Die normative Restriktion des Heimtückebegriffes auf Basis der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen [1 ed.] 9783428532377, 9783428132379

Die Tatausführungsbezogenheit der hergebrachten Heimtückedefinition bewirkt oftmals, dass nicht-höchststrafwürdiges Unre

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 9783428532377, 9783428132379

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Schriften zum Strafrecht Heft 214

Die normative Restriktion des Heimtückebegriffes auf Basis der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen Von

Oisín Morris

Duncker & Humblot · Berlin

OISÍN MORRIS

Die normative Restriktion des Heimtückebegriffes auf Basis der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen

Schriften zum Strafrecht

Heft 214

Die normative Restriktion des Heimtückebegriffes auf Basis der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen

Von

Oisín Morris

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-13237-9 (Print) ISBN 978-3-428-53237-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-83237-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Mechthild und Colin

Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2008/2009 von der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Dissertation angenommen. Ich danke herzlich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Renzikowski, für sein Vertrauen, die kritische Begleitung und seine Unterstützung. Ein herzlicher Dank geht auch an Herrn Prof. Dr. Kohte für die schöne und lehrreiche Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl, aber auch für seine konstruktive Kritik, ohne welche diese Arbeit nicht in dieser Form abgeschlossen worden wäre. Dank gebührt auch Herrn Prof. Dr. Lilie für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Mein Dank gilt auch der Dr. Carl-Böse-Stiftung in Lübeck, die die Veröffentlichung dieser Arbeit mit einem großzügigen Druckkostenbeitrag unterstützt hat. Ich danke meinen Eltern und Schwiegereltern, meinen Geschwistern und Freunden, meiner Frau und unserem Sohn für die vielfältige Unterstützung auf dem Weg zu dieser Arbeit. Ich widme diese Arbeit meinem zu früh verstorbenen, ersten Strafrechtslehrer in Osnabrück, Herrn Prof. Dr. Joachim Schulz, der mir in seinen hervorragenden Vorlesungen in den ersten Semestern insbesondere den kritischen Blick auf die nationalsozialistische Prägung des geltenden Tötungsstrafrechts eröffnete. Hamburg, im Juni 2010

Oisín Morris

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einleitung

17

A. Das Problem der sogenannten Grenzfälle der Heimtücke . . . . . . . . . . . . .

17

B. Die Notwendigkeit und Möglichkeit der Tatbestandsrestriktion – insbesondere beim Mordmerkmal der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

2. Kapitel Die Notwendigkeit der Restriktion des gesamten Mordtatbestandes

24

A. Die absolute Strafandrohung als Verhältnismäßigkeitsproblem . . . . . . . . I. Strafrahmen und absolute Strafandrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip und an den Schuldgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 26

B. Die Bestrafung wegen Mordes trotz geminderten Unrechts als Verstoß gegen das Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

C. Die Vereinbarkeit der Mordstigmatisierung mit dem Schuldprinzip . . . I. Der sozial-ethische Tadel als Element des Strafbegriffs . . . . . . . . . . . . . . II. Die mit einer Verurteilung wegen Mordes verbundene Stigmatisierung des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Mordstigmatisierung als Verstoß gegen den Schuldgrundsatz – insbesondere beim Mordmerkmal der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Nichtbeachtung oder Unbeachtlichkeit der Mordstigmatisierung in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29

33

D. Die Beschränkung des § 211 Abs. 2 StGB auf höchststrafwürdige Fälle

35

E. Heimtücke als normatives Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

F. Gefahren der normativen Restriktion – und ihre Beherrschung . . . . . . .

38

30 32

10

Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel Die Rechtsprechung des BGH zu den sogenannten Grenzfällen der Heimtücke

A. Die Entscheidung des Großen Strafsenats BGHSt 30, 105 über einen sog. Grenzfall der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Sachverhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Vorlagebeschluss des 4. Senats des BGH vom 26.01.1981 – 4 StR 430/80 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die sog. „Rechtsfolgenlösung“ des Großen Senats (BGHSt 30, 105) . . . IV. Kritik an der Rechtsfolgenlösung des Großen Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorwurf der unzulässigen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das BVerfG als Finder einer ausfüllungsbedürftigen Lücke? . . . . b) Voraussetzungen für das Vorliegen einer ausfüllungsbedürftigen Lücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mangelnde Gesetzesbindung der Vertreter der normativen Restriktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertungswiderspruch beim „minderschweren Fall des Mordes“ . . . . 3. Kein Gewinn an Begriffsschärfe durch „außergewöhnliche Umstände“ 4. Keine Verhinderung unverhältnismäßiger Mordstigmatisierung . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Tötung des Erpressers als Grenzfall der Heimtücke (BGHSt 48, 207) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sachverhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entscheidung BGHSt 48, 207 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik an der Erpresser-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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41 41 41 42 44 45 46 47 47 48 49 50 51 51 51 52 53

Tötung des Haustyrannen als Grenzfall der Heimtücke . . . . . . . . . . . . Die Fallgruppe der Haustyrannentötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bewertung der Tötung eines Haustyrannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichbarkeit der Tötung eines Haustyrannen mit der Tötung eines Erpressers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 54 55

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

C. Die I. II. III.

57

4. Kapitel Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht des § 211 StGB

59

A. Formen des nationalsozialistischen Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

B. Die historische Entwicklung von der Überlegung zu den Mordmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Merkmal der Überlegung oder Vorbedacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Einführung der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62 62 64

Inhaltsverzeichnis

11

C. Das gesetzliche Leitbild der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Interesse des Gesetzgebers von 1941 an der Abschaffung der Überlegung und der Ersetzung durch Mordmerkmale im Allgemeinen . II. Die nationalsozialistische Tätertypenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionen der Tätertypenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausweitungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ausweitungsfunktion des § 2 a. F. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Restriktionsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Einfluss der Tätertypenlehre auf die Fassung des § 211 StGB . . . . 1. Der unbestrittene Einfluss auf die sprachliche Fassung . . . . . . . . . . . . 2. Einfluss auf die Mordmerkmale? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Typenkorrektur als Konsequenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Intention des historischen Gesetzgebers, klare und fest umrissene Tatbestände zu schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein abschließender Charakter der Mordmerkmale . . . . . . . . . . . . c) Bruch mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . d) Keine Ablehnung nationalsozialistischen Gehalts durch Hinweis auf den schweizer Ursprung des § 211 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung und Konsequenzen der Entstehungsgeschichte IV. Der Bedeutungsgehalt der Heimtücke zur Zeit ihrer Einführung . . . . . . 1. Das Mordmerkmal der Heimtücke in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Mordmerkmal der Heimtücke in der Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Der Begriff der Heimtücke in anderen nationalsozialistischen Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung: Das Leitbild der Heimtücke zum Zeitpunkt der Einführung in das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Kapitel Das Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

92

A. Die Grunddefinition der Heimtücke durch den BGH . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

B. Der Strafgrund der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Gefährlichkeitskonzeption des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verwerflichkeitskonzeption der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Duellprinzip als Leitprinzip der Heimtücke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12

Inhaltsverzeichnis

C. Die Ermittlung der Arglosigkeit des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Arglosigkeit bei unmittelbar vorangegangenen Feindseligkeiten . . . 1. BGHSt 20, 301 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. BGHSt 28, 210 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. BGHSt 27, 322 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. BGHSt 48, 207 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. BGH NStZ 2005, 688 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Arglosigkeit in sonstigen Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. BGHSt 41, 72 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. BGH NStZ-RR 2001, 297 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Die Bestimmung der Wehrlosigkeit des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Maß der Wehrlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Erfordernis absoluter Wehrlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Maß der relativen Wehrlosigkeit als Problem . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Kapitel „Klassische“ Anwendungsfälle der Heimtücke nach der Rechtsprechung des BGH

115

A. Die Tötung eines Schlafenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Das Locken in einen Hinterhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 C. Der Giftmord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 D. Die Tötung von hinten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 7. Kapitel Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke A. Interne Leitbildabweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Tötung nach unmittelbar vorangegangener Konfrontation . . . . . . . . . II. Die Tötung von Opfern aus bestimmten Personengruppen – insbesondere Kleinkindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Tötung von Kleinkindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Tötung von Bewusstlosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritik an der Begründung des Ausschlusses von Kleinkindern . . . aa) Unvereinbarkeit der evidenzbasierten, höchstrichterlichen Rechtsprechung zur konstitutionellen Arglosigkeit von Kleinkindern mit neuen psychologischen Forschungsergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis bb) Die Annahme konstitutioneller Wehrlosigkeit als Lösungsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik an der Begründung des Ausschlusses Bewusstloser . . . . . . aa) Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Ungleichbehandlung Schlafender und Bewusstloser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Möglichkeit der Mitnahme der Arglosigkeit in den Schlaf bzw. in die Bewusstlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Bewusstlosigkeit des Tötungsopfers als Schutzbehauptung des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Funktion des Ausschlusses bestimmter Personengruppen . . . III. Affekttaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Ausnutzungsbewusstsein als bloßer Vorsatz bezüglich der objektiven Merkmale der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Affekttaten als Beweiszeichen fehlenden Ausnutzungsbewusstseins? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Möglichkeit der Identität von Ausnutzungsbewusstsein und Heimtückevorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Unvereinbarkeit der Affekttatenprivilegierung mit dem Gefährlichkeitsmodell als Strafgrund der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . c) Die unzulässige Fortgeltung des Mordmerkmals der Überlegung d) Keine generell verminderte Strafwürdigkeit von Affekttaten . . . . e) Unzutreffende Erfassung von Konflikttaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Externe Leitbildabweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Tötung ohne Handeln in „feindlicher Willensrichtung“ . . . . . . . . . . . 1. Das Korrektiv der feindlichen Willensrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Tötung unter „außergewöhnlichen Umständen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Tötung unter Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen . . . . 1. Die Tötung des Erpressers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Tötung des Haustyrannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Ausgangsfall von BGHSt 30, 105 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schnittmenge der Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Kapitel Die Tötung unter Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen als Privilegierungsgrund

150

A. Günthers Lehre von der Unrechtsminderung durch Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 B. Begründung der Täterentlastung durch Zurechnung der Opferverantwortung durch Müssig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

14

Inhaltsverzeichnis

C. Ablehnung der Leitbildabweichung durch Opferverantwortung durch Hillenkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 D. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliche Anerkennung der unrechtsmindernden Wirkung der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen als Kriterium fehlender Höchststrafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die fehlende Höchststrafwürdigkeit – insbesondere bei der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exkurs: Die „Kannibalen-Entscheidung“ des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Vorzüge der Teilverwirklichungslehre im Vergleich zu anderen Restriktionswegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektives Geschehen als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offenlegung der Privilegierungskriterien anstelle diffuser Wertung . . . 3. Berücksichtigung des vorherigen Opferverhaltens nur bei Defensivnotstandslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prinzipielle Übertragbarkeit auf andere Mordmerkmale . . . . . . . . . . . . 5. Prinzipielle Übertragbarkeit auf andere Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kein Systembruch durch die Teilverwirklichungslehre . . . . . . . . . . . . . IV. Vorschlag zur Handhabung der Teilverwirklichungslösung bei der vorsätzlichen Tötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155 155 156 156 157 159 159 160 162 163 163 164 165

E. Zusammenfassung: Leitlinien für die fehlende Höchststrafwürdigkeit von Tötungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 9. Kapitel Die Zulässigkeit der normativen Restriktion der Heimtücke

167

A. Die Unmöglichkeit einer ausschließlich deskriptiven Bestimmung . . . . . . 168 B. Die Ungeeignetheit alternativer Heimtückedefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliche Zulässigkeit des Verzichts auf die Arg- und Wehrlosigkeitsformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Konzeption Schmollers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Konzeption Vehs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kritik an der alternativen Bestimmung der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mängel der Alternativmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Alternativlosigkeit der Arg- und Wehrlosigkeitsformel . . . . . . . . .

170 170 171 171 172 172 173

C. Der Ort der normativen Restriktion der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normative Bestimmung der Arglosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verselbständigung des Tückeelements durch den sog. Tückeansatz . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Opferverhalten als Restriktionsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Fiktion eines rein deskriptiven Arglosigkeitsbegriffes . . . . . . . . . .

174 174 176 176 176 177

Inhaltsverzeichnis 3. Die Nachteile des Tückeansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fokus auf Schuld- statt Unrechtsminderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verdeckte Gesamtwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung/Durchführung der normativen Restriktion der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 179 179 179 180

10. Kapitel Die bereits durch den BGH praktizierte normative Restriktion der Heimtücke

181

A. Die Grenzziehung im Bereich der vorangegangenen Konfrontation . . . . 182 I. Die Ermittlung der Arglosigkeit als normativer Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Der schmale Grat zur Schutzwürdigkeit des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 B. Das Merkmal der „feindlichen Willensrichtung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Nachvollziehbarkeit des Fehlens einer „feindlichen Willensrichtung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Feindliche Willensrichtung als normative Restriktion . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Entbehrlichkeit des Korrektivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzlich fehlende Privilegierungswürdigkeit von Tötungen zum „vermeintlich Besten des Opfers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Privilegierungswürdigkeit von Mitleidstötungen in engen Grenzen . . C. Das Ausscheiden bestimmter Opfergruppen aus normativen Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kleinkinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewusstlose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Tötung von Opfern bestimmter Personengruppen aus dem Blickwinkel der Teilverwirklichungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184 184 184 185 185 186 187 187 189 190 191

D. Das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins bzw. einer feindlichen Willensrichtung als Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen . . 191 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 11. Kapitel Ausblick – Die vorsätzlichen Tötungsdelikte de lege ferenda

194

A. Die Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 B. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Strukturelle Überlegungen sowie Rechtsfolgen der Tötungsdelikte de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Mord als nicht privilegierbare Tötung im Rahmen einer zweistufigen Konzeption als vorzugswürdige Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

16

Inhaltsverzeichnis 2. Die Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzungskriterien zwischen Mord und Totschlag de lege ferenda . . 1. Keine Rückkehr zur Überlegung als Abgrenzungskriterium . . . . . . . . 2. Keine „Weiterverwendung“ der bestehenden Mordmerkmale . . . . . . . 3. Die Abgrenzung beim Alternativ-Entwurf Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unzulänglichkeiten einer „Konkurrenzlösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die fehlende Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen als Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196 198 198 199 200 201 201

C. Formulierungsvorschlag für eine Neuregelung der vorsätzlichen Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

1. Kapitel

Einleitung A. Das Problem der sogenannten Grenzfälle der Heimtücke Wenn eine Handlung einen Straftatbestand erfüllt, so sieht das Gesetz in aller Regel einen breiten Strafrahmen vor, aus dem das Gericht die im konkreten Fall tat- und schuldangemessene Strafe zu entnehmen hat. Nur bei einem einzigen Delikt des Strafgesetzbuchs fehlt ein solcher Strafrahmen. Wenn der Täter gemäß § 211 StGB einen Mord begangen hat, steht dem Gericht mit der lebenslangen Freiheitsstrafe grundsätzlich nur eine mögliche Rechtsfolge als Strafe zur Verfügung.1 Das Gesetz geht folglich davon aus, dass die vorsätzliche Tötung eines Menschen unter Verwirklichung eines Mordmerkmals grundsätzlich so schwer wiegt, dass die angemessene Sanktion ausschließlich in der höchsten Strafe unseres Sanktionensystems bestehen kann. Die Androhung der Höchststrafe auf der Rechtsfolgenseite einer Strafnorm setzt voraus, dass auf der Tatbestandsseite ein Verhalten erfasst wird, welches höchstes Unrecht darstellt. Beim Straftatbestand des Mordes ist jedoch zweifelhaft, ob die in § 211 Abs. 2 StGB enthaltenen Mordmerkmale ausschließlich höchststrafwürdiges Unrecht umschreiben. Dies gilt in besonderem Maße für das Mordmerkmal der Heimtücke. Gerade bei diesem Merkmal ist die Berücksichtigung entlastender Umstände weitgehend ausgeschlossen. Dies liegt insbesondere daran, dass Heimtücke als Ausführungsart tatbezogen definiert wird, sodass es kaum eine Möglichkeit gibt, entlastende Umstände zu berücksichtigen, die außerhalb des eigentlichen Tatgeschehens liegen. Dies wird besonders deutlich bei der Fallgruppe der Tötung eines sogenannten Haustyrannen, bei der eine Frau nach Jahren schwerster Misshand1 Der Straftatbestand des Völkermordes, ehemals in § 220a StGB geregelt, ist durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung eines Völkerstrafgesetzbuches vom 26.06.2002 (BGBl. I, S. 2254) aufgehoben worden und findet sich nunmehr in § 6 VStGB. Beim Totschlag ist nach § 212 Abs. 2 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe nur in besonders schweren Fällen angedroht, sodass die Verhängung dort letztlich im Ermessen des Gerichts liegt (NK-Streng, § 46 Rn. 7).

18

1. Kap.: Einleitung

lungen ihren gewalttätigen Partner tötet, weil sie keinen anderen Ausweg sieht. Auf Grund ihrer körperlichen Unterlegenheit bleibt ihr dabei meist nur die Möglichkeit, den Haustyrannen in dessen Schlaf zu töten. Die Tötung eines Schlafenden ist jedoch nach der Rechtsprechung des BGH ein geradezu „klassischer“ Anwendungsfall der Heimtücke. In solchen und ähnlichen Fällen stellt sich die heimtückische Begehungsweise jedoch oftmals als „Waffe der Schwachen und Wehrlosen gegen Übermacht, Gewalt und Brutalität“2 dar. Angesichts eines solchen Befundes drängen sich grundsätzliche Zweifel an der Eignung dieses Mordmerkmals zur Umschreibung höchststrafwürdigen Unrechts auf. Bei der Ursachenforschung ist daher eine Untersuchung der Entstehungsgeschichte der Norm unumgänglich. Die gegenwärtige Fassung des § 211 StGB beruht auf dem Gesetz vom 04.07.19413 und ist seitdem im Wesentlichen – insbesondere in § 211 Abs. 2 StGB – unverändert geblieben. Kaum jemand scheint Anstoß daran zu nehmen, dass diese zentrale Norm des Strafgesetzbuchs von den Nationalsozialisten geschaffen wurde. Eine inhaltliche Untersuchung der Norm auf einen möglichen nationalsozialistischen Gehalt findet jedoch in aller Regel nicht statt; stattdessen wird in der Regel lediglich lapidar darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Fassung auf den Vorarbeiten des schweizer Juristen Carl Stooß beruht. Selbst der offensichtlichste Einfluss der Nationalsozialisten – die an der Tätertypenlehre ausgerichtete Bezeichnung des Täters als „Mörder“ – wird schlicht als gegenstandslos betrachtet. Hingegen wird die Entstehungsgeschichte der Norm in dieser Arbeit ausführlich untersucht. Dabei soll durch eine Analyse der Literatur und Rechtsprechung der Zeit insbesondere ermittelt werden, inwieweit ein abschließender Charakter der Mordmerkmale intendiert war und welchen Bedeutungsgehalt das Mordmerkmal der Heimtücke zu der damaligen Zeit aufweisen sollte. Während der BGH zu der Auffassung gelangte, dass der historische Gesetzgeber mit § 211 Abs. 2 StGB abschließende Kriterien des Mordes habe schaffen wollen, legt eine Analyse der damaligen Literatur ein gegenteiliges Verständnis nahe. Zwar sollte grundsätzlich bei Vorliegen eines Mordmerkmals wegen Mordes verurteilt werden; entscheidend sollte jedoch sein, ob die Tat nach einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit als besonders verwerfliche Tötung erschien. Die praktischen Auswirkungen dieser Frage waren und sind immens. So kommt etwa Freisler, der es als exponierter nationalsozialistischer Jurist und späterer Präsident des Volksgerichtshofs zu trauriger Berühmtheit brachte, zu der Auffassung, dass bei der Tötung eines Haustyrannen keineswegs ohne weiteres von einem Mord 2 3

Jescheck, JZ 1957, 386 (387). RGBl. I, S. 549.

B. Die Notwendigkeit und Möglichkeit der Tatbestandsrestriktion

19

auszugehen sei.4 Dieses Ergebnis überrascht allerdings allenfalls auf den ersten Blick. Denn die Untersuchung der Entstehungsgeschichte wird zeigen, dass die Nationalsozialisten gerade durch die Formulierung der Mordmerkmale, aber auch in einer Vielzahl anderer Strafbestimmungen der Zeit Strafnormen schaffen wollten, die sprachlich so unbestimmt waren, dass man praktisch jedes gewünschte Ergebnis mit ihnen begründen konnte. Dies galt keineswegs nur bei der Ausweitung, sondern gleichermaßen auch bei der Eingrenzung des Anwendungsbereichs von Strafnormen. So übernahm der BGH in § 211 StGB zwar die Rigidität der Mordmerkmale in ihrer tatbestandsabgrenzenden Funktion, verzichtete jedoch im Übrigen auf die Restriktionsmechanismen, die der historische Gesetzgeber in Form der Gesamtwürdigung vorgesehen hatte. Die Entstehungsgeschichte der Norm ist Grund genug, die Tötungsdelikte de lege ferenda völlig neu zu schaffen. Es gibt im Übrigen niemanden, der die dringende Reformbedürftigkeit der Tötungsdelikte bestreitet. Jedoch ist weiterhin nicht absehbar, ob und wann der Gesetzgeber seine Untätigkeit aufgeben wird. Daher bleibt es unverzichtbar, auch de lege lata vernünftige Kriterien der restriktiven Auslegung zu finden und anzuwenden. Diesem Ziel soll die vorliegende Arbeit dienen.

B. Die Notwendigkeit und Möglichkeit der Tatbestandsrestriktion – insbesondere beim Mordmerkmal der Heimtücke Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner wegweisenden Entscheidung aus dem Jahr 1977 eine restriktive Auslegung der Mordmerkmale angemahnt.5 Die Androhung und Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe sei nur dann verfassungsgemäß, wenn eine restriktive Tatbestandsauslegung vorgenommen werde. Der Große Senat des Bundesgerichtshofs hat jedoch 1981 in seiner Entscheidung BGHSt 30, 105 auch in sogenannten Grenzfällen der Heimtücke eine Verurteilung wegen Mordes für unumgänglich gehalten. Insbesondere lehnte er eine Tatbestandsrestriktion ab, wie sie in der Literatur etwa von der Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch oder der Lehre von der Typenkorrektur gefordert wird. Jedoch hat der BGH im Wege der Rechtsfortbildung auf der Rechtsfolgenseite eine außergesetzliche Strafmilderung verlangt, wenn außergewöhnliche Umstände vorlägen. 4 5

Freisler, DJ 1941, 929 (936); ihm folgend Dahm, DR 1942, 401 (405). BVerfGE 45, 187 ff.

20

1. Kap.: Einleitung

Die Rechtsfolgenlösung ist in der Literatur auf heftige Kritik gestoßen. In erster Linie wird dem BGH vorgeworfen, dass er Rechtsfortbildung contra legem betrieben und sich dadurch die Rolle des Gesetzgebers angemaßt habe. Die besondere Problematik der Rechtsfolgenlösung besteht meines Erachtens jedoch darin, dass Täter unter Umständen als „Mörder“ verurteilt und dadurch stigmatisiert werden, obwohl ihr Verhalten offensichtlich nicht höchststrafwürdiges Unrecht darstellt. Dies wird besonders deutlich bei der Fallgruppe der bereits erwähnten Tötung eines sogenannten Haustyrannen, bei der eine Frau nach Jahren schwerster Misshandlungen ihren gewalttätigen Partner tötet, weil sie keinen anderen Ausweg sieht. Auf Grund ihrer körperlichen Unterlegenheit bleibt ihr zur Umsetzung ihres Tötungsentschlusses nur die Möglichkeit, den Haustyrannen in seinem Schlaf zu töten. Die Tötung eines Schlafenden stellt jedoch nach der Rechtsprechung des BGH einen nahezu klassischen Fall der heimtückischen Begehungsweise dar. Prägend für diese und andere Fallgruppen der sogenannten Grenzfälle der Heimtücke ist jedoch die Nähe der Taten zur Rechtfertigung durch Notwehr beziehungsweise Notstand. Gerade bei Haustyrannenfällen hätte die Täterin vor der Tat in vielen Fällen unter Umständen tödlich wirkende Notwehr üben dürfen, um die erheblichen Angriffe ihres Partners zu unterbinden. Selbst der BGH ist der Auffassung, dass die von einem Haustyrannen ausgehenden Gefahren eine Dauergefahr im Sinne des § 34 StGB begründen. Handelt der Täter unter den Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes, so stellt sich sein Verhalten als rechtmäßig dar. Das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes beseitigt somit das Unrecht der Tatbestandsverwirklichung. Wenn jedoch der Täter einen Rechtfertigungsgrund nur teilweise verwirklicht, scheidet eine Rechtfertigung der Tat aus. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Unrechtsgehalt der Tat unverändert ist; vielmehr ist davon auszugehen, dass das Maß der Unrechtsverwirklichung umso stärker sinkt, umso mehr die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes gegeben sind. Besonders augenscheinlich wird dieser Befund bei der Fallgestaltung, die der aufsehenerregenden Entscheidung des BGH zur Tötung eines Erpressers6 zu Grunde lag. Nach dem herkömmlichen Verständnis der Heimtücke hätte zwischen einem Freispruch wegen gemäß § 32 StGB gerechtfertigter Tötung und einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen heimtückischen Mordes im Zweifel eine logische Sekunde gelegen.7 Nach Ab6

BGHSt 48, 207 ff. Allerdings hat der BGH in seiner Folgeentscheidung BGH, NStZ 2005, 332 (334) eine Rechtfertigung nach § 32 StGB am fehlenden Verteidigungswillen scheitern lassen. 7

C. Gang der Untersuchung

21

lauf dieser Zeitspanne wäre der Angriff des Erpressers als nicht mehr gegenwärtig, weil beendet anzusehen gewesen. Vor diesem Hintergrund hat der 1. Senat die unrechtsmindernde Wirkung der Teilverwirklichung des § 32 StGB zu Anlass genommen, um das Mordmerkmal der Heimtücke unter wertenden Gesichtspunkten einschränkend auszulegen. Dabei begründete der 1. Senat seine Auffassung insbesondere damit, dass es dem sich wehrenden Täter im Grenzbereich der Notwehr nicht zuzumuten sei, mit der Überschreitung der Notwehrgrenzen sogleich höchststrafwürdiges Unrecht zu verwirklichen. Er stützt sein Ergebnis dabei auf einen „Wertungsgleichklang mit dem Notwehrrecht.“ Angesichts der Parallelen drängt sich eine Anwendung der Grundsätze der Erpresser-Entscheidung des 1. Senats auf die Fallgruppe der Haustyrannentötung geradezu auf. Jedoch erwähnte derselbe Senat nur wenige Wochen nach seiner Erpresser-Entscheidung im Falle einer Haustyrannentötung eine solche Restriktionsmöglichkeit nicht mit einem einzigen Wort.8 Vielmehr bejahte er mit knapper Begründung das Vorliegen einer heimtückischen Tötung. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass in der Rechtsprechung des BGH teilweise eine Privilegierung von Affekttätern gegenüber Konflikttätern sichtbar wird. Besonders deutlich wird dies bei einer Gegenüberstellung von tödlichen Beziehungskonflikten. Während dem in offener Konfrontation tötenden männlichen Täter oftmals ein Handeln im Affekt zum Vorteil gereicht, weil er etwa die Trennung des späteren Opfers nicht ertragen konnte oder wollte, wird weiblichen Täterinnen eine Privilegierung auch dann verweigert, wenn sie unter der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen handeln. Damit werden oftmals allenfalls möglicherweise schuldgeminderte Tötungen gegenüber offensichtlich unrechtsgeminderten Tötungen privilegiert. Dieses Ergebnis ist meines Erachtens unhaltbar. Eine Verurteilung wegen Mordes verbietet sich, wenn die Tötung auf Grund der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen nur einen erheblich verminderten Unrechtsgehalt aufweist.

C. Gang der Untersuchung Im Folgenden soll zunächst dargestellt werden, aus welchen Gründen eine restriktive Auslegung des § 211 StGB unabdingbar ist. Dabei wird auch darauf eingegangen, in welcher Weise das Vorhandensein der absoluten Strafandrohung zu einer restriktiven Auslegung des § 211 StGB zwingt. 8

BGHSt 48, 255 ff.

22

1. Kap.: Einleitung

Zudem wird dargelegt, dass der verfassungsrechtliche Schuldgrundsatz eine Verurteilung wegen Mordes verbietet, wenn die Tat einen erheblich verminderten Unrechtsgehalt aufweist. Im Weiteren wird dargestellt, dass als Mittel der restriktiven Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke ausschließlich eine normative Restriktion in Betracht kommt. Dabei werden die bereits erwähnten Entscheidungen des Großen Senats BGHSt 30, 105, ferner die Erpresser-Entscheidung (BGHSt 48, 207) sowie die Haustyrannen-Entscheidung (BGHSt 48, 255) einer kritischen Überprüfung unterzogen. Im 4. Kapitel wird untersucht, in welchem Umfang nationalsozialistisches Denken Eingang in die Norm gefunden hat. Dabei wird die historische Konzeption insbesondere auch unter dem Blickwinkel untersucht, ob ein abschließender Charakter der Mordmerkmale intendiert war. Es folgt eine kritische Auseinandersetzung mit dem BGH und der herrschenden Lehre, die einen Einfluss nationalsozialistischen Denkens auf das fortgeltende Recht ablehnen. Hier wird insbesondere die weitgehende Kontinuität zur Rechtsprechung des Reichsgerichts, jedoch insbesondere auch der Bruch mit dem im Dritten Reich gehandhabten und vom historischen Gesetzgeber vorgesehenen Restriktionsmechanismus der Tätergesamtwürdigung dargelegt. Zur Vorbereitung eines eigenen Lösungsweges folgt in Kapitel 5 zunächst eine Darstellung des Leitbilds der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH. Dabei wird insbesondere die Bestimmung der Arg- und Wehrlosigkeit eingehend untersucht. Die dabei gewonnenen Ergebnisse sollen im späteren Verlauf der Arbeit nochmals aufgegriffen und bewertet werden. In Kapitel 6 werden zunächst die „klassischen“ Fallgruppen der heimtückischen Tötung dargestellt. Ihnen werden im darauf folgenden Kapitel die vom klassischen Leitbild abweichenden Fallgruppen gegenübergestellt. Insbesondere wird dabei herausgestellt, auf welche Weise der BGH von Anfang an bei der Bestimmung des Anwendungsbereiches mit normativen Erwägungen argumentierte. Dies gilt sowohl für die Bestimmung des Kernbereichs der Heimtücke, als auch für die Einschränkung in Grenzfällen. Im 8. Kapitel wird der eigene Lösungsansatz dargestellt, der auf einem erstmals von Günther9 herausgearbeiteten Konzept beruht. Dabei wird dargelegt, dass sich gerade beim Mordmerkmal der Heimtücke nicht-höchststrafwürdige Tötungen dadurch auszeichnen, dass der Täter bei der Tötung teilweise unter den Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes handelt. 9

Günther, JR 1985, 268 ff.

C. Gang der Untersuchung

23

Nachdem im folgenden Kapitel auf die Zulässigkeit und Notwendigkeit der normativen Restriktion sowie auf ihre Durchführung auf der Grundlage der Teilverwirklichungslehre eingegangen wird, soll in Kapitel 10 dargelegt werden, dass der BGH mitnichten erstmals in der Erpresser-Entscheidung, sondern bereits von Anfang an den Anwendungsbereich der Heimtücke normativ bestimmt hat. Zu diesem Zweck werden die bereits in den Kapiteln 6 und 7 dargestellten „klassischen“ und „nicht-klassischen“ Heimtückefallgruppen nochmals aufgegriffen und unter diesem Blickwinkel untersucht. Der vom BGH eingeschlagene Weg wird dabei insbesondere mit dem eigenen Lösungsvorschlag auf Basis der Teilverwirklichungslehre verglichen. Die Arbeit schließt mit einem kurzen Ausblick auf eine mögliche Reform der Tötungsdelikte, bei der die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen als maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen Mord und Totschlag fungieren könnte.

2. Kapitel

Die Notwendigkeit der Restriktion des gesamten Mordtatbestandes A. Die absolute Strafandrohung als Verhältnismäßigkeitsproblem I. Strafrahmen und absolute Strafandrohung In nahezu allen Straftatbeständen des StGB ist nicht eine einzige mögliche Rechtsfolge vorgesehen; vielmehr ist die im Einzelfall zu verhängende Strafe in aller Regel einem Strafrahmen zu entnehmen. Eine solche relative Strafdrohung räumt dem Richter mit dem Strafrahmen einen nach unten wie nach oben begrenzten Ermessensspielraum ein.10 Die Vielzahl der möglichen Rechtsfolgen korrespondiert dabei mit der Vielzahl der Lebenssachverhalte, die der abstrakten Formulierung des Tatbestandes unterfallen können, und soll daher im Einzelfall das Verhängen einer angemessenen Strafe ermöglichen.11 Der Gesetzgeber gibt mit dem Strafrahmen eine generelle Vorbewertung des typischen Handlungsunrechts ab.12 Wenn also eine Norm auf der Rechtsfolgenseite einen Strafrahmen vorsieht, so wird der Richter dadurch in die Lage versetzt, die Strafe nach dem Unrechtsgehalt der Tat sowie nach dem Maß der Schuld des Täters zu individualisieren.13 Die lebenslange Freiheitsstrafe wird in verschiedenen Straftatbeständen fakultativ neben einer zeitigen Strafe angedroht. Dazu gehören zunächst verschiedene Staatsschutzdelikte.14 Weiter sehen einige Delikte, die unter anderem dem Schutz des Lebens und der körperlichen Integrität dienen, die 10

Schönke/Schröder-Stree, Vorbem §§ 38 ff. Rn. 40 u. 42. NK-Streng, § 46 Rn. 5 f. 12 Fischer, § 46 Rn. 16. 13 NK-Streng, § 46 Rn. 6. 14 § 80 Abs. 1 StGB (Vorbereitung eines Angriffskrieges); § 81 Abs. 1 StGB (Hochverrat gegen den Bund); § 94 Abs. 2 StGB (Besonders schwerer Fall des Landesverrats); § 100 Abs. 2 StGB (Besonders schwerer Fall friedensgefährdender Beziehungen). 11

A. Die absolute Strafandrohung als Verhältnismäßigkeitsproblem

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lebenslange Freiheitsstrafe fakultativ für den Fall vor, dass der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers verursacht.15 Dabei wird die lebenslange Freiheitsstrafe ganz überwiegend fakultativ neben einer Freiheitsstrafe von nicht unter 10 Jahren angedroht.16 Dagegen enthält § 211 Abs. 1 StGB als einziger Straftatbestand im StGB im Falle der Erfüllung des Mordtatbestands keinen Strafrahmen, aus dem der Richter die zu verhängende Strafe entnimmt. Vielmehr sieht die Norm als Rechtsfolge ausschließlich die lebenslange Freiheitsstrafe vor. Da die Rechtsfolge für alle vorsätzlichen Tötungen, bei denen mindestens eines der in § 211 Abs. 2 StGB erschöpfend aufgezählten Mordmerkmale erfüllt ist, gleichermaßen vorgesehen ist, handelt es sich insoweit um eine absolute Strafandrohung, die grundsätzlich keinen Raum für Strafzumessungserwägungen lässt.17 Dies soll selbst für den Fall der Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes gelten,18 in welchem der BGH bislang eine bezifferte Strafminderung gewährte.19 Allerdings sind die allgemeinen Strafmilderungsmöglichkeiten, wie etwa im Falle verminderter Schuldfähigkeit gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB sowie im Falle eines versuchten Mordes gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB, auch im Falle eines Mordes anwendbar; von diesen Vorschriften wird in der Praxis auch reger Gebrauch gemacht.20

15 § 176b StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge); § 178 StGB (Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge); § 239a Abs. 3 StGB (Erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge); § 251 StGB (Raub mit Todesfolge); § 306c StGB (Brandstiftung mit Todesfolge); § 307 Abs. 3 Nr. 1 StGB (Herbeiführen einer Kernexplosion mit Todesfolge); § 308 Abs. 3 StGB (Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge); § 309 Abs. 3 StGB (Missbrauch ionisierender Strahlen mit Todesfolge); § 316a Abs. 3 StGB (Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer mit Todesfolge); § 316c Abs. 3 StGB (Angriff auf den Luft- und Seeverkehr mit Todesfolge). 16 Nur in den §§ 94 Abs. 2, 100 Abs. 2 StGB wird die lebenslange Freiheitsstrafe fakultativ neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von nicht unter 5 Jahren angedroht. 17 BGHSt 40, 360 (366 f.); 30, 105 (118); Schönke/Schröder-Stree, Vorbem §§ 38 ff. Rn. 39; NK-Neumann, vor § 211 Rn. 144; Mitsch, JuS 1996, 121. 18 BGH, NJW 2006, 1529 (1535). 19 Nunmehr vertritt der Große Senat des BGH statt der Strafminderungslösung eine Vollstreckungslösung, nach der im Falle rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen ein bestimmter Teil der Strafe im Urteilstenor als bereits vollstreckt bezeichnet wird (BGH, NJW 2008, 860 (862 ff.). 20 Vgl. dazu NK-Streng, § 46 Rn. 157.

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2. Kap.: Notwendigkeit der Restriktion des gesamten Mordtatbestandes

II. Die Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip und an den Schuldgrundsatz Aus Art. 20 Abs. 3 GG folgt eine Bindung aller staatlicher Gewalt an Gesetz und Recht. Zum ungeschriebenen Verfassungsrecht gehört auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip, welches seinerseits aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird.21 Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip muss sich jeder Grundrechtseingriff der öffentlichen Gewalt in einer dreistufigen Prüfung daran messen lassen, ob er geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist.22 Für den Bereich des staatlichen Strafens hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip insbesondere im Schuldgrundsatz (nulla poena sine culpa) seine Ausprägung gefunden.23 Damit hat der Schuldgrundsatz unstreitig ebenfalls Verfassungsrang.24 Unterschiedlich wird lediglich die Frage der Ableitung aus dem GG beurteilt:25 Zuweilen wird er aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG),26 dann wiederum aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG27 oder aus beiden genannten Wurzeln28 abgeleitet. Nach einer anderen Entscheidung des BVerfG folgt er dagegen aus Art. 103 Abs. 2 GG.29 Im Hinblick auf die Rechtsfolge eines Verstoßes stellt das BVerfG den Schuldgrundsatz mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gleich, sodass die Verletzung des Schuldprinzips gleichzeitig einen verfassungswidrigen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip darstellt.30 Das Schuldprinzip verlangt, dass die angedrohte31 beziehungsweise verhängte32 Strafe in einem angemessenen Verhältnis zum Unrecht der Tat sowie zur Schuld des Täters stehen muss.33 Daher ist die Tatsache, dass 21 BVerfGE 92, 277 (279, 326); 90, 145 (173); 76, 256 (359); 69, 1 (35); 19, 342 (348 f.); Dreier-GG/Schulze-Fielitz, Art. 20 Rn. 167; Sachs-GG/Sachs, Art. 20 Rn. 146. 22 BVerfGE 65, 1 (54); 67, 157 (173) 70, 278 (286); 92, 262 (273). 23 Nach der Rechtsprechung des BVerfG entsprechen sich Verhältnismäßigkeit und Schuldgrundsatz insoweit (vgl. BVerfGE 95, 96 (140); 86, 288 (313); 73, 206 (253). A. A. Wolff, AöR 1999, 55 (67 ff.)). 24 BVerfG, NJW 1999, 3399 (3403); 1997, 1910; BVerfGE 96, 245 (249); 95, 96 (140); 86, 288 (313); 45, 187 (228); 25, 269 (285 f.); 20, 323 (331). 25 Ausführlich dazu Wolff, AöR 1999, 55 (76 f.; 83 f.), der den Schuldgrundsatz gewohnheitsrechtlich herleitet. 26 BVerfGE 20, 323 (331). 27 BVerfGE 50, 100 (108). 28 So BVerfGE 95, 96 (140); 86, 288 (313); 45, 187 (259). 29 BVerfGE 25, 269 (285 f.). 30 BVerfGE 45, 187 (260) mit Verweis auf BVerfGE 6, 389 (439). 31 So ausdrücklich BVerfGE 9, 167 (169). 32 Dazu BVerfGE 45, 187 (260).

A. Die absolute Strafandrohung als Verhältnismäßigkeitsproblem

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§ 211 Abs. 1 StGB keinen Raum für eine Individualisierung der Strafdrohung lässt, obwohl dem Tatbestand von § 211 Abs. 2 StGB Tötungshandlungen von ganz unterschiedlichem Unrechts- und Schuldgehalt unterfallen,34 im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip bezweifelt worden. So hält Mahrenholz35 das Fehlen eines Strafrahmens bei § 211 Abs. 1 StGB für einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Unter Berufung darauf hat sich etwa Elf36 dafür ausgesprochen, dass der Gesetzgeber für den Mordtatbestand einen Strafrahmen schaffen möge. Schließlich hielt auch das Landgericht Verden,37 welches mit seinem Vorlagebeschluss den Anlass zur Entscheidung BVerfGE 45, 187 gab, das Fehlen eines Strafrahmens für einen Verstoß gegen das Schuldprinzip. Auch das BVerfG räumt in seiner Entscheidung zur Vereinbarkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe mit dem GG ein, dass „die Anwendung einer starren Strafandrohung schon wegen des darin liegenden Schematismus im Einzelfall zu unbefriedigenden Ergebnissen führen kann.“38 Jedoch sieht es in der absoluten Strafandrohung keinen Verstoß gegen das Schuldprinzip.39 Insbesondere stelle sie einen Beitrag zur Rechtssicherheit und gleichmäßigen Bestrafung der Straftäter dar.40 Allerdings nimmt das BVerfG eine Reihe von Einschränkungen vor, deren in diesem Zusammenhang Wichtigste wie folgt lautet: „Die absolute Androhung einer so schweren Strafe ist nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn dem Richter von Gesetzes wegen die Möglichkeit offen bleibt, bei der Subsumtion konkreter Fälle unter die abstrakte Norm zu einer Strafe zu kommen, die mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Das ist jedoch [. . .] unter Berücksichtigung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches und im Wege einer verfassungskonformen restriktiven Auslegung des § 211 StGB insbesondere der Mordmerkmale „heimtückisch“ und „um eine andere Straftat zu verdecken“, möglich.41

Im Weiteren erfolgt eine Aufzählung der bereits von der Rechtsprechung gegangenen Wege, die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu 33

BVerfG, NJW 1999, 3399 (3403); 1997, 1910; BVerfGE 96, 245 (249); 90, 145 (173); 73, 206 (253); 50, 100 (108); 45, 187 (228, 260); 9, 167 (169); MüKoRadtke, vor §§ 38 ff. Rn. 14; Schönke/Schröder-Stree, Vorbem §§ 38 ff. Rn. 3. 34 Vgl. BGHSt 40, 360 (368); NK-Neumann, vor § 211 Rn. 144; Kargl, StraFo 2001, 365 (374). 35 Abweichende Meinung zu BVerfGE 86, 288, 340 f. (352 ff.). 36 Elf, NStZ 1992, 468 (470). 37 Abgedruckt in EuGRZ 1976, 155 (157). 38 BVerfGE 45, 187 (261). 39 BVerfGE 45, 187 (260 f.). 40 BVerfGE 45, 187 (260). 41 BVerfGE 45, 187 (261).

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2. Kap.: Notwendigkeit der Restriktion des gesamten Mordtatbestandes

verhindern.42 Dazu werden ausdrücklich die verschiedenen Möglichkeiten der restriktiven Tatbestandsauslegung aufgezeigt.43 Dass eine restriktive Tatbestandsauslegung des § 211 StGB geboten ist, entspricht im Übrigen allgemeiner Meinung.44 Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist somit durch die Rechtsprechung des BVerfG vorgegeben: Weil die lebenslange Freiheitsstrafe in denkbar schwerster Weise in das Grundrecht des Täters auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG eingreift, ist eine besonders strenge Prüfung dieses Eingriffs am Maßstab der Verhältnismäßigkeit geboten. Da § 211 Abs. 1 StGB eine absolute Strafandrohung vorsieht und damit grundsätzlich keine Strafzumessungserwägungen zulässt, ist zunächst eine restriktive Auslegung des Mordtatbestandes verfassungsrechtlich zwingend geboten.

B. Die Bestrafung wegen Mordes trotz geminderten Unrechts als Verstoß gegen das Schuldprinzip Wie bereits dargelegt, verbietet das Schuldprinzip nicht nur eine das Maß der Schuld übersteigende Bestrafung. Vielmehr verlangt es außerdem, dass die Strafe auch in einem angemessenen Verhältnis zum verwirklichten Unrecht stehen muss. Das Maß der Schuld des Täters richtet sich dabei nach dem Maß des verwirklichten Unrechts. So führt etwa das Fehlen von Unrecht – beispielsweise bei einer tatbestandslosen Handlung oder bei einer rechtmäßigen Tat – zwangsläufig zur Verneinung jeder Schuld. Denn das Maß des vom Täter verwirklichten Unrechts setzt gleichzeitig eine absolute Obergrenze für das Maß der verwirklichten Schuld. Entsprechend kann es bei gemindertem Unrecht kein Höchstmaß an Schuld geben; vielmehr vermindert sich die Schuld um das gleiche Maß, wie das Unrecht gemindert ist. Die Schuld des Täters ist damit unrechtsakzessorisch. Diese Abhängigkeit gilt jedoch nicht im umgekehrten Fall. Denn das Fehlen von Schuld lässt bestehendes Unrecht unberührt. So ist es ohne Auswirkungen auf das verwirklichte Unrecht, wenn sich herausstellt, dass derjenige Täter, der sein Opfer vorsätzlich mit gemeingefährlichen Mitteln tötet, schuldunfähig ist. Das Schuldprinzip gebietet in diesem Fall, dass der Täter trotz des Höchstmaßes an Unrechtsverwirklichung nicht bestraft wird. Dennoch kann auf Grund des ungeminderten Unrechts auf die rechtswidrige Tat 42

BVerfGE 45, 187 (261 ff.). BVerfGE 45, 187 (262 ff.). 44 BVerfGE 45, 187 (4. Leitsatz); Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 10a; MüKoSchneider, § 211 Rn. 27; Fischer, § 211 Rn. 2; Lange, GS Schröder (1978) S. 217 (218); Schmidhäuser, JR 1978, 265 (270); Wessels/Hettinger, StrafR BT 1 Rn. 74; Hirsch, ZStW 115 (2003), 638 (666); Mitsch, ZIS 2007, 197 (200). 43

C. Vereinbarkeit der Mordstigmatisierung mit dem Schuldprinzip

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des Täters etwa mit freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung reagiert werden. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zu beanstanden, dass das BVerfG die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes trotz erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Täters gebilligt hat.45 Dies sei jedenfalls dann mit dem Schuldprinzip vereinbar, wenn – wie in dem zu entscheidenden Fall – die verminderte Schuldfähigkeit des Täters durch gewichtige schulderhöhende Aspekte der Tat kompensiert werde. Das BVerfG billigt damit die Rechtsprechung des BGH,46 der eine dem Wortlaut des § 21 StGB entgegengesetzte Auslegung ablehnt, wonach eine verminderte Schuldfähigkeit stets zu einer obligatorischen Strafmilderung gemäß § 49 Abs. 1 StGB führe. Im Hinblick auf die absolute Androhung der lebenslangen Freiheitsstrafe erscheint vor allem die Bestrafung wegen Mordes trotz erheblicher Unrechtsminderung als äußerst problematisch. Denn es steht in diesen Fällen auf der Rechtsfolgenseite kein Korrektiv zur Verfügung, mit dem der Unrechtsminderung Rechnung getragen werden könnte. Aus der Sicht des historischen Gesetzgebers ist das Fehlen einer solchen Regelung konsequent; denn man war offenbar der Auffassung, dass es grundsätzlich keine unrechtsgeminderten Fälle des Mordes geben könne, sondern dass unrechtsgeminderte Tötungen grundsätzlich lediglich als Totschlag zu bewerten seien. Damit werden diese Täter jedoch mit solchen Tätern gleichbehandelt, bei denen weder eine Unrechts-, noch eine Schuldminderung besteht. Der verfassungsrechtliche Schuldgrundsatz gebietet jedoch die Berücksichtigung einer Unrechtsminderung auch dann, wenn der Gesetzgeber des StGB eine solche Reaktionsmöglichkeit nicht für erforderlich hielt.

C. Die Vereinbarkeit der Mordstigmatisierung mit dem Schuldprinzip I. Der sozial-ethische Tadel als Element des Strafbegriffs Der Begriff der Strafe umfasst zunächst die Übelszufügung in Reaktion auf ein missbilligtes Verhalten.47 Während das Übel bei der Geldstrafe in der Auferlegung einer Zahlungspflicht besteht, stellt es bei der Freiheitsstrafe die gewaltsame Beschränkung der persönlichen Fortbewegungsfrei45

BVerfGE 50, 5 (14 f.). BGHSt 7, 28 (30). 47 NK-Hassemer/Neumann, vor § 1 Rn. 103; Hirsch, in: Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts (2005), S. 57 (S. 73). 46

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2. Kap.: Notwendigkeit der Restriktion des gesamten Mordtatbestandes

heit durch Einsperren des Bestraften dar.48 Doch erschöpft sich der Begriff der Strafe nicht im Element der Übelszufügung; vielmehr wohnt jeder Strafe als weiteres Element ein sozial-ethischer Tadel inne.49 Erst durch den Tadel unterscheidet sich die Kriminalstrafe von anderen Sanktionen,50 zum Beispiel die Geldstrafe von einer Steuer51 oder die Sicherungsverwahrung von der Freiheitsstrafe. Der Bestrafte erlebt die Strafe damit in zweifacher Hinsicht: zum einen als materielle Rechtseinbuße, zum anderen als Beeinträchtigung seines Wert- und Achtungsanspruches wegen des über ihn gefällten sozial-ethischen Unwerturteils der Strafe.52 Der Tadel richtet sich dabei allerdings nicht allein an den Täter; vielmehr enthält er auch eine Botschaft an die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft, die sich nicht auf einen Anreiz zum Rechtsgehorsam beschränkt, sondern ihnen gegenüber gleichzeitig zum Ausdruck bringt, dass das missbilligte Verhalten als verwerflich einzustufen ist.53 Sowohl die Übelszufügung, als auch der sozial-ethische Tadel sind dabei quantifizierbar: je höher die Strafe, desto höher der in ihr zum Ausdruck kommende Tadel. Auf das positive Recht angewendet bedeutet dies, dass der Gesetzgeber durch die Höhe des angedrohten Strafmaßes das Maß der Missbilligung als Unwerturteil über die missbilligte Verhaltensweise bestimmt. Wenn der Begriff der Strafe über die Übelszufügung hinaus auch den sozial-ethischen Tadel umfasst, so wird nicht nur die Höhe der Strafe, sondern auch der Grad der Stigmatisierung durch das Schuldprinzip begrenzt.

II. Die mit einer Verurteilung wegen Mordes verbundene Stigmatisierung des Täters Zunächst ist den §§ 211, 212 StGB gemeinsam, dass sie die vorsätzliche Tötung als Vernichtung des Rechtsguts Leben, welches unter den strafrechtlich geschützten Rechtsgütern den höchsten Rang hat, unter Strafe stellen. Den Mordmerkmalen kommt dabei die Funktion des Unterscheidungskriteriums zwischen Mord und Totschlag zu. Durch die Mordmerkmale soll daher das über das vorsätzliche Tötungsunrecht hinausgehende Unrecht der 48

Fischer, § 38 Rn. 3. BVerfGE 96, 245 (249); NK-Hassemer/Neumann, vor § 1, Rn. 105; Hörnle/ Hirsch, GA 1995, 261 (265); MüKo-Radtke, vor §§ 38 ff. Rn. 14. 50 MüKo-Radtke, vor §§ 38 ff. Rn. 14. 51 Hörnle/Hirsch, GA 1995, 261 (265). 52 MüKo-Radtke, vor §§ 38 ff. Rn. 14. 53 Hirsch, in: Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts (2005), S. 57 (S. 70 f.). 49

C. Vereinbarkeit der Mordstigmatisierung mit dem Schuldprinzip

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Begehungsweise oder die in der Tat zum Ausdruck gekommene, verwerfliche Gesinnung des Täters umschrieben werden. Durch die Tatsache, dass § 211 Abs. 1 StGB als einzige Norm im StGB ausschließlich die lebenslange Freiheitsstrafe als Rechtsfolge vorsieht, wird die herausgehobene Stellung des Mordtatbestandes im System der Straftatbestände unterstrichen: Wer sich eines Mordes schuldig macht, wird mit der höchsten Strafe belegt, die die Rechtsordnung vorsieht. Die Rechtfertigung für die Höchststrafe sieht das BVerfG im extremen Unrechts- und Schuldgehalt der durch die Mordmerkmale abstrakt beschriebenen Begehungsweisen.54 Wenn also der Gesetzgeber in § 211 Abs. 1 StGB mit der absolut angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe die in unserer Strafrechtsordnung höchstmögliche Übelszufügung als einzige Rechtsfolge vorsieht, so kommt damit gleichzeitig das höchstmögliche Maß an Missbilligung in Form des sozial-ethischen Tadels zum Ausdruck. Die Botschaft an die Rechtsgenossen hat dabei den Inhalt, dass die dem Mordtatbestand unterfallenden Verhaltensweisen in denkbar schwerster Art und Weise verwerflich sind. Wird daher einem Täter attestiert, dass er eine vom Mordtatbestand beschriebene Handlung vorgenommen hat, so wird der Täter mit dem Stigma belegt, die denkbar verwerflichste Straftat begangen zu haben.55 Die mit einer Verurteilung nach § 211 StGB verbundene Stigmatisierung des Täters unterscheidet sich jedoch nicht allein im Hinblick auf die absolute Strafandrohung von nahezu allen anderen Delikten. Vielmehr ist die Stigmatisierung des Täters mit Ausnahme des § 212 StGB in keiner anderen Strafnorm bereits durch die sprachliche Fassung des Tatbestandes vorgegeben. Denn durch die von der nationalsozialistischen Tätertypenlehre beeinflusste Diktion des § 211 Abs. 1 StGB wird der Täter als „Mörder“ gebrandmarkt.56 Die Stigmatisierung des Täters erfolgt daher nicht erst durch die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe, sondern bereits durch die Verurteilung wegen Mordes. Schon die Urteilsformel umfasst gemäß § 260 Abs. 4 S. 1 StPO die Tat, derentwegen der Täter angeklagt wurde und gegebenenfalls verurteilt wird. Dadurch wird der Täter in einer Weise stigmatisiert, die sich jedenfalls dann als Verstoß gegen das Schuldprinzip darstellt, wenn die Einordnung der Tat als Mord den Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Tat verfehlt.57 Daher ist ein wegen Mordes verurteilter Täter auch dann stigmatisiert, wenn er – aus welchen Gründen auch immer – nicht zu 54

BVerfGE 45, 187 (258 f.). Grünwald, FS Bemmann (1997) S. 161 (S. 164). Plakativ Kerner, FS Heidelberg (1986) S. 419 (S. 436 f.), wonach dem Täter das Brandmal des besonders verwerflich handelnden Mörders eingetragen werde. 56 Ausführlich zum Einfluss nationalsozialistischen Denkens auf die geltende Fassung des § 211 StGB unten S. 74 ff. 57 Günther, NJW 1982, 353 (356). 55

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2. Kap.: Notwendigkeit der Restriktion des gesamten Mordtatbestandes

lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird.58 Selbst wenn jemand freigesprochen oder bereits das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt wird, weil seine heimtückische Tötung gerechtfertigt ist, erscheint es äußerst problematisch und stigmatisierend, dem Täter gleichfalls heimtückisches Handeln zu attestieren.59 Allerdings scheint es im entgegengesetzten Fall, dass etwa ein schuldunfähiger Täter ein Höchstmaß an Unrecht verwirklicht, nicht angezeigt, neben dem Freispruch beziehungsweise der Einstellung des Verfahrens auch den Makel höchster Unrechtsverwirklichung zu beseitigen. Denn was für fehlendes Unrecht gilt, lässt sich nicht ohne weiteres auf den Fall lediglich fehlender Schuld übertragen. Somit beseitigt zwar fehlendes Unrecht jede Schuld, nicht aber fehlende Schuld jedes Unrecht. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH60 steht daher etwa auch eine verminderte Schuldfähigkeit des Täters einer Verurteilung wegen Mordes nicht grundsätzlich entgegen. Die Stigmatisierung des Täters ist in diesen Fällen wegen des Höchstmaßes an Unrechtsverwirklichung zulässig. Dagegen wird der Täter eines Totschlages schon durch das Vorhandensein eines gesetzlichen Strafrahmens in erheblich geringerem Maße als der Täter eines Mordes sozial-ethisch getadelt. Der Tadel beschränkt sich auf den Vorwurf, einen Menschen getötet zu haben, ohne dass ein darüber hinaus gehender Vorwurf – etwa im Hinblick auf die Motive oder die Begehungsweise – gemacht wird.

III. Die Mordstigmatisierung als Verstoß gegen den Schuldgrundsatz – insbesondere beim Mordmerkmal der Heimtücke Die Stigmatisierung als Ziel des sozial-ethischen Tadels trifft den Täter jedenfalls in den Fällen zu Recht, in denen die Tat als absolut verabscheuungswürdig erscheint.61 Die Stigmatisierung des Täters eines Mordes ist daher grundsätzlich zulässig. Sie ist jedoch problematisch, wenn die Tat nicht als höchststrafwürdiges Unrecht erscheint.62 Das ist insbesondere beim 58

Ähnlich Lange, GS Schröder (1978) S. 217 (S. 225). Zutreffend Hillenkamp, FS Rudolphi (2004) S. 463 (S. 470 und dort Fn. 15). 60 Siehe dazu oben S. 28 f., dort insbesondere die Nachweise in Fn. 45 und 46. 61 Kerner, FS Heidelberg (1986) S. 419 (S. 423 f.). 62 Eser, NStZ 1981, 383 (384); Günther, NJW 1982, 353 (356); Hillenkamp, FS Rudolphi (2004) S. 463 (S. 469 f.); Fünfsinn, JURA 1986, 136 (142); Bendermacher, JR 2004, 301 (302); Wessels/Hettinger, BT 1 Rn. 89; Grünwald, FS Bemmann (1997) S. 161 (S. 164); Hirsch, FS Tröndle (1988) S. 19 (S. 29); Kerner, FS Heidelberg (1986) S. 419 (S. 436 f.); Krey, StrafR BT I Rn. 72; Miehe, JuS 1996, 59

C. Vereinbarkeit der Mordstigmatisierung mit dem Schuldprinzip

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Mordmerkmal der Heimtücke, welches kaum Raum für den Täter entlastende Aspekte lässt,63 häufig der Fall. Um eine unverhältnismäßige Stigmatisierung zu verhindern, muss daher in unrechtsgeminderten Fällen bereits der objektive Tatbestand des Mordes verneint werden. Insbesondere gilt dies bei der Heimtücke für die Fälle, die nur bei einem rein deskriptiven Verständnis des Tatbestandsmerkmals zur Bejahung dieses Mordmerkmals führen können, jedoch bei wertender Betrachtung nicht höchststrafwürdig erscheinen. Wenn die Strafe nach dem Schuldgrundsatz stets in einem angemessenen Verhältnis zum Unrecht der Tat und zur Schuld des Täters stehen muss, dann liegt ein verfassungswidriger Verstoß gegen den Schuldgrundsatz vor, wenn der Täter mit dem höchstmöglichen sozial-ethischen Tadel versehen wird, obwohl die Tat nicht höchststrafwürdiges Unrecht darstellt.

IV. Nichtbeachtung oder Unbeachtlichkeit der Mordstigmatisierung in Literatur und Rechtsprechung Die Mordstigmatisierung wird abgesehen von den bereits genannten Autoren64 in Literatur und Rechtsprechung häufig überhaupt nicht als solche erkannt.65 Selbst wenn man sie zur Kenntnis genommen hat, wird sie oftmals als nicht problematisch oder jedenfalls hinnehmbar angesehen.66 So hält es Kratzsch67 zwar für unbestreitbar, dass „in manchen der fraglichen Grenzfälle das Stigma des Mordes den Straftäter zu Unrecht trifft“. Jedoch hält er dies „im Interesse einer möglichst wirksamen Verbrechensbekämpfung“ für hinnehmbar. Wenn man eine Stigmatisierung bei unrechtsgeminderten Fällen hingegen mit der hier vertretenen Ansicht für einen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz hält, verbietet es sich von vornherein, den Verstoß aus Rücksicht auf Strafverfolgungsinteressen hinzunehmen. Außerdem ist völlig unklar, auf welche Art und Weise die Verbrechensbekämpfung be1000 (1003); Schlechtriem, Heimtücke (1986), S. 52 f.; Diederich, Streit 2004, 32 (34); Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 54; Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 745). 63 Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 22.; Küper, JuS 2000, 740 (746); Grasberger, MSchrKrim 1999, 147 (155); Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 122. 64 Vgl. die in Fn. 62 genannten Nachweise. 65 So hält etwa Beckemper, JA 2005, 36 (36 f.) die Verurteilung einer Frau als Mörderin, die ihren gewalttätigen Ehemann getötet hatte, für gerechtfertigt; gleichwohl hält sie eine Freiheitsstrafe von 6 bis 9 Jahren für angemessen. 66 Rengier, NStZ 1982, 225 (229); MüKo-Schneider, § 211 Rn. 46; Kratzsch, JA 1982, 401 (405). 67 Kratzsch, JA 1982, 401 (405); ihm folgend MüKo-Schneider, § 211 Rn. 46.

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2. Kap.: Notwendigkeit der Restriktion des gesamten Mordtatbestandes

hindert werden soll, wenn ein Täter nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlages verurteilt wird. Rengier bezweifelt dagegen bereits das Vorliegen einer Stigmatisierung mit der Begründung, dass „der enge Mordbegriff des § 211 StGB im allgemeinen Volksbewusstsein nicht verankert“ sei.68 Daran ist schon äußerst zweifelhaft, ob es einen „engen Mordbegriff“ gibt; vielmehr besteht Übereinstimmung darüber, dass der Mordtatbestand zu weit geraten ist und deswegen einer restriktiven Auslegung bedarf.69 Möglicherweise meint Rengier mit seiner Aussage, dass der Allgemeinheit die juristischen Verästelungen des § 211 StGB nicht bewusst seien. Auch wenn sich diese Deutung der Aussage kaum widerlegen lässt, so dürfte dennoch nicht zweifelhaft sein, dass auch aus Sicht eines Laien der Mord das schwerste Verbrechen unserer Rechtsordnung ist, während der Totschlag im Vergleich dazu ein Minus darstellt. Auch die Entscheidungen des BVerfG zu der Verwendung des Tucholsky-Zitats „Soldaten sind Mörder“ bestätigen eine solche Einschätzung. Nach der Entscheidung BVerfGE 93, 266 könne auch die umgangssprachliche Bezeichnung einer Person als „Mörder“ den Inhalt haben, dass sie nach Ansicht des Äußernden in der Lage sei, in sittlich nicht zu rechtfertigenden Weise zur Vernichtung menschlichen Lebens beizutragen.70 Das BVerfG hielt es auch in BVerfG NStZ 1994, 580 für möglich, dass mit dem Begriff „Mord“ jede nicht im juristischen, sondern im umgangssprachlichen Sinne nicht zu rechtfertigende Tötung gemeint sein könne.71 Gerade hierin wird deutlich, dass der sozial-ethische Tadel als Element des Strafbegriffs im Hinblick auf die in ihm enthaltene Botschaft an die Rechtsgenossen seine Aufgabe erfüllt hat: umgangssprachlich wird der Mord von den Rechtsgenossen – also der Allgemeinheit – als das schwerste Verbrechen der Rechtsordnung wahrgenommen. Ebenso ist es äußerst problematisch, wenn Schneider72 die Mordstigmatisierung mit Verweis auf ähnliche Effekte bei minderschweren Fällen anderer Delikte zu rechtfertigen sucht. Denn bei anderen Delikten fehlt es gerade an einer absoluten Strafandrohung, welche die Stigmatisierung des wegen Mordes verurteilten Täters derart zuspitzt. Auch sein Versuch, die verbleibende Stigmatisierung damit zu rechtfertigen, dass eine solche auch unter den Voraussetzungen des § 21 StGB vorliege, verfängt nicht. Denn 68 Rengier, NStZ 1982, 225 (229). A. A. Jähnke, MDR 1980, 705 (706), wonach die Scheidung des Mordes vom Totschlag tief im Volksbewusstsein verwurzelt sei und Laien überraschend oft in der Lage seien, ihnen geschilderte Tötungsfälle zutreffend dem Mord oder Totschlag zuzuordnen. 69 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 44 (oben S. 28). 70 BVerfGE 93, 266 (297). 71 BVerfG, NStZ 1994, 580 (581). 72 So aber MüKo-Schneider, § 211 Rn. 46 mit Verweis auf § 250 Abs. 3 StGB.

D. Beschränkung des § 211 Abs. 2 StGB auf höchststrafwürdige Fälle

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die Schuldminderung lässt das Höchstmaß an Unrechtsverwirklichung unberührt, sodass die Stigmatisierung in diesem Fall gerechtfertigt ist. Die teilweise unternommenen Versuche, die Frage der Mordstigmatisierung als „zweitrangige terminologische Frage“ herabzuwürdigen,73 können vor diesem Hintergrund daher nicht überzeugen. Vielmehr ist eine am Schuldgrundsatz orientierte, restriktive Auslegung der Mordmerkmale, insbesondere des Mordmerkmals der Heimtücke, auch aus diesem Grund verfassungsrechtlich zwingend geboten.

D. Die Beschränkung des § 211 Abs. 2 StGB auf höchststrafwürdige Fälle Zunächst ist es Aufgabe des Gesetzgebers, sicherzustellen, dass die von ihm aufgestellten abstrakten Straftatbestände mit dem Schuldprinzip vereinbar sind. Das Strafrecht ist nach Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Dass der historische Gesetzgeber der Tötungsdelikte von 1941 kein gesteigertes Interesse daran hatte, eine die Schuld des Täters übersteigende Bestrafung zu verhindern, bedarf keiner näheren Darlegung.74 Spätestens unter der Geltung des Grundgesetzes ist der Gesetzgeber des StGB gehalten, die Straftatbestände hinsichtlich Tatbestand und Rechtsfolge so zu gestalten, dass sie mit dem höherrangigen Schuldprinzip vereinbar sind. Daraus folgt die Verpflichtung, Tatbestand und Rechtsfolge derart aufeinander abzustimmen, dass die angedrohte Strafe in einem gerechten Verhältnis zum Unrecht der Tat und zur Schuld des Täters steht.75 Wenn also der Gesetzgeber für die Begehung eines Mordes mit der lebenslangen Freiheitsstrafe als einzige Rechtsfolge die höchstmögliche Strafe der Rechtsordnung androht, so hat er sicherzustellen, dass dem Tatbestand nur solche Taten unterfallen, die im Hinblick auf das Unrecht der Tat und die Schuld des Täters höchststrafwürdig sind.76 Insbesondere weil das Mordmerkmal der Heimtücke keinen Raum für entlastende Umstände lässt, erscheint es äußerst fragwürdig, ob dies dem Gesetzgeber gelungen ist.77 73

Rengier, NStZ 1982, 225 (229); ihm folgend MüKo-Schneider, § 211 Rn. 46. Zu den Motiven des historischen Gesetzgebers, die Tötungsdelikte wie geschehen neu zu ordnen, vgl. unten S. 65 ff. 75 Vgl. oben S. 26 f., insbesondere die in Fn. 33 genannten Nachweise. 76 Plakativ Köhler, JuS 1984, 762 (764): „Inhaltlich setzt das Gesetz mit der Höchststrafbarkeit des qualifizierten Tötungsdelikts seine Höchststrafwürdigkeit voraus.“ 77 Vgl. Otto, JURA 1994, 141 (147); Küper, JuS 2000, 740 (746); Schönke/ Schröder-Eser, § 211 Rn. 22; Grasberger, MSchrKrim 1999, 147 (155). 74

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2. Kap.: Notwendigkeit der Restriktion des gesamten Mordtatbestandes

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Tötungsdelikte nach allgemeiner Ansicht nicht zuletzt auch wegen des besonders problematischen Mordmerkmals der Heimtücke schon seit langem als stark reformbedürftig angesehen werden.78 Jedoch ist der Gesetzgeber untätig geblieben.79 Es ist daher weiterhin nicht absehbar, wann die längst überfällige Reform der Tötungsdelikte angegangen wird. Nicht zuletzt deshalb müssen bereits de lege lata Wege gefunden werden, die Auslegung des § 211 StGB – insbesondere des Mordmerkmals der Heimtücke – in Einklang mit dem Schuldprinzip zu bringen.

