Die Macht der memoria: die Noctes Atticae Des Aulus Gellius Im Licht der Erinnerungskultur des 2. Jahrhunderts n. Chr. 311024537X, 9783110245370

Das Buch findet und verfolgt einen Leitfaden durch die bisher der Buntschriftstellerei zugeordneten Noctes Atticae, in d

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Die Macht der memoria: die Noctes Atticae Des Aulus Gellius Im Licht der Erinnerungskultur des 2. Jahrhunderts n. Chr.
 311024537X, 9783110245370

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung:
1.1. Stand der Gelliusforschung
1.2. Methoden und Ziele der Untersuchung
2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur
2.1. Der Begriff der memoria
2.2. Memoria und der römische Traditionalismus
2.3. Memoria im öffentlichen Kult
2.4. Memoria und Schriftkultur
2.5. Memoria in Kunst und Literatur
2.6. Vergangenheits- und Zukunftsbezug der memoria
2.7. Erinnerungskultur und ars memoriae
2.8. Memoria und Vergessen
3. Spuren und Formen der memoria in den ‘Noctes Atticae‘ de Gellius
3.1. Die Präsenz der memoria in den ‘Noctes Atticae‘
3.1.1. Die ‘Noctes Atticae‘ als monumenta memoriae
3.1.2. Die sprachlich-literarische Erscheinung der memoria in den ‘Noctes Atticae‘
3.2. Medien der memoria in den ‘Noctes Atticae‘
3.2.1. Memoria von Grabdenkmälern und anderen Monumenten
3.2.2. Memoria in Bibliotheken
3.2.3. Memoria und Bücher
3.3. Immaterielle Formen der memoria in den ‘Noctes Atticae‘
3.3.1. Institutionalisierte memoria
3.3.2. Memoria und Geschichte
3.3.3. Etymologie als Vergangenheitsbezug
3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst
3.4.1. Memoria und penus litterarum
3.4.2. Memoria als ‘kommunikatives Gedächtnis‘
3.4.3. Memoria und individuelle Gedächtniskunst
3.4.4. Gedächtniskunst, Traditionsbildung und Zitat
3.4.5. „Gedächtniskünstler“ als Vermittler zwischen kollektiver und individueller memoria
3.4.6. Memoria als Arbeit und Reserve gegen das Vergessen
4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den ‘Noctes Atticae‘
4.1. Die ‘Noctes Atticae‘ im griechisch-römischen Kultur- und Erinnerungsraum
4.1.1. Die Durchdringung griechischer und römischer Erinnerungskultur in den ‘Noctes Atticae‘
4.1.2. Der Titel ‘Noctes Atticae‘ als Programm
4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität
4.2.1. Zweisprachigkeit und Übersetzung in den ‘Noctes Atticae‘
4.2.2. ‘Archaismus‘ und ‘Attizismus‘ als parallele Phänomene des Sprachpatriotismus
4.3. Protagonisten der griechisch-römischen Bildungskultur in den ‘Noctes Atticae‘
4.3.1. M. Cornelius Fronto
4.3.2. Calvenos Tauros
4.3.3. Favorinus von Arelate
4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis
4.4.1. Modelle kultur- und literaturgeschichtlicher Synkrisis
4.4.2. Synkrisis und Synchronismus in den ‘Noctes Atticae‘
5. Das Bildungskonzept der ‘Noctes Atticae‘ im Schnittpunkt griechischer und römischer Traditionen
5.1. Die pädagogische bzw. didaktische Intention der ,Noctes Atticae‘
5.2. Otium als Voraussetzung und Grundlage der Bildung
5.3. quasi libamenta ingenuarum atrium – Enzyklopädische Bildung in Verbindung griechischer und römischer Wissenstraditionen
5.3.1. Dominanz von Grammatik und Rhetorik
5.3.2. Nutzen der Medizin
5.3.3. Sinn und Wert der Philosophie
5.4. Der Bildungsbegriff der ‘Noctes Atticae‘: zwischen honesta eruditio und humanitas
5.5. Fortleben gellianischer humanitas und memoria in europäischen Humanismus-Epochen
6. Fazit und Ausblick
7. Literaturverzeichnis
7.1. Textausgaben
7.1.1. Ausgaben der ‘Noctes Atticae‘
7.1.2. Textausgaben anderer Autoren in Auswahl
7.2. Sekundärliteratur
8. Register
8.1. Begriffe, Personen und Sachen
8.2. Stellen

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Christine Heusch Die Macht der memoria

Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Heinz-Günther Nesselrath, Peter Scholz und Otto Zwierlein

Band 104

De Gruyter

Die Macht der memoria Die ,Noctes Atticae‘ des Aulus Gellius im Licht der Erinnerungskultur des 2. Jahrhunderts n. Chr.

von

Christine Heusch

De Gruyter

ISBN 978-3-11-024537-0 e-ISBN 978-3-11-024538-7 ISSN 1862-1112 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Heusch, Christine. Die Macht der memoria : Die „Noctes Atticae“ des Aulus Gellius im Licht der Erinnerungskultur des 2. Jahrhunderts n. Chr. / von Christine Heusch. p. cm. − (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte, ISSN 1862−1112 ; Bd. 104) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-024537-0 (hardcover : alk. paper) ISBN 978-3-11-024538-7 (e-bk.) 1. Gellius, Aulus. Noctes Atticae. 2. Latin prose literature − History and criticism. I. Title. PA6391.H48 2011 8781.01−dc22 2010037550

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

memoriae patris Heinrich Heusch (1921-1977)

ȝɃȭȳȼȽov Ȯ‡ ȴȫ¤ ȴȪȵȵȳȼȽov ˆȸȯѠȺȱȶȫ ȯÂȺȱȽȫȳ ȶvȪȶȫ ȴȫ¤ ˆȻ ąȪvȽȫ ɀȺɄȼȳȶov, ˆȻ Ƚqv ȼoȿɅȫv Ƚȯ ȴȫ¤ ˆȻ Ƚ°v ȬɅov. Diss. Log. 9,1 (VS 90,9,1 = 2,416, 13-15 DIELS / KRANZ)

Magna vis est memoriae, nescio quid horrendum, deus meus, profunda et infinita multiplicitas. Aug. conf. 10,17,26

Von dem menschlichen Wissen überhaupt in jeder Art, existirt der allergrößte Theil stets nur auf dem Papier, in den Büchern, diesem papiernen Gedächtniß der Menschheit. Nur ein kleiner Theil desselben ist, in jedem gegebenen Zeitpunkt, in irgendwelchen Köpfen wirklich lebendig. ... Wie schlecht würde es also um das menschliche Wissen stehn, wenn Schrift und Druck nicht wären ! Daher sind die Bibliotheken allein das sichere und bleibende Gedächtniß des menschlichen Geschlechts, dessen einzelne Mitglieder alle nur ein sehr beschränktes und unvollkommenes haben. Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften, II/2: Vereinzelte, jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände; hier Kapitel 21: Ueber Gelehrsamkeit und Gelehrte, ' 254; in: A. Schopenhauer, Zürcher Ausgabe: Werke in zehn Bänden, Bd. 10, Zürich 1977, S. 530-531

Frontispiz der von Jacobus Gronovius edierten Ausgabe der ,Noctes Atticae‘ (Leiden 1706)

Vorwort Dieses Buch enthält meine im wesentlichen unveränderte, nur in Einzelheiten überarbeitete Habilitationsschrift, die im Sommersemester 2009 von der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommen worden ist. Die formale Gestaltung des Buches ist der Tradition verpflichtet, in der Fußnoten als unverzichtbarer Teil der Wissenschaft gelten und von Friedrich Schlegel als „philologische Epigramme“ (‚Kritische Fragmente‘ 75) sogar wertgeschätzt wurden. Entgegen der inzwischen in (amerikanischen) wissenschaftlichen Arbeiten geübten Praxis, Fußnoten weitgehend zu vermeiden und auf ein Minimum zu beschränken, scheue ich nicht davor zurück, auch umfangreichere Anmerkungen zu präsentieren, die demjenigen Leser, der sich Gewißheit über Quellen und Hintergründe verschaffen oder einzelnen Fragen weiter nachgehen möchte, Gelegenheit bieten, ein wenig vom Gedankengang des Haupttextes abzuschweifen und sich auf kleinere Exkurse zu begeben. Denn der Fußnotenapparat hat in einer Untersuchung über die memoria im Werk des Aulus Gellius besondere Berechtigung. Sinnbildlicher Ausdruck des seit Bernhard von Chartres immer wieder beschworenen Bewußtseins der Nachantiken, als „Zwerge auf Schultern von Riesen“ zu stehen – wobei die jeweilige Größe beider durchaus variieren kann – , erscheint der traditionelle Anmerkungsapparat geradezu als eine von der Drucktechnik ermöglichte Fortentwicklung der gellianischen, in die Moderne vorausweisenden Art zu zitieren, Zitate zuzuordnen und zu kommentieren. Die langjährige Beschäftigung mit den ‚Noctes Atticae‘ des Gellius hat mich erfahren lassen, wie zutreffend Thomas Mann zu Beginn seines Josephsromans die schwierigen Bemühungen beschrieben hat, als Altertumswissenschaftler der Überlieferung, selbst wenn es sich um einen Autor nicht der frühesten Zeit, sondern des schon zweiten nachchristlichen Jahrhunderts handelt, auf den Grund zu gehen: „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen ? ... Da denn nun gerade geschieht es, daß, je tiefer man schürft, je weiter hinab in die Unterwelt des Vergangenen man dringt und tastet, die Anfangsgründe des Menschlichen, seiner Geschichte, seiner Gesittung, sich als gänzlich unerlotbar erweisen und vor unserem Senkblei, zu welcher abenteuerlichen Zeitenlänge wir seine Schnur auch abspulen, immer wieder und weiter ins Bodenlose zurückweichen. Zutreffend aber heißt es hier »wieder und wei-

X

Vorwort

ter«; denn mit unserer Forscherangelegentlichkeit treibt das Unerforschliche eine Art von foppendem Spiel: es bietet ihr Scheinhalte und Wegesziele, hinter denen, wenn sie erreicht sind, neue Vergangenheitsstrecken sich auftun, wie es dem Küstengänger ergeht, der des Wanderns kein Ende findet, weil hinter jeder lehmigen Dünenkulisse, die er erstrebte, neue Weiten zu neuen Vorgebirgen vorwärtslocken.“ Bei dieser endlosen Forschungstätigkeit habe ich dankbar die Unterstützung vieler erfahren, die mich als Wegweiser und Antreiber, Ratgeber und Kritiker auch über schwierige Strecken hinweg begleitet und den Fortgang der Arbeit befördert haben: Meinem Doktorvater Herrn Professor Jochem Küppers verdanke ich den Hinweis auf das kulturwissenschaftliche Paradigma als ergiebige Quelle; Herrn Professor Markus Stein danke ich dafür, daß er, ohne zu zögern, bei seiner Berufung nach Düsseldorf die Betreuung meiner Habilitation übernommen hat; Herr Professor Michael Reichel hat dankenswerterweise das Zweitgutachten im Habilitationsverfahren erstattet. In bleibender Dankbarkeit bin ich Herrn Professor Otto Zwierlein, meinem Bonner Lehrer, verbunden: Seine stete Ermutigung, sein kritischer Rat und seine große Einsatzbereitschaft haben zum Erreichen des Zieles ௅ nicht erst auf der letzten Etappe ௅ Wesentliches beigetragen. Auch für die Aufnahme der Habilitationsschrift in die Reihe ‚Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte‘ sei ihm wie den anderen Herausgebern gedankt. Herrn Professor Heinz-Günther Nesselrath bin ich zudem für seine überaus sorgfältige Durchsicht des Manuskripts dankbar. Dank weiß ich ferner den geduldigen Lektorinnen des Verlags W. de Gruyter, Frau Dr. Sabine Vogt und Frau Katrin Hofmann, sowie Frau Monika Pfleghar und Herrn Michael Peschke. Sie haben nicht geringen Anteil am unkomplizierten Gelingen der Publikation. Herrn Professor Paul Mikat, dem langjährigen Präsidenten der ‚Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft‘, gilt mein besonderer Dank. Ohne seine motivierende und wohlwollende Förderung wäre dieses Buch nicht entstanden. Das von ihm befürwortete dreijährige Stipendium der ‚Görres-Gesellschaft‘ hat mir erst die Möglichkeit eröffnet, auf dem Weg der Forschung zu bleiben und ans Ziel der Habilitation zu gelangen. Den Preis, mit dem die ‚Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf‘ meine Habilitationsschrift ausgezeichnet hat, werde ich im November dankend entgegennehmen als eine unverhoffte, reiche Belohnung am Ende eines langen, manchmal mühevollen Weges. Neuss, im September 2010

Christine Heusch

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung: ..................................................................................... 1 1.1. Stand der Gelliusforschung ................................................... 1 1.2. Methoden und Ziele der Untersuchung .............................. 13 2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur .............................. 23 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 2.8.

Der Begriff der memoria .................................................... Memoria und der römische Traditionalismus ...................... Memoria im öffentlichen Kult ............................................. Memoria und Schriftkultur ................................................. Memoria in Kunst und Literatur ......................................... Vergangenheits- und Zukunftsbezug der memoria .............. Erinnerungskultur und ars memoriae ................................... Memoria und Vergessen ......................................................

23 25 32 34 37 40 42 44

3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> de Gellius ................................................ 49 3.1. Die Präsenz der memoria in den _Noctes Atticae> ................ 3.1.1. Die _Noctes Atticae> als monumenta memoriae ........... 3.1.2. Die sprachlich-literarische Erscheinung der memoria in den _Noctes Atticae> ............................... 3.2. Medien der memoria in den _Noctes Atticae> ....................... 3.2.1. Memoria von Grabdenkmälern und anderen Monumenten ........................................................... 3.2.2. Memoria in Bibliotheken .......................................... 3.2.3. Memoria und Bücher ................................................ 3.3. Immaterielle Formen der memoria in den _Noctes Atticae> ................................................................... 3.3.1. Institutionalisierte memoria ...................................... 3.3.2. Memoria und Geschichte .......................................... 3.3.3. Etymologie als Vergangenheitsbezug ........................

49 49 53 58 58 62 66 77 77 81 83

XII

Inhaltsverzeichnis

3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst ................................................................. 97 3.4.1. Memoria und penus litterarum ................................. 97 3.4.2. Memoria als _kommunikatives Gedächtnis> ............... 99 3.4.3. Memoria und individuelle Gedächtniskunst ............ 101 3.4.4. Gedächtniskunst, Traditionsbildung und Zitat ....... 117 3.4.5. `GedächtniskünstlerA als Vermittler zwischen kollektiver und individueller memoria ..................... 162 3.4.6. Memoria als Arbeit und Reserve gegen das Vergessen ............................................................... 182 4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae> ............................................................... 191 4.1. Die _Noctes Atticae> im griechisch-römischen Kultur- und Erinnerungsraum .......................................... 4.1.1. Die Durchdringung griechischer und römischer Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae> .............. 4.1.2. Der Titel _Noctes Atticae> als Programm ................ 4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität ............................ 4.2.1. Zweisprachigkeit und Übersetzung in den _Noctes Atticae> ...................................................... 4.2.2. _Archaismus> und _Attizismus> als parallele Phänomene des Sprachpatriotismus ........................ 4.3. Protagonisten der griechisch-römischen Bildungskultur in den _Noctes Atticae> ...................................................... 4.3.1. M. Cornelius Fronto .............................................. 4.3.2. Calvenos Tauros ..................................................... 4.3.3. Favorinus von Arelate ............................................. 4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis ...... 4.4.1. Modelle kultur- und literaturgeschichtlicher Synkrisis ................................................................. 4.4.2. Synkrisis und Synchronismus in den _Noctes Atticae> ......................................................

191 191 196 205 205 229 251 252 257 261 271 271 283

5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae> im Schnittpunkt griechischer und römischer Traditionen ............... 303 5.1. Die pädagogische bzw. didaktische Intention der ,Noctes Atticae> ................................................................ 303

Inhaltsverzeichnis

5.2. Otium als Voraussetzung und Grundlage der Bildung ....... 5.3. ... quasi libamenta ingenuarum artium - Enzyklopädische Bildung in Verbindung griechischer und römischer Wissenstraditionen ........................................................... 5.3.1. Dominanz von Grammatik und Rhetorik ............... 5.3.2. Nutzen der Medizin ............................................... 5.3.3. Sinn und Wert der Philosophie .............................. 5.4. Der Bildungsbegriff der _Noctes Atticae> : zwischen honesta eruditio und humanitas .......................................... 5.5. Fortleben gellianischer humanitas und memoria in europäischen Humanismus-Epochen ................................

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328 341 352 356 370 395

6. Fazit und Ausblick ..................................................................... 403 7. Literaturverzeichnis .................................................................... 7.1. Textausgaben .................................................................... 7.1.1. Ausgaben der _Noctes Atticae> ................................ 7.1.2. Textausgaben anderer Autoren in Auswahl ............................................................. 7.2. Sekundärliteratur ..............................................................

409 409 409 410 411

8. Register 8.1. Begriffe, Personen und Sachen .......................................... 433 8.2. Stellen .............................................................................. 451

1. Einleitung 1.1. Stand der Gelliusforschung Die Literatur des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts haben die Altertumswissenschaftler lange Zeit mit Gleichgültigkeit und Geringschätzung1 behandelt, bis schließlich vor etwa dreißig Jahren das Interesse an ihr erwachte. Den Anstoß dazu gaben die Althistoriker mit kulturgeschichtlichen Untersuchungen zu den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, aus denen eine Unmenge von epigraphischen, papyrologischen, numismatischen und archäologischen Zeugnissen überliefert ist. In ihrem Gefolge wandten sich die Graezisten der griechischen Literatur der römischen Kaiserzeit zu. Den Bann, der seit den Verdikten des 19. Jahrhunderts über der römischen Literatur des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts lag, löste erst die 1981 publizierte Arbeit von PETER STEINMETZ, der in einem weitgespannten literarhistorischen Panorama neue Perspektiven eröffnet und das bisherige Brachland der Latinistik als Forschungsgebiet erschlossen hat. Doch bis in die jüngere Vergangenheit waren viele philologische und literaturgeschichtliche Untersuchungen durchzogen von negativen Werturteilen, auch wenn die Kritik gegenüber früheren Zeiten an Schärfe verloren hat. Die im 19. Jahrhundert verbreitete Geringschätzung der Epoche, die WILAMOWITZ auf die Spitze getrieben hatte in seinem Vergleich _____________ 1

Sie haben sich insbesondere in den polemischen Auslassungen des 19. Jh.s und des beginnenden 20. Jh.s artikuliert, wie sie z.B in der Literaturgeschichte von TEUFFEL (Leipzig 1870 / 61913, 47-48) zu finden sind: „... im geistigen Leben konnte sich die Ermüdung und Erschlaffung der antiken Kultur nicht verleugnen ... Sonst hat diese Zeit die Fähigkeit zu selbständigen und eigentümlichen Hervorbringungen verloren ... Die Stilgattungen werden vermischt, der Sprachschatz der Vorzeit wird nach Altem und Seltsamem durchstöbert und damit der Stil der Gegenwart geschmacklos verziert.A Als Charakteristika dieser Zeit hebt er hervor `ihre wichtigthuerische Geschäftigkeit ohne ernstes Ziel, ihre Verranntheit in Nichtigkeiten, ihren völligen Mangel an eigenem Geiste, an Schöpfungskraft, Urteil und Verstand, ihre Gelehrsamkeit wie Pedanterie.A (So noch beibehalten in der Neubearbeitung des Abschnitts durch KROLL von 1913, 97 vgl. unten S. 5 Anm. 9). Auch LEO, Die römische Literatur des Altertums, 388 attackiert den Archaismus des 2. Jh.s: `Eine Tendenz wie diese ist das sichere Zeichen der erschlafften künstlerischen Kraft ... Die römische Produktion sinkt auf das Niveau der griechischen Mittelmäßigkeit hinab und ziert ihre gespreizte Altertümlichkeit durch Flitter und Schwulst wie diese.A

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1. Einleitung

des zweiten Jahrhunderts mit einem kurz vor der Verwesung stehenden Leichnam, hat so stark nachgewirkt, daß B[ERNHARD] A[BRAHAM] VAN GRONINGEN noch in seiner 1965 erschienenen vielzitierten Abhandlung über die griechische Literatur des zweiten Jahrhunderts ihre weitgehende Vernachlässigung gerechtfertigt hat.2 Die Metaphern von Niedergang, Verfall, Dekadenz, Krankheit, Stillstand, Erschöpfung und dergleichen sind denn auch bis in die heutige Zeit in der römischen Literaturgeschichtsschreibung über das zweite Jahrhundert anzutreffen.3 Daran knüpft STEINMETZ an, wenn er einleitend eine `Krise der römischen Literatur“ im zweiten Jahrhundert feststellt und im folgenden unter ausgiebiger Berücksichtigung des politisch-sozialen Kontextes ihre Symptome, allerdings ohne die bis dahin übliche Abwertung und Pauschalierung, beschreibt. Um das mit der Krisenmetapher bezeichnete Phänomen zu _____________ 2

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VAN GRONINGEN, General Literary Tendencies, 56: „The Greek literature of the second century ... is a neglected one in a neglected century, and, generally speaking, it deserves this neglect.A Daß sich WILAMOWITZ in späteren Jahren in seinem Urteil etwas mäßigte, bezeugen seine bei SCHMITZ, Macht und Politik, 9-10 Anm. 3 zusammengestellten Äußerungen. Ähnlich negativ ist die Charakteristik von W. SCHMID, Geschichte der griechischen Literatur, Bd. 2.2. München 1924, 667: `der äußere Glanz, den diese Sophistik um sich verbreitet ... darf über die geistige Armut und Unfruchtbarkeit der Periode nicht täuschen ... hatte offenbar das Griechentum nun wirklich den Kreis der ihm möglichen Kulturleistungen vollständig durchlaufen.A Vergleichsweise milde urteilt NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1,344: `Bis zur hadrianischen Zeit bewegt sich die Literatur der beiden Völker noch auf einer emporsteigenden Linie; dann steht sie etwa ein halbes Jahrhundert still und geht von da an abwärts.A - Über die antiken Ursprünge der Metaphorik in der (Literatur- und Kultur-) Geschichtsdarstellung handelt A. DEMANDT, Metaphern für Geschichte, Sprachbilder und Gleichnisse im historisch-politischen Denken, München 1978; vgl. dort 25-27. 36-45 zu den `organischenA Metaphern aus dem Bereich der Medizin (Krankheit, Krise u.ä.), zum Lebensaltergleichnis bzw. zur biologischen Entwicklungsmetaphorik. Z.B. bei FONTAINE, Isidore de Séville, 519-520: „Dès le cours du second siècle, en effet, tandis que l=encyclopédisme traditionnel donne des signes de sénescence ... l=affaiblissement de la vie litteraire ...A. Auch noch FANTHAM, Literarisches Leben, 210-251 überschreibt das 7. Kapitel ihrer sozialgeschichtlichen Abhandlung über die Literatur des 2. Jh.s mit _Literarische Kultur im Niedergang: Die antoninischen Jahre>. Nicht nur im Hinblick auf Literatur und Kultur, sondern auf die gesamte soziale und politische Situation spricht K. CHRIST, Die Römer. Eine Einführung in ihre Geschichte und Zivilisation, München 31994, 180 von der `großen Windstille des 2. Jahrhunderts n. Chr.A Diese Formulierungen knüpfen an die Urteile des 19. Jh.s an, wie z.B. das von NETTLESHIP, The Noctes Atticae, 415: `The age has no vigor of his own, but builds the sepulchres of the prophets, and waits for inspiration to rise from their dustA. Schon im 18. Jh. hatte GIBBON mit der politischen Friedenszeit und wirtschaftlichen Blüte unter der Antoninenherrschaft `the decline of geniusA und „the corruption of taste“ kontrastiert: vgl. E. GIBBON, The Decline and Fall of the Roman Empire, Chicago /London/ Toronto/Geneva 1952 [= Great Books of the Western World 40/I], Vol.1, 24.

1.1. Stand der Gelliusforschung

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ergründen, daß die Eigenart der römischen Literatur dieser Zeit mit den bis dahin gültigen literarischen Maßstäben nicht zu erfassen ist, und um zu erforschen, warum insbesondere die römische Literatur in die „KriseA gerät, setzt er sie in Kontrast zur „(neuen) Blüte der griechischen LiteraturA.4 Daß sich deren Vernachlässigung neuerdings geradezu ins Gegenteil verkehrt hat, beweisen die kurz hintereinander entstandenen Arbeiten der letzten Jahre.5 Doch auch in der Einschätzung der lateinischen Literatur des 2. Jh.s hat inzwischen ein Paradigmenwechsel stattgefunden, da man sich von den Vorgaben eines an den von Klassik und Romantik ererbten Maßstäben orientierten literarischen Kanons verabschiedet und den Wert von Texten erkannt hat, die nicht durch Originalität und Innovation, sondern durch die Wiederholung des Überlieferten, durch Konformität und Konventionalität ihren Beitrag zum literarischen Diskurs leisten.6 So anerkennt GIAN BIAGIO CONTE die lateinischen literarischen Erzeugnisse des 2. Jh.s als Hervorbringungen „di una profonda e diffusa maturità culturale in un periodo che si sente incline a produrre, nei più diversi campi del sapere, strumenti pratici di conoscenze come queste _summae> dottrinaliA.7 Dieser Wandel der Forschungsmeinungen, von despektierlicher Kritik und Polemik im 19. Jahrhundert und noch weit darüber hinaus bis hin zu interessierter Annäherung und Bemühen um Würdigung in der Gegenwart, spiegelt sich auch in den Arbeiten zum Werk des Aulus Gellius wider, das im Mittelpunkt dieser Studie stehen soll.8 In der Geschichte der Gelliusforschung treten aber schon früher immer wieder vereinzelte Arbeiten aus dem Gros der pauschalen Negativkritik hervor. Am Ende des 19. Jahrhunderts heben sich die richtungweisenden Aufsätze von LUDWIG MERCKLIN (1860), HENRY NETTLESHIP (1883) und MARTIN HERTZ

_____________ 4

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6 7 8

So STEINMETZ, Untersuchungen, 3-4. Vgl. auch RUSSELL, Greek and Latin in Antonine Literature, 1: „Greek literature, both prose and verse, is now flourishing; Latin is not; for there are no Latin names of note, with the significant exception of the first great Christian writers, Tertullian and Cyprian.A G. ANDERSON, The Second Sophistic. A Cultural Phenomenon in the Roman Empire, London / New York 1993; M. GLEASON, Making Men, Princeton 1995; S. SWAIN, Hellenism and Empire, Oxford 1996; TH. SCHMITZ, Bildung und Macht, München 1997. Vgl. M. FOCAULT, Archäologie des Wissens, übers. v. U. KÖPPEN, Frankfurt a. M 1981, hier bes. 201-212 (_Das Originale und das Regelmäßige>). CONTE, Letteratura latina, 439; entsprechend in der englischen Bearbeitung der Literaturgeschichte von CONTE, Latin Literature, 586. Vgl. den Überblick über die Entwicklung der Gelliuskritik bei K. SALLMANN / P.L. SCHMIDT, HLL 4 (1997) ' 408, S. 73 Lit.6.

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1. Einleitung

(1886) von der communis opinio ihrer Zeit9 deutlich dadurch ab, daß sie aufgrund ihrer intensiven Beschäftigung mit den _Noctes Atticae> sie in _____________ 9

Noch maßvoll ist das Urteil CHRISTOPH MARTIN WIELANDs in seiner 1788/89 erschienenen Lukian-Übersetzung, in der er an die Schrift _Das Lebensende des Peregrinus> eine Erörterung _Ueber die Glaubwürdigkeit Lucians in seinen Nachrichten vom Peregrinus> anschließt. Darin vergleicht er Lukians Darstellung mit den Äußerungen des Gellius über Peregrinos Proteus in NA 12,11 (Lucian von Samosata.: Sämtliche Werke, aus dem Griechischen übersetzt und mit Anmerkungen und Erläuterungen versehen von CH. M. WIELAND, Zweiter Band: Dritter Teil, Leipzg 1788/89, Ndr. Darmstadt 1971, 105-106): `Der einzige Einwurf gegen die Glaubwürdigkeit des Lucianischen Berichts von dem Leben und Charakter Peregrins ... ist aus dem vortheilhaften Zeugniß genommen, das ihm Aulus Gellius giebt, der Verfasser einer unter dem Namen Attische Nächte bekannten Sammlung von Collektaneen, die für Philologen, besonders die Mikrologen unter ihnen ihren Werth hat, und zwar sehr wenig für die Talente dieses Ehrenmannes, aber doch so viel beweiset, daß er viel gelesen und sich dadurch einen ziemlichen Umfang von seichten historischen Kenntnissen de omni scibili et quibusdam aliis angeschafft hatte. Ein solcher Mann kommt nun freylich, wo es auf Urtheile von Menschen, die nicht ganz leicht zu beurtheilen sind, ankömmt, gegen Lucian in gar keine Betrachtung ... Soweit der Compilator Gellius! Und weil ein Kopf von dieser Stärke, weil ein Gellius, der überdieß damals, als er so fleißige Wallfahrten nach der Einsiedeley des Peregrinus that, aller Wahrscheinlichkeit nach noch ein Jüngling und ein sehr mäßiger Menschenkenner war, diesen Cyniker ... einen virum gravem et constantem nennt, so soll Lucian, der ihn einen Phantasten, Schwärmer, philosophischen Abentheurer und ruhmsüchtigen Narren erklärt, ein Verläumder seyn ?A B Zwar erkennt fast achtzig Jahre später HERTZ, Renaissance und Rococo, 36 in den _Noctes Atticae> immerhin `für alle Zeiten eine reiche Fundgrube des WissensA, doch die Person des Gellius macht er lächerlich: `Wäre er nicht gar zu sehr ein Abbild des trockenen Schleichers, der zwar Vieles weiß, doch Alles wissen möchte, auch einer von den Leuten, die ... an den Fällen des Niagara über Keilinschriften reden können, man wäre traun versucht, an Meister Faust selbst zu denken; denn Philosophie, Juristerei und, wenn auch in etwas bescheideneren Dimensionen, Medicin und Theologie hat auch er studirt mit heißem Bemühn; nur freilich hat er sich von seinen Meistern herumziehen lassen, während es ihm selbst an den betreffenden Schülernasen zu diesem Zwecke gefehlt zu haben scheint.A Dagegen ist zur selben Zeit von BERNHARDY, Grundriß der Römischen Litteratur, 871 Gellius im `Schwarm der mittelmäßigen KompilatorenA immerhin als `der gebildetste dieser MännerA gewürdigt worden. B Zu scharfer Polemik zugespitzt hat die Kritik TEUFFEL, Geschichte der römischen Literatur, 97 : `Gellius ist eine Famulusnatur ... In seiner ebenso gutherzigen wie beschränkten Mittelmäßigkeit spiegelt er den Charakter seiner Zeit treulich wider, ihre wichtigtuerische Geschäftigkeit ohne ernstes Ziel, ihre Verranntheit in Nichtigkeiten, ihren völligen Mangel an eigenem Geiste, an Schöpfungskraft, Urteil und Verstand, ihre Gelehrsamkeit wie ihre Pedanterie ... Freilich ist auch er von der Sucht seiner Zeit ergriffen, gelehrter zu erscheinen, als er ist, und hat manches aus zweiter Hand entnommen, was er aus den Quellen selbst geschöpft zu haben behauptet.A Auf B.G. NIEBUHRS aus Goethes _Faust> entlehntes Diktum (in: Vorträge über römische Geschichte, hrsg. v. M. ISLER, Bd. 3, Berlin 1848, 232) rekurriert SCHANZ in SCHANZ / HOSIUS / KRÜGER 3, 179: `Ueberhaupt erkennt man aus dem ganzen Buch, daß Gellius eine gutmütige, aber durchaus pedantische Natur war, ein Mann, der keinen offenen Blick für das Großartige und Bedeutende hat, sondern ganz und

1.1. Stand der Gelliusforschung

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ihrer literarischen Besonderheit würdigen und differenziert urteilen.10 Aber erst seit 1945, als man nach der bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts andauernden Phase der Quellenkritik, in der Gellius wegen der Darbietung wertvoller Zitate und Zeugnisse aus anderen Autoren bei gleichzeitiger eigener literarischer und literarkritischer Schwächen als pecus aurei uelleris11 angesehen wurde, und nach einem jahrzehntelangen Verstummen _____________ gar in kleinlichen Dingen aufgeht, ein Mann, der wie Niebuhr sagt, die Welt keinen Feiertag gesehen, sondern in seinen Büchern lebt und von Bewunderung derselben überfließt, ein Mann, der die verdorrten Blätter, nicht den blühenden Baum mit seiner Liebe umfaßt.A Im Zusammenhang mit Fronto, den er als `NullitätA abstempelt (vgl. auch NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 307 `nichtige Individuen wie Fronto und GelliusA), und dem sog. Archaismus kritisiert ihn bissiger NORDEN, Die römische Literatur von den Anfängen bis zum Untergang des weströmischen Reiches, in: A. GERCKE / E. NORDEN (Hrsg.), Einleitung in die Altertumswissenschaft, Leipzig / Berlin 31927 [wieder in: E. NORDEN, Die römische Literatur, Leipzig 61961, 1-103, hier 98; Stuttgart / Leipzig 71998 (hrsg. u. erg. v. B. KYTZLER, Neudr. d.3. Aufl. 1927) 1135, hier 83: `So blickte Gellius, der die Ruhnkensche Kategorie der _pecora aurei velleris> für das Lateinische eröffnet, zu Fronto und denen um ihn in ersterbender Ehrfurcht empor.A Auch für W. KROLL, Studien zum Verständnis der römischen Literatur, Stuttgart 1924, 129 sind die _Noctes Atticae> das Werk `eines sehr beschränkten, in seiner Zeit aber dadurch kaum auffallenden KopfesA. Dagegen nimmt sich das Urteil LEOs über Gellius sachlicher aus: `Das Buch ist zugleich ein Spiegel der Zeitströmung, wie das Buch des älteren Seneca, und ein Zeugnis für den Mangel an eignen Gedanken sowohl wie für den Kultus der allgemeinen BildungA (LEO, Die römische Literatur des Altertums, 390). Noch bei SEEL, Quintilian oder Die Kunst des Redens und Schweigens, 221 heißt es aber: `Ihn lieben wir alle, aber wahrlich nicht um seiner selbst willen, sondern als unschätzbar wertvolle Durchgangsstelle für Älteres und Besseres: so etwa wie eine Sammellinse, die selbst gar nichts sagt, sondern nur anderes sehen läßt, freilich immer nur stückchenweise und wie um die Neugierde auf das Vorher und Danach mehr zu erregen als zu befriedigen; ein fleißger Sammler und Aneinanderstückler, Besitzer eines erstaunlichen Zettelkastens, an dem das Persönlichste und Netteste, was von ihm selbst hinzugetan wurde, der Gesamttitel ist: _Attische Nächte>, Noctes Atticae.A 10 MERCKLIN weist in seiner bedeutenden Arbeit über _Die Citiermethode und Quellenbenutzung des A. Gellius in den Noctes Atticae> (1860), Gellius zwar mangelnde Originalität (672) und fehlende `letzte Feile und völlige ReifeA (704) nach, aber erkennt doch den eigentümlichen Charakter der _Noctes Atticae>, in denen `eine absichtliche Auflösung der OrdnungA (705) stattfindet, um belehrende Unterhaltung zu bieten (694); NETTLESHIP, (The Noctes Atticae of Aulus Gellius, 1883/1885) versteht Gellius’ Werk als ein realistisches Spiegelbild seines Zeitalters, das er als `man of cool head, sober judgement, and moral heart, but devoid of imaginative powerA (415) präsentiert; auch HERTZ charakterisiert in seinen _Opuscula Gelliana> (1886) nicht unkritisch Gellius als einen Menschen mediocris sane ingenii (78), der seine Gelehrsamkeit zur Schau stellt (78-79), aber er erkennt ihm doch durchaus Bildung und gewisse wissenschaftliche Korrektheit zu (78). 11 Entgegen der Behauptung PAUSCHs, daß die Bezeichnung pecus aurei uelleris für Gellius von frühneuzeitlichen Gelehrten geprägt worden sei (vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 148), ist das eindrückliche Bild von dem Humanisten Denis

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1. Einleitung

der Gelliusphilologie dem literarischen, historischen und kulturellen Kontext Beachtung schenkt, beginnt sich eine allgemein positivere Beurteilung des Gellius in der Literaturgeschichtsschreibung durchzusetzen.12 Im _____________ Lambin (1520-1572) bzw. von Iustus Lipsius (1547-1606) für das byzantinische Lexikon der Suda gebraucht worden: vgl. C. WACHSMUTH, Einleitung in das Studium der Alten Geschichte, Leipzig 1895, 239: Lambin; W. SCHMID / O. STÄHLIN, (W. VON CHRISTs) Geschichte der griechischen Literatur, II 2, München 61924, Ndr. München 1961 [= HbAW VII 2], 1092: „Den Wert des Werkes hat J. Lipsius treffend bezeichnet: pecus est Suidas, sed pecus aurei velleris.A Die Zuschreibung des Zitates an Lipsius fehlte noch in der allgemeineren Charakteristik der Suda bei W. CHRIST, Geschichte der griechischen Literatur bis auf die Zeit Justinians, München 41905, 876: `Der Wert des Werkes ist treffend mit dem Epitheton vellus aureum bezeichnet.A Offenbar handelt es sich bei der Tier-Metall-Metapher aber um ein translatorisches Diktum: Denn SPOERRI schreibt es JOSEPH SCALIGER im Hinblick auf Athenaios zu (vgl. W. SPOERRI, Athenaios von Naukratis; in: Lexikon der Alten Welt, München 1965/1995, 382); vgl. SCALIGERs Bemerkung über Apuleius in der Vorrede seiner Ausgabe des Jahres 1600: _Lector candide, Apuleium tibi damus ... non enim equum damus, sed Asinum: aureum tamen> (vgl. JACOB BERNAYS, Joseph Justus Scaliger, Berlin 1855, Ndr. New York 1965, 289). Laut NORDEN (Die Römische Literatur, 83) hat David Ruhnken (1723-1798) die Bezeichnung pecora auf Literaten vom Schlage eines Gellius übertragen. In Umlauf gebracht wurde das jetzt nur noch auf Gellius gemünzte Diktum vermutlich durch das Nachwort der ad usum Delphini angefertigten deutschen Auswahlübersetzung von BERTHOLD, Aulus Gellius: _Attische Nächte>. Aus einem Lesebuch der Zeit des Kaisers Marc Aurel, 279-280, in der NORDENs (nicht genauer verortete) Bemerkung im Rahmen seiner Literaturgeschichte (vgl. oben S. 5 Anm. 9) verallgemeinert ist zu der Formulierung: `Zeiten, die Gellius hoch schätzten und fleißig benutzten, nannten ihn ein _Schaf mit goldenem Fell>. Die Zeit der Renaissance und des Humanismus mit ihrem Faktenhunger nach aller Kunde aus römischer und griechischer Vergangenheit bezeugt mit dieser Bezeichnung Dankbarkeit und Kritik zugleich.A Dieses nicht genauer belegte wirkungsgeschichtliche Resümee ist offenbar sogleich aufgegriffen worden von V. ALBRECHT, 2, 1178 und von dort schließlich bei PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 147 sogar in den Titel gelangt `Gellius in der Forschung: Vom _Schaf mit goldenem Fell> zum BildungsschriftstellerA. B Eine durch dasselbe metallische Epitheton bekundete Wertschätzung des Gellius findet sich tatsächlich in der vom Ende des 17. Jh.s stammenden literaturgeschichtlichen Darstellung des JOHANN HEINRICH BOECKLER (Secula IV a Christo nato priora, Sedini 1699, p. 159), zitiert nach J N. FUNCK, De Vegeta Latinae Linguae Senectute Commentarius: Quo decrescens eius linguae dignitas atque fata, Marburg(i Chattorum) 1744, 324: `Auli Gellii liber est aureus, ornatus erudito et ingeniose excogitato titulo noctium Atticarum, quia in eo de varia eruditione tractat. Neque quisquam negaverit aureum esse scriptum, cuius auctoritate perpetuo nituntur restauratores antiquitatis.A 12 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius, XIII. Den Anfang macht mit seiner hohen Wertschätzung 1948 ANDRIEU, Procédés de citation et de raccord, 284. 289: „AuluGelle, cet esprit si moderne, ... au cours de l= ouvrage, comme dans une publication moderne.A Daß im französischen Sprachraum das Urteil über Gellius auch vorher nicht so negativ war, wie im deutschen oder angelsächsischen, dokumentiert die Berufung auf die Introduction der Gellius-Ausgabe von M. MIGNON (Aulu Gelle. Les Nuits Attiques, Traduction nouvelle avec introduction et notes, Paris 1938) bei KUKLICA,

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Rahmen seiner eingehenden Untersuchung über den sogenannten Archaismus in der lateinischen Literatur des 2. Jh.s hatte dann dreißig Jahre später RENÉ MARACHE13 mit einer sorgfältigen Analyse insbesondere des linguistischen Konzeptes und der damit verbundenen bildungsideologischen Implikationen in den _Noctes Atticae> der anhaltenden Diskriminierung des Gellius14 wie der seines Lehrers Fronto entgegenzuwirken ver_____________ Literarisch-ästhetische Bemerkungen des Aulus Gellius, 33 `Zu einer anderen Meinung über Gellius gelangte M. MIGNON ..., der schrieb _Aulus Gellius war ein beachtenswerter Schriftsteller, wenngleich kein Denker oder selbständiger Wissenschaftler>. Man könne von ihm nicht behaupten, sagt MIGNON in der Einleitung zu seiner Gelliusausgabe, dass er vom Leben abgetrennt wäre, da er in seiner Zeit beliebt war: die Leser kehrten mit ihm in eine literarisch fruchtbarere Vergangenheit zurück, wodurch literarische Kontinuität in einem an bedeutsammere literarische [sic!] Erscheinungen so armen Jahrhundert aufrechterhalten wurde. MIGNON erblickt in Gellius einen unumstritten wertvollen Autor schon aus dem Grunde, dass er Fragmente literarischer Werke, die nicht erhalten geblieben sind, hinterliess, und auch seine kurzen Aussagen über die Verfasser die Ansichten über die Tradition der römischen Literaturkritik bereichern. Die Aussagen MIGNONS über die literarische Tätigkeit des Gellius sind zu billigen, wenn man gerade jene Bedeutung seiner Sammlung Noctes Atticae ins Auge fasst, dass sie auf eine große Anzahl von Details aus literarischen Werken aufmerksam macht, die allgemeinere Erkenntnisse ergänzen können, und dass sie schliesslich auch Bewertungen literarischer Werke in griechisch-römischen Genreparallelen enthält. In der akademischen Geschichte der römischen Literatur mit kritischen Anmerkungen ist A. Gellius an vielen Stellen der einzige Autor, aus dessen Bemerkungen man beachtenswerte Angaben über Leben und Werk der Schöpfer der römischen und griechischen Literatur erfährt.A Nicht so sehr aus der Sicht des Literaturwissenschaftlers, sondern aus der des Lesers urteilt B. KYTZLER, Die nachklassische Prosa Roms, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft: Römische Literatur [= NHL 3], hrsg. v. M. FUHRMANN, Frankfurt a. M. 1974, 313-314: `So ist diese Sammlung sekundären Sichtens und Speicherns für den heutigen Benutzer meist Mittel zum Zweck, ist ein Thesaurus früherer Formulierungen und Gedanken, nicht Gabe der großen Gelehrsamkeit des Gellius. Doch ist sein eigener, leicht archaisierender Prosastil nicht unangenehm zu lesen, und seine Vorliebe für Gestaltung kleiner Szenen ... spricht ebenso an wie seine dankbare Zuneigung zu seinen Lehrern, insbesondere zu Favorin von Arelate.A 13 MARACHE, La critique littéraire de langue latine et le développement du gout archaïsant au II de notre ère, Rennes 1952. 14 Reflexe davon finden sich z.B. bei FONTAINE, Isidore de Séville, 519-520: `L= étiolement de la curiosité scientifique se marque dès lors dans les oeuvres de Suétone et d= Aulu-Gelle. Homme de cabinet l=un et l=autre, et grammairiens passionnés, ils aggravent encore le caractère étroitement livresque de l=encyclopédisme hellénistique ... Plus réduit encore apparaît l=horizon des curiosités d= un Aulu-Gelle. La science s= amenuise chez lui en érudition. La visée du savant cède la place à celle de l’antiquaire et du pur grammairien; ce plaisir d=accumuler les connaissances rares, voire d=en faire parade et d= en jouer entre beaux esprits, n= a plus qu= un rapport lointain avec une authentique curiosité scientifique. Les Nuits attiques sont propos de table élégants et souvent pédantesques, parfois dignes de quelque Intermédiaire des chercheurs et des curieux romains. Cette réduction croissante à l=optique du plus étroit des savoirs littéraires, la

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1. Einleitung

sucht. Die _Noctes Atticae> in ihrer thematischen Vielseitigkeit zu beschreiben hat HEINZ BERTHOLD15 in einer Dissertation unternommen, der allerdings wegen der schweren Zugänglichkeit der nur maschinenschriftlich publizierten Arbeit und wegen ihrer unübersichtlichen Struktur nur eingeschränkte Beachtung gefunden hat. Demgegenüber bleibt BARRY BALDWIN16 in seinem erneuten Versuch der Annäherung an Gellius und sein Werk eher oberflächlich und undifferenziert, so daß er in seinem Fazit die _Noctes Atticae> auch dem alten Stereotyp folgend mit abfälligem Unterton als `for good or ill, worthy of their author’s ageA taxiert.17 Einen Meilenstein, an der sich jede nachfolgende Gellius-Arbeit zu orientieren hat, hat der ausgewiesene Experte LEOFRANC HOLFORDSTREVENS18 1988 in der latinistischen Forschungslandschaft errichtet. Die systematisch angelegte, formale, strukturelle, sprachliche und inhaltliche Aspekte umfassende gründliche Monographie verbindet die biographischhistorische Untersuchung mit einer literatur- und kulturhistorischen Ver_____________

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grammaire, est corrélative d=un affaiblissement des sciences exactes, en Occident tout particulièrement.A Davon beeinflußt ist ferner G. SCHOECK, [Einleitung zum Abschnitt] Griechisch-römisches Altertum; in: Anekdoten der Weltliteratur. Eine Auswahl aus drei Jahrtausenden, mit einem Nachwort von F. HINDERMANN, Zürich 1980, 8-9: `Eine ihrem Wesen nach verwandte, diesmal aber völlig unsystematische Vermittlung von _allgemeiner Bildung> findet in der sogenannten Buntschriftstellerei statt. Die erhaltenen spätantiken Werke dieser Richtung, in erster Linie Gellius (2. Jahrhundert n. Chr.) ... sind im Grunde niederschmetternde Dokumente einer sich selbst historisch gewordenen Kultur, der offenbar jeder Sinn für ein lebendig gewachsenes Ganzes abhanden gekommen ist.A H. BERTHOLD, Aulus Gellius. Aufgliederung und Auswahl seiner Themen, Diss. Leipzig 1959. Seine Beschäftigung mit Gellius hat BERTHOLD in späteren Publikationen fortgesetzt: ders., Aulus Gellius; in: Wissenschaftliche Zeitschrift Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, 29 (1980) Heft 3, 45-50; ders., Interpretationsprobleme im Miszellanwerk des Aulus Gellius; in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock, Gesellschaftswissenschaftliche Reihe 34,1 (1985) 12-15; Aulus Gellius, Attische Nächte. Aus einem Lesebuch der Zeit des Kaisers Marc Aurel, hrsg. u. aus dem Lat. übertragen v. H. BERTHOLD, mit Erläuterungen und einem Nachwort, Frankfurt a. M. 1988; ders., Synkrisis Rom - Griechenland im zweiten Jahrhundert n. Chr. am Beispiel des Aulus Gellius; in: Griechenland und Rom. Vergleichende Untersuchungen zu Entwicklungstendenzen und -höhepunkten der antiken Geschichte, Kunst und Literatur, hrsg. v. E. G. SCHMIDT, Tbilissi / Erlangen / Jena 1996, 503-512. SALLMANN, Aulus Gellius: Belesenheit als Weg nach oben, 501 nennt BERTHOLD einen `der wenigen heutigen Literaturwissenschaftler, die sich mit Gellius befassenA. B. BALDWIN, Studies in Aulus Gellius, Lawrence (Kansas) 1975. BALDWIN, Studies, 101. L. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius, London 1988. Schon seit seiner im Jahre 1971 verfaßten, aber unveröffentlichten Doktorarbeit (Select Commentary on Aulus Gellius Book 2, unpubl. Ph. D. Thesis, Oxford 1971) beschäftigt er sich in zahlreichen Publikationen immer wieder mit Gellius.

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ortung des Werks in der intellektuellen Situation des 2. Jh.s. und gelangt zu einem ausgewogenen Urteil über die _Noctes Atticae>, deren Autor wegen seiner ungeheuren Gelehrsamkeit vom nicht minder gelehrten Verfasser19 eine gewisse Hochschätzung und sogar Sympathie entgegengebracht wird.20 Erst kürzlich ist diese vielbeachtete Schrift, die in ihrer Fokussierung auf Autor und Werk ohne einen theoretischen Überbau auskommt, in einer überarbeiteten zweiten Auflage erschienen, in der HOLFORD-STREVENS zum Teil Korrekturen, zum Teil Aktualisierungen, Vertiefungen und Ergänzungen vorgenommen hat.21 Die gleichzeitig mit HOLFORD-STREVENS= erster Monographie erschienene Arbeit von STEPHEN MICHAEL BEALL22 und die einige Jahre danach publizierte Studie von MARIA LAURA ASTARITA23 konzentrieren sich auf die Beschreibung _____________ 19 So wird HOLFORD-STREVENS der Titel Gellius Redivivus von H.D. JOCELYN verliehen in dessen Rezension des Gellius-Buches: vgl. CR 40 (1990) 43-46. 20 Schon das vorangestellte lateinische Widmungsgedicht zeugt von dieser Kongenialitat und Verbundenheit. Auch K. SALLMANNs Urteil über Gellius läßt persönliches Wohlgefallen erkennen, wenn er von `einem noch heute vergnüglich zu lesenden WerkA (Aulus Gellius: Belesenheit als Weg nach oben, 497) spricht und am Schluß seines literarischen Porträts (Aulus Gellius: Belesenheit als Weg nach oben, 507 ) Gellius den Vorzug gibt vor Plinius in der Gegenüberstellung der Leseerfahrungen: `wo die _Naturkunde> selbst im Inhaltsverzeichnis den Leser erdrückt, lächelt uns Gellius in freundlicher Übersichtlichkeit einladend an.A 21 L. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius. An Antonine Scholar and his Achievement, rev. edition, Oxford 2003: Außer der übersichtlicheren Strukturierung durch Untertitel und außer der Aktualisierung der Verweise in den Fußnoten sind insbesondere der Exkurs über das Verhältnis (im Sinne einer wechselseitigen Beeinflussung) von Gellius und Apuleius (22-26), das ausführliche Kapitel über Favorinus (98-130) überarbeitet und Ausführungen zu thematischen Einzelaspekten (_sexual relations>, _women>, _Hadrian>, _punishment>, _embassies>, 306-316) und eine Appendix über _Archaism und Atticism> (354-363) hinzugefügt worden. Auch die Appendix über _The Transmission and Publication of the Attic Nights> (333-353), in der die Geschichte der GelliusRezeption detailliert sichtbar wird, ist vervollständigt und um wertvolle Informationen bereichert worden. In ihrer Rezension der Neuauflage kommt K. OIKONOMOPOULOU [BMCR 2005.01.29, URL: (27.08.2005)] zu dem zutreffenden Urteil (S.4): `All in all, the revised book is still the most sophisticated and thorough study of Gellius and his miscellany that one can have access to nowadays. As a presentation, it gives priority to Gellius’ voice over secondary interpretations, and it is thus rich in citations, examples, and summaries of chapters from the _Noctes Atticae>... As a work of both historical and literary scope, it also seeks to re-construct the contexts of the ideas, scholarly interests, and literary preferences of the _Noctes Atticae> ... Thus the reader gains valuable insights into the wider cultural and intellectual scenery while remaining focused on Gellius.A 22 S. M. BEALL, Civilis eruditio: Style and content in the _Attic Nights> of Aulus Gellius, Diss. Berkeley 1988. 23 M. L. ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, Catania 1993 [= Saggi e testi classici, cristiani e medievali 6].

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1. Einleitung

der Ausprägungen der ciuilis eruditio bzw. cultura in den _Noctes Atticae>. Die kulturhistorische Perspektive ist ergiebig nicht nur im Hinblick auf Autor und Werk und deren kulturellen Hintergrund,24 sondern lenkt den Blick auch auf die reiche Rezeption des gellianischen Werkes: `The Attic Nights were a remarkably suggestive work, as an invitation to read, to ask questions, to enjoy the richness of detail in Classical culture and to give expression to this enjoyment. Gellius’ combination of urbanity and curiosity naturally attracted the most intellegible minds of later times.A25 Daß Gellius aber über seine Nachwirkung in Spätantike, Mittelalter und Renaissance hinaus bis heute ein beachtenswerter Autor ist für alle kulturund literaturwissenschaftlich interessierten Altertumsforscher, wird auch von Verfassern römischer Literaturgeschichten, in denen Gellius nunmehr einiger Raum gewidmet wird, ohne Vorbehalt konstatiert.26 Das Erscheinen des ersten Sammelbandes, in dem zwölf längere und kürzere auf einer 2003 in Oxford veranstalteten Tagung referierte Beiträge zu verschiedenen _____________ 24 So nehmen die kultur- bzw. sozialgeschichtlichen Darstellungen seit eh und je auf Gellius reichlich Bezug, z.B.: L. FRIEDLAENDER, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis zum Ausgang der Antonine, 10. Aufl. bes. v. G. WISSOWA, Bd.1-3, Leipzig 1922-23, Bd.4 (Anhänge) [= 9. Aufl.], Leipzig 1921; E. FANTHAM, Roman Literary Culture. From Cicero to Apuleius, Baltimore (The Johns Hopkins Univ. Press) 1996 [= dt. Übers.: Literarisches Leben im antiken Rom. Sozialgeschichte der römischen Literatur von Cicero bis Apuleius, aus dem Engl. v. Theodor Heinze, Stuttgart 1998]; K. W. WEEBER, Alltag im Alten Rom. Das Leben in der Stadt. Ein Lexikon, 3., verb. Aufl., Düsseldorf 2006. 25 Vgl. BEALL, Civilis eruditio, 237. BEALL (Aulus Gellius 17,8, 55 Anm. 1) sieht inzwischen sogar die Schar von `modern admirers of the Attic NightsA rund um die Welt verteilt und verweist namentlich auf L.A. HOLFORD-STREVENS (England), A. VARDI (Israel), R. MARACHE (Frankreich), H. BERTHOLD (Deutschland), M.L. ASTARITA und F. CAVAZZA (Italien) sowie I. FISCHER (Romania) und die russischen Forscher R. VIPPER und K. NOVICKAJA. 26 Vgl. CONTE, Letteratura latina, 437: ` ... la sua prosa piacerà a S. Agostino, e la sua opera ricca di dettagli e di piccole scoperte d’antiquariato avrà notevole fortuna nel Medioevo. Gellio è tutt’ ora una voce degna di nota per chi studia la sensibilità dei Romani verso i problemi e le techniche della letteratura.A Gellius rehabilitieren auch K. SALLMANN / P. L. SCHMIDT, HLL 4 (1997) ' 408, S. 68-77, hier 73: `Der naive Erzähleifer in Verbindung mit der Reproduktion alter Texte in pedantischer Besserwisserei, die (seltenen) handfesten Irrtümer und vor allem der Vorwurf, keine eigenen literarischen Maßstäbe zu entwickeln und deshalb in die Primitivität der vorklassischen Autoren zu flüchten, haben Gellius und sein Werk lange in den Rang zweitund drittklassiger Trivialliteratur verwiesen. Seit der modernen, historisch präziseren Würdigung des Archaismus sowie des (keineswegs restaurativen) Frontonianismus läßt sich indes sein Bemühen um eine literarisch-philosophische Kultur besser in den Rahmen einer ganz auf Wort- und Geschmacksschulung, gegründeten Bildungswelt einordnen. Dem stilistisch sensibleren Fronto hat Gellius die Vielseitigkeit der Disziplinen, also das breitere Bildungsprogramm voraus.A Anerkennend auch FANTHAM, Literarisches Leben, 234-239.

1.1. Stand der Gelliusforschung

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Gebieten und Aspekten des Werks und seines Umfeldes unter dem Titel _The Worlds of Aulus Gellius> vereinigt sind, darf man vielleicht tatsächlich als Ausdruck und Signal einer `Gellius-RenaissanceA27 interpretieren. Während in dem Sammelband, dessen Vielseitigkeit in Thematik und Methodik sich schon in dem Plural des Titels programmatisch ankündigt,28 die derzeit relevanten Fragestellungen der einschlägigen Forschung gebündelt werden und so eine Ergänzung zu der von HOLFORDSTREVENS gelieferten Gesamtdeutung der _Noctes Atticae> bieten,29 schlägt DENNIS PAUSCH einen anderen Weg ein. Mit seiner 2005 publizierten vergleichenden Untersuchung zu den Personendarstellungen bei Gellius, Plinius dem Jüngeren und Sueton nimmt er einen `partikularen ZugriffA30 auf die _Noctes Atticae>, um die ausgewählten Kapitel in den Kontext mit anderen zeitgenössischen literarischen Werken des 2. Jh.s und dem darin zutage tretenden signifikanten Grundzug der Bildungskultur, der Blüte der biographischen Literatur, zu stellen. Einen B freilich andersgearteten B Teil der _Noctes Atticae> behandelt auch JENS-OLAF LINDERMANN, der 2006 einen ausführlichen Kommentar zum neunten Buch vorgelegt und ihm eine Einleitung über die historische und literaturgeschichtliche Einordnung des Autors und seines Werkes vorangestellt hat. Die beiden jüngst (2009) erschienenen Monographien nehmen nun wieder das Ganze in den Blick und heben gegen die früher vorherrschende Deutungstendenz auf die Modernität und Originalität der gellianischen Darstellung ab: während ERIK GUNDERSON mit seiner `FortschreibungA der _Noctes Atticae> in der Rolle eines fiktiven anonymen Gelliuslesers diese geradezu zu einem (post-)modernen Werk stilisiert, stellt WYTSE KEULEN mit seiner Konzentration auf Ironie und satirische Elemente in den gellianischen Personenporträts die subtil-subversive Darstellungstech_____________ 27 Mit diesem vielsagenden Begriff charakterisiert jedenfalls PAUSCH in seiner Rezension des Gellius-Sammelbandes die Entwicklung der Gellius-Forschung in den letzten Jahrzehnten: vgl. sehepunkte 5 (2005) Nr. 5[15.05.2005], URL: (12.08.2005), hier S.1 Etwas zurückhaltender spricht er in seiner Monographie davon, daß die _Noctes Atticae> als _belehrende Unterhaltung> bzw. _unterhaltende Belehrung> `wiederentdeckt wurdenA und in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s ein `Neuanfang in der wissenschaftlichen BeschäftigungA mit ihnen einsetzte: vgl. PAUSCH., Biographie und Bildungskultur, 148-149. 28 Vgl. HOLFORD-STREVENS / VARDI, The Worlds of Aulus Gellius, (‚Preface‘) V. 29 Jedenfalls kündigt HOLFORD-STREVENS in der Zweitauflage seiner Monographie den von ihm zusammen mit AMIEL VARDI herausgegebenen Sammelband in diesem Sinne an: vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, (_Preface to the Revised Edition>) X. 30 Für diesen Interpretationsansatz beruft sich PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 149-150 auf das von BEALL formulierte Forschungsdesiderat nach einer Phase, in der zumeist Gesamtinterpretationen der _Noctes Atticae> vorgelegt worden sind, nun die Einzelkapitel einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen.

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1. Einleitung

nik des Autors und die zeitgeschichtlich brisanten Implikationen seines kulturellen Programms heraus und korrigiert damit die lange übliche Abqualifizierung des Gellius als eines langweilig-trockenen Bücherwurms und Stubengelehrten.31 Das neu bzw. wieder erwachte Interesse an dem Werk des Gellius schlägt sich auch nieder in einer Reihe von Textausgaben, die in letzter Zeit veröffentlicht worden sind.32 Der noch immer grundlegenden zweibändigen in der Bibliotheca Oxoniensis erschienenen Ausgabe von _____________ 31 Zwar ist der Sinn für Humor und Ironie in der Personendarstellung der _Noctes Atticae> unleugbar vorhanden (vgl. auch S. 393-395 m. Anm 238-239 ), aber KEULEN schießt weit über das Ziel hinaus, wenn er das Werk zur politischen Satire (271. 310 u.ö.) und Gellius gar zu einem `satiristA (Titel, 64 u.ö.) und `political writerA (318 vgl. 11-12) erklärt. Da Ironie in literarischen Werken sich generell nicht eindeutig nachweisen läßt, ist KEULENs Deutung der _Noctes Atticae>, in denen ihm fast alles einschließlich der `via innuendoA (314) vorgenommenen Selbstinszenierung des Autors unter Ironieverdacht gerät, in großen Teilen nicht nachvollziehbar: vgl. L. HOLFORDSTREVENS, Rez.: WYTSE KEULEN, Gellius the Satirist. Roman Cultural Authority in Attic Nights, Mnemosyne Suppl. 297, Leiden/ Boston 2009; in: BMCR 2009.5.13, URL: (10.03.2010), 1-10, hier 5: `The fact is that KEULEN sees irony almost everywhere except where I do ...A. Allgemein zur Problematik der Dechiffrierung von Ironiesignalen und zur Gefahr, die ironische Interpretation zu überziehen, R. F. GLEI, Einleitung; in: ders. (Hrsg.), Ironie. Griechische und lateinische Fallstudien, Trier 2009 [= Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium; Bd. 80], 9-13, hier10-11: `Der Ironiker steht vor dem Problem, dass er einerseits den intendierten Sinn einer Aussage sprachlich ins Gegenteil verkehren, andererseits durch bestimmte Ironiesignale den Rezipienten zur ReEtablierung des eigentlich Gemeinten veranlassen muss. Die Ironie muss sich also immer selbst aufheben, um wirksam zu sein B andernfalls tritt ein grobes und möglicherweise fatales Missverständnis des Textes ein. ... Hier liegt natürlich eine große Gefahr der Überinterpretation: Der sensible und auf das Erspüren von Ironiesignalen konditionierte Literaturwissenschaftler kann auch dort Ironie _wittern>, wo gar keine intendiert war.A Vor dem ironischen Interpretationsansatz warnt auch K. GALINSKY, Rez.: CHRISTINE PERKELL, The Poet=s Truth: A Study in Virgil=s Georgics, Berkeley / Los Angeles 1989; in: CW 84/6 (1991) 478: `The time has passed, even in classics, when the assiduous discovery of _ambiguity> and _irony> was tantamount to superior insight and sophistication; these terms should be the scholar=s last resort, not the first.A Vgl. auch M. VON ALBRECHT, Vergil. Eine Einführung: Bucolica B Georgica B Aeneis, Heidelberg 2006, 198: `Altbekannt ist _Ironie> als beliebtes Allheilmittel verzweifelter Interpreten B der Begriff sollte selten und mit Distinktion angewandt werden.A B Auch GUNDERSONs Interpretation der _Noctes Atticae> ist mit dem bewußten Verzicht auf jede historische Kontextualisierung nicht unproblematisch: vgl. HEUSCH, Rez.: ERIK GUNDERSON, Nox Philologiae. Aulus Gellius and the Fantasy of the Roman Library, University of Wisconsin Press (Madison, Wisconsin) 2009; in: BMCR 2009.11.30, URL: (10.03.2010), 1-8, hier 5. 32 Die Texteditionen sind in chronologischer Reihenfolge im Literaturverzeichnis aufgeführt.

1.2. Methoden und Ziele der Untersuchung

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P[ETER] K. MARSHALL aus dem Jahr 1968 (Neuauflage 1990, Ndr. 1991) schlossen sich die in mehr als dreißig Jahren (1967-1998) von RENÉ MARACHE edierten und übersetzten vier Bände der Budé-Collection an. Aus Italien, wo sich die Forschung in letzter Zeit besonders intensiv mit Gellius beschäftigt,33 kommen gleich zwei Editionen: die seit 1985 in Fortsetzung erscheinende und bisher in acht Bänden vorliegende Ausgabe, worin der Gellius-Spezialist FRANCO CAVAZZA bisher die Bücher 1-13 der _Noctes Atticae> mit einem gründlichen textkritischen Apparat versehen, übersetzt und mit einem ausführlichen Kommentar ausgestattet hat, und die von GIORGIO BERNARDI-PERINI zuerst 1992 veröffentlichte (zuletzt 2007 noch einmal aufgelegte), durch Illustrationen angereicherte zweibändige Ausgabe von Text und (recht freier) italienischer Übersetzung.

1.2. Methoden und Ziele der Untersuchung Wenn in der vorliegenden Untersuchung der Blick noch einmal auf den literatur- und kulturgeschichtlichen Ort von Gellius’ _Noctes Atticae> gerichtet wird, dann soll sich dabei ein differenziertes Bild ergeben von den Zusammenhängen mit dem kulturellen und literarischen Kontext ihrer Entstehungszeit und von den in ihnen zu Tage tretenden Kontinuitäten und Brüchen mit den Traditionen der römischen Kultur und der lateinischen Literatur. Dabei wird Kultur in dem Sinne einer Historischen Kulturwissenschaft verstanden als die Gesamtheit der kollektiven Sinnkonstruktionen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werte und Bedeutungen in allen Lebensbereichen, in Kunst, Literatur und Religion, in Wissenschaft, Wirtschaft und Technik, in Recht und Politik wie in allen öffentlichen und privaten Lebensformen. Um diese im Laufe der Geschichte jeweils neu angeeigneten, affirmierten, negierten, variierten oder transformierten Hervorbringungen, die als Erscheinungsformen der `kollektiven ErinnerungA gedeutet werden, geht es der interdisziplinär arbeitenden Forschungsrichtung, die sich in den letzten Jahren in Anknüpfung an die wiederentdeckten Arbeiten des Kunst- und Kulturhistorikers ABY WARBURG34 und seines Londoner Instituts auf verschiedenen Gebieten _____________ 33 Die besondere Aktualität des Gellius in Italien bekundet auch die durch Anmerkungen erläuterte 1992 erschienene und mehrfach nachgedruckte Neuauflage der 1968 zuerst publizierten, nun auch von (MARSHALLs) Text begleiteten (wenig gelungenen) Übersetzung von LUIGI RUSCA. 34 Prominentestes Produkt ist der kürzlich erschienene `Bilderatlas MnemosyneA, dessen Publikation WARBURG zwar noch kurz vor seinem Tod angekündigt hat, aber nicht mehr erlebte und der nun mehr als siebzig Jahre danach als sein Vermächtnis veröf-

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1. Einleitung

der Geschichts- und Kulturwissenschaft35 profiliert hat. Die etwa 1990 einsetzende regelrechte `Memoria-KonjunkturA in Deutschland, das laut PIERRE NORA in ein `Zeitalter des GedenkensA36 eingetreten ist und sich darin beinahe bis zum Exzess ergeht, hat Unmengen von Publikationen produziert37 und einige Forschungsunternehmen ins Leben gerufen.38 Das über die Fachkreise hinaus bekannteste und umfangreichste Projekt ist die Topologie des kulturellen Gedächtnisses der Deutschen, die in Nachahmung der von NORA edierten _Lieux de mémoire> unter der Ägide der Historiker ETIENNE FRANCOIS und HAGEN SCHULZE entsprechend als _____________

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fentlicht wurde: A. WARBURG, Der Bilderatlas Mnemosyne, hrsg. v. M. WARNKE unter Mitarbeit von C. BRINK [= A. WARBURG, Gesammelte Schriften. Studienausgabe, hrsg. v. H. BREDEKAMP u.a., Zweite Abteilung, Bd. II.1], Berlin 2000; vgl. dazu auch M. DIERS, Mnemosyne oder das Gedächtnis der Bilder. Über Aby Warburg; in: OEXLE, Memoria als Kultur, 79-94. Trotz der mangelnden Eindeutigkeit des Sammelbegriffs Kulturwissenschaft wird ein Konsens in dem grundlegendem Kulturverständnis festgestellt; so von ANSGAR NÜNNING, Kulturwissenschaft; in: NÜNNING (Hrsg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, 353-356, bes. 355. Vgl. P. NORA, L’ ère de la commémoration, in: P. NORA (Hrsg), Les lieux de mémoire, Bd.III/3, Paris 1992, 997-1012. Vgl. A. HAVERKAMP / R. LACHMANN, Vorwort 1992: Übersicht und Rückblick; in: Memoria. Vergessen und Erinnern, hrsg.v. A. HAVERKAMP / R. LACHMANN, unter Mitwirkung v. R. HERZOG, München 1993 [= Poetik und Hermeneutik 15], XXIX / XXX dort sind die einschlägigen Arbeiten des Heidelberger Arbeitskreises um ALEIDA und JAN ASSMANN, DIETRICH HARTH u.a. erwähnt; W. HAUBRICHS, Einleitung; in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik LiLi 27 H. 105 (1997) 3-5, hier 3-4; vgl. ferner in chronologischer Reihenfolge die Werke: O.G. OEXLE (Hrsg.), Memoria als Kultur, Göttingen 1995; H. WEINRICH, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens, München 1997; A. ASSMANN, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999; M. THEUNISSEN, Reichweite und Grenzen der Erinnerung, Mit einer Parallelübersetzung ins Engl. von B. ALLEN, hrsg. v. E. HERMS, Tübingen 2001; H. WELZER (Hrsg.), Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001 [= Internationale Konferenz: Traditions/Transitions. Communicating History and Presenting the Past ]; G. BUTZER / M. GÜNTER (Hrsg.), Kulturelles Vergessen: Medien - Rituale, Orte, Göttingen 2004; G. OESTERLE, Erinnerung, Gedächtnis, Wissen, Göttingen 2005; H. WELZER, Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München 2005. Dies hängt eng zusammen mit der `RenaissanceA der Kulturwissenschaften, die ja in zahlreichen Institutsgründungen ihren sichtbaren Niederschlag gefunden hat: Hervorgegangen sind daraus z.B. das _Kulturwissenschaftliche Institut> des Wissenschaftszentrums Nordrhein-Westfalen in Essen, das _Zentrum zur Erforschung der frühen Neuzeit - Renaissance-Institut> an der Universität Frankfurt a.M., das _Leipziger Institut für Kulturwissenschaften>: vgl. MICHAEL DIERS, Mnemosyne oder das Gedächtnis der Bilder. Über Aby Warburg; in: OEXLE (Hrsg.), Memoria als Kultur, 79-94, hier 79-80 m. Anm. 1.

1.2. Methoden und Ziele der Untersuchung

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_Deutsche Erinnerungsorte> zusammengestellt worden ist.39 An einer `Rekonstruktion der Geschichte des ErinnernsA40 hat der 1997 an der JustusLiebig-Universität Gießen eingerichtete und bis 2008 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Sonderforschungsbereich (SFB 434) _Erinnerungskulturen> gearbeitet. Darin ging es, wie der Plural signalisiert, um die Dynamik und Diversität des in diachroner Sicht untersuchten Erinnerungsgeschehens, um die in einer differenzierten Gesellschaft durch verschiedene Faktoren und Interessen gesteuerten unterschiedlichen Erinnerungsprozesse, um die vielgestaltigen Ausformungen spezieller, miteinander durchaus konkurrierender Erinnerungskulturen. Im Rahmen dieses Sonderforschungsbereichs haben sich die Altertumswissenschaften zunächst mit dem Bereich (A) _Erinnerung und kulturelle Integration im Imperium Romanum während der ersten Phase des 2. Jahrhunderts= und die Latinistik speziell mit dem Teilprojekt _Die lateinische Literatur des 2. Jahrhunderts n. Chr. im Spannungsfeld unterschiedlicher Erinnerungskulturen> befaßt. Eine Anregung des Initiators und anfänglichen Leiters des Teilprojektes, Jochem Küppers, aufnehmend, jedoch ohne Einbindung in den Gießener DFG-Sonderforschungsbereich und ohne Übernahme seiner zum Teil hypertrophen Terminologie, richtet die vorliegende Untersuchung ihr Erkenntnisinteresse auf die Funktionen der memoria im Werk des Gellius, das im Schnittpunkt verschiedener Erinnerungskulturen steht und damit paradigmatisch ist für die vom kulturellen Zusammenwachsen des griechischsprachigen Ostens und des lateinischsprachigen Westens im Imperium Romanum geprägte Antoninenepoche des 2. Jahrhunderts. In den _Noctes Atticae> verbinden sich B wie der Titel bereits ankündigt B griechische und römische Kultur, es treffen sich in ihrer bilingualen Gestaltung lateinische und griechische Sprache, es kreuzen sich in ihrer formalen Disparität verschiedene literarische Traditionen, so daß Gellius’ Werk, das die diversen Gestalten, Prozesse und Interessen der kulturellen Erinnerung geradezu bündelt, prädestiniert scheint für die oben beschriebene kulturwissenschaftliche Fragestellung.41 Zugleich verspricht es auch mit _____________ 39 E. FRANCOIS / H. SCHULZE (Hrsg.)_ Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 1-3, München 2001. 40 Laut Antrag auf Einrichtung eines Sonderforschungsbereichs `ErinnerungskulturenA, Gießen 1996, S.17. Das Konzept und die verschiedenen Projekte des Sonderforschungsbereichs beschreibt ERLL, Kollektives Gedächtnis, 34-39. 41 Eine `Art Synthese der Kultur ihrer ZeitA erkennt in den _Noctes Atticae> MICHEL, Rhétorique et philosophie, 39: `Les _Nuits Attiques> d=Aulu-Gelle ... constituent en effet, sous la forme d=une série d=esquisses élégantes et concises, d=où le pédantisme et la lourdeur sont volontairement exclus, une sorte de synthèse de la culture de leur temps. ... D=autre part, Aulu-Gelle est un témoin privilégié. Ce Romain écrit en latin des _Nuits Attiques> et ce titre marque assez combien profondément il est imprégné d=hellénisme.A

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1. Einleitung

seiner `offenen FormA42 Aufschluß zu geben über den Paradigmenwechsel, der innerhalb der lateinischen Literatur gegenüber dem am augusteischen Klassizismus orientierten ersten Jahrhundert stattgefunden hat. Die vorliegende Arbeit wird versuchen nach Ursachen hierfür zu forschen und Zusammenhänge zwischen der lateinischen Literatur der Antoninenepoche und der griechischen Literatur der sogenannten Zweiten Sophistik herzustellen. Demgegenüber werden echtheitskritische Fragen, welche die Gelliusforschung früherer Zeit dominiert haben, zurücktreten, da es Ziel einer im oben beschriebenen Sinne kulturwissenschaftlich ausgerichteten Untersuchung nicht ist, `die mögliche Wahrheit von Überlieferungen herauszufinden, sondern diese selbst als Phänomene des kulturellen Gedächtnisses zu studieren.A43 Daraus daß sich das Werk des Gellius für eine derartige kulturwissenschaftliche Untersuchung als geeignetes und Erkenntnisgewinn verheißendes Objekt geradezu anbietet, ergibt sich das Desiderat, seine _Noctes Atticae> als ein Dokument der kulturellen Erinnerung des 2. Jh.s n. Chr. in den Blick zu nehmen. Die erinnerungs- und gedächtnisgeschichtliche Forschung konzentriert sich zwar insbesondere auf Mittelalter und (frühe) Neuzeit, aber die Arbeiten von JAN ASSMANN und Tonio Hölscher haben diesen Zugang auch zu Literatur und Kunst der frühen Hochkulturen Ägyptens und Griechenlands eröffnet, nachdem im Bereich der Antike zunächst vornehmlich die Mnemotechnik Beachtung durch die Historische Kulturwissenschaft gefunden hat.44 Inzwischen hat sich der kulturhistorische Ansatz durchaus auch in der Erforschung der römischen Antike etabliert.45 Weitgehend vernachlässigt geblieben ist jedoch bisher die Fra_____________ 42 Zu dem Terminus vgl. C. SURKAMP, Offene vs. geschlossene Form; in: Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, 482-483. 43 Vgl. J. ASSMANN, Moses der Ägypter, 27. 44 Vgl. OESTERLE, Kulturelle Erinnerung, 150. Daß die bis dahin auffallende Zurückhaltung der Altertumswissenschaftler in Widerspruch stand zu den reichen Ergebnissen, die gerade sie in dieser Debatte über Wesen und Funktionieren, über Entstehung, Vermittlung und Veränderung von Kultur beisteuern können, hat bereits der Ägyptologe J. ASSMANN als Aufforderung verstanden (Das kulturelle Gedächtnis, 19), mit seinen Studien zum kulturellen Gedächtnis hier einen Anfang zu setzen. Inzwischen gibt es eine Reihe von Arbeiten zur Erforschung des kollektiven Gedächtnisses in der römischen Kultur: vgl. z.B. E. FLAIG, Die Pompa Funebris. Adlige Konkurrenz und annalistische Erinnerung in der Römischen Republik (1995); K.-J. HÖLKESKAMP, Exempla und mos maiorum. Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis der Nobilität (1996). 45 Die Fruchtbarkeit der kulturhistorischen Wissenschaft auf dem Gebiet des römischen Altertums hat u.a. die vorzügliche Untersuchung von U. WALTER, Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur im republikanischen Rom, Frankfurt a. Main 2004 [= Studien zur Alten Geschichte 1] erwiesen. Ein wichtiger Beitrag zur kulturwissenschaftlichen Erforschung des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts ist die aus dem Gießener DFG-Sonderforschungsbereich hervorgegangene Arbeit von P. KUHLMANN,

1.2. Methoden und Ziele der Untersuchung

17

ge, ob und wie `das memoriale Denken und BewußtseinA in literarischen Werken der Antike reflektiert wird.46 Diesem Mangel abzuhelfen ist ein Ziel der vorliegenden Arbeit. Denn die _Noctes Atticae> bieten sich nicht nur aus kulturwissenschaftlicher Perspektive dar als eine Manifestation des kulturellen Gedächtnisses der Antoninenepoche, sondern zeigen sich selbst als ein Werk, das explizit kulturwissenschaftliche Themen behandelt.47 So wie Gellius darin die verschiedenen Wissensdisziplinen umfaßt, wird auch entsprechend dem leitenden Erkenntnisinteresse der Untersuchung und entsprechend dem um den Begriff der Erinnerung neu etablierten fachübergreifenden Paradigma der Kulturwissenschaften48 diese Studie interdisziplinär ausgerichtet sein. Dennoch sollen die Philologie und Literaturwissenschaft hier insbesondere zu ihrem Recht kommen und damit auch dem Vorwurf entgegenwirkt werden, daß bisweilen die interdisziplinär forschenden Kulturwissenschaften zur `DisziplinlosigkeitA49 neigen und unter dem Deckmantel der Kulturwissenschaft eher Dilettantismus als Wissenschaftlichkeit befördert wird.50 Die `kulturwissenschaftliche WendeA kann aber gerade die Philologie zurückführen zu der alten Verbindung von Forschungsfragen und -methoden der verschiedenen Teildisziplinen, wie sie in den `Klassischen AltertumswissenschaftenA bzw. in der `Klassischen PhilologieA bestanden hat bzw. angestrebt war.51 Es liegt nahe, die _____________

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51

Religion und Erinnerung. Die Religionspolitik Kaiser Hadrians und ihre Rezeption in der antiken Literatur, Göttingen 2002 [= Formen der Erinnerung 12]. Über weitere gedächtnisgeschichtliche Studien zur Literatur der Kaiserzeit berichtet S. 50 Anm.5. Vgl. W. HAUBRICHS, Einleitung; in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik: LiLi 27, H.105 (1997) 3-5, hier 4. Vgl. CONTE, Letteratura latina, 436.: ` Aulo Gellio ... un appassionato di cultura (non un retore o uno scrittore di successo) che fece il suo viaggio d’ istruzione in Grecia.A Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 11. Vgl. J. FRÜCHTL, Etwas mehr Disziplin, meine Herren aus Essen!; Rezension: Handbuch der Kulturwissenschaften, hrsg. v. F. JAEGER / B. LIEBSCH / J. RÜSEN / J. STRAUB, Bd.1-3, Stuttgart/ Weimar 2004; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. August 2004. B Durchaus kritisch beurteilt die Interdisziplinarität des kulturwissenschaftlichen Paradigmas des kollektiven Gedächtnisses insbesondere auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaften in dem rezensierten Werk W. KANSTEINER, Postmoderner Historismus - Das kollektive Gedächtnis als neues Paradigma der Kulturwissenschaften; in: Handbuch der Kulturwissenschaften, hrsg. v. F. JAEGER / J. STRAUB, Bd. 2, Stuttgart/ Weimar 2004, 119-139, hier bes. 136. Vgl. F. KITTLER, Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft, 2., verb. Aufl. München 2001, 12: `eine gewisse philologische Kompetenz scheint ... für Kulturwissenschaftler gerade deshalb unabdingbar.A Mit der gehörigen historischen Fachkompetenz verbindet WALTER die Kritik an einer `allzuständigen interdisziplinären SuperKulturwissenschaftA (Memoria und res publica, 24. 26). Das auf der Vereinigung der durch Spezialisierung verselbständigten Gebiete von Textphilologie, Geschichtsforschung, Archäologie, Epigraphik, Numismatik, Papyrologie beruhende Totalitätsideal der Altertumswissenschaften hat ihr Begründer UL-

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1. Einleitung

derzeitige Hochkonjunktur der Forschung zu Erinnerung und Gedächtnis in Zusammenhang zu bringen mit dem allgemeinen Bewußtsein, an einer Epochenschwelle zu stehen. Je mehr seit dem Ende des 20. Jahrhunderts die lebendige Erinnerung der Zeitzeugen an die welterschütternden Katastrophen dieser vergangenen Epoche schwindet, desto mehr tritt die Wissenschaft auf den Plan, die von dem individuellen und kollektiven Erinnerungsbestand Besitz ergreift.52 So hat sich von dieser jüngeren Ver_____________ RICH VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF beschrieben in der Aufgabe der Klassischen Philologie, `die griechisch-römische Kultur in ihrem Wesen und allen Äußerungen ihres Lebens ... durch die Kraft der Wissenschaft wieder lebendig zu machenA bzw. `das antike Leben in seiner ganzen Weite geschichtlich zurückzuerobernA (Geschichte der Philologie, 1 bzw. 80). Darauf zielt er auch schon in seiner am 1. Juni 1892 gehaltenen Prorektoratsrede über _Philologie und Schulreform>: Reden und Vorträge, Berlin 3 1913, 98-119, hier 105-106: `Die Partikel xv und die Entelechie des Aristoteles, die heiligen Grotten Apollons und der Götze Besas, das Lied der Sappho und die Predigt der heiligen Thekla, die Metrik Pindars und der Meßtisch von Pompeji, die Fratzen der Dipylonvasen und die Thermen Caracallas, die Amtsbefugnisse der Schultheißen von Abdera und die Taten des göttlichen Augustus, die Kegelschnitte des Apollonios und die Astrologie des Petosiris: alles, alles gehört zur Philologie, denn es gehört zu dem Objekte, das sie verstehen will, auch nicht eines kann sie missen.A Vgl. dazu auch J. LATACZ, Philologie I. Griechisch C. Moderne Philologie, in: DNP 15/2 (2002) 255-278, hier 268. Den vornehmlich im Bereich der Gräzistik konzipierten WILAMOWITZschen Ansatz hat FRIEDRICH LEO auch für die Latinistik fruchtbar gemacht: vgl. P. L. SCHMIDT, Zwischen Anpassungsdruck und Autonomiestreben: Die deutsche Latinistik vom Beginn bis in die 20er Jahre, in: H. FLASHAR (Hrsg.), Altertumswissenschaft in den 20er Jahren. Neue Fragen und Impulse, Stuttgart 1995, 115-182, hier 133. Zu den Perspektiven der kulturwissenschaftlichen Neuausrichtung der Latinistik: P. L. SCHMIDT, Philologie, II. Lateinisch; in: DNP 15/2 (2002) 278-327, hier 323. Die Beschwörungen der Interdisziplinarität der Klassischen Altertumswissenschaften und ihrer Affinität zu den neuen Kulturwissenschaften sind inzwischen notorisch: vgl. A. HENRICHS, Nachwort; in: V. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Geschichte der Philologie, 92; HOSE, Die Erforschung des Vergessens, 41-42; SCHWINDT, Vorbemerkung; in: SCHWINDT (Hrsg.), Klassische Philologie inter disciplinas, VII; M. BAßLER, New Historicism, Cultural Materialism und Cultural Studies; in: A. NÜNNING / V. NÜNNING (Hrsg.), Konzepte der Kulturwissenschaften, 132-155, hier 142. 52 Auch von naturwissenschaftlicher Seite, insbesondere in den Neurowissenschaften wird dem Thema vermehrt Interesse entgegengebracht: vgl. z.B. H. J. MARKOWITSCH, Dem Gedächtnis auf der Spur. Vom Erinnern und Vergessen, Darmstadt 2002; H. J. MARKOWITSCH / H. WELZER, Das autobiographische Gedächtnis. Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung, Stuttgart 2005. Symptomatisch für das fakultätsübergreifende Interesse ist, daß den Eröffnungsvortrag des 43. Historikertages im Jahre 2000, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt a.M., WOLF SINGER gehalten hat: Zuerst veröffentlicht ist dieser in der _Frankfurter Allgemeinen Zeitung> vom 28. September 2000 unter dem Titel ‚Wahrnehmen, Erinnern, Vergessen. Über Nutzen und Vorteil der Hirnforschung für die Geschichtswissenschaft‘; mit geringfügigen Änderungen und Erweiterungen wiederabgedruckt in: M. KERNER (Hrsg.), Eine Welt - eine Geschichte ? 43. Deutscher Historikertag in Aachen, Berichtsband, München 2001, 18-27. Zugleich die Gebiete der verschiede-

1.2. Methoden und Ziele der Untersuchung

19

gangenheit aus das Forschungsinteresse an den Phänomenen der Erinnerung und des Gedächtnisses ausgedehnt auf weiter entfernte Zeiten. Daß nun, nachdem überwiegend Mittelalter und Neuzeit und wenige Teilbereiche der Antike aus dieser Perspektive wissenschaftliche Beachtung gefunden haben,53 das zweite Jahrhundert verstärkt in den Blick genommen wird, kommt nicht von Ungefähr, sondern verdankt sich einer gewissen Affinität der Epochen zueinander. Dafür mag die Feier der Jahrtausendwende im Jahr 2000, die dem Bewußtsein des Übergangs in eine neue Epoche sichtbar Ausdruck verliehen hat, und das 148 n. Chr. gefeierte neunhundertjährige Romjubiläum mehr als ein bloß oberflächliches Indiz sein. Schon in den äußeren Bedingungen lassen sich Parallelen ziehen: Auch das 2. Jahrhundert war eine Zeit großer wirtschaftlicher Prosperität und (bis zu den Erschütterungen durch Partherkrieg und Markomannenkriege in der Ära Marc Aurels) außenpolitischer Sicherheit und längerdauernden Friedens. Zugleich führte die Hellenisierung des Westens und die Romanisierung des Ostens wie die Globalisierung in der Gegenwart zu bedeutsamem kulturellen Wandel und zu interkultureller Kommunikation. Daß die _Postmoderne> mit dieser Zeit des Übergangs, die man ent-

_____________ nen Fachdisziplinen und die Zeiträume von der Antike bis zur Gegenwart werden durchschritten in dem Essay von M. OSTEN, Das geraubte Gedächtnis. Digitale Systeme und die Zerstörung der Erinnerungskultur. Eine kleine Geschichte des Vergessens, Frankfurt am Main / Leipzig 2004. Die jeweiligen Aspekte der verschiedenen Disziplinen auf das weite Forschungsfeld beschreibt B mit gewisser ironischer Distanz zur `gegenwärtigen UnwiderstehlichkeitA des Generalthemas B WALTER, Memoria und res publica, 24 Anm. 50: `Die Gehirnforschung untersucht die neuronale Basis der menschlichen Gedächtnisleistung, die Psychoanalyse fragt nach dem Verhältnis von Gedächtnis und Verdrängung, die Soziologie faßt Erinnerung als wesentlichen Faktor von Vergesellschaftung und Identitätsbildung, die Medientheorie katalogisiert die Speichermedien, und die Historiker dekonstruieren fleißig früher lebendige Mythen der Nationen, um gleichzeitig Parlamenten und Exekutiven zu sagen, mit welchen Denkmälern die Bürger zu einer aufgeklärten Erinnerung an dieses oder jenes veranlaßt werden sollen. Und über diesem Ensemble schwebt eine Literaturwissenschaft, die alle kulturellen Artefakte und Praktiken als _Texte> lesbar zu machen verspricht.A Durchwegs positiv bewertet den Erkenntniswert der `transdisziplinär ausgerichteten ForschungsansätzeA in ihrem Forschungsüberblick ERLL, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen; in: A. NÜNNING / V. NÜNNING (Hrsg.), Konzepte der Kulturwissenschaften, 156-185, hier 157-158; so auch die Herausgeber des Sammelbandes in ihrem einleitenden Beitrag: A. NÜNNING / V. NÜNNING, Kulturwissenschaften: Eine multiperspektivische Einführung in einen interdisziplinären Diskussionszusammenhang, ebd., 1-18, hier 2-4. 53 Daß die von J. ASSMANN auf dem Gebiet der Ägyptologie begonnenen Studien durch eine Reihe weiterer Arbeiten zu ergänzen und in anderen Forschungsbereichen fortzuführen seien, sieht und wünscht ders., Das kulturelle Gedächtnis, 25.

