 1,83 [Pont.] 4,4,31

1 2

3

[trist.] 1,3,41-46 del. Zw., ν. ad loc. Das in den beiden letzten Versen zum Ausdruck gebrachte Motiv hat Montanus - in Weiterentwicklung von met. l,635ff. (illa etiam supplex Argo cum bracchia vellet | tendere, non habuit, quae bracchia tenderei Arpo} - mehrfach variierend eingesetzt, s. S. 537f. zu [met.] 3,240f. Hier liegt das Beispiel einer komplementären Selbstimitation vor (s. S. 593ff.), insofern aus [am.] 3,13,13 die iuvencae als iuvenci nach [fast.] 1,83, das Attribut niveae aber nach [Pont.] 4,4,31 (niveos) übertragen sind. Dieherba Falisca hat ihren ürsprünglichenSitz in dem 'Amores'-Gedicht über das Fest der Iuno Falisca; es dürfte sich also die chronologische Abfolge 'Amores - Fasti - Epistulae ex Ponto' in der Überarbeitung des Ovid-Corpus ergeben. - Die von Ehwald nach Pont. 4,4,30 angesetzte, von Richmond übernommene Lücke ist ein Indiz für die mangelhafte Verfugung des unechten Zusatzes [Pont.] 4,4,31-34, durch den Montanus den knappen Hinweis auf das Opfer, das der neue Konsul bei seinem Amtsantritt auf dem Kapitol darbringt, auszumalen, zu konkretisieren und zugleich - mit Blick auf Pont. 4,9,32 - als Ergebenheitsadresse an den Kaiser zu stilisieren sucht. Der

Selbstzitate des Montanus

175

epist. 3,117

tutius est ¡acuisse toro, ternisse puellam, Threiciam digitis increpuisse lyram, quam manibus clipeos et acutae cuspidis hastam 120 et galeam pressa sustinuisse coma. [am.] 2,11,31 [tutius est fovisse torum, legisse libellos, Threiciam digitis increpuisse lyram.]1 Prop. 1,2,19

nec Phrygium falso traxit candore maritum avecta externis Hippodamia rotis

[Ov. ars] 2,7

talis erat qui te curru Victore ferebat, veda pereerinis Hippodamia rotis2 qua duo porrectus longe fréta distinet Isthmos, vecta peregrinis Hippodamia rotis

epist. 8,69 [Aen.] 1,559 5,385 Aen. 4,556 4,558 9,649

12,471

[talibus Ilioneus; cuncti simul ore fremebant Dardanidae.] ('... ) ducere dona tube. ' cuncti simul ore fremebant Dardanidae reddique viro promissa iubebanP. huic se forma dei vultu redeuntis eodem obtulit in somnis rursusque ita visa monere est [omnia Mercurio similis, vocemque coloremque et crinis flavos et membra decora iuventae] ibat Apollo omnia longaevo similis vocemque coloremque et crinis albos et saeva sonoribus arma ipsa subit manibusque undantis flectit habenas cuncta gerens, vocemque et corpus et arma Metisci.

Vergleich mit Pont. IV 9 macht deutlich, daß Montanus die beiden Konsul-Gedichte wechselseitig ausgestaltet, also den Versblock 4,9,15-28 als Reminiszenz an 4,4,25ff., die Verse 4,4,31-34 aber als Ergänzung im Sinne von 4,9,29-32 hinzugefügt hat. Die Satzkonstruktion von [Pont.] 4,4,33f. ist höchst undurchsichtig, ja, verquer geraten (auch Helzle ad loc. [Hildesheim 1989, 115] kann nicht wirklich weiterhelfen): statt et cum dei omnes, tum Iuppiter et Caesar (= cum love Caesar), quos impensius aequos tibi esse cupias, < aequi tibi > erunt schreibt er - in einer unverständlichen (nur mit dem von ihm gelegentlich gewählten absoluten Nominativ [s. S. 193; 411 mit Anm. 1; 438. 564] vergleichbaren) Assimilation des Kasus an den Relativsatz - deos omnes und knüpft die Korrelativa cum tum durch -que an, wofür man nicht leicht eine Parallele finden wird. Formal bildet (cum)gue deos ... aequos \ esse tibi (erunt) eine bloße Wiederholung von et fieri faciles in tua vota deos (30). 1

2

3

Die Verse [am.] 2,ll,31f. hat Woytek WS 111,1998,167ff. getilgt. Sie waren lange zuvor aus meinem Ovidtext ausgeschieden: Ich freue mich über die unabhängig gefundene gleiche Lösung. Die Verse [Ov. ars] 2,1-8 sind zu Recht von W. Lingenberg (Bonn) als unecht getilgt worden. Die Verse [Aen.] 5,380-386 sind von Montanus hinzugesetzt.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

176

[Aen.] 2,774 775 3,48 epist. 16,67 [Aen.] 4,279 280 12,867 868 Aen. 7,691 [Aen.] 9,523 12,127 12,549

lobstipui,.steteruntgue comae et vox faucibus haesit. tum sie adfari et curas his demere dictis]1 obsti])uiA steteruntgue comae et vox faucibus haesit. (...) obstipui, gelidusque comas erexerat horror. cum mihi 'pone metum ' nuntius ales ait at vero Aeneas aspectu obmutuit amens, II \arrectaeque horrore comae et vox faucibus haesit.] Uli membra novus solvit formidine torpor, II \arrectaeque horrore comae et vox faucibus haesit.]2 at Messapus. equum domitor. Neptunia proles || at Messapus. equum domitor. Neptunia proles I et eenus Assaraci Mnestheus et fortis Asilas I et Messapus, equum domitor, Neptunia proles omnes Dardanidae, Mnestheus acerque Serestus I et Messapus, equum domitor, et fortis Asilas

[Ον. met.] 3 , 3 1 6

[Aen.] 7 , 5 4 0 9,1 [georg.] 3 , 1 1 0 [Aen.] 5 , 4 5 8 [Aen.] 12,553 [Aen.] 3,663 8,229 10,717 [Aen.] 7,761

765 9,581

1

2

3 4

[dumque ea per terras fatali lege geruntur tutaque bis geniti sunt incunabula Bacchi] [atque ea per campos aequo dum Marte geruntur] \atque ea diversa penitus dum parte geruntur, (...) nec mora nec requies; nec mora nec requies nec mora nec requies, vasto certamine tendunt. luminis effossi fluidum lavit inde cruorem dentibus infrendens gemitu (sc. Polyphemus)3 hue ora ferebat et illuc dentibus infrendens impavidus partis cunctatur in omnis dentibus infrendens et tergo decutit hastas Ibat et Hippolyti proles pulcherrima bello, Virbius, insignem quem mater Ancia misit, eductum Egeriae lucis umentia circum litora, pinguis ubi et placabilis ara Dianae. namque ferunt4 fama (...) stabat in egregiis Arcentis filius armis pictus acu chlamvdem et ferrugine clarus Hibera,

Beide Verse sind unecht, stehen aber in unserer gesamten handschriftlichen Überlieferung, s. S. 56ff. Beide Wiederholungsverse ([Aen.] 2,774 = 3,48 und 4,280 = 12,868) enthalten eine metrische Lizenz, Elision der Schlußsilbe eines jambischen Wortes, die der echte Vergil nicht oft zuläßt, s. S. 60. [Aen.] 3,663-665 del. Zw., v. ad loc. Aus 10,189 geholt.

Selbstzitate des Montanus

585

579 11,772

777 11,578 Aen. 7,795 797 Aen. 11,316 318

177

insignis facie, genitor quem miserai Arcens eductum Mortis luco Symaethia circum flumina, pinguis ubi et placabilis ara Palici: strídentem ñindam positis Mezentius hastis ipse ter adducta circum caput eeit habena et media adversi liquefacto tempora plumbo diffidi ac multa porrectum extendit harena1. [ipse peregrina ferrugine clarus et ostro spicula torquebat Lycio Gortynia cornu; aureus ex umeris erat arcus et aurea vati cassida; tum croceam chlamvdemque sinusque crepantis carbaseos fulvo in nodum collegerat auro pictus acu tunicas et barbara tegmina crurum.] tela manu iam tum tenera puerilia torsit et fiindam tereti circum caput eeit habena (.. .). (...) Auruncaeaue manus, Rutuli veteresque Sicani (...) qui saltus, Tiberine, tuos sacrumque Numici litus arant Rutulosque exercent vomere Collis (...) est antiquus ager Tusco mihi proximus omni, longus in occasum, finis super usque Sicanos: ÍAurunci Rutulique serunt, et vomere duros exercent Collis atque Horum asperrima pascunt.]

Aen. 9,171 [Aen.] 9,779 12,549

instai Mnestheus acerque Serestus || conveniunt Teucri, Mnestheus acerque Serestus II omnes Dardanidae, Mnestheus acerque Serestus

[Aen.] 9,548 11,711

|| [ense levis nudo parmaque inglorius alba] II [ense pedes nudo puraque interrita parma]

b) [Aen.] 1,744 = [Aen.] 3,516 (und [georg.] 2,481f. = Aen. l , 7 4 5 f . ) Erst nach diesem Katalog von Versen und Versgruppen, in denen sich Montanus selbst wiederholt, können zwei Partien aus dem 1. und 3. Aeneisbuch in der rechten Weise beurteilt werden. Seit langem streitet man sich um die Priorität der wortgleichen Verse Aen. 1,744 und 3,516. Die Frage ist am ausführlichsten bei Berres 1982, 46ff. besprochen. Doch bleibt dabei das Zusatzproblem, welches sich durch die Wiederholungsverse [georg.] 2,481f. = Aen. l , 7 4 5 f . stellt, unerörtert. Deshalb müssen wir hier in zwei Schritten vorgehen.

1

Unter Kontamination mit 5,374 (...) perculit et fulva moribundum extendit harena.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

178

[georg.] 2,481f. Die gleichlautenden Verse [georg.] 2,481f. und Aen. l,745f. haben ihren Ursprungsort im Gesang des Iopas, sind also aus der Aeneis in den Georgica-Passus interpoliert worden. Ich stelle die beiden Versblöcke untereinander: Aen. 1,742 hic canit errantem lu nam solisque labores, un de hominum genus et pecudes, un de imber et ignés, II [Arcturum pluviasque Hyadas geminosque Triones] 745 quid tantum Oceano prooerent se tineere soles hiberni, vel quae tardis mora noctibus obstet. georg. 2,475

a) me vero prímum dulces ante omnia Musae, quarum sacra fero ingenti percussus amore, accipiant caelique vias et sidera monstrent, defectus solis varios lunaeque labores. und e tremor terris, qua vi maria alta tumescant obicibus ruptis rursusque in se ipsa résidant, 481 \auid tantum Oceano prooerent se tingere soles 482 hiberni. vel quae tardis mora noctibus obstet Λ b) sin has ne possim naturae accedere partis frigidus obstiterit circum praecordia sanguis, 485 rura mihi et rigui placeant in vallibus amnes, flumina amem silvasque inglorius. ...

Der Rückbezug auf die Verse georg. 2,475ff., den der Dichter in 490ff. gibt 490 a) felix qui potuit rerum cognoscere causas atque metus omnis et inexorabile fatum subiecit pedibus strepitumque Acherontis avari: b) fortunatus et ille deos qui novit agrestis Panaque Silvanumque senem Nymphasque sorores,

paßt besser, wenn 481f. fehlen; denn so sehr das resümierende rerum cognoscere causas (490) alle in 477-482 genannten Naturphänomene zu umgreifen vermag, so bilden doch Erdbeben und Aufwallen der Meeresfluten (479f.) eine Steigerung1, zu der sich die Stichworte metus omnis (491) und strepitumque Acherontis avari (492) sehr gut fügen, während 481f. eine verflachende und zerdehnende Antiklimax in dieses Verhältnis brächten. Zudem scheint das Resümee has ... naturae ... partis (483) konkrete Bereiche der Natur (caeli vias, sidera, terris, maria) in den Blick zu nehmen, denen dann in 485ff. ebenso konkrete Bezirke entgegengesetzt werden (rara, vallibus, amnes, flumina, silvas). Die (vor allem im zweiten Satz) mehr ins Abstrakte gehenden Fragen nach den Ursachen für die Kürze der Tage und die

1

Siehe Cramer 147 Anm. 602.

Selbstzitate des Montanus

179

Länge der Nächte im Winter fallen heraus. Die vier Verse 477-480 entsprechen gut dem Vierzeiler Aen. 1,742-746 (nach Tilgung von 744). Als Motiv für die Interpolation genügt die durch georg. 2,477f. (unde) geweckte Erinnerung an den durch die gleichen Signalwörter (siehe oben die Markierungen) eingeleiteten Aeneispassus 1,742ff.

[Aen.] 1,744 = [Aen.] 3,516 Der Vers 1,744, der in der Handschrift b offenbar wegen des Homoioteleutons fehlt 1 , ist schon von Ribbeck und Albrecht (426) als störender Zusatz, der aus 3,516 genommen sei, getilgt und zuletzt von Berres (1982, 46ff., dort weitere Literatur) zumindest als sekundär im Zusammenhang des Iopas-Gesanges erwiesen worden. Doch auch der Vers [Aen.] 3,516 muß zusammen mit dem ganzen Passus [Aen.] 3,508-524 dem Vergil abgesprochen werden, wie anschließend zu zeigen ist. Der Zusatz wurde von Montanus eingeschoben, um seiner viel bespöttelten Manier, allenthalben Sonnenauf- und -Untergänge einzuschalten (s. S. 266. 267f. 270ff.), ein weiteres Mal zu frönen. Wenn also der Wiederholungsvers (1,744 = 3,516) in 3,515ff. besser sitzt als im IopasGesang, hat dies seinen Grund darin, daß im 3. Buch der ganze Passus von der Hand des Montanus stammt, während er im 1. Buch nur den einen Vers [Aen.] 1,744 in den vergilischen Zusammenhang eingefügt hat. An beiden Stellen aber orientiert er sich an der Schildbeschreibung Homers, an die ihn bereits im 1. Buch die Verse l,742f. erinnerten, zumal schon Vergil in den Geórgica die gleichen Iliasverse hatte anklingen lassen (siehe Farrell 214ff.). Es ergibt sich also folgende chronologische Reihe: II. 18,483 485

georg. 1,137 Aen. 1,742

744

kv μίν yalav ϊτευξ', kv δ' ουρανό ν, h &e θάλασσαν, iléXióv τ' άκάμαντα σέλήνην re νΧήΰουσαν, tv δί τα reíoea πάντα, τά τ' ουρανός ίστΐφάνωται, Πληϊάδαο â' ' Yáóac re τό Te σόίνος ' Qoíoivoc ' Αρκτο ν ϋ', ην και " Αμαίαν ίπίκ\ησιν κα\ίουσιν, η τ' αυτού στρίφΐται καί τ' 'Ώρίωνα δοκίύα. navita tum stellis numéros et nomina fecit Pleiadas. Hvadas claramque Lycaonis Arcton. hie canit errantem lunam solisque labores, unde hominum genus et pecudes, unde imber et i mes.

II \Arcturum pluviasque Hvadas geminosque Triones1 quid tantum Oceanoproperent se tingere soles hiberni, vel quae tardis mora noctibus obstet.

1

Siehe S. 21.

180

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

[Aen.] 3,513

517

(Palinurus) omnis explorât ventos atque auribus aëra captai; sidera cuneta notât tacito labentia cáelo, Arcturum pluviasque Hyadas geminosque Triones, armatumque auro circumspicit Prioria.

Durch die Markierungen werden die Assoziationsbrücken zur homerischen Schildbeschreibung in Aen. 1,742f. deutlich. Vermutlich wollte Montanus den schillernden Begriff ignes von 1,743 im Sinne von sidera (vgl. 3,515) erläutern und hat deshalb die homerische Sternenreihe in einem kompakten Zusatzvers hinzugefügt (ob er dabei zusätzlich auf einen hellenistischen Mustervers zurückgriff, entzieht sich unserer Kenntnis). Als er dann im 3. Buch den Palinurus die Sterne mustern läßt, bezieht er sich wieder auf den homerischen Sternenhimmel 1 , wiederholt den Vers, durch den er bereits einmal den vergilischen Anklang an Homers Schilderung verdeutlicht hatte, fügt aber diesmal den früher nicht berücksichtigten Orion hinzu, der bei Homer gleich zweimal hervorgehoben worden war: Wir erkennen also wieder die für Montanus typische komplementäre Mehrfachnutzung einer Musterszene (s. das Register)! Um das hier gegebene Raisonnement abzusichern, muß ich den Nachweis der Unechtheit der Ceraunia-Verse des dritten Buches aus dem Kommentar nach vorne ziehen.

Aen. 3,508-524. 533-536 3,506 508

1

2

3

4

Provehimur pelago vicina Ceraunia iuxta, unde iter Italiam cursusque brevissimus undis. fsol ruit1 interea et montes umbrantur opaci3.· sternimur optatae gremio telluris4 ad undam

Er mag dabei auch an den Odysseus auf dem Floß (Od. 5,270ff.) gedacht haben, der einen ganz ähnlichen Sternenhimmel wie den auf dem Schild des Achill dargestellten über sich sieht (vgl. II. 18,487-489 = Od. 5,273-275). Montanus läßt ja auch den Palinurus in [Aen.] 6,355ff. als schiffbrüchigen Odysseus an Land schwimmen. Die Junktur fehlt in der einschlägigen Dichtung (vgl. dagegen nox ruit in 8,369 [von Montanus in 6,539 übernommen, s. S. 276. 278 mit Anm. 1] und rtM Oceano nox in 2,250), ist erst wieder von Val. Flaccus (1,274) imitiert. Die Junktur stammt aus Lukrez (4,575f. palantis comités cum mentis inter opacos \ quaerimus) und ist aus dem interpolierten Vergil von Seneca nach Oed 154f. (non silva sua decorata coma | fundit opacis montibus umbras) übertragen worden. Ombrare hat der echte Vergil nur in 6,772 (umbrata gerunt civili tempora quercu). Die erhabene Metaphorik ist im Zusammenhang des Grabes des Anchises angebracht (Aen. 5,30f. quae ... tellus ... | ... patris Anchisae gremio complectitur ossa), nicht beim Übernachten auf dem Küstensand. Die Vorbildstelle aus Aen. V mag auch in dem optatae ... telluris mitschwingen; denn in 5,28f. heißt es: an sit mihi gratior ulla, \ quove magis fessas opt em dimitiere navis {tellus). Williams verweist zusätzlich auf

Selbstzitate des Montanus

510

515

1

2

3

4

5

6 7

8

9

10

181

sortiti remos1 passimque in litore sicco2 corpora curamus3. fessos sopor inríeat artus4. necdum orbem medium Nox Horis5 acta subibat: haud sesnis6 strato sursit Palinuros7 et omnis explorât ventos8 atque auribus aera capiat; sidera cuncta notât tacito labentia cáelo9. Arcturum pluviasaue Evadas eeminosaue Triones10, armatumque auro circumspicit Oriona.

Lucr. 1,251 in gremium matris terrai (im Zusammenhang eines iepôç γόμος!); zu vergleichen ist aber vor allem (wegen der vordergründigen Bedeutung 'Küstenstreifen' Lucr. 2,374ff. concharumque genus ... videmus \ pingere tellurìs eremium. qua mollibus undis \ litoris incurvi bibulam pavit aequor harenam. Das Verlosen der Ruder (für den nächsten Tag) ist bei Vergil nirgends zum Thema gemacht. Williams verweist auf Apoll. Rhod. 1,358. 395 (mit ihm und seinem lateinischen Bearbeiter Varrò Atacinus war Montanus vertraut) und Prop. 3,21,12. Die Klausel stammt aus Aen. 6,162 atque Uli Misenum in litore sicco (vident indigna morte peremptum). Wohl aus Aen. 8,607 (fessiaue et equos et corpora curant [die Klausel stammt aus georg. 4,187 = Lucr. 2,31]) entwickelt. Vgl. georg. 4.190 fessosaue sopor suus occupât artus: Aen. 2,253; l,691f. placidam per membra quietem | inríeat: Lucr. 4,907f. somnus per membra quietem \ inrieet. Siehe Aen. 5,835f. iamque fere mediam caeli Nox umida metam \ contigerat; georg. 4,426f. medium sol igneus orbem \ hauserat\ Aen. 8,97 (femer zu [Aen.] 6,536); 5,721 Nox atra polum bigis subvecta tenebat. Die Hören spielen bei Vergil, Horaz, Tibull und Properz keine Rolle. Ovid läßt sie in met. 2,26. 118 auftreten, wo iungere equos Titan velocibus imperai Horis (vgl. 14,851; fast. 1,125; 5,217). Auch Arat und Manilius kennen sie nicht. Montanus folgt also Ovid. Vgl. 11.64 haud seenes alii. Zu strato surgit s. S. 183 Anm. 1. Hinter sureit Palinurus hört Berres (1982, 52) wohl zu Recht spinis sureit paliurus acutis (ecl. 5,39); nur leistet sich solche Spielereien nicht der Verfasser der Eklogen selbst, sondern der Epigone. Umsichtig prüft Palinurus (ein zweiter Odysseus, s. S. 180 zu [Aen.] 1,744) das Wetter und handelt so im Sinne einer Umkehrung der Selbstanklagen, mit denen sich Ovids Byblis beschuldigt: ne non sequeretur euntem, \ parte aliqua veli, qualis foret aura, notare | debueram tutoque mari decurrere, quae nunc \ non exploratis inpievi lintea vends (met. 9,589ff.). Doch statt eines Segelstückes benutzt er seine Ohren, um die Windrichtung festzustellen - ahmt damit, wie es scheint, die von gleicher Hand geschaffene Scylla nach, die in Ciris 210f. auribus arrectis nocturna silentia temptat \ et pressis tenuem singultibus aera capiat (die Klausel findet sich nur noch beim Imitator Lucan: 4,329); s. zu [Aen.] 2,303; 12,618. Vgl. Manil. 1,683 quae cohibet vario labentia sidera cursu; 2,26 sienaque diffuso passim labentia cáelo; 5,26 ceteraque in toto passim labentia cae lo. Montanus dürfte seine Klausel aus Manilius geholt haben, s. das Register. Zu diesem Vers s.o. S. 179.

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postquam cuneta videt cáelo constare1 sereno2, dat clarum e puppi signum; nos castra movemus3 temptamusaue viam4 et velorum pandimus alas5. Iametue rubescebat stellis Aurora fueatis6 cum procul obscuros collis humilemque videmus7 ltaliam. Italiam primus conclamai Achates, Italiam laeto sodi clamore salutoni* .1 tum pater Anchises magnum cratera corona induit implevitque mero, divosque vocavit stans prima in puppi: 'di maris et terrae tempestatumque potentes, ferte viam vento facilem et spirate secundi. ' crebrescunt optatae aurae portusque patescit iam propior, templumque apparet in arce Minervae; vela legunt sodi et proras ad litora torquent. Iportus ab9 euroo fluctu curvatus in arcum10. obiectae salsa spumata aspergine cautes, ipse lotet: gemino demittunt bracchia muro11 turriti scopuli refligitque ab litore templum. ]

Der Infinitiv constare erscheint nur hier im Vergilcorpus und fehlt ebenso bei Catull, Tibull, Properz und Ovid (Horaz hat ihn ausnahmsweise in epist. 1,14,16), begegnet aber 32mal bei Lukrez, 29mal an der gleichen Versstelle wie in [Aen.] 3,518. Wir hören also den Lukrez Verehrer Montanus! Die Junktur erscheint nach Lucr. 6,247 in georg. 1,260. 487. Im Hinblick auf Palinurus sind die einschlägigen Verse 5,850f. von Bedeutung; dagegen ist [Aen.] 5,870 (o nimium caelo et pelago confise sereno) unecht, s. S. 26. 65ff. Der militärische Terminus technicus (der üblicherweise mit Blick auf das Landheer, nicht auf die Flotte, gebraucht wird) erscheint einmal bei Vergil in veredelter Form (11,446 castra Aeneas aciemque movebat) und einmal als Metapher bei [Properz] 4,8,28 mutato volui castra movere toro (man beachte den Echtheitsvorbehalt S. 7 Anm. 1). Vgl. georg. 3,8 temptanda via est; Aen. 8,113 ignotas temptare vias. Die Metaphorik des Ausdrucks velorum ... alas klingt gespreizt. Zupandere vela siehe Prop. 2,21,14; Ον. ars 3,500 (jeweils metaphorisch). Die Tagesanbruchsfloskel ist zusammengesetzt aus 7,25f. (anläßlich der Einfahrt in die Tibermündung) iamaue rubescebat radiis mare et aethere ab alto \ Aurora in roséis fulgebat lutea bigis und 5,42f. postera cum primo stellas Oriente fuearat \ clara dies (vgl. fast. 4,390 stella fusata). Das einzige Vorbild im Vergil steht 9,372 cum procul hos ... cernunt. Eingewirkt haben könnte ferner georg. 4,424 ipsa procul nebulis obscura resistit; Ov. trist. 1,1,111 tres procul obscura latitantes parte videbis. Der Vers scheint aus met. 15,731 geschöpft, wo alles Volk nach Ostia strömt, um den Gott Aesculap, der zu Schiff nach Rom überführt wird, zu begrüßen: (omnes populi... matrumquepatrumque | ... turba ...) laeto... deum clamore salutarti. Siehe 570 (portus ab). Vgl. met. ll,229ff. est sinus ... curvos falcatus in arcus: \ bracchia procurrunt. ubi... | portus erat; 14,51 parvus erat gurges curvos sinuatus in arcus. Imitiert in Stat. Theb. 5,279f. semini qua bracchia muri \ litus eunt.

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Selbstzitate des Montanus quattuor hic, primurn omen, equos in gramine vidi tondentis campum late, candore nivali, et pater Anchises 'bellum, o terra hospita, portas: bello armantur equi, bellum haec armenia minantur

(...")

Daß unmittelbar nach der Abfahrt der Aeneaden aus Buthrotum bereits die Sonne wieder untergeht und die Trojaner sich "im Schoß des e r w ü n s c h t e n Landes" niederlegen und sich auf trockenem Strand e r s c h ö p f t dem Schlaf hingeben, ist unsinnig (s. S. 306 A n m . 2). Gemäß der Manier des Montanus (s. S. 309f.) wird gleich nach der Abendschilderung das Geschehen zu Mitternacht beschrieben (512ff.)' und kurz danach - die Trojaner sind wieder losgesegelt 2 - das Aufgehen der Morgenröte, bei dem sie in der Ferne die verschwommenen Hügel Italiens sehen. Dreimal wird das Italiam von 507 in 523f. wiederholt, u m die Freude der Trojaner auszumalen. In diesem Augenblick soll Anchises oben vom Achterdeck eine Weinspende darbringen und die Götter des Meeres, des Landes und der Stürme bitten, günstigen Wind zu senden. Doch wird eine solche Libation nicht zu Beginn eines Landemanövers (530ff.), sondern bei der Ausfahrt aufs Meer vollzogen; es sei erinnert an die Abfahrt von Sizilien im 5. Buch, wo Aeneas 5,772

tris Ery ci vítulos et Tempestatibus agnam caedere (deinde) iubet solvique ex ordine funem3.

S o g l e i c h stellt s i c h der g ü n s t i g e W i n d ein: prosequitur euntis

surgens

a puppi

ventus

(778).

D e m e n t s p r e c h e n d g e h ö r e n d i e V e r s e 3 , 5 0 6 (provehimur

pelago)

und

3 , 5 2 5 f f . e n g z u s a m m e n : A n c h i s e s spendet d i e L i b a t i o n b e i der A u s f a h r t aufs freie M e e r , d i e in der N ä h e d e s benachbarten Ceraunia e r f o l g t . N u r in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g ist d i e Bitte "bring u s an e a s y j o u r n e y b e f o r e the w i n d , and f a v o u r a b l y breathe u p o n us" ( W i l l i a m s ) a m Platze. A u c h hier zeitigt d i e Bitte d e n g e w ü n s c h t e n E r f o l g : crebrescunt

optatae

aurae

( 5 3 0 ) , u n d da an d i e s e m

g e o g r a p h i s c h e n Breitengrad d i e Überfahrt v o n G r i e c h e n l a n d n a c h Italien sehr kurz ist ( 5 0 7 cursus

... brevissimus),

z e i g t s i c h d e n n a u c h s c h o n der H a f e n d e s

Castrum M i n e r v a e in größerer N ä h e 4 und w i r d der M i n e r v a t e m p e l auf d e m B e r g g i p f e l sichtbar ( 5 3 0 f . ) , s o d a ß d i e Trojaner d i e S e g e l r e f f e n und z u m

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2 3

4

Man erkennt leicht die gleiche Hand wie in [Aen.] 8,407ff. (v. ad loc.). Dort heißt es von Vulcanus mollibus e stratis ... surgit (8,415), hier Strato surgit Palinurus (3,513). Die Junktur ist sonst in der einschlägigen Dichtung nicht belegt, gehört also dem Montanus! Vgl. 3,519f. Die folgenden Verse [Aen.] 5,774-777 sind unecht: Die ersten drei (aus georg. 3,21 und Aen. 5,237f. kontaminierten) sollen das in 772f. befohlene Opfer, das vor dem Lösen der Taue dargebracht wurde (773b), nachträglich in Form einer Libation ad oculos demonstrieren. Der Vers 777 (in der Anordnung der Hss MROJ) wiederholt - im Zusammenhang unpassend (v. ad loc.) - den Vers 3,290. Zu ρ ort us que patescit \ i am propior (das Castrum Minervae trug auch den Namen P o r t u s Veneris) vgl. [Aen.] 3,382 vicinos... paras invadere portus.

184

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Landen ansetzen können (532)1. Den ganzen dazwischengeschobenen Halt an einem nicht näher bezeichneten Strand hat M o nt a nu s nur erfunden, um ein weiteres Mal seiner Obsession zu frönen: ort us et oc cas us libent issi me ins e rebat (s. S. 308f.)! Es ist communis opinio, Vergil habe die Trojaner nach Acroceraunia segeln und dort die Nacht verbringen lassen, bevor sie dann mit Morgengrauen an die italische Ostküste gekreuzt wären. Aber in Anbetracht der sonstigen Abstände zwischen den von Vergil ausgewählten Stationen (Troja - Thrakien2 - Delos Kreta - Strophaden - Actium - Buthrotum)3 wäre die Fahrt von Buthrotum zu den ausdrücklich als vicina bezeichneten Ceraunia4 viel zu kurz, als daß Vergil ein ganzes Tagewerk mit dieser Strecke hätte füllen und die Segler dann bei Anbruch der Nacht in einen Erschöpfungsschlaf sinken lassen können. Sein Fahrtenbuch ist ja offensichtlich so angelegt, daß er mit großem Zirkel die geographischen Fixpunkte absteckt und zumindest nach der Ankündigung der Celaeno: Italiam cursu petitis ventisque vocatis (d.h. 'in voller Fahrt', vgl. 5,211; 8,707).· ibitis Italiam portusque intrare licebit (253f.) die Trojaner in hohem Tempo von den Strophaden nach Actium und Buthrotum und von dort an die italische Ostküste und um ganz Sizilien herum fahren läßt. Ein Zwischenhalt nach 30 Meilen hat auf dieser schnell durchmessenen Route keinen Platz! Zudem gelten die Acroceraunia als äußerst gefährlich für die Schiffahrt (infamis scopulos nennt sie Horaz carm. 1,3,20), so daß es ganz unwahrscheinlich ist, daß die Aeneaden vom nahe gelegenen Buthrotum aus diesen Ankerplatz gewählt hätten, um die Nacht zu verbringen5. Im Rahmen der Irrfahrten-Schilderung aber wäre eine Station Ceraunia ein leeres Motiv. Denn weder geschieht hier irgendetwas für die Handlungsentwicklung Bedeutsames, noch ist die Zeitgeschichte involviert (wie es bei Actium der Fall sein könnte). Wie das ausdrücklich gesetzte Attribut vicina

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Ovid läßt die Trojaner in seiner 'Aeneis' direkt von Buthrotum nach Sizilien fahren (met. 13,720-724), spart also auch noch den kurzen Abstecher zum Castrum Minervae aus, obwohl er sonst recht getreu den Stationen Vergils folgt. Aenus an der Mündung des Hebrus oder Aeneia auf der Chalkidike kommen in Betracht; doch ist wohl der nähere Ort gemeint, der wegen des bestehenden Bündnisses als erster Zufluchtsort in Frage kam. Vom Castrum Minervae bis nach Drepanum, der Endstation der Sizilienumsegelung, läßt Vergil nur eine Unterbrechung einlegen, den Halt am Ätna-Gestade (3,569). Die (allzu kurz) darauf folgende Station in Syrakus ist - analog dem vergilischen Actium-Aufenthalt mit Rücksicht auf die historische Bedeutung der Stadt interpoliert: Ich tilge die in vieler Hinsicht anstößigen Verse 3,690-698 (ebenso 3,684-686. 702, v. ad loc.). Das angeblich befohlene Opfer an die Ortsgottheiten ist ein Abklatsch von 3,543-547. Als genaueren Fixpunkt nennt Plinius (nat. 4,4) das Städtchen Chimera. Vgl. Nisbet-Hubbard zu Hör. carm. 1,3,20: "The area was dangerous to shipping; cf. Caes. civ. 3.6.3, Ον. rem. 738, RE 11. 268f. Octavian lost some ships there after Actium (Suet. Aug. 17.3)."

Selbstzitate des Montanus

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(Ceraunia) unvereinbar ist mit fessos sopor inrigat artus (511), so die Bedeutungslosigkeit und die Gefährlichkeit der Ceraunia mit dem Ausdruck sternimur opt at a e gremio tell uri s (509). Der für diese Verse verantwortliche Bearbeiter wählt Formulierungen, als wären die Aeneaden tagelang übers Meer gefahren und hätten längere Zeit kein Land mehr unter den Füßen gespürt (vgl. 3,78f. 209f.). In Wirklichkeit haben die optatae aurae (530), die Anchises herbeigebetet hat, den Interpolator an den Vers 1,172 ( o p t a t a potiuntur Troes harem) erinnert, also an die Situation nach dem von Juno inszenierten Sturm, als die Troer fessi rerum (1,178) und magno telluris amore (1,171) die Schiffe verlassen und sich an Land erholen. Also ergreift er - ohne sich an dem doppelten optatae zu stören - die Gelegenheit, eine verwandte Szene hinzuzufügen, die ihm Gelegenheit gibt, eine weitere Variation einer Sonnenuntergangs- und Tagesanbruchsschilderung zu versuchen. Der echte Vergil hat im ganzen dritten Buch nur e i n e Fahrtpause mit dem Einbrechen der Nacht motiviert, den Halt am Kyklopengestade in Sizilien, jedoch auch dort sehr viel konkreter als Gründe das Abflauen des Windes bei Sonnenuntergang und Unkenntnis des Weges angegeben (3,568f.). Wenn die Trojaner dort fessi genannt werden (568), hat dies in Anbetracht der Länge der zurückgelegten Strecke, vor allem aber nach der harten Arbeit, die Schiffe rudernd aus den Strudeln der Charybdis zu befreien (555-567), seine volle Berechtigung. Mit einem einzigen Vers (3,588) wird dort von der abendlichen Landung zum Sonnenaufgang des nächsten Morgens übergeleitet 1 , dem Montanus nach seiner Manier durch einen aus Aen. 4,7 geholten Aurora-Vers ([Aen.] 3,589) zusätzlichen Glanz verleiht. Neben der einzeiligen Nachtschilderung anläßlich der Epiphanie der Penaten auf Kreta (3,147) ist dies die einzige Zeitperiphrase des echten Vergil im Irrfahrtenbuch. Montanus hat sowohl den Actium-Aufenthalt als auch seinen Ceraunia-Zusatz mit seinem Lieblingsmotiv ausgeschmückt 2 , den Ceraunia-Einschub geradezu ganz mit Abend-, Mitternachts- und Morgenszene bestritten. Der scheinbar ambivalente Vers 506 (provehimur pelago vicina Ceraunia iuxta) bedeutet nicht: "wir fahren übers Meer b i s i n d i e N ä h e von Ceraunia" (wie man auch in den Lexika lesen kann) 3 , sondern "wir fahren nahe bei den benachbarten Ceraunia aufs hohe Meer hinaus", und der folgende Vers erläutert dies: "weil von diesem Punkte aus der Weg nach Italien und die Fahrt übers Wasser am kürzesten sind". Die große Nähe der italischen Ostküste war ja auch durch Helenus zweimal hervorgehoben worden (3,381. 396f.),

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Die eingelegte Ekphrasis eines Ätnaausbruchs ([Aen.] 3,570-587) stammt ja von Montanus, s. S. 121 ff. Siehe zu [Aen.] 3,284f. Auch bei diesem Wortverständnis würde nicht gesagt, daß die Trojaner dort an Land gingen.

186

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

so daß der Leser darauf vorbereitet ist, daß die Aeneaden diese Distanz von Buthrotum aus ohne Zwischenhalt zurücklegen1. Das dreifache Italiam (523f.) dürfte dem doppelt gesetzten in 523f. und 4,345f. und dem dreifachen bellum (bzw. bello) in 539f. nachempfunden sein; doch klingt die Figur der Reditio in 3,253f. (Italiam ... petitis - ibitis Italiam), insbesondere aber die klare Anaphorik in 4,345f. und 3,539f. - letztere mit einer Kasus-Variation verbunden - gefällig, die Kombination von Epanalepse und Anapher der gleichen Namensform durch den Imitator aber aufdringlich2. Man spürt das gleiche Übermaß wie in 3,435f. (neben anaphorischem Iunonis - lunotti in 437f.), s. S. 158. 217 Anm. 1. Sinn der Wiederholungen war es, den bedeutungsvollen Augenblick, da die Trojaner erstmalig Blickkontakt mit Italien gewinnen, hervorzuheben. Vielleicht hat Montanus an den Ruf ϋάλαττα, άάλαττα gedacht, in den die Griechen nach langen Märschen durch Persien beim ersten Anblick des vertrauten Meeres ausgebrochen sind3. Doch ist die Euphorie der Trojaner unbegründet; sie waren ja gerade erst durch Helenus vor der Ostküste Italiens gewarnt worden: has autem terras Italique harte litoris oram, | próxima quae nostri perfunditur aequoris aestu, \ effu ge; cuneta malis habitantur moenia Grais (396ff.) und verlassen denn auch, nachdem sie das ihnen aufgetragene Opfer ausgeführt haben, gleich wieder die Küste: Graiugenumque domos suspectaque linquimus arva (550). Aber durch das wiederholte Italiam in 523f. hat Montanus das Stichwort von 507 aufgegriffen und somit einen scheinbar nahtlosen Übergang zum originären Vergiltext in 525 erreicht. Daß die Fuge gleichwohl spürbar ist, wurde oben gezeigt: das Gebet des Anchises, das Vergil bei der Ausfahrt aufs Meer sprechen läßt, steht nun am Beginn des Landemanövers - und verrät den Interpolator!

Nachdem Anchises durch Weinspende und Gebet für günstige Winde gesorgt hat, sehen sie im Nu die italischen Küstenhäfen auftauchen - es liegt also die umgekehrte Blickrichtung im Vergleich zu 3,72 (provehimur portu terraeque urbesque recedunt) vor, vgl. provehimur pelago ... portusquepatescit | iam propior (506/530); 2,24 huç se provetti deserto in litore condurti. Zum Dativ der Richtung siehe 1,181 prospectum late pelago dédit; 2,36 pelago ... praecipitare; zu iuxta vgl. 4,480; 7,727; 8,416f. insula Sicanium iuxta latus Aeoliamque \ erigitur Uparen fumantibus ardua saxis. 2

Das anaphorische Satzgefüge Italiam primus conclamai Achates, | Italiam laeto socii clamore salutoni (3,523f.) ist deutlich aus 4,345f. (sed nunc Italiam magnam Gtyneus Apollo, I Italiam Lyciae iussere capessere sortes) übernommen: Die Namensform steht jeweils an gleicher Versstelle; die jeweils ersten Zeilen haben den gleichen Versrhythmus.

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Xen. an. 4,7,24.

Selbstzitate des Montanus

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c) Synkrisis Berücksichtigt man alle Wiederholungen in einem Umfange von mindestens viereinhalb Metra, so erhöhen sich die Selbstwiederholungen Vergils von 15 auf 45. Dem stehen 178 Wiederholungen vergilischer Verse von der Hand des Montanus gegenüber und weitere 17 Selbstzitate im Umfange eines ganzen oder knappen Verses innerhalb des 'Vergil'-Textes! Die oben e x e m p l a r i s c h aus seinem Œuvre zusammengetragenen Selbstwiederholungen (wobei die Grenzen der Vergilbearbeitung gelegentlich überschritten sind) belaufen sich auf die Zahl 33; sie machen jedoch nur einen geringen Teil der Selbstwiederholungen aus. Würde man auf die kleineren Einheiten von Junkturen herabsteigen, erhöhte sich zwar auch die Zahl der Selbstwiederholungen beim echten Vergil, bei Montanus aber stiege die Zahl der Übernahme von Junkturen aus den vielen Vorbildern, denen er - von Homer angefangen - folgt, ins Unermeßliche. Um das Vergleichsmaterial auf eine überschaubare Größe zu begrenzen, beschränke ich mich hier auf die Verswiederholungen im 'Vergil' nach der Norm von mindestens viereinhalb Metra und setze den Textumfang des echten Vergil und des Montanus auf das ungefähre Verhältnis von 2,5 : 1 fest. Die Häufigkeitsquote von Verswiederholungen zwischen dem echten Vergil und Montanus lautet dann (45 : 2,5) : (178 -I- 17) = 18 : 195 ~ 1 : 10,8 ! Doch entscheidend für die Bewertung von Verswiederholungen ist nicht allein die Anzahl, sondern ihre Funktion. In dieser Hinsicht dürfen wir dem echten Vergil das höchste Qualitätsprädikat ausstellen: Wie wir eingangs gesehen haben, sind alle seine Vollvers-Wiederholungen wohl begründet und bewußt gesetzt, während die überwiegende Zahl der Wiederholungen des Montanus einen Epigonen am Werke zeigen, der nach Art eines Centonendichters seine Musterautoren plündert und das so gewonnene Material neu zusammensetzt, wobei er nicht selten mehrere Quellen kontaminierend ineinanderwirkt.

9. Die 'Halbverse' in der

Aeneis-Überlieferung

Aus der Vergilvita, den spätantiken Kommentaren und dem Befund der Handschriften erhellt, daß schon frühzeitig Versuche gemacht wurden, die von Vergil unvollständig belassenen Verse zu vervollständigen 1 . Umgekehrt wird man realistisch genug sein, anzunehmen, daß ein den Vergil systematisch überarbeitender, ergänzender und weiterdichtender Editor, der sich im Catalepton bewußt die Maske Vergils, dort des jungen Vergil, überzieht, der ferner dem Ovid durch raffiniert eingeschobene Verse die Medicamina faciei femi-

Siehe § 41 der Sueton-(Donat-)Vita und die konkreten Nachweise S. 15ff.

188

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

neae und die Heroides zuschreibt1, seine Einschübe in die Aeneis durch gelegentliches Einsprengen von 'Halbversen' zu tarnen versucht. Es war ja ein auf der Hand liegender Fälschertrick, das markanteste Phänomen der unvollendet gebliebenen Aeneis, eben die "Halbverse", zu imitieren und so den eigenen Zusätzen das Siegel der Authentizität aufzudrücken2. Daß der Bearbeiter zweimal - in 8,666 und 11,537 - vergilische Halbverse auffüllte, um seine Zudichtung nahtlos anzuflicken, steht dem nicht entgegen. Auch die Vergilcentonisten des zweiten Jahrhunderts übernehmen - woran M. Deufert erinnert - das markante Kennzeichen Vergils und schreiben gelegentlich 'Halbverse', so Hosidius Geta in den Zeilen 103. 195a. 204. 254. 335. 348. 398. 402. 456 seiner Medea (nach der Zählung der Teubneriana von Lamacchia), so der Verfasser des Gedichtes 'De Alea' in 39. 63. 83. 98. 101 (PLM IV, p. 192sqq. Baehr.)3. Überdies konnte Vergil seinem Bearbeiter eine bequeme Entschuldigung liefern, in dem hohen Tempo des flüchtigen Schaffens, das sich allenthalben offenbart, seinerseits unvollständige Verse stehenzulassen, wenn ihn die Erfindungskraft oder der dichterische Schwung auf halbem Wege verließen. Von den insgesamt 58 unvollständig überlieferten Versen der Aeneis4 sind mindestens 14 in den späteren Hss ergänzt worden, 7 von ihnen waren bereits im Zeitraum vom 1.-5. Jh. als Vollverse im Umlauf5. 40 von den 58 'Halbversen' unserer 'guten' Vergilüberlieferung schreibe ich dem Überarbeiter zu6. Er konnte sich um so eher zu diesem Kunstgriff verstehen, als es in der zeitgenössischen ästhetischen Kritik, die sich an Darbietungen im Deklamationssaal anschloß, mehrfach Äußerungen gibt, die das Abbrechen des Gedankens in der Zäsur als besonders wirkungsvoll ansehen und so geradezu als Aufforderung verstanden werden konnten, daraus einen neuen Trend abzuleiten. So heißt es Sen. suas. 2,20 (zu [Aen.] ll,288ff. quidquid ad adversae7 cessatum est moenia Troiae, \ Hectoris Aeneaeque manu victoria Graium \ haesit): Messala aiebat hie Vergilium debuisse desinere, quod sequitur 'et in

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Siehe S. 354ff. Chatterton buchstabiert den Namen des von ihm erfundenen Mönchs Rowley auf einer angeblich von ihm entdeckten Handschrift des 10. Jh.s falsch als "Thomas Ronlie", um durch diesen 'Übermittlungsfehler' die Glaubwürdigkeit seines Dokuments zu erhöhen (Höfele 94). Siehe dort auch S. 219 den Vers 103 von 'De Ecclesia'. Siehe die Listen bei Berres 1992, 247f.; Geymonat, EV II 287; Günther 40ff. 49. Die dort genannten 58 Belege sind um 2 von Montanus aufgefüllte 'Halbverse' zu vermehren: 8,666a und 11,537a. Verwiesen sei auf die im Stellenregister durch einen Asteriskus hervorgehobenen Einträge. Siehe S. 15f. Siehe u. S. 231. In den Vergilhandschriften steht apud durae.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

189

decimum vestigia rettulit annum ' explementum esse; Maecenas hoc etiam priori comparabat1. Der gleiche Seneca rhetor berichtet, daß Ovid über die von Vergil (Aen. 8,26f.) imitierten Verse des Varrò Atacinus (carm. frg. 8 Blänsd. [ = 6 Morel] desierant latrare canes urbesque silebant; \ omnia noctis erant placida composta quiete)2 das Urteil gefallt habe: potuisse fieri longe meliores si secundi versus ultima pars abscideretur et sic desinerei: 'omnia noctis erant ' (contr. 7,1,27). Eben diese Vergilverse hatte I u l i u s M o n t a n u s , wie uns im gleichen Controversiae-Passus berichtet wird, als geglückte Imitation des Varrò Atacinus von dem mißglückten Versuch des Vergil-Imitators Cestius abgehoben. Ovid meinte natürlich nicht 3 , daß Vergil den Vers 8,27 nach der Penthemimeres hätte abbrechen und unvollendet stehen lassen sollen, sondern daß in omnia noctis erant der Gedanke, d.h. die Nachtschilderung, einen wirkungsvollen Abschluß hätte gewinnen können. Aber ein Dichter wie der in diesem Zusammenhang von Seneca zitierte Iulius Montanus konnte sich durch solche Äußerungen beflügelt sehen, bei seiner Überarbeitung des Mantuaners mit Bedacht pseudo-vergilische Halbverse einzuschwärzen 4 .

a) 'Halbverse' als Indizien späterer Einschübe Vergils? Sind die hier angestellten Überlegungen richtig, wird man der von Berres 5 und neuerdings auch von Günther (1 Iff.) durchgeführten Aeneiskritik, die von den unvollendet belassenen Versen unserer Überlieferung ihren Ausgang nimmt und in ihnen Indizien späterer Einschübe von der Hand des Vergil erblickt, nicht folgen können. Es trifft vielmehr die aus den antiken Nachrichten über die Arbeitsweise Vergils zu gewinnende Vorstellung zu 6 - mögen diese Nachrichten auch im eigentlichen Sinne unhistorisch, d.h. aus dem

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4

5 6

Die Namen Messala und Maecenas sind im Stil der Beglaubigungsfiktionen frei erfunden, s. S. 11 mit Anm. 1. Varrò gibt hier seinerseits Apoll. Rhod. 3,749f. wieder. Falls er diesen Ausspruch wirklich getan hat: Da der ältere Seneca mehrfach literarische Urteile und Wertungen bekannten Personen oder Zeitgenossen in den Mund legt bzw. einfach solche im Umlauf befindliche Anekdoten weitergibt, ohne daß die Historizität gesichert wäre, muß man hier ähnlich vorsichtig sein wie im Falle von suas. 2,20 (s. S. 134ff.). Einen seiner unvollendet belassenen Verse ([Aen.] 4,361 Italiam non sponte sequor [s.u.]) lobt später Donat (DServ) nach dem gleichen Beurteilungsmaßstab, wie ihn offenbar Ovid (wenn der Name nicht erfunden ist) angelegt hatte: et oratorie ibi finivit, ubi vis argumenti constitit\ s. Sparrow 41ff., dort 43. Hierzu auch Günther 1 If. Anm. 3. Siehe o. S. 15 Anm. 1. Vgl. auch Fordyce zu Aen. 7,129. Sonstige Stellungnahmen der Kommentatoren zu dem Problem benennt Günther 14 Anm. 9.

190

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Befund des Textes selbst erschlossen sein -, daß Vergil - und dies gilt im gleichen Sinne von den unvollständigen Versen des Tragikers Seneca1 - seinem dichterischen Schwünge folgt und einen Passus, der in einem 'Halbvers' sein vorläufiges Ende erreicht hat, zunächst einmal in dieser Form stehen läßt und die nächste große Gedankenperiode in Angriff nimmt, in der Absicht, die kleinteilige Verfugung der in sich fertigen Partien bei der Endredaktion vorzunehmen. Die von Günther2 zur Stütze seiner These vorgeführten Alternativfassungen und sonstigen mit Schwierigkeiten behafteten Partien resultieren m.E. nicht aus späteren Einschüben, die Vergil selbst vorgenommen hat, sondern gehen - soweit sie nicht anders zu erklären sind - auf das Konto des Montanus. Dies soll im folgenden exemplarisch an den Halbversen des 7. Buches gezeigt werden, die ich in der von Günther (14ff.) gewählten Reihenfolge behandle.

b) Die 'Halbverse' im 7. Buch Aen. 7,698-702 7,691

695 698

1 2 3

4

5

6

7

At Messapus, equum domitor. Neptunio proles, quem ñeque fas igni cuiquam nec sternere ferro, iam pridem resides populos desuetaque bello agmina in arma vocat subito ferrumque retractat: hi Fescenninos colles agrosque Faliscos3, hi Soractis habent arces Flaviniaque arva et Cimini cum monte lacum lucosque Cápenos. Γibant aeauati numero resemaue canebanâ: ceu quondam5 niveFliauida inter nubila7 cvcni

Siehe S. 15 Anm. 1. Zu Berres s. S. 199. 210. So schreibe ich ex. gr. für überliefertes Fescenninas acies aeauosque Faliscos. Das tradierte acies dürfte durch acies in 703, das folgende aequosque durch aequati in 698 beeinflußt sein. Die Klausel Aequique Falisci in Sil. 8,489 gründet auf dem bereits korrupten Vergiltext. Analog zu 670. 678ff. 744ff. werden in 695-697 die Truppen des Messapus geographisch näher bestimmt. Zu hi - hi - et vgl. 682ff. (quique - quique - quos - quos). Vgl. Aen. 9,369 ibant et Turno reei responso ferebant: 11,599 (propinquat ... exercitus omnis) compositi numero in turmas; 6,268 ibant obscuri ... per umbram. Als Neueinsatz begegnet diese Junktur nur ein weiteres Mal bei Montanus in [Aen.] 7,378 ([Aen.] 7,378-384 del. Zw.); beim echten Vergil und Ovid ist sie in die Periode integriert (Aen. 2,416; 6,492; met. 9,170). Das Attribut scheint in der einschlägigen Dichtung nur noch bei Germanicus belegt (Arat. 615 [...] niveus evenus properarit tangere fluetus. Eine Kontamination aus Aen. 5,525 volans liauidis in nubibus arsit harundo und georg. 1,445 ( = Aen. 6,592) densa inter nubila.

Die 'Halbverse ' in der Aeneis-Überlieferung 700 702

705

191

cum sese e oastu referunt1 et longa1 canoros3 dant4 per colla5 modos, sonai amnis6 et Asia lome pulsa palus1.] nec quisquam aeratas acies examine tanto misceri putet, aëriam sed gurgite ab alto urgeri volucrum raucarum ad litora nubem.

R i b b e c k ( e m e n d . V e r g . 9 f . ; P r o l . 82) h a t d i e V e r s e 7 0 3 - 7 0 5 v o r 6 9 8 gesetzt, H e r t z b e r g in i h n e n e i n e D i t t o g r a p h i e s e h e n w o l l e n . D i e b e i d e n G l e i c h n i s s e s t e h e n in K o n k u r r e n z z u e i n a n d e r , i n s o f e r n in 6 9 8 - 7 0 2 auf d e n G e s a n g , in 7 0 3 7 0 5 auf d a s d i c h t e G e d r ä n g e d e r S c h a r e n a b g e h o b e n w i r d ; v g l . S p a r r o w 35, W a l t e r 5 6 , G ü n t h e r 15f. B e r r e s ( 1 9 8 2 , 9 7 f f . ) g l a u b t , d a ß V e r g i l d e n z w e i t e n Vergleich nachträglich hinzugefügt habe mit der Absicht, beide i m Sinne einer " K l i m a x " (98) m i t e i n a n d e r zu v e r b i n d e n . D i e s ist v o n G ü n t h e r z u R e c h t v e r w o r f e n w o r d e n , d e r s e i n e r s e i t s aus d e r " V e r b i n d u n g v o n H a l b v e r s u n d D u b l e t t e " d e n S c h l u ß z i e h t , "daß d e r H a l b v e r s d a s E n d e e i n e r n i c h t voll a u s g e a r b e i t e t e n P a r t i e b e z e i c h n e t , d i e m i t in d e n u r s p r ü n g l i c h e n T e x t a u f g e n o m m e n w u r d e . " D i e V e r s e b e w e i s e n seiner M e i n u n g n a c h , "daß V a r i u s gelegentlich auch konkurrierende Textfassungen a u f g e n o m m e n hat"; Vergil h a b e s i c h s p ä t e r e n t s c h l o s s e n , "statt 7 0 4 b f . ( n a c h A . R . I V 2 3 8 f f . ) e i n e n r e g e l r e c h t e n V e r g l e i c h (in A n l e h n u n g an H o r n . II. II 4 5 9 f f . u n d A . R . IV 1 3 0 0 f f . ) e i n z u f ü h r e n , d e n e r j e d o c h nicht m e h r b i s zu E n d e a u s g e f ü h r t h a t . " D i e a n g e b l i c h e d i p l o m a t i s c h e U r k u n d l i c h k e i t d e s V a r i u s t e x t e s ist s c h o n d u r c h J a c h m a n n als F i k t i o n e r w i e s e n w o r d e n (s. S. 11). D e r Z e u g n i s w e r t d e r

1

2

3

4

5

6 1

Eine Kontamination aus georg. 4,180 fessae multa referunt se nocte minores (sc. apes) und 4,185f. rursus easdem \ vesper ubi e oastu tandem decedere campis | admonuit, tum tecta petunt. Vergil hat sese referre sonst nur noch in Aen. 7,286. Daraus darf man schließen, daß er die Junktur im gleichen Buch nicht ein weiteres Mal bemüht hätte. Die Junktur scheint in der einschlägigen Dichtung nur noch bei Aemilius Macer (frg. 7) belegt, allerdings in Bezug auf eine Schlange: longo resonantia sibila collo. Montanus hat Homers κύκνων SouXtvoSetοων (II. 2,460) im Blick. Der Zusammenhang erinnert an Lucr. 4,181 parvus ut est cvcni melior canon vgl. die Junkturen avibus ... canoris in georg. 2,328 und canoros \ Curetum sonitus in georg. 4,150f. Bezeichnenderweise wählt Vergil das Adjektiv dreimal in den Geórgica, aber nur zweimal in der Aeneis, während Montanus fünf Belege bietet, vier davon in Aetna (292. 573. 585) und Culex (99). Die Junktur da(g)r sonitum bzw. sonitus ist bei Lukrez und Vergil geläufig, umschreibt aber Geräusche verschiedener Art, nicht - wie hier - Gesang. Die Junktur zielt üblicherweise auf die Oberfläche des Halses, über den sich das Haar (georg. 4,337) oder die Pferdemähne (Aen. 11,497) ergießt. Den Gesang lassen die Schwäne nicht per colla ertönen, sondern edunt ore modos: vgl. die Klausel ore modos in Prop. 2,22,6; Montan, [fast.] 1,444 (editis ore modos) und ore sonos etwa ars 3,700. Vgl. georg. 2,163 qua ponto lome sonai unda refuso. Die Junktur scheint eine einzige Entsprechung in einem echtheitskritisch fragwürdigen Passus des Properz zu haben: Prop. [?] 2,26,48 et Lernae pulsa tridente palus.

192

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

auf Sueton zurückgehenden Donatvita, der wir die Nachricht von der Edition des Varius verdanken, wird heute zu Recht als sehr gering veranschlagt (s.S. 603ff.). Die beiden konkurrierenden Fassungen hier sind nicht "Dubletten" Vergils, sondern analog den unten zu behandelnden durch die Divergenz der Handschriften entlarvten unechten Alternativfassungen Ovids zu beurteilen1. Da Messapus verschiedene etruskische Stämme anführt (die auf der Seite des zu den Latinern übergelaufenen Etruskers Mezentius und des Turnus kämpfen werden), erwartet man nicht, daß sie in zahlenmäßig gleichen Einheiten marschieren und "ihren" König besingen (698) - letzteres ein dem Vergil (und dem antiken Epos überhaupt, wie es scheint) fremdes Motiv, siehe Heynes Kommentar (Fordyce verweist auf Hör. epod. 9,17f. und Tac. Germ. 3,1). In ibant aeauati numero dürfen wir einen fehlgeleiteten Nachhall vom Angriff der mit Aeneas verbündeten etruskischen Truppen hören, die sich der Stadt des Latinus nähern compositi numero in turnias (11,599). Das Tertium comparationis, das wir im Anschluß an Aen. 7,691-697 ausgeführt erwarten, ist das dichte Gedränge der vielen, aus verschiedenen Gegenden Etruriens kommenden Truppen, wie es in Homers Gleichnis II. 2,459-466 und ähnlich in Apoll. Rhod. 4,238-240 vorgegeben ist. Zu Recht fassen ja Ameis-Hentze-Cauer (ad loc.) die vielen Scharen gefiederter Vögel, die in Asiens Flur um die Fluten des Kaystros mit stolzem Flügelschlag hierhin und dorthin fliegen und sich dann mit Geschrei niederlassen, als ein Gleichnis für "das geräuschvolle Getümmel des in einzelnen Zügen ins Feld rückenden Heeres". Dabei hat Homer mit gutem Grund die ορνίϋων πετεην ων eâvea πολλά in Schwärme von Gänsen, Kranichen und Schwänen aufgefächert, um die Vielzahl und Verschiedenartigkeit der ins Feld ziehenden Truppen abzubilden. Dem entspricht aufs beste der vergilische Vergleich in 7,703-705, dessen Einsatz mit nec quisquam ... putet zugleich das ουδέ κε φαιής des aus II. 2,459ff. entwickelten Vergleiches bei Apollonios Rhodios anklingen läßt2: Das aeriam ... gurgite ab alto \ urgeri volucrum raucarum ad Ii to ra nubem malt hier ähnlich das aeratas. acies examine tanto | misceri (vgl. 9,463f. aeratasque acies in proelia cogunt | quisque suos) wie im 6. Buch die Scharen der Toten, die zur Styx eilen (6,305ff.), veranschaulicht werden in dem Bild ad ter ram gurgite ab alto \ quam multae glomerantur aves, ubi frigidus annus \ trans pontum fugat et terris immittit apricis (auch dort sind Homer und Apollonios Rhodios verquickt, v. ad loc.).

Da Inkonsistenz ein wesentliches Charakteristikum des von uns erschlossenen Montanus ist, kann man sich vorstellen, daß er seine auf den Gesang der Truppen abhebende Fassung auch als zusätzliches, schmückendes Gleichnis verstanden wissen wollte. Hunter hat gezeigt, daß Vergil immer wieder die homerische Urquelle in der formalen Adaptation durch Apollonios Rhodios 'zitiert', s. S. 149.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

193

Die aeria ... volucrumjaucarum ... nubes von 7,704f. aber soll die aeriae ... grues von georg. 1,375 evozieren, denen dort wenig später ein großer Schwärm von Raben folgt (georg. l , 3 8 1 f . ) : e pastu decedens a g mi ne magno1 | corvorum increpuit densis exercitus alis. Schon dort hat Montanus eine Erweiterung hinzugedichtet, in der er in zwei Versen das uns hier beschäftigende homerische Gleichnis von den Vögeln am Kaystros imitiert: [georg.] 1,383

[iam variae pelagi volucres et quae Asia circum dulcibus in stagnis rimantur ρ rata Cay stri.

Vermutlich stammen auch die drei folgenden Verse georg. 1,385-387, die in Anlehnung an den von Varrò Atacinus (carm. frg. 22,Iff. Blänsd., 14,Iff. Courtn.) übertragenen Passus des Arat über die Seevögel (942ff.) geformt sind, von Montanus 2 . Die gebrochene Satzkonstruktion (die Herausgeber behelfen sich mit einem Gedankenstrich nach 384) läßt sich hier im Zusammenhang der eng zusammengehörigen Vogelgattungen des corvorum exercitus (382) und der cornix (388) schwerlich durch einen Verweis auf den anders gearteten Anakoluth in 4,67 rechtfertigen. Auch der verwandte Abbruch des Gedankens in [georg.] 4,91 (91-102 del. Zw.) 3 und die nach oben unverbundene Reihe von Nominativa in [Aen.] 1,639-642 gehen auf das Konto des Bearbeiters (s. S. 438 und S. 564 zu 10,710). Erinnert sei an die stattliche Zahl von harten Ellipsen, die sich der Interpolator zuschulden kommen läßt (S. 438ff.). Ein Indiz für die fremde Hand in [georg.] 1,383 darf man ferner in der Elision von quae vor dem dreisilbigen, mit a anlautenden Nomen Asia sehen4. Der echte Vergil verschleift nur quae mit der Praeposition oder dem Praefix in, so in georg. 3,265 quae imbelles und Aen. 10,334 quae in corpore; ebenso verfahrt der Bearbeiter in [Aen.] 1,109 (del. Jachmann): quae in fluctibus. Die speziellen, am Kaystros in Asien angesiedelten Vögel passen auch inhaltlich nicht in den Zusammenhang, der ganz allgemein von verschiedenen Tiera r t e η und den an ihrem Verhalten ablesbaren Schlechtwetterzeichen handelt. Montanus wurde im Georgicazusammenhang durch den Vers 375 (aënae fugere grues, s.o. 193) an das schon in der Antike hochberühmte und viel kommentierte Homergleichnis erinnert und überträgt von dort vor allem den Vers II. 2,461 ' Ασίφ kv λαμώνι Καϋστοίου àuvï péeâpa. In dem Vergleich [Aen.] 7,699ff. isoliert er - unvorteilhaft (s.o.) - die Schwäne aus den verschiedenen Vogelarten Homers und stellt das Tertium comparationis demgemäß ganz auf den Gesang ab, was sich nicht gut in den Zusammenhang des Aufmarsches der verschiedenen Truppen fügt (s.o.). Während Vergil in 7,703-705 zwei innerlich verwandte Gleichnisse aus Homer und Apollonios Rhodios kombiniert, die beide das dichte Gedränge einer großen

1

2

3 4

Vgl. aeratas acies examine tanto \ misceri in Aen. 7,703f. (das überlieferte ex agmine tanto läßt sich nicht halten). Als Alternative bliebe die Annahme, daß die beiden homerisierenden Verse den ursprünglichen Beginn des nach Varrò Atacinus gestalteten Passus verdrängt haben. Siehe Cramer Anm. 859. Siehe J. Soubiran, L' Elision dans la Poésie latine, Paris 1966, 405 und u. S. 417f.

194

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Schar von Truppen oder Kriegsflotten malen, also gleichgerichtet sind und überdies in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis stehen, kontaminiert Montanus in [Aen.] 7,699-702 das Vogelgleichnis aus der Ilias (2,459ff.) mit einem Schwanengleichnis des Apollonios Rhodios, das aus einem ganz anderen Zusammenhang genommen ist, nämlich der Klage der um Aietes' Tochter gescharten Mädchen, die in Erwartung eines erbärmlichen Todes in den Syrten Libyens die ganze Nacht über jammern wie Vogeljungen, die aus ihrem Nest im Felsen gefallen sind, oder wie Schwäne, die am Ufer des Paktolos ihren Gesang ertönen lassen, so daß ringsum die tauige Wiese und die Strömung des Flusses widerhallt: Schon die Paraphrase läßt erkennen, daß das andersartige Gleichnis des Apollonios Rhodios (4,1296-1304) einen unpassenden Ton in die vergilische Schilderung vom Aufmarsch der Truppen trägt. Der Georgica-Passus liefert dem Montanus für das Schwanengleichnis im 7. Buch das Motiv von der Rückkehr der Vögfel von der "Weide", vgl. [Aen.] 7,700 (cycnñ cum sese e pastu referunt und georg. 1,381 e pastu decederti... corvorum ... exercitus (s.o.), ferner georg. 4,180. 186 (s. S. 191 Anm. I) 1 . Aber für Truppen, die zum Kampf a u s ziehen, ist dieser Vergleich (auch wenn es sich um iam pridem resides populi desuetaque bello \ agmina handelt, vgl. 7,693f.) denkbar ungeeignet. Kombiniert sind damit die Elemente cycni, longa ... colla, Asia ... palus aus dem Homergleichnis, ferner Apoll. Rhod. 4,1301f. (rj ore) κύκνοι κινήσουσιν eòv ¡x¿Ko£, άμφι Se Keyιών | èpayeις βοέμβται τοταμοΐό re καλά péedpa und das Element dulcibus in stagnis aus der früheren Homeradaptation in [georg.] 1,384, vgl. [Aen.] 7,699ff., bes. (cycni) canoros \ dant... modos, sonai amnis et Asia longe \ pulsa palus. Daß Montanus diese Motivübernahmen zusätzlich in anderswoher erborgte Formulierungen kleidet, ist in den Anmerkungen zum Textabdruck dokumentiert. Es handelt sich also in den Versen [Aen.] 7,698-702 um einen centoartig zusammengewebten ausschmückenden Zusatz des Montanus, der den expressiven 'Halbvers' puisa palus als markanten Abschluß setzt, um seiner Zudichtung vergilische Patina zu verleihen. In [Aen.] ll,454ff. hat Montanus die in erster Linie aus Homer und Apollonios Rhodios zusammengewirkte Gleichniskombination ein weiteres Mal abgewandelt2:

1

2

Vergil hat dieses Motiv nur noch zwei weitere Male in den Geórgica: 4,186 Vesper ubi e pastu tandem decedere campis \ admorudt und 4,434 Vesper ubi e pastu vítulos ad teda reducit - also jeweils in Verbindung mit der nachdrücklichen Vorstellung von der Heimkehr! Ich sehe in den Versen [Aen.] 11,451-458. 463-467 eine Erweiterung des Montanus. Ribbeck (Prol. 85) hat zu Recht die Anordnung der Verse 468-486 beanstandet, aber kein überzeugendes Heilmittel gefunden. M.E. ist der Vers 468 nach 472 zu versetzen. Die Störung wurde durch das Homoioteleuton urbilurbe veranlaßt.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung [Aen.] 11,454

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hic undique clamor dissensu vario magnus se tollit in auras, haud secus atque alto in luco cum forte çateryae consedere avium, piscosove amne Padusae dant sonitum rauci per stagna loquacia c\cni.

Hier mißt Montanus das laute, wirre Geschrei, das sich allenthalben in die Lüfte erhebt, als die Latiner auf die Kunde vom Herannahen der trojanischen und etruskischen Truppen nach Waffen rufen, an dem Lärmen von Vogelscharen, die sich im Hain niederlassen, und an Schwänen, die am fischreichen Po dant sonitum rau ci per stagna loqu acia. Man sieht also, daß er hier die Kombination von schreienden Vogelscharen und singenden Schwänen, die er im 7. Aeneisbuch durch seinen Zusatz [Aen.] 7,698-702 erst selbst geschaffen hatte, ein weiteres Mal einführt. Wie er im 7. Buch den Schwänen volucrum ... nubem beigesellte 1 , so hier catervas ... avium: wir fassen an beiden Stellen das Vorstellungsmuster des gleichen Dichters. Doch verrät er sich durch die Übertragung des Attributs raucus, das der echte Vergil passend seiner volucrum raucarum... nubes von 7,705 beigelegt hatte, auf den Gesang der Schwäne! Dies ist eine der vielen Katachresen, die sich der von uns erschlossene Montanus leistet: [Aen.] 11,458 dant sonitum rauci ... cycni (möglicherweise hat zusätzlich die rauca ... bucina von 474f. eingewirkt). Seine Handschrift zeigt sich auch in stagna loquacia·. Die Formulierung klingt, als wolle er mit dem 'Geschrei' der Schwäne an der Padusa (einem sonst nicht belegten Mündungsarm des Po) das Quaken der Frösche verbinden (vgl. georg. 3.430f. piscibus atram \ improbus ingluviem ranisaue loauacibus implet)·, doch ziehlt er offenbar auch hier - in der für ihn typischen Abundanz des Ausdrucks - auf die Stimmen der Schwäne. Die Formulierung der soeben zitierten Georgicaverse hat er in dem Schwalbengleichnis des 12. Buches für seinen Versschluß [Aen.] 12,475 (nidisaue loauacibus escas) verwendet, woraus er dann in dem Schwalbenfragment (1,3) den Ausdruck argutis ... cibos inmittere nidis gewonnen hat, s. S. 311. Da der echte Vergil loquax außer an der Georgicastelle nirgends verwendet, liefern die genannten Aeneisverse - im Verein mit dem Schwalbenfragment I 2ff. - ein gewichtiges Indiz für die Überarbeitung der Aeneis durch Iulius Montanus.

1

Der Ausdruck ist aus georg. 4,59f. (agmen \ obscuramque trahi... nubem) geholt, wo ein Bienenschwarm in dieser Weise umschrieben wird.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

196

Aen. 7,236-242 7,219 221 229 231

235 236

240 242

1

2 3 4

5

6

7

8 9 10

( ' . . . ) ab love principium generis, love Dardana pubes gaudet avo, rex ipse Iovis de gente suprema: Troius Aeneas tua nos ad limina misit. (...) dis sedem exiguam patriis litusque rogamus (...). non erimus regno indecores, nec vestra feretur fama levis tantique abolescet gratia facti, nec Troiam Ausonios gremio excepisse pigebit: fata per Aeneae turo dextramquepotentem, sive fide seu quis bello est expertus et armis1. ìmulti nos populi, multae2 (ne temne3, quod ultro praeferimus4 manibus vittas5 ac verba precantia)6 et petiere sibi et voluere adiungere gentes1; sed nos fata8 deum vestras exauirere terras imperiis esere suis, hinc Dardanus ortus. hue repetit iussisaue inzentibus9 urset Apollo Tyrrhenum ad Thybrim10 et fontis vada sacra Numici.]

Vgl. an der strukturell entsprechenden Didoszene den gleichen Ilioneus in l,544f. rex erat Aeneas nobis, quo iustior alter \ nec pietate fuit, nec bello major et armis: ferner 2,676 sin aliquam expertus sumptis spem ponis in armis: 11,124-126. Wohl nach Catull. 62,42 (siehe zu [Aen.] 11,581). Singulär in der Dichtung. In der Bedeutung 'mit ausgestreckten Händen vor sich hertragen' ein Montanianum, vgl. [Aen.] 11,249 muñera praeferimus ; Culex 262 adversas praeferre faces-, dagegen Aen. 8,128 vitta comptes voluit praetendere ramos. Die Floskel stammt aus 2,296 sic ait et manibus vittas Vestamque potentem \ ... effert (der Versschluß dextramque potentem in 7,234 scheint den Bearbeiter an 2,296 erinnert zu haben). Die Klausel ist aus Ovid gewonnen, der die Junktur verba precantia - aber nie am Versende, sondern mit viersilbig gemessenem precantial - an folgenden Stellen bietet: ars 1,709 (vir verba precantia dicat). met. 2,482; 6,164; 7,590; 9,159; 14,365. Der breite Ausdruck et petiere ...et voluere adiungere ist in Verbindung mit voluere ohne Parallele in der Dichtung; lediglich Paulinus Nolanus carm. 20,400 (voluere iugo subiungere) und Coripp (lustin. 1,170 voluere nocere) kombinieren je einmal die Perfektform voluere mit dem Infinitiv. Adiungere gentes ist hier und in 8,13 (multasque viro se adiungere gentis ein Montanianum, das erst Opt. Porf. carm. 9,29 wieder aufgegriffen wird ([Aen.] 8,1-17 ist unecht, s. das Register). Vgl. 11,112 nisi fata locum sedemque dedissent. Die Junktur hier erstmalig in der Dichtung; wieder aufgenommen in Stat. silv. 5,2,45. Das Attribut Tyrrhenus steht hier singulär neben Thybris, der üblicherweise ein Tu s cus amnis ist, vgl. georg. 1,499; Aen. 11,316; Hör. carm. 3,7,28. Die Kombination von Tiber und Numicus scheint durchweg auf Montanus zurückzugehen, dem ich die Junktur fontis vada sacra Numici hier ebenso wie in 7,150 (fontis stagna Numici) zuschreibe ([Aen.] 7,130-151 del. Zw.), aber auch die Verse 7,797f. qui saltus, Tiberine, tuos sacrumque Numici I litus arant ([Aen.] 7,796-802 del. Zw.).

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

245

250

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dat tibi praeterea fortume parva prions muñera, reliquias Troia ex ardente receptas. hoc pater Anchises auro libabat ad aras, hoc Priami gestamen erat cum iura vocatis more daret populis, sceptrumque sacerque tiaras Iliadumque labor vestes. ' talibus Ilionei dictis defixa Latinus obtutu tenet ora soloque immobilis haeret (...).

Nach Günther (19) erweist "der unvermittelte Subjektswechsel in 243 (dat sc. Aeneas) [...] 243-7 als fremden Zusatz"; die Verse 243-7 seien "überhaupt kein passender Abschluß der Rede" (diese habe "sehr wohl mit 242 enden" können), sondern "klärlich ein Nachtrag des Dichters, der offenbar beabsichtigte, das 155 erwähnte Geschenkangebot an Latinus nachträglich irgendwo in die Rede einzuschieben, vielleicht nicht einmal unbedingt am Ende". Zu [Aen.] 1,631-636. 639-642. 646. 650-656. 661f. 686. 701-706. 711 (v. ad loc.) ist gezeigt, daß eine strukturelle Beziehung zwischen der Überreichung der Gastgeschenke an Dido im 1. Buch und der Überbringung der Gastgeschenke an Latinus hier, im 7. Buch, besteht. Durch die Annahme der Geschenke (7,261 f.) besiegelt Latinus die Gastfreundschaft: er garantiert die Aufnahme der Trojaner in Latium und entläßt die Gesandten seinerseits mit reichen Geschenken, die diese als Unterpfand des Friedens dem Aeneas überbringen (276-285). Die Verse 243ff. sind also integraler Bestandteil der Gesandtschaftsszene, vgl. auch 25lf. Doch sind sie durch den unechten Zusatz 236-242 von ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit 221-235 abgeschnitten1, weshalb nun das dat tibi von 243 in der Luft hängt. Löst man den falschen Einschub (der im Sinne einer amplificatio den in 231-235 vor Augen geführten Bündniswert der Trojaner nachdrücklich beteuern sollte)2 heraus, finden die Verse 243ff. mit dai tibi (vgl. pater Anchises in 245) ihren natürlichen Anknüpfungspunkt an den durch Troius Aeneas ... nos ... misit eingeleiteten und durch fata per Aeneae turo (... armis) abgeschlossenen Passus 221-235. Durch Fettdruck sind oben in der Textwiedergabe die einschlägigen Stichworte hervorgehoben, die den engen Gedankenkonnex sinnfällig machen und zeigen, daß der Redner Ilioneus durchgehend als Repräsentant aller Trojaner im Auftrag ihres Königs Aeneas spricht, der somit zwanglos in 243 durch dat tibi muñera als Urheber der zu überbringenden Gastgeschenke bezeichnet werden kann.

1

2

Während ich selbst die Verse Aen. 7,234-242 getilgt hatte, ist die obere Schnittstelle von R. Cramer nach 7,235 verlegt worden, wodurch sich leicht das Subjekt zu dat in 243 aus Aeneae in 234 gewinnen läßt. Vergil variiert in veränderter Reihenfolge die Argumente, die der gleiche Ilioneus an entsprechender Stelle der Dido vorgetragen hatte (1,544-550).

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

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Die Unechtheit des Zwischenstückes wird schon durch die unvergilische Metrik des Verses 237 (konsonantisches -i- in precantia)1 signalisiert, der uns zugleich eine zeugmatische Verbindung des Verbs praeferimus mit dem konkreten Objekt vittas (Wollbinden) und dem Abstractum verba (precantia) zumutet2, ferner durch den aufdringlichen Centocharakter des Versabschnittes, dessen Grundgerüst aus einer Kombination der Rede des Aeneas vor Dido in der Unterwelt3 und den Prophezeiungen des 3. Buches besteht: 6,461 463 3,94 96 99 101 154f. 161 162 164 167 170f.

sed me iussa deum. quae nunc has ire per umbras, per loca senta situ cogunt noctemque profundam, imperiis esere suis: 'Dardanidae duri, quae vos a stirpe parentum prima tulit tellus, eadem vos ubere laeto accipiet reduces, antiquam exauirite matrem. ( . . . 0 haec Phoebus: quo Phoebus vocet errantis iubeataue revertí (quaerunt); Apollo I ... tua nos en ultro ad limina mittit; non haec tibi lito ra suasit Delius aut Cretae iussit considere Apollo. (...) terra antiqua, potens armis atque ubere glaebae (...) hae nobispropriae sedes, hinc Dardanus ortus (...). Corythum terrasque reauirat \ Ausonias.

Die Klausel verba precantia ist sicher nachovidisch (siehe S. 196 Anm. 6), eine Reihe der in den Anmerkungen herausgestellten Junkturen eigentümlich montanisch (ne terrine, adiungere gentes, iussis ingentibus, Tyrrhenus Thybris, fontis Numici). Wie zur Ilioneus-Rede im 1. Buch mitgeteilt, habe ich durch meine Athetesen - unwissentlich - die von Hirst aufgewiesenen ungefähren numerischen Entsprechungen in den Verszahlen der Redepartien auch für die Latinus-Ilioneus-Reden 7,195-248 bestätigt, insofern ich nachträglich feststellte, daß in meiner Textfassung Latinus zweimal je 15 (exakt: 15 und 14'/2) Verse spricht (7,195-211; 259-273)4. Dazu fügt sich gut, daß die dazwischen stehende Ilioneus-Rede 28>/2 Verse hat (213-248, abzüglich 236-242). Sie endet mit einem Halbvers. Wir dürfen annehmen, daß Vergil sie bei der Endredaktion auf ca. 29-30 Verse gebracht und sie damit gleichlang gemacht hätte wie die beiden Latinus-Reden zusammengenommen (erinnert sei an das entsprechende Längenverhältnis der Reden der Götter Jupiter, Venus und Juno in Aen. X und an die Reden des Latinus, Drances und Turnus in Aen. XI)5.

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Siehe oben S. 70 und 424. Durch den Instrumentalis manibus (praeferimus) wird die Härte noch bedeutend verschärft. Auf sie wurde Montanus vermutlich bei der Lektüre des Schwurs in 7,234f. geführt, vgl. 6,458 per sidera iuro \ per superos et si qua fides tellure sub ima est. Die Verse 7,200 und 208 habe ich getilgt. Siehe den krit. Kommentar ad locc.; ferner u. S. 210f. 232.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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Alles deutet darauf hin, daß er die ganze Gesandtschaftsszene in einem Schwünge ausgeführt und nur das Detailproblem einer numerischen Anpassung der Verszahlen der Ilioneus-Rede einem späteren glättenden Durchgang vorbehalten hat. Weder ist der auf den Halbvers folgende Passus spätere Zutat (wie die These von Berres lautet)1, noch der mit ihm endende (wie Günther die Sache ansieht)2. Die Schwierigkeiten, die der Abschnitt in sich birgt, beruhen auf dem späteren Einschub der Verse 7,236-242 durch den Bearbeiter. Dieser hat auch im folgenden Passus wieder eingegriffen:

Aen. 7,254-258 7,249

254

talibus Ilionei dictis defixa Latinus obtutu tenet ora soloque immobilis haeret, intentos volvens oculos. nec purpura regem picta movet nec sceptra movent Priameia tantum quantum in conubio natae thalamoque moratur. [et veteris Fauni3 volvit sub pectore4 sortem: hunc illum5 fatis externa ab sede profectum6 portendi eenerum7 parìbusaue in reena vocarfi auspiciis9, huic progeniem10 virtute futuram egregiam11 et totum quae viribus occupet orbem12.1 tandem laetus ait: 'di nostra incepta secundent auguriumque suum! dabitur, Troiane, quod optas. (...")

König Latinus ist durch die Worte des Ilioneus zum angestrengten Nachdenken gebracht worden. Es bewegen ihn weniger die prächtigen Gastgeschenke als

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Siehe Berres 1982, 299 und 1992, 99ff., bes. llOff. 115. 213. Siehe Günther passim (hier 19f.). Vgl. 8Iff. Vgl. 12,831 irarum tantos volvis sub pectore fíuctus. Ebenso gleich anschließend in 272 (hunc illum poscere fata). Vgl. 7,68f. externum cernimos ... \ adventare virum; 7,98 externi venient generi: 7,209 hinc illum Corythi Tvrrhena ab sede profectum (accipit); 7,270 generös externis adfore ab oris. Vgl. die Imitation durch Statius (Theb. 1,496 portendi generös). Die Klausel stammt aus 7,578 Teueres in regna vocari. Die Junktur ist in der Dichtung (abgesehen von Imitationen bei Luxorius und in der Anthol. Lat.) nur noch Aen. 4,102f. belegt (communem hunc ergo populum parìbusaue regamus \ auspiciis). hat also dort ihre Quelle. Nach Aen. 1,19 und 7,99bff. Vgl. Catull. 64,348 (illius egregias virtutes). Siehe 7,99ff. Die Klausel kommt wohl aus Ov. met. 6,147 (rumor) magnum sermonibus occupât orbem. In [Ον.] epist. 9,13 hat Montanus die Klausel (respice vindieibuspacatum) viribus orbem.

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

die Hochzeit seiner Tochter, bei der seine Gedanken verweilen. Der Bearbeiter will konkret gesagt wissen, welcher Art die Gedanken waren, auf die durch die Schilderung von Gestik und Habitus des Latinus so bedeutungsvoll hingewiesen wird. Also schreibt er die Gedanken expressis verbis in den Text hinein, gibt als Editor zugleich eine implizite Kommentierung. Zu Recht fragt Günther (19 Anm. 32) mit Skepsis, "ob Vergil tatsächlich beabsichtigte, das Faunusorakel aus 96ff. zweimal in so kurzem Abstand (2558 und 270-3) ausführlich zu wiederholen"; doch sieht er in diesen Unebenheiten "Spuren mangelnder Vollendung", wo in Wirklichkeit der spätere Eingriff eines weiterdichtenden Bearbeiters vorliegt. Richtig hat er die ungeschickte Formulierung der Verse 255ff. erkannt (die Acl-Konstruktion tritt an die Stelle eines indirekten Fragesatzes); es ist die rekapitulierende Erzähl weise, die Montanus auch in dem von ihm hinzugesetzten Bericht über die VenulusGesandtschaft in 8,9ff. wählt1. Der Cento-Charakter auch dieser Zusatzverse ist in den Anmerkungen nachgewiesen.

Aen. 7,759f. 7,750 752

755

759 760

Quin et Marruvia

yenit de gente sacerdos (...) ... fortissimus Vmbro, vipereo generi et graviter spirantibus hydris spargere qui somnos cantuque manuque solebat, mulcebatque iras et morsus arte leyabat. sed non Dardaniae medicali cuspidis ictum eyaluit ñeque eum iuyere in vulnera cantus somniferi et Marsis quaesitae montibus herbae. [te nemus Angitiae, vitrea te Fucinus unda. te liquidi flevere lacus. Ibat et Hippolyti proles pulcherrima bello, Virbius (,..)]2.

Die plötzliche Apostrophe inmitten des Truppenkatalogs gilt als unbefriedigender Zusatz3, als "flüchtig hingeworfener Entwurf des Dichters"4. Es ist ein Zusatz des Montanus, der die - nach dem Muster von II. 2,858ff. (vgl. Aen. 9,327f.) geformte - Ankündigung des Todes pathetisch ausmalen wollte. Der Vorausverweis auf das nahe Ende des in den Kampf ziehenden Umbro durch

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Die Verse 8,1-17, ebenso 11,236-301, aber auch die Rekapitulation in 10,146-162 stammen von der Hand des Montanus. Auch der folgende Passus [Aen.] 7,761-782 ist von Montanus hinzugedichtet worden. Vgl. Berres 1992, 149ff. (bes. 150 mit Anm. 82), der hier selbst die Fragwürdigkeit seiner Halbverstheorie zu ahnen scheint. Günther 20; vgl. Sparrow 40.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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die Perfekt-Formel sed non ... medicari... evaluit neque eum iuvere ... cantus ... et ... herbae (756ff.) ist kühn genug; aber durch te ... f lev er e lacus wird der Bogen überspannt, der Tod des Umbro allzusehr als bereits vergangenes Ereignis ins Bewußtsein gerückt und damit die Situation der Katalogschilderung zu weit überschritten 1 . Fordyce (ad loc.) hat die sprachlichen Muster angegeben: ecl. 10,13 illum etiam lauri, etiam flevere myricae; georg. 4 . 4 6 1 f f . flerunt Rhodopeiae arces \ altaque Pangaea et Rhesi Mavortia tellus I atque Getae atque Hebrus et Actias Orithyia. Zu denken ist auch an die Daphnis-Ekloge (5,20ff.), ferner an Aen. 8,296 te Stygii tremuere lacus. te ianitor Orci. V o n lacus ... líquidos spricht der Bearbeiter auch in [Aen.] 4,526 2 . Die zweite Hälfte des Verses 759 erinnert an met. 5,47ff. (quem flumine Gange \ edita Limnaee vitreis peperisse sub undis \ crediturf, die einzige Stelle, an der beim echten Ovid das Wasser als vitreus bezeichnet wird 4 .

Aen. 7,130-151 7,120

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continuo 'salve fatis mihi debita tellus vosque ' ait 'o fidi Troiae sálvete penates: hic domus, haec patria est. genitor mihi talia namque (nunc repeto) Anchises fatorum arcana reliquit: "cum te, nate, fames ignota ad litora vectum accisis coget dapibus consumere mensas, tum sperare domos defessus, ibique memento prima locare manu molirique aggere tecta. " haec erat illa fames, haec nos suprema manebat exitiis positura modum. [quare agite et primo laeti cum lumine solis quae loca, quive habeant homines, ubi moenia gentis, vestigemus et aportu diversa petamus. nunc pateras libate Iovi precibusaue vocale Anchisen genitorem, et vina reponite mensis. ' Sic deinde effatus frondenti tempora ramo implicai et eeniumaue loci primamque deorum

"6,750-758 sind in der Tat eine geschlossene Einheit, was auch durch die Klammer Maruvia ...de gente (750) / Marsis ... montibus (758) verdeutlicht wird": R. Cramer. Vgl. georg. 4,18 at liquidi fontes et stagna virentia musco \ adsint et tenuis ... rivus. Beide Stellen hat Silius kontaminiert (4,344f. viridi quem Fucinus antro | nutrierat dederatque lacum tramittere nando). Vergil hat das Attribut vitreus ebenfalls nur einmal in georg. 4,350, wo von den luctus Aristaei die Rede ist, die die Seenymphen vit reis ... sedilibus verstummen lassen.

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

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Tellurem Nymphasque et adhuc ignota precatur flumina, tum Noctem Noctisque orientia siena Idaeumque lovem Phrygiamque ex ordine matrem invocai, et duplicis caeloaue Ereboaue parentis, hic pater omnipotens ter cáelo clarus ab alto intonuit. radiisaue ardentem lucis et auro ipse manu auatiens ostendit ab aethere nubem. diditur hic subito Troiana per agmina rumor advenisse diem quo debita moenia condant. certatim instaurant eoulas atque ornine magno crateras laeti statuunt et vina coronant. Postera cum prima lustrabat lampade terras orta dies, urbem et finis et litora gentis diversi explorant: haec fontìs stagna Numici, hunc Thybrim fluvium, hic fortis habitare Latinos. ] tum s at us An chis a delectes ordine ab omni (ire iubet).

In einer Ringkomposition wird die Szene des Tischwunders von der einleitenden Ausdeutung des Iulus-Wortes 'heus, etiam mensas consumimus' (116) durch den erzählenden Dichter (117f. ea vox audita laborum | prima tulit finem) zu der abschließenden Interpretation des Anchises-Orakels (124-127) durch Aeneas geführt: haec erat ilia fames1, haec nos suprema manebat \ exitiis positura modum (128f.)· Die vielbehandelte Anchises-Prophezeiung 2 , in der das zunächst als Strafandrohung gedachte Wort der Harpyie Celaeno von 3,255ff. zu einem hoffnungsvollen Zeichen der Ankunft am Ziel umgewandelt worden war, teilt der Dichter in bewußt ökonomischer Handlungsführung erst nachträglich, zu dem Zeitpunkt, da sie sich erfüllt, mit, wie dies ähnlich von den in 4,351ff. durch Aeneas als Entschuldigung vor Dido angeführten Erscheinungen des Anchises im Traum gilt 3 . Die Folgerungen, die man aus dem Verhältnis dieser Anchises-Verse 7,122ff. zu dem CelaenoOrakel im 3. Buch für die Genese der Aeneis gezogen hat, scheinen nicht begründet 4 . Vergil hat die Szene mit dem Halbvers 129 abgeschlossen 5 und geht danach sofort zur Ausgestaltung des im Anchises-Orakel enthaltenen

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Aeneas greift das Stichwort fames aus dem Anchises-Orakel auf (124) und bringt es passend mit dem soeben erlebten Vorfall in Zusammenhang. Heinze 89ff.; Berres 1982, 212ff. (mit weiterer Literatur); Günther 20ff. Vgl. ferner Heinze III 11 (S. 390ff., bes. 393f.). Auch in der griechischen Tragödie werden Orakel im Laufe der Handlung leicht verändert oder präzisiert wiedergegeben, s. Zwierlein GGA 222, 1970, 206-212; hier aber liegt offenbar eine bewußte Verwandlung des ursprünglichen Unheilszeichens in ein Glückszeichen vor, die durch die im Anschluß an die Celaeno-Rede von Anchises gesprochenen Bitten an die Götter bewirkt worden sein dürften (3,261-266). Gegen die Deutung der Verse 128f. als Teil eines Entwurfes, "der VII 122ff. zu ersetzen suchte" (Günther 21), spricht auch, wie R. Cramer moniert, daß diese Verse eine positive Fassung des Tischorakels voraussetzen. Eben diese aber liegt in 122ff. vor.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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Auftrags (127 prima locare manu molirique aggere teda) über: Aeneas1 schickt eine Abordnung von 100 Gesandten zum König des Landes, um Geschenke zu überbringen und Frieden zu erbitten. Er selbst macht sich unmittelbar an die Stadtgründung: humili designai moenia fossa (157), etc. Aus dem Adverb continuo in 120 dürfen wir auf ein beträchtliches Erzähltempo schließen, was durch 156f. (haud mora, festinant iussi rapidisque feruntur \ passibus) und 160 (iamque iter emensi) bestätigt wird. Dazu stimmen nicht die Verse 130ff., in denen Aeneas die Erkundung des Geländes für den nächsten Tag aufschiebt und zunächst eine Weinspende 2 für Jupiter und Anchises und ein allgemeines Festessen anordnet. Aber die Troer waren beim Morgengrauen (7,25f.) in den Tiber eingebogen, hatten die Schiffe am Ufer festgemacht (105f.) und ein bescheidenes Mahl eingenommen. Viel Zeit konnte bei der kargen Kost nicht verbraucht worden sein - zuwenig, als daß Aeneas sinnvoll die weiteren Aktivitäten auf den folgenden Tag aufschieben könnte. Wie aber verträgt sich die Aufforderung vina reponite mensis (134) und der entsprechende Bericht certatim instaurant epulas3 atque ... | crateras ... statuunt et vina coronant* (146f.) mit der penuria edendi von 113, die der Anlaß des vertere morsus | exiguam in Cererem (112f.) war? Der ganze Passus 7,130-151 ist von Montanus hinzuerfunden worden 5 , um das Tischorakel durch Gebet und Donnerprodigium Jupiters in die Sphäre des Numinosen zu heben, wie er dies ähnlich durch das ätherische Waffengetöse der Venus in 8,523ff. und den Klang der Wellen in der Camilla-Episode (11,562) zu erreichen gesucht hat. Aber schon die doppelte Gleichsetzung des verstorbenen Anchises mit einem Gott, der neben Jupiter (133f.) oder in die Reihe Jupiter, Kybele und Venus (139f.) gerückt wird, zeigt die unvergilische Hand. Der Anchises Vergils übermittelt aus dem Jenseits (oder im Elysium - bei der Katabasis des Aeneas) die Botschaften Jupiters oder der Fata; aber er wird nicht selbst als Gott angerufen 6 , schon gar nicht kann er sich zu Venus im Sinne eines Götterpaares hinzugesellen (7,140 et duplicis caeloque Ereboque parentis) und dabei im E r e b u s , dem

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Die Periphrase satus Anchi s a (152) ist besonders sinnvoll, wenn sie unmittelbar an die Verse 123-129 anschließt, in denen Aeneas das Vermächtnis des Anchises verkündet und gedeutet hat. Der echte Vergil sagt pateris libare (georg. 2,192; Aen. 12,174), nicht pateras libare (auch das libabant pocula von 3,354 ist unecht [3,353-355 del. Zw., v. ad loc.]). Die Klausel precibusque vocate scheint aus Horaz übernommen (carm. 4,5,13 votis ominibusoue et precibus vocat - nach dem Tod Vergils geschrieben!). Dies ist eine montanische Floskel, die ebenso [Aen.] 8,283 (v. ad loc.) erscheint. Wörtlich aus dem Gastmahl der Dido übernommen: crateras magnos statuunt et vina coronant (1,724). Ribbeck (82) hatte nur die Verse 146f. getilgt und zudem die Klausel et vina reponite mensis verdächtigt. Zu Aen. 5,80. 550 und [603] v. ad loc.

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Ort der Finsternis, angesiedelt sein, der hier unglücklich als Metonymie für die Unterwelt gewählt ist, wo doch Anchises im Elysium weilt, den sedes beatae, die solem ... suum, sua sidera normt (6,641). Überhaupt hat Aeneas sein Gebet bereits in 120f., als ihm die Erfüllung des Anchises-Spruches aufgegangen war, verrichtet: Er ruft in 119f. die fatis ... debita tellus und die fidi Troiae ... penates an und bedankt sich so im Augenblick der Ankunft am Ziel bei ihnen, die ihm (in 3,147-174) zuverlässig dieses Ziel im Auftrag Apollos gewiesen hatten. Die weitere Szene hat Montanus als Wiederholung der Landung am Strand von Karthago ausgeformt1: Dort hat die Erkundung des Geländes am Morgen nach dem abendlichen Mahl, das die vom Seesturm Erschöpften eingenommen haben (wobei sie über die vermißten Gefährten klagten: 1,170-222) ihren guten Sinn: Sie führt zur Begegnung mit der (als tyrische Jägerin verkleideten) Mutter Venus, die die Geschichte Didos exponiert, und dann zum Königpalast in Karthago und der Begegnung mit Dido selbst, ist also fest in die Handlung integriert. Im 7. Buch dagegen wird eine solche Erkundung umständlich für den folgenden Tag angekündigt; in 148-151 hören wir dann, daß sie durchgeführt wird2. Doch ist das Ergebnis äußerst mager: haec fontis stagna

Aen. 1,305

at pius Aeneas per noctem plurima volvens, ut primum lux alma data est, exire locosaue explorare novos, quas vento accesserit oras, qui teneant (nam inculta videi), hominesne feraene. quaerere constituit sociísque exacta referre. 7,130 quare agite et primo laeti cum lumine solis quae loca, quive habeant homines, ubi moenia gentis, 132 vestigemus et a portu diversa petamus. Man erkennt das Bestreben nach variatio; aber in 7,131 ist die Anlehnung an 1,306-308 offenkundig. Aus locosque \ explorare novos macht Montanus in der ihm eigenen stark elliptischen Ausdrucksweise quae loca ... | vestigemus; doch verbindet Vergil (ebenso wie Ovid) vestigare nicht mit einem indirekten Fragesatz, sondern mit direktem Objekt. In Moret. 6f. kombiniert Montanus beide Verba: sollicitaque manu tenebras explorât inertes \ vesti gat que focum (auch dies ein Unikum in der Dichtung). Der Ausdruck a portu diversa klingt hölzern; vgl. dagegen 12,621 quisve ruit tantus diversa clamor ab urbe: Ον. trist. 3,14,26 diverso ...ab orbe. Montanus hat ähnlich in Ibis 173 in loca ab Elysiis diversa fugabere campis\ Germanicus in Arat. 379 est etiam a geminis diversus piscibus unus. Wie im Vers zuvor (7,147) zeigt sich Montanus auch in 7,148f. als Plagiator, der Aen. 4,6f. (postera Phoebea lustrabat lampade terras | ... Aurora) mit 12,113f. (postera vix summos spargebat lumine montis \ orta dies, cum primum ...) kombiniert. Die Zusammenstellung urbem et finis et litora gentis wirkt im Sinne einer Antiklimax; die Versklausel geht vielleicht auf georg. 3,33 (bisque triumphatas utroque ab litore sentis) zurück.

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Numici, I hune Thybrim fluvium1, hic fortis habitare Latinos, heißt es in eineinhalb Versen (150f.) 2 . Sie bilden keineswegs die notwendige Voraussetzung für die Mission der 100 Unterhändler, die Aeneas in 7,153f. augusta ad moenia regis \ ire iubef, vielmehr war diese bereits ebensogut im Anschluß an 129 gerechtfertigt 3 . Sobald Aeneas den Sinn des soeben in Erfüllung gegangenen Tischorakels erfaßt und dieses mit dem Spruch der fidi Troiae ... penates (121) in Verbindung gebracht hatte, war klar, daß die Aeneaden an ihrem ihnen mehrfach prophezeiten Bestimmungsort in Italien (vgl. 3,163-167. 254f. 364. 381; l,553f.), im ausonischen Hafen (3,378. 496; vgl. 170f.) angekommen waren. Es konnte also unmittelbar Kontakt mit dem Latinerkönig aufgenommen werden. Die griechischen Vorbildszenen (die Ankunft des - schlafenden - Odysseus bei Tagesanbruch im Phorkys-Hafen [Od. 13,93ff.] und die - nächtliche Ankunft der Argonauten am Phasisstrom [Apoll. Rhod. 2,1260ff.]) konnten Vergil schwerlich dazu veranlassen, nach der - aus der Odyssee übernommenen - Ankunft beim Aufgang der Morgenröte einen ganzen Tag verstreichen zu lassen, bis am nächsten Morgen die Gegend inspiziert würde. Denn auch bei Apollonios Rhodios erscheint ja noch am Ende des 2. Buches die Morgenröte, so daß das dritte Buch, dessen Auftaktvers, den Anruf an die Muse Erato, Vergil in 7,37 anklingen läßt, wie die um Vergils Erato-Vers gruppierte Handlung am frühen Morgen spielt. Wie dort Jason mit den Söhnen des Phrixos und zwei weiteren Gefährten zum Palast des Aietes aufbricht (der weitere Gang des Geschehens ist in der Karthago-Episode des 1. Aeneisbuches imitiert), so schickt Aeneas bald nach der Landung am Ufer zum Palast des Königs Latinus. Montanus aber, dem die Argonautengeschichte wegen der Übertragung des Apollonios Rhodios durch seinen Landsmann (?) Varrò Atacinus (dessen Verse er in der zeitgenössischen literarischen Diskussion würdigte und in einem Falle

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Es handelt sich um eine Kombination, die Montanus auch in [Aen.] 7,242 (Tyrrhenian ad Thybrim et fontis vada sacra Numici) wieder wählt (s. S. 196 Anm. 10), die sonst in der Dichtung nirgends begegnet. Die Form des Trikolons erinnert an das verwandte Tetrakolon in Aen. 2,29f. (hic Dolopum manus, tue saevus tendebai Achilles; \ classibus hic locus, hic acie certare solebant), das Montanus auch in epist. 1,33-36 und [ars] 2,131-140 imitiert hat. In den Ausdruck augusta ad moenia regis | ire iubet muß man nicht mehr hineinlegen als die Aufforderung, den König des Landes aufzusuchen. Daß die Gesandten dabei auf moenia augusta treffen würden, konnte Aeneas streng genommen nicht wissen. Aber er durfte es aus den ihm zuteil gewordenen Orakeln über das ausonische Land supponieren. Auch die hundert Gesandten zeigen ja, daß der Dichter hier, wo das Ziel in Latium erreicht ist, voll in die Saiten greift. Erinnert sei an die augusta sedes der Bienen in georg. 4,228 (dazu R. Cramer Anm. 879).

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

sogar wörtlich zitierte, s. S. 266ff.) am Herzen lag1, könnte in Anlehnung an Apollonios die dort in 2,1271ff. geschilderte Weinspende an den Phasisstrom und die Gebete an Gaia, die einheimischen Götter und die Seelen der toten Heroen zum Anlaß genommen haben, der vergilischen Erzählung eine entsprechende Szene einzugliedern (7,133ff.). Aber die fatis ... debita te II us war schon in 120 (zusammen mit den troischen Penaten) angerufen worden; folglich ist das Gebet an eeniumaue loci2 primamaue deorum \ Tellur e m in 136f. eine müßige Dublette. Vor allem aber stimmen die Gebete an die Nacht und die < soeben > aufgehenden nächtlichen Sterne (7,138f. Noctem Noctisque orientia siena [sc. invocai]) nicht zu der durch 25f. festgelegten Handlungszeit. Hier scheint Montanus die nächtliche Ankunft am Phasisstrom mit dem Gebet des Aeneas am Tiberstrom im 8. Buch kontaminiert zu haben. Dort wacht Aeneas im Morgengrauen auf, nachdem ihn das Traumbild des Tiber verlassen hat, schöpft aetherii spectans orientia solis | lumina (8,68f.) mit beiden Händen Wasser aus dem Fluß und betet zu den Laurentischen Nymphen und zum Tiber. Die Junktur siena ... orientia konnte Montanus bei Manilius lesen (3,281f. 386/388); die Einleitung der rituellen Szene dagegen stammt - wie die Junktur geniumque loci (s.o.) - aus der Jahresfeier zum Gedächtnis des toten Anchises, vgl. besonders 5,7lf. ('...) ore favete omnes et cingite tempora ramis. ' | sic fatus velat materna tempora myrto und 7,135f. sic deinde effatus frondenti tempora ramo \ implicai et eeniumaue loci ... precatur. Der Epigone verrät sich durch das in der Dichtung sonst nirgends belegte sic deinde effatus - eine Kontamination aus sie effatus (bzw. -ta)3 und sie fatus deinde (2,391)4. Die Junktur frondenti ... ramo stammt aus 7,67 ramo frondente pependit (sc. examen apium). Die ignota ... litora des Anchises-Orakels (124) meinen ferne Küsten, die zwar namentlich - etwa durch die Penaten- und Helenus-Prophezeiungen bekannt sind5, von denen aber Aeneas keine näheren Vorstellungen hat. Wenn dagegen Montanus seinen Aeneas ein Gebet an die ad hue ignota ... flumina richten läßt, kehrt er pedantisch ein Problem hervor, von dem der echte Vergil kein Aufhebens macht. Montanus gewinnt daraus zugleich den Impuls, die Trojaner am nächsten Morgen Erkundigungen einziehen zu lassen, damit auch ja das Bekanntwerden mit dem neuen Land und seinen Flüssen 1

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Dieser Neigung ist vermutlich auch das von seiner Hand stammende Gedicht [Prop.] I 20 zu verdanken, v. ad loc. Die Junktur scheint aus 5,95f. (incertus eeniumne loci famulumne parentis | esse putet) geholt, wo Aeneas dem verstorbenen Vater Anchises die Parentalia zum Jahresgedächtnis feiert. So z.B. Aen. 4,30; 6,197; 7,456; 9,22. Vergilisch ist dagegen sic deinde locutus in Aen. 5,14 und 5,400, von Montanus in 5,303 übernommen. Siehe zu 3,161ff. 374ff.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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Numicus (der in den Prophezeiungen nirgends eine Rolle spielt) und Thybris in der Handlungsschilderung festgemacht wird. Da aber die Creusa-Prophezeiung (2,780-787) und die Verse 3,500-505; 5,82f. und 7,236-242 unecht sind (v. ad loc.), kommt dem Namen des Tiberflusses für die Bestimmung des Siedlungsortes im Bewußtsein des Aeneas keinerlei Bedeutung zu 1 . Der Tiber wird nur von den beiden Kontrahentinnen auf der Götterebene (5,797; 7,303) und vom epischen Erzähler (7,30) namentlich genannt 2 , bevor der Flußgott selbst sich dem Aeneas in 8,28ff. offenbart. Der Dichter, der sich dieses Erzählmuster ausgedacht hat, wird nicht den, den er soeben durch das Tischorakel zum Wissenden gemacht hat (vgl. 7,120ff.), mit unnötiger Pointierung ad hue ignota ... flumina anrufen lassen: Hier hören wir den allzu kleinlich nachrechnenden, den Äußerlichkeiten statt der inneren Wahrheit zugewandten Epigonen! War in 7,135f. das Opfer an Anchises im 5. Buch Vorbild, so vernehmen wir in 7,140 (duplicis caeloaue Ereboaue parentis) einen Nachhall des Opfers am Eingang zur Unterwelt, bei dem die Sibylle invergit vina (6,244) und weitere rituelle Handlungen verrichtet voce vocans Hecaten caeloaue Ereboaue potentem (247). Die Ersetzung der Hecate triformis, die am Himmel (als Mondgöttin) und in der Unterwelt ihre Macht ausübt, durch die duplice s parentes, von denen Venus im Himmel, Anchises aber im E l y s i u m weilt, ist ein - vielleicht geistreicher - Fehlgriff (s.o.). Montanus neigt zum Theatralischen. Diesen Zug kehrt er bei der Erfindung des Donners aus heiterem Himmel hervor, den Jupiter zur Bekräftigung des Tischorakels ertönen läßt (s.o. S. 203). Die nicht-vergilische Hand zeigt sich bereits in der sonst so nicht belegten Verwendung des Adjektivs c lar us , das in dem Zusammenhang von 7,141f. (hie pater omnipotens ter cáelo clarus ab alto3 | intonuit) nur "laut" oder - im Sinne von Iuppiter clarus - "aus heiterem Himmel" heißen kann 4 , wie die Vorbildstellen beweisen: 9,630f. caeli genitor de parte serena | intonuit laevum\ 2,692f. subitoque fragore | intonuit laevum\ Ov. fast. 3,368f. gravis aetherio venit ab axe fragor. \ ter tonuit sine nube deus, tria fulgura misit. Da innerhalb der einschlägigen

Beim Abschied aus Buthrotum nennt er selbst dort, wo er das 'Klein-Troia' des Helenus um die effigies Xanthi beneidet (3,497), als sein eigenes Ziel lediglich arva ... Ausoniae, also nicht den Tiberfluß als Entsprechung zum Xanthus! Das laetus fluvio succed.it opaco bedeutet nicht, daß Aeneas hier den ihm bestimmten Fluß erkannt hätte (siehe Fordyce ad loc.); vgl. 8,730 rerumque ignarus imagine gaudet. Vgl. Aen. 5,542 avem caelo deiecit ab alto·. 8,423 hoc tunc ignipotens caelo descendit ab alto: so zweimal bei Manilius (1,118; 4,817). Letzteres setzt ein allegorisches Verständnis von pater omnipotens voraus, analog georg. 2,325f. tum pater omnipotens fecundis imbribus Aether | coniugis in gremium laetae descendit.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

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Dichtung nur diese drei Parallelen in Frage kommen, scheint es zwingend, daß die Fastenstelle vorausliegt, zumal Montanus sie auch in [Aen.] 8,523-529 imitiert hat1 und das Stichwort nubes auch in [Aen.] 7,143 folgt. Hinter radiisque ardentem lucis et auro | ... nubem (142f.) steckt eine Abwandlung der Junktur radiis ardentibus (Lucr. 6,618. 860; Manil. 1,837); eine ardens nubes scheint sonst nicht belegt; es mag aber die Blitztheorie des Lukrez eingewirkt haben (6,145f. ubi e nubi in nubem vis incidit ardens \ fulminis) und an eine Art goldenen Strahlenbündels gedacht sein - analog der telorum nubes. Zu ipse manu auatiens ... nubem vgl. Aen. 12,442 telum immane manu auatiens2. Mit dem aus Lukrez übernommenen Verb hat Montanus in diditur ... Troiana per agmina rumor (144) etwas hoch gegriffen; vgl. dagegen Vergil in 8,132 tua terris didita fama. Hinter advenisse diem quo ... (145) scheint 11,687 (advenit qui... dies ...) zu stehen; die debita moenia sind eine Wiederholung von 120 (fatis mihi debita tellus): die Klausel moenia condant geht zurück auf l,276f. (Romulus ... Mavortia condet \ moenia) und kehrt wieder in 11,323 (considant, si tantus amor, et moenia condant). von Montanus nochmals aufgegriffen in [Aen.] 12,361 (sie moenia condunt), v. ad loc.

Aen. 7,438f. 443f. 7,435

438 439

443 444

hic iuvenis vatem inrìdens sic orsa vicissim ore referí: 'classis invectas Thybridis undam non, ut rere, meas effugit nuntius auris, [ne tantos mihi finse metus: nec reeia Iuno3 immemor est nostri.λ sed te vieta situ verique effeta senectus, o mater, curis nequiquam exercet, et arma regum inter falsa vatem formidine ludit. ' [cura tibi divum effieies et tempia tueri: bella viri pacemaue ¡>erent quis bella eerenda. Τ

Heinze (188) hat zu Recht beanstandet, daß Turnus die Offenbarung der Juno (427f.), die Allecto-Calybe überbringt, zurückweist und sich dann doch selbst

1 2

3

Zu vergleichen sind dort zusätzlich die Verse fast. 3,371. 373f., v. ad loc. In Ibis 456 hat Montanus et quatias molli tympana rauca manu. Sein freier Gebrauch von quatere ist zu Ciris 350 (siehe Lyne) belegt, vgl. auch Aetna 39 (cum super ineudem) ... magno quaterent sub pondere fulmen; 563f. ignes quat i uní follesque trementes \ exanimant. Die Klausel steht auch Aen. 1,443; 4,114; 10,62; Ov. met. 6,94; 9,21 (quod me nec reeia ¡uno I odit)·, 14,829; Pont. 1,4,39.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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auf Juno beruft 1 . Ich halte die Verse 438f. für einen Zusatz des Montanus, der daran erinnern wollte, daß Juno auf seiten des Turnus steht und ihm, soweit sie kann, behilflich ist. Das Motiv ne tantos2 mihi finge metus ist aus falsa forrmdine (442) herausgesponnen und in den aus Ov. ars 3,604 {ut sis liberior Thaide, fìnse metus) gewonnenen Ausdruck ne ... fìnse metus gekleidet, der an seinem neuen Platz dem Verb fingere eine ungewöhnliche Bedeutung abverlangt, hier also deutlich sekundär ist 3 . Auch der Halbvers immemor est nostri4 verrät die Diktion Ovids, vgl. trist. 1,1,17 siquis, ut in populo, nostri non inmemor illi\ Pont. 4,15,1 si quis adhuc usquam nostri non inmemor extat: Montanus zitiert also in [Aen.] 7,439 einen markanten Versschluß aus dem ersten und letzten Exilgedicht. Vorausgeht met. 8,582 inmemore s nostri festas duxere choreas-, vgl. Pont. 4,6,43f. Erst wenn der Einschub weicht, kann die Apostrophe o mater (441) noch ihre Funktion im Satzzusammenhang erfüllen; sie kommt ohnehin reichlich spät, vgl. 12,74; 7,360 (o genitor). Kurz danach kommentiert Montanus den etwas knappen Ausdruck arma | regum inter (44If.) in den beiden von ihm hinzugesetzten Versen 443f. Schon Forbiger hatte die genannte Floskel von 441 f. m.E. zutreffend im Sinne von "ergo in rebus, quae regibus curandae sunt, non tibi" erläutert. Sie ist in 443f. ein weiteres Mal, jedoch breiter, formuliert. Doch ist der Gedanke in 444 schief geraten (siehe Heyne ad loc. und Ribbeck 82, der quis bella gerendo für eine spätere Auffüllung eines "Halbverses" ansieht), weil Montanus mehrere Musterverse kontaminiert hat, darunter den wenig später folgenden Abschlußvers der Allecto-Rede (455 bella manu letumaue eero). Aus dem dortigen Doppelglied hat er das Gegensatzpaar bella ... pacemaue sereni gemacht (vielleicht nach 9,279 seu pacem seu bella seram) und damit den Vers 6,890 (exim bella viro memorai quae deinde serenda) kombiniert, vermutlich zugleich an die in met. 12,475f. vorliegende sarkastische Antithese gedacht: i, cape cum calathis et stamina pollice torque; | bella relinque virisi5 An die

1

2 3

Vgl. ferner Sparrow 35; Berres 1992, 131f. (unbefriedigend). Günther (23ff.) glaubt, Vergil habe in den Reden des Turnus und der Allecto "nur zwei Fragmente verfaßt (...), die jeweils auch noch unvollendete Verse enthalten", es handle sich um "eine grobe Skizze". Das Attribut ist unbegründet. Er erscheint in der Dichtung sonst nur noch zweimal als Vergilzitat. Vergleichbar ist die Verwendung von fingere ~ efficere in [Prop.] 3,1,23, s. das Register. Von anderer Art

sind die folgenden Stellen: Prop. 1,12,1 quid mihi desidiae non cessas fingere crimen-, 3,11,3; Tib. 1,5,19f. at mihi felicem vitam ... | fìngebam demens\ 1,5,35 haec mihi fingebam: 1,8,65 dum mihi venturam fìngo: Ον. met. 13,67. 935; 14,213; trist. 4,2,67. 4

5

Er kehrt ähnlich in epist. 21,66 (immemor es nostri) wieder, auch dort im Verein mit dem

Verb fingere (65 elige quid fingas). Zum Ausdruck vgl. auch Ov. ars 3,16 tottdem lustris bella gerente viro.

210

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Stelle der typischen Frauenarbeit setzt Montanus in 443 die (bereits in 7,419 fit CalybeIunonis anus templique sacerdos) umschriebene Aufgabe der Seherin. Die Versklausel dürfte aus fast. 4,225 {fume sibi servari voluit, sua templa tuen) geholt, die Konstruktion cura ... tueri nach ecl. 8,89 cura mederi (einer Versklausel!) geformt sein; die Junktur divum effigies hat eine einzige Parallele in Aen. 3,148 effieies sacrae divum Phrygiique penates. Ist mit der hier postulierten Form die ursprüngliche Traum-Rede des Turnus (die - eben weil es sich um Traum-Worte handelt - nicht breit ausgedehnt gewesen sein kann) wiedergewonnen, so sieht man, daß sie sich auf knapp 5 Verse beschränkt - ein Maß, dem Vergil offensichtlich die unvollständig hinterlassene Antwort der Allecto (3ΧΛ Verse)1 später anzupassen gedachte, wie er dies auch sonst häufig bei Entsprechungsreden getan hat (s. S. 198). Wie die Allecto-Amata-Szene (7,34Iff.) ist also auch die AllectoTurnus-Szene (7,406ff.) aus einem Guß. Lediglich die Angleichung der beiden kurzen direkten Reden hat Vergil auf die Endredaktion aufgespart, indem er wie in 7,248 - die zweite Rede zunächst mit einem "Halbvers" enden und sich von seinem dichterischen Impetus weitertreiben ließ, dessen Schwung er nicht durch ein Verweilen bei einem Detailproblem gefährden wollte. Andererseits aber konnte Montanus in dem Halbvers 455 eine Rechtfertigung sehen, seinerseits in 438f. einen Gedanken einzuschieben, der ebenfalls mit einem Halbvers endete und so echt vergilische 'Patina' vermittelte. Somit haben sich bei keinem der 6 'Halbverse' des 7. Aeneisbuches die Hypothesen von Berres und Günther bewährt, in den unvollendet hinterlassenen Versen Indizien nachträglicher Zusätze von der Hand Vergils zu erblicken, sei es, daß die auf den 'Halbvers' folgende Textpartie (so Berres) oder die dem 'Halbvers' voraufgehende (so Günther) als späterer Zusatz Vergils deklariert wird. Vielmehr sind die drei vergilischen Halbverse (129. 248. 455) jeweils am Ende von Reden stehen geblieben, die Vergil offenbar bei der Schlußredaktion längenmäßig auf parallele Reden abstimmen wollte, während zwei der drei 'Halbverse' des Montanus (439 und 760) das Ende kurzer Zusätze im Umfange von jeweils 1V4 Versen bilden, der dritte (702) den nachdrücklichen Schluß eines zusätzlichen Gleichnisses, das er aus seinem stark ausgeprägten Schmuckbedürfnis heraus eingeschaltet hat - analog den von ihm geschaffenen Doppelgleichnissen in [Aen.] 11,456ff. ; 5,588-595 (letzteres schließt ebenfalls mit einem Halbvers, v. ad loc.) und 10,707ff. (s. S. 559ff.).

Sie sollte ja nichts als eine sarkastische Replik der Turnus-Worte sein.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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c) Die 'Halbverse' 1,534; 2,767; 6,94; 8,41 Die vier weiteren 'Halbverse', die Günther S. 26ff. behandelt, gehen alle auf das Konto des Montanus. Für [Aen.] 1,534 und die beiden l'A Verse umfassenden Ergänzungen 6,93f. und 8,40f. ist dies im kritischen Kommentar ad locc. gezeigt; dagegen bespreche ich den unechten Passus [Aen.] 2,752-770 einschließlich des 'Halbverses' 2,767 bereits hier, damit der Leser schon in diesem Prolegomena-Band ein klares Bild vom Schluß des zweiten Buches erhält, der uns im nächsten Kapitel beschäftigen wird. In dem Halbvers 2,767 sieht Günther (36f.) das Ende des von Vergil nachträglich eingelegten Zusatzes 755-767, der einen ersten Entwurf zu einer Umarbeitung der Creusaszene darstelle. Wahrscheinlich sei beabsichtigt gewesen, die Verse 768ff. zu ersetzen, ja, "von einer Begegnung mit der entrückten Gattin überhaupt Abstand zu nehmen (...)". Es trifft jedoch nicht zu, daß - so Günther 36 - Vers 768 nahtlos an 754 anschlösse. Vielmehr fallen die Verse 768-770 mit den perfektischen Verbformen imple ν i und ν o cavi aus der zuvor ganz im Präsens gegebenen Schilderung heraus. Es liegt ein mit quin (einer beliebten Anknüpfungspartikel des Montanus) 1 eingeleiteter Neueinsatz vor, der zum vergilischen Text überleiten soll und sich deshalb in der Tempusgebung an dem perfektischen quaerenti ... visa mihi ante oculos ... imago von 77Iff. orientiert 2 . Auf eine Verfugung des Neueinsatzes mit dem 'Halbvers' 767 hat Montanus - nach vergilischer Manier - verzichtet und erweckt so den Eindruck, Vergil (hinter dessen Maske er sich ja verbirgt) habe diese zunächst zurückgestellt, weil es ihn zum Höhepunkt, der Erscheinung Creusas, drängte. Der 'Halbvers' hatte sich als das Ende einer längeren Beschreibung des Bildes ergeben, das sich dem Aeneas beim Anblick des Priamus-Palastes und des Junotempels bot. Er steht somit auf einer Ebene mit den 'Halbvers'Abschlüssen von Reden und Vergleichen, die jeweils die Tendenz zur Verselbständigung in sich bergen (s. S. 225ff.). Ich gebe nun den Passus im Zusammenhang:

1 2

Siehe S. 169. 213. 217. 229. 440. Die Verse 768-770 bergen die weitere Schwierigkeiten in sich, daß - wie Günther vermutet - ein stillschweigender Ortswechsel anzusetzen wäre. "Aeneas wird kaum in der Nähe von Phoenix und Odysseus Creusas Namen durch die Straßen gerufen haben, ohne bemerkt zu werden": diese plausible Überlegung Günthers (36) führt - bei der ganzen Anlage sowohl der Flucht aus dem brennenden Troja als auch der Rückkehr des Aeneas - zu dem Schluß, daß ein lautes Rufen überhaupt fehl am Platz ist (s.u.).

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Aen. 2,749. 752-770 2,738 740

745

749

752

755

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heu misero coniunx fatone erepta Creusa substitit, erravitne via seu lapsa resedit, incertum; nec post oculis est reddito nostris. nec prius amissam respexi animumve reflexi quam tumulum antiquae Cereris sedemque sacratam venimus: hic demum collectis omnibus una defuit, et comités natumque virumque fefellit. quem non incusavi amens hominumque deorumque, aut quid in eversa vidi crudelius urbe? Ascanium Anchisenque patrem Teucrosque penatis commendo sociis et curva valle recçndo: II [ipse urbem repeto et cineor1 fuleentibus armis1 λ stat casus renovare omnis omnemque revertí per Troiam et rursus caput obiectare periclis. [principio. muros obscuraque Urning portae. qua gressum extuleram3. repeto et vestisia retro observata seauor4 per noctem et lumine lustro5: horror ubique animo, simul ipsa silentia terrent. inde domum6, si forte1 pedem. si forte tulissefi. me re fero: inruerant Danai et tectum omne tenebant. ilicef ιignis edaxi0 summa ad fastieia"i r vento

Vgl. 671 hinc ferro accineor rursus. Der gleiche Versschluß in 6,217. 861; 10,550; 11,188; [12,275], Vgl. 2,657 mene efferre pedem ... ? Die wörtliche Reminiszenz zeigt, daß sich Montanus an dem Spähergang des Nisus und Euryalus orientiert hat, vgl. 9,390ff. 'Euryale infelix, qua te regione reliqui? | auave seauar?' rursus perplexum iter omne revolvens \ fallacis silvae simul et vestigia retro \ observata legit dumisque silentibus errat. Die Klausel scheint an Lucr. 5,575. 693 (lumine lustrans, vom Mond) orientiert; gemeint ist hier aber 'mit den Augen spähen', vgl. Aen. 8,153 totum lustrabat lumine corpus. Montanus zitiert den Satiriker Horaz (1,6,114f.): inde domum me | ad porri et ciceris refero laganique catinum. Anders als in 635f. (quem tollere in altos \ optabam primum montis primumque petebam). wo das doppelte primum auf zwei Verba aufgeteilt ist, liegt in dem doppelten si forte (pedem tulisset) eine gekünstelte Pathetik vor. Unter nahezu 220 Belegen für si forte in der Dichtung scheint es keine Parallele zu geben. Siehe Anm. 3 (2,657 mene efferre pedem ...?). Ilicet steht bereits in 2,424; danach in der Aeneis erst wieder 7,583 und 11,468 (Vers 8,223 steht in der unechten Partie [Aen.] 8,219-227. 230-232). Die Junktur scheint von Ovid in die Dichtung eingeführt: fast. 4,785; met. 9,202; 14,541; 15,872. Vgl. Manil. 4,254 qua retrahis ductas summa ad fastidia noctes; met. 2,3 fastigio summa (des Königspalasts des Sonnengottes).

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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volvitur1; exsuperant flammae1, furit aestus3 ad auras*. procedo e? Priami sedes6 arcemque reviso . et i am porticibus vacuis8lunonis asylo9 custodes lecti Phoenixlü et dirus Vlixes11 praedam adservabant. hue undique Troia eazan incensis erepta13 adytis, mensaeque deorum crateresque auro solidi14. captivaque vestís congeritur. pueri et pavidae lomo ordine15 matres16 stani circunv . ausus quin edam voces jactare18 per umbram impievi clamore vias19. maestusque Creusam nequiquam ingeminans iterumaue iterumaue vocavi.] quaerenti et tectis urbis sirte fine nienti infelix simulacrum atque ipsius umbra Creusae visa mihi ante oculos et nota maior imago.

Vgl. 3,196 contìnuo venti volvunt mare. Vgl. Montanus in [Aen.] 2,311 Vulcano superante domus (S. 508). Aus 1.107 furit aestus harenis. Eine gängige Klausel. Der ganze Vers scheint an das Gleichnis von 7,462ff. anzuklingen (vgl. die Stichworte fiamma, exsultantaue aestu. furit. exuberat. volai vapor ater ad auras). Vgl. Montanus in [Aen.] 3,349 procedo et parvam Troiam ... agnosco ([Aen.] 3,349-351 del. Zw.), aus 3,300 (progredior portu) und 356 (processif) kontaminiert, v. ad loc. 2,437 protinus ad sedes Priami... vocati. So im Vergil nur noch 2,795; also vorweggenommen. Nur noch 12,476. Der sonst erst bei Lucan (1,97) in der Dichtung belegte Begriff stammt auch in Aen. 8,342 von Montanus, v. ad loc. Spielt sonst in der Aeneis keine Rolle. Die gleiche Klausel et dirus Vlixes gehört auch in 261 dem Montanus ([Aen.] 2,254-269 del. Zw., v. ad loc.), ebenso der Versschluß duri miles Vlixi von [Aen.] 2,7. Nach 1,119 Troia eaza per undas. Vgl. 1,647 muñera ... Iliacis erepta ruinis. Wohl nach Varius Rufus, de morte (frg. 2: ineubet ut Tyriis atque ex solido bibal auro). s. S. 109. 269 Anm. 1. So in Aen. 6,482. 754; 8,722 (victae longo ordine gentes). Aus 8,592 stant pavidae in mûris maires: kombiniert scheint Aen. 6,306f. maires atque viri ... I ... pueri innuptaequepuellae. Vgl. ecl. 10,16 stant et oves circum: Aen. 4,509 stant arae circum (unecht ist 10,837 stant lecti circum iuvenes: [Aen.] 10,837-840 del. Zw., v. ad loc.). Austin verweist auf die beiden einzigen Belege aus der augusteischen Dichtung: ecl. 5,62f. ipsi laetitia voces ad sidera iactant \ intonsi montes (es handelt sich um ein Jauchzen vor Freude) und Aen. 10,322 voces dum iactat inertes (gemeint ist eitles Prahlen, vgl. 9,621 talia iactantem dictis ac dira canentem); ferner auf Liv. 1,46,1. Nach 3,313 implevit clamore locum (sc. Andromache)·, vgl. georg. 4,460f. at chorus aequalis Dryadum clamore supremos | implevit montis.

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Peerlkamp und Ribbeck haben zu Recht den Vers 749 getilgt; denn urbem repeto nimmt voraus, was erst in 750f. beschlossen wird1. Die Wappnung (cingorfulgentibus armis) bildet ein leeres Motiv; denn gewappnet war Aeneas schon 671 (s. S. 212 Anm. 1), Waffen aber benötigt er bei seiner Suche nicht, wie sich herausstellt; also widerstreitet es der vom Dichter sorgsam beachteten Ökonomie, ein solch überflüssiges Motiv einzuführen. Daß die Waffen aber gar stolz erglänzen, ist in diesem Zusammenhang der Trauer und Enttäuschung fehl am Platze (und für einen Spähergang nicht gerade von Vorteil, vgl. [Aen.] 9,373f.); dies lehrt ein Vergleich mit den S. 212 Anm. 2 aufgeführten Parallelen (dagegen ist beim Begräbnisritus der Glanz der Waffen, mit denen man den Toten ehrt, wohl angebracht, so in 6,217 und 11,188). Der Dramatik des Geschehens (Flucht durch die Dunkelheit [725ff.]; in der Nähe des Stadttors Flucht vor feindlichen Soldaten durch wegloses Gelände [730ff.]; Creusa geht verloren [738ff.]; Klage, Rückkehr und Suche nach der Verlorenen [745ff.], Creusas Schattenbild erscheint [772f.]) hat der echte Vergil durch eine knappe Darstellung Rechnung getragen. Insbesondere den Schlußabschnitt, die Suche, hat er in einem einzigen klangvollen (reimenden) Vers zusammengedrängt (771), dessen rahmende Partizipia (guaerenti et... nienti, sc. mihi) direkt auf die rahmenden Verba commendo ... et... recondo des Verses 748 zurückblicken. Dieser vom Dichter erstrebte Kontakt ist außer durch Vers 749 - durch einen langen Einschub unterbrochen, in dem der Interpolator die summarisch durch Vers 771 wiedergegebene Suche detailliert entfaltet2. Station für Station verfolgt er den Weg des Aeneas zurück: von der Stadtmauer und dem Stadttor zum Haus des Anchises (das die Danaer besetzt halten), von dort zum Priamuspalast und der Akropolis, wo in den leeren Säulenhallen, dem Heiligtum der Juno, Phoenix und Ulixes die Beute bewachen, die Schätze Trojas, die nun im einzelnen aufgeführt werden. Auf diese optischen Wahrnehmungen (754 lumi η e lustro) folgen jetzt akustische Signale (768 quin etiam voces, 769 impievi clamore ν i as), die allgemein genug gehalten sind, daß eine passable Verknüpfung mit dem summarischen Vers 771 erfolgen kann. Dieser gibt aber durch tectis urbis sine fine ruenti deutlich zu erkennen, daß keine systematische Beschreibung der Rückkehr in die Stadt vorausgeht. Zudem sind die in 752ff. angegebenen Stationen wenig sinnvoll; denn Aeneas war mit seinen Angehörigen vom Haus des Anchises (das - wie wir aus 299ff. wissen - abseits, an der Peripherie der Stadt lag) in Richtung Stadttor aufgebrochen und hatte sich in der Nähe des Mauerrings (der ja inzwischen zerstört war) über wegloses Gelände zum

Zu stat casus renovare vergleicht Austin 12,678 stat conferre manum Aeneae. Dabei wiederholt er den in 748 durch die Rahmung erzielten Klang in 760 (procedo et... reviso). Wo also Vergil selbst zwischen 771 und 748 variiert, kopiert der Interpolator sein Vorbild.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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Ceresheiligtum durchgeschlagen. Da Creusa verlorenging, als er dieses weglose Gelände im Lauf durchquerte und nota ... regione viarum abwich (736f.), erscheint es wenig sinnvoll, daß er auch noch vom Haus des Anchises, dem Ausgangspunkt ihrer Flucht, den Weg zum Priamuspalast und zur Akropolis (d.h. also in die Innenstadt) einschlägt, wo doch 318ff. das Haus des Anchises sich deshalb anbot, die aus der Akropolis (und der Innenstadt) geretteten Götterbilder aufzunehmen, weil es abseits, am Rande der Stadt lag 1 . Man wird zudem annehmen dürfen, daß die genaueren Ortsangaben bei der ersten Beschreibung des Weges erfolgen, nicht aber bei der Schilderung der hastigen Rückkehr. Vergil hat sich aber in 725ff. bewußt allgemein geäußert wie es für eine nächtliche Flucht aus der Stadtperipherie zu einem Landheiligtum angemessen ist: per opaca locorum (725), iamque propinquabam portis (730), avia ... sequor (736f.). Die erregte Spannung, in der (728f.) omnes terrent aurae, sonus excitât omnis | suspensum (sc. Aeneari), hat der Interpolator (vergröbernd) in seinen Vers 755 eingefangen: horror ubique animo, simul ipsa silentia terrent. Das Hemistich ist elliptisch und führt durch den Begriff horror eine 'montanische' Abundanz2 zu dem wörtlich übernommenen Verb terrent ein. Gut montanisch ist auch die Ersetzung von sonus ... omnis durch ipsa silentia : Fragment II des Montanus lautet (2,2) iam dare sopitis noxpigra silentia terris | incipit (s. S. 289. 293. 407) 3 . Aus den Anmerkungen wird zudem die für Montanus typische Pasticciotechnik des eingeschobenen Abschnitts deutlich. Stellvertretend für vieles sei die Aufspaltung des Satzes Danaiaue obsessa tenebant I limina portarum von 2,802f. auf die Klausel von 2,752 (limina portae) und auf die zweite Hälfte von Vers 2,757 (Danai et tectum omne tenebant) genannt, in die zugleich die von Montanus selbst knapp achtzig Verse zuvor geprägte Klausel von [Aen.] 2,679 (tectum omne replebat) eingewoben ist4. In seiner theatralischen Art

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Nachträglich lese ich bei Wagner (37): "Was will denn Aeneas am Palast des Priamus? Dort konnte er Creusa doch nur als Gefangene wiedertreffen und dazu durfte er sich doch nicht der größten Gefahr aussetzen; denn jetzt - das ist der Unterschied zu der Situation in den Versen 560ff. - hat er ja eine Aufgabe zu erfüllen und die Pflicht, sein Leben nicht geradezu leichtsinnig aus Spiel zu setzen. " Siehe das Register. Den interpolierten Vergil imitiert Val. Flaccus (2,41 ipsa quies rerum mundique silentia terrent). M. Deufert hat gezeigt, daß der ganze Abschnitt [Aen.] 2,655-679 unecht ist: Seit die göttliche Mutter Venus dem Aeneas in 594ff. den Schutz von Vater, Gattin und Kind aufgetragen habe, erfülle dieser unbeirrt diesen Auftrag (632ff.). Für ein erneutes Ausrücken in den Kampf (vgl. 655. 671 f.), was ja die Preisgabe der ihm Anvertrauten bedeutete, gebe die besonnene Anchises-Rede 638-640 keinen Anlaß. Der ganze Passus (zumal die Creusa-Rede 675ff.) habe etwas Melodramatisches, die Aeneasrede werde spätestens ab 664 unverständlich, verliere sich in leere Kampf- und Drohgebärden, die von Bezeugungen der Todesentschlossenheit begleitet seien, was alles nichts mit der ihm übertragenen

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

läßt Montanus just in dem Augenblick die Flammen zum Dachfirst (und von dort zum Himmel) emporschlagen, als Aeneas zum Haus seines Vaters Anchises zurückkommt (2,758f.): Wir erkennen den gleichen expressionistischen Dichter, der im 3. Buch gerade dann einen Aetnaausbruch simuliert (und in hypertrophen Worten schildert), als sich die Trojaner an der Küste, zu Füßen des Berges, gelagert haben, s. S. 123. Die Wahl des unspezifischen voces jactare (s. S. 213 Anm. 18) verrät wiederum die fremde Hand (Montanus), die den Helena-Zusatz mit dem Vers [Aen.] 2,588 (talia iactabam etfiiriata mente ferebar) abgeschlossen hat. Auch in der emphatischen Folge voces iactare - impievi clamore vias - yocayi hören wir den Montanus, der in [Aen.] 4,460 die aus dem Marmortempelchen im Haus der Dido dringenden Stimmen des toten Sychaeus abundant durch hinc exaudiri voces et yerba ypcantis umschreibt1. Die Junktur per umbram (768) und den Namen Creusa (769) hat er aus 772 - unvorteilhaft - nach vorne gezogen. Inmontanischer Abundanz schreibt er ingeminans iterumque iterumque (770), während der echte Vergil z.B. das pausenlose Dreinschlagen mit den Fäusten im Boxkampf durch einfaches ingeminans ictus (5,457) wiedergibt. Die Floskel iterumque iterumque aber hat Montanus einmal - einzig in der einschlägigen Dichtung - bei Ovid finden können (met. 11,619) und sie dann in [ars] 2,127 (ν. ad loc.), Epiced. Drusi 219 (te clamore vocatif iterumque iterumque supremo) und in den beiden Vergilzusätzen [Aen.] 2,770

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verantwortungsvollen Aufgabe zu tun habe. Man könne auch erkennen, daß Montanus (wie öfter) am unteren Ende seines Einschubs auf den originalen Text am oberen Rand zurückgreife, um den Zusatz passend einzugliedern, hier durch die Wiederholung von talia aus 650 in 679 (talia vociferans steht ebenso in 10,651 am Versbeginn) und die Abwandlung von 65lf. (effusi lacrimis coniunxque Creusa | Ascanius omnisque domus) in eemitu tectum omne replebat, sc. Creusa (679). Vers 680 füge sich gut an 654, die Situation von 650-654 werde passend durch 681 (manus inter maestorumque ora parentum) fortgeführt, wogegen Vers 681 nicht zu 671-678 stimme. Diese inhaltlichen Anstöße werden durch sprachlichstilistische (man beachte nur die Wiederholungen von rursus [655. 671], pater bzw. patrius [653. 658. 663-666. 674. 678], sanguine [662. 667], periturus [660. 675], Ascanius [652. 666], Iulus [674. 677. 682], insbesondere die Vorwegnahme der Klausel parvus lulus von 710 in 677, ferner das anaphorische utque am empfindlichen Versende in 665) und nicht weniger als fünf metrisch-prosodische Unregelmäßigkeiten (in den Versen 658. 663. 667. 676) untermauert, s. S. 417 Anm. 4. Die Junktur tectum omne scheint in der Dichtung nur bei Montanus zu begegnen, zweimal in identischer, einmal in leicht abgewandelter Versklausel : [Aen.] 2,679 = [Aen.] 7,502 tectum omne replebat; [Aen.] 2,757 tectum omne tenebant. Siehe S. 489ff. Er mag dabei an Ovids Echo gedacht haben, die met. 3,369 ingeminat voces auditaque verba reportât (zu ingeminat gleich anschließend). Vgl. 2,769f. impievi clamore vias ... | ... iterumque iterumque voçavi: es spricht der gleiche Dichter.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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und 3,436 (die Verse 3,435f. sind unecht)1 wiederverwendet. Von ihm stammt auch das singuläre iterum atque iterum in [Aen.] 8,527 (v. ad loc.). Ein letztes Indiz dafür, daß hier eine Interpolation vorliegt, ist die Stellung von quin etiam in 2,768: Die Steigerungspartikel steht in aller Regel am Beginn des Hexameters 2 ; mit dem zweiten Daktylus beginnt sie lediglich Lucr. 1,731 und sechsmal bei Montanus 3 : Epiced. Drusi 405 sidera quin etiam ma vigilantia

caelo fugisse feruntur; epist. 1 8 , 3 1 lumina quin etiam sumturre-, D i r a e 150 aurea quin etiam cum saecula volvebantur,

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Montanus vermißte eine eigene Apodosis zu den drei ίΐ-Sätzen, die aber ganz unnötig ist. Zugleich wollte er den Nachdruck der Helenus-Weisung noch weiter steigern, erreicht aber nach dem dreifachen si - si - si, auf das anaphorisches Iunonis - lunotti folgt, durch den überladenen Satz unum illud tibi, nate dea, proque omnibus unum \ praedicam et repetens iterumque iterumque monebo eher das Gegenteil : Den Eindruck einer langatmigen Tautologie, indem sowohl proque omnibus neben doppeltem unum als auch der ganze Satz et repetens ... monebo neben dem Verb praedicam überflüssig ist. In repetens iterumque iterumque monebo (3,436) zeigt sich die gleiche Handschrift wie in ineeminans iterumque iterumque vocavi (2,770). Erst beim 'Vergil'- Imitator Silius findet sich innerhalb der einschlägigen Dichtung das prosaisch klingende presque) omnibus ein weiteres Mal (16,17), allerdings attributiv {proque omnibus armis). Auch praedicere in der Bedeutung 'vorschreiben', 'mahnen zu' ist unvergilisch und scheint in der Dichtung erst bei Manilius (3,174) aufzutauchen. Die ganze zweizeilige Beteuerungsformel ist auch deswegen unverhältnismäßig, weil es nicht um eine grundsätzliche Haltung gegenüber der Göttin Juno geht, sondern um ein einmaliges, vor der Umfahrt um Sizilien darzubringendes Opfer, vgl. 546f. (praeceptisque Heleni, dederat quae maxima, rite \ Iunoni Argivae iussos adolemus honores. [Wie man sieht, hat Montanus Vergils praecepta durch praedicere wiedergegeben, stattpraecipere zu benutzen.]). Der Interpolator aber hat daraus eine grundsätzliche moralisierende Mahnung gemacht, wie er dies mit viel Emphase auch etwa in [georg.] 1,338 (in primis venerare deos, etc.: [georg.] 1,338-350 sind unecht) und in [georg.] l,100f. (umida solstitia atque Mernes orate serenas, \ agricolae: [georg.] 1,100-103 del. Ribbeck) getan hat, v. ad locc.

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Ich gebe die Zahlen für die folgenden Dichter: Lukrez (14:1); Vergil, georg. (2:0), Aen. (5:2 [beide Ausnahmen sind unecht]); Aetna (4:1); Ciris (1:0); Dirae (0:1); Properz 6:0 [2,34,93 scheint korrupt]; Tibull (6:0 [davon 3 in Ps.-Tib.]); Ovid, am. (1:0), ars (1:0), rem. (2:0), met. (2:0), fast. (1:0), trist. (1:0), Pont. (1:0); Ps.-Ov. hai. (1:0), Nux (1:0); Montanus, Epiced. Drusi (1:1); Germanicus, Arat. (1:0); Manilius (15:0). R. Cramer hat die schöne Beobachtung gemacht, daß das einzige mit dem zweiten Daktylus beginnende quin etiam außerhalb des montanischen Werkes, der hier genannte lukrezische Beleg, "in einem Zusammenhang steht, in dem kurz zuvor ein Ausbruch des Aetna beschrieben worden ist, bei dem der Aetna zunächst bedrohlich grummelt, dann Feuer speit und schließlich den Flammenschein bis zum Himmel emporsteigen läßt (1,722-725; vgl. Aen. 2,758f.), und sich kurz darauf eine Aufzählung findet (1,742ff. : primum ... deinde ... hue accedit ... deinde ...), die dort ebenso passend erscheint, wie ihr Gegenstück Aen. 2,751ff. (principio [vgl. prineipiis Lucr. 1,740) ... inde ... procedo ...) befremdet." Die Lukrezstelle bildet also sowohl in dem Feuermotiv als auch in einzelnen sprachlichen und strukturellen Elementen das unmittelbare Muster des Montanus.

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Aetna 123 flumina quin etiam latis currentia rivis; [Aen.] 2,768 und [Aen.] 8.4851. Die Hypothese, daß Vergil damit begonnen hatte, seine ursprüngliche Fassung umzuarbeiten, und dabei möglicherweise die Begegnung mit der entrückten Gattin überhaupt streichen wollte, hat sich also nicht bewährt: Der Ausgangspunkt für diese These Günthers, der 'Halbvers' 2,767, geht zusammen mit dem ganzen Passus 2,752-770 auf das Konto des Montanus.

d) Der 'Halbvers' 2,787 und die Chronologie der Bücher II und III Auch der Widerspruch zwischen der Verkündigung des konkreten Fahrtziels 'Hesperien-Tiber' durch Creusa am Ende des 2. Buches und der Konzeption der allmählichen Erhellung des Fahrtzieles im 3. Buch2 löst sich mit der Annahme, daß Montanus den ursprünglichen Vergil verfälscht hat: er ist ebenso für die Verse 2,780-787 verantwortlich wie für 2,774f. (s. S. 56ff.) und 2,792-794 (s. S. 57 Anm. 2). 2,771

quaerenti et tectis urbis sine fine ruenti infelix simulacrum atque ipsius umbra Creusae 773 visa mihi ante oculos et nota maior imago: 776 'quid tantum insano iuvat indulgere dolori, o dulcís coniunx ? non haec sine numine divum eveniunt; nec te hinc comitem asportare Creusam fas, aut ille sinit superi regnator, Olympi;

Die Figur der praeteritio in 8,483f. (quid memorem infandas caedes, quid facta tyranni | effera?) mit der abschließenden Verwünschung di capiti ipsius generique reservent! (484) verbietet es, daß ein steigerndes Detail angeschlossen wird: 8,485 [mortua quin etiam iungebat corpora vivis compotiens manibusque manus atque oribus ora, tormenti genus, et sanie taboque fluentis 488 complexu in misero longa sic morte neçabat.] Vielmehr fahrt der echte Vergil sofort mit der Reaktion der Bürger auf die Grausamkeiten des Mezentius fort (489ff.): at fessi tandem cives infonda furentem | armati circumsistunt ipsumque domumque, etc. Die eingeschobene speziell etruskische Tortur dürfte Montanus aus dem Deklamationssaal vertraut gewesen sein. Cicero beschrieb sie im Hortensius (frg. 95M.) in der Nachfolge des Aristoteles in Formulierungen, die Montanus teilweise aufgegriffen haben könnte; vgl. bes. ... crude lítate excogitata necabantur: quorum corpora viva cum mortuis. adversa adversis acçommodata, quam aptissime çolligabantur: sic nostros ánimos cum corporibus çppulatos ut vivos cum mortuis esse coniunctos. R. Cramer verweist auf Val. Max. 9,2 ext. 10. Zu tormenti genus (487) bemerkt Fordyce zu Recht: "the phrase is strangely prosaic"! Siehe Günther 37 und 54ff.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

780

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[longa tibi exsilia1 et vastum maris aeauor arandum2. et terram Hesperianι3 venies, ubi Lydius4 arva inter opima virum5 leni fíuit gemine6 Thybris. illic res laetae1 regnumque et re eiaconjuro? parta tib?; lacrimas dilectae pelle10 Creusae ".

785

non eeo Mvrmidonum sedes Dolopumve superbas

787

aspiciam aut Grais servitum matribus Dardanis et divae Veneris nurus, ]

ibo,

sed me magna deum.genetrix his detìnet oris,

791 795

iamque vale et nati serva communis amorem. ' haec ubi dieta dedit, lacrimantem et multa volentem dicere deseruit, tenuisque recessit in auras. sic demum socios consumpta nocte reviso.

Schon beim ersten Blick fállt auf, daß der unvollendete Vers 787 nicht den Schluß einer selbständigen Gedankeneinheit bildet, wie dies beim echten Vergil jeweils der Fall zu sein scheint, sondern Teil einer no/z-ied-Opposition ist (785/788). Ferner weckt das singuläre Dardanis Verdacht: nirgends sonst erscheint Dardanis als Substantiv, nirgends sonst wird eine Priamus-Tochter als Dardanis bezeichnet. Beim echten Vergil begegnen nur die Formen Darda-

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Die Junktur erscheint in der einschlägigen Dichtung zuerst bei Ovid (met. 8,183f. Daedalus ... Creten loneumaue perosus \ exilium); danach Sen. Phoen 466 longo parentem fessus exilio vides und Val. Fl. 5,685f. inopis post longa senectae \ exilia (vielleicht in Kenntnis des 'Vergil'-Verses). - Eine gewisse Härte liegt hier in der nicht leicht erkennbaren Ellipse von adeunda sunt bzw. e runt. Aus 3,495 vobis parta quies: nullum maris aeauor arandum. Der echte Vergil hat in 3,163 Hesperiam; es folgt im nächsten Vers terra antiqua; Montanus scheint beides kombiniert zu haben. Die Junktur findet sich erst bei Lucan (3,4) wieder: solus ab Hesperia non flexit lumina terra. Lydius ... Thybris scheint nur (in Anlehnung an diese Stelle?) bei Statius belegt (silv. 1,2,190). Eine problematische Kombination aus Lucr. 1,728 (Sicilia) rebus opima bonis, multa munita virum vi und georg. 2,173f. magna parens frugum, Saturnia tellus, \ magna virum. Ausgangspunkt für die Verse [Aen.] 2,781f. war die Prophetie der Penaten in 3,163ff. Von dort führte der Weg dann leicht auf Lucr. 1,728 (s. Cramers Beobachtung S. 217 Anm. 3) und georg. 2,173f. Ein Enniuszitat: ann. 173 quod per amoenam urbem leni fluit aemine flumen. Die Junktur erscheint zuerst Ov. Pont. 4,4,15 laetarum venio tibi nuntia rerum {fama); danach bei Seneca (Tro 3 rebus laetis; Thy 939). Die Klausel ist aus 11,371 geholt (vgl. 7,56); sie erscheint auch bei Ovid und ist von Montanus ein weiteres Mal in [Ον.] epist. 12,105 genutzt. Nach 6,89 alius Latió iam partus Achilles. Eine singuläre Junktur! Vgl. dagegen pelle timorés (5,812), metus, curas, moras etc. ; aber lacrimas tenere, con-, retiñere, supprimere, sistere. Die zweite Vershälfte klingt wie [Ον.] epist. 19,205 si tibi non parcis, dilectae parce puellae (wir hören den gleichen Dichter!).

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

nus (substantivisch und adjektivisch), Dardanius und Dardartides (sing.), Dardanidae (plur.), -dum, -dis. Beide Belege für Dardanus = Aeneas ([Aen.] 4,662; 11,287) sind ebenfalls unecht1. Wir dürfen vermuten, daß wir hier den gleichen Bearbeiter am Werk sehen. Erinnert sei an das singuläre Hesperidum (= Italicarum) ... regnator aquarum von [Aen.] 8,77 (v. ad loc.) und an das ebenfalls einzigartige substantivierte Cisseis in [Aen.] 7,320 (s. S. 413. 506). Außerhalb des Vergilcorpus lesen wir bei Ovid Dardanidas matres (met. 13,412), bei Martial (der den erweiterten 'Vergil' vor sich hat) non blanda Circe Dardanisve Caieta (10,30,8) und in [Ον.] epist. 7,1 den Vokativ Dardanide, der bei Silius (16,191 Dardanide pulcherrime) wiederkehrt. Die Junktur diva Venus hat ein einziges Vorbild bei Catull (66,89f.); doch scheint die Veneris nurus wieder eine Erfindung des Montanus, der sie hier auf Creusa, in [Ον.] epist. 7,31f. aber gar auf Dido überträgt: parce, Venus, nurui durumque amplectere fratrem, | frater Amor. Aus dem interpolierten Vergil oder dem Heroidenbrief des Montanus hat S i l i u s zweimal Veneris nurus (8,143; 13,809)2, S t a t i u s die divae Veneris ... filia (Theb. 3,289) übernommen. Die Kombination Grais ... mat rib us - Veneris nurus scheint eine (nicht geradlinige) Antithese 'Mutter-Schwiegertochter' zu konstituieren, obwohl wenig später (797) matres einfach 'Frauen' bedeutet (ebenso 5,622 u. ö.), so wie nurus in 501. Nimmt man die Verba aspiciam und servitum ibo hinzu, erinnern die Verse 785-787 stark an den Passus [Aen.] 2,577580 der unechten Helenaepisode: scilicet haec Spartam incolumis patriasque My cenas | aspiciet. partoque ibit regina triumpho (vgl. 783f. regia coniunx | parta tibi) | ... | lliadum turba et Phrygiis comitata ministris? Der Vers 785 ist überdies einigermaßen gewaltsam aus zwei jeweils zerschnittenen Vorbildstellen zusammengesetzt, deren aufgespaltene Elemente in künstlich verschränkter Form kombiniert werden; man vergleiche mit dem im Abdruck markierten Text die Bezugsverse [Aen.] 2,6ff. (quis talia fando \ Myrmidonurn Dolopumve aut duri miles Vlixi \ temperet a lacrimisJf und Catull. 64,85 (magnanimum ad Minoa venit sedesaue superbas). Ein Supinum (entsprechend dem servitum) in Verbindung mit dem Futur von ire findet sich in der einschlägigen Dichtung kein weiteres Mal4. Zusammen mit den in den Anmerkungen nachgewiesenen Floskeln aus Vergil, Ovid, Ennius und Lukrez geben die in 785 bezeichneten Catull- und Montanusreminiszenzen dem Passus ein stark centonenartiges Gepräge. Doch wichtiger ist der gedankliche Bruch in der überlieferten Doppelantithese: Die oben durch Fettdruck herausgehobene echt vergilische (778f./788) ist aus 1 2 3 4

Siehe zu [Aen.] 4,659-662 und zu [Aen.] 11,236-301. In 8,143 nennt sich so Dido, in 13,809 ist Lavinia gemeint. Die Verse [Aen.] 2,4-9 sind unecht, gehören dem Montanus. Horaz hat im sermo pedester einmal lavatura ... ibis (sat. l,3,137f.).