E. Heimtücke als normatives Tatbestandsmerkmal Häufig werden Tatbestandsmerkmale in die Kategorien deskriptiv oder normativ eingeteilt. Dabei wird ein Tatbestandsmerkmal als deskriptiv bezeichnet, wenn sein Inhalt durch sinnliche Wahrnehmung festgestellt werden kann.80 Das soll etwa auf die in etlichen Tatbeständen zu findenden Begriffe „Mensch“ und „Sache“ zutreffen.81 Hingegen spricht man von normativen Tatbestandsmerkmalen, wenn die Feststellung nur durch ein Werturteil erfolgen kann. Die Abgrenzung zwischen beiden Arten kann jedoch im Einzelfall äußerst schwierig sein; insbesondere haben auch deskriptive Tatbestandsmerkmale in aller Regel einen normativen Randbereich.82 Auch ein vermeintlich 78 Bereits BVerfGE 45, 187 (270) monierte, dass für die Abgrenzung von Mord und Totschlag „bis heute [. . .] keine voll befriedigende Lösung gefunden“ sei. Grundlegend Eser, DJT-Gutachten (1980), S. 34 f.; siehe ferner Geilen, GS Schröder (1978) S. 235 (261); Bruns, JR 1981, 358; Mitsch, JZ 2008, 336 (336 f.); Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 236; Kett-Straub, JuS 2007, 515 (516); Haverkamp, GA 2006, 586 (603); Fischer, vor § 211 Rn. 1; Rengier, NStZ 2004, 233 (240); NK-Neumann, vor § 211 Rn. 156; Lackner/Kühl, vor § 211 Rn 6. Wolf, FS Schreiber (2003) S. 519 spricht angesichts der seit 1941 praktisch unveränderten Rechtslage von einem „wissenschaftlichen und politischen Skandal“. 79 Bei Otto, JURA 2003, 612 (621) findet sich jedoch ein Arbeitsentwurf des Bundesjustizministeriums vom 21.03.2001; die danach vorgesehene Neufassung des Mordtatbestandes erschöpft sich jedoch im Wesentlichen in einer Übernahme der sog. Rechtsfolgenlösung des Großen Strafsenats aus der Entscheidung BGHSt 30, 105. 80 Vgl. dazu und im folgenden Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 17 ff. 81 So Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, a. a. O. 82 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 20; Mosbacher, NStZ 2005, 690. Ähnlich Röhl/Röhl, § 6 V S. 60: zwar sei letztlich jeder auslegungsbedürftige Begriff innerhalb eines Normsatzes normativ. Dennoch sei die Unterteilung in norma-

E. Heimtücke als normatives Tatbestandsmerkmal

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deskriptiver Begriff wie der des „Menschen“ ist bei näherer Betrachtung wohl nur normativ bestimmbar.83 Denn etwa die Frage, ab welchem Zeitpunkt ungeborenes Leben zum „Mensch“ im Sinne der Tötungsdelikte wird, lässt sich nicht durch sinnliche Wahrnehmung beantworten. Kann man sinnlich wahrnehmen, ob eine Tötung heimtückisch erfolgt ist oder nicht? Die Frage stellen heißt sie verneinen. Andernfalls würde das Mordmerkmal der Heimtücke jedenfalls in den Fällen, in denen Zeugen den Tathergang beobachtet haben, keine Schwierigkeiten verursachen. Man müsste im Strafverfahren schlicht die Zeugen fragen, ob der Angeklagte das Opfer heimtückisch getötet habe. Es wird wohl kaum einen Zeugen geben, der sich auf eine solche Frage hin nicht die Bedeutung der Heimtücke erklären lassen will. Der Große Senat hat demgemäß in seiner Entscheidung BGHSt 30, 105 die Heimtücke ausdrücklich als normatives Tatbestandsmerkmal bezeichnet.84 Es erstaunt daher die Auffassung des 2. Senats des BGH, wonach die dieses Tatbestandsmerkmal ausfüllenden Begriffe der Arg- und Wehrlosigkeit ausschließlich deskriptiver, nicht normativer Natur seien.85 Diese Einschätzung beruht zunächst einmal darauf, dass der BGH die Mordmerkmale der 2. Gruppe des § 211 Abs. 2 StGB den Begehungsweisen zuordnet. Die weitere Untersuchung wird zeigen, dass der BGH die von ihm entwickelte Definition der Heimtücke für weitgehend deskriptiv bestimmbar hält. Selbst wenn die Heimtücke als deskriptives Tatbestandsmerkmal einzuordnen wäre, stünde jedoch einer normativen Korrektur des deskriptiven Auslegungsergebnisses nichts entgegen. In sprachtheoretischer Hinsicht besteht eine Parallele zu der Unterscheidung zwischen Begriffskern und Begriffshof.86 Der unzweifelhafte Anwendungsbereich eines Begriffs ist in dessen Begriffskern angesiedelt. Tatbestandsmerkmale sind daher deskriptiv, wenn sich eine eindeutige Aussage darüber treffen lässt, ob ein Sachverhalt ihrem Anwendungsbereich unterfällt. Sie scheinen daher grundsätzlich keinen Begriffshof, sondern nur einen Begriffskern zu haben. Dagegen handelt es sich um einen normativen Begriff, wenn sich erst durch wertende Auslegung ermitteln lässt, ob ein Sachverhalt noch dem Begriffshof eines Begriffes unterfällt oder bereits aus dem Anwendungsbereich des Begriffes ausscheidet. tive und deskriptive Begriffe sinnvoll, obwohl die Unterscheidung zwischen ihnen nur graduell sein könne. 83 Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 6 V S. 60. 84 BGHSt 30, 105 (116). 85 BGH, NStZ 2005, 688 (689). 86 Die Bezeichnungen Begriffskern und Begriffshof gehen auf Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932), S. 52 zurück.

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2. Kap.: Notwendigkeit der Restriktion des gesamten Mordtatbestandes

Wie oben dargelegt wurde, ist eine strikte Trennung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen kaum möglich. Es ist im Wesen der Sprache begründet, dass auch ein deskriptiver Begriff mindestens über einen begrenzten Begriffshof verfügt, bei dem die Abgrenzung zu Sachverhalten, die außerhalb des Begriffes liegen, nicht ohne weiteres durchführbar ist. In diesem Bereich sind also auch deskriptive Begriffe einer normativen Bestimmung zugänglich. Eine normative Bestimmung der Heimtücke ist also selbst dann nicht entbehrlich, wenn man Heimtücke im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung für ein deskriptives Tatbestandsmerkmal hält.

F. Gefahren der normativen Restriktion – und ihre Beherrschung Die Argumentation mit Wertungen birgt gewisse Risiken. So ist etwa in der Rechtsphilosophie heftig umstritten, ob sich über Fragen der Gerechtigkeit und der Ethik überhaupt wissenschaftliche Aussagen treffen lassen.87 Wer unter Berufung auf Wertungen den Anwendungsbereich von Normen für Lebenssachverhalte beschränkt, die ihm nach deskriptivem Verständnis unterfallen, kann sich leicht dem Vorwurf mangelnder Gesetzesbindung aussetzen. In der Konsequenz wird die normative Auslegung oftmals lediglich verdeckt im Rahmen der deskriptiven Auslegung vorgenommen, da das ausschließliche Arbeiten am Begriff einen Anschein von Seriosität und Schlüssigkeit der Argumentation vermittelt. Dabei besteht jedoch die Gefahr bloßer Scheinbegründungen, weil die tatsächlichen Argumente wertender Natur sind und daher hinter deskriptiven Argumenten versteckt werden müssen. Es wäre jedoch völlig unangebracht und gleichzeitig aussichtslos zu versuchen, diesen Gefahren zu entgehen, indem man auf Wertungen gänzlich verzichtet. Der Rückgriff auf Wertungen ist bei jeder Form der Auslegung vielmehr unumgänglich. Daher sollte lediglich auf verdeckte Wertungen verzichtet werden, die unter dem Deckmantel schlichter Subsumtion unter Begriffe vorgenommen werden. Wer bei der Auslegung mit normativen Argumenten arbeitet, sollte daher die zu Grunde liegenden Wertungen offenbaren. Nur wenn die tatsächlichen Gründe in nachvollziehbarer Art und Weise vorgebracht werden, ist die Möglichkeit einer sachlichen Auseinandersetzung mit den Argumenten eröffnet.

87 Einen Überblick zu dieser Frage gibt Horn, Rechtsphilosophie, S. 201 ff. (Rn. 406 ff.); siehe dazu auch unten S. 160 f.

3. Kapitel

Die Rechtsprechung des BGH zu den sogenannten Grenzfällen der Heimtücke Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH88 und der ihm zustimmenden herrschenden Lehre89 tötet heimtückisch, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt der Tat keines Angriffs auf Leib oder Leben versieht.90 Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs.91 Weiter muss die Wehrlosigkeit gerade auf der Arglosigkeit des Opfers beruhen.92 Das die Höchststrafe rechtfertigende Moment wird darin gesehen, dass der Täter sein Opfer in einer hilflosen Lage überrasche und es hierdurch daran hindere, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen.93 Beim Mordmerkmal der Heimtücke handelt es sich um ein in der Praxis überaus wichtiges Mordmerkmal. Etwa 40 % der Verurteilungen wegen Mordes betreffen dieses Mordmerkmal.94

88 BGHSt 2, 60 (61); 3, 183 (185 f.); 7, 218 (221); 20, 301 (302); 23, 119 (120 f.); 32, 382 (383 f.); 41, 72 (78 f.); BGH, NStZ 1999, 506 (507); 2001, 86; 2006, 338 (339). 89 NK-Neumann, § 211 Rn. 51; MüKo-Schneider, § 211 Rn. 123; Kargl, StraFo 2001, 365 (368); Otto, JURA 1994, 141 (146 f.); Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 23; Fischer, § 211 Rn. 34; Arzt/Weber, StrafR BT S. 50, Rn. 44. 90 BGHSt 7, 218 (221); 20, 301 (302); 32, 382 (384); 41, 72 (79); BGH, NStZ 1991, 233 (234); 1999, 506 (507); 2001, 86 (87); Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 24; LK-Jähnke, § 211 Rn. 42; MüKo-Schneider, § 211 Rn. 124; Fischer, § 211 Rn. 35. 91 Zuletzt BGH, Urt. v. 29.11.2007 – 4 StR 425/07; BGHSt 19, 321 (322); 32, 382 (384); BGH, StV 1998, 543; BGH, NStZ 1991, 233; Fischer, § 211 Rn. 35; Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 24. 92 BGH, Urt. v. 29.11.2007 – 4 StR 425/07; Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 24a; Fischer, § 211 Rn. 40. 93 BGHSt 20, 301 (302); 23, 119 (121); 41, 72 (78 f.); MüKo-Schneider, § 211 Rn. 122. 94 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I § 2 Rn. 23 unter Berufung auf die nicht veröffentlichte Umfrage des BVerfG, die anlässlich der Entscheidung BVerfGE 45, 187 durchgeführt wurde.

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

Gleichzeitig ist das Mordmerkmal der Heimtücke im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip stets dort problematisch, wo unrechtsund schuldmindernde Aspekte sich aufdrängen und dennoch nach der hergebrachten Heimtückedefinition außer Betracht bleiben, weil das Opfer argund wehrlos war und der Täter dies bewusst zur Tötung ausgenutzt hat. Weil die Kriterien der Arg- und Wehrlosigkeit, mit denen die Heimtücke präzisiert werden sollen, allein auf die Opfersicht abstellen, bleiben unrechts- und schuldmindernde Aspekte von vornherein unberücksichtigt.95 Insbesondere gilt dies für vorherige Angriffe des späteren Tötungsopfers. Bei einem Delikt mit einem Strafrahmen würde dieses Opferverhalten, soweit es nicht vernachlässigbar erscheint, bei der Strafzumessung zugunsten des sich wehrenden Täters berücksichtigt werden.96 Hingegen bleibt auch erhebliches Opferverhalten bei der absoluten Strafandrohung unberücksichtigt. Gleiches gilt für die Fälle, in denen zwischen dem Täter und dem Opfer ein derartiges Kräfteungleichgewicht besteht, dass die Tötung des Opfers wegen seiner Überlegenheit nur auf eine Weise erfolgen kann, die das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt. Bereits vor fünf Jahrzehnten hat daher Jescheck betont, dass Heimtücke manchmal nicht als Ausdruck von Verschlagenheit und Feigheit, sondern als „Waffe der Schwachen und Wehrlosen gegen Übermacht, Gewalt und Brutalität“97 erscheine. Exemplarisch sollen im Folgenden drei Beispiele für sogenannte Mordgrenzfälle herangezogen werden, bei denen die Problematik der Mordstigmatisierung des Täters besonders deutlich wird.

95

NK-Neumann, § 211 Rn. 50. Ausführlich zur Berücksichtigung des Opferverhaltens bei der Strafzumessung Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten (1991), S. 211 ff. 97 Die Formulierung wurde – soweit ersichtlich – erstmals von Jescheck, JZ 1957, 386 (387) verwendet. Ebenso Lackner, NStZ 1981, 348 (349); Rotsch, JuS 2005, 12 (13); Jähnke, MDR 1980, 705 (708); Woesner, NJW 1980, 1136 (1138); Grasberger, MSchrKrim 1999, 147 (154); Otto, BT § 4 Rn. 23; Müssig, Mord und Totschlag (2005), S. 302; Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 51; Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 743 f.). Die Einschätzung, dass dabei „das Mitgefühl mit dem Täter allerdings teilweise übertrieben (z. B. Heimtücke als notwendiges Hilfsmittel des körperlich Schwächeren)“ werde (so Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I § 2 Rn. 23, dort Fn. 116), überzeugt nicht. 96

A. Entscheidung des Großen Strafsenats BGHSt 30, 105

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A. Die Entscheidung des Großen Strafsenats BGHSt 30, 105 über einen sog. Grenzfall der Heimtücke I. Der Sachverhalt der Entscheidung Das spätere Opfer war im Januar 1978 in die Wohnung seines Neffen – des Angeklagten – eingedrungen und hatte dessen Ehefrau unter vorgehaltener Pistole vergewaltigt. Wegen der Tat löste sich die Ehefrau innerlich vom Angeklagten und betrieb die Scheidung der bis dahin harmonischen Ehe. Infolge der ihr angetanen Schmach unternahm sie zudem insgesamt drei Suizidversuche. Als der Angeklagte seinen Onkel zufällig auf der Straße traf und ihn zur Rückzahlung eines Restdarlehens aufforderte, soll dieser sich mit der Vergewaltigung gebrüstet und zudem geäußert haben, er werde auch den Angeklagten „vögeln“ sowie ihn töten. Möglicherweise äußerte er zudem in diesem Zusammenhang, er lebe „noch zwei Wochen, zwei Tage oder zwei Stunden.“ Auch habe der Onkel diese Drohung möglicherweise damit untermauert, dass er dem Angeklagten eine in Papier gewickelte Pistole oder Scheinwaffe vor das Gesicht hielt. Wegen der ihm und seiner Frau angetanen Verletzungen und der daraus resultierenden Belastung der Ehe entschied sich der Angeklagte zur Tötung seines Onkels und suchte ihn zu diesem Zweck in einem Lokal auf, in dem dieser gerade mit anderen türkischen Landsleuten Karten spielte. Er grüßte zu ihm hin und begab sich an die Theke. Im Bewusstsein, dass sein Onkel sich wegen des Kartenspiels keines Angriffes versah, tötete er ihn mit mehreren Schüssen aus einer Selbstladepistole.

II. Der Vorlagebeschluss des 4. Senats des BGH vom 26.01.1981 – 4 StR 430/8098 Obwohl die Tat des Angeklagten nach der herkömmlichen Auffassung ohne weiteres dem Mordmerkmal der Heimtücke unterfiel, hielt es der 4. Strafsenat im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG zur lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187) für bedenklich, den Angeklagten wegen heimtückischen Mordes zu verurteilen. Trotz bewussten Ausnutzens der Arg- und Wehrlosigkeit liege das Mordmerkmal der Heimtücke nicht vor, wenn der Täter ohne eigene Schuld durch schwere Misshandlungen, Beleidigungen oder Todesdrohungen durch den später Getöteten zur Tat veranlasst wurde und die Tatausführung nicht Ausdruck von Verschlagenheit 98

Abgedruckt in NStZ 1981, 181 f.

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

sei. In diesem Falle könne die Tat „nicht als besonders verwerflich (tückisch oder hinterhältig)“ gewertet werden.99 Der 4. Senat neigte folglich dazu, das in diesem Fall allein in Betracht kommende Mordmerkmal der Heimtücke und damit bereits den Tatbestand des Mordes zu verneinen. Die Notwendigkeit eines Vorlagebeschlusses begründete er nicht zuletzt damit, dass die vom Großen Senat in den Entscheidungen BGHSt 9, 385 sowie BGHSt 11, 139 aufgestellten Grundsätze in einem kaum auflösbaren Widerspruch zur Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe stünden, weil die Auslegungsgrundsätze des BGH die vom BVerfG geforderte engere Auslegung nicht zuließen.

III. Die sog. „Rechtsfolgenlösung“ des Großen Senats (BGHSt 30, 105) Bereits im ersten Leitsatz der Entscheidung BGHSt 30, 105 stellt der Große Senat klar, dass er die im Vorlagebeschluss des 4. Senats vertretene Auffassung nicht teilt: „Auch wenn in Fällen heimtückischer Tötung außergewöhnliche Umstände vorliegen, auf Grund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint, ist wegen Mordes zu verurteilen. Es ist jedoch der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuwenden.“

In der Entscheidung orientiert sich der Große Senat an den Anforderungen, die das BVerfG in seiner Entscheidung BVerfGE 45, 187 aufgestellt hat. Ausgangspunkt der Entscheidungsgründe des BGH ist die Vorgabe des BVerfG, dass die lebenslange Freiheitsstrafe nur dann verfassungsmäßig sei, wenn eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte restriktive Auslegung der Mordmerkmale der Heimtücke und der Verdeckungsabsicht vorgenommen werde.100 Zugleich betont er, dass das BVerfG keine bestimmte Auslegungsart zwingend vorgegeben habe, sondern es dem für die Auslegung von Strafrechtsnormen zuständigen BGH überlassen habe, den richtigen Weg für die einschränkende Auslegung der Mordmerkmale zu finden.101 Im Folgenden lehnt er die vom BVerfG102 als taugliche Restriktionsansätze bezeichneten Restriktionsmöglichkeiten der Typenkorrektur sowie die Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch ab.103 Sowohl das Kriterium der besonderen Verwerflichkeit als auch der Begriff des besonders 99

BGH, NStZ 1981, 181 f. BGHSt 30, 105 (110). 101 BGHSt 30, 105 (111 f.). 102 BVerfGE 45, 187 (267). 103 BGHSt 30, 105 (115 f.). 100

A. Entscheidung des Großen Strafsenats BGHSt 30, 105

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verwerflichen Vertrauensbruches seien wegen ihrer Vagheit ungeeignete Restriktionsmöglichkeiten. Diese Betonung ist als Antwort auf Stimmen in der Literatur zu sehen, die im Nachgang der Entscheidung des BVerfG den BGH gezwungen sahen, seine bisher ablehnende Haltung gegenüber der Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch beziehungsweise der Lehre von der Typenkorrektur zu überdenken und gegebenenfalls aufzugeben.104 Vielmehr drängten nach Auffassung des Großen Senats subjektive Entlastungsfaktoren nach Erfassung und Bewertung im Rahmen der Strafzumessung.105 Da bei einer absoluten Strafandrohung kein Strafrahmen für die Strafzumessung zur Verfügung stehe, ersetzt der Große Senat bei Tötungen, die dem Mordtatbestand unterfallen, aber wegen des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände als Grenzfälle im Sinne der Entscheidung des BVerfG erscheinen,106 die absolute Strafdrohung des § 211 Abs. 1 StGB durch den in § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgegebenen Strafrahmen.107 Die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme richterliche Rechtsfortbildung sieht der Große Senat für gegeben an: Zwar fehle es an einer Planwidrigkeit der Regelungslücke, nicht jedoch an einer ihr gleichzustellenden Unvollständigkeit des Gesetzes auf Grund eines Wandels der Rechtsordnung.108 Da der Große Senat die mit der Auslegung des § 211 StGB verbundenen Probleme nicht auf der Tatbestands-, sondern auf der Rechtsfolgenseite zu lösen versucht, wird der von ihm eingeschlagene Weg als „Rechtsfolgenlösung“ bezeichnet. Der Große Senat hielt es in seiner Entscheidung nicht für möglich, den Anwendungsbereich der von ihm kreierten Rechtsfolgenlösung abschließend zu bestimmen. Allerdings zählt er ohne Anspruch auf Vollständigkeit „durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation, in großer Verzweiflung begangene, aus tiefem Mitleid oder aus „gerechtem Zorn“, auf Grund einer schweren Provokation verübte Taten“ sowie solche, „die in einem vom Opfer verursachten Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben“ auf.109

104 Vgl. etwa Schmidhäuser, JR 1978, 265 (269 f.); Rengier, MDR 1979, 969 (971); Eser, JR 1981, 177 (184). 105 BGHSt 30, 105 (118). 106 BVerfGE 45, 187 (266 f.). 107 BGHSt 30, 105 (118 f.). 108 BGHSt 30, 105 (121). 109 BGHSt 30, 105 (119).

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

IV. Kritik an der Rechtsfolgenlösung des Großen Senats Wohl kaum eine Entscheidung des BGH in Strafsachen hat so heftige Reaktionen hervorgerufen wie die Entscheidung BGHSt 30, 105. Den wohl schwersten Vorwurf machte dem Großen Senat Spendel,110 der den an der Entscheidung beteiligten Richtern vorwarf, dadurch den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt zu haben. Während ein beachtlicher Teil der Literatur der Rechtsfolgenlösung des Bundesgerichtshof zustimmt,111 ist die Entscheidung – meines Erachtens zu Recht – überwiegend auf Ablehnung gestoßen.112 Trotz der heftigen Kritik hat der BGH seine Entscheidung bis heute nicht aufgegeben, sondern auch in Entscheidungen aus jüngster Zeit an der Rechtsfolgenlösung festgehalten.113 Eine Auseinandersetzung mit der Rechtsfolgenlösung soll hier nicht unter allen erdenklichen Gesichtspunkten, sondern nur insoweit erfolgen, als sie für die Diskussion der normativen Restriktion der Heimtücke fruchtbar gemacht werden kann. Somit soll an dieser Stelle etwa dahinstehen, ob die Rechtsfolgenlösung entgegen der Intention des Großen Senats auch auf andere Mordmerkmale angewandt werden kann.114 Ebenso sollen die Auswir110

Spendel, JR 1983, 269 (271). Börgers, JR 2004, 139 (140); MüKo-Schneider, § 211 Rn. 44; Frommel, StV 1982, 533 (534); Albrecht, JZ 1982, 697; Kratzsch, JZ 1982, 401 (405); Baltzer, StV 1989, 42; LK-Jähnke, § 211 Rn 70 m. w. N.; ders., FS Spendel (1992) S. 537 (S. 539 ff.); Paeffgen, FG Peters (1984) S. 61 (S. 70); Weigend, FS H. J. Hirsch (1999) S. 917 (920, dort Fn. 17); Hillenkamp, FS Miyazawa (1995) S. 141 (151); Langer, FS Ernst Wolf (1985) S. 335 (S. 341 f.). Rengier, der sich noch in NStZ 1982, 225 (227, 230) sowie NStZ 1984, 21 (23) zu den Befürwortern der Rechtsfolgenlösung zählte, verfolgt nunmehr in NStZ 2004, 233 (237) eine Lösung auf Tatbestandsebene, die insofern im Widerspruch zur Rechtsfolgenlösung steht. 112 NK-Neumann, vor § 211 Rn. 148 f.; Tröndle, in: Tröndle/Fischer (49. A.) § 211 Rn. 17; Lackner/Kühl, vor § 211 Rn. 20; SK-Horn, § 211 Rn. 6a; Schönke/ Schröder-Eser, § 211 Rn. 10b; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I § 2 Rn. 27; Günther, NJW 1982, 353 (358); Köhler, JuS 1984, 762 (770); Fünfsinn, JURA 1986, 136 (139 u. 142); Bruns, JR 1981, 358 (363); Hassemer, JZ 1983, 967 (968); Küper, Jura 2000, 740 (747); Otto, JURA 2003, 612 (620); Dencker, NStZ 1983, 399 (400); Kargl, StraFo 2001, 365 (370); Hirsch, FS Tröndle (1988) S. 19 (S. 29); Mitsch, JuS 1996, 121 (122); Fahlbusch, Unhaltbarkeit des Zustandes der Mordmerkmale (2008), S. 199. 113 BGH, NStZ-RR 2006, 200 (201), BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7 sowie BGH, NStZ 2005, 154 (155); siehe auch BGH, NStZ 1995, 231 (232). 114 So etwa Müller-Dietz, FS Nishihara (1998) S. 248 (S. 257); MüKo-Schneider, § 211 Rn. 40; Günther, NJW 1982, 353 (358); SK-Horn, § 211 Rn. 6a. A. A. etwa Rengier, NStZ 1982, 225 (227). 111

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kungen der Rechtsfolgenlösung auf die Rechtsprechung der Instanzgerichte, die häufig vorschnell auf die Rechtsfolgenlösung ausweichen, ohne zuvor Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe erschöpfend geprüft zu haben,115 hier nicht weiter erörtert werden. Die von der Literatur gegen die Rechtsfolgenlösung erhobenen Einwände, die in diesem Zusammenhang von Belang sind, lassen sich in vier Gruppen unterteilen. 1. Vorwurf der unzulässigen Rechtsfortbildung In erster Linie wird der Vorwurf erhoben, die Lösung des Großen Senats laufe auf eine unzulässige, weil dem Gesetzgeber vorbehaltene Gesetzesänderung der Rechtsfolgenseite des Mordes hinaus.116 Darin liege ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip. In der Tat scheint bereits die erste Voraussetzung für eine richterliche Rechtsfortbildung, das Vorliegen einer Gesetzeslücke,117 nicht vorzuliegen. Unter dem Begriff der Lücke wird eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes verstanden.118 Nach Auffassung des Großen Senats habe das BVerfG in seiner Entscheidung zur lebenslangen Freiheitsstrafe eine Regelungslücke festgestellt, deren Schließung es dem BGH überlassen habe.119 Der Große Senat sieht die Regelungslücke darin begründet, dass § 211 StGB auch für Grenzfälle keine andere Rechtsfolge als die lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht. Zwar gesteht er zu, dass diese Lücke nicht als ursprüngliche „planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes“ angesehen werden könne; jedoch sei sie auf Grund eines Wandels der Rechtsordnung einer solchen Lücke gleichzuachten.120 Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob das BVerfG in seiner Entscheidung das Vorliegen einer ausfüllungsbedürftigen Lücke bejaht hat.

115 Vgl. dazu etwa die Kritik des BGH an der Vorinstanz in BGHSt 48, 255 (257 f.). 116 Bruns, FS Kleinknecht (1985) S. 49 (S. 57 ff.); ders., JR 1981, 358 (362); Köhler, JuS 1984, 762 (767 ff.); Günther, NJW 1982, 353 (356 f.); Müller-Dietz, FS Nishihara (1998) S. 248 (S. 255 ff.; S. 257); Langer, FS Ernst Wolf (1985) S. 335 (S. 341 f.); Mitsch, JuS 1996, 121 (122); Spendel, StV 1984, 45 (46); Krey, StrafR BT I Rn. 67; Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 46. 117 Vgl. dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 191 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 476 ff. 118 Canaris, Die Feststellung von Lücken (1983), S. 16. 119 BGHSt 30, 105 (121). 120 BGH, a. a. O.

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

a) Das BVerfG als Finder einer ausfüllungsbedürftigen Lücke? Der BGH scheint sich diesbezüglich auf die Aussage des BVerfG berufen zu wollen, dass „die Anwendung der so interpretierten Norm des § 211 StGB [. . .] in einzelnen Grenzfällen immer noch zu unverhältnismäßigen Härten führen“ möge.121 Dem geht in der Entscheidung des BVerfG eine Darstellung der bislang von der Rechtsprechung verwendeten restriktiven Auslegungsansätze sowie der in der Literatur vorgeschlagenen, weitergehenden Restriktionsmöglichkeiten voraus.122 Von einer Lücke ist in der Entscheidung des BVerfG gleichwohl keine Rede; vielmehr stellt das BVerfG lediglich fest, dass die von der Rechtsprechung gewählte Auslegung des § 211 StGB insofern unzureichend, da nicht restriktiv genug sei, weil sie in Einzelfällen unverhältnismäßige Strafen nicht vermeide. Demgemäß stellt das BVerfG fest, dass „Wortlaut und Sinngehalt dieser Bestimmung [. . .] eine noch engere Auslegung [. . .]“ zuließen, die sicherstelle, „dass auch in solchen Grenzfällen keine unverhältnismäßig hohe Strafe verhängt werden“ müsse.123 Eben diese engere Auslegung sei Aufgabe des Bundesgerichtshofes.124 Die stets erforderliche Auslegung von Normen stellt jedoch keine Lückenschließung dar.125 Die Auslegung ist einer Lückenfindung vielmehr vorgreiflich. Denn erst nachdem man eine Norm ausgelegt hat, kann man eine Aussage darüber treffen, ob sie einen bestimmten rechtlichen Sachverhalt regelt oder ungeregelt lässt. Wenn man jedoch nach der Auslegung zu dem Ergebnis kommt, dass der Sachverhalt durch die Norm geregelt ist, dann fehlt es an einer Lücke. Es lässt sich somit sagen, dass nach Auffassung des BVerfG nicht das Gesetz, sondern seine Auslegung durch die Rechtsprechung des BGH lückenhaft ist. Der Große Senat kann sich daher für das Vorliegen einer Lücke nicht auf die Entscheidung des BVerfG zur lebenslangen Freiheitsstrafe berufen.126 121

BVerfGE 45, 187 (265 f.). BVerfGE 45, 187 (262 ff.). 123 BVerfGE 45, 187 (267). 124 BVerfGE45, 187 (267). 125 Canaris, Die Feststellung von Lücken, S. 22. 126 So auch Tröndle, in: Tröndle/Fischer (49. A) § 211 Rn. 17; Kerner, FS Heidelberg (1986) S. 419 (S. 437 f.); Hauf, JA 1996, S. 546 (547). A. A. Börgers, JR 2004, 139, der jedoch in formelhafter Weise die allgemeine Kompetenz des BGH zur Rechtsfortbildung – die nicht streitig ist – bejaht. Daraus kann jedoch nicht die Befugnis zur Rechtsfortbildung entgegen den anerkannten Voraussetzungen, insbesondere ohne das Vorliegen einer ausfüllungsbedürftigen Lücke, abgeleitet werden. 122

A. Entscheidung des Großen Strafsenats BGHSt 30, 105

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b) Voraussetzungen für das Vorliegen einer ausfüllungsbedürftigen Lücke Das Vorliegen einer Lücke in § 211 StGB kann nur dann bejaht werden, wenn alle Möglichkeiten der Tatbestandsrestriktion vollends ausgeschöpft wurden, ohne dass die Lücke behoben werden konnte. Wenn jedoch die Möglichkeit besteht, bereits das Tatbestandsmerkmal der Heimtücke so auszulegen, dass die Grenzfälle ihm nicht unterfallen, so fehlt es bereits an einer Lücke im Gesetz. Denn in diesem Fall erfolgt die Verurteilung nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags. Das hat zunächst zur Folge, dass statt der absoluten Freiheitsstrafe der Strafrahmen des Totschlags zur Verfügung steht, sodass im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat entsprechende Strafe gefunden werden kann. Dadurch wird auch eine unverhältnismäßige Stigmatisierung des Täters verhindert. Die folgende Untersuchung wird zeigen, dass der Große Senat die Möglichkeiten der tatbestandlichen Restriktion keineswegs vollständig ausgeschöpft hatte und stattdessen voreilig das Vorliegen einer Lücke bejahte. Freilich hätte die erforderliche Restriktion des Heimtückemerkmals einen Bruch mit der bisherigen Rechtsprechungslinie zum Mordmerkmal der Heimtücke erfordert. Der Große Senat zog es jedoch vor, sich über den Wortlaut des Gesetzes hinweg zu setzen, anstatt mit der eigenen Rechtsprechung zu brechen. Während der Bundesgerichtshof für eine Korrektur der eigenen Rechtsprechung ohne Zweifel zuständig gewesen wäre, liegt die Zuständigkeit für eine Änderung der Rechtsfolge des § 211 Abs. 1 StGB beim Gesetzgeber. c) Mangelnde Gesetzesbindung der Vertreter der normativen Restriktion? Wie sehr der BGH seine eigene Rechtsprechung quasi zum Tatbestandsmerkmal des § 211 Abs. 2 erhebt, kann man an der folgenden Kritik Fischers – selbst Richter am BGH – ablesen: „Im Ergebnis erscheint die massive Kritik an GrSen BGHSt 30, 105 insoweit nicht ganz überzeugend, als sie auf der Rechtsfolgenseite auf dem Grundsatz strikter Gesetzesbindung beharrt, den sie auf Tatbestandsseite im Wege wertender Betrachtung gerade einzuschränken fordert.“127

Fischer wirft der Kritik also vor, den Grundsatz strikter Gesetzesbindung auf Tatbestandsseite einzuschränken. Damit wird den Gegnern der Rechtsfolgenlösung, die das Mordmerkmal der Heimtücke auf jeweils unterschied127

Fischer, § 211 Rn. 47 (Hervorhebungen des Verfassers).

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

liche Weise normativ einschränken, ihrerseits vorgehalten, sich mit ihren Lösungen vom Gesetzeswortlaut zu entfernen. Tatsächlich setzen die Anhänger der normativen Restriktion des Tatbestandes in aller Regel am Begriff der Heimtücke an und legen ihn anders, nämlich enger als der BGH aus. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist – wie bereits dargelegt128 – ein normatives Tatbestandsmerkmal.129 Heimtücke ist nicht empirisch messbar oder nachweisbar; vielmehr hängt die Beantwortung der Frage, ob eine Tötung als heimtückisch anzusehen ist, von den zu Grunde liegenden Wertungen ab.130 Erst recht gilt dies für den „Hilfsbegriff“131 der Arglosigkeit, der ohne weiteres normativ eingeschränkt werden kann.132 Weder der Begriff der Arglosigkeit, noch der Begriff der Wehrlosigkeit findet sich in § 211 Abs. 2 StGB. Es handelt sich also nicht um Tatbestandsmerkmale, sondern lediglich um von der Rechtsprechung entwickelte Hilfsbegriffe, die das nicht aus sich heraus verständliche Tatbestandsmerkmal der Heimtücke präzisieren sollen. Da es sich bei ihnen also nicht um Bestandteile des geschriebenen, sondern des gesprochenen Rechts handelt, geht Fischers Vorwurf der mangelnden Gesetzesbindung der Kritiker völlig fehl. Sein Vorwurf an die Kritiker der Rechtsfolgenlösung bestätigt vielmehr die Einschätzung, dass der BGH sich stärker an seine eigene Rechtsprechung gebunden fühlt als an den Gesetzeswortlaut des § 211 StGB. 2. Wertungswiderspruch beim „minderschweren Fall des Mordes“ Zudem wird darauf hingewiesen, dass mit der Rechtsfolgenlösung des BGH faktisch ein „minderschwerer Fall des Mordes“ eingeführt werde, dessen Mindeststrafandrohung gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB drei Jahre betrage, während im Gegensatz dazu die Mindeststrafe für den nicht nach § 213 StGB privilegierten Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB fünf Jahre beträgt. Dies stelle einen nicht zu rechtfertigenden Wertungswiderspruch dar.133 128

Siehe dazu oben S. 36 f. BGHSt 30, 105 (117); zuletzt BGHSt 48, 207 (211); so bereits Krüger, Begriff der Heimtücke (1960), S. 21. 130 Hassemer, JuS 1971, 626 (628). 131 So ausdrücklich BGHSt 27, 322 (324); Küper, JuS 2000, 740 (745); Meyer, JR 1979, 441; Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 749). 132 Widmaier, NJW 2003, 2788 (2791). Zustimmend Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 749) sowie in JZ 2003, 966, wonach die Arglosigkeit zwar ein in ihrem Kernbereich deskriptiver Begriff sei, der jedoch im Randbereich normativer Präzisierung bedürfe. 129

A. Entscheidung des Großen Strafsenats BGHSt 30, 105

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In der Tat ist ein „minder schwerer Fall des Mordes“ jedenfalls dann ohne weiteres ein Widerspruch in sich,134 wenn mit dem Mordtatbestand die Begehung höchsten Unrechts umschrieben sein soll. Nach der hier vertretenen Auffassung kann entgegen der Rechtsfolgenlösung des BGH eine Tat nicht als Mord eingeordnet werden, wenn sie nach ihrem Unrechtsgehalt noch unterhalb des „Normalfalles“ des Totschlages anzusiedeln ist. Denn die Einstufung von Mordgrenzfällen deutlich unterhalb der Mindeststrafe für Totschlag verträgt sich nicht mit dem Charakter des Mordes als Tatbestand, mit dem das Höchstmaß an Unrecht und Schuld mit der höchstmöglichen Strafe zu ahnden ist.135 3. Kein Gewinn an Begriffsschärfe durch „außergewöhnliche Umstände“ Zudem wird dem BGH der Vorwurf gemacht, dass der Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ zu vage und unbestimmt sei.136 Die Kritik knüpft teilweise daran an, dass der BGH eine Einschränkung der Heimtücke durch die Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch unter anderem mit der Begründung ablehnt, dass der Vertrauensbegriff wegen seiner Vieldeutigkeit zu einer unsicheren und ungleichmäßigen Rechtsprechung in der Tatbestandsfrage führe.137 Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass der BGH mit seiner Definition der „außergewöhnlichen Umstände, auf Grund welcher die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint“,138 im Prinzip auf den unbestimmten Rechtsbegriff des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips zurückgreift.139 Zudem argumentiert der BGH widersprüchlich, wenn er gegenüber den Vertretern der Lehre vom besonders verwerflichen Vertrauensbruch den Vorwurf der Unbestimmtheit erhebt, jedoch im Gegenzug selbst eine Position einnimmt, die sich offensichtlich demselben Vorwurf aussetzt. Neben seiner Unschärfe offenbart der Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ zudem ein verfehltes Verständnis der Rechtsprechung vom Re133

Günther, NJW 1982, 353 (355); Tröndle, in: Tröndle/Fischer (49. A.) § 211 Rn. 17; LPK-Kindhäuser, § 211 Rn. 5; NK-Neumann, vor § 211 Rn. 146; Hirsch, FS Tröndle (1988) S. 19 (S. 29). 134 So auch Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 10b. 135 So auch Günther, NJW 1982, 353 (355). 136 Mitsch, JuS 1996, 121 (122); Günther, NJW 1982, 353 (357). 137 BGHSt 30, 105 (115 f.). 138 Aus dem Leitsatz der Entscheidung BGHSt 30, 105. 139 Günther, NJW 1982, 353 (357).

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

gel-Ausnahme-Prinzip140 im geltenden Recht der Tötungsdelikte.141 Auf Grund eines formelhaften Verständnisses des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke soll regelmäßig die Höchststrafe zu verhängen sein, während es nach der Rechtsfolgenlösung außergewöhnlicher Umstände für eine Privilegierung bedarf. Überzeugender erscheint hingegen de lege lata die Konzeption der Literatur, wonach der Mord als qualifizierter Totschlag erscheint.142 Danach liegt bei einer vorsätzlichen Tötung zunächst regelmäßig nur ein Totschlag vor, während es außergewöhnlicher Umstände – nämlich der Erfüllung von Mordmerkmalen – bedarf, um die Verhängung der Höchststrafe verhältnismäßig erscheinen zu lassen. 4. Keine Verhinderung unverhältnismäßiger Mordstigmatisierung Schließlich wird darauf hingewiesen, dass die Rechtsfolgenlösung in Grenzfällen nichts an der unverhältnismäßigen Stigmatisierung des Täters ändere, die mit der Verurteilung wegen Mordes verbunden sei.143 Dieser Kritikpunkt ist meines Erachtens der entscheidende Grund, die Rechtsfolgenlösung abzulehnen. Wie eingangs gezeigt, stellt die unzulässige Stigmatisierung eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatzes dar, wenn der Täter wegen Mordes verurteilt wird, obwohl erheblich gemindertes Unrecht vorliegt.144 Während man über die unter 1. bis 3. aufgeführten Argumente wegen ihrer dogmatischen Natur trefflich streiten kann, lässt sich das Argument der unzulässigen Stigmatisierung nach der 140 Dieses Prinzip äußert sich vor allem darin, dass die Rechtsprechung bislang das Verständnis der h. L. vom Mord als qualifizierten Totschlag ablehnt und stattdessen von einer Eigenständigkeit von Mord und Totschlag ausgeht (vgl. dazu BGHSt 1, 368 (371); 36, 231 (235); 50, 1 (5). Allerdings hat der 5. Senat des BGH unter Verweis auf die damit einhergehende Problematik bei § 28 StGB neuerdings erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung geäußert (BGH, NJW 2006, 1008 (1012 f.)). 141 Ein solches verfehltes Verständnis vom Regel-Ausnahme-Prinzip hält Geilen, GS Schröder (1978) S. 235 (248) auch dann für gegeben, wenn jede Tötung ohne offene Kampfansage dem Mordtatbestand zugeordnet werde. 142 Vgl. dazu Fischer, § 211 Rn. 6; Otto JURA 1994, 141 (142 f.). Zu einer abweichenden Konzeption de lege ferenda, in welcher der Mord nicht als qualifizierte, sondern als nichtprivilegierte Tötung geregelt ist, vgl. unten S. 195 f. 143 Eser, NStZ 1981, 383 (384); Günther, NJW 1982, 353 (356); Fünfsinn, JURA 1986, 136 (142); Bendermacher, JR 2004, 301 (302); Wessels/Hettinger, BT 1 Rn. 89; Grünwald, FS Bemmann (1997) S. 161 (S. 164); Hirsch, FS Tröndle (1988) S. 19 (S. 29); Kerner, FS Heidelberg (1986) S. 419 (S. 436 f.); Krey, StrafR BT I Rn. 72; Miehe, JuS 1996, 1000 (1003); Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 54; Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 745); Fahlbusch, Unhaltbarkeit des Zustandes der Mordmerkmale (2008), S. 194. 144 Vgl. dazu die Ausführungen oben S. 28 ff.

B. Tötung des Erpressers (BGHSt 48, 207)

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hier vertretenen Auffassung auch nicht unter Hinweis auf eine möglichst wirksame Verbrechensbekämpfung rechtfertigen.145 Denn eine Verletzung des Schuldgrundsatzes ist per se unzulässig und kann daher nicht aus Praktikabilitätserwägungen heraus gerechtfertigt werden.

V. Zusammenfassung Die Rechtsfolgenlösung ist ein untaugliches Mittel zur Lösung der Probleme, die sich aus der hergebrachten Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke ergeben. Vielmehr beweisen die sogenannten Grenzfälle der Heimtücke, dass eine Lösung bereits auf der Tatbestands- und nicht erst auf der Rechtsfolgenseite gefunden werden kann. Das Mittel hierzu ist eine normative Restriktion der Heimtücke. Ziel der normativen Restriktion ist es, nicht-höchststrafwürdige Fälle der vorsätzlichen Tötung aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke auszuscheiden.

B. Die Tötung des Erpressers als Grenzfall der Heimtücke (BGHSt 48, 207) I. Sachverhalt der Entscheidung Das spätere Opfer (O) hatte bereits 6.000 DM vom Täter (T) erpresst. Nunmehr erschien es in Begleitung eines Freundes (F) bei T und drohte ihm an, er werde ihn zusammenschlagen lassen sowie der Polizei berichten, dass T mit illegal kopierten CDs handele, wenn er nicht weitere 1.000 DM zahle. Schließlich hielt er dem O vor, Sozialhilfe zu beziehen und daneben den Handel mit illegalen CDs zu betreiben; daraufhin erhöhte er seine Forderung auf 5.000 DM und begann gegen die CD-Sammlung des T zu treten, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Daraufhin kam T der Forderung nach und übergab eine Tüte an O, in der sich 5.000 DM sowie 500 US-$ befanden. Aus Wut darüber, dass T ihm das angesparte Geld wegnehme, trat T kurz darauf von hinten an O, der keinen Angriff erwartete und völlig überrascht war, heran, riss dessen Kopf zurück und schnitt ihm mit einem Messer mehrfach von links nach rechts in den Hals. O verstarb umgehend, während F die Wohnung verlassen konnte.

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So aber Kratzsch, JA 1982, 401 (405); vgl. dazu oben ausführlich S. 33 ff.

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

II. Die Entscheidung BGHSt 48, 207 Zunächst bejahte der 1. Senat des BGH entgegen der Auffassung des Landgerichts das Vorliegen einer Notwehrlage im Sinne des § 32 StGB, weil der Angriff des O auf das Vermögen des T solange nicht beendet sei, wie die Wiedererlangung des Geldes für T noch möglich gewesen sei. Die fortbestehende Notwehrlage könne bei der Frage der Heimtücke nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar richte sich die Frage der Arglosigkeit grundsätzlich danach, ob das Opfer tatsächlich einen Angriff erwarte. Die Arglosigkeit könne jedoch aus unterschiedlichen Gründen entfallen. Bei einer fortdauernden Notwehrlage wegen Erpressung, die nicht nur in einer erpressungstypischen Dauergefahr, sondern in konkreten Tathandlungen im Angesicht des Opfers bestehe, müsse der Erpresser mit Gegenangriffen rechnen. Der Erpresser sei somit regelmäßig nicht gänzlich arglos. Das Mordmerkmal der Heimtücke sei einer solchen normativen Einschränkung zugänglich. Es gelte zudem, einen Wertungsgleichklang mit dem Notwehrrecht zu gewährleisten. Unter solchen Umständen erscheine es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer das Risiko aufzulasten, bei Überschreiten der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu erfüllen. Daher werde im konkreten Fall der anzunehmende Argwohn des späteren Opfers nicht dadurch ausgeschlossen, dass er vom Gegenangriff überrascht war; vielmehr belege dies lediglich, dass er seine Aussichten falsch einschätzte, den Rechtsbruch ohne Gegenwehr zu Ende führen zu können. Mit dieser Entscheidung hat der BGH erstmals ausdrücklich eine weitgehende normative Einschränkung der Heimtücke vertreten. Die vorherige ablehnende Haltung insbesondere in BGHSt 30, 105 wird damit aufgegeben. Gleichzeitig ist der BGH außerordentlich darum bemüht, die Übertragung der Leitgedanken seiner Entscheidung auf andere Fallgruppen praktisch auszuschließen. So beschränkt der BGH seine normative Auslegung auf Erpressungsfälle. Weiter lässt der Senat ausdrücklich offen, ob andere Fallgestaltungen denkbar seien, in denen ausnahmsweise eine Arglosigkeit des Erpressers tragfähig festgestellt werden könne. Zudem stellt der Senat klar, dass in den Fällen der Erpressung, in denen eine Drohung als Dauergefahr fortwirke, die Tötung des Erpressers in einer vom Erpressungsopfer gesuchten, vorbereiteten Situation sehr wohl heimtückisch sein könne.146 Zwar argumentiert der BGH in seiner Entscheidung nicht ausdrücklich damit, dass der Täter andernfalls zu Unrecht stigmatisiert sei. Dennoch 146

BGHSt 48, 207 (212).

B. Tötung des Erpressers (BGHSt 48, 207)

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kommt es der Sache recht nahe, wenn der BGH für die Verneinung der Heimtücke verschiedene Aspekte der Unrechts- und Schuldminderung als Argumente heranzieht. So erscheint es dem BGH „b e i w e r t e n d e r B e t r a c h t u n g nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer, wenn es in der gegebenen Lage – in der Regel plötzlich – in den Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung gerät oder gar exzessiv handelt, d a s R i s i k o a u f z u l a s t e n , bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch Entschuldigung s o g l e i c h d a s M o r d m e r k m a l d e r H e i m t ü c k e z u v e r w i r k l i c h e n .“147 Allerdings hat derselbe Senat nach der Zurückverweisung des Erpresserfalls überraschend die erneute Verurteilung des Täters wegen Mordes durch die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth148 bestätigt, wonach der Täter das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erfüllt habe und zudem eine Rechtfertigung durch Notwehr trotz des Vorliegens einer Notwehrlage am mangelnden Verteidigungswillen des Täters scheitere.149

III. Kritik an der Erpresser-Entscheidung Die Entscheidung des BGH ist in der Literatur teilweise auf Zustimmung gestoßen.150 Oft wird gefordert, dass die Grundsätze der Entscheidung nicht auf Notwehrfälle zu beschränken seien, sondern auch auf Notstandsfälle – insbesondere Haustyrannenfälle – zu übertragen seien.151 Vielfach ist die Entscheidung jedoch abgelehnt worden.152 So hat etwa Schneider in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung kritisiert, dass der vom BGH gewählte Lösungsweg zu weit sei, weil er sich auf andere Notstandsfälle – zum Beispiel auf die Tötung eines gewalttätigen Haustyrannen – übertragen lasse.153 Demgegenüber meint Quentin154 in seiner ablehnenden Anmerkung, dass das Urteil nicht verallgemeinerungsfähig sei und ein Einzelfall bleiben solle. Auch innerhalb des BGH stößt die Entscheidung des 1. Senats auf Kritik. So hat etwa der 4. Senat erhebliche Zweifel daran, ob die Entscheidung mit 147

BGHSt 48, 207 (211), Hervorhebungen des Verfassers. LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 18.12.2003 – 7 Ks 103 Js 358/2001. 149 BGH, NStZ 2005, 332 (334). 150 Roxin, JZ 2003, 966; Widmaier, NJW 2003, 2788 (2791); Bendermacher, JR 2004, 301 (302); nur im Ergebnis zustimmend Bürger, JA 2004, 298 (300). 151 Vgl. dazu unten S. 57 f. (insbesondere die Nachweise in Fn. 166.). 152 Fischer, § 211 Rn. 51 ff.; Schneider, NStZ 2003, 428 ff.; Quentin, NStZ 2005, 128 (133); Haverkamp, GA 2006, 586 (592). 153 Schneider, NStZ 2003, 428 (430). 154 Quentin, NStZ 2005, 128 (133). 148

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

der ständigen Rechtsprechung des BGH zur Frage der Arglosigkeit vereinbar ist.155 Der 3. Senat geht im Gegensatz zur Erpresser-Entscheidung des 1. Senats davon aus, dass Arg- und Wehrlosigkeit faktische, nicht normative Begriffe seien.156

C. Die Tötung des Haustyrannen als Grenzfall der Heimtücke I. Die Fallgruppe der Haustyrannentötung Auch bei der Fallgruppe der sogenannten Haustyrannentötung erscheint eine Verurteilung wegen Mordes im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip als problematisch. Mit dieser Bezeichnung werden Fälle umschrieben, in denen eine Frau ihren gewalttätigen Ehemann oder Partner zumeist in dessen Schlaf tötet, um die häufig über Jahre andauernden, ständigen Misshandlungen durch den Partner endgültig zu beenden. Diese Tötungssituation unterfällt unstreitig der hergebrachten Definition der Heimtücke. Zwar haben die später getöteten Haustyrannen in der Vergangenheit eine Vielzahl von Angriffen begangen, die das damalige Opfer unter Umständen auch zu einer Tötung in Notwehr berechtigt hätten.157 Solche Angriffe werden jedoch dadurch beendet, dass sich der Haustyrann schlafen legt, weil von einem Schlafenden kein Angriff im Sinne des § 32 StGB ausgehen kann. Daher scheidet Notwehr in diesen Fällen aus. Auch eine Rechtfertigung nach § 34 StGB ist nach ganz überwiegender Auffassung ausgeschlossen. Zwar hat schon das Reichsgericht anerkannt, dass die von einem Haustyrannen ausgehenden Gefahren eine Dauergefahr darstellen könne, weswegen die Tötung durch Notstand gerechtfertigt sein könne.158 Jedoch soll eine Rechtfertigung nach ganz herrschender Meinung daran scheitern, dass eine Abwägung von Leben gegen Leben bei § 34 StGB ausgeschlossen sei.159 155

BGH, NStZ 2007, 523 (525). BGH, NStZ 2005, 688 (689). 157 Vgl. etwa BGH, NJW 1984, 986 (987); BGH, NStZ 1994, 581 (582). Siehe auch LG Kleve, Urt. v. 07.06.2006 – 140 Ks 1/06), in dem ein gegenwärtiger Angriff und eine Rechtfertigung der Tat bejaht wurde; insbesondere wurden keine Einschränkungen des Notwehrrechts auf Grund der Ehe angenommen, da nicht lediglich leichte Verletzungen durch den Haustyrannen zu erwarten gewesen seien. 158 RGSt 60, 318 (319 f.). 159 Vgl. nur BGHSt 48, 255 (257); LG Offenburg, StV 2003, 672 (674); Welke, ZRP 2004, 15 (17); Fischer, § 34 Rn. 10; Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rn. 30; Wessels/Beulke, StrafR AT Rn. 316; Krey, StrafR AT Rn. 572; Günther, JR 1985, 268 (273). A. A. etwa Geerds, JURA 1992, 321 (322 f.). 156

C. Tötung des Haustyrannen

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Selbst eine Entschuldigung der Tat nach § 35 StGB wird mit der Begründung abgelehnt, dass die Gefahr anders als durch Tötung des Haustyrannen abwendbar sei.160 Da die Tötung eines Haustyrannen nach herrschender Auffassung in aller Regel weder gerechtfertigt, noch entschuldigt ist, kommt es für das Strafmaß entscheidend darauf an, ob man die Tat als Mord oder lediglich als Totschlag einstuft.

II. Die Bewertung der Tötung eines Haustyrannen Die Rechtsprechung hat solche Fälle teilweise als heimtückische Tötung und damit als Mord eingeordnet.161 In anderen Haustyrannenfällen wurde das Vorliegen von Heimtücke mit der fragwürdigen Begründung in Zweifel gezogen, dass der Täterin in subjektiver Hinsicht das Bewusstsein gefehlt haben könnte, die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung auszunutzen. Somit fehle es am notwendigen Ausnutzungsbewusstsein.162 Auch in diesen Haustyrannen-Entscheidungen spricht der BGH nicht ausdrücklich vom Begriff der Mordstigmatisierung. Dennoch kommt beispielsweise in BGH NJW 1966, 1823 das Unbehagen der Richter, die 15 ½ Jahre alte Täterin mit dem Mordstigma zu versehen, in der Wortwahl der Entscheidung spürbar zum Ausdruck: „Auf jeden Fall bedürfen [. . .] die Voraussetzungen des Mordes, zumal nach der inneren Tatseite hin sorgfältiger Prüfung. Mord, begangen oder versucht durch ein kaum 15 ½ Jahre altes Mädchen ist nicht leicht vorstellbar.“163 Kritik an der Begründung der h. M. äußert Renzikowski, Notwehr und Notstand (1994), S. 243 ff. sowie 268 f.: entgegen der h. M. (LK-Zieschang, § 34 Rn. 74; Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rn. 30; Lackner/Kühl § 34 Rn. 9; Roxin FS Jescheck (1985), S. 457 (466); SK-Günther, § 34 Rn. 16; ders., JR 1985, 268 (273); Hillenkamp, FS Miyazawa (1995) S. 141 (S. 155)) sei § 34 StGB auf Fälle des Defensivnotstandes nicht anwendbar, da sich die Interessenabwägungsklausel der Norm nicht für diese Fallgruppe eigne. Jedoch komme eine Rechtfertigung im Rahmen der allgemeinen Defensivnotstandsbefugnis in Analogie zu § 228 BGB in Betracht (ebenso Hruschka, StrafR S. 84; ders., NJW 1980, 22 (23); Lugert, Gefahrtragungspflichten (1991), S. 35; NK-Neumann, § 34 Rn. 86; Lampe, NJW 1968, 88 (91); Frister, GA 1988, 291 (295)). Zwar sei somit eine Rechtfertigung grundsätzlich möglich; jedoch sei auch im Rahmen der allgemeinen Defensivnotstandsbefugnis eine Rechtfertigung ausgeschlossen, wenn die Gefahr anders als durch Tötung des Haustyrannen abwendbar sei (Renzikowski, Notwehr und Notstand (1994), S. 269; NK-Neumann, § 34 Rn. 90). 160 BGHSt 48, 255 (260 f.); kritisch etwa Welke, ZRP 2004, 15 (18). 161 BGHSt 48, 255 (256 f.); LG Frankfurt, Streit 1986, 10 (14); LG Offenburg, StV 2003, 672 (674). 162 BGH, NJW 1966, 1823 (1824); BGH, StV 1981, 523 (524); BGH, NStZ 1984, 20 (21).

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

Es ist nicht anzunehmen, dass den Richtern tatsächlich das Vorstellungsvermögen fehlte, wie ein 15 ½ jähriges Mädchen eine heimtückische Tötung vornimmt. Denn bei Lichte betrachtet ist das Gegenteil der Aussage richtig: Wenn man die hergebrachten Auffassung zu Grunde legt, so ist es kaum vorstellbar, dass ein lediglich 15 ½ jähriges Mädchen ihren gewalttätigen, im Urteil als „hünenhaften Wüterich“ beschriebenen Schwiegervater tötet, ohne heimtückisch zu handeln. Denn das Mordmerkmal der Heimtücke wäre nach dieser Auffassung nur dann nicht erfüllt, wenn die Arglosigkeit des Schwiegervaters entfiele, etwa weil das Mädchen ihn in einer offenen Konfrontation zu töten gedachte. Angesichts des Kräfteungleichgewichts ist es ausgeschlossen, dass die körperlich unterlegene Person eine solche aussichtslose Auseinandersetzung sucht. Auch in dem vorliegenden Sachverhalt deutete nichts auf eine offene Konfrontation hin, da das Mädchen ihren Schwiegervater von hinten mit einer Bratpfanne erschlug. Daher hätte die Aussage der Richter zutreffenderweise lauten müssen: Totschlag, begangen oder versucht durch ein kaum 15 ½ Jahre altes Mädchen, ist nicht leicht vorstellbar, weil es die Tötung auf Grund der körperlichen Unterlegenheit in aller Regel auf eine Weise ausführen wird, die das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt. Auch in den Fällen, in denen Frauen den schlafenden Haustyrannen töteten, wäre nach der hergebrachten Auffassung Heimtücke nur dann zu verneinen gewesen, wenn sie den schlafenden Haustyrannen vor der Tat geweckt hätten. Es kann jedoch angesichts der Schwere der von diesen Frauen im Vorfeld erlittenen Gewalt nicht zweifelhaft sein, dass dies einer Pflicht zur Herausforderung zu einem Zweikampf gleichkäme, den die in den entschiedenen Fällen körperlich weit unterlegene Frau nicht gewinnen – ja möglicherweise sogar nicht überleben – kann.164 Zwar hat der BGH die Unterlegenheit der Täterin wegen eines Kräfteungleichgewichts bislang nicht dazu genutzt, das Mordmerkmal der Heimtücke in Frage zu stellen. Jedoch hat er immerhin bei der Rechtfertigung der Tötung eines gewalttätigen Partners eine vorherige Androhung der Gewalt entgegen der Regel für entbehrlich gehalten.165 Der Täterin, die sich gegen den erwarteten Angriff mit einem Messer bewaffnet hatte, sei die Ankündigung einer offenen Konfrontation nicht zuzumuten gewesen, da sie anderenfalls ihre Entwaffnung und infolgedessen schwerste Verletzungen zu befürchten hatte. Es stellt jedoch einen Wertungswiderspruch dar, wenn diese Konsequenz nicht ebenfalls bei der Frage der Heimtücke gezogen wird. 163

BGH, NJW 1966, 1823 (1824). Welke, ZRP 2004, 15 (19); Legnaro/Aengenheister, KJ 1995, 188 (190); Diederich, Streit 2004, 32. 165 BGH, NStZ 1994, 581 (582); ebenso LG Kleve, Urt. v. 07.06.2006 – 140 Ks 1/06 im Falle einer durch Notwehr gerechtfertigten Haustyrannentötung. 164

C. Tötung des Haustyrannen

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In der Wortwahl der Richter, die in BGH NJW 1966, 1823 über die Tat der kaum strafmündigen Täterin zu befinden hatten, schwang daher die Überraschung darüber mit, dass der hergebrachten Heimtückeformel auch solche Fälle unterfallen, die offensichtlich nicht höchststrafwürdiges Unrecht darstellen.

III. Vergleichbarkeit der Tötung eines Haustyrannen mit der Tötung eines Erpressers Zwischen der Tötung eines Erpressers in der hier geschilderten Konstellation und der Tötung eines Haustyrannen liegen die Parallelen auf der Hand. In beiden Fällen besteht eine Dauergefahr. Zudem scheint die Gefahr in beiden Fällen anders als durch Tötung des späteren Opfers – nämlich insbesondere durch Inanspruchnahme staatlicher Hilfe – abwendbar zu sein. Außerdem ist beiden Fällen gemeinsam, dass das Opfer zumindest in tatsächlicher Hinsicht keinen Angriff erwartete. Anders als in den Fällen der Tötung eines Erpressers handelt die Täterin bei der Haustyrannentötung nicht, um ihr Vermögen, sondern um ihr Leben, ihre Gesundheit sowie oftmals dieselben Rechtsgüter ihrer Kinder zu schützen. Die Tötung eines Haustyrannen erscheint daher bereits wegen der Höherwertigkeit der betroffenen Rechtsgüter in sehr viel stärkerem Maße privilegierungsbedürftig als die Tötung eines Erpressers. Daher nimmt es nicht Wunder, dass in jüngster Zeit viele Stimmen in der Literatur für eine Anwendung der dort aufgestellten Grundsätze auch in Haustyrannenfällen plädieren.166 Allerdings spricht einiges dafür, dass der BGH dem nicht folgen will; schließlich war es der für die Entscheidung im Erpresserfall zuständige 1. Strafsenat, der nur wenige Wochen später in seiner Entscheidung über die Tötung des Haustyrannen167 eine normative Einschränkung der Heimtücke nicht mit einem Wort erwähnte. 166 Widmaier, NJW 2003, 2788 (2791); Otto, NStZ 2004, 142 (143); Krey, StrafR BT I Rn. 46b; Hillenkamp, JZ 2004, 48 (50); ders., FS Rudolphi (2004) S. 463 (S. 469); Bendermacher, JR 2004, 301 (304); Haverkamp/Kaspar, JuS 2006, 895 (897); Kett-Straub, JuS 2007, 515 (521); Müssig, FS Dahs (2005) S. 117 (S. 136 f.); Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 753 ff.); für eine Anwendung insbesondere auf Haustyrannentötungen, aber auch allgemein auf Notstandslagen Rengier, NStZ 2004, 233 (236 f.); Bürger, JA 2004, 298 (300) spricht sich für die Übertragung auf „sämtliche Fälle [. . .], in denen das spätere Opfer Rechtsgüter des Täters verletzt und die Tötungshandlung des Täters vom Willen getragen ist, hiermit die Verletzungshandlungen des Opfers endgültig zu beenden“ aus. Auch Schneider, NStZ 2003, 428 (431, 429) sowie Fischer, § 211 Rn. 54 erkennen an, dass eine Übertragung auf Haustyrannentötungen möglich ist; gleichwohl lehnen sie diesen Weg ebenso wie Küper, JZ 2006, 608 (609 f.) ab. 167 BGHSt 48, 255 ff.

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3. Kap.: Rechtsprechung des BGH zu den Grenzfällen der Heimtücke

D. Zusammenfassung Insbesondere beim Mordmerkmal der Heimtücke erweist sich das Fehlen eines Strafrahmens in § 211 Abs. 1 StGB als besonders problematisch. Unrechts- und schuldmindernde Aspekte der Tat drohen unberücksichtigt zu bleiben. Insbesondere bei unrechtsgeminderten Fällen ist die Stigmatisierung des Täters im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip äußerst problematisch. Die Ungeeignetheit der vom Großen Senat entwickelten Rechtsfolgenlösung zeigte sich gerade darin, dass der Täter unter Umständen zu Unrecht stigmatisiert wird. Nur eine Abkehr von der hergebrachten Rechtsprechung hin zu einer normativen Restriktion der Heimtücke kann für die im Zusammenhang mit diesem Mordmerkmal bestehenden Probleme Abhilfe schaffen.

4. Kapitel

Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht des § 211 StGB Allein aus der Tatsache, dass eine 1941 in Kraft getretene Vorschrift noch heute geltendes Recht ist, folgt nicht zwingend deren Unvereinbarkeit mit den Grundsätzen unseres Rechtsstaates. Viele von den Nationalsozialisten erlassene Vorschriften dürften bereits deshalb unverdächtig sein, weil sie ideologisch nicht aufgeladene Lebensbereiche und Sachverhalte regeln.168 Im Gegenzug ist die Rechtsstaatswidrigkeit einer Vielzahl von Gesetzen der Zeit derart offensichtlich, dass sich – im Hinblick auf die Radbruch’sche Formel – allein darüber streiten ließe, ob man bereits ihren Rechtscharakter verneinen muss.169 Die Tötungsdelikte des StGB lassen sich weder der einen, noch der anderen Gruppe von Normen zuordnen. Aber auch jenseits der eindeutigen Fälle sollte das Entstehungsdatum wenigstens Anlass dazu geben, die Vereinbarkeit einer Norm mit den Anforderungen eines Rechtsstaates kritisch zu prüfen. Insbesondere drängt sich eine solche Überprüfungspflicht bei solchen Normen auf, die zum Kernstrafrecht gehören. Obwohl die Tötungsdelikte in jeder zivilisierten Rechtsordnung wegen der überragenden Bedeutung des Rechtsguts Leben geradezu das Herzstück des Strafrechts darstellen, wurde die Vereinbarkeit der Tötungsdelikte mit den Anforderungen eines demokratischen Rechtsstaats unmittelbar nach dem Krieg in Literatur und Rechtsprechung ganz überwiegend ohne nennenswerte Begründung bejaht. Erst im Jahr 1956 untersuchte etwa der Große Senat des BGH170 erstmals die Entstehungsgeschichte des Mordes und kam zu dem Ergebnis, dass § 211 StGB rechtsstaatlich unbedenklich sei. Seitdem genügt vielfach ein Hinweis darauf, dass die Nationalsozialisten die §§ 211 ff. StGB auf der Grundlage eines Entwurfs des schweizer Juristen Carl Stooß aus dem Jahr 1893 für ein Schweizer Strafgesetzbuch schufen, um die Unbedenklichkeit der Normen zu suggerieren. 168 Das dürfte etwa für Gesetze zutreffen, die technische Sachverhalte oder etwa den Straßenverkehr regeln. 169 Exemplarisch seien die sog. Nürnberger Gesetze genannt. 170 BGHSt 9, 385.

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

Im Weiteren erfolgt daher eine eingehende Untersuchung des nationalsozialistischen Einflusses auf das geltende Recht der Tötungsdelikte.