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1. Einleitung

sprechend dem im 2. Jh. verbreiteten Dekadenzgefühl54 auch in der Literaturgeschichtsschreibung als kulturellen Verfall und Niedergang beschreibt,55 dadurch eine tiefere Verbindung hat, wird ersichtlich in dem gemeinsamen Bemühen um Rückbesinnung auf die Vergangenheit. Die Pflege der Erinnerungskultur dient in beiden Epochen zugleich der Selbstvergewisserung durch das Bewußtmachen kultureller Kontinuität und der Identitätsstiftung durch Abgrenzung von fremder Kultur. Und in beiden Fällen erwächst das Bedürfnis danach aus der Gefährdung und Beschädigung des kulturellen Gedächtnisses. Diesen Befund erhebt MAUD GLEASON lakonisch im Hinblick auf das zweite Jahrhundert : `But the past is never more present than when our connection to it seems at risk.A56 Für die Gegenwart hat der Geschichtsphilosoph NORA konstatiert, daß es in der modernen Welt immer mehr `lieux de mémoireA gebe, weil es keine `milieux de mémoireA mehr gebe. `Wir erleben einen Augenblick des Übergangs, da das Bewußtsein eines Bruchs mit der Vergangenheit einhergeht mit dem Gefühl des Abreißens des Gedächtnisses, zugleich aber einen Augenblick, da dieses Abreißen noch soviel Gedächtnis freisetzt, daß sich die Frage nach dessen Verkörperung stellen läßt.A Zugespitzt wird der Gedanke in der Formulierung: `Nur deshalb spricht man so viel vom Gedächtnis, weil es keines mehr gibt.A57 Aus dieser Erkenntnis und in dem Bewußtsein, daß `eine Gesellschaft ohne Gedächtnis ... weder Verantwortung für die Vergangenheit, noch für ihre Gegenwart, schon gar nicht für die Zukunft übernehmenA kann, leitet WOLFGANG FRÜHWALD den Appell ab, sich dem eigenen kollektiven und kulturellen Gedächtnis zu stellen, um daraus Gewinn für die Gegenwart zu ziehen.58 Ganz ähnlich ist _____________ 54 Vgl. W. REHM, Der Untergang Roms im abendländischen Denken. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtsschreibung und zum Dekadenzproblem, Darmstadt 1966, repr. Ndr. d. Ausg. Leipzig 1930 [= Das Erbe der Alten; Heft XVIII], 17. Schon seit Seneca beherrscht das Dekadenzgefühl die Selbstanalyse in der kaiserzeitlichen Literatur: vgl. S. DÖPP, Nec omnia apud priores meliora; in: RhM 132 (1989) 73-101, bes. 77-82; vgl. auch A. DEMANDT, Der Fall Roms, München 1984, 46-47 Anm. 2. 55 Die Metaphern von Niedergang, Verfall, Erschöpfung, Erlahmen der Kräfte werden zur Charakterisierung des 2. Jh.s seit GIBBON immer wiederholt. Vgl. oben S. 2 m. Anm. 3; auch STEINMETZ, Untersuchungen, 12. 56 GLEASON, Making Man, 165. 57 P. NORA, Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Aus dem Französischen von W. KAISER, Berlin 1990, 11. Den fortschreitenden Verlust des kulturellen Gedächtnisses durch die rasante Ausbreitung der digitalen Systeme in der Gegenwart diagnostiziert auch MANFRED OSTEN (s.o. S. 19 Anm. 52). 58 Vgl. W. FRÜHWALD, Der `große Code der KunstA. Das Buch Genesis in der Literatur; in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 2000, Köln 2000, 45: `Eine Gesellschaft aber, die sich dem eigenen kollektiven und kulturellen Gedächtnis stellt, wird auch für die eigene Gegenwart Gewinn daraus ziehen.A

1.2. Methoden und Ziele der Untersuchung

21

die Abfassung der als subsidium memoriae quasi quoddam litterarum penus (NA praef. 2) konzipierten und als memoriarum delectatiunculae (NA praef. 23) angekündigten _Noctes Atticae> durch Gellius motiviert. Dieser selbstgestellten Aufgabe wird er gerecht, indem er aufgrund von zahllosen und höchst unterschiedlichen Textexzerpten ein umfassendes Kompendium von Bildungs- und Wissensgütern59 bzw. `eine Encyklopaedie der freiesten ArtA60 zusammenstellt. Hier liegt es nahe, in dem mit Skepsis zu betrachtenden Opus von DIETRICH SCHWANITZ unter dem Titel _Bildung. Alles, was man wissen muss>, von dem es inzwischen ebenso fragwürdige Fortsetzungen gibt, weil es offenbar den `NervA der Zeit getroffen und viele Interessenten gefunden hat, Parallelen zu suchen.61 So erscheint denn dem Autor Gellius geistesverwandt der nur zum Zitat und zur Repetition des Erbes fähige, über umfassende Wissensbestände verfügende `GedächtniskünstlerA, der als Repräsentant der Postmoderne und ihrer enzyklopädischen Kultur des Zitierens in der modernen Literatur auch zur Chiffre des postmodernen Menschen überhaupt arriviert ist.62 FRIEDRICH NIETZSCHE hat diese Entwicklung hellsichtig vorhergesehen: ` ... aus uns haben wir Modernen gar nichts; nur dadurch, daß wir uns mit fremden Zeiten, Sitten, Künsten, Philosophien, Religionen, Erkenntnissen anfüllen und überfüllen, werden wir zu etwas Beachtungswerthem, nämlich zu wandelnden Encyclopädien.A63 Zwar böte auch NIETZSCHEs Zeitanalyse ein Argument, Gellius quasi als einem Vorläufer der `ModernenA Beachtung zu schenken, doch vor seinem Zynismus soll IMMANUEL KANTs Hochschätzung der `GedächtniskünstlerA den Vorzug erhalten, um die vorliegende Arbeit unter ein Motto zu stellen bzw. die Beschäftigung mit _____________ 59 Vgl. NA praef. 12: ... eaque sola accepi, quae aut ingenia prompta expeditaque ad honestae eruditionis cupidinem utiliumque artium contemplationem celeri facilique compendio ducerent ... 60 So MERCKLIN, Die Citiermethode, 694. Vgl. dazu unten Kapitel 5.3, S. 328-341, bes. S. 339. 61 Vgl. z.B. D. SCHWANITZ, Musik. Alles, was man hören muß, Frankfurt a.M. 2001 (10 CD s); die zusätzlich produzierten akustischen Teil-Fassungen der ursprünglichen Version _Bildung. Alles, was man wissen muß> zu den Bereichen _Literatur> bzw. _Kunst und Musik> bzw. _Philosophie>, Frankfurt a.M. 2002; CH. ZSCHIRNT, Bücher. Alles, was man lesen muß, Frankfurt a.M. 2002. Vgl. auch unten S. 332-333 Anm. 75. 62 Vgl. ERNST, Die Bibliothek im Kopf, 86-123, hier 123. Die Affinität des postmodernen `ZitatkünstlersA zum Antiquar Gellius ist Ausgangspunkt und Fundament der Monographie von GUNDERSON, Nox Philologiae, vgl. hier bes. 10-11. 153. 277. 296298. 63 F. NIETZSCHE, Unzeitgemäße Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben 4; in: F. NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, hrsg. v. G. COLLI / M. MONTINARI, Berlin 21988, Bd.1, 273-274.

22

1. Einleitung

Gellius zu rechtfertigen, wenn es denn einer solchen Legitimation nach dem Vorhergesagten noch bedarf: `Von den Wundermännern des Gedächtnisses, einem Picus von Mirandola, Scaliger, Angelus Politanus[sic], Magliabecchi usw., den Polyhistoren, die eine Ladung Bücher für hundert Kamele als Materialien für die Wissenschaften in ihrem Kopf herumtragen, muß man nicht verächtlich sprechen; weil sie vielleicht die, für das Vermögen der Auswahl aller dieser Kenntnisse zum zweckmäßigen Gebrauch angemessene, Urteilskraft nicht besaßen; denn es ist doch schon Verdienst genug, die rohe Materie reichlich herbeigeschafft zu haben; wenn gleich andere Köpfe nachher hinzukommen müssen, sie mit Urteilskraft zu verarbeiten (tantum scimus, quantum memoria tenemus).A64

_____________ 64 Vgl. KANT, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 489.

2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur 2.1. Der Begriff der memoria Ausgehend von den Begriffen _Gedächtnis> und _Erinnerung>,1 die das Konzept der wiederentdeckten Kulturwissenschaften überschreiben, eröffnet in dieser Arbeit der Schlüsselbegriff memoria den Zugang zur Untersu_____________ 1

Das Verhältnis von _Erinnerung> und _Gedächtnis> ist auch in der neueren einschlägigen Forschung nicht eindeutig und einheitlich definiert. So gilt weiterhin die Feststellung von JOHANN BAPTIST METZ Erinnerung: in: H. KRINGS u.a. (Hrsg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 2, München 1973, 386-387: `Denn die Unterscheidung zwischen _Erinnerung> und _Gedächtnis> ist weder vom Wortgebrauch noch von der Begriffsgeschichte her eindeutig und einheitlich belegbar.A Vgl. THEUNISSEN, Reichweite und Grenzen der Erinnerung, 75 Anm. 16. Zur Differenzierung der Wörter sei dennoch, wie stets, wenn es um Klärung sprachlicher Begriffe geht, ein Blick in das _GRIMMsche Wörterbuch> empfohlen, wo _erinnerung> ௅ zunächst (1) als Äquivalent zum lateinischen admonitio, commonitio ௅ dann aber (2) als Entsprechung zu recordatio, memoria rubriziert wird, woran sich (3) ein Genetiv anschließen kann, der entweder den Gegenstand der Erinnerung bezeichnet oder das Subjekt der Erinnerung angibt. Vgl. J. GRIMM (Bearb.), erinnerung; in: J. GRIMM / W. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, Bd.3, Leipzig 1862, Ndr. München 1999, 860. Das _gedächtnis> (3) als `subst. zu _gedenken, sich erinnern, zurückdenkenA wird (b) `von der erinnerung, so weit einer oder man zurückdenken, wessen er sich erinnern kann, z.b. als quelle und beweis von rechtssatzungen, herkommen neben urkunden genanntA. Ganz im Sinne des `kollektiven GedächtnissesA wird der Begriff weiter umschrieben als: `allgemeines gedächtnis, erinnerung aller ... dauerndes andenkenA. Und auch die verschiedenen Formen dieses allgemeinen Gedächtnisses werden dort erfaßt, wenn ausgeführt wird, daß (4) _gedächtnis> `auch für ein hilfsmittel der erinnerung, zeichen des andenkens, _denkmal>, gedenkfest u. d.A stehen kann, wobei besonders hervorgehoben wird: `(d) schriftliches gedächtnis ... gleich dem heutigen _schriftliche denkmäler>, die im späteren latein memoriae hieszen. Auch als gedenkbuch, um einzutragen, was gegen vergessen gesichert werden soll.“ Im engeren Sinne betätigt sich das Gedächtnis `(5) ... wesentlich im festhalten von gesehenem, gehörtem, erfahrenem, besonders von gelerntem, gelesenem, im allgemeinen mehr ein nichtvergessen, als ein lebhaftes vorstellen, gedenken.A Vgl. R. HILDEBRAND (Bearb.), gedächtnis; in: J. GRIMM / W. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4.1.1, Leipzig 1878 = Bd. 4, Ndr. München 1999, 1927-1937, hier 1931 ff. – Eine philosophische Differenzierung der Begriffe von ȶvɄȶȱ und wvȪȶvȱȼȳȻ bzw. memoria und reminiscentia hat allerdings Aristoteles in seiner Schrift mit dem gleichlautenden Titel vorgenommen, der im Deutschen wiedergegeben wird als _Über Gedächtnis und Erinnerung>. Vgl. dazu R.A.H. KING (Hrsg. u. Übers.), Aristoteles: De memoria et reminiscentia, bes. 45-58 (_Definitionen von Gedächtnis und Erinnerung>).

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

chung der römischen Erinnerungskultur des 2. Jh.s, wie sie sich im Werk des Gellius widerspiegelt. Die unlösbare Verbindung zwischen Gedächtnis und Kultur ist inzwischen so häufig beschworen und bereits in so vielen Aspekten beschrieben worden, daß es hier genügen mag auf die Feststellung zurückgreifen, in der J. ASSMANN seine Ausführungen über das kulturelle Gedächtnis als normative Erinnerung resümiert: `Kultur heißt Bindung und daher Gedächtnis.A2 Ähnlich programmatisch schließt ANSELM HAVERKAMP den _hermeneutischen Prospekt> des von ihm und RENATE LACHMANN in der Reihe _Poetik und Hermeneutik> edierten Bandes _Memoria>: `In zeichentheoretischen Neubestimmungen des Begriffs Kultur wird Kultur zum neuen Inbegriff von memoria.A3 Anders herum formuliert: memoria wird zum Synonym von Kultur. Bei diesem weiten Begriffsverständnis entfaltet sich memoria in dem gesamten Spektrum der zusammenhängenden Trias der Bereiche, die nach J. ASSMANN die `konnektive StrukturA der Kultur bilden, nämlich Vergangenheitsbezug, Identitätsstiftung und Traditionsbildung.4 Durch memoria wird das historische Wissen einer gesellschaftlichen Gruppe oder der ganzen Gesellschaft, der ihr eigentümliche Bestand an Gewißheiten über ihre Vergangenheit bereitgehalten, aus dem sie ihr Sebstbild und Eigenverständnis, das Bewußtsein ihrer Kontinuität und Stabilität bezieht. So wird das kulturelle Gedächtnis zur Quelle, aus der sich die akzeptierten Muster der aktuellen Selbstwahrnehmung, der Reflexion und Deutung der gesamten gegenwärtigen Lebenswelt in der jeweiligen Gruppe speisen. Diese aufeinander bezogenen Funktionen der memoria machen sie konstitutiv für die Identität der Gruppe, indem der Wissensvorrat einerseits formativ wirkt, d.h. im Sinne des Zusammenhaltes der Gruppe ihre Mitglieder eint, andererseits _____________ 2

3 4

J. ASSMANN, Kulturelles Gedächtnis als normative Erinnerung, 112. Einschränkend bzw. differenzierend heißt es ebd. 98: `Kultur ist also noch nicht als solche Gedächtnis, jedenfalls nicht Langzeitgedächtnis. Sie ist Langzeit-Gedächtnis nur insofern, als sie Sinn- und Wissensbestände nicht nur zu objektivieren und sichtbar zu machen vermag, sondern auch Techniken zur Bewahrung und Prinzipien der Veränderungsabstinenz entwickelt, die der Tendenz zur Variation, Innovation und Akkomodation entgegenarbeiten.A B Es gibt aber auch grundsätzliche Kritik an dem metaphorischen Gebrauch des Begriffs _Gedächtnis> für analoge soziologische oder kulturelle Sachverhalte, da diese individualpsychologische Bezeichnung das öffentliche Phänomen der Kultur in vielerlei Hinsicht nicht erfasse: vgl. CANCIK / MOHR, Erinnerung / Gedächtnis, 311. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 47 versucht, den Einwand zu entkräften mit dem Hinweis, daß der Begriff des kollektiven Gedächtnisses gerade keine Metapher sei. HAVERKAMP, Hermeneutischer Prospekt, XVI. Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 16. ASSMANNs an A. Warburg und M. Halbwachs anknüpfenden Begriff von Kultur resümiert OEXLE, Memoria als Kultur, 18-30.

2.2. Memoria und der römische Traditionalismus

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normativ ist, d.h. gegenwartslenkend und zukunftsweisend zu dem im Interesse der Gruppe liegenden Handeln und Verhalten anleitet. Um die Identitätsstiftung zu leisten, bedarf das kulturelle Gedächtnis der Absicherung und beständigen Pflege durch die verschiedenen Formen und Medien der Bewahrung, der dauernden Aktualisierung und Weitergabe des in ihm enthaltenen Vorrates an historischem Wissen und historisch gewordenen Gewißheiten. Außer durch schriftliche Fixierung in kanonischen Texten erfolgt diese Traditionsbildung und Tradierung auch durch mündliche Überlieferung, Bilder und Symbole, Feste und Gedenktage, Zeremonien und Rituale, religiöser wie aller anderen Art, aber auch durch Institutionen sowie Erinnerungsorte, geographische und soziale Räume, die der Vermittlung und Vergegenwärtigung des kollektiven Wissens dienen.5 UWE WALTER hat in einer kürzlich erschienenen Studie das von J. ASSMANN entwickelte Konzept und den Begriff des _kulturellen Gedächtnisses>, an dessen Stelle er dem Leitbegriff ,Geschichtskultur> den Vorzug gibt, unter stärkerer Hervorhebung des Geschichte und Kultur innewohnenden Entwicklungsprozesses modifiziert,6 um ihn auf den `Erinnerungsraum der römischen RepublikA zu übertragen. Die nach innen Identität, soziale Stabilität und Integration stiftende, nach außen hin absichernde Wirkung der memoria im Sinne römischer _Geschichtskultur> beschreibt er folgendermaßen: `Die Römer brachten sich gleichsam fortwährend selbst hervor, indem sie sich erinnerten, wobei Erinnerung hier als selektiver Mechanismus zur Fixierung kulturellen Sinns verstanden werden soll. In einem viele Phasen und Verwerfungen durchlaufenden Gang von Erinnern und Vergessen, Bewahren und Marginalisieren, Einschließen und Ausschließen avancierte Geschichte zu einem wesentlichen Faktor des Selbstbeschreibungsprozesses der römischen Kultur, bestimmte Habitus und soziales Handeln ihrer Individuen.A7

2.2. Memoria und der römische Traditionalismus Das Bewußtsein von der universalen kulturellen Bedeutung der memoria ist aber keine neuzeitliche Errungenschaft, sondern vielmehr in den Reflexionen der Antike über die Voraussetzung von Kultur bereits fest veran_____________ 5

6 7

Zu diesem in Umrissen wiedergegebenen Modell des kulturellen Gedächtnisses vgl. außer den grundlegenden einschlägigen Arbeiten von J. ASSMANN (vgl. das Literaturverzeichnis und oben die Einleitung S. 13-15 m. Anm. 37) die Zusammenfassung bei HÖLKESKAMP, Exempla und mos maiorum, 302-303. Vgl. U. WALTER, Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur im republikanischen Rom, Frankfurt a. M. 2004 [=Studien zur Alten Geschichte 1], bes. 24-26. Vgl. WALTER, Memoria und res publica, 19.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

kert. Bei Cicero verdichtet sich das Wissen um die unabdingbare Grundlage jeder menschlichen Kultur in orat. 120 in dem Satz: Quid enim est aetas hominis, nisi ea memoria rerum ueterum cum superiorum aetate contexitur. Daß von Cicero der Vergangenheitsbezug als unerläßlich für die Gegenwartsgestaltung erkannt wird, entspricht dem vielfach diagnostizierten und fast topisch festgestellten Befund, daß die römische Kultur besonders stark der Tradition verhaftet war. Zwar wird auch über die Griechen von Tacitus gesagt, sie seien ein laetum antiquitatibus ... genus (Tac. hist. 2,4), aber das im vielbehandelten Ennius-Vers moribus antiquis res stat Romana uirisque (ann. 500 VAHLEN2 = 156 SKUTSCH nach Cic. rep. 5,1,1 bzw. Aug. civ. 2,21) artikulierte Bewußtsein der Gebundenheit an die Tradition prägte schon früh die spezifische Mentalität der Römer.8 FRIEDRICH KLINGNER spricht von dem `tief im römischen Wesen angelegte[n] TraditionalismusA, VIKTOR PÖSCHL von der `einzigartige[n] Macht der Tradition in RomA, GREGOR VOGT-SPIRA von dem `für die Identitätsbildung Roms so zentrale[n] zähe[n] TraditionalismusA.9 Für WALTER ist der Traditionalismus inzwischen `sprichwörtlichA.10 Das Fundament dafür bildet die memoria, die als Bestandteil der prudentia auch zur uirtus des römischen Bürgers gehört.11 Denn die memoria, die das Bewußtsein seiner historischen und gesellschaftlichen Einbindung festhält, ist Garant für die Einhaltung seiner sozialen Verpflichtungen, wie sie ihm durch Genealogie12 und die exempla in Familie und Nation aufgegeben sind. Da sich aus ihnen die historia konstituiert,13 wertet Cicero die Vernachlässigung der diesbezüglichen memoria und Unwissenheit über die Vorfahren als turpem _____________ 8 9

10 11 12

13

Vgl. dazu RAWSON, Roman Tradition and the Greek World, 422-476, hier bes. 445; GRUEN, Studies in Greek Culture and Roman Policy, 1. KLINGNER, Rom als Idee, 654 bzw. 21; vgl. auch ebd. 658 (655) bzw. 24 (21): `Rom, den Inbegriff abendländischer KulturtraditionA; PÖSCHL, Die römische Auffassung der Geschichte, 202 bzw. 71; vgl. ebd. 199 bzw. 68: `Auf dem römischen Vorbilddenken und dem römischen Handeln nach Vorbildern beruht die einzigartige Kraft, die die Tradition bei den Römern hatA; VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 22. Vgl. WALTER, Memoria und res publica, 17. Vgl. Cic. inv. 2,160. Dazu YATES, Gedächtnis und Erinnern, 26-27. Vgl. auch WALTER, Memoria und res publica, 34-35. Daß die römische Ahnenverehrung des Adels auf die politische Gemeinschaft bezogen war und aus ihr Verpflichtungen der Lebenden erwuchsen, unterscheidet das kollektive Gedächtnis des römischen Totengedenkens wesentlich von dem _mythischen> Gedächtnis der griechischen Polis. Vgl. OEXLE, Memoria als Kultur, 32-33. Ausführlich darüber: FLAIG, Die Pompa Funebris, 115-148; E. FLAIG, Politisierte Lebensführung und ästhetische Kultur. Eine semiotische Untersuchung am römischen Adel; in: Historische Anthropologie. Kultur - Gesellschaft - Alltag 1 (1993) 193-217. Vgl. HÖLKESKAMP, Exempla und mos maiorum, 301-338, hier bes. 308-312.

2.2. Memoria und der römische Traditionalismus

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wvȳȼȽoȺȱȼɅȫv. Zugleich preist er die historia als uita memoriae.14 Daß die

memoria rerum gestarum, die durch die Präsenz der imagines maiorum wachgehalten wird, die Motivation ist, die uirtus in den Dienst des Gemeinwesens zu stellen, hat Sallust in allgemeingültiger Weise formuliert.15 Somit erwachsen nicht nur aus der memoria soziale Verpflichtungen, sondern die memoria selbst ist verpflichtende Aufgabe im Dienste der kollektiven Verantwortung. Denn ohne sie verlöre der mos maiorum, die `ungeschriebene römische VerfassungA,16 als das Fundament des römischen Staates und der römischen Gesellschaft seine Wirkmacht. Dementsprechend nennt Cicero in leg. 3,41 unter den notwendigen Voraussetzungen für die Ausübung des Senatorenamtes nosse exempla maiorum und genus hoc omne ... memoriae. Auch wenn die einzelnen exempla und der durch sie präsentierte mos B bei erstaunlicher Konstanz bis zu dem grundlegenden durch das Christentum eingeleiteten Paradigmenwechsel B einem zeitlichen Wandel unterworfen sein konnten,17 so hat der römische Traditionalismus selbst eine große Stabilität über die Jahrhunderte hinweg, wodurch es gerechtfertigt ist, zu seiner Erklärung die Aussagen von Autoren aus unterschiedlichen Epochen nebeneinanderzustellen. Aus dem Kernbegriff des römischen Traditionalismus memoria gewinnen weitere typisch römische Wertbegriffe und sozialpolitische Ideen ihre Geltung: Die durch die memoria gegenwärtig zu haltenden exempla, in _____________ 14 Cic. de orat. 2,36: Historia uero testis temporum, lux ueritatis, uita memoriae, magistra uitae, nuntia uetustatis, qua uoce alia nisi oratoris immortalitati commendatur ? Vgl. dazu GOWING, Empire and Memory, 12-13. 15 Vgl. Sall. Iug. 4,1. 5-6: Ceterum ex aliis negotiis, quae ingenio exercentur, in primis magno usui est memoria rerum gestarum ... Nam saepe ego audiui Q. Maxumum, P. Scipionem, praeterea ciuitatis nostrae praeclaros uiros solitos ita dicere, quom maiorum imagines intuerentur, vehementissume sibi animum ad uirtutem adcendi. scilicet non ceram illam neque figuram tantam uim in sese habere, sed memoria rerum gestarum eam flammam egregiis uiris in pectore crescere neque prius sedari, quam uirtus eorum famam atque gloriam adaequauerit. 16 DREXLER, Aufstieg und Niedergang Roms, 818. Zur zentralen Bedeutung des mos maiorum vgl. ferner: PÖSCHL, Die römische Auffassung der Geschichte, 197-198 bzw. 66-67; D. EARL, The Moral and Political Tradition of Rome, London 1967, 28-43; E. MEIER, Vom griechischen und römischen Staatsgedanken; in: R. KLEIN (Hrsg.), Das Staatsdenken der Römer, Darmstadt 1973 [= WdF 46], hier 82-83; CH. MEIER, La spécificité de l’ordre politique et social romain; in: CH. MEIER, Introduction à l’anthropologie politique de l’Antiquité classique, Paris 1984 [= Collège de France. Essais et Conférences ], 63-81, hier 63-66; HÖLKESKAMP, Exempla und mos maiorum, 301-338; W. BÖSEL, Die Geschichte des Begriffes mos maiorum von den Anfängen bis zu Cicero; in: B. LINKE / M. STEMMLER (Hrsg.), Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik, Stuttgart 2000 [= Historia Einzelschriften 141], 25-98. 17 Diese Auffassung vertritt WALTER, Memoria und res publica, 18 im Anschluß an TH. SPÄTH gegen K.-J. HÖLKESKAMP.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

denen sich der mos maiorum verkörpert, führen hin zum genuin und spezifisch römischen auctoritas-Begriff.18 Denn außerhalb des juristischen Bereichs19 wird auctoritas verstanden als der das öffentliche Leben gestaltende Einfluß, den die als exemplarisch geltenden Persönlichkeiten der Gegenwart wie auch der Vergangenheit aufgrund ihrer Vorbildlichkeit ausüben.20 Der Autoritätsglaube hat in der römischen Mentalität von der sozialen und politischen Welt auf den literarischen Bereich übergegriffen und auch dort maßgebliche Funktion erhalten, wobei das Alter (antiquitas) der wirkmächtigste Faktor ist.21 Aus literarhistorischer Perspektive wird aucto_____________ 18 Vgl. HEINZE, Auctoritas, 348-366, hier bes. 363-364 bzw. 43-58, hier bes. 56; vgl. auch DREXLER, Aufstieg und Niedergang Roms, 794-826, hier 812-818, bes. 818; STEMMLER, Auctoritas exempli, 141-205, bes. 151 ff. 19 Über die juristische Institution der auctoritas im öffentlichen Recht informiert G. CALBOLI, Auctoritas; in: DNP 2 (1997) 266-267; zum Begriff auctoritas im römischen Privatrecht vgl. R. WILLVONSEDER, Auctoritas; in: DNP 2 (1997) 267. 20 HEINZE zeichnet in seiner bedeutenden Abhandlung (Auctoritas, 354 bzw. 48) die Linie der Begriffsentwicklung nach und definiert auctoritas schließlich als `die Eignung, maßgeblichen Einfluß auf die Entschließungen der anderen kraft überlegener Einsicht auszuüben ... Endlich streift auctoritas ab den Begriff der Meinungsäußerung, die auf andere wirkt, und behält nur den der Wirkung durch das Gewicht der Person.A Vgl. PÖSCHL, Die römische Auffassung der Geschichte, 200 [69]. 21 Die Gültigkeit des Autoritätsprinzips in allen Lebensbereichen bekundet Cic. Tusc. 1,26: auctoribus ... uti optimis possumus, quod in omnibus causis et debet et solet ualere plurimum, et primum quidem omni antiquitate, quae quo propius aberat ab ortu et diuina progenie, hoc melius ea fortasse quae erant uera cernebat. Zur Macht des römischen Autoritätsglaubens vgl. NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 151-152 m. Anm. 1; ZINTZEN, Rezeption und Originalität, 22-23. Daß die zur imitatio anregende auctoritas B nicht nur bei den Römern B wesentlich auf antiquitas beruht, läßt schon Rhet. Her. 4,1,2 erkennen: quid ? ipsa auctoritas antiquorum non cum res probabiliores tum hominum studia ad imitandum alacriora reddit ? Vgl. dazu auch CALBOLI (Ed.), Rhetorica ad C. Herennium, 2767. Da das Alter selbst Autorität besitzt, verleiht es auch Ansehen und Einfluß, im sprachlich-literarischen Bereich wie auch sonst: Daher gilt Quintilians Feststellung auctoritatem antiquitatis habent nicht nur für die verba a vetustate repetita (Quint. inst. 1,6,39). So heißt es z.B. in Cic. div. 1,34 auctoritatem habet vetustatis über die sors, _das Losen> als Element der Orakel. Damit hängen auch die Äußerungen zusammen, in denen das Alter der Überlieferung als Garant für die Glaubwürdigkeit angeführt wird, z.B. Ov. met. 1,400 pro teste uetustas (über die Glaubwürdigkeit der Metamorphose von Deucalion und Pyrrha) und Quint. inst. 12,4,2: haec quoque ... uetustatis fide tuta sunt (über die von Dichtern überlieferten exempla). Aber nicht nur im Bereich der Sprache und Literatur (so z.B. auch in NA 6,19,8: scriptores ueteres non paruae auctoritatis; NA 9,4,3: auctoritates ueterum annalium; NA 18,5,11: librum summae atque reuerendae uetustatis; NA 18,6,7: nullis ueterum scriptorum auctoritatibus confirmari potest; NA 20,6,12: auctoritas quaedam uetustatis), sondern insbesondere im Bereich der Ethik gilt die antiquitas als richtungweisende Autorität. Vgl. z.B. Cic. Att. 9,7c(8),5: Bei der Abwägung seines Verhaltens in der Auseinandersetzung zwischen Caesar und Pompeius im Frühjahr 49 bezeichnet Cicero

2.2. Memoria und der römische Traditionalismus

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ritas insbesondere den Rednern und Historikern (Quint. inst. 1,6,2) und allgemein den summi auctores (Quint. inst. 1,6,42) zuerkannt, die aufgrund ihrer sprachlichen, stilistischen und literarischen uirtutes der imitatio (Quint. inst. 10,1,19-20. 37) würdig sind.22 So liefert in der Literatur wie in Politik und Gesellschaft die durch memoria allzeit im ursprünglichen Wortsinne repräsentierte Vergangenheit die Leitbilder für die Gestaltung nicht nur der Gegenwart, sondern auch der Zukunft. Dieser das gesamte römische Geschichtsdenken seit jeher prägende Rückbezug auf die Vergangenheit ging einher mit ihrer allgegenwärtigen Idealisierung, die paradigmatisch in Ciceros Dictum antiquitas proxime accedit ad deos (Cic. leg. 2,27; vgl. Cic. Tusc. 1,26) ausgedrückt ist und von Macrobius variiert wird mit den Worten uetustas quidem nobis semper, si sapimus, adoranda est (Macr. Sat. 3,14,2). So gibt nicht selten der Schriftsteller, insbesondere der Historiograph, dem in der Vermittlung des Geschichtsbildes entscheidende Bedeutung zukommt, seine Ehrfurcht vor der Vergangenheit zu erkennen.23 Aber die Bewunderung für die Vergangenheit geht über die Geschichtsschreibung weit hinaus; so bekennt auch der ältere Plinius in seiner _Naturgeschichte> crescit profecto apud me certe tractatu ipso admiratio antiquitatis (NH 27,1). Zwar bleibt die Vergangenheitsverklärung nicht frei von jeder Kritik,24 wenn schon in der `guten, alten ZeitA die Laster der Gegenwart entdeckt werden wie von Seneca in nat. 5,15,2: ... illi maiores _____________ die Flucht als contra mehercule meum iudicium et contra omnium antiquorum auctoritatem. 22 Zur Ausdehnung des auctoritas-Begriffs auf Redner und Philosophen: vgl. HEINZE, Auctoritas, 361-362 bzw. 54-55. Auctoritas wird aber nicht nur Personen, sondern auch einem Rede- bzw. Sprachstil oder einer literarischen Gattung zu- bzw. abgesprochen: z.B. dem asianischen Stil des Hortensius in Cic. Brut. 327 (etsi enim genus illud dicendi auctoritatis habebat parum ...), z.B. dem Genus der Autobiographie in Cic. fam. 5,12(13),8 (haec sunt in hoc genere uitia ... accedit, ut minor sit fides, minor auctoritas). 23 Vgl. z.B. die Äußerung des Livius: ceterum et mihi uetustas res scribenti nescio quo pacto antiquus fit animus et quaedam religio tenet, quae illi prudentissimi uiri publice suscipienda censuerint, ea pro dignis habere, quae in meos annales referam (Liv. 43,13,2). 24 Dies belegt schon die Einschränkung in Cic. leg. 2,40, die sich auf die obengenannte Stelle (leg. 2,27) rückbezieht: et profecto ita est ut id habendum sit antiquissimum et deo proximum, quod sit optimum. Cicero weiß auch um die Defizite der antiquitas trotz ihrer grundsätzlichen Hochschätzung: habet autem, ut in aetatibus auctoritatem senectus, sic in exemplis antiquitas, quae quidem apud me ipsum valet plurimum. Nec ego id, quod deest antiquitati, flagito quam laudo quod est; praesertim cum ea maiora iudicem quae sunt quam illa quae desunt (orat. 169). Stärker ist der kritische Unterton in den Äußerungen über gekünstelte Antiquiertheit der Rede (des Servius Galba) in Cic. Brut. 82 (exiliores orationes sunt et redolentes magis antiquitatem quam aut Laeli aut Scipionis aut etiam ipsius Catonis) oder über übertriebene Bewunderung der antiquitas in Quint. inst. 2,5,21 (ne quis eos antiquitatis nimius admirator in Gracchorum Cantonisque et aliorum similium lectione durescere uelit).

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

nostri, quos celebramus laudibus, quibus dissimiles esse nos querimur, spe ducti montes ceciderunt et supra lucrum sub ruina steterunt. Und die Verehrung der Vergangenheit durch den gegenwartskritischen laudator temporis acti, als der z.B. Varro auftritt und in Men. 167 scherzt (ego, unus scilicet antiquorum hominum, subductis / superciliis dicam: ȭȫȶɄȼȯȳ ´ ȷoºȷ ‰ɀɂȷ), wird in seinen _Saturae> bespöttelt, wenn er sich von einem Gegenüber im _Sexagessis> vorwerfen läßt: Marce ... ruminaris antiquitates (Men. 505).25 Noch stärker parodiert das stereotype Lob des Alten Plaut. Trin. 1030-31: di inmortales, basilica hicquidem facinora inceptat loqui! / uetera quaerit, uetera amare hunc more maiorum scias. Aber diese vereinzelten Stimmen, die sich vom römischen Traditionalismus ironisch distanzieren, werden von dem allgemeinen Chor, der die Vergangenheit in aufrichtiger Gesinnung preist, übertönt. Daß die literarisch perpetuierte Idealisierung der Vergangenheit zur Erstarrung neigte, wird sogar in den _Noctes Atticae> des Gellius getadelt, der im übrigen doch selbst an der nostalgischen Traditionspflege eifrig mitwirkt. So gibt es in NA 1,10,3 aus dem Mund des Favorinus von Arelate Kritik an unangemessen antiquierter Redeweise, die aus falsch betriebenem Vergangenheitskult hervorgeht.26 Deutlich kritischen Ton hat auch die Charakterisierung des unter Augustus lebenden `realitätsfremdenA Juristen Labeo Antistius durch seinen politischen und wissenschaftlichen Gegner, den Rechtsgelehrten Ateius Capito in NA 13,12,2: Sed agitabat ... hominem libertas quaedam nimia atque uecors, usque eo, ut diuo Augusto iam principe et rem publicam obtinente ratum tamen pensumque nihil haberet, nisi quod iussum sanctumque esse in Romanis antiquitatibus legisset. Nicht zufällig ist der Kritisierte ein renommierter Rechtsexperte auf dem Gebiet des Pontifikal- und Sakralrechts: Die Tradition entfaltet ja in der römischen Religion und in der mit ihr eng verbundenen Jurisprudenz27 eine besondere Vitalität und Wirkungskraft.28 So ist memoria insbe_____________ 25 Dazu KRENKEL (Hrsg.), Varro: Saturae Menippeae, 3, 968-969 zu Men. 505: Der Aldina folgend haben die späteren Textfassungen hier das von Nonius für den _Sexagessis> bezeugte ruminaris (LAETUS ruminari; BUECHELER ruminans; DESCHAMPS cum ruminaris) statt des überlieferten criminaris übernommen. Zu Varros Hochschätzung der antiquitas vgl. auch ebd. 1, 104 zu Men. 63. 1, 285-286 zu Men. 167. 26 NA 1,10,2-3: Tu autem, proinde quasi cum matre Euandri nunc loquare, sermone abhinc multis annis iam desito uteris, quod scire atque intellegere neminem uis, quae dicas. Nonne, homo inepte, ut, quod uis, abunde consequaris, taces ? Sed antiquitatem tibi placere ais, quod honesta et bona et sobria et modesta sit. Viue ergo moribus praeteritis, loquere uerbis praesentibus. 27 Den juristischen Charakter der römischen religio, der schon in der ciceronischen Definition von religio als iustitia erga deos (part. 78) erfaßt ist, beschreiben: WISSOWA, Religion und Kultus der Römer, 380. 394 (`Kulthandlungen der römischen Religion

2.2. Memoria und der römische Traditionalismus

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sondere für diejenigen, die das juristische und religiöse Regelwerk kennen und auslegen, unerläßlich.29 Daß die Schriften des Labeo Antistius vornehmlich von Lexikographen und Antiquaren benutzt wurden, verweist zugleich auf ein literarisches Gebiet, das symptomatisch ist für die römische Traditionsorientierung: die antiquarische Forschung, die von den Römern mit besonderem Interesse betrieben wurde.30 Zwar hat es auch in Griechenland antiquarische Untersuchungen gegeben, aber sie haben literarisch keinen Niederschlag in eigenständigem Schrifttum gefunden.31 In der antiquarischen Literatur der Römer, die vom 2. Jh. v. bis ins 3. Jh. n. Chr. im Dienst der Erforschung der eigenen Vergangenheit entstanden ist, verdichtet sich das kulturelle Gedächtnis und werden die vielfältigen römischen juristischen, historischen, genealogischen, und insbesondere sprachlich-grammatischen Erinnerungsinteressen gebündelt. Diese Erforschung der Vergangenheit hängt nicht nur bei Varro, der von Cicero als diligentis_____________

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... als Akte eines durch feste Normen geregelten und in streng vorgeschriebenen Formen sich vollziehenden RechtsverkehrsA); LATTE, Römische Religionsgeschichte, 6162 (`Einheit der DenkformA); BICKEL, Geschichte der römischen Literatur, 77-78; MUTH, Vom Wesen römischer _religio>, 339-340. 342 (`Der Gedanke des do ut des, besser des des ut dem, als einer geradezu juristisch verpflichtenden Regel beherrscht das religiöse LebenA); J. SCHEID, Römische Religion 1: Republikanische Zeit, in: F. GRAF (Hrsg.), Einleitung in die lateinische Philologie, Stuttgart 1997, 469-491, hier bes. 480-481 (über die `OrthopraxieA der römischen Religion). Daß der Formalismus und `Ritualismus der römischen ReligionA begründet liegt in ihrer Ausrichtung auf das Gemeinwesen, wird herausgestellt von LINKE, Religio und res publica, 275-277 (dort weitere Literaturhinweise). Die enge Verbindung von Ritus und Recht in der hebräischen Schriftkultur behandelt J. ASSMANN exemplarisch im Zusammenhang mit dem für die Mechanismen und Medien kultureller Kontinuität zentralen Kanon-Begriff: vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 106. Vgl. CLASSEN, Virtutes Romanorum, 254. Es liegt überhaupt im Wesen von Religion und Ritus, daß sie auf memoria `im Sinne der Institutionalisierung von PermanenzA beruhen: vgl. J. ASSMANN, Kulturelles Gedächtnis als normative Erinnerung, 102. M. HALBWACHS, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt 1985, 261 bezeichnet es als den Gegenstand von Religion, `die Erinnerung an eine längst vergangene Zeit unberührt und ohne jede Beimischung späterer Erinnerungen durch die Zeit zu erhalten.A Dazu J. ASSMANN, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, 17 Anm. 11. Vgl. Cic. Cato 22. RAWSON, Intellectual Life, 233-249 hat sie unter die artes aufgenommen, die sie ihrer Darstellung über das spätrepublikanische römische Geistesleben zugrundelegt; vgl. K. SALLMANN/ P. L. SCHMIDT , HLL 4 (1997), '' 407-409, S. 67-82 (Antiquarische Literatur). Vgl. A. MOMIGLIANO, Die Geschichtsschreibung; in: E. VOGT (Hrsg.), Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd.2: Griechische Literatur, Wiesbaden 1982, 305336, hier 324; RAWSON, Intellectual Life, 246; vgl. K. SALLMANN, Antiquare; in: DNP 1 (1996) 789-790.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

simus inuestigator antiquitatis (Cic. Brut. 60) geschätzt wird, zusammen mit der oben beschriebenen fast religiösen Verehrung des Alten.

2.3. Memoria im öffentlichen Kult Die Traditionsorientierung spielte eine bedeutende Rolle im öffentlichen und politischen Leben Roms. Sie manifestierte sich in der Aufnahme der Memoria in den hochoffiziellen Kultus, wo ihr Bild in der großen Götterprozession der ludi Romani unter den Gottheiten der Kronosgeneration mitgeführt wurde, wie Dionysios von Halikarnassos in den _Antiquitates Romanae> überliefert.32 Als Gottheit erhielt die _Erinnerung> unter der Namensform Moneta, mit der Livius Andronicus den Namen der griechischen Göttin Mnemosyne in seiner Odyssee-Übertragung wiedergegeben hatte,33 wohl auch schon früh einen institutionellen Ort. Wie die anderen Gottheiten, in denen für die römische Gesellschaft zentrale Werte personifiziert erscheinen und die seit dem späten 4. Jh. v. Chr. an eigenen Kultstätten verehrt wurden, hatte Moneta offenbar eine sozial wichtige Funktion. So stellt Cicero sie in nat. deor. 3,47 neben Honos, Fides, Mens, Concordia und Spes, die aufgrund ihrer sozialen utilitas zu Gottheiten erklärt wurden.34 Die Annahme liegt nahe, daß ursprünglich Monetas `Wert und Nutzen ... im Stiften und Bewahren von ErinnerungA35 bestand, denn ihr wohl doch auf jeden Fall von monere abzuleitender Name ist als _____________ 32 Dion. Hal. ant. 7,72,13: ȣȯȵȯȾȽȫ¥ȫ Ȯ‡ ąȪvȽɂv ȫ¬ ȽÆv ȲȯÆv ȯ¨ȴџvȯȻ ˆąџȶąȯȾov ÌȶoȳȻ Áą] wvȮȺÆv ȿȯȺџȶȯvȫȳ ... o½ ȶџvov ȕȳ°Ȼ ȴȫ¤ aȘȺȫȻ ȴȫ¤ ]ȒȲȱvrȻ ȴȫ¤ ȡoȼȯȳȮÆvoȻ ȴȫ¤ ȽÆv xȵȵɂv, oÃȻ aȖȵȵȱvȯȻ ˆv Ƚo¥Ȼ ȮѡȮȯȴȫ Ȳȯo¥Ȼ ȴȫȽȫȺȳȲȶoºȼȳv, wȵȵq ȴȫ¤ ȽÆv ąȺoȭȯvȯȼȽɃȺɂv, ˆȸ Öv o¬ ȮѡȮȯȴȫ Ȳȯo¤ ȶȾȲoȵoȭoºvȽȫȳ ȭȯvɃȼȲȫȳ, țȺџvoȾ ȴȫ¤ ^ѢɃȫȻ ȴȫ¤ șɃȶȳȮoȻ ȴȫ¤ ȜȱȽoºȻ ȴȫ¤ ȝoȳȺÆv ȴȫ¤ ȝvȱȶoȼѠvȱȻ ȴȫ¤ ȽÆv xȵȵɂv ąȪvȽɂv, µȼɂv ˆȼȽ¤v ¬ȯȺq ȴȫ¤ ȽȯȶɃvȱ ąȫȺ’ aȖȵȵȱȼȳ. Vgl. dazu EITREM, Mnemosyne, 2268. 33 Liv. Andr. carm. frg. 21 (23) FPL MOREL3/ BLÄNSDORF: nam diua Monetas filia docuit; vgl. Od. 8,480-481: oÂvȯȴ] xȺȫ ȼȿɃȫȻ/ o©ȶȫȻ ȝoºȼ] ˆȮɅȮȫȸȯ bzw. Od. 8,488: – ȼɃ ȭȯ ȝoºȼ] ˆȮɅȮȫȸȯ. Die Identifizierung von Moneta mit Mnemosyne als Musenmutter bestätigt später Hygin. praef. 27: Ex Ioue et Moneta, Musae. 34 In nat. deor. 2,62 führt Cicero B im Hinblick auf Fides, Mens, Virtus, Salus, Concordia, Libertas, Victoria B aus: utilitatum igitur magnitudine constituti sunt ei di qui utilitates quasque gignebant, atque is quidem nominibus quae paulo ante dicta sunt quae uis sit in quoque declaratur deo. 35 So deutet die Cicero-Stellen WALTER, Memoria und res publica, 29-30, der den Tempel der Iuno Moneta als einen _Gedächtnisort> der memoria erklärt, und im weiteren sich anschließt an die Ausführungen über die kaum zufällige Verbindung von IunoMoneta-Tempel, pes monetalis und Münzstätte auf dem Kapitol, wie sie A. MEADOWS / J. WILLIAMS in _Moneta and the Monuments> (2001) vorgelegt haben.

2.3. Memoria im öffentlichen Kult

33

,Erinnerung>, nicht als ,Mahnung> oder ,Mahnerin> zu deuten.36 Aufgrund wessen sie mit Iuno in Verbindung gebracht wurde37 und aus welchem Anlaß die Tempelweihe erfolgte, ist nicht genau auszumachen, aber bei Liv. 7,28,6 wird überliefert, daß 344 v. Chr. im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Aurunker ihr als Iuno Moneta auf dem Kapitol ein Tempel errichtet wurde. Der Ort des Tempels, in dessen Nähe sich die römische Münze befand und in dem bzw. bei dem der pes monetalis, wahrscheinlich ein Normlängenmaß, aufbewahrt wurde, ist jedenfalls sicher auf der kapitolinischen Arx zu lokalisieren.38 Der räumliche wie sachliche Zusammenhang zwischen der Münzprägestätte als Ort der geldlichen Normierung, dem Aufbewahrungsort des pes monetalis als Längenmaßstab und der Kultstätte der Iuno Moneta, in der auch die als historisch zuverlässige Zeugen der römischen Frühgeschichte geltenden und deshalb zum Beispiel vom Geschichtsschreiber Licinius Macer im ersten Jh. v. Chr. dort aufgesuchten Magistratenlisten der libri lintei aufbewahrt wurden, deutet daraufhin, daß die Göttin `sichere Gewährleistung durch Beharren auf den bewahrten _____________ 36 Die Ansichten darüber gehen auseinander, auch wenn die Herleitung von monere, sei es im Sinne von _mahnen>, sei es in der Bedeutung _erinnern>, inzwischen trotz der Skepsis von WALDE / HOFMANN3 II 107-108 weitgehend akzeptiert wird: Für _Erinnerung> als ursprüngliche Auffassung plädieren G. RADKE, Moneta; in: KlP 3 (1979) 1410; MEADOWS / WILLIAMS, Moneta and the Monuments, 33-34; WALTER, Memoria und res publica, 29-30. Dagegen heißt es bei LATTE, Römische Religionsgeschichte, 169: `Im J. 344 wurde auf der Arx ein Tempel der Mahnerin Iuno, der Iuno Moneta, errichtet (Liv. 7,28,6). Der Gründungstag war der 1. Juni (CIL I2 p.319. Macrob. 1,12,30. Ov. fast. 6,183). Worin die Mahnung bestanden hatte, wußte man später nicht mehr. Livius, der erzählt, der Dikator L. Furius Camillus hätte den Tempel im Kampfe gegen die Aurunker gelobt (a.a.O. 28,4), ist selbst über den geringfügigen Anlaß erstaunt. Offenbar war nur der Aurunkerkrieg und die Tempelgründung im folgenden Jahr überliefert und wurden von der Annalistik in einen pragmatischen Zusammenhang gebracht. So bleibt nur der Schluß aus dem Namen, dessen isolierte Bildung altertümlich aussieht.A Dieselbe Meinung vertritt auch MUTH, Die Religion der Griechen und Römer, 252: `Moneta heißt offenbar die _Mahnerin>, Juno soll 345 v. Chr. gelegentlich einer drohenden kriegerischen Auseinandersetzung durch ihre Mahnung das römische Kapitol gerettet haben.A Obwohl dieser Auffassung zuneigend bemüht sich um Vermittlung A. BENDLIN, Moneta; in: DNP 8 (2000) 366. 37 Cic. div. 1,101 (2,69) bringt in Verbindung mit der etymologischen Ableitung des Iuno-Epithetons Moneta von monere _ermahnen> die Version, daß Iuno einstmals von ihrem Tempel auf der Arx aus die Römer _gemahnt> habe, sie sollten durch das Opfer einer trächtigen Sau ein Erdbeben sühnen. Vgl. H. LE BONNIEC, Moneta; in: LAW 2 (1965/ 2001) 1986. 38 Vgl. COARELLI, Rom, 48. 53. Ausführlicher ders., Moneta. Le officine della Zecca di Roma tra Repubblica e Impero; in: Annali Istituto Italiano di Numismatica 38-41 (1991-1994) 23-65; ders., Moneta in arce; in: Lexicon Topographicum Urbis Romae, a cura di E. M. STEINBY, Vol. 3 (1996) 279-80; G. GIANNELLI, Iuno Moneta, Aedes; in: Lexicon Topographicum Urbis Romae, a cura di E.M. STEINBY, Vol. 3 (1996) 123-125.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

NormenA39 garantierte. Desweiteren ist Moneta eine besonders sinnfällige Schlüsselfigur der römischen Erinnerungskultur, weil sie zugleich durch das Verbum monere etymologisch in Verbindung steht mit den monimenta, den Denkmälern als den verschiedenen Medien, in denen sich memoria äußert und sichtbar wird.40 Schon Varro hat den in der Etymologie begründeten Zusammenhang in ling. 6,49 beschrieben: meminisse a memoria ...; ab eodem monere[m], quod is qui monet, proinde sit ac memoria; sic monimenta quae in sepulcris, et ideo secundum uiam, quo praetereuntis admoneant et se fuisse et illos esse mortalis. Ab eo cetera quae scripta ac facta memoriae causa monimenta dicta. Diese Aussage über die verschiedenen Formen bzw. Medien der memoria findet später ihre Bestätigung beim Horazkommentator Porphyrio zu Hor. carm. 1,2,15: Monumentum non sepulchrum tantum dicitur, sed omne quicquid memoriam testatur. In den FestusExzerpten des Paulus Diaconus wird dies weiter ausgeführt: Monimentum est, quod et mortui causa aedificatum est et quicquid ob memoriam alicuius factum est, ut fana, porticus, scripta et carmina (Paul. Fest. p. 123, 7-10 LINDSAY).

2.4. Memoria und Schriftkultur Die Macht der memoria hängt daher nicht nur ab von ihrer kultischen Präsenz, sondern auch von den Rahmenbedingungen der Schriftkultur.41 Darauf zielt Cicero in leg. 3,46, wo er hinsichtlich der Gesetzestexte zu seiner Zeit im Gegensatz zu den Verhältnissen der Vergangenheit und zu den in Griechenland herrschenden einen Mangel an gesellschaftlicher Einbettung der schriftlich fixierten Texte beklagt: legum custodiam nullam habemus, itaque eae leges sunt quas apparitores nostri uolunt: a librariis petimus, publicis litteris consignatam memoriam publicam nullam habemus.42 J. _____________ 39 WALTER, Memoria und res publica, 30. 40 Vgl. MEADOWS / WILLIAMS, Moneta and the Monuments, 41-42. 41 _Schriftkultur> ist hier im Sinne der ASSMANNschen Definition gemeint: `Unter dem Begriff der _Schriftkultur> geht es ... um Fragen der Institutionen und Traditionen des Schreibens, des Umgangs mit Texten, der Einbettung von Schrift und schriftlich fixierten Texten in die GesellschaftA (J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 265). 42 WALTER, Memoria und res publica, 203 übersetzt recht frei: `Wir haben keinerlei zureichende Dokumentation der Gesetze, und deshalb existieren nur die Gesetze, deren Existenz unsere Amtsdiener wollen. Wir müssen sie uns von Abschreibern beschaffen. Wir haben keinerlei durch Urkunden als zuverlässig verbürgtes Archivwesen.A Der lateinische Text wird zutreffender wiedergegeben in der Übersetzung von NICKEL, Cicero: De legibus B Paradoxa Stoicorum / Über die Gesetze - Stoische Paradoxien, Lat. u. dt., hrsg., übers. u. erläut. v. R. NICKEL, Düsseldorf / Zürich 2002, 195: `Wir haben keine Aufsicht über die Gesetze. Deshalb sind die Gesetze so, wie sie un-

2.4. Memoria und Schriftkultur

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ASSMANNs Deutung dieser Stelle, es sei ihnen `die _öffentlicher Schrift überantwortete Erinnerung> fremdA,43 wird sicher der römischen Erinnerungskultur nicht gerecht, in der es ja sehr wohl seit der Frühzeit offizielle Priesteraufzeichnungen in den ,Annales Maximi> und _Fasti> gab, die nach Cic. de orat. 2,52 gerade der memoria publica dienen sollten (vgl. unten Anm. 45). Aber diese schriftlichen Quellen blieben doch weitgehend im Verborgenen, sie waren nicht ohne Schwierigkeiten einzusehen und zu benutzen.44 Auch in der späteren Republik existierten, wie aus Ciceros in Cael. 78 gegen Clodius erhobenen Vorwurf hervorgeht, die memoria publica in Brand gesetzt zu haben, Archive, in denen Senatsbeschlüsse und Gesetzestexte verwahrt wurden, allerdings erschien Cicero ihre Dokumentation als unzureichend und unzugänglich. Deshalb beanstandet er in leg. 3,46, daß man erst durch subalterne Angestellte auf die Gesetzesquellen Zugriff erhält, und sie deshalb im öffentlichen Gedächtnis nicht hinlänglich präsent sind. Cicero hat auch bereits die verschiedenen Aspekte der Einbettung der memoria in die römische Schriftkultur reflektiert. Er beschreibt das wechselseitige Angewiesensein von Schriftkultur und Erinnerungskultur, wenn er andeutet, daß die Präsenz der memoria in der Gesellschaft einerseits auf schriftlicher Fixierung beruht.45 Daß es andererseits einen umgekehrten Übergang des mündlich tradierten kollektiven Gedächtnisses zur schrift_____________ sere Sachbearbeiter haben wollen: Bei den Schreibern bemühen wir uns um eine schriftliche Fassung, aber eine öffentlich beurkundete und beglaubigte Gesetzessammlung besitzen wir nicht. Die Griechen übten darin mehr Sorgfalt; bei ihnen wurden _Gesetzes-wächter> gewählt, und diese überwachten nicht nur die schriftlichen Aufzeichnungen (denn das war ja auch bei unseren Vorfahren der Fall), sondern auch die Taten der Menschen und bezogen sie auf die Gesetze.A 43 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 267 (m. Anm. 16): Er bezieht dort die Äußerung Ciceros über die Zustände in Rom, die darin gerade denen in Griechenland entgegengestellt werden, auf Griechenland, um dessen Schriftkultur von der Ägyptens zu unterscheiden. 44 Vgl. WALTER, Memoria und res publica, 196-204. 45 Vgl. oben zu Cic. leg. 3,46. Die Geschichte in der memoria publica, d.h. im kollektiven römischen Gedächtnis, gegenwärtig zu halten ist denn auch der Sinn der von den pontifices maximi verfaßten und öffentlich ausgestellten annales maximi, die am Anfang der römischen Historiographie stehen: erat enim historia nihil aliud nisi annalium confectio, cuius rei memoriaeque publicae retinendae causa ab initio rerum Romanarum usque ad P. Mucium pontificem maximum res omnis singulorum annorum mandabat litteris pontifex maximus efferebatque in album et proponebat tabulam domi, potestas ut esset populo cognoscendi: ii qui etiam nunc annales maximi nominantur (Cic. de orat. 2,52). B Der enge Zusammenhang von Schriftlichkeit und kollektivem Gedächtnis insbesondere in der Geschichtsschreibung wird auch von Livius beschworen: litterae ... una custodia fidelis memoriae rerum gestarum (Liv. 6,1,2). Vgl. dazu GOWING, Empire and Memory, 25 m. Anm. 69.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

lich überlieferten und literarisch verfestigten memoria gibt, ist ihm ebenso bewußt, wenn er in seiner dritten _Catilinarischen Rede> angelegentlich auf die Errichtung seines Denkmals in Form der huius diei, d.i. des Tages der Aufdeckung der Catilinarischen Verschwörung, memoria sempiterna hinzuwirken sucht: in animis ego uestris omnis triumphos meos, omnia ornamenta honoris, monumenta gloriae, laudis insignia condi et collocari uolo. ... memoria uestra, Quirites, nostrae res alentur, sermonibus crescent, litterarum monumentis inueterascent et corroborabuntur (Catil. 3,26). Während Cicero also zu seiner `VerewigungA vor allem auf die schriftliche Überlieferung, und das heißt B trotz seines starken Interesses an einer gebührenden Würdigung seiner Person und Verdienste durch das Geschichtswerk des L. Lucceius (fam. 5,12 [13],2. 7) B auf seine eigenen Werke, setzt, weiß er, daß andere wie der ältere Scipio für ihre Ruhmessicherung und Verankerung im kollektiven Gedächtnis nicht auf schriftstellerische Tätigkeit angewiesen waren: ... quamquam Africanus maiorem laudem meo iudicio assequebatur. nulla enim eius ingenii monumenta mandata litteris, nullum opus otii, nullum solitudinis munus exstat (Cic. off. 3,4). Diesen Überlegungen, die Cicero im Rahmen der Rechtfertigung seiner eigenen literarischen Aktivitäten anstellt, liegt der, vielleicht eher aus strategischem Kalkül vorgebrachte als aus wirklicher Überzeugung erwachsene, Gedanke zugrunde, daß die Verschriftlichung nur sekundäres Mittel sei, seine (theoretischen) Leistungen im öffentlichen Bewußtsein präsent zu halten.46 Andererseits überliefert Cicero, sich selbst seiner besonderen Eignung aufgrund seiner bisher errungenen politischen Verdienste und geistigen Leistungen gewiß, in schriftlicher Form mündlich tradierte denkwürdige Reden und Taten anderer, wobei er sein Werk ausdrücklich unter Berufung auf die memoria rechtfertigt. So beschließt er in Cic. rep. 1,13 die Vorüberlegungen des Prooemiums: quibus de rebus, quoniam nobis contigit ut idem et in gerenda re publica aliquid essemus memoria dignum consecuti et in explicandis rationibus rerum ciuilium quandam facultatem, non modo usu sed etiam studio discendi et docendi essemus auctores ... nec uero nostra quaedam est instituenda noua et a nobis inuenta ratio, sed unius aetatis _____________ 46 Diese Legitimationsstrategie, in der das Schreiben als Ersatz für das politische Handeln durch die Umstände gerechtfertigt wird, wendet Cicero nicht nur hier (vgl. z.B. de orat. 1,1-3; fam. 1,8[9],3 [an Lentulus]) und nicht als einziger an, sondern sie ist auch von Sallust eingesetzt worden, der sie in Catil. 3,2 auf die Formel bringt: tametsi haudquaquam par gloria sequitur scriptorem et actorem rerum, tamen in primis arduom uidetur res gestas scribere ... In den politischen Verhältnissen der Kaiserzeit entwickelt sich der Gedankengang weiter; so verkündet Seneca in dial. 8 [= De otio] 4,2. 6,4-5, daß im otium bedeutendere Leistungen als durch Ausübung eines politischen Amtes vollbracht werden.

2.5. Memoria in Kunst und Literatur

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clarissimorum nostrae ciuitatis uirorum disputatio repetenda memoria est.47 Auch im Prooemium des zweiten Buches _De oratore> stellt sich Cicero als Schriftsteller explizit in den Dienst der kollektiven memoria: quo etiam feci libentius, ut eum sermonem, quem illi inter se de his rebus habuissent, mandarem litteris ..., uel ut ea , quae existimarem a summis oratoribus de eloquentia diuinitus esse dicta, custodirem, si ullo modo adsequi complectique potuissem; uel mehercule etiam ut laudem eorum iam prope senescentem, quantum ego possem, ab obliuione hominum atque a silentio uindicarem. ... ut duo summos uiros iis qui neutrum illorum uiderint, eorum quibus ambo illi oratores cogniti sint uiuorum et praesentium memoria teste commendemus (de orat. 2,7-9).

2.5. Memoria in Kunst und Literatur Von der allgemeinen Bedeutung des Gedächtnisses für die Produktion von Kunst und insbesondere von sprachlichen Kunstwerken, deren Existenz in Zeiten mündlicher Überlieferung vollständig von der Arbeit des Gedächtnisses abhing, war von alters her die Rede: Sie verbirgt sich in dem breit überlieferten und bis in die Spätantike gegenwärtig bleibenden48 frühgriechischen Mythos über Mnemosyne als Mutter der B ursprünglich drei B Musen,49 ebenso wie in der Version, daß diese selbst nach Plutarch50 ȝvȯ¥ȫȳ _Gedächtnisse> genannt wurden bzw. nach Pausanias Melete (_Übung>), Mneme (_Gedächtnis>) und Aoide (_Gesang>)51 hießen. So war _____________ 47 Ähnlich heißt es im Prooemium der Schift _De oratore>: ac mihi repetenda est ueteris cuiusdam memoriae non sane satis explicata recordatio, sed, ut arbitror, apta ad id, quod requiris, ut cognoscas, quae uiri omnium eloquentissimi clarissimique senserint de omni ratione dicendi (de orat. 1,4). Dabei ist memoria konkret dasjenige, an das man sich erinnert; recordatio bezeichnet den Akt des Erinnerns. Vgl. LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de orat. 1,4, Bd.1, 32. 48 Vgl. z.B. Aug. ord. 2,14,41: Augustinus bezieht den Mythos auf die Musik, in welcher der Klang, der im mundus sensibilis verhallt, durch die Einprägung ins Gedächtnis an der intellegiblen Welt teilhat. Daher sei es eine kluge Erfindung der Dichter, die Musen als Töchter Jupiters und der Memoria darzustellen. Der Gedanke, daß die memoria ermögliche, die flüchtigen Sinneseindrücke des mundus sensibilis festzuhalten, begegnet auch in Aug. trin. 11,3,6. 49 So in Hes. Theog. 54-55; dazu M.L. WEST (Ed.), Hesiod: Theogony, with Prolegomena and Commentary, Oxford 1966, repr. Oxford 1997, 174. 50 Vgl. Plut. mor. 743 d [= quaest. conv. 9,14,1]: ˆvȳȫɀoº Ȯ‡ ȴȫ¤ ąȪȼȫȻ ... ȽqȻ ȝoѠȼȫȻ ȝvȯɅȫȻ ȴȫȵȯ¥ȼȲȫȳ ȵɃȭoȾȼȳv. 51 Vgl. Paus. 9,29,2. Eine Interpretation der Stelle liefert HERZOG, Zur Genealogie der Memoria, 3-8: er deutet darin den Namen Melete etymologisch als _Sinnen (auf)> im Hinblick auf die zukunftsgerichtete Funktion der memoria.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

Mnemosyne auch im Kult meist mit den Musen verbunden52, nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten, und zwar bis in nachchristliche Zeit, wie Athenaios in seinen um 200 n. Chr. entstandenen _Deipnosophistai> bezeugt: In 11,503 f beschließt der gelehrte Grammatiker Plutarchos seine Ausführungen über Weinbecher mit einem Dichterzitat und einem Trankopfer an die Musen und ihre Mutter (Mnemosyne). Bei der zum Topos entwickelten Musenanrufung zu Beginn eines epischen Werkes scheint bisweilen sogar das Gedächtnis selbst angerufen zu sein, wie aus Platon Euthyd. 275 c 7- d 2 hervorgeht:ÔȼȽ’ ‰ȭɂȭȯ, ȴȫȲȪąȯȺ o¬ ąoȳȱȽȫɅ, ȮɃoȶȫȳ wȺɀџȶȯvoȻ ȽȻ ȮȳȱȭɄȼȯɂȻ ȝoѠȼȫȻ Ƚȯ ȴȫ¤ ȝvɄȶȱv ˆąȳȴȫȵȯ¥ȼȲȫȳ [`so daß ich, gleich wie die Dichter, am Anfang der Erzählung die Musen und das Gedächtnis anrufen mußA]. Daß der memoria bei der Entstehung literarischer Werke überhaupt, nicht nur in der Epik, große Bedeutung zugemessen wurde, läßt sich dem bekannten Prooemium in Ciceros rhetorischer Schrift _De oratore> entnehmen: Cogitanti mihi saepe numero et memoria uetera repetenti perbeati fuisse, Quinte frater, illi uideri solent (Cic. de orat. 1,1) ... Ac mihi repetenda est ueteris cuiusdam memoriae non sane satis explicata recordatio, sed, ut arbitror, apta ad id, quod requiris, ut cognoscas quae uiri omnium eloquentissimi clarissimique senserint de omni ratione dicendi (Cic. de orat. 1,4). Die Erkenntnis, daß dabei die Schrift bzw. Verschriftlichung als externalisiertes Gedächtnis fungiert, ist bereits bei Platon vorhanden.53 Und daß diese Externalisierung des Gedächtnisses eine ungeheure Steigerung der Gedächtniskapazität ermöglicht,54 hat Augustinus, der mit seiner memoria-Konzeption in seiner autobiographischen Schrift _Confessiones> (397/98) einen zentralen Beitrag zur abendländischen Reflexion über Gedächtnis und Erinnerung geleistet hat,55 schon zu Beginn seiner (vermutlich im Herbst 386 entstandenen) _Selbstgespräche> in dem Dialog zwischen der personifizierten Ratio und ihrem Gegenüber, _____________ 52 Vgl. EITREM, Mnemosyne, 2267-2268. 53 Dies geht hervor aus Phaidr. 275 a 2-6, wo Sokrates in dem Mythos von Thamus und Theuth seine Schriftkritik (Phaidr. 274 c 5 - 278 b 4) vorträgt. Dazu vgl. auch A. ASSMANN, Erinnerungsräume, 184-186. 54 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 22-23; ders., Kulturelles Gedächtnis als normative Erinnerung, 95. 99-101; vgl. WEINRICH. Lethe, 99-100 (über Kants Kommentar zur oben genannten Platon-Stelle `Etwas Wahres ist in diesem SatzA). 55 Vgl. O.G. OEXLE, Die Gegenwart der Lebenden und der Toten. Gedanken über Memoria; in: Gedächtnis, das Gemeinschaft stiftet, hrsg. v. K. SCHMID, München Zürich 1985, 74-107; OEXLE, Memoria als Kultur, 35-37; G. O=DALY, Augustine=s Philosophy of Mind, London 1987, 131-151; O=DONNELL (Ed.), Augustine: Confessions, Vol. 3, 174-178; SÖHNGEN, Der Aufbau der augustinischen Gedächtnislehre, 367-394; K.WINKLER, La théorie augustinienne de la mémoire à son point de départ; in: Augustinus magister. Congrès international augustinien, Paris 1954, Communications I [= Études augustiniennes], 511-519.

2.5. Memoria in Kunst und Literatur

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dem `impliziten AutorA,56 Augustinus thematisiert: Ratio: Ecce, fac te inuenisse aliquid: cui commendabis, ut pergas ad alia ? Augustinus: Memoriae scilicet. - Ratio: Tantane illa est, ut excogitata omnia bene seruet ? - Augustinus: Difficile est, immo non potest. - Ratio: Ergo scribendum est ... (soliloq. 1,1-2). Aber zugleich geht die Externalisierung und Zunahme des Gedächtnisses in der Schrift einher mit dem Verkümmern des individuellen Gedächtnisses, was schon Platon in seiner Kritik an der schriftlichen Fixierung philosophischer Rede beklagt.57 Bei ihm, der zugleich ȶvɄȶȱ als unabdingbare Eigenschaft des Philosophen und künftigen idealen Herrschers postuliert,58 führt das Bewußtsein von den Defiziten der Schrift, die sich nicht zur ernsthaften Erörterung philosophischer Fragen eigne, sondern allenfalls dazu, daß jemand ąȫȳȮȳrȻ ɀȪȺȳv ... ȭȺȪɁȯȳ, ... ‹ȫȾȽÊ Ƚȯ ÁąoȶvɄȶȫȽȫ ȲȱȼȫȾȺȳȰџȶȯvoȻ ȯ¨Ȼ Ƚ° ȵɄȲȱȻ ȭȺȫȻ ˆqv ­ȴȱȽȫȳ, ȴȫ¤ ąȫvȽ¤ ȽÊ Ƚȫ½Ƚ°v ©ɀvoȻ ȶȯȽȳџvȽȳ [`des Spieles wegen schreiben wird, ... um für sich selbst einen Vorrat von Erinnerungen anzusammeln, wenn er in das Alter des Vergessens kommt, und für jeden, welcher derselben Spur nachgehtA],59 zur Skepsis gegenüber der Überbewertung des verschriftlichten Wissens.60 Allerdings ohne auf Platon zurückzuverweisen und die Dimension der Platonischen Schriftkritik zu umfassen, schließt auch Seneca in epist. 88,32 seine Vorbehalte gegen eine bloße Buchstabenweisheit mit der

_____________ 56 Zu diesem Terminus vgl. A. NÜNNING, Autor, impliziter; in: ders. (Hrsg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, 36-37. 57 Plat. Phaidr. 275 a 2-5 . Zum platonischen Mythos über die Erfindung der Schrift als o¾ȴoȾv ȶvɄȶȱȻ , wȵȵq ÁąoȶvɄȼȯɂȻ ȿȪȺȶȫȴov (Phaidr. 275 a 5) und sein Fortwirken in der Gedächtnisforschung: P. RICOEUR, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 217 222; J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 23-24; WEINRICH, Lethe, 99-100. 58 Vgl. Plat. rep. 486 d 1-2: ]ȖąȳȵɄȼȶovȫ xȺȫ ɁȾɀŽv ˆv Ƚȫ¥Ȼ ¬ȴȫvÆȻ ȿȳȵoȼџȿoȳȻ ȶɄ ąoȽȯ ˆȭȴȺɅvɂȶȯv, wȵȵq ȶvȱȶovȳȴŽv ȫ½ȽŽv ȰȱȽÆȶȯv Ȯȯ¥v ȯ«vȫȳ. Vgl. auch rep. 490 c 9-11: ȶɃȶvȱȼȫȳ ȭȪȺ ąoȾ µȽȳ ȼȾvɃȬȱ ąȺoȼȴov ȽoѠȽoȳȻ wvȮȺȯɅȫ, ȶȯȭȫȵoąȺɃąȯȳȫ, ȯ½ȶȪȲȯȳȫ, ȶvɄȶȱ. rep. 494 b 1-4: ÓȶoȵџȭȱȽȫȳ ȭqȺ ȮŽ œȶ¥v ȯ½ȶȪȲȯȳȫ ȴȫ¤ ȶvɄȶȱ ȴȫ¤ wvȮȺȯɅȫ ȴȫ¤ ȶȯȭȫȵoąȺɃąȯȳȫ ȽȫѠȽȱȻ ȯ«vȫȳ ȽȻ ȿѠȼȯɂȻ. 59 Plat. Phaidr. 276 d 2-4. Vgl. ebd. 277 e 9 - 278 a 1: ... wȵȵq ȽÊ ²vȽȳ ȫ½ȽÆv Ƚo¹Ȼ ȬȯȵȽɅȼȽoȾȻ ȯ¨ȮџȽɂv Áąџȶvȱȼȳv ȭȯȭovɃvȫȳ. 60 Zu Platons `SchriftkritikA vgl. E. HEITSCH, Platon über die rechte Art zu reden und zu schreiben, Stuttgart 1987 [=Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz. Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse, Jg. 1987, Nr. 4], bes. 2650; ders., Platon: Phaidros, Übersetzung und Kommentar, Göttingen 1993 [= E. HEITSCH / C.W. MÜLLER (Hrsg.), Platon. Werke, III 4] zu Phaidr. 274 b 9 - 278 b 6 (_Die Differenz von Schriftlichkeit und Mündlichkeit>), 188-212; TH. A. SZLESZÁK, Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie. Interpretationen zu den frühen und mittleren Dialogen, Berlin / New York 1985.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

Bemerkung ab: ... et nescio an certior memoria sit, quae nullum extra se subsidium habet.61

2.6. Vergangenheits- und Zukunftsbezug der memoria Die memoria erfüllte im öffentlichen Raum nicht nur rekonstruktive Funktion in bezug auf die Vergangenheit,62 sondern sie war zugleich als `prospektive MemoriaA63 auf die Zukunft gerichtet. Daß man sich dieser prospektiven Wirkung bewußt war, zeigt beispielhaft die im Prinzipat des öfteren angewandte damnatio memoriae, wie sie über mehrere Kaiser, nachdem sie nach ihrem Tod durch einen senatorischen Strafprozeß zu Landesfeinden erklärt worden waren, verhängt wurde.64 Solcher damnatio memoriae fielen unter vielen anderen Nero (68) und Domitian (96), Commodus (192/218) und Elagabal (222) anheim. An die damnatio memoriae schloß sich die Beseitigung von Statuen, die Tilgung des Namens aus Inschriften und Münzen, vor allem die Eliminierung der persönlichen Regierungshandlungen durch rescissio actorum65 an. Bisweilen gab es für die der damnatio memoriae Ausgesetzten aber auch, je nach politisch bedingtem Erinnerungsinteresse wieder eine B in einigen Fällen wie bei Nero aber nur vorübergehende B restitutio memoriae.66 _____________ 61 Die Beobachtung, daß der Schriftgebrauch zur Vernachlässigung des Gedächtnisses führt, wird auch in anderem kulturellen Kontext gemacht: Caesar erklärt damit in Gall. 6,14 die mündliche Überlieferung im Jugendunterricht durch die gallischen Druiden: neque fas esse existimant ea litteris mandare, cum in reliquis fere rebus, publicis priuatisque rationibus, Graecis utantur litteris. Id mihi duabus de causis instituisse uidentur, quod neque in uulgus disciplinam efferri uelint neque eos, qui discunt, litteris confisos minus memoriae studere, quod fere plerisque accidit, ut praesidio litterarum diligentiam in perdiscendo ac memoriam remittant. 62 Die `RekonstruktivitätA ist ein Merkmal des Kollektivgedächtnisses: vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 40-42. 63 J. ASSMANN, Kulturelles Gedächtnis als normative Erinnerung, 99-100. 64 Vgl. F. VITTINGHOFF, Der Staatsfeind in der römischen Kaiserzeit. Untersuchungen zur _damnatio memoriae>, Diss. Bonn 1936 [= Neue Deutsche Forschungen, Reihe _Alte Geschichte> 2]; weitere Hinweise auf neuere Literatur gibt GOWING, Empire and Memory, 2 Anm. 4. 65 Vgl. TH. MAYER-MALY, Damnatio memoriae; in: KlP 1 (1979) 1374. 66 Vgl. J. HOWGEGO, Greek Imperial Countermarks, London 1985, 5-6 (damnatio memoriae ); M. ZIMMERMANN, Die restitutio honorum Galbas; in: Historia 44 (1995) 56-82. Wie häufig in der späteren Kaiserzeit die damnatio memoriae wurde, läßt sich leicht ersehen aus: D. KIENAST, Römische Kaisertabelle, Grundzüge einer römischen Kaiserchronologie, 2., durchges. u. erw. Aufl., Darmstadt 1996: damnatio z.B. bei Otho (S. 105), Vitellius (S. 106), bei Domitian (S. 116), bei Numerianus (S. 259), bei Maximianus (S. 273); restitutio z.B. bei Galba (S. 102).

2.6. Vergangenheits- und Zukunftsbezug der memoria

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Eine äußerst sinnfällige Verknüpfung von retrospektiver und prospektiver memoria leistete die in der politischen Propaganda der Augusteer konzipierte Idee der Roma aeterna,67 in der sich das römische Selbstverständnis kristallisierte. Die in der religiösen Gründungslegende vom augurium augustum des Romulus verankerte Rom-Idee68 vom gottgewollten, Raum- und Zeitgrenzen übersteigenden Bestand des Imperium Romanum, erhielt zunächst in augusteischer Zeit ihre imperialistisch-politische Ausprägung.69 Im zweiten nachchristlichen Jahrhundert, als der `nationale und imperialistische Romgedanke ... durch eine übernationale Zivilisationsidee ersetzt wurdeA,70 wurde das Ideologem der Roma aeterna durch die B seit Hadrian und Antoninus Pius B bezeugten Münzprägungen, dann auch durch Inschriften und offizielle Schreiben in Umlauf gebracht.71 Sakralisiert wurde es in der Kultstatue des hadrianischen Venus et RomaTempels. Der Kult der Dea Roma, die als `Zeichen für das gesamte lateinische Traditions- und KulturbewußtseinA steht72 und, verkörpert in ihr, die Idee der Roma aeterna, erfuhr unter Hadrian enorme Aufwertung, als er, der persönlichen Vorliebe des Augustus für Roma folgend, ihr zusammen mit der Venus felix im Jahre 136/137 n. Chr. einen großen Tempel in der Hauptstadt errichtete und ihr Kultbild als erster mit dem Palladium, dem Wahrzeichen der Ewigkeit Roms, ausstattete.73 Zwar waren die Bauarbeiten bei Hadrians Tod (138) noch nicht ganz abgeschlossen, aber die Einweihung hatte wohl schon 137 stattgefunden. Denn die Kultbilder der Roma aeterna und der Venus felix, sowie ihr Tempel, zunächst ohne Legende, seit Antoninus Pius mit Beischrift, erschienen auf verschiedenen Münzen und fanden so im Volk Verbreitung.74 Das Bauwerk und die Münzprä_____________ 67 Zuerst ausdrücklich artikuliert im Jahre 19 v. Chr. von Tib. 2,5,23; vgl. PRATT, Rome as eternal, 26-27. 68 Die Ausprägung des Romgedankens seit der augusteischen Zeit hat ihre Darstellung gefunden in dem zum Klassiker gewordenen Aufsatz F. KLINGNERs: Rom als Idee, Antike 3 (1927) 17-34; wiederabgedruckt in: ders., Römische Geisteswelt, München 5 1965, 645-666; zuletzt in: B. KYTZLER (Hrsg.), Rom als Idee, Darmstadt 1993 [= WdF 656] 13-30. Zur Verbindung des Roma-aeterna-Glaubens mit der Gründungssage vgl: KOCH, Roma aeterna, 169. 172-173; TURCAN, Rome éternelle, 9-10. 69 Vgl. R.G. AUSTIN, P. Vergilius Maro. Aeneis: Liber primus, with a commentary, Oxford 1971, 106-107 zu Verg. Aen. 1,285 imperium sine fine dedi. 70 FUHRMANN, Die Romidee der Spätantike, 123. 71 Vgl. FINK / HOEY/ SNYDER, The Feriale Duranum, 106; PRATT, Rome as eternal, 28. 41. 72 Vgl. KOCH, Roma aeterna, 160. 73 Vgl. BELLEN, SAEC(ulum) AVR(eum), 148; FINK/ HOEY/ SNYDER, The Feriale Duranum, 103-106.110-112; KNOCHE, Die augusteische Ausprägung der Dea Roma, 324. 336. 74 Vgl. BELLEN, SAEC(ulum) AVR(eum), 148.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

gung sind sichtbare Zeugen der zunehmenden Selbst-Reflexivität75 der römischen memoria-Kultur und ihrer `institutionalisierten MnemotechnikA76 sowie ihrer Propagierung. Wie tief die Ewigkeitsperspektive der memoria-Kultur die römische Mentalität geprägt hat, manifestiert sich auch darin, daß sie als Movens für das Verhalten sowohl der Gesellschaft als auch des Individuums geltend gemacht wurde. So bringt Cicero römisches Selbstverständnis zum Ausdruck, wenn er in de orat. 2,169 Antonius im Rahmen seiner Beweistopik als eine feststehende Gewißheit verkünden läßt: si barbarorum est in diem uiuere, nostra consilia sempiternum tempus spectare debent.77 Daß diese Überlegung auch das Individuum leitet, exemplifiziert eine Äußerung des Jüngeren Plinius aus epist. 5,8,2: me autem nihil aeque ac diuturnitatis amor et cupido sollicitat, res homine dignissima, eo praesertim, qui nullius sibi conscius culpae posteritatis memoriam non reformidet.

2.7. Erinnerungskultur und ars memoriae Anders als J. ASSMANN in seinem Konzept des kulturellen Gedächtnisses, das er als ein gruppenbezogenes `Gedächtnis, das Gemeinschaft stiftetA, von der Gedächtniskunst, der ars memoriae bzw. memorativa als einer individuellen Fähigkeit trennt,78 bringt der Philosoph und Vertreter einer existentialen Hermeneutik PAUL RICOEUR die antagonistischen Diskurse der von Maurice Halbwachs initiierten Soziologie des kollektiven Gedächtnisses und der von Edmund Husserl beschriebenen Phänomenologie des individuellen Gedächtnisses überein, indem er `zwischen den beiden Polen des individuellen und des kollektiven Gedächtnisses eine mittlere BezugsebeneA konstruiert, `auf der ... die konkreten Austausche stattfinden zwischen dem lebendigen Gedächtnis individueller Personen und dem öffentlichen Gedächtnis der Gemeinschaften.A79 Diese Ebene, auf der die Polarität von individuellem und kollektivem Gedächtnis aufgehoben und zu einem komplementären Verhältnis wird, sieht RICOEUR in `der Beziehung zu den uns NahestehendenA, die als `MitweltA oder `Zeitgenossen_____________ 75 `ReflexivitätA ist in J. ASSMANNs Charakterisierung ein Wesensmerkmal des kulturellen Gedächtnisses: vgl. J. ASSMANN, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, 15. 76 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 52. 77 Dazu vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 31. 78 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 29-31. 79 Vgl. RICOEUR, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 203-204.

2.7. Erinnerungskultur und ars memoriae

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schaftA das kollektive Gedächtnis und zugleich als persönlich Interessierte das Gedächtnis der individuellen Lebensgeschichte tragen.80 Von der Komplementarität des kollektiven und des individuellen Gedächtnisses ausgehend wird hier ein Zusammenhang zwischen der Erinnerungskultur und der Pflege der Gedächtniskunst in der römischen Kultur behauptet und hergestellt.81 Wenn auch die Erinnerungskultur ein universales Phänomen ist, das nicht immer und überall mit einer hochentwickelten Mnemotechnik einhergeht, so ist in der abendländisch antiken Kultur die wechselseitige Verbindung beider unabweisbar und unauflösbar. Die bisherigen Darstellungen der antiken Gedächtniskunst, die als ein wesentlicher Teil der Rhetorik von großer Bedeutung ist, haben die Einbettung der Mnemotechnik in die Erinnerungskultur vernachlässigt82 oder nur angedeutet.83 Aber es wird vom Gegenstand geboten, in eine tiefer gehende Untersuchung der verschiedenen Aspekte der römischen Erinnerungskultur die Rekonstruktionskräfte des kollektiven Gedächtnisses ebenso wie _____________ 80 Vgl. RICOEUR, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 203-204. 81 J. ASSMANN selbst weist darauf hin, dass er seiner Darstellung über _Das kulturelle Gedächtnis> eine Auswahl von vier Beispielen (Ägypten, Israel, Griechenland, Keilschriftkulturen) zugrundegelegt hat, die `weder systematisch noch repräsentativA ist. `Es handelt sich vielmehr um den Anfang einer offenen Reihe, die sich durch beliebig viele andere Studien fortsetzen ließe.A (Das kulturelle Gedächtnis, 25) J. ASSMANN, der sich der fehlenden Systematik und Repräsentativität seiner Studien durchaus bewußt ist, betont: `Entscheidend ist vielmehr das Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren, die innerhalb der einzelnen Kulturen und Epochen in jeweils anderen Konfigurationen wirksam werdenA (Das kulturelle Gedächtnis, 301). Auch darauf, daß es einen Übergang zwischen den `zwei Modi MemorandiA, dem von Einzelnen getragenen `kommunikativen GedächtnisA und dem von der Gruppe getragenen `kulturellen GedächtnisA, gibt und diese sich vielfältig durchdringen, macht er bei der Darstellung der theoretischen Grundlagen seines Ansatzes aufmerksam (J. ASSMANN Das kulturelle Gedächtnis, 48-52). ௅ Das `kommunikative GedächtnisA in ASSMANNS Konzept ist insofern vergleichbar mit der von RICOEUR eingeführten `mittleren Bezugsebene, auf der die konkreten Austausche stattfinden zwischen dem lebendigen Gedächtnis individueller Personen und dem öffentlichen Gedächtnis der GemeinschaftenA (s.o.). B Auf Grundlage eines `kultursemiotischen ModellsA beschreibt die Beziehungen zwischen den B von J. ASSMANN gegeneinander abgegrenzten B zwei `(Basis-) RegisternA bzw. `ModiA des kollektiven Gedächtnisses als eine wechselseitige Durchdringung A. ERLL, Kollektives Gedächtnis, 27-29. 112-122. 82 Einschlägige Arbeiten zur Bedeutung der Mnemotechnik sind: F.A. YATES, The Art of Memory, London 1968; dt. Gedächtnis und Erinnerung, Weinheim 1990; H. BLUM, Die antike Mnemotechnik, Hildesheim / New York 1964; vgl. dazu auch unten Kapitel 3.4.3, S. 101-117. Kapitel 3.4.5, S. 162-182. 83 Vgl. A. ASSMANN / D. HARTH (Hrsg.), Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt 1991: Außer im Klappentext wird auf den Zusammenhang beider Formen der Erinnerung (nur) hingewiesen durch die Anlage des Buches, dessen zweiter Teil die Überschrift trägt `Kunst des Gedächtnisses B Gedächtnis der KunstA.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

die Produktionskräfte des individuellen Gedächtnisses als die Quellen der Kultur einzubeziehen. OEXLE stellt zu Recht allgemein fest, `daß die Kultur der Memoria eine Kultur der Individualität ist, auch dann, wenn die Memoria eine auf Gruppen bezogene und von Gruppen getragene Memoria ist.A84 Cicero hat diese enge Verflechtung von allgemeiner und individueller memoria gesehen, wie seine Ausführungen über die Funktion der memoria bei Wissenschaftlern und Künstlern, die als Individuen mit ihren Gedächtnisleistungen am kollektiven Gedächtnis teilhaben und mitwirken, erkennen lassen. In Tusc. 1,59 bekennt er: ego autem etiam quodam modo memoriam admiror. Quid est enim illud quo meminimus aut quam habet uim aut unde natam ? non quaero quanta memoria Simonides fuisse dicatur ... de communi hominum memoria loquor, et eorum maxume qui in aliquo maiore studio et arte uersantur; quorum quanta mens sit difficile est existimare, ita multa meminerunt.

2.8. Memoria und Vergessen Daß die manchmal erstaunliche Kapazität des Gedächtnisses jedoch auch überlastet werden kann und das Gedächtnis unter der Überbeanspruchung seine Funktionstüchtigkeit teilweise oder ganz verliert, ist schon in der Antike reflektiert worden (vgl. oben S. 39-40). Deshalb war es schon immer Anlaß zum Spott, daß die Gedächtniskünstler, deren Erinnerungsvermögen das Normalmaß weit übersteigt und denen dafür von jeher große Bewunderung zuteil wurde,85 zugleich besonders von Vergeßlichkeit geplagt sind. Diese Erscheinung, die KANT im Rahmen seiner ,Anthropologie= über das ,Gedächtnis> beschreibt,86 hat bereits Petron in seiner ironischen _____________ 84 OEXLE macht diese Feststellung zwar in einem anderen Zusammenhang, nämlich bei seiner Behandlung des Aspektes von ,Memoria und Individualität> in der mittelalterlichen Bildkunst, aber er betont auch: `Das gilt nicht nur für die Kultur des Mittelalters.A Vgl. OEXLE, Memoria als Kultur, 49-50. 85 Vgl. die Aufzählung der `GedächtniskünstlerA z.B. bei Plin. NH 7,88-89. 86 Vgl. KANT, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 489-490: `Einer der Alten sagte: _Die Kunst zu schreiben hat das Gedächtnis zu Grunde gerichtet (zum Teil entbehrlich gemacht)>. Etwas Wahres ist in diesem Satz: denn der gemeine Mann hat das Mannigfaltige, was man ihm auftragen wird, gemeiniglich besser auf der Schnur, es nach der Reihe zu verrichten und sich darauf zu besinnen: eben darum, weil das Gedächtnis hier mechanisch ist und sich kein Vernünfteln einmischt; da hingegen dem Gelehrten, welchem viele fremdartige Nebengedanken durch den Kopf gehen, vieles von seinen Aufträgen oder häuslichen Angelegenheiten durch Zerstreuung entwischt, weil er sie nicht mit genugsamer Aufmerksamkeit aufgefaßt hat. Aber, mit der Schreibtafel in der Tasche, sicher zu sein, alles, was man im Kopf zum Aufbewahren

2.8. Memoria und Vergessen

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Karikierung der Gedächtniskunst zur Darstellung gebracht, wenn er einen Gast der Cena Trimalchionis in Petr. 66,1 sagen läßt: nam tam bonae memoriae sum, ut frequenter nomen meum obliuiscar. Aber es wurde nicht nur darüber gespottet, sondern man traf gegen die fortschreitende Amnesie sogar Vorkehrungen durch spezifische Institutionen. So trug man dem bekannten Phänomen der `VergeßlichkeitA, die aus der Überbeanspruchung des Gedächtnisses resultiert, am römischen Kaiserhof seit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert Rechnung mit dem Amt des magister a memoria, das vermutlich wie die anderen Kabinettsämter unter Hadrian am kaiserlichen Hof eingerichtet worden ist.87 Der magister a memoria, der, zunächst Freigelassener und zugleich Kammerdiener, als Kanzleibeamter dem scrinium memoriae, einer der vier großen kaiserlichen Kanzleien vorstand, hatte nämlich ursprünglich die Aufgabe den Kaiser an das zu erinnern, was er versprochen hatte.88 Aber die Folgen der externen Speicherung und der Überdimensionierung des Gedächtnisses, die zum Vergessen führen, betreffen nicht nur das natürliche Gedächtnis des Individuums, sondern auch das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft. `Den positiven neuen Formen der Retention und des Rückgriffs über die Jahrtausende hinweg entsprechen die negativen Formen eines Vergessens durch Auslagerung und eines Verdrängens durch Manipulation, Zensur, Vernichtung, Umschreibung und Ersetzung.A89 Solche Prozesse des Vergessens und der Wiederaufnahme im kulturellen Gedächtnis der Antike erkennend (NH 14,3), macht der ältere Plinius im Rahmen seiner _Naturalis historia> für den von ihm beklagten Kultur- und Wissensverlust jedoch moralische Ursachen, d.h. den Sittenverfall und die Dekadenz der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart, verantwortlich. Das vergessene Wissen wieder aufzuspüren und abgerisse_____________ niedergelegt hat, ganz genau und ohne Mühe wiederzufinden, ist doch eine große Bequemlichkeit, und die Schreibkunst bleibt immer eine herrliche Kunst, weil, wenn sie auch nicht zur Mitteilung seines Wissens an andere gebraucht würde, sie doch die Stelle des ausgedehntesten und treuesten Gedächtnisses vertritt, dessen Mangel sie ersetzen kann.A 87 Vgl. A. LIPPOLD, Magister a memoria; in: KlP 3 (1979) 876; A. REINTJES, Untersuchungen zu den Beamten bei den Scriptores Historiae Augustae, Phil. Diss., Düsseldorf 1961, 60-62. 88 Später im Laufe des 4. Jh.s erfuhr das Amt weitere Aufwertung dadurch, daß der magister a memoria in die Klasse der spectabiles aufrückte und ihm noch Funktionen der Beamten a libellis und ab epistulis übertragen wurden. Laut Aussagen der _Scriptores Historiae Augustae> hatte er unter anderem kurze Resolutionen des Kaisers, die als adnotationes an den Rand einer Vorlage geschrieben wurden, zu verfassen, Bittschreiben zu beantworten, kaiserliche Reden zu entwerfen und militärische Ernennungen auszufertigen. 89 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 23.