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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einem Guß: Schicksalsbestimmung und der Herrscher im himmlischen Olymp verwehren es dem Aeneas, Creusa als seine Gefahrtin aus Troja wegzuführen; vielmehr hält die große Göttermutter Kybele sie fest an diesem Ort. Auch formal sind die beiden Sätze deutlich als eine einheitliche Periode konzipiert 1 . Demgegenüber hat die Antithese non ego (785ff. : mir bleibt das Los der Knechtschaft erspart) - sed me (788: vielmehr hält mich Kybele hier an diesen Gefilden fest) schon den antiken Kommentatoren Schwierigkeiten bereitet, jedenfalls in der Anknüpfung nach oben (783f. illic res laetae regnumque et regia coniunx | parta tibi; lacrimas dilectae pelle Creusae). Servius hat folgenden Eintrag zur Stelle: LACRIMAS ... CREVSAE melius ad posteriora referimus, ut dicat: noli flere, nec enim captiva sum. male enim plerique dicunt, quia habes uxorem paratam. Doch bleibt der Übergang des Gedankens von 783f. nach 785ff. in jedem Falle schwierig, wie man aus der detaillierten Diskussion der verschiedenen Vorschläge bei Berres 1982, 115ff. ersehen kann. Der Zusatz 780-787 ist in sich inhomogen, insofern er in 780 etwas für Aeneas Bedrohliches aussagt (man vergleiche die Ursprungsstelle des Zitats, 3,495), in 781-784a aber dem Aeneas ein erstrebenswertes Ziel vor Augen stellt, unmittelbar anschließend jedoch - abrupt - ihm Abschiedstränen um seine geliebte Creusa zuschreibt, die er aber zurückdrängen solle, weil seiner Gattin nicht das Los der anderen Troerinnen widerfahre, griechischen Herrinnen in die Knechtschaft folgen zu müssen - was ja in der Tat eine Zumutung darstelle für eine Frau aus dem Geschlecht des Dardanus, die noch dazu Schwiegertochter der Venus sei! Dieses vielschichtige Gebilde läßt sich nicht glatt in die Grundantithese des vergilischen Textes fügen, die einfach und lapidar auf den Gegensatz non asportare sinit - sed detinet gestellt ist: Die Götter gestatten dem Aeneas nicht, seine Gattin aus dem brennenden Troia wegzuführen, sondern halten sie an ihrem Ort fest. Mit dieser für ihn schmerzlichen Auskunft Creusas, die ihn in Tränen und dem vergeblichen Bemühen, zu ihr zu sprechen, zurückläßt (790f.), vertragen sich nicht die unmittelbar vorhergehenden Verse, die ihm Trost spenden sollen mit dem Hinweis, Creusa werde nicht gezwungen, in griechische Knechtschaft zu ziehen 2 . Dieses Los bliebe ihr ja auch erspart, wenn sie gemeinsam mit ihrem Mann fliehen dürfte! In sed detinet liegt für ihn das unabänderliche Geschick der schmerzlichen Trennung von der Gattin beschlossen. Das Gegenglied dazu kann nur non asportare sinit lauten, nicht aber non ... servitum ibo, was ja soviel wie non servitum ire cogor bedeutet! 3

Man beachte die Entsprechungen nec te ... Creusam - sed me, hinc - his ... oris, comitem asportare - detinet, superi resnator Olymp i - magna de um genet rix. Erinnert sei an die Klage der Andromache in 3,294ff., bes. 321ff. Der vergilischen Antithese vergleichbar ist die dem Gallus in den Mund gelegte der 10. Ekloge, s. ecl. 10,44ff. nunc insanus amor duri me Marris in armis \ tela inter media atque

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Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Der für die Handlungsstruktur entscheidende Sinn der Erscheinung Creusas am Ende des 2. Buches liegt darin, Vergils Abweichen von der gängigen Sagentradition zu motivieren: Während ursprünglich Aeneas mit Vater, Frau und Kind das brennende Troja verließ, und noch Naevius in einem erhaltenen Fragment erzählt: amborum uxores \ noctu Troiad exibant capitibus opertis, | flentes ambae, abeuntes lacrimis cum multis\ konnte Vergil in seinem von Homer und Apollonios Rhodios bestimmten Plan einer Liebesverwicklung zwischen Aeneas und Dido (und der späteren Gattin Lavinia) den Aeneas nicht länger durch die Gattin Creusa gebunden sein lassen. Also griff er zu einer anderen Sagentradition und mußte dies seinem Leser ausdrücklich begründen. Dieser Zwang rechtfertigt die Schlußszene des zweiten Buches zur Genüge. Die Prophezeiung des künftigen Schicksals des Aeneas ist nicht Creusas Sache. Dafür sind gewichtigere Instanzen vorgesehen: divum auguria (3,5), der gryneische Apollo und lykische Orakelsprüche (4,345f.), die göttliche Mutter (1,382), Prodigien und Weissagungen, das Apolloorakel inDelos (3,84ff.), die phrygischen Penaten (3,147ff.), die von Apollo unterwiesene Celaeno (3,245ff.), der Apollopriester Helenus (3,374ff.), die Sibylle von Cumae (6,42ff.), Anchises in der Unterwelt. Auch der Schatten des Anchises, der den Aeneas in der Nacht aufsucht, hat nur eine sehr beschränkte Funktion (4,35Iff.; 5,722ff.), obwohl er in 5,722 im Auftrag Jupiters kommt. Hält man sich demgegenüber die bescheidene Rolle, die Creusa spielt, vor Augen, wird man eine so schicksalsträchtige Prophezeiung in ihrem Munde unangemessen finden. Sie erscheint sonst nur als die schutzbedürftige Gattin im Kreise des altersschwachen Anchises und des Knaben Ascanius (2,596ff. 65lf. 665ff. 673ff.), die auf der nächtlichen Flucht in einem gewissen Abstand folgt (2,711. 725 pone subit coniunx) und in einem plötzlichen Tumult verlorengeht oder entrückt wird (738). Sie ist die liebende Gattin und hegende Mutter: In diesem engen Bezirk erfüllt sich ihre Aufgabe. Dem entspricht ganz ihre Anrede o dulcís coniunx in 777 und ihre Abschiedsbitte, der Vater möge die Liebe zum gemeinsamen Sohn bewahren (789). Die Verkündigung weltgeschichtlicher Visionen, wie sie in 2,780ff. in nuce enthalten sind, fügt sich nicht diesen aufs Familiäre und Zwischenmenschliche gestimmten Tönen. Und wie sollte man sich die Reaktion der Dido vorstellen, wenn dem erzählenden Aeneas in seiner Iliupersis durch Creusas Schatten verkündet wird: regia coniunx | parta tibi? Dies dürfte kaum der Intention entsprechen, die im Sinne der von Juno und Venus getroffenen Absprache mit dem abendlichen Gelage (in Anwesenheit des als Ascanius auftretenden Amor) und den langen

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adversos delinei hostis. | tu procul a patria ... \ Alpinas, a! dura nives et frigora Rheni | me sine sola vides! Siehe Heinze 57ff., Austin zu 2,795.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

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Erzählungen verfolgt wird, bei denen die infelix Dido longum ... bibebat amorem (1,749). Vergils Creusa ist in der Schlußszene des 2. Buches nur wenig mehr als das weiterentwickelte Ebenbild der Eurydice im Schlußepyllion der Geórgica. Auf diese Beziehung ist man lange aufmerksam geworden; sie drängt sich ja auch geradezu auf, weil in der früheren Tradition die Gattin des Aeneas Eurydice heißt, Vergil aber bewußt den Namen Creusa wählte, da er seine Eurydice schon in den Geórgica gestaltet hatte. Auch die strukturellen Beziehungen zwischen dem Gang aus der Unterwelt und der nächtlichen Flucht aus dem brennenden Troja, dem Wiedererscheinen bzw. Wiedergewinnen der verlorenen Gattinnen und dem jeweiligen endgültigen Verlust sind aufgewiesen 1 . Wie der auf der Schwelle zum neuen Leben wieder in den Tod zurücksinkende Schatten der Eurydice fünf Verse spricht, so der Schatten der Creusa sechs. Doch ist die pathetische Klage um das traurige Geschick (georg. 4,494498) in einen Verweis auf den Willen der Götter (dem es sich zu fügen gilt) umgewandelt (2,776-779. 788f.). Beide Frauen enden mit einem letzten Lebewohl (iamque vale) und entweichen, sei es wie Rauch in die Luft 2 , sei es in die Lüfte selbst 3 , und hinterlassen einen Mann prensantem nequiquam umbras et multa volentem dicere (georg. 4,501 f.) bzw. lacrimantem et multa volentem dicere (Aen. 2,790f.) - so wie später Dido am Ende der entscheidenden Unterredung (4,388ff.) auras \ aegra fugit seque ex oculis avertit et aufert, | linquens multa metu cunctantem et multa parant em | dicere. Auf diese Weise hat Vergil seine drei Frauengestalten mit Bedacht zueinander in Bezug gesetzt (s. S. 62. 154). Wenn demgegenüber Heinze und neuerdings wieder Günther (54ff.) die Inkongruenzen zwischen dem Ende von Buch II und dem Buch III (und weiteren Büchern) durch die Annahme erklären, Vergil habe im Verlauf der Arbeit an der Aeneis seinen ursprünglichen Plan geändert, sei aber nicht mehr dazu gekommen, die neue Konzeption des vermeintlich s p ä t e n 3. Buches, nämlich die allmähliche, stufenweise fortschreitende Aufhellung des Fahrtzieles 4 , mit den früher geschriebenen Partien auszugleichen, so haben sie nicht genügend bedacht, daß der gleiche Konflikt zwischen der Verkündigung des konkreten Fahrtzieles 'Hesperien mit dem etruskischen Tiberfluß' und dem unwis-

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Siehe Heurgon REL 9, 1931, 258-268; Austin ad loc. (S. 289); er verweist auf seinen Komm, zu 725. 730. 740. 741. [757. 769 unecht! hier liegt in Wirklichkeit Aen. 3,313 zugrunde, s.o.], 775 [unecht!]. 777. 789; ferner Berres 1982, 1 lOff., bes. 121f. (mit unhaltbaren Ergebnissen). Siehe georg. 4,499f. So Aen. 2,791. Dabei lemen die Trojaner erstmalig durch die Offenbarung der Penaten in 3,163 (est locus, Hesperiam Grai cognomine dicunt), was ihnen Creusa schon in 2,781 (terram Hesperiam verlies) verkündet haben soll.

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

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senden Umherirren bereits in den Schlußversen des 2. Buches selbst zu greifen ist. Denn Vergils Aeneas erzählt in 796ff. - unmittelbar nach der Erscheinung Creusas - daß er bei seiner Rückkehr zum Sammelplatz am Ceresheiligtum eine unglaublich große Zahl von Frauen und Männern vorgefunden habe, die von überall her zusammengekommen seien, bereit, sich von ihm übers Meer in irgendwelche Länder führen zu lassen: in qua s cum que ν e li m pelago deducere terras (800). Als Vergil diesen Vers schrieb, schwebte ihm nicht die zielgerichtete Überfahrt nach Italien vor, wie sie aus der Weisung der Creusa zu folgern wäre1, sondern die Flucht in unbekannte Länder. Und er hat diesen Vers mit Bedacht so geschrieben, denn er nutzt die Schlußverse des 2. Buches zugleich, um eine enge Verfugung mit dem Beginn des 3. Buches zu schaffen; man beachte die Stichwortentsprechungen: 2,797

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invento ... matresque virosque. collectam exsilio pubem, miserabile vulgus. undique convenere animis opibusque parati in quascumque velim pelago deducere terras, iamque iugis summae surgebat Lucifer Idae ducebatque diem, Danaique obsessa tenebant limina portarum, nec spes opis ulla dabatur. cessi et sublato montìs genitore petivi. diversa exsilia et desertas quaerere terras auguriis agimur divum, classemque sub ipsa Antandro et Phrygiae molimur montibus Idae, incerti quo fata ferant, ubi sistere detur, contrahimusque viros.

Es ist die gleiche Technik, die wir beim Übergang vom 1. zum 2. Buch2 und vom 3. zum 4. Buch finden3, und wieder vom 4. zum 5. 4 und vom 5. zum

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3

4

Dabei kann die genaue Lage des Ziels natürlich zunächst unbekannt sein, wie es die arva ... Ausoniae semper cedentia retro von 3,496 suggerieren. Der Aufforderung Didos am Ende des 1. Buches, seine vergangenen Erlebnisse zu erzählen, kommt Aeneas zu Beginn des 2. Buches nach (die Verse [Aen.] 2,4-9 sind unecht, v. ad loc.); dem age et ... die hospes (1,753) entsprechen orsus (2,2), infandum, regina, iubes (renovare dolorem) (2,3) und ineipiam (13), die in 1,754 gegebene Disposition des Stoffes für das Buch Π (insidias ... Danaum casusque tuorum) wird teils (supremum ... laborem, 11) wiederholt, teils als direkter Ausgangspunkt der Erzählung genommen; denn die insidiae ... Danaum finden sich in 2,14ff. konkretisiert (ductores Danaum ... \ instar montis equum ... \ aedificant). Der letzte Vers von Buch 3 schlägt durch das Stichwort conticuit tandem den Bogen zurück zum Beginn der Erzählung des Vorgeschehens in 2,1 (conticuere omnes) und verzahnt durch das buchstäblich letzte Wort quievit den Schluß des 3. mit dem Anfang des 4. Buchs (4,5 nec placidam membris dat cura quiet e m). Die Floskel supra caput astitit (4,702) steht wieder in 5,10 (die Verse 3-9 sind unecht).

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

225

6. 1 (und auch in den weiteren Büchern, v. ad locc.)· Folglich fällt die Prophezeiung Creusas über das weitere Schicksal der Aeneaden (2,780-787) auch aus dem unmittelbaren Zusammenhang heraus. Eine ökonomische Verfahrensweise verbietet es aber, eine weiträumige (nur ansatzweise durchgeführte) Umarbeitung der ganzen Aeneis anzunehmen, wo man durch die Beseitigung der punktuellen Unstimmigkeit selbst alles ins Lot richten kann. Die sprachlichen und imitationstechnischen Besonderheiten des Versblocks und der unvergilische Charakter des unvollständigen Verses 2,787 bestätigen die primär aus inhaltlichen Gründen vorgenommene Athetese.

e) 'Halbverse' Vergils und 'Halbverse' des Montanus Nachdem auf den vorangegangenen Seiten die Frage der Entstehung der 'Halbverse' anhand einer Reihe von zentralen Textstellen exemplarisch erörtert worden ist, gebe ich im folgenden eine katalogartige Übersicht über die verschiedenen Arten von 'Halbversen' - geschieden nach vergilischer und montanischer Provenienz 2 .

'Halbverse' Vergils VI

'Halbverse' als (vorläufiger) Redeabschluß II 640. 720, VII 129. 248. 455, XI 375

V2

'Halbverse' als Redeeinleitungsformeln III 525 527 IX 295

tum pater Anchises magnum cratera corona induit implevitque mero, divosque vocavit stans celsa in puppi3: 'di maris et terrae tempestatumquepotentes

(...').

tum sic effatur:

X 16 Iuppiter haec paucis; at non Venus aurea contra 17 pauca refert: 'o pater, ... 490 1

2

3

quem Turnus super adsistens:

[6],2 (der letzte Vers des 5. Buches) und 6,42 (der erste Vers des 6. Buches) sind durch die Stichworte Euboicis ... oris und Euboicae ... rupis verbunden. Ich verzichte darauf, systematisch die entsprechenden Seitenzahlen bei Sparrow, Walter, Berres und Günther anzugeben, sondern verweise hier pauschal auf die Indizes der genannten Autoren (Sparrow hat uns leider einen solchen vorenthalten). Vermutlich sollte noch eine Libationsformel hinzugesetzt werden.

226

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung ΧΠ 631 Turnus ad haec:

V3

'Halbvers' am Ende einer Gleichnis-Prodosis X 726 (leo çeu) gaudet hians immane comasque arrexit et haeret visceribus super incumbens; lavit improba taeter 728 ora crúor sic ruit in densos alacer Mezentius hostis.

V4

'Halbverse' am Ende selbständiger Schilderungen. Erläuterungen oder Aufzählungen II 346. 468, VIII 666a, IX 520. 761

V5

'Halbverse' als Gliederungseinschnitte innerhalb von Reden II 614, V 792, XI 537a

'Halbverse' des Montanus Ml

'Halbverse' als Redeeinleitung oder -abschluß V 653 VIII 469 X 580

M2

II 232f. 622f.

1 3

II rex prior haec.1 II cui Liser:2

Eineinhalbvers-Zusätze I 559f.

2

II haec effataV

[talibus Ilioneus; cuncti simul ore fremebant Dardanidae.] [ducendum ad sedes simulacrum orandaque divae numina conclamant.] [apparent diraefacies inimicaque Troiae numina magna deum (es folgt der Zusatz [Aen.] 2,624-631)

III 660f.

[lanigerae comitantur oves; ea sola voluptas solamenque mali.]

IV 360f.

[desine meque tuis incendere teque querelis; Italiam non sponte sequor.]3

[Aen.] 5,641-653 del. Zw., ν. ad loc. [Aen.] 10,575-605 del. Zw., ν. ad loc. Siehe den krit. Kommentar; ferner Walter 44f. und Günther 44 Anm. 107.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung 399f.

Ifrondentisque ferunt remos et robora silvis infabricata fugae studio (es folgt der Zusatz [Aen.] 4,401-407)

V 814f.

[unus erit tantum amissum quem gurgite quaeres; unum pro multis dabitur caput.]'

VI 93f.

[causa mali tanti coniunx iterum hospita Teucris externique iterum thalami.]

VII 438f. 759f. V m 40f. IX 166f.

227

[ne tantos mihi finge metus. nec regia Iuno immemor est nostri.] [te nemus Angitiae, vitrea te Fucinus unda, te liquidi flevere lacus (es folgt der Zusatz [Aen.] 7,761-782) [neu belli terrere minis; tumor omnis et irae concessere deum.] II [conlucent ignes, noctem custodia ducit II insomnem ludo.]

M3 Eineinhalbvers-Zusätze in Verbindung mit weiterem Einschub II 63

66 III 312 314 316

ΠΙ 337

340

[undique visendi studio Troiana iuventus circumfusa ruit certantque inludere capto. accipe nunc Danaum insidias et crimine ab uno disce omnis Λ ('...) Hector ubi est?' dixit, lacrimasque effudit et omnem implevit clamore locum, vix pauca furenti: [subido et raris turbatus vocibus hisco: 'vivo equidem vitamque extrema per omnia duco: ne dubita, nam vera vides. 1 'heu! quis te casus deiectam coniuge tanto excipit, aut quae digna satis fortuna revisit?' [(...) sed tibi qui cursum venti, quae fata dedere? aut quisnam ignarum nostris deus appulit oris? quid puer Ascanius? superarne et vescitur aura? quem tibi iam Troia ecqua tarnen puero est amissae cura parentis? ecquid in antiquam virtutem animosque virilis

Den Widerspruch der eineinhalb Verse zur übrigen Rede Neptuns (und der Reaktion der Venus) hat Walter (51) herausgestellt. Sie scheinen zur Vorbereitung der unechten Palinurus-Episode in VI, bes. der Verse 6,341ff. hinzugesetzt. Der Tod des Palinurus in 5,838ff. ist kein stellvertretendes Opfer für die Götter, sondern aitiologisch bedingt (sie segeln am Cap Palinuro vorbei). Sprachlich lehnt sich Montanus an Ennius, ann. 65 (unus erit quem ...) an, einen Vers, den er bei Ovid (fast. 2,487 und met. 14,814) imitiert finden konnte. Ferner scheint Catulls pro multis redditur officiis anzuklingen (68,150).

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

228 343

et pater Aeneas et avunculus excitât Hector? ^

639

\sedfugite. o miseri, fugite atque ab litore funem rumpite. nam qualis quantusque cavo Polyphemus in antro lanígeras claudit pecudes atque ubera pressât, centum alii curva haec habitant ad litora vulgo infandi Cyclopes et altis montibus errant.]2

640

644 IV 512

515

516 V 571

574 576 V 588 590

595 Κ 720

721

[sparserat et latices simulates fontis Aventi, falcibus et messae ad lunam quaeruntur aënis pubentes herbae nigri cum lacte veneni; quaerìtur et nascentis equi de fronte revulsus et matri praereptus amor.I3 [(... Iulus) Sidonio est invectus equo, quem candida Dido esse sui dederat monimentum et pignus amoris. cetera Trinacriis pubes senioris Acestae fertur equis.* excipiunt plausu pavidos gaudentque tuentes Dardanidae, veterumque agnoscunt ora parentum.] [ut. quondam Creta fertur Labyrinthus in alta parietibus textum caecis iter ancipitemque mille viis habuisse dolum, qua signa sequendi frangerei indeprensus et inremeabilis error; haudalio Teucrum nati vestigia cursu impediunt texuntque fugas et proelia ludo, delphinum similes qui per maria umida nando Carpathium Libvcumque secant.1 [(...) undique conveniunt. quoniam data copia puenae. bellatorque animo deus incidit.]5

M4 Einhalbvers-Zusätze, solitär oder im Verbund III 469

470

1

2 3 4 5

(...) arma Neoptolemi. sunt et sua dona parenti. addit equos. additque duces.

Die Aposiopese des 'Halbverses' quem tibi iam Troia- erinnert stark an Eleg. in Maecen. 2,7 discidio vellemque prius-, ferner an [Ον.] epist. 13,161f. (...) me tibi venturam comitem, quocumque vocaris, \ sive ... quod heu! timeo- sive superstes eris und an [Aen.] 5,195 (quamquam o!- sed superent...). Wir hören überall den gleichen Montanus, vgl. S. 50 Anm. 2; 232 Anm. 4. [Aen.] 3,639-644 del. Zw., v. ad loc. Siehe den krit. Kommentar und Walter 46f. Siehe den krit. Kommentar und Walter 48f. Der ganze Passus 9,710-721 ist unecht, v. ad loc. Den eineinhalb Versen gehen drei eng verbundene, die über Mars handeln, voraus.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

229

remigium supplet, socios simul instruit armis. I 530

534

V 293 294

X 875 876 M5

lest locus. Hesperiam Grai menomine dicunt. terra antiqua, potens armis ataue ubere elaebae: Oenotri coluere viri: nunc fama minores Italiam dixisse ducis de nomine zentem: hic cursus Mt. cum subito adsurgens fluctu nimbosus Orion in vada caeca tulit (...)· (...) undique conveniunt Teucri mixtique Sicani: Nisus et Eurvalus primi1. Euryalus forma insignis viridique iuventa, Nisus amore pio pueri; quos deinde secutus (...). 'sic pater ille deum faciat, sie altus Apollo! II Γineipias conferre manum1 '

'Halbvers' am Ende eines Gleichnisses VII 702 (vgl. 5,595 und - formal - 4,512-516)

M6

'Halbverse' am Ende selbständiger Zusätze oder verselbständigter Schilderungen I 636, III 218, IV 44. 503 2

M7

'Halbverse' als Gliederungseinschnitte innerhalb größerer Zusätze Π 766 (...) pueri et pavidae longo ordine matres 767 stant circum. ausus quin etiam voces iactare (...) 1X465

467 468

2 3

quin ipsa arrectis (visu miserabile) in hastis praeflgunt capita et multo clamore sequuntur Euiyali et Nisi3. Aeneadae duri murorum in parte sinistra opposuere aciem (...)

Das ganze Wettrennen ist von Montanus hinzugedichtet einschließlich der beiden Schlußverse vom Schiffswettkampf, also [Aen.] 5,284-362, v. ad loc. [Aen.] 4,500-503 del. Zw., v. ad loc. Von Heyne zu Recht als unecht verdächtigt (siehe Günther 50 Anm. 132); doch ist der ganze Passus 9,465-502 unecht, v. ad loc.

230

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

M8

'Halbverse' als Gliederungseinschnitte am Ende oder innerhalb von Reden VI 834 835

VIII 534 536 X 282 284 XI 391

M9

('...) tuque prior, tu parce, genus qui ducis Olympo, proice tela manu, sanguis meus! ille triumphata Capitolio ad alta Corintho victor aget currum (,..)2 ('...) hoc signum cecinit missuram diva creatrix, si bellum ingrueret, Volcaniaque arma per auras laturam auxilio. heu quantae miseris caedes Laurentibus instant! (...)3 ('...) ultro occurramus ad undam dum trepidi egressisque labant vestigia prima. audentis Fortuna iuvat. ' haec ait, et secum versat (,..)4 Montanus hat den Passus [Aen.] 11,383-391 mit schließendem 'Halbvers' in die Rede des Turnus eingelegt, v. ad loc.

'Halbverse' am Ende einer unselbständigen Teileinheit II 785 787 V 320 322

(...) non ego Myrmidonum sedes Dolopumve aspiciam aut Grais servitum matribus ibo, Dardanis et divae Veneris nurus], sed me magna deum genetrix his detinet oris.

superbas

(...) próximas huic, longo sedproximus intervallo, insequitur Salius; spatio post deinde relicto tertius Eur valus. Eur y alum que Helymus sequitur; quo deinde sub ipso ecce volat calcemque terit iam calce Diores (...).

MIO Interpolierte Zusätze nach vergilischen 'Halbversen' II 641-649, VII 130-151, Vili 666b-670, IX 521-524, 762-798, XI 537b586

I 534 habe ich wegen seines besonderen Charakters unter M4 subsumiert. Die Verse [Aen.] 6,826-840 gebe ich dem Montanus. Die Verse [Aen.] 8,520-553. 556f. stammen von der Hand des Montanus. Der Passus [Aen.] 10,276-307 stammt von der Hand des Montanus.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

231

f) Synkrisis Die beiden Tabellen signalisieren markante Unterschiede zwischen dem echten Vergil und Montanus in der Verwendung von Halbversen. Zunächst verblüfft die schiere Zahl: den 20 'Halbversen' Vergils (die von Montanus später aufgefüllten 8,666a und 11,537a mitgerechnet) stehen doppelt so viele, nämlich 40, auf seiten des Montanus gegenüber, und dies bei einem Verhältnis des Textumfanges von ca. 2,5 : 1! Doch zeigen sich auch markante Unterschiede in der Form: Vergil beläßt in 15 von 20 Fällen 'Halbverse' als provisorischen Abschluß von selbständigen Partien (Reden, Gleichnissen, Redeabschnitten, verselbständigten Schilderungen, Erläuterungen, Aufzählungen), weil ihn sein dichterischer Impetus drängte, zunächst mit der Ausformung der folgenden gedanklichen Einheit fortzufahren, bevor er dann bei einer Endredaktion in leichter Retouchierung die Fugen überbrückt hätte. In 5 Fällen sind bei ihm 'Halbverse' als Scharnierverse im Sinne von Redeeinleitungsformeln stehen geblieben. Auch hier waltet das gleiche Prinzip: zunächst soll die Rede selbst ausformuliert werden, bevor die nahtlose Integration in den Zusammenhang bewerkstelligt wird. Anders liegen die Schwerpunkte bei Montanus: 3 von 40 'Halbversen' sind Scharnierverse am Redeeingang (vgl. 8,469 rex prior haec)1 oder Redeausgang (5,653 haec effata)2, 6 bilden einen Gliederungseinschnitt innerhalb größerer Zusätze, 4 davon innerhalb oder am Ende einer Rede, 5 weitere stehen am Abschluß selbständiger Zusätze (worunter sich das Gleichnis 7,698702 befindet), 2 dagegen am Ende einer unselbständigen Teileinheit3. Das Gros seiner 'Halbverse' aber ist so mechanisch zustandegekommen, daß ich sie unter M2, M3 und M4 nach der bloßen Länge der Gedankeneinheit rubriziert habe. Am auffälligsten ist die Gruppe M2 mit 12 Belegen für isolierte VA VersZusätze, von denen die Verse 4,360f. der Rede des Aeneas einen nachdrücklichen Abschluß geben sollen4, das erste Beispiel aber (l,559f.), dem aus der Gruppe M3 die Verse 2,65f. an die Seite zu stellen sind, aus Scharnierversen zur Redeverknüpfung oder Redegliederung besteht. Montanus konnte diesen

1

2 3 4

Die früheste sprachliche Parallele liegt bei den flavischen Imitatoren (!) vor, vgl. Sil. 13.662 prior haec genitoris imago: | ('...') und Stat. Theb. 8,501 et placido prior haec Tirynthius ore: | ('...')· Im Ausdruck verwandt ist Aetna 250 sed prior haec dominis cura est cognoscere terram: auch hier hören wir den Montanus. Vergil hat nur haec effata silet (4,499). Vgl. auf seiten Vergils den Einschnitt nach der Prodosis des Gleichnisses in Aen. 10,728. Siehe den krit. Kommentar und Günther 44.

232

Der Vergiltext in der antiken Überlieferung

Typus einmal beim echten Vergil verwendet finden (siehe 10,16f. unter V2)1 und scheint dann mit dieser bequemen Form gewuchert zu haben2. Denn er hat sie sowohl als Sondereinheit (M2), als auch im Verbund mit weiteren Versen eingeschoben3. Ähnlich mechanisch muten die vier Beispiele von 'Halbversen' der Kategorie M4 an, die in ihrem Kontext als selbständige Einheiten konzipiert sind. Zusammen mit den zwei 'Halbversen' der Kategorie M8, die jeweils eine zusammengehörige Periode zerschneiden4, offenbaren sie die Unbekümmertheit, in der sich Montanus dieses bequemen Hilfsmittels bediente und dabei seine nicht selten eben doch eingeschränkte verstechnische Kompetenz unter dem Deckmantel scheinbarer Unfertigkeit des vergilischen Werkes versteckte. Die Unfertigkeit der vergilischen Aeneis jedoch ist von anderer Art. Ihr fehlt an den insgesamt 20 durch 'Halbverse' herausgehobenen Stellen die letzte Politur in dem Sinne, daß jeweils in sich fertige, einheitliche Abschnitte mit dem umgebenden Textbestand nahtlos zu verschmelzen wären. Dabei sollten in einigen Fällen parallel komponierte Reden (oder wie im 8. Buch - parallele Abschnitte einer Bildbeschreibung, v. ad loc.) noch auf den numerisch gleichen (oder angenähert gleichen) Versumfang gebracht werden5. Die Verteilung der 'Halbverse' auf die einzelnen Bücher zeigt zugleich, daß der Grad der Unfertigkeit unterschiedlich bemessen ist. In dem hier rekonstruierten vergilischen Urzustand waren die Bücher I, IV und VI offenbar ganz abgeschlossen, die Bücher III, V, VIII und XII hatten je einen unvollständigen Vers, das Buch XI zwei, die Bücher VII, IX und X je drei und das Buch II fünf. Das heißt aber, daß bei der Beurteilung der literarischen Qualität der Aeneis die seit den antiken Grammatikern bis auf unsere Tage immer wieder ins Spiel gebrachte 'Unfertigkeit' weitgehend zu vernachlässigen ist. Für den echten Vergil - nicht aber für den durch Montanus verfälschten, wie ihn uns die Handschriften tradieren - dürfte tatsächlich das in der Einleitung zitierte Postulat Fr. Leos zutreffen, daß Vergil die Aeneis so geschrieben hat, daß Vers und Sprache vollkommen durchgearbeitet sind, und daß eine Kritik, die

1

2

3

4

5

Wie die redigierte Form hätte aussehen können, kann man sich an 12,806f. klar machen: ('...) I ulterìus temptare veto.' sic luppiter orsus; | sic dea summisso contra Saturnia vultu: I ('...')· Sie mag einem Dichter, der zunächst als Elegiker begonnen hatte (s. S. 6) und somit gewohnt war, seinen dichterischen Atem nach den überschaubaren Maßen eines Zweizeilers zu dosieren, besonders willkommen gewesen sein. Siehe die 8 Belege der Kategorie M3. Aus dem echten Vergil konnte er dafür vielleicht das Muster von 9,756-761 in Anspruch nehmen. Dies gilt auch für I 534 (hie cursus fuit, | cum subito ...), siehe Berres 1982, 57 und III 340 (quem tibi iam Troia -), wo Montanus bewußt eine Aposiopese konzipiert zu haben scheint (s. S. 228 Anm. 1). Siehe oben S. 198.

Die 'Halbverse' in der Aeneis-Überlieferung

233

stilistische oder metrische Unvollkommenheiten durch die mangelnde Feile entschuldigen oder erklären wollte, keinen Boden habe (s.o. S. 11). Nach der Sueton-Vita (§ 32) soll Vergil dem Augustus, als er von seiner kantabrischen Expedition zurückkam, also im Jahre 23, die Bücher II, IV und VI vorgelesen haben, nach Servius Danielis (zu 4,323) waren es die Bücher IV, I, VI, nach Servius I, III, IV. Das Kriterium der unvollständig belassenen Verse entscheidet diese Frage wohl zugunsten von Servius Danielis, also Ael. Donat1: Im Jahre 23 lagen die beiden Didobücher I und IV (die doch als zusammengehörige Einheit rezitiert werden mußten) und das Buch VI mit Katabasis und 'Heldenschau' abgeschlossen vor, so daß Vergil sie dem Princeps vorlesen und dabei willkommen mit dem Augustus-Panegyricus der Heldenschau und dem darauf folgenden Epicedion auf den jüngst verstorbenen Marcellus enden konnte.

Obwohl dieser wohl kaum eine bessere Quelle als Sueton zur Verfügung hatte.

II. Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen 1. Ein editorisches Experiment: durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen

met. 8,693 ab . 697a. 698a Wir werden unten sehen, daß sich von den 6 Belegen für kurz gemessenes Praefix ρ rae-, das prosodische Markenzeichen des hier erschlossenen Montanus (s. S. 414), einer in der interpolierten Alternativfassung von Ov. met. 8,693 a b findet. Dies gibt uns ein gewichtiges Indiz an die Hand, daß auch die durch die Divergenz der Handschriften entlarvten Alternativfassungen der Metamorphosen auf den weiterdichtenden Editor Iulius Montanus zurückgehen könnten. In der genannten Metamorphosen-Episode fordern die Götter Philemon und Baucis auf: 8,691

693a 693b

'modo vest ra relinquite teda ac nostros comitate gradus et in ardua

montis

ite simul. ' parent ambo baculisaue levati Ute simul. ' parent et dis praeeuntibus ambo membra levant baculis tardiaue senilibus nituntur longo vestigia ponere clivo.

annis]1

Wie in [fast.] 1,81 (praeeunt) und [Aen.] 5,186 (praeeunte) treffen wir hier auf das Verb praeire, das Montanus auch im Epicedion Drusi einmal mit kurz gemessenem Präfix bietet 2 . Das Motiv des Einschubs in den MetamorphosenPassus ist klar: Da in der Schilderung des Gangs der beiden Alten auf die nahegelegenen Berge von den Göttern nicht die Rede ist, sollte verdeutlicht werden, daß diese den beiden vorausgehen 3 und die beiden Alten tardi ... senilibus annis4 folgen. Auf das Alter weist der Interpolator auch in seinen Vergil-Zusätzen gerne hin, so z.B. Aen. 2,434ff. divellimur inde \ [Iphitus et Pelias mecum (quorum Iphitus aevo \ iarn gravior, Pelias et vulnere tardus 1

2

3

4

Die beiden Verse fehlten in den Hss MNS und wurden dort von zweiter Hand nachgetragen. Umgekehrt fehlt der Vers 693 in allen Hss außer in M(N)S. Die Recensio führt also auf einen ambivalenten Befund. Heinsius hat zu Recht 693 a b getilgt. Epiced. Drusi 408 et venit stella non praeeunte dies. Kombiniert ist das prosodische Merkzeichen mit dem Lieblingsmotiv des Montanus, einem Tagesanbruch! In dis praeeuntibus ist die Junktur dis hospitibus von 685 (vgl. ώ ... sumus in 689) verwertet. Hier greift der Interpolator auf tardos aetate von 686 zurück.

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

236

Vlixi)] I protinus ad sedes Priami clamore vocati; [Aen.] 5 , 1 7 9 (iam senior)·, vgl. [Aen.] 5,431f. (sed tarda trementi | genua labant)1. Auch die unmittelbar darauf folgende interpolierte Alternativfassung 2 met. 8,695

697a 698 a

tantum obérant summo, quantum semel ire sagitta missa potest: flexere oculos et mersa palude cetera prospiciunt, tantum sua tecta manere. fmersa vident quaeruntque suae pia culmina villae. sola loco stabant. dum de fient fata suorumA dumque ea mirantur, dum deflent fata suo rum. illa vetus, dominis etiam casa parva duobus vertitur in templum ...

könnte gut von dem Vergil- und Ovid-Kenner Iulius Montanus stammen, der in den Vergiltext dreimal einen Vers mit dem Stichwort culmen interpoliert hat, s. S. 535. In den beiden hier zur Debatte stehenden Versen der Alternativfassung hat er sich einerseits auf den unmittelbaren Zusammenhang bezogen, wie durch die Hervorhebungen kenntlich gemacht ist 3 , andererseits Formulierungen variierend wiederholt, die er für seine amplificatio der Deukalionischen Flut geprägt hatte 4 : 1,288 290 295

siqua domus mansit potuitque resistere tanto indeiecta malo, culmen tarnen, altior huius unda tegit, pressaeque latent sub gurgite turres. (...) ille supra segetes aut mersae culmina villae5 navigai.

Er wollte also in seiner Alternativfassung einerseits die Bedrohlichkeit der Flut steigern, indem er die tecta (d.h. wohl die < übrigen> Häuser) überflutet sein 6 und das greise Paar nach dem D a c h f i r s t ihrer Hütte Ausschau halten 1 2

3 4

5 6

[Aen.] 5,430-432 del. Zw., v. ad loc. Sie ist nur in den Hss FP (und zwar im Anschluß an 698) überliefert; M2 hat sie am Rand nachgetragen, W (und ν am Rand) hat nur den Vers 697a übernommen. Pia steht in Entsprechung zur vicinia ... inpia von 689f. Die z.T. schon in der Kaiserzeit als unangemessen kritisierten Verse [met.] 1,288-290. 293-312 halte ich für unecht, v. ad loc. Villae steht auch in 8,684 am Versende. Die von ihm intendierte Fassung (s.u.) sollte wohl tecta ... \ mersa vident lauten, wie schon eine spätere Hand am Rand des Codex e postuliert hatte durch den Eintrag ... flexere oculos, et inhóspita tecta \ mersa vident, quaeruntque ubi sint pia culmina villae. | sola loco stabat quae dis fuit hospita magnis (siehe Hollis ad loc. mit Verweis auf K. Dursteier, Die Doppelfassungen in Ovids Metamorphosen, Hamburg 1940, 45ff.). Die Alternativfassung 697a. 698a, die die Verse 697. 698 ersetzen soll, war also wahrscheinlich kombiniert mit der Ersetzung des Prädikativums mersa (696) durch das Nomen tecta aus 697, das somit in die neue Fassung hinübergerettet wurde (wie ja auch mersa erhalten bleibt, wenngleich versetzt an den Beginn von 697a). Erinnert sei an das analoge Verfahren in [Aen.] 6,893ff., wo der Einschub der Zusatzverse 893-896 Hand in Hand ging mit der

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen

237

läßt (ob wenigstens dieser noch das Wasser überrage), andererseits eine ethische Tönung erreichen, indem er das Attribut pia aus Vers 631 (pia Baucis anus) aufgreift und den Grund für die Rettung des "frommen" Hauses - in Antithese zu der vicinia ... inpia (689f.) - in der Beschreibung des Vorgangs mitanklingen läßt. Wäre die Intention des Ovid-Bearbeiters verwirklicht worden, läsen wir heute die beiden oben ausgeschriebenen Partien in folgender Fassung: I. 8,691 692 693 a 693 b 694 II. 8,695 697 a 698 a 699

'modo vestra relinquite tecta ac nostros comitate gradus et in ardua montis ite simul. ' parent et dis praeeuntibus ambo membra levant baculis tardique senilibus annis nituntur longo vestigia ponere clivo. tantum aberant summo, quantum semel ire sagitta missa potest: flexere oculos et tecta palude mersa vident quaeruntque suae pia culmina villae. sola loco stabant. dum deflent fata suorum, illa vetus, dominis etiam casa parva duobus vertitur in templum.

Wir hätten keine Chance, auf den ursprünglichen Text zurückzuschließen, könnten nicht erraten, daß in I. der eine knappe Vers 693 des Ovid unter Beibehaltung des Kernbestands des Wortmaterials, das leicht variiert und ergänzt wird, zu zwei Versen ausgewalzt worden, in II. aber der Vers 697 unter Rekurs auf l,288ff., besonders auf 1,295, im Ausdruck stark verändert, der Halbvers 698 (und damit das Motiv des Sich-Verwunderns) aber ganz weggeschnitten worden ist 1 . Wir wären verblüfft, innerhalb der etwa 30.000 Verse des Meisters glatter Versmelodie einmal das prosodische Ungeheuer prœeuntibus (und zwei Entsprechungen) anzutreffen, hätten aber nicht die Möglichkeit, wie im Falle von [fast.] 1,81 und [met.] 7,131 einen Unechtheitsverdacht plausibel zu machen oder gar durch Herauslösen des späteren Zusatzes die ursprüngliche ovidische Textfassung wiederzugewinnen. Es stellt sich die Frage, warum die beiden hier besprochenen interpolierten Alternativfassungen in einigen Handschriften noch Spuren ihrer nicht-ovidischen Provenienz hinterlassen haben. Sie waren offenbar - wenn sie von Montanus stammen - in der antiken und spätantiken Überlieferung nicht wie die vielen übrigen Zusätze in den Haupttext integriert, sondern am Rand

Ersetzung des Attributs Averna (das in Ovids Umwandlung zu sedibus ... Stygiis emergit in met. 14,155 noch kenntlich geblieben ist) durch eburna in 898 (v. ad loc.). Dem Liebhaber der Epanalepse in Montanus (s. S. 443ff.) wäre aber auch wohl die Fassung mersa palude | mersa ... culmina zuzutrauen. Von dieser Art muß das Vorgehen gewesen sein, mit dem Valerius Cato die versus male factos des Lucilius 'emendierte', um sie dem zeitgenössischen Geschmack anzupassen, s. S. 599ff. 602.

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Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

tradiert worden. Zumindest müssen sie in einem Teil der frühen Überlieferung nur am Rand gestanden haben oder - falls integriert - mit diakritischen Zeichen versehen gewesen sein, so daß sie dann später uneinheitlich weitertradiert wurden. Den Grund für die Abweichung von dem üblichen Befund, wonach die unechten Zusätze bereits im Archetypus fest im Text verankert waren und deshalb von allen Handschriften als Bestandteil des Ovidtextes dargeboten werden, sehe ich darin, daß diese (durch die gegenseitige Kontrolle der Handschriften als verdächtig ausgewiesenen) überschüssigen Verse nicht als erweiternde Zusätze gedacht waren, die problemlos in den originären Text eingeschoben werden konnten, ohne daß an diesem zusätzliche Veränderungen an den Nahtstellen hätten vorgenommen werden müssen, sondern daß es sich um Alternativfassungen handelt, bei deren Substitution originale Ovidverse weggeschnitten werden mußten. Deswegen sind in den beiden vorgeführten Beispielen die fett gedruckten Wortverbindungen, insbesondere in 693a der Versbeginn bis zur Penthemimeres wörtlich und in 698a die zweite Vershälfte nach der Penthemimeres ebenfalls wörtlich aus dem jeweiligen angrenzenden Versbestand Ovids übernommen worden, damit sie Scharniere bilden, die die nahtlose Eingliederung der Alternativfassung in den ovidischen Zusammenhang gewährleisten. Wenn also Iulius Montanus - wie wir annehmen dürfen - seine revidierte Ovid-Edition so veranstaltete, daß er zunächst auf einem Ovid-Exemplar mit breitem Rand1 seine Zusätze oder Alternativfassungen niederlegte und durch Zeichen (σημβία) den Ort kenntlich machte, wo sie vom Schreiber oder den Schreibern, die Kopien für die Öffentlichkeit herstellten, einzufügen waren, so ließ sich die Integration der einfachen Zusätze leicht bewerkstelligen. Im Falle des Ovid-Passus 8,691ff. aber mußte er den Vers 693 durch 693a. 693b, im Falle von 8,695ff. die Verse 697 und 698 durch 697a. 698a ersetzen und noch dazu möglicherweise mersa und tecta austauschen. Dies konnte verwirrend erscheinen, so daß die Anweisungen nicht ausgeführt, sondern die Alternativfassungen weiter am Rand mitgeschleppt wurden. Es zeugt von der traditionsstiftenden Kraft der kanonisierten Edition des Montanus, daß diese Verse gleichwohl über die Jahrhunderte hin erhalten geblieben sind. Die in gleicher Weise hinzugefügte Helena-Episode ist früh aus dem Traditionsstrom der Vergil-Handschriften, also wohl schon bei einer der ersten Abschriften des Montanus-Exemplars, herausgefallen und hat erst über die Kommentare wieder in den jüngeren Handschriften Fuß fassen können (s. S. 44ff.).

Wir haben Vergilpapyri, bei denen ein Rand von 10 cm freigelassen ist - etwa für Kommentierung; doch auch die Rückseite der Papyrusrolle konnte notfalls beschrieben werden, s.o. S. 13 Anm. 1.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen

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met. 8,652-656 Den beiden soeben behandelten interpolierten Alternativfassungen in der Philemon-Baucis-Novelle geht eine weitere voraus, die ebenfalls vom Schreiber verlangt hätte, originäre Ovidverse, nämlich die beiden in MNSW überlieferten Verse 655 a . 656a, herauszuschneiden, um sie durch eine auf dem Rand aufgetragene erweiterte Fassung, die in MNW fehlenden fünf Verse 652656, zu ersetzen1. Auch hier ist der Redaktor so verfahren, daß er den größten Teil des originären Wortlauts in seinen erweiterten Zusatz integriert und den zweiten der beiden zu eliminierenden Verse nahezu unverändert als Schlußvers seines Zusatzes und somit als Scharniervers für seine Eindichtung nutzt. Auch hier scheint die Scheu des Abschreibers, originären Text zu opfern, oder das vom üblichen abweichende, kompliziertere Verfahren dazu geführt zu haben, daß die Anweisungen des Redaktors nicht ausgeführt wurden. Erst spätere Abschreiber - aber zum Glück nicht alle - haben den Versuch gemacht, die fünf Randverse in den Text zu rücken. So ermöglicht uns die Divergenz der Handschriften, die ursprüngliche Fassung zu restituieren. Es ist die kürzere Textversion der Handschriften MNW, die sich auch sonst als die zuverlässigen bewähren: I. met. 8,651 655a 656a 657

interea medias fallunt sermonibus horas concutiuntque torum de molli fluminis ulva inpositum lecto sponda pedibusaue salienis: vestibus hune velant, quas non nisi tempore festo sternere consuerant, sed et haec vilisque vetusque vestis erat, lecto non indignanda saligno. II. met. 8,651 interea medias fallunt sermonibus horas 652 [sentirique moram prohibent, erat alveus illic fagineus, dunζ2 clavo suspensus ab ansa: is tepidis inpletur aquis artusque fovendos accipit. in medio torus est de mollibus ulvis 656 inpositus lecto sponda pedibusaue salienis:1 657 vestibus hunc velant, quas non nisi tempore festo sternere consuerant (...).

Anders als Murgia (Class. Ant. 3, 1984, 228ff.), der einen mechanischen Ausfall in der einen Handschriftentradition annimmt, bin ich der Auffassung, daß H. Magnus (22Iff.) mit guten Gründen die Fassung I für die ursprüngliche, ovidische, die Fassung II aber für eine später interpolierte angesehen hat3,

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Laut Andersons App. fehlt Vers 656 auch in S. Eine var. lectio im cod. Barb, zu dura lautet curva, siehe Börners Kommentar (vgl. tortilis ansa in epist. 16,254); dazu u. S. 241. Vgl. auch Mendner 30-33.

240

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

wenngleich ich seinen Zeitansatz für die Interpolation (11.-13. Jh.) nicht akzeptieren kann. Das Motiv der Interpolation ist klar: Es sollte, während auf dem Herd der Kohl und das Stückchen Pökelfleisch kochen, den Gästen ein Fußbad ermöglicht werden. Ahnlich läßt der Interpolator in [Aen.] 1,70Iff. dem Aeneas und seinen Getreuen zu Beginn der convivía am Hof der Dido Wasser zum Händewaschen und Handtücher reichen (v. ad loc.). In Wirklichkeit aber unterhalten Philemon und Baucis ihre Gäste in der Zwischenzeit, bis das frugale Mahl gekocht ist (das geht deutlich aus 8,651 hervor), und schütteln dabei das Polster aus weichem Schilf auf, das auf der Kline aus Weidenholz liegt, überziehen es mit Festtagstuch (wenngleich auch dieses in dem ärmlichen Haus alt und unscheinbar ist). Dann lassen sich die Götter zum Mahl nieder, Baucis bringt den Tisch, der wackelt: auch hier muß erst ein Ziegel Abhilfe für das zu kurze dritte Bein schaffen. Die Tischplatte wird saubergefegt, die Vorspeise aufgetischt, Wein gereicht: all dies geschieht, während die alten Leute medias fallunt sermonibus horas (651)1, so daß der Dichter in 671 fortfahren kann: parva mora est, epulasque foci misere calentes; d.h. während all dieser von freundlichen Gesprächen begleiteten Vorbereitungen, des Einnehmern der Vorspeisen und des Weinumtrunks ist soviel Zeit vergangen, daß nun das mit Pökelfleisch garnierte Kohlgericht als Hauptmahl aufgetischt werden kann. Das Fußbad hat in diesem geschlossenen Zusammenhang der Essensvorbereitungen keinen Platz. Daß die Hekale des Kallimachos dem Theseus ein Fußbad bereitet, scheint nicht erwiesen2; doch selbst wenn sie es getan hat, mußte Ovid dem hellenistischen Dichter nicht sklavisch folgen 3 . Andererseits wissen wir, daß der von uns erschlossene, mit Ovid zeitgenössische Dichter, der die beiden großen Autoren seiner Epoche überarbeitet und ediert hat, so gut wie Ovid selbst den Kallimachos kannte4; er konnte also bestrebt sein, dort, wo der Meister sich

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Murgia (229f. ) konfrontiert also zu Unrecht medias fallunt ... horas und concutiunt ("the work of a few seconds"), um daran die Kritik zu üben, beide Vorgänge seien "not well balanced ... least of all temporally". Siehe Hollis ad loc. (p. 118) und seinen Kommentar zur Hekale, S. 170-172 (zu frg. 33 und 34 [244 und 246 Pf.]). Daß er dem Kallimachos in 639ff. (vgl. frg. 239-244) und 664ff. (vgl. 248-252) folgte, ist sicher. Aus der Hekale übersetzt er geradezu wörtlich frg. 291,2f. (s. S. 396 Anm. 4); in Ciris 351f.; vgl. Lyne ad loc., ferner zu Ciris 315-17. Ganzenmüller (S. 639) hat ihn φιΚάρχοαος καΐ πολνμαάης genannt, dessen Bildung durch und durch griechisch sei (Beispiele S. 639ff.). Daß er ihn gar nach Athen übersiedeln läßt, beruht freilich auf einer allzu wörtlichen Auffassung von Ciris 3f.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen

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frei vom Vorbild entfernte, dieses nachträglich zur Geltung zu bringen 1 . Magnus hat allerdings recht, daß das Bad in 652ff. verspätet kommt ("wenn überhaupt, so mußte es nach 640 behandelt werden", 224) und die trockene skizzenhafte Wendung alveus accipit artus fovendos im Widerspruch zu "der hier überall sichtbaren liebevollen, alexandrinisch-idyllischen Kleinmalerei" steht (224); mit gutem Grund kritisiert er ferner das nach medias falluni sermonibus horas (651) "leere und tautologische sent ir i que moram prohibent" (222). Ob er auch an alveus zu Recht Anstoß genommen hat (223), lasse ich offen. Das Wort begegnet in der einschlägigen Dichtung nur in der Bedeutung 'Flußbett', 'Schiffsbauch'; in fast. 2,407 (cavus alveus) bezeichnet es einen hohlen Trog (?), in dem die Zwillinge Romulus und Remus auf dem Tiber ausgesetzt wurden. Wenn artus fovendos accipit heißen soll, die Götter hätten ihre Füße (und Hände?) ins Wasser getaucht, so hat sich der Dichter jedenfalls nicht klar ausgedrückt; denn in Sen. Oed 762 (ibi virgíneos foverat artus) und Lucan. 4,153f. (membra ... fovent: es folgt artus) ist in der Tat (wie es Magnus 223 aufgrund des sonstigen Sprachgebrauchs bei Ovid fordert) von einem "Vollbad" die Rede 2 . Die 'Badewanne' soll mit dem 'harten' Henkel an einem Nagel aufgehängt sein (653): In der Formulierung liegt eine für unseren Redaktor typische Hypallage vor (es müßte umgekehrt ansa suspensus a clavo heißen). Der Begriff ansa erscheint im Ovidcorpus nur noch einmal bei Montanus (epist. 16,254 tortilis ... ansa, was zugunsten der späten Lesart curva ... ansa in met. 8,653 in die Waagschale geworfen wird); zugrundeliegt ecl. 6,17 et gravis attrita pendebat cantharus ansa. Auch clavus (653) in der Bedeutung 'Nagel' ist der gesamten einschlägigen Dichtung fremd, wenn man von den metaphorischen clavi der Necessitas in Hör. carm. 1,35,18 und 3,24,7 absieht 3 . Von dort könnte auch das Attribut dura (ansa) seine Erklärung erfahren; denn in carm. l,35,18f. trägt die Necessitas die clavos trabalis et cuneos manu \ ... aena und in 3,24,5ff. ist es d i e d / ra Necessitas, die figit adamantinos \ summis verticibus ... \ clavos. Ein gravierendes Unechtheitsindiz liegt ferner in der doppelten EkphrasisFormel erat alveus illic \ ...: \ is ... inpletur (652ff.) und in medio torus

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Es ist eine oftmals geübte Form der Imitation, daß der Epigone über sein unmittelbares Vorbild auf die dahinter stehende Primärquelle zurückgreift. So verfahrt mit unserer Philemon-Baucis-Szene und der dahinter stehenden Hekale Petron, s. S. 241 Anm. 3. Sollte der Interpolator wirklich seinen Zusatz aus der Hekale des Kallimachos schöpfen, wird man wohl annehmen dürfen, daß der völlig durchnäßte Theseus dort nicht nur die Füße gewaschen hat. Petron las natürlich in seinem Ovidtext (es gab ja nur die von Montanus publizierte Fassung der Metamorphosen, s. S. 5f.) den Zusatz mit der am Nagel aufgehängten Wanne (135,3-8) und war sich dabei bewußt, daß Ovid der Hekale (die er in 135,8 V. 16 nennt) folgt.

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

242

est ... I ....· I vestibus hune velant (655ff.) vor. Magnus hat mit gutem Grund zumindest anaphorisches erat - erat (vgl. 684 unicus anser erat) gefordert (222) und auch die Schwäche in der Anknüpfung von in medio torus est

gesehen, die er zu Recht auf eine ungeschickte Imitierung von met. ll,610f. zurückführt: 11,610

in medio torus est, ebeno sublimis in atra, plumeus, unicolor, pullo velamine tectus1. quo cubat ipse deus ... (vgl. adcubuere dei in 8,660).

Ich füge hinzu, daß die Version I durch fast. l,199f. und durch die vom gleichen Redaktor gegebene Imitation der Philemon-Baucis-Idylle im 5. Buch der Fasti (ν. ad loc.) bestätigt wird, siehe fast. 1,199

dum casa Martigenam capiebat parva Quirinum, et dabat exiguum fluminis ulva torum; nec mora, flumineam lino celantibus ulvam, [fast.] 5,519 sic quoque non altis, ineubuere toris. 520

Das Original in met. 8,655 a ff. unterscheidet sich durch die präzisere Formulierung (torum de molli flu m ini s ulva) und durch den bei der Materialangabe Hier bei Ovid ist klar, daß in medio (610) in Antithese zu ante fores antri (605) steht, also 'mitten in der Höhle' bedeutet (daher rührt vielleicht die falsche Angleichung in medio ... antro in A). Durch in medio torus est wird der Blick auf das eigentlich wichtige Ruhelager gerichtet; nur nebenbei wird erwähnt, daß sich dieses auf einem hohen Gestell aus schwarzem Ebenholz (vgl. georg. 2,116f. sola India nigrum \ fert hebenum. Lucan. 10,117 hebenus Mareotica) befindet, erst danach werden in einem weiteren Vers das Material, die Farbe und die Umhüllung dieses Ruhelagers weiter ausgemalt. In der Imitation des Verskünstlers von [met.] 8,655f. fällt es schwer, in medio torus est als selbständigen Satz anzusehen, weil ja eng anschließend die Materialangabe (de mollibus ulvis) folgt und durch das Ptz. Perf. Pass, inpositus die Unterordnung unter den eigentlich gewichtigen Begriff lecto unausweichlich wird. Man sieht, was bei einer Kontamination zweier Vorbildstellen (met. 8,655a. 656a und ll,610f.) herauskommt: ein inhomogenes Zwittergebilde! Beiwege weise ich daraufhin, daß die Verse [met.] ll,608f. unecht sind: Der pedantische Redaktor wollte nach dem Stichwort ante fores antri ausdrücklich festhalten, daß dort, wo völlige Stille herrscht und wo nicht einmal ein Säuseln der Lüfte in den Zweigen vernehmbar ist (600f.) - wohl aber das einschläfernde Murmeln des Lethe-Wassers -, auch keine Türen kreischen, ja, daß es überhaupt keine Türen gibt, ebensowenig wie einen Wächter auf der Schwelle. Die Erwähnung eines custos in limine (609) war wenig sinnvoll, nachdem bereits in 599 sollicitive canes canibusve sagacior anser ausgeschlossen worden waren. Die Junktur custos (in) limine ist in Aen. 7,610 auf den Gott Janus gemünzt, Montanus bietet in [Aen.] 8,461 (v. ad loc.) zwei Hunde als gemini custodes limine ab alto auf, die dem Euander vorausgehen; vgl. Tib. 2,4,32 coepit custos liminis esse canis. Die Erwähnung eines menschlichen Türhüters am Eingang zur Höhle des Schlafes wäre müßig. Zu nulla domo tota est vgl. fast. 2,792 nox erat, et tòta lumina nulla domo, wo die korrekte Wortfolge der Formel tota ... domo vorliegt. Der Vers 608 ianua nec verso stridorem cardine reddit ist aus 14,782 (nec strepitum verso Saturnia cardine fecit) geschöpft.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen

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üblichen kollektiven Singular vorteilhaft von der Imitation (torus ...de mollibus ulvis). Als der Bearbeiter dann die Hyrieus-Episode der Fasti hinzudichtete (s. S. 51 Iff.), hat er Ovids Präpositionalausdruck torum de ... fiumi ni s ulva (8,655 a ) attributiv gewendet (flumineam ... ulvam) und verrät darin die gleiche Vorliebe wie in dem Zusatz zu der Philemon-Baucis-Episode, wo der echte Ovid fabricata... fago \ pocula aufbietet (669f.), der Bearbeiter aber einen alveus ... fa g i ne us (652f.), obwohl der echte Ovid - ebenso wie Tibull, Vergil und die anderen Dichter (außer Ausonius) - nur die Form faginus benutzt; denn auch epist. 5,87 (faginea ... fronde iacebam) und [fast.] 4,656 (faginea tempora fronde tegit) gehören dem Epigonen, der den ganzen Abschnitt über das Inkubationsorakel des Faunus ([fast.] 4,641-672) hinzugedichtet hat, v. ad loc. Bezeichnend ist, daß selbst Silius bei der Imitation der Philemon-Baucis- und der Hyrieus-Erzählung die Form fagina (pocula) bildet (7,188).

met. 1,544a. 546. 545 (553-556) Die interpolierte Alternativfassung in der Daphnis-Episode war so angelegt, daß sie die zwei 'Tellus-Verse' des Ovid (544. 547) durch drei 'PeneiosVerse' (544 a . 546. 545) ersetzen sollte, in denen die Rahmenkola des ovidischen Verspaares unverändert als Scharniere zu dem nach oben und unten angrenzenden ovidischen Material beibehalten waren: I. met. 1,543 544 547 II. 1,543 544 a 546

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viribus absumptis expalluit illa citaeque vieta labore fueae 'Tellus ', ait, 'hisce vel istam, qua nimium placui1, mutando perde fìeuram!' viribus absumptis expalluit illa citaeque Γ vieta labore fueae. spectans2 Peneidas undas3 'fer, pater, ' inauit 'opem*. si flumina numen habetié:

Dies verweist auf 512 (cui placeas, inquire tarnen) zurück. Vgl. femer met. 14,150 und fast. 2,612 (placuisse deo)\ 15,131 (placuisse nocet); schließlich die Junktur nimium placuere (sc. oscula) in am. 2,5,57. Die Junktur spectans ... \ '...' inquit steht an gleicher Versstelle in met. 1,767f. spectans que ad lumina solis \ 'per iubar hoc' inauit: vgl. ferner 6,631; 8,43. Das Motiv kommt hier - im Zusammenhang der Fluchtszene - aus heiterem Himmel und wird auch im folgenden nicht weiter entwickelt; vgl. dagegen die Syrinx-Episode (l,702ff.). Die Gleichordnung des Partizips spectans zu vieta stört den Handlungsablauf; man könnte sich allenfalls eine parenthetische Bemerkung denken. Vgl. met. 5,618 (Arethusa) fessa labore fueae 'fer opem. deprendimur' inquam; ferner 9,755 und 15,40: '¿er, precor' inauit 'opem': 13,669 'Bacche pater, fer opem!' dixere. Vgl. Aen. 10,220ff. nymphae, quas alma Cybebe \ numen habere maris nymphasque e navibus esse \ iusserat. Die Junktur numen habet (bzw. habere) steht bei Ovid in fast. 6,241; am. 3,3,12 (forma); 3,9,18 (nos, sc. vates). Mit Bezug auf Flüsse scheint sie im

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

244 545

II quae facit ut1 laedar,

mutando

perde

fìeuram!']

Das Motiv für die Interpolation ist der Versuch, eine mythologische Variante einzuführen, ein Interpolationstyp, der auch sonst sowohl in den Vergil- wie in den Ovidzusätzen mehrfach begegnet (s. das Register). Demnach soll Daphne, die bei Ovid nicht - wie üblich - den Fluß Ladon, sondern den Peneios zum Vater hat2, nun auch diesen neu eingeführten Vater um Hilfe anflehen statt der Tellus3. Aber der Verwandlungsvorgang ist ein Verwachsen des Baumes mit der Erde (551), das der Fluß Peneios nicht bewirken konnte. Also gewährleistet nur der traditionelle Hilferuf an die Erde einen organischen Abschluß der Episode4. Das Hemiepes quae facit ut laedar hat schon Ritsehl (opuse. III 801) als interpoliertes Glossem zu qua nimium placui erklärt: offenbar sollte das allgemein umschreibende nimium placui durch ein stärkeres (auf die Verletzung der virginitas abzielendes) laedar verdeutlicht werden. Die Antithese qua placui - perde figura,m scheint wesentlich pointierter (und somit stilistisch gefälliger) als die gleichgerichteten Verben laedar - perde. Für den Hilferuf an die Erde spricht auch der Befund der Handschriften: Wie in den übrigen Doppelfassungen ist es der italienische, in erster Linie durch M und Ν (teilweise auch durch S) repräsentierte Überlieferungszweig (der von Magnus mit der Sigle O benannte Hyparchetypus), der auch hier die kürzere, reinere Version, eben die 'Tellus-Fassung' bietet5, die trotz ihrer Kürze (da Apollo der Daphne auf den Fersen folgt, ist ja höchste Eile geboten) dem Mädchen eine Alternativ-Bitte (hisce vel ... mutando perde figuram) in den Mund legt. Diese Alternative ist in der 'Peneios-Version' aufgegeben zugunsten einer einsträngigen, dafür breit ausgewalzten Bitte, die in der Kom-

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Ovidcorpus nur in der unechten Sappho-Epistel nachweisbar: epist. 15,157f. est nitidus ... I fons sacer; hunc multi numen habere putant. Murgia (Class. Ant. 3, 1984, 211) erinnert an met. 14,373f. (es spricht Circe) perque hanc. pulcherrime, formam. | quae facit ut supplex tibi sim dea - offensichtlich das Vorbild des Interpolators. Die mythographischen Zeugnisse sind bequem zugänglich bei Murgia (Class. Ant. 3, 1984, 223ff.), dessen Plädoyer für Ovids Autorschaft beider Versionen ich nicht folgen kann. Gegen Magnus 201f. hat Dursteier 10 zu Recht hervorgehoben, daß Ovid als Vater den Peneios nennt, von der Mutter aber nicht spricht. Also sei für Ovid Daphne nicht Tochter der Göttin Tellus; folglich könne Daphne sehr wohl die Erdgöttin mit den Worten 'Tellus, hisce' anrufen. Nach Dursteier 16f. paßt die Peneios-Fassung nicht zu der ekphrastischen Einführung des Tempetales in 1,568, die Tellus-Fassung dagegen sehr gut; also müsse die Peneios-Fassung sekundär sein. Daß er sie gleichwohl dem Ovid zuspricht, wollen wir ihm nachsehen. Die Angaben im Apparat bei Anderson sind zu berichtigen: M bietet 543. 544 (die zweite Hälfte nach fugae ist ausradiert). 547. 548, Ν hat den gleichen Befund wie M, außer daß auch noch Vers 547 ausradiert ist.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen

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bination von fer... opem und perde figurarti nicht eben glatt wirkt1: Der Versuch, die Motivierung des Hilferufs zu verbessern, indem er an den Vater Peneios gerichtet wird, "geschah" - so Dursteier 17 - "auf Kosten der sprachlichen Form"; im Rahmen der größeren Abschnitte "Daphne" und "Io" sei diese Änderung unmöglich. Die Erzählung von Apollo und Daphne ist durch eine Reihe weiterer Zusätze ausgeschmückt worden, vgl. vor allem [met.] 1,519-524. 533-542 (hier findet sich ein ganz unpassender Vergleich mit einem gallischen (!) Hund, der einen Hasen jagt, angeregt durch 505f., s. S. 574ff.). 553-556. Ich beschränke mich hier auf die Besprechung des letztgenannten, weil dieser die gleiche Hand wie die noch ausstehende interpolierte Alternativfassung aus dem 8. Buch (8,603ff.) verrät. Es geht um die Metamorphose der Daphne: met. 1,548 550

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v« prece finita torpor gravis occupât artus: mollia cinguntur tenui praecordia libro, in frondem crines, in ramos bracchia crescunt; pes modo tam velox pigris radicibus haeret, ora cacumen habet: remanet nitor unus in illa, [hanc quoque Phoebus amat positaque in stipite1 dextra sentit adhuc trepidare novo sub cortice3 pectus conplexusque suis ramos4. membra, lacertis oscula dat Ugno5: refugit tarnen oscula lignum6.] cui deus 'at quoniam coniunx mea non potes esse, arbor eris certe ' dixit 'mea. semper habebunt te coma, te citharae, te nostrae, laure, pharetrae (...). finierat Paean: factis modo laurea ramis adnuit utque caput visa est agitasse cacumen.

Daphne ist bereits ganz in einen Lorbeerbaum verwandelt: Brust, Haare, Arme, Füße und Kopf; schwere Erstarrung hat von ihren Gliedern Besitz ergriffen. Allein der Glanz ihrer Schönheit (gemeint ist der Glanz der Lorbeer-

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Siehe Dursteier 16 (mit Verweis auf Helm). Vom Interpolator auch in [met.] 9,379 (latet hoc in stipite mater) gebraucht (ν. ad loc.);

vgl. aber auch 2,351 stipite crura teneri. 3 4

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Vgl. den gleichen Interpolator in [met.] 9,362 volui sub eodem cortice condì. Vom Interpolator ähnlich wiederholt in [met.] 9,361 crescentem truncum ramosque amplexa (v. ad loc.). Beinahe wörtlich vom gleichen Interpolator wiederholt in [met.] 9,365 tepido dant oscula

Ueno: vgl. aus dem Pygmalion-Zusammenhang dedit oscula: visa teoere est in 10,281 (s.u. 6

S. 524ff.), [met.] 9,386 und 2,357 (oscula iungat) - ebenfalls interpoliert (v. ad loc.); dort (358f.) auch trunci und rami. In den sechs einschlägigen Verwandlungen (l,548ff.; 2,346ff.; 8,712ff.; 9,346ff.; 10,209ff.; 11,69ff.) verwendet nur der Interpolator hier, [met.] 9,365 und [met.] 11,80 (71-84 del. Zw.) den Begriff lignum, der wohl doch etwas abschätzig klingt für einen Baum, der aus einem geliebten Menschen entstanden ist.

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Spuren des Montarais in der Überlieferung der Metamorphosen

blätter) ist geblieben (552). Folglich kann Apollo, wenn er die Rechte auf den Stamm legt (553), nicht das Herz noch unter der neu gewachsenen Rinde pochen spüren (554) und das Holz nicht vor seinen Küssen zurückweichen1. Der echte Ovid schafft bei der Verwandlung kein Zwitterwesen, das außen Holz ist, innen aber ein pulsierendes, menschliches Herz hat, sondern läßt den neu geformten Baum gemäß seiner Baumnatur 'agieren', d.h. dieser bewegt die Zweige und den Wipfel - eigentlich im Wind. Aber der Dichter verschweigt diese (selbstverständliche) Ursache und deutet das natürliche nutare als Zustimmung zu den Worten Apolls (566f.). Er tut dies freilich so distanziert2, daß sich der Bearbeiter aufgerufen fühlte, die Linien kräftiger auszuziehen. Doch war durch remanet nitor un us in illa (552) der A b s c h 1 uß des Verwandlungsvorganges erreicht, demgegenüber sentit ad hue trepidare ... pectus (554) einen Rückschritt bedeuten müßte, zugleich auch einen Rückschritt gegenüber dem Einsatz der Zudichtung {hanc quoque Phoebus amat, 553) 3 , in dem sich der Interpolator selbst zunächst auf die Vollendung des ovidischen Verwandlungsvorganges eingelassen und die Endgültigkeit des Verlustes der Geliebten vorausgesetzt hatte. Der Anschluß cui deus (557) zielt ersichtlich nicht auf lignum (556), sondern auf illa (552)4; das Erzähltempo in der ganzen Flucht- und Verwandlungsszene 525-567 ist - wenn man die verdächtigen Verse beiseite läßt - so hoch, daß die sentimentale Kleinmalerei von 553-556 deutlich herausfällt5. Auch die ausmalende Vierergruppe 560-563® verträgt sich nicht mit dem knappen, anaphorischen Trikolon semper habebunt | te coma, te citharae, te nostrae, laure, pharetrae (558f.), weshalb ich sie getilgt habe. R. Cramer stützt dies mit dem Argument, daß die Verse vom Leitgedanken der engen Verbindung zwischen dem Gott und

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Auch die Versteinerung Niobes erfaßt ihr ganzes Wesen, einschließlich der Adern und Eingeweide (6,303ff.; das einleitende deriguit in 6,303 entspricht dem einleitenden torpor gravis occupât artus von 1,548). Wenn sie trotzdem 'weint', werden die natürlichen Rinnsale, die vom Bergfelsen strömen, vom Dichter als ihre Tränen gedeutet - ganz entsprechend der Ausdeutung des Wippens des Lorbeerbaumes in l,566f. Zweimal hebt er die Subjektivität dieser Ausdeutung des natürlichen Geschehens hervor: Durch vergleichendes ut (der Wipfel wippt, als wäre es der nickende Kopf Daphnes) und durch visa est. Der gleiche Einsatztypus liegt in [met.] 8,603 vor, v. ad loc. So zu Recht R. Cramer. Von gleicher Art ist der n a c h g e t r a g e n e detaillierte Verwandlungsvorgang in der unechten Viererversgruppe [met.] 1,236-239, die sich nicht mit der kunstvoll implizit gegebenen Verwandlung des Lycaon (!) in 232-235 verträgt, die in dem markanten nunc quoque sanguine gaudet ihren Abschluß erreicht hatte. Aber der Interpolator wollte verdeutlichen und stößt uns mit der Nase auf seinen Vers 236: f i t lupus et veteris servai vestigia formae (letzteres ist zumindest schief)· Man beachte die verräterische Junkturpostibus Augustis (562), s. S. 333 und 498 zu trist. 3,1,40. R. Cramer vermutet deshalb eine "politische" Motivation für den Zusatz, der durch honores am Ende von 565 suggeriert sein könnte.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen

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dem ihm heiligen Baum abführen. Er verweist auf mea in 557/558, nostrae in 559 (welches ja auch zu coma und citharae gehöre), meum in 564 und quoque in 565. Nur vor dem Hintergrund dieses Gedankens gewinne das -que in 564 seine Bedeutung: "Ich erhalte etwas von dir (558bf.), und du erhälst etwas von mir (564f.)." Zu beachten sei auch das doppelte semper in 558b und in 565 ("wir werden i m m e r beieinander bleiben"); capillis in 564 greife unmittelbar coma von 559 auf.

Der Vers 555 (complexus ... ramos ut membra) nimmt die Schlußpointe (ut caput ... agitasse cacumen) vorweg. Von Apoll zu sagen oscula dat Ugno (556) bedeutet eine starke Erniedrigung des Gottes. Auch an den verwandten Stellen, an denen dieser Ausdruck (in Variation oder beinahe wörtlich) verwendet ist (2,357; 9,365. 386), stammt er vom Interpolator. Dieser hat analog zur Daphne-Episode - auch die Verwandlung der Heliaden, die um Phaethon trauern (2,340ff.), und die Dryope-Episode (9,324ff.) im Sinne einer 'Vermenschlichung' der entstehenden Bäume umgedichtet 1 . In l,553f. läßt er Apollo auch noch die verwandelte Daphne liebkosen und seine Hand auf ihren Stamm legen und teilt mit, daß der Gott ihre Brust beben spürt. Er hat dabei die in 2,66 (pavida trepidet formidine pectus) und 13,945f. (cum subito trepidare intus praecordia sensi | alteriusque rapi naturae pectus amore) jeweils vom Sprecher selbst geäußerte Formulierung, das Herz poche vor Furcht oder man spüre plötzlich - unter Einfluß der magischen Mittel - das Herz im Innern pochen, auf das Ertasten der ängstlich bebenden Brust der verwandelten Daphne durch Apollo übertragen - offenbar (wie R. Cramer gesehen hat) in Kontamination mit der - von ihm ebenfalls erweiterten Pygmalion-Szene met. 10,280ff. Dort heißt es von dem Jüngling 10,280

ut rediit, simulacra suae petit ille puellae

Ohne an dieser Stelle nähere Begründungen geben zu können, weise ich darauf hin, daß ich die folgenden Verse für interpoliert halte: 1. aus dem Phaethon-Heliades-Komplex: 2,316318. 325-328 (das nam pater von 329 schließt an excipit Eridanus von 324 an; in bewährter Manier ist der Zusatz durch Aufgreifen des Stichwortes fumantia angebunden). 333-339 (Clymene ist weit vom Schauplatz entfernt; der Interpolator sucht sie künstlich auf den Plan zu rufen; doch sie hat keine Funktion in dieser Phase der mythischen Erzählung). 343. 354363 (stark nach 9,344ff. geformt); 2. aus der Dryope-Episode: 9,356-366 (at puer haerent): der Interpolator läßt Mann und Vater in 363 leibhaftig auf den Plan treten, weil Dryope im Verwandlungsvorgang sich von ihnen und der - anwesenden - Schwester mit care vale coniunx et tu, germana, paterque (382) verabschiedet. 373-381 (viximus deorum). 385-393 (et quoniam - recentes): Der Abschlußcharakter ist zureichend durch 369f. (ac, dum licet [vgl. 8,717] oraaue praestant \ vocis iter, tales effundit in aëra questus) bezeichnet. Der Vers 392 (desierant simul ora loqui simul esse. [...]) stellt demgegenüber eine trivialisierende Wiederholung dar, der Vers 393 ([diuque] | corpore mutato rami caluere recentes) konstituiert ein ähnlich unovidisches Zwitterwesen, wie es in [met.] l,554ff. vorliegt. Die Dryope-Episode läuft in 383-385 ebenso mit dem letzten 'vale' und dem Hinweis auf das zukünftige Geschick des verwandelten Baumes aus wie die Philemon-Baucis-Geschichte in 8,717-720. Die ähnliche Verwandlung dieses Paares hat der Retraktator ohne Eingriff belassen (8,710ff.).

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

248

282

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incumbensque toro dedit oscula: visa tepere est [admovet os iterum, manibus quoque pectora temotat: temptatum mollescit ebur positoque rigore subsidit digitis ceditque, ut Hymettia sole cera remollescit tractataaue pollice multas flectitur in facies ipsoque fit utilis usu\x dum stupet et medio gaudet fallique veretur, rursus amans rursusque manu sua vota rétractai, corpus erat: saliunt temptatae pollice venae, tum vero Paphius pienissima concipit héros verba, quibus Veneri grates agat, oraaue tandem ore suo non falsa premit dataaue oscula virgo sentit et erubuit (...)·

Wie Pygmalion sein Elfenbein-Mädchen, das sich unter seinen Küssen zu erwärmen schien (281), liebkosend (amans. 288) immer wieder mit den Händen betastete (rursus ... rursusque manu ... rétractai)2 und mit seinen Fingern dessen Puls pochen spürte (das Mädchen spürte seinerseits die Küsse und errötete), so liebkost (arnat: 1,553) Phoebus die in einen Baum verwandelte Daphne, legt seine Hand auf den Stamm und fühlt unter der Rinde noch das Herz pochen, umarmt die Äste und küßt das Holz (das zurückweicht).

met. 8,597-600". 603-608 Die distanzierte Ausdrucksweise Ovids in 10,288 (manu sua vota rétractai) hat Montanus zum Pikanten hin vergröbert, wenn sein Pygmalion manibus quoque pectora temptat (10,282). Dieser Zug findet sich ganz ähnlich in der interpolierten Alternativfassung der Perimele-Episode des 8. Buches, wo der Interpolator - "perhaps (um ein eher skeptisch gemeintes Diktum von Hollis ad loc. [S. 104] auf unseren Iulius Montanus umzumünzen) the only interpolator of Latin poetry who could keep pace with such a consummate artist as P. Ovidius Naso" - die knappe Erzählung des Ovid 8,592

huic eeo virgineum dilectae nomen ademi; quod pater Hipoodamas aegre tulit inque profundum propulit e scopulo periturae corpora natae. excepi nantemaue ferens 'o próxima mundi 596 regna vagae ' dixi 'sortite, tridentifer, undae,

601 adfer opem mersaeque, precor. feritoie paterna. 602 609

1 2

da, Neptune, locum - vel sit locus ipsa licebit'. dum loquor, amplexa est artus nova terra notantes

Die Verse [met.] 10,282-286 sind mit gutem Grund von Mendner 55f. getilgt worden. Vgl. 254 saepe manus operi temptantes admovet-, 256 oscula dat.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen 610

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et gravis increvit mutatis insula membrís

um zwölf Verse erweiterte1, also folgenden Text publizieren wollte2: 8,592-594 595 597

600 600 a 600 b 602 603 605

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(s.o.) excepi nantemque ferens 'o próxima mundi regna vagae' dai 'sortite, trídentifer, undae, in quo desinimus, quo sacri currímus amnes, hue ades atque audi placidus, Neptune, precantem. huic ego, quam porto, nocui: si mitis et aequus, si pater Hippodamas*. aut si minus impius esset, debuit illius misereri, ignoscere nobis. cui quoniam4 tellus clausa est feritoie patema. da, Neptune, locum - vel sit locus ipsa licebit: II harte quoque conplectar! 's movit caput aequoreus rex concussitaue suis omnes adsensibus undas6. I extimuit nymphe, nabat tarnen; ipse natantis

Im Endergebnis um zehn; denn Vers 601 sollte durch die erste Sechsergruppe (597-600b) ersetzt werden, der Vers 609 durch die zweite (603-608). Das Wortmaterial dieser beiden Verse wurde - jedenfalls in den wichtigen Bestandteilen - in die beiden erweiterten Fassungen integriert. Insbesondere wurde in der uns schon bekannten Technik die Klausel des Verses 601 wörtlich in den Schlußvers der ersten Sechsergruppe (600b cui quoniam tellus clausa est feritale paterna) übernommen und so der enge Konnex mit 602 signalisiert, der Beginn adfer ooem .... precor aber durch 598 (hue ades atque audi placidus ... precantem) sinngemäß wiedergegeben. Auch die entscheidenden Stichworte des durch die zweite Sechsergruppe zu ersetzenden Verses 609 wurden in die Ersatzfassung hinübergerettet: Der Einsatz mit dum (loquor) steht jetzt in 607 dumaue ea contrecto, das Verb amplexa est in 603 (conplectar): der Hauptgedanke amplexa est artus nova terra notantes ist aufgespalten in natantis | pectora tangebam (605f.) und inducía condì praecordia terra (608), so daß das letzte Wort der zweiten hinzugefügten Versgruppe (terra) mit dem vorletzten des zu ersetzenden Verses 609 übereinstimmt und so - zusammen mit der in 605 vorweggenommenen Klausel - signalisiert, daß der auf terra notantes endende Vers 609 durch die neue Fassung überholt ist, also an 608 sofort der Vers 610 angeschlossen werden soll. Die echte Kurzfassung bietet auch hier wieder der italienische Hss-Zweig O (MN), dazu ELU. Aus 593 übernommen. Die erste sechszeilige Alternativfassung atmet den Geist einer mythologischen controversia des Deklamationssaals. So Bothe für überliefertes quondam; vgl. aus der Daphnis-Episode, die den Retraktator inspiriert hat, a¿ deus 'at quoniam ... ' (1,557). Vgl. den gleichen Interpolator in 1,553 hanc quoque Phoebus amat; 555 conplexusque ... ramos, ut membra. Vgl. 8,780f. adnuit his capitisaue sui pulcherrima motu | concussit gravidis oneratos messibus agros: 1,179f. terrificam capitis concussit teraue auateraue \ caesariem, cum qua terram. mare, sidera movit (vgl. in l,244f. dicta Iovis pars voce probant ... \ ..., alii partes adsensibus inplent\ 1,251 rex superum trepidare vetat); Aen. 10,115 adnuit et totum nutu tremefecit Olvmpum: Catull. 64,204ff. adnuit invicto caelestum numine rector: | quo motu tellus atque hórrida contremuerunt \ aequora concussiaue micantia sidera mundi (so Pleitner für concussitque m. s. mundus).

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

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608 610

pectora tangebam trepido salientia motu1 dumaue ea contrecto2, totum durescere sensi corpus3 et inducía condì* praecordia terra et gravis increvit mutatis insula membrís.

Die doppelt unterstrichenen fettgedruckten Wörter und Wortkombinationen hat der Interpolator aus den beiden unterdrückten ovidischen Versen 601 und 609 in seine erweiterte Fassung hinübergerettet; die nur fettgedruckten Wörter und Wortkombinationen treten ganz ähnlich in den verwandten, von nicht-ovidischer Hand ausgeschmückten Metamorphoseszenen des ersten und neunten Buches, also in den erweiterten Daphnis- bzw. Dryope-Episoden, auf, in denen der fremde Zusatz nicht durch divergierende Überlieferung der Handschriften kenntlich wird. Es handelt sich in beiden Fällen um den gleichen Interpolator, dessen ausschmückende, erweiternde Zusätze offenbar dort voll in den Text integriert worden sind, wo sie einfach einzuschieben waren. Mußte aber ihre Integration durch die Unterdrückung echter Ovidverse erkauft werden, wurden sie als Sondergut - vermutlich am Rand - mitgeführt, so daß sie in einer Reihe unserer Codices fehlen.

1

2

3 4

Der Interpolator variiert seine eigene Erfindung von l,553f. positaque in stipite dextra | sentit... trepidare ... pectus (ν. ad loc.) und 10,282 manibus quoque pectora temptat. Das Verb contrectare verwendet der echte Ovid ein einziges Mal in der Junktur vulnus contrectare (Pont. 2,2,57f.). In erotischem Sinne begegnet es außer in der hier behandelten interpolierten Alternativfassung nur noch in dem ebenfalls nicht-ovidischen Acontius-Brief, den ich gleichfalls dem Iulius Montanus zuschreibe: epist. 20,141ff. dumque (vgl. [met.] 8,607) suo temptat salientem ([met.] 8,606) pollice venam (der ganze Vers ist nach met. 10,289 geformt, ν. ad loc.) | candida per causam bracchia saepe tenet \ contrectatque sinus et forsitan oscula iuneit. Dort folgt in 149 quam tangis (vgl. [met.] 8,606), nostra futura est; vorausgeht in 145 quis tibipermisit nostras praecerpere messes? - ein im OvidCorpus ebenso singuläres Kompositum mit dem Präfix prae- wie praecontrectare in [met.] 6,478. Aber die Verse [met.] 6,478-482, die durch spectat eam Tereus praecontrectatque videndo eingeleitet werden, sind ebenfalls unecht: Sie unterbrechen den engen Konnex zwischen 483 (vincitur ambarum genitor prece) und den zuvor geschilderten Bitten der beiden Parteien (467ff. 475-477; vgl. 497), nehmen vergröbernd vorweg, was erst in 490ff. am Platze ist. Man muß nur repetens faciem motusque manusque (491) neben praecontrectatque videndo halten, um den Stilunterschied zu sehen; vgl. 515 nusquam lumen detorquet ab illa; 518 spectat (vgl. 455 conspecta) sua proemia raptor. Das Trikolon pro stimulis (vgl. 459 exstimulat) facibusque ciboquefiiroris | accipit (480f.) ist ebenfalls im Zusammenhang zu stark und kombiniert inkommensurable Begriffe (so Börner ad loc., der auf das "Chaos der Gefühle" abhebt). Wie im Falle der Kurzmessung des Präfix prae- dürfen wir auch hier auf den gleichen Autor schließen: Iulius Montanus. Ähnlich schreibt der gleiche Interpolator in 9,357f. rigescere sentit \ ubera. Vgl. den ebenfalls vom Interpolator stammenden Schluß der Dryope-Episode (9,391 conteggi inductus morientia lumina cortex) und sein sub eodem cortice condì in 9,362.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen

251

met. 6,281. 282" (9,178f.) Doch auch diese Verhältnisse können leicht, etwa durch partielle spätere Integration, verwischt werden. Die Reaktion Niobes auf den Verlust ihrer sieben Söhne lautete beim echten Ovid: 6,280 282

285

'pascere, crudelis, nostro, Latona, dolore, coraue ferum satia' dixit: 'per fuñera seotem efferor. exsulta yiçtrixque inimica triumphal cur autem yictrix? miserae mihi plura supersunt, quam tibi felici: post tot quoque fuñera vinco. '

Der Interpolator wollte im Hinblick auf die verwandte Reaktion des Hercules in 9,176ff. und in Erinnerung an trist. 3,11,35 (pendimus en profugi - satia tua pectora - poenas) folgende Fassung herstellen: 6,280 281 282 a 283

'pascere, crudelis, nostro, Latona, dolore, pascere ' ait 'satiaaue meo tua pectora luctu, dum pars nostra iacetx et dum2 per fuñera Septem efferor. exsulta victrixque inimica triumphal (...')

Er hat also aus Vers 282 unter Bewahrung der Klausel und des sinntragenden Verbs satia zwei Verse gemacht, die der Epanalepse von pascere ... \ pascere in 9,176f. durch die Anapher pascere ... | pascere Rechnung tragen und den Ablativ cladibus ... nostris von 9,176 durch den ersten dum-Satz von 282a wiedergeben, die Wirkung des anaphorischen Versbeginns (pascere - pascere) aber verstärken durch parallele Konstruktion der jeweiligen zweiten Vershälften (nostro ... dolore - meo ... luctu). Das Ziel war offenbar eine Steigerung des Pathos. Während nun der Vers 282a von allen Handschriften außer Wep aus dem Text ferngehalten und allenfalls als Randzusatz (in P, von späterer Hand in Nv) mitgeführt wurde, ist Vers 281 so früh integriert worden, daß er in allen Hss steht. Unmöglich aber kann 281 mit 282 kombiniert werden, weshalb schon Heinsius einen von beiden Versen getilgt sehen wollte. Denn ait (281) steht in Konkurrenz zu dixit (282) und satiaque ... tua pectora zu corque ferum satia. Da efferor notwendig durch die Explikation per fuñera septem bestimmt werden muß, ist Vers 281 als fremder Eindringling entlarvt, der sich offenbar von dem Verbund mit 282a gelöst hat und allein vom Rand in den Text übernommen worden ist. Ebenfalls im Interesse, das Pathos zu steigern, hat der gleiche Montanus den Hercules-Passus des 9. Buches an die Niobeszene angeglichen, indem er 1 2

Längung in der Penthemimeres vor et ist beim echten Ovid selten (vgl. 7,61 ... ferar et). Der echte Ovid meidet dum ...et dum, stellt vielmehr dumque .... dum bzw. dum ..., dum asyndetisch nebeneinander.

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

252

dort zwei Verse eingeschoben hat, deren erster aus zwei Bestandteilen des Niobe-Abschnitts zusammengesetzt ist: 9,176

'cladibus' exclamat 'Saturnia, pascere nostrìs! pascere et hanc pestem specta, crudelis, ab alto 178 Γ coraue ferum satia}. vel si miserandus et hosti2. 179 hoc est3, si tibi sum, diris cruciatibus aegram4] 180 invisamque animarti natamque laboribus auf er. mors mihi munus erit: decet haec dare dona novercam5.

Offenbar im gleichen Überarbeitungsgang hat so Montanus das ursprüngliche corque ferum satia von 6,282 einerseits durch satiaaue ... tuapectora variiert (6,281), andererseits aber durch Übertragung nach 9,178 zugleich pietätvoll bewahrt. Während jedoch die beiden Zusatzverse 9,178f. einfach in den Originaltext einzuschieben waren und deshalb von allen Handschriften in der oben gedruckten Reihenfolge geboten werden, sollten die Verse 6,281. 282a den Vers 282 ersetzen und blieben offenbar wegen dieser schwierigeren Prozedur zunächst am Rand stehen. Der Vers 281 wurde jedoch noch in einer so frühen Überlieferungsstufe vor dem Vers 282 (den er ersetzen helfen sollte) integriert, daß er dort in allen Handschriften erscheint. Der Vers 282a aber wurde wegen der mit 282 identischen Versklausel nicht integriert und blieb deshalb in den meisten Codices unberücksichtigt. Nur einige wenige haben seine Existenz gerettet, einige nur in Form eines Randnachtrags (s.o.).

met. 8,285

Ein verwandter Gang der Überlieferung hat in met. 8,285f. dazu geführt, daß der zunächst am Rand piazierte, von Heinsius getilgte Alternativvers 285 in

1 2

3 4

5

Identisch mit 6,282. Vgl. 6,276 invidiosa suis, at nunc miseranda vel hosti. Der Gedanke nimmt hier das pointierte decet haec dare dona novercam (181) voraus. "Ein wenig pedantisch" (Börner ad loc.) - in der Tat! Zu speziell auf die Qualen gemünzt, die das Nessus-Gift verursacht hat, während die Aussage des Verses 180 umfassender zu verstehen ist. Wenig später hat er den Katalog der Herculestaten, wie er in 9,182-186. 197f. gegeben war, durch den Einschub 9,187-196 vervollständigt und kurz zuvor - wie Anke Frevel gesehen hat - die Verse 9,141-151 eingeschoben, um die Feststellung in cursus animus varios abit (152) durch eine Folge verschiedenartiger Überlegungen zu exemplifizieren, die Deianira anstellt, als sie von der Liebe des Hercules zu Iole erfährt. Erinnert sei an den gleichen Interpolationstyp in [Aen.] 7,254-258 (v. ad loc.). Eine - wenngleich unstimmige - Ausmalung anderer Art der Verse Aen. 7,347f. liegt in [Aen.] 7,349-353 vor (v. ad loc.).

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte unechte Alternativfassungen

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vielen Handschriften den ursprünglichen Vers 286, den er nach dem Willen des Interpolators ersetzen sollte, tatsächlich verdrängt hat 1 : 8,284

285

sanguine et igne micant oculi, rieet hórrida cervix II [et saetae similes rieidis hastilibus horrent1 stantque velut vallum, velut alta hastilia saetae.

Wieder ist der Interpolator so verfahren, daß er die Klausel hastilia saetae des Verses, den er durch einen verständlicheren ersetzen wollte, im Wortmaterial seines neuen Verses bewahrte 2 . Der Vergleich stantque3 velut vallum schien ihm offenbar zu unspezifisch; aber die von Börner angeführten Parallelen4 zeigen, daß dieser Vergleich mit einem P a l i s a d e n wall in Rom durchaus gängig war. In am. 1,14,15 kombiniert Ovid mit der Haarnadel das vallum pectinis, Gellius (1,15,3) spricht vom vallum dentium, Cicero nennt die Augenwimpern eine Art vallum pilorum (nat. deor. 2,143 munitaeque sunt palpebrae tamquam vallo ρ ilo ru m) und bei Manilius trägt die hórrida Spica (das Sternbild) valiant i s corpus aristas vor sich her (5,270f.). Damit dürfte die Abfolge riget horrida cervix - stantque velut vallum ... saetae (284. 286) als unanfechtbar erwiesen sein. Daß sie zudem - gegenüber der stark tautologischen von 284. 285 - bei weitem gewählter formuliert ist, liegt auf der Hand. Die chiastische Abwandlung von riget hórrida zu rigidis horrent (284f.) entspricht den formalen Spielereien, die wir von Montanus gewohnt sind (s. etwa S. 31 lf. 473f.), ebenso die Auflösung der Klausel hastilia saetae (286) in 285 (saetae similes ... hastilibus)5. Durch die Umformulierung verliert die Periode micant oculi. riget ... cervix \ stantque velut ..., velut ... saetae die durch zunehmende Sperrung von Verb und (jeweils am Ende stehendem) Subjekt aufgebaute Spannung und verflacht zu einem kraftlosen et saetae ... horrent. Dabei hat den Montanus sein Hang zur Hypallage vom Sprachgebrauch Ovids abgeführt, der in solchen Fällen die terga des Ebers, und nicht die saetae zum Subjekt des Verbs horrere macht, vgl. met. 8,428f.

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Während Vers 285 einhellig im Text überliefert ist, wird der Vers 286 nur von den Handschriften FLP im Text, von W am Rand geboten; in EMNSU ist er von zweiter Hand am Rand nachgetragen. Er hat sie einerseits kombiniert mit dem Schluß des Verses 284, andererseits mit 8,428f. (rigidis horrentia saetis \ terga\ vgl. 13,846) und vielleicht Aen. 3,23 (densis hastilibus hórrida myrtus). Vgl. 7,630f. pavido mihi membra timore \ horruerant stabantaue comae: 10,425 vertice canities rigidis stetit hirta capillis. Cie. nat. deor. 2,143 (siehe gleich im Haupttext); Liv. 8,8,10; 31,39,10 (praelongis hastis velut vallum ante clipeos obiecit)·, etc. Siehe zu met. 8,609/605, vor allem aber zu Aen. 9,75/[Aen.] 7,76.

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Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

(rigidis hqrrentia saetis \ terga)·, 13,486f. (rigidis horrent densissima saetis \ corpora·, 14,278f. saetis ... horresçere coepi1).

2. Durch Divergenz der Handschriften entlarvte Plusverse Außer Betracht bleiben alle 'mechanischen', durch Augensprung verursachten Ausfälle wie 1,325. 426b. 427a. 481. 591; 2,147. 489. 490; 9,88f. etc2. Durch den Vers [met.] 1,477 (om. eMN1) soll wenigstens in einem Detail die Schönheit Daphnes ausgemalt werden: vitta coercebat positos sine lese capillos. Aber diese wird erst, als Phoebus sie erblickt und sich in sie verliebt, im Detail beschrieben, beginnend mit den Haaren (497): spectat inornatos collo pendere capillos. Ihnen hat der Interpolator nach dem Muster der Kallisto (2,413 vitta coercuerat neglectos alba capillos) eine Binde umgelegt und durch eine Reminiszenz an ars 3,133 (non sint sine lese caoilU) seine zweite Vershälfte gewonnen, die er (Montanus) ein weiteres Mal in epist. 15,73 {ecce iacent collo positi sine lese capilli) einsetzt. In [met.] 1,742 (om. eMN1) wird eine Kontrastimitation zu 2,670f. (tum digiti coeunt et quinos adligat ungues \ perpetuo cornu levis ungula) versucht; vgl. jedoch 14,303ff., wo ebenfalls von Fingern und Zehen nicht die Rede ist. Nach saetae, cornua, lumina, rictus und umerique manusque folgen in 1,744 die auf zwei reduzierten pedes, auf denen sich Io erhebt. Der Vers 742 (uneulaque in quinos dilapsa absumitur ungues) mit dem Detail von den fünf Zehen (und wo bleiben die digiti?) ist vor den pedes fehl am Platz. Vgl. die Kombination ubi pes? ubi sunt umerique manusque in 4,592. Die Verba dilabi und ab s um i passen nicht zur Bezeichnung der Aufgliederung des Hufes in fünf Zehen. Börner verweist auf 5,427 (Cyane) lacrimis ... absumitur omnis; 14,824f. corpus mortale (Romuli) per auras di lap s um tenues.

Auch das Hemiepes des von Heinsius getilgten Verses [met.] 7,186 a ( s o p i t a e similis, nullo cum murmure serpens), dessen zweite Hälfte mit der von 186 identisch ist (vielleicht mit Ausnahme der finiten Verbform serpit), klingt stark nach der Ausdrucksweise des Montanus (zu similis vgl. [Aen.] 7,502; [met.] 8,285; zu sopitus frg. 2,2; s. S. 407 Anm. 4). Es läßt sich nicht mehr feststellen, ob dieses Hemiepes den Rest einer Alternativfassung ausmacht, die einen nach 186 anzusetzenden Versausfall beheben sollte oder erst verursachte. Jedenfalls fehlt nach 186 die Benennung des Flusses, der nullo cum murmure serpit (vgl. 2,455f.; 5,587f.; l l , 6 0 2 f f . ; fast. 3,18. 273) und aus dem Medea in 189f. schöpft. Beiwege sei auf die beiden Plusverse aus Ovids Liebesdichtung, die durch Divergenz der Handschriften als unecht entlarvt werden, verwiesen: [am.] l,13,33f. om. PYS (das Distichon nimmt das Stichwort Cephalum von 39 vorweg); man vergleiche die unterschiedliche Anordnung des unechten 'Traumgedichtes' III 5 in den Hss (siehe Kenneys Apparat).

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte Plusverse

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Der Vers 2,192 steht in exEFLM nach 194. Ich sehe darin ein Indiz für eine unvollständige Eingliederung der auf den Rand aufgetragenen unechten Verse [met.] 2,191f., die das Motiv aus 2,169f. wiederholen, in quidque agat ignarus eine Doppelung zu quid faciat? (187) einführen, in nec frena remittit eine weitere zu 169 nec qua ... flectat habenas (seit) und zu 200 lora remisit und in valet das valuisse von 183 wieder aufnehmen. Die Klausel nec nomina novit equorum mutet uns in dem hochdramatischen Zusammenhang eine Banalität zu 1 . Ignarus hat auch der Interpolator des Verses [Aen.] 8,627 verwendet (v. ad loc.). Der Vers [met.] 3,34 fehlt in dem ältesten Textzeugen, dem Fragmentum Bernense (α), in dem die Verse 32f., wohl wegen der Homoioteleuta antro, auro, veneno (31-33), doppelt gegeben sind. Er verrät sich schon aufgrund der Wiederholung des Verbs micant, das Heinsius in Anlehnung an zwei codd. deteriores zu Unrecht durch vibrant ersetzen wollte (vibrare mißt Ovid immer mit positionslanger ersten Silbe), als unecht: 3,31

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(conditus antro) Martius anguis erat Cristis praesignis et auro: igne micant oculi, corpus turnet omne veneno. II \tresaue micant lineuae. triplici stant ordine deniesΛ

Montanus hat das Schlangengleichnis Aen. 2,471-475 in [georg.] 3,437-439 genutzt (v. ad loc.) und den Vers Aen. 2,475 (arduus ad solem, et lineuis micat ore trisulcis) = [georg.] 3,439 hier in [met.] 3,34 ein weiteres Mal ausgebeutet. Die Zunge des Cadmus spaltet sich später bei seiner Verwandlung in einen Drachen nur in zwei Teile (4,586f.); also wird Ovid das Reptil, das er durch Cadmus erlegen läßt, nicht furchterregender gemalt haben. Dagegen ist der Drache, der in Kolchis das goldene Vlies bewacht, crista lineuisaue tribus praesisnis etuncis \ dentibus horrendus (met. 7,150f.). Diese Stelle hat Montanus mit dem genannten Vergilvers kombiniert und dabei die unci denies des Drachens von Kolchis mit Blick auf die tres linguae zu einer Dreierreihe von Zähnen überhöht - eine sonst nirgends belegte "Augenblickserfindung des Dichters" (Börner zu 3,34), in die zusätzlich eine Reminiszenz an die drei Ruderreihen der 'Chimaera' des Gyas aus Vergils Schiffswettkampf eingeflossen ist, vgl. Aen. 5,119f. triplici pubes quam Dardana versu \ impellunt, terno consurgunt ordine remi. Der Vers [met.] 4,227 ist in den Hss MN ausgelassen, jeweils von zweiter Hand nachgetragen. Er dehnt die äußerst geraffte Erzählung durch eine auf rhetorische Antithetik (omnia qui video, per quem videi omnia

M. Deufert beanstandet die Folge et nec ... nec ... nec und weist darauf hin, daß Ovid sonst nur et neque am Anfang des Hexameters schreibt, vgl. (nicht weit entfernt) met. 2,231 oder 3,491.

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

256

te II us) gestellte Erläuterung zu ille ego sum..., gm longum metior annum, \ mundi o cuius (226. 228). Doch die Ersetzung von mundus durch tellus ist ein schwerer Mißgriff, vgl. 2,35 lux immensi publica mundi und Manil. 1,133 (Sterne sind oculi mundi). Der Interpolator wurde durch 4,169 (siderea qui temperai omnia luce) und 4,172 (videi hic deus omnia primus) angeregt. In [met.] 4,767. 768 scheint ein ähnlicher Überlieferungsvorgang vorzuliegen wie in l,544ff., wo die Eingliederung einer unechten Alternativfassung zur Textverwirrung geführt hat (v. ad loc.): postquam epulis functi generosi muñere Bacchi diffudere ánimos, cultusaue eenusaue locorum 767 II \auaerit Ly neide s moresque animumaue virorum.1 767 a auaerit Abantiades: quaerentiprotinus unus \ \ 768 II Γnarrai Ly nei de s1 moresque animumaue viroruml2. qui simul edoeuit 'nunc, o fortissime', dixit, 'fare, precor, Perseu (...")·

4,765

Durch Fettdruck habe ich die m. E. ovidische Textfassung herausgehoben. Es fehlen offenbar nach 767a ein oder mehrere Verse. Der Ausfall kann durch Verdrängung bei der Eingliederung der beiden unechten Verse erfolgt sein. Für die Echtheit von 767a spricht die Parallele 6,656 atque ubi sit quaerit: quaerenti iterumque vocanti (... prosiluit)3, ferner 3,116f. 'ne cape' de populo, quem terra creaverat, unus \ exclamat (...), schließlich - unserer Stelle benachbart - 4,790ff. excipit unus \ ex numero procerum quaerens. cur... | ... | hospes ait: '...'. Der Interpolator wollte für Abantiades das erlesenere Lyncides von 5,99. 185 einführen und zudem die Frage von den Örtlichkeiten (766) auf die Sitten der Bewohner (767) ausgedehnt wissen. Es ist aber ausgeschlossen, daß Ovid eine Frage mit zwei so gleichgebauten, übermäßig langen, gleichklingenden Objektbestimmungen gefüllt hätte. Allein der Singular animum neben mores, der aus dem Bestreben gewählt ist, den Gleichklang mit ánimos von 766 zu vermeiden, wäre zureichend, die Verse 767 und 768 dem feinfühligen Stilisten Ovid abzuerkennen. Der Interpolator hatte in 766 den Anklang an georg. 1,5lf. (ventos et varium caeli praediscere morem \ cura sit ac patrios cultusque habitusque locorum) erkannt4 und wollte den von Ovid

1

2 3 4

Dieser Vers kann schon deshalb nicht echt sein, weil bereits der Vers 772 schon wieder anhebt mit narrai Aeenorides. Drei verschiedene Papponymika neben dem Vokativ Perseu in 770 sind des Guten zuviel! Es hat den Anschein, daß wir in Vers 768 (einem Abklatsch von 767) einen Zusatz von späterer, nichtmontanischer Hand vor uns haben, die die Lücke notdürftig flicken wollte. 767 a . 768 om. A, in marg. L 3 N 4 U 3 h 3 v 3 , in textu Barb., o. Vgl. 7,685ff. tum vero iuvenis Nereius omnia quaerit, \ ...; \ quae petit ille referí. Er hat diese Stelle in [met.] 7,57f. (oppida, quorum \ hic quoque fama viget, cultusque artesaue locorum) selbst wieder genutzt.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte Plusverse

257

ausgesparten Begriff morem durch Kontamination mit einer verwandten Horazstelle (epist. 2,l,249f. mores animiaue virorum | clarorum adparent) nachtragen1. Der Vers [met.] 7,170 (om. FUVh 1 ), ist von Heinsius zu Recht getilgt worden: 7,169

170

nec tenuit lacrimas: mota est pietate rogantis, II [dissimilemque animum2 subiti Aeeta relicto!?] nec tarnen adfectus tales confessa 'quod' inquit 'excidit ore tuo, coniunx, scelus? (...')

Der Gedanke an ihre eigene Treulosigkeit dem Vater Aeetes gegenüber paßt nicht zu den Worten (und Plänen) der Medea. Der echte Ovid hat Aeetes in den ganzen Metamorphosen nirgends namentlich erwähnt, auch sonst in keinem seiner Werke, denn [Pont.] 3,1,120 (filiave Aeetae voce movenda tua est) gehört zu dem interpolierten Passus 3,1,95-132 (v. ad loc.)4. Um so eifriger nennt ihn Montanus an weiteren Stellen: epist. 6,50 senis Aeetae; 12,31 Aeeta-, 12,53 Aeetes; 17,233 Aeetes. Ovid verbindet in met. 2,755f. unpersönliches subit (im Sinne von 'sich erinnern') mit Acl, in 12,472 unpersönliches mentem subit mit indirektem Fragesatz. Persönlich konstruiertes subit steht einmal in fast. 2,753f. (pugnarais imago \ me subit), danach mehrmals in der Exildichtung: trist. 1,3,1 cum subit illius tristissima noctis imago: 3,2,21 Roma domusque subit desideriumque locorum·, Pont. 1,8,32 nunc mihi cum cara coniuge nata subit. Montanus ist in [Pont.] 1,8,36 mit nunc subit aequata porticus omnis humo fortgefahren (ν. ad loc.); er hat in epist. 13,121 cum Troia subit, in 13,51 quotiens subiit miserabile bellum und anaphorisches persönlich konstruiertes subiit in [Aen.] 2,560ff. subiit cari genitoris imago. | ... I ..., subiit deserta Creusa \ et direpta domus et parvi casus Iuli (s. S. 43)5. Der Aeneis-Zusatz nimmt sich geradezu als Kombination der drei oben aufgeführten Stellen aus der Exildichtung aus. Die Klausel von [Aen.] 2,562 (subiit deserta Creusa) stimmt aber so eng mit der Klausel des hier behandelten Metamorphosenverses überein, daß an beiden Stellen die gleiche Hand, Montanus, kenntlich wird.

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3

4

5

Vgl. trist. 3,8,37f. cumque locum moresque hominum cultusque sonumque \ cermmus. Die Junktur dissimilis animus scheint in der einschlägigen Dichtung nur noch Lucr. 4,787 aufzutauchen (von der Spätantike sehe ich ab). Ein Abklatsch dieses Verses (dissimilemque animum subiit aetate relictas) erscheint nach 7,293 als schwächliche Interpolation in den Hss FLPUhv (nicht aber in EWo). Medea nennt er zweimal Aeetias (met. 7,9. 326) während Montanus in App. Verg., Maecen. 1,110 die Form Aeetis wählt. In Aen. 10,824 ist mit der Hs M et mentem patriae strinxit (subiit PR) pietatis imaeo ("rührte ans Herz") zu lesen, wie aus dem interpolierten, von Peerlkamp getilgten Zitat [Aen.] 9,294 (atque animum patriae strinxit pietatis imaeo) hervorgeht (v. ad loc.).

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

258

met. 7,687f.: siehe Tarrant, TAPhA 117, 1987, 291f. [met.] 7,762 fehlt in vE, ist von späterer Hand nachgetragen in FLMNPWa, fügt sich nicht in den Zusammenhang; siehe Tarrant, TAPhA 117, 1987, 291. [met.] 8,87 om. vMi^W 1 , del. Heinsius: siehe Tarrant, Reader 138. [met.] 8,317a nur in MPh: siehe Tarrant, TAPhA 117, 1987, 290. [met.] 8,525 om. E Plan., in marg. U, del. Heinsius. Wenngleich kein eigentliches Homoiarchon oder Homoioteleuton vorliegt, dürfte der Ausfall dennoch 'mechanisch' (wegendes anaphorischenpaulatim) zustandegekommen sein. [met.] 9,197a, überliefert nur in Ph und am Rand von Fa und (von späterer Hand) NW: siehe Tarrant, Reader 1401. [met.] 11,57a fehlt in den Hss außer NSU, siehe Tarrant, TAPhA 117, 1987, 288. Nicht auszuschließen ist ein nachträglicher Ausfall aufgrund eines Augensprunges wegen der Buchstabenähnlichkeit (os petit et/lambit et - sparsos stillanti/hymniferos2 inhiat - rore/divellere - capillos/vultus). Riese und Mendner (9f.) haben zu Recht zusätzlich den Vers 11,59 getilgt, siehe ll,58f. tandem Phoebus adest morsusque inferreparametri | [arcet et in lapidem rictus serpentis apertos] | congelât et patulos, ut erant, indurai hiatus. Der Zusatzvers soll das preziose congelât explizieren und trägt dabei eine typisch montanische Abundanz4 in den Text. Die fremde Hand verrät sich durch die nichtidiomatische Junktur congelât in; vgl. dagegen met. 6,306f. ipsa quoque interius cum duro lingua palato \ congelai; 15,415 vertitur in lapides et congelât aere tacto (ohne [in]durare\)\ trist. 3,10,29f. caeruleos ventis latices durantibus Hister \ congelât et tectis in mare serpit aquis\ so auch Montanus in Epiced. Drusi 113 congelât interdum lacrimas duratque tenetque. Die Verse [met.] 11,736-738 stehen in Ρ am Rand und sind von Heinsius getilgt worden. Ursache des Randzusatzes ist jedoch ein Homoioteleuton, so daß hier der Nachtrag nicht als Unechtheitsindiz gewertet werden kann. Gleichwohl sind die Verse unecht: Alcyone sieht den Leichnam ihres Mannes im Meer schwimmen, springt vom Ufer auf eine vorgeschobene Mole und wird dabei in einen Vogel verwandelt: 11,731

insilit hue. mirumque fliit potuisse:

volabat,

S. 152f. hat Tarrant zu Recht [met.] 9,520 für interpoliert erklärt. Zum Auftakt ei mihi! quo labor? sei an [ars] 3,742 labor, io! erinnert (S. 578). Hier scheint die gleiche Hand am Werk wie in [Aen.] 6,473 (in nemus umbriferum, s. S. 497). Zu morsusque inferre (sc. capiti) parantem vgl. Montanus in [met.] 7,13If. (hastas \ in caput Haemonii iuvenis torquere parantes). Siehe das Register s.v.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte Plusverse

736 738

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percutiensque levem modo natis aëra pennis stringebat summas ales miserabilis undas, dum que volat, maesto similem plenumque querellae ora dedere sonum tenui crepitantia rostro, [ut vero tetigit mutum et sine sanguine corpus, dilectos artus amplexa recentibus alis frigida nequiquam duro dedit oscula rostro. 1 sense rit hoc Ceyx an vultum motibus undae tollere sit visus, populus dubitabat; at ille sense rat, et, tandem superis miserantibus, ambo alite mutantur.

Während der Eisvogel (Alcyone) fliegt, stößt er den für ihn charakteristischen Klagelaut aus seinem spitzen Schnabel aus. Es schien unklar, ob der tote Ceyx diesen Klageruf gehört hat oder sein Gesicht nur durch die Bewegungen der Wellen gehoben wurde; doch er hatte den Klageruf tatsächlich gehört, die Götter erbarmten sich und verwandelten auch ihn in einen Vogel: Dies ist der Geschehensablauf beim echten Ovid. Sentire kann ja seit Plautus (Cure. 156 sentio sonitum) eine akustische Wahrnehmung bezeichnen, vgl. Cie. off. 1,146 und georg. 4,333f. (at mater sonitum ... | sensit). Dies wußte natürlich auch Montanus. Aber er hat sich durch das Verb zu einem Zusatz animieren lassen, der auf die (gewöhnliche) Bedeutung "fühlen" gestellt ist. Seine verwandelte Alcyone berührt den stummen, blutleeren Leichnam, umfangt mit den frisch gewachsenen Flügeln den geliebten Körper - welch bizarre Vorstellung angesichts der kurzen Spannweite des kleinen Eisvogels! - und gibt ihm mit dem harten Schnabel frostige Küsse, umsonst! Da aber unmittelbar anschließend gesagt wird, daß der tote Ceyx tatsächlich etwas wahrgenommen hat und zu neuem Leben, einem Vogelleben, erweckt wird, verrät das nequiquam von Vers 738 die fremde Hand ebenso wie die unmotivierte Wiederholung dedit ... rostro. Die Kombination zweier inhomogener Attribute, wie sie in mutum et sine sanguine corpus vorliegt (736), hat Montanus ein weiteres Mal in die Metamorphosen eingeführt: [met.] 13.290 rudis et sine pectore miles1. Vorbildstelle mögen am. 1,7,51 (albo et sine sanguine vultu) und met. 8,518 (ignavo ... et sine sanguine leto) sein. Hinter dilectos artus amplexa dürfte wieder 2 die Pyramus-Thisbe-Szene stehen (4,139 amplexaaue corpus amatum): die Klausel recentibus alis führt eine montanische Doppelung zu modo natis ... pennis (732) ein. Frigida ... oscula sind in der Dichtung erstmalig bei Montanus hier (738) und in epist. 11,119 (non oscula frigida carpsi) belegt; danach Stat, silv. 2,l,172f. und Coripp. lustin. 3,29 (der offensichtlich die Heroidesstelle

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Der Abschnitt [met.] 13,280-295 ist unecht (v. ad loc.). Siehe S. 583 mit Anm. 1.

260

Spuren des Montarais in der Überlieferung der Metamorphosen

imitiert). Die zweite Vershälfte (duro ded.it oscula rostro) ist nach met. 14,391f. (duro fera robora rostro \ figit) geformt: es sind dies die beiden einzigen Stellen für diese Junktur in der Dichtung vor Ennodius. Doch während das Attribut durus im Falle des von Circe in einen Specht verwandelten Picus, der seinen harten Schnabel zornig in die Baumstämme hämmert, vorzüglich paßt, wirkt es im Zusammenhang des versuchten Kusses abwegig - wie überhaupt der Schnabelkuß zwar bei einem Taubenpärchen angemessen ist (Catull. 68,127; Ov. ars 2,465), aber schlecht erfunden scheint in der Kombination weiblicher Vogelschnabel, männlicher Leichenmund: wieder spielt dem Montanus seine bizarre Phantasie einen Streich. Κατ' άνήφρασιν hat er hieraus den mütterlich hegenden Schnabel der Schwalbe gewonnen, die molli ... ore ihre Nestlinge füttert (frg. 1,4; s. S. 312ff.). [met.] 12,230f. fehlen in MNS, sind zu Recht von Merkel getilgt worden: siehe Tarrant, Reader 1381. [met.] 12,434-438 fehlen in allen Hss außer PUhv, wo sie als Randnachtrag von späterer Hand erscheinen, s. Tarrant, Reader 146, der auf die Nähe des Vergleiches 435-438 zum Moretum (38-42) verweist, das wir ebenfalls dem Montanus zuerkennen. Die Greuelbeschreibung des aus Mund, Nase, Augen und Ohren austretenden Gehirns (434f.) erinnert an die Verstümmelungen des Deiphobus in [Aen.] 6,494-496 (v. ad loc.). Das sonst in der Dichtung nicht belegte Stichwort volubilitas (434) überführt den Verfasser dieser Verse und den Verfasser des ebenfalls in den meisten Hss - allerdings vielleicht nur aufgrund eines Homoioteleutons - fehlenden Zusatzes [fast.] 6,271-276: es handelt sich jeweils um den gleichen Autor, den wir aufgrund sonstiger Indizien mit Montanus identifizieren dürfen. Der Superlativ latissima (434) findet sich vor Statius (Theb. 6,676) in der Dichtung nur ein weiteres Mal bei Montanus (epist. 2,111). Perque os (434) steht bereits 12,295 (und zuvor in 11,41). Zu perque cavas nares (435) vgl. ars 1,520 inque cava nullus stet tibi nare pilus: sonst kein Beleg in der einschlägigen Dichtung, ebensowenig für cerebrum molle (erst wieder bei Coripp. loh. 5,111). 436f. concretum vimine quemo \ ¡ac: kontaminiert aus georg. 3,463 (et lac concretum cum sanguine potat equino) und Aen. ll,64f. (molle feretrum \ arbuteis texunt virgis et vimine quemo). 437f. liquor ... manat: in der einschlägigen Dichtung nur noch im Culex des Montanus 306f. Teucria cum magno manaret sanguine tellus \ et Simois Xanthique liquor. In 438 (exprimitur per densa foramina spissus) fassen wir ein weiteres Mal in aller Klarheit den Montanus, hier als den Autor von medic. 89 (haec, ubi contrieris, per

Die Junktur magnanimus ... heros geht auf Aen. 6,307 zurück; Montanus hat sie auch in [georg.] 4,476 eingesetzt und in [Aen.] 6,649 wiederholt (v. ad loc.). Auch die Verse [met.] 12,230f. - wohl zunächst als Randzusatz gegeben - dürften also von Montanus stammen. Zu summovet instantes (231) vgl. met. 5,162 sustinet instantes.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte Plusverse

261

densa foramina cerne), s. S. 405. Die einschlägige Dichtung kennt keinen weiteren Beleg. Zu liquor... spissus vgl. Aetna 390 spissus crebropraebetur alumine sucus - ebenfalls von der Hand des Montanus1. [met.] 13,332 (del. Heinsius) ist ein typisch montanisch-elliptischer Vers, den sich der Leser zu dem Gedanken ergänzen muß: utque tui mihi < quondam copia facta est>, sic fiat tibi copia nostri (die Klausel stammt aus met. 3,391), s. S. 438ff. Der Vers scheint (beim Übertragen vom Rand) die zweite Hälfte von 333 verdrängt zu haben, falls nicht - wie Heinsius glaubte - Ovid den Vers unvollständig hinterlassen hatte; denn er fehlt in vielen Hss ganz; in E ist nur das Hemiepes te tarnen adgrediar überliefert; für die zweite Vershälfte liegen vier unterschiedliche Fassungen von jeweils späterer Hand vor; siehe Tarrant, TAPhA 117, 1987, 295f. [met.] 14,324f. Der Vers 325 ist in E von zweiter Hand am Rand nachgetragen; ich vermute, daß er bei der Integration des am Rand hinzugesetzten Verspaares 324f. verlorengegangen war. Denn beide Verse stören den Zusammenhang, in dem eine der vier Dienerinnen der Circe (una \ quattuqr e famulis, 31 Of.) die Picus-Episode erzählt: 14,322 324 325

forma viro, quam cernís, erat: licet ipse decorem adspicias fletaque probes ab imagine veram. [par animus formae: nec adhuc spedasse per annos quinquennem poterai Graia quater Elide pugnam.] ille suos dryadas Latiis in montibus ortas verterat in vultus, illum fontana petebant numina, naiades (...).

Da es von seiner erwählten Braut in 335 haec ubi nubilibus primum maturuit annis heißt, wollte Montanus auch einen Hinweis auf das Alter des Picus geben und legt der Sklavin eine komplizierte Rechnung nach Olympiaden in den Mund. Zusätzlich will er den Jüngling nicht nur wegen seiner körperlichen Schönheit, sondern auch wegen seiner Gesinnung gelobt wissen (par animus formaé)\ doch Ovid hat auch an dem Mädchen Canens nur ihre Schönheit und ihre Sangeskunst hervorgehoben (337 rara quidem facie, sed rarior arte canendi), und in 326ff. begehren alle Dryaden und Nymphen den Picus nicht wegen seiner Wesensart (von der wir erst später - indirekt - Kunde erhalten, 377ff.), sondern allein wegen seiner Schönheit (vgl. das Stichwort vultus in 327).

Unecht ist gewiß auch [met.] 12,461 (vulnera non memini numerum nomenque notavi), wodurch Montanus dem Leser das Fehlen der Verwundungen plausibel machen will, ihn in Wirklichkeit erst mit der Nase auf die Lücke stößt. Man darf wohl den Versschluß von Manil. 2,315 (numerumaue notare) anklingen hören.

262

Spuren des Montanus in der Überlieferung der Metamorphosen

Das Motiv par animus formae hat Montanus auch am Schluß der Fasti1 eingeführt ([fast.] 6,805 par animo quoque forma suo respondei, ν. ad loc.); vgl. die Kombination forma vigorque animi in epist. 16,51 und den ähnlich moralisierenden Ton in [ars] 2,119f. iam molire animum. qui duret, et adstrue formae: \ solus ad extremos permanet ille rogos (ν. ad loc.). Hinter [met.] 14,324 (par animus formae) dürfte Horazens sic visum Veneri, cui placet impar i s | formas atque ánimos sub iuga aenea | saevo mittere cum ioco (carm. l,33,10ff.) stehen. Auch die Klausel per annos ("in der Reihe", d.h. "im Laufe seiner Jahre")2 hat keine Entsprechung bei Ovid, allenfalls wieder bei Horaz, etwa carm. 3,22,6 (per exactos ... annos: "jeweils nach Ablauf eines Jahres") und carm. saec. 21f. certus undenos deciens per annos \ orbis ("ein fester Kreislauf von jeweils 110 Jahren")3. Die Verse met. 14,704-706 fehlen in W, die Hs U bietet die Reihenfolge 706. 705, die Hss MN lassen die Verse 705-707 aus (in Ν sind sie von zweiter Hand am Rand nachgetragen). Ursache eines Teils der Störungen dürfte das Homoiarchon et modo - et modo (in der Versfolge von U) sein; doch scheinen mir die Verse 14,705f. interpoliert: 14,702

705 706

supplex ad limina venit et modo nutrici miserum confessus amorem, ne sibi dura foret, per spes oravit alumnae; fet modo de multis blanditus cuique ministrisi sollicita petiit propensum voce favorenti s a epe ferenda dedit blandís sua verba tabellis, interdum madidas lacrimarum rore coronas postibus intendit...

Die Folge et modo - saepe - interdum (703-707-708) hat ja ihre Entsprechungen etwa in met. 4,310ff. (modo - saepe - nunc - saepe)·, 6,371ff. (modo nunc - modo - saepe - saepe)', 8,732ff. (modo - modo - nunc - nunc - modo saepe - saepe - interdum - interdum)·, 9,766ff. (modo - nunc - saepe); trist. l,3,95f. (modo - modo - saepe); met. 2,189f. (modo - interdum); 3,77ff. (modo - interdum - nunc); 4,197ff. (modo - modo - interdum); 13,54Iff. (modo - interdum - nunc). Der Dreischritt geht von der mündlichen Bitte an 1 2

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[fast.] 6,797-812 del. Zw. Das überlieferte tot annos läßt sich kaum halten, auch nicht, wenn man in 325 eine ungeschickte, präzisierende Apposition zu tot annos annehmen wollte ("soviele Jahre, nämlich viermal den alle fünf Jahre stattfindenden Wettkampf im griechischen Elis"). Die Formulierung von 324bf. erinnert an die ebenfalls eineinhalb Zeilen von der Hand des Montanus in [trist.] 2,25f. quo tempore luäos \ fecit, quos aetas aspicit una semel (2,23-26 del. Zw., v. ad loc.). Die Vorbildstelle trist. l,3,15f. (alloquor ... maestos ... amicos, \ qui modo de multis unus et alter erat) spricht für die überlieferte Variante de multis alicui blanditus amie is. die unter dem gleichen Vorbehalt wie das hier bewertete ministris steht.

Durch Divergenz der Handschriften entlarvte Plusverse

263

die Amme der Anaxarete um Vermittlung über schmeichlerische Liebesbriefchen zu den an der Tür der spröden Geliebten aufgehängten tränennassen Kränzen. Die Verse 705f. führen eine Doppelung ein (neben die Bitten an die Amme treten Bitten an die Diener) und stören so die Harmonie des Dreischritts. Das Attribut multis in 705 klingt wie ein Versfüllsel, blanditus nimmt blandís (707) vorweg. Wenn auf das schlecht überlieferte cuique in 705 Verlaß ist, wird es hier einmalig in der einschlägigen Dichtung mit partitivem de kombiniert. Das Verb petiit (706) wiederholt oravit (704); hinter sollicita ... voce steckt met. 10,639f. (cum me sollicita proles Neptunio voce | invocai Hippomenes), hinter propensum ... favor em die gleiche Junktur an gleicher Versstelle in Pont. 3,4,15 cunctaque cum mea sint propenso nixa favore. Die sprachlich-stilistische Form der in diesem Kapitel behandelten, handschriftlich dokumentierten Plusverse und ihre enge Verwandtschaft mit den sonstigen dem Montanus zugewiesenen Einschüben in den ovidischen Text führt zu der Annahme, daß über die interpolierten Ersatzfassungen hinaus (s.o.) auch die überwiegende Mehrheit dieser Plusverse auf Montanus zurückgehen. Sie waren ursprünglich wohl auf den breiten Rand eines als Revisionsexemplar gedachten Ovidtextes aufgetragen, sind aber zunächst nur unvollständig und auch im weiteren Verlauf der Tradition nur von manchen Schreibern in den Text integriert worden.

III. Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus Eine der drei Nachrichten, die uns über die Person des Iulius Montanus überkommen sind, steht in der Vita Vergili und läßt den Epigonen über die Möglichkeit sinnieren, dem Vergil Verse zu stehlen: ut Seneca tradidit Iulium Montanum poetam solitum dicere, involaturum se Vergi lio quaedam, si et vocemposset et os et hypocrisin: eosdem enim versus ipsopronuntiante bene sonare, sine ilio inanes esse mutosque (§ 29). Diese Nachricht eines der beiden Annaei Senecae1 vermag in der uns vorliegenden Form kaum größere Zuverlässigkeit für sich zu beanspruchen als die - in ihrem Wortlaut unsinnige - Eros-Anekdote von § 34 (s. S. 17) oder der ebenso unsinnige 'Bericht' des Grammatikers Nisus (§ Al)2. Sie wird von Naumann 3 und Horsfall (S. 17f.) mit der sich früh gegen Vergils Dichtung wendenden obtrectatio in Verbindung gebracht: "it implies obtrectatio; some weak writing in Virgil redeemed only by incomparable delivery." Perellius Faustus hatte die furta Vergils zusammengestellt (§ 44), Asconius Pedianus dagegen in seinem Buch 'Contra obtrectatores Vergilii' die Entlehnungen vor allem aus Homer in der Weise verteidigt, daß er dem Vergil den Ausspruch in den Mund legte, cur non illi quoque eadem furta temptarent? verum intellecturos facilius esse Herculi clavam quam Homero versum subripere (§ 46). Die im anschließenden Satz berichtete Auslandsreise, ut omnia ad satietatem malevolorum deciderei, ist ebenso als biographischer Topos entlarvt worden wie das angeblich von Vergil selbst verfaßte Grabepigramm (Horsfall 20f.). Als Kern der MontanusNachricht wird man festhalten dürfen, daß der Epigone mit Vergil beschäftigt war und sich vielleicht wegen seiner Vergil-Plagiate zu rechtfertigen hatte 4 . Ob ihm die Kritik vorwarf, die von ihm "gestohlenen" Vergilverse wirkten im Zusammenhang des Imitators leer und farblos? Ist er selbst für schwache, inhaltsleere 'Vergil'-Verse verantwortlich, die er mit dem Hinweis verteidigte, der Meister hätte ihnen durch den Zauber seiner Stimme und die ausdrucksvolle Gestik zu Wohlklang verholfen? Über Spekulationen kommt man hier nicht hinaus. Jedenfalls klingt dieser § 29 der Vita wie eine Variation des von

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J. Fairweather (Seneca the Elder, Cambridge 1981, 338 Anm. 59) hält es für möglich, daß hier der jüngere Seneca gemeint ist, der sich ja auch in epist. 122,11 über Iulius Montanus ausläßt; Kaster, Komm. S. 355f. neigt eher dazu, die Nachricht auf den älteren Seneca zurückzuführen. Siehe S. 44. H. Naumann, Was wissen wir von Vergils Leben?, Altsprachl. Unterr. 24, 1981, 7. 14. Erinnert sei an das centonenartige Ausbeuten Vergils in der Ciris (v. ad loc.), deren Verfasser Ganzenmüller (1894) einen "Plagiator κατ' έξοχη ν" nennt (622).

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Asconius Pedianus mitgeteilten Vergil-Ausspruchs (§ 46, s.o.)· Der historische Kern der Anekdote läßt sich nur umrißhaft fassen. Die beiden anderen Nachrichten über Iulius Montanus 1 haben Zeitperiphrasen zum Gegenstand: Die frühere führt Iulius Montanus als Kritiker einer mißglückten Nacht-Periphrase des griechischstämmigen Deklamators Cestius vor, die er mit dem vergilischen Vorbild und dessen Muster Varrò Atacinus vergleicht, die andere als Rezitator seiner eigenen Dichtung, deren hervorstechendes Merkmal es war, daß er allenthalben ortus et occasus ... inserebat und diese oftmals in kurzem Abstand aufeinander folgen ließ. Zwei Kostproben, eine Morgen- und eine Abendschilderung, werden uns wörtlich gegeben. Bevor ich diesen Spuren weiter nachgehe, bespreche ich kurz eine Georgica-Interpolation, die mich zunächst mehr zufallig auf den Namen Iulius Montanus führte und den Gedanken weckte, sein Umgang mit dem Vergiltext könne ein Modell für eine freizügige Ausweitung des Dichtertextes in tiberischer Zeit abgeben.

1. Ein Verszitat aus Varrò Atacinus in dem Georgica-Zusatz [georg.] 2,403-419 2,397 Est etiam ille labor çurandis vitibus alter, cui numquam exhausti satis est: namque omne quotannis terque quaterque solum scindendum glaebaque versis 400 aetemum frangendo bidentibus, omne levandum fronde nemus. redit agricolis labor actus in orbem, atque in se sua per vestigia volvitur annus. 403 [ac iam olim, seras posuit cum vinea frondes, fríeidus et silvis Aauilo decussit honorem iam tum acer çuras venientem extendit in annum rusticus, et curvo Saturni dente relictam 407 persequitur vitem attondens fingitqueputando. (...)] Während ich mich - im Bestreben, nur das unumgänglich Notwendige zu tilgen - zunächst mit der Athetese des Varrò-Verses 404 begnügen zu können meinte, hat R. Cramer in seiner Dissertation (278ff.) überzeugend die Unechtheit des ganzen Passus [georg.] 2,403-419 verfochten. Da ich hier lediglich offenlegen will, wie ich auf Iulius Montanus gestoßen bin, beschränke ich mich im wesentlichen auf die Quintessenz meiner früheren Argumentation. Zu Vers 404 schreibt Servius: Va r ron i s hic versus est. Verwandt ist (wohl ebenfalls in Anlehnung an Varrò) Hör. epod. 11,5f. hic tertius Decem-

1

Sen. rhet., contr. 7,1,27; Sen. epist. 122,11.

Ein Verszitat aus Varrò Atacinus

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ber ... I ... silvis honorem decutit. Thomas vermerkt mit gutem Grund, daß sich in diesem Zusammenhang (anders als in 1,377, wo Vergil den Varrò-Vers aut arguta lacus circumvolitavit hirundo zitiert) kein rechtes Motiv für die wörtliche Übernahme eines Verses aus Varrò finden lasse. Ja, man muß wohl noch weiter gehen: Der Vers, der davon handelt, daß der kalte Nordwind die Blätter von den B ä u m e n fegt, ist eine müßige und unscharfe 1 zusätzliche Zeitbestimmung zu seras posuit cum ν i ne a frondes (403); denn es geht in dem ganzen Abschnitt nur um die unablässige Mühe, die der Bauer an die W e i n s t ö c k e zu wenden hat, daß er - so im interpolierten Passus - selbst am Ende des Jahres, wenn die letzten Blätter von den Gerten gefallen sind, seine Sorgen schon wieder auf das neue Jahr richten und die Weinsträucher zurückschneiden und zurechtstutzen muß. Der Vers 404 stört diesen engen Zusammenhang durch das Abschweifen auf die Blätter der Bäume 2 . Auch fügt sich das energische decussit des pfeifenden Nordwindes, der durch die Bäume fegt, nicht gut dem ruhigen posuit (sc. vinea), und es ist schlechter Stil, wenn ein Dichter erst das Nomen proprium (frondes) setzt, im nächsten Vers sich aber hinter einer künstlichen Metapher (honorem) versteckt. Der Vers scheint vom Interpolator als ausschmückende Erweiterung seiner eigenen Zudichtung aufgenommen zu sein, weil er - wie R. Cramer 278f. gesehen hat - durch seine Imitation der Verse georg. 3,303bf. (cum frieidus olim \ iam cadit extremoque inrorat Aquarius anno) und Aen. I2,208f. (cum semel ... | ... posuit [sc. sceptrum] ... comas et bracchia ferro) an den Varrovers erinnert wurde und ihn wohl auch besonders gelungen fand. Daß er sich nicht gut zu seinem eigenen Vers 403 fügt, ja, in Konkurrenz zu diesem tritt, scheint ihn nicht gestört zu haben (siehe dazu unten S. 270). Bei dem Versuch, eine Vorstellung von der Physiognomie oder dem literarischen Umfeld eines solchen Zudichters zu gewinnen, der sich - wie Vergil, aber doch deutlich anders als dieser - auf Varrò Atacinus bezieht, stieß ich bald auf die Debatten im Deklamationssaal, die sich dort an Darbietungen auch an Dichterlesungen - anschließen konnten 3 , insbesondere auf die in Sen. contr. 7,1,27 geschilderte Diskussion. Als Literaturkritiker betätigen sich dort die namhaften Dichter Iulius Montanus und (wohl nicht notwendig am gleichen Ort und zur gleichen Zeit) Ovid. Die Kritik des Iulius Montanus entzündet sich an einer Beschreibung der Nacht, die der Grieche Cestius (dem oft das rechte lateinische Wort fehlte) im Rahmen einer Controversia gab:

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3

Die Weinstöcke verlieren ja üblicherweise ihre Blätter deutlich später als die Laubbäume. Gemeint sind doch wohl in allgemeinem Sinne die Bäume in den Wäldern (vgl. 323), weniger die Stützbäume für die Weinstöcke (vgl. 2,310f.). Siehe S.F. Bonner, Roman Declamation, Liverpool 1969, 133ff., dort bes. 140f.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

nam in narratione, cum fratrem traditum sibi describeret, plaçait sibi in hac explicatione una et infelici: nox erat concubia, et omnia luce1 canentia sideribus muta erant. Montanus Iulius, qui comes fuit , egregius poeta, aiebat illum imitari voltasse Vergili descrìptionem2: nox erat et terras ammalia fessa per omnis alituum pecudumque genus sopor altus habebat. at Vergilio imitationem sis in melius:

bene cessisse,

qui illos optimos

versus

Varronis3

expres-

desierant latrare canes urbesque silebant4; omnia noctis erant placida composta quiete5. solebat Ovidius de his versibus dicere potuisse longe meliores, si secundi versus ultima pars abscinderetur et sic desinerei: omnia noctis erant. Varrò quem voluit sensum optime explicuit; Ovidius in illius versu suum sensum invenit. aliud enim intercisus versus signiflcaturus est, aliud totus significai.

Montanus vergleicht hier also eine Nachtbeschreibung des Varrò Atacinus mit der vergilischen Imitation und setzt davon den mißlungenen Versuch des Deklamators Cestius ab. Es fällt auf, daß Vergil bei dieser Nachtschilderung sein Muster völlig umformt, das Vokabular fast ganz austauscht und selbst die vier gemeinsamen Wörter oder Partikel (darunter so insignifikante wie erat und -que) in einen veränderten grammatischen Bezug rückt. Es fällt schwer zu glauben, daß der gleiche Vergil in georg. 2,404 einen Vers dieses Varrò weitgehend wörtlich zitiert haben sollte, obwohl dieser den Leser (der doch die Übernahme erkennen mußte) nicht auf einen sinnträchtigen Bezug zur Vorbildstelle verweist (wie dies bei der Übernahme des varronischen Schwalbenverses nach georg. 1,377 der Fall ist). Funktionslose Verszitate dürften - jedenfalls in der augusteischen Epoche - ein Unterscheidungsmerkmal zwischen gehobener Dichtung und Epigonentum sein. Tatsächlich meidet sonst Vergil in den Geórgica Zitate ganzer Verse, und zwar sowohl die Wiederholung eines eigenen Verses (etwa aus den Eklogen) als auch wörtliche Übernahmen aus Homer, Hesiod, Apollonios Rhodios, Arat oder Lukrez (dem er sich oft eng anschließt). Er ist jeweils bestrebt, Vorbildverse zumindest in einem metri-

1 2 3 4

5

So Hàkanson fur überliefertes iud (indices edd.) Verg. Aen. 8,26f. Vgl. carm. frg. 8 Blänsd., frg. 10 Courtn. Dies ist eine recht getreue Übersetzung von Apoll. Rhod. 3,749 (wie wir es von Varrò Atacinus gewöhnt sind). Die zweite Vershälfte hat Vergil in Aen. 1,249 (nunc placida compostus pace quievit) berücksichtigt.

Ein Verszitat aus Varrò Atacinus

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sehen Element abzuwandeln, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sogar stark zu variieren 1 . Durch die Wiedergabe dieser Debatte über Vergils Imitation einer Nachtschilderung des Varrò Atacinus hat uns der ältere Seneca in den Kreis gelehrter Literaturkenner und Kritiker geführt, denen der von uns entlarvte Vergilbearbeiter angehört haben dürfte (denn daß er in die Zeit des Tiberius zu setzen ist, wurde bereits oben aus frühen Imitationen erschlossen, und wird sich auch im weiteren Verlauf der Untersuchungen immer wieder zeigen, siehe das Register). Iulius Montanus zeigt sich hier als intimer Kenner des Varrò, den er selbst durch Vergils völlig umgeformte Adaptation noch hindurchhört. Er wäre dazu prädestiniert, auch im Falle der Georgicaverse 3,303bf., die wie Cramer gesehen hat - hinter dem Beginn seines Zusatzes 2,403-419 stehen, den Anklang an den Varrovers (frg. 6 Blänsd., s.o.) erkannt und deshalb den Varrovers ganz in seine erweiternde Zudichtung aufgenommen zu haben. Stellt man sich vor, daß ein durch seine enge Freundschaft mit Tiberius ausgezeichneter Dichter wie Iulius Montanus 2 , der den Vergil offenbar glühend verehrte (s.o.) 3 , das Exemplar seines Lieblingsdichters mit den teils verdeutlichenden, teils ausschmückenden Zusätzen versehen hat, die wir im Laufe dieser Untersuchungen als unecht auszuscheiden haben werden, so konnte diese Vorlage bei einer Neu-Edition so traditionsstiftend werden, daß zur Zeit Senecas des Älteren die Erweiterungen nicht mehr vom echten Vergiltext zu unterscheiden waren.

1

Zu Verswiederholungen s. S. 138ff. Auch Var. Ruf. frg. 4, v. 6 (Blänsdorf S. 251; Courtney S. 273f.) scheint nicht wörtlich in ecl. 8,88 zitiert, sondern nur der Teil nec serae meminit decedere noeti. Das bei Vergil zum voraufgehenden Satz (8,87) gehörende, in Enjambement gesetzte perdita dürfte in der Überlieferung des Varius Rufus ein culmina (wie Willis glänzend vermutet) verdrängt haben. Denn daß dort vom Jagdhund gesagt wird: non amnes illam medii, non ardua tardant \ culmina, macht auch die verwandte Formulierung in georg. 3,253f. (dort vom brünstigen Hengst gesagt) deutlich: non scopuli rupesque cavae atque obieçta retardant | flumina correptosque unda torquentia montis\ vgl. die Kommentare zur Georgicastelle; ferner H. Dahlmann, Zu Fragmenten römischer Dichter, Abh. Akad. Mainz 1982, Nr. 11, 30ff. Dort ist 24f. auch frg. 1 Blänsd. (vgl. Courtney S. 272) behandelt, das Vergil in Aen. 6,621f. ebenfalls nur teilweise wörtlich übernommen hat; vgl. ferner frg. 24 Blänsd. ( = frg. 2 Courtn.): Servius bemerkt zu Aen. 10,396 (semianimesaue micant digiti ferrumaue retractant)·. Ennii est, ut 'oscitat in campis caput a cervice revulsum \ semianimesaue micant oculi lucemaue reauirunt' (s. Skutsch zu ann. 483f.), quem versum ita ut fuit transtulit ad suum carmen Varrò Atacinus.

2

Siehe FPR S. 299f. Blänsd., S. 330 Courtney; ferner Dahlmann 1975, 36f. In den sechs Versen, die wir von ihm kennen (es handelt sich um eine Sonnenaufgangsund eine Abendschilderung), finden sich mehrere Anklänge an Vergil; siehe Dahlmann (wie S. 269 Anm. 1) 138f. Hinzugefügt sei frg. 1,2 rubicunda dies (georg. 1,297 rubicunda Ceres).

3

270

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Als die letzten Zeilen geschrieben wurden, fehlten mir noch eine Reihe der Informationen, die mich später dazu brachten, in dem Umgang des Iulius Montanus mit Vergil nicht nur das Modell einer möglichen Kanonisierung eines überarbeiteten Vergiltextes zu sehen, sondern ihn selbst als weiterdichtenden 'Editor' des Ovid und des Vergil zu betrachten: So sah ich erst später, daß die Verse [Ov. met.] 13,503-505 aus dem von mir athetierten Metamorphosenpassus [met.] 13,499-513 von Aem. Scaurus als Beispiel für einen von ihm a l s ' M o n t a n i s m u s ' bezeichneten Stilfehler des Redners und Deklamators Votienus Montanus angeführt werden1, den der ältere Seneca wie folgt charakterisiert (contr. 9,5,17, s.u. 468): habet hoc Montanus vitium: sententias suas repetendo corrumpit; dum non est contentus unam rem semel bene dicere, efficit ne bene dixerit. Eben dies aber geschieht durch die Kombination des Verses [georg.] 2,403 mit dem Varrovers 404: die gleiche intendierte Zeitbestimmung wird in 403 im eigentlichen Sinne durch posuit ... frondes, in 404 aber metaphorisch durch decussit honorem zum Ausdruck gebracht, obwohl die nachträgliche Verschlüsselung einer soeben unverschlüsselt gegebenen Formulierung wenig sinnvoll ist, hier offensichtlich in Kauf genommen wurde, um den als schön empfundenen Varrovers unverändert als Zierstück übernehmen zu können. Kurz zuvor sagt der ältere Seneca von dem gleichen Votienus Montanus (contr. 9,5,16): nihil non ex eis (sc. was er in seiner ersten Rede als Anwalt vor den Centumviri gesprochen hat oder zusätzlich bei der Publikation der Rede hinzufügte) bellum est, si solum sit; nihil non rursus ex eis alteri obstat, verweist also auf die Widersprüchlichkeiten, die Montanus beständig in seine Rede hineinträgt, weil er bestrebt ist, alles mehrfach und immer wieder in anderer Form möglichst noch pointierter zum Ausdruck zu bringen. Auch dieser Zug läßt sich in dem hier behandelten unechten Georgicapassus erkennen, schon gleich zu Beginn in dem uns hier besonders interessierenden Auftakt 2,403f., wo der frühere Vers, strenggenommen, auf eine spätere Zeit im Jahresablauf verweist als der unmittelbar folgende, aber auch sonst, wie man aus Cramers Darlegungen entnehmen kann. Die Inkonsistenz in Gedankenführung und Kompositionsweise wird sich überhaupt als wesentliches Charakteristikum des hier erschlossenen Vergil- (und Ovid-)bearbeiters erweisen (siehe das Register).

2. Zeitperiphrasen Ein besonders wichtiger Schritt zur Identifizierung des Vergilbearbeiters mit dem Dichter (und Scholasticus) Iulius Montanus war die Aussonderung der Siehe dazu u. S. 458ff.

Zeitperiphrasen

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Deiphobus-Episode aus der Katabasis des 6. Buches, die bereits Peerlkamp im wesentlichen richtig beurteilt hatte. Aufgrund der Junktur hortator scelerum Aeolides ([Aen.] 6,529) läßt sich der ganze Passus sicher n a c h Ov. met. 13,25-49 datieren, aufgrund der Verse 531ff. sogar n a c h dem zweiten Buch der Epistulae ex Ponto (s.u.) 1 , während der Schlußteil mit dem Vers [Aen.] 6,545 v o r Senecas Hercules (also v o r 54 n.Chr.), die Verse 6,513f. aber, die in Sen. epist. 59,17 zitiert werden, vor 64 n.Chr. und die Verse 6,494499. 512. 526 v o r Sen. Ag 748f. liegen müssen (s.u.). In dieser Episode nun taucht - mitten in den von Düsternis und Dunkelheit umfangenen Regionen der Unterwelt - eine Tageszeitperiphrase auf, wonach Aurora mit ihrem Viergespann bereits die Mitte des Himmelsgewölbes auf ihrer Fahrt durch den Aether hinter sich gelassen hatte (6,536). Die Kommentatoren halten dies mit gutem Grund für eine im Zusammenhang der zwei Verse zuvor noch als "sonnenlos" bezeichneten Unterwelt 2 befremdliche, ja bizarre Erfindung. Es ist dies eine Erfindung, wie sie auf keinen der uns bekannten Dichter des hier abgesteckten chronologischen Rahmens besser passen könnte als auf Iulius Montanus, der eben wegen seiner Manie, überall Sonnenauf- und -Untergänge einzuschalten, bei seinen Zeitgenossen berüchtigt war. Bevor ich jedoch diese Tageszeitperiphrase aus 'Vergils' Katabasis in das literarische Umfeld einordnen kann, muß ich zunächst den Nachweis der Unechtheit der Deiphobus-Episode führen.

a) Die Deiphobus-Episode ([Aen.] 6,494-547. 555f. 559) Peerlkamp hat S. 410 (zu Vers 494) knapp seine Diagnose gegeben: "Et hoc episodium est longius pro vero huius libri argumento, et ipsum levius: et in multis versibus tanta apparet negligentia, ut Virgilium eos concepisse non credam." Nachdem ich ursprünglich durch Athetese kleinerer Partien (etwa 6,496f. 535-537. 544-547) der gröbsten Schwierigkeiten Herr zu werden versucht hatte, bin ich bald dem mutigen Schritt Peerlkamps gefolgt: Die verschiedenen Kataloge des übermäßig umfangreichen sechsten Buchs (es hat in der überlieferten Fassung 901 Verse!) sind offensichtlich um zwei längere

Die Sammlung der ersten drei Bücher der Epistulae ex Ponto wurde im Laufe des Jahres 13 n.Chr. publiziert. Die mangelnde Konsequenz - selbst auf engstem Raum - ist eine der größten Schwächen des hier erschlossenen Montanus.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Episoden (Palinurus, Deiphobus) und um einige kürzere Abschnitte1 erweitert worden. Wie die Palinurus-Erzählung die Schilderung der Schatten am Acheron sprengt (v. ad loc.), so die Deiphobus-Episode den zielstrebigen Gang des Aeneas durch die Unterwelt bis zu den Gefilden der Seligen und der Begegnimg mit dem Vater Anchises. Ihn aufzusuchen, war er durch Helenus (3,441ff.) und den Schatten des Anchises selbst (5,73Iff.) geheißen worden. Er erreicht ihn, nachdem er - jenseits des Acheron - die Stationen der vorzeitig gestorbenen Kinder (426-429), der unschuldig Hingerichteten (430-433), der Selbstmörder (434-439), die Lugentes campi, auf denen die Opfer der Liebe verweilen (440-476), und die arva ultima, die von den ruhmreichen Kriegsgefallenen bewohnt werden (477-493), passiert und nach Belehrung über die Büßer im Tartarus (548-627) die locos laetos ... sedesque beatas (638f.) aufgesucht hat. Neben dem Vater Anchises ist die einzige verstorbene Person, die im Leben des Aeneas eine besondere Rolle gespielt hat, Dido2. Der Begegnung mit ihr widmet der Dichter 25 Verse (6,450-476)3. Deiphobus aber soll aus der unmittelbar anschließenden Gruppe der ruhmreich Gefallenen sowohl des thebanischen4 als auch des troischen Krieges5 so sehr herausgehoben werden, daß er 54 Verse erhält (494-547), mehr als zehnmal soviel wie die Griechen und etwa siebenmal soviel wie die übrigen Troer zusammen - und dies, nachdem der Abschnitt der Troer, denen Deiphobus doch zugerechnet werden mußte, mit Vers 488 längst abgeschlossen und von den Danaum proceres Agamemnoniaeque phalanges (489) abgelöst worden war, die durch ein betontes antithetisches at nachdrücklich abgesetzt werden! Man wird der feinen Ökonomie Vergils, die wir durchgehend beobachten können, nicht den Makel eines so plumpen Kunstfehlers aufprägen wollen, daß er die besonders hervorgehobene Wiederbegegnung des Aeneas mit Dido dadurch um ihre Wirkung bringt, daß er kurz danach eine doppelt so lange Begegnung mit Deiphobus inszeniert. Dabei kann von einer besonderen Freundschaftsbeziehung zwischen Aeneas und Deiphobus in der Aeneis keine Rede sein. Peerlkamp verweist auf l,94ff., wo Aeneas im Sturm das glücklichere Los der vor Troja Umgekommenen beklagt. Er nennt als Beispiele Hector und Sarpedon -

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3 4 5

Hervorgehoben sei die Ergänzung des Katalogs der Personifikationen am Eingang zur Unterwelt (6,278-281) und die Reihe der Monstra (6,287f. 290-294), ferner die CerberusPartie in 6,417-425, die Ausweitung der Unterweltsbüßer (6,612f. 616-624) und die Einfügung von Caesar und Pompeius in die Heldenschau (6,826-835). Daß dem 6. Buch ein neuer Anfang vorangestellt wurde (6,3-41), ist oben S. 63ff. gezeigt. Von Creusa, die nur zu der vor dem Einsatz des Epos liegenden Handlung gehört, darf man ja absehen. Die Verse 6,473f. sind unecht, s. S. 496. Genannt werden Tydeus, Parthenopaeus, Adrastus (479f.). In den Versen 481-488 werden die Troer, in 489-493 die Griechen behandelt.

Zeitperiphrasen

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"nihil de Deiphobo". Sein Name kam beim echten Vergil nirgends vor, denn die Szene im 2. Buch, wo Aeneas nach der Traumerscheinung des Hector aus dem Schlaf hochfáhrt, auf das Dach seines Hauses steigt und der Feuersbrunst gewahr wird (iam Deiphobi dedit ampia ruinam \ Volcano superante domus, iamproximus ardet \ Vcalegon), also der Abschnitt [Aen.] 2,302-312, ist unecht, v. ad loc. Der Vergilepigone, der dem Deiphobus einen so stattlichen Auftritt in der Nekyia des 6. Buches beschert hat, wollte offenbar die posthomerische Sagenversion als Alternative zu Wort kommen lassen, in der Deiphobus - nach dem Tod des Paris - die Helena geheiratet hat und von dieser dann schmählich verraten worden ist, er wollte also die Kebse aus Sparta, Troiae et patriae communis Erinys ([Aen.] 2,573), und das scelus exitiale Lacaenae (6,511) mit seinem Haß verfolgen und ihr verbrecherisches Spiel brandmarken. Ich sehe hinter dem Verfasser der Helena- und dem der Deiphobus-Episode den gleichen Dichter - auch wenn sich der den beiden Partien zugrundeliegende Handlungsablauf nicht ganz zur Deckung bringen lassen sollte1. Der Interpolator, dem wir auf der Spur sind, denkt nur selten großräumig; zumeist konzentriert er sich auf isolierte Zusätze in einem kleineren Zusammenhang. Da ergeben sich notwendig Inkonsequenzen. Bevor ich in die sprachlichen Details gehe, sei - mit Peerlkamp - hervorgehoben, daß wir nach Athetese der Eindichtung einen glatten Übergang von dem Versuch einiger Griechen, einen Kampfesruf auszustoßen, der ihnen jedoch im geöffneten Mund erstirbt (6,492f.) 2 , zu dem respicit Aeneas3 des Verses 548 gewinnen: "Aeneas respicit, et, quia clamor ab ea parte venit, qui ad moenia Ditis ducebat, subito ea moenia videt." Wenn die Deiphobus-Episo-

1

Helena führt in der Schicksalsnacht Trojas einen orgiastischen Kulttanz auf der Burg auf; das Feuer der Fackeln ruft die Griechen (vom Meer) herbei (6,517ff.). Die Entwaffnung des schlafenden Deiphobus (520ff.) kann danach erfolgen, ebenso die Öffnung des Tors für Menelaus und Ulixes, die dann die gräßliche Verstümmelung durchführen. Ob Helenas Kalkül id magnum ... fore munus amanti, \ et famam exstingui veterum sic posse malo rum (526f.) sofort aufging, ist nicht ausgemacht, immerhin denkbar also, daß Menelaus und Ulixes wieder fortstürzen zu weiterem Kampf, Helena aus dem inzwischen brennenden Haus flüchtet und im Vestatempel Zuflucht sucht (2,567ff.) sibi infestos ... Teueres \ et Dartaum poenam et deserti coniugis iras \ praemetuens (2,571ff.). So oder ähnlich mag sich der Epigone die Dinge zusammengereimt haben. Servius zieht die Linien gröber aus. Dann ergibt sich Inkonsistenz. Doch Inkonsistenz gehört zum Schreibstil des Montanus, s. das Register.

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Dagegen wird das Heulen und Wimmern der im Säuglingsalter Gestorbenen als vagitus ... ingens bezeichnet (6,426). Peerlkamp nimmt m.E. zu Recht subito (et) zum folgenden Verb videt (die normale Wortstellung liegt dagegen bei subito et in 9,541 vor) und vergleicht 6,710 horrescit visu subito; siehe auch 8,109 terrentur visu subito-, 11,699 incidit huic subitoque aspectu territus haesit\ ferner georg. 4,554f. hic vero subitum ... monstrum \ aspiciunt.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

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de dazwischentritt, "respicit seems to imply that they had proceeded some way towards Elysium, as at the point of divergence 1 Tartarus would be before them" (Con.-N.)· Doch fehlt jeder Hinweis auf ein Weiterschreiten, seit sie zu den arva ultima {Allf.) gelangt waren, vielmehr treten - wie bei Homer - die verschiedenen Schatten an den Besucher heran (vgl. bes. 479 hic Uli occurrit Tydeus; 482 quos ille omnis longo ordine cernens; 486 circ um s tant animae dextra laevaque frequentes; 487f. iuvat ... [sc. animas] conferre gradum). Erst nachdem die Sibylle ihr Wissen über den Tartarus mitgeteilt hat, fordert sie Aeneas auf, den W e g schnell zu Ende zu gehen (629f.) 2 . Doch selbst wenn sie - ohne daß es im Text zum Ausdruck gebracht wäre - weitergegangen wären, käme ein respicit Aeneas in 548 völlig unmotiviert. Die Begründung steckt allein in 492bf. Das Ende der auffällig knappen Schilderung, die Deiphobus v o m Geschehen in der schicksalsträchtigen Nacht gibt 6,528 530

quid moror? inrumpunt thalamo, comes additus una hortator scelerum Aeolides. di, talia Grais instaurate, pio si poenas ore reposco.

ist in Kenntnis des Ovid gedichtet, vgl. met. 13,25 31 33 43 45

Aeacus huic pater est, qui iura silentibus illic reddit, ubi Aeoliden saxum grave Sisvphon urget. quid sanguine cretus Sisvphio furtisque et fraude simillimus Uli inserís Aeacidis alienae nomina gentis? atque utinam aut verus furor ille aut creditus esset, nec cornes hic Phrygias umquam venisset ad arces hortator scelerum: non te, Poeantia proles, expositum Lemnos nostro cum crimine haberet, qui nunc, ut memorant, silvestribus abditus antris saxa moves gemitu Laertiadaeque precaris. quae meruit, quae, si di sunt, non vana precaris.