A. Formen des nationalsozialistischen Einflusses Stellt man die Frage nach dem Einfluss nationalsozialistischen Rechtsdenkens auf das geltende Recht in § 211 StGB, so überrascht vor allem die Tatsache, dass sie heute häufig in Literatur und Rechtsprechung nicht thematisiert wird. Wenn die Frage überhaupt erörtert wird, so erschöpft sich eine Auseinandersetzung in aller Regel in einem Hinweis auf die schweizer Ursprünge der Fassung, die offenbar als Beleg für die Rechtsstaatlichkeit der Norm herhalten sollen.171 Selbst der deutlichste Hinweise auf einen nationalsozialistischen Einfluss – die tätertypenmäßige Formulierung des § 211 Abs. 1 StGB – wird häufig schlicht unbeachtet gelassen. Auch unmittelbar nach 1945 fand eine kritische Auseinandersetzung nicht statt. Vielmehr gelangte man schnell zu der Auffassung, dass § 211 StGB unbedenklich sei.172 So hielt bereits der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone § 211 StGB für anwendbar, weil er kein genuin nationalsozialistisches Recht enthalte.173 In der Rechtsprechung der Instanzgerichte wurde die Anwendbarkeit des § 211 StGB in seiner Fassung des Jahres 1941 oftmals nicht einmal ansatzweise in Zweifel gezogen.174 Dabei fällt auf, dass keine kritische Auseinandersetzung mit dem Gesetzgebungsprozess stattfand, sondern eine eher ergebnisorientierte Argumentation verwendet wurde. Weil man meinte, mittels kunstfertiger Auslegung auch bei bedenklichen Normen zu vertretbaren Ergebnissen kommen zu können, fehlte es allgemein an einer kritischen Würdigung des nationalsozialistischen Einflusses. Sicherlich dürfte für diese Haltung jedoch auch mitentscheidend gewesen sein, dass als Alternative nur die Rückkehr zum ungeliebten Abgrenzungsmerkmal der Überlegung blieb. Spätestens seitdem sich der Große Senat des BGH175 dieser damals ganz vorherrschenden Ansicht angeschlossen hat, erscheint diese Auffassung der171

Vgl. dazu und im Folgenden unten S. 83 f. Nach Schönke, StGB (4. A.) § 211 S. 450 bestehe Überstimmung, dass die Neufassung weiter anwendbar sei. Ebenso KG, JR 1947, 27; Maurach, StrafR BT S. 18 f.; Mezger, StrafR II S. 16; Hülle, NJW 1951, 295 (296). 173 OGHSt BZ 1, 74 (76); 81 (82 ff.); 87 (89). 174 OLG Hamburg, NJW 1947/1948, 350; OLG Frankfurt, SJZ 1947, 622 (628); OLG Dresden, NJW 1947/1948, 274; a. A. etwa OLG Braunschweig, NJW 1947/1948, 272. 175 BGHSt 9, 385 (387 ff.). 172

A. Formen des nationalsozialistischen Einflusses

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art verfestigt, dass heute selbst in umfangreicheren Kommentaren und Lehrbüchern eine Erwähnung der historischen Hintergründe oftmals unterbleibt oder entsprechend knapp und unkritisch ausfällt. Dagegen kommen alle Autoren, die die Entstehungsgeschichte des § 211 StGB einer genaueren Prüfung unterziehen, übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss nationalsozialistischen Rechtsdenkens auf § 211 StGB nicht geleugnet werden kann.176 Zudem wird die Frage nach dem Einfluss nationalsozialistischen Rechtsdenkens auf die geltende Fassung des § 211 StGB oftmals nur unter dem Blickwinkel der sogenannten Tätertypenlehre betrachtet. Die Frage nach dem Einfluss der Tätertypenlehre auf die Mordmerkmale ist jedoch eng verknüpft mit der Frage, ob die Mordmerkmale als solches abschließend konzipiert waren oder nicht. Denn es sind insbesondere die Fragestellungen ähnlich: Wer die Mordmerkmale für eine nicht-abschließende Aufzählung hielt, konnte mittels der dann erforderlichen Gesamtwürdigung sowohl eine Einschränkung, als auch eine Erweiterung des Mordtatbestandes erreichen. Gleiches gilt für die Tätertypenlehre, die – wie noch darzulegen ist177– sowohl in ausdehnender, als auch in restriktiver Weise genutzt werden konnte und sollte. So hat etwa das Reichsgericht zwar den Tätertyp des Mörders abgelehnt, aber gleichwohl bei der Abgrenzung von Mord und Totschlag eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit für maßgeblich gehalten.178 In einer ausführlichen Analyse von etwa 250 Urteilen, die von Berliner Sondergerichten zur „Verordnung gegen Volksschädlinge“ ergingen, kommt auch Mittelbach179 zu dem Schluss, dass im Ergebnis zwischen einer Anwendung der Tätertypenlehre und einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit, die auf die Frage der besonderen Verwerflichkeit der Tat abstellt, kein sachlicher Unterschied bestehe. Auch der BGH180 behandelte die – freilich dort nicht ausdrücklich gestellte, sondern nur implizit aufgeworfene und sodann verneinte – Frage, ob § 211 StGB nationalsozialistisches Unrecht enthalte, nicht unter dem Aspekt der Tätertypenlehre, sondern bei der Frage nach dem abschließenden oder nicht-abschließenden Charakter der Mordmerkmale. Auch wenn daher eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit etwas von der Tätertypenlehre zu Unterscheidendes sein mag,181 so liegt das sie 176

Vgl. dazu unten die in Fn. 274 (S. 76) genannten Nachweise. Dazu unten S. 67 ff. 178 RGSt 76, 297 (299). Ebenso Schönke, StGB vor §§ 211 S. 434 sowie § 211 S. 436 ff.; v. Olshausen, StGB § 211 n. F. Anm. 15. 179 Mittelbach, ZAkDR 1943, 110 (113). 180 BGHSt 9, 385 ff. 181 So Werle, Justiz-Strafrecht (1989), S. 345. 177

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

verbindende Element in der Möglichkeit, aus nationalsozialistischer Sicht unerwünschte Ergebnisse im Wege der Wertung zu korrigieren. Damit lässt sich sagen, dass der Einfluss nationalsozialistischen Rechtsdenkens auf die Fassung des § 211 StGB nicht nur dann bejaht werden kann, wenn ein Einfluss der Tätertypenlehre nachweisbar ist, sondern auch dann, wenn deutlich wird, dass der nicht-abschließende Charakter der Mordmerkmale zum Konzept des historischen Gesetzgebers gehörte.182 Daher wird im Folgenden der Einfluss nationalsozialistischen Rechtsdenkens auf die Fassung des § 211 StGB unter beiden Gesichtspunkten untersucht.

B. Die historische Entwicklung von der Überlegung zu den Mordmerkmalen183 I. Das Merkmal der Überlegung oder Vorbedacht Das Merkmal der Überlegung findet sich erstmals im deutschen Recht in Art. 137 der Constitutio Criminalis Carolina und beruht auf einer Rezeption des römischen Rechts.184 Nach andersartigen gesetzgeberischen Konzepten der Zwischenzeit wird dieses Merkmal wieder von § 826 des ALR von 1794 aufgegriffen, der den Täter eines Mordes als jemanden beschreibt, „welcher mit vorher überlegtem Vorsatze zu tödten einen Todschlag wirklich verübt.“ Zudem waren strafschärfende185 und strafmindernde186 Varianten vorgesehen. Der Grundtatbestand des Totschlages in § 806 ALR erinnert dagegen an einen mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführten Totschlag nach § 212 StGB. Die verschiedenen deutschen Strafgesetzbücher des 19. Jahrhunderts stellen für den Mord stets auf das Merkmal der Überlegung oder den Vorbedacht ab.187 So definiert Art. 146 des Bayerischen StGB von 1813 Mord als mit Vorbedacht beschlossene oder mit Überlegung ausgeführte Tötung. Im Gegensatz dazu wurde in Art. 151 des Bayerischen StGB von 1813 der Totschlag als ohne Überlegung und Vorbedacht in aufwallender Hitze des 182

Ebenso im Ergebnis Werle, Justiz-Strafrecht (1989), S. 345. Ausführlich zur historischen Entwicklung des Mordparagraphen: Thomas, Geschichte des Mordparagraphen (1985); vgl. für die Entwicklung seit 1870 insbesondere Linka, Mord und Totschlag (2008), S. 39 ff. 184 Schönke/Schröder-Eser, vor § 211 Rn. 4. 185 So etwa in § 829 ALR eine grausame Tötung. 186 So etwa in § 828 ALR die nur versuchte Tötung, die trotz Beifügung einer an sich tödlichen Verletzung auf Grund besonderer Umstände nicht zum Tode führte. 187 Vgl. die Übersicht bei Blei, BT (12. A.) S. 8. 183

B. Historische Entwicklung von der Überlegung zu den Mordmerkmalen

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Zorns beschlossene und durchgeführte lebensgefährliche Verletzung wider den anderen definiert. Schon früh wurde Kritik an der Tatsache geäußert, dass verminderte Schuldlagen bei diesem Mordmerkmal unberücksichtigt blieben.188 Im StGB des Deutschen Reiches von 1871 findet sich das Merkmal der Überlegung als Tatbestandsmerkmal in § 211 StGB; dabei wird darauf abgestellt, ob der Täter die Tat mit Überlegung ausgeführt habe.189 Zudem ist die Überlegung negatives Tatbestandsmerkmal des Totschlages in § 212 StGB. Die Auslegung des Begriffes der Überlegung war in vielerlei Hinsicht streitig.190 Das Reichsgericht sah in der Überlegung ein vom Vorsatz zu trennendes, weil daneben hinzutretendes, voluntatives Element.191 Die Überlegung beschreibe die das Für und Wider der Tat ruhig abwiegende Geistestätigkeit.192 Insbesondere diente das Merkmal daher der Ausscheidung von Affekttaten aus dem Anwendungsbereich der Norm.193 Exemplarisch für die Problematik, dass schuldmindernde Umstände bei diesem Mordmerkmal keine Berücksichtigung fanden, ist die berühmte Badewannen-Entscheidung des Reichsgerichts in RGSt 74, 84. In dem zu Grunde liegenden Sachverhalt hatte die Angeklagte auf stärkstes Drängen ihrer ebenfalls mitangeklagten Schwester deren gerade erst entbundenes, uneheliches Kind in der Badewanne ertränkt. Nach Lage des Falles bestand kein Zweifel daran, dass die Angeklagte im Sinne des § 211 a. F. StGB mit Überlegung gehandelt hatte. Da sie nicht ihr eigenes uneheliches Kind getötet hatte, kam sie anders als ihre Schwester nicht in den Genuss der Privilegierung des § 217 a. F. StGB (Kindstötung); vielmehr drohte ihr die Todesstrafe wegen Mordes. Um ihr die Todesstrafe zu ersparen,194 trieb das Reichsgericht seine subjektive Teilnahmelehre auf die Spitze, indem es die Angeklagte vom Vor188

Mittermaier, GA 2 (1854), S. 141 (142 f.) sowie S. 285 (289). § 211 des StGB vom 18.05.1871 lautete: „Wer vorsätzlich einen anderen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.“ 190 Vgl. die Darstellung bei Thomas, Geschichte des Mordparagraphen, S. 204 ff.; vgl. insbesondere zur Austauschbarkeit der Argumente des Reichsgerichts Jähnke, MDR 1980, 705 (708). 191 RGSt 42, 260 (261). 192 RGSt 48, 174 (176). 193 RGSt 42, 260 (261 f.). 194 Dass dieses Bestreben für die Entscheidung allein maßgeblich war, gibt Hartung in JZ 1954, 430 f. aus seiner Sicht als an der Entscheidung beteiligter Richter zu. 189

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

wurf der Täterschaft freisprach. Obwohl sie die Tat eigenhändig ausgeführt habe, sei sie lediglich wegen Beihilfe zu verurteilen, weil sie die Tat nicht als eigene gewollt habe.195

II. Die Einführung der Heimtücke Die gegenwärtige Fassung des § 211 StGB beruht auf dem Gesetz vom 04.07.1941196 und geht auf den Entwurf zu einem Schweizer Strafgesetzbuch von Carl Stooß zurück.197 Mit der Neufassung im Jahre 1941 entfiel das bis dahin für die Abgrenzung von Mord und Totschlag maßgebliche Kriterium der Überlegung, welches das Strafgesetzbuch von 1871 vorsah. Stattdessen kam nunmehr grundsätzlich den neu geschaffenen Mordmerkmalen die Abgrenzungsfunktion zwischen Mord und Totschlag zu. Die Täterbezogenheit der sprachlichen Fassung („Mörder“, „Totschläger“) war allerdings nicht in den schweizer Vorentwürfen enthalten. Die Mordmerkmale in § 211 Abs. 2 StGB sind seitdem unverändert geblieben. Lediglich auf der Rechtsfolgenseite hat es Änderungen gegeben. So wurde durch Art. 1 Nr. 1 c des 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 04.08.1953198 die Todesstrafe als Rechtsfolge des § 211 StGB abgeschafft und durch lebenslange Zuchthausstrafe ersetzt. Dadurch wurde das einfache Recht des StGB an die bereits seit dem 23.05.1949 geltende Verfassungsrechtslage angepasst, wonach gemäß Art. 102 GG die Todesstrafe abgeschafft war. Zudem wurde mit der Milderungsregelung des § 211 Abs. 3 StGB eine Ausnahmeregelung von der zuvor angedrohten Todesstrafe gestrichen.199 Seine heutige noch gültige Fassung erhielt § 211 StGB durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25.07.1969,200 durch welches die Zuchthausstrafe durch die lebenslange Freiheitsstrafe ersetzt wurde. 195

RGSt. 74, 84 (85). Dagegen zu Recht BGHSt 8, 393 (395). RGBl. I, S. 549. 197 Stooß, Vorentwurf zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch (1893). Art. 52 lautete danach: „Tötung. Wer einen Menschen vorsätzlich tötet, wird mit Zuchthaus von 10 bis 15 Jahren bestraft. Mord. Tötet der Thäter aus Mordlust, aus Habgier, unter Verübung von Grausamkeit, heimtückisch oder mittelst Gift, Sprengstoffen oder Feuer, oder um die Begehung eines anderen Verbrechens zu verdecken oder zu erleichtern, so wird er mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. Totschlag. Tötet der Thäter in leidenschaftlicher Aufwallung, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu 10 Jahren.“ 198 BGBl. I, 735. 199 § 211 Abs. 3 in der bis zum 04.08.1953 geltenden Fassung lautete: „Ist in besonderen Ausnahmefällen die Todesstrafe nicht angemessen, so ist die Strafe lebenslanges Zuchthaus.“ 196

C. Das gesetzliche Leitbild der Heimtücke

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Damit gilt die Fassung von 1941 in wesentlicher Hinsicht unverändert fort.

C. Das gesetzliche Leitbild der Heimtücke I. Das Interesse des Gesetzgebers von 1941 an der Abschaffung der Überlegung und der Ersetzung durch Mordmerkmale im Allgemeinen Da lange Zeit der Prämeditationsgedanke das maßgebliche Abgrenzungskriterium war, ist zunächst zu untersuchen, welches Interesse der nationalsozialistische Gesetzgeber daran hatte, die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag nunmehr anhand einer kasuistischen Aufzählung von Mordmerkmalen vorzunehmen. Die Ablehnung des Merkmals der Überlegung wurde von nationalsozialistischen Autoren einerseits mit der Schwierigkeit, dieses Merkmal zutreffend zu definieren, anderseits damit begründet, dass mit Überlegung ausgeführte Tötungen nicht notwendigerweise höchststrafwürdig seien.201 Anstelle der auf den Intellekt abstellenden Überlegung ließen sich die neu eingeführten Mordmerkmale auf den gemeinsamen Nenner der besonders verwerflichen Gesinnung zurückführen.202 Damit ist die Berufung auf die Sittlichkeit als Maßstab verbunden. Das Unterscheidungskriterium zwischen Mord und Totschlag war nunmehr die besonders verwerfliche Tötung.203 Hinzu dürfte jedoch gekommen sein, dass sich einzeln umrissenen Mordmerkmalen besser mit zwei tragenden Grundprinzipien des nationalsozialistischen Strafrechts in Einklang bringen ließen: der Tätertypenlehre sowie dem Analogiegebot des § 2 StGB.

200

BGBl. I, S. 645. Vgl. etwa Freisler, DJ 1941, 929 (933); Gleispach, Totschlag (1936), S. 371 (372); Schmidt-Leichner, DR 1941, 2145 (2147). 202 Freisler, DJ 1941, 929 (936); Gleispach, Totschlag (1936), S. 371 (373); Schwarz, ZAkDR 1941, 308. 203 So ausdrücklich RGSt 77, 41 (Leitsatz sowie S. 43) sowie 286 (288 f.); Schwarz, StGB § 211 Anm. 1; ders., ZAkDR 1941, 308; Schönke, StGB vor § 211 S. 434. 201

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

II. Die nationalsozialistische Tätertypenlehre 1. Darstellung Die Lehre vom Tätertyp geht auf Dahm204 und E. Wolf 205 zurück. Als Kernpunkt dieser Lehre wird die Anknüpfung der Strafe an die Persönlichkeit des Täters statt an die Tat als solche gesehen.206 So unterscheidet etwa E. Wolf drei verschiedene Tätertypen – Rechtsperson, Rechtssubjekt, Rechtsgenosse –, die sich nach dem Grade ihres Rechtsgesinnungsverfalls bestimmten.207 Während die Rechtsperson allenfalls Übertretungen begehe, mache sich das Rechtssubjekt gelegentlich auch eines Vergehens schuldig; wahre Verbrechen würden jedoch ausschließlich vom Rechtsgenossen begangen. Entsprechend müsse daher das Ziel der Bestrafung die Verminderung der Rechtspersonalität des Täters sein.208 Er kritisiert ausdrücklich, dass das damals geltende Recht zu stark auf die Tat statt auf den Täter abstelle. So gebe es zwar „einen Betrug, aber keinen Betrüger, einen Mord, aber keinen Mörder [. . .].“209 Die Lehre vom Tätertyp wird als Leitbild und Richtlinie für die Auslegung des Gesetzes gesehen.210 Sie geht von der Existenz typisierter Täterbilder aus. Danach soll bestimmten Straftatbeständen die Vorstellung eines bestimmten Tätertypus zu Grunde liegen, die der Gesetzgeber durch seine Tatbestandsfassung begrifflich zu umschreiben versucht habe.211 Vielfach wird dabei auch die Volksanschauung zum Maßstab gemacht.212 Selbstverständlich handelte es sich bei der Volksanschauung nicht um eine empirisch ermittelte oder auch nur ermittelbare Meinung; vielmehr wurde die Volksanschauung mit der nationalsozialistischen Weltanschauung gleichgesetzt. 204

Dahm, Der Tätertyp im Strafrecht (1940). E. Wolf, Vom Wesen des Täters (1932). 206 Mezger, ZStW 60 (1941/1942), 353 (355). 207 E. Wolf, Vom Wesen des Täters (1932), S. 17 f. 208 E. Wolf, Vom Wesen des Täters (1932), S. 33. 209 E. Wolf, Vom Wesen des Täters (1932), S. 20. 210 Dahm, Der Tätertyp im Strafrecht (1940), S. 41. 211 Dahm, ZStW 59 (1939), 133 (143); E. Wolf, Vom Wesen des Täters (1932), S. 25 f. 212 Vgl. etwa Dahm, ZStW 59 (1939), 133 (143): „[. . .] die im Volksbewusstsein lebendige Vorstellung, das Bild des Mörders, Brandstifters, Kupplers, Betrügers, [. . .]“. Ähnlich Gleispach, Totschlag (1936), S. 371 (374): „Denn der Mörder und [. . .] der Totschläger sind in der Vorstellungswelt lebendige Typen.“ Auch Freisler, DJ 1941, 929 (936) stellt darauf ab, dass „im Bewusstsein des Volkes [. . .] die Heimlichkeit sich auf den Mörder als dessen Kennzeichen konkretisiert [. . .]“ habe. 205

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Die Tätertypenlehre erweist sich somit auch als ein Hilfsmittel zur Abkehr von überwiegend deskriptiv bestimmbaren zu normativen Tatbeständen.213 2. Funktionen der Tätertypenlehre a) Ausweitungsfunktion Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten gab es eine allgemeine Tendenz zur Verschärfung des Strafrechts. Exemplarisch wird dies an der Tatsache, dass die Zahl der mit dem Tode bedrohten Straftatbestände auf zuletzt 46 erhöht wurde.214 Nicht nur durch Änderungen des StGB, sondern auch durch zahlreiche Verordnungen wurden neue Straftatbestände geschaffen oder bestehende Tatbestände verschärft. Dabei orientierte sich bereits die sprachliche Fassung der Verordnungsbezeichnungen sowie der einzelnen Tatbestände an vermeintlichen Tätertypen. Bereits das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ vom 24.11.1933215 ermöglichte in dem neu geschaffenen § 20a StGB für „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher“ die Verhängung schärferer Strafen. Durch § 1 des „Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 04.07.1941“216 wurde sowohl für den „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher“, als auch für den „Sittlichkeitsverbrecher“, der eine Straftat nach §§ 176 bis 178 StGB begangen hatte, im neu gefassten § 1 StGB die Todesstrafe als Rechtsfolge eingeführt, „wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordern.“ Auf den Tätertyp des „Gewaltverbrechers“ stellte die „Verordnung gegen Gewaltverbrecher“ vom 05.12.1939217 ab; § 1 dieser Verordnung sah die Todesstrafe als Strafschärfung für verschiedene Gewaltdelikte vor, wenn die Tat mit einer Waffe oder einem gefährlichen Werkzeug begangen worden war. Daneben sah etwa die „Verordnung gegen Volksschädlinge“ vom 05.09.1939218 neue mit dem Tode bedrohte Straftatbestände sowie Strafschärfungen für bestehende Tatbestände vor. Auch für den Tätertyp des „jugendlichen Schwerverbrechers“ sah § 1 der „Verordnung zum Schutz 213

Müssig, Mord und Totschlag (2005), S. 88. Ostendorf, Dokumentation des NS-Strafrechts (2000), S. 17. Darüber hinaus sind viele Fälle „verfahrensloser Exekutionen“ bekannt, die als „Korrektur“ angeblich zu milder Urteile durchgeführt wurden (dazu ausführlich Müller, Furchtbare Juristen, S. 179 ff.; Werle, Justiz-Strafrecht (1989), S. 577). 215 RGBl. I, S. 995. 216 RGBl. I, S. 549. 217 RGBl. I, S. 2378. 218 RGBl. I, S. 1679. 214

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gegen jugendliche Schwerverbrecher“ vom 04.10.1939219 unter Umständen die Aburteilung jugendlicher Straftäter nach Erwachsenenstrafrecht vor und ermöglichte damit insbesondere die Verhängung der Todesstrafe gegen Minderjährige. Die Vielzahl der wertausfüllungsbedürftigen Begriffe dieser Verordnungen führte zu einer gelockerten Bindung des Richters an das Gesetz.220 Eine wesentliche Aufgabe der Tätertypenlehre wurde daher in der Ausweitung der Strafbarkeit, namentlich durch analoge Anwendung von Strafnormen gesehen.221 b) Die Ausweitungsfunktion des § 2 a. F. StGB Die Ausweitungsfunktion der Tätertypenlehre kann nicht isoliert von einer gravierenden Änderung des Allgemeinen Teils des StGB durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Strafgesetzbuches vom 28.06.1935222 betrachtet werden. Durch dieses Gesetz wurde das Verbot der strafbegründenden Analogie, wie es dem Grundsatz nulla poena sine lege entspricht, abgelöst durch ein Gebot zur strafbegründenden Analogie.223 Diese zentrale Änderung des materiellen Strafrechts wurde durch Änderungen strafprozessualer Vorschriften flankiert.224 In dem neu eingefügten § 170a StPO wurde die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren angewiesen, vom Analogiegebot des § 2 StGB Gebrauch zu machen.225 Eine entsprechende Vorschrift sah § 267a StPO für das Gericht in der Hauptverhandlung vor.226 219

RGBl. I, S. 2000. Heine, Tötung aus „niederen Beweggründen“ (1988), S. 26. 221 Dahm, Der Tätertyp im Strafrecht (1940), S. 49. 222 RGBl. I, S. 839. 223 § 2 StGB lautete fortan: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft.“ 224 Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28.06.1935 (RGBl. I, S. 844). 225 § 170a StPO lautete: „Ist eine Tat, die nach gesundem Volksempfinden Strafe verdient, im Gesetz nicht für strafbar erklärt, so hat die Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob auf die Tat der Grundgedanke eines Strafgesetzes zutrifft und ob durch entsprechende Anwendung dieses Strafgesetzes der Gerechtigkeit zum Siege verholfen werden kann (§ 2 des Strafgesetzbuches).“ 226 § 267a StPO lautete: „Ergibt die Hauptverhandlung, daß der Angeklagte eine Tat begangen hat, die nach gesundem Volksempfinden Strafe verdient, die aber im Gesetz nicht für strafbar erklärt ist, so hat das Gericht zu prüfen, ob auf die Tat 220

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Auch wenn der Wortlaut des neu gefassten § 2 StGB nicht allein ein Strafbedürfnis nach gesundem Volksempfinden ausreichen lässt, sondern vielmehr kumulativ auch ein Strafbedürfnis nach dem Grundgedanken einer Strafnorm erfordert, wurde die Norm entgegen ihrem Wortlaut teilweise so ausgelegt, als habe das gesunde Volksempfinden allein eine strafbarkeitsbegründende Wirkung.227 Diese weite Auslegung des § 2 StGB wurde damit begründet, dass es kein strafwürdiges Unrecht gebe, welches sich nicht im Grundgedanken einer deutschen Strafnorm widerspiegele.228 c) Restriktionsfunktion aa) Literatur Heute wird die historische Funktion der Tätertypenlehre darüber hinaus teilweise auch als beschränkendes Korrektiv für den Fall gesehen, dass der Täter zwar ein Tatbestandsmerkmal des Mordes erfüllt, jedoch nicht dem Bild des Mörders entspricht.229 Diese Auffassung war in der Literatur der damaligen Zeit weit verbreitet. So entscheidet nach Auffassung von Freisler230 und Gleispach231 nicht allein die Erfüllung eines Mordmerkmals, sondern vielmehr stets eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit darüber, ob jemand Mörder oder Totschläger sei. Die Restriktionsfunktion einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit unterscheidet sich – wie oben bereits ausgeführt – dabei nicht wesentlich von einer Restriktion anhand der Tätertypenlehre. Auch Dahm sieht in der Tätertypenlehre ein Mittel zur Begrenzung des Tatbestandes für Fälle, in denen der Täter zwar ein Mordmerkmal verwirklicht hat, „aber aus verständlichen Beweggründen handelt.“232 Insgesamt erder Grundgedanke eines Strafgesetzes zutrifft und ob durch entsprechende Anwendung dieses Strafgesetzes der Gerechtigkeit zum Siege verholfen werden kann (§ 2 des Strafgesetzbuches).§ 265 Abs. 1 gilt entsprechend.“ 227 So Freisler, DStrR 1941, 65 (70). A. A. Klee, DStrR 1941, S. 71 in einer Erwiderung auf Freisler. 228 So die in der Wortwahl scharfe Entgegnung Freislers auf Klee in DStrR 1941, 77 (82). 229 Frommel, JZ 1980, 559 (560); Rüping, JZ 1979, S. 617 (618); Lange, GS Schröder (1978) S. 217 (S. 217 f.); Heine, FS Brauneck (1999) S. 315 (S. 317); Linka, Mord und Totschlag (2008), S. 186. 230 Freisler, DJ 1941, 929 (933 f.). 231 Gleispach, Totschlag (1936), S. 371 (373). Diese Stellungnahme bezieht sich allerdings auf die nicht Gesetz gewordene Fassung der Amtlichen Strafrechtskommission (abgedruckt a. a. O. S. 385), in der die Mordmerkmale als Regelbeispiele einer besonders verwerflichen Tötung formuliert waren.

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kennt er in ihr eine Art Auslegungsmethode, mit der aus dem Gesetz „das Typische herausgefunden und das Untypische ausgeschieden“ werden solle.233 Die Notwendigkeit der Restriktion sieht er in vielen Bereichen des Strafrechts gegeben. Gerade im Kriegsstrafrecht käme ihr die Funktion zu, einer uferlosen Ausdehnung des Gesetzes entgegenzuwirken.234 Für den Bereich der Tötungsdelikte hält er etwa den Sterbehilfe leistenden Arzt nicht für einen Mörder, weil die Tat nicht der Gesinnung eines Mörders entspreche.235 Ferner finden sich bei Dahm auch Ansätze einer Restriktion bei Verwirklichung subjektiver Unrechtsausschließungsgründe, in denen er „Gegentypen“ erblickt.236 Als Beispiel nennt er den in Heilungsabsicht handelnden Arzt. Auch beim Sittlichkeitsverbrecher komme der Tätertypenlehre im Hinblick auf nicht schwerwiegendes Unrecht eine Restriktionsfunktion zu.237 Ebenso wie Dahm betont Gleispach,238 dass die Tätertypenlehre insbesondere unter der Geltung des Kriegsstrafrechts eine Notwendigkeit darstelle, um den Tätern die Höchststrafe zu ersparen, die nach nationalsozialistischer Anschauung nicht höchststrafwürdig waren. Selbst Mittelbach, der der Tätertypenlehre grundsätzlich kritisch gegenüber steht, hat sowohl für den Begriff des Gewaltverbrechers,239 als auch für den Bereich der Volksschädlings-Verordnung240 die Notwendigkeit der Restriktionsfunktion der Tätertypenlehre hervorgehoben. Er weist darauf hin, dass nach der Rechtsprechung etwa „Verdienste für Staat und in Krieg und Frieden [. . .] wesentliche Wertungsfaktoren“ seien, die zugunsten des Täters gegen seine Einordnung in einen bestimmten Tätertyp sprächen.241 Dies kann dahingehend gedeutet werden, dass insbesondere solche Taten straflos sein sollten, die für das Regime nützlich waren.242 Aber nicht nur der Tätertypenlehre, sondern auch der Norm des § 2 StGB, die ihrem Wortlaut nach allein eine strafausweitende Funktion haben konnte, kam eine Restriktionsfunktion zu. So will Freisler im Umkehrschluss zu § 2 StGB eine an sich strafbare Handlung für straflos halten, 232

Dahm, DR 1942, 401 (404). Dahm, Der Tätertyp im Strafrecht (1940), S. 47. 234 Dahm, Der Tätertyp im Strafrecht (1940), S. 39 u. 42. 235 Dahm, Der Tätertyp im Strafrecht (1940), S. 52. 236 Dahm, Der Tätertyp im Strafrecht (1940), S. 53. 237 Dahm, DR 1942, 401 (404). 238 Gleispach, DStrR 1941, 1 (3). Er betont dabei, dass „es ein verhängnisvoller Irrtum [wäre], zu glauben, daß heute nur Ansichten contra reum vertretbar wären.“ Ähnlich Schaffstein, DStrR 1941, 33 (38). 239 Mittelbach, DR 1941, 235 (243). 240 Mittelbach, ZAkDR 1943, 110 (113) sowie DR 1941, 235 (239). 241 Mittelbach, ZAkDR 1943, 110 (113), dort insbesondere Fn. 75. 242 Hirsch, ZStW 115 (2003), 638 (651 f.); Frommel, JZ 1980, 559 (536). 233

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wenn dies dem gesunden Volksempfinden entspreche.243 Es ist nicht überraschend, dass für Freisler dabei das gesunde Volksempfinden mit nationalsozialistischer Überzeugung identisch ist.244 bb) Rechtsprechung Auch einige Senate des Reichsgerichts haben die Restriktionsfunktion der Tätertypenlehre für bestimmte Delikte anerkannt. Auch hier lässt sie sich nicht immer von einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit unterscheiden. Nach Auffassung des 1. Senats sei etwa § 20a StGB „nur auf eine besondere Art von Tätern, nämlich für den gefährlichen Gewohnheitsverbrecher“ anwendbar.245 Zwar ist nach der Ansicht des 2. Senats die Zugehörigkeit zu einem Tätertyp nicht als Tatbestandsmerkmal anzusehen; dennoch setze eine Verurteilung nach § 2 der VolksschädlingsVO voraus, dass der Täter dem Tätertyp des Volksschädlings zuzuordnen sei.246 Auch für die Begriffe des „Gewohnheitsverbrechers“ sowie des „Sittlichkeitsverbrechers“ sei die Verwirklichung der entsprechenden Tatbestandsmerkmale nicht ausreichend; vielmehr komme es darauf an, ob sich aus der Tat oder aus der Persönlichkeit des Täters ergebe, dass er ein „Gewaltverbrecher“ sei.247 Es untermauert seine Auffassung mit dem fiktiven Beispiel, in dem die Begleitumstände einer Tat, aber auch etwa die militärischen Verdienste des Täters eine andere Bewertung der Tat zulassen sollen. Andernfalls sei ein „überraschend von der Front auf Urlaub heimkommender, nicht bestrafter und als Soldat 243 Freisler, DStrR 1941, 77 (82). Die Begründung als „Umkehrschluss aus § 2 StGB“ ist allerdings dem Aufsatz Klees DStrR 1941, S. 71 entlehnt. Freisler erblickt bereits in § 2 StGB weniger ein Analogiegebot, als vielmehr einen lediglich klarstellenden Hinweis des Gesetzgebers auf die Funktion des „gesunden Volksempfindens“ als Rechtsquelle (Freisler, DStrR 1941, 65 (69)). Für ihn steht daher die Frage nach der Strafwürdigkeit einer Tat nach gesundem Volksempfinden an erster Stelle einer Strafbarkeitsprüfung. Daher könne „[. . .] das, was das gesunde Volksempfinden nicht als strafwürdig ansieht, auch nicht strafbar sein [. . .]“ (DStrR 1941, 77 (80)). Letztlich begründet er die Straflosigkeit der ihr schwerstbehindertes Kind tötenden Mutter, deren Beispielsfall er zur Grundlage seiner Ausführungen in DStrR 1941, 65 genommen hatte, damit, dass es sich bei dem behinderten Kind nicht um einen Menschen im Sinne der Tötungsdelikte gehandelt habe (DStrR 1941, 77 (83). 244 Freisler, DStrR 1941, 77 (78). 245 RGSt 74, 65 (69). 246 RG, DR 1940, 1420 (1421). Vgl. zur Restriktionsfunktion der Tätertypenlehre bei der VolksschädlingsVO Werle, Justiz-Strafrecht (1989), S. 244 f. 247 RGSt 75, 292 (295).

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mehrfach ausgezeichneter Ehemann“, der den beim Ehebruch ertappten Mann zu töten versucht, „ohne weiteres mit dem Morde gleichzustellen und mit dem Tode zu bestrafen [. . .]. Das will das Gesetz natürlich nicht.“248 Nach Auffassung des 3. Senats stelle die Zugehörigkeit des Angeklagten zum Tätertyp des Zuhälters sogar ein Tatbestandsmerkmal des § 181a StGB und damit eine Voraussetzung für eine Verurteilung dar.249 Auch sei bei einer Verurteilung nach der GewaltverbrecherVO zu beachten, „daß die VO [. . .] nur auf „Gewaltverbrecher“ Anwendung finde. Der 5. Senat hielt es für eine Verurteilung nach der GewaltverbrecherVO für erforderlich, dass der Täter die Eigenschaft eines Gewaltverbrechers besitze.250 Dagegen lehnte er es ab, für eine Verurteilung nach § 175a Nr. 3 StGB (Besonders schwerer Fall der männlichen Unzucht) einen bestimmten Tätertyp zur Voraussetzung zu machen; 251 allerdings fiel eine solche Straftat nicht unter den Begriff des Sittlichkeitsverbrechers im Sinne des § 1 StGB, sodass eine einschränkende Auslegung nicht schon wegen einer uferlosen Weite des Tatbestandes erforderlich war. Dagegen ist die Rechtsprechung des 4. Senats in der Frage des Tätertyps uneinheitlich. So führt er einerseits aus, dass der Täter einer äußerlich unter § 1 der GewaltverbrecherVO fallenden Tat nur dann nach dieser Vorschrift zu bestrafen sei, wenn er seiner Persönlichkeit und seinem Wesen nach ein „Gewaltverbrecher“ sei.252 Jedoch hielt er es im Gegensatz zur Rechtsprechung des 2. Senats253 selbst bei Straftaten nach der VolksschädlingsVO nicht für erforderlich, dass der Täter dem Tätertyp des Volksschädlings entspreche.254 Auch für die Frage der Todesstrafe für einen „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher“ nach § 1 StGB komme es nicht auf einen besonderen Tätertyp an.255 Auch für eine Verurteilung nach § 211 StGB hat der 4. Senat es nicht für erforderlich gehalten, dass der Täter dem Tätertyp des Mörders entspreche;256 gleichwohl sei eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit erforderlich. 248

RGSt 75, 292 (295). RGSt 73, 183 (184). 250 RG, Urt. v. 23.5.1944; 5 C 81/44 (5 StS 32/44), abgedruckt in Nachschlagewerk des RG Bd. II § 211 Nr. 42. 251 RG, DR 1942, 787. 252 RG, Urt. v. 04.04.1941 – C 13/41 (4 StS 4/41); zitiert nach der Entscheidung des 2. Senats in RGSt 75, 292 (293), die einen ausführlichen Überblick über die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Begriff des Tätertyps gibt. 253 RG, DR 1941, 1420 (1421). 254 RGSt 75, 202 (204). 255 RG, DR 1942, 1321 (1322). 256 RGSt 76, 297 (299). 249

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Das zuletzt genannte Urteil des 4. Senats ist auch in anderer Hinsicht aufschlussreich im Hinblick auf die zu dieser Zeit vertretenen Rechtsauffassungen. Denn dem Urteil lässt sich die Rechtsauffassung des Oberreichsanwaltes entnehmen, der gegen das erstinstanzliche Todesurteil wegen Mordes das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde257 eingelegt hatte. Dieses Rechtsmittel ermöglichte es, Urteile innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft einer erneuten Überprüfung durch das Reichsgericht zukommen zu lassen, wenn ein Urteil „wegen eines Fehlers bei der Anwendung des Rechts auf die festgestellten Tatsachen ungerecht“ erschien.258 In dem vom Reichsgericht zu entscheidenden Fall sah der Oberreichsanwalt diese Voraussetzungen zugunsten des Täters als erfüllt an, weil Vorgeschichte, Beweggrund und Hergang der Tat den Angeklagten nicht als Mörder im Sinne des § 211 StGB kennzeichneten.259 Insbesondere bemängelte der Oberreichsanwalt, dass das Gericht das Vorliegen eines Mordmerkmals für ausreichend erachtet habe, ohne eine Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters vorgenommen zu haben. Er nennt auch ausdrücklich die für den Angeklagten sprechenden Umstände, nämlich neben dem Fehlen von Vorstrafen auch sein Einsatz an der Ostfront, die Ernennung zum Obergefreiten sowie die Auszeichnung mit dem Infanteriesturmzeichen. Folglich sollen nach Auffassung des Oberreichsanwaltes die militärischen Verdienste des Angeklagten geeignet sein, die Eifersuchtstötung seiner Frau in anderem Licht erscheinen zu lassen. Das Reichsgericht sprach sich in seiner Entscheidung zwar gegen eine nur indizielle Bedeutung der Mordmerkmale aus, in dem es grundsätzlich das Vorliegen auch nur eines Mordmerkmales für eine Verurteilung wegen Mordes ausreichen ließ. Gleichzeitig stellte es jedoch klar, dass sich das Vorliegen eines Mordmerkmales nicht allein aus objektiven Umständen er257 Dieses Rechtsmittel wurde durch § 34 der „Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften“ (VO v. 21.02.1940, RGBl. I, S. 405) eingeführt. Ausführlich zur Nichtigkeitsbeschwerde Schoetensack, Gerichtssaal 1940, 258 ff. 258 Damit stellt dieses Rechtsmittel ein Paradebeispiel für rechtsstaatswidrige nationalsozialistische Gesetzgebung im Bereich des Verfahrensrechts dar. Denn es ermöglichte dem Oberreichsanwalt, politisch unliebsame, rechtskräftige Urteile neu entscheiden zu lassen, ohne an die üblichen Rechtsmittelfristen gebunden zu sein. Fränkel hat in DR 1941, 289 darauf hingewiesen, dass in ca. ein Drittel der bis Ende Juli 1941 ergangenen Entscheidungen des Reichgerichts Verurteilungen aufgehoben wurden, weil etwa sog. Straffreiheitsgesetze (vgl. etwa das Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 23.04.1936 (RGBl. I, S. 378) zu Lasten des Täters nicht beachtet worden waren. So wurde z. B. in § 1 dieses Gesetzes Tätern Straffreiheit gewährt, die durch „Übereifer im Kampf für den nationalsozialistischen Gedanken“ Straftaten begangen hatten. 259 Vgl. die Darstellung der Rechtsansicht des Oberreichsanwaltes in RGSt 76, 297 (298 f.).

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gebe, sondern dass stets eine Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters erforderlich sei.260 Damit stellte das Reichsgericht die Weichen für eine Subjektivierung der Mordmerkmale, wie sie später der BGH weiterentwickelt hat.

III. Der Einfluss der Tätertypenlehre auf die Fassung des § 211 StGB261 1. Der unbestrittene Einfluss auf die sprachliche Fassung Der deutlichste und insofern weitgehend unbestrittene Einfluss der Lehre vom Tätertyp ist in der sprachlichen Fassung des § 211 Abs. 1 StGB zu erkennen.262 Es wird nicht der Täter wegen der Tat, sondern der Täter „als Mörder an sich“ bestraft. Plakativ heißt es bei Freisler:263 „Der Mörder ist von grundsätzlich anderer Wesensart als derjenige, der einen Totschlag begeht. Das hat der Gesetzgeber dadurch besonders unterstrichen, dass er nicht vom Mord, sondern vom Mörder spricht; und dass er auch vom „Totschläger“ redet und nicht vom „Totschlag“ [. . .]“

Damit ist auch im Bereich der Tötungsdelikte schon auf sprachlicher Ebene die Abkehr von einem Tatstrafrecht hin zu einem Täterstrafrecht vollzogen.264 Die Tötungsdelikte stehen damit in einer Reihe mit den von Tätertypen dominierten Verordnungen gegen „Gewohnheitsverbrecher“, „jugendliche Schwerverbrecher“ und „Volksschädlinge“. 2. Einfluss auf die Mordmerkmale? Allerdings ist umstritten, ob sich der Einfluss der Tätertypenlehre auf die Formulierung des § 211 Abs. 1 StGB reduzieren lässt oder ob vielmehr auch die Mordmerkmale in § 211 Abs. 2 StGB davon geprägt sind. Der 260

RGSt 76, 297 (299). Dazu ausführlich auch Frommel, JZ 1980, 559 ff. 262 BGHSt 36, 231 (235) spricht insofern ausdrücklich von einer „Tätertypenbezeichnung“. Auch das BVerfG hat in BVerfGE 45, 187 (269) diesen Einfluss auf die sprachliche Fassung bejaht. Ebenso MüKo-Schneider, § 211 Rn. 138; Fischer, § 211 Rn. 1; Jescheck, JZ 1957, 386; Woesner, NJW 1980, 1136; NK-Neumann, vor § 211 Rn. 137; Rüping, JZ 1979, S. 617 (618); Frommel, StV 1982, 533; Simson/ Geerds, Straftaten gegen die Person, S. 16. A. A. etwa Schönke/Schröder-Eser, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 6. 263 Freisler, DJ 1941, 929 (934). Ähnlich Schmidt-Leichner, DR 1941, 2145 (2148): „Mörder wird man nicht, Mörder ist man.“ 264 Schmidt-Leichner, DR 1941, 2145 (2148). 261

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BGH265 hat diese Frage nicht ausdrücklich unter dem Aspekt der Tätertypenlehre, sondern wiederum unter der Frage nach dem abschließenden oder nicht-abschließenden Charakter der Mordmerkmale behandelt. Für die Schaffung eines Bildes vom Mörder sind mehrere einzelne Mordmerkmale, die verschiedene Tötungsmotive und Begehungsweisen anschaulich beschreiben, besser geeignet als ein einziges Mordmerkmal. Für Freisler266 spiegeln die Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB daher die „Mördergestalten“ wider, die in der Sprache des Volkes verankert seien. Gleichzeitig betont er die Notwendigkeit solcher Bilder für ein Strafrecht, das auf die Persönlichkeit des Täters abstelle. Es wäre für das heute geltende Recht selbstverständlich ein herber legitimatorischer Schlag, wenn man in einer so zentralen Norm wie der des Mordes einen Einfluss des Nationalsozialismus erblicken würde. Deswegen ist es nicht verwunderlich, wenn dies im Hinblick auf die Mordmerkmale ganz überwiegend abgelehnt wird.267 Dabei soll offenbar teilweise bereits der Hinweis auf den schweizer Ursprung der Mordmerkmale implizit die Rechtsstaatsmäßigkeit der Norm beweisen.268 Bereits in einem Urteil, das am ersten Tag der Aufnahme seiner Spruchtätigkeit (21.11.1950) erging, hatte der BGH unter Berufung auf eine „allgemeine anerkannte“ Auffassung in Literatur und Rechtsprechung keinen Zweifel daran, dass 211 StGB geltendes Recht sei.269 Eine inhaltliche Erörterung der Entstehungsgeschichte des § 211 StGB nahm der BGH allerdings erst später vor.270 Dabei verneinte er einen über § 211 Abs. 1 StGB hinausgehenden Einfluss der Tätertypenlehre auf die Mordmerkmale. Auch betont er den abschließenden Charakter der Mordmerkmale und hält infolgedessen eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit für entbehrlich. Er stützt sich dabei im Wesentlichen darauf, dass sich die dem entgegenstehenden 265

BGHSt 9, 385 ff. Freisler, DJ 1941, 929 (935). 267 Schlechtriem, Heimtücke (1986), S. 14; Lange, GS Schröder (1978) S. 217, obwohl er an gleicher Stelle zugibt, dass der Norm des § 211 StGB „der Geruch ihrer Herkunft“ anhafte. Eser, DJT-Gutachten (1980) S. 31 f.; MüKo-Schneider, § 211 Rn. 5; so bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit KG, JR 1947, 27; Schönke, StGB (4. A.) § 211 S. 450; Maurach, StrafR BT S. 18 f.; Mezger, StrafR II, S. 16; Hülle, NJW 1951, 295 (296). 268 So zutreffend Werle, Justiz-Strafrecht (1989), S. 337 sowie S. 346 f. Entsprechende Hinweise finden sich etwa bei BGHSt 9, 385 (387); Eser, DJT-Gutachten (1980), S. 31 f.; MüKo-Schneider, § 211 Rn. 5; Quentin, NStZ 2005, 128 (131, dort Fn. 12); Krüger, Begriff der Heimtücke (1960), S. 4 ff.; Lange, GS Schröder (1978) S. 217; Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 23. 269 BGH, NJW 1951, 120. 270 BGHSt 9, 385 (387 ff.). 266

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Ausführungen Gleispachs271 auf die nicht Gesetz gewordene Fassung der Mordmerkmale als Regelbeispiele beziehen. Die entsprechenden Ausführungen Freislers,272 wonach das in Kraft getretene Recht keine inhaltliche Änderung des Entwurfs von 1936 darstelle, hält der BGH für „ersichtlich unrichtig“ und daher unbeachtlich.273 Teilweise wird jedoch der Einfluss der Tätertypenlehre auf die Tatbestandsmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB bejaht und für problematisch gehalten.274 Die Vertreter dieser Auffassung können sich auf die Äußerungen verschiedener Autoren aus der Zeit des Nationalsozialismus berufen, die die Verankerung der Tätertypenlehre in § 211 StGB hervorheben.275 So erkennt Freisler276 den Einfluss der Tätertypenlehre nicht nur in der Bezeichnung des Mörders, sondern vor allem in der subjektiven Ausrichtung der Mordmerkmale. Bereits vor Einführung der neugefassten Tötungsdelikte hatte er darauf hingewiesen, dass vielen der neuen Straftatbestimmungen ein Denken in Kategorien von Tätertypen anstelle einer reinen Beschreibung des Delikts durch Tatbestandsmerkmale zu Grunde liege, an dem der Täter zu messen sei.277 In der Literatur des Dritten Reiches bestand weitgehende Einigkeit darüber, dass die Mordmerkmale keineswegs eine abschließende Legaldefinition des Mordes darstellten, sondern dass stets eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit über die Abgrenzung von Mord und Totschlag zu entscheiden habe.278 Nach dem Krieg hat die Militärregierung der Britischen Zone durch das Gesetz Nr. 1 Art. IV Abs. 8 die Abschaffung der Todesstrafe bestimmt mit Ausnahme von Taten, die durch ein vor dem 30.01.1933 geltendes Gesetz 271

Gleispach, Totschlag (1936), S. 371 (373). Freisler, DJ 1941, 929 (933 f.). 273 BGHSt 9, 385 (388). 274 Frommel, JZ 1980, 559 (563); Thomas, Geschichte des Mordparagraphen, S. 261 ff. sowie S. 265; Müssig, Mord und Totschlag (2005), S. 108; Werle, JustizStrafrecht (1989), S. 345 f.; Heine, Tötung aus „niederen Beweggründen“ (1988), S. 28 f.; ders., GA 2000, 305 (306 f.); Geilen, JR 1980, 309 (311); Wolf, JuS 1995, 189 (192 f.); ders., FS Schreiber (2003) S. 519 (S. 531); Ostendorf, Dokumentation des NS-Strafrechts (2000), S. 22 f.; Linka, Mord und Totschlag (2008), S. 192 ff. 275 Vgl. etwa Freisler, DJ 1941, 929 (935); Dahm, DR 1942, 401 (405). Schaffstein, DStrR 1942, 33 (40) führt aus: „Wer an den Beratungen der amtlichen Strafrechtskommission teilgenommen hat, weiß, daß gerade dies die Absicht derjenigen Kommissionsmitglieder war, die damals die Aufnahme der Tätertypenbezeichnung in den Gesetzeswortlaut durchgesetzt haben.“ 276 Freisler, DJ 1941, 929 (935). 277 Freisler, DJ 1940, 41 (54). 278 Ausführlich Freisler, DJ 1941, 929 (935); Dahm, DR 1942, 401 (405); Schwarz, StGB § 211 Anm. 1; Schönke, StGB § 211 S. 436 f. 272

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mit der Todesstrafe bedroht waren. Da der Mord auch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten mit dem Tode bedroht war, jedoch erst im Jahre 1941 seine weite Fassung erhalten hatte, sah sich die Kontrollkommission für Deutschland (Britisches Element) durch Schreiben vom 08.07.1947279 zu der Klarstellung gezwungen, dass die Todesstrafe nur dann verhängt werden könne, wenn der Angeklagte zusätzlich das auch vor dem 30.01.1933 maßgebliche Mordmerkmal der Überlegung erfüllt habe.280 Die Britische Militärregierung dürfte es also durchaus für möglich gehalten haben, dass die im Jahr 1941 Gesetz gewordene Fassung des § 211 StGB nationalsozialistisches Unrecht enthielt. 3. Typenkorrektur als Konsequenz? Wenn man den Ausgangspunkt teilt, dass der historische Gesetzgeber des § 211 StGB von der Vorstellung eines bestimmten Tätertypen geleitet wurde, so liegt es nahe, die mit dem zu weit geratenen Tatbestand gewonnenen Auslegungsergebnisse einer Korrektur zu unterziehen, wenn ansonsten ein nicht höchststrafwürdiger Fall der Vorschrift zu unterfallen droht. Dabei ist die sogenannte Typenkorrektur nur eine von mehreren Möglichkeiten, den Mordtatbestand einzuschränken. Man kann grundsätzlich aus zwei unterschiedlichen Gründen Befürworter einer Typenkorrektur sein. Zum einen kann man der Auffassung sein, dass das Konzept des historischen Gesetzgebers in einer nicht abschließenden Aufzählung von Mordmerkmalen bestand, die im Randbereich notwendiger Weise der Präzisierung durch eine Typenkorrektur bedarf. Auch wenn man selbstverständlich nicht an rechtstaatswidrige nationalsozialistische Wertungen gebunden sei, müsse man jedenfalls an diesem Aspekt auch beim geltenden Recht festhalten, wenn man nicht hinter das Restriktionsniveau des historischen Gesetzgebers zurückfallen wolle. In diesem Fall stellt sich die Typenkorrektur lediglich als ein Festhalten am Konzept des historischen Gesetzgebers dar, wenn auch selbstverständlich unter Aufgabe jeder nationalsozialistischen Wertung.281 Gleichwohl erscheint es polemisch, wenn man diese Begründung der Typenkorrektur mit dem Argument ablehnt, dass sie die Auslegungstraditionen der Nationalsozialisten fortsetze.282 Viel279

Abgedruckt in NdsRPfl 1947, S. 36 f. So bereits vorher etwa OLG Kiel, HESt 1, 90 (91); OLG Braunschweig, NJW 1947/1948, 272. 281 In diese Richtung geht die Begründung der Typenkorrektur etwa bei Jescheck, JZ 1957, 386 (387), Schönke/Schröder-Eser, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 6, Lange, GS Schröder (1978) S. 217 (S. 217 f.) sowie Geilen, JR 1980, 309 (311). 282 So jedoch Stock, SJZ 1947, 529. 280

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

mehr sucht sie die nationalsozialistische Auslegung gerade dadurch zu verhindern, dass sie die Mordmerkmale auf den gemeinsamen Nenner der besonderen Verwerflichkeit zurückführt. Zum anderen kann man der Überzeugung sein, dass die Mordmerkmale teilweise einen nationalsozialistischen Gehalt aufweisen, der sich in der Verwendung ethisierter und daher begrifflich unscharfer Tatbestandsmerkmale manifestiert hat.283 Die Funktion der Mordmerkmale bestand danach nicht in einer präzisen Umschreibung des Unrechtstatbestandes, sondern vielmehr in einer an Tätertypen orientierten Aufstellung plastischer Leitbilder, die zwingend einer Restriktion bedürfen. Beide Begründungsansätze widersprechen sich nicht zwangsläufig und werden daher teilweise auch kumulativ herangezogen.284 Ein gradueller Unterschied scheint jedoch zwischen beiden Begründungsansätzen zu bestehen: während die erste Begründung lediglich eine „leicht rechtsstaatswidrige Tendenz“ in der relativen Unbestimmtheit der Mordmerkmale zu erkennen glaubt, die es gegebenenfalls zu korrigieren gilt, sieht die zweite Begründung einen erheblichen nationalsozialistischen Einfluss in Form der Tätertypenlehre auf die Fassung des § 211 StGB. Unabhängig von beiden Begründungsansätzen wird die Typenkorrektur auch ohne ausdrücklichen Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte des § 211 StGB gefordert.285 Im Ergebnis fordern die Vertreter der Typenkorrektur übereinstimmend eine Verwerflichkeitskontrolle der Tat.286 Auch wenn ein Mordmerkmal verwirklicht wurde, soll danach § 211 StGB zu verneinen sein, wenn auf Grund einer umfassenden Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit sowie der Tatumstände die Tat nicht als besonders verwerflich erscheint.287 Innerhalb dieses Begründungsansatzes ist umstritten, ob die besondere Verwerflichkeit stets zu prüfen ist oder nur ausnahmsweise zur Verneinung des Tatbestands heranzuziehen ist. Nach der positiven Typenkorrektur stellt die besondere Verwerflichkeit der Tat ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dar.288 Das hat zur Folge, dass die Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB lediglich indizielle Bedeutung haben. Demgegenüber soll nach der Lehre 283

Vgl. etwa die Begründung von Geilen, JR 1980, 309 (311). Vgl. etwa Geilen, a. a. O. 285 SK-Horn, § 211 Rn. 6; Saliger, ZStW 109 (1997), 302 (332). 286 Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 10; Geilen, JR 1980, 309 (310 f.); SKHorn, § 211 Rn. 6; Jescheck, JZ 1957, 386 (387); Saliger, ZStW 109 (1997), 302 (332); Lange, GS Schröder (1978) S. 217 (S. 218 ff.). 287 Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 10. 288 Lange, GS Schröder (1978) S. 217 (S. 229 ff.). 284

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von der negativen Typenkorrektur289 der Richter lediglich ausnahmsweise die Möglichkeit haben, Mord zu verneinen, wenn die Tat nicht besonders verwerflich sei. Auch das Reichsgericht hat eine Gesamtwürdigung des Täters verlangt, gleichzeitig jedoch einen Tätertyp des Mörders abgelehnt.290 Gleichwohl lässt sich nicht sagen, dass das Reichsgericht die Tätertypenlehre als solche ablehnte. Vielmehr hat es für die restriktive Auslegung bei anderen Delikten ausdrücklich auf den Tätertyp abgestellt.291 Da der BGH keinen Einfluss der Tätertypenlehre auf die Mordmerkmale erkennen kann und darüber hinaus die Mordmerkmale als in jeder Hinsicht abschließend ansieht, lehnt er eine Typenkorrektur ab.292 4. Stellungnahme a) Keine Intention des historischen Gesetzgebers, klare und fest umrissene Tatbestände zu schaffen Die historische Auslegung des BGH ist zu Recht als unhaltbar kritisiert worden.293 Schon die Annahme des BGH, dass es dem rechtspolitischen Anliegen des deutschen Gesetzgebers entsprochen habe, dem Richter für die Abgrenzung von Mord und Totschlag klare und fest umrissene Tatbestände an die Hand zu geben,294 findet in den Stellungnahmen der damaligen Zeit keine Grundlage.295 Die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung der Tötungsdelikte voneinander ergab sich vor 1941 aus der Besonderheit der Rechtsfolge. Die Bejahung des Mordtatbestandes bedeutete in aller Regel auch die Bejahung der Todeswürdigkeit des begangenen Unrechts. Diese Sonderstellung hatte der Mordtatbestand jedoch verloren, da der historische Gesetzgeber den Mord letztlich nur als eines von 46 Delikten mit dem Tode bedrohte.296 289 Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 10; Jescheck, JZ 1957, 386 (387); Saliger, ZStW 109 (1997), 302 (332). 290 RGSt 76, 297 (299). 291 Vgl. dazu oben S. 71 f. 292 BGHSt 9, 385 (389). 293 Frommel, JZ 1980, 559 (562); Jescheck, JZ 1957, 386 (387); Müssig, Mord und Totschlag (2005), S. 82; Werle, Justiz-Strafrecht (1989), S. 337 sowie S. 345; Linka, Mord und Totschlag (2008), S. 193 f. 294 BGHSt 9, 385 (389); 30, 105 (115). 295 Ebenso Müssig, Mord und Totschlag (2005), S. 82 sowie Krüger, Begriff der Heimtücke (1960), S. 8 f. 296 Ostendorf, Dokumentation des NS-Strafrechts (2000), S. 17.

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Vielmehr bestand in der damaligen Gesetzgebung eine allgemeine Tendenz, die Bestimmtheit von Rechtsnormen auf Kosten der Rechtsicherheit zugunsten einer vermeintlichen Einzelfallgerechtigkeit aufzuheben.297 Die Fassung der Mordmerkmale ließ daher Freiraum für erwünschte Einschränkungen, aber auch für Ausdehnungen.298 b) Kein abschließender Charakter der Mordmerkmale Auch die Behauptung, dass die Entscheidung zwischen Mord und Totschlag nicht von einer richterlichen Wertung des Gesamtbildes der Tat abhängen sollte,299 überzeugt nicht. Im Gegensatz dazu bestand in der Literatur des Dritten Reiches weitgehend Einigkeit darüber, dass die Mordmerkmale keineswegs eine abschließende Legaldefinition des Mordes darstellten, sondern dass stets eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit über die Abgrenzung von Mord und Totschlag zu entscheiden habe.300 Bereits im Vorentwurf zu einem Schweizer Strafgesetzbuch von Stooß war ein abschließender Charakter der Mordmerkmale nicht vorgesehen. Zwar äußerte er die Auffassung, dass die Mordmerkmale im Gegensatz zum vorigen Unterscheidungskriterium der Überlegung eine scharfe Trennung von Mord und Totschlag ermöglichen sollten.301 In der Reformkommission, der unter anderem Stooß angehörte, bestand jedoch Einigkeit darüber, dass beim Zusammentreffen von Mordmerkmalen mit dem Privilegierungskriterium des Totschlags – der Tötung in leidenschaftlicher Aufwallung – eine Vorschrift des Allgemeinen Teils über das Aufeinandertreffen von Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründen anwendbar sein sollte.302 Nach dieser Vorschrift war zwar eine Strafmilderung ausgeschlossen, jedoch könne der Richter von der Strafschärfung absehen. Somit wurde 297

So zutreffend Frommel, JR 1980, 559 (563). Vgl. dazu auch die Ausführungen Exners in ZStW 60 (1941/1942), 335 (337) über die „Verordnung zum Schutze gegen jugendliche Schwerverbrecher“: „In ihr macht sich eine Tendenz geltend, die für den Zug der neuen deutschen Rechtsentwicklung überhaupt kennzeichnend ist: Zugunsten einer materiell gerechten und richtigen Entscheidung des Einzelfalles werden die festen Gesetzesgrenzen aufgelockert – auch dann, wenn dies auf Kosten der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit geht.“ Auch die Einführung der rechtskraftdurchbrechenden Nichtigkeitsbeschwerde (siehe dazu oben S. 71 ff., insbesondere Fn. 258) bestätigt diese Einschätzung. 298 Heine, Tötung aus „niederen Beweggründen“ (1988), S. 25. 299 BGHSt 9, 385 (389). 300 Ausführlich Freisler, DJ 1941, 929 (935); vgl. auch Dahm, DR 1942, 401 (405); Schwarz, StGB § 211 Anm. 1; Schönke, StGB § 211 S. 436 f.; Dalcke-Schäfer, StGB Anm. 2 f. zu § 211 (S. 206). 301 Verhandlungen der Expertenkommission, S. 317. 302 Verhandlungen der Expertenkommission, S. 322.

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dem Richter ermöglicht, trotz des Vorliegens eines Mordmerkmals von der für Mord vorgesehenen lebenslangen Zuchthausstrafe abzuweichen. Die Aussage des BGH steht zudem im direkten Widerspruch zur Aussage Freislers,303 wonach es dem nationalsozialistischen Gesetzgeber um Herstellung des richtigen Gleichgewichts zwischen Gesetzesbestimmtheit und Richterfreiheit ankam. Letzteres solle insbesondere durch auf Wertungen hinweisende Tatbestandselemente erreicht werden. Die herausgehobene Bedeutung Freislers für das nationalsozialistische Recht wird jedoch ignoriert, wenn seine – dem Ergebnis des BGH entgegenstehenden – Äußerungen vom BGH mit der Begründung abgetan wird, dass „die Ansicht eines Mitgliedes der Amtlichen Strafrechtsreformkommission nicht ins Gewicht“ falle.304 Kein anderer Jurist dürfte unter der Herrschaft des Nationalsozialismus mehr zum nationalsozialistischen Recht – insbesondere zum Strafrecht – publiziert haben als der spätere Präsident des Volksgerichtshofes Freisler.305 Er liefert auch eine plausible Begründung dafür, dass die nicht Gesetz gewordene Fassung, die Mordmerkmale als Regelbeispiele vorsah, mit der Gesetz gewordenen Fassung inhaltlich weitgehend übereinstimmt. Danach habe man die Regelbeispielsfassung nur abgelehnt, weil dies sprachlich das unerwünschte Ergebnis zur Folge gehabt hätte, dass im Umkehrschluss auch nicht besonders verwerfliche vorsätzliche Tötungen denkbar seien.306 Wenn der BGH307 darauf hinweist, dass auch nach den Grundsätzen der Entscheidungen BGHSt 3, 330 sowie BGH NJW 1954, 565 eine Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten vorzunehmen sei, so besteht doch ein gravierender Unterschied zur der Gesamtwürdigung, die dem historischen Gesetzgeber vorschwebte. Denn die nach Auffassung des BGH vorzunehmende Gesamtwürdigung soll bei den Begehungsweisen des Mordes – und somit insbesondere bei der Heimtücke – stark zurücktreten und allenfalls in eng gelagerten Ausnahmefällen geeignet sein, durch Verneinen des Ausnutzungsbewusstseins das Mordmerkmal insgesamt zu Fall zu bringen.308 Hingegen hat Freisler309 betont, dass für die von der Amtlichen Begründung 303

Freisler, DJ 1941, 929 (933). BGHSt 9, 385 (388). 305 Für einen Vergleich mit den Veröffentlichungen anderer Mitglieder der Amtlichen Strafrechtskommission sowie Sitzungsteilnehmer kann auf die Ausführungen in Regge/Schubert, Protokolle der Strafrechtskommission (1988), S. XVIII ff., verwiesen werden. Vgl. dazu auch das Veröffentlichungsverzeichnis Freislers in Buchheim, Richter in roter Robe (1968), S. 286 ff., das für die Zeit von 1933 bis 1945 insgesamt 110 Veröffentlichungen enthält. 306 Freisler, DJ 1941, 929 (935). 307 BGHSt 9, 385 (388). 308 BGHSt 3, 330 (333). 309 Freisler, DJ 1941, 929 (937). 304

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

geforderte Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit kein Anwendungsbereich bliebe, wenn man die Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB als abschließende Legaldefinition verstehe. An eine dogmatischen Verortung der Würdigung innerhalb der Tatbestandsmerkmale – wie sie etwa der BGH beim Ausnutzungsbewusstsein vornimmt – ist dagegen offenbar nicht gedacht worden. Vielmehr sollte die fehlende besondere Verwerflichkeit als solche das Mordmerkmal entfallen lassen. Die Diskrepanz zwischen der Auffassung des BGH und der im Dritten Reich ganz vorherrschenden Auffassung liegt daher in erster Linie in einer Umkehr des Regel-AusnahmePrinzips bei der Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit. c) Bruch mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts Auch kann der BGH nicht für sich in Anspruch nehmen, sich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts zu befinden.310 Der Widerspruch zur Rechtsprechung des Reichsgericht wird insbesondere im Vergleich zur Entscheidung RGSt 77, 41 deutlich. Danach sei „Mord die besonders verwerfliche Tötung.“311 Nach Auffassung des Reichsgerichts habe der Gesetzgeber durch das Erfassen von Tat und Täter in den §§ 211 und 212 StGB „das unterscheidende Merkmal zwischen den beiden Tätergruppen in der Gesamtpersönlichkeit des Täters, wie sie aus der Tat und aus sonstigen Umständen erkennbar ist“ erblickt. Entscheidend ist dabei, dass der BGH nur insofern mit dem Reichgericht bricht, als es um die Restriktion im Wege der Gesamtwürdigung geht. Da das Reichsgericht sich jedoch dieser Restriktionsmöglichkeit bewusst war, bestand keine gesteigerte Notwendigkeit, bereits die Mordmerkmale begrifflich klar zu definieren. Jedoch hat der BGH an die Rechtsprechung des Reichgerichts zu den Mordmerkmalen angeknüpft. Durch die Übernahme der weiten Tatbestandsmerkmale und den Bruch mit der Restriktionsstufe sinkt der BGH hinter das Restriktionsniveau des Reichsgerichts zurück. Vorzugswürdig wäre daher nach 1945 ein vollständiger Neuanfang gewesen. Wohl nicht zuletzt wegen der personellen Kontinuität zwischen den Mitgliedern des Reichsgerichts und des BGH ist ein solcher Neuanfang jedoch nicht gewagt worden.312

310 311 312

So aber BGHSt 9, 385 (389). RGSt 77, 41 (43). Zur personellen Kontinuität zwischen RG und BGH siehe unten S. 93.

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d) Keine Ablehnung nationalsozialistischen Gehalts durch Hinweis auf den schweizer Ursprung des § 211 StGB Zu oberflächlich erscheint der Versuch des BGH,313 einen Einfluss nationalsozialistischen Denkens auf § 211 StGB unausgesprochen mit dem Hinweis abzulehnen, dass die Fassung auf den Vorarbeiten eines schweizer Juristen beruhe.314 Dabei wird schon außer Acht gelassen, dass die an die Tätertypenlehre angelehnte sprachliche Fassung nicht in den schweizer Vorentwürfen enthalten war.315 Aber selbst die wörtliche Übernahme einzelner Tatbestandsmerkmale aus einem anderen Gesetz in das StGB konnte deren Sinngehalt durch Einbindung in ein anderes Normengefüge inhaltlich verändern.316 Das wird insbesondere dann deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Neufassung des Mordes in § 211 StGB erst im Jahre 1941 und damit zu einem Zeitpunkt in das StGB eingefügt wurde, als das Analogiegebot in § 2 StGB bereits seit sechs Jahren in Kraft war. Zwar wurde insbesondere das generalklauselartige Mordmerkmal „oder sonst aus niederen Beweggründen“ offenbar in § 211 Abs. 2 StGB eingefügt, um dem Richter den Umweg über § 2 StGB zu ersparen. Dennoch wurde § 2 StGB auch im Bereich des Mordes für anwendbar gehalten.317 So verlangte auch das Reichsgericht – wenn auch nicht unter ausdrücklicher Berufung auf § 2 StGB –, dass sich die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag nach dem gesunden Volksempfinden zu richten habe.318 Damit wird die historische Auslegung des BGH und seine Behauptung vom abschließenden Charakter der Mordmerkmale ad absurdum geführt. Im Übrigen haben sich die Nationalsozialisten nicht nur bei Gesetzen aus dem Fundus anderer Staaten oder Kulturen bedient; so käme wohl niemand 313

BGHSt 9, 385 (387). Ebenso offenbar Lange, GS Schröder (1978) S. 217 (218), der freilich zugibt, dass dem § 211 StGB „der Geruch ihrer Herkunft“ anhafte (a. a. O. S. 217). Hinweise auf die schweizer Herkunft finden sich ferner bei Eser, DJT-Gutachten (1980), S. 31 f.; MüKo-Schneider, § 211 Rn. 5; Quentin, NStZ 2005, 128 (131, dort Fn. 12); Krüger, Begriff der Heimtücke (1960), S. 4 ff.; Lange, GS Schröder (1978) S. 217; Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 23. 314 Ebenso Werle, Justiz-Strafrecht (1989), S. 337 sowie S. 346 f.; Thomas, Geschichte des Mordparagraphen, S. 275 f. 315 Darauf weist Woesner, NJW 1980, 1136 hin. 316 Werle, Justiz-Strafrecht (1989), S. 337 sowie S. 346 f. 317 Vgl. etwa Dahm, DR 1942, 401 (405); Mezger, ZStW 60 (1941/1942), 353 (364). 318 RGSt 77, 41 (44): „Entscheidend dafür, ob ein Täter Mörder oder Totschläger ist, kann also nicht dieser Umstand, nicht seine Bewertung als Einzelpersönlichkeit, sein; entscheidend ist vielmehr, wie Tat und Täter vom Standpunkte des gesunden Volksempfindens aus s i t t l i c h zu bewerten sind.“ (Hervorhebung im Original).