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2. Aspekte der memoria in der römischen Kultur

ne Traditionen wiederanzuknüpfen motiviert ihn zu seiner schriftstellerischen Tätigkeit: unde nobis creuit labor; quippe cum requirenda sint non solum postea inuenta, uerum etiam ea, quae inuenerant prisci, desidia rerum internecione memoriae indicta. Cuius uitii causas quis alias quam publicas mundi inuenerit ? Nimirum alii subiere ritus circaque alia mentes hominum detinentur et auaritiae tantum artes coluntur ... sed nos oblitterata quoque scrutabimur (NH 14,3. 7). Wenn Cicero in Tusc. 1,65 die memoria rerum et uerborum hymnisch zu einer diuina uis, quae tot res efficiat et tantas erhebt und in de orat. 1,18 die memoria als thesaurus rerum omnium preist, steht das Lob zwar in engerer Beziehung zum Erinnerungsvermögen des Individuums bzw. zur Mnemotechnik des Redners,90 aber es läßt sich durchaus auch allgemeiner verstehen im Hinblick auf die römische Hochschätzung der kollektiven memoria als Quelle und ,Hort> der Kultur. Denn die beiden memoriaTraditionen sind in der antiken Kultur nicht voneinander getrennte `DiskurstraditionenA, wie in dem bipolaren Konzept behauptet, das ALEIDA ASSMANN in der grundsätzlichen Unterscheidung von memoria als uis und memoria als ars entworfen hat,91 sondern sie stehen miteinander in Verbindung und Austausch. Schon die Interpretation, die STEFAN GOLDMANN92 über den berühmten Mythos von der Erfindung der Gedächtniskunst durch Simonides93 vorgelegt hat, zielt darauf, Totenkult und _____________ 90 Von der Wichtigkeit der memoria in der Redekunst handelt auch Cic. de orat. 2,351360; Brut. 217-220 (die Vergeßlichkeit des Curio). Im Rahmen der letztgenannten Textpassage nennt Cicero die memoria die pars animi, quae custos est ceterarum ingeni partium (Brut. 219). Vgl. auch die Einleitung, mit der Plinius in NH 7,88 die Aufzählung der größten `GedächtniskünstlerA eröffnet: memoria necessarium maxime uitae bonum. 91 Vgl. A. ASSMANN, Erinnerungsräume, 27-32 bes. 30-31. 92 Vgl. S. GOLDMANN, Statt Totenklage Gedächtnis. Zur Erfindung der Mnemotechnik durch Simonides von Keos; in: Poetica 21 (1989) 43-66, hier bes. 45. Er beschreibt diese Gründungslegende der Mnemotechnik als `historische DeckerinnerungA, an deren Text `viele Generationen gedichtet und historische Ereignisse mit mythischen verknüpft haben.A Eine `historische DeckerinnerungA bezieht sich nach seiner Definition analog zu dem aus der Individualpsychologie stammenden Begriff `nicht auf ein einmal stattgehabtes Ereignis, sondern auf konfliktreiche, wiederholt erlebte Situationen. In den Deckerinnerungen sind nicht nur die sozialen Erfahrungen aufgehoben, sondern auch aktuelle Anlässe, die eben zur Bildung der Deckerinnerung führen und sie zugleich strukturieren.A 93 Diese vielzitierte und -traktierte Ursprungslegende der Mnemotechnik ist von Cicero zuerst ausführlich überliefert (de orat. 2,351-353): Als Sänger zu einem Gastmahl des reichen Thessaliers Skopas geladen, habe Simonides ein Lied auf die Dioskuren Castor und Pollux vorgetragen, und sei von dem Gastgeber um den dafür versprochenen Lohn geprellt worden. Nachdem ihn die beiden unerkannt bleibenden Besungenen vor das Haus hinausgerufen hätten, sei das Haus eingestürzt und habe Skopas und alle seine Angehörigen unter sich begraben. Weiter heißt es lateinisch in de orat. 2,353:

2.8. Memoria und Vergessen

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Ahnenverehrung, beides Urformen des kulturellen Gedächtnisses, eng mit der Gedächtniskunst zu verbinden: Indem den unter den Trümmern des Hauses begrabenen Toten loci im Gedächtnis des durch göttliche Hilfe geretteten Simonides zugewiesen würden, werde die historische Erfahrung, daß die Mnemonik aus dem Totenkult hervorgegangen sei, mythisch eingekleidet. Den zwei Traditionssträngen von memoria in der lateinischen Literatur94 folgend geht es in der anschließenden Untersuchung darum zu analysieren, wie sich beide Formen der memoria, die `Gedächtniskunst im Dienst des Lernens und der rhetorischen PerformanzA95 und das kulturelle Gedächtnis im Dienst der Identitätsstiftung und Traditionsbildung, in den _Noctes Atticae> des Gellius jeweils realisieren und verbinden.

_____________ quos cum humare uellent sui neque possent obtritos internoscere ullo modo, Simonides dicitur ex eo, quod meminisset quo eorum loco quisque cubuisset, demonstrator unius cuiusque sepeliendi fuisse; hac tum re admonitus inuenisse fertur ordinem esse maxime, qui memoriae lumen adferret. Vgl. auch Quint. inst. 11,2,11-17; Phaedr. 4,26. 94 Von der Interferenz der beiden memoria-Traditionen, einerseits der Mnemonik bzw. Mnemotechnik innerhalb des rhetorischen Systems, andererseits des kulturellen Gedächtnisses, geht auch aus KROVOZA, Mnemonik / Mnemotechnik, 463. 95 Vgl. J. ASSMANN, Kulturelles Gedächtnis als normative Erinnerung, 112.

3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius 3.1. Die Präsenz der memoria in den _Noctes Atticae> 3.1.1. Die _Noctes Atticae> als monumenta memoriae Ein Geschichtswerk als literarische `RepräsentationA1 der Vergangenheit zu verstehen und zu erklären, hat sich inzwischen in der Geschichtsforschung eingebürgert. Da in der narrativen Struktur der Historiographie eine grundlegende Gemeinsamkeit mit anderen literarischen Gattungen besteht, so daß die Differenz zwischen Fiktion und Geschichte letztlich nivelliert wird,2 werden auch in den Literaturwissenschaften nichthistoriographische literarische Texte als Hervorbringungen der memoria gedeutet. Darin ist FRIEDRICH OHLY mit einer das ganze Gebiet der Mediaevistik überblickenden Abhandlung, die er zuerst 1982 in seiner Münsterschen Abschiedsvorlesung dargeboten hat, vorangegangen.3 Im Anschluß an ihn hat OTTO GERHARD OEXLE4 dessen literaturwissenschaftlich-philologischen Ansatz in seine historisch systematisierenden Ausführungen über _Memoria als Kultur> einbezogen und solch unterschiedliche Werke der Weltliteratur wie den _Tristan> Gottfrieds von Straßburg, Dantes _Divina Commedia> und Boccaccios _Decamerone> als `MemorialdichtungA interpretiert.5 Schon Varro hat aber der Vorstellung _____________ 1

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Zu diesem Schlüsselbegriff der Literatur- und Kulturtheorie der letzten Jahrzehnte vgl. H.-P. WAGNER, Repräsentation; in: A. NÜNNING (Hrsg.), Metzler Lexikon: Literaturund Kulturtheorie, 548; RICOEUR, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, bes. die Kapitel bzw. Unterkapitel: _Die Dialektik der Repräsentation>_ 350-360; _Die Repräsentation durch die Geschichte>, 361-437 (zur Problematik des Begriffs, hier bes. 434-437). Vgl. RICOEUR, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, bes. 403-406. Vgl. F. OHLY, Bemerkungen eines Philologen zur Memoria. Münstersche Abschiedsvorlesung vom 10. Februar 1982, München 1991[zuerst in: K. SCHMID / J. WOLLASCH (Hrsg.), Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, München 1984, 9-68]. Vgl. OEXLE, Memoria als Kultur, 37-48 (,Memoria als Kultur im Mittelalter>), hier bes. 41-43. Den ganzen Raum und alle Zeiten der abendländischen Literatur durchschreitend sammelt A. ASSMANN in ihrer überarbeiteten und 1999 unter dem Titel _Erinnerungsräume> publizierten Habilitationsschrift in den unterschiedlichsten Werken Spuren, in

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

Ausdruck verliehen, daß nicht nur Bauten und Denkmäler, sondern auch literarische Werke monumenta seien, sofern sie ihre Bestimmung und ihren Zweck in der memoria haben: ... ab eo cetera quae scripta ac facta memoriae causa monumenta (Varro ling. 6,49). Und auch in der Folgezeit ist dieser Gedanke immer wieder formuliert worden, wenn der Begriff monumentum erläutert wurde. Darin, alle Art von Literatur, Prosa wie Poesie, in den auf memoria ausgerichteten monumentum-Begriff miteinzuschließen, geht am weitesten der Grammatiker Festus.6 Da es bekanntermaßen im römischen Kulturraum als eine wesentliche Aufgabe von Literatur galt, memoria zu stiften, erscheint es als Desiderat, die in einzelnen lateinischen Texten gestaltete Form der memoria zu erforschen. WALTER begründet zutreffend, warum die textuell-literarischen Erinnerungsmodi und medien als konstitutiver Bestandteil der römischen Erinnerungskultur darin einen besonderen Rang einnehmen, und widerlegt überzeugend die aus der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung von Halbwachs _____________

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denen sich ,Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses> erkennen lassen. B Inzwischen hat es sich etabliert, `Literatur als Medium des kollektiven GedächtnissesA und `Literatur als symbolische Form der ErinnerungskulturA (ERLL, Kollektives Gedächtnis, 143) zu beschreiben und Werke des gesamten literarischen Spektrums, die auf sehr unterschiedliche Weise an der Erinnerungskultur teilhaben und in ihr wirken, aus kulturwissenschaftlicher Perspektive zu betrachten (ERLL, Kollektives Gedächtnis, 143-166). B Auch in der Klassischen Philologie ist das kulturwissenschaftliche Paradigma des kollektiven Gedächtnisses fruchtbar gemacht worden in der _Empire and Memory> betitelten gedächtnisgeschichtlichen Studie A.M. GOWINGs, der in diversen lateinischen Texten des 1. Jh.s n. Chr. (von Valerius Maximus und Velleius Paterculus über Lucan und Seneca bis zu Tacitus und Plinius) das zugrundeliegende Geschichtsbild beleuchtet und die darin virulente Erinnerung an die römische Republik zum Vorschein bringt, und jüngst in der Untersuchung der Darstellungsstrategien, mit denen in (Geschichtswerken, Reden und anderen Schriften) der paganen griechischen Literatur des 4. Jh.s die Auseinandersetzung mit dem Christentum geführt wird, von STENGER, Hellenische Identität in der Spätantike, hier bes. 251-286 (vgl. die Kapitelüberschriften _Historische Erinnerung und Gedächtnis>; _Wege der Erinnerung>; _Gefährliche Erinnerung>; _Die Prägung des kollektiven Gedächtnisses>). Paul. Fest. p. 123,7-10 LINDSAY: monimentum est, quod et mortui causa aedificatum est et quicquid ob memoriam alicuius factum est, ut fana, porticus, scripta et carmina. Eine ähnliche Begriffserweiterung enthält die Erläuterung des Horazkommentators Porphyrio zu Hor. carm. 1,2,15: monumentum non sepulchrum tantum dicitur, sed omnia quidquid memoria testatur. In einem ebenso weiten Sinne definiert der Rechtsgelehrte Florentinus dig. 11,7,42: monumentum generaliter res est memoriae causa in posterum prodita. Die weite Verbreitung von monumenta in der übertragenen Bedeutung _schriftliche Denkmäler> bezeugt TLL 8, 1464, 27-1465, 23. Vgl. dazu HÄUSLE, Das Denkmal, 32-34; vgl. auch oben S. 34. Verständlicherweise fungiert insbesondere das Geschichtswerk als monumentum, wie Livius in seiner Praefatio für die Historiographie werbend feststellt: hoc illud est praecipue in cognitione rerum salubre ac frugiferum, omnis te exempli documenta in inlustri posita monumento intueri (praef. 10). Vgl. dazu GOWING, Empire and Memory, 22-23.

3.1. Die Präsenz der memoria in den _Noctes Atticae>

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und Nora hervorgegangenen Thesen, daß lebendige Erinnerung und soziales Gedächtnis einerseits, Geschichtsforschung und -schreibung andererseits einander gegenüberstehen bzw. einander auf- und ablösen.7 In anderer Weise freilich als die von WALTER untersuchten Anfänge der römischen historiographischen Literatur und als die von ALAIN M. GOWING betrachteten Texte der frühen Kaiserzeit, ganz anders auch als die obengenannten großen weltliterarischen `Memorialdichtungen“ sind die davon völlig verschieden gearteten und verorteten _Noctes Atticae> des Gellius ein Dokument und Produkt der memoria. Dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert entstammend8 und der nach Claudius Aelians ȡoȳȴɅȵȱ ¬ȼȽoȺɅȫ (_Varia historia>) sogenannten Buntschriftstellerei angehörend, umfaßt das mit einer Praefatio und einem Inhaltsverzeichnis eingeleitete Werk zwanzig Bücher,9 die sich wiederum aus genau 398 mehr _____________ 7 8

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WALTER, Memoria und res publica, 212-220. Vgl. auch GOWING, Empire and Memory, 1-15, bes.10-11. Zur Frage und zu den Problemen der genauen Datierung, die sich fest nur auf textimmanente Angaben des Gellius stützen kann: HOLFORD-STREVENS, Chronology of Aulus Gellius, 93-109; ders., Aulus Gellius2, 15-26; K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 408, S.69-70 (,Aulus Gellius. A. Biographie>); LINDERMANN, Kommentar, 12-18. 22. In aller gebotenen Vorsicht läßt sich die Biographie des Gellius folgendermaßen rekonstruieren: bei Annahme eines Geburtsjahres um 125/128 und eines Todesjahres nach 178, möglicherweise auch erst nach Marc Aurels Tod 180, wird die Konzeption der _Noctes Atticae> in den Zusammenhang mit einer Reise nach Athen (147/148) gesetzt, ihre Ausarbeitung in die Folgezeit und ihre Publizierung um das Jahr 180 terminiert. Gegen eine späte (zweite) Athenreise erst 165/168 (so AMELING, Aulus Gellius in Athen, 484-490; vgl. K. SALLMANN, HLL 4 [1997], ' 408, S.70) macht HOLFORD-STREVENS (Aulus Gellius2, 17 Anm.31) mit Recht geltend, daß für einen Mann in fortgeschrittenem Alter, d.h. für einen Mann von mehr als vierzig Jahren, ein Studienaufenthalt in Griechenland zwischen lauter jungen Mitstudenten eine etwas lächerliche Unternehmung und eine Vernachlässigung seiner sonst so ernst genommenen Pflichten als pater familias (vgl. NA praef. 1) bedeuten würde. Zu weiteren Argumenten gegen eine späte Datierung des gellianischen Athenaufenthaltes vgl. unten S. 197 Anm. 19. ௅ Trotz der offensichtlichen intertextuellen Beziehung zwischen NA 19,9 und Apul. apol. 9,6-8 läßt sich Apuleius’ 158/59 gehaltene Selbstverteidigungsrede, die sog. _Apologie>, als terminus ante quem für die _Noctes Atticae> nicht halten, da es noch eine Reihe weiterer (früherer und späterer) Bezüge zwischen Gellius und Apuleius gibt (NA 2,22,3 und Apul. mund. 13-14; NA 5,10 und Apul. flor. 18,1929; u.a.), die sich möglicherweise teils der Benutzung der gleichen Quelle, wahrscheinlicher aber der wechselseitigen Benutzung bzw. Bekanntschaft der Autoren verdanken (vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 22-26). Dagegen hat MARACHE (La critique littéraire, 330-332; ders. [Éd.], Aulu-Gelle, tom. 1, p. X-XII) eine Abfassung der NA zwischen 146 und 158 (168) vertreten. Erhalten ist der Text der Bücher 1-7 und 9-20. Von Buch 8 sind nur die Inhaltsreferate zu 15 Kapiteln überliefert. Die capitula oder Lemmata genannten kurzen Inhaltsangaben der Kapitel, die ursprünglich ihren Platz in dem nach der Praefatio und vor den commentarii stehenden Inhaltsverzeichnis hatten, sind in der Textgeschichte zu-

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

oder minder kurzen, für sich stehenden commentarii genannten `KapitelnA ganz unterschiedlichen Formats und Inhalts zusammensetzen. In dem buntgemischten Sammelwerk vereinigen sich kaleidoskopartig verschiedenartigste Texte über die mannigfachsten Gegenstände aus allen möglichen Wissensgebieten: Exzerpte aus rund 275 Autoren werden dargeboten als einfache Lesefrüchte, in Form von Anekdoten, Referaten oder Disputationen. Daneben stehen fiktive oder `echteA Denkwürdigkeiten bzw. Memorabilien, in denen Wissenswertes oder Unterhaltsames präsentiert wird.10 Einen großen Teil des Werks bilden die grammatischphilologischen Abhandlungen lexikalischer und etymologischer Themen sowie textkritischer Probleme, aber auch die Interpretationen einzelner Stellen und Verse aus der griechischen und lateinischen Literatur; dazu werden Beiträge aus Literaturgeschichte und Literaturkritik geliefert. Es werden philosophische, insbesondere moralphilosophische Fragen erörtert und dialektische oder naturphilosophische Untersuchungen angestellt. In Fülle findet man Historisches, Anekdotisches und Antiquarisches; daneben gibt es auch die curiositas des Lesepublikums befriedigende mirabilia. Vorgeführt werden Erörterungen juristischer Probleme und Diskussionen von Fragestellungen aus der Geometrie, der Arithmetik, der Astronomie und Astrologie, der Naturwissenschaft und der Medizin. So entfalten die _Noctes Atticae>, die den ordo fortuitus (NA praef. 2) und die disparilitas (NA praef. 3) zum Programm erheben, vor dem Leser ein weites Spektrum der Bildungs- und Unterhaltungskultur des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts. Und so tragen sie auch die Signatur dieser Zeit, in der man im Bewußtsein eines großen Abstandes von den Blütezeiten der früheren Jahrhunderte sich an den kulturellen und literarischen Traditionen orientiert und die memoria der bewunderten Vergangenheit pflegt.11 _____________ nächst vor den jeweiligen Büchern, dann vor den einzelnen commentarii wiederholt worden. Zu der komplexen Überlieferungssituation und -geschichte vgl. P.L. SCHMIDT, HLL 4 (1997), ' 408, S. 74-76. Vgl. auch S. 320 Anm. 47. 10 STEINMETZ, Untersuchungen, 239-291 behandelt Gellius zusammen mit Apuleius in einem Kapitel unter der Überschrift _Belehrende Unterhaltung - unterhaltende Belehrung>. 11 Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 402, S. 11. Sehr anschaulich beschrieben wird das Zeitgefühl des 2. Jhs. n. Chr., einem `GreisenalterA der Weltgeschichte anzugehören, von E. NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 344-345: `Wie Greise, die, um mit Varro zu reden, daran denken, ihr Bündel zu schnüren, machten sich die Menschen daran, das Beste, was die lange große Vergangenheit in frischer Jugend und in gereiftem Mannesalter erforscht hatte, zu sammeln und durch verständiges Exzerpieren den weit geringeren Bedürfnissen der Gegenwart anzupassen und der Zukunft zu übermitteln, die ihrerseits in demselben Sinne mit den aufgespeicherten Schätzen wirtschaftete, sie einem stetig wachsenden Verdünnungsprozeß unterwerfend ... Denn die Men-

3.1. Die Präsenz der memoria in den _Noctes Atticae>

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3.1.2. Die sprachlich-literarische Erscheinung der memoria in den _Noctes Atticae> In diesem so disparaten Werk manifestiert sich die Präsenz der memoria schon auf der sprachlichen Begriffsebene in einer auffälligen Häufigkeit und Konstanz: Das Substantiv memoria selbst kommt im erhaltenen Text der _Noctes Atticae> genau 100 Mal vor, verteilt auf alle Bücher mit Ausnahme des neunten und besonders konzentriert in den ersten sechs, im zehnten, dreizehnten, fünfzehnten, siebzehnten und neunzehnten Buch.12 Das davon abgeleitete Verbum meminisse erscheint an 54 Stellen;13 während das Adjektiv memor entgegen der Auskunft der GelliusKonkordanz14 nicht nachzuweisen ist, finden sich die adjektivischen Derivate memorabilis (2) bzw. memorialis (4) mit der Bedeutung _denkwürdig>, allerdings nur mit Bezug auf die Werktitel anderer Autoren, nämlich die _Facta et dicta memorabilia> des Valerius Maximus und die _Memorialia> des Masurius Sabinus. Das verwandte Verbum memorare _einer Sache mündlich gedenken, Erwähnung tun; etwas in Erinnerung bringen, be_____________ schen dieses und der folgenden Jahrhunderte haben ihre Augen nach rückwärts gewandt. Wie Greise erinnern sie sich einer glücklicheren Kindheit.A Mit Cyprians um 252 entstandener Schrift _Ad Demetrianum> (CSEL 3/1, 351-370 HARTEL bzw. CChristL 3A/2, 35-51 SIMONETTI), in der `das Gefühl des Alterns der Welt ... besonders deutlich (und zwar hier nicht spezifisch christlich gefärbt)A artikuliert wird (vor allem in Demetr. 3: illud primo in loco scire debes senuisse iam saeculum / mundum), läßt sich B zeitlich näherliegend als Sidonius B das Geschichtswerk des Florus aus hadrianischer Zeit in Verbindung bringen, in dem das Lebensaltergleichnis der Praefatio (epit. praef. 4-8) die Kaiserzeit als senectus schildert (dazu vgl. K. SALLMANN, HLL 4 [1997], ' 462, S. 331). In dem bei Lactanz (inst. 7,14,15) fortgeführten Lebensaltervergleich (wohl doch) des Philosophen Senecas beginnt die senectus freilich schon mit der Zerstörung Karthagos bzw. mit den Bürgerkriegen des 1. Jh.s v. Chr. Zu der unterschiedlichen chronologischen Ausgestaltung des Lebensaltervergleichs, insbesondere des Ansatzes des Greisenalters vgl. R. HÄUSSLER, Vom Ursprung und Wandel des Lebensaltervergleichs; in: Hermes 92 (1964) 312-341, hier bes. 314-323. Gellius führt zwar den Vergleich nicht lang aus, aber er flicht eine kurze entsprechende Bemerkung ein in NA 3,10,11 (wo es um die in der historischen Gegenwart geringere Körpergröße der Menschen als in mythischen Vorzeiten geht): nunc quasi iam mundo senescente rerum atque hominum decrementa sunt. Die von NORDEN (Antike Kunstprosa, Bd. 1, 344 Anm. 1) aus späterer Zeit herausgegriffene Parallele in Sidon. epist. 8,6,3 gehört vielleicht schon in die `unendlich oftA im Mittelalter fortgesetzte Reihe von `Anspielung(en) auf die augustinische Parallelisierung der (römischen) Endphase der Weltgeschichte mit dem GreisenalterA: CURTIUS, Europäische Literatur, 38 m. Anm. 4; HÄUSSLER (a.a.O.) 339. 12 Vgl. BELTRÁN, Concordantia, 740-741. 13 Vgl. BELTRÁN, Concordantia, 739-740. 14 Die beiden von BELTRÁN, Concordantia, 740 s.v. memor fälschlich notierten Stellen (NA 10,16,12 und NA 4,15,2) müssen dem Lemma memoro zugerechnet werden.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

richten, darlegen>, in dem die etymologisch zugrundeliegende Bedeutung der memoria zwar schwächer ist, aber als Konnotation in der sprachlichen Mitteilung fortbesteht, wird 24 Mal15 verwandt, davon meist in der Supinform memoratu verbunden mit dignus / -a / -um,16 z.B. in der programmatischen Aussage in NA praef. 2: Nam proinde ut librum quemque in manus ceperam seu Graecum seu Latinum uel quid memoratu dignum17 audieram, ita quae libitum erat, cuius generis cumque erant, indistincte atque promisce annotabam ... Das memoria-Wortfeld wird noch erweitert durch andere Verben: durch das in der gesamten Latinität nur vereinzelt vorkommende, aber besonders bei Plautus und Gellius beliebte18 Kompositum commeminisse (8 Belege)19 _in der Erinnerung haben, sich entsinnen> und das damit über mens verwandte reminisci (1)20 _sich ins Gedächtnis zurückrufen, zurückdenken, sich erinnern>21 sowie durch recordari (3) _zurückdenken, sich vergegenwärtigen>22. Mit dem zu comminisci (5)23_sich besinnen; aussinnen, ersinnen> gebildeten Intensivum commentari _nachsinnen, Betrachtungen anstellen, entwerfen, verfassen, niederschreiben> bezeichnet Gellius seine die _Noctes Atticae> hervorbringende Tätigkeit24 _____________ 15 Zu den von BELTRÁN, Concordantia, 741 s.v. memoro verzeichneten 22 Stellen, sind die beiden zu Unrecht s.v. memor verbuchten Belege hinzuzunehmen. 16 Das Kompositum commemoro dagegen hat Gellius entsprechend der auch bei anderen Autoren, insbesondere bei denen der älteren Zeit und der silbernen Latinität, festzustellenden Zurückhaltung im Wortgebrauch und der Bevorzugung von memorare (vgl. TLL 3, 1830, 43-75) nur einmal in NA 12,2,13 verwandt: vgl. BELTRÁN, Concordantia, 193 s.v. commemoro. Auch das Substantiv commemoratio findet sich nur in NA 10,3,12: vgl. BELTRÁN, Concordantia, 193 s.v. commemoratio. 17 Aus dieser Formulierung ergibt sich eine Beziehung zu der Schrift des Verrius Flaccus _Res memoria dignae>, die Gellius in NA 4,5,7 erwähnt. 18 Vgl. TLL 3, 1827, 37-39. 19 Vgl. BELTRÁN, Concordantia, 192-193 s.v. commemini. 20 Vgl. BELTRÁN, Concordantia, 1115 s.v. reminiscor: NA 10,25,5: Nauium autem, quas reminisci tunc potuimus, appellationes hae sunt ... 21 Auch der Gegenbegriff zur memoria, das Vergessen, ist mit dem Substantiv obliuio (3) und den Verben oblitterare (11) und obliuisci (6), allerdings deutlich schwächer, in den NA gegenwärtig: vgl. BELTRÁN, Concordantia, 841 s.v. oblittero, obliuio, obliuiscor. 22 Vgl. BELTRÁN, Concordantia, 1108 s.v. recordor. Einmal, nämlich in NA 17,2,1, gebraucht Gellius das Substantiv recordatio im Zusammenhang mit der Nützlichkeit der Rückbesinnung auf auswendig gelernte gelungene Gedanken und Formulierungen (... ubi uenisset usus uerborum sententiarumque elegantium recordationes). 23 Vgl. BELTRÁN, Concordantia, 194 s.v. comminiscor. Davon leitet sich das Adjektiv commenticius _erdacht, ersonnen, erfunden> ab, das Gellius siebenmal gebraucht. Auch das dazugehörige Substantiv commentum _Erfindung> verwendet er an zwei Stellen: vgl. BELTRÁN, Concordantia, 194 s.v. commenticius , ebd. s.v. commentum. 24 Vgl. NA praef. 24: ... neque longiora mihi dari spatia uiuendi uolo, quam dum ero ad hanc quoque facultatem scribendi commentandique idoneus. vgl. auch NA praef. 19: ...

3.1. Die Präsenz der memoria in den _Noctes Atticae>

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wie auch mit dem entsprechenden Substantiv commentarius / -ium25 _Entwurf, Skizze> bzw. im Plural _Notizen, Denkwürdigkeiten, Memoiren> die einzelnen `KapitelA der _Noctes Atticae>. Variierend wählt er für seine schriftstellerische Arbeit und deren Produkt auch den Ausdruck commen_____________ ut qui numquam in lectitando, , scribendo, commentando numquam uoluptates, numquam labores ceperunt .... abeant a _noctibus> his procul atque alia sibi oblectamenta quaerant. BELTRÁN, Concordantia, 194 s.v. commentor verzeichnet ferner NA 1,9,4 und NA 3,16,8. 25 Vgl. NA praef. 3: facta igitur est in his quoque commentariis eadem rerum disparilitas; NA praef. 13: quod erunt autem in his commentariis pauca quaedam scrupulosa et anxia; NA praef. 20: eandem ego commentariis his legendis dabo; praef. 22: Volumina commentariorum ad hunc diem uiginti iam facta sunt; NA praef. 25: Capita rerum, quae cuique commentario insunt, exposuimus hic uniuersa; NA 1,23,2: Ea Catonis uerba huic prorsus commentario indidissem; NA 1,24,1: quae ipsi fecerunt et incidenda sepulcro suo reliquerunt ... scribenda in his commentariis esse duxi; NA 18,4,11: ut commentariis harum _noctium> inferrem; NA 20,10,6: quodque ex libris eorum didici, inferendum his commentariis existimaui. Die Bezeichnung commentarius / -ium wird aber auch im Singular und Plural für Werke anderer Autoren verwandt, z.B. allgemein in NA praef. 15 (haec neque in scholis decantata neque in commentariis protrita), in NA 1,12,18 für den Kommentar des Labeo zum Zwölftafelgesetz, in NA 1,21,2 für den Vergil-Kommentar des Hygin, in NA 3,18 für den Kommentar des Gavius Bassus, in NA 11,15,2 für den Kommentar des Caesellius Vindex, in NA 14,7 für die im Auftrag des Pompeius angefertigte isagogische Schrift Varros über die den Senat betreffenden Rechte und Pflichten des Konsuls, in NA 14,3,5 (in libris, quos dictorum atque factorum Socratis commentarios composuit) für Xenophons _Memorabilia>, in NA 16,8,3 für die Schrift _De proloquiis> des L. Aelius, die er charakterisiert mit den Worten: fecisse uidetur eum librum Aelius sui magis admonendi, quam aliorum docendi gratia. Alle insgesamt 61 Stellen sind verzeichnet bei BELTRÁN, Concordantia, 193 s.v. commentarius/-ium.Vgl. auch TLL 3, 1858, 45-1860, 24. Zum Bedeutungsfeld des Begriffes commentarius / -ium, der ursprünglich eine nichtliterarische Kompilation von Anmerkungen über die Angelegenheiten eines Haushalts, einer Verwaltung, einer Priesterschaft bezeichnete, dann auf den schulischen Bereich übertragen wurde, die Bedeutung des griechischen Terminus Áąџȶvȱȶȫ annahm und schließlich, wie die aufgeführten Beispiele zeigen, Werke unterschiedlicher Intention, Anlage und Geschlossenheit, nämlich _(lose zusammengetragene) Aufzeichnungen>, ebenso wie einen (aus Anmerkungen bestehenden) _Kommentar> oder eine (geschlossene) _Abhandlung> benennen konnte, vgl. KASTER (Ed.), C. Suetonius Tranquillus: De Grammaticis et Rhetoribus, 101 zu Suet. gramm. 4,4 (Veteres grammatici et rhetoricam docebant, ac multorum de utraque arte commentarii feruntur). Ausführlich hat F. BÖMER (Hermes 81 [1953] 210-250) die Entwicklung der genuin römischen literarischen ,GattungA der historiographischen commentarii bis hin zu Caesar behandelt und dort (234) auch eine vielfach auf Gellius fußende Übersicht über die wissenschaftlichen, speziell philologischen, mit dem Titel commentarii versehenen Abhandlungen gegeben. Der von LINDERMANN, Kommentar, 28-29 unterbreitete Vorschlag, commentarius auch als Gattungsbegriff auf das Gesamtwerk der _Noctes Atticae> anzuwenden, fördert trotz seines Versuchs, mögliche Einwände dagegen zu entkräften, angesichts des eingebürgerten Terminus für ganz andersgeartete Literaturformen nicht das Verständnis der literarischen Eigenart des gellianischen Opus.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

tatio26 _(wissenschaftliche) Betrachtung, Abhandlung, Entwurf>: so in NA 14,5,1 (defessus ego quondam commentatione ...), in NA praef. 4 (sed quoniam longinquis per hiemem noctibus in agro, sicuti dixi, terrae Atticae commentationes hasce ludere ac facere exorsi sumus) und in NA 18,4,11 ( ... ut commentariis harum _noctium> inferrem, notaui et intulisse iam me aliquo in loco commentationibus istis existimo). Neben den lateinischen Ausdrücken steht in NA 13,25,12 das griechische Verb wąoȶvȱȶovȯѠȯȳv, das Favorinus offenbar in einer auf griechisch gehaltenen und von Gellius direkt wiedergegebenen, allerdings im übrigen übersetzten Rede verwendet hat, um ein Zitat aus einer Cato-Rede anzukündigen. Daß dieser lexikalische Befund mehr als nur statistische Relevanz hat, offenbart die Praefatio der _Noctes Atticae>, in der Gellius die Prinzipien der Produktion und Intention seines Werks mitteilt. So kennzeichnet er in praef. 2 seinen Inhalt als memoratu dignum und seinen Zweck umschreibt er als ad subsidium memoriae quasi quoddam litterarum penus, „gleichsam einen bestimmten Wissensvorrat zur Unterstützung des Gedächtnisses“.27 Ähnlich hatte schon Vitruv den Sinn literarischer Bildung bzw. schriftstellerischer Kompetenz allgemein (für den Architekten), und damit auch indirekt die Intention seines eigenen Werkes umschrieben: Litteras architectum scire oportet, uti commentariis memoriam firmiorem efficere possit (Vitr. 1,1,4) bzw. ut posteris memoriae traderentur ... conscripsi praescriptiones terminatas (Vitr.1 praef. 2). Die _Noctes Atticae> hat Gellius aber nicht nur als eine `GedächtnisstützeA für sich und seine Kinder, denen er das Werk gewidmet hat (NA praef. 1), sondern auch für sein Publikum konzipiert, wie aus praef. 16 hervorgeht: Quae porro noua sibi ignotaque offenderint, aequum esse puto, ut sine uano obtrectatu considerent, an minutae istae admonitiones et pauxillulae nequaquam tamen sint uel ad alendum studium uescae uel ad oblectandum fouendumque animum frigidae, sed eius seminis generisque sint, ex quo facile adolescant aut ingenia hominum uegetiora aut memoria adminiculatior aut oratio sollertior aut sermo incorruptior aut _____________ 26 Auch für die geistige bzw. schreibende Tätigkeit anderer (z.B. Demokrits in NA 10,17,1 und des Aristoteles in NA 20,5,1; für die grammatischen Aufzeichnungen des P. Nigidius in NA 19,14,4; für die Schriften des Probus in NA 15,30,5; abfällig von den Stoikern in NA 1,2,6: puerilium isagogarum commentationibus deblaterantes ,die in Vorübungen von Kinderschulkram daherplappern>) verwendet Gellius den Begriff commentatio. Die insgesamt acht Stellen notiert BELTRÁN, Concordantia, 193-194 s.v. commentatio. 27 Vollständig lautet der Gedanke in NA praef. 2: Nam proinde ut librum quemque in manus ceperam seu Graecum seu Latinum uel quid memoratu dignum audieram, ita quae libitum erat, cuius generis cumque erant, indistincte atque promisce annotabam eaque mihi ad subsidium memoriae quasi quoddam litterarum penus recondebam, ut, quando usus uenisset aut rei aut uerbi, cuius me repens forte obliuio tenuisset, et libri, ex quibus ea sumpseram, non adessent, facile inde nobis inuentu atque depromptu foret.

3.1. Die Präsenz der memoria in den _Noctes Atticae>

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delectatio in otio atque in ludo liberalior. Aus der Aussage des Gellius über die Intention seines Werkes geht hervor, daß der memoria im Bereich der sich in oratio, sermo und delectatio äußernden sprachlichen und literarischen Bildung konstitutive Bedeutung zuerkannt wird. Diese Einordnung der memoria entspricht ihrer zentralen Stellung im Gefüge der wesentlich auf der Pflege von gesprochener und geschriebener Sprache gründenden28 und deshalb kurz als `rhetorischeA29 charakterisierten antiken Kultur. Daß entsprechend ihrer zentralen Bedeutung in der auf Sprache und Literatur konzentrierten Kultur die memoria Voraussetzung und Bestandteil der sapientia und insbesondere beim Erwerb der Bildung im allgemeinen unerläßlich ist, hat Gellius in NA 13,8 programmatisch mit Bezug auf Verse des Komödiendichters Afranius festgestellt. Es werden dort die iambischen Senare aus seiner Togata _Sella> Usus me genuit, mater peperit Memoria. / Sophiam uocant me Grai, uos Sapientiam von Gellius zitiert und kommentiert mit den Worten: Eximie hoc atque uerissime Afranius poeta de gignenda conparandaque sapientia opinatus est, quod eam filiam esse Usus et Memoriae dixit. Eo namque argumento demonstrat, qui sapiens rerum esse humanarum uelit, non libris solis neque disciplinis rhetoricis dialecticisque opus esse, sed oportere eum uersari quoque exercerique in rebus comminus noscendis periclitandisque eaque omnia acta et euenta firmiter meminisse et proinde sapere ... (NA 13,8,1-2). Ob die darin vorgenommene Abgrenzung von der reinen Buchgelehrsamkeit mehr ist als ein bloßes Lippenbekenntnis und mit der im übrigen von Gellius propagierten Bildungsidee übereinstimmt, wird noch zu klären sein.30 Die hier affirmierte Verbindung von memoria und sapientia aber ist in der antiken Kultur wechselseitig angelegt. Denn nicht nur beruht Bildung, insbesondere die rhetorische, auf memoria,31 sondern umgekehrt garantiert Bildung auch B sogar über den Tod hinaus B memoria. Diese doppelte Funktion der memoria hat Bestand bis in die Spätantike, wie zahlreiche Grabinschriften aus dem _____________ 28 Exemplarisch für zahllose andere antike diesbezügliche Äußerungen sei verwiesen auf das Widmungsschreiben des spätlateinischen Grammatikers Diom. gramm. I 299,1823: superest ut singula recolendo memoriae tenaci mandentur, ne frustra cum tempore euanescat labor, quo tanto maxime rudibus praestare cognoscimur, qui rusticitatis enormitate incultique sermonis ordine sauciant, immo deformant examussim normatam orationis integritatem politumque lumen eius infuscant ex arte prolatum, quanto ipsi a pecudibus differre uideantur. Dazu vgl. KASTER, Guardians of Language, 17 Anm.13. 29 So lautet der Titel der Untersuchung von H. RAHN, Die rhetorische Kultur der Antike; in: Der altsprachliche Unterricht 10/2 (1967) 23-49. Vgl. hier bes. 29: `Menschliche Kultur ist überhaupt nur möglich als rhetorische Kultur. Auf diese Überzeugung gründet sich das Bildungsbewußtsein der AntikeA; vgl. auch MARROU, ȝȠȤȢIțȠȢ ȒȞȘѢ, 123: `l’éloquence, cette reine, occupe la place d’honneur.A 30 Vgl. unten die Kapitel 5.1-5.4, S. 303-395. 31 Vgl. dazu unten S. 101-102 über die Rolle der memoria in der Rhetorik.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

lateinischen wie griechischen Sprachraum bezeugen, in denen die Bildung der Verstorbenen gerühmt wird.32 Die Darstellung der Toten als Gebildeter, ein Buch lesend, rezitierend oder darüber meditierend (bisweilen auch schreibend, musizierend oder unterrichtend), veranschaulicht häufig diesen Gedanken.33

3.2. Medien der memoria in den _Noctes Atticae> 3.2.1. Memoria von Grabdenkmälern und anderen Monumenten Grabsprüchen wohnt ihrer Bestimmung gemäß eine besondere memoriale Wirkung inne, wie Cicero in Cato 21 den alten Cato mit Hinweis auf sein gutes Gedächtnis sagen läßt: equidem non modo eos noui qui sunt, sed eorum patres etiam et auos, nec sepulcra legens uereor, quod aiunt, ne memoriam perdam; his enim ipsis legendis in memoriam redeo mortuorum. Zu diesem Zweck werden auch von Gellius die Epitaphe literarisch Prominenter dem Leser vergegenwärtigt: so stellt er in NA 1,24 die angeblich von ihnen selbstverfaßten Grabepigramme der drei archaischen Dichter Naevius, Plautus und Pacuvius vergleichend nebeneinander. Zeugnisse des Totengedenkens `als der ursprünglichsten und verbreitetsten Form von ErinnerungskulturA34 enthalten auch weitere commentarii, in denen Grabsprüche referiert werden wie z.B. in NA 3,11,7, wo das Epigramm auf Homer aus Varros _De imaginibus> wiedergegeben wird, in NA 15,6,3-4, wo die mythische Figur Hektor ௅ nicht Aiax, wie Cicero (_de gloria> 2 frg.25[24] FPL MOREL³/ BLÄNSDORF) irrtümlich bei seiner Übersetzung von Hom. Il. 7,89-91 angibt ௅ in einer Rede ein ihn selbst rühmendes Epitaph für Aiax entwirft, und in NA 15,20,10, wo vom Grab des Euripides die Rede ist: sepulchrum autem eius et memoriam Macedones eo dignati sunt honore, ut in gloriae quoque loco praedicarent o¾ąoȽȯ ȼ°v ȶvȶȫ, Ȗ½ȺɅąȳȮȯȻ, ²ȵoȳȽџ _____________ 32 Vgl. KASTER, Guardians of Language, 27. 29; MARROU, ȝȠȤȢIțȠȢ ȒȞȘѢ, 222-230. 33 In der einschlägigen Untersuchung von MARROU über den MOYȢIKȠȢ ANHP folgt einer detaillierten Analyse der zahlreichen römischen Grabmonumente mit solchen Bildungsszenen im ersten Teil (19-180) im zweiten Teil die Interpretation dieser Darstellungen, besonders im dritten Kapitel _L’homme cultivé> (209-230) und im vierten Kapitel _L=heroïsation par la culture> (231-257): Hinter den _scènes de la vie intellectuelle> in der römischen Sepulkralkunst, unter denen die Leseszenen dominieren (45147), steht nicht nur die Vorstellung, daß die Bildung durch das Grabmonument die memoria garantiert, sondern auch die quasi-religiöse Vorstellung, daß Bildung nach dem Tod ein glückliches Fortleben im Jenseits gewährt (bes. 231-232. 239-244. 254255). Vgl. auch BIRT, Die Buchrolle in der antiken Kunst, 126-196. 34 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 34.

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3.2. Medien der memoria in den _Noctes Atticae>

ąoȾ, quod egregius poeta morte obita sepultus in eorum terra foret.35 Die mehrfache Beschäftigung mit Grabsprüchen in den NA spiegelt den seit augusteischer Zeit in Zahl und Umfang massiven Zuwachs an lateinischen Inschriften auf Grabmälern und Ehrenstatuen und die sich im 1. und 2. Jh. verbreitende römische epigraphische Kultur wider.36 Weitere von Gellius referierte Anekdoten ranken sich um berühmte und weniger bekannte Grab- und Denkmäler, um das Grabmal des Mausolos (NA 10,18) und das Standbild des Horatius Cocles (NA 4,5), um die von Augustus errichteten monimenta für Valerius Corvinus (NA 9,11,10) und für die Laurentische Fünflingsmutter (NA 10,2,2). Innerhalb einer aus Catos _Origines> mitsamt der Anekdote über die heroische Selbstaufopferung des Q. Caedicius übernommenen Aufzählung der verschiedenen Erinnerungsmedien (NA 3,7,19), mit denen die Heldentat des Spartaners Leonidas an den Thermopylen im kollektiven Gedächtnis Griechenlands bewahrt wird (während entsprechende monumenta für den ebenso heldenmütigen Römer nicht vorhanden sind), rangieren die Bildmonumente vor den schriftlichen Zeugnissen.37 Die memoriale Funktion der Monumente wird auch von Gellius selbst reflektiert und besonders in der aufschlußreichen und auffälligen Formulierung conseruandae mariti memoriae sepulchrum illud memoratissimum in NA 10,18,4 hervorgehoben. Daraus leitet sich auch die metonymische Verwendung der Begriffe memoria und monumentum für Grabbauten und -denkmäler her, worauf Augustinus, an die vorausgegangenen Begriffsbestimmungen verschiedener Grammatiker anknüpfend, in seiner Schrift _De cura pro mortuis gerenda> _____________ 35 Daß Gellius im Rahmen der Euripides-Vita der postumen Ehrung des Toten besondere Aufmerksamkeit widmet, entspricht seinem generellen und zeittypischen Interesse am Nachruhm bedeutender Persönlichkeiten; vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 188. 36 Das sprunghafte Ansteigen der Zahl der Inschriften, unter denen die Grabinschriften die größte Gruppe bilden, im Verlauf des 1. Jh.s v. Chr., insbesondere unter der Regierung des Augustus, ist mit den politischen Veränderungen zu erklären. Aus den gesteigerten Bedürfnissen nach öffentlicher Präsentation im Prinzipat resultierte im 1. und 2. Jh. n. Chr. eine epigraphische Kultur, die sich parallel zur Entwicklung des Städtewesens im Imperium verbreitete: vgl. W. ECK, Lateinische Epigraphik; in: F. GRAF (Hrsg.), Einleitung in die lateinische Philologie, Stuttgart / Leipzig 1997, 92111, hier 98-99. 105. 107. ௅ Während Gellius Inschriften und Ehrenstatuen aus vergangenen Zeiten memoriert, macht Plinius der Jüngere die Grabinschriften seiner Zeitgenossen zum Thema von epist. 9,19: Im Gegensatz zu Verginius Rufus, der sich selbst schon zu Lebzeiten zu seiner Verewigung ein Epitaph aufsetzt, erklärt Frontin dezidiert seinen Verzicht auf diese Form des Nachruhms. 37 Vgl. NA 3,7,19: Leonides Laco, qui simile apud Thermopylas fecit, propter eius uirtutes omnis Graecia gloriam atque gratiam praecipuam claritudinis inclitissimae decorauere monumentis: signis, statuis, elogiis, historiis aliisque rebus gratissimum id eius factum habuere.

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(entst. 421 / 424) mit der etymologisierenden Erklärung zielt: Sed non ob aliud uel Memoriae uel Monumenta dicuntur ea quae insignita fiunt sepulcra mortuorum, nisi quia eos qui uiuentium oculis morte subtracti sunt, ne obliuione etiam cordibus subtrahantur, in memoriam reuocant, et admonendo faciunt cogitari: nam et Memoriae nomen id apertissime ostendit, et Monumentum eo quod moneat mentem, id est admoneat, nuncupatur. Propter quod et Graeci ȶvȱȶȯ¥ov uocant, quod nos Memoriam seu Monumentum appellamus; quoniam lingua eorum memoria ipsa qua meminimus ȶvɄȶȱ dicitur (Aug. cur. mort. 4,6). Die Grabinschriften und -denkmäler sind die Garanten des Nachruhms schlechthin, indem sie die memoria der Verstorbenen für kommende Zeiten sichern und das Weiterleben im Gedächtnis der Nachwelt gewähren.38 In diesem Sinne bekräftigt auch Gellius die Pflicht zum Totengedenken, insbesondere der Angehörigen, unter Berufung auf die Autorität des Pontifex maximus C. Caesar in NA 5,13,6: ... nam neque hominum morte memoria deleri debet, quin a proximis retineatur. Eng verbunden mit dem Totengedächtnis ist die Ahnenverehrung und die Pflege der Geschichte der Ahnen. Sie scheint nicht nur ursprünglicher Gegenstand des kollektiven kulturellen Gedächtnisses, sondern auch Ausgangspunkt und primärer Inhalt der Gedächtniskunst gewesen zu sein. Der von GOLDMANN vorgetragenen Deutung zufolge verbirgt sich dieser enge Zusammenhang hinter dem Mythos von Simonides als dem Begründer der Mnemonik.39 Die gemäß der Mnemotechnik im Gedächtnis fixierten Merkbilder (imagines), die bestimmten Plätzen (loci) zugewiesen und in bestimmter Reihenfolge (ordo) angeordnet werden, entsprechen in der sozialen römischen Realität den imagines maiorum, den Ahnenbildern, die im Atrium des römischen Hauses in spezieller Ordnung aufgestellt wurden und die beim offiziellen Leichenbegängnis der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, während der Redner der laudatio funebris in ihrer Anschauung die Leistungen und Taten der Ahnen memoriert.40 Die dadurch im gentilizischen Gedächtnis der Römer fest verhaftete Genealogie findet bei Gellius in NA 13,20 _De genere atque nominibus familiae Porciae> ihren Niederschlag. In der für ihn charakteristischen Weise läßt er dort seinen Lehrer Sulpicius Apollinaris einen Überblick über die bedeutenden und weniger bedeutenden Catones, ihre besonderen Leistungen und ihre _____________ 38 Vgl. HÄUSLE, Das Denkmal, bes. 87-91. 39 Vgl. oben S. 46-47. 40 Vgl. GOLDMANN, Statt Totenklage Gedächtnis, bes. 61-63. `Der Gedächtnisraum mitsamt der Reihenfolge seiner festen Plätze und den ausgeschmückten Bildern findet sein reales Vorbild in der Ahnengalerie der Römer ... Hades, Lararium und Gedächtnis sind Räume, die sich gegenseitig entsprechen und analog strukturiert sind.A Zur Ahnenverehrung in der offiziellen pompa funebris vgl. HÖLKESKAMP, Exempla und mos maiorum, 301-338, hier 320-323; FLAIG, Die Pompa Funebris, 115-148.

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(komplizierte) verwandtschaftliche Beziehung geben und die diesbezüglichen Irrtümer seines Vorredners korrigieren.41 Auch das in anderen Bauten sichtbar verkörperte kulturelle Gedächtnis wird in den NA literarisch reflektiert, z.B. in den vom kapitolinischen Vediovis-Tempel und von seiner mit einer Apolldarstellung identifizierten Statue (NA 5,12,2. 11) ausgehenden Namenserklärungen zu Diouis et Vediouis42 oder in der auf Varros bzw. Tiros Mitteilungen zurückgehenden Erwähnung des Pompeius-Theaters (NA 10,1,6-9) und seiner B zu Gellius= Lebzeiten nicht mehr erhaltenen B Inschrift. Die Curia Pompeia, die Pompeius für Senatssitzungen außerhalb des Pomeriums am Pompeiustheater auf dem Marsfeld hatte errichten lassen, und die Curia Iulia, die wie ihr Vorgängerbau, die Curia Hostilia, auf dem Forum Romanum Hauptversammlungsort des Senates war, geraten in NA 14,7,7 in den Blick als inaugurierte templa, deren Weihe für die Rechtsgültigkeit der dort gefaßten Senatsbeschlüsse erforderlich war. Der Lebenszeit des Gellius näher steht die 113 n. Chr. auf dem Trajansforum errichtete Trajanssäule, in der sich die Urne mit der Asche des Kaisers befand und deren Bildprogramm die trajanischen Dakerkriege (101/102 u. 105/106) repräsentiert. Ihre Inschrift bietet in NA 13,25,1 Ausgangspunkt für sprachwissenschaftliche Diskussionen des Favorinus über die Bedeutung von ex manubiis.43 _____________ 41 Daß die verschiedenen Catones miteinander verwechselt werden konnten, läßt sich einer Andeutung Ciceros in rep. 2,54 auf die drei leges Porciae dreier Catones entnehmen; vgl. WALTER, `Ein Ebenbild des VatersA, 418. 42 Darüber urteilt LATTE, Römische Religionsgeschichte, bes. 81-82 Anm. 3: `Für die Vorsilbe ve- pflegt man sich noch immer mit der Definition des Gellius (5,12,10 aus Varro ?) zu behelfen: et augendae rei et minuendae valet ... Das ist nicht zutreffend ... Immer bedeutet es, daß die in dem Wortstamm ausgedrückte Funktion schlecht oder in unerwünschter Weise erfüllt wird. Danach kann Ve(d)iovis nur ein Iuppiter sein, der die von diesem erwartete Funktion, günstiges Wetter zu senden, schlecht erfüllt, also ungünstiges sendet.A B Dagegen wird Vediouis als Diminutivum zu Iouis, d.h. als _kleiner oder junger Iupiter>, unter Berufung auf Festus (p. 519,22 LINDSAY) gedeutet von J. F. HALL, The _Saeculum Novum> of Augustus and its Etruscan Antecedents; in: ANRW II 16.3 (1986) 2564-2589, hier 2584-2585. Die Bedeutung des mit Apollo identifizierten Gottes und seiner drei römischen Tempel wird dort mit seiner (wahrscheinlich von Tiberius hergestellten) Beziehung zur gens Iulia erklärt. In dem Zusammenhang wird die Vermutung aufgegriffen, er personifiziere auch schon das in Vergils Vierter Ekloge angekündigte Kind, mit dessen Geburt das von Augustus inaugurierte neue saeculum beginne. 43 Daß ein Gespräch durch ein Bild, eine Figur oder Inschrift ausgelöst wird, ist ein seit Varro rust. 1,2,1 begegnender Topos in der Rahmenerzählung literarischer Dialoge. Vgl. dazu W. KIAULEHN, De scaenico dialogorum apparatu capita tria, Halle 1914 [= Dissertationes philologicae Halenses; 23,2], 241; SPEYER, Octavius, 46. 50.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

3.2.2. Memoria in Bibliotheken Häufig geraten in den _Noctes Atticae> Bibliotheken in den Blick des Lesers. Als Horte der Erinnerungskultur erscheinen in gleicher Weise öffentliche Bibliotheken, wie die erste der allgemeinen Benutzung zugängliche, die Peisistratos in Athen gegründet haben soll (NA 7,17), oder die im Herculestempel von Tivoli untergebrachte bibliotheca Tiburtina (NA 9,14,3; NA 19,5,4), und private Bibliotheken, wie die kaiserliche Bibliothek der Domus Tiberiana (NA 13,20,1), in der Gellius sich mit Sulpicius Apollinaris und anderen Freunden trifft und diskutiert,44 die Trajanische Bibliothek (NA 11,17,1), die an anderer Stelle Treffpunkt und Gesprächsort der Freunde ist, oder die ein Opfer von Plünderungen gewordene Bibliothek Varros (NA 3,10,17), des in Ciceros Urteil diligentissimus inuestigator antiquitatis (Cic. Brut. 60). Auch Buchläden sind in einigen commentarii Ort von Diskussionen: z.B. in NA 5,4,(1), wo Gellius zusammen mit dem Dichter Iulius Paulus in einem Buchladen herumstöbert und durch einen Grammatiker über einen vermeintlichen Fehler in einer Textausgabe der _Annales> des Fabius Pictor belehrt wird. In NA 13,31,(1) bringt Gellius in einem Buchladen einen homo inepte gloriosus bei dem Vortrag von Textstellen aus Varros _Saturae> in Verlegenheit; eine ganz ähnliche Begebenheit wird in NA 18,4 geschildert, wo Sulpicius Apollinaris einen iactator quispiam et uenditator Sallustianae lectionis verspottet. Daß sich Gellius mit Vorliebe an Orten aufhält bzw. sich und seine Zeitgenossen häufig dort in Szene setzt, wo sich Bücher in großer Zahl befinden, resultiert aus seinem sich auf alle Wissensgebiete und Bildungsbereiche erstreckenden Bücher- und Lese-Interesse. Die in den _Noctes Atticae> dargestellte Bibliophilie der Gebildeten seiner Zeit beruht auf dem rasanten Aufschwung des Buchhandels und der Blüte des Bibliothekswesens, die im 2. Jh. stattgefunden haben.45 Zwar hatte es schon zu Ciceros Zeiten Anfänge eines römischen Buchhandels im lateinischen Sprachraum gegeben, aber erst in der Kaiserzeit ist seine breite Entwicklung und Ausdehnung über die Hauptstadt hinaus auf alle Provinzen erfolgt.46 Auch ist die Existenz von Privatbibliotheken seit dem 1. Jh. v. Chr. bezeugt B wir wissen von den Büchersammlungen des Lucullus und Atticus, Ciceros und Varros47; die Zahl der Bibliotheksbesitzer nimmt jedoch in der literarischen Überlieferung der Kaiserzeit merklich zu. So läßt sich den Briefen _____________ 44 Vgl. FANTHAM, Literarisches Leben, 238. 45 Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 94; FANTHAM, Literarisches Leben, 14-15; PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 6. 46 Vgl. BLANCK, Das Buch in der Antike, 120-129; MAZAL, Geschichte der Buchkultur Bd.1, 50-51. 47 Über ihre Plünderung berichtet Gellius in NA 3,10,17.

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des jüngeren Plinius entnehmen, daß sowohl er selbst in seiner Villa in Laurentum einen Bücherschrank (armarium) in bibliothecae speciem hatte einbauen lassen (Plin. epist. 2,17,8)48 als auch daß sein Freund, der gelehrte Herennius Severus, eine Bibliothek besaß (Plin. epist. 4,28,1). Wenn auch Zurückhaltung angebracht zu sein scheint bei der allzu leichtfertigen archäologischen Identifizierung von Bibliotheken und Bücherregalnischen,49 wird doch der Befund der steigenden kaiserzeitlichen Verbreitung von Bibliotheken bestätigt durch die Anweisungen Vitruvs für die Errichtung von Privatbauten, in denen die Behandlung der baulichen Erfordernisse für die Anlage einer Bibliothek selbstverständlich dazugehören.50 Offenbar war die Bibliothek gleichsam zum obligatorischen Bestandteil der Landsitze der Gebildeten oder derer, die dafür gehalten werden wollten, geworden. Denn man wird in Rechnung stellen müssen, daß manche Pseudo-Intellektuelle Bibliotheken nur einrichteten und unterhielten, um sich den Anschein von Bildung zu geben, wie die bissigen Bemerkungen Senecas in ,De tranquillitate animi> (dial. 9,9,4-7), die Protzerei des Parvenü Trimalchio in Petrons satirischer Karikatur des Möchtegerngebildeten in Petr. 48 und das spöttische Pamphlet Lukians ȡȺ°Ȼ Ƚ°v wąȫɅȮȯȾȽov ȴȫ¤ ąoȵȵq ȬȳȬȵɅȫ ËvoѠȶȯvov51 nahelegen. Wenn aber die Bibliothek in den Landsitzen für die Angehörigen der gebildeten Oberschicht ein Ausweis ihres Standes war, ist davon auszugehen, daß erst recht die Kaiser ihren Bildungsanspruch damit in ihren Villenanlagen demonstriert haben. Konkrete archäologische Hinweise auf solche kaiserliche Privatbibliotheken, immer vom Zufall der Überlieferung abhängig, sind nur wenige vorhanden; allerdings läßt sich in der Hadriansvilla bei Tivoli ganz sicher ein Raum als Bibliothek identifizieren.52 Dagegen belegen zuverlässige literarische Zeugnisse, untermauert durch B allerdings nur hypothetisch zu rekonstruierende B archäologische Funde, die Einrichtung zahlreicher öffentlicher Bibliotheken in der Kaiserzeit nicht nur in Rom, sondern im ganzen Römischen Reich,53 nachdem Asinius Pollio wohl bald _____________ 48 Vor Überschätzung der Größe der Bibliothek und allgemein des Umfangs der literarischen Bildung des Plinius warnt skeptisch FANTHAM, Literarisches Leben, 190-192. Zum Bücherschrank im Laurentum des Plinius vgl. auch BLANCK, Das Buch in der Antike, 193. 49 Vgl. FANTHAM, Literarisches Leben, 191 m. Anm. 42. 50 Vgl. Vitr. 1,2,7. 6,4,1. Dazu vgl. auch BLANCK, Das Buch in der Antike, 157. 183; ebd. 146 (zu Vitr. 6,7,1-5 über das griechische Wohnhaus). 51 Der lateinische Titel im libellorum ordo lautet _Adversus Indoctum>. Im Deutschen wird der Titel wiedergegeben _Gegen den Ungebildeten, der viele Bücher kauft> bzw. _Gegen den ungebildeten Büchernarren>. 52 Vgl. BLANCK, Das Buch in der Antike, 157-158. 203-204 (Abbildungen der Rekonstruktionsversuche). 53 Vgl. BLANCK, Das Buch in der Antike, 160-168. 169-178.

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nach 39 v. Chr. mit der Gründung der ersten öffentlichen Bibliothek vorangegangen war. Unter Augustus wurde im Rahmen des auf dem Palatin realisierten Bauprogramms neben dem Apollotempel eine Bibliothek angelegt und desweiteren eine Bibliothek in der Porticus Octaviae gegründet;54 auch auf seinen Nachfolger Tiberius geht die Gründung mindestens einer Bibliothek in der Nähe des für den vergöttlichten Augustus erbauten Tempels auf dem Forum zurück, vielleicht auch einer weiteren Bibliothek auf dem Palatin, die als bibliotheca domus Tiberianae zuerst von Gellius erwähnt wird (NA 13,20). Desgleichen berichtet Gellius (NA 5,21,9; NA 16,8,2) von der Benutzung der Bibliothek, die Vespasian 75 n. Chr. auf der Südseite des Templum Pacis hatte errichten lassen.55 Die von Trajans Hofarchitekten Apollodorus von Damaskus im Bereich der großen trajanischen Forumsanlage konzipierte Doppelbibliothek (einer bibliotheca Graeca und bibliotheca Latina) hatte nicht nur als Bauwerk besonderen Rang. Die entweder bibliotheca Ulpia56 oder wegen des von Hadrian für den postum divinisierten Trajan auf dem Areal errichteten Tempels bibliotheca templi Traiani57 genannte barg auch große Bücherschätze und Geschichtsdokumente, wie wiederum neben anderen Zeugnissen ein commentarius des Gellius (NA 11,17,1) erkennen läßt. Die große Bedeutung dieser Trajanischen Bibliothek, die zugleich als Wissensarchiv und der imperialen Demonstration diente, erweist sich auch darin, daß Sueton als kaiserlicher Beamter a bibliothecis von Trajan mit der Bibliotheksleitung betraut worden war.58 Daß die Zahl der öffentlichen Bibliotheken danach weiter zugenommen hat, geht hervor aus der Beschreibung der Stadtregionen aus konstantinischer Zeit, in der 28 Bibliotheken genannt sind.59 Die Gründungen öffentlicher Bibliotheken während der Kaiserzeit erstreckten sich auch auf das übrige Römische Reich. Aufgrund der sporadischen und _____________ 54 Vgl. NEUDECKER, Aspekte öffentlicher Bibliotheken, 296-298. 55 Daß die Bibliothek, in deren unmittelbarer Nachbarschaft im Templum Pacis sich die marmorne Fassung der Forma Urbis Romae befand, die Herrschaftsdemonstration mit der Bildungsdemonstration, die Wissensverwaltung mit der Wissensbewahrung verband, hebt hervor NEUDECKER, Aspekte öffentlicher Bibliotheken, 298-299. 311 fig. 4 (Rekonstruktion). 56 Vgl. Hist. Aug. [Vopisc.] Aurelian. 1,7. 1,10. 8,1. Hist. Aug. [Vopisc.] Tac. 8,1. 57 Vgl. NA 11,17,1. Dazu NEUDECKER, Aspekte öffentlicher Bibliotheken, 294-295. 301. 58 Vgl. FANTHAM, Literarisches Leben, 179-180. Überhaupt wahrten die Kaiser, die sich als Garanten der literarischen und dokumentarischen Wissensarchive verstanden, durch die Bestellung der Bibliotheksverwalter die Nähe zu den Bibliotheken: vgl. NEUDECKER, Aspekte öffentlicher Bibliotheken, 300-301. 59 Vgl. Reg. urb. p. 97,9 NORDH. Dazu BLANCK, Das Buch in der Antike, 165. Die Bibliotheksgründungen im 2. Jh. n. Chr. beschreibt als wesentlichen Faktor der Bildungskultur dieser Epoche PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 6. 13-14

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letzlich zufälligen archäologischen, epigraphischen und literarischen Belege läßt sich über die tatsächliche Häufigkeit öffentlicher Bibliotheken in den Städten Italiens ebensowenig Sicheres sagen wie über die Bibliotheken im lateinisch sprechenden Westen des Imperiums insgesamt. Dagegen wissen wir vom Fortbestand der berühmten schon in hellenistischer Zeit gegründeten Bibliotheken im Osten des Reiches in Pergamon und Alexandria sowie von Bibliotheksneugründungen während der Kaiserzeit: in Prusa (unter Trajan errichtet),60 in Korinth (durch eine Rede des Favorinus von Arles bezeugt),61 in Ephesus, der Haupststadt der römischen Provinz Asia, wo im 2. Jh. die Celsus-Bibliothek gestiftet wurde,62 und nicht zuletzt in Athen, wo unter Trajan die Pantainos-Bibliothek als private Stiftung entstand und wo von Hadrian wohl im Jahre 132 neben anderen großen Bauten bei der Akropolis die monumentale Bibliothek begründet wurde, von deren Kapazität heute noch beachtliche Gebäudereste zeugen.63 Eine weitere Bibliothek in Patras, das Amtssitz des römischen Statthalters der Provinz Achaia und römische Bürgerkolonie war, ist durch Gellius (NA 18,9,5) bezeugt. Aber auch für die Bibliotheken in Griechenland gilt, daß die Kenntnisse darüber auf der Zufälligkeit des Erhaltenen und der Schwierigkeit der archäologischen Identifizierung und Rekonstruktion beruhen. So wie Gellius sich selbst und andere befreundete Zeitgenossen als Besucher und Benutzer der verschiedenen Bibliotheken (z.B. in NA 13,20 der Bibliothek im Palast des Tiberius und in NA 5,21,9 und NA 16,8,2 der Vespasian-Bibliothek in Rom, in NA 9,14,3 und NA 19,5,4 der Bibliothek von Tivoli, in NA 18,9,5 der Bibliothek in Patras) darstellt, so gibt ein Brief des (späteren) Kaisers Marcus Aurelius an seinen Lehrer Fronto Aufschluß über beider eifrige Benutzung der kaiserlichen Bibliotheken.64 Auch Apuleius verweist in seiner _Apologia> aus dem Jahre 158, in der er die Zurückweisung des Vorwurfs der Zauberei mit einer Präsentation seiner kulturellen Verdienste verbindet, auf seine regelmäßigen _____________ 60 Vgl. Plin. epist. 10,81. 61 Vgl. Cor. 8 p. 395,1-4 AMATO = Ps.-Dion. Chrys. or. 37,8 p. 2,18,27-30 ARNIM. 62 Vgl. BLANCK, Das Buch in der Antike, 172-174; NEUDECKER, Aspekte öffentlicher Bibliotheken, 302-303. 63 Vgl. BLANCK, Das Buch in der Antike, 170-171; NEUDECKER, Aspekte öffentlicher Bibliotheken, 299; WILLERS, Hadrians panhellenisches Programm, 14-21. 64 Vgl. AUR. Fronto M. Caes. 4,5,2 p. 61,15-19 v.d.H.2; vgl. dazu FANTHAM, Literarisches Leben, 231; NEUDECKER, Aspekte öffentlicher Bibliotheken, 293; K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 456, S. 288-289 merkt zu der angegebenen Frontostelle an: `Offenbar war das Ausschreiben auch langer Partien leichter als das Ausleihen des Textes in römischen Bibliotheken.A Vgl. auch die Aussage des Gellius in NA 18,5,11: librum summae atque reuerendae uetustatis ... studio pretioque multo ... conduxi.

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Ausleihen aus der privaten Bibliothek seines Freundes und Schwiegersohnes Pontianus.65 Welche Bedeutung die Bibliotheken als vielfrequentierte Bildungsstätten hatten, erhellt daraus, daß sie als Ort zur Aufstellung von Ehrenstatuen wegen deren pädagogischer Wirkung bevorzugt gewählt wurden. Dies bezeugen im 2. Jh. n. Chr. die ,Korinthische Rede> des Favorinus, in der er die Entfernung seines Ehrenmals aus der dortigen Bibliothek beklagt, und das Ehrendekret von Halikarnass, das den Beschluß verkündet, dem durch seine Rezitationen in hadrianischer Zeit populären, uns aber unbekannten Dichter C. Iulius Longianus (aus Aphrodisias) unter anderen eine Statue zu errichten ąȫȺq Ƚ°v ąȫȵȫ¤ov ^ȘȺџȮoȽov ... [`neben dem alten HerodotA] wie auch seine Bücher öffentlich aufzustellen ‰v Ƚȯ ȬȾȬȵȳoȲɄȴȫȳȻ ..., ­vȫ ȴȫ¤ ˆv ȽoѠȽoȳȻ o¬ vɃoȳ ąȫȳȮȯѠɂvȽȫȳ Ƚ°v ȫ½Ƚ°v ȽȺџąov ¶v ȴȫ¤ ˆv Ƚo¥Ȼ ȽÆv ąȫȵȫȳÆv ȼȾȭȭȺȪȶȶȫȼȳv ... [`in den Bibliotkeken ..., damit auch in ihnen die jungen Leute auf dieselbe Weise wie in den Schriften der Alten gebildet werdenA].66 3.2.3. Memoria und Bücher So wie die Bibliotheken als Orte des kulturellen Gedächtnisses kommen die in ihnen verwahrten Bücher als Träger bzw. Medien des kulturellen Gedächtnisses in den _Noctes Atticae> in außerordentlich großer Menge zur Geltung. Denn Bücher, die materiellen Verkörperungen des verschriftlichten kulturellen Gedächtnisses oder nach ARTHUR SCHOPENHAUER _____________ 65 Vgl. Apul. apol. 53,8. 66 Vgl. CH. ROUECHÉ, Performers and Partisans at Aphrodisias in the Roman and late Roman periods, London 1993 [= Journal of Roman Studies Monographs 6], 225227, Nr. 88 II, hier 14-18; W. CALDER / J.M.R. CORMACK (Ed.s.), Monuments from Lycaonia, the Pisido-Phrygian borderland, Aphrodisias, Manchester 1962 [MAMA = Monumenta Asiae Minoris Antiqua 8], 82-85, Nr. 418, hier 14-18; dazu NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 348; AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 420-421. B Der Brauch, Statuen zu Ehren verdienter Persönlichkeiten in Bibliotheken aufzustellen, blieb bis in die Spätantike erhalten, wie die Auszeichnung des Dichters Apollinaris Sidonius durch eine in der Bibliotheca Ulpia errichtete Ehrenstatue nach seinem Panegyricus auf den neuen Imperator Avitus (am 1. Januar 456) bezeugt: vgl. carm. 8,8; epist. 9,16,3 v. 25-28; dazu C.E. STEVENS, Sidonius Apollinaris and his age, Oxford 1933, repr. Westport CT 1979, 35. ௅ In Plin. epist. 4,28,1 trägt Plinius das Anliegen des Briefes vor, dem Bemühen des Herennius Severus zum Erfolg zu verhelfen, der für seine Bibliothek geeignete Bilder von Cornelius Nepos und Titus Catius sucht. Wahrscheinlich handelt es sich bei letzterem um den auch von Quint. inst. 10,1,124 und Cic. fam. 15,16 (18),1 erwähnten epikureischen Philosophen. Vgl. SHERWIN-WHITE, The Letters of Pliny, 307 zu Plin. epist. 4,28,1. Eine Trajan-Statue in der Bibliothek von Prusa findet in Pin. epist. 10,81,7 Erwähnung.

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das `papierne Gedächtniß der MenschheitA,67 stehen im Mittelpunkt des Interesses des Gellius.68 Es sind vor allen die wertvollen `altenA Textausgaben, welche die Literatur der archaischen und republikanischen Zeit tradieren,69 aber auch Texte der frühen Kaiserzeit, wenn möglich in Auto_____________ 67 SCHOPENHAUER, Parerga und Paralipomena, 530-531 (aus: Kapitel 21 ,Ueber Gelehrsamkeit und Gelehrte>, ' 254): `Von dem menschlichen Wissen überhaupt in jeder Art, existirt der allergrößte Theil stets nur auf dem Papier, in den Büchern, diesem p a p i e r n e n G e d ä c h t n i ß d e r M e n s c h h e i t . Nur ein kleiner Theil desselben ist, in jedem gegebenen Zeitpunkt, in irgendwelchen Köpfen wirklich lebendig. ... Wie schlecht würde es also um das menschliche Wissen stehn, wenn Schrift und Druck nicht wären ! Daher sind die B i b l i o t h e k e n a l l e i n d a s s i c h e r e u n d b l e i b e n d e G e d ä c h t n i ß d e s m e n s c h l i c h e n G e s c h l e c h t s , dessen einzelne Mitglieder alle nur ein sehr beschränktes und unvollkommenes haben.A (Die Hervorhebungen hat Verf. vorgenommen.) ௅ Vgl. RIEGER, Imaginäre Bibliotheken, 18: `+Bibliothek* als zentrale Institutionalisierungsform der +memoria*, die individuell als Botschaft an die Gegenwart reaktiviert oder museal auf ihre reine Materialität reduziert werden kann; als Institution, die mit dem Problem befaßt ist, +zwischen dem Erinnern und dem Vergessen ein immer prekäres Gleichgewicht zu halten*; als immer präsente Schaltstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft; als Ort der Begegnung von Vergangenheit und Gegenwart im Akt der Lektüre; als Ort der Speicherung und der Ordnung des kulturellen Gedächtnisses, des latenten und präsenten Wissens von der Welt, das die Bibliothek B nach unvermeidbarer Selektion durch das Vergessen B konserviert, disponibel hält und im Bedarfsfall der Reaktualisierung, der Wiedererweckung vom Tod zum Leben, vom Vergessen zum Erinnern, zur Verfügung stellt.A Vgl. WEINRICH, Lethe, 261-262. 68 Allein die Frequenz des Wortes liber _Buch>, das in den NA 508mal in allen Formen gebraucht wird, gibt davon Zeugnis. Vgl. BELTRÁN, Concordantia, 696-702 s.v. liber, -bri. B Aus der Fülle und Vielfalt der von Gellius in seinem Werk direkt oder indirekt (zum Teil in Bibliotheken; vgl. oben S. 62. S. 65) benutzten, zitierten, exzerpierten, paraphrasierten oder besprochenen Bücher bekommt der Leser die Vorstellung von einer Bibliothek, deren sich der Autor der _Noctes Atticae> bedient, sei sie ihm real oder bloß imaginär vorhanden. Auch wenn das gellianische Werk nur bedingt bzw. partiell der fiktionalen Literatur zuzuordnen ist (zur Frage der Fiktionalität vgl. S. 135. S. 159-161. S. 165 Anm. 363. S.174-175. S. 251-252 m. Anm. 207), liegt hierin eine Affinität zu dem weiten Raum, den Bücher und (imaginierte) Bibliotheken in der fiktionalen Literatur der Neuzeit einnehmen: angefangen im 16. Jh. mit FRANÇOIS RABELAIS= _Pantagruel> und seiner satirischen Auflistung fiktiver Buchtitel der Bibliothèque de Saint-Victor bis zu JORGE LUIS BORGES= Erzählung _La biblioteca de Babel> und UMBERTO ECOs _Il nome della rosa>, um die prominentesten Beispiele des 20. Jh.s zu nennen: vgl. RIEGER, Imaginäre Bibliotheken, hier 11-30 (Einleitung: La nostra biblioteca non è come le altre; mit zahlreichen Hinweisen auf weiterführende Literatur), bes. 22-23 (zum Verhältnis von fiktionaler bzw. imaginärer Bibliothek und realer Bibliothek). 69 Vgl. z.B. NA 1,7,1: Ausgabe von Ciceros _Verrinen> aus Tiros Hand; NA 5,4,1-3: Ausgabe der _Annales> des Fabius Pictor; NA 9,14,2: ueteres libri ... corrupti des Claudius Quadrigarius; NA 18,5,11: alte Ennius-Ausgabe des Grammatikers Gaius Octavius Lampadio, von der Gellius dort den Rhetor Antonius Iulianus wörtlich sagen läßt: librum summae atque reuerendae uetustatis, quem fere constabat Lampadionis manu

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graphen,70 und manchmal sogar der eigenen Gegenwart,71 mit denen sich Gellius befaßt. Er spürt den Büchern in Buchläden72 und in Bibliotheken nach,73 fertigt schriftliche Exzerpte an oder zitiert aus ihnen,74 referiert und diskutiert ihren Inhalt,75 stellt verschiedene Textausschnitte und lesarten vergleichend einander gegenüber,76 gibt Kommentare und Erläuterungen zu den Texten.77 Dabei scheut er bisweilen keine Mühen, um an _____________ emendatum, studio pretioque multo unius uersus inspiciendi gratia conduxi. Vgl. BÜCHÜberlieferungsgeschichte, 344-345. Vgl. auch die fast gleichklingende Äußerung Frontos in M. Caes. 1,7,4 p. 15,13-17 v.d.H.2; dazu MÜLKE, Der Autor und sein Text, 243 m. Anm. 763. Doch Gellius ist sich bewußt, daß es auch Textausgaben von durchaus fragwürdiger Qualität gibt, deren Textentstellungen durch Kopierfehler oder Verfälschungen hervorgerufen worden sind: vgl. MÜLKE, Der Autor und sein Text, 54-56. 62 m. Anm. 185. 272. Z.B. berichtet Gellius in NA 2,3,5 davon, eine nach allgemeiner Ansicht vom Autor selbst stammende Vergil-Textausgabe (librum Aeneidos secundum mirandae uetustatis emptum in sigillariis uiginti aureis) eingesehen zu haben. Nach Plin. NH 13,83 sind Autographe Vergils zur Zeit des Plinius noch sehr häufig zu finden: Tiberi Gaique Gracchorum manus apud Pomponium Secundum uatem ciuemque clarissimum uidi annos fere post ducentos; iam uero Ciceronis ac Diui Augusti Vergilique saepenumero uidemus. Dazu paßt, daß auch in NA 1,21,2, NA 9,14,7 und NA 13,21,4 von Vergil selbst bzw. aus seinem Haus stammende Handschriften erwähnt werden, zu denen andere Personen (Hyginus, Valerius Probus) Zugang hatten. Gellius’ philologische Interessen als Motiv für seine Benutzung der älteren Manuskripte und die Glaubwürdigkeit seiner entsprechenden Angaben untersucht ZETZEL, Latin Textual Criticism, 60-65. Skeptisch gegenüber diesen als `BeglaubigungsfiktionenA eingestuften Aussagen bleibt ZWIERLEIN, Ovid- und Vergil-Revision, 89. 90. 116: `Ob wenigstens hinter der Gell. I 21 erzählten Geschichte, wonach Hygin immerhin einmal eine weitere Handschrift eingesehen hätte, ein wahrer Kern steckt, muß bezweifelt werden.A Zur schwankenden Beurteilung von NA 1,21,1-4 vgl. MÜLKE, Der Autor und sein Text, 39-40 m. Anm. 125. Z.B. in NA 19,11,3 das Gedicht eines Gellius-Freundes, der als o½ȴ xȶoȾȼoȻ charakterisiert wird. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 23 vermutet, daß sich hinter dieser Zuschreibung Apuleius verbergen könnte. Gellius hatte auch persönlichen Kontakt mit dem Dichter Annianus: vgl. NA 6,7,1; NA 9,10,1; NA 20,8,1-4. In einem Buchladen auf den Sigillaria, dem Kunstmarkt, werden Gellius und der Dichter Iulius Paulus in NA 5,4 zufällig Zeuge einer Diskussion, die der Buchhändler und ein anonymer grammaticus über die Richtigkeit einer in der dort vorhandenen Ausgabe der _Annales> des Fabius Pictor gebrauchten grammatischen Form führen. Ein Bibliotheksbesuch wird z.B. in NA 9,14,1-3. 5 geschildert; vgl. auch oben S. 62. S. 64. S. 65. Exzerpte und Zitate aus allen möglichen griechischen und lateinischen Texten durchziehen das gesamte Werk. Gellius kündigt dies in NA praef. 11-12. 17-19 an. Vgl. dazu unten Kapitel 3.4.4, S. 117-162. Vgl. z.B. NA 1,23,3. Vgl. z.B. NA 6,2; NA 6,3; NA 6,20; NA 20,6,14. Vgl. z.B. NA 2,16: Erläuterung der Verse Verg. Aen. 6,760-766; NA 6,20: Erläuterung von Verg. georg. 2,224-225. NER,

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die begehrten Bücher zu gelangen: Wie sein Rhetoriklehrer Antonius Iulianus, der in NA 18,5,11 sich eine alte Ennius-Ausgabe für teures Geld entleiht, um einen einzigen Vers zu verifizieren, findet Gellius selbst in NA 16,8,2 nach langem Suchen in der Bibliothek des Pax-Tempels eine Ausgabe des abgelegenen _Commentarius de proloquiis> des Aelius Stilo (... studiose quaesiuimus eumque in Pacis bibliotheca repertum legimus), woraus er die Anfänge der Dialektik erlernen möchte. Aber bisweilen stößt er auch zufällig auf ein wertvolles, seltenes Exemplar. So entdeckt er in der Bibliothek im griechischen Patras die _Odusia> des Livius Andronicus, aus der er den Anfangsvers in der sprachlich korrekten Form zitiert (NA 18,9,5: offendi enim in bibliotheca Patrensi librum uerae uetustatis Liuii Andronici, qui inscriptus est ]ȠȮѠȼȼȯȳȫ , in quo erat uersus primus cum hoc uerbo sine _u> littera: uirum mihi, Camena, insece uersutum). Aufgrund all dieser über die ganzen _Noctes Atticae> verteilten Beweise seiner Bibliophilie, die ihn mit gleichinteressierten Gebildeten seiner Zeit verbindet (z.B. in NA 2,3,5 mit dem multi nominis Romae grammaticus Fidus Optatus; in NA 5,4 mit dem als uir memoria nostra doctissimus gepriesenen Dichter Iulius Paulus, in NA 18,5,1. 11 mit dem Rhetor Antonius Iulianus, einem uir hercle bonus et facundiae florentis), wird Gellius zutreffend als ein `Repräsentant von BuchwissenA charakterisiert, der Wissen aus und über Bücher vermittelt.78 Bei seinem Umgang mit den Büchern und ihrer Nutzung für seine Recherchen ist Gellius selbst geleitet von dem auch bei Plinius dem Älteren79 manifestierten Bewußtsein, daß sich in ihnen kulturelles Gedächtnis verkörpert und verdichtet. Ausdrücklich kommt dieses zum Vorschein in der Aussage in NA 10,27,1: in litteris ueteribus memoria exstat. Und auf die Ineinssetzung von Büchern als Überlieferungsträgern und memoria(e) zielt die Aussage in NA 4,6,1: in ueteribus memoriis scriptum legimus.80 Auch die _____________ 78 So BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 116. 79 Plinius nennt in NH 13,83 die durch Bearbeitung des Papyrus haltbar gemachten Schriftstücke (aus der Hand der Gracchen, des Augustus, Ciceros und Vergils) monimenta. Gellius bezeichnet in NA 18,7,8 die Cicerotexte, die er Favorinus zur Beglaubigung der Ausführungen des Buches des Verrius Flaccus präsentiert, als significationum monumenta. Vgl. oben S. 34 und unten S.70. 80 Vgl. auch TLL 8, 684, 9-10. Demgegenüber wird in NA 3,15,cap. mit memoriae offensichtlich die mündliche Überlieferung der schriftlichen durch litterae gegenübergestellt: Exstare in litteris perque hominum memorias traditum ... In dem Ausschnitt der Cato-Rede in NA 14,2,26 (atque ego a maioribus memoria sic accepi ...) meint memoria wohl auch die Mündlichkeit. Vgl. C. Iulius Caesar, Commentarii de bello Gallico, erkl. v. F. KRANER / W. DITTENBERGER / H. MEUSEL, Nachwort. u. bibliogr. Nachträge v. H. OPPERMANN, Berlin 181960, Dublin / Zürich Ndr. 1968, Bd. 2,27 zu Caes. Gall. 5,12 (ipsi memoria proditum dicunt) mit Hinweis auf Cic. Verr. II 1,47 (quod est proditum memoria ac litteris). B Ähnlich metonymisch wie in NA 4,6,1 ueteres memoriae be-

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Parallelisierung von historia und memoria in NA 6,8,1 läßt sich so verstehen: non modo historiae ueteres, sed recentes quoque memoriae declarant. An anderer Stelle verbindet Gellius mit Bezug auf einen anonymen Altertumsforscher litterae und memoria(e) in ähnlicher Absicht: qui se ad litteras memoriasque ueteres dediderat (NA 2,21,6). Dabei nähert sich memoria, zumal in der pluralischen Verwendung, der Bedeutung _schriftliche Nachrichten; Denkmäler bzw. Denkwürdigkeiten; denkwürdige Begebenheiten, Geschichten>.81 So auch dort, wo der Autor als der Stifter der memoria hervortritt: scriptores qui de moribus legibusque eorum memorias condiderunt (NA 11,18,17). Wegen seiner Kenntnisse der literarischen Überlieferung und ihrer Tradierung wird Favorinus in NA 10,12,9 gelobt als memoriarum ueterum exsequentissimus; darauf zielt auch die Charakterisierung des Cornelius Nepos als rerum memoriae non indiligens in NA 15,28,1. Als Medien und Träger des in ihnen fixierten kulturellen Gedächtnisses werden Bücher von Gellius immer wieder benutzt, um genaue Informationen zu erhalten, Gehörtes oder anderswo Gelesenes zu verifizieren oder zu korrigieren. So werden in NA 13,20 die mündlich vorgetragenen Ausführungen über die historische Einordnung der verschiedenen Catones in die familia Porcia gemäß der Empfehlung des Sulpicius Apollinaris von Gellius durch eigene Lektüre der laudationes funebres und eines liber commentarius de familia Porcia überprüft und für zutreffend befunden (NA 13,20,16-17). In NA 18,7,8 präsentiert er dem Favorinus, um das zuvor in dem ihm vom wortkargen und übellaunigen Grammatiker Domitius Insanus statt mündlicher Auskünfte über eine grammatische Frage zur Information zugesandten Buch (NA 18,7,3.5) B vermutlich B des Verrius Flaccus nur allgemein Gesagte mit Beispielen zu belegen, Cicerotextstellen als significationum monumenta. Dagegen ist Gellius aufgrund der in NA 12,13,17-18. 21-29 bei seiner (vorausgehenden bzw. abschließenden) Cicerolektüre gesammelten und bezeugten Belege zu einer von Sulpicius Apollinaris abweichenden Ansicht über die Bedeutung der Wendung intra Kalendas bzw. intra Oceanum gelangt. Eigene Recherchen in Büchern zur Verifizierung, Ergänzung bzw. Richtig_____________ zieht sich in NA 5,13,3 der Plural antiquitates auf die schriftliche Überlieferung der alten Zeit. Vgl. OLD 142 s.v. antiquitas 2b; TLL 2, 174, 26. 81 Vgl. auch NA praef. 23: ad colligendas huiuscemodi memoriarum delectatiunculas; NA 5,5,1: In libris ueterum memoriarum scriptum est ...; NA 5,9,4: Herodotus in _historiis> huius memoriae scriptor est. Zu diesen Stellen vgl. O. PRINZ; in: TLL 8, 676, 54-72: II B praeualet notio narrationis, fabulae sim. ௅ Ähnlich bezeichnet auch der Plural antiquitates _Altertümer> die alten Überlieferungsträger oder taucht als Buchtitel (nicht nur) Varros auf: z.B. in NA 5,13,3 (testimonia atque documenta in antiquitatibus perscripta), NA 13,12,2 (quod ... in Romanis antiquitatibus legisset) und NA 11,1,1 (M. Varro in antiquitatibus rerum humanarum ...).

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stellung unternimmt Gellius z.B. auch in NA 3,3,8; NA 9,14,6; NA 11,15,8; NA 12,9,6; NA 13,7,6; NA 13,13,4; NA 13,21,10-23, NA 15,1,7; NA 15,30,5; NA 16,8,2; NA 18,4,11; NA 18,5,12.82 Zum genauen Textvergleich zwischen Caecilius’ Komödienübertragung _Plocium> und dem Original Menanders wird von Gellius und seinen Mitlesern in NA 2,23,6-22 der griechische Text zur Hand genommen. In NA 17,3,4 zieht auch ein anderer als adulescens quispiam non indoctus Vorgestellter ein Buch als Zeuge heran, um die male homines litterati eines Irrtums zu überführen, und in NA 18,5,11 berichtet der Rhetor Antonius Iulianus davon, daß er in einem alten Ennius-Exemplar Bestätigung für dessen Gebrauch von eques (nicht ecus) gesucht habe. Bisweilen bleiben Gellius’ Nachforschungen in den Büchern aber auch ohne befriedigendes Ergebnis: z.B. in NA 1,3,19. 29 (wo Gellius bei Cicero keine zufriedenstellende Antwort auf seine Frage findet und daher auf Theophrast zurückgreift); in NA 12,14,4 (vergebliche Suche nach der Etymologie von saltem in den _Commentarii> des Nigidius Figulus); in NA 16,5,4 (wo er bemängelt, daß keine plausible etymologische Erklärung von vestibulum schriftlich vorliegt) und in NA 16,8,3 (wo er nach der frustrierenden Lektüre der Schrift _De proloquiis> zu dem Ergebnis kommt, daß sie von L. Aelius Stilo sui magis admonendi quam aliorum docendi gratia geschrieben sei). Ab und an kommt er dabei auch falschen Quellenangaben auf die Spur: z.B. in NA 12,14,4 und NA 15,30,5. Mit allen diesen Stellen korrespondiert der an den Leser gerichtete Appell in der Praefatio, sich genauso kritisch gegenüber den _Noctes Atticae> des Gellius zu verhalten und andere Informationsquellen zu nutzen: Quae autem parum plana uidebuntur aut minus plena instructaque, petimus, inquam, ut ea non docendi magis quam admonendi gratia scripta existiment et quasi demonstratione uestigiorum contenti persequantur ea post, si libebit, uel libris repertis uel magistris. Quae uero putauerint reprehendenda, his, si audebunt, succenseant, unde ea nos accepimus; sed enim, quae aliter apud alium scripta legerint, ne iam statim obstrepant, sed et rationes rerum et auctoritatem hominum pensitent, quos illi quosque nos secuti sumus (NA praef. 17-18). Auch im Verlauf des Werkes zeigt sich Gellius bemüht, den Leser zu einem eigenen kritischen Urteil zu animieren, so ausdrücklich beim Vergleich zwischen Caecilius und Menander: uersus utrimque eximi iussi et aliis ad iudicium faciundum exponi (NA 2,23,8). Ebenso fordert er in NA 6,3,55 zur kritischen Lektüre auf: Commodius autem rectiusque de his meis uerbis, quibus Tullio Tironi respondimus, existimabit iudiciumque faciet, qui et orationem ipsam totam Catonis _____________ 82 Aber nicht nur bei gezielten Nachforschungen, sondern auch bei zufälliger Lektüre werden ihm Bücher zur Informationsquelle: z.B. in NA 13,12,5; NA 13,21,10; NA 13,23,19; NA 16,1,3; NA 16,3,6; NA 18,5,12.

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acceperit in manus et epistulam Tironis ad Axium scriptam requirere et legere curauerit.83 Unbenommen davon hat das in der römischen Mentalität fest verankerte auctoritas-Prinzip84 höchste Geltung für Gellius, primär im Bereich von Sprache und Literatur,85 aber auch darüber hinaus: Nachdem er schon in der Praefatio (NA praef. 18) trotz seiner Aufforderung zum kritischen Leseverhalten die auctoritates hominum ... quos illi quosque nos secuti sumus zu seinen Gunsten in die Waagschale geworfen hat, ist sein Werk durchzogen von Berufungen auf literarische oder sonstige Autoritäten, die er oft selbst in Zitaten oder Paraphrasen zu Wort kommen läßt.86 Ausdrücklich bezeichnet er z.B. in NA 1,22,12 Vergil als Autorität (die aber für den in Rede stehenden Wortgebrauch nicht heranzuziehen sei), in NA 17,6,4 beruft er sich auf die sprachliche Autorität des Verrius Flaccus, in NA 13,26,5 auf die des Nigidius Figulus. So wie der nicht namentlich, aber als berühmter Dichter vorgestellte Zeitgenosse und Freund Frontos sich in NA 19,8,10 von der auctoritas der Caesar-Schrift _De analogia> überzeugen läßt (tunc permotus auctoritate libri poeta), erklärt Gellius in NA 1,21,5 Lukrez zu einer sprachlich-stilistischen auctoritas für den Dichter Vergil (... sed in carminibus Lucreti inuento usus et non aspernatus auctoritatem poetae ingenio et facundia praecellentis). Auch auf außersprachlichen und außerliterarischen Gebieten wird Gellius von dem römischen Autoritätsdenken geleitet: So charakterisiert er in NA 4,11,11 Plutarch als einen homo in disciplinis graui auctoritate und in NA 4,12,3 nennt er Cato namentlich unter den auctoritates, die denkwürdige animaduersiones censoriae hinterlassen haben. In NA 19,5,10 läßt sich Gellius sogar in seinen Lebensgewohnheiten (indem er dem Trinken von Schneeschmelzwasser abschwört) von der Autorität des Aristoteles korrigieren. Auctoritas erkennt Gellius zwar auch einigen Personen seiner Lebenszeit87 zu, z.B. dem Rhetor Titus Castricius (in NA 13,22,1) oder dem ihm seit seinem Athen_____________ 83 Vgl. unten S. 161-162. S. 185. S. 1-322. S. 331. 84 Vgl. dazu oben S. 27-29. 85 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 178: `Auctoritas is the highest principle in Gellius= eye; neither ratio nor consuetudo can take its place.A 86 Gellius zitiert die zuständige Autorität, statt seine eigenen Gedanken zu formulieren, nicht nur in NA 13,15,4: super hac re meis uerbis nil opus fuit, quoniam liber M. Messalae auguris _de auspiciis> primus, cum hoc scriberemus, forte adfuit. propterea ex eo libro uerba ipsius Messalae subscripsimus. 87 Eine freilich auf seine Epoche beschränkte auctoritas gesteht Gellius dem Älteren Plinius zu, obwohl seine _Naturalis historia> wie die libri Graeci miraculorum fabularumque pleni der in NA 9,4,3 genannten scriptores ueteres non paruae auctoritatis auch res inauditae, incredulae und keine Lebenshilfe oder Lebensverschönerung (NA 9,4,12 ad ornandum iuuandumque usum uitae) bieten: Plinius Secundus, uir in temporibus aetatis suae ingenii dignitatis gratia auctoritate magna praeditus (NA 9,4,13).