Die Weggabelung ist durch den Interpolator in 540ff. eingeführt worden. Der Vers 559 (constitit Aeneas strepitumaue exterritus hausii) dürfte vom Interpolator hinzugedichtet sein, um die direkte Rede (560f.) weniger abrupt einsetzen zu lassen. Aber die Apostrophe o virgo, effare (560) sorgt für die nötige Klarheit (vgl. o pater in 719, ν. ad loc.), und die unmittelbar einsetzende Frage (560) macht Schilderung und Dialog lebendig. Der Versbeginn war uns ganz ähnlich schon in dem ebenfalls interpolierten Vers 6,331 (constitit Anchisa satus et vestigia pressit) begegnet (v. ad loc.), die zweite Vershälfte erinnert an 11,699 (subitoaue aspectu territus haesit). Strepitumque steht an gleicher Versstelle in georg. 2,492 und Aen. 1,422. Haurire kann ohne den Zusatz auribus (4,359) beim echten Vergil nicht 'hören' heißen, ebensowenig bei Ovid, der formelhaft auribus haust schreibt (met. 13,787; 14,309). Wir greifen hier wieder eine der kühnen Verkürzungen des Ausdrucks durch den Interpolator, vgl. sepulto in [Aen.] 6,424 für somno sepulto (S. 439), etc.

275

Zeitperiphrasen

Die Rede des Aias über die Vorgänge beim Kampf um Troja (vgl. bes. met. 13,65f.) hat den Interpolator auch in [Aen.] 2,435f. inspiriert (v. ad loc.). Die Junktur Aeoliden ... Sisyphon bei Ovid (26) und der folgende Hinweis auf die Abstammung des Ulixes von Sisyphos (31 f.) sind die Voraussetzung, daß der Interpolator in 529 den Ulixes durch Aeoli de s bezeichnen kann, was singulär scheint in der erhaltenen Literatur 1 . Vergils scelerumque inventor Vlixes von 2,164 heißt bei Ovid - (oben V. 45) - und infolgedessen auch beim Vergilinterpolator hortator scelerum (529). Daß Menelaos und er inrumpunt thalamo (528) 2 , gleichwohl aber Ulixes abgesondert werden soll als comes additus una, obwohl er doch hortator scelerum ist, hat Peerlkamp zu Recht beanstandet 3 . Denn "aliquis additur comes, qui non est princeps, sed quo facile carere possimus, additur ut numerum expleat, vel alia de caussa non gravi. Ita apud Livium I. 56. Brutus filiis regiis cornes additur4. res se paullo melius habet." Norden erinnert an 6,777 avo comitem sese ... addet; 9,765 addit Halyn comitems. Im 6. Buch erscheint der Ausdruck (variiert) ein weiteres Mal: 6,169f. sese ... | addiderat socium. Wir mögen in 6,528 comes auch deswegen nicht gerne lesen, weil in 538 die comes ... Sibylla auftaucht; thalamo (528) steht in Nachbarschaft zu thalamus in 521, tal i a (529) tritt bereits 537 wieder auf, vicissim (531) wird durch vice in 535 wieder aufgegriffen. Instaurate (530) steht hier für rependite "in a difficult turn of language ... that has no precise parallel" (Austin). Zu poenas ... reoosco (530) vgl. 2.139 poenas ob nostra reooscent | effugia. Kaum hat Deiphobus den Rückblick auf seine Todesnacht abgebrochen, da fragt er beinahe unbeschwert nach den Gründen für Aeneas' Abstieg in die Unterwelt (man verweist auf die entsprechenden Fragen, die die Mutter Antikleia und Achill in Od. 11,155ff. und 475ff. an Odysseus richten). Nach Norden "wollte der Dichter die Rede des Deiphobus statt mit dem Fluch (529f.) lieber mit der gemütvollen Frage schließen ... und durfte glauben, durch die Worte hac vice sermonum (535) in dem Leser die Illusion erweckt zu haben, daß der Gefragte auch antwortete". Aber der echte Vergil läßt nirgends den Dialog auf eine solche Weise - nach einer vierzeiligen Reihe von neugierigen Fragen - im Leeren enden, wie es hier geschieht: 6,531

II [('...)

sed te gm vivum casus, age fare

vicissim,

Ich sehe eine Parallele zu dem ebenfalls unechten Misenum Aeoliden von [Aen.] 6,164 (s. S. 443ff.) und zur Bedeutungserweiterung von Cyllenia proles in [Aen.] 4,258 (v. ad loc.). Wir greifen jeweils den gleichen Interpolator. Der Dativ, den man wohl als lect. diff. halten muß, scheint unvergilisch. Comes erscheint hier gewiß deshalb, weil das Wort auch bei Ovid (V. 44) neben hortator scelerum gerückt ist. Unterstreichung von mir. Doch steht dieser Vers in einem unechten Passus.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

276

535

540

545 547

attulerint. pelaeine venís erroribus actus an monitu divum? an auae te fortuna fatieat. ut trístis sine sole domos, loca túrbida, adirés?' hac vice sermonum roséis Aurora quadri sis iam medium aetherio cursu traiecerat axem; et fors omne datum traherent per talia tempus. sed comes admonuit breviterque adfata Sibylla est: 'nox ruit. Aenea: nos flendo ducimus horas. hic locus est, partis ubi se via flndit in ambas: dextera quae Ditis magni sub moenia tendit, hac iter Elysium nobis; at laeva malorum exercet poenas et ad impia Tartara mittit. ' Deiphobus contra: 'ne saevi. masna sacerdos: discedam. explebo numerum reddarque tenebris, i decus, i, nostrum; melioribus utere fatis. ' tantum effatus, et in verbo vestigia torsit.]

Der anonyme Dichter mag bei seiner Gestaltungsweise an Aen. gedacht haben: 615

618 627

l,615ff.

'auis te, nate dea, per tanta pericula casus insequitur? quae vis immanibus applicai oris? tune ille Aeneas quem Dardanio Anchisae alma Venus Phrygii genuit Simoentis ad undam? (...) quare agite, o tectis, iuvenes, succedite nostris. (...")

Doch dort liegen keine echten, sondern rhetorische Fragen vor 1 : Dido hatte ja alles Nötige zuvor erfahren. Und die Aufforderung, in den Palast einzutreten (627), bildet einen ganz anderen Abschluß als das abrupte Ende mit den Fragen in 6,534 2 . Wenn dort der ganze Dialog durch hac vice sermonum (6,535) zusammengefaßt wird, gewinnt man den Eindruck, als handle es sich um ein Gespräch, wie es Ovid mit seinem Freund Macer zum Zeitvertreib auf Reisen zu führen pflegte:

1

2

Als weitere Vorbildstellen kommen in Betracht: Aen. l,369f. sed vos qui tandem? quibus aut venistis ab oris? \ quove tenetis iter? (worauf selbstverständlich eine Antwort erfolgt); 3,317 heu! auis te casus deiectam coniuge tanto \ excipit, aut quae digna satis fortuna revisit? (es erfolgt eine Antwort). Unecht sind die Verse 3,337ff. sed tibi qui cursum venti, quae fata dedere? | aut quisnam ignarum nostris deus appulit oris? \ quid puer Ascanius?, etc. (ν. ad loc.); vgl. l,517f.; 7,195ff. 197ff. quid petitis? quae causa rates aut cuius egentis \ litus ad Ausonium tot per vada caerula vexit? \ sive errore viae seu tempestatibus acti I [...] I fluminis intrastis ripasportuque sedetìs (3,708ff. hic pelagi tot tempestatibus actus): 4,282 attonitus tanto monitu imperioque deorum: 12,321f. quis tantam Rutulis latidem, casusne deusne. \ attulerit. Unvergleichbar sind auch die von Servius zu Aen. 1,695 angeführten Stellen (worauf hier Norden verweist). Ja, sie können geradezu eine Folie abgeben, vor der die unbefriedigende Art des Gesprächsabschlusses, den uns hier Montarais zumutet, besonders deutlich wird.

Zeitperiphrasen Pont. 2 , 1 0 , 3 5

277

saepe brevis nobis vicibus via visa loauendi. pluraque, si numeres, verba fuere gradu, saepe dies sermone minor Juit, inque loquendum tarda, per; aestivos defuit_ fiora, dies.

Der Interpolator kannte dieses Briefgedicht an den Dichterfreund Macer: Er hat ihm die casus ... marinos (39) in [georg.] 2.68 1 und die stagna Palici (25; v. ad [Aen.] 9,585) entlehnt. Er denkt auch hier bei seiner Gestaltung des Wechselgesprächs zwischen den Freunden Aeneas und Deiphobus 2 an dieses Gedicht und kombiniert mit ihm Ovids Passus über das Freundespaar Orest und Pylades, die auf Tauris den Tod von der Priesterin erleiden sollen3, Ov. trist. 4 , 4 , 7 9 cum vice sermonis fratrem cognovit, et illi pro nece complexus Iphigenia dedit.

Im Brief ex Ponto ziehen die Freunde ihres Weges, während sie sich lebhaft unterhalten (2,10,35f.). Der Vergilinterpolator überträgt dies auf Aeneas und Deiphobus, wie aus 540ff. (sie kommen an eine Weggabelung) und aus vestigia torsit in 547 zu schließen ist (vgl. 559, dazu S. 274 Anm. 2). Und wie dem Ovid und seinem Freund oftmals der Tag zu kurz war für ihr Gespräch und selbst die langen Stunden der Sommertage nicht ausreichten (2,10,37f.), läßt auch der Vergil-Interpolator die beiden Freunde aus Troja auf ihrem vorausgesetzten, aber nicht klar zum Ausdruck gebrachten Gang durch die Unterwelt so sehr ins Gespräch vertieft sein, daß Aurora auf ihrem rosenfarbigen Wagen schon die Mitte der Himmelsbahn durchfahren hat und Gefahr besteht, daß Aeneas und Deiphobus leicht die ganze zur Verfügung stehende Zeit damit hinbringen. Doch die Sibylle greift mahnend ein (538ff.), worauf sich Deiphobus verabschiedet und rückwärts wendet. Wie hier überall Ovid durchzuhören ist, so auch in dem Versschluß erroribus actus (6,532) 4 , in der adnominalen, einem Alpha privativum angenäherten Verwendung der Präposition sine (6,534 tristis sine sole domos)5, wahrscheinlich auch in o m n e datum traherent per talia6 temvus (537). Denn "daß die κατάβασις bis zu einer bestimmten Zeit beendigt sein muß, wird nur hier

1 2 3 4

5

6

Die Verse [georg.] 2,67f. hat R. Cramer (267ff.) getilgt. Sie reden sich beide mit amice an (6,507. 509). Ov. trist. 4,4,69ff. Vgl. die autobiographische Epistel trist. 4,10 (109f. tacta mihi tandem loneis erroribus acto I iuncta pharetratis Sarmatis ora Getis) oder met. 4,567f. loneisque erroribus actus \ conxigit Illyricos ... fines', 15,771 natum lomis erroribus actum. Vgl. met. 1,26 ignea convexi vis et sine pondere caeli; 8,518 sine sanguine leto\ 8,789 sterilis sine fruee. sine arbore tellus (Hofm.-Sz. 428). Die Junktur per talia scheint in der gesamten im Computer-Thesaurus erfaßten Latinität singular.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

(ιdatum tempus) und gleich 539 (ducimus horas) nebenbei angedeutet" (Norden), auch formal gibt es keine Parallele zu dieser Junktur im Vergil. In einem mit Pont. II 10 verwandten Brief Ovids an den Freund Atticus aber, in dem er sich an manche vertraute Gespräche zurückerinnert, für die der Tag zu kurz war, stehen folgende Verse (Pont. 2,4,9ff.): seria multa mihi tecum conlata recordor, nec data iucundis tempora pauca iocis. saepe citae longis visae sermonibus horae, saepe fuit brevior quam mea verba dies.

Die Motivverwandtschaft der beiden Briefe ex Ponto wird zur Kontamination der entlehnten Formulierungen geführt haben (wenngleich datum ... tempus nun in veränderter Bedeutung erscheint); das Verb traherent (Aen. 6,537) verweist auf Aen. l,748f. nec non et vario noctem sermone trahebat | infelix Dido, die Mahnung der Sibylle aber (539 nox ruit1. Aenea; nog fíendo ducimus horas) auf eel. 9,56 (causando nostros in longum ducis amores) und auf die beiden oben zitierten Ovidpassagen, in denen jeweils der Begriff hora erscheint. Nox ruit (539) ist eine starke Übertreibung - wie schon Deuticke moniert hat -, nachdem wir eben erst (in 535f.) gehört haben, daß Aurora mit ihrem Viergespann die Mitte des Himmelspols durchfahren hat. Ja, es ist überhaupt ein wunderlicher Gedanke, die Schilderung einer Katabasis, eines Gangs durch die verschiedenen Regionen der Unterwelt, deren Düsternis und Dunkelheit immer wieder hervorgehoben wird2, durch eine Zeitangabe zu gliedern, die gemäß der üblichen epischen Manier3 an dem Lauf des rosenfarbigen Wagens der Aurora auf der Himmelsbahn gemessen wird. Zu Recht finden die Kommentare dieses Motiv "bizarre in this context" (Austin)4. Seine Herleitung und die mit ihm verwandten Abwandlungen werden im anschließenden Kapitel verfolgt und dem Dichter Iulius Montanus zugerechnet. Hier begnügen wir uns mit der Feststellung: Die in 6,535f. vorliegende Tageszeitangabe hat die Interpreten unnötig geplagt, die seit Cerda versuchen, den chronologischen Ablauf der Katabasis zu fixieren, und dabei auf die unwahrscheinliche Kalkulation 1 2

3

4

Vgl. Aen. 8,369 nox ruit et fuscis tellurem amplectitur alis; 2,250 rag Oceano nox. Vgl. 6,134f. 238. 265 (loca node tacentia late). 267 (res ... caligine mersas). 268ff. (ibant obscuri sola sub node per umbram ] perque domos Ditis vacuas et inania regna: \ quale per incertam lunam sub luce maligna | est iter in silvis, ubi caelum condidit umbra \ Iuppiter, et rebus nox abstulit atra colorem); 390. 452ff. 461f. (has ... per umbras, | per loca senta situ ... noctemque profundam). Die sedes beatae dagegen haben ihr eigenes Licht, solemque suum, sua sidera norunt (640ff.). Diese ist reichlich dokumentiert bei H. Dahlmann, Cornelius Severus, Abh. Mainz Nr. 6, 1975, 28ff., bes. 30-37. "Die künstliche Bezeichnung der Tageszeit in der soeben (534) sonnenlos genannten Unterwelt befremdet uns, aber ..." (Norden ad loc.).

Zeitperiphrasen

279

geführt wurden, Aeneas verbringe eine Nacht, einen Tag und vielleicht eine zweite Nacht in den Unterweltsregionen. Sie sind Opfer der unbezähmbaren Manie des Iulius Montanus geworden, an passenden und unpassenden Stellen immer wieder eine Tageszeitenschilderung einzuflechten. Abweichend von der festen Ausdrucksweise Vergils steht in 6,531 die Aufforderung age fare statt fare age (6,389; 3,362)'. Vergil setzt age immer an die zweite Stelle - sei es nach einem Imperativ (due age georg. 4,358; surge age Aen. 3,169; [8,59;] 10,241; vade age Aen. 3,462; 4,223; 5,548), sei es nach einer Interjektion oder einer sonstigen Partikel (en, ergo, heia, nunc, immo, sed iam, quare, quin, verum·. 14 Belege). Loca túrbida ist eine ungewöhnliche Bezeichnung für die Unterwelt. Der Interpolator hatte in 265 loca nocte tacentia late gelesen, in 462 loca senta situ, in 296 aber den Acheron als turbidus ... caeno qualifiziert gefunden und kombiniert nun beides. An dem Ausdrucksart« ubi se via find.it in ambas in 6,540 haben sich mit gutem Grund viele Kommentatoren gestoßen, die partis in duas (oder in utrasque partis) erwartet hätten 2 . Vielleicht hat der Interpolator an Ov. met. 15,739ff. gedacht: scinditur in geminas partes circumfluus amnis | (Insula nomen habet) laterumque a parte duorum \ porrigit aequales media tellure lacertos. Aber dort bedeutet geminae einfach 'zwei', steht also (wie etwa in met. 6,54; [11,462; 15,611]) für duo und durfte nicht durch ambae wiedergegeben werden 3 ; vgl. met. 4,586f. lingua repente \ in partes est fissa duas: trist.[?] 5,5,36 scinditur in partes atra favilla duas. Der echte Vergil hat nichts Vergleichbares; denn die Junkturenpartis ... in omnis (Aen. 4,630) bzw. in partis... varias (hen. 8,21) bedeuten "nach allen [bzw. "nach den verschiedenen"] Seiten". Dafür liest man in einem Passus der Ars amatoria Ovids, den ich ebenfalls dem Montanus zugeschrieben habe ([ars] 3,321-348): carmina, quispartes instruit ille duas (3,342) und soll dies ohne weitere Hilfen im Sinne von " b e i d e Parteien unterweisen" verstehen. Auffällig an Aen. 6,540 ist auch die Verbform (via) se findit in, während in den aufgeführten Belegen aus Ovid immer das Passivum oder Reflexivum steht (scinditur in - est fìssa in - secta in - scinditur in). Vielleicht darf man dieses se findit dem ebenso ungewöhnlichen incipit ... spargere se rubicunda dies des lui. Montanus (frg. 1) an die Seite stellen (s. S. 295 mit Anm. I) 4 . 1

2

3

4

Die age in 6,343 ist singular - stammt ebenfalls von Montanus, dem Verfasser der unechten Palinurus-Episode (v. ad loc.). Das "bequeme" ambas ist (ebenfalls vom Interpolator) korrekt gesetzt in 6,496 (manusque ambas). Dies zeigt sich besonders schön an dem Wettstreit zwischen Pallas Athene und Arachne in Ov. met. 6,53f. constituant diyersis patlibus ambae | et gracili seminas intendant stamine telas. Seneca könnte den Ausdruck bei der Bezeichnung der Schiste im Oedipus nachgeahmt haben: trigemina qua se spar ei t in campos via (Oed 278).

280

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Die Antithese zu dextera (sc. via), quae Ditis magni sub moenia tendit (541) ist auffallend kühn formuliert: at la èva malorum \ exercet poenas et ad. impia Tartara mittit (542f.) steht für via in Tartarum ducit ad poenas luendas (siehe Norden ad loc.). Zugleich liegt eine Kontamination von poenas sumere und iudicium exercere vor, während der echte Vergil in 739 unprätentiös exercentur poenis formuliert. Conington verweist auf eine verwandte Verschiebung der Konstruktion in georg. 3,152 hin, wo exercuit iras nach vi ris exercere gebildet ist, während in 4,453 non te nullius exercent numinis irne steht: Doch auch die Verse [georg.] 3,152f. sind zu tilgen (s. Cramer Anm. 639); wir sind hier überall dem Interpolator auf der Spur, der gerne mit der Stilfigur der Hypallage spielt (s.S. 452ff.). Hyperbolisch formuliert er so, als begänne die Bestrafung der Bösen bereits auf dem Weg in den Tartarus; das Verb mittit statt ducit wählt er in Erinnerung an die feste Formel sub Tartara mittere (Aen. 4,243; 8,563; 11,397; 12,14), muß selbst jedoch ad ... Tartara mittit schreiben, weil sich die Sibylle (die spricht) bereits in der Unterwelt befindet. Ne saevi (544) ist für den Zusammenhang viel zu stark (statt ne irascere); Servius Danielis verweist auf Ter. Andr. 868 (ah ne saevi tanto opere), wodurch wir zugleich eine Vorstellung von der literarischen Ebene erhalten, auf der diese Ausdrucksweise angebracht wäre. In einem Mißverhältnis zu dem umgangssprachlichen ne saevi steht die Anrede magna sacerdos (544), die ihrerseits unangemessen ist. Vergil nennt die Sibylle zweimal longaeva (6,321. 628). Zu explebo numerum (545) bemerkt Peerlkamp m.E. mit gutem Grund: "durissima hic est ellipsis umbrarum". Eine Entsprechung zu i decus. i. nostrum (546) kann ich bei Vergil nicht finden; am nächsten steht vielleicht georg. 2,40 o decus. o famae merito pars maxima nostrae. \ Maecenas·, vgl. ferner [Ov. fast.] 6,810 o decus, o sacra femina digna domo; trist. 5,2b(3),5 o decus, o patriae per te florentis imago', [Ον.] epist. 16,273 o decus, o praesens geminorum gloria fratrum. Die zweite Hälfte von Vers 546 (melioribus uterefatis) ist "rather an odd encouragement in the circumstances" (Austin); vgl. 12,932 utere sorte tua\ Ον. trist. 4,3,83 utere temporibus (der Imperativ utere oft bei Ovid). Tantum effatus, et in verbo vestigia torsit (547) dürfte aus 10,877 tantum effatus et infesta subit obvius hasta (vgl. 10,256f. tantum effatus. et interea revoluta ruebat \ ... dies) und 3,669 (sensit, et ad sonitum vocis vestigia torsit) zusammengesetzt sein. Der Schluß erinnert an den ebenfalls unechten Vers [Aen.] 4,76 incipit effari mediaque in voce résistif. Soviel zum Schlußteil der Deiphobus-Episode. Er war dem jüngeren Seneca bekannt, als er den Hercules dichtete (also vor 54 n.Chr.), vgl. Hf 500 dest una numero Danais: explebo nefas (vgl. HO 948 vacat una Danais: has ego explebo vices)·, Phae 1153 constat inferno numerus tyranno.

Zeitperiphrasen

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Den Auftakt der Deiphobus-Episode markiert eine für den Interpolator typische fehlerhafte Epanalepse: 6,494

699

\Ataue hic1 Priamiden2 laniatum corpore toto3 Deiphobum videt et4 lacerum5 crude lite fi ora. ora manusaue ambas, populataque tempora raptis auribus et truncas inhonesto vulnere naris vix adeo agnovit pavitantem ac dira tegentem supplicia1, et notis conwellat vocibus ultro. (...)!

Im Vergleich zu der Dezenz, die der echte Vergil selbst dort wahrt, wo er Eriphyle ausdrücklich die Wunden, die ihr von ihrem Sohn zugefügt wurden, zeigen läßt (6,445f. his Phaedram Procrinque locis maestamque Eriphylen \ crudelis nati monstrantem vulnera cernii), oder auch bei der Schilderung des Schattens des geschleiften Hektor (2,270ff.) 8 , verliert sich der Interpolator der Deiphobus-Episode stark in blutrünstige Details. Man kann die Verse 6,496f. nicht durch einen Hinweis auf ganz anders geartete Fälle wie Horn. Od. 18,86f.; 22,475f. verteidigen, wenn sie den Dichter nicht nur mit einer ungewöhnlich grausigen Ausdrucksweise belasten, sondern zusätzliche Anstöße bieten. Das Hauptgravamen scheint mir die falsche Verwendung der Figur der Epanalepse, die hier nicht dazu dient, den wiederholten Begriff (zumeist in Form einer Apposition) weiter zu erläutern oder näher zu charakterisieren (s. S. 443ff.), sondern ihn lediglich als Ausgangspunkt für eine Aufzählung weiterer gleichgeordneter Begriffe zu nehmen. Durch die beiden Kola laniatum corpore toto und lacerum crudeliter ora war bereits der ganze Körper um-

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2 3 4

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Ebenso beginnt z.B. Vers 860. Durch anaphorisches hic waren die Verse 479. 481 eingeleitet, videt (495) ist gewählt in Entsprechung zu 482 (cemens), 487. 490 (vidisse-videre) und dem videt in 549. Vgl. Aen. 3,295 Priamiden Helenum Graias regnare per urbis. Der gleiche Versschluß begegnet in 12,920. So N. Heinsius für vidit et M: vidit FPoj: videt F2M2P2Rabr; doch der Erzähler wahrt in der Regel das Präsens. Auch in [Aen.] 9,490f. (quae nunc artus avulsaque membra \ et fiinus [=corpus] lacerum tellus habet?) hat der Interpolator dieses Adjektiv verwendet. Der echte Vergil hat es von der zerquetschten Schlange in Aen. 5,275, worauf der Versschluß dai corpore tortus folgt. Der echte Vergil meidet das Adverb crudeliter, Ovid hat es zweimal - in seinem Spätwerk: trist. 3,11,53 und Pont. 3,7,17. Das Wort heißt beim echten Vergil immer nur 'Strafe', wird nicht konkret von den Wunden, also dem Ergebnis einer Bestrafung gebraucht - ganz abgesehen davon, daß man die Verstümmelung des Deiphobus wohl kaum als Bestrafung bezeichnen kann. Eine konkrete Verwendung des Wortes liegt bei Ovid (met. 2,782) vor: Dort heißt es von der Invidia: suppliciumque suum est. Der Schatten des (geschleiften) Hector dagegen trägt vulnera an sich (Aen. 2,278); vgl. 2,285f. quae causa indigna serenos \ foedavit vultus? aut cur haec vulnera cerno? Selbst die vergleichsweise harmlosen Verse Aen. 2,272f. sind vielleicht unecht.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

schrieben. Wer danach den Begriff ora ein weiteres Mal setzt und damit unmittelbar manus ambas verbindet, daran die Schläfen fügt und diese (!) beider Ohren beraubt sein läßt, schließlich die verstümmelte Nase nennt, der war offenbar bestrebt, die vorausgeschickten allgemeinen Angaben (corpus totum und ora) möglichst detailliert zu konkretisieren, und verrät dabei nicht eben feinen Geschmack. Die Unfähigkeit, mit der Figur der Epanalepse umzugehen, ist kennzeichnend für den Interpolator. Dieser wird sich angesichts des Deiphobus, der noch als Schatten in der Unterwelt all die Verstümmelungen an sich trägt, die ihm beim Fall Trojas durch die Treulosigkeit der Helena zugefügt wurden, an die Erscheinung des Hektor im zweiten Buch erinnert haben, den Aeneas im Traum ebenfalls in der von der Schleifung vor Troja entstellten Gestalt vor sich sieht und den er in 2,285f. fragt: quae causa indigna serenos | foe da ν it vultus? aut cur haec vulnera cerno? Als Formulierungshilfe für seinen Zusatz mögen dem Imitator Verse wie 10,868 (membra manusaue ambas ...); 5,435f. (erratque auris et tempora circum \ crebra manus. duro crepitant sub vulnere malae - vom Faustkampf!); georg. 3,84f. (micat auribus et tremit artus, \ collectumque premens volvit sub naribus ignem - vom Kriegsroß) gedient haben. Der echte Vergil erwähnt nirgends, nicht in den Geórgica, geschweige denn im erhabenen Epos, die nares von Menschen, aber mehrfach die von Tieren, bes. von Pferden; er verwendet nirgends das expressive populare im Sinne eines Entstellens von Teilen des menschlichen Körpers, nirgends raptus im Sinne von decerptus oder desectus und meidet den Begriff inhonestus überhaupt. Einen verwandten Gebrauch von populare weisen die Kommentare bei Ovid nach (met. 2,320 Phaethon rútilos flamma populante capillos); er findet sich ein weiteres Mal bei Montanus in medic. 45 (formam populabitur aetas). Auf Ovid mag auch die Junktur inhonesto vulnere zurückgehen; doch steht bei ihm inhonestus noch in seiner ursprünglichen Bedeutung: fast. 2,21 lf. diffugiunt hostes inhonestaaue vulnera tergo \ accipiunt1. Es scheint, daß der Interpolator die aus Aen. 2,285f. gewonnene Vorstellung in ovidische Diktion umgesetzt, also fo e da re vultus (vgl. [Aen.] 7,575 foe dati que ora Galaesï) durch populare ora und causa indigna durch inhonesto vulnere ersetzt hat2. Das Motiv vix adeo agnovit hat der Interpolator auch in der PalinurusEpisode verwendet (Vers 340, v. ad loc.), die zweite Hälfte des Verses 499

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2

So auch met. 13,224 cum tu terga dares inhonestaque vela parares. Die hier behandelte 'Aeneis'stelle ist nach ThLL VII l,1598,12ff. der erste Beleg für inhonestus im Sinne von deformis. Danach scheint sich dieser Sprachgebrauch erst bei Firmicus Maternus wieder zu finden (math. 6,15,20; 6,25,1; 6,31,35. 88). Servius Danielis (also Ael. Donat) verweist zur Vergilstelle, an der er inhonesto durch foedo, deformi kommentiert, auf Ter. Eun. 357. Den bereits interpolierten Vergiltext hat Silius in 6,41-54 imitiert, vgl. bes. Sil. 6,49ff.

Zeitperiphrasen

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wörtlich aus 4,304 (tandem his Aenean comoellat vocibus ultrö) herübergenommen, die zweite Hälfte von 500 wörtlich aus 4,230 (eenus alto a sanguine Teucri). Dieses mit genus beginnende Versatzstück (vgl. auch 5,45) hat ihn an den Vers 839 der Heldenschau erinnert (eenus armipotentis Achilli), weshalb er den Deiphobus armipotens nennt (500). In 491 hatten wir gehört, daß die griechischen Kriegshelden in der Unterwelt beim Anblick des bewaffneten Aeneas ingenti trepidare metu. Der Priamussohn Deiphobus hatte keinen Grund, sich vor Aeneas zu ängstigen. Wenn er aber - wie Servius meint nicht erkannt werden wollte, hätte er die Begegnung mit Aeneas nicht suchen müssen. Für die Scham über seine Verstümmelung aber war pavitare (vgl. Aen. 2,107) nicht das rechte Wort (Peerlkamp fordert pudore suffusum). In [Aen.] ll,812f. verwendet Montanus die gleiche Partizipialform, als er einen Wolf, der sich im Bewußtsein seiner Untat (er hat ein großes Rind samt dem Hirten umgebracht) in den Wald zurückschleicht, ängstlich den Schwanz einziehen läßt: caudamque remulcens \ subiecit pavitantem utero (s. S. 567ff.). Man sieht keinen Grund, warum Vergil den Deiphobus hätte bestrebt sein lassen sollen, seine Wunden zu verbergen "doubtless by cowering and putting forth the stumps of his arms" (Con.-N.), wo er doch Eriphyle eigens auf ihre Wunden zeigen (446, v. ad loc.) und auch den toten Hektor mit seinen Schleifungswunden in Erscheinung treten läßt, ohne daß er dabei irgendwelche Scheu zeigte. In 501 f. ist die entsprechende (an den Schatten des Hektor gerichtete) Doppelfrage von 2,285f. verstärkt, insbesondere durch das Verb optavit. Dieses nimmt sich ebenso fremd aus1 wie die Floskel cui tantum de te licuit (statt in te), die durch Kontamination mit dem voraufgehenden Versschluß sumere poenas (sc. de te) entstanden ist. Nach Norden (VI S. 262) werden in der Partie 502ff. zwei Versionen über den Tod des Deiphobus verbunden: Neben die Ermordung und Verstümmelung des völlig waffenlosen (523f.) Deiphobus durch Menelaos und Odysseus ist in 502ff. eine ganz abweichende gestellt: "Deiphobus fallt im Kampfe, nachdem er ein Blutbad unter den Griechen angerichtet hat. " Es liege eine geschickte Kombination einer mythographischen Dublette vor (die eine wird als fama referiert, die andere als Darstellung des wahren Hergangs durch Deiphobus selbst beglaubigt). Norden erinnert an die verwandte Kombination zweier Versionen über den Tod des Priamus 2,506-557 + 557bf. Im krit. Kommentar ad loc. ist gezeigt, daß auch dort der Interpolator am Werk war ([Aen.] 2,554-

Der Vers 501 (quis tarn crudelis optavit sumere poenas?) erinnert an die Aufwallung, die Aeneas beim Anblick der Helena in der 'Helena-Episode' (S. 39f.) überkommt (2,575f.): exarsere ignes animo; subit ira codentem \ ulcisci patriam et seeleratas [vgl. sçelus exitiale Lacaenae in 6,511] sumere poenas: vgl. 2,585f. sumpsisse merentis \ laudator poenas animumaue explesse iuvabit: Es deutet manches darauf hin, daß beide unechten Zudichtungen vom gleichen Autor stammen.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

558 del. Zw.). Die Junktur suprema nocte (502f.) steht gleich anschließend (513) ein zweites Mal. Der Vers 504 (procubuisse super confusae stragis acervum) scheint nach 11,207f. gestaltet: cetera confusaeaue ingentem caedis acervum \ nec numero nec honore cremant. Daß Aeneas auf das bloße Gerücht vom Tod des Deiphobus hin diesem gleich ein (leeres) Grab1 errichtet und ihm die letzten Ehren erweist - und dies in einer äußerst turbulenten Situation! -, findet Peerlkamp zu Recht wenig sinnvoll. In Vers 507 verrät sich der Interpolator gleich mehrfach: er spricht von den Waffen des Deiphobus (nomen et arma2 locum servant), obwohl Aeneas den Leichnam des Deiphobus nicht hat finden können3, er führt eine seiner kühnen Hypallagai ein4, er fingiert, das Grab des Deiphobus (das Rhoeteo in litore5 errichtet wurde: dort lag auch das Grab des Aias!) habe dem Platz seinen Namen gegeben, obwohl es keinen aitiologischen Hintergrund wie im Falle des Misenus (233ff.) gibt. Über die bedenkliche Elision Rhoeteo in litore und die Hiatkürzung tè, amice in 507 ist u. S. 416 gehandelt. Die Vorstellung, Aeneas habe den Leichnam des Deiphobus nicht finden und ihn deshalb bei seinem Weggang von Troja nicht beerdigen können (507f.), läßt sich schwerlich mit epischer σβμνότης vereinbaren. Unpräzis steht conspicere statt invenire undponere statt condere. In der Antwortrede gebraucht Deiphobus pathetisch seinen eigenen Namen (omnia Deiphobo solvisti) statt des Pronomens (mihi). Dies ist in Vergils Diktion nicht ungewöhnlich, siehe J. Kvicala, Vergil-Studien, Prag 1878, 17ff. Doch fügt es sich gut zu unserer Iulius Montanus-Hypothese, daß in dem unechten Teil der ('pastoral' gefärbten) Camilla-Episode dieses Stilmittel gleich dreimal erscheint (11,537. 566. 582) und zumindest in 566 befremdlich wirkt, v. ad loc. Funeris umbris (6,510) steht für cadaveris umbris - ein Sprachgebrauch, der im Vergil auf interpolierte Verse beschränkt ist, s. das Register. In 511 spricht Deiphobus vom scelus exitiale Lacaenae wie die Troer in [Aen.] 2,31 vom donum exitiale Minervae: Beide Verse stammen vom gleichen Interpolator, der zweimal das von Vergil gemiedene exitialis verwendet. Die Floskel his mersere malis (512) hat im 6. Buch zwei echte Konkurrenten: 6,429 funere mersit acerbo und 6,615 quae forma viros fortunave mersit. Leicht bizarr werden die Wunden des Deiphobus 'Erinnerungen' an Helena

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2 3 4

5

Den Versen 505f. liegt 3,303ff. zugrunde: libabat cineri Andromache manisaue vocabat \ Hectoreum ad tumulum. viridi quem caespide inanem | ... sacraverat. Damit kombiniert ist Catull. 65,7 (s.u.), ferner Aen. 3,68 mazna supremum voce ciemus und 10,873 Aenean magna ter voce vocavit. Vgl. 6,233 (imponit) suaque arma viro (sc. dem Misenus) remumque tubamque. Servius erläutert 'ARMA depicta scilicet', dies ist eine Ausflucht. Siehe Peerlkamp ad loc.: "Potuisset poeta: Nomen et arma locus servai". Vorbild sind die Caieta-Verse 7,3f. et nunc servai honos sedem tuus, ossaque nomen | ... signât. Frei nach Catull. 65,7f. Troia Rhoeteo quem subter litore tellus \ ereptum nos tris obterit ex oculis.

Zeitperiphrasen

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genannt (512 illa haec monimenta reliquit): es ist das gleiche Spiel mit Begriffen, die zwischen konkreter und abstrakter Bedeutung changieren, wie im Falle von supplicia (499, ν. ad loc.). Zur Wiederholung der Junktur supremam ... noctem (513) siehe S. 284 (502f. suprema \ nocte), zur auffälligen Kurzmessung des - ϊ - im Konj. Perf. (egerimus, 514), die hier erstmalig in der lat. Literatur erscheint, siehe Norden und Austin ad loc. 1 In 515ff. zeigt sich der Zudichter wieder als Literaturkenner: er kombiniert Vergil mit Versen aus einer Ennius-Tragödie, vgl. 6,515

cum fatalis eauus saltu super ardua venit Pereama et armatum peditem gravis attulit alvo-,

2,237

scandii fatalis machina muros feta armis:

Enn. scaen. 76 nam máximo saltu superávit2 gravidas armatis qui suo partu ardua perdat Pereama.

eauus.

Gegenüber den Verba superávit und scandii wirkt der Doppelausdruck super ... venit und attulit blaß, das kollektive armatum peditem (attulit) mit der Betonung des Fußsoldaten (in Antithese zum Pferd) gekünstelt. Eine kühne Konstruktion (einen Gräzismus?) erlaubt sich der Interpolator in 517f., indem er - offenbar einzig in der lat. Literatur - euhans mit dem Akk.-Objekt orgia verbindet. Die Verse sind aus der Schilderung der orgiastischen Umtriebe der Amata (7,385-398) gespeist und mit Reminiszenzen an Catull und Properz durchsetzt 3 . Falls der Vers 520 durch II. 10,98 oder Od. 6,2 angeregt sein sollte, wie Con.-N. vermuten, hieße dies nur, daß auch der Epigone seinen Homer kannte. Schon Servius hat sich an der Inkonsistenz gestört, daß Deiphobus confectus curis in seinem Bett liegen soll, wo er doch eben noch (513) erzählt hatte, daß besagte Nacht (falsa) inter gaudio (über den vermeintlichen Abzug der Griechen) verbracht worden sei (Serv.: atqui vacaverat gaudiis!). Angesichts dieser Ungereimtheit in unmittelbarem Zusammenhang 4 wird man es dem gleichen Interpolator zutrauen dürfen, daß er in 518f. Helena den Griechen ein Feuersignal geben läßt, während nach 2,256 ein solches Signal vom 1

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Die Verse 6,513f. zitiert bereits Seneca (epist. 59,17) als vergilisch, in Ag 748f. (incertos geris, I Deiphobe, vultus, coniugis munus novae) imitiert er [Aen.] 6,494-499. 512 (illa haec monimenta reliquit). 526 (munus amanti): Die Vergil-Ausgabe des Iulius Montanus hatte sich durchgesetzt! So mit den Hss zuletzt Jocelyn (v. 72); superabit Vossius bei Vahlen. Siehe Catull. 64,259. 391 und Prop. 2,3,18 egií ut euhantes dux Ariadna choros. Unstimmig ist auch, daß den von Sorgen Aufgeriebenen dulcís et alta guies placidaeque simillima morti umfangen halten soll: Es ist wie in [Aen.] 6,278 der Topos des consanguineus Leti Sopor ausgespielt worden (s.u.).

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Flaggschiff der Griechen an Sinon geschickt wird (zumal es Versionen mit z w e i Feuersignalen gibt, siehe Austin zu 518), und daß er hier in 517ff. und 523ff. Helena aktiv zugunsten der Griechen eingreifen läßt - zuletzt im Schlafgemach des Deiphobus, das sie dem Menelaos öffnet -, während sie sich zu Beginn der unechten 'Helena-Episode' zu dem Vesta-Heiligtum geflüchtet hat, um vor den Troern und Griechen zugleich (2,571ff.) Schutz zu suchen (2,567ff.) 1 . In Aen. 1,208 ist Aeneas curii ·· ingentibus aeger. Als in 3,590 Achaemenides völlig verwahrlost aus dem Wald herauskommt, ist seine Gestalt macie confecta suprema. Den Anchises nennt vermutlich Montanus in 4,599 confectum aetateparentem (TAen.l 4,595-599 del. Zw., v. ad loc.). Auch aevo c o nfe et us Acoetes (11,85) steht in einem unechten Zusatz (v. ad loc.). Man wird die Junktur curis confectum in 6,520 dem gleichen Interpolator zuschreiben dürfen. Norden verweist auf Catull. 65,1 etsi me assiduo confectum cura dolore \ sevocat a doctis ... virginibus. Ebenfalls der Bearbeiter gibt dem Hercules in 8,220f. ein nodis ... gravatum \ robur, läßt den Palinurus madida cum veste gravatum ans Land schwimmen (6,359) und kurz danach den Deiphobus somno... gravatum im Bett liegen (6,520), was der echte Vergil durch somno ... iacere (georg. 4,404; ecl. 6,14) oder somno corpus fusum videre (Aen. 9,316f.) wiedergibt. Sinnvoller formuliert Livius (siehe Norden ad loc.) ibi cum eum cibo vinoque eravatum sopor oppressisset (1,7,5) bzw. sravatis omnibus vino somnoque (25,24,6). Auch die preziose Formulierung me ... habuit thalamus (6,520f.) hatte der Interpolator analog in der Palinurus-Episode gebraucht: nunc me fluetus habet (6,362). Der echte Vergil setzt sie in der entscheidenden Begegnung zwischen Aeneas und Anchises ein: quae regio Anchisen. quis habet locus? (6,670); er wäre schlecht beraten gewesen, wenn er sie im gleichen Buch bereits zweimal zuvor benutzt und damit um ihre Wirkung gebracht hätte. Das Motiv des süßen Schlummers (521 f.) - so sehr es auch dem 'confectum curis' und dem 'infelix ... thalamus' widerspricht - hat der Interpolator behaglich ausgemalt (vielleicht nach Od. 13,79f.). Zu der Formulierung pressitque iacentem \ dulcis et alta auies konnte er durch 12,908f. (ac velut in somnis, oculos ubi laneuida pressit \ nocte auies. ...) angeregt werden; vgl. dulei ... somno in 4,185 und sopor alius in 8,27. Im Versschluß simillima morti (6,522) scheint eine Kontamination von 6,702 ([imago] simillima somno1 und Ov. Pont. 1,2,28 (et similis morti pectora torpor habet) vorzuliegen; vgl. met. 7,328f. iamque neci similis resoluto corpore regem | ... somnus habebat.

Servius zu 2,592 nimmt an, daß sich dieses Vestaheiligtum in domo Priami befand, und stellt den Widerspruch zum 6. Buch fest, wo sie in domo est inventa Deiphobi, postquam ex summa arce voeaverat Graecos (s. S. 273 Anm. 1).

Zeitperiphrasen

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Die Junktur placida mors wird aus Aen. 9,445 (glacidaque ibi demum morte quievit) stammen. Zu egregia ... coniunx urteilt Peerlkamp: "Ironia Deiphobo parum conveniens". Die Kommentare verweisen auf 4,93 (egregiam vero laudem ...), wo sich Juno in Ironie über Venus ergeht, und auf 7,556. Die Junktur fidum ... ensem (524) hat ihr Vorbild in 7,640 ñdoaue accingitur ense. In 526 wird Menelaus, ihr früherer Gatte, durch substantiviertes amans bezeichnet; der Versschluß (6,526 scilicet id magnum sperans fore munus amanti) ist aus 4,429 (extremum hoc miserae det munus amanti) übertragen; dort wird das Partizip amanti (sc. Elissae) durch miserae gestützt. Ebenfalls aus dem 4. Buch scheint das Vokabular für famam exstimui veterum sic posse malorum (527) eingefárbt zu sein, vgl. 4,322f. exstinetus pudor et... \ fama prior. Die Junktur veterum ... malorum jedoch folgt wenig später im 6. Buch, siehe 6,739f. exercentur poenis veterumaue malorum \ supplicia expendunt, vom Bearbeiter ähnlich in [Aen.] 11,280 nec veterum memini laetorve malorum eingesetzt. Der ganze Einschub erweist sich somit aus strukturellen, sprachlichen, metrischen und imitationstechnischen Gründen als ein Fremdkörper, der durch die oben genannten Ovid-Reminiszenzen sicher in die Zeit n a c h Ovids Metamorphosen und mit großer Wahrscheinlichkeit n a c h dem 2. Buch der Epistulae ex Ponto, aufgrund der Imitationen und Zitate Senecas aber sicher v o r das Jahr 54 n.Chr. gesetzt werden kann. Die in ihm enthaltene Tageszeitperiphrase aber läßt sich auf Iulius Montanus zurückführen.

b) Komplementäre Zeitperiphrasen in der Deiphobus-Episode, in Montan, frg. II und im Culex Der Verfasser der Deiphobus-Episode hat die Tageszeitperiphrase von [Aen.] 6,535f. aus einer Kombination von Aen. 7,25f. (Aurora erglänzt in ihrem Zweigespann im hohen Aether bei der Tibereinfahrt) und einer für das Hirtenleben zentralen Georgica-Stelle gewonnen, die zusätzlich sowohl im pseudoovidischen Hermione-Brief als auch in Fragment II des Montanus (einer Abendschilderung), besonders ausführlich aber im Culex als Muster herangezogen worden ist. Dabei verfuhr der Dichter im Sinne einer komplementären Nutzung der Vorbildstelle, war also darauf bedacht, die Auswahl der jeweils übernommenen Motive so zu treffen, daß es in den verschiedenen Imitationen möglichst wenige Überschneidungen gibt. Dies wird sich auch in den weiteren Untersuchungen als ein charakteristisches Imitationsverfahren des von uns erschlossenen Montanus herausstellen. Da er weitgehend von Entlehnungen lebt und ein und dieselbe Vorbildstelle nicht selten drei- oder gar viermal imitiert, mußte er dem Prinzip der Variatio zumindest dadurch seinen Tribut

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zollen, daß er, soweit möglich, je unterschiedliche Elemente des gleichen Vorbildes auswählt. Da aber eine solche selektive bzw. komplementäre Abstimmung des zu Übernehmenden nur durch ein und denselben Imitator geleistet werden kann, fassen wir in diesem Phänomen zugleich ein wichtiges Kriterium für die Identifizierung des Zudichter s. Um der Übersichtlichkeit willen präsentiere ich die einschlägigen Versgruppen in verschiedenen Schritten. Allen genannten Montanus-Imitationen liegt der folgende Passus aus dem dritten Georgicabuch zugrunde (das von dort entliehene Vokabular hebe ich durch entsprechende Markierungen hervor): georg. 3,339

quid tibi pastores Libyae, quid pascua versu prosequar et raris habitata mapalia tectis? saepe diem noctemque et totum ex ordine mensem pascitur itque ρ e cus longa in deserta sine ullis 343 hqspitiis: tantum campi iacet; (...) 349 at non qua Scythiae gentes Maeotiaque unda, turbidus et torquens flaventis Hister harenas, quaque redit medium Rhodope porrecta sub axem. illic clausa tenenf stabulis armenia, neque ullae 353 aut herbae campo apparent aut arbore frondes2. 356 semper hiems, semper spirantes frigora Cauri; tum Sol pallentis haud umquam discutit umbras, nec cum invectus equis altum petit aethera. nec cum praecipitem Oceani rubro lavit aequore currum.

Dieser Abschnitt handelt von den pastores Libyae, die ihr Vieh Tag und Nacht im Freien weiden und niemals in eine 'Behausung', also einen Stall bringen, wovon die Skythen abgesetzt werden, die ihr Vieh überhaupt im Stall eingeschlossen halten. Aus ihm hat Montanus die Formulierung folgender beider Stellen gewonnen: [Ον.] epist. 8,17 an si quis rapiat stabulis armenta r e c l u s i s,

Vgl. die verwandte Formulierung in georg. l,354f. quo signo caderent Austri, quid saepe videntes \agricolae propius stabulis armenta tenerent. Die folgenden beiden Verse [georg.] 3,354f. halte ich für unecht: Sie setzen die (sieben Ellen hohen) Schneeberge als Dauerzustand voraus, obwohl erst in 367ff. geschildert wird, wie sie durch einsetzenden Schneefall entstehen. In 373 ist der Begriff mons am Platze, der in 354 durch aggeribus niveis vorweggenommen wird; in 355 liegt entweder ein nicht zum Ausdruck gebrachter Subjektswechsel vor, eine harte Ellipse, oder eine kühne Hypallage: Beides sind typische Phänomene des montanischen Stils (s.u.). Das Verb adsurgere bei leblosen Dingen steht ähnlich in [Aen.] 4,86 - ebenfalls in einem Montanus-Zusatz ([Aen.] 4,84-89 del. Zw., v. ad loc.). Die Septem ulnae hier haben ihre Entsprechung in dem Montanus-Zusatz [Ov. met.] 8,746-750, wo der Umfang der Erysichthon-Eiche wie folgt angegeben wird: mensuraque roboris ulnas \ quinqué ter inplebat.

Zeitperiphrasen

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arma feres, rapta coniuge1 lentus erìs ?2

Mont. frg. 2,1 jam sua pastores stabulis armento locarunt, i am dare sopitis nox pigra silentia terris incipit.

Die Junktur stabulis armenia (an gleicher Versstelle) ist beiden Imitationen gemeinsam; in der Hermione-Epistel wird zusätzlich aus georg. 3,352 der Verbalausdruck clausa tenent umgesetzt (reclusis), in Fragment II läßt Montanus den übrigen Zusammenhang durch das Subjekt pastores und das (ebenfalls vergilische) Verb locarunt anklingen, mit Hilfe dessen er die gegensätzliche Verbalhandlung von georg. 3,342f. (itquepecus ... sine ullis,\hospi: tiis) und 3,352 {clausa.tenent) der von ihm zu schildernden Situation der Abenddämmerung angleicht, in der die Hirten ihr Vieh in die Ställe treiben. Für die Formulierung der Tageszeitperiphrase in der Deiphobus-Episode [Aen.] 6,533

536

('...) an quae te fortuna fatigat, ut tristis sine sole domos, loca túrbida, adirés ? ' hac vice sermonum roséis Aurora quadrigis jam medium aetherio cursu traiecerat axem

übernimmt er aus dem Georgica-Passus die Junktur medium ... axem (3,351) als eine seltene Bezeichnung des Nordpols, stattet die aus Aen. 7,26 geholte Aurora mit einer Quadriga (statt des üblichen Zweigespanns) aus, um Vergil zu übertrumpfen: Aen. 7,25

iamaue rubescebat radiis mare et aethere ab alto Aurora in roséis fulsebat lutea b i gis 3, cum venti posuere (...)

und kombiniert die aus den Geórgica gewonnene Junktur mit verwandtem Vokabular des Manilius, obgleich dort axis nicht den Nordpol bedeutet, sondern die vom Nordpol zum Südpol verlaufende Himmelsachse, um die sich das Weltall dreht: Manil. 1,281

sidereus circa medium quem (sc. axem) volvitur orbis aetheriosaue rotat cursus.

Das Gegenstück zur Abendidylle von Montan, frg. II, nämlich den Austrieb des Viehs (der Ziegen) am frühen Morgen, bietet der Culex in 42ff. Dort zeigt der Dichter den Hirten seines Epyllions auf knappem Raum bei den vier

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2

3

Hier greifen wir vermutlich die gleiche Hand, der die Zusatzverse [georg.] 4,504-506 verdankt werden (v. ad loc.), vgl. 4,504 quidfaceret? quo se rapta bis coniuge ferret? Ich habe das Corpus der Epistulae Heroidum dem Montanus zugewiesen; siehe dazu u. S. 354ff. Nach homerischer Konvention hat Eos tatsächlich ein Zweigespann, siehe Od. 23,243ff.

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verschiedenen Verrichtungen, die Vergil in georg. 3,322ff. dem Tagesablauf eines Hirten zuordnet: Am frühen Morgen (georg. 3,324 Luciferi primo cum sidere) treibt der Hirte seine Herde zur Weide (in saltus ... atque in pascua mittet), in der vierten Tagesstunde (327 ubi quarta sitim caeli collegerit hora) zur Tränke, zur Mittagszeit (331 aestibus ... mediis) in ein schattiges Tal; bei Sonnenuntergang gibt er ihr nochmals Wasser und läßt sie ein weiteres Mal weiden (336f. solis ad occasum. cum frígidas aëra Vesper | temperai). Diese Anweisungen des Lehrdichters gehen unmittelbar dem Passus über die Hirten Libyens und Skythiens, aus dem Montanus in seinen oben behandelten Versen geschöpft hat, voraus. Der Culex-Dichter macht sich also aus dem Großzusammenhang des vergilischen Hirtenabschnitts einen weiteren Passus dienstbar und setzt diesen so um, daß die bereits zuvor imitierten Georgicaverse möglichst nicht tangiert werden. Wenn er gleichwohl auch diesmal den Skythienabschnitt wieder berührt, wählt er mit Bedacht Formulierungen aus den Versen georg. 3,357f. (vgl. die Stichworte Sol - umbras - invectus"). die er bei seinen früheren Imitationen noch nicht ausgebeutet hatte. Mit diesem bewußt selektiven Verfahren offenbart er sich aber als der gemeinsame Autor all dieser von dem Hirtenabschnitt des 3. Georgicabuches abhängiger Dichtungen, die er komplementär aus der gemeinsamen Bezugsquelle ableitet. Hier nun die vier Culex-Abschnitte mit den Quellen (neben Vergils Geórgica tritt auch diesmal wieder Manilius) und den Entsprechungen in verwandten Montanusversen: Cui. 42

45

ieneus aetherias iam Sol penetrarat in arces1 candidaaue aurato quatiebat lumina çurru, crinibus et roséis2 tenebras Aurora fugarat3: propulit e stabulis ad pabula laeta capellas pastor et excelsi montis iuga summa petivit,

Wie in Montan, frg. 1,1 (ardentes ... flammas, s. S. 295; vgl. 315) wird bereits der Morgensonne die Glut der Mittagshitze beigelegt, vgl. dagegen georg. 4,426 ardebat caelo et medium sol ieneus orbem \ hauserat·, Aen. 8,97 sol medium caeli conscenderat ieneus orbem -, das Verb penetrare scheint sonst nicht mit Blick auf die Bahn eines Gestirnes verwendet. Der Plural aetheriae ... arces setzt trist. 5,3,19 (aetherias mentis invectus es arces) voraus, wo aber die "Burg" der Götter im Himmel gemeint ist, also die domus caelestis; der Himmelspol dagegen steht trist. 4,3,5 (aetheriamaue suis cingens amplexibus arcem) im Singular. Ebenfalls dem Montanus gehört [Ov. met.] 15,858f. Iuppiter arces \ temperai aetherias ([met.] 15,852-870 del. Zw., ν. ad loc.). Es läßt sich die zeitliche Abfolge Ov. trist. 5,3,19 - Montan, [met.] 15,858f. - Cui. 42 erschließen. Die Junktur erscheint im konkreten Sinne Ciris 122 (roseus medio surgebat vertice crinisY. Tibull läßt Aurora roséis ... equis fahren (1,3,94); vgl. Aen. 7,26 Aurora in roséis ... bigis (von Montanus in [Aen.] 6,535 roséis Aurora quadrigis imitiert, s.o.). Eine montanische Abundanz, die Auroras Werk (das an sich dem Sonnenaufgang voraufgeht) im Plusquamperfekt nachträgt.

Zeitperiphrasen

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florida qua patulos velabant gramina Collis,

iam - iam - iamque ... Deutlich zeigt sich die Verwandtschaft zu den Montanus-Versen [Aen.] 6,535 epist. 18,111 frg. 2,1

roséis Aurora quadrigis iam medium aetherio çursu traiecerat axem\ iamque fugatura Tithoni coniuge noetern:

iam sua pastores stabulis armenia locarunt.

doch hat zusätzlich ein Maniliusvers eingewirkt, der auch in Montan, frg. 1,1 seine Spuren hinterlassen hat (siehe gleich anschließend und u. S. 295): Manil. 1,322

candidaaue ardenti distinguit lumina fiamma (sc. stella).

Das Verb quatere begegnet im Zusammenhang des Sonnenaufgangs auch Culex 202 iam quatit et biiuges oriens Erebois equos Nox (allerdings im Sinne von 'treiben') und Ciris 350 {postera lux) gelida venientem ignem quatiebat ab Oeta (siehe dort). Cui. 98

talibus in studiis báculo dum nixus apricas pastor agit curas et dum non arte canora 100 compacta solidum modulatur harundine carmen, tendit inevectus1 radios1 Hyperionis ardor, lucidaque aetherioponit discrimina mundo. qua iacit Oceanum flammas in utrumque rapaces:

georg. 3,358 Manil. 1,322 frg. 1,1

nec cum invectus equis (sc. Sol) altum petit aethera. nec cum praecipitem Oceani rubro lavit aequore currum. candidaaue ardenti distineuit lumina fiamma·. incipit ardentes Phoebus producere flammas.

Hier nutzt Montanus den Vers Manil. 1,322 zum zweiten Mal3; doch in der für ihn typischen 'komplementären' Imitationsweise (verschiedene Elemente eines und desselben Vorbildes werden selektiv auf unterschiedliche Nachbil-

1

2 3

Das Wort ist nur hier und Cui. 341 belegt. Es handelt sich um eine Kontamination aus invectus (georg. 3,358; trist. 5,3,19; s.o.) und evectus (so anschließend Cui. 107. 253); vgl. met. 14,127 (s.o. zu trist. 5,3,19). In gleicher Weise hat Montanus in [Ov. fast.] 5,507 die Junktur flammas exsuscitai aus einer Kontamination von met. 8,641f. (ignes \ suscitât) und Moret. 12 (excitât... ignem) gewonnen, siehe den Ovidband zu [fast.] 5,493544. Man darf aus dieser Stelle schließen, daß Montanus das Moretum vor der Überarbeitung der Fasti gedichtet hat. Dies wird auch durch den interpolierten Zusatz [fast.] 4,361-372 nahegelegt, in dem die einzige Nennung des moretum als Opfergericht in der Literatur auftaucht - ganz so, als habe Montanus auf sein Epyllion anspielen wollen. Vgl. Aen. 7,25 (o. S. 289). Siehe o. zu Cui. 43, wo der Maniliusvers zum erstenmal zugrunde gelegt ist. Montanus wird ihn sich in dem noch näher zu besprechenden Fragment 1,1 gar ein drittes Mal zum Muster nehmen, s.u.

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düngen übertragen) wählt er diesmal ein noch nicht berücksichtigtes Element, das Verb distinguit, das er freilich zusätzlich variiert (Cui. 102 ponit d i scrimina), vielleicht in Erinnerung an Aen. ll,143f. lucet via longo | ordine flammarum et late discriminât agros. Wie er hier das Verb distinguit des Manilius durch ponit discrimina ersetzt, so in [Ov. Pont.] l,8,61f. das Verb distinet des vergilischen Vorbildverses (Aen. 11,381) durch den Verbalausdruck discrimen facit (s.S. 346). Wir greifen an beiden Stellen die gleiche Hand! Die Junktur iacit flammas (Cui. 103) begegnet in der Dichtung nur noch (in umgekehrter Reihenfolge) im Aetna des gleichen Montanus! Cui. 104

et iam compellente vagae pastore capellae ima susurrantis1 repetebant ad vada lymphae2, quae subter viridem residebant caerula museum.

Montanus variiert hier georg. 3,327ff. (siehe die letzte Anmerkung). Der Vers 104 erinnert in der Ablativkonstruktion innerhalb einer Tageszeitangabe an [Ον.] epist. 18,111 iamque fugatura Tithoni coniuge noctem\ dort (V. 117) findet sich auch das Verb repetere (aequor). Cui. 107

georg. 3,357 [Aen.] 6 , 5 3 6 met. 8,565

iam medias

op e rum

cum densas

pastor pecudes

partes

evectus cogebat

in

erat

Sol.

umbras.

tum Sol pallentis haud umquam discutit umbras. nec cum invectus equis altum petit aethera, nec ... ; || iam medium aetherio cursu traiecerat axem; iamque duas lue i s partes Hyperione menso diseubuere toris Theseus comitesque laborum3.

Man erkennt die kontaminierende Dichtungsweise des Montanus, der hier ein weiteres Mal den schon in [Aen.] 6,535f. (s.o.) und frg. II (s.o.) genutzten Georgicapassus imitiert und dabei jetzt erstmalig das Stichwort umbras aufgreift.

Das Verb susurrare hat Vergil einmal in georg. 4,260, Ovid ebenfalls einmal in met. 3,643 (aure susurrât), Montanus aber viermal: Culex 105. 156; epist. 19,19; 21,235 (fama susurrai·, nach Catull. 80,5). Ist lymph as zu lesen, so daß ad vada "an der Furt" bedeutet? Dafür scheint das vergilische Vorbild in georg. 3,327ff. zu sprechen, wo der Lehrdichter zur dritten Tageszeit die Anweisung gibt: adputeos aut alta greges ad stagna iubebo | çurrentem ilignis potare canalibus undam ·, vgl. Cul. 177f. quod sua quisquam | ad vada venisset. R. Cramer erwägt ima ... lymphae zusammenzuziehen und vergleicht georg. l,141f. latum funda iam verberat amrtem \ alta pet ens. Die Verse haben einen Widerhall sowohl in Cui. 101 (Hyperionis ardor) als in Cui. 104 (Abi. abs.), vor allem aber in Cui. 107.

Zeitperiphrasen Cul. 202

293

iam quatti1 et biiusis2 oriens Erebois eauos nox3. et pitzer aurata procedit Vesper ab Oeta, cum grege compulso pastor duplicantibus umbris vadit et in fessos requiem dare4 comparai artu.iT

Mont. frg. 2,1 iam sua pastores stabulis armenta locamnt iam dare sopitis nox pigra silentia terris incipit.

Dies ist schließlich nach 42ff. (Sonnenaufgang), lOlff. (Tageshitze), 107 (Mittag) die vierte Zeitperiphrase auf engem Raum (der Anbruch der Nacht). Außer den in den Anmerkungen nachgewiesenen Vorbildstellen hat Montanus zugleich die Hirtenidylle der Eklogen anklingen lassen, vgl. (zu 203f.) ecl. 8,30 tibi (sc. marite) deserit Hesperus Oetam: 6,85f. cogere donec ovis stabulis numerumque referre | iussit et invito processit Vesper Olympo\ 2,67 et sol crescentis decedens duplicai umbras. l,82f .¡gm... \ maioresque cadunt altis de montibus umbrae. Den Versschluß ab Oeta hatte er schon in Ciris 350 gewählt, dort im Zusammenhang des Tagesanbruchs. Eng verwandt mit Culex 202ff. ist wieder das Fragment II des Montanus, ebenfalls eine Abendidylle. Als Ergebnis dürfen wir festhalten: Der gleiche Georgica-Abschnitt ist Grundlage sowohl des Schlußpassus der Deiphobus-Episode als auch der vier Tageszeitperiphrasen im Culex als auch des zweiten Fragments (der Schilderung der Abenddämmerung) des Iulius Montanus. Eben dieser Iulius Montanus aber war berüchtigt für das häufige Einschalten von Zeitperiphrasen 6 , wie eine solche - in bizarrer Weise - in dem interpolierten Deiphobus-Abschnitt vorliegt. Da dieser - wie oben gezeigt - n a c h den Metamorphosen und n a c h den ersten zwei Büchern der Epistulae ex Ponto gedichtet ist, der erweiterte Vergiltext aber (wie wir sehen werden) nicht erst 54 n.Chr. (s.o.), sondern bereits zur Entstehungszeit der Controversiae und Suasoriae des älteren Seneca (um 37 n.Chr.) kanonisch geworden war, spricht alles dafür, den 'tolerabilis poeta' Iulius Montanus, der offenbar nicht immer guten Geschmack bewies, als Verfasser der Deiphobus-Episode und der vorgeführten Partien aus dem Culex (und damit des ganzen Culex) anzusehen. Daß hier überall der gleiche Dichter am Werk ist, macht die oben näher beschriebene

1 2 3

4

5

6

Siehe zu Vers 43. Vgl. georg. 3,91 Martis equi biiuees: Aen. 12,355; Culex 283f. Die Junktur oriens nox erinnert an den ebenfalls von der Hand des Montanus stammenden Ausdruck [Aen.] 7,138 Noctem Noctisque orienlia signa (invocai). Vgl. ars 2,351 da requiem; fast. 1,667 vilice, da requiem terrae. Aber die Verbindung requiem dare in fessos artus scheint singular. Vgl. georg. 4.190 fessosaue sopor suus occupât artus: Aen. 2,253 sopor fessos complectitur artus und Montanus in [Aen.] 3,511 fessos sopor inrigai artus. Siehe S. 270ff. 302ff.

294

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

fein abgestimmte, 'komplementäre' Imitationsweise1, in der zusätzlich ein und derselbe Maniliusvers dreimal in je verschiedenen Elementen genutzt wird, evident. Eine weitere Variation des oben herangezogenen Georgica-Passus durch Montanus wird unten (S. 297ff.) in einen etwas größeren Zusammenhang gerückt werden. Zunächst aber wenden wir uns der Tagesanbruchsschilderung zu, die Montanus zu Beginn von Fragment I gibt.

c) Montan, frg. l , l f . - Manil. 5,103; l,321f. - Ciris 493-498 Auch in dem Verhältnis der Zeitperiphrase des Montanusfragments I und der Beschreibung einer Metamorphose in der Ciris zu den gemeinsamen Vorbildversen Manil. 5,103 und l,321f. können wir das gleiche komplementäre Imitationsverfahren beobachten, wie es in den voraufgegangenen Kapiteln als typisch für Montanus beschrieben wurde. Dies deutet wiederum auf Identität des Urhebers beider Imitationen: Montanus scheint also sowohl den Vergil überarbeitet zu haben als auch Verfasser der Ciris zu sein. Da wir ihm oben auch den Culex zuzuschreiben hatten (und dies im weiteren Verlauf dieser Untersuchungen bekräftigen werden), darf die Vermutung gewagt werden, daß der Vergilbearbeiter auch für die (oder doch für die Mehrzahl der) in der Appendix Vergiliana vereinigten Gedichte verantwortlich zeichnet. Doch gehen wir der Reihe nach vor! Die genannten Maniliusverse, die beiden Imitationen als Vorbild dienen, haben folgenden Wortlaut: Manil. 5,102

cumque decern partes Aries duplicaverit ortus, incipient Haedi tremulum producere mentum hirtaque tum demum terris promittere terga qua dexter Boreas spirai.

In diesem Zusammenhang hat die Junktur incipient ... producere ihren ursprünglichen Sitz: die Böckchen beginnen ihr glitzerndes Kinn über den Horizont zu schieben, und künden den Erdbewohnern das später folgende Sichtbarwerden auch des struppigen Rückens an. Diesen in astronomischem Zusammenhang gängigen Ausdruck (vgl. Manil. 5,364) hat Montanus in dem der Maniliusstelle nachempfundenen Beginn des Fragments I beibehalten:

Eine vierte Variation des Georgica-Passus, insbesondere des Verses georg. 3,351 (quoque redit medium Rhodope porrecta sub axem) nimmt Montanus in [Ον.] epist. 2,113 vor: qua patet umbrosum Rhodope glacialis ad Haemum. Dabei geht die Kombination von Rhodope und Haemum vermutlich auf zusätzliche Ovidreminiszenz zurück (met. 6,87; 10,77: doch steht dort beide Male Rhodopen vor der Penthemimeres). Die hier markierten Wörter waren in den zuvor besprochenen Abwandlungen nicht imitiert: ein neuer Beweis für die komplementäre Umsetzung des Vorbildes durch Montanus!

Zeitperiphrasen Montan, frg. 1,1 incipit spargere

ardentes Phoebus producere

rubicunda dies -

295

flammas.

die Sonne beginnt ihre glühenden Strahlen über den Horizont zu schicken, das rötliche Tageslicht sich 'auszustreuen' (zu verbreiten). Das Attribut tremulus1 hat Montanus durch das der Morgensonne wenig angemessene ardentes ersetzt, das einer Kontamination mit Manil. 1,32lf. {stella) in media radiai quae maxima fronte \ candidaque ardenti distinguit lumina fíamma verdankt wird und von Montanus auch Aetna 361 (ardentisaue simul flammas ac fiilmina rumpunt) eingesetzt ist, s.o. S. 291 zu Cui. 43 und S. 407 zu [georg.] 3,46. Auch das Verb spargere wählt er in einem verwandten Zusammenhang: [fast.] l,77f. fiamma nitore suo templorum verberat aurum \ et tremulum summa spargit in aede iubar (s. S. 454) 2 . Der gleiche signifikante Maniliusvers 5,103 ist nun aber auch - komplementär - in dem folgenden Cirispassus zugrundegelegt, und zwar in der nicht ganz leichten Beschreibung des Verwandlungsvorgangs, die sich der Ciris-Dichter wohl für die im Proöm erwähnte späte Wiederaufnahme des in der Jugend begonnenen Werkes vorbehalten hat (so daß Manilius vorausgehen konnte): Ciris 493 495

( v e l u t . . . ) sic liquido Scyllae circumfusum aeauore corpus semiferi incertis etiam nunc partibus artus undique mutabant atque undique mutabantur. oris honos primum et multis optata tabella et patulae frontis species concrescere in unum coepere et gracili mentum producere rostro.

Es handelt sich - wie überall in der Ciris und bei nahezu allen Vergil- (und Ovid-) Bearbeitungen - um Kontaminationsdichtung. Hinter den multis optata tabella (496) hört man Catulls multi ilium (sc. flor em) pue ri, multae optavere puellae (62,42), nachgeahmt von Ovid in met. 3,353 (wegen seiner verfeinerten Metrik wählt Ovid das Verb cupiere statt optavere) und von Montanus in [Aen.] 11,58lf. (multae illam frustra ... matres | optavere nurum. v. ad loc.). Die Verwandlung des Gesichtes der Scylla in einen Vogelkopf ist nach der von Ovid geschilderten Verwandlung der Pieriden in Elstern (met. 5,673f. alteraque alterius rigido concrescere rostro \ ora videi) und der des Cadmus in eine

Es bezeichnet auch sonst das flackernde Sternenlicht, vgl. Cie. Arat. frg. 23,3 magnus Leo tremulam quatiens e corpore flammam-, Lucr. 4,404 tremulis iubar ignibus; Aen. 7,9 tremulo sub lumine (sc. lunae), von Montanus in epist. 18,59 imitiert (s. S. 357). Überraschend ist die Reflexivkonstruktion spargere (incipit dies) statt des üblichen reflexiven Passivs spargi, falls die Ergänzung zutrifft; sie läßt sich wohl durch Lucr. 4,606 (solet scintilla suos se spargere in ignis) erhärten. Vermutlich liegt in Montan, frg. 1,1 f. zugleich eine Art Kontrastimitation von Hör. sat. l,5,9f. vor, s.u. S. 507. 510 mit Anm. 2.

296

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Schlange1 geformt, aber durch eine bezeichnende Entlehnung aus dem genannten Maniliusvers 5,103 bereichert: coepere ... mentum producere2. Dabei wurde die singuläre Klausel producere mentum, die in Montan, frg. 1,1 zu producere flammas abgewandelt war, im Wortlaut übernommen, aber in der Versstellung und Wortfolge verändert. Verändert wurde zugleich die Bedeutung des Verbs, das nun mit dem resultativen Ablativ kombiniert ist, den Ovid dem Verb concrescere beigegeben hatte. Wenn Montanus in Ciris 498 die natürliche Ausdrucksweise des ovidischen Vorbilds (rigido ... rostro) durch gracili... rostro ersetzt, hat er sich von der gleichen Vorliebe wie im Vorproöm zur Aeneis (gracili modulatus avena) und im ersten Culexvers (gracili modulante Thalia) leiten lassen (s. S. 31. 331). Die Verwandtschaft des hier behandelten Cirispassus mit dem Culex zeigt sich auch im Verhältnis von Ciris 495 (s.o.) und Ciris 478 (fertur et incertis iactatur ad omnia ventis)3, zu Culex 348f. (undique mutatur caeli nitor, omnia ventis, I omnia turbinibus sunt anxiä) [man beachte die von Montanus geschätzte Stilfigur der Epanalepse]4, ferner in der nur in Ciris 497 (s.o.) und Culex 15f. (qua Parnasia rupes \ hinc atque hinc patula praepandit comua

1

2

3 4

Siehe met. 4,576ff. (577 cuti squamas increscere sentit \ ... \ ... commissaque in unum \ paulatim tereti tenuantur acumine crura). Weitere Entlehnungen aus der Andromeda-Episode des Manilius finden sich in Ciris 27f. (felix ilia dies): gepriesen wird bei Manilius (5,568) der Tag, an dem Perseus von seinem Triumph über die Gorgo zurückkehrt, in der Ciris der Tag, an dem Andromeda von dem Seeungeheuer erlöst wird; die Formel ist wiederholt auf dem Höhepunkt des Aetnagedichtes (636). Ferner übernimmt der gleiche Dichter, der nach unserer These auch den Ovid überarbeitet hat, aus der Andromeda-Episode des Manilius den preziösen Ausdruck virginis et vivae rapitur sine funere funus (5,548), s. zu [Ον.] trist. 1,3,89 egredior (sive illud erat sine funere ferri), vielleicht auch die Junktur liquido ... aequore in Ciris 493 (aus Manil. 5,563 extulit et liquido Nereis ab aequore vultus), ferner in [Aen.] 10,269 die kühne Hypallage totumaue adlabi classibus aeauor aus Manil. 5,541 infestus totis cum finibus omnis I incubuit pontus. fluitavit naufraga tellus (v. ad loc.), die eine weitere Parallele in [Aen.] 10,292 hat: sed mare inoffensum crescenti adlabitur aestu (v. ad loc.). Ganzenmüller (623) benennt ferner die folgenden Imitationen: Manil. 5,563 ~ Cir. 493 ; 568 ~ 27; 587 - 71. 167. 517; 612 ~ 493; 666 - 76; 678 - 79; ferner (S. 561ff.) Manil. l,882f. — Cir. 22; 866 — 176 (lucentia flammis). Besonders deutlich ist die Nutzung des Katalogs großer Gestalten der römischen Geschichte, die Manilius auf der Milchstraße ansiedelt (l,777ff.), in Culex 358ff. (v. ad loc.). Aus Manilius ist auch die in [Aen.] 5,339 schief eingesetzte Metonymie post Helymus subit et nunc tertia palma Diores gewonnen (ν. ad loc.), woderaus georg. 1,59 Eliadumpalmas Epiros equarum (sc. mittit) entwickelte kühne Ausdruck des Manilius (l,787f. Fabricius Curiusque pares, et tertia palma \ Marcellus Cossusque prior de rege necato) verwässert wird, indem aus dem im Ablauf der römischen Geschichte d r i t t e n S i e g e r über einen feindlichen König, also dem dritten Gewinner der spolia opima, der I n h a b e r d e s d r i t t e n R a n g e s im Wettlauf gemacht wird ([Aen.] 5,59-70. 284-362 del. Zw.). Es ist wohl mit Ehlers Versausfall vor 478 anzunehmen. Siehe S. 443ff.

Zeitperiphrasen

297

fronte) anzutreffenden Junktur patula frons. Da die gemeinsamen Floskeln jeweils in unterschiedlicher Bedeutung eingesetzt sind, dürfen wir hier wiederum den auch sonst stark entwickelten Hang des Montanus zur variierenden Wiederverwendung seiner einmal gefundenen Prägungen erkennen.

d) Ianus, Concordia, Salus Romana, die Ara Pacis - und eine 'pastorale' Zeitperiphrase ([fast.] 3,879-882) Zur genannten Fasten-Stelle bemerkt Fantham (264): "Ideologically a recall of deities celebrated in book 1, Ovid's notice of the triple dedication coincides with the divine abstractions particularly cultivated by Tiberius, Concordia, Salus, and Pax". Nach Börner (ad loc.) ist eine Weihung dieser Art nur noch durch Dio LIV 35, lf. bekannt, allerdings ohne Nennung des Janus, der weder zu den anderen drei Gottheiten noch zum Abschluß des Monats März paßt. Den Gedenktag der Ara Pacis am 30. Januar hatte Ovid selbst nicht berücksichtigt; er vertagte vermutlich eine entsprechende Reverenz an den Kaiser auf den 4. Juli, den Tag der Stiftung des Tempels im Jahre 13 v.Chr., kapitulierte aber dann offenbar vor der Fülle der Augustus-Feiern, die der Monat Juli bereithielt, und legte die Fasti unvollendet zur Seite (Syme 34) 1 . Um so unwahrscheinlicher ist es, daß er eine in den Kalendern (jedenfalls den Fasti Praenestini) und historischen Quellen üblicherweise nicht beachtete Aktion des Augustus, nämlich Altäre und Statuen für Pax, Salus und Concordia auf dem Campus aufstellen zu lassen, eigens am Schluß des dritten Buches hervorhebt. Der Eintrag stammt ebenso von Montanus wie der Ara Pacis-Abschluß des 1. Buches (v. ad loc.), um dem Buchende ein wenig mehr Gewicht zu verleihen. Das 3. Buch Ο ν i d s endete ähnlich unpolitisch wie z.B. (ganz ausgeprägt) das 5., und zwar folgendermaßen: 3,877

Tres ubi Lucíferos venienspraemiserit Eos, tempora noctumis aequa diurna feres. [Inde auater pastor saturos ubi clauserit haedos. 879 canuerínt herbae rore recente quater, Ianus adorandus cumque hoc Concordia mitis 882 et Romana Salus araque Pacis erit.] Luna regit menses, huius quoque tempora mensis

Vgl. Heinze, Ovids elegische Erzählung, in: Vom Geist des Römertums, 3Darmstadt 1960, 325 Anm. 24: "der Juli und August hätten nur Gelegenheit zu panegyrischen Tiraden gegeben." Er sieht die altrömische Ursprungs- und Königssage in fast. I-VI so ausgeschöpft, daß er sich fragt, "ob Ovid die Bücher VII-XII wohl je ausgeführt hätte, auch wenn er in Rom hätte bleiben dürfen".

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

298

finit Aventino Luna

colenda

iugo

Romana Salus taucht hier erstmalig in der Dichtung auf, danach erst wieder bei Paulinus von Nola und Claudian. Die Concordia mitis ist aus 2,631f. entwickelt: Concordia fertur \ illa praecipue mitis adesse die, und zwar so, daß das prädikative mitis zu einem stehenden Attribut verfestigt wurde. Besonders deutlich tragen die Verse 879f. den Stempel des Montanus. Während Ovid die Gestirnsgottheiten Lucifer, Eos und Luna einander zuordnet, um die Tage im Monatslauf zu kennzeichnen, ergeht sich Montanus in seiner Lieblingsbeschäftigung, Tagesanbruch und Tagesende in pastoralen Farben zu malen. Statt zu sagen: "Wenn von da an die Sonne vier Tages- und Nachtbahnen vollendet hat" 2 , läßt er viermal den Hirten seine satten Böcke in die Hürde einschließen und viermal die Gräser vom frischen Tau weiß werden. Der echte Ovid hat - obwohl er immer wieder Tageszählungen in den Fasti poetisch umschreiben muß - nichts Vergleichbares. Von anderer Art sind ja die Anweisungen anläßlich des Parilienfestes, darunter pastor oves saturas ad prima crepuscula lustra (4,735), oder l,311f. ergo ubi nox aderit Venturis tertia noni s I soar saque caelesti rore madebit humus. Auch sie geben für Montanus Formulierungshilfe ab 3 . Berücksichtigt hat er ferner georg. 3,324ff., eine Stelle, die er selbst vermutlich durch die Wiederholung des Verses ecl. 8,15 ( = [georg.] 3,326) erweiterte. Auf diese Stelle wird ihn Ovids Stichwort Lucíferos (3,877) verwiesen haben: georg. 3,324 326 ecl. 8,14

Luciferi primo cum siderefrigida rura carpamus, dum mane novum, dum sramina canent. II [et ros in tenera pecori gratissimus herba]; Frigida vix caelo noctis decesserat umbra, cum ros in tenera pecori gratissimus herba.

Kombiniert hat Montanus zusätzlich Lucr. 2,317

nam saepe in colli tendentes pabulo

laeta

Der Sprung vom 26. März zum Monatsende in 883f. ist ebenso unanstößig wie die analogen Sprünge vom 5. zum 9., 17. zum 23. Januar, vom 5. zum 9., 16./17. zum 21. Februar, vom 8. zum 14. März, vom 19. zum 23. April und vom 15. zum 20. Mai. Bei der Behandlung des Januars erfolgt ein Sprung vom 24. zum Monatsende, mit dem zwischengeschalteten beweglichen Fest der Sementivae - auf das schon aus systematischen Gründen die Verse [fast.] 1,705-722 mit den unbeweglichen Gedenktagen 27. und 30. Jan. nicht mehr folgen können. Vgl. 3,517f. sex ubi sustulerit, totidem demerserit orbes, \ purpureum rapido qui vehit axe diem. Dagegen ist die Umschreibung des Morgens innerhalb einer längeren Erzählung in 3,357f. (mollis erat tellus rorata mane pruina, \ ante sui populus limina regis adest) ihrerseits von der Hand des Montanus hinzugesetzt (v. ad loc.). Von Ovid stammen 361 (ortus erat summo tantummodo margine Phoebus) und 367 totum iam sol emoverat orbem .

299

Zeitperiphrasen lanigerae reptant pecudes quo quam < que > invitant herbae gemmantes rore recenti et satiati ami ludunt blandeque coruscant.

vocantes

Hier wird wiederum deutlich, wie der Epigone verschiedene Vorbildstellen ineinanderarbeitet. Was dort poetischer Schmuck war, was bei Vergil und Ovid die genannte Tageszeit durch charakteristische Details veranschaulichen sollte, wird verabsolutiert; die zuvor als schmückendes Beiwerk verstandenen genrehaften Züge werden zum Selbstzweck und Träger der eigentlichen Aussage, stehen für die Zeitangabe 'Abend' und 'Morgen'. Der pastor spielt bei Ovid2 und den sonstigen, von Dahlmann berücksichtigten Autoren in 'epischen' Tageszeitschilderungen keine Rolle, wohl aber - wie wir gesehen haben - im Culex. Dort hat sich der Verfasser u.a. an den Libyen- und SkythenPassus des 3. Georgicabuches angelehnt. Auf die gleichen Verse darf man das pastor saturos ubi clauserit haedos von [fast.] 3,879 zurückführen, ich wiederhole die Parallelen: georg. 3,352 illic clausa tenent stabulis armenia. woraus Montanus in epist. 8,17 (si quis rapiat stabulis armenia reclusis) geschöpft und seine Variation in frg. 2,1 gespeist hat: iam sua pastores stabulis armento locarunt (s. S. 293).

e) Nichtovidische Tageszeitschilderungen in am. 1 6 und in epist. XVIII Wir haben bereits mehrfach die Hermione-Epistel und weitere Heroidenverse stillschweigend dem Montanus zugesprochen. Das Fundament für diese kühne These wird im Kapitel 7 (S. 354ff.) gelegt werden, eine Bonner Dissertation von W. Lingenberg die Einzelnachweise liefern. Die mangelhafte Qualität der Heroides, die eines Ovid nicht würdig sind, war mir in einem meiner ersten Bonner Hauptseminare vor nunmehr beinahe zwanzig Jahren bewußt geworden und ließ mich seither nicht mehr los. Die Versuche, durch punktuelle Eingriffe die schlimmsten Anstöße zu beseitigen, scheiterten: das Corpus drohte zu einem kläglichen Rest zu verkümmern. Auffällige Parallelen in Motivik und Sprachstil zu den aus Vergil herausgelösten Montanus-Zusätzen führten zu der Vermutung, daß hier jeweils die gleiche Hand am Werk sein könnte, die sich 1 2

Vgl. Lucr. 5,461 gemmantis rore per herbas. Vgl. auch fast. 4,165ff. Nox ubi transierit caelumque rubescere primo coeperit et tactae rore querentur aves semiustamque facem vigilata nocte viator ponet et ad solitum rusticus ibit opus, Pleiades_ incipient. umeros relevare paternos (...). Ovid nennt den Wanderer und Bauern; vom Hirten ist nicht die Rede.

300

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

nicht nur in den Text des Vergil und des Ovid hineingeschrieben, sondern beiden Corpora auch jeweils eigene Dichtungen angegliedert hat. So lenkten sowohl die Tageszeitperiphrase als auch weitere Züge der oben behandelten Deiphobus-Episode den Blick auf verwandte Eindichtungen in das Ovidcorpus. In [am.] l,6,65f. bot sich der glückliche Sonderfall, daß die bereits im vergangenen Jahrhundert für unecht erklärte Periphrase eines Tagesanbruchs aufgrund der 'strophischen', durch Refrainverse gegliederten Struktur des Gedichtes mit höchster Evidenz als späterer Einschub erwiesen werden kann. Das Paraklausithyron besteht aus neun 'Strophen' zu je acht Zeilen, hat also 9 χ 8 = 72 Verse. Die fünf Mittelstrophen werden jeweils durch den Refrainvers tempora noctis eunt, excute poste seram abgeschlossen (24. 32. 40. 48. 56). Um diesen zentralen Block von 40 Versen ist ein Rahmen von je zwei 'Strophen', also je 16 Versen gelegt, die sich ebensogut in je vier Vierergruppen aufteilen lassen. Dieses harmonische Verhältnis ist durch den Einschub des Distichons 65f. von der Hand des Interpolators zerstört worden. Dieses Distichon hat schon L. Müller zu Recht für unecht erklärt1, und Goold ist ihm gefolgt2. Der Dichter kann nicht in 65f. das Anbrechen des neuen Tages ankündigen, unmittelbar danach aber voraussetzen, daß der zu Boden geworfene Kranz "die ganze Nacht über" ( t o t a ... n o c í e ) auf der harten Schwelle liegen solle, bis ihn dann am Morgen das Mädchen sehen werde (69 cum te proiectam mane videbit). Darüber hinaus verlangt ales (66) nach einer verdeutlichenden attributiven Bestimmung3 und bezeichnet das absolut gesetzte miseros höchst unzulänglich die miseros mortales. Es liegt die Annahme nahe, daß wir auch hier den Iulius Montanus hören, der dafür berüchtigt war, an allen passenden und unpassenden Stellen Tagesanbruchsund Abendschilderungen einzufügen. In dem Distichon [am.] 1,6,65 66

Γ iamaue pruinosos molitur Luc if e r axes, inque suum miseros excitât ales OPUS!

hat er sich vornehmlich an die folgenden Muster gehalten: am. 1,13,1 8

fast. 4,165

1 2

3 4

iam super oceanum venit a seniore marito flava pruinoso quae vehit axe diem; et liquidum tenui gutture cantai avis: η ox ubi transient caelumque rubescere primo coeperit et tactae rore querentur aves

L. Müller, De Ovidi Amorum libris, Philologus 11, 1856, 60-91. 192, dort 77ff. G.P. Goold, Amatoria critica, HSPh 69, 1965, 1-107, dort 48f. Seine Argumentation ist weitgehend in McKeowns Kommentar (II 156) zitiert. Vgl. fast. 2,767 lucis praenuntius ales. Die gleiche Hand zeigt sich in epist. 4,160 purpureo tepidum gm mpvet axe diem (nach fast. 3.518 purpureum rapido gm vehit axe diem) und epist. 11,48 denaque lucíferos Luna movebat equos.

Zeitperiphrasen

Aen. 11,182

301

semiustamque facem vigilata nocte viator ponet et ad solitum rusticus ibit OPUS: Aurora interea miseris mortalibus almam extulerat lucem referens opera atque labores.

Es liegt ein Stück Kontaminationsdichtung vor, die erst auf dem Hintergrund ihrer Vorbilder (dies gilt besonders für das Verhältnis von [am.] 1,6,66 miseros und Aen. 11,182 miseris mortalibus) ganz verständlich wird. In der Leander-Epistel lesen wir eine weitere 'epische' Tagesanbruchsschilderung (diesmal in Distichen)1, die analog den Auroraversen in der Deiphobus-Episode der Aeneis die Trennung des Liebespaares markieren und nachdrücklich die Kürze der Zeit, die für das nächtliche Liebesglück zur Verfügung stand, zu Bewußtsein bringen soll. Dabei erinnert eine auffällige Kombination von iam + Partizip Futur an frg. 1 des Montanus: Mont. frg. 1,2

iam tristis hirundo argutis reditura cibos inmittere nidis incipit et molli partitos ore ministrai; epist. 18,107 non magis illius numerari gaudia noctis Hellespontiaci quam maris alga potest, quo brevius spatium nobis ad furta dabatur. hoc magis est cautum, ne foret illud iners. 110 iamque fugatura2 Tithoni coniuge noctem oraevius Aurorae Lucifer ortus erat: oscula congerimus properata sine ordine raptim et querimur parvas noctibus esse moras, 115 atque ita cunctatus monitu nutricis amaro frigida deserta litora turre peto, digredimur fíentes repetoque ego virginis aequor respiciens dominam, dum licet, usque meam.

Zu Beginn des Abschnittes (107f.) sehen wir den Dichter auf den Spuren Catulls (7,3f.); später, in 11 Iff., beutet er eifrig Ovid aus, vgl. am. 2,5,35f. quale coloratum Tithoni coniuse caelum | subrubef, met. 15.189ff. Lucifer exit - praevia lucis | ... Pallantias\ met. 4,665 Lucifer ortus erat (doch legen der Zusammenhang [Trennung des Liebes- bzw. Ehepaares] und das Versmaß [Pentameterende] nahe, daß Ovids Aufbruch aus Rom imitiert wurde: trist. l,3,71f. dum loquor et flemus, caelo nitidissimus alto, \ stella gravis nobis, Lucifer ortus erat)·, am. 2 , l l , 4 5 f . multa sine ordine carpam \ oscula·, fast. 2,715 oscula ... properata. Auch aus Ciceros Alcyones scheint er ein Vers-

1 2

Sie ist nicht gebucht bei Dahlmann. Vgl. [Ον.] epist. 18,212 triste nataturo nec querar esse fretum; 16,111 fundatura citas flectuntur robora naves (vgl. [Aen.] 6,4); 5,116 non profecturis litora bubus aras; ferner die S. 409ff. besprochenen Belege.

302

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

stück übernommen zu haben. Dort wird Lucifer praevius Aurorae. solis noctisque satelles genannt (frg. 1,2 Blänsd.). Mit der oben analysierten Szene aus der Deiphobus-Episode aber verbindet diesen Leander-Abschnitt - neben der 'epischen' Tageszeitschilderung (Auroras Aufgang und Himmelsfahrt) - das Motiv der Kürze der zur Verfügung gestellten Zeit (vgl. epist. 18,109. 114 und [Aen.] 6,537 omne datum traheret per talia tempus). die Mahnung der unnachsichtigen Amme bzw. der energischen Sibylle zur Eile (epist. 18,115 und [Aen.] 6,538f. sed comes admonuit breviterque adfata Sibylla est: \ 'nox ruit, Aenea; nos fíendo ducimus horas '; 544 'ne saevi, magna sacerdos'), das Weinen und Klagen (epist. 18,114. 117 und [Aen.] 6,539 flendo), das Scheiden (epist. 18,117 digredimur - [Aen.] 6,545 discedam). Und wenn es in epist. 18,117f. heißt, Leander gehe zurück zum Meer und blicke dabei in einem fort, so lange es möglich ist, zur Geliebten zurück, so erinnert dies an den kurz vor der Deiphobus-Episode geschilderten Abschied der Dido von Aeneas: Sie flüchtet sich - feindselig - in den schattigen Hain (wie es der Interpolator will, s. S. 495ff.), Aeneas aber schaut ihr erschüttert nach, so weit er kann: prosequitur lacrimis longe et miseratur euntem (6,476). Das Fortgehen und Nachschauen ist hier mit gutem Grund auf die beiden Personen aufgeteilt, der Verfasser des Leanderbriefes schreibt beides, Fortgehen und beständiges Zurückblicken, dem einen Leander zu. Es spricht vieles dafür, daß wir sowohl in der Deiphobus-Episode wie im Leander-Brief den gleichen Iulius Montanus hören.

f) Katalog der Zeitperiphrasen des Montanus Im folgenden gebe ich die Zeitperiphrasen, die im Verlauf dieser Untersuchungen dem Montanus zugeschrieben werden, in einem tabellarischen Überblick. Wenn wir aus dem Ciris-Proöm (vorsichtige) Rückschlüsse auf die Biographie des Dichters (Iulius Montanus) ziehen dürfen, geht - wie bei Ovid - das ludere im elegischen Versmaß (19f.) den ernsthaften Versuchen im Genre des epischen Lehrgedichts voraus (42ff.) und wird von Montanus danach nur noch nebenher geübt. Demgemäß beginne ich mit den in elegischen Distichen abgefaßten Belegen. Es hat den Anschein, daß Montanus vor allem anläßlich der Bearbeitung der Fasti, die ja von der Thematik her beständig die Auf- und Abgänge der Sternzeichen im Ablauf des römischen Kalenders in den Blick rücken1, seine Vorliebe für Zeitperiphrasen2 entwickelt und ihr dann (unter

Ich verweise beispielsweise auf die Belege aus dem 3. Buch: fast. 3,403ff., 415ff. 449f. 517f. (575f. 639 nox erat), 877f. Aus dem vierten Buch sei besonders auf 4,165ff. verwiesen (s.o.), eine Periphrase, die Montanus in epist. 10,8; 15,152 und in [am.] 1,13,1316 vorgeschwebt haben dürfte.

Zeitperiphrasen

303

Berücksichtigung der Aratea Ciceros und der Astronomica des Manilius) ausgiebig im epischen Genre, bei der 'Revision' des vergilischen Œuvres und im Culex, gefrönt hat:

[Ovid] [am.] 1,6,65 1,13,11

15 [ars] 3,723 [fast.] 1,71 1,87 1,295 1,421 2,313 2,329

2,364 2,635 3,357 3,879 4,331

4,661

2 1

2 3

iamque pruinosos molitur Lucifer axes, inque suum miseros excitât ales opus1. ante tuos ortus (sc. Aurora) melius sua sidera servat novità nec media nescius errat aqua; te surgit quamvis lassus veniente viator, et miles saevas aptat ad arma manus. prima bidente vides oneratos arva colentes; prima vocas tardos sub iuga panda boves. iamque dies médius tenues contraxerat umbras, inque pari spatio vesper et ortus erant2. prospera lux oritur (vgl. Hor. sat. 1,5,39) salve, laeta dies. quis vetat et stellas, ut quaeque oriturque c adit que, dicere? η ox erat, et vino somnum fadente iacebant corpora diversis vieta sopore locis. iam Bacchi nemus et Tmoli viñeta tenebat, Hesperus et fusco roscidus ibat equo. causa, repertori vitis quia sacra parabant, quae facerent pure, cum foret ort a dies, noctis erat medium - quid non amor imp robus audet? roscida per tenebras Faunus ad antra venit. exta parant medias sole tenente vias. iamque ubi suadebit placidos no χ umida somnos larga precaturi sumite vina manu. mollis erat tellus rorata mane pruina inde quater pastor saturos ubi clauserit haedos, camerini herbae rore recente quater. no χ ade rat. quemo religant in stipite funem dantque levi somno corpora functa cibo, lux ade rat. querno solvunt a stipite funem ante tamen posito tura dedere foco3. interea placidam redimita papavere frontem

Es sind 15 interpolierte Belege in den Fasti zu verzeichnen. Vgl. [am.] 1,8,10purofulget in orbe dies \ 1,8,12purpureus Lunae 1,8,9-18 del. Zw.); 2,19,22 longa pruinosa frigora nocte pati. Siehe unten S. 577. Vgl. Hor. sat. l,5,9f. 17-23.

... vultus ([am.]

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

304

4,687 5,429 5,497 epist. 10,7

10,17 11,47 14,21 14,79 15,135 15,156 18,25 18,55 18,59 18,77

18,111 19,33 19,55

No χ venit et secum somnia nigra trahit. hospitis antiqui sólitas intravimus aedes, dempserat emeritis iam iuga Phoebus equis. no χ ubi iam media est somnoque s i lentia praebet, et canis et variae conticuistis aves. temp us erat, quo versa iugo referuntur aratra1 et pronus saturae lac bibit agnus ovis. tempus erat, vitrea quo primum terra pruina spargitur et tectae fronde queruntur aves2; incertum vigilans a somno languida movi Thesea premuras semisupina manus. luna fuit. iam noviens erat ort a sor or pulchetrima Phoebi denaque lucíferos Luna movebat equos. modo facta crepuscula terris, ultima pars luci s primaque noctis erat. mane erat. at cum se Titan ostendit et omnia secum tarn cito me somnos destituisse queror. hactenus, ut media cetera nocte silent. séptima no χ agitur. nox erat in cip i ens. luna fere tremulumpraebebat lumen eunti. unda repercussae radiabat imagine luna e et nitor in tacita nocte diurnus erat, nullaque vox usquam, nullum veniebat ad aures praeter dimotae corpore murmur aquae. iamquefugatura Tithoni coniuge noctem praevius Auro rae Lucifer ortus erat. sic ubi lux acta esP et noctis amicior hora exhibuitpulso sidera clara die. sic ubi deceptaepars est mihi maxima noctis acta4, subit fiirtim lumina fessa sopor.

Epiced. Drusi 281 hunc Aurora di e m spectacula tanta ferentem quam primum croceis roscida portet equis! 405 sidera quin etiam caelo fugisse feruntur, Luc if e r et sólitas destituisse vias: Luc if e r in toto nulli comparuit orbe et venit stella non praeeunte dies. sideris hoc obitus terris instare monebat

1 2 3 4

Siehe den Ovidband zur Stelle. Siehe fast. 4,166. Vgl. [Aen.] 8,407 noctis abactae. Siehe vorige Anm.

Zeitperiphrasen

305

et mergi Stygia nobile lumen aqua1. Eleg. Maecen. 1,119 pascitur Auro rae Tithonus nectare coniunx (., 125 illius aptus eras roseas adiungere bigas, tu dare purpurea lora regenda manu, tu mulcere iubam, cum iam torsisset habenas procedente die, respicientis equi, quaesivere chori iuvenem sie Hesperon illum, 130 quem nexum medio solvit in igne Venus, quem nunc in fiiscis placida sub nocte nitentem Luc if e rum contra currere cernís equis. De ros. nasc. 1 ver erat et blando mordentia frigora sensu spirabat croceo mane revecta dies, strictior Eoos praecesserat aura iugales, 4 aestiferum suadens anticipare diem. 11 vidi Paestano gaudere rosaría cultu exoriente novo roscida Luc if ero. rara pruinosis canebat gemma frutectis ad primi radios interitura die. ambigeres raperetne rosis Aurora ruberem 16 an daret et flores tingerei ort a dies. 39 tot species tantosque ort us variosque novatus una dies aperit, confiât ipsa dies. 45 quam modo nascentem rutilus conspexit Eoos, hanc rediens sero vespere vidit anum.

[Vergil] [georg.] 1,458 at si, cum refe ret que diem condetque relatum, lucidus orbis erit, frustra terrebere nimbis 460 et claro silvas cernes Aquilone moveri. 2,481 quid tantum Oceano properent se tingere soles hiberni, vel quae tardis mora noctibus obstet ( = Aen. l,745f.) 3,326 et ros in tenera pecori gratissimus herba2. [Aen.] 2,268 tempus erat quo prima qui e s mortalibus aegris incipit et dono divum gratissima serpi?.

1

2

3

Zu dieser Stelle siehe S. 414. Ich führe die beiden Belege - vielleicht aus dem Jahre 12 n.Chr. - an, obwohl ich mir bewußt bin, daß es sich nicht um eigentliche Zeitperiphrasen handelt. Dies gilt auch für die beiden folgenden Stellen. Eine aus ecl. 8,15 geholte Ausschmückung des Morgen-Motivs georg. 3,324f. Luciferi primo cum sidere frigida rura \ carpamus, dum mane novum, dum gramina cañera. Von Quintilian (8,6,60) als bloßer Schmuck beurteilt.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

306 3,117 3,284 3,508

3,512

3,521

3,588 589 4,460 4,525

4,584 5,64 6,535

1 2

3 4

5

6 7

tertia lux1 classem Cretaeis sistet in oris. interea magnum s o I circumvolvitur annum et glacialis hiems Aquilonibus asperat undas. sol ruit interea et montes umbrantur opaci; stemimur optatae gremio telluris ad undam sortiti remos passimque in litore sicco corpora curamus, fessos sopor inrigat artus. necdum orb em medium Ν ox Horis acta subibat: haud segnis strato surgit Palinurus et omnis explorât ventos (...) iamque rubescebat stellis Aurora fugatis cum procul obscuros Collis humilemque videmus Italiam2. postera iamque dies primo surgebat Eoo II [umentemque Aurora polo dimoverat umbram] hinc exaudiri voces et verba vocantis visa viri, nox cum terras obscura tenereP. cum tacet omnis ager, pecudes pictaeque volucre^, quaeque lacus late líquidos quaeque aspera dumis rura5 tenent, somno positae sub nocte silenti. et iam prima novo spargebat lumine terras Tithoni croceum linquens Aurora cubile6. ... si nona diem mortalibus almum Aurora extulerit radiisque retexerit orbem1 hac vice sermonum roséis Aurora quadrigis

(=4,7)

( = 4,119)

Siehe 11,210. Die Verse [Aen.] 3,116f. sind m.E. unecht, ν. ad loc. In den wenigen interpolierten Versen 3,508-524 werden hier Sonnenuntergang, Mitternacht und Sonnenaufgang zusammengedrängt, s. S. 180ff. Daß die Trojaner einen Vers nach ihrem Aufbruch aus Buthrotum bereits wieder die Sonne untergehen sehen, am Strand landen und sich e r s c h ö p f t schlafen legen, ist absurd. Zu fessos (3,511) siehe W. Clausen, Decorum in the Aeneid, Accadem. Nazion. Virg., Atti e Memorie, n.s. 63, Mantua 1995 (1997), 19-27, dort 21. Der Dido-Brief (vgl. epist. 7,101ff.) geht dieser Interpolation voraus, s. S. 498ff. Der Interpolator nutzt die gleiche Klausel in [georg.] 3,243; vgl. Manil. 2.43 pietas voilieres. Vgl. Manil. 2,41f. nec silvis silvestre canitperque hórrida motus \ rura serit dulcís (...); ferner Ciris 195ff. Die Verse Aen. 4,529f. konstruiere ich im Sinne einer epexegetischen Zerlegung der Negation (Hofm.-Sz. 803; Kühn.-Stegm. 1,827): at non ... Phoenissa 1. ñeque umquam \ solvitur in somnos 2. oculisve aut pectore noctem aeeipit (-ve vertritt also ein zweites neque, oculis aut pectore gehören eng zusammen.); vgl. ecl. 4,55f. non me carmimbus vincet nec Thracius Orpheus, \ nec Linus; Aen. 12,189f. non ego neç Teucris Italos parere iubebo | neç mihi regna peto. Beide Verse sind aus 9,459f. geholt; 585 ( = 9,460) stammt ursprünglich aus georg. 1,447. Geformt nach 4,118f. ubi primos crastinus ort us | extulerit Titan radiisaue retexerit orbem: vgl. 5,42f. postera cum primo stellas Oriente fiigarat | clara dies-, 5,104f. exspectata dies aderat nonamaue serena \ Auroram Phaethontis equi iam luce vehebant.

Zeitperiphrasen iam medium aetherio cursu traiecerat axem (...) 539 'nox ruit, Aenea (...')· 7,1340 (...) primo laeti cum lumine s o Ii s 138 Noctem Noctisque orientici signa 148 postera cum prima lustrabat lampade terras orla dies. 8,280 devexo intereapropiorfit Vesper Olympo 8,407 inde ubi prima quies m e d i o iam noctis abactae curriculo expulerat somnum (...) 415 mollibus e stratis opera ad fabrilia surgit. 8,455 Euandrum ex humili tecto lux suscitât alma 456 II [et matutini volucrum sub culmine cantus2. 10,147 media Aeneas fréta no et e secabat. 161 (Pallas) iam quaerit sidera, opacae noctis iter. Ciris 232 349 Culex 42

45 100

107 202

Moret. 1

1 2 3 4 5 6 7

307

( ~ 4,6)

tempore quo fessas mortaliapectora curas, quo rápidos etiam requiescunt flumina cursus. postera lux3 ubi laeta diem mortalibus almum* et gelida5 venientem ignem quatiebat ab Oeta. igneus aetherias iam s o l penetrabat in arces candidaque aurato quatiebat lumina curru, crinibus et roséis tenebras Aurora fugarat: propulite s tabuli s ad pabulo laeta capellas pastor et excelsi montis iuga summa petivit. (pastor ... dum) ... modulatur harundine carmen, tendit inevectus radios Hyperionis ardor lucidaque aetherio ponit discrimina mundo, qua iacit Oceanum flammas in utrumque rapaces, iam medias operumpartes evectus erat sol, cum densas pastor pecudes cogebat in umbras, iam quatif et biiuges o riens Erebeis equos nox et piger1 aurata procedit Vesper ab Oeta, cum grege compulso pastor duplicantibus umbris vadit et infessos requiem dare comparai artus. iam nox hibernas bis quinquéperegerat horas excubitorque die m cantu praedixerat aies, Simulus exigui cultor cum rusticus agri,

Diese Zeitangabe fügt sich nicht zur anschließenden Stadtbesichtigung (306ff.). [Aen.] 8,456-462. 465-469 del. Zw., v. ad loc. Siehe [Aen.] 11,210. Siehe Aen. ll,182f. Aurora interea miseris mortalibus almam | extulerat luçem. Siehe [Aen.] 11,210. Siehe S. 291. Siehe S. 408.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

308

... I membra levât. quamvis caeruleo siccus love fulgeat aether purpureoque rubens sur gat i ubar aureus ostro1. Frg. 1,1 incipit ardentes Phoebus producereflammas spargere se rubicunda dies; i am tristis hirundo argutis reditura cibos inmittere nidis i η c i ρ i t et molli partîtes ore ministrai. Frg. 2,1 iam sua pastores stabulis armento locarunt, iam dare sopitis nox pigra silentia terris i η cip it.

Aetna 332

Die Pointe der vom jüngeren Seneca in epist. 122,11-13 erzählten Episode anläßlich der Dichterlesung des Iulius Montanus liegt darin, daß der Philosoph das allgemeine Urteil über die besondere Manier des tolerabilis poeta (nämlich: ortus et occasus libentissime inserebat) durch zwei Hörer seiner Rezitationen in bestimmter Weise konkretisieren läßt: Ein gewisser Natta Pinarius erklärt einem Gesprächspartner, der aus seinem Verdruß über eine Rezitation des Montanus, die den ganzen Tag gefüllt hatte (illum tot o die recitasse), kein Hehl machte, er selbst sei bereit, den Dichter α è or tu ad oc casum zu hören: 'Von Sonnenaufgang bis zu Sonnenuntergang' bedeutet hier entgegen dem natürlichen Wortsinn nicht 'den ganzen Tag', sondern 'nur für einen kurzen Abschnitt'; denn erfahrungsgemäß ließ Montanus in seiner Dichtung den Tag bald nach seinem Beginn schon wieder zur Neige gehen. So ist es auch in dem von Seneca anschließend wiedergegebenen Ausschnitt aus einer Rezitation der Fall: Auf die Verse des 1. Fragments, die den Aufgang der Sonne schildern, bei dem die Schwalbe ihr unermüdliches Werk, die Nestlinge zu füttern, anhebt, folgt in kurzem Abstand (cum sub inde recitasset) die Abendschilderung, die den Varus zu dem Ausruf 'quid dicis? iam nox est? (...)' veranlaßt. Mustert man die aus der einschlägigen Dichtung uns vorliegenden Zeitperiphrasen2, scheint es neben der knappen Schilderung des horazischen 'Iter Brundisinum', die Montanus mehrfach imitiert3, nur Belege aus dem oben angeführten Montanus-Katalog zu geben, die der von den zeitgenössischen

Vgl. 123f. flumina quin etiam ... | occasus habuere suos; 231 solis scire modum et quanto minor orbita luna e ; 242 Lucifer unde micet, quave Hesperus. Neben dem Vergil- und Ovidcorpus sind die von Dahlmann gesammelten Belege berücksichtigt. Siehe das Register. Zur Erinnerung gebe ich die entsprechenden Verse: sat. l,5,9f. iam nox inducere terris | umbras et cáelo diffundere signa parabaf, 1,5,17ff. tandem fessus dormire viator | incipit ac missae pastum retinacula mulae | nauta piger saxo relìsat stertitque supinus. \ iamque dies aderat, nil cum procedere Untrem \ sentimus, ... \ ... \ ...: quarta vix demum exponimur hora; 1,5,39 postera lux oritur multo gratissima. Siehe ferner u. S. 507ff.

Zeitperiphrasen

309

Rezitationsteilnehmern aufs Korn genommenen Manier entsprechen 1 . Den Gipfel der Zeitraffung bildet dabei die in die Claudia-Episode des Berichts von der Überführung der Magna Mater nach Rom eingelegte zusätzliche Haltestation an der Tiberbiegung (den Tiberina atrio) zwischen Ostia und Rom ([fast.] 4,329-342). Die Situation (ein Schiff wird mit Seilen vom Ufer aus flußaufwärts gezogen 2 , setzt sich aber im schlammigen Grund fest) ist der im 'Iter Brundisinum' verwandt (sat. 1,5,llff.) und konnte deshalb den Redaktor dazu verleiten, bei der Einfügung einer zusätzlichen Haltestation am Tiber auf die horazischen Formulierungen zurückzugreifen (neben den im Ovidband ad loc. nachgewiesenen Anleihen an den echten Ovid). Diese hört man vor allem hinter relisant in stipite funem ([fast.] 4,331; vgl. sat. l,5,18f.) und eben in den bei Montanus unmittelbar aufeinanderfolgenden Zeitangaben nox aderat (4,331) und lux aderat (4,333), zwischen die lediglich ein Pentameter geschoben ist, aus dem wir erfahren, daß man zu Abend gegessen und sich dann schlafen gelegt hatte (vgl. sat. l,5,14ff.). Hier wird also aus einem speziellen Zusammenhang einer Horazsatire die scheinbare Rechtfertigung gezogen für einen im Abstand eines Distichons erfolgten Zeitsprung vom Abend zum Morgen des nächsten Tages. Weitere Zeitperiphrasen des Montanus, die in kurzem Abstand aufeinanderfolgen, liegen vor in [fast.] 2,313f./330f./364 3 ; 5,429f./497f. 4 ; [Aen.] 4,525ff./584f. (hier schmückt der Interpolator jeweils Zeitangaben Vergils farbig aus); 8,407 (folgend auf das vergilische nox ruit von 369)/456 (eine Ausweitung des vergilischen Euandrum ...lux suscitai alma von 455) 5 . Am nächsten aber stehen den beiden von Seneca überlieferten Montanusfragmenten die dichten Zeitperiphrasen in [Aen.] 3,508/512/521 (Sonnenuntergang, Mitternacht, Morgenröte) und in dem Hirtenidyll von Culex 42ff./98103/107f./202ff. Hier erkennen wir deutlich die Hand des gleichen Montanus, dem wir insgesamt rund 60 (!) Zeitperiphrasen oder verwandte Nennungen von Aurora, Lucifer, Sol und Luna, dies und nox zuweisen konnten; 15 von ihnen stammen aus Zudichtungen in den Fasti, knapp 20 aus Einschüben in die Aeneis, 14 aus den Heroides.

2 3

4 5

Courtney vermutet in Fragmentary Latin Poets S. 330 sehr ansprechend, daß Seneca selbst in Apocol. 2 (vgl. sowohl 2,1 als auch 2,4) eben unseren Iulius Montanus parodieren wollte. M. Deufert fügt hinzu, daß auch das in 2,1 gegebene ländliche Bildchen von der Weinlese gut als spezielle Montanus-Parodie passen würde. Siehe fast. 4,297ff. Ich habe den Abschnitt [fast.] 2,289-380 dem Montanus zuerkannt. Nicht vergleichbar sind die vom Kalender diktierten (nicht in einen Handlungsablauf eingebundenen) Fälle wie fast. 5,159f., 163f. Die Verse [fast.] 5,423-444. 469f. 493-544 habe ich dem Montanus zugewiesen. Die Verse [Aen.] 8,402-415 . 422. 426-438 . 447-453 . 456-462. 465-469 gehören dem Montanus.

310

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Wenn Servius zu Aen. 11,183 den streng urteilenden, kunstsinnigen Literaten und Dichter A s i n i u s P o l l i o (t 4 n.Chr.) über zwei Zeitperiphrasen Vergils ein höchst merkwürdiges Urteil abgeben läßt und dabei (neben 11,183) auch [Aen.] 4,584f. nennt1, hat er entweder den Asinius Pollio mit A s c o η i us P e d i a n u s (ca. 9 v.Chr. - 76 n.Chr.) verwechselt oder gibt - was mir wahrscheinlicher ist - eine der vielen umlaufenden literarkritischen Anekdoten wieder, die man - um ihnen Autorität zu verleihen - einem der bekannten Zeitgenossen Vergils in den Mund gelegt hat. Dies läßt sich mehrfach auch in der Suetonvita Vergils (s.u. S. 603ff.) und beim Seneca Rhetor nachweisen (s. das Register).

3. Schwalben des Montanus und die Doppelaristie

in Aen. XII

a) Komplementär gezeichnete Schwalben des Montanus Von dem Fragment I des Montanus haben wir bisher nur den Sonnenaufgangsvers behandelt und festgestellt, daß er sich zusammen mit Ciris 498 komplementär zu dem gemeinsamen Vorbildvers Manil. 5,103 verhält (s. S. 294ff.). Das Bild vom Sonnenaufgang in frg. l , l f . ist mit einem Schwalbenmotiv verbunden, das eng verwandt ist mit dem - im epischen Genos wie ein Fremdkörper wirkenden - Schwalbengleichnis des 12. Aeneisbuches ([Aen.] 12,473ff.), das ich ebenfalls dem Montanus zuschreibe (s.u.). In beiden Schwalbenbildern sind zwei Georgicastellen wiederum komplementär verarbeitet. Bei der einen von ihnen (georg. 1,377) handelt es sich um das bereits oben berührte wörtliche Varrozitat (frg. 22,4 Blänsd.), das Vergil in seinen Abschnitt über die Schlechtwetterzeichen übernommen hat (s. S. 266ff.). Ich gebe zunächst die beiden vergilischen Musterstellen:

Asinius Pollio dicit ubique Vergilium in diei descrìptione sermonem aliquem ponere aptum praesentibus rebus, ut hoc loco, quia funerum et sepulturarum res agitur, dicit 'extulerat'. Item in quarto, quia est navigaturus Aeneas et relicturus Didonem, dicit 'Tithoni croceum linquens Aurora cubile '. quod licet superfluum sit, in multis tarnen locis invenitur t necessarium t (ich lese ex. gr. decenter aptum oder decens et aptum, wozu M. Deufert stützend Quint. 8,6,61 ... decorem habet zitiert). Die Verse [Aen.] 4,584f. sind eine unzeitige (und im Zusammenhang abundante) Vorwegnahme der Verse Aen. 9,459f., denen schon deshalb die Priorität zukommt, weil sie an der strukturell ihrem homerischen Muster (II. 11, lf.) entsprechenden Stelle stehen (v. ad loc.); der von Servius zitierte Vers 4,585 aber stammt wörtlich aus georg. 1,447. Die Intention Vergils kann also der feinsinnige antike Grammatiker nicht getroffen haben, der Tithoni croceum linquens Aurora cubile im Hinblick auf die Handlungssituation gewählt sehen will : quia est navigaturus Aeneas et relicturus Didonem.

Schwalben des Montanus

311

georg. 1,377 aut arguta locus circumvolitavit hirundo 4,14 (absint) ... meropesque aliaeque volucres et manibus Procne pectus signata cruentis; omnia nam late vastant ipsasque volanti s ore ferunt dulcem nidis immitibus escam. Im Schwalbengleichnis von Aen. XII wird das Hin- und Herschweifen bei der Futtersuche geschildert: [Aen.] 12,473

nigra velut magnas domini cum divitis aedes pervolat etpennis alta atria lustrat hirundo pabula parva legens nidisaue loauacibus escas. et nunc porticibus vacuis, nunc umida circum stagna sonat, etc.1,

im ersten Fragment des Montanus beschrieben, wie mit Tagesanbruch die Schwalbe die hungrigen Nestlinge zu füttern beginnt: Montan, frg. 1,1

incipit ardentes Phoebus producere flammas, spargere rubicunda dies; iam tristis hirundo areutis reditura cibos inmittere nidis incipit et molli partitos ore ministrai. Die Markierungen machen die komplementäre Nutzung der beiden Vorbildstellen in den beiden Imitationen offenkundig: Montanus verarbeitet in [Aen.] 12,475 den Vers georg. 4,17, übernimmt insbesondere die zweite Vershälfte recht schematisch (mit der Variation loquacibus für inmitibus und dem Numeruswechsel escas für escam)2. In frg. 1,3 vertauscht er die Wortfolge, ersetzt escas durch das Synonym cibos (bewahrt hier also den Numerus) und läßt inmitibus in inmittere anklingen (aus nidis inmitibus escas wird so cibos inmittere nidis). Um auch noch das Attribut (nidisque) loquacibus zu variieren, holt er aus georg. 1,377 das Synonym argutis, das an der Ursprungsstelle der hirundo zugeordnet war, von ihm nun aber den Nestlingen (nidis) zugeschrieben wird. Den Instrumentalis ore (georg. 4,17) übergeht er im Aeneisgleichnis; er verwertet ihn aber in frg. 1,4 und gibt ihm das Attribut molli zur Seite, in Abwandlung des vergilischen dulcem ... escam von georg. 4,17. Wollte man die komplementäre Übernahmetechnik an einem Begriff festmachen, ließe sich dies bequem an der Verarbeitung des Ausdrucks nidis inmitibus (georg. 4,17) demonstrieren, woraus einerseits nidis loquacibus. andererseits inmittere nidis wird. Der Begriff inmitibus wird also k l a n g l i c h auf die beiden Imitationen in [Aen.] 12,475 und frg. 1,3 aufgeteilt. Daß eine solch

1

2

Die wenigen Verse können die Vorliebe des Montanus für (oftmals aufdringliche) Alliterationen zeigen. Zu der Homerreminiszenz siehe Cramer 216f.

312

Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

raffinierte, komplementäre Imitationsweise nur von ein und demselben Autor bewerkstelligt werden kann, steht außer Zweifel1. Das gleiche gilt für das wohlkalkulierte Fortschreiten vom Nahrungssammeln ([Aen.] 12,475pabulo ... legens nidisque loquacibus escas) zum Füttern der Nestlinge (frg. l,3f. argutis ... çibos inmittere nidis \ incipit et molli partito? ore wiwsfret)2 ~ z w e i Betätigungen, die bewußt auf die beim echten Vergil vorliegenden abgestimmt scheinen: in georg. 4,17 (ore ferunt dulcem nidis immitibus escam) tragen die Schwalben das Futter im Schnabel zu ihrer Brut, in georg. 4,306f. (ante \ garrula quam tignis nidumsuspemlat hirundö) bauen sie ihr Nest und an der frühesten, aus Varrò Atacinus entlehnten Stelle georg. 1,377 fliegen sie laut zwitschernd um den Teich. Dieses Weiterdichten im Sinne einer wohlkalkulierten Variation der Betätigungen der Schwalbe3 und die komplementäre Übernahme der verschiedenen Versatzstücke aus den Vorbildversen georg. 1,377 und 4,16f. (s.o.) beweisen, daß der gleiche Verskünstler sowohl in [Aen.] 12,473ff. als auch in Montan, frg. l,2ff. am Werk ist4. . Im Vergleich zum echten Vergil in georg. 1,377 (= Varrò At. frg. 22,4 Blänsd.) und 4,15ff. weisen sowohl das Schwalbengleichnis in Aen. XII als auch das Montanus-Fragment I die gleiche Überladenheit des Ausdrucks auf und den oben als 'Montanismus' beschriebenen Hang, alles doppelt oder gar mehrfach zu sagen, vgl. in [Aen.] 12,473ff. magnas ... aedespervolat - alta atria lustrat, pabula ... (nidis)que ... escas, porticibus vacuis - umida circum stagna-, frg. l,3f. cibos inmittere ... incipit - partitos ore ministrai.

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Wir werden dem gleichen Phänomen noch mehrmals begegnen, so etwa S. 508f. zu Epiced. 254 erravit und S. 509 mit Anm. 1 zu [Aen.] 2,310ff. ampia ruinam. In der Formulierung (hirundo) ... reditura çibos ... \ ... partitos ore ministrai dürfte Aen. 1,194 anklingen: hinc portum petit (sc. Aeneas) et socios partitur in omnis (sc. Septem cervos). Das Motiv ist auch in die Oviderweiterungen hineingetragen; verwiesen sei auf das Kapitel 'Frühlingsbilder, Vogelnester und Schwalben' zu [fast.] 1,153-158; einschlägig sind die Verse [fast.] l,157f. ignotaqueprodithirundo \ et luteum celsa sub trabe flgit opus·, [trist.] 3,12,9f. utque malae matris crimen deponat, hirundo | sub trabibus cunas tec taque parva facit (evident später als Ovids Beschreibung des Vogels Phoenix in met. 15,403ff. mit der treffenden antithetischen Metapher cunas que suas patriumque sepulcrum). In [fast.] 1,443 (quae facitis nidos et ρ lumi s ova fovetis, vgl. [fast.] 4,696) tritt auch noch das Eierbrüten hinzu, s. S. 314. Zu ergänzen wäre, daß aus dem Vorbildvers georg. 1,377 ( = Varrò At. frg. 22,4 Blänsd.) die Elemente hirundo, circumvolitavit und lacus nach [Aen.] 12,474ff. übertragen wurden (hirundo, pervolat und circum stagna), das Attribut arguta aber, zusammen mit dem Klauselwort hirundo nach Montan, frg. l,2f. (tristis hirundo \ argutis ... nidis), und daß aus der Kombination von georg. 1,377 (arguta ... hirundo) und georg. 4,17 (nidis immitibus) sowohl das nidisque loquacibus von [Aen.] 12,475 als auch der gesperrte Ausdruck argutis ... nidis von Montan, frg. 1,3 erwachsen ist.

Schwalben des Montanus

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Zusätzliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Junktur molli ... ore zu: Sie könnte direkt aus dem Georgicavers 4,17 (oreferunt dulçem nidis inymtibus [Kontrastimitation] escam) entwickelt sein (s.o.), begegnet aber in dieser Form - wenn man von dem imitierenden Spätling Serenus (der in 611 vom weichen Maul des Schafes spricht) 1 absieht - nur noch in einem sicher unechten Tristienvers (4,3,70), in dem Ovid seine Gattin in Rom auffordert: nec tibi, quod saevis ego sum Iovis ignibus ictus, \ purpureas molli fiat in ore pudor. Wie ad loc. gezeigt, ist die Sprache des Pentameters eher einem amourösen Verhältnis zu einer Kurtisane angemessen als dem Aufruf eines Ehemannes an seine Frau, auch im Leid fest zu ihm zu stehen und sein Unglück als eine Gelegenheit zu begreifen, durch treue Pflichterfüllung ihre Tugendhaftigkeit zu erproben. Das w e i c h e , z a r t e Antlitz hat in diesem Zusammenhang keine Funktion. Da die Verschiedenheit des Inhalts nicht auf ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Stellen schließen läßt, deutet die gleiche Junktur auf den gleichen Autor. Mit mehr Berechtigung verleiht vermutlich derselbe Montanus in dem pseudo-properzischen Gedicht III 15 der Antiope mollia ora, als er in [Prop.] 3,15,13f. die Bestrafung der versklavten Zeus-Geliebten durch Dirke in folgenden Worten ausmalt: a quotienspulchros vulsit regina capillos, \ molli a que immites2 fixit in ora manus! Obwohl ich diese Verse für unecht halte 3 , läßt sich hier der Verweis auf die schönen Haare und das weiche, zarte Gesicht (das von der boshaften Dirke zerkratzt wird) vertreten (wenngleich vulsit regina capillos vulgär klingt). Mit gutem Recht spricht ferner Ovid (man denke an das Schaf des Serenus, s.o.) von den z a r t e n Nüstern des Hirsches, wenn er den Cyparissus, der auf dem Rücken seines zahmen Lieblingstieres reitet, dessen 'zarten Mund' mit einem purpurnen Halfter zäumen läßt (met. 10,125 mollia purpureis frenabas ora capistris, vgl. georg. 3,399). Doch wie fügt sich molli ore zum Schwalbenschnabel des Montanusfragments? Neben georg. 4,17 kannte der Dichter, wie oben S. 312 Anm. 3 gezeigt, Ovids Vogel Phönix, der unguibus et puro nidum sibi construit ore (met. 15,397). Aber daß er seine Schwalbe molli... ore ihren Nestlingen die Nahrung zuteilen läßt, wirkt angesichts des h a r t e η Schnabels - jedenfalls zunächst - ähnlich paradox wie die Erfindung von den "kalten" Küssen, die die verwandelte Alcyone als Eisvogel dem Leichnam des Ceyx duro ... rostro gibt. Auch die Verse [met.] 11,736-738 sind unecht (v. ad loc.). Wir greifen - wie es scheint - hier und in dem Pentameter [trist.] 4,3,70 den gleichen Ver-

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Er empfiehlt der Frau als empfängnisfördernde Maßnahme, daß sie pendentem spumam molli deducit ab ore (sc. ovis) \ atque illam meminit mixto potare Falerno (61 If.). Es sei an Vergils nidisque immitibus in georg. 4,17 erinnert. Der gleiche Dichter hat den kühnen Ausdruck nescit vestra mens ira referre pedem geprägt (3,15,44), den wir ähnlich in [Aen.] 10,307 antreffen, s. S. 137.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

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fasser, den Montanus des Schwalbenfragments. Diese Annahme gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß auch die synonyme Junktur molli... vultu nur an den beiden folgenden pseudo-ovidischen Stellen anzutreffen ist, die wir dem Montanus zuzuschreiben haben (v. ad locc.): medic. 97

tempore sintparvo molli licet illita vultu\ haerebit toto nullus in ore color; talia dicentem molli Schoeneia vultu [met.] 10,609 adspicit et dubitai, superan an vincere malií2.

Ganz entsprechend verhält es sich mit der Floskel in molli pectore : Sie findet sich lediglich zweimal in pseudo-ovidischem, dem Montanus zuzuschreibendem Zusammenhang, bevor sie dann von dem 'Ovid'-Imitator Statius (Theb. 5,165ff.) übernommen wird (v. ad locc.): [fast.] 4,4 epist. 16,126

II

num vetus in molli pectore vulnus habes? et ferus in molli pectore flagrai amor.

Eng verwandt mit der Genremalerei des Montanus von frg. I sind die Verse [fast.] l,441ff. aus dem interpolierten Großabschnitt [fast.] 1,391-456 mit dem Aition des Esels- und Vogelopfers, der den Autor als Imitator des 6. Buches der Fasti (vgl. 6,319-346), der Metamorphosen und der Exildichtung ausweist (v. ad loc.): [fast.] 1,441

444

intactae fueratis aves3, solada ruris4, 5 adsuetum silvis innocuumque genus6, quae facitis nidos et plumis ova fovetis1 et facili dulces editis ore8 modos9.

Daß die Vögel Nester bauen und unter ihrem Gefieder Eier brüten und dabei mit leicht beweglichem 'Mund' süße Melodien singen, erinnert lebhaft an die

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Siehe hierzu u. S. 405. Später heißt es - in dem gleichen Montanus-Zusatz ([met.] 10,609-637) - at quam virgineus puerili vultus in ore est ( 10,631), v. ad loc. Zugrunde liegt Tib. l,7,17f. (...) ut volitet crebras intacta per urbes | alba Palaestino sancta columba Syro (vgl. [fast.] 1,452 uritur Idaiiis [siehe ars 3,106 und catal. 14,2] alba columba focis). Ebenso Montanus in [Aen.] 5,301 adsueti silvis, comités senioris Acestae, v. ad loc. Singuläre Junktur (bei 194 Belegen für solaría in der Dichtung). Hat Montanus an rem. 241 f. (centum solaría curae \ et rus et comités et via longa dabit) gedacht? Singuläre Junktur, in Anlehnung an 1,384 lanigerumquepecus ruricolaeque boves; vgl. am. 2,6,53 illic innocui late pascuntur olores. Vgl. met. 8,257ff. (vom Vogel Perdix) nec facit in ramis altoque cacumine nidos: | propter humum volitai ponitque in saepibus ova (...); ferner georg. 4,55f. nescio qua dulcedine laetae \ progeniem nidosque fovent (sc. apes). Die Junktur scheint - wie molli... ore (s.o.) - auf Montanus beschränkt. Vgl. Hör. carm. 3,9,10 dulcís docta modos.

Schwalben des Montanus

315

Schwalbe des Montanus, die bei Sonnenaufgang ihren schreienden Nestlingen die Nahrung zuteilt und ihre Schützlinge wieder verläßt und mit neuer Nahrung wiederkommt. Vers 443 hat darüber hinaus eine enge Entsprechung in einem weiteren Montanus-Zusatz der Fasti: [fast.] 4,696

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nunc matris plumis ova fovenda dabat

Vom Eierbrüten scheint sonst in der lateinischen Dichtung nirgends die Rede: Man hat den Eindruck, daß Montanus eng mit ländlichen Verhältnissen vertraut ist. Kommt er - wie Syme meint - aus der Gallischen Provinz? 2 Zur Athetese der Verse [fast.] 1,391-456 sei hier - dem Ovidband vorausgreifend soviel bemerkt: Nach dem indignierten Resümee der Verse 383f. ("welche Tiere bleiben noch als ungefährdet übrig, wenn selbst das wolletragende Schaf und der Pflugochse auf den Altären geopfert werden?") erreicht der Abschnitt mit drei 'exotischen' Opferriten seinen Abschluß: Für den persischen Sonnengott sind Pferde, für Diana die Hirschkuh und für Trivia Hunde passende Opfertiere - jedenfalls bei den Sapaeern und Thrakern. Mit dem Stichwort nives (390) ist ein glatter Übergang zu den 'kalendarischen' Versen 457ff., bes. 459 (siehe das Stichwort hiemem) gewährleistet. Die Aitia für Esel- und Vogelopfer hinken nach; die Priorität der Lotis-Episode der Metamorphosen und der Priapus-Vesta-Episode aus dem 6. Fastenbuch ist evident; ebenso die Priorität von asini ... indicis exta aus fast. 6,346 gegenüber dem bloßen indicis exta von [fast.] 1,450. Tuta diu volucrum proles (1,449) wirkt nach dem emphatischen quid tuti superest von 383 schwach; tum denique hat keinen logischen Bezugspunkt. Wiederholungen wie edidit ore sonos (434) - editis ore modos (444) - datis ore notas (448) und nil ... iuvant (445) iuveruntque (450) - nec ... iuvant (453), aber auch die metrisch unbefriedigende Wortfolge quia linguae nach der Penthemimeres in Vers 445 (s. S. 434) zeigen die begrenzte Ausdrucksfähigkeit des Epigonen. Montanisch ist die Apostrophe der Isis durch Irlach i (1,454; ebenso in [ars] 3,464 und epist. 14,105), und das Schlußdistichon 455f. setzt sowohl met. ll,597f. als auch den Schlußvers von Pont. I 4 voraus, vgl. met. 11,597

non vigil ales ibi cristati cantibus oris evocai Auroram ... Pont. 1,4,57 Memnqnis hanc utinam lenito príncipe mater quam primum roseo vrovocet ore diem epist. 4,160 (Sol) purpureo tepidum qui movet axe diem [fast.] 1,455 nocte deae Noeti cristatus caeditur ales, quod tepidum vinili provocet ore diem. Die hier gegebene Reihenfolge der vier Texte entspricht der Chronologie ihrer Entstehung: Montanus hat - gedankenlos - seine in epist. 4,160 geformte Junktur in der späteren Zudichtung zu den Fasti wiederholt, wo das Epitheton - ebenso wie das aus met. 11,597 geholte, jetzt aber mit ore kombinierte Attribut vigil - wenig sinnvoll

Der Passus [fast.] 4,641-672 stammt von Montanus, v. ad loc. Damit ließe sich vielleicht auch seine Spezialität, dem Getreide und Wein das Heu hinzuzufügen, erklären; s. S. 33 Anm. 4; 335 mit Anm. 1.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

eingesetzt ist1. Der Schlußvers von Pont. I 4 schien ihm passend, auch für seinen Zusatz die Klausel abzugeben. Er hat sie kombiniert mit den aus met. 11,597f. und aus seinem eigenen Vers epist. 4,160 geholten Versatzstücken, die er in der für ihn typischen Weise variiert.

b) Die Wagenlenkerin Juturna und die Doppelaristie des Aeneas und des Turnus Aen. 12,446-450. 468-553. 557-559 Um die hier vorgenommene Identifizierung des Dichters der angeführten Schwalbenverse mit Montanus abzusichern, muß ich den Nachweis der Unechtheit einer längeren Episode des 12. Aeneisbuches aus dem kritischen Kommentar nach vorne ziehen. Vergil hält Maß - auch in den Aristien! Nach dem mißglückten nächtlichen Unternehmen des Freundespaares Nisus und Euryalus wird das Kampfgeschehen am nächsten Morgen zunächst durch die 'kleine' Aristie des Ascanius (9,590ff.) geprägt, danach durch die große Aristie des Turnus am und im Lager der Latiner. Im 10. Buch erhält zunächst Aeneas als Befehlshaber des übers Meer herangeführten Entsatzheeres eine kleine Aristie (10,308ff.), dann Pallas (10,362ff.), der von der Hand des Turnus fällt, wodurch eine RacheAristie des Aeneas ausgelöst wird (10,510ff.); den Schluß des 10. Buches nimmt die Aristie des Mezentius (10,689ff.) ein, der zusammen mit seinem Sohn Lausus von Aeneas besiegt wird. Das 11. Buch enthält die Aristie der Camilla (11,664ff.), das 12. Buch soll nach dem Vertragsbruch zunächst (während der Abwesenheit des durch eine Pfeilwunde verletzten Aeneas) eine Aristie des Turnus bieten (12,324ff.), dann - nach der Rückkehr des Aeneas - eine Doppelaristie der beiden Heerführer (12,500ff.), bevor es endlich zum Zweikampf kommt. Die Doppelaristie des Aeneas und des Turnus im 12. Buch ist ein unorganisch eingeschobener, fremder Zusatz2. Der echte Vergil läßt den Aeneas nur einmal auf dem Schlachtfeld wüten und auf der Suche nach Turnus alles niedermetzeln, was sich ihm in den Weg stellt, nämlich im 10. Buch nach dem 1

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Im Zusammenhang des Hahnenschreies am frühen Morgen erwartet man dies nicht als 'warm' qualifiziert, während dies in epist. 4,160, wo die Sonne den Tag auf ihrem Wagen fahrt, angemessen ist. Kaum weniger stark fühlt man das Mißverhältnis zu Beginn des ersten Fragments des Montanus (incipit ardentes Phoebus producere flammas): auch dort nutzt Montanus bequem eine vorgegebene Junktur (s. S. 295). Nachträglich ist erschienen: R.F. Thomas, The Isolation of Turnus, in: H.-P. Stahl (Hrsg.), Vergil's Aeneid: Augustan Epic and Political Context, London 1998, S. 271-302; dort 277ff. eine Interpretation der Doppelaristie, "unique in the tradition of the aristeia". Ich habe keinen Anlaß gesehen, mein Manuskript zu ändern.

Die Doppelaristie in Aen. XII

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Tod seines Schutzbefohlenen Pallas (10,510ff., vgl. 569 toto ... desaevit in aequore victor und 602ff.). Während es dort heißt: próxima quaeque metit gladio latumque per agmen \ ardens limitem agit ferro, te, Turne, superbum \ caede nova quaerens ( 1 0 , 5 1 3 f f . v e r h ä l t sich der Aeneas des 12. Buches ganz im Einklang mit seinem seit Beginn des 11. Buches verfolgten Bestreben (11,108-118), unnützes Blutvergießen zu vermeiden und die Entscheidung im Zweikampf mit Turnus zu suchen. Noch als der Vertrag bereits gebrochen ist, sucht er seine Mannen am Kampf zu hindern und pocht auf sein Recht, im Alleingang die Sache zu entscheiden: 12,314

o cohíbete iras! ictum iamfpedus et omnes compositae leges, mihi ius concurrere soli; me sinite atque auferte metus. ego foederq faxo firma manu; Turnum deberá haec iam mihi sacra.

Eben dieses Ziel verfolgt er unbeirrt weiter, als er nach seiner Heilung von der Pfeilwunde aufs Schlachtfeld zurückkehrt: irgendwelche niederen Gegner kümmern ihn nicht; allein nach Turnus hält er Ausschau, ihn sucht er aufzuspüren, allein ihn fordert er zum Kampf heraus: 12,464

ipse ñeque aversos dignatur sternere morti nec pede congresses aequo nec tela ferentis insequitur: solum densa in caligine Turnum vestisat lustrans. solum in certamina poscit.

Da gibt ihm Venus (s.u.) den Gedanken ein, mit seiner Truppe gegen die Stadt zu ziehen und so die Latiner in Verwirrung zu stürzen (554ff.). Turnus hört in 620ff. die Klagerufe aus der Stadt, und ein Verwundeter namens Saces bringt ihm Kunde von der dort herrschenden Stimmung und Bedrängnis (650ff.). Als er dann gar Feuerzungen aus dem Turmbollwerk zum Himmel schlagen sieht (672ff.), stellt er sich, um die Stadt zu retten - entgegen dem Rat der Schwester Juturna (676ff., vgl. 623ff.) - dem Aeneas zum Zweikampf (693ff.): Das Kalkül, das Venus dem Aeneas vermittelt hat, ist aufgegangen. So verläuft folgerichtig der Gang der Handlung beim echten Vergil (nach Athetese der interpolierten Verse [Aen.] 12,468-553, s.u.). Die Verse 12,466f. werden unmittelbar durch 12,554ff. (den von Venus eingegebenen Gedanken) und die daraus sich entwickelnde Aktion (56Iff.) fortgeführt: 12,554 556

1

2

hic mentem Aeneae genetrix pulcherrima misit iret ut ad muros urbique adverteret agmen oc ius et subita turbaret clade Latinos: [.. ,]2

Vgl. 10,661f. ilium autem Aeneas absentem inproeliaposcit; \ obvia multa virum demittit corpora morti. Die Athetese der Verse 12,557-559 (del. Deufert) und 12,560 (del. Cramer) wird im kritischen Kommentar begründet.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

561 Mnesthea Sergestumque vocat fortemque Serestum ductores, tumulumque capit quo cetera Teucrum concurrit legio (...). Aeneas ruft sofort seine Unterführer zusammen und befiehlt, die Stadt zu stürmen, wenn sich Turnus nicht endlich zum Kampf stelle (570f. scilicet exspectem libeat dum proelia Turno \ nostra pati rursusque velit concurrere victusT). Da der Gegner den Vertrag gebrochen habe, stehe Jupiter auf ihrer Seite (565 Iuppiter hac stat). Mit Feuerbränden, die sie auf die Stadt schleudern, sollten sie die Gültigkeit des Vertrages wieder einfordern: 12,573 ferte faces propere foeduçque reposóte flammis. Man rückt an die Stadtmauer vor 1 und Aeneas, der in 311 - ausdrücklich als ρ i us qualifiziert - mit ausgestreckter, unbewaffneter Hand seine Truppen zurückrief und es ihnen verwehrte, sich nach Vertragsschluß zum Kampf provozieren zu lassen (31 If. at ρ i us Aeneas dextram tendebat inermem \ nudato capite atque suos clamore vocabat). ruft jetzt mit der gleichen Geste den Latinus heraus und schwört bei den Göttern, daß er nun zum zweiten Male zum Kampf gezwungen werde, die Italer sich (nach dem ersten Vertragsabschluß von 7,259ff. und dem dort folgenden Vertragsbruch2) zum zweiten Male als Feinde erwiesen und zum zweiten Male ein Bündnis brächen: 12,579 ipse inter primos dextram sub moenia tendit Aeneas, magnaque incusat voce Latinum testaturque deos Herum se ad proelia cogi, bis iam Italos hostis, haec altera foedera rumpi. Der pi us Aeneas, der in dieser förmlichen, geradezu rituellen Weise an die vertraglichen Bindungen erinnert und unter Anrufung der Götter bezeugt, daß er nur unter Zwang - weil Turnus nicht den vereinbarten Zweikampf annimmt - sich anschickt, feindselig gegen die Stadt vorzugehen, kann nicht bereits in 12,488ff. durch einen Lanzenwurf des Messapus, der ihm den Helmbusch mitfortträgt, so sehr in Rage versetzt worden sein, daß er mitten in den Soldatenhaufen vordringt und wahllos wildes Morden um sich verbreitet 3 , zumal

1

Sowohl hier als auch in der vorausgehenden Rede des Aeneas als auch in der folgenden Schilderung des Geschehens vor und innerhalb der Mauern werden die Stichworte des Planes, den Venus dem Aeneas in 555f. eingegeben hat, folgerichtig aufgenommen: zu ad

muros vgl. 575, zu urbique und Latinos: 567. 593, zu turbaref. 583. 593ff. und 620. 2

Er ist von Juno ins Werk gesetzt, vgl. 7,339f. 427ff. 460ff. 472ff. 541f. 616ff. 623. 628ff. 637ff. ; 8,29.

3

Vgl. 12,497ff. iam tandem invadit medios et Marte secundo \ terribilis saevam discrimine caedem \ suscitât, irarumque omnis effundit habenas.

nullo

Die Doppelaristie in Aen. XII

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dies in 464ff. ausdrücklich ausgeschlossen worden war 1 . Dieses zornentflammte Wüten (494 tum vero adsurgunt i rae-, 499 irarumque omnis effundit habenas) ist ein schlechter Abklatsch der Rachereaktion nach dem Tod des Pallas im 10. Buch. Ebenso ist die auf den Speerwurf aus dem Hinterhalt folgende Beschwörung des gebrochenen Vertrags (496 multa Iovem et laesi testatus foederis aras) eine unzeitige Vorwegnahme des in 580ff. entwickelten Motivs, das in 496 ganz nebenher, aus einem vergleichsweise nichtigen, zufälligen Anlaß verbraucht würde, bevor es in 580ff. in seiner grundsätzlichen Bedeutung eingesetzt werden kann. Es zeigt sich ferner deutlich, daß die Eingebung des Gedankens, s c h n e l l {peius, 556) die Kompanie in Richtung Stadt marschieren zu lassen und durch diese p l ö t z l i c h e Wendung die Latiner in Verwirrung zu bringen und niederzuwerfen ( s u b i t a turbar et clade Latinos), eng mit der Rückkehr der um den geheilten Aeneas gescharten Truppe aufs Schlachtfeld verbunden sein muß, wie auch der Sprachduktus erkennen läßt, vgl. 442f. agmine denso | ... ruunt und (446-450 sind ja unecht, s.u.) 456f. talis in adversos ... hostis \ agmen agit mit 555f. iret ut ad muros urbi que adverteret agmen \ ocius2. Die Truppenformation, die in einer plötzlichen Eingebung zur Stadt gelenkt werden soll, kann sich zwar - in dicht geordnetem Keil voranziehend (457f. densi cunéis se quisque coactis \ adglomerant) - kleinere Gefechte mit Gegnern, die sich ihr in den Weg stellen, liefern (458ff.), bevor Aeneas sie um einen Hügel versammelt und den d i c h t Gescharten (563 densi) die neue Weisung gibt (561ff.); unmöglich aber können dieser Veränderung der Stoßrichtung die in 468ff. geschilderten Szenen vorausgehen, in denen zunächst Aeneas als Einzelkämpfer dem von Juturna hin und hergelenkten Wagen zu Fuß nachläuft (48Iff.) 3 , dann - von Messapus gereizt - seine Aristie beginnt, der eine entsprechende Aristie des Turnus parallel geschaltet wird (488-547), bis am Ende dann, in 548ff., ein gewaltiger Massenkampf tobt, in den alle latinischen, trojanischen, etruskischen und arkadischen Truppen (die alle aufgezählt werden) pausenlos und in höchster Anstrengung verwickelt sind (553 nec mora nec requies, vasto certamine tendunt). Aus dieser Situation, in der sich die verschiedenen Heere ineinander verbissen haben (548 totae adeo conversae acies), kann Aeneas nicht einfach seine Anführer herausrufen

1

2 3

Inkonsistenz ist ein Markenzeichen des Montanus, s. das Register. Wahrscheinlich hat er die hier herausgestellte Vorgabe Vergils gar nicht ernst genommen, da ja ein Zeitintervall die Haltung des Aeneas von 464ff. möglicherweise zu ändern vermochte (wie er sich gedacht haben mag). Vgl. 12,565f. ne qua meis esto dictis mora ... | neu quis ... mihi seenior ito. Die Erfindung, daß Aeneas dem von Juturna entführten Turnus nachsetzt, ist eine Kontrastimitation der Szene im 10. Buch, in der Juno den Turnus mit Hilfe eines Phantoms, das den Aeneas verkörpert, aus dem Schlachtfeld aufs Schiff lockt, und eine Vorwegnahme des Schlußkampfes, in dessen Verlauf Aeneas den waffenlosen Turnus verfolgt.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

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(56Iff.), die Truppen um einen Hügel sammeln lassen und dann eine Ansprache an sie richten (564ff.). Diese richtet er vielmehr an das agmen (555), das er in 442ff. 456f. vom Lager aufs Schlachtfeld zurückführt. Im Anschluß an das leichte Scharmützel, das sich dieser voranrückende Zug mit einzelnen Gegnern liefert (458ff.), könnte sich in der Vorstellung des Aeneas gut eine pugnae ... maioris imago entzünden (560)1; der in 548-553 geschilderte Großkampf verträgt eine solche Steigerung nicht. Das Motiv für den zugedichteten Einschub liegt vielleicht auch in dem Drang nach (billig zu habender) Aktion, dem Wunsch, die beiden Gegenspieler nach Haudegenart tüchtig dreinschlagen zu lassen; in erster Linie aber wohl in dem Bestreben, das Juturna-Metiscus-Motiv von 623f. frühzeitig vorzubereiten. Dort finden wir in dem Augenblick, da die Klagerufe aus der Stadt an das Ohr des Turnus dringen, Juturna in der Gestalt des Metiscus als Wagenlenkerin eingesetzt. Die Göttin sucht den Bruder daran zu hindern, zum Schutz der Stadt zurückzueilen. Die Szene wird wie folgt eingeleitet: atque huic, in faciem soror ut conversa Metisci \ aurigae currumque et equos et lora regebat, I talibus occurrit dictis (12,623ff.). Obwohl das Auftreten der Juturna auch in 222ff. nicht weiter vorbereitet ist, wollte der zudichtende Redaktor, der seinen Homer kennt, das Wagenlenkermotiv von 623f. durch eine Prooekonomie absichern und führt uns deshalb zu Beginn seiner Einlage - in Anlehnung an II. 5,835ff. - die Aktion vor, in der Juturna den Metiscus rücksichtslos und gewalttätig vom Wagen stürzt, selbst die Zügel übernimmt und den Turnus in schweifender Fahrt mitten durch die Feinde hindurch lenkt - wie eine schwarze Schwalbe in schwingendem Flug Futter für ihre Nestlinge sammelt: 12,468 470

\hoc concussa metu mentem Iuturna virago aurigam Turni media inter lora Metiscum excutit et longe lapsum temone reliquit (...)].

Dieser Auftakt der hinzugedichteten Einlage tritt an die Stelle der Vergilverse 12,554

¡tic mentem Aeneae genetrix pulcherrima misit iret ut ad muros, etc.

Der Bearbeiter verwertet also signifikantes Vokabular des anknüpfenden Vergilverses, um seinen Zusatz nahtlos anzuschließen. Dieses Phänomen begegnet bei den Zudichtungen des Montanus immer wieder. Der echte Vergil schreibt hoc metuens (georg. 1,335; Aen. 1,61) oder id metuens (Aen. 1,23), nicht hoc ... metu, wozu Nettleship auf Liv. 21,46,7 (is pavorperculit Romanos) verweist. Doch gilt es zunächst das Metiscus-Motiv weiter zu verfolgen:

Wenn nicht auch dieser Vers mit Cramer zu tilgen wäre, v. ad loc.

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Wenn Turnus in 12,632ff. seine Schwester anspricht o soror, et dudum agriovi, cum prima per artem \ foedera turbasti teque haec in bella dedisti, \ et nunc nequiquam fallís dea, so wird deutlich, daß Juturna außer in 222ff. bisher keine Rolle in Verbindung mit Turnus gespielt hat. Ihr gewalttätiges Eingreifen in 468ff. und vor allem ihre triumphale Fahrt, kreuz und quer durch die Feinde, auf der sie iamque hic germanum iamque hic ostentat ovantem (479) und diesem nicht erlaubt, in den Kampf einzugreifen (nec conferre manum patituri), läßt sich mit den Worten des Turnus von 632ff. nicht vereinbaren. Hätte Vergil die Juturna bereits in der früheren Szene eingeführt als cuncta gerens, vocemque et corpus et arma Metisci (472), würde er sie nicht in 623f. ein weiteres Mal dem Leser durch einen umständlichen utSatz (s.o.) vorzustellen suchen. In typisch vergilischer οικονομία macht der Dichter dem Leser erst dort das Motiv von der wagenlenkenden Juturna sinnfällig, wo es innerhalb der Handlung zum Tragen kommt. Die Vorgeschichte läßt er den Leser erschließen. Erinnert sei an die Anchises-Erscheinungen von Aen. 4,351ff., v. ad loc. Schon zwanzig Verse vor dem Großinterpolament 12,468ff. hat der Bearbeiter die Göttin in den Blick treten lassen ([Aen.] 12,446-450, s.u. S. 323ff.), doch dort in einer ganz gegensätzlichen Haltung (wir wissen, daß die Dichtungsweise des Montanus von Inkonsistenzen geprägt ist): Die Göttin soll in 12,448f. als erste den Marschschritt der aufs Schlachtfeld zurückkehrenden Truppen um den geheilten Aeneas hören und erschreckt davonfliehen, in 468ff. dagegen den Wagenlenker des Turnus, Metiscus, vom Wagen stoßen und selbst die Zügel führen, so daß der die Pferde im Lauf verfolgende Aeneas1 (!) den Turnus nicht erreichen kann (484f.). Hier wird dem wegen der Pfeilwunde noch immer leicht hinkenden Aeneas (12,746f. quamquam tardata sagitta I interdum genua impediunt cursumque recusant) der windschnelle Lauf der leichtfüßigen Camilla zugeschrieben, die pernicibus ignea plantis \ transit equum cursu (11,718f.); der vor Angst erschütterten Göttin aber die zu rücksichtsloser Grausamkeit gesteigerte Handlungsweise (12,469f. media inter lora Metiscum \ excutit et longe lapsum temone reliquit) der Athene in Homers Ilias (5,835f. ... Σιlévekov μϊν άφ' Ιππων ω σε χαμάζί, \ xeipì TTOKLV ίρύσασ', ο δ' άρ' ίμμαπέως άπόρουσβν). Es zeigt sich immer wieder, daß Montanus die Darstellung Vergils durch eigene Anleihen bei Homer ausschmückt (siehe das Register). Hier hat er zudem ή δ' ές δίφρον eßaive (5,837) und \á£ero òe μάστιγα και ηνία Π α λ λ ά ς ' Αϋήνη (5,840) durch ipsa subit manibusque undantisflectit habenas wiedergegeben (12,471). Doch anders als bei Homer, wo sich Athene dem Diomedes offen zeigt, versteckt Montanus seine Göttin hinter der Maske des Metiscus (12,472), weil er

12,484 alipedumquefugam

cursu

temptavit

equorum.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

in 12,623f. gelesen hat: atque huic, in faciem soror ut conversa Metisci \ aurigae currumque et equos et lora regebat1. Die eigentliche Doppelaristie - eine einzigartige Erfindung innerhalb des antiken Epos! -, bei der im steten Wechsel Heldentaten des Turnus auf solche des Aeneas folgen, obwohl beide an verschiedenen Fronten kämpfen, nimmt sich geradezu bizarr aus (s.u.). Eingeleitet ist sie durch eine Art Musenanruf (500ff.), in dem die Frage quis mihi ... deus ... expediat den Namen der Musen ersetzt. Sie ist vielleicht in Erinnerung an die Frage quis deus hanc, Musae, quis nobis extudit artem? formuliert, durch die Vergil in georg. 4,315 seine Schilderung der Bugonie-Praxis in Ägypten wieder zu dem in 4,283-286 eingeleiteten Aristaeusmythos zurückführt, der in 317ff. erzählt wird. In dieser Bugonie-Schilderung taucht die nestbauende garrula ... hi run do (georg. 4,307) auf, von der bereits oben die Rede war. Sie kehrt in der großen Zudichtung des 12. Aeneisbuches in einem einzigartigen genrehaften Vergleich wieder (12,473-477), in dem wir mit höchster Evidenz (vgl. bes. nigra ... hi run do \ pabulo parva2 legens nidisque loquacibus escas) den Montanus des Schwalbenfragments fassen, vgl. frg. l,2ff. iam tristis hi rundo \ argutis reditura cibos inmittere nidis | incipit et molli partîtes ore ministraf), s. S. 31 Off. Dieses Schwalbengleichnis ist in seiner Struktur dem Käuzchen-Motiv von 12,861ff. nachgebildet, das Vergil einführt, um durch eine der Diren, alitis in parvae3 subitam collecta figuram (...), Juturna von der Seite des Turnus zu entfernen (12,844). Das Diren-Käuzchen flattert vor den Augen des Turnus schreiend hin und her (12,865f. ob ora \ fertque refertque sonans) und schlägt seinen Schild mit den Flügeln (clipeumque everberat alis). Juturna erkennt Dime stridorem ... et alas (869), ferner alarum verbera ... | letalemque sonum (876f.) und stürzt sich, die göttliche Nymphe, in ihren Fluß. Von hier dürfte der Vergleich der Juturna, die medios ... per hostis | fertur equis (477f.) und das rasende Pferdegespann hin- und herlenkt, mit dem Flug der Futter suchenden Schwalbe, die aedes \ pervolat et ρ e nni s alta atria lustrat ... I ... I et nunc porticibus vacuis, nunc umida circum \ stagna sonai (474ff.), inspiriert sein. Für das sprachliche Gewand sind weitere Vorbildstellen maßgeblich geworden4 Es kennzeichnet das ausgeprägte Stilempfinden 1

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Daraus macht er in [Aen.] 12,784 rursus in aurigae faciem mutata Metisci. was dort fehl am Platze ist. Das Attribut bildet eine frostige Antithese zu magnas domini... divitis aedes (473). Das Attribut (pabulo) parva in 475 dürfte von hier stammen. In domini ... divitis aedes (473) hören wir den Catull-Imitator Montanus (vgl. catal. X), siehe Catull. 61,91ff. talis in vario solet \ divitis domini hortulo | stare flos hyacinthinus·, zu magnas ... aedes siehe Hör. sat. 2,7,11 aedibus ex magnis. Zu 474 (pervolat et pennis alta atria lustrat) siehe Ov. fast. 6,527 (rumor ... agitatis pervolat alis): Aen. 4,665f. it clamor ad alta I atria: concussam bacchatur Fama per urbem. Damit ist die

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Vergils, daß er - epischer σβμνότης gemäß - das Käuzchen nicht direkt mit dem Vogelnamen b u b o benennt, sondern durch eine längere Periphrase (12,862-864) kenntlich macht. Die einzige Stelle in der einschlägigen Dichtung vor Ov. am. 1,12,19, in der bubo auftaucht, [Aen.] 4,462, gehört ebenfalls dem Montanus (s. S. 489ff.). Auch die hi rundo würde der echte Vergil in epischem Zusammenhang umschreiben, wie er dies einmal sogar in seinem Lehrgedicht tut (georg. 4,15 manibus Procne pectus signata cruentis)1. Damit sind die entscheidenden Argumente für die Zuweisung des langen Zusatzes in [Aen.] 12,468-553 an den Dichter Iulius Montanus benannt. Im Detailkommentar wird neben den Eigenwilligkeiten im Ausdruck vor allem die oftmals an Centonenmanier gemahnende Imitationstechnik beleuchtet. Die für die Datierung des Zusatzes wichtigen Ovid- und Maniliusreminiszenzen fasse ich am Ende zusammen. Ich beginne mit dem Zusatz [Aen.] 12,446450. Den von mir athetierten Versen [Aen.] 12,446-449 hat R. Cramer noch den Vers 450 hinzugeschlagen (während Peerlkamp 454b-455 tilgen wollte) 2 . Ich gebe zunächst versweise mein ursprüngliches Raisonnement und lasse dann R. Cramer zu Wort kommen: 446 Turnus befindet sich nicht auf einem gegenüberliegenden Wall (adverso

1

2

Flucht des Priamussohnes Polites kombiniert, der in Aen. 2,528f. porticibus longisfugit et vacua atria lustrât \ saucius, zumal in 12,476 auch die erste Vershälfte und das Attribut vacua durch porticibus vacuis aufgegriffen werden. Diese Junktur porticibus vacuis hat Montanus auch in [Aen.] 2,761 verwendet. Man sieht also, daß er sich die verschiedenen Elemente des Verses 2,528 zumindest zweimal zunutze macht und gerne mit vorgefertigten Mustern arbeitet. Zu umida circum \ stagna sonai·, vgl. Tib. 1,3,68 quam [sc. sedem] circum fíumina niera sonant: 1,3,77 Tantalus est illic, et circum stagna. Von hier mag Montanus das Attribut nigra geholt und mit hi rundo verbunden haben (12,473): Wie das Käuzchen in 862ff. soll der Vergleich mit der schwarzen Schwalbe die Assoziation an Unheil oder Tod wecken, obgleich dies im unmittelbaren Zusammenhang zunächst nicht zum Tragen kommt. Die umida ... stagna verkörpern eine ganz ähnliche montanische Abundanz wie die maria umida in [Aen.] 5,594, v. ad loc. Einen zweiten Beleg für die Gleichnis-Formel velut...: similis scheint es im Vergil und der ihm zeitgenössischen Dichtung nicht zu geben; der Doppelvergleich ut - haud alio - similes in [Aen.] 5,588/592/594 gehört ja ebenfalls dem Montanus, v. ad loc. Siehe hierzu Cramer 216. Die noctua von [georg.] 1,403 ist ebenfalls unecht (402sq. 410423 del. Zw.). R. Cramer verweist auf georg. l,358b-359; 361-362a. Ferner schlägt er vor, im Unterschied etwa zu Mynors und Geymonat Aen. 12,455 nicht von 452b-454 abzutrennen; sowohl 453b-454 wie auch 455 begründeten nämlich das Verhalten der Bauern in 452b453a: 453b-454 erklärten horrescunt in 453a, während 455 praescia in 452b erläutere (vergleichbar sei die doppelte Begründung im Anschluß an georg. l,500-501a: s. Cramer 65). Wakefield habe also nicht völlig unrecht, wenn er, wie Wagner bei Heyne im Apparat zu Aen. 12,453 mitteile, in seiner Anmerkung zu Lucr. 6,260 Aen. 12,453b-455 in einem Ausruf der Bauern zusammenfasse.