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

auf den Gedanken, die Eigenschaft eines Hakenkreuzemblems als Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation (§ 86a StGB) mit der Begründung zu verneinen, dass es ursprünglich als hinduistisches Swastika ein Glücksbringersymbol darstellte. e) Zusammenfassung und Konsequenzen der Entstehungsgeschichte Der Einfluss nationalsozialistischen Rechtsdenkens ist nicht auf die sprachliche Fassung des § 211 Abs. 1 StGB beschränkt, sondern vielmehr sowohl in den einzelnen Mordmerkmalen, als auch in der gesetzessystematischen Konzeption nachweisbar. Die Mordmerkmale sind ursprünglich nicht dazu bestimmt gewesen, eine klare und eng umgrenzte Beschreibung des höchststrafwürdigen Unrechts vorzunehmen. Eine solche hätte es eher erschwert, den Anschein der Legalität eines gewünschten, aber nicht der klaren Umschreibung entsprechenden Auslegungsergebnisses zu wahren. Die Wahrung des Anscheines der Legalität war jedoch ein prägendes Element der nationalsozialistischen Gesetzgebung.319 Dagegen fiel es beim Argumentieren mit wertungsausfüllungsbedürftigen Begriffen leichter, die nationalsozialistische Anschauung zum Maßstab der Gerechtigkeit zu machen. Die Mordmerkmale sollten also bewusst nur ein unvollständiges „Bild“ vom Kerngehalt des Mordes vermitteln, das durch eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit – insbesondere durch die Tätertypenlehre – präzisiert werden musste. Die Präzisierung erfolgte dabei gemäß den Grundfunktionen der Tätertypenlehre in zwei Richtungen: einerseits als Restriktion, andererseits als Ausdehnung des Tatbestandes. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die allgemeine Einschätzung, dass der Anwendungsbereich des § 211 StGB grundsätzlich als zu weit geraten angesehen wird und daher restriktiv auszulegen ist. Da bei Einführung der Mordmerkmale also die Möglichkeit der Tatbestandspräzisierung mittels der Tätertypenlehre bestand, war eine präzise Umschreibung der einzelnen Mordmerkmale nicht erforderlich. Dies konnte nicht ohne Auswirkungen auf die Auslegung bleiben. Für eine restriktive Auslegung der einzelnen Mordmerkmale bestand folglich kein Bedarf, da man auf die Typenkorrektur zurückgreifen konnte. 319 Dazu Ostendorf, Dokumentation des NS-Strafrechts (2000), S. 21. Als besonders anschauliches Beispiel hierfür kann das Gesetz vom 03.07.1934 (RGBl. I, S. 529) gelten, welches in seinem einzigen Artikel die Ermordung des SA-Anführers Ernst Röhm, einiger mit ihm Verbündeter sowie etlicher anderer Gegner Hitlers nachträglich rechtfertigen sollte: „Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens.“

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Obwohl nach der historischen Konzeption eine Gesamtwürdigung für die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag maßgeblich war, sollte heute auf sie ebenso wie auf eine sonstige Typenkorrektur verzichtet werden. Die Ausdehnung des Tatbestandes mit Hilfe der Tätertypenlehre stellt eine Analogie zuungunsten des Angeklagten dar, die als strafbegründende Analogie nach § 2 StGB sowie Art. 103 Abs. 2 GG verboten ist. Dagegen würde eine zugunsten des Täters durchgeführte Typenkorrektur nicht gegen das Analogieverbot verstoßen. Zwar hätte eine Typenkorrektur den Vorteil, dass alle Mordmerkmale einer einheitlichen Restriktionsmethode unterworfen werden könnte. Ihre Nachteile liegt jedoch auf der Hand. Denn ebenso wenig wie die Ausdehnung des Tatbestandes lässt sich die Restriktion mittels einer Tätertypenlehre auf einen rationalen Kern reduzieren, ohne seinerseits in Kategorien von Tätertypen zu denken. Die Tätertypenlehre ist daher als Gegensatz zum Tatstrafrecht zu Recht längst verworfen worden. Denn sie liefert keine Kriterien zur Bestimmung der besonderen Verwerflichkeit. Daher stellt die Lehre von der Typenkorrektur kein geeignetes Mittel zur Präzisierung des Mordtatbestandes dar. Gleiches gilt für eine Restriktion im Wege einer Gesamtwürdigung der Tat. Sie ist ersichtlich dem Strafzumessungsrecht entlehnt. Die Implementation einer Gesamtwürdigung, wie sie etwa nach § 46 Abs. 2 StGB als Grundlage der Strafzumessung vorgesehen ist, stellt als Kriterium für die Abgrenzung von Tatbeständen ein untaugliches, dem geltenden Recht fremdes Mittel dar.

IV. Der Bedeutungsgehalt der Heimtücke zur Zeit ihrer Einführung 1. Das Mordmerkmal der Heimtücke in der Literatur Das Mordmerkmal der Heimtücke findet sich erstmals in den Vorentwürfen zu einem Schweizer Strafgesetzbuch von Carl Stooß.320 Er beschreibt den Mord nach seiner Neukonzeption als besonders schändliche Tötung.321 Eine nähere Definition der Mordmerkmale hielt er mit folgender Begründung nicht für erforderlich:

320

Stooß, Vorentwurf zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch (1893), Art. 52. Vgl. etwa die Äußerung von Stooß in: Verhandlungen der Expertenkommission (1896), S. 317: „Der Entwurf zeichnet einzelne besonders schändliche Tötungen als Mord aus, so namentlich die heimtückische und die mit Grausamkeit oder durch Gift, Feuer oder Sprengstoffe verübte Tötung [. . .].“ 321

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

„Für den Richter wird es nicht schwer sein, zu entscheiden, ob Mord oder Totschlag vorliegt; den die Merkmale des Mordes sind aus den Umständen des Falles leicht zu erkennen.“322

Auf der Basis des Vorentwurfs von Stooß definierte Zürcher Heimtücke als das Locken eines Ahnungslosen in einen Hinterhalt.323 Vor dem Hintergrund, dass eine präzise Umschreibung der Mordmerkmale durch die Neufassung im Jahr 1941 nicht beabsichtigt war, überrascht es nicht, dass auch der Begriff der Heimtücke in der Literatur wenig präzise definiert wurde. Der Umfang der jeweiligen Kommentierung ist gerade im Vergleich zu heute äußerst kurz, was sich nur bedingt mit fehlender Rechtsprechung zur Neufassung erklären lässt.324 Bei Schwarz325 findet sich lediglich ein (!) einziger erläuternder Satz zur Heimtücke: „Heimtückisch ist (über hinterlistig hinausgehend) e. Tat, die aus Falschheit und Verschlagenheit mit besonderer List und Tücke begangen wird.“ Nach Schönke326 ist „heimtückisch die Tötung, bei der Falschheit und Verschlagenheit – vielfach aus persönlicher Feigheit des Täters entsprungen – der Tat das Gepräge geben. Heimtücke ist mehr als nur hinterlistiges Handeln [. . .].“ Auch findet sich bereits ein Hinweis auf die Notwendigkeit dessen, was später in der Rechtsprechung des BGH als Ausnutzungsbewusstsein bezeichnet wird: „[. . .] eine infolge eines plötzlich gefassten Entschlusses, sei es auch von hinten, ausgeführte Tötung braucht nicht heimtückisch zu sein.“ Auch nach Auffassung Schmidt-Leichners327 bedeute „Heimtücke mehr als hinterlistig und ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Tötung, bei der Falschheit und Verschlagenheit, oft entsprungen aus persönlichen Feigheit des Täters, der Tat das Gepräge geben.“ Er stellt dabei klar, dass es sich bei der Frage, ob ein Mordmerkmal vorliege, um ein Werturteil handele, sodass etwa das Vorliegen menschlich verständlicher oder achtenswerter Beweggründe in der Regel auch zur Verneinung der Heimtücke führen müsse.328 Im Wesentlichen stellen diese Kommentierungen nichts anderes als die nahezu wortgleiche Übernahme der Amtlichen Begründung des Entwurfs eines StGB von 1936329 dar: 322

Stooß, Vorentwurf mit Motiven (1894), S. 147 f. Zürcher, Erläuterungen zum Vorentwurf (1914), S. 121. 324 Da die Vorschrift mit rückwirkender Kraft versehen wurde (§ 10 Abs. 2 des Änderungsgesetzes), konnten die Gerichte die Norm des § 211 StGB unmittelbar nach Inkrafttreten auch auf vorher verübte Taten anwenden. 325 Schwarz, StGB § 211 Anm. 1. 326 Schönke, StGB § 211 S. 438; nahezu wortgleich Dalcke-Schäfer, StGB Anm. 6 zu § 211 (S. 207); ähnlich auch v. Olshausen, StGB § 211 n. F. Anm. 18. 327 Schmidt-Leichner, DR 1941, 2145 (2147). 328 Schmidt-Leichner, DR 1941, 2145 (2148). 323

C. Das gesetzliche Leitbild der Heimtücke

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„Hier kommt die verwerfliche Gesinnung des Täters in der Art der Ausführung der Tat und in der Wahl der Mittel zum Ausdruck. Mit dem Wort „heimtückisch“ will der Entwurf mehr bezeichnen als nur „hinterlistiges“ Handeln. Heimtückisch ist nach allgemeinem Sprachgebrauch in aller Regel die Tötung, bei der Falschheit und Verschlagenheit, oft entsprungen aus persönlicher Feigheit des Täters, der Tat das Gepräge geben.“

Freisler330 stellt dagegen eine Verbindung zum Begriff der Heimlichkeit und damit zur mittelalterlichen Vorstellung von der Ehrlosigkeit der heimlichen Tötung her. Auch bemüht er das Bild des Mörders in der Malerei, um die Verwurzelung der Heimlichkeit als Unrechtsmerkmal im Volksbewusstsein zu unterstreichen.331 Die Verwendung von Stereotypen wird besonders deutlich, wenn Freisler diesem Mördertyp im dunklen Gewande auf der anderen Seite den Arzt gegenüberstellt, der vorsätzlich das Leben eines Todkranken verkürzt. Dessen Handeln stelle sich in der Regel sogar als straflos dar.332 Während also der Täter im dunklen Gewand dem Tätertyp des Mörders entsprechen soll, soll gewissermaßen der im weißen Kittel des Arztes handelnde Täter straflos sein, weil er nicht dem Tätertypen des § 211 StGB entspreche. Zwar hält er die Heimlichkeit für ungeeignet, als einziges Unterscheidungsmerkmal sowohl zwischen Mord und Totschlag, als auch zwischen rechtmäßiger und rechtswidriger Tötung zu fungieren. Jedoch begrüßt er die Aufnahme dieses Gedankens in das Gesetz durch das Mordmerkmal der Heimtücke. Auch wenn er Heimtücke nicht als Heimlichkeit definiert, so stelle sie doch ein tragendes Element der Heimtücke dar.333 329 Abgedruckt bei Regge/Schubert, Entwürfe eines Strafgesetzbuchs (1990), S. 245 f. 330 Freisler, DJ 1941, 929 (933). 331 Freisler, a. a. O.: „Wohl alle malerische Darstellungen des Mörders bringen das zum Ausdruck, durch die Haltung, die ihm gegeben wird, durch die Kleidung, den dunklen Mantel, „den Dolch im Gewande“, durch das Heraustreten aus dem Dunkel oder das Verschwinden ins Dunkel, durch den Dolchstoß in den Rücken des Opfers oder ähnliches.“ 332 Freisler, a. a. O.: „Es gibt überlegte Tötungen, die die Bewertung als Mord nicht nur nicht verdienen, sondern in einem seltenen Ausnahmefall sogar einmal die Tötung selbst nicht als Totschlag strafbar erscheinen lassen. Noch nie ist in Deutschland ein Arzt wegen Mordes und auch noch nie wegen Totschlags bestraft worden, weil er dem unheilbar Krebskranken die letzten Wochen aussichtslos-unnützer Todesqualen helfend abgekürzt hat: obgleich er sicher „mit Überlegung“ gehandelt hat.“ 333 Auch in der Rechtsprechung des BGH stellt die Heimlichkeit bei der Heimtücke eine Rolle. Zwar wird teilweise betont, dass Heimtücke kein heimliches Vorgehen erfordere (vgl. etwa BGH, NStZ-RR 1997, 168); jedoch wird etwa in BGHSt 32, 383 (388 f.) eine heimtückische Tötung im konkreten Fall mit der Begründung abgelehnt, „dass die Angeklagte die Tötung ohne jegliche Heimlichkeit oder List vor den Augen des Opfers vorbereitete und ausführte.“

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

Gleichzeitig hebt Freisler hervor, dass wertende Gesichtspunkte, insbesondere menschlich verständliche Beweggründe zur Verneinung an sich heimtückischen Handelns führen können.334 2. Das Mordmerkmal der Heimtücke in der Rechtsprechung des Reichsgerichts Das Reichsgericht definierte die Heimtücke als „Verhalten, das die Offenheit scheut und auf Täuschung berechnet ist und durch das die Verteidigung des Angegriffenen vereitelt oder erschwert werden soll. Das Merkmal heimtückischen Handelns ist unter anderem bei einem Täter erfüllt, der die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit seines Opfers zur Tat ausnutzt [. . .].“335 Auch in einer anderen Entscheidung336 wird auf das Ausnutzen der Argund Wehrlosigkeit des Opfers abgestellt. Weiter habe „der Tatrichter [. . .] nur zu prüfen, ob der Angeklagte das Vertrauen und die Arglosigkeit seines Opfers ausgenutzt und es durch sein Verhalten vor der Tat noch darin bestärkt hat, um im Falle der Ergebnislosigkeit der Aussprache die Tat ohne Gegenwehr begehen zu können, und ob dieses Verhalten im Zusammenhange damit, daß er schon die Waffen für die Bluttat versteckt bei sich führte, als heimtückisch zu beurteilen ist.“ 3. Exkurs: Der Begriff der Heimtücke in anderen nationalsozialistischen Gesetzen Der Begriff der Heimtücke findet sich auch in anderen Gesetzen der Zeit, die allerdings in keinem sachlichen Zusammenhang mit den §§ 211 ff. StGB stehen. Jedoch lassen sie Rückschlüsse auf den allgemeinen Bedeutungsgehalt dieses Begriffes in jener Zeit zu. Bereits die „Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ vom 21.03. 1933337 trägt diesen Begriff in der Gesetzesbezeichnung, ohne dass jedoch der Begriff des heimtückischen Angriffes in den Vorschriften der Verordnung verwendet oder definiert wird. Die verschiedenen Straftatbestände Auch nach Auffassung von Meyer, JR 1979, 441 (441 f.) deute der Begriff auf etwas Heimliches hin. 334 Freisler, DJ 1941, 929 (935). 335 RG, DR 1943, 1133 m. Verweis auf RG, Urt. v. 19.08.1943 – 3 D 291/43 (unveröffentlicht). 336 RGSt 76, 41 (44). 337 RGBl. I, S. 135.

C. Das gesetzliche Leitbild der Heimtücke

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dienten dem Schutz der Interessen der an der Regierung der „nationalen Einheit“ beteiligten Parteien. Diese Verordnung wurde durch das „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“ vom 20.12.1934338 ersetzt und inhaltlich erweitert. Auch diese Verordnung enthält den Begriff der Heimtücke nur in der Gesetzesbezeichnung. Dennoch kann man den Strafbestimmungen der Verordnung entnehmen, welche Art von Handlungen der Normgeber für strafwürdige, heimtückische Angriffe hielt.339 Dabei geht es in erster Linie um die Kriminalisierung auch wahrer340 Äußerungen über herausgehobene Personen oder Gliederungen von Staat und Partei. Nicht zuletzt werden auch verschiedene Interessen der NSDAP und ihrer Gliederungen, so der Schutz vor unberechtigtem Tragen der Parteiuniform, dem fälschlichem Sichausgeben als Parteimitglied sowie der strafrechtlichen Absicherung des Lizenzsystems der NSDAP für Parteiuniformen, -fahnen und -abzeichen strafrechtlich geschützt. Zusammenfassend sind heimtückische Angriffe im Sinne dieser Verordnung folglich bestimmte Handlungen, die den Interessen des Staates und der NSDAP zuwider laufen. Heimtückisch handelt danach also derjenige, der sich gegen die „Bewegung“ stellt. 4. Zusammenfassung: Das Leitbild der Heimtücke zum Zeitpunkt der Einführung in das Gesetz Das von der Literatur des Dritten Reiches entworfene Leitbild der Heimtücke wird im Wesentlichen durch die Merkmale der Falschheit, Verschlagenheit, Tücke und Feigheit des Täters – also durch subjektive Merkmale, die zunächst mehr einer Charakterzuschreibung als einer Begehungsweise ähneln – bestimmt. Die Heimtücke stellt danach ein Gesinnungsmerkmal dar,341 welches der Tat ihr Gepräge verschaffen soll. Daraus ergibt sich jedoch auch die Möglichkeit, bereits die heimtückische Begehungsweise zu verneinen, wenn es an einer verwerflichen Gesinnung des Täters fehlt. Demgegenüber ist das Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des Reichsgerichts insbesondere durch das Abstellen auf die Arg- und Wehr338

RGBl. I, S. 1269; ausführlich dazu Haidn, JW 1935, 897 ff. Eine kurze Umschreibung der Straftatbestände findet sich bei Freisler, DStrR 1936, 65 (70 f.). 340 Haidn, JW 1935, 897. 341 So Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale (1958), S. 232 ff.; Krüger, Begriff der Heimtücke (1960), S. 86 ff., insbesondere 94 ff.; differenzierend Schönke/ Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 122: Heimtücke als „unechtes“ Gesinnungsmerkmal. 339

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4. Kap.: Der nationalsozialistische Einfluss auf das geltende Recht

losigkeit des Opfers in erster Linie an objektiven Tatumständen ausgerichtet. Allerdings hat das Reichsgericht für die ebenfalls zur 2. Gruppe der Mordmerkmale gehörende grausame Begehungsweise ausgeführt, dass Motive, die durch eine Würdigung der Gesamtpersönlichkeit zu Tage treten (im konkreten Fall nach Auffassung des Reichsgerichts ein entschuldbarer Affekt im Zusammenhang mit „begründeter Eifersucht“), zu einer Verneinung des Mordmerkmals führen können.342 Damit ließ auch das Reichsgericht auf Tatbestandsebene ausnahmsweise im Wege der Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit Korrekturen zu und öffnete sich somit auch subjektiven Elementen. Es fällt auf, dass sowohl in der Literatur, als auch in der Rechtsprechung das Leitbild der Heimtücke in erster Linie positiv bestimmt wird, während eine negative Abgrenzungsfunktion der Heimtücke nur ansatzweise erkennbar ist.343 Dies lässt sich jedoch ohne weiteres damit erklären, dass eine restriktive Auslegung der einzelnen Mordmerkmale – und damit auch der Heimtücke – überhaupt nicht erforderlich war. Schließlich konnten ungewünschte Ergebnisse mittels der Tätertypenlehre oder einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit aus dem Anwendungsbereich des § 211 StGB ausgeschieden werden, ohne dass es zwangsläufig der Verneinung eines einzelnen Mordmerkmals bedurfte.344 Dazu reichte es aus, dass die Tat nicht besonders verwerflich erschien.

D. Zusammenfassung Entgegen der ganz herrschenden Auffassung ist das geltende Recht des § 211 StGB maßgeblich von nationalsozialistischem Rechtsdenken beeinflusst. Dies äußert sich nicht allein in der tätertypenmäßigen Bezeichnung des Täters als „Mörder“. Vielmehr sind auch die Mordmerkmale – insbesondere das Mordmerkmal der Heimtücke – in hohem Maße unbestimmt. Schließlich kann es als gesichert gelten, dass die Mordmerkmale nach der Konzeption des historischen Gesetzgebers keinesfalls einen abschließenden Charakter aufwiesen; vielmehr war für die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag letztlich ausschlaggebend, ob die Tat nach einer Gesamtwürdigung besonders verwerflich erschien. In der Kombination von unbestimmten Mordmerkmalen sowie der Tätertypenlehre und der Möglichkeit der Ge342

RGSt 76, 297 (299). Etwa dann, wenn Schönke, StGB § 211 S. 438 den Ausschluss von Affekttaten aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke für möglich hält. 344 So z. B. für die Herausnahme der Fallgruppe der Haustyrannentötung aus dem Anwendungsbereich des § 211 StGB Dahm, DR 1942, 401 (405); Freisler, DJ 1941, 929 (936). 343

D. Zusammenfassung

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samtwürdigung hat der nationalsozialistische Gesetzgeber ein Instrumentarium geschaffen, mit dem sich jedes gewünschte Auslegungsergebnis unter Wahrung des Anscheins der Gesetzmäßigkeit erzielen lässt. Zwei äußerlich gleichartige Tötungen konnten gänzlich unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen: Die dem Regime nützliche Tötung war straflos und rechtmäßig, die aus Sicht des Regimes unerwünschte Tötung war todeswürdig. In Kenntnis dieser Konzeption haben Literatur und Rechtsprechung in der Zeit des Dritten Reichs eine Bestimmung der Heimtücke vorgenommen. Nach dem Krieg hat der BGH – zu Recht – auf die Restriktionsmechanismen der Tätertypenlehre und der Gesamtwürdigung verzichtet. Gleichwohl hat er die im Dritten Reich entwickelte Bestimmung der Heimtücke übernommen, die jedoch damals – in Kenntnis der vorhandenen Restriktionsmechanismen der Tätertypenlehre und Gesamtwürdigung – sehr unbestimmt ausgestaltet war. Es liegt auf der Hand, dass die Übernahme des zu weit geratenen Anwendungsbereichs der Heimtücke bei gleichzeitigem Verzicht auf Restriktionsmechanismen zu völlig unbefriedigenden Ergebnissen führen würde. Diese sucht der BGH seither durch eine Vielzahl von Einzelkorrekturen zu verhindern – mit mäßigem Erfolg. Vor dem Hintergrund der Herkunft der Norm ist de lege ferenda eine völlige Neukonzeption der Tötungsdelikte unter Verzicht auf die vorhandenen Mordmerkmale vorzunehmen. De lege lata ist nach Restriktionsmechanismen zu suchen, die sicherstellen, dass insbesondere nur solche Tötungen dem Mordtatbestand unterfallen, die höchstes Unrecht darstellen.

5. Kapitel

Das Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH Um im späteren Verlauf dieser Arbeit einen eigenen Lösungsvorschlag konzipieren zu können, soll im Folgenden zunächst die Entwicklung der Rechtsprechung des BGH zur Heimtücke nachgezeichnet werden. Im Vordergrund steht die Grunddefinition des BGH zur Heimtücke – die Arg- und Wehrlosigkeitsformel. Dabei soll insbesondere untersucht werden, auf welche Art und Weise der BGH die Arg- und Wehrlosigkeit eines Opfers ermittelt. Die dabei gewonnenen Ergebnisse werden im weiteren Fortgang dieser Arbeit aufgegriffen und bewertet. Die Analyse wird zeigen, dass der BGH keineswegs erstmals in der Erpresser-Entscheidung, sondern im Gegenteil schon immer den Anwendungsbereich der Heimtücke normativ bestimmt hat.345 Dabei wird deutlich, dass weder die Methoden, noch die dabei erzielten Ergebnisse des BGH stets überzeugend sind.

A. Die Grunddefinition der Heimtücke durch den BGH Nach dem Zweiten Weltkrieg wäre es dem BGH möglich gewesen, einen grundsätzlichen Neuanfang im Bereich der Tötungsdelikte zu wagen. Zum einen hätte er die Verfassungsmäßigkeit der neu konzipierten Tötungsdelikte in Zweifel ziehen können. Andererseits hätte er einen offenen Bruch mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts vollziehen und in Abkehr davon eine Neubestimmung der Heimtücke vornehmen können.346 Da der BGH bereits in einer seiner ersten Entscheidungen keine rechtsstaatlichen Bedenken gegen § 211 StGB erhob,347 sah er zugleich keine Notwendigkeit, den Bedeutungsgehalt der Heimtücke völlig neu zu bestimmen. Demgemäß berief sich der BGH bei der Begriffsbildung der Heimtücke in verschiedenen Entscheidungen einerseits auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts,348 andererseits auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes der Britischen Zone.349 345

Dazu ausführlich unten S. 182 ff. Frommel, StV 1982, 533. 347 BGH, NJW 1951, 120. 348 So etwa in den Entscheidungen BGH, NJW 1951, 410 (411) und BGHSt 3, 330 (332). 346

A. Die Grunddefinition der Heimtücke durch den BGH

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Dieser hatte Heimtücke bejaht, wenn der Täter „planmäßig die Arglosigkeit des Opfers zur Tat“ ausgenutzt habe.350 In einer anderen Entscheidung knüpft der Obersten Gerichtshofes der Britischen Zone an die Rechtsprechung des Rechtsgerichts an und stellt darauf ab, dass „als heimtückisch [. . .] nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Handlungsweise angesehen [wird], die durch Falschheit und Verschlagenheit oder durch Ausnutzen der Arglosigkeit oder der Wehrlosigkeit des Opfers gekennzeichnet“ sei.351 Die Anknüpfung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts dürfte nicht zuletzt darin begründet sein, dass auch in personeller Hinsicht eine große Kontinuität zwischen dem Reichsgericht und dem Bundesgerichtshof bestand. So standen etwa den ursprünglich neun Zivil- und Strafsenaten des BGH fünf Senatsvorsitzende vor, die bereits als Richter oder Reichsanwälte am RG tätig gewesen waren.352 Dass insgesamt nicht mehr als elf ehemalige Mitglieder der Reichsanwaltschaft beziehungsweise des Reichsgerichtes zu Bundesrichtern wurden, wird – neben dem hohen Alter einiger ehemaliger Reichsgerichtsräte – darauf zurückgeführt, dass etwa ein Drittel der Angehörigen des Reichsgerichts in russischer Kriegsgefangenschaft ums Leben kam.353 Das Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH wird wesentlich durch die Grunddefinition geprägt. Nach Auffassung des BGH handelt heimtückisch, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.354 Diese Hilfsbegriffe der Arg- und Wehrlosigkeit wurden – soweit ersichtlich – erstmals vom Reichsgericht verwendet,355 aber nicht konkret definiert. Der BGH definierte den Begriff der Arglosigkeit erstmals in BGHSt 7, 218. Danach war das Opfer arglos, wenn es sich keines Angriffes auf sein 349 Vgl. etwa die Verweisungen in den Entscheidungen BGH, JR 1951, 687 (688) und BGHSt 2, 60 (Leitsatz). Eine ausführliche Übersicht über die Rechtsprechungsentwicklung vor Aufnahme der Spruchtätigkeit des BGH findet sich bei LK-Jähnke, § 211 Rn. 39. 350 OGHSt BZ 1, 81 (82). 351 OGHSt BZ 1, 87 (90). 352 Kirchner, DRiZ 1959, 107 (109). 353 Pauli, Rechtsprechung des RG 1933–1945 (1992), S. 32. 354 BGH, NStZ 2006, 338 (339); BGHSt 2, 60 (61) sowie 251 (254); 3, 183 (185 f.); 7, 218 (221).; 20, 301 (302); 23, 119 (120 f.); 32, 382 (383 f.); 41, 72 (78 f.); BGH, NStZ 1999, 506 (507); 2001, 86; BGH, NStZ 2006, 338 (339). Dem stimmt die h. L. zu: NK-Neumann, § 211 Rn. 51; MüKo-Schneider, § 211 Rn. 123; Kargl, StraFo 2001, 365 (368); Otto, JURA 1994, 141 (146 f.); Schönke/SchröderEser, § 211 Rn. 23; Fischer, § 211 Rn. 34; Arzt/Weber, StrafR BT S. 50, Rn. 44. 355 RG, DR 1943, 1133 m. Verweis auf RG, Urt. v. 19.08.1943 – 3 D 291/43); RGSt 76, 41 (44).

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

Leben versieht.356 In späteren Entscheidungen sind die Anforderungen an die Heimtücke insofern erhöht worden, als dass die Arglosigkeit des Opfers nicht erst bei Angriffe auf das Leben, sondern bereits bei Feindseligkeiten entfallen kann.357 Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei grundsätzlich der Eintritt der Tat in das Versuchsstadium, also der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs.358 Für den Begriff der Wehrlosigkeit stellt der BGH auf die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers ab. Verfüge das Opfer über keine oder nur eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeiten, um den Angriff abzuwehren oder wenigstens zu erschweren, so sei es wehrlos.359 Als Verteidigungsmöglichkeiten kommen nach Auffassung des BGH neben der tätlichen Abwehr des Angriffs insbesondere die Flucht, das Herbeirufen von Hilfe oder das Umstimmen des Täters in Betracht. Im Übrigen hält er einen Kausalzusammenhang zwischen Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für erforderlich; daher muss die Wehrlosigkeit gerade auf der Arglosigkeit des Opfers beruhen.360 Neben den in erster Linie objektiven Voraussetzungen enthält die Grunddefinition in dem Erfordernis eines bewussten Ausnutzens ein subjektives Moment: das sogenannte Ausnutzungsbewusstsein.361 Der BGH verlangt daher, dass der Täter die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in einer Weise erfasst hat, dass er sich dessen bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.362 Es drängt sich dabei die Frage auf, inwieweit das Ausnutzungsbewusstsein über das allgemeine Vorsatzerfordernis hinausgeht, das sich beim Mord nach allgemeinen Grundsätzen auch auf das zu verwirklichende Mordmerkmal beziehen muss.363 Die Rechtsprechung des BGH erscheint in dieser Frage uneinheitlich. Teilweise wird ein Erfassen der Bedeutung der Arg356

BGHSt 7, 218 (221). BGHSt 20, 301 (302); 32, 382 (384); 41, 72 (79); BGH, NStZ 1991, 233 (234); 1999, 506 (507); 2001, 86 (87). 358 Zuletzt BGH, Urt. v. 29.11.2007 – 4 StR 425/07; BGHSt 19, 321 (322); 32, 382 (384); BGH, StV 1998, 543; Fischer, § 211 Rn. 35; Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 24. 359 BGHSt 2, 60 (61); 11, 139 (143); 20, 301 (302); 32, 382 (384); BGH, NStZ 1985, 216; NStZ 1989, 364 (365). 360 BGH, Urt. v. 29.11.2007 – 4 StR 425/07; BGH, NStZ 1997, 490 (491); BGHSt 32, 382 (388). 361 Vgl. dazu ausführlich unten S. 133 ff. 362 BGH, Urt. v. 29.11.2007 – 4 StR 425/07; BGH, NStZ 1997, 490 (491); BGH, NStZ 1984, 506 (507); BGHSt 6, 120 (121); BGH, NStZ-RR 2004, 79. 363 Dazu ausführlich unten S. 136 ff. 357

B. Der Strafgrund der Heimtücke

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und Wehrlosigkeit in dem Sinne verlangt, dass eine bloße Kenntnis der Umstände, welche die Heimtücke begründen, nicht für die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins genüge.364 Dagegen wurde es in anderen Entscheidungen für ausreichend erachtet, dass der Täter die Umstände wahrgenommen habe, welche die Arglosigkeit begründen.365

B. Der Strafgrund der Heimtücke I. Die Gefährlichkeitskonzeption des BGH Der BGH sieht das die Höchststrafe rechtfertigende Moment der Heimtücke darin, dass der Täter sein Opfer in einer hilflosen Lage überrasche und es dadurch darin hindere, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen.366 Dahinter verbirgt sich ein Erklärungsmodell, das den Strafgrund der Heimtücke in der besonderen Gefährlichkeit der Vorgehensweise des Täters für das Opfer erblickt.367 Damit wird die heimtückische Begehungsweise maßgeblich aus der Sicht des betroffenen Opfers bestimmt.368 Auch Teile der Literatur stimmen dieser Gefährlichkeitskonzeption zu.369 Bezeichnenderweise ermittelt der BGH den Gesetzeszweck nicht etwa aus den Gesetzgebungsmaterialien und im Wege der historischen Auslegung, sondern macht die Ausformung der Heimtücke, die sie in der Rechtsprechung durch Verwendung der Hilfsbegriffe der Arg- und Wehrlosigkeit erfahren hat, zum Maßstab des Gesetzeszwecks: „Der Grund dafür, dass das Gesetz den, der heimtückisch einen Menschen tötet, als Mörder mit lebenslangem Zuchthause bedroht, liegt in der besonderen Gefährlichkeit seines Vorgehens. Er überrascht das Opfers in einer hilflosen Lage und hindert es dadurch, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen, den Angreifer umzustimmen, in sonstiger Weise dem Anschlage auf sein Leben zu begegnen oder die Durchführung wenigstens durch solche Bemühungen zu erschweren [. . .]. Wer solche Möglichkeiten ausschaltet, kann fremdes Leben leichter und 364 BGHSt 6, 120 (121); BGH, NStZ 1997, 490 (491); BGH, NStZ 2005, 688 (689) sowie 691 (692); BGH, StV 1985, 235; BGH, NJW 1978, 709 (710). 365 BGH, StV 2004, 596; BGHSt 22, 77 (80); 39, 353 (368). 366 BGHSt 11, 139 (143); 20, 301 (302); 23, 119 (121); 39, 353 (368); 41, 72 (78 f.); BGH, NJW 1978, 709 (710). 367 So ausdrücklich BGHSt 11, 139 (143); 23, 119 (121); 30, 105 (116). 368 BGHSt 11, 139 (144): „[Das Gesetz] denkt dabei weniger an den Täter als das hinterrücks überfallene Opfer.“ 369 Lackner/Kühl, § 211 Rn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I § 2 Rn. 43; MüKo-Schneider, § 211 Rn. 122; LK-Jähnke, § 211 Rn. 40; Mitsch, JuS 1996, 213. Kritisch NK-Neumann, § 211 Rn. 48, der einer Gefährlichkeitskonzeption i. E. jedoch zustimmt (Rn. 51).

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

sicherer als sonst vernichten. Diese besonders gefährliche und erfahrungsgemäß häufige Art der Tötung will das Gesetz möglichst nachdrücklich bekämpfen. Deshalb ahndet es sie als Mord. [. . .] Die Auslegung des Merkmals „heimtückisch“ hat daher an das anzuknüpfen, was diese Form des Tötens besonders gefährlich macht. Das ist die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers.“370

II. Die Verwerflichkeitskonzeption der Literatur Demgegenüber sehen insbesondere die Vertreter der Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch, aber auch die Anhänger einer Typenkorrektur das Wesen der Heimtücke in der besonders verwerflichen Handlungsweise des Täters.371 Beide Lehren stellen ausdrücklich auf die Verwerflichkeit der Tat ab: Während sich die besondere Verwerflichkeit nach der einen Ansicht aus dem Bruch eines Vertrauensverhältnisses ergibt, wird die besondere Verwerflichkeit der Tat nach der anderen Ansicht im Wege einer Gesamtwürdigung festgestellt. Eine vermittelnde Ansicht, welche die Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch ablehnt, sieht die besondere Verwerflichkeit gerade in der besonderen Gefährlichkeit der Begehungsweise.372 Für die Anhänger eines Verwerflichkeitskonzeptes liegt es nahe, in einem konkreten Fall das Mordmerkmal der Heimtücke abzulehnen, wenn die Tat ausnahmsweise nicht besonders verwerflich erscheint, weil sich in diesem Fall die abstrakte, besondere Verwerflichkeit des Tatbestandsmerkmals nicht in der Tat manifestiert hat. Während sich dies für die Vertreter einer Typenkorrektur als Ergebnis einer Gesamtwürdigung ergeben kann, so verneint die Gegenauffassung die besondere Verwerflichkeit, wenn es an einem verwerflichen Vertrauensbruch fehlt.

III. Stellungnahme Die Argumentation, mit welcher der BGH die Gefährlichkeitskonzeption zu begründen sucht, stellt sich als Zirkelschluss dar: Der Zweck des Tatbestandsmerkmals wird mit dem Zweck der Rechtsprechung zu diesem Merkmal begründet. Damit ist wiederum die bereits oben373 genannte Einschätzung bestätigt, dass der BGH die von ihm entwickelten Hilfsbegriffe der Arg- und Wehrlosigkeit zu Unrecht in den Stand von Tatbestandsmerk370

BGHSt 11, 139 (143 f.). Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 26; Otto, BT § 4 Rn. 25; Krey, StrafR BT I Rn 58 f.; Hohmann/Sander, StrafR BT 2 Rn. 30 f.; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale (1958), S. 235 f.; Schaffstein, FS H. Mayer (1965) S. 419 (S. 427). 372 Wessels/Hettinger, BT 1 Rn. 105; Rengier, StrafR BT II § 4 Rn. 23. 373 Vgl. oben S. 47 f. 371

B. Der Strafgrund der Heimtücke

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malen erhoben hat. Auch ist es bezeichnend, dass der BGH bei der Suche nach dem Gesetzeszweck völlig ohne historische Auslegung auszukommen glaubt. Die hier vorgenommene historische Auslegung hat jedoch ergeben, dass das Leitbild der Heimtücke in der damaligen Literatur und Rechtsprechung keine Anhaltspunkte für eine Gefährlichkeitskonzeption bietet. Vielmehr wurde Heimtücke übereinstimmend als Gesinnungsmerkmal und die Mordmerkmale insgesamt als Beschreibungen besonders verwerflicher Tötungen verstanden. Wenn Heimtücke als Mordmerkmal den über das Unrecht der vorsätzlichen Tötung hinausgehenden Unrechtsgehalt beschreiben soll, dann erscheint wiederum die Gefährlichkeit ein ungeeignetes Kriterium hierfür zu sein. Denn durch jede vollendete Tötung stellt ein Täter unter Beweis, dass er grundsätzlich in der Lage ist, ein Menschenleben zu vernichten. Da die Verletzung des Rechtsguts Leben nicht graduell einteilbar ist, lässt sich daher auch nicht begründen, dass die heimtückische Begehungsweise gefährlicher für das Opfer war.374 Die Gefährlichkeitskonzeption führt auch zu der geradezu reflexhaft geübten Kritik, dass eine als zu restriktiv angesehene Auslegung des Heimtückebegriffes den strafrechtlichen Lebensschutz verkürze.375 Der strafrechtliche Lebensschutz wird jedoch bereits weitgehend vollständig von § 212 und § 222 StGB gewährleistet.376 Schließlich ist gerade die vom BGH im Rahmen der Heimtücke oftmals vorgenommene Privilegierung von Affekttätern,377 die sich vor allem in einer großzügigen Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins äußert, mit einem Strafgrund der Gefährlichkeitskonzeption unvereinbar. Denn gerade von einem leicht reizbaren, aggressiven Täter, der sich aus mehr oder minder nichtigem Anlass zu einer Tat hinreißen lässt, gehen in gesteigertem Maße Gefahren aus.378 Hingegen können sich die Vertreter der Verwerflichkeitskonzeption immerhin darauf berufen, dass die besondere Verwerflichkeit einer Tötung nach dem Willen des historischen Gesetzgebers das maßgebliche Unterscheidungskriterium zwischen Mord und Totschlag sein sollte.379 Es bestand 374

NK-Neumann, § 211 Rn. 48. Vgl. etwa BGHSt 11, 139 (144). 376 Allenfalls bei der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln könnte man daran denken, dass die Qualifikation das Leben Unbeteiligter auch dann schützen soll, wenn ihre Tötung nicht vom Tötungsvorsatz des Täters umfasst ist. 377 Dazu ausführlich unten S. 132 ff. 378 Siehe dazu S. 136 ff. 375

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

die Überzeugung, dass die Mordmerkmale zur Unterscheidung zwischen besonders verwerflichen Tötungen und anderen Tötungen geeignet waren. Doch auch bei einer Begründung der Heimtücke im Wege einer Verwerflichkeitskonzeption erscheint die Höchststrafwürdigkeit einer Tötung, die die Definition einer heimtückischen Tötung nach der Rechtsprechung erfüllt, oftmals nicht gegeben. So könnte es etwa problematisch sein, dass der Täter gerade einem völlig arg- und wehrlosen Opfer jede Todesangst erspart. Dies könnte gerade gegenüber einer Tötung nach „offener Kampfansage“ weniger verwerflich erscheinen, wenn das Opfer dem Täter ohnehin völlig unterlegen ist. Zudem läuft der Täter im Gegenzug beim Bereiten von Todesangst – etwa dann, wenn das hilflose Opfer zusehen muss, wie der Täter die Tötungshandlung vorbereitet – Gefahr, das Mordmerkmal der Grausamkeit zu erfüllen.380 Wenn jedoch dieselbe Verhaltensweise des Täters innerhalb eines Deliktes bei einem Tatbestandsmerkmal privilegierend, beim anderen jedoch qualifizierend wirkt, stellt dies einen erheblichen Wertungswiderspruch dar. Dieser Widerspruch wird deutlich, wenn man die Verbotsnormen der heimtückischen und der grausamen Tötung in Gebotsnormen umformuliert („Du sollst – wenn Du schon tötest – Dein Opfer jedenfalls erst dann töten, wenn es von Deinem Angriff Kenntnis erlangt hat;“ „Du sollst – wenn Du schon tötest – Deinem Opfer jedenfalls unnötiges Leiden ersparen.“) Hier drängt sich gerade im Hinblick auf die Todesangst des Opfers auf, dass der Täter oftmals nicht beide Verhaltensanforderungen erfüllen kann, ohne sein Tötungsvorhaben gänzlich aufzugeben. Die Aufgabe des Tötungsvorhabens wäre zwar ein äußerst wünschenswertes Verhalten; jedoch geht es beim Mordvorwurf gerade nicht um das Tötungsvorhaben als solches, sondern vielmehr um den darüber hinaus gehenden Vorwurf gesteigerten Unrechts. Schließlich vermag die Verwerflichkeitskonzeption nicht zu erklären, warum gerade Konflikttaten – insbesondere bei einer starken Unterlegenheit des Täters gegenüber dem Opfer – nach der Arg- und Wehrlosigkeitsformel oftmals als heimtückisch bewertet werden, obwohl in diesen Fällen vielfach eine Unrechtsminderung evident ist.381 Es liegt daher der Verdacht nahe, dass das Mordmerkmal der Heimtücke bereits aus prinzipiellen Gründen ungeeignet ist, eine über das Unrecht der einfachen vorsätzlichen Tötung hinausgehende Unrechtssteigerung zu begründen.382 379

Dazu ausführlich oben S. 79 ff. Vgl. die Entscheidung BGHSt 32, 382 (383), in welcher der BGH rügte, dass das LG das Mordmerkmal der Grausamkeit nicht geprüft habe; vgl. ferner BGH, NJW 1971, 1188 (1190). 381 Dazu unten S. 140 f. 380

B. Der Strafgrund der Heimtücke

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IV. Das Duellprinzip als Leitprinzip der Heimtücke? Da weder die Gefährlichkeitskonzeption der Rechtsprechung noch das Verwerflichkeitsmodell der Literatur eine überzeugende Begründung für den Strafgrund der Heimtücke bietet, ist nach anderen tragfähigen Erklärungsmodellen zu suchen. Ein solches bietet das Duellprinzip als Leitbild der Heimtücke. Thomas383 erblickt in den Mordmerkmalen im Allgemeinen, aber insbesondere im Mordmerkmal der Heimtücke ein allgemeines Leitprinzip des regelwidrigen Zweikampfes. Er sieht dabei die ursprüngliche Bedeutung der Heimtücke in einer Qualifizierung der Tötung, die als Verstoß gegen die Waffengleichheit gegenüber dem arg- und wehrlosen Opfer anzusehen ist. Gleichzeitig sieht er darin die prinzipielle Ungeeignetheit der Heimtücke als Qualifikationsmerkmal einer unrechtsgesteigerten Tötung, weil bei einer Übertragung des Duellgedankens auf Tötungen in alltäglichen Konfliktsituationen die Waffen- und Chancengleichheit der Konfliktparteien in aller Regel ohnehin nur fiktiver Natur seien.384 Denn insbesondere die Annahme der Wehrhaftigkeit stelle in aller Regel eine Fiktion dar, weil kaum ein Täter auf ein in concreto wehrhaftes – d.h. in puncto physischer Überlegenheit, Bewaffnung etc. ebenbürtiges – Opfer losgehe; vielmehr werde zumeist eine vorteilhafte Situation geschaffen oder ausgenutzt. Eine solche Deutungsweise kann eine Erklärung dafür bieten, dass die heimtückische Begehungsweise typischerweise von Tätern gewählt wird, die ihrem Opfer körperlich unterlegen sind.385 Kennzeichnend für diese Täter ist, dass sie sich eine offene Auseinandersetzung mit dem Opfer wegen dessen körperlicher Überlegenheit nicht leisten können.386 Eine offene Auseinandersetzung würde dabei nicht nur das Fehlschlagen des Tötungsvorhabens zu Folge haben; vielmehr setzt sich der unterlegene Täter auch noch der Gefahr aus, selbst getötet zu werden. Eine solche Tötung durch das angegriffene Opfer wäre zudem auch noch durch Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt. Daher bleibt ihnen abgesehen von der Aufgabe des Tötungsvorhabens keine andere Wahl, als das Opfer auf eine Weise zu töten, das ihm möglichst geringe Chancen der Gegenwehr lässt. Ein wesentlicher Teil der Fallgruppen, die nach der Rechtsprechung der heimtückischen Begehungsweise unterfallen, sind durch ein starkes Kräfteungleichgewicht zwi382

So auch Otto, JURA 1994, 141 (147). Thomas, Die Geschichte des Mordparagraphen, S. 269. 384 Thomas, Die Geschichte des Mordparagraphen, S. 270. 385 Zur Heimtücke als „Waffe der Schwachen“ siehe oben S. 40 (insbesondere Fn. 97). 386 Fahl, JA 1999, 284. 383

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

schen Täter und Opfer gekennzeichnet. Die Heimtücke stellt sich für diesen Kreis von Tätern nicht als besonders verwerfliche, sondern als einzig mögliche Begehungsweise dar, die ein Kräftegleichgewicht herstellen kann. Hält man diesem zur Tötung entschlossenen Täter wiederum die zur Gebotsnorm umformulierte Heimtücke vor („Du sollst – wenn Du schon tötest – Dein Opfer jedenfalls erst dann töten, wenn es von Deinem Angriff Kenntnis erlangt hat.“), so wird er entgegnen müssen, dass er der Gebotsnorm nur durch Aufgabe des Tötungsvorhabens entsprechen kann, wenn er nicht Gefahr laufen will, sein eigenes Leben zu verlieren. Dagegen kann es sich nur derjenige leisten, seinem Gegner offen den Kampf zu erklären und damit im Regelfall das Vorliegen von Heimtücke auszuschließen, der sich seines Sieges auf Grund seiner Überlegenheit bereits sicher ist. In der Tat stellt sich die vom herkömmlichen Verständnis geprägte Vorstellung der Heimtücke daher häufig als „Waffe der Schwachen“ dar. Hier erweist sich wiederum die Haltlosigkeit einer Gefährlichkeitskonzeption der Heimtücke. Denn gerade der körperlich überlegene Täter, der leichter einen anderen Menschen zu töten vermag und daher gefährlicher ist, wird nicht nur durch das Mordmerkmal der Heimtücke nicht erfasst. Vielmehr schützt ihn das Mordmerkmal der Heimtücke auch noch vor Angriffen Unterlegener. Damit erweist sich die Heimtücke sogar als Waffe des Gesetzes gegen Schwache. Es leuchtet ein, dass ein solches Heimtückeverständnis ungeeignet ist, die Höchststrafwürdigkeit einer heimtückischen Tötung zu begründen. Für eine solche Deutung spricht auch die oben durchgeführte historische Auslegung. Insbesondere aus der Literatur der Entstehungszeit der Norm geht hervor, dass ein wesentliches Element der Heimtücke stets in der Feigheit des Täters gesehen wurde.387 Das Gegenteil der Feigheit kann dabei durchaus im „mutigen“ Totschläger gesehen werden, der sich auf einen regelgerechten Zweikampf einlässt. Auch zwei bereits erwähnte Urteile des BGH aus jüngster Zeit greifen den Aspekt der Feigheit auf. So begründete der BGH in seiner jüngsten Haustyrannen-Entscheidung388 das Vorliegen der Heimtücke mit dem völlig unangebrachten Vorwurf, dass die Täterin ihren Mann, der sie jahrelang schwer misshandelt und gedemütigt hatte, im Schlaf erschossen habe, weil sie es nicht gewagt habe, ihm offen feindselig gegenüber zu treten.389 In der Sache begründet der BGH das Vorliegen einer heimtückischen Tötung mit der „Feigheit“ der Täterin. Dagegen hielt es die „mutige“ Tötung des Erpressers durch den Erpressten nicht für heimtückisch, weil dieser Gegenwehr das Tückische fehle, 387 388 389

Vgl. dazu oben S. 85. BGHSt 48, 255 (256 f.). Kritisch ebenso Rengier, NStZ 2004, 233 (235).

B. Der Strafgrund der Heimtücke

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welches den gesteigerten Unwert der Heimtücke kennzeichne.390 Vielmehr sei dem sich wehrenden Erpressten aus Gründen eines Gleichklanges mit dem Notwehrrecht nicht das Risiko aufzubürden, beim Überschreiten eines Rechtfertigungsgrundes sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu erfüllen. Es liegt auf der Hand, dass eine „Feigheit“ des Täters, die allein aus der Begehungsweise der Tat geschlossen wird, ohne dass unrechts- und schuldmindernde Gesichtspunkte – insbesondere strafbares Vorverhalten des späteren Opfers – berücksichtigt werden, kein sachgerechtes Kriterium für die Bestimmung der Höchststrafwürdigkeit einer Tat ist. Das Leitbild der „Feigheit“ des heimtückisch handelnden Täters mag dem historischen Gesetzgeber von 1941 als angemessenes Kriterium erschienen sein. Dagegen hat der gegenwärtige Gesetzgeber zwar nicht den Tatbestand des § 211 Abs. 1 StGB geändert, jedoch durch andere Gesetze ein anderes Leitbild erschaffen. So hat er etwa durch Schaffung des Gewaltschutzgesetzes391 verdeutlicht, dass häusliche Gewalt nicht etwa eine Privatangelegenheit ist, in welche der Staat sich möglichst nicht einmischt, sondern völlig inakzeptables Verhalten darstellt. Durch dieses Gesetz werden den Opfern häuslicher Gewalt rechtliche Instrumente zur Verfügung gestellt, mit denen ihnen etwa erleichtert wird, einen Gewalttäter mit staatlicher Hilfe aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen. Dadurch wird deutlich, dass es nach Auffassung des heutigen Gesetzgebers nicht erforderlich ist, dem Gewalttäter „mutig“, aber ohne Erfolgsaussichten offen feindselig gegenüber zu treten. Auch hält der Gesetzgeber es nicht für „feige“, sondern im Gegenteil für vernünftig und geboten, wenn Opfer häuslicher Gewalt den Gewalttäter mit Hilfe des Staates aus ihrem Lebensbereich verweisen. Diesem gesetzgeberischen Sinneswandel hat der BGH bei den Tötungsdelikten jedoch nicht ausreichend Rechnung getragen. Auch wenn sich daher der historische Gesetzgeber vom Prinzip der besonders verwerflichen Tötung hat leiten lassen, so bietet das Duellprinzip darüber hinaus ein überzeugendes Erklärungsmodell für den Strafgrund der Heimtücke. Gleichzeitig stellt das Duellprinzip die prinzipielle Ungeeignetheit der Heimtücke zur Umschreibung höchststrafwürdigen Unrechts heraus.

390

BGHSt 48, 207 (210 f.). Das „Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen“ (Gewaltschutzgesetz) ist Teil des „Gesetzes zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes vor Gewalt und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung“ vom 11.12.2001 (BGBl. I, S. 3513). 391

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

C. Die Ermittlung der Arglosigkeit des Opfers Die Arglosigkeit soll nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus Sicht des Opfers zu bestimmen sein. Schon bei einer erfolglos versuchten Tötung ist es zweifelhaft, ob das Opfer sich zuverlässig an seinen Kenntnisstand erinnern kann.392 Im Falle der vollendeten Tötung bereitet dies erhebliche Schwierigkeiten, da das Opfer in aller Regel393 nicht mehr in der Lage ist, anzugeben, ob es sich eines Angriffes versah oder nicht.394 Dagegen erlangt der erfolgreiche Täter die Deutungshoheit über die näheren Tatumstände und ist insbesondere nach anwaltlicher Beratung in der Lage, eine ihm günstige Beschreibung des Tatherganges abzugeben und so eine mildere Strafe zu ermöglichen. Möchte man an der Bestimmung der Arglosigkeit aus Sicht des Opfers festhalten, so bleibt nur die Möglichkeit, anhand objektiver Kriterien Rückschlüsse auf die Sicht des Opfers zu ziehen.395 So lässt etwa bei einer vollendeten Tötung das Vorhandensein oder das Fehlen bestimmter, typischer Verletzungen des Opfers Rückschlüsse darauf zu, ob es sich gegen den Angriff gewehrt hat. Auch kann man anhand von Spuren am Tatort feststellen, ob ein Abwehrkampf stattgefunden hat oder ob der Täter sein Opfer gleichsam ohne Widerstand töten konnte. Dennoch ist eine Bestimmung der Arglosigkeit aus der Sicht des Opfers in der Regel nur möglich, wenn sich der Normanwender in die Lage des Opfers versetzt und sich dabei fragt, ob er selbst oder jedenfalls ein durchschnittlicher, vernünftiger Anderer in der konkreten Situation mit einem Angriff gerechnet hätte. Die tatsächliche Ermittlung der Sicht des Opfers ohne diese gedankliche Operation ist schlicht unmöglich. Sie ist lediglich ein Beispiel für eine verdeckte Wertung, die der scheinbar deskriptiven Argumentation des Normanwenders eine höhere Legitimation verschaffen soll. Ohne dass dies in Entscheidungen ausdrücklich ausgesprochen wird, erforscht man daher nicht den tatsächlichen Wissensstand des konkreten Opfers, sondern es wird stattdessen gefragt, ob sich ein durchschnittliches, „vernünftiges“ Opfer in der konkreten Situation eines Angriffes versehen hätte. Je stärker man auf die Sicht eines „vernünftigen“ Opfers abstellt, desto mehr nähert man sich einem Arglosigkeitsbegriff an, der stärker auf das „Rechnenmüssen“ als auf das tatsächliche Rechnen mit einem Angriff abstellt. Damit geht eine stärkere normative Bestimmung – also eine Kate392 Selbst wenn dies der Fall wäre, so könnte die Glaubhaftigkeit einer solchen Aussage wegen des üblicherweise gegebenen, erheblichen Interesses des Opfers an einer möglichst hohen Strafe für den Angreifer in Zweifel gezogen werden. 393 Anders wäre es nur, wenn das Opfer erst verstirbt, nachdem es sich Dritten gegenüber zum Tathergang geäußert hat. 394 Mosbacher, NStZ 2005, 690 (691). 395 Mosbacher, NStZ 2005, 690.

C. Die Ermittlung der Arglosigkeit des Opfers

103

gorie des Sollens – im Gegensatz zu einer eher deskriptiven Bestimmung der Arglosigkeit – also einer Kategorie des Seins – einher. Eine wesentliche Grundannahme ist dabei, dass der individuelle Selbsterhaltungstrieb des Menschen dafür sorgt, dass man Angriffen zu entgehen versucht, weil jeder an seinem Leben hängt. Dies wird für die absolute Mehrzahl der Menschen ohne Einschränkung zutreffen. Gerade Tötungen im Nahbereich stellen sich jedoch oftmals als tödliche Zuspitzung eines lange schwelenden, von Gewalt gekennzeichneten Konfliktes dar. Solche Konflikte können auf das spätere Opfer derart zermürbend wirken, dass der natürliche Überlebensdrang durch Hoffnungslosigkeit und Gleichgültigkeit in den Hintergrund gedrängt wird und insbesondere auf Bedrohungen nicht mit rationalem Verhalten reagiert wird. Damit gerät jedoch eine Grundannahme des Erklärungsmusters, welches von dem äußeren Verhalten des Opfers auf dessen Argwohn schließt, ins Wanken. Einerseits kann eine solche Konfliktlage bewirken, dass selbst für jeden offensichtliche Feindseligkeiten nicht als Bedrohung wahrgenommen werden und somit die tatsächliche Arglosigkeit auch dann bestehen bleibt, wenn jeder vernünftige Mensch Argwohn hegen würde. Andererseits kann die Gleichgültigkeit dazu führen, dass auch auf vom Opfer tatsächlich wahrgenommene Bedrohungen mit einem Verhalten reagiert wird, das aus Sicht des Betrachters für eine Arglosigkeit spricht. Damit ist die zuverlässige Ermittlung der Arglosigkeit des Opfers stets mit Problemen behaftet, die jedoch von der Rechtsprechung oftmals nicht beachtet werden. Dies soll anhand einiger Entscheidungen belegt werden.

I. Die Arglosigkeit bei unmittelbar vorangegangenen Feindseligkeiten 1. BGHSt 20, 301 Bereits in dieser Entscheidung überschreitet der BGH die Grenze zu einem „Rechnenmüssen“ mit einem Angriff. Wegen der vorangegangenen Auseinandersetzungen zwischen der Ehefrau und ihrem Mann „konnte sie mit weiteren heftigen Angriffen rechnen. Hiernach war sie im Augenblick des Angriffs auf ihr Leben nicht mehr arglos [. . .]. Wer in dieser Weise offener Feindseligkeit begegnet, ist nicht mehr ohne Arg [. . .].“396 Hier lässt schon die Verallgemeinerung („Wer [. . .] offener Feindseligkeit begegnet“) deutlich werden, dass es nicht um eine konkrete Betrachtung 396

BGHSt 20, 301 (302).

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

der Opferperspektive, sondern um eine abstrakte Einschätzung aus Sicht eines „vernünftigen“ Opfers geht. 2. BGHSt 28, 210 Das spätere Opfer schlief im Wartesaal eines Bahnhofes auf einer Bank seinen Rausch aus. Nachdem der Täter dem Opfer die Brieftasche entwendet hatte und das Opfer ihm daraufhin einen Schlag in die Magengegend versetzt hatte, war der Täter zunächst geflüchtet. Als er mit einem Baustellenschild zurückkehrte, um sich für den Schlag zu rächen, hatte sich das Opfer wieder in dem Warteraum, in dem die Tätlichkeiten zuvor stattgefunden hatten, zum Schlafen auf eine Bank gelegt. Darauf hin tötete der Täter das mit halb geöffneten Augen auf der Bank liegende Opfer. Aus dem Verhalten des Opfers schließt der BGH, dass es „sich erkennbar keinem Angriff mehr ausgesetzt [sah], als er allein im Warteraum zurückblieb und sich erneut zum Schlafen niederlegte.“397 In der Verwendung des Wortes „erkennbar“ kommt dabei zum Ausdruck, dass der BGH auf Grund der äußeren und daher erkennbaren Umstände auf den inneren Zustand der Arglosigkeit schließt. Dennoch liegt unausgesprochen die Wertung zu Grunde, dass sich ein „vernünftiges“ Opfer nicht hingelegt hätte, wenn es mit einer Rückkehr des Täters gerechnet hätte. Zwar erscheint diese Schlussfolgerung naheliegend. Jedoch wird dabei unberücksichtigt gelassen, dass das Opfer, welches immerhin zuvor im Begriff war, seinen Rausch auszuschlafen, sich möglicher Weise gerade auf Grund seines Rausches nicht vernünftig verhalten konnte oder wollte. 3. BGHSt 27, 322 Der Täter war über einen Balkon in seine ehemalige Ehewohnung eingedrungen, um mit seiner zur Scheidung entschlossenen Frau einen letzten Aussöhnungsversuch zu unternehmen. Als er in der Schlafzimmertür stehend den Lichtschalter betätigte, erwachte seine Frau. Obwohl der Angeklagte mit einem hirschfängerartigen Messer in der Tür stand, blieb seine Frau mit erhobenem Kopf, jedoch ruhig ausgestreckt im Bett liegen und forderte ihn mit beleidigenden Worten zum Verlassen der Wohnung auf. Der Täter, nunmehr zur Tötung entschlossen, erwiderte auf die Beschimpfung: „Du Intrigantin, was hast Du mir angetan!“. Daraufhin lief er zum Bett, kniete oder setzte sich auf seine immer noch liegende Frau und erstach sie. 397

BGHSt 28, 210 (211).

C. Die Ermittlung der Arglosigkeit des Opfers

105

Der BGH sah in den wechselseitigen Beschimpfungen eine in offener Feindschaft geführte Auseinandersetzung, die die Arglosigkeit beseitige.398 Dagegen war das Landgericht davon ausgegangen, dass die Ehefrau entweder auf Grund von Schlaftrunkenheit oder weil sie ihrem Mann nach dreißig Ehejahren eine solche Tat nicht zugetraut hatte, liegen geblieben war. Im vorliegenden Fall lagen einerseits die Beschimpfung ihres Mannes, andererseits das Liegenbleiben als Anknüpfungspunkte für objektives Verhalten der Ehefrau vor. Das Landgericht bietet auch aus Sicht eines „vernünftigen“ Opfers in der konkreten Situation durchaus überzeugende Argumente, die das Liegenbleiben der Ehefrau erklären und damit für ihre Arglosigkeit sprechen. Sollte die Frau sich allerdings tatsächlich keines Angriffes versehen haben, obwohl sie die Bewaffnung ihres Mannes erkannt hatte, so mag dies für eine starke Naivität sprechen, die einem „vernünftigen“ Opfer fehlt. Wenn man jedoch tatsächlich an der Maßgeblichkeit der Sicht des konkreten Opfers festhalten will, so kann die Naivität des Opfers nichts an dessen Arglosigkeit ändern. Dagegen verlässt der BGH ausdrücklich die Opferperspektive und stellt ausschließlich auf die wechselseitigen Beschimpfungen ab, die es als unmittelbar vorangegangene, feindselige Auseinandersetzung einordnet: „Ist [. . .] eine in offener Feindschaft geführte Auseinandersetzung unmittelbar vorausgegangen, so fehlt es eben damit schon an der Arglosigkeit des Opfers und ist ein heimtückisches Handeln des Täters auszuschließen [. . .], ohne daß es noch darauf anzukommen hat, welche Vorstellungen das Opfer sich im einzelnen über etwa unmittelbar bevorstehende Auswirkungen dieser Feindseligkeit seines Gegenüber macht. Diese Grenzziehung für den Begriff der Heimtücke erscheint auch deshalb sinnvoll, weil sie den Tatrichter nicht mit besonders schwierigen Feststellungen zur inneren Tatseite belastet und die Frage, ob Mord oder Totschlag gegeben ist, nicht letztlich von Vorstellungen des Opfers abhängen läßt, das insofern allein verläßlich Auskunft geben könnte, im Falle der Tatvollendung jedoch nicht mehr reden kann.“399

Die Auffassung des BGH lässt sich daher in dieser Entscheidung damit beschreiben, dass ein „vernünftiges“ Opfer mit einem Angriff rechnen müsse, wenn eine in offener Feindseligkeit geführte Auseinandersetzung unmittelbar vorangegangen sei. Allerdings hat der BGH in späteren Entscheidungen400 die gegenteilige Ansicht vertreten. So lasse nicht bereits eine verbale Auseinandersetzung zwingend die Arglosigkeit des Opfers entfallen. Außerdem wendet er sich strikt gegen ein Verständnis der Arglosigkeit, das darauf hinausliefe, Arg398 399 400

BGHSt 27, 322 (324). BGHSt 27, 322 (324 f.). BGHSt 33, 363 (365); BGH, NStZ 2002, 368.

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

losigkeit auch dann zu bejahen, wenn das Opfer etwa auf Grund von Feindseligkeiten mit einem Angriff hätte rechnen müssen.401 Auf Anfrage des in dieser Sache zuständigen Senates hatte der 2. Senat daher mitgeteilt, dass er insoweit an seiner in BGHSt 27, 322 geäußerten Rechtsauffassung nicht festhalte.402 4. BGHSt 48, 207 In der bereits mehrfach erwähnten Erpresser-Entscheidung des BGH wird erstmals ausdrücklich eine Bestimmung der Arglosigkeit nach normativen Kriterien gefordert. Zwar bestimme sich die Arglosigkeit grundsätzlich nach der tatsächlich vorhandenen Einsicht in die ihm drohenden Gefahren und damit aus Sicht des konkreten Opfers.403 Allerdings könne auch hierbei aus dem vorausgegangenen, objektiven Verhalten des Opfers auf seine Kenntnis von einem Angriff geschlossen werden. Wer selbst einen Angriff auf einen anderen durchführe, müsse mit entsprechender Gegenwehr rechnen. Eine solche normative Einschränkung und Bestimmung der Arglosigkeit sei beim Mordmerkmal der Heimtücke möglich.404 5. BGH NStZ 2005, 688 Der Täter verlangte vom Opfer, welches sich von ihm getrennt hatte, die Herausgabe eines Autoschlüssels. Das Opfer, seine ehemalige Freundin, verlangte hingegen die Herausgabe ihres Wohnungsschlüssels. Um dem nicht nachkommen zu müssen, hielt ihr der Angeklagte zur Unterstreichung seines Verlangens eine geladene Pistole an den Kopf. Da ihr der Angeklagte in den Jahren zuvor mehrmals in ähnlicher Weise gedroht hatte, nahm sie die Drohung nicht ernst. Auch entgegnete sie dem 11-jährigen Zeugen S auf dessen Flehen, dass er keine Angst zu haben brauche, weil nichts passieren werde. Unmittelbar darauf fasste der Angeklagte, der sich durch die Aussage gekränkt fühlte, einen Tötungsentschluss und tötete sie mit einem Schuss aus einer Entfernung von maximal zwei Zentimetern. Es ist zuzugeben, dass es aus Sicht eines verständigen Dritten zunächst geradezu kurios anmutet, ein in den Lauf einer Waffe blickendes Opfer versehe sich keines Angriffes.405 401 402 403 404

BGHSt BGHSt BGHSt BGHSt

33, 33, 48, 48,

363 363 207 207

(365). (366). (210). (211).

C. Die Ermittlung der Arglosigkeit des Opfers

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Auch in dieser Entscheidung schloss der 2. Senat aus dem objektiven Verhalten des Opfers auf dessen Arglosigkeit.406 Aus der Äußerung zum Zeugen, es werde nichts passieren, sowie aus der Tatsache, dass sie es unterließ, nach der Waffe zu greifen und sich so aus der Schussbahn zu nehmen, schließt der 2. Senat auf ihre Arglosigkeit. Damit erteilt der Senat einer Sichtweise, die lediglich darauf abstellt, ob ein Dritter in der konkreten Situation mit einem Angriff gerechnet hätte, eine Absage. Diese Auffassung ist konsequent; denn wenn man an der Maßgeblichkeit der Opfersicht festhalten will, dann kann es keine Rolle spielen, dass ein verständiger Dritter in der konkreten Situation möglicherweise argwöhnisch gewesen wäre.407 Das gedankliche Heranziehen eines Dritten darf die konkrete Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht außer Acht lassen, sondern muss vom Erfahrungshorizont des konkreten Opfers ausgehen. Wenn jedoch der Täter in der Vergangenheit dem späteren Opfer mehrfach ohne Folgen eine Waffe an den Kopf gehalten hätte, so müsste er bei einem Wiederholungsfall nicht seine Arglosigkeit verlieren. Aus den Vorkommnissen der Vergangenheit könnte er vielmehr den Schluss ziehen, dass auch diesmal nichts passieren werde. Denn es macht einen Unterschied, ob man erstmals unvermittelt eine Waffe an den Kopf gehalten bekommt oder ob dies zum wiederholten Male geschieht, ohne dass der Drohung mit der Waffe in der Vergangenheit Taten folgten. Daher ist das Ergebnis – der arglose Blick in den Lauf einer Waffe – nur dann kurios, wenn man sachwidrig die TäterOpfer-Beziehung außer Acht lässt.