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aufenthalt bekannten philosophus in disciplina Stoica celebratus (NA 19,1,4), aber zumeist garantiert ihm die antiquitas die auctoritas, wie im Falle Demokrits (NA 10,17,1: auctoritateque antiqua praeditum) oder des Hippokrates (NA 17,11: auctoritate adhibita antiqui medici Hippocratis). Bisweilen sind die Respektbekundungen des Gellius gegenüber der auctoritas der Vergangenheit auch indirekt formuliert und ohne konkreten Personenbezug: in NA 13,22,7 findet er keine Belege (für den Gebrauch von gallicae _gallische Männersandalen bzw. Galoschen>) bei einem auctoritatis scriptor vor Cicero; in NA 18,6,7 konstatiert er das Fehlen entsprechender Altersautoritäten (nullis ueterum scriptorum auctoritatibus confirmari potest) und in NA 20,6,12 bleibt Sulpicius Apollinaris mit der Wendung auctoritas quaedam uetustatis recht vage. Alle diese unbestimmten und bestimmten Äußerungen des Autoritätsgedankens sind symptomatisch für die hohe Wertschätzung und intensive Pflege des kulturellen Gedächtnisses durch Gellius, die sich in der seine _Noctes Atticae> prägenden Buch- und Lesekultur offenbart. Wie eng dabei memoria gedanklich und begrifflich verschwistert ist mit der aus der antiquitas resultierenden auctoritas, spiegelt ihre Parallelisierung in NA 6,19,8 wider: contra hanc decretorum memoriam contraque auctoritates ueterum annalium ... Signifikant für die allgemeine römische Mentalität wird der Zusammenhang zwischen Literatur und memoria auch in den mehr oder weniger konventionell für die schriftliche Überlieferung gebrauchten Junkturen memoriae mandare,88 memoriae prodere,89 memoriae tradere90 und in dem sonst eher seltenen memoriae dare91 zur Sprache gebracht. Ausführlich heißt es z.B. in NA 1,3,1: scriptum est in libris eorum, qui uitas res gestas clarorum hominum memoriae mandauerunt. Das solchen Formulierungen zugrundeliegende Denken läßt sich aber auch in individuell geprägten Äußerungen des Gellius erkennen, wie in dem Verweis auf den Historiographen Claudius Quadrigarius in NA 3,8,cap.: Litterae eximiae consulum C. Fabricii et Q. Aemilii ad regem Pyrrhum a Q. Claudio scriptore historiarum in memoriam datae. Ins Negative gekehrt begegnet der Gedanke dort, wo Gellius über ein angeblich von Vergil wegen persönlicher Kränkung aus georg. 2,225 getilgtes Wort referiert: quasi ex hominum memoria, sic ex carmine suo derasisse ... (NA 6,20,1). So wie die schriftliche Überlieferung Gellius als verfestigtes kollektives Gedächtnisses gilt, so garantiert für ihn auf der Rezipientenseite das Verschriftlichte größere Glaubwürdigkeit und _____________ 88 Z.B. NA 1,3,1; NA 3,17,cap.; NA 4,11,cap.; NA 4,13,1; NA 10,2,cap.; NA 10,18,6; NA 17,21,16; NA 17,21,25; NA 19,7,2; NA 19,8,7. Vgl. TLL 8, 677, 65-70. 89 Z.B. NA 15,22,10. Vgl. TLL 8, 677, 70-78. 90 Z.B. NA 4,11,4; NA 10,2,1; NA 13,12,1; NA 15,4,cap.; NA 17,10,2; NA 17,21,9. Vgl. TLL 8, 677, 80 - 678, 4. 91 Z.B. NA 1,11,6; NA 3,3,14; NA 4,3,1; NA 6,1,1. Vgl. TLL 8, 677, 61-62.

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gesteigerte Aufnahmefähigkeit der memoria beim Lesen als beim bloßen Hören: lege; nam et facilius credideris, si legas, et memineris magis läßt er in NA 19,1,13 einen von ihm bewunderten Stoiker sagen; und in NA 19,5,4 wird von einem uir bonus ex peripatetica disciplina zur Bekräftigung seiner unbeachtet gebliebenen Warnung, Eiswasser zu trinken, ein Buch des Aristoteles herbeigeholt: promit e bibliotheca Tiburti, quae tunc in Herculis templo satis commode instructa libris erat, Aristotelis librum eumque ad nos adfert et _huius saltem> inquit _sapientissimi uiri uerbis credite ac desinite ualitudinem uestram profligare. Insbesondere gewährleistet das Alter eines Buches seine Glaubwürdigkeit: illic igitur aetatis et fidei magnae libro credo (NA 18,9,5).92 Die hohe Wertschätzung von Büchern schlägt sich anekdotisch nieder in NA 3,17, wo die Berichte weitergegeben werden, daß sowohl Plato als auch Aristoteles zu unglaublich hohen Preisen ihnen wichtige Bücher, des Pythagoreers Philolaos der eine bzw. des Speusippos der andere, erstanden haben. Auch der Rhetor Antonius Iulianus, Lehrer des Gellius, hat nach eigenem Bekenntnis weder Mühe noch Kosten gescheut, sich ein EnniusExemplar (librum summae atque reuerendae uetustais) zu beschaffen (NA 18,5,11). Ins Mythische transponiert wird die Hochschätzung und Unersetzbarkeit von Büchern als Vermittlern wertvollen Wissens in der Erzählung von den drei Sibyllinischen Büchern (NA 1,19), die der sagenhafte König Tarquinius Superbus von einer ihm unbekannten, seltsamen alten Frau93 gegen einen sehr hohen Preis erwirbt, nachdem sie zuvor bereits sechs von den ursprünglich neun vor seinen Augen verbrannt hat, da er jeweils die teure Bezahlung der zum Kauf angebotenen neun bzw. sechs verweigert hatte. Dieser im Rückgriff auf die annalistische Überlieferung

_____________ 92 Das spiegelt sich auch in den Charakterisierungen der Cicero-Ausgaben in NA 13,21,16 (in uno atque altero antiquissimae fidei libro Tironiano) und in NA 1,7,1 (in libro spectatae fidei) wider. Vgl. MÜLKE, Der Autor und sein Text, 272. Zum allgemein engen Zusammenhang von auctoritas und antiquitas oben S. 29-30. S. 72-73. 93 Varro (bei Lact. inst. 1,6,10-11), in dessen Version Tarquinius Priscus, nicht Tarquinius Superbus (dieser aber auch in Dion. ant. 4,62,2-3; Plin. NH 13,88; Sol. 2,17 p. 35,18 MOMMSEN²; Tzetzes Schol. Lykophr. 1279 [= Cass. Dio frg. 11,7 BOISSEVAIN = Cass. Dio frg. 12,3b CARY]), schließlich die übriggebliebenen Bücher für dieselben 300 Goldphilippeioi erwarb, mit denen er die vollzähligen Bücher hätte kaufen können, gibt auch der alten Frau einen Namen: Die von Varro und in seinem Gefolge von anderen mit der cumäischen Sibylle identifizierte (gelegentlich auch mit der erythräischen Sibylle in Verbindung gebrachte) geheimnisvolle Alte wird bei ihm und später üblicherweise Amalthea genannt. Vgl. GAUGER (Hrsg.), Sibyllinische Weissagungen, 357. 381; PARKE, Sibyls and Sibylline prophecy, 32. 33-35. 48 Anm. 25. 7678.

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(NA 1,19,1) tradierte Mythos,94 den am ausführlichsten Varro in der bei Dionysios von Halikarnass referierten Version bietet, führt die in den geheim gehaltenen, in griechischer Sprache verfaßten Sibyllinischen Büchern95 enthaltenen Ritualvorschriften, die römischer Religiosität gemäß zur Abwehr oder Sühne auf ein unheilvolles Zeichen hin anzuwenden waren und sich darin von den in den späteren Sibyllina oracula enthaltenen Weissagungen unterscheiden,96 auf einen sakralen Ursprung zurück. Die Ursprungslegende der libri Sibyllini, die anfangs im Tempel des Iuppiter Capitolinus, seit 12 v. Chr. im Tempel des Apollo Palatinus aufbewahrt und B wohl seit dem 1. Jh. v. Chr. B vom Kollegium der Quindecimuiri97 (NA 1,19,11) nur auf Beschluß und damit unter Kontrolle des Senats eingesehen und im Falle eines unheilverkündenden Prodigiums nach nötigen Reaktionsmaßnahmen befragt wurden, veranschaulicht die Verbundenheit des von alters her tradierten Wissens mit dem römischen Kult und Staat, wie sie Vergils Darstellung des Gelöbnisses des Aeneas gegenüber der Cumäischen Sibylle in Aen. 6,71-73 widerspiegelt.98 Die Autori_____________ 94 Vgl. Varro bei Lact. inst. 1,6,10-11; Dion.Hal. ant. 4,62,2-3; Plin. NH 13,88; Sol. 2,16-17 p. 35,14 - 36,1 MOMMSEN²; Serv. Aen. 6,72; prol. or. Sib. p. 12 GAUGER / KURFESS²; Philarg. Verg. ecl. 4,4; Isid. orig. 8,8,6; Myth. Vat. 2,88; Tzetzes Schol. Lykophr. 1279; Zon. 7,11,1-2 [= Cass. Dio frg. 11,7 BOISSEVAIN = Cass. Dio frg. 12,3b CARY]. 95 Zu den libri Sibyllini vgl. GAUGER (Hrsg.), Sibyllinische Weissagungen, 380-391; PARKE, Sibyls and Sibylline prophecy, 190-215. 96 Vgl. GAUGER (Hrsg.), Sibyllinische Weissagungen, 380 m. Anm. 56. 382/83. Eine allgemeine Charakteristik der Sibyllina oracula findet sich bei GAUGER (Hrsg.), Sibyllinische Weissagungen, 423-436; L. ROSSO UBIGLI, Sibyllinen; in: TRE 31 (2000) 240-245. 97 Nach Dion. Hal. ant. 4,62,2 war von Tarquinius Superbus zunächst ein Ausschuß von zwei Männern, die Duouiri sacris faciundis, eingesetzt worden, um die Sibyllinischen Bücher zu bewachen. Der Ausschuß wurde 367 v. Chr. zu einem Kollegium von zehn Männern (Decemuiri s.f.) erweitert, dessen Mitgliedzahl, wahrscheinlich unter Sulla, auf fünfzehn (Quindecimuiri s.f.) und schließlich seit Caesar ohne Namensänderung auf sechzehn oder mehr erhöht wurde. Das Priestertum der Quindecimuiri, dem neben der Befragung der _libri Sibyllini> und der Abhaltung von Opfern auch die Aufsicht über alle offiziell in Rom eingeführten fremden Kulte oblag, bestand nachweislich bis in die Spätantike. Vgl. H. LE BONNIEC, Quindecimviri sacris faciundis; in: LAW 2 (1965 /2001) 2499; G. RADKE, Quindecimviri sacris faciundis; in: KlP 4 (1979) 1304-1306. 98 Darauf, daß die Sibyllinischen Bücher dem Staatsinteresse dienten, beruft sich Varro in rust. 1,1,3: Neque patiar Sibyllam non solum cecinisse quae, dum uiueret, prodessent hominibus, sed etiam quae, cum perisset ipsa, et id etiam ignotissimis quoque hominibus. Ad cuius libros tot annis post publice solemus redire, cum desideramus, quid faciendum sit nobis ex aliquo portento - me, ne dum uiuo quidem, necessariis meis quod prosit facere. Die Sibyllinischen Bücher wurden in den unterirdischen Gewölben des kapitolinischen Jupitertempels (vgl. NA 1,19,10: sacrarium) deponiert, mit dem sie 83 v. Chr.

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tät der Sibyllinischen Bücher ließ sich daher auch leicht zur Manipulationder öffentlichen Meinung in der aktuellen Politik benutzen, auch wenn dies sich nicht mehr in allen Fällen im einzelnen nachgewiesen werden kann.99 Doch es soll nicht verschwiegen werden, daß Gellius auch sein Ungenügen an Büchern artikuliert, wenn sie ihm nicht die von ihnen erwarteten Informationen liefern: In dem commentarius NA 14,2, in dem er einen schwierigen Fall aus den Anfängen seiner Richtertätigkeit schildert, sucht er zunächst vergeblich nach einer Lösung für seine Probleme in den verschiedenen juristischen Schriften über die Ausübung des Richteramtes, bevor er sich an seine rechtskundigen Freunde und schließlich an den Philosophen Favorinus wendet, um von ihm entsprechende Entscheidungshilfe in seinem Dilemma zu erhalten: libros utriusque linguae de officio iudicis scriptos conquisiui, ut homo adulescens a poetarum fabulis et a rhetorum epilogis ad iudicandas lites uocatus rem iudicariam, quoniam uocis, ut dicitur, uiuae penuria erat, ex mutis, quod aiunt, magistris cognoscerem ... nihil quicquam nos huiuscemodi libri iuuerunt (NA 14,2,1-2). Ein Gegenstück zu den Stellen, in denen inhaltlich wertvolle Bücher als Pretiosen präsentiert werden, bilden die Äußerungen in NA 9,4,4-5: Dort korrespondiert die pekuniäre uilitas der libri Graeci miraculorum fabularumque pleni, die nur res inauditae, incredulae enthalten, obwohl von scriptores ueteres non paruae auctoritatis verfaßt, mit ihrem kritisierten Inhalt: mira _____________ verbrannten (Dion. Hal. ant. 4,62,5-6; Plut. Sulla 27). Daraufhin wurde eine Sammlung Sibyllinischer Weissagungen mit Hilfe von Nachforschungen an griechischen Sibyllenstätten, bes. in Erythrai (Varro bei Serv. Aen. 6,36. 72; Varro bzw. Fenestella bei Lact. inst. 1,6,11. 14; Tac. ann. 6,12) neu zusammengestellt, die seit 76 v. Chr im wiedererrichteten Tempel auf dem Kapitol zugänglich war und von Augustus 12 v. Chr. in den neugebauten palatinischen Apollotempel überführt wurde (Suet. Aug. 31,1; Serv. Aen. 6,36. 72). Diese, von der ursprünglichen Prodigiensammlung verschiedenen Sibyllina oracula, wurden in der hohen und späten Kaiserzeit wiederholt konsultiert (vgl. z.B. Hist. Aug. Hadr. 2,8; Hist. Aug. Gord. 26,2; Hist. Aug. Aurelian. 20,4-5; die Zeugnisse bleiben allerdings zweifelhaft: H. PARKE, Sibyls and Sibylline prophecy, 211), zuletzt 363 n.Chr. unter Julian Apostata (Amm. 23,1,7). Endgültig fielen sie unter Stilicho (Rut. Nam. 2,52), der sie 408 n. Chr. verbrennen ließ, den Flammen zum Opfer. Vgl. M. SEHLMEYER, Sibyllini libri / Sibyllina oracula; in: DNP 11 (2001) 501-502; GAUGER (Hrsg.), Sibyllinische Weissagungen, 381-383; vgl. dazu PARKE, Sibyls and Sibylline prophecy, 190-215. 99 Vgl. GAUGER (Hrsg.), Sibyllinische Weissagungen, 389-391; vgl. dazu PARKE, Sibyls and Sibylline prophecy, 202-212. Aufgrund dessen, daß sie 58 v.Chr. benutzt wurden, um gegen die Verbreitung des Isiskults in Rom vorzugehen, wird eine Mitgliedschaft Varros, der nicht nur unsere Hauptquelle für die Ursprungslegende und Geschichte der libri Sibyllini ist (bei Dion. Hal. ant. 4,62; Lact. inst. 1,6,7-13; Serv. Aen. 6,36. 72; vgl. oben S. 75), sondern auch an anderer Stelle (rust. 1,1,3) ihre aktuelle Bedeutung für den Staat hervorhebt, im Kollegium der Quindecimuiri vermutet. So KRENKEL (Hrsg.), Varro: Saturae Menippeae, 1, XXXIV-XXXVI.

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atque insperata uilitate libros plurimos aere pauco emo ... Haec atque alia istiusmodi plura legimus; sed cum ea scriberemus, tenuit nos non idoneae scripturae taedium nihil ad ornandum iuuandumque usum uitae pertinentis (NA 9,4,5. 11-12).

3.3. Immaterielle Formen der memoria in den _Noctes Atticae> 3.3.1. Institutionalisierte memoria Die Bezogenheit des kollektiven Gedächtnisses auf die römische Gesellschaft tritt dort besonders in den Vordergrund, wo Gellius seine Aufmerksamkeit auf Gesetze und Edikte als Zeugnisse vergangener Kultur richtet. Trotz seiner in NA 12,13,1 und NA 14,2 thematisierten Tätigkeit als Richter ist das Interesse des Gellius nicht ein spezifisch juristisches, sondern ein allgemein kultur- bzw. sozialhistorisches: Dies bekunden seine Ausführungen in NA 2,15 (über die B durch die lex Iulia rechtlich festgelegte B Bevorzugung von Kinderreichen), in NA 2,24 (über die in republikanischer Zeit und früher Kaiserzeit erlassenen leges sumptuariae) und in NA 15,8 (wo eine alte Rede für die Aufrechterhaltung der vermutlich aus dem Jahr 134 v. Chr. stammenden lex Licinia,100 welche die Höchstgrenze der erlaubten Ausgaben für die täglichen Mahlzeiten wie für Festmähler festsetzt, im Wortlaut zitiert wird). Es geht auch hervor aus anderen commentarii, in denen Bezug genommen wird auf Gesetze oder Erlasse: in NA 3,2,8-13 (auf Riten und rechtliche Bestimmungen, die im Zusammenhang mit der zeitlichen Bemessung der Tageslänge stehend); in NA 3,16,12 (auf Hadrians Dekret über die rechtliche Anerkennung einer Elfmonats-Schwangerschaft);101 in NA 6,22 (auf die Anordnung der censores, _____________ 100 Die zeitliche Einordnung der lex Licinia, die wie die lex Aemilia aus dem Jahre 115 v. Chr. auch Bestimmungen über Art und Ausmaß der Speisen enthielt, aber für lange Zeit das letzte Tafelluxusgesetz war, das versuchte den Gesamtaufwand für tägliche Mahlzeiten zu reglementieren, ist umstritten. Eine Diskussion der verschiedenen Zeitansätze und eine Datierung auf das Jahr 134 v. Chr. sowie eine Deutung des nicht ganz sicher zu ermittelnden Inhalts der lex Licinia unter Einbeziehung der in NA 15,8 referierten Rede des Favorinus pro lege Licinia unternimmt I. SAUERWEIN, Die leges sumptuariae als römische Maßnahme gegen den Sittenverfall, Hamburg 1970, 94-113. Auf jeden Fall wurde sie 95 v. Chr. aufgehoben und von Sulla mit Erleichterungen wiederhergestellt. Einen kurzen Überblick über die leges sumptuariae gibt C. EBNER, Sumptus; in: KlP 5 (1979) 431-432. 101 Diese Erwähnung des hadrianischen Dekrets und die Nichtberücksichtigung des entsprechenden Dekretes von Antoninus Pius geben einen Anhaltspunkt für die Datierung der _Noctes Atticae>. Dazu HOLFORD-STREVENS, Chronology of Aulus Gellius, 105-106; ders., Aulus Gellius2, 20-21.

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einem fettleibigen Ritter wegen Untauglichkeit zum Ritterdienst das Pferd wegzunehmen); in NA 10,15 (auf das Praetorenedikt über die dem flamen Dialis und der Vestalin gestattete Eidesverweigerung und andere sakralrechtliche Vorschriften von Verhaltens- und Kleidungsnormen für den flamen Dialis). Auch größere Rechtszusammenhänge bzw. -entwicklungen geraten in den Blick: in NA 15,11 sind die gegen Rhetoren gerichteten Edikte des Jahres 161 v. Chr. und des Jahres 92 v. Chr. im Wortlaut zitiert102 und mit der Ausweisung der Philosophen durch Domitian in den Jahren 88/89 und 93/94 n. Chr. in Verbindung gebracht; in NA 17,21,15. 27 werden die Wahl der decemuiri legibus scribundis und die Erstellung des Zwölftafelgesetzes sowie die lex Licinia über das Recht, den Konsul auch aus der plebs zu wählen, in die große griechisch-römische Chronologie eingeordnet; in NA 20,1 werden Sprache und Wertesystem des Zwölftafelgesetzes durch den Rechtsgelehrten Sextus Caecilius und den Philosophen Favorinus beurteilt. Dementsprechend interessiert sich Gellius auch für griechische Gesetze und Rechtsvergleiche. So handeln NA 2,12 über ein Gesetz Solons, das Strafe für den Fall der Enthaltung im Bürgerkrieg androht, und NA 11,18 über die Gesetze zur Bestrafung des Diebstahls bei Griechen und Römern, über die rechtliche Genehmigung des Diebstahls bei Ägyptern und Spartanern; NA 17,21,4 fixiert die solonische Gesetzgebung in der großen griechisch-römischen Chronologie. Oft sind die Ausführungen über Rechtsformen, Gesetze und amtliche Beschlüsse allerdings durch sprachliche Interessen angeregt, geleitet oder gar überlagert,103 wie in NA 1,12 deutlich wird, wo die verschiedenen sakralrechtlichen Vorschriften zu Wahl und Status der Vestalinnen referiert werden. Dies zeigt sich auch in NA 4,6, wo ein Senatsbeschluß über die nach der Bewegung der hastae Martiae im Marstempel zur Entsühnung erforderlichen Opfertiere im Wortlaut wiedergegeben und durch angefügte Kommentare zu seiner Ausdrucksweise sprachlich weiter erörtert wird.104 Daß bei der Behandlung der meisten Recht, Ritus und Konvention betreffenden Themen sich das eigentliche Augenmerk auf die Sprache richtet, offenbart die Aufzählung weiterer derartiger commentarii: NA 3,18 (Erklärung der Bezeichnung pedarii für die niederen Senatoren, _____________ 102 Die Edikte finden sich auch zitiert bei Suet. rhet. 25,2 (worauf Gellius mit NA 15,11,1-2 sehr wahrscheinlich zurückgeht); dazu vgl. KASTER (Ed.), Suetonius: De Grammaticis et Rhetoribus, XLIX / L. 273. Auf das zweite Edikt bezieht sich Cic. de orat. 3,93-94, worauf wiederum Tac. dial. 35,1 anspielt. 103 Vgl. unten S. 345-347. 104 Um die Klärung der Herkunft des juristisch relevanten Begriffes diuinatio für eine gewisse Art von Rechtsgutachten geht es in NA 2,4, wo Gellius die Ansicht des Sprachexperten Gavius Bassus vorbringt und kommentiert.

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die noch kein kurulisches Amt bekleidet hatten);105 NA 4,2 (ein kurulisches Edikt die Anfertigung des titulus seruorum beim Sklavenverkauf betreffend); NA 4,3 (angeblich auf ein Gesetz des Königs Numa zurückgehender Eid bei der Eheschließung, mit dem sich der zukünftige Ehemann zur Zeugung von Nachkommen verpflichtet); NA 4,12 (Bestrafung der Vernachlässigung von Grund und Boden bzw. von Pferden durch die Censoren); NA 6,15 (die im Zwölftafelgesetz angedrohte harte Bestrafung von Diebstahl und zweckentfremdeter Verwendung anvertrauter Sachen); NA 10,20 (die verschiedenen römischen Rechtsformen der lex, des plebiscitum und des priuilegium und ihre etymologische Herleitung sowie ihre begriffliche Vermengung im Sprachgebrauch); NA 10,23 (umfassende rechtliche Gewalt des Ehemannes über seine Frau, bei deren Fehlverhalten B angefangen beim untersagten Alkoholkonsum B er sie pro censore bestrafen darf, im Falle des Ehebruchs sogar mit dem Tode); NA 13,15 (die verschiedenen Formen und rechtlichen Bedingungen der Auspizien); NA 13,23 (die in den Priesterbüchern vorgeschriebenen Gebetsanrufungen der Göttergattinnen, insbesondere der Nerio als Gemahlin des Mars); NA 15,13,11 (Zitate aus dem Zwölftafelgesetz als Beispiele von uerba communia, d.h. zugleich aktivisch und passivisch gebrauchten Deponentien); NA 16,10 (Klärung des Wortsinnes von proletarii durch Verwendung des Ausdrucks im Zwölftafelgesetz); NA 17,2,10 (Beleg für den Gebrauch von sol occasus im Zwölftafelgesetz entsprechend den das ganze kompilierte Kapitel leitenden Sprachinteressen); in NA 17,6 (von Verrius Flaccus abweichende Erklärung der Bezeichnung seruus receptiuius); NA 17,7 (Erklärung des doppeldeutigen Tempus subruptum erit in der lex Atinia über die Fortdauer des Eigentumsrechtes bei Diebstahl); NA 20,10,1 (Geschichte der Rechtsformel ex iure manum consertum). Auf den so immer wieder offenkundig werdenden engen Zusammenhang zwischen Rechtswissenschaft und Sprachwissenschaft weist Gellius ausdrücklich hin in NA 16,10,4-5, wo der von Ennius aus dem Zwölftafelgesetz übernommene Ausdruck proletarius erklärt wird. Ebenso betont Gellius die untrennbare Verbindung von genauer Kenntnis des Sprachgebrauchs und Rechtsprechung in NA 20,10 (2-6), wo die juristische Formel ex iure manum consertum in der Dichtung des Ennius nachgewiesen und ein vermeintlicher Grammatiker seines diesbezüglichen Unwissens überführt wird. Nicht nur über römisches Recht und Gesetz, sondern auch über Institutionen und Verfahrensprozeduren im römischen Staat geben die _Noctes Atticae> detaillierte Informationen: z.B. in NA 3,18 und NA 14,7 (über _____________ 105 In thematisch enger Beziehung zu NA 3,18 stehen NA 14,7 (über die Aufgaben des Senats und die rechtlichen Bestimmungen für den Ablauf der Senatssitzungen) und NA 14,8 (über das Recht des praefectus urbi, den Senat einzuberufen).

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die Zusammensetzung des Senats und den Ablauf der Senatssitzung) und in NA 14,8 (über das Recht der Senatseinberufung), in NA 15,27 (über die Geschichte der Institutionen der comitia calata, curiata, centuriata, tributa sowie verschiedene juristische Formen des Testamentsverfahrens); in NA 16,4 (über Ritus und Formel der Kriegserklärung sowie Einzelheiten des Fahneneides). Thema der NA sind desweiteren allgemeine Sitten und moralische Verhaltensweisen, wie z.B. in NA 2,2 die Ehrerbietung zwischen Vätern und Söhnen und in NA 2,15 die Ehrerbietung vor dem Alter sowie in NA 5,13 die Rangfolge in den gesellschaftlichen Verpflichtungen. Die mit der unmittelbaren Nervenverbindung zum Herzen begründete Gewohnheit, den Ring am linken Ringfinger zu tragen, haben Griechen und Römer von jeher gemeinsam gehabt (NA 10,10). Aber auch spezielle römische Gebräuche werden behandelt: so die Verleihung verschiedener coronae als militärischer Ehrenzeichen in NA 5,6;106 die Besonderheiten (sub corona uenire) beim Sklavenverkauf in NA 6,4; die Erklärung des Aderlasses als militärischer Disziplinarstrafe gegen unbotmäßige Soldaten in NA 10,8. Ein besonderer Fall der durch Beschlüsse bzw. Erlasse normierten und konstruierten memoria ist ihre gezielte Auslöschung, wie sie in der Vergabe der Vornamen bei den Patriziern herrscht, ähnlich der jedoch ungleich folgenreicheren kaiserzeitlichen damnatio memoriae:107 die durch politische Kapitalverbrechen und Hinrichtung ihrer Träger in Verruf geratenen praenomina werden aufgrund eines gentilizischen decretum (vgl. Liv. 6,20,14: hier der gens Manlia) als defamata atque demortua cum ipsis ausgeschlossen für die zukünftigen Generationen der jeweiligen patrizischen gens (NA 9,2,11). Diese römische Form der angeordneten Verdrängung hat eine Parallele in der griechischen amtlichen Vorschrift, daß der Name dessen, der den Artemistempel zu Ephesos (356 v. Chr.) angezündet hat, nicht mehr genannt werden darf: _Inlaudatus> autem est, quasi inlaudabilis, qui neque mentione aut memoria ulla dignus neque umquam nominandus est, sicuti quondam a communi consilio Asiae decretum est, uti nomen eius, qui templum Dianae Ephesi incenderat, ne quis ullo in tempore nominaret (NA 2,6,17-18). Tatsächlich hat die Tabuisierung des Namens Wirkung gezeigt, nur Theopomp nannte den Namen Herostratos, von dem ihn Spätere (Sol. 40,2-4 p. 166, 7-14 MOMMSEN²; Strabo 14,1,22 [C 640, 22]; vgl. Ael. nat. 6,40: Herostrat als Götterfeind) übernahmen und überliefer_____________ 106 Mit der corona naualis bzw. rostrata wurde Varro von Pompeius ausgezeichnet, nachdem er sich als Admiral im Seeräuber-Krieg 67 v. Chr. bewährt hatte, wie aus Plin. NH 7,115 und Plin. NH 16,7 hervorgeht. An letzterer Stelle ordnet er sie unter die weiteren Ehrenzeichen ein. Vgl. dazu KRENKEL (Hrsg.), Varro: Saturae Menippeae, IX-XII. 107 Vgl. dazu oben S. 40.

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ten. Die Strafe der Namensauslöschung traf genau die Ruhmsucht, die das Motiv des Brandstifters für seine Tat war (Val. Max. 8,14 ext. 5). 3.3.2. Memoria und Geschichte Bisweilen verknüpft Gellius die Ausführungen über spezielle juristische Formen und Bräuche mit historischen Personen früherer Zeit oder seiner Gegenwart: z.B. läßt er in NA 14,7 unter Berufung auf Varros _Commentarium isagogicum>, den dieser auf Bitten des künftigen Konsuls Pompeius verfaßt hat, Bestimmungen über die ordnungsgemäße Abhaltung der Senatssitzung folgen.108 Und in NA 13,22 nimmt Gellius die Worte seines ehemaligen Rhetoriklehrers Titus Castricius, der unter Bezug auf Ciceros Kritik an Antonius109 das indecorum der Kleidung seiner jugendlichen Zuhörer an einem Festtag tadelt, zum Anlaß, sich über verschiedene Schuhbezeichnungen weiter zu ergehen. Auch gewisse Verhaltensnormen des römischen Sittencodex werden entsprechend der Ankündigung, mit der Gellius in NA 6,18,1 die Erzählung einer die römische Mentalität offenbarenden historischen Begebenheit einleitet,110 durch Anekdoten illustriert: z.B. in NA 4,14 (am eigenen sittenwidrigen Verhalten gescheiterter Versuch des Aedilen Hostilius Mancinus, die Prostituierte Manilia gerichtlich zu belangen); in NA 4,10 (die Reihenfolge bei der Abstimmung im Senat und ihre Umgehung, wie sie eine Anekdote um C. Caesar widerspiegelt, der sich nach einer angefügten zweiten Anekdote als Konsul auch ein weiteres Mal über die Redeordnung des Senats hinwegsetzte); in NA 6,18 (die Hochachtung des Eides bei den Römern und seine Verbindlichkeit sogar gegenüber den Feinden, wie die Anekdote über Hannibal und die nach Rom geschickten und eidlich zur Rückkehr verpflichteten römischen Kriegsgefangenen zeigt); NA 10,6 (Bestrafung von Äußerungen wider die disciplinae Romanae dignitas, wie sie die hohe Geldstrafe für die Tochter des Appius Caecus wegen uerba improba ac inciuilia dokumentiert); NA 13,12 (die verschie_____________ 108 Vgl. KRENKEL (Hrsg.), Varro: Saturae Menippeae, 1, VII- VIII. 109 NA 13,22,1 spielt wohl an auf die in NA 13,22,6 zitierte Stelle Cic. Phil. 2,76. Polemische Bemerkungen über das deplazierte Schuhwerk und die anzügliche Kleidung macht Cicero aber auch in der Invektive gegen Clodius in Cic. har. resp. 44 sowie in or. frg. A 14,22 SCHOELL [= frg. A 15,21 PUCCIONI]. Ebenso atackiert er Verres wegen seines Luxusgewandes (cum pallio purpureo talarique tunica versaretur in conuiuiis muliebribus) in Verr. II 5,31. 110 Vgl. NA 6,18,1: Iusiurandum apud Romanos inuiolate sancteque habitum seruatumque est. Id et moribus legibusque multis ostenditur, et hoc, quod dicemus, ei rei non tenue argumentum esse potest.

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denen Staatsbeamten zustehenden Rechte der Vorladung und der Verhaftung und ihre Widerspiegelung in den Anekdoten über die Weigerungen des Labeo Antistius und des Varro, Vorladungen der Volkstribunen Folge zu leisten); NA 13,13 (anläßlich der Frage, ob ein Quaestor Immunität genießt, die Heranziehung von Varros diesbezüglichen Erörterungen und Verweis auf den entsprechenden Fall des M. Laevinus). In gleicher Weise werden auch spezielle Ausdrücke, Institutionen und Orte auf historische Ereignisse zurückgeführt (z.B. in NA 5,17 wird die Bezeichnung der Tage unmittelbar nach den Nonen und Iden als dies nefasti bzw. atri in Verbindung gebracht mit der Eroberung Roms durch die Gallier 387 v. Chr.). Die aitiologischen Erklärungen rekurrieren aber auch auf mythologische Begebenheiten bis auf Romulus’ Stadtgründung: so in den B die geläufigeren Sagenfassungen außer acht lassenden111 B Ausführungen über die fratres Aruales genannten Priester und Acca Larentia, die nach der in NA 7,7,5-7 wiedergegebenen Version eine Hetäre war und ihren gesamten Besitz testamentarisch dem König Romulus vermachte, weswegen man ihr zu Ehren die Larentalia feiere; nach der anderen in NA 7,7,8 referierten Darstellung des Masurius Sabinus jedoch zog Acca Larentia als Amme neben ihren eigenen elf Söhnen Romulus auf, worauf sich die Zwölfzahl der Priesterschaft der Arvalbrüder gründe. Ähnlich weit in die mythische Vergangenheit zurück geht Gellius in NA 13,14 (Begriffserklärung und Geschichte des von Romulus eingerichteten pomerium);112 in NA 16,16 (Ausführungen über die Altäre der Prora und Postuerta am Kapitol); NA 16,17 (Ableitung des Wortes Vaticanus von uaticinium bzw. Varros Herleitung des Vaticanus deus von uagire ,quäken= analog zur Erklärung des an der noua uia mit Statue und Altar verehrten Gottes Aius). Die Technik, seine Erläuterungen im kulturellen Gedächtnis bzw. Sprachgebrauch feststehender, aber nicht mehr verstandener Bezeichnungen oder bekannter Lokalitäten an mehr oder minder plausiblen sprachgeschichtlichen bzw. etymologischen Erklärungen aufzuhängen, befolgt Gellius auch in anderen commentarii der _Noctes Atticae>: z.B. in NA 5,12 (über den Tempel des Vediouis zwischen Stadtburg und Kapitol in Rom); in NA 5,19 (über die verschiedenen Verfahren der adrogatio und der adoptatio bei der Kindesannahme); in NA 6,4 (Erklärung des Ausdrucks sub _____________ 111 Diese finden sich in kurzer Zusammenfassung bei: W. EISENHUT, Acca Larenti(n)a; in: KlP 1 (1979) 23-24; vgl. auch G. RADKE, Acca Larentia und die fratres Arvales. Ein Stück römisch-sabinischer Frühgeschichte; in: ANRW I 2 (1972) 421-441, hier bes. 423-424. 436. 440. 112 Auf den rechtlichen Status des pomerium bezieht sich auch NA 15,27,5, wo Gellius erwähnt, daß die Abhaltung der Centuriatscomitien innerhalb des pomerium untersagt war.

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corona uenire mit Besonderheiten beim Sklavenverkauf); in NA 6,13 (Erklärung des Ausdrucks classici); NA 11,6 (über die geschlechtsspezifischen römischen Schwurformeln); in NA 16,10 (Erklärung des Ausdrucks proletarii und der Bezeichnungen capite censi sowie adsidui); in NA 16,13 (Erklärung des Begriffs municipium in Abgrenzung von colonia); in NA 16,16,4 (im Zusammenhang mit den Altären der Carmentes am Kapitol Erklärung der Postuerta und Prorsa als Geburtsgöttinnen); in NA 5,17 (Rückführung der volkstümlichen Bezeichnung dies nefasti auf den sich um die historische Niederlage der Römer an der Allia 390 v. Chr. rankenden Aberglauben bzw. auf die entsprechende Bestimmung der pontifices113). 3.3.3. Etymologie als Vergangenheitsbezug Das von alters her bestehende Interesse an der Etymologie, nicht im Sinne der modernen Sprachwissenschaft als historischer (semantischer, phonetischer, morphologischer) Wortentwicklungsgeschichte, sondern im antiken Sinne als Bedeutungsgeschichte des Einzelwortes verstanden, das in der von Platons _Kratylos> thematisierten sprachphilosophischen Auffassung gründet, daß Bezeichnung und Bezeichnetes gemäß der ±ȺȲџȽȱȻ ±voȶȪȽɂv wesenhaft übereinstimmen und daß daher `Worterklärung WelterklärungA sei, hat sich zu einer wirkmächtigen `DenkformA114 entwickelt und von der Antike an, über Mittelalter, Renaissance und Barock hinaus, in die Neuzeit hinein bis zu Leibniz, Herder und Heidegger fortgewirkt.115 Bereits in der antiken Literatur hat das etymologische Denken Anwendung in den verschiedensten Bereichen gefunden: bei den Namenserklärungen in der Dichtung, bei den antiquarischen Erklärungen (von Eigennamen, von kultischen Bezeichnungen, von politischen, juristischen oder geographischen Begriffen usw.), die im Zusammenhang mit grammatischen, sprachphilosophischen und rhetorischen Fragestellungen, aber nicht nur zu wissenschaftlichen Zwecken erfolgten, ebenso wie schließlich bei der, insbesondere von den Christen praktizierten, Etymologie im Dienst der Allegorese. Zunächst aus der naiven Namensdeutung hervorgegangen, wie sie schon die frühe griechische Dichtung bietet, ist die Etymologie später in der stoischen Sprachtheorie philosophisch reflektiert, als wissenschaftli_____________ 113 Vgl. LATTE, Römische Religionsgeschichte, 205-206 Anm. 4. 114 Vgl. CURTIUS, Europäische Literatur, 486-490. 115 Eine detaillierte diachrone Darstellung enthält der Artikel von R. BERNECKER, Etymologie; in: HWR 2 (1994) 1543 -1556.

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che Disziplin begründet und systematisch fortentwickelt worden.116 Bei den Römern ist der naive Ursprung der Etymologie nicht mehr faßbar, sie ist (fast ausschließlich) ein Produkt der unter stoischem Einfluß stehenden lateinischen Grammatik, das zur Worterklärung von der Literatur aufgenommen wird. Aber auch in der lateinischen Literatur hat die Etymologie in alle möglichen Genera Eingang und zu allen möglichen Zwecken Verwendung gefunden, sei es zur Hervorbringung von witzigen Effekten, sei es zur Demonstration von Gelehrsamkeit.117 Zugleich fehlt es aber nicht an Kritikern der oft willkürlichen Methodik bei der sprachgeschichtlichen Erklärung; beispielsweise spart Quintilian bei der Behandlung der Etymologie (inst. 1,6,28-38) nicht mit polemischen Bemerkungen gegen falsches oder übertriebenes Etymologisieren (bes. inst. 1,6,34-38), obwohl er die Bedeutung der Etymologie für die Begriffsdefinition durchaus zu schätzen weiß. So erklärt er gleichsam `meta-etymologischA von ihrer Funktion her auch die verschiedenen lateinischen Bezeichnungen für den griechischen Terminus: etymologia quae uerborum originem inquirit, a Cicerone dicta est notatio, quia nomen eius apud Aristotelen inuenitur ȼѠȶȬoȵov,118 quod est _nota>. nam uerbum ex uerbo ductum, id est ueriloquium,119 ipse Cicero, qui finxit, reformidat. Sunt qui uim potius intuiti originationem uocent. Haec habet aliquando usum necessarium, quotiens interpretatione res, de qua quaeritur, eget ... ideoque in definitionibus adsignatur etymologiae locus (inst. 1,6,28-29). Gellius120 gebraucht bei seinen etymologischen Recherchen _____________ 116 Die Stellung der Etymologie innerhalb der Systematik der stoischen Sprachtheorie, die davon ausgeht, daß es kein Wort gebe, dessen Herkunft nicht sicher bestimmt werden könne (s.u. Varro frg. 265, 125-127 p. 281-282 GRF FUNAIOLI), beschreibt BERNECKER, Etymologie, 1546 -1547. 117 Zahlreiche Beispiele aus den verschiedensten Werken der republikanischen Zeit bis hin zu Cicero hat COLLART, Varron, 254-256 zusammengestellt. Zum Wortwitz umgemünzt wird die Etymologie in den Komödien des Plautus, auch Martial verwender die Etymologie in leicht zotigen Witzen: vgl. OPELT, Etymologie, 812-813. 814. B Gleichsam am anderen Ende des literarischen Spektrums stehen die Etymologien bei Augustinus, der Etymologien aus der antiken wissenschaftlichen Tradition übernimmt, aber auch neue Etymologien vorschlägt: vgl. MARROU, Augustinus, 112-13. 118 Diese Bemerkung bezieht sich auf Aristot. De int. 2, 16 a 28. 119 Vgl. Cic. top. 35: quam Graeci ˆȽȾȶoȵoȭɅȫv appellant, id est uerbum ex uerbo _ueriloquium>; nos autem nouitatem uerbi non satis apti fugientes genus hoc notationem appellamus, quia sunt uerba rerum notae. Itaque hoc quidem Aristoteles ȼѠȶȬoȵov appellat, quod Latine est _nota>. ... multa igitur in disputando notatione eliciuntur ex uerbo ... In Cic. ac. 1,32 heißt es: uerborum etiam explicatio probabatur, id est qua de causa quaeque essent ita nominata, quam ˆȽȾȶoȵoȭɅȫv appellabant . 120 F. CAVAZZA, der nicht nur die Etymologien Varros untersucht hat (Studio su Varrone etimologo e grammatico. La lingua latina come modello di struttura linguistico, Firenze 1981), sondern auch als Gellius-Editor und -Kommentator (s. Literaturverzeichnis) hervorgetreten ist, hat kürzlich eine Abhandlung über die Etymologien des

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und Diskussionen außer dem griechischen ˆȽȾȶoȵoȭɅȫ (NA 5,8; vgl. ‰ȽȾȶȫ, NA 18,4,11) das latinisierte etymologia (NA 19,13,9) und das davon abgeleitete Adjektiv etymologicus (NA 1,18,1), allerdings häufiger das genuin lateinische origo (z.B. NA 1,25,18; NA 3,19,3; NA 4,9,4; NA 5,7; NA 6,17,1; NA 11,1; NA 11,15,8; NA 11,17,4; NA 12,14,1; NA 13,10,1; NA 15,3,8; NA 18,4,5; NA 19,13,3 u.ö.).121 Wie aus der Fülle der angegebenen Stellen hervorgeht, nehmen die Etymologien im Werk des Gellius sehr breiten Raum ein: innerhalb der 398 überlieferten Kapitel (die Lemmata des achten Buches eingeschlossen) gibt er 366 etymologische Erklärungen, in denen er, geleitet von dem Interesse am korrekten Sprachgebrauch, weitgehend den etablierten Methoden und Zielen der tradierten Disziplin folgt, aber auch seine Eigenständigkeit im Urteil wahrt.122 Dabei ist er sich der Nähe der Etymologie zur Begriffsdefinition bewußt, weshalb er unter Verwendung der griechischen Spezialtermini in NA 1,25,10-11 seine etymologische Begriffserklärung des Wortes indutiae als Schlüssel zum tieferen Wortverständnis von der oberflächlichen Definition Varros abgrenzt: Sed profecto non id fuit Varroni negotium, ut indutias superstitiose definiret et legibus rationibusque omnibus definitionum inseruiret. Satis enim uisum est eiusmodi facere demonstrationem, quod genus Graeci ȽѠąoȾȻ magis et ÁąoȭȺȫȿȪȻ quam ´ȺȳȼȶoѠȻ uocant. Darin, daß er B nicht nur in diesem Falle von indutiae (NA 1,25,12-13) B durch die Erforschung der Wortgeschichte zum Wesen des Begriffes vorzudringen glaubt, stimmt er aber der von Varro an anderer Stelle so eingängig formulierten allgemein vorherrschenden Auffassung zu: In Donats Terenzkommentar zu den _Adelphen> (V.952) heißt es: ... nam uerba a ueritate dicta esse testis est Varro (Ter. Ad. 952.3 II p. 179 WESSNER vgl. Varro frg. 265,117-122. 125 p. 281 GRF FUNAIOLI [= Aug. dial. 6,9]). Zugleich nimmt Gellius auch implizit Partei in der damit zusammenhängenden alten Debatte, ob die Wörter durch ȿѠȼȳȻ – ȲɃȼȳȻ entstanden seien.123 Seinen Standpunkt läßt er unter Berufung auf Nigidius Figulus im Lemma zu NA 10,4 durchblicken: Quod P. Nigidius argutissime docuit nomina non positiua esse, _____________ Gellius vorgelegt, in der er den Beitrag und die Leistung des Gellius in diesem zentralen Bereich der antiken Sprachforschung würdigt: Gellius the Etymologist. Gellius’ Etymologies and Modern Etymology; in: HOLFORD-STREVENS / VARDI (Ed.s), The Worlds of Aulus Gellius, 65-104. Sehr wertvoll ist die Zusammenstellung von Etymologien lateinischer Autoren von R. MALTBY, A Lexicon of Ancient Latin Etymologies, Leeds 1991 [= Arca 25]. 121 Vgl. BELTRÁN, Concordantia, 1, 866-867 s.v. origo. 122 Vgl. CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 68. 123 COLLART, Varron, 258-278 verfolgt die Geschichte der philosophisch begründeten Physis-Thesis-Querelle von ihren Anfängen bis zu Varro. Die in dieser Debatte zutage tretenden Zusammenhänge von Philosophie und Etymologie erläutert er kurz ebd. 34.

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sed naturalia. Im commentarius fährt er dann fort: Nomina uerbaque non positu fortuito, sed quadam ui et ratione facta esse P. Nigidius in _grammaticis commentariis> docet, rem sane in philosophiae dissertationibus celebrem. Quaeri enim solitum aput philosophos, ȿѠȼȯȳ Ƚq ±vџȶȫȽȫ sint – ȲɃȼȯȳ. Nicht nur bei seiner theoretischen Stellungnahme, sondern auch in den meisten konkreten Worterklärungen greift Gellius direkt auf die Werke der lateinischen Grammatiker zurück, denen die Etymologie insbesondere im Bereich der Orthographie und der Wortwahl sowie für die Interpretation von Textstellen von Belang war. Bei aller Problematik der `QuellenkritikA, die sich aus der vorgegebenen oder verschwiegenen Quellenbenutzung durch Gellius und der gleichzeitigen Lückenhaftigkeit der Überlieferung ergibt,124 ist Gellius’ eigenen Angaben zufolge Hauptquelle für seine etymologischen Ausführungen Varro (z.B. in NA 2,21,8-10; NA 6,11,8; NA 12,10,4; NA 16,12,7; NA 16,17), der prominenteste lateinische Sprachforscher, der ˆȽȾȶoȵoȭɅȫ als disciplina uerborum originis (ling. 5,2) umschreibt und der jedes Wort für etymologisch erklärbar hält (frg. 265.125-127 p. 281-282 GRF FUNAIOILI: nullum esse uerbum cuius non certa explicari origo possit). Aber Gellius schöpft auch aus den Schriften der vielen weniger bekannten Grammatiker, die sich im Gefolge der stoischen Sprachtheorie mit der Herleitung von mehr oder minder abgelegenen Wörtern beschäftigen. So zieht er die einschlägigen Werke des Nigidius Figulus, eines Zeitgenossen Varros, den Gellius vorstellt als homo ... iuxta M. Varronem doctissimus (NA 4,9,1) bzw. in disciplinis doctrinarum omnium praecellens (NA 13,26,1)125 heran, um die ‰ȽȾȶȫ, die wahre Bedeutung, der Wörter uani und stolidi (NA 18,4,11) in seinen _Noctes Atticae> zu erklären.126 So sehr Gellius sich bemüht, diesen offenbar etwas in Vergessenheit Geratenen und im Schatten Varros Stehenden als sprachwissenschaftliche Autorität zu etablieren (NA 13,10,4; NA 19,14,3-4), so kom_____________ 124 Zu den Problemen der `QuellenkritikA des 19. Jh.s vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 72-80; vgl. auch unten S. 118-119. Gellius’ Umgang mit den Quellen, die oft (genau) angegeben werden, häufig aber auch im dunkeln bleiben und sich manchmal mit Wahrscheinlichkeit erschließen lassen, beschreibt auf dem Feld der Etymologie CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 66-68. 125 Am Ende desselben commentarius in NA 13,26,5 greift er noch einmal das Lob des P. Nigidius Figulus auf mit den Worten: haec nos auctoritate doctissimi hominis adducti propter eos, qui harum quoque rerum scientiam quaerunt, non praetermittenda existimauimus. 126 Mit der abschließenden Äußerung in NA 18,4,11 (quas requisitas ego et repertas cum primarum significationum exemplis, ut commentariis harum _noctium‘ inferrem, notaui et intulisse iam me aliquo in loco commentationibus istis existimo) nimmt Gellius möglicherweise Bezug auf das Kapitel NA 8,14, für das der erhaltene Titel eine Berufung auf Nigidius Figulus in einer strittigen sprachwissenschaftlichen Erörterung ankündigt.

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mentiert er doch auch durchaus kritisch einige Stellen aus den grammatici commentarii des P. Nigidius Figulus. Z.B. findet Gellius das von diesem angegebene bibosus nur einmal bei Laberius belegt, während üblicherweise bibax in der Bedeutung _trinksüchtig> gebraucht wird (NA 3,12). Auch dessen Erläuterung des Begriffs religiosus in NA 4,9 stellt Gellius nicht zufrieden, und daher ergänzt er sie um eigene, auf Stellen verschiedener anderer Autoritäten, nämlich aus Ciceros _In Caecilium divinatio> (Cic. div. in Caec. 3)_ und aus der etymologischen Abhandlung _De indigenis> d.h. _Über die Urwörter> des Masurius Sabinus,127 gestützte Erklärungen. In NA 12,14,3 bemüht er Figulus sogar vergeblich und hält zur etymologischen Herleitung von saltem noch weitere Nachforschungen für erforderlich ebenso wie in NA 15,3,8, wo er die im commentario Nigidiano vorgefundene Herleitung autumo von abaestumo zuvor unter Berufung auf die Autorität Ciceros (Cic. orat. 159: Erklärung des Ablauts der Präposition ab zu au in den Komposita au-fero und au-fugio) harsch kritisiert hat. Gegenüber den Etymologien des Caesellius Vindex, des Sprachforschers der hadrianischen Epoche, der ein in seiner archaisierenden Tendenz für diese Zeit charakteristisches Werk mit dem Titel _ȢȽȺɂȶȫȽȯ¥Ȼ siue Commentaria lectionum antiquarum> hinterlassen hat, in dem sprachlichantiquarisches, vornehmlich von republikanischen Autoren stammendes Material wohl in 20 Büchern alphabetisch lexikalisiert dargeboten wurde,128 zeigt Gellius kritische Distanz aufgrund eigener etymologischer Beobachtungen (NA 20,2,2; NA 3,16,11) bzw. im Rückgriff auf die Kritik des Terentius Scaurus (NA 11,15,2-7), des einflußreichsten Grammatikers der trajanisch-hadrianischen Ära, und auf kritische Äußerungen seines unter Hadrian und Antoninus Pius tätigen Lehrers C. Sulpicius Apollinaris (NA 2,16,5-10). Neben Favorinus (NA 8,2; NA 8,14) ist dieser seine wichtigste mündliche Quelle für etymologische Erörterungen, _____________ 127 Während Masurius Sabinus dort ganz abwegig religiosus auf relinquere zurückgeführt haben soll, da sich das in seiner Heiligkeit Verehrungswürdige remotum ac sepositum a nobis (offensichtlich als Umschreibungen für relictum gesetzt) befinde (NA 4,9,8), hat Cicero in der von Gellius nicht berücksichtigten Stelle nat. deor. 2,72 die B wahrscheinlich zutreffende B etymologische Abstammung von relegere erklärt (vgl. WALDEHOFMANN, 352-353 s.v. diligo). Dagegen hat Laktanz in inst. 4,28,3 religio von religare hergeleitet: hoc uinculo pietatis obstricti deo et religati sumus: unde ipsa religio nomen accepit, non ut Cicero interpretatus est a relegendo. Diese für das christliche Denken aufschlußreiche Etymologie, in der religio als ein Verbundensein mit Gott durch das Band der Frömmigkeit verstanden wird, übernimmt Augustinus in retr. 1,12. Vgl. dazu J. BRACHTENDORF, Augustins _Confessiones>, Darmstadt 2005, 192-194. 128 Vgl. P.L. SCHMIDT, HLL 4 (1997), ' 434 (L. Caesellius Vindex, ȢȽȺɂȶȫȽȯ¥Ȼ sive Commentaria lectionum antiquarum), S. 226-227; ders., Caesellius Vindex; in: DNP 2 (1997) 927.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

aber vor allem schöpft er aus schriftlichen Quellen.129 Dabei bevorzugt er außer Varro und Nigidius Figulus die Schrift _De origine uocabulorum> des Gavius Bassus (NA 2,4,3-6; NA 3,18,3-5; NA 3,19,1-2; NA 5,7; NA 11,17,4) aus dem 1. Jh. v. Chr. und die Schrift _De uerborum significatu> des spätaugusteischen Antiquars Verrius Flaccus (NA 5,17,1; NA 5,18,2; NA 16,14,3), deren ursprünglich wohl 80 Bücher von Sextus Pompeius Festus in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s n. Chr. auf 20 Bücher verkürzt wurden.130 Für Einzelfragen greift er auch auf die Schrift _De significatione uerborum quae ad ius ciuile pertinent> des C. Aelius Gallus (NA 16,5,3) oder zur Erklärung der Abkunft von lictor von ligare auf die Schrift _De rebus per epistulam quaesitis> des Valgius Rufus (NA 12,3,1) zurück. Eigene Nachforschungen bzw. mündlich erhaltene Informationen präsentiert Gellius, wenn man ihm hierin Glauben schenkt, z.B. in NA 16,5,4-12 über die Herkunft und wahre Bedeutung des Wortes uestibulum, in NA 15,30,3-7 über die Herkunft des Ausdrucks petorritum _(offener, vierrädiger) Wagen> aus dem Keltischen,131 in NA 4,6,3-10 über die _____________ 129 Eine Zusammenstellung der für Etymologien herangezogenen mündlichen und schriftlichen Quellen des Gellius gibt CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 67-68 m. Anm. 7. 85 Anm. 62 unter Bezug auf die alten `quellenkritischenA Arbeiten von L. MERCKLIN (Die Citiermethode, 1857-60), J. KRETZSCHMER (De Gellii fontibus, 1860) und L.L. RUSKE, (De A. Gellii Noctium Atticarum fontibus quaestiones selectae, Glatz 1883), die allerdings einer Zeit entstammen, in der man allgemein die Abhängigkeit des Gellius hoch, seine Eigenständigkeit gering veranschlagte. Dabei wird der Begriff `QuelleA dort sehr unreflektiert (vgl. dazu HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, XI) und der Begriff Etymologie sehr weit aufgefaßt. So erscheint unter den `privileged and preferred sources for etymologyA z.B. Valerius Probus, doctus homo et in legendis pensitandisque ueteribus scriptis bene callidus (NA 9,9,12), auf den doch Gellius nur in NA 6,9,11-12 bei der morphologisch-etymologischen Erklärung des Reduplikationsperfekts als Analogie zur griechischen Perfektbildung ausdrücklich Bezug nimmt, sonst aber in anderen sprachlich-grammatischen Fragen (z.B. NA 1,15,18: Textkritik an überlieferter Sallustlesart; NA 6,7,3: korrekte Aussprache; NA 9,9,1216: Vergleich des homerischen Artemis-Gleichnisses in Od. 6,102-109 mit dem vergilischen Diana-Gleichnis in Aen. 1,498-504) zurückgreift. Zu der B wegen der erwähnten allgemeinen quellenkritischen Schwierigkeiten nicht genau abzuschätzenden B Bedeutung des Probus in den _Noctes Atticae> vgl. J. AISTERMANN, De M. Valerio Probo Berytio capita quattuor; accedit reliquiarum collectio, Bonn 1910, hier 115-156 (_De Probo Gellii auctore>). 130 Vgl. P.L. SCHMIDT, HLL 4 (1997), ' 440, S. 240-45; ders., Sex. Pompeius Festus; in: DNP 4 (1998) 495-96. 131 Dasselbe Beispiel für ein Wort gallischer Herkunft präsentiert Quintilian in inst. 1,5,55: plurima Gallica eualuerunt ut raeda ac petorritum quorum altero tamen Cicero, altero Horatius utitur. Allgemein zu den keltisch-lateinischen Sprachbeziehungen, insbesondere zu gallischen Lehnwörtern im Lateinischen vgl. ADAMS, Bilingualism and the Latin Language, 184-199, bes. 184 (raeda). 438-443, bes. 441-442 (raeda). 455457.

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sakralrechtlichen Bezeichnungen hostiae succidaneae _stellvertretende Opfer>, hostiae praecidaneae _vorbereitende Opfer> und feriae praecidaneae _Festvorfeierlichkeiten>. Die Etymologien des Gellius enthalten, wie aus dem Vorangehenden zu ersehen ist, Worterklärungen von Begriffen verschiedenster Provenienz und Disziplinen. Das Spektrum reicht von Namensdeutungen bis zu juristischen Begriffsinterpretationen, am häufigsten sind jedoch die antiquarischen Erklärungen aller möglichen Wörter:132 In NA 16,16,1 findet sich die Deutung des Namens Agrippa als desjenigen, der mit den Füßen voran geboren wurde (_Agrippae> appellati uocabulo ab aegritudine et pedibus conficto); in NA 13,23 wird Nero als sabinischer Name mit der Bedeutung uirtus et fortitudo erklärt (NA 13,23,8) und aus dem Griechischen von vȯºȺȫ abgeleitet (NA 13,23,10). Gegenüber den juristischen Begriffsinterpretationen, die der eigentümlichen etymologischen Praxis der römischen Juristen entspringen, ihre Begriffsauffassung in die Grundbedeutung hineinzuinterpretieren,133 verhält sich Gellius ambivalent: Ohne Berücksichtigung der Sprachwissenschaft signalisiert er Zustimmung in NA 13,10,3 zur Behauptung des Juristen Labeo Antistius, das ‰ȽȾȶov von soror sei seorsum: multa posuit pariter lepide atque argute reperta. Sicuti hoc est, quod in quarto ,ad edictum> libro scriptum legimus. `_Soror> inquit `appellata est, quod quasi seorsum nascitur separaturque ab ea domo, in qua nata est, et in aliam familiam transgreditur.A Dagegen distanziert er sich in NA 7,12 mit sprachwissenschaftlichen Argumenten kritisch von der Erklärung des Rechtsgelehrten Servius Sulpicius: testamentum a mentis contestatione. Aber auch über die von Gellius selbst abgelehnten Erklärungen hinaus bieten die _Noctes Atticae> neben von der modernen Sprachwissenschaft akzeptierten oder für möglich gehaltenen Etymologien (z.B. NA 2,20,1: uiuaria; NA 7,5,2-10: putus; NA 10,5,3: auarus; NA 17,2,4: subnixus; NA 17,2,57: frunisci; NA 19,7,3: obesus; NA 19,7,4: foedifragus)134 völlig unhaltbare und abwegige `etymologischeA Herleitungen:135 z.B. in NA 4,9,8 `_religio_____________ 132 Einen Überblick über die Etymologien des Gellius, die unter `in der Buntschriftstellerei häufige _antiquarische Erklärungen> rubriziert werdenA, gibt OPELT, Etymologie, 817-818. 133 Vgl. OPELT, Etymologie, 818-819. 134 Eine Übersicht über die vermutlich etwa fünfzig von Gellius selbst stammenden Etymologien, deren Auswertung einen hohen Prozentsatz (88%) zutreffender Erkärungen und nur einen geringen Anteil (12%) falscher Herleitungen ergibt, steht am Ende der Untersuchung von CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 103. Zu den hier angeführten Beispielen vgl. ebd. 72-74 (uiuaria). 87-88 (auarus). 97-99 (subnixus, frunisci). 99-100 (obesus). 100-101 (foedifragus). 135 Eine kritische Bewertung der Stellungnahmen des Aulus Gellius zu etymologischen Fragen gibt S. JOURNOUD, Aulu-Gelle philologue; in: Acta Classica Universitatis Scientiarum Debreceniensis 3 (1967) 63-64.

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sum>A inquit `est, quod propter sanctitatem aliquam remotum ac sepositum a nobis est; uerbum a _relinquendo> dictum, tamquam _caerimoniae> a _carendo>.A 136 Gellius referiert und kritisiert aber nicht nur bei anderen vorgefundene Etymologien, sondern liefert auch von ihm selbst stammende etymologische Erklärungen,137 wobei eine quellenkritische Unterscheidung beider Gruppen eben nicht immer möglich ist, da Gellius seine (echten) Quellen häufig verschweigt und diese oft nicht erhalten sind.138 Im allgemeinen läßt er als Etymologe sowohl in der Begutachtung fremder als auch im Vorschlag eigener Wortherleitungen ein durchaus unabhängiges und kritisches Urteilsvermögen erkennen,139 das ihn über das in dieser bedeutsamen Disziplin der antiken Grammatik übliche Niveau heraushebt.140 Doch bisweilen gibt er auch merkwürdige Volksetymologien. So versteigt er sich, geleitet von dem Interesse, herauszufinden uocabulum qua sit ratione factum (NA 1,25,12) nach Abwägung anderer Erklärungsmöglichkeiten zu der aberwitzigen Vermutung, der B bis heute etymologisch noch nicht erklärte B Begriff indutiae141 sei aus der Verbindung der drei Wörter inde uti iam entstanden: Sed ex multis, quae uel audimus uel legimus, probabilius id, quod dicam, uidetur. _Indutias> sic dictas arbitramur, quasi tu dicas _inde uti iam>. Pactum indutiarum eiusmodi est, ut in diem certum non pugnetur nihilque incommodetur, sed ex eo die postea uti iam omnia belli iure agantur. Quod igitur dies certus praefinitur pactumque fit, ut ante eum diem ne pugnetur atque is dies ubi uenit _inde uti iam> pugnetur, idcirco ex his, quibus dixi uocibus, quasi per quendam coitum et copulam nomen indutia_____________ 136 Ob diese Etymologie von Gellius akzeptiert wird, bleibt unklar: vgl. CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 77. Die abstruse Ableitung caerimonia von carere ist von Augustinus in retr. 2,37 wiederaufgenommen worden; vgl. OPELT, Etymologie, 840. Offensichtlich verwirft Gellius die richtige Etymologie von obnoxius < ob + noxa, die in NA 6,17,3 von einem arroganten grammaticus vorgetragen wird, zugunsten der falschen Herleitung des Adjektivs von ob + nexus im Sinne von _unterworfen, ergeben, verpflichtet>. Dafür beruft er sich auf zwei Plautusstellen (Stich. 497 bzw. Asin. 284-285 in NA 6,17,4. 12); vgl. CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 80-82. 137 Z.B. scheint die Ableitung uiuaria < uiuus in NA 2,20,1 von Gellius selbst zu stammen; auch in NA 10,5,3 ist die Etymologie auarus < aueo wohl nicht aus einer Quelle übernommen, sondern wahrscheinlich von ihm entwickelt. Nicht ganz sicher ist der Grad der Originalität des Gellius in NA 12,3,4 (Analogien zu lictor < ligare), NA 15,3,8 (Präfix au- als Derivat aus dem Griechischen); vgl. CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 73. 87-88. 91. 94-96 138 Vgl. CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 68. 75. 87. 139 Vgl. CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 66. 84. 85. 140 CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 103-104 formuliert als Fazit seiner Untersuchung die Würdigung: `Surveying Greek and Latin etymological literature as a whole, we can only conclude that Gellius is among the best etymologists of antiquity.A 141 Vgl. WALDE / HOFMANN, 696-697.

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rum conexum est (NA 1,25,13-16). Selbst wenn Gellius im folgenden Kritik an dieser Etymologie antizipiert, indem er sie mit der B sprachwissenschaftlich zwar auch nicht haltbaren B nicht nur dem antiken Publikum vermutlich aber wohlgefälligeren und eingängigeren des Aurelius Opilius kontrastiert (NA 1,25,17-18), der indutiae von indu (arch.= in)- itiae (< ire) als _Einzug des Heeres nach abgeschlossenem Waffenstillstand> erklärt, verwundert diese Phantasterei bei der sonstigen Nüchternheit, mit der er Ausdrücke der lateinischen Sprache auf ihre Etyma zurückführt. In den _Noctes Atticae> gibt es aber Etymologien nicht nur von Wörtern lateinischen Ursprungs, sondern auch von Wörtern griechischer Provenienz. So beschäftigt sich Gellius in NA 1,18 mit mehreren Fällen, in denen lateinische Vokabeln aus dem Griechischen entlehnt sind, was B bei dem Wort fur sogar von Varro B verkannt worden sei, da die griechischen Ausgangswörter mittlerweile nicht mehr in Gebrauch seien: lepus von ȵɃąoȺȳȻ (in NA 1,18,2 nicht explizit genannt, sondern umschrieben als uocabulum Graecum uetus traductum in linguam Romanam bzw. uocabulum anticum Graecum, das inzwischen durch ȵȫȭѡoȻ bzw. ȵȫȭѡȻ ersetzt sei), puteus von ȬџȲȺoȻ (zweifelhafte Ableitung), Graecus von ȔȺȫȳȴџȻ, fur von ȿѡȺ.142 Daß es eine nicht geringe Zahl aus dem Griechischen übernommener Wörter gebe, bemerkt Gellius auch in NA 4,3,3: paelex autem quasi ąȪȵȵȫȸ id est quasi ąȫȵȵȫȴɅȻ. Ut pleraque alia, ita hoc quoque uocabulum de Graeco flexum est.143 Mit diesen Ableitungen steht Gellius in einer längeren, seit Varro fest etablierten Tradition,144 der z.B. die Schrift des Cloatius Verus, eines wohl direkt von Verrius Flaccus benutzten Grammatikers wahrscheinlich aus augusteischer Zeit,145 mit dem Titel _Verba a Graecis tracta> entstammt. Auf sie geht Gellius in NA 16,12,2-4 zurück, nicht ohne den Wert der darin gebotenen etymologischen Herleitungen von Fall zu Fall differenziert zu beurteilen (NA 16,12,1: non pauca hercle dicit curiose et sagaciter conquisita, neque non tamen quaedam futtila et friuola). So distanziert er sich von der seltsamen Ableitung des Wortes _____________ 142 Vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 184-188. ௅ Die Diskussion der möglichen Quelle der Etymologie fur < ȿѡȺ, über die sich eben nichts Eindeutiges sagen läßt, ist ein Beispiel für die oft rein spekulative `QuellenkritikA (von HOSIUS); vgl. HOLFORDSTREVENS, Aulus Gellius2, 73-74. 143 Ob paelex wirklich griechischen Ursprung hat, ist letztlich unklar; vgl. WALDE / HOFMANN 233-234. 144 In NA 2,22,7 verweist er bei der Erklärung des Windnamens eurus mit leicht despektierlichem Unterton auf die ˆȽȾȶoȵoȭȳȴoɅ : qui uentus igitur ab oriente uerno, id est aequinoctiali, uenit, nominatur _eurus> ficto uocabulo, ut isti ˆȽȾȶoȵoȭȳȴoɅ aiunt, ´ wą° ȽȻ ”oºȻ ·Ƀɂv. 145 Vgl. SCHANZ / HOSIUS, 2, 380-381.413; TH. G. GOETZ, Cloatius (2); in: RE 4/1 (1900) 61-62. FUNAIOLI bringt die Cloatius Verus zugeschriebenen Fragmente unter den Grammaticae aetatis Augusteae fragmenta (p. 468-473 GRF).

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faenerator _Wucherer> vom griechischen Verbalausdruck ȿȫɅvȯȼȲȫȳ ˆą¤ Ƚ° ɀȺȱȼȽџȽȯȺov, die Cloatius von dem Grammatiker Hypsikrates übernommen habe: Der Wucherer gebe sich gegenüber Menschen in Geldnöten den Anschein, rechtschaffener zu sein, als er wirklich ist, damit diese eher bei ihm Kredit zu überzogenen Zinsen aufnähmen und in seine Abhängigkeit gerieten. Dagegen nimmt Gellius Partei für Varros lateinische Etymologie, der faenerator rückführt auf faenus _Ertrag, Zinsen> und in Verbindung bringt mit foetus _Frucht, Ertrag> und foetura _Zucht, Nachwuchs>. In der Diskussion, die in Gegenwart des Gellius die berühmten Redner Cornelius Fronto und Postumius Festus, der Grammatiker (und Lehrer des Gellius) Sulpicius Apollinaris und ein anonymer grammaticus in NA 19,13 darüber führen, wie gut der aus dem Griechischen stammende Ausdruck nani im Lateinischen statt pumiliones eingebürgert sei, wird deutlich, daß viele griechische Lehnwörter als umgangssprachlich und nicht `salonfähigA bzw. literaturfähig eingeschätzt wurden: fuisset autem uerbum hoc a te ciuitate donatum aut in Latinam coloniam deductum, si tu eo uti dignatus fores, essetque id inpendio probabilius, quam quae a Laberio ignobilia nimis et sordentia in usum linguae Latinae intromissa sunt (NA 19,13,3).146 Die im Lemma von NA 8,13 angekündigte Klärung, daß cupsones / eupsones (diese Lesart einiger Handschriften haben HERTZ, HOSIUS und ROLFE übernommen) kein punisches, sondern ein griechisches Wort sei,147 läßt sich nicht bewerten, da es nur noch einmal bei Augustinus in serm. 46,39 [CCL 41,1049 p.567 = PL 38,293] (und auch hier nicht ganz sicher) in der Bedeutung _(Fels-) Höhle> überliefert ist. Daß es eine semantische Differenz zwischen dem griechischen Ursprungswort und dem lateinischen Lehnwort gibt, betont Gellius in NA 17,3, indem er unter Berufung auf Varro der Auffassung eines anonymen quispiam non indoctus beipflichtet, daß das lateinische spartum _Spartgras> nicht dem griechischen, bei Homer gebrauchten ȼąȪȺȽov (_Seil, Tau>) entspricht, (wobei er die angeblich unzutreffende varronische Betonung zur Verdeutlichung der semantischen Differenz in ȼąȫȺȽȪ korrigieren zu müssen glaubt).148 _____________ 146 Den Gebrauch des vulgären nanus statt pumilio (unter anderen uerba sordida) bei Laberius notiert Gellius auch in NA 16,7,10. Vgl. dazu auch S. 256-257. 147 Vgl. CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 85-87. 148 Spartum ,Spartgras> ist zwar eine Entlehnung aus dem Griechischen, bezeichnet aber eine ganz andere Pflanze als das griechische ȼąȪȺȽov, das zunächst _Seil, Tau> bedeutet und erst später auf eine konkrete Pflanze, nämlich das sog. _Pfriemenkraut>, übertragen wurde; vgl. [A.] STEIER, Spartgras; in: RE Suppl. 7 (1940) 1228-1231. Das Wort lebt im Romanischen fort; vgl. WALDE / HOFMANN, 566-567. In Spanien, woher die Römer das Spartgras seit dem Zweiten Punischen Krieg importierten, heißt die dort und in Nordafrika häufig vorkommende Pflanze, die bei der Herstellung von Seilen und Tauen verarbeitet wird (vgl. z.B. Liv. 22,20,6; Plin. NH 24,65), esparto (oder Halfa).

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Außer der Herleitung lateinischer Wörter aus dem Griechischen enthalten die _Noctes Atticae> auch rein griechische Etymologien. So wird in NA 1,25,8-9 die offensichtliche Etymologie des griechischen Wortes für _Waffenstillstand> ˆȴȯɀȯȳȺɅȫ < * ˆɀȯ-ɀȯȳȺɅȫ (< ‰ɀɂ + ɀȯɅȺ , Zurückhalten der Hand>) dem unklaren Ursprung des lateinischen indutiae gegenübergestellt. Nicht wegen der sprachwissenschaftlichen Plausibilität, aber wegen des thematischen Kontextes interessiert die in NA 4,11,10 gegebene Herleitung von ȴѠȫȶoȻ _Bohne> von ȴѠȯȳv _schwanger, trächtig sein>, die im Zusammenhang mit der Auslegung des meist anders begründeten Gebots des Pythagoras erfolgt, sich des Verzehrs von Bohnengemüse zu enthalten. Gellius bemüht sich um eine Korrektur der gängigen Ansicht, indem er ȴѠȫȶoȳ nicht als _Bohnen>, sondern unter Berufung auf Empedokles als Umschreibung für _Hoden> (testiculos ... symbolice ȴȾȪȶoȾȻ appellatos, quod sint ȫ©Ƚȳoȳ Ƚoº ȴȾȯ¥v) auffaßt und somit das Verbot auf die geschlechtliche Enthaltsamkeit bezieht. Über die möglichen Gründe für diese bekannteste der pythagoreischen Speisevorschriften gab es von Anfang an eine Fülle von Theorien.149 Gellius referiert in NA 4,11 zunächst die bei Cicero in div. 1,62 überlieferte verbreitete Ansicht, daß Bohnen wegen ihrer physiologischen Wirkung, Blähungen hervorzurufen, von den Pythagoreern mit Tabu belegt waren, um ihr sogleich mit der diametral entgegengesetzten Aussage des Aristotelesschülers Aristoxenos zu widersprechen, laut der Bohnen sogar ein bevorzugtes Gericht der Pythagoreer gewesen seien und ihnen auch der Verzehr von Fleischspeisen bis auf wenige Ausnahmen gestattet worden sei. Zwar beruft sich Gellius auf Aristoteles, der laut der (pseudo-) plutarchischen Schrift _De Homero>150 den bei den Pythago_____________ 149 Vgl. RIEDWEG, Pythagoras, 95-97. Über die Vielfalt der antiken Deutungen des Bohnenverbotes, das die Pythagoreer mit den Ägyptern und den Orphikern verbindet und das auch in den Eleusinischen und anderen Mysterien existierte, informiert ausführlich KLAUSER, Bohne, 489-502, bes. 493-498. 150 Die von Gellius auch in NA 2,8,1-2 und NA 2,9,1-4 für echt gehaltene Abhandlung _De Homero> stammt sicher nicht von Plutarch. Die Zweifel an ihrer Echtheit reichen schon bis in die Spätantike und in byzantinische Zeit zurück, wie ihr Fehlen in den meisten Plutarchhandschriften und im sogenannten Lampriaskatalog (aus dem 12. Jh.) zeigt. Vgl. [Plutarchus] De Homero, ed. J.-F. KINDSTRAND, Leipzig 1990, VVIII; M. HILLGRUBER, Die pseudoplutarchische Schrift De Homero, Bd. 1-2: Kommentar zu den Kapiteln 1-73; Kommentar zu den Kapiteln 74-218, München / Leipzig 1994 / 1999 [= Beiträge zur Altertumskunde 57/58], 1-5, bes. 2. Weder die Teubner-Ausgabe von KINDSTRAND noch der Kommentar von HILLGRUBER enthalten deshalb den von Gellius in NA 4,11,12 (ebensowenig den in NA 2,8,1-2 und NA 2,9,1-2) zitierten vermeintlich aus der Schrift _De Homero> stammenden Passus, der vielmehr den mehrfach für Plutarch bezeugten, vier Bücher umfassenden ^ȠȶȱȺȳȴȫ¤ ȶȯȵɃȽȫȳ zuzuordnen ist (vgl. mor. frg. 122-124 SANDBACH). Vgl. HOLFORDSTREVENS, Aulus Gellius2, 284; zu den Homerstudien Plutarchs vgl. H. SCHRADER, De Plutarchi Chaeronensis ^ȠȶȱȺȳȴȫ¥Ȼ ȶȯȵɃȽȫȳȻ, Gotha 1899.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

reern eingeschränkt erlaubten, aber nicht gänzlich verbotenen Fleischverzehr auch selbst bezeugt haben soll (NA 4,11,11 = Aristot. frg. 194 ROSE = frg. 158 GIGON), aber er läßt unerwähnt, daß derselbe in seiner Schrift _Über die Pythagoreer> bereits die Ähnlichkeit mit den Geschlechtsteilen unter anderen Spekulationen als Grund des Bohnenverbots in Erwägung gezogen haben soll (Aristot. frg. 195 ROSE = frg. 157 GIGON = Diog. Laert. 8,34). Doch ungeachtet der zitierten Autoritäten Aristoteles bzw. Empedokles, auf die sich Gellius für seine Gegendarstellungen beruft, überzeugt die allegorische Auslegung des Bohnenverbots als Gebot der Sexualabstinenz nicht, so daß allgemein dieses pythagoreische Tabu-Gesetz im wörtlichen Sinn für historisch und authentisch gehalten wird.151 Besondere Beachtung verdienen die Etymologien, in denen Gellius lateinische Wörter von griechischen Ausdrücken ableitet. Dies beruht auf der schon früh begegnenden Auffassung, daß die lateinische Sprache insbesondere mit dem äolischen Dialekt verwandt sei (vgl. Quint. inst. 1,6,31) und daß sie überhaupt der griechischen Sprache vieles verdanke (Quint. inst. 1,5,58).152 Diese Ansicht scheint Gellius durch die nicht wenigen Belege zu bestätigen, in denen er auf lexikalischer, phonetischer und auch grammatischer, d.h. morphologischer wie syntaktischer, Ebene Anleihen aus dem Griechischen im Lateinischen ausfindig macht. Eine B nach der Auffassung des Cicero-Sekretärs Tiro wegen unzureichender Griechischkenntnisse falsche B Lehnübersetzung aus dem Griechischen ist der lateinische Ausdruck suculae _Schweinchen> für das Sternbild der Hyaden. Während Tiro erklärt, die alten Römer, nostri opici, _unsere altfränkischen Vorfahren>, hätten ÁȪȮȯȻ von ÄȻ_Schwein> anstatt von Âȯȳv _regnen> abgeleitet (NA 13,9,4),153 schätzt Gellius die Übersetzungsfähigkeiten der _____________ 151 Vgl. KLAUSER, Bohne, 495. 152 Vgl. SCHÖPSDAU, Vergleiche zwischen Lateinisch und Griechisch, 117-119: Die bereits für Fabius Pictor bezeugte historiographische Vorstellung von der Besiedlung Latiums durch die von Euander angeführten Arkader (die man zu den Äolern rechnete) diente als Stütze für die Herleitung lateinischer Wörter aus dem Griechischen, die seit der in sullanischer Zeit anzusetzenden Schrift des Hypsikrates super his quae a Graecis accepta sunt (NA 16,12,6 ) und der ebenfalls dem 1. Jh. angehörenden Schrift des Philoxenos vielfach betrieben wurde. Außer dem von Gellius für Cloatius Verus bezeugten liber uerborum a Graecis tractorum (NA 16,12,1) liefern die varronischen Etymologien und die Etymologien von Santra (frg. 8-9.11-12 GRF FUNAIOLI p. 386387) und Juba (frg. 4-5 p. 452-453. p. 455-456 GRF FUNAIOLI) weitere Beispiele. 153 Die These war in der Antike offenbar verbreitet: sie findet sich z.B. in Cic. nat. deor. 2,111; Plin. NH 2,106. 18,247 u.a.; vgl. R. MALTBY, Ancient latin etymologies, 591592; vgl. auch TH. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 188 Anm. 27, der auf die von A. LE BOEUFFLE (Les noms latins d= astres et de constellations, Paris 1977, 156-159, bes. 157; ders., Astronmie-Astrologie. Lexique latin, Paris 1987, 151) vertretene Ansicht verweist, `daß es sich bei der Ableitung ÁȪȮȯȻ von Âȯȳv um eine Volksetymologie handelt, die schon aufgrund der unterschiedlichen Vokallängen (ÁȪȮȯȻ mit kurzem Ⱦ vs.

3.3. Immaterielle Formen der memoria in den _Noctes Atticae>

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Vorfahren höher ein und macht die angeblich gesetzmäßige morphologisch-phonetische Entwicklung vom griechischen Hauchlaut zum lateinischen s-Laut geltend, die in anderen griechisch-lateinischen Wortpaaren analog stattgefunden habe: nämlich zwischen ÁąɃȺ und super, ÂąȽȳoȻ und supinus,ÁȿoȺȬџȻ und subulcus, ÂąvoȻ und somnus.154 Als Lehnübertragungen bzw. -übersetzungen aus dem Griechischen werden ferner die Wendung in medium relinquere (NA 17,2,11) in Entsprechung zu Ȳȯ¥vȫȳ ȯ¨Ȼ ȶɃȼov (NA 17,2,11) und das Wort uiaticum zur Wiedergabe von ˆȿџȮȳov bzw. ˆȿoȮɅȫȼov (NA 17,2,13) präsentiert. Daß in der lateinischen Sprache nicht allein lexikalische Phänomene, sondern auch morphologische bzw. phonetische Elemente aus dem Griechischen übernommen sind, vertritt Gellius ähnlich an anderen Stellen: z.B. in NA 2,3 in bezug auf den Hauchlaut in lachrumae, sepulchrum, ahenum, inchohare u.a. Wörtern; in NA 6,9 werden die ursprünglichen Formen peposci, memordi, pepugi, spepondi, cecurri der Reduplikationsperfekta poposci, momordi, pupugi, spopondi cucurri auf die griechische Perfektbildung zurückgeführt (NA 6,9,13-14). Selbst auf syntaktischer Ebene findet er im Griechischen Parallelen bzw. Vorbilder für lateinische Konstruktionen, die einen von den grammatischen Normen abweichenden Sprachgebrauch erklären und rechtfertigen: z.B. legitimiert er in NA 1,7,8 Ciceros umstrittene Verwendung der Futurform futurum statt futuram in Verr. II 5,167 durch Verweis auf den Gebrauch des Infinitivs Futur im Griechischen.155 Bei aller Dominanz derartiger bilingualer Wortforschung haben sich die etymologischen Erklärungen der _Noctes Atticae> offenbar nicht nur auf den griechisch-lateinischen Sprachtransfer beschränkt. Denn das capitulum NA 8,2 kündigt eine Abhandlung über `barbarischeA Wörter im Griechischen und nichtgriechische Fremdwörter im Lateinischen an: Quae mihi decem uerba ediderit Fauorinus, quae usurpentur quidem a Graecis, sed _____________ Âȯȳv

mit langem Ⱦ) abzulehnen sei.A B Tiro wird von Gellius nicht nur in puncto der Beurteilung der Etymologie, sondern auch hinsichtlich der Lokalisierung des Gestirns der Hyaden kritisiert. Kritisch ist auch der Kommentar zu dem von Tiro gewählten Werktitel: Is libros ... de uariis atque promiscis quaestionibus composuit. In his esse praecipui uidentur, quos Graeco titulo ąȫvȮɃȴȽȫȻ inscripsit, tamquam omne rerum atque doctrinarum genus continentis (NA 13,9,2; vgl. NA praef. 7). 154 Eine Bewertung der dargebotenen Etymologien nach modernen sprachwissenschaftlichen Kriterien unternimmt CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 91-93: Die am Anfang und im Zentrum von NA 13,9 stehende phonetisch nicht korrekte Etymologie suculae < syades < ÁȪȮȯȻ hat insofern Berechtigung, als suculae wohl tatsächlich eine semantische Lehnbildung (suculae als Diminutivum zu sues wie ÁȪȮȯȻ Diminutivum zu ÂȯȻ) darstellt. Vgl. WALDE / HOFMANN, 622. 155 Ausführlicher behandelt die grammatischen und phonetischen Phänomene im Lateinischen, die Gellius auf griechischen Spracheinfluß zurückführt, FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 188-193.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

sint adulterina et barbara; quae item a me totidem acceperit, quae ex medio communique usu Latine loquentium minime Latina sint neque in ueterum libris reperiantur.156 Für die spanische Herkunft von lancea _Lanze> und für die keltische Herkunft von petorritum _vierrädiger Wagen>157 beruft sich Gellius in NA 15,30,7 auf Varro. Im Lemma von NA 8,13 wird die etymologische Klärung des bei den Afrikanern gebrauchten Ausdrucks cupsones versprochen: _Cupsones>, quod homines Afri dicunt, non esse uerbum Poenicum, sed Graecum.158 Aus den verschiedenartigen vorgeführten Beispielen läßt sich der Vergangenheitsbezug als Grundfunktion der Etymologie fassen, da in ihr jeweils Sprachgeschichte rekonstruiert wird.159 In diesem Sinne hat JACOB GRIMM die Aufgabe der Etymologie beschrieben, sie solle `das licht dahin werfen, wo uns keine geschriebne geschichte leiten kann.A160 ALEIDA ASSMANN hat daher die Philologie zur `disziplinierten Kunst des ErinnernsA ernannt, `die sich am Leitfaden der Sprache anhand von Etymologien zurücktaste zum verschütteten Anschauungsgehalt sinnlich poetischer UrbilderA.161 Wenn auch die ermittelten ‰ȽȾȶȫ nicht immer `poetische UrbilderA sind, vergegenwärtigt die Etymologie dennoch durch Rückführung auf ältere (nicht mehr im Bewußtsein präsente bzw. vorhandene) Sprachformen das in der aktuellen lateinischen Sprache zum Ausdruck gebrachte und verwurzelte kulturelle Gedächtnis der Römer. Damit steht sie einerseits im Dienste der nationalsprachlichen Identitätsstiftung. Denn den Römern galt die Sprache doch von jeher als ein konstitutiver Bestandteil ihrer staatlichen politischen Einheit, was in Ciceros allgemeiner Aussage impliziert ist: gradus autem plures sunt societatis hominum. ut enim ab illa infinita discedatur, propior est eiusdem gentis, nationis, linguae, qua maxime homines coniunguntur (off. 1,53).162 Zugleich ist die Etymologie aber auch andererseits ein Modus, mit dem die griechisch-römische Symbiose im bilingualen Kulturraum zu Bewußtsein gebracht wird. Dabei beurteilt _____________ 156 Vgl. CAVAZZA, Gellius the Etymologist, 85. 157 Vgl. dazu auch oben S. 88 m. Anm. 131. 158 Diese Etymologie eines afrikanischen Wortes ist (zusammen mit der Äußerung quotus enim fere nostrum est, qui cum ex colonia populi Romani sit, non et se municipem esse et populares municipes esse dicat ... in NA 16,13,2) für HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius 2, 14-15 ein Hauptargument für seine Annahme, daß Gellius aus einer colonia der Provinz Africa stammt. Vgl. zu NA 8,13 auch oben S. 92. 159 Anhand des ins Bewußtsein getretenen Sprachwandels wird der _Vergangenheitsbezug> als ein Faktor des kulturellen Gedächtnisses erläutert von J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 32. 160 J. GRIMM, Kleinere Schriften, Bd.1, Berlin 1864, 302. 161 Vgl. A. ASSMANN, Erinnerungsräume, 32. 162 Zur Bedeutung des patrius sermo für die Römer vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 3141, bes. 32-33.