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aggere)1, sondern auf dem Schlachtfeld, vgl. 324ff. 383 (campis), 614 (extremo ... in aequore). Montanus scheint die Situation zu Beginn des 20. Iliasbuches assoziiert zu haben, wo sich die Achäer bei den Schiffen um Achill scharen, der nun wieder in den Kampf ziehen wird, auf der anderen Seite aber die Troer sich auf der Anhöhe des Feldes befinden (20,3 ΤpCieç δ' αυϋ' ereowäev èia ϋοφσαω ττεδίοω). 447f. selidusaue per ima cucurrit I ossa tremor, eine wörtlich aus Aen. 2,120f. übernommene Floskel, durch die Montanus II. 20,44 (Τρώας ôè τοόμοζ càvòc vTvXvâe yvla Ικαστον) in vergilischen Klang umsetzt. Die emphatische Anapher ν i dit - ν i de re entspricht dem ebenfalls montanischen audiit - audiit von [Aen.] 7,516 (516-518 del. Zw., v. ad loc.). Hinter prima ante omnis Iuturna Latinos \ audiit darf man eine Reminiszenz an 2,40f. (primus ibi ante omnis ... \ Laoçoon ardens summa decurrit ab arce) hören. 449 et tremefacta refugit (sc. Iuturna): Wir entdecken die gleiche Hand wie in [Aen.] 2,382 (Androgeos visu tremefactus abibat), wo kurz zuvor trep idus que repente refugit2 steht (2,380). Vergil hat in 2,228f. tum vero tremefacta novus per pectora cunctis \ insinuât pavor. R. Cramer vergleicht die ganze Szene 12,441-458a mit II. 4,272-282, woher ja bekanntermaßen das Gleichnis Aen. 12,45Iff. genommen sei. Auch der größere Zusammenhang sei vergleichbar, gehe es bei Homer doch um die Wiederaufnahme des Kampfes nach dem Vertragsbruch durch die Trojaner (Montanus dürfte damit in 446ff. die oben herangezogene, strukturell verwandte Szene aus dem Beginn des 20. Iliasbuches kombiniert haben). Auf diesen Vertragsbruch "weist Idomeneus gegenüber Agamemnon in II. 4,269b-271 noch einmal ausdrücklich hin. Nach dem die Rede des Idomeneus abschließenden ως Ιφατ' in 272a (vgl. haec ubi dicta dedit nach der Rede des Aeneas in 441a) begibt sich Agamemnon zu den beiden Ajas. Von diesen heißt es in 274: τω ôè κορνσσβσάην, άμα ôè νίφος eíirtTo πεζών. Die erste Hälfte dieses Verses scheint in Aen. 12,442a eingegangen zu sein (telum immane manu quatiens), die zweite in 442b-445 (vgl. simul agmine denso [ruunt] in 442b, aber auch pedum in 445). Ergänzt ist bei Vergil das Motiv der sich auf dem Schlachtfeld erhebenden Staubwolke (caeco pulvere campus \ miscetur 444b-445a) und das der erbebenden Erde. Dem Aufwirbeln des Staubes durch die heranstürmenden Trojaner in 444/445 entspricht das durch die fliehenden Rutuler in 462f. (pulverulenta ... Rutuli dant terga per agros). Ergebnis ist die densa caligo von 466, in der Aeneas (vergeblich) nach Turnus sucht. Im Anschluß an II. 4,274 folgt in 275-282 sofort der Vergleich zwischen der vom Wind über das Meer getriebenen Wolke und den beiden Ajas mit ihren Gefolgsleuten, den Vergil in 451-458a nachbildet. Dabei hat Vergil aus Homers αίπόλος άνήρ, der, als er die über das Meer heranziehende Wolke sieht, erstarrt und seine Schafe in die schützende Höhle treibt, seine Bauern gemacht, deren Herzen im Vorwissen um den nahenden Sturm erschauern. Die Verse 446ff. scheinen mir der Versuch, den Bauern des Gleichnisses auf der Realebene eine Entsprechung zu verschaffen (vgl. [Aen.] 11,745750): vidit ab adverso ... aggere ... \ videre ... \ ... \ audiit agnovitque ... in 446-449

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Dies ist eine singuläre Junktur. Montanus hat dieses Klauselwort ein weiteres Mal in [Aen.] 7,500 (v. ad loc.) und Culex 191 (impiger, exanimus, vix compos mente refugit: die beiden letzten prädikativen Bestimmungen bilden einen typischen 'Montanismus', s. das Register). Hinter 12,449 mag 6,472 inimica refueit (sc. Dido) stehen.

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entspricht praescia longe in 452, gelidus ... per ima cucurrit \ ossa tremor in 447b-448a entspricht horrescunt corda in 453, sonum in 449 wiederum nimmt sonitum in 455 vorweg. Dabei wird zugleich auf die hinter Vergil stehende Homerstelle zurückgegriffen: In vidit ab ... venientis aggere Turnus klingt Homers άπ'ο σκοτιής el&ev νέφος αίτόλος άνήρ | ίρχόμίνον (II. 4,275f., in Verbindung mit 11,56 = 20,3), in gelidusque per ima cucurrit | ossa tremor Homers ρίγησίν re ιδώ e (II. 4,279) nach. Mit [Aen.] 12,446-449 muß jedoch wohl auch der Vers 450 fallen, trotz der Entsprechung zwischen atrum... agmen und ^ ά λ α γ γ ί ς | κυάνβαι aus II. 4,281f. (vgl. auch μίλάντερον ήύτβ πίσσα von der herannahenden Wolke in 277): Nach der Tilgung von 446-449 scheint campo ... aperto ein wenig dicht auf campus aus 444 zu folgen, agmen stünde dann in recht enger Nachbarschaft zu agmine aus 442 und agmen in 457 (letzteres greift, wie das folgende densi zeigt, deutlich auf ersteres zurück), volat von Aeneas ausgesagt wiederum paßt ohnedies nicht besonders gut zu volant von den in 455 der Sturmwolke vorausgehenden und sie ankündigenden Winden (sonitum in 455 entspricht auf der Realebene doch wohl das Fußgetrappel in 445b: vgl. sonitus in Lucr. 2,327). Der Vers 450 sollte nach der Einfügung von 446-449 wohl wieder zum Ausgangspunkt zurückfuhren und die Brücke zum Folgenden bilden: campo ... aperto greift auf campus in 444 zurück und orientiert sich zugleich bereits an mare per medium in 452, atrum nimmt caeco pulvere in 444 auf und greift zugleich auf den hinter Vergil stehenden Homer zurück, rapit ist an agit in 457 ausgerichtet, agmen an agmen in 457 (zugleich greift es agmine aus 442 auf)."

Es folgt die versweise durchgeführte Analyse des Großinterpolaments: 468 hoc concussa metu mentem: wir sehen Montanus - wie so oft - auf den Spuren des Satirikers Horaz, vgl. sat. 2,3,295 quone malo mentem concussa? timore deorum. Der echte Vergil verwendet virago nicht, Ovid hat das Substantiv zweimal zur Umschreibung der Athena (met. 2,765; 6,130), würde aber natürlich niemals Athena virago als geschlossenen Ausdruck wählen. Die Iuturna virago des Montanus geht auf Enn. ann. 521 V2 ( = 220 Sk.) (corpore tartarino prognata Paluda virago) zurück. 471 ipsa subit manibusque: vgl. Montanus in [Aen.] 2,240 (illa subit mediaeque), v. ad loc. Zu undantis flectit habenas siehe [Aen.] 5,146 aurigae undantia lora, ein dem Montanus eigentümliches Bild! Der Versrahmen ipsa subit - undantis flectit habenas dürfte auf den Phaethon-Vers Ov. met. 2,169 (ipse pavet nec qua commissas fíectat habenas [sc. sdì]) zurückgehen. 472 Der Vers cuncta gerens, vocemaue et corpus et arma Metisci bildet das Schlußglied in der Kette [Aen.] 4,558 omnia Mercurio similis, vocemaue coloremque (...); [Aen.] 9,650 omnia longaevo similis vocemque coloremque \ et... arma (s. S. 175) und [Aen.] 12,472 (vgl similis in 477). Wie unscharf, ja banal der Begriff corpus zwischen vocem und arma wirkt, ist offenkundig, zumal, wenn man eine weitere Vorbildstelle als Folie dagegenhält: Aen. 1,315 virginis os habitumque gerens_ et virginis arma (Spartanae). 4Π1Ϊ. medios Iuturna per hostis \ fertur equis rapidoque volans: nach 10,20ff. Turnusque feratur | per medios insignis equis tumidusque ... \ ...

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ruat. Die Junktur obit omnia curru hat Montanus ähnlich in [Aen.] 10,447 obitque truciprocul omnia visu (10,445-452 del. Zw., v. ad loc.). 480 Prädikatives avi us im Sinne von 'in weite(r) Entfernung' begegnet außer beim Imitator Silius zweimal bei Montanus: hier (volat avia lonse) und [Aen.] 11,810 in montis sese avius abdidit altos1. Montanus selbst kopiert offensichtlich Lukrez, vgl. 2,82 avius a vera lonee ratione vagaris (— 2,229); 2,740 procul avius erras; 5,397 avia cum Phaethonta rapax vis solis equorum | aethere raptavit toto. 481 tortos lesit obvius orbis: Montanus spielt mit der Opposition avia - obvius. Der Verbalausdruck paßt nicht zum raschen Lauf, mit dem Aeneas den Wagen verfolgen soll, vgl. 9,392f. vestigia retro | obsérvala leeit (met. 3,17). Der Interpolator denkt an die gewundenen Bahnen des flüchtenden Turnus in 743, der nunc hue, inde hue incertos implicai orbis. 482f. vestieataue virum: aus 467 (Turnum) vestisat lustran s2 wiederholt; dagegen ist das Kolon disiecta per asmina aus 689 nach vorne gezogen und mit der aus 10,873 stammenden Floskel masna \ voce vocat verbunden. 484 Vergil hat einmal substantiviertes alípedes als Metonymie für equi\ der Vers alipedumaue fugam cursu temptavit eauorum ist wieder - wie der Rahmen des Verses 471 (s.o.) - aus Ovids Phaethonepisode geschöpft, vgl. met. 2,48 (currus rogat ille paternos) inque diem alivedum ius et moderamen eauorum. 485 aversos ... currus retorsit. vgl. 841 (Iuno) mentem ... retorsit. aber auch 461 in adversos telum qui torserat hostis. Vergil spielt in 456. 461. 462. 464 mit der Aufeinanderfolge von in adversos ... hostis - in adversos ... hostis3 - versi que (Rutuli) - ñeque aversos (nec ... congressos). Montanus hat diesem Spiel in 446 {ab adverso ... aggere) vorgegriffen und spielt es in 485ff. bis zum Überdruß weiter: aversos - dive rsaeque (487) - diversos (495) - diversas (501) - diver sis (521) - ever sor (545) - conversae (548) - diversa (557), während der echte Vergil in 555 mit adverter et fortgefahren war. 486f. heu, auidasat? (aus 4,283 geholt, vgl. 12,637 nam quid ago?) vario neauiauam fluctuât aestu \ diversaeque vocant animum in contraria curae: Es wird der Aeneas des 8. Buches vor Augen geführt, der magno curarum fluctuât aestu. \ atque animum nunc hue celerem nunc dividit illuc \ in partisque ravit varias vergue omnia versât (8,19ff.). 488ff. Der Angriff des Messapus scheint aus einer Kombination von II. 11,349ff.; 13,402ff. und 15,535ff. geformt (siehe Knauers Listen). Die Periode huic - uti ... forte ... gerebat ... hastilia ... - horum unum ist nach 12,270ff. hasta - ut forte ... corpora constiterant ... - horum unum geformt, wenngleich die weite Sperrung der Apposition levis cursu, die den Objekts-

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Das Gleichnis [Aen.] 11,809-815 gehört dem Montanus, s. S. 567ff. Siehe oben im Schwalbengleichnis 474 alta atria lus trat. Die Wiederholung ist bewußt gewählt, um den Frevel des Tolumnius und seine Bestrafung zu parallelisieren.

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ausdruck lenta1 ... praeñxa hastilia ferro2 zerreißt, befremden muß. 490 certo3 contorauens derigit ktu: vgl. 7,164f. lenta lacertis \ spicula contorquent, cursuque ictuaue lacessunt. 491 substitit Aeneas et se colleeit in arma: ein Centovers, vgl. 11,95 substitit Aeneas und 10,412 seque ¡n sua colli ait arma. 492f. incita {hasta): nach Lukrez (vis incita venti) von Montanus wieder in [Aen.] 12,534 gesetzt, summasque excussit vertice cristas: nach dem Muster von 2,224 incertam excussit cervice securim. 494 tum vero adsurgunt irae: man hört den Rhythmus von [Aen.] 4,86 non coeptae adsurgunt turres, ν. ad loc. 495 eauos currumaue: aus 624 currumaue et eauos nach vorne geholt. 496 multa lovem et laesi testatus foederis aras: vgl. 581 testaturaue deos. 582 haec altera foedera rurnpi und den gleichen Montanus in [Aen.] 7,593 multa deos aurasque pater testatus inanis4. 497 Die Klausel et Marte secundo stammt aus 11,899. 498f. saevam nullo discrimine caedem \ suscitât: vgl. Ov. met. 1,161 saevaeque avidissima caedis und nullo discrimine in Aen. 1,574; 10,108; 12,770. irarumaue omnis effundit habenas ist nach Servius aus Ennius (ann. 513 V 2 = 534 Sk.) geschöpft: irarum effunde auadrieas. Cerda verweist auf Liv. 37,20,10 quam potuit effusissimis habenis ... invadit. 500ff. auis mihi nunc ... deus, quis carmine ... expediat? Wohl eine Kontamination aus Ov. fast. 3,259ff. (auis mihi nunc dicet. quare ... ? | ... | nympha, mone)·, Aen. 7,37ff. (nunc age, qui reges, Erato, ... expediam ...tu vatem, tu, diva, mone, dicam hórrida bella, \ dicam acies actosque animis in fuñera reges5) und 9,525ff. vos, o Calliope, precor, aspirate canenti \ quas ibi tum ferro strages6, quae fuñera Turnus7 | ediderit, quem quisque virum demiserit Orco. Die Klausel aeauore toto (vom Schlachtfeld) kommt aus 11,599 oder 5,456, der Vers 502 (inaue vicem nunc Turnus aeit. nunc Troius heros) klingt nach Manil. 3,640 (Capricornus) inaue vicem nunc damna lesit. nunc tempora supplet: Es gibt unter mehr als 60 Belegen für in(que) vicem in der Dichtung (frühestens georg. 3,188) keine weitere Parallele für inque vicem nunc ... nuncl 503f. tant on* placuit concurrere motu, Iuppiter ...? Man hört 1,11 tant aen e animis caelestibus irae? und 10,668f. tant on me crimine dignum | duxisti (omnipotens genitor)? 504 aeterna sentis in pace futuras: eine Übertreibung, wie die Veroneser Scholien bemerken. Zum 1 2

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Vgl. 11.650 lenta manu hastilia spar gern. Wörtlich aus 5,557 übernommen: comea bina ferunt praefixa hastilia ferro (vgl. 12,488 uti laeva duo forte eerebat und Montanus in [Aen.] 7,188 laevaque ancile gerebat - nach met. 4,782 quod [clipeum] laeva gerebafì). Vgl. Manil. 2,373 ex recto certior ictus und Nux 73 certo rectas dilaminat ictu. Die Verse [Aen.] 7,563-571. 575. 585-600 sind unecht, v. ad loc. Vgl. 12,501 obitumque ducum (welch frostige Ausdrucksweise!). Vgl. 12,500f. caedes \ diversas. Vgl. 12,501f. quos ... | ... nunc Turnus agit, nunc Troius heros. Vgl. Ov. met. 2,753 tanto penitus traxit suspiria motu (dea bellica).

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Ausdruck vgl. 4,99 (quin potius pacem aeternam pactosque hymenaeos | exercemus?) und Ov. Pont. 4,9,77 hic tenuit Mysas sentes in pace fideli. 505f. ea prima mentis \ pugna loco statuii: eine gespreizte Ausdrucksweise für morata est (anders georg. 3,84 stare loco nescit: vom Pferd). Ist es Zufall, daß kurz hinter dem zu 502 zitierten Maniliusvers vom Winter gesagt wird: statque uno natura loco paulumque quiescit (3,643)? Die Klausel haud multa morantem ist nach 3,610 haud multa moratus geformt. 507f. Zu excipit vgl. 10,387; 9,763; 3,332. crudum \ transadieit costas et cratis pectoris ensem: eine Kontamination aus Aen. 10,682 et crudum per costas exigat ensem: 12,276 {hasta) transadieit costas und Ov. met. 12,370 quae (sc. fraxinea hasta) laterum cratem perrupit. Bei dem Kentauren ist die singuläre Ausdrucksweise angebracht, Montanus hat sie in seinem Drang zur abundanten Ausdrucksverstärkung auf die menschliche Brust übertragen. 509ff. Wieder orientiert sich Montanus am 20. Iliasbuch (20,460ff.). 510 consressus pedes: eine Abwandlung von 12,465 nec pede coneressos aequo. Hinter venientem (wie banal!) cuspide longa steckt 12,386 alternos lonea nitentem cuspide gressus, hinter mucrone ferit vielleicht ense ferit aus 12,304 (458; 6,251). 511f. curruque abscisa duorum \ suspendit capita et rorantia sanguine portât: Beim echten Vergil überrollt Turnus die Gefallenen mit seinem Gefährt (12,339f.): spargit rapida ungula rores \ sanguíneos mixtaque cruor calcatur harena1 (vgl. 9,465ff.). 513f. Über das unlateinische Paar Talon Tanaimque (12,513) haben sich die Kommentatoren schon früh den Kopf zerbrochen. Zu neci... mittit vgl. 2,85 demisere ned. 515 (Oniten) nomen Echionium matrisque genus Peridiae: Conington verweist auf 6,763 (Silvius Albanum nomen)·, 1,288; 7,213 (rex, genus egregium Fauni) und Apoll. Rhod. 1,204 Aépvov έπίκλησιν, yever¡v ye μίν Ήφαίστοιο. 518f. piscosae cui circum fíumina Lernae \ ars fuerat pauperque domus: eine Kontamination aus Aen. 4,254f. quae (sc. avis) circum litora. circum \ piscosos scopulos humilis volat und Ov. met. 3,586ff. pauper et ipse fuit linoque solebat et hamis | decipere et calamo salientis ducere pisces. \ ars Uli sua census erat1. 519f. nec nota potentum \ muñera, conductaquepater tellure serebat: vgl. 6,843f. parvoque potentem \ Fabricium vel te sulco, Serrane, serentem. Das Gleichnis 521ff. ist durch II. 20,490ff. und weitere homerische Gleichnisse inspiriert (ich verweise auf Conington und Knauers Listen). Im sprachlichen Ausdruck aber hat sich Montanus in 521f. ac velut immissi diversi s partibus ignes \ arentem in silvam et virgulto sonantia lauro an den entsprechenden Waldfeuervergleich aus dem 10. Aeneisbuch

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Wohl nach II. 20,498ff. Während Ovids Formulierung klar und verständlich ist, muß man das verknappte cui... ars filerai des Montanus als kryptisch bezeichnen. Der Ausdruck erschließt sich nur vor dem Hintergrund des ovidischen Musterverses.

Die Doppelaristie in Aen. XII

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angelehnt, vgl. 10,405f. ac velut optato ventis aestate coortis \ dispersa immittit silvis incendia pastor (...), eine Floskel aus 6,704 (et virsulta sonantia silvae) hinzugenommen und zusätzlich den lukrezischen Lorbeerwald-Brand anklingen lassen (Lucr. 6,150ff.): aridior ... si nubes accipit ignem \ uritur ingenti sonitu ... \ lauricomos ut si per mentis fiamma vagetur \ turbine ventorum comburens impete magno. 523ff. Der Vergleich mit den von den Bergen herabstürzenden Flüssen, die auf ihrem Weg ins Meer alles verwüsten, nimmt den früheren aus dem 2. Buch (der ebenfalls mit einem Feuervergleich kombiniert ist, 2,304ff.) 1 wieder auf, färbt ihn aber durch decursu rapido de montibus alto \ dant sonitum spumosi2 arnnes lukrezisch, vgl. Lucr. 1,283 montibus ex altis magnus decursus aquai, 288 dat sonitu magno stragem. 525 segnius begegnet außer Hör. ars 180 erst in der kaiserzeitlichen Dichtung. 526 Das emphatische nunc, nunc hai Vergil in 5,189; aber nirgends stehen die beiden Einsilbler am Versende! 527 fluctuât ira intus: vgl. 4,532 magnoque irarum ñuctuat aestu. Der ganze Ausdruck 527f. rumpuntur nescia vinci \ pectora hat jedoch wieder lukrezisches Gepräge, vgl. Lucr. 3,297f. pectora qui (sc. leones) fremitu rummnt plerumque gementes \ nec capere irarum fluctus in pectore possunt. aber auch Aen. ll,613ff. primique ruinam | dant sonitu (vgl. 12,524) ingentiperfractaque quadripedantum I pectora pectoribus rumpunt. 528 nunc totis in vulnera viribus itur: Conington verweist auf Liv. 26,44,9 in vulnera ac tela ruunt. Damit kombiniert scheint Ov. met. 10,658 nunc viribus utere totis. Zu dem Abschnitt 529ff. bemerke ich nur weniges: In ihm wiederholt sich Montanus mehrfach selbst, so in 532 excutit ( = 470) - lora ( = 469) 3 , 534 incita ( = 492) 4 , 540 veniente ( ~ 510). Die Konstruktion von 533f. (hunc ... crebro super ungula pulsu \ incita nec domini memorum proculcat eauorum) ist überaus kühn, indem nec domini memorum equorum als gekünstelte Fortsetzung von incita gefaßt ist, das als Enallage im Sinne von incitorum ... equorum steht, vgl. 372f. spumantia frenis \ ora citatorum dextra detorsit eauorum·. Montanus ist ein Liebhaber kühner Hypallagai, s. S. 452ff. Wir dürfen den Satz zugleich als gedrechselte Weiterentwicklung des einfachen ovidischen Ausdrucks pedibusque virum proculcat eauinis (met. 12,374) fassen, der vier Zeilen später als das oben zu 508 zitierte laterum cratem 1

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Montanus hat dort II. 16,391f. und 4,455 kontaminiert, II. 4,455 in [Aen.] 2,308 sogar ziemlich wörtlich übersetzt, v. ad loc. Über ähnlich mehrschichtige Gleichnisse bei Homer (die dem Montanus bekannt waren), etwa II. 14,394ff., s.u. 559ff. Vgl. Aen. 6,174 inter saxa virum spumosa immersemi unda: dahinter stehen Catulls spumosa litora Diae (64,121). In 531f. (praecipitem ... excutit effunditaue solo) greift er das Vokabular aus 379f. auf: cum rota praecipitem et procursu concitus axis \ impulit effunditaue solo: vgl. 12,533 provolvere rotae. Vergil selbst bevorzugt concitus. vgl. 331. 379. 902. 921 und 11,879.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

perrupit steht: Man sieht, daß Montanus die manieristisch gefärbte Beschreibung des Kampfes der Lapithen gegen die Kentauren ausbeutet! 535f. animisque immane frementi | occurrif. eine Verstärkung von 37 If. non tulit instantem Phegeus animisaue frementem \ obiecit sese ad currum. 542f. te quoque Laurentes viderunt. Aeole, campi \ oppetere et late terram consternere tergo: eine Kontamination aus Aen. 10,139f. (te quoque magnanimae viderunt. Ismare, gentes \ vulnera derieere et calamos armare venenó) und Lucr. 5,1332f. quoniam ab nervis succisa videres \ concidere ataue gravi terram consternere casu. 545 Priami regnorum eversor1 Achilles: Wir hören den Montanus von [Aen.] 2,554 haec finis Priami fatorum (v. ad loc.). 546f. hic tibi mortis erant metae, domus alta sub Ida, \ Lyrnesi domus alta, solo Laurente2 sepulcrum: hier läßt Montanus den Klang ovidischer Elegiendichtung ertönen. Der Cento-Passus 12,549-553 ist S. 172 behandelt3. Bei der Ausführung der rasanten Wagenfahrt der Juturna dürfte sich der Bearbeiter zweimal am ovidischen Phaethon orientiert haben, siehe zu 471 und 484; die Doppelaristie trägt Züge des ovidischen Kentauren- und Lapithenkampfes (siehe zu 508 und 533f.), die einleitende Inspirationsbitte läßt Ovids Auftakt zur Saliererzählung anklingen (fast. 3,259ff.; siehe zu 500ff.), der Vers 504 (aeterna sentis in pace futuras) wahrscheinlich die My sas sentes in pace fìdeli aus Pont. 4,9,77; die Verse 518f. aber sind ohne Kenntnis von met. 3,586ff. kaum recht verständlich4; der Vers 559 schließlich gründet auf am. 2,14,1. 37. Da wir sehen werden, daß der Vergilbearbeiter bereits den ganzen Manilius gekannt hat und mehrmals Formulierungen aus astronomischem Zusammenhang auf menschliches Handeln oder irdisches Geschehen überträgt (s. S. 54), dürfen wir in Manil. 3,640 (Capricornus) inque vicem nunc damna lesit. nunc tempora supplet das Vorbild für [Aen.] 12,502 inaue vicem nunc Turnus asit. nunc Troius heros erblicken; denn ein umgekehrtes Verwandtschaftsverhältnis zwischen diesen sonst in der Dichtung nirgends belegten Junkturen ist schwer vorstellbar. Demnach wäre dieser große Zusatz im 12. Aeneisbuch nicht vor dem Jahr 14 n.Chr. gedichtet. Dies deckt sich mit den sonstigen chronologischen Indizien, die für den Dichter Iulius Montanus erschlossen werden können, s. das Register.

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Das Wort eversor steht hier erstmalig in der Dichtung; danach erst wieder bei Seneca. Aus 8,38 exspedate solo Laurenti arvisque Latinis. Zu conversae acies (548) vgl. 369 conversaeaue ruunt acies, zu ocies omnesque Latini siehe 137 acies urbemque Latini. Auf die potentiellen Ovidreminiszenzen in 474. 503. 528 sei zusätzlich verwiesen.

Das Vorproöm zur Aeneis und der Culex

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4. Das Vorproöm zur Aeneis und der Culex Am Beginn des wohl kurz nach der Aeneis-Überarbeitung gedichteten Culex1 weist Montanus auf das o. S. 3 Iff. behandelte Vorproöm zurück. Er beginnt sein der Fiktion nach vom jugendlichen Vergil als Gegenstück zur vermeintlich homerischen Batrachomyomachie geschriebenes Epyllion wie folgt: Cul. 1

lusimus, atque ut lusimus: omnis et

Odavi, gracili modulante Thalia. araneoli tenuem formavimus orsum2. haec propter Culicis sint carmina docta, historiae per ludum consonet ordo (...).

Zwar hat er dabei - über das Vorproöm [Aen.] 1,1a

[lile ego qui quondam gracili modulatus avena carmen et egressus silvis vicina coegi ut quamvis avido parerent arva colono (...])

hinaus - zusätzlich die folgenden (wiederum programmatischen) Vorbildstellen anklingen lassen ecl. 6,1 georg. 4,565

prima Syracosio dignata est ludere versu nostra ñeque erubuit silvas habitare Thalea: carmina qui lusi

pastorum\

Hör. carm. 1,32,1 poscimus, si quid vacui sub umbra lusimus tecum, quod et hunc in annum vivat et pluris, age die Latinum, barbile, carmen. Lesbio primum modulate civi,

aber für die Prioritätsbestimmung entscheidend ist die Junktur gracili modulante Thalia. Wie oben (S. 31ff.) dargelegt, steht am Beginn die 10. Ekloge mit den zwei getrennten Formulierungen carmina ... modulabor avena und gracili fiscellam texit hibisco (sc. poeta), die der Schöpfer des Vorproöms in der Umwandlung Tibulls übernimmt, durch das Festhalten an dem Attribut gracili aber zu erkennen gibt, daß ihm dabei Tibulls Quelle bewußt ist. Das metaphorisch zu verstehende Flechten eines Körbchens aus schlanken Eibisch-Ruten hat der Verfasser des Epigrammverses mit dem car-

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Daß das Epyllion in tiberische Zeit gehört, hat Güntzschel (s. bes. S. 155) erwiesen. Es galt dem Lucan als Jugendwerk Vergils und wurde (wohl als vermeintlich vergilische Dichtung) schon in Senecas Tragödien (und von Columella [Cul. I/Col. 10,228]) imitiert. Terminus post quem seiner Entstehung ist das Erscheinungsdatum der Astronomica des Manilius, wie ad loc. gezeigt wird. Über orsus ("Gewebe") siehe zu [georg.] 2,46 und [Aen.] 10,11.

332

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

men modulari avena zusammengenommen und dabei das Attribut gracilis vom Material des Körbchens auf das 'Rohr' des Hirten, die Flöte, übertragen (gracili modulatus avena). Erst nachdem diese Junktur gewonnen ist1, dürfte in einem weiteren Schritt - unter erneuter Berücksichtigung von ecl. 6,lf. - die metonymisch verstandene Muse Thalia den Platz der Flöte eingenommen haben, so daß nunmehr das an sich mit einem materiellen Gegenstand verbundene Attribut gracilis der Muse gegeben wird, die nun gleichsam für den Dichter singt {gracili modulante Thalia). Hatte der Dichter in den Epigrammversen den Bezug auf den (programmatischen) Beginn der 6. Ekloge nur angedeutet2, so macht er ihn nun durch die Stichworte ludere und Thalia explizit und verweist durch lusimus zusätzlich auf die Sphragis der Geórgica, vielleicht auch noch (ohne daß dies zwingend angenommen werden müßte) auf ein Programmgedicht des Horaz. Wie im 'Vorproöm' (s. S. 31ff.) hat er am Beginn des Culex aus der Sphragis der 10. Ekloge das Signalwort gracili übernommen, greift aber nunmehr zusätzlich auch die Flechtmetaphorik auf (ecl. 10,71 gracili fiscellam texit hibiscö), die er geistreich durch das Gewebe der Spinne ersetzt (Cui. 2 ut aran e o li tenuem formavimus orsu m)3. Wir können somit eine komplementäre Nutzung der beiden programmatischen Eklogenverse 6,2 und 10,71 feststellen: Die Elemente silvas habitare bzw. gracili sind in [Aen.] 1,1a b eingesetzt worden (unter gleichzeitiger Verwertung von ecl. 10,51 in der Abwandlung durch Tib. 2,l,53f., s.o.), die Komponenten gracili... texit (ecl. 10,72) und Thalia (ecl. 6,2) dagegen haben in Culex lf. ihren Niederschlag gefunden. Dies deutet auf die gleiche Autorschaft sowohl des Aeneisproöms als auch des Culex: der gleiche Montanus hat, so schließen wir, zunächst die überarbeitete Gesamtausgabe des Vergil mit dem hier behandelten Vorproöm besorgt und dann den Culex (und den Großteil der in der Appendix Vergiliana versammelten Gedichte) als scheinbare Jugendwerke des Vergil nachgeschoben4. Diese zeitliche Abfolge zwischen

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Sie kann auch (siehe S. 32 Anm. 3) einer Kontamination von ecl. 10,51. 71 mit Ov. am. 1,7,55 (gracilis ... harundo) verdankt sein. Durch Abwandlung des Motivs silvas habitare zu egressus silvis. Siehe hierzu S. 331 Anm. 2. Die einzelnen in der Appendix Vergiliana zusammengefaßten Gedichte dürften zu unterschiedlichen Zeiten verfaßt worden sein, man denke insbesondere an das Catalepton mit dem Catull-Cento Sabinas ille, den man als frühes Jugendgedicht ansehen wird. Die Verstechnik (s. S. 429f.) rückt die elegischen Distichen des Catalepton mit denen der Copa und des Gedichtchens De ros. nasc. zusammen und verweist sie in die Zeit enger Properznachahmung, die offenbar erst später durch den Einfluß des Ovid ersetzt worden ist. - Columella imitiert nicht nur den Culex (s.o. S. 331 Anm. 1), sondern auch den 1. Vers des Vorproöms in 10,2 und 10,8 (s. Weinold 41f.), las also den Vergil in der von Montanus erweiterten Gesamtausgabe.

Das Vorproöm zur Aeneis und der Culex

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der 'Vergil'-Edition des Montanus (und der ihr voraufliegenden Ovid-Überarbeitung) und dem Culex (dem das Aetna-Gedicht zu folgen scheint) wird sich in den anschließenden Untersuchungen mehrfach bestätigen.

5. Ländliche Idylle ([Ov. rem.] 179-196 - Cui. 98-108 - [Pont.]

1,8,35-62)

Sowohl die oben behandelte 'pastorale' Zeitangabe [Ov. fast.] 3,879-882 als auch die im Ovidband zu behandelnden unechten Zusätze in den Sementivaeund Cerealia-Abschnitten der Fasti sind jeweils mit Partien verknüpft, die entweder die Befriedung des orbis durch die Triumphe des Tiberius und Germanicus zur Voraussetzung haben oder den Geist der spätaugusteischtiberischen Ideologie der domus Augusta atmen und somit nicht nur aus inneren (strukturellen, sprachlich-stilistischen), sondern auch aus äußeren (chronologischen) Gründen der ovidischen Fassung des als Torso liegengebliebenen Fastencorpus abgesprochen werden können. Sie zeigen sehr deutlich neben den panegyrischen, das Kaiserhaus und die troisch-italische Vorgeschichte verklärenden Zügen eine zweite Facette des Bearbeiters, seine Vorliebe für Genremalerei, pastorale Kleinkunst, ländliche Idylle (s. das Register). Diese Vorliebe prägt den Culex und weitere Gedichte der Appendix Vergiliana (etwa das Moretum), aber auch sonstige Zudichtungen im 'Vergil' und im 'Ovid', von denen hier und im folgenden Kapitel einige herausgegriffen werden sollen, weil sie sich eng mit dem Culex berühren. Ich beginne mit der Erweiterung einer ländlichen Szene in Ovids Remedia Amoris, von der Fränkel gesagt hat, sie sei "so schön, daß sie alles, was andere römische Dichter über dieses Thema geschrieben haben, herausfordert" 1 . Ovidisch sind nach meinem Urteil nur die Verse 169-178 über das Landleben, an die sich dann die Verse 197-212 über die Jagd und den Vogel- und Fischfang anschließen. All diese Beschäftigungen gehören zu den Heilmitteln gegen die Liebe, sind der Generalanweisung fac monitis fugias otia prima meis (136) untergeordnet, denn der Leitspruch heißt: 139

otia

si tollas, periere Cupidinis arcus contemptaeque iacent et sine luce faces.

Daran schließen sich unmittelbar die verschiedenen Arten möglicher Betätigungen an: Advokatentätigkeit auf dem Forum (151f.) 2 , Kriegsdienst (153f.) 3 , 1 2

H. Frankel, Ovid (dt. 1970) S. 78 ( = S. 70 engl. Ausgabe). Die Verse 141-150 sind von Montanus eingefügt, um den Grundgedanken von 139f. zunächst breiter auszuführen, bevor die konkreten Anweisungen in 15Iff. ergehen. Doch Ovid verfährt in 169f. (Grundgedanke)/17Iff. (konkrete Anweisungen) ebenso wie in der rekonstruierten Fassung hier (139f./151ff.). Der ganze Zusatz-Passus ist inhaltlich und

Die Wiederentdeckung des Iulius Montaras

334

Landwirtschaft (169ff.), unterteilt in Getreidebau (171ff.), Obst- und Schafzucht (175f./177f.), ferner (s.o.) Jagd, Vogel- und Fischfang. Advokatentätigkeit und Kriegsdienst als Liebesmedizin werden e contrario an dem Exemplum des Aegisth erläutert. Das daraus gezogene Resümee und der Hauptbegriff des Mottoverses des folgenden Abschnitts 168 169

sie venit ille puer, sic puer ille manet. rura quoque obleçtanl' ánimos

werden nach der Schilderung ländlichen Lebens in 171-1781 wieder aufgegriffen: 197

cum semel haec animum coepit muleere debilibus pinnis inritus exit Amor.

yoluptas

An die Schlüsselbegriffe der Pentameterklausel wird dann der folgende Abschnitt über die Jagd durch saepe recessit | ... Venus (199f.) angeknüpft. Dies ist alles klar und folgerichtig strukturiert, und die verschiedenen Betätigungen stehen in einer vernünftigen Relation zueinander, so daß sich für den ganzen Abschnitt2 gar eine ausgewogene Zahlenkomposition der Verseinheiten von 2 - 2 x 2 - 8 - 1 2 - 8 - 2 x 2 - 2 ergibt. Der Zusatz 179-196 aber zerdehnt den Abschnitt über das Landleben, erweitert ihn um mehr als das Doppelte und zerstört so die Proportionen. Der an Lukrez (2,317ff., s.o. S. 298f.) anklingende Vers 178 mit den tondentes ... oves hat die capellae und die haedi und überhaupt den pastor mit den comités ... canes evoziert (179ff.). Aber wir sollen auch noch das Muhen der Kühe im Wald, besonders der Mutter hören, die ihr Kälbchen vermißt (vgl. Lucr. 2,355ff.). Zum vollen Bild des Landlebens gehören ferner die Bienen und Honigwaben (185f.). Es folgt ein für Montanus charakteristisches viergliedriges Distichon (187f.) 3 mit den vier Jahreszeiten und den ihnen zugeordneten Naturgütern: Obst im Herbst (aber die poma waren schon 175f. abgehandelt!), Getreideernte (es steht der Plural messibus) im Sommer, Blumen im Frühling - und nun kippt die Reihe: igne levatur hiems4. Manche werden aus der Not eine Tugend machen und

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sprachlich schwach; ich muß mir Einzelheiten ersparen. Allein der Vers 144 (cedit amor rebus, res age, tutus eris) genügt, um die Handschrift des Montanus zu erkennen. In desidiam puer ille sequi solet (149) nimmt er unzeitig das desidiosus erat von 162 und den Kernbegriff von 168 (sie venit ille puer, sic puer ille manet) voraus. Der Abschnitt über den Parther-Feldzug des C. Caesar (155-160) gehört ebenfalls dem Montanus (s. den Ovidband ad loc.). Zur Anknüpfung mit ecce siehe ebendort. Man beachte die Klimax zum Idyllischen hin, durch das dreifache aspice besonders betont. Gemeint sind die Verse 139-212 unter Fortfall der hier athetierten, also die Folge 139f., 151-154, 161-168, 169-178. 197f. (rura im Zentrum), 199-206, 207-210, 211f. Henderson führt die Manier auf Vergils Eklogen zurück. Henderson verweist zu Recht auf Tibulls Pentameterklausel igne iuvante sequi ( 1,1,48).

Ländliche Idylle ([Ον. rem.] 179-196 - Cul. 98-108)

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dies ein rhetorisch wirksames άπροσδόκητον nennen. Henderson hat zu Recht einen ganz konventionellen ("not to say banal") Inhalt diagnostiziert. Nach der summarischen Zuordnung der Pflanzen und Früchte zu den Jahreszeiten wird der Wein herausgegriffen, den der Winzer temporibus certis erntet (189f.), und ebenfalls temporibus certis wird das Gras geschnitten und nachträglich der Boden gerecht (191f.) - von der im Vergleich zur Getreideernte auf niedriger Ebene angesiedelten H e u e r n t e ist in der Dichtung sonst kaum die Rede1 (und ohnehin hatten wir von den Ernten im Sommer schon 187 gehört): Montanus setzt Varrò (rust. 1,49,1) um. Schließlich soll nicht der Gartenbau vergessen sein (mit reichlich Bewässerung) und das Pfropfen der Bäume (193-196); wir enden also mit der zweiten Wiederholung des Themas Obstbau!2 An dieses bunte Durcheinander von ländlichen Impressionen schließt sich wenig überzeugend das Resümee (197) cum semel haec animum çoepit mulcere

voluptas

an, während es vorzüglich durch die anaphorisch gesteigerte Reihe idyllischer Bilder vorbereitet wird, wie sie in 175-178 gezeichnet werden: 175

aspice curvatos pomo rum pondere ramos, ut sua quod peperit vix ferai arbor onus; aspice labentes iucundo murmure rivos, aspice tendentes fertile gramen oves.

Diese Erweiterung des Abschnittes über das Landleben gibt sich durch das einleitende ecce ebenso als fremder Zusatz zu erkennen wie die beiden durch ecce angeknüpften Fremdkörper 155-160 und 795-810 (v. ad loc.). Bevor ich die besondere Relevanz der Eingangsverse für den von uns erschlossenen

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Wohl aber im A e t n a des Montanus (279), s. S. 33 Anm. 4. Sowohl die Begriffe ramus als auch arbor (195f.) waren schon in 175f. verbraucht, 196 ist trotz der Variation eine deutliche Dublette zu 176. Außerdem scheint - wie M. Deufert gesehen hat - 193f. durch 177 angeregt (vgl. das Stichwort rivos): Montanus greife (so Deufert) am Schluß des Zusatzes die Motive der oberen Schnittstelle (175-178) auf, verdrehe aber die Tendenz: bei Ovid ende die Aufforderung zum Arbeiten in idyllischen Bildern (von Arbeit sei 175-178 nicht mehr die Rede); Montanus weite diese Idyllenmalerei zunächst aus, kehre aber 189 zur Landarbeit zurück. Zu diesem Alternativschluß passe nun aber nicht mehr das im Haupttext ausgeführte voluptas-Motiv von 197, während es (wie im Haupttext dargetan) vorzüglich an 175-178 anschließe. - Die Bezeichnung des Pfropfens durch ramum ramus adoptet (195) erinnert an eine verwandte, ebenfalls unechte Stelle der

Ars amatoria (2,649-652 dum novus in viridi coalescit cortice ramus, \ ... | ... | firmaque adoptivas arbor habebit opes), die ihrerseits in den vom gleichen Montanus verfaßten Medicamina faciei femineae (v. 6) eine enge Entsprechung hat: fissaque adoptivas accipit arbor opes (s. S. 402). Der gleiche Montanus hat in den Georgicaabschnitt über die verschiedenen Arten, wie man durch Ableger neue Bäume gewinnen kann, einen Vers hinzugesetzt, der quadrifidas sudes empfiehlt ([georg.] 2,25). Dem läßt sich wohl die fissa ... arbor (obwohl es hier nur ums Pfropfen geht) an die Seite rücken.

336

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Montanus bespreche, ziehe ich den knappen Kommentar zu den übrigen eingedichteten Versen nach vorne. In 182 erhalten wir einen weiteren Bezug zu einem dem Montanus zugeschriebenen Abschnitt der Aeneis: [Aen.] 8,461f. nec non et gemini custodes limine ab alto \ praecedunt gressumque canes comitantur erilem (v. ad loc.). Die Versstruktur von 182 ist eng an fast. 4,764 (et valeant vigiles, próvida turba, canes) angelehnt. Zugrunde liegt Varr. rust. 2,9,1 canis ... custos pecoris ... quod eo comité indiget ad se defendendum. Vielleicht hat Montanus Grattius (den er in Pont. IV 16 nennt, s.u.) vor Augen gehabt: Gratt. 247f. in partem praedae veniat comes et sua norit \ proemia1. Die sedula turba kommt aus Tib. 1,4,80 (deducat iuvenum sedula turba senem). 183 parte ... alia: eine im wesentlichen auf epische Ekphraseis beschränkte Formel 2 , ohne Parallele im Ovid; sonant ... silvae mugitibus altae: georg. 3,149ff. asper, acerba sonans: ... \ furit musitibus aether \ concussus silvaeque (...). 184 queritur vitulum mater abesse suum: Lucr. 2,355ff. (at mater ..., si queat ... | conspicere amissum fetum, completque querelis \ frondiferum nemus; ... nec vitulorum aliae species). 185 quid, cum ...?: fünf weitere Belege im Ovidcorpus, darunter epist. 18,187; aber auch die restlichen vier befinden sich alle in unechten Versen 3 . Montanus mag die rhetorische Anknüpfungsfloskel aus Horazens Satiren (sat. 2,3,272. 274) geholt haben, Vergil hat sie gemieden 4 ; compositos (siehe Henderson ad loc., eine technische Spezialität) fueiunt examina fumos: ecl. 9,30 sic tua Cvrneas fusiant examina taxos. 189f. temporibus certis: der Plural begegnet einmal bei Catull (66,4), dann epist. 7,170 und dreimal bei Manilius (3,297f. 441f.; 4,107). Der Gedanke erinnert an Lucr. 5,669ff.; maturam rusticus uvam \ deligit: nach Tib. l , l , 7 f . ipse seram teñeras maturo tempore vites \ rusticus: vgl. ecl. 10,36 maturae vinitor uvae: met. 13,795 matura dulcior uva. Deli g ere hat Vergil zweimal im Sinne von 'auslesen' (georg. 4,540; Aen. 5,717), Ovid meidet das Verb; nudo sub pede musta fluunf. nach Tib. 2,5,85 (oblitus et musto ferietpede rusticus uvas) und trist. 4,6,20 dissiluit nudo pressa bis uva pede: vgl. Manil. 3,153 aut repetat Bacchum per pinguia musta ñuentem. 190ff. Die auffällige Kombination von musta und H e u hat eine Parallele im A e t n a -Gedicht des

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2 3

4

In epist. 5,19f. vernehmen wir einen ähnlichen Gleichklang comes - canes wie in [rem.] 182. Oenone sagt zu Paris: retía saepe comes maculis distineta tetendi, \ saepe citos egi per iuea longa canes. Montanus hat auf sie Ovids Charakterisierung des Hyacinthus in met. 10,171ff. übertragen: inmemor ipse sui non retía ferre récusât. \ non ternisse canes, non per iuea montis iniqui \ ire comes longaque alit adsuetudine flammas. Die zweite Hälfte des Pentameters epist. 5,20 (per iuga longa canes) deckt sich mit Prop.[?] 3,14,16 (Ovid hat nur per iuga) und erscheint als per iuea summa canes in epist. 4,42. In der von Montanus hinzugedichteten Camilla-Episode ([Aen.] ll,537bff., v. ad loc.) heißt es vom Vater Metabus: iuea loma petebat ( 11.544). was wie eine Umdeutung von Aen. 6,411 (per iuea lonea sedebant - es geht um das Schiff des Charon) erscheint. Siehe zu Aen. 8,433. Siehe zu [am.] 3,1,57; [ars] 1,431 und 3,293. In [met.] 9,194-196 ist der Katalog der Taten des Hercules in einer Weise erweitert, daß der gegenüber Juno angeschlagene Sarkasmus zunichte gemacht wird. Verräterisch sind die männlichen Pferde und das epanaleptische vidi | visaque. Vgl. dagegen quid, quod ...? in met. 14,687.

Ländliche Idylle ([Ον. rem.] 179-196 - Cul. 98-108)

337

Montanus (268f.): horrea uti saturent, tumeant et dolea musto | plenaque desecto sureant faenilia campo (s. S. 33 Anm. 4). Die Junktur verrit humum hat Ovid zweimal am Versbeginn, vom schleppenden Gewand gesagt (met. 6,706; 11,166), einmal (im Konjunktiv) als Versklausel vom Kehren des Bodens (fast. 4,736). Von dort hat Montanus die Klausel nach [rem.] 192 geholt (in technischer Bedeutung), in epist. 12,102 hat er sie zur Schilderung einer Schlange genutzt, die torto pectore verrit humum. Die Verbindung raro pectine könnte unter Einfluß von fast. 3,820 et rarumpectine denset opus zustande gekommen sein. 193 Henderson gibt die Vorbildstellen georg. 4,114f. und 2,23, ferner met. 8,646 und 13,797 (riguo horto) für riguis ... in hortis; vgl. ferner met. 10,190; Gratt. Cyn. 1,190. Die einzige völlig gleiche Form (alle anderen stehen im Singular und ohne Präposition) findet sich in der - dem Montanus zuzuschreibenden Appendix Vergiliana, de ros. nasc. 5 errabam riguis per quadrua compita in hortis1. 194 rivos ducere: wieder aus den Geórgica (1,269 rivos deducere). Die Junktur lenis aqua scheint ungewöhnlich; vermutlich denkt Montanus an Hör. carm. 1,1,22 ad aquae lene caput sacrae und an fast. 2,704 rivo lene spnantis aquae (in einem Garten)2. 195f. Zur insitio3 siehe Cramer zu georg. 2,69ff., ferner o. S. 335 Anm. 2 (adoptet). Der Versschluß operta comis findet sich auch [Prop.] 2,2,8 (vermutlich von gleicher Hand: [Prop.] 2,2,7-12 del. Zw.). Die ersten beiden Disticha des eingedichteten Remedia-Passus sind von besonderer echtheitskritischer Relevanz: [rem.] 179

182

[ecce, petunt rupespraeruptaque saxa capellae: iam referent haedis ubera plena suis, pastor inaeauali modulatur harundine carmen. nec desunt comités, sedula turba, canes. (...)].

In Vers 181 haben wir offensichtlich eine Abwandlung der Tibullfloskel 2 , l , 5 3 f . (modulatus avena4 | carmen) vor uns, die Montanus (später) wörtlich als Auftaktformulierung des Vorproöms zur Aeneis übernimmt. Nur scheinbar verbirgt sich hinter der zweiten Hälfte von Vers 181 ein wörtliches Zitat aus den Metamorphosen: met. 11,153 Pan ibi dum teneris iactat sua carmina nymphis 154 II [et leve cerata modulatur harundine carmen1 ausus Apollineos prae se contemnere cantus iudice sub Tmolo certamen venit ad impar. Denn in Wirklichkeit hat dort der gleiche Bearbeiter Montanus den Vers 154 als Erläuterung zu 153 (er möchte die Panflöte, die das iactare ... carmina

1

2

3 4

Bezeichnenderweise (für den Autor Montanus) beginnt das Gedicht mit einer Morgenschilderung; es hat mehrfach 'Montanus-Wortschatz', s. im späteren Band ad loc. Den Versschluß lene sonantis aquae (ebenso fast. 6,340) hat er wörtlich in das Gedicht [am.] III 5 (v. 6) übernommen. Das Substantiv steht in der Dichtung nur Lucr. 5,1361. Die Ersetzung von avena durch harundo ist vielleicht durch Ovids gracilis ... harundo (am. 1,7,55) vorbereitet.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

338

vollbringt, einführen) hinzugesetzt und dabei die einmal gefundene Formulierung modulatur harundine carmen wiederverwendet1. Sowohl das Attribut inaequali in [rem.] 181 als auch cerata in [met.] 11,154 verweisen auf die Ursprungsstelle, die dem Imitator vorschwebte, die 'Erfindung' der Syrinx in met. 1,711

atque ita disparibus calamis conpagine cerne inter se iunctis nomen ternisse puellae2.

Wir beobachten also ein und denselben Redaktor bei der Arbeit an den Remedia und den Metamorphosen, der beide verwandte Stellen nach dem gleichen ovidischen Muster aufputzt. In [rem.] 180 hat er sich offensichtlich ecl. 4,21f. (ipsae lacte domum referent distenta capellae \ ubera) zunutze gemacht und den Versschluß capellae nach 179 übernommen, diesen aber unter Berücksichtigung von met. 3,408 (pastae monte capellae) und der Actaion-Episode (met. 3,226f. per rupes scopulosque adituque carentia saxa | ... sequuntur, vgl. 5,613) zupraeruptaque3 saxa capellae erweitert und ebenso in [met.] 13,691 (rodunt arentia saxa capellae)4 und epist. 16,55 (amantis saxa capellae [sc. ore carpitur]) verwendet. In [Pont.] l,8,51f. dagegen hat er in Hinblick auf ecl. l,74ff. (s. S. 338) die saxa durch rupes ersetzt und so folgende Variation gefunden5: [Pont.] 1,8,51

II ipse ego pendentis,

liceat modo, rupe

cavellas.

1

Dies führte zu einer mißlichen Doppelung des Begriffs carmen, die man zu Unrecht durch die Konjekturen sibila (Slater) bzw. numina/munera (Bentley) hat beseitigen wollen, denn der Dichter Montanus, der die beiden Ovidpartien bearbeitet und das Vergilcorpus mit dem Vorproöm zur Aeneis herausgegeben hat, ist ja auch der Verfasser der Appendix Vergiliana. In Catal. IX hat er auf der Grundlage von ecl. 2,4f. ( [ p a s t o r Corydon] haec incondita ... | ... studio iactabat inani) und met. 11,153 (Pan ... iactat sua carmina) die Verse 9,17ff. gedichtet: molliter hic viridi patulae sub tegmine quercus [ ~ ecl. 1,1] | Moeris pastores et Meliboeus erant, | dulcía jactantes alterno carmina versu (...). Damit ist die Überlieferung in met. 11,153 gesichert. Mißlich ist auch die Vorwegnahme des Begriffs harundo in 11,154. Denn die Erzählstruktur ist so angelegt, daß erst nachdem die beiden Götter vor dem 'Schiedsrichter' Tmolus erschienen sind, bei dem jeweiligen Vortrag das Instrument genannt wird (161 calamis agrestibus insonat ille [die Spezialität der wachsverklebten Rohre ist hier bewußt ferngehalten], 167f. instructamque fidem gemmis et dentibus Indis | sustinet a laeva; tenuit manus altera plectrum) und dann das Urteil erfolgt: citharae submittere cannas ( 171 f.) - Daß auch die Verse 11,180-193 unecht sind, wird im Ovidband gezeigt.

2

Vorausgeht ecl. 2,32f. Panprimum calamos cera coniungerepluris \ instituit. Das Adjektiv ceratus scheint aus met. 9,742 ceratis Daedalus alis genommen, vgl. Hör. carm. 4,2,2f. ceratis ope Daedalea \ ...pinnis. Die Junktur leve carmen (11,154) scheint ohne Parallele; sollte der Epigone an Lukrezens lèvia carmina (5,1380) gedacht haben? Dahinter steckt die Junkturpraeruptis ... saxis von georg. 2,156; vgl. Dirae 135 sivepetis montis praeruptos. saxa pererr ans. Die Verse [met.] 13,683-701 sind unecht, v. ad loc. Die Verse [Pont.] 1,8,35-62 stammen von Montanus, siehe anschließend S. 341ff.

3

4 5

Ländliche Idylle ([Ον. rem.] 179-196 - Cul. 98-108) II

ipse velim báculo1 pascere

nixus

339

oves.

Von besonderer Bedeutung ist es, daß der Culex-Dichter, der in Vers 1 (lusimus, Octavi, gracili modulante Thalia) eine Abwandlung des Eingangsverses zum Vorproöm der Aeneis {Ule ego qui quondam gracili modulatus avena \ carmen) bietet (s. S. 339f.), auch eine enge Entsprechung zu der ländlichen Idylle des Remedia-Zusatzes hat und diese zusätzlich - analog der Tagesbestimmung in dem zugedichteten Fastenabschnitt 3,879ff. - mit dem Sonnenaufgangsmotiv 2 verknüpft: Cui. 98 100

105

talibus in studiis báculo3 dum nixus apneas pastor agit curas et dum non arte canora compacta solitum modulatur harundine carmen. tendit inevectus radios Hyperionis ardor lucidaque aetherio ponit discrimina mundo, qua iacit Oceanum flammas in utrumque rapaces, et iam compellente vagae pastore cavellae ima susurrantis repetebant ad vada lymphae quae subter viridem residebant caerula museum, iam medias operum partes evectus erat sol, cum densas pastor pecudes cogebat in umbras.

In Vers 100 sehen wir, wie der Dichter zum dritten Mal die im Vorproöm zur Aeneis aus Tibull II 1 wörtlich zitierte Formulierung modulatus avena \ carnieri4 in der abgewandelten Version modulatur harundine carmen mit einem Anklang an die Erzählung vom Ursprung der Syrinx (met. l,711f.) vermischt. Denn wie er in [rem.] 181 durch inaequali ... harundine das disparibus calamis aufnimmt und in [met.] 11,154 durch cerata ... harundine die Umstandsbestimmung (calamis) compagine cerne \ inter se iunetis anklingen läßt, so setzt er in Cui. 100 durch compacta ... harundine den Instrumentalis compagine cerae der Syrinx-Episode um. So etwas kommt nicht durch Zufall zustande; vielmehr offenbart sich hier der gleiche Dichter, der eine identische Formel dreimal in Kombination mit einer systematisch variierten Bezugsstelle einsetzt: Wir sehen Iulius Montanus, den notorischen Liebhaber von Sonnenauf- und Untergängen, den seine wenigen authentisch überlieferten Verse zugleich als Dichter der Schwalben- und Hirtenidylle ausweisen. Er hat sich im gleichen Sinne zu Beginn von trist. IV 1 betätigt, wo er die ovidische Zweierreihe (5-8) zu einem Exemplakatalog von sieben Gliedern ausweitet 5 . Unter ihnen befindet sich das folgende:

1 2 3 4 5

Zu diesem Motiv s.u. S. 340. Zu den 'epischen' Zeitschilderungen des Montanus und des Culexdichters s. S. 287ff. Siehe oben zu [Pont.] 1,8,52 und u. S. 340. Siehe hierzu S. 3Iff. Die Verse [trist.] 4,1,9-18 sind unecht, v. ad loc.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

340 [trist.] 4,1,11

fessus ubi incubuit báculo saxove resed.it pastor, harundineo carmine mulcet

oves.

Hier ist die dreimal eingesetzte 'Pan-Formel' 1 modulatur harundine carmen zu der 'Arion-Formel' harundineo carmine mulcet umgestaltet, die an den Sänger mit der Lyra erinnert, der auf dem Rücken des Delphins sitzend mit seinem Lied die Fluten besänftigt: fast. 2,115

ille sedens citharamque tenens pretiumque vehendi cantat et aequoreas Carmine mulcet aquas2.

Inspiriert hat den Montanus in allen drei genannten Beispielen, in denen das Stichwort báculo nixus oder incubuit auftaucht, die idyllische Szene, die Ovid in aller Kürze beim Flug des Daedalus und Icarus aufscheinen läßt: met. 8,217

hos aliquis, tremula dum capiat harundine pisces. aut pastor báculo stivave innixus arator vidit et obstipuit, quique aethera carpere possent, credidit esse deos.

Denn auch nach der Ersetzung des Partizips innixus durch incubuit* in [trist.] 4,1,11 verrät das doppelgliedrige báculo saxove seine Ableitung von báculo stivave in aller Deutlichkeit - zugleich auch den epigonenhaften, sekundären Charakter des Ausdrucks. Denn während Ovid in met. 8,218 zu Recht zwei Instrumente aufbietet, auf die sich einerseits der Hirte, andererseits der pflügende Bauer stützt, stellt Montanus für den musizierenden Hirten a l l e i n zwei Positionen zur Auswahl. Aber wird der Hirte die Syrinx báculo incumbens spielen? Die Kontamination zweier ovidischer Musterszenen hat zu einem unausgeglichenen Zwittergebilde geführt 4 .

1 2

3

4

Denn sie ist auf die 'Erfindung' der Syrinx durch Pan bezogen, s. S. 337. Die Priorität dieses Pentameters mit der Klausel carmine mulcet aquas gegenüber dem Pentameter [trist.] 4,1,12 mit dem weniger passenden Objekt in der Klausel carmine mulcet oves ist offenkundig. Dieses Verb ist aus fast. 1,177 (tum deus incumbens báculo, quod dextra gerebat) gewonnen. Dagegen stammt innitens báculo in [met.] 14,655 ebenfalls von Montanus, v. ad loc. Beiwege sei darauf hingewiesen, daß die preziose Formulierung, die der Verfasser der Ibis (m.E. Montanus) in 257 für den blinden Phoenix (in unmittelbarer Nachbarschaft zu Oedipus, quem sua filia rexit [259]) gefunden hat: id quod Amyntorides videos trepidumque ministro praetemptes báculo luminis orbus iter. dem Seneca so raffiniert erschien, daß er sie für zwei Verse seines Oedipus nutzte: für den Fluch des Laius (angemessen den Verwünschungen in der Ibis): reptet incertus viae, \ báculo senili triste praetemptans iter (656f.) und bei der Ankündigung des Geblendeten in 995ff.: somiere fores atque ipse suum \ duce non ullo (Kontrastimitation zu Ib. 259, s.o.?) molitur iter \ luminis orbus.

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341

U m die v o r a u s g e h e n d e n echtheitskritischen E r ö r t e r u n g e n a b z u s i c h e r n , seien hier die w e s e n t l i c h e n A r g u m e n t e f ü r die A u s s c h e i d u n g d e s P a s s u s [ P o n t . ] 1,8,35-62 nachgetragen. Z u B e g i n n des B r i e f e s an S e v e r u s klagt O v i d ü b e r die M ü h s a l e seines ständig v o n f e i n d l i c h e n G e t e n b e d r o h t e n V e r b a n n u n g s o r t e s u n d f ä h r t d a n n w i e folgt f o r t : 1,8,27

30

35

40

44 63

ut careo vobis Stygias detrusus in oras, quattuor autumnos Pleias orta facit. nec tu credideris urbanae commoda vitae quaerere Nasonem, quaerit et illa tarnen, nam modo vos animo, dulces, reminiscor, amici, nunc mihi cum cara coniuge nata subit. aque domo rursus pulchrae loca vertor ad Vrbis, cunctaque mens oculis pervidet illa suis. [nunc fora, nunc aedes, nunc marmare tecta theatra. nunc subit aeauata porticus omnis humo, eramina nunc Campi pulchros spectantìs in hortos stagnaque et eurìpi Virgineusque liquor, at, puto1, sic Vrbis misero est erepta voluptas quolibet ut saltem rure fruì liceat? non meus amissos animus desiderai agros ruraque Paeligno conspicienda solo, nec quos piniferis positos iti collibus hortos spectat Flaminiae Clodia iuncta viae (...)] at tibi nascenti, quod toto pectore laetor, nerunt fatales fortia fila deae: te modo Campus habet, densa modo porticus umbra, nunc, in quo ponis tempora rara, forum. Vmbria nunc revocai (...).

D a s P a r t i z i p detrusus (27) f ü h r t o r g a n i s c h deque tot expulsis u n d in exule (7) weiter 2 . E s folgt die Antithese z w i s c h e n Ovid, der die V o r z ü g e R o m s ersehnt, u n d S e v e r u s , d e r sie g e n i e ß e n darf ( 2 9 f . / 6 3 f f . ) : W ä h r e n d sich Ovid a n die F r e u n d e , a n F r a u u n d T o c h t e r nur e r i n n e r t u n d sein H a u s u n d die schönen Plätze der Stadt n u r mit den A u g e n d e s Geistes v o r sich sieht (31-34), h a b e n die P a r z e n d e m S e v e r u s stärkere S c h i c k s a l s f ä d e n g e s p o n n e n , so d a ß er bald auf d e m M a r s f e l d v e r w e i l e n , bald d e n dichten Schatten d e r Säulenhalle genie-

2

Diese wohl aus dem Deklamationssaal übernommene Floskel at, puto (vgl. Sen. rhet. suas. 2,1,1 und Val. Max. 5,3 (ext.) 3,25) hat der echte Ovid in am. 3,7,2; ars 1,370; met. 3,266; 11,425; 13,523; Pont. 1,2,41; 1,5,25; von ihm hat sie Montanus (und sonst keiner der uns bekannten Dichter) entliehen in [fast.] 3,493; [met.] 2,566; [trist.] 5,12,51; [Pont.] 1,3,47 und 1,8,39. Die dazwischen liegenden Verse 1,8,9-26 halte ich für unecht, v. ad loc.

342

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

ßen, bald auf dem Forum sein darf oder mit feurigem Gespann aufs Land, nach Umbrien oder in die Albanerberge fährt (63-68). Es ist deutlich, daß der echte Ovid neben den Freunden, der Frau, der Tochter und dem Haus die schönen Plätze Roms, die er vor seinem geistigen Auge sieht, nur summarisch nennt (33f. pulchrae loca ...ad Vrbis, \ cunctaque ... illa)1, weil er sie unmittelbar anschließend einzeln zu bezeichnen hat, um vorzuführen, wie frei sich Severus bald auf dem Campus, bald in den Säulenhallen, bald auf dem Forum ergehen kann. Diese bewußt verfolgte Ökonomie hat Montanus zerstört, indem er in den Versen 35-38 konkrete Plätze hinzufügt und dabei Wiederholungen zu 65f. nicht scheut. Mit diesem Distichon 65f. hat er die Verse Pont. 2,4,19ff. kombiniert: nos fora viderunt pariter, nos porticus omnis. \ nos via, nos iunctis curva theatra locis. Auch dieses Gedicht handelt ja davon, wie Ovid sich in Tomis an den Freund zurückerinnert und sein Bild vor seinem geistigen Auge sieht (2,4,7ff.). Zur Ausschmückung hat Montanus in 35 die atria marmare tecta aus met. 14,260 genutzt, in 36 an ars 1,112 (ludius aeauatam ter pede pulsai humum), in 37 an trist. 5,1,32 (mollia quot Mariis eramina campus habet) erinnert. Die Gärten, das stagnum Agrippae, die Kanäle (euripi sind singulär in der Dichtung) und die Virgo-Quelle 2 hat er aus eigener Ortskenntnis hinzugefügt. Während der echte Ovid die Distributivpartikel variiert (31-33 modo - nunc - rursus, 65ff. modo - modo - nunc - nunc), setzt Montanus fünfmal nunc (35ff.). Nach der Manier des Deklamationssaals stellt er in Vers 39 die durch at, puto eingeleitete rhetorische Frage: "Aber dem Bedauernswerten sind doch hoffentlich in der Weise die Annehmlichkeiten der Stadt entrissen worden, daß es ihm wenigstens vergönnt ist, irgendeine ländliche Idylle zu genießen?" In der Maske des Ovid antwortet er, es gehe ihm nicht um die verlorenen Felder auf Paelignischem Heimatboden, nicht um die Gärten auf fichtenbestandenen Hügeln, die man von der Kreuzung der Via Flaminia mit der Via Clodia aus sieht: Es möge ihm nur gestattet sein, wenigstens als Verbannter an seinem neuen Aufenthaltsort die Scholle zu bebauen, Ziegen und Schafe zu weiden, die Stiere unters Joch zu führen, den Pflug zu lenken, Samen zu streuen, die aufgehende Saat mit der Hacke zu säubern, den Garten zu bewässern. Doch all dies sei Illusion, da außerhalb der schmalen Mauer und des geschlossenen Stadttores der Feind lauere. Diese scheinbare Bescheidenheit verträgt sich nicht mit dem Ende des Gedichtes, wo Ovid sein wahres Ziel formuliert: Serenus möge sich beim

1

2

Ähnlich verfährt er in trist. III 2, dort 21f.: Roma domusque subit desideriumque locorum, I quidquid et amissa restât in urbe mei. Er nennt sie sehr gesucht vireineus ... liquor: vgl. dagegen fast. 1,464 hic ubi Viminea Campus obitur aqua und trist. 3,12,22 (iuventus) defessos artus Vi reine tinguit aqua.

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Kaiser dafür verwenden, daß dem Relegierten vielleicht nicht die Villa des Freundes in den Albanerbergen (das wäre zuviel des Guten), wohl aber ein näher bei Rom gelegener Verbannungsort als Domizil zugebilligt werde. So hinterläßt denn auch der an den Einschub anschließende antithetische Übergang zur Lebensweise des Severus (63ff.) eine offene Fuge, die durch das allgemein gehaltene Distichon 63f. nur scheinbar verdeckt wird. Denn das günstigere Los, das dem Freund von den Parzen zugeteilt worden ist, besteht darin, daß er in Rom verweilen und dort bald das Marsfeld, bald die schattigen Porticus, bald das Forum aufsuchen darf - Örtlichkeiten, die Ovid selbst (dies ist die wahre Antithese, wie wir gesehen haben) sich nur in der Erinnerung vergegenwärtigen kann. Zu der von 'Ovid' ersehnten ländlichen Idylle ist dieser freie Zugang zu den schönen Plätzen der Stadt kein passender Gegensatz. Die Eindichtung gehört dem Genremaler Montanus, der sich für seine ländliche Idylle ausgiebig Farben aus Vergils Eklogen und aus Tibull geborgt hat. 39f. Vrbis ... voluptas greift Ovids urbanae commoda vitae (29) auf. Quolibet ut (mit Postposition) steht ebenso am Versbeginn in Cui. 92. Rure fruì scheint hier in der Dichtung zuerst belegt (danach bei Mart. 3,20,17); zur irregulären Metrik siehe Platnauer 16. Die Junktur liceat ... fruì (mit dem Infinitiv als Klausel) hat Ovid selbst nur Pont. 4,9,69f., Montanus aber noch in [am.] 3,14,30 und epist. 20,74; vgl. [Tib.] 3,3,32. 41f. Zu amissos ... desiderai agros siehe trist. 3,2,21f. (o. S. 342 Anm. 1). Der Pentameter ruraaue Paelisno conspicienda solo klingt eng verwandt dem Montanus-Vers Epiced. Drusi 284 (templaaue Romano conspicienda foro), hinter dem fast. 5,552 (templaque in Aueusto conspicienda foro) steht. Zugleich liegt eine Reminiszenz an am. 2,16,1 (pars me Sulmo tenet Paeligni tertia ruris) und 2,16,5f. (arva ... Paeligna: | ... in tenero ... solo) vor. 43f. piniferis ... collibus: das Attribut steht zuvor nur bei Vergil (ecl. 10,14f. pinifer ... | Maenalus). Montanus hat es auch in zwei Vergilzusätzen auf Berge übertragen: in [Aen.] 4,248-251 auf den Berg Atlas (248f. cinctum adsidue cui nubibus atris | piniferum caput) und in [Aen.] 10,708 auf den Vesulus. Die Flaminiae Clodia iuncta viae hat eine Parallele bei Montanus (?) in fast.f?] 6,396 qua Nova Romano nunc via iuncta foro est, v. ad loc. (vgl. Nux 1 nux ego iuncta viae cum sim sine crimine vitae). 45

50

2

quos ego nesciocui colui, quibus ipse1 solebam ad sata fontanas (nec pudet)2 adder e aquas, sunt ubi, si vivunt, nostra quoque consita quaedam sed non et nostra poma legenda manu, pro quibus omissis utinam contingere possit hie saltern profugo glaeba colenda mihi

Vgl. Tib. 1,1,7f. ipse seram ... vites | ... et facili grandia poma manu. Vgl. Tib. 1,1,29 nec tarnen interdum pudeat ternisse bidentem, etc.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

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Vgl. ecl. l,70ff. impius haec tarn culta novalia miles habebit, \ barbarus has segetes. ... \ ... his nos conserimus agros! (Man beachte, wie Montanus die Anschaulichkeit Vergils durch das unbestimmte, in der Dichtung singuläre nesciocui zerstört); georg. 1,106 (qui) satis fluvium inducit rivosque sequentis (kombiniert mit ars 3.726 fontana ... aquaecl. 9,50 insere. Daphni, piros: carpent tua poma nepotes·, Tib. 2,l,43f. tum consita pomus. \ tum bibit irriguas fertilis hortus aquas2·, 1,7,32 pomaque non notis legit ab arboribus3. 49f. utinam contingere possit: vgl. Tib. 1,1,49 hoc mihi contingaf. Die Junktur glaeba colenda ist singulär. 51

55

60

ipse ego pendentis. liceat modo5, rupe capellas. ipse velim báculo pascere tiixus oves. ipse ego, ne solitis insistant pectora curis, ducam ruricolas sub iuea curva boves. et discam Getici quae norunt verba iuvenci, adsuetas illis adiciamque minas. ipse manu6 capulum pressi moderatus aratri experiar mota spargere semen humo: nec dubitem loneis purgare lieonibus herbas. et dare, iam sitiens quas bibit hortus. aquas.

In diesem Abschnitt malt Montanus eine idyllische Genreszene vom Hirtenund Bauernleben, wie er solche mehrfach in die Dichtung des Stadtmenschen Ovid eingefügt hat, s. das Register. 51f. Anaphorisches ipse ego (51. 53), noch dazu in Kombination mit zweifachem ipse (52. 57), ist singulär in der Dichtung (in 45 steht zusätzlich ego ... ipsel). Zugrunde liegt (wie schon in 49) Tibull (1,1,7 ipse serarri), ferner ecl. l,74ff. (s.o. zu 45): ite meae ..., ite capellae. \ non ego vos posthac ... \ dumosa pendere procul de rupe videbo: \ ... non me pascente, capellae. \ florentem cytisum ... carpetis\ ferner met. 8,218 (s. S. 340 báculo ... innixus) und georg. 2,375 pascuntur oves: fast. 1.204 pascebatque ... oves. 53 Die Klausel pectora cura bzw. pectore curas ist seit Lukrez (5,1207; 6,645) bzw. Catull (64,72) und Vergil (Aen. 1,227 etc.) geläufig; doch eine dermaßen kühne Hypallage wie pectora ins is tun t curis sucht man in der einschlägigen Dichtung vergeblich. Montanus mag rem. 259 (nulla recantatas dejjonent pectora curas), wo pectora ebenfalls Subjekt der Verbalhandlung ist, weiterentwickelt haben; vgl. Pont. 1,1,73f. sie 1

2 3

4 5 6

Die Belege für fontana ... unda ([fast.] 4,655; 5,435) gehen auf das Konto des Montanus (v. ad locc.); echt scheinen dagegen die ora ... fontana in fast. 1,269. S. zu [Pont.] 1,8,60. Siehe Montanus in [met.] 14,650 (lecturum poma putares) und wohl auch in [Prop.] 2,32,39. Ähnlich am. 2,10,35 at mihi contingat... ; 3,2,9. Vgl. met. 8,38 und epist. 18,51. Vgl. georg. 3,395 ipse manu ... feraf, ferner met. 13,382 mota/nanus procerum est.

Ländliche Idylle ([Ον. rem.] 179-196 - Cul. 98-108)

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mea,perpetuos curarum pectora morsus | ... habent. Er hat in [rem.] 315 (profuit adsidue vitiis insistere amicae) das Verb insistere ähnlich abstrakt verwendet 1 . Ahnlich kühn verfährt der Ciris-Dichter (Montanus) in 233f. tempore quo fessas mortalia pectora curas. \ quo rápidos etiam requiescunt (aktivisch!) flumina cursus. 54 Vgl. fast. 1,384 lanigerumque pecus ruricolaeaue boves: met. 5,479 ruricolasaue boves leto dedit. Der Vers ist - mit Ausnahme des Attributs nahezu wörtlich aus Tibull übertragen: (pax) duxit araturos sub iusa curva boves (1,10,46) 2 . 55 Es liegt Pont. 3,2,40 (nam didici Getice Sarmaticeque loqui) voraus (siehe zu [trist.] 5,12,58). 56 Adsuetus hat Montanus fünfmal in den Heroides und mehrmals in interpolierten Zudichtungen. 57f. capul um ... aratri scheint (in der uns erhaltenen Dichtung) eine Neuerung des Montanus (vgl. danach Sil. 1,614); Ovid hat stiva ... innixus (met. 8,218). Man vergleicht mit dem Vers georg. l,45f. (depresso incipiat iam tum mihi taurus aratro | ingemere)3; doch scheint das Distichon an met. 3,104f. angelehnt: ut presso sulcum vatefecit aratro. \ sparsit humi iussos. mortalia semina, dent es. Die Klausel semen humo konnte Montanus in Pont. 1,5,34 (condere semen humo) lesen; vgl. trist. 3,8,2 misit in ignotam ... rude semen humum. Hinter capulum ... moderatus aratri mag Lucr. 5,933 (curvi moderator aratri = 6,1253) stecken. 59 Vgl. met. 11,36 sarculaque rastrique graves lonsiaue lieones: Catull. 64,39 non humilis curvis purgatur vinea rast ris. 60 Die Klausel stammt aus Tib. 2,1,44 (s.o. zu 47f.). Vgl. ferner ecl. 7,57 aret ager; vitio moriens sitit aëris herba. Zu 61 unde sed hoc nobis? vgl. met. 9,508 unde sed hos novi? 61f. minimum quos inter et hostem \ discrimen murus clausaaue porta facit: vgl. Aen. ll,381f. dum distinet hostem | aseer murorum: trist. 3,14,41f. custodia muri \ summovet infestos clausaaue porta Getas. An seine Formulierung von [Pont.] l,8,61f. hat sich Montanus erinnert, als er die Verse [Aen.] 3,684-6 (v. ad loc.) hinzudichtete; die dort gewonnene Apposition hat er dann (verkürzt) in [Aen.] 9,142ff. (v. ad loc.) wiederverwendet: [Aen.] 3,684

[contra iussa monent Heleni, Scyllam atque

Charybdin

inter, utrimque viam leti discrìmine parvo, 9,142

1

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3

ni teneam cursus: cerium est dare lintea retro] ; quibus haec medii fiducia valli

Die Verse [rem.] 311-322 halte ich für interpoliert. Vgl. auch Manil. 2,643 nec satis hoc, tantum solis insistere signis: | contemplare locum caeli (...). Vgl. Montanus in [am.] 1,13,16 (prima vocas tardos sub iuga panda boves) und epist. 6,10. Hinter ihm steht Lucr. 5,209 terram pressis proscindere aratris.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus fossarumque morae, dant ánimos1.

leti discrimina parva,

Man sieht, wie Montanus zunächst die Verba di st inet und summovet seiner Vorbildverse Aen. 11,381 und trist. 3,14,42 durch den Verbalausdruck discrimen facit (inter) ersetzt und daraus dann die beiden hier im Zitat gegebenen Appositionen gewinnt. Die chronologische Abfolge [Pont.] l,8,61f. - [Aen.] 3,684ff. - [Aen.] 9,142ff. ist evident. Ebenso sicher aber ist auch die oben zu Cul. 98ff. getroffene Feststellung, daß wir hier den gleichen Autor am Werk sehen, der in Cui. 102 den Vorbildvers Manil. 1,322 candidaque ardenti distinguit lumina flamma zu lucidaque aetherio ponit discrimina mundo umgedichtet hat!

6. Bildbeschreibungen des Montanus im 'Ovid' und 'Vergil' und der Toreut Alcon Im vorhergehenden Kapitel hatten wir einen idyllischen Zusatz zu einer ländlichen Szene der Remedia amoris einem Dichter zuzuschreiben, der sich durch komplementäre Nutzung der ovidischen Syrinxepisode, insbesondere der Verse met. 1,71 If., zugleich als der Verfasser der verwandten Culexverse 98-108 zu erkennen gab. Sowohl der unechte Remedia-Zusatz als auch der Culex enthalten nun aber Elemente, die sich in einem ebenfalls unechten Passus des 13. Metamorphosenbuches finden ([met.] 13,683-701), nämlich einen auffälligen Neueinsatz mit ecce, die Versklausel saxa capellae, die in der gesamten überlieferten Dichtung nur an drei von uns dem Montanus zugeteilten Stellen erscheint (s. S. 338), und den ebenso seltenen Toreuten Alcon. Es besteht also zweifellos ein Zusammenhang zwischen den hier genannten Verspartien. Bei genauer Betrachtung der verwandten Phänomene zeigt sich auch hier, daß die In den Versen [Aen.] 9,138-147 hat Montanus die Rede des Turnus nach Art einer schlechten Deklamation (vgl. bes. 140ff. und die bei Dingel aufgewiesenen Brüche) ausgeweitet. Um danach den Anschluß an den Rededuktus von 148ff. zu gewinnen, hat er - die Stichworte ferro ... exscindere des letzten echten Verses vor seiner Eindichtung (137) wieder aufgreifend (146 ferro ... scindere) - die Scharnierverse 146f. eingeschaltet, die nicht mit der Gesamtsituation harmonieren, so daß sie schon Ribbeck aus diesem Zusammenhang ausscheiden und nach Vers 72 versetzen wollte. Das falsche coniuge praerepta von 138 stammt aus dem von Montanus öfter imitierten Perseuskampf der Metamorphosen, wo Phineus in met. 5,10 die Auseinandersetzung mit dem Motto beginnt: 'en ... en adsum praereptae coniueis ultor'. Das trotzige sunt et mea contra \ fata mihi, ferro sceleratam exscindere gentem des Turnus (9,136f.) ist im Sinne des Götterverächters Mezentius gesprochen, der seinen Zweikampf mit Aeneas durch den geradezu blasphemischen Ausruf einleitet: 'dextra mihi deus et telum, quod missile libro, | nunc adsint!' (10,773f.). An Aen. 9,137 schließen dann bestens die weiterhin auftrumpfenden Verse 9,148ff. des Turnus an.

Bildbeschreibungen des Montanus im O v i d ' und 'Vergil'

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gegenseitigen Verbindungen nicht auf Imitation eines Autors durch einen anderen zurückzuführen sind, sondern die charakteristische Handschrift eines und desselben Autors wiederspiegeln, hinter dem wir den Iulius Montanus sehen. Diese Zuschreibung wird um so plausibler, als der Metamorphosenzusatz, eine Bildbeschreibung, sich eng mit unechten Ekphraseis der Aeneis berührt: met. 13,679

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... prosequitur rex et dai munus ituris, Anchisae sceptrum, chlamydem pharetramque nepoti. cratera Aeneae, quem quondam miserai illi hospes ab Aoniis Therses Ismenius oris. \miserat hunc ÜU1 Therses. fabricaverat2 Alcon Hyleus et lomo caelaverat argumento3. urbs erat4, et Septem posses estendere portas5: hae pro nomine eranr et, quae foret illa, docebant; ante urberri7 exequiäe tumuliaue ienesaue roeiaues -**·>.saeaue comas et apertae pectora matrer significant luctumw: nymphae quoque fiere videntur11

Man beachte die unelegante Pronomenhäufung. Vgl. met. 8,669f. sistitur argento crater fabricataaue fago \ pocula. Kontaminiert aus Aen. 10,499 quae Clonus Eurytides multo ctielíivcrül auro; met. 5,189 argento partim, partim caelaverat auro·, met. 6,69 et vetus in tela deducitur argumentum. Verwandt ist der Montanus-Zusatz in [Aen.] l,640ff. ingens argentum mensis, caelataaue in auro \ fortia facta patrum, series longissima rerum \ per tot ducta viros antiqua ab origine gentis. Vgl. fast. 3,71f. iam, modo quae fuerant silvae pecorumque recessus, \ urbs erat: Pont. 4,7,24 urbs erat in summo nubibus aequa iugo. Kontaminiert aus trist. 2,319f. (cur tacui Thebas et mutua vulnera fratrum, \ et Septem portas sub duce quamque suo?) und ars 2,629 (quas tu digitis estendere possis). Montanus hat zweimal den Infinitiv estendere: in [Aen.] 6,716 (716-718 del. Zw.) und 4,470 {et duplices se estendere Thebas). Nach Aen. 6,776 haec tum nomina erunt. nunc sunt sine nomine terrae. In Anlehnung an Aen. 3,302ff. ante urbem in luco ... | libabat einen Andromache manisque vocabat \ Hectoreum ad tumulum. Nach Aen. 4,676 hoc rogus iste mihi, hoc ignes araeque parabant? Die Klausel hat Montanus auch in [Aen.] 11,877 v. ad loc. (11,875-878 del. Zw.). Aus Lucr. l,12f. aeriae ... volucres te, diva, tuumque \ significant initum perculsae corda tua vi. Die Klausel besteht aus einer Kontamination von met. 6,100 lacrimare videtur (ebenfalls in einer Bildbeschreibung) und met. 11,46: der ganze Abschnitt [met.] 13,689bff. ist ja geformt nach der Trauer der Natur über den Tod des Orpheus in met. 11,44ff. : te maestae volucres, Orpheu, te turba ferarum, 45 te rigidi silices, tua carmina saepe secutae fieverunt silvae; positis te frondibus arbor tonsa comas luxit; lacrimis .quoque flumina dicunt increyisse suis obstrusaque carbasa pullo Naides et Dryades passosque habuere capillos.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus 690

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siccatosaue aueri fontes1: sine frondibus arbor nuda rieet2. rodunt arentia s axa capellae. ecce facit mediis natas Orione Thebis3. hanc non femineum iugulo dare pectus aperto4, illam demisso per fortia vulnera telo pro populo cecidisse suo pulchrisque per urbem funerìbus ferri5 celebrique in parte6 cremari; tum de virgínea geminos exire favilla. ne genus intereaf, iuvenes, quos fama Coronos nominai, et cineri materno ducere pompam. hactenus antiquo sisnis fuleentibus aere, summus inaurato crater erat asper acantho* .1 nec leviora datìs Troiani dona remittunt dantque sacerdoti custodem turis acerram, darti pateram claramque auro gemmisque coronam.

Die Trojaner kommen auf ihrer Flucht nach Delos und werden dort von dem Priesterkönig Anius gastlich aufgenommen (13,63Iff.). Beim Mahl erzählt er die Geschichte seines Sohnes und seiner vier Töchter, die in weiße Tauben verwandelt wurden (640-674). Am nächsten Morgen befragen die Troer das Phoebus-Orakel, erhalten (wie in Aen. 3,96) die Auskunft, antiquam matrem cognataque ... | litora aufzusuchen (678f.), tauschen mit Anius Geschenke aus (679-682/702-704) und segeln nach Kreta, das sie jedoch wegen des Pestklimas gleich wieder mit dem Ziel Ausonien verlassen (705-708): In wenigen Strichen wird die Handlung erzählt, die Station Kreta überhaupt nur aus der Vergangenheitsperspektive eingeflochten. Es wäre ein großer Kunstfehler, wenn der Dichter nach der ausführlichen Erzählung anläßlich des Mahls die bewußt geraffte Abschiedsszene mit den Gastgeschenken unterbrechen wollte,

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Eine Kontrastimitation zu met. ll,47f. (siehe die vorige Anmerkung). Zu ripet siehe die rieidi silices von met. 11,45; ferner met. 4,527; 8,284 (riget hórrida cervix)·, 11,150 (late rieet arduus alto \ Tmolus). In [Aen.] 4,251 stammt glacie rieet hórrida barba ebenfalls von Montanus, der auch sonst eine Vorliebe für dieses Verb hat, s. S. 55f. Vgl. Prop. 1,11,1 te mediis cessantem, Cynthia, Bais und Montanus in Cui. 363 (Curtius) ... mediis ... sedibus urbis. Die Junktur ist vor den Imitatoren Lucan (6,555) und Val. Flaccus (3,154) in der Dichtung nur ein weiteres Mal bei Montanus in [Ον.] epist. 8,53 (iuguloque Aegisthus ... aperto) belegt. Es scheint in der Dichtung nur eine Parallele für diese Junktur zu geben: bei Montanus in [trist.] 1,3,89 egredior, sive illud erat sine funere ferri, ν. ad loc. (und hier S. 296 Anm. 2).

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Dieser Ausdruck klingt prosaisch, siehe die Belege bei Börner. Siehe Montanus in Ibis 582 intereat tecum sic genus omne tuum. Die beiden letzten Verse sind kontaminiert aus met. 12,235f. sienis exstantibus asper | antiauus crater: fast. 2,251 inauratimi... crateraund Verg. ecl. 3,44f. Alcimedon [vgl. Ale on in 13,683] duo pocula fecit \ et molli circum est ansas amplexus acantho.

Bildbeschreibungen des Montanus im Ovid' und 'Vergil'

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um eine lange Ekphrasis der Gravuren des Mischkrugs zu geben. Ovid hat klar den Aufbruch der Aeneaden aus Buthrotum in Aen. 3,464ff. (467-481 sind unecht, v. ad loc.) imitiert und damit die Übergabe eines besonderen Siegesgeschenkes an Acestes durch Aeneas (Aen. 5,53Iff.) verwoben, der seinem Freund cratera impressum signis, quem Thracius olim | Anchisae genitori in magno muñere Cisseus \ ferre sui dederat monimentum et pignus amoris (5,536ff.). An beiden Vorbildstellen hören wir trotz des gemächlicheren Handlungstempos nichts über das auf den Kunstwerken Dargestellte, während Montanus in [Aen.] l,640ff. (s. S. 347 Anm. 3) selbst Vergils knappes at domus interior regaüsplendida luxu \ instruitur (l,637f.) noch konkretisieren zu müssen glaubte, indem er in seinem Hang zur Kleinmalerei die auf dem prunkvollen Tafelgeschirr eingeprägten Embleme 'nachträgt' 1 . Die lange Ekphrasis über die Pest in Theben und den Opfertod der Töchter des Orion mit der von der mythischen Tradition merkwürdig abweichenden Metamorphose stammt von dem gleichen Montanus, der die Skulpturen auf dem Apollotempel in Cumae ([Aen.] 6,14ff.) erfunden hat (s. S. 80ff.). Gemeinsamkeiten mit dem Vergilinterpolator zeigen sich in der Anknüpfungstechnik: Der Einschub wird durch eine Epanalepse2 eingepaßt (68lf. miserai Uli [ ... Therses ... | Γmiserai hune illi Therses. fabrieaverat Alcon | ...]), ferner in dem Zeitadverb tum (697), mit dem wie in [Aen.] 6,20 ein weiteres Bildmotiv angefügt wird, in dem falschen Tempus bei der Angabe der Tätigkeit des Künstlers (692 ecce façit - wohl in falscher Übernahme des facit aus der Ekphrasis in met. 6,76 - statt fecit oàer fecerat, vergleichbar dem falschen addit in [Aen.] 8,666, wo addiderat stehen müßte, v. ad loc.) 3 , in der polysyndetischen Congeries 685ff. (et - et - que - que - que - que - et - quoque que), die an [Aen.] 7,178ff. erinnert (ν. ad loc.), in dem singulären Ausdruck pulchrisque per urbem | funeribus ferri (695f.), der seine Entsprechung in den aus georg. 4,218 und Aen. 9,401 (pulchram ... per vulnera mortem) gespeisten Versen [Aen.] ll,646f. hat (dant fuñera ferro \ certantes pulchramque petunt per vulnera1 mortem, v. ad loc.), in der Bemühung der fama 1

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Ähnlich verfährt er bei dem Ehrengeschenk für den Sieger im Schiffswettkampf: Während der echte Vergil in Anlehnung an II. 23,561f. den goldenen Mantel lediglich mit einem doppelten mäanderförmigen Purpursaum verziert sein läßt, erfindet Montanus zusätzlich zwei eingestickte Ganymed-Bilder, die jedoch nicht kunstgerecht beschrieben sind, s.u. S. 352f. Siehe S. 443ff. Szantyr (MH 27, 1970, 31) hat die Stellen rubriziert, aber wohl nicht kritisch genug beleuchtet. Ov. met. 6,76 (facit) gehört nicht zu den historischen Präsentia, weil das Gewebe der Pallas in 6,70ff. als im Entstehen begriffen dargestellt wird und infolgedessen zumindest bis Vers 86 bewußt präsentische Verba gewählt werden (pingit - facit - dat - dat - dat - defenditur - simulât - addit). Vgl. [met.] 13,694 demisso per fortia vulnera telo (falls hier nicht besser die Lesart per fortia pectora vorzuziehen ist).

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

(13,698f. quos fama Coronos | nominai, vgl. [Aen.] 6,14 und besonders [Aen.] 12,735) und der merkwürdigen Vorstellung, daß die aus der Asche der Koroniden geborenen Jünglinge cineri materno ducere pompam (nach georg. 3,22 sollemnis ducere pompas). vgl. [Aen.] 5,53f. (spllemnisque ordine pompas I exsequerer), schließlich in der Kühnheit des Ausdrucks des Verses 688 (effusaeque comas1 et apertae2 pectora maires), die an die Vorliebe des Vergilinterpolators für kühne Hypallagai erinnert (s. S. 452ff.). Die auffälligste Abweichung von der Ekphrasis-Technik des echten Ovid (2,5ff.; 6,70ff. 103ff.) und des echten Vergil (ecl. 3,36ff.; Aen. l,450ff.; 8,626ff.), in der sich der Interpolator der Koroniden-Episode mit dem des Apollotempels in [Aen.] 6,18ff. und des Ganymed-Schmuckes auf dem Ehrengeschenk für den Sieger im Schiffswettkampf ([Aen.] 5,252-257) trifft, liegt in dem Changieren zwischen Beschreibung und Handlungsschilderung. Zu [Aen.] 6,20ff. 28ff. ist dies S. 84f. ausgeführt3; in dem Metamorphosen-Passus hat man schon vor Jahren die Situation als "geradezu hoffnungslos verworren" bezeichnet4: Die "Vermischung von Bild und Erzählung"5 läßt keine exakte Angabe über das auf dem Krug Dargestellte zu. Nach Börner (S. 385) "wird zuerst die Umgebung [von Theben] geschildert, dann in der Mitte [692 mediis ... Thebis] das Hauptgeschehen: Die Mädchen haben sich öffentlich geopfert6. Dann folgt der [Leichen-]Zug per urbem vor die Tore (2. Szene), wo die Scheiterhaufen stehen (687) und die Verbrennung stattfindet (695f.)7. Verbrennung und Entstehung der Coroni (696f. cremari - exire) bilden eine 3. Szene, die pompa [der Asche] (698f.) unter Anführung der Coroni die letzte (4.) Szene". Es müßten demnach wie bei der Tabula Iliaca "zeitlich aufeinander folgende Vorgänge auf demselben Bild erscheinen" (Börner S. 385). Doch ist nach dem oben Ausgeführten zu befürchten, daß sich Montanus keine klaren

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Vgl. dagegen fast. l,405f. Naides effusis ... \ pars aderant... comis: 6,514; am. 1,7,39; 1,9,38; ars 3,784. Montanus scheint sich an Vergil angelehnt zu haben (georg. 4,337 caesariem effusae: Aen. 4,509 crinis effusa sacerdos; die Junktur effusae matres in Aen. 12,131). Vgl. dagegen met. 2.339 aperto pectore ( = fast. 3,15f.; ars 3,667); aber fast. 1,408 altera dissuto pectus aperta sinu (nach Tib. 1,6,18 laxo pectus averta sinü); doch fügt sich der Ausdruck nicht leicht zum Trauergestus. In 6,30bff. wird die Fiktion, es werde ein Skulpturenfries geschildert, überhaupt aufgegeben und das Unvermögen des Künstlers beschworen, den Sturz seines Sohnes Icarus darzustellen (s. S. 84). Szantyr (MH 27, 1970) 38. So Börner zu met. 13,685-701 (S. 385). Richtiger unterscheidet Ehwald die eine Oriontochter, die sich eben ersticht, von der zweiten, die bereits getötet am Boden liegt. Die Verse 693f. sind allerdings so schwierig, daß Bentley sie getilgt hat. Aber laut Vers 696 geschieht die Verbrennung celebri ... in parte (sc. urbis)·, die Verse 687ff. dagegen sollen allgemein die Pestsituation andeuten.

Bildbeschreibungen des Montanus im 'Ovid' und 'Vergil'

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Vorstellungen gebildet und die Ekphrasis mit einer Handlungserzählung (einschließlich einer Metamorphose) vermischt hat 1 . Verwunderlich ist ja auch sein Abweichen von der Sagentradition, nach der Persephone und Hades die beiden toten Mädchen entrückten und an ihrer Stelle zwei Sterne zum Himmel aufsteigen ließen, die die Menschen 'Kometen' nannten. Der Interpolator hat dies offenbar in Anlehnung an die kurz zuvor gegebene Memnoniden-Erzählung so umgeformt, daß er aus der Asche der Mädchen (697 de virgínea ... favilla, vgl. 604 atra favilla volai, die sich dann in die Memnonidenvögel verwandelt) zwei Jünglinge entstehen läßt, die den Bestand des Geschlechtes gewährleisten sollen und als erstes die "mütterliche" Asche, wie die vireinea favilla nun kühn genannt wird, in einer Pompa zum Grabe geleiten: Hinter cineri materno ducere pompam (699) verbirgt sich deutlich das Ende der Memnoniden-Erzählung (615f.): inferiaeque cadunt cineri cognata sepulto | corpora seque viro forti meminere creatas. Vermutlich wurde Montanus - wie in [georg.] 3,531ff. (v. ad loc.) - zusätzlich durch die Cleobis-Biton-Geschichte inspiriert; jedenfalls legt die Erfindung von den gemini iuvenes. die sich anschicken, cineri materno ducere pompam, den Gedanken an diese beiden Jünglinge nahe, die sich selbst vor den Wagen ihrer Mutter spannten, um die Priesterin zum Tempel zu ziehen (vgl. Cie. Tusc. 1,113 tum iuvenes i quos modo nominavi ...ad iugum accesserunt. ita sacerdos, advecta infanum cum currus esset ductus a filiis ...). Der Vers 686 (zum Teil nach Aen. 6,776 gebildet, s.o.) ist eines Ovid nicht würdig: Daß die sieben Tore der Stadt den Namen ('Theben') umschreiben sollen, der doch in 692 ausdrücklich genannt wird, mußte so umständlich nicht gesagt werden. Das Leiden der Natur unter der Pest ist in 689ff. eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht: Montanus hat sich (wie in den Anmerkungen zum Text gezeigt) an der Klage über den Tod des Sängers Orpheus orientiert, zusätzlich in 13,691 (rodunt arentia saxa capellae)2 eine Kontrastimitation zu rem. 178 (aspice tondentes fertile gramen oves) geformt und zugleich den von ihm früher dort hinzugedichteten Vers [rem.] 179 (ecce, petunt rupes praeruptaque saxa capellae, s . S . 338) zusammen mit dem ebenfalls von seiner Hand stammenden aus [rem.] 617 (in loca ... siccis arentia glaebis)3 variierend genutzt, zeigt also klar die Physiognomie eben jenes erweiternden Zudichters, dem wir im vorigen Kapitel eine ganze Reihe von Zusätzen und originären Dichtungen zuzuschreiben hatten, darunter die drei komplementären 1

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Ähnlich unklar liegt der Sachverhalt bei dem gestickten Ganymedbild bzw. den beiden Ganymedbildern auf der Chlamys: Schon Heyne und Wagner haben über diese Frage gerätselt; siehe ferner die Kommentare von Henry und Conington zu Aen. 5,252. - Heinze (398ff.) sucht Vergils Beschreibung von Kunstwerken in kurzen Strichen von der ästhetischen Seite zu würdigen und geht auf die hier aufgeworfenen Fragen nicht ein. Das Verb dürfte aus fast. 1,357 (rode, caper, vitem) geholt sein. Zugrunde liegen die arentia ... arva von georg. 1,110.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Versionen [rem.] 181; [met.] 11,154; Cul. 100, aber auch [Ον.] epist. 16,55f. Dem dort ausgeschriebenen Culex-Passus dürfen wir hier noch den folgenden, thematisch und sprachlich verwandten hinzufügen: Cui. 45 propulit e stabulis adpabula laeta capellas pastor, et excelsi montis iuga summa petivit, 47 florida quapatulos velabant gramina collis. (...) 50 tondebant tenero viridantia gramina morsu. scrupea desertis haerebant ad cava ripis, pendula proiectis carpuntur et arbuta ramis (...). Daß aber der Verfasser des Culex auch die Episode der Koroniden in met. XIII gedichtet hat, läßt sich durch eine weitere Beobachtung stützen: Wie in Cul. 66f. (necpocula gratum | Alconis referent Boethique toreuma) treffen wir in [met.] 13,683f. (fabrieaverat Alcon | Hylaeus et longo caelaverat argumento) auf den hellenistischen Toreuten Alcon, der zuvor nur in einem Fragment des Damoxenos (frg. 1,4 K.-A.) belegt scheint, sich aber in dem mythischen Metamorphosen-Passus als krasser Anachronismus ausnimmt. Eine solche Rarität fuhren nicht leicht zwei Dichter unabhängig voneinander (oder in zufälliger Abhängigkeit von einem gemeinsamen Vorbild) ein. Nichts deutet in dem Metamorphosen-Passus und in der Culexstelle auf Imitation eines Epigonen, sei es in der einen oder in der anderen Richtung. Wir wissen aber, daß Montanus ein Kenner der griechischen, insbesondere auch der hellenistischen Literatur war, aus der er ganze Verse in seine Dichtungen übernommen, ja ganze Werke (wie die Ibis und etwa die Acontius-Cydippe-Briefe) übertragen hat. Dort wird er auch den Toreuten Alcon gefunden und zunächst in den mythologisch ausgerichteten Zusatz des 13. Metamorphosenbuches, später ein weiteres Mal in den Culex-Passus eingepaßt haben. Vielleicht ist er auf den hellenistischen Künstler verfallen, weil er den Namen Alcon aus ecl. 5,11 kannte und in ecl. 3,36ff. von einem Künstler Alcimedon gehört hatte: ecl. 3,36

pocula ponam fagina, caelatum divini opus Alcimedontis (...) 44 et nobis idem Alcimedon duo pocula fecit et molli circum est ansas amplexus acantho. Orpheaque in medio posuit silvasque sequentis.

Einen weiteren, sonst gänzlich unbekannten Künstler beschert er uns in [Aen.] 5,359: et clipeum efferri iussit, Didymaonis artes, ν. ad loc. Die folgende m.E. ebenfalls zugedichtete Ekphrasis aus dem 5. Aeneisbuch füge ich hier ohne weiteren Kommentar an, beschränke mich vielmehr auf einige Anmerkungen. Auch hier sehen wir m.E. den Montanus am Werk:

Bildbeschreibungen des Montanus im 'Ovid' und 'Vergil'

353

Aen. 5,252-257. 262-265 249

ipsis praecipuos ductoribus addit honores: a) victori chlamydem auratam, quam plurima circum purpura1 maeandro duplici Meliboea cucurrit, 252 \intextusaue puer frondosa resius Ida2 velocis iaculo cervos cursuaue fatieat3 acer, anhelanti* similis, quem praepes5 ab Ida 255 sublimem6 pedibus rapuit Iovis armieer uncis1 : longaevi palmas nequiquam ad sidera tendunt* 257 custodes, saevitaue canum latratus9 in auras Λ b) at qui deinde locum tenuit virtute secundum, levibus huic hamis consertami auroque trilicem 260 loricam, quam Demoleo detraxerat ipse victor apud rapidum Simoenta sub Ilio alto. 262 idonat habere, viro decus et tutamen in armis. vix illam famuli Phegeus Sagarisque ferebant10 multiplicem conixi umeris; indutus at olim

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Dieses Stichwort hat Montanus an georg. 3,25 (purpurea intexti tollant aulaea Britanni) und met. 3,556 (purpuraque et pictis intextum vestibus aurum) erinnert und den Zusatz intextusaue puer, etc. evoziert. Er ist jedoch ganz lose angeschlossen, syntaktisch unzulänglich integriert, s. Conington ad loc. Eine Kontamination aus Aen. l,677f. (resius accitu cari genitoris ad urbem \ Sidoniam puer ire parat, vgl. Montanus in epist. 16,90 regius ... puer); Hör. carm. 3,20,15f. (qualis aut Nireus fuit aut aguosa I raptus ab Ida, vgl. ab Ida | ... rapuit in [Aen.] 5,254f.) und Catull. 64,96 (Idalium frondosum). Vermutlich kontaminiert aus Aen. 7,478 (insidiis cursuaue feras aeitabat Iulus) und Manil. 1,520 (die einzige einschlägige Klausel, freilich in astronomischem Zusammenhang: cursusaue fatieat): vgl. georg. 3,132 cursu quatiunt et sole fatieant. Vgl. Montanus in [Aen.] 10,837 aeger anhelans. Vgl. Ov. fast. 6,196 tunc oritur magni praepes adunca Iovis-, met. 4,714 utque Iovis praepes. Wohl nach Ov. met. 4,362f.: inplicat ut serpens, quam regia sustinet ales | sublimemaue rapit: vgl. met. 7,222 sublimis rapitur (sc. Medea auf dem Schlangenwagen). Nach Aen. 9,564 (qualis ubi ... cycnum) sustulit alta petens pedibus Iovis armieer uncis und 12,247ff. (Iovis ales ... agitabat avis ... ,) subito cum ... cycnum ... pedibus rapit improbus uncis. Wohl kontaminiert aus Aen. 1,93 ingemit et duplicis tendens ad sidera palmas und met. 13,41 Of. tractisque comis antistita Phoebi | non profecturas tendebat ad aethera palmas. Offenbar nach der einzigen einschlägigen Junktur in Ov. met. 2,491 a, quotiens per saxa canum Iqtrqtibus acta est (sc. die in eine Bärin verwandelte Callisto); zu saevit in verweist Macrob auf Var. Ruf. frg. 4,3f. (ceu canis) saevit in absentem et circum vestigia latrans | aethera per nitidum tenues sectatur odores. Varius Rufus ist von Montanus mehrmals imitiert worden, s. S. 109f. Die Kombination von famuli und zwei konkreten Eigennamen ist verdächtig. Sowohl Phegeus als auch Sagaris tauchen nur noch einmal - jeweils in unechten Partien - auf; dort allerdings nicht als famuli, sondern als Einzelkämpfer.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

354 265

I Demoleos cursu palantis c) tertia dona facit geminos cymbiaque argento perfecta iamque adeo donati omnes

Troas aeebat1.1 ex aere lebetas atque aspera signis. (ibant).

7. Die Einfälschung der Epistulae Heroidum und der Medicamina faciei femineae in das Ovidcorpus Einige der Spuren, die von dem Vergilbearbeiter zu dem Redaktor des Ovidcorpus und zu dem Autor der Epistulae Heroidum führen, sind oben unter der Rubrik 'Tageszeitschilderungen' (S. 299ff.) kurz verfolgt worden. Hier soll zunächst einigen anderen nachgegangen werden, bevor wir uns den drei neuralgischen Punkten zuwenden, die das Briefcorpus mit Ovids Liebes- und Exildichtung verknüpfen.

a) Weitere Indizien für die Identität des Verfassers der Leanderepistel mit dem Bearbeiter der Ovid- und Vergilcorpora Die seit dem 15. Jh. umstrittene Echtheit der sog. Doppelbriefe darf nach den Untersuchungen, die M. Beck exemplarisch dem Briefpaar XVIII / XIX ('Leander an Hero'/'Hero an Leander') gewidmet hat2, als entschieden gelten3.

1 2

3

Vgl. die Klausel Sergestus aeebat in 272; ferner 11.734 femina palantis asit. M. Beck, Die Epistulae Heroidum XVIII und XIX des Corpus Ovidianum. Echtheitskritische Untersuchungen, Paderborn 1996 (SGKA 1. Reihe, Bd. 11). Die noble Rezension von Kenney in CR 48, 1998, 311-313 macht deutlich, daß sich die Befürworter der Echtheit ihrer Sache nicht mehr sicher sind ("first drafts by Ovid himself?"!). Sie würden gewiß in noch tiefere Zweifel gestürzt, wenn ihnen bewußt wäre, daß die vermeintlich ovidischen Parallelen für sprachlich verdächtigen Ausdruck, auf die sie sich stützen, ihrerseits als unecht zu gelten haben (so etwa die Verweise S. I l l , einschließlich [am.] 1,4,15). Auch in dem soeben erschienenen Aufsatz: E.J. Kenney, Vt erat novator: Anomaly, Innovation and Genre in Ovid, Heroides 16-21, in: J.N. Adams - R.G. Mayer (Hrsgg.), Aspects of the Language of Latin Poetry, Oxford 1999 (Proceedings of the British Academy. 93), 399-414 werden Unregelmäßigkeiten im Sprachgebrauch z.T. mit Verweis auf Parallelen gestützt, die ihrerseits verdächtig sind. So lesen wir S. 406 zu epist. 17,213 (tu quoque qui poteris fore me sperare fide lem ?) : "This is the only instance in Ovid of qui? in the sense of 'how?'. It is frequent in comedy, elsewhere in verse only in Catullus, Lucretius, Horace's hexameters and Phaedrus. As a one-off it can stand beside quicum at Virg. Aen. 11.822, one of only three examples in 'solemn poetry'." Aber der aus mehreren Gründen anfechtbare Vers [Aen.] 11,822 wurde schon von Ribbeck (Proleg. 85) kritisiert und ist in meinem Text getilgt (v. ad loc.). Es scheint sich auch hier zu bestätigen, daß der Überarbeiter Vergils und der Verfasser der Heroides ein und dieselbe Person sind, eben der von uns erschlossene Montanus, dem auch die drei einzigen Beispiele

Epistulae Heroidum

355

Die von ihm beiwege (ich verweise auf seinen Index) festgestellten Entsprechungen zwischen interpolierten Zusätzen in [am.] 2,12,25f.; [trist.] 2,380; [Pont.] 2 , 3 , 4 0 und den Heroidenversen 18,36; 18,42; 18,93f. wird man im Sinne gemeinsamer Provenienz von gleicher Hand zu deuten haben. Ich mache die Verwandtschaftsverhältnisse im folgenden kenntlich: epist. 18,35

obstitit inceptis tumidum iuvenalibus aequor mersit et adversis ora natantis aquis; met. 7,144 tu quoque victorem compierti, barbara, velles; sed te, ne faceres, tenuit reverentia famae: 146 II [obstitit incepto pudor, at conplexa fuisses ... ]1 quod licet, adfectu tacito laetaris ... ; Pont. 2,3,39 [mitius est lasso digitum supponere mento. mergere quam liquidis ora natantis aquis] Pont. 2,6,13 bracchia da lasso potius prendendo natanti. nec pigeat mento supposuisse manum. Die fettgedruckten Formulierungen deuten auf den gleichen Verfasser, der also sowohl den Leander-Brief wie die interpolierten Zusätze in [met.] 7,146 und [Pont.] 2 , 3 , 4 0 geschrieben hat2. tarn gelidus quod sis, num te tarnen, improbe, quondam ignibus Actaeis incaluisse negas? (...) unde nisi indicio magni sciremus Homerí trist. 2,379 hospitis igne duas incaluisse deas?]

epist. 18,41

Die Junktur igne incalescere findet sich im Ovidcorpus nur an diesen beiden Stellen. Den Abschnitt [trist.] 2,371-380 halte ich für interpoliert 3 . Auch der Beginn des Passus zeigt Gemeinsamkeiten mit der Diktion der Heroides, vgl. trist. 2,371

1 2

3

H [Ilias ipsa quid est aliud nisi adultera, de qua

für sane in der gehobenen Dichtung verdankt werden, auf die Kenney S. 406 Anm. 32 verweist: epist. 17,15; 21, 215 und [Aen.] 10,48 (10,48sq. del. Zw., v. ad loc.), s. S. 412. Daß die Zuversicht in die angeblich ovidische Qualität der Heroides nicht allzu groß ist, darf man aus der am Ende vorgetragenen Einschränkung entnehmen: "(...) if I am right in my surmise that Heroides 16-21 never received the poet's final revision and were given to the world only after his death by some anonymous benefactor of mankind as they were found in his desk, ..." (413). Der dort bezeichneten Alternative, "ascribing these epistles to an otherwise unknown poet of genius, which is what those who disbelieve in Ovid's authorship must necessarily postulate", dürfte durch die hier vorgeschlagene Zuschreibung der Heroides an Iulius Montanus, den der mit mehr Geschmack urteilende jüngere Seneca einen tolerabilis poeta, der ältere Seneca aber einen egregius poeta nannte, Genüge getan sein. 146 del. Heinsius; zu 145f. vgl. 10,251. Die Mitteilung von Beck S. 56 ist insoweit zu korrigieren, als ich nur das Distichon [Pont.] 2,3,39f. für unecht halte. Siehe Beck 59ff. und den späteren Ovidband.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

356 II epist. 13,131 18,181

inter amatorem pugna virumque fuit?

quidpetitur

(...)]

tanto nisi turpis adultera bello?

velie quid est aliud fugientia prendere poma (...) ?

Helena wird im Ovidcorpus nur in den Heroides (epist. 5,125; 17,219), in der unechten Tristienstelle 2,371 und in dem unechten Gedicht [am.] II 18 (Vers 37) als adultera bezeichnet (s.u.). Dabei deutet die dreifache Kombination von adultera und crimen wieder auf die gleiche Hand, vgl. [am.] 2,18,37 || et Paris est illic et adultera, nobile crimen: epist. 9,51 non tibi crimen erunt, Teuthrantia turba, sorores, quarum de populo nulla relicta tibi est: una, recens crimen, referetur adultera nobis, unde ego sum Lydo facta noverca Lamo-, epist. 17,219 ipse mihi quotiens iratus 'adultera' dices oblitus nostro crimen inesse tuum?1 epist. 18,93 [am.] 2,12,25 [met.] 9,359

cum vero possum cerni quoque, protinus addis spectatrix ánimos ut valeamque facis. [vidi ego pro nivea pugnantes coniuge tauros: spectatrix ánimos ipsa iuvenca dabat.] spectatrix aderam fati crudelis opemque non poteram tibi ferre, soror, quantumque valebam. crescentem truncum ramosque amplexa morabar

(...).

Alle drei Belege für spectatrix im Ovidcorpus stammen vom Bearbeiter. Ihm gehört auch das verdächtige cum vero (siehe Beck 97f.) sowohl in epist. 18,93 wie in 16,225 als auch in [met.] 8,32 und 15,579 (die Verse [met.] 8,32-37 sind ebenso unecht wie die wunderliche Cipus-Episode [met.] 15,552-621, ν. ad loc.). Daß der Verfasser des Leanderbriefs neben Ovid auch den Vergil eifrig imitierte, zeigt sich z.B. in epist. 18,31

lumina quin etiam summa vigilantia turre aut videt aut acies nostra videre putat;

Anders spricht der echte Ovid von Helena in met. 12,5 (rapta ... cum coniuge); 13,200; 14,669; 15,232f. (Tyndarìs ... bis rapta), aber auch in der Liebesdichtung, vgl. ars 2,359f.; 2,699; 3,11. 759 (dazu epist. 5,75). Unecht dagegen ist wieder die rhetorische Amplifikation des Distichons ars 2,359f. über Menelaos-Helena in [ars] 2,361-372 (auch der voraufgehende mit Phyllida Demophoon beginnende Katalog 2,353-356 muß getilgt werden, der neben Penelope-Ulixes auch noch das in [am.] 2,18 fehlende Paar LaodamiaProtesilaus [epist. 13] rückt), ferner das Distichon [ars] 3,253f. (Helena-Menelaus-Paris), v. ad loc. Das Distichon [ars] 2,363f. (accipitri tímidas credis furiose columbas, \ plenum montano credis ovile lupo) hat den Vergleich trist. 3,11,11 f. (utque fugax avidis cervus deprensus ab ursis, | cinctaque montanis ut pavet agna lupis) zur Voraussetzung; vgl. epist. ll,89f. cum ... | viscera montanis ferret edenda lupis?

Epistulae Heroidum Aen. 6,453

357

... qualem primo qui surgere mense gut videt aut vidisse putat per nubilg lunam1.

D i e gleiche Vergilstelle ist verwertet in epist. 10,31

gut vidi gut fuerant quae me vidisse putarem: frigidior glgçie semignimisque fui2.

Vergil steht auch hinter den Versen über das Mondlicht, vgl. epist. 18,59 Aen. 7,8 8,22

epist. 18,77

luna fere tremulum praebebat lumen eunti ut comes in nostras officiosg vias; aspirant aurae in noctem nec candida cursus luna negat, splendei tremulo sub lumine pontus3; sicut aquae tremulum labris ubi lumen gënis sole repercussum gut rgdigntis imagine lunae omnia pervolitat late loca; unda repercussae radiabat imagine lunae et nitor in tacita nocte diurnus ergi4.

Dagegen dürfte sich der Verfasser des Briefes in 18,83

86 95 57 103 197

igmque fatigatis umero sub utroque lacertis fortiter in summas erigor altus aquas, ut procul adspexi lumen, 'meus ignis in ilio est; illa meum ' dixi 'litorg lumen hgbent. ' nunc etigm nando dominge plgcuisse laboro; nec mora, deposito pgriter cum veste timore igctgbgm liquido brgcchig lentg mari; eque tuis demptos umeris mihi trgdis gmictus et madidam5 siccgs gequoris imbre comam. optabo tamen, ut partes expellar in illas et teneant portus naufraga membra tuos

und der mit ihm identische Autor der Palinurus-Episode i m 6. Aeneisbuch jeweils auf den schiffbrüchigen Odysseus Homers zurückbeziehen (s. S. 180 Anm. 1), wobei er - ganz natürlich - seine einmal gefundenen Formulierungen wiederverwendet, vgl.

1 2

3 4 5

Siehe Beck 53. Der Pentameterbeginn ist vom gleichen Autor in epist. 1,22 frigidi us jglacie pectus amantis erat genutzt. Siehe Beck 74. Siehe Beck 87. Der Palinurus-Zusammenhang ist in den Versen 103f. durch Ovid-Reminiszenzen überlagert. Die einzelnen Stellen sind bei Beck 107ff. gebucht. Vgl. epist. 19,61 dare ... madidis velamina membris.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

358

Aen. 6,356

vix lumine

quarto

prospexi Italiam summa sublimis ab unda. paulatim adnabam terrae; iam tuta tenebam, ni gens crudelis madida cum veste1 gravatum ... I ferro

invasisset.

Dem Zusammenhang des von ihm erweiterten sechsten Aeneisbuches scheint er auch im weiteren Verlauf der Epistel verpflichtet, jedenfalls in der Grundstruktur, daß die Freude des gemeinsamen (nächtlichen) Zusammenseins durch die Kürze der gewährten Zeit beeinträchtigt wird und nach der Schilderung der beginnenden Morgenröte die Amme bzw. die Sibylle mitleidlos zum Aufbruch mahnt (s.o. S. 276. 302) 2 .

b) [am.] II 18 Beck ist in der oben genannten Dissertation zu Recht Lachmann, Lehrs und den jüngeren Forschern Courtney, Goold, Tarrant und Knox gefolgt und hat seinen Unechtheitsverdacht auch auf die (oder einige) Einzelbriefe ausgedehnt (1 Iff. mit Anm. 14). Schlüsselstelle für die Verfasserfrage ist der Katalog in am. 2,18,19-34, in dem sich Ovid scheinbar selbst die Heroides I. II. IV. V. VI. VII. Χ. XI (XII?) und die Sappho-Epistel (XV) zuschreibt, die aber von Tarrant mit zwingenden Gründen als unecht erwiesen worden ist 3 , nachdem sie schon Lachmann (neben den meisten anderen) als unecht gegolten hatte 4 . Tarrant hält die Pentameter 26 und 34 des Amoresgedichtes, in denen die Sappho-Epistel erwähnt wird, für interpoliert. Ich selbst stelle das ganze Gedicht [am.] II 18 dem notorisch unechten Gedicht [am.] III 5 (und weiteren, s . S . 372ff.) an die Seite und schreibe sie dem Iulius Montanus zu, der in III 5 eine Probe seiner Pastoraldichtung (mit Traumthematik) 5 der ovidischen

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Das in epist 18,57 neben cum veste stehende Stichwort timore erscheint auch in der Palinurus-Episode ([Aen.] 6,352) als Versschluß (cepisse timorem). Der urtümliche Realismus, mit dem die Amme und die Sibylle gezeichnet sind, prägt auch die Verse epist. 19,19. 26. 37f. 41-46. 151-154. 195ff., ferner die Zusätze [georg.] 1,291296 und [Aen.] 8,407-413. Man fühlt sich an das Moretum erinnert. J.R. Tarrant, The Authenticity of the Letter of Sappho to Phaon (Her. XV), HSPh 85, 1981, 133-153. K. Lachmann, Prooemia indicibus lectionum praemissa, 2. De Ovidii epistolis, Progr. Univ. Berolin. 1848 ( = Kl. Sehr. 2,56-61). Der stark 'pastorale' Charakter des hier geschilderten Traumgesichts prägt auch die wenigen von Seneca überlieferten Montanus-Verse (frg. I+II). Zum Eingang nox erat vgl. epist. 18,55 nox erat ineipiens-, das Ende 45f. (gelido mihi sanguis ab ore \ fugit, et ante oculos nox stetit alta meos) erinnert an den interpolierten Vers [Aen.] 3,175 (tum gelidus toto manabat corpore sudor), der ebenfalls in ein nächtliches Traumgesicht (die Erscheinung der Penaten) eingelegt worden ist (v. ad loc.). Wenn die garrula cornix (22) mit

Epistulae Heroidum

359

Amoressammlung integriert, [am.] II 18 aber mit der bewußten Absicht geschaffen hat, seine (bis zum Zeitpunkt der von ihm veranstalteten Ovidedition vorliegenden) Heroides an das Werk des anerkannten Meisters anzubinden 1 und ihnen so die Aussicht auf ein Weiterleben im Schatten des großen Verskünstlers zu eröffnen 2 . Der echte Ovid, der seine ursprünglich fünf Bücher umfassende Amoressammlung auf drei Bücher zusammengekürzt (also mit doppelter Sorgfalt redigiert) hat, konnte unmöglich das Kataloggedicht an die vorletzte (auch nicht an die letzte) Stelle des zweiten Buches rücken; denn der Verfasser von II 18 schlägt in den Versen 2,18,13-18 die Tragödienthematik an, spricht von dem gescheiterten Versuch des Dichters, die Elegie zugunsten der Tragödie aufzugeben, obwohl die Rivalität zwischen 'Elegia' und 'Tragoedia' erst zu Beginn des dritten Amoresbuches (am. III 1) als ein neues Motiv eingeführt wird. Sie endet zunächst noch mit dem Sieg der Elegie, der auf diese Weise das ganze dritte Gedichtbuch vorbehalten bleibt, bis sich am Ende des Schlußgedichtes der gehörnte Bacchus mit "schwererem" Thyrsosstab (3,15,17; vgl. 3,1,23) Gehör verschafft und den endgültigen Abschied von der Elegiendichtung einleitet. Die Verse 2,18,13ff. sind also v o r der in III 1 durchgespielten Thematik undenkbar; sie haben die dort gegebene Situation zur Voraussetzung und sind auch tatsächlich von dem Ovid-Epigonen im Anschluß an III 1 komponiert 3 . In sceptra ... sumpsi (2,18,13) und sceptra ... sumpta (2,18,16) führt der Verfasser Vers 11 (in g e ni um sumptis revocatur ab armis) fort, der seinerseits auf 2,1,21 (blanditias elegosque levis, mea tela, resumpsñ. ferner auf 2,1,18 (excidit ingenio Iuppiter ipse meo) und 3,1,25 (materia premis

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ihrem Schnabel in die 'Brust' des weißen Kalbes pickt (23f. petulanti pectora rostro \ fodit; vgl. 39 pectora ... rostro ... fodiebat acuto), erinnert dies an eine Formulierung in der Briseis-Epistel (3,145f. stricto pete corpora [ist pectora zu lesen?] ferro, | est mihi qui fosso pectore sanguis eat; vgl. epist. 4,172 cuspide fossus aper, [ars] l,339f. quid fodis immeritis, Phineu, sua lumina natis? | poena reversura est in caput ista tuum\ [rem.] 19 fodit sua pectora ferro (v. ad loc.). In all dem erkennen wir die Handschrift des Iulius Montanus. So wie er durch die Verse [ars] 3,205-208 die von ihm selbst gedichteten 'Medicamina faciei femineae' als ovidisch ausgegeben und so wenigstens teilweise vor dem Untergang gerettet hat (s.u. S. 400ff.). Ovid schlägt ja selbst jeweils am Ende eines Werkes (oder eines Gedichtes) das Motiv des beständigen Weiterlebens seiner Dichtung an, vgl. etwa am. I 15; 3,15,20; ars 2,740; met. 15,871-879; trist. l,6,35f.; 3,3,77-80; 3,7,50ff.; 4,10,125-130 [131 sq. del. Zw.]; 5,14, Iff. Vgl. sceptra in 2,18,13. 16 und sceptrum bzw. sceptro (3,1,13. 63), tragoedia (2,18,13; 3,1,11); huic operi (2,18,14), grandius ... opus (3,1,70); pallamque meam (2,18,15), palla iacebat humi (3,1,12) ; pictosque cothurnos (2,18,15), pictis innixa cothurnis (3,1,31); vates (2,18,18; 3,1,19. 67).

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

360

ingenium) zurückgeht (vgl. 2,17,34). Ri sit Amor (2,18,15) nimmt risisse Cupido | dicitur (1,1,3f.) auf, im Vers 2,18,14 (huic operi quamlibet aptus e ram)1 aber ist quamlibet analog dem umgangssprachlichen quamvis sordida res et invenusta est Catulls (12,5; siehe Hoñn.-Sz. 603) verwendet, während der echte Ovid sonst in 13 Belegen quamlibet immer als Adverb der höchsten Steigerungsstufe einsetzt. Bezeichnenderweise bietet der Verfasser des Acontiusbriefes ein zusätzliches Beispiel für regelwidrigen Gebrauch in epist. 20,73f. (quamlibet accuses et sis irata licebit, \ irata liceat dum mihi posse fruì)·, adverbiales quamlibet steht hier zugleich neben Verb und Adjektiv, obwohl jedenfalls für das Synonym gilt, daß "das adverb, quamvis neben einem Verb unbelegt ist" (Hofm.-Sz. 603), und es wird zusätzlich mit abundantem licebit verbunden: Wir hören jeweils den Ovidbearbeiter! Zu seiner manieristischen Denkweise paßt es auch, daß er die Attribute, die der echte Ovid der personifizierten Tragödie selbst (oder ihrem Schutzgott Bacchus) beilegt, dem Dichter zuerkennt, worin sich deutlich der sekundäre Charakter von 2,18,13ff. gegenüber 3 , 1 , l l f . 31 und 63f. offenbart 2 : 2,18,13 15 3,1,11 13 14 31 63

sceptra tarnen sumpsi curaque trasoedia nostra crevit, et huic operi quamlibet aptus eram: risit Amor pallamaue meam pictosaue cothurnos sceptraaue privata tarn cito sumpta manu; venit et ingenti violenta Trasoedia passu: fronte comae torva, palla iacebat humi. [laeva manus sceptrum late regale movebat, Lydius alta pedum vincla cothurnus erat]3 hactenus. et movit pictis innixa cothurnis densum caesarie terque quaterque caput. altera me sceptro decoras altoque cothurno (...).

Dabei spielt der Epigone mit der Antithese sceptra sumpta - privata manu, die sich hier sehr künstlich ausnimmt. Sie hat vermutlich zwei Stellen aus den Fasti zur Voraussetzung, in denen Ovid erstmals den Terminus privatus in seine Dichtung aufnimmt, den er dann noch sechsmal in seinen Briefen aus Tomis wiederholt: fast. 5,283

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venerat in morem populi depascere saltus, idque diu licuit, poenaque nulla fuit, vindice servabat nullo sua publica vulgus, iamque in privato pascere inertis erat (...)

Vgl. fast. 4,773f. lanaque proveniat nullas laesura pue lias | mollis et ad teñeras quamlibet apta manus. Vgl. dagegen Hör. ars 277ff. Ich habe aus der ersten Gedichthälfte die Verse [am.] 3,l,9f. 13f. 25f. dem Montanus zugewiesen.

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Epistulae Heroidum 289

6,595

598 600

rem populus recipit, multam subiere nocentes: vindicibus laudi publica cura fuit. ('...) regia res scelus est! socero cape regna necato et nostras patrio sanguine tinge manus! ' talibus instinctus solio privatus in alto sederai... sceptra gener socero rapta Superbus habet.

In beiden Verspartien sind die Antithesen publicus - privatus bzw. regnal sceptra - privatus organisch aus dem Zusammenhang entwickelt; in [am.] 2,18,16 ist privata ... manu überhaupt unverständlich, wenn man nicht zumindest die zweite Partie aus den Fasti hinzudenkt 1 . Damit dürften die Verse [am.] 2,18,13ff. in die Zeit nach dem 6. Buch der Fasti fallen, können also schwerlich von Ovid stammen, der seine Amores als erstes Werk in jungen Jahren schrieb (trist. 4,10,57ff.) und die zweite Auflage - nach der communis opinio (siehe McKeown III 385) - bereits um 10-7 v.Chr. publiziert hat. Das Tragödienmotiv läßt sich aber nicht isoliert aus II 18 heraustrennen; vielmehr ist es durch die Verse [am.] 2,18,17

hinc quoque me dominae numen deduxit dgque cothurnato2 vate triumphal

iniquae, Amor3

fest mit dem Eingangspassus verbunden, in dem der Dichter von mehrfachen Versuchen berichtet, die puella (die Verkörperung der elegischen Dichtung) fortzuschicken und Großes - wie der Homeriker Macer -, also ein homerisches Epos zu wagen. Doch jeweils habe ihn das Mädchen mit Umarmungen und tausend Küssen (10 oscula mille dedit; vgl. Catull. 5,7ff.) besiegt, so daß er seine dichterische Erfindungskraft von den Waffen, die er ergriffen hatte (also der epischen Dichtkunst), zurückrief und weiterhin (wie bisher) seine Taten und Kämpfe zu Hause besang, also weiterhin Liebesdichtung schrieb 4 : 2,18,3

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3 4

nos, Macer, ignava Veneris cessamus in umbra, et tener ausuros grandia frangit Amor.

Auch das tarn cito sumpta versteht man nicht recht; zugrunde liegt vielleicht trist. 5,6(7),4 officiiquepium tarn cito ponis onus (an gleicher Versstelle, vgl. trist. 3,3,30); siehe ferner met. 9,587 tarn cito commisi properatis verba tabellis. Während der echte Ovid tarn cito sonst nicht hat (er zieht citius vor), wählt der Epigone die Junktur noch dreimal in den Heroides, zweimal an der oben bezeichneten Position (epist. 3,42; 5,100), einmal (15,136) am Beginn des Pentameters. Auf tarn cito folgt in [am.] II 18 wenig später (2,18,27) quam cito de toto rediit ... orbe. Nur im dritten Heroidenbrief wird das Adverb ebenfalls zweimal gesetzt. Verwandt (im Sinne des Vorbilds?) scheint fast. 6,773 quam cito venerum Fortume Fortis honores; vgl. ars 3,73. Außer zweimal in der Ibis nur [fast.] 5,348 (cothurnatas inter ... deas) belegt, also ein Montanianum. Zugrunde liegt der Schlußvers Prop. 2,8,40 mirum, si de me iure triumphal Amor? Der Epigone imitiert Prop. I 7 und Tib. II 6 (s. McKeown III 382f. 387 ad loc.).

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

362

10

saepe meae 'tandem' dixi 'discede'puellae: in gremio sedit protinus illa meo; saepe 'pudet' dixi: lacrimis vix illa retentis 'me miseram, iam te' dixit 'amare pudet?'1 implicuitaue suos circum mea colla lacertos et, quae me perdunt, oscula mille dedit. vincor, et ingenium sumptis revocatur ab armis, resque domi gestas et mea bella cano.

Der Verfasser packt also in ein und dasselbe Gedicht 1.) die Rahmenantithese 'Macer als epischer Dichter - Ovid als Liebesdichter' mit dem Ausblick auf einen denkbaren 'Lagerwechsel' des Macer; 2.) drei Antithesen, die den Dichter Ovid selbst betreffen: a) Liebesdichtung - homerisches Epos (mehrere Versuche, sich zum höheren Genus aufzuschwingen, sind fehlgeschlagen), b) Liebesdichtung - Tragödie (Amor triumphiert), c) Liebesdichtung - Ars amatoria und Epistulae Heroidum (diese leichte Modifikation im Genre wird zugestanden); 3.) einen Katalog von Antwortbriefen des Dichters Sabinus, der jeweils die Adressaten der "ovidischen" Heroiden an die Frauen zurückschreiben läßt. Diese kunterbunte Häufung ist charakteristisch für den von uns erschlossenen Montanus, dem es an der Fähigkeit zu konsequenter οικονομία mangelt, was sowohl in den Heroidenbriefen als auch in den Zudichtungen zu Vergil und Ovid offen zutage liegt. In [am.] II 18 sind die verschiedenen Abschnitte f o r m a l fest verzahnt durch die Scharnierverse 4 (frangit Amor), l l f . {vincor), Iii. (hinc quoque ... deduxit... I ... triumphat Amor), woran sich antithetisch das quod licet von Vers 19 fügt. Ferner wird durch Vers 11 der Bogen zu Vers 2 geschlagen (Stichwort arma) und dem Vers 12 (res... domi gestas bzw. mea bella) eine Entsprechung im Schlußdistichon geschaffen {bella bzw. in mea castra). Die Rahmenstruktur der Elegie hat Montanus nach Prop. 1,7 gestaltet (s.o.); er hat in der Antithese 'Elegie - Epos' (2,18,3ff.) sowohl am. 1,1 als auch 2,1,11-38 verarbeitet, zusätzlich Hör. carm. 1,6, wie vor allem aus der Übernahme der Antithese {nos) tenues srandia (sc. dicere) von 1,6,9 in [am.] 2,18,3f. {nos) tener ausuros grandia frangit Amor deutlich wird. Schon hier auch zeigt sich die Einwirkung von am. 3,1 (Vers 70, vgl. 24), die dann in 2,18,13ff. beherrschend wird. Die Rahmung des Verses 3 durch antithetisches nos und in umbra weist auf ecl. 1,4 (nos patriam fugimus; tu, Tityre, lentus in umbra), die Verse 9f. lassen catullische Töne vernehmen: Catull. 35,8ff. quamvis candida milies puella \ euntem revocet, manusque collo \ ambas

Das anaphorische saepe (5. 7) mag das doppelte dixi (5. 7) rechtfertigen; durch dixit in 8 aber wird alles verdorben, werden die Wiederholungen (vgl. illa in 6. 7, pudet in 7. 8, das frostige 'me miseram, iam te' dixit 'amare pudet?' in 8) als Signum der mangelnden dichterischen Kompetenz entlarvt.

Epistulae Heroidum

363

iniciens1 roget morari. \ quae nunc, si mihi vera nuntiantur, \ ilium deperii impotente amore-, 5,7ff. da mi basia mille. Wir sehen also den Epigonen in großem Stile die verschiedensten Vorbilder ausbeuten. In den beiden Anfangsversen hören wir Anklänge an das programmatische Proöm der Metamorphosen: met. 1,3 [am.] 2,18,1

prímaque ab origine mundi ad mea perpetuum deducite tempora carmen: carmen ad iratum dum tu perducis Achillem primaaue iuratis induis arma viris.

Dieses ist vom gleichen Montanus komplementär auch in einem Zusatz zum Proöm des dritten Georgicabuches ([georg.] 3,46-48) genutzt2. Die Versklausel in 2,18,2 lehnt sich an met. 11,382 an: induere arma viros violentaque sumere tela (rex iubet Oetaeus), einen Vers, der vermutlich auch auf sumptis revocatur ab armis (2,18,11) eingewirkt hat3. Der Schluß des Gedichtes aber setzt klar zumindest die beiden ersten Tristienbücher voraus: [am.] 2,18,35

40 trist. 1,6,19

nec tibi, qua tutum vati, Macer, arma canenti, aureus in medio Marte tacetur Amor: et Paris est illic et adultera, nobile crimen, et comes extincto Laodamia viro, si bene te novi, non bella libentius istis dicis, et a vestris in mea castra venis. nec probitate tua prior est aut Hectoris uxor aut comes extincto Laodamia viro, tu si Maeonium vatem sortita fuisses, Penelopes esset fama secunda tuae.

Ovid setzt in trist. I 6 der treuen Liebe seiner Gattin ein Denkmal. Einleitend stellt er seine eigene Liebe zu ihr über die Liebe des Dichters Antimachos zu Lyde und des Philitas zu Bittis:

1

2

3

Dieser Ausdruck ist durch ovidisches implicuit (materno bracchia collo) ersetzt (met. 1,762). Siehe den krit. Kommentar. Ich konfrontiere beide Stellen: met. 1,1 in nova fert animus mutatas dicere formas corpora: di coeptis (nam vos mutastis et illas) adspirate meis primaaue ab origine mundi ad mea perpetuum deducite tempora carmen; [georg.] 3,46 mox tamen ardentis accingar dicere pugnas Caesaris et nomen fama tot ferre per annos. Tithoni prima quot abest ab origine Caesar. Vgl. auch am. 2,9,34 teja resumit Amor. Zuprimaque iuratis ... arma yirìs vgl. met. 13,50 ille eadem nobis iuratus in arma.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

364

1,6,1 nec tantum Clario Lyde dilecta poetae, nec tantum Coo Bittis amata suo est, pectoribus quantum tu nostris, uxor, inhaeres, 4 digna minus misero, non meliore viro. Wie der Vers 4 in 17 wieder aufgegriffen wird (ergo quam misero, tarn vero teste probaris), so die Begriffe uxor - viro von 3f. in 19f. Waren dort zwei geliebte Gattinnen hellenistischer Dichter zum Vergleich herangezogen, so werden in 19ff. drei Gattinnen aus dem Trojamythos eingeführt (Andromache, Laodamia, Penelope), die durch Homer Berühmtheit erlangt haben. Der Vers trist. 1,6,20 sitzt also fest in seinem Zusammenhang, ist - wie die formalen Entsprechungen zeigen - primär für das in I 6 abgehandelte Motiv der Gattentreue konzipiert worden. In [am.] 2,18,34ff. dagegen geht es darum, daß Macer in seinem homerisierenden Epos auch Gelegenheit haben wird, von Liebe zu singen, von Liebe allgemein, ja von ehebrecherischer Liebe (Paris Helena) und von Laodamia, die ihrem gefallenen Mann in den Tod gefolgt ist. Diese Zusammenstellung ist deutlich sekundär gegenüber trist. 16 und hat den Schönheitsfehler, daß das ohnehin prosaisch wirkende et Paris est illic et adultera nicht gut auf eine Ebene mit Laodamia gerückt werden kann, die sich ja nicht in medio Marte (36) aufhält. Hier läßt sich also der sichere Beweis für die Priorität von trist. 1,6,20 gegenüber [am.] 2,18,38 führen. Ebenso deutlich ist die Priorität von trist. 4,3,49 me miserum, si tu, cum diceris exulis uxor, avertis vultus et subit ora rubor! me miserum, si turpe putas mihi nupta videri! me miserum. si te iam pudet esse meam! gegenüber dem - ohnehin sehr flachen1 - Distichon [am.] 2,18,7

saepe 'pudet' dixi: lacrimis vix illa retentis 'me miseram. iam te' dixit 'amare pudet?'

Wie in dem aus trist. 1,6,20 gezogenen Vers 38 zeigt sich auch hier in den Versen 7ff. das oft centoartige Zusammenfügen verschiedenster Versatzstükke 2 ; es sei an die oben genannten Vorbildstellen (met. 1,762; Catull. 35,8ff.) erinnert, denen für Vers 12 (resaue domi eestas et mea bella cano) noch met. 15,746ff. (quem Marte togaque \ praecipuum non bella magis finita triumphis3 I resque domi gestae properataque gloria rerum \ in sidus vertere no-

1 2

3

Siehe S. 362 Anm. 1. Das Hemiepes si bene te novi (39) stammt auch in ars 3,51 von der Hand des Montanus ([ars] 3,49-52 del. Zw.). Das Stichwort erscheint in Vers 18 - abgewandelt durch den aus Prop. 2,8,40 übernomme-

nen Versschluß triumphat Amor.

Epistulae Heroidum

365

vum), ferner der aus ars 2,639 {veros parce profitemur amores) adaptierte Schluß des Verses 19 (artes teneri profitemur Amoris) hinzuzufügen sind. Auf die Hand des Zudichters deutet weiterhin die Bezeichnung Helenas als adultera (in 37, s. S. 356) und die lose zugeordnete Apposition nobile crimen, die eine Parallele in dem ebenfalls unechten Distichon [ars] 3,325f. hat (fabula nota). Wir hören den gleichen Dichter wie in epist. 9,53 una (sc. Iole), recens crimen, referetur adultera nobis. Das einschränkende qua tut um1 vati scheint in [am.] 2,18,35 weit hergeholt. Montanus hat wohl an Zusamenhänge wie trist. 2,363ff. gedacht: quid, nisi cum multo Venerem confundere vino | praecepit lyrici Teïa Musa senis? \ Lesbia quid docuit Sappho, nisi amare, puellas? | tuta tarnen Sappho, tutus et ille fuit. Die Junktur aureus ... Amor ([am.] 2,18,36) paßt zu dem Bearbeiter, dessen Vorliebe für 'Gold' und 'golden' immer wieder aufscheint: Beim echten Ovid ist Amor purpureus, vgl. am. 2,1,38 carmina, purpureus quae mihi dictât Amor, 2,9,34 notaque purpureus tela resumit Amor, ars 1,232 purpureus Bacchi cornua pressit Amor, vgl. rem. 701 purpureas pue ri ... alas2. Beim Epigonen dagegen freut sich in epist. 16,291 die Venus aurea. Unovidisch ist vollends der schwache Gedichtschluß non bella libentius3 i st i s (unpräzise, unanschaulich) | di ci s (nach bella cano in 12 und arma canenti in 35), et a vestris in mea castra4 venis, wo die Eingangsantithese tu - nos ( 1 . 3 ) verwässert erscheint5.

1

2

3 4

5

Die Junktur begegnet danach erst wieder Sen. Med 617; vgl. dagegen trist. 4,5,17 quod licet et tut um est. Als aureus ipse fährt Amor beim besonderen Anlaß des Triumphes auratis rotis (also auf dem Triumphwagen) einher; doch steht auch dieser Vers [ars] 1,214 in einem unechten Passus, v. ad loc. Dies gilt ebenso für [rem.] 39 movit Amor gemmatas aureus alas ([rem.] 1-40 del. Zw.). Das Adverb im Ovidcorpus nur noch met. 3,386. Zu a vestris in mea castra venis siehe 1,9,1 (et habet sua castra Cupido) und 1,9,44 iussit et in castris aera merere suis: aber auch Montanus in [am.] 2,9,4 et in castus vulneror ipse meis. Es seien einige weitere sprachlich-stilistische Beobachtungen angefügt, die sich auf die uns erhaltene Latinität von den Anfängen bis etwa zur Mitte des 2. Jh.s n.Chr. beziehen: 2,18,1 carmen perducere: singular; 2 turati viri: singular; 3 ignava umbra: singulare Enallage, wohl aus ignavos obicis annos (1,15,1) entwickelt; 4 frangit Amor, singulär, vielleicht aus Lucr. 4,1084poenas frangit Venus inter amorem geschöpft; 5f. Die Verbindung von dis cede mit dem folgenden in gremio sedit ... üla meo (wohl aus 2,2,62 in gremio iudicis illa sedei) deutet auf eine weitere Vorbildstelle: met. 10,410f. (Mvrrha) exsiluit gremio furibunda torumaue \ orepremens 'discede, precor, miseroque pudori I parce' ait; instanti 'discede, aut desine' dixit \ 'quaerere, quid doleam ...'. Die gleiche Myrrha-Episode hat der Epigone auch in [Aen.] 4,659 ausgebeutet (ν. ad loc.). 7 lacrimis vix illa retentis: singulär, vgl. Manil. 5,670 sucispars illa retentis: verwandt ist Ov. met. 10,474 verbisque dolore retentis (nach met. 1,647 nec retinet lacrimas). 11 zu sumptis revocatur ab armis vgl. Aen. 2,676 sin ... sumptis spem ponis in armis (ferner 2,518; fast. 1,643). 21 quod Penelopes verbis reddatur Vlixi: eine verschrobene Ausdrucks-

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Da somit [am.] II 18 später als zumindest die beiden ersten Tristienbücher entstanden ist, erweist sich auch das in 19f. zum Ausdruck gebrachte Versprechen, artes ... Amoris zu verfassen 1 , als unecht, zumal die Parenthese ei mihipraeceptis urseor ipse meis (20) bereits die fertige Ars amatoria samt den unmittelbaren Vorbildversen ars 2,547f. (hac ego, confiteor, non sum perfectas in arte: \ quidfaciam? monitjs sum minor ipse meis) voraussetzt. Sie sind auch in dem ebenfalls unechten Gedicht II 19 verarbeitet, vgl. 2,19,34 ei mihi, ne monitjs torauear ipse meis! Eingewirkt hat zusätzlich trist. 2,450 seque sua miserum nunc ait arte premi und Tib. 1,6,10 heu heu nunc premor arte mea. Der hier erschlossene Montanus schlüpft also zu einem Zeitpunkt, da längst die Amoressammlung, die Tragödie Medea, die Ars amatoria, die Metamorphosen und Fasti und zumindest die ersten Bücher der Briefe aus Tomis vorliegen, in die Maske Ovids und läßt den Dichter ausführen, daß seine Versuche, die Elegie zugunsten des Epos oder der Tragödie aufzugeben, nichts gefruchtet haben; es sei ihm aber vergönnt, eine Ars amatoria zu verfassen und neun (oder zehn) 'Heroidenbriefe' (Penelope, Phyllis, Phaedra, Oenone, Hypsipyle, Dido, (Medea?) 2 , Ariadne, Canace, Sappho) zu schreiben, zu denen der Dichter Sabinus ebensoviele Antwortbriefe der Adressaten aus der ganzen Welt zurückbringe. Was veranlaßt den Montanus zu dieser Fiktion? Es läßt sich m.E. kein anderer sinnvoller Grund denken, als daß er die von ihm selbst verfaßten Heroidenbriefe dem jungen Ovid der Zeit der Amores und der Ars amatoria unterschieben wollte, damit ihnen durch die Autorität dieses

1

2

weise, vgl. dagegen Plin. nat. 7,90 ut nihil non isdem verbis redderetur auditum (die einzige formal verwandte Parallele neben Lucr. 5,1168 rationem reddere verbis·, Sil. 7,203). 27 Sabinus·. siehe zu [Pont.] IV 16 (S. 394); besteht ein Bezug zu Catal. 10,1. 8. 14? 28 scriptaque diversis rettulit ipse locis: Es gibt innerhalb der lat. Poesie eine einzige Parallele in dem ebenfalls interpolierten Priap-Abschnitt [fast.] 1,391-440 (v. ad loc.), nämlich 421f. iacebant | corpora diversis vieta sopore locis. wofür der echte Ovid die sonst nur noch georg. 4,366f. (omnia sub magna labentiaflumina terra | spectabat diversa locis) begegnende Formel diversa locis verwendet, so in met. 1,40. 173 und 11,50 membra iacent diversa locis. Eng mit dem Amoresvers verwandt ist - vom gleichen Dichter geschrieben - epist. 17,9 diversa quamvis e gente venires. 29 candida Penelope: ein funktionsloses Attribut, das Catull und Properz gerne ihren Mädchen beilegen; vgl. met. 2,349 candida Lampetie (am Versbeginn). 27ff. Die Verbfolge rediit - rettulit - adest venit klingt prosaisch. 32 si modo vivit: die Floskel scheint beschränkt auf Montanus, der sie noch epist. 10,75 und [trist.] 4,3,20 (4,3,19f. sind unecht, v. ad loc.) einsetzt. 34 votam (Phoebo ... lyram) statt dedicatami sonst nur innerhalb prosaischer Texte in der Kombination aedem votam (Liv. 10,37,15; 10,46,7; 32,6,7; Plin. nat. 7,213). In teneri (19) wird das tener von Vers 4 ein weiteres Mal aufgegriffen; zugrunde liegt Tib. 1,3,57 und 2,6,1. Siehe McKeown zu 23-24.

Epistulae Heroidum

367

anerkannten Dichters ein Nachleben beschert würde 1 - ein Verfahren, das er auch bei der Verankerung seiner 'Medicamina faciei feminei' in Ovids 'Ars amatoria' angewandt hat (s. S. 400ff.)· Vergleichbar sind die dem Vergil untergeschobenen angeblichen Jugendgedichte des Catalepton und der Appendix Vergiliana überhaupt, das dritte Buch des Corpus Tibullianum und das Corpus Priapeorum, das durch Priap. 2,1-3 vermutlich einem Ovidius personatus zugeschrieben werden soll2, ferner die Fiktionen im Epicedion Drusi und in den Elegiae in Maecenatem, wo scheinbar ein zeitgenössischer Dichter der Jahre 9 und 8 v.Chr. spricht, in Wirklichkeit aber ein Kenner des ovidischen Werkes einschließlich der Tristien, der also nicht vor 12 n.Chr. tätig geworden sein kann 3 .

c) Die Schlußgedichte des zweiten und dritten Amoresbuches Nachdem die Elegie [am.] II 18 dem unechten Carmen III 5 an die Seite zu rücken war, erheben sich starke Zweifel, ob - angesichts der programmatischen Gedichte I 15 und III 15, mit denen Ovid das erste und dritte Buch seiner Amores schließt - die Elegie II 19 (20) als passendes Abschlußgedicht des zweiten Amoresbuches angesehen werden kann. Es wird im Ovidband gezeigt, daß auch am. II 19 (20) unecht ist. Der Dichter Montanus hat offenbar als Herausgeber des Ovid an das Ende des zweiten wie des dritten 4 Amoresbuches Proben seiner eigenen Dichtkunst gerückt. Das Schlußgedicht des von Ovid edierten zweiten Amoresbuches war das Carmen II 17, die Schlußsequenz des dritten Amoresbuches aber lautete nach meiner Rekonstruktion: III IIa. III 12. III 15.

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4

Den Didobrief hat er zusätzlich im 3. Buch der Fasti verankert, indem er dort - im Widerstreit zur gerafften Erzählweise - den Schluß des Briefes, das von Dido selbst verfaßte Grabepigramm, zitiert, vgl. fast. 3,543ff. (547-550 del. Zw., v. ad loc.). Siehe H. Tränkle, Entstehungszeit und Verfasserschaft des Corpus Priapeorum, ZPE 124, 1999, 145-156, bes. 154ff. Verwiesen sei auf die singulare Erwähnung des Kräuterkäsegerichtes moretum in dem unechten Zusatz [fast.] 4,361-372, dort 367. Montanus verrät sich hier m.E. als Verfasser des 'Moretum' in der Appendix Vergiliana. Die handschriftl. Überlieferung der 'Nux' entspricht der der 'Medicamina' und darf wohl auch deshalb dem Montanus zugeschrieben werden, weil von seiner Hand auch der Zusatz über den Nußbaum in [georg.] 1,187-192 (v. ad loc.) und über die Nüsse als Nahrung des Papageis in [Ov. am.] 2,6,31 stammen dürften. In simplicis umor aquae (32) hören wir den gleichen Dichter wie in [georg.] 3,528 victu ... simplicis herbae (v. ad loc.), in edax vultur (38) den gleichen wie in [trist.] 1,6,11 f.; das Distichon 39f. aber verweist durch die Stichworte optima prima ... rapiuntur auf den Dichter von [georg.] 3,66-68 und durch numeris auf den Verfasser des Zusatzes [georg.] 4,219-227, bes. 227. Siehe gleich anschließend.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

368

Im letzten Distichon von II 17 bekräftigt Ovid sein 'Programm', das auch für das folgende Buch Geltung haben wird: 2,17,33

nec nisi tu nostris cantabitur ulla libellis: ingenio causas tu dabis una meo.

Kein anderes Mädchen außer Corinna werde in seinen Gedichtbüchlein besungen werden; Corinna allein werde seiner dichterischen Erfindungskraft den Stoff bieten. Damit schlägt er den Bogen zurück zum ersten Gedicht des zweiten Buches, wo er von seinem gescheiterten Versuch, ein Epos zu schreiben, spricht, von dem ihn schnell die verschlossene Tür der Geliebten abgebracht hat, so daß er weiter zärtliche Elegien dichtet: 2,1,17 21

clausit amica fores: ego cum love fiilmen omisi; excidit ingenio Iuppiter ipse meo. blanditias elegosque levis, mea tela, resumpsi: mollierunt duras tenia verba fores.