II. Die Arglosigkeit in sonstigen Fallkonstellationen 1. BGHSt 41, 72 Auch in der Entscheidung zu der Tötung von Polizisten am Bülowplatz im Jahre 1931 entnimmt der BGH ausdrücklich dem äußeren Verhalten der Opfer, dass sie arglos waren: „Arglos ist, wer sich keiner Feindseligkeit des Täters versieht. Die Arglosigkeit der Polizeibeamten hat das Landgericht rechtsfehlerfrei belegt. Aus dem Verhalten der Polizeibeamten ergibt sich ohne weiteres, dass sie keinen Angriff des Angeklagten und der anderen Täter erwarteten. Nur so ist zu erklären, dass die Polizeibeamten sich nicht nach hinten sicherten und dadurch wehrlos waren. [. . .]408 405

So Mosbacher, NStZ 2005, 690. BGH, Urt. v. 10.11.2004 – 2 StR 248/04, insofern in NStZ 2005, 688 ff. nicht abgedruckt. 407 A. A. Mosbacher, NStZ 2005, 690 (691). 408 BGHSt 41, 72 (79); Hervorhebung des Verfassers. 406

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

Der BGH stellt hier wiederum auf einen verständigen Dritten in der Rolle des Opfers ab. Hätten die Polizisten einen Angriff erwartet, so wäre die zu erwartende, weil vernünftige Reaktion das Absichern nach hinten gewesen. 2. BGH NStZ-RR 2001, 297 Im Falle der Tötung eines Grenzverletzers, der unmittelbar nach öffentlich bekannt gewordenen Grenzverletzungsaktionen ebenfalls die innerdeutsche Grenze demonstrativ überschritten und dabei lautstark auf sich aufmerksam gemacht hatte, stellte der BGH – allerdings bei der Frage des Ausnutzungsbewusstseins – ebenfalls auf einen objektiven Maßstab ab: „Angesichts der Verhältnisse an der innerdeutschen Grenze im Jahre 1976 versteht es sich keineswegs von selbst, daß sich ein ‚Grenzprovokateur‘, der sich nach Überschreiten dieser Grenze auf dem Gebiet der DDR bis unmittelbar an deren ersten Grenzzaun vorgewagt hatte, keiner feindseligen Angriffe auf seine Person versah. Im Gegenteil mußte, wer die Grenze illegal überschritt, naheliegender Weise auch in Rechnung stellen, daß Angehörige der Grenztruppen im Falle seiner Entdeckung möglicherweise Schüsse auf ihn abgeben würden. In der angespannten Situation, die in den Tagen vor der Tat – unter anderem mit der Folge eines verstärkten Einsatzes von Grenzaufklärern – entstanden war, nachdem Unbekannte vom Westen aus „Lampen an den Grenzsicherungsanlagen ‚ausgeschossen‘ beziehungsweise ‚ausgeworfen‘ “ hatten, mußte die Gefahr eines Schußwaffeneinsatzes einem Grenzverletzer, zumal wenn er provozierende Aktionen plante, deutlich vor Augen stehen.“409

Darin kommt die Überzeugung des BGH zum Ausdruck, dass ein „vernünftiges“ Opfer in der konkreten Situation nicht arglos gewesen wäre. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass es hier nicht um die Bestimmung der Arglosigkeit des Opfers ging, sondern um die Vorstellungen des Täters von der möglichen Arglosigkeit des Opfers. Hier kann bereits nach den allgemeinen Grundsätzen der Vorsatzlehre ein Heimtückevorsatz des Täters ausscheiden. Auch wenn der Täter etwa auf Grund seines eigenen Verhaltens nicht damit rechnet, dass das Opfer arglos ist, scheidet Heimtücke aus.410

D. Die Bestimmung der Wehrlosigkeit des Opfers Der Hilfsbegriff der Wehrlosigkeit hat zunächst die Funktion, durch das Aufstellen einer weiteren Anforderung den Anwendungsbereich der Heimtücke einzuschränken. Es reicht daher nicht aus, dass das Opfer arglos ist. Vielmehr muss es zusätzlich und gerade auf Grund seiner Arglosigkeit 409 410

BGH, NStZ-RR 2001, 296 (297); Hervorhebungen des Verfassers. BGH, StraFo 2007, 124; BGH, StV 1998, 543 (544).

D. Die Bestimmung der Wehrlosigkeit des Opfers

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wehrlos sein.411 Das Erfordernis der Wehrlosigkeit kann wiederum nur vor dem Hintergrund einer Gefährlichkeitskonzeption verstanden werden. Wenn die heimtückische Begehungsweise eine für das Opfer besonders gefährliche Tötungsweise sein soll, so wäre es nicht gerechtfertigt, eine Tötungsweise als besonders gefährlich anzusehen, wenn sich das spätere Tatopfer zunächst einigermaßen erfolgreich zur Wehr setzen konnte. In einem solchen Fall liegt im Vergleich zu der allgemeinen Gefährlichkeit, die jedem tödlichen Angriff innewohnt, gerade keine die Mordmerkqualifikation rechtfertigende, besondere Gefährlichkeit vor. Einigkeit besteht zunächst darin, dass es sich um eine relative, situative Wehrlosigkeit handelt. Daher wird nicht gefragt, ob das Opfer dem Täter allgemein etwa an Körperkräften über- oder unterlegen war. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch grundsätzlich über Verteidigungsmöglichkeiten verfügt. Wehrlosigkeit setzt daher voraus, dass das Opfer über keine oder nur eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeiten verfügt, um den Angriff abzuwehren oder wenigstens zu erschweren.412 Im Übrigen erscheint es konsequent, die Wehrlosigkeit des Opfers auch dann zu verneinen, wenn es den Angriff zwar letztlich nicht abwenden, aber doch erschweren konnte. Denn es gehört nicht zu den Wesensmerkmalen der Verteidigung, dass sie stets erfolgreich sein muss. Vielmehr kann auch ein Verhalten, das letztlich nicht erfolgreich ist, eine Verteidigung darstellen.

I. Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers Als Verteidigungsmöglichkeit kommt zunächst die Abwehr des Angriffs durch tätliche Gegenwehr in Betracht. Auch die Verwendung von Waffen und anderen Gegenständen, die sich zur Verteidigung eignen, stellen Verteidigungsmöglichkeiten dar. Weiter kann der Angegriffene versuchen, sich dem Einwirkungsbereich des Täters durch Flucht zu entziehen. Schließlich besteht die Möglichkeit zu versuchen, die Hilfe Dritter bei der Abwehr oder Flucht in Anspruch zu nehmen. Abzulehnen ist allerdings die Auffassung des BGH, dass zu den tauglichen Verteidigungsmitteln auch die kommunikative Einwirkung auf den Täter, etwa durch Flehen, Bitten oder sonstige Umstimmungsversuche gehöre.413 Denn ein Verhalten, dessen angriffsbeendende Wirkung ausschließ411

NK-Neumann, § 211 Rn. 69; Fischer, § 211 Rn. 40. BGHSt 2, 60 (61); 11, 139 (143); 20, 301 (302); 32, 382 (384); BGH, NStZ 1985, 216; NStZ 1989, 364 (365). 413 So aber BGH, NStZ 1989, 364 (365); BGHSt 2, 251 (254 f.) 11, 139 (143); 20, 301 (304); in den in diesem Zusammenhang ebenfalls häufig zitierten Entschei412

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

lich vom Willen des Angreifers abhängt, ist keine taugliche Verteidigungsmöglichkeit des Angegriffenen.414

II. Das Maß der Wehrlosigkeit Die Bestimmung des Maßes an Wehrlosigkeit, welches beim Opfer vorliegen muss, bereitet Probleme. Der Begriff der Wehrlosigkeit steht in Abhängigkeit zum Begriff der Arglosigkeit. Wenn man zunächst vom Leitbild der Arglosigkeit ausgeht, so ist ein Opfer betroffen, das sich überhaupt keines Angriffes versieht. Weil es den Angriff nicht erwartet hat, kann es sich nicht dagegen zur Wehr setzen. In einem solchen Fall ist das Opfer auf Grund seiner Arglosigkeit völlig wehrlos. Das wird sich darin äußern, dass das Opfer dem Angriff entweder gar nicht begegnen kann oder – soweit überhaupt möglich – erst mit Gegenwehr reagieren kann, wenn der Angreifer bereits auf den Körper des Opfers eingewirkt hat. 1. Kein Erfordernis absoluter Wehrlosigkeit Da das Opfer in allen Fällen, in denen es nicht bereits durch die erste Einwirkung auf den Körper getötet oder kampfunfähig gemacht wird, mit Gegenmaßnahmen reagieren wird, käme man in der großen Mehrzahl der Fälle zu einer Verneinung der Wehrlosigkeit, wenn jede ergriffene Gegenmaßnahme die Wehrlosigkeit entfallen ließe. Anders als es der Wortlaut nahe legt, wird für den Begriff der Wehrlosigkeit jedoch nicht verlangt, dass das Opfer gänzlich ohne Verteidigungsmöglichkeiten ist.415 Vielmehr kann Wehrlosigkeit auch dann gegeben sein, wenn die Verteidigungsmöglichkeiten lediglich reduziert sind.416 Ebenso wie die Arglosigkeit nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Angriff im letzten Moment erkannt wird, soll die Wehrlosigkeit nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass auf den im letzten Augenblick erkannten Angriff mit Abwehrmaßnahmen reagiert wurde.417 Denn auch bei der Bestimmung der Wehrlosigkeit kommt es auf den Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffes an, sodass danach ergriffene Abwehrmaßnahmen grundsätzlich die Wehrlosigkeit dungen BGHSt 2, 60 (61) sowie BGH, GA 1971, 113 (114) ist allerdings nur von einer „sonstigen Einwirkung auf den Täter“ die Rede, wobei jedoch offen bleibt, ob damit zwingend eine kommunikative Einwirkung gemeint ist. 414 So zutreffend NK-Neumann, § 211 Rn. 68. 415 MüKo-Schneider, § 211 Rn. 138. 416 BGH, NJW 2007, 3587 (3589); BGH, GA 1971, 113 (114); MüKo-Schneider, § 211 Rn. 138; Küper, JuS 2000, 740 (741); Fischer, § 211 Rn. 39; Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 24a. 417 BGH, NStZ 2006, 96; BGH, StV 1981, 338 (339).

D. Die Bestimmung der Wehrlosigkeit des Opfers

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nicht beseitigen können.418 Insbesondere reicht das Vorhandensein typischer Verteidigungsverletzungen des Opfers, etwa an den schützend vor das Gesicht erhobenen Armen, nicht aus, um eine Wehrlosigkeit des Opfers zu verneinen. Für Erfolg versprechende Verteidigungsmöglichkeiten ist zudem die Zeitspanne zwischen der Wahrnehmung der Gefahr durch das Opfer und dem tatsächlichen Angriff entscheidend. Je weniger Zeit dem Opfer für eine Gegenwehr oder Flucht bleibt, desto eher wird man trotz an sich nur geringfügig eingeschränkter Verteidigungsmöglichkeiten von einer Wehrlosigkeit des Opfers ausgehen müssen. Daher überzeugt es nicht, wenn der BGH in der Entscheidung StV 1998, 544 bereits bei einer kurzen Zeitspanne, die jedoch über eine „Schrecksekunde“ hinausgeht, einen Ausschluss der Wehrlosigkeit annimmt.419 2. Das Maß der relativen Wehrlosigkeit als Problem Schwierigkeiten bereitet jedoch die Bestimmung der Grenze der Erheblichkeit, ab deren Erreichen trotz gewisser Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten die Wehrlosigkeit zu verneinen ist. Teilweise wird verlangt, dass eine „erhebliche“,420 „entscheidende“421 oder sogar eine „starke“ 418

BGH, NStZ 2006, 96 (97). So aber BGH, StV 1998, 544 (545); nach den Feststellungen hatte sich ein Auftragsmörder mit einer List Zutritt zur Wohnung des (späteren zweiten) Opfers verschafft. Es wurde auf den Täter aufmerksam, als dieser dem Lebensgefährten des Opfers mit einer Flasche auf den Kopf schlug, eine Pistole hervorzog und ihn aus nächster Nähe erschoss. Nachdem er den tödlich Getroffenen an sich vorbei in den Flur schob, ging der Täter ein bis zwei Schritte auf das zweite Opfer zu, um es zu töten. Es überzeugt nicht, dass der BGH hier bereits die Arglosigkeit des Opfers verneint. Es hätte auf Grund des listigen Vorgehens näher gelegen, hier die Herbeiführung eines Hinterhalts anzunehmen; dann wäre die Arglosigkeit wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs mit der ersten Tat auch bei der zweiten Tat nicht zu verneinen gewesen, obwohl der Täter dem zweiten Opfer offen feindselig gegenübertrat (vgl. dazu unten S. 118 f.). Die Begründung der Arglosigkeit erscheint konkret jedoch auch aus anderen Gründen unzutreffend: „Unter diesen Umständen war die Zeugin aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr arglos. Auch wenn die Zeitspanne, in der sich das vorangegangene Tatgeschehen abspielte, nur kurz war, ging sie doch über einen bloßen Schreckensmoment hinaus. Der Zeugin wäre es objektiv möglich gewesen, dem zu erwartenden Angriff durch Hilfeschreie oder Ergreifen von Abwehrmittel zu begegnen.“ Damit begründet der BGH den Ausschluss der Arglosigkeit mit dem Fehlen der Wehrlosigkeit. Nach der Arglosigkeitsformel des BGH ist jedoch arglos, wer sich keines Angriffes versieht. Die Arglosigkeit kann jedoch nicht mit der Wehrlosigkeit begründet werden. 420 MK-Schneider, § 211 Rn. 138. 421 BGH, NStZ 1999, 506 (507). 419

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

beziehungsweise „gravierende“ Einschränkung vorliegen muss.422 Andererseits soll es schon ausreichen, dass die Selbstschutzmöglichkeiten überhaupt reduziert sind.423 Dadurch ergeben sich zwangsläufig Abgrenzungsprobleme. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob auch das Vorhandensein nahezu aussichtsloser Verteidigungsmöglichkeiten die Wehrlosigkeit entfallen lässt. Der BGH stellt dabei darauf ab, ob das Opfer trotz eingeschränkter Verteidigungsmöglichkeiten noch zu wirksamer Gegenwehr im Stande war.424 Wie bereits dargelegt, kann die Wirksamkeit der Gegenwehr jedoch nicht damit begründet werden, dass sie letztlich erfolglos blieb. Problematisch ist weiter, inwieweit die Wehrlosigkeit dadurch ausgeschlossen sein soll, dass das Opfer Verteidigungsmöglichkeiten etwa aus Furcht vor Verletzungen nicht ergriffen hat. Allerdings wird eine Handlungsoption erst dadurch zum Verteidigungsmittel, dass es eine gewisse Erfolg versprechende Möglichkeit zur Abwehr oder wenigstens zur Erschwerung des Angriffs bietet. Es erscheint daher äußerst bedenklich, wenn der BGH auch solche Handlungsoptionen zu den Verteidigungsmöglichkeiten 422

BGH, GA 1971, 113 (114); Fischer, § 211 Rn. 39. Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 24a; Küper, JuS 2000, 740 (741). 424 BGH, NJW 2007, 3587 (3589) bejahte dies – allerdings nur für einen Zeitpunkt, der noch vor dem ersten, mit Tötungsvorsatz geführten Angriff lag – im konkreten Fall, obwohl das Opfer mit freiwillig auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden lag. Wegen der einverständlichen Fesselung könnte man zunächst daran denken, dass die Wehrlosigkeit nicht auf der Arglosigkeit – soweit sie bejaht wird – beruhte, sondern auf der – noch ohne Tötungsvorsatz vorgenommen – Fesselung. Der Fall weist deutliche Parallelen zum Sachverhalt einer Entscheidung des 3. Senats in BGHSt 32, 384 auf. In diesem Fall hatte sich das Opfer ebenfalls freiwillig fesseln lassen, allerdings an Händen und Füßen. Als die Täterin sich nach einem heftigen Streit mit wechselseitigen Beleidigungen zur Tötung entschloss, hockte das Opfer noch gefesselt auf einer Matratze. Der BGH verneinte zwar bereits die Arglosigkeit, weil die Täterin nunmehr offen feindselig auf das Opfer zuging und es erdrosselte. Jedoch hob er zusätzlich hervor, dass das Opfer zwar gänzlich wehrlos gewesen sei, jedoch das bloße Ausnutzen der Wehrlosigkeit nicht für die Annahme einer heimtückischen Tötung genüge. Trotz der Parallelen kam der 1. Senat in der Entscheidung BGH, NJW 2007, 3587 zu einem anderen Ergebnis. Der Senat war der Auffassung, dass das mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Bauch liegende Opfer vor dem ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriff nicht gänzlich wehrlos gewesen sei. Denn es sei noch im Stande gewesen, einen Angriff auf sein Leben durch Tritte oder durch einen Fluchtversuch wenigstens deutlich zu erschweren. Erst dadurch, dass der Täter dem Opfer nunmehr mit Tötungsvorsatz auch die Füße und Unterschenkel gefesselt habe, sei es vollkommen widerstandsunfähig geworden. Der BGH bejahte die heimtückische Tötung, weil das Opfer im Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffes nicht bereits auf Grund der einverständlichen Handfesselung, sondern erst durch die überraschende Fesselung an Füßen und Unterschenkel gänzlich wehrlos geworden sei. 423

D. Die Bestimmung der Wehrlosigkeit des Opfers

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zählt, die nur mit einer erheblichen Selbstgefährdung und mit völlig ungewissen Erfolgsaussichten ausgeübt werden können. So hatte der BGH in der Entscheidung NStZ 1989, 364 die Wehrlosigkeit des späteren Tatopfers verneint, weil es auf der erzwungenen Autofahrt zum Tatort nicht versucht hatte, aus dem fahrenden Fahrzeug zu springen.425 Neben der durch ein solches Verhalten ohnehin bestehenden Verletzungsgefahr hatte der Täter jedoch einen solchen Fluchtversuch zusätzlich dadurch zu verhindern gesucht, in dem er das Opfer auf der Fahrt dauerhaft mit einem Messer bedrohte. Vor diesem Hintergrund ist es abzulehnen, bereits jede Handlungsoption, die „nicht gänzlich sinnlos“426 erscheint, als Verteidigungsoption anzusehen. Auch in der Entscheidung BGH NStZ-RR 1996, 98 verneinte der BGH die Wehrlosigkeit des Opfers mit der Begründung, dass es auf der wiederum erzwungenen Fahrt zum Tatort objektiv die Möglichkeit gehabt hätte, vom Beifahrersitz aus die auf dem Schoß der Täterin liegende Pistole zu ergreifen und sich dadurch zu wehren.427 Aus der objektiven Möglichkeit, die Waffe zu ergreifen, folgt jedoch nicht, dass das vom Täter überraschte Opfer mit hinreichender Aussicht auf Erfolg die Waffe als Drohungsmittel oder gar als Schusswaffe hätte einsetzen können. So weiß in der Regel nur der Täter, ob die von ihm verwendete Waffe echt oder nur eine Scheinwaffe ist, geladen oder ungeladen sowie gesichert oder entsichert ist, sodass er die mit der Wiedererlangung verbundene Gefahr zuverlässig zu beurteilen vermag. Dagegen wird das im Umgang mit Waffen wahrscheinlich nicht vertraute Opfer nicht in der Lage gewesen sein, eine eventuell vorhandene Sicherung in Sekundenbruchteilen zu erkennen und zu lösen. Die Notwendigkeit, innerhalb von Sekundenbruchteilen zu handeln, ergibt sich hier aus der räumlichen Nähe zum Täter und den eingeschränkten Fluchtmöglichkeiten im Innenraum eines Fahrzeugs, das vom Täter bewegt wird. Vielmehr hätte sich das Opfer durch den Versuch, die Waffe des Täters zu erlangen, der Gefahr ausgesetzt, bereits zu diesem Zeitpunkt vom Täter erschossen zu werden. Darüber hinaus bestehen grundsätzliche Einwände gegen eine objektive Bestimmung der Wehrlosigkeit. Denn wenn für die Bestimmung der Arglosigkeit die Opfersicht maßgeblich sein soll, so kann für die Bestimmung der Wehrlosigkeit nichts anderes gelten. Entgegen der Auffassung des BGH entfiel daher nicht die Wehrlosigkeit des Opfers.428 425

BGH, NStZ 1989, 364 (365). So jedoch BGH, a. a. O. 427 Auch BGH, StV 1998, 544 (545) stellt auf die objektive Möglichkeit der Angriffsabwehr ab. 428 Die Entscheidung BGH, NStZ-RR 1996, 98 vermag auch aus einem anderen Grund nicht zu überzeugen. Denn der BGH begründet das Fehlen der Wehrlosigkeit 426

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5. Kap.: Leitbild der Heimtücke in der Rechtsprechung des BGH

Meines Erachtens können nicht wahrgenommene Verteidigungsmöglichkeiten die Wehrlosigkeit daher nicht beseitigen, wenn sie aus Sicht des Opfers insbesondere wegen des mit dem Fehlschlagen verbundenen Risikos keine hinreichende Aussicht auf Erfolg versprachen. Ebenso wie die Unschädlichkeit im letzten Moment ergriffener Abwehrmaßnahmen ist dies allerdings ein Ergebnis normativer Betrachtung. Denn ein rein deskriptives Verständnis der Wehrlosigkeit würde nur bei einem völligen Ausschluss jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten zur Bejahung der Wehrlosigkeit führen. Damit wäre jedoch der Anwendungsbereich der Heimtücke beispielsweise dann verschlossen, wenn ein Opfer die Bewegungsenergie eines auf seinen Kopf abgefeuerten Projektils durch kaum schützendes Hochhalten seiner Arme geringfügig gemindert hätte.

mit Verteidigungsmöglichkeiten, die das Opfer noch vor Beginn des Tötungsversuches gehabt haben soll. Das ist jedoch nicht mit der Auffassung des BGH vereinbar, wonach es für die Bestimmung der Arg- und Wehrlosigkeit auf den Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffes ankommen soll.

6. Kapitel

„Klassische“ Anwendungsfälle der Heimtücke nach der Rechtsprechung des BGH Eine Reihe von Fallgruppen können als geradezu „klassische“ Fälle heimtückischer Tötung bezeichnet werden. Sie stellen die Fallgruppen dar, in denen nach Auffassung des BGH die Formel von der Arg- und Wehrlosigkeit ohne weiteres zur Bejahung der Heimtücke führt. Das Leitbild der Heimtücke wird durch solche Fälle geprägt. Eine nähere Betrachtung der Fälle ergibt allerdings, dass auch in „klassischen“ Heimtückefällen oftmals ein erhöhter Begründungsaufwand erforderlich ist. Bei der Aufstellung von Leitbildern kann sich der BGH grundsätzlich zweier Instrumente bedienen. Zum einen kann er hohe Anforderungen an die Erfüllung eines Merkmals stellen, indem er dafür eine notwendige Bedingung fordert. Zum anderen kann er niedrige Anforderungen stellen, indem er lediglich eine hinreichende Bedingung fordert. „Klassische“ Fälle der Heimtücke zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen hinreichende Bedingungen an das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke aufgestellt werden. Die Bestimmung des Anwendungsbereiches einer Norm wird stark mitbestimmt durch das Vorverständnis des Normanwenders.429 Daher beeinflussen „klassische“ Fälle das Vorverständnis des Normanwenders in einer Weise, dass bei der Subsumtion zwischen Lebenssachverhalt und abstrakter Norm stets auch eine Rückkopplung an das vom Vorverständnis geprägte Bild der Norm gegeben ist. Andererseits legt sich die Rechtsprechung durch das Fordern einer lediglich hinreichenden Bedingung nicht zu stark auf einen fest umgrenzten Anwendungsbereich der Norm fest. Denn es ermöglicht ihr, auch nicht-„klassische“ Fälle etwa dann als heimtückisch zu beurteilen, wenn zwar nicht hinreichende, aber notwendige Bedingungen der Heimtücke erfüllt sind.

429

Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 13 I S. 117.

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6. Kap.: „Klassische“ Anwendungsfälle der Heimtücke

A. Die Tötung eines Schlafenden Voraussetzung für die Arglosigkeit ist zunächst die Fähigkeit zum Argwohn.430 Das Opfer muss also physisch in der Lage sein, den drohenden Angriff als solchen, d.h. als eine abzuwehrende Bedrohung zu erkennen.431 Denn wenn das straferhöhende Moment der Heimtücke darin erblickt wird, dass der Täter sein Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch darin hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen, so kann dies nicht verfangen, wenn das Opfer konstitutionell ohnehin nicht über Selbstschutzmöglichkeiten verfügt, die ihm durch den Täter entzogen werden könnten.432 Diese Fähigkeit soll nach herrschender Meinung Kleinkindern und Besinnungslosen fehlen.433 Dagegen sind nach herrschender Meinung Schlafende – jedenfalls in der Regel – nicht konstitutionell arg- und wehrlos. Vielmehr hat der BGH die Tötung eines Schlafenden als „geradezu klassisches Beispiel der Heimtücke“434 bezeichnet. Dass die Tötung eines Schlafenden faktisch eine hinreichende Bedingung für die Heimtücke darstellt, wird auch daran deutlich, dass in diesem Fall keine noch so heftige Gemütsbewegung zur Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins führen soll.435 Der BGH hat allerdings das Problem erkannt, dass der Tötungsvorsatz gegeben sein muss, solange das Opfer noch arglos ist. Der BGH versuchte dieses Dilemma mit seiner bekannten Formel zu lösen: „Wer sich zum Schlafe niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den Schlaf; sie begleitet ihn, auch wenn er sich ihrer nicht mehr bewusst ist.“436

Allerdings sollen die Umstände des konkreten Falles ausnahmsweise auch eine andere Bewertung rechtfertigen. Insbesondere kann die Arglosigkeit eines Schlafenden verneint werden, wenn er auf Grund anderer Umstände gleichsam vom Schlaf übermannt wurde.437 In diesem Fall bestehe 430

BGHSt 4, 11 (12); LK-Jähnke, § 211 Rn. 42; MüKo-Schneider, § 211 Rn. 133. MüKo-Schneider, § 211 Rn. 133. 432 BGHSt 8, 216 (218); MüKo-Schneider, § 211 Rn. 133. 433 BGHSt 3, 330 (332); 4, 11 (12 f.); 18, 37 (38); BGH, NJW 1966, 1823 (1824); Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 25b; LK-Jähnke, § 211 Rn. 42. A. A. im Hinblick auf Bewusstlose etwa Dreher, MDR 1970, 248 (249); Meyer, JR 1979, 441 (442); Kargl, JURA 2003, 189 (191). 434 BGHSt 23, 119 (121). 435 BGH, StV 2004, 596. Anders jedoch bei der Tötung eines schlafenden Haustyrannen BGH, StV 1981, 523 (524); BGH, NStZ 1984, 20 (21). 436 BGHSt 23, 119 (121). 431

A. Die Tötung eines Schlafenden

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die Möglichkeit, dass das Opfer nicht seine Arglosigkeit, sondern nur seine Wehrlosigkeit mit in den Schlaf genommen habe. Insbesondere die unterschiedliche Behandlung von Schlafenden und Bewusstlosen durch den BGH ist auf Kritik gestoßen. So sprechen einige Autoren sowohl dem schlafenden, als auch dem bewusstlosen Opfer die Fähigkeit zum Argwohn ab.438 Beiden Opfergruppen fehle das Bewusstsein und damit die Fähigkeit zum Argwohn. Wenn jedoch die Fähigkeit zum Argwohn Grundvoraussetzung für die Arglosigkeit sei, so erfüllten beide Opfergruppen diese Voraussetzung nicht. Dennoch hat der BGH auch in jüngster Zeit an seiner Auffassung, dass gegenüber Schlafenden eine heimtückische Tötung möglich sei, festgehalten.439 Auch hierbei wird unausgesprochen darauf abgestellt, wie sich ein „vernünftiges“ Opfer verhalten würde, wenn es mit einem Angriff rechnet. Denn würde es einen Angriff erwarten, so würde ein solches Opfer sich nicht schlafen legen, sondern alles unternehmen, um nicht vom Schlaf übermannt zu werden. Es erscheint durchaus plausibel, von einem Opfer, das noch nicht mit dem Leben abgeschlossen hat, zu erwarten, dass es nicht dem Schicksal überlässt, ob es weiter am Leben bleibt oder nicht. Sicherlich wird man etwa von einem Opfer, das vor dem Zubettgehen einen Schlafanzug anzieht und sich Kleidung für den nächsten Tag zurechtgelegt hat, sagen können, dass es mit einem Erwachen am nächsten Tag gerechnet hat. Allerdings muss man dabei eingestehen, dass hier die Sicht eines „durchschnittlichen“ Menschen angenommen wird. Besonderheiten des Opfers, wie etwa eine große Naivität angesichts einer evidenten Bedrohung oder auch eine Schicksalsergebenheit oder Lebensmüdigkeit bleiben bei dieser Einschätzung außer Acht, weil sie nicht auf ein „vernünftiges“, durchschnittliches Opfer zutreffen. Dogmatisch lässt sich die Einbeziehung der Schlafenden in den Schutzbereich der Heimtücke nur durch Vorverlagerung des für die Arglosigkeit maßgeblichen Zeitpunktes erreichen.440

437

BGH, NStZ 2007, 523 (524); diese Frage wurde von BGHSt 23, 119 (121) noch offen gelassen. 438 Küper, JuS 2000, 740 (745); Otto, JURA 2003, 612 (619); Joecks, § 211 Rn. 36. 439 BGH, Urt. v. 13.09.2006 – 2 StR 268/06; BGH, NStZ 2006, 338 (339); BGHSt 48, 255 (256). 440 Nach BGHSt 32, 382 (386) handelt es sich dabei um eine „anerkannte Modifizierung, die den maßgeblichen Zeitpunkt der Arglosigkeit betrifft“; vgl. auch KettStraub, JuS 2007, 515 (519).

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6. Kap.: „Klassische“ Anwendungsfälle der Heimtücke

B. Das Locken in einen Hinterhalt Zwar ist es nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht erforderlich, dass der Täter selbst die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers herbeigeführt hat.441 Ausreichend ist vielmehr, dass der Täter eine vorgefundene Argund Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung ausnutzt. Dennoch wird heimtückisches Handeln nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich bejaht, wenn der zur Tötung entschlossene Angreifer das Opfer in einen Hinterhalt gelockt oder ihm eine Falle gestellt hat.442 Auch bei dieser Fallgruppe bedarf jedoch die Bejahung der Heimtücke eines etwas größeren Begründungsaufwandes. Denn der Täter kann dem Opfer in einer von ihm vorbereiteten, günstigen Situation auch offen feindselig gegenüber treten und sich damit in einer Art und Weise verhalten, die normalerweise die Arglosigkeit des Opfers beseitigt. Wenn der Täter jedoch bereits bei der Vorbereitung der Tat in Tötungsabsicht handelte, so kommt es nach Auffassung des BGH nicht darauf an, ob und gegebenenfalls in welchem Zeitpunkt das Opfer den Angriff erkennt.443 Vielmehr trete das Tückische einer solchen Tatvorbereitung und -ausführung in einem solchen Verhalten besonders deutlich hervor.444 Dies stellt eine Abweichung von der Regel dar, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung der Arglosigkeit der erste, mit Tötungsvorsatz geführte Angriff ist.445 Man kann darin auch ein Fortwirken des alten Mordmerkmals der Überlegung erkennen. Denn das Stellen eines Hinterhaltes oder das Locken in eine Falle dürfte stärkster Ausdruck einer Überlegung des Täters sein.

C. Der Giftmord Bereits in den Vorentwürfen von Carl Stooß446 war die Tötung „mittelst Gift“ als eigenständiges Mordmerkmal enthalten gewesen. Dennoch hatte Zürcher447 auf der Grundlage der Vorentwürfe den Giftmord für einen besonderen Fall der heimtückischen Tötung gehalten. 441

BGHSt 8, 216 (219); 18, 87 (88); BGH, NStZ 2006, 338 (339). BGHSt 27, 322 (324); 22, 77 (79); BGH, NStZ 1984, 261. 443 BGHSt 22, 77 (80); BGH, NStZ 1991, 233 (234); NStZ 1984, 261; BGH, StV 1981, 338 (339). 444 BGHSt 22, 77 (79 f.). 445 Küper, JuS 2000, 740 (743). 446 Vgl. oben S. 64 Fn. 197. 447 Zürcher, Erläuterungen zum Vorentwurf (1914), S. 121. 442

C. Der Giftmord

119

Auch Freisler448 hält den Giftmord offenbar für einen Unterfall der Heimtücke. Allerdings weist er zugleich darauf hin, dass die Frage, „ob man den Giftmörder ausdrücklich als veranschaulichenden Mördertyp“ in das Gesetz aufnehmen solle, in der Strafrechtsreformkommission kontrovers diskutiert worden sei. Schließlich sei der ursprünglich in den Entwürfen vorhandene Giftmord jedoch gestrichen worden, weil es eben doch Fälle gebe, „in denen diese Art der Tötung, die man zunächst sehr geneigt sein wird, als heimtückisch zu kennzeichnen, aus Motiven gewählt ist, die die Tat in ganz anderem Licht erscheinen lassen.“ 449 Heute wird die Tötung mittels eines Giftes wegen der üblicherweise damit verbundenen Ausschaltung der körpereigenen Abwehr- und Alarmmechanismen als „klassischer“ Fall einer heimtückischen Tötung betrachtet.450 Der BGH hatte über Giftmorde in erster Linie bei der Tötung von Kleinkindern und damit bei einer Opfergruppe zu entscheiden, die nach Auffassung des BGH grundsätzlich wegen ihrer konstitutionellen Arg- und Wehrlosigkeit nicht heimtückisch getötet werden können. In Ausnahme von diesem Grundsatz hält der BGH eine heimtückische Tötung eines Kleinkindes für möglich, wenn der Täter die natürlichen Abwehrinstinkte des Kindes durch Beimengung zur Nahrung überwinde, weil es das unangenehm schmeckende Gift ansonsten ausspeien würde.451 In der Tat erscheint die Arglosigkeit eines Opfers offensichtlich, das unwissend die Tötungshandlung an sich selbst vornimmt, in dem es das tödliche Gift freiwillig einnimmt. Hätte es dagegen den Angriff erkannt, wäre es wohl kaum bereit gewesen, sich durch die bewusste Einnahme selbst zu töten. Auch wenn die Heimlichkeit zu Recht nicht als notwendige Bedingung einer heimtückischen Tötung angesehen wird, so kommt sie etwa beim Giftmord teilweise zum Tragen. Die Tötung durch Gabe eines Giftes ist dabei nur eine von mehreren Fallgestaltungen, bei denen im Hinblick auf die Arglosigkeit vom äußerlich erkennbaren, objektiven Verhalten auf den subjektiven Wissensstand des Opfers geschlossen wird. Wie bereits oben erwähnt wurde, wird dabei jedoch nicht der tatsächliche Wissensstand des konkreten Opfers erforscht, sondern es wird gefragt, ob sich ein durchschnittliches, „vernünftiges“ Opfer in der konkreten Situation eines Angrif448

Freisler, DJ 1941, 929 (936). Freisler, a. a. O. 450 Für den BGH erscheint die heimtückische Begehungsweise bei der Gabe von Gift so offensichtlich vorzuliegen, dass er nicht einmal eine Begründung für nötig hält (vgl. etwa BGHSt 41, 94 (96)). Auch für Jähnke, LK § 211 Rn. 42 steht das Vorliegen von Heimtücke jedenfalls bei erwachsenen Tatopfern außer Frage. 451 BGHSt 8, 216 (218 f.); BGH, Urt. v. 29.05.1973 – 1 StR 114/73, wiedergegeben bei Dallinger, MDR 1973, 899 (901). 449

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6. Kap.: „Klassische“ Anwendungsfälle der Heimtücke

fes versehen hätte. Aus Sicht eines „vernünftigen“ Opfers ist daher zu vermuten, dass es das Gift nicht eingenommen hätte, wenn es davon Kenntnis erlangt hätte.

D. Die Tötung von hinten Das Töten eines Opfers, welches dem Täter den Rücken zugewandt hat, ist offenbar so stark mit dem natürlichen Wortsinn der Heimtücke verbunden, dass sich Schönke in der Erstauflage seiner Kommentierung der Heimtücke zu dem Hinweis genötigt sah, dass es „nicht entscheidend [sei], ob die Tat von hinten ausgeführt wird oder nicht; [. . .]“.452 Damit ist eben der eingangs erwähnte Aspekt der „klassischen“ Fälle gemeint, dass der Angriff von hinten auf das Opfer eben nicht notwendige Bedingung einer heimtückischen Tötung ist. Andererseits spricht im Falle eines Angriffes von hinten vieles für eine heimtückische Tötung. Demgemäß sieht der BGH in einem von hinten geführten Angriff ein starkes Indiz für eine Arglosigkeit des Opfers.453 Entsprechend rügte der BGH Entscheidungen von Vorinstanzen, wenn dort Heimtücke mit der Begründung abgelehnt wurde, dass ein Angriff von hinten nicht nachzuweisen sei.454 Damit betont er, dass ein Angriff von hinten zwar ein Indiz, keinesfalls jedoch notwendige Bedingung einer heimtückischen Tötung ist. In der Tat entspricht es der Erfahrung, dass der Sehsinn für den Menschen insbesondere bei der Erkennung von Bewegungen der mit Abstand wichtigste Sinn ist. Daher sind Angriffe in aller Regel äußerst schwer erkennbar, wenn sie sich außerhalb des Sichtfeldes des Opfers anbahnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Opfer die Person des Angreifers auch im Vorfeld nicht wahrgenommen hat. Wenn das Opfer dem zunächst wahrgenommenen Angreifer den Rücken zukehrt oder es in anderen Worten unterlässt, sich ihm zuzuwenden, liegt der Schluss nahe, dass es ihn nicht als Gefahrenquelle eingeschätzt hat und sich somit keines Angriffes versah. Wie bereits dargestellt, stellt dies allerdings die Perspektive eines „vernünftigen Opfers“ dar.

452

Schönke, StGB § 211 S. 438. BGH, Urt. v. 23.08.2006 – 5 StR 139/06; BGH, NStZ 2005, 691 (692); 2006, 502; BGH, Urt. v. 02.02.2005 – 2 St R 468/04 (insofern in BGH, StV 2006, 60 (61) nicht abgedruckt); BGH, Urt. v. 20.07.2004 – 1 StR 145/04 (insofern in BGH, NStZ 2005, 526 f. nicht abgedruckt); BGH, NStZ-RR 2001, 14; BGHSt 41, 72 (79); BGH, NStZ 1987, 173. 454 BGH, NStZ-RR 2005, 309 (309 f.); BGH, Urt. v. 24.06.1998 – 3 StR 219/98 wiedergegeben bei Altvater, NStZ 1999, 17 (19). 453

7. Kapitel

Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke Eine Vielzahl von Tötungsfällen, die durchaus höchststrafwürdig erscheinen, lassen sich dem von der Rechtsprechung des BGH entwickelten Leitbild der Heimtücke zuordnen. Dennoch verbleibt eine nicht unbeachtliche Zahl von Fällen, die von diesem Leitbild abweicht. Diese Fälle lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Zum einen handelt es sich um Leitbildabweichungen, die sich aus dem unmittelbaren Tathergang ergeben. Sie werden vom BGH durch eine Präzisierung des Heimtückebegriffes beziehungsweise durch das Aufstellen von Unterdefinitionen aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke ausgeschieden. Zum anderen handelt es sich um Fallgruppen, in denen sich der Tathergang ohne weiteres unter den Begriff der Heimtücke subsumieren lässt, sich jedoch im Hinblick auf die Vorgeschichte der Tat erhebliche Zweifel an der Höchststrafwürdigkeit geradezu aufdrängen. Diesen Zweifeln trug der BGH jedoch nur in Einzelfällen durch Einschränkungen auf Tatbestandsebene Rechnung.455 Soweit die Vorgeschichte der Tat nicht vollständig unberücksichtigt blieb, wurde ihr allenfalls auf Rechtsfolgenebene Bedeutung zugemessen. Der BGH hat damit eine Berücksichtigung der Vorgeschichte einer Tat bei der Auslegung der Heimtücke grundsätzlich abgelehnt. Im Folgenden werden diese teilweise sehr unterschiedlichen Fallgruppen auf Gemeinsamkeiten hin untersucht. Damit soll nicht nur eine Präzisierung des Heimtückebegriffes ermöglicht werden; vielmehr sollen auch rationale Kriterien der fehlenden Höchststrafwürdigkeit ermittelt werden. Dabei wird – in Anlehnung an Küper456 – zwischen internen und externen Leitbildabweichungen unterschieden. Mit der internen Leitbildabweichung sollen die Fälle bezeichnet werden, die durch Konkretisierung der Arg- und Wehrlosigkeitsformel aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke ausgeschieden werden. Es bleiben jedoch Fallgruppen zurück, die trotz dieser Konkretisie455 BGHSt 30, 105 (119) spricht insoweit davon, dass die Beweggründe des Täters auf Tatbestandsebene lediglich „punktuell – in dem Erfordernis der „feindlichen Willensrichtung“ [. . .] berücksichtigt“ wurden. 456 Küper, JuS 2000, 740 (742) unterscheidet in diesem Sinne zwischen internen und externen Problemen der Heimtücke.

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rung im Anwendungsbereich verbleiben würden; diesen Fallgruppen verhilft der BGH durch die Ergänzung der Arg- und Wehrlosigkeitsformel zu einer Privilegierung. Allerdings hält der BGH eine strikte Trennung nicht konsequent durch. So greift er etwa für die Privilegierung der Erpresser-Tötung auf die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen und damit auf externe Gesichtspunkte zurück. Jedoch verwendet er diese Gesichtspunkte, um den Begriff der Arglosigkeit normativ zu präziseren.

A. Interne Leitbildabweichung I. Die Tötung nach unmittelbar vorangegangener Konfrontation In den meisten Tötungsfällen treten Täter und Opfer nicht erst unmittelbar vor dem Tötungsangriff miteinander in Kontakt. Es stellt sich daher zunächst die Frage, welches Vorstellungsbild des Opfers dazu führt, dass es seine Arglosigkeit verliert. Problematisch ist jedoch insbesondere auch, in welchem Zeitpunkt das Opfer seine Arglosigkeit verliert und dementsprechend argwöhnisch wird. Ein Opfer ist nach der Rechtsprechung des BGH arglos, wenn es im Tatzeitpunkt nicht mit Feindseligkeiten rechnet. Nach der Rechtsprechung des BGH entfällt die Arglosigkeit des Opfers, wenn es etwa wegen unmittelbar vorangegangener Feindseligkeiten mit ernsthaften Angriffen rechnet.457 Der Ausschluss der Heimtücke in dieser Konstellation wird mit dem Erklärungsmodell der Gefährlichkeitskonzeption begründet. Wenn das Opfer erkannt habe, dass ein Angriff bevorstehe, so würden ihm nicht die Verteidigungsmöglichkeiten entzogen, die für eine heimtückische Begehungsweise kennzeichnend sein sollen.458 In einem solchen Fall soll es daher daran fehlen, dass das Opfer in einer hilflosen Lage überrascht wird und dadurch daran gehindert wird, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe zu rufen, den Angreifer umzustimmen oder in sonstiger Weise die Durchführung zu erschweren.459 Die Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an die Schwere der vorangegangenen Konfrontation war zunächst uneinheitlich.460 Mittlerweile besteht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass nicht bereits jede verbale Auseinandersetzung, die zur Schaffung einer feindseligen Atmosphäre 457

BGHSt 27, 322 (324); BGHSt 20, 301 (302); BGH, StV 1998, 544. Küper, JuS 2000, 740 (742). 459 BGHSt 2, 60 (61); 11, 139 (143); 20, 301 (302); 32, 382 (384); BGH, NStZ 1985, 216; NStZ 1989, 364 (365). 460 Eine ausführliche Nachzeichnung der Rechtsprechungsentwicklung bietet MüKo-Schneider, § 211 Rn. 125 ff. 458

A. Interne Leitbildabweichung

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führt, geeignet ist, dem Opfer die Arglosigkeit zu nehmen.461 Ursprünglich hielt der BGH ein Opfer für arglos, das nicht mit einem Angriff auf sein Leben rechnete.462 Nunmehr lässt er die Arglosigkeit bereits entfallen, wenn das Opfer mit einem schweren oder erheblichen Angriff auf seinen Körper rechnete.463 Vom Leitbild der heimtückischen Tötung weicht dabei am stärksten die Tötung in einem offenen Angriff ab. In diesem Fall schmälert der Täter nicht durch die Begehungsweise die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers, sodass allenfalls die Erfüllung eines anderen Mordmerkmales in Betracht kommt. Etwas anderes gilt indes, wenn der Täter dem Opfer zwar offen feindselig gegenübertritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff jedoch so kurz ist, dass sich das Opfer infolgedessen nicht mehr wehren kann.464 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Täter das Opfer in einen Hinterhalt gelockt oder ihm eine Falle gestellt hat.465 In diesem Fall entspricht die Begehungsweise trotz der offenen Feindseligkeit dem Leitbild der Tötung eines überraschten und daher arg- und wehrlosen Opfers.

II. Die Tötung von Opfern aus bestimmten Personengruppen – insbesondere Kleinkindern 1. Die Position der Rechtsprechung Die Tötung von Opfern aus bestimmten Personengruppen wird nahezu vollständig aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke ausgeschieden. Zu den ausgenommenen Gruppen gehören Bewusstlose, Kleinkinder sowie bestimmte Schwerkranke, die ihre Umwelt nur schemenhaft wahrnehmen können. Rechtstechnisch erfolgt der Ausschluss durch Konkretisierung oder Ergänzung der Arg- und Wehrlosigkeitsformel. Arglosigkeit setzt daher voraus, dass das Opfer die Fähigkeit zum Argwohn besitzt.466 Bei den vor461 BGHSt 33, 363 (365); den Urteilsgründen kann entnommen werden, dass der 2. Senat auf Anfrage des erkennenden 3. Senat mitteilen ließ, dass er an seiner in BGHSt 27, 322 (324) geäußerten, entgegenstehenden Auffassung nicht festhalte, wonach bereits eine verbale Auseinandersetzung die Arglosigkeit des Opfers beseitige. 462 BGHSt 7, 218 (221). 463 BGH, StV 1985, 235; BGH, JR 1991, 380 (381). 464 BGH, NStZ 2006, 96; 97 (98); 167 (169); 501 (502); 502 (503); 503 (504); BGH, StV 1993, 261; BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 3; BGH, NStZ 2003, 146 (147); BGH, NStZ-RR 1997, 168. 465 Vgl. dazu oben S. 118 f. 466 LK-Jähnke, § 211 Rn. 42.

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7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

genannten Opfergruppen ist allerdings eine heimtückische Tötung möglich, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten bewusst zur Tötung des Opfers ausnutzt.467 Im Hinblick auf den Personenwechsel beim Träger der Arglosigkeit stellt dies insofern eine Modifikation der Arg- und Wehrlosigkeitsformel dar. a) Die Tötung von Kleinkindern Auch die Tötung eines Kleinkindes weicht nach der Rechtsprechung des BGH vom Leitbild der heimtückischen Tötung ab.468 Eine feste Altersgrenze wird dabei zwar nicht gezogen; jedoch wird jedenfalls bei 3-jährigen Kindern angenommen, dass sie durchaus in der Lage seien, einen Angriff zu erkennen.469 Für ein 21 Monate altes Kind wurde dies hingegen verneint.470 Auch bei einem zwei Jahre und vier Monate alten Kind, das allerdings zusätzlich geistig behindert war, wurde eine heimtückische Tötung ausgeschlossen.471 Dieses Ergebnis wird damit begründet, dass dem Kleinkind die Fähigkeit zur Wahrnehmung eines Angriffes fehle.472 b) Die Tötung von Bewusstlosen Wie bereits dargestellt, werden Schlafende und Bewusstlose vom BGH im Hinblick auf deren Fähigkeit zum Argwohn nicht gleichbehandelt. Während Schlafende sich gewissermaßen freiwillig dem Schlaf hingeben würden, überkomme der Zustand den Bewusstlosen ohne seinen Willen. Daher könne er nicht in der Erwartung enttäuscht werden, niemand werde ihm etwas anhaben.473 Gleiches soll für Schwerkranke gelten, die ihre Umgebung nur noch schemenhaft wahrnehmen können.474

467 BGH, NStZ 2008, 93 (94); BGH, Beschl. v. 03.04.2008 – 5 StR 525/07; BGH, NStZ-RR 2006, 43; BGHSt 3, 330 (332); 8, 216 (219); 32, 382 (387); MüKoSchneider, § 211 Rn. 135; Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 25b. 468 BGH, NStZ 2006, 338 (339); BGHSt 3, 330 (332); 4, 11 (13); 8, 216 (218). 469 BGH, NStZ 1995, 230 (231); BGH, NJW 1978, 709; ebenso NK-Neumann, § 211 Rn. 58; Wessels/Hettinger, BT 1 Rn 110; kritisch Krey, StrafR BT I Rn. 36, dort in Fn. 77. 470 BGH, NStZ 2006, 338 (339). 471 BGH, NStZ 2006, 166 (167). 472 BGH, NStZ 2006, 338 (339); BGHSt 3, 330 (332); 8, 216 (218); ebenso NKNeumann, § 211 Rn. 54. 473 BGHSt 23, 119 (120); BGH, NJW 1966, 1823 (1824); BGH, NStZ 1997, 490 (491); BGH, StV 2000, 309; BGH, StV 1998, 545. 474 BGH, NStZ 1997, 490 (491); MüKo-Schneider, § 211 Rn. 133.

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2. Kritik a) Kritik an der Begründung des Ausschlusses von Kleinkindern aa) Unvereinbarkeit der evidenzbasierten, höchstrichterlichen Rechtsprechung zur konstitutionellen Arglosigkeit von Kleinkindern mit neuen psychologischen Forschungsergebnissen Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob zuverlässige Aussagen über die Wahrnehmungsfähigkeiten von Kleinkindern ohne Zuhilfenahme moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden können. Jedoch fehlen dazu entsprechend fundierte Ausführungen in den Urteilen. Vielmehr verlassen sich die Richter dabei offenbar auf ihre eigenen Erfahrungen. Die bei etwa drei Jahren angesetzte Grenze mag dabei der eigenen, laienhaften Erfahrung entsprechen und somit unter Juristen eine gewisse Plausibilität beanspruchen. Eine neue psychologische Studie475 widerlegt jedoch die unfundierte Annahme des BGH, dass Kinder entwicklungsbedingt erst ab einem Alter von ca. drei Jahren in der Lage seien, einen Angriff zu erkennen. Die Autoren der Studie kommen zu dem Ergebnis, dass bereits Säuglinge im Alter von sechs bis neun Monaten erkennen und bewerten können, ob ihnen vorgeführte Subjekte sich im Rahmen einer gespielten, sozialen Interaktion helfend oder behindernd verhalten. Werden die Säuglinge anschließend vor die Wahl gestellt, entweder mit einem „Helfer“ oder einem „Hinderer“ Kontakt aufzunehmen, so entscheiden sie sich ganz überwiegend für den „Helfer“. In einer alternativen Versuchsreihe, in der anstelle eines „Helfers“ ein neutrales Subjekt mit einem „Hinderer“ interagierte, entschied sich wiederum die große Mehrzahl der Probanden gegen den Hinderer. Daraus ziehen die Autoren den Schluss, dass bereits Säuglinge in diesem Alter in der Lage sind, soziale Vorgänge zwischen Subjekten zu erkennen und zu bewerten. Wenn aber bereits Säuglinge in diesem Alter über derlei Beobachtungsund Bewertungsfähigkeiten verfügen, so erscheint die Argumentation des BGH, dass erst Dreijährige die Fähigkeit zum Argwohn entwickelt haben, vor diesem Hintergrund unhaltbar. Wenn sie diese Art sozialer Interaktion bereits in diesem Alter bewerten können, sind sie möglicherweise auch in der Lage, die bösen Absichten eines sich nähernden Angreifers zu erkennen. Es erscheint zudem durchaus möglich, dass ein Angreifer dem Säugling durch Täuschung suggerieren kann, dass er ein „Helfer“ sei. Die Fähigkeit zum Argwohn müsste daher bereits ab einem Alter von sechs Monaten zu bejahen sein, wenn man es mit der Fähigkeit zum Argwohn ernst meint. 475

Hamlin/Wynn/Bloom, nature 2007, vol. 450 S. 557 ff.

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7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

Die angeblichen Entwicklungsdefizite von Kleinkindern, mit denen der BGH die fehlende Fähigkeit zum Argwohn begründet, bestehen daher allenfalls bei noch jüngeren Säuglingen. Dass der BGH die Altersgrenze dagegen bei etwa drei Jahren zieht, kann daher entwicklungspsychologisch nicht begründet werden. Vielmehr dürfte es sich um einen normativ begründeten Ausschluss der – leider nicht seltenen – Tötung von Kleinkindern aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke handeln.476 Darüber hinaus erscheint die Festlegung einer allgemeinverbindlichen Altersgrenze ohnehin äußerst problematisch. Vielmehr müsste stets im Einzelfall festgestellt werden, ob das konkret betroffene Kleinkind insbesondere unter Berücksichtigung seines Entwicklungsstandes befähigt war, einen Angriff als solchen zu erkennen. Dies ist bei einem getöteten Kind in aller Regel nicht mehr feststellbar. bb) Die Annahme konstitutioneller Wehrlosigkeit als Lösungsweg Eine weitgehend widerspruchsfreie Einordnung in das System der Formel von der Arg- und Wehrlosigkeit lässt sich dagegen erreichen, wenn man dem Kleinkind nicht die Fähigkeit zum Argwohn abspricht, sondern stattdessen auf die ohne weiteres gegebene konstitutionelle Wehrlosigkeit eines Kleinkindes abstellt.477 Denn ein Kleinkind ist jedem Angreifer stets an Kräften derart unterlegen, dass eine auch nur annähernd Erfolg versprechende Gegenwehr von vornherein ausgeschlossen ist.478 Dies wird in zugespitzer Form deutlich, wenn man aus der oben genannten Studie den naheliegenden Schluss zieht, dass bereits Säuglinge ab einem Alter von sechs Monaten die Fähigkeit zum Argwohn besitzen. Mit Gewissheit verfügt jeder nach deutschem Recht Strafmündige, aber wahrscheinlich selbst ein vierjähriges Kind über die physische Kraft, die zur Tötung eines sechs bis neun Monate alten Säuglings aufgewendet werden muss. Auf Grund dieser totalen körperlichen Überlegenheit eines jeden Täters gegenüber einem Säugling oder einem Kleinkind fehlt es daher in aller Regel an der Kausalität der Arglosigkeit für die Wehrlosigkeit des getöteten Kleinkindes. Denn der Säugling beziehungsweise das Kleinkind kann auch einen erkannten Angriff weder verhindern, noch erschweren. Etwas anderes wird nur in den Fällen gelten, in denen der Täter – sei es aus der psychischen Unfähigkeit, rohe Gewalt einzusetzen, oder aus Angst vor einer schnellen Entdeckung der Tat – die Tötung nicht auf Grund seiner körperlichen, sondern auf Grund seiner 476

Dazu ausführlich unten S. 187 ff. So bereits BGHSt 4, 11 (12): „Die tatsächliche Annahme des Schwurgerichts, das Kind sei ‚instinktmäßig‘ arglos gewesen, reicht nicht aus, eine Ausnutzung der Arglosigkeit zu begründen: das Kind ist nicht infolge Arglosigkeit, sondern von Natur aus wehrlos gewesen.“ 478 So auch MüKo-Schneider, § 211 Rn. 134; Kargl, JURA 2004, 189 (191). 477

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intellektuellen Überlegenheit durchführen kann. Gibt etwa eine Mutter ihrem Säugling ein bitter schmeckendes Gift zusammen mit einem wohlschmeckenden Brei,479 so stirbt das Kind nicht auf Grund seiner physischen Unterlegenheit. Auch bei diesem Lösungsweg stellt sich allerdings das Abgrenzungsproblem, ab welchem Zeitpunkt die konstitutionelle Wehrlosigkeit enden soll. Zwar ist auch noch ein 12-jähriges Kind wohl fast jedem Angreifer körperlich unterlegen. Jedoch führt körperliche Unterlegenheit auch bei erwachsenen Tötungsopfern nicht zu einer automatischen Bejahung der Wehrlosigkeit. Vielmehr soll auch die Inanspruchnahme der Hilfe Dritter als Verteidigungsmöglichkeit ausreichen.480 Je größer die physische Überlegenheit des Täters, desto wichtiger wird für das Opfer die Hilfe Dritter. Um diese in Anspruch nehmen zu können, muss ein Kleinkind über Kommunikationsmöglichkeiten verfügen, die über bloßes Schreien hinausgehen. Damit endet die konstitutionelle Wehrlosigkeit, wenn das Kind sprachlich soweit entwickelt ist, dass es für andere verständlich um Hilfe rufen kann. Gemessen daran, dass ein normal entwickeltes Kleinkind bereits ab einem Alter von etwa einem Jahr zu sprechen beginnt, erscheint eine Altersgrenze von drei Jahren, wie sie der BGH für die Fähigkeit zum Argwohn verlangt, zu hoch. Bereits ein zweijähriges Kind dürfte bei normaler Entwicklung in der Lage sein, etwa nach seiner Bezugsperson zu rufen. Die Problematik der Grenzziehung kann jedoch nur entschärft werden, wenn letztlich nicht das Alter, sondern der tatsächliche sprachliche Entwicklungsstand des konkreten Kleinkindes über die Abgrenzung entscheidet. Da dieser jedoch sehr viel besser als seine Wahrnehmungsfähigkeit nach außen hin erkennbar ist, kann die Grenzziehung anhand objektiver Kriterien erfolgen. So wird sich etwa durch Befragung von Personen aus dem engsten Umkreis eines getöteten Kleinkindes oftmals auch im Nachhinein feststellen, auf welchem sprachlichen Entwicklungsstand es sich befand. Dagegen ist im Nachhinein kaum feststellbar, wie die Wahrnehmungsfähigkeit des getöteten Kindes entwickelt war. Hierfür fehlt es an objektiven Anhaltspunkten. Zwar entbindet die Lösung des BGH, die zwar nicht ausschließlich, aber doch in der Tendenz auf eine schematische Orientierung am Lebensalter hinausläuft, den Richter von der mühsamen Tatsachenfeststellung in Bezug auf die sprachlichen Fähigkeiten des getöteten Kleinkindes. Solche Nützlichkeitserwägungen sind aber nicht haltbar, wenn sich das Abstellen auf die Wahrnehmungsfähigkeit als bloße Scheinbegründung erweist. 479 480

BGHSt 8, 216 (218 f.); a. A. etwa Lackner/Kühl, § 211 Rn. 9. Siehe dazu oben S. 109 f.

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7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

Auch wenn das Abstellen auf die konstitutionelle Wehrlosigkeit eines Kleinkindes somit für die Gerichte etwas mühsamer sein mag, so stellt sie dennoch aus den genannten Gründen eine praktisch durchaus handhabbare Lösung dar. Spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem man jedenfalls die Fähigkeit zum Argwohn bejaht, wird man auch ein Ende der konstitutionellen Wehrlosigkeit annehmen müssen.481 Bis zu diesem Zeitpunkt kann jedoch in Zweifelsfällen – etwa bei älteren, gut entwickelten Kleinkindern – dahinstehen, ob das Kleinkind in der Lage war, den Angriff zu erkennen. In diesen Fällen beruht die Wehrlosigkeit nicht auf einer eventuell gegebenen Arglosigkeit; denn auch wenn die Arglosigkeit des Kleinkindes hinweg gedacht wird, bleibt seine Wehrlosigkeit in jedem Falle bestehen. Vielmehr befinden sich Kleinkinder, die sich sprachlich nicht hinreichend verständlich machen können, in einem dauerhaften Zustand der Wehrlosigkeit, in welchem sie vom Schutz ihrer Aufsichtspersonen vollständig abhängig sind. Damit fehlt es bei der Tötung von Kleinkindern dieses Entwicklungsstadiums grundsätzlich an dem Kausalzusammenhang zwischen Arg- und Wehrlosigkeit, der für dieses Mordmerkmal erforderlich ist.482 b) Kritik an der Begründung des Ausschlusses Bewusstloser aa) Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Ungleichbehandlung Schlafender und Bewusstloser Wenn der BGH die heimtückische Tötung von Kleinkindern grundsätzlich ausschließt, weil ihnen die Wahrnehmungsfähigkeit für Angriffe fehle, dann könnte man mit der gleichen Begründung die Möglichkeit einer heimtückischen Tötung sowohl Schlafender, als auch Bewusstloser verneinen.483 Es stellt sich insbesondere die Frage, ob zwischen Schlafenden und Bewusstlosen ein Unterschied besteht, der die Ungleichbehandlung beider Fallgruppen rechtfertigt. 481

Ähnlich BGH, NJW 1978, 708 (709). MüKo-Schneider, § 211 Rn. 134; Krey, StrafR BT I Rn. 36. In diesem Sinne auch BGHSt 4, 11 (13), wo der Kausalzusammenhang mit der Erwägung verneint wird, dass „das Kind nicht infolge Arglosigkeit, sondern von Natur aus wehrlos“ gewesen war. Auch BGHSt 18, 37 (38) stellt nicht auf die Fähigkeit zum Argwohn ab, sondern sieht den Ausschluss der Heimtücke bei Kindern „in dem Zustand [. . .] vollständiger Hilf- und Wehrlosigkeit [. . .].“ begründet. 483 Kritisch gegenüber der Ungleichbehandlung Schlafender und Bewusstloser bereits Dreher, MDR 1970, 258 (249); ebenso Fahl, JURA 1998, 456 (457); Küper, JuS 2000, 740 (745). 482

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Zwischen den physiologischen Zuständen des Schlafes und der Bewusstlosigkeit bestehen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Beiden Zuständen ist zunächst gemeinsam, dass sich sowohl eine schlafende, als auch eine bewusstlose Person in einem Zustand befindet, in dem entweder die Sinneswahrnehmung (etwa beim Sehsinn) ausgeschaltet oder die Verarbeitung der Sinneswahrnehmung (etwa beim Hörsinn) stark eingeschränkt ist. Im Gegensatz zu Personen, die konstitutionell arg- und wehrlos sind, besitzen sie grundsätzlich die Fähigkeit zum Argwohn, können jedoch situativ von ihrer Fähigkeit keinen Gebrauch machen. Es bestehen jedoch auch erhebliche physiologische Unterschiede zwischen beiden Zuständen. Zunächst einmal ist der Schlaf anders als die Bewusstlosigkeit ein für den menschlichen Organismus notwendiger Zustand, ohne den der Mensch nicht überleben könnte. Außerdem ist Schlaf grundsätzlich ein vorübergehender Zustand. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge wacht eine schlafende Person nach einer gewissen Zeit wieder auf. Dagegen ist dies bei Bewusstlosigkeit nicht immer der Fall. Insbesondere kann Bewusstlosigkeit das Vorstadium zum Hirntod sein, wenn sie durch tödliche Verletzungen verursacht wird. Der entscheidende physiologische Unterschied besteht jedoch darin, dass der Gehirnstoffwechsel in der Bewusstlosigkeit eingeschränkt ist, während er beim Schlaf unvermindert aufrechterhalten wird. Damit ist die Bewusstlosigkeit ein pathologischer Zustand, während Schlaf ein normaler Zustand ist.484 bb) Möglichkeit der Mitnahme der Arglosigkeit in den Schlaf bzw. in die Bewusstlosigkeit Der BGH begründet die Ungleichbehandlung jedoch in erster Linie mit der unterschiedlichen willentlichen Beherrschbarkeit beider Zustände. Der Schlafende lege sich im Vertrauen darauf schlafen, dass ihm nichts geschehe.485 Daher begleite den Schlafenden seine Arglosigkeit, auch wenn er sich ihrer nicht bewusst sei. Dagegen werde der Bewusstlose von seinem Zustand übermannt, ohne dass er den Bewusstseinsverlust verhindern könne.486 Dahinter verbirgt sich die grundsätzlich zutreffende Vorstellung, dass sich der Mensch auf Grund seines Selbsterhaltungstriebes nicht freiwillig in einen Zustand begeben wird, in dem er Angriffen anderer schutzlos ausgeliefert ist, wenn er mit einem solchen Angriff rechnet. Daher spricht eine kaum widerlegbare Vermutung dafür, dass sich keines Angriffes versieht, wer sich schlafen legt. Gleiches gilt auch für denjenigen, der vom Schlaf 484 485 486

Fahl, JURA 1998, 456 (457). BGHSt 23, 119 (120). BGHSt a. a. O.

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übermannt wird.487 Auch hier spricht eine kaum widerlegbare Vermutung dafür, dass der Selbsterhaltungstrieb ein Einschlafen verhindert hätte, wenn die Person ernsthaft mit einem Angriff auf Leib und Leben gerechnet hätte. Für Bewusstlose kann dies nur in dem seltenen Falle gelten, in denen sich eine Person etwa durch Konsum großer Mengen von Alkohol oder durch Betäubungsmittel vorsätzlich in den Zustand der Bewusstlosigkeit versetzt.488 In allen anderen Fällen, in denen die Person unfreiwillig bewusstlos wird, fehlt es an einem freiwilligen Sichbegeben im Vertrauen darauf, dass einem nichts zustoßen möge. Wenn aber die heimtückische Begehungsweise durch den Entzug von Selbstschutzmöglichkeiten, über die das Opfer normalerweise verfügt, gekennzeichnet sein soll,489 so scheint der Wille des Opfers grundsätzlich ein geeigneter Ansatzpunkt für die unterschiedliche Bewertung beider Zustände zu sein. Denn wer sich schlafen legt, verzichtet im Wortsinne auf Wachsamkeit gegenüber anderen, weil er keinen Anlass für eine solche Wachsamkeit sieht. Daher ist es im Ansatz überzeugend, wenn der BGH dem Bewusstlosen die Arglosigkeit abspricht, die Tötung eines Schlafenden jedoch grundsätzlich als heimtückisch ansieht. cc) Die Bewusstlosigkeit des Tötungsopfers als Schutzbehauptung des Täters Diese Ungleichbehandlung kann allerdings in einer Fallkonstellation dazu führen, dass sich gerade für anwaltlich gut beratene Täter ein unverdientes Schlupfloch eröffnet, um aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke heraus zu gelangen. Das ist dann der Fall, wenn der Täter die Bewusstlosigkeit seines Opfers selbst herbeiführt, um es anschließend zu töten. Gerade unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Bewusstlosigkeit im Falle schwerer Verletzungen oftmals lediglich ein – mitunter äußerst kurzes – Durchgangsstadium zum Tod darstellen kann, wird diese Konstellation nicht selten eintreten. Wenn dem Täter jedoch nicht zu widerlegen ist, dass er erst dann mit Tötungsvorsatz handelte, als das Opfer bereits bewusstlos war, kann er nicht wegen heimtückischen Mordes verurteilt werden.490 487 Offen gelassen von BGHSt 23, 119 (121). A. A. jetzt offenbar BGH, NStZ 2007, 523 (524). 488 Insofern ist Dreher, MDR 1970, 248 (248) zuzustimmen. 489 BGHSt 8, 216 (218); MüKo-Schneider, § 211 Rn. 133. 490 Vgl. etwa den Fall BGH, StV 1998, 545. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Täter seinem Opfer mittels einer Kerze mindestens vier derart heftige Schläge ins Gesicht versetzte, dass ihr der Kiefer brach und eine erhebliche Benommenheit bei ihr eintrat. Daraufhin fasste der Täter einen Tötungsentschluss.