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3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst

Gellius das Verhältnis der beiden Sprachen zueinander differenziert, indem er das Lateinische nicht bloß als `NehmerspracheA darstellt, die auf die Ressourcen der reicheren `GeberspracheA des Griechischen zurückgreift, sondern durchaus auch die über das Griechische hinausgehenden eigenen Ausdrucksmöglichkeiten des Lateinischen ins Spiel bringt.163

3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst 3.4.1. Memoria und penus litterarum Die Fülle und Divergenz der so zahlreich von Gellius zusammengestellten Zeugnisse, in denen sich das kollektive Gedächtnis objektiviert, gibt Aufschluß über den in den _Noctes Atticae> realisierten Erinnerungs- bzw. Wissensmodus. Es dominiert die von A. ASSMANN als `SpeichergedächtnisA bezeichnete und ausführlich beschriebene Schicht des kollektiven Gedächtnisses, die sie von dem ihm komplementär zugeordneten `FunktionsgedächtnisA unterscheidet. `Auf kollektiver Ebene enthält das Speichergedächtnis das unbrauchbar, obsolet und fremd Gewordene, das neutrale, identitäts-abstrakte Sachwissen. Beim Funktionsgedächtnis dagegen handelt es sich um ein angeeignetes Gedächtnis, das aus einem Prozeß der Auswahl, der Verknüpfung, der Sinnkonstruktion B oder, mit Halbwachs zu sprechen: der Rahmenbildung B hervorgeht. ... Das Speichergedächtnis dagegen fundiert keine Identität. Seine nicht minder wesentliche Funktion besteht darin, mehr und anderes zu enthalten als es das Funktionsgedächtnis zuläßt. Für dieses nicht begrenzbare Archiv mit seiner ständig sich vermehrenden Masse von Daten, Informationen, Dokumenten, Erinnerungen gibt es kein Subjekt mehr, dem sie sich noch zuordnen ließe, allenfalls könnte man hier noch von einem gänzlich abstrakten ,Menschheitsgedächtnis> sprechen.A164 Doch ist das Speichergedächtnis, das mit dem `FunktionsgedächtnisA verschränkt ist und mit ihm über eine durchlässige Grenze in Austausch steht, nicht funktionslos: `Das Speichergedächtnis kann als ein Reservoir zukünftiger Funktionsgedächtnisse gesehen werden. Das ist nicht nur die Vorbedingung jenes kulturellen Phänomens, das wir _Renaissance> nennen, es ist eine grundsätzliche Ressource der Erneuerung kulturellen Wissens und eine Bedingung der Möglichkeit _____________ 163 Vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 184. Ausführlicher behandelt wird diese Bewertung im Kapitel über die Zweisprachigkeit und die griechisch-lateinischen Sprachvergleiche in den _Noctes Atticae> (Kapitel 4.2.1, S. 205-229, bes. S. 218-221). 164 Vgl. A. ASSMANN, Erinnerungsräume, 133-142, hier bes. 137.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

kulturellen Wandels. Ebenso wichtig ist die Bedeutung des Speichergedächtnisses für die Gegenwart einer Gesellschaft als Korrektiv für aktuelle Funktionsgedächtnisse.A165 Diese Beschreibung trifft auf das in den _Noctes Atticae> verdichtete kulturelle Gedächtnis zu: Entsprechend der in der Praefatio verkündeten Intention, die sich in ingenia, memoria, oratio, sermo und delectatio manifestierende Bildung seiner Leser (vgl. NA praef. 16) zu fördern, demonstriert Gellius in seinem Werk seine eigene Gelehrsamkeit auf sämtlichen Gebieten. Dieses mit Detailkenntnissen überfrachtete Wissensreservoir ist aber nicht reiner Selbstzweck, das, dem Vergnügen des Autors entsprungen, lediglich auf die Unterhaltung der Leser zielt (NA praef. 23: ad colligendas huiuscemodi memoriarum delectatiunculas), sondern erfüllt durchaus nach dem Selbstverständnis des Autors auch eine identitätsstiftende Funktion, indem es gerade den Gebildeten oder Bildungsaspiranten zu einem Wissensvorrat verhilft, aufgrund dessen sie das Bewußtsein sozialer und kultureller Distinktion gewinnen sowie das Vermögen erwerben, sich distinktiv zu verhalten (vgl. NA praef. 19-20). Darüber hinaus bieten die _Noctes Atticae> in der Tat eine `Ressource der Erneuerung kulturellen WissensA, indem Gellius durch den Rückgriff auf Altes, Vergessenes und Abgelegenes im sprachlich-literarischen Bereich (NA praef. 15-16), wenn nicht auf einen Wandel, so doch auf eine Bereicherung und Korrektur B insbesondere des Sprachgebrauchs B hinwirkt,166 ohne daß der Vergangenheitsrekurs politischen oder gesellschaftlichen Restaurationsbestrebungen dient. Also verbindet das überdimensionierte `SpeichergedächtnisA,167 _____________ 165 Vgl. A. ASSMANN, Erinnerungsräume, 140. 166 Diese Wirkungsaspekte der _Noctes Atticae> werden ausführlicher behandelt im Zusammenhang mit dem Thema des sog. Archaismus: vgl. unten Kapitel 4.2.2, S. 229250. 167 PUGLIARELLO, Disparilitas e memoria, 104 (m. Anm. 40) charakterisiert dieses `SpeichergedächtnisA der _Noctes Atticae> als `maggazino di culturaA, indem sie auf die Definition des freilich dort den _Vorrat an Lebensmitteln> meinenden lateinischen Ausdrucks penus zurückgreift, die Gellius in NA 4,1,17 Favorinus als ein Zitat des Quintus Scaevola vortragen läßt: nam quae ad bibendumque in dies singulos prandii aut cenae causa parantur, _penus> non sunt; sed ea potius, quae huiusce generis longae usionis gratia contrahuntur et reconduntur, ex eo, quod non in promptu est, sed intus et penitus habeatur, _penus> dicta est. B Auch KEULEN, Gellius the Satirist, 13. 37-38. 49-50. 55. 237 mißt der memoria in den _Noctes Atticae> sowohl als kollektivem (in Büchern und Monumenten ausgeformtem) Gedächtnis wie als individueller Erinnerungsfähigkeit zentrale Bedeutung bei; dies lassen schon die Kapitelüberschriften seiner Monographie erkennen: _Chapter Two. Memory and Authority> (37-65) _Chapter Ten. Comparative Judgements in Roman Sites of Memory> (237-267), darin bes. _Imperial monuments and texts as Etransmitters of memoryD > (239-241), _Chapter Eleven. Comparative Judgements in Greek Sites of Memory> (269-312). So gehören denn auch die

3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst

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das penus litterarum (NA praef. 2), als welches Gellius selbst sein Werk charakterisiert, zwei Funktionen: Zum einen wird durch Wiederanknüpfen an abgerissene Traditionsfäden in diachroner Hinsicht Kontinuität hergestellt, zum anderen in synchroner Hinsicht durch kulturelle bzw. soziale Abgrenzung Distanz geschaffen. Mit dieser Vorherrschaft des `SpeichergedächtnissesA oder des `archivierten GedächtnissesA, wie RICOEUR es nennt,168 sind die _Noctes Atticae> ein Exponent der Literatur des 2. Jh.s, deren Signum überhaupt, nicht nur in den antiquarischen Schriften, sondern auch in den anderen literarischen Genera, die `TraditionsorientierungA ist.169 3.4.2. Memoria als _kommunikatives Gedächtnis> Daß es bereits bei den Römern ein differenziertes Bewußtsein von den verschiedenen Phänomenen und Funktionen der memoria gegeben hat, spiegelt sich in dem auch von Gellius praktizierten lateinischen Sprachgebrauch wider. Die zahlreichen semantischen Aspekte und Facetten des seit Cato in lateinischer Prosa belegten Begriffs, der hier nicht als ein allgemein kulturwissenschaftliches, interdisziplinär-`disziplinlosesA Schlüsselwort-Passepartout gebraucht werden soll, kommen durchaus überein mit den wesentlichen Inhalten des oben skizzierten kulturwissenschaftlichen Gedächtnis- bzw. Erinnerungs begriffes:170 Memoria ist nicht nur das kollektive kulturelle Gedächtnis,171 das auf die weit zurückliegende Vergan_____________ 168 169

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Verweise auf die memoria zu den wenigen Aussagen des Gellius über sein Werk, die KEULEN ernstnimmt und nicht ironisch auffaßt (49-50; anders 47-48). ,Das archivierte Gedächtnis= überschreibt er das entsprechende Kapitel seines Buches: vgl. RICOEUR, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 223-280. Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 402, S.11-12. Der gesamte, die Seiten 11-273 umfassende erste Teil der Darstellung der Literaturgeschichte der Zeit von Hadrian bis Diokletian (117-284 n. Chr.) trägt dementsprechend die Überschrift `Traditionsorientierte LiteraturA. Vgl. CONNORS, Imperial space and time: The literature of leisure, 492-518, hier 513. WALTER, Memoria und res publica, 26-28 gibt auf Grundlage des Thesaurus-Artikels von O. PRINZ (TLL 8, 665, 27 - 684, 67) einen nach den verschiedenen Aspekten und Funktionen differenzierten Überblick über den lateinischen Sprachgebrauch. Z.B. in NA 10,27,1 (in litteris ueteribus memoria exstat); NA 15,28,1(Cornelius Nepos rerum memoriae non indiligens) u.v.a.m. Vgl. oben S. 42-44. In NA 14,1,18 wird memoria als kollektives (mündlich tradiertes) Gedächtnis, in Gegenüberstellung mit der konkreten naturwissenschaftlichen Beobachtung einerseits, der schriftlichen Fixierung andererseits, für unzureichend erklärt, die astronomische Zeit eines kosmischen Umlaufs der Gestirne zu ermessen: Constare quippe inter astrologos dicebat stellas istas, quas erraticas dicerent, quae esse omnium rerum fatales uiderentur, infinito prope et innumerabili numero annorum ad eundem locum cum eodem habitu simul omnes, profec-

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

genheit rekurriert und in der Wendung post hominum memoriam _seit Menschen Gedenken>172 bzw. hier durch die Worte in multa hominum memoria _seit langem Menschengedenken> (NA 15,7,1) dessen Anfang markiert, sondern auch das Gedächtnis, das die jeweilige Lebenszeit und den `durch persönliche Erfahrung verbürgte und kommunizierte ErinnerungsraumA173 einer Generation umfaßt, wie Ciceros in rep. 1,1 gebrauchte Formulierung haud procul ab aetatis huius memoria offenbart. In dieser dem rein temporalen Begriff _Lebenszeit, Zeit(alter)> gleichkommenden Bedeutung174 erhält memoria meist ein Genitivattribut bzw. Possessivpronomen als Attribut:175 z.B. (in) nostra memoria (NA 1,18,2; NA 1,22,9; NA 5,4,1; NA 7,10,1; NA 18,4,1; NA 18,6,1; NA 20,1,20), mea memoria (NA 10,21,2); memoriae nostrae (NA 16,10,9; NA 19,12,1), ad suam memoriam mansisse (NA 11,1,5). Sie wird B außer in der allgemeinen Zeitangabe NA 15,4,1 (in uetere memoria _zu alter Zeit>) B anders als das oben beschriebene `SpeichergedächtnisA immer einem konkreten Subjekt zugeordnet. Mit der Aufdeckung der Spuren des `kommunikativen GedächtnissesA176 befindet sich die Untersuchung des memoria-Begriffes an der Schnittstelle zwischen kollektivem und individuellem Gedächtnis. Denn auf dieser Ebene findet der Übergang und Austausch statt zwischen dem

_____________ 172

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tae sunt, ut neque ullus obseruationis tenor neque memoriae, ulla effigies litterarum tanto aeuo potuerint edurare. Der deutsche Ausdruck entspricht der lateinischen Formulierung. Vgl. J. GRIMM / W. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, Bd.4.1.1, Leipzig 1878 = Bd.4, Ndr. München 1999, 2008 zum Verbum _gedenken>: `post hominum memoriam, so lang die menschen gedenkenA; ebd. 2010 zum substantivierten Infinitiv: `über menschen gedenken ultra hominis memoriamA. Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 50-51 hier 50. Zum Begriff des ,kommunikativen Gedächtnisses> vgl. oben S. 43 Anm. 81. Dies erhellt auch aus der Wendung doctissimus eorum temporum in NA 10,21,2, die gleichbedeutend ist mit dem Ausdruck in nostra memoria doctissimus in NA 1,22,9 bzw. memoria nostra doctissimus in NA 5,4,1. Vgl. O. PRINZ, TLL 8, 680-681, 60 (II metonymice A i.q. spatium temporis, quod quis memoria complecti potest; fere laxiore sensu i.q. aetas ... aetate posteriore haec notio raro neque nisi apud scriptores eruditi sermonis occurrit, ut vid.) mit Hinweis auf NA 5,4,1; NA 7,10,1; NA 13,18,2; NA 15,4,1; NA 16,10,9; NA 19,12,1. Diesen geht auch WALTER, Memoria und res publica, 28. 35-38 nach, der sich von dem Gedächtnisbegriff ASSMANNs wie die Vf. dadurch absetzt, daß für ihn `kein konstitutiver Gegensatz zwischen dem lebensweltlich verwurzelten, alltagsnahen kommunikativen Gedächtnis und dem per definitionem alltagsfernen, durch Kanonisierung und Übertragung an Spezialisten gekennzeichneten kulturellen GedächtnisA besteht (ebd. 25-26).

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lebendigen Gedächtnis individueller Personen und dem öffentlichen Gedächtnis der Gemeinschaften, denen die Individuen angehören.177 3.4.3. Memoria und individuelle Gedächtniskunst Das individuelle Gedächtnis des Autors wie auch zahlreicher in dem Werk auftretender Personen nimmt in den _Noctes Atticae> breiten Raum ein.178 Das steht in Zusammenhang mit der die gesamte Kultur durchdringenden Macht der antiken Rhetorik, in der die memoria ein unabdingbarer Faktor ist. Die kulturelle Hegemonie hat die Rhetorik in der Antike `as a practice of discourse, as a doctrine codifying that practice, and as a vehicle of cultural memoryA.179 In dieser durch und durch rhetorischen Kultur hat das Gedächtnis und seine Übung eine Schlüsselfunktion inne, deren man sich schon in der Älteren Sophistik bewußt war, wie aus den um 400 v. Chr. entstandenen _Dissoi Logoi> hervorgeht: ȶɃȭȳȼȽov Ȯ‡ ȴȫ¤ ȴȪȵȵȳȼȽov ˆȸȯѠȺȱȶȫ ȯÂȺȱȽȫȳ ȶvȪȶȫ ȴȫ¤ ˆȻ ąȪvȽȫ ɀȺɄȼȳȶov, ˆȻ Ƚqv ȼџȿȳȫv Ƚȯ ȴȫ¤ ˆȻ Ƚ°v ȬɅov [`Als größte und schönste Erfindung hat sich das Gedächtnis erwiesen und zu allem nützlich, zur Bildung und zum LebenA].180 Ein halbes Jahrtausend danach umschreibt die unverändert zentrale Rolle der memoria in der Rhetorik Quintilian in inst. 11,2,1 mit den Worten neque immerito thesaurus hic eloquentiae dicitur.181 Als das vierte officium oratoris nach inventio, dispositio, elocutio (und vor der actio bzw. pronuntiatio) hat die memoria ihren festen Platz in der rhetorischen Theorie ebenso wie in _____________ 177 Vgl. RICOEUR, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 203-205. Dazu auch oben S. 4244. 178 Vgl. auch die von PUGLIARELLO, Disparilitas e memoria, 105 Anm. 45-46 gesammelten Belegstellen. 179 BENDER / WELLBERY, Rhetoricality, 7. 180 Diss. Log. VS 90,9,1 [II6 416,13-14] DIELS / KRANZ. Den Wert des Gedächtnisses nicht nur für den Bildungsbereich, sondern für die gesamte Lebensgestaltung hebt auch die unter Plutarchs Namen überlieferte Schrift _De liberis educandis> hervor: Ƚ° ȶvȱȶovȳȴ°v ȽȻ ȶȫȲɄȼȯɂȻ ȶɃȺoȻ o½ ȶџvov ąȺ°Ȼ Ƚv ąȫȳȮȯɅȫv wȵȵq ȴȫ¤ ąȺ°Ȼ ȽqȻ Ƚoº ȬɅoȾ ąȺȪȸȯȳȻ o½ȴ ˆȵȫɀɅȼȽȱv ȼȾȶȬȪȵȵȯȽȫȳ ȶo¥Ⱥȫv ([Ps.-]Plut. mor. 9 e-f [= De lib. ed. 13]). Vgl. dazu BLUM, Die antike Mnemotechnik, 143. 181 Ähnlich hat schon Rhet. Her. 3,16,28 formuliert: nunc ad thesaurum inuentorum atque ad omnium partium rhetoricae custodem, memoriam, transeamus. Vgl. auch Cic. de orat. 1,18: quid dicam de thesaurum rerum omnium, memoria ? quae nisi custos inuentis cogitatisque rebus et uerbis adhibeatur, intelligimus omnia, etiam si praeclarissima fuerint in oratore, peritura. B Vgl. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 128-130, hier 128: `In der Zeit des ersten Jahrhunderts vor und nach Christus erreichte dann die römische Rhetorik und mit ihr die Mnemotechnik den Höhepunkt ihrer praktischen Bedeutung.A

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der Praxis der Redekunst,182 die das öffentliche Leben wesentlich prägte. Die bestimmende kulturelle Bedeutung hatte die Rhetorik dadurch, daß sie nicht nur das antike Bildungssystem organisierte und strukturierte, sondern schlechthin die Grundlage antiker Bildung war.183 So kommt auch in den _Noctes Atticae> memoria primär als Fundament dessen zur Geltung, was den ciuiliter eruditus auszeichnet.184 In die rhetorischliterarisch dominierte antike Bildungswelt, die Gellius in den _Noctes Atticae> abbildet (vgl. unten Teil 5, S. 303-402, bes. 328-351 über das gellianische Bildungskonzept), gehören als wesentlicher Bestandteil die mnemonischen Übungen. Darin wird der enge Zusammenhang zwischen Memorieren und Lektüre deutlich. In NA 17,2,1 berichtet Gellius von der Gewohnheit, zur Stärkung seines Gedächtnisses in Büchern alter Autoren Gelesenes auswendigzulernen, und legt als (tatsächlich auf diesem Weg _____________ 182 Cic. part. 3 schließt die Beschreibung der officia oratoris mit der Bemerkung ab: earum rerum omnium custos memoria. Auf diese Stelle und Cic. de orat. 1,142 (cumque esset omnis oratoris uis ac facultas in quinque partis distributa, ut deberet reperire primum quid diceret, deinde inuenta non solum ordine, sed etiam momento quodam atque iudicio dispensare atque componere; tum ea denique uestire ac ornare oratione; post memoria saepire; ad extremum agere cum dignitate ac uenustate) bezieht sich Quint. inst. 3,3,7. Zur Stellung der memoria in der römischen Rhetoriktheorie: D. DEN HENGST, Memoria, thesaurus eloquentiae: de Auctor ad Herennium, Cicero en Quintilianus over mnemotechniek; in: Lampas 19 (1986) 239-248. In moderner kulturwissenschaftlicher Terminologie werden memoria und actio dem `performanztheoretischenA Teil des rhetorischen Systems zugewiesen, während inventio, dispositio und elocutio dem text- bzw. argumentationstheoretischen Teil angehören. Auf Grundlage dieser Unterscheidung gibt einen Überblick über die antike Ausgangssituation für die Rezeptionsgeschichte der Gedächtniskunst KROVOZA, Mnemonik / Mnemotechnik, 464-468. 183 Daß die Rhetorik weit über die Antike hinaus bis ans Ende des 18. Jahrhunderts als kulturprägende und einheitsstiftende Macht wirkte und `eine große Klammer, die die unterschiedlichsten Dinge zusammengehalten hatteA, bildete, mit deren Aufbrechen `es zu einem Differenzierungsschub , welcher die Moderne in ihren Wurzeln geprägt hatA, resümiert A. ASSMANN, Erinnerungsräume, 91. Die lange Nachgeschichte der Rhetorik behandelt K. DOCKHORN, Macht und Wirkung der Rhetorik. Vier Aufsätze zur Ideengeschichte der Vormoderne, Bad Homburg / Berlin / Zürich 1968 [= Respublica litteraria 2]; die Gründe für die einsetzende `Entrhetorisierung der LiteraturA untersuchen BENDER / WELLBERY, Rhetoricality, 3-39 bes. 22-23. Vgl. auch M. FUHRMANN, Rhetorik und öffentliche Rede. Über die Ursachen des Verfalls der Rhetorik im ausgehenden 18. Jahrhundert, Konstanz 1983 [= Konstanzer Universitätsreden 147]. Letzterer kommt dort (S. 18-19) anders als die Obengenannten, die mehrere Entwicklungen für den komplexen Strukturwandel der Kultur verantwortlich machen, zu dem Ergebnis: `Einzig und allein die Nationalisierung des gesamten europäischen Geisteslebens ist eine zulängliche Erklärung für das Verschwinden des Rhetorikunterrichts, für die einschneidendste Änderung also, die das antik-europäische Bildungswesen seit dem Übergang von der heidnischen Antike ins christliche Mittelalter erlebt hatte.A 184 Vgl. PUGLIARELLO, Disparilitas e memoria, 105.

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erreichtes oder auch nur vorgegebenes) beispielhaftes Ergebnis seiner eigenen erstaunlichen Gedächtnisertüchtigung ein wörtliches Referat aus dem ersten Buch der _Annalen> des Q. Claudius Quadrigarius vor. Schon im 2. Jh. v. Chr. gehörte das Lesen von Büchern zu propädeutischen Zwecken fest in den grammatischen und rhetorischen Unterricht,185 wobei unter vorwiegender Würdigung der sprachlich-stilistischen Qualitäten und der Argumentationsstruktur die verschiedenen literarischen Genera und Inhalte, historiographische Werke, Reden, Epen, ja sogar Gesetzestexte, wie Cicero in leg. 2,59 von sich bezeugt,186 als `ÜbungsmaterialA herangezogen wurden.187 Bei Gellius erstreckt sich dieses Memorieren nicht nur auf zusammenhängende Texte bzw. Textpartien B z.B. gibt er in NA 17,20,1 eine auswendiggelernte Stelle aus der Rede des Pausanias in Platons _Symposion> wieder und übersetzt sie ins Lateinische, in NA 19,8,7 zitiert er eine Stelle aus Caesars Schrift _De analogia> auswendig B, sondern auch auf Einzelworte:188 in NA 10,25 sammelt er unterwegs im Reisewagen (tatsächlich oder vorgeblich) aus dem Gedächtnis eine Fülle verschiedener Ausdrücke aus den Begriffsfeldern _Wurfgeschoß> und _Schiffsfahrzeug>, die ihm in historiis ueteribus begegnet sind;189 in NA 11,3,1 schildert er _____________ 185 Laut Quint. inst. 2,5,1 gehört die begleitende Autorenlektüre zu den prima rhetorices und von Anfang an in das Ausbildungsprogramm des künftigen Redners; vgl. auch PATILLON / BOLOGNESI (Éd.s), Aelius Théon, XIII. XCVIII-C; FRASCA, Educazione e formazione 287-291. 186 Cic. leg. 2,59: discebamus enim pueri XII ut carmen necessarium, quas iam nemo discit. 187 Vgl. die Ausführungen Quintilians zur Autorenlektüre im Grammatik- und Rhetorikunterricht in inst. 1,8. 1,9,1/9. 2,5; zur Bedeutung der Historikerlektüre im Schulunterricht vgl. WALTER, Memoria und res publica, 46-51. 188 Bei diesen Ausdrücken handelt es sich meist um ausgefallene, seltene Wörter, deren Sammeln und Memorieren der Erweiterung des Wortschatzes dienen soll; vgl. MARACHE, La critique littéraire, 224-225. 189 NA 10,25,1-2. 5: Telorum iaculorum gladiorumque uocabula, quae in historiis ueteribus scripta sunt, item nauigiorum genera et nomina libitum forte nobis est sedentibus in reda conquirere, ne quid aliarum ineptiarum uacantem stupentemque animum occuparet. Quae tum igitur suppetierant, haec sunt ....(5) Nauium autem, quas reminisci tunc potuimus, appellationes hae sunt ... Die Wortsammlungen dienen bei Gellius aber nicht nur der Gedächtnispflege, sondern auch und vor allem der bewußten Kultivierung der Sprache, die er mit (seltener als bei Fronto gebrauchten) Archaismen und vielen Neologismen zu bereichern bestrebt ist; vgl. MARACHE, Mots nouveaux et mots archaïques, 101-267 (hier 106-262 eine umfangreiche Zusammenstellung gellianischer Neologismen und Archaismen). Der Zusammenhang zwischen Erweiterung der Sprachkompetenzen und Gedächtniskapazität bei der Lektüre von carmina ueterum und der sie begleitenden Erforschung des Wortgebrauchs wird auch von Fronto hergestellt: ... tamen in omnibus eius orationibus paucissima admodum reperias insperata atque inopinata uerba, quae nonnisi cum studio atque cura atque uigilantia atque multa ueterum carminum memoria indagantur (M. Caes. 4,3,3 p. 57,18 v.d.H.2). Vgl. dazu auch unten S. 233-234.

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seine gewohnheitsmäßigen Exerzitien, in denen er auf Spaziergängen oder -fahrten sich den Sprachgebrauch der ueterum scripta, z.B. die uarietas lateinischer Partikeln, ins Gedächtnis ruft. Nur ausnahmsweise hat das Auswendiglernen eine solch ethische Intention wie in NA 15,8,1, wo Gellius eine Rede zum Licinischen Gesetz, das den Tafelluxus beschränken sollte, sich vollständig einprägt: ... totum, ut meminisse possemus odio esse hercle istiusmodi sumptus atque uictus, perdidicimus. Meist dient es als Training der rhetorischen Kompetenz. In NA 19,7,2 treibt er diese Gedächtnisübung zusammen mit einem Freund auf dem Heimweg und memoriert figuras habitusque uerborum aus der eben gehörten Rezitation der _Alcestis> des Laevius.190 Diese Rekapitulation von Einzelwörtern, Sätzen oder ganzen Textpartien ist eine seit seinen Schulzeiten geübte Praxis, wie Gellius in NA 16,1,1 kundtut: adulescentuli cum etiamtum in scholis essemus, ˆvȲȾȶȱȶȪȽȳov hoc Graecum, quod adposui, dictum esse a Musonio philosopho audiebamus et, quoniam uere atque luculente dictum uerbisque est breuibus et rotundis uinctum, perquam libenter memineramus. Damit scheint er den Empfehlungen zu folgen, die Quintilian im Rahmen seiner Abhandlung über das Gedächtnis im zweiten Kapitel des elften Buches (inst. 11,2,4145) gibt: Das tägliche Auswendiglernen, das möglichst wortgenau erfolgen soll, ist die wichtigste Grundlage für die Ausbildung des Gedächtnisses: si quis tamen unam maximamque a me artem memoriae quaerat, exercitatio est et labor: multa ediscere, multa cogitare, et si fieri potest cotidie, potentissimum est: nihil aeque uel augetur cura uel neglegentia intercidit (inst. 11,2,40).191 Eigenes Lesen, Zuhören und Schreiben begleiten das Auswendiglernen nicht nur in den _Noctes Atticae>, sondern auch im Bildungsprogramm Quintilians192. Das Zusammenspiel von Lektüre (wvȪȭvɂȼȳȻ), Zuhören _____________ 190 Diese Übung entspricht dem, was Quint. inst. 1,8,14-16 für die gemeinsame Lektüre von Lehrer und Schüler im Grammatikunterricht empfiehlt: ... sed ut commoneat artificialium et memoriam agitet. Id quoque inter prima rudimenta non inutile demonstrare, quot quaeque uerba modis intellegenda sint. circa glossemata etiam, id est uoces minus usitatas, non ultima eius professionis diligentia est. enimuero iam maiore cura doceat tropos omnes, quibus praecipue non poema modo sed etiam oratio ornatur, schemata utraque, id est figuras, quaeque ȵɃȸȯɂȻ , quaeque ȮȳȫvoɅȫȻ uocantur. Ähnliches gilt für die Rednerund Historikerlektüre beim Rhetor: vgl. Quint. inst. 2,5,9. 191 Vgl. auch Quint. inst. 1,1,36: ... etiam dicta clarorum uirorum et electos ex poetis maxime (namque eorum cognitio paruis gratior est) locos ediscere inter lusum licet. nam et maxime necessaria est oratori, sicut suo loco dicam, memoria et ea praecipue firmatur atque alitur exercitatione ... 192 Vgl. Quint. inst. praef. 27: bona etiam ingenii ... sine doctore perito, studio pertinaci, scribendi legendi dicendi multa et continua exercitatione per se nihil prosunt; inst. 10,1,12: ad quam scribendo plus an legendo an dicendo conferatur, solere quaeri scio ... nam neque solida atque robusta fieret umquam eloquentia, nisi multo stilo uires acceperit, et citra lectionis exemplum labor ille carens rectore fluitabit;

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(wȴȺџȫȼȳȻ), Paraphrase (ąȫȺȪȿȺȫȼȳȻ) ist für seinen griechischen Zeitgenossen, den Rhetor Ailios (Aelius) Theon, unabdingbare Grundlage der Mimesis der als nachahmenswert anerkannten Autoren, die die Richtschnur der rhetorischen Ausbildung bildet. Deshalb wird in den allgemeinen Erörtertungen am Anfang seines Traktats über die _Progymnasmata> die Bedeutung der drei Tätigkeiten herausgestellt (prog. 1 p. 4-5 PATILLON / BOLOGNESI = p. 61,30-62,21 SPENGEL). Von der Lektüre heißt es dort unter Bezug auf ein wohl irrtümlich Apollonios Rhodios (statt Apollonios Molon193) zugeschriebenes Diktum pointiert: œ Ȯ‡ wvȪȭvɂȼȳȻ, ÓȻ ȽÆv ąȺȯȼȬȾȽɃȺɂv ȽȳȻ ‰ȿȱ, ’ȒąoȵȵѡvȳoȻ Ȯoȴȯ¥ ȶoȳ ´ ^ѢџȮȳoȻ, ȽȺoȿŽ ȵɃȸȯѡȻ ˆȼȽȳ˜ ȽȾąoѠȶȯvoȳ ȭqȺ ȽŽv ɁȾɀŽv wą° ȴȫȵÆv ąȫȺȫȮȯȳȭȶȪȽɂv ȴȪȵȵȳȼȽȫ ȴȫ¤ ȶȳȶȱȼџȶȯȲȫ [`Die Lektüre ist die Nahrung des Stils ... Denn wenn wir unsere Seele durch schöne Modelle prägen lassen, werden wir auch am schönsten nachahmenA] (prog. 1 p. 4 PATILLON / BOLOGNESI = p. 61, 30-33 SPENGEL).194 Welche Aufgabe der Lektüre auch außerhalb des rhetorischen Ausbildung zugemessen wird, deutet Gellius an, indem er in NA 19,1,13 einem nicht namentlich genannten philosophus in disciplina Stoica celebratus den Ausspruch in den Mund legt, der nicht nur für das im folgenden angegebene Werk, die von Arrian zusammengestellten ȮȳȫȵɃȸȯȳȻ Epiktets, sondern mottohaft für die _Noctes Atticae> selbst gelten könnte: lege; nam et facilius credideris, si legas, et memineris magis. Dieser Aufforderung leistet Gellius denn auch unmittelbar Folge: In eo libro Graeca scilicet oratione scriptum ad hanc sententiam legimus ... Haec Epictetum philosophum ex decretis Stoicorum sensisse atque dixisse in eo, quo dixi, libro legimus adnotandaque esse idcirco existimauimus (NA 19,1,15-21). Die eigene Lektüre, der die Niederschrift folgt, dient zugleich der Vertiefung bzw. Ergänzung des Gehörten und der Festigung der memoria. Die Fixierung im Gedächtnis ist auch in NA 19,8,7 explizites Ziel des Nachlesens; und überhaupt gibt Gellius an, Bücher zu benutzen, um daraus auswendigzulernen und zu zitieren (z.B. NA 10,15,2; NA 19,8,7), aber auch, um sich oder den Leser einer Textstelle oder einer Information zu vergewissern (NA 3,16,23; NA _____________ inst. 10,1,8: nobis autem copia cum iudicio paranda est uim orandi ... spectantibus. id autem consequimur optima legendo atque audiendo. 193 Vgl. PATILLON / BOLOGNESI (Éd.s), Aelius Théon, XCVIII m. Anm. 198. Dazu auch CIZEK, Imitatio, 42 Anm. 110. 228-229. 194 In der Einführung der Theon-Ausgabe von PATILLON / BOLOGNESI, XCVIII-CVII wird der Komplex der Übungen `la lecture B l’ audition B la paraphraseA, die der Redner auf seinem ganzen Bildungsweg zu praktizieren hat, als Vor- und Begleitprogramm zu den Progymnasmata beschrieben. Vgl. auch die kommentierte Progymnasmata-Ausgabe von KENNEDY, 66-72. Im Kontext des antiken imitatio-Konzeptes behandelt lectio und auditio bzw. scriptio CIZEK, Imitatio, 41-63.

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12,14,4; NA 16,10,16; genauso zieht in NA 19,8,6.10 ein bene eruditus homo et tum poeta inlustris Caesars Schrift _De analogia> heran, um darin die zuvor sinngemäß referierte Aussage über die Singularia und Pluralia tantum zu verifizieren).195 Über die Verankerung im Gedächtnis hinaus intendiert der Philosoph Calvenos Tauros die Besserung der Moral seines Schülers, an den er in NA 20,4,3-4 appelliert, eine Stelle aus Aristoteles’ Schrift ȡȺoȬȵɄȶȫȽȫ ˆȭȴѠȴȵȳȫ täglich zu lesen. Denn daß dieser deren Aussage dabei verinnerlicht und daraufhin sein Verhalten ändert, indem er sich künftig von den Schauspielern fernhält, ist die unausgesprochene Absicht des Tauros.196 In der oben erwähnten Anekdote, worin der stoische Philosoph, nachdem er einen zudringlichen Graecus quispiam diues ex Asia (NA 19,1,7) mit einem Aristipp-Zitat abgefertigt hat, Gellius zum eigenen Lesen auffordert, ergänzen auditio und lectio einander,197 genauso wie sie auch beide Platz in der antiken Mnemotechnik haben. Schon aufgrund der auditio sind die mnemotechnisch Geschulten und Avancierten imstande, das eben Gehörte aus dem Gedächtnis zu reproduzieren: item qui mnemonica didicerunt possunt quod audierunt in locis collocare ex his memoriter pronuntiare (Rhet. Her. 3,17,30).198 Daß Gellius genau dazu in der Lage ist, _____________ 195 Vgl. auch oben S. 72. Weitere Stellen, in denen Gellius behauptet, nachträglich (postea) mündlich erhaltene oder gelesene Informationen durch eigene Lektüre der betreffenden bzw. anderer Texte bestätigt gefunden zu haben, sind verzeichnet von MERCKLIN, Die Citiermethode, 691. Meist macht Gellius durch Hinzufügung von wörtlichen Exzerpten auch dem Leser diese Textstellen zugänglich: z.B. in NA 12,13,21-22; NA 13,12,5-6; NA 13,21,10-12; NA 16,1,3-4; NA 16,3,6-8. ௅ Auch ohne expliziten Hinweis auf das Lesen bzw. Heraussuchen der Texte fügt Gellius seinen aus anderen Quellen stammenden Ausführungen oft Nachträge aus eigener Belesenheit hinzu: z.B. in NA 4,1,20-23; NA 12,9,6; vgl. auch MERCKLIN, Die Citiermethode, 700-702. 196 NA 20,4,3: Eum adulescentem Taurus a sodalitatibus conuictuque hominum scaenicorum abducere uolens misit ei uerba haec ex Aristotelis libro exscripta, qui ąȺoȬȵɄȶȫȽȫ ˆȭȴѠȴȵȳȫ inscriptus est, iussitque uti ea cotidie lectitaret. 197 Als alternative Rezeptionsmodi stehen audire und legere nebeneinander z.B. in NA 1,25,13; NA 20,1,52. In NA 14,1,34 werden die (aus der Lektüre bekannten) poetarum ueterum testimonia als Ergänzung der auditio der Favorinus-Rede hinzugefügt. 198 Daß die Mnemotechnik gerade beim Zuhören eine wichtige Rolle spielte und deshalb primär im Unterrichts- und Bildungsbetrieb zur Anwendung gelangte, hat schon Platon an der Praxis der Sophisten beschrieben (vgl. dazu BLUM, Die antike Mnemotechnik, 52-55). In den um 400 v. Chr. aus der Niederschrift von Schulvorträgen hervorgegangenen _Dissoi Logoi> wird das Zuhören als ein wichtiger Teil der Gedächtnisübung empfohlen: Diss. Log. VS 90,9,3 [II 6 416,15-17] DIELS / KRANZ (vgl. oben S. 101). Die enge Verbindung von auditio / wȴȺџȫȼȳȻ und memoria / ȶvɄȶȱ wird aber auch später, z.B. von Philostratos bei den Schülern des Sophisten Dionysios von Milet, welche die ȭvÆȶȫȳ ihres Meisters memorieren (soph. 1,22,2(523) [II p. 36,20-27] KAYSER), thematisiert. Zur Funktion der auditio in der Mnemotechnik vgl.

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läßt er in NA 14,1,1-2 durchblicken: Nach einem Vortrag des Favorinus, rekapituliert er B allerdings schriftlich B die Hauptpunkte seiner Rede gegen die Astrologie der Chaldäer: Capita autem locorum argumentorumque, quibus usus est, quod eius meminisse potui, egressus ibi ex auditione propere adnotaui (NA 14,1,2). Ähnlich beruft sich Gellius auf sein Gedächtnis für die anschließende Wiedergabe des mittelbar gehörten Vortrages des Valerius Probus, in dem dieser Homers Artemis-Gleichnis in der Beschreibung Nausikaas (Od. 6,102-108) der seines Erachtens mißglückten vergilischen Übertragung in Aen. 1,498-502 gegenübergestellt hat: memini audisse me ex Valerii Probi discipulis, docti hominis et in legendis pensitandisque ueteribus scriptis bene callidi, solitum eum dicere nihil quicquam tam inprospere Vergilium ex Homero uertisse quam uersus hos amoenissimos, quos de Nausicaa Homerus fecit (NA 9,9,12). Doch im allgemeinen werden der Lektüre gegenüber der auditio die mnemotechnischen Vorzüge zugeschrieben, die Quintilian in inst. 10,1,19 erklärt: lectio libera est nec actionis impetu transcurrit, sed repetere saepius licet, siue dubites siue memoriae penitus adfigere uelis. Repetamus autem et tractemus et, ut cibos mansos ac prope liquefactos demittimus, quo facilius digerantur, ita lectio non cruda, sed multa iteratione mollita et uelut confecta memoriae imitationique tradatur. Die auditio, die unmittelbaren audiovisuellen Zugang zu den mündlich und auch mimisch vorgeführten Modellen eröffnet, spielt über den Schulbetrieb hinaus im öffentlichen Rezitations- und Deklamationswesen199 eine Rolle; die lectio, auf den literarischen Kanon der schriftlich fixierten Modelle ausgerichtet, entfaltet sich dagegen zunächst im Rahmen des schulischen Autorenstudiums. In der Buch- und Lesekultur, die im 1./2. Jh. einen Aufschwung erlebt, gelangt sie zu ihrer weiterreichenden Geltung. Die Bibliotheksgründungen und der prosperierende Buchhandel200 bezeugen die Ausdehnung der Lesekultur in dieser Epoche der Adoptivkaiser. Diese Vergrößerung des Lesepublikums ging einher mit der Entwicklung neuer Formen des Umgangs mit Literatur, wovon Plinius in seinen _____________ auch CIZEK, Imitatio, 44 m. Anm. 119; UEDING / STEINBRINK, Grundriß der Rhetorik, 330-331. Überhaupt beruht aller Unterricht, insbesonders der rhetorische, auf dem gesprochenen Wort und dessen akustischer Aufnahme; vgl. G. WILLE, Akroasis. Der akustische Sinnesbereich in der griechischen Literatur bis zum Ende der klasischen Zeit, Bd.1-2, Tübingen / Basel 2001, hier bes. Bd. 1, 491-497; Bd. 2, 797-812. 989-998. 199 Von der großen Öffentlichkeitswirkung der Deklamationen gibt es einen Reflex in NA 15,1,1-2: declamauerat Antonius Iulianus rhetor praeterquam semper alias, tum uero nimium quantum delectabiliter et feliciter. Sunt enim ferme scholasticae istae declamationes eiusdem hominis eiusdemque facundiae, non eiusdem tamen cotidie felicitatis. Nos ergo familiares eius circumfusi undique eum prosequebamur domum ... 200 S. dazu oben S. 62-69. S. 76-77.

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Briefen beredtes Zeugnis gibt.201 Indem sich unter den schließlich als unabänderlich akzeptierten politischen Verhältnissen der Kaiserzeit die Aktivitäten der Oberschicht zunehmend in den kulturellen Bereich verlagerten und Bildung der zentrale Leitwert der Gesellschaft wurde, löste sich die Lektüre aus der Abgeschlossenheit des literarischen Zirkels und des privaten Studierzimmers und trat in das Licht der Öffentlichkeit. Die Zurschaustellung von Belesenheit diente als Bildungsnachweis und brachte soziales Prestige. So etablierte sich die Lektüre von Büchern in antoninischer Zeit auch im Alltagsleben B jedenfalls derjenigen, die ein ökonomisch unabhängiges und gesichertes Leben führen konnten. Gellius, ein Exponent dieser Lese- und Bildungskultur, führt die Ubiquität der lectio in vielen commentarii seiner _Noctes Atticae> vor Augen: Abgesehen von der allgegenwärtigen privaten Lektüre des Autors (z.B. NA 1,25,13; NA 2,23,1.2.5.22; NA 3,3,3; NA 3,4,1; NA 3,16,13; NA 4,6,1; 4,14,1; NA 7,4,1; NA 7,5,2; NA 9,4,5; NA 10,3,8; NA 12,14,4; NA 12,15,1; NA 13,22,7; NA 14,2,20; NA 14,6,2: recondo me penitus, ut sine arbitris legam; NA 17,2,1; NA 17,9,16; NA 17,15,7; NA 19,14,4; u.v.a.m.) gibt es zahlreiche Lese-Szenen in der Öffentlichkeit, auf dem Spaziergang bei den balneae Titiae, d.h. in den Titusthermen (NA 3,1,1),202 auf dem campus Agrippae (NA 14,5,1) oder am Strand von Ostia (NA 18,1,1), in der Bibliothek (NA 11,17,1; NA 13,20,1) und in der Buchhandlung (NA 5,4,13; NA 13,31,1). Gewissermaßen zwischen rein privater Zurückgezogenheit und öffentlicher Sphäre findet das Lesen auch im Freundeskreis, in einer Tischgesellschaft bzw. in gelehrten Zirkeln statt: NA 9,9,4 (apud mensam); NA 13,29,2 (in einer größeren um Fronto versammelten Runde); NA 17,5,3 (in coetu forte hominum doctorum); NA 17,20,1 (apud philosophum Taurum). Daß man bei der Einbettung des Lesens in Situationen des sozialen Lebens sich ein lautes Lesen vorzustellen hat, liegt nahe und wird aus dem Kontext verständlich bzw. sogar von Gellius an mehreren Stellen explizit hervorgehoben.203 Bei einer öffentlichen Lesung tritt ein wvȫȭvѡȼȽȱȻ vor _____________ 201 H. KRASSER (Entwicklungen der römischen Lesekultur in trajanischer Zeit, 79-89) skizziert in einem kurzen Abriß seiner bisher unpublizierten Habilitationsschrift (`sine fine lecturiasA. Zu Leseszenen und literarischen Wahrnehmungsgewohnheiten zwischen Cicero und Gellius, Habil. Tübingen 1996) die in dieser Zeit stattfindende Entwicklung von Formen und Funktionen der römischen Lesekultur. 202 Die Thermenanlagen dienten allgemein nicht nur der demonstrativen Körperpflege, sondern auch der Zurschaustellung der Kulturpflege. Dementsprechend befanden sich dort, z.B. in den Trajansthermen oder den Caracallathermen, neben den Badeanlagen, häufig auch Bibliotheken; vgl. NEUDECKER, Aspekte öffentlicher Bibliotheken, 306307. 203 Z.B. in NA 1,21,4 (cum Fauorino Hygini commentarium legissem); NA 1,26,1 (in diatriba ... dabat enim saepe post cotidianas lectiones quaerendi, quod quis

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großem Publikum im Theater von Puteoli auf und liest uoce admodum scita et canora aus dem siebten Buch der _Annalen> des Ennius (NA 18,5).204 Auch eine recitatio auf dem Forum Romanum wird geschildert in: NA 16,10,1.10: otium erat quodam die Romae in foro a negotiis et laeta quaedam celebritas feriarum, legebatur in consessu forte complurium Ennii liber ex _annalibus> ... tum forte quadam Iulium Paulum, poetam memoriae nostrae doctissimum praetereuntem conspeximus. Diese Lesesituationen spiegeln das Phänomen wider, daß in der Antike die Literaturrezeption weitgehend über das Gehör erfolgte und die recitatio nicht nur von szenischen Werken und Dichtung eine verbreitete Form der Publikation war.205 Wie es sich in den _Noctes Atticae> an den zahlreichen Stellen verhält, in denen das Lesen nicht in einen gesellschaftlichen Rahmen eingefaßt ist, sondern in der privaten Abgeschiedenheit des Autors stattfindet, 206 läßt sich nur schwer abschätzen; vielleicht darf man hier aber B anders als noch bei Cicero und Plinius, die auch zu Hause _____________ uellet, potestatem); NA 2,22 (apud mensam Fauorini in conuiuio familiari legi solitum erat ...); NA 2,23,5. 8 (Caecilii _Plocium> legebamus; hautquaquam mihi, et, qui aderant, displicebat ... [8] accesserat dehinc lectio ad eum locum ... ); NA 4,17,1.5 (multos legere audio ... uerbum produci a plerisque audio); NA 9,9,4 (aput mensam cum legerentur utraque simul _Bucolica> Theocriti et Vergilii); NA 13,29,2 (cum is liber eaque uerba M. Frontoni nobis ei ac plerisque aliis adsidentibus legerentur); NA 13,31,3-12 (oro ergo te, legas hos uersos pauculos); NA 14,4,5 (... quoniam legentibus ea nobis delicatiorum quidam disciplinarum philosophi Saeuitiae imaginem istam esse, non Iustitiae, dixerunt); NA 16,6,3 (legebat barbare insciteque Vergilii septimum); NA 17,20,1-2 (Symposium Platonis apud philosophum Taurum legebatur ... haec uerba ubi lecta sunt); NA 19,6,2 (hoc ego Athenis cum Tauro nostro legissem percontatusque essem); NA 19,7,2 (cum ad eum cenassemus et apud mensam eius audissemus legi Laeuii _Alcestin> ...). 204 Die Frage, ob der Vorleser in NA 18,5 das siebte _Annalen>-Buch ganz oder nur einen Teil daraus vorgelesen hat, verbindet EDUARD NORDEN mit Erörterungen zu Umfang und Dauer anderer recitationes: vgl. E. NORDEN, Ennius und Vergilius. Kriegsbilder aus Roms großer Zeit, Leipzig / Berlin 1915, Ndr. Stuttgart 1966, 129-131. 205 Vgl. FRIEDLAENDER, Sittengeschichte Roms, Bd. 2, 225-233; SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 208-209. 206 Vgl. BIRT, Die Buchrolle in der Kunst, 171: `Wer studiert, wird als einsam Lesender vorgestellt.A ௅ Wenn Gellius bei der Bezeichnung seiner Lesetätigkeit auffällig oft den Plural der 1. Person gebraucht (legimus, cum legeremus / legissemus u.ä.; vgl. BELTRÁN, Concordantia, 2, 689-691 s.v. lego), handelt es sich dabei m.E. um den _Pluralis inclusivus> bzw. _auctoris>, durch den das Publikum in die Handlung des Autors miteingeschlossen wird und sich dieser zurücknimmt (_Pluralis modestiae>), wie es auch in der Praefatio der Fall ist, wo Gellius im Gebrauch der 1. Person Singular (z.B. praef. 1. 2. 4. 12. 17. 20. 23. 24) und Plural (z.B. praef. 2. 3. 4. 10. 13. 18. 25) abwechselt. Zu den oft schwierig zu beurteilenden psychologischen Motiven für die Wahl des Plurals vgl. LHS 2, 19-20.

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laut zu lesen pflegten207 B e silentio auf ein stilles Lesen des Gellius schließen. Denn die allgemeine Ausdehnung der Lesekultur ging, wie auch im 18. Jh., als mit dem Entstehen des wohlhabenden Bildungsbürgertums sich ein neues Lesepublikum herausbildete,208 verständlicherweise einher mit einer allmählichen Verschiebung der Lesepraxis vom lauten zum stillen einsamen Lesen: Wenn mehr Menschen durch Bücher Zugang zur Literatur erhalten, geht eben der Bedarf an akustischer bzw. performativer Literaturrezeption zurück. Doch existieren in der Antike wie auch in der Neuzeit beide Lesepraktiken lange Zeit nebeneinander.209 Insbesondere im Schulbetrieb blieb das Vorlesen der Texte immer ein zentraler Bestandteil des Unterrichts,210 was z.B. auch Ausonius in seinem _Protrepticus ad _____________ 207 Daß Cicero selbst laut gelesen hat, bezeugt fam. 9,20(18),3, wo er von gelegentlichen Zuhörern während seiner täglichen Lektüre spricht. Über seine Praxis, Texte für sich laut zu rezitieren, gibt der jüngere Plinius an mehreren Briefstellen Auskunft: In epist. 7,6 liest er ein Werk des Asinius Gallus laut; in epist. 9,36,3 gesteht er: orationem Graecam Latinamue clare et intente non tam uocis causa quam stomachi lego, und ein wenig später in epist. 9,36,4, daß er sich beim Essen ein Buch habe vorlesen lassen. Vgl. BUSCH, Lautes und leises Lesen, 9-12; SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 209; FANTHAM, Literarisches Leben, 191; JOHNSON, Sociology of Reading in Classical Antiquity, 621-622. 208 Vgl. SCHNEIDER, Sozialgeschichte des Lesens, 249-275, bes. 258-279; SCHÖN, Der Verlust der Sinnlichkeit, 31-61, bes. 41-54. 99-122 (_Das Ende des lauten Lesens>). 209 Bei aller Präferenz des lauten Lesens ist es jedoch keineswegs die einzige Form der Literaturrezeption: BUSCH, Lautes und leises Lesen, 1-45, bes. 7. 14. 34-40; KNOX, Silent Reading in Antiquity, 421-435; W.A. JOHNSON, Sociology of Reading in Classical Antiquity, 618-619; vgl. auch W.P. CLARK, Ancient Reading; in: CJ 26 (1931) 698-700, der unter Hinweis auf Cic. Tusc. 5,116 (multo maiorem percipi posse legendis his quam audiendis uoluptatem) der Verabsolutierung des lauten Lesens widerspricht, wie sie J. BALOGH, `Voces paginarumA. Beiträge zur Geschichte des lauten Lesens und Schreibens; in: Philologus 82 (1927) 84-109. 202-240 propagiert hat. Den im Anschluß an NORDENs _Antike Kunstprosa> (Nachträge, Bd.1, 3. Aufl. Leipzig/ Berlin 1915, 1-3) von BALOGH gesammelten (und von L. WOHLEB, Ein Beitrag zur Geschichte des lauten Lesens; in: Philologus 85 [1930] 111-112 noch um eine Stelle der _Passio Sanctorum Firmi et Rustici> ergänzten) zahlreichen Belegen aus der antiken und mittelalterlichen Literatur, die das laute Lesen als Normalität bezeugen, kann man einige Stellen entgegenhalten, in denen das Lesen still erfolgt: z.B. Hor. sat. 1,6,122-123 aut ego lecto / aut scripto quod me tacitum iuuet (dazu G.L. HENDRICKSON, Ancient Reading; in: CJ 25 [1929] 182-196 hier 187; B. KNOX, Silent Reading in Antiquity, 423-424), Ov. her. 21,1(3) pertimui, scriptumque tuum sine murmure legi (dazu HENDRICKSON, ebd., 192). Die kontroverse Forschungsdebatte über die Formen des Lesens faßt zusammen BUSCH, Lautes und leises Lesen, bes. 2-7. 41-45; vgl. auch JOHNSON, Sociology of Reading in Classical Antiquity, 593-600. 210 Vgl. FRASCA, Educazione e formazione, 287-291; MARROU, Geschichte der Erziehung, 292-294. 317-318. 513-514; ders., Augustinus, 17-18; UEDING / STEINBRINK, Grundriß der Rhetorik, 330-331. Bilddokumente von Unterrichtsszenen sind zusammengestellt bei BIRT, Die Buchrolle, 138-141.

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nepotem> (322 SOUCHAY = 18,22 PEIPER = 8 GREEN, V.45-50) B verständlicherweise explizit für die Dichtung B empfiehlt: perlege, quodcumque est memorabile.211 Neben den rezeptiven Methoden der auditio und lectio bildet das Schreiben, die scriptio, als produktive Übung das dritte Stadium der rhetorisch-literarischen Ausbildung und Vorbereitung auf die dictio. Schon in Ciceros Bildungskonzept hatte die scriptio eine Schlüsselrolle eingenommen,212 aber in der Kaiserzeit gewann die schriftliche exercitatio im Zusammenhang mit der schulrhetorischen Entwicklung und der daraus resultierenden zunehmenden Literarisierung noch mehr Bedeutung. So gibt Quintilian in inst. 10,3,5-10,5,23 zu den Schreibübungen genauere Anleitung, nachdem er zuvor unter Bezug auf Cicero (de orat. 1,150; vgl. Anm. 212) ihre fundamentale Wichtigkeit für die Rednerausbildung bzw. überhaupt für die Redekunst in inst. 10,3,1-3 hervorgehoben hat: in iis autem, quae nobis ipsis paranda sunt, ut laboris, sic utilitatis etiam longe plurimum adfert stilus, nec immerito M. Tullius hunc optimum effectorem ac magistrum dicendi uocat ... scribendum ergo quam diligentissime et quam plurimum ... illic radices, illic fundamenta sunt, illic opes uelut sanctiore quodam aerario conditae, unde ad subitos quoque casus cum res exiget, proferantur.213 Entsprechend bewertet der Rhetoriker Theon die schriftlichen Kompositionsübungen der Progymnasmata als Grundlage nicht nur der Redekunst, sondern der gesamten Schriftstellerei.214 Auch in den _Noctes Atticae> wird das Schreiben als zentraler Prozeß der literarischen Aktivitäten des Autors und nicht zuletzt der Werkentstehung selbst thematisiert. In der Verbindung mit lectio und auditio dient es der Fixierung und Unterstützung der individuellen memoria und damit der eigentlichen Intention des Werkes. _____________ 211 Weiter heißt es an dieser Stelle Auson. 18, 22, 45-50 p. 263 PEIPER = 8, 45-50 GREEN2 : Prima monebo./ Conditor Iliados et amabilis orsa Menandri / euoluenda tibi: tu flexu et acumine uocis / innumeros numeros doctis accentibus effer / adfectusque inpone legens. Distinctio sensum / auget et ignauis dant interualla uigorem. 212 Vgl. Cic. de orat. 1,150-153. bes. 150. 152: ... Caput autem est, quod ut uere dicam, minime facimus (est enim magni laboris, quem plerique fugimus), quam plurimum scribere ... et qui a scribendi consuetudine ad dicendum uenit, hanc adfert facultatem, ut, etiam subito si dicat, tamen illa, quae dicantur, similia scriptorum esse uideantur. Vgl. de orat. 2,96: hanc igitur similitudinem qui imitatione adsequi uolet, cum exercitationibus crebris atque magnis tum scribendo maxime persequatur. 213 Vgl. auch Quint. inst. 10,7,7: multo ac fideli stilo sic formetur oratio, ut scriptorum colorem, etiam quae subito effusa sint, reddant, ut, cum multa scripserimus, etiam multa dicamus. Zuvor hatte Quintilian schon am Anfang seiner _Institutio oratoria> in inst. 1,4,3 die Rolle der, mit Sprechen und Lesen verbundenen, Schreibübung im Elementarunterricht beschrieben: nam et scribendi ratio coniuncta cum loquendo est, et narrationem praecedit emendata lectio ... 214 Vgl. Theon prog. 2 p. 15 PATILLON / BOLOGNESI = p. 70, 25- 32 SPENGEL.

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Das erklärt Gellius gleich am Beginn des erhaltenen Textes: nam proinde ut librum quemque in manus ceperam seu Graecum seu Latinum uel quid memoratu dignum audieram, ita quae libitum erat, cuius generis cumque erant, indistincte atque promisce annotabam eaque mihi ad subsidium memoriae quasi quoddam litterarum penus recondebam, ut, quando usus uenisset aut rei aut uerbi, cuius me repens forte obliuio tenuisset, et libri, ex quibus ea sumpseram, non adessent, facile inde nobis inuentu atque depromptu foret (NA praef. 2). Wie konkret Lektüre und schriftliche Aufzeichnung als Gedächtnisübung miteinander verknüpft werden, illustriert Gellius eingangs des commentarius NA 17,2: cum librum ueteris scriptoris legebamus, conabamur postea memoriae uegetandae gratia indipisci animo ac recensere, quae in eo libro scripta essent in utrasque existimationes laudis aut culpae adnotamentis digna, eratque hoc sane quam utile exercitium ad conciliandas nobis, ubi uenisset usus, uerborum sententiarumque elegantium recordationes (NA 17,2,1). Aus dem Pliniusbrief über den Tagesablauf und die darin fast ununterbrochenen literarischen Beschäftigungen des älteren Plinius geht hervor, daß er ebenso während des Lesens bzw. Vorlesenlassens ständig Notizen und Exzerpte anfertigte bzw. anfertigen ließ.215 Dem Vorbild seines Onkels eifert nicht nur der jüngere Plinius nach, der sogar bei der Jagd und auf Reisen stilus und pugillares mit sich trägt (vgl. die sogenannten Jagdbillette epist. 1,6. 9,10), unterwegs im Reisewagen, im Bad und beim Essen seine Gedichte verfaßt (epist. 4,14,2) und auch während des Vesuvausbruchs noch seine literarischen Studien und Exzerpte fortsetzt (epist. 6,20,2. 5). Der spätere Kaiser Marc Aurel berichtet in einem Brief (des Jahres 143) an den damaligen Konsul und seinen früheren Lehrer Fronto von seiner umfangreichen Exzerpiertätigkeit: feci tamen mihi per hos dies excerpta ex libris sexaginta in quinque tomis, sed cum leges _sexaginta>, inibi sunt et Nouianae Atellaniolae et Scipionis oratiunculae, ne tu numerum nimis expauescas (AUR. Fronto M. Caes. 2,8,3 p. 29,1-4 v.d.H.2). Auch bei Gellius ergänzt und begleitet das Exzerpieren als Gedächtnisstütze die für das ganze Werk konstitutive lectio. Darauf läßt schon der Bestand des _____________ 215 Plin. epist. 3,5,10-11: Post cibum ... aestate, si quid otii iacebat in sole, liber legebatur, adnotabat excerpebatque. Nihil enim legit, quod non excerperet; dicere etiam solebat, nullum esse librum tam malum, ut non aliqua parte prodesset ... Mox quasi alio die studebat in cenae tempus, super hanc liber legebatur, adnotabatur, et quidem cursim; epist. 3,5,1415: ... nam dum destringitur tergiturque, audiebat aliquid aut dictabat. in itinere quasi solutus ceteris curis huic uni uacabat; ad latus notarius cum libro et pugillaribus. Zur Arbeitsweise des Plinius und seiner ungeheuren schriftstellerischen Produktivität vgl. auch K. ZIEGLER, Plinius Secundus der Ältere (Leben); in: RE 21/1 (1951) 271-285, hier 280-282. – Nicht nur das Schreiben erledigten oft Stenographen, auch das eigentliche Lesen übernahmen häufig Vorleser (wvȫȭvÆȼȽȫȳ bzw. lectores), im geschäftlichen und amtlichen Bereich und bei Hofe, aber auch im privaten und geselligen Leben; vgl. BIRT, Die Buchrolle in der Kunst, 171-175.

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Verbs adnotare bzw. der dazugehörigen Substantive adnotatio / adnotatiuncula schließen, mit denen der Autor das Fundament seiner _Noctes Atticae> bezeichnet: Zuerst spricht er in der oben zitierten programmatischen Aussage der Praefatio vom indistincte atque promisce annotare bzw. von den pristina annotamenta, die den Ausgangspunkt für die schriftliche Ausarbeitung des Opus bilden (praef. 2-3); desgleichen gebraucht Gellius diese Termini an weiteren Stellen, wo er Einblick in seine Arbeitsweise bzw. in den Prozeß der Entstehung des Werkes gibt: NA 14,1,2 (vgl. o. S. 107); NA 15,4,1; NA 17,2,1 (s.o.), NA 19,7,12; NA 19,1,21 (in eo ... libro legimus adnotandaque esse idcirco existimauimus).216 Aber auch das Produkt der _Noctes Atticae> selbst nennt er adnotamenta in NA 1,7,18 (his uulgo adnotamentis inspersimus) und in NA 17,21,50 in der Diminutivform adnotatiunculae (cum finem proposuerimus adnotatiunculis istis bellum Poenorum secundum). Mehrfach wird auch das Simplex notare im Sinne von _notieren, kurz aufzeichnen>217 verwendet: in NA 6,13,3; NA 9,4,13; NA 19,7,3.4; NA 10,28,2; NA 11,1,6; NA 18,4,11(ut commentariis harum _noctium> inferrem, notaui); NA 18,12,10. In dieser Bedeutung wird in NA 2,30,11 (cum Aristotelis libros _problematorum> praecerperemus, notaui) und NA 9,4,5 (in legendo carpsi exinde quaedam et notaui quaedam) notare mit praecerpere bzw. carpere in Verbindung gebracht. Der Zusammenhang von Notiz und memoria wird mehrfach ausdrücklich hergestellt: in NA 17,2,2 (quae meminisse potui, notaui), NA 17,2,27 (pauca interim super eo libro, quorum memoria post lectionem subpetierat mihi, notaui), in NA 18,12,10 (quae nunc meminimus ... quae, proinde ut in legendo fuerint obuia, notabuntur), in NA 18,14,6 (haec autem notare meminisseque non esse ab re uisum est) und in NA 20,6,15 (haec memini... mihi Apollinarem dicere eaque tunc ipsa, ita ut dicta fuerant, notaui). Das dazugehörige Partizip Perfekt Passiv notata (nur einmal der Singular notatum in NA 6,9) erscheint in sechs Lemmata (die wohl nicht als elliptische A.c.I. aufzufassen sind)218 in der substantivischen Bedeutung _Anmerkungen> (NA 1,3; NA _____________ 216 In NA 6,9,11-12 gebraucht Gellius jedoch zweimal den Ausdruck adnotauit in bezug auf die philologische Tätigkeit des Valerius Probus, d.h. die Annotierung seiner Handexemplare, in NA 13,21,25 in bezug auf die Kommentare der Homerscholiasten (ueteres grammatici). An diesen Stellen ist adnotare also im Unterschied zur sonstigen Verwendung bei Gellius zu verstehen im Sinne von _mit kritischen Zeichen versehen>, wie im philologischen Kontext verbreitet: vgl. STEIN, Kritische Zeichen, 133-163, hier bes. 133. 217 Vgl. OLD 1193 s.v. noto 10 b. 218 Die capitula bzw. Lemmata der einzelnen commentarii sind uneinheitlich formuliert, nicht nur hinsichtlich ihrer Länge, sondern auch in ihrer Syntax: vgl. MASELLI, Osservazioni sui _lemmata>, 20-22. Es gibt neben den Formulierungen in A.c.I. (NA 18,10), indirektem Fragesatz (z.B. NA 11,7; NA 11,8; NA 18,7) und präpositionalem Ausdruck (z.B. NA 15,25: De uerbis quibusdam nouis ...; NA 17,9: De notis litterarum ...)

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1,11; NA 7,8; NA 11,5; NA 15,20; NA 17,2). Aufschlußreich dafür, daß diese Art von Notizen nicht (nur) durch eigenhändiges Schreiben, sondern (auch) durch Diktat entstand, sind die Bemerkungen in NA 3,18,9 (uersum quoque Laberii ... notari iussimus, quem legimus in mimo), NA 2,23,8 (uersus utrimque eximi iussi et aliis ad iudicium faciundum exponi) und wohl auch NA 1,23,2 (ea Catonis uerba huic prorsus commentario indidissem, si libri copia fuisset id temporis, cum haec dictaui).219 Diese Praxis legt schon NA 19,7,12 nahe, wo die adnotatiunculae bei einer gemeinsamen Unterhaltung unterwegs (inter uiam) angefertigt werden (vgl. auch NA _____________ auch einfache Nominative (uerba wohl als Nominativ, nicht Akkusativ eines elliptischen A.c.I. z.B. in NA 11,11; NA 13,15; NA 13,22 vgl. auch NA 11,9 Historia reperta). Dieser sog. _thematische> Nominativ (vgl. LHS 2,28-29) begegnet in Kapitelüberschriften regelmäßig z.B. bei Nepos (Them. 1,1) und Sueton (z.B. rhet. 26,1) und ist nicht nur die Form der ersten erkennbaren Überschriften, sondern auch der vorangestellten Lemmata, bevor sie durch Kapitelüberschriften mit de ersetzt werden: vgl. SCHRÖDER, Titel und Text, 310. Das Nebeneinander der verschiedenen capitulaFormulierungen in den _Noctes Atticae> erklärt sich aus der von SCHRÖDER aufgezeigten Entwicklung, die zu Gellius’ Zeiten noch nicht abgeschlossen ist (ebd. 126): `Der Wechsel vom vorangestellten Lemma im Nominativ (z.B. bei Hygin) zur Kapitelüberschrift, i.d. R. bestehend aus einer indirekten Frage oder einem Präpositionalausdruck mit de, kann als Einfluß der Inhaltsverzeichnisse erklärt werden ...: wenn ein Werk sowohl Inhaltsverzeichnis als auch Kapitelüberschriften bzw. Lemmata haben sollte, mußte beides konvergent sein. Die sprachliche Form der Inhaltsverzeichnisse war seit Plinius vorgegeben: überwiegend indirekte Fragen oder Präpositionalausdrücke mit de. Hygin kennt das Inhaltsverzeichnis noch nicht; er verwendet Lemmata im Nominativ. Es ist zu vermuten, daß, sobald jemand zu diesem oder einem anderen Handbuch ein Inhaltsverzeichnis voranstellte, er auch die Lemmata in die aus den Inhaltsverzeichnissen gewohnte Form brachte und so aus den _Lemmata> im Nominativ _Kapitelüberschriften> wurden A. Vgl. SCHRÖDER, Titel und Text, 324-326 auch zu der Bezeichnung der _Kapitel[überschriften]> bzw. _Elemente im Inhaltsverzeichnis> als capitula. 219 Dictare bedeutet in der nachaugusteischen Latinität allerdings nicht unbedingt _diktieren>, sondern kann auch für _aufzeichnen, niederschreiben, abfassen> stehen: vgl. TLL 5/1, 1011, 62 - 1012, 39; GRAEBER führt in TLL 5/1, 101, 80-82 u.a. Belegen für diese Bedeutung bzw. für die Konnotation dieser Bedeutung die obengenannte Gelliusstelle an. Allerdings läßt sich m.E. hier dictare nicht eindeutig auf das (eigenhändige) Schreiben festlegen; an den anderen beiden Stellen in NA 4,1,2 und NA 4,11,14 hat dictare den iterativen Sinn _wiederholt sagen> bzw. _zu sagen pflegen> wie das häufiger verwendete dictitare. ௅ NORDEN hat die Zeugnisse aus der antiken und mittelalterlichen Latinität über die Bedeutungsentwicklung von dictare zusammengestellt und das Wort dictator bei Augustinus in der Schrift _Contra epistulam Parmeniani> (c. Parm. 2,3,7) zum ersten Mal als Synonym von scriptor ermittelt (NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 2, 954-959, bes. 957-958). In TLL 5/1, 1004, 7-10 wird dieser Gebrauch von dictator (TLL 5/1, 1004, 1-10: dictator i.q. auctor, scriptor) bei Augustinus noch weiter mit c. Cresc. 3,19,22 (audi ... dictator uel dictor illius sententiae quid connectat) belegt.

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19,7,3.4: notauimus).220 Dabei müssen die verwandten notae nicht unbedingt eine Kurzschrift darstellen, auch wenn mit notae in NA 17,9 die Chiffren der von Caesar in seinen Briefen gebrauchten Geheimschrift bezeichnet werden.221 Die _Noctes Atticae> sind also aus einem ungeordneten `ZettelkastenA von Notizen hervorgegangen, die von Gellius nach eigenem Bekunden zunächst beim Lesen oder Zuhören aufgezeichnet worden sind (praef. 3: ... in illis annotationibus pristinis, quas breuiter et indigeste et incondite auditionibus lectionibusque uariis feceramus). Aber auch für die spätere Ausarbeitung der commentarii bildet die Verbindung von lectio und scriptio das Fundament. Dies signalisiert Gellius schon in praef. 19, wo er die `ArbeitsstadienA222 seiner _Noctes> – lectitare, , scribere, commentari – aufzählt, um in einer indirekten captatio benevolentiae den gleichinteressierten und gleichbeschäftigten Leser für sich einzunehmen. Das Lesen und Ausschreiben von Büchern, die Gellius mit Sicherheit nicht alle vollständig, sondern zumeist nur in partieller Lektüre gelesen hat,223 offenbart Gellius in vielen commentarii explizit als Grund_____________ 220 Daß Plinius der Ältere unterwegs einen notarius bei sich hatte, wissen wir aus Plin. epist. 3,5,15. Auch der jüngere Plinius beschäftigte einen notarius: notarium uoco et die admisso quae formaueram dicto; abit rursusque reuocatur rursusque dimittitur (epist. 9,36,2). Die notarii, die spätestens zur Zeit Senecas als amtliche Protokollanten fungierten (vgl. Apocol. 9,2), verwendeten wohl die in der Kaiserzeit in Mode gekommene Stenographie (Sen. epist. 90,25; Quint. inst. 10,3,19-20). Zur Praxis und Verbreitung der Stenographie vgl. H. BOGE, Griechische Tachygraphie und Tironische Noten, Hildesheim / New York 1974; vgl. auch S. KOSTER, Der Stenograph des Ausonius (Auson. 146 p. 12 PEIPER); in: M. J. LOSSAU (Hrsg.), Ausonius, Darmstadt 1991 [= WdF 652], 402-420, hier bes. 404-408. 221 Caesar verwandte häufig Geheimschriften für militärische Zwecke, um seine Schreiben zu verschlüsseln (vgl. z.B. Caes. Gall. 5,48,2-9). Über die von ihm entwickelte Substitutionschiffre berichtet nicht nur Gellius in NA 17,9,1-5, sondern vor ihm schon Sueton (Iul. 56,6-7). Valerius Probus verfaßte sogar eine eigene Schrift de occulta litterarum significatione in epistularum C. Caesaris scriptura (NA 17,9,5). Diese Form der Substitution-Geheimschrift, in der jeder Buchstabe einfach durch den Buchstaben ersetzt wird, der drei Stellen weiter im Alphabet folgt, bezeichnen Kryptographen wegen ihres Erfinders auch als _Caesar-Verschiebung> bzw. kurz als _Caesar>. Vgl. SINGH, Geheime Botschaften, 25-26. 222 Wie man sich die einzelnen Phasen der schriftstellerischen Arbeit des Gellius an den _Noctes Atticae> vorzustellen hat, beschreibt ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 28-31. Die Arbeitsweise des Gellius ähnelt der von W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 162, S. 400 auch für Cato angenommenen `Praxis von vielbeschäftigten Rednern wie Cicero, in commentarii vor der Rede nur maxime necessaria et utique initia zu notieren und diese dann erst später für die Publikation auszuarbeiten.A Vgl. auch W. SUERBAUM, Cato Censorius und der Codex; in: Anstöße zum altsprachlichen Unterricht. Festschrift für H. SCHOBER, hrsg. v. F. MAIER, München 1993, 18-29. 223 SCHLAFFER, Der Umgang mit Literatur, 3 macht geltend, daß man B auch und gerade in modernen Zeiten B in einem sehr großen Umfang mit einer solchen selektiven Lektüre zu rechnen habe: `Die vollständige Lektüre eines Werkes ist die Ausnahme, nicht

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

lage seiner Ausführungen, wenn er Textstellen zitiert bzw. abschreibt: z.B. in NA 2,2,12-13 (Quid autem ... apud Claudium legerimus, non esse ab re uisum est, ut adscriberemus. Posuimus igitur uerba ipsa Quadrigarii ex _annali> eius sexto transscripta ...); in NA 3,3,3-4 (quam nuperrime legebamus, cui est nomen _Boeotia> ... et meminimus eos et ascripsimus); NA 3,16,22-23 (quod in Plinii Secundi libro septimo _naturalis historiae> legimus ... uerba ipsius Plinii posuimus). Nachdem auf die erste `ArbeitsphaseA schon NA 9,4,5 Bezug genommen hatte (libros ... emo eosque omnis duabus proximis noctibus cursim transeo; atque in legendo carpsi exinde quaedam et notaui ... eaque his commentariis aspersi ...), heißt es in bezug auf die weitere Ausarbeitung in NA 9,4,11-12. 14 (haec atque alia istiusmodi plura legimus; sed cum scriberemus, tenuit nos non idoneae scripturae taedium ... Verba igitur haec, quae infra posui, ipsius sunt ex libro sumpta ...). Auch in NA 10,3,8-9 (animum hercle meum, cum illa M. Ciceronis lego, imago quaedam et sonus uerborum et uocum et eiulationum circumplectitur; uelut sunt ista, quae de C. Verre dicit, quae nos, ut in praesens potuimus, quantum memoria subpeditabat, adscripsimus ...) und in NA 13,12,5 (cum hoc in ea Capitonis epistula legissemus, id ipsum postea in M. Varronis _rerum humanarum> uno et uicesimo libro enarratius scriptum inuenimus, uerbaque ipsa ... adscripsimus) wird der Entstehungsprozeß transparent gemacht. Daß die _Noctes Atticae> also der Verbindung von lectio und scriptio zu verdanken sind, hebt Gellius immer wieder hervor. Es handelt sich um dasselbe `schreibende LesenA, wie es HEINZ SCHLAFFER an Montaignes _Essais> beobachtet hat: `Diese flüchtige Art zu lesen (feuilleter) führt trotzdem zu bleibenden Resultaten: zu Anmerkungen in den durchblätterten Seiten (enregistrer) und zu neuen Texten (dicter), deren Originalität die Fülle an Zitaten keinen Abbruch tut. Anstreichungen und Unterstreichungen sind erste Eingriffe eines Lesers, der wie der Autor mit einem Schreibgerät versehen ist und daher selbst zum Autor werden kann, _____________ die Regel. Meistens begnügt sich der Leser mit einer partiellen Lektüre, die sich sogar auf den Titel des Buches oder den Namen des Autors beschränken kann. Vieles, wovon ein Leser (falls er noch so heißen darf) weiß und und worüber er spricht, kennt er aus zweiter Hand oder vom Hörensagen.A Vgl. auch ebd. 14: `Aus einigen Zeilen der Seiten, die man beim Durchblättern eines Buches liest, in der Buchhandlung oder vor dem Bücherregal von Freunden, entsteht ein Eindruck, sogar ein entschiedenes Urteil über das Ganze. Die Bücher selbst sind auf solche Teillektüren vorbereitet, indem sie durch Kapitelüberschriften, Inhaltsverzeichnis, Sach- und Personenregister das Auffinden einzelner Passagen erleichtern. ... Erst im 18. Jahrhundert entsteht das Pathos des autonomen Werks und seiner ungeteilten Rezeption; alle Formen der Parzellierung für rhetorische Operationen oder zum momentanen Genuß werden nun als Barbarei denunziert.A Die zuletzt beschriebene Entwicklung schlägt sich auch in der _quellenkritischen> Beurteilung der gellianischen Zitierpraxis nieder (s. dazu unten Kapitel 3.4.4, S. 117-162, bes. S. 117-124).

3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst

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indem er die markierte Stelle exzerpiert, zitiert, kommentiert und variiert.A224 Schon Plinius hatte in der programmatischen Praefatio seiner _Naturalis historia> selbstbewußt verkündet, daß sein Werk aus der Lektüre von über zweitausend Büchern von hundert ausgewählten Schriftstellern hervorgegangen sei, aus denen er zwanzigtausend Auszüge in sein Opus übernommen und um eigene Informationen ergänzt habe: Xࡄ Xࡄ rerum dignarum cura - quoniam, ut ait Domitius Piso, thesauros oportet esse, non libros- lectione uoluminum circiter Iࡄ Iࡄ , quoniam pauca admodum studiosi attingunt propter secretum materiae, ex exquisitis auctoribus centum inclusimus XXXVI uoluminibus, adiectis rebus plurimis, quas aut ignouerant priores aut postea inuenerat uita (praef. 17).225 Auch Plinius verschweigt seine Quellen nicht, sondern liefert im ersten Buch zu jedem der folgenden Bücher eine Liste der herangezogenen Autoren, die darin teils wie in einem Quellenregister in der Reihenfolge ihrer Benutzung erscheinen, teils wie in einem bloßen Literaturverzeichnis aufgezählt sind.226 Doch die undurchsichtige komplizierte und uneinheitliche Art und Weise, wie die Exzerpte in der plinianischen _Naturgeschichte> verarbeitet, aneinandergereiht und zu einer zusammenhängenden Darstellung miteinander verknüpft sind, unterscheidet sich erheblich von Gellius’ Verfahren, Bücher und Texte jeweils stellenweise explizit zu exzerpieren und zitieren. 3.4.4. Gedächtniskunst, Traditionsbildung und Zitat Aus dem beschriebenen engen Zusammenhang von scriptio und lectio in den _Noctes Atticae> resultiert die von CARL HOSIUS in seiner 1903 publizierten Textausgabe _A. Gellii Noctium Atticarum libri XX> B auf sage und schreibe 36 Seiten der Praefatio (XX-LVIII) B kapitelweise erfaßte und auch durch die Autoren- bzw. Stellen-Indices und die TestimonienApparate der Gellius-Editionen von HOSIUS und MARSHALL ausgewiesene Häufigkeit der Exzerpte und Zitate: In den 398 commentarii präsentiert _____________ 224 SCHLAFFER, Der Umgang mit Literatur, 15. 225 Vgl. BORST, Das Buch der Naturgeschichte, 23-24. 226 Zur Quellenbenutzung und -angabe in der _Naturalis historia> des Plinius und zu den Schwierigkeiten ihrer Analyse vgl. SALLMANN, Die Geographie des älteren Plinius, 2234 (_Vorstellungen von der Arbeits- und Zitierweise des Plinius>), hier bes. 26. 28 m. Anm. 13. 170-190 (_Die eigenen Aussagen des Plinius über seine Arbeits- und Zitierweise>); zum Problem der Auswertung der indices auctorum für die Quellenkritik vgl. ebd. 31 Anm. 28. 140 Anm. 43. Die Quellendiskussion zwischen _Einquellentheorie> und _Mosaiktheorie> wird im Hinblick auf das Gesamtwerk kurz resümiert bei SCHANZ / HOSIUS 2, 772-775.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

er Auszüge aus etwa 275 Autoren.227 `Gellius hat ... eine rechte Lust und Freude am Citieren, wie sowol ein Blick auf jede Seite seiner N.A. lehrt, als auch der Umstand dasz er seine Quelle lieber unbestimmt angeben als ganz verschweigen magA, konstatiert MERCKLIN,228 der in seiner in der Hochkonjunktur der Quellenkritik229 verfaßten Schrift _Die Citiermethode und Quellenbenutzung des A. Gellius in den Noctes Atticae> (1860) diese eingehend untersucht hat. Die von MERCKLIN angestoßene quellenkritische Debatte, die sich oft genug `from solid foundations to castles in the airA230 verstiegen hat und in ebenso heftigem wie unfruchtbarem Streit _____________ 227 Vgl. V. ALBRECHT, Geschichte der römischen Literatur, 1174. Etwas geringer setzt die Zahl HOSIUS in seiner Würdigung der literarhistorischen Bedeutung des Gellius an: `Wenn er gleichwohl einer der wichtigsten Schriftsteller dieser Zeit ist, so ist er das einmal als Muster der damaligen philologischen Arbeitsweise, der uns an sich und andern einen sehr lehrreichen Einblick in das Getriebe tun läßt, dann aber als Fundstätte von zahlreichen, durchweg getreu wiedergegebenen Zitaten aus etwa 250 Autoren, von denen manche sonst wenig bekannt sind, und als Übermittler so vieler wertvoller Züge und Dokumente aus dem politischen, literarischen und kulturellen Leben Griechenlands und RomsA (HOSIUS, A. Gellius, 995). Höher greift und in der Nähe der von HOSIUS in der Praefatio seiner Gellius-Edition angegebenen Zahl von 296 Quellen (Vol. 1, p. XVIII-LVIII) bleibt BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 116: `Die Zahl der von Aulus Gelllius zitierten Autoren kommt der Größenordnung von 300 sehr naheA. Bei Plinius ergibt sich aus den Angaben der Quellenregister des Autors eine Zahl von im ganzen weit über vierhundertfünfzig Autoren, die sich zusammensetzen aus etwa 146 römischen und 327 außerrömischen Autoren. Vgl. SCHANZ / HOSIUS, 2, 772. 228 MERCKLIN, Die Citiermethode, 640. 229 PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 148 Anm. 7 liefert eine kurze zusammenfassende Beschreibung der von HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2 , 72-74 ausführlicher resümierten Debatte: `Vor allem um Gellius’ Zitierpraxis und die Konsequenzen für die Zuweisung nicht namentlich gekennzeichneter Fragmente entbrannte eine heftige Kontroverse, die in den 1860er Jahren in einem öffentlichen Schlagabtausch zwischen LUDWIG MERCKLIN und JULIUS KRETZSCHMER kumulierte (vgl. DIRKSEN 1851; MERCKLIN 1857/1860; KRETZSCHMER 1860; MERCKLIN 1861; KRETZSCHMER 1862; MERCKLIN 1863 u. KRETZSCHMER 1863 sowie zu dieser Debatte ferner HOLFORD-STREVENS 1988, 52f.).A 230 So lautet der Untertitel über dem Abschnitt _Source-Criticism> bei HOLFORDSTREVENS, Aulus Gellius 2 , 72, der schon im Vorwort (IX. XI) mit der Quellenkritik des 19. Jh.s hart ins Gericht gegangen ist: ` ... when even in the surviving books much of what passes for source-criticism is mere waste paper, I have no interest, unlike Hosius, in applying those hit-one-miss-a-hundred procedures to the lost book 8 ... Nor indeed has the proportion of dross to gold been proved higher in their writings than in those of the nineneteenth-century Quellenforscher, whose concept of source is undefined ... and who failed to analyse their own acquisition of knowledge in all its complexities before applying a simplistic model to an ancient author.A Zur Verdächtigung der Quellenanalyse, in unkontrollierbare Spekulation abzugleiten, vgl. auch SALLMANN, Die Geographie des älteren Plinius, 1-2: ` _Quellenforschung> ist, zumal im nicht-deutschen Sprachbereich, zu einem Begriff, zu einem Fremdwort geworden.

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um letztlich unentscheidbare Fragen kulminierte, soll hier nicht weitere Beachtung finden. Denn da zahlreiche der von Gellius nach eigenen Angaben benutzten bzw. die meisten seiner vermuteten Quellen verloren sind, hat die Quellenanalyse kein sicheres Fundament, sondern muß weitgehend Spekulation bleiben.231 Soweit aber die zitierten Texte erhalten sind, läßt sich feststellen, daß Gellius beim Exzerpieren seine Quellen meist wortgenau zitiert: z.B. in NA 1,21,6 (Lucr. 4,223-224); in NA 7,16,2 (Catull. 92); in NA 1,22, 12-13 (Verg. georg. 3,10. 3,126-27); in NA 17,5,2 (Cic. Lael. 30); in NA 16,10,16 (Sall. Iug. 86,2); in NA 7,2,14 (Hom. Od. 1,32-34); in NA 10,22,3-23 (Plat. Gorg. 484 c 5 - 485 e 2).232 Dennoch finden sich auch bei ihm Abweichungen vom überlieferten Originaltext, sei es durch Gedächtnisfehler bei auswendigem Zitieren, sei es beim Exzerpieren durch Abschreibefehler oder Ausschreiben einer unzuverlässigen Textkopie.233 Zumeist zitiert er seine Quellen wortgenau in direkter Rede, wobei er seine Zitate einleitet, ankündigt bzw. markiert durch vielfältige Wendungen: uerba ... adposui (NA 16,7,14), uerba ipsius ... posuimus (NA 3,16,23; NA 17,13,5), (uersus / exempla ...) subdidi (NA 18,11,4; NA 19,11,3; NA 20,5,10), ex qua duo hos uersus exscripsimus (NA 3,3,8) oder ex annalium monumentis exscripta sunt (NA 6,19,5; vgl. NA 20,4,3: uerba haec ex Aristotelis libro exscripta), uerba sunt ipsa haec (NA 11,11,1), uerba ... haec sunt (NA 2,24,9; NA 5,19,16; NA 13,30,6) oder in eodem libro uerba haec sunt (NA 16,4,5) bzw. ex quo / eo libro uerba haec sunt (NA 11,2,2; NA 18,6,11), sic enim sunt, opinor, uerba legis (NA _____________ Leider hat es keinen guten Klang, und vorab die angelsächsische Philologie gebraucht es nicht ohne herablassenden Spott. ... Vielmehr ist es das Odium der Unwissenschaftlichkeit, ... welche die Quellenforschung in einen derartigen Mißkredit gebracht hat, daß sie heute als philologie-geschichtlicher Irrtum ad acta gelegt zu sein scheint.A 231 Zur generellen Problematik der Quellenanalyse und ihrer engen Verwobenheit mit der Interpretation vgl. SALLMANN, Die Geographie des älteren Plinius, 1-4. 232 Die weitgehende Übereinstimmung wörtlicher Zitate mit den uns überlieferten Texten räumt auch MERCKLIN, Die Citiermethode, 687 ein, bei aller Skepsis gegenüber den Angaben des Gellius, wenn er eine Reproduktion aus dem Gedächtnis behauptet. Freilich gibt es auch Ungenauigkeiten, Abweichungen und geringfügige Fehler beim Zitieren aus den Quellen; vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 78-80. – Bisweilen lassen sich die Differenzen auf die Benutzung anderer Handschriften als der den modernen Textausgaben zugrundegelegten zurückführen: z.B. in NA 17,20,3 ȴȫȲ’ ȫÁȽџ (Einfügung nur durch eine manus recentior in T der Platonüberlieferung von symp. 181 a 2); während der Zusatz in der Mehrheit der Platonhandschriften (wie auch in der Mehrheit der maßgeblichen Gellius-Handschriften) und dementsprechend in der modernen Platonausgabe fehlt (und bloß als Textergänzung in den Gelliuseditionen erscheint), hat Gellius ihn in seiner anschließenden Übersetzung der Stelle wiedergegeben mit ipsum ex sese (NA 17,20,9): vgl. dazu LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 167-168. 233 Vgl. ANDRIEU, Procédés de citation, 272. 277.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

20,1,45), dixit hisce uersibus (NA 7,2,14). Es wird aber auch in indirekter Rede zitiert bzw. paraphrasiert (z.B. NA 1,14,1-2; NA 2,10,1-4; NA 3,16,9; NA 3,16,12; NA 4,1,20-23; NA 6,19,8; NA 7,3,1; NA 12,11,2-6; NA 14,1,2-7. 11-12. 18-20. 23. 27. 31 im Wechsel mit direkter Rede in NA 14,1,8-10. 13-17. 21-22. 24-26. 28-30. 33. 36; NA 15,2,4-7; NA 16,11,4-8; NA 18,6,8-9; NA 20,5,7 u.v.a.).234 Auch wenn es bei Gellius bedingt durch diese unterschiedlichen Zitierweisen eine gewisse Bandbreite in der Zitiergenauigkeit gibt,235 gilt er doch mit Recht als derjenige, der `die Kultur des exakten ZitatesA236 literarisch etabliert hat. Daß Gellius selbst diese Genauigkeit ein primäres Anliegen ist, tritt dort besonders zutage, wo er die wortgenauen Zitate der mündlichen oder schriftlichen Diskussion der in Rede stehenden Textstellen nachträgt bzw. weitere Passagen im Wortlaut hinzufügt: z.B. in NA 1,3,26; NA 1,11,5. 16. 19; NA 2,2,13; NA 3,3,7-8; NA 6,3,49-50; NA 13,7,2; NA 13,12,5-6; NA 14,2,26; NA 16,3,6-9; NA 16,10,16; NA 18,7,8-9; NA 19,8,17-18. In NA 1,23,2-3 erklärt Gellius entschuldigend, daß er statt des Originalzitats aus Catos stilistisch reizvoller Rede _Contra Ser. Galbam ad milites> (orat. 53 frg. 172 ORF4 MALCOVATI = orat. 43 frg. 127 SBLENDORIO CUGUSI) nur eine eigene kunstlose Paraphrase der Anekdote über die Verschwiegenheit des Knaben Papirius Praetextatus liefern kann, weil ihm die Originalquelle bei der Anfertigung des commentarius nicht zur Hand gewesen sei.

_____________ 234 Diese ungenaue Zitierweise entspricht dem bis dahin herrschenden sehr freien Umgang mit den Zitaten, die zur Herstellung eines einheitlichen Stiles üblicherweise der eigenen Diktion des Autors angeglichen werden. So ist die oratio obliqua die geläufige Form, in der Verse in der griechischen Kunstprosa zitiert werden; vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 246-253, hier bes. 246: `Direkte Wiedergabe ȴȫȽq ȵɃȸȳv ist selbst bei ganz kurzen Dikta selten. Das Hineinverarbeiten in die eigene Darstellung wird mit der Ausbildung der Rhetorik und Kunstprosa immer mehr zur Regel.A B Nach Auffassung von MERCKLIN, Die Citiermethode, 686 ist aber bei Gellius der Gebrauch der indirekten Rede im Übergang zur oder Wechsel mit der direkten Rede häufig ein Indiz für eine unvollständig wiedergegebenes bzw. ein aus einer Mittelquelle übernommenes Zitat. 235 Vgl. ANDRIEU, Procédés de citation, 274. 276. Wenn es nicht um die Wiedergabe des Wortlauts, sondern nur um die Inhaltsangabe geht, gibt Gellius dies in vielen Fällen zu erkennen: vgl. MERCKLIN, Die Citiermethode, 684-686; dazu auch unten S. 138139. S. 149-150. 236 K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 408, S. 72. Vgl. ANDRIEU, Procédés de citation, 271. 274 nennt Gellius deshalb `le soigneux Aulu-Gelle A bzw. `conscient des exigences du travail scientifiqueA und charakterisiert ihn mit Diogenes Laertios und Athenaios zusammenfassend als `commentateurs ..., dont le métier est de citer, et qui preuvent mieux sentir que d’autres la nécessité d’ une citation exacteA.