Dort war anschließend vom Wert der Dichtung gehandelt worden: Der Preis der epischen Helden trägt keinen Gewinn ein, der Preis der Schönheit des zarten Mädchens dagegen zahlt sich unmittelbar aus: Das geliebte Mädchen selbst kommt zum Dichter und belohnt ihn für sein Lied (29ff.). Von dem Wert, den seine Gedichte für ihn darstellen, spricht der Dichter auch im Schlußlied: 2,17,27

sunt mihi pro magno felida carmina çensu, et multae per me nomen habere volunt

und greift dabei sowohl die Stichworte carmen und nomen als auch pretium aus II 1 auf: 2,1,33

at facie tenerae laudata saepe puellae ad vatem\ pretium carminis2, ipsa venit. magna datur merces - heroum clara valete nomina: non apta est gratia vestra mihi.

Das dort in Vers 33 gegebene Stichwort fa c i e wird in2,17,7ff. ausführlich entfaltet:

1

2

Durch den programmatischen Begriff vates erinnert der Dichter im Anfangsgedicht des 2. Buches an das Anfangsgedicht des 1. Buches (1.1.6 Pieridum vates, nontua, turba sumus ; vgl. 1,6,24) und weist voraus auf das Schlußgedicht der Sammlung (3,15,1 quaere novum vatem): vgl. das vorletzte Gedicht (3,12,41 fecunda licentia vatum). Vgl. die Stichworte carmina (so auch 3,12,17) - carmine - carminibus - carmine in 23. 25. 27. 28, ferner cantatus Achilles (29) mit nec ... cantabitur ulla in 2,17,33.

Epistulae Heroidum 2,17,7 11

369

dat fades ánimos: facie violenta Corinna est; me miserum, cur est tarn bene nota sibi P1 non, tibi si fades nimium dot in omnia regni (o f a d e s oculos nata tenere meos!), collatum idcirco tibi me contemnere debes: apiari magnis inferiora licet.

Andererseits schlägt der Dichter durch 2,17,5f. (atque utinam dominae mihi quoque praeda fuissent, \ formosae quoniam praeda futurus eram) einen Bogen zu 1,2,19 (en ego, confiteor, tua sum nova praeda. Cupido) und 1,3,1 (quae me nuperpraedatapuella est). Das Stichwort nomen (2,17,28) erscheint ebenfalls bereits in 1,3,8. 26, servire (2,17,1) in 1,3,5 (deserviat), die pulsa Cythera (2,17,4) haben ihr Pendant in 1,3,4 (Cytherea), die carmina von 2,17,23-28 (s. S. 368 Anm. 2) samt der Verbform cantabitur (2,17,33) das ihre in 1,1,5 (1,1,24 quodque canas ... opus) und in 1,3,19ff. (cantabimur in 25). Das Motiv der materia von 1,1,2. 19 und der materies ... in carmina von l,3,19f. aber erscheint in dem Schlußvers von II 17 als ingenio causae. Somit zeichnet sich das Carmen II 17 durch eine Fülle von Bezügen nicht nur zum Eingangsgedicht des zweiten, sondern auch zum Eingangsgedicht des dritten Buches, vor allem auch zu den drei programmatischen Auftaktliedern der gesamten Sammlung (I 1. 2. 3.) aus 2 , bildet somit einen vorzüglichen Abschluß des zweiten Buches. Der Schlußvers ingenio causas tu dabis una meo (2,17,34) kehrt leicht variiert im letzten Gedicht des 3. Buches (III 12)~3 vor der Sphragis des gesamten Werkes (III 15) wieder (3,12,16 ingenium movit sola Corinna meum) und wird in dieser Form 4 von Ovid in seiner Autobiographie als das Programm seiner Jugenddichtung zitiert: trist. 4,10,57

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5 6

carmina cum primum populo iuvenilia legi, barba reseda mihi bisve semelve fuit, moverai ingenium totam cantata5per Vrbem nomine non vero dicta Corinna6 mihi.

Das durch scilicet angefügte Distichon 2,17,9f. ist interpoliert, soll eine humoristische Erklärung der ironischen Frage von Vers 8 geben. Auch die Disticha 2,17,19f. (von L. Müller 1856,86f. getilgt) und 2,17,21f. (von Schräder, lib. emend. 204 für unecht erklärt) sind m. E. auszuscheiden: Die Stichwortbrücke spannt sich von iusto ... Numae (der Name wurde ab inventione et constitutione legis abgeleitet, also από των νόμων) zu leges und iura in 23f. Zu dem Spondeus impar vor der bukol. Diaerese siehe Platnauer 12. Auf die enge Entsprechung zwischen I 3 und II 17 hat McKeown (zu I 3: S. 61 f.) hingewiesen: "no other two poems in the collection are so strikingly similar in their content and presentation". Siehe gleich anschließend. Sie scheint (von Montanus) in dem Programmgedicht II 1 des Properzcorpus nachgebildet (2,1,4 ingenium nobis ipsa puella facit). Zu carmina und cantata siehe S. 368 Anm. 2. Vgl. 2,17,29f. novi aliquam, quae se circumferat esse Corinnam.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

370

Carmen III 12 aber bildet insofern ein passendes Abschlußgedicht des gesamten Corinna-Stoffes und damit der gesamten Amoressammlung vor dem Sphragisgedicht III 15, als es nicht nur im Rückblick - wie gezeigt - nochmals Corinna als einzige Quelle der dichterischen Inspiration herausstellt (5. 16), sondern auch eine Reihe der zu II 17 behandelten programmatischen Begriffe und Motive wieder aufgreift, wie formae praeconia (9), die fecunda licentia vatum (41)1, woran sich dann gut der Anfang der Sphragis, quaere novum vatem (3,15,1) anschließt, und den Wert der Carmina, der sich nun zum Schaden des Dichters zu verkehren droht2. Der Schaden manifestiert sich darin, daß er das Mädchen, das er allein zu besitzen und zu lieben glauben durfte, künftig mit vielen wird teilen müssen: 3,12,5

quae modo dicta mea est, quam coepi solus cum multis vereor ne sit habenda mihi.

amare,

Durch das Lob der Schönheit des Mädchens hat er es vendibilis (10) gemacht, ist selbst der Kuppler (11 me lenone placet), öffnet mit eigener Hand die Tür (12) und führt das Mädchen - sich selbst betrügend - hinaus (11). Ich sehe in diesen Versen eine Metaphorik, die die bevorstehende P u b l i k a t i o n des Gedichtbuches3 umschreibt, verwandt dem Schlußgedicht des 1 2

3

Siehe S. 368 Anm. 1. 3,12,13f. an prosint dubium, nocuerunt carmina certe: \ invidiae nostris illa fuere bonis; 43f. et mea debueratfalso laudata viderí | femina; credulitas nunc mihi vestra nocet. Das Distichon 3,12,7f. (fallimur, an nostris innotuit illa libellis? \ sie erit: ingenio prostitit illa meo) halte ich für unecht. Es ist interpoliert, um die metaphorische Aussage zu verdeutlichen, eilt aber durch nostris innotuit... libellis und durch das perfektische prostitit (in Erinnerung an Hör. epist. 1,20,2?; vgl. am. 1,15,6 prostituisse) den Ereignissen voraus; innotescere ist ein Ausdruck des Prosastils, nicht vor Livius belegt; fallimur, an ... ? fügt sich nicht zu dem voraufgehenden vereor ne; durch ingenio ... meo wird ingenium ... meum von Vers 16 vorweggenommen; et merito (9) paßt genau zu 6 (cum multis ... habenda), aber nicht zu 8. - Der Interpolator hat zusätzlich den Katalog erdichteter Mythen um die Verse 3,12,23-32 und 37f. erweitert, was hier nicht im einzelnen begründet werden kann. Hervorgehoben sei lediglich, daß die Konstruktion per nos ... premit (21 f.), ... se transformat... aut secat (33f.) in 23ff. aufgegeben und durch perfektisches nos ... dedimus (24 schwebt im Leeren, ebenso 30. 32), porreximus (25), feeimus (26), feeimus (27), inclusimus (29), feeimus (31: zum dritten Mal) unterbrochen ist. Ferner geht die Auswahl der Mythen bunt durcheinander. In 24 (victor Abantiades alite fertur equo) ist Bellerophon fälschlich durch Perseus ersetzt, der nirgends sonst in der Antike auf dem geflügelten Pegasus reitet; siehe zuletzt W. Ludwig, Der Ritt des Dichters auf dem Pegasus und der Kuß der Muse - zwei neuzeitliche Mythologeme, NGA Phil.-hist. Kl. 1996, Nr. 3, 60 Anm. 6. Ludwig nimmt auch zu Recht an der d o p p e l t e n Einbringung des Perseus (23 pedibus pinnis und 24) Anstoß. Sie ist jedoch schwerlich als eingedrungene Glosse zu beseitigen, sondern als Kuriosum des Interpolators zu beurteilen, der vielleicht durch den Abas-Abkömmling Proteus (35) an den victor Abantiades der Metamorphosen (5,236; vgl. 4,607. 617) erinnert wurde und die in diesem Zusammenhang genannten Attribute des

Epistulae Heroidum

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ersten Epistelbuches von Horaz (epist. I 20), wo sich der Dichter direkt an sein personifiziertes Gedichtbuch wendet, das auf den Markt hinausdrängt (1), um sich - wie ein Lustknabe - feilzubieten (1,20,2 ut prostes, 4 paucis ostendi gémis et communia laudas, etc.). Während aber Horaz die Sphragis des Dichters an das Ende der gleichen Epistel setzt, sie dem personifizierten Buch und damit - auf der Ebene der Metapher - dem gealterten Lustknaben in den Mund legt (1,20,19-28), hat Ovid beide Motive getrennt, fugt also dem von der Publikationsmetaphorik geprägten Carmen III 12 die Sphragis als eigenständiges, die gesamte Amoressammlung abschließendes Gedicht (III 15) hinzu. Am Ende des dritten Buches steht somit die Gedichttrias III IIa Absage an die Geliebte, III 12 'Verkauf des Mädchens (d.h. des Gedichtbuches) außer Hauses, III 15 Sphragis: Absage an die Elegiendichtung. Diese drei Carmina sind durch signifikante Stichworttechnik zusammengebunden: 3,11,28 3,12,41 3,15,1

quaere alium pro me qui velit ista pati; exit in immensum fecunda licentia vatum; quaere novum vatem, tenero rum mater Amorum.

Die Absage an die Geliebte im drittletzten Gedicht kündigt der Ungetreuen den entsagungsvollen Dienst auf, zu dem sich der Liebhaber im dritten Gedicht der Sammlung, bei der ersten Einführung des Mädchens, verpflichtet hatte: 1,3,5

accipe, per longos tibi qui deserviat accipe, qui pura norìt amare fide.

annos;

Das Motiv der servitus amoris, das durch das Verb deserviat hier angeschlagen ist und im ersten Vers der Schlußelegie des zweiten Buches wieder aufgegriffen wird (si quis erit, qui turpeputet servire puellaé), klingt auch in der bitteren Absage an, wenn sich der Zurückgesetzte an die Schmach erinnert, da er als exclusus amator wie ein Sklave die Nacht vor der verschlossenen Tür zubringen mußte: excubui clausam servus ut ante domum

Medusenhauptes (4,615 viperei... spolium ... monstri) im nächsten Distichon auf die tria ora des Cerberus (met. 4,450) übertrug (26 et tria vipereo fecimus ora cani - eine unschöne Wiederholung des Versschlusses canes von 22). Den Giganten Enceladus, bei Horaz (carm. 3,4,55) Enceladus iaculator audax genannt, macht er zu einem Chiliocheiren (mille lacertis), wo allenfalls Hekatocheiren zu erwarten wären, vgl. 2,1,12 (céntimanumque Gyen). Die Bernstein weinenden Heliaden (fiere mit effiziertem Objekt scheint unbelegt, dürfte - in Erinnerung an die in 31 genannte Niobe - dem ßet tarnen ... et lacrimas etiamnunc marmorn manant von met. 6,310-312 nachgedichtet sein) und Vergils in Meeresgöttinnen (Aen. 9,117) verwandelte Schiffe nehmen sich wunderlich aus zwischen den Greueln von Kolchis (35f. Sparten und feuerspeiende Stiere) und dem Thyestesmahl in Mykene (39) und zerdehnen zudem die Periode der Verse 35-40. Auch sie werden dem Vergilbewunderer Montanus verdankt. Carmen III 12 hat somit - wie das Schlußgedicht des 2. Buches (II 17) - 30 Verse.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

(3,11,12). Diese hartherzige Behandlung will er nicht länger ertragen. Er kleidet seinen Abschied in die Metaphorik des in den Hafen eingelaufenen Schiffes 3,11,29

iam mea votiva puppis redimita corona lenta tumescentes aequoris audit aquas

und nimmt dem Mädchen alle Hoffnung auf eine Erneuerung des Verhältnisses: non ego sum stultus ut ante fui (32). Die Metaphorik des heimgekehrten Schiffes wird im nächsten Gedicht (III 12) durch die Metapher des Aus-dem-Haus-Verkaufens ersetzt (3,12,9ff.) und in der Sphragis schließlich in die Kriegsmetapher vom Abräumen der Feldzeichen übergeführt: 3,15,15

culte puer puerique parens Amathusia culti, aurea de campo vellite signa meo.

Schon klopft Bacchus mit dem Thyrsosstab: dieser wird an die Stelle der aurea signa treten.

d) Die Gedichtzahl der Amoresbücher Waren die unechten Carmina II 18 und II 19 am Ende des zweiten Buches angefügt, so sind die drei unechten Carmina 5. 13. 14 des dritten Buches (denen die ebenfalls unechten III 9. 10. IIb vorausgehen, s.u.) vor der Sphragis eingeschaltet; denn diese stand ja als absoluter Schlußstein der Sammlung fest. Das notorisch unechte Lied III 5 steht in der Handschrift Ac hinter III 13 - einem verwandten Genre-Gedicht. Man darf also annehmen, daß Montanus seine drei eigenen Erzeugnisse III 5. 13. 14 als geschlossenen Block vor die Sphragis rückte1. Das Carmen III IIb dagegen war als 'Parallelgedicht' zu III 11 gedacht: Montanus will die Absage an die Geliebte nicht als endgültig betrachtet wissen, sondern dichtet eine 'Peripetie' hinzu, in der er den Versuch des Liebhabers, sich vom Mädchen zu lösen, scheitern läßt. Als Anregung mag er sich dabei der Horazode III 26 bedient haben, in der nach den beiden ersten Strophen der Absage an die Liebesdichtung in der dritten Strophe ein Umschwung erfolgt, der die Hoffnung auf Liebeserhörung offen läßt und später zu Beginn des 4. Odenbuches tatsächlich als Impuls zu neuer Liebesdichtung wirksam wird.

Das gleiche Phänomen ist am Ende von Properzens Monobiblos zu beobachten, die ursprünglich - wie Horazens erstes Epistelbuch - 20 Gedichte (darunter 8a + 8b) umfaßte. Auch dort sind vor der Sphragis drei unechte Gedichte eingeschoben, nämlich [Prop.] I 19. 20. 21 (s. S. 7 Anm. 1; 85).

Epistulae Heroidum

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Die 'dramatische' Bewegung, die Montanus indie 'Großelegie' III 11 durch die Hinzudichtung des Gegenstückes l i b (der Verse 33-52) hineinträgt (so daß die anfangliche Absage an die hartherzige Geliebte in ein Bekenntnis der Liebesverfallenheit mündet), hatte er ähnlich bereits in dem ganz von seiner Hand stammenden Gedicht II 9 vorweggenommen, das ebenfalls in die Form eines Diptychons (9a-9b) gekleidet ist. Die Thematik der beiden Lieder deckt sich weitgehend mit der des Gedichtpaares III I I a - I I b : Auf die Absage an die Liebe (der Sprecher meint, er habe lange genug "gedient" und verdiene längst in Frieden zu leben: 23f.), folgt unmittelbar die antithetische Kehrtwendung: Wollte ein Gott ihm sagen, 'vive1 ... posilo ... amore', er würde das Angebot ablehnen: usque adeo dulce puella malum est (26), ja, er bittet Cupido, unablässig in seinem Herzen zu regieren und zugleich auch die Mädchen seine Macht spüren zu lassen (51-54). Wieder hat hier Horaz als Muster gedient, wie schon die Verse 2,9,23ff. lehren können: me quoque, qui totiens memi sub amore puellae. defunctum placide vivere tempus erat. 'vive' deus 'posito' si auis mihi dicat 'amore', deprecer : usque adeo dulce puella malum est. Hor. carm. 3 , 2 6 , 1

sat. 1,1,15

vixi puellis nuper idoneus et militavi non sine gloria: nunc arma defunctumaue bello barbiton hie paries habebit si auis deus 'en ego ' dicat 'iam faciam quod vultis' ... noiint2.

Es sollte klar sein, daß Ovid bei seiner wohlkalkulierten Neuauflage, die er um zwei Bücher verkürzt hat, die Absage an Amor nicht bereits in der Mitte des zweiten Buches zum Thema macht, wenn er sie doch als markanten Abschluß des Liebesverhältnisses am Ende des dritten Buches (III 11, s.o.) benötigt. Doch wird uns die Unechtheitsproblematik im einzelnen erst später beschäftigen. Sein D o p p e l gedieht II 9a. 9b hat Montanus formal passend hinter das Gedichtpaar II 7. 8 gerückt, in dem Ovid das Cypassis-Thema geistreich variiert (in 2,8,9f. wird ausdrücklich auf 2,7,19f. Bezug genommen), so wie er in dem G e d i c h t p a a r I I I . 12 das Motiv der Brieftäfelchen durchspielt, die

1

2

Es wird das Stichwort aus dem ungeduldigen Resümee des voraufgehenden Verses aufgenommen. Auch hier setzt die Gegenbewegung innerhalb des Gedichtes ein. Über die Vorbildfunktion von Prop. II 12 (und verwandten Gedichten seit hellenistischer Zeit) s. McKeowns Kommentar (III 169ff.).

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

ihm in I 11 Gegenstand zuversichtlicher Hoffnung, in I 12 aber die Ursache bitterer Enttäuschung sind und dementsprechend in I 11 mit Lorbeer umkränzt als Weihetäfelchen im Venustempel aufgestellt werden sollen, in 112 dagegen beschimpft und verwünscht werden. Entsprechend diesen Gedichtp a a r e η, denen man II 2 (der Eunuche Bagoa als Bewacher der Dame) und II 3 (an einen anonymen cusios des Mädchens) zur Seite rücken darf 1 , formt der Epigone ein weiteres, indem er in II 13 dem 'Abtreibungs-Gedicht' Ovids (II 14) eine derb-direkte Variation schafft. Dieses Komponieren in G e d i c h t p a a r e n scheint sich fortzusetzen in den elegischen Briefpaaren der Heroides und spiegelt sich in dem unechten Kataloggedicht [am.] II 18, wenn dort Montanus in der Maske des Ovid sagt, ein gewisser Sabinus habe Antwortbriefe zu den Epistulae Heroidum von den verschiedenen Örtlichkeiten 'zurückgebracht', also Ulixes an Penelope, Hippolyt an Phaedra, Aeneas an Dido - und so fort - schreiben lassen. "Freie" Schöpfungen sind dagegen die - wie wir gesehen haben - als Block vor das Sphragisgedicht gerückten Carmina [am.] III 5. 13. 14, freilich so, daß Montanus in gewohnter Form ausgiebig aus dem Sprach- und Motivschatz Ovids und anderer Dichter schöpft, in III 14 aber offensichtlich die Schlußbitte von I 4 (69f.) dichterisch zu formen sucht, dabei aber zugleich Züge wiederholt, die er schon in seiner Erweiterung des Gedichtes II 2 (um die Verse 55-58, vgl. 62) und in II 19 verwendet hatte. Wenn Montanus zwischen III 12 und der Sphragis III 15 die eigenen Gedichte III 5. 13. 14 einschob und III 11 um IIb erweiterte, lag es nahe, daß er zwei weitere Kostproben aus seiner Werkstatt, nämlich III 9 (die Elegie auf Tibull)2 und III 10 (ein Ceresgedicht, das ähnlich wie III 13 starke Berührungen mit den Fasti aufweist)3 v o r das Carmen III IIa setzte. Scheidet man sie aus (für die Einzelheiten muß ich auf den Ovidband verweisen), rücken die Gedichte III 7 (das männliche Versagen), III 8 (ein reicher Rivale wird dem Dichter vorgezogen), III IIa (die Geduld ist erschöpft: der zurückgesetzte Liebhaber sagt sich los)4, III 12 (das Mädchen, d.h. das Gedichtbuch wird außer Hauses verkauft) und III 15 (Sphragis: Absage an die Elegiendichtung) eng zusammen und formen so eine kontinuierliche 'dramatische' Entwicklung

1

2

3

4

Beide sind auch formal durch verwandte Schlußdisticha aufeinander bezogen, vgl. 2,2,65f. {quaerimus - precibus ... mollibus) und 2,3,17f. (aptius ... precibus - rogamus). Wir hören den Montanus, der die Elegien auf Maecenas und das Epicedion Drusi verfaßt hat und sich hier stark an Tib. I 3 (aber auch - etwa in Vers 58 - an Tib. I 1 [Vers 60]) anlehnt. Zu Beginn aber auch mit met. 10,431ff. und Tib. 1 , 3 , 2 6 ( ~ [am.] 3,9,34). Seinen eigenen Vers 3,10,34 hat er ähnlich in [fast.] 4,642 wiederholt wie seinen Pentameter [am.] 3,13,14 in [fast.] 1,84 (v. ad loc.). Das Gedicht III 1 la gibt sich als die konsequente Fortsetzung von III 8, man vergleiche bes. 3,IIa,9-12 mit 3,8,9f. 17. 23ff. 63f.

Epistulae Heroidum

375

der zweiten Buchhälfte, die schrittweise zum Ende der Liebesbeziehung und zugleich zum Ende des elegischen Dichtens führt. Daß Montanus auch in die Substanz der ovidischen Gedichte selbst eingegriffen hat, wird im Ovidband näher zu betrachten sein. Hier geht es zunächst um die Feststellung, daß der Editor Montanus in das zweite Amoresbuch die von seiner Hand stammenden Carmina II 9a. 9b. 13. 18. 19, in das dritte Buch aber die Gedichte III 5. 9. 10. IIb. 13. 14 eingefügt und dadurch den ovidischen Gedichtpaaren I 11. 12, II 2. 3 und II 7. 8 drei weitere (nämlich II [9a. 9b], II [13]. 14 und III 11. [IIb]) an die Seite gestellt hat. Die von ihm herausgebrachten drei Amoresbücher umfaßten 1 5 - 2 0 - 1 6 Gedichte (III 11 und I I b sind ja wie die anderen genannten Gedichtpaare als zwei Carmina zu zählen), während Ovid selbst die auf drei Bändchen verkürzte Zweitauflage seiner Amores als eine Folge von 15 - 15 - 10 Gedichten hatte erscheinen lassen. Die 16 Gedichte des Schlußbuches könnten von Montanus deswegen intendiert worden sein, weil er das letzte Buch der Briefe ex Ponto um eine Art Sphragis-Gedicht erweitern wollte (und tatsächlich erweitert hat, wie wir sehen werden) und dadurch die Briefzahl dort zwangsweise ebenfalls auf die Zahl 16 erhöhen mußte.

e) Cantetur

EPISTVLA in [ars] 3 , 3 4 5

ars 3,287-298. 307-314. 317f. 321-348 Es hat sich uns oben die wahrscheinliche Annahme ergeben, daß der von uns erschlossene Montanus das Gedicht II 18 deshalb in das zweite Buch der Amoressammlung eingeschoben hat, weil er einen Katalog seiner bis dahin gedichteten Epistulae Heroidum in die ovidische Liebesdichtung integrieren wollte, um diesen dadurch als scheinbaren Dichtungen Ovids ein Nachleben zu sichern. Das gleiche Motiv vermute ich hinter dem langen Katalog, der in das 3. Buch der Ars amatoria eingeschwärzt worden ist. Ich halte die oben genannten Verse für unecht und glaube, daß die Aufforderung an die Mädchen, die Grazie des Lächelns und des rechten Ganges, die Kunst des Gesanges, das Tanzen und das Würfelspiel zu erlernen, ursprünglich folgendermaßen ausgeführt war: ars 3,281

quis credat? discunt etiam ridere puellae, quaeritur aque1 Ulis haç quoquejparte deco sint modici rictus, parvaque utrimque lacunae,

r:

So richtig M. Haupt (atque codd.), vgl. am. 1,15,38 ague (atque codd.) ita sollicito multus amante legar (L. Müller) = et ita a sollicito ... amante legar; 2,14,30 aque (atque PS ω) sua caesum maire queruntur Ityn.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

376

286 299 300

305 306 315 316 319 320 349

et summos denies ima tabella tegant. nec sua perpetuo contendant ilia risu, sed leve nescio quid femineumque sonet. est et in incessu pars non contempta decorisi allicit ignotos illefugatque viros. haec movet arte latus tunicisque fluentibus auras accipit, extensos fertque superba pedes; illa, velut coniunx Vmbri rubicunda mariti, ambulai, ingentes varica fertque gradus. sed sit, ut in multis, modus hic quoque: rusticus alter motus. concesso mollior alter erit. res est blanda canor: discant cantare puellae (pro facie multis vox sua lena fuit) nec plectrum dextra, citharam ternisse sinistra nesciat arbitrio femina docta meo. quis dubitet, quin scire velim saltare puellam, ut moveat posito bracchia iussa mero? artifices lateris, scaenae spectacula, amantur: tantum mobilitas illa deçoris_ habet, parva monere pudet, talorum dicere iactus ut sciat et vires, tessera missa. tuas, etc.

Bestätigt wird diese Textgestaltung (wie ich nachträglich gesehen habe) durch am. 2,4,11

14 23 25

30

sive aliqua est oculos in se deiecta modestos, uror, et insidiae sunt pudor ille meae; sive procax aliqua est, capior quia rustica non est spemque dat in molli mobilis esse toro1. molliter incedit: motu capit; altera dura est: at pote rit tacto mollior esse viro. haec quia dulce canit flectitque facillima vocem, oscula cantanti rapta dedisse velim; haec querulas habili percurrit pollice chordas: tam doctas quis non possit amare manus? illa placet eestu numerosaque bracchia ducit et tenerum molli torquet ab arte latus (...).

Der Interpolator hat in [ars] 3 , 3 l l f f . mythologische Ausschmückungen hinzugefügt (der Sisyphides von 3,313 - ein hapax legomenon - läßt an den hortator scelerum Aeoli de s von [Aen.] 6,529 - also an Iulius Montanus denken!) 2 , zusätzliche Instrumente (321. 326 die Lyra, 327f. die sonst im Lateinischen nicht belegten phoenizischen nablia) oder Liedarten (318) bzw.

1 2

Die Verse [am.] 2,4,15-22 sind m.E. unecht, v. ad loc. Siehe S. 274f.

Epistulae Heroidum

377

Vorführungsweisen (317) 1 , vor allem aber einen - aus dem 2. Tristienbuch gespeisten - Dichterkatalog, der mit Ovids eigener Dichtung endet und dabei die ersten beiden Bücher der Ars amatoria aufführt - obwohl diese sich gar nicht dazu eignen, von einer blanda puella mit weicher Stimme gesungen zu werden (vgl. 315f. 344) -, die drei Bücher Amores - und eine E p i s t u l a : [ars] 3,345

vel tibi composita cantetur EPISTULA voce: ienotum hoc aliis ille novavit opus.

In dem zuletzt zitierten Vers kehrt der Interpolator den Stolz auf die Neuartigkeit dieser Gedichtgattung hervor, die anderen unbekannt sei 2 . Dies läßt darauf schließen, daß es ihm vor allem um diese Epistulae ging, die er betont an den Schluß des Katalogs setzt und mit dem eùpeTijç-Motiv verbindet. Die Formulierung läßt wohl das neuartige Tun des Daedalus in met. 8,188f. durchscheinen: dixit et ignotas animum dimittit in artes naturamque nova?.

Die eindringliche Bitte am Ende des Zusatzes 3,347

o ita, Phoebe, velis, ita vos, pia numina

yatum,

insignis cornu Bacche4 novemaue deae! ist aus am. 1,3,1 If. gespeist: at Phoebus comitesque novem vitisque

repertor

hac faciunt et me qui tibi donat Amor und hat eine Entsprechung in der unechten Sappho-Epistel: 107

per tibi qui numquam longe discedit Amor em

perque novem iuro, numina nostra, deas.

Ovids Metonymie vitisque repertor (am. 1,3,11) ist durch eine aus der Bacchusode II 19 des Horaz inspirierte Floskel {insignis, cornu Bacche) ersetzt, wo es in der Schlußstrophe (2,19,29ff.) heißt: te vid.it insons Cerberus aureo |

1

2

3

4

Das Distichon ist inhomogen: marmoreis ... theatris (Örtlichkeit) - Niliacis ... modis (Liedweise); carmina lusa (318) klingt im Zusammenhang wunderlich. Der Ausdruck ist zeitlich nach trist. l,9,61f. (dazu Luck) geschrieben: scis vetus hoc iuveni lusum mihi carmen, et istos | ut non laudandos, sic tarnen esse iocos. Zu den verschiedenen Interpretationsversuchen dieses Verses siehe F. Spoth, Ovids Heroides als Elegien, München 1992, 22ff. Vgl. met. 4,279 naturae iure novato; met. 8,853f. formamque novat vultumque virilem \ induit-, Aen. 4,260 Aenean fundantem arces ac tecta novantem | conspicit; 5,604 hinc primum Fortuna fidem mutata novavit. Der gehörnte Bacchus erscheint auch ars 1,232 (Bacchi cornua); am. 3,15,17 (corniger ... Lyaeus).

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

378

cornu, decorum leniter atterens \ caudam. Der ganz ungewöhnliche Singular cornu1 macht die Entlehnung aus Horaz sicher. Ein Ausruf o ita findet sich sonst nirgends in der Dichtung, anaphorisches ita nur noch in Hör. ars 225f. In pia numina vatum liegt eine überaus kühne Enallage vor 2 . Da auch Phoebus zu den numina vatum gehört, ist die eingeschlossene Apposition (pia numina vatum) zwischen vos und der Nennung des Bacchus und der neun Musen bedenklich. Wie die Verse [ars] 3,347f. aus einer Amores- und Horazreminiszenz gebildet sind, so der Vers 3,330 (sit quoque vinosi Teïa Musa senis) aus der Kombination von Hör. epist. 1,19,6 (laudibus arguitur vini vinosus Homerus) und trist. 2,363f. (quid nisi cum multo Venerem confundere vino | praecepit lyrici Teïa Musa senis?). Die Stelle eignet sich m.E. als Musterfall einer Prioritätsbestimmung: Die zweite Pentameterhälfte ist an beiden Stellen identisch. Doch bildet sie in trist. 2,363f. den Schluß eines eigenständigen Distichons, das allein dem Anakreon aus Teos gewidmet ist, dem lyrischen Sänger von Liebe und Wein. In einer Metonymie läßt Ovid "die Teische Muse des lyrischen Greises" (lyrici Teïa Musa senis) ihren Grundsatz vortragen, man solle die Liebe mit viel Wein vermischen. Im Katalog der Ars amatoria wird Anakreon zusammen mit Kallimachos und Philitas aus Kos in ein Distichon gezwungen, das sich diese drei Dichter teilen müssen: ars 3,329

sit tibi Callimachi. sit Coi nota poetae. sit quoque vinosi Teïa Musa senis.

Teilen müssen sie sich nicht nur die enge Spanne des Distichons, sondern auch das gemeinsame Subjekt Teia Musa, was im ersten Augenblick doch einigermaßen verwunderlich klingt, als sei die Muse v o n T e o s identisch mit der Muse des Kallimachos und mit der des Philitas - letzteres geradezu absurd, weil Philitas seinerseits als der D i c h t e r v o n K o s umschrieben war. Der Interpolator mag hoffen, daß der gewitzte Leser im Falle des Kallimachos und des Philitas aus der Teïa Musa nur den Begriff 'Musa' herauszieht und ihn mit Callimachi und Coi ... poetae verbindet. Aber dies ist eine nicht unbedenkliche Zumutung, weil die Junktur Teïa Musa in 330 als ein fest geschlossener Ausdruck erscheint. Die nur schwer zu rechtfertigende Härte der Formulierung in [ars] 3,330 ist durch die mechanische Übernahme der zweiten Pentameterhälfte aus dem klar verständlichen Vers trist. 2,364 entstanden. Das centonenartige Verfahren des Interpolators in [ars] 3,330 wird durch die Kombination mit einem weiteren isolierten Mosaiksteinchen aus dem genannten Horazvers epist. 1,19,6 untermauert. Auch die Ersetzung des Attributs lyrici (senis) durch vinosi trägt ja deutlich den Stempel des Sekundä-

1 2

Siehe Nisbet-Hubbard zur Horazstelle. Siehe S. 452ff. Meint er vielleicht Götter, die den Dichtern treu zur Seite stehen?

Epistulae Heroidum

379

ren. Denn wenn man Anakreon metonymisch bezeichnen will, ist er natürlich als senex (er wurde 85 Jahre alt und spielt in seiner Dichtung selbst auf sein Alter an), der lyrisch dichtet, sehr viel treffender benannt denn als "weinsüchtiger" Greis. Die Übertragung des Attributs vinosus aus der Horazstelle in den Katalog der Ars führt somit wieder zu einem schiefen Ausdruck: Bei Horaz heißt es, daß das Lob des Weines (das Homer in seiner Dichtung singt) dem Homer den Ruf eingetragen habe, er sei dem Wein zugetan. Im Katalog der Ars wird Anakreon direkt als "weinsüchtig" bezeichnet, obwohl doch nur wie die Tristienstelle zeigt - gemeint sein kann, er habe in seiner Dichtung zum Weingenuß aufgefordert. Ein berühmtes, auf Homer gemünztes Diktum des Horaz und die zweite Pentameterhälfte von trist. 2,364 sind also - wie man sieht - recht gewaltsam zu einem doppelt unstimmigen Ausdruck zusammengepreßt worden, der den Katalog der Ars amatoria deutlich als sekundär qualifiziert 1 . Da nun aber die Ars amatoria der - jedenfalls offiziell vorgeschobene Grund für die Verbannung des Ovid nach Tomis war und das zweite Buch der Tristien, aus dem der Vorbildvers für die zweite Pentameterhälfte von [ars] 3,330 stammt, als Verteidigungsschrift gegen die mit der Ars amatoria verbundenen Vorwürfe etwa im Jahr 9 n.Chr. aus Tomis nach Rom geschickt worden ist, kann zumindest der hier besprochene Beginn des Katalogs der Ars nicht von Ovid selbst stammen. Denn daß er selbst in der Verbannung noch Veränderungen an der längst publizierten 'Lehrschrift' vorgenommen hätte, wird niemand behaupten wollen. Zudem ist die Qualität des Katalogs so mittelmäßig und in vielfacher Hinsicht anstößig, daß Ovid (der seine eigenen, an anderer Stelle vorzüglich passenden Formulierungen 'verhunzt' haben müßte) als Verfasser ausscheidet. Um dies zu untermauern, bespreche ich noch einige wichtige Züge beider Kataloge im Zusammenhang. trist. 2,361

denique compositi teneros non solus amores: composito poertas solus amore dedi.

Die Voranstellung der beiden hellenistischen Dichter in [ars] 3,329, denen der frühgriechische Lyriker in 330 folgt, und die Verbindung der beiden subjektiven Genitive Callimachi und Coi ... poetae mit der 'Teïa Musa' könnten zusätzlich durch den Beginn des dritten Properzbuches veranlaßt sein, vgl. Prop. 3,1,1 Callimachi Manes et Coi sacra Philitae, in vestrum, quaeso, me sinite ire nemus. Doch muß man hier ebenso wie in 3,9,43 (inter Callimachi sat erit placuisse libellos \ et cecinisse modis, Coe poeta, tuis) den generellen Echtheitsvorbehalt von S. 7 Anm. 1 gegen die überlieferte Form unseres Properzcorpus in Rechnung stellen. Es wäre gut denkbar, daß in 3,1,1 und 3,9,43f. die in [ars] 3,329 gefundene Formel abgewandelt wurde. Prop. III 3 ergäbe m.E. ein besseres Auftaktgedicht am Buchbeginn als III 1 (gefolgt von III 2), und der Charakter von III 1 weist auf Epigonen-Dichtung, s.u. zu [Pont.] 4,16,Iff.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

quid, nisi cum multo Venerem confondere vino praecepit lyrici Teïa Musa senis? 365 Lesbia guid docuit Sappho, nisi amare, puellas? tuta tarnen Sappho, tutus et illefiiit. nec tibi, Battiade. nocuit quod saepe legend delicias versu fassus es ipse tuas, fabula iucundi nulla est sine amore Menandri. 370 et solet hie pueris virginibusque legi1. 381 omne genus scripti gravitate traeoedia vincit; haec quoque materiam semper amoris habet, etc.

Hier ist alles wohl geordnet: Auf die beiden Mottoverse 361f. folgen zwei parallel gestaltete Disticha, die die lyrischen Liebesdichter Anakreon und Sappho nennen (363-366), danach zwei weitere Dichter mit Liebesthematik, Kallimachos und Menander, die g e l e s e n (nicht - wie die Lyriker - gesungen) werden. An Menander, den Komödiendichter, schließt sich dann die Tragödie an. Im entsprechenden Passus aus der Ars herrscht vielfältiges Durcheinander: Der Mottovers lautet res est blanda canor: discara cantare puellae (315); sie sollen sich auf Plektron und Kithara verstehen (319f.). Unmittelbar anschließend werden mythologische Exempla zur Erläuterung angeführt - merkwürdigerweise aber nicht etwa Sängerinnen, sondern drei Sänger (Orpheus, Amphion, Arion). Von ihnen erhalten der erste und letzte die Lyra als Instrument (321. 326), der mittlere scheint nur seine Stimme zur Verfügung zu haben. Danach wird ein weiteres (phönikisches?) Instrument empfohlen, eine Art Harfe (327f.). Wie daran der Dichterkatalog 329ff. anschließen soll, ist das Geheimnis des Interpolators, zumal an erster Stelle (im Anschluß an die Harfe) Kallimachos genannt wird, von dem Ovid in trist. 2,367 sagt, daß seine Dichtung g e l e s e n wird. Ich schreibe den Katalog aus: [ars] 3 , 3 2 9

335

340

1

sit tibi Callimachi. sit Çoi nota poetae. sit quoque vinosi Teia Musa senis: nota sit et Sappho (quid enim lascivius illa?) cuive pater vafri luditur arte Getae. et teneri possis carmen le gis s e Properti sive aliquid Galli sive, Tibulle, tuum dictaque Varroni fulvis insignia villis veliera germanae, Phrixe, querenda tuae et profugum Aenean, altae primordia Romae, quo nullum Latió clarius extat opus, forsitan et nostrum nomen miscebitur istis nec mea Lethaeis scripta dabuntur aquis atque aliquis dicet 'nostri lege culta magistri

Die Verse 371-380 habe ich athetiert, siehe Beck 60f.

Epistulae Heroidum

345

381

carmina, quis partes instruit ille duas, deve tribus libris, titulo quos signât amorvm, elige, quod docili molliter ore legas, vel tibi composita cantetur EPISTVLA voce: ignotum hoc aliis ille novavit opus. '

Die hellenistischen Dichter Kallimachos und Philitas aus Kos stehen vor Anakreon und Sappho. Anakreon erhält zusammen mit den beiden Jüngeren ein und dasselbe Distichon, Sappho zusammen mit dem wiederum viel jüngeren Menander ein zweites 1 . Menander wird nicht namentlich genannt, sondern durch eine typische Szene aus dem Komödienarsenal bezeichnet. Freilich kann die sprachliche und gedankliche Ausformung dieser typischen Szene nicht als gelungen bezeichnet werden: Gemeint ist das Standardmotiv, wie ein durchtriebener Sklave (Geta) einen geizigen Alten prellt. Der nackte Begriff pater (332) kann dabei das Wesentliche nicht zum Ausdruck bringen. Der Interpolator hat folgende Stellen kontaminiert: ars 3,611 am. 1,15,17

qua vafer eludi possit ratione mari tus: dum fallax servus. durus pater, improba lena vivent et meretrix blanda, Menandros erit,

dazu aus einem verwandten Dichterkatalog des Horaz die folgenden Verse: sat. 1,10,40

arguta meretrice potes Davoque Chremeta eludente senem comis garrire libellos unus vivorum, Fundani, Pollio regum facta canitpede ter percusso, etc.,

wo kurz danach auch Varrò Atacinus (neben Vergil) genannt wird 2 . Während diese ersten fünf Dichter den Mädchen "bekannt" sein sollen, werden die Gedichte des Properz, Gallus, Tibull, die dicta des Varrò Atacinus und die Aeneis g e l e s e n . Den dicta des Varrò (335) werden die scripta des Ovid (340) zur Seite gestellt, die (jedenfalls die beiden ersten Bücher der Ars) kurz darauf carmina heißen (342), aber g e l e s e n werden sollen (341). G e l e s e n werden auch die Amores (343f.), die Epistulae Heroidum (hier durch eine einzelne EPISTVLA vertreten) aber wieder g e s u n g e n (345). Dieses bunte Hin und Her soll uns Ovid zugemutet haben in einem Abschnitt, der laut

1

2

Die Parenthese quid enim lascivius illa offenbart - im Kontrast zur üblichen Hochschätzung dieser Dichterin - ein recht negatives Sapphobild, wie es zur pseudoovidischen Sapphoepistel und etwa zum Tenor in Senecas epist. 88,37 paßt (siehe dort Stückelbergers Kommentar). Der Schwalbenvers des Varrò Atacinus hat uns den ersten Hinweis auf Montanus gegeben (s.o. S. 266ff.); der gleiche Dichter erscheint auch in diesem unechten Katalog der Ars amatoria wieder, diesmal allerdings als Dichter der Argonautica.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

382

315f. 319f. den Mädchen den G e s a n g mit Instrumentalbegleitung als Mittel der Verführung empfiehlt! Von den hier empfohlenen fünf griechischen Dichtern sind Kallimachos, Anakreon, Sappho und Menander aus dem Katalog griechischer Liebesdichter in trist. 2,361ff. genommen - wie wir gesehen haben, in merkwürdig vertauschter Reihenfolge. Die sich unmittelbar anschließenden fünf lateinischen Liebesdichter (Properz, Gallus, Tibull, Varrò Atacinus, Vergil [als Verfasser der Aeneis]), denen der fiktive Ovid als sechster angeschlossen zu werden hofft, stammen aus dem vierzig Verse später beginnenden Katalog römischer Dichter (trist. 2,42Iff.). Doch während dort der Liebesdichter Ovid als letzter auf die drei Elegiker Gallus (445f.), Tibull (447-450. 463f.)1, Properz (465f.) folgt und der an früherer Stelle umschriebene Varrò Atacinus nicht aufgrund seiner Argonautica, sondern wegen seiner Leucadia-Gedichte eingeführt ist, geht im Katalog der Ars amatoria Properz2 den Elegikern Gallus und Tibull voraus und folgt der Liebesdichter Ovid als letzter nicht im Anschluß an die drei Zunftgenossen im Genre der Elegie, sondern auf Varrò Atacinus, der allein mit seinem Epos gewürdigt wird3, und auf Vergil, der ebenfalls nur als Epiker, als Dichter der Aeneis, in den Blick genommen ist. Auch hier also erweist sich der Katalog in der Ars amatoria deutlich als inhomogen; er ist nicht funktional in die Thematik des übergeordneten Zusammenhangs (die Mädchen sollen lernen, schön, schmelzend, zu singen und die Kithara dabei zu schlagen) eingepaßt. Zumal die Einführung der Aeneis verrät wieder den Epigonen, vgl.: [ars] 3,337 Aen. l , l f . 1 met. 5,190 am. 2,14,11 trist. 4,4,5

1 2

3

etprofupum Aenean. aUae primordio Romae. quo nullum Latió clarius extat opus·, arma virumque ... qui primus ... | ... fato profueus ... venit (...) atque altae moenia Romae·. 'adspice', ait 'Perseu, nostrae primordio gentis!' quique iterum iaceret generis primordio nostri in vacuo lapides orbe, parandus erat-, cuius in ingenio est patriae facundia linguae, qua prior in jMtiqnqnfuit_ ulla foro-,

Die Verse 451-462 sind unecht, v. ad loc. Vgl. [ars] 3,333 (et teneri possis carmen legisse Properti) mit trist. 2,465 (inventes eadem blandi praecepta Properti). Vgl. [ars] 3,335f. dictaque Varroni fulvis insignia villis | veliera germanae, Phrixe, querenda tuae; dagegen trist. 2,339f. is quoque, Phasiacas Argon qui duxit in undas, | non potuit Veneris furia tacere suae. Der Interpolator hat sich wohl an Varrò Atacinus selbst orientiert. Vgl. die Phrixea ... vellera von met. 7,7; ferner fast. 3,852 (hie here Phrixeae vellera pressit ovis). 861 f. (et soror et Phrixus velati tempora vittis | ... iuncta ... fata gemunt). 867 (aries nitidissimus auro)·, met. 6,720 (vellera cum Mingis nitido radiantia villo); am. 2,11,4 (çpiKpiçuamJufyq veliere ... ovem). Das Motiv erscheint auch epist. Ï8Û43f.

Epistulae Heroidum

383

Prop. 2,34,65 cedite Romani scriptores, cedite Grail nesçio quid jnaius nasçitur Iliade1.

Im zweiten Tristienbuch dagegen ist die Aeneis weit von den Elegikern getrennt, aber bezeichnenderweise nicht als Epos über die Anfänge Roms vorgestellt, sondern als Erzählung von dem Liebesverhältnis zwischen dem Kriegshelden und der Königin aus Tyros: trist. 2,533

et tarnen ille tuae felix Aeneidos auctor contulit in Tyrios arma virumque toros, nec legitur pars ulla magis de corpore toto, quam non legitimo foedere iunctus amor.

Diese verschiedenen Stellen aus dem Tristienkatalog hat also der Verfasser des Katalogs in der Ars amatoria zusammengezogen und mit Versatzstücken aus anderen Werken Ovids, vor allem auch aus Horaz und Properz ausgeschmückt. Wenn er dann in [ars] 3,339ff. dem Ovid den Wunsch in den Mund legt, es möge auch sein Name unter die genannten Dichter gemischt sein, denkt er wieder an Horaz und Properz, vgl. carm. 1,1,29

me doctarum hederae praemia frontium dis miscent superis ... ; 35 quodsi me lyricis vatibus insérés; 4,3,13 Romaeprincipis urbium dignatur suboles inter amabilis vatum ponere me choros; Prop. 2,34,94 hos inter si me ponere Fama volet.

Doch setzt die Formulierung der Verse [ars] 3,339

forsitan e? nostrum nomen miscebitur istis nec mea Lethaeis scripta dabuntur aauis

deutlich Kenntnis des 4. Tristienbuches voraus, vgl. trist. 4,9,1 32 1,8,36

si licei etpateris, nomen facinusaue tacebo, et tua Lethaeis acta dabuntur aauis·. dum licet huic nomen dissimulare suum: vgl. cunctane Lethaeis mersa feruntur aauis?

In 34Iff. konnte sich der Interpolator einen beliebten ovidischen Versbeginn zunutze machen: am. 2,10,37 atque aliquis nostro lacrimans in funere dicat: vgl. am. 2,1,7ff. ; 3,1,19; ars 1,257; 2,585; 3,7. Hinter den culta masistri \ carmina ([ars] 3,341) scheint sich die Apostrophe culte Tibulle von am. Die Verse Prop. [?] 2,34,61-80 sind allerdings von Heimreich (1863, 46ff.) getilgt worden, s. Ribbecks Proleg. S. 57. Forsitan et ist ein häufiger Verseingang bei Ovid.

384

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

1,15,28 zu verbergen; jedenfalls fügen sich die culta ... carmina nicht gut in den Zusammenhang. In 343 {deque tribus libris, titulo quos signât AMORVM) stört die präsentische Verbform, die Variante titulus (ΥΑω) scheint erfunden, um diese Härte notdürftig auszugleichen. Die Junktur taucht sonst beim echten Ovid nicht auf (der z.B. met. 9,793 schreibt addunt et titulum, titulus breve carmen habebat), wohl aber einmal in epist. 2,73 hoc tua post illos titulo signetur imago: \ 'Hic est cuius amans hospita capta dolo est. ' In den Epistulae Heroidum haben auch die "dienstbeflissenen" Steine, die saxa ... officiosa von [ars] 3,324 zwei Entsprechungen, vgl. epist. 10,114 flaminaque in lacrimas officiosa meas und 18,60 (Luna) ut comes in nostras officiosa vias, letztere eine Reminiszenz an fast. 5,11 lf. prima mihi nocte videnda | stella est in cunas officiosa Iovis. Mit Ausnahme dieses Fasti-Belegs findet sich das Adjektiv nur in den in Tomis geschriebenen Briefgedichten (und auch dort mehrfach in interpolierten Stellen). Ich erkenne in alledem Indizien, die die oben erwogene Hypothese stützen können, der anonyme Verfasser der Epistulae Heroidum und der Interpolator der verschiedenen genannten Kataloge in [am.] II 18 und ars III seien ein und dieselbe Person.

f) Die Sammlung der Exildichtung und ihr Schlußgedicht Die 'elegische Autobiographie' trist. IV 10 bildet die Sphragis einer zunächst auf vier (je einzeln publizierte) Bücher Bezug nehmenden Tristiensammlung, der später ein 5. Buch hinzugefügt worden ist, wie aus trist. 5,1, lf. (hunc quoque de Getico, nostri studiose, libellum \ litore praemissis quattuor adde meis) hervorgeht 1 . Das 1. Buch - auf dem Weg nach Tomis geschrieben umfaßt 12 Gedichte; die 84 Verse des herkömmlich als Carmen 5 gezählten Gedichtes sind ja von Hall zu Recht mit den Handschriften C (von 2. Hand) V H3 J (von 2. Hand) und einigen früheren Philologen in zwei Gedichte (5a: 1-44; 5b: 45-84) unterteilt worden (s.u.). Auf das separat edierte 1. Buch folgt die Selbstverteidigung im 2. Buch, das eine einzige durchlaufende Epistel darstellt. Die drei folgenden Bücher haben abwechselnd 15 - 10 - 15 Briefe. Im dritten Buch ist - entgegen der üblichen Zählung - das Gedicht III 4 in zwei selbständige Briefelegien 4a und 4b aufzuteilen, wie dies bereits in einigen Handschriften (z.T. nachträglich) geschehen ist 2 , während die bei Hall vorgenommene Zweiteilung der Gedichte trist. IV 4 (in 4a und 4b) und V 2 (in 2a und 2b) unberechtigt erscheint (siehe gleich anschließend). Dagegen ist die von Heinsius vorgeschlagene (und in B2 bezeugte) Aufteilung von trist. V 7 in 7a und 7b zu Recht mehrheitlich akzeptiert worden.

1 2

Siehe dazu Lucks Einleitung zu Buch IV (S. 231). Siehe Halls Apparat.

Epistulae Heroidum

385

Die Verse [trist.] 1,5,51-56 sind m.E. als unecht auszuscheiden. Das Gedicht 5b hat also 6 + 28 (2 χ 14) = 34 Verse (zum Vergleich: Carm. 4 hat 4 + 6 + 12 + 6 = 28 Verse). Während in 5a die persönliche Anrede von Iff. bis zum Schluß (43f. invigiles igitur nostris pro casibus, oro, \ deminui siqua numi ni s ira potest) durchgehalten ist, beginnt Gedicht 5b mit einem Indefinit-Pronomen (scire meos casus siquis desiderai omnes) und läßt bis zum Ende (83f. at mihi perpetuo patria tellure carendum est, \ ni fuerit laesi mollior ira dei) keinen Bezug zu einem konkreten Adressaten erkennen (zu si quis als Gedichteinleitung s.u. S. 386). Durch die Anklänge im Anfangs- und Schlußvers an 5a,43f. ist allerdings 5b deutlich dem vorangehenden Gedicht zugeordnet. Es handelt sich also um ein weiteres Gedichtpaar, wie wir solche oben zu den Amores besprochen haben (S. 373). - Die von keinem handschriftlichen Zeugnis gestützte Aufteilung des Gedichtes I 9 in 9a (1-36) und 9b (37-66) dagegen (siehe Halls Apparat) scheint mir unbegründet. Zwar wird die Hinwendung zum Adressaten ab Vers 40ff. intensiver als im ersten Teil des Gedichtes, aber sie ist in den Versen 1-7 nachdrücklich eingeleitet, und bereits im zweiten Vers erscheint durch nobis non inimicus das Stichwort, das das Gedicht bis zum Ende durchzieht (5 amicos, 10 amicus, 23 amicum, 31 amico, 48 amice, 65 amici). In trist. 5,2,45 kann m.E. unmöglich ein neues Gedicht beginnen; denn Ovid wird sich niemals selbst direkt mit einem Brief an den Kaiser wenden, sondern nur an Mittelspersonen. Vielmehr stellen die Verse 5,2,45ff. (adloquor en absens absentia numina supplex, I si fas est homini cum love posse loqui, etc.) ein 'Gebet' des Bittflehenden an Jupiter-Augustus dar, an dessen Altar er sich Schutz suchend geflüchtet hat (43f. viderit ipse [vgl. Pont. 4,1,15]: sacram, quamvis invisus, adaram | confiigiam: nullas summovet ara manus). Ihn mit der Hand berührend spricht er das Bittgebet (45ff.). Da in 17ff. das Anliegen des Dichters im einzelnen ausgeführt war (Milderung der Strafe durch die Versetzung an einen günstigeren Ort - weg von der barbara ... tellus und dem saevo cinctus ab hoste locus [31f.]) - kann er es dem Kaiser gegenüber zurückhaltend im Bilde umschreiben: 53 parce, ρ re cor, minimamque tuo de flilminepartem deme! satis poena e, quod superabit, erit (vgl. 19-22). Wenn er dann nach der Schilderung der Unwirtlichkeiten und der Gefahren seines jetzigen Aufenthaltsortes 65

70

nec me tarn cruciai numquam sine frigore caelum glaebaque canenti semper obusta gelu, nesciaque est vocis quod barbara lingua Latinae Graecaque quod Getico vieta loquela sono est, quam quod finitimo cinctus premor undique Marte, vixque brevis tutum murus ab hoste facit

mit dem Distichon 77f. schließt: 77

quod petimus, poena est : neque enim miser esse recuso, sed pre cor ut possim tutius esse miser.

ist alles gesagt: Der Dichter wünscht nicht Aufhebung der relegatio, sondern lediglich einen sicheren Verbannungsort. Dies wird zu einem rhetorisch wir-

386

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

kungsvollen Briefende mit Stichworttechnik (v¿t ... tutus - tutius), Oxymora (petimus poena[m], precor ... esse miser), Antithetik (ñeque ... miser esse sed ... tutius esse miser, mit chiastischer Wortfügung) ausgebaut1. - Mit dem Nachweis der Einheit von trist. V 2 ist zugleich die Einheit von IV 4 untermauert, man vergleiche etwa 4,4,45-50 mit 5,2,17ff.; 4,4,52 mit 5,2,32; 4,4,53ff. mit 5,2,34ff.; 4,4,55ff. mit 5,2,61ff. Von den vier Büchern der Epistulae ex Ponto2 enthalten die ersten drei je 10, das letzte 15 Gedichte, es ergibt sich also die Reihe 10 - 10 - 10 - 15. Denn von den 11 Briefen des zweiten Buches gehört Pont. II 11 nach III 4 (siehe Richmonds Teubneriana Praef. XVIII3); das letzte Gedicht der Sammlung aber, Pont. IV 16, ist ein unechter Zusatz des Bearbeiters und 'Editors' Iulius Montanus, der sich in IV 16 nur unvollkommen hinter der Maske Ovids versteckt. Bevor ich auf dieses unechte Gedicht zurückkomme, soll in aller Kürze gezeigt werden, daß Pont. IV 15 bestens die Funktion eines Schlußbriefes erfüllt. Der Einsatz mit si guis adhuç erinnert an das ebenso beginnende Gedicht trist. III 10, aber auch an das mutmaßliche Schlußgedicht des zweiten Amoresbuches (2,17,1 si guis erit). In Vers 2 wird der Dichter, der relegatus Naso, namentlich genannt wie (u.a.) in dem Vorspann zur zweiten Auflage der Amores (Vers 1), in den Schlußversen des zweiten und dritten Buches der 1

Der Interpolator der Verse [trist.] 5,2,71-76 hat nicht nur diese rhetorische Struktur zerstört, sondern die ganze mit verhaltener Inbrunst vorgetragene Bitte des Dichters zunichte gemacht, indem er sie durch eine Reihe ungestümer Beteuerungen aufbläht, die an die Todesentschlossenheit des Properz erinnern, mit der dieser an seiner - ihn grausam quälenden - Cynthia festhält (etwa 2,l,51ff. 65ff.; 2,15,31ff.; 2,17,5ff.). Während der echte Ovid gesagt hatte: hinc eeo traicerer (33) - wenn der Adressat seines Briefes nur bei Augustus für ihn ein gutes Wort einlege -, läßt ihn der Interpolator versichern: hinc eso dum muter (73), etc. (vgl. Tib. 1,1,57f. tecum \ dum modo sim), also wenn er nur von diesem Ort wegkäme, wolle er sich gerne von der Charybdis verschlingen und von ihren Fluten zur Unterweltsstyx schicken lassen, wolle er geduldig in den Flammen des Ätna brennen oder vom Leukas-Felsen nach der dort üblichen Sitte ins Meer springen - eine in eklatantem Widerspruch zum Schlußdistichon stehende Absurdität, wie sie nur dem Verfasser der Sapphoepistel (165ff.) oder auch dem Autor des Culex (331ff.) zuzutrauen ist, der sich auch hier mit ovidischen Junkturen ziert (73 Zanclaea Charybdis ~ fast. 4,499; 76 Leucadio ... modo ~ fast. 5,630). Durch die Verse 71f. aber sucht der Interpolator den Vers 70 auf dem Hintergrund von 3,10,67ff. zu präzisieren (vgl. allerdings Pont. 1,8,5). Doch wird die Beschränkung auf 65-70 (ohne den Zusatz 71f.) durch Pont. 3,9,3f. gestützt, vgl. trist. 3,14,41; besonders 4,l,69f.; ferner 5,10,17f.; Pont. 1,2,22.

2

Luck (zu trist. IV, Einleitung S. 231) nimmt an, daß ursprünglich nur drei Bücher geplant gewesen seien (worauf der 'Prolog' I 1 und der 'Epilog' III 9 hindeuteten). Er folgt dort H.H. Froesch, Ovids Epistulae ex Ponto I-III als Gedichtsammlung, Diss. Bonn 1968, 127ff. Erinnert sei an die Versetzung von 2,1,46-2,7,79 nach 3,2,67 in der ältesten und besten Handschrift A, die offenbar - wie andere Codices - I 3 nicht am ursprünglichen Ort führte (s. Richmond p. VI).

3

Epistulae Heroidum

387

Ars amatoria (ars 2,744 und 3,812: jeweils inscribant spoliis 'Naso magister eraf), im ersten Vers der Sammlung der Epistulae ex Ponto (1,1,1), am Anfang der Schlußgedichte von Pont. I (1,10,1), II (2,10,2) und zu Beginn des dritten Buches (3,1,3). Wie in den Amoresbüchern am Abschluß jeweils u.a. der Wert der Gedichte für den Poeten zum Thema gemacht war, so bezeichnet sich der Dichter in Pont. 4,15,14 selbst als pars ... census1 quantulacumque seines Gönners Sextus Pompeius und als dessen munus triste ... in Ponto (19f.). Am Gedichtschluß aber greift er das Stichwort non inmemor von Vers 1 auf und verspricht, durch seine Dichtung ewig die Wohltaten des Sextus Pompeius in Erinnerung zu rufen - hier am Ort seiner Verbannung, aber auch - wenn nur seine Muse über die Grenzen der Geten hinausdringt - unter allen Gefilden des Himmels: Pont. 4,15,37 semper inoblita repetam tua muñera mente, et mea me tellus audiet esse tuum. audiet_ et cáelo jposita est quaeçumque sub. ullo, transit nostra feros si modo Musa2 Getas, teque meae causam servatoremque salutis meque tuum libra norit et aere minus.

Ovid endet also sein letztes Werk überhaupt mit einer Entsprechung zum Schluß der catullischen Allius-Elegie: Catull. 68,149 hoc tibi, quod potui, confectum carmine munus pro multis, Atti, redditur officiis, ne yestrum scabra tangat rubigine nomen haec atque ilia dies atque alia atque alia.

Der Adressat dieses Dankbriefes aber, Sextus Pompeius, ist identisch mit dem Empfänger des 1. Briefes des Buches; das heißt: das vierte Buch wird ähnlich durch einen an den gleichen Adressaten, den Konsul des Jahres 14, gerichteten Anfangs- und Schlußbrief gerahmt und damit diesem gewidmet wie die als Einheit konzipierte Sammlung der ersten drei Bücher, deren 'Prolog' (Pont. I 1) und 'Epilog' (Pont. III 9 [ = 10]) jeweils an den Freund Brutus gerichtet sind und in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft jeweils einen Brief an Fabius Maximus haben, "so daß die ganze Sammlung von den Namen BRUTUS und FABIUS MAXIMUS wie von einer doppelten Klammer umgeben ist" (Froesch) 3 .

1 2

3

Das Stichwort steht auch in dem mutmaßlichen Schlußgedicht am. II 17 (Vers 27). Dem entspricht das Stichwort carmina in den oben behandelten programmatischen Gedichten. H.H. Froesch 133 mit Verweis auf das erste horazische Epistelbuch (Maecenas, Lollius Lollius, Maecenas als Klammer).

388

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

R. Syme hat die Bedeutung dieser Klammer um das 4. Buch gebührend gewürdigt und sie in den Zusammenhang eines grundsätzlichen Wechsels in der 'politischen' Ausrichtung gestellt, die Ovid mit dem 4. Buch der Epistulae ex Ponto vollzogen hat: Nahe Freunde des Tiberius, wie Pompeius Macer und Pomponius Flaccus, die noch in der ersten Buchtriade als Patrone und Vertraute Ovids angesprochen worden waren, werden im 4. Buch mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen wendet sich Ovid mehr und mehr der Umgebung des jungen Prinzen Germanicus zu (etwa dem Carus oder dem Quaestor Suillius). Besonders wichtig: "The sons of Messalla Corvinus fade out, but a new patron comes in, suddenly: Sextus Pompeius, the consul of 14, with no fewer than four poems. In fact, the book is dedicated to Pompeius"1. Zu Recht schließt Syme m.E., daß die Rahmenstellung der beiden PompeiusGedichte IV 1 und IV 15 darauf hindeute, daß Ovid selbst noch das 4. Buch publizieren - oder wenigstens die Briefanordnung festlegen konnte. Der auffällige Wechsel in der politischen Ausrichtung Ovids geschieht also in dem Buch, das mit der Regierungsübernahme des Tiberius zeitlich zusammenfällt: Von Tiberius vermochte sich der Verbannte offenbar keine Besserung seiner Lage zu versprechen, wohl aber vom jungen Germanicus, an den er sich deshalb auch persönlich wendet2.

g) Der Penelopebrief und das Selbstporträt des Montanus in [Pont.] IV 16 Um so erstaunlicher muß es daher anmuten, daß Cotta Maximus, der engste Freund Ovids in den Tristien und den ersten drei Büchern der Briefe ex Ponto3, der jedoch als enger Vertrauter des Tiberius (den er einmal Tiberiolus meus nennt)4 und entschiedener Gegner des Germanicus aus den oben genannten Gründen im 4. Buch der Pontus-Briefe totgeschwiegen wird, nun plötzlich in Pont. 4,16,41-44 als Pieridum lumen praesidiumque

fori gepriesen und

aufgrund seiner mütterlichen und väterlichen Vorfahren als doppelt geadelt gepriesen wird. Syme vermag diesen verspäteten Ehrentribut nur als versteckten Tadel zu erklären (128); doch gibt der Zusammenhang des Gedichtes und der Tenor der Lobpreisung dafür nicht den geringsten Anhalt. Die wahre Erklärung muß vielmehr lauten, daß in diesem nachklappenden sechzehnten Gedicht nicht der Germanicus-Anhänger Ovid des Jahres 14 n.Chr. spricht, sondern der Tiberiusfreund Iulius Montanus, der dem Tiberiusschmeichler

1 2 3 4

R. Syme, History in Ovid, Oxford 1978, 156; siehe zuvor Froesch 52. Siehe Froesch 96ff. 128ff.; Syme 40f. 63. 87ff. 156f.; Helzle 28ff. 177. Syme 125; Helzle 177. Tac. ann. 6,5,1.

Epistulae Heroidum

389

Cotta Maximus, dem Praetor des Jahres 17 und dem Konsul des Jahres 20, am Schluß und Höhepunkt seines Gedichtes die gebührende Reverenz erweist. Er tut dies unter der Maske Ovids, in Erinnerung an die vielen dem Cotta Maximus gewidmeten Briefe der früheren Sammlungen 1 , läßt dabei aber die oben behandelte politische Umorientierung Ovids nach der Machtübernahme des Tiberius außer acht und trifft in seinem gespreizt wirkenden Lobpreis nicht den vertrauten Ton, den Ovid im Umgang mit seinem engen Dichterfreund seit trist. 4,5,1 (o mihi dilectos inter pars prima sodales) angeschlagen hat 2 . Es lassen sich zwei weitere 'äußere' Kriterien gegen die Echtheit des Gedichtes [Pont.] IV 16 benennen: Die Sammlung der ovidischen Amores - in zweiter Auflage von fünf auf drei Bücher gekürzt - umfaßte, wie wir gesehen haben, drei Bändchen von 15 - 15 - 10 Gedichten. Die D r e i zahl der Bücher wiederholt sich in der Ars amatoria, die Zahlen 15 und 10 kehren wieder in den 15 Büchern der Metamorphosen und in der Sammlung der Exilbriefe: In Tomis sind - wie oben dargetan - die Tristienbücher III-V mit 15 - 10 - 15 Briefen geschrieben, schließlich die vier Bücher Epistulae ex Ponto, die sich in eine erste Einheit von 3 Büchern mit insgesamt 30 (also 3 χ 10) Briefen und das 4. Buch mit 15 Briefen aufteilt. Diese Zahlenreihen machen deutlich, daß Pont. IV 16 nicht von Ovid stammt. Ferner ist der Brief an einen a n o n y m e n Neider gerichtet. Es macht aber den entscheidenden Unterschied zwischen den beiden auf dem Weg in die Verbannung und in Tomis geschriebenen Briefsammlungen aus, daß die Adressaten des früheren Tristiencorpus bewußt ungenannt bleiben 3 , um sie nicht in Ovids Sturz mithineinzuziehen, die Namen der Empfänger der erst in den Jahren 12-16 n.Chr. entstehenden Epistulae ex Ponto dagegen 4 genannt werden. Pont. IV 3 ist keine wirkliche Ausnahme, da dort die Frage, ob ein ungetreuer Freund, der jetzt Ovid nicht mehr kennen will, namentlich bekannt gemacht werden soll (und so durch das Gedicht etwa gar Ruhm gewinne), eigens zum Thema erhoben ist. Ähnlich verhält es sich mit Pont. III 6, wo Ovid den ausdrücklichen Wunsch eines Freundes, nicht genannt zu werden, respektiert, Pont. III 7 aber ist an die Freunde allgemein gerichtet.

1

2 3

4

Vgl. Froesch 90 und Syme 126ff., der neun Briefe (darunter anonyme aus den Tristien) nennt; ferner die bequeme Übersicht bei Froesch S. 143 (Pont. 1 5 , 1 9 , II 3, II 8, III 2, III 5 [6]). Siehe Froesch 90-93. Der Brief trist. III 7 an die Dichterin Perilla steht auf einer Ebene mit den Briefen an die eigene Gattin. Die Briefe der ersten drei Bücher, die im Laufe des Jahres 13 publiziert wurden, stammen zumeist aus dem Jahr 12, einige aus dem Jahr 13 n.Chr., die Briefe des 4. Buches größtenteils an bisher nicht berücksichtigte Adressaten gerichtet - umspannen den Zeitraum 13-16 n.Chr. (siehe Syme 42 und Helzle 31).

Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

390

Die Anrede invide in Pont. 4,16,1 INVIDE, quid laceras Nasonis carmina non solet ineeniis summa nocere

rapti? dies, FAMAOWE POST CIÑERES MAJOR VENIT, et mihi NOMEN tum quoque, cum vrvis adnumerarer. erat1

fallt also aus der Praxis der Briefe ex Ponto heraus und greift die längst verlassene Manier der Tristien wieder auf; es sei insbesondere an trist. 3,11,1 (quisquís

es, insultes

qui casibus,

improbe2,

nostris)

erinnert, ein Gedicht, das

auch für die hier durchgeführte Metaphorik (Verbannung = Tod) wichtige Anregungen gegeben hat3. Doch ist invidus in 12 weiteren Belegen des Ovidcorpus immer adjektivisch verwendet. Der Epigone hat offenbar mit der T r i s t i e n s t e l l e d e n E i n g a n g v o n a m . 1 1 5 (quid annos

\ ineeniiaue

vocas

carmen

inertis

mihi,

opus?)

Livor

edax,

ignavos

obicis

kombiniert; denn er fuhrt ja

am Ende des Gedichtes den personifizierten Livor tatsächlich ein ([Pont.] 4,16,47f. ergo summotum patria proscindere. Livor, | desine neu ciñeres sparge, cruente, meos), so wie auch Ovid am Ende von am. I 15 den personifizierten Neid wieder auftreten läßt: 1,15,39 pascitur in vivis Livor: post fata* quiescit. Eben den in diesem Vers zum Ausdruck gebrachten ovidischen Gedanken hat der Imitator in 4,16,1-3 in seiner Weise formuliert und dabei zusätzlich die Sphragis des 4. Tristienbuches genutzt: trist. 4 , 1 0 , 1 2 1 tu MIHI, QVOD rarum est, vivo sublime NOMEN.

nec, qui detrectat praesentia, LIVOR ullum de nostris dente momordit5

1

2

3 4 5 6

dedisti SOlet. iniquo opus6.

AB EXEQVIIS QVOD DARE FAMA

Vgl. am. l,15,41f. ergo etiam cum me supremus adederit ignis. | yiyam, parsque mei multa superstes erit. Die Junktur vivis adnumerarer ist aus Pont. 1,9,56 (et nos extinctis adnumerare potest) entwickelt. Bezeichnenderweise beginnt das ebenfalls dem Montanus zugeschriebene Gedicht [am.] II 19 ganz ähnlich: Si tibi non opus est servata, stulte, puella. Siehe u. S. 394. Vgl. 3.15.20 post mea mansurum fata superstes opus. Vgl. laceras ... carmina in [Pont.] 4,16,1. Das Einleitungsgedicht des dritten Properzbuches steht m.E. am Ende der Reihe am. I 15 - trist. IV 10 - [Pont.] IV 16 - [Prop.] III 1. Ich habe die hier einschlägigen Entsprechungen durch Kapitälchen hervorgehoben (siehe auch den Haupttext): [Prop.] 3,1,21 at MIHI QVOD VIVO DETRAXERIT INVIDA POST OBIRVM duplici

faenare

turba,

REDDET Η O

NOS;

FAMAE POST OBITVM finsit MAIORA v e t u s t a s : MAIVS AB EXSEQVIIS NOMEN in ora

VENIT.

Ausgangspunkt war am. l,15,39f. pascitur

in vivís LIVOR, POST FATA

quiescit,

cum suus ex mento quemque tuetur Η Ο NOS.

Epistulae Heroidum 125

130

391

nam tulerint maenos cum saecula nostra poetas, non fuit ineenio fama maligna meo cumaue ego praeponam multos mihi, non minor Ulis dicor et in toto plurimus orbe leeor. si quid habent igitur vatum praesagia veri, protinus ut moriar, non ero, terra, tuus1.

Nach dem hier ausgeschriebenen Schlußabschnitt 125ff. hat der Imitator das Gerippe seines folgenden Katalogs geformt: Pont. 4 , 1 6 , 5

31 37

cumaue foret Marsus maeniaue Rabirius oris2 lliacusque Maçer sidereusque Pedo, et, qui ... cum Varu§ Graççhusque dorent fera dicta tyrannis, cumaue forent atii, quorum mihi cuneta referre nomina longa mora est, carmina vulgus habet,

(...)

Dem Vers am. 1,15,40 (vgl. Pont. 4,7,16 contigit ex merito qui tibi nuper honor) gehört klar die Priorität gegenüber [Prop.] 3,1,22 mit dem isoliert stehenden, unpräzisen honos. Ovids post fata hat Montanus zunächst ([Pont.] 4,16,3) durch post ciñeres (ebenso in [Prop.] 3,1,36), dann ([Prop.] 3,l,22f.) durch das lukrezische post obitum variiert; seine Verse 3,l,21f. hat er durch eine Kontrastimitation aus trist. 4,10,121f. gewonnen, wobei er Ovids dedisti und dare durch das tibullische magno faenore reddat (2,6,22; vgl. fast. 1,694; rem. 174) ersetzt. In montanischer Abundanz setzt er nicht nur die Junktur post obitum zweimal, sondern bringt auch den aus trist. 4,10,122 (man beachte die wörtliche Aufnahme des ovidischen ab exequiis an gleicher Versstelle) und [Pont.] 4,16,3 zusammengewirkten Gedanken in 3,1,22-24 doppelt - wenn nicht dreifach - zum Ausdruck und mißbraucht dabei (wie in [Aen.] 7,438; v. ad loc.) das Verb fingere für efficere. Mit besonderer Raffinesse verstärkt er die schlichte ovidische fama (trist. 4,10,122), die er bereits in [Pont.] 4,16,3 übernommen hatte, diesmal durch eine Maniliusjunktur, wenn man in Manil. 1,750 (famae vulgata vetustas) der Überlieferung trauen darf. 1

2

Hier endete die Sphragis. Das Distichon 4,10,131f., um dessen Erklärung und Verbesserung sich viele vergeblich bemüht haben (siehe zuletzt J.B. Hall, PCPhS Suppl. 15, 1989, 34 und seine Teubneriana), ist unecht. Die Hinwendung an den Candidus lector (die Junktur stammt aus 1,11,35; vgl. 3,1,2) zerstört ja hier - wie ein Vergleich mit trist. 1,7,32; 4,1,2; 5,1,66 [Pont. 3,4,43 o lector ist ebenfalls unecht] zeigen kann - die Fiktion, Ovid wende sich wie in einem Grabepigramm (er sieht ja in seiner Verbannung nach Tomis einfunus bzw. exequiae) an die Nachwelt, vgl. 4,10,1 Ille ego quifuerim, tenerorum lusor amorum (die zweite Vershälfte ein wörtliches Zitat aus seinem in 3,3,73ff. formulierten Grabepigramm), | quem legis, ut noris, accipe posteritas. Die Nachwelt, die seine Dichtung lesen wird, nennt er in 91f. studiosa ... pectora. Die Verengung auf den (kollektiven) lector wird anders als etwa in IV 1, wo durch lector (4,1,2) und cum venia facito, quisquís es, ista legas (4,1,104) eine Klammer um das Gedicht gelegt wird, dem eingangs angeschlagenen Ton eines Grabgedichts nicht gerecht. Im übrigen trägt das Distichon 129f. einen typischen Abschlußcharakter ovidischer Manier, wie die zitierten Verse am. 1,15,41 f., aber auch die beiden Schlußverse der Metamorphosen zeigen können; vgl. ferner trist. l,6,35f.; Pont. 4,4,50 (protinus im Schlußvers). Vgl. am. 1,15,19 Ennius arte carerts animosique Açcius oris: am. 2,1,12 et satis oris erat.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

392

40

45

essent et iuvenes. quorum, quod inedita cura appellandorum ml mihi iuris adest1 (te tarnen in turba non ausim, Cotta, silere, Pieridum lumen praesidiumque fori, maternos Cottas cui Messallasque paternos, Maxime, nobilitas ingeminata dedit), dicere si fas est1, claro mea nomine Musa

est,

atque inter tantos quae leeeretur erat, ergo

summotum patria proscindere, Livor, desine neu ciñeres sparge, cruente, meos.

Die fettgedruckten Zeilen und Wörter machen die Entsprechungen unmittelbar einsichtig. Statt der generalisierenden Formulierung des Tristienverses 125 ("denn obwohl unsere Epoche g r o ß e D i c h t e r hervorgebracht hat") bietet der Imitator - unter Rekurs auf den Epilog zum ersten Amoresbuch (am. I 15, vgl. o. S. 390 und S. 391 Anm. 2) - einen langen Katalog von 28 Dichternamen und suggeriert zusätzlich durch die Abbruchsformel 4,16,37ff. (in die der oben behandelte Preis des Cotta Maximus ähnlich parenthetisch eingelassen ist wie der Preis des Varus und der des Asinius Pollio in Verg. ecl. 6,6bf. und 8,7b-10), daß er noch viele weitere Namen nennen könnte. Schon die gänzliche Zerdehnung der Satzperiode, die sich über 40 Verse hinzieht, bevor endlich die erlösende Apodosis erreicht wird, läßt den Unterschied zu der Gestaltungsweise des echten Ovid in aller Schärfe hervortreten. Ebenso deutlich zeigt sich dieser in den göttergleichen3 Dichterpersönlichkeiten, an denen sich der echte Ovid in am. I 15 und in trist. 4,10,41ff. mißt4, verglichen mit der langen Reihe zweitrangiger Tagespoeten, die der Epigone in Pont. IV 16 paradieren läßt. Ein wesentliches Ziel, das der Epigone mit dem hinzugedichteten 16. Brief an den ungenannten invidus verfolgte, war es, sich selbst in den Katalog der mit Ovid zeitgenössischen Dichter einzureihen und damit sich - und den

1

2 3 4

Adest steht hier aus bloßem Verszwang für die Kopula est; vgl. trist. 3,7,48 Caesar in hoc potuit iuris habere nihil. Vgl. Pont. 4,8,55 di quoque carminibus (si fas est dicere) fiunt. Siehe trist. 4,10,42. Macer - Properz - Ponticus - Bassus - Horaz - Vergil - Tibull - Gallus - Properz: den drei zuletzt genannten Elegikern reiht er sich dann als (der Zeit nach) vierter ein (4,10,54) Grund genug, das unzeitig vorauseilende Properzdistichon 4,10,45f. als interpoliert anzusehen, wofür auch der gesucht und prosaisch wirkende Ausdruck iure solidalicii spricht (Catulls fraternum vere dulce sodalicium in 100,4 ist ja pure Ironie), der wohl als Abklatsch des Verses 48 (dulcia convictus membra fuere mei [ist der Interpolator durch dulcía ... membra convictus an den Catullvers erinnert worden?]) beurteilt werden muß, so wie der Hexameter 45 (saepe suos solitus recitare Propertius ignes) eine wenig einfallsreiche Nachbildung des voraufgehenden Hexameters (saepe suas volucres leeit mihi ...) darstellt (mit abundierendem saepe ... solitus).

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Epistulae Heroidum

Heroidenbriefen - die Unsterblichkeit zu sichern, seinem Namen in der Weise des Ovid Ruhm zu verleihen. Es gibt nur einen Dichter in dem Katalog, der nicht nur durch ein selbständiges Distichon, sondern auch durch eine direkte Anrede des vorgeblichen Verfassers Ovid herausgehoben und zusätzlich diesem durch den Ruhm seines Namens, den er sich sowohl durch elegische als auch durch epische Dichtung erworben habe, geradezu gleichgestellt wird: Iulius Montanus. Wenn also der Fälscher unter der Maske Ovids sagt: 4,16,3 5

10

(...) famaquepost ciñeres maior venit, et mihi tum quoque, cum vivis adnumerarer, erat; cumque foret Marsus magnique Rabirius oris Iliacusque Macer sidereusque Pedo, et, qui Iunonem laesisset in Hercule, Carus, Iunonis si iam non gener ille foret, quique dedit Lotio carmen regale, Severus, et cum subtili Priscus uterque Numa,

quique vel imparibus numeris1, Montane,

15 45

nomen

vel aequis1

sufficis et gemino Carmine nomen habes3. et qui Penelopae rescriben iussif* Vlixem, errantem saevo per duo lustra mari5, quique suam t trisomem t inperfectumque dierum deseruit celeri morte Sabinas opus, (...) dicere si fas est, claro mea nomine Musa atque inter tantos quae legeretur erat,

so hat er sich auf subtile Weise dem Ovid (dem er ja auch in seiner Dichtung nacheiferte) gleichgestellt und seinem Namen - bis auf den heutigen Tag - den Glanz verliehen, von dem großen Verskünstler besonders geehrt worden zu sein. Wie in dem eingeschobenen Gedicht [am.] II 18, das er dem Macer widmet, nennt er auch in dem langen Katalog der zeitgenössischen Dichter (vgl. trist. 4,10,44) den Macer, und zwar bereits an dritter Stelle, obwohl von

1 2 3

4 5

Wiederholt in 36 (imparibus ... modis), vgl. trist. 2,220 und am. 3,1,37. Vgl. Pont. 4,5,3pedibus ... aequis. Den Vers 20 (quique sua nomen Phyllide Tuscus habet) darf man wegen der fehlenden Variation des Ausdrucks als unovidisch kritisieren; der herausgehobenen Position des Montanus tut er keinen Abbruch, weil hier nomen habere nicht 'berühmt sein' bedeuten soll, sondern vordergründig im Sinne von "nach seiner 'Phyllis' den (Künstler-)Namen 'Demophoon' erhalten haben" zu verstehen ist, vgl. Helzle ad loc. (mit Verweis auf Prop. 2,22,2: seis mihi, Demophoon, multa venire mala). Ähnlich ist in 38 von den N a m e n (nomina) der weiteren Dichter die Rede, die noch aufgeführt werden könnten. Die Apostrophe des Rufus und des Melissus in 28 und 30 aber gibt sich als bloßes Stilmittel (statt eines Ausdrucks besonderer Hervorhebung) dadurch zu erkennen, daß beide Dichter ihr Distichon mit einem weiteren Poeten teilen müssen. Vgl. am. 1.11.19 perlectis rescribat multa iubeto. Ein funktionsloser Vers, der lediglich das Distichon füllen soll.

394

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

ihm zuletzt in Pont. II 10 die Rede war; er nennt weiterhin - wie in [am.] 2,18,27f. - den uns sonst unbekannten Sabinus1, der gemäß dem Amoresgedicht angeblich von überallher Antwortbriefe auf die Heroides gebracht hat, die im Passus von [Pont.] IV 16 ihre Erwähnung (stellvertretend durch den Brief des Ulixes)2 im unmittelbaren Anschluß an das Werk des Montanus finden3. Daß der in [am.] 2,18,27 als m e us ... Sabinus bezeichnete angebliche enge Freund Ovids von diesem selbst (sonst) nirgends einer Silbe gewürdigt wird - auch nicht in einem der zahlreichen Briefe aus dem Exil4 -, wird mit einem Male erklärlich, wenn die beiden Gedichte [am.] II 18 und [Pont.] IV 16 als unecht erkannt sind. Ein besonderes Gravamen der Komposition des Briefes [Pont.] IV 16 stellt die Ausgestaltung der Metaphorik 'Verbannung - Tod' dar: Der echte Ovid handhabt sie meisterhaft - angefangen von seinem Abschied aus Rom in trist. l,3,21ff., der einem Leichenbegängnis gleichkam5. Der Imitator versucht, es ihm nachzutun. Er denkt zu Beginn von [Pont.] IV 16 - wie bereits eingangs festgestellt - an trist. III 11 (v. 1 quisquís es, insultes qui casibus, improbe, nostris), wo in 25ff. die Existenz, die Ovid in der Verbannung führt, mit dem Vokabular aus dem Wortfeld 'Tod' umschrieben wird, insbesondere mit den Begriffen umbra, cinis. busta, simulacra, manes. Doch hat er sich zusätzlich an dem Auftakt von trist. III 10 (Siquis adhuc istic meminit Nasonis adempti). ferner dem Schlußgedicht Pont. III 9 [= 10] (v. 2 carmina nescioquem carpere nostra refers) und an dem Beginn von Pont. I 9 (quae mihi de rapto tua venit epistula Celso) orientiert. Das Ergebnis war (4,16,1): invide, quid laceras Nasonis carmina rapti ? Der zweite Vers (non solet ingeniis summa nocere dies) wird durch eine Umformulierung des Montanusverses [am.] 3,9,27ff. geprägt: hunc quoque (sc. Maeoniden) summa dies nigro submersit Averno; \ defugiunt ávidos carmina sola rogos. | durât opus vatum. Doch ist es mehr als kühn, den Gedanken, daß die Schöpfungen des Dichtertalentes

1 2

3

4 5

Siehe o. S. 365 Anm. 5. Vgl. [ars] 3,345 vel tibi composita cantetur EPISTVLA voce (S. 381). Über den 'rather prosaic' Charakter von rescribere siehe Helzle 186. Durch et qui wird in 7 und 27 jeweils ein neuer Dichter eingeleitet; in Vers 13 hat es - auf dem Hintergrund von [am.] 2,18,27f. - den Anschein, als werde dem Sabinus zunächst der Ulixesbrief zugeschrieben, dann (durch quique weitergeführt) das übrige Œuvre genannt obgleich durch quique sonst immer ein neuer Dichter angeschlossen wird. Der Name des Sabinus fallt auf diese Weise unvergleichlich spät, am Ende eines Vierzeilers. Der einzige sonstige Vierzeiler in dem Gedicht ist dem vorgeblichen Freund und Gönner Cotta Maximus vorbehalten (4Iff.) - ein Indiz dafür, wieviel Wert Montanus auf die Nennung der dem Sabinus zugeschriebenen Antwortbriefe legt, die implizit die Kunde von den (von ihm selbst verfaßten) Heroides weiterträgt. Siehe Helzle 176f. Zum ganzen Komplex siehe E. Doblhofer, Exil und Emigration, Darmstadt 1987, 166ff., bes. 169ff. (mit weiterer Literatur).

Epistulae Heroidum

395

vom Tod unberührt bleiben, ja nach dem Tod des Dichters (3 post ciñeres) noch an Ruhm gewinnen, auf das Exil zu übertragen. Dies wird auch durch die Fortführung in 4,16,3bf. deutlich: (famaque post ciñeres maior venit,) et mihi nomen \ tum quoque, cum vivis adnumerarer, erat: der Dichter sagt, er habe (nicht erst post ciñeres, also im Exil, sondern) bereits zu seinen Lebzeiten (also in Rom) einen klangvollen Namen gehabt. Diese Art der Übertragung eines Topos, der für den Tod des Dichters geprägt wurde, auf die Existenz im Exil mutet leicht schief und recht gewaltsam an. Am Ende des Gedichtes wird diese Metaphorik wieder aufgenommen; doch hat Montanus nicht die Kraft, sie konsequent durchzuhalten: 4,16,47

50

ergo summotum patria proscindere, Livor, desine neu ciñeres sparge, cruente, meos. omnia perdidimus. tantummodo vita relicta est. praebeat ut sensum materiamaue mali, quid iuvat extinctos ferrum demittere in artus? non habet in nobis iam nova plaea locum.

Aus dem vom 'Tod' Dahingerafften (v. 1) wird nun zunächst wieder in eigentlicher Sprechweise der aus dem Vaterland Vertriebene (47), der sich unmittelbar anschließend in die Totenasche zurückverwandelt (48), um im nächsten Vers gleich wieder den Verbannten zu verkörpern, dem allein das Leben belassen worden sei, damit er sein Leid fühlen und selbst den Urgrund seines Leidens darstellen könne (49f.). Doch nur einen Vers später sind wir wieder auf der Ebene der Metaphorik: der Neider läßt sein Schwert auf die (längst) toten Glieder niedersausen (51)! Ein so wirres Durcheinander entsteht, wenn ein Epigone den Meister zu imitieren sucht. Epigone ist er auch in der Übernahme vorgeprägter Formulierungen, vgl. (in der Reihenfolge der Verse 4,16,47ff.) trist. 3,4,41 nunc quoque summotum studio defendis1 amico-, 4,9,17 quod Scythicis habitem longe summotus in oris. Das Hemiepes omnia perdidimus (49) stammt aus met. 13,527f. (es spricht Hecuba nach dem Fall Trojas: omnia perdidimus: superest. cur vivere tempus I in breve sustineam, proles gratissima matri); die zweite Vershälfte aber (tantummodo vita relicta est) dürfte nach met. 1,675 (etposuitpennas, tantummodo virga retenta est) geformt sein; es handelt sich also um einen Centovers! Hinter praebeat ut sensum materiamaue mali (50) stehen Formulierungen wie

Von Montanus in das Gegenteil, das proscindere (entsprechend dem lacerare von v. 1), verkehrt; freilich bedeutet das zuvor nur in georg. 1,97; 2,237 und met. 7,119 begegnende Verb jeweils konkret 'pflügen'. Selbst in epist. 17,141 lautet die Junktur proscindere aratro.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

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met. 2,213 materìamaue suo praebet seses arida damno1·, trist. 4,6,19. 22 ut patria careo ...; mensque mali sensum nostra recentis habet; Pont. 1,2,30 (Niobe) posuit sensum saxea facta mali. Das Schlußdistichon 4,16,51

quid iuvat extinctos

ferrum demittere in artus non habet in nobis iam nova plaga locum

aber ist erneut ein Centonengebilde, zusammengesetzt aus trist. 3,9,31f. artus I dum legat extinctos: met. 4,119 demisit in ilia ferrum (vgl. 12,441. 491; 13,436)2 und dem nahezu wörtlich übernommenen Vers Pont. 2,7,42. Dieser ist an seiner Ursprungsstelle organischer Bestandteil eines im dortigen Zusammenhang fest verankerten Vergleiches: Pont. 2,7,39

iam dolor in morem venit meus, utque caducis percussu crebro saxa cavantur aquis, sic ego continuo Fortume vulneror i et u, vixaue habet in nobis iam nova plaza locum.

Daß Ovid so einfallslos gewesen sein sollte, den buchstäblich letzten Vers seines ganzen, umfangreichen Œuvres mit der Wiederholung eines früheren Verses zu bestreiten, der dort inmitten des Gedichtes einen ersten Vergleich abschließt, dem unmittelbar ein zweiter, doppelter folgt, hätte man nicht stillschweigend annehmen sollen. Wir hören hier vielmehr den tolerabilis poeta Montanus, der ausgiebig Anleihen bei seinen großen Vorbildern macht3. Der entliehene Vers schien ihm wohl deshalb als Abschlußvers geeignet, weil er hinter ihm das Archias-Epigramm Anth. Pal. 5,98 hörte: ώμίζευ, Κύτρι, τόξα καΐ eiç σκοτόν ήσυχος ë\de άλλον έγω yào hi ω ToaúuaTQC ούδί τόπον*.

1

2 3

4

Die Formel hat Montanus - nach dem Vorbild Ovids von am. 1,3,19 (te mihi materiam felicem in carmina praebe) - auch in epist. 7,34 (materiam curae praebeat ille meae) genutzt. Iueulo demittere ferrum hat Montanus in epist. 14,5. Es ließen sich weitere benennen, etwa zu 4,16,27 (et qui Maeoniam Phaeacida vertit): 4,12,27 dignam Maeoniis Phaeacida condere chartis; zu 4,16,28 (Pindaricae fidicen. tu quoque, Rufe, Ivrae): Hör. carm. 4,3,23 Romanae fidicen lyrae: 4,9,5ff. non, si priores Maeonius tenet | sedes Homerus, Pindaricae latent | ... Camenae-, zu Pont. 4,16,29 (Musaque Turrará traeicis innixa cothurnis): am. 3,1,31 (es spricht die Romana Tragoedia, s. v. 29) pictis innixa cothurnis: zu Pont. 4,16,34 (aptaque venanti Grattius arma daret): Gratt. Cyneg. 23 Carmine et arma dabo et venandi persequar artes; ν. 1 dona cano divom, laetas venantibus artes. Daß er die Fähigkeit besaß, durch Ovids Übersetzung das Original hindurchzuhören, ist sicher: Der von uns erschlossene Montanus war ein vorzüglicher Kenner Homers und der hellenistischen Dichtung und überträgt gelegentlich die griechischen Vorbildverse wörtlich. Erinnert sei an die Wiedergabe von Call. frg. 291,2f. αυτοί μίν teiXéovc'. αντοϊ δί re πΕφρίκοιοιν.

Epistulae Heroidum

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Dieses hatte er bei Properz (2,12,17ff., v. Enk ad loc.) abgewandelt gefunden: quid tibi iucundum est siçcis habitare medullis? si pudor est, alio troice tela tua! intactos isto satius temptare veneno: non ego, sed tenuis vapulat umbra mea

und seinerseits in dem von ihm eingefügten Amoresgedicht [am.] II 9 variiert 1 : [am.] 2 , 9 , 1 3

quid iuvat in nudis ossibus ? ossa tot sine amore viri, hinc tibi cum

hamata2 retundere tela mihi nuda reliquit Amor.3 tot sunt sine amore puellae: magna laude triumphus eat.

Von der hier nachgewiesenen epigonenhaften Dichtungsweise, die den Schlußpassus von [Pont.] IV 16 prägt, abgesehen, stimmt der ganze Tenor dieser Coda (45-52) nicht zur Einleitung der langen Periode (3ff.). Denn Ovid würde ja gemäß dem vorliegenden Text zunächst selbstbewußt dartun, daß er " s c h o n d a m a l s " (tum quoque, ν. 4), als er noch in Rom lebte, trotz der großen Zahl von zeitgenössischen Dichtern berühmt war und neben den großen Talenten gelesen wurde (45f.), dann aber - geradezu verzagt - schließen: "Alles ist dahin; allein das Leben ist geblieben, damit es den Stoff für das Elend abgeben und dieses als Leid fühlbar machen könne. Was hat es für einen Sinn, auf einen längst toten Körper mit dem Schwert einzuschlagen: es gibt an mir keinen Ort mehr für eine neue Wunde. " Aus dem oben Dargelegten geht hervor, daß diese schiefe Fortführung des mit et mihi nomen \ tum

taitíoíov φίΚίουαιν. àràp arwiovaiv eûiov durch Ciris 351 f. quem pavidae alternis fueitant optantque puellae (Hesperium vitant, optant ardescere Eoumi: ferner an die Umsetzung der kallimacheischen Erzählung von Acontius und Cydippe in [Ov. epist.] XX und XXI; siehe etwa Pfeiffers Apparat zu Call. aet. III frg. 67,6; frg. 74; 75,18ff. 25. 56; ferner frg. 75,64-9, wo [Ον.] Ib. 469f. 475 ins Spiel kommt. So wie er in [am.] 2,9,37f. (hue tamquam iussae veniunt iam sporne saeittae: \ vix Ulis prae me [welch ein Prosaismus!, vgl. pro re satis in 2,9,1] notapharetra sua est) offenbar ein Meleager-Epigramm imitiert, v. McKeown ad loc., der auf Ciris 160ff. verweist - also auf eine Abwandlung des gleichen Motivs durch den gleichen Montanus. Auch dieses Motiv stammt aus der Properzvorlage (2,12,9 et merito hamatis manus est armata saeittis). deren Junktur ebenso in [trist.] 3,10,63 - vom gleichen Bearbeiter (63 sq. del. Zw.) - wiederholt ist; vgl. met. 5,384. Mit Properzens hamata ... tela sind Ovids tela retusa aus met. 12,496 kombiniert zu dem überladenen Ausdruck hamata retundere tela. Von Montanus stammen auch die folgenden thematisch verwandten Verse: [am.] l,2,7f. haeserunt tenues in corde saeittae. \ et possesso ferus pectora versai Amor, v. ad loc.; epist. 16,277f. non mea sunt summa leviter districta saeitta \ pectora; descendit vulnus ad ossa meum.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

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quoque ... erat eingeleiteten Gedankens (der ja in der Konsequenz ein beteuerndes "um so größer verdient mein Ruhm im Exil zu sein" erforderte) verursacht ist durch die hier schief eingesetzte Metaphorik 'Verbannung = Tod'. Die Verzagtheit dieses Gedichtschlusses stimmt aber auch nicht zu dem Tenor, den Ovid üblicherweise in einem Schlußgedicht anschlägt: Bereits am Ende des 1. Buches seiner zweiten Amores-Ausgabe ist er sich der Unsterblichkeit seines dichterischen Werkes gewiß und wiederholt dieses Motiv bis in die späten Tristienbücher (siehe oben zu trist. 4,10,129f. [S. 391 mit Anm. I]) 1 immer wieder. Selbst das Schlußgedicht des 3. Buches der Epistulae ex Ponto, das sich mit dem Vorwurf der Eintönigkeit des Inhaltes seiner Briefe auseinandersetzt, verweist doch auf die poetische variatio in den verschiedenen Briefen ähnlichen Inhalts (Pont. 3,9,41f. 47f.) und auf die dem Zweck entsprechende Form (36. 45f. 55f.), verteidigt also im Rahmen der das Gedicht durchziehenden Bescheidenheitstopik die Angemessenheit seiner poetischen Kunst: Pont. 3 , 9 , 4 9

Musa mea est index, nimium quoque vera, malorum, atque incorrupti pondera testis habet.

Das echte Schlußgedicht des 4. Buches aber prophezeit in catullischer Manier wie wir gesehen haben (s. 387) - dem Förderer in Rom die Unsterblichkeit durch das alle Grenzen überschreitende Dankgedicht Ovids, stellt also in der Tat den zu erwartenden würdigen Abschluß des gesamten ovidischen Werkes dar. Die gedanklichen Schwächen des 'Briefes' [Pont.] IV 16 liegen offen zutage. Hand in Hand damit gehen sprachliche und stilistische Besonderheiten. Namhaft gemacht sind bereits die Zerdehnung der Periode, die sich über mehr als vierzig Verse erstreckt, der funktionslose Vers 14 (S. 393 Anm. 5), substantiviertes invide (S. 390), adest statt est (S. 392 Anm. 1), metaphorisch verwendetes proscindere im Sinne von carpere (S. 395 Anm. 1). Ich hebe desweiteren hervor: 6 side re us que Pedo, wo das Attribut im Sinne von divinus verwendet scheint, wofür es sonst frühestens Belege bei Columella (10,434) und Val. Flaccus (7,136) gibt2, die aber beide das bereits überarbeitete Ovidcorpus kannten; ferner 10 s übt i Ii s (Numa): ein nach Lukrez noch bei Catull zweimal (54,3; 64,63) und in Horazens Satiren und Briefen insgesamt viermal erscheinendes Adjektiv, das sonst in der augusteischen Dichtung (Vergil, Tibull, Properz, Ovid) fehlt und erst bei Martial wieder einmal (11,100,1)

Erinnert sei auch an den Hymnus an die Muse, die ihn ins Exil begleitet hat und dort allein ihm Halt und Kraft bedeutet (trist. 4,10,115ff.). Siehe Börner zu met. 11,445 (sidereus coniunx von Ceyx als dem Sohn des Lucifer).

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auftritt 1 ; 21 velivolique maris vates: die Junktur dürfte von dem Vergil- und Ovid-Editor Montanus aus Aen. 1,224 geholt sein; 24 dexter in omne genus: eine kühne Neuerung (ThLL V l,924,51ff., siehe Helzle); 39f. quorum ... appellandorum nil mihi iuris adesf. der Genitiv des Gerundivums (abhängig von dem Genitiv iuris) wirkt prosaisch; 48 desine: wie das notorisch von Montanus bevorzugte incipit (s. S. 406f.) gilt ihm auch das Antonym desinit (bzw. der Imperativ desine) als willkommener Versanfang, so z.B. in [Aen.] 4,360. In dem getilgten Vierzeiler aus der Ars amatoria ([ars] 3,205-208, s. S. 400f.) stehen ähnlich wie in [Pont.] IV 16 (39. 42) die Begriffe cura und das in der Dichtung äußerst seltene praesidium (freilich in je verschiedener Bedeutung) benachbart. Die cura des Dichters kommt auch in dem unechten Carmen [am.] II 18 (13 curaque tragoedia nostra \ crevit) ins Spiel. Doch in [Pont.] 4,16,39 bezieht sich (quorum, sc. der jüngeren Dichter) quod inedita cura est nicht auf die Sorgfalt, die der Dichter im Schaffensprozeß hat walten lassen (vgl. Pont. 4,2,50 hue aliquod curae mitte recentis opus)2, sondern bezeichnet prägnant das Dichtwerk selbst. Dies scheint eine der kühnen Neuerungen des Montanus, abgeleitet vom Auftaktvers des zweiten Tristienbuches, in dem Ovid seine Dichtung verwünscht (trist. 2,1 f.): quid mihi vobiscum est, infelix cura, libelli, | ingenio perii qui miser ipse meo? Man sieht, wie Montanus durch die Verknappung des Doppelausdrucks die ursprüngliche Apposition, durch die der Dichter die libelli als Gegenstand seines unseligen Mühens bezeichnet, zum Subjekt gemacht hat und so zu seiner kühnen Neuerung gekommen ist. Es läßt sich somit in aller Deutlichkeit zeigen, daß der vermeintliche Schlußbrief der Epistulae ex Ponto aus formalen und inhaltlichen Gründen (wegen der Gedichtzahl der Sammlung, wegen des anonymen Addressaten, der langen Reihe minderer Tagespoeten, mit denen sich der echte Ovid nicht zu vergleichen pflegt, und der unstimmigen politischen Ausrichtung), aber auch aufgrund seiner stilistischen und sprachlichen Form (hervorgehoben sei die schiefe Metaphorik) und der epigonenhaften Imitationstechnik nicht von Ovid verfaßt sein kann. Alle drei Kataloge, in denen Ovid scheinbar seine Epistulae Heroidum erwähnt ([am.] II 18, [ars] 3,321-348 und [Pont.] IV 16) stammen von fremder Hand. Sie sind in das ovidische Œuvre eingefügt, um die Epistulae Heroidum als vermeintliche Dichtungen des berühmten Sulmonensers dem Ovidcorpus anzugliedern und ihnen so Dauer zu verleihen. Das Kalkül des tolerabilis poeta ist aufgegangen. Seinen Namen hat er in das letzte Katalogge-

1 2

Siehe Axelson 62; Helzle ad loc. Ferner ars 2,746 vos erìtis chartaepróxima cura meae; 3,411 f. opérâtaque dictis \ cura vigil Musis nomen inertis habet-, trist. 2,11; Pont. 1,5,61; 3,4,77 (opus curae)·, 3,9,29. 52; 4,6,37 quae (sc. linguae tela) tibi tam tenui cura limantur.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

dicht hineingeschrieben und sich durch den Mund des Meisters selbst in einer ehrenden Apostrophe aus dem dichten Chor der Tagespoeten herausheben lassen: quique vel imparibus numeris, Montane, vel aequis sufflcis et gemino carmine nomen habes.

h) Die Medicamina faciei femineae in [ars] 3,205-208 Mit dem gleichen Verfahren, das den Epistulae Heroidum im Kielwasser des Ovid ein ruhmreiches Nachleben gesichert hat, ist es dem von uns erschlossenen Montanus gelungen, auch sein schwaches didaktisches Lehrgedicht über die Schönheitspflege der Frau, das schon Plinius (nat. 30,33) im Ovidcorpus gelesen hat (es sind nur fünfzig Disticha erhalten) über die Zeiten zu retten: Mitten in die Anweisungen über das dezente Schminken, die Ovid im dritten Buch der Ars amatoria den Frauen gibt, hat der Redaktor vier Verse eingeschoben, in denen der vermeintliche Ovid auf ein separates Büchlein über diese Thematik verweist: ars 3,199

205

208 210

scitis et inducía candorem quaerere creta; sanguine quae vero non rubet, arte rubet; arte supercilii confinia nuda repletis parvaque sinceras velai aluta genas, neç pudor es¿ oculos tenui signare favilla vel prope te nato, lucide Cydne, croco. [err mihi, quo dixi vestrae medicamina formae. parvus, sed cura grande, libellus, opus·, hinc quoque praesidium laesae petitote fìsurae; non est pro vestris arg mea rebus iners.] non tamen expósitas mensa deprendat amator pyxidas: ars faciem dissimulata iuvat (...)·

Die beiden Disticha durchbrechen in einzigartiger Weise die Illusion der fiktionalen Unterweisung, indem sie den Dichter selbst ein separat ediertes Werk anpreisen lassen. Für eine solche persönliche Bemerkung böte allenfalls eine Sphragis Raum; und selbst da wäre die hier gewählte Form noch viel zu konkret - abgesehen davon, daß dixi ein ganz unbefriedigendes Verb für die didaktische Unterweisung in einem 'Lehrgedicht' ist. Der Fremdkörper fällt deutlich aus der Struktur der Periode nec pudor est ... (203) - non tamen ... (209) heraus und verrät sich vor allem durch das unpassende azs mea im Sinne 'dichterischer Anleitung' (208), das die jeweils auf 'künstliche Schönheitspflege' abzielende Reihe arte - arte - ara (200. 201. 210) empfindlich stört und mit dem prosaischen, unpräzisen Ausdruck pro vestris ... rebus (für in vestra commoda, o.ä.) verbunden ist, der das Wortspiel

Medicamina faciei femineae

401

ars ... iners um so gesuchter erscheinen läßt. Der hölzern wirkende pluralische Imperativ Futur petitote (207) hat eine einzige Parallele in dem mutmaßlichen Montanus-Gedicht Catal. V der Appendix Vergiliana (5,13f. et tarnen meas Chartas \ revisitote) und ist mit einem weiteren Prosaismus kombiniert: Nach Axelson (98f. ) wurde praesidium (ν. 42) " von den Römern als ein plattes, dem poetischen Stil unangemessenes Wort empfunden". Der echte Ovid verwendet es ein einziges Mal in Pont. 1,6,14 (qui [sc. Graecinus absens] mihi praesidium grande fiiturus eras), doch, wie man sieht, in der durch Horaz (zuerst in carm. 1,1,2) und Vergil (Aen. 11,58) geadelten Bedeutung 'Schutz' in einem Klientel- oder Freundschaftsverhältnis (so auch Montanus in [Pont.] 4,16,42, s. S. 399), während es in [ars] 3,207 um 'Hilfe' für die bereits angegriffene Schönheit (laesae ... figurae) geht, also auxilium, opem, subsidium, medicamen, levamen (petere) gefordert wäre. Doch stimmt auch das Motiv der laesae ... figurae (und die Begriffe figura und forma [205] überhaupt) nicht zum Tenor der ovidischen Darlegung, die lediglich das Verbessern des natürlichen Teints durch künstliche Pflege, also ein faciem ... i u v a r e (210) zum Gegenstand hat. Der Vers 206 wird durch eine der vielen für den Vergil- und Ovid-Interpolator charakteristischen gewaltsamen Wortverschränkungen geprägt und bietet in parvus, sed cura grande, libellus, opus eine Variation des gleichen Tristienverses (2, If.), den wir auch in [Pont.] 4,16,39 als Vorbild des Montanus herauszustellen hatten (s. S. 399), die gleiche Sperrung cur a e ...opus wie in Pont. 4,2,50 (aliquod cu ra e ... recentis opus)

und die gleiche Hervorhebung der cura

echten Kataloggedicht [am.] II 18: hinter cura

wie in dem un-

grande ... opus hört man den

Dichter der Verse cur a que tragoedia nostra | ere vit et huic operi aptus eram (s. S. 401).

quamlibet

Das auf diese Weise dem Ovid unterschobene didaktische Gedicht1 ist von der gleichen Art wie das Moretum in der Appendix Vergiliana2 und mit Sicherheit später geschrieben als die Ars amatoria, die Remedia amoris und die

Erinnert sei an die beiden von C.W. Müller nachgewiesenen Interpolationen in die hippokratische Schrift 'De natura pueri' (gen.) 3. VII 474,5-13 und 11. VII 484,14-20 Littré (46,11-20 und 52,3-10 Joly), durch die der Verfasser von 'De morbis IV' "das eigene Werk dem Verfasser von 'De natura pueri' zu vindizieren und dessen embryologischgynäkologischem Werk einzugliedern" sucht, siehe C.W. Müller, Zur Textgeschichte und Verfasserschaft der hippokratischen Schrift 'De natura pueri', in: K.-D. Fischer - D. Nickel - P. Potter (Hrsgg.), Text and Tradition. Studies in Ancient Medicine and its Transmission, presented to Jutta Kollesch, Leiden 1998, 203-221, dort 211 (siehe ferner u. S. 602). Die Form der sachlichen Unterweisung ist allerdings im Moretum aufgegeben zugunsten einer implizit unterrichtenden Beschreibung des Brotbackens und des Herstellens eines Kräuterkäsgerichtes. Zu Übereinstimmungen in sachlichen Details s.u. zu medic. 53ff.

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402

Metamorphosen, wie die folgenden, aus der großen Zahl herausgegriffenen Imitationen zeigen können: medic. 1-5 ~ ars 3,101-105; vgl. besonders quae faciem commendet cura ars 3,105 cura dabit faciem: ferner die Stichwörter forma (ars 3,103) und cultus: Hinter der anaphorischen Reihe cultus - cultus - culta (medic. 3 . 5 . 7 ) steckt der ovidische Auftakt von ars 3,101f. ordior a cultu: cultis bene Liber ab uvis I provenit, et culto stat seges alta solo. Diesen Auftakt hat Montanus unter Kontamination von rem. 173 (Cerealia semina) und 175f. (aspice curvatos pomorum pondere ramos \ ut sua quod peperit vix ferat arbor onus) abgewandelt zu medic. 3 5

cultus humum sterilem Cerealia pendere iussit muñera, mordaces interiere rubi; cultus et in pomis sucos emendai acerbos, fissaque adoptivas accipit arbor opes. culta placent.

In Vers 6 verrät er sich als der gleiche Redaktor, der in [ars] 2,649-652 und 655f. die beiden unpassenden Vergleiche mit dem Baumpfropfen und der penetrant riechenden Stierhaut eingeführt hat (v. ad loc.), vgl. bes. Vers [ars] 2,652 firmaque adoptivas arbor habebit opes1. Er orientiert sich in den beiden Stellen zugleich an dem Beginn des zweiten Georgicabuches2, wo er u.a. (v. ad loc.) auch die Verse [georg.] 2,25 (quadrifidasque sudes et acuto robore vallos) und 2,59 (pomaque dégénérant sucos oblitapriores) eingeschoben hat3. medic. 7 — ars 1,113. medic, l l f . (forsitan antiauae Tatio sub rese Sabinae | maluerint quam se rurapaterna coli) ~ am. l,8,39f. (forsitan inmundae Tatio regnante Sabinae \ noluerint habiles pluribus esse viris) + ars 3,107f. (corpora si yeteres non sic coluerepuellae, \ nec veneres cultos sichabuere vi ros, medic. 13f. (cum matrona premens altum rubicunda sedile | assiduo durum pollice nebat opus): eine Kontamination aus met. 5,317 (nymphae) factaque de vivo oressere sedilia saxo4 und met. 8,453 staminaque impresso fatalia pollice nentes (sc. sorores)5. In medic. 15 (ipsaque claudebat, quos 1 2

3 4

5

Siehe hierzu S. 335 Anm. 2. Vgl, bes. 2.35f. proprios eeneratim discite cultus. | ... fructusaue feros mollite colendo. \ neu segnes iaceant terrae; 2,51f. exuerint silvestrem animum, cultuaue frequenti \ ... sequentur; 2,78f. et alte | finditur in solidum cunéis via; 2,82 miratastque novas frondes (sc. arbos) et non sua poma (das Vorbild für die adoptivas ... opes von med. 6, vgl. georg. 2,76 aliem ex arbore germen). Zu [georg.] 2,57-60 s. R. Cramer 261ff. Man hat wohl auch Pont. 4,5,18 conspicuum signis cum premet altus ebur (sc. der neue Konsul) mitzuhören, s.u. zu Vers 20. In der einschlägigen Dichtung bietet nur [Ον.] Ibis 76 (quaeque ratum trìplici pollice netis opus) eine vergleichbare Ausdrucksweise.

Medicamina faciei femineae

403

filia paverai, agnos) hört man den Montanus der Silvia-Zudichtung [Aen.] 7,487-489 (v. ad loc.), in medic. 18 (vultis inaurata corpora veste tegï) den Verfasser der Heroides (vgl. epist. 13,32 nec libet aurata corpora veste tegi), der in medic. 19 (vultis odoratos positu variare capillos) wieder zwei Vorbildstellen ineinanderarbeitet: am. 3,1,7 (venit odoratos Elegia nexa capillos) und met. 2,41 If. (non erat huius opus lanam mollire trahendo \ nec positu variare comas). Der Vers medic. 20 (conspicuam gemmis vultis habere manum) verhält sich komplementär zu medic. 13 (s.o.) in bezug auf die gemeinsame Vorbildstelle Pont. 4,5,18 (conspicuum signis cum premet altus ebur). die der gleiche Montanus auch in [fast.] 1,82 (et nova conspicuum pondera sentit ebur) imitiert hat, v. ad loc. In medic. 21 (induitis collo lapides Oriente petitos) liegen wieder die Metamorphosen zugrunde (met. 7,266 adicit [sc. Medea] extremo lapides Oriente petitos). Wie hier die zweite Vershälfte aus einem centonenhaften Versatzstück besteht, so in medic. 23 das einleitende Hemiepes nec tarnen indienum. das aus am. 1,10,53 geholt und mit einer Variation des in ars 3,108. 122 vorliegenden Gedankens verschmolzen ist. Eine abwegige Übersteigerung sucht der Epigone in medic. 29f. (rure latent fineuntaue comas: licet arduus illas | celet Athos. cultas altus habebit Athos), hinter der sich eine Kombination aus Tib. 1,2,94 (manibus canas fìngere velie comas)1 und Germ. 583ff. (quod si nube cava solis via forte latebit, \ occulet aut signum conscendens. vertice caelum \ altus Athos) zu verbergen scheint (es sei an den perfossus Athos im Culex (31) erinnert. Dem Montanus eigentümlich scheint der Ausdruck est etiam placuisse sibi quaecumque voluptas in medic. 31 und epist. 17,133 (prima mea est igitur Veneri placuisse voluptas). Aus mehreren Musterversen zusammengesetzt sind medic. 32

ars 1,623 625

virsinibus cordi grataaue forma sua est. laudatas homini volucris Iunonia pennas explicat et forma muta superbii avis, vgl. delectant etiam castas praeconia formae; virsinibus curae grataaue forma sua est. nam cur in Phrygiis Iunonem et Pallada silvis nunc quoque iudicium non tenuisse pudet? laudatas ostendit avis Iunonia pinnas2:

Prop. 3,10,14 {pressopollice finge comas) scheint echtheitskritisch nicht gesichert; ebenso halte ich [ars] l,305f. (quid tibi cum speculo montana armento petenti? \ quid totiens positas fingís inepta comas) zusammen mit dem ganzen dortigen Katalog [ars] 1,275-350 für unecht. Das verwandte Distichon [am.] 2,6,55f. (explicat ipsa suas ales Iunonia pinnas. \ oscula dat cupido blanda columba mari) scheint mir ebenfalls unecht, von gleicher Hand mit Blick auf ars 1,627 und Catull. 68,125f. eingeschoben.

404

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

3,103

si tacitus spectes, illa recondit opes und forma dei munus; forma quota quaeque superbii?

Es liegt auf der Hand, daß in medic. 32-34 der Passus aus Ovids erstem Buch der Ars amatoria zusammengeschnitten und mit 3,103 kontaminiert worden ist. Cordi für curae (est) kennt der echte Ovid (im Gegensatz zu Catull und Vergil) nicht; das müßige (laudatas) homini muß als lästiges Versfüllsel beurteilt werden. In medic. 35-42 sind mindestens vier ovidische Partien über Zauberkunst verarbeitet: am. l,8,7f. (bes. der Versschluß virus amantis eauae = medic. 38); 2,1,25 (carmine dissiliunt abruptis faucibus aneues — medic. 39); ars 2,99-102 und das nächtliche Gebet der Zauberin Medea in met. 7,192ff., bes. 196. 199f. ripis mirantibus amnes \ in fontes rediere suos ~ medic. 40 nec redit in fontes unda supina suos (offensichtlich kontaminiert mit dem dritten Glied der Adynaton-Reihe Pont. 4,6,41ff., wo es in 43 heißt fluminaque in fontes cursu reditura supino). 203 vipereas rumpo verbis et carmine fauces (s.o.) und 207f. te quoque, Luna, traho, auamvis Temesaea labores \ aera tuos minuant ~ medic. 41f. et auamvis aliquis Temesaea removerit aera. \ numquam Luna suis excutietur equis1. Die Verse medic. 43-50 gehen auf ars 2,107-120 zurück; doch hat sich in med. 43 {prima sit in vobis morum tutela. puellae) unverkennbar eine Reminiszenz an trist. 2,233f. eingeschlichen, vgl. Vrbs quoque te et legum lassai tutela tuarum \ et morum. similes quos cupis esse tuis2. Der Auftakt die, age, cum teneros somnus dimiserit artus (...) in medic. 51 erinnert stark an das mutmaßliche Montanus-Gedicht [am.] III 5 (3 If. die age, noctumae ... imaginis augur, \ ... visa quid ista ferant3. Die sachlichen Unterweisungen in medic. 53ff. sind eng verwandt mit Moret. 16ff., vgl. die Stichworte mensura - libras (55f. 71 / Mor. 55f.), mola (58 / Mor. 23)4, farinae (61 / Mor. 39. 44), subigenda lacertis (75) / subactum (Mor. 46), lacertos (Mor. 21). Der eigentümliche Ausdruck haec, ubi contrieris, per

1

2

3

4

Auch dies offenbar ein montanischer Ausdruck, vgl. [ars] 3,467f. supprime habenas, \ Musa, nec admissis excutiare rotis; [Ον.] Ibis 578 exul ab attonitis excutiaris equis; [Aen.] 6,353 excussa magistro (sc. navis); [Aen.] 10,590 excussus curru. Ähnliche Versatzstücke liest man noch medic. 94 mascula tura ( = ecl. 8,65), 97 illita vultu ( = ars 3,211) und med. 98 haerebit toto nullus in ore color ( = am. 2,11,28). Auch an das vermutlich unechte Properzgedicht [Prop.] II 29b (29 talis visa mihi somno dimissa recenti). Die age hat der echte Ovid zweimal (fast. 1,149; met. 12,177), der von uns erschlossene Montanus aber viermal (Ciris 234, medic. 51; [am.] 3,5,31; epist. 6,141; [Aen.] 6,343 (v. ad loc.). In 58 (lenta iube scabra frangat asella mola) hören wir den Interpolator der Verse [ars] 3,287-290; vgl. 290 ut rudit a scabra turpis osella mola und die scabras ... molas in fast. 6,312. Der Versschluß codent vivaci cornua cervo (59) kommt aus ecl. 7,30 (ramosa Micon vivacis cornua cervi) oder met. 3,194 (dat sparso capiti vivacis cornua cervi).

Medicamina faciei femineae

405

densa foramina cerne (medic. 89) kehrt wieder in dem durch die besseren Handschriften als unecht entlarvten Versblock [met.] 12,434-438 (s. S. 260). Man darf diesen, insbesondere den Vergleich veluti concretum vimine auernol I lac solet utve liquor rari sub pondere cribri \ manat et exprimitur per densa foramina spissus (12,436-438), dem gleichen Montanus zuerkennen, dem wir auch die Medicamina faciei femineae und das (besser gelungene) Moretum zuschreiben (vgl. hierzu Moret. 39ff. transfert inde manu fusas in cribra farinas | et quatit; ac remanent summo purgamina dorso, | subsidit sincera foraminibusque liquatur \ emundata Ceres, etc. Er dichtet die Medicamina in Kenntnis nicht nur der ganzen Ars amatoria und der Remedia (s. zu medic. 1-5), sondern auch der Metamorphosen (s. zu med. l l f . 19. 21. 40. 41f.), der Tristien (s. zu medic. 43), der Epistulae ex Ponto (s. zu med. 13. 20. 40) und wahrscheinlich auch des Germanicus (s. zu medic. 29f.). In den Heilmitteln de querulo volucrum ... nido (77) und in der Junktur molli ... vultu (97) gibt er sich unmittelbar als der Verfasser des Montanusfragments I zu erkennen, dessen tristis hirundo \ argutis reditura cibos inmittere nidis \ incipit et molli partîtes ore ministrai (s. S. 314). Wir gewinnen somit das Bild eines versierten Verskünstlers, der die Überarbeitung des Ovidcorpus dazu nutzt, an diesem Œuvre in großem Stile weiterzudichten und ihm durch insgesamt vier in unverholener Fälschungsabsicht hinzugesetzte Gedichte oder Verspartien seine eigenen Epistulae Heroidum und die Medicamina faciei femineae einzugliedern. Es ist die gleiche Art, wie er seine in der Appendix Vergiliana versammelten Paignia (und späteren Lehrgedichte) als vorgebliche divini elementa poetae \ et rudi s in vario carmine Calliope dem Vergil unterschiebt (Catal. 15,3f.). Vielfältige Gemeinsamkeiten in Motivik, Ausdrucks weise, Metrik und Sprache berechtigen zu der Annahme, daß wir in beiden Corpora den gleichen Dichter, Iulius Montanus, als großzügig eingreifenden, 'verbessernden', implizit erläuternden und ausschmückenden Bearbeiter am Werk sehen.

8. Zum Vokabular der

Montanus-Fragmente

Das in den gut sechs Versen, die wir von Montanus haben, dreimal am Versbeginn erscheinende i η c i ρ i t hat Vergil so im Zusammenhang von Tageszeitangaben nur einmal beim Ausbrechen eines Gewittersturmes (4,160f.) 2 . Mon-

Die Junktur begegnet in der einschlägigen Dichtung nur noch Aen. 11,65. Vgl. darüber hinaus georg. 3,138f. rursus cura patrum cadere et succedere matrum \ incipit: Aen. l,720f. (at ille) paulatim abolere Sychaeum \ incipit. - Vergilimitation liegt im Fragment I des Montanus (über das bisher Gebuchte hinaus) wohl auch im Folgenden vor: frg. 1,2 (incipit) spargere rubicunda dies - Aen. 12,113f. postera vix summos

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406

tanus verwendet das Verb mindestens noch an weiteren sechs Stellen, einmal auch in einer charakteristischen Nachtschilderung: [Aen.] 2,268

tempus erat quo prima quies mortalibus aegris ine i ρ i t et dono divum grettissima serpit (s. S. 305); Ciris 342 paulatim tremebunda genis obduçere vestem virginis et placidam tenebris captare quietem, inverso bibulum restinguens lumen olivo, incipit1 ad crebrosque insani pectoris ictus ferre manum (...); Aetna 484 (liquor) fluminis in speciem mitis procedere tandem incipit et pronis demittit collibus undas\

ferner [Aen.] 4 , 7 6 (i η c ι ρ i t effari mediaque in voce résistif, v. ad loc.) und 10,876 (incipias conferre manum, v. ad loc.). Diese Stilmanier sticht besonders in einem Passus v o n [am.] II 19 (v. ad loc.) hervor: [am.] 2,19,38 40 47

ineipe iam prima claudere nocte forem; ineipe. quis totiens furtim tua limina pulset, quaerere, quid latrent nocte silente canes (...). iamque ego praemoneo: nisi tu servare puellam incipis. incipiet desinere esse mea.

Offensichtlich hören wir hier jeweils den Iulius Montanus, der auch wegen dieser Manier von seinen Zeitgenossen bespöttelt wurde, wie aus der vom jüngeren Seneca berichteten Rezitation hervorgeht: Als nämlich Montanus die ersten vier Verse deklamiert hatte frg. 1,1

incipit ardentes Phoebus produçere flammas, spargere se rubicunda dies; iam tristis hirundo argutis reditura cibos inmittere nidis incipit et molli partitos ore ministrai,

mußte er sich das Nachäffen des Varus, eines römischen Ritters, gefallen lassen, der dazwischenrief: incipit Buta dormire. Doch auch das wenig später folgende Zitat wartet ein weiteres Mal mit dieser Eigenart auf: frg. 2,1

iam sua pastores stabulis armenia locarunt, iam dare sopitis nox pigra silentia terris incipit.

spareebat lumine montis | orta dies. In 4,584f. (zugesetzt vom Interpolator aus 9,459f.) ist Aurora (die ja auch in [Aen.] 6,535f. zum Himmelspol fährt) Subjekt des Satzes sparsebat lumine terras. "The delay and placing of incipit is awkward" (Lyne): es ist die nachklappende Stellung, die Montanus auch in frg. l,2ff. und frg. II bietet.

Vokabular der Montanus-Fragmente

407

In der Struktur (ardentes vor der Penthemimeres, Bezugswort am Versende) sind neben dem oben zu frg. 1,1 gegebenen Maniliuszitat (s. S. 295) die folgenden Verse eng verwandt1 : Mont. frg. 1,1 [georg.] 3,46 [Aen.] 9,652

incipit ardentes Phoebus producere flammas; mox tamen ardentis accinger dicere pugnas Caesarisy atque his ardentem dictis adfatur Mum.

Beide Verse aus dem Vergilcorpus sind unecht (s. ad locc. 2 ). Der letztgenannte stammt aus einer längeren eingedichteten Apollo-Episode. Echt dagegen ist georg. 4,384

ter liquido ardentem perfundit nectare

Vestam, 3

wo ardere in eigentlicher Bedeutung gesetzt ist . Weitere herausstechende Merkmale, die die beiden überlieferten Fragmente und die unechten Vergilzusätze teilen, sind die Verba sopire4. partiri5. spargere6. Sowohl das dare ... silentia terris (frg. 2,2) hat seine inhaltliche Ent-

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6

Siehe Dahlmann 1982, 138. Zu [georg.] 3,46-48 s. Cramer Anm. 627. Vergil kennt freilich auch die übertragene, vgl. etwa 9,420f. saevit atrox Volcens nec ... conspicit... I ... quo se ardens immitterepossit. Frg. 2,2; vgl. [Aen.] 8,542. Der oben verfolgten kühnen Übertragung des Ausdrucks molli ... ore von den (im Zusammenhang unpassend) zarten Wangen der Gattin des gefälschten Ovid auf den Schnabel der Schwalbe läßt sich hier eine Parallele in dem Gebrauch des Attributs sopitus an die Seite stellen: In frg. 2,2f. (iam dare sopitis nox pigra silentía terris) hat es Iulius Montarais auf die 'Erde' oder die 'Länder' (gemeint ist unser Begriff 'Natur') gemünzt; in [Aen.] 8,410 ( = Aen. 5,743) stellt er es zum Altar-Feuer, wofür er einmal metonymisch auch den Altar selbst eintreten läßt ([Aen.] 8,542 Herculeis sopitas ignibus aras). Vergil verwendet es von schlafenden Lebewesen (Aen. 1,680), deren sensus (Aen. 10,642) und einmal (s.o.) vom Altar-Feuer. Ovid ordnet es fünfmal schlafenden Menschen zu, ein sechstes Mal den Händen der schlafenden Waldgötter, die Numa fesselt (Ov. fast. 3,306 vinclaque sopitas addit in arta manus). Diesen Vers hat der Verfasser der Hypermestra-Epistel genutzt, um die nächtliche Szene auszumalen, in der die Heroine im Brautgemach die Waffe gezückt hält, während Lynceus im Schlaf ihre Umarmung begehrt: 14,69 dum petis amplexus sooitaaue bracchia iactas, paene manus telo saucia facta tua est. Arme, die bewegt werden, kann man nicht gut bracchia sopita nennen. Der Verfasser der Verse, Iulius Montanus, hat seinen 'Ovid' recht eigenwillig ausgebeutet. Frg. 1,4; vgl. [Aen.] 11,822; ferner ministrare in frg. 1,4 und die Substantive in [Aen.] I,705; 2,580; 11,658. Frg. 1,2: aus Aen. 12,113 und 9,459 geholt; 9,459 ist vom Interpolator wörtlich in [Aen.] 4,584 eingeschwärzt, Vers [Aen.] 9,629 (qui spargat harenam) wörtlich aus ecl. 3,87 geholt worden, [Aen.] 12,106 (sparsa ... harena) wörtlich aus georg. 3,234; in [Aen.] II,82 (coeso sparsurus sanguine flammas) hat der Interpolator wieder sein beliebtes Ptz. Fut. gesetzt (s.u.); auch [Aen.] 7,191 (sparsitque coloribus alas) gehört hierher, v. ad loc.

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sprechung in unechten Vergilversen ([Aen.] 4,525-527) wie die (tristis)' hirundo. die argutis ... nidis das Futter zuteilt, vgl. die hirundo in dem unechten Schwalbengleichnis des 12. Aeneisbuches (s. S. 322ff.). Dem von Manilius entliehenen producere (frg. 1,1; s.o.) darf man das spezieller verwendete nec te tua funere mater \ produxi von [Aen.] 9,486f. an die Seite stellen; der aus Vergil genommenen Junktur stabulis armenia (frg. 2,1; s.o.) entspricht die ebenfalls aus Vergil (Aen. 6,179; 10,723) stammende Junktur stabula alta in [Aen.] 9,388; vgl. stabula in [georg.] 3,228 (226-228 del. Zw.); tecta ... stabuli in [Aen.] 7,512 und besonders successitque ... stabulis in [Aen.] 7,501 (siehe stabulis in Aen. 9,566). Zu der nox pigra von frg. 2,2 schließlich fügen sich die kranken Bienen, die nach dem Willen des Interpolators2 intus clausis çunçtantur3 in aedibus omnes \ ignavaequefame et contracto frieore vierae. Der echte Vergil hat piger überhaupt gemieden, während Horaz elf, der echte Ovid fünfzehn Belege liefert4. Aus met. 2,173f. (polo ... glaciali próxima Serpens | frieore viera) hat Montanus seinen Versschluß von [georg.] 4,259 geholt. Es kann schwerlich Zufall sein, daß der einzige weitere Beleg für piger im Vergilcorpus im unechten Culex steht5 und dort - wie im Montanusfragment - bei der Schilderung einer hereinbrechenden Nacht (s.o.). Ganz entsprechend meidet der echte Vergil impiger, Montanus aber verwendet das Adjektiv in dem Aeneiszusatz l,734f. 737-739 ([Bitias] imp i g er hausit), je zweimal in den Elegiae in Maecenatem (1,69. 81), im Culex (191. 391), in Aetna 574. 592

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5

Eine im Zusammenhang eigentlich unpassende Metonymie, die auf den zugrundeliegenden Verwandlungsmythos verweisen soll (durch georg. 4,15 angeregt, s.o. S. 311). Die Verse [georg.] 4,257-263 sind unecht, v. ad loc. Vgl. das unechte partis çunctatur in omnis ([Aen.] 10,717), falls dort nicht minitatur zu bessern ist, wodurch dem (singulären) minitans des Interpolators von 12,762 eine von gleicher Hand stammende Parallele wiederentstünde (s. S. 563). Montanus dürfte im 'Ovid'-Corpus die folgenden Fälle beigesteuert haben: [am.] 2,9,12; 2,13,13; [Pont.] 4,10,61; epist. 19,210; 21,161. Von Interesse dürfte folgende Tabelle über piger und Synonyma sein: Verg. piger



Hör.

Ov.

[epist.]

Mont.frg·

Interpoi

Culex

11

15

2

1

5

1

segnis

24

5

12

tardus

21

13

43



8





4

1

Setzt man die Belege in Relation zu dem jeweiligen Versumfang, wird deutlich, daß Montanus und der Interpolator (die identisch sind) in der von Vergil markant abweichenden Tradition des Ovid stehen.

Vokabular der Montanus-Fragmente

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und je einmal in [Ον.] epist. 3,86; Ibis 632; hai. 53; App. Verg. 'Quid hoc novi est' 12. Besonders markant ist die hirundo ... reditura von frg. 1,2f., zunächst weil wir hier einen der vielen elliptischen Ausdrucksweisen des Montanus greifen (s. S. 438): Wie er in [fast.] 1,157 ignotaque prod.it hirundo schreibt, wo er sagen will, daß die ' < lange > nicht in Erscheinung getretene Schwalbe' im Frühling wieder hervorkommt (v. ad loc.), so begnügt er sich hier mit einfachem reditura, obwohl gemeint ist, daß die Schwalbe am frühen Morgen damit beginnt, ihre Nestlinge zu füttern, indem sie ' < immer wieder fortfliegen und zum Nest> zurückkehren wird'. In [trist.] 4,2,12 (muñera det meritis, saepe datura, deis) hat er einen verwandten Gedanken durch die Apposition mit hinzugesetztem saepe klarer formuliert (v. ad loc.), in Eleg. Maecen. 1,6 (it redit in vastos semper onusta lacus, sc. ratis) sogar einmal die Vollform des Ausdrucks geboten; in Ciris 172 ( s a e p e redit patrios ascendere perdita muros) aber deutet er wieder lediglich durch saepe an, daß hier die gleiche Ellipse wie im Schwalbenfragment vorliegt, was den Erklärern der Ciris-Stelle viel Kopfzerbrechen verursacht hat (s. Lyne ad loc.). Verwandt ist der freie Gebrauch von rediviva im Sinne von ' < i m m e r wieder > neu erstehend' im Moretum des gleichen Montanus, V. 60f. hortus erat iunctus casulae, quem viminapauca \ et calamo rediviva levi munibat harundo. Desweiteren weckt der Gebrauch des Partizips Futur an sich Interesse: Daß in den lediglich sechs sicher bezeugten Versen des egregius bzw. tolerabilis poeta Montanus ein Futurpartizip auftaucht 1 , stimmt gut zu dem exzessiven Gebrauch dieser Verbform, den wir in den weiteren ihm hier zugeschriebenen Dichtungen und Zusätzen beobachten: Der echte Vergil hat in seinem gesamten Œuvre 60 Futurpartizipia von 18 verschiedenen Verben 2 , Montanus in seinen Vergilzusätzen 40 von ebenfalls 18 verschiedenen Verben, von denen nur insgesamt 6 mit den vergilischen übereinstimmen. Bei Ovid finden sich allein in den Metamorphosen 140 Futurpartizipia, 45 in den Fasti, 42 in den Tristien, 32 in den Epistulae ex Ponto. Selbst wenn man eine größere Anzahl

1

Vgl. die dem Montanus in den Mund gelegte Formulierung involaturum

se Vergilio

quaedam

2

in vit. Verg. 29 (S. 265). Er hat 13 Belege für fiiturus (Montanus [in den Vergilzusätzen] 9), 11 für moriturus (Montanus 4), 10 für venturus (Montanus 7), 2 für periturus (Montanus 3); die übrigen Futurpartizipia verteilen sich auf die folgenden Verba: casurus (1), daturus (1), deiecturus (1), dicturus (1), doliturus (1), habiturus (1), hausurus (1), iturus (1 [Mont. 1]), lapsurus (1), placiturus (1), positurus (1), temptaturus (1), visurus (1 [Mont. 2]), vocaturus (1). Montanus bietet seinerseits (neben den schon genannten Belegen fürfiiturus,moriturus, periturus, venturus) noch die folgenden: arsurus (1), aucturus (1), excisurus (1), facturus

(1), geniturus (1), inspecturus (1), laturus (2), mansurus (1), missurus (1), rediturus (1), sparsurus (1), vincturus (1).

410

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

davon in auszusondernden Montanus-Partien vermuten darf 1 , wird die Steigerung des Vorkommens bei Ovid deutlich. In seinem Kielwasser (und vermutlich in dem des Livius) fahrt Montanus. Von seinen 18 Verben im Futurpartizip finden sich nur fünf nicht bei Ovid: aucturus ([Aen.] 5,565), excisurus (12,762), geniturus (9,642; von Montanus schon in [Ον.] epist. 12,45 verwendet), inspecturus (2,47)2, temptaturus ([georg.] 2,94; vgl. Vergil in Aen. 4,293). In den Heroides hat er sich 65 Futurpartizipia geleistet und dabei mehrfach ein Wortspiel erstrebt, wie er es bei Ovid je einmal in den Amores (2,11,37 vade memor nostri, vento re di tur a secundo), Fasti (1,311 ergo ubi nox aderit Venturis tertia Nonis), Metamorphosen (13,966 talia di cent e m die tur um plura reliquiif und dreimal in den Tristien eingeführt hat4, vgl. [Ον.] epist. 2,99 qui me numquam visurus abisti; 5,59 votis ergo meis alii re di tur e re disti-, 9,17 quod te laturum est, caelum prius ipse tulisti; 15,199 Lesbides aequoreae nupturae nuptaque proles-, 17,160 fac redi tur us e as. Solche Wortspiele erstrebt Montanus auch etwa in [Ov. ars] 1,301 it comes armentis nec i tur am cura moratur, [trist.] 4,2,12 muñera det meritis saepe datura deis (s.o.[11-14 del. Zw.]); [Aen.] 9,642 dis genite et geniture deos\ Culex 381 digredior numquam rediturus5. Nicht zuletzt verrät sich der Liebhaber des Futurpartizips in folgenden überladen wirkenden Doppelungen: [Aen.] 2,47 (machina) inspectura domos νenturaque desuper urbi-, 8,534ff. hoc signum cecinit missuram diva creatrix, | ... Volcaniaque arma per auras \ laturam auxilio-, 8,576 si visurus eum vivo et νenturus in unum-, 9,642f. dis genite et geniture deos; iure omnia bella | ... fato ventura resident. Im Epicedion Drusi hat Montanus 7 Futurpartizipia6, in den Elegiae in Maecenatem 2, in der Ibis-Invektive 9, in der Ciris 6 (darunter zweimal facturus - wie in [georg.] 2,58, aber nicht beim echten Vergil), im Moretum 2, in der Nux 3, im Culex 8 und im Aetna 7. Es zeigen sich somit selbst in dem spärlichen Vokabular der 6 Verse der beiden Montanusfragmente Eigenheiten, die entweder auf unechte Dichtungen und Eindichtungen der 'Ovid'- und 'Vergil'-Corpora beschränkt sind (molli ore) oder dort auffällig hervorstechen (so das mehrmals erscheinende hirundo, 1 2 3 4

5

6

Von den 33 Belegen in Ovids Amores stehen etwa 15 in Montanus-Zusätzen. [Aen.] 2,46sq. del. Zw., v. ad loc. Vgl. met. 7,664 flábat adhuc eurus redituraque vela tenebat. Vgl. trist. 3,5,20 pectoribus teneo non abituro meis; 3,9,16 ausa atque ausura multa nefanda manu; 4,10,79f. non aliterflevi, quammefleturus adempio \ illefuit. Der einzige Beleg für rediturus im 'Vergil' gehört ebenfalls dem Montanus: [Aen.] 10,507 o dolor atque decus magnum rediture parenti ([ Aen.] 10,507-509 del. Zw., v. ad loc.). Darunter in 94 subiturus (was innerhalb der Vergil- und Ovidcorpora nur noch ein weiteres Mal bei Montanus, in [fast.] 1,19, belegt ist) und in 415 eventura (sonst nur noch [Pont.] 3,4,113: [Pont.] 3,4,71-114 del. Zw., v. ad loc.).

Vokabular der Montanus-Fragmente

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Futurpartizipia, incipit, öfter mit dem Infinitiv verbunden und dann in weiter Sperrung im Enjambement nachklappend an den Versbeginn gesetzt, sopitis ... terris, pigra), so daß die durch den exzessiven Gebrauch der Zeitperiphrasen nahegelegte Hypothese einer gemeinsamen Provenienz aus gleicher Hand weiter an Wahrscheinlichkeit gewinnt. Verwandte Erscheinungen, die unechte Ovid'- und 'Vergil'-Zusätze (und Appendices) zusammenbinden, werden wir im Verlauf der weiteren Untersuchungen auf Schritt und Tritt finden; ich gebe hier einige wenige Kostproben, darunter eine knappe Auswahl unvergilischen oder unepischen Vokabulars aus den diagnostizierten Einschüben in den 'Vergil'. Besonders herausgestellt sei die anstößige Floskel ea ..., quam longa est, nocte von [Aen.] 8,86, deren Verbindung mit den im Perfekt stehenden Verben leniti und substitit keine vernünftige Erklärung zuläßt1. Die gleiche vulgäre Konstruktion hat der von uns erschlossene Montanus in [Aen.] 4,193 (nunc hiemem ínter se luxu, quam longa, fovere)2 benutzt, (v. ad loc.), nachdem er zuvor in einem Zusatz zu Ov. am. 12 den Vers [am.] 1,2,3 et vacuus somno noctem, quam longa, peregi gedichtet hatte3, offenbar in nicht ganz geglückter Anlehnung an Hör. epist. 1,1,20 ut nox longa quibus mentitur amica. Dieser Eingang des Gedichtes am. I 2 soll hier - wegen der ihm zukommenden Bedeutung für die Identität des Vergil- und Ovid-Bearbeiters etwas näher betrachtet werden. am. 1,2,1-8 Die Verse [am.] 1,2,1-8 bringen einen Rückschritt in der Entwicklung vom sicheren Wissen um die Wirksamkeit der Liebespfeile Amors, gipfelnd in 1,1,26 uror, et in vacuo pectore régnât Amor, zum unsicheren Rätseln über die Gründe der Schlaflosigkeit in 1,2, Iff. (siehe McKeown's Kommentar S. 33). Die Verse 7f. wirken wie ein Abklatsch von l,l,25f., vgl. die Entsprechungen certas ... sagittas - tenues ... sagittae und et in vacuo pectore régnât Amor - et possesso ferus pectora versai Amor (das Attribut ferus ist müßig). Zur harten Konstruktion in 1,2,3 s.u. Die Klausel Amor in 8 stört neben den aufeinander abgestimmten Versschlüssen Amor - Cupido in 18f., zumal der Vers 5 mit amore endet. Das umgangssprachliche sie erit (7) hat eine einzige

Siehe Conington ad loc. Siehe dort Pease mit verwandten Parallelen aus dem unechten Ovid (epist. 3,49; 12,60 acta est per lacrimas nox mihi, quanta fuit) und aus der Spätantike. Umgekehrt dürfte in [Pont.] 4,4,33f. (çumque deos omnes, tum quos impensius aequos \ esse tibi cupias cum ¡ove Caesar erunt) eine mißglückte Assimilation an den Relativsatz vorliegen (gemeint ist ja: cum dei omnes tum ... cum love Caesar1. s. S. 175 Anm. 1.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

Parallele im Ovid-Corpus, nämlich in dem ebenfalls unechten Distichon [am.] 3,12,7f. (v. ad loc.). Prosaisch ist auch der Eingang des montanischen Vorspanns esse quid hoc dicam, quod ... Die Klausel von Vers 1 stammt aus Ovids Metamorphosen (met. 7,14 nam cur iussapatris nimium mihi dura videntur?). Vers 2 ist ein in [Prop.] 4,3,31 (tum queror in toto non sidere pallia lecto] vgl. epist. 21,172 et gravius iusto pallia pondus habent) wieder verwendetes Montanianum. Das Distichon 3f. (et vacuus somno no dem, quam longa, peregi, | lassaaue versati corporis ossa dolent) kann als Musterbeispiel für die oft schwache Imitationskunst des Montanus dienen: Er hat Ovids Fragen an seine in Rom verbliebene Frau von trist. 4,3,21ff. zugrundegelegt (ecquid ... | lenis ab admonito pectore somnus abit? | [23f. sind unecht] | num veniunt aestus, et nox inmensa videtur, | fessaaue iactati corporis ossa dolent?), dabei aber die nox inmensa Ovids durch eine vulgäre Konstruktion ersetzt, die in der Dichtung allein bei Montanus belegt scheint. Denn ihm gehören auch die beiden einzigen Parallelen im Vergil-Corpus: [Aen.] 4,193 und [Aen.] 8,86f. (s.o. S. 411) und die verwandten Formulierungen in epist. 12,60 acta est per lacrimas nox mihi quanta fuit1 und 3,49f. vidi, quantus erat, fusum tellure cruenta \ pectora iactantem sanguinolenta virum. Der Ausdruck tecta callidus arte nocet (6) geht auf Tibull (1,4,76 quos male habet multa callidus arte puer) zurück, die tenues ... sagittae (7) sind aus Pont. 4,9,83 geholt: Wir sehen im ganzen Zusatz den Cento-Dichter am Werk! Der echte Ovid hatte den Auftakt seines zweiten Gedichtes eng auf den Schluß des ersten abgestimmt, insbesondere auf 1,1,26 uror. et in vacuo pectore régnât Amor, uror nimmt er durch ignem auf und an das Verb regnai schließt er die Frage an: çedimus,m an subitum lu et an do accendimus ignem ? (1,2,9). Daß Montanus diesen auf 1,1,26 abgestimmten Vers als Gedichteingang vorgefunden hat, wird durch den Auftakt seines eigenen Gedichtes [am.] III IIb (s. S. 373) nahegelegt, der wie folgt lautet: luctantur pectusque leve in contraria tendunt \ hac amor, hac odium; sed, puto, vincit amor: vgl. met. 7,9ff. Prosaisches sane erlaubt sich Montanus in [Aen.] 10,48 (48sq. del. Zw., v. ad loc.) und [Ον.] epist. 17,15 und 21,215 (s. S. 354 Anm. 3), umgangssprachliches hiscere (für dicere) in [Aen.] 3,314 (v. ad loc.) und [Ov. met.] 11,566; vgl. Prop. [?] 3,3,4 und hiare in 2,31,6 (aus 3,17,34?); ferner subiit Aeeta relictus ([met.] 7,170) und subiit deserta Creusa ([Aen.] 2,562). Alle Belege für educere = educare im 'Vergil' ([Aen.] 6,765 [vgl. Gell. 2,16,5] 2 ; 7,763; 8,413; 9,584. 673, s. S. 121 Anm. 1) gehörendem Monta-

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Vgl. (in besserer Formulierung) epist. 16,317 sola iaces viduo tarn longa nocte cubili. Siehe S. 117ff. zu Caesellius Vindex.

Vokabular der Montanus-Fragmente

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nus, der das Verb geradezu formelhaft mit luco (bzw. -is) oder silvis kombiniert, vgl. bes. 7,762f. quem ... \ eductum Egeriae lucis; 9,583f. quem ... \ eductum Martis luco; 9,673 quos Iovis eduxit luco. Discrimen facere hat er in [Pont.] 1,8,62, discriminaponere in Culex 102 eingeführt, donaría in [georg.] 3,533 und [am.] 2,13,13 (aus fast.[?] 3,335 ?), fagineus in [met.] 8,653; epist. 5,87; [fast.] 4,656, peplum in [Aen.] 1,480 und Ciris 21. 30; volubilitas in [met.] 12,434 und [fast.] 6,271, den Imperativ Futur Plural in [ars] 3,207 (petitote) und in catal. 5,14 (revisitote), prosaisches cum vero in [met.] 8,32; 15,579; epist. 16,225; 18,93. Zu coniugium für coniunx ([Aen.] 2,579; 3,296; 11,270; [Prop.] 3,13,20) sei auf die Behandlung der Helenaepisode, dort S. 40 Anm. 3 verwiesen. Eigentümlich schreibt er ad quem ... vocibus usa est ([Aen.] 1,64) und ad quem ... ore locuta est ([Aen.] 9,5)' und dehnt den Ausdruck in [Aen.] 6,36 (fatur quae talia) und 10,298f. (quae talia... | effatus). Prosaische Interjektionen und Adverbia bietet er in [Aen.] 2,583 (non ita [elliptisch], vgl. o ita in [ars] 3,347); 8,532; 11,278 {ne vero ... ne)·, 5,195; 11,415 (quamquam o)\ 5,846 (paulisper)2; 9,255 (actutum); 10,548 (fortasse)3; vgl. etsi in [Aen.] 2,583; 9,44; Ciris 1. 156. 415; si statt ubi in [Aen.] 5,64 und multum lacrimas ... fundit in [Aen.] 3,348. Hervorgehoben sei ferner das folgende unvergilische (ja, oftmals unpoetische) Vokabular samt unvergilischer Wortformen aus Aeneiszudichtungen: accingier ([Aen.] 4,493); aclydes (7,730); Aenide (9,653); arvina pingui (spicula lucida tergent) subiguntque in cote (7,626f.); bubo (4,462); cateias (7,741); Cisseis, subst. (7,320); Dardanis (2,787); dia Camilla (11,657); dolones (7,664); ecqua - ecquid (3,341f.); exorsa (10,111; [georg.] 2,46) 4 ; farier infit (11,242); praefatus divos (11,301); finis, fem. (2,554; 3,145; 5,328. 384); funalia (1,727) 5 ; non futtilis auctor (11,339), vgl. glacies ceu futtilis (12,740); Inarime ... imposta Typhoeo (9,716); inest (6,26); inferar (4,545); Italides (11,657); iusso (11,467: statt iubebo); lautis ... Carinis (8,361); macie nova virtute (9,641); nemo (5,305. 349. 383; 9,6); medicatis frugibus offam (6,420); penum struere (1,704); Padusa (11,457); propexam in pectora barbam (10,838); religiosa (2,365) 6 ; pace sequestra (11,133) 7 ; subere (7,742; 11,554); in tergus (9,764).

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In 10,742 ist ad quae zu lesen. Vgl. ferner ad surdas aures cantare in [am.] 3,7,61 und ad surdas mihi dicitur aures in Prop.[?] 2,10,13. In der klassischen Dichtung nur von Montanus an zwei weiteren Stellen verwendet: [fast.] 3,1; [trist.] 2,557. [Aen.] 10,543-560 del. Zw., v. ad loc. [Aen.] 10,102sq. 109-112 del. Zw., v. ad loc. [Aen.] 1,725-727 del. Zw., v. ad loc. [Aen.] 2,361-369 del. Zw., v. ad loc. [Aen.] 11,130-138 del. Zw., v. ad loc.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

9. Metrische und prosodische Eigenheiten des Montanus a) Normwidrige Hiate - Hiatkürzung Das auffälligste prosodische Markenzeichen des von uns erschlossenen Montanus ist kurz gemessenes Praefix prae- vor Vokal (vgl. die singuläre 'Hiatkürzung' te, amice in [Aen.] 6,507, u. S. 416): Epiced. 408 [Aen.] 5,186 [fast.] 1,81

et venit stella non praeeunte dies nec tota tarnen ille prior praeeunte carina iamque novi praeeunt fasces, nova purpura

fitiget

[met.] 8,693a parent et dis praeeuntibus ambo [met.] 7,131 [Aen.] 7,524

quos ubi viderunt praeacutae cuspidis hastas in caput... torquere parantes stipitibus duris agitur sudibusve praeustis1.

Alle fünf Beispiele aus der Vergil- und Ovid-Überarbeitung sind entweder als Einzelverse in ihrem Zusammenhang störend oder stehen in größeren Verspartien, die jeweils ad locc. als unecht erwiesen sind. Der Vers [met.] 8,693a gehört zu den von der guten Handschriften-Tradition nicht überlieferten unechten Doppelfassungen im Ovid, die sich als eine Sonderform montanischer Überarbeitungsmanier in den Metamorphosen erwiesen haben (s. S. 235f.). Im Epicedion Drusi steht die metrische Lizenz zugleich im Rahmen einer Sonnenaufgangsthematik, die wir als bespötteltes Lieblingsmotiv des Iulius Montanus zur Genüge dokumentiert haben. Zur Rechtfertigung des zweimal kurz gemessenen prae- bei 'Vergil' verweist man üblicherweise auf die ebenfalls zweimal begegnende gleiche Erscheinung bei 'Ovid'. Doch für Ovid, der zu Recht von sich sagen konnte: quidquid temptabam scribere versus erat, gilt das gleiche wie für Vergil: Er würde einen solchen Soloecismus niemals über die Lippen bringen. Beide einschlägigen Verse sind unecht. Eine sorgfältige Analyse des Aufbaus der Medea-Episode in met. 7,1-158 erweist die Verse [met.] 7,131-138. 146. 152154. 170 als interpoliert (v. ad loc.)2. Mit ihnen fällt auch der Vers [met.] 7,131 quos ubi viderunt praeacutae cuspidis hastas (sc. torquere parantes), der nach met. 6,78 (at sibi dat clipeum, dat acutae cuspidis hastam) geformt ist. Der echte Ovid hat also trotz seiner Vorliebe für die Präposition prae- (Börner zu met. 4,251) das nach dem Computer-Thesaurus außer in [met.] 7,131 nur in Prosa (an 24 Stellen) belegte Kompositum praeacutus nicht in seine Dich-

1 2

Dies scheint der einzige Beleg für das Praefix prae- vor dem Vokal u in der lat. Dichtung. Zuvor sind bereits die Verse [met.] 7,13. 20b-21a [vgl. lOf. 92f.; Aen. 3,188], 26-28 (del. Merkel [2. Aufl.], cf. Mendner 57sq.). 32-36. 46-50. 53-55 (Mendner 58sq.). 57f. 62-68. 107f. interpoliert. Die Zusätze zeigen deutlich die Hand des Montanus, ich nenne hier nur 7,36 (insopitumque draconem), s. S. 473 Anm. 3.

Metrische und prosodische Eigenheiten

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tung eingeführt. Wir hören hier den gleichen Montanus wie in [Aen.] 7,524 (stioitibus duris aeitur sudibusve praeustis). wo er aus Verszwang das in 506 gewählte Kompositum obustus durch praeustus (mit kurz gemessenem Präfix) ersetzte, was an dieser empfindlichen Versstelle einem doppelten Barbarismus gleichkommt 1 . Seine Hand erkennt man leicht auch hinter den beiden folgenden Stellen: Aen. 5 , 1 8 5 186

Sergestus capit ante locum scopuloque propinquat I inec tota tarnen ille prior praeeunte carina1 parte prior, partim rostro ρ remit aemula Pristis.

[Ον. fast.] 1,81 iamque novi praeeunt fasces, nova purpura fulget, et nova conspicuum pondera sentit ebur.

Der Vers [Aen.] 5,186 ist zur Verdeutlichung aus dem verwandten Manöver 154-159 entlehnt, vgl. bes. 158 et longa sulcant vada salsa carina. Der Passus [fast.] 1,63-88 aber wird durch die Anrede an Germanicus in 1,63 als Teil der montanischen Überarbeitung entlarvt und erweist sich überdies durch die Abhängigkeit von späten Exilbriefen Ovids (Pont. IV 4 und IV 5) als unecht (v. ad loc.). Nach diesen scheinbar durch Vergil und Ovid sanktionierten Formeln mit kurz gemessenem prae- taucht dann in der Spätantike zunächst im VergilCento der Proba (549) der Versschluß praeeunte carina von [Aen.] 5,186 auf; danach folgt Auson. 322,56 p. 264 Peip. (p. 23 Green) te praeeunte, nepos. Doch mißt Ausonius' Zeitgenosse Paulinus Nolanus dreimal prae- lang: carm. 24,752 quasi vinculatis praeerit. 768 praeesse qui nescit sibi, 871 dum se sequuntur et vicissimpraeeunt. ebenso Prudentius (perist. 2,41 claustris sacrorum praeerat', 10,158 quem dum ad lavacrum praeeundo ducitis) und Sidonius Apollinaris (carm. 23,218 praeesse officiis tuis solebat). Die Lizenz des Montanus übernehmen - unwissentlich - Cyprianus Gallus (num. 230 sanctis domini ... praeeuntibus), Paulinus Petricordiae (vit. Mart. 2,627 Ingrediens portam sanctus praeeunte caterva, vgl. [Aen.] 5,186) und Venantius Fortunatas (carm. 2,9,29 Levitae praeeunt, sequitur gravis ordo ducatum)2. Dagegen überwiegt bei praeire lang gemessenes prae-, vgl. Lucil. 1160 ergo praetorum est ante et praeire ...; Stat. Theb. 6,519 cum vacuus domino praeiret Arion: Commod. apol. 619 hicpraeibat eos in columna nubis et ignis; Paulin. Noi. carm. 24, 703f. ut et patrem \ praeiret et fratres suos\ Dracont.