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Dieser Unbilligkeit sollte allerdings nicht dadurch begegnet werden, dass die Zeitregel der Arglosigkeit auch in diesem Fall durchbrochen wird. Vielmehr wird man äußerst streng prüfen müssen, ob es sich bei der Version des Täters nicht lediglich um eine Schutzbehauptung handelt. Gerade wenn die Bewusstlosigkeit durch eine äußerst gefährliche Handlung herbeigeführt wird, kann das ein Indiz für einen bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden Tötungsvorsatz sein.491 Außerdem besteht dann die Möglichkeit, dass der Täter die Tötung zur Verdeckung der zuvor begangenen Körperverletzung begangen hat.492 c) Die Funktion des Ausschlusses bestimmter Personengruppen Der Ausschluss bestimmter Personengruppen aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke verhindert, dass das Mordmerkmal der Heimtücke bei einer bestimmten Opfergruppe letztlich unabhängig von der Begehungsweise zu bejahen wäre. Damit wird etwa bei der Tötung von Kleinkindern der Automatismus verhindert, dass die Tötung ohne Rücksicht auf die Motive des Täters bereits durch die Tatsache, dass das Opfer ein Kleinkind ist, zum Mord qualifiziert wird.493 Zudem wird aus Sicht des Täters bei der Tötung eines solchen Opfers im Hinblick auf die Begehungsweise der Tötung kein Ergreifen besonderer Vorkehrungen nötig. Damit verschafft sich der Täter auch nicht durch eine bestimmte Begehungsweise Vorteile, um Widerstand zu vermeiden. Denn bereits die Zugehörigkeit des Opfers zu der bestimmten Opfergruppe führt dazu, dass die Begehungsweise der Tötung in der Regel in den Hintergrund tritt. Dann ist jedoch das Mordmerkmal der Heimtücke, welches gerade eine bestimmte Begehungsweise zu höherem Unrecht erklärt, in solchen Fällen nicht geeignet, das über das normale Unrecht einer vorsätzlichen Tötung hinausgehende Unrecht zu verkörpern. Es ist in diesen Fällen dann zu prüfen, ob der Täter andere Mordmerkmale erfüllt hat. Der BGH hob die Verurteilung wegen heimtückischen Mordes auf, weil er dem vom Tatgericht gewählten Begriff der Benommenheit nicht habe entnehmen können, dass das Opfer im Zeitpunkt der Tötungshandlung arglos gewesen sei. Wenn das Tatgericht mit dem Begriff der Benommenheit habe umschreiben wollen, dass sie den Beginn der Tötungshandlung nicht mehr habe wahrnehmen können, so sei dieser Zustand der Bewusstlosigkeit gleichzustellen und Arglosigkeit auch dann zu verneinen gewesen, wenn der Täter ihn mit Körperverletzungsvorsatz herbeigeführt habe. 491 Der BGH (StV 1988, 545) äußerte im Hinblick auf die Schwere des Angriffs mit der Kerze Zweifel am fehlenden Tötungsvorsatz zum Zeitpunkt des Angriffbeginns. 492 Auch aus diesem Grund hob der BGH (a. a. O.) nicht nur den Schuldspruch, sondern auch die Feststellungen des Tatgerichts auf. 493 Kerner, FS Heidelberg (1986) S. 419 (434).

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7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

III. Affekttaten Selbst eine Tat, bei der zunächst das Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit durch den Täter auf der Hand zu liegen scheint, kann nach der Rechtsprechung insbesondere bei Affekttaten unter Umständen so stark vom Leitbild der Heimtücke abweichen, dass eine heimtückische Tötung mitunter verneint werden kann. Die Norm des § 213 StGB, die jedenfalls einen Teil der Affekttötungen erfassen würde, ist indes nach der Rechtsprechung des BGH nicht auf § 211 StGB anwendbar.494 Auf der objektiven Seite des Mordmerkmals der Heimtücke ist auf Grund der stark deskriptiv orientierten Auslegung nach Auffassung des BGH kaum eine einschränkende Berücksichtigung solcher Tatumstände möglich. Jedoch sieht er auf der subjektiven Seite der Heimtücke die Möglichkeit, das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zu verneinen, wenn der Täter bei der Tat etwa auf Grund heftiger Gemütsbewegung oder infolge Alkohol- oder Drogenkonsums in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war.495 Insbesondere hält der BGH es für einen Revisionsgrund, wenn der Tatrichter trotz Vorliegen solcher Umstände nicht näher erörtert, warum der Täter dennoch mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt haben soll.496 Wie bereits dargestellt wurde,497 ist die Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an das Ausnutzungsbewusstsein uneinheitlich. Insbesondere ist der genaue Gegenstand des Ausnutzungsbewusstseins unklar. Allgemein verlangt der BGH, dass der Täter die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in einer Weise erfasst hat, dass er sich dessen bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.498 Jedoch werden unterschiedliche Anforderungen an die Intensität des Bewusstseins gestellt, mit dem der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers erfasst haben muss.

494 BGHSt 11, 139 (144); 30, 105 (120); zustimmend etwa Fischer, § 213 Rn. 1; a. A. etwa NK-Neumann, § 213 Rn. 4; Schönke/Schröder-Eser, § 213 Rn. 3. 495 BGHSt 11, 139 (144); BGH, StV 1981, 277; BGH, StV 1981, 339 (340); BGH, StV 1981, 400; StV 1981, 523 (524); 1985, 235; NStZ 1987, 173 sowie 554 (555); NStZ-RR 2000, 166 (167); 2005, 264 (265). 496 BGH, GA 1979, 337 (338); NJW 1983, 2456; NStZ-RR 2000, 166 (167). 497 Vgl. oben S. 132 ff. 498 BGH, NStZ 1997, 490 (491); BGH, NStZ 1984, 506 (507); BGHSt 6, 120 (121); BGH, NStZ-RR 2004, 79.

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1. Das Ausnutzungsbewusstsein als bloßer Vorsatz bezüglich der objektiven Merkmale der Heimtücke In einigen Entscheidungen hat der BGH es für das Vorliegen des Ausnutzungsbewusstseins ausreichen lassen, dass der Täter die Umstände wahrgenommen hat, welche die Arglosigkeit begründen.499 Dabei neigt er dazu, den objektiven Umständen der Heimtücke eine umso stärkere Indizwirkung für das Ausnutzungsbewusstsein zuzumessen, je deutlicher die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers nach außen erkennbar ist. Wenn die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers offen zu Tage trete, könne es nicht zweifelhaft sein, dass der Täter mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt habe.500 Nach Auffassung des 5. Senats kann etwa bei der Tötung eines Schlafenden keine noch so heftige Gemütsbewegung zur Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins führen.501 Der 1. Senat hat etwa im Falle der Tötung eines völlig nackten, dem Täter den Rücken zuwendenden Opfers trotz offenbar erheblicher Alkoholisierung des Täters keine ausführliche Begründung des Ausnutzungsbewusstseins verlangt.502 In einer anderen Entscheidung, in welcher der Täter die Tat seinem Opfer gegenüber unmittelbar zuvor telefonisch angekündigt hat, verwendet der 5. Senat den Begriff des Ausnutzungsbewusstseins als Synonym für den Heimtückevorsatz.503 Mit der Begründung, dass der Täter nach der Ansage kaum mit der Arglosigkeit des Opfers habe rechnen können, zielt er in der Sache jedoch bereits auf die Verneinung des Heimtückevorsatzes ab. Damit besteht nach dieser Auffassung faktisch kein Unterschied zwischen dem Ausnutzungsbewusstsein und dem Vorsatz im Hinblick auf die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke.504 Denn nach allgemeinen Grundsätzen genügt es für das Vorliegen von Vorsatz, dass der Täter die Umstände kennt, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören.505 Für die Annahme von Vorsatz in Bezug auf Heimtücke ist es erforderlich, aber 499 BGH, StV 2004, 596; BGHSt 22, 77 (80); 39, 353 (369 f.); BGH, NStZ-RR 2001, 14. 500 BGH, NStZ-RR 2001, 14; BGH, StV 2004, 596; BGHSt 22, 77 (80); BGH, NStZ 1987, 173. 501 BGH, StV 2004, 596. A. A. jedoch BGH, StV 1981, 523 (524); BGH, NStZ 1984, 20 (21). 502 BGH, NStZ 1987, 173. 503 BGH, StraFo 2007, 124 (125); so auch bereits Geilen, JR 1980, 309 (312). Auch der Große Senat spricht in BGHSt 30, 105 (115) nicht vom Ausnutzungsbewusstsein, sondern vom Heimtückevorsatz. 504 A. A. MüKo-Schneider, § 211 Rn. 140. 505 Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 16 (Umkehrschluss aus § 16 StGB).

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7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

auch ausreichend, dass der Täter die Umstände kennt, welche die Annahme der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers begründen. Somit bezeichnet das Ausnutzungsbewusstsein nach dieser Auffassung jedenfalls der Sache nach nichts anderes als den nach allgemeinen Grundsätzen erforderlichen Vorsatz des Täters im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Heimtücke. Damit bleibt für eine Berücksichtigung von Affekttaten grundsätzlich kein Raum. Bei extremer Einschränkung des Steuerungsvermögens könnte man nach dieser Auffassung vielmehr kaum das Ausnutzungsbewusstsein verneinen, ohne nicht gleichzeitig den Tötungsvorsatz in Zweifel zu ziehen. 2. Affekttaten als Beweiszeichen fehlenden Ausnutzungsbewusstseins? Demgegenüber verlangt der BGH überwiegend ein Erfassen der Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit in dem Sinne, dass eine bloße Kenntnis der Umstände, welche die Heimtücke begründen, nicht für die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins ausreiche.506 Vielmehr müsse sich der Täter dessen bewusst sein, dass die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers die Durchführung der Tat erleichtere.507 Dieses Bewusstsein könne fehlen, wenn der Täter hochgradig erregt oder infolge Alkohol- oder Drogenkonsums vermindert steuerungsfähig sei. Allerdings soll selbst eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB nicht zwingend zur Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins führen.508 Es fällt dabei auf, dass der BGH selten509 selbst abschließend über das Vorliegen des Ausnutzungsbewusstseins entscheidet und es verneint, sondern gegebenenfalls lediglich bei der Zurückweisung zur Neuverhandlung derart in Zweifel zieht, dass der Tatrichter kaum noch im Stande sein wird, das Ausnutzungsbewusstsein zu bejahen. Ein dagegen vom Tatgericht näher begründetes Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins wird selten durch den BGH beanstandet.510 Der Grund hierfür wird darin liegen, dass der BGH 506 BGHSt 6, 120 (121); BGH, NStZ 1997, 490 (491); 2005, 688 (689) sowie 691 (692); BGH, StV 1985, 235; NJW 1978, 709 (710). 507 BGH, StV 1985, 235; NJW 1978, 709 (710); NStZ 1983, 34 (35); BGH, StV 1981, 523 (524). 508 BGH, NStZ 2005, 688 (689 f.). 509 Eine Ausnahme ist etwa die o. g. Entscheidung BGH, StraFo 2007, 124 (Beschl. v. 11.12.2006 – 5 StR 468/06), in der der BGH „es angesichts des Tatablaufs aus[-schließt], dass das Landgericht das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein noch tragfähig feststellen könnte [. . .]“ (insoweit in BGH, StraFo 2007, 124 nicht abgedruckt). M.E. betraf dies allerdings in der Sache nicht das Ausnutzungsbewusstsein im herkömmlichen Sinne, sondern den Heimtückevorsatz. 510 Diese Einschätzung teilt auch MüKo-Schneider, § 211 Rn. 142.

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die Entscheidung über das Ausnutzungsbewusstsein überwiegend für eine Tatfrage hält.511 Damit geht das Ausnutzungsbewusstsein nach dieser Auffassung über den bloßen Vorsatz bezüglich der Arg- und Wehrlosigkeit hinaus. Folglich besteht danach die Möglichkeit, insbesondere bei Affekttaten das Ausnutzungsbewusstsein und damit den Tatbestand des Mordes zu verneinen.512 Im Übrigen bleibt der BGH allerdings eine weitergehende Konkretisierung des Ausnutzungsbewusstseins schuldig. Vielmehr beschränkt er sich darauf, etwa mit der Fallgruppe der Affekttaten lediglich Beispiele zu nennen, in denen das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins möglich oder wahrscheinlich erscheint. Der genaue Inhalt des Ausnutzungsbewusstseins bleibt daher nach der Rechtsprechung des BGH unklar.513 Auch in der schweren Bestimmbarkeit des Ausnutzungsbewusstseins weist die Fallgruppe der Affekttötungen Übereinstimmungen mit den übrigen Fallgruppen auf, die nach der Rechtsprechung des BGH vom Leitbild der heimtückischen Tötung abweichen sollen. Denn indem ein Affekt nur als in der Regel hinreichende, nicht jedoch notwendige Bedingung eines fehlenden Ausnutzungsbewusstseins gefordert wird, erhält sich der BGH die Möglichkeit, auch dann das Ausnutzungsbewusstsein verneinen zu können, wenn ein Handeln im Affekt nicht naheliegt. Zudem eröffnet sich der BGH dadurch auf der Ebene des subjektiven Tatbestands Wertungsspielräume von strafzumessungsähnlicher Weite, die er sich aufgrund seiner deskriptiv-orientierten Auslegung der objektiven Seite zuvor verschlossen hat. Dieser vom BGH gewählte Ort für Wertungsspielräume erscheint jedoch wegen der allgemein anerkannten Schwierigkeit, subjektive Umstände in tatsächlicher Hinsicht zuverlässig zu ermitteln,514 für die Abschichtung nicht-höchststrafwürdiger Taten weniger geeignet als die objektive Seite der Heimtücke.

511

So ausdrücklich BGHSt 6, 120 (122) sowie BGHSt 6, 329 (331). Kett-Straub, JuS 2007, 515 (520). 513 Ebenso MüKo-Schneider, § 211 Rn. 143; ähnlich Rengier, MDR 1980, 1 (2). 514 Zur Schwierigkeit, die subjektive Seite der Heimtücke zu ermitteln, vgl. etwa Mosbacher, NStZ 2005, 690 (691). 512

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7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

3. Kritik a) Die Möglichkeit der Identität von Ausnutzungsbewusstsein und Heimtückevorsatz Die Rechtsprechung des BGH, wonach bei Affekttaten das Ausnutzungsbewusstsein fehlen könne, ist aus verschiedenen Gesichtspunkten heraus abzulehnen. Zunächst ist eine solche Lesart der Arg- und Wehrlosigkeitsformel keineswegs zwingend. Denn der Begriff des Ausnutzens enthält bereits insofern eine subjektive Komponente, als man nur einen Umstand ausnutzen kann, von dem man Kenntnis hat. Die Begriffe der Kenntnis und des Bewusstseins sind jedoch so stark miteinander verbunden, dass kaum möglich erscheint, lediglich unbewusst die Arg- und Wehrlosigkeit eines Opfers auszunutzen.515 Vielmehr legt gerade diese ins Negative gewendete Formel nahe, dass im Umkehrschluss dem „bewussten“ Ausnutzen in der Arg- und Wehrlosigkeitsformel keine über das Vorsatzerfordernis hinausgehende Funktion zukommt, außer die ihr innewohnende Tautologie zu verdecken. Freilich ist es im Gegenzug sprachlich nicht gänzlich ausgeschlossen, beiden Begriffen unterschiedliche Funktionen zuzuordnen, indem das Ausnutzen das Vorsatzerfordernis und das bewusste Ausnutzen eine darüber hinausgehende kognitive Komponente enthält. Dabei muss man sich jedoch vor Augen halten, dass diese Ansicht zu einer Privilegierung von Affekttaten im Vergleich zu Konflikttaten führt. Für eine solche pauschale Privilegierung von Affekttaten gibt es jedoch keine überzeugenden sachlichen Gründe.516 b) Die Unvereinbarkeit der Affekttatenprivilegierung mit dem Gefährlichkeitsmodell als Strafgrund der Heimtücke Zudem setzt sich der BGH durch die Affekttatenprivilegierung mit dem von ihm vertretenen Gefährlichkeitsmodell in einen nicht auflösbaren Widerspruch. Denn im Gegensatz zum Konflikttäter, der vor dem Tatentschluss mit sich ringen muss, beweist der Affekttäter, dass er als Normadressat im entscheidenden Moment nicht von der Verbotsnorm ansprechbar ist. Wer jedoch zeigt, dass er sich bei seinem Handeln nicht vom Tötungsverbot beeinflussen lässt, dessen Tat erscheint als besonders gefährlich. Daher gerät das Erklärungsmodell der Heimtücke als besonders gefährlicher Tötungsart ins Wanken, wenn äußerst gefährliche Affekttötungen von vornherein aus dem Anwendungsbereich fallen, während die im Hinblick auf 515 516

Rengier, MDR 1980, 1 (2). Dazu unten S. 138 ff.

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die Motivierbarkeit des Täters von Verbotsnormen weniger gefährlichen Konflikttötungen im Anwendungsbereich verbleiben. c) Die unzulässige Fortgeltung des Mordmerkmals der Überlegung Die pauschale Privilegierung von Affekttaten führt jedenfalls im Hinblick auf das Mordmerkmal der Heimtücke faktisch zu einer weitgehenden Wiederherstellung der Rechtslage vor 1941. Denn in weitgehender sachlicher Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH zum Ausnutzungsbewusstsein sah das Reichsgericht das Mordmerkmal der Überlegung als ein vom Vorsatz zu trennendes, zusätzliches subjektives Tatbestandsmerkmal an. Ebenso wie das Ausnutzungsbewusstsein diene das Merkmal der Überlegung in erster Linie dem Ausscheiden von Affekttaten aus dem Anwendungsbereich des Mordes.517 Daher sehen auch Teile der Literatur in der Rechtsprechung des BGH zum Ausnutzungsbewusstsein bei der Heimtücke ein Fortleben des alten Mordmerkmals der Überlegung.518 Diese Einschätzung wird auch etwa durch die bereits mehrfach zitierte neuere Haustyrannen-Entscheidung des BGH519 gestützt. Das Vorliegen einer heimtückischen Tötung wird in dieser Entscheidung nicht zuletzt damit begründet, dass sich die Täterin „seit längerem mit dem Gedanken einer Tötung [des Haustyrannen, d. Verf.] befasst und auch unmittelbar vor der Tatausführung längere Zeit mit sich gerungen“ habe.520 Mit einer wortgleichen Begründung hätte man auch die Erfüllung des alten Mordmerkmals der Überlegung bejahen können. Diese Ausführungen erwecken den Eindruck, als habe der BGH die Richtigkeit seines Ergebnisses damit belegen wollen, dass die in Rede stehende Tat auch nach der Rechtslage vor 1941 als Mord zu beurteilen gewesen wäre. Eine mit dem Mordmerkmal der Überlegung weitgehend identische Auslegung des Ausnutzungsbewusstseins ist jedoch bereits deshalb abzulehnen, weil dieses längst außer Kraft getretene Mordmerkmal nicht gewissermaßen durch die Hintertür der Auslegung zu geltendem Recht geadelt werden kann. Es zeigt sich in dieser Auslegungskontinuität lediglich, dass es Normanwendern oftmals schwerfällt, sich angesichts einer geänderten Rechtslage von gewohnten Denkkategorien zu verabschieden. Auch der Hinweis auf 517

RGSt 42, 260 (261 f.). MüKo-Schneider § 211 Rn. 143; LK-Jähnke § 211 Rn. 45; ders., MDR 1980, 705 (707); Rengier, MDR 1980, 1 (2). Ebenso Geilen, JR 1980, 309 (312 f.), der ähnliche Tendenzen auch im Bereich der Tötung nach vorangegangenen Feindseligkeiten erblickt (Geilen, GS Schröder (1978) S. 235 (S. 240)). 519 BGHSt 48, 255. 520 BGHSt 48, 255 (257). 518

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7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

eine angebliche „tief verwurzelte Überzeugung“521 kann eine Berufung darauf nicht rechtfertigen, sondern bestätigt nur diese Einschätzung. Zudem ist jede Orientierung an der Überlegung abzulehnen, weil sie bereits als Mordmerkmal ungeeignet ist, höchststrafwürdige von nicht höchststrafwürdigen Fällen zu unterscheiden.522 Das zeigt bereits die unzutreffende Erfassung solcher Konflikttaten durch das Kriterium der Überlegung, bei denen der Täter vor seinem Tatentschluss mit sich gerungen hat. d) Keine generell verminderte Strafwürdigkeit von Affekttaten Ein Vergleich mit dem minder schweren Fall der Tötung (§ 213 StGB) zeigt, dass der Gesetzgeber Affekttötungen nicht grundsätzlich, sondern nur unter engen Voraussetzungen für privilegierungswürdig angesehen hat. So hat er in § 213 1. Alt. StGB etwa für den Fall der Provokation durch diverse Einschränkungen hohe Anforderungen an die Privilegierung bestimmter Affekttaten gestellt. Insbesondere in der Gegenüberstellung mit Konflikttaten wird deutlich, dass Affekttaten keine generelle Privilegierung verdienen. So zeigen etwa die bei Tötungen äußerst häufigen Beziehungsdelikte,523 dass eine Affektprivilegierung in der Regel dem Stärkeren – in gemischtgeschlechtlichen Beziehungen in aller Regel dem Mann – zugute kommt.524 So kann es sich allein der Mann auf Grund seiner in aller Regel gegebenen körperlichen Überlegenheit leisten, seine Aufwallung nicht im Zaum zu halten, weil er nicht mit entsprechender Gegenwehr rechnen muss. Dagegen ist die in aller Regel körperlich unterlegene Frau gezwungen, sich in ihrer emotionalen Aufwallung zu zügeln, weil eine körperliche Auseinandersetzung für sie erhebliche, möglicherweise lebensbedrohende Risiken birgt. Gerade in von Gewalt geprägten Beziehungen stellt sich die nach der hergebrachten Auffassung definierte, heimtückische Begehungsweise der Frau daher oftmals nur als Antwort auf das eklatante Kräfteungleichgewicht und damit als „Waffe der Schwachen“ dar.525 Die geringere Strafwürdigkeit dieser Fallgruppe ergibt sich oftmals aus der Nähe zu Notwehr- und Notstandsfällen 521

Geilen, JR 1980, 309 (313). Vgl. dazu bereits die Kritik von Mittermaier, GA 2 (1854), S. 141 (142 f.) sowie S. 285 (289); so auch Zürcher, Erläuterungen zum Vorentwurf (1914), S. 120. Ebenso Rüping JZ 1979, 617 (621); Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 36. A. A. offenbar Geilen, JR 1980, 309 (313); Köhler, GA 1980, 121 (130); Wolf, FS Schreiber (2003) S. 519 (S. 531). 523 Lembke, GreifRecht 2006, 44 (47). 524 Vgl. dazu Burgsmüller, StV 1981, 340 (341); Oberlies/Giesen, Streit 1984, 50; Legnaro/Aengenheister, KJ 1995, 188 (189). 525 Vgl. dazu oben S. 39 f. (insbesondere die Nachweise in Fn. 97). 522

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und dem damit einhergehenden, geminderten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat. Indes fehlt es bei Affekttaten häufig an der Nähe zu Rechtfertigungsgründen, sodass die Privilegierung einem Täter auch dann zukommen würde, wenn die Tat keinen geminderten Unrechtsgehalt aufweist. Gerade bei Beziehungsdelikten ist der Affektanlass häufig ein rechtmäßiges Opferverhalten, das bereits grundsätzlich ungeeignet ist, eine Verteidigungs- oder Notstandshandlung zu rechtfertigen. Hat das spätere Opfer etwa ein Verhältnis mit einer anderen Person, eine Beziehung zum Täter beendet, einen „Seitensprung“ begangen oder sonst – etwa im Falle sogenannter „Ehrenmorde“ – durch einen rechtlich nicht zu beanstandenden Lebenswandel den Täter erzürnt, so ist ein dadurch verursachter Affekt des Täters ein völlig ungeeigneter Anknüpfungspunkt für eine Unrechtsminderung. Vielmehr deutet es im Gegenteil von einer verfehlten Vorstellung des Täters, nachdem das Opfer ein bloßes Objekt seines uneingeschränkten Herrschaftsanspruchs ist. Die Rechtsprechung ist hier teilweise gerade gegenüber männlichen Tätern ausgesprochen verständnisvoll, was sich möglicherweise damit erklären lässt, dass sie sich bei der Bewertung des Opferverhaltens jedenfalls unterbewusst von überholten Moralvorstellungen leiten lässt. Der Unrechtsgehalt einer Tötung kann jedoch nicht durch rechtmäßiges Opferverhalten verringert werden. Es ist daher völlig unangemessen, den Stärkeren mit Hilfe der Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins besser zu stellen.526 Da bei Männern Affekttötungen häufig sind, während Tötungsdelikte bei weiblichen Tätern ganz überwiegend den Konflikttötungen zuzuordnen sind, stellt sich die vom BGH gehandhabte Privilegierung von Affekttötungen auch als unzulässige mittelbare Diskriminierung weiblicher Täter dar.527 Auch in der forensischen psychiatrischen Literatur wurde in jüngster Zeit die Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins bei „affektiven Durchbrüchen“ und vergleichbaren Zuständen kritisiert.528 Dabei wurde anhand aktueller Entscheidungen des BGH zur Frage des Ausnutzungsbewusstseins das dort festgestellte objektive Verhalten des Angeklagten untersucht und mit der Begründung verglichen, welche den BGH zur Verneinung des Ausnut526 Kritisch zur vergleichbaren Privilegierung des Affekttäters im Rahmen der sog. Hemmschwellen-Rechtsprechung des BGH zum Tötungsvorsatz MüKo-Schneider, § 212 Rn. 51; Puppe, NStZ 1995, 576 (577); Fahl, NStZ 1997, 392. 527 Vgl. dazu Legnaro/Aengenheister, KJ 1995, 188 (189 sowie 192); Oberlies/ Giesen, Streit 1984, 15 (16); Diederich, Streit 2004, 32; Lembke, GreifRecht 2006, 44 (48); Adomeit, JA 2005, 35 (36); Frommel, StV 1987, 283. Ablehnend etwa Beckemper, JA 2005, 36 (36 f.). 528 Dannhorn, NStZ 2007, 297.

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7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

zungsbewusstseins veranlasst hatte. Entgegen der Auffassung des BGH seien aus psychiatrischer Sicht nur schwerste Intoxikationen sowie schwerste psychische Beeinträchtigungen geeignet, das Einschätzungsvermögen des Täters hinsichtlich der Umstände, die die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers begründen, zu trüben.529 Insbesondere werde etwa eine Sedierung durch Suchtmittel häufig dadurch kompensiert, dass Emotionen wie Angst, Ärger und Wut eine Adrenalinausschüttung bewirkten.530 Wenn nach der hier vertretenen Auffassung daher eine generelle Privilegierung von Affekttaten unangebracht ist, so bedeutet dies selbstverständlich noch nicht, dass das Vorliegen eines Affektes eine Privilegierung der Tat stets verhindert. Insbesondere ist es unschädlich, wenn der Affekt als Folge der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen auftritt. So bedarf es etwa auch bei einer notwehrnahen Tötung eines erheblichen Aggressionspotentials, welches häufig mit einem Affekt einhergehen wird, um die Hemmschwelle zur Tötung eines Menschen zu überschreiten. In diesen Fällen ist eine Privilegierung daher nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Affekt vorliegt. Jedoch ist der Affekt nicht Grund für, sondern lediglich bloße Folge der Umstände, die die Teilverwirklichung von Rechtfertigung bewirken. Solche Affektzustände stellen daher Tötungen „in gerechtem Zorn“ dar, wie sie nur teilweise im Anwendungsbereich des § 213 StGB wiederzufinden sind. e) Unzutreffende Erfassung von Konflikttaten Obwohl bei Konflikttaten grundsätzlich kein Raum für eine Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins gegeben ist, hat der BGH den Instanzgerichten in Ermangelung anderer Restriktionsmöglichkeiten auch bei einigen Konflikttaten von Frauen, die ihren gewalttätigen Partner beziehungsweise Stiefvater getötet hatten, eine Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins nahegelegt.531 Doch das vermag bereits im Ansatz nicht zu überzeugen. Denn es liegt entgegen der Auffassung des BGH äußerst fern, dass bei einer Tat, deren Für und Wider die Täterin unter Umständen bereits lange Zeit vor der Tat abgewogen hat, die vom BGH zu Grunde gelegte Definition des Ausnutzungsbewusstseins nicht erfüllt sein könnte.532 Vielmehr wartet die Täterin bewusst auf eine günstige Gelegenheit, in der der gewalttätige Partner seine körperliche Überlegenheit vorübergehend nicht ausnutzen kann. 529

Dannhorn, NStZ 2007, 297 (303). Dannhorn, NStZ 2007, 297 (299). 531 BGH, NJW 1966, 1823 (1824); BGH, StV 1981, 523 (524); BGH, NStZ 1984, 20 (21). 532 Rotsch, JuS 2005, 12 (13). 530

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Denn aus den die Beziehungen prägenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen weiß sie, dass sie eine offene Konfrontation unter Umständen nicht überleben würde.533 Daher besteht für die Täterin keine andere Möglichkeit der Tötung des gewalttätigen Partners, als auf eine Gelegenheit zu warten, in welcher der gewalttätige Partner arg- und wehrlos ist. Es kann unter diesen Umständen in der Regel kein Zweifel daran bestehen, dass die Täterin die in tatsächlicher Hinsicht bestehende Arg- und Wehrlosigkeit bewusst ausnutzt. Eine Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins ist bei einer Konflikttat entgegen der Auffassung des BGH mithin praktisch ausgeschlossen. Dieser Ansatz des BGH ist daher in der Literatur zu Recht auf Kritik gestoßen534 und als „Vermeidungsstrategie“535 kritisiert worden. In der Tat vermeidet der BGH damit insbesondere eine Auseinandersetzung mit einer normativen Restriktion des objektiven Tatbestandes. Das Ausnutzungsbewusstsein ist jedoch der falsche Ort für die Berücksichtigung unrechtsund schuldmindernder Gesichtspunkte. Die Berücksichtigung von Konflikttaten scheitert an dieser Stelle daran, dass das Ausnutzungsbewusstsein unmittelbar auf die Tatsituation, also die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bezogen ist. Dagegen ergibt sich die Privilegierungswürdigkeit von Konflikttaten nicht aus dem unmittelbaren Tathergang, sondern aus der Vorgeschichte der Tat. Wenn man jedoch das Ausnutzungsbewusstsein von seiner Funktion als Privilegierungsmerkmal für Affekttaten entkleidet, bleibt ein Begriffsverständnis zurück, welches sich nicht vom bloßen Vorsatz in Bezug auf die objektiven Umstände der Heimtücke unterscheidet. Damit wird jedoch auch der Begriff des Ausnutzungsbewusstseins entbehrlich. Es erscheint daher wünschenswert, wenn der BGH diesen in der Rechtsprechung einiger seiner Senate536 bereits vorhandenen Ansatz aufgreift und in der Konsequenz auf den Begriff des Ausnutzungsbewusstseins verzichtet.

533 Welke, ZRP 2004, 15 (19); Legnaro/Aengenheister, KJ 1995, 188 (190); Diederich, Streit 2004, 32. 534 MüKo-Schneider, § 211 Rn. 143; Hassemer, JZ 1983, 967; Eser, JR 1981, 177 (181); Geilen, JR 1980, 309 (312); Rengier, MDR 1980, 1 (2). 535 So treffend Hassemer, JZ 1983, 967 (968); im Anschluss daran Rengier, NStZ 2004, 233 (235); ders., NStZ 1986, 505. 536 Vgl. dazu oben S. 133 f.

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7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

B. Externe Leitbildabweichung I. Die Tötung ohne Handeln in „feindlicher Willensrichtung“ 1. Das Korrektiv der feindlichen Willensrichtung Seit der Entscheidung BGHSt 9, 385 verlangt der BGH537 in ständiger Rechtsprechung, dass die heimtückische Begehungsweise neben dem bewussten Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zusätzlich ein Handeln in feindlicher Willensrichtung voraussetzt. Zur Begründung führt er an, dass dem Begriff der Heimtücke nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine feindliche Willensrichtung des Täters gegen das Opfer innewohne. Daran soll es unter anderem fehlen, wenn der Täter zum vermeintlich Besten des Opfers zu handeln glaubt.538 Nach dem Sachverhalt der Entscheidung BGHSt 9, 385 hatte der Täter seine Tochter, seine Ehefrau sowie sich selbst durch das Öffnen des Gashahns der gemeinsamen Wohnung töten wollen. Auslöser für den Tatentschluss war die Untersagung seiner Dienstgeschäfte, nachdem sein Dienstherr entdeckt hatte, dass er Gelder veruntreut hatte. Er glaubte, durch die Tat seiner Familie weitere Not und Entehrung zu ersparen und ihr dadurch eine Wohltat zu erweisen. Dem Täter gelang jedoch nur die Tötung seiner Tochter. Nach Auffassung des BGH kann bei einem solchen gescheiterten Mitnahmesuizid, bei der dem Täter entgegen seinem Tatplan nur die Tötung naher Familienangehöriger, nicht jedoch der Suizid gelingt, aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke ausgeschiedenen werden.539 Gleiches soll unter Umständen für die Tötung Schwerstkranker gelten, wenn die leitende Motivation das Mitleid mit dem Kranken und die Erlösung von Schmerzen ist.540

537

BGHSt 9, 385 (390); 30, 105 (119); 37, 376 (377); 42, 301 (304). BGHSt 11, 139 (143); 30, 105 (119); 37, 376 (377). 539 BGHSt 9, 385 (390); vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 05.12.2007 – 5 StR 471/07, in der Heimtücke nicht einmal erörtert wurde, obwohl das Opfer – die Tochter der Angeklagten – nach den Feststellungen offensichtlich arg- und wehrlos war. 540 Zuletzt BGH, Beschl. v. 03.04.2008 – 5 StR 525/07; BGHSt 42, 301 (304); 37, 376 (377); 9, 385 (390). 538

B. Externe Leitbildabweichung

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2. Kritik Zwar ist der Ansatz, die Begehungsweise der Heimtücke für die Berücksichtigung der Tätermotivation zu öffnen, grundsätzlich zu begrüßen. Die Erweiterung der Arg- und Wehrlosigkeitsformel um das Merkmal der feindlichen Willensrichtung öffnet jedoch nur einem äußerst beschränkten Teil der privilegierungsbedürftigen Fallgruppen das Tor zur Berücksichtigung der Motive. Damit reiht sie sich ein in die Reihe der Einzelfallkorrekturen, die der BGH mit jeweils wechselnder Begründung zugunsten dieser oder jener Fallgruppe vornimmt, die er für privilegierungswürdig hält. Ein sachlicher Grund, die entlastenden Motive nur bei dieser, nicht jedoch bei anderen problematischen Fallgruppen zur berücksichtigen, ist dabei oftmals nicht ersichtlich. Bei der Fallgruppe des gescheiterten Mitnahmesuizids ist zudem die Privilegierungswürdigkeit grundsätzlich zweifelhaft. Denn oftmals spricht vieles dafür, dass die Tötung zum vermeintlich Besten des Opfers eher auf einer selbstsüchtigen Anmaßung als auf Mitleid beruht.541 Auch der Sachverhalt, welcher der Entscheidung BGHSt 9, 385 zu Grunde liegt, legt eine solche Deutung nahe. Die von BGHSt 9, 385 aus dem Nichts hervorgeholte Lösung ist zudem dogmatisch unhaltbar. Unter Berufung auf den vom BGH bemühten „allgemeinen Sprachgebrauch“ lässt sich allenfalls im Gegenteil behaupten, dass eine Tötung in nicht-feindlicher Willensrichtung praktisch undenkbar ist.542 Denn jede vorsätzliche Tötung ist die Manifestation eines lebensfeindlichen Willens.543 Auch wer etwa einen Schwerkranken aus Mitleid tötet, entscheidet sich dadurch bewusst für die Vernichtung des schmerzhaften Lebens. Letztlich entstehen daher nur neue Abgrenzungsprobleme, die im Wesentlichen die Bewertung der Tätermotivation betreffen. So stellt sich etwa bei der vermeintlichen Mitleidstötung eines Schwerkranken die Frage, ob nicht alternative, weniger akzeptable Handlungsmotive für die Tötung leitend waren. Zutreffend wird daher das Fordern einer feindlichen Willensrichtung etwa von Schneider544 als verdeckte Verwerflichkeitsprüfung eingeordnet, die der BGH von seinem Standpunkt aus gerade ablehnen müsste. Er hält diesen Ansatz des BGH für eine „bloße Erfindung zur Restriktion des Mordmerkmals in emotional vordergründig anrührenden Situationen.“ 545 Dem ist 541 542 543 544 545

NK-Neumann, § 211 Rn. 73. Kargl, StraFo 2001, 365 (370); MüKo-Schneider, § 211 Rn. 148. Schönke/Schröder-Eser, § 211 Rn. 25a. So zutreffend MüKo-Schneider, § 211 Rn. 147. MüKo-Schneider, § 211 Rn. 148.

144

7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

allerdings nur insofern uneingeschränkt zuzustimmen, als der BGH dieses Kriterium tatsächlich „erfunden“ hat, indem er unter Berufung auf den allgemeinen Sprachgebrauch ein solches Handeln in feindseliger Willensrichtung verlangte. Jedoch kommt diese Privilegierung nicht unbedingt nur Tätern zugute, die in lediglich „vordergründig anrührenden Situationen“ handeln. Jedenfalls besteht bei sogenannten Mitleidstötungen von Schwerkranken die Möglichkeit, dass sich eine mutmaßliche Einwilligung des Opfers möglicherweise unrechtsmindernd auswirken kann, sodass diese Taten unter Umständen mehr als nur vordergründig anrührend sein können.546

II. Die Tötung unter „außergewöhnlichen Umständen“ Nach Auffassung des Großen Senats bedarf es nach der sogenannten Rechtsfolgenlösung „außergewöhnlicher Umstände [. . .], auf Grund welcher die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint.“547 Bei der Frage, welche Umstände außergewöhnlich genug sind, um die Rechtsfolgenlösung zum Zuge kommen zu lassen, hat der Große Senat unter anderem Tötungen angeführt, die durch eine notstandsnahe, aussichtslos erscheinende Situation motiviert, in großer Verzweiflung, aus „gerechtem Zorn“ oder auf Grund einer schweren Opferprovokation begangen wurden.548 Der Große Senat macht nicht deutlich, welchen dieser Umstände er im zu Grunde liegenden Sachverhalt für gegeben hält. Da der unstreitige Hauptanlass der Tat – die Vergewaltigung der Ehefrau des Täters – mehr als vierzehn Monate zurücklag, kann im Hinblick darauf wegen der erheblichen zeitlichen Distanz zwischen Tat und Tatanlass keine Rede von einer notstandsnahen Tat sein. Dies ließe sich allenfalls mit der Todesdrohung des Onkels belegen, deren tatsächliches Vorliegen allerdings äußerst zweifelhaft ist.549 Der Große Senat scheint das Motiv des Täters, „Rache“ für die Vergewaltigung seiner Frau nehmen zu wollen, für einen Fall der Tötung aus „gerechtem Zorn“ zu halten. Allerdings hat sich der BGH bekanntlich einer Berücksichtigung des Tatmotivs auf Tatbestandsebene verweigert. Insofern hält er eine Abweichung solcher Taten vom Leitbild der heimtückischen Tötung für nicht gegeben.

546 547 548 549

Vgl. dazu unten S. 186 f. BGHSt 30, 105 (Leitsatz). BGHSt 30, 105 (119). Dazu unten S. 148.

B. Externe Leitbildabweichung

145

III. Die Tötung unter Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen Zu der Fallgruppe von Tötungen, in denen eine Abweichung vom Leitbild des Mordes vorliegt, gehören insbesondere notwehr- und notstandsnahe Taten. Damit werden Tötungen bezeichnet, bei denen eine Rechtfertigung der Tat unter dem Gesichtspunkt der Notwehr oder des Notstandes nur daran scheitert, dass die Voraussetzungen der jeweiligen Rechtfertigungsnorm zwar weitgehend, aber nicht vollständig erfüllt sind. Es leuchtet unmittelbar ein, dass die Rechtsfolge einer Rechtfertigungsnorm – das Verdikt der Rechtmäßigkeit – nur dann eintreten kann, wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen vollständig erfüllt sind. Das Fehlen auch nur einer Voraussetzung der jeweiligen Rechtfertigungsnorm muss daher zum Verdikt der Rechtswidrigkeit der Tat führen. Insofern sind die Kategorien der Rechtmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit nicht graduierbar; vielmehr lassen sich Taten ausschließlich der einen oder der anderen Kategorie zuordnen. Dagegen handelt es sich beim Unrecht um eine graduierbare Kategorie, wie schon die Vielzahl unterschiedlich ausgestalteter Straftatbestände sowie die Bandbreite der Strafmaße in Art und Höhe zeigt. Wenn jedoch das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes dazu führt, dass der Unrechtsgehalt der Tat auf Null gemindert wird, so erscheint es nicht ausgeschlossen, dass auch bei einer annähernd vollständigen Erfüllung eines Rechtfertigungsgrundes eine Unrechtsminderung vorliegt. Im Folgenden sollen exemplarisch für diese Fallgruppe die drei bereits mehrfach erörterten Entscheidungen des BGH zu sogenannten Grenzfällen der Heimtücke herangezogen werden. 1. Die Tötung des Erpressers Im bereits mehrfach erwähnten Erpresserfall550 hatte der BGH zunächst unter Ablehnung der gegenteiligen Rechtsauffassung der Vorinstanz entschieden, dass im Zeitpunkt der Tötung des Erpressers eine objektive Notwehrlage vorgelegen habe. Der Angriff des späteren Opfers auf das Vermögen des Täters sei zwar vollendet, aber noch nicht beendet gewesen, da die Beute noch nicht gesichert gewesen sei.551 Das Vorliegen der objektiven Notwehrlage müsse aber auch auf die Tatbestandsmäßigkeit der Tötung Einfluss haben. Bei dem in Rede stehenden Mordmerkmal der Heimtücke erfolge dies durch die Verneinung der Arglosigkeit des Erpressers.552 550 551

BGHSt 48, 207; ausführlich dazu oben S. 51 ff. BGHSt 48, 207 (209).

146

7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

Mit dieser Entscheidung hat der BGH grundsätzlich anerkannt, dass die Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes eine unrechtsmindernde Wirkung hat, die unter Umständen bereits auf Tatbestandsebene zu berücksichtigen ist. Allerdings steht die in der gleichen Sache wenig später ergangene Entscheidung, in der die Verurteilung des Täters nunmehr wegen eines Verdeckungsmordes bestätigt wurde,553 dazu in einem gewissen Widerspruch. Denn wesentliche Teile der Argumentation der Ausgangsentscheidung ließen sich auf die Verwirklichung anderer Mordmerkmale übertragen. Daher hätte für den BGH Anlass bestanden, zu prüfen, ob die weiterhin angenommene objektive Notwehrlage nicht auch zur Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht hätte führen müssen. Die Reichweite der Erpresser-Entscheidung ist noch ungeklärt. Möglicherweise hält der BGH eine unrechtsmindernde Wirkung der Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes nur bei der Notwehr nach § 32 StGB, nicht jedoch beim Notstand nach § 34 StGB für möglich. So argumentiert er damit, „dass das No t w e h r r e c h t generell im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung tief verwurzelt“ sei.554 Insgesamt ist das Bemühen der Richter unverkennbar, die Reichweite dieser Entscheidung eng zu begrenzen. Nach dem Wortlaut der Entscheidung sollen zunächst nur Taten gegen einen Erpresser umfasst sein; zudem darf es nicht lediglich um die Abwehr der allgemeinen Folgen einer Erpressung gehen, sondern es muss sich vielmehr um eine konkrete Tathandlung im Angesicht des Opfers handeln.555 Außerdem lässt der Senat ausdrücklich offen, ob unter besonderen Umständen eine Arglosigkeit des Erpressers nicht doch festgestellt werden könne.556 2. Die Tötung des Haustyrannen Auch die Fallgruppe der Haustyrannentötung ist von der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen gekennzeichnet. Die Tötung des Haustyrannen erweist sich unter dem Gesichtspunkt der Notwehr als verspätete Reaktion auf eine Vielzahl von Angriffen des Haustyrannen auf die körperliche Unversehrtheit, das Leben und anderer absoluter Rechtsgüter, die zu ihrem jeweiligen Vornahmezeitpunkt ohne weiteres als Angriffe im Sinne 552

BGHSt 48, 207 (209 ff.). BGH, NStZ 2005, 332. 554 BGHSt 48, 207 (211), Hervorhebung des Verfassers; diese unbelegte Aussage steht im Widerspruch zu empirischen Erkenntnissen über die Frage der Akzeptanz des Notwehrrechts in der Bevölkerung, wonach diese ganz erheblich von der jeweils herrschenden Auffassung der Juristen zu verschiedenen Fragen des Notwehrrechts abweicht (vgl. dazu ausführlich: Amelung/Kilian, FS Schreiber (2003) S. 3 ff.). 555 BGHSt 48, 207 (210). 556 BGHSt 48, 207 (211). 553

B. Externe Leitbildabweichung

147

des § 32 StGB hätten eingeordnet werden können. Weil diese Angriffe jedoch zum Zeitpunkt der Tötung des Haustyrannen in der Vergangenheit liegen, fehlt es nach allgemeiner Ansicht an der Gegenwärtigkeit des Angriffs. Da auch nach Auffassung des BGH die vom Haustyrannen ausgehenden Rechtsgutsverletzungen zur Bejahung einer Dauergefahr im Sinne des § 35 StGB führen557 und der Begriff der Gefahr in §§ 34, 35 StGB übereinstimmt, liegt jedoch eine Teilverwirklichung des § 34 StGB vor. Die Anwendung dieser Norm scheitert in Haustyrannenfällen nach herrschender Auffassung nur an der Unzulässigkeit der Abwägung Leben gegen Leben. Wie bereits dargelegt wurde, hat der BGH eine Übertragung der Grundsätze der Entscheidung BGHSt 48, 207 auf die nur wenige Wochen später ergangene Entscheidung desselben Senats558 zum Fall einer Haustyrannentötung nicht einmal in Erwägung gezogen. Vordergründig könnte dies allein daran festgemacht werden, dass die Täterin kein Opfer einer Erpressung durch den Haustyrannen war, sondern die von ihm ausgehenden Straftaten sich gegen die körperliche Unversehrtheit und das Leben der Täterin richteten. Möglicherweise ist die Ursache dafür jedoch darin zu sehen, dass eine Rechtfertigung im Haustyrannenfall von vornherein nur unter dem Gesichtspunkt des Notstandes, nicht jedoch der Notwehr in Betracht kam, weil von dem schlafenden Haustyrannen ersichtlich kein Angriff im Sinne des § 32 StGB ausgehen konnte. Eine Rechtfertigung der Tat nach § 34 StGB kam jedoch nach Auffassung des Senats ebenfalls nicht in Betracht, da die Anwendung dieser Norm an der Gleichwertigkeit der gegeneinander abzuwägenden Rechtsgüter scheitere.559 Auch wenn der BGH das Vorliegen einer Dauergefahr bejahte, bestanden offenbar nach seiner Auffassung nicht genügend Gemeinsamkeiten zwischen beiden Sachverhalten, um auch im Haustyrannenfall eine Verneinung der Heimtücke wegen der Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes zu erörtern. Allerdings ist der BGH in anderen Haustyrannenfällen über die Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins zu einer Abweichung dieser Fallgruppe vom Leitbild des Mordes gekommen.560 In der Literatur wird hingegen die Abweichung vom Leitbild des Mordes neuerdings damit begründet, dass die Erwägungen der Erpresser-Entscheidung auch auf die Fälle der Haustyrannentötung anzuwenden seien.561

557

BGHSt 48, 255 (258 f.). BGHSt 48, 255. 559 BGHSt 48, 255 (257). 560 BGH, NJW 1966, 1823 (1824); BGH, StV 1981, 523 (524); BGH, NStZ 1984, 20 (21). 561 Vgl. dazu oben S. 57 (insbesondere die Nachweise in Fn. 166). 558

148

7. Kap.: Abweichungen vom klassischen Leitbild der Heimtücke

3. Der Ausgangsfall von BGHSt 30, 105 In seiner Entscheidung nennt der Große Senat unter anderem ausdrücklich notstandsnahe Taten als möglichen Anwendungsbereich für die Rechtsfolgenlösung.562 Gerade in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt ist jedoch die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen äußerst zweifelhaft. Der Tatanlass – die Vergewaltigung der Ehefrau des Täters durch das spätere Opfer – lag zum Zeitpunkt der Tötung vierzehn Monate zurück, sodass unter diesem Gesichtspunkt eine Rechtfertigung der Tat an der fehlenden Gegenwärtigkeit des Angriffs scheiterte. Auch die Spätfolgen dieser Anlasstat (Suizidversuche der Ehefrau, Eheprobleme etc.) stellen weder einen gegenwärtigen Angriff im Sinne des § 32 StGB, noch eine durch Tötung des Onkels abwendbare Gefahr im Sinne des § 34 StGB dar. Als weiterer Anknüpfungspunkt für eine Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen kamen daher nur Beleidigungen sowie eine angebliche Todesdrohung des späteren Opfers wenige Stunden vor der Tat in Betracht. Allerdings hielt selbst der BGH diese Vorgänge nur für möglich.563 Es spricht einiges dafür, dass es sich um bloße Schutzbehauptungen des Angeklagten handelte.564 Als unzweifelhafter Tatanlass blieb letztlich nur die Tatsache, dass der Täter seine Ehre sowie die Ehre seiner Frau durch die Vergewaltigung verletzt sah.565 Damit erhält die Tat jedoch ein Gepräge der Rache und Selbstjustiz. Bei einer aus diesem Beweggrund heraus begangenen Tat erscheint jedoch eine Abweichung vom Leitbild des Mordes nicht gegeben. Es ist daher befremdlich, dass der BGH gerade eine Tötung auf Grund einer lediglich möglicherweise gegebenen, bloßen Ehrverletzungen zum Anlass nahm, um mit der Rechtsfolgenlösung die absolute Strafandrohung in § 211 Abs. 1 StGB zu durchbrechen, während er die Haustyrannentötung in BGHSt 48, 255, der schwerste Angriffe auf Leib und Leben der späteren Täterin vorangingen, nicht für privilegierungswürdig erachtet hat.

562 563 564 565

BGHSt 30, 105 (119). BGHSt 30, 105 (106). Müssig, Mord und Totschlag (2005), S. 321. BGHSt 30, 105 (107).

B. Externe Leitbildabweichung

149

4. Schnittmenge der Fallgruppen In den drei genannten Entscheidungen besteht zunächst die Gemeinsamkeit, dass alle Tötungen der Arg- und Wehrlosigkeitsformel des BGH unterfallen und daher grundsätzlich als heimtückische Tötungen anzusehen wären. Weiter ist den Fällen gemeinsam, dass sich die Zweifel an der Höchststrafwürdigkeit der Tat nicht aus dem unmittelbaren Tatgeschehen, sondern aus einem Vorverhalten des späteren Opfers ergeben, welches den Täter grundsätzlich zu einer Verteidigungs- oder Notstandshandlung berechtigt hätte. Damit handelt es sich grundsätzlich um Tötungen in Defensivnotstandslagen. Da die hergebrachte Arg- und Wehrlosigkeitsformel allein auf den konkreten Tathergang abstellt, müsste das Vortatverhalten des Opfers nach Auffassung des BGH konsequenterweise in allen drei Fällen unberücksichtigt bleiben. Diese Schlussfolgerung zieht der BGH jedoch nur in der Haustyrannenentscheidung und in der Entscheidung BGHSt 30, 105, während er in der Erpresser-Entscheidung die Tathergangsbezogenheit der Argund Wehrlosigkeitsformel aufbricht. Im folgenden Kapitel soll für diese drei Fallgruppen ein einheitlicher Lösungsansatz gefunden werden.

8. Kapitel

Die Tötung unter Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen als Privilegierungsgrund A. Günthers Lehre von der Unrechtsminderung durch Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen Günther566 hat herausgearbeitet, dass Grenzfälle der Heimtücke in der Regel einerseits dadurch gekennzeichnet sind, dass der Täter zum Schutz eigener hochrangiger Rechtsgüter oder solcher eines nahen Angehörigen tötet und andererseits eine besondere, rechtswidrig-schuldhafte Form der Opferprovokation vorliegt. In den Mittelpunkt seiner Betrachtung rückt er dabei die sogenannte qualifizierte Defensivnotlage des Täters.567 Dabei soll in dem Begriff „Notlage“ die Nähe zu rechtfertigender Notwehr und rechtfertigendem Notstand zum Ausdruck kommen, während das Präfix „Defensiv“ ausdrücken soll, dass die Gefahren gerade von dem späteren Opfer ausgehen. Das Merkmal „qualifiziert“ soll dabei zum einen das Gewicht der drohenden Gefahr, zum anderen die rechtswidrig-schuldhafte Opferaggression bezeichnen. Der entscheidende Unterschied zur Rechtsfolgenlösung besteht nach Ansicht Günthers darin, dass die partielle Verwirklichung von Rechtfertigungsgründen zu einer Unrechtsminderung führt und somit nicht erst auf der Rechtsfolgen-, sondern bereits auf der Tatbestandsebene zu berücksichtigen sei.568 Günther begründet dies in erster Linie damit, dass die Kategorie des Unrechts quantifizierbar sei. Der Ansatz Günthers stellt insofern eine Weiterentwicklung der von Kern569 und Noll570 entwickelten Lehre von der Abstufbarkeit des Unrechts dar. Zum anderen hält er die mit einer Verurteilung nach § 211 StGB verbundene Mordstigmatisierung für unvereinbar mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, wenn nicht höchstes Unrecht vorliege. 566 567 568 569 570

Günther, JR 1985, 268. Günther, JR 1985, 268 (269 f.). Günther, JR 1985, 268 (270). Kern, ZStW 64 (1952), 255 ff. Noll, ZStW 68 (1959), 181 ff.

A. Günthers Lehre von der Unrechtsminderung

151

Für die Frage, ab welchem Grad eine Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen zu einer erheblichen Unrechtsminderung bei Mordgrenzfällen führt, unterscheidet Günther zwischen konstitutiven und quantitativen Rechtfertigungselementen. Als konstitutive Rechtfertigungselemente bezeichnet er die Merkmale, die so prägend für den Rechtfertigungsgrund seien, dass deren vollständiges Vorhandensein unverzichtbar sei. Zu den konstitutiven Elementen gehöre bei der Notwehr der rechtswidrige Angriff, beim rechtfertigenden Notstand die Gefahr. Dagegen könne bei quantitativen Rechtfertigungselementen eine Unrechtsminderung auch dann gegeben sein, wenn sie nicht vollständig erfüllt seien. Zu dieser Gruppe zählt er etwa die Merkmale der Gebotenheit der Notwehr sowie das Überschreiten der Erforderlichkeit. Bei dem Kriterium der Gegenwärtigkeit unterscheidet er zwischen einer Überschreitung und einer Unterschreitung dieses Merkmals, folglich zwischen verspäteter und verfrühter Verteidigung beziehungsweise Gefahrabwendung.571 Wer gegen einen endgültig abgeschlossenen Angriff oder eine nicht mehr bestehende Gefahr vorgehe, bewähre weder das Recht, noch verteidige er sich. Vielmehr könnten solche Handlungen wegen ihres Vergeltungscharakters nicht zu einer Unrechtsminderung führen. Während Günther also die Gegenwärtigkeit bei Überschreitung den konstitutiven Rechtfertigungselementen zuordnet, sieht er eine präventive Verteidigung oder Gefahrabwendung als quantitatives Rechtfertigungselement an. Denn in diesen Fällen komme in der Handlung des Täters eine Rechtsbewährung zum Ausdruck. Für das Maß der Unterschreitung differenziert er zwischen Notwehr und Notstand. Gerade weil bei § 34 StGB der Begriff der Gefahr durch die Anerkennung von Dauergefahren bereits zeitlich weit ausgedehnt sei, bleibe nur noch wenig Raum für eine weitere Unterschreitung. Dagegen enthalte der Begriff des gegenwärtigen Angriffs in § 32 StGB einen äußerst engen, zeitlichen Rahmen, sodass hier eine zeitliche Unterschreitung unrechtsmindernd wirken könne. Günther schlägt hierfür vor, dass eine Präventivnotwehr noch unrechtsmindernd wirken könne, wenn die durch den bevorstehenden Angriff abzuwendende Gefahr noch gegenwärtig im Sinne des § 34 StGB sei. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass bei der Tötung durch Präventivnotwehr eine Unrechtsminderung aus doppeltem Grunde möglich sei. Denn sowohl § 32 StGB (Unterschreitung der Gegenwärtigkeit), als auch § 34 StGB (Überschreitung der Tatintensität) seien teilweise erfüllt. Im Übrigen ordnet er auch die Merkmale der Erforderlichkeit, der Gebotenheit und des wesentlichen Überwiegens des geschützten Interesses den quantitativen Rechtfertigungselementen zu.572 571

Günther, JR 1985, 268 (271 f.).

152

8. Kap.: Tötung unter Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen

Etwa für die Fallgruppe der Haustyrannentötung ergebe sich daher bereits aus der partiellen Verwirklichung des § 32 StGB ein erheblich gemindertes Tötungsunrecht.573 Für die Teilverwirklichung von § 34 StGB gelte insbesondere, dass bereits der Schutz nur unwesentlich überwiegender oder nahezu gleichwertiger Interessen zu einer Unrechtsminderung führe. Zudem wirke sich zugunsten des Täters aus, dass er in einem Defensivnotstand handele und somit gegenüber dem im Aggressivnotstand Handelnden weitergehende Rechte habe.574 Allerdings könne es bei der Abwägung auch zuungunsten des Täters sprechen, wenn zum Beispiel der Gefahreintritt nicht sehr wahrscheinlich sei, der Täter die Gefahr mitverschuldet habe oder eine anderweitige, nicht offenbar aussichtslose Konfliktlösungsmöglichkeit unversucht gelassen wurde.575 Jedoch werde angesichts der rechtswidrig-schuldhaften Opferprovokation in Defensivnotlagen regelmäßig der Opferbeitrag derart überwiegen, dass eine erhebliche Unrechtsminderung zu bejahen sei.

B. Begründung der Täterentlastung durch Zurechnung der Opferverantwortung durch Müssig Einen ähnlichen Begründungsweg für die Ablehnung der Höchststrafwürdigkeit einer konkreten Tötung, der jedoch nicht auf das Mordmerkmal der Heimtücke beschränkt ist, schlägt Müssig576 vor. Allerdings knüpft er dabei nicht explizit an die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen an. Vielmehr basiert sein Erklärungsansatz auf der Lehre von der objektiven Zurechnung. Auf der Grundlage der Zurechnung von Verantwortungssphären kommt er zu einer Ablehnung der Mordqualifikation, wenn sich eine normative Mitverantwortlichkeit des Opfers für die Tat oder deren Begleitumstände begründen lässt. Eine Mordverurteilung setze daher die auf diesem Wege festgestellte exklusive Verantwortung des Täters für die Tat voraus.577 Eine erhebliche Übereinstimmung zur Ansicht Günthers besteht darin, dass sich eine Opferverantwortung in erster Linie durch von ihm verursachte Verletzungen absolut geschützter Rechte des Täters begründen 572

Günther, JR 1985, 268 (272 ff.). Günther, JR 1985, 268 (272); dem zustimmend Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 53; ähnlich Rengier, NStZ 2004, 233 (237); Otto, NStZ 2004, 142 (143); Hillenkamp, FS Rudolphi (2004) S. 463 (S. 469). 574 Günther, JR 1985, 268 (273). 575 Günther, JR 1985, 268 (274). 576 Müssig, Mord und Totschlag (2005), S. 308 ff.; ders., FS Dahs (2005) S. 117 ff. 577 Müssig, FS Dahs (2005) S. 117 (S. 136). 573

C. Ablehnung der Leitbildabweichung durch Opferverantwortung

153

lässt.578 Denn die von Günther geforderte Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes setzt stets die Verletzung oder jedenfalls ernsthafte Gefährdung eines absolut geschützten Rechtes durch das spätere Opfer voraus. Die vom Opfer in diesem Sinne (mit-)veranlasste Tat führt danach zu einer Entlastung des Täters vom Mordvorwurf. Problematisch ist jedoch, dass bei der von Müssig gewählten Abgrenzungskategorie der objektiven Zurechnung auch solches Opferverhalten zu einer Privilegierung des Täters führen kann, das als Anlass für eine Verteidigungs- oder Notstandshandlung ausscheidet. So hält er beispielsweise eine Unrechtsminderung auch dann für gegeben, wenn ein Vater den Autofahrer tötet, der zuvor das Kind des Täters aus Unachtsamkeit erheblich verletzt hat.579 Dagegen würde die Teilverwirklichungslehre in dieser Konstellation eine Unrechtsminderung verneinen, weil die konstitutiven Rechtfertigungselemente des Angriffs beziehungsweise der Gefahr nicht erfüllt sind. Vielmehr handelt es sich um eine Tat mit Vergeltungscharakter. Die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen erscheint somit besser geeignet, zutreffende Maßstäbe der Opferverantwortung aufzustellen. Denn es wird dabei deutlicher als durch die Kategorie der objektiven Zurechenbarkeit herausgestellt, dass nur ein solches Opferverhalten Anlass für eine Privilegierung des Täters sein kann, das ihn jedenfalls grundsätzlich zu einer Verteidigungs- oder Notstandshandlung berechtigen würde. Gleichzeitig bewirkt das Erfordernis der konstitutiven Rechtfertigungselemente, dass nicht jede bloße Nähe zu einem Rechtfertigungsgrund bereits unrechtsmindernd wirkt. Vielmehr werden grundsätzlich lediglich Tötungen in Defensivnotstandslagen privilegiert.

C. Ablehnung der Leitbildabweichung durch Opferverantwortung durch Hillenkamp Auch Hillenkamp580 bestreitet nicht die Unrechtsminderung bei der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen. So sei es ein Gebot der Gerechtigkeit, dass sich unrechtsminderndes Opferverhalten für den Täter strafmindernd auswirke. Jedoch lehnt er es grundsätzlich ab, die Unrechtsminderung auf Tatbestandsebene zu berücksichtigen. Vielmehr müsse diesem Umstand auf Rechtsfolgenebene bei der Strafzumessung Rechnung getragen werden.581 Allerdings beschränkt er seine Forderung nach aus578

Müssig, Mord und Totschlag (2005), S. 311. Müssig, Mord und Totschlag (2005), S. 317. 580 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten (1991), S. 211; ders., FS Miyazawa (1995) S. 141 (S. 150 f.). 581 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten (1991), S. 213 ff. 579

154

8. Kap.: Tötung unter Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen

schließlicher Berücksichtigung auf Rechtsfolgenseite auf den gegenwärtigen Zeitpunkt. So schließt er nicht für die Zukunft aus, dass mit einem Fortschreiten der Viktimologie eine Berücksichtigung des Opferverhaltens auch auf Tatbestandsebene möglich werden könne.582 Man kann Hillenkamp zwar nicht vorwerfen, zu verkennen, dass beim Mord wegen der absoluten Strafandrohung grundsätzlich kein Spielraum bei der Strafzumessung vorhanden ist. Denn in Übereinstimmung mit der Rechtsfolgenlösung entnimmt er den Strafrahmen beim Mord in unrechtsgeminderten Fällen dem Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Jedoch setzt er sich damit ebenso wie der Große Senat dem Vorwurf aus, dass seine Lösung mit dem geltenden Recht des insofern eindeutigen § 211 Abs. 1 StGB nicht vereinbar ist. Außerdem ist es widersprüchlich, wenn er etwa in Haustyrannenfällen „gegen Null“ tendierendes Tötungsunrecht erblickt,583 es aber andererseits für „nicht ganz unnütz“ hält, wenn dem Täter „bei seiner Überlegung, wie er sich rettet, bei der einen oder anderen Variante der Vorhalt bleibt, dass er tatbestandlich täte, was vertyptes Mordunrecht ist.“584 Denn wenn gegen Null tendierendes Unrecht tatbestandlich höchststrafwürdiges Mordunrecht sein soll, drängt es sich geradezu auf, die tatbestandliche Einordnung als Mord äußerst kritisch zu betrachten. Selbst eine ganz erhebliche Unrechtsminderung kann nach dieser Auffassung offenbar eine Abweichung vom Leitbild des Mordes nicht begründen. Ein solches Ergebnis ist jedoch, wie eingangs dargelegt wurde, mit dem Schuldprinzip unvereinbar. Allerdings scheint Hillenkamp seine Auffassung nunmehr unter dem Eindruck der Erpresser-Entscheidung des 1. Senats sowie der HaustyrannenEntscheidung desselben Senats teilweise geändert zu haben. Zwar lehnt er den in der Erpresser-Entscheidung eingeschlagenen Lösungsweg ab, dem Getöteten die faktisch bestehende Arglosigkeit aus normativen Gründen abzusprechen. Insbesondere sei es viktimodogmatisch verfehlt, ein missbilligtes Opferverhalten zur Reduktion von Tatbestandsmerkmalen zu missbrauchen.585 Jedoch hält er es in Haustyrannenfällen für möglich, Heimtücke wegen der notwehrnahen Lage zu verneinen, weil es am tückisch-verschlagenen Vorgehen der Täterin fehlt.586 Jedoch ist letztlich nicht sicher erkennbar, welcher Auffassung Hillenkamp tatsächlich nunmehr folgt, da er sich insofern im Rahmen seiner Anmerkung zur Haustyrannen-Entscheidung des BGH widersprüchlich äußert. 582 583 584 585 586

Hillenkamp, Hillenkamp, Hillenkamp, Hillenkamp, Hillenkamp,

Vorsatztat und Opferverhalten (1991), S. 216. FS Miyazawa (1995) S. 141 (S. 151). FS Miyazawa (1995) a. a. O. JZ 2004, 48 (49). JZ 2004, 48 (50).

D. Eigene Auffassung

155

So heißt es einerseits, dass es wegen des fehlenden tückisch-verschlagenen Vorgehens „auf der Hand gelegen hätte, die Verurteilung wegen Mordes aufzuheben.“ 587 Das steht jedoch in unauflösbarem Widerspruch zu der kurz zuvor geäußerten Auffassung, man solle „es richtigerweise jedenfalls trotz des erheblichen Opfermitverschuldens bei einer heimtückischen Tötung“ belassen.588 Zudem trägt das Argument nicht, dass man ein missbilligtes Opferverhalten nicht zur Tatbestandsreduktion missbrauchen solle. Denn der Restriktionsanlass ist nicht lediglich missbilligtes, sondern ein solches Verhalten, dass für den Täter eine Defensivnotstandslage begründet. Damit wird gerade sichergestellt, dass etwa dem Opfer eines Sexualdelikts nicht auf Grund aufreizender Kleidung eine Mitverantwortung zugeschrieben wird.