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Nicht nur durch die wortgenaue Wiedergabe und Markierung, sondern auch durch die genaue Lokalisierung der Zitate in den Quellen237 ist Gellius eine Ausnahme in der antiken Literatur. Denn er weist seine Zitate meist namentlich den zitierten Autoren zu und gibt zudem in einer Vielzahl der Fälle auch die genauen Fundstellen an.238 Daraus allerdings die Gesetzmäßigkeit abzuleiten, daß er überall dort, wo er bloß den Namen des Autors nennt, ohne den Kontext näher zu bezeichnen, die angegebenen Quellen nicht selbst eingesehen hat, sondern nur aus indirekter Kenntnis zitiert, hat aber gerade bei dem Mangel an Systematik, den die _Noctes Atticae> überall erkennen lassen, keine Plausibilität.239 Wie oft _____________ 237 Zitate mit genauer Titel- bzw. Stellenangabe finden sich z.B. in NA 2,8,1 (Plutarchus secundo librorum, quos _de Homero> composuit ... dicit uerbaque ipsa Epicuri ponit); NA 3,16,22-24 (... quod in Plinii Secundi libro septimo _naturalis historiae> legimus); NA 4,16,8-9 (C. etiam Caesar ... in _Anticatone> ... inquit ... item _in Dolabellam actionis> I. lib.I ... in _libris> quoque _analogicis>); NA 9,14,14-15 (Cn. Matius in Iliadis XXI ... idem Matius in XXIII); NA 10,23,4 (Verba Marci Catonis adscripsi ex oratione, quae inscribitur _de dote>); NA 12,6,3 (... inueniet quid sit in M. Varronis _de sermone Latino ad Marcellum> libro secundo); NA 12,9,4-5 (Quintus autem Metellus Numidicus in oratione, quam _de triumpho suo> dixit, his uerbis usus est ...); NA 19,6,1 (In _problematis> Aristotelis philosophi ita scriptum est ...). Vgl. MERCKLIN, Die Citiermethode , 636637 nennt als Beispiele die genauen Stellenangaben der Zitate in NA 13,9,1 (Tiros _Miscellanea> bzw. _Pandektai>); NA 13,17,3 (erstes Buch von Varros _Antiquitates rerum humanarum‘); NA 1,18,1.3 (erster bzw. zweiter Teil des 14. Buches von Varros _Antiquitates rerum divinarum>); NA 3,16,7.20 (Hippokrates’ Schrift ąȯȺ¤ ȽȺoȿȻ) u.a. - Unter Vorbehalt zitiert Gellius in NA 10,21,2: uerbis ipsius Varronis ex libro _de lingua Latina ad Ciceronem> sexto demonstrandum putaui. 238 Es unterlaufen ihm jedoch auch Fehler in der Buchangabe, wie NORDEN nachgewiesen hat; vgl. NORDEN, Ennius und Vergilius, 66 Anm. 2: Falsche Buchzahlen werden von Gellius in NA 1,2,6 (primum statt secundum) und NA 4,20,11 (in septimo statt in septimo decimo) genannt. Vielleicht ist auch in NA 7,6,5 die Buchangabe falsch: dort steht secundo statt septimo Iliadis nach der Konjektur CARRIOs, die er im Hinblick auf Il. 7,291 bzw. 399 als Vorlage der zitierten Stelle aus der Iliasübersetzung des Cn. Matius (frg. 3 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF) vorgenommen hat; aber auch Il. 2,332 kommt als Vorlage des übersetzten Iliasverses in Betracht. Daneben hat NORDEN auch Abweichungen in einzelnen Handschriften festgestellt, z.B. in NA 1,16,3; NA 4,16,8; NA 6,15,2; NA 9,1,cap. `Daß in den Buchangaben B wie bei allen Zahlenangaben B zahlreiche Fehler zu finden sind, ist ganz selbstverständlichA, stellt generell fest G. PIEL, Die Zuverlässigkeit der Buchangaben in den Zitaten Priscians; in: Philologus 111 (1967) 283-288, hier 283. Nach seiner Untersuchung der Zahlenangaben bei den verschiedenen Autoren kommt er zu dem Ergebnis, daß die durchschnittliche Fehlerquote bei 10 % liegt (S. 288). ௅ Offenbar falsch ist die Zuweisung des Aristoteles-Zitates in NA 6,6,3: Die Stelle stammt nicht aus dessen (in NA 8,7 angeblich ausgiebiger exzerpierten) Schrift ȡȯȺ¤ ȶvɄȶȱȻ bzw. _De memoria et reminiscentia>, sondern aus der aristotelischen Abhandlung _De somno et vigilia> (De somn. 2, 455 a 78). 239 Dies ist die Hauptthese von MERCKLIN, Die Citiermethode, bes. 641. 643. 645, der damit bereits anknüpft an die Thesen der auf die juristischen Quellen spezialisierten Vorarbeit von H.E. DIRKSEN, Die Auszüge aus den Schriften der römischen Rechtsge-

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

Gellius tatsächlich die von ihm wirklich benutzten Quellen verschwiegen und vorgegeben hat, andere Originalquellen zu zitieren, wo er Mittelquellen, d.h. `Arbeiten der Gelehrten der ausgehenden republikanischen und ersten KaiserzeitA240 wie Suetons _Pratum> oder die _Naturalis historia> des älteren Plinius (vgl. NA praef. 8)241 gebraucht hat, ist eben aufgrund der lückenhaften Überlieferung nicht sicher zu eruieren.242 Auch die Sammelwerke seiner (älteren) Zeitgenossen, des Favorinus von Arelate (vgl. NA praef. 8),243 der Pamphila von Epidauros (zitiert in NA 15,17 und _____________

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lehrten in den Noctes Atticae des A. Gellius, Berlin 1851, 31-77 [= Philosophische u. historische Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin]. MERCKLIN setzt die Zahl der `indirecten ExcerpteA sehr hoch an, wobei ihre Herkunft `in der RegelA im dunkeln bleibt (Die Citiermethode, 641-647, hier bes. 645. 647). B Auch in der _Naturalis historia> ist zu beobachten, daß Plinius nicht nur `überdurchschnittlich viel namentlich zitiertA, sondern `vieles auch anonym als Exzerpt kennzeichnetA. Zu diesem Urteil kommt SALLMANN, Die Geographie des älteren Plinius, 31, der auch die Gründe für die unterschiedliche Zitierweise analysiert (ebd. 180190). Vgl. HOSIUS, A. Gellius, 996. Ganz offensichtlich stammen in NA 9,4 die angeblich verschiedenen bei einem Buchhändler in Brundisium gekauften Büchern (NA 9,4,1-5) entnommenen Exzerpte (NA 9,4,6-10) in Wirklichkeit aus dem mehrfach genannten (NA 9,4,7. 13. 16) und am Schluß des commentarius (NA 9,4,15-16) auch wörtlich ausgeschriebenen siebten Plinius-Buch (NA 9,4,6 vgl. Plin. NH 7, 9-12; NA 9,4,7-10 vgl. Plin NH 7,16. 2324. 26; NA 9,4,15 = Plin. NH 7,36; NA. 9,4,16 = Plin. NH 7,34); vgl. dazu MERCKLIN, Die Citiermethode, 641-43; STEMPLINGER, Das Plagiat, 183; JOCELYN, Studies in the Indirect Tradition, 66; ZETZEL, Latin Textual Criticism, 59; LINDERMANN, Kommentar, 120-149, bes. 140-141.149. Vgl. auch K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 408, S. 72: `Umstritten bleibt dabei, wieviel B sicherlich mehr als gern angenommen B Gellius davon einflußreichen Mittelquellen verdankt. Große Sammelwerke wie Varros Antiquitates, Verrius Flaccus, Plinius= Naturalis historia und Dubius Sermo, Probus= De inaequalitate sermonis, Masurius Sabinus= Iuris civilis libri dürfen als Hauptlieferanten der Materialien gelten; Suetons Pratum ..., worauf pr.8 ohne Namen des Verfassers anspielt, dürfte weitaus häufiger benutzt sein als die Zitate aus einzelnen Abschnitten (9,7,3; 15,4,4) erkennen lassen. Doch auch mit der Beiziehung älterer Originalliteratur ist im Einzelfall zu rechnen.A Vgl. auch K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 404, S. 41 zu Suetons _Pratum>. B Mit Recht bemerkt HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2 , 77, daß die Benutzung einer Mittelquelle (beim Zitieren) nicht unbedingt bedeutet, daß Gellius den Originaltext nicht kennt. So ist es eben durchaus möglich, daß derselbe Autor bzw. dasselbe Werk einmal direkt aus der Primärquelle (z.B. aus Ennius’ _De poetis> in NA 6,2,8), einmal aus indirekter Kenntnis zitiert wird (z.B. aus derselben Enniusschrift in NA 17,21,43 durch Varros Vermittlung). Daß Zurückhaltung geboten ist bei der Beantwortung der Frage, in welchem Ausmaß Gellius die Schriften ]ȒąoȶvȱȶovȯѠȶȫȽȫ und ȡȫvȽoȮȫąŽ ¬ȼȽoȺɅȫ des Favorinus herangezogen hat, betont HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 109. 115-118. Die insgesamt bedeutende Rolle des Favorinus in den _Noctes Atticae> haben untersucht ders., Aulus Gellius 2, 98-130; ASTARITA, La cultura nelle ‚Noctes Atticae>, 175-190;

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15,23), des Sotion (zitiert in NA 1,8; vgl. NA praef. 6)244 hat Gellius gekannt und wohl öfter als angegeben herangezogen. Ebenso geht Gellius vermutlich häufiger auf die zeitgenössischen Schriften seiner Lehrer, des Grammatikers C. Sulpicius Apollinaris (NA 13,18,3; NA 15,5,3) und des Philosophen Calvenos Tauros (NA 1,26,3; NA 7,14,5; NA 9,5; NA 12,5), zurück, wo die commentarii dialogisch als Diskussion oder als Vortrag inszeniert sind.245 Mit der Vorspiegelung eigener Lektüre von Werken, deren Kenntnis in Wirklichkeit aus anderen sekundären Quellen stammt, ist bei Gellius wie bei allen literarisch Ambitionierten zu rechnen, gehört die `vorgetäuschte LektüreA doch zu den `TaktikenA, mit denen zu allen Zeiten Bildung prätendiert wird. Die Benutzung von Büchern, die Literatur zur `partiellen LektüreA vorbereiten und vermitteln, verhilft dem Leser dazu, unter Umgehung der originalen Werke dennoch die `Reputation einer umfassenden BildungA zu gewinnen, `die das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden weißA, wie der Literaturwissenschaftler SCHLAFFER in seiner Untersuchung der neuzeitlichen Umgangsweisen mit Literatur feststellt.246 Trotz dieser Unwägbarkeiten wird Gellius wegen seiner außergewöhnlichen und unbestrittenen `ReferententreueA247 hochgeschätzt, vor allem deshalb, weil die Nachwelt ihm die Überlieferung zahlreicher sonst verlorener Fragmente, insbesondere von Autoren der archai_____________

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BEALL, Homo fandi dulcissimus, 87-106; PEZZATI, Gellio e la scuola di Favorino, 837860 (die Favorinus auch für eine wichtige schriftliche Quelle des Gellius hält; vgl. bes. 837. 840). S. auch S. 150-151. S. 160 m. Anm. 350. S. 264-265. Zu der verbreiteten offenbar ganz dem Zeitgeschmack entsprechenden Miszellanliteratur des 2. Jh.s n. Chr. vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 28-29. Vgl. dazu HOSIUS, A. Gellius, 995-996. 997; vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius: The Non-Visual Portraitist, 104. 112; MERCKLIN, Die Citiermethode, 676-677. Äußerste Skepsis gegenüber der Authentizität der Dialogszenen der _Noctes Atticae> hat TEUFFEL, Geschichte der römischen Literatur, 97: `So ist auch die dialogische Einkleidung wohl durchweg seine Erfindung nach dem Vorbild der ȼȾȶąoȼȳȫȴq ąȺoȬȵɄȶȫȽȫ.A Dieses Pauschalurteil ist nicht angemessen, vielmehr ist eine Differenzierung erforderlich: vgl. unten S. 174 m. Anm. 398. So SCHLAFFER, Der Umgang mit Literatur, 15; ebd. 3: `Auch vorgespiegelte Lektüren stellen eine wirkungsvolle Partizipation am literarischen Leben und damit an der Geschichte der Literatur dar, weil sie deren autoritative Geltung bekräftigen.A Die von MARTIN KLAUS verfaßte Besprechung des Beitrags SCHLAFFERs in der _Frankfurter Allgemeinen Zeitung> (1. März 2000; Nr. 51; Seite N5) steht unter dem bezeichnenden Titel: `Auch die Bücher, die man nicht gelesen hat, tragen zur literarischen Bildung bei - Der Leser im Labyrinth der Möglichkeiten.A Vgl. MERCKLIN, Die Citiermethode, 681-682; BICKEL, Geschichte der römischen Literatur, 210: `Gellius zeugt außer Sueton am meisten dafür, wie sehr das traditionelle Motiv des Zeitgeistes die Bewahrung wichtigen Gutes aus älterer Literatur in genauer wörtlicher Zitierweise begünstigt hat.A

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

schen Zeit, verdankt.248 Sowohl durch seine im großen und ganzen wortgenaue Reproduktion der zitierten Texte als auch durch die namentliche Zuschreibung und vielerorts genaue Lokalisierung der Zitate in den exerpierten Texten249 hebt sich Gellius weit ab von der bei den antiken Autoren üblicherweise an den Tag gelegten Nonchalance in der Quellenangabe und -wiedergabe.250 Das in der antiken ästhetischen und literarischen

_____________ 248 Vgl. Z.B. HOSIUS, A. Gellius, 995; K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 408, S.72. Nicht so überzeugt von der Quellentreue des Gellius zeigt sich BERNHARDY, Grundriß der Römischen Litteratur, 871-872, der aber trotz seiner Kritik am Sprachstil des Gellius anerkennt: `In der Hauptsache thut es dem Werth dieser Notizen keinen Eintrag, daß er einen nicht geringen Theil von zweiter Hand empfangen und aus geistesverwandten Sammlungen gezogen hat, seltener aus den Quellen schöpft, deshalb auch nicht immer wortgetreu berichtet. ... doch liegt sein eigentlicher Werth in den Gewährsmännern und ausgezogenen Stellen, namentlich in Bruchstücken aus Griechischen Philosophen und aus der Römischen Litteratur vor Augustus.A Vgl. auch den sonst äußerst gelliuskritischen TEUFFEL, Geschichte der römischen Literatur, 97: `Außerdem ist für uns seine Anhäufung von Mitteilungen aus verlorenen alten Werken von um so größerem Werte, weil der Verfasser mit seiner ängstlichen Gewissenhaftigkeit da, wo er die Quellen wirklich selbst gesehen hat, vollen Glauben verdient ... im ganzen ist seine Sorgfalt im Nachschlagen und Angeben der Quellen sehr achtbar und zeigt ihn als Fortsetzer guter Gelehrtentradition.A Ähnliche Wertschätzung findet sich bei HERTZ, Renaissance und Rococo, 36: `Zunächst seinen Kindern zu Nutz und Frommen geschrieben, ist dies Werk für alle Zeiten eine reiche Fundgrube des Wissens geworden ... die von Gellius benutzten Werke aber sind zum großen Theile untergegangen und seine Lesefrüchte bieten daher, so zerstückt sie immer sein mögen, vielfach werthvolle Aufschlüsse und immer neuen Reiz für die Forschung.“; SEEL, Quintilian oder Die Kunst des Redens und Schweigen, 221: `Gellius ... lieben wir alle, aber wahrlich nicht um seiner selbst willen, sondern als unschätzbar wertvolle Durchgangsstelle für Älteres und Besseres.A; BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 116: `Aulus Gellius konnte bei aller Verwirrung, die sein Werk anrichtete, und bei aller Kritik, die sein Werk als konfus, unoriginell und bar jeder intellektuellen Eigenleistung abtat, nie das Verdienst abgesprochen werden, uns in großer Zahl zumindest Bruchstücke von Literatur gerettet zu haben, die ohne ihn vollständig und rettungslos verloren gewesen wären. Man braucht nur einen Blick in die Fragmentsammlungen Varros oder der frühen römischen Geschichtsschreiber zu werfen, um zu sehen, was wir einer übereinstimmend als medioker bezeichneten Gestalt wie Aulus Gellius verdanken.A 249 Vgl. oben S. 120-121, bes. Anm. 237 u. 238. 250 Vgl. KROLL, Studien zum Verständnis der römischen Literatur, 289-290: `Damit hängt es zusammen, daß eigentlich nur in hypomnematischen, etwa in grammatischen und antiquarischen Werken genau zitiert wird, so daß die Pedanterie des Gellius eine B freilich dem modernen Forscher sehr erwünschte B Ausnahme bildet. Aus demselben Grunde kennt die antike Literatur keine Anmerkungen ... und wo sie zwar nicht der Form, aber der Sache nach vorkommen, wie in den stil- und dispositionslosen Schriften Philodems, wirken sie in der Tat sehr störend.A Vgl. auch NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 89-90.

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Theorie und Praxis vorherrschende Imitatio-Konzept251 implizierte eine Vorstellung von Originalität, die nicht der von der Romantik geprägten und erst von der Postmoderne dekonstruierten Idee der Einmaligkeit des Kunstwerkes und der Individualität und Autonomie des Künstlers entsprach, sondern zu einem freien schöpferischen Umgang mit dem Tradierten führte,252 in dem Rezipieren und Zitieren gewöhnlich ohne ausdrück_____________ 251 Zu diesem vieltraktierten Komplex seien aus der einschlägigen Literatur besonders hervorgehoben W. KROLL, Studien zum Verständnis römischen Literatur, Stuttgart 1924, 139-184 (_Originalität und Nachahmung>); A. REIFF, Interpretatio, imitatio, aemulatio. Begriff und Vorstellung literarischer Abhängigkeit bei den Römern, Phil. Diss. Köln 1959; A. CIZEK, Imitatio et tractatio. Die literarisch-rhetorischen Grundlagen der Nachahmung in Antike und Mittelalter, Tübingen 1994, bes. 13-20 (_Die imitatio-Lehre und ihr Geltungsbereich>); N. KAMINSKI, Imitatio (auctorum), 335-385, hier bes. 239-246 (Antike); J.H. PETERSEN, Mimesis, Imitatio, Nachahmung. Eine Geschichte der europäischen Poetik, München 2000, bes. 53-80 (_Mimesis und Imitatio in der römischen Antike>); C. ZINTZEN, Das Zusammenwirken von Rezeption und Originalität am Beispiel römischer Autoren; in: Zum Problem der Rezeption in den Geisteswissenschaften [= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Geistes- und Sozialwissenschaftliche Klasse; Jg. 1986, Nr.7], Stuttgart 1987, bes. 22-27. 252 Vgl. W. SCHMID, Originalität als Metamorphose des Übernommenen. Traditionsbindung und Spontaneität der römischen Literatur; in: Tradition und Gegenwart. Festschrift zur 125-Jahresfeier des Städt. Humboldt-Gymnasiums Düsseldorf, Düsseldorf 1963, 76-82; wieder in: ders., Ausgewählte philologische Schriften, hrsg. v. H. ERBSE / J. KÜPPERS, Berlin / New York 1984, 718-726, hier bes. 723-724: `Freilich ist diese Originalität nicht die von Originalgenies, die auf ihr Eigenrecht pochen und sich berechtigt und fähig zur _creatio ex nihilo> halten, sondern das Schöpfertum derer, die sich den großen Vorbildern immer wieder zum prüfenden Vergleich zu stellen bereit sind B eine Haltung, die schöpferisch ist, indem sie besser als andere _nachahmt>, die in der Selbstlosigkeit einer aus der Tradition lernenden Pflege der Form gerade zum Selbstsein hinzufinden weiß. ... Dieses für den Gesamtbereich der Literatur gültige Prinzip hat für den partiellen Zweig der Rhetorik seine klassische Formulierung durch Quintilian (ca. 35-95 n. Chr.) gefunden: _Wer zu diesem (dem von den Vorgängern Übernommenen) noch vortreffliche eigene Dinge hinzufügt, so daß er ergänzt, was noch fehlt, und beschneidet, was zuviel ist, der wird gewiß der vollendete Redner sein, nach dem wir Ausschau halten> [Übersetzung von Quint. inst. 10,2,28; Anm. der Verf.].A – Daß es aber auch schon in der Antike eine Vorstellung von Originalität gegeben hat, der folgend Erfindungen im praktischen oder sozialen Leben, die Einführung literarischer Neuerungen oder die Aufstellung philosophischer Lehrsätze ihren Urhebern zugeschrieben wurden, belegen die durchaus zahlreichen Schriften ąȯȺ ȯÁȺȱȶȪȽɂv von Herakleides Pontikos bis Skammon; vgl. dazu STEMPLINGER, Das Plagiat, 6-12. Auch der Anspruch auf geistiges Eigentum wurde bereits geltend gemacht, wie die teils in der Literatur selbst, sowohl bei den Komödiendichtern als auch bei den Philosophen und Grammatikern, erhobenen Plagiatsvorwürfe gegen Konkurrenten bezeugen, teils auch die späteren Zeugnisse in Scholien, Biographien und Lexika über solche Polemiken offenbaren; vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 12-27. In der lateinischen Literatur, insbesondere der augusteischen Zeit, ist ein stark reflektiertes Originalitätsbewußtsein Teil der, mit dem Begriff aemulatio nur unzureichend be-

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liche Bezugnahme und Kenntlichmachung erfolgte.253 Zudem erschwerten die äußeren Rezeptionsbedingungen häufig die Autopsie der Texte: Bei der meist nur geringen Zahl veröffentlichter Exemplare standen sie nicht jedem jederzeit zur Verfügung und selbst im Falle ihres Vorhandenseins war ein Aufsuchen und Einsehen bestimmter Textstellen durch die schwierige Handhabung der jeweiligen Buchrollen nicht ohne weiteres möglich.254 So bilden die allgemein üblichen materiell und ideell bedingten antiken Zitiergewohnheiten den Hintergrund für die Beurteilung der gellianischen Praxis. Zitate aus anderen literarischen Werken, auch und gerade aus der griechischen Literatur, finden sich von jeher in der lateini_____________ schriebenen, vielschichtigen Autoren-Imitatio; vgl. KAMINSKI, Imitatio (auctorum), 241-245, hier bes. 242-243. 253 Vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 177-185: Das Verschweigen der Quellen liegt einerseits darin begründet, daß man die Kenntnis der zitierten Texte beim Publikum voraussetzte, andererseits hängt es oft mit der antiken Konvention zusammen, Zeitgenossen nicht namentlich zu zitieren, es sei denn, daß sie kritisiert, korrigiert oder ergänzt werden. Genauere Quellenangaben finden sich seit Aristoteles, der in dieser Hinsicht bahnbrechend und beispielgebend gewesen ist, immer dort, wo die stilistische Ausarbeitung zurücksteht hinter den wissenschaftlichen, meist enzyklopädischen oder polyhistorischen Interessen, d.h. wo gesammelte Informationen unterschiedlicher Provenienz gebündelt präsentiert werden sollen. Vgl. auch ZIEGLER, Plagiat, 1963-1967, hier bes. 1965-1966: `Die Verfasser ebenso wie die Hörer legten in der Regel viel mehr Wert darauf, wie etwas gesagt wurde, als was gesagt wurde und woher es stammte, und wer einen übernommenen Stoff oder einen entlehnten Gedanken in eine neue glänzende Form gebracht hatte, der hatte das Recht, dies als originale Leistung zu betrachten, und war weit davon entfernt, sich als Plagiator zu fühlen, wenn er die Herkunft des Stoffes oder des Gedankens, den er in eine neue und bessere Form gekleidet hatte, nicht mitteilte. ... Des einfachen Abschreibens ohne Quellenangabe und ohne Umstilisierung haben sich im Altertum im ganzen genommen doch nicht sehr viele schuldig gemacht. Wo uns solches einfaches Ausschreiben entgegentritt, handelt es sich vorwiegend um Stoffsammlungen oder Lehrbücher über verschiedene Wissensgebiete, die, meist ohne den Anspruch eigener wissenschaftlicher oder schriftstellerischer Leistung, nur eben Wissensstoff vermitteln wollen ...A ௅ Daß trotz allem die Offenlegung der Quellen als Gebot erachtet wurde, läßt sich schließen aus der Apostrophe Ciceros an Ennius in Brut. 76: Nec uero tibi aliter uideri debet, qui a Naeuio uel sumpsisti multa, si fateris, uel, si negas, surripuisti. Dieselbe Mentalität spricht aus der Bemerkung des älteren Seneca über Ovid (suas. 3,7), dieser habe viel von Vergil übernommen, nicht um es ihm zu stehlen, sondern weil er dies vor aller Augen entlehnen wollte. Vgl. dazu ZINTZEN, Rezeption und Originalität, 25-26. 254 Vgl. ANDRIEU, Procédés de citation, 270; BIRT, Die Buchrolle in der Kunst, 124-125: `Das Aufsuchen einzelner Stellen im Text, das Feststellen von Zitaten war sehr erschwert und erst möglich, wenn man das Rouleau weit auseinandergerollt hielt, so daß mehrere oder viele Textspalten gleichzeitig sich überblicken ließen. Dies setzte aber ein Ausspannen der Arme voraus, das kaum jemand lange ertrug. Daher war für solche gelehrte Zwecke der Lesediener, der Anagnostes, nötig.A

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schen Literatur,255 die ja seit ihren Anfängen aus produktiver Rezeption entsteht und durch ihren referentiellen Charakter geprägt ist.256 Es gibt nicht nur unzählige Zitate innerhalb des weiten Spektrums intertextueller Bezüge von der wörtlichen Wiedergabe bis zur gedanklichen Anspielung, sondern auch eine Fülle explizit ausgewiesener Zitate257 in verschiedenen literarischen Gattungen und Formen: Sie begegnen in der überhaupt durch die Mischung heterogener sprachlicher Elemente charakterisierten Satura Menippea, wie sie die Satiren Varros,258 Senecas _Apocolocyntosis> und Petrons _Satyrica> repräsentieren, in den Briefen und den Philosophica Ciceros sowie in den der philosophischen Diatribe nahestehenden _Epistulae morales> und den philosophischen Schriften Senecas.259 _____________ 255 Dieses Phänomen beschreibt HERTZ, Opuscula Gelliana, 152-153: `Die römische Literatur ist von vorn herein viel weniger originelle Production als Nachbildung, Frucht also von Lectüre und einem mehr und mehr einen eigentlich gelehrten Charakter annehmenden Studium ... Früh verfiel der praktische Sinn der Römer auch auf systematisches Exzerpieren für stoffliche Belehrung wie für bequemeren Genuss durch Aushebung von Einzelheiten.A 256 Vgl.VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 14-15. Die römische Literatur aus der Perspektive der Rezeption beschreibt differenziert ZINTZEN, Rezeption und Originalität, 15-36. 257 Auf diese beschränkt auch angesichts der Unbegrenztheit des sonst heranzuziehenden Materials seine Untersuchung der Zitate und Zitiertechnik in Ciceros Philosophica SPAHLINGER: vgl. ders., Tulliana simplicitas, 28. 258 Vgl. ADAMIETZ, Senecas _Apocolocyntosis>, bes. 379; WOYTEK, Varro, 311-355, hier 348; FREUDENBURG, The Walking Muse, 182-183. Auch die Satiren des Lucilius waren schon durch die Einstreuung griechischer Wörter und Phrasen (als Fremdwörter, in transskribierter Form oder in griechischer Schrift) charakterisiert: z.B. Lucil. 181188 MARX = 182-189 KRENKEL; 303-304 M. = 302-303 K.; 338-347 M. = 376-385 K.; 462-463 M. = 464-465 K.; 485 M. = 499 K.; 497-498 M. = 496-497 K.; 540-546 M. = 541-547 K.; 581 M. = 583 K.; 650 M. = 607 K.; 828-829 M. = 816-817 K.; 1058 M. = 994 K.; 1155-1155 a M. = 1172-1173; 1321 M. = 1337 K.; u.v.a.m. Während der fictus interlocutor in seinem Einwurf in Hor. sat. 1,10,20-21 (at magnum fecit quod uerbis Graeca Latinis / miscuit) dieses Sprachmixtum als große Leistung des Lucilius wertet, übt der Sprecher der Horazsatire an der hybriden Sprache im folgenden heftige Stilkritik. 259 Während in den Briefen Ciceros die eingestreuten B häufig griechischen B Zitate Ausdruck des gebildeten und vertrauten Umgangs zwischen den Briefpartnern sind (vgl. ADAMS, Bilingualism and the Latin Language, 308-346; HUTCHINSON, Cicero=s Correspondence, 14-15; B. BALDWIN, Greek in Cicero=s Letters; in: A Class 35 [1992] 1-17; P. CUGUSI, Evoluzione e forme dell=epistolografia latina nella tarda reppubblica e nei primi due secoli dell=impero, Roma 1983, 83-91; MARROU, Geschichte der Erziehung, 477), entfalten die oft versförmigen Zitate in den Kunstbriefen Senecas (z.B. in epist. 28,1.3.9; epist. 49,7. 12) als der Diatribe entlehnte Stilelemente rhetorische Wirkung im Dienst der moralischen Didaxe. Dabei erscheinen die Zitate griechischer Dichter und Prosaautoren bei Seneca (der nur ausnahmsweise in dial. 3,20,8 [= de ira 1,20,8] den Homervers Il. 23,724 griechisch zitiert, sonst aber nur außerhalb der phi-

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Die Berufungen auf historische, literarische oder moralische Autoritäten werden als Beleg zur Unterstützung der eigenen Argumentation eingefügt; oder die Zitate in lateinischer wie griechischer Sprache dienen auch nur als rhetorisches Mittel der amplifizierenden Ausgestaltung; in den Satiren werden durch die eingestreuten Zitate besondere satirische, zumeist parodistische, Effekte erzielt. Von diesen literarisch integrierten Zitaten mit rhetorischer oder argumentativer Funktion sind die Zitate zu unterscheiden, die ihren festen Platz in der antiken Scholien- und Kommentarliteratur haben. Dort wurden sie als Parallelstellen zur Vergleichung angeführt und oft sogar mit Quellenangaben versehen.260 Neben den eingebetteten Zitaten hat es auch schon sehr früh bei den Römern Schriften gegeben, deren Anliegen die Wiedergabe und mehr oder weniger systematische Zusammenstellung von Exzerpten war und in denen sich die Zitate daher

_____________ losophischen Schriften in der _Apocolocyntosis> die Zitate in der Originalsprache bringt) immer in lateinischer Übersetzung. Vgl. zur senecanischen Zitierpraxis SETAIOLI, Seneca e i Greci, hier bes. 47-51. Auch in Ciceros Philosophica findet sich kein Zitat in griechischer Sprache; vgl. SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 27-28 m. Anm. 88; HUTCHINSON, Cicero=s Correspondence, 13 m. Anm. 19. Daß er lateinischgriechisches Sprachgemisch in seinen Schriften bewußt vermeidet, bekennt Cicero in Tusc. 1,15: dicam, si potero, Latine. Scis enim me Graece loqui in Latino sermone non plus solere quam in Graeco Latine. Vgl. auch Cic. off. 1,111; dazu unten S. 140 Anm. 299. 260 Vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 6-10. 27-31, der eine Beziehung zwischen der Zitierpraxis in der Kommentarliteratur und in der Florilegienliteratur annimmt, nachdem er eine Reihe von Beispielen aus den Sophoklesscholien (in denen er Verszitate aus Homer, Euripides, Simonides, Pindar, Alkaios, Epicharm, Hesiod und aus nachhomerischen Epikern aufgespürt hat) und aus den Pindarscholien präsentiert hat: `Diese Beispiele ließen sich aus den Homer-, Aristophanes-, Apollonios-, Aratos-, Kallimachosscholien mühelos vermehren und verdienten in der Tat einmal eine Zusammenfassung, die vielleicht zu überraschenden Ergebnissen hinsichtlich der Ähnlichkeit mit der Florilegienliteratur führen dürfte.A (7) Auch läßt STEMPLINGER keinen Zweifel daran, daß die Zitate in den lexikographischen und polyhistorischen Sammelwerken eines Pamphilos, Favorinus, Athenaios vielfach aus den Scholien übernommen waren (hier bes. 30). ௅ Zur unterschiedlichen Zitierpraxis in der juristischen Literatur vgl. D. LIEBS, HLL 4 (1997), ' 410, hier S. 85-86: `In manchen Gattungen wie Sammlungen von Responsen oder Regeln sind Zitate unüblich, ohne daß trotzdem auftauchende sofort Verdacht erregen müßten. Auch wo nicht zitiert wird, ist oft fremdes Gut benutzt, möglicherweise sogar wortwörtlich ausgeschrieben; das wurde im fachlichen Diskurs nicht als Plagiat mißbilligt. Sehr gewissenhaft zitierten Pomponius und Ulpian, aber auch Marcian, wohl alles gesellschaftliche Aufsteiger. Julian dagegen zitierte weniger und noch weniger Papinian. Andere beriefen sich ständig nur auf ihren Meister, wie Africanus auf Julian. Kaiserkonstitutionen wurden, sofern benutzt, anscheinend stets zitiert; spätere stützten sich auf diese Autorität mehr als frühere und die Provinzialen mehr als die hauptstädtischen Juristen.A

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ganz verselbständigt haben.261 Diese Exzerptsammlungen dienten vornehmlich didaktischen Zwecken und finden sich daher primär im schulischen Bereich.262 Aber auch darüber hinaus war die Exzerpierung und Epitomierung eine verbreitete Praxis,263 zunächst als Vorstufe der eigenen literarischen Produktion,264 dann aber auch als Mittel, mit dem weiteren Kreisen Zugang zu literarischen Werken verschafft werden sollte:265 Varro _____________ 261 Lakonisch hat CURTIUS, Zur Literarästhetik des Mittelalters, 440 festgestellt: `Römische Wissenschaft ist Sammlung von Lesefrüchten, und der römische Gelehrte ist durch alle Jahrhunderte, von Cato bis Gellius und Macrobius, ein gleichbleibender Typus.A 262 Für den Schulgebrauch hat es Anthologien schon zu Platons Zeiten gegeben, wie aus Plat. leg. 811 a 1-5 hervorgeht. Zu Lehrzwecken wurden mythographische Kompendien und Sammlungen von Gnomen, Apophthegmata, Chrien und (Dichter-)Zitaten angelegt und genutzt; vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 221-223. Auch über die Antike hinaus haben die mittelalterlichen Exzerptensammlungen, die Florilegien der Renaissance und die neuzeitlichen Kollektaneen der schulischen Unterweisung gedient. Vgl. JACOB / ROBLING, Exzerpt, 183-185. 263 Auch in der griechischen Literatur, insbesondere der kaiserzeitlichen, hat es solche (als Materialsammlungen angelegte oder auch literarisierte) Exzerptensammlungen und Epitomai gegeben: vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 218-221; BOMPAIRE, Lucien écrivain, 381 nennt exemplarisch `le goût de Plutarque et d’ Aristide pour ce genre de compilationsA. 264 Außer der oben schon beschriebenen Anfertigung von Exzerpten, die der ältere Plinius nach Aussage seines Neffen extensiv bei jeder Lektüre betrieben hat (epist. 3,5,10) und die nach eigener Aussage Grundlage seiner _Naturalis historia> war (praef. 17), ist auch von Cicero bezeugt, daß das Exzerpieren Ausgangspunkt seiner Schriftstellerei gewesen ist. Von dem Frühwerk _De inventione> sagt er: Quod quoniam nobis quoque uoluntatis accidit, ut artem dicendi perscriberemus, non unum aliquod proposuimus exemplum, cuius omnes partes, quocumque essent in genere, exprimendae nobis necessariae uiderentur, sed omnibus unum in locum coactis scriptoribus, quod quisque commodissime praecipere uidebatur, excerpsimus et ex uariis ingeniis excellentissima quaeque libauimus (inv. 2,4). B Exzerpieren im Zusammenhang mit der Herstellung literarischer Werke ist bis in die Neuzeit praktiziert worden, wie z.B. die umfangreichen _Exzerpthefte> Jean Pauls zeigen, die der Nachwelt das Material aufbewahrt haben, aus dem sich seine Schriften speisen, und die deshalb für das Verständnis seiner Texte von unschätzbarem Wert sind. Auch heute noch propagieren Anleitungen zur Abfassung wissenschaftlicher Arbeiten das Exzerpieren als grundlegende Technik. Vgl. JACOB / ROBLING, Exzerpt, 184. 265 Der von HERTZ, Opuscula Gelliana, 153 (im Gefolge von J. VAHLEN [Ed.], Ennianae poesis reliquiae, Leipzig 21928, Ndr. Amsterdam 1967, XXIX, der darauf hingewiesen hat, daß in einigen Codices der _Naturalis historia> des Plinius das erste Buch mit seinem Inhalts- und Quellenverzeichnis überschrieben ist historiarum mundi elenchorum librorum omnium XXXVII liber unus qui primus) vertretenen Ansicht, daß die von M. Pompilius Andronicus verfaßten verlorenen _elenchi annalium Ennii> den Inhalt der 18 Annalenbücher in der Art der _periochae Livii> zusammenfaßten, widerspricht entschieden H. DAHLMANN, M. Pompilius Andronicus; in: RE 21/2 (1952) 2323. Für unglaubhaft erklärt er auch die bei SCHANZ / HOSIUS 1, 579-80 geäußerte Vermu-

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selbst hat eine Epitome aus seinen _Imagines> sowie aus seinen _Antiquitates> und seinem sprachgeschichtlichen Werk _De lingua Latina> angefertigt, um sie einem größeren Publikum zuzuführen;266 Brutus hat (allerdings wohl mehr zum privaten Gebrauch) die historischen Schriften des Polybios, die _Annalen> des C. Fannius und des Coelius Antipater epitomiert.267 Die Zunahme der (nichtprivaten) Exzerptliteratur in der hohen Kaiserzeit erklärt EDUARD NORDEN damit, daß die Literatur `ins Greisenalter gekommen istA, dessen rückwärtsgewandtes Interesse sich nur noch darauf richtet, `das Beste, was die lange große Vergangenheit in frischer Jugend und in gereiftem Mannesalter erforscht hatte, zu sammeln und durch verständiges Exzerpieren den weit geringeren Bedürfnissen der Gegenwart anzupassen und der Zukunft zu übermitteln, die ihrerseits in demselben Sinne mit den aufgespeicherten Schätzen wirtschaftete, sie einem stetig wachsenden Verdünnungsprozeß unterwerfendA.268 Gegen diese abwertende Beurteilung der literarischen Entwicklung läßt sich die in der leserorientierten modernen Literaturwissenschaft aus der differenzierten Be_____________ tung, daß die durch Suet. gramm. 8,3 bezeugten _elenchi> der ennianischen Annalen `Untersuchungen über die Quellen und Entlehnungen und die Prüfung der historischen TatsachenA enthielten. Stattdessen deutet nach DAHLMANN der Titel _elenchus> im Sinne von castigatio darauf, daß Pompilius Andronicus darin die Annalen des Ennius einer kritischen Überprüfung in sprachlich-stilistischer, aber auch sachlicher Hinsicht unterzogen und Widerlegungen von errores vorgenommen habe. Wenn auch der Inhalt der Kritik nicht genau zu ermitteln ist , hat es sich jedoch auf jeden Fall um `a critical work of some sortA gehandelt: vgl. KASTER (Ed.), Suetonius: De grammaticis et rhetoribus, 124. 126, zu Suet. gramm. 8,1.3. B Zur Form der Epitome als Vehikel des Wissenstransfers vgl. H. A. GÄRTNER / U. EIGLER, Epitome; in: DNP 3 (1997) 11751178. Auch bei der Anlage von Anthologien dominieren die pragmatischen Interessen der Bewahrung, der Verbreitung und der schulischen Behandlung: vgl. J.P. SCHWINDT, Anthologie [2]; in: DNP 1 (1996) 737-738. 266 Vgl. SCHANZ / HOSIUS 1, 563. 572; H. DAHLMANN, M. Terentius Varro, 1229. 267 Das bezeugen Cic. Att. 12,5,3 (= 13,20,3 KASTEN), Cic. Att. 13,8 (= 13,17 KASTEN) und Plut. Brut. 4: Vgl. SCHANZ / HOSIUS 1, 200-201. 396. Cicero selbst hat Atticus veranlaßt, aus seinem neuen Werk _De gloria> eclogae anzufertigen bzw. xvȲȱ auszulesen, um sie einem wohlwollenden Zuhörerkreis (boni auditores) beim Gastmahl vor der Veröffentlichung vortragen zu lassen (Cic. Att. 16,2[4],5. 16,3[5],1). Zur Gewohnheit geworden ist das Exzerpieren dem älteren Plinius (Plin. epist. 3,5,10-11) und seinem ihm nacheifernden Neffen (Plin. epist. 16,20,5). Daß es sich um eine sehr verbreitete Praxis handelt, geht auch hervor aus einem Brief des Kaisers Marc Aurel an seinen Lehrer Fronto, in dem er diesen um Lesestoff bittet: Mitte mihi aliquid, quod tibi disertissimum uideatur, quod legam, ... etiam si qua Lucretii aut Ennii excerpta habes ȯ½ȿɂvџȽȫȽȫ, ȮȺȪ et sicubi •ȲoȾȻ ˆȶȿȪȼȯȳȻ (Antonin. 4,1,3 p.105,13. 16-17 v.d.H.2). 268 NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 344. Exzerpte und Kurzfassungen sind vor allem Produkte der Spätzeit in der griechischen wie in der lateinischen Literatur: vgl. ENGELS / HOFMANN, Literatur und Gesellschaft in der Spätantike, 65-66. B Zum topisch gewordenen `VergreisungsbewußtseinA vgl. auch oben S. 52-53 Anm. 11.

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obachtung der Rezeptionsbedingungen entwickelte Sicht geltend machen, die das Verdienst des Zitates darin erkennt, aus der Fülle der lesbaren, aber kaum je wirklich vollständig gelesenen Bücher `bereits eine bündige Vorauswahl des Bewahrenswerten getroffen zu habenA, das durch seine Einprägsamkeit `auch das fortschreitende Vergessen nach der Lektüre am besten übersteht.A269 Wer B mündlich oder schriftlich B zitiert, beteiligt sich an der Verbreitung der zitierten Literatur, d.h. an der Bildung einer literarischen Tradition. Dies wird insbesondere geleistet durch die `Florilegien, die zu Institutionen der partiellen Lektüre geworden sind: ein Repertoire für Gespräche, Reden und Schriftstücke. Seine Benützer umgehen die Lektüre der originalen Werke und gewinnen dennoch die Reputation einer umfassenden Bildung, die das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden weiß.A270 Bei der Verbreitung des Zitats in seinen verschiedenen Formen und Funktionen verwundert es nicht, daß es bereits in der lateinischen Literatur theoretische Reflexionen über das Zitieren gegeben hat.271 So unterscheidet der im Umgang mit Exzerpten erfahrene ältere Plinius in der Praefatio seiner _Naturalis historia> (praef. 22) die Methoden der Zitation im Rahmen seiner Kritik der von ihm exzerpierten Autoren, von denen gerade die Zuverlässigsten ihre Vorgänger ohne Quellenangaben wörtlich ausgeschrieben hätten, und setzt diesem furtum (praef. 23) Vergils und Ciceros lobenswerten Umgang mit ihren Vorlagen entgegen. Der erste habe Vergiliana uirtute seine Quellen nicht genannt, um mit ihnen in einen literarischen Wettstreit zu treten, der zweite habe sie Tulliana simplicitate in aller Aufrichtigkeit offengelegt.272 Trotz der antiken Vorläu_____________ 269 SCHLAFFER, Der Umgang mit Literatur, 14-15. Dort heißt es weiter: `Zitate sind kollektive Erinnerungen an markante Passagen, wobei es gleichgültig ist, ob der einzelne sie gelesen hat oder nicht.A 270 SCHLAFFER, Der Umgang mit Literatur, 15. 271 Für die griechische Literatur umreißt E. STEMPLINGER, Das Plagiat, 81-170 (unter Einbeziehung auch der lateinischen Literaturtheorie und der modernen Literaturkritik) den theoretischen Hintergrund des Plagiats, das im weiten Sinne als nicht ausgewiesenes Zitat ohne Quellenangabe zu definieren ist (_Rhetorisch-ästhetische Theorien über das Plagiat>). 272 Plin. NH praef. 22-23: scito enim conferentem auctores me deprehendisse a iuratissimis ex proximis ueteres transcriptos ad uerbum neque nominatos, non illa Vergiliana uirtute, ut certarent, non Tulliana simplicitate, qui _de re publica> Platonis se comitem profitetur, in _consolatione> filiae + ,Crantorem>* , inquit +sequor*, item Panaetium _de officiis>, quae uolumina ediscenda, non modo in manibus cotidie habenda, nosti. obnoxii profecto animi et infelicis ingenii est deprehendi in furto malle quam mutuum reddere, cum praesertim sors fiat ex usura. Diese Stelle bildet den Ausgangspunkt der kürzlich erschienenen mit der plinianischen Wendung Tulliana simplicitas betitelten Untersuchung SPAHLINGERs zu Form und Funktion des Zitats in den philosophischen Dialogen Ciceros. SPAHLINGER korrigiert dort gleich zu Beginn (9-10) den Irrtum, dem Plinius über die Offenlegung

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fer und einiger weiterführender Arbeiten273 gilt aber heute noch immer das von NORDEN formulierte Desiderat: `Eine Geschichte des Zitats im Altertum wäre dringend erwünscht.A274 Auch wenn das Fehlen entsprechender umfassender literarhistorischer Abhandlungen inzwischen häufiger beklagt worden ist,275 hat bisher meines Wissens noch niemand die Sisyphos-Arbeit einer diachronen Darstellung des äußerst komplexen und diversen Phänomens des Zitats im Bereich der Latinität in Angriff genommen. Wohl existieren Einzeluntersuchungen zur Zitation bei verschiedenen Autoren, in denen auch übergreifende Aspekte in den Blick kommen.276 Gerade die in den letzten Jahren entstandenen Monographien über die Vergilzitate in der frühchristlichen Literatur und bei Augustinus sowie eine Arbeit über die Zitate bei Cicero unternehmen eine theoretische Einordnung und Fundierung der Zitation.277 Die Grundlage _____________

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der Quellen Ciceros unterliegt, der nämlich in Wahrheit nur einen Teil seiner Quellen angibt, auf andere durchaus relevante Quellentexte aber nicht ausdrücklich verweist. Daraus resultiere die Notwendigkeit einer genaueren differenzierten Untersuchung der komplexen ciceronischen Quellenbenutzung. Hier sind besonders hervorzuheben die Studien von: E. STEMPLINGER, Das Plagiat in der griechischen Literatur, Leipzig / Berlin 1912 (vgl. oben Anm. 271); E. HOWIND, De ratione citandi in Ciceronis, Plutarchi, Senecae, Novi Testamenti scriptis obvia; Diss. Marburg 1921; H. HAGENDAHL, Methods of Citation in Post-classical Latin Prose; in: Eranos 45 (1947) 114-128. NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 90 Anm.1. Vgl. Z.B. HAGENDAHL, Methods of Citation, 118: `As for Latin literature, a systematic history of its methods of quotation has yet to be written. The scholar who feels inclined to engage himself in that interesting subject cannot complain of the absence of works dealing with imitation and sources ... he will find useful materials brought together in innumerable dissertations and papers. In spite of all that preparatory work, the main task however will remain for him: there is the difficulty of making an attempt at pointing out different proceedings and tendencies and tracing the developmentA; SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 14: `Bei all dem kann sich die vorliegende Untersuchung B auch von Cicero selbst abgesehen B kaum auf Vorarbeiten stützen, der Versuch einer Zitattheorie für die lateinische Literatur fehlt noch immer weitgehend ...A Z.B. H. HAGENDAHL, Methods of Citation in Post-Classical Prose, 1947 (zur Rezeption paganer in christlicher Literatur); J. ANDRIEU, Procédés de citation, 1948 (zu Platon und Cicero); P.J. ARMLEDER, Cicero’s Methods of Quoting; in: CB 36 (19591960) 20 und ders., Literary Quotations in Cicero’s Epistulae; in: CB 43 (1967) 8185; A. SETAIOLI, Seneca e i Greci. Citazioni e traduzioni nelle opere filosofiche, 1988 (zu Seneca). Weitere einschlägige Literatur zu den Zitaten bei Cicero ist verzeichnet bei SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 12 Anm. 14. Vgl. S. FREUND, Vergil im frühen Christentum. Untersuchungen zu Vergilzitaten bei Tertullian, Minucius Felix, Novatian, Cyprian und Arnobius, Paderborn / München / Wien / Zürich 2000 [= Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums; N.F. 1, 16], hier 19-28; G.A. MÜLLER, Formen und Funktionen der Vergilzitate und anspielungen bei Augustin von Hippo, Paderborn / München / Wien / Zürich 2003

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dafür liefert nicht mehr die Quellenkritik wie zu früheren Zeiten, sondern die Intertextualitätstheorie.278 Ihre in den neueren Philologien gewonnenen Ergebnisse zu Praxis und Theorie des Zitierens werden fruchtbar gemacht für die Erfassung und Auswertung der entsprechenden Befunde in der antiken Literatur.279 Dies geschieht angesichts der `irreduziblen PolyvalenzA280 des Intertextualitätsbegriffs, indem aus den verschiedenen, zum Teil sehr artifiziellen entwickelten Terminologien und Theorien281 eine Begrifflichkeit und Methode herausgefiltert wird, die tatsächlich auch neuen Aufschluß und Erkenntnisgewinn über die Zitation in den antiken Texte bringt. Dabei scheint mir das von LOTHAR SPAHLINGER für die Analyse der Cicero-Zitate gebrauchte begriffliche und methodische Instrumentarium auch tauglich und hinreichend für die Zitate der _Noctes Atticae>: In Beschränkung des Begriffs Zitat auf das wortgenau wiedergegebene Textsegment, das in seinem Kontext explizit als fremde übernom_____________

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[= Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums, N.F. 1,18], hier 19-32; L. SPAHLINGER, Tulliana simplicitas. Zu Form und Funktion des Zitats in den philosophischen Dialogen Ciceros, Göttingen 2005 [= Hypomnemata; 159], hier 9-30. Die breite Aufnahme und Anwendung der Intertextualitätstheorie insbesondere in der Erforschung der lateinischen Literatur beruht auf ihrer Grundsituation, der Bezogenheit der gesamten lateinischen Literatur auf die griechische. Vgl. TH.A. SCHMITZ, Moderne Literaturtheorie und antike Texte. Eine Einführung, Darmstadt 2002, 9799. Vorangegangen ist hierin mit zwei grundlegenden Studien H. BERTHOLD: Das `klassische ZitatA. Versus notissimi der Augusteischen Epoche; in: Klio 67 (1985) 302-314; ders., Dichtervers und Philosophenspruch. Konkurrenz und Zusammenspiel; in: Philologus 135 (1991) 184-190. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Arbeiten, die auf Grundlage von Fragestellungen und Terminologie der Intertextualitätstheorie lateinische Texte untersucht haben, z.B. J. BLÄNSDORF, Senecas Apocolocyntosis und die Intertextualitätstheorie; in: Poetica 18 (1986) 1-26; H. KRASSER, extremos pudeat rediisse - Plinius im Wettstreit mit der Vergangenheit. Zu Vergilzitaten beim jüngeren Plinius; in: A & A 39 (1993) 144-154; V. A. NAZARRO, Intertestualitá biblica e classica in testi cristiani antichi; in: B. AMATA, Culture e lingue classiche 3, Roma 1993, 489-514; P. SCHENK, Formen von Intertextualität im Briefkorpus des jüngeren Plinius; in: Philologus 143 (1999) 114-134. R. LACHMANN, Ebenen des Intertextualitätsbegriffs; in: K. STIERLE (Hrsg.), Das Gespräch, München 1984 [= Poetik und Hermeneutik 11], 133-138, hier 134; vgl. auch S. HOLTHUIS, Intertextualität,1: `Der Terminus _Intertextualität>, in den späten 60er Jahren von Julia Kristeva geprägt ... ist in der Folgezeit in einer Weise expandiert, daß es mittlerweile schwerfällt, sich seines begrifflichen Gehalts noch zu vergewissern. Er erfreut sich vor allem in der literaturtheoretischen Diskussion zunehmender Konjunktur, wenngleich er B wohl als einer der schillerndsten Begriffe zeitgenössischer Textforschung B diese zum Teil eher verunsichert als zur Klärung bestimmter Fragestellungen beiträgt.A Summarisch zusammengefaßt wird die allmählich ausufernde literaturtheoretische Intertextualitätsdiskussion, die hier nicht noch einmal aufgerollt werden soll, von SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 16-23.

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mene Rede ausgewiesen ist, zeigt er sich im Gebrauch spezifischer literaturtheoretischer Terminologie sehr sparsam: `Als Zitatkontext / Kontext des Zitats / neuer Kontext wird stets derjenige Text bezeichnet, in den das Zitat eingefügt ist, als Ursprungskontext / ursprünglicher bzw. originaler Kontext / alter Kontext derjenige, dem das Zitat entnommen ist. Der Terminus der (Zitat-)Markierung bezeichnet diejenigen Textsignale, die das Zitat als solches kenntlich machen.A282 Um außer dem Zitat im engeren Sinn auch andere Formen intertextueller Bezüge zu erfassen, bietet sich das von STEFAN FREUND für seine Untersuchung der Vergilrezeption zusammengestellte komplexe Kriterienraster an,283 das er auf Grundlage des Modells von MANFRED PFISTER zur _Skalierung von Intertextualität>284 entwickelt und mit JÖRG HELBIGs Konzept der _Markierung von Intertextualität>285 und HEINRICH F. PLETTs Differenzierung der Funktionstypen der Zitate286 kombiniert hat. Da diese Intertextualitätskonzepte wie alle modernen literaturtheoretischen Konstrukte zur Zitaterforschung allesamt im Hinblick auf fiktionale Literatur der Neuzeit entworfen wor_____________ 282 SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 29. Mit der Einengung des Zitatbegriffs schließt er sich an die prägnantere strukturalistische Begriffsbestimmung H.F. PLETTs an, der unter Abgrenzung von den verwandten Formen der Anspielung und der Paraphrase das Zitat als die wortgenaue Übernahme und Einschreibung eines fremden Textsegmentes in einen neuen Textzusammenhang definiert. Vgl. PLETT, Sprachliche Konstituenten einer intertextuellen Poetik, 81: Ein Zitat ist `ein aus einem Prätext abgeleitetes Sprachsegment, das in einem (Folge-) Text eingelassen ist, wo es ein proprie-Segment substituiertA; ders., The Poetics of Quotation, 315. 283 Vgl. FREUND, Vergil im frühen Christentum, 24-28. 284 Vgl. PFISTER, Konzepte der Intertextualität, 1-30, hier 25-30 _Skalierung der Intertextualität>: Mit sechs qualitativen Kriterien, die noch durch quantitative zu ergänzen sind, hat PFISTER ein Instrumentarium zur typologischen Differenzierung unterschiedlicher intertextueller Bezüge ausgegeben, auf das in der Intertextualitätsdebatte seitdem vielfach zurückgegriffen wird. Auch HELBIG, Intertextualität und Markierung, 60- 62, macht davon Gebrauch und faßt die Kriterien noch einmal schlagwortartig zusammen: `(1) _Referentialität>, d.h. der Nachdruck, mit dem ein Text auf einen Prätext verweist und diesen thematisiert; (2) _Kommunikativität>, d.h. der Bewußtheitsbzw. Bewußtwerdungsgrad einer Referenz bei Autor und Rezipient, der Grad der Intentionalität sowie die Deutlichkeit der Markierung des intertextuellen Bezugs; (3) _Autoreflexivität>, d.h. die Reflexion über und die Thematisierung von bewußten und markierten Prätextbezügen; (4) _Strukturaliät>, d.h. die syntagmatische Integration alludierter Texte in den aktuellen Text; (5) _Selektivität>, d.h. die Prägnanz der intertextuellen Verweisung; (6) _Dialogizität>, d.h. das semantische und ideologische Spannungsverhältnis von alludierendem und alludiertem Text.A 285 Vgl. J. HELBIG, Intertextualität und Markierung. Untersuchungen zur Systematik und Funktion der Signalisierung von Intertextualität, Heidelberg, 1996 [= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte; F.3, Bd.14]. 286 Vgl. PLETT, Poetics of Quotation, 73-79; ders., Intertextualities, 13-15.

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den sind,287 hat es sich bei der Analyse der antiken Zitationsverfahren jeweils als erforderlich und sinnvoll erwiesen, sie den besonderen Produktions- und Rezeptionsbedingungen der antiken Texte anzupassen. Für die Untersuchung der Zitierpraxis in den gellianischen _Noctes Atticae>, in deren disparilitas überwiegend nichtfiktionale commentarii mit sporadischen fiktionalen Elementen durchsetzt sind und die Grenzen zwischen fiktionalem Text und Sachtext verschwimmen, worin Zitate jeweils anders zu bewerten sind,288 läßt sich der Katalog der heuristischen Kriterien reduzieren auf die relevanten ௅ sich zum Teil überschneidenden ௅ Gesichtspunkte der intertextuellen Intensität, der Markierung und der Funktionaliät der Zitate. Unter dem ersten Aspekt werden die verschiedenen Abstufungen in der Deutlichkeit und der Genauigkeit des Zitats erfaßt, die in den _Noctes Atticae> von der gedanklichen Paraphrase bis zur wortwörtlichen (originalsprachlichen) Wiedergabe eines Textes reichten. Beispielhaft zeigt dies die Analyse der ersten Kapitel der _Noctes Atticae>: Im ersten commentarius NA 1,1 wird von Gellius eine Lesefrucht aus Plutarchs verlorener Schrift _Vita Herculis> (mor. frg. 7 SANDBACH) präsentiert, deren ausführlichere Darlegung von Pythagoras’ Berechnung der Größe des Herakles er zusammenfaßt. In den zweiten commentarius, der szenisch durch eine Unterhaltung während eines Landhausaufenthaltes bei Herodes Atticus umrahmt wird (NA 1,2,1-6. 13), ist zunächst eine lateinische Paraphrase einer Epiktet-Rede B unter syntaktisch integrierender Verwendung der griechischen Begrifflichkeit B aus den _Dissertationes> Arrians (NA 1,2,67) eingebettet, schließlich ein durch Epiktets griechische Ankündigung eingeleitetes wortgenaues Homerzitat (NA 1,2,8 = Hom. Od. 9,39) und die zuvor paraphrasierte Epiktet-Stelle im griechischen Original (NA 1,2,9-12 = Arr. 2,19,12-17) angefügt. Auch in NA 1,3 wird das Referat einer in der (nicht namentlich einem Autor zugeschriebenen, sondern nur allgemein mit libri eorum, qui uitas resque gestas clarorum hominum memoriae mandauerunt angegebenen) Memorabilienliteratur vorgefundenen _____________ 287 Auch die philosophischen Schriften Ciceros entziehen sich der eindeutigen Subsumierung unter die fiktionale bzw. nicht-fiktionale Literatur. Dies hat SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 23 im Hinblick auf die Zitatuntersuchung problematisiert. 288 Vgl. HOLTHUIS, Intertextualität, 158-160 über die _Funktionen des Zitats in wissenschaftlichen Texten> (denen die nichtfiktionalen Partien der gellianischen commentarii sehr nahestehen), hier bes. 159: `Die _intertextuelle Semantik> des Zitats wird im Funktionsrahmen wissenschaftlicher Zitate außer Acht gelassen, die für das poetische Zitat charakteristische _pars pro toto>-Relation ... und das damit in Zusammenhang stehende besondere intertextuelle Potential gilt offensichtlich nicht für den Bereich wissenschaftlicher Intertextualität ... Im allgemeinen ist die Aktivierung zusätzlicher Informationen aus dem Referenztext zumindest nicht vorgesehen und für das Verstehen des wissenschaftlichen Textes nicht notwendig.A

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Anekdote über Chilon (NA 1,3,1-7) verknüpft mit weiteren intertextuellen Bezügen auf die in anderen philosophischen Schriften diskutierte und hier wörtlich zitierte quaestio (NA 1,3,9) ȯ¬ Ȯȯ¥ ȬoȱȲȯ¥v ȽÊ ȿɅȵÇ ąȫȺq Ƚ° ȮɅȴȫȳov ȴȫ¤ ȶɃɀȺȳ ąџȼoȾ ȴȫ¤ ąo¥ȫ (`ob man dem Freund helfen müsse auch wider das Recht, und bis zu welchem Grad und in welchem FallA). In der Erörterung dieses Themas rekurriert Gellius auf die einschlägigen Passagen in Theophrasts bzw. Ciceros Schriften über die Freundschaft (NA 1,3,10). Er vermißt aber in Ciceros Ausführungen im _Laelius sive de amicitia>, die er größtenteils kommentiert und paraphrasiert (NA 1,3,1026), in einem kleineren Teil zum Beweis wörtlich zitiert (NA 1,3,13 = Cic. Lael. 61; NA 1,3,19 = Cic. Lael. 36), eine Behandlung dieser Frage. Zwar gibt ein Apophthegma des Perikles, das ohne Quellenangabe zitiert wird, eine kurze Antwort (NA 1,3,20: ȕȯ¥ ȶ‡v ȼȾȶąȺȪȽȽȯȳv Ƚo¥Ȼ ȿɅȵoȳȻ, wȵȵq ȶɃɀȺȳ ȽÆv ȲȯÆv [`Man muß den Freunden beistehen, aber nur soweit es die Götter erlaubenA]), aber selbst bei dem ausführlicheren Theophrast findet Gellius keine präzisen Anweisungen für den Einzelfall. Die stattdessen dort vorgefundenen allgemeinen Überlegungen werden in einer paraphrasierenden Zusammenfassung (NA 1,3,21-22) und interpretierenden Übersetzung vorgeführt (NA 1,3,23-25) und auch ein Stück des griechischen Originaltextes hinzugefügt (NA 1,3,26). Vor der Begründung der Zurückhaltung Theophrasts (NA 1,3,28-29), die er wiederum halb übersetzt, halb kommentiert, schiebt Gellius eine wörtlich wiedergegebebene Bemerkung Favorins mit demselben Tenor ein (NA 1,3,27): Die erforderliche Berücksichtigung der jeweiligen Umstände, die ein bestimmtes Verhalten im Falle eines Konfliktes zwischen Freundespflichten und staatsbürgerlichen bzw. moralischen Pflichten rechtfertigen, entzieht sich eben einer allgemeinen Regelung. Zwei weitere Apophthegmen Chilons über die Ambivalenz der Gefühle, die nicht unmittelbar mit dem zuvor behandelten speziellen Thema in Zusammenhang stehen, beschließen als eine Art Anhang die disputatiuncula. Das erste Chilon-Diktum in lateinischer Sprache wird zwar von Gellius nicht mit konkreter Quellenangabe versehen, ist aber vielleicht durch das indirekt und kürzer gefaßte und anschließend abgelehnte praeceptum in Cic. Lael. 59 (qui dixisset ita amare oportere, ut si aliquando esset osurus) angeregt. Das zweite Chilon-Diktum ganz am Schluß dagegen wird von Gellius ausdrücklich und wörtlich aus Plutarchs Schrift _De anima> zitiert. Auf diese Weise verbindet NA 1,3 nicht nur recht disparate Elemente in einer sprunghaften Gedankenführung, wodurch die früher vorgeschlagene Rückführung dieses ganzen Artikels auf eine einzige Quelle nicht gerade plausibel erscheint,289 sondern variiert _____________ 289 Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 284-285. Das Kapitel gibt damit auch Aufschluß über die Kompositionstechnik bzw. Arbeitsweise des Gellius: es werden hierin offen-

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auch bei den verschiedenen Exzerpten in der Deutlichkeit der intertextuellen Beziehungen.290 Damit bildet der commentarius die vielfältigen Zitationstechniken der gesamten _Noctes Atticae> in nuce ab. An den drei hier exemplarisch analysierten Kapiteln wird schon ersichtlich, daß überwiegend ganze Sätze, kürzere Passagen und auch längere Partien ohne syntaktische Veränderungen übernommen werden und nur in seltenen Fällen die kürzeren Zitate in den aktuellen Text syntaktisch integriert werden (NA 1,2,7),291 wodurch sich eine hohe `ReferentialitätA und Genauigkeit ergibt. _____________ sichtlich mehrere unter dem Stichwort Chilon in einer Notizensammlung aus verschiedenenen Quellen zusammengetragene Nachrichten miteinander verbunden. B Nicht berücksichtigt scheint von Gellius die allgemeine Behandlung des zugrundeliegenden Dilemmas durch Cicero in off. 3,43-46. 290 Im gesamten Werk der NA werden, wie schon MERCKLIN (Die Citiermethode, 699) feststellte, wörtliche Zitate und Inhaltsreferate `nicht streng geschieden, weder nach den Abschnitten noch nach den Gegenständen, sondern stehen in demselben Abschnitte über verschiedene Gegenstände, wie auch über denselben dicht beisammen. Beispiele für die Verbindung von Inhaltsangabe und wörtlichem Text, wobei bald der eine bald die andere vorausgeht, sind I 3,25 u. 26. XIII 7,1 u. 22. XIV 2,21 u. 26. XV 1,6 u. 7. XVI 3,3. 4 u. 7. 8 .9 u.10. XVI 10,14 u. 16.A 291 Schon ANDRIEU, Procédés de citation, 268. 273-277 hat eine Differenzierung der Zitierverfahren nach dem Grad der syntaktischen Integration des Zitates in den neuen Kontext vorgenommen, indem er zwischen der syntaktisch angepaßten _insertion> (von zumeist kürzeren Wendungen bzw. Textstellen) und der _juxtaposition> (von wörtlich unverändert aus dem usprünglichen in den neuen Kontext versetzten Textstellen bzw. -passagen) unterschied. Als ein Beispiel für die _insertion> nennt er (ebd. 273) den Verweis auf das in dem zuvor zitierten Vers Verg. georg. 3,4-5 (quis aut Eurysthea durum / aut inlaudati nescit Busiridis aras) vorkommende Wort inlaudati in NA 2,6,9: De _inlaudato> autem duo uidentur responderi posse. Bei der Angabe von Werktiteln bevorzugt Gellius die dem `modernenA Zitierverfahren entsprechende _juxtaposition> vor der flektierten Form der _insertion>; vgl. ANDRIEU, Procédés de citation, 284285. 289. ௅ Mit dem Kriterium der syntaktischen Veränderung hat ANDRIEU die beim Zitat zu beobachtenden Transformationsarten vorweggenommen, die in der von PLETT (freilich anhand der neuzeitlichen englischen Literatur konzipierten) `intertextuellen PoetikA als grammatische Aspekte beschrieben werden: `Es handelt sich hierbei um die bereits von der klassischen Rhetorik her bekannte Transformationstetras von Addition, Subtraktion, Substitution und Permutation sowie um die Repetition. Sie ermöglichen die Erweiterung, Tilgung, Ersetzung, Umstellung und Wiederholung von Teilen des PrätextsegmentsA (vgl. PLETT, Sprachliche Konstituenten einer intertextuellen Poetik, 81-88, hier 82-83; ders., The Poetics of Quotation, 315-316). B Die Berücksichtigung der Länge eines Zitats berührt eines der Intertextualitätskriterien PFISTERs (vgl. oben S. 134 Anm. 284; hier PFISTER, Konzepte der Intertextualität, 28): `Das vierte Kriterium der Strukturalität betrifft die syntagmatische Integration der Prätexte in den Text. Nach diesem Kriterium ergibt das bloß punktuelle und beiläufige Anzitieren von Prätexten einen nur geringen Intensitätsgrad der Intertextualität, während wir uns in dem Maße dem Zentrum maximaler Intensität nähern, in dem ein Prätext zur strukturellen Folie eines ganzen Textes wird.A

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Auch bei der Markierung der Zitate292 zeigen sich die _Noctes Atticae> vielgestaltig. Da in der antiken lateinischen Schrift keine festen graphemischen Signale existieren, mit denen Zitate angezeigt werden, sind die primären Indizien für die Einschreibung eines Textes entsprechende Verweise auf das Vortragen, das laute oder stille Lesen bzw. Exzerpieren (z.B. NA 1,2,7: lecta igitur sunt ex libro, qui prolatus est, ea, quae addidi; NA 1,2,13: his ille auditis insolentissimus adulescens obticuit; NA 1,15,17: Fauorinum ego audiui dicere uersus istos; NA 3,18,9: uersum quoque Laberii ... notari iussimus, quem legimus in mimo, qui _Stricturae> inscriptus est) oder aber direkte Ankündigungen des Zitierens von Textstellen293 (NA 1,3,9: in libris eorum scriptum est ... ut uerbis, quae scripta sunt, ipsis utar; NA 1,3,13: ea uerba Ciceronis, si recensere quis uellet, apposui; NA 1,15,4: Homerica, de quibus supra dixi, haec sunt; NA 1,15,7: item in libro _de oratore> primo uerba haec posuit; NA 3,16,20: Hippocrates ... hisce ad postremum uerbis usus est; NA 3,19,2: in quo ita scriptum fuit. Oft wird das Zitat auch einfach mit inquit markiert, z.B. in NA 1,25,1: _indutiae sunt> inquit _pax castrensis paucorum dierum>, in NA 3,13,2: _atque is> inquit _Demosthenes domo egressus...> und noch einmal in der Wiedergabe derselben Anekdote in NA 3,13,5: _... uenit> inquit _atque audit ...‘). Der Grad der Genauigkeit, wenn es nur um sinngemäße, nicht wortgenaue Wiedergabe geht, wird häufig auch schon mitsignalisiert294 (z.B. NA 1,3,22: generibus rerum summatim uniuersimque utitur ad hunc ferme modum; NA 2,12,1: legem esse Aristoteles refert scriptam ad hanc sententiam; NA 2,23,14: cuius loci haec ferme sententia; NA 7,2,6: sed omnium fere, quae super ea re scripsit, huiuscemodi sententia est; NA 7,2,11: huius deinde fere rei exemplo non hercle nimis alieno neque inlepido utitur; NA 7,2,12: infert deinde uerba haec _____________ 292 SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 205-217 (_Zum Problem der `MarkierungA von Zitaten>) resümiert die aktuelle Forschungssituation in diesem Bereich der Intertextualitätstheorie und problematisiert die Übertragung ihrer Beschreibungsmodelle auf die antike Literatur, deren andere Publikations- und Rezeptionsbedingungen auch andere Formen der Markierung mit sich bringen (z.B. Textrhythmik; Anspielungen auf exempla). B Daß hier dennoch die fast ausschließlich auf Grundlage der Literatur des 18. bis 20. Jh.s entwickelten intertextuellen Markierungs-Systeme zur Geltung kommen, hängt damit zusammen, daß die Zitate der _Noctes Atticae> quasiwissenschaftliche Zitate sind. Denn die Intertextualitätsforschung hat sich in letzter Zeit zunehmend auch der Untersuchung der wissenschaftlichen Texte und ihrer intertextuellen Referenzen zugewandt: HOLTHUIS, Intertextualität, 155-179 (_Exkurs: Zum Status intertextueller Relationen in fachwissenschaftlichen Texten>), hier bes. 158160. 293 Weniger häufig wird das Ende eines Zitats markiert wie z.B. in NA 1,18,3: haec Varro in primore libro scripsit ...; NA 9,1,7: ad hanc ferme sententiam Iulianus super istis Q. Claudii uerbis nobiscum sermocinatus est. 294 Vgl. MERCKLIN, Die Citiermethode, 684-686.

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his, quae dixi, congruentia; NA 7,13,4: quale hoc ferme est subtilitatis ludicrae, quod dicam; NA 9,1,7: ad hanc ferme sententiam Iulianus super istis; NA 10,1,7: Tiro Tullius, Ciceronis libertus, in epistula quadam enarratius scripsit ad hunc ferme modum; NA 12,13,6: disseruit ... in hunc ferme modum). Dieser Phrasen bedient sich Gellius insbesondere dort, wo er eine Übersetzung liefert. So leitet er seine lateinische Übersetzung von Philipps (angeblichem) Brief an Aristoteles in NA 9,3,5 mit den Worten ein: ea epistula ... exponenda est igitur ad hanc ferme sententiam; in NA 9,3,6 läßt er das griechische Original folgen nach dem Hinweis: ipsius autem Philippi uerba haec sunt. Genauso wird in NA 7,2,1 (fatum ... ad hanc ferme sententiam Chrysippus ... definit) die Übersetzung von Chrysipps Definition des stoischen Fatum- bzw. ȯ¬ȶȫȺȶɃvȱ-Begriffs dem Zitat des griechischen Originals in NA 7,2,3 vorausgeschickt (vgl. frg. 1000 p. 2,293,22-32 SVF ARNIM). Auch bei Texten, die er nach eigenem Bekunden aus dem Gedächtnis zitiert, weist Gellius oft auf die nur ungefähre Genauigkeit des Wortlautes hin: z.B. in NA 6,16,4 (genera autem nominaque edulium ... haec sunt ferme, quantum nobis memoriae est); NA 10,15,2 (unde haec ferme sunt, quae commeminimus); NA 14,1,2 (capita autem locorum argumentorumque, quibus usus est, quod eius meminisse potui, egressus ibi ex auditione, eaque fuerunt ad hanc ferme sententiam); NA 17,10,9 (carmen Pindari, quod est super monte Aetna, quantulum est mihi memoriae, dicam). Aber nicht nur diese expliziten Zusätze,295 sondern auch andere Signale markieren die Zitate. Besonders häufig und auffällig zeigt in den _Noctes Atticae> der Sprachwechsel vom Lateinischen ins Griechische ein Zitat an.296 Die große Zahl der in den lateinischen Text eingeschriebenen griechischen Textstellen verleiht den _Noctes Atticae> einen eigentümlichen Charakter, in dem die disparilitas an der sprachlichen Oberfläche sichtbar wird. Zwar hat es griechische Zitate in der lateinischen Literatur auch vorher gegeben,297 aber nie zuvor sind sie in dieser Dichte und Fülle in einem Werk mit Anspruch _____________ 295 Vgl. PLETT, Sprachliche Konstituenten einer intertextuellen Poetik, 85. Von der `VollstufeA der explizit markierten Intertextualität spricht HELBIG, Intertextualität und Markierung, 111-112. 296 Wenn in einen fortlaufenden Text ein fremdsprachliches Zitat eingeschrieben ist, kommt es laut PLETT, Sprachliche Konstituenten einer intertextuellen Poetik, 85 zu einer `interlingualen InterferenzA. 297 Das Einflechten griechischer Phrasen in den lateinischen Text, wie es von Valerius Cato in der Lucilius-Nachfolge ausgiebig praktiziert wurde, kritisiert Horaz in sat. 1,10,20-35: vgl. Q. Horatius Flaccus, Zweiter Teil: Satiren, erklärt v. A. KIESSLING, erneuert v. R. HEINZE, 11. Aufl., Zürich 1977, XXV; FREUDENBURG, The Walking Muse, 166-167. 182-183. Die Sprachmischung ist ein Charakteristikum der menippeischen Satire ebenso wie ein Zug der neoterischen Dichtung; auf die Spitze getrieben wurde diese hybride Sprache in einigen Werken der _Appendix Vergiliana>, wie z.B. in der _Lydia>.

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auf literarische Geltung aufgetreten. Griechischsprachige Zitate begegnen B außerhalb der Kommentarliteratur B in bestimmten Textsorten: Cicero zitiert häufig auf griechisch in seinen im vertrauten Gesprächsstil verfaßten Briefen,298 jedoch nicht in seinen philosophischen Schriften,299 Plinius vereinzelt,300 Seneca indessen nie in seinen Briefen, dagegen viel in der menippeischen Satire der _Apocolocyntosis>.301 Während Tacitus griechi_____________ 298 Er verwendet darin nicht nur griechische Zitate (z.B. Att. 7,1,2. 4. 8; 7,6,2; 7,11,1. 3; 7,13,4; 8,5[6],1), sondern wechselt überhaupt gern in die griechische Sprache, z.B. in Att. 2,9,4; 2,12[10],1-4; 7,9,2. In Att. 6,4,3 und Att. 6,5,1-2 benutzt er sie zur Tarnung, um sich vor unerwünschten Mitlesern seines Schreibens zu schützen. Zwar ist meist der graekophile Freund Atticus der Adressat dieser `griechischreichenA Briefe, aber auch der an Caesar gerichtete kurze Brief fam. 13,15 ist gespickt mit Zitaten aus Homer (4) und Euripides (1).Vgl. R.B. STEELE, The Greek in Cicero’s Epistles; in: AJPh 21 (1900) 387-410; H. J. ROSE, The Greek of Cicero; in: JHS 41 (1921) 91116; HUTCHINSON, Cicero=s Correspondence, 170 m. Anm. 46; SWAIN, Bilingualism in Cicero ?, 146-162, bes. 149 (Übersicht über die Verteilung der `Code-SwitchesA auf Ciceros Briefbücher). Dabei hängt der Gebrauch der griechischen Sprache sowohl mit dem Thema als auch mit dem Empfänger des Briefes zusammen. Er ist zugleich Ausdruck der Intimität zwischen den Briefpartnern und ihres Bildungsbewußtseins: vgl. KAIMIO, The Romans and the Greek Language, 310-311. In dieser Praxis, `griechische Brocken in seine lateinischen BriefeA einzuflechten, folgt Fronto offenbar dem Vorbild der ciceronischen Briefe: vgl. NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 363 Anm. 3. B Ebenso wie die Kolloquialsprache der Gebildeten ist auch die intime Sprache der Liebenden, vor allem die der Frauen, reich an griechischen Phrasen, wie die kritischen Äußerungen in Iuv. 6,184-199 und Martial. 10,68 bezeugen. Schon aus Lucr. 4,1160-1169 geht hervor, daß viele Kosenamen aus dem Griechischen stammen: vgl. FRIEDLAENDER, Sittengeschichte Roms, Bd. 1, 298. Das Griechische war für die Römer offenbar überhaupt die `langue de l= intimitéA, in der man oft spontane Gefühle äußerte: vgl. DUBUISSON, Le grec à Rome, 192-193; ders., La place du grec, 112. 299 Vgl. oben S. 128 Anm. 259; SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 27-28 m. Anm. 88. ௅ In off. 1,111 distanziert sich Cicero sogar ausdrücklich vom Einflechten griechischer Zitate: ut enim sermone debemus uti, qui notus est nobis, ne ut quidam Graeca uerba inculcantes iure optimo rideamur, sic in actiones omnemque uitam nullam discrepantiam conferre debemus. 300 Kürzere Griechischzitate finden sich z.B. in Plin. epist.1,7,1. 5; 1,13,1. 4; 1,19,15. 17. 19; 2,20,12; 4,11,10; 5,19,2; 9,13,20; 9,26,6. Auffällig sind die längeren Textstücke aus Demosthenes- und Aischines-Reden in Plin. epist. 9,26,8-12. Die (letztgenannten) zitierten Stellen sind kaum direkt den griechischen Texten entnommen, sondern von Plinius, der nicht wie Cicero über eine umfassende griechische Bildung verfügte, wahrscheinlich aus anderen Quellen abgeschrieben worden: vgl. NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 282 Anm. 1; A.-M. GUILLEMIN, Pline et la vie littéraire de son temps, Paris 1929, 76-78; A. WEISCHE, Plinius der Jüngere und Cicero; in: ANRW II 33.1 (1989) 377 Anm. 8. 301 Vgl. dazu oben S. 127-128 Anm. 259: In Senecas philosophischen Schriften, zu denen auch seine _Epistulae morales> zu rechnen sind, erscheint nur ausnahmsweise einmal in dial. 3,20,8 [= de ira 1,20,8] ein Zitat im griechischen Original (nämlich der Homervers Il. 23,724), sonst werden Zitate stets ins Lateinische übersetzt ebenso wie in Ciceros Philosophica.

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sche Zitate nur in lateinischer Übersetzung in seine historiographischen Texte einfügt, flicht Sueton sie in seine Biographien auch im ursprünglichen Wortlaut ein.302 In den Zitaten der _Noctes Atticae> ist das gesamte Spektrum der griechischen Literatur vertreten,303 angefangen von den Epen Homers (z.B. Il. 2,135 in NA 17,3,2; Il. 3,8-9 in NA 1,11,8; Il. 16,33-35 in NA 12,1,20; Il. 22,151-152 in NA 6,20,5; Od. 1,32-34 in NA 7,2,14; Od. 6,102-108 in NA 9,9,12) und den Lehrgedichten Hesiods (opp. 40-41 in NA 18,2,13; opp. 719-720 in NA 1,15,14), über die Lyrik Pindars (Pyth. 1,21-26 in NA 17,10,9), Ps.-Anakreons (Anacr. 4 [I] WEST in NA 19,9,6) und des Kallimachos (frg. 553 PFEIFFER in NA 4,11,2), über die Komödien des Aristophanes (z.B. ran. 354-356. 369-371 in NA praef. 21; Thesm. 453B456 in NA 15,20,7) und Menanders (frg. 296-298 PCG KASSEL / AUSTIN in NA 2,23,9. 12. 20), die Dramen des Euripides (z.B. Bacch. 386-388 in NA 1,15,17; Hecuba 293-95 in NA 11,4,2) und des Sophokles (z.B. Soph. frg. 301 TrGF RADT in NA 12,11,7), über die Geschichtsschreibung Herodots (z.B. hist. 1,85 in NA 5,9,4; hist. 3,108 in NA 13,7,2) und des Thukydides (5,70 in NA 1,11,5), die wissenschaftlichen Werke des Aristoteles (z.B. problem. 28,7 = frg. 758 GIGON in NA 19,2,5; meteor. 2,6 in NA 2,22,24) und die philosophischen Dialoge Platons (z.B. Gorg. 484 c 5 - e 3. 485 a 3 - e 2 in NA 10,22,4-23; symp. 180 e 3 - 181 a 6 in NA 17,20,3), bis zu den Schriften Arrians (z.B. diss. Epict. 2,19,12-17 in NA 1,2,8-12) und Plutarchs (z.B.^ȠȶȱȺȳȴȫ¤ ȶȯȵɃȽȫȳ [nicht zu verwechseln mit der pseudoplutarchischen Schrift _De Homero>, obwohl von Gellius unter diesem Titel angeführt] mor. frg. 122-124 SANDBACH in NA 2,8,1; NA 2,9,1; NA 4,11,12). Alle diese Textzeugen dokumentieren die Belesenheit und Breite der literarischen Bildung des Autors Gellius. Zugleich ist die hohe Frequenz der griechischen Zitate, von denen sich fast auf jeder Textseite der _Noctes Atticae> eines findet, ein Indiz für die weite Ausdehnung und Selbstverständlichkeit der Zweisprachigkeit auf der Rezipientenseite.304 _____________ 302 Z.B. in Suet. IuI. 30,5; Aug. 25,4. 65,4. 98,4. 99,1; Tib. 21,4.5; Nero 38,1. 39,2. 40,2. 46,3. 303 Laut STEINMETZ, Gellius als Übersetzer, 201 Anm. 2 `befinden sich rund 120 griechische Dichter und SchriftstellerA unter den 275 Autoren, aus deren Werken Gellius zitiert. 304 Die Entwicklung des griechisch-lateinischen Bilinguismus, die sich am Gebrauch griechischer Wörter und Zitate bei den lateinischen Autoren ablesen läßt, hat nach einem ersten Höhepunkt bei Cicero in der antoninischen Epoche einen letzten Höhepunkt erreicht: vgl. HORSFALL, Doctus sermones utriusque linguae ?, 79-95; DUBUISSON, Le grec à Rome, 187-206; MARROU, Geschichte der Erziehung, 468-488, bes. 470-484. KAIMIO bezieht in seine Untersuchung ,The Romans and the Greek Language‘ außer der Literatursprache (195-315) andere Bereiche der Griechischsprachigkeit

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Außer durch den Sprachwechsel werden die Zitate in den _Noctes Atticae> auch häufig durch den Wechsel von Prosa in metrisch gebundene Sprache signalisiert.305 (Lateinische oder griechische) Verse unterschiedlichster Provenienz und sind in den fortlaufenden Text immer wieder eingelassen und durchziehen ihn vom Anfang bis zum Ende des Werks: z.B. in NA praef. 21 (Aristoph. ran. 354-356. 369-371), NA 1,21,1 (Verg. georg. 2,246-247), NA 1,21,6 (Lucr. 4,223-224), NA 6,20,6 (Catull. 27,1-4), NA 7,16,2 (Catull. 92), NA 16,7,3. 4 .5. 7. 8. 9. 12. 14 (Zitatennest von Versen aus Laberius’ Mimen V. 46, V. 87, V. 147, V. 148, V. 37, V. 13-15, V. 61, V. 63-64, V. 1 RIBBECK2), NA 19,11,4 (FPL p. 347348 MOREL3/ BLÄNSDORF), NA 20,6,9 (Plaut. Pseud. 3-6), NA 20,10,4 (Enn. ann. 268-273 VAHLEN2 = 248-253 SKUTSCH). Das dichte Gewebe von Zitaten, das die gesamten _Noctes Atticae> überzieht, erzeugt einen hohen Grad von Intertextualität.306 Jedoch handelt es um eine spezifische Form der Intertextualität, nämlich die der `MetatextualitätA, in der der `MetatextA kommentierend auf den _____________ im öffentlichen (59-167) und privaten Leben der Römer (168-194) ein. Nicht nur den griechisch-lateinischen Bilingualismus, sondern auch die verschiedenen Formen bilingualer Beeinflussung, die das Lateinische im Kontakt mit anderen Sprachen erfahren bzw. ausgeübt hat, erforscht in seiner breit angelegten Untersuchung J.N. ADAMS, Bilingualism and the Latin Language, 2003 (vgl. ebd. 1). 305 PLETT, Sprachliche Konstituenten einer intertextuellen Poetik, 85 hat die verschiedenen Markierungsweisen terminologisch typisiert: Er bezeichnet die intertextuelle Beziehung, wenn in einem fortlaufenden Text das Zitat einer anderen Sprache angehört, als `interlinguale InterferenzA, wenn es eine andere Prosodie aufweist, spricht er von `prosodischer InterferenzA. Es kann dabei, wie die griechischen Versbeispiele zeigen, auch zur Mehrfachmarkierung kommen: dazu vgl. HELBIG, Intertextualität und Markierung, 126-131. 306 Denn bei der Erfassung und Auswertung der Intertextualität in einzelnen Werken spielen auch quantitative Faktoren eine Rolle, d.h. `zum einen die Dichte und Häufigkeit der intertextuellen Bezüge, zum anderen die Zahl und Streubreite der ins Spiel gebrachten PrätexteA (PFISTER, Konzepte der Intertextualität, 30; vgl. auch PLETT, The Poetics of Quotation, 318). Daß die Intertextualität in den meisten commentarii der NA von ihrem Autor thematisiert wird, erhöht noch ihre Intensität: PFISTER, Konzepte der Intertextualität, 27-28 hat die `AutoreflexivitätA als drittes `qualitativesA Kriterium in sein Skalierungsraster aufgenommen; HELBIG, Intertextualität und Markierung, 131-135 gilt die `thematisierte IntertextualitätA als `PotenzierungsstufeA, wobei er unterscheidet zwischen der `Markierung durch Thematisierung literarischer Produktion und RezeptionA (was in den NA schon durch die `meta-kommunikative Verben zur Bezeichnung der Rezeption von Texten wie lesen, vorlesen, verlesen, ablesen, rezipieren, zitieren, rezitieren, deklamierenA erfolgt, vgl. oben S. 138139), über die die `Markierung durch Identifizierung des ReferenztextesA (HELBIG, Intertextualität und Markierung, 135-137) noch hinausgeht. Auch diese findet bei den meisten Zitaten der NA statt (vgl. oben zur gellianischen Praxis der genauen Quellenangabe S. 119-120).

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Referenztext verweist.307 So bestehen bei den allermeisten Zitaten der NA `metatextuelle RelationenA zwischen dem jeweiligen originalen Text und dem neuen Kontext, der die zitierten Stellen sprachlich oder inhaltlich kommentiert (z.B. wird in NA 16,6 der Ausdruck bidentes in Verg. Aen. 7,93 erörtert und dazu Verse des Atellanendichter Pomponius und Erläuterungen des Nigidius Figulus und des Hyginus herangezogen), kritisiert (z.B. korrigiert Gellius in NA 15,6 einen offensichtlichen Irrtum Ciceros in dessen Schrift _De gloria> 2 frg. 25[24] FPL MOREL³/ BLÄNSDORF über den Sprecher einer von Cicero übersetzten Iliasstelle, an der nicht Aiax, sondern Hektor spricht; in NA 4,15 verteidigt Gellius z.B. Sallust gegen seine Kritiker, die an Catil. 3,2 wegen eines Mißverständnisses Anstoß nehmen; in NA 7,2 verteidigt Gellius Chrysipp mit seiner Erklärung des spannungsvollen Verhältnisses von necessitas fati und consilii iudiciique arbitrium, d.h. in moderner Terminologie von Determinismus und Willensfreiheit, gegen seine Kritiker), interpretiert (z.B. deutet in NA 4,11 Gellius den Empedoklesvers frg. 141 [VS I6 368,16-28 DIELS / KRANZ], der fälschlich bei vielen, auch renommierten Autoren, zu der Annahme eines pythagoreischen Speiseverbots von Bohnen geführt habe, als eine Aufforderung zur geschlechtlichen Enthaltsamkeit, da ȴѠȫȶoȳ dort im übertragenen Sinne für _Hoden> gesagt worden sei), vergleicht (z.B. werden in NA 13,7 die verschiedenen Ansichten Herodots und Homers über die Zahl der Geburten der Löwinnen einander gegenübergestellt). Dabei erfüllen die Zitate dieselben Funktionen wie in wissenschaftlichen Texten oder Textinterpretationen: Sie dienen hauptsächlich dazu, die Argumentation des Autors zu stützen.308 Argumentative Funktion im affirmativen Sinne _____________ 307 Der Begriff `MetatextualitätA geht zurück auf G. GENETTE: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, (Orig.: Palimpsestes. La littérature au second degré, Paris 1982), Frankfurt am Main 1993 [= Aesthetica. edition suhrkamp 1683], hier 13: `Den dritten Typus textueller Transzendenz bezeichne ich als Metatextualität; dabei handelt es sich um die üblicherweise als _Kommentar> apostrophierte Beziehung zwischen einem Text und einem anderen, der sich mit ihm auseinandersetzt, ohne ihn unbedingt zu zitieren (anzuführen) oder auch nur zu erwähnen.A 308 Vgl. HOLTHUIS, Intertextualität, 159, die in ihre Untersuchung über die _Aspekte einer rezeptionsorientierten Konzeption> einen _Exkurs: Zum Status intertextueller Relationen in fachwissenschaftlichen Texten> (155-165) eingearbeitet hat und hierin die _Funktionen des Zitats in wissenschaftlichen Texten> (158-160), insbesondere in Textinterpretationen (160-165) beschreibt. B Als Indiz für das große Gewicht der Zitate in der Argumentationsstrategie des Gellius läßt sich die Deutlichkeit ihrer expliziten Markierung werten: `Je größeres argumentatives Gewicht der Autor dem Zitat also beimißt, desto stärker wird er es markierenA (FREUND, Vergil im frühen Christentum, 26). B SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 218 differenziert bei der argu-mentativen Funktion der Zitate innerhalb der philosophischen Schriften Ciceros weiter nach externer und interner Funktion: `Die interne Funktion des Zitats ist dabei die rein argumentative; die externe Funktion ist wiederum nach zwei Gesichtspunkten hin zu differenzie-

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haben insbesondere die Autoritätszitate,309 in denen Gellius sich auf literarische oder moralische Autoritäten beruft. So versammelt er z.B. in NA 1,15 mit Zitaten aus Homer und Cicero, Cato, Eupolis, Sallust, Hesiod, Euripides, Favorinus, Aristophanes eine ganze Schar von Gewährsmännern für die Verurteilung der Geschwätzigkeit. Der Absicherung der eigenen Argumentation dient auch das Gegenzitat. Ausdrücklich erklärt Gellius dies in NA 1,25,17-18, nachdem er die von seiner eigenen bizzaren etymologischen Erklärung indutiae aus inde iam ut abweichende Etymologie des Grammatikers Aurelius Opilius wörtlich zitiert hat: Hoc ab Aurelio scriptum proptera non praeterii, ne cui harum _noctium> aemulo eo tantum nomine elegantius id uideretur, tamquam id nos originem uerbi requirentes fugisset (NA 1,25,18). Die Zitate fungieren zunächst als Argumente, darüber hinaus haben sie aber auch die wichtige Funktion, die Gelehrsamkeit und Belesenheit des Autors zur Schau zu stellen, wobei es unerheblich ist, ob dieser die Textstellen den angegebenen Primärquellen oder irgendwelchen ungenannten Mittelquellen entnommen hat. Gegenüber den Rezipienten wird diese Bildungsostentation als Wissensvermittlung in Anschlag gebracht.310 _____________ ren, nämlich einerseits, als das Zitat über den argumentativen Kontext hinaus den das Zitat gebrauchenden Redner näher charakterisiert, die ethopoietische Funktion, und andererseits, als das Zitat, nun auf das Schriftganze verweisend, das Werk in Bezug setzt zu einem literarischen Vorbild oder einer literarischen Gattung, eine aemulative Funktion also. ... Im Rahmen der internen/argumentativen Funktion hat das Zitat in der Mehrzahl der Fälle illustrative Bedeutung oder dient der pointierten Zuspitzung eines Gedankens.A Während die beiden letztgenannten Aufgaben, Aussagen zu illustrieren oder den Gedankengang zuzuspitzen, auch in den _Noctes Atticae> den als Argumenten eingesetzten Zitaten zukommen, beschränkt sich die Zitatfunktion aber überwiegend auf diese argumentative Bedeutung; die ethopoietische und aemulative Funktion kommen in der buntschriftstellerischen Form der NA nicht zur Geltung. 309 PLETT, The Poetics of Quotation, 323-324; ders., Intertextualities 13, spricht in Übernahme der Typologie MORWASKIs von `Authoritative QuotationA, die von `Erudite QuotationA und `Ornamental QuotationA und `Poetic QuotationA unterschieden wird. B SALLMANN, Die Geographie des älteren Plinius, 181-190 hatte schon vor der Hochkonjunktur intertextueller Terminologie unter Verbindung funktionaler, inhaltlicher und formaler Aspekte der Zitate in der plinianischen _Naturalis historia> differenziert zwischen `Kontroversen- und VariantenzitatA, `Autoritäts- und VerantwortungszitatA und `Zitatennest und ErgänzungszitatA. 310 Aufschlußreich für diese Argumentationsstrategie des Autors sind die Ankündigungen in der Praefatio NA praef. 12: ... accepi quae aut ingenia prompta expeditaque ad honestae eruditionis cupidinem utiliumque artium contemplationem celeri facilique compendio ducerent aut homines aliis iam uitae negotiis occupatos a turpi certe agrestique rerum atque uerborum imperitia uindicarent; praef. 16: ... considerent, an minutae istae admonitiones et pauxillulae nequaquam tamen sint uel ad alendum studium uescae uel ad oblectandum fouendumque animum frigidae, sed eius seminis generisque sint, ex quo facile adolescant aut ingenia hominum uegetiora aut memoria adminiculatior aut oratio sollerti-

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Außerdem verleihen den _Noctes Atticae> die Zitate, insbesondere die Verszitate, einen gewissen ornatus. Bei der prinzipiell bestehenden Einschränkung, daß übermäßiges Zitieren als stilistisch anstößig galt,311 erzeugt gerade die Zitatenfülle in dem Werk des Gellius wie in den Schriften Plutarchs einen eigentümlichen Stil, der eine Affinität zu dem der Diatribe als einer Vorläuferin des neuzeitlichen Essays erkennen läßt.312 Dazu daß Gellius den stilistischen Schmuck durch die Zitate bewußt anstrebt, mag die Empfehlung Frontos beigetragen haben: uel graues ex orationibus ueterum sententias arriperetis uel dulces ex poematis uel ex historia splendidas uel _____________ or aut sermo incorruptior aut delectatio in otio atque in ludo liberalior. B LAKMANN, Favorinus von Arelate, 238-239 nimmt an, daß auch bei den von Gellius wiedergegebenen Reden und Gespräche Favorins eine Wertevermittlung intendiert sei. 311 Vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 181: `So paradox es klingen mag, für die antike Schriftstellerei kann der Satz aufgestellt werden: je mehr wörtlich angeführte Zitate, desto schlechter der Stil. Chrysippos z.B., der Vielschreiber, pfropfte seine Schriften mit Zitaten aus Homeros, Hesiodos, Euripides u.a. an, wie wir bei seinem Exzerptor Plutarchos noch ersehen können (vgl. Diog.L. VII,180 f.); er galt aber auch als der allerschlechteste Stilist (nach Dionysios Hal. De v. c. 4 p. 31 R.).A Vgl. dazu auch NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 89-91: `Es ist dasselbe Prinzip der Einheitlichkeit, welches dem antiken Schriftsteller verbot, Verszitate ohne weiteres in seine Worte einzuflechten, überhaupt ohne besonderen Zweck zu viele und zu lange Stellen zu zitieren oder gar Anmerkungen zu machen, eine Erfindung unserer stillosen Jahrhunderte. Auch gilt dies Prinzip nicht etwa bloß für die Geschichtsschreibung, sondern für jedes literarische Kunstwerk ...A. Ähnlich zum Prinzip der Stileinheitlichkeit als Ursache für die Vermeidung von Zitaten STEMPLINGER, Das Plagiat, 245-246. B Aus stilistischen Motiven warnt (sich selbst) auch Lukian vor der Übertreibung beim Zitieren in seiner Schrift ^Ȥą‡Ⱥ Ƚoº ˆv Ƚ“ ąȺoȼȫȭoȺȯѠȼȯȳ ąȽȫɅȼȶȫȽoȻ, da sie kindisch und effekthascherisch wirke (Laps. 7): vgl. BOMPAIRE, Lucien écrivain, 384; dazu auch unten S. 157 Anm. 340. Überhaupt postulierte Lukian Homogenität der Diktion für die Literatursprache: vgl. WEISSENBERGER, Literaturtheorie bei Lukian, 100-103. B Daß insbesondere fremdsprachige Zitate stilistisch anstößig bzw. lächerlich wirkten, läßt sich aus Ciceros Äußerung in off. 1,111 entnehmen (vgl. oben S. 140 Anm. 299). Cicero selbst fühlt sich der Stileinheitlichkeit verpflichtet, wie er in Cic. Tusc. 1,15 bekennt (vgl. oben S. 128 Anm. 259). 312 Vgl. HOWIND, De ratione citandi, 24: `Plutarchum creberrime alios scriptores laudasse constat inter omnes ... Plutarchus hac consuetudine quasi morbo correptus est ... In libello qui inscribitur _Quomodo adulescens poetas audire debeat> vix unam paginam invenies locis aliunde petitis carentem. Hac in re simillimus est Plutarchus nostri aevi scriptoribus, quos Essayisten vocamus, qui suas paginas scatere volunt dictis Goethianis.A Ebd. 36-37: `Mirum fortasse cuipiam uideatur apud Plutarchum praecipue et Senecam philosophum hunc aliena laudandi usum tantopere esse excultum, ut paene in morbum abiret ... Affirmamus igitur Plutarchi ac Senecae cupiditati aliena laudandi comparato diatribarum cynicarum exemplo lucem afferri.A Zu den Zitaten als Schmuckelement im Diatribenstil bes. bei Teles (und Plutarch), weniger bei Bion, Musonius und Epiktet vgl. TH. SCHMELLER, Paulus und die `DiatribeA. Eine vergleichende Stilinterpretation, Münster 1987 [= Neutestamentliche Abhandlungen, N.F. 19], 145-146. 185. 208-210.