Montanus hören wir auch in [Aen.] 11,894 stipitibus ferrum sudibusaue imitantur obustis (11,875-878. 891-895 del. Zw.). Ps.-Ambrosius (nat. rer. 22) dagegen bevorzugt ebenso wie der Anonymus in Anth. Lat. 485,154 (praeoccursio) die Synizese (et vi naturae praeeminet illa tribus), wie sie ähnlich einmal bei Catull erscheint (64,120 praeoptarit amorem), während Martianus Capella (nupt. 1.21.7 praeoptare caret) das Praefix lang mißt.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

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Orest. 46 imperai indomitus praedam praeire Mycenis. Erst Cyprianus Gallus (oder Ps.-Cyprian) bietet in de Iesu nave 532 den Hexameterschluß agmenque praeivit und der regellose Venantius Fortunatus hat in append, carm. 6,12 den Versbeginn praeiens hinc gaudens. Eine im Epos singuläre Hiatkürzung eines Einsilblers (te, amice) leistet sich Montanus in [Aen.] 6,507, nachdem er in [Aen.] 6,505 schon die bedenkliche Elision Rhoeteo in litore zugelassen hat (siehe Lachmann zu Lucr. 3,374). Der echte Vergil weist für eine solche Hiatkürzung lediglich zwei Parallelen in den Eklogen auf (ecl. 2,65 ö Alexv, 8,108 qui amant)·, "it reflects the pronunciation of ordinary Latin speech (as in Comedy), giving a tone of conversational informality to Aeneas' words ..." (Austin zu 6,507). Hierzu stellt sich auch die Hiatkürzung in catal. 9,61 sïadire Cyrenas (s.u. S. 433). Gräzisierende Hiatkürzung vor einem langen Vokal hat Vergil in ecl. 3,79 'valë, valë' inquit ( = Ον. met. 3,501); 6,44 'Hylä, Hylä' omne\ georg. 1,332 aut Athö aut Rhodopen; 4,461 Rhodopeiae arces\ Aen. 3,211 insulae Ionio·, 5,261 Iliö alto. Montanus nimmt diese Lizenz sogar zweimal im metrisch verfeinerten elegischen Versmaß in Anspruch: [am.] 2,13,21 (fave Ilithyia; zu [am.] II 13 s. S. 374) und [Prop.] 3,11,17 (Omphalë in tantum [III 11 ist unecht]), s. Platnauer 59. Von ihm stammt ferner das gräzierende Peliö Ossam in [georg.] 1,281 und der Vers [georg.] 1,437 Glauco et Panopeae et Inoo Melicertae, den Vergil nach Gellius (13,27,lf.) von dem Dichter Parthenius übernommen haben soll (v. ad loc.). Es ist der einzige Vers im Vergil mit einem Hiat "after an unstressed long syllable at the end of the first foot" (Fordyce zu Aen. 7,178). Wir lernen so, daß Montanus den Parthenius imitiert, dessen Vers frg. 30 Τλαύκφ κάί Nrjpeî κάί άναλίφ MeXt«éprrj) von der metrischen Härte, die uns Montanus zumutet, frei ist. Unter den von Platnauer 57ff. aufgeführten Hiaten ist die erste Gruppe (Hiat nach Interjektionen) an sich unverfänglich; doch scheint das Aufeinanderstoßen bestimmter Klangfarben (s.u.) verpönt. Jedenfalls gehen die folgenden Hiate auf das Konto des Montanus: [am.] 2,9,2 o in corde meo (zu [am.] II 9a + 9b s. S. 373); [ars] 3,347 o ita, Phoebe, velis (zu [ars] 3,321348 s. S. 375ff.). Zu der Gruppe 'Hiat in der Zäsur' gehören folgende Belege des Montanus: [Aen.] 10,136 inclusum buxo aut. Oriçia terebintho1 ; [Ον.] epist. 8,71 Castori Amyclaeo et Amyclaeo Politici-, 9 , 1 3 1 forsitan et pulsa Aetolide Deianira.

Vgl. [Prop.] 3,7,29 ite, rates curvae, et leti texite causas; 3,7,49 sed Chio thalamoaut Oriçia terebintho (das ganze Gedicht [Prop.] III 7 ist unecht), ebenso der Passus [Aen.]

10j116-162.

Metrische und prosodische Eigenheiten

417

Unter der Rubrik 9. d) ['Zäsuren'] sind u.a. auch sechs Belege des Montanus für gräzisierenden Hiat aufgeführt (wir hören den Kenner hellenistischer Poesie). Ihnen stelle ich hier zwei (oder drei?) weitere Beispiele von seiner Hand zur Seite: epist. 9,133

9,141

Eurytidosque

Ioles atque Aonii

Alcidae

semivir occubutt in letifero Eueno (s.u. zu [fast. ?] 5,83 caelifero

Atlante).

b) Normwidrige Synaloephen und Elisionen Ähnlich kühn wie die Kurzmessung des Präfixes prae- ist die 'Elision' der Präposition de in [Aen.] 6,38 (nunc grege de intacto, ν. ad loc.). Sie muß als äußerst ungewöhnlich gelten, scheint nur bei Lucilius (497 de isto) und Lukrez (3,853 de Ulis) je eine Parallele zu finden, s. Austin ad loc. 1 Die Elision einsilbiger Relativpronomina läßt der echte Vergil nur vor Einsilbler oder Präfix zu und beschränkt sie zusätzlich auf bestimmte Vokalkombinationen, vgl. die folgenden Zahlen (Gesamtbelege : Elisionen): für qua 12 : 0; quo 58 : 0; quam 62 : 1 (Montan. [Aen.] 12,674 quam eduxerat ipse); qui 174 : 4 (georg. 1,201 qui adverso; Aen. 1,388 qui adveneris2; Montan. [Aen.] 1,378 qui ex hoste3; 2,663 qui obtruncaf); quae 189 : 4 (georg. 3,265 quae imbelles5; Aen. 10,334 quae in corpore; Montan, [georg.] 1,383

1

2

3 4

5

Vgl. ferner Manil. 4,46 (quod, consul totiens, exul, quod [add. Gronovius] exule consul) in einem von Montanus imitierten Passus, s. [Aen.] 2,557 — Manil. 4,64 (v. ad loc.). Vgl. Tib. 2,3,61 qui abducis; Prop. 4,2,57 qui ad vadimonio und 2,14,10 si altera. Die Synaloephe von -fund â in [Ον. fast.] 6,32 (haec illi a cáelo) stammt von Montanus, dem ich die Verse 6,27-34 gegeben habe. [Aen.] 1,378-380 del. Zw., v. ad loc. Der unechte Passus [Aen.] 2,655-679 enthält vier metrisch-prosodische Irregularitäten: patrio excidit (658, s.u. S. 421), qui obtruncat (663), alterum in alterius (667, s. S. 423), aliquam expertus (676 mit der einzigen Parallele in ecl. 6,55 aliquant in, vgl. dagegen den Imitator Val. Fl. in 5,661 und 7,413) und die spielerische Folge pätris pätrem in 663, wozu Austin auf fast. 4,749 (säcro - sacra), met. 13,607 (volücri - volücris) und Hör. carm. 1,32,11 (nígris - nigroque) verweist. Vgl. Aen. 10,191f. (dum cänit... | cänentem) und 10,417f. (cänens - cänentia). Verschmelzung von -f und nicht in Erscheinung getretene Schwalbe als ignota ... hirundo bezeichnet und in Ciris 172 (saepe redit patrios ascendere perdita muros) wie im Schwalbenfragment das Komplementärglied zu redit einfach wegläßt. Im folgenden sollen die auffälligsten Ellipsen aus den 'Vergil'- und 'Ovid'-Ergänzungen (und aus einigen unechten Stücken, die sich an die beiden Corpora angliedern) zusammengestellt und so eine breitere Übersicht über montanische Ausdrucksverknappung vermittelt werden. [georg.] 1,383

3,354 4,91

iam variae pelagi volucres et quae Asia circum dulcibus in stagnis rimantur prata Caystri certatim largos umeris infundere rores (videas)1 sed iacet aggeribus niveis informis et alto terra gelu late septemque adsurgit < ... > in ulnas alter erit maculis auro squalentibus ardens nam duo sunt genera (hic - ille alter)2

[Aen.] 1,639-642: eine Reihe von Nominativa, die nicht in die Satzkonstruktion integriert sind. [Aen.] 1,535 1,609 2,54 2,521 2,577 581

1 2 3

cum subito adsurgens fluctu nimbosus Orion in vada caeca tulit < ... > penitusque (disputiti semper honos nomenque tuum laudesque manebunt < ... >, quae me cumque vocant terrae4 et, si fata deum, si mens non laeva fuisset, (...)5 non tali auxilio nec defensoribus istis tempus eget; non, si ipse meus nunc adforet Hector. scilicet haec Spartam incolumis patriasque Mycenas aspiciet, partoque ibit regina triumpho? (...) occiderit ferro Priamus? Troia arserit igni? (...)

Die Satzkonstruktion ist nach dem Gedankenstrich elliptisch gebrochen, v. ad loc. Siehe Cramer Anm. 859. Es fehlt das dringend benötigte Objekt.

4

Brachylogisch für < iis terris >, quae me cumque vocant.

5

[Aen.] 2,54-56 del. Zw., v. ad loc.

Ellipsen - Brachylogie 583 2,642 2,755 2,780 3,339 4,597 5,291 5,356 5,568 6,20

6,358 6,424 6,528 6,545 6,616 621

7,131 7,187 7,732

1

2

3 4

5

6

439

non ita. namque

... satis una superque vidimus excidia et captae superavimus urbi2 horror ubique animo, simul ipsa silentia terrent longa tibi exsilia < ... > et vastum maris aequor arandum et terram Hesperiam venies (...) quid puer Ascanius? superarne et vescitur aura? quem tibi iam Troia en dextra fidesque (sc. ), quern secum patrios aiunt portare penatis hie < ... > , qui forte velini rapido contendere cursu, invitât pretiis ánimos et proemia ponit ni me, quae Solium, fortuna inimica tulisset alter Atys, genus unde Atii duxere Latini, parvus Atys pueroque puer dilectus lulo. tum pendere poenas Cecropidae iussi (miserum!) septena quotannis corpora natorum < et virginum > iam tuta tenebam, ni gens crudelis ... (ferro invasisset) occupât Aeneas aditum custode sepulto (sc. ) inrumpunt thalamo, comes additus una hortator scelerum Aeolides. discedam, explebo numerum3 reddarque tenebris saxum ingens volvunt alii, radiisque4 rotarum districtipendent; sedet... (Theseus) vendidit hie auro patriam dominumque potentem imposuit; < ... > fixit leges pretio atque refixit; hic thalamum invasit natae vetitosque hymenaeos5 quae loca, quive habeant homines, ubi moenia gent is, vestigemus ipse Quirinali lituo < ... > parvaque sedebat succinctus trabea laevas caetra tegit, falcati comminus enses6

Siehe unten vix ea, cum ... ([Aen.] 12,154); ferner [Ον. fast.] 6,801 sic ego. sic Clio (nach Ον. fast. 4,195 sic ego. sic Erato). Gemeint ist: satis superque est, quod semel vidimus excidium Troiae et semel captam superavimus urbem\ es ist also aus una ... excidia ein captae ... urbi zu ergänzen. Zu ergänzen ist < umbrarum >. In nachlässigem Stil ersetzt die Kopulativ-Partikel das zweite Distributivum (alii): ein Charakteristikum des Montanus! Wie in 616 alii steht, wo distributives alii - alii gemeint ist, so in 621f. hic - hic, wo hic hic - hic gefordert wäre. Gemeint scheint falcati sunt enses comminus pugnantibus.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

440 7,736 8,330 8,522 9,334 10,130 10,159

10,267

10,280

10,288

10,707

710 11,76 11,81

11,169

1

1

3 4

5

6

patriis sed non et filius arvis contentos late iam tum dicione premebat (populos) tum reges asperque < ... > immani corpore Thy bris multaque dura suo tristi cum corde putabant, ni signum cáelo Cytherea dedisset aperto. nec non Lamyrumque Lamumque et iuvenem Serranum < ... >, ... qui... hi iaculis, itti certant defendere saxis molirique ignem nervoque1 optare sagittas. hic magnus sedet Aeneas secumque yolutat eventus belli varios, Pallasque sinistro adflxus lateri iam quaerit sidera, opacae noctis iter, iam < ... > 2 quae passus (se. ) terraque marique at Rutulo regi ducibusque ea mira videri Ausoniis, doñee versas ad litora puppis respiciunt totumque < ... >3 adlabi classibus aequor. nunc coniugis esto quisque suae tectique memor, nunc magna referto"' facta, pat rum laudes. multi servare recursus languentis pelagi et brevibus se credere saltu, per remos alii (sc. ) ac velut ille canum morsu de montibus altis actus aper, multos Vesulus quem pinifer annos defendit multosve5 palus Laurentia, silva pastus harundinea harum unam iuveni supremum maestus honorem induit arsurasque6 comas obnubit amictu vinxerat et post terga manus (sc. ), quos mitteret umbris inferías quin ego non alio digner te funere, Palla, quam (sc. < quo> ) pius Aeneas et quam (sc. < q u o > )

Wieder ersetzen die beiden kopulativen Partikel die Distribution, also z. B. hi - illi < - alii - alii >. Will man nicht die Ellipse eines Verbs ansetzen, muß man eine harte zeugmatische Verwendung von quaerit annehmen. Es ist ein Verb wie vident ausgespart, respiciunt stark zeugmatisch eingesetzt. Elliptisch für referre, vgl. [Ον. trist.] 2,300 in Cerere Iasion, qui referatur, erit und [Prop.] 1,1,37f. quod si quis monitis tardas adverterit auris, \ heu referet quanto verba dolore mea. Nachlässig vertritt die Disjunktiv- bzw. Kopulativpartikel (wenn man mit MR -que liest) den zu ergänzenden korrespondierenden Satz aut ille aper, quem multos per annos defendit palus Laurentia. Zur Konstruktion des Nominativs silva pastus harundinea siehe S. 564. (Gleichnisse). Wieder ist -que nachlässig für distributives < alterius > amictu ... obnubit gesetzt.

Ellipsen - Brachylogie

11,222

11,296 12,96 12,154 12,287 12,732 733

441

magni Phryges et quam (sc. ) Tyrrhenique duces, Tyrrhenum exercitus omnis . magna tropaea ferunt ( < eorum > ), quos dot tua dextera leto1 multa simul contra variis sententia dictis pro Turno, et magnum reginae nomen obumbrat, multa virum mentis sustentât fama tropaeis. vix ea legati, variusque per ora cucurrit Ausonidum turbata fremor (vgl. 12,154) (...) fe (sc. hastam) maximus Actor (sc. ), te Tumi nunc dextra gerit [vir ea, cum lacrimas oculis luturnaprofundit (...) infrenant alii currus aut corpora saltu subiciunt in equos ef strictis ensibus adsunt3 (ensis) in medioque ardentem deserit ictu, 4 II [ni fuga subsidio subeat . fugit ocior Euro (...)

[Ov. am.] 1,1,15

[am.] 3,7,25 [ars.] 1,399 [rem.] 55 [fast.] 1,447 4,33 5,534 [met.] 9,493

1 2

3 4

5

6 7

an, quod ubique, tuum est? tua sunt Heliconia tempe? vix etiam Phoebo iam lyra tuta sua est? exigere a nobis angusta node Corinnam < ... >, me memini numéros sustinuisse novem. tempora qui solis operosa colentibus arva < ... >, fallitur, et nautis aspicienda < ... > putat5. [vixisset Phyllis, si me foret usa magistro, et per quod novies (sc. ), saepius isset iter (...) nec tamen hoc falsum: nam, dis ut próxima quaeque, nunc penna veras, nunc datis ore notas6, huius Ericthonius < ... >7, Tros est generatus ab ilio, Assaracon creat hie Assaracusque Capyn. iamque decern menses, et puer ortus erat, at mihi, quae male sum, quos tu (sc. ), sortita parentes,

[Aen.] 11,169-175 del. Zw., v. ad loc. Wieder ist eine Distributivreihe alii - alii - alii (o. ä.) in nachlässiger Stilmanier ersetzt, diesmal durch eine Kombination von Distributivum (alii) mit Disjunktiv- und Kopulativpartikel. [Aen.] 12,283-310 del. Zw., v. ad loc. Zu ergänzen ist ni... oder ni... Die Verse [ars] 1,375-436 habe ich dem Montanus zugewiesen. Die Schiffahrtsmetaphorik von 1,368. 373 wird in 437 ( v a d u m temptet) weitergeführt; die Verse 435f. bilden einen typischen Abschluß eines eingeschobenen Exkurses. Sc. < rerum divinarum >. Sc. .

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

442

13,332 13,491 13,497 13,499 14,626 [Pont.] 1,3,51 4,2,43

nil nisi frater eris. quod obest, id habebimus unum1, utque tui mihi < ... >2, sic fiat tibi copia nostri3 [osculaque ore legit consuetaque pectora plangit] at te, quia femina, rebar \ ... tutam [totque tuos idem fratres < ... >, te perdidit idem, exitium Troiae nostrique orbator, Achilles. (...) non silvas illa nec amnes (sc. ), rus amai et ramos felida poma ferentes4. non ager hic pomum, non dulces educai uvas, non salices ripa, < ... > robora monte, virent5. si per fera bella liceret) nec me (quod cuperem < oblectat cultu terra novata suo

[Ον.] epist. 7, 129 est etiam frater, cuius manus impia poscit respergi nostro (se. < cruore>) sparsa cruore viri. Eleg. Maec. 1,31 2,21 catal. 9,11

maius erat potuisse < ... >7 tamen nec velie triumphos ipse ego quicquid ero < ... > ciñeres interque favillas namque (fatebor enim) quae maxima deterrendi (se. < causa esse > ) debuit, hortandi maxima causa fuit.

Wenn die Belege für Ellipsen aus dem Ovidcorpus hier in der Minderzahl sind, spiegelt dies lediglich die weniger systematische Erfassung dieses Phänomens in einer Studie, die ursprünglich ganz auf Vergil ausgerichtet war. Besonders charakteristisch sind die Beispiele für Ersetzung von DistributivPartikeln (z.B. alii - alii oder hi - illi) durch kopulative (alii - et bzw. -quef oder durch eine Kombination von disjunktiven und kopulativen ([Aen.] 12,287), ferner die Ersetzung von disjunktiven Partikeln durch kopulative ([Aen.] 10,709). Damit eng verwandt ist die Ersparung des vierten non in einer viergliedrigen anaphorischen Reihe: das vierte Kolon wird asyndetisch angeschlossen ([Pont.] l , 3 , 5 1 f . ) . Daß wir in den s e c h s Fragmentversen, die uns von Iulius Montanus erhalten sind, eine dieser kühnen Ausdrucksellipsen

1

2 3

4

5 6 7 8

Ich habe aus der Byblis-Episode die Verse [met.] 9,452 (del. Gronovius). 463-465. 467. 479-508. 520. 554-557. 620-625 getilgt. Sc. < quondam copia facta est> . Das Armorum Iudicium ist von Montanus zu einem Deklamationsstück ausgestaltet worden. Ihm dürften u.a. die folgenden Verse gehören: [met.] 13,77-79. 85f. 117-119. 205-215. 268-295. 299-302. 332. 350-369. 373f. 376. 378f. 390. 393-398 (auch die Verse [met.] 10,207f. sind m.E. - ebenso wie 10,200f. - unecht). Ich habe die Verse [met.] 14,626-634. 649-651. 655. 657. 684-686 dem Montanus zugewiesen. Vor dem 4. Kolon ist aus Verszwang das non weggelassen. Man muß aus dem folgenden cultu terra novata ein terram colere et novare herausziehen. Zu ergänzen ist etwa potuisse tamen nec velie. So in [Aen.] 6,616; 10,131; 11,77.

Ellipsen - Brachylogie

443

(in frg. l,2f.) fassen können, bedeutet eine gewichtige Stütze für die Zuschreibung der hier berührten Partien an den vom jüngeren Seneca als tolerabilis poeta eingestuften Tiberiusfreund.

11. Epanalepse Die Stilfigur der Epanalepse begegnet schon bei Homer (vgl. bes. IL 2,671ff.), erfreute sich aber besonderer Beliebtheit in hellenistischer Poesie "und daher" (so Norden zu Aen. 6,164) "bei Catull und dem Verf. des Culex (Leo p. 73)". Die relative Häufigkeit der Epanalepse im Culex1 liegt in erster Linie in der Imitation des Catull, der Bucolica des Vergil und der Elegien des Properz und Ovid durch Montanus begründet. Dieses Genre des Kleingedichts ist der eigentliche Ort für die Stilfigur der Epanalepse in der augusteischen Dichtung2. In den Geórgica und in der Aeneis verwendet der echte Vergil die Epanalepse noch weit sparsamer, als Nordens Bemerkungen zu 6,164 dies erahnen lassen. Ich bespreche zunächst seine Paradestelle:

Aen. 6,164f. 6,160

164 165

170

175

1

2

multa inter sese vario sermone serebant, quem socium exanimum vates, quod corpus humandum diceret. atque illi Misenum in litore sicco, ut venere,. vident indigna morte,peremptum. ΓMisenum Aeoliden. quo non praestantior alter aere ciere viros Martemque accendere cantu.) Hectoris hic magni fuerat comes, Hectora circum et lituo pugnas insignis obibat et hasta, postquam illum vita victor spoliavit Achilles, Dardanio Aeneae sese fortissimus heros addiderat socium, non inferiora secutus. sed tum, forte cava dum personat aequora concha, demens, et cantu vocat in certamina divos, aemulus exceptum Tritón, si credere dignum est, inter saxa yirum spumosa immerserat unda. e rg o _ omnes magno circum clamore fremebant, praecipue pius Aeneas.

S.u. S. 451 und Giintzschel 85 Anm. 112, der sich besonders auf die Iteratio eines Wortes im 5. und folgenden 1. Fuß des Hexameters konzentriert. Siehe Platnauer 33ff.

444

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Die mit Hilfe einer Epanalepse angefügte Apposition 164f. unterbricht den Gang der Erzählung durch eine pathetische Exklamation, während der echte Vergil zunächst das Geschehen schildert (Aeneas und Achates finden bei ihrer Rückkehr den Misenus tot am Strand vor), in einer teils preisenden, teils eher sachlich gehaltenen Rekapitulation die Vorgeschichte des Misenus und die Umstände seines Todes nachträgt (166-174) und mit ergo (175) den Bericht über die Totenklage und das Leichenbegängnis einleitet. Erst hier scheinen die pathetischen Töne am Platze, vgl. 175f. 177 (flentes), 188f. quando omnia vere | heu nimium de te vates, Mìsene, locuta est; 212f. nec minus interea Misenum in litore Teucri | flebant et cineri ingrato suprema ferebant; 220 fit gemitus; tum membra toro defieta reponunt\ 223 triste ministerium. Die voraufgehende Erzählung ist durch quem socium (161) - Misenum (162) Hectoris ... comes (166) - Dardanio Aeneae ... socium (169f.) eng zusammengehalten und soll (wenn man von indigna morte peremptum [163] absieht) eher rühmend denn pathetisch klagend die Figur des Misenus exponieren1. Die Wirkung der Anapher Hectoris ... magni ..., Hectora circum (166f.) wird beeinträchtigt, wenn doppeltes Misenum (162. 164) voraufgeht; durch die einseitige Hervorkehrung von aere eiere und accendere cantu (165) wird das pointiert gesetzte et lituo ... insignis ... et hasta (167), wodurch die Prädikation fortissimus heros von 169 begründet ist, um ihren Sinn gebracht. Dem lituus von 167 soll die concha von 171 entgegengesetzt werden, bevor am Ende Aeneas dann arma ... remumque tubamque auf seinen Grabhügel legt (233). Das aes von 165 stört wieder die Ausgewogenheit, durch den Versschluß cantu wird das Stichwort cantu (vocat) von 172 vorweggenommen. Der Versauftakt aere (165) erinnert an das ebenfalls von Montanus stammende aere cavo in [Aen.] 3,240, wo Misenus beim Nahen der Harpyien mit seiner Trompete ein Signal gibt. Damit verquickt ist eine Reminiszenz an die Versklausel aere ciebant in Catull. 64,262 und an die weitere Klausel eiere viros in Catull. 68,88. Die Junktur Martern accendere scheint Silius (15,594 ... scitusque accendere Martern) aus [Aen.] 6,165 geschöpft zu haben; auch der Versschluß Martemque dentis in [Aen.] 9,766 stammt von der Hand des Montanus, v. ad loc. Dagegen formuliert Vergil in 7,550: accendamque ánimos insani Martis amore (vgl. 12,804 accendere bellum). Der Komparativ praestantior in Vers 164 steht singulär im Vergil, ja, offenbar singulär in der vorovidischen Dichtung überhaupt2. Vergil verwendet das Partizip praestans eingeschränkt auf formelhaftes praestanti corpore (georg. 4,538. 550; Aen. 1,71; 7,783; 8,207) und forma praestanti (Aen.

1

2

Die genannten Verse haben die gleiche Funktion wie die Epanalepse in 10,778f. (s.u. S. 449); eine zusätzliche exklamatorische Epanalepse ist in 6,162-170 fehl am Platz. Siehe ThLL X 2,909,72ff.

Epanalepse

445

7,48s) 1 ; hinzu kommt der Vokativ o praestans animi iuvenis in Aen. 12,19. Der Komparativ quo non praestantior alter2 in 6,164 dürfte demnach Ovids Metamorphosen zur Voraussetzung haben, vgl. met. 2,724f. tanto virginibus praestantior omnibus Herse \ ibat; 3,53f. telum ... \ et iaculum teloque animus praestantior omni (doch ist Vers 54 möglicherweise unecht) 3 ; 10,563 laude pedum formaene bono praestantior esset; 11,525 miles numero praestantior omni. Die Verbindung von quo non praestantior alter mit dem Infinitiv aber findet eine Parallele in dem Montanus-Zusatz [Aen.] 9,772f. Hat man dies gesehen, erinnert man sich, daß kurz zuvor die Klausel Martemque dentis steht ([Aen.] 9,766), die oben zu zitieren war, und erkennt, daß offenbar der Abschnitt [Aen.] 9,765-777 in dem Montanuszusatz [Aen.] 9,762-798 eine Parallelfassung zu dem um [Aen.] 6,164f. erweiterten Passus Aen. 6,162ff. darstellt: 9,765

768 771

775

addit Halyn comitem et conflxa Phegea parma, ignaros deinde in mûris Martemaue dentis Alcandrumque Haliumque Noemonaque Prytanimque. Lyncea tendentem contra sociosque vocantem (... I occupât... | ...) indeferarum vastatorem Amycum, quo non felicior alter unguere tela manu ferrumque armare veneno, et Clvtium Aeoliden et amicum Crethea Musis, Crethea Musarum comitem. cui carmina semper et citharae cordi numerosque intendere nervis, semper equos atque arma virum pugnasque canebat.

Felix mit adnominalem Infinitiv hat Vergil erstmals in georg. 1,284 (felix [sc. dies] ... ponere vitem) nach dem Vorbild Hesiods (Erg. 812) gewagt, bonus mit Infinitiv in e»l. 5,lf. (boni ... calamos inflare) ebenfalls nach griechischem Vorbild (Theocr. 8,4) 4 . Von hier führt der Weg zu den Montanusversen [Aen.] 9,772f. quo non felicior alter \ ungere tela manuferrumque armare veneno. Eine verwandte Formulierung aber hat er bereits in [Aen.]

1

2

3

4

Die Junkturen praestanti muñere ([Aen.] 5,361) und praestantibus armis ([Aen.] 11,291) stehen in montanischen Zusätzen, ebenso substantivischespraestantis virtute legit in [Aen.] 8,548. Vgl. Aen. l,544f. quo iustior alter | necpietate fuit, nec bello major et armis und 7.649 ( = 9.179) quo pulchrior alter 1 non fuit. Dem Montanus gehört 12.639 quo non superat mihi carior alter. Selbst wenn man in met. 3,54 et iaculo (statt -um) teloque animus praestantior omni) liest (vgl. am. 1,6,57 aut ego iamferroque iunique paratior ipse), bleibt der Anstoß einer leeren Doppelung in iaculo teloque, während sonst in diesem Zusammenhang (vgl. 65 . 69) iaculum im W e c h s e l mit hostile, nicht als Ausdrucks Verstärkung, eingesetzt wird. Siehe Hofm.-Sz. 350. Hinzuzufügen ist wohl georg. 4,134 primus vere rosam atque autumno carp er e poma-, 140 primus abundare et... cogéré.

446

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

6,164 (wohl zusätzlich gestützt auf seine Kenntnis der homerischen Sprache, vgl. II. 2,553f.) gewagt, als er - mythologisch bestens bewandert - den vergilischen Misenus (162) nach dem Vorbild Ovids in met. 14,lOlff. (... ubi... Parthenopeia dextra \ moenia deseruit, laeva de parte canori \ Aeolidae tumulum)1 genauer als Aeolus-Abkömmling definieren wollte. Mit den Reminiszenzen an den Misenus-Abschnitt Vergils2 übernahm Montanus in [Aen.] 9,774 auch das Muster seines eigenen Zusatzes [Aen.] 6,164f. und damit sowohl den Versbeginn Misenum Aeoliden, den er zu et Clytium Aeoliden umformte3, als auch die Epanalepse (s.o.). Die Montanusverse [Aen.] 6,164f. ... quo non praestantior alter | aere eiere viros Martemaue accendere cantu hat dann bereits Persius am Ende seines Satirenbuchs wie folgt umgewandelt: ..., ne sit praestantior alter \ Cappadocas rigidapinguisplau: sisse catasta (6,76f.). Ein Indiz gegen die Echtheit der Verse Aen. 6,164f. sehe ich schließlich in der fragwürdigen Form der dort eingesetzten Stilfigur 'Epanalepse'. Sie wird vom echten Vergil in der Aeneis nur dreimal, als Ausdruck hohen Pathos' oder um besonderen Nachdruckes willen, verwendet und dort - ebenso wie in den Eklogen, wo diese Stilfigur bei Vergil ihren eigentlichen Platz hat (s.o.) stets in unmittelbarem Verskontakt, niemals in einer so weiten Sperrung, wie dies bei Misenum (6,162) - Misenum Aeoliden (6,164) der Fall wäre, vgl.: ecl. 6 , 2 0

addii se sociam timidisque supervenit Aegle Naiadum pulcherrrima, ...

6,55 Dictaeae

2

3

4

çlaudite, Nvmphae. nemo rum iam çlaudite

saltw,

9,27

Vare, tuum nomen, superet modo Mantua nobis, Mantua vae miserae nimium vicina Cremonae, cantantes sublime ferent ad sidera cygni;

9,47

ecce Dionaei processif Caesaris astrum. astrum quo segetes gauderentfrugibus ...

10,72

1

Nvmphae.

Aegle,

Pierides: vos haec facietis maxima Gallo. Gallo, cuius amor ... mihi crescit in horas4;

Siehe Börner ad loc., ferner Norden (Aen. VI) S. 183f. und Con.-N. und Austin zu Aen. 6,164: Ovid scheint hier einer anderen Vorlage zu folgen als Vergil. [Aen.] 9,763 excipit - Aen. 6,173 exception; 9,765 addii ... comitem - 6,170 addiderat socium; 9,768 sociosque vocantem - 6,161. 170 socium. 172 vocat (divos); 9,775 Musarum comitem - 6,166 Hectoris ... comes. In [Aen.] 6,529 wird - ganz ungewöhnlich - Ulixes als Aeolides bezeichnet - ebenfalls vom Interpolator, s. S. 274f. Von anderer Art sind Beispiele wie ecl. 5,51 ... Daphninque tuum tollemus ad astra·, Daphnin adastra fer emus: amavit nos quoque Daphnis; vgl. Clausen zu 6,21.

Epanalepse

georg. 1,245 4,297

447

perque duas in morem fluminis Arçtos, Arctos Oceani metuentis aequore tingi; et quattuor addunt, quattuor a ventis obliqua luce fenestras·,

Aen. 2,318 ecce autem telis Panthus elapsus Achivum, Panthus Othryades, arcis Phoebique sacerdos, sacra manu ... (ipse trahit)·, 4,173 extemplo Libyae magnas it Fama per urbes, Fama, malum qua non aliud velocius ullum\ 10,691 concurrunt Tyrrhenae acies atque omnibus urtí, uni odiisque viro telisque frequentibus instant1. Andererseits gibt es eine ganze Gruppe von Zusätzen, die der Interpolator mit Hilfe einer Epanalepse angeschlossen hat, oder sonstige Epanalepsen des Zudichters; siehe folgenden Katalog: ecl. 4,55 non me carminibus vincet nec Thracius Orpheus nec Linus, huic mater quamvis atque huic pater adsit II \Orphei Calliopea. Lino formosus Apollo] : georg. 3,280 hic demum, hippomanes vero quod nomine dicunt pastores, lentum destillat ab inguine virus II \hippomanes. quod saepe malae legere novercae (.. ,)2; 4,341

Clioque et Beroe soror, Oceanitides ambae. ambae auro, pictis incinctae pellibus ambae3;

Aen. 1,108 tris Notus abreptas in saxa latentia torquet II \saxa vocant Itali mediis quae in fluctibus Aras] (dorsum immane mari summo), tris Eurus ab alto in brevia et Syrtis urget; 2,403 ecce trahebatur passis Priameia virgo crinibus a tempio Cassandra adytisque Minervae ad caelum tendens ardentía lumina frustra Il \lumina. nam teñeras arcebant vincula palmas] ; 3,522

1

2 3 4

... humilemque videmus Italiam. Italiam primus conclamai Achates4, Italiam laeto sodi clamore salutanti

Weitere, nicht auf Namen beschränkte Epanalepsen hat für die Eklogen Clausen zu 6,21 genannt; zu den Geórgica s. Thomas zu 1,297-8 und 4,339-40; femer 4,341f.; doch scheinen die Verse [georg.] 4,339-344 eine Erweiterung des Nymphenkatalogs durch Montanus zu sein. Die Verse [georg.] 3,282-285. 288 habe ich dem Montanus zugewiesen. Zur Erweiterung des Nymphenkatalogs s. S. 447 Anm. 1. Die Verse [Aen.] 3,508-524 habe ich dem Montanus zugeteilt.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

448 4,25

vel pater omnipotens adigat me fulmine ad umbras II \pallentis umbras Erebo noctemque profiindam]1·,

4,246

iamque volans apicem et latera ardua cernii tlantis duri caelum qui vertice fulcit, \Atlantis. cinctum adsidue cui nubibus atris piniferum caput et ventopulsatur et imbri (...)]2;

6,162

atque illi Misenum in litore sicco, ut venere, vident indigna morte peremptum. ΓMisenum Aeoliden, quo non praestantior alter aere ciere viros Martemque accendere cantu.]

164 165 6,289

Gorgones Harpyiaeque et forma tricorporìs umbrae {Goreonis in medio portentum inmane Medusae, vipereae circum ora comae cui sibila torquent infamesque rigent oculi mentoque sub imo serpentum extremis nodantur vincula caudis]3;

6,494

[atque hic Priamiden laniatum corpore toto Deiphobum videt et lacerum crudeliter ora ora manusque ambas populataque tempora raptis auribus et truncas inhonesto vulnere naris (...)4;

7,586

ille velut pelago rupes immota resistit, ut pelagi rupes magno veniente fragore quae sese ... (mole tenet)5;

7,649 fllius huic iuxta Lausus. quo pulchrior alter non fuit excepto Laurentis corpore Turni II ΓLausus. equum domitor debellatorque ferarum 9,774

1 2 3 4 5 6 7 8

(...)6;

et Clytium Aeoliden et amicum Crethea Musis. 7. Crethea Musarum comitem, cui

10,180

sequitur pulcherrimus Ast\r. Astvr equo fidens et versicoloribus armiss;

10,199

(...) fatidicae Mantus et Tusci fllius amnis, qui muros matrisque dedit tibi, Mantua, nomen

Siehe das Register. Die Verse [Aen.] 4,248-251. 256-258 gehören dem Montanus. Siehe S. 52ff. Siehe S. 28Iff. Der Passus [Aen.] 7,585-600 stammt von Montanus. Ich habe die Verse [Aen.] 7,651-669. 671 dem Montanus gegeben. Die Verse [Aen.] 9,752-755. 762-798 habe ich dem Montanus gegeben. Die Verse 10,179-181 sind unecht, v. ad loc.

Epanalepse II ΓMantua dives avis, sed non genus omnibus unum 10,400

449 (...)';

hoc spatium tantumque morae fuit Ilo; Ilo namque procul validam derexerat hastam2

10,778

egregium Antoren latus inter et ilia figit. [Herculis Antoren comitem, qui missus ab Argis haeserat Euandro atque Itala consederat urbe (...)]3;

10,821

at vero ut vultum vidit morientis et ora, II íora modis Anchisiades pallentia miris,]4 ingemuit miserons graviter dextramque tetendit\

12,88

·,

(...) circumdat lorícam umeris, simul aptat habendo ensemque clipeumque et rubrae comua cristae, ensem quem Dauno ignipotens deus ipse parenti

Die Verse [Aen.] 10,193. 201-203 sind unecht. Man vergleiche Montanus in [Ov. fast.] 4,79ff. ([fast.] 4,1-84 del. Zw.): 4,79 I huius erat Solymus Phrygia comes unus ab Ida, a quo Sulmonis moenia nomen habent, Sulmonis gelidi, patriae, Germanice, nostrae: me miserum, Scythico quam procul illa solo est! ergo ego tarn longe - sed supprime, Musa, querellas! non tibi sunt maesta sacra canenda lyra. Montanus hat seine Vorliebe für die Epanalepse wohl aus Ovid geschöpft, vgl. R. Helm, De metamorphoseon Ovidianarum locis duplici recensione servatis, in: Festschr. J. Vahlen, Berlin 1900, 359ff. Zur Epanalepse bei Properz s. B.O. Foster, On Certain Euphonie Embellishments in the Verse of Propertius, TAPhA 40, 1909, 51. Die Verse [Aen.] 10,399-404. 424f. sind unecht. Die Verse [Aen.] 10,779-782 sind von M. Deufert getilgt worden, weil der echte Vergil in den wenigen Epanalepsen, die er zuläßt, die Namenswiederholung nicht an die gleiche Versstelle setzt und - von dem raffiniert geformten Vers ecl. 6,56 abgesehen - immer an den Versanfang rückt. Zu Recht moniert er ferner, daß die inkriminierten Verse vom eigentlichen Zweikampf ablenken, und der Schlußvers 782 sentimentalisch klingt. Durch seine Athetese (die neben die von mir vorgenommene Ausscheidung der Verse [Aen.] 10,789-793 tritt) gewinnen wir zugleich den erwünschten näheren Kontakt zwischen der Apostrophe Lause in 775 und demproripuit iuvenis in 796. Den Versauftakt stemitur infelix (781) hat Montanus mechanisch aus 730 übertragen, das pathetische Motiv vom Tod im fremden Land aus 705f. wiederholt (vgl. [Aen.] 12,546f., s.u.), den Blick zum Himmel aus 898f. vorweggenommen (wir hören den Montanus, der in [Aen.] 4,690-692 den Tod der Dido theatralisch ausgeweitet hat, v. ad loc.). Die Verse 779f. (der einstige Gefährte des Hercules Schloß sich Euander an) sind aus 6,166f. (unmittelbar voraufgeht die von Montanus eingefügte Misenus-Epanalepse!) entwickelt, wo ausgeführt ist, daß sich der ehemalige Gefahrte des Hektor (Misenus) dem Aeneas angeschlossen hat. Eine kühne Hypallage hat man in alieno vulnere zu sehen ("eine Wunde, die einem anderen zugedacht war"). Hypermetrisches -que (781, s. die Belege bei Soubiran 466f.) hat Montanus auch in [georg.] 2,443; [Aen.] 9,650 ( - Aen. 4,558); 10,895, v. ad locc. Die Verse [Aen.] 10,817-820. 822 gehören zusammen mit 10,789-793 und 800 (falls man nicht mit Cramer 800 vor 799 stellt) dem Montanus, v. ad loc.

450

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus II fecerat et Stygia candentem tinxerat 12,546

12,673

undal\

hic tibi mortis erant metae, domus alta sub Ida, Lymesi domus alta, solo Laurente sepulcrum1; ad caelum undabat vertex turrimque tenebat, fturrim compactis trabibus quam eduxerat ipse subdideratque rotas pontisque instraverat altos]3.

Insbesondere das Beispiel [georg.] 3,282ff. zeigt den gleichen Charakter eines abgelösten Nachtrags wie die Verse [Aen.] 6,164f. in dem Passus Aen. 6,162ff., von dem wir ausgegangen waren. Der Zufall hat es gefügt, daß in Suetons Vergilvita (§ 34) zu den beiden hier athetierten Versen 6,164f. folgende Geschichte überliefert ist: Erotem librarium et libertum eius [sc. Vergili] exactae iam senectutis traduni referre solitum, quondam eum in recitando duos dimidiatos versus complesse ex tempore, nam cum hactenus haberet 'Misenum Aeoliden ', adiecisse 'quo non praestantior alter', item huic 'aere ciere viros' simili calore iactatum subiunxisse 'Martemque accendere cantu' statimque sibi imperasse ut utrumque volumini adscriberef. Wie oben bereits mitgeteilt5, zieht Berres aus der "verworrenein) Notiz über die Umstände der Entstehung von VI 164f." den Schluß, "daß beide Verse späte Zutat sind", d.h. daß sie "mit Hilfe der Anadiplosis von Misenum (162-164) nachträglich in den Text eingefügt wurden"6. Damit hat er etwas Richtiges gesehen; nur handelt es sich nicht - wie er meint - um einen späteren Zusatz Vergils, sondern des Interpolators. Die Anekdote soll die Echtheit der Verse (über die offensichtlich diskutiert wurde) nachträglich beglaubigen. Im Ergebnis offenbart sich also eine starke Zurückhaltung des echten Vergil gegenüber der Epanalepse: Den fünf Belegen aus den Bucolica und den drei weiteren aus der Aeneis, die bewußt gewählt sind, um Pathos und Nachdrücklichkeit zu bewirken (neben dem homerisierenden Arctos-Beleg aus georg. 1,245 und dem lukrezisch getönten aus 4,297f. 7 ), stehen auf Seiten der Montanus-Zusätze im 'Vergil' insgesamt 22 Beispiele gegenüber mit einer gänzlichen Umkehr der Häufigkeit innerhalb der Dichtungsgattungen: [eel.] 1 -

1 2

3 4 5 6 7

Der Passus 12,81-112 gehört dem Montanus, v. ad loc. Der ganze Abschnitt [Aen.] 12,468-553 ist von Montanus hinzugedichtet worden, s.o. S. 316ff. Das Motiv vom Tod im fremden Land hat Montanus auch in [Aen.] 10,779-782 hinzugesetzt, v. ad loc. Wie schon die Verse [Aen.] 12,665-671 sind auch 674f. unecht. Vgl. Hör. sat. 1,10,92 ι, puer, atque meo citus haec subscribe libello. Siehe S. 17. Siehe Berres 1982, 18 und 244 Anm. 9; ferner 1992, 106 Anm. 39. Vgl. Lucr. 6,11 lOf. quae cum quattuor inter se diversa videmus \ quattuor a ventis et caeli partibus esse.

Epanalepse

451

[georg.] 2 - [Aen.] 19. Dazu fügen sich gut die folgenden 10 Belege aus dem Culex: 124 131

135 229

245 275 311 348 359

inter quas impía lotos, impía, quae socios Ithaci maerentis abegit posterius cui Demophoqn aeterna reliquit perfidiarti lamentandi mala - perfide multis, perfide Demophoqn et nunc defiende puellis. quam comitabantur, fatalia carmina, quercus. quercus ante datae Cereris quam semina vitae ad paúles agor eventus: fit poena merenti. poena sit exitium, modo sit dum grata voluntas, existât par officium, feror avia carpens, avia Cimmerios inter distantia lucos ite, puellae, ite, quibus taedas accendit tristis Erinys nec faciles Ditis sine iudice sedes, iudice. qui vitae post mortem vindicat acta ipsa iugis namque Ida potens feritatis, ab ipsa Ida faces altrix cupidis praebebat alumnis undique mutatur caeli nitor, omnia ventis, omnia turbinibus sunt anxia mediisque siti sunt sedibus omnes. omnes. Roma decus magni quos suspicit orbis.

Auffällig ist besonders eine Sonderform der Epanalepse, die sich in gleicher Weise in den Vergil-Zudichtungen wie in der Ciris1 findet, also auf Montanus verweist: Ciris 517 infelix virgo nequiquam a morte recepta incultum solis in rupibus exigit aevum, rupibus et scopulis et litoribus desertis. Die Stilfigur der Epanalepse bezweckt üblicherweise, einen Namen oder einen Begriff durch Wiederaufnahme im nächsten Vers mittels eines Relativsatzes oder einer Apposition näher zu erläutern. Hier dagegen und in [Aen.] 6,494497 (s.o.) wird das wiederholte Wort zum Ausgangspunkt einer Kette koordinierter Glieder im Sinne einer Aufzählung gemacht. Der umgekehrte Fehler in der Formung einer Epanalepse liegt in [Aen.] 12,88-91 vor, s.o. und den krit. Kommentar ad loc.: Es offenbart sich jeweils die gleiche Hand!2

Epanalepsen und Anaphern in der Ciris behandelt Lyne (Komm. S. 28ff). Er nennt folgende Epanalepsen: 105f. 130f. 237f. 374f. 488f. 518f. Verwiesen sei ferner auf die Epanalepsen in catal. 9,13f. 21f. 39f. Die Sonderstellung des Montanus und der Montanus-Zusätze gegenüber dem echten Vergil ließe sich weiter verdeutlichen, wenn man 'Wortgruppenwiederholungen' in die Untersuchung miteinbezöge (verwiesen sei auf [Aen.] 8,271f.). Doch läßt sich dies nicht ohne

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

452

12. Hypallage - Manierismus Die kühne Hypallage1 totumaue adlabi classibus aeauor ([Aen.] 10,269) 2 , die eine weniger spektakuläre Parallele in [Aen.] 10,292 (sed mare inoffensum crescenti adlabitur aestu) hat, ist oben (S. 296 Anm. 2) aus der Maniliuskenntnis des Montanus hergeleitet, als kühne Weiterbildung von Manil. 5,541 (,infestus totis cum finibus omnis \ incubuit pontus. fluitavit naufraga tellus) beurteilt worden. Das gleiche Phänomen liegt vor in den Versen [georg.] 3,354f. (sed iacet aggeribus niveis informis et alto \ terra gelu late septemque adsurgit in ulnas, ν. ad loc.) und in dem Ausdruck [Pont.] 1,8,53 ne solitis insistant pectora curis (s. S. 344). Dies deutet darauf hin, daß wir in der Hypallage eine der charakteristischen sprachlichen Eigenheiten des Montanus fassen. Ich gebe im folgenden kommentarlos eine Liste beiwege notierter (also zahlenmäßig nicht repräsentativer) Belege [Aen.] 2,487f. (...) cavaeplangoribus

2,554f. 2,576 3,145 4,21 4,34 5,4f. 5,458

aedes | femineis

ululant3

4

(...) hic exitus illum | sorte tulit ulcisci patriam et sceleratas sumere poenas5 quam fessis finem rebus ferat. s. S. 57 Anm. 4 sparsos fraterna caede penatis6 id cinerem aut manís creáis curare sepultos? (del. Zw.) (...) quae tantum accenderit ignem \ causa latet7 nec mora nec requies: quam multa grandine nimbi çulminibus crepitant, sic densis ictibus héros creber utraque manu puisât versatque Daretas. 6,353 (...) tua ne spoliata armis, excussa magistro. deficeret tantis navis surgentibus undis9 6,507 nomen et arma locum servant10

1

2

3 4 5 6 7 8 9 10

die Hinzunahme Ovids bewerkstelligen, dem Montanus hierin stark verpflichtet ist (besonders im elegischen Versmaß). Zu den nicht immer kunstgerechten Epanalepsen des Montanus sei an die Anknüpfung eines Zusatzes in [met.] 10,112ff. erinnert (S. 524). Eine entsprechende Anknüpfungstechnik verwendet Montanus in [met.] 13,683 (s. S. 349). Zu dieser Stilfigur siehe M. Hillen, Studien zur Dichtersprache Senecas, Berlin 1989, 148290. Die Verse [Aen.] 10,263b. 264a. 267-275. 276-307 habe ich dem Montanus zugewiesen, v. ad loc. [Aen.] 2,484-490 del. Zw. [Aen.] 2,554-558 del. Zw. Siehe S. 39f. und unten zu [Aen.] 7,595 (v. ad loc.). [Aen.] 4,18. 21. 26 del. Zw. [Aen.] 5,3-9 del. Zw. [Aen.] 5,440. 455. 458-460 del. Zw. Siehe S. 47; 404 Anm. 1. [Aen.] 6,494-547 del. Zw. (duce Peerlkamp).

Hypallage - Manierismus

453

6,542

at laeva (sc. via) malorum exercet poenas et ad impía Tartara mittit 6,832 ne, pueri, ne tanta animis adsuescite bella1 7,507 stipitis hic gravidi nodis (sc. armatus), s. S. 540 7,595 ipsi has2 sacrìlego pendetis sanguine poenas3 10,781 sternitur infelix alieno vulnere 11,812 caudamque remulcens subiecit pavitantem utero silvasque petivit (s. S. 569) 12,204 (...) non, si tellurem effundat in undas (sc. vis aliqua) diluvio miscens caelumque in Tartara solvaô 12,407f. iam pulvere caelum | stare vident1 12,733 ni fuga subsidio subeat 12,739 (...) postquam arnia dei ad Volcania ventum est? [Ov. met.] 2,181 suntque oculis tenebrae per tantum lumen obortae (del. Zw.) 13,485 nunc etiam praedae mala sors (sc. Hecuba), s. S. 459 Anm. 4 [ars] 3,347 (...) vos, pia numina vatum (se. Bacche novemque deae), s. S. 377 epist.7,109 diva parens seniorque pater, pia sorcina nati (s. S. 500) 7,181 dum fréta mitescunt et amor dum temperai usum1 11,37 erubui gremioque pudor deiecit ocellos [trist.] 3,12,7 prataque pubescunt variorum flore cqlorurrf [Pont.] 1,1,31 adiuvat in bello pacatae ramus olivae9 4,2,16 sed siccum sterili vomere litus aro10 [fast.] 4,332 (...) dantque levi somno corpora functa cibou 4,687 hospitis antiqui sólitas intravimus aedes12 Ciris 502 at mollis varios intexens pluma colores marmoreum volucri vestivit tegmine corpus 506 crura nova macies obdwcit squalida pelli et pedibus teneris unguis affíxit acutes Culex 182 spiritibus rumpit fauces

Es hat den Anschein, daß man solche, oftmals recht kühne Hypallagai als Ausdruck einer neuen, "expressionistischen" Stilmanier zu begreifen hat. Diese wird uns im weiteren Verlauf der Untersuchung immer wieder zu kurzen Aus-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

[Aen.] 6,826-835 del. Zw. Das Demonstrativpronomen steht für huius sceleris. [Aen.] 7,563-571. 575. 585-600 del. Zw.; siehe auch oben zu [Aen.] 2,576. [Aen.] 12,203-205 del. Ribbeck. [Aen.] 12,391-410 del. Zw. [Aen.] 12,733-741 del. Zw. Siehe S. 501 Anm. 5. [trist.] 3,12,7-10. 13-16. 37-40 del. Zw. [Pont.] 1,1,23-36. 41-44. 65-68 del. Zw. [Pont.] 4,2,15-22 del. Zw. [fast.] 4,329-342. 347sq. 361-372 del. Zw. [fast.] 4,681-712 del. Zw.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

454

blicken Anlaß geben; verwiesen sei etwa auf die bizarre Metonymie von [Pont.] 2,2,80 (tempora Phoebea virgine nexä)1 oder auf die Formulierung saxaque roratis erubuisse rosis von [Pont.] 2,1,36. Wir greifen hier die gleiche Sprachfärbung wie in der Schilderung des Opferfeuers beim Neujahrsfest, vor dem Zug zum Kapitol, in [fast.] l,77f.: fiamma nitore suo templorum verberat aurum \ et tremulum summa spargit in aede iubar. Eben dieses Reflektiertwerden des Lichtglanzes vom Gold der Tempel bietet uns Montanus in verfremdeter Form wieder in seiner Triumphzugsschilderung ([Pont.] 2,l,41f.): Der Sonnenglanz, der auf die goldenen Kriegstrophäen2 fällt, läßt die Gebäude auf dem Forum Romanum (durch die Reflexion des Lichtes) in Gold erstrahlen: deque tropaeorum, quod sol incenderti, auro \ aurea Romani teda fuisse Fori. Der gleiche expressive Sprachgestus zeigt sich in Montanus-Zusätzen der Aeneis, so etwa in [Aen.] 7,525ff. (v. ad loc.): sed ferro ancipiti decernunt atraque late \ horrescit strictis seges ensibus, aeraque fulgent \ sole lacessita et lucem sub nubila iactant: | fluctus uti primo coepit cum albescere vento, | paulatim sese tollit mare et altius undas | erigit, inde imo consurgit ad aethera fundo oder in [Aen.] 11,299 vicinaeque fremunt ripae crepitantibus undis\ vgl. [Aen.] 12,101f. his agiturfuriis, totoque ardentis ab ore \ scintillae absistunt, oculis micat acribus ignis, ferner die Hyperbolik des von Montanus hinzugedichteten Aetna-Ausbruches, s. S. 121ff. Den Schluß mag ein Beispiel aus dem Culex bilden, dessen kühne Ausdrucksweise wiederum aus Manilius abgeleitet scheint: Culex 218

Manil. 5 , 2 0 7 Aen. 6 , 5 7 0

1

2 3

4

5

obvia3 Tisiphone. serpentibus undique compta4, et flammas et saeva auatit mihi verbera; pone Cerberus (ut diris flagrant latratibus ora!), anguibus hinc atque hinc horrent cui colla reflexis saneuineiaue micant ardorem luminis orbes5: vgl. exoritur candens latratque Canícula flammas continuo sontis ultrix acçinçta flagello

Vgl. [Aen.] 5,339 post Helymus subit et nunc fertig palma Diores (aus Manilius), ν. ad loc. Der Gen. Plur. tropaeorum ist singular in der Dichtung. Ein auffällig häufiges Prädikativum im Culex (166. 176. 218. 261), das auch zweimal im Epicedion Drusi begegnet (33. 199). Vgl. Aen. 7,751 fronde super galeam et felici çomptus oliva. In [Aen.] 4,472 hat Montanus armatam facibus matrem et serpentibus atris (v. ad loc.); vgl. auch Culex 234 vinctus sedet immanis serpentibus Otos. Zugrunde liegt wohl Enn. ann. 473 ( = 484 Sk) semianimesque micant oculi lucemque requirunt und Ov. met. 8,284 (vom Kalydonischen Eber) saneuine et igne micant oculi. riget hórrida cervix (von Montanus durch et saetae similes rigidis hastilibus horrent erweitert, s. S. 253). Micare in Verbindung mit einem inneren Akkusativ erscheint hier erstmalig, danach wieder Sen. Phae 380.

Hypallage - Manierismus

455

Tisiphone auatit insultans, torvosque sinistra intentons anguis vocat agmina saeva sororum. [Aen.] 6,417 [Cerberus haec ingens latratu regna trifauci personat adverso recubans immanis in antro, cui vates horrere videns iam colla colubris ... offam \ obicit (...). Es wird deutlich, daß der Culex-Dichter den Tisiphone-Passus der Aeneis sehr frei umgeformt und seine eigene Cerberus-Erfindung von [Aen.] 6,417ff. durch 'lumina' aus dem 5. Maniliusbuch1 und aus Ovids Zeichnung des Kalydonischen Ebers bereichert und zugleich 'modernisiert' hat. In flagrant latratibus ora (220) sehe ich eine spielerische Umkehrung von latratque \ Canícula flammas. Das kühne latrai... flammas dürfte Montanus zu dem Akkusativ nach micare (micant ardorem luminis) inspiriert haben. Die übrigen hier besprochenen Kühnheiten des Ausdrucks (Ellipsen, Brachylogien, Hypallagai, bizarre Metonymien, Hyperbolik) scheinen genährt von dem künstlichen Klima des Deklamationssaals, der vielfältige Blüten dieser Art hervorbrachte. "The fact that many of the declaimers came from the provinces did not tend to improve the accuracy of their Latin (...). Bombastic language is common (...). The declaimers are not deterred from the boldest extensions of the normal meaning of words" 2 . Allenthalben wird bei Montanus eine 'expressionistische' Stilmanier erkennbar, ein Zug zur Abundanz, zu nachovidischem 'Manierismus', zu Sentimentalität und effekthaschender Rhetorik Erscheinungen, die dann von den kaiserzeitlichen Epikern wegen des Hauches der Modernität begierig aufgegriffen wurden.

13. Gelehrte

Mythenvariationen

Der poeta doctus, als den wir hier den Iulius Montanus kennenlernen, gefallt sich immer wieder in der Eindichtung mythologischer Zusätze und scheut dabei in der ihm eigenen Inkonsistenz auch nicht vor alternativen mythologischen Versionen zurück, die mit den von Vergil bzw. Ovid gewählten Varianten oder überhaupt mit der uns bekannten mythologischen Tradition in Widerspruch stehen. Ich muß mich hier darauf beschränken, die wichtigsten Beispiele zu benennen, und den Leser im übrigen auf den echtheitskritischen Kommentar verweisen (die in diesem Prolegomenaband besprochenen Stellen lassen sich leicht über das Register auffinden): [georg.] 1,281-283; 3,531ff. 550; [Aen.] 2,199-202. 309-312. 554-558. 567-588. 647-649. 761f.; 3,48-57

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2

Dieses scheint auch bei der Erweiterung des Salmoneus-Abschnittes durch [Aen.] 6,586 bekannt, v. ad loc. S.F. Bonner, Roman Declamation, Liverpool 1949, 64f.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

456

(s. S. 483ff.); 4,469-473. 480-486 (-493); 5,563-576. 602f; 6,616-624; 7,208. 282f.; 8,666b-670; 10,193; ll,537b-586; 12,90f.(81-112); [Ov. am.] 3,12,2332 (s. S. 370 Anm. 3); [met.] 13,280-285(-295). 393-398. 422-428. 429-438. 461-464. 683-701. Hand in Hand damit geht der gewöhnliche Interpolationstyp der in den Text geschriebenen mythologischen Kommentierung: [Aen.] 1,42-45. 55-64. 80. 144-156. 245-249. 382. 458; 2,246-249. 435f.; 3,105f. 168. 214-218. 296f. 330-336. 426-428. 578-582; 4,(248-251). 256-258: 5,117. 370-375. 820-826; 6,14-33 (innerhalb des Zusatzes 3-41). 164f. 555f. 586. 648-650. 743f. 764766. 893-896; 7,170-193. 363-366. 655-669. 671. 706-743. 761-782. 796-802 (der Truppenkatalog gibt Gelegenheit, vielerlei italische 'Mythologie' einzufügen); 8,77. 136f. 268-272. 330-332. 342-346. 355-361. 422. 426-438. 654. 657-659; 9,86-90. 104-106. 178. 259. 387f. 673f. 715f.(710-721); 10,76. 618-620. 779-782; 12,139-141. 391ff.(391-410). In den hinzugedichteten Palinuros- und Deiphobus-Abschnitten des 6. Aeneisbuches1 ist jeweils die spezielle Technik angewandt, daß eine der beiden Mythenvarianten verneint wird, um die für gültig erachtete dann von dieser abzusetzen (v. ad loc.). Die gleiche Technik bietet der Ciris-Dichter in 484ff. : Ciris 484

490

sed tarnen aeternuni2 squamis vestire puellam infidosque inter teneram committere pisces non statuii (nimium est avidum pecus Amphitrites): aeriis potius sublimem sustulit alis3, esset ut in terris facti de nomine4 çiris, ciris5 Amyclaeo formosior ansere Ledae.

Auch diesen auffälligen Zug dürfen wir auf ein und denselben Autor dieser Verspartien, Montanus, zurückführen6. Der Ciris-Dichter trägt im Anschluß an die Themenangabe (die Verwandlung Scyllas in einen Vogel wegen Verrats an ihrem Vater und ihrer Vaterstadt) seine Gelehrsamkeit zur Schau und führt in 54ff. dem Adressaten Mes-

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Siehe bes. [Aen.] 6,341ff. 500ff. So ist mit Kreunen anstelle des überlieferten -neun zu lesen. Wohl nach met. 11,341 fecit avem et subitis pendentem sustulit alis. Die Junktur ist als Versatzstück aus Aen. 1,367 (facti de nomine Byrsam) übernommen. Man beachte die Epanalepse, eine charakteristische Stilfigur des Montanus, s. S. 443ff. Verwandt ist die von ihm im Epicedion Drusi gewählte Methode, bestimmte Formen des Trauerrituals per negationem zu beschreiben, indem geschildert wird, welche Arten des letzten Liebesdienstes die trauernde Mutter dem Toten nicht hat leisten können (weil sie abwesend war).

Gelehrte Mythenvariationen

457

salla konkurrierende Mythenversionen vor 1 : Er weigert sich, die bei großen Dichtern (wie Vergil) vorliegende Kontamination mit der homerischen Scylla anzuerkennen, zählt die verschiedenen Spekulationen über die genealogische Einordnung der homerischen Scylla auf und stellt dabei interessanterweise auch eine allegorische Deutung zur Erwägung (68f. sive est neutra parens atque hoc in carmine toto | inguinis est Vitium et veneris descripta libido), wodurch er sich als gelehriger Schüler des Lukrez erweist (Lucr. 3,978-1023). Der Aufzählung der verschiedenen mythologischen Varianten des CirisStoffes in 54ff. entspricht auf beste die Zurückweisung aller poetischen Versionen der Ursachen des Aetna-Ausbruches in Aetna 29ff.; man vergleiche auch die mythologischen Alternativen in Ciris 303-305. Wie hier eine Umdeutung der Luna ins Spiel kommt, so lesen wir in Culex 283-285 die zuvor nicht belegte Version, daß auch Luna durch den Gesang des Orpheus und sein Leierspiel bezaubert wird 2 . Die programmatischen Äußerungen zu Beginn des Aetna-Gedichtes hinwieder fügen sich gut zu den entsprechenden im CirisProöm (man beachte den Ausdruck naturae rerum magnis intexere chartis in 39), so wie die Ablehnung überkommener Themen in Aetna 9ff. bestens zu Culex 26ff. paßt 3 . In all diesen Zügen fassen wir ein und denselben Dichter, Montanus. Er setzt an das Ende des Aetna-Gedichts einen moralisierenden Vergleich (568ff.) zwischen den von Menschenhand gebildeten Sehenswürdigkeiten, die alle Welt bewundert, und dem artificis naturae ingens opus (600), das allen menschlichen Kunstwerken überlegen ist, sowie das 'exemplum pietatis' der Brüder von Catina, die anläßlich eines früheren Ausbruchs des Aetna nicht wie die übrigen Bewohner - gierig 4 reiche Beute fortzuschleppen suchten, sondern ihre beiden altersschwachen Eltern, die ihnen ihren einzigen Reichtum bedeuteten. Vor so viel Kindesliebe waren damals selbst die Flammen zurückgewichen - ein Wunder, das die Dichter besingen. Diese moralistische Schlußwendung des Gedichts erinnert im Ethos stark an den Montanus-Zusatz zur norischen Viehseuche, [georg.] 3,525-547 (v. ad loc.), der in den Versen 531536 eine Reminiszenz an ein anderes Brüderpaar, Cleobis und Biton, enthält, das als 'exemplum pietatis' in die Geschichte eingegangen ist: Wie diese beiden Brüder sich vor den Wagen ihrer Mutter, der Hera-Priesterin, spannen und sie anstelle der Ochsen zum Heiligtum emporziehen, so tragen die Brüder von Catina ihre beiden Eltern auf den Schultern aus der bedrohten Stadt, retten sie vor den feurigen Lavaströmen des Aetna und verdienen sich so einen Platz 1

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Siehe Lyne's Kommentar (Cambridge 1978) zu 32-34 (Typhon). 70-76. 112-114 und die Einleitung (S. 12. 14), wo der freie (kontaminierende) Umgang des Dichters mit dem Mythos treffend gewürdigt ist. Siehe Güntzschel lOOf. In der verhaltenen Form der 'recusatio' stimmt dazu auch Ciris 29ff. Vgl. das Stichwort avara manus in 630.

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

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im Elysium1. Wir hören den nicht selten moralisierend und zugleich sentimental klingenden Ton des Montanus.

14. Quae 'Montaniana ' Scaurus vocabat (Sen. contr. 9,5,17) Um den Polydorus-Zusatz im 13. Metamorphosenbuch Ovids in der rechten Weise an der Folie des Polydorus-Einschubs in der Aeneis messen und den Nachweis erbringen zu können, daß beide Eindichtungen von der gleichen Hand stammen (s.u. S. 478ff.), habe ich den ganzen Hecuba-Abschnitt Ovids analysiert und dabei eine Reihe weiterer unechter Zusätze ausgeschieden, darunter auch den Passus [met.] 13,499-513. Erst später bin ich darauf gestoßen, daß drei Verse dieser von mir für unecht erklärten Partie vom Seneca rhetor als beispielhaft für die Stileigenheit des 'Montanismus' zitiert werden (s.o. S. 270). Bevor ich daraus weitere Schlüsse zu ziehen versuche, gebe ich zunächst meine Analyse des ovidischen Hecuba-Abschnitts - ausgenommen die im nächsten Kapitel, S. 478ff., zu besprechenden Polydorus-Verse.

a) Hecubas Klage um Polyxena im 13. Metamorphosenbuch met. 13,461-464. 484-487. 491. 496-513 Nach dem tapferen Tod der Polyxena folgt die Totenklage. Sie hatte beim echten Ovid die folgende Struktur (die übergeordneten Bezüge sind durch fett gedruckte Majuskelschrift herausgehoben): 13,481 483 488

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TROADES EXCIPIVNT deploratosque recensent Priamidas et quid dederit domus una çruoris; teque gemunt, virgo, teque, o modo regia coniunx. quae CORPUS conplexa animae tamfortis inane, quas totiens patriae dederat natisque viroque. huic quoque dat lacrimas; lacrimas i/i vulnera fiindit II [osculaque ore legit consuetaque pectora plansitΊ2

Verwandt ist auch der Montanus-Zusatz [Pont.] 1,1,23-36, wo in 33f. (cum foret Aeneae cervix subiecta parenti, | dicitur ipsa viro fiamma dedisse viam) an Aeneas erinnert wird, der seinen Vater auf dem Nacken aus dem brennenden Troja trägt, mitten durch die zurückweichenden Flammen (aus Aen. 6,110f. gesponnen). Der Interpolator ergänzt die Tränen und das Abreiben der Wunde mit den Haaren durch Küsse und Brustschlagen, bringt damit aber eine kunstwidrige Doppelung zu laniato pectore (493) in die Schilderung. Consueta steht brachylogisch für consueta ; die Klausel scheint aus dem Niobe-Zusammenhang geholt, vgl. 6,248f. adspicit Alphenor

Quae 'Moníaniana' Scaurus vocabat

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525 531 533 536

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canitiemque suam concreto insanguiife veneris plura quidem, sed et haec laniato pectore dixit: 'NATA, tuae (quid enim superest?) DOLOR VLTIME mat ris, NATA, iaces, videoque tuum, mea vulnera, pectus1. postque tot amissos tu nunc, quae sola levabas maternos luctus, hostilia busta piasti, inferías hosti peperi! quo FERREA resto? quidve moror? quo me servas, annosa senectus? quo, di crudeles, nisi uti nova fuñera cemam, vivacem differtis anum? quis posse putaret felicem Priamum post diruta Pergamo dici? felix morte sua est: nec te, mea NA TA, peremptam ADSPICIT et vitam pariter regnumque reliquit! at, puto, muneribus1 dotabere3, regia virgo, condeturque tuum monumentis CORPVS avitis? non haec est fortuna domus; tibi muñera matris contingent fletusperegrinaeque haustus harenae! (...) quid moror interea crudeliamlnera lymphis abluere et sparsos inmiti sanguinç vultus?' dixit et ad lituspassu processit anili (...) ADSPiciT eiectum POLYDORI in litore CORPVS factaque Threiciis ingentia vulnera telis. TROADES EXCLAMANT, obmutuit illa DOLORE (...).

Die Troerinnen erhalten den Leichnam ausgehändigt, rechnen sich vor, wieviele Priamus-Sprößlinge sie schon zu beklagen hatten, und bejammern das Mädchen und Hecuba, die eben noch Gattin eines Königs war4. Hecuba selbst

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3 4

laniataque pectora planeens \ advolat. Vgl. 10,197 videoque tuum. mea crimina, vulnus. Die Wiederholung von pectus in 495 wird man nicht als nachlässige Doppelung zu laniato pectore in 493 bewerten. Denn dort schildert der Dichter, hier spricht Hecuba; dort handelt es sich um die Brust Hecubas, hier um die der Polyxena; zudem stellt der Ausdruck tuum, mea vulnera, pectus mit der eingeschlossenen Apposition (die verwundete Brust der Tochter ist zugleich die Wunde der Mutter) eine gefallige Variation zu dem Abi. abs. laniato pectore dar. So Bentley statt des überlieferten funeribus. Die durch at, puto sarkastische gefärbte Unterstellung wird in 525f. berichtigt: die 'Brautgeschenke' der Mutter werden Tränen und eine Handvoll fremden Sandes sein. Die muñera matris der Berichtigung erfordern zwingend muneribus dotabere in der sarkastischen Suppositio von 523. Eine Reminiszenz an den Schluß der Juno-Rede in Aen. 7,318. Die mit Hilfe einer Epanalepse angefugten Verse 484-487 halte ich für interpoliert. Sie schweifen von der Klageszene um Polyxena auf die Erlösung der Hecuba durch Ulixes ab, während Ovid nach der knappen Bemerkung über die "eben noch königliche Gattin", die neben dem König Priamus nun auch die Tochter Polyxena verloren hat, direkt mit Hecubas Klage über die Tochter fortfährt. Das knappe o modo regia coniunx (483) hat seine Entsprechung in dem ebenso knappen tamquam regina maneret von 545; vgl. Eur. Hec. 60f. όμόδουλον | υμιν, vpôaâe δ' αναασαν. Die Korresponsion modo - nunc hat Montanus

460

Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

umarmt den Leichnam ihrer Tochter und spendet auch ihr die Tränen in die Wunde, die sie schon so oft zu spenden hatte für ihre Söhne und den Gemahl: Der Dichter vollführt in dieser Schilderung des Verhaltens der Troerinnen und der Hecuba im besonderen jeweils die gleiche Bewegung von den früheren Opfern des Königshauses zu Polyxena selbst. Dementsprechend läßt er auch in der direkten Rede Hecubas (494ff.) die Tochter in die Reihe der verlorenen Kinder stellen (514) und sie als den l e t z t e n S c h m e r z der Mutter bezeichnen (494). Ihren jüngsten Sohn Polydorus wähnt sie ja hier, beim Thrakerkönig Polymestor, in Sicherheit (527ff.) - bis sie, im Begriff, den blutbefleckten Körper der Toten am Meeresufer zu waschen, auch noch den Leichnam ihres Jüngsten entstellt am Ufer erblickt. So wird der vermeintlich letzte Schmerz (494) durch einen neuen Schmerz abgelöst (538), der sie mit soviel innerem Ingrimm erfüllt, daß sie sich blutig rächt und schließlich - von den Thrakern verfolgt - in eine Hündin verwandelt. Der Dichter sagt in Vers 493 expressis verbis, er wolle Hecubas Klage nur in verkürzter Form wiedergeben. Doch Montanus hat das ρ Iura qui dem, sed et haec ... dixit als Aufforderung verstanden, seinerseits die Klagerede auszuweiten. Ihre Länge (39 Verse) steht denn auch in keinem vernünftigen Verhältnis zur voraufgehenden Rede der Polyxena (rund 12 Verse). Eine Klage, die mehr als dreimal so lang ist wie die der Vorrednerin, wird ein Dichter nicht mit der ausdrücklichen Ankündigung einleiten, er gäbe nur eine knappe Zusammenfassung. Löst man den Zusatz des Montanus heraus, bleiben 21 Verse. Die Eindichtung des Montanus (496-513) zerschneidet die oben nachgewiesene Bewegung, die jeweils Polyxena mit den früheren Opfern des Königshauses in unmittelbare Verbindung bringt (man beachte im Textabdruck die einfach durchgezogenen Unterstreichungslinien gefolgt von einfachem Fettdruck), durchtrennt das kompakt abgehandelte, durch die Begriffen nata (494) und peperi (516) gerahmte Motiv von der Mutter, die ihre Tochter als Sühneopfer für den Feind geboren hat1, und beläßt zwischen den Versen 513 und 514 eine unüberbrückbare gedankliche Kluft: Von 500b-513 ist Hecuba ganz mit sich selbst beschäftigt, sieht sich zuletzt als hilflose Sklavin in der Fremde, im Haus der Penelope, die triumphierend den Frauen Ithakas sagen werde

eingeführt, der sie gleich in 508/510 wieder aufgreift. Es handelt sich um eine einzige, lange Periode, die durch die Begriffe nata - matris - nata - maternos - peperi und den Chiasmus matris - maternos - hostitia - hosti zusammengehalten wird und das anfänglich mehr im Sinne einer Situationsbeschreibung gesetzte Verb iaces zu einem sarkastischen busta piare und inferías (praebere) emporsteigert: "Tochter, Du liegst als letzter Schmerz Deiner Mutter < entseelt > und ich muß, Tochter, Deine verwundete Brust - meine Wunde - ansehen: nach so vielen mir entrissenen Söhnen bist jetzt Du, die doch allein die Trauer der Mutter hättest lindern sollen, als Sühnopfer am feindlichen Grab gefallen: Totengaben für einen Feind habe ich geboren! "

Quae 'Montaniana ' Scaurus vocabat

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(man beachte das Futur di cet)·. 'haec Hectoris illa est \ clara parens, haec est ... Priameia coniunx'·, in 514ff. dagegen soll sie weiter mit Polyxena befaßt sein, wie durch das eng anknüpfende postque tot amissos tu nunc ... hostilia busta piasti deutlich wird. In Wirklichkeit bilden die Verse 494f. 514516 einen fest zusammengefugten, einheitlichen Block (siehe die voraufgehende Anmerkung), greifen die Stichworte in vulnera (fundit lacrimas: 490), (ιcanitiemque suam verrens) concreto in sanguine (492), dolor ultime matris ... iaces (494f.), tuum, mea vulnera,,pectus (495) und hostilia busta piasti1 inferías ... peperi (515f.) unmittelbar ineinander, wie nicht zuletzt durch die mit Bedacht gesetzte Antithese tuae ... dolor ultime matris. | nata, iaces (494f.) und tu ..., quae sola levabas \ maternos luctus (514f.) deutlich wird. Der persönlich gestimmte Einsatz der Rede, die die Mutter an die geopferte Tochter richtet, durch anaphorisches naia - nata (494f.), das in 521 durch mea nata fortgeführt wird, verbietet es, daß in 497f. die Emphase des Unfaßbaren (die Mutter hat ihre Tochter als Sühneopfer für den Feind geboren!) durch klügelnde Rhetorik ersetzt wird, wie sie in dem doppelten f emina - ferro zum Ausdruck kommt, der getäuschten Erwartung, daß eine F r a u durch das Schwert nichts zu befurchten habe 2 . Die banale Feststellung gar tu quoque vulnus habes (497) kommt nach der pointierten Stilfigur videoque tuum, mea vulnera, pectus (495) einem Absturz gleich. Die Anknüpfung des Zusatzes durch et, ne perdiderim quemquam sine caede meorum. \ tu quoque vulnus habes (496f.) ist zudem unstimmig, denn die übrigen Töchter und Schwiegertöchter (man denke an Cassandra und Andromache) 3 werden ja nicht mit dem Schwert umgebracht (jedenfalls nicht in der hier ins Auge gefaßten Situation vor Troia), sondern als Sklavinnen der siegreichen Griechen in alle Winde zerstreut. In dem elliptischen Ausdruck at te, quia femina, rebar... tutam (497f., vgl. die oben herausgestellte Brachylogie in 491 consueta ... pectora) und in dem synkopierten mi von 503 (s.u. und S. 427 Anm. 3) fassen wir den Montanus auch als nachlässigen Stilisten recht deutlich, s. Kap. III 10. Die leere Rhetorik der durch eine asyndetische Antithese geprägten Verse 497f. (at te, quia femina. rebar \ a ferro tutam: cecidisti et femina ferro) wiederholt sich in 50Iff.

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Hatte der erzählende Dichter in 4 5 l f . von Polyxenas tapferem Gang zum Grabhügel gesagt diroque fit hostia busto (451f.), so legt er in 515 nun der Hecuba in ihrer Rede an die geopferte Tochter dieses Motiv, abgewandelt zu hostilia busta piasti, in den Mund. Dieses Verfahren macht den entscheidenden Unterschied zu den meist aus der Übernahme vorgeformten Wortmaterials resultierenden Wiederholungen des Bearbeiters aus. Der Interpolator hat vielleicht das Motiv fortis et infelix et plus quam femina virgo \ ducitur ad tumulum (451) unpassend weitergesponnen. Bei Seneca preist Hecuba Polyxena glücklich: quam vellet tuos \ Cassandra thalamos, vellet Andromache tuos! (Tro 967f.).

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus at postquam cecidit Paridis Phoebique sagittis, nunc certe, dixi, non est metuendus Achilles: nunc quoque mi metuendus erat

wie überhaupt der hinzugedichtete Passus voller Wiederholungen steckt1. Es ist auch unmittelbar deutlich, daß die Apposition 509 (tot generis natisaue potens1 nuribusque viroaue) einen aufgeschwemmten Abklatsch der Verse 489 (quas totiens patriae dederat natisaue viroaue') und 514 (postque tot amissos) darstellt, zumal es keinen Grund gibt, die Schwiegersöhne an den Beginn der Reihe zu rücken, und überdies die zweite Vershälfte (potens nuribusque viroque) inhomogen klingt. Mit der oben aufgezeigten Gedankenabfolge, gemäß welcher Polyxenas Opferung als der vermeintlich l e t z t e Schmerz Hecubas (quid enim superest? fragt sie - rhetorisch - in 494) durch die jäh entdeckte Ermordung des Polydorus von einem neuen, gesteigerten Schmerz übertrumpft wird, stimmt nicht gut der Vers 508 (in cursuaue meus dolor est) zusammen, der aus einer Kombination von dolor ultime matris (494) und Pont. 4,11,18 (dum dolor in cursu est) hervorgegangen zu sein scheint. Ebenfalls aus dem ovidischen Zusammenhang sind die Verse 504f. (tumulo quoque sensimus hostem: \ Aeacidae fecunda fui) geschöpft: Sie bringen durch die Vorwegnahme die Schlußpointe der direkten Anrede Hecubas an Polyxena um ihre Wirkung, siehe die Verse 514ff., bes. hostilia busta piasti! | inferías hosti pepe ri. Der voraufgehende Satz cinis ipse sepulti | in genus hoc saevit (503f.) beutet den Schlußabschnitt des 12. Buches aus, besonders die Verse 620f. ipse etiam ... | bella movet clipeus. deque armis arma feruntur. Zuvor ist dort davon die Rede, daß Ae acide s, caput insuperabile bello, \ arserat: armarat deus idem, idemque cremabat. \ iam cinis est, et de tam magno restât Achille \ nescioquid, parvam quod non bene compleat urnam (12,613ff.) 3 . Das in der Dichtung singuläre orbator in 500 (exitium Troiae nostrique orbator Achilles) hat Montanus im Hinblick auf 12,593 (operis nostri populator, Achilles) gewagt und daraus später (in [Aen.] 12,545) einen Priami regnorum eversor Achilles gemacht (v. ad loc.); der Vers 12,614 (armarat

Man vergleiche noch etwa perdiderim (496) - perdidit (499); meorum (Versklausel in 496 und 510); tu quoque (497) - nunc quoque (503) - tumulo [s. tumulis in 510, vgl. 451] quoque (504); vulnus (497, vgl. 490. 495); totque (499) - tot (509, vgl. totiens [489], tot [514]); idem - idem (499); Achilles (Versklausel in 500 und 502); nunc (502. 503. 510, vgl. 514); dixi (502) - dicet (513); hostem (504, vgl. 515. 516); iacet (505, vgl. 495); finita (506. 507); Pergamo (507, vgl. 520); restant (507, vgl. 516); dolor (508, vgl. 494); trahor (510) - trahentem (511); haec ... est (512) - haec est (513). Vgl. Aen. 7,56f. Turnus, avis atavisque potens. quem regia, coniunx (s. met. 13,483) | adiungi venerum ... properabat. Seneca hat in seinem Ovidexemplar natürlich die Verse [met.] 13,503f. gelesen, vgl. Tro 955ff. (HEC.) adhuc Achilles vivit inpoenas Phrygum? | adhuc rebellât? o manum Paridis levem. \ cinis ipse nostrum sanguinem ac tumulus sitit.

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deus idem, idemaue cremabat) dürfte die Struktur von 13,499 (totque tuos idem fratres. te perdidit idem) bestimmt haben, wenngleich Montanus nicht ohne die für ihn charakteristische Ellipse (oder άτο xoicoû-Stellung) des Verbs ausgekommen ist und Ovids durchsichtige Wortfolge stark verschränkt hat. Ausgangspunkt für die Zudichtung war vermutlich das knappe, substantivierte amissos des Verses 514 (postque tot amissos) und das folgende sentenzhaft verkürzte inferías hosti peperi (516): Hier fühlte sich Montanus aufgerufen, erläuternd einzugreifen und das tot amissos durch fratres (499), das verschlüsselte hosti aber durch die mehrfache Nennung des Achill (500. 502. 505) zu explizieren und überhaupt beide Motive durch den Zusatz 496-513 breit auszuspinnen. Löst man ihn heraus, laufen - wie oben gezeigt - die Verse 494f. und 514ff. glatt ineinander über und konstituieren eine mit Bedacht auf das vergebliche Gebären abgestellte Klage der M u t t e r . Teile dieses Passus erinnern stark an die ebenfalls von Montanus hinzugefügte Helena-Episode ([Aen.] 2,567ff., s. S. 34ff.); vgl. 2,573 Troiae et patriae communis Erinys und [met.] 13,500 exitium Troiae nostrique orbator, Achilles·, ferner [Aen.] 2,571 eversa ob Pergamo1 und met. 13,520post diruta Pergamo, [met.] 13,505 lacet Ilion ingens, [met.] 13,507 soli mihi Pergamo restant. Das in der Helena-Episode verarbeitete Motiv von der Ehrlosigkeit einer mit dem Schwert vollzogenen Bestrafung einer Frau scheint Montanus direkt aus dieser Oviderweiterung wiederholt (und mit anderen Ovidreminiszenzen kontaminiert zu haben, s. S. 41. 43), vgl. [met.] 13,497f. at te, quia femina. rebar \ a ferro tutam: cecidisti et femina ferro und [Aen.] 2,581 occiderit ferro Priamus? 583f. namque etsi nullum memorabile nomen \ femínea in poena est nec habet victoria laudem (...). Das Kolorit der Verse [met.] 13,508b-513 aber entspricht ganz dem der Montanusverse [Aen.] 2,785787 (s. S. 219ff.), vgl. bes. 13,511 f. Penelopes munus, quae me data pensa trahentem \ matribus ostendens Ithacis (dicet) und [Aen.] 2,786 Grais servitum matribus ibo. Ihnen läßt sich wiederum das Motiv der als Beute mitgefiihrten Trojanerinnen in der Helena-Episode ([Aen.] 2,580) an die Seite rücken: überall sehen wir Montanus mit den gleichen Vorstellungen wuchern. Bevor ich noch einige Besonderheiten der Imitationstechnik katalogartig anfüge, bespreche ich einen für die relative Chronologie der poetischen Produktion des Montanus wichtigen Sonderfall etwas näher: Als Montanus den Penelopebrief dichtete, übernahm er in epist. 1,51 eine Formulierung Ovids aus met. 13,519f., nutzte aber bei der nachfolgenden Überarbeitung des 13.

Vgl. [Aen.] 2,555f. Troiam incensarti etprolapsa ... | Pergamo (ν. ad loc.); ferner [Aen.] 2,554 haec finis Priami fatorum, hic exitus und [met.] 13,506f. eventuque gravi finita est publica clades, \ sed finita tarnen-, schließlich [Aen.] 2,556f. to¿ quondam populis terrisque superbum \ reenatorem Asiae und [met.] 13,509 ta generis natisque potens. etc. (s.o.); zu 13,484 s.u.

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Metamorphosenbuches den entsprechenden Zusammenhang seines Penelopebriefes, u m die Verse [met.] 13,505b-508a des hier behandelten Zusatzes zur Hecuba-Rede z u formen. Ich stelle die Verse in chronologischer Abfolge untereinander: met. 13,519 epist. 1,3 24 47

50

55

quis posse putaret felicerti Priamum post diruta Persama

dici?

l

Troia iacet certe Danais invisa puellis versa est in ciñeres sospite Troia viro sed MIHI QVID PRODEST vestris disiecta lacertis Ilios et murus quod fuit esse solum, si maneo, qualis Troia durante manebam, virque MIHI dempto fine carendus abest? diruta sunt ALIIS, VNI MIHI Persama restant, incola captivo quae bove victor arat. iam seges est, ubi Troia fuit, reseçandaque falce luxuriaí Phrygio sanguine pinguis h μ mus2; semisepulta virum c μ ry i s feriuntur a r a t r i s ossa, ruinosas oççulitherba domos.

[met.] 13,505

iacet Ilion ingens, eventuque gravi finita est publica clades, sed finita tamen: sou MIHI Persama restant, in cursuaue meus dolor est*.

[Prop.] 4,10,27

30

heu Vei veteres! et vos tum regna fuistis et vestro posita est aurea sella foro: nunc intra muros pastoris bucina lenti cantai, et in vestris ossibus arva

metunt.

Offensichtlich hat Montanus zunächst die Antithese des Verses epist. 1,51 {diruta sunt aliis, uni mihi Per gama restant), die durch einen ähnlich antithetischen Satz in l , 4 7 f . vorbereitet ist, geprägt, bevor er in [met.] 13,507 die in epist. 1,51b gefundene (durch met. 13,520 beeinflußte) Formel aus ihrem konkreten antithetischen Bezug herauslöst, also das ebenfalls auf das Subjekt Pergamo, ausgerichtete Gegenglied dìruta sunt aliis kappt und an seine

1 2

3

Vgl. das nunc certe in [met.] 13,502. Hierund in den folgenden Versen liegen georg. l,491ff. (bis sanguine nostro | ... pinguescere campos, etc.) und Hör. carm. 2,l,29ff. (quis non Latino sanguine pinguior | campus sepulcrìs inpia proelia | testatur auditumque Medis | Hesperiae sonitum ruinae ?) zugrunde; zu epist. l,55f. vgl. bes. georg. 1,494 (agricola _.incurvo terram molitus aratro.) und 496 (gravibusjastris galeaspulsabit inanis | grandiaque effossis mirabitur ossa sepulcrìs)·. ferner ars l,725f. turpis (sc. Candidus color) et agiicolae, qui vomere semper adunco | et gravibus,rastris sub love versai humum. Vgl. Pont. 4,11,18 dum dolor in cursu est (s.o.).

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Stelle ein neues - weniger präzises - Subjekt (publica clades) und einen entsprechend allgemeinen Verbalausdruck (finita est ..., sed finita tarnen) rückt. Daß die Formel in [met.] 13,507 sekundär ist, erhellt auch daraus, daß ihre Übertragung aus dem größeren Trojazusammenhang der Penelopeepistel in den Zusatz zur Hecubarede dort eine unschöne Verdoppelung des Verbs restare bewirkt hat; denn der echte Ovid hatte die verzweifelt Mutter in 13,516f. fragen lassen quo ferrea resto? \ quidve moror? quo me servas, annosa senectus? Montanus hat dies bei seiner Wiederverwendung der einmal gefundenen Floskel nicht berücksichtigt. Als er sich dann im 4. Buch des 'Properz' als Romanus Callimachus in römischer Aitiendichtung versucht, hat er in 4,10,27ff. den Fall Vejis mit den Farben gemalt, die er im Penelopebrief anläßlich der Schilderung des Untergangs Trojas zu verwenden gelernt hatte. Die punktierten Linien im Textabdruck machen die komplementäre Übernahme der bei der Amplifikation der Hecubarede noch nicht benutzten 'bäuerlichen' Motive der Penelopeepistel evident. Das Distichon 4,10,29f. hat epist. 1,48. 51-56 zur Voraussetzung und ist zusätzlich durch ein pastorales Motiv ausgeschmückt: Die Kombination von Hirtenhorn und Getreideernte wirkt sekundär gegenüber der Kombination 'Pflügen - Getreidefeld - Abernten mit der Sichel'. Der Dichter muß erst den Gedanken konzipiert haben, daß der pflügende Bauer auf die Knochen von Kriegern stößt, bevor er sich zu der Vorstellung versteigen kann, daß man " a u f d e n K n o c h e n der Bewohner von Veji die Getreidefelder aberntet". Dabei ist wieder das konkrete resecandaque falce | ... humus durch das allgemeine arva metunt ersetzt. Wir beobachten also das gleiche Verhältnis wie zwischen der oben erläuterten Entwicklung von epist. 1,51 zu [met.] 13,505b507. Die noch ausstehenden Bemerkungen zur Sprache und Imitationstechnik der Metamorphosenzusätze gebe ich in der Reihenfolge der unechten Verse. 461-464: Die Thematik des in Freiheit angenommenen Opfertodes wird durch diesen unorganischen Einschub gestört, der in Vers 461 die Wirksamkeit des Versöhnungsopfers, damit aber auch den Sinn der Bereitschaft Polyxenas, den Tod freiwillig auf sich zu nehmen, in Frage stellt (haud per tale sacrum numen placabitis ullum). obwohl die Griechen damit exakt der Forderung Achills nachkommen, placet Achilleos mactata Polyxena manes (448), und obwohl wenig später Polyxena ausdrücklich feststellt: acceptior Uli, \ quisquís is est, quem caede mea placare parotis, \ liber erit sanguis (467ff.). Die Anknüpfung des Zusatzes durch anaphorisch gedachtes haud ... ullum an scilicet haud ulli servire Polyxena vellem ist rhetorisch unbefriedigend, da ein neuer, geradezu gegensätzlicher Gedanke vorliegt, die Anapher aber eine gleichgerichtete Argumentationskette voraussetzt. Auch die Wiederaufnahme von vellem (460) in 462, von mors (462) in 464, von matrem (462) in 463, die Kombination von mors mit necis gaudia (463) und die Antithese mea mors -

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sua vita (464) weisen den Verfasser der Verse eher als Rhetor (freilich als einen Rhetor mittlerer Qualität) aus denn als Dichter. Ovid selbst hat die Polyxena-Linie des in Freiheit angenommenen Todes konsequent von 460 (scilicet haud ulti servire Polyxena Vellern) nach 465ff. hinübergeführt, vgl. vos modo, ne Stygios adeam non libera manes, | ite procul, si iusta peto, tactuque viriles \ virgíneo removete manus. acceptior illi \ ... | liber erit sanguis und 470f. Priami vos filia regis, \ non captiva rogai. Seine Polyxena bittet darum, daß man ihren Leichnam bereitwillig der Mutter zum Begräbnis übergibt, ohne daß sie ihn durch Gold (das sie nicht mehr besitzt) erkaufen müßte. Damit unvereinbar ist der Gedanke an eine Verheimlichung ihres Todes vor der Mutter, wie ihn die Polyxena des Verses 462 erwägt. Die Verse 462ff., wonach die Rücksicht auf die Mutter die Freude, in den Tod gehen zu dürfen, beeinträchtigt, sind von Montanus im Anschluß an Eur. Hec. 197ff. 21 Iff. 347. 432ff. 548 konzipiert, so wie er auch seinen Polydorus-Zusatz im Anschluß an diese Tragödie formuliert hat (s. S. 482ff.). 484 Die Kombination von reeia coniunx1 ("Gattin eines Königs") mit regia ... parens ist wenig sinnvoll (Hecuba ist ja nicht in gleicher Weise 'Mutter eines Königs')2; ganz aus dem Rahmen fällt dann Asiae florentis imaso. So würde man allenfalls den Herrscher selbst bezeichnen, wie aus der Vorbildstelle trist. 5,2,49 (o decus, o patriae per te florentis imaso - von Augustos gesagt) hervorgeht. 485 nunc etiam praedae mala sors: quam victor Ulixes I esse suam nollet: ein schiefer Ausdruck, vgl. 414 invidiosa trahunt victores praemia Grai (sc. maires)·, [met.] 9,493 quae male sum quos tu sortita parentes·, 15,632 utque salutifera ... succurrere ... | sorte velit (sc. Phoebus). Montanus hat Vergils (si... contigerit) vieto ri ... praedae dicere sortem in einer kühnen Hypallage auf Hecuba übertragen, die somit der personifizierte 'schlechte Beute-Losspruch' geworden ist. 486f. nisi quod tarnen Hectora partu I ediderat: nach fast. 2,383f. caelestia semina partu I ediderat. 487 dominum matri vix repperit Hector, eine im Zusammenhang unpassende rhetorische Übersteigerung3; zur Formulierung vgl. fast. 5,200 sed generum matri repperit ilia (sc. forma) deum. 501 atpostquam cecidit: s. zu 435 (S. 482. 485), vgl. met. 5,39 qui postquam cecidit. 502 non est metuendus Achilles: vgl. ars 1,751 non est hostis 1 2

3

Die Klausel scheint aus Aen. 7,56 geholt. Soll die Junktur 'Mutter von Königskindern' bedeuten? Auch ein solcher Ausdruck wäre höchst ungewöhnlich. Seneca hatte den interpolierten Ovid vor Augen, als er die Verlosungsszene in Tro 972ff. rekapitulieren und dann Hecuba in eine pathetische Rede ausbrechen ließ (vgl. etwa 975 AN. e de: quem dominum voco? 979 HEC. Estne aliquis, Hecubam qui suam dici velit? \ HEL. Ithaco obtieisti praeda nolenti brevis; ferner die Stichworte iniquae ferus \ sortitor urnae (981 f.), dominos (985), matrem Hectoris (986), domini pudet (989) und den Schlußvers sortem occupavi, praemium eripui tibi (998).

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467

metuendus amanti. 503 nunc quoque mi metuendus erat: Im Ovidcorpus steht nur noch ein weiteres mi (s.o.), in met. 9,191; aber die Verse 9,187-196 sind wie 197a unecht 1 . 506 eventuque gravi finita est publica clades: vgl. Montanus in [Aen.] 10,159f. secumque volutat \ eventus belli varios (ν. ad loc.). 508 modo maxima rerum: Die Klausel steht Aen. 7,602 (nunc maxima rerum | Roma colit) und 9,279f. {tibi maxima rerum \ verborumque fides) in einer Enjambement-Konstruktion; sie ist von Montanus ähnlich in Aetna 631 eingesetzt2. Ovid selbst hat in ars 3,229f. pars maxima rerum \ ojfendat, si non interiora tegas. 510 nunc trahor exul inops: die Junktur ist in der Dichtung vor Montanus nicht belegt, der sie auch Ibis 113 verwendet: exul inops erres alienaque limina lustres. In tumulis avulsa meorum hören wir den Erfinder des Zusatzes 422-428, vgl. bes. 424f. (v. ad loc.). 511 me data pensa trahentem: ähnlich Montanus in [trist.] 4,l,13f. cantantis pariter, pariter data pensa trahentis \ fallitur ancillae decipiturque labor3 (zugrunde liegt fast. 2,743 lumen ad exiguum famulae data pensa trahebant): epist. 3,75 nos humiles famulaeque tuae data pensa trahemus: 10,90 neve traham serva grandia pensa manu\ fProp.l (?) 3.11.20 tarn dura traheret mollia pensa manu: Epiced. Drusi 240 pollice quae certo pensa severa trahunt. 512f. haec Hectoris ilia est \ clara parens: starke Abundanz, ohne Parallele; anders fast. 2,195 haec fuit illa dies, in qua ...; 4,379 'haec'ait 'illadies, ... qua ...; 6,713 haec est ilia dies, qua Den Schlußpunkt der Zudichtung in den hier behandelten Metamorphosen-Passus setzt die Priameia coniunx (513), die auch in dem Zusatz 404-407 (s. S. 478f.) die Klausel des Verses 404 bildet, sonst aber in

Der Zusatz soll einen möglichst vollständigen Katalog der Taten des Hercules bieten, während sich Ovid selbst beschränkt auf die Unholde Busiris, Antaeus, Geryones und Cerberus (182-185) und daran dann als Steigerung eine anaphorische Dreierreihe von Taten anfügt, die seine vom Nessusgift attackierten Gliedmaßen ins Spiel bringen: 186 vosne, manus validi pressistis comua tauri? 197 his elisa iacet moles Nemeaea lacertis? hac caelum cervice tuli? defessa iubendo est saeva Iovis coniunx, ego sum indefessus agendo. Schon der Auftakt der Zudichtung (187 vestrum opus Elis habet) klingt höchst prosaisch, das Kompositum concustodita (190) ist singular in der einschlägigen Dichtung, ebenso der insomnis draco, der eine Parallele in dem vom Rhetor Vinicius verlachten Satz des Votienus Montanus hat: insomne et experrectum est animal canis. utique catenarius, paratus (Sen. contr. 7,5,12, s. S. 473). Die ungleichförmige Rahmung des Verses 191 (nec mihi ... nec mi) zeigt die Schwäche der von Ovid gemiedenen Kontraktion mi besonders kraß. Über die männlichen equi statt der thrakischen Stuten in 194ff. ist bereits gehandelt, s. S. 336 Anm. 3. Die epanaleptische Kombination vidi | visaaue (195f.) hat ihre Parallelen bei Montanus (s. S. 480 zu 13,425f.). Vgl. epist. 9,107 te, maxime rerum. Der Passus [trist.] 4,1,9-18 gehört dem Montanus.

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der lat. Dichtung nicht wieder begegnet. Das präsentische haec est stimmt nicht zu 483 o modo regia coniunx.

b) Iulius Montanus und Votienus Montanus Aus dem soeben besprochenen Zusatz [met.] 13,499-513 hat laut Seneca rhetor (contr. 9,5,17) der Redner, Dichter und Deklamator Mamercus Aemilius Scaurus (cos. suff. 21 n.Chr.) die Verse 503-505 zitiert, um an ihnen den Stilfehler des 'Montanismus' zu exemplifizieren, der mehrfachen variierenden Wiederholung eines sentenzhaften Gedankens: habet hoc Montanus Vitium: sententias suas repetendo corrumpit. dum non est contentus unam rem semel bene dicere, efficit, ne bene dixerit. et propter hoc et propter alia, quibus orator potest poetae similis viderí, solebat Scaurus Montanum 'inter oratores Ovidium' vocare; nam et Ovidius nescit quod bene cessit relinquere. ne multa referam, quae ' Montaniana' Scaurus vocabat, uno hoc contentus ero: cum Polyxene esset abducta, ut ad tumulum Achillis immolaretur, Hecuba dicit: 'cinis ipse sepulti \ in genus hoc pugnai '. poterai hoc contentus esse; adiecit: 'tumulo quoque sensimus hostem. ' nec hoc contentus est; adiecit: 'Aeacidae fecunda fai. ' aiebat autem Scaurus rem veram: non minus magnam virtutem esse scire dicere quam scire desinere.

Der ältere Seneca handelt hier um 37 n.Chr. von dem aus der Gallia Narbonensis stammenden Redner und Deklamator V o t i e n u s M o n t a n u s , den er einen homo rarissumi etiamsi non emendatissimi ingeni nennt (9,5,15). Er fuhrt zunächst variierende Wiederholungen von Sentenzen aus seiner ersten forensischen Rede (pro Galla Numisia) auf und teilt mit, daß er manche von ihnen auch in die publizierte Rede übernommen und vieles hinzugefügt habe, was er nicht gesagt hatte (9,5,16)1. Er weist dann die gleiche fehlerhafte Stilmanier, die gekoppelt ist mit beständigen Widersprüchen (s. das Register), in der hier aktuellen Deklamation nach und berichtet, Scaurus (der 34 n.Chr. Selbstmord beging) habe den Montanus einen Ovid unter den Rednern ge-

Daß Reden bei der Publikation überarbeitet und erweitert wurden, ist an der Tagesordnung. Besonders kraß ist das Beispiel Ciceros in der actio secunda der Verrinen, die bekanntlich nie gehalten worden ist; vgl. ferner Plin. epist. 1,20,6ff. (pauciora dixisse quam ediderint); 2,5,3; 3,18,1; 3,13,5; 3,18,9 (mit dem Kommentar von Sh.-White [Quintilian 12,10,49ff.]); 4,5,4; 5,8,7. M. Deufert erinnert an U. Schindel, Die Verteidigungsrede des Apuleius, in: U. Mölk (Hrsg.), Literatur und Recht. Literarische Rechtsfälle von der Antike bis in die Gegenwart, Göttingen 1996, 13ff. Man darf eine ähnliche Einstellung zum Original bei einem postumen Herausgeber annehmen; im Falle der Vergil- und OvidEditionen des Iulius Montanus ist sie evident. 'Historisch-kritische' Ausgaben im eigentlichen Sinne sind erst eine Errungenschaft der Neuzeit. Selbst in dem Ovid-Zitat des Scaurus (oder Seneca), das die Manier des 'Montanismus' explizieren soll, ist in Vers 504 das Verb saevit (so die Ovid-Hss) durch pugnai ersetzt. Zur Freiheit beim Zitieren s. S. 6.

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nannt; denn auch Ovid könne nicht von einem einmal gut formulierten Gedanken ablassen. Als Beispiel für diese Stilmanier des M o n t a n u s soll Scaurus nun ausgerechnet O v i d v e r s e angeführt haben, die von uns - ohne Berücksichtigung dieser Senecastelle1 - dem I u l i u s M o n t a n u s zugeschrieben worden sind (s.o. S. 458)! Wie wir von Ovid selbst wissen, hatte er die Metamorphosen zum Zeitpunkt seiner Relegation noch nicht zu Ende gebracht, ja, sein Manuskript beim Weggang aus Rom verbrannt, so daß er später aus Tomis seinen 'Verleger' in Rom bittet, sein Epos nach Abschriften, die vor der Vollendung genommen worden waren, zu publizieren. Dieser Editor 2 ist von uns oben mit Iulius Montanus identifiziert worden, der Ovids Werke in dem Zeitraum ca. 14-20 n.Chr. überarbeitete und herausgab (die Fasti nach 17 und vor 19 n.Chr.). Scaurus konnte also - wenn auf diese Anekdote Verlaß ist und nicht lediglich (wie in anderen Fällen, s. das Register) eine fiktive Zuschreibung vorliegt - in der Tat nur ein durch Iulius Montanus ergänztes Metamorphosen-Exemplar vor sich haben, als er in der Hecuba-Episode des 13. Buches ' M o n t a n i a n a ' entdeckte, die er - obwohl selbst (nach Sen. contr. 10 praef. 2f.) ein höchst nachlässiger Stilist - als fehlerhaft brandmarkte. Doch meint er hinter den besagten 'Ovid'-Versen etwas der Manier des Redners V o t i e η u s Montanus Vergleichbares zu hören, während wir sie dem Dichter I u l i u s Montanus zugeschrieben haben! Gibt es eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen beiden 3 , die sich auch in der gemeinsamen Stilmanier niederschlägt, wie es bei den Dichtern Seneca und Lucan der Fall ist? Verbirgt sich hinter beiden dieselbe Person, wie Lipsius meinte 4 ? Aber hätte Seneca rhetor dann den Iulius Montanus in contr. 7,1,27 als egregius poeta, den Votienus Montanus wenig später, in contr. 7,5,12, als toto animo scholasticus (s.u.) bezeichnet, in contr. 9,5,15f. ihn allein als Redner und Deklamator vorgestellt und ihn durch Scaurus inter orato res Ovidium nennen lassen? Die Abgrenzung des Redners Montanus vom Dichter Ovid - verstärkt durch das voraufgehende et propter alia, quibus orator potest poetae similis videri - scheint zu prononciert, als daß man annehmen könnte, Seneca lasse hier die 'nebenberufliche' Tätigkeit des Montanus (im Sinne eines Dichter-Amateurs) ähnlich unberücksichtigt wie im Falle des Scaurus selbst, den er ebenfalls nur als

2 3

4

Das Metamorphosenkapitel ist früher entstanden. Der nicht n o t w e n d i g mit dem Adressaten der Ovidbriefe identisch sein muß. Zum Cognomen Montanus s. I. Kajanto, The Latin Cognomina, Helsinki 1965, 309 (und 81). Lipsius zu Tac. ann. 4,42, ohne sich des Problems bewußt zu sein. Für den Dichter Montanus verweist er nur auf Pont. IV 16.

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Redner und Deklamator einstuft, obwohl er doch auch eine Tragödie Atreus gedichtet hat1. Leider ist der Bericht des älteren Seneca nicht frei von Widersprüchen. So wird Votienus Montanus in der Praefatio zum 9. Buch der Controversiae n e u eingeführt: Der Vater Seneca läßt sich durch seine Söhne erinnern, daß er noch den Votienus Montanus vergessen habe (er schreibt ja tatsächlich als alter Mann, und so mag sein "Vergessen" nicht nur stilisiert sein). Gleichwohl aber war bereits in contr. 7,5,12 eine anschließend (S. 471f.) zu behandelnde Sentenz des Votienus Montanus mitgeteilt und zu seiner Charakterisierung folgende Geschichte erzählt worden: accusaverat (sc. Vinicius) illum apud Caesarem, a colonia Narbonensi rogatus. at Montanus ade o tot o animo s cholas ti cus erat, ut eodem die, quo accusatus est a Vinicio, diceret: 'delectavit me Vinici actio. ' et s ent entias e i us r efe rebat. eleganter illi dixit Surdinus: 'rogo: numquidputas illum alteram partem declamasse?' Ferner behauptet Seneca zu Beginn seines Votienus-Abschnittes, dieser habe niemals Schau-Deklamationen vorgeführt, ja, nicht einmal übungshalber deklamiert (contr. 9 praef. 1: adeo numquam ostentationis declamavit causa, ut ne exercitationis quidem declamaverit), weil ein Deklamator nicht (in einem Prozeß) siegen, sondern gefallen wolle und deshalb omnia ... lenocinia conquirit; argumentationes ... relinquit. sententiis, explicationibus audientis delinire contentus est. cupit enim se approbare, non causam. Im weiteren Verlauf des 9. und 10. Buches der Controversiae aber zitiert Seneca den Votienus Montanus immer wieder als Teilnehmer von 'Schaudeklamationen', zu denen ja auch die in IX 5 behandelte gehört, in deren Rahmen Seneca rhetor das eingangs vorgeführte Stilurteil über den 'Montanismus' zum besten gibt. Eine befriedigende Lösung dieser Schwierigkeiten scheint nicht gefunden2. Man könnte daran denken, daß in dem Bericht des älteren Seneca eine Perspektivenverkürzung vorliegt, die einen Sinneswandel des Votienus Montanus unberücksichtigt läßt, so daß in der Rückschau des Seneca rhetor (um 37 n.Chr.) die ursprüngliche Deklamatorentätigkeit des aus der Provinz nach Rom Gekommenen nun ohne Differenzierung neben Äußerungen des gereiften Mannes ihren Niederschlag gefunden hätten, Äußerungen, hinter denen eine Abkehr von den rhetorum ampullae stehen könnten, wie wir sie in Gedichten der Appendix Vergiliana greifen.

1

2

Siehe Cass. Dio 58,24,4. - Der egregius poeta von 7,1,27 wird (so möchte man meinen) im Bewußtsein Senecas nicht leicht zum Dichter-Amateur verblassen. Siehe J. Fairweather (Seneca the Elder, Cambridge 1981, 47ff.), die zu erwägen gibt, ob sich in der Präfatio zum 9. Buch hinter Votienus Montanus die abgekürzten Namen Valerius Messala oder Iulius Montanus verbergen. - Zu [Aen.] l l , 2 8 8 f f . ist gezeigt, daß der betagte Seneca rhetor nicht nur irrte, sondern auch frei erfundene Anekdoten in sein Werk aufnahm, die der historischen Kritik nicht standhalten (s. 134ff.).

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Wenn wir das Catalepton in der Appendix Vergiliana zu Recht dem Iulius Montanus zuschreiben, so dürfen wir (auch wenn grundsätzlich zwischen dem wirklichen Dichter und der im Gedicht sprechenden Dichterfigur geschieden werden muß) mit aller Vorsicht aus Catal. V erschließen, daß ihr Verfasser in der Jugend (Vers 5 inane cymbalon iuventutis) ein leidenschaftlicher Deklamator und scholasticus war, zugleich aber auch ein begeisterter Dichter (1 Iff.) 1 , der sich später den epikureischen Studien (erklärt sich so die große Vertrautheit 'unseres' Montanus mit Lukrez?) zuwenden und das Dichten nur noch in Maßen betreiben wollte (pudenter et raro). Doch scheint dies im Lichte des Ciris-Proöms eher als Einschränkung der spielerischen Dichtungsarten gemeint, die zugunsten der philosophisch begründeten Lehrdichtung aufgegeben (vielleicht auch nur hintangestellt) werden sollen (v. ad loc.). Aus dem Catalepton ergibt sich Vertrautheit des Verfassers mit Gallien (catal. 2,4 tau Gallicum\ catal. X: Mantua, Brixia, Cremona frigida et lutosa Gallia), was gut zur narbonensischen Herkunft des Votienus ( = Iulius?) Montanus stimmen würde. Man könnte demnach die Hypothese wagen, Votienus Montanus 2 sei als junger Mann aus Narbo, der Colonia l u i i a Paterna, nach Rom gekommen, habe sich dort lange Jahre als Redner und Deklamator öffentlich hervorgetan, nebenbei auch gedichtet, habe dann einen Sinneswandel vollzogen, die bloßen Prunkreden im Deklamationssaal aufgegeben, sich der epikureischen Philosophie zugewandt und sein Hauptziel im Verfassen lukrezisch getönter Lehrdichtung gesehen, sich vielleicht gar in dieser Zeit den - durch Adoption erworbenen? - Dichternamen Iulius Montanus 3 beigelegt. Zur Evidenz läßt sich all dies nicht bringen. Doch ist es erstaunlich, daß beide Montani von Seneca rhetor im Zusammenhang mit den gleichen Deklamatoren genannt werden: Iulius Montanus urteilt in contr. 7,1,27 über ein Diktum des Cestius, unmittelbar zuvor war Glycon zitiert. In contr. 9,5,17 wird der Deklamator Glycon als Teilnehmer an der gleichen controversia eingeführt, anläßlich derer Seneca die Stilmanier des Votienus Montanus geißelt (9,5,15f.), zuvor war wieder u.a. Cestius als Teilnehmer genannt (9,5,12).

1

2

3

Hinter dem "Schulmann" (scholasticus, vgl. Catal. 5,4 und oben Sen. contr. 7,5,12) kann sich leicht auch eine Dichterexistenz verbergen. So besitzen wir die Autographe von Dichtungskonzepten des σχολαστικός Dioskoros von Aphrodito (6. Jh. n.Chr.), die auf die Rückseite von Rechtsurkunden geschrieben sind, die wohl aus dem Notarsarchiv des gleichen Dioskoros stammen, siehe T. Dorandi, ZPE 87, 1991, 18f. Zum Namen Votienus siehe RE 9, A l , 924 und PIR III 489. Martials docti Narbo Patema Votieni (8,72,5) kann aufgrund des Attributs doctus kaum auf den Redner Votienus gehen. Das Gedicht läßt auch eher an einen Zeitgenossen Martials denken. Ein L. Votienus in Narbo ist in CIL XII 5258 nachgewiesen. Iulius Montanus ist dreimal genannt: Sen. contr. 7,1,27; Sen. epist. 122,11 (die Hss bieten die Form illius)\ Don. vit. Verg. § 29. In [Pont.] 4,16,11 nennt sich unser Iulius lediglich mit dem Cognomen Montanus.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montanus

Von Iulius Montanus berichtet der Philosoph Seneca, daß er mit dem Kaiser Tiberius befreundet war, später aber in Ungnade gefallen ist1; Votienus Montanus wurde 25 n.Chr. ob contumelias in Caesarem dictas verurteilt (Tac. ann. 4,42) und auf die Balearen verbannt (vgl. das in der vorigen Anmerkung gegebene Suetonzitat), wo er 27 n.Chr. (Hier, chron. p. 173b H.) oder später (R. Helm, Philol. Suppl. 21,2, 1929, 74f.) starb. Auch der oben genannte ( P . ) V i n i c i u s , nach Sen. contr. 10,4,25 summus amator Ovidi, erscheint neben dem Deklamator Glycon2. Wir haben ihn als Ankläger des Votienus Montanus kennengelernt (s. S. 470). Ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, daß an der einzigen Stelle, an der der jüngere Seneca den Dichter Iulius Montanus porträtiert, ein comes des M . V i η i c i u s namens Varus im Deklamationssaal seinen Spott über den Dichter Montanus ausgießt? Gab es eine Familienfeindschaft der Vinicii (des Vaters M. Vinicius und des Sohnes P. Vinicius) gegen die Montani? Muß man annehmen, daß hier Namensvertauschungen bzw. Namensänderungen vorliegen, der jüngere Seneca vielleicht irrtümlich M. Vinicius statt P. Vinicius schreibt und Votienus Montanus a u c h den Namen Iulius trug? Die beiden Söhne des Messalla Corvinus, an die sich Ovid mehrfach aus dem Exil wendet, heißen bei ihm Messalinus (Pont. 1,7,1. 67; 2,2,3. 85) und Cotta (3,2,1. 107) bzw. Maximus Cotta (2,8,2; 3,5,6). Ihr voller Name lautete M. Valerius Messalla Messallinus bzw. M. Aurelius Cotta Maximus Messallinus. Von dem jüngeren3 schreibt Syme (117): "He was a Valerius Maximus adopted by an Aurelius Cotta; and he took over the cognomen 'Messallinus' on the decease of his brother."

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Sen. epist. 122,11 recitabat Montanus Iulius carmen, tolerabilis poeta et amicitia Tiberi notus et frieore: vgl. Hor. sat. 2,l,60ff. o puer, ut sis | Vitalis metuo et maiorum ne quis amicus I frieore te feriat und Suet. Aug. 66,3 cum ille (sc. M. Agrippa) ex levi frieoris suspicione ... Mytilenas se relictis omnibus contulisset. Das ovidische Epiphonem zum Tod des Achill (met. 12,607f.), das Vinicius an dieser Controversiae-Stelle lobt, habe ich (ohne Kenntnis dieser Stelle) in meinem Exemplar als verdächtig markiert (met. 12,607-611). Μ.E. ist Ovids Darstellung viel zu gerafft, als daß er sich bei einer auktorialen Kommentierung mit Apostrophe des toten Achill aufhalten könnte. Zudem nimmt das pathetische ille igitur tantorum victor, Achille, | victus es (608f.) - man beachte die Kombination ille ... victus es}. - dem iam timor iUe Phrygum, ... \ ..., Aeacides, caput insuperabile bello, \ arserat (612ff.) die Wirkung. Daß Helena durch die Periphrase Graia ... marita bezeichnet wird, wirkt ebenso künstlich wie die Umschreibung des Paris-Pfeilschusses durch femíneo ... Marte cadere. Das Ethos der beiden Schlußverse (610f.) erinnert stark an das Raisonnement des Aeneas in der unechten Helenaepisode, [Aen.] 2,583ff. (s. S. 41. 43. 463). Da Ovid die Metamorphosen nicht selbst ediert hat, konnte Vinicius - falls er nicht eine der Voraus-Abschriften hatte - das Werk nur in der von Montanus mit Erweiterungen herausgegebenen Form lesen. Der sowohl Redner als auch Dichter war.

Quae 'Montaniana ' Scaurus vocabat

473

Es muß jedenfalls eine Beziehung zwischen dem von uns erschlossenen dichtenden Bearbeiter des Vergil und Ovid und den durch Scaurus des 'Montanismus' bezichtigten, vom älteren Seneca ausführlich charakterisierten Votienus Montanus geben 1 . Denn es tritt ein weiteres signifikantes Zeugnis hinzu: Nach Sen. contr. 7,5,12 lautet eine vom Redner und Deklamator P. Vinicius, dem Konsul des Jahres 2 n.Chr., verspottete Sentenz des Votienus Montanus: insomne et experrectum est animal cani s, utique catenarìus \paratur]. In dem unechten Passus [met.] 9,187-196 2 ist von den poma ... ab in so nini concustodita dracone (190) die Rede. Es handelt sich um den einzigen Beleg für insomnis im Ovid-Corpus 3 ; vgl. dit falsa ... insomnia in [Aen.] 6,896 (v. ad loc.). Auch für Hunde hat der den Vergil und Ovid bearbeitende Editor Montanus eine Schwäche, s. zu [Aen.] 8,461f. Verblüffend aber ist es, daß auch der von P. Vinicius verspottete D o p p e l a u s d r u c k insomne et experrectum {animal) einen Niederschlag in einem unechten Zusatz der Metamorphosen gefunden hat, den ich dem Dichter Montanus zuteile: In [met.] 12,314ff. ist ein vor Trunkenheit in Tiefschlaf versunkener Kentaurus namens Aphidas hinzuerfunden, der cunctis sine fine iacebat | sopì tus venis et inexperrectus4. Dabei wurde der Doppelausdruck sopitus ... et inexperrectus spiegelbildlich auf das von Vinicius gerügte Diktum des Montanus insomne et experrectum est animal canis) abgestimmt. So etwas kann sich nicht durch Zufall einstellen; vielmehr bezieht sich der Dichter des Metamorphosenzusatzes bewußt auf das Diktum des Deklamators zurück. Dieses scheint nun aber eine weitere Abwandlung in einem m.E. unechten Gedicht des wohl insgesamt unechten vierten Properzbuches 5 erfahren zu haben, vgl. [Prop.] 4,5,73f. et canis. in nostros nimis

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Wie o. S. 270 zum Varrozitat in [georg.] 2,404 und zu dem Schwalbenfragment des Iulius Montanus (S. 312) kurz gezeigt, trifft das Urteil des Seneca rhetor über die vitia sermonis des Votienus Montanus (contr. 9,5,15ff.) ebenso auf die wenigen uns überlieferten Verse des Iulius Montanus zu wie auf seine Zudichtungen zu Vergil und Ovid. Dies gilt sowohl für das Merkmal der earundem rerum ... iteratio (9,5,15) bzw. des sententias repetendo corrumpere (9,5,17) als auch für Widersprüchlichkeit in der Darstellung (9,5,16 nihil non ex eis bellum est, si solum sit; nihil non rursus ex eis alteri obstat). Bei einem solchen Dichter muß es nicht verwundern, wenn er in [Aen.] 6,534-536 einen Sonnenaufgang innerhalb einer Unterweltsschilderung einführt, obwohl er die Örtlichkeiten kurz zuvor als sine sole locos hatte bezeichnen lassen.

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Siehe das Register. Ebenso singular sind die auf Montanus zurückgehenden Ausdrücke conscelero und insopitumque draconem in [met.] 7,35f. (s. S. 414 mit Anm. 2), wozu sich gut sein insopor ecce vigil von [Ον.] epist. 12,103 fügt. Ich habe die Verse [met.] 12,287. 302-326 dem Montanus zugeteilt, v. ad loc. und vgl. die oben angeführte Junktur insopitumque draconem (S. 414 Anm. 2). Siehe S. 7 Anm. 1 und das Stellenregister.

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Die Wiederentdeckung des Iulius Montarais

experrecta dolores, \ cum fallendo meo pollice clatra forent)1. Die Steigerung durch ni mi s (experrecta) deutet darauf hin, daß die beiden oben genannten Stellen zeitlich vorausgehen. Da wir im Laufe dieser Untersuchung mehrmals auf unechte Properzstellen gestoßen sind (und u. S. 585ff. weitere namhaft machen werden), die charakteristische Züge des von uns erschlossenen Montanus zu verraten scheinen (s. das Stellenregister), drängt sich die Annahme auf, daß wir auch hier in allen drei Passagen den gleichen Montanus hören, der sich offenbar (nach oder neben seiner Rednertätigkeit?) als frei redigierender Editor mehrerer elegischer und epischer Gedichtcorpora betätigt hat. Einen Deklamator, der zugleich Dichter war, dürfen wir hinter dem Verfasser der Appendix Vergiliana vermuten, wie insbesondere aus Catal. V und dem Proöm der Ciris hervorgeht. Eine Vielzahl von Indizien läßt es aber plausibel erscheinen, hinter dem Verfasser der Appendix Vergiliana den Dichter Montanus zu sehen. Von ihm, dem im Laufe dieser Untersuchung immer klarer hervortretenden Dichter, wissen wir, daß er bestens mit Properz vertraut war (also auch als Redaktor seines Werkes in Frage kommen konnte) und daß er dort, wo er ein Vorbild mehr als einmal ausbeutete, nach komplementärer Variation strebte2. Es entspräche also ganz seiner Dichtungsweise, wenn er die einmal geprägte Junktur insomne et experrectum bei der Wiederverwendung als kontrastive Imitation (sopitus et inexperrectus)3 einsetzte4, später dann aber 1

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4

Die Erwähnung der canis ist in diesem Zusammenhang ein fester Topos in der Liebesdichtung: Rothstein verweist auf Tib. l,6,31ff.; 2,4,33f.; K.F. Smith zu Tib. l,6,31f. auf Prop. 3,16,17; Ον. am. 2,19,40; Hör. epod. 5,58; carm. 3,16,2; Aristoph. Thesm. 417; Plaut. Asin. 184; Anth. Pal. 5,30 (trist. 2,459). Siehe das Register s.v. 'komplementär'. Sopitus ist ein von Montanus gern verwendetes Wort, vgl. Montan, frg. 2,2 iam dare sopitis nox pigra silentia terris·, epist. 14,69 sopitaque bracchia iactas; [am.] 1,9,26 et sua sopitis hostibus arma movent (ν. ad loc.); [Aen.] 8,410 cinerem et sopitos suscitai ignis (ν. ad loc., aus 5,743 wiederholt); 8,542 Herculeis sopitas ignibus aras \ excitât (wohl durch Manil. 1,243 illic orta dies sopitas excitât urbes angeregt). Dem spiegelbildlichen Imitationsverhältnis hier entspricht die Kontrastimitation im Verhältnis von [Prop.] 4,5,61f. (vidi ego odorati victura rosaría Paesti [nach georg. 4,119 biferique rosaría Paesti1 | sub matutino cocía iacere Noto) und App. Verg., de ros. nasc. l l f f . vidi Paestano eaudere rosaría cultu \ exoriente novo roscida Lucifero. \ rarapruinosis canebat gemma frutectis, \ ad primi radios interitura die. Ovids am. I 8 geht ziemlich sicher dem Gedicht [Prop.] IV 5 voraus. Die Unbeholfenheit der Imitationen und das stilwidrige 'Selbstzitat' in [Prop.] 4,5,55f. (siehe Knoche RhM 85,1936,11-28) sprechen gegen die Autorschaft des Properz, passen dagegen gut zu dem von uns erschlossenen Montanus, den man auch in 4,5,10 (et volucris nidis esse noverca suis, s. Kap. III 3); 4,5,18 (hippomanesl) zu hören meint. Das Gedicht [Prop.] IV 3 ist später als der 7. Heroidenbrief (vgl. epist. 7,lf. - [Prop.] 4,3,6) und das erste Tristienbuch , vgl. u.a. trist. 1,1,13f. - [Prop.] 4,3,4; fast. 2,561f. [Prop.] 4,3,13f.; trist. 1,3,84 - [Prop.] 4,3,46. In [Prop.] 4,3,31 zeigt sich die gleiche Hand (Montanus) wie in 4,8,87 und [am.] 1,2,2 (v. ad locc.). Das aus drei Themen zusammengesetzte Carmen [Prop.] IV 6 erweist sich durch die Verse 4,6,81-84 als Erzeug-

Quae 'Montamana ' Scaurus vocabat

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den Doppelausdruck aufgäbe, dafür aber ein steigerndes η i mi s experrecta (ιcanis) einführte. So fasse ich denn - trotz der nicht völlig zu klärenden Frage, ob sich hinter den beiden Montani ein und dieselbe Person (wie ich vermute) oder zwei (verwandtschaftlich?) eng verbundene, sich stilistisch gegenseitig beeinflussende Zeitgenossen verbergen1 - die vom älteren Seneca überlieferten Diskussionen über den unzulänglichen Geschmack des (Votienus) Montanus zuversichtlich als Bestätigung der hier entfalteten These, daß unser Vergil- und Ovidtext2 von dem als maßgeblicher 'Herausgeber' fungierenden Dichter (Iulius) Montanus ergänzend, erläuternd, ausschmückend und erweiternd bearbeitet worden und in dieser Form auf die Nachwelt gekommen ist.

nis der gleichen Hand, die den Exkurs über die Partherexpedition des Gaius Caesar (1 v.Chr.) in die Ars amatoria eingefügt hat ([ars] 1,177-228), siehe Syme, Ovid 3ff. 8f. und Hollis zu ars 1,179-82 (S. 73). Dort über [Prop.] 4,6,82: "... a remarkable anticipation"! [Prop.] 4,6,19 hat met. 8,300 zur Voraussetzung, die Verse 4,6,59f. mit dem beifalligen Diktum sum deus: est nostri sanguinis ista fides des von seinem Stern herabblickenden vergöttlichten Caesar gehen klar auf met. 15,745-761. 818ff. 839-842. 850f. zurück (vielleicht unter zusätzlicher Einwirkung von ecl. 9,47) und gehören eben dem Montanus, der die verwandte Apollo-Episode [Aen.] 9,638-665 (v. ad loc., vgl. bes. 638-644) nach der Heldentat des Ascanius hinzugedichtet und der sich auch die Junktur Caesaris illud opus in Epiced. Dnisi 39 und Eleg. in Maecen. 150 ausgedacht hat. Siehe ferner das Register. 1

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Das identische Cognomen an sich kann - bei unterschiedlichen Gentilia - nichts über eine verwandtschaftliche Beziehung aussagen. Die oben vermutete Adoption ist aber bei der engen Verbindung des Iulius Montanus zu Tiberius wohl gut denkbar. Sehr wahrscheinlich auch unser Properztext.

IV. Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen durch Montanus Wir sind im Laufe dieser Untersuchungen bereits öfter auf das Phänomen gestoßen, daß ein und dieselben Musterverse vom Imitator zwei- oder auch mehrmals genutzt werden, jedoch so, daß - abgesehen von einem gemeinsamen Nukleus - jeweils verschiedene Elemente des Vorbilds ausgewählt werden. Es sind dies offensichtlich bewußt eingesetzte Variationen in der Nachgestaltung eines mehrfach herangezogenen Musters, die in der Addition das volle (oder doch angenäherte) Urbild aufscheinen lassen. Es versteht sich von selbst, daß eine solche wohlberechnete Auswahl komplementärer Glieder - jedenfalls wenn sie mehrmals nachweisbar ist - nur von ein und demselben Imitator vorgenommen sein kann. Somit läßt sich dieses Phänomen als wichtiges Beweisglied für unsere These verwenden, daß der eine Montanus sowohl in den Zudichtungen des ovidischen und vergilischen Œuvres als auch in den anonymen Stücken, die sich an den O v i d ' und an den 'Vergil' angesetzt haben, zu fassen ist. Einige besonders markante Beispiele habe ich oben unter III 2 b) und c), ferner unter III 3 a) und III 4 ausführlich besprochen; andere Fälle sind beiwege kurz berührt worden 1 , darunter auch die dreifache, komplementäre Imitation der Syrinx-Verse aus den Metamorphosen, die jeweils mit einem festen aus Tib. 2,l,53f. gewonnenen Versatzstück kontaminiert sind (s. S. 337f.): met. 1,711 [rem.] 181 met. 11,153

154 Cul. 99

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atque ita disparíbus calamis conpaeine cerne inter se iunctis nomen ternisse puellae; Il pastor

inaequali modulator harundine carmen-,

Pan ibi dum teneris iactat sua carmina nymphis Il [et leve cerata modulatur harundine carmen] ; pastor agit curas et dum non arte canora compacta solitum modulatur harundine carmen2.

Siehe S. 287ff. zu georg. 3,322ff. 339ff. - [Aen.] 6,535f./[Ov.] epist. 8,17/Mont. frg. 2,1/Cul. 42ff.; ferner S. 291f. Manil. 1,322 - Mont. frg. 1,1/Cul. 43 (S. 290f.)/Cul. 102 (S. 339), vgl. die Zusammenfassung S. 293f. Siehe ferner unter den Selbstwiederholungen des Montanus die komplementäre Übernahme von [am.] 3,13,13f. nach [fast.] l,83f. und [Pont.] 4,4,31f. (S. 174) und die komplementäre Adaptation von epist. 1,47-56 in [met.] 13,505-508 und [Prop.] 4,10,27-30 (S. 463ff.).

478

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

In diesem Kapitel sollen nun eine Reihe besonders gewichtiger Beispiele vereinigt werden, die sich gegenseitig stützen und erhellen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich sie jeweils in ihrem Gesamtzusammenhang vorfuhren muß, weil ja nur so dem Leser ein Urteil über die Zuverlässigkeit der Zuschreibung an Montanus möglich wird. Auch durfte ich die nachfolgenden Bände des kritischen Kommentars nicht willkürlich zerschneiden, sondern war bestrebt, geschlossene Einheiten nach vorne zu ziehen. Dies hat zugleich den Vorteil, daß der Leser bereits in den Prolegomena eine gewisse Vorstellung von der Tragweite, aber auch von der heilsamen Wirkung der hier geübten Echtheitskritik erhält.

1. Der Polydorus des Montanus in den und in der Aeneis

Metamorphosen

met. 13,404-407. 415-417. 422-438; Aen. 3,48-57 Der von uns erschlossene Montanus hat kein Gespür für eine sich konsequent entwickelnde dramatische Handlungsabfolge. Dies zeigt er auch durch seinen schon von Bentley, Bothe und Späteren zu Recht getilgten Zusatz der Verse [met.] 13,404-4071, in denen er die erst aus der Rachehandlung 543ff. sich entwickelnde Metamorphose Hecubas (567-571) bereits in der katalogartigen Zusammenfassung der Ereignisse vor Troja nach dem armorum iudicium vorwegnimmt2. Die Priameia coniunx in 404 und in 513 ist nach Vergils Priameia virgo (Aen. 2,403; 3,321) geformt. 405perdidit ... hominis ... formarti: vgl. met. l,404f. videri | forma potest hominis. 406 externasque novo latratu terruit oras3: Eine Kombination von [met.] 7,362 et quos Maera novo latratu terruit agros und trist. 3,14,11 saepe per externasprofuguspater exulat oras . 407 loneus in angustum qua clauditur Hellespontus: vgl. fast. 4,567 perque urbes Asiae loneum petit Hellespontum: Ter. Haut. 669 in angustum ... çoguntur copiae (nicht in der klassischen Dichtung).Der Katalog der Ereignisse im brennenden Troja ist aufs äußerste gerafft. Ovid orientiert sich dabei an

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Siehe Börner ad loc. In 403 lese ich mit Heinsius inposita est sero (inposita estque fero codd.) tandem manus ultima bello. Durch tandem wird der Abschluß gut markiert. Den Selbstmord des Aias (13,391f. in pectus tum demum vulnera passum, \ qua patuit ferro, letalem condidit ensem). an den sich sofort victor... vela dat (399ff.) anschließt, hat er durch eine Abwandlung des Hyacinth-Mythos von 10,210ff. ausgeschmückt, die sachlich und stilistisch Bedenken erregt. Ich habe die Verse [met.] 13,393-398 dem Montanus gegeben, der sich zusätzlich an 6,252-259 inspiriert hat. Von ähnlicher Art ist sein Zusatz in [met.] 4,120-127. 131-136. So schreibe ich statt des überlieferten auras im Hinblick auf die beiden folgenden Parallelen.

Polydorus in Metamorphosen und Aeneis

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der Iliupersis der Aeneis, wie z.B. in der Übereinstimmung von met. 13,412f./Aen. 2,517 deutlich wird. Von Astyanax ist bei Vergil nicht die Rede. Die Verse met. 13,415-417 durchtrennen die beim echten Ovid durchgängige Linie von dem Verschleppen der dardanischen Mütter durch die siegreichen Griechen (412414), die sie auf die abfahrbereiten Schiffe bringen, über das Aufbruchssignal des Kapitäns beim einsetzenden Nordwind, das letzte 'Lebewohl' an Troja und die Muttererde (420) bis zur Abfahrt in 421. Die Astyanax-Verse sind aus dem Bestreben nach Vollständigkeit - vermutlich mit Blick auf Eur. Andr. 9f. (kaeïôov) τοίώά ϋ' ôe τίκτω •KÓati I οΐφϋίντα irùoyœv ' Αστυάνακτ' ά τ ' ορύίων (vgl. Tro. 725) und Horn. II. 6,373 (Andromache und Astyanax auf dem Turm) - interpoliert. Die Hand des Montanus zeigt sich hier vor allem in dem Neologismus proavitaque regna, den nur Silius (4mal) und einmal Statius (silv. 4,4,83) wieder aufgegriffen haben. Ebenso führt Montanus - je einmalig! - pronurus (epist. 17,208) und prosocer (epist. 3,74) in die Dichtung ein. Zu pugnantem ... saepe videre patrem ... solebat vgl. met. 8,19 bello quoque saepe solebat I spedare ex illa (sc. turrí) rigidi çertamim Mafíis. Ebenso interpoliert sind die Verse 422-428, in denen nachgetragen wird, wie als letzte Hecuba das Schiff bestiegen habe, nachdem sie mit Gewalt von den Gräbern ihrer Kinder weggerissen worden sei. Die hier vorgeführte 'Kleinmalerei' paßt nicht zu den groben, umrißhaften Linien der gerafften Zusammenfassung. Auch evoziert die Klausel fumant i a teda relinquunt (421) gemäß der gängigen Troja-Topik die Vorstellung, daß die Troerinnen vom fahrenden Schiff aus auf die rauchende Stadt zurückblicken, vgl. Sen. Tro 1044-1055, Ag 421ff., bes. 458f. mit den Kommentaren. Der Hecuba-Nachtrag, der übrigens wenig einfallsreich ebenfalls mit dem Verb relinquere endet (428, vgl. 421), kommt also viel zu spät. Er mutet uns zudem die einzigartige, sonst nicht belegte Vorstellung zu, daß Hecuba die Urne mit der Asche des Hektor aus dem Tumulus ihres Sohnes mit in die Fremde nimmt, worin Börner zu Recht eine "poetische", rührselige Ausschmückung der Sage sieht. Diese Version stammt nicht von Ovid, sondern von Montanus und ist in gleicher Weise zu beurteilen wie die im rhetorischen Agon des armorum iudicium vorgetragene hyperbolische Behauptung des Ulixes, er habe sofort, als Achill gefallen war, den Leichnam vom Boden aufgehoben und auf seinen eigenen Schultern (13,284 his umeris. his, inquam, umerisl) den toten Körper samt den Waffen aus dem Feld getragen (s. S. 259 Anm. 1). Mit der Athetese des Zusatzes 422ff. verliert auch die weitere mythologische Singularität die Bedeutung, die sie im Streit der Religionswissenschaftler einnimmt: Hecuba soll dem tumulus ein Haaropfer dargebracht haben, "nachdem sie ihm die Urne mit der Asche entnommen hatte" (so Börner), obwohl doch ursprünglich dieses Opfer "wesenhaft dem Toten, seiner Leiche, seiner Asche, seinem Grab (in dem man ihn wohnen dachte)" galt. Montanus schmückt seine Erzählungen je nach dem erstrebten Effekt frei aus, wie er dies vom Deklamationssaal mit den vielfach wechselnden 'colores', die die verschiedenen Redner ein und demselben Sujet aufprägten, gewohnt war. Seine freie "poetische Regie" (Börner) ist es auch, die Hecuba als letzte aufs Schiff bringen läßt, obwohl dies "in keiner Weise den Realitäten, d.h. dem Rang der Königin" entspricht (Börner)1.

Erinnert sei auch an den ebenfalls unechten Vers [met.] 15,806 (805f. qua [sc. nube] prius infesto Paris est ereptus Atridae \ [et Diomedeos Aeneas fugerat enses]), der die mythischen Gegebenheiten frei umdichtet: "Aeneas entflieht nicht dem Schwert, sondern dem Stein des

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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422 ultima conscendit classent (miserabile visu): Vgl. Montanus in [Aen.] 10,154f. tum libera fati \ classent conscendit iussis gens Lydia divum und Aen. 1,111 in brevia et Syrtis urget (sc. Eurus), miserabile visu. 423 in mediis Hecube natorum inventa sepulcris: Vgl. Montanus in Cir. 131 Scylla, patris miseri ρ at ri aeque inventa sepulcrurn; wo man zugleich den Dichter der Helena-Episode (s. S. 590) vernimmt, vgl. [Aen.] 2,573 (Tvndaris) Troiae et patriae communis Erinys. 424 prensantem tumulos: Das Iterativum steht hier nicht in der gleichen Weise sinnvoll wie in georg. 4,500ff. neque ilium \ prensantem nequiquam umbras ... | vidit1. 425f. tarnen unius hausit | inque sinu ciñeres secum Mit haustos: eine unstimmige Übertragung der Situation des Ossilegium auf das Wegnehmen der Aschenurne aus dem Grab, vgl. met. 8,539f. post cinerem ciñeres haustos ad pectora pressanf \ adfusaeque iacent tumulo (sc. Meleagrides). Eine ähnliche epanaleptische Setzung des Partizips steht Aetna 408f. sed simul atque hausit flammas, non tutior haustis | ulla domus. 427 Epanalepse von Hectoris (s. S. 443ff.). Zu canum de vertice crinem vgl. Catull. 64,350 cum in cinerem canos solvent a vertice crines: Aen. 4,698f. nondum illi flavum Proserpina vertice crinem \ abstulerat; met. 4,558. Dreimal begegnet ein entsprechender Versschluß in der Ciris, vgl. 122 roseus ... surgebat vertice crinis: 185 patris ... crinem de vertice caesum; 281 purpureum patris dempsissem vertice crinem. 428 inferios inopes: eine singuläre Junktur; vgl. 516 inferios hosti peperi·, 12,2f. tumulo quoque nomen habenti | inferías dederat cumfratribus Hector inanes. Ahnlich stellt Montanus in Aetna 259 viles ... inopesque als Synonyma zusammen. Die mangelnde Befähigung des Montanus, einen dramatisch wirkungsvollen Handlungsverlauf zu formen, zeigt sich auch in dem weiteren Zusatz 429-438, der die Vorgeschichte der Polydorus-Episode geben soll, also erzählt, wie Priamus seinen jüngsten Sohn samt einer großen Geldmenge dem Thrakerkönig Polymestor anvertraut, wie dieser aber nach Trojas Fall dem Jüngling das Schwert in die Kehle gestoßen und die Leiche von einem Felsvorsprung ins Meer geworfen habe. Diese τροοικονομία. der späteren Polydorus-Handlung ist hier, wo zunächst die Geschichte der Polyxena erzählt wird (13,439-535), fehl am Platze. Man sieht deutlich, daß der echte Ovid die Polydorus-Episode erst am Schluß der Polyxena-Handlung einführt und dort beide Szenen kunstvoll miteinander verknüpft: 13,523

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at, puto, muneribus dotabere3, regia uirgo, condeturque tuum monumentis corpus auitis. non haec est fortuna domus; tibi muñera matris contingent fletus peregrinaeque haustus harenae.

Diomedes und verbirgt sich nicht im Nebel, sondern im Gewand seiner Mutter" (HauptEhwald ad loc., vgl. Horn. II. 5,31 Iff.). Das Adjektiv Diomedeus begegnet hier erstmalig in der lat. Dichtung, danach erst wieder (zweimal) bei Statius (silv. 3,3,163; 5,3,179). Ebenfalls dem Montanus gehört der Vers [Aen.] 6,360 prensantemque uncis manibus capita aspera montis. Von hierher kommt wohl auch die Anregung zu prensantem tumulos. Zum Text s. S. 459 mit Anm. 2 (von anderer Art ist met. 7,606ff.).

Polydonis in Metamorphosen und Aeneis

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omnia perdidimus - superest, cur uiuere tempus in breue sustineam, proles. gratissima matri, nunc solus, quondam minimus de stirpe, uiríli, has datus Ismarío regi Polydorus in oras. 530 quid moror interea crudeltà uulnera lymphis abluere et sparsos immiti sanguine uultus? dixit et ad litus passu processit anili, albentes lacerata comas, 'date, Troades, urnam ' dixerat infelix, liquidas hauriret ut undas: 535 aspiçiteiectum Poly dori in litore corpus factaque Threiciis ingentia uulnera felis. Es ist evident, daß Montanus in den Versen 430b-432 eine Dublette zu 529 in den Text getragen hat, vor allem aber, daß die in seinem Zusatz 435-438 vorausgesetzte Todesart (Polymestor stößt dem Polydorus das Schwert in die Kehle) der von Ovid gewählten Todesart durch Pfeilschüsse (536 Threiciis ... telis) widerspricht. Beide mythologische Varianten (s.u.) stehen nun aufgrund der Eindichtung des Montanus in ihrer ganzen Unvereinbarkeit schroff nebeneinander. Es sei an die oben zitierte Charakterisierung des montanischen Stils durch Seneca rhetor erinnert: nihil non ex eis bellum est, si solum sit; nihil non rursus ex eis alteri obstat. Doch gehen wir der Reihe nach vor! Der Katalog der Ereignisse vor Troja (s.o.) endet in 421 mit der Abfahrt. Die versklavten Troerinnen (aus deren Perspektive größtenteils die Ereignisse geschildert werden) stechen in See und lassen die rauchende Stadt (421 fiimantia tecta) zurück. Von hier versetzt uns der Dichter sofort an die nächste Station: 13,439f. litore Threicio classem religarat Atrides, \ dum mare pacatum, dum ventus amicior esset. Das Plusquamperfekt religarat bringt zum Ausdruck, daß der Dichter hier in äußerster Raffung erzählt und nicht etwa eine breite Exposition des Polymestor-Handlungsstranges vorgeschaltet hat, der erst in 527ff. entwickelt wird. Vielmehr entrollt er weiter den Handlungsfaden der versklavten Troerinnen und erzählt unmittelbar die pathetische Geschichte vom Tod der Polyxena, die auf dem Grab des Achill geopfert wird (s. S. 458ff.). Die Vorgeschichte der Polymestor-Polydorus-Handlung gibt Ovid einerseits - wie gezeigt - in knappen Zügen explizit (527ff.), andererseits implizit (der Hörer kennt ja den Mythos) bei der Schilderung der Rachehandlung (55 Iff.), vgl. bes. 552f. re Ii et um | ... quodnato redderet aurum, 554 praedaeque adsuetus amore, 557f. ('...) omnefore illius, quoddas, quod et ante dedisti, | per superos iuro\ 559 falsaque iurantem, 561 perfida lumina, 563 sonti. Als er dann in 13,623ff. die Aeneas-Handlung zu erzählen beginnt, läßt er den Cythereius heros (625) - wie Vergil, dem er folgt (Aen. 3,Iff.) - unmittelbar von Antandros (am Fuß des Idagebirges) nach Thrakien kommen und von dort nach Ortygia weitersegeln (13,627ff. profugaque per aequora classe \ fertur ab Antandro scelerataque limina Thracum | et Polydoreo manantem sanguine terram \ linquit et... | intrat Apollineam ... urbem).

482

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

Die Polydorus-Geschichte erfahren wir bei Vergil (ausschnittsweise) im Rahmen eines Prodigiums, das die Trojaner auf den Grabhügel des Polydorus stoßen und bald dessen Stimme vernehmen läßt, mit der er sich als Polydorus offenbart (3,45) und sein Schicksal mit folgenden Worten kundgibt: hic conf ix um ferrea texit | telorum seges et iaculis increvit acutis (3,45f.). Es ist evident, daß Ovid nicht nur in den Stationen der Fahrtroute des Aeneas, sondern auch in dem Detail der besonderen Todesart des Polydorus dem Vergil (oder der gleichen Quelle wie Vergil) folgt: met. 13,536 adspicit eiectum Polydori in litore corpus factaque

Threiciis ingentia vulnera

telis

(s.o.).

Dieses Detail aber hat Montanus nicht beachtet - der freilich auch sonst gerne variierende Formen der von Vergil oder Ovid behandelten Mythen hinzusetzt1. Sein Polydorus kommt - wie schon oben berührt - nicht durch einen Hagel thrakischer Pfeile mit Eisenspitzen um, sondern der Gastherr Polymestor bohrt ihm das Schwert durch die Kehle2. Ich schreibe den Abschnitt aus: 13,429

435

[(...) est, ubi Troia fuit. Phrygiae contraria tellus Bistoniis habitata viris: Polymestoris illic regia dives erat, cui te commisit alendum cl am, Ρ o ly dore, pater Phry.gii.sque. remoy.it. ab _ g rm i s, consilium sapiens, sceleris nisi proemia magnas adie ci s set opes, animi inritamen avari. ut çecidit fortuna Phrygum capit inpius ensem rex Thracum iuguloque sui demisit alumni et, tamquam tolli cum corpore crimina possent. exanimem sçopulo. subiectas misit in undas. ]

Es ist dies die Version, die wir in der einfuhrenden Prologszene der euripideischen Hekabe lesen: Hec. 3 (ηκω) Πολύδωρος, Εκάβης παίς yeyùiç της Κισσίως 5

10

1 2

Ποιάμου re πατρός, öc μ', επά Φρν/γών πό\ιν KÎVÔVVOC êo~ye δοοϊ ireatîv ΈΧΚηνι,κώι, &eíaac ύτεξ ίπίμψε Τρωικής χΟονος ΠοΧυ/ίή.στρρος προς δώμα θοηικίου ξένου, δς τήνδ' άρίστην Xepaovησίαν πλάκα σπάρΐΐ, φίλιππο ν λαον (ύΰύνων δορί. πολύν δί συν ¿μοϊ γρυσόν έκπέμπίΐ πατήρ, lv\ ä ποτ' ' Ιλίου τάχη πίσοι, τοις ξΐόσιν έίη παισϊ μη σπάνις β ίο ν . γςώτατος δ].η. ΤΙριοιμιδων, δ καί ßt γή.ς ύπ€ξ(π€μψ£ΐι· οϊ)Τ( yàp. gépeiymö.π λ α

λάϋραι

Siehe S. 455ff. Dazu fügt sich gut, daß ihn der Dichter in 13,551 artificem dirae ... caedis nennt.

Polydorus in Metamorphosen und Aeneis

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15 οΰτ' ϊ^χος οΐός τ' η νίωι βραχίονι. 16 ϊως μϊν ονν ... ; 19 καλώς παρ' άνδρί θρηικί πατρώιωι ξίνωι τροφαίσιν ως τις πτόρϋος ηύξόμην, τάλας" è Tel Se Τροία ΰ' "Ε κτορός τ' άπόΧΧυται 22 ψυχή πατρώια ΰ' ϊοτία καησκάφη (...), 25 κτάνα μ€ χρυσού τον ταλαίπωρον γάριν ξένος ττατρώιος και κτανων ίς οίό^' άλός μΐάτίχ', Ιν' abroe Ύουσον tv δόμοις ϊγηι1.

Es ist dies aber auch die Version, die Montanus im unmittelbaren Anschluß an die vergilische in einem den Mythos rekapitulierenden Exkurs dem Aeneas mit Hilfe eines anknüpfenden Wiederholungsverses und einer schließenden Übergangsfloskel in den Mund legt2: tum vero ancipiti mentem formidine pressus \obstipui steteruntaue comae et vox faueibus haesiP. hunc Polvdorum au ri quondam cum pondere infelix Priamus furtim mandarat alendum 50 Threicio4 regi, cum iam diffiderei armi s Dardaniae cineique urbem obsidiong5 videret. ille, ut opes fractae Teucrum et fortuna res Agamemnonias victriciaque arma7 secutus fas omne abrumpit: Polvdorum obtruncat*. et auro 55 vi potitur. quid non mortalia pectora coeis9. aun sacra fames! postquam pavor ossa reliquit,10] 57 delectos populi ad proceres primumque parentem monstra deum refero, et quae sit sententia poseo.

Aen. 3,47

48

1

2

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4 5

6 1

8

9 10

magno

recessit6

Vgl. ferner Hec. 716ff. (ώς διαμοιράσω \ χρόα, σιδαρίωι τ(μων φαα^άνωι | μέλεα roûàe •παιδός) und 781 f. Um die Vergleichstexte nicht allzu sehr auseinanderzureißen, gebe ich die Analyse des 'vergilischen' Polydorus-Passus anschließend als Nachtrag, s. S. 486ff. Der Vers ist von Montanus erstmals in Aen. 2,774 geprägt (s. S. 56ff.) und hier wörtlich wiederholt; s. zu den Wiederholungsversen (S. 176). Vgl. Ov. met. 13,439 litore Threicio. Wenig später konnte Montanus in seinem Vergil cin^etis moenibus urbem lesen (3,255); vgl. ferner Aen. 8,647 ingentique urbem obsidione oremebat. Vgl. Pont. 4,3,29 si Fortuna recedit. Vgl. Prop. 4,1,47 arma resurgentisportons victricia Troiae; met. 14,572f. Venus victricia nati I arma videt. Aen. 2,663 patrem qui obtruncat ad aras; vgl. 3,332; 10,747; 12,459. Das Verb hat ausnahmslos die Bedeutung 'köpfen' oder '(mit dem Schwert) niederhauen', so sechsmal bei Vergil. Wörtlich aus Aen. 4,412 (improbe Amor, quid non mortalia pectora coeis!) übernommen. Die Klausel pavor ossa reliquit scheint eine montanische Prägung, die ähnlich [Aen.] 3,308 (çalor ossa reliquit: [Aen.] 3,308sq. del. Zw) = [Aen.] 9,475 (vgl. [Aen.] 11,819 color ora reliquit) eingesetzt ist.

484

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

Es zeigt sich hier das gleiche Phänomen, wie in allen Textbeispielen, die in diesem Hauptteil IV der Arbeit besprochen werden: Ein und dieselbe Quelle wird von Montanus an mehreren Stellen in der Weise ausgebeutet, daß ein gemeinsamer Nukleus1 mit variierenden Elementen verbunden wird, die bewußt verschiedenen Partien der Vorlage entnommen sind2 und erst in der komplementären Verknüpfung den gesamten Quellentext repräsentieren3. So etwas stellt sich nicht durch Zufall ein, sondern wird dem planenden Vorgehen ein und desselben Imitators verdankt, dem das verpflichtende Prinzip der 'variatio' als Grundregel antiker Imitation bewußt ist. Mit seinem ersten Zugriff auf den Euripidesprolog bei der Überarbeitung der Metamorphosen verfolgte Montanus das Ziel, den von Ovid etwas abrupt eingeführten Ankerplatz der aus Troja ausgesegelten Griechen (met. 13,439 litore Threicio classem religarat Atrides) dem Leser ein wenig eingängiger vor Augen zu führen, sowohl die geographische Lage als auch die vorausliegenden Beziehungen zu Troja zu erläutern (und schon hier - voreilig, s.o. - die Polydorus-Handlung zu exponieren). Demgemäß hat er die geographisch-historischen Züge aus dem Euripides-Prolog in den Vordergrund gerückt: die Verse [met.] 13,429-431. 438 setzen Hec. 6-9. 26 um. Auch in [met.] 13,432 hält sich Montanus recht eng an Hec. 13-16, während er in den entsprechenden Versen der Aeneiszudichtung ([Aen.] 3,51f.) eine spätere Situation des Kampfes um Troja voraussetzt: an die Stelle der mangelnden Kriegstüchtigkeit des Jüngstgeborenen, die es empfehlenswert erscheinen ließ, diesen nicht unter phrygische Waffen zu stellen, sondern dem thrakischen Gastfreund anzuvertrauen, ist nun - in engerer Anlehnung an Hec. 4-6 - bereits (51 i am) Defätismus über die Kriegslage getreten, Zweifel, ob die dardanischen Waffen dem Belagerungsring trotzen könnten. Wie hier dieses iam, so bringt in 3,49 das Adverb quondam zum Ausdruck, daß in der Vorstellung des Montanus die Zeit in der eingelegten Aeneisepisode gegenüber der im Metamorphosenzusatz geschilderten Situation fortgeschritten ist. Das t e commi sit al e η dum \ clam, Poly dore von [met.] 13,431f. geht direkt auf Hec. 4ff. δς μ'... ύττίξεπεμψε Τρωικής χϋονός | Πολυμήστορος προς δώμα θρηικίου

1 2

3

Er ist hier durch Sperrdruck herausgehoben. Individuelle Übereinstimmungen zwischen Euripides und dem Pseudo-Vergil sind durch einfache Unterstreichung, solche zwischen Euripides und dem Pseudo-Ovid durch eine punktierte Linie markiert. In Fettdruck sind auffällige Übereinstimmungen der beiden von Montanus verfaßten lateinischen Texte gegeben. - Vermutlich setzt auch der echte Ovid in met. 13,528ff. (proles gratissima matrì, | nunc solus, quondam minimus de Stirpe virili, | has datus Umano regi Polydorus in oras) Formulierungen aus Euripides um, vgl. Hec. 13f. «ώτατος.δ'..V Πριαμιδων, etc. und 7ff. ττρός δώμα θρηικίου ξένου, | δς τήνδ' ... πλάκα | avápei. Stehen zusätzlich hinter [met.] 13,404f. (Troia simul Príamusque cadunt, Priameia coniunx I perdidit... formam) Verse aus der Hekabe (21f.)?