D. Eigene Auffassung I. Grundsätzliche Anerkennung der unrechtsmindernden Wirkung der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen Wenn ein Rechtfertigungsgrund nicht vollständig erfüllt ist, hat das die Rechtswidrigkeit der Tat zur Folge. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass in diesem Fall auch das Unrecht der Tat ungemindert ist. Das StGB enthält einige Normen, nach denen die Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes zu einer Unrechtsminderung führt.589 So greift zwar der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung nicht ein, wenn es sich um die Einwilligung des Opfers in seine eigene Tötung durch einen anderen handelt. Jedoch ist die Tötung auf Verlangen gemäß § 216 Abs. 1 StGB anders als Mord und Totschlag kein Verbrechen, sondern ein Vergehen mit einer erheblich geringeren Strafdrohung. Das wird damit begründet, dass die Einwilligung zwar nicht zum gänzlichen Unrechtsausschluss durch Rechtfertigung, wohl aber zu einer erheblichen Unrechtsminderung führe.590 Auch der minderschwere Fall des Totschlages gemäß § 213 1. Alt. StGB umfasst 587

Hillenkamp, JZ 2004, 48 (50). Hillenkamp, JZ 2004, 48 (49). 589 Das verkennt Quentin, NStZ 2005, 128 (133), wenn er ausführt, dass das Gesetz eine Unrechtsreduktion, wie sie der BGH in BGHSt 48, 207 ff. angenommen habe, nicht kenne. 590 Kern, ZStW 64 (1952), 255 (285); Noll, ZStW 68 (1959), 181 (194); Fischer, § 216 Rn. 2. 588

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8. Kap.: Tötung unter Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen

Fälle, in denen eine Rechtfertigung der Tötung gemäß §§ 32, 34 StGB zwar gescheitert ist, die Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes jedoch bei Vorliegen weiterer Umstände zu einer erheblichen Unrechtsminderung führt.591 Dass der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen auch abseits der gesetzlich vertypten Fälle eine unrechtsmindernde Wirkung zukommen kann, wird nur selten bestritten.592 So verneint zwar die herrschende Lehre die Rechtfertigung einer Tat gemäß § 32 StGB trotz Vorliegens einer Notwehrlage, wenn der Täter in Unkenntnis der Notwehrlage handelte; jedoch führe das Fehlen von Erfolgsunrecht zu einer Unrechtsminderung, weil die Rechtsordnung das Ergebnis der Tat billige. Daher solle die Tat lediglich als versuchte Tat mit den sich daraus ergebenden Strafmilderungsmöglichkeiten bestraft werden.593

II. Die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen als Kriterium fehlender Höchststrafwürdigkeit 1. Die fehlende Höchststrafwürdigkeit – insbesondere bei der Heimtücke Meines Erachtens bietet der Ansatz Günthers insbesondere beim Mordmerkmal der Heimtücke den Schlüssel zu einer sachgerechten Abschichtung nicht-höchststrafwürdiger Tötungen aus dem Anwendungsbereich des Mordes. Der Ausgangspunkt für einen solchen Lösungsansatz ist die eingangs dargelegte Notwendigkeit einer am Schuldgrundsatz orientierten Auslegung des § 211 StGB, die eine mit der Verurteilung wegen Mordes verbundene Stigmatisierung des Täters auf Fälle höchststrafwürdigen Unrechts zu beschränken hat. Da sich das Maß der Schuld in erster Linie nach dem Maß des verwirklichten Unrechts richtet, kann daher eine Verurteilung nach § 211 StGB nicht in Betracht kommen, wenn der Täter nicht gleichzeitig ein Höchstmaß an Unrecht verwirklicht hat. Dieses Höchstmaß an Unrechtsverwirklichung fehlt gerade dann, wenn sogar ein gänzlicher Un591

Frommel, StV 1987, 292 (295); Kern, ZStW 64 (1952), 255. So räumt etwa auch Schneider, NStZ 2003, 428 (430), der die normative Restriktion auf der Tatbestandsseite ablehnt, ein, dass es „allgemeiner Ansicht [. . .]“ entspreche, „dass unvollständig verwirklichte Rechtsfertigungsgründe das Unrecht der Tat absenken und die Schuld des Täters mindern.“ Ablehnend etwa Quentin, NStZ 2005, 128 (133). 593 Vgl. dazu Fischer, § 32 Rn. 27; LK-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 268; LPK-Kindhäuser, vor §§ 32–35 Rn. 19 (jeweils m. w. N.). 592

D. Eigene Auffassung

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rechtsausschluss im Raum steht, weil das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes in Betracht kommt. Wenn der gänzliche Unrechtsausschluss lediglich daran scheitert, dass der Rechtfertigungsgrund zwar in wesentlichen Merkmalen, aber eben nicht vollständig verwirklicht ist, so schließt dies im Gegenzug die Annahme eines Höchstmaßes an Unrechtsverwirklichung aus. Damit fehlt es jedoch bei der Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes an einer notwendigen Voraussetzung für eine Verurteilung wegen Mordes. Wie die Grenzfälle der Heimtücke belegen, ist eine Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen gerade bei diesem Mordmerkmal nicht selten. 2. Exkurs: Die „Kannibalen-Entscheidung“ des BGH Die Teilverwirklichungslehre liefert jedoch auch für andere Mordmerkmale Kriterien fehlender Höchststrafwürdigkeit. Das soll im Folgenden exemplarisch an der „Kannibalen-Entscheidung“594 des BGH deutlich gemacht werden. Meines Erachtens war der BGH an einer Verurteilung des Täters wegen Mordes gehindert, weil die Einwilligung des Opfers in seine eigene Tötung zwar nicht rechtfertigend, aber in erheblichem Maße unrechtsmindernd wirkte. Der Täter, Armin Meiwes, hegte seit seiner Pubertät den sexuell motivierten Wunsch, einen Menschen „abzuschlachten“ und zu verspeisen. Bedingung hierfür war jedoch, dass sich sein Opfer freiwillig zur Verfügung stellen würde. Auf der Suche nach „Interessenten“ lernte er das spätere Opfer im Internet kennen, welches seinerseits sexuelle Erfüllung durch eine Penisamputation suchte. Nach ausführlichem Email-Verkehr, in welchem beide ihre Fantasien in Einklang zu bringen suchten, kam es zu einem Treffen. Gemäß ihrer Absprache nahm der Täter zunächst die Penisamputation vor. Das stark blutende Opfer bereitete sich im Weiteren auf das Sterben vor. Es untersagte dem Täter, einen Notarzt zu rufen und verlangte vom Täter, er möge ihn „abstechen“, sobald es das Bewusstsein verliere. Dem kam der Täter schließlich nach. Es bedarf nur eines Gegenbeispiels, um deutlich zu machen, dass hier eine Verurteilung wegen Mordes niemals tat- und schuldangemessen sein konnte. Denn wie sollte ceteris paribus ein anderer Kannibale verurteilt werden, der sein Opfer gegen dessen Willen entführt, tötet und verspeist? Dabei handelt es sich keinesfalls lediglich um ein theoretisches Beispiel. Vielmehr hatte das Landgericht Berlin595 über eine ähnliche Tat zu urteilen, 594 595

BGHSt 50, 80 ff. LG Berlin, Urt. v. 10.05.2005 – 522-18/04.

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in welcher der dort Angeklagte nach einer ebenfalls sexuell motivierten, einverständlich durchgeführten „Schlachtsimulation“ das völlig überraschte und nunmehr um Hilfe schreiende Opfer gegen dessen erklärten Willen tötete. Wegen der fehlenden Einvernehmlichkeit im zweiten Fall verbietet es sich, beide Täter gleich zu bestrafen. Genau dies ist jedoch erfolgt: Nachdem der BGH die Verurteilung Meiwes wegen Totschlags aufgehoben und an ein anderes Landgericht zurückverwiesen hatte, wurde er vom Landgericht Frankfurt a. M.596 – inzwischen rechtskräftig597 – wegen Mordes verurteilt. Auch das Landgericht Berlin hat den Nachahmer wegen Mordes verurteilt. Es erscheint jedoch evident, dass beide Taten nicht annähernd einen gleichen Unrechtsgehalt aufweisen und sich ihre Gleichbehandlung daher von vornherein verbietet. Der BGH begründete die Ablehnung des § 216 StGB im Wesentlichen damit, dass das Verlangen des Opfers für den Täter nicht handlungsleitend gewesen sei, da der Täter auf Grund seiner kannibalistischen Fantasien zur Tötung geschritten sei.598 Zudem geht der BGH in Übereinstimmung mit dem Tatgericht davon aus, dass die Einwilligung des Opfers auf Grund seines krankhaften sexuellen Masochismus bereits nicht wirksam erklärt worden war.599 Zwar ist die Verneinung der Voraussetzungen des § 216 StGB durch den BGH gut vertretbar.600 Jedoch darf die Nichtanwendung des § 216 StGB nicht dazu führen, dass dem Täter infolgedessen jede Privilegierung abgesprochen wird.601 Denn das tatsächlich vorhandene Einverständnis des Täters muss sich auch dann unrechtsmindernd auswirken, wenn es gemäß § 216 StGB von der Rechtsordnung nicht als wirksame Einwilligung ange596

LG Frankfurt a. M., Urt. v. 09.05.2005 – 5/21 Ks 3550 Js 220983/05 (4/2005). 597 Der BGH hat die erneute Revision des Angeklagten zurückgewiesen (BGH, Beschl. v. 07.02.2007 – 2 StR 518/06). 598 BGHSt 50, 80 (91 f.). 599 BGHSt 50, 80 (82; 91 f.). Dem zustimmend etwa Otto, JZ 2006, 799 (800); Momsen/Jung, ZIS 2007, 162 (163). Zweifelnd Kudlich, JR 2005, 342 (343). 600 Dem BGH ist diesem Punkt überwiegend zugestimmt worden; vgl. etwa Schiemann, NJW 2005, 2350 (2351), Otto, JZ 2006, 799 (800); Kubiciel, JA 2005, 763 (765) sowie Momsen/Jung, ZIS 2007, 162 (163). A. A. mit beachtlichen Gründen Mitsch, ZIS 2007, 197 (199), der allerdings die Anwendung des § 216 StGB aus prozessualen Gründen fordert. Wenn der BGH darauf abstelle, ob das Tötungsverlangen des Opfers für den Täter handlungsleitend war, zwinge dies den Täter zur Preisgabe seines Tötungsvorsatzes sowie des Tatmotivs. Da ihm faktisch im Falle seines Schweigens die Privilegierung des § 216 StGB abgeschnitten werde, stelle sich der Lösungsweg des BGH als Verstoß gegen das „nemo tenetur se ipsum accusare“ – Prinzip dar. 601 Kudlich, JR 2005, 342 (343).

D. Eigene Auffassung

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sehen wird.602 Da der Schuldgrundsatz die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe verbietet, wenn – wie hier – erheblich gemindertes Unrecht vorliegt,603 durfte der BGH Armin Meiwes nicht wegen Mordes verurteilen. Damit kam es auf die allenfalls deskriptive Erfüllung der Mordmerkmale „zur Befriedung des Geschlechtstriebs“ sowie „um eine andere Straftat zu ermöglichen“, die der BGH in fragwürdiger Weise bejahte, nicht mehr an.604 Meiwes legte gegen seine rechtskräftige Verurteilung wegen Mordes Verfassungsbeschwerde ein. Gerade im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Dimension des Falles erschien es möglich, dass die Rechtsprechung des BGH, wonach auch erhebliche Unrechtsminderungen nicht eine Verurteilung wegen Mordes verhindern, einer kritischen Betrachtung durch das BVerfG nicht standhalten würde.605 Das BVerfG hat jedoch diese Chance nicht genutzt; vielmehr hat die 2. Kammer des 2. Senats durch Beschluss vom 07.10.2008 die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.606 Weder sei § 211 StGB verfassungswidrig, noch verletze die Verurteilung wegen Mordes den Beschwerdeführer im konkreten Fall in seinen Grundrechten.607

III. Die Vorzüge der Teilverwirklichungslehre im Vergleich zu anderen Restriktionswegen Die Anknüpfung an Rechtfertigungsgründe bietet gegenüber anderen Möglichkeiten der Tatbestandsrestriktion eine Reihe von Vorzügen und vermeidet viele der zum Teil gravierenden Nachteile, die mit anderen Restriktionswegen verbunden sind. 1. Objektives Geschehen als Anknüpfungspunkt Die Lehre von der unrechtsmindernden Wirkung der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen knüpft zunächst an objektive Umstände an. Denn Rechtfertigungsgründe knüpfen niemals ausschließlich an lediglich subjektive Begebenheiten an, sondern erfordern stets objektive Umstände. 602

So zutreffend Kubiciel, JA 2005, 763 (765); Kreuzer, StV 2007, 598 (604). Siehe dazu oben S. 32 ff. 604 Kritisch zur Annahme des BGH, Meiwes habe durch die Tötung die Verwirklichung des § 168 StGB (Störung der Totenruhe) ermöglichen wollen, etwa Kubiciel, JA 2005, 763 (765); Mitsch, ZIS 2007, 197 (200). 605 Ebenso Kreuzer, StV 2007, 598 (608). 606 BVerfG, NJW 2009, 1061 ff. 607 BVerfG, NJW 2009, 1061 (1062 ff.). 603

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So lässt sich etwa durch Spuren am Tatort und gegebenenfalls durch Zeugenaussagen ermitteln, ob etwa der Tötung ein Angriff des später Getöteten vorausging. Auch wenn sich – wie etwa in den Fällen der Haustyrannentötung – die Tat als Zuspitzung eines lang andauernden Konfliktes darstellt, sind etwa Verletzungen, die das spätere Opfer dem späteren Täter in der Vergangenheit zugefügt hatte, etwa durch Zeugenaussagen, aber auch durch ärztliche Untersuchungsergebnisse hinreichend belegbar. Wenn dagegen etwa der BGH in seiner Rechtsfolgenlösung darauf abstellt, ob beim Täter ein Handeln auf Grund eines Gefühls der Ausweglosigkeit heraus gegeben sei, so wird damit in erster Linie an die subjektive Gefühlswelt des Täters angeknüpft. Dies birgt in viel höherem Maße, als dies bei der Teilverwirklichungslehre der Fall ist, die Gefahr, dass der Täter die rechtliche Einordnung der Tat durch nicht überprüfbare Angaben zu seinen Gunsten steuern kann. 2. Offenlegung der Privilegierungskriterien anstelle diffuser Wertung Der entscheidende Vorzug der Teilverwirklichungslehre gegenüber vielen anderen Möglichkeiten der Restriktion liegt in der Offenlegung der Wertungskriterien. Ob eine Tat privilegierungswürdig ist, entscheidet sich danach anhand des Grades der Erfüllung von Rechtfertigungsgründen. Eine Argumentation, die sich auf konkrete Normen des geltenden Rechts stützt, ist von vornherein weniger angreifbar als eine Argumentation, die einer solchen Grundlage entbehrt. Gerade bei der abstrakten Frage der Höchststrafwürdigkeit, die als solche eine normative Fragestellung beinhaltet, ist es schwierig, einen Konsens über die maßgeblichen Kriterien zu erzielen. Dies liegt insbesondere daran, dass die Frage nach der Höchststrafwürdigkeit einer Tat Grundfragen der Gerechtigkeit berührt. Bekanntlich ist in der Rechtsphilosophie heftig umstritten, ob sich über Fragen der Gerechtigkeit und der Ethik überhaupt wissenschaftliche Aussagen treffen lassen.608 Auch wenn diese Arbeit nicht der geeignete Ort ist, um grundsätzlich zu dieser Frage Stellung zu nehmen, ist dies meines Erachtens durchaus zu bejahen und eine werterelativistische Position abzulehnen. Für die Verständigung über Gerechtigkeitsfragen ist es jedoch unentbehrlich, dass die Wertungskriterien preisgeben werden. Gerade bei der Frage nach der Höchststrafwürdigkeit einer Tat wird jedoch häufig lediglich das Ergebnis der eigenen Wertung mitgeteilt. 608 Einen Überblick zu dieser Frage gibt Horn, Rechtsphilosophie, S. 201 ff. (Rn. 406 ff.).

D. Eigene Auffassung

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So soll nach Schwalm609 eine heimtückische Tötung nur dann bejaht werden, wenn dem Täter ein „achtenswerter Beweggrund“ für die Tat fehle.610 Dies erscheint zunächst durchaus als geeigneter Ansatzpunkt für die Bestimmung der Höchststrafwürdigkeit, denn man kann kaum von einer verachtenswerten und daher höchststrafwürdigen Tat sprechen, wenn man einräumen muss, dass der Täter achtenswerte Gründe für sein Verhalten vorweisen kann. Zwar wird immerhin der dogmatische Ansatz dieser Restriktionsmöglichkeit dargelegt.611 Bei näherer Betrachtung stellt sich diese Formel jedoch als bloße Scheinbegründung für das jeweilige vom Rechtsanwender gewünschte Ergebnis dar. Denn es werden keine Kriterien genannt, nach denen bestimmt werden soll, welcher Beweggrund achtenswert ist und welcher achtlos übergangen werden kann. Gleiches gilt, wenn etwa darauf abgestellt würde, ob eine Tat „noch menschlich begreifbar“ sei.612 Es liegt auf der Hand, dass die Auffassungen über diese Frage erheblich auseinander gehen würden. Ein weiteres Beispiel stellt der Ansatz dar, welcher darauf abstellt, ob eine begründete beziehungsweise berechtige Arglosigkeit des Opfers angenommen werden kann.613 Bei der Einschränkung des Heimtückebegriffes wird dabei die deskriptive Arg- und Wehrlosigkeitsformel um eine normative Komponente erweitert, indem darauf abgestellt wird, ob das Opfer einer Tötung in seiner Arglosigkeit schutzwürdig sei.614 Danach könnte nur der heimtückisch getötet werden, der „zu Recht“ arglos war. Zwar ist der Begriff der Arglosigkeit auch nach der hier vertretenen Auffassung der richtige Ort für die normative Restriktion.615 Zudem steht bei diesem Ansatz mit der Schutzwürdigkeit ein Begriff im Mittelpunkt, der 609

Schwalm, MDR 1957, 260 (261 f.). Vgl. auch Art. 114 der gegenwärtigen Fassung des Schweizer Strafgesetzbuchs: „Tötung auf Verlangen Wer aus achtenswerten Beweggründen, namentlich aus Mitleid, einen Menschen auf dessen ernsthaftes und eindringliches Verlangen tötet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.“ 611 Nach Auffassung von Schwalm, MDR 1957, 260 (266) ist das Fehlen eines achtenswerten Beweggrundes innerhalb des Ausnutzungsbewusstseins zu prüfen. 612 Der BGH hat es daher in der Entscheidung BGHSt 3, 330 (332) zu Recht abgelehnt, die Frage der Höchststrafwürdigkeit an Hand dieses Kriteriums zu entscheiden. 613 Arzt, JR 1979, 7 (12). Ähnlich Roxin, JZ 2003, 966; Oberlies/Giesen, Streit 1986, 15 (17); Bendermacher, JR 2004, 348 (304), wonach derjenige arglos sei, der weder mit einem Angriff gerechnet habe, noch damit hätte rechnen müssen; ebenso Lembke, GreifRecht 2006, 44 (48). 614 Arzt, JR 1979, 7 (12). 615 Dazu ausführlich unten S. 174 ff. 610

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auch in vielen anderen Bereichen des Rechts verwendet wird und damit auch für die Restriktion der Heimtücke fruchtbar gemacht werden könnte. Jedoch knüpfen die Vertreter dieser Ansicht nicht an die Verwendung dieses Begriffes in anderen Bereichen des Rechts an; vielmehr bleibt hier teilweise offen, anhand welcher Kriterien die Schutzwürdigkeit des Opfers bestimmt werden soll.616 Die Argumentation mit der Schutzwürdigkeit darf jedoch nicht zu einer Leerformel werden, bei der die Kriterien der Schutzwürdigkeit im Dunkeln bleiben.617 Gleiches gilt für die große Mehrzahl aller anderen Restriktionsansätze. So krankt etwa auch die Lehre von der Typenkorrektur in erster Linie daran, dass sie ihre Wertungskriterien nicht offenlegt. Dies war bereits den Begründern der Tätertypenlehre durchaus recht, wie die oben ausführlich dargelegte Entstehungsgeschichte des § 211 StGB zeigt.618 Danach oblag es allein der Entscheidung des Rechtsanwenders, ob ein Täter dem „Bild des Mörders“ entsprach oder nicht. Dagegen wird mit der Teilverwirklichungslehre durch das Anknüpfen an die Rechtfertigungsgründe des positiven Rechts versucht, die Maßstäbe der Höchststrafwürdigkeit dem Gesamtsystem des geltenden Rechts zu entnehmen. 3. Berücksichtigung des vorherigen Opferverhaltens nur bei Defensivnotstandslagen Durch die Anknüpfung an Rechtfertigungsgründe wird sichergestellt, dass nur ein in erheblichem Maße rechtswidriges Vorverhalten des Opfers geeignet ist, bei der späteren Tötung eine Unrechtsminderung hervorzurufen. Das ist nur in Defensivnotstandslagen der Fall. Damit wird insbesondere klargestellt, dass ein rechtlich nicht zu beanstandendes Vorverhalten, welches etwa ein besonders leicht erregbarer Täter zum Tatanlass nimmt, sich nicht unrechtsmindernd auswirkt. Im Gegenzug wird gewährleistet, dass relevantes Vorverhalten des späteren Opfers nicht lediglich deshalb gänzlich unberücksichtigt bleibt, weil die Reaktion des Täters nur teilweise von Rechtfertigungsgründen gedeckt ist. Die Teilverwirklichungslehre ist daher insbesondere ein Beitrag zur Privilegierung von Konflikttaten, wäh616 Immerhin begründet der BGH in BGHSt 48, 207 (208 ff.) die fehlende Schutzwürdigkeit des Opfers mit der rechtfertigungsnahen Lage, in welcher der Täter sich befand (so auch Bendermacher, a. a. O. und Roxin, a. a. O.). 617 Kritisch zu Recht Frommel, StV 1987, 292 (294). 618 Vgl. zu der in der nationalsozialistischen Rechtsliteratur anerkannten Notwendigkeit einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit oben S. 76 (insbesondere die Nachweise in Fn. 278).

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rend sie der ebenso weit verbreiteten wie unberechtigten, generellen Privilegierung von Affekttaten einen Riegel vorschiebt.619 Dies hat zur Folge, dass die Tötung einer „unschuldigen“ Person, d.h. einer Person, deren Verhalten dem Täter keinen Anlass zu einer Verteidigungs- oder Notstandshandlung gegeben hat, stets ein höheres Unrecht darstellt als die Tötung einer Person, deren Verhalten für den Täter eine Defensivnotstandslage begründet hat. 4. Prinzipielle Übertragbarkeit auf andere Mordmerkmale Da die Teilverwirklichungslehre auf den Rechtfertigungsgründen des geltenden Rechts basiert, bestehen keine prinzipiellen Bedenken gegen die Übertragung dieses Restriktionsansatzes auf andere Mordmerkmale. So ist oben dargelegt worden, dass sie etwa im Kannibalen-Fall entgegen der Auffassung des BGH eine Verurteilung wegen Mordes verhindert.620 Damit hat sie gegenüber Einschränkungswegen wie etwa der Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch, die allein für ein Mordmerkmal Geltung beanspruchen können, den Vorteil eines einheitlichen Lösungsansatzes für alle Mordmerkmale. Allerdings ist bereits oben ausgeführt worden, dass zwar der gesamte Mordtatbestand der restriktiven Auslegung bedarf, dies jedoch in besonders erheblichem Maße für das Mordmerkmal der Heimtücke gilt.

5. Prinzipielle Übertragbarkeit auf andere Delikte Der Begründungsansatz der Teilverwirklichungslehre lässt sich grundsätzlich auch bei anderen Straftatbeständen nutzbar machen. Denn auch bei einer Körperverletzung führt die Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes zu einer Unrechtsminderung. Anders als beim Mord kann die Unrechtsminderung jedoch in der Regel in ausreichendem Maße auf der Rechtsfolgenseite berücksichtigt werden, weil es bei keinem anderen Delikt eine absolute Strafandrohung gibt. Zudem spielt die Stigmatisierung des Täters bei Delikten ohne absolute Strafandrohung eine untergeordnete Rolle. So wird zwar derjenige, der wegen einer schweren Körperverletzung gemäß § 226 StGB verurteilt wird, in höherem Maße durch den Strafausspruch getadelt als derjenige, der eine einfache Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB begeht. Doch lässt sich der erschwerte Vorwurf ohne weiteres bereits sprachlich auf einen 619 Vgl. zur unberechtigten generellen Privilegierung von Affekttaten ausführlich oben S. 138 ff. 620 Siehe dazu oben S. 157 ff.

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sachlichen Grund stützen. Denn die „schwere“ Körperverletzung stellt eben wegen der vorsätzlich oder fahrlässig mitverursachten, gravierenden Folgen für das Opfer ein höheres Unrecht und damit auch eine höhere Schuld des Täters dar als die einfache Körperverletzung. Liegt allerdings bei einer schweren Körperverletzung die Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes vor, so wird in aller Regel ein minderschwerer Fall im Sinne des § 226 Abs. 3 StGB zu bejahen sein. Ist also ein Strafrahmen vorhanden, kann eine durch die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen verursachte Unrechts- und Schuldminderung zumeist durch die Verhängung einer Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens berücksichtigt werden. Wenn daher zwar keine Bedenken gegen die Übertragung dieses Ansatzes auf andere Straftatbestände bestehen, so fehlt hierfür jedoch ein dringendes Bedürfnis. Denn es fehlt bei anderen Delikten in aller Regel an einer im Hinblick auf das Schuldprinzip bedenklichen Zuspitzung der Täterstigmatisierung über das sachlich erforderliche Maß hinaus. 6. Kein Systembruch durch die Teilverwirklichungslehre Es ist zuzugeben, dass die Teilverwirklichungslehre jedenfalls auf den ersten Blick als Bruch mit dem dreistufigen Deliktsaufbau erscheint. Denn die auf der ersten Stufe vorzunehmende Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens hängt dabei von der vorhergehenden Prüfung und Bejahung der teilweisen Verwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes ab. Jedoch stehen die drei Stufen des Deliktsaufbaus ohnehin nicht beziehungslos nebeneinander. So indiziert etwa die Tatbestandslosigkeit einer Handlung regelmäßig auch deren Rechtmäßigkeit. In gleicher Weise führt die Rechtfertigung einer Tat zur Beseitigung des Schuldvorwurfes. Im Gegenzug kann zwar etwa bei schuldunfähigen Tätern ein Höchstmaß an Unrecht vorliegen, aber keine Schuld. Jedoch setzt das verwirklichte Unrecht gleichzeitig die Obergrenze für die verwirklichte Schuld. Daher führt der dreistufige Deliktsaufbau dazu, dass beim Fehlen von Unrecht zwangsläufig jede Rechtswidrigkeit und Schuld fehlen muss. Entsprechend muss sich die Schuld um das gleiche Maß vermindern, wie das Unrecht gemindert ist. Daher ist die Beeinflussung der Tatbestandsebene durch die Ebene der Rechtfertigung nur als Beitrag zur Beseitigung erheblicher Wertungswidersprüche anzusehen. Zutreffend hat der BGH621 einen Wertungswiderspruch darin gesehen, dass die vollständige Erfüllung eines Rechtfertigungsgrundes 621 BGHSt 48, 207 (211); dem BGH insoweit zustimmend Hillenkamp, FS Rudolphi (2004) S. 463 (S. 479).

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zur Beseitigung des gesamten Unrechts führen soll, während die lediglich überwiegende Erfüllung eines Rechtfertigungsgrundes im Extremfall nichts an der Höchststrafwürdigkeit einer Tat ändern soll. Auf der Rechtsfolgenebene führt dies dazu, dass Zufälligkeiten und minimale Bewertungsunterschiede darüber entscheiden würden, ob eine Tat einen Freispruch oder eine Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe zur Folge hat. Der Sachverhalt der Erpresser-Entscheidung des BGH liefert insoweit für die Möglichkeit gestufter Unrechtsminderungen ein äußerst anschauliches Beispiel. Insbesondere im Hinblick auf die Gegenwärtigkeit des Angriffs im Sinne des § 32 StGB liegt im Zweifelsfall zwischen der Beurteilung der Tat als durch Notwehr gerechtfertigter Tat (Freispruch) oder als heimtückischer Tötung (lebenslange Freiheitsstrafe) nur eine logische Sekunde. Es liegt auf der Hand, dass eine auf Zufällen beruhende Bestrafung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unvereinbar ist. Dieser Wertungswiderspruch lässt sich nur dadurch vermeiden, dass die Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes nicht ohne Folgen bleibt. Bei Delikten mit absoluter Strafandrohung besteht jedoch keine Möglichkeit, dies auf Rechtsfolgenebene zu berücksichtigen. Die Teilverwirklichungslehre ist daher das Mittel zur Vermeidung unerträglicher Wertungswidersprüche.

IV. Vorschlag zur Handhabung der Teilverwirklichungslösung bei der vorsätzlichen Tötung Kommt bei einer vorsätzlichen Tötung sowohl die Verwirklichung eines Mordmerkmals, als auch die (Teil-)Verwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes in Betracht, so ist zunächst das Vorliegen eines Totschlages zu prüfen, dessen Tatbestandsmäßigkeit in der Regel ohne weiteres gegeben ist. Im nächsten Schritt sind alle in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründe erschöpfend zu prüfen. Dabei darf die Erfüllung eines Merkmals auch dann nicht dahingestellt bleiben, wenn die Rechtfertigung am Fehlen eines anderen Merkmals scheitert. Denn die Prüfung der Rechtfertigungsgründe dient hier nicht allein der Feststellung, „ob“, sondern auch „wie“ rechtswidrig oder rechtmäßig die Tat war. Dabei ist jeweils das Maß der Unter- oder Überschreitung des nicht vollständig erfüllten Merkmals anzugeben. Wird etwa festgestellt, dass der Angriff des Opfers, den der Täter abzuwehren gedenkt, noch nicht gegenwärtig im Sinne des § 32 StGB war, so ist festzustellen, ab welchem Zeitpunkt der Angriff gegenwärtig gewesen wäre. Wird die Tötung nicht für erforderlich gehalten, so ist etwa zu prüfen, welche Handlung bei gleichen Erfolgsaussichten noch erforderlich gewesen wäre.

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8. Kap.: Tötung unter Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen

Im Anschluss daran ist das Vorliegen eines Mordmerkmals zu prüfen. Bei der Heimtücke ist dabei auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH zu prüfen, ob der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt hat.622 Wenn das Vorliegen der Heimtücke auf dieser ersten Stufe zu bejahen ist, ist auf der zweiten Stufe festzustellen, ob eine normative Restriktion auf der Grundlage der Teilverwirklichungslehre zu einer Verneinung der Heimtücke führt. Hier ist auf die bei der Prüfung der Rechtfertigungsgründe gewonnenen Ergebnisse zurückzugreifen. Die denkbare Spannbreite des Maßes der Rechtswidrigkeit reicht von „fast rechtmäßigen“ bis „kaum rechtmäßigen“ Handlungen. Leitlinie der Prüfung muss dabei sein, ob die Unrechtsminderung durch Teilverwirklichung so erheblich ist, dass die Tat nicht als höchststrafwürdiger Mord erscheint. Dafür ist es zunächst erforderlich, dass die konstitutiven Rechtfertigungsgründe – insbesondere der Angriff oder die Gefahr – gegeben sind. Im Falle „kaum rechtmäßiger“ Handlungen ist eine erhebliche Unrechtsminderung ohne weiteres zu verneinen. Die bloße Nähe zu einem Rechtfertigungsgrund reicht etwa bei der Tötung wegen einer vorangegangenen Beleidigung nicht aus, weil bei einer solchen zeitlich nachhinkenden Tat wegen des Vergeltungscharakters das konstitutive Rechtfertigungselement des gegenwärtigen Angriffs nicht erfüllt ist und selbst bei dessen Unterstellung die Tötung unter keinem Gesichtspunkt geboten erscheint. Im Gegensatz dazu können „fast rechtmäßige“ Tötungen kein Mordmerkmal erfüllen, weil gegen Null tendierendes Tötungsunrecht nicht als höchststrafwürdiges Unrecht bewertet werden kann. In solchen Fällen ist zugleich regelmäßig ein sonst minderschwerer Fall des Totschlags (§ 213 2. Alt. StGB) zu bejahen. Auch wenn die Teilverwirklichungslehre an objektive Sachverhalte anknüpft, so kommt sie ebenso wenig wie irgendein anderer Restriktionsweg ohne Wertung aus. Der Wertungsakt vollzieht sich konkret in der Frage, ob trotz der Sollabweichung beim Rechtfertigungsgrund die Höchststrafwürdigkeit verneint werden kann. Die Schwierigkeit liegt dabei im Mittelfeld der Fallgruppen, die von den beiden Polen der „fast rechtmäßigen“ und „kaum rechtmäßigen“ Tötungen deutlich entfernt sind. Vor dem Hintergrund, dass die Stigmatisierung des Täters als „Mörder“ nur dann zulässig ist, wenn höchststrafwürdiges Unrecht vorliegt, sollten die Anforderungen an das Maß der Teilverwirklichung nicht überspannt werden. Denn auch eine „überwiegend rechtswidrige“ Tat kann im Strafrahmen des Totschlags noch mit dem Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe (gemäß § 38 Abs. 2 StGB 622 Das Merkmal der feindlichen Willensrichtung ist dabei nicht zu prüfen, weil es entbehrlich ist (vgl. dazu oben S. 143 f. sowie unten S. 183 ff.). Gleiches gilt für das Ausnutzungsbewusstsein, soweit darunter mehr verstanden wird als ein Vorsatz im Bezug auf die objektiven Merkmale, welche die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers begründen (dazu oben S. 136 ff.).

E. Leitlinien für die fehlende Höchststrafwürdigkeit von Tötungen

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15 Jahre) bestraft werden. Daher sollte eine Zuordnung zum Mord nur dann vorgenommen werden, wenn es bereits an den konstitutiven Rechtfertigungsgründen fehlt oder ansonsten das Maß der Teilverwirklichung so gering erscheint, dass jeweils von einer „kaum rechtmäßigen“ Tötung auszugehen ist. Dadurch wird jedoch gleichzeitig gewährleistet, dass die bloße Nähe zu Rechtfertigungsgründen nicht ausreicht, um einen Mord zu verneinen. Vielmehr bedarf es zur Verneinung des Mordes einer qualifizierten Defensivnotstandslage in der von Günther beschriebenen Art.

E. Zusammenfassung: Leitlinien für die fehlende Höchststrafwürdigkeit von Tötungen Eine höchststrafwürdige Tat wird durch ein Höchstmaß an Unrecht und Schuld gekennzeichnet. Grundsätzlich sind daher zwei verschiedene Gegebenheiten geeignet, einem vorsätzlichen Tötungsdelikt die Höchststrafwürdigkeit zu nehmen. Die Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes führt zunächst zu einer Unrechtsminderung. Bedingt durch die Begrenzungsfunktion des Schuldprinzips bewirkt sie jedoch gleichzeitig eine Schuldminderung, da die Schuld des Täters nicht höher sein kann als das Unrecht seiner Tat. Als zweites verbleiben Fälle, die lediglich durch eine Schuldminderung des Täters gekennzeichnet sind. Weil selbst ein gänzlicher Schuldausschluss das Maß der Unrechtsverwirklichung unberührt lässt, sind schuldgeminderte Tötungen stets weniger privilegierungswürdig als unrechtsgeminderte Tötungen. Selbstverständlich kann nicht jede leichte Unrechts- oder Schuldminderung zur fehlenden Höchststrafwürdigkeit einer Tötung führen. Vielmehr müssen Unrecht und Schuld der Tat erheblich gemindert sein. Der BGH neigt allerdings etwa in der bereits genannten Entscheidung BGHSt 48, 255 zur Tötung eines gewalttätigen Haustyrannen dazu, die Augen vor der evidenten Unrechtsminderung zu verschließen. Im Gegenzug war er in der Vergangenheit etwa bei der Fallgruppe des gescheiterten Mitnahmesuizids teilweise äußerst großzügig bei der Verneinung der Höchststrafwürdigkeit und hat dabei selbst solche angeblichen Schuldminderungen für ausreichend gehalten, die nicht einmal ansatzweise eine Nähe zum Anwendungsbereich des § 21 StGB aufweisen.623

623 Vgl. etwa den Sachverhalt der Entscheidung BGHSt 9, 385 ff. (dazu oben S. 142 f.).

9. Kapitel

Die Zulässigkeit der normativen Restriktion der Heimtücke Rechtssätze enthalten oftmals Begriffe, denen nicht nur eine einzige Bedeutung zugeordnet werden kann. Dies liegt daran, dass die Beschreibung eines Begriffes durch das Medium der Sprache immer nur eine Annährung an den Bedeutungsgehalt des Begriffes darstellt. Um die Bedeutung zu ermitteln, müssen die Begriffe ausgelegt werden. Es mag Begriffe geben, die ausschließlich deskriptiv sind. Doch die große Mehrzahl der Begriffe enthalten zumindest normative Elemente. Im Prinzip ist daher jeder auslegungsbedürftige Begriff normativ.624 Insbesondere die Abgrenzung und Eingrenzung des Anwendungsbereiches von Normen ist in der Regel ohne wertende Argumentation nicht möglich. Die normative Restriktion stellt sich daher als sprachtheoretisch notwendige Auslegungsmethode von Rechtsbegriffen dar. Die oben erfolgte Untersuchung der Entstehungsgeschichte des § 211 StGB hat zudem gezeigt, dass der historische Gesetzgeber im Dritten Reich bei der Neuregelung der Tötungsdelikte in hohem Maße von irrationalen Erwägungen, insbesondere von der Tätertypenlehre geleitet wurde. Dies konnte nicht ohne Niederschlag auf die Gesetzesfassung bleiben.

A. Die Unmöglichkeit einer ausschließlich deskriptiven Bestimmung625 Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Heimtücke als hinterlistige Bösartigkeit definiert.626 Der allgemeine Sprachgebrauch hilft bei der Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke also nur insofern weiter, als er hinreichend verdeutlicht, dass der vom nationalsozialistischen Gesetzgeber gewählte Begriff prinzipiell ungeeignet ist für die Beschreibung einer menschlichen Verhaltensweise, die mit dem Bestimmtheitsgrundsatz übereinstimmt. 624 625 626

Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 6 V S. 60. Dazu auch Hassemer, JuS 1971, 626 (630 f.). Duden, Die Deutsche Rechtschreibung, Stichwort: Heimtücke.

A. Unmöglichkeit einer ausschließlich deskriptiven Bestimmung

169

Um der Heimtücke eine fachsprachliche Bedeutung zu geben, „erfand“ das Reichsgericht die Arg- und Wehrlosigkeitsformel.627 Ihm blieb auch insofern nichts anderes übrig, weil es sich um ein Merkmal handelte, welches keine direkten Vorläufer aufwies, wenn man von der allenfalls verwandten heimlichen Tötung nach mittelalterlicher Rechtsüberlieferung absieht. Auffällig ist, dass sich das Abstellen auf die Arg- und Wehrlosigkeit wie eine deskriptive Abstrahierung der ersten Kommentierungen zum neuen Mordmerkmal liest. Denn im Gegensatz dazu deuteten die Kommentatoren die Heimtücke normativ, wenn sie darauf abstellten, ob die Tat von Feigheit und Hinterhältigkeit geprägt sei.628 Die Bemühungen des Reichsgerichts um eine deskriptive Auslegung sind vor dem Hintergrund einer Zeit, in der die Gesetzgebung stark normativ geprägt war, nur allzu verständlich. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass sich auch das Reichsgericht eine normative Ergebniskontrolle in Form einer Verwerflichkeitsprüfung vorbehielt. Ein Großteil der Auslegungsprobleme, die das Mordmerkmal der Heimtücke noch heute bereitet, wurzelt jedoch darin, dass der Begriff der Heimtücke keinen deskriptiv greifbaren Begriffskern aufweist. Wie bereits dargelegt, war dies vom Gesetzgeber durchaus beabsichtigt, weil deskriptive Tatbestandsmerkmale vielfach zu Strafbarkeitslücken geführt hätten, die nach den Vorstellungen des nationalsozialistischen Gesetzgebers unerträglich gewesen wären. Die häufige Verwendung unbestimmter, normativer Tatbestandsmerkmale ließ hingegen den gewünschten Spielraum für Ausweitungen und Restriktionen gleichermaßen zu. Zudem ermöglichte sie die den Nationalsozialisten äußerst wichtige Wahrung des Anscheins der Legitimität.629 Die Schöpfung der Arg- und Wehrlosigkeitsformel stellt daher den untauglichen Versuch dar, einen normativen Begriff mit einem deskriptiven Inhalt aufzufüllen, den dieser nicht hat. Sie setzt sich damit dem Vorwurf einer gewissen Beliebigkeit aus. Da Heimtücke daher nicht deskriptiv, sondern nur normativ ausgelegt werden kann, muss im Rahmen der Auslegung auch die Restriktion des Tatbestandsmerkmals auf normative Gesichtspunkte gestützt werden.

627 628 629

Vgl. dazu oben S. 88. Vgl. dazu oben S. 85 ff. Vgl. dazu oben S. 84 (dort Fn. 319).

170

9. Kap.: Zulässigkeit der normativen Restriktion der Heimtücke

B. Die Ungeeignetheit alternativer Heimtückedefinitionen I. Grundsätzliche Zulässigkeit des Verzichts auf die Arg- und Wehrlosigkeitsformel Zwar gibt es eine Vielzahl an Restriktionsansätzen, die durch weitere Merkmale wie etwa das Erfordernis eines verwerflichen Vertrauensbruchs oder einer Typenkorrektur oder durch weitere inhaltliche Konkretisierung der Arg- und Wehrlosigkeitsformel zu Ergebnissen gelangen, die von denen der Rechtsprechung abweichen. Es gibt jedoch nur vereinzelte Ansätze, den Inhalt des Mordmerkmals der Heimtücke unter Aufgabe der Arg- und Wehrlosigkeitsformel gänzlich neu zu bestimmen.630 Das weitgehende Fehlen solcher Ansätze lässt sich mit der faktischen Autorität begründen, die die Arg- und Wehrlosigkeitsformel durch die in mehr als sechzig Jahren fortentwickelte, ständige Rechtsprechung erlangt hat. Im Laufe dieser Zeit scheint dabei teilweise das Bewusstsein dafür verloren gegangen zu sein, dass die Begriffe der Arglosigkeit und Wehrlosigkeit keine Tatbestandsmerkmale sind. Besonders deutlich wird dies, wenn bereits gegen solche Vorschläge der Vorwurf mangelnder Gesetzesbindung erhoben wird, die lediglich die Arg- und Wehrlosigkeitsformel im Randbereich korrigieren.631 Vielmehr handelt es sich um bloße Hilfsbegriffe,632 die ursprünglich das Reichsgericht zur Ausfüllung des amorphen Begriffes der Heimtücke erfand. Daher wäre eine völlige Neubestimmung der Heimtücke unter Verzicht auf die Arg- und Wehrlosigkeitsformel ohne weiteres zulässig.

630 Neben den unten genannten Ansätzen von Schmoller und Veh wird das Element des Vertrauensbruchs vereinzelt auch als selbständige Alternative zur Arg- und Wehrlosigkeitsformel angesehen (vgl. etwa Meyer, JR 1979, 441 (445), welche die Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch fortentwickelt hat; danach soll sich Heimtücke als „Missbrauch sozial-positiver Verhaltensmuster“ darstellen (Meyer, JR 1979, 485 ff.; dem folgend Fahlbusch, Unhaltbarkeit des Zustandes der Mordmerkmale (2008), S. 224). 631 Exemplarisch die Kritik Fischers an den Gegnern der Rechtsfolgenlösung: Fischer, § 211 Rn. 47 (dazu bereits oben S. 47). 632 So ausdrücklich BGHSt 27, 322 (324); Küper, JuS 2000, 740 (745); Meyer, JR 1979, 441.

B. Ungeeignetheit alternativer Heimtückedefinitionen

171

II. Die Konzeption Schmollers Ein solches Alternativmodell, das unter Verzicht auf bloße Modifikationen der Arg- und Wehrlosigkeitsformel eine gänzliche Neubestimmung der Heimtücke beinhaltet, schlägt Schmoller633 vor. Die gänzliche Neubestimmung hält er für erforderlich, weil die Arg- und Wehrlosigkeitsformel zur Abgrenzung von Mord und Totschlag ungeeignet sei.634 Für die Herleitung stellt er daher zunächst auf den allgemeinen Wortgebrauch ab. Dabei entnimmt er der Verwendung des Begriffes der Heimtücke im Zusammenhang mit Krankheiten, Gewässern, alkoholischen Getränken etc. den gemeinsamen Gehalt, dass ihre Gefährlichkeit nicht offensichtlich sei, sondern erst dann erkennbar werde, wenn es für ein Gegensteuern bereits zu spät sei.635 Ausgehend vom allgemeinen Wortgebrauch definiert er daher die heimtückische Tötung als eine vom Täter im Verborgenen besonders weitgehend vorbereitete Tötung. 636

III. Die Konzeption Vehs Auch Veh637 hält die Arg- und Wehrlosigkeitsformel des BGH für ungeeignet. Er stellt stattdessen darauf ab, ob der Tötung eine feindliche Konfrontation zwischen Täter und Opfer unmittelbar vorangegangen ist. Diese Fallgruppe scheidet er – insofern in Übereinstimmung mit dem BGH638 – aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke aus.639 Danach stellt sich Heimtücke als Tötung ohne vorherige Konfrontation zwischen Täter und Opfer dar.640 Im Übrigen hält Veh es für unerheblich, ob die Feindseligkeiten vom Täter oder vom Opfer ausgehen.641

633 634 635 636 637 638 639 640 641

Schmoller, ZStW 99 (1987), 388 ff. Schmoller, ZStW 99 (1987), 388 (401). Schmoller, ZStW 99 (1987), 388 (414). Schmoller, ZStW 99 (1987), 388 (415). Veh, Mordtatbestand (1986), S. 137 ff. Vgl. dazu oben S. 122 ff. Veh, Mordtatbestand (1986), S. 169. Veh, Mordtatbestand (1986), S. 170. Veh, Mordtatbestand (1986), S. 167.

172

9. Kap.: Zulässigkeit der normativen Restriktion der Heimtücke

IV. Kritik an der alternativen Bestimmung der Heimtücke 1. Mängel der Alternativmodelle Grundsätzlich ist der Ansatz begrüßenswert, die Heimtücke vom allgemeinen Wortgebrauch ausgehend neu zu bestimmen.642 Damit würde ein Bruch mit der weiten Begriffsbestimmung vollzogen, deren Ursprungsdefinition von Literatur und Rechtsprechung im Dritten Reich in Kenntnis der Restriktionsmechanismen der Gesamtwürdigung und der Tätertypenlehre geschaffen wurde. Zudem kommt dem Wortlaut als Grenze des möglichen Wortsinns gerade bei einem Merkmal, welches im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot problematisch ist, besondere Bedeutung zu. Auch lassen sich beide Alternativkonzeptionen mit dem Gefährlichkeitsmodell in Einklang bringen, welches nach herrschender Meinung als Strafgrund der Heimtücke anzusehen ist. Bei näherer Betrachtung handelt es sich jedoch bei der Konzeption Schmollers mitnichten um eine Neubestimmung der Heimtücke, sondern im Gegenteil um einen erneuten Wiederbelebungsversuch des alten Mordmerkmals der Überlegung.643 Tatsächlich beruft sich Schmoller in der Begründung seiner Auffassung auf die Rechtslage vor 1941 und hält jedenfalls den Grundgedanken dieses Mordmerkmals für berechtigt.644 Dadurch wird deutlich, dass es sich hier nicht um einen neuen Ansatz handelt, sondern um ein verfehltes Rekurrieren auf eine – völlig zu Recht – nicht mehr bestehende Rechtslage. Weiter preist Schmoller die weitgehende Ausklammerung von Affekttaten aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke als Vorzug an.645 Dass die generelle Privilegierung von Affekttaten jedoch unangemessen ist, wurde bereits eingehend dargelegt.646 Hingegen ist der Konzeption Vehs jedenfalls im Ansatz zuzustimmen. Eine Tötung ohne jegliche vorherige Konfrontation erscheint grundsätzlich strafwürdiger, weil sie gewissermaßen ohne jeden Anlass erfolgt. Problematisch ist jedoch die Bewertung des Maßes der Feindseligkeiten. Insbesondere ist es unklar, welche Qualität die von Veh herangezogenen „aggressi642 Einen ähnlichen Ansatz – allerdings auf dem Boden der Arg- und Wehrlosigkeitsformel – verfolgt Spendel, JR 1983, 269 (271). Im Gegensatz zu Schmoller bleibt er jedoch nicht beim gegenwärtigen, allgemeinen Sprachgebrauch stehen, sondern untersucht ausführlich die etymologischen Wurzeln der Heimtücke. 643 Vgl. dazu bereits ausführlich oben S. 137 f.; kritisch hierzu auch Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 748 f.). 644 Schmoller, ZStW 99 (1987), 388 (417 f.). 645 Schmoller, ZStW 99 (1987), 388 (420). 646 Vgl. oben S. 138 ff.

B. Ungeeignetheit alternativer Heimtückedefinitionen

173

ven Tendenzen“ 647 aufweisen müssen. Insofern ist kein Erkenntnisgewinn gegenüber der Rechtsprechung des BGH zur Tötung nach vorangegangener Konfrontation ersichtlich. Dagegen liefert die hier vertretene Auffassung648 mit dem Anknüpfen an die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen einen greifbaren Maßstab. Sie ist daher auch dem Ansatz Vehs vorzuziehen. 2. Die Alternativlosigkeit der Arg- und Wehrlosigkeitsformel Die Arg- und Wehrlosigkeitsformel verdankt ihre Existenzberechtigung heute in erster Linie dem fast völligen Fehlen von Alternativmodellen. Immerhin lässt sich ihr zugute halten, dass im Laufe von mehr als 60 Jahren gewisse Konturen dieses Mordmerkmals herausgearbeitet wurden. Angesichts der „Flickschusterei“,649 mit der die Rechtsprechung jenseits der Grundstrukturen die Grenzen dieses Mordmerkmals zu präzisieren versucht, sprechen jedoch darüber hinaus keine inhaltlichen Gründe für die Anwendung der Arg- und Wehrlosigkeitsformel. Dennoch wird auch in dieser Untersuchung keine alternative Grundkonzeption der Heimtücke unterbreitet, die ohne die Arg- und Wehrlosigkeitsformel als Grunddefinition auskäme. Denn jede echte Neubestimmung dieses Tatbestandsmerkmals würde sich zwangsläufig dem gleichen Vorwurf der Beliebigkeit aussetzen, ohne sich dabei auf eine über 60-jährige Erfahrungs- und Erprobungszeit stützen zu können. Eine gänzliche Neubestimmung der Heimtücke ist daher ein aussichtsloses Unterfangen. Denn es fehlt diesem Mordmerkmal an einem sachlich hinreichend bestimmbaren Inhalt. Insofern kann dieses Mordmerkmal als Schöpfung des nationalsozialistischen Gesetzgebers seine Herkunft nicht leugnen. Es darf daher auch bezweifelt werden, ob dieses Mordmerkmal vor dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG bestehen kann.650

647

Veh, Mordtatbestand (1986), S. 167. Vgl. dazu oben S. 155 ff. 649 So die Kritik Kargls, StraFo 2001, 365 (370) an der Fülle von Einzelkorrekturen der Rechtsprechung zum Mordmerkmal der Heimtücke. 650 Mitsch, JZ 2008, 336 ff. hält § 211 StGB nicht zuletzt wegen der Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale für verfassungswidrig. Das BVerfG vertritt jedoch in seiner Rechtsprechung zur Bestimmtheit von Strafnormen die Auffassung, dass es ausreiche, wenn eine Strafnorm, die eine weite Auslegung zulasse, durch eine entsprechend gefestigte ständige Rechtsprechung hinreichend konkretisiert werde (vgl. etwa BVerfGE 26, 41 (43) zur Bestimmtheit des Tatbestandsmerkmals des „groben Unfugs“ in § 360 Abs. 1 StGB a. F.). 648

174

9. Kap.: Zulässigkeit der normativen Restriktion der Heimtücke

Trotz ihrer Unzulänglichkeiten ist daher die Arg- und Wehrlosigkeitsformel mangels brauchbarer Alternativen als Ausgangspunkt einer jeden restriktiven Auslegung zu nehmen.

C. Der Ort der normativen Restriktion der Heimtücke Die generelle Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung der Heimtücke wird von niemandem in Zweifel gezogen. Es wird jeweils nur über die Art und Weise der vorzunehmenden Restriktion gestritten. Interessanterweise wird in der Regel nicht darüber diskutiert, ob die Heimtücke, sondern darüber, ob die Begriffe der Arg- und Wehrlosigkeit einer normativen Einschränkung zugänglich sind.651 Da bereits die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals, erst recht aber die Auslegung eines Hilfsbegriffes ohne Wertung nicht möglich ist, kommt die mittlerweile wohl überwiegende Ansicht in der Literatur zu dem Ergebnis, dass eine normative Restriktion der Heimtücke nicht nur möglich, sondern auch geboten ist.652 Umstritten ist jedoch der Ort, an dem die normative Restriktion vorzunehmen ist. Die Korrekturen lassen sich einerseits auf der Täterseite, andererseits auf der Opferseite vornehmen.653

I. Normative Bestimmung der Arglosigkeit Teilweise wird die Einschränkung auf der Opferseite dadurch vorgenommen, dass die Arglosigkeit zumindest auch normativ bestimmt wird.654 Zwar möge der Begriff der Arglosigkeit im Kern deskriptiv sein; jedoch sei der Randbereich des Begriffes einer normativen Bestimmung zugänglich.655 651 Dies ist ein weiterer Beleg für die faktische Verselbständigung der Hilfsbegriffe der Arg- und Wehrlosigkeit zu Tatbestandsmerkmalen. 652 Hillenkamp, FS Rudolphi (2004), S. 463 (479); ders., JZ 2004, 48 (50); Kerner, FS Heidelberg (1986) S. 419 (S. 429 ff.); Nothafft, MSchrKrim 1999, 111 (131); Mosbacher, NStZ 2005, 690; Otto, NStZ 2004, 142 (143); Widmaier, NJW 2003, 2788 (2791); Roxin, JZ 2003, 966; einschränkend Küper, GA 2006, 310 (312). A. A. etwa Bürger, JA 2004, 298 (303); Quentin, NStZ 2005, 128 (132); Schneider, NStZ 2003, 428 (430). A. A. noch Rengier, NStZ 1982, 225 (226), jetzt jedoch offenbar aufgegeben in NStZ 2004, 233 (237). 653 Küper, GA 2006, 310 (313). 654 So bereits Arzt, JR 1979, 7 (13); Oberlies/Giesen, Streit 1986, 15 (17); Frommel, StV 1987, 292 (297 f.); ebenso Roxin, JZ 2003, 966; Widmaier, NJW 2003, 2788 (2791); Bendermacher, JR 2004, 348 (304); Kett-Straub, JuS 2007, 515 (521); Nothafft, MSchrKrim 1999, 111 (131); Rengier, NStZ 2004, 233 (237). 655 Roxin, a. a. O.

C. Der Ort der normativen Restriktion der Heimtücke

175

Danach kommt es nicht allein darauf an, dass sich das Opfer keines Angriffs versah; vielmehr muss seine Arglosigkeit nach dieser Auffassung darüber hinaus schutzwürdig sein. Selbst ein Opfer, das sich keines Angriffes versah, kann nicht heimtückisch getötet werden, wenn es argwöhnisch zu sein hatte. Auch der 1. Senat des BGH stützt sich in der Erpresser-Entscheidung ausdrücklich auf eine normative Restriktion der Arglosigkeit. In der konkreten Tatsituation sei das Opfer wegen seines fortdauernden Angriffs auf das Vermögen des Täters nicht gänzlich arglos gewesen.656 Die normative Restriktion des Arglosigkeitsbegriffes stößt allerdings auf Kritik. So konstatierte etwa der 2. Senat des BGH in deutlicher Abgrenzung zur Erpresser-Entscheidung des 1. Senats: „Arg- und Wehrlosigkeit sind faktische, aber keine normativen Begriffe.“657

Auch der 4. Senat des BGH hat daran gezweifelt, ob er der ErpresserEntscheidung folgen könne, weil sie möglicherweise mit der ständigen Rechtsprechung des BGH in Widerspruch stehe.658 In der Literatur stößt die normative Restriktion der Arglosigkeit ebenfalls teilweise auf Kritik. So spricht etwa Quentin659 in seiner kritischen Anmerkung zur Erpresser-Entscheidung von einer „richterlichen Fiktion der verloren gegangenen Arglosigkeit“ des Opfers. Hillenkamp hält zwar eine normative Restriktion der Heimtücke durchaus für geboten.660 Jedoch sei das Merkmal der Arglosigkeit der falsche Ort für die Restriktion, da Arglosigkeit einen Ist-Zustand beschreibe und somit als deskriptiver Begriff einer normativen Auslegung nicht zugänglich sei. Auch Mosbacher661 steht einer normativen Restriktion kritisch gegenüber. Zwar sei eine normative Auslegung auch bei deskriptiven Merkmalen in deren Begriffshof erforderlich; jedoch dürfe mittels normativer Auslegung keine Ausdehnung über den Wortlaut hinaus erfolgen.

656 657 658 659 660 661

Vgl. dazu ausführlich oben S. 51 ff. BGH, NStZ 2005, 688 (689). BGH, NStZ 2007, 523 (525). Quentin, NStZ 2005, 128 (129). Hillenkamp, JZ 2004, 48 (50). Mosbacher, NStZ 2005, 690 (691 f.).

176

9. Kap.: Zulässigkeit der normativen Restriktion der Heimtücke

II. Verselbständigung des Tückeelements durch den sog. Tückeansatz Eine von Spendel begründete Auffassung662 nimmt die normative Restriktion dagegen auf der Täterseite vor. Unter Berufung auf die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes der Tücke663 soll Heimtücke trotz Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers dann zu verneinen sein, wenn der Täter nicht aus Verschlagenheit und Hinterhältigkeit, sondern aus Verzweiflung oder aus einem Gefühl der Ausweglosigkeit heraus handelt. Wesentliches Element der Heimtücke sei die Tücke, welches als überwiegend subjektiv zu verstehende Komponente eine Verschlagenheit und Hinterhältigkeit des Täters verlange.664 Folglich müsse in subjektiver Hinsicht die arglistige, hinterhältige und verschlagene Sinnesart des Täters der Beweggrund für die objektiv heimtückische Begehungsart sein.665 Handele der Täter auf Grund höchster Verzweiflung, so fehle es an der für die Heimtücke charakteristischen Triebfeder der Hinterlistigkeit und Verschlagenheit. Auch der BGH stellte in der Erpresser-Entscheidung neben der von ihm vorgenommenen normativen Restriktion der Arglosigkeit zusätzlich auch darauf ab, dass „der Gegenwehr hier ersichtlich nicht das Tückische in einem Maße innewohnt, welches den gesteigerten Unwert des Mordmerkmals [. . .]“ kennzeichne.666

III. Stellungnahme 1. Das Opferverhalten als Restriktionsanlass Die Vertreter des Tückeansatzes begründen die Notwendigkeit einer Restriktion mit der verzweifelten Lage des Täters und der daraus folgenden, fehlenden Höchststrafwürdigkeit der Tat. Dagegen ist auf der Grundlage der 662 Spendel, JR 1983, 269 (272); ders., StV 1984, 45 (46); ihm folgend: Hillenkamp, JZ 2004, 48 (50); Wessels/Hettinger, BT 1 S. 35 (Rn. 108); Lackner, NStZ 1981, 348 (349); Miehe, JuS 1996, 1000 (1003); Schild, JA 1991, 48 (55); Bürger, JA 2004, 298 (300). Dem z. T. zustimmend auch NK-Neumann, § 211 Rn. 72. Ansätze in diese Richtung finden sich bereits bei Schaffstein, FS H. Mayer (1965) S. 419 (427) und Kohlrausch/Lange, StGB §§ 211, 212, S. 477. Auch Veh, Mordtatbestand (1986), S. 179 f. nimmt eine solche Einschränkung vor; allerdings als Restriktionsmechanismus für die von ihm entwickelte, alternative Heimtückedefinition (dazu oben S. 171). 663 Vgl. dazu ausführlich Spendel, a. a. O. 664 Spendel, JR 1983, 269 (272). 665 Spendel, JR 1983, 269 (273). 666 BGHSt 48, 207 (211).

C. Der Ort der normativen Restriktion der Heimtücke

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hier vertretenen Teilverwirklichungslehre grundsätzlich das vorangegangene Verhalten des Opfers und die dadurch begründete Unrechtsminderung der Anlass für die normative Restriktion der Heimtücke. Auch die hergebrachte Arg- und Wehrlosigkeitsformel stellt auf die Befindlichkeit des Opfers ab und ist damit opferbezogen. Daher ist der Arglosigkeitsbegriff grundsätzlich der richtige Ort für eine normative Restriktion der Heimtücke. Etwas anderes muss jedoch für die Fälle von Mitleidstötungen gelten. Hier ist der Restriktionsanlass nicht ein rechtswidriges Opferverhalten, sondern – in engen Grenzen667 – allenfalls eine Teilverwirklichung auf der Grundlage der mutmaßlichen Einwilligung des Opfers in leidens- und schmerzmindernde, lebensverkürzende Maßnahmen. Daher scheidet eine Berücksichtigung dieser Fallgruppe bei der Arglosigkeit aus. Dagegen hält es Roxin668 für zweckmäßig, die Restriktion auf Täterseite vorzunehmen. Er stellt dabei jedoch anders als die Vertreter des Tückeansatzes nicht lediglich auf eine verzweifelte Lage des Täters ab, sondern auf die Motivation des Täters, sich durch die Tat aus einer schweren Notlage gemäß §§ 32, 34, 35 StGB zu befreien. Damit begründet auch Roxin in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Position seine einschränkende Auslegung mit der unrechtsmindernden Wirkung der Teilverwirklichung von Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgründen. Der Unterschied zur hier vertretenen Lösung besteht folglich lediglich darin, dass Roxin nicht den Begriff der Arglosigkeit einschränkt, sondern die Arg- und Wehrlosigkeitsformel um ein negatives Merkmal ergänzt: „Heimtückisch ist die in feindseliger Willenrichtung vorgenommene Tötung eines Menschen unter Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit, es sei denn, die Tat erfolgt zur Rettung aus einer die soziale oder physische Existenz des Täters gefährdenden Notlage gemäß §§ 32, 34, 35 StGB.“669 2. Die Fiktion eines rein deskriptiven Arglosigkeitsbegriffes Die Auffassung, der Arglosigkeitsbegriff sei ausschließlich deskriptiv und daher einer normativen Bestimmung nicht zugänglich, ist unzutreffend. Wie bereits eingehend dargelegt wurde, ist die Bejahung oder Verneinung der Arglosigkeit eines Opfers kein Akt schlichter Subsumtion, sondern das Ergebnis komplexer, wertender Zuschreibungsvorgänge.670 Denn eine echte Rekonstruktion der Vorstellungen eines Tötungsopfers ist wegen der fehlen667 668 669 670

Eingehend dazu unten S. 186 f. Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 750). Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 756). Vgl. dazu ausführlich oben S. 102 ff.

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9. Kap.: Zulässigkeit der normativen Restriktion der Heimtücke

den Befragungsmöglichkeiten des Toten unmöglich. Dagegen kann im Wege des Gedankenexperiments, wie sich ein „vernünftiges Opfer“ in der konkreten Situation verhalten hätte, ein – im Einzelfall mehr oder weniger plausibles – Deutungsmuster für das Verhalten des Opfers unmittelbar vor seiner Tötung gefunden werden. Ob dem Opfer dann auf Grund dieses gedanklichen Vorgangs die Arglosigkeit bescheinigt oder abgesprochen wird, hängt stets von einem wertenden Akt des Rechtsanwenders ab. Die Auslegung der Arglosigkeit ist daher ein gedanklicher Vorgang, der nicht ohne Wertungsakt vollzogen werden kann.671 Die Kritiker des hier vertretenen Restriktionsansatzes behaupten zu Unrecht, dass ein normativer Akt – die Auslegung der Heimtücke als Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit – ein deskriptives Ergebnis hervorbringen könne. Damit wird suggeriert, dass es sich bei der Subsumtion unter das Mordmerkmal der Heimtücke um einen einstufigen Prüfungsvorgang handele, an dessen Ende ein unumstößliches Urteil über Argwohn oder Arglosigkeit eines Opfers stehe. Dass das Gegenteil richtig ist, beweist bereits die Vielzahl der Präzisierungen und Ergänzungen, die der BGH im Laufe der Jahrzehnte an der Arg- und Wehrlosigkeitsformel vorgenommen hat.672 Es kann an dieser Stelle daher nur erneut darauf hingewiesen, dass hier nicht über die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals gestritten wird. Gerade weil die Arglosigkeit kein Tatbestandsmerkmal, sondern ein von der Rechtsprechung entwickelter Hilfsbegriff ist, geht es bei der Bestimmung der Arglosigkeit um die Auslegung eines bereits gewonnen Auslegungsergebnisses. Wenn der Begriff der Arglosigkeit jedoch selbst ein Produkt der Auslegung des Heimtückebegriffes ist, so spricht nichts gegen die Möglichkeit, dieses Produkt im Wege erneuter Auslegung gewissermaßen weiterzuverarbeiten. Daher ist der Begriff der Arglosigkeit einer normativen Restriktion zugänglich; gleiches muss selbstverständlich für den gleichstufigen Begriff der Wehrlosigkeit gelten.

671

Vgl. dazu auch oben S. 168 ff. Zum normativen Charakter dieser Einschränkungen ausführlich unten S. 182 ff. 672

C. Der Ort der normativen Restriktion der Heimtücke

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3. Die Nachteile des Tückeansatzes a) Fokus auf Schuld- statt Unrechtsminderung Wie bereits dargelegt, nehmen die Vertreter des Tückeansatzes die Befindlichkeit des Täters zum Anlass der Restriktion. Danach müsste jedoch auch eine menschlich nicht nachvollziehbare Einschätzung des Täters von der Hoffnungs- und Ausweglosigkeit seiner Situation die Privilegierung seiner Tat rechtfertigen. Das Ergebnis würde sich als Privilegierung schuldgeminderter Taten darstellen, während unrechtsgeminderte Taten oftmals nicht privilegiert würden. Die Privilegierung unrechtsgeminderter Taten ist jedoch schon auf Grund des dreistufigen Deliktsaufbaus einer Privilegierung schuldgeminderter Taten vorgreiflich. Denn weil das Schuldprinzip eine Begrenzung der Schuld durch das Maß des verwirklichten Unrechts zieht, ist eine unrechtsgeminderte Tat stets auch schuldgemindert. Hingegen kann der Tückeansatz auch zur Privilegierung von Taten führen, die zwar von einer geminderten Schuld des Täters, nicht jedoch durch ein vermindertes Unrecht seiner Tat geprägt sind. Um diese Konsequenz zu vermeiden, müssten die Anhänger des Tückeansatzes eine Rückkopplung an das Opferverhalten durchführen. Denn nur so ließe sich feststellen, ob der Täter seine vermeintlich prekäre Lage zutreffend einschätzt. Damit kommt jedoch auch der Tückeansatz nicht ohne eine Untersuchung des Opferverhaltens aus. b) Verdeckte Gesamtwertung In der Sache stellt der Tückeansatz nichts anderes als eine Rückkehr zu den ersten Kommentierungen der Heimtücke unmittelbar nach Inkrafttreten der Neufassung im Jahr 1941 dar. Denn bereits damals wurde überwiegend verlangt, dass die Tat durch Falschheit, Verschlagenheit und Hinterlistigkeit geprägt sein musste.673 Immerhin wird damit auf der Ebene des Mordmerkmals das Restriktionsniveau der damaligen Zeit erreicht. Da jedoch nach damals ganz herrschender Auffassung der gesamte Mordtatbestand einer abschließenden Gesamtwürdigkeit in Form einer Verwerflichkeitskontrolle unterzogen werden konnte, auf die heute überwiegend verzichtet wird, genügt dieser Restriktionsansatz den heutigen Anforderungen nur, wenn gleichzeitig gewissermaßen eine Gesamtwürdigung durchgeführt wird. In der Tat kann man dem Tückeansatz vorwerfen, dass er anhand der subjektiven Komponente dieses Mordmerkmals eine Art „versteckte Ge673

Vgl. dazu oben S. 85.

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9. Kap.: Zulässigkeit der normativen Restriktion der Heimtücke

samtwürdigung“674 vornimmt. Wie bereits dargelegt wurde,675 ist jedoch ein Restriktionsansatz abzulehnen, der seine Wertungskriterien nicht offenlegt. Die Gefahr bloßer Scheinbegründungen wird gerade beim Tückeansatz besonders deutlich. Denn die Einschätzung, eine Tat sei nicht „tückisch“, ist genauso so wenig aussagekräftig wie die Einschätzung, dass der Beweggrund eines Täters „achtenswert“ sei. Eben diese Gefahr besteht nicht, wenn man im Gegensatz dazu auf der Grundlage der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen eine normative Bestimmung der Arglosigkeit vornimmt. 4. Zusammenfassung/Durchführung der normativen Restriktion der Heimtücke Zwar vermeidet auch der Tückeansatz die Nachteile derjenigen Restriktionsansätze, die nicht bereits auf Tatbestandsebene Korrekturen vornehmen. Insbesondere verhindert auch der Tückeansatz eine im Einzelfall unberechtigte Mordstigmatisierung des Täters. Dennoch ist die normative Bestimmung der Arglosigkeit gegenüber allen anderen Restriktionswegen, insbesondere auch gegenüber dem Tückeansatz vorzugswürdig, weil die Wertungskriterien offengelegt werden. Zudem stellt das Anknüpfen an das Opferverhalten klar, dass es sich um eine unrechtsgeminderte – und nicht lediglich um eine schuldgeminderte – Tat handelt. Die normative Restriktion der Heimtücke wird grundsätzlich durch eine normative Bestimmung der Arglosigkeit vorgenommen. Die Teilverwirklichungslehre liefert dabei die Privilegierungsgründe, welche der Ansicht fehlen, die auf eine nicht näher bestimmte Schutzwürdigkeit des Opfers abstellt.676 Handelt der Täter daher in erheblichem Maße unter den Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes, so entfällt eine bestehende, faktische Arglosigkeit des Opfers aus normativen Gründen, weil die Erwartung des Opfers, es werde ihm nichts geschehen, nicht schutzwürdig ist. Hingegen kann eine Mitleidstötung unter Umständen durch den Tückeansatz privilegiert werden, wenn von einer mutmaßlichen Einwilligung des Schwerkranken in leidens- und schmerzlindernde, lebensverkürzende Maßnahmen auszugehen ist. In diesen engen Ausnahmefällen kann man kaum von einer tückischen Tat sprechen, weil die unrechtsmindernden Privilegierungskriterien offengelegt sind. 674 So etwa die zutreffende Kritik von Rengier, NStZ 1982, 225 (226), der seine Auffassung jedoch offenbar nunmehr in NStZ 2004, 233 (237) aufgegeben hat. 675 Vgl. dazu oben S. 160 f. 676 Siehe dazu die Nachweise in Fn. 613 (S. 161).