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comes ex comedīs uel urbanas ex togatis uel ex Atellanis lepidas et facetis (Antonin. 4,2,5 p. 106,24-26 v.d.H.2). Die Schmuckfunktion der Zitate, die auch schon Quintilian im Hinblick auf die Redekunst beschrieben hatte,313 erfüllen insbesondere die poetischen Zitate.314 Gellius hebt mehrfach den stilistischen Reiz der Verse hervor: Er rühmt ihre suauitas (NA 12,4,3 über Enn. ann. 234-252 VAHLEN2 = 268-286 SKUTSCH; NA 19,9,5 über das [Ps.-]Anakreon-Gedicht 4 [I] WEST) bzw. ihre uenustas (NA 1,24,1 über die Grabepigramme des Naevius, Plautus und Pacuvius; NA 7,16,2 über Catulls c. 92) oder ihren lepos (NA 2,23,2. 11 über griechische und lateinische Komödien, bes. die Caecilius-Komödie _Plocium>; NA 19,9,10. 12 über Verse der archaischen Dichter Valerius Aedituus, Porcius Licinius und Q. Lutatius Catulus; NA 19,11,1 über die anonymen Gedichte AP 5,78 und p. 347-348 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF). Mit dem Zitieren der entsprechenden Poesie beabsichtigt und bewirkt Gellius, daß er bzw. seine Leser mittelbar an der oblectatio durch die Dichtung teilhaben,315 wie er in NA 19,9,5 ausdrücklich verkündet: oblectati autem sumus praeter multa alia uersiculis lepidissimis Anacreontis senis, quos quidem scripsi, ut interea labor hic uigiliarum et inquies suauitate paulisper uocum atque modulorum adquiesceret. Das delectare ist ja überhaupt ein zentrales _____________ 313 Quint. inst. 1,8,10-12: denique credamus summis oratoribus, qui ueterum poemata uel ad fidem causarum uel ad ornamentum eloquentiae adsumunt. Nam praecipue quidem apud Ciceronem, frequenter tamen apud Asinium etiam et ceteros, qui sunt proximi, uidemus Enni, Acci, Pacuui, Lucili, Terenti, Caecili et aliorum inseri uersus summa non eruditionis modo gratia, sed etiam iucunditatis, cum poeticis uoluptatibus aures a forensi asperitate respirant. Quibus accedit non mediocris utilitas, cum sententiis eorum uelut quibusdam testimoniis quae proposuere confirment. Das Einfügen von Zitaten wird aber nicht nur für die Redekunst, sondern auch für die Epistolographie als Stilmittel empfohlen; vgl. J. SYKUTRIS, Epistolographie; in: RE Suppl.5 (1931) 186-220, hier 194. 314 Die Zitate, und zwar gerade die der Dichter, werden besonders in der kaiserzeitlichen Literatur als rhetorische Schmuckelemente beliebt. Die stilistische Funktion ist auch in der Zitierpraxis Lukians von zentraler Bedeutung; vgl. BOMPAIRE, Lucien écrivain, 382-404, hier bes. 384-390. Die unter dem Namen des Apuleius überlieferte Schrift _De mundo>, eine lateinische Übersetzung bzw. eine Bearbeitung einer griechischen Abhandlung ȡȯȺ¤ ȴџȼȶoȾ, verwendet in gleicher Weise und Intention das epochentypische Stilmittel der Zitate (bes. aus Cicero, Lukrez, dem älteren Plinius, Sallust, Seneca, Vergil). Vgl. dazu J. BEAUJEU, Apulée: opuscules philosophiques et fragments. Texte établi, traduit et commenté, Paris 1973, 114: `citations et surtout réminiscences littéraires donnent çà et là un lustre supplémentaire à —opuscule et confirment —ambition du traducteur de rivaliser avec la _prose mart> en vogue à cette époqueA. B Aber schon in den philosophischen Schriften Ciceros ist die Vorliebe für Dichterzitate mit ihrer stilistisch eleganten Wirkung zu erklären: vgl. SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 252. 315 ASTARITA, La citazione in Gellio, 139-150, hier bes. 144 ff. hat dies als eine wesentliche Funktion der Zitate im Hinblick auf die rhetorisch-literarische Gestaltung der NA herausgearbeitet.

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Motiv der _Noctes Atticae>,316 die zutreffend charakterisiert worden sind als `belehrende UnterhaltungA bzw. `unterhaltende BelehrungA.317 Allenfalls eine untergeordnete Rolle mag bei den Zitaten des Gellius gespielt haben, noch nicht veröffentlichte Texte bekannt zu machen,318 wie ASTARITA für die in NA 19,11 zitierten Gedichte mit dem Hinweis auf ihre Rezeption bei Macrobius (Sat. 2,2,15-17) wahrscheinlich macht, auch wenn tatsächlich die Zitate in den _Noctes Atticae> die Überlieferung dieser und vieler sonst verlorener Texte gewährleistet haben.319 Die intertextuellen Verweise der Zitate erscheinen sub specie memoriae daher einerseits als Rückgriffe auf das in Büchern verdichtete kollektive kulturelle Gedächtnis, dessen Rekonstruktion bei der Lektüre jeweils zu _____________ 316 Schon in der Praefatio hat Gellius das delectare auch in bezug auf sein eigenes Werk geltend gemacht: praef. 11: ... quod sit aut uoluptati legere aut cultui legisse aut usui meminisse (indirekt in Abgrenzung von der griechischen Kollektaneenliteratur); praef. 14: ab his igitur, si cui forte nonnumquam tempus uoluptasque erit lucubratiunculas istas cognoscere ...; praef. 16: an istae admonitiones ... ad oblectandum fouendumque animum frigidae, sed eius seminis generisque sint, ex quo facile adolescant aut ingenia hominum uegetiora ... aut delectatio in otio atque in ludo liberalior; praef. 19: qui in lectitando, , scribendo, commentandoque numquam uoluptates, numquam labores ceperunt ... abeant a _noctibus> his procul atque alia oblectamenta quaerant); praef. 23: omnia subsiciua et subsecundaria tempora ad colligendas huiuscemodi memoriarum delectatiunculas conferam. 317 Unter dieser Überschrift stehen bei STEINMETZ, Untersuchungen, 239 die Darstellung verschiedener literarischer Werke des 2. Jh.s (239-291) und hierin (275-291) die Behandlung der _Noctes Atticae> des Gellius. Vgl. auch unten S. 306 Anm. 11. 318 Die Zitatfunktion, der Verbreitung noch unveröffentlichter Texte zu dienen, die abgeleitet wird aus der Präsentation eines (sonst nicht überlieferten) anonymen Gedichtes in NA 19,11, das ein Platon zugeschriebenes Distichon in 17 Versen paraphrasiert, hat ASTARITA, La citazione in Gellio, 146-150 m. E. überbewertet. Über die Identität des Verfassers, der als amicus meus o½ȴ xȶoȾȼoȻ adulescens vorgestellt wird, ist viel spekuliert worden, und dabei das Gedicht sowohl dem Apuleius (so DAHLMANN, Ein Gedicht des Apuleius ? [Gellius 19,11 ]), als auch sogar Gellius selbst (zuerst zweifelnd STEINMETZ, Untersuchungen, 334-336, hier Anm. 107) zugeschrieben worden. Einen Überblick über die verschiedenen Hypothesen gibt ASTARITA, La citazione in Gellio, 147 Anm. 22. 319 Das Phänomen, daß die _Noctes Atticae>, die gerade den Leser zur intensiveren und ausführlicheren Lektüre der zitierten Texte auffordern, zu deren alleinigen Überlieferungsträger geworden sind, hat BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 119 treffend beschrieben: `Die Ironie der Geschichte hat es gewollt, daß die Bücher, die wir nach dem Willen des Aulus Gellius lesen und konsultieren sollten, nicht erhalten sind. Sie hat ihn B sicherlich gegen seine Intention B von einem subsidiären zu einem substitutiven Autor gemacht. Wir lesen ihn nicht _dazu>, sondern _anstatt>. Die Grundannahme der dauerhaften Disponibilität von Büchern im Imperium Romanum hat sich als Illusion erwiesen, und so muß dieser Mann ... uns heute als der Ersatz für verschiedenste Werke dienen, der er gewiß nie sein wollte.A Vgl. auch oben S. 124 Anm. 248.

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leisten ist.320 Andererseits wird beim Zitieren die individuelle Gedächtniskunst des Autors aktiviert, mit der er die Texte aus dem Gedächtnisspeicher hervorholt und vergegenwärtigt. Diese Aktivität der memoria wird in den _Noctes Atticae> auch thematisiert. Denn Gellius verbindet an nicht wenigen Stellen die Zitate mit dem Hinweis, daß er sie auswendig aus dem Gedächtnis liefert: So kündigt er in NA 10,3,9-10 das Zitat aus Ciceros Zweiter Rede gegen Verres (Verr. II 5,161) an: uelut sunt ista, quae de C. Verre dicit, quae nos, ut in praesens potuimus, quantum memoria subpeditabat, adscripsimus; auch in NA 19,13,5 beruft er sich für die (zunächst von einem anonymen grammaticus mündlich, dann von ihm selbst schriftlich) zitierten Verse aus einem Gedicht des Helvius Cinna (frg. 9 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF) auf sein Gedächtnis: uersusque eius ipsos dixit, quos, quoniam memoriae mihi forte aderant, adscripsi. Gellius präsentiert aber nicht nur Gedächtnis-Zitate, sondern er vermittelt dem Leser seiner _Noctes Atticae> ab und an auch eine Vorstellung davon, wie diese Gedächtniszitate und damit auch ein großer Teil des Werkes zustandekommen. Die situative Einbettung des Memorierens bzw. der auswendigen Niederschrift wird z.B. in NA 17,2,1-2. 27 illustriert: eine ganze Reihe von Stellen aus dem ersten Buch der _Annalen> des Q. Claudius Quadrigarius wird umrahmt durch die Schilderung, daß Gellius die Wendungen und Sätze des Quadrigarius als exercitium memoriae zwei Tage nach der Lektüre aus dem Gedächtnis notiert und kritisch (in utrasque existimationes laudis aut culpae) kommentiert habe. Lebhafter `inszeniertA werden in NA 19,7,2-16 Stellen aus der _Alcestis> des Laevius: Gellius berichtet, daß er nach einer cena beim Dichter Iulius Paulus auf dem Heimweg zusammen mit Iulius Celsinus sich damit unterhalten und vergnügt habe, die eben gehörten laevianischen Verse und Wendungen auswendigzulernen. Dagegen hat das Auswendiglernen einer Musonius-Sentenz (frg. 51 HENSE) laut Gellius’ Angaben in NA 16,1,1-2 schon in seiner Jugend in scholis stattgefunden. Auch in NA 17,20,2-3 wird das auswendig präsentierte Zitat verbunden mit einer Szene aus der Ausbildung des jungen Gellius, den der Philosoph Tauros in NA 17,20,4, als _Rhetorikzögling, jungen Redner> apostro_____________ 320 SCHLAFFER, Der Umgang mit Literatur, 15: `Zitate sind kollektive Erinnerungen an markante Passagen, wobei es gleichgültig ist, ob der einzelne sie gelesen hat oder nichtA. B Intertextualitätstheorie und Gedächtniskonzepte verknüpft auch R. LACHMANN in ihrer Untersuchung zur modernen russischen Literatur (Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Moderne, Frankfurt a. Main 1990, 8): `Die Diskussion bestimmter Gedächtniskonzepte, besonders jener, die der antiken Mnemotechnik und ihrer Tradition zugrunde liegen, ermöglicht die Situierung der Intertextualität von Texten in von bestimmten Gedächtnismodellen strukturierten kulturellen Kontexten.A Vgl. auch LACHMANN ebd., bes. 48-50 über die Lektüre als `EntzifferungsarbeitA: `Die recollectio der verborgenen Zeichen führt zur Restitution des Gedächtnisses, das der Gesamttext repräsentiert.A

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phiert: _tu, rhetorisce,> B sic enim me in principio recens in diatribam acceptum appellitabat existimans eloquentiae unius extundendae gratia Athenas uenisse. Anläßlich der Lektüre des _Symposion> Platons im Unterricht bei Tauros hat Gellius die Kernstelle aus der Rede des Pausanias über die moralische Differenzierung der Formen des Eros auswendiggelernt321 und bietet nun symp. 180 e 4-181 a 5 im folgendem aus dem Gedächtnis im griechischen Wortlaut: Verba illa Pausaniae inter conuiuas amorem uice sua laudantis, ea uerba ita prorsum amauimus, ut meminisse etiam studuerimus. Sunt adeo, quae meminimus, uerba haec ... Die Berufung auf das Gedächtnis erlaubt Gellius, sich bei der Wiedergabe der Zitate einige Freiheiten zu genehmigen: Denn nicht immer wird wortgenau von ihm zitiert. Bisweilen paraphrasiert er auch nur die entsprechenden Stellen aus dem Gedächtnis. So leitet er in NA 6,16,5 die zusammenfassende Paraphrase eines locus exscriptus aus Varros Satire ȡȯȺ¤ ˆȮȯȼȶȪȽɂv (Men. 403), an dem die Namen von luxuriösen Delikatessen aufgezählt werden, mit der einschränkenden Formel ein: haec sunt ferme quantum nobis memoria est. In NA 10,15 gibt er eine Zusammenstellung über die religiösen Riten und Pflichten des flamen Dialis, die er gemäß ihrer Darstellung in den Büchern _De sacerdotibus publicis> im ersten Buch eines Fabius Pictor gelesen zu haben sich erinnert: So wird in NA 10,15,2 die Bemerkung unde haec ferme sunt, quae commeminimus der Paraphrase (= frg. 3 IAR HUSCHKE) vorausgeschickt. Ein GedächtnisZitat aus der eigenen Lektüre enthält auch NA 11,18,16 (memini legere me ...), wo Gellius die bei dem in trajanischer Zeit lebenden Juristen Aristo gelesene Bemerkung wiedergibt, daß bei den alten Ägyptern Diebstahl kein strafbares Vergehen war.322 Einmal erfüllt ihn die Erinnerung an das bei dem älteren Plinius (NH 28,112) Gelesene, das er im folgenden (NA 10,12,2-7) referiert, sogar mit Abscheu: ... ex quibus pauca haec inuiti meminimus, quia pertaesum est (NA 10,12,1). In NA 1,3,10 beruft sich Gellius nur für die Verortung des Zitats in Theophrasts erstem Buch seiner Schrift _Über die Freundschaft> auf sein Gedächtnis, bevor er zunächst in _____________ 321 HOLFORD-STREVENS, Fact and fiction in Aulus Gellius, 66-67 hält diese Unterrichtsszene für eine durchaus realistische Darstellung: `... the very chapter 17.20 must in my view demonstrate that not all Gellius’ anecdotes are fiction ... No doubt this translation is the main point of the chapter (cf. 8.8. lemma), but this does not mean that the story is a fiction. Indeed, it is hard to believe that Gellius would so thoroughly give himself away if he were making up a story about himself. ... but were he inventing a framework in 17.20 to display his translation, one would expect him to keep up his act, whereas in the naive pride of artistry it is no surprise if he drops his guard and tells the truth.A 322 Aus eigener Lese-Erinnerung fügt er zu einem Vortrag des Favorinus gegen die Astrologie der Chaldäer in NA 14,1,34 weitere poetarum ueterum testimonia hinzu, in denen die Vorhersagen über die Zukunft als ambages fallaciosae entlarvt werden.

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NA 1,3,11-20 die für ihn unbefriedigende Behandlung der Frage des Dilemmas zwischen Freundes- und Staatsbürgerpflichten aus Ciceros Schrift _De amicitia> B mit zum Teil wörtlich zitierten Aussagen B resümiert, dann erst in NA 1,3,21-25 die entsprechende Theophrast-Passage in einer lateinischen Zusammenfassung paraphrasiert und sie schließlich in NA 1,3,26 im Original B vermutlich nach schriftlichem Exzerpt B zitiert.323 Auch stellt Gellius die Zitate, die er auswendig wiedergibt, bisweilen unter einen ausdrücklichen Vorbehalt, was ihre Genauigkeit angeht: So flicht er in NA 10,29,2 vor dem als Beleg für die steigernde Bedeutung von atque nach eigener Angabe spontan aus dem Gedächtnis zitierten Vers aus den ennianischen _Annalen> (ann. 537 VAHLEN2 = 550 SKUTSCH) die Einschränkung ein nisi memoria in hoc uersu labor. In NA 16,10,5 bringt Gellius eine Stelle aus den ennianischen _Annalen> in Verbindung mit einer aus dem Gedächtnis zitierten Stelle aus dem Zwölftafelgesetz, in der, wenn sein Gedächtnis ihn nicht täusche (si recte commemini), gleichfalls der Ausdruck proletarius ciuis vorkomme. Aus seinem Gedächtnis zitiert Gellius, wenn man seinen diesbezüglichen Äußerungen Glauben schenken darf, nicht nur Gelesenes, sondern auch Gehörtes: 324 So geht seine lateinische Paraphrase über das Stillen der Säuglinge in NA 12,1,4-23 auf einen in griechischer Sprache gehaltenen Vortrag des Favorinus zurück, wie Gellius zum Schluß dieses längeren, vier Textseiten umfassenden commentarius behauptet: Haec Fauorinum dicentem audiui Graeca oratione. Cuius sententias communis utilitatis gratia, quantum meminisse potui, rettuli ... Auch in NA 14,1 liefert Gellius B teils in direkter, teils in indirekter Rede B eine lateinische Übersetzung eines gegen die Astrologie der Chaldäer gerichteten Diskurses des Favorinus, dessen capita ... locorum argumentorumque er unmittelbar nach der auditio aus dem Gedächtnis notiert zu haben behauptet (NA 14,1,2), vermutlich aber doch einer schriftlichen Vorlage verdankt.325 An einen _____________ 323 Vgl. dazu auch oben S. 135-137. 324 Vgl. MERCKLIN, Die Citiermethode, 675-681, nach dessen Einschätzung (hier 675) `wąoȶvȱȶovȯѠȶȫȽȫ, aus der Erinnerung und in Erzählungsform mitgetheilte Reden und Aussprüche, die der Verfasser selbst gehört hatA etwa ein Viertel der _Noctes Atticae> einnehmen. `Aber nicht die Xenophontischen commentarii dictorum atque factorum Socratis, welche Gellius kannte (XIV 3,5), sondern die wąoȶvȱȶovȯѠȶȫȽȫ seines gefeierten Lehrers Favorinus ... und des von ihm ebenfalls geschätzten Musonius ... scheinen ihm dabei als Vorbild gedient zu haben.A 325 Dazu angekündigt, aber bisher (Mai 2010) noch nicht erschienen ist die Abhandlung von V. BINDER, Nil credo auguribus. Zum Chaldäerdiskurs des Favorinus von Arles (Aulus Gellius, Noctes Atticae XIV 1); in: C. FRATEANTONIO / H. KRASSER (Hrsg.), Bildungsgut Religion in Griechenland und Rom. Medien der Wissensvermittlung in der hohen Kaiserzeit, [= Millennium-Studien]. Offenbar ist beabsichtigt, in dem Sammelband die Beiträge eines im Rahmen des Gießener DFG-Sonderforschungsbereichs

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anderen Vortrag des Favorinus sich zu erinnern gibt Gellius in NA 17,10,1 vor: Mit einer entsprechenden Bemerkung (Fauorinum philosophum ... memini super Pindaro poeta et Vergilio in hunc ferme modum disserere) leitet er über zur oratio recta der Favorinus-Rede, deren Thema die B poetisch nicht gelungene B Übernahme und Überbietung von Pindars Aetna-Ekphrasis Pyth. 1,21-26 durch Vergil in Verg. Aen. 3,570-577 ist. In NA 19,12,3 könnte das in der zurückhaltenden Phrase verwendete Präsens (in ea dissertione, quantulum memini, huiuscemodi sensus est), mit der Gellius einen gegen die stoische Apatheia-Lehre gerichteten auf griechisch gehaltenen Vortrag des Herodes Atticus zunächst indirekt zu resümieren beginnt, um daraus abschließend in direkter Rede eine Fabel zur Veranschaulichung des vorgebrachten Argumente lateinisch zu übersetzen, vielleicht ein Hinweis auf bei der Abfassung des commentarius schriftlich vorliegende Aufzeichnungen sein.326 Ob es sich jeweils nur um ein vorgegebenes, tatsächlich aber abgeschriebenes, oder um ein echtes Gedächtniszitat handelt, läßt sich kaum mit Sicherheit und keinesfalls generell, sondern nur von Fall zu Fall feststellen. Während das kurz eingeworfene Zitat aus Catos _Carmen de moribus> in NA 11,2,5 von Gellius sehr wohl auswendig zitiert sein könnte, fällt es schon schwerer, die entsprechenden Behauptungen des Gellius in NA 17,2,2. 27, mit denen er das lange Textzitat aus den _Annalen> des Claudius Quadrigarius umrahmt, für wahrheitsgemäß zu halten. Gleichwohl hat Gellius an den letztgenannten Stellen sich bemüht, den Angaben über das auswendige Memorieren dadurch eine höhere Wahrscheinlichkeit zu verleihen, daß er für die Aufzeichnung des Gedächtniszitates ausdrücklich an beiden Stellen327 einen Zeitpunkt kurz nach der Quadrigarius_____________ _Erinnerungskulturen> (vgl. dazu oben S. 15) gehaltenen Symposiums (_Bildungsgut Religion in Griechenland und Rom: Medien der interkulturellen Wissensaneignung in der hohen Kaiserzeit [2.- 4. Jh. n. Chr.]>; 28.04. - 01.05.2004) zu veröffentlichen: vgl. ZAC 7/2 (2003) 377. 326 Auf mündliche Quellen seiner Gedächtniszitate verweist Gellius auch in NA 16,5,5 (quod Sulpicium autem Apollinarem memini dicere ... huiuscemodi est), bevor er die Ausführungen seines Lehrers Sulpicius Apollinaris über die Anfangssilbe ue- in uetus, uehemens, uescum und uestibulum (NA 16,5,5-12) wiedergibt, und in NA 12,11, wo er eine Rede des Peregrinos Proteus größtenteils nur referiert und in einer direkt wiedergegebenen Sentenz pointiert zusammenfaßt (NA 12,11,2-6). Nach ihrer Abrundung durch ein Sophokles-Zitat (Soph. frg. 301 TrGF RADT) fügt er noch eine weitere Sentenz unbekannter Provenienz in indirekter Rede an, wobei er bekennt: alius quidam ueterum poetarum, cuius nomen mihi nunc memoriae non est, Veritatem Temporis filiam esse dixit (NA 12,11,7). B Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit bzw. der Prätention dieser Gedächtniszitate vgl. auch S. 154-161. 327 Vgl. NA 17,2,2: uelut haec uerba ... quae meminisse potui, notaui, quem librum legimus biduo proximo superiore; NA 17,2,27: haec ego pauca interim super eo libro, quorum memoria post lectionem subpetierat mihi, notaui.

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Lektüre ansetzt. Wenig glaubhaft ist es allerdings, wie in NA 7,2,2 behauptet, daß das in einem komplexen Geflecht von einer längeren Paraphrase der Schicksalslehre Chrysipps (NA 7,2,6-10. 11) und verschiedenen anderen wörtlichen Zitaten (NA 7,2,12: Pythagoreer-Diktum Carm. aur. 54 p.162,1 THESLEFF, vgl. frg. 1000 SVF p. 2,294,25-29 ARNIM; NA 7,2,14: Hom. Od. 1,32-34; NA 7,2,15: Cic. fat. frg. 1 AX p.152b) umgebene Chrysipp-Zitat (NA 7,2,12) wirklich aus dem Gedächtnis und nicht aufgrund eines entsprechenden stoischen Lehrbuches gemacht wird. Auch anderen Protagonisten legt Gellius solche Gedächtniszitate in den Mund: In NA 10,19,3 beruft sich der Philosoph Tauros für ein anschließend dargebotenes Demosthenes-Zitat auf sein Gedächtnis (nam si me ... non fallit, quod quidem in primori pueritia legerim, uerba haec sunt ... ), nachdem er zuvor einen jungen Menschen zurechtgewiesen hat, bei der ethisch unzulänglichen Rechtfertigung seines Wechsels von der Rhetorik zur Philosophie die zitierten Demosthenis sententiae nicht beherzigt zu haben, obwohl sie ihm als quasi quaedam cantilena rhetorica sehr einprägsam gewesen seien. Favorinus, egregia uel diuina quadam memoria (NA 13,25,5), rekapituliert in NA 13,25,6-12 (angeblich) spontan mehrere Stellen aus verschiedenen Cicero-Reden sowie Verse aus Aristophanes’ _Fröschen>, darauf in NA 13,25,12 einen Satz aus einer Cato-Rede (und, nicht mehr eindeutig als Gedächtniszitat gekennzeichnet, aber suggeriert, in NA 13,25,16-21 mehrere Homerzitate und schließlich noch einmal in NA 13,25,22-24 ein Stück einer weiteren Cicero-Rede); in NA 17,10,9 kann er den Vergleich von Pindar Pyth. 1,21-26 und Verg. Aen. 3,570-577 aus seinem Gedächtnis abrufen; auch in seiner disceptatio mit dem Rechtsgelehrten Sextus Caecilius über das Zwölftafelgesetz gibt Favorinus in NA 20,1,14 auswendig den Wortlaut der lex talionis wieder (cuius uerba, nisi memoria me fallit, haec sunt). Fronto verweist in NA 19,13,2 aus dem Gedächtnis nur auf den Gebrauch des Ausdrucks pumiliones in libris ueterum ohne konkrete Stellenangabe, während Sulpicius in NA 19,13,3 das konkurrierende Lehnwort nani mit einem spontan präsenten genauen Stellenbeleg aus der Aristophanes-Komödie ^ȠȵȴȪȮȯȻ (frg. 441 PCG KASSEL / AUSTIN) rechtfertigen kann. Mit dieser Darstellung seiner eigenen Zitier- und Memorierfähigkeiten und der seiner Zeitgenossen entspricht Gellius dem Bild, das wir aus der literarischen Überlieferung von der sehr extensiv und intensiv betriebenen antiken Praxis der Gedächtniskunst haben.328 Deshalb waren die Gedächtniszitate sehr verbreitet, und jedenfalls aus den Schulautoren wur-

_____________ 328 Vgl. oben S. 101-105 und unten Kapitel 3.4.5, S. 162-182.

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de in der Regel auswendig zitiert.329 Trotz der wesentlich umfassenderen und gründlicheren Ausbildung der Gedächtniskunst, aufgrund deren die Gedächtniszitate mehr sind als bloße Reminiszenzen, sondern oft B auch bei längeren Texten B genaue Reproduktionen des Wortlautes, kommt es aber auch zu Zitierfehlern:330 Ein Beispiel für einen offensichtlich aus der gedächtnismäßigen Wiedergabe hervorgegangenen Fehler bietet NA 1,3,13, wo die Wortstellung im Zitat gegenüber der in der Originalstelle Lael. 61 überlieferten leicht verändert ist. Auch in NA 4,11,3 handelt es sich wohl bei der Ungenauigkeit in der zitierten Cicero-Stelle div. 1,62 (die von manchen Gellius-Herausgebern nach dem Original korrigiert wird) um eine Erinnerungsschwäche.331 Bei den geringfügigen Abwei_____________ 329 Vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 242-243: Es gilt als `unwiderleglich nachgewiesen, daß Aristoteles sämtliche Homerverse gedächtnismäßig wiedergibt ... Ebenso zitiert Ps.-Longinos frei nach dem Gedächtnisse ... Lukianos wie Plutarchos zitieren fast alle Klassikerstellen nach dem Gedächtnis, woraus sich manche Versehen, Irrtümer und Abweichungen vom Original erklärenA; MERCKLIN, Die Citiermethode, 687; HOWIND, De ratione citandi, 10. 330 Vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 243-245: Die meisten nachweisbaren Zitierfehler bestehen darin, daß Aussprüche anderen Personen in den Mund gelegt werden als in den Originaltexten, Personen verwechselt, Namen vertauscht oder Quellen falsch angegeben werden. Solche Fehler begegnen nicht nur in literarischen Texten, sondern sogar in den von Gelehrten angefertigten Scholien. Daß es bei den Gedächtniszitaten nicht selten auch zu Textentstellungen und -verstümmelungen kommt, belegt ANDRIEU, Procédés de citation, 270-271. 331 Außer den beiden unerheblichen Umstellungen im zweiten Teil des Laelius-Zitates (uoluntates amicorum statt amicorum uoluntates und amicitiae uenia dari statt amicitiae dari uenia) gibt es in NA 1,3,13 laut ANDRIEU, Procédés de citation, 271 eine dritte kleinere Umstellung (sit de uia statt de uia sit), die sich allerdings in keiner der maßgeblichen Textausgaben (von HOSIUS, MARACHE, MARSHALL, CAVAZZA) findet. Größer ist die Abweichung vom Originaltext in NA 4,11,3, wo das Ende der Cicero-Stelle div. 1,62 (ex quo etiam Pythagoreis interdictum putatur, ne faba uescerentur, quod habet inflationem magnam is cibus tranquillitati mentis quaerentis uera contrariam) wiedergegeben wird als ex quo etiam Pythagoreis interdictum putatur, ne faba uescerentur, quae res habet inflationem magnam tranquillitatem mentis quaerentibus contrariam. Ob in NA 1,7,2 ein im Wortlaut leicht verändertes Gedächtniszitat des Gellius oder eine Überlieferungsvariante vorliegt, ist schon wegen des expliziten Hinweises auf die Authentizität der Ausgabe der eingesehenen ciceronischen Verres-Rede (in libro fidei Tironiana cura atque disciplina facto) nicht eindeutig zu entscheiden: statt ad ea loca quae numquam antea uiderunt, ubi neque noti esse iis heißt es bei Gellius ad ea loca quae numquam antea adierant. neque noti esse iis. Allerdings werden im Kontext dieser Stelle offenbar Gedächtniszitate eines amicus noster prätendiert (NA 1,7,4-15); vgl. unten S. 159. B In NA 1,3,18 allerdings wird die zugrundeliegende Textstelle Lael. 36 so stark abgeändert und verkürzt (_contra patriam> inquit Cicero ‚arma pro amico sumenda non sunt>), daß nur noch die Kernaussage des exemplum, nicht mehr der Wortlaut erhalten ist. Bei dem augenscheinlichen Zitat handelt es sich bloß um eine sinngemäße Paraphrase.

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chungen von dem überlieferten Text Pind. Pyth. 1,21-26 in dem PindarZitat in NA 17,10,9, das Gellius den Favorinus mit der einschränkenden Berufung auf sein Gedächtnis (quantulum est mihi memoriae dicam) hat ankündigen lassen, ist im ersten Fall (in Z. 20 Auslassung von ąɃȽȺȫȻ in Pyth. 1,23) ein lapsus memoriae (des Gellius) oder ein Abschreibfehler anzunehmen, während im zweiten Fall (in Z. 24 ȡѢȠȖIȕȖȢșȒI vel. sim. statt ąȺoȼȳȮɃȼȲȫȳ in Pyth. 1,26) ein Überlieferungsfehler sehr wahrscheinlich ist.332 Auch dort, wo Gellius selbst nicht ausdrücklich auf das Memorieren verweist, liegt es bisweilen nahe, ein Zitat aus dem Gedächtnis zu vermuten, wenn entsprechende Fehler vorliegen: z.B. wenn in NA 13,19,1-2 Gellius zwar Platon eine falsche Zuschreibung eines SophoklesVerses (Soph. frg. 14 TrGF RADT: ȼoȿo¤ ȽѠȺȫvvoȳ ȽÆv ȼoȿÆv ȼȾvoȾȼɅs [`Weise sind Tyrannen durch den Umgang mit WeisenA]) an Euripides nachweist, selbst aber dabei Platons _Theaitet> mit dem pseudoplatonischen _Theages> (125 b 7 bzw. rep. 568 b 1) verwechselt; auch in NA 12,9,6 wird das berühmte decretum Socratis offenbar frei aus dem Gedächtnis zitiert,333 denn anders als an der Originalstelle (Plat. Gorg. 473 a 5: Ƚ° wȮȳȴȯ¥v Ƚoº wȮȳȴȯ¥ȼȲȫȳ ȴȪȴȳov ȯ«vȫȳ [`Unrecht tun sei schlimmer als Unrecht leidenA]) steht dort statt des Genitivus comparationis – Ƚ° und sind Prädikatsnomen und Prädikatsinfinitiv vorangestellt. Für die Bewertung der Authentizität der Aussagen des Gelllius über seine Gedächtniszitate gilt dasselbe wie für die gesamte Zitierpraxis in den _Noctes Atticae>:334 es sind keine durchgängig eingehaltenen Prinzipien _____________ 332 Vgl. MERCKLIN, Die Citiermethode, 687. Ebenso verhält es sich mit der kleinen Abweichung in den zitierten Sophoklesversen (Soph. frg. 301 TrGF RADT: ąȺ°Ȼ ȽȫºȽȫ ȴȺѠąȽȯ ȶȱȮɃv˜ ÓȻ ´ ąȪvȲ’ ´ȺÆv / ȴȫ¤ ąȪvȽ’ wȴoѠɂv ąȪvȽ’ wvȫąȽѠȼȼȯȳ ɀȺџvoȻ) in NA 12,11,6: Im ersten der Verse, die in eine aus dem Gedächtnis wiedergegebene Rede des Peregrinos Proteus eingelegt sind, steht statt des sonst (Clem. Alex. strom. 6,2,10,9 [2,430,6 STÄHLIN]; Stob. ecl. 1,8,17 [p.1,96,7 WACHSMUTH]) bezeugten ´ ąȪvȲ’ in Gellius= Sophokleszitat €ąȫvȲ’. 333 Vgl. dazu HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 268. 334 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 77-78: `Gellius, then, will cite the same writer, or even the same work, now at first, now at second hand. These categories were refined by M. MAYER [Nigido Figulo en Aulo Gelio, in: B. ROCHETTE (Ed.), Roma en el siglo II: Trabajos de la Sección del II Simposio de la Sociedad Española de Estudios Clásicos, Sección de Barcelona: Villanueva y Geltrú (abril 1970), Barcelona 1975, 103-107], who distinguished (a) direct quotations made while reading the work concerned; (b) quotations from memory, which as he observes do not fit into Mercklin’s system; (c) indirect quotations, (i) through Gellius’ teachers, (ii) taken from a commentary on text, (iii) found in a treatise or collection of extracts; (d) quotations checked against the original. It is one thing to devise classes, another to apportion membership: Mayer’s own examples are not all convincing. But his schema may remind us that reality is complex; even more complex if Gellius did not always record his source when excerpting a quotation, and read some commentaries right through but consul-

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erkennbar, sondern auch hierin wie in der Quellenangabe und in der Wiedergabegenauigkeit der Zitate zeigt Gellius eine große Variationsbreite, die jede Schematisierung ins Leere laufen läßt.335 Es muß letzlich offen bleiben, ob es eine Strategie zur Lesermanipulation ist, um an anderen Stellen nur vorgeblich aus dem Gedächtnis abgerufene Exzerpte als glaubhafte Gedächtniszitate zu tarnen, oder ob es tatsächlich seinem Bemühen um Glaubwürdigkeit und Genauigkeit entspricht, daß er in NA 1,23,2 eingesteht, wegen Fehlen des entsprechenden Buches kein Zitat aus der Cato-Rede _Contra Ser. Galbam ad milites> (orat. 53 frg. 172 ORF4 MALCOVATI = orat. 43 frg. 127 SBLENDORIO CUGUSI) liefern zu können: ea Catonis uerba huic prorsus commentario indidissem, si libri copia fuisset id temporis, cum haec dictaui. Daß Gellius selbst es auch mit der Quellenangabe ganz genau nimmt, insinuiert er durch den Vorwurf einer falschen Quellenangabe, den er in NA 15,30,4-5 gegen einen anonymen homo erhebt, der zu denen gehört, die sich mit ihrer Bildungsostentation lächerlich machen: qui ab alio genere uitae detriti iam et retorridi ad litterarum diciplinas serius adeunt, si forte idem sunt garruli natura et subargutuli, oppido quam fiunt in litterarum ostentatione inepti et friuoli (NA 15,30,1). Der prätentiöse Schwätzer wird sowohl einer falschen Etymologie von petorritum336 als auch einer falschen Zuweisung dieser etymologischen Herleitung an Valerius Probus überführt, die Gellius im Anschluß aufgrund eigener Recherchen korrigiert: Ego, cum Probi multos admodum commentationum libros adquisierim, neque scriptum in his inueni nec usquam alioqui Probum scripsisse credo. _Petorritum> ... est uox Gallica. Id scriptum est in libro Varronis quarto decimo _rerum disciplinarum> ... (NA 15,30,5-7). Auch gegenüber der in NA 10,12,1 zitierten Zuschreibung des älteren Plinius, der für die anschließend aufgrund der plinianischen Darstellung in NH 28,112 aus dem Gedächtnis paraphrasierten bizarren Ausführungen die Demokrit-Schrift _De ui et natura chamaeleontis> als Primärquelle angegeben hat, bleibt Gellius skeptisch: His portentis atque praestigiis a _____________ ted others only when puzzled by a text. Even when Gellius does identify his source, he may not quote exactly.A 335 Wie unzureichend und angreifbar die Versuche MERCKLINs und anderer quellenkritischer Untersuchungen zur systematischen Erfassung der `Citiermethode und QuellenbenutzungA des Gellius bleiben, hat HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 72-80 deutlich dargelegt. Vgl. dazu auch oben S. 118-119. MERCKLIN selbst stellt am Ende seiner Ausführungen über die drei `Arten von CitatenA, in denen er (1) die als ipsa uerba angekündigten wörtlichen Zitate, (2) die ungefähr und nur sinngemäß wiedergegebenen Zitate und (3) die zwischen beiden Formen stehenden Gedächtniszitate voneinander unterscheidet, (Die Citiermethode, 682-691) fest: `Das Methodische ist also auch hier nicht mit strenger Consequenz durchgeführt, sondern es wiederholt sich die oft beobachtete Ungleichheit als der herrschende Charakter im ganzen.A 336 Vgl. dazu oben S. 88 m. Anm. 131. S. 96.

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Plinio Secundo scriptis non dignum esse cognomen Democriti puto (NA 10,12,6). Das Bemühen um eine fast (modernen Ansprüchen genügende) wissenschaftliche Akribie bzw. um den Anschein davon337 ist der Deckmantel, unter dem Gellius selbst in anderen Fällen Zitate ohne Quellenangabe verwendet338 bzw. unüberprüft aus Mittelquellen übernimmt. So kommt es aus tatsächlich vorhandener oder auch nur vorgegebener Belesenheit zu dem im vorangehenden in Umrissen skizzierten Zitatenreichtum der _Noctes Atticae>, in dem der Autor seine stupende Gelehrsamkeit und Bildung zur Schau stellen kann. Mit dieser Praxis, die Zahl der zitierten und scheinbar gelesenen Texte durch Verschweigen der wirklichen Quellen zu erhöhen, befindet sich Gellius in der Gesellschaft der `ZitatenhuberA, der etwas jüngeren Buntschriftsteller Ailianos von Praeneste (Verfasser der ȡoȳȴɅȵȱ ¬ȼȽoȺɅȫ) und Athenaios von Naukratis (Verfasser der ȕȯȳąvoȼoȿɅȼȽȫȳ), aber auch schon der früheren enzyklopädischen Autoren Celsus und Plinius, die mit nicht (selbst ganz) gelesenen bzw. nur aus zweiter Hand und auszugsweise bekannten Verfassernamen aufwarten und imponieren.339 Diese Zitatenrenommisterei hat aber nicht nur Bewunderung gefunden, sondern auch schon bei den Zeitgenossen Kritik und Spott erregt. _____________ 337 Vgl. ANDRIEU, Procédés de citation, 276: Das Bewußtsein für die Problematik der Genauigkeit der Zitate ist bei Gellius wie auch bei Cicero u.a. durchaus schon vorhanden; vgl. dazu auch oben S. 120-121. S. 131-132 m. Anm. 272-273. 338 Das Verschweigen der Quellen ist auch über die antike Literatur hinaus verbreitet. Vgl. dazu STEMPLINGER, Das Plagiat, 177-178: `Von Plutarch wissen wir, daß er seine Biographie des Coriolanus fast ganz dem Dionysios von Halikarnassos entlehnt, ohne ihn auch nur einmal anzuführen; gerade so machen es Appianos und Herodianos; Zonaras verschweigt seine Hauptquelle, Dion Cassius, vollständig; Ailios Aristeides zitiert manchmal mit denselben Worten, meistens aber rhetorisch aufgeputzt, alle möglichen Stellen aus alten Autoren, nennt aber Namen nur ausnahmsweise, so den unzähligemal benutzten Herodotos nur zweimal, den vielfach ausgeschriebenen Plutarchos gar nirgends. So nennt auch Macchiavelli den häufig benutzten Polybios, Iustinus und Suetonius nirgends. Die Abhängigkeit von den Vorlagen erreicht bei den byzantinischen Chronisten den Höhepunkt, die zum größten Teil die ihnen vorliegenden Geschichtswerke fast wörtlich exzerpierten, ohne ihre Quellen namhaft zu machen ...A 339 Vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 181-182: Es entsprach `dem rhetorischen Geiste der Zeit (seit dem 1. Jahrhundert n. Chr.) ..., eine Gewissenhaftigkeit zur Schau zu tragen, die man gar nicht hatte, mit Autornamen um sich zu werfen, die man gar nicht kannte, geschweige denn gelesen hatte, eine Gelehrsamkeit vorzutäuschen, wie man sie etwa nach den Quellenregistern moderner Doktordissertationen vermuten könnte. ... Um mit recht viel Autornamen aufwarten zu können und somit die ąȳȲȫvџȽȱȻ des Lesers zu erreichen B dies ist ja der Zweck B zitiert man häufig die Vorlage mit der dort angegebenen Quelle zusammen oder verschweigt jene, um mit der Quelle allein zu dienen, ein Verfahren, das heute noch mit der gleichen Häufigkeit angewendet wird wie ehedem und zumeist dieselbe Wirkung erzielt.A

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Lukian warnt (sich selbst ironisch) vor der Zitiersucht in seiner Abhandlung ^Ȥą‡Ⱥ Ƚoº ˆv Ƚ ąȺoȼȫȭoȺȯѠȼȯȳ ąȽȫɅȼȶȫȽoȻ (_Pro lapsu inter salutandum>); auch in seiner Spottschrift ȡȺ°Ȼ Ƚ°v wąȫɅȮȯȾȽov ȴȫ¤ ąoȵȵq ȬȳȬȵɅȫ ËvoѠȶȯvov (_Adversus indoctum>),in der er die Vortäuschung von Gelehrsamkeit bei dem ungebildeten Büchersammler verspottet, macht er sich darüber lustig.340 Die Wirkung der Zitatenrenommisterei wird aber nicht selten noch dadurch gesteigert, daß Gedächtniszitate vorgetäuscht werden, wo tatsächlich schriftliche Exzerpte benutzt werden. Der Prätention, sich an (vor längerer Zeit) Gelesenes oder bloß Gehörtes zu erinnern und es aus dem Gedächtnis niederzuschreiben, ist nicht nur Gellius erlegen,341 obwohl schon Cicero davor gewarnt hat, daß die im Übermaß betriebene ostentatio memoriae kindisch wirke.342 Doch finden sich in den _Noctes Atticae>, deren bedauerlicherweise verlorenes Kapitel NA 8,7 auch darüber (de exuberantia ) gehandelt zu haben scheint, für diese Praxis prominente Beispiele: so verdankt Gellius den berühmten commentarius NA 3,3 über die indices Varronianae der (21 unzweifelhaft) echten _____________ 340 Nachdem Lukian sich in _Pro lapsu inter salutandum> mit einer Fülle von Autoritätszitaten für seinen bei der Begrüßung begangenen vermeintlichen Fauxpas, die falsche Phrase benutzt zu haben, gerechtfertigt hat, verbietet er in Laps. 7 sich selbst die Anführung weiterer Zitate: ... ȽoºȽo ȶ‡v ąȫȺȫȳȽɄȼoȶȫȳ, ÓȻ ȶŽ ȯ¨Ȼ wąȯȳȺoȴȫȵɅȫv Ƚȳvq ȶȯȳȺȫȴȳѡȮȱ ‹ȴąɃȼ ȶoȳ Ƚ° ȼѠȭȭȺȫȶȶȫ ȴȫ¤ ȴȳvȮȾvȯѠɂȶȯv xȵȵÇ ȵÇ ˆȴȴȺoѠȯȳv Ƚ°v Ÿȵov ...; vgl. dazu J. BOMPAIRE, Lucien écrivain, 384. B In der Schrift _Adversum Indoctum>, in der er allenthalben den prätentiösen Umgang mit Büchern und das unverständige Lesen des ungebildeten Bibliophilen (Ind. 4. 7. 17-18) kritisiert, fordert er den Bücherbesitzer voller Sarkasmus zu ihrem Verkauf auf: ¬ȴȫvÆȻ ąȯąȫɅȮȯȾȼȫȳ, €ȵȳȻ ȼoȳ ȽȻ ȼoȿɅȫȻ. ȶџvov o½ȴ ˆą]xȴȺoȾ Ƚoº ɀȯɅȵoȾȻ ‰ɀȯȳȻ Ƚq ąȫȵȫȳq ąȪvȽȫ. ąrȼȫv ȶ‡v ¬ȼȽoȺɅȫv o«ȼȲȫ, ąȪȼȫȻ Ȯ‡ ȵџȭɂv ȽɃɀvȫȻ ȴȫ¤ ȴȪȵȵȱ ȫ½ȽÆv ȴȫ¤ ȴȫȴɅȫȻ ȴȫ¤ ±voȶȪȽɂv ɀȺȼȳv ȽÆv ]AȽȽȳȴÆv. ąȪvȼoȿџv Ƚȳ ɀȺȶȫ ȴȫ¤ xȴȺov ˆv ąȫȳȮȯɅs ȭȯȭɃvȱȼȫȳ Ȯȳq Ƚ° ąȵȲoȻ ȽÆv ȬȳȬȵɅɂv (Ind. 26). 341 Vgl. KROLL, Studien zum Verständnis der römischen Literatur, 290: `Wo man einmal genau bestimmte Angaben macht, sucht man den Anschein zu erwecken, als verdanke man sie dem Gedächtnis, nicht dem Nachschlagen eines Buches. Cicero sagt bei einem Enniuszitat (Brut. 58): est igitur sic apud illum in nono ut opinor annali, obwohl er es genau weiß, und braucht dieselbe Floskel, wo er die Konsuln eines Jahres nennt (ebd. 85), einen Autor zitiert usw. Der nur mit Exzerpten arbeitende Athenaios verbrämt ein wörtliches Zitat aus Phylarchos (I 58 c) mit den Worten ȯ ȶvɄȶȱȻ ȯ3ȽȾɀH. Selbst der brave Gellius nimmt einmal diese Maske vor (I 3, 10): eaque disputatio scripta est, si recte meminimus, in libro eius de amicitia primo.A In der Fußnote zu diesem Abschnitt betont KROLL die Notwendigkeit zu differenzieren zwischen vorgegebenen und echten Gedächtniszitaten: `Etwas anderes ist es natürlich, wenn Schriftsteller sich wirklich auf ihr Gedächtnis verlassen wie Varro (Ennius ed. Vahlen p. XXXII). Das ist im Altertum, wo man mehr Literatur im Kopf hatte und schon wegen der Unbequemlichkeit des Aufrollens die Nachprüfung vermied, viel häufiger als bei uns.A 342 Cic. part. 60: sed erit in enumeratione uitandum, ne ostentatio memoriae suscepta uideatur esse puerilis.

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Plautuskomödien und weiterer von Varro aufgrund stilistischer Kriterien als plautinisch angesehener Komödien343 angeblich einer Diskussion von Plautuskennern (NA 3,3,1: quod quosdam bene litteratos homines dicere audiui, qui plerasque Plauti comoedias curiose atque contente lectitarunt; NA 3,3,4: ex ea fabula uersus ... propterea et meminimus eos et ascripsimus). Doch scheint die szenisch nicht weiter ausgestaltete Diskussion, deren Ohrenzeuge Gellius gewesen zu sein vorgibt, nur eine Einkleidung eigener Lesefrüchte,344 genauso wie in NA 17,8. Die in diesem letztgenannten commentarius nach dem Vorbild von Plutarchs _Quaestiones convivales> als Unterhaltung beim Symposion im Hause des Philosophen L. Calvenos Tauros recht anmutig inszenierte Erörterung der Frage, cur oleum saepe et facile, uina rarius congelescant, acetum haut fere umquam, ist mit guten Gründen auf einen schriftlichen (griechischen) Diskurs zurückgeführt worden.345 Denn zwischen dem Erzählteil (NA 17,8,1-10. 17), in dem Tauros’ humorvoller Umgang mit einem jungen Sklaven geschildert wird und sich aus der als Entschuldigung für sein Versehen vorgebrachten Ausrede des Knaben, daß das Öl in dem herbeigebrachten Gefäß gefroren sei (NA 17,8,3-8), die zunächst an Gellius gerichtete Frage (NA 17,8,9) nach dem unterschiedlichen Gefrierpunkt von Öl und Wein ergibt, und dem Teil, in dem Tauros die kurze Antwort des Gellius (NA 17,8,10) aufgrei_____________ 343 Die von Gellius referierte Echtheitskritik Varros aus der Schrift _De comoediis Plautinis> und die damit verbundene eigene echtheitskritische Analyse des Gellius hat vor kurzem in dem Bemühen, sie voneinander zu trennen, DEUFERT, Textgeschichte und Rezeption, 104-107 neuerlich untersucht. Das Gellius-Kapitel NA 3,3 hat in jüngster Zeit auch noch einmal behandelt M. REICHEL, Überlegungen zur Echtheitskritik der plautinischen Komödien am Beispiel der _Asinaria>; in: E. STÄRK / G. VOGT-SPIRA (Hrsg.), Dramatische Wäldchen. Festschrift für E. LEFÈVRE, Hildesheim / Zürich / New York 2000 [= Spudasmata 80], 375-396, hier 390-392. 344 Das Kapitel NA 3,3 geht sicher zu einem großen Teil, wenn nicht ganz zurück auf Varros _De comoediis Plautinis> (vgl. dazu auch MERCKLIN, Die Citiermethode, 643644). Schwierig ist es, die Glaubwürdigkeit der Angaben des Gellius in NA 3,3,3. 6. 7 zu beurteilen, vor kurzem selbst die nicht zu den 21 fabulae Varronianae gehörenden Komödien _Boeotia>, _Neruularia> und _Fretum> gelesen zu haben. Während JOCELYN, Studies in the Indirect Tradition, 68 darin `dialogue fictionA vermutet, hat u.a. F. RITSCHL, Parerga zu Plautus und Terenz, Leipzig 1845, 129-130 dem Glauben geschenkt. 345 Vgl. BEALL, Aulus Gellius 17.8, 55-64, hier bes. 57-58 und 63: `Gellius may have used an existing Latin translation, but it is more likely (as we shall see later) that he translated the passage himself. In any case, it is apparent that the banquet of 17.8 does not simply reflect Gellius’ memory of a past conversation. Taurus and Gellius himself, like the _friend> of 1.7, act as _fronts> for information which can be seen, on stylistic and linguistic grounds, to have been transcribed from books. The rest of the banquet scene has been constructed around these excerpts to provide them with a more attractive setting. ... we may infer that the translation in 17.8 is Gellius’ own, and that the rest of the chapter has been shaped to frame it.A

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fend das Thema ausdifferenziert (NA 17,8,11-15) und andere damit verwandte Fragen aufwirft (NA 17,8,16), sind deutliche Differenzen im Sprachstil nachweisbar. Solche Stilunterschiede, die verraten, daß bei der Produktion der _Noctes Atticae> commentarii aufgrund von schriftlichen Exzerpten komponiert, verschiedene Quellen zusammengesetzt und szenisch ausgestaltet worden sind,346 bestehen auch in NA 1,7 zwischen der oratio recta des anonymen Freundes (NA 1,7,6-8) und der oratio obliqua (NA 1,7,16-17), in der Gellius wohl mit eigener Stimme spricht. Die Zuschreibung der umfangreichen, mit vielen wörtlichen Zitaten aus Plautus, Quadrigarius, Laberius, Cicero u.a. gespickten Rede an einen namentlich nicht genannten Freund, der vorgestellt als homo lectione multa exercitus, cui pleraque omnia ueterum litterarum quaesita, meditata euigilataque erant (NA 1,7,4) wohl nicht zufällig Ähnlichkeit mit Gellius selbst hat, ist leicht als Fiktion zu durchschauen. Denn der amicus noster extemporiert vorgeblich seine Rechtfertigung der als grammatisch fehlerhaft kritisierten Form futurum (statt des mit den Kongruenzregeln übereinstimmenden futuram) in der Tiro-Handschrift der ciceronischen Verres-Rede (Verr. II 5,167) nach nur kurzer Einsichtnahme (NA 1,7,4: libro inspecto), was bei aller Beherrschung der Gedächtniskunst kaum möglich scheint. Inszenierte und prätendierte Gedächtniszitate bieten sehr wahrscheinlich auch NA 12,11 mit dem sermo des Peregrinos Proteus, den Gellius selbst gesehen und gehört zu haben behauptet,347 NA 14,1 mit dem Chaldäer-Diskurs des Favorinus, den Gellius vorgibt aus dem Gedächtnis aufgezeichnet zu haben,348 und NA 16,5 mit den Ausführungen des Sulpicius Apollinaris _____________ 346 BEALL, Aulus Gellius 17.8, 57 charakterisiert Gellius’ Technik im Umgang mit den Quellen als `_cut-and-paste> approach to literary sourcesA. Den Prozeß der Entstehung von NA 17,8 stellt BEALL (64) sich im einzelnen folgendermaßen vor: `We are now able to make a hypothetical reconstruction of the genesis and development of Noctes Atticae 17.8. It began with an excerpt from a Greek text which attracted Gellius’ attention because of its unusual vocabulary. He translated the passage and added a line or two, perhaps, from a Latin grammatical commentary. Next, he resolved to give his notes an appropriate setting and resorted to the model of sympotic questions as we find them in Plutarch. Into this he incorporated the motif of the vegetable diet, associated with philosophical ascesis and literary otium. Next, he composed the burlesque of the slave boy, a type of character sometimes featured in symposia, which he embellished by giving the boy _natural> Attic speech and by adding a few flourishes from Plautus.A 347 NA 12,11,1: Philosophum nomine Peregrinum, cui postea cognomentum Proteus factum est, uirum grauem atque constantem, uidimus, cum Athenis essemus, deuersantem in quodam tugurio extra urbem. Cumque ad eum frequenter uentitaremus, multa hercle dicere eum utiliter et honeste audiuimus. In quibus id fuit, quod praecipuum auditu meminimus. Vgl. dazu auch S. 154 Anm. 332. 348 NA 14,1,1. 34: audiuimus quondam Fauorinum philosophum Romae Graece disserentem egregia atque inlustri oratione ... Praeter haec autem, quae dicentem Fauorinum audiui-

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über die ratio des Wortes uestibulum, die sein Schüler Gellius angeblich, wie aufgetragen (NA 16,5,11), aus dem Gedächtnis repetieren kann.349 Die äußerst sparsame szenische Rahmung des Favorinus in den Mund gelegten Pindar-Vergil-Vergleiches in NA 17,10 kaschiert nur unzureichend die Prätention des Gedächtniszitates.350 Bisweilen bemüht sich Gellius, die Glaubwürdigkeit solcher Gedächtniszitate und ihrer szenischen Einkleidung zu erhöhen, indem er darauf verweist, daß sie sofort nachher aufgezeichnet worden seien: so in NA 14,1,2 (Capita autem locorum argumentorumque, quibus usus est, quod eius meminisse potui, egressus ibi ex auditione propere adnotaui);351 in NA 19,7,12 suggeriert Gellius, daß die zitierten Phrasen nicht nur sofort nach der gemeinsamen Lektüre der _Alcestis> dem Gedächtnis eingeprägt, sondern sogar noch unterwegs aufgezeichnet worden sind: his nos inter uiam uerborum Laeuianorum adnotatiunculis oblectabamus. Doch die Glaubwürdigkeit der expliziten Hinweise des Gellius, daß er aus dem Gedächtnis zitiert, läßt sich nicht im allgemeinen und mit Sicherheit abschätzen.352 Vielmehr dürfte aus dem Vorhergehenden deutlich _____________

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mus, multa etiam memini poetarum ueterum testimonia ...; vgl. dazu auch oben S. 150151 m. Anm. 325. Der Information, hier eine mit eigenen Ohren gehörte Rede wiederzugeben, versucht Gellius dadurch Glaubwürdigkeit zu verleihen, daß er in NA 14,1,2 betont, ihre Hauptpunkte und ihren Gedankengang sogleich danach schriftlich festgehalten zu haben. Wahrscheinlich konnte Gellius aber für diese Rede auf ein schriftlich überliefertes Corpus von Favorinus’ Vorträgen zurückgreifen; vgl. BEALL, Civilis eruditio, 182-183. NA 16,5,4. 11: Quod Sulpicium autem Apollinarem memini dicere, uirum eleganti scientia ornatum, huiuscemodi est: ... meminisse autem debebimus id uocabulum non semper a ueteribus scriptoribus proprie, sed per quasdam translationes esse dictum ...; vgl. dazu auch oben S.151 Anm. 326. NA 17,10,1: Fauorinum philosophum, cum in hospitis sui Antiatem uillam aestu anni concessisset nosque ad eum uidendum Roma uenissemus, memini super Pindaro poeta et Vergilio in hunc ferme modum disserere; vgl. dazu auch oben S. 151. Daß Favorinus tatsächlich in NA 17,10 die B vermutlich schriftliche B Quelle des Vergleiches ist, wie auch in NA 3,3 und NA 17,1,20, erklärt PEZZATI, Gellio e la scuola di Fauorino, 852. 853. Sein stilkritisches Urteil über die vergilische Ätna-Beschreibung hält im Kern für zutreffend, nicht aber seinen Schluß auf die mangelnde Vollendung der _Aeneis> ZWIERLEIN, Ovid- und Vergil-Revision, 121-130; vgl. S. 215 Anm. 79. Vgl. auch NA 20,6,15: Haec memini mihi Apollinarem dicere, eaque tunc ipsa, ita ut dicta fuerant, notaui. Vgl. PUGLIARELLO, Disparilitas e memoria, 105-106: `La stessa prassi citazionale di Gellio è talvolta basata esplicitamente sul ricordo: se ciò corrisponda a realtà o sia fictio letteraria è in certi casi difficile da stabilire, tenendo conto che alcuni passi di una certa estensione, riferiti _a memoria>, risultano perfettamente corrispondenti al testo originario, così da non rendere improbabile un controllo di Gellio sulla fonte.A Auch CAVAZZA (Ed.), Le Notti Attiche, vol. 4, 227 wägt im Kommentar die Argumente ab, ohne sich endgültig festzulegen, ob es sich bei der Paraphrase bzw. bei der wörtlichen Wie-

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geworden sein, daß es sehr schwierig und nur im Einzelfall möglich ist, in den _Noctes Atticae> bei der Präsentation und Einkleidung der Zitate Faktum und Fiktion voneinander zu unterscheiden. Aber auch über die Zitierpraxis hinaus können bloß mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die der Ausschmückung dienenden fiktiven `ZutatenA und die authentischen Fakten in den einzelnen commentarii identifiziert werden.353 Denn `gerade für Gebildete, die viel gelesen haben, und für Gelehrte, die alles gelesen haben sollten, ist die Versuchung zu flunkern großA,354 was ihren Umgang mit Literatur betrifft. Die in der Praefatio vorgebrachte Ankündigung des Gellius, mit seinem Werk seine eigenen Gedächtniskapazitäten auszuweiten (NA praef. 2) und die mnemonischen Fähigkeiten seines Publikums (NA praef. 16) zu verbessern, hat er schon, was ihn als Autor betrifft, eingelöst, indem er in zahlreichen commentarii längere Passagen vorgeblich oder tatsächlich aus dem Gedächtnis zitiert. Auch die Motivation der Leser wird im weiteren Verlauf der _Noctes Atticae> fortgeführt, insbesondere indem Gellius sich selbst und andere Zeitgenossen als Vorbilder der Gedächtniskunst darstellt, aber auch durch mehr oder weniger direkte Appelle zu memorieren. Die Hinweise darauf, daß etwas memoria dignum (z.B. NA 3,9,1; NA 4,9,1; NA 4,12,cap.; NA 11,18,cap.; NA 15,19,cap.) bzw. memoratu dignum (z.B. NA 3,16,cap.: auditu atque memoratu digna; NA 4,18,cap.: memoratu dignissima; NA 7,8,cap.; NA 7,9,1) ist, beziehen sich ja nicht nur auf die Darstellung des Autors, sondern zielen auch auf das Publikum. Noch wirkungsvoller wird z.B. in NA 2,29,20 implizit an den Leser die _____________ dergabe von Cic. Verr. II 5,161-163 in NA 10,3,7-13 um ein echtes oder um ein fingiertes Gedächtniszitat handelt: `La rispondenza della citazione e del testo ciceroniano è perfetta al punto che riesce difficile pensare che Gellio sapesse il passo a memoria che rende invece probabile la fictio letteraria. Però il passo non è eccessivamente lungo ... e poteva essere oggetto di studio e ripetute citazioni anche nelle scuole di retorica, per cui non è impossibile anche la prima ipotesi.A 353 Im Hinblick auf die Szenen, in denen Gellius sich selbst oder andere Intellektuelle als Besitzer und Benutzer alter Handschriften und Bücher präsentiert (z.B. NA 9,4 vgl. dazu oben S. 122 Anm. 241) urteilt ZETZEL, Latin Textual Criticism, 60: `Thus, even the stories about manuscripts that we have stigmatized as probably fictitious have a large element of truth in them; they are obviously things that could have taken place in the mid-second century. In so far as Gellius is merely indicative of the tastes and fashions of the Antonine age, we may accept almost everything that he says as reasonable.A B Zu einem ähnlichem Urteil über die gesamte Gestaltung der _Noctes Atticae> gelangt HOLFORD-STREVENS, Fact and fiction, 65-68, hier bes. 67-68: `We have thus seen some obvious fictions in Gellius’ anecdotes, and other things that have the ring of truth; much however is beyond proof or disproof ... But we should in general take Gellius’ anecdotes rather as o¯ȫ yv ȭɃvoȳȽo than as ȽȪ ȭȯvџȶȯvȫ, in particular instances we need not shrink from saying that some are the latter, others not even the former.A 354 SCHLAFFER, Der Umgang mit Literatur, 10.

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Aufforderung gerichtet, die letzten beiden Verse der von Ennius in seinen _Satirae> versifizierten Aesop-Fabel von der Haubenlerche dem Gedächtnis einzuprägen: quorum duo postremi sunt, quos habere cordi et memoriae operae pretium esse hercle puto. Explizit wird in NA 12,4,2-4 mit dem Zitat aus den _Annalen> des Ennius (ann. 234-252 VAHLEN2 = 268-286 SKUTSCH) die Erwartung des Gellius verbunden, daß auch der Leser über die Charakteristik des Servilius Geminus, hinter der eine ennianische Selbstdarstellung vermutet wird, (sogleich) im Wortlaut verfügen möchte, um sie sich anzueignen: Eos ego uersus non minus frequenti adsiduoque memoratu dignos puto quam philosophorum decreta. Ad hoc color quidem uetustatis in his tam reuerendus est, suauitas tam inpromisca tamque a fuco omni remota est, ut mea quidem sententia pro antiquis sacratisque amicitiae legibus obseruandi, tenendi colendique sint. Quapropter adscribendos eos existimaui, si quis iam statim desideraret. 3.4.5. `GedächtniskünstlerA als Vermittler zwischen kollektiver und individueller memoria In verschiedenen szenisch gestalteten Rahmenpartien einzelner commentarii der _Noctes Atticae> treten, wie schon oben im Zusammenhang mit den antiken Zitiergewohnheiten beschrieben, eine Reihe von Figuren auf, die mit ihrer Gedächtniskunst brillieren: Der herausragende Vertreter einer Gedächtniskunst, die in der Antike als universal wichtige und nützliche kulturelle Technik allzeit präsent und praktiziert war, ist Favorinus von Arelate, der Zeitgenosse des Gellius. Dem Buntschriftsteller und Verfasser der ]ȒąoȶvȶovȯѠȶȫȽȫ und der ȡȫvȽoȮȫąŽ ¬ȼȽoȺɅȫ, dem Vertreter der Zweiten Sophistik und Rhetor, der zu Lebzeiten gefeiert wurde, brachte Gellius auch als Gedächtniskünstler tiefe Bewunderung entgegen. Ihn stellt er deshalb in NA 13,25,5 vor mit dem Hinweis auf seine enorme Gedächtnisleistung: ut erat Fauorinus egregia uel diuina quadam memoria, uerba ipsa M. Tulli statim dixit. Und auch in NA 14,2, als sich Gellius mit einem Problem, vor das er sich bei seiner Richtertätigkeit gestellt sieht, an den `PhilosophenA Favorinus wendet, kann dieser aufgrund seiner Belesenheit und seines Gedächtnisses mit einem die Lösung weisenden CatoZitat aufwarten, das selbst wiederum in alter römischer Rechtstradition wurzelt: Verba ex oratione M. Catonis, cuius commeminit Fauorinus, haec sunt: _Atque ego a maioribus memoria sic accepi ...> (NA 14,2,26). (Daß Gellius dem catonischen Präjudiz in seiner jugendbedingten Unsicherheit schließlich keine Folge leistet und auf eine Entscheidung verzichtet, ist ein charakterliches Phänomen, das an anderer Stelle mehr Beachtung finden soll: vgl. dazu unten S. 309 m. Anm. 15.) Auch in den schon näher be-

3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst

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trachteten commentarii NA 17,10 und NA 20,1355 zeigt Favorinus philosophus seine Beherrschung der Gedächtniskunst in einer privaten Runde auf einem Landsitz in Antium bzw. vor dem zur salutatio Caesaris im kaiserlichen Palast versammelten Publikum. Vor derselben Kulisse, nämlich in uestibulo Palatii, läßt Gellius in NA 19,13 ein Gespräch der zufällig aufeinandergetroffenen Cornelius Fronto und Sulpicius Apollinaris (in Gesellschaft des Postumius Festus) über den Gebrauch der Ausdrücke pumiliones bzw. nani stattfinden, in dem sie beide imstande sind, aus dem Gedächtnis die einschlägigen Texte zu rekapitulieren.356 L. Calvenos Tauros präsentiert seine Gedächtnisleistungen dagegen im Rahmen seines Unterrichtes in NA 10,19,3357 und bei der cena in seinem Athener Privathaus in NA 17,8.358 Zu den Prominenten, die in den _Noctes Atticae> mit ihrem Gedächtnis glänzen, gehört auch der Rhetor Antonius Iulianus, weshalb ihn Gellius überschwenglich lobt: doctrina quoque ista utiliore ac delectabili ueterumque elegantiarum cura et memoria multa fuit (NA 1,4,1). Auch der Autor selbst stellt sein hervorragendes Gedächtnis vielfach unter Beweis (z.B. in NA 14,1,2; NA 19,7,12; NA 19,13,5), wie oben ausführlicher behandelt.359 Obwohl diese Intellektuellen wie auch andere namhaften Gestalten nicht nur gelegentlich, sondern an vielen Stellen der _Noctes Atticae>, die Person des Autors durch das ganze Werk, in Erscheinung treten, bleiben sie jede für sich und alle zusammen als individuell charakterisierte historische Personen ziemlich im dunkeln. Einerseits werden sie an verschiedenen Orten plaziert: Favorinus in NA 18,1 sogar am Strand von Ostia,360 im Kaiserpalast z.B. in NA 4,1 und in NA 20,1,2 in Erwartung der salutatio Caesaris sowie in der Villa seines Freundes in Antium in NA 17,10; Antonius Iulianus u.a. in NA 15,1,1-2 nach einer Deklamation auf dem Heimweg durch Rom B vorbei an brennenden Häusern; Tauros in Gesellschaft des Gellius und anderer z.B. in seinem Athener Domizil in NA 17,8 und in der Villa des Herodes Atticus in Kephisia in NA 18,10, in NA 12,5 in Lebadia auf dem Weg zu den Pythischen Spielen in Delphi; _____________ 355 356 357 358 359 360

Vgl. dazu oben S. 151. S. 152. S. 153-154. S. 160 m. Anm. 350. Vgl. dazu oben S. 152. Vgl. dazu oben S. 152. Vgl. dazu oben S. 158-159. Vgl. dazu auch S. 148-152. S. 160-161. Diese Szene am Strand, in der zwischen Favorinus, einem Stoiker und einem Peripatetiker in Gellius’ Anwesenheit ein philosophisches Thema erörtert wird, hat Minucius Felix als Modell für den Beginn seines _Octavius> gedient: vgl. SPEYER, Octavius, 49. 51. Mit der Diskussion der Frage, quantum in perficienda uita beata uirtus ualeret quantumque esset in his, quae dicuntur extranea, setzt der commentarius NA 18,1 die in Cic. Tusc. 5,120 von Karneades entschiedene Debatte dramatisch um; vgl. HOLFORDSTREVENS, Fact and Fiction, 65; ders., Aulus Gellius2 , 67-68.

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Cornelius Fronto, Postumius Festus, Sulpicius Apollinaris und Gellius in NA 19,13,1 im Kaiserpalast; der Dichter Iulius Paulus in NA 5,4 in einer römischen Buchhandlung apud Sigillaria; Sulpicius Apollinaris in NA 18,4,1 in einer Buchhandlung in Sandaliario und in NA 13,20 zusammen mit Gellius und anderen Freunden in der Bibliothek des tiberianischen Palastes in Rom; Gellius in NA 16,8,2 in der Bibliothek des Pax-Tempels in Rom und in NA 9,4 in der Buchhandlung in Brindisi B auf der Rückreise von Griechenland. Auch erscheinen sie in verschiedenen Situationen, z.B. bei Symposien in NA 3,19,1 mit Favorinus, in NA 7,13 und in NA 17,8361 mit Tauros, in NA 19,9 mit Antonius Iulianus, in NA 18,2 unter Teilnahme von Gellius und anderen Romani anläßlich der Saturnalienfeier in Athen; auf Spaziergängen z.B. Favorinus in Begleitung von Freunden und Gellius apud balneas Titias in Rom in NA 3,1,1, derselbe mit dem üblichen Gefolge auf dem Forum in NA 13,25,2 und mit zwei befreundeten Philosophen und Gellius am Strand von Ostia in NA 18,1,3, Gellius alleine beim Abendspaziergang B auf dem Rückweg von Praeneste B in NA 11,3,1 und in NA 7,16,1 B wohl im athenischen B Lyzeum; bei Krankenbesuchen z.B. Favorinus in NA 16,3,1, derselbe beim kranken Fronto in NA 2,26,1 und Gellius zusammen mit Iulius Celsinus wiederum beim kranken Fronto in NA 19,10,1,362 Tauros bei einem erkrankten Stoiker in NA 12,5,1-2 und bei dem B während eines Aufenthaltes in der Villa des Herodes Atticus in Kephisia B erkrankten Gellius in NA 18,10,1-3. Andererseits zeigen sie sich in den ohnehin meist nur schwach beleuchteten Szenen der commentarii beim ersten Blick bloß als schemenhafte Gestalten, die allein durch ihre in Worten zum Ausdruck kommende Gelehrsamkeit und Beredsamkeit Konturen erhalten. Dabei bleibt ihr persönliches Profil unscharf und nur für den um Unterscheidung bemühten und _____________ 361 Die oben bereits erwähnte Szene (vgl. S. 158-159), in der nicht nur ein Wortwechsel des Tauros mit seinem jungen Sklaven, einem puer genere Atticus ad annos maxime natus octo anschaulich erzählt, sondern auch die Zeit der cena (NA 17,8,1: ubi iam uesperauerat; id enim est tempus istic cenandi) und das Gericht (NA 17,8,2: fundus et firmamentum omne erat aula una lentis Aegyptiae et cucurbitae inibi minutim caesae) beschrieben wird, befriedigt ausnahmsweise die Bedürfnisse des modernen Lesers nach Anschaulichkeit. 362 Es ist durchaus möglich, daß der Besuch beim kranken Fronto in NA 19,10 ein authentisches Erlebnis des Autors Gellius schildert. Auf jeden Fall liefert in der Szene eine im 2.Jh. übliche Form sozialer Kontaktpflege, wie sie auch die anderen Krankenbesuche der _Noctes Atticae> (NA 2,26; NA 12,5; NA 16,3) widerspiegeln (vgl. S. 258259 Anm. 232), den Hintergrund für die Erörterung des Ausdrucks praeterpropter. Den Anlaß zu dieser Diskussion, in der ein grammaticus von Fronto seiner Unkenntnis überführt und deswegen dem Gelächter der Anwesenden ausgesetzt wird, bieten freilich die von den Architekten vor Fronto ausgebreiteten Bau- und Kostenpläne für seine neuen balneae; vgl. HOLFORD-STREVENS, Fact and fiction, 67; ders., Aulus Gellius2, 71.

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geübten Blick, wie HOLFORD-STREVENS ihn hat, wird ihre individuelle Gestalt erkennbar, im charakterlichen wie äußerlichen Sinne. Denn keine Person erhält anschauliche Züge etwa durch die Beschreibung ihres Aussehens oder die ausführlichere Würdigung charakteristischer biographischer Details: Selbst bei Favorinus, dem `MentorA des Gellius und der Schlüsselfigur der _Noctes Atticae>,363 vermißt der moderne visuell und biographisch orientierte Leser die Anschauung füllende Plastizität, wie sie etwa Philostratos erreicht hat, indem er die pointierte Selbstaussage des Favorinus über die drei in seinem Leben vereinigten Paradoxe überliefert hat.364 Bei der Vorstellung von L. Calvenos Tauros, Herodes Atticus, Peregrinos Proteus, Sulpicius Apollinaris, Antonius Iulianus, Titus Castricius und Iulius Paulus geht es Gellius vor allem um Bezeugung seines Respektes vor seinen Lehrern und seinen ihm nahestehenden bedeutenden Zeitgenossen.365 Offenbar ist Gellius nicht primär an Illustrierung und _____________ 363 Vgl. BEALL, Homo fandi dulcissimus, 87-106, der die Darstellung des Favorinus in den _Noctes Atticae> für durchaus authentisch hält (hier bes. 93): `Moreover, some of his briefer appearances in the Attic Nights make no sense as literary fictions but must authentically reflect his interests. ... Supposing, however, that these anecdotes are generally authentic ...A; HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius: The Non-Visual Portraitist, hier 109-112, bes. 112: `In sum Gellius’ portraits eschew the visual even more thoroughly than is normal in dialogues, but offer lively vignettes of his acquaintances in action; sometimes descriptive phrases are used, in general praise of character and learning, or to state things that the reader cannot himself see happening, such as that Favorinus could hold Gellius to him all day by the sheer charm of his conversation, but his main mode of displaying his personages’ character is in the word uttered. ... Nevertheless, his named characters are clearly individualized, impressed upon us as authentic human beings even when the dialogues are total fictions.A 364 Zitiert wird Philostr. soph. 1,8,2 (489) [II p. 9,2-5 KAYSER] unten S. 263 Anm. 241. 365 So werden die einzelnen Gestalten oft mit ähnlich lautenden, lobenden Attributen, meist in kurzen Appositionen, vorgestellt und nur gelegentlich durch ihre Handlungsbzw. Sprechweise sparsam charakterisiert: L. Calvenos Tauros in NA 7,10,1 (Taurus uir memoria nostra in disciplina Platonica celebratus) und durch seine Redeweise in NA 2,2,11 (grauiter simul et comiter disseruit), NA 10,19,1 (incessebat quempiam Taurus philosophus seuera atque uehementi obiurgatione) und NA 18,10,5 (tum ibi Taurus, ut mos eius fuit, satis leniter); Herodes Atticus z.B. in NA 9,2,1 (Ad Herodem Atticum, consularem uirum ingenioque amoeno et Graeca facundia celebrem ...), in NA 19,12,1 (Graeca oratione, in qua fere omnes memoriae nostrae uniuersos grauitate atque copia atque elegantia uocum longe praestitit); Peregrinos Proteus in NA 12,11,1 (philosophum nomine Peregrinum, cui postea cognomentum Proteus factum est, uirum grauem atque constantem, uidimus, cum Athenis essemus, deuersantem in quodam tugurio extra urbem); Sulpicius Apollinaris in NA 18,4,1 (in multorum hominum coetu Apollinaris Sulpicius, uir in memoria nostra praeter alios doctus) und durch seine Redeweise in NA 13,20,5 (Apollinaris, ut mos eius in reprehendendo fuit, placide admodum leniterque); Antonius Iulianus in NA 18,5,1 (Cum Antonio Iuliano rhetore, uiro hercle bono et facundiae florentis); Titus Castricius in NA 13,22,1 (T. Castricius, rhetoricae disciplinae doctor, qui habuit Romae locum principem declamandi ac docendi, summa uir auctoritate grauitate-

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`VisualisierungA der Personen in seinen _Noctes Atticae> interessiert,366 obwohl sich gerade im 2. Jh. n. Chr. die Physiognomik großer Beliebtheit erfreute.367 Vielmehr ist seine Darstellung darauf ausgerichtet, seine Protagonisten als Träger herausragender moralischer und intellektueller Qualitäten und als Vertreter einer hohen moralischen, sprachlichen und literarischen Bildung hervortreten zu lassen.368 Dabei spielt die Gedächtniskunst eine prominente Rolle entsprechend ihrer Bedeutung in der antiken Kultur.369 So gehen ihre Leistungen in der Gedächtniskunst, durch die sich viele der Hauptfiguren in den _Noctes Atticae> auszeichnen, weit über das hinaus, was in der modernen Zeit, in der Auswendiglernen und mnemonische Aneignung allenthalben obsolet geworden ist, B trotz einzelner aufsehenerregender Rekorde B allgemein möglich erscheint. Denn angesichts der heute üblichen Vernachlässigung des Gedächtnistrainings in der herrschenden Pädagogik und Schulbildung, die der renommierte Kultur- und _____________

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que et a diuo Hadriano in mores atque litteras spectatus); Iulius Paulus in NA 5,4,1 (Iulius Paulus poeta, uir memoria nostra doctissimus) und NA 19,7,1 (Iulius Paulus poeta uir bonus et rerum litterarumque ueterum inpense doctus). B Dagegen erhält der Leser eine B allerdings nur prototypische B Beschreibung des Äußeren von unbedeutenden Personen, z.B. von dem Herodes Atticus gegenübertretenden und seinen entlarvenden Spott provozierenden Möchtegernphilosophen in NA 9,2,1.4-6: adiit nobis praesentibus palliatus quispiam et crinitus barbaque prope ad pubem usque porrecta ... _Video> inquit Herodes _barbam et pallium, philosophum nondum uideo. Quaeso autem te, cum bona uenia dicas mihi, quibus nos uti posse argumentis existimas, ut esse te philosophum noscitemus> Interibi aliquot ex his, qui cum Herode erant, erraticum esse hominem dicere et nulli rei incolamque esse sordentium ganearum, ac nisi accipiat, quod petit, conuicio turpi solitum incessere. Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius: The Non-Visual Portraitist, 95-96. 108. 112. Gellius’ Desinteresse an Äußerlichkeiten ist auch in der Euripidesvita in NA 15,20 festzustellen: vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 184. 217-218. Ein Grund für die Vernachlässigung der Physiognomie durch Gellius könnte die persönliche Feindschaft zwischen seinem Vorbild und Freund Favorinus und Polemon, dem Verfasser der bekanntesten physiognomischen Schriften, sein: vgl. HOLFORDSTREVENS, Aulus Gellius: The Non-Visual Portraitist, 96. Vgl. z.B. EIZABETH C. EVANS, The Study of Physiognomy in the Second Century A.D.; in: TAPhA 72 (1941) 96-108; M. GLEASON, Making men, 29-54. Simon Swain, Polemon’s Physiognomy; in: S. Swain (Ed.), Seeing the Face, Seeing the Soul. Polemon’s Physiognomy from Classical Antiquity to Medieval Islam, Oxford 2007, 125-201, hier bes. 126-156. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius: The Non-Visual Portraitist, 93-116, hier bes. 100-102. Einen Überblick über die Geschichte der Mnemotechnik in der Antike gibt H. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 38-148; vgl. hier bes. 128: `In der Zeit des ersten Jahrhunderts vor und nach Christus erreichte dann die römische Rhetorik und mit ihr die Mnemotechnik den Höhepunkt ihrer praktischen Bedeutung.A

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Literaturwissenschaftler GEORGE STEINER370 als `eine schreckliche DummheitA beklagt, da erst Auswendiglernen und -wissen tieferen Zugang zu Texten eröffnen, kann man nicht von der allgemeinen aktuellen Kompetenz auf das mnemonische Vermögen der auch nur durchschnittlich gebildeten antiken Menschen schließen. Dies ist auch in Rechnung zu stellen bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der von den Protagonisten vorgeführten Gedächtniszitate. Doch reichen diese mnemonischen Darbietungen von auswendiggelernten Texten noch lange nicht an die der damals bewunderten Gedächtniskünstler heran. Nicht nur der mythische Begründer der Mnemotechnik Simonides371 galt als besonders gedächtnisstark, sondern auch der Sophist Hippias von Elis war für seine Mnemotechnik bekannt. In dem nach ihm benannten platonischen Dialog heißt es, Hippias habe `eine Wissenschaft des GedächtnissesA (Ƚ° ȶvȱȶovȳȴџv) beherrscht und geprahlt, er könne fünfzig Namen nach einmaligem Hören wieder hersagen, ebenso könne er auch die Genealogien der Heroen und Menschen, die Gründungsdaten von Städten und vielerlei anderes ohne weiteres rekapitulieren.372 Dagegen reklamiert Themistokles für seine erstaunliche Gedächtnisstärke seine natürliche geistige Begabung, wie das in Cic. de orat. 2,299-300373 so einprägsam formulierte Apophthegma überliefert: Auf das Angebot eines Gebildeten, ihn in die Gedächtniskunst einzuweisen, habe Themistokles geantwortet: gratius sibi illum esse facturum, si se obliuisci quae uellet quam si meminisse docuisset. Und Cicero liefert die Erklärung gleich nach: Qui ita responderit, ut intellegere possemus nihil ex illius animo, quod semel esset infusum, umquam effluere potuisse; cum quidem ei fuerit optabilius obliuisci posse potius quod meminisse nollet quam quod semel audisset uidissetque meminisse. Als Paradebeispiele dafür wieder_____________ 370 Vgl. G. STEINER, Der Meister und seine Schüler, aus dem Engl. übers. von MARTIN PFEIFFER (Orig.: Lessons of the Masters, Harvard UP / London 2003), München / Wien 2004, 43-44. 371 Vgl. YATES, Gedächtnis und Erinnern, 34-36; vgl. dazu auch S. 44. S. 46-47 m. Anm. 93. S. 60. 372 YATES, Gedächtnis und Erinnern, 37 mit Hinweis auf die entsprechenden Textstellen im _Hippias Maior> (285 d 6 - 286 a 2) und _Hippias Minor> (368 d 6-7); vgl. dazu auch Philostr. soph. 1,11(495) [II p. 13,27-30 KAYSER] = VS 86 A2 [II6 326,23-25] DIELS / KRANZ); BLUM, Die antike Mnemotechnik, 48-51. 373 Vgl. auch Cic. de orat. 2,351: ‚... non sum tanto ego> inquit _ ingenio, quanto Themistocles fuit, ut obliuionis artem quam memoriae malim>; Cic. fin. 2,104: Themistocles quidem cum ei Simonides an quis alius artem memoriae polliceretur, _obliuionis> inquit _mallem. nam memini etiam quae nolo, obliuisci non possum, quae uolo> ; Cic. ac. 2,2: quam fuisse in Themistocle, quem facile Graeciae principem ponimus, singularem ferunt; qui quidem etiam pollicenti cuidam se artem ei memoriae, quae tum primum proferebatur, traditurum respondisse dicitur obliuisci se malle discere, credo quod haerebant in memoria quaecumque audierat et uiderat.

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um, daß die ars memoratiua eine enorme Steigerung der natürlichen Gedächtniskapazitäten zu einer diuina prope memoria bewirkt, läßt Cicero einen der beiden Hauptunterredner in _De oratore> Marcus Antonius (143-87 v. Chr.) seine Zeitgenossen Charmadas und Metrodor von Skepsis anführen.374 Unter Berufung auf diese Cicero-Stelle nennt auch Quintilian (inst. 3,87) Charmadas und Metrodoros als typische Vertreter der Mnemotechnik. Cicero selbst liefert an einer zweiten Stelle (Tusc. 1,59) noch eine erweiterte Liste von besonders gedächtnisstarken Prominenten, in der nach Simonides, dem Begründer der Mnemotechnik, Theodektes und Kineas wieder Charmadas und Metrodoros von Skepsis und auch Ciceros Zeitgenosse und Rivale Hortensius genannt werden.375 Die Gedächtnisstärke des Hortensius, dessen memoria singularis Cicero schon am Ende von _De oratore> (3,230) rühmen läßt, ist vielfach bezeugt: Nicht _____________ 374 Cic. de orat. 2,360: uidi enim ego summos homines et diuina prope memoria, Athenis Charmadam, in Asia , quem uiuere hodie aiunt, Scepsium Metrodorum, quorum uterque tamquam litteris in cera, sic se aiebat imaginibus in eis locis, quos haberet, quae meminisse uellet, perscribere. B Die genannten `GedächtniskünstlerA rekurrieren auf die mnemotechnische Lehre, die zum ersten Mal beim _Auctor ad Herennium> vollständig ausformuliert vorliegt und auf die sich die ganze spätere westliche Tradition gründet: vgl. Rhet. Her. 3,16,28-24,40; dazu CALBOLI (ed.), Rhetorica ad Herennium, bes. 268269; BLUM, Die antike Mnemotechnik, 1-37; YATES, Gedächtnis und Erinnern, 1131, bes. 11-23. 46-47. 375 Vgl. Tusc. 1,59: non quaero quanta memoria Simonides fuisse dicatur, quanta Theodectes, quanta is qui a Pyrrho legatus ad senatum est missus, Cineas, quanta nuper Charmadas, quanta qui modo fuit, Scepsius Metrodorus, quanta noster Hortensius; dazu DOUGAN / HENRY (Ed.s), M. Tullius Cicero: Tusculanae disputationes, Vol. 1, 75-76; BLUM, Die antike Mnemotechnik, 118-122, der dort alle antiken Zeugnisse über Charmadas und Metrodoros überprüft und zu dem Ergebnis gelangt, daß sie beide zu Unrecht als Galionsfiguren für die Verwendung der Mnemotechnik in der Neueren Akademie beansprucht werden. B Im Unterschied zu Hortensius, der ein besseres Wortgedächtnis hatte, besaß Lucullus eine außerordentliche memoria rerum, kraft deren er, der zuvor in Rom noch rei militaris rudis war, auf der Reise nach Asien nur durch theoretische mündliche und schriftliche Belehrung sich zum Feldherrn ausbilden lassen konnte (Cic. ac. 2,2; auch ac. 2,4: ... quique esset ea memoria quam ante dixi ea saepe audiendo facile cognouit quae uel semel audita meminisse potuisset). B Der Rhetor und Tragödiendichter Theodektes leistete nicht nur zur Theorie der Gedächtniskunst durch ihre Systematisierung einen wichtigen Beitrag, sondern zeichnete sich auch in der Praxis dadurch aus, daß er beliebig viele Verse nach einmaligem Hören auswendig wiedergeben konnte (Quint. inst. 11,2,51); vgl. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 80-100. B Kineas, dem für sein Verhandlungsgeschick berühmten Gesandten des Pyrrhos, wurde ein hervorragendes Personengedächtnis nachgerühmt: am zweiten Tag seiner Anwesenheit in Rom habe er alle römischen Senatoren und Ritter mit Namen anreden können (vgl. Sen. contr. 1 praef. 19; Plin. NH 7,88). B Apollonios von Tyana hat laut der Biographie des Philostratos noch als Hundertjähriger, im Bewußtsein der perpetuierenden Kraft der von ihm hymnisch gepriesenen ȶvȱȶoȼѠvȱ, Simonides an Gedächtnisstärke übertroffen (Philostr. Ap. 1,14 vgl. auch Ap. 1,7).