Polydorus in Metamorphosen und Aeneis

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ξένον zurück, wogegen das Verb in [Aen.] 3,50f. (furtim mandarat al e η du m \ Threicio regi) um eine Stufe abstrakter geworden ist. Ähnliches gilt für das Verhältnis von [met.] 13,435 (ut cecidi.t fortuna Phrygum) zu Hec. 11 (ei ποτ' 'Ιλίου τβίχη ττέσοι) und [Aen.] 3,53 (ille, ut opes fractae Teucrum et fortuna recessit), wo Montanus bei der späteren Wiederholung der Polydorus-Thematik den Ausdruck tautologisch verdoppelt hat. Schließlich sieht man das Habgier-Motiv, das im Ovidzusatz auf die Apposition animi inritamen avari (13,434) beschränkt ist, in der Aeneiszudichtung moralisierend ausgeweitet (3,56f.). Die durch die Markierungen im Textabdruck ersichtlichen Übereinstimmungen und Divergenzen zwischen den beiden Polydorus-Eindichtungen in das 13. Buch der Metamorphosen einerseits und in das dritte Aeneisbuch andererseits lassen sich in vernünftiger Weise nur so erklären, daß der gleiche Montanus an den inhaltlich gleichen Punkten der Trojaerzählungen in Aeneis und Metamorphosen die gleiche Prologszene der euripideischen Hekabe zur erläuternden Ausschmückung der Polydorus-Episode herangezogen und die gleiche Quelle komplementär auf die beiden Zudichtungen aufgeteilt hat. Die an beiden Stellen auftauchenden Vokabeln (siehe den Fettdruck) alendum, fortuna, rex (während Euripides von ξένος spricht) und die Ausweitung der Apposition animi inritamen avari von [met.] 13,434 zu der sentenziösen Schlußmoral auri sacra fames ([Aen.] 3,57) bezeugen die gleiche Hand. Beide Zudichtungen sind durch ausgiebige Pasticciotechnik geprägt, die mit vorformulierten Versatzstücken arbeitet, ja, sogar ganze Verse übernimmt. Es ist die Technik des Montanus, wie wir sie aus der Ciris und vielen seiner sonstigen poetischen Schöpfungen (und Bearbeitungen) kennen. Ich lasse nun einen knappen echtheitskritischen Kommentar zu den beiden Zusätzen des Montanus folgen und beginne mit dem Abschnitt aus dem 13. Metamorphosenbuch: In 429 übernimmt Montanus zunächst die Floskel ubi Troia fuit aus Aen. 3,11 (relinquo ... campos, ubi Troia fuit), wo sie ihren natürlichen Platz hat1, während in [met.] 13,429 die Konstruktion nicht glatt verläuft, verwendet dann auch noch die Versklausel contraria tellus aus met. 1,65 und gibt ihr eine neue Bedeutung im Sinne von 'trans mare (sive Hellespontum) situs', die Börner zu Recht mit einer eher prosaischen Verwendungsweise von contrarius in Zusammenhang bringt. 431 regia dives steht ebenso met. 4,468 am Versbeginn und begegnet ein weiteres Mal - ebenfalls von der Hand des Montanus - in Cir. 433; vielleicht hat Montanus in diesem Ausdruck die Verse Hec. 7-9 komprimieren wollen. 427 Außer in den beiden hier behandelten Montanus-Zusätzen steht al en du s in der klassischen Dichtung nur noch ars 2,152 (dulcibus est verbis mollis alendus amor, also metaphorisch) und ein weiteres Mal von der Hand des Montanus in [met.] 13,214 (die Von dort hat sie Montanus bereits nach epist. 1,53 übernommen.

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

Verse [met.] 13,205-215 sind unecht, v. ad loc.). 433 consilium sapiens: eine unpoetische Junktur. Die Apposition sceleris nisi praemia scheint aus met. 8,105 (necpraestare ducem sceleris sibi praemia vidit, an gleicher Versstelle!) geholt, vgl. Montanus in epist. 7,114 sceleris tanti praemia. 433f. Zu magnas ... opes (einer gängigen Junktur) und dem Stichwort alumni von 436 vgl. Montanus, Ibis 579 propter opes magnas ut perdidit hospes alumnum1. 434 Vgl. met. 9,133 dat munus raptae velut inritamen amoris. Die Junktur animus avarus hat in der Dichtung vor Montanus lediglich Horaz zweimal im 'sermo pedester' (epist. 2,l,119f. 179). Montanus hat sie auch im Culex eingesetzt (64 animum non angit avarum"). 435 cecidit fortuna scheint in der Dichtung nur bei Claudian noch einmal belegt; vielleicht hat Pont. 2,3,10 (et cum Fortuna statque caditque Fides) eingewirkt. 435f. Vgl. met. 7,285f. stricto Medea recludit \ ense senis iugulum: trist. 1,1,43f. ego perditus ensem \ haesurum iusulo iam puto iamque meo\ met. 12,491f. demisit in armas \ ensem fatiferum. Montanus hat in epist. 14,5 iusulo demittere ferrum und in [met.] 13,693f. iugulo dare und demisso ... telo (ν. ad loc.). 437 kombiniert aus met. 2,462 (nudo patuit cum corpore crimen) und fast. 2,45f. (qui tristia crimina caedis | ßuminea tolli posse putatis aqua). Das Zeugma ist kühn, vgl. dagegen Aen. ll,59f. tolli miserabile corpus \ imperai (das Verb steht im eigentlichen Wortsinne!). 438 Vgl. [Aen.] 1,145 detrudunt navis scopulo (der einzige weitere Abi. separat, unter den Belegen für scopulo), auch hier hören wir den Montanus; ferner met. 2,68 quae me subiectis excipit undis (sc. Tethys); 9,217f. ... rotatum \ mittit in Euboicas ... undas. Auch bei der Besprechung des Polydorus-Zusatzes [Aen.] 3,48-57 im Zusammenhang des dritten Aeneisbuches beschränke ich mich auf das Wesentliche: Montanus hat die ursprüngliche Version Vergils, in der die Vorgeschichte des hier aus dem Grab sprechenden Polydorus nur kurz angedeutet war, durch einen aus dem Polydorus-Prolog der euripideischen Hekabe inspirierten Passus erweitert, in dem er für den Leser eben diese Vorgeschichte in einem i m p l i z i t e n K o m m e n t a r nachtrug. Dabei hat er, wie oben gezeigt, nicht bedacht, daß der Polydorus Vergils durch einen Hagel von Pfeilen umgekommen ist (45f.), aus denen die von Aeneas gesuchten Myrthenruten (22ff.) hervorwachsen2. Löst man den Fremdkörper heraus, erhält man einen nahtlosen Übergang von Vers 47 nach 58f. : tum vero ancipiti mentem formidine j)ressus I delectos populi ad proceres primumque parentem \ monstra deum refero, et quae sit sententia poseo.

Die opes magnae von [am.] 1,10,40 und epist. 21,148 dürften ebenfalls auf Montanus zurückgehen; vgl. ars 3,114. Der Widerspruch hat schon die antiken Grammatiker geplagt, wie sich aus DServ. Aen. 3,46 ergibt: sane putatur non verisimile iaculis coniectis puerum occiswn, nam répugnât cum ilio < 5 5 > Polydorum obtruncat.

Polydorus in Metamorphosen und Aeneis

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Mit tum vero wird die auf das Prodigium folgende Aktion eingeleitet: Aeneas erstattet den gewählten Mannschaftsfahrern und in erster Linie dem Vater Anchises Bericht und erfragt ihr Votum: alle plädieren dafür, das von Frevel befleckte Land zu verlassen. Erinnert sei an die entsprechende Abfolge von Göttererscheinung bzw. Augurium und der durch tum vero eingeleiteten Aktion in Aen. 4,571 tum vero Aeneas subitis exterritus umbris \ corripit e sommo corpus sociosque fatigat \ praecipitis-, 5.659 tum vero attonitae monstris actaequefurore \ conclamarti, rapiuntque focis penetralibus ignem: 12,257 tum vero augurium Rutuli clamore salutoni \ expediuntque manus\ vgl. 7,376. Montanus hat daraus ein steigerndes tum vero gemacht (analog zu Aen. 5,720 in Vergleich zu 701), indem er den von ihm selbst geprägten Vers 2,774 als Vers 3,48 wiederholte, hat aber übersehen, daß ein obstipui steteruntque comae et vox faucibus haesit nur als erste Reaktion auf eine neue, plötzlich eintretende Erscheinung taugt, nicht aber als Abschluß einer dreifach sich steigernden Schreckenserfahrung. Aeneas erzählt der Dido: horrendum et dictu video mirabile monstrum (26). Auf die Blutstropfen beim ersten Versuch, einen Strauch auszureißen, war die Reaktion: mihi frigidus horror \ membra quatit gelidusque coit formidine sanguis (29f.). Sie entspricht in der Qualität den in Vers 48 zum Ausdruck gebrachten Schockreaktionen bei der erstmaligen Konfrontation mit einem plötzlich und neu eintretenden Ereignis. Der zweite Versuch des Aeneas hat das gleiche Ergebnis (31-33); doch seine Reaktion ist sehr viel gefaßter: multa movens animo Nymphas venerabar agrestis \ Gradivumque patrem, etc. (3436). Der dritte Versuch weckt die Stimme des Polydorus aus dem Grabhügel, die zur eiligen Flucht aus diesem Land mahnt (37-46). Demgemäß ist die dritte Reaktion des Aeneas unschlüssige Furcht, die ihn veranlaßt, das Prodigium zu melden und die Meinung der Mannschaftsführer und des Anchises einzuholen. Der aus 2,774 wiederholte Vers dagegen läßt Aeneas auf der 3. Stufe der Entwicklung, die eilige Flucht verlangt, in eine schockartige Erstarrung zurücksinken, obwohl er schon bei der 2. Stufe überlegt gehandelt hatte und obwohl sich der unmittelbar voraufgehende Vers 47 mit dem Stichwort ancipiti ... formidine schwerlich zu passiver Erstarrung fügt. Es war auch kein guter Gedanke, die sachliche Erläuterung der Vorgeschichte durch die aus [Aen.] 2,774 wiederholte Schockformel anzuknüpfen, wodurch der Eindruck erweckt wird, die Handlungsschilderung werde auf dem Höhepunkt einer dramatischen Situation ohne plausiblen Grund sistiert. Am Ende des Zusatzes greift Montanus das Motiv der ersten Reaktion (hor : ror I membra quatit ...) und das Stichwort formidine pressus des letzten Vergilverses vor dem Einschub auf, um durch postquam pavor ossa reliquit1 zur echten Aeneashandlung zurückzuleiten. Es ist dies ein formaler Kunstgriff, Zu dieser montanischen Klausel siehe S. 483 Anm. 10.

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

den er bei der Verknüpfung seiner Einschiibe immer wieder einsetzt. Die Raffinesse, mit der die Zudichtung am unteren Ende in die vergilische Satzkonstruktion hineingeschrieben wird (postquam ersetzt nun das tum vero von 47), erinnert an die Verbindung des Vorproöms mit dem ersten Aeneisvers: (...)> a 1 nunc horrenda Mariis] Arma virumque cano, s. S. 31. 32 Anm. 4. Der durch die beiden Scharnierverse gerahmte mythologische Exkurs fällt auch aus der Erzählperspektive des Aeneas heraus: "He would not have known at the time he went to Thrace of Polymestor's treachery, but he may now be assumed to know of it so that he can tell Dido the complete story" (Williams): Aber nirgends sonst erzählt der Aeneas Vergils aus der Distanz des reflektierenden und kommentierenden Mythographen (der durch die Belehrung Didos in Wirklichkeit den Leser bilden will), sondern immer aus der Perspektive des unmittelbar in das Geschehen verwickelten Akteurs. Montanus wollte durch den Zusatz die für den im Mythos bewanderten Leser durchaus zureichenden Signale litus avarum (44) und pollutum hospitium (61) weiter explizieren.

2. Vergils Dido in der Fassung des Montanus Die Untersuchungen zum 4. Aeneisbuch erzwangen die Zuschreibung des Abschnitts über den marmornen Gedenktempel für Sychaeus an den Vergilbearbeiter. Dabei war von Grund auf die Frage zu erörtern, wie denn Vergil das Verhältnis der Dido zu ihrem früheren Gatten gezeichnet und welche Tendenz Montanus mit seiner Umarbeitung verfolgt hat. Dies forderte notwendig einen Vergleich mit der Darstellung Didos im 7. Heroidenbrief heraus, den ich - wie das gesamte Corpus der Heroides - ebenfalls dem Montanus zuteile. Ich führe hier die einzelnen Schritte vor.

a) Didos Marmorschrein Aen. 4,457-463 4,450

455 457

tum vero infelix fatis exterrita Dido mortem orat; taedet caeli convexa tueri. quo magis inceptum peragat lucemque relinquat: vidit, turicremis cum dona imponeret aris, (horrendum dictu) ¡atices nigrescere sacros fusaque in obscenum se vertere vina cruorem; hoc visum nulli, non ipsi effata sorori. \praeterea fuit in tectis de marmore templum coniueis antiqui, miro quod honore colebat,

Vergils Dido in der Fassung des Montanus

460

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velleribus niveis et festa fronde revinctum: hirtc exaudiri voces et verba vocantis visa viri, rune cum terras obscura teneret, solaque culminibus ferali Carmine bubo saepe aueri et lomas in fletum ducere voces Λ multaque praeterea vatum praedicta priorum terribili monitu horrificant; agit ipse furentem in somnis ferus Aeneas, semperque relinqui sola sibi, semper longam incomitata yidetur ire viam et Tyrios deserta quaerere terra.

Pease (zu 460) beklagt zu Recht (in der überlieferten Fassung) "the chronology of the story, which Virgil has, either intentionally or from lack of the ultima manus, left rather obscure", denn es scheinen Traumgesichte und Wahrnehmungen bei wachem Zustand merkwürdig ineinandergeschoben. Nicht so beim echten Vergil (siehe den Textabdruck): Er bietet eine folgerichtige Kombination von a) realen Erlebnissen Didos (453-456), b) schlimmen Prophezeiungen früherer Seher, die Dido schrecken (464f.)\ c) wirren Angstträumen, in denen Dido entweder von Aeneas selbst gejagt oder beständig einsam zurückgelassen wird, sich beständig allein einen langen Weg gehen und ihre Tyrier in einem verlassenen Land suchen sieht (465b-468). Diese drei Glieder der Großperiode sind im Sinne einer Klimax dem einleitenden Vers 452 zugeordnet, der nach dem Muster von Hör. sat. 2,2,112 (quo magis his credas: ...) elliptisch endet und soviel besagt wie: Und sie wird um so mehr darin bestärkt, ihren Entschluß in die Tat umzusetzen und das Lebenslicht zu verlassen, als sie a) sieht ..., b) darüber hinaus viele Prophezeiungen schrecken, c) Aeneas selbst sie im Traum jagt (Alpträume bilden also den Gipfel). Wenn die mittlere dieser drei Stufen durch praeterea eingeleitet wird (464), dürfte ein Dichter von der Qualität Vergils schwerlich eine weitere durch praeterea eingeleitete (457) davorgestellt haben 2 . Die Verse 457461 sind also von vorneherein höchst verdächtig. W. Lingenberg hat gesehen, daß die Verse 462f. an 461 gebunden sind, und dem von mir getilgten Vers-

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Die Kombination von Opfergaben auf dem Altar (453 turicremis cum dona imponeret aris) und vatum praedicta (464) fügt sich hier ebenso gut wie in 4,60ff. (vgl. 62f. pinguis spatiatur ad aras, \ instauratque diem doni s und 65 heu, vatum ignarae mentes!). Die scheinbare Ausnahme Aen. 1,647 . 653 findet ihre Erklärung darin, daß dort nicht gleichgeordnete Glieder einer und derselben Reihe, sondern zwei unterschiedliche Additionen verknüpft werden (1. Ascanio ferat... ipsumque ... ducal; muñera praeterea ... ferre iubet\ 2. praeterea steht innerhalb eines Katalogs von Geschenken). A. Arweiler beanstandet zusätzlich die unübliche Verbindung der typischen Ekphrasis-Formel fu i t in tectis de marmore templum mit der fortführenden Partikel praeterea.

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

block 457-461 auch das Verspaar 462f. zugeschlagen1. Damit wird deutlich, daß Vergil den Satz b) durch die Reihungspartikel praeterea (466) an den durch Vers 456 abgeschlossenen Satz a) angebunden hat. Die ornithologische Bezeichnung b u b o ist in der ganzen Dichtung Vergils gemieden. Geradezu umständlich wird das Todeskäuzchen in Aen. 12,862ff. umschrieben, weil es der Dichter nicht namentlich nennen konnte2. Dieser Stelle ist Montanus in [Aen.] 4,462f. deutlich verpflichtet3; doch hat er offensichtlich mit ihr (außer met. 1,733; s.o. 490 Anm. 1) auch met. 10,452f. kombiniert, wo Myrrhas verhängnisvoller Gang zum Bett ihres Vaters vom Todesruf des Käuzchens begleitet wird: ter omen | funereus bubo letali4 carmine fecit. In 463 scheint Lucr. 5,1406 ducere multimodis voces zu der horazischen Versklausel (vivai hinc) ducere voces verdichtet (ars 318: in anderem Wortsinne) und mit der aus Manilius geholten Junktur longas ... voces5 kombiniert, die sich sonst in der einschlägigen Dichtung nur in dem ebenfalls von Montanus stammenden Aetna-Gedicht findet (295): lomas emugit bucina voces6. In dem durch praeterea unpassend (s.o.) angeknüpften Zusatz spiegelt uns Montanus vor, Dido habe es sich zur festen Gewohnheit gemacht, in ihrem Palast einen Marmortempel (ein 'sacellum"!) zu Ehren ihres früheren Gemahls mit treuer Hingabe7 zu pflegen und mit w e i ß e n Wollbinden und f e s t l i c h e m Gezweig zu schmücken. Jetzt aber sei aus diesem Tempel im Dunkel der Nacht die Stimme ihres Mannes an ihr Ohr gedrungen, der sie mit vernehmbaren Worten rief. Dies ist eine Horrorgeschichte des zur

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Aus voces et verba visa exaudiri sei gegen Wunderlich (bei Heyne) sinngemäß ein bubo aueri zu entnehmen. Zum Ausdruck verweise ich auf Aen. 6,257 visaeque canes ululare per umbram und met. 1,733 cum love visa aueri (sc. die in eine Kuh verwandelte Io), worauf Montanus in epist. 18,82 anspielt: (alcyones) nescioauid visae sunt mihi dulce aueri. Aen. 12,862ff. alitis in parvae subitam collecta figuram (sc. eine der Dirae), | quae quondam in bustis aut culminibus de s erti s | node sedens serum canit importuna per umbras. Vgl. bes. solaque (hierzu auch 4,467 und georg. 1,389) culminibus (4,462); dazu met. 6,43If. tectoque profanus | incubuit bubo thalamique in culmine sedit. Von Montanus durch ferali ersetzt (Vergil hat lediglich einmal feralis ... cupressos). Den montanisch erweiterten Vergilpassus hat Columella vor Augen, wenn er (altis) culminibus vetuit feralia carmina fiere schreibt (10,350). In Manil. 4,198f. heißt es vom Stenographen (!), daß er cursim ... loquentis | excipiat loneas nova per compendia voces. Zu in fíetum ducere vgl. Catull. 64,242 anxia in assiduos absumens lumina fletus. Miro quod honore colebat ist in Erinnerung an Lucr. 5,1280 (miro est mortalis inter honore) geschrieben. Das Verb colere hat der Interpolator auch kurz zuvor, in 4,422, ferner in 11,584 verwendet. Der echte Vergil benutzt das Wort in der üblichen metaphorischen Bedeutung "eine Gottheit verehren". Eine Parallele für "ein Heiligtum verehrungsvoll pflegen" finde ich bei ihm nicht; Pease verweist auf Nep. Themist. 8,4: sacrarium quod summa colebatur caerimonia.

Vergile Dido in der Fassung des Montanus

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Effekthascherei neigenden Interpolators, erfunden nach dem Muster verwandter Prodigien, wie sie etwa Sueton in seiner Nerobiographie erzählt: de Mausoleo (sc. Augusti) sponte foribus patefactis exaudita vox est nomine eum cientis (Nero 46,2, vgl. Kierdorf ad loc.). In typisch montanischer Abundanz (s. das Register) wird den Stimmen des toten Sychaeus, die aus dem Tempel dringen, der Todesruf des Käuzchens auf dem Dach hinzugefügt (462f.) 1 . Doch ergibt dies eine schwer erträgliche Antiklimax, die den schauervollen Todesstimmen aus der Unterwelt ihre Kraft nimmt und flach und banalisierend erscheint 2 . Was der für ein bräutliches Fest angemessene Schmuck (459 velleribus niveis et festa fronde. vgl. Servius zu 458) in einer Prodigienszene zu suchen hat, die sonst ganz auf die Beschleunigung des Selbstmordes ausgerichtet ist (das Motto lautet ja quo magis inceptum peragat lucemque relinquat, 452), hat niemand befriedigend erklären können (die psychologisierenden Ausdeutungen mancher Interpreten halte ich für abwegig). Wollte Montanus die Vorstellung einer Hochzeit mit dem Toten erwecken? Vermutlich liegt die Begründung für den festlichen Schmuck allein in der Pasticciotechnik des Interpolators, der sein de marmore temvlum einer Kontamination von georg. 3,13 {et viridi in campo temvlum de marmore ponam) und met. 14,313 (niveo factum de marmore sisnum) verdankt 3 und überhaupt hier - wie wir sehen werden - vor allem ovidischen Vorbildern folgt. Nur aus der Kombination der ovidischen Circe-Episode mit der festa frons des Lorbeerbaumes von trist. III 1, der Dido-Epistel des Montanus und dem Polydorus-Passus Vergils werden die Verse [Aen.] 4,457ff. verständlich. Erst bei Ovid ist festus in Verbindung mit schmückenden Festtags- oder Lorbeerkränzen belegt, vgl. met. 10,598 tegitur festa victrix Atalanta corona (von Montanus in [met.] 15,615 übernommen, v. ad loc.) und trist. 5,3,3 festaque odoratis innectunt tempora sertis. In diesem Zusammenhang hat die festa laurus am Tor des Augustushauses, die nicht fronde caduca \ carpitur (trist. 3,1,43. 45), ihren Platz.

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3

Montanus setzt den Begriff voces von 460 in 463 ein zweites Mal. Die Junktur voces et verba vocantis (viri) von 4,460 wirkt stark überladen und unnötig gedehnt. Beim echten Vergil gibt es keine Parallele; das auf die Turbulenz der Ereignisse zielende has inter voces, media inter talia verba von 12,318 ist ja von anderer Art. Der Interpolator mag an Stellen wie Hör. epist. 1,1,34f. (sunt verba et voces quibus hunc lenire dolorem | possis) gedacht haben. Ebenfalls aus seiner Hand stammt [am.] 3,14,25 illic nec voces nec verba iuvantia cessent (ν. ad loc.). Er setzt die so gewonnene bequeme Versklausel dann ein weiteres Mal in [Aen.] 6,69ff. (itum Phoebo et Triviae solido de marmore temolum | instituant festosaue dies de nomine Phoebi. I te quoque magna manent regnis penetralia nostris) ein. In 6,69f. ist sowohl die enge Verbindung von Phoebo et Triviae (templum) als auch solido de marmore, ferner das doppelte de marmore - de nomine verdächtig: ich gebe die Verse [Aen.] 6,69-76 dem Montanus, der hier wieder seine aitiologische Gelehrsamkeit spielen läßt, v. ad loc.

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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Auf dieser Grundlage formt Montanus seine Junktur festa fronde velare oder revincire, die er in [Aen.] 2,248f. (nos delubro deum miseri... | ... festa velamus fronde per urbem)' und 4 , 4 5 9 einsetzt. Auch die nox obscura hat er sowohl in der Schilderung des 2. Buches (2,420 [420-423 del. Zw.]) als auch in 4,461 eingeführt 2 . Die Stimme des Sychaeus ertönt in dunkler N a c h t aus dem 'Tempel', nachts ertönt auch die Stimme des Faunusorakels aus dem Hain, das der König Latinus befragt, auf Schafsfellen gelagert: 7,94

... Harum effultus tergo stratisque iacebat velleríbus3: subita ex alto vox reddito luco est.

Kurz zuvor war geschildert, wie die Aeneaden auf n ä c h t l i c h e r unheimliche Laute von der Circe-Insel herüberdringen hören: 7,15

Fahrt

hinc exaudiri gemitus4 iraeque leonum vincla recusantum et sera sub node rudentum.

All diese Assoziationen sind zugleich kombiniert mit dem Motiv der Erscheinung des ermordeten Sychaeus im Traum: 1,353

ipsa sed in somnis5 inhumati venit imago coniueis ora modis attollens pallida mirìs,

der Erscheinung des Anchises 4,351

me patris Anchisae. quotiens umentibus umbris nox operit terras, quotiens astra ignea surgunt, admonet in somnis et túrbida terrei imago

und mit dem Motiv vom Heraufdringen der Stimme des toten Polydorus aus dem Grabhügel und seiner feierlichen Wiederbestattung: 3,26 1 2

3

4

5 6

horrendum et dictu video6 mirabile monstrum.

[Aen.] 2,246-249 del. Zw., v. ad loc. Die Junktur ist seit Ciceros Aratea (404) belegt, vgl. Tib. 1,2,24; German. Arat. 202 (obscura sub nocte, vgl. Montanus, Eleg. Maecen. 1,29 nocte sub obscura); Manil. 1,506; 3,310. Vergil selbst hat sub obscurum noctis (georg. 1,478) oder obscuri sola sub nocte (Aen. 6,268). Das Attribut niveis. das den velleribus in 4,459 beigefügt ist, steht ebenso in 1,469 (niveis tentoria velis). Weiße Wolle erwähnt Vergil georg. 3,391; eine weiße Wollbinde schmückt das Opfertier in georg. 3,487. Der gleiche Versbeginn begegnet 6,557; beide Male stehen beim echten Vergil die Verba im historischen Infinitiv. Vgl. 4,466 - eine Assoziationsbrücke. Vgl. 4,453-455: die Greuel beim Opfer (horrendum dictu) - wiederum eine Assoziationsbrücke für den Interpolator, der zu den Entsprechungen in den Blutstropfen bzw. dem sich in Blut verwandelnden Opferwein (3,28f. 33) und den Opfergaben (3,66f.), siehe 4,453455, auch solche im Schmuck der Altäre bzw. des 'Tempels' (3,62ff.; 4,458f.) und vor

Vergils Dido in der Fassung des Montanus

493

39 (eloquar an sileam?) gemitus lacrimabilis imo auditur tumulo et vox reMita fertur ad auris, etc. Während aber der Schmuck für die Manen des Polydorus aus caeruleis ... vittis atraque cupresso besteht (3,64) und die Altäre das Attribut maestae erhalten, mutet uns der Interpolator im Falle des Sychaeus ein templum \ ... \ velleribus niveis et festa fronde revinctum1 zu, obwohl festlicher Schmuck im Zusammenhang üblicher Totenverehrung, wie sie in 4,457ff. zum Ausdruck gebracht werden soll, fehl am Platze ist. Die Junktur coniugis antiqui (458)2 ist - in allzu kurzem Abstand - aus 431 (non tarn coniusium antiquum, quod prodidit, oro) wiederholt; in 6,473 ist Sychaeus coniunx ... pristinus, doch hören wir auch dort den Interpolator (s. S. 99 Anm. 3; 495ff.). Ebenfalls vom Interpolator stammt die Bezeichnung patria antiqua (im Sinne von prior patria) in 4,633, v. ad loc. Daß Sychaeus gerade noch als coniunx antiquus bezeichnet war, im nächsten Moment aber Didos vir genannt wird (461), obwohl mit ' vir' sonst auf Aeneas verwiesen wird 3 , darf als weiteres gravierendes Unechtheitsindiz gewertet werden. Ein ähnliches Versehen hat sich der Interpolator in 4,656 (ulta virum) zuschulden kommen lassen (v. ad loc.). Die aufdringliche Alliteration voces et verba vocantis \ visa viri (460f.) läßt das Übermaß an Emphase erkennen, wie es für den Interpolator charakteristisch ist. Mit mehr Zurückhaltung bedient sich der echte Vergil dieses stilistischen Schmucks gleich anschließend (4,466ff. sent perque relinqui \ sola sibi, semper longam incomitata videtur \ ire viam), obwohl dort die Ängstigung durch den Alptraum mit gezieltem Nachdruck hervorgehoben werden soll. Die Interpolation dieses 'Marmortempels' zum Gedenken an Sychaeus führt auf die viel grundsätzlichere Frage nach dem Verhältnis der Dido zu ihrem früheren Gemahl in der Aeneis.

b) Dido und Sychaeus Schon Servius hat sich offensichtlich die Verse [Aen.] 4,457ff. nicht mit der sonstigen Charakterisierung der Dido im 4. Buch zusammenreimen können, wenn er zu 459 bemerkt: nam si amabat Aeneam, utique non colerei extinctum maritum. Bezeichnenderweise legt der Dichter die Erzählung der Vorgeschich-

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3

allem ein Gegenstück zu der aus dem Grabmal dringenden Stimme des Toten schaffen wollte. Revinctum steht als Versklausel in 2,57. Nachgeahmt in der Ilias Lat. (320f.): venisti (vgl. Aen. 6,687), mea fiamma, Paris, superatus ab armis | coniugis antiqui? Vgl. 4,(3). 192. (440). 495. 498.

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

te in Tyros, die mit Didos Flucht aus dem Vaterland nach Karthago und der dortigen Stadtgründung endet (1,338-366), nicht der Dido, sondern der Göttin Venus in den Mund. Dido dagegen, die auf den Tempeltoren mitfühlend (1,462) die Kämpfe vor Troja und unter den Anführern auch Aeneas (1,488) hatte darstellen lassen, die ferner den um Gastrecht bittenden Troern versichert, daß sie sehr wohl das Geschlecht der Aeneaden kennt und deren mannhafte Taten bewundert (l,565f.), und die wünscht utinam rex ipse Noto compulsus eodem \ adforet Aeneas! (l,575f.), bevor dieser aus der Wolke hervortritt und sich der Königin göttergleich in hellem Glänze darbietet (1,586), diese Dido blickt schon bei der ersten Begegnung verzaubert auf den Hochberühmten (617f. tune Ule Aeneas quem Dardanio Anchisae \ alma Venus Phrygii genuit Simoentis ad undam?), erzählt, wie sie zum erstenmal seinen Namen gehört hat, und lädt die Troer zum Gastmahl. Dieses Gastmahl nutzt Venus, neuartige Künste erprobend (1,657), daß ihr Sohn Amor in Gestalt des Ascanius fur entern | incendat reginam atque ossibus implicet ignem (l,659f.) 1 . Er solle auf dem Schoß der Dido, cum dabit amplexus atque oscula dulcía figet (1,687), ihr verborgenes Liebesfeuer einhauchen (1,688), was der Venussproß mit Erfolg ins Werk setzt: paulatim abolere Sychaeum | incipit et vivo temptat praevertere amore \ iam pridem resides ánimos desuetaque corda (l,720ff.). Hier hören wir aus der Perspektive der nach Karthago übergesiedelten Dido, die dort als Königin Recht spricht und die Geschicke ihres Volkes lenkt (l,505ff.), erstmals von Sychaeus - bezeichnenderweise wie Amor sein Andenken nach und nach aus dem Herzen Didos löscht und an seiner statt lebendige Liebe zu dem Gast aus Troja entzündet (715ff.). In vielfältigen Gesprächen ist Dido bemüht, die Nacht in die Länge zu ziehen - longumque bibebat amorem (1,749). Demgemäß sehen wir sie zu Beginn des 4. Buches gravi iamdudum saucia cura, wie sie vulnus alit venis et caeco carpitur igni (4, If.). Im Gespräch mit Anna offenbart sie sich und läßt erkennen, daß sie, wenn sie nicht (durch den Tod um ihre erste Liebe betrogen) entschlossen wäre, sich nicht mehr ehelich zu binden, dieser einen Schwäche allenfalls nachgeben könnte (15-19); seit dem Tod des armen Sychaeus habe allein dieser Troer sie weich und in ihrem Entschluß wanken gemacht: agnosco veteris vestigia flammae (23). Den anschließenden - in Tränen endenden - Treueschwur zu ihrem früheren Gemahl, der ihrer Liebe noch im Grab teilhaftig sein solle (24-30), erkennt die Schwester sogleich als ein letztes Aufbäumen gegenüber der Übermacht der neuen Liebe und bringt die nur zu gerne dem Zuspruch Nachgebende schnell zum Einlenken: his dictis impenso anitruim flammavit amore \ spemque dedit Vgl. l,673ff. cingere flamma | reginam meditor, ne quo se numine mutet, | sed magno Aeneae mecum teneatur amore.

Vergile Dido in der Fassung des Montanus

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dubiae menti solvitque pudorem (4,54f.) 1 . Damit ist die Rolle des Sychaeus endgültig ausgespielt; im Herzen der Dido lebt nur noch Aeneas: est mollis fiamma medullas \ interea et taciturn vivit sub pectore vulnus. \ uritur infelix Dido (66ff.); illum absens absentem auditque videtque (83). Den Fortgang des Liebesdramas über die von den Göttinnen Venus und Juno inszenierte Vereinigung in der Höhle (nec iam furtivum Dido meditatur amorem: \ coniugium vocat. hoc praetexit nomine culpam: 4,171f.), das Eingreifen Jupiters, der Aeneas durch Merkur die ihm vom Fatum aufgetragene Mission aufs neue bewußt macht, die Vorbereitung des Aufbruchs, die erregte Aussprache (Dido fühlt sich in ihrer leidenschaftlichen Liebe verraten), den letzten Versuch, durch Vermittlung der Schwester wenigstens einen kurzen Aufschub zu erreichen, den Todesentschluß und schließlich den Selbstmord mit Hilfe des von dem Verhaßten zurückgelassenen Schwertes muß man nur summarisch rekapitulieren, um zu erkennen, daß eine gleichzeitige Verbindung zum früheren Gatten Sychaeus, konkretisiert in dem 'Marmortempel', den Dido im Palast zu Karthago miro ... honore colebat, undenkbar ist2: Die Liebe zum toten Sychaeus - soweit sie sich neben den königlichen Pflichten in Karthago behaupten konnte (der Dichter geht darauf bewußt nicht ein) - war durch Cupido in l,720f. ausgelöscht worden, die Scheu, sich von der Bindung an den früheren, toten Gemahl zu lösen und der neuen Liebe nachzugeben, überwindet die Schwester Anna zu Beginn des 4. Buchs (s.o.). Die übrigen Erwähnungen des Sychaeus (es sind nur wenige, die jeweils isoliert stehen, nirgends weiter entfaltet werden) mit Ausnahme der (nebensächlichen) Zuordnung einer Amme (Barce) in 4,632 sind unecht, stammen offensichtlich von dem zum Moralisieren neigenden Interpolator, der glaubte, den Charakter der Dido heben zu sollen, indem er das letzte Aufbäumen der von Liebe Überwältigten in 4,20-30 zum Maßstab einer idealerweise anzustrebenden Lebensführung macht und seiner Heldin sowohl in 4,457ff. wie auch in 4,552 3 Züge beilegt, die das Ideal der univira bekräftigen. Dieses bessernde, den Charakter der Heldin nach einem bestimmten Ideal umgestaltende Eingreifen kommt an seinen Höhepunkt bei der Wiederbegegnung des Aeneas mit Dido in der Unterwelt: Wie in der früheren Unterredung (4,388ff.) läßt sie ihn auch hier stehen und eilt davon - nach dem Willen des Interpolators in die Arme ihres früheren Gatten Sychaeus, der ihr in verstehender (von Dido in gleicher Weise erwiderter) Liebe zugetan ist: 1

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Demgemäß wirft Dido später dem Aeneas vor (32Iff.): te propter eundem \ exstinctus pudor et, qua sola sidera adibam, \ fama prior. Mit gutem Grund findet sich in dem (freilich knappen) Resümee Ovids (met. 14,78ff.) keine Spur davon. Vielmehr nimmt dort Dido den Aeneas animoque domoque auf, non bene discidium Phrvuii latura mariti, stürzt sich auf dem Scheiterhaufen ins Schwert deceptaque decipit omnes. [Aen.] 4,543-546. 548-552 del. Zw., v. ad loc.

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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tandem computi sese atque inimica refugit [in nemus umbriferum, coniunx ubi pristinus illi respondet curis aequatque Sychaeus amorem] nec minus Aeneas casu percussus iniquo prosequitur lacrimis longe et miseratur euntem.

In Wirklichkeit steht refugit absolut: Dido entfernt sich von Aeneas und ist in der Tiefe des großen Myrtenwaldes, in dem sich ihr Weg mit Aeneas gekreuzt hat (vgl. 443f. 45 Iff.) 1 , bald nicht mehr auszumachen. Aeneas schaut ihr erschüttert und unter Tränen, so weit er kann, nach und beklagt sie, wie sie dahinschreitet. Der Vers 476 (prosequitur lacrimis longe et miseratur euntem) verbietet, daß zuvor, in 473f., ein Ziel genannt wird, an dem sie bereits zur Ruhe gekommen ist, sozusagen in den Armen des Sychaeus wechselseitige Liebe kostet: so müßte ja der ubi-Satz mit den präsentischen Verbformen respondet... aequatque in einem gut stilisierten Text verstanden werden. Sychaeus ist von Pygmalion aus Habgier am Altar ermordet und der Ehre eines Begräbnisses beraubt worden (l,348ff., vgl. bes. 353 inhumati ... imago). Er kann also gemäß 6,325ff. (und [374ff.]) noch gar nicht den Lethestrom überquert haben und sich schon gar nicht zusammen mit Dido in den Lugentes campi (6,441) aufhalten. Denn dieser Bereich der Unterwelt ist denen vorbehalten, die infolge zehrenden Liebesgrams umgekommen sind (6,442ff., genannt werden Phaedra, Procris, Eriphyle, Euadne, Pasiphaë, Laodamia, Caeneus - und eben Dido). Norden (zu 442) spricht von einem "Abgleiten des Gedankens", um "das schöne Motiv von der Wiedervereinigung zweier Liebenden (hier des Sychaeus und der Dido) im Tode zu verwerten. " Es ist - wie gezeigt - eine Verirrung des Interpolators. Montanus hat sich dabei vermutlich an Ovids Orpheus-Schilderung des 11. Metamorphosenbuches orientiert, wo der Dichter den Schatten des thrakischen Sängers auf seinem Weg in die Unterwelt verfolgt, wie er all die Örtlichkeiten wiedererkennt, die er bei seinem ersten Eindringen gesehen hatte, und dann in den elysischen Gefilden seine Eurydice findet cupidisque amplectitur ulnis (11,63; vgl. 7,847 und [met.] 8,818). Dort ergehen sich beide, bald nebeneinander schreitend, bald sie, bald er vorausgehend und - nunmehr gefahrlos - auf seine Eurydice zurückblickend:

Dido und Aeneas treffen inmitten des großen Myrtenwaldes aufeinander: 450ff. Dido \ errabat silva in mama: quam Troius héros \ ut primum iuxta stetti agnovitque per umbras \ obscuram. Also kann die Szene nicht mit inimica refugit \ in nemus umbriferum abgeschlossen werden, denn sie befinden sich bereits im schattigen Wald, weswegen Aeneas die einstige Geliebte nur schemenhaft erkennen kann - so wie man den Mond hinter Wolken sieht oder erahnt (453f.).

Vergile Dido in der Fassung des Montanus 11,64

497

hic modo coniunctis spatiantur passibus ambo1, nunc praecedentem sequitur, nunc praevius anteit Eurydicenque suam iam tuto respicit Orpheus.

In diesem Bild unbeschwerter Harmonie wendet Ovid den einstigen mißglückten Gang aus der Unterwelt (mit dem verhängnisvollen Blick zurück) zum Guten. Das hat Montanus auch für den Dido-Mythos übernehmen wollen: Wenn er Dido schon nicht Trost bei Aeneas finden lassen konnte, so doch bei ihrem früheren Gemahl Sychaeus, den er deswegen ins Elysium versetzt2. Durch in nemus umbriferum ([Aen.] 6,473) greift Montanus 45lf. (errabat silva in magna und per umbras) auf; das Kompositum scheint erstmals bei Varrò (rust. 2,2,11 sub umbríferas rapes)3, nirgends in klassischer Dichtung belegt. Bezeichnenderweise hat es Montanus ein weiteres Mal im Epicedion Drusi, dort pikant in der Bedeutung 'die Schatten der Toten tragend' (428 quem semel umbrífera navita Untre tulit), was dann Statius (Theb. 1,57; 8,18) übernommen hat4. Am Ausdruck coniunx pristinus statt coniunx prior haben nach Angabe des Servius schon Probus und andere Grammatiker Anstoß genommen. Metaphorisches respondere mit Dat. findet sich bei Vergil nur einmal in georg. l,47f. in der speziellen, aus der Finanzsprache übertragenen Tönung, daß "zwischen dem Landmann und dem Acker ein Verhältnis wie zwischen Geldverleiher und Schuldner besteht" (Cramer 7, Anm. 25), und ist im Zusammenhang der Aeneisstelle schwerlich angebracht. Die Junktur respondet curis ist dem Montanus eigen, der sie nochmals in Aetna 223 hat: digna laborantis respondent proemia curis. Im derb-erotischen Sinne hat vielleicht der gleiche Montanus respondí in [Prop.] 4,8,88 genutzt5. Zu aequatque ... amorem sei auf Aen. 5,419 (aequemus pugnas) und 10,755f. (iam gravis aequabat luctus et mutua Mavors \ fuñera) verwiesen. 1

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Das Komma (statt eines Doppelpunkts) schlägt M. Deufert vor mit Verweis auf Börner zu met. 10,123ff. Das Motiv der Liebesverbundenheit über den Tod hinaus schlägt Montanus [?] auch in [Prop.] l,19,7ff. an (die Gedichte I 19. 20. 21 sind unecht); vgl. Eleg. in Maecen. 2,15ff. In [Prop.] 1,19,8. 11 (non potuit... immemor esse und illic quidquid ero) zeigt sich die gleiche Hand wie in Eleg. in Maecen. 2,21f. ipse ego quidquid ero ciñeres interque favillas, \ tum quoque non potero non memor esse tul·, in [Prop.] 1,19,13 (illic formosae veniant chorus heroinae) vermutlich die gleiche wie in Culex 261 obvia Persephone comités heroidas urget | adversaspraeferre faces. Zu vergleichen ist [Prop.] IV 7 mit dem Auftakt sunt aliquid Manes: letum non omnia finit und der anschließenden Erscheinung des Geistes der Cynthia, s. das Register unter [Prop.] IV 7. Siehe Pease zu Cie. div. 1,22; 2,63. Silius dagegen bleibt bei der ursprünglichen Verwendung (Sil. 13,219 umbrífero ... monte). Siehe Rothstein ad loc. und Marion Komp, Absage an Cynthia, Frankfurt 1988,146ff.

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c) D i d o in der Aeneis und im 7. Heroidenbrief Die in den Zusätzen des Vergilinterpolators greifbare Tendenz, den Charakter der D i d o in Richtung auf das Treueideal, dem sich die Frau über den Tod hinaus verpflichtet fühlt (vgl. 4 , 2 0 - 3 0 ) , umzuformen 1 , zeigt sich auch in d e m unechten 7. Heroidenbrief. Wir haben beide Male den gleichen Autor vor uns, der zunächst den Passus des Didobriefes in Anlehnung an die Circe-Episode in met. 14,312ff. (und an trist. 3 , l , 3 9 f f . ) gedichtet, danach das Didobuch Vergils entsprechend frisiert hat. Ich stelle die einschlägigen Textpartien zusammen und markiere die Beziehungen 2 : annua nos illic tenuit mora, multaque praesens tempore tarn longo vidi, multa auribus hausi, 310 hoc quoque cum multis, quod clam mihi rettulit una quattuor e famulis ad talia sacra parotis, cum duce namque meo Circe dum sola moratur, illa mihi niveo factum de marmore signum ostendit iuvenale gerens in vertice picum 3 315 aede sacra positum multisque insigne coronis . quis foret et quare sacra coleretur in. aede, cur hanc ferret avem, quaerenti et scire volenti 'accipe' ait, 'Macareu (... ")· sacratus in aede_ Sychaeus; epist. 7,101 est mihi marmorea oppositae frondes velleraque alba teeunt. hinc ego me sensi noto quater ore citari; ipse sono tenui dixit 'Elissa A, veni! " 105 nulla mora est, venio, venio tibi debita coniunx sum tarnen amisso tarda pudore meo! da veniam culpae! trist. 3,1,39 cur tarnen opposita velatur ianua lauro, cineit et augustas arbor opaca fores? 43 ipsane auod festa est, an quod facit omnia festa? 45 utque viret semper laurus nec fronde caduca carpitur... Aen. 4,457 praeterea fuit in te et is de marmore templum coniugis antiqui, miro quod honore colebat. vellerìbus niveis et festa fronde revinctum:

met. 14,308

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Siehe S. 495. 495 mit Anm. 2. Übereinstimmungen zwischen met. XIV, epist. VII und [Aen.] IV gebe ich gesperrt, Übereinstimmungen zwischen met. XIV und epist. VII sind mit einer punktierten, solche zwischen met. XIV und [Aen.] IV mit einer durchgezogenen Linie unterstrichen. In Fettdruck erscheinen gesonderte Übereinstimmungen in den Montanus-Partien (die ihrerseits aus anderen, d.h. von met. XIV verschiedenen, Quellen gespeist sein können). Siehe dazu fronde{s) in den folgenden Textpartien. Vgl. 7,195 nec consumpta rogis inscribar Elissa Sychaei.

Vergile Dido in der Fassung des Montanus

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hinc exaudiri voces et verba vocantis visa viri, nox cum terras obscura teneret.

Der aus weißem Marmor gefertigten Büste des Picus, die in einer heiligen Aedicula aufgestellt und reich bekränzt ist (met. 14,313ff.), gewinnt der Bearbeiter zunächst eine geheiligte Sychaeus in einer MarmorAedicula ab, mit davor gestelltem Laubschmuck 1 und weißen Wollbinden (epist. 7,101 ff.), danach einen im Haus aufgestellten und entsprechend geschmückten Marmortempel des ehemaligen Gatten (Sychaeus) ([Aen.] 4,457ff.). Während bei Ovid der jugendliche Heros Picus selbst verehrt wird, soll Dido im Pseudo-Vergil den Marmortempel (der - wie oben S. 490f. gezeigt - durch die mechanische Übernahme vergilischer Versatzstücke zustandegekommen ist) mit einzigartiger Gunst verehren, mit weißen Wollbinden und mit f e s t l i c h e m Laub zieren. Die Kombination von velleribus niveis und festa fronde revinctum in [Aen.] 4,459 zeigt, daß hier die gleiche Hand wie in epist. 7,102 am Werk ist, die aus der zweiten ovidischen Quelle (trist. 3,l,39ff.) die Stichworte opposita - fronde (lauro) - velatur nach epist. 7,102 (PDP o sitae frondes velleraque alba tegunt) übertragen hat, die Stichworte cingit - festa - fronde aber nach [Aen.] 4,459. Nur bei der Annahme, es handle sich in epist. VII und in [Aen.] 4,457ff. um die gleiche Hand, findet die komplementäre Aufteilung der beiden ovidischen Grundtexte met. 14,313-316 und trist. 3,1,39-45 auf die beiden Imitationen in der hier beschriebenen Form eine befriedigende Erklärung. Dem weiterdichtenden Bearbeiter wird auch die Erfindung der Stimmen des toten Sychaeus, die aus der Aedicula dringen, verdankt. Sie stehen - wie gezeigt 2 - in dem späteren Passus [Aen.] 4,460f. (als er das Motiv ein zweites Mal umsetzt und sich gleichsam selbst zu überbieten sucht) in konkurrierender Abundanz zu den Stimmen des Käuzchens, das den Todesruf erschallen läßt; in epist. 7,92 dagegen ist das Motiv folgerichtig aus der Scham und dem Schuldbewußtsein der Dido entwickelt, die durch ihr Liebesverhältnis zu Aeneas die ehelichen Rechte des Sychaeus und ihren guten Ruf verletzt sieht 3 und dafür Strafe zahlen, in den Tod gehen will 4 . Die Stimme des Gatten, der sie in die Unterwelt zitiert, dringt mit schwachem Klang aus dem Munde der Büste an ihr Ohr. Ohne Verzug will sie ihm als seine debita coniunx 1

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Die oppositae frondes sind hier schwerer zu verstehen als in der ovidischen Quelle, wo die Tür von zwei einander gegenüberstehenden Lorbeerbäumen gerahmt wird (trist. 3,l,39f.). Siehe S. 491. Vgl. epist. 7,91f. his tarnen officiis utinam contenta fuissem \ nec mea concubitu fama sepulta foret. Exige, laese pudor, poenas, violataque lecti | iura ñeque ad ciñeres fama retenta meosl \ vosque mei manes animaeque cinisque Sychaei \ ad quas, me miseram, plenapudoris eo (7,97ff.). Der Ausfall der Verse 98f. in den meisten Handschriften dürfte durch einen Augensprung von -que lecti (97) auf -que sichei verursacht sein.

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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folgen (105), doch zögert sie, weil sit amis s o ...pudore zu ihm kommen werde. Sie bittet um Verzeihung für ihre Schuld und sucht dem Toten ihren Fehltritt verständlich zu machen. Dies ist ein einheitlicher Gedanke, dem die Priorität vor [Aen.] 4,457ff. gehört. Der Verfasser des Dido-Briefes (Montanus) hat sich natürlich seinerseits zunächst an Vergils Didobuch angelehnt1, dann aber selbständig das Motiv der aus dem Mund der Sychaeus-Büste hervordringenden Stimme hinzuerfunden, auf das er wohl durch die Stimmen der Nymphen, die er als die Todessignale der Eumeniden deuten läßt2, geführt worden ist. Dieses Motiv hat er dann auch in die Aeneis eingearbeitet und dabei das audieram voces von 7,95 zu hinc exaudiri voces (Aen. 4,460) umgesetzt, wobei er - um vergilischen Klang zu erreichen - auf die entsprechende Floskel aus Aen. 6,557 und 7,15 rekurrierte. Von den sonstigen Vorstellungen und Formulierungen, die der Verfasser der Dido-Epistel (Montanus) in die Aeneis interpoliert hat, nenne ich die folgenden: 7,109 129 Aen. 4 , 2 0

diva parens seniorque pater, pia sorcina3 nati, spem mihi mansuri rite dedere viri ( = Aeneas); est etiam frater, cuius manus impia poscit respergi nostro sparsa cruore viri ( = Sychaeus); Anna (fatebor enim) miseri post fata Sychaei

Ich rücke einige Entsprechungen aus dem engeren Zusammenhang nebeneinander, so das Stichwort fama (epist. 7,92 - Aen. 4,170), den Versauftakt ilia dies nocuit (7,93; vgl. Ule Ses primus leti... causa fuit: 4,169f.), die Begegnung in der Höhle während des Gewitterregens (7,93ff. - 4,164ff.) und die Stimmen der Nymphen (7,95f. audieram voces, nvmphas ululasse Datavi: | Eumenides fati siena dedere mei - 4,166f. prima et Tellus et pronuba Iuno I dant sienum: fulsere ignes et conscius aether \ conubiis summoque ulularmi vertice Nvmphae). Siehe die voraufgehende Anm. Eine Hypallage für pie sublata sarcina (s. die folgende Anm.). Montanus hat mit diesem aus trist. 1,3,84 übernommenen Motiv gewuchert und die dort Ovids Gattin in den Mund gelegten emphatischen Worte nacheinander auf Briseis, Dido, Hermione, Deianira und Arethusa übertragen: trist. 1,3,84 accedam profugae sarcina parva rati epist. 3,68 non ego sum classi sarcina magna tuae 8,94 nec gremio sedi sarcina erata tuo 9,58 cui (sc. Herculi) caelum sarcina parva fuit [Prop.] 4 , 3 , 4 6 essem militiae sarcina fida tuae: Der Zwang zu immer neuen Variationen endet in der Katachrese!

Vergils Dido in der Fassung des Montanus

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II [coniugis et soarsos fraterna caede penatis]1 solus hic inflexit sensus (...).

Die Dido des Montanus bezeichnet sowohl den Aeneas als auch den toten Sychaeus (vgl. 7,117) als ihren vir, s.o. S. 493 zu [Aen.] 4,461 (mit Anm. 2) 2 . Die elliptische Ausdrucksweise in 130 (mit der hier nicht eben durchsichtigen από KoivoD-Beziehung von cruore) ist charakteristisch für Montanus (s. S. 438ff.). Die beiden Verse 129f. geben ebenso die Hand des Montanus kund wie der in [Aen.] 4,21 eingeschwärzte. 7,117 [Aen.] 4,552

exul agor cineresque viri patrìamque relinquo\ || [(...) non servata fides cineri promissa Sychaei]3.

In Wirklichkeit ist Sychaeus inhumatus (Aen. 1,353); von seiner Asche zu sprechen, verrät Gedankenlosigkeit. 7,177

180

Aen. 4,50

1

2

3

4

5

6 7

et socii requiem poscunt laniataque classis postulat exiguas semirefecta moras. pro mentis et sigua tibi debebimus ultra. pro spe coniueii tempora parva peto*: dum fréta mitescunt et amor dum temperai usum5, fortiter ediscam tristia posse patì. tu modo posee deos veniam, sacrisque litatis indulge hospitio causasque innecte morandi [dum pelago desaevit hiems6 et aquosus Orion, auassataeaue rates1, dum non tractabile caelum8.]

Der Vers ist von Peerlkamp unter Verweis auf Catull. 64,181 (respersum iuvenem fraterna caede secuta) als sprachlich verkehrt getilgt worden. Auch sei coniugis im Zusammenhang müßig. Montanus hat sich hier wieder eine seiner vielen kühnen Hypallagai erlaubt und das an sich nur passivisch zu verstehende fraterna caedes im Sinne von quam frater admisit gesetzt, weil er die Floskel als bequemes Versatzstück aus Catull übernahm. Die attributive Bestimmung mansuri (viri) macht deutlich, daß nicht die H o f f n u n g auf einen (künftigen) beständigen G a t t e n gemeint ist, sondern die Hoffnung, daß der vir, dem sie sich anheimgegeben hat, ein eheliches Verhältnis auf Dauer garantiere. Die Verse [Aen.] 4,543-546. 548-552 sind unecht, v. ad loc. Zu vergleichen ist epist. 7,99 vosque mei manes animaeque cinisquç Sychaei - falls die Verse 98f. echt sind; doch scheinen sie lediglich aufgrund eines mechanischen Springfehlers ausgefallen; vgl. auch [Aen.] 4,34 id cineremautmanis creáis curare sepultos? (ν. ad loc.). Die Verse 179f. und 181bf. sind kombiniert aus Aen. 4,316f. (per conubia nostra, per inceptos hymenaeos, \ si bene quid de te merui. fuit aut tibi auicauam \ dulce meum) und 4,43Iff. (non iam coniueium antiquum, quodprodidit, oro, \ ... \ : tempus inane peto. requiem spatiumque furori, \ dum mea me victam doceat fortuna dolere. Hier dürfte wieder eine der vielen kühnen Hypallagai des Montanus vorliegen (für dum amorem temperai usus). Vgl. [Aen.] 4,193 nunc hiemem inter se luxu, quam longa, fovere\ s. S. 411. Vgl. 1,551 auassatam ventis liceat subducere classent (ν. ad loc.).

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502 Aen. 4,419

hunc ego si potui tantum sperare dolorem, et perferre, soror, potero1.

Die Unterstreichungen machen jene Stellen kenntlich, die Montanus beim Verfassen der Dido-Epistel aus dem Dido-Buch der Aeneis übernommen hat. Fettgedruckt sind die eigenen Erfindungen des Heroidendichters Montanus, die er nachträglich (oder Hand in Hand) auch in Vergils Dido-Episode eingefügt hat. Wie immer sucht er Informationslücken aufzufüllen: Annas Aufforderung causasque innecte morandi (4,51) rief geradezu danach, konkrete Gründe zu benennen. Wir lesen sie in epist. 7,177f. 181a und [Aen.] 4,52f. Ebenso liegt ihm daran, seine Heldin mit heroischen Zügen auszustatten. Diesem Bestreben dient der Ausdruck des Leidenspathos in epist. 7,182 (fortiter [!] ... posse pati) und [Aen.] 4,419f. 7,191

nec mea nuncprimum feriuntur pectora telo : ille locus saevi vulnus amoris habet. Anna soror. soror Anita, meae male conscia culpae, iam dabis in ciñeres ultima dona meos. 195 nec consumpta rouis inscribar ELISSA SYCHAEI, hoc tarnen in tumuli marmore carmen erit: PRAEBVIT AENEAS IPSA SVA Omo

ET CAVSAM MORTIS ET ENSEM. CONCIDIT VSA MANV;

fast. 3,545 arse rat Aeneae Dido miserabilis igne, ars e rat exstructis in sua fata roéis : 547 [compositusque cinis, tumulique in marmore carmen hoc breve, quod moriens ipsa reliquit, erat: 550

[ars] 3,39 Aen. 4,416 420

423

PRAEBVIT AENEAS ET CAVSAM MORTIS ET ENSEM IPSA SVA Omo CONCIDIT VSA MANV.]

protinus invadunt Numidae sine vindice regnum, et potitur capta Maurus larba domo, seque memor spretum, 'thalamis tarnen ' inquit 'Elissae en ego, quem totiens reppulit illa, fruor! '; [et famam pietatis habet, tarnen hospes et ensem praebuit et causam mortis, Elissa, tuae] ·, nna. vides toto properari litore circum (...) (dolorem) et perferre, soror, potero. miserae hoc tamen unum exsequere, Anna, mihi; solam nam perfidus ille te colere, arcanos etiam tibi credere sensus; sola viri mollis aditus et tempora noras.] i, soror. atque hostem supplex adfare superbum.

Vgl. georg. 1,211 usque sub extremum brumae intractabilis imbrem. Daß der Vergilinterpolator mit dem Verfasser der Heroidenbriefe identisch ist, zeigt sich auch an der Wiederverwendung des Ausdrucks in epist. 19,71 est mare, confìteor, nondum tractabile nanti. Die Verse [Aen.] 4,418-423 sind unecht, v. ad loc.

Vergils Dido in der Fassung des Montanus

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Als Montanus den Schluß des Dido-Briefes verfaßte, hat er einerseits den Schluß seiner Phyllis-Epistel als Vorbild herangezogen: epist. 2,145

inscriben meo causa invidiosa sepulchro: aut hoc aut simili cannine notus eris: PHYLLIDA DEMOPHOON LETO DEDIT, HOSPES ΑΜΑΝΓΕΜ; 1LLE NECIS CAVSAM PRAEBVIT. IPSA MANVM.

andererseits (in 191f.) das geistreiche Spiel Ovids in fast. 3,545f. mit der metaphorischen und konkreten Bedeutung von ardere (igne bzw. rogis) in eine verwandte Kombination von konkretem feri ri telo und abstraktem vulnus amori s umgesetzt (ist dabei freilich weit hinter der formalen Kunst des Meisters zurückgeblieben). Später hat er den Schluß seines 7. Heroidenbriefes mit dem von Dido fest formulierten Grabepigramm 1 in den Zusammenhang der Fasti eingefügt (wo diese vier Verse nicht passen, v. ad loc. Während Vergil die Anrede Didos an Anna in 4,416 nach zwei Versen durch das variierende i, soror (424) weiterführt, leistet sich Montanus im Didobrief die abundante Folge Anna soror, soror Anna, mit zweifelhaftem Pathos, und führt nachträglich eine verwandte Doppelung auch in den AeneisAbschnitt ein (420f.), den er zusätzlich mit einer aus epist. 7,193 herausgesponnenen Veränderung von Annas Vertrautenrolle ausschmückt. Ein drittes Mal hat Montanus mit dem Schlußepigramm des Didobriefes in [ars] 3,39f. gewuchert, wo das Didodistichon nach den drei Exempla MedeaJason, Theseus-Ariadne, Phyllis-Demophoon nachhinkt und durch ein unpassendes et angeknüpft wird, das nicht nur ohne logischen Bezug zum Vorhergehenden steht, sondern in dem auch das korrespondierende et (ensem) - et (causam) stört (v. ad loc.). Deutlich sekundär ist die Umkehrung der Reihenfolge et causam mortis et ensem2. Die Anrede Elissa stammt wohl aus epist. 7,195 oder 7,104. Im Didobrief ist das Schlußepigramm mit der Klage verbunden, daß die Aufschrift auf ihrem Grabmonument nicht ELISSA SYCHAEI lauten werde. Damit ist also grundsätzlich das in 7,91-107a (vgl. bes. 105 ν e ni o, ν e ni o tibi debita co ni un χ3) ausgeführte Verhältnis, ihre Verbundenheit mit Sy chaeus über den Tod hinaus, bis zum Schluß festgehalten, freilich durch die Beziehung zu Aeneas, die sie wie bei Vergil als culpa faßt 4 , getrübt 5 . Dieser Zug, die bleibende Verbundenheit Didos mit ihrem früheren Gatten über den

1

Auch dies ist eine Weiterentwicklung des 2. Briefes, w o Phyllis nur den ungefähren Wortlaut eines Epigramms skizziert, das man auf ihrem Grab anbringen wird.

2

Vgl. epist. 2,148 ille necis

3

Zum Motiv des verlorenen pudor und des guten Rufes in epist. VII siehe noch die Verse 7f. 7,193; vgl. Aen. 4,19. 172.

4

5

causam praebuit, ipsa manum (s.o.).

W. Lingenberg erinnert an 7,106 sum tarnen amisso tarda pudore meo.

504

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

Tod hinaus, war für Montanus beim Verfassen des Heroidenbriefes von so großer Bedeutung, daß er ihn - wie gezeigt - auch in der Aeneis verstärkt hat und selbst dort mehrfach interpoliert, wo Didos Liebe nach Vergils Konzept allein durch Aeneas gefangen sein soll. Die Tragik der unglücklichen Frau, die nach innerem Kampf die Treue zum grausam hingemordeten Gemahl und den ruhmvollen Namen der univira preisgibt, um ein neues Liebesglück an der Seite des Aeneas zu finden, doch bald auch diesen verliert und in solch bitterer Verzweiflung in den Tod geht, daß sie bei der Wiederbegegnung im Schattenreich den liebevoll um Verständnis Werbenden keines Wortes, ja keines Blickes würdigt, sondern mit versteinertem Herzen ihn weinend stehen läßt und feindselig von dannen geht (6,450-472. 475f.), schien ihm offenbar unerträglich hart. So hat er durch die Einfügung der Verse 6,473f. (die durch die Interpolation von 4,457-463. 548-552 vorbereitet sind) einen "weichen" Schluß zu schaffen versucht, der sich zwar mit den umgebenden Versen nicht verträgt1, aber dem durchschnittlichen, nicht exakt nachprüfenden Leser die vielleicht willkommene (wenngleich kunstwidrige) Genugtuung verschafft, die leidgeprüfte Dido am Ende, in der Unterwelt, doch noch glücklich zu sehen, verständnisvoll umsorgt und in wechselseitiger Liebe gehegt von ihrem früheren Gatten Sychaeus2.

3. Das Omen der entflammten Haare und Horazens Küchenbrand Aen. 2,685f.; 7,75-77 Ribbeck hat zu Recht die Verse [Aen.] 7,75-77 als "Dittographie" zu 7,74 eingeschätzt (Proleg. 82). Gründe glaubte er nicht vortragen zu müssen; deshalb beschränke ich mich meinerseits auf stichwortartige Hinweise3: 1. Daß Lavinias Haar vom Feuer erfaßt und der ganze Haarschmuck in knisternden Flammen zu verbrennen schien, war in 7,73f. deutlich gesagt; die zusätzliche Angabe regalisque accensa comas, accensa coronam | insignem (75f.) trägt eine leere Doppelung in den Text.

1 2

3

Siehe S. 495. Beiwege notiere ich noch folgende montanische Ausdrucksweisen: epist. 7,58 perfidiae poenas exigit ille locus - [Aen.] 6,540ff. hic locus est, ... ubi ... | ... | ... laeva malorum I exercetpoenas-, 7,96 Eumenides fati signa dedere mei - Epiced. Drusi 401 Iuppiter ante dedit fati mala signa cruenti; 7,155f. si quaerit lulus. | unde suo partus Marte triumphus eat - Catal. 14,3f. Troius Aeneas Romana per oppida digno \ iam tandem ut tecum carmine vectus eat, v. ad loc. Der Text ist anschließend im Zusammenhang mit den Vorbildern ausgeschrieben.

Das Omen der entflammten Haare und Horazens Küchenbrand

505

2. Das Attribut regalis ist hier ohne Funktion - anders steht es in l,637f. (at domus interior regali splendida luxu | instruitur)1 und 1,686 (regalis inter mensas laticemque Lyaeum) - aber auch [Aen.] 1,686 ist unecht (ν. ad loc.) 2 . 3. Die Anknüpfung der zweigliedrigen Apposition durch einfaches -que (75) ist anstößig3. 4. Accensi in eigentlicher Bedeutung sind Scheiterhaufen (Aen. 11,188), Feuer oder Fackel (bei Ovid); vom Menschen wird accensus im übertragenen Sinne gebraucht (accensus ira, etc.). 5. In der Konstruktion accensa comas steckt eine Wiederholung von sacra cornarti (60). 6. Die mit visa (sc. Lavinia) beginnende Konstruktion wird in 75ff. undurchsichtig. 7. Daß die Flammen das Haar zu ergreifen schienen, ist eine plausibel klingende Täuschung, nicht aber, daß sie sich schließlich auf das ganze Haus ausbreiteten. 8. Der letztere Zusatz scheint durch die anschließende Deutung inspiriert, die unterscheidet zwischen Auswirkungen auf Lavinia selbst (79f.) und dem Krieg, den sie dem Volke bringen werde (80). Aber auch das voraufgehende Omen des Bienenschwarmes wird von den Sehern frei ausgedeutet (unterschieden nach virum und agmen, 69). Die zugrundeliegende Vorstellung von der Hecuba, die träumt, sie gebäre eine Fackel (s. zu [Aen.] 7,319f.), ist ähnlich undifferenziert und wird erst durch die Interpretation der Seher zur Kriegsdrohung und Ankündigung von Trojas Untergang. Der Zusatz ist aus mehreren Musterstellen zusammengeflickt. Eine davon ist der in Horazens 'Iter Brundisinum' geschilderte Küchenbrand4, auf den ich jedoch erst am Ende eingehe. Zuvor stelle ich die übrigen Vorbild-Passagen zusammen: Aen. 7,71 praeterea, castis adolet dum altaría taedis, et iuxta genitorem astat Lavinia virgo, visa (nefas) longis comprendere crinibus igne atque omnem ornatum fiamma crepitante cremati5.

1 2

3

4 5

m

Vergil folgt hier Catull (64,46 tota domus gaudet regali splendida gaza). Der echte Vergil nutzt also regalis nur einmal als Catullreminiszenz. Dem regalis accensa comas entspricht gut Montan, epist. 4,153f. (genibusque tuis regalia tendo | brqçchiq)\ vgl. [trist.] 2,553 et dedimus tragicis scriptum (sceptrunf!) regale coturnis und [Pont.] 4,16,9 quique dedit Latio carmen regale Severus, ν. ad loc. Von den drei Parallelen, die Fordyce ad loc. anführt, gehören [Aen.] 11,171. 641 ebenfalls dem Montanus, v. ad loc.; es verbleibt alsoperque ... per in 10,313. Das 'Iter Brundisinum' hat Montanus mehrfach imitiert, s. das Register. Vergil variiert georg. 1,85 atque levem stipulam crepitantibus urere flammis. Aus dem Aeneisvers ist die Klausel nach Lucr. 6,155 interpoliert worden: Ich halte die Verse Lucr. 6,154f. für unecht: nec res ulla magis ( = 6,1099) quam Phoebi Delphica laurus ( = Hör.

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[regalisque accensa comas accensa coronarti insignem gemmis1; tum fumida lumine fulvo involvi ac totis Volcanum spargere tectis2.] id vero horrendum ac visu mirabile ferri: namque fore inlustrem fama fatisque canebant ipsam, sed populo magnum portendere bellum.

Durch comprendere crinibus igne m (Aen. 7,73) ist Montarais auf die Schilderung des Ölbaumbrandes in georg. 2,303f. geführt worden georg. 2,303

nam saepe incautis pastoribus excidit ignis, qui furtim pingui primum sub cortice tectus 305 robora comprendit, frondesque elapsus in altas ingentem caelo sonitum dedit; inde secutus per ramos victor perque alta cacumina régnât, Çt totum involvit flammis nemus et ruit atram ad caelum picea crassus caligine nubem

und hat den Vers 308 genutzt, um den zweiten Teil seines Zusatzes zu formen ([Aen.] 7,77). Dabei holte er sich zusätzlich Formulierungshilfe aus Vergils Erzählung vom Versuch des Turnus, die Schiffe der Aeneaden in Brand zu setzen: Aen. 9,75

diripuere focos: piceum fert fumida lumen taeda e£ commixtam Volcanus ad astra favillam.

Schon die merkwürdige Übertragung des Attributs fumida von der Fackel (9,75f.) auf Lavinia (7,76) und die Ersetzung des ausdrucksvollen piceum ... lumen (das mit der fumida ... taeda in einem Kausalnexus steht) durch das lediglich versfiillende (lumine) fulvo3 erweisen die Priorität von 9,75f. gegenüber 7,76f. Montanus hat in 7,76 die Klausel fumida lumen von 9,75 aufgelöst und das Vokabular variierend eingesetzt. Ahnlich ist er in [Aen.] 7,319f. (nec face tantum \ Cisseis praegnas ignis enixa iugalis) verfahren, wo er ebenfalls die vergilische Klausel aufgelöst und durch Wortumstellung den Schwerpunkt zum Versbeginn hin verlagert hat, vgl. Aen. 10,703ff. una quem

1

2 3

carm. 3,30,15f.) | terribili sonitu (= Enn. ann. 140 V*) fiamma crepitante crematur (= Aen. 7,74); man vgl. die Stichworte sonitu - lauricomos - fiamma vagetur in 15 lf. Die Junktur insignem ... coronam begegnet sonst ein einziges Mal an herausgehobener Stelle in Lucr. 1,929 (= [4,4]); von Montanus stammt [Aen.] 1,655 duplicem gemmis auroque coronam·, vgl. met. 13,704. Vgl. tectum omne in Aen. 2,679 (neben Hör. sat. 1,5,74). Die Junktur ist singulär.

Das Omen der entflammten Haare und Horazens Küchenbrand

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nocte Theano \ in lucerti genitore Amyco dedit et face praegnas \ Cisseis regina Parim)1. In Volcanum spargere ([Aen.] 7,77) fassen wir den durch Lucr. 4,605f. (quasi ignis | saepe solet scintilla suos se spargere in ignis) beeinflußten Schöpfer der Verse Aetna 402ff. (nec fervere putes ignem nec spargere posse, I sed simul ac ferro quaeras, respondet et ictu | scintillât dolor) und Montan. frg. 1,2 (incipit) spargere se rubicunda dies, s. S. 279. 311. Die Metonymie Vulcanus (s. Hör. sat. 1,5,74; Aen. 5,662; 9,76; 10,408) hat Montanus auch in [georg.] 1,295; [Aen.] 2,311; Culex 320f. (Volcania ... | vulnera)1, ferner in Dirae 52 (qua Vulcanus agrospastus Iovis ignibus arcet ). 173 (nam certe Vulcanus opus faciebat) und Moret. 51 (dumque suas peragit Vulcanus Vestaque partes). Die beiden letztgenannten (sonst in der einschlägigen Dichtung nicht belegten) Junkturen stammen klar von der gleichen Hand. Sind hiermit die wichtigsten Vorbilder bezeichnet, die Montanus für seinen Zusatz [Aen.] 7,75-77 ausgebeutet hat, so soll doch eine Reminiszenz an den von Horaz im Iter Brundisinum geschilderten Küchenbrand nicht übergangen werden, die am Ende einer regelrechten Imitationskette steht: Zunächst hat Vergil selbst, ein Teilnehmer jener denkwürdigen Reise, Horazens neuartige (wie es scheint) und einprägsame Formulierung von der zur Küchendecke emporzüngelnden Flamme übernommen, um das Omen der Feuerzunge, die sich auf dem Haupt des kleinen Iulus zeigt, in Worte zu fassen 3 : Hör. sat. 1,5,71

tendimus hinc recta Beneventum, ubi sedulus hospes paene macros arsii dum turdos versai in igni, nam vaga per veterem dilapso fiamma culinam Volcano summum properabat lambere tectum. Aen. 2,680 cum subitum dictuque oritur mirabile monstrum (...) 682 ecce levis summo de vertice visus Iuli fyndere lumen apex, tactuque innoxia mollis lambere fiamma comas et circum tempora pasci. Danach hat Montanus das Bild von der Feuerzunge, die das Haupt des Iulus umleckt, und das horazische Emporzüngeln der Flammen zur Küchendecke

1

2 3

Die Verse [Aen.] 7,319-322 halte ich für unecht; Vergils Juno Schloß ihren Selbstmonolog wirkungsvoll durch die Verse 317f., wie ihre Entgegnung auf Allecto in 555f. bestätigen kann, v. ad loc. V. ad locc. Durch Fettdruck hebe ich hier die Entsprechungen zwischen Horaz und Vergil hervor, durch einfache Unterstreichung die Übernahmen aus Vergil, durch doppelte Unterstreichung die Übernahmen aus Horaz in den anschließend zitierten Passus des Epicedion Drusi.

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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kombiniert, um im Epicedion Drusi zwei aufeinander folgende Stadien des Leichenfeuers zu schildern: Zunächst scheuen sich die Flammen lange, das "heilige" Haupt des toten Jünglings zu berühren, und "irren" säumig unter dem Holzstoß hin und her; als sie aber reichliches Brennmaterial erfaßt haben, "lecken" sie mit den emporschießenden Feuerzungen den Himmel und die Gestirne: Epiced. 253

256

fiamma diu cunctata caput contingere sanctum erravit posito lenta sub usque toro, tandem ubi complexa est silvas alimentaque sumpsit, aethera subieçtis lambii et astra comis.

Die Imitation des vergilischen Feuerzungen-Omens erhellt unmittelbar aus den Markierungen; zu den Horazreminiszenzen sei bemerkt, daß Montarais Horazens vaga ... fiamma ... properabat durch fiamma erravit ... lenta wiedergibt (auch die Klangwirkung ist ja bei der Imitationsanalyse zu berücksichtigen, s.u.); aus per veterem ... culinam wird posito ... sub usque toro, aus dilapso ... Vulcano (und Vergils fundere lumen) das zumindest ebenso erlesene subieçtis ... comis ("Feuerzungen"), wodurch Montanus - unter Umdeutung des vergilischen Stichworts comas von 2,684 - die kühne Metapher lambere stützt (lambii, sc. comis); das Objekt summum ... tectum aber heißt bei ihm kühn aethera ...et astra. Die nächste Imitationsstufe liegt in der Schilderung vor, die Montanus den Aeneas vom Brand Trojas geben läßt: [Aen.] 2,310

iam Deiphobi dedit ampia ruinam Volcano superante domus, iam proximus ardet Vcalegon; Sigea igni fréta lata rducent.

Hör. sat. 1,5,71 tendimus hinc recta Beneventum, ubi sedulus hospes paene macros arsit dum turdos versat in igni. nam vaga per veterem dilapso flamma culinam Volcano summum properabat lambere tectum.

Im Verhältnis zu dem Passus aus dem Epicedion Drusi ist hier Horazens Schilderung des Küchenbrandes insofern komplementär genutzt, als Montanus jetzt andere Wortjunkturen und Klangassoziationen seiner Nachahmung zugrunde legt: Besonders auffällig ist die Übernahme der "persönlichen" Konstruktion von arsit: Das horazische hospes \ paene ... arsit (... in isnñ ist von Montanus in 2,31 lf. (iam ... ardet \ Vcalegon ... imi fréta ... relucent) umgesetzt, unter Kontamination mit der Klausel von Hör. epist. 1,18,84 (nam tua res agitur, paries cum proximus ardet): das expressive, metonymische

Das Omen der entflammten Haare und Horazens Küchenbrand

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Volcano steht beide Male am Versbeginn (sat. 1,5,74; [Aen.] 2,311), und das horazische Klangbild von l,5,73f. kehrt deutlich wieder in [Aen.] 2,310f. 1 Zum dritten und vierten Mal bedient sich Montanus der horazischen Musterverse - wiederum jeweils komplementär - bei seiner Erweiterung der beiden Aeneisszenen, von denen wir ausgegangen waren: zunächst in der Szene von der feurigen Scheitellocke des Iulus, danach in dem Omen der Lavinia2: Hör. sat. 1,5,73

75

nam vaga per veterem dilapso flamma culinam Volcano summum prqperabat lambere tectum, convivas ávidos cenam servosque timentìs tum rapere atque omnis restinguen velie videres.

Aen. 2,682

ecce levis summo de vertice visus Iuli fiindere lumen apex, tactuque innoxia mollis lambere flamma comas et circum tempora pasci. 685 [nos pavidi trepidare metu1 crinemque flagrantem4 686 excutere et sanctos restinguere fontibus ignis] at pater Anchises oculos ad sidera laetus extulit et cae lo palmas cum voce tetendit (...). (Lavinia) visa (nefas) longis comprendere crinibus igne m atque omnem ornatum flamma crepitante cremari. [regalisque accensa comas accensa coronam 75 insignem gemmis; tum fumida lumine fulvo inveivi ac totis Volcanum spargere tectis. 1 77 id vero horrendum ac visu mirabile ferri: (...)

Aen. 7 , 7 3

Wie man sieht, nutzt Montanus diesmal in [Aen.] 2,685f. die bisher übergangenen Verse 75f. der horazischen Satire. Sein Zusatz ist jedoch fehl am Platze; denn Vergil hatte dort Aeneas ausdrücklich sagen lassen, daß die scheinbare Flamme, die auf dem Haarschopf des Knaben züngelte, tactu innoxia war (683). Also wird er es nicht darauf anlegen, Aeneas und die anderen Zeugen des Schauspiels in Panik geraten und Versuche unternehmen

2

3

Siehe Austin ad loc. Daß Montanus seine Musterverse auch hinsichtlich des K l a n g b i l d e s imitiert und komplementär nutzt, haben wir (wie hier in Hör. sat. l,5,73f. / Epiced. 252f. - sat. l,5,73f. / [Aen.] 2,310f.) bereits bei der Behandlung der Schwalben des Montanus festgestellt, s. S. 311. Einfache Unterstreichungen heben die Formulierungen und Anklänge hervor, die Montanus in Buch 7, punktierte Linien jene, die er in Buch 2 dem Horaz (sat. I 5) verdankt.

Kontaminiert mit Aen. 6,491 inzenti trepidare metu. Die durch das zusätzliche pavidi hervorgerufene Abundanz ist typisch für Montanus, siehe demnächst W. Lingenberg in einer Bonner Dissertation über die pseudo-ovidischen Epistulae Heroidum zu solliciti ...

timoris in epist. 1,12. 4

Nach Aen. 7,73f. (siehe anschließend).

510

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

zu lassen, das Feuer durch 'Ausschütteln' der Haare (!) und durch das Übergießen mit Wasser zu löschen. Die Reaktion des Anchises in 687ff. gibt denn auch keinerlei Anhalt, daß eine irrige Reaktion der übrigen Beteiligten vorausging. Die Verse 2,685f. sind - wie jene in der Parallelszene (7,76f.) - durch Horaz angeregt und mit weiteren Vorbildversen aus Vergil und Ovid kontaminiert, vgl. vor allem Aen. 3,682f. praecipitis metus acer agit quocumque rudentis \ excutere et ventis intendere vela secundis und Ov. met. 12,280f. saucius hirsutis avidum de crinibus ienem \ excutit. Man sieht, wie aus der vernünftigen Junktur Ovids (de crinibus ignem excutere) ein unpräzises crinem flagrantem excutere geworden ist. Der Ausdruck restinguere ... ignis mag durch Lucr. 4,873 oder 4,1087 angeregt sein. Der Ablativ fontibus läßt an ecl. 5,47 (sitim restineuere rivo) denken. Ebenfalls dem Montanus zuzuschreiben sind [rem.] 807 nutritur vento, vento restinguitur ignis (v. ad loc.) und Epiced. Drusi 227 iamque rogi flammas extinguere fluminis auctu (sc. Tiberinus ... certus erat)1. Der horazische Küchenbrand ist also von Montanus viermal in einer Weise imitiert worden, daß er jeweils verschiedene Elemente der Vorbildszene verarbeitet, die erst in der Zusammenschau die Ursprungstelle umfassend repräsentieren2. Diese je selektive Auswahl kann nur von dem gleichen Bearbeiter vorgenommen worden sein, der Wiederholungen nach Möglichkeit vermeiden wollte, s. das Register s.v. 'komplementär'. Bei seiner Schilderung des Aetnaausbruchs im 3. Aeneisbuch aber hat er sich selbst wiederholt und zusätzlich die auch in [Aen.] 7,76f. verarbeiteten Verse Aen. 9,75f. (s.o.) - komplementär! - adaptiert:

1

2

Den bereits interpolierten Text von Aen. 2,682ff. und 7,73ff. hatte Silius in 16,118ff. vor Augen: Er übernimmt die Stichworte vertice - apex - visus (120); aus mollis \ ... fiamma comas (2,683f.) wird bei ihm die Folge mitis fiamma comam (121); involvere und se spargere (120f.) scheint er aus [Aen.] 7,77 geholt zu haben; die serpentes tempora circum (ignes) in 122f. stammen aus Aen. 2,684, der Vers 123 (festinant gelidis restinguere fontibus ignes) aber ganz aus dem Zusatz [Aen.] 2,685f. Die Verse sat. l,5,75f. (s.o., bes. die Junktur timentis \ tum ... videres) haben möglicherweise auch in [Aen.] 8,222 (tumprimum nostri Cacum videre timentem) Pate gestanden (v. ad loc.). Weitere Imitationen des Iter Brundisinum durch Montanus sind oben zu den Zeitperiphrasen genannt; dabei sind die folgenden Verse verwertet: sat. l,5,9f. 17ff. 39. Die ganze Situation der Treidelfahrt mit dem Schiff in sat. I 5, die nächtliche Unterbrechung und den morgendlichen Aufbruch hat Montanus in der von ihm erweiterten ClaudiaQuinta-Episode von der Überführung der Magna Mater nach Rom in [fast.] 4,329-342 adaptiert, v. ad loc. Zu dem iam nox inducere ... | umbras et cae lo diffundere signa parabat des Horaz (sat. l,5,9ff.) fügt sich gut die Umkehrung des Montanus in frg. l , l f . (,incipit ... producere flammas. \ spargere se ... dies), und dem iam nox inducere terris und tandem fessus dormire ... \ incipit (sat. l,5,9f. 17f.) darf man passend frg. 2,2f. (iam dare sopitis nox pigra siientia terris | incipit) an die Seite stellen.

Das Omen der entflammten Haare und Horazens Küchenbrand [Aen.] 3,572

Aen. 9,75

Epiced. 256

511

(...) interdumque atramprorumpit ad aethera nubem turbine fumantem piceo et candente favilla. attollitque globos flammarum et sidera lambii-, diripuere focos: piceum fert fumida lumen taeda et commixtam Volcanus ad astra favillami

aethera

subiectis

lambii et astra

comis (s.o.).

Die Markierungen in den drei Versen [Aen.] 3,572-574 offenbaren eine Kontamination aus 9,75f. (später, in [Aen.] 7,76f., wird Montanus die Klausel fitmida lumen und die Elemente et... Volcanus übernehmen, s.o.) und den aus Horazens Küchenbrand entwickelten Vers Epiced. Drusi 255: Auch hier sehen wir notwendig ein und dieselbe Hand am Werk1.

4. Das Entfachen des Feuers und der Kohl auf dem Herd: Philemon und Baucis - der Bauer Hyrieus - Simulus im Moretum die Trojaner am Strand a) Die Götter zu Besuch in der ländlichen Hütte ([fast.] 5,493-544) Den Bericht über das nächtliche Lemurenfest hat Ovid durch zwei astronomische Angaben gerahmt, in denen der Skorpion (6. Mai) und der Orion (der zusammen mit den anderen Sternen eilends vor den klirrenden Waffen des Mars Ultor [12. Mai] weicht) genannt werden: 5,417 5,545

Scorpios in cae lo, cum eras lucescere nonas dieimus, a media parte notandus e rit. Sed quid et Orion et cetera sidera mundo cedere festinant noxque coartai iter?

Dies hat den Montanus veranlaßt, eine Geschichte über die 'Zeugung* und Geburt des Orion einzulegen, die ihrerseits mit der Erwähnung eines von Tellus geschickten feindseligen Skorpions endet, dem sich Orion entgegenstellt, wofür ihn Latona mit der Verstirnung belohnt: 5,541

544

scorpion inmisit Tellus: fuit impetus illi curva gemelliparae spicula ferre deae; obstitit Orion. Latona nitentibus astris addidit et 'meriti proemia ' dixit 'habe!a

Zu den Aetnaversen s. S. 121ff. Curva ... spicula sind sonst nicht belegt; ferre deae steht für inferre deae. Die Junktur astra nitent steht zweimal bei Manilius (2,537f.; 4,742), der auch sidera nitent hat (l,342f.); Germanicus bietet stella nitens (Arat. 214). Kein Dichter zuvor kennt einen dieser Ausdrücke: Wir dürfen Montanus in Abhängigkeit der beiden astronomischen

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

512

Daß der von Tellus geschickte Skorpion die gemellipara dea angreifen wollte, ist eine schlechte Erfindung des Montanus, die "den eigentlichen Sinn der Sage verdirbt", wie Heinze (Ovids eleg. Erz. 349 Anm. 76) ausgeführt hat, der auch zu Recht moniert, daß in dem kurzen Bericht der Tod des Orion durch das Gift des Skorpions gar nicht zum Ausdruck gebracht ist. Auf Orion im Rahmen des Lemurenfestes näher einzugehen, besteht kein Anlaß, war doch sein Abenduntergang bereits im 4. Buch (4,387f.), zum 9. April, mitgeteilt. Zudem steht die Einleitung der Geschichte 5,493

quorum si mediis1 Boeotum Oriona quaeres, falsus eris: signi causa canenda mihi

in Konkurrenz zu der oben zitierten Einleitung des Berichtes über Mars Ultor (5,545ff.: 12. Mai). Der Vers 542 (çutya eemelliparae spécula ferre deae) ist klar nach dem Abschluß der Niobe-Episode formuliert, wo Ovid in dem Zusammenhang der Herausforderung der zweifachen Mutter Latona durch die zweimal siebenfache Mutter Niobe die kühne Neubildung gemellipara gewagt hat, die außer Montanus kein Dichter aufgreifen mochte: met. 6,313

tunc vero cuncti manifestam numinis iram femina virque timent, cultuque inpensius omnes magna eemelliparae venerantur numina divae.

Am deutlichsten aber zeigt sich die Hand des Montanus in dem grotesken Schluß der Götterszene, die ins Geschmacklos-Zotenhafte abgleitet, wenn der etymologisch interessierte Epigone die Namensableitung urinare -> Vriona -* Oriona nach dem Vorbild von 5,479ff. szenisch umsetzt und die drei Götter dem Hyrieus behilflich sein läßt, ohne Frau einen Sohn zu zeugen: 5,531

536

adnuerant omnes, omnes ad terga iuvenci constiterant - pudor est ulteriora loqui. tum superiniecta texere madentia terra, iamque decern menses, et puer ortus erat, hunc Hyrieus, quia sic genitus, vocat Vriona: perdidit antiquum littera prima sonum.

Lehrdichter vermuten. Hinter meriti proemia ... habe steckt vielleicht Hör. epist. 2,2,38 grandia Iqtunis meriforum proemia: vgl. met. 8,503 nunc merito moriere tuo. cape proemia facti. Die Junktur proemia ... habet konnte Montanus in den Fasti mehrfach lesen, so 2,422; 3,744; 4,590 (commissi proemia raptor habet): 5,410. In 5,114 hat er sie selbst wiederholt (5,113f. sind zu tilgen; vgl. 121; beabsichtigt war eine Explikation der Verse 5, l l l f . ) , ebenso in Epiced. Drusi 216 und epist. 7,114. Sc .festis, denn es geht voraus (491f.): sed tarnen haec tria sunt sub eodem tempore festa \ inter se nulla continuata die. Das zuvor stehende Distichon 5,489f. ist m.E. unecht; darauf deutet der prosaische Anschluß durch hac quoque de causa (489) und das ebenfalls prosaische proverbia hin (proverbium ist in der Dichtung erst wieder bei Avitus - ein einziges Mal! - belegt).

Das Entfachen des Feuers und der Kohl auf dem Herd

513

Wir wissen aus vielen verwandten Stellen, daß Montanus auch einen Hang zum Derb-Komischen, zur Drastik in sexualibus, zum Voyeurismus haben konnte. Hier wirkt der Schluß der Götternovelle um so beklemmender, als die ganze Episode als Gegenstück zu Ovids zart empfundener Philemon-BaucisErzählung gedichtet ist. Vor dieser Folie nehmen sich die Kunstfehler des Montanus besonders kraß aus. Heinze (wie S. 512) hat sie der Reihe nach analysiert: daß Hyrieus (der Sohn des Poseidon und der Atlastochter) ein armer alter Bauer gewesen sein soll, der den Göttern seinen einzigen Pflugochsen schlachtet; daß die Götter dieses Opfer annehmen - und sich nicht (wie in Ovids Philemon-Baucis-Szene) mit dem guten Willen zufriedengeben; daß sie sich gleichsam durch einen 'Versprecher' Neptuns als Götter zu erkennen geben (513f. 'da, nunc bibat ordine' dixit \ 'Iuppiter!' - audito palluit ille lové) und nicht - wie bei Ovid - durch das Wunder des nicht versiegenden Weinkruges. Die Anleihen bei Ovids Philemon-Baucis-Episode sind vielfältig: Das Götterpaar Jupiter und Merkur (met. 8,626f.) wird zu einer Göttertrias: 5,495

Iuppiter et lato qui régnât in aequorefrater carpebant sodas Merçuriusque vias.

Doch während Ovid von Anfang an klarstellt, daß die Götter sich in Menschengestalt unterwegs befanden ( I u p p i t e r hue specie mortali cumque parente | veniî Atlantiades positis çaduçijer alis). zögert Montanus diese Information merkwürdig lange hinaus, ja läßt zunächst den Hyrieus, der vor seiner Hütte steht, die Götter (?) s e h e n (500 hos videt), sie ansprechen und in seine Behausung gastlich einladen. Erst in 504 heißt es dann: parent promissis dissimulantque deos - als ob sie sich erst jetzt unkenntlich machten! Wir hätten wenigstens ein (parenthetisches) dissimulaverant erwarten dürfen, damit wenigstens nachträglich die Chronologie der Erzählung stimmig gemacht würde. Die weiteren Entsprechungen sind leicht kenntlich: 499 senex Hyrieus - 8,631 pia Baucis anus parilique aetate Philemon·, 639 senex: 499 angusti cultor agelli, 500 exiguam ... ante casam. 515 cultorempauperis agri - 8,630 parva (sc. domus), 632ff. illa \ consenuere casa paupertatemque fatendo \ effecere levem; 637f. parvos ... penates; humiles ... postes. 503 addidit et vultum verbis iterumque rogavit - 8,677f. super omnia vultus | accessere boni nec iners pauperque voluntas (bei Ovid steht dieses Motiv in einem bedeutungsvolleren Zusammenhang; Montanus hat es stark verkürzt: alles steckt in dem p r ä g n a n t (oder elliptisch) eingesetzten vultuml). 505 teçta senis subeunt nigro deformia fumo - 8,637ff. ergo ubi caelicolae parvos tetigere penates \ submissoque humiles intrarunt vertice postes, \ membra senex posito iussit relevare sedili; zu 505b vgl. 8,630 parva quidem (sc. domus) stipulis et canna tecta palustri: Ovid ist sehr viel ausdrucksvoller, varia-

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

514

tionsreicher! Daß sich die Götter niederlassen (oder eingeladen werden, es sich bequem zu machen), hat Montanus übersprungen.

met. 8,641ff. [fast.] 5,506 508 met. 8,641

b) Das Entfachen des Feuers Moret. 7ff.; [fast.] 5,506ff.; 2,645ff.; [Aen.] l,174ff. ienis in hesterno stipite parvus erat. ipse genu nixus fíammas exsuscitat aura et promit quassas comminuitaue faces.

inque foco tepidum cinerem dimovit et jenes suscitât hesternos foliisaue et cortice sicco nutrii et ad flammas anima producit anili multißdasque faces ramaliaque arida tecto detulit et minuit parvoque admovit aeno.

Ovid (der sich in 641f. an Aen. 5,743; 8,543; l,175f. orientiert) ist viel reicher; das anschauliche multißdasque wird durch unpräzises quassas ersetzt (s.u.), die Verba suscitât und minuit erhalten je ein verstärkendes Präfix, wobei in flammas exsuscitat vielleicht auch Manil. 5,227 (Bacchus ... in Hammam saevas exsuscitat iras) anklingt. Daß sich Montanus hier knapper faßt, ist auch dadurch bedingt, daß er die gleiche Feuerszene der Baucis in seinem Zusatz zu der Opferfeier an den Terminalia ausschöpft (v. ad loc.): 2,645

649

ara fit, hue isnem curto fert rustica testu sumptum de tepidis ipsa colona focis. ligna senex minuit çonçisaque construit arte et solida ramos figere pugnat humo. tum sicco primas inritat cortice flammas (...)

Die hier fett hervorgehobenen, aus der Baucis-Episode geholten Wörter hat er in der Feuerszene des 5. Buches ausgespart bzw. durch andere ersetzt; ebenso hat er in der Terminalienszene Begriffsvariationen vorgenommen (z.B. inritat ... flammas statt suscitât ignes), um sich nicht in der Hyrieus-Episode allzu deutlich wiederholen zu müssen. Daß Montanus die beiden Feuerszenen der Fasti nicht nur je für sich nach Ovids Vorbild geformt, sondern auch zueinander in Beziehung gesetzt hat, wird durch den unterschiedlichen Einsatz des nur von Montanus in den Vers aufgenommenen umgangssprachlichen Begriffs testu(m) in 2,645 (s. S. 514) und hier in 5,510 (als 'Topfdeckel') deutlich1. Eine weitere Herdszene (mit Reminiszenzen an Ovids Philemon-Baucis-

Ovid gebraucht in der Philemon-Baucis-Idylle den verwandten Begriff t e s t a (662: die untergelegte Scherbe, die für das kürzere dritte Tischbein einen Ausgleich schafft).

515

Das Entfachen des Feuers und der Kohl auf dem Herd

Novelle und mit Querbeziehungen zu den beiden Fastiszenen) hat er im Moretum gedichtet, das m . E . deutlich seine Handschrift trägt, vgl. Si mu lu s exigui cultor cum rusticus agri1 (...) vestigat(que) focum2, laesus quem denique sensit, parvulus exusto remanebat stìpite fomes3 et cinis obduçtae œlabat_ lumina pntnae*; 10 admovet his pronams summissa fronte6 lucemam et producit acu stuppas umore carentis7. excitât et crebris lans>uentem flatibus ignem8. tandem concepto, sed vix, fulgore recedit 14 oppositaque manu lumen defendit ab aura. 36 hanc (se. Scybalen) vocat atque arsura foci£ imponere imperai (...)

Mor. 3 7

lima10

Die in den A n m e r k u n g e n gegebenen Parallelen deuten darauf hin, daß das M o r e t u m v o r der Eindichtung in das 5. Buch der Fasti entstanden ist; denn einerseits paßt angusti cultor agellìn nicht zu Hyrieus (s. S. 513), andererseits klingen die übrigen Entsprechungen sekundär 1 2 . Die S. 514 und 515 mit A n m . 7 genannten Formulierungen legen nahe, daß Montanus die Verben suscitât aus den Metamorphosen und ex-citat aus d e m M o r e t u m zu ex-sus-citat in [fast.] 5 , 5 0 7 kombiniert hat. Dieses Zeitverhältnis spiegelt sich auch in der Interpolation des Passus [fast.] 4,361-372 mit der Nennung des moretum als Opfergericht 1 3 . Der Feuerszene im M o r e t u m verwandt ist das von Montanus geschilderte Entfachen eines Feuers durch die Trojaner a m Strand von Karthago, an dem

1 2 3 4 5 6 7

8

9 10

11 12

13

Vgl. [fast.] 5,499 forte senex Hyrieus, angusti cultor agetti. Vgl. met. 8,641. Vgl. [fast.] 5,506 ienis in hesterno stìpite parvus erat. Vgl. met. 8,641f. tepidum cinerem dimovit et ignés \ suscitât. Vgl. [fast.] 5,498 promts (agnus). Entsprechend heißt es [fast.] 5,507 genu nixus flammas exsuscitat. Vgl. met. 8,643f. et ad flammas ... producit (also in anderem Wortsinne) ... faces ,rama: liaque arida ... | detulit; [fast.] 5,508 et promit... faces·, [fast.] 2,649 sicco ... cortice. Vgl. met. 8,641ff. et ignés \ suscitât... \ ... et ad flammas anima producit anili; [fast.] 5,507 flammas exsuscitat aura: [fast.] 2,649 sicco primas imitai cortice flammas. Vgl. Vers 7 (o. S. 515 mit Anm. 2) und [fast.] 2,646 (s.o.). Siehe [fast.] 2,647 ligna senex minuit; doch ist das eigentliche Vorbild für den Vers die Celeus-Episode Ovids, der - bevor er die Göttin Ceres in das Haus des Alten eintreten läßt - schildert, wie dieser schwer bepackt vom Feld kommt: Er hat Eicheln und Brombeeren gesammelt und trägt arsuris arida ligna focis (fast. 4,510). Zugrunde liegt Hör. ars 117 mercatorne vagus cuitóme virentis aeelli. In [fast.] 5,515 (cultorem pauperis aeri) ist offenbar die zu Simulus gesetzte Apposition (exigui cultor ... aeri) zur Periphrase des Zugochsen umfunktioniert worden. Siehe S. 291 Anm. 1.

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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sie angeblich das vom Meerwasser verdorbene Getreide trocknen und rösten wollen (die Verse [Aen.] 1,174-179 sind unecht, v. ad loc.)· Doch hat Montarais diesmal die Variation eingeführt, daß das Feuer nicht aus einem unter der Asche glimmenden Kohlenrest gewonnen, sondern aus Steinen geschlagen wird (v. ad loc.). Der übrige Vorgang aber ist wiederum nach der Baucis-Szene und nach der Rede des Pythagoras in met. XV geformt, die beide komplementär genutzt sind1: [Aen.] 1,174 176

ac primum silici scintillarli excud.it Achates suscepifaue ienem foliis3 atque arìda4 circum nutrimento dedit5 ramifique in fomite7 flammam.

Auch der Übergang zur Bereitung des Mehls aus dem (hier angeblich durchnäßten) Getreide ([Aen.] 1,177ff.) hat seine Entsprechung im Moretum (16ff.). Die Cerealia arma von [Aen.] 1,177 (ein singulärer Ausdruck!) werden in Moret. 19ff. einzeln genannt und dann die Arbeit am Mörser geschildert: Montanus hat also seine in der Kleindichtung gerne geübte Genremalerei wiederum in das Epos übertragen.

1

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3 4

5

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Aus dem Abschnitt über das Aetnafeuer in der Pythagorasrede hat Montanus bei der zweiten Landungsszene der Trojaner in [Aen.] 6,6 die Klausel semina flammae geholt, vgl. met. 15,347. Die Verse met. 15,348ff. dagegen hat er bei der Schilderung der ersten Landungsszene in [Aen.] l,174ff. zugrunde gelegt, wie anschließend gezeigt wird; siehe ferner zu [georg.] l,134f. u. S. 68. 594 und Cramer Anm. 135. Eine Kontamination aus jenes | suscitât (met. 8,641f.); concioit ... ienem (met. 15,348) und fast. 4,795ff. (stipulis excepta secunda est, sc. scintilla); vgl. Moret. 13 tandem concepto ... fulgore. Siehe met. 8,642 und stipulis in fast. 4,797 (s. vorige Anm.). Sinngemäß ist met. 8,642f. et cortice sicco \ nutrit imitiert, doch wurde siccus durch das Synonym arida von 8,644 ersetzt. Eine Kontamination aus nutrit (met. 8,643) und met. 15,352ff. ubi terra cibos alimentaque pineuia flammae \ non dabit... | naluraeque suum nutrimen deerit edaci; vgl. met. 7,79ff. (utque solet ventis alimenta adsumere, quaeque | parva sub inducía latuit scintilla favilla, I crescere). Das Substantiv nutrimentum hat in der einschlägigen Dichtung keine Parallele, begegnet aber im Zusammenhang mit Feuer bei dem Zeitgenossen des Montanus, Valerius Maximus (2,4,5 und 3,2 ext. 7). Ebenfalls in Erinnerung an die Pythagorasrede, vgl. met. 15,350 sive bitumineae rapiunt incendia vires, kontaminiert mit met. 3,373f. non aliter, quam cum summis circumlita taedis \ admotas rapiunt vivacia sulphura flammas. Siehe Moret. 8.

Das Entfachen des Feuers und der Kohl auf dem Herd

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c) Der Kohl auf dem Herd met. 8,646ff. -* Moret. 55ff. 71f. 85ff.; [fast.] 5,509ff. Sobald Baucis das Feuer unter einem kleinen Erzkessel entzündet hat, entblättert sie den Kohl, den ihr lieber Mann aus dem Garten geholt hatte, hebt mit einer zweizinkigen Gabel den geräucherten Schweinsrücken vom Balken, wo er lange unberührt gehangen hat, schneidet ein kleines Stück von ihm ab und und kocht es (samt Kohl) in dem siedenden Wasser: met. 8,646

quodque suus coniunx riguo collegerat horto, truncat holus foliis: furca levât illa bicorni sordida terpa suis nigro pendentia tigno servatoque diu resecai de tergere partem exiguam sectamque domat ferventibus undis.

Im kärglichen Haushalt des Bauern Simulus fehlt selbst ein einzelner Schinken für die Festtage: Brot und eine aus Gartenkräutern und Weißkäse bereitete Zuspeise stillen seinen Hunger. Auch bei ihm wird auf dem Herd Wasser erhitzt (wofür die Sklavin Scybale zuständig ist): Moret. 37 imperai (et) fiamma gélidos adolere. liquores, später der Brotteig in den Ofen geschoben, mit einer Ziegelscherbe bedeckt (50 testisque1 tegit) und darauf die heiße Feuerkohle gelegt. Während das Brot bäckt, bereitet er die Zukost: 55

non illi suspensa focum carnario iuxta durati sale terza suis truncique rigebant2, traiectus medium sparto sed caseus orbem et vetus adstricti fascis pendebat anethi.

Es werden die ganzen Schätze des fruchtbaren Gartens ausgebreitet, u.a.: 71

hic holus, hic late fundentes bracchia betae fecundusque rumex malvaeque inulaeque yirebant3.

Diesen Hausgarten also betritt er auch an jenem Morgen und versorgt sich mit den nötigen Kräutern:

1 2

3

Siehe o. S. 514 zu testu(m)/testa. So lese ich mit späteren Handschriften: Es s t a r r e n keine aufgehängten Fleischhaken, kein gehärteter Schweinsrücken und keine Fleischenden. Vgl. [fast.] 4,697 aut virides malvas aut fungos collieit afoos (ν. ad loc.). Die Hand des Montanus zeigt sich an beiden Stellen durch die Kombination der Farben grün und weiß, vgl. Moret. 102ff. color est epluribus unus, \ nec totus viridis (vgl. [am.] 1,7,40 candida tota = German. Arat. 41), quia lactea frusta repugnant, \ nec de (acte nitens, quia tot variatur ab her bis .Zu diesem Schluß vgl. 62 va ri is sedfertilis herbis, vor allem aber [Aen.] 8,95f. variisque teguntur \ arboribus, viridisque secant placido aequore silvas (ν. ad loc.).

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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85 tum quoque tale aliquid meditans intraverat hortum; ac primum leviter digitis tellure refessa1 quattuor educit cum spissis alia flbris, inde comas apii graciles rutamque rigentem vellit et exiguo coriandra trementia filo. 90 haec ubi collesit. laetum consedit ad ignem et clara famulam poscit mortaria voce, singula tum capitum nodoso corpore nudat et summis spoliât coriis contemptaque passim spargit humi atque abicit.

Man sieht, daß Montanus die knappe Szene Ovids stark ausgeweitet hat: Aus den eineinhalb Versen der Metamorphosen (8,646f.) werden bei ihm - die voraufgehende Schilderung des Gartens nicht mitgerechnet - neuneinhalb. Bei Ovid hatte Philemon schon vor Ankunft der Götter den Kohl aus dem Garten in die Küche gebracht (646 riguo collegerat hortö), bei Montanus wird jede Aktion der Reihe nach im Präsens erzählt. Dem Abschneiden der Kohlblätter in met. 8,647 entspricht bei ihm das Schälen des Knoblauchs; das bei Ovid folgende Herabholen des Schinkens vom Rauchfang fehlt bei ihm, wie sich aus der Moret. 55ff. vorweggenommenen Umkehrung der Situation von met. 8,647ff. ergibt: Statt getrocknetem Pökelfleisch hängt bei ihm ein runder Käse im Kamin. Der Rauch, den Simulus seiner tränenden Augen wegen in 108 verflucht (,immeritoque furens dicit convicia fumo), füllt auch die Hütte des Hyrieus, der Bohnen und Kohl in brodelnden Kesseln kocht: [fast.] 5,505 509

teçta senis subeunt nisro deformia fumo (...); stant calices; minor inde fabas, holus alter habebat. et spumat te s tu3 pressus uterque suo.

Hier variiert Montanus ein weiteres Mal, indem die Vorbereitungen des Gemüsekochens schon vor Beginn der eigentlichen Handlung abgeschlossen sind: Das Kochen ist beim Eintreten der Götter bereits im Gange.

1

2 3

Wir hören den Montanus, der in [georg.] 3,534f. die Not nach der norischen Viehseuche

wie folgt veranschaulicht hat: ergo aegre rastris terram rimantur, et ipsis | unguibus infodiuntjruges, etc. (v. ad loc.). Der Vers erinnert deutlich an met. 8,648 sordida terga suis nitro pendentia tigno. Hierzu s. S. 514.

Das Entfachen des Feuers und der Kohl auf dem Herd

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d) Die Erkennungsszene beim Mahl met. 8,651-691; [fast.] 5,511ff.; vgl. Moret. 51ff. Während der Kohl und das Pökelfleisch auf dem Feuer kochen, werden Liegepolster und Tisch bereitet 1 , Vorspeise und Wein gereicht, bis dann das fertige Hauptmahl vom Herd kommt - mit dem gleichen, noch jungen, Wein (denn es gibt nur diesen einen in der ärmlichen Hütte) 2 , der nur kurz Platz macht für d e n N a c h t i s c h (673 dantque

locum

mensis

paulum

seducía

secundis),

d.h. danach wieder gereicht werden soll - doch da bemerken die Alten das Weinwunder (679ff.), den Mischkrug, aus dem schon so oft geschöpft wurde und der doch bis zum Rand voll ist, sich immer wieder selbst auffüllt. Sie erkennen, daß sie Götter bei sich zu Gast haben, bitten um Nachsicht, daß sie nichts Besseres zu bieten haben, ja machen Anstalten, ihre einzige Gans zu opfern, die ihr Häuschen bewacht (vgl. 11,599 canibusve sagacior anser), also gar nicht zum Essen gedacht war (684). Doch die Götter haben längst ihre herzliche Großmut gewürdigt 3 , retten die Gans und belohnen die beiden Alten. Diese rührende Geschichte hat Montanus auf Hyrieus übertragen, freilich stark verkürzt. Auch bei ihm wird, während die Bohnen und der Kohl kochen, Wein gereicht. Schon der erste Trunk führt zum Erkennen der göttlichen Gäste: 5,509

1 2

3 4

slant calices; minor inde fabas, holus alter habebat. et spumai testu pressus uterque suo; dumque mora est4 tremula dat vina* rubentia dextra,

Die von den Handschriften MNW ausgelassenen Verse 652-656 sind unecht, s. S. 239ff. Vgl. 672 nec longae rursus referuntur vina senectae (es gibt ja auch nur e i n e n kostbaren, lange aufgesparten Schinken im Rauchfang und e i n e Gans, wie wir in 684 erfahren werden). Sie war schon in 677f. ausdrücklich vom Dichter hervorgehoben worden. In dieser Weise ist Ovids interea medias fallunt sermonibus horas (651) und parva mora est (8,671) abgewandelt. Der gleiche Montanus hatte bereits im Moretum die Struktur der Uberbrückung des Kochens imitiert: Moret. 51 dumque suas peragit Vulcanus Vestaque partes, Simulus interea vacua non cessât in hora. verum aliam sibi quaerit opem, neu sola palato sit non grata Ceres, quas iungat comparai escás. Dort hat sich Montanus in der Satzstruktur dumque ... | ... interea offensichtlich an die nur einmal im Ovid belegte von met. 7,7. 9 angelehnt: 7,7 dumque adeunt regem Phrixeaque vellera poscunt, 9 concipit interea validos Aeetias ignes ([met.] 7,8 ist vermutlich unecht). Nachdem so neben dem ovidischen interea auch das einleitende dumque gefunden war, übernahm er es auch in die Koch- und Mahlszene des Hyrieus in den Fasti (5,511).

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

520

514

accipit aequoreus pocula prima deus, quae simul exhausit1 'da, nunc bibat ordine' dixit 'Iuppiter! ' audito palluit ille2 love.

Damit läßt Montanus einen neuen Handlungsbogen beginnen, in dem er unpassend dick aufträgt: Hyrieus opfert den Göttern einen Pflugochsen und röstet ihn an einem großen Feuer, holt eine neue Weinsorte hervor, einen alten Tropfen aus einem rauchgeschwärzten Krug, den er einst in früher Kindheit abgefüllt hatte, und sogleich nehmen alle auf linnenüberzogenem Schilfpolster Platz: Der Tisch "glänzt" bald von dem (fetten?) Mahl, bald von dem kredenzten Wein: 5,515

520 522

ut rediit animus, cultorem pauperis agri immolât et magno torret in igne bovem, quaeque puer quondam primis diffuderat annis, promit fumoso condita vina cado, nec mora, flumineam3 lino çelantibus ulvam. sic quoque non altis, incubuere toris. nunc dape, nunc posito mensae nituere Lyaeo, terra rubens crater, pocula faeus eranf.

Hier hat er klar den früheren Zusammenhang der Philemon-Baucis-Szene verarbeitet 5 : met. 8,655 a 656a 657

(...) concutiuntque forum de molli fluminis ulva inpositum ledo sponda pedibusque salignis. vestibus hune vêlant, quas non nisi tempore festo sternere consuerant, sed et haec vilisque vetusque vestís erat, ledo non indignando saligno. 6 660 adcubuere dei. mensam succincta tremensque 661 ponit anus (...) 668 (...) omnia fíctilibus: post haec caelatus eodem sistitur argento crater fabricataque faeo pocula. qua cava sunt, flaventibus inlita ceris.

5

1 2 3 4

5 6

Siehe met. 8,672. Das Attribut ist vielleicht durch Ovids redolentia mala (8,675) und die purpureis conlectae vitibus uvae (676) veranlaßt. Vgl. Ovids totiens haustum cratera (met. 8,679). Vgl. met. 8,681 attoniti novitate pavent, etc. Zur Abwandlung des Genitivattributs der Vorlage s. S. 243. Hier dürfen wir wohl den Montanus der norischen Viehseuche hören, vgl. [georg.] 3,529f. pocula sunt fontes liquidi atque exercita cursu \ flumina. Zu den unechten Versen [met.] 8,652-656 siehe S. 239ff. Dies bedeutet wohl 'in eiliger Erregung'; Montanus hat daraus in [fast.] 5,511 das (für Hyrieus wenig passende) tremula dot vina ... dextra gemacht.

Das Entfachen des Feuers und der Kohl auf dem Herd

521

Doch ist das Ethos der Philemon-Baucis-Novelle in der Abwandlung des Montanus gründlich verdorben. Es wird ja der Eindruck erweckt, der Alte habe die Gäste in sein Haus genötigt (5,500-503, vgl. bes. 503 addidit et vultum verbis iterumque rogavit), ihnen aber zunächst nur billige Bohnen und Kohl und minderen Wein vorgesetzt - bis sie sich als Götter geoffenbart hatten. Da zeigt sich, daß er durchaus spendabler hätte sein können: Er schlachtet einen Ochsen und holt seinen besten Wein. Es mag sein, daß Montanus mit der Formulierung cultorem pauperis agri \ immolât ([fast.] 5,515f.) an den pathetischen Ausruf Ovids erinnern will: quid tuti superest, animam cum ponat in aris \ lanigerumque pecus ruricolaeque boves? (fast. l,383f.y; doch klingt die Fortsetzung et magno torret in igne bovem - zumal im Verein mit dem anschließenden Hervorholen eines besonders erlesenen Tropfens - beinahe wie ein 'Aus-dem-Vollen-Schöpfen'. Jedenfalls war es ein schlechter Gedanke, das Pendant zum uni cus anser erat, minimae custodia villae (met. 8,684) 2 wegzulassen, wenn denn der einzige Pflugochse gemeint sein sollte, und ein noch schlechterer, aus dem quem dis hospitibus domini ma et are parabant (und dem folgenden superi vetuere necarîf ein cultorem pauperis agri | immolât et magno torret in igne bovem ([fast.] 5,515f.) zu machen. Wieder (wie in [met.] 8,655f., s. S. 242 Anm. 1) zeigen sich die verhängnisvollen Folgen der Kontamination: Montanus führt den Leser zunächst auf die Spur der ovidischen Philemon-Baucis-Erzählung, muß sie dann aber ziemlich gewaltsam verlassen, weil er ja für das vorgegebene Orion-Aition (der 'Urin-Geburt' des Sohnes des Hyrieus, der seinerseits Sohn des Poseidon ist) das Fell eines Ochsen benötigte. So läßt er denn die Götter behaglich von dem gebratenen Zugochsen schmausen und trinken (wenngleich auf Polstern aus Seegras) - beinahe, wie es sich im Hause eines Poseidon-Sohnes beim Besuch der Götter (Poseidon trinkt deshalb auch als erster) schickt. Charakteristisch für den Stil des Montanus ist die epanaleptische Rahmung des Distichons 523f.: verba fuere Iovis: 'si quid fert impetus, opta! omne feres. ' placidi verba fuere senis.

Die zweite Pentameterhälfte hat er aus der verwandten Celeusepisode übernommen, s. fast. 4,524 haec iusti verba fuere senis. Wenn man bedenkt, daß dem Distichon e rant vorausgeht und cara fu i t coniunx folgt, wird man das doppelte verba fuere nicht eben als glücklich bezeichnen können. Die

1

Wir haben allerdings gesehen, daß der Ausdruck aus Moret. 3 wiederholt ist (s. S. 515). Die gedanklich verwandten Verse fast. [?] 4,413-416 sind vielleicht ebenfalls unecht.

2

Der Vers steht deutlich hinter Moret. 31 (...) interdum clamai Scybalen, erat unica custos.

3

Siehe met. 8,685. 688.

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

522

Junktur fert impetus (523) scheint dem Montanus eigen, der sie noch zweimal in der 'Aeneis' eingesetzt hat, dort jedoch auf den Schwung eines rasch voranfliegenden Gefährtes, eines Schiffes in [Aen.] 5,219 und eines Kampfwagens in [Aen.] 12,369 gemünzt1. Er scheint eine künstliche Entsprechung zwischen fert und feres zu intendieren. Omne feres dürfte aus met. 11,287 (quod petis, omne feres) übernommen sein. Auch den Montanus, der für seine Sonnenaufgangs- und Abendschilderungen berüchtigt war, greifen wir in der Hyrieus-Episode: Obwohl die Episode in 493 vom Sternbild Orion ihren Ausgang nimmt, wird gleich zu Beginn des erzählten Aitions eine Abendstimmung mit pastoraler Färbung gemalt: 5,497

tempus erat, quo2 versa iueo referuntur aratra3 4 5 6 et pronus saturae lac bibit agnus ovis: forte senex Hyrieus ... (hos videt).

Die in den Anmerkungen bezeichneten Quellen machen deutlich, daß Montanus aus der Kombination verschiedener Vorbildstellen seine neue Variation des immer gleichen Themas gewinnt, dabei aber seine Vorliebe für die pastorale Färbung kundgibt, die wir auch in frg. 2,1 (iam sua pastores stabulis armenia locarunt) greifen, s. das Register. Weitere Besonderheiten in Sprache, Stil und Imitationstechnik reihe ich lose an: 496 socias ... vias: singulär; dagegen carpere vias z.B. rem. 214; met. 3,12, von Montanus auch [ars] 2,44 verwendet. 502 hospitibus ianua nostra patef . vgl. Tib. 1,4,78 cunctis ianua nostra patet: met. 8,685 quem (sc. anserem) dis hospitibus ... mactare parabant. 503 iterumque rogavif. ebenso nur noch Montanus in [ars] 2,127 iterumque iterumque rogabat1. 505 tecta senis subeunt: ebenso nur noch Montanus in [Aen.] 6,13 iam subeunt Triviae lucos et aurea tecta*; vgl. met.[?] 12,417f. antra simul subeunt; et tum Lapitheia tecta \ intrarant. 507 genu nixus: vgl. met. 8,182 qui médius Nixi-

1

2

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4 5

6

7 8

Die Gleichnisse [Aen.] 5,213-219 und [Aen.] 12,365-370 (vgl. georg. 3,196ff. [Turnus hat ja schon in 12,330ff. sein Gleichnis bekommen]) dürften von Montanus hinzugedichtet sein, v. ad Iocc. In [fast.] 5,541 steht fuit impetus illi. Die gleiche Formel in met. 6,587; 10,446; von Montanus interpoliert in [Aen.] 2,268 (v. ad loc.). Vgl. ecl. 2,66 aratra iuzo referunt suspensa imenei und georg. 1,98 in obliquum verso perrumpit aratro (sc. terga telluris) - den einzigen weiteren Beleg für diese Junktur! Nach fast. 4,735 {pastor, oves saturas ad prima crepuscula lustra) geformt. Siehe met. 9,615 nec lac bibit ille leaenae (als Metapher!). Von Montanus stammt das ganze Gedicht [am.] III 10, also auch der Pentameter 3,10,22 exiguus tenero lac bibit ore puer. Vgl. met. 7,310 (maximus aevo) dux gregis inter oves, annus medicamine flet; 7,320f. ... exsilit agnus | ... lactantiaque ubera quaerit. Die Verse [ars] 2,119-142 dürften dem Montanus gehören, v. ad loc. Siehe S. 65. 71.

Das Entfachen des Feuers und der Kohl auf dem Herd

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que genu est Anguemque tenentis\ danach German. Arat. 67f. dextro namque genu nixus diversaque tendens \ bracchia; 467 nixa genu facies·. 627 nixa genu species (ebenso Manil. 5,645). 508promit quassas ... faces: eine eigentümliche Ausdrucksweise des Montanus für "gespaltenes Brennholz", die er ein weiteres Mal in [met.] 3,508 (iamque rogum quassasque faces feretrumque parabant) verwendet 1 . 509 stant calices: minor inde: partitiv verwendetes inde mit Angabe des Teils wird von Vergil, Horaz und Ovid gemieden, ist umgangssprachlich, vgl. Ter. Ad. 47 nati filii duo: inde ego hunc majorem adoptavi mihi. Montanus verwendet inde so auch noch in epist. 2,54 und [Pont.] 2,2,21f. quaeque tua est pietas in totum nomen Mi, \ te laedi, cum quis laeditur inde, putas2. 514f. audito palluit ille love. \ ut rediit animus: ganz ähnlich Montanus in [ars] 3,703f./707f. palluit ut serae ... | pallescunt frondes ... / ut rediit animus. ... vestes \ rumpit\ offenbar nach fast. 3,331ff. corda micant regis ... | ... | ut rediit animus. Montanus hat die Formel auch epist. 13,29 genutzt. 516 magno torretin igne bovem: vgl. Montanus in [fast.] 2,578 obsutum maenae torret in igne caput; vgl. georg. 1,267 nunc tórrete igni fruges. 518 promit fumoso condita vina cado: vgl. Tib. 2,1,27 nunc mihi fumosos veteris proferte Falernos \ consults et Chio solvite vincla cado: fast. 5,269 yina ... in magnis operose condita cellis. 521 posito ... Lyaeo: vgl. am. 2,11,49 adposito ... Lyaeo. 525 cara fuit coniunx: vgl. met. 9,382 care vale coniunx. 526 nunc, ubi sit, auaeritis? Vgl. met. 6,656 atque, ubi sit, auaerit: von Montanus ähnlich wiederholt in epist. 4,119 si quaeras. ubi sit (ebenso 7,83); 12,199 dos ubi sit, auaeris? 531 adnuerant omnes: vgl. Montanus in [fast.] 2,597 adnuerant ... omnes. 532 pudor est ulteriora loaui: vgl. rem. 359 multa quidem ex Ulis pudor est mihi dicere (s. zu [fast.] 1,392) und ars 3,769 ulteriora pudet doeuisse. von Montanus auch epist. 15,133 (ulteriora pudet narrare) imitiert. 533 superiniecta texere madentia terra: vgl. fast. 6,570 superiniectis quis latet iste togis? 534 iamque decern menses, et puer ortus erat: eine umgangssprachliche Ellipse! Vgl. dagegen Aen. 3,356f. iamque dies alterque dies processit, et aurae \ vela vocant\ ebenso Aen. 5,762. Zum Versschluß siehe trist. 4,10,9f. genito sum fratre creatus, \ qui

1

2

Die Narcissus-Episode endet mit dictoque 'vale' 'vale' inquit et Echo in met. 3,501. Die Verse [met.] 3,316f. 400f. 432-436. 454-473. 502-510 gehören dem Montanus. Narcissus 'zerfließt' vor ungestilltem Liebesfeuer (wie Echo in 398f.), so daß es in 493 folgerichtig heißt: nec corpus remanet. quondam quod amaverat Echo. Also kann er in 502f. auch nicht sein müdes Haupt ins grüne Gras legen, etc. Schon gar nicht passen die in 508ff. geschilderten Vorbereitungen für ein Leichenbegängnis, das vereitelt wird, weil kein Körper zu finden gewesen sei (509 nec nusquam corpus erat wiederholt - zu spät - das in 493 angeschlagene Motiv). Die Blume soll in 509f. einfach vorhanden sein, ohne daß ihr Entstehen aus einer Metamorphose geschildert würde, wie dies bei Ovid üblich ist, vgl. met. 10,210ff. 728-739. Vermutlich ist der ganze Abschnitt 2,2,9-38 unecht, v. ad loc.

524

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

tribus ante quater mensibus ortus erat (und das formelhafte Lucifer ortus erat). 536 perdidit antiquum littera prima sonum: den Rest muß sich der Leser selbst ergänzen - nach 5,481f. (Remuria -* Lemuria aspera mutata est in lenem tempore longo I littera. quae toto nomine prima fuit). 537 creverat inmensum·. Ovid sagt vom Atlas(gebirge): tum partes altus in omnes \ crevit in inmensum (met. 4,660f.). 538 ille deae custos. ille satelles erat: die Kombination nur noch Hör. epist. 1,1,17 virtutis verae custos rigidusque satelles. 539 verba ... non circunspecta: nach met. 5,171f. non circumspectis exactum viribus ensem I fregit. Zu movent iras ... deorum siehe trist. 2,21f. Musaque, quam movit. motam quoque leniat iram \ exorant magnos carmina saepe deos. Auffällig an dem ganzen Passus sind die kleinteiligen Satzglieder, die nur selten eine wirklich fließende Periode Zustandekommen lassen. Die Ursache liegt in dem beständigen Arbeiten mit vorgeprägten Formeln. Darunter findet sich eine große Zahl aus der Philemon-Baucis-Novelle und überhaupt aus den später als die Fasti geschriebenen Metamorphosen, einige auch wieder aus den Exilbriefen: Montanus schreibt nach Ovids Verbannung.

5. Hirsch- und Pferdeschmuck des Montanus in den Metamorphosen und in der Aeneis Die allenthalben sichtbar werdende Vorliebe des von uns erschlossenen Montanus für das Idyllische und Genrehafte spiegelt sich auch in geradezu verspielt wirkendem Schmuck (er erglänzt fast immer golden), mit dem er Mensch und Tier liebevoll ausstattet. Eine besondere Spezialität sind goldene Halsketten, die er sowohl dem Hirsch des Cyparissus als auch den Pferden, die Latinus den troischen Gesandten schenkt, andichtet. In dieser einzigartigen Erfindung zeigt sich klar die gleiche Hand in der Zudichtung, die in den Metamorphosenpassus eingefügt ist, wie in den entsprechenden Zusätzen zur Aeneis am Werk. Ursprungsstelle ist der Schmuck des Pygmalion aus dem 10. Metamorphosenbuch, der zunächst in mehreren Elementen auf den hundertfünfzig Verse früher geschilderten Hirsch des Cyparissus übertragen wurde, danach - in dem besonderen Detail der an der Brust herabhängenden Perlenkette - auf die Pferde des Latinus. Ich beginne mit der Erzählung vom zahmen Hirsch des Cyparissus: met. 10,109

112

namque sacer nymphis Carthaea tenentibus arva ingens cervus erat lateque patentibus altas ipse suo capiti praebebat cornibus umbras. II Γcornua fuleebant auro1, demissaaue in armos1

Vgl. 6,566f. velamina ... \ ... auro fuleentia lato und den Versauftakt cornua fulserunt in 9,784.

Hirsch- und Pferdeschmuck des Montarais

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pendebant tereti gemmata monilia cotto: bulla super frontem parvis argentea loris viñeta movebatur pariliaue aetatenitebant auribus e geminis circum cava tempora2 bacae. 1 116 isque metu vacuus naturalique pavore deposito celebrare domos mulcendaque colla quamlibet ignotis manibus praebere solebat; 120 sed tamen ante alios, Ceae pulcherrime gentis, gratus erat, Cyparisse, tibi, tu pabulo cervum ad nova, tu liquidi ducebas fontis ad undam, tu modo texebas varios per cornua flores, nunc eques in tergo residens hue laetus et illue 125 mollia purpuréis frenabas ora capistris. Der Hirsch wird zunächst in seiner natürlichen Erscheinung beschrieben (1 lOf. : er war von gewaltigen Ausmaßen und trug ein hohes, weit ausladendes Geweih). Folge seiner außerordentlichen Größe mag es sein, daß er die seinen Artgenossen eigene Furcht abgelegt hatte, die Behausungen der Menschen aufsuchte und sich von jedermann - und seien es wildfremde Menschen - am Hals streicheln ließ. Auf diese allgemeine Charakterisierung folgt nun in 120ff. sein spezielles Verhältnis zu Cyparissus. Dieser führte ihn zu neuen Weideplätzen und zu frischem Wasser; ja - und darin wird eine Steigerung der besonderen Vertrautheit gesehen -, er flocht ihm bunte Blütenkränze ins Geweih und schwang sich sogar als Reiter auf seinen Rücken und lenkte ihn mit Zügeln und einem purpurnen Maulkorb. Dem deutlichen Gang der Beschreibung vom Allgemeinen zum Besonderen wäre die Spitze genommen, die in dem Einflechten der Blüten in das Geweih (123) liegende Steigerung um ihren Sinn gebracht, wenn der Hirsch schon von Beginn an nicht etwa in einfachem Schmuck, den die Natur mit ihren farbigen Blüten verleiht, sondern in künstlichem Schmuck prangend eingeführt würde: mit einem goldenen Geweih, einer Perlenkette um den Hals, einem silbernen Knopf auf der Stirn und schimmernden Ohrringen. Der Interpolator wollte das Wundersame an der Erscheinung des zahmen Hirsches erhöhen und hat den gelegentlichen Blütenschmuck, den ihm Cyparissus ins Geweih flicht, zu einem dauernden Kunstschmuck ausgeweitet, den er von dem Elfenbeinkunstwerk des Pygmalion auf den zahmen Hirsch des Cyparissus überträgt. Inspiriert wurde er dabei durch die Motivverwandtschaft: Der Hirsch läßt sich - entgegen der natürlichen Veranlagung - von Händen streicheln (10,117ff.); Pygmalion berührt, küßt und liebkost die lebenswahre elfenbeinerne Mädchenskulptur 2 1 2

Vgl. met. 12,491 capuloque tenus demisit in armos \ ensem. Vgl. 8,631 pia Baucis anus pariliaue aetate Philemon. Siehe 11,159 et pendent (vgl. 10,113 pendebant) circum cava tempora glandes und ll,157f. aures \ libérât arboribus.

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

(10,254-259). Und wie Cyparissus bald Blütenschmuck besorgt, bald auf dem Rücken des Tieres reitet (10,123ff. modo - nunc), so heißt es von Pygmalion 10,259

265

et modo blanditias adhibet, modo grata puellis muñera fert illi conchas teretesaue lapillos et parvas volucres et flores mille colorum liliaque pictasque pilas et ab arbore lapsas Heliadum lacrimas; ornat quoque vestibus artus: dat digitis gemmas, dat longa monilia collo: aure leves bacae. redimicula PECTORE PENDENT: cuncta decent; nec nuda minus formosa videtur.

Man sieht sogleich den entscheidenden Unterschied: Pygmalion beginnt mit Natur-Geschenken (darunter auch tausendfarbigen Blumen: 260-263a) und kommt über Bernsteine als Spielzeug (siehe Börner ad loc.) zu schönen Kleidern und Kunstschmuck (Gemmen als Fingerringe, lange Halsketten, Ohrringe und Zierketten, die an der Brust herabhängen), während der Hirsch des Cyparissus von Anfang an mit all dem hier genannten künstlichen Schmuck ausgestattet sein und dennoch eine Steigerung darin gesehen werden soll, daß er sich bunte Blüten ins Geweih flechten läßt. Die Sprache verrät den gleichen Interpolator, dem wir in [Aen.] 7,278 begegnen werden: Für die abundante Junktur demissa ... pendebant... monilia in [met.] 10,112f. weist das Ovid-Corpus unter 89 Belegen1 keinen vergleichbaren Ausdruck auf. An den Vergil-Bearbeiter erinnert die nicht kunstgerechte Epanalepse (cornibus - cornuä), mit der die Zudichtung [met.] 10,112ff. angestückt ist (s. S. 443ff.), an den Ovid-Redaktor von [rem.] 39 (,movit Amor gemmatas aureus alas, ν. ad loc.) das ungewöhnliche passivische gemmata monilia, wofür der echte Ovid aktivisches gemmantia (sceptra) setzt (met. 3,264f.)2.

Darunter befinden sich sieben Stellen mit pendere aus den Heroides und zwei aus den Haliéutica. - Demittere begegnet 38mal im Ovidcorpus (dreimal in den Heroides und zweimal in den Haliéutica), niemals in Verbindung mit pendere oder einem Synonym. Vgl. Manil. 4,656 gemmantia litora; dagegen aber gemmatos ... anulos bei Liv. 1,11,8; gemmatae et aureae (coronae) bei Plin. nat. 22,6 und Juv. 10,26f. ipocula ... \ gemmata). - Die Satzfügung der Verse 10,114f. klingt uneben. Eine Verbesserung ließe sich durch parilique colore (statt aetate) nitebant | ... bacae erreichen (die Ohrringe wären also ebenfalls aus Silber); aber bulla super frontemparvis ... loris (sonst nur für "Zügel" verwendet) viñeta movebatur bleibt hart, vgl. etwa fast. 6,321 turrigera frontem Cybele redimita corona und - wenn echt - 3,269f.; dagegen scheinen die entsprechenden Belege in [fast.] 4,661 (641-672 del. Zw.) und [ars] 1,223 (165-228 del. Zw.) wiederum auf das Konto des Montanus zu gehen.

Hirsch- und Pferdeschmuck des Montanus

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Das aus dem Pygmalion-Passus nach vorne gezogene Wortmaterial ist durch doppelte Unterstreichung in 10,260. 264. 265 kenntlich gemacht 1 , die Klausel pectore pendent zusätzlich durch Kapitälchen hervorgehoben; denn sie hat Montanus bei seinem zweiten Rückgriff auf diese Vorbildstelle für den Pferdeschmuck in [Aen.] 7,278 genutzt - zugleich aber auch seine eigene Formulierung aus der früheren Cyparissus-Zudichtung wiederverwendet (sie ist durch Fettdruck hervorgehoben). Wir erkennen also auch hier auf kleinem Raum die Technik der komplementären Imitation, die für Montanus kennzeichnend ist. Sie läßt sich vereinfacht an den beiden Klauseln der Verse met. 10,264f. demonstrieren: Die Klausel von 264 hat Montanus wörtlich als Klausel nach [met.] 10,113 übernommen, die Klausel von 265 aber - in gelockerter Wortfolge und mit verändertem Numerus - in die spätere Imitation [Aen.] 7,278: Aen. 7 , 2 7 6 278 279

omnibus extemplo Teucris iubet ordine duci instratos ostro alípedespictisque tqpetis, Íaurea PECTORIBVS demissa monilia PENDENT. te et i auro fiilvum mandunt sub dentibus aurum1 absenti Aeneae currum geminosque iugalis semine ab aetherío spirantis narìbus ignem (...)2.

Latinus läßt den teukrischen Gesandten der Reihe nach je ein mit bunten Purpurschabracken bedecktes Pferd übergeben und bestimmt als Geschenk für den nicht anwesenden Aeneas einen Wagen mit einem Doppelgespann. Wenn die Pferde mit verzierten Purpurdecken belegt sind ( i n s t r a t i , vgl. 277), können sie nicht zusätzlich te et i auro sein (279). Wir hören hier den gleichen Interpolator, der bei der Schildbeschreibung den Galliern, die yirgatis lucent sagulis, tum lactea colla \ auro innectuntur (8,660f.), zusätzlich goldenes Haar und ein goldenes Gewand zuerkennen wollte ([Aen.] 8,659 aurea caesaries ollis atque aurea vestís, ν. ad loc.) und überhaupt eine Schwäche für glitzerndes Gold an den Tag legt. Bei dem Pferdeschmuck mag er zusätzlich an das Jagdpferd der Dido gedacht haben, die ihrerseits durch zwei zusätzliche, dreimal das Stichwort Gold hervorhebende Verse ausgeschmückt worden ist: 4,133

1

}

reginam thalamo c une tant em ad limina primi Poenorum exspectant, ostroque insisnis et auro s tat sonipes ac frena ferox spumantia mandit. tandem progreditur magna stipante caterva Sidoniam picto chlamydem circumdata limbo.

Zusätzliche Vorbilder sind in den Anmerkungen genannt. Hinzuzunehmen ist die Schilderung des Kentauren Cyllarus in 12,395f. barbae color aureus, aurea \ ex umeris medios coma dependebat in armos (wenn wir nicht auch hier den Montanus hören). Siehe ferner den krit. Kommentar, wo die zusätzliche Athetese der Verse 274f. begründet wird.

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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[cui oharetra ex auro, crines nodantur in aurum. aurea purpuream subnectit fibula vestem.] nec non et Phrygii comités et laetus Mus incedunt. ipse ante aliospulcherrimus omnis inferi se socium Aeneas atque agmina iungit. 143 qualis ... | de ser it ac ... invisit Apollo \ instauratque choros, ... I ...; 147 ipse iugis Cynthi graditur molliquefluentem fronde premit crinem finsens atque implicai auro. tela sonant umerís: haud ilio segnior i bat Aeneas, tantum egregio decus enitet ore.

Durch Sperrdruck habe ich den Grundzug hervorgehoben, der den Passus prägt: den Wechsel vom ungeduldigen Warten (133-135) zu dem endlich (136 tandem) die Spannung auflösenden Hervortreten der Hauptpersonen (Dido, Ascanius, Aeneas), die alle in Bewegung gezeigt werden - ebenso wie der Apoll des Gleichnisses (143ff.), weshalb ein ekphrastisches Verweilen bei der Ausrüstung der Dido (138f.) fehl am Platze ist. Ihr Äußeres wird durch die Verse 136f. zur Genüge bezeichnet. Demgegenüber erfahren wir nichts dergleichen von den Phrygii comités (140), von Ascanius (er ist laetus) und von Aeneas (er wird einfach als ante alios pulcherrimus omnis bezeichnet und dann mit Apoll verglichen, vgl. 149f.). Apolls Haar fließt von der weichen Stirn herab und ist in einem Goldreif gefaßt (147f.); dies hat der Interpolator auf Dido übertragen (138), wohl in Erinnerung an die - vom gleichen Interpolator um den Vers 817 erweiterte (v. ad loc.) - Schilderung Camillas in 7,814ff. (ut regius ostro | velet honos levis umeros, ut fibula crinem \ auro internectat. Lyciam ut gerat ipsa pharetram). Ihr gibt er ferner den goldenen Köcher, der sonst ebenfalls (vgl. Callim. hymn. 2,32ff.) charakteristisch für Apoll ist - aber gar nicht als Jagdinstrument taugt, vgl. Pease zu 4,134 (S. 186, mit Verweis auf Pollux 5,17). Allein die Göttin Opis hat bei Vergil eine aurata ... pharetra (ll,858f.), also einen lediglich "goldgeschmückten" Köcher, keineswegs eine pharetra ex auro\ Die Junktur ex auro begegnet ein einziges Mal in georg. 3,26 in foribus pugnam ex auro solidoque elephant o \ Gangaridum faciam. Das Verb nodare ist prosaisch, wenn man von dem 'Vergil'imitator Statius absieht. Bezeichnenderweise hat es der Vergil- und Ovid-Bearbeiter Montanus noch zwei weitere Male: in dem unechten Vorspann zu Ov. rem. (1-40), dort 17f. (cur aliquis laqueo Collum nodatus amator \ a trabe sublimi tristepependit onus?) und in [Aen.] 6,289d ( n o d a n t u r vincula), s. S. 55. Die Junktur subnectit fibula hat er in seiner Beschreibung des Köchers wiederholt, den er als einen der Siegespreise im Laufwettkampf aussetzen läßt: [Aen.] 5,311ff. alter Amazoniam pharetram olenamaue saeittis | Threiciis, lato quam circum amplectitur auro \ balteus et tereti subnectit fibula gemma. Eingewirkt hat Aen. 1,492 aurea subnectens exsertae çingula mammae·, vgl. 4,217 crinemque ... subnexus1. Seine zusätzliche Ausschmückung der Dido hier erinnert an seinen Zusatz zu der Beschreibung des berittenen Priesters Chloreus, dessen schmuckvolle Rüstung Camilla zum

Montanus hat das Verb subnectere viermal in den 'Vergil' hineingetragen: [georg.] 3,167 (166-169 del. Zw.); [Aen.] 4,139; 5,313; 10,138.

Hirsch- und Pferdeschmuck des Montanus

529

Verhängnis wird. Den goldenen Bogen, den er ihm - obwohl er spicula torquebat Lycio Gortynia cornu ([Aen.] 11,773) - um die Schultern hängt, hat er der Camilla entliehen, vgl.: 11,652

11,774

aureus ex umero sortat arcus et arma Dianae aureus ex umeris erat arcus et aurea vati cassida; tum croceam chlamydemque sinusque crepantis carbaseos fulvo i η nodum collegerat1 auro.

Das Pferd der Dido ist ostroque insignis et auro (4,134), wie die Truppenführer in 12,126 auro volitant ostroque superbi2. Diese Stelle macht den Unterschied zum überlieferten Text in 7,277 ( i n s t r a t o s ostro ... pictisque tapetis) und 279 (te et i auro) deutlich: Beide Aussagen können nicht nebeneinander bestehen 3 . Daß die Pferde des Latinus nicht nur mit goldenen Brustketten und goldenen Schabracken geschmückt sind, sondern auch noch Trensen aus massivem Gold (fulvum ... aurum) im Maul tragen, auf die sie mit den Zähnen beißen, dürfte ohne Beispiel in der Literatur vor Vergil sein. Denn selbst die Pferde des Poseidon im 13. Gesang der Ilias (13,23ff.) haben zwar goldene Mähnen und vielleicht goldenes Geschirr, wenn Heyne recht hat, daß Vergil in Aen. 5,817 (iungit equos auro genitor) das homerische γουσον δ' αυτός êôvve irepì χροί (13,25) wiedergebe, ferner goldene Fußfesseln (13,36) und werden mit einer goldenen Peitsche angetrieben; aber von einer goldenen Trense ist weder bei Homer noch bei Vergil die Rede, der den Pferden des Neptun spumanti a ... frena (5,817f.) gibt, so wie das Pferd der Dido frena ... spumantia mandit (4,135) oder Chloreus in ll,770f. spumantem... agitabat equum, quem pellis aënis | in plumam squamis auro conserta tegebat, das also einen aus Erzschuppen gefertigten Panzer mit Goldschnallen trug. Goldene Zügel hatte Euander - neben einem Köcher mit lykischen Pfeilen und einer golddurchwobenen Chlamys - als Gastgeschenk einst von Anchises erhalten (Aen. 8,166ff.). Die Junktur mandunt sub dentibus (7,279) scheint aus dem Polyphempassus entnommen: vidi atro cum membraßuentia tabo \ manderei et tepidi tremerent sub dentibus artus (3,626f.), während die Kombination fulvum ... aurum (7,279) aus Ovid entlehnt scheint. Denn im Vergilcorpus steht sie nur noch in zwei weiteren interpolierten Zusätzen ([Aen.] 10,134; 11,776), während sie nach Tib. 1,1,1 in Ovids Spätwerk heimisch wird, frühestens met. 11,103

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Vgl. hierzu Aen. l,318ff., bes. 320 η o do que sinus collecta ßuentis. Vgl. Aen. 11,72: die beiden Gewänder, die Aeneas dem toten Pallas zueignet, sind auroque ostroque rigentes. Vgl. auch Ov. met. 8,33 (von Minos) purpureusque albi stratis insignia pictis \ terga premebat equi spumantiaque ora regebat.

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fulvum vertatur in aurum1: 14.395 fulvo cervix praecinsitur auro: trist. 1,5,25 ut fulvum spectatur in ignibus aurum·. 1.7.7 fulvo complexus in auro: Pont. 3.8.3 fulvo quoque dignior auro. Eine (goldene) Perlenkette als Brustgehenk zum Schmuck eines Pferdes (7,278) ist sonst im Vergilcorpus nicht überliefert 2 , ebensowenig begegnet ein weiteres Mal die abundante Formulierung demissa ... pendent3. Beide Singularitäten finden nur bei der Annahme der oben ausgeführten doppelten Imitation des Pygmalion-Passus durch den gleichen Montanus eine plausible Erklärung.

6. Die Hirsche der Silvia, des Cyparissus und der verwandelte Actaion Iulius Montanus, den wir hinter dem identischen Vergil- und Ovid-Redaktor erkennen, hatte bemerkt, daß sich Ovid in der Cyparissus-Erzählung auf den vom Herrn des königlichen Forstes Tyrrhus und seinen Söhnen aufgezogenen Hirsch des siebten Aeneisbuches bezieht 4 . Wie er die Erzählung des Ovid selbst durch die Verse 10,112-116 ausgeschmückt hat (s. S. 525ff.), so übertrug er auch Farben des Ovid in die Darstellung Vergils, vgl. met. 10,123 / [Aen.] 7,488 und met. 10,122 / [Aen.] 7,489 (s.u.). Im zweiten Teil ging es ihm darum, den von Vergil nur knapp (7,498f.) skizzierten Tod des Tieres (worin ihm Ovid in met. 10,130f. gefolgt ist) als schwere Verwundung zu deuten, so daß er noch die rührselige Geschichte hinzudichten konnte, wie sich das blutende Tier nach Hause, in den Stall, schleppt und den ganzen Hof - wie um Hilfe flehend - mit seiner Klage erfüllt (7,500ff.) - ein Motiv, das er ähnlich bei der Ausweitung des Todes des Aktaion verwendet, als er im Detail schildert, wie dieser - in einen Hirsch verwandelt - von seinen Hunden zerrissen wird ([met.] 3,232-250 sind unecht). Doch kommen wir zum cervus der Tyrrhidae pueri und des Tyrrhus ... pater. Schon die einleitende Ekphrasis (Aen. 7,483-486) stellt klar, daß die im

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Dagegen scheint [met.] 14,345 fulvo chlamydem contractus ab auro unecht. Auch die Halskette als Schmuck einer Frau in [Aen.] l,654f. (colloque monile | bacatum) begegnet in einem Montanus-Zusatz ([Aen.] 1,650-656 del. Zw.). In 39 Belegen für pendere zeigt sich auch keine vergleichbare Junktur. Vgl. Aen. 7.483ff. cervus erat forma praestanti et comibus inserts. \ Tyrrhidae pueri quem matris ab ubere raptum \ nutribant Tyrrhusque pater und met. 10,1 lOf. 121f. (dazu Aen. 7,494); Aen. 7.490 ille manum patiens mensaeque adsuetus erili | ... ad limina nota \ ipse domum sera quamyis se node (vgl. ecl. 4,21 )ferebat und met. 10,117 isque metu vacuus ... I ... celebrare domos mulcendaque colla quamlibet ignqtis manibus praebere solebaf, ferner hunc (sc. cervum) als Verseinsatz in Aen. 7,493 und met. 10,130, weiter Aen. 7,495 (aestus) und met. 10,126 (aestus) -129, schließlich Aen. 7,496-499 und met. 10,130f. (der Todesschuß von der Hand der in Irrtum befangenen Jünglinge Ascanius bzw. Cyparissus).

Die Hirsche der Silvia, des Cyparissus und der verwandelte Actaion

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folgenden eingeführte soror ... Silvia nicht zu der ursprünglichen Erzählung des Vergil gehört. Denn wenn es 7,484f. ausdrücklich heißt, die K n a b e n des Tyrrhus nährten zusammen mit dem Vater den (zahmen) Hirsch, und in 53Iff. dann der älteste dieser Jünglinge, Almo, in dem im Anschluß an den Tod des Hirsches sich entspinnenden Kampf fällt, kann in 487-489 und 503f. nicht plötzlich die Schwester Silvia für den Hirsch verantwortlich sein. Die schon bei Servius1 manifeste Überraschung "that Virgil should have used for a minor character a name so prominent in the legendary pedigree of the Kings of Rome" (Fordyce ad loc.) kommt also nicht von ungefähr: Der Interpolator, der in 6,36 der Sibylle den bürgerlichen Namen Deiphobe Glauci beigelegt hat (s. S. 72), gibt hier dem Mädchen vom Land den klangvollen Namen eines bekannten Albanergeschlechtes (siehe 6,763. 769). Wir erhalten somit im ersten Teil folgende Textfassung:

Aen. 7,487-489 7,483

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cervus erat forma praestanti et cornibus ingens, Tyrrhidae pueri quem matris ab ubere raptum nutribant Tyrrhusque pater, cui regia parent armento et late custodia eredita campi. íadsuetum imperiis2 soror omni Silvia cura3 mollibus intexens ornabat cornua sertis4, pectebataue ferum puroque in fonte lavabat]5. Ule manum patiens mensaeque adsuetus eríli6 errabat silvis rursusque ad limina nota ipse domum sera quamvis se nocte ferebat. hunc procul errantem rabidae venantis luli

Er kommentiert: bonum puellae rustícae nomen formavit. Vgl. met. 10,124f. hue laetus et illue \ mollia purpuréis frenabas ora capistris (der Versschluß stammt aus georg. 3,399). Mit den Stichworten imperiis und omni cura variiert Montanus Vergils cui... parent und custodia eredita. Geholt aus met. 10,123 (tu modo texebas varios per cornua flores): in mollibus klingt das mollia (ora) von met. 10,125 nach. Montanus hat - wie in demissa ... pendebant (s. S. 525) - einen abundanten Ausdruck gewählt, also texebas durch intexens ornabat ersetzt, vielleicht weil sich durch die Umwandlung der varii flores in mollia serta die Vorstellung des Schmückens weniger leicht einstellte. Vgl. met. 10,122 tu liquidi ducebas fontis ad undam: Während Cyparissus seinen Hirsch zum Wasser führt, um ihn zu tränken (dies ergibt sich aus der Antithese zupabula ... \ ad nova, 121f.), läßt Montanus die von ihm erfundene Silvia ihren Hirsch kämmen und waschen. Vgl. georg. 3,41.8 (tecto adsuetus coluber ...et umbrae).

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commovere canes, fluvio cum forte secundo deflueret ripaque aestus viridante levaret.

Während die Wiederholung von errabat (491) in errantem (493) ohne Fehl ist, weil zunächst allgemein (im Imperfekt) das übliche Verhalten des Hirsches beschrieben wird, danach (im Perfekt) die konkrete Situation, in der er versehentlich von dem Pfeil des Ascanius getroffen wurde, hat die funktionslose Aufeinanderfolge von adsuetum imperils (487) und mensaeque adsuetus erili (490) als anstößig zu gelten, ebenso die gedankenlose Übertragung des aus 478 ( feras agitabat) geholten Stichwortes ferum (489) auf den ausdrücklich wegen seiner Zahmheit besonders herausgestellten Hirsch; puroque in fonte (489) nimmt zudem das fluvio ... secundo von 494 voraus. Die Übernahmen aus der ovidischen Cyparissus-Episode sind in den Anmerkungen kenntlich gemacht. Das Einflechten weicher Blätterzweige in das Hirschgeweih ([Aen.] 7,488) ist im Ausdruck deutlich sekundär gegenüber Ov. met. 10,123 (siehe S. 531 Anm. 4), ebenso das an die Stelle des Fütterns und Tränkens (met. 10,121f.) gesetzte Kämmen und Waschen ([Aen.] 7,489: man beachte die Reihenfolge). Der echte Vergil meidet das Verb pectere. Montanus hat es - verbunden mit dem Tätscheln aus Aen. 7,490 (manum patiens) - in dem Genrebildchen, das er in [Aen.] 12,85f. (v. ad loc.) von den Pferden des Turnus zeichnet: circumstant properì aurigae manibusque lacessunt pectora ρ lau s a cavis et colla comantia pectunt,

vgl. [georg.] 3,185f. (tum magis atque magis blandís gaudere magistri | laudibus et plausae sonitum cervicis amare, ν. ad loc.). Da der hier besprochene Textabschnitt mit der Ekphrasis cervus erat einsetzt (7,483) und durch die Mitteilung, daß diesen Hirsch die reißenden Hunde des jagenden Ascanius aufgescheucht haben, fortgeführt wird (493f.), kann der echte Vergil nicht in 479ff. erzählt haben, daß Allecto den Hunden (es fehlt die nähere Bestimmung "des Ascanius"!) wütendes Rasen eingeflößt habe, damit sie einen Hirsch jagten: ut cervum ... agerent (481). Auch die Verse 479-482 sind also interpoliert. Der dritte Allecto-Abschnitt1 Vergils beginnt demnach wie folgt: 7,475

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dum Turnus Rutulos animis audacibus implet, Allecto in Teucros Stygiis se concitai alis, arte nova, speculata locum, quo litore pulcher insidiis cursuque feras aeitabat lulus. II Γhic subitam2 canibus rabienι3 Cocytia virgo

Er folgt auf die Amata- und Turnus-Episoden (7,341ff./7,406ff.). Der gleiche Verseinsatz begegnet in der Dichtung nur noch Aen. 9,33 hic subitam ... glomerari ... nubem \ prospiciunt Teucri, etc. Vgl. georg. 3,496 hinc canibus blandís rabies venit und die rabidae ... canes von 7,493f.

Die Hirsche der Silvia, des Cyparissus und der verwandelte Actaion

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obicit et noto naris contingit odore1, ut cervum ardentes aeerent: quae prima laborum causa fuit2 belloaue ánimos accendiΡ dit3 aeagrestis Cervus erat forma praestanti et comibus ingens, Tyrrhidae pueri quern matris ab ubere raptum nutribant (...).

Da Allecto bereits zwei belli causae4 geschaffen, nämlich Amata (341ff.) und Turnus (406ff.) 5 aufgestachelt hat, und ihr erster Einsatz mit den Begriffen primos acuisse furores (406) umschrieben wird, da sie ferner, nachdem sie so die Rutuler mit Kampfesmut erfüllt hat (475), nunmehr arte nova gegen die Teukrer vorgeht (476f.), kann das Aufstacheln der Hunde, einen Hirsch zu jagen, nicht eigentlich prima laborum \ causa (48lf.) sein, auch wenn man den Ausdruck in verblaßter Bedeutung ("der erste Anlaß, an dem sich der Konflikt entzündete") faßt. Wie aus dem Neueinsatz in 511. 514f. hervorgeht, greift Allecto an diesem dritten Schauplatz erst dort e speculis aktiv ein; zuvor hatte sie sich einen günstigen Aussichtsplatz ausgesucht (477 speculata locum) und das Geschehen beobachtet 6 . Ihr tempus ... nocendi ist in Vers 511 gekommen, wo sie nach dem tödlichen Pfeilschuß den höllischen Klang ihrer bucina ertönen läßt. Also kann sie nicht bereits in 479ff. tätig geworden sein und die Hunde rasend gemacht haben. Die Cocvtia virgo erhält erst bei dem 'Vergil'-Imitator Valerius Flaccus ein Pendant (4,495 inhiat Cocytia nubes); zuvor ist das Adjektiv Cocytius ohne Parallele. Der Interpolator hat an das Ende der Allecto-Episode gedacht, wo die Furie Cocvti ... petit sedem (562), und sich im übrigen an Junkturen wie Priameia virgo (2,403; 3,321), Lavinia virgo (7,72; 11,479), Tritonia virgo (11,483) orientiert. Von ihm stammt auch die Latonia virgo in [Aen.] 11,557 (v. ad loc.). Mit dem canibus rabiem obi cere von 479f. verträgt sich nicht die vergleichsweise harmlos klingende Konkretisierung et noto naris contingit odore von 480 und auch nicht das Prädikativum ardentes, das - analog dem instant ardentes Tyrii von 1,423 - den Eifer oder die natürliche Jagdleidenschaft der Hunde, nicht aber das von Allecto eingeflößte höllische Rasen umschreiben kann. Sowohl der Versschluß agrestis (482. 504) als auch das At-

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Vgl. georg. 3,251 si tantum notas odor attulit auras; Var. Ruf. frg. 4,4 tenues sectatur odores (sc. canis). Vgl. Aen. 4,169f. ille dies primus leti primusaue malorum \ causa fuit. Vgl. Aen. 12,425f. Iapyx \ conclamai primusque ánimos accendit in hostem und 7,550 accendamaue ánimos insani Mortis amore. Zum Begriff vgl. 7,553 slant belli causae. Er erfüllt seinerseits die Rutuler mit kühnem Mut (vgl. 475) und befiehlt, die Waffen zu rüsten (467f.). In 498 nec dextrae erranti deus afuit ist allgemein vom Schußglück die Rede, das 'ein Gott' gewährt, siehe die Kommentare.

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tribut notus (480, vgl. 491) und zusätzlich die soror...