10. Kapitel

Die bereits durch den BGH praktizierte normative Restriktion der Heimtücke In der Erpresser-Entscheidung hat sich der BGH erstmals ausdrücklich dazu bekannt, dass eine normative Restriktion der Heimtücke nicht nur möglich, sondern auch zulässig sei. Das erweckt den Anschein, als habe der BGH in dieser Entscheidung erstmals auf Grund normativer Erwägungen eine einschränkende Auslegung der Heimtücke vorgenommen. Im Folgenden soll jedoch anhand ausgewählter Beispiele aus dem Anwendungsbereich der Arg- und Wehrlosigkeitsformel dargelegt werden, dass der BGH das Mordmerkmal der Heimtücke bereits lange vor der Erpresser-Entscheidung im Wege der normativen Restriktion eingeschränkt hat. Dazu werden die einzelnen Fallgruppen erneut dargestellt und dargelegt, auf Grund welcher Wertungen der BGH die Heimtücke normativ eingeschränkt hat. Gleichzeitig erfolgt eine Gegenüberstellung zur hier vertretenen Lösung im Wege der Teilverwirklichungslehre. Jedoch sollte de lege lata nicht automatisch von der fehlenden Privilegierungswürdigkeit auf die unbedingte Einordnung als Mord geschlossen werden. Denn die Teilverwirklichungslehre soll kein alternatives Model der Heimtücke, sondern ein Mittel zur normativen Restriktion der Arg- und Wehrlosigkeitsformel sein. Sie sollte daher in der Regel nur zur Korrektur solcher Ergebnisse dienen, die von der Arg- und Wehrlosigkeitsformel trotz fehlender Höchststrafwürdigkeit erfasst werden. Nur dort, wo die vom BGH vorgenommene Feinjustierung der Arg- und Wehrlosigkeitsformel mit Scheinargumenten zu ungerechtfertigten Privilegierungen von Fallgruppen führt,677 wird man mit Hilfe der Teilverwirklichungslehre zu einer Ausweitung des Anwendungsbereiches der Heimtücke über das bisherige Maß hinaus gelangen.

677 So etwa bei Privilegierung von Affekttaten im Wege der Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins (siehe dazu oben S. 132 ff.).

182

10. Kap.: Durch BGH praktizierte normative Restriktion der Heimtücke

A. Die Grenzziehung im Bereich der vorangegangenen Konfrontation678 I. Die Ermittlung der Arglosigkeit als normativer Akt Bei der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Zeitpunkt ein Opfer seine zunächst vorhandene Arglosigkeit verliert, wenn dem Tötungsangriff eine Konfrontation mit dem Täter vorausgeht, verwendet der BGH normative Argumente zur Grenzziehung. Zwar hatte er sich noch in der Entscheidung BGHSt 33, 363 gegen ein Verständnis der Heimtücke gewehrt, nachdem ein Opfer seine Arglosigkeit unter Umständen dadurch verliere, dass es mit Angriffen des Täters hätte rechnen müssen.679 Allerdings wurde oben680 bereits eingehend dargelegt, dass die anhand objektiver Kriterien vorgenommene Bestimmung der subjektiven Arglosigkeit des Opfers ohne normative Erwägungen nicht durchführbar ist. Es bedarf vielmehr der Überlegung, ob ein „vernünftiges Opfer“ Verdacht geschöpft hätte. Wenn der BGH etwa in der Entscheidung BGHSt 20, 301 darauf abstellt, dass das Opfer auf Grund der vorangegangenen Auseinandersetzungen mit weiteren heftigen Angriffen rechnen „konnte“, so windet er sich in diesem Zusammenhang nur sprachlich erfolgreich um den Gebrauch des Verbs „musste“. Denn die weiteren Ausführungen des BGH belegen, dass es sich tatsächlich um einen Rechnenmüssen handelt: „Wer in dieser Weise offener Feindseligkeit begegnet, ist nicht mehr ohne Arg [. . .].“681

Mit dieser abstrakt-generalisierenden Betrachtung entledigt sich der BGH der Schwierigkeit, das Vorstellungsbild eines nunmehr toten Opfers zu rekonstruieren. Stattdessen wird darauf abgestellt, ob ein Dritter in der Position des Opfers Anlass zum Argwohn gehabt hätte. Damit hat der BGH in dieser Entscheidung nur sprachlich an seiner deskriptiven Bestimmung der Arglosigkeit festgehalten. Inhaltlich hätte er ebenso gut konstatieren können, dass mit weiteren, erheblichen Angriffen rechnen muss, wer bereits im Vorfeld der Tat offener Feindseligkeit begegnet. Daher ist festzuhalten, dass nicht nur in Grenzfällen, sondern bereits in normalen Anwendungsfällen der Arg- und Wehrlosigkeitsformel eine ausschließlich deskriptive Ermittlung der Arglosigkeit nicht möglich ist. Vielmehr ist jedenfalls in Randbereichen eine normative Bestimmung stets nötig. 678 679 680 681

Dazu ausführlich oben S. 122 f. BGHSt 33, 363 (365). Siehe S. 103 ff. BGHSt 20, 301 (302) (Hervorhebungen des Verfassers).

A. Grenzziehung im Bereich der vorangegangenen Konfrontation

183

Die Leitlinien der Rechtsprechung zur vorangegangenen Konfrontation gehen zunächst von einer deskriptiven Ermittlung der Arglosigkeit des Opfers aus. Dabei wird nach objektiven Anknüpfungspunkten im Verhalten des Opfers gesucht, die auf Argwohn oder Arglosigkeit schließen lassen. Wenn sich hierbei kein eindeutiges Ergebnis ermitteln lässt, wird in einem zweiten Schritt darauf abgestellt, ob ein Dritter anstelle des tatsächlichen Opfers Anlass zum Argwohn gehabt hätte. Je schwerer eine vorangegangene Konfrontation, desto eher wird die angegriffene Person überlegen, ob eine erhebliche Gefahr für ihre körperliche Integrität oder gar ihr Leben besteht. Das Abstellen auf einen Dritten hat dabei eine ausgleichende Tendenz für nicht erkennbare Fehleinschätzungen des Opfers in der konkreten Bedrohungssituation. So mag ein besonders ängstliches Opfer bereits bei einer leichten, verbalen Auseinandersetzung mit dem Schlimmsten rechnen und damit argwöhnisch geworden sein. Im Gegensatz dazu mag etwa ein besonders naives Opfer selbst bei einer Konfrontation mit erheblicher Gewalteinwirkung davon ausgegangen sein, dass es „schlimmer nicht werden“ würde und somit arglos geblieben sein. Wenn dieses Verhalten äußerlich nicht erkennbar ist,682 so weicht das durch Abstellen auf einen Dritten gewonnene Ergebnis von dem tatsächlichen, aber nicht erkennbaren Ergebnis ab.

II. Der schmale Grat zur Schutzwürdigkeit des Opfers Dies zeigt, dass man selbst dann nicht ohne Wertung auskommt, wenn die Arglosigkeit des Opfers lediglich auf Grundlage des Tatgeschehens sowie des unmittelbaren Vortatgeschehens bestimmt werden soll. Von dort aus ist es jedoch nur ein kleiner Schritt zu der normativen Einschränkung der Arglosigkeit, die der BGH in der Erpresser-Entscheidung vornahm. Wähnt sich also etwa ein Erpresser bei der Geldübergabe in Sicherheit, so bewirkt seine unzutreffende Lagebeurteilung nicht seine Arglosigkeit. Vielmehr hat er – in der Diktion der Arg- und Wehrlosigkeitsformel – argwöhnisch zu sein. Der Grund hierfür ist die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen durch den Täter. Auf dieser Grundlage kann jedenfalls in Grenzen auch dann an ein relevantes Vorerhalten des Opfers angeknüpft werden, wenn es sich nicht unmittelbar vor der Tat ereignet hat. Daher hat auch etwa der Haustyrann, der regelmäßig Straftaten zum Nachteil seiner Partnerin oder seine Familie begeht, argwöhnisch zu sein. Im Ergebnis stellt dies nur eine geringfügige Ausweitung der bereits vom BGH praktizierten, normativen Restriktion dar. 682 Gerade bei einem ängstlichen Opfer ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass es sich „rational“ dazu entscheidet, seinen inneren Argwohn etwa durch eine Flucht nach außen erkennbar zu machen.

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10. Kap.: Durch BGH praktizierte normative Restriktion der Heimtücke

B. Das Merkmal der „feindlichen Willensrichtung“683 I. Die Nachvollziehbarkeit des Fehlens einer „feindlichen Willensrichtung“ In der Entscheidung BGHSt 9, 385 sah sich der BGH erstmals mit der Konstellation konfrontiert, dass eine von ihm für privilegierungswürdig erachtete Tat nach deskriptivem Verständnis ohne weiteres der Arg- und Wehrlosigkeitsformel unterfiel. Die deskriptiven Restriktionsmöglichkeiten waren erschöpft, weil die Arg- und Wehrlosigkeit seiner schlafenden Tochter und Ehefrau offensichtlich war. Der BGH hielt die Tat auf Grund des Tatmotivs für privilegierungswürdig. Denn der Täter habe „zum vermeintlich Besten des Opfers“ gehandelt, weil er seiner Familie ein Leben in Schande ersparen wollte. In einer späteren Entscheidung im Falle einer Mitleidstötung eines Schwerkranken hat der BGH verlangt, dass die Wertung des Täters objektiv nachvollziehbar sein müsse.684

II. Feindliche Willensrichtung als normative Restriktion Tatsächlich bedient sich der BGH hier der normativen Restriktion, ohne sie als solche zu benennen.685 Bereits die Zweistufigkeit des Auslegungsvorganges legt hier nahe, dass der BGH eine normative Ergebniskorrektur vornimmt.686 Denn der BGH stellt zunächst fest, dass die Tat in deskriptiver Hinsicht ohne weiteres der Arg- und Wehrlosigkeitsformel unterfällt. Die Richter erblicken die Privilegierungswürdigkeit der Tat in den Motiven des Täters, die allerdings bei der heimtückischen Begehungsweise bis zu diesem Zeitpunkt keine Berücksichtigung in der Arg- und Wehrlosigkeitsformel fanden. An dieser Stelle hätte der BGH die Möglichkeit gehabt, dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend687 Heimtücke zu bejahen, jedoch Mord wegen der (von ihm angenommenen) fehlenden besonderen Ver683

Vgl. dazu oben S. 142 ff. BGHSt 37, 376 (377). 685 Hassemer, JuS 1971, 626 (629); ähnlich MüKo-Schneider, § 211 Rn. 149, der dieses Element für eine „gesinnungsethisch überformte negative Typenkorrektur“ hält. 686 So stellt etwa BGHSt 37, 376 (377) in einem ersten Prüfungsschritt fest, dass die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zweifellos gegeben sei; erst in einem zweiten Schritt prüft und bejaht der BGH das Fehlen einer feindseligen Willensrichtung. 687 BGHSt 9, 385 (389) weist auf den entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft hin. 684

B. Das Merkmal der „feindlichen Willensrichtung“

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werflichkeit abzulehnen. An diesem Weg sah sich der BGH auf Grund seiner äußerst fragwürdigen Rezeption der Entstehungsgeschichte des § 211 StGB gehindert.688 Stattdessen wird das normative Auslegungsergebnis durch eine deskriptive Scheinbegründung kaschiert: „Die Gesinnung des Täters kann jedoch insofern bedeutsam sein, als sie dem Vorstellungsbilde entsprechen muss, das dem Begriff der Heimtücke selbst zu Grunde liegt.“689

In einer späteren Entscheidung zur feindlichen Willensrichtung räumt der BGH immerhin ein, dass „bei der Prüfung, ob das Tatmotiv als feindselig zu werten [. . .]“ sei, „normative Gesichtspunkte nicht außer Betracht bleiben“ könnten.690 Doch löst er sich nicht von seiner deskriptiven Scheinbegründung. Vielmehr sollen die normativen Erwägungen lediglich in die Bestimmung des Merkmals der feindlichen Willensrichtung einfließen. So könne sich Feindseligkeit auch in einer Tötung offenbaren, die auf den ersten Blick als Mitleidstötung erscheine.691 Mitleid als Motiv könne daher die heimtückische Wertung nur ausschließen, wenn es sich aus einer objektiv nachvollziehbaren Wertung des Täters ableite.

III. Die Entbehrlichkeit des Korrektivs Mit Recht verlangt der BGH, dass die vom Täter vorgenommene Wertung objektiv nachvollziehbar sein muss. Allerdings stellen solche Erwägungen eine völlige Abkehr von einem deskriptiven Verständnis der Heimtücke dar. Denn nach der Rechtsprechung des BGH genügt es nicht, dass der Täter glaubt, zum vermeintlich Besten des Opfers zu handeln. Vielmehr muss die Motivation des Täters auch objektiv nachvollziehbar erscheinen. Dass die Überprüfung einer Tatmotivation kein deskriptiver Akt sein kann, bedarf keiner näheren Erläuterung. Die Neuschöpfung der feindlichen Willensrichtung stellt daher geradezu ein Paradebeispiel für die vom BGH gehandhabte, normative Restriktion der Heimtücke dar. 1. Grundsätzlich fehlende Privilegierungswürdigkeit von Tötungen zum „vermeintlich Besten des Opfers“ Auf der Grundlage der Teilverwirklichungslehre erscheint die Tötung, die der Entscheidung BGHSt 9, 385 zu Grunde lag, nicht privilegierungswürdig. Vielmehr erscheint die Tat als selbstsüchtige Entscheidung des Fa688 689 690 691

Siehe dazu oben S. 79 f. BGHSt 9, 385 (389). BGHSt 37, 376 (377). Ebenso BGH, NStZ 2008, 93 (94).

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10. Kap.: Durch BGH praktizierte normative Restriktion der Heimtücke

milienvaters, der seine Notlage durch Untreue zu Lasten seines Dienstherrn selbst verursacht hat. Die Familie des Täters bot ihm hingegen keinen Anlass zur Tötung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie im Übrigen das angebliche Leben in Schande dem Tod vorgezogen hätten. Ein Handeln kann jedoch nicht deshalb unrechtsmindernd wirken, weil der Täter „in krankhafter Verblendung meint, zum Besten [. . .]“ seines Opfers zu handeln.692 2. Privilegierungswürdigkeit von Mitleidstötungen in engen Grenzen Dagegen können Fälle sogenannter Mitleidstötungen schwerkranker Personen unter Umständen privilegierungswürdig sein, wenn die Tat ausschließlich zur Linderung und Beendigung schwerster Schmerzen und Leiden begangen wurde. Dafür bedarf es jedoch keines zusätzlichen Merkmals der feindlichen Willensrichtung. Vielmehr können auch Fälle sogenannter Mitleidstötungen schwerkranker Personen mittels der Teilverwirklichungslehre einer sachgerechten Lösung zugeführt werden, in dem die Teilverwirklichungslehre mit dem Tückeansatz kombiniert wird.693 Das Mitleid des Täters mit dem Opfer ist jedoch für sich allein genommen nicht geeignet, eine Unrechtsminderung herbeizuführen. Ist der Schwerkranke ansprechbar und in der Lage, seinen Willen zu artikulieren, so ist die täuschende Gabe eines tödlichen Mittels auch dann heimtückisch, wenn der Täter in der Absicht handelt, dem Opfer Leiden und Schmerzen zu ersparen.694 Insbesondere scheidet eine Teilverwirklichung unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung von vornherein aus, weil der wirkliche Wille ermittelbar ist. Im Falle der Tötung eines unheilbar kranken Menschen, der sich seiner Umwelt nicht mehr mitteilen kann695 und dessen Wille auch nicht auf sonstige Weise – etwa durch eine Patientenverfügung – ermittelbar ist, kann jedoch in engen Grenzen unter Umständen auf den mutmaßlichen Willen des Patienten abgestellt werden. Auch wenn eine aktive Tötung nicht durch eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden kann, so erscheint jedoch eine Unrechtsminderung möglich. So bestimmt sich auch die Frage der Zulässigkeit lebensverlängernder Maßnahmen nach dem 692

So jedoch BGHSt 9, 385 (390). Dazu oben S. 180. 694 Anders offenbar BGHSt 37, 376 (377). 695 In dieser Konstellation dürfte eine heimtückische Tötung nur in Betracht kommen, wenn die Arg- und Wehrlosigkeit schutzbereiter Dritter zur Tötung ausgenutzt wird. 693

C. Ausscheiden bestimmter Opfergruppen aus normativen Erwägungen

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mutmaßlichen Willen des Patienten.696 Wenn jedoch der Abbruch lebensverlängernder Behandlungsmaßnahmen bei mutmaßlicher Einwilligung des Patienten als passive Sterbehilfe straflos ist, so kann die mutmaßliche Einwilligung auch bei einer vorsätzlichen Tötung nicht gänzlich unbeachtlich sein. Jedoch ist das Institut der mutmaßlichen Einwilligung äußerst restriktiv zu handhaben. So ist insbesondere die gesetzliche Wertung des § 216 Abs. 1 StGB zu beachten, wonach selbst bei der Tötung auf ausdrückliches Verlangen die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren möglich ist. Die Teilverwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes liegt hier darin begründet, dass § 216 Abs. 1 StGB die grundsätzlich unrechtsausschließende Wirkung einer Einwilligung im Falle einer Tötung ausschließt. Daher müssen die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung im Übrigen vollständig gegeben sein. In diesem Fall kann bei einer Mitleidstötung eine gewisse Unrechtsminderung anzunehmen und Heimtücke dementsprechend zu verneinen sein, wenn der unheilbar Kranke etwa wegen unerträglicher Schmerzen und Qualen aller Wahrscheinlichkeit nach in lebensverkürzende Maßnahmen eingewilligt hätte. Dann erscheint – in der Diktion des BGH – die Wertung des Täters objektiv nachvollziehbar. Die Heimlichkeit der Vorgehensweise zwingt jedoch in jedem Einzelfall dazu, genau zu prüfen, warum der Täter – in der Praxis oftmals Pflegepersonal in Krankenhäusern – eigenmächtig handelte, anstatt durch Abstimmung mit dem Opfer oder dessen Angehörigen sowie Ärzten andere leidens- und schmerzmindernde Maßnahmen einzuleiten. Dem BGH ist daher insofern zuzustimmen, als dass die bloße Mitleidsmotivation nicht für sich allein eine Unrechtsminderung bewirkt.697

C. Das Ausscheiden bestimmter Opfergruppen aus normativen Erwägungen I. Kleinkinder Bereits oben698 wurde dargestellt, dass der BGH die Tötung von Kleinkindern aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke weitgehend699 ausscheidet. Es wurde dort auch dargelegt, dass der vom BGH zu diesem 696

BGHSt 37, 376 (378). BGHSt 37, 376 (377). 698 Siehe dazu oben S. 123 ff. 699 Möglich erscheint nur die Ausnutzung der Arglosigkeit schutzbereiter Dritter sowie die in der – vereinzelt gebliebenen – Entscheidung BGHSt 8, 216 ff. erwogene Ausschaltung natürlicher Abwehrinstinkte (Babybrei-Fall). 697

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10. Kap.: Durch BGH praktizierte normative Restriktion der Heimtücke

Zweck gewählte Weg, Kleinkindern bis zu einem Alter von ca. drei Jahren die Fähigkeit zum Argwohn abzusprechen, nicht überzeugt. Das Abstellen auf die Wahrnehmungsfähigkeit ist dabei nur eine scheinbar deskriptive Begründung. Tatsächlich geht es darum, den Automatismus zu verhindern, dass die Tötung eines Kleinkindes ohne Rücksicht auf die Motive des Täters stets heimtückisch ist.700 Denn jede Tötung eines Kleinkindes wäre zwangsläufig als Mord einzuordnen.701 Dieses Ergebnis wäre allerdings insbesondere deshalb problematisch gewesen, weil ein bedeutender Teil der Kindstötungen – nämlich die Tötung von nichtehelichen Kleinkindern durch die Mutter während oder unmittelbar nach der Geburt – häufig unter schuldgeminderten Umständen erfolgt und daher durch § 217 a. F. StGB privilegiert wurde.702 Aus historischer Sicht hat sich die Tötung des nichtehelichen Kindes durch die eigene Mutter während oder unmittelbar nach der Geburt von einer qualifizierten zu einer privilegierten Form der Tötung gewandelt. Durch diese Privilegierung sollte die mitunter außergewöhnlich angespannte, psychische Situation berücksichtigt werden, in der sich die Mutter während und unmittelbar nach der Geburt befinden kann.703 Wären jedoch Kleinkinder von Anfang an in gleicher Weise wie Schlafende von der Rechtsprechung in den Schutzbereich der Heimtücke einbezogen worden, so hätte dies die widersprüchliche Folge gehabt, dass eine Tötung zugleich als heimtückische Tat qualifiziert, aber als Kindstötung unter den Voraussetzung des § 217 a. F. StGB privilegiert gewesen wäre. Der historische Gesetzgeber von 1941 hatte aber noch den Vorentwurf von 1936, der die Mordmerkmale lediglich als Regelbeispiele enthielt, mit der Begründung abgelehnt, dass dies in der Konsequenz die Schaffung minderschwere Fälle des Mordes hätte bedeuten können – ein Ergebnis, das als unbefriedigend angesehen wurde.704 Zudem hatte man die Fallgruppe der Kindstötung ohnehin nicht in § 211 StGB verortet gesehen und daher bewusst an § 217 a. F. StGB festgehalten.705 Auch außerhalb des Anwendungsbereiches von § 217 a. F. StGB – insbesondere bei der Tötung ehelicher Kinder während oder unmittelbar nach der Geburt, aber insbesondere auch bei Taten lange nach der Geburt – werden Tötungen von Kleinkindern oftmals unter schuldgeminderten Umstän700 701 702 703 704 705

Kerner, FS Heidelberg (1986) S. 419 (S. 434); Fischer, § 211 Rn. 43. Darauf weist bereits OGHSt BZ 1, 87 (90) hin. LK-Jähnke, § 213 Rn. 15. LK-Jähnke, a. a. O. Freisler, DJ 1941, 929 (935). Darauf weist Freisler, DJ 1941, 929 (936) hin.

C. Ausscheiden bestimmter Opfergruppen aus normativen Erwägungen

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den begangen.706 Häufig wird diese Fallgruppe daher auch als minderschwerer Fall im Sinne des § 213 2. Alt. StGB behandelt.707 Eine Gleichbehandlung von Schlafenden und Kleinkindern könnte ebenfalls dazu führen, dass jede Tötung eines Kleinkindes das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllen würde. Da diese etwa im Rahmen anderer Mordmerkmale, insbesondere innerhalb der sonst niederen Beweggründe einfacher berücksichtigt werden können als bei der Heimtücke, wird kein Handlungsbedarf zur Änderung der Rechtsprechung in dieser Hinsicht gesehen. Allerdings besteht etwa im Falle des Verhungern- und Verdurstenlassens gerade bei Kleinkindern unter drei Jahren, die nach der Rechtsprechung des BGH weitgehend aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke entzogen sind, unter Umständen die Möglichkeit, das Mordmerkmal der Grausamkeit zu bejahen.708 Anders als bei der Heimtücke können schuldmindernde Gesichtspunkte jedoch bei den subjektiven Voraussetzungen der grausamen Tötung berücksichtigt werden.709 Damit erscheint eine differenzierte Betrachtung solcher Taten im Rahmen anderer Mordmerkmale besser zu gelingen als bei der Heimtücke.710 Daher dürfte die Rechtsprechung des BGH zum Ausschluss von Kleinkindern aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke vor allem von Praktikabilitätserwägungen getragen sein.

II. Bewusstlose Vor dem Hintergrund, dass der Mensch im Durchschnitt bis zu einem Drittel des Tages schläft, hätte der Ausschluss Schlafender aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke weitreichende Folgen. Denn jeder Mensch würde für einen beträchtlichen Teil des Tages, aber auch seines gesamten Lebens dem Schutzbereich der Heimtücke entzogen. Dass die Einbeziehung Schlafender in den Anwendungsbereich der Heimtücke normativ begründet ist, lässt sich wiederum an der Zweistufigkeit des 706 Vgl. etwa BGH, NStZ 2007, 518 f., in welcher der BGH die Verurteilung einer Mutter wegen Totschlags, die neun von ihr geborene, eheliche Kinder unmittelbar nach der Geburt getötet hatte, im Strafausspruch aufhob. Der BGH rügte, dass die Frage der verminderten Schuldfähigkeit vom Tatgericht nicht ausreichend erörtert worden sei. 707 Joecks, § 213 Rn. 16. 708 BGH bei Dallinger, MDR 1974, 12 (14); BGH, NStZ 1982, 379; vgl. dazu Grünewald, JURA 2005, 519 (521 f.). 709 BGH, NStZ 1982, 379. 710 Mitsch, JZ 2008, 336 (339) hält die unterschiedliche Aufnahmefähigkeit der Mordmerkmale im Hinblick auf entlastende Aspekte für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

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10. Kap.: Durch BGH praktizierte normative Restriktion der Heimtücke

Begründungsvorganges ablesen. In der ersten Stufe muss die Subsumtion unter die hergebrachte Arg- und Wehrlosigkeitsformel zu dem Ergebnis führen, dass einem Schlafenden grundsätzlich die Fähigkeit zur Wahrnehmung eines Angriffes fehlt. Weil dieses Ergebnis für unbillig gehalten wird, erfolgt die Ergebniskorrektur durch eine Modifikation der Arg- und Wehrlosigkeitsformel. Grundsätzlich muss das Opfer im Zeitpunkt des Beginns des ersten, mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs arglos sein.711 Da die Fähigkeit zum Argwohn Bedingung für die Arglosigkeit ist, muss das Opfer auch in diesem Zeitpunkt die Fähigkeit zum Argwohn besitzen. Eine schlafende Person ist jedoch nicht in der Lage, einen Angriff zu erkennen. Um dennoch die Einbeziehung Schlafender in den Anwendungsbereich der Heimtücke zu ermöglichen, wird daher in einer zweiten Auslegungsstufe der für die Arglosigkeit maßgeglichen Zeitpunkt auf den Moment des Einschlafens vorverlagert.712 Dadurch soll das Opfer in die Lage versetzt werden, eine zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene Arglosigkeit „mit in den Schlaf“ zu nehmen.713

III. Kritik Es wurde oben714 bereits dargelegt, dass zwischen dem Schlaf und der Bewusstlosigkeit zwei wesentliche Unterschiede bestehen. Zum einen ist der Schlaf ein natürlicher Zustand, ohne welchen der Mensch nicht überleben kann, während die Bewusstlosigkeit pathologisch ist. Zum anderen kann man sich freiwillig dem Schlaf hingeben, während man sich jedenfalls nicht ohne die Hilfe von Betäubungsmitteln in den Zustand der Bewusstlosigkeit begeben kann. Es ist jedoch völlig unklar, in welchem Zusammenhang diese Unterschiede mit dem maßgeblichen Zeitpunkt der Arglosigkeit des Opfers stehen sollen. Es erstaunt zudem, warum die Arg- und Wehrlosigkeitsformel zunächst modifiziert werden muss, um mit der Tötung Schlafender ein „geradezu klassisches Beispiel der Heimtücke“715 erfassen zu können. Denn die nicht-modifizierte Grunddefinition der Arg- und Wehrlosigkeitsformel erfasst die Tötung Schlafender nicht, weil dem Schlafenden im Zeitpunkt der Tötung die Wahrnehmungsfähigkeit fehlt. Die Annahme des BGH, dass sich eine Person im Vertrauen darauf schlafen lege, ihr werde nichts geschehen,716 ist zunächst einmal plausibel. Aber 711 712 713 714 715 716

Zuletzt BGH, Urt. v. 29.11.2007 – 4 StR 425/07. Kett-Straub, JuS 2007, 515 (519). BGHSt 23, 119 (121). Siehe dazu oben S. 128 ff. BGHSt 23, 119 (121). BGHSt 23, 119 (120).

D. Das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins

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sie basiert wiederum auf einer abstrakt-generellen Opferbetrachtung, bei welcher dem Opfer ein funktionierender Selbsterhaltungstrieb zugeschrieben wird. Es handelt sich also um eine wertende Betrachtung, die zur Einbeziehung Schlafender, aber zum Ausschluss Bewusstloser aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke führt.

IV. Die Tötung von Opfern bestimmter Personengruppen aus dem Blickwinkel der Teilverwirklichungslehre Aus Sicht der Teilverwirklichungslehre erscheint die Tötung von Kleinkindern überhaupt nicht privilegierungswürdig. Denn bei der Tötung von Kleinkindern können Rechtfertigungsgründe grundsätzlich nicht einmal teilweise verwirklicht sein, da ihr Verhalten für den Täter keine Defensivnotstandslage begründen kann.717 Damit fehlt es in solchen Fällen an gemindertem Unrecht. Allenfalls eine beim Täter bestehende, erhebliche Schuldminderung kann die Tat gegebenenfalls in einem milderen Licht erscheinen lassen. Wie bereits dargelegt wurde, kann allerdings eine Verurteilung wegen Mordes bei vollem Unrecht auch beim Vorliegen einer Schuldminderung erfolgen. Bei der Tötung Schlafender sowie Bewusstloser ist ebenfalls keine grundsätzliche Privilegierungswürdigkeit erkennbar, weil von ihnen nie ein Angriff im Sinne des § 32 StGB und von ihnen im Regelfall auch keine Gefahr im Sinne des § 34 StGB ausgehen kann. Wie die Fallgruppe der Haustyrannentötungen jedoch zeigt, kann jedoch auch von einem schlafenden Opfer ausnahmsweise eine (Dauer-)Gefahr im Sinne des § 34 StGB ausgehen. Die Tötung eines Schlafenden kann daher ausnahmsweise privilegierungswürdig erscheinen.

D. Das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins bzw. einer feindlichen Willensrichtung als Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen Auch vor der Erpresser-Entscheidung hat der BGH die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen in Einzelfällen zum Anlass genommen, das Mordmerkmal der Heimtücke zu verneinen. Allerdings hat er dies vor der Erpresser-Entscheidung nicht mit der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen begründet. Vielmehr verwendet der BGH die Merkmale des 717 Aus diesem Grund will Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 143 f. mit guten Gründen die Tötung konstitutionell schwacher Personen in einer Neufassung des Mordtatbestandes verortet sehen.

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10. Kap.: Durch BGH praktizierte normative Restriktion der Heimtücke

Ausnutzungsbewusstseins sowie der feindlichen Willensrichtung als normative Filter. Beide Kriterien haben sich jedoch als ungeeignet erwiesen. So nahm der BGH etwa in einigen Entscheidungen zur Tötung von Haustyrannen an, dass der Täterin das Ausnutzungsbewusstsein bei der Tatausführung gefehlt haben könnte.718 In diesen Fällen besteht jedoch die Möglichkeit, auf Grund der vom Opfer ausgegangen Dauergefahr von einer Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen auszugehen und infolgedessen Heimtücke wegen einer erheblichen Unrechtsminderung abzulehnen. Stattdessen argumentierte der BGH schuldbezogen und nahm auf Grund der verzweifelten Lage der Täterin schuldgeminderte Aspekte zum Anlass, das Ausnutzungsbewusstsein abzulehnen. Der BGH hat jedoch die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen in diesen Fällen mittelbar dadurch berücksichtigt, dass die verzweifelte Lage der Täterinnen stets durch ständige Angriffe des späteren Opfers hervorgerufen worden war. Auch im Falle der Mitleidstötung von Schwerstkranken hat der BGH die heimtückische Begehung mitunter trotz Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers oder schutzbereiter Dritter abgelehnt. Jedenfalls dann, wenn ausschließlich die Erlösung von Schmerzen das Tatmotiv war, verneinte er Heimtücke wegen fehlender feindlicher Willensrichtung des Täters.719 Wie oben dargelegt,720 kann in solchen Fällen die mutmaßliche Einwilligung des Opfers unrechtsmindernd wirken. Denn die mutmaßliche Einwilligung des Schwerstkranken kann zwar keinesfalls die Rechtswidrigkeit seiner Tötung bewirken; jedoch kann sie in engen Grenzen unter Umständen zu einer Unrechtsminderung führen, die eine Verurteilung des Täters wegen Mordes ausschließt.

E. Zusammenfassung Das Mordmerkmal der Heimtücke bedarf in besonderem Maße der Restriktion. Der vorzugswürdige Weg ist hierbei die normative Restriktion im Wege der Teilverwirklichungslehre. Tötungen, die unter erheblicher Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen begangen werden, stellen nicht höchststrafwürdiges Unrecht dar und unterfallen demgemäß nicht dem Tatbestand des Mordes. Die Teilverwirklichungslehre führt zu einer Vereinheitlichung und Vereinfachung der hergebrachten Arg- und Wehrlosigkeitsformel. Infolgedessen 718 BGH, NJW 1966, 1823 (1824); BGH, StV 1981, 523 (524); BGH, NStZ 1984, 20 (21). 719 BGHSt 37, 376 (377). 720 Vgl. oben S. 184 ff.

E. Zusammenfassung

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bedarf es insbesondere nicht mehr des unsinnigen Merkmals der feindlichen Willensrichtung. Auch wird dadurch die Prüfung des sogenannten Ausnutzungsbewusstseins entbehrlich. Dadurch entfällt auch die generelle Privilegierung des heimtückisch handelnden Affekttäters. Nur dann, wenn der Affekt seinerseits darauf beruht, dass vom Opfer rechtswidrige Angriffe beziehungsweise Gefahren im Sinne des § 34 StGB ausgehen, kann die Affekttat privilegiert werden. Im Gegensatz zu anderen Restriktionsansätzen wie etwa der Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch oder der Lehre von der Typenkorrektur entnimmt die Teilverwirklichungslehre ihre Wertungskriterien dem geschriebenen Recht und legt sie offen. Dadurch wird auch ein Beitrag zur Versachlichung der Diskussion um die Höchststrafwürdigkeit von Tötungen geleistet. Die Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen führt zu einer Minderung des Erfolgsunwerts, die sich nicht erst in der verhängten Strafe, sondern bereits im Tatbestand niederschlagen muss. Der insoweit vom BGH in der Erpresser-Entscheidung geforderte „Gleichklang mit dem Notwehrrecht“ stellt sich dabei als Postulat der Einheit der Rechtsordnung dar. Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass die Teilverwirklichungslehre insofern nicht lediglich tatbestandseinschränkend wirkt, als sie etwa im Bereich der Affekttötungen häufig auch in Fällen, in denen der BGH eine privilegierte Tötung annimmt, zu einer Höchststrafwürdigkeit der Tötung kommt. Auch scheiden andere Restriktionsansätzen wie etwa die Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch tendenziell eine größere Zahl von Fällen aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke aus. Die Restriktion im Wege der Teilverwirklichung ist jedoch in weitaus höherem Maße als andere Lösungswege geeignet, höchststrafwürdige von privilegierungsbedürftigen Tötungen zu unterscheiden.

11. Kapitel

Ausblick – Die vorsätzlichen Tötungsdelikte de lege ferenda Eine Reform der Tötungsdelikte ist auch mehr als dreißig Jahre nach der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe unumgänglich. Auch wenn ausführliche und detaillierte Reformvorschläge bereits seit fast ebenso langer Zeit vorliegen721 und auch in jüngster Zeit722 unterbreitete wurden, soll hier eine mögliche Neugestaltung der Tötungsdelikte kurz skizziert werden.

A. Die Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Rechtslage Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Bestimmung des Anwendungsbereiches der Heimtücke mit vielen Unsicherheiten behaftet ist. Die Wurzel allen Übels ist darin zu sein, dass es sich um ein Tatbestandsmerkmal innerhalb eines Deliktssystems handelt, welches der nationalsozialistische Gesetzgeber nach seinen Vorstellungen schuf. Zum gesetzgeberischen Konzept gehörte einerseits die Vieldeutigkeit der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB, die dem Normanwender unter Berücksichtigung der nationalsozialistischen Weltanschauung sowohl eine extensive als auch eine restriktive Handhabung des jeweiligen Einzelfalls ermöglichte. Anderseits konnte die Tätertypenlehre oder eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit als Tatbestandskorrektiv verwendet werden. Nach dem Ende der Nationalsozialisten ist an den von ihnen geschaffenen Tatbeständen wohl festgehalten worden, weil man sich gerechtere Ergebnisse erhoffte, als es die vorher geltende Rechtslage mit dem alleinigen Mordmerkmal der Überlegung ermöglicht hatte. Während etwa bei der Heimtücke auf Tatbestandsebene auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zurückgegriffen wurde, verzichtete der BGH auf ein Korrektiv, wie es zu721 Grundlegend zur Reform der Tötungsdelikte Eser, DJT-Gutachten (1980), S. 18 ff. 722 Vgl. insbesondere den Alternativ-Entwurf Leben (AE-Leben) in GA 2008, 193 ff.; ferner Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006) sowie Fahlbusch, Unhaltbarkeit des Zustandes der Mordmerkmale (2008), S. 304 ff.

B. Lösungsmöglichkeiten

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vor eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit oder die Tätertypenlehre geboten hatte. Es ist dem BGH bis heute nicht gelungen, dem Mordmerkmal der Heimtücke in einer dem Bestimmtheitsgebot entsprechenden Weise Konturen zu verschaffen. Die Problematik des Tatbestands wird durch die absolute Strafandrohung auf der Rechtsfolgenseite verschärft. Die Auslegung des Mordtatbestands durch den BGH stellt gerade nicht sicher, dass nur höchststrafwürdiges Unrecht mit der Höchststrafe belegt wird. Das durch und für ein totalitäres System geschaffene Recht genügt schlichtweg nicht den Anforderungen eines Rechtsstaates.

B. Lösungsmöglichkeiten I. Strukturelle Überlegungen sowie Rechtsfolgen der Tötungsdelikte de lege ferenda 1. Mord als nicht privilegierbare Tötung im Rahmen einer zweistufigen Konzeption als vorzugswürdige Lösung Bei einer Neukonzeption besteht grundsätzlich die Möglichkeit, das System der Tötungsdelikte völlig neu zu ordnen. Dabei könnte statt des geltenden dreistufigen Systems auch eine ein- oder zweistufige Anordnung der Tötungsdelikte vorgenommen werden.723 Gegen eine einstufige Lösung spricht jedoch ein unabweisbares Bedürfnis nach unrechts- und schuldgerechter Differenzierung von Tötungen. Es sollte daher weiter zwischen Mord als dem schwerer wiegenden Delikt und Totschlag unterschieden werden. Das systematische Verhältnis der vorsätzlichen Tötungsdelikte sollte dabei in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Lehre ausdrücklich als Qualifikationsverhältnis ausgestaltet werden.724 Vor dem Hintergrund, dass der Unrechtsgehalt einer vorsätzlichen Tötung nicht steigerbar, wohl aber verminderbar ist, ist eine zweistufige Lösung vorzugswürdig, bei der Mord die nichtprivilegierte, der Totschlag die privilegierte Form der vorsätzlichen Tötung ist. 723

Für eine einstufige Lösung spricht sich etwa Albrecht, JZ 1982, 697 (705) aus. Zu den jeweiligen Stufenlösungen ausführlich Eser/Koch, ZStW 92 (1980), 491 (496 ff.) sowie Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 24 ff. sowie S. 71 ff. 724 Insofern ist es begrüßenswert, dass der Entwurf des Bundesjustizministeriums vom 21.03.2001 (in Auszügen bei Otto, JURA 2003, 612 (621) abgedruckt) die Rechtsprechung des BGH zum Exklusivitätsverhältnis von Mord und Totschlag nicht übernimmt, sondern stattdessen Mord als qualifizierten Totschlag bestimmt.

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Da Mord nach diesem Verständnis die nicht privilegierbare, vorsätzliche Tötung ist, sollte der Mordtatbestand ausschließlich höchststrafwürdiges Unrecht umfassen. Denn ein minder schwerer Fall des Mordes stellt einen Widerspruch in sich dar. 2. Die Rechtsfolgenseite Eine Neufassung der Tötungsdelikte muss zunächst das deutlichste Relikt des nationalsozialistischen Gesetzgebers – die an Tätertypen orientierten Bezeichnungen „Mörder“ und „Totschläger“ – beseitigen. Für sie ist in einem am Rechtsgüterschutz orientierten Tatstrafrecht kein Raum.725 Im Übrigen ist auf der Rechtsfolgenseite sicherzustellen, dass Mord und Totschlag tat- und schuldangemessen geahndet werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schwere eines Deliktes ausschließlich an seiner Strafandrohung ablesbar ist. Außerdem sollte jede Überschneidung der Rechtsfolgen, wie sie im geltenden Recht insbesondere durch § 212 Abs. 2 StGB bewirkt ist, vermieden werden. Die sprachliche Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ist sinnlos, wenn sich beide Tatbestände in der Rechtsfolge überschneiden.726 Vielmehr sollte der Mord durch einen deutlichen Sanktionensprung gegenüber dem Totschlag gekennzeichnet sein. Bei der Frage der möglichen Rechtsfolgen ist zunächst zu erwägen, ob an der lebenslangen Freiheitsstrafe festzuhalten ist. Es ist nach wie vor umstritten, ob die lebenslange Freiheitsstrafe entbehrlich ist.727 Vor dem Hintergrund der hohen Anforderungen, die das BVerfG728 an die Androhung 725 Aus diesem Grund ist der Formulierungsvorschlag Fahlbuschs, Unhaltbarkeit des Zustandes der Mordmerkmale (2008), S. 339 („Wer einen anderen Menschen in einem besonders schweren Fall tötet, ist Mörder und wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“) abzulehnen. 726 Hingegen weist der AE-Leben, GA 2008, 193 (200 f.) auf der Rechtsfolgenseite starke Überschneidungen zwischen Mord (Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren – beim Zusammentreffen mit den Privilegierungsmerkmalen des Totschlags nicht unter 3 Jahren – oder lebenslange Freiheitsstrafe) und Totschlag (Freiheitsstrafe von 1 bis zu 10 Jahren) auf. 727 So sieht etwa Köhne, JR 2003, 5 (8) in der lebenslangen Freiheitsstrafe einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG, weil sie nicht erforderlich sei. Er schlägt daher de lege ferenda – allerdings auf der Grundlage einer einstufigen Lösung – die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe vor. Sie solle durch eine Anhebung des Höchstmaßes der zeitigen Freiheitsstrafe auf maximal 21 Jahren ersetzt werden. Hingegen halten die jüngsten Reformvorschläge an der lebenslangen Freiheitsstrafe fest (vgl. AE-Leben, GA 2008, 193 (200); ferner Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 212 sowie Fahlbusch, Unhaltbarkeit des Zustandes der Mordmerkmale (2008), S. 339. 728 Vgl. insbesondere BVerfGE 45, 187 ff.

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und Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe stellt, ist die Androhung der lebenslangen Freiheitsstrafe insofern problematisch, als ihre vollständige Vollstreckung grundsätzlich ohnehin unzulässig ist. Daher erscheint die Ersetzung durch eine hohe, zeitige Freiheitsstrafe sinnvoll. Ferner muss erwogen werden, ob eine absolute Strafandrohung gegenüber einem Strafrahmen vorzugswürdig ist. Die Nachteile einer absolut angedrohten Rechtsfolge liegen mit den fehlenden Differenzierungsmöglichkeiten auf der Hand. Dennoch hat eine absolut angedrohte Höchststrafe eine nicht zu unterschätzende Appellfunktion. Denn in ihr kommt die Höchststrafwürdigkeit einer Tötung unmissverständlich zum Ausdruck. Im geltenden Recht ist die absolute Strafandrohung vor allem deshalb problematisch, weil die Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB gerade nicht ausschließlich höchststrafwürdiges Unrecht beschreiben. Selbst wenn Unterscheidungsmerkmale gefunden werden, die nichthöchststrafwürdige Tötung bereits aus dem Tatbestand des Mordes ausscheiden,729 bleiben jedoch die aufgezeigten Bedenken gegen eine absolute Strafandrohung bestehen. Nach der hier vertretenen Auffassung richtet sich die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag allein nach dem verwirklichten Unrecht. Totschlag ist danach die Tötung unter unrechtsgeminderten Umständen. Dagegen bleiben schuldmindernde Gesichtspunkte bei der Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag außer Betracht, weil eine Schuldminderung nicht geeignet ist, das Unrecht einer Tat zu mindern. Es ist jedoch anzuerkennen, dass auch bei geminderter Schuld einen Differenzierungsbedarf im Rechtsfolgenbereich besteht. Das zeigt bereits die Tatsache, dass nicht nur Rechtfertigungsgründe, sondern auch Entschuldigungsgründe teilweise verwirklicht werden können. Das geltende Recht zeigt, dass bei der absoluten Strafandrohung daher häufig auf die Milderungsmöglichkeiten des allgemeinen Teils ausgewichen wird. Auch wenn bloße Schuldminderungen nach der hier vertretenen Auffassung nicht geeignet sind, das Unrecht der Tat zu mindern, sollte ihnen auf der Rechtsfolgenseite durch einen Strafrahmen Rechnung getragen werden können. 729 Im Hinblick darauf, dass bis heute kein taugliches Abgrenzungskriterium gefunden worden ist, schlägt etwa Grasberger, MSchrKrim 1999, 147 (159) eine prinzipiell einstufige Lösung vor, bei der § 211 StGB abgeschafft ist und wie im geltenden Recht die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 212 Abs. 2 StGB in besonders schweren Fällen möglich ist. Auch Albrecht, JZ 1982, 697 (704) fordert den Verzicht auf normative Leitlinien zur Abgrenzung auf Tatbestandsebene. Eine solche Lösung verlagert jedoch lediglich die Suche nach Kriterien der Höchststrafwürdigkeit von der Tatbestands- auf die Rechtsfolgenebene. Gerade bei den Kapitaldelikten sollte der Gesetzgeber die Entscheidung über die Höchststrafwürdigkeit nicht durch eine Regelbeispielslösung auf die Rechtsprechung abwälzen.

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II. Abgrenzungskriterien zwischen Mord und Totschlag de lege ferenda 1. Keine Rückkehr zur Überlegung als Abgrenzungskriterium Eine Rückkehr zur Rechtslage vor 1941, wie es vereinzelt gefordert wird,730 ist ausgeschlossen. Das Mordmerkmal der Überlegung ist noch weniger als das geltende Recht geeignet, höchststrafwürdige von nicht-höchststrafwürdigen Fällen zu unterscheiden und aus dem Anwendungsbereich des Mordes auszuschließen. Die Überlegung als täterbezogenes Merkmal lässt unrechtsminderndes Vorverhalten des Opfers völlig außer Acht und müsste folglich auch dann bejaht werden, wenn der Täter unter Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen handelt. Wer jedoch etwa bei einer Konflikttat lange mit sich ringt, bevor er zur Tat schreitet, verwirklicht nicht schon dadurch höheres Unrecht. Das Merkmal der Überlegung privilegiert vielmehr besonders impulsiv und hemmungslos handelnde Täter. Diese Einwände gelten zwar uneingeschränkt nur für den Fall, dass die Überlegung als selbständiges Abgrenzungskriterium fungieren soll. Meines Erachtens ist aber auch die Überlegung als unselbständiges Abgrenzungskriterium ungeeignet, um höchststrafwürdige Tötungen zu bestimmen.731 Das Kriterium der Überlegung ist von jeher schwierig zu bestimmen gewesen. Das lag zum einen daran, dass das Verhältnis zum Tatvorsatz nie abschließend geklärt werden konnte; zum anderen daran, dass ihm stets auch die Privilegierungsfunktion für Affekttaten zukam. Es wurde jedoch bereits dargelegt, dass Affekttaten entgegen einem weit verbreiteten Verständnis grundsätzlich nicht privilegierungswürdig sind. Affekttaten erscheinen nur dann privilegierungswürdige, wenn der Affekt durch rechtswidriges Opferverhalten verursacht wurde. In diesen Fällen ist der Affekt jedoch nicht der Grund für die Privilegierung. Vielmehr stellt er sich als bloße Folge der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen dar.

730 Geilen, JR 1980, 309 (313); Köhler, GA 1980, 121 (130); Wolf, FS Schreiber (2003) S. 519 (S. 531; differenzierend etwa Jähnke, MDR 1980, 705 (707 f.), der die Überlegung zwar für grundsätzlich geeignet hält, um eine Unrechtssteigerung zu begründen, andererseits die Einführung als selbstständiges Unterscheidungskriterium kritisch sieht. Auch Schmoller, ZStW 99 (1987), 388 (418) hält den Grundgedanken der Überlegung für berechtigt, obwohl er die Kritik an einem selbständigen Merkmal der Überlegung teilt. 731 A. A. etwa Jähnke, MDR 1980, 705 (707 f.); Frommel, JZ 1980, 559 (563 f.); Schmoller, ZStW 99 (1987), 388 (418).

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2. Keine „Weiterverwendung“ der bestehenden Mordmerkmale Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass das Mordmerkmal der Heimtücke ungeeignet ist, nicht-höchststrafwürdige Tötungen aus dem Anwendungsbereich dieses Mordmerkmals auszuscheiden. Daher sollte de lege ferenda auf dieses Mordmerkmal verzichtet werden.732 Gleichzeitig verbietet es sich, Einzelkorrekturen am geltenden Recht vorzunehmen. Insbesondere wäre es verfehlt, die Rechtsfolgenlösung des BGH in Gesetzesform zu gießen, indem man bei der heimtückischen Begehung unter außergewöhnlichen Umständen auf eine zeitige Freiheitsstrafe erkennt.733 Mit der Verwendung eines derart unbestimmten Begriffes ist kein Gewinn an Tatbestandsbestimmtheit verbunden. Außerdem bleibt die Stigmatisierung des Täters bei einer Verurteilung wegen Mordes auch dann bestehen, wenn er der lebenslangen Freiheitsstrafe entgeht. Zudem verbietet sich de lege ferenda eine Korrektur nur eines Mordmerkmals. Denn auch wenn das Mordmerkmal der Heimtücke besonders problematisch ist, so bestehen auch gegen die übrigen Mordmerkmale erhebliche Bedenken, die in der Entstehungsgeschichte der Norm wurzeln. Entscheidend ist jedoch, dass die Mordmerkmale des geltenden Rechts keineswegs ausschließlich höchststrafwürdiges Unrecht umschreiben.734 Damit erfüllen sie jedoch ihre einzige Funktion als Abgrenzungskriterien zwischen Mord und Totschlag nicht in ausreichendem Maße. Hingegen schlägt Reizel735 vor, die bestehenden Mordmerkmale wenigstens teilweise beizubehalten, sie jedoch nicht als Tatbestandsmerkmale, son732 Eser, DJT-Gutachten (1980), S. 200; Rüping, JZ 1979, 617 (620f.); Roxin, FS Widmaier (2008) S. 741 (S. 744); ähnlich Grasberger, MSchrKrim 1999, 147 (157); so auch bereits Dreher, MDR 1970, 248 (250). Auch der AE-Leben verzichtet auf das Merkmal der Heimtücke; seine Autoren begründen dies damit, dass sie in diesem Mordmerkmal keine taugliche Rechtfertigungsgrundlage für den Sprung zur lebenslangen Freiheitsstrafe sehen (AE-Leben, GA 2008, 193 (242 f.)). Dagegen hält Fahlbusch, Unhaltbarkeit des Zustandes der Mordmerkmale (2008), S. 227 zwar das Merkmal der Heimtücke für entbehrlich; er schlägt jedoch die Ersetzung durch die „Tötung unter Missbrauch eines sozial-freundlichen Kontaktes oder unter Ausnutzen eines konstitutionell bedingten Misstrauensmangels“ vor. Auch Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 122 f. hält an der Heimtücke und den anderen Mordmerkmalen fest; jedoch verwendet er sie nicht als Tatbestandsmerkmale, sondern als Regelbeispiele. 733 Eine solche Lösung liegt dem Arbeitsentwurf des Bundesjustizministeriums vom 21.03.2001 (in Teilen wiedergegeben bei Otto, JURA 2003, 612 (621)) zu Grunde; dazu ausführlich Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 52 ff. 734 Ausführlich Grasberger in ihrem Aufsatz mit dem Titel „Die (mangelnde) Eignung der Mordmerkmale zur Festlegung besonders strafwürdiger Fälle“, MSchrKrim 1999, 147 ff.

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dern als Regelbeispiele auszugestalten.736 Für eine solche Lösung könnte sprechen, dass auf die bisherige Auslegung des § 211 Abs. 2 StGB zurückgegriffen werden kann, ohne dass die Rigidität der bisherigen Mordmerkmale übernommen wird. Auf der Basis der hier vertretenen Auffassung verbietet sich allerdings die Weiterverwendung der Mordmerkmale als Regelbeispiele, weil sie entgegen der herrschenden Meinung durch eine nationalsozialistische Weltanschauung geprägt sind. Vielmehr sollten neue Kriterien der Höchststrafwürdigkeit herausgearbeitet werden.737 3. Die Abgrenzung beim Alternativ-Entwurf Leben Auch der Alternativ-Entwurf Leben verwendet Regelbeispiele. Sie fungieren dabei jedoch nicht als Unterscheidungskriterien zwischen Mord und Totschlag, sondern sind Voraussetzung für die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Anders als etwa bei den Regelbeispielen in § 243 StGB soll das Erfüllen eines Regelbeispiels jedoch für die Höchststrafe „notwendig und in der Regel auch ausreichend“ sein.738 Damit ist der Weg für Milderungen im Einzelfall eröffnet. Die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag wird hingegen im Privilegierungstatbestand des § 212 AE vorgenommen. Ein Totschlag liegt dabei vor, wenn die Tötung affekt- oder konfliktmotiviert ist. Dies wird ausdrücklich mit einer Teilverwirklichung gesetzlicher Wertentscheidungen wie der Nähe zu Notwehr, Notstand und verminderter Schuldfähigkeit begründet.739 Damit bestehen im Hinblick auf das Abgrenzungskriterium durchaus Übereinstimmungen zu der hier vertretenen Lösung. Unterschiede bestehen jedoch insoweit, als nach der hier vertretenen Auffassung eine bloße Schuldminderung mangels unrechtsmindernder Wirkung nicht privilegierend 735 Reizel, Mordtatbestand de lege ferenda (2006), S. 240; so auch Rüping, JZ 1979, S. 617 (621), der von den bestehenden Mordmerkmalen allerdings die Heimtücke sowie die niedrigen Beweggründe für überflüssig hält. 736 Auch der AE-Leben verwendet eine – allerdings modifizierte – Regelbeispielstechnik (GA 2008, 193 (200). Im Gegensatz zum Vorschlag Reizels werden jedoch die besonders problematischen Merkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe gestrichen. Die vom AE-Leben verwendeten Regelbeispiele basieren zwar im Übrigen teilweise auf den bestehenden Mordmerkmalen; sie sind jedoch derart versachlicht und fortentwickelt, dass insofern von einer „Weiterverwendung“ der Mordmerkmale von 1941 nicht die Rede sein kann. 737 A. A. offenbar Mitsch, JZ 2008, 336 (340), der den Korrekturbedarf eher auf der Rechtsfolgenseite verortet sieht. 738 AE-Leben, GA 2008, 193 (200). 739 AE-Leben, GA 2008, 193 (249).

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wirken kann. Zudem ist – wie bereits dargelegt – eine Affekttat nur dann privilegierungswürdig, wenn der Affekt auf einer Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen beruht.740 4. Unzulänglichkeiten einer „Konkurrenzlösung“ Teilweise wird vorgeschlagen, die Schuldsteigerungskriterien des § 57a StGB tatbezogen fortzuentwickeln.741 Ein mögliches Abgrenzungskriterium besteht dabei darin, die Konkurrenzregeln für die Definition einer qualifizierten Tötung nutzbar zu machen. So könne etwa eine tateinheitlich oder tatmehrheitlich begangene Tötung mehrerer Opfer oder eine mit der Tötung tateinheitlich verwirklichte Straftat (wie etwa der „Raubmord“) die Tötung zum Mord qualifizieren. Tatsächlich könnten auf der Basis einer Konkurrenzlösung einige weitgehend unbedenkliche Fallkonstellation der geltenden Mordmerkmale erfasst werden. Wird etwa ein Opfer zu Tode gefoltert, so könnte die nachfolgende Tötung durch die vorangegangene Körperverletzung zum Mord qualifiziert werden, was de lege lata einer grausamen Tötung entsprechen würde. Einer habgierigen Tötung würde etwa die mit der Tötung tateinheitlich begangene oder versuchte Verwirklichung eines Vermögensdeliktes entsprechen. Weitere Entsprechungen liegen bei der Verdeckungs- und Ermöglichungsabsicht sowie bei der Tötung zur Befriedigung des Sexualtriebs nahe. Eine solche Lösung müsste jedoch zugleich Kriterien bieten, anhand derer die Höchststrafwürdigkeit durch die mitverwirklichten Delikte sichergestellt wird. Geeignete Kriterien sind jedoch nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des BGH und des BVerfG im Kannibalen-Fall erscheint beispielsweise die Mitverwirklichung des § 168 Abs. 1 StGB (Störung der Totenruhe) nicht geeignet, die Höchststrafwürdigkeit der konkreten Tötung zu begründen. Dieser Ansatz bietet daher keine erkennbaren Vorteile. 5. Die fehlende Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen als Abgrenzungskriterium Es wurde oben bereits dargelegt, dass die Teilverwirklichungslehre sich nicht nur zur Begründung der normativen Restriktion der Heimtücke verwenden lässt, sondern darüber hinaus prinzipiell auch geeignet erscheint, 740 Die Autoren des AE-Leben erkennen ebenfalls die Gefahr ungerechtfertigter Privilegierungen von Affekttaten, der sie durch die abschließende Fassung der Privilegierungsgründe Rechnung tragen wollen (GA 2008, 193 (249)). 741 Vgl. etwa Kargl, StraFo 2001, 365 (375); Eser, DJT-Gutachten (1980), S. 171.

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Unrechtsminderungen im Rahmen anderer Delikte zu bestimmen. Die Unrechtsminderung durch Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen stellt ein allgemeines Prinzip dar. Es knüpft an die Rechtfertigungsgründe des geltenden Rechts an und muss daher nicht wie etwa die Lehre vom verwerflichen Vertrauensbruch oder die Lehre von der Typenkorrektur auf externe Privilegierungsprinzipien zurückgreifen. Bereits im geltenden Recht ist es in den § 213 StGB sowie § 216 StGB teilweise normiert. Nur die Teilverwirklichungslehre ermöglicht es, tatauslösendes Opferverhalten angemessen, d.h. insbesondere nur bei Unrechtsrelevanz zu berücksichtigen. Sie erscheint mehr als andere Lösungswege geeignet zu sein, belastbare Kriterien der Höchststrafwürdigkeit aufzustellen. Systematisch lässt sich dies erreichen, indem man den Mord als nichtprivilegierte vorsätzliche Tötung einordnet, während der Totschlag als die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen anzusehen ist, die unter erheblicher Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen begangen wird. Zwar wird nicht verkannt, dass eine strenge Formulierung dieses Abgrenzungskriteriums schwierig erscheint. Anders als bei der Tötung „unter außergewöhnlichen Umständen“ werden mit der Anknüpfung an anerkannte Rechtfertigungsgründe jedoch die Privilegierungskriterien offengelegt. Dies stellt einen Auftrag an den Richter dar, genau zu prüfen, woran eine Rechtfertigung der Tat scheitert. Schließlich muss der Richter prüfen, ob die Tat eine solche Nähe zur Rechtfertigung aufweist, dass die Unrechtsminderung die Tat zum Totschlag privilegiert. Dadurch wird der benannte minder schwere Fall des Totschlags (§ 213 1. Alt. StGB) entbehrlich, weil sich minderschwere Fälle sachgerechter im Rahmen einer allgemeinen Teilverwirklichungsklausel berücksichtigen lassen und zudem unrechtsgeminderte Tötungsfälle außerhalb der Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen nach der hier vertretenen Auffassung nicht denkbar sind. Erst recht besteht kein Bedürfnis für den unbenannten minderschweren Fall des Totschlages (§ 213 2. Alt. StGB), der mit seiner Unbestimmtheit und seiner niedrigen Mindeststrafandrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe zu Recht als Ursache für die Bagatellisierung des Rechtsguts Lebens kritisiert wird. Dagegen ist die geltende Fassung des § 216 StGB bereits deshalb nicht entbehrlich, weil sie die Unwirksamkeit einer Einwilligung in die eigene Tötung zum Ausdruck bringt. Sie wird in § 212 Abs. 2 des Vorschlages aufgenommen. Um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die de lege lata insbesondere im Hinblick auf § 28 StGB bestehen, sollte das Privilegierungskriterium als Tatbestandsmerkmal gefasst werden.

C. Vorschlag für eine Neuregelung der vorsätzlichen Tötungsdelikte

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Auf der Rechtsfolgenseite ist die absolut angedrohte lebenslange Freiheitsstrafe durch eine hohe zeitige Freiheitsstrafe von 15 bis 20 Jahren ersetzt. Eine Überschneidung der Strafrahmen findet nicht statt; vielmehr besteht zwischen der Totschlagshöchststrafe und der Mordmindeststrafe eine Lücke von fünf Jahren. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass auch der denkbar schwerste Totschlagsfall durch gemindertes Unrecht gekennzeichnet ist. Die Mindeststrafe für Totschlag wird im Gegensatz zum geltenden Recht auf drei Jahre herabgesetzt, weil eine Mindeststrafe von fünf Jahren für den denkbaren Fall einer erheblich unrechtsgeminderten, „fast gerechtfertigten“ Tötung zu hoch erscheint. Jedoch wird einer Bagatellisierung des Rechtsguts Leben dadurch entgegengewirkt, dass die im geltenden Recht durch § 213 StGB eröffnete Möglichkeit einer Mindeststrafe von lediglich einem Jahr gestrichen wird.

C. Formulierungsvorschlag für eine Neuregelung der vorsätzlichen Tötungsdelikte § 211 Mord Wer vorsätzlich einen anderen Menschen tötet, wird mit Freiheitsstrafe von 15 bis 20 Jahren bestraft. § 212 Totschlag (1) Wer vorsätzlich einen anderen Menschen tötet und dabei in erheblichem Maße die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes teilweise verwirklicht, wird mit Freiheitsstrafe von 3 bis 10 Jahren bestraft. (2) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

Literaturverzeichnis Adomeit, Klaus: Tötung eines Familientyrannen – eine Diskussion, in: JA 2005, S. 35 f. Albrecht, Peter-Alexis: Das Dilemma der Leitprinzipien auf der Tatbestandsseite des Mordparagraphen, in: JZ 1982, S. 697 ff. Alternativ-Entwurf Leben: Alternativ-Entwurf Leben (AE-Leben) Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (Arbeitskreis AE), in: GA 2008, S. 193 ff.; (zitiert: AE-Leben, GA 2008, 193) Altvater, Gerhard: Rechtsprechung des BGH zu den Tötungsdelikten, in: NStZ 1999, S. 17 ff. Amelung, Knut/Kilian, Ines: Zur Akzeptanz des deutschen Notwehrrechts in der Bevölkerung, Erste Ergebnisse der Dresdner Notwehrerhebung, in: Amelung, Knut/ Beulke, Werner/Lilie, Hans/Rosenau, Henning/Rüping, Hinrich/Wolfslast, Gabriele (Hrsg.): Strafrecht Biorecht Rechtsphilosophie, Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag am 10. Mai 2003, Heidelberg 2003, S. 3 ff.; (zitiert: Amelung/Kilian, FS Schreiber (2003)) Arzt, Gunter: Die Einschränkung des Mordtatbestandes, Anmerkung zur jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: JR 1979, S. 7 ff. Arzt, Gunter/Weber, Ulrich: Strafrecht Besonderer Teil, Lehrbuch; Bielefeld 2000 (zitiert: Arzt/Weber, StrafR BT) Baltzer, Ulrich: Zur Problematik der lebenslangen Freiheitsstrafe, in: StV 1989, S. 42 ff. Beckemper, Katharina: Tötung des Familientyrannen, in: JA 2004, S. 99 ff. – Tötung eines Familientyrannen – eine Diskussion, in: JA 2005, S. 36 f. Bendermacher, Petra: Anmerkung zu BGH Urt. v. 12.2.2003 – 1 StR 403/02, in: JR 2004, S. 301 ff. Blei, Hermann: Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Auflage, München 1983 (zitiert: Blei, StrafR BT (12. A.)) Börgers, Niclas: Zeitige Freiheitsstrafe beim Mord, Zur Bedeutung der sog. Rechtsfolgenlösung bei außergewöhnlichen Umständen nach der Tat, in: JR 2004, S. 139 ff. Bruns, Hans-Jürgen: Richterliche Rechtsfortbildung oder unzulässige Gesetzesänderung der Strafdrohung für Mord? Eine Besprechung des Beschlusses des Großen Senates des BGH vom 19.5.1981 – GS St 1/81, in: JR 1981, S. 358 ff.

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Sachwortregister Absolute Strafandrohung – Absolute Strafandrohung als Verhältnismäßigkeitsproblem 24 – de lege ferenda 196 Affekttaten 132 – Keine generell verminderte Strafwürdigkeit 138 – Kritik an der Privilegierung 136 Arglosigkeit siehe Heimtücke Ausnutzungsbewusstsein siehe Heimtücke Außergewöhnliche Umstände siehe Rechtsfolgenlösung Bewusstlose – Tötung Bewusstloser 124 – Ungleichbehandlung von Schlafenden und Bewusstlosen 128 Erpresser – Erpresser-Entscheidung des BGH 51 – Tötung des Erpressers als Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen 145 – Vergleichbarkeit mit Haustyrannentötung 57 Familientyrann siehe Haustyrann Feindliche Willensrichtung siehe Heimtücke Haustyrann – Haustyrannen-Entscheidung des BGH 54 – Tötung des Haustyrannen als Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen 146

– Vergleichbarkeit mit der Tötung des Erpressers 57 Heimtücke – Alternative Definitionsversuche 170 – Arglosigkeit – Ermittlung 102 – Arglosigkeit – normative Bestimmung 174 – Arglosigkeit als Ort der normativen Restriktion 174 – Ausnutzungsbewusstsein als bloßer Heimtückevorsatz 133 – Ausnutzungsbewusstsein als Mittel der Affekttatenprivilegierung 136 – Feindliche Willensrichtung 142 – Feindliche Willensrichtung als normative Restriktion 184 – Grenzfälle der Heimtücke 39 – Grunddefinition der Heimtücke 92 – Strafgrund – Gefährlichkeitskonzeption des BGH 95 – Strafgrund – Verwerflichkeitskonzeption der Literatur 96 – Tücke – Verselbständigung des Tücke-Elements 176 – Wehrlosigkeit 108 Kannibalen-Entscheidung des BGH 157 Kleinkinder – Kritik am Ausschluss von Kleinkindern 125 – Tötung von Kleinkindern 124 Konflikttaten – Berücksichtigung des Opferverhaltens 162 – Unzutreffende Erfassung durch die Heimtücke-Grunddefinition 140

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Sachwortregister

Nationalsozialismus – Einfluss auf das geltende Recht des § 211 StGB 59 – Tätertypenlehre – Darstellung 66 – Tätertypenlehre – Einfluss auf das geltende Recht 74 Normative Restriktion – durch den BGH praktizierte normative Restriktion 181 – normative Bestimmung der Arglosigkeit 174 – Zulässigkeit der normativen Restriktion 168 Rechtsfolgenlösung – Kritik 44 – Rechtsfolgenlösung des Großen Senats 41 Schlafende – Tötung Schlafender 116 – Ungleichbehandlung von Schlafenden und Bewusstlosen 128 Schuldprinzip – Bestrafung wegen Mordes als Verstoß gegen das Schuldprinzip 28

– Mordstigmatisierung und Schuldprinzip 29 – Schuldprinzip und lebenslange Freiheitsstrafe 26 Stigmatisierung des wegen Mordes Verurteilten 29 Tätertypenlehre siehe Nationalsozialismus Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen – Kennzeichnung der Heimtückegrenzfälle durch Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen 145 – Privilegierungsgrund 150 – Teilverwirklichungslösung de lege ferenda 201 – Teilverwirklichungslösung de lege lata 165 – Unrechtsmindernde Wirkung 150 – Vorzüge gegenüber anderen Restriktionswegen 159 Tücke, Verselbständigung des TückeElements siehe Heimtücke Wehrlosigkeit siehe Heimtücke