3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst

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nur hatte er bei seinen Auftritten als Anwalt seine eigenen Konzepte, selbst wenn er sie nicht schriftlich fixiert hatte, genau im Kopf und behielt auch alle Äußerungen seiner Prozeßgegner im Gedächtnis,376 sondern er war auch imstande, nach der Teilnahme an einer Auktion alle verkauften Gegenstände, ihre Preise und ihre Käufer in der richtigen Reihenfolge wiederaufzuzählen.377 Der ältere Seneca, der von dieser außergewöhnlichen Leistung des Hortensius berichtet, war selbst ein begabter Gedächtniskünstler: Er brüstet sich damit, daß er als junger Mann zweitausend vorgelesene Namen in derselben Reihenfolge wiederholen und über zweihundert von seinen Mitschülern spontan zugerufene Verse auf Anhieb rückwärts rekapitulieren konnte.378 Auch Simplicius, der Freund des Augustinus, beeindruckt dadurch, daß er Vergil `rückwärtsA auswendig rezitieren konnte, allerdings ohne sich dieser Fähigkeit überhaupt bewußt zu sein.379 Diese erstaunlichen Gedächtnisleistungen erstrecken sich zwar bisweilen auch auf Personen und Sachen,380 aber zumeist sind es, wie die angeführten Beispiele zeigen, Sprache und Literatur, in denen die mnemonischen Rekorde vollbracht werden.381 So herrschen in Quintilians _____________ 376 Vgl. Cic. Brut. 301; Quint. inst. 10,6,4. Dieselbe Fähigkeit wie Hortensius, eine vorbereitete Rede wörtlich zu reproduzieren, wird von Quintilian in inst.10,6,4 auch Metrodoros (und Empylos von Rhodos) und vom älteren Seneca auch dem Porcius Latro (contr. 1 praef.17) nachgerühmt. 377 Vgl. Sen. contr. 1 praef. 24; Quint. inst. 11,2,24. 378 Vgl. Sen. contr. 1 praef. 2-3. An der Glaubwürdigkeit dieser von Seneca selbst als miraculum gepriesenen Rekordleistung zweifelt BLUM, Die antike Mnemotechnik, 131-132. 379 Vgl. Aug. anim. 4,7,9: Amicus quidam meus iam inde ab adulescentia, Simplicius nomine, homo excellentis mirabilisque memoriae, cum interrogatus esset a nobis, quos uersus Vergilius in omnibus libris supra ultimos dixerit, continuo, celeriter memoriterque respondit. Quaesiuimus etiam superiores ut diceret: dixit. et credidimus eum posse retrorsus recitare Vergilium; de quocumque loco uoluimus, petiuimus ut faceret: fecit. prosa etiam de quacumque oratione Ciceronis, quam memoriae commendauerat, id eum facere uoluimus: quantum uoluimus sursum uersus secutus est. Vgl. YATES, Gedächtnis und Erinnern, 23. 380 Nach Sen. contr. 1 praef. 18 konnte M. Porcius Latro, ein führender Rhetor der augusteischen Zeit, auf Zuruf die Taten eines beliebigen Feldherrn heruntersagen. Vgl. dazu ERNST, Die Bibliothek im Kopf, 91-92. 381 Vgl. Plin. NH 7,88-89: Memoria necessarium maxime uitae bonum cui praecipua fuerit, haud facile dictu est, tam multis eius gloriam adeptis. Cyrus rex omnibus in exercitu suo militibus nomina reddidit, L. Scipio populo Romano, Cineas Pyrrhi regis legatus senatui et equestri ordini Romae postero die quam aduenerat. Mithridates, duarum et uiginti gentium rex, totidem linguis iura dixit, pro contione singulas sine interprete adfatus. Charmadas quidam in Graecia quae quis exegerat uolumina in bibliothecis legentis modo repraesentauit. Ars postremo eius rei facta et inuenta est a Simonide melico, consummata a Metrodoro Scepsio, ut nihil non iisdem uerbis redderetur auditum. Plinius hat an dieser Stelle den für die Folgezeit maßgeblichen Katalog formuliert, den z.B. in der Mitte des 3. Jh.s Solinus in seinen _Collectanea rerum memorabilium> seinem Bericht über

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Aufzählung von Spitzenleistungen der memoria (inst. 11,2,50-51) auch solche auf dem Gebiet der memoria uerborum382 vor, auf dem auch das Sprachenlernen angesiedelt wird: uel Themistocles testis, quem unum intra annum optime locutum esse Persice constat, uel Mithridates, cui duas et uiginti linguas, quot nationibus imperabat, traditur notas fuisse, uel Crassus ille diues, qui cum Asiae praeesset, quinque Graeci sermonis differentias sic tenuit, ut, qua quisque apud eum lingua postulasset, eadem ius sibi redditum ferret, uel Cyrus, quem omnium militum tenuisse creditum est nomina: quin semel auditos quamlibet multos uersus protenus dicitur reddidisse Theodectes. Dabei läßt Quintilian, der kein Anhänger der Mnemotechnik im eigentlichen Sinne, sondern ein Vertreter einer Gedächtnispflege durch Übung (Auswendiglernen, Wiederholung) war,383 es unentschieden, ob diese grandiosen Leistungen der Naturbegabung oder Technik zuzuschreiben sind.384 Die Kapazität ihrer memoria uerborum stellen Gedächtnisartisten sowohl beim Einprägen von Namensreihen als auch besonders beim Auswendiglernen von zusammenhängenden Texten385 unter Beweis: So handelt eine beim älteren Seneca (contr. 1 praef. 19) überlieferte kuriose Anekdote von einem Mnemoniker, der einen Dichter ein neues Gedicht hat vorlesen _____________

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hervorragende Gedächtnisleistungen (Sol. 1,108-109 p. 27,15-25 MOMMSEN²) zugrundegelegt hat. Vgl. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 136; ERNST, Die Bibliothek im Kopf, 92-94. In der Renaissance gelangt die antike Galerie der Gedächtniskoryphäen, bereichert um die christlichen Heiligen oder Gestalten von enormer Gedächtniskraft, zu neuen Ehren. So begegnen die antiken Gedächtniskünstler wieder im ersten _De memoria> überschriebenen Kapitel des zweiten Buches von Petrarcas _Rerum memorandarum libri> und auch später fehlen sie nicht in den um aktuelle Figuren erweiterten Verzeichnissen von mnemonischen Rekordhaltern: vgl. ERNST, Die Bibliothek im Kopf, 96-99. 106-107. Schon der _Auctor ad Herennium> hat die memoria uerborum, deren Schulung als schwieriger galt, von der memoria rerum unterschieden. Vgl. YATES, Gedächtnis und Erinnern, 16-17. 20-22. Vgl. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 135; YATES, Gedächtnis und Erinnern, 30-31. Auch die unter Plutarchs Namen überlieferte Schrift _De liberis educandis> empfiehlt die Gedächtnisausbildung durch geduldige Übung, die selbst bei von Natur aus schlechter Begabten große Erfolge zeitige: vgl. [Ps.-]Plut. mor. 9 d-f [= De lib. ed. 13]; vgl. dazu BLUM, Die antike Mnemotechnik, 143. Diese Streitfrage wurde seit den Anfängen der Mnemotechnik debattiert. Die Kontroverse um natura oder ars ist aber mit ähnlichen Argumenten und Lösungen auch auf den Gebieten verschiedenster anderer ȽɃɀvȫȳ seit der Sophistenzeit geführt worden: vgl. H. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 150-163. Die Frage stellte sich insbesondere in allen Bereichen der Rhetorik: F. NEUMANN, Natura-ars-Dialektik; in: HWR 6 (2003) 139-171, hier bes. 140-151. Zur diffizilen Diskussion der grundsätzlichen Frage, an rhetorice ars sit (Quint. inst. 2,17,1), bei Cicero und Quintilian und ihren griechischen Quellen vgl. auch LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de. orat. 1,96-112, (‚Vorbemerkungen‘), Bd.1, 190-194. Vgl. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 19-22.

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hören. Da er es auf der Stelle im Gedächtnis behalten hat, behauptet er, es sei sein eigenes Gedicht, denn er könne es auswendig, aber nicht der, der es eben vorgetragen habe.386 Das Auswendiglernen kommt aber auch außerhalb solcher spektakulärer Szenen bzw. Inszenierungen in einem die derzeit herrschenden Vorstellungen weit übersteigenden Ausmaße zur Anwendung. In der Welt der Gelehrten und Literaten ist es auch in der Zeit der Bibliotheken und Bücher noch der zuverlässigste Weg, sich wichtige Texte anzueignen. So bemerkt der ältere Plinius in seiner Praefatio lapidar in Bezug auf Ciceros Schrift(en _De re publica>, _De consolatione> und) _De officiis>: quae uolumina ediscenda, non modo in manibus cotidie habenda, nosti (NH praef. 22). Dabei hat Plinius wohl genausowenig an die Methode der Mnemotechnik gedacht, obgleich er sie sicher gekannt hat,387 wie Gellius in seinen _Noctes Atticae>. Auch er setzt sie darin als bekannt voraus, praktiziert sie aber nicht selbst, sondern distanziert sich von ihr kritisch: Denn in NA 17,7,5 tadelt er den Nigidius Figulus offenbar dafür, daß er sich in seinen _grammatici commentarii> ihrer bedient und mnemonische Zeichen setzt, statt sich für seine Leser verständlich auszudrücken: sed anguste perquam et obscure disserit, ut signa rerum ponere uideas ad subsidium magis memoriae suae quam ad legentium disciplinam.388 In dieser Zurückhaltung gegenüber der Mnemotechnik teilt Gellius die Position Ciceros und Quintilians, die ein intensives Gedächtnistraining durch die Übung des Auswendiglernens zur Stärkung des Gedächtnisses bevorzugen.389 Trotz seiner Reserviertheit gegenüber der Mnemotechnik, hat sich Gellius mit der aristotelischen Schrift _Über Gedächtnis und Erinnerung> genauer beschäftigt, wie das erhaltene capitulum der leider (mit den anderen Kapiteln des achten Buches) verlorenen Ausführungen des commentarius NA 8,7 (auch wenn sein falsch lokalisiertes Zitat in NA 6,6,3 nicht _____________ 386 Dieselbe Geschichte ist in die Neuzeit versetzt und an den Hof Friedrichs des Großen verlegt worden: Voltaire habe dem König ein Gedicht vorgetragen, während ein englischer Gedächtniskünstler hinter einem Vorhang versteckt lauschte; sogleich sei dieser hervorgetreten, habe zum Ärger Voltaires das Gedicht wörtlich rezitiert und es als sein eigenes ausgegeben; vgl. H. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 131 Anm. 202. 387 Vgl. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 135. 388 Vgl. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 132-133. 389 Cic. de orat. 1,157: exercenda est etiam memoria ediscendis ad uerbum quam plurimis ...; atque in ea exercitatione non sane mihi displicet adhibere, si consueris, etiam istam locorum simulacrorumque rationem, quae in arte traditur; dazu H. BLUM, Die antike Mnemotechnik, 133. Quint. inst. 11,2,40: Si quis tamen unam maximamque a me artem memoriae quaerat, exercitatio est et labor: multa ediscere, multa cogitare, et si fieri potest cotidie, potentissimum est: nihil aeque uel augetur cura uel neglegentia intercidit. Vgl. auch BLUM, Die antike Mnemotechnik, 135; YATES, Gedächtnis und Erinnern, 27. 30-31.

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aus der aristotelischen Schrift _De memoria et reminiscentia>, sondern aus _De somno et vigilia> [De somn. 2, 455 a 78] stammt) anzeigt. Diese Schrift des Aristoteles,390 in der er eine auf seiner Erkenntnistheorie gegründete Theorie des Gedächtnisses und der Erinnerung entwickelt hat, ist mit der Mnemotechnik in Verbindung gebracht worden (obwohl sie damit nicht ursprünglich in Zusammenhang steht) und später, insbesondere von den Scholastikern, als eine philosophische und psychologische Rechtfertigung der mnemotechnischen Regeln herangezogen worden.391 Denn Aristoteles analysiert darin die heutzutage von der Neurobiologie und Psychologie erforschten physischen bzw. psychischen Vorgänge, auf denen Gedächtnis und Erinnerung beruhen. Dabei unterscheidet er Gedächtnis (ȶvɄȶȱ = memoria) als das Vermögen, Erfahrungsinhalte von der Vergangenheit her zu bewahren, und Erinnerung (wvȪȶvȱȼȳȻ = reminiscentia) als ein Aufsuchen dieser Inhalte entlang einer von der Gegenwart ausgehenden Vorstellungsreihe,392 und definiert: `Das, was man in der Erinnerung wiederaufnimmt, ist das, wovon der Besitz Gedächtnis ist.A393 Auf diese einen großen Teil der (nur zwei Kapitel umfassenden) kurzen Abhandlung beanspruchende Differenzierung scheint Gellius der Überschrift zufolge nicht genauer eingegangen zu sein. Die Formulierung Ex Aristotelis libro, qui _ąȯȺ¤ ȶvɄȶȱȻ> inscriptus est, cognita acceptaque de natura memoriae et habitu legt indessen die Vermutung nahe, daß er sich vielmehr für die von Aristoteles beschriebenen Funktionsweisen der memoria und für die darin wirkenden Zusammenhänge von Sinneseindrücken und Vorstellungsbildern, Denken, Gedächtnis und Wiedererinnerung interessiert hat. _____________ 390 Zu einem besseren Verständnis dieses kurzen, aber schwierigen Textes, der an die Aristoteles-Schrift _De anima> anschließt und einen wichtigen Beitrag zur aristotelischen Seelenlehre liefert, verhilft die kürzlich erschienene deutsche Übersetzung mit ihrem detaillierten und fundierten Kommentar: Aristoteles: De memoria et reminiscentia, übersetzt u. erläutert v. R.A.H. KING, Darmstadt 2004 [= H. FLASHAR (Hrsg.), Aristoteles.Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 14, Teil II: Parva Naturalia]. 391 Vgl. YATES, Gedächtnis und Erinnern, 37-38. 40. Die Schrift des Aristoteles wird daher auch sonst im Kontext mit der Mnemotechnik behandelt: BLUM, Die antike Mnemotechnik, 70-80; KROVOZA, Mnemonik / Mnemotechnik, 465-466; vgl. auch A. ASSMANN, Erinnerungsräume, 30. 392 Non. p.441,3-7 [= p.708 LINDSAY] greift unter Anspielung auf Arist. De mem. 2, 453 a 5-14, wo das Erinnern allein dem Menschen als ein ihn von den übrigen Lebewesen unterscheidendes Vermögen zuerkannt wird, die aristotelische Differenzierung zwischen ȶvȱȶovȯѠȯȳv und wvȫȶȯȶvȼȲȫȳ auf und überträgt sie ins Lateinische auf das Begriffspaar meminisse und in memoriam reuocare. 393 Vgl. KING, Aristoteles: De memoria et reminiscentia, 54. Die hier paraphrasierte Definition steht in De mem. 2,451 b 2-5 und lautet in wörtlicher Übersetzung: `Wenn man hingegen wieder gewinnt, was man als ein Wissen oder eine Wahrnehmung, oder das, wovon wir den Besitz Gedächtnis nannten, früher besaß, dann ist dies das Erinnern von einem der erwähnten Dinge.A

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Die daran angeknüpften, aus anderen Quellen stammenden Informationen de exuberantia aut interitu eius könnten der B nicht genannten B Plinius-Passage in NH 7,88-90 entnommen sein, wo nach der Aufzählung legendärer Gedächtnis-Heroen Formen und Fälle von unfall- oder krankheitsbedingter Amnesie referiert werden.394 Der Auftritt der `GedächtniskünstlerA in den _Noctes Atticae> dient der Vergegenwärtigung der Inhalte des kollektiven Gedächtnisses. Die darin vorgefundenen kulturellen Wissensbestände werden von den mnemonisch besonders Begabten abgerufen und durch ihr individuelles Gedächtnis für das Publikum reproduziert. Dabei haben die dramatische Einkleidung und Präsentation von Beständen des Gedächtnisspeichers durch das Personal der einzelnen commentarii exemplarischen Charakter, insofern sie die Leser motivieren sollen, sich an den Aktivitäten und Leistungen der Mnemoniker ein Beispiel zu nehmen und ihnen nachzueifern.395 Doch bei Gellius fehlt den Szenen, in denen die Bildungsgüter aus dem Gedächtnis hervorgeholt und ostentativ ausgebreitet werden, oft die Lebensnähe bzw. der glaubwürdige Realitätsbezug. Die situativen Einbettungen wirken nur flüchtig angehängt, wenn etwa in NA 18,1 die B von anderen und andernorts bereits extensiv geführte396 B grundsätzliche Dis_____________ 394 Vgl. oben S. 169-170 Anm. 381 zur Reihe derer, die wegen ihres erstaunlichen Gedächtnisses berühmt waren. Unmittelbar anschließend fährt Plinius in NA 7,90 fort: nec aliud est aeque fragile in homine: morborum et casus iniurias atque etiam metus sentit, alias particulatim, alias uniuersa. Ictus lapide oblitus est litteras tantum; ex praealto tecto lapsus matris et adfinium propinquorumque cepit obliuionem, alius aegrotus seruorum; etiam sui uero nominis Messala Coruinus orator. Itaque saepe deficere temptat ac meditatur uel quieto copore et ualido; somno quoque serpente amputatur, ut inanis mens quaerat, ubi sit loci. Vgl. dazu und zu weiteren spektakulären Fällen pathologischen Gedächtnisverlustes WEINRICH, Lethe, 198-200. 395 Mit der impliziten Motivation der Leser durch die Aussicht, ihre memoria durch Übung zu optimieren, schließt auch Quintilian seine Aufzählung von Gedächtnisrekorden in inst. 11,2,51: dicebantur etiam nunc esse qui facerent, sed mihi numquam, ut ipse interessem, contigit: habenda tamen fides est uel in hoc, ut, qui crediderit, et speret. Allerdings ist auch in dieser Äußerung am Schluß des memoria-Kapitels seine kritische Distanz zu den Rekordleistungen der Mnemotechniker zu spüren (vgl. oben S. 171 m. Anm. 389). 396 Vgl. H. VON ARNIM (Hrsg.), Stoicorum veterum fragmenta, Bd. 3, Leipzig 1903, Ndr. Stuttgart 1968, 13-16 = SVF 3,49-67. Das ganze fünfte Buch der _Tusculanen> Ciceros handelt von der Autarkie der uirtus und den verschiedenen Lehren der philosophischen Schulen über dieses zentrale Thema der antiken Ethik; dazu M. HOSSENFELDER, Die Philosophie der Antike 3: Stoa, Epikureismus und Skepsis, München 1985 [= W. RÖD (Hrsg.), Geschichte der Philosophie, Bd.3] , 55-56. Die peripatetisch-stoische Kontroverse in diesem Punkt hinsichtlich der Relevanz der äußeren Güter wird in Tusc. 5,82 angedeutet und in Tusc. 5,85b - 87 werden die Ansichten der Peripatetiker von dem hier auf stoischem Standpunkt stehenden Cicero kurz abgehandelt. Ganz am Schluß in Tusc. 5,119-120 schlichtet der Akademiker Karneades

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kussion zwischen einem Peripatetiker und Stoiker über die Frage, ob die uirtus allein hinreichende Voraussetzung für die uita beata sei, bei einem Abendspaziergang am Strand von Ostia inszeniert wird.397 Obwohl Gellius sich als Ohrenzeuge dieser Kontroverse am Anfang des commentarius vorstellt (NA 18,1,2-3), handelt es sich hier wohl kaum um die Schilderung eines realen Erlebnisses.398 Vielmehr ist die Zuweisung der Schiedsrichterrolle an Favorinus (NA 18,1,15: tamquam apud arbitrum Fauorinum in suam uterque sententiam conferebant) offenbar durch das Vorbild von Cic. Tusc. 5,120 angeregt, wo Karneades als arbiter in derselben Debatte einen Konsens zwischen stoischem und peripatetischem Standpunkt

_____________ tamquam honorarius arbiter (vgl. die Schlichterrolle der Akademiker in Tusc. 4,6) diesen Streit, indem er zwischen Peripatetikern und Stoikern Übereinstimmung in der Sache und Differenzen nur in der Terminologie feststellt (vgl. auch Tusc. 3,41). So wird als Ciceros Quelle für die Behandlung des Autarkiethemas ein von Stoikern verfaßtes Handbuch vermutet, das der Verteidigung der stoischen Doktrin gegen Peripatetiker und Akademiker dienen sollte: vgl. die Einleitung zum zweiten Band der Ausgabe von DOUGAN / HENRY (Ed.s), M. Tullius Cicero: Tusculanae disputationes, Vol. 1, XLVIII.- Berührt wird diese Debatte auch in NA 12,5,7. Dort setzt sich der Philosoph Calvenos Tauros, der an anderer Stelle vorgestellt wird als uir memoria nostra in disciplina Platonica celebratus (NA 7,10,1), mit der stoischen Apatheia-Lehre auseinander und legt ihre Doktrin dar: neque aliud esse uere et simpliciter bonum nisi honestum, aliud quicquam malum, nisi quid turpe esset existimatum est. ... propterea uoluptas quoque et dolor, quod ad finem ipsum bene beateque uiuendi pertinet, et in mediis relicta et neque in bonis neque in malis iudicata sunt. 397 Gleichwohl hat dieser szenische Rahmen Minucius Felix veranlaßt, seinen Dialog _Octavius> an denselben Ort zu verlegen und ein Streitgespräch vor einem Schiedsrichter zu fingieren (2,3-4. 3,2-4); vgl. oben S. 163 Anm. 360. Allerdings findet der Disput zwischen dem Heiden Caecilius und dem Christen Octavius über den christlichen Glauben am Strand von Ostia nicht wie die Kontroverse bei Gellius in der Dämmerung eines Frühlingsabends (NA 18,1,3. 6), sondern in der Morgendämmerung eines Herbsttages (Min. Fel. 2,3. 4) statt. 398 Die `InszenierungA ist aber von Fall zu Fall anders zu beurteilen: z.B. könnte das in NA 17,20 geschilderte Erlebnis, die Ermahnung des Philosophen Tauros an seinen neuen als rhetorisce titulierten Schüler Gellius, sich nicht so sehr mit der zweifellos wohlgestalteten Form der platonischen Dialoge, sondern mit ihren penetralia, ihrem Gehalt, zu befassen, durchaus einen faktischen Hintergrund in der Realität des Autors haben und ihn tatsächlich zur lateinischen Übersetzung der im Unterricht behandelten Stelle aus dem _Symposion> Platons veranlaßt haben: vgl. HOLFORD-STREVENS, Fact and Fiction, 66-67. Jedoch bleibt die Abgrenzung von Authentiziät und Fiktion im Einzelfall schwierig, nicht nur in den szenischen commentarii des Gellius, sondern auch in den Schriften anderer Autoren (besonders der Hohen Kaiserzeit), wie in den Briefen des Plinius oder Lukians Essays, die vorgeben, autobiographisch zu sein: vgl. ANDERSON, Aulus Gellius as a Storyteller, 116; auch HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 65-72, bes. 71-72.

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herbeiführt.399 Doch wird auch die literarische `FiktionalisierungA nicht nur in diesem commentarius bloß oberflächlich durchgeführt: Sowohl die Szenerie wie das Personal werden lediglich am Anfang und Ende (NA 18,1,1-3. 15-16) kurz skizziert, aber nicht weiter mit individuellen und charakteristischen Zügen illustriert. Die Vernachlässigung von Äußerlichkeiten in der Personenbeschreibung wie die Detailarmut in der Schilderung der Situationen, die mit den andersgearteten Darstellungsinteressen des Gellius zusammenhängen,400 macht auch in vielen anderen `inszeniertenA Kapiteln die literarische Fiktion nur zu einer spärlichen Einkleidung der dargebotenen Sachtexte.401 Damit kaschiert der fiktionale Rahmen nur dürftig die Darstellung von aus Büchern bezogenen Texten und Themen. Dies gilt auch für die in den _Noctes Atticae> gelieferten glanzvollen Beweise der individuellen Gedächtnisstärke prominenter Figuren, die sozusagen als `transparenteA Medien bzw. Vermittler der im kollektiven Gedächtnis gespeicherten Inhalte fungieren. In den _Noctes Atticae> gibt es auf diese Weise ein Wechselspiel von kollektivem und individuellem Gedächtnis, wenn der Autor seine eigene Gedächtniskapazität und die vorbildliche Gedächtnisleistung anderer Individuen demonstriert, indem er, unmittelbar oder mittelbar, auf die Reserven des kollektiven Gedächtnisses zurückgreift. Das aus dem Gedächtnisspeicher hervorgeholte tradierte Bildungsgut wird dabei neu im individuellen Gedächtnis des Lesers verankert und im kollektiven Bewußtsein des römischen Publikums fixiert. Die vom Autor mit seinem Werk geleistete Traditionspflege wird zugleich dem Lesepublikum als Aufgabe übertragen. Gellius hat bereits in der Praefatio der _Noctes Atticae> den Appell formuliert, die – durchaus auch kritische – Auseinandersetzung mit dem von ihm Tradierten fortzuführen.402 Doch _____________ 399 HOLFORD-STREVENS, Fact and Fiction, 65-66 macht pausibel, daß Gellius die Anregung für die szenische Gestaltung dieses und manches anderen commentarius (z.B. NA 4,1; NA 18,4; NA 19, 9; NA 13,25) aus literarischen Vorlagen erhalten hat. 400 Vgl. dazu oben S. 164-166. 401 Die Verbindung von fiktionalem Rahmenteil und philosophischer Sachprosa ist in der lateinischen Literatur (unter Abwandlung der griechischen Vorbilder des Aristoteles und des Herakleides Pontikos) mit den philosophischen Dialogen Ciceros etabliert. Diese unterscheiden sich aber nicht nur durch das Großformat, sondern auch durch die literarisch gelungene Verknüpfung und die literarisch komplexe Komposition von der nur sparsam ausgestalteten Kleinform der gellianischen Kapitel. Da sich die ciceronischen Dialoge mit den modernen literaturwissenschaftlichen Gattungszuweisungen nicht als fiktionale Literatur bzw. Sachtext kategorisieren lassen, hat SPAHLINGER ihre Typisierung als `fiktionale SachtexteA vorgeschlagen: SPAHLINGER, Tulliana simplicitas, 21. 402 Vgl. NA praef. 17-18: ... Quae autem parum plana uidebuntur aut minus plena instructaque, petimus, inquam, ut ea non docendi magis quam admonendi gratia scripta existiment et quasi demonstratione uestigiorum contenti persequuantur ea post, si libebit, uel libris repertis uel magistris. Quae uero putauerint reprehendenda, his, si audebunt, succen-

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fordert er besonders zur Reverenz gegenüber den Texten auf, die er der memoria der Leser anvertraut. Exemplarisch geschieht dies in der expliziten Empfehlung bezüglich der im Anschluß wörtlich zitierten EnniusVerse über Charakter und Lebensart des Servilius Geminus: Eos ego uersus non minus frequenti adsiduoque memoratu dignos puto quam philosophorum de officiis decreta ... ut mea quidem sententia pro antiquis sacratisque amicitiae legibus obseruandi, tenendi colendique sint (NA 12,4,3; vgl. oben S. 162). Damit formt Gellius bewußt durch sein Werk, in dem sich sein individuelles Gedächtnis aus dem in Büchern gespeicherten Vergangenheitswissen speist, das kollektive Gedächtnis der Gegenwart und Zukunft, so wie es Macrobius bei der Bewertung von Vergils Autorenrezeption als dessen Verdienst geltend macht: quis fraudi Vergilio uertat, si ad excolendum se quaedam ab antiquioribus mutuatus sit ? cui etiam gratia hoc nomine habenda est quod non nulla ab illis in opus suum, quod aeterno mansurum est, transferendo fecit ne omnino memoria ueterum deleretur, quos, sicut praesens sensus ostendit, non solum neglectui uerum etiam risui habere iam coepimus (Macr. Sat. 6,1,5).403 Zwar verbietet sich der Vergleich der zu Recht als aeternum opus gepriesenen _Aeneis> Vergils mit den _Noctes Atticae> des Gellius, aber nicht nur dort entfalten die eingefügten Zitate eine ästhetische Wirkung,404 sondern auch dem gellianischen Werk verleiht die durchgängige Übernahme und Integration der Zitate einen besonderen formalen Charakter und auch Reiz schon in der Absicht des Autors. So nimmt Gellius die Verarbeitung und Darbietung der rezipierten und zitierten Texte in einer neuartigen Form405 zur Lesermotivation in Anspruch (NA praef. 4. 10-12).406 _____________ seant, unde ea nos accepimus; sed enim, quae aliter apud alium scripta legerint, ne iam statim temere obstrepant, sed et rationes rerum et auctoritates hominum pensitent, quos illi quosque nos secuti sumus. Vgl. auch oben S. 56-57. S. 71. S. 98-99. S. 161. 403 Dagegen urteilt der von Gellius wegen seiner Archaismuspolemik kritisierte Seneca, daß Vergil mit antiquierten Versen Wirkung bei den Ennius-Anhängern erzielen wollte: Vergilius quoque noster non ex alia causa duros quosdam uersus et enormes et aliquid supra mensuram trahentis interposuit, quam ut Ennianus populus adgnosceret in nouo carmine aliquid antiquitatis (NA 12,2,10). Mit duros quosdam uersus et enormes ... sind nicht zitierte Ennius-Verse, wie von ZINTZEN (Rezeption und Originalität, 26) in seinem falschen Verständnis der Stelle (Ennianus populus steht nicht umschreibend für das römische Volk, sondern für die Ennius-Bewunderer) angenommen, sondern archaisierende Verse gemeint. Das Seneca-Zitat wird von Gellius in NA 12,2,3 in dem nicht erhaltenen 22. Buch der _Epistulae morales> verortet. 404 Macrobius fährt an der oben zitierten Stelle fort: denique et iudicio transferendi et modo imitandi consecutus est ut, quod apud illum legerimus alienum, aut illius esse malimus aut melius hic quam ubi natum est sonare miremur (Sat. 6,1,6). 405 Die Entwicklung neuer literarischer Formen durch die Anverwandlung der vorhandenen griechischen Vorbilder ist ein Grundzug der Rezeptionsvorgänge bei den römischen Autoren: vgl. BICKEL, Geschichte der römischen Literatur (_Die Spontaneität

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Ein sinnfälliges Bild für die Wechselbeziehung des individuellen und des kollektiven Gedächtnisses ist die von Gellius in NA 19,7,2 verwendete Metapher des Wiederkäuens: In einer mit Orts- und Zeitangabe (in agro Vaticano ... molli quodam tempestatis autumnae die) konkreter als sonst in den _Noctes Atticae> üblich beschriebenen Szene (NA 19,7,1)407 kehren Gellius und Iulius Celsinus abends in die Stadt zurück, nachdem sie gemeinsam beim Dichter Iulius Paulus zu einem einfachen Mahl eingeladen waren und dort einer Rezitation der _Alcestis> des Laevius beigewohnt haben, und repetieren das Gehörte. B Nicht zufällig, wie ich vermute, evozieren sowohl der Schauplatz (in agro Vaticano herediolum tenue in der Nähe der urbs) als auch die Personenkonstellation (gelehrter Dichter und gebildete Freunde) und die Situation, in der ein durch die Vokabel holusculum charakterisiertes einfaches Essen mit geistiger Unterhaltung verbunden wird, die Assoziation an die von Horaz in sat. 2,6,59-76 gepriesene Idylle des Landlebens bzw. an das in sat. 2,1,71-74 kurz gekennzeichnete, von Spiel und Scherz begleitete, Zusammensein von Scipio und Laelius in _____________ der Römer in den literarischen Formen>), 67-74. Der römische Anspruch, imitatio der (griechischen) Muster mit nouitas, Originalität, zu verbinden, erstreckt sich auf die stoffliche und stilistische Adaption und Neugestaltung der Vorbilder; vgl. KAMINSKI, Imitatio auctorum, 240-243; ZINTZEN, Rezeption und Originalität, bes. 22-33. Allgemein zum Imitatio-Konzept vgl. auch S. 124-126 m. Anm. 252. 406 BICKEL (Geschichte der römischen Literatur, 73-74) erkennt in den _Noctes Atticae> des Gellius wie in Senecas Briefen eine literarische Form, deren assoziative Komposition aus der typisch römischen Neigung zur Auflockerung hervorgegangen sei: `Ohne den Zwang, den Gegenstand theoretisch zu erschöpfen, dagegen genötigt, der Persönlichkeit des Adressaten jede Ermüdung fernzuhalten, sind zumal die philosophischen Briefe des Seneca als Kunstwerk ein Erzeugnis echt römischer Schreibweise. Eine antiquarisch gelehrte Schriftstellerei wie die Noctes Atticae des Gellius in der Antoninenzeit, plaudern sich zu einer Einheit zusammen, ohne daß an eine Einheit gedacht ist. Dies römische Streben nach Auflockerung der literarischen Formen, wie es an ihren eigensten Dichtungsgattungen erwiesen, in der Prosa wiederkehrt, hat sie zu Meistern im Essay jeder Art gemacht.A 407 Sonst herrschen in den _Noctes Atticae> Detailarmut und mangelnde Anschaulichkeit vor; vgl. oben S. 164-166. S. 175. B Die jahres- und tageszeitliche Fixierung bzw. Ausschmückung der Szenen ist B bei der sonstigen chronologischen Unbestimmtheit der _Noctes Atticae> B ein Mittel, mit dem Gellius auffallend oft seinen commentarii einen Anstrich von authentischer Lebensnähe zu geben versucht: schon in der Praefatio verlegt er die schriftstellerische Arbeit an seinem Werk in die Winternächte (NA praef. 4: longinquis per hiemem noctibus; praef. 10: ex ipso loco ac tempore hibernarum uigiliarum _Atticas noctes> inscripsimus) und im folgenden setzt er am Beginn einzelner commentarii solche mehr oder weniger `atmosphärischeA Zeitbestimungen ein: NA 1,2,2 (et aestu anni et sidere autumni flagrantissimo); NA 2,21,2 (nox fuit ... et anni aestas); NA 3,1,1 (hieme iam decedente); NA 9,15,1 (per feriarum tempus aestiuarum); NA 17,10,1 (aestu anni); NA 18,1,3 (cum iam aduesperasceret, aestate anni noua); NA 18,5,1 (aestate anni flagrantissima); NA 18,10,1 (aestu anni medio); NA 19,7,2 (molli quodam tempestatis autumnae die).

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ländlicher Zurückgezogenheit.408 B Wörtlich heißt es in NA 19,7,2: Atque ita molli quodam tempestatis autumnae die ego et Iulius Celsinus, cum ad eum cenassemus et apud mensam eius audissemus legi Laeuii _Alcestin> rediremusque in urbem sole iam fere occiduo, figuras habitusque uerborum noue aut insigniter dictorum in Laeuiano illo carmine ruminabamur, ut quaeque uox indidem digna animaduerti subuenerat, qua nos quoque possemus uti, memoriae mandabamus. Das metaphorisch gebrauchte Verbum ruminari veranschaulicht die Art und Weise, wie das individuelle Gedächtnis die in Texten gespeicherten Inhalte des kollektiven Gedächtnisses verarbeitet: Das Gedächtnis des Einzelnen nimmt `geistige NahrungA aus den verfügbaren und zugänglichen Textbeständen auf und `verdautA sie in einem langen Prozeß, läßt sie nach einiger Zeit in kleinen Portionen noch einmal `hochkommenA und verleibt sie sich schließlich ganz ein bzw. gibt sie wieder von sich. Die Metapher des geistigen Wiederkäuens, die auch im Deutschen so geläufig ist,409 daß sich bei der ausdeutenden Analyse des _____________ 408 An beiden Horazstellen signalisiert holusculum bzw. holus in gewisser Weise als pars pro toto die Bescheidenheit des Landlebens der geistigen bzw. politischen Elite: sat. 2,1,71-74: quin ubi se a uulgo et scaena in secreta remorant / uirtus Scipiadae et mitis sapientia Laeli,/ nugari cum illo et discincti ludere, donec / decoqueretur holus, soliti ... ; sat. 2,6,60-65: _o rus, quando ego te adspiciam ? quandoque licebit / nunc ueterum libris, nunc somno et inertibus horis/ ducere sollicitae iucunda obliuia uitae ?/ o quando faba Pythagorae cognata simulque / uncta satis pingui ponentur holuscula lardo ?>/ o noctes cenaeque deum ! ... 409 Die Magen- und Verdauungsmetaphorik, die als ein körperbezogenes Gegenmodell (vgl. auch GUNDERSON, Nox Philologiae, 26 Anm. 19. 151-152) zum Bild des Gedächtnisspeichers und dem Bild der Wachstafel des Gedächtnisses, in die Schriftzeichen eingeprägt werden, seit Quintilian in Umlauf ist und die in dem Konzept der `wiederkäuendenA monastischen Lektüre (ruminatio) wiederkehrt und sich weit verbreitet, wandert schließlich im Zuge der Renaissance von der lateinischen in die volkssprachliche Literatur, wo sie z.B. in Rabelais’ _Gargantua> (1532-1564) weiterlebt, bevor sie bei SCHOPENHAUER in den _Parerga und Paralipomena> (1851) und bei NIETZSCHE im _Zarathustra> (1883-85) wiederauftaucht. Dort heißt es im Kontext der Lehre von der ewigen Wiederkehr : `So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in das Himmelreich. Wir sollten ihnen nämlich Eins ablernen: das Wiederkäuen. Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewönne und lernte das Eine nicht, das Wiederkäuen: was hülfe es!A (F. NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra; in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hrsg. v. G. COLLI / M. MONTINARI, München / Berlin / New York 21988, Bd. 4,334.): vgl. G. BUTZER, Pac-man und seine Freunde, 228-244, bes. 231-242. Bei SCHOPENHAUER (Parerga und Paralipomena, 604 aus Kapitel 24: _Ueber Lesen und Bücher>, ' 291) ist der Bezug der Metapher auf die geistige Verarbeitung des Gelesenen konkreter und ausführlicher ausgedrückt: `Und wie man durch zu viele Nahrung den Magen verdirbt und dadurch dem ganzen Leibe schadet; so kann man auch durch zu viele Geistesnahrung den Geist überfüllen und ersticken. Denn je mehr man liest, desto weniger Spuren läßt das Gelesene im Geiste zurück: er wird wie eine Tafel, auf der Vieles übereinander geschrieben ist. Daher kommt es nicht zur Rumination [reif-

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bildlichen Ausdrucks die übertragene Redeweise kaum vermeiden läßt, paßt gut zu der vom penus litterarum (NA praef. 2), dem `(lebensnotwendigen) Wissens- und BuchvorratA, den Gellius in seinen _Noctes Atticae> angelegt und gespeichert hat.410 Welche Bedeutung er diesem Begriff beimißt, mag man daraus ersehen, daß er der Definition von penus als _Lebensmittelvorrat> in NA 4,1,6-23 ausführliche Darlegungen widmet und darin überwiegend (NA 4,1,6-18) den prominenten philosophus Favorinus in einer Auseinandersetzung mit einem bornierten grammaticus die terminologische Klärung vornehmen läßt. Daß die `VerdauungsAMetapher des Wiederkäuens besonders geeignet ist, die Arbeitsweise des individuellen Gedächtnisses zu illustrieren, geht aus ihrer Verbreitung hervor: Nachdem schon Varro sie in den _Saturae Menippeae> für den damit zusammenhängenden Schreibvorgang gebraucht hat in den Wendungen Odyssian enim Homeri ruminari incipis, cum ąȯȺ¤ ȽȺџąɂv scripturum te Seio receperis (Men. 60) und ruminaris antiquitates (Men. 505), hat Quintilian den Vergleich, aber mit einer anderen Vokabel (remandere), in seiner Aufforderung zur Gedächtnisübung und -stärkung durch Auswen_____________ lichen Überlegung]: aber durch diese allein eignet man sich das Gelesene an wie die Speisen nicht durch das Essen, sondern durch die Verdauung uns ernähren. ... Ueberhaupt aber geht es mit der geistigen Nahrung nicht anders, als mit der leiblichen: kaum der funfzigste Theil von dem, was man zu sich nimmt, wird assimilirt: das Uebrige geht durch Evaporation, Respiration [Ausdünstung, Atmung], oder sonst ab.“ B Auch im Deutschen ist die Metapher des geistigen Verdauens aber schon früher gebräuchlich, wie die drastische Bemerkung des Barockdichters SIGMUND VON BIRKEN in seiner Poetik _Teutsche Redebind- und Dichtkunst> aus dem Jahre 1679 bezeugt: `Man muß das Gehirne zum guten Magen machen, der die Speisen nicht, wie er sie empfangen, wieder herauskotzeA (vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 155). Vgl. auch J. GRIMM / W. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4.1.1, Leipzig 1878 = Bd. 4, Ndr. München 1999, hier 1967, 37-40 s.v gedanke II 11 e: `ähnlich wird das verarbeiten in uns als ein kauen aufgefaszt (vergl. ruminari , wiederkäuen), dem denn auch ein verdauen entsprichtA; Bd. 5, Leipzig 1873 = Bd. 11, Ndr. München 1999, 313, 40-42 s.v. kauen 3 `selbst vom denken, wenn es gründlich, mühsam, langsam geschieht, der stoff wiederholt, _hin und her geworfen> wird, immer von neuem durchgearbeitet, _durchgeknetet>A; Bd. 14.1.2, Leipzig 1960 = Bd. 29, Ndr. München 1999, 10581062, hier 1060 f. s.v. wiederkäuen 2a: `sich eines gegenstandes durch intensives wiederholen bemächtigen ... Ȭ) sich etwas einprägen, mühsam einpauken, (büffeln): (der knabe) seinem gedächtnusz mit fleisz förderung thue, diese verdrieszliche arbeit zu wiederholen beide was er geschrieben vnd gelesen vnd gleich einerley speise wider zukewen, musz er verschlingen vnd vberwinden DECIMATOR thes. (1608) 1128b ... ein kleines Buch ... musste während der so unendlich scheinenden jugendjahre in ewigem wiederkäuen auswendig gelernt und in verständnislosem dialoge hergesagt werden G. KELLER ges.w. (1889) 1,94.A 410 Vgl. dazu oben S. 98-99. Vgl. auch GUNDERSON, Nox Philologiae, 21-22. 228, bes. 74: `The term penus plays an axial role in both the form and the content of Gellius=s text.A

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diglernen eingesetzt: quare et pueri statim, ut praecepi, quam plurima ediscant, et quaecumque aetas operam iuuandae studio memoriae dabit, deuoret initio taedium illud et scripa et lecta saepius reuoluendi et quasi eundem cibum remandendi (inst. 11,2,41). Damit nimmt er das bereits in inst. 10,1,19 ausführlich im Zusammenhang mit der Lektüre ausgemalte Bild wieder auf: repetamus et tractemus et, ut cibos mansos ac prope liquefactos demittimus, quo facilius digerantur, ita lectio non cruda, sed multa iteratione mollita et uelut confecta memoriae imitationique tradatur. Noch näher steht der Verwendung bei Gellius der von Augustinus in seinem Psalmenkommentar ausgeführte Vergleich: omnis homo quod audit sic debet in cor mittere ... ut, quando audit, sit similis manducanti; cum autem audita in memoriam reuocat et cogitatione dulcissima recolit, fiat similis ruminanti (in psalm. 46,1). Augustinus macht auch an weiteren Stellen von dem Ausdruck ruminari bzw. ruminare (das Verb wird, wie im späteren Latein auch sonst üblich, von ihm gelegentlich nicht als Deponens sondern in aktiver Form verwendet) Gebrauch, wenn er den Vorgang des Erinnerns veranschaulicht. In conf. 10,14,21-22 zieht er, allerdings in bezug auf die von Emotionen begleiteten Erinnerungen, den Vergleich zwischen memoria und uenter: nimirum ergo memoria quasi uenter est animi, laetitia uero atque tristitia quasi cibus dulcis et amarus ... Forte ergo sicut de uentre cibus ruminando, sic ista de memoria recordando proferuntur. Doch meist bezeichnet er damit, wie vor ihm schon Symmachus und Hieronymus411 und nach ihm Sidonius,412 die kognitiven Prozesse, die bei der Lektüre bzw. bei der Rekapitulation des Gelesenen ablaufen.413 _____________ 411 Symm. epist. 3,13: dum carmina tua ruminas; Hier. epist. 96,17: cuius edulio saturati ruminamus cotidie uerba. 412 Von der gemeinsam mit dem Sohn betriebenen Lektüre bzw. Repetition schreibt Apollinaris Sidonius in epist. 4,12,1: nuper ego filiusque communis Terentianae Hecyrae sales ruminabamus; studenti assidebam naturae meminens et professionis oblitus quoque absolutius rhythmos comicos incitata docilitate sequeretur, ipse etiam fabulam similis argumenti id est Epitrepontem Menandri in manibus habebam. Legebamus pariter laudabamus iocabamurque et, quae uota communia sunt, illum lectio, me ille capiebat, cum repente puer familiaris astitit uultuosus. 413 Vgl. Aug. epist. 140,85: ama ecclesiasticas legere litteras; legendo et ruminando omnia quae cogitatione digna sunt aut certe plurima perdisces; in psalm. 36 serm. 3,5: quando enim audis, aut quando legis, manducas, quando inde cogitas, ruminas, ut sis animal mundum, non immundum ... qui autem non est oblitus cogitat et cogitando ruminat, ruminando delectatur. Die Bedeutung des Augustinus für die folgenreiche Verbindung von ruminatio und murmur bei der Lektüre hebt hervor BERNS (Hrsg.), Gedächtnislehren und Gedächtniskünste, Bd. 1, 568-571. Ohne Berücksichtigung der Vorläufer und nur mit Blick auf die Stelle der _Confessiones> (10,14,21-22) wird Augustinus als Ausgangspunkt für die Deutung der Verdauungsmetaphorik genommen von A. ASSMANN, Erinnerungsräume, 166-168.

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Daß Gellius die Metapher vom Wiederkäuen in NA 19,7,2 bei der Schilderung der Gedächtnisübung einsetzt, könnte man auch als eine subtile Form der an anderen Stellen, z.B. in NA 12,2, offen geübten Seneca-Kritik deuten, die sich nicht nur gegen dessen Sprache, sondern (bei den hier zitierten Kritikern) auch gegen dessen Bildungskonzept richtet (NA 12,2,1: eruditio autem uernacula et plebeia nihilque ex ueterum scriptis habens neque gratiae neque dignitatis). Denn Seneca hat in epist. 84,5-7, um die imitatio als einen produktiven Prozeß der Anverwandlung und Aneignung ausgewählter Vorbilder anschaulich zu machen, das Bienengleichnis breit ausgeführt414 und zur Erklärung desselben Vorgangs unter weiteren anderen Gleichnissen das von den Speisen hinzugefügt, die der Magen nicht als einzelne Bestandteile verarbeitet, sondern zusammenmischt und als Eines verdaut, um dem Körper Nahrung zuzuführen: alimenta, quae accepimus, quamdiu in sua qualitate perdurant et solida innatant stomacho, onera sunt; at cum ex eo, quod erant, mutata sunt, tum demum in uires et in sanguinem transeunt. Idem in his, quibus aluntur ingenia, praestemus, ut quaecumque hausimus, non patiamur integra esse, ne aliena sint. Concoquamus illa: alioquin in memoriam ibunt, non in ingenium (epist. 84,6-7). Dagegen nimmt Gellius für sich das ingenium des kreativen Imitators in den _Noctes Atticae> gar nicht in Anspruch, sondern gibt sich mit der Rolle des Autors zufrieden, der sich selbst ad subsidium memoriae quasi quoddam litterarum penus (NA praef. 2) geschaffen und anderen das Aufgelesene als primitias quasdam et quasi libamenta ingenuarum artium (NA praef. 13) dargeboten hat. Während er gerade die sich aus den zugrundeliegenden ungeordneten Aufzeichnungen ergebende disparilitas seiner commentarii (NA praef. 3) hervorhebt, hat Seneca das genau gegenteilige Vorgehen bei der literarischen Produktion postuliert: nos quoque has apes debemus imitari et quaecumque ex diuersa lectione congessimus, separare, - melius enim distincta seruantur -, deinde adhibita ingenii nostri cura et facultate in unum saporem uaria illa libamenta confundere, ut etiam si appa_____________ 414 Das Bienengleichnis, das in der römischen Literatur Seneca am ausführlichsten präsentiert, und seine verschiedenen Ausformungen in seiner Geschichte von Lukrez bis zu den französischen Klassizisten des 17./18. Jh.s untersucht J. VON STACKELBERG, Das Bienengleichnis. Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Imitatio; in: Romanische Forschungen 68 (1956) 271-293. Fundstellen aus der griechischen Literatur werden ebd. S. 273 Anm. 2 genannt; einige Beispiele bringt auch STEMPLINGER, Das Plagiat, 154-155. D. DE RENTIIS, Der Beitrag der Bienen. Überlegungen zum Bienengleichnis bei Seneca und Macrobius; in: RhM 141 (1998) 30-44, hier 34-35 beschäftigt sich im Zusammenhang mit dem Bienengleichnis auch mit der Ausgestaltung des Verdauungsgleichnisses bei Seneca und Macrobius. Beiden dient es zur Verdeutlichung des Vorgangs der geistigen Verarbeitung und der B von Seneca mehr (39), von Macrobius weniger für erstrebenswert bzw. erforderlich gehaltenen (42) B Transformation des Gelesenen bei der imitatio.

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ruerit, unde sumptum sit, aliud tamen esse quam unde sumptum est, appareat (epist. 84,5). 3.4.6. Memoria als Arbeit und Reserve gegen das Vergessen Die von Gellius für die Gedächtnisarbeit verwendete Metapher des Wiederkäuens und Verdauens impliziert unausgesprochen das Vergessen, das als Ausscheiden der Gedächtnisinhalte mitzudenken ist.415 Diesem körperbezogenen Gedächtnismodell entsprechend gibt es in den _Noctes Atticae> neben der das Werk durchziehenden `Bücher verschlingendenA Lektüre und Einverleibung ins Gedächtnis denn auch ab und an Bekenntnisse des Autors, daß ihm Gelesenes entfallen ist: So gesteht er in NA 3,3,14, daß ihm der Titel einer Plautus-Komödie derzeit nicht einfällt, und in NA 12,11,7, den Namen des Urhebers eines zitierten Diktums momentan nicht im Kopf zu haben.416 An anderen Stellen gibt er zumindest zu, daß sein Gedächtnis nicht ganz sicher ist: In NA 2,24,15 schwankt er bei der zeitlichen Einordnung eines Ediktes zwischen zwei Kaisern (diuine Augusti an Tiberii Caesaris non satis commemini) und in NA 17,9,16 kann er sich nicht genau entsinnen, wem in der anschließenden Anekdote über die Zusendung einer geheimen Botschaft die Erfindung der WachstafelSteganographie zugeschrieben wird (siue ille Hasdrubal siue quis alius est, non retineo).417 In einschränkenden Floskeln, die er in NA 10,29,2 (nisi memoria in hoc uersu labor) dem auswendig zitierten Ennius-Vers, in NA 19,13,3 (si memoria ... mihi non labat) einem Hinweis auf eine Belegstelle in einer Aristophanes-Komödie und in NA 20,1,14 (nisi memoria me fallit) dem Zitat eines Gesetzes vorausschickt, relativiert er seine eigenen Gedächtnisleistungen. Daneben unterlaufen Gellius auch lapsus memoriae, deren er sich nicht bewußt zu sein scheint, wenn er etwa die Klärung einer _____________ 415 Vgl. BUTZER, Pac-man und seine Freunde, 233. 416 NA 12,11,7: Alius quidam ueterum poetarum, cuius nomen mihi nunc memoriae non est, Veritatem Temporis filiam esse dixit.; vgl. dazu HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 31-32. Auch im Falle von Varros Etymologie, der fur von furuus statt aus dem griechischen ȿѡȺ herleitet, erwägt Gellius in aller Zurückhaltung die Möglichkeit einer punktuellen Amnesie: sed ea res fugeritne tunc Varronis memoriam, an contra aptius et cohaerentius putarit _furem> a _furuo>, id est nigro, appellari, in hac re de uiro tam excellentis doctrinae non meum iudicium est (NA 1,18,6). 417 Tatsächlich wird diese Form der Steganographie von Herodot (hist. 7,239,2-4) in einer Anekdote beschrieben: Der im persischen Susa lebende Exilgrieche Demarat der im Jahr 480 den Spartanern eine Warnung vor Xerxes’ Überraschungsangriff zukommen lassen wollte, schrieb die Botschaft auf das Holz einer Schreibtafel und überzog sie mit Wachs, so daß sie unbeschrieben schien und unentdeckt durch die persischen Kontrollen nach Griechenland gelangte; vgl. SINGH, Geheime Botschaften, 18-19.

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Frage, weitere Nachforschungen oder Belege ankündigt, ohne sie dann zu liefern (z.B. in NA 2,22,31; NA 12,14,7; NA 13,7,6; NA 18,12,10),418 oder wenn er Personen verwechselt oder ihnen falsche (Vor-)Namen beilegt.419 So werden von Gellius, der häufiger auch in affektierter Bescheidenheit die Beschränktheit bzw. Unzuverlässigkeit seiner memoria in Anschlag bringt (z.B. NA 6,16,4: quantum nobis memoriae est; NA 12,1,24: quantum meminisse potui rettuli; NA 16,10,5 si recte commemini; NA 17,10,9: quantulum est mihi memoriae; NA 18,12,10: pauca ista, quae nunc meminimus), kurze Momente des Vergessens in sein großes opus memoriae integriert. Dies zeigt sich in nuce im commentarius NA 12,11, in dessen detaillierter Darstellung der Erinnerungen (NA 12,11,2-6: in quibus id fuit, quod praecipuum auditu meminimus ...) durch eine kleine Amnesie ein weißer Punkt ausgespart bleibt (NA 12,11,7: cuius nomen mini nunc memoriae non est). Neben der individuellen Vergeßlichkeit des Autors gibt es aber in den _Noctes Atticae> bei aller Ubiquität der memoria auch das kollektive Vergessen. Gellius verfolgt dessen Spuren vor allem im Bereich der lateinischen Sprache, seinem Hauptinteressengebiet, wo der Sprachwandel zum Untergang bestimmter Wörter, Wortbedeutungen oder Wortformen geführt hat. 420 Hier manifestiert sich das kollektive Vergessen sogar sichtbar als `AuslöschungA bzw. `ÜberschreibungA: Nachdem Gellius ueteribus libris inspectis die alte Genitivform facies statt der gegenwärtig gültigen faciei als damals übliche bestätigt gefunden hat, fährt er fort: Corruptos autem quosdam libros repperi, in quibus _faciei> scriptum est illo, quod ante scriptum erat, oblitterato (NA 9,14,1-2). Vom kollektiven Vergessen sind aber auch besonders Gesetze betroffen, die lange nicht mehr zur Anwendung gekommen sind: die durch die Änderung der Lebensverhältnisse (opulentia ciuitatis) obsolet gewordenen leges sumptuariae in NA 2,24,11 und NA 20,1,23, die Drakonische Gesetzgebung in NA 11,18,4, das Zwölftafelgesetz in NA 16,10,8 und die municipiorum iura in NA 16,13,9. Das Außerachtlassen der überlebten Gesetze ist nicht nur ein Nebenaspekt des memoria-Themas. Denn explizit läßt Gellius an prominenter Stelle, nämlich im Eingangskapitel des letzten Buches, den Juristen Sextus Caecilius in einer Diskussion mit dem Philosophen Favorinus den Vorgang des kollektiven Vergessens am Zwölftafelgesetz erläutern: nec ideo contemnas legum istarum antiquitates, quod plerisque ipse iam populus Ro_____________ 418 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 31-32. 419 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 316-319. Zu Fehlern in den Gedächtniszitaten vgl. oben S. 153-154. 420 Zu den zahlreichen Kapiteln der NA mit entsprechenden Themen vgl. unten S. 221 Anm. 105, auch S. 242 Anm. 175.

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manus uti desiuerit. Non enim profecto ignoras legum oportunitates et medelas pro temporum moribus et pro rerum publicarum generibus ac pro utilitatum praesentium rationibus quoque uitiorum, quibus medendum est, feruoribus mutari atque flecti neque uno statu consistere, quin, ut facies caeli et maris, ita rerum atque fortunae uarientur ... Omnia tamen haec oblitterata et operta sunt ciuitatis opulentia quasi quibusdam fluctibus exaestuantis (NA 20,1,2223). So wie hier der sich gleichsam naturgemäß ergebende Zeitenwandel für den Geltungsverlust des Zwölftafelgesetzes verantwortlich gemacht wird, erklärt Gellius auch den `natürlichenA altersbedingten Verfall der Bausubstanz des Pompeius-Theaters in NA 10,1,8 zum Grund dafür, daß die auf ihr angebrachte Inschrift aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist und die sie betreffenden Äußerungen Varros und Tiros nicht mehr allgemein verstanden werden. Während sich dieser natürlicherweise erfolgende Vergessensprozeß nicht aufhalten läßt, kann die gezielt herbeigeführte Auslöschung der memoria, wie sie die in NA 17,10,7 testamentarisch vom Autor Vergil verfügte Verbrennung der _Aeneis> bedeuten würde, verhindert werden.421 Daß Vergils Werk dem kollektiven Vergessen entrissen worden ist, findet hier aber wegen seiner allgemeinen Bekanntheit keine ausdrückliche Erwähnung, hat es doch den Vortrag des Favorinus über den Vergleich zwischen Pindars und Vergils Ätnabeschreibung in NA 17,10 überhaupt erst ermöglicht. Auch dort, wo Gellius einen Autorenkanon präsentiert, geht wie immer bei der Formulierung die bewußte Aufnahme bestimmter Autoren mit dem Verdrängen anderer einher. Dieser Effekt der Kanonisierung tritt genauso ein, wenn Gellius nur indirekt daran mitwirkt, indem er entsprechende Texte zitiert B und andere außer Acht läßt, selbst wenn er keine Zustimmung oder Ablehnung zu den gefällten literarkritischen Urteilen signalisiert: So holt er den in die Wendezeit vom 2./1. Jh. v. Chr. anzusetzenden Volcacius Sedigitus in NA 15,24 aus der Vergessenheit hervor, indem er dessen sog. _Komikerkanon> unkommentiert darbietet, obwohl in der weitgehend ohne Begründung auskommenden Rangfolge der zehn Komiker die radikale Subjektivität des, ebenso lakonisch wie leidenschaftlich vorgebrachten, Urteils einen Kommentar provoziert.422 Dagegen _____________ 421 Nicht verhindert wird die öffentliche Vernichtung des Buches, das den Rechenschaftsbericht des älteren Scipio über die im Krieg mit Antiochus (192-188 v. Chr.) gemachte Beute (vermutlich nach Scipios Sieg über Antiochus bei Magnesia i.J. 190) enthält. Der in Bestechungsverdacht geratene Verfasser entzieht sich mit dem eigenhändigen Zerreißen der Schrift der Situation, aegre passus, quod, cui salus imperii ac reipublicae accepta ferri deberet, rationem pecuniae praedaticiae posceretur (NA 4,18,712). 422 Das vielbesprochene Fragment des Volcacius Sedigitus aus seinem Buch _De poetis>, für dessen Vermittlung bzw. Verdrängung wohl Varro mit seiner Schrift _De poetis>

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distanziert sich Gellius in NA 3,3,1 vom Index der Plautinischen Komödien, den Volcacius verfaßt hat, ebenso wie von den Indices Plautini anderer römischer Literaturhistoriker,423 um der iudicii norma424 des Varro (NA 3,3,2) zu folgen. Ausdrücklich wird das Prinzip der Kanonisierung von mustergültigen Autoren – und der Verdrängung anderer nicht anerkannter Autoren als proletarii scriptores – zur Geltung gebracht in der selbst zum locus classicus avancierten Stelle NA 19,8,15.425 In dem an seine Zuhörer bzw. an die Leser der _Noctes Atticae> gerichteten Appell verweist Fronto auf die Autoren, die herangezogen werden müssen bei der Vergewisserung über die Sprachrichtigkeit im Gebrauch von Ausdrücken wie quadrigae (als Plurale tantum) und harena (als Singulare tantum): Ite ergo nunc et, quando forte erit otium, quaerite an _quadrigam> et _harenas> dixerit e cohorte illa dumtaxat antiquiore uel oratorum aliquis uel poetarum, id est classicus adsiduusque aliquis scriptor, non proletarius.426 In diesem Falle sind Caesar und Ennius für Fronto maßgebliche Autoritäten, aber Gellius, der der Aufforderung Frontos in NA 19,8,16-18 nachkommt, wird noch bei Varro fündig auf der Suche nach einem Beleg für den singularischen _____________

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verantwortlich zu machen ist, wird in seiner literaturgeschichtlichen Bedeutung unter Würdigung der älteren Forschungsbeiträge beschrieben von SCHWINDT, Prolegomena, 59-64. Daß dieser _Kanon> des Volcacius Sedigitus zum Ausgangspunkt für den Prozeß der Kanonisierung der römischen Literatur nach dem Vorbild der griechischen geworden ist, hat hervorgehoben H. FLASHAR, Die klassizistische Theorie der Mimesis, 207-208 [85-86]. Vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002) , ' 144, S. 291-294. Mit diesem Terminus wird der (im heutigen Sinne nicht antike) Begriff des Kanons umschrieben, den die Literaturgeschichtsschreibung seit D. Ruhnken verwendet: vgl. H. OPPEL, KANĉȞ- Zur Bedeutungsgeschichte des Wortes und seiner lateinischen Entsprechungen (regula - norma), Leipzig 1937 [= Philologus Suppl. 30/4] 47; SCHWINDT, Prolegomena, 61 Anm. 238; zur Entwicklung des Kanonbegriffs H. OHME, Kanon I (Begriff); in: RAC 20 (2004) 1-28, bes. 4-5. 19 (Aufkommen des Begriffs scripturae canonicae für die kanonischen Bücher der Heiligen Schrift bei Augustinus Ausgangspunkt der Vorstellung des _literarischen Kanons>); zur normierenden Funktion des (literarischen) Kanons in der Erinnerungskultur vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 103-129. Vgl. GELZER, Klassizismus, Attizismus und Asianismus, 4-5. Dazu auch unten S. 242243 m. Anm. 177. Die Begriffe zur Klassifizierung der Autoren sind vorher in ihrer ursprünglichen Bedeutung definiert worden: in NA 16,10,2-15 wird im Hinblick auf die Einteilung der römischen ciues nach Vermögensklassen proletarius als _Angehöriger der armen, untersten Klasse> im Gegensatz zu adsiduus _ansässiger d.h. wohlhabender und steuerpflichtiger Bürger> definiert; in NA 6,13 wird classicus in seinem ursprünglichen Anwendungsbereich der römischen timokratischen Staats- und Gesellschaftsstruktur begrenzt auf den _Angehörigen der obersten, reichsten Schicht>. – Zur Metaphorik der Zensur, die durch Gellius in der Vorstellung des Kanon zur Sprache gebracht wird, E.A. SCHMIDT, Orientierungsfunktionen von Kanon, 246-258, hier 248. 257 Anm. 4.

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

Gebrauch von quadriga. Doch auch darüber hinaus erweitert er den Kanon der classici auctores. Gellius, der diesen für die nachfolgende Literaturgeschichte konstitutiv gewordenen Terminus geprägt hat,427 beteiligt sich damit auch direkt an der Kanonisierung. Die Häufigkeit und Ausführlichkeit mit der bestimmte Autoren in den _Noctes Atticae> berücksichtigt oder gar zitiert werden, läßt sich an den Indices der Gellius-Editionen ablesen; daß Ennius, Cato, Plautus, Accius, Caecilius Statius, Pacuvius, Lucilius, Calpurnius Piso Frugi, Claudius Quadrigarius und andere Schriftsteller und Texte der republikanischen Zeit darin vorherrschen, wird erklärt mit der Vorliebe für die Autoren der archaischen Literaturepoche, die sich im 2. Jh. n. Chr. durchsetzt.428 Dieser sog. Archaismus,429 der nach dem Modernismus der neronischen Ära und dem Neo-Klassizismus der domitianischen Epoche den literarischen Geschmack der Zeit prägte,430 schließt aber die `klassischenA _____________ 427 Grundlegend zu diesem vielbehandelten Thema: GELZER, Klassizismus, Attizismus und Asianismus, 1-41 (discussion 42-55); R. WELLEK, Das Wort und der Begriff des _Klassizismus> in der Literaturgeschichte; in: Schweizer Monatshefte 45 (1965/1966) 154-173. Vgl. auch aus jüngerer Zeit G. SCHULZ / S. DOERING, Klassik. Geschichte und Begriff, München 2003, hier bes. 15-22 (_Dimensionen eines Begriffs>). 428 Den B durch Fronto maßgeblich beeinflußten B literarischen Geschmack des 2. Jh.s beschreibt MARACHE, La critique littéraire, 152-182. 226-245. 321-334; STEINMETZ, Untersuchungen, 183-187. 289. 379. 429 Gegen die Epochenbezeichnung Archaismus für das 2. Jh. sind berechtigte Bedenken vorgebracht worden, denen man in der neueren Literaturgeschichtsschreibung Rechnung zu tragen beginnt, U. SCHINDEL, Archaismus als Epochenbegriff. Zum Selbstverständnis des 2. Jh.s; in: Hermes 122 (1994) 327-341; ders., Neues zur Begriffsgeschichte des Archaismus; in: Hermes 125 (1997) 249-252. Vgl. dazu SCHWINDT, Prolegomena, 43. Ausführlicher dazu unten Kapitel 4.2.2, S. 229-250. 430 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius 2, 4-5 m. Anm. 20. 354-355. Diese Periodisierung der literarischen Epochen formuliert kurz und bündig in seinem holzschnittartigen Modell, NORDEN, Die römische Literatur, 98 [83]: `Nero - Modernismus, Flavier - Klassizismus, Hadrian und die Antonine - Archaismus: das sind die Hauptetappen.A Allerdings sollte man sich die Problematik solcher schemenhaften Epochencharakterisierung stets im Bewußtsein halten: vgl. dazu P. KUHLMANN, Epochenbegriffe (III: Klassische Philologie); in: DNP 13 (1999) 1008-1015, hier 1014; SCHWINDT, Prolegomena, 43-44. Daß die Periodisierung der Antike nach den kulturellen Interessen der jeweiligen neuzeitlichen Epoche erfolgt, gibt im Falle der griechischen Archaik zu bedenken G.W. MOST, Zur Archäologie der Archaik: A & A 35 (1989) 1-23, hier 22. Bei aller Vorsicht gegenüber den Epochenbegriffen bleibt die Periodisierung ein sinnvolles Instrument der Literaturgeschichtsschreibung: vgl. M. FUHRMANN, Die Epochen der griechischen und der römischen Literatur; in: E. G. SCHMIDT (Hrsg.), Griechenland und Rom: Vergleichende Untersuchungen zu Entwicklungstendenzen und -höhepunkten der antiken Geschichte, Kunst und Literatur, Tbilissi (Erlangen / Jena) 1996, 347-364, hier bes. 354-355.

3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst

187

Autoren Caesar, Cicero und Vergil nicht aus,431 zumal sie ja schon am Ende des 1. Jh.s bereits auch zu den antiqui gehörten.432 Vielmehr scheint Gellius’ Devise zu lauten `neben Vergil auch, und nun erst recht, Ennius.@433 In dem weiten literarischen Spektrum der _Noctes Atticae> ist, wie oben im Zusammenhang mit der Untersuchung der Zitierpraxis dargestellt, auch Platz für weniger bedeutsame Schriftsteller des ersten vorchristlichen und ersten nachchristlichen Jahrhunderts sowie für Zeitgenossen des Gellius. Bei dieser Vielfalt sind außer den Autoren, die Gellius in sein Werk aufnimmt, aber auch die von Interesse, die er ganz übergeht oder weitgehend ausspart: die Vertreter der augusteischen Poesie Properz, Tibull und Ovid fehlen, ebenso die Historiker Livius, Pompeius Trogus, Velleius Paterculus, Curtius Rufus, Tacitus; man vermißt die Epiker des 1. Jh.s n. Chr. Lucan, Silius Italicus, Valerius Flaccus und Statius; der Epigrammatiker Martial findet ebensowenig Erwähnung wie Petron und die Satirendichter Iuvenal und Persius; den Architekten Vitruv läßt Gellius (trotz dessen enzyklopädischen Anspruchs) genauso wie den Rhetoriker und Bildungstheoretiker Quintilian (jedenfalls in den explizit markierten Zitaten) außer Betracht. Während man die Motive (sprachlich-stilistische, inhaltliche oder überlieferungstechnische ?) für das unausgesprochene Übergehen und Verdrängen bei jedem einzelnen Autor eigens ergründen müßte, distanziert sich Gellius in NA 12,2 dem Vorbild Frontos folgend von Seneca offen wegen dessen Enniuskritik.434 Auch für die fast vollständige Vernachlässigung des Horaz, der nur bei der Erörterung von Windbezeichnungen in NA 2,22,2 ohne Namen und in NA 2,22,25 namentlich erwähnt wird,435 und auf dessen berühmtes Carmen 3,1 in der _____________ 431 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 363; STEINMETZ, Untersuchungen, 288289. 432 Vgl. MARACHE, La critique littéraire, 33; ZETZEL, Latin Textual Criticism, 43. 433 Auf diese Parole bringt BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 118 ihre Charakterisierung des gellianischen `ArchaismusA, die sie mit weiterreichenden Mutmaßungen verbindet: `Der Archaismus des Gellius wäre dann nicht substitutiver Natur_ Ennius statt Vergil>, sondern additiver Natur_ neben Vergil auch, und nun erst recht, Ennius>; das ist, wie ich nur kurz andeuten möchte, wichtig für die Frage, ob sich Aulus Gellius zum Imperium Romanum affirmativ oder doch in seiner Konzentration auf Altertümer implizit gegenwarts- und prinzipatskritisch verhält.A 434 Zur Senecakritik Frontos, die sich insbesondere in seinem Liber _De orationibus> (212 p.153,11-158,9 v.d.H.2) manifestiert, vgl. MARACHE, La critique littéraire, 120127; STEINMETZ, Untersuchungen, 186. 435 Unter Anspielung auf Hor. carm. 1,3,4 (obstrictis aliis praeter iapyga) heißt es in NA 2,22,2: legebatur ergo ibi in carmine Latino _iapyx> uentus quaesitumque est, quis hic uentus et quibus ex locis spiraret et quae tam infrequentis uocabuli ratio esset. Gegen Ende des commentarius in NA 2,22,25 wird Horaz dann von Favorinus (bei dem verstecktem Hinweis auf die Windbezeichnung atabulus in Hor. sat. 1,5,78) mit Namen genannt: Praeter hos autem, quos dixi, sunt alii plurifariam uenti commenticii et

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3. Spuren und Formen der memoria in den _Noctes Atticae> des Gellius

Praefatio mit der Formulierung profanum uolgus (NA praef. 20) angespielt wird,436 könnte dessen in den Satiren 1,4 und 1,10 und im Augustusbrief (epist. 2,1) geübte Kritik an der archaischen Literatur437 ausschlaggebend gewesen sein. Mit der Zurückdrängung des Horaz setzt sich Gellius offenbar bewußt ab von der vorhergehenden Literaturepoche, in der Horaz B nach dem Zeugnis des Plinius (epist. 9,22,2), Quintilian (inst. 10,1,96) und Tacitus (dial. 20,5) B ein Standardautor war.438 Gellius plaziert die _Noctes Atticae> im Spannungsfeld von Erinnern und Vergessen, von gezielter Gedächtnispflege und Verdrängung, so wie es schon vor ihm der ältere Seneca mit seiner Sammlung von Deklamationsexzerpten und der ältere Plinius mit seiner _Naturalis historia> getan haben.439 Das läßt sich zum einen der antizipierten Kritik entnehmen, die Gellius im Falle der Unvollständigkeit der dargebotenen Recherchen d.h. seiner eigenen Vergeßlichkeit zu gewärtigen hätte: hoc ab Aurelio scriptum propterea non praeterii, ne cui harum ,noctium‘ aemulo eo tantum nomine elegantius id uideretur, tamquam id nos originem uerbi requirentes fugisset (NA 1,25,18). Daß er seine commentarii nicht nur gegen sein individuelles, sondern gegen das kollektive Vergessen schreibt, offenbart eine zweite – diesmal positiv formulierte – Praeteritio in NA 2,18,10: De Epicteto autem philosopho nobili, quod is quoque seruus fuit, recentior est memoria, quam ut scribi quasi oblitteratum debuerit. Dabei finden Erinnern und _____________ 436 437

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suae quisque regionis indigenae, ut est Horatianus quoque _atabulus>, quos ipsos quoque executurus fui ... Zu der Horazreminiszenz (und Vergilimitatio) an dieser Stelle vgl. MINARINI, La prefazione delle _Noctes Atticae>, 541-542 m. Anm. 27. Zur Luciliuskritik in sat. 1,4,6-13 und zur Kritik an Lucilius sowie anderen Vertretern der archaischen, aber auch der zeitgenössischen Literatur in sat. 1,10,1-71, bes. 1-6. 16-30 vgl. M. VON ALBRECHT, Horaz; in: J. ADAMIETZ (Hrsg.), Die römische Satire, Darmstadt 1986 [= Grundriss der Literaturgeschichten nach Gattungen], 131. 137; FREUDENBURG, The Walking Muse, 101-108. 163-184; MARACHE, La critique littéraire, 30-31; zur horazischen Kritik an den alten Komikern in epist. 2,1,50-78. 170176: vgl. E. STEMPLINGER, Q. Horatius Flaccus; in: RE 8/2 (1913) 2362. In Überspitzung der Kritik geht Horaz aber noch über die Komödie hinaus und mit seiner Attacke auf das Salierlied weiter an die Anfänge der lateinischen Literatur zurück in epist. 2,1,86-89. Wiederentdeckt wurde Horaz in der `neronischen RenaissanceA augusteischer Autoren, die dann in der flavischen Epoche neben den Autoren der neronischen Zeit weiterhin als literarische Muster in Mode blieben; vgl. MAYER, Neronian Classicism, 313314. 316-317. Vgl. Sen. contr. 1 praef. 11: ipsis quoque multum praestaturus uideor, quibus obliuio imminet, nisi aliquid, quo memoria eorum producatur, posteris traditur; Plin. NH 14,3. 7: quippe cum requirenda sint non solum postea inuenta, uerum etiam ea, quae inuenerant prisci, desidia rerum internecione memoriae indicta. ... sed nos oblitterata quoque scrutabimur.

3.4. Memoria zwischen Speichergedächtnis und Gedächtniskunst

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Vergessen primär und fast ausschließlich im Umgang mit Sprache und Literatur statt, die das Zentrum der antiken Bildung dominieren. Und so gilt für Gellius’ _Noctes Atticae> besonders , was SCHLAFFER allgemein (nicht im Hinblick auf die Antike, sondern mit Bezug auf den modernen Leser) gesagt hat: `Gebildet ist nicht, wer liest, sondern wer sich an Gelesenes so erinnert, daß es ihm in wesentlichen Teilen präsent bleibt. Genaue Erinnerung steigert den Rang des sich erinnernden Lesers wie den der erinnerten Werke, weil beide dem Gang der Zeit, in der fast alles wieder vergessen wird, widerstanden haben.A440 Am Ende dieses Teils steht das Fazit, daß Gellius sein Werk nicht nur als subsidium memoriae (NA praef. 2) für sich und andere konzipiert hat. Als Produkt der memoria, in dem kollektives und individuelles Gedächtnis zusammenwirken, trägt es bei zur Formung des kulturellen Gedächtnisses und unterbindet zugleich das kulturelle Vergessen seiner und der folgenden Epochen.441

_____________ 440 SCHLAFFER, Der Umgang mit Literatur, 21. Zuvor hat er dort den Prozeß der erinnernden Aneignung von Literatur beschrieben: `Durch die umstellende, auswählende und deutende Tätigkeit der Erinnerung verwandelt sich das Buch, dessen materiellen Bestandteile der Literatur äußerlich sind, in einen geistigen Besitz, zu philologischem Wissen oder zu literarischer Bildung.A Und in einer ergänzenden Anmerkung fügt er hinzu: `Ein Ideal dieser philologisch-literarischen Bildung, die vergangene Lektüren so zu vergegenwärtigen weiß, daß ein neuer Text durch alte Texte belebt wird, scheint mir in MARIO PRAZ verkörpert zu sein.A Darf man in der Sammlung seiner Essays unter dem Titel _Der Garten der Erinnerung> (Frankfurt am M. 1994) einen späten Nachfahren von Gellius’ _Noctes Atticae> sehen ? 441 Diesen Befund bestätigt die Untersuchung von HOSE, in der er die _Erforschung des Vergessens als Aufgabe der Klassischen Philologie> umrissen und die Brüche in der antiken Kultur- und Literaturgeschichte als die Stellen markiert hat, an denen Vergessen und Verdrängen älterer Literatur durch Kanonisierung anderer Texte einsetzt. In diesem Rahmen erkennt HOSE in Gellius’ _Noctes Atticae> ein Werk, das wie die _Deipnosophisten> des Athenaios, darauf zielt, eine Überprüfung der Kanonisierung vorzunehmen und die Grenzen des Kanons auszuweiten, indem vergessene Literatur wieder neu ins Bewußtsein der Leser gebracht wird. Seine Analyse der Intention des Gellius begründet HOSE, Die Erforschung des Vergessens, 47: `Denn mindestens Gellius kalkuliert ausdrücklich damit, daß seine Leser den einen oder anderen zitierten raren Text selbst aufsuchen oder sogar einen Lehrer dazu konsultieren wollen.A

4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae> 4.1. Die _Noctes Atticae> im griechisch-römischen Kultur- und Erinnerungsraum 4.1.1. Die Durchdringung griechischer und römischer Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae> Das in den _Noctes Atticae> reproduzierte und formierte kulturelle Gedächtnis bewohnt eine `Gedächtnis- und BildungslandschaftA, in der die römische Erinnerungskultur in untrennbarer Symbiose mit der griechischen lebt. Statt Grenzen zwischen den spätestens seit dem 2. Jh. v. Chr. aufs engste miteinander verbundenen `KulturräumenA Griechenlands und Roms zu errichten, um der Selbstvergewisserung römischer Identität zu dienen, zielt Gellius mit seinem Werk vielmehr darauf, zwar auch die Pluralität und Parallelität der kulturellen Traditionen im Bewußtsein zu halten, aber vor allem die griechisch-römische Kulturintegration im kollektiven Gedächtnis zu verfestigen.1 Damit zeigen sich die _Noctes Atticae> als ein Werk, das die geistige Situation seiner Zeit widerspiegelt. Denn das zweite nachchristliche Jahrhundert, das mit seiner politischen Stabilität und wirtschaftlichen Prosperität bereits von den Zeitgenossen und von der Nachwelt als eine der glücklichsten Epochen der Weltgeschichte beschrie_____________ 1

J. ASSMANN unterscheidet die Form der Erinnerung, die `der Ausbildung und Reproduktion kultureller Identität durch Abgrenzung“ dient, von der `dekonstruktiven ErinnerungA, die `als ein Medium interkultureller Übersetzung umgekehrt der weltbürgerlichen Öffnung durch EntgrenzungA dient; vgl. J. ASSMANN, Moses der Ägypter, 26. An anderer Stelle stellt er fest, daß gerade `integrativ gesteigerte kulturelle Formationen, deren Integrationskraft nach innen ein Reich zusammenhält, ... auch nach außen eine ungewöhnliche Assimilationskraft zu entwickelnA pflegen und verweist auf die kulturelle Assimilation der Römer an die Griechen als einen Musterfall dieses Prozesses (J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 151). B Wie `ErinnerungskonkurrenzenA im Kampf um die Deutungshoheit historischer Ereignisse und die Identitätsstiftung auch innerhalb einer Sprach- und Kulturgemeinschaft literarisch ausgetragen werden, illustriert an der paganen griechischen Literatur des 4. Jh.s n. Chr. STENGER, Hellenische Identität in der Spätantike, 262-286.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

ben wurde,2 ist dadurch geprägt, daß römischer Westen und griechischer Osten politisch und kulturell noch enger zusammenwachsen. Schon Hadrian hatte sich nach der Phase der Expansion unter Trajan in seiner Friedens- und Sicherheitspolitik der griechischsprachigen Ostprovinzen als Stütze für das Imperium Romanum versichert, indem er ihre Bevölkerung in Verwaltung und Heer an der Verantwortung beteiligte. Zugleich förderte die erfolgreiche hadrianische Wirtschaftspolitik, die eine Hebung des Lebensstandards und des wirtschaftlichen Wohlstandes bewirkte, die Integration der Provinzen in das Imperium. Diesen von Hadrian eingeschlagenen politischen und wirtschaftlichen Weg setzte Antoninus Pius in seiner durch und durch konservativen Art3 weitgehend fort. Verstärkt engagierte er sich für die Einbindung des Ostens in die Reichsverwaltung, deren Leitung er sich ebenso wie Gesetzgebung und Rechtsprechung zu seiner Aufgabe machte. Während allerdings der Philhellene Hadrian sich durch eine besondere Hochschätzung und Förderung der giechischen Kultur und Bildung hervorgetan und eine regelrechte `Renaissance des HellenentumsA4 eingeleitet hatte, erfolgte unter Antoninus Pius, eine allgemeine, nicht nur auf das Römische ausgerichtete, Rückbesinnung auf die Vergangenheit.5 Und obwohl gerade in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s _____________ 2 3 4

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Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 5-6. So BENGTSON, Römische Geschichte, 307. BENGTSON, Römische Geschichte, 305. Vgl. J.M. ANDRÉ, Hadrien littérateur et protecteur des lettres, 584 (mit Bezug auf Hist.Aug. Hadr. 1,4: .... ut a nonnullis Graeculus diceretur); S. A. STERTZ, Semper in omnibus varius. The Emperor Hadrian and Intellectuals; in: ANRW II 34.1 (1993) 612-628, bes. Anm. 1: weitere bibliographische Hinweise auf Literatur zu Hadrians Philhellenismus; WILLERS, Hadrians panhellenisches Programm, bes. 7-12. 100-103. BEAUJEU, La religion romaine, 279-280. 291-311. – Es handelt sich wohl nicht um eine `italisch-römische Reaktion auf die Reichspolitik des Graeculus HadrianA, sondern vielmehr, wie STEINMETZ (Untersuchungen, 45 Anm. 45) unter Berücksichtigung der Zeugnisse aus allen Politikbereichen feststellt, um eine verstärkte `Beziehung auf große Vergangenheit schlechthin@; vgl. auch CHRIST, Geschichte der römischen Kaiserzeit, 330: `Nur ein betonter, stark ausgeprägter Archaismus ist Kennzeichen seiner Person.A – Inwiefern aber der jeweilige Kaiser mit seinen kulturellen Interessen und Vorlieben die Bildungskultur prägte oder umgekehrt von einer vorherrschenden Geistesströmung beeinflußt wurde, ist eine oft nur am Rande behandelte und unzureichend diskutierte Frage. Mehr Beachtung schenkt ihr HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 4-5. 355-356, der in Hadrian eher einen Exponenten als einen Initiator der kulturell-literarischen Entwicklung erkennt (356): `Yet the emperor had not singlehandedly imposed his tastes on a literary world till then content with the doctrines and the syllabus of Quintilian; rather his tastes encouraged a development that was already taking place.A Ähnlich urteilt MARACHE, La critique littéraire, 95-97 hinsichtlich Hadrians Rolle bei der als `révolution artistiqueA beschriebenen Entwicklung der bildenden Künste. Die Wirkung von Hadrians Einfluß, insbesondere seines Philhellenismus, der sich in der Errichtung des Athenaeums in Rom eine Institution schuf,

4.1. Griechisch-römischer Kultur- und Erinnerungsraum

193

das Imperium durch eine Folge von Kriegen und anderen Katastrophen erschüttert wurde,6 ist die Regierungzeit des Antoninus Pius und seines Nachfolgers Marc Aurel eine Zeit gewesen, in der trotz allem der wirtschaftliche Fortschritt, die rechtliche und soziale Sicherheit der Oberschicht vermehrte Bildungsbestrebungen und denen, die um sozialen Aufstieg bemüht waren, die Verfolgung ihrer Bildungsinteressen ermöglichten.7 Daß Bildung nicht nur für die Angehörigen der Oberschicht, die sich umso mehr als Mitglieder einer _société de lettrés> verstanden, je mehr ihre Aktivitäten auf politischem Gebiet zurückgedrängt _____________

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veranschlagt hoch FANTHAM, Literarisches Leben, 212-217, bes. 211. `That Hadrian tried to exercise cultural influence in a way not tried before, not even by AugustusA, erkennt auch JOCELYN, Studies in the Indirect Tradition, 63 (B64). CONTE, Latin Literature, 580-581 betont die Verbindung der von Hadrian geförderten `Hellenization of cultureA und der im Archaismus der Philologen praktizierten `worship of the past.A Allerdings bringt STEINMETZ, Untersuchungen, 77 in puncto Sprachpolitik der Antoninenkaiser in Anschlag, daß sie nicht so sehr `einer verstiegenen Romantik und einer Griechenschwärmerei entsprungen ist, sondern Teil des Reichskonzepts ist, also einem klaren politischen Ziel untergeordnet ist.A Der Zusammenhang zwischen der zugleich traditionellen und progressiven Religiosität Hadrians und seiner Religionspolitik, die das 2. Jh. entscheidend prägte, ist Ausgangspunkt und Ergebnis der Untersuchung von KUHLMANN, Religion und Erinnerung, hier bes. 26-27. 243-250. Einen Reflex der Politik Hadrians erkennt auch HOSE (Erneuerung der Vergangenheit, 135-137) bei dem Historiographen Florus in seiner `Sicht der römischen Geschichte, die von einem Reichsbewußtsein und zugleich einer provinzialen Identität geprägt ist.A Skeptisch, in bezug auf die `Verbreitung eines griechischen GemeinschaftsgefühlsA durch die Propaganda Hadrians, ist dagegen SCHMITZ, Bildung und Macht, 180. Schon dem `FriedenskaiserA Hadrian waren trotz seiner defensiven Politik Kriege nicht erspart geblieben (117-118 Kämpfe gegen die Iazygen und Roxolanen, die die Donauprovinzen bedrohten; Kämpfe gegen die Briganten in England; 132-135 BarKochba-Aufstand gegen die Römer in Jerusalem); unter der Herrschaft des Antoninus Pius ist kaum ein Jahr ohne kriegerische Auseinandersetzung an irgendeiner Stelle des Reiches vergangen: von 139 bis 142 gab es wieder Einfälle der Briganten in Nordengland, von 145 bis 152 wurde in Mauretanien gekämpft, darauf folgten Unruhen in Iudaea und in Griechenland, schließlich eine Erhebung in Ägypten (152-153). Vgl. BENGTSON, Römische Geschichte, 302-303. 308-310, hier auch bes. 310: `Die Regierung des Philosophenkaisers Mark Aurel erhält ihr Gepräge durch die Kriege. Von den 19 Jahren seiner Regierung sind nicht weniger als 17 Kriegsjahre gewesen: von 161 bis 166 kämpfte man im Orient gegen die Parther, von 166 bis 180 (mit einer zweijährigen Unterbrechung) mußte der Ansturm der germanisch-sarmatischen Völker abgewehrt werden.A Zu diesen Kriegen mit den Parthern, mit den Markomannen und Quaden kamen noch weniger bedeutende Auseinandersetzungen mit den in das Reichsgebiet eingefallenen Chatten (162/174), mit den Mauren in Mauretanien (172) und auf der Pyrenäenhalbinsel, besonders in Lusitanien, (175-176) und die Niederwerfung des Aufstandes in Unterägypten (172). – In der Regierungszeit Marc Aurels häuften sich auch die Naturkatastrophen (Überschwemmungen, Erdbeben, Dürreperioden und Hungersnöte, Pestseuche); vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 46. Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 48.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

wurden, sondern auch für eine breiter werdende Schicht von sozialen Aufsteigern zu einem `zentralen gesellschaftlichen LeitwertA wurde, führte zu einer deutlichen Ausdehnung der Bildungskultur im 2. Jahrhundert. n. Chr.8 Signum dieser Bildungskultur ist ihr Bezug auf die Vergangenheit.9 Dies gilt sowohl im römischen Westen wie im griechischen Osten, wenn auch aus verschiedenen Gründen.10 Die stärkere Traditionsorientierung im 2. Jh. n. Chr. manifestiert sich im gesamten Imperium zum einen in den sprachlichen Repristinationstendenzen des Attizismus im Griechischen und des Archaismus im Lateinischen, zum anderen auch in der Zunahme der literarischen Gattungen, die sich mit der Geschichte befassen und historisches Wissen in verschiedenen Formen vermitteln.11 Jedoch _____________ 8

Die Einbettung des Aufschwungs der Bildungskultur in die sozialen Prozesse hat zuletzt PAUSCH beschrieben, in Anlehnung an die Untersuchungen der griechischen Zweiten Sophistik von SCHMITZ (unter dem Titel _Bildung und Macht> ) u.a.: Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 9-21 (_Bildungswissen und gesellschaftlicher Erfolg im 2. Jh. n. Chr.>), hier bes. 14-18, auch 62-65. 9 Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 20; HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 3: `Among both Greeks and Romans, the second century saw a reversion to the pastA. 10 Die Rückwendung zu den `großen ZeitenA der griechischen Geschichte wird einhellig als Reaktion auf die politische Macht- und Bedeutungslosigkeit Griechenlands in der Gegenwart gesehen und unter der von J. ASSMANN eingeführten Kategorie der _kontrapräsentischen Erinnerung> eingeordnet. Dagegen sucht man für die unter ganz anderen politischen Bedingungen stattfindende Vergangenheitsorientierung der Römer eine Erklärung darin, daß es dort vor allem um `die ständige Diskussion der grundlegenden Werte der eigenen GesellschaftA gehe: vgl. M. KORENJAK, Publikum und Redner. Ihre Interaktion in der sophistischen Rhetorik der Kaiserzeit, München 2000 [= Zetemata 194], 39-40 m. Anm. 106. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 20 m. Anm. 126 verzeichnet weitere Literatur zur Ursachenforschung. Die sprachlichen Phänomene des griechischen Attizismus und des lateinischen sog. Archaismus werden in die Differenzierung miteinbezogen von HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 6-8: `By attempting to speak in classical Attic, one could imagine oneself a citizen of the city that had defeated the Great King, for whose fleet Macedon felled her timbers, and in which the name of Rome had not been heard. A Roman, by contrast, however greatly he admired the men of old, did not dream of enduring the harshness of their lives in a brick-built city with a smaller empire; Cato’s style and sentiments might be applauded, but no one wished to walk in fear of his censorial note. Nor was early Latin, for all its wild beauties, either as rich or as elegant as the classical language, let alone as Attic.A 11 Signifikant für diese literarische Entwicklung ist, daß der erste umfangreiche Teil des betreffenden vierten Bandes des HLL über die lateinische Literatur des 2./3. Jh.s unter dem Titel _Traditionsorientierte Literatur> steht und Biographie und Autobiographie sowie Antiquarische Literatur vor Jurisprudenz, Grammatik und Fachprosa behandelt. – Schon im 1. Jh. n. Chr. beobachtet eine `gesteigerte BedeutungA der Geschichte im kaiserzeitlichen Schulunterricht und eine Blüte historischer Gattungen PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 19.

4.1. Griechisch-römischer Kultur- und Erinnerungsraum

195

wird im Osten im Rahmen der sog. Zweiten Sophistik vor allem die Blütezeit Griechenlands im kollektiven Gedächtnis gepflegt, während in der westlichen Reichshälfte das in der Erinnerungskultur gepflegte Vergangenheitswissen die griechische und römische Geschichte einschließt.12 Wie schon der jüngere Plinius in dem berühmten Brief epist. 8,24 zu erkennen gibt, in dem er seinen als Propraetor von Achaia bestellten Freund bei der Ausübung seines Amtes zur Reverenz vor der griechischen Kultur auffordert, war die große griechische Tradition auch bei den Römern im Gedächtnis präsent trotz des seit republikanischer Zeiten festverankerten Topos von der Dekadenz der Graeculi.13 Diese Einstellung gegenüber dem Griechischen spiegelt sich auf dem Gebiet der Sprache wider: Das sprachliche Zusammenwachsen des lateinischen Westens und des griechischen Ostens geht mit einer deutlichen Zunahme der Griechischkenntnisse im Westen einher, wo die Beherrschung des Griechischen zum unerläßlichen Ausweis von Bildung wurde. Dagegen blieb das Lateinische im Osten hauptsächlich auf die Sprache des Militärs und der höheren Gerichte und Verwaltungsorgane beschränkt. Dementsprechend wurde griechische Literatur im Westen intensiv rezipiert, während es einen umgekehrten lateinischen Literaturtransfer nur in Einzelfällen gab.14 Es galt also weiterhin, was Cicero in seiner Rede _Pro Archia poeta> formuliert hatte, auch wenn inzwischen die fines des Imperiums sehr stark expandiert waren: Graeca leguntur in omnibus fere gentibus, Latina suis finibus exiguis sane continentur (Arch. 23). Diese bilingue Kultur, die den Zusammenhang des Imperiums _____________ 12 Vgl. HOSE