Silvia von 487 tauchen

wieder in dem interpolierten Abschnitt vom Tod des Hirsches und dem sich daraus ergebenden Auflauf der Bauern auf:

Aen. 7,500-510. 512f. 7,496

500

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ipse etiam eximiae laudis succensus amore Ascanius curvo derexit spicula cornu; nec dextrae erranti deus afuit, actaque multo perque uterum sonitu perque ilia venit harundo. \saucius at quadripes nota intra tecta refiigit successitque gemens stabulis, questuque cruentus atque imploranti similis tectum omne revlebat. Silvia prima soror palmis percussa lacertos auxilium vocat et duros conclamai as restis . olii (Pestis enim tacitis latet aspera silvis)2 improvisi adsunP, hie torre armatus obusto. stipitis hie gravidi nodis: quod cuique repertum rimanti telum ira facit. vocat asmina4 Tyrrhus, quadrifidam quercum cunéis ut forte coactis scindebat rapta spirans immane securi.] At saeva e speculis tempus dea nacta nocendi \ardua tecta petit stabuli et de culmine summo pastorale canit sisnum cornuaue recurvo1 Tartaream incendit vocem, qua protinus omne contremuit nemus et silvae insonuere proflindae.

Vergil hat die tödliche Verwundung des Hirsches durch den Pfeilschuß des Ascanius in der ihm eigenen Verhaltenheit wiedergegeben (496-499). Ovid ist

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Vgl. georg. 1,160 dicendum et quae sint duris aerestibus arma. Die Parenthese ist aus georg. 3,416ff. gewonnen: saepe sub immotis praesepibus (vgl. tacitis... silvis) cuit mala tactu \ vipera delituit..., | aut tecto adsuetus ... succedere (s.o. 7,501) et umbrae \ IPestis acerba boum) pecorìque aspergere virus, \ fovit humum·, vgl. georg. 3,146ff. (est lucos Silari circa) ... \ plurimus ... volitans, cui nomen asilo | [...] | asper. acerba sonans. quo tota exterrita silvis \ diffugiunt armenia; ferner eel. 3,93 frigidus ... latet anguis in herba und die tac it am secreta in sede latentem \ Tyndarida der Helena-Episode ([Aen.] 2,568f.). Vgl. 9,48f. urbi \ improvisus adest (man beachte den Dativ, den der Interpolator hier [olii ist ja wohl Nom. Plur., vgl. Montanus selbst in 11,236] und in [Aen.] 2,182 improvisi aderunt [v. ad loc.] ausspart) und [Aen.] 2,379 improvisum aspris veluti qui sentibus aneuem | pressit humi. Vgl. 2,613f. (Juno) socium ... furens (vgl. 7,510 spirans immane) a navibus aemen \ ferro accincta (vgl. 7,510 rapta ... securi) vocat.

Die Hirsche der Silvia, des Cyparissus und der verwandelte Actaion

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ihm darin in der Cyparissus-Episode gefolgt, ja hat ihn an Kürze noch übertroffen: met. 10,130

hune puer inprudens iaculo Cyparissus acuto fix.it et, ut saevo morientem vulnere vidit, velie mori statuii.

Der Vergil-Interpolator jedoch wollte das von ihm bereits zuvor neu angeschlagene Motiv des von der soror Silvia umhegten zahmen Hirsches fortführen und zu einem rührseligen Effekt nutzen. In einer Variation des vergilischen Bildes von dem an die Krippe seines Herrn gewöhnten, bald in den Wäldern umherschweifenden, bald in das ihm vertraute Haus zurückkehrenden Tieres (vgl. bes. 49lf. rursusque ad Urning nota \ ipse domum ... se ... ferebat) beginnt er den neuen Einschub mit der Flucht des verwundeten Tieres in das vertraute Gehöft ( n o t a intra teda refugit), wo es sich klagend in seinen Stall begibt. Aber wenn der Dichter erzählt, der unter lautem Zischen abgeschossene Pfeil habe Bauchhöhle und Weichen durchbohrt (498f.), will er uns sagen, daß der Hirsch tödlich getroffen war. Weder bloßes saucius (500)1 noch bloßes cruentus (501) bringen die Schwere der zuvor geschilderten Verwundung angemessen zum Ausdruck. Die Verwendung von quadripes als Periphrase für einen Hirsch ist bei Vergil außerhalb der Eklogen singulär; selbst in ecl. 5,26 aber ist der Begriff feminin (nulla ... quadrupes, sc. fera) gebraucht. Eine Härte liegt in der Kombination von intra tecta (500) und dem Singular tectum omne; sie rührt wohl von der Übernahme des Versschlusses 502 aus 2,679 her (talia vociferans gemitu tectum omne replebat). wo es sich um das eine Haus des Aeneas (bzw. Anchises) handelt. Ebenso scheint hier mit tectum omne der eine Stall des Tieres gemeint zu sein, von dem ja in 501 gesagt war: successitque gemens1 stabulis. Der Hirsch hatte sich also in das Innere des Stalls zurückgezogen, vgl. 1,627 quare agite o tectis. iuvenes, succedite nostris; 8,123 nostris succede penatibus hospes; georg. 3,418 tecto adsuetus coluber succedere et umbrae. Beide Begriffe verwendet der Interpolator wenig später wieder, als er die Furie Allecto ardua tecta ... stabuli einnehmen und de culmine summo das Hirtensignal blasen läßt (pastorale canit signum), ein Bild, das er auch [georg.] l,402f. (de culmine summo \ nequiquam seros exercet noctua cantus) verwendet hat, vielleicht in Erinnerung an Aen. 4,186 luce sedet (sc. Fama) custos aut surrum culmine tecti \ turribus aut altis, vielleicht aber auch an die Versklauseln des Manilius von 3,593 sub culmine summo und 5,383 culmine summo. vgl. Montanus in [Aen.] 8,456 matutini volucrum sub culmine cantus.

Dem Versbeginn saucius at quadripes entspricht saucius at serpens in Aen. 11,753. (In-)gemere wird von Tieren nur zweimal in den Eklogen verwendet: ecl. 1,58 (turtur), 5,27 (leones).

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In Wirklichkeit aber befindet sich Allecto ebensowenig wie der Hirsch im Gehöft des Tyrrhus, sondern auf der Aussichtswarte1 im Wald2, die sie in 477f. ( . s p e c u l a t a locum, quo litorepulcher \ insidiis cursuque feras agitabat Iulus) in Küstennähe eingenommen hatte (s.o.), von wo aus sie nun mit höllischem Klang das Horn bläst (514. 519f.), der alle Bauern hastig - mit Waffen - herbeieilen läßt, so wie auch die Trojaner ihr Lager verlassen und dem Ascanius zu Hilfe eilen (519-522). All dies spielt sich im Wald oder auf dem Feld, nicht im Gehöft des Tyrrhus ab. Iulius Montanus aber hat die 'pastoralen' Züge verstärkt: Dem Tartaream incendit vocem (514), das in 519f. durch bucina sisnum | dira dedit spezifiziert wird, schaltet er den Vers pastorale canit sienum comuaue recurvo3 (513) vor. Er hat also auf engem Raum zwei Leitbegriffe (den einen sogar zweimal) angeschlagen, die für seine Dichtung charakteristisch scheinen und sich auch in dem ersten Vers des zweiten Fragments, das wir von ihm besitzen, vereinigt finden (iam sua pastores stabulis armenia locarunt, frg. 2,1) und die auch sonst in den Partien (oder ganzen Gedichten), die wir ihm zuzuschreiben haben, immer wieder auftauchen. Das Attribut pastoralis, das innerhalb des Vergilcorpus einzig nochmals dreihundert Verse später, am Schluß des Camilla-Porträts, in einem ebenfalls interpolierten Vers belegt ist (817 et pastoralem praefixa cuspide myrtum, v. ad loc.), hat Montanus ein weiteres Mal in [fast.] 2,365f. anläßlich des Lupercalia-Aitions verwendet, in dem auch - und zwar im echten Teil - die Vestalin Silvia (2,383) ihren Platz hat: Romulus etfrater pastoralisque iuventus | solibus et campo corpora nuda dabanfi. Vor ihm liest man das Adjektiv in der einschlägigen Dichtung nirgends. Erst Calpurnius Siculus und die flavischen Imitatoren haben es in vermeintlicher Anlehnung an Vergil und Ovid aufgenommen. Seiner Neigung zum oftmals sentimental angehauchten, rührseligen Genrebild frönt er unverkennbar in der Schilderung des angeblich verwundet in seinen Stall zurückkehrenden, wie hilfeheischend klagenden Hirsches (7,500502). Er hat ihm ein Ebenbild in seiner Erweiterung der ovidischen AktaionEpisode geschaffen5. Als der verwandelte Aktaion erstmals im Wasser seine

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Siehe 7,511 at saeva e speculis tempos dea nacta nocendi. Vgl. 7,514f. Tartaream incendit vocem, qua protinus omne \ contremuit nemus et silvae insonuere profundae und den Interpolator selbst in 7,505 (v. ad loc.). Die Junktur ist (in anderem Sinne) aus 497 wiederholt (curvo derexit spicula cornu). Den Versbeginn übernimmt Columella (6,23,2) aus seinem interpolierten Vergilexemplar: cum pastorali simo quasi receptui canitur. Ich habe den Abschnitt [fast.] 2,275f. 289-380. 389-406 dem Montanus zugeteilt. Die Zerreißung des Aktaion durch die eigenen Hunde gibt der echte Ovid in 3,231. 251f. ebenso knapp und allen Verismus meidend wie den Tod des Cyparissus-Hirsches (s. S. 535). Das Ausmalen der Einzelheiten und das teilweise frostig wirkende Spiel mit den in Wirklichkeit gar nicht mehr an der Jagd beteiligten Gefährten, vgl. 3,147-154, die ver-

Die Hirsche der Silvia, des Cyparissus und der verwandelte Actaion

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neue Gestalt sieht, will er einen Klageruf ausstoßen, doch er hat keine artikulierte Stimme mehr, bringt nur noch ein Stöhnen hervor. Tränen fließen über sein Antlitz, das nicht mehr das seine ist: Nur noch die Art seines Denkens und Fühlens ist ihm unverändert geblieben: 3,201

γοχ nullajecuta est; ineemuit: vox illa Juit, lacrìmaeque per ora non sua fluxerunt; mens tantum prìstina mansit.

Diese Verse hat Montanus genutzt, als er den von seinen Hunden angefallenen Aktaion-Hirsch zeichnete: 3,237

iam loca vulneribus desunt, gemit ille sonumque, etsi non hominis, .quem non tarnen edere.possit cetyus, habet1 maestisaue replet iu%a nota auerellis et genibus pronis supplex similisaue roganti circumfert tácitos tamquam sua bracchia vultus.

Er hat ferner Motive aus der - auch in dem interpolierten Camilla-Passus der Aeneis imitierten 2 - Syrinx-Episode verwendet (l,707f. motos in harundine ventos I effecisse sonum tenuem similemaue quer enti), zusätzlich aus der IoMetamorphose (l,635ff. illa etiam supplex Argo cum bracchia vellet \ tendere, non habuit, quae bracchia tenderei Argo, | et çonata guéri mugitus. edidit ore I pertimuitque sonos propriaque exterrita voce est)3. Daß der AktaionHirsch in die Knie sinkt (wofür genibus pronis nicht der spezifische Ausdruck ist) und flehend 4 , einem Bittenden gleich, schweigend seine Blicke ringsum schickt 5 , a l s w ä r e n e s s e i n e A r m e , muß man als ein verwunderliches Bild bewerten, hinter dem sich eine ungeschickte Übernahme des Abschlusses der Daphne-Metamorphose verbergen dürfte: factis modo laurea

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geblich nach Aktaion rufen und beklagen, daß er ob seiner Säumigkeit das Schauspiel des Zerfleischens nicht miterleben dürfe ([met.] 3,232-250), hat der Interpolator hinzugetan (v. ad loc.). Der hier formulierte Gedanke weicht von den in 201ff. gegebenen Voraussetzungen ab, als klinge das Klagen des Hirsches doch noch irgendwie menschenähnlich. In Wirklichkeit ist der Verwandelte in allem zur Hirsch-Natur transformiert - ausgenommen die mens. Sein ingemescere (202) ist also das typische ingemescere eines Hirsches. Ebenso müßte es sich

mit dem gemere in 237 verhalten. 2

Siehe den krit. Kommentar.

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Vgl. met. 11,734f. dumque volai (sc. Alcyone) maesto similem plenumque auerellae | ora dedere .sonum tenui crepitantia rostro-, georg. 4,515 (Philomela) maestis late loca auestibus implet.

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Die Junktur genibus pronis supplex ist leicht abundant.

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Vgl. 6,169 (Niobe) oculos circumtulit alta superbos; Aen. 12,558 (Aeneas) hue atque hue acies circumtulit.

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ramis \ adnuit ut que caput visa est agitasse cacumen (l^óóf.) 1 . Der Bittflehende streckt normalerweise seine Arme aus und wendet sich mit ihnen ringsum an die ihn Umgebenden; der verwandelte Aktaion, als suppleχ in die Knie gesunken, ist dazu nicht mehr in der Lage, also wendet er seinen Kopf (an Stelle der Arme) ringsum und erfleht Hilfe2. Die Formulierung gemit ille ... maestisque replet iuga nota querellis... similisque roganti... circumfert... vultus, mit der das Klagen und Bitten des wundgeschlagenen Aktaion-Hirsches umschrieben wird, stimmt so eng mit der Beschreibung des wundgeschossenen Hirsches der Silvia überein ([Aen.] 7,500ff. nota intra tecta ... gemens ... questuque ... imploranti similis tectum omne replebat), daß beide interpolierten, Partien von der gleichen Hand stammen müssen - eben von dem Dichter und "emendierenden" Editor Iulius Montanus. j ä h r e n d der echte Vergil in 7,519ff. die Bauern durch das Horn der Allecto herbeirufen läßt, hat Montanus zuvor bereits Silvia (die hier ebenso wie in 487 fehl am Platze ist) laut Hilfe erflehend3 die Bauern zusammenrufen lassen (503f.)4. Die Doppelung5 gibt ihm Gelegenheit, einerseits ein pathetisches Bild von dem klagenden Mädchen, das sich mit den Händen die (Ober-)Arme schlägt (eine im Lateinischen - wie es scheint - erst bei Ovid aufkommende Klagegeste)6, zu entwerfen, andererseits eine Vorstellung von der urtümlichen Wesensart der Bauern zu geben, die mit feuergehärteten Knütteln und knotigen

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Siehe zur Stelle S. 245ff. Dort hat der Interpolator (in 1,555) complexus ... ramos ut m e m b r a formuliert. Ganz ähnlich ist die gefesselte Ciris in 402f. gezeichnet (und nach ihr die Cassandra in [Aen.] 2,406; vgl. 2,153), s. S. 174. In auxilium vocat (504) steckt eine Vorwegnahme des Ascanio auxilium effundere von 522; vgl. 4,617 auxilium imploret ([Aen.] 7,502 steht imploranti similis, in Aen. 7,576 i mp lo rant que déos obtestanturque Latinum)·, 5,221f. vocantem \ auxilia·, 5,686 auxilioque vocare déos. Das Präfix kann auch hier im Sinne der üblichen intensivierenden Bedeutung von conclamare ( — implorare) verstanden werden. Sie ist nur notdürftig dadurch kaschiert, daß Silvia duros ... agrestis (504), Allecto aber indomitos agrícolas (521) zusammenruft. Vgl. met. 3,497 cumque suos manibus percusserat ille lacertos·. 4,138ff. percutit indignos claro piangere lacertos \ et laniata comas amplexaque corpus amatum \ vulnera supplevit lacrimis fletumque cruori | miscuit et... \ ... clamavit (se. Thisbe); 6,532 lueenti similis (vgl. Aen. 7,502 imploranti similis), caesis planeore lacertis. \ intendens palmas (se. Philomela·, vgl. 521 stabula alta·, 525ff .frustra clamato saepe parente, | saepe sorore sua ... I illa tremit velut agna ... soucia)·. 9,637 planxitque suos furibunda lacertos (sc. Byblis). Vergil wählt pectus statt lacertos, vgl. Aen. 4,589 terque quaterque manu pectus percussa decorum (sc. Dido); ferner Montanus in [Aen.] 1,481 tunsae pectora palmis und 11.877 percussae pectora matres.

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Keulen erscheinen 1 und von Tyrrhus zum Kampf gerufen werden, als er gerade dabei ist, eine Eiche mit Keilen in vier Teile zu spalten (506-510). Montanus zeichnet - ähnlich dem Landemanöver und dem Ausschwärmen der Schiffsmannschaft zur Holz- und Wassersuche und dem Feuerschlagen aus Kieselsteinen in [Aen.] 6,3-8 - ein anmutiges Genrebildchen von der Waldarbeit, die dem Tyrrhus das Beil als Waffe in die Hand gibt. Ob dieses Drangs zur Kleinmalerei hat er nicht hinreichend beachtet, daß Vergil die Bauern auf das Hornsignal hin (519f.) von allen Seiten zusammenlaufen läßt raptis ... telis (520), also mit Waffen in der Hand, die sie eilends an sich genommen hatten so wie in 637ff. (nachdem in 629ff. die Waffen erneuert worden waren: tela novant) auf das Kriegssignal hin hic galeam tectis trepidus rapit. ille trementis I ad iuga cogit equos, clipeumque auroque trilicem \ loricam induitur fidoque accingitur ense. Die Bauern und Hirten, die der Jagd nachgehen, haben selbstverständlich Pfeil und Bogen, Speere und Schwerter zur Hand und sollen ja auch nach der Vorstellung des Interpolators in dem weiteren Zusatz 523-530 (s.u.) mit starrenden Eisenwaffen kämpfen. Es hat den Anschein, als habe Montanus den Satz raptis concurrunt undique telis I indomiti agricolae (520f.) im Sinne von raptis ... undique telis interpretiert und - da er die indomiti agricolae in 504 als duros ... agrestis wiedergegeben, also auf dem Hintergrund von georg. 1,160 (dicendum et quae sint duris agrestibus arma) ausgedeutet hat - die dort gegebene Selbstaufforderung des Lehrdichters, die arma (d.h. die "Geräte" des Bauernhandwerks) zu benennen, in [Aen.] 7,505ff. im Sinne eines rudimentären Waffenkatalogs umgesetzt. Dabei verweist das resümierende quodcuiquerepertum \ rimanti telum ira facit (506f.) einerseits auf das vielleicht mißverstandene raptis ... undique telis (520), andererseits variiert damit Montanus sein früher geprägtes Bild eines Aufruhrs in dem Vergleich von [Aen.] l,148ff. ac veluti magno in populo cum saepe coorta est | seditio saevitque animis ignobile vulgus | iamque faces et saxa volant, furor arma ministrai (...) 2 . Dabei benutzt er das in augusteischer Dichtung seltene rimari (das er auch [georg.] 1,384; 3,534 und [Aen.] 11,748 in unechten Zusätzen verwendet, v. ad locc.), während Vergil selbst in 6,145f. ergo alte vestiga oculis et rite repertum \ carpe manu (sc. aureum ramum) geschrieben hatte. Unklar ist die Beziehung von improvisi (506): Es fehlt ein konkretisierender Dativ (s.o.). Da Silvia ausdrücklich duros conclamai agrestis, können diese für sie nicht gut improvisi sein. Auch der ut forte-Satz von 509f. läßt sich nicht leicht mit aktivischem

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Erinnert sei an die in Lucr. 5,1283f. (arma antiqua manus ungues dentesque fuerunt \ et lapides et item silvarum fraemina rami) und Hör. sat. 1,3,lOlf. (unguibus et pugnis, dein fustibus atque ita porro \ pugnabant armis quae post fabricaverat usus) greifbare Auffassung Epikurs, die Teil seiner Kulturentstehungslehre ist. [Aen.] 1,144-156 del. Zw., v. ad loc.

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vocat agmina Tyrrhus (508) verbinden; man erwartet vielmehr einen Gedanken wie: 'Der Hilferuf der Silvia drang an das Ohr des Tyrrhus, als er gerade beim Holzfällen war', vgl. 7,494 (cum forte in enger Nachbarschaft); 12,270ff.; 3,301. Das altertümlich klingende Mi ... \ improvisi adsunt, hic torre armatus obusto. I stipitis hic gravidi nodis (505ff.) begegnet ähnlich in einer wiederum von Montanus hinzugedichteten Kampfszene des 12. Buches ([Aen.] 12,297ff.): concurrunt Itali... | obvius ambustum torrem Corynaeus ab ara \ corripit et venienti Ebyso ... | occupât os flammis: oüi ingens barba relwcit\ vgl. ferner - ebenfalls von Montanus - [Aen.] ll,893ff. tela manu trepidae (sc. metres) iaciunt ac robore duro \ stipitibus ferrum sudibusque imitantur obustis1. In stipitis gravidi nodis armatus liegt eine ähnlich preziose Hypallage vor wie in 574f. (çaesosque reportant \ [Almonem puerum foedatique_ora Gallesi]), s. S. 282. Kühn ist die Prolepse in quadrifidam quercum ... scindebat (509f.); das Kompositum fehlt im Sprachschatz Vergils, steht ein weiteres Mal in dem interpolierten Vers [georg.] 2,25 (quadrifidasque sudes et acuto robore vallos), der Ovids multifidasque faces von met. 7,259 (vgl. 8,644) zur Voraussetzung hat, v. ad loc. Eine lästige Abundanz liegt wieder in cunéis ... co actis \ scindebat vor (vgl. 6,181f. fraxineaeque trabes cunéis et fissile robur \ scinditur). zumal cuneos (bzw. agmina) coger e ein stehender Ausdruck für das Sammeln der Kampftruppen ist. Montanus ist hier wohl das Opfer einer mechanischen Übernahme einer festen Junktur geworden, die er mit neuem Inhalt füllt; vgl. 12,456ff. talis in adversos ductor Rhoeteius hostis \ aemen aeit (vgl. 7,508), densi cunéis se quisque coactis | adglomerant1. Auch die Floskel spirans immane (510) hat er - leicht verändert - dem Vergil nachgesprochen, vgl. 10,726 gaudet hians immane (sc. leo) und wieder Montanus - in [Aen.] 12,535 immane frementi. Die hier behandelten Zusätze (zu 500-502 s. ferner S. 530. 536) haben zur Konsequenz, daß Montanus im Anschluß an den von Vergil geschilderten Auflauf der latinischen Bauern und der Trojaner, die Ascanius zu Hilfe eilten, einen weiteren Passus hinzudichten mußte, der zwischen seinen mit feuergehärteten Stöcken und Keulen bewaffneten Bauern und den mit echten Kampfwaffen ausgerüsteten Bauern Vergils vermitteln sollte:

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Auf die gleiche redigierende Hand deutet auch die leicht variierte Wiederaufnahme des Ausdrucks in [Aen.] 8,220f. rapii arma manu nodisaue gravatum | robur, et aërii cursu petit ardua (vgl. 7,512) mentis ([Aen.] 8,219-227. 230-232 del. Zw.). Erinnert sei an die Umformung von curvo ... spicula cornu (7,497) in 7,513 (cornuque recurvo, ν. ad loc.).

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Aen. 7,523-530 7,519 tum vero ad vocem celeres, qua bucina signum dira dedit, raptis concurrunt undique telis indomiti agricolae, nec non et Troia pubes Ascanio auxilium castris effundit apertis. f derexere acies1. non jam certamine agresti2 523 stipitibus duris agitur3 sudibusve praeustis4, sed6 ferro ancipiti decernunt6 atraque late7 525 horrescit strictis seges ensibus9. aeraaue fuleent9 sole lacessita10 et lucem sub nubila iactant11 :

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Vgl. georg. 2,279ff. ut saepe ingenti bello cum ... \ ... campo stetit agmen aperto, \ derectaeaue acies ac late fluctuât omnis \ aere renidenti tellus neçdum hórrida miscent | proelia, sed dubius mediis Mars errat in armis. Vgl. georg. 2,530f. velocis iaculi certamina ponit in ulmo, \ corporaque agresti nudant praedura palaestra. Unpersönliches agitur kennt der echte Vergil nicht. Siehe den gleichen Montanus in [Aen.] ll,893ff. tela manu trepidae iaciunt (sc. maires) ac robore duro \ stipitibus ferrum sudibusque imitantur obustis \ praecipites. Eine vergleichbare Junktur ist in der einschlägigen Dichtung nicht belegt: wir greifen die gleiche Hand! Non iam - sed entspricht dem necdum - sed in georg. 2,282f. (s. S. 541 Anm. 1). Siehe Aen. 12,277ff. at fratres, animosa phalanx accensaque luctu, | pars eladios stringunt manibus, pars missile ferrum \ corripiunt caecique ruunt (vgl. 7,506f. 520ff.). quosagmina contra \ procurrunt Laurentum, hinc densi rursus inundant \ Troes Agyllinique et pictis Arcades armis: | sie omnis amor unus habet decernere ferro. Unpassend im Zusammenhang von 7,525 ist die aus Catull (64,369 ancipiti succumbens victima ferro) oder Lukrez (6,167f. caedere ... | ancipiti ... ferro ... arboris auetum) übernommene Junktur ferro ancipiti, die dort jeweils die Doppelaxt bezeichnet (vgl. Ov. met. 8,397 aneipitem ... securim). hier aber gerade nicht bäuerliche Waffen (entsprechend der von Tyrrhus in 510 ergriffenen Axt: rapta ... securi). sondern ordentliches eisernes Kriegsgerät (Lanzen? zweischneidige Schwerter?) repräsentieren soll, das in 526 mit gezückten Schwertern kombiniert oder durch diese expliziert wird. Decernere ferro steht ebenso 11,218 und 12,695. Der echte Vergil verwendet aneeps nur metaphorisch (aneepspugna o.ä.). Siehe S. 541 Anm. 1 und die folgende Anmerkung. Der echte Vergil hätte mucronibus geschrieben: Aen. 12,663f. ... strictisaue seges mucronibus horret \ ferrea: vgl. ferner georg. 2,142 nec galeis densisque virum sepes horruit hastis: Aen. ll,601f. tum late ferreus hastis \ horret ager campique armis sublimibus ardent. Siehe S. 541 Anm. 1 und die vorige Anmerkung. Die kühne Metapher hat bei Vergil und Ovid keine Parallele. Sie ist wohl in Analogie zu voce lacessit (10,644; vgl. ecl. 3,51) gebildet und setzt Lucr. 4,217 (corpora quaeferiant oculos visumque lacessant) voraus. Das Ptz. Perf. Pass, hat in der augusteischen Dichtung nur ein Pendant - an gleicher Versstelle: Hör. epist. 2,1,151 dente tacessi ti. Vgl. Lucr. 5,576 (luna) suam proprio iactat de corpore lucem.

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fluctus uti primo coeoit cum albescere1 vento2, 3 paulatim sese tolli mare et altius undas erigit*. inde imo consurgit ad aethera fundo?.] hic iuvenis prìmam ante aciem stridente sagitta, natorum Tyrrhi fuerat qui maximus, Almo, sternitur; haesit enim sub gutture vulnus et udae vocis ^ * iter *tenuemque * * * inclusit * * sanguine * * * *vitam. corpora multa virum circa seniorque dum paci medium se offert, ...

Galaesus,

Der Redaktor gibt vor, beide Parteien hätten sich in Schlachtreihen aufgestellt, um die Entscheidung nun nicht mehr nach Art eines ländlichen Kampfes mit Keulen und feuergehärteten Stöcken zu suchen, sondern mit dem Schwert. Er scheint also zu suggerieren, daß die in 519ff. durch das Signalhorn der Allecto herbeigerufenen Bauern ordentliche Waffen mit sich führen und demnach nicht identisch sind mit den von Silvia zusammengerufenen agrestes (504ff.). Aber auch von diesen heißt es doch (improvisi) ads un t (506), und sie müßten demnach an den Kampfhandlungen beteiligt werden, wenn ihr Aufmarsch nicht als leeres Motiv erscheinen soll. Auch werden sie von T y r r h u s in den Kampf gerufen (508), der älteste Sohn des T y r r h u s aber fällt, von einem Pfeil getroffen, in der vordersten Reihe der mit Schwertern bewaffneten Bauern (530ff.). Es ist dem Interpolator also nicht gelungen, seine Zusätze mit den Vorgaben Vergils in Einklang zu bringen.

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Siehe georg. 3,237 fluctus uti medio coepit cum albescere ponto, ferner das Stichwort fluctus S. 542 in den Anm. 3 und 4 und fluctuât in dem Georgica-Gleichnis 2,282. Ponto (so die Majuskelhss., Ρ fehlt) ist aus georg. 3,237 interpoliert; vgl. georg. 1,356 (vent i s surgentibus) ; ferner georg. 3,196ff. aualis ... A qui lo cum ... | incubuit... | tum segetes altae campique notantes \ lenibus horrescunt flab ris: vgl. Ον. ars l,553f. horruit. ut steriles agitat quas vent us aristae, \ ut levis in madida canna palude tremit. Im 10. Heroidenbrief hat Montanus in 10,139 (corpus ut impulsaeseeetes aquilonibus horret) O vid und die Georgicastelle kontaminiert. Eine Parallele für mare sese tollit fehlt bei Vergil; vgl. dagegen Aen. 1,66 (Aeolo) et mulcere dedit fluctus et tollere vento-, 1,103 (stridens Aquilone procella) fluctus ...ad sidera tollit. Das sese attollit in auras der Fama (Aen. 4,176) dürfte inhaltlich zu weit abliegen. Vgl. 3,422f. (Charybdis) fluctus ... sub auras (siehe 7,527 sub nubila iactant) \ erieit... et sidera verberat unda. Vgl. 2,419 imo Nereus ciet aeauora fundo. Hier ist darauf abgehoben, daß Nereus das Meer vom tiefsten Grund aus aufwühlt. Dies mit dem anderen Extrem, nämlich daß das Meer sich bis zum Himmel erhebt, zu kombinieren (wie es in 7,530 geschieht), war kein guter Gedanke. Montanus hatte den Klang dieses Verses im Ohr, wie auch die Versklauseln aequora fundo - aethera fundo nahelegen. Hier scheint ein Vers mit einer pluralischen Verbform, synonym zu sternitur, ausgefallen.

Die Hirsche der Silvia, des Cyparissus und der verwandelte Actaion

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Wie die in den Anmerkungen im einzelnen nachgewiesenen Vorbildstellen zeigen, hat Montanus hier in großem Stil kontaminiert. Er hat gesehen, daß Vergil im 12. Buch das neue Aufflammen der Kämpfe, dem Aeneas - unbewaffnet - vergeblich zu wehren sucht, bis ihn die Pfeilwunde das Feld zu verlassen zwingt (12,257-323), als Variation des ersten Aufflackerns der Kampfhandlungen im 7. Buch gestaltet hat 1 , und holt deshalb aus 12,282 die Junktur decernere ferro (s. S. 541 Anm. 6). Die Situation unmittelbar vor dem Ausbrechen der feindseligen Handlungen aber zeichnet er nach dem in einem Gleichnis als typisch diagnostizierten Muster (georg. 2,279ff., siehe S. 541 Anm. 1). Doch hat er dabei nicht beachtet, daß in Aen. 7,519ff. beide Kampftruppen noch in vollem Lauf befindlich waren bzw. (die Trojaner) aus den Toren des Lagers hervorströmten. Das derexere acies in 523 (nach georg. 2,281 geformt) kommt zu früh und unvermittelt. In Wirklichkeit wird der Sohn des Tyrrhus getroffen, als er in der ersten Reihe v o r r ü c k t (531; vgl. 7,673 und 9,595). Eine statische Situation wie im Gleichnis der Geórgica, wo "in einem großen Krieg eine Legion ihre Kohorten in einer langen Reihe entfaltet hat und das Heer auf offenem Kampffeld steht" 2 , ist beim Ausbrechen der Kriegshandlungen im 7. Buch ebensowenig gegeben wie nach dem Tolumnius-Schuß im 12. Buch. Montanus aber hat das Georgica-Gleichnis weiter adaptiert, indem er das Bild von der tellus, die late fluctuât ... | aere renidenti [2,281f.] (solange die feindlichen Reihen noch nicht aufeinander losrücken und hórrida [d.h. zugleich "eisenstarrende"] proelia beginnen), unter Berücksichtigung zusätzlicher verwandter Stellen (s. S. 541 Anm. 8) ausmalt und seinerseits durch einen dreizeiligen Vergleich (7,528ff.) ausschmückt. Dieser Vergleich aber hebt nun nicht auf das eisenstarrende (wie ein Getreidefeld wogende) Heer in Wartestellung vor dem Beginn des eigentlichen Kampfes ab 3 , sondern auf "the swelling of the quarrel from a rustic brawl to a pitched battle" (Conington), wie durch die Entsprechung von primo - inde

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Wie der Lanzenwurf des Tolumnius einen der neun Söhne des Arkaders Gylippus niederstreckt und damit die Vergeltungsaktion der Brüder auslöst, so ruft der Pfeilschuß des Ascanius die beiden Parteien auf den Plan und tötet ein weiterer Pfeilschuß den ältesten Sohn des Tyrrhus, während der angesehene, rechtlich denkende Galaesus - ganz wie Aeneas in 12,31 Iff. (ν. ad loc.) - Frieden zwischen den Parteien vermitteln will und dabei fällt (7,535ff.). georg. 2,279f. ingenti bello cum longa cohortis \ explicuit legio et campo stetit agmen aperto. Allenfalls kann man sagen, daß das Verb horrescere (7,526) auch das Sich-Kräuseln des Meeres (zu weißen Schaumkronen) unter Einfluß des Windes zum Ausdruck zu bringen vermag und insofern sachlich ein Äquivalent zu (fluctus ... coepit...) albescere darstellen könnte, s. S. 542 Anm. 2 (georg. 3,198f.), ferner Cie. rep. 1,63 cum subito mare coepit horrescere·. Acc. trag. 413 mare cum horreret fluetibus.

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

(528. 530)1 und non iam - sed (523. 525) deutlich wird. Der einleitende Vers (528) verweist auf die Musterstelle georg. 3,237ff., in der Vergil den homerischen Vergleich eines zur Schlacht ausrückenden Heeres mit Meereswellen, die an die Küste rollen und sich dort aufschäumend brechen (II. 4,422ff.), auf den in den Kampf gegen den feindlichen Rivalen preschenden Stier übertragen hat. Mißt man die Verse [Aen.] 7,528-530 an jenem meisterhaft durchgeformten, kraftvollen Vergleich (georg. 3,235-241), wird das bescheidene Niveau des Epigonen deutlich. Zu den herausgestellten gedanklichen Unebenheiten des Passus und den in den Anmerkungen zu agitur, ancipiti, ensibus und imo ...ad aethera fundo genannten Anstößen tritt die metrisch-prosodische Härte sudibusve praeustis (524). Es scheint ausgeschlossen, daß Vergil an dieser empfindlichen Versstelle eine Kurzmessung des Diphthongs vor langem Vokal zugelassen hätte. Selbst Statius, der doch den bereits erweiterten 'Vergil' und 'Ovid' (s.u.) vor sich hatte, mißt - an weniger prominenter Versposition - praêiret Arion (Theb. 6,519). Die einzige scheinbare Parallele bei Vergil, praeeunte carina in der Klausel von 5,186 (wo das Präfix weniger exponiert und vor einer Kürze steht), stammt ebenfalls vom Interpolator2. Wir haben ihn mehrfach beim Abweichen von der strengen Versnorm Vergils ertappt (s. S. 414ff.).

7. Die kontaminierte Iris am Beginn des 9. Buches und die Chronologie der Ereignisse in Aen. VIII-X Aen. 9,1-24. 30-32. 44-46 Der echte Vergil kehrt zu Beginn seines 9. Buches zum Schauplatz in Latium zurück und führt den Handlungsstrang des Aufmarsches der latinischen Truppen weiter, den er am Ende des 7. Buches abgebrochen hatte3. Dort war im Musenanruf 7,641ff. die Absicht angekündigt worden, darzulegen, quae quemque s e cut a e \ compiermi campos acies (642f.), nachdem in 637ff. die konkrete Mobilmachung begonnen hatte. Der Auszug der Latiner und ihrer Verbündeten auf das offene Feld wird mehrfach durch das Verb ire (gegebenenfalls mit Präfix) wiedergegeben (647 init bellum, 698 ibant aequati numero, 812f. illam ... | prospectât e unte m)·, daneben finden sich um der Variation willen moenia linquunt (670)... et... feruntur (673) ceu ...

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Vgl. georg. 4,310 primo - mox et - donec\ Aen. 4,176 (primo, mox). Siehe S. 414. Er hat zuvor schon die Verse 178-182 eingefügt; v. ad loc. Der Beginn des 8. Buches, die Verse [Aen.] 1-17, sind ja ebenfalls unecht, v. ad loc. Hardie ad loc. vergleicht passend "II. 3,1-14 describing the advance of the Trojan and Achaean armies after the catalogues of book II."

Die kontaminierte Iris und die Chronologie der Ereignisse

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cum ... I descendunt ... \ descendunt ... \ linquentes cursu rapido (674ff.); euntibus ( 6 7 6 ) ; nec ... defuit ( 6 7 8 ) , hunc ... Ç,Ç.in.i.t.(lJM.r- (681), vestigia ... | instituer e (689f.); misere in proelia (744); ν e nit (750); ipse inter primos ... Turnus \ vertitur (783f.), insequitur (793) ; hos super ad ν e ni t ... Camilla (803). Immer wieder ist - neben acies - von agmen bzw. agmina (7,648. 694. 804) oder legio (681) die Rede. 793f. heißt es: clipeataque totis \ agmina densentur campis. All diese Stichworte nimmt Vergil in den ersten Versen zu Beginn seines 9. Buches wieder auf, wenn er nun den Anmarsch der Latiner übers offene Feld in Richtung Trojanerlager schildert: 9,25

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Iamque omnis campis exercitus ibat apertis dives1 equum2, dives pictai vestís3 et aun4. Messapusprimas acies , postrema coercent Tyrrhidae iuvenes, medio dux agmine Turnus, vgl. Turnus, ut ante5 volans tardum praecesserat agmen vi g int i le et i s e qui tum comitatus6 et urbi improvisus adest, (...).

Hatte sich Turnus in 7,783 inter primos bewegt, so ist er 9,28 zunächst medio dux agmine, eilt dann aber - während der Dichter in 9,33-43 sein Augenmerk auf die Reaktion der Trojaner lenkt7 - mit einer Schwadron von 20 ausgewählten Reitern dem langsam vorrückenden Heereszug (der ja großenteils aus Fußvolk besteht) voraus (vgl. 47ff.) und vollführt vor dem Lager der Trojaner, das hier bereits als urbs bezeichnet wird (48), eine Art Kriegseröffnungsritual. Vergil verlangte allerdings von seinem Leser (und Hörer) ein hohes Maß an geistiger Beweglichkeit und ein waches Ohr, daß er von sich aus beim Einsatz des 9. Buches von den Versen 9,25ff. den Bogen zum Ende des 7. Buches zurückschlug und die Verbindung der oben herausgehobenen Stichworte herstellte. Daher kann man verstehen, daß sich Montanus herausgefordert fühlte, den von Vergil bewußt gewählten unvermittelten Einsatz des neuen Buches mit iamque8 omnis campis exercitus ibat apertis9 (wodurch das

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Vgl. dives in 7,684. Siehe currusve in 7,686. Das 7. Buch hatte mit der schmuckvollen Ausrüstung der Camilla geschlossen (7,814ff.). Vgl. das Stichwort aurum in 7,790. 816. Vgl. 7,673 ante aciem. Vgl. comitatur in 7,681. Die Verse [Aen.] 9,44-46 habe ich dem Montanus gegeben, s.u. Auch das 14. Buch von Ovids Metamorphosen beginnt mit dem Zeitadverb iamque.

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zeitliche Kontinuum der zweisträngigen Handlung betont werden sollte) durch einen erläuternden Vorspann zu verdeutlichen. So weist er denn gleich im ersten Vers seines Zusatzes 1-24 auf den Schauplatzwechsel hin und gibt durch die Partikel dum zu verstehen, daß sich der Leser die Geschehnisse des 8. Buches (oder doch jene des Schlußteils des 8. Buches) zeitgleich mit der von Montanus erfundenen Erscheinung der Götterbotin Iris vorzustellen habe1: [Aen.] 9,1

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[Atque ea diversa penitus dum parte geruntur2, Irirrt de cáelo misit Saturnia Iunir audacem ad Turtum . luco5 tum forte parentis Pilumni Turnus sacrata6 valle sedebat1.

Wir werden sehen, daß auch die etruskischen Truppen, die Aeneas zu Schiff heranführt, in dem (ebenfalls durch einen Musenanruf eingeleiteten) Katalog 10,163ff. direkt auf der Anfahrt befindlich vorgestellt werden, vgl. 10,166 secataequora, 178 rapit, 195 promovet, 197 sulcat maria, 198 agmen ciet, 207f. fluctum | verberat, 208 spumarti vada, 209 hunc vehit, 212 murmurât unda und das Resümee in 213f. tot lecti proceres ter dénis navibus i bant I subsidio Troiae et campos salis aere sec ab ant (Imperfekt als 'Verlaufstempus'!). Es folgt iamque (215), v. ad loc. Allerdings bewahrte auch dieser Versuch, den Schauplatzwechsel zu Beginn des 9. Buches zu verdeutlichen, den 'Vergil' nicht vor der Kritik der antiken Grammatiker; denn Servius berichtet zu 9,1 quem transitum quidam culpant, s. S. 67. Ein prosaisch klingender Vers (s. Dingel), den Montanus ähnlich schon [Aen.] 7,540 verwendet hat: atque ea per campos aequo dum Marte geruntur (v. ad loc.). Auch die beiden einzigen Parallelen in der Dichtung vor den kaiserzeitlichen Imitatoren (Sil. 10,449) stammen von Montanus, nämlich die Verse [Ov. met.] 3,316f. dumque ea per terras fatali l ß. 8. ?. geruntur \ tutaque bis geniti sunt incunabula Bacchi (von den cunis des Bacchus war schon 313 die Rede; die incunabula stammen aus met. 8,99 Iovis incunabula. Creten [vgl. German. Arat. 34f.], aus der gleichen Scylla-Episode das Stichwort fatali, dort [met. 8,85f.] sinnvoll in der Junktur fatali... crine) und [Ον. met.] 11,489 quae dum sine lege geruntur (die Verse [met.] 11,486-489 gehören dem gleichen Montanus, der [Aen.] 5,830832 hinzugesetzt hat, ν. ad loc.). Die Junktur diversa ... parte stammt aus 9,691 (ductori Turno diversa in parte furenti): vgl. 11,203 (ebenfalls mit der Präposition in). Da Montanus so sehr auf die Verdeutlichung des Ortswechsels bedacht war, hat er diversa ... parte durch penitus verstärkt - ein Unikum in der Dichtung (soweit nicht in der Spätantike Aen. 9,1 als Mustervers zitiert oder imitiert wird). Dingel verweist auf diversissima parte in B. Alex. 42,4. Wörtlich aus 5,606 übernommen. Die Verse 9,2-4 stellen die einzige Dreiergruppe von Versen dar, deren erste vier Füße durch Spondeen gebildet sind (s. Dingel). Nach 9,126 at non audaci Turno fiducia cessit. von Montanus in [Aen.] 10,276 (haud tamen audaci Turno fiducia cessit) wiederholt. Der doppelte Ortsablativ luco ... sacrata valle ist störend. Vorbild für die Szenerie ist Aen. 8,608ff. (at Venus ... dea candida ... | ... aderat; rtatumque in valle reducto |M procul egelido sec ret um flumine vidit | [...] arma ... posuit), von Montanus auch in Culex 109ff. imitiert: ut procul aspexit luco residere virenti \ Delia diva ... | venit (...). Die in der voraufgehenden Anm. zitierten Vorbildverse legen die Vermutung nahe, es könnte hier secreta valle zu lesen sein; vgl. Iuvenc. l,130f. secretis in vallibus abdita semper | vita fuit puero;3,72frondosaque latet secretae valli s in umbra.

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ad quem1 §k roseo Thaumantias ore locuta est1: 'Turne3, quod optanti divum promittere nemo4 auderet. volvenda dies en attulit ultro.

Geheiligt ist der H a i n des göttlichen Vorfahren Pilumnus (vgl. [Aen.] 7,778 lucisque sacratis; Aen. 1,681 super Idalium sacrata sede recondam; 2,165 sacrato ... templo), nicht das Tal, in dem sich dieser Hain befindet. Die Stellung von parentis \ Pilumni erinnert stark an 2,299f. quamquam secreta parentis \ Anchisae domus arboribusque obtecta recessit, und auch die Szenerie des in [Aen.] 9,2. 14f. genutzten Iris-Zusammenhangs aus dem 5. Buch (vgl. 5,613f. atprocul in sola secretae Troades acta \ amissum Anchisen flebant) könnte die Verbesserung secreta valle geboten erscheinen lassen. Doch wird man angesichts der stilistischen Qualitäten des Montanus damit rechnen müssen, daß er - unschön - eine doppelte Ortsangabe einfuhrt (luco - valle) und das Attribut von luco auf valle überträgt. Die Montanus-Parallele in Culex 109 (s. S. 546 Anm. 5) deutet auf untätige Muße. Mit P i l u m n u s sucht Montanus eine sehr schemenhafte italische Gottheit zur Geltung zu bringen: Alle vier Stellen, in denen Pilumnus auftaucht, hier als parens des Turnus (dessen 'Vater' beim echten Vergil Daunus heißt), in [Aen.] 10,76 als avus, in [Aen.] 10,619 als quartus pater, in [Aen.] 12,83 als Besitzer von prächtigen Pferden, die ihm Orithyia geschenkt hat (v. ad locc.), sind von Montanus hinzugedichtet. Ansonsten findet sich sein Name in der Dichtung nirgends erwähnt. Loqui ad aliquem ist singulär im 'Vergil'; auch die von Dingel angeführte elliptische Ausdrucksweise in [Aen.] 1,64 (55-64 del. Zw., v. ad loc.) stammt von Montanus. In 10,742 dagegen ist mit den Hss Vd ad quae subridens zu lesen, vgl. Sil. 10,59 und vor allem das Zitat in Anth. Lat. I 1 (Riese) 11,55 ad quae subridens paucis ita reddidit héros. Eine Kontamination aus 1,614 et sic ore locuta est: 2,593 roseoaue haec insuper addidit ore und Ov. met. 4,480 (Iunonem) roratis lustravit aquis Thaumantias Iris . Das Patronym dürfte Ovid in die Dichtung eingeführt haben (danach haben es Columella [rust. 10,292], Val. Flaccus [7,398; 8,116] und Statius [Theb. 10,123]), der als erster (in der uns erhaltenen Literatur) auch die Variante Thaumantis bietet (met. 11,647 Thaumantidos edita) und als einziger die weitere Nebenform Thaumantea verwendet, als er in met. 14,845 die Hersilia cum vireine Thaumantea die Hügel Roms betreten läßt. Die beiden Verse sind durch Kontamination von 11,502f. ( 'Turne, sui merito si qua est fiducia forti, \ audeo et Aeneadum promitto occurrere turmae) und 8,200f. (attulit et nobis aliquando optantibus aetas \ auxilium adventumque dei) gebildet. Statt aetas hat Montanus volvenda dies gesetzt und dabei wohl weniger an Aen. 1,269 (volvendis mensibus) gedacht als an Lucr. 5,1276 sie volvenda aetas commutât tempora rerum. Zu Vers 7 vgl. ferner 3,155 en ultro ... mittit. Schon Servius hat an divum nemo ( = ne homo) Anstoß genommen. Das unpoetische Wort (siehe Axelson 76f.), hier noch dazu mit angeschlossenem Genetivus partitivus (siehe Dingel), wird vom echten Vergil (wie den meisten Vertretern hoher Dichtung bis zu Lucan und Val. Flaccus) völlig gemieden. Die drei weiteren Belege stehen in Montanus-Zusätzen zu den Wettkampfschilderungen des 5. Buches ([Aen.] 5,305. 349. 383 [284-362. 370-375. 380-386. 59-70 del. Zw.]), v. ad loc. Ovid hat das Wort häufiger in der Exildichtung, immerhin auch viermal in den Metamorphosen (2,389. 687; 3,137; 8,867). Dem Montanus gehören das nemo mit kurzem -o finalis in der Cipus-Episode ([met.] 15,600, ν. ad loc.) und zwei weitere Belege für spondeisches nemo in Eleg. Maecen. 1,16 und Aetna 10.

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Aeneas urbe et sociis et classe relicta1 sceptra PalatinP~sëdemaue petit Euandri3. nec satis*: extremas Corvthi penetravit ad urbes Lvdorumque manum5. collect os armat agrestis. quid dubitasi nunc tempus7 earns, nunc poscere rumpe moras omnis et turbata arripe castra. * dixit, et in caelum paribus se sustulit alis inpentemaue fusa secuit sub nubibus arcum10. ignovit11 iuvenis duplicisque ad sidera palmas

currus^.

Man hört den Klang von 1,390 (reduces socios classemaue relatam). DServius bezeichnet das unvergilische Attribut als Anachronismus (prolepsis), s. Dingel. Hinter sceptra ... sedemaue ... Euandri steckt Ov. fast. 6,505f. Arcadas esse \ audit et Euandrum sceptra tenere loci. Zu sedemaue petit Euandri (sc. Aeneas) vgl. Aen. 8,463 (Euandrus) hospitis Aeneae sedem et secreta petebat: Montanus hat also eine Umkehrung vorgenommen. Eine unvergilische Junktur, die 16mal im Ovidcorpus den Vers einleitet und zweimal im 'sermo pedester' des Horaz (sat. 2,4,37; ars 470). Aus 7,206ff. his ortus ut aeris \ Dardanüs Idaeas Phmiae penetrarit ad urbes | [...] | hinc illum Corvthi Tyrrhena ab sede profectum. Wieder liefert Montanus eine Kontrastimitation und nimmt dabei vermutlich den Genetiv Lydorum aus Hör. sat. 1,6, If. (non quia, Maecenas, Lydorum quidquid Etruscos | incoluit finis nemo [!] generosior est te) mit auf. Vergil benutzt Lydus nirgends, wohl aber Properz und Ovid (met. 6,11 Lvdas ... per urbes: 11,98 Lvdos ... in agros): ihnen folgt Montanus in [Ον.] epist. 9,54 (Lydo ... Lamo) und Culex 366 (Lvdi ... potentia regis). Somit bietet sich Lvdorumque manum als Kontamination aus Hör. sat. 1,6,1 und Aen. 7,43 ( = 11,450) Tvrrhenamaue manum dar. Eine unvergilische Floskel, die Montanus aus Lukrez oder Ovid (met. 13,169; trist. 5,2,37) übernommen und auch in seinen Heroides ([Ον.] epist. 7,127; 9,146. 152. 158. 164; 20,236) und im Ibis (103) genutzt hat. Vor Silius und Statius hat nur Montanus in [Aen.] 12,95f. (nunc ... \ ... tempus adest) die Floskel in geschlossener Wortstellung. Er mag durch Ov. met. 10,657ff. beeinflußt sein ('nunc, nunc incumbere tempus: \ Hippomene, propera; nunc viribus utere totis. \ pelle moram. vinces'), doch wählt er statt pelle moram eine Kontamination aus rumpe moras (georg. 3,43; Aen. 4,569) und praecipitatque moras omnis (Aen. 12,699). Nach 12,326f. posât eauos ... saltuque ... | emicat in currum: der Auftakt ist von Montanus in [Aen.] 12,82 (poscit eauos) genutzt. Die Klausel poscere currus steht ebenso in Aen.[?] 12,350. Nach 5,668f. acer equo turbata petivit \ castra·, das stärkere Verb dürfte aus 11,531 genommen sein: (Turnus) arripuitque locum, von Montanus auch in [Aen.] 3,477 gewählt: hanc (sc. Ausoniae tellurem) arripe velis. Der Plagiator Montanus, der in Vers 2 wörtlich das Erscheinen der Iris nach 5,606 geschildert hatte, übernimmt nun auch die dortige Darstellung des Weichens der Göttin nahezu wörtlich, vgl. 5,657f. cum dea se paribus per caelum sustulit alis \ ineentemaue fuea secuit sub nubibus arcum. Die Centotechnik setzt sich fort, hier besonders frappant, weil die Verse Aen. l,405f. (ille ubimatrem \ aenovit. tali fueientem est voce secutus) mechanisch zerschnitten und auf 9.16 (ιagnovit, siehe Dingel) und 9,17 aufgeteilt und mit weiteren Versatzstücken kombiniert worden sind, vgl. 1,93 ingemit et duplicis tendens ad sidera palmas und 2,153 sustulit exutas vinclis ad sidera palmas. Diese beiden Stellen sind in 9,16f. zu duplicisaue §¿

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sustulit ac tali fueientem est voce secutus: Tn1, decus caeli. auis te mihi nubibus actam detulit in terras? unde haec2 tarn clara repente tempestas? medium video discedere caelum3 ρalantisaue polo Stellas'*, seauor omina tanta5, quisquís6 in arma vocas1. ' et sic effatus8 ad undam

sidera palmas | sustulit kontaminiert worden. Macrobius (Sat. 5,9,1) führt den Vers auf Homer zurück: II. 18,182 Ί ρ ι dea, τίς yáp at âtCiv έμοί âyyeXov ήκί. Dingel hat gezeigt, daß detulit hier ungewöhnlich für 'herunterschicken' steht; er verweist auf 10,38 actam nubibus Irím und 10,73 demissave nubibus Iris, offenbar die sprachlichen Muster, nach denen Montanus den Homervers umgeformt hat. Er hat ihn weiter ausgeschmückt, indem er die berühmte Apposition lucidum caeli decus. mit der Horaz am Beginn seines Carmen saeculare die Mondgöttin preist, zu decus caeli verkürzt seiner Iris zuerkennt (das Carmen saeculare hat Vergil bekanntlich nicht mehr erlebt). Daß diese Apposition hier sekundär gegenüber Horaz steht, leuchtet unmittelbar ein, wenn man Horazens Quelle, nämlich Aen. 9,404f. hinzunimmt, wo Nisus zur Mondgöttin betet: 'tu, dea, tu praesens nostro succurre labori, \ astrorum decus et nemorum Latonia custos' (vgl. Horazens Auftakt Phoebe silvarumque potens Diana, \ lucidum caeli decus). Montanus hätte - wie Homer - an Iris ihre Funktion als G ö t t e r b o t i n hervorheben müssen. So hat dies auch Ovid in der (dem Montanus bekannten) CeyxEpisode getan, wo in met. 11,585 Juno spricht: 7ri, meae ...fidissima nuntia vocis, \ vise soporiferam Somni velociter aulam (...')· Es hat den Anschein, daß Montanus die homerische Anrede an die Göttin in die Struktur der ovidischen ( 'Iii ' + Apposition [die Anrede 'Iii' nur hier und in [Aen.] 9,18!) gegossen hat, bei seiner Vorliebe für die Identifizierung der Iris mit dem Regenbogen aber [s. zu [Aen.] 4,701] die ovidische funktional bestimmte Apposition in eine omamentale umzuwandeln suchte und sich dabei der horazischen Mondgöttin erinnert hat. Ovid dürfte auch in 9,19 eine Rolle spielen, wo in detulit in terras eine Reminiszenz an den anderen Götterboten, Merkur, vorliegen dürfte, von dem es met. 1,674 heißt: desilit in terras. In [Aen.] 6,373 formuliert Montanus unde haec, o Palinure, tibi tarn dira cupido? Die Junktur clara ... tempestas ist singulär (s. Dingel); vielleicht hat Lucr. 6,84 (sunt tempestâtes et fulmina clara canendä) eingewirkt. Vielleicht eine Kontamination aus Lucr. 3,16f. moenia mundi \ discedunt. totum video per inane gerì res (s. Dingel); Cie. div. 1,97 cum caelum discessisse visum esset (s. Dingel); ferner Ov. fast. 3,369ff. (ter tonuit sine nube deus, tria fulgura misit, \ ... \ media caeli regione dehiscere coepit) und dem mehrfachen medium caelum bei Manilius ( 1,580. 639f. ; 2,648). Dingel verweist auf die palantia sidera passim bei Lukrez (2,1031). Vielleicht nach Liv. 5,34,9 ibi omen sequentes loci condidere urbem (s. Dingel); vgl. Aen. 12,72f. ne me lacrimis neve omine tanto \ prosequere in duri certamina Martis euntem. Siehe zu [Aen.] 4,558f. (577). Vgl. 7,694 agmina in arma vocat (se. Mezentius). Vgl. 6,197 sic effatus vestigiapressit (ein et taucht bei dieser Formel sonst nirgends auf).

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processif summoaue hausit de eursite lymphas1 multa deos2 orans, oneravitque aethera voto 3 .]

Die in den Anmerkungen gegebenen Nachweise machen deutlich, daß wir einen Pasticcio aus vielen verschiedenen Versatzstücken vor uns haben. Die Szenerie ist der kaum mehr als 120 Verse zurückliegenden Begegnung zwischen Venus und Aeneas in valle reducía abgeschaut und mit der Vorstellung einer abgelegenen Örtlichkeit aus der Iris-Szene des 5. Buches verschmolzen. Letztere ist geradezu schamlos geplündert worden: Montanus entnimmt ihr die Verse 5,606 und 5,658 ganz, den Vers 5,657 beinahe wörtlich 4 . Vor allem aber die mechanische Aufspaltung des Verses 1,406 auf die Verse [Aen.] 9,16f., in die zusätzlich ein kontaminiertes Amalgam aus zwei weiteren Musterversen (1,93 und 2,153) eingegangen ist, stellt außer Zweifel, daß wir hier nicht den echten Vergil, sondern Montanus lesen, der gleich im ersten Vers seines Vorspanns mit einem Prosaismus aufwartet, in 9,2-4 die S. 546 Anm. 3 benannte metrische Singularität bietet, sich in 9,4 durch die ihm eigentümliche Pilumnus-Erfindung verrät, in 9,6 durch nemo, in 9,9 durch anachronistisches Palatini. Die Verquickung der homerischen Iris-Anrede mit der wohl durch Ov. met. 11,585 angeregten, aber horazisch formulierten Apposition (9,18) liefert einen Terminus post quem für die Entstehung dieses Passus, der mit Sicherheit später als 17 v.Chr., wahrscheinlich aber später als 8 n.Chr. liegen muß. Auf ein Entstehungsdatum nach Ovids Metamorphosen führt auch die Verwendung des Patronymikons Thaumantias in 9,5; der Vers 9,9 dürfte später als das 6. Buch von Ovids Fasti, der Vers 9,19 später als das erste, die Verse 9,22f. später als das 6. bzw. 13. Metamorphosenbuch gedichtet sein. Eine Bestätigung für die Richtigkeit der Athetese dieses EingangsPassus und einer Reihe weiterer Partien aus den Büchern VIII-X sehe ich darin, daß sich dadurch die chronologischen Schwierigkeiten der zweisträngig verlaufenden Handlung, an die viel philologischer Scharfsinn gewendet worden ist, ganz von selbst entwirrt haben. Bevor ich dies im einzelnen dokumentiere, gehe ich

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Die Szene ist der Tibererscheinung im 8. Buch nachgestaltet, wo Aeneas an den Fluß tritt, Wasser schöpft und zu den Göttern betet, vgl. 8,69ff. Das Vokabular erinnert mehr an die Hecuba-Polydorus-Szene in met. 13,531ff. 'quid moror interea crudeltà vulnera Ivmphis \ abluere ...?' \ dixit et ad lituspassu processif anili, ... \ ... liquidas hauriret ut undas (v. ad loc.). Vgl. ferner Aen. 10,833f. Tiberini ad fluminis undam | vulnera siccabat lymphis. Die Junktur summo ... surfte (nare) steht Ov. met. 6,372. Den gleichen Versauftakt hat Montanus in [Aen.] 7,593 multa deos aurasquepater testatus (v. ad loc.). In [Aen.] 10,620 formuliert Montanus multisque oneravit limina donis (618-620 del. Zw.). Vgl. Aen. 8,70 talis effundit ad aethera voces: 11,342 his onerai dictis; 1,280 quae mare nunc terrasque metu caelumque fatieat. Siehe [Aen.] 9,2. 15 und 14.

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noch kurz auf den Passus 9,25-46 ein, aus dem ich die Verse [Aen.] 9,30-32 und 9,44-46 ausgeschieden habe. Es wurde oben gezeigt, daß der echte Vergil den Leser zu Beginn des 9. Buches sofort mitten in den im Gang befindlichen Aufmarsch der italischen Truppen versetzt (9,25 iamque ortmis campis exercitus ibat apertis), so wie er den Aeneas, als er im 10. Buch dessen Handlungsfaden wieder aufnimmt, gleich mitten auf dem Meere segelnd vorführt, über das er die etruskischen Hilfsvölker zur Tibermündung bringen wird (10,213 tot lecti proceres ter dénis navibus ibant)1. Der Buchbeginn 9,25ff. weist aber zugleich deutliche Anklänge an den Auszug des Aeneas mit der arkadischen Reitergruppe aus Pallanteum auf (die Entsprechungen sind hier durch Fettdruck kenntlich gemacht): 8,585

iamque adeo exierat portis equitatus apertis Aeneas inter primos et fidus Achates, inde alii Troiae proceres; ipse agmine Pallas it medio chlamyde et pictis conspectus in armis.

Es war offenbar Vergils Absicht, die Parallelität (nicht Gleichzeitigkeit) der beiden Ereignisse zu betonen. Dies hat er weiter dadurch untermauert, daß er auch das Staubmotiv aus 8,592f. (oculisque sequuntur \ pulveream nubem; vgl. 595f.) in 9,33f. wieder aufnimmt: Aen. 9,25

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Iamque omnis

campis exercitus ibat apertis dives equum, dives pictai vestís et auri. Messapus2 primas acies, postrema coercent Tyrrhidae iuvenes, medio dux agmine Turnus: II [ceiP septem surgens sedatis omnibus4 altus

Siehe o. S. 546 Anm. 9. Auch im 10. Buch wollte sich Montanus mit dieser straffen Handlungsführung nicht abfinden, s.u. zu [Aen.] 10,116ff., bes. 10,146-162. In Anlehnung an diese Stelle dürfte Montanus in seinem Zusatz zu Beginn des 8. Buches Messapus ebenfalls an die vorderste Front gerückt haben, vgl. [Aen.] 8,6 ductores primi Messapus et Vf ens. Das in seiner Art singulare Gleichnis vom Ganges und Nil schließt nicht glatt an 27f. an, sondern müßte auf exercitus ibat von Vers 25 zurückbezogen werden. Es suggeriert durch se condidit (32) einen unstimmigen Bezug zu condunt se Teucri (39) und enthält weitere Schwierigkeiten, weshalb ich die Verse [Aen.] 9,30-32 dem Montanus gegeben habe, der immer wieder den echten Vergil durch zusätzliche Gleichnisse auszuschmücken und ihm ein homerisierendes Flair zu verleihen sucht. Ein Vorbild für das vorliegende scheint es nicht zu geben (s. Dingel); verwandt ist das ebenfalls von Montanus stammende, ebenfalls um ceu ... cum gruppierte in [Aen.] 11,297-299 (v. ad loc.) und der Montanus-Passus von der Nilüberschwemmung in [georg.] 4,290-293 (hierzu Cramer 284ff.). Steckt dahinter Ovids sedatis ... vends (met. 15,349)?

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per taciturn1 Ganges aut pingui flumine Nilus cum refluii campis et iam se condidit alveo2] hic subitam nigro glomerari pulvere nubem prospiciunt Teucri ac tenebras insurgere campis. (...) ... ingenti clamore per omnis condunt se Teucri portas et moenia comptent. namque ita discedens praeceperat optimus armis Aeneas: si qua interea fortuna fliisset, neu struere auderent aciem neu credere campo; castra modo et tutos servarent aggere muros. [ergo etsi3 conferre manum4 pudor iraquí monstrat, obiciunt6 portas tarnen et praecepta facessunt1. armatique caviss exspectant turribus hostem.]

Das unstimmige Gleichnis mit dem in der vorkaiserzeitlichen Dichtung singulären per taciturn (31) und die unvergilische Ausdrucksweise in 44 und 45 zeigen auch hier den erweiternden Montanus am Werk. Er wollte in 9,44-46 (Vergils Erläuterung in 40ff. aufgreifend) die Trojaner noch weiter entlasten, den Vorwurf der Gegner, sie seien feige und untätig (vgl. 9,55f.), mit noch größerem Nachdruck zurückweisen. Doch hat Vergil in 40ff. zur Genüge das Motiv für die Zurückhaltung der Trojaner benannt und wird in 9,172 ein weiteres Mal Auskunft über die Vorsorge geben, die Aeneas für die Zeit seiner Expedition zu Euander getroffen hat (9,172). Er läßt so den Leser erkennen, daß Turnus und seine Vertrauten in 55ff. offenbar noch nicht wissen, daß die Trojaner ohne ihren Führer im Lager zurückgelassen sind, und 1

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Per taciturn für tacite findet sich erstmals hier; danach erst wieder - allerdings kaum adverbiell - bei den 'Vergil'-Imitatoren Seneca (Thy 397 aetas per taciturnfluat)und Lucan (10,252f. trahitur Ganeesaue Padusque | per taciturn mundi [!]; tunc omnia flumina Nilus | ... perfert. Durch die Junktur wird eine Doppelung zu Vers 39 in den Text getragen. Der gesamte Ausdruck erinnert an 7,303 (optato conduntur Thybridis alveo) und 8,66 (lacufluvius s¿ condidit alto). Hier verrät sich Montanus durch die unvergilische Konjunktion etsi, die er ein weiteres Mal in der Helena-Episode verwendet (2,583, s. S. 413) und dreimal in der Ciris, dort sogar als Auftakt des ganzen Epyllions (Ciris 1. 156. 415). Siehe zu [Aen.] 10,876. Eine - wie es scheint - erst bei Ovid belegte Junktur, vgl. fast. 3,692 nunc pudor elusum. nunc subit im deum\ met. 1,755 iramque pudore repressit. Montanus hat sie in [Aen.] 5,455 eingeschwärzt, vgl. 5,453ff. at non tardatus casu neque territus heros \ acrior ad pugnam redit ac vim suscitât ira [ | tum pudor incendit vins §í conscia virtus (= 12,668)] I praecipitemque Daren ardens agit aequore toto, etc. (v. ad loc.). Ein unpoetischer Ausdruck, den Dingel Liv. 1,14,11 (priusquam fores portarum obicerentur) nachweist. Aus georg. 4,548 continuo matris praecepta facessit. Vgl. [Prop.] 4,10,13 hune videt ante cavas librantem spicula furris (sc. Romulus)·, erinnert sei an den Generalvorbehalt gegenüber dem Properzcorpus, s. S. 7 Anm. 1.

Die kontaminierte Iris und die Chronologie der Ereignisse

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macht auf Schritt und Tritt deutlich, daß diese Aeneas dringend zurückwünschen (9,192ff. 226ff. 241. 257. 261f. 312), wodurch er den nächtlichen Spähergang von Nisus und Euryalus und ihren Versuch, Aeneas aus dem nahe gelegenen Pallanteum zurückzuholen, breit motiviert. Sinnvoll ist all dies nur, wenn Aeneas zu diesem Zeitpunkt noch nicht von Euander zu den Etruskern aufgebrochen ist. Eben dies aber unterstellt Iris in 9,8-11 in ihrem Gespräch mit Turnus! Die oben begründete Zuteilung der IrisEpiphanie (und einiger weiterer Zusätze) an Montanus bringt die Chronologie der Ereignisse ins Lot. Es stellt sich heraus, daß Vergil die Handlung am Tiberlager und jene, die in Pallanteum und auf dem Hin- und Rückweg abläuft, in eine kunstvolle Synchronie gebracht hat. Für die Details der beiden Handlungsfaden kann ich auf die bequeme Übersicht in Dingels Einleitung S. 13f. verweisen. Hier gebe ich lediglich eine Tabelle der chronologischen Verhältnisse im echten Vergil:

Auftakt in Latium (mehrere Tage) Juno öffnet die Kriegstore (7,620-622). Ausonien, insbesondere die fünf großen Städte rüsten zum Krieg (7,623. 628-631)1. Mobilmachung (7,637640). Aufmarsch der italischen Truppen auf den Sammelplatz, das offene Feld in Richtung des Trojanerlagers (7,641-816).

Chronologie der Hauptereignisse am Tiberlager in Pallanteum/Etrurien und auf der Götterebene 1. Nacht an d e r t T i b e r m ü n d u n g : Tiberinus erscheint dem Aeneas im Traum (8,26-

'èïf 1. Tag Sonnenaufgang an d e r . T . i b e r m ü n d u n g . : Gebet des Aeneas, Zurüstung zweier Ruderschiffe, Sauprodigium, Opfer an Juno (8,68-85)3

1 2 3

[Aen.] 7,624-627. 632-636 del. Zw. [Aen.] 8,1-17 del. Zw. [Aen.] 8,40sq. 55. 59-65. 77 del. Zw.

554

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

Vormittag Vom Flußgott beschleunigte Fahrt tiberaufwärts nach P a l l a n t e u m (8,9093)1 Mittag Ankunft in P a l l a n t e u m

(8,97-

101)

Nachmittag -» Abend Trojanerlag.er Anmarsch und Ankunft der Italer unter Führung des Turnus (9,25f. 47ff.) Verwandlung der Schiffe (9,69ff.) Beginn eines nächtlichen Zechgelages der Italer (9,156ff.)

Pallanteum Herculesfest (8,102-302) Gang in die Stadt zum Königssitz des Euander (8,306-369)

2. Nacht Venus und Vulcanus (8,370-393)

Nisus und Euryalus wollen Aeneas in Pallanteum benachrichtigen (9,168-449)

Aeneas schläft im Gastgemach des Euander (8,366f. 369. 463)

Vor Morgengrauen Vulcanus bei den Kyklopen: Waffenrüstung für Aeneas (8,416-458) 2. Tag Sonnenaufgang

Beginn der Kämpfe (9,459-464. 503ff.)

1

[Aen.] 8,86-89. 94-96 del. Zw.

Euander bei Aeneas (8,455-519)

Die kontaminierte Iris und die Chronologie der Ereignisse

555

Sie dauern (so müssen wir uns vorstellen) bis zum Abend, der mit dem Buchende erreicht ist. Eine Aufteilung der verschiedenen Phasen auf die Tageszeiten ist in diesem Schema nicht beabsichtigt.

Vormittag

Heldentat des Ascanius (9,590ff.) Pandarus und Bitias (9,672ff.)

Abschied und Aufbruch zu den E t r u s k e r η (8,554ff. 585ff.)

Nachmittag

Ankunft am Silvanus-Hain bei C a e r e , wo Tarcho mit seinem kampfbereiten Etruskerheer lagert (8,600-607)

'Turnus intra muros' (9,691ff.)

Abend (?)

Turnus rettet sich durch Sprung in den Tiber (9,815-818)

Venus überreicht die Waffen des Vulcanus (8,608-731)

3. Nacht

Rückfahrt des Aeneas mit dem Etruskerheer übers Meer (10,166ff., bes. 213ff. [10,116-162 del. Zw.]) - Truppenkatalog (10,163ff.) Mitternacht Begegnung mit den verwandelten Nymphen (10,219ff.) Cymodocea beschleunigt die Fahrt (10,246ff.)

556

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

3. Tag Vor Morgengrauen (?) Götterversammlung (10,1-115) Tagesanbruch Ankunft des Aeneas mit den Etruskernam T i b e r l a g er (10,256ff.) Turnus wirft seine Truppen an die Küste (10,308ff.) Kampfbeginn (10,31 Off.): für die Trojaner und Latiner ist es der zweite Kampftag, zugleich der Tag, an dem Jupiter nicht eingreifen, sondern dem Kriegsgeschick freien Lauf lassen will (10,104-108. 113). Wie man sieht, hat Vergil seiner Erzählung eine sehr dichte zeitliche Abfolge zugrunde gelegt; doch wird der Leser dies kaum so empfinden, da er ja die gleichzeitig ablaufenden Ereignisse im Nacheinander der erzählenden Darstellung, auf verschiedene Bücher verteilt, zur Kenntnis nimmt. Es ist evident, daß diese gut kalkulierte Chronologie zusammenstürzen muß, wenn Iris zu Beginn des 9. Buches dem Turnus mitteilt, Aeneas sei zu Euander, nach Pallanteum gezogen, ja bereits bei den Etruskern angekommen und sammle dort Truppen (9,8-11). Deshalb sei der Augenblick günstig, nun gegen das Trojanerlager vorzurücken. Dies würde tatsächlich bedeuten, daß das später erzählte Nisus-Euryalus-Unternehmen ins Leere laufen müßte: der Dichter hätte den aufwendig vorbereiteten nächtlichen Botschaftergang nach Pallanteum zu einem Zeitpunkt eingefädelt, da Aeneas längst den Ort verlassen und zu den Etruskern weitergezogen war. Dies läßt sich auch nicht als Ironie des Erzählers rechtfertigen (wie man es versucht hat). Der Aufweis schicksalhaften Scheiterns aller menschlichen Anstrengung ist nicht Zweck der Nisus-Euryalus-Episode. Ein solcher Hintersinn läßt sich nirgends dem Text abgewinnen; ihn aber, ohne daß der Dichter dem Leser ein Signal gibt, zu supplieren, ist unzulässig. Die Wiedergewinnung der chronologischen Ordnung, die sich als zufälliges Nebenergebnis unserer echtheitskritischen Analyse der Eingangspartie des 9. Buches eingestellt hat, bestätigt im nachhinein auch die Aussonderung des langen Zusatzes vor dem Etruskerkatalog im 10. Buch, die ich im kritischen Kommentar begründet habe, ohne zunächst die Problematik der Synchronie der Handlungsstränge zu bedenken. Ich nehme hier die Quintessenz vorweg.

Die kontaminierte Iris und die Chronologie der Ereignisse

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Aen. 10,116-162 Die Götterszene auf dem Olymp ist durch die Stichworte Panditur interea domus omnipotentis Olympi (10,1) und totum nutu tremefecit Olympum (10,115) gerahmt. Daran schließt sich unmittelbar1 der Musenanruf 10,163ff. an, durch den die genannten Stichworte kunstvoll weitergeführt werden: 10,163

Pandite nunc Helicona, deae, cantusque movete, quae manus interea Tuscis comitetur ab oris Aenean armetque rates pelagoque vehatur.

Durch das Adverb interea von 10,1 wird die Beratung der Götter nicht notwendig in unmittelbaren, aber doch in nahen zeitlichen Kontakt zur Bestürmung des Trojanerlagers durch Turnus und seine Truppen gebracht (siehe 10,20ff.) 2 , durch das interea von 164 als zeitgleich mit der Rückfahrt des Aeneas in Begleitung der etruskischen Hilfstruppen, die er auf 30 Schiffen übers Meer heranführt (165ff. 213f.), gekennzeichnet. Durch das iamque von 215 wird die letzte Phase dieses Unternehmens, die nächtliche Schiffahrt, eingeleitet, während derer die zu Beginn des 9. Buches von Turnus mit Feuer bedrohten und in Nymphen verwandelten Schiffe der Trojaner dem Aeneas begegnen, ihm Kunde von der Situation im Lager geben und ihn auf den bevorstehenden Kampf vorbereiten, der in 260, durch einen weiteren Einsatz mit iamque, eingeleitet wird. Diese enge zeitliche Verkettung der im 9. und 10. Buch erzählten Ereignisse verbietet es, daß in 10,118ff. durch ein weiteres interea eine zusätzliche Kampfszene eingeschaltet wird, die sich - mit Ausnahme der gewaltsam herbeigezogenen Schlußverse 143f. (v. ad loc.) - in keiner Weise als Fortsetzung jener Phase der Bestürmung des Lagers lesen läßt, die am Ende des 9. Buches (Turnus springt in den Tiber hinab) erreicht war, sondern eher an den Stand zu Beginn der Belagerung anknüpft: Montanus hat sich im Vokabular zunächst an 9,160. 410. [470.] 508. 533 orientiert (v. ad loc.), dann ein weiteres Mal den Ascanius herausgestellt - freilich eher in seiner kindlichen Schönheit denn als Kämpfer (132ff.), obwohl dieser doch bereits in 9,590-637 eine echte Aristie erhalten hat 3 . In 146ff. wird dann ein schiefes zeitliches Verhältnis zwischen diesen (neuerlichen) Belagerungskämpfen und der nächtlichen Schiffahrt des Aeneas

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3

Die Verse 116f. sind als unstimmiger, pedantischer Szenenabschluß angeklebt, der Vergils majestätischen Schluß in 115 verdirbt. Das Praesens ist hier generalisierend (im zusammenfassenden Rückblick) gesetzt, vgl. 10,69 (wo das vitam committere ventis auf die nächtliche Rückfahrt des Aeneas übers Meer zu beziehen ist, vgl. 10,164f. 213f.). Es war diese nach dem Willen Vergils die einzige in den vier Kriegsbüchern, vgl. 12,385. 433ff. (Der Vers 399 steht in dem unechten Passus [Aen.] 12,391-410).

558

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

hergestellt: illi inter sese duri certamina belli | contulerant: media Aeneas freía nocte secabat. Dabei wird diese nächtliche Fahrt erst in 215ff. durch eine markante Zeitperiphrase neu eingeführt! Man erkennt unschwer das Bestreben des weiterdichtenden Bearbeiters, die zwischenzeitlichen Ereignisse der 'hinterszenischen' Handlung (Aeneas bei den Etruskern; die Fahrt der Hilfstruppen übers Meer) in chronologischer Abfolge zu rekapitulieren (148-162), die Vergil selbst implizit in der Rückschau (164f. quae manus interea Tuscis comitetur ab oris | Aenean) erzählt, bevor er in 215ff. den Schlußteil der nächtlichen Fahrt als gegenwärtiges Geschehen schildert. Die Verse [Aen.] 10,159f. (hie magnus sedet Aeneas secumaue volutat \ eventus belli varios) bilden eine Kontamination aus Aen. 6,157f. (Aeneas) ... caecosaue volutat \ eventus animo secum und Manil. 1,403 eventus frusum varios et tempora discunt (sc. qui surgentem [Caniculam] ... speculantur). Bei Manilius lernt der Betrachter der Gestirne, insbesondere der aufsteigenden Canícula (die übrigens nach 1,405 bella facit pacemque referí), die eventus frugum varios: beides ist funktional miteinander verbunden. In [Aen.] 10,159ff. dagegen besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Reflektieren des Aeneas über die Kriegsereignisse und den Fragen des in die Sterne blickenden Pallas. Folglich ist es unwahrscheinlich, daß sich Manilius an das unverbundene Nebeneinander dieser beiden Motive erinnert hätte, als er seinen organisch entwickelten Gedanken konzipierte, der auf das Vorausberechnen der evenius frugum und der iempora abzielte, nicht auf eventus belli, die zudem im Falle des montanischen Aeneas in der Vergangenheit liegen. Plausibel ist also nur das umgekehrte Abhängigkeitsverhältnis. Damit aber erhalten wir das Jahr 9 n.Chr. als Terminus post quem für die Entstehung des hier verhandelten Zusatzes zum 10. Aeneisbuch. Zu Unrecht stilisiert übrigens Montanus hier den Pallas als vertrauten Freund des Aeneas, als sei das Verhältnis zwischen beiden (die sich erst einen Tag kennen) im Sinne der Verbundenheit Achills mit Patroklos zu verstehen. Nur so wäre ja gerechtfertigt, was wir [Aen.] 10,160ff. lesen: Pallasque sinistro I adfixus lateri iam quaerit sidera, opacae \ noctis iier, iam quae passus terraque marique. Der vergilische Aeneas ist nicht in beschauliche Untätigkeit versunken, sondern legt selbst Hand ans Steuer und lenkt die nächtliche Fahrt (10,217f.): Aeneas (ñeque enim membris dai cura quieíem) | ipse sedens clavumque regii velisque ministrai. Einen patroklosgleichen Pallas, der den Aeneas nach den Sternen und dem Weg der dunklen Nacht fragt1 und sich -

Opacae \ noctis iter ist so wörtlich von Silius (6,70f.) zitiert. Die Junktur opaca nox stammt aus Aen. 4,123; 8,658.

Die kontaminierte Iris und die Chronologie der Ereignisse

wie Dido im 4. Buch - erzählen läßt, quae passus terraaue mariauegibt Vergil bewußt nicht an die Seite.

559

ihm

8. Kontamination und komplementäre Nutzung homerischer und verwandter Gleichnisse In diesem Kapitel werden drei Tiergleichnisse vorgeführt mit dem Ziel, den Unterschied zwischen der gelegentlich durchaus auch kontaminierenden Homeradaptation Vergils und der oftmals mechanisch anmutenden Übernahme von Versatzstücken bei Montanus zu verdeutlichen. Dabei kommt eine 'komplementäre' Verfahrensweise nur bei dem ersten und dritten Exempel ins Spiel. Das zweite (in seiner Art nicht übel geformte) ist einerseits wegen der Thematik, andererseits wegen der Kombination eines homerischen Vorbildes mit einem ovidischen Versatzstück (und weiteren Reminiszenzen aus Horaz und Vergil) hinzugenommen.

a) Das Ebergleichnis in der Mezentius-Aristie Aen. 10,694. 707-718 Das Eingreifen des Mezentius in den Kampf wird im überlieferten Text durch drei verschiedene Gleichnisse ausgemalt: auf das Bild vom unerschütterten Felsen in den Stürmen des Meeres und der Winde (693ff.) folgt der von Jägern umringte Eber, dem man sich nicht zum Nahkampf zu stellen wagt (707ff.), und wenige Verse später der hungrige Löwe, der sich auf seine Beute stürzt (723ff.) - eine im ganzen Vergil singuläre Gleichniskette, die in 10,763ff. noch um den Vergleich mit dem gewaltigen Giganten Orion erweitert wird. Das erste Gleichnis führt uns auf die von Vergil imitierte Vorbildstelle, den Kampf der Troer bei den Schiffen in II. 15,592ff. Dort sollen die Troer die Gebote des Zeus vollenden (Διός δ' eréXeiov ίφβτμάς)2, der zunächst dem Hektor den Ruhm gewähren wollte, Feuer auf die Schiffe der Griechen zu schleudern; dann aber sollten die Danaer die Troer in die Flucht schlagen (15,592-602). Hektor wird zunächst mit dem lanzengewaltigen Ares3 und mit

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Die Klausel ist von Montanus aus Lukrez (3,837; 5,219; 6,678) oder Ovid (trist. 3,1,25; 4,8,15; vgl. Manil. 4,763) übernommen und auch in [Aen.] 9,492 (v. ad loc.) und Aetna 599 genutzt. Vergil gibt dieses Motiv durch Iovis ... monitis wieder, s.u. Von Vergil durch den lanzenschwingenden Orion ersetzt.

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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Feuer, das auf den Bergen im Dickicht des Waldes wütet1, verglichen (605ff.)· Als er dann durch die Reihen der Griechen hindurchbrechen will (615ff.), hatten sich diese fest aneinandergelegt wie ein gewaltiger Felsen am Meeresstrand, der den Bahnen der sausenden Winde und dem Anprall der Wogen standhält: II. 15,618

ίσχον yap τυρΎηδόν άρηρότβς, ήυτί νίτρη ήΧίβατος μί·γά\η, πο\ίής àXôç.èyyùç èovaa, η re μίνα Xiyéwv ανέμων λαιψηρα κίΧευôa κύματα re τροφόίντα, τά re Tpoaeptùytraι αυτήν ώς Δαναοί Τρώας μίνον Ιμπώον οΰδί φίβοντο.

Vergil überträgt dieses Felsengleichnis von den dichtgescharten Danaern, die den andringenden Troern standhalten, auf den Mezentius, der beim Eintritt in die Schlacht sogleich von allen Tyrrhenern bedrängt wird, sich ihrer jedoch erfolgreich erwehrt und zunächst fünf Gegner bezwingt2: 10,689

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at Iovis interea monitis3 Mezentius ardens succedit pugnae Teucrosque invadit ovaritis, concurrunt Tyrrhenae acies atque omnibus uni, uni odiisque viro telisque frequentibus instant, ille (velut rupe s4 vastum quae ρ rodit in aequor, obvia ventorum fiiriis5 expostaque ponto vim cunctam atque minas perfert caelique marisque6 ipsa immota manens) prolem Dolichaonis Hebrum stemit humi (...).

Das homerische πολιής ά λ ό ς . έ ^ ύ ς èoûaa (15,619) hat Vergil bewußt durch vastum quae rodiί._in aequor ersetzt, um das Gleichnis der aktiveren Haltung des Mezentius (Teucrosque invadit ovaritis) anzupassen. Auch obvius kann eine aktive Komponente haben, so daß man in obvia ventorum fiiriis die in prodit angelegte Bewegung fortgesetzt sehen darf, wenngleich dann in expostaque ponto und immota manens (696) auf der Bildebene die Vorstellung von Passivität überwiegt. Sie entspricht der zweiten Phase des

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Vielleicht hat Vergil von hier seine Anregung für das Gleichnis in 10,405ff. bezogen. In 10,705 lese ich mit Bentley Cisseis regina Parin: Paris urbe paterna (...) statt des überlieferten Cisseis regina Parin creat urbe paterna (...): Die Handschriften bieten das Ergebnis eines unbefriedigenden Versuches, nach dem haplographisch bedingten Ausfall das Metrum ins Lot zu bringen. Vgl. Aen. 4,331 ille Iovis monitis immota tenebat | lumina. Beinahe denselben Auftakt eines Gleichnisses bietet Montanus in [Aen.] 7,586 ille velut pelagi rupe s (ν. ad loc.). Vgl. die venti furentes in 10,37. Vgl. Aen. 6,113 omnis pelaeique minas caelique ferebat.

Homerische und verwandte Gleichnisse

561

Mezentiusauftritts, in der er - allein - von allen etruskischen Truppen bedrängt wird - sich aber bald Luft verschafft, wie in 696bff. ausgeführt wird. Obwohl dort Mezentius in einen Nahkampf verwickelt ist (man denke an die genannte Musterszene im 15. Iliasbuch) und gleich anschließend (719-731) - wie ein hungriger Löwe - sich durch die feindlichen Reihen zu dem im Purpurgewand prangenden Acron hindurchkämpfen wird, um auch ihn niederzustrecken, schließlich den fliehenden Orodes gar im Lauf überholt, um ihn von vorne, Mann gegen Mann, zu fällen (732-746), soll er in 10,707ff. mit einem Eber verglichen werden, der zwischen die Netze geraten ist und nun wild schnaubend mit aufgerichteten Borsten dasteht, so daß sich keiner der Jäger traut, näher an ihn heranzutreten, sondern sie ihm aus sicherer Entfernung mit Geschossen und Geschrei zusetzen: 10,707

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[ac ve lut a) Ule canum morsu de montibus aids' actus aper2, multos Vesulus quem pinifer3 annos defendit multosve palus Laurentia, silva pastus harundinedx, postquam inter retia ventum est5, substitit infremuitque ferox et inhorruit armos, b) neç çuiquam ifasci jpropiusye accedere6 virtus, sed iaculis tutisque procul clamoribus instant. haud aliter, b) iustae quibus est Mezentius irae, non ulli est animus_ stricto conçurrere ferro1, missilibus longe et vasto clamore8 lacessunt. a) ille gutem impavidus partis cunctatur in omnis dentìbus infrendens et tergo decutit hastas],

Günther sieht in diesem Ebergleichnis "eine seltsame Dublette zu dem die Reihe einleitenden Vergleich in 693ff." 9 - und Montanus mag es tatsächlich als eine 'bessere' Variante konzipiert haben, um Vergils Felsen in der Brandung durch ein lebendiges Wesen, das sich im Kampf zu bewähren hat, zu übertrumpfen; doch hat er sich (vielleicht getäuscht durch das Bild von der

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Die lukrezische Klausel hat Montanus auch in [georg.] 4,112 und [Aen.] 12,523 eingesetzt ([georg.] 4,112-115 - cf. Cramer η. 862 -; [Aen.] 12,468-553 del. Zw.). Die Junktur actus aper scheint in der Dichtung beschränkt auf fast. 2,231 und hai. 60 (ist die Fabierepisode von fast. 2,195-242 echt?). Wohl aus ecl. 10,14f. (pinifer ... Maenalus) entwickelt. Nach georg. 3,231 carice pastus acuta. Zur Konstruktion siehe anschließend S. 564. Vgl. [Aen.] 12,739; fast. 5,95 (postquam ventum est). Propiusve accedere scheint aus Ovid (met. 2,41. 503) geholt (dort jeweils -que). Vgl. Aen. 4,580 strictoaue ferit retinacula ferro und Montanus, epist. 3,145 stricto pete corpora ferro. Vasto clamore erscheint in der Dichtung erstmals bei Ovid, dessen Kentauren in met. 12,494 ruunt vasto rabidi clamore. In Aetna 56 (ineursant vasto primum clamore gigantes) hat Montanus den Vers auf die Giganten übertragen. So Günther 18, der auch von einer "Alternativfassung" (von der Hand Vergils) spricht.

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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rupes immota in 696, die jedoch eine andere Kampfsituation spiegeln soll), im Tertium comparationis deutlich vergriffen. Wenn aber das ganze Gleichnis vom Interpolator stammt, erscheinen auch die Anstöße, die man an seiner Durchführung genommen hat, in einem anderen Licht und es erheben sich methodische Bedenken, die Verse 717f. nach 713 zu versetzen, wie es im Anschluß an Scaliger die neueren Herausgeber tun1. Die oben im Text markierte chiastische Anlage des Passus ( a b b a) macht deutlich, daß die Versordnung intakt ist, die Verse 717f. also in Entsprechung zu dem in 707-711 geschilderten Verhalten des Ebers nun das Verhalten des Mezentius umschreiben. Nach dem Sprachgebrauch des Vergil läßt sich das Schlußkolon tergo decutit hastas nicht auf den Schild des Mezentius beziehen (siehe Harrison), sondern müßte den Rücken des Ebers meinen, wie es Lucan in seiner Imitation aufgefaßt haben könnte. Doch Lucans Scaeva befindet sich in einer anderen Position als Vergils Mezentius, ist von Geschossen dicht übersät (6,202-206). Demgemäß folgt Lucan nicht dem Gesamttenor des 'vergilischen' Ebergleichnisses, sondern überträgt lediglich den in 10,718b zum Ausdruck gebrachten Zug auf seinen Elephanten: 6,208

sie Libycus densis elephans oppressus ab armis omne repercussum squalenti missile2 tergo frangit et haerentis mota cute discutit hastas.

Die Kombination der aus 'Vergil' imitierten Wörter missile tergo und discutit hastas. die jeweils die Klausel der Verse 6,209. 210 bilden, legt die Annahme nahe, daß schon Lucan die Versfolge 716-718 (missilibus ... lacessunt. \ ille autem ... | ... tergo decutit hastas) als Abschluß des Ebergleichnisses in seinem Vergiltext gelesen, sein Vorbild aber - wie er das öfter tut3 - glücklich verbessert hat, indem er das Stichwort tergo dem Rücken seines Elephanten zuordnet. In aller Klarheit hat Statius die aus dem interpolierten Aeneistext übernommenen Junkturen partis ... in omnis und tergo decutit hastas (-*• tela decutit bzw. spicula devellens clipeo) dem Mezentius (und nicht dem Eber) zugeordnet gelesen und sie auf seinen Tydeus übertragen4. Also war Nett1

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Ihnen sind zuletzt Courtney (18) und Harrison (ad loc.) zur Seite getreten. Auch Günther (17) hält die überlieferte Versfolge für untragbar, meint aber in der "Verstellung von 7146" ein Indiz für die Interpolation dieser Verse zu erkennen, zu deren Gunsten die Streichung der Verse 717f. vorgesehen gewesen sei, weil sie "gewissermaßen das bereits in 711 Gesagte" 'wiederholten' (18). Vgl. das Stichwort missilibus in Aen. 10,716. Siehe zu [Aen.] 7,626f. Siehe Theb. 2,588ff. et partes pariter divisus in omnes | hos obit atque illos ferroque micantia tela | decutit: vgl. 2,601ff. non segnior ardet \ hue illuc clipeum obiectans. seque ipse recedens \ circuit; interdum trepidis occurrit et instat | spicula devellens. clipeo quae plurima toto | fixa tremunt armantque virum. Es scheint nicht ausgeschlossen, daß Statius an der letzteren Stelle das zunächst durch ferro (2,589) ersetzte tergo von Aen. 10,718

Homerische und verwandte Gleichnisse

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leship im Recht, wenn er die überlieferte Versfolge halten wollte unter Verweis auf das von Servius zu 11,619 zitierte Sallust-Fragment (hist. 4,75 Maur. more equestris proelii sumptis ter gis ac redditis), in dem ter gum 'Schild' bedeutet, und Gabriele Thome (1979, 349f.), die an Servius zu 10,717 (TERGO scuto)1 erinnert, ist jedenfalls darin zuzustimmen, "daß durch die genannte Umstellung die Harmonie zwischen Bild- und Realebene empfindlich gestört würde" 2 . Neben der problematischen Verwendung des Begriffs ter gum in 718, den Thome mit dem clipeum, tot ferri terga, tot aeris \ quem pellis totiens obeat circumdata tauri von 10,482f. in Verbindung bringt 3 , befremdet in 717f. der Ausdruck impavidus partis cunctatur in omnis4 \ dentibus infrendens: Man erwartet neben impavidus ein Verb, das ein trotz der geschleuderten Geschosse furchtloses Bedrohen der Gegner mit knirschenden Zähnen zum Ausdruck bringt 5 . Ich hatte daran gedacht, cunctatur durch minitatur zu ersetzen, ein Verb, das bei Vergil fehlt, das aber der Interpolator in 12,762 verwendet (s. S. 408 Anm. 3) 6 . Doch angesichts des an gleicher Versstelle auftauchenden cunctatur in 9,124 (vgl. 12,916) besteht die Gefahr, daß man damit in 10,717 den Interpolator verbessert. Die Junktur partis ... in omnis begegnet 4,630 (partis animum versabat in omnis)7. Dentibus infrendens ist eine dem Bearbeiter eigentümliche Junktur, die er in [Aen.] 8,230 auf Hercules 8 , in 3,664 auf den Polyphem überträgt, den er dentibus infrendens gemitu

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durch clipeo wiedergegeben hat. Es mag aber auch Lucan. 6,203 (veritus credi clipeo) eingewirkt haben. Servius sucht diesen Wortgebrauch durch 9,412 (et venit adversi in tergum Sulmonis) zu stützen, wo er verstehen will hastam in scutum venisse et illic esse conlisam ... flssoque scuti Ugno etiam praecordia penetrasse. Doch ist die Schwierigkeit dieses vermeintlichen 'locus insolubilis' heute längst durch die Lesung aversi in tergum (9,412) behoben. Tergum bedeutet also auch dort "der Rücken". Die Doppeldeutigkeit des Ausdrucks muß bei Montanus nicht überraschen: er vermischt ja öfter die Vergleichsebenen. R. Cramer erinnert an die Verse [georg.] 3,525-530 (ich habe die Verse [georg.] 3,525-547. 550. 554f. 558 dem Montanus zugewiesen). Vgl. 10,784f. Servius paraphrasiert: disponit se per omnes partes; aber das ist nur ein Notbehelf. Sehr frei ist Heyne: "cunctanter se vertit dubius quo impetum faciat"; aber er mag damit die unpräzise Ausdrucksweise des Interpolators treffen. Es sei an das Löwengleichnis in 12,4ff. erinnert, wo das von Speeren getroffene Tier tum demum movet arma ... gaudetque çomantis \ excutiens cervice toros fixumque latronis | impavidus frangit telum et fremii ore cruento. Auch rimaiur könnte man in Betracht ziehen, siehe zu [Aen.] 11.748 partís rimatur apertas, \ qua vulnus letale ferat ([Aen.] 11,745-750 del. Cramer). Möglicherweise steht das 'Hinundherüberlegen' dieser Vorbildstelle hinter dem Verb cunctatur. Die Präposition in wäre dann sehr mechanisch beibehalten. Die Verse [Aen.] 8,230-232 sind unecht, v. ad loc. Vermutlich hat Montanus das Zähneknirschen als Ausdruck des Zornes von Homer übernommen, der Achill beim Anlegen der

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

seine blutige Augenhöhle am Meeresstrand auswaschen läßt, v. ad loc. Für das Wetzen der Eberhauer scheint der Ausdruck nicht passend - auch dies ein Argument gegen die Versumstellung. Auf die übrigen Verse gehe ich nur noch kurz ein: Bezeichnend für den vielleicht aus Gallien (Narbonne?) stammenden Montanus1 ist die Einführung des Berges Vesulus in den Ligurischen Alpen, besonders aber die elliptische Ausdrucksweise in 708ff. mit der an das anaphorische multos angehängten Distributiv- bzw. (so die Hss MR) Kopulativpartikel, die eigentlich zur palus Laurentia oder noch besser zum silva pastus harundinea gehört. Dieser ist als Gegenglied zum aper de montibus altis actus im Nominativ eingeführt2, obwohl die (insgesamt schiefe) Satzperiode eine Angleichung an das Relativpronomen quem erforderte. Es sei erinnert an die nur dreimal bei Montanus belegte Nominativkonstruktion quam longa in [Aen.] 4,193 {nunc hiemem inter se luxu, quam longa, fovere)\ 8,86 und [Ov. am.] 1,2,3 (s. S. 411); ferner an die Nominativreihe in [Aen.] 1,639-642 (s. S. 193. 438). Unvergilisch sind die Form {palus) Laurentia statt Laurens (706)3, die Komposita infremere (711) und infrendere (718), die Junktur inter retía ventum est.

Rüstung in II. 19,364ff. so voller Schmerz und Zorn zeigt, daß er mit den Zähnen knirscht und die Augen ihm wie helles Feuer brennen. Montanus scheint diese berühmte und schon früh (etwa von Aristarch) wegen des Zähneknirschens kritisierte Szene komplementär genutzt zu haben: In der von ihm hinzugedichteten Wappnungsszene am Vorabend des Kampfes ([Aen.] 12,81-112) verleiht er dem Aeneas die zornesfunkelnden Augen Achills, dem über den Rinderdieb Cacus erbosten Hercules aber schreibt er das Zähneknirschen zu: II. 19,364 (...) 'tv &e μίσοισι κορύσσετο δίος Ά χ ι λ λ ί ύ ς . του καί οδόντων uè ν καναγτι πέλί. τω δί oi 5 aae Χαμτίσΰην ¿iC el Te wuoòc aéXaC. èu.ôé oi jiTog .ÇtjKvTP.V.. ° δ' άρα Τρωσίν μενεαίνωι* δύσετο δώρα deob, τά οι "Ηφαιστος κάμε τβύχων. [Aen.] 12,101 fe ogitur funis, totoque ardentis ab ore scintillae absistunt, ocutis micat acribus isnis (Homer ist in die Sprache des Lukrez umgesetzt, vgl. Lucr. 3,288f.; 6,162f.) Aen. 8,228 ecce fyrens animis aderat Tirynthius omnemque accessum lustrans hue ora ferebat et illuc 230 \dentibus infrendens. ter totum feryidus ira lustrat Aventini montem. Siehe S. 315. 470. 569. Geymonat behält m.E. zu Recht das einhellig überlieferte pastus bei (pro postum Servius), während Bentley pascit oder pavit lesen wollte. Lucan hat Laurentinos penates (7,394), Martial (10,37,5) Laurentino ... in litore. Eine Laurentia coniunx erscheint in der Dichtung erst wieder bei (Ps.)-Damasus (epigr. 33,10 Ihm; 67,10 Ferrua).

Homerische und verwandte Gleichnisse

565

Montanus hat sein E b e r gleichnis aus Homer entwickelt, indem er das Ebergleichnis, das in II. 13,471ff. das Verhalten des Idomeneus angesichts des vorrückenden Aineias umschrieb, mit dem Schluß des Löwengleichnisses II. 17,61-69 kontaminierte (Aen. 10,712-716 ~ II. 17,65-69) 1 . Während Homers φρίσσει òe νώτον üirepdev (II. 13,473) durch inhorruit armos ([Aen.] 10,711) recht getreu wiedergegeben ist, hat Montanus das Wetzen der Hauer (II. 13,474f. αύτάρ οδόντας \ ár¡yei) allgemeiner durch infremuitque ferox (10,711) eingefangen. Das dentibus infrendens des Verses 10,718 darf damit nicht in Zusammenhang gebracht werden. Auf den Gedanken, den Schluß des homerischen Löwengleichnisses aus II. 17,61ff. in sein Ebergleichnis einzubauen, wurde Montanus durch die folgende Acron-Episode geführt, die Vergil der homerischen Iphidamas-Szene II. 11,22Iff. nachgebildet hat. Dort wird erzählt, wie Kisses, der Vater der Theano (vgl. II. 6,298f.), den Jüngling bei sich aufgezogen und ihm dann die Tochter vermählt hat. Frisch aus dem Ehegemach war er auf die Kunde vom Zug der Achäer mit zwölf Schiffen nach Troja gekommen (227 γημας δ' è/c όαλάμοω μετά κλέος ΐκβτ' Αχαιών). Er unterliegt dem Agamemnon, der "wild wie ein Löwe" kämpft (239 μβμαως ώε re Xtc) und ihm die Glieder löst (240): Er sank und schlief den ehernen Schlaf, bejammernswert, getrennt von der jungvermählten Gattin, die ihm seine Gaben nicht danken konnte: 11,241 ώς ό μίν et vài τβσών κοιμησατο χάλκεον_ υπνον οικτρός, ùirò μνηστής άλόχου, άστοίσιν άρη-γων, κουριδίης, ης οϋ τι χάριν ïôe, πολλά δ' ΐδωκε (...) Aus dieser homerischen Musterszene hat Vergil sowohl die Anregung für seine beiden Frauengestalten in Aen. 10,702ff., der Theano und der Cisseis regina, erhalten, als auch die Konzeption des Helden gewonnen, der von der noch unvollendeten Hochzeit in den Kampf zieht und dort fällt (Aen. 10,719-731). Aus ihr übernimmt er auch den Schluß, das Motiv vom 'eisernen Schlaf des Todes, das er an das Ende des letzten Einzelkampfes des Mezentius setzt, in dem Orodes unterliegt: 10,745 olii dura quies oculos et ferreus urget somnus, in aeternam clauduntur lumina noctem. Das knappe μεμαώς ¿óc re Xtc des homerischen Vorbildes (II. 11,239) hat Vergil zu einem breiten Gleichnis ausgestaltet und dabei mehrere Löwengleichnisse Homers anklingen lassen, vor allem II. 3,23ff.; 17,61ff. und - am Ende - Od. 22,404f.; vgl. II. 3,23 ώς Te Xéuv ϊχάρη μίγάλψ éirì σώματι κύρσας ίύρών ΐι Ιλαφρν κβραόν,ή äypiov alya,

Siehe den Textabdruck gleich anschließend.

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

π(ΐράωι>' μάλα γάρ Te κατίαϋίπ, el irep âv αύτόν σβύωνται ταχέίς Te κύνβς âaXepoi τ' αίζ'ηοί ως έχάρη Μενέλαος Άλέξανδρον deoerìéa ό$άαλμοΐσι_ ιδώ ν 17,61 ως &' ore τίς re λέων opeanροφος, άλκ'ι πίποιάώς, βοοκομίνης άγέλης βοΰν άρπάση η τις αρίστη Trie δ' è£ aùyév' éaíe Χαβών κοατεοοίσιν όδούσι •πρώτον, erara 6é d' αίμα και ΐγκατα πάντα Xaipvaaei 65 δνών άυ,Φΐ δί τον ye Kìivec τ' âvôoéc re voufiec πολλά uáX' ινΐουσιν άπόττοοϋβν οΰδ' εάίΧουσιν άντίον eXdéuevat uáXa wào γλωοόν ôéoc aloel· Sic των oîi τινι àvuòc évi arfideaaiv ërôXua άντίον 'eXdéuevai MeveXáov κυδαλίμοιο. Od. 22,402 ως re λέοντα, ôç pá re βίβρωκώς βοος epxerai άγραύλοιο πάν δ' apa oi στήάός re παονϊά τ' άμνοτίοωâev αίματόίντα iréXei (...) 10,719 venerat antiquis Corythi de finibus Acron, Graius homo, infectos linquens profligas hymenaeos. hunc ubi miscentem longe media agmina vidit, purpureum pennis et pactae coniugis ostro, impastus stabula alta leo ceu saepe peragrans (suadet enim vesana fames), si forte fueacem çonspexit çapream aut surgentem in çqrnua ceryum, gaudet hians immane comasque arrexit et haeret visceribus super incumbens: lavit improba taeter ora crúor sic ruit in densos alacer Mezentius hostis. Die punktierten Linien und einfachen Unterstreichungen machen unmittelbar die homerischen Vorbilder Vergils deutlich, ebenso die Markierungen durch Fettdruck, die zugleich jene Formulierungen hervorheben, die Montanus in dem primär aus II. 10,485ff. und 12,299ff. entwickelten Löwengleichnis von [Aen.] 9,339ff. aus dem hier besprochenen Gleichnis Vergils übernommen hat ([Aen.] 9,332-341 del. Zw.) 1 . Doppelunterstreichungen markieren jene Verse des homerischen L ö w e n g l e i c h n i s s e s , die Montanus in sein E b e r g l e i c h n i s übertragen hat 2 , weil ihm aufgegangen war, daß Vergil (der allzu aufdringliche Imitationen meidet und bewußt variiert) diesen Abschnitt des Löwen-

1

Ich gebe den Text: [Aen.] 9,339

impastus ceu plena leo per ovilia turbans (suadet enim vesana fames) manditque trahitque molle pecus mutumque metu, fremii ore cruento. 2

Er hat daraus die Verse [Aen.] 10,712-716 geformt, siehe den Textabdruck oben (S. 561).

Homerische und verwandte Gleichnisse

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gleichnisses II. 17,6Iff. ungenutzt gelassen hatte. Stammten Eber- und Löwengleichnis von Vergil selbst, müßte er die eine Vorbildstelle II. 17,61ff. mechanisch in zwei Hälften zerschnitten und die erste im strukturell verwandten, aber späteren Löwengleichnis 10,723ff. verwendet, die zweite aber um wenige Verse nach vorne gezogen und dort einem anders gearteten Ebergleichnis integriert haben. Ein so merkwürdig mechanisches Verfahren kennt der echte Vergil nicht.

b) Arruns und das Gleichnis vom flüchtenden Wolf Aen. 11,809-815 Camilla ist von der Lanze des Arruns getroffen worden, der in freudiger Erregung, zugleich aber auch in Furcht vor den Geschossen der Jungfrau flieht: Vergil scheint hier - frei variierend - die Verwundung des Patroklos durch Euphorbos nachgebildet zu haben (II. 16,806-817). Die dramatische Szene wurde dann von Montanus durch den Einschub eines aus dem Antilochus-Zusammenhang des 15. Iliasbuches (II. 15,585ff.) geholten Tiervergleiches zerdehnt: 11,803 (...)

hasta sub exsertam donee periata papillam haesit virgineumque alte bibit acta cruorem. concurrunt trepidae comités dominamque ruentem suscipiunt. fu git ante omnis exterritus Arruns laetitia mixtoaue metu, nec iam amplius hastae credere nec te li s occurrere vireinis audet.

809 occiso pastore lupus magnove iuvenco, conscius audacis facti, caudamque remulcens subiecit pavitantem utero silvasque petivit: hand secus ex oculis se turbidus abstulit4 Arruns

1

2 3

4

Der Gleichnisauftakt, verbunden mit einer weiten Sperrung des Subjektsnomens (lupus in 811), findet sich ebenso nur noch ein weiteres Mal bei Montanus: in dem oben behandelten Ebergleichnis von [Aen.] 10,707 ac velut ille ... \ actus aper (S. 561ff.). Vgl. 8,117 fóto vides inimica Latinis. Vgl. 10,552 (obvius ardenti sese oblulij) und Montanus in der Helena-Episode: abdiderat sese ([Aen.] 2,574). Persönlich konstruiertes (prädikatives) avius hat im Vergilcorpus nur Montanus ein weiteres Mal in [Aen.] 12,480 (voto/ avia [sc. Iuturna] longe), s. S. 326. Vgl. 4,389 seque ex oculis avertit et aufert. wo Dido sich gänzlich aus der Öffentlichkeit zurückzieht und in ihren Gemächern birgt!

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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II contentusaue fusa mediis se immiscuit armis1.1 illa manu moriens telum trahit, ossa sed inter 817 ferreus ad costas alto stat vulnere muero. 820 tum sic exspirans (...).

815

Das Demonstrativpronomen illa (816) schließt unmittelbar an das Stichwort virginis von 808 an. Dieser Konnex sollte nicht durch ein siebenzeiliges Gleichnis zerrissen und die Klarheit der Beziehung von illa durch ein zusätzliches ille ... lupus beeinträchtigt werden. Aller Augen sind ja auf Camilla gerichtet (800f.), ihre tödliche Verwundung fesselt die Aufmerksamkeit des Erzählers und des Lesers; Arruns hatte fluchtartig den Kampfplatz verlassen und weckt erst wieder unser Interesse, als er in den Gesichtskreis der rächenden Opis tritt, die in 854 den laetantem animis (so richtig M1) ac vana tumentem erblickt, wie er sich in Gegenrichtung entfernt. Sie spricht ihn höhnisch an: 'cur... diversus ab i s ? hue derige gressum, \ hue periture veni {..."), und tötet ihn mit einem Pfeilschuß. Wenn aber das fugit ante omnis exterritus Arruns | laetitia mixtoque metu von 806f. in 854f. als ein diversum abire d e s laetans animis fortgeführt wird, kann die Auskunft von Vers 815, Arruns habe sich mitten unter die Waffen gemischt, nicht zutreffen. Dieses mediis armis ließe sich ja schwerlich anders als "mitten in das Kampfgeschehen" verstehen, was weder mit dem diversus abire von 855, noch mit der Furcht des Arruns harmoniert (übrigens auch nicht mit dem in montis sese avius abdidit altos des Gleichnisses). Sollte der Zudichter die Absicht gehabt haben, das von Vergil aus der Patroklosszene II. 16,813-817 ausgesparte μίκτο δ' όμίλω (813) durch mediis se immiscuit armis wiederzugeben, hätte er sich in der Wortwahl vergriffen; wie er ohnehin die Klausel des zugrunde liegenden Georgicaverses sehr eigenwillig umdeutet. Dieser Vers 815 ist ein wirklicher Centovers: Während die zweite Hälfte aus der Kontamination zweier Georgicastellen gewonnen ist (s. S. 568 Anm. 1), stammt das einleitende Hemiepes aus dem - auch sonst von Montanus imitierten - Perseuskampf des 5. Metamorphosenbuches. Dort wird Perseus von zwei Gegnern angegriffen: von der Linken drängt der Chaonier Molpeus heran, von der Rechten der Nabataeer Echemmon. Perseus, unschlüssig, ob er sich zunächst nach rechts oder links wenden solle, vertreibt erst den Molpeus, indem er ihn am Bein trifft, und gibt sich damit zufrieden, daß dieser flieht < statt ihn zu töten > ; denn der wütend mit dem Schwert zum Schlag ausholende Echemmon läßt ihm keine Zeit, den verwundeten Gegner ganz auszuschalten (met. 5,168f. Molpea traiecti summovit vulnere cruris \ contentusaue fusa est; neque enim dat tempus Echemmon, etc.). Hier führt das Hemiepes Die Klausel ist aus georg. 4,245 (aut asper crabro imparibus se immiscuit armis) geholt und in neuer Sinnstiftung verwendet; vgl. georg. 2,283 dubius mediis Mars errat in armis.

Homerische und verwandte Gleichnisse

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contentusque fuga est organisch das in summovet zum Ausdruck gebrachte Fluchtmotiv fort, während man von Arruns, der aus Schrecken über seinen eigenen erfolgreichen Lanzenwurf panikartig flieht und nicht wagt, sich weiter den Geschossen Camillas entgegenzustellen (807f. nec iam amplius ... telis occurrere virginis audet) nur sehr gezwungen sagen kann, er gebe sich mit seiner eigenen Flucht zufrieden. Hier ist das - in der einschlägigen Dichtung sonst nicht weiter belegte - Hemiepes unpräzis und deutlich sekundär verwendet. Auch das Gleichnis selbst scheint nicht unproblematisch, insofern der W o l f , das Raubtier par excellence (vgl. Aen. 2,355ff.; 9,59ff. 565f.), hier die Flucht eines Kämpfers veranschaulichen soll: weder im Vergil noch in den Epen vor ihm gibt es dafür eine Parallele. Bei Homer war Antilochos zunächst mit einem Jagdhund verglichen worden, der sich auf das vom Jäger erlegte Kälbchen der Hindin wirft, dann aber - als Hektor ihm entgegengeht - mit einem flüchtenden 'Tier', das Böses verübte, indem es den Hund oder gar den Hirten bei den Rindern zerriß (II. 15,586 ύηpi κακόν ρέξαντι έοικώς, \ ός re κΰνα κτβίνας η βουκόλον άμφί βόβσσι \ ¡peúyet.). Dieses 'Tier' wird zu Recht von den Interpreten als Löwe gedeutet, unter Verweis auf II. ll,546ff. Montanus verrät sich nicht nur durch diese der Tiertopik widersprechende Auflösung des homerischen άήρ, sondern auch durch die von ihm aus eigenem hinzugesetzten Verse 812f., in denen er das - menschlich gesprochen schlechte Gewissen seines Wolfes (conscius audacis facti) in der Körperhaltung aufscheinen läßt: die Detailmalerei von dem eingezogenen, ja ängstlich unter dem Bauch versteckten Schwanz ist ganz nach dem Gusto unseres Dichters (aus der gallischen Provinz?). Er hat sich dabei offensichtlich an Horaz angelehnt, der in carm. 2,19,29ff. den durch Bacchus besänftigten Cerberus beschreibt, wie er leniter atterens \ caudam et recedentis trilingui \ ore pedes tetigitque crura. Dieses leniter atterens1 hat Montanus in den kühnen Neologismus remulcens umgegossen und damit eine Hypallage (sein Markenzeichen, s. S. 452ff.) verbunden, indem er nicht pavitans schreibt, sondern uns ein caudam ... pavitantem beschert. Auch die zahmen (verwandelten) Tiere der Circe könnten eingewirkt haben (met. 14,255 mille lupi mixtique lupi s ursique leaeque), die blandas movereper aera caudas·. In einer Kontrastimitation ließ sich daraus leicht caudam remulcens \ subiecit... utero gewinnen. Erinnert sei ferner an die römische lupa, die cauda teneris blanditur alumnis (fast. 2,417). Daß der Interpolator den Ovid ausbeutet, hat sich ja an dem Cento-Vers 815 gezeigt.

Vgl. Ov. met. 10,701

summae cauda verruntur harenae.

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

c) Zwei Jagdhundvergleiche (Apollo/Daphne, Aeneas/Turnus) met. 1,533-542; Aen. 12,749-762 Nachdem das Schwert des Turnus zerbrochen ist, wendet er sich zur Flucht (742-745); Aeneas verfolgt ihn, Fuß auf Fuß (746-748); f ü n f m a l durchkreisen sie das Feld (763-765): Diesen ersten Teil der Verfolgungsjagd hat Vergil knapper gehalten als Homer, der die Verfolgung des Hektor durch Achill (II. 22,133ff.: d r e i m a l umkreisen sie die Mauern Trojas, 165) zunächst durch ein Gleichnis vom Falken, der eine Taube jagt, ausschmückt (22,139ff.), dann durch einen Vergleich mit Rennpferden, die das Siegesmal umkreisen (22,162ff.). Die programmatischen Verse 12,764f. sind recht getreu aus II. 22,159ff. übernommen, das in II. 22,145 lediglich erwähnte Feigenbaummotiv ist in der Episode von dem sacer Fauno foliis oleaster amaris (12,766ff.) breit entfaltet (unter Vorgriff auf die in II. 22,276 erzählte Hilfeleistung der Athene, vgl. die Hilfeleistung der Venus in 12,786f.) und das kurze Intermezzo zwischen Zeus und Athene im Olymp (II. 22,166-187) zu einer über sechzig Verse breiten Götterhandlung ausgeweitet (12,791-855). Diese führt unmittelbar zu dem Todesomen in Gestalt der als bubo den Schild des Turnus umflatternden Dira, die Turnus lähmt, ihm wie einem Träumenden (der Vergleich 12,908ff. stammt aus II. 22,199f.) die Kraft zur Flucht raubt und ihn so dem Lanzenwurf des Aeneas preisgibt (s. zu [Aen.] 12,896-907. Montanus (der seinen Homer kennt) scheint die vergilische Verfolgungsjagd (12,742ff.) an II. 22 gemessen zu haben. Zwar übergeht auch er die beiden oben genannten homerischen Gleichnisse, doch zieht er das bei Homer nach dem Götterintermezzo auf dem Olymp folgende Jagdhundgleichnis (II. 22,188ff.) nach vorne und setzt es (kontaminiert mit Apoll. Rhod. 2,278ff.) an die Stelle des homerischen Falkengleichnisses und knüpft unmittelbar daran eine aus II. 22,205ff. herausgesponnene Erweiterung, die durch die bei Vergil gegenüber Homer geänderte Grundvoraussetzung (Aeneas und Turnus fechten eine vertraglich besiegelten stellvertretenden Zweikampf aus) ad absurdum geführt wird. Beide Zusätze zusammen - aber auch das unstimmige Gleichnis allein (s.u.) - zerdehnen das von Vergil bewußt in kurzen Strichen gezeichnete dramatische Geschehen: 12,742 ergo amens diversa fuga petit aequo ra Turnus et nunc hue, inde hue incertos implicai orbis; undique enim densa Teucri inclusere corona 745 atque hinc vasta palus, hinc ardua moenia cingunt. nec minus Aeneas, quamquam tardata sagitta interdum genua impediunt cur s um que recusant, insequitur trepidique pedem pede fervidus urget:

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Γ inclusum ν e lut i si quando flumine nactus1 cervum aut puniceae saeptum2 formidine gennai venator cur su canis et latratibus4 instai: ille autem insidiis5 et ripa territus alter mille7 fueit refuzitaue8 vias, at vividuJ5 Vmber haeret hiansw. iam ìamaue tenet" SIMILISOVE TENENTI 12 increpuit malis MORS\que elusus inani est: tum vero13 exoritur clamor14 ripaeque lacusque15

Vgl. Ον. trist. 5,9,27f. utque canem pavidae nactum vestigia cervae | luctantem frustra copula dura tenet. Vgl. Aen. 9,69f. classent ... | aggeribus saeptam circum et fluvialibus undis; 11,398 inclusus muris hostilique aggere saeptus. Aus georg. 3,372 übernommen, s.u. S. 576. Dieser Ablativ erscheint sonst nur noch (an gleicher Versstelle) fünfmal bei Ovid (fast. 2,231; met. 2,491f. a! quotiens per saxa canum latratibus acta est \ venatrixque metu venantum territa fueit: 3,231; 7,414; 13,806 cervo claris latratibus acto), danach erst bei Silius und Statius, setzt also wohl Ovids Metamorphosen voraus. Vgl. Aen. 7,478 insidiis cursuque feras agitabat lulus. Vgl. Hör. epod. 2,25 labuntur altis interim ripis aquae. Stark übertrieben; die Junktur erscheint Aen. 5,590 (mille viis) und Tib. 1,3,50 (leti mille ... viae). Vgl. 866 (se) fertque refertque. Beim echten Vergil erscheint das Adjektiv nur im Zusammenhang von Kriegstüchtigkeit: Aen. 5,754 bello vivida virtus; 10,609f. non vivida bello | dextra viris. Montanus (der seinerseits in [Aen.] 11,386 vivida virtus bietet) denkt wohl an den vividus impetus des Adlers bei Horaz (carm. 4,4,10), der im Jagdzusammenhang vorgeführt wird. Zugrunde liegt das Löwengleichnis von 10,723ff.: leo ceu ... \ ... si forte fugacem \ conspexit capream aut surgentem in cornua cervum. | gaudet hians immane comasque arrexit et haeret | visceribus super ineumbens. Man sieht, wie Montanus das anschauliche vergilische Bild so sehr zusammengezogen hat, daß ein unklares haeret hians übriggeblieben ist. Wohl nach Aen. 2,530 iam iamaue manu tenet et premit hasta. Zusammen mit dem in 755 folgenden morsuque bildet dieser Vers die Grundlage für die von Bentley entlarvte Interpolation Manil. 1,435 intentons morsum similis iam iamaue tenenti (siehe Housman ad loc.), falls wir nicht auch dort den Montanus selbst am Werk sehen wollen (der Manilius benutzt, s. das Register). Der Einsatz in Verbindung mit dem folgenden Vers, erinnert an Aen. 5,227f. tum vero ingeminat clamor cunctique ... \ instigant... resonatque fragoribus aether. Den gleichen dramatisierenden Neueinsatz verwendet Montanus in [Ον.] trist. 1,3,77 tum vero exoritur clamor gemitusque meorum (v. ad loc.); zugrunde liegt der Vers Aen. 2,313 aus der Ilupersis: exoritur clamoraue virum clamor que tubarum. woraus Montanus in [Aen.] 11,192 it cáelo clamoraue virum claneoraue tubarum gemacht hat - unter Kontamination mit 5,451 (s. S. 170 mit Anm. 6). R. Cramer erinnert an die ebenfalls von Montanus stammenden Geórgica-Verse [georg.] 3,554f. balata pecorum et crebris mugitibus amnes \ arentesque sonant ripae collesque supini und 3,481 corrupitque locus, infecit pabulo tabo (v. ad locc.). In [Aen.] 12,756f. dürfte zugleich eine Reminiszenz an Lucr. 2,344f. (volucres, laetantia quae loca aquarum I concélébrant circum ripas fontisque lacusque) vorliegen.

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Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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responsant1 circa et caelum tonat omne tumultu2. iUe simul fueiens Rutulos simul increpat omnis nomine quemaue vocans notumque efflagitat ensem. Aeneas mortem contra praesensque minatur exitium, si quisquam adeat, terretque trementis excisurum urbem minitans et saucius instai.] quinqué orbis expient cur su totidemque retexunt hue illuc; ñeque enim levia aut ludierapetuntur proemia, sed Turni de vita et sanguine certant.

Zu Beginn des 12. Buches fordert Turnus den Latinus auf, mit Aeneas vertraglich zu besiegeln, daß die Auseinandersetzung durch einen Zweikampf der beiden Führer entschieden werden solle: congredior, fer sacra, pater, et concipe foedus (13), die Latiner sollen sitzend das Schauspiel bestaunen (15 sedeant spectentque Latini). Am nächsten Morgen bereiten Rutuler und Teukrer das Kampffeld unter den Mauern der Stadt (113ff.) und postieren sich (121ff.)Latinus, Turnus und Aeneas (an seiner Seite Ascanius) schließen am heiligen Altar den Vertrag (161-215). Der Zweikampf, der im Anschluß daran erfolgen sollte, wird durch den von Juno und Juturna provozierten Vertragsbruch (134160. 216ff.) hinausgeschoben, bis Turnus sich in 676ff. erneut entschließt, den Zweikampf mit Aeneas anzunehmen. Er fordert die beiden Heere auf, den Kampf einzustellen: 12,693

partite iam, Rutuli, et vos tela inhíbete, Latini. quaecumque est fortuna, mea est; me verius unum pro vobis foedus luere et decernere ferro.

Damit sind die zuvor beschworenen Bedingungen des Vertrags wieder in Gültigkeit. Die beiden Kriegsparteien machen Platz für den Zweikampf: discessere omnes medii spatiumque dedere (696), Rutuler, Troer, Latiner legen die Waffen ab und richten ihre Augen auf ihre beiden Führer (704ff.), die sobald der Kampfplatz freigegeben ist (710 ut vacuo patuerunt aequore campi) - aufeinander losstürmen. Nachdem Turnus im Nahkampf sein Schwert verloren hat, flieht er in dem von den Truppen (genannt werden hier stellvertretend die feindlichen Teukrer), vom Fluß und von den Stadtmauern umsäumten Feld hin und her und

1

2

Das Verb erscheint in der einschlägigen Dichtung nur im 'sermo pedester' des Horaz (sat. 2,4,18; 2,7,85. 103; epist. 1,1,68); danach - offenbar in Anlehnung an die hier verhandelte interpolierte Vergilstelle - erst wieder bei Val. Fl. 3,597 responsant silvae et vaga certat imago; 4,286 avia responsant gemitu iuga. Ein aus Aen. 9,541 (et caelum tonat omne fragore) geholtes Versatzstück; die Ersetzung von fragore durch tumultu läßt sich so schwerlich belegen. Das Ethos der Stelle erinnert an [Aen.] 5,820f. (v. ad loc.) und 11,562.

Homerische und verwandte Gleichnisse

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schlägt in verschiedene Richtung seine Kreise (742-745, s.o. S. 570f.)'. Aeneas, durch seine Pfeilwunde behindert, setzt ihm nach. Es versteht sich von selbst, daß die Regeln des Zweikampfes eine Hilfeleistung der Zuschauer ausschließen. Unmöglich kann also Vergil, der das foedus des Zweikampfes so detailliert beschrieben hat, den Turnus während der Flucht die umstehenden Rutuler - jeden einzelnen beim Namen nennend! - auffordern lassen, ihm ein Schwert zu reichen, ebensowenig, ihm not um2 ... ensem zu reichen. Wir lesen hier die Fortsetzung der in 733-741 eingeschobenen Interpolation, v. ad loc. Der Interpolator hat das Eingreifen der beiden Göttinnen in 783ff. als Freibrief verstanden, eine solche Hilfeleistung auch von den umstehenden Soldaten einfordern zu lassen 3 . Wir hören den Montanus, der im 5. Buch den Wettlauf hinzugedichtet hat und auch dort mit einem eklatanten Regelverstoß ([Aen.] 5,334ff.) Wirkung zu erzielen sucht, v. ad loc. In der Verfolgungsjagd des 12. Aeneisbuches verrät er sich bereits durch einen sprachlich mißglückten Einsatz, indem er distributives simul ... simul einmal mit dem Partizip (fugiens), das andere Mal mit dem Verbum finitum (increpat) verbindet. Die von Wagner und Con.-N. aufgebotene Parallele simul hoc dicens (10,856) kann die Formulierung in 12,758 nicht rechtfertigen, da dort ja nur einfaches simul vorliegt. Die erste Hälfte von Vers 759 ist ein aus Aen. 11,731 geholtes Versatzstück, das dort in Anlehnung an Furius Bibaculus gesetzt ist4. Efflagitare kennt Vergil sonst nicht. Mortem ... praesensaue minatur \ exitium wirkt stark abundant, exitium ist sonst bei Vergil nicht mit mors verbunden, der Interpolator scheint an praesentemaue viris intentant omnia mortem (1,91) gedacht zu haben, sein unmittelbares Vorbild für 760762 war aber der benachbarte Passus 12,654ff., in dem Saces dem Turnus berichtet: fulminât Aeneas armis sutnmasque minatur | deiecturum arces Italum excidioque daturum. \ iamque faces ad tecta volant, während er das abschließende Verb instat entweder aus 751 wiederholt oder aus 783 (dum nititur acer et instai) vorweggenommen hat. Excidere für excidio dare verwendet Vergil nur passivisch (Aen. 2,637 excisa ... Troia), während das Partizip Futur 1

2 3

4

In orbis (763) sind die orbis von 743 wieder aufgenommen, hue illuc (764) bezieht sich auf nunc hue, inde hue (743) zurück. Siehe den Kommentar zu capulum ignotum ([Aen.] 12,734). Die einschlägige Haltung des vergilischen Turnus wird uns 12,914ff. vorgeführt: tum pectore sens us \ vertuntur varii; Rutulos as pec tat et urbem \ cunctaturque metu letumque instare tremescit, | nec quo se eripiat, nec qua vi tendal in hostem, | nec currus usquam videt aurigamve sororem. Die Situation in der Ilias, als Achill den Hektor dreimal um die Mauern Trojas jagt und sowohl von den Türmen der Stadt (II. 22,195f.) als auch aus dem Griechenheer heraus (22,205ff.) Pfeilschüsse oder Lanzenwürfe erfolgen könnten, ist nicht vergleichbar. Denn dort wird ja kein vertraglich besiegelter stellvertretender Zweikampf ausgefochten. Ein solcher war zwischen Paris und Menelaos vereinbart, wurde aber vereitelt. Siehe Berres 1982, 246.

574

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

geradezu ein Markenzeichen des Interpolators ist (s. S. 409f.)· S au ci us instai ist in 762 ohne Sinn; das Prädikativum würde ja die Wirksamkeit der Drohung einschränken. Der Interpolator wiederholt einen Gedanken, der in 746ff. viel verhaltener zum Ausdruck gebracht war: Aeneas, quamquam tardata sagitta I int er dum genua impediunt cursumque recusant, | insequitur. Er fühlt sich beim Lauf z u w e i l e n gehemmt; saucius kann man ihn nach der ärztlichen Behandlung, deren Wirksamkeit Venus selbst beförderte (41 Iff.), nicht mehr nennen; man vergleiche die erstaunte 'Diagnose' des Iapyx in 425ff. Das Iterativum minitans ist singulär im Vergilcorpus und in unmittelbarer Nachbarschaft zu minatur (760) befremdlich 1 . Bei si quisquam adeat (761) mag sich der Interpolator an 5,378f. (nec quisquam ex agmine tanto I audet adire virum) orientiert haben. Das G l e i c h n i s 749ff., insbesondere die Schlußverse 754f., die den Jagdhund gefoppt erscheinen lassen, mit dem zuschnappenden Gebiß leere Luft erhaschend (morsuque e lus us inani est), stimmt nicht zur Handlungssituation (748) : insequitur trepidique ρ e de m pede fervi dus ur get (Aeneas wird ihn schließlich errreichen!). Die Szenerieverse 756f. (mit Blick auf 928f. und 5,148ff. verfaßt) verabsolutieren das Jagdbild und schaffen eine Kluft zur Realebene, so daß sich weder die unechten Verse 758ff. noch die echten 763ff. nahtlos anschließen. Die doppelte Antithese ille autem (752) - at vividus Vmber (753) verstößt gegen den üblichen Bau der homerischen und vergilischen Gleichnisse; sie ist in dem ebenfalls von Montanus stammenden Jagdhundgleichnis in [met.] l,533ff. 2 zu einer 'Antithesenkette' 3 ausgeweitet, die fatal an die Doppelaristie in Aen. XII erinnert (s. S. 322ff.): [met.] 1,533

535

539

[ut canis in vacuo leporem cum Galliern aryo vidit, et hic praedam pedibus petit, ille salutem (alter inhaesuro SIMILIS iam iamque tenere sperai et extento stringit vestigia4 rostro; alter in ambiguo est, an sit çonprensus, et ipsis MORSIBVS eripitur tangentiaque ora relinquit): sic deus et virgo (...).

Beide Gleichnisse, das in [met.] l,533ff. und das in [Aen.] 12,749ff. hinzugesetzte, haben die von Ovid in met. 7,765ff. geschilderte Verfolgung des thebanischen Untiers durch den Hund Laelaps des Cephalus zur Voraussetzung, doch färbt Montanus seine beiden Gleichnisse durch die Wahl eines canis ...

1

2 3 4

Möglicherweise hat das Verb eine Parallele in dem ebenfalls unechten Vers 10,717, s. S. 563. Siehe den Ovidband ad loc. Siehe Börner ad loc., der v. Albrecht zitiert. Vgl. met. 7,775 pedum ... vestigia.

Homerische und verwandte Gleichnisse

Gallicus vgl.

([met.] 1,533) bzw. eines Vmber

met. 7,766

770 779 780

([Aen.] 12,753) 'italisch' ein,

venimus et latos indagine cinximus agros, illa levi velox superabat retia saltu summaque transibatpostarum lina plagarum: copula detrahitur canibus, quos illa sequentes effueit et coetum non segnior alite ludit (...). collis apex medii subiectis imminet aryis: tollor eo capioque novi spectacula cursus, quo modo deprendí, modo se sub duce re ab vulnere, visa fera est; nec limite callida recto in spatiumque fusit. sed decipit o ra sequentis et redit in gyrum, ne sit suus inpetus hosti; inminet hic sequiturqueparem S I M I L I S O V E TENENTI exercet

in

575

786

non TENET et vanos

790

medio (mirum) duo marmorn campo adspicio: fugere hoc, illud latrare putares.

aera

MORSVS

ips o

(...).

Durch die punktierten Linien sind die spezifischen Übernahmen des Montanus aus der ovidischen Laelaps-Jagd in das Hundegleichnis von [met.] 1,533 markiert, durch einfache Unterstreichung die individuellen Übertragungen nach [Aen.] 12,749ff.; Kapitälchen verweisen auf die Laelaps-Jagd als gemeinsames Vorbild für beide Montanus-Gleichnisse, Fettdruck ohne Sperrung auf die beiden Gleichnissen gemeinsamen montanischen Umformungen. Allein die Art, wie die Verse met. 7,785f. mit dem klaren und stilistisch vorzüglichen antithetischen Ausdruck similisaue tenenti \ non tenet in [met.] l,535f. und [Aen.] 12,754f. umgestaltet und abundierend gedehnt worden sind 1 , verbürgt für beide Gleichnisse die an Ovid geschulte, jedoch weit hinter dem Meister zurückbleibende Hand des Montanus, der zusätzlich den verwandten Jagdhundevergleich des Apollonios Rhodios (2,278-281) je anteilig berücksichtigt zu haben scheint, so daß er in [met.] 1,536 (extento stringit vestigia rostro) das τυτϋον be ηταινόμβνοι μβτόττισάεν \ άκρης ev yevùeaai des Apollonios umsetzte, in [Aen.] 12,755 (increpuit malis morsuque elusus inani est) aber - in ovidischer Färbung 2 - das άκρης kv yevveaai μάτην άράβησαν οδόντας.

1

2

Vgl. [met.] l,535f. alter inhaesuro similis iam iamque tenere \ sperai-, 537f. ipsis | morsibus eripitur: [Aen.] 12,754f. haeret hians, iam iamque tenet similisaue tenenti \ increpuit malis morsuque elusus inani est. Montanus hat also im 'Aeneis'-Gleichnis die ovidische Klausel wörtlich übernommen, den Vers met. 7,786 (vanos ... motus) und das ludit von 770 - ebenso wie das decepit ora von 783 - in elusus inani (morsu) anklingen lassen und im übrigen die von ihm beim Einschub des Gleichnisses in die Apollo-DaphneEpisode ([met.] l,533ff.) gefundenen Formulierungen in leichter Variation wiederverwendet. Man hört ja die Reminiszenz an met. 7,786 vanos exercet in aëra motus.

576

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

Typisch für Montanus ist auch die Kontamination in [Aen.] 12,749f., wo das aus der primären Vorbildstelle der Cephalus-Jagd gezogene Motiv von dem durch Netze und Fallen eingeschlossenen Tier (met. 7,766ff., s.o.) in einer den Geórgica (3,37If. hos non immissis canibus, non cassibus ullis \ puniceaeve agitant pavidos formidine pennae) entnommenen Konkretisierung durch cervum ... puniceae saeptum formidine pennae) wiedergegeben wird. Ahnlich dürfte der venator ... canis von [Aen.] 12,751 durch Apoll. Rhod. 2,278 (κννβς όώαημίνοι ότγρης) angeregt, aber in eine den Geórgica abgeschaute Form (georg. 2,145 bellator equus)' gegossen worden sein.

9. Komplementär geformte Sterbeszenen des Montanus a) Procris ([ars] 3,687-748, bes. 741-746) Gegen Ende des 3. Buches der Ars Amatoria lesen wir eine sentimentale Sterbeszene, das Hinscheiden der Procris in den Armen ihres unglücklichen Mannes Cephalus, der sie versehentlich mit seinem Speer durchbohrt hat. Doch die ganze Procris-Episode ist unecht (v. ad loc.), wurde von Montanus eingeschoben, um das Exemplum der Procris, auf das Ovid am Schluß des zusammenhängenden Abschnitts 659-686 zur Bekräftigung verweist (er durfte es als allgemein bekannt voraussetzen), in aller Ausführlichkeit zu erzählen. Er konnte dazu durch die Formulierung quantum cito credere laedat, \ exemplum vobis non leve Procris e rit verleitet werden, die sich als Ankündigung verstehen ließ, hier aber als Aufforderung an den Leser gemeint ist, sich die ihm gut bekannte Geschichte als Exemplum zu vergegenwärtigen2. Der Exkurscharakter des Zusatzes wird am Ende durch eine harte Abbruchsformel, mit der Montanus geradezu gewaltsam in die Bahn des didaktischen Gedichtes zurücklenkt, in aller Deutlichkeit sichtbar: 3,747f. sed repetamus OPUS: mihi nudis rebus eundum est, \ ut tansat portus fessa carina suos. Er hat dabei Anleihe bei dem Schluß der Remedia gemacht (rem. 81 lf. hoc opus exe si: fessae date serta carinae: \ contigimus portus. quo mihi cursus erat), in dem wiederum ein Motiv aus georg. 1,303 (ceu fessae cum iam portum tetisere carinae. \ puppibus et laeti nautae imppsuere coronas) verarbeitet ist. Die Junktur nudis rebus scheint ein in der Dichtung singulärer Prosaismus, die Floskel sed repetamus OPUS aber führt uns auf das Vorbild, dem Montanus hier folgt, den Einsatz der Aktaion-Episode zur Mittagspause des Jagdgeschehens

1 2

Wiederholt in Aen. 11,89; vgl. Aen. 10,891 bellatoris equi. Siehe Hofm.-Sz. 311 und (wegen des Gerundivs nur entfernt vergleichbar) rem. 72 idem nunc vobis Naso legendus e rit.

577

Sterbeszenen

(auch Cephalus ist ja auf der Jagd), markiert durch eine 'epische' Tageszeitbeschreibung1: met. 3,143

146 149

mons erat infectus variarum caede ferarum, iamaue dies medius rerum eontraxerat umbras et sol ex aequo meta distabat atraque. cum iuvenis ... ... ('...) altera lucerti cum croceis invecta rotis Aurora reduçet, propositum repetemus OPUS, nunc Phoebus utraque distai idem terra finditaue vaporibus arva: sistite opus praesens nodosaque tollite lina. '

Montanus, den seine Schwäche für Tageszeitschilderungen bei den Zeitgenossen zum Gespött werden ließ2, konnte es sich nicht verkneifen, seine Nachdichtung der ovidischen Cephalus-Procris-Erzählung (met. 7,796-862), die den zweiten Jagdtag mit dem Aufgang der Morgenröte beginnen läßt (7,835 poste: ra dej)ulerant_Aurqrae_ lumim nqctem)^, durch eine 'epische' Beschreibung der Mittagszeit auszuschmücken und selbst da noch seine besondere Manier {ortus

et occasus

libentissime

inserebat,

Sen. epist. 1 2 2 , 1 1 ) deutlich zu

machen: [ars] 3,723

1

2 3

4

5

6

7

iamaue dies medius tenues eontraxerat umbras. inaue parí spatio Vesper et ortus erant4: 5 6 ecce redit Cephalus silvis, Cyllenia proles , orague fontana fervida pulsai aqua1.

Sonst erscheint die Floskel in der Dichtung nur noch Hör. epist. 1,6,48 hoc primus répétas opus, hoc postremus omitías - wie man sieht, in der allgemeinen Bedeutung von 'aufnehmen' . Siehe S. 266ff. Hier sieht man im Vergleich zu 3,149f., wie der echte Ovid seine Motiwariationen ausführt. Die Junktur scheint in der einschlägigen Dichtung nur noch zweimal bei Montanus selbst belegt, in Ibis 38 atque eadem regio vesper et ortus erit und 429 a vespere rursus ad ortus I cur extemati Solis agantur equi. Es sei daran erinnert, daß alle Einsätze mit ecce in den Remedia amoris von Montanus stammen (v. ad loc.). Die Klausel begegnet vor Petron nur noch - ebenfalls von der Hand des Montanus - in [Aen.] 4,258 (v. ad loc.). Sie ist hier neben dem Nomen proprium Cephalus störend, weil ja bereits in 695 bloßes Cephalo steht, ebenso 738. Die Junktur ist uns aus [Pont.] 1,8,46 (ad sata fontanas - nec pudet - addere aauas) als montanisch bekannt; vgl. fast. l,269f. (oraaue ... fontana reclusi \ sumque repentinas eiaculatus aauas). Das Verb pulsai (falls nicht ein Influenzfehler, verursacht durch pulsantur in 722, vorliegt) belegt die Neigung des Montanus zu expressiver Ausdrucksweise: Verbesserungsversuche wie purgat oder spargit schönen vermutlich die eigenwillige Diktion; Ovid selbst wählt das Verb zur Bezeichnung des Blutspritzens beim Opfern (trist. 4,2,6 victima ... sanguine pulset humum). Auch dies ist eine expressive Ausdrucksweise,

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

578

Dabei hat er sich klar an dem oben ausgeschriebenen Aktaionpassus orientiert, nach dem Usus antiker Imitatio aber kontaminierend noch die inhaltlich ebenfalls verwandte Hyacinth-Episode anklingen lassen: met. 10,175

iamaue fere médius Titan ν e ni enti s et actae noctis erat soatioaue pari distabat utrimque,

zusätzlich wohl auch den Vers met. 3,50 fecerat exiguas iam sol altissimus umbras. Die Ersetzung des ovidischen spatioque pari distabat utrimque (sc. Sol: 10,176; vgl. 3,151f.) durch inque pari spatio erant (sc. vesper et ortus) ergibt einen flachen, prosaisch klingenden Ausdruck. Durch die Aufteilung der Verse 3,144f. und 3,151 aus der gleichen Aktaion-Episode einerseits auf die Erzählung der Procris-Geschichte ([ars] 3,723f.), andererseits auf die Abbruchsformel in 3,747 verrät sich der centoartig mit dem Material des Vorbildes wuchernde Epigone. Seine abschließende Sterbeszene lautet wie folgt: [ars] 3,741

745

('...) nomine suspectas iam spiritus exit in auras1: labor, io: cara lumina conde manu. ' ille sinu dominae morientia corpora maesto sustinet et lacrìmis vulnera saeva lavai: exit et incauto paulatim pectore lapsus excipitur miseri spiritus ore viri.

Daß Procris selbst ankündigt, daß nun ihr Lebensodem in die Luft entweicht, die sie wegen des Namens (Aura) verdächtigt hatte2, mutet bizarr an; ebenso der folgende Ausruf labor, io (742). Im Vergleich dazu ist der ebenfalls von Montanus stammende Zusatz in der Schilderung des Todes der Camilla in [Aen.] ll,818f. labitur exsanguis, labuntur frigida leto lumina, purpureus quondam color ora reliquit

geradezu ein Muster einfühlsamer Dichtung, das dort lediglich zu früh bemüht worden ist (v. ad loc.). Beide Stellen ordnen sich auch durch den doppelten Einsatz des Verbs labi zusammen, dessen Bedeutung in der Wiederholung variiert wird. Beim echten Ovid wird das Hinsinken nicht nach dem Muster dramatischer Aktion von dem Sterbenden selbst ins Wort gehoben, sondern 'episch' erzählt: labitur, et parvae fugiunt cum sanguine vires (met. 7,859). Wenn Montanus hier (anders als in [Aen.] ll,818f.) davon abweicht, dürfte er aber eine vergleichsweise moderate gegenüber dem Zusammenhang, in dem das Verb bei Montanus steht. 1

2

Vgl. trist. 4,3,41 spiritus hic per te patrias exisset in auras: 1,5,1 If. spiritus in vacuas prius hic evanidus auras | ibiv. met. 8,524 inque leves abiit paulatim spiritus auras. Hinter diesem merkwürdigen Ausdruck steckt met. 7,822f. nomenque

vocatum \ esse putat nvmphae: vgl. 7,857 errorem ... nominis esse.

aurae tarn saepe

Sterbeszenen

579

sich an die Abschiedsszene der Eurydice in georg. 4,494ff. angelehnt haben, hat freilich den Unterschied in der Situation verkannt und den zarten Ton Vergils verfehlt, wie schon die Ersetzung der vergilischen Ausrufspartikel en durch io lehren kann: georg. 4,494

illa 'quis et me' inquit 'miseront et te perdidit, Orpheu, quis tantus furor? en iterum crudeltà retro fata vocant, conditaue natantia lumina somnus. iamque vale: feror ingenti circumdata nocte invalidasque tibi tendens, heu non tua, palmas. ' dixit et ex oculis subito, ceu fumus in auras 500 commixtus tenuis, fueit diversa (...).

Die wörtlichen Anklänge des Procris-Passus an die Verse georg. 4,496. 499f. machen die Rede der Eurydice als Vorbild kenntlich. Wir werden sehen, daß Montanus auch die natantia lumina aus ihr entnommen und - mit met. 5,71 kontaminiert - nach Epiced. Drusi 93 (vgl. 157f.) übertragen hat. In [ars] 3,745 (gaulatimpectore lapsus \ ... spiritus) wartet Montanus mit einer singulären Junktur auf. Mit dem Attribut incautus in dem ebenfalls (in der Dichtung) singulären Ausdruck incauto ... pectore aber lenkt er recht gewaltsam zum ovidischen Zusammenhang zurück: Er möchte durch die in dem Attribut gegebene 'auktoriale' Bewertung des Verhaltens der Procris während des vorausgehenden Geschehens wieder an die Verse 684f. anknüpfen, in denen der Lehrdichter gemahnt hatte: nec sis auditapaelice mentis i nop s, I nec cito credideris. Im Vers 746 lehnt sich Montanus an die ovidische Procris-Episode an, vgl. met. 7,819f. meoque \ spiritus iste tuus semper capiatur ab org und 860f. et in me \ infelicem ani mam nostroque e χ hai at in gre: Man sieht, daß er beide Stellen kontaminiert und die anima der ovidischen Procris durch den spiritus, der bei Ovid den labenden L u f t h a u c h meint, ersetzt hat 1 . Wie Vergils Anna in Aen. 4,684f. klagend zur sterbenden Dido eilt mit dem Vorsatz: extremus si quis super h al i tus errat, \ org legam und die Schwester in ihrem Schoß birgt (686f. semianimemque sinu germanam amplexa fovebat \ cum gemitu), so läßt Montanus die Procris im Schoß des trauernden Gatten (sinu ... maesto) das Leben aushauchen (743f.) und erinnert durch corpora ... sustinet (743f.) zugleich an Ovids corpusaue meo mihi carius ulnis I mollibus attollo (met. 7,847f.). Ovid fahrt dort fort mit dem Versuch, das Blut der Wunde zu stillen (7,848f. scissaque a pectore veste \ vulnera saeva ligo conorque inhibe re crúorem), was dem atros siccabat veste crúores bei Vergil (4,687) entspricht. Montanus läßt Cephalus die Wunde der Procris mit seinen Tränen auswaschen

Vgl. tum sie exspirans

... adloquitur in Vergils Camilla-Episode (Aen. 11,820f.).

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

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(744 lacrimis vulnera saeva lavat) und macht in dieser Überbietung zugleich seine zusätzliche Abhängigkeit von der Totenklage Hecubas im 13. Metamorphosenbuch deutlich1 : met. 13,490 493 531

huic quoque dat lacrimas; lacrimas in vulnera fundit (...) plura quidem, sed et haec laniato pectore dixit: ('...) quid moror interea crudeltà vulnera lymphis abluere et sparsos inmiti sanguine vultus?'2

In dieser Überbietung bestätigt Montanus ein weiteres Mal seine exzessive Phantasie, indem er das aus dem Meer geschöpfte Wasser der Hecuba, mit dem sie die Wunde der Polyxena auswäscht, durch die Tränen des Cephalus ersetzt (weil auch Hecuba zuvor die Wunde mit Tränen benetzt hatte) 3 . Vulnera lavare ist in der klassischen Dichtung vor Montanus nicht belegt, wohl aber noch zweimal bei Montanus selbst, nämlich in [Prop.] 2,34,91f. (et modo formosa quam multa Lycoride Gallus | mortuus inferna vulnera lavit aqua)A und in der von Montanus im neunten Aeneisbuch hinzugedichteten Klage der Euryale ([Aen.] 9,486ff., v. ad loc.): nec te, tua fuñera, mater \ prodwci pressive oculos5 aut vulnera lavi. Dem pressive oculos hier entspricht im Procris-Passus cara lumina conde manu, eine Junktur, die der echte Ovid - wörtlich - nur für Hecuba, die ihre Finger in die Augen des Polymestor bohrt, verwendet: dígitos in perfida lumina condii | expilatque genis oculos (met. 13,561f.), in der Variation oculos condet aber einmal auch in trist. 3,3,44 hat. Bei Montanus ist sie eine wohlfeile Münze geworden, wie sich im folgenden zeigen wird.

1

2

3

4 5

Er hat ja seinerseits diese Klage Hecubas um Polyxena durch eine rhetorisierende Zudichtung erweitert (s. S. 458ff.). Ovid läßt hier seinerseits deutlich Vergils Anna durchhören: Aen. 4,683 date, vulnera lymphis | abluam et·, s.u. S. 582. Man fühlt sich an die Tiber-Allegorie erinnert, die Montanus im Epicedion Drusi 221 ff. vorführt, wo der personifizierte Tibergott anläßlich des Leichenbegängnisses für Drusus sein Haupt aus den Wellen erhebt und soviele Tränen vergießt, daß der Fluß überzutreten und die Flammen des Leichenfeuers zu löschen droht: ipse pater flavis Tiberinus adhorruit undis, I sustulit et medio nubilus amne caput | ... | ... | uberibusque oculis lacrimarum flumina misit: \ vix capit adiectas alveus altus aquas. \ iamque rogi flammas extinguere fluminis auctu (corr. Rutgersius) | corpus et intactum tollere certus erat, etc. Die beiden Verse sind unecht, s. S. 584. Vgl. Montanus in [am.] 3,9,49f. hic certe madidos fueientis pressit ocellos | mater, wo in madidos ... ocellos die natantia lumina von georg. 4,496 variiert werden, s. zu Epiced. Drusi 93 (anschließend).

Sterbeszenen

581

b) Epicedion Drusi Im Epicedion Drusi hat der für alle Art von Pathetik aufgeschlossene Montanus das Motiv der Sterbeszene gleich dreimal durchexerziert: in 89-98 wird zunächst Tiberius glücklich gepriesen, daß er beim Tod seines Bruders anwesend sein und von ihm Abschied nehmen durfte, dann von der Mutter Livia mit Bedauern festgestellt, daß sie dem Sohn den letzten Liebesdienst nicht leisten konnte; in 157ff. aber tröstet sich Livia bei dem Gedanken, daß der ihr verbliebene Sohn Tiberius einst an ihrem Sterbebett stehen werde. Man erkennt die schulmäßige variatio, wie sie im Deklamationssaal in der Form unterschiedlicher 'Kolorierung' geübt wurde: Epiced. Drusi 89 tu tarnen extremo moriturum tempore f r a t r e m vidisti, lacrimas yidit et ille tuas afñsigue suis moriens tua pectora sensit et tenuit1 yultu lumina fixa tuo, lumina caerulea2 iam iamque natantia morte, lumina3 fraternas iam subitura manus. 95 at miseranda p a r e n s suprema ñeque o s c u l a legit, frigida nec fovit membra tremente sinu4; non animam apposito fueientem excepit hiatu nec TRAXn5 caesasper tua membra COMAS (...) 157 sospite te saltem moriar, Nero : tu mea condas lumina et excipias hanc animam ore6 pio. atque utinam Drusi manus altera et altera fratris formarent oculos comprimerentque meos.

1 2

3

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5

6

Vgl. Aen. 4,331 immota tenebat 1 lumina. In diesem Vers hat Montanus die natantia lumina von georg. 4,496 (s.o.) mit met. 5,70ff. (at ille I iam moriens oculis sub nocte natantìbus atra) kombiniert und dabei das Attribut atra durch caerulea wiedergegeben, so wie er in Ciris 215 die dunklen Schatten der Nacht caeruleas ... umbras nennt. Die doppelte Epanalepse von lumina repräsentiert einen charakteristischen Stilzug des Montanus, s. S. 443ff. Vgl. Tib. 1,8,30 (in erotischem Sinne) ut foveat molli frigida membra sinu und met. 14,743f. accipit illa sinu conplexaaue frigida nati \ membra sui. Die Überlieferung wird durch das canitiemque suam concreto in sanguine ν erre η s der Musterszene met. 13,488ff. gesichert, vermutlich auch (durch 13,493 laniato pectore) die Anregung zur Wortwahl caesas ... comas in 98, vgl. Montanus in [am.] 3,9,52 dilaniata comas. Das doppelte animam excipere (hiatu bzw. ore) in 97 und 158 stimmt gut zu dem ebenfalls montanischen excipitur spiritus (ore) in [ars] 3,746, dem am nächsten Ovids spiritus ... capiatur (ab ore) in met. 7,820 benachbart ist, dort allerdings vom kühlen Lufthauch gesagt (s.o. S. 579).

Komplementäre Mehrfachnutzung von Vorbildstellen

582

Jede der drei 'Sterbeszenen' rückt unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund: die erste die Begegnung der Augen des Sterbenden mit denen des mitleidenden Bruders, die zweite die Umarmung des sterbenden Körpers, den letzten Kuß, das Aufnehmen des letzten Lebenshauches mit dem Mund und das S. 581 Anm. 5 erläuterte Haarmotiv, die dritte das Schließen der Augen des Verstorbenen (neben dem Aufnehmen des letzten Lebenshauches)1, so daß bei einer Kombination der drei Variationen das Thema umfassend durchgeführt ist. In den beiden letzten Versen (159f.) lesen wir wieder einen typischen 'Montanismus' im Sinne des Scaurus (s. das Register): Was einmal (in 157f.) gut gesagt war, wird in der überbietenden Wiederholung (159f.) pervertiert. Welch bizarre Vorstellung, daß jeder der beiden Brüder mit einer Hand je ein Auge der Mutter zudrückt! Eine harmlosere Variante bietet der gleiche Montanus in epist. 1,102 auf, wo er Penelope in ihrem Brief an Ulixes den Wunsch äußern läßt, der puer Telemachus (der beinahe den Nachstellungen der Freier zum Opfer gefallen wäre) möge ihnen beiden einst die Augen schließen: ille meos oculos comprimât,

ille tuos.

c) Synkrisis Wie Montanus bei der dreimaligen Variation der Sterbeszene im eigenen Dichtwerk, der Consolatio, komplementär verfahren ist, so auch in der Nutzung der zugrunde gelegten Musterszenen, die zum Abschluß im Zusammenhang - in chronologischer Abfolge - vorgeführt seien (die Markierungen2 sollen die Entsprechungen zu den Montanus-Imitationen verdeutlichen): georg. 4,495

en iterum crudeltà retro fata vocant, conditque natantia lumina somnus.

Aen. 4,683

date, yvLNERA LYMPHis ABLVAM et, extremus si quis super halitus errat, ore leeam. ' sic fata gradus evaserat altos, semianimemque sinu germanam anwlexa fovebat cum gemitu atque atros siccabat veste crúores, illa gravis oculos çpnata attollere rursus

Hier liegt also eine Wiederholung vor, während die Vorstellung des lumina condere durch die Hände der beiden Brüder (159f.) das Motiv von 94 (lumina fraternas iam subitum manus) immerhin durch die verschiedene Zeitperspektive variiert. Es werden die folgenden verwendet: a) Begegnung.der Augen, b) Umarmen des Körpers, c) K ü s s e , d) Aushauchen und Aufnehmen des letzten Lebensodems. e) HAARE, f) dem Sterbenden die Augen schließen, g) W e i t e n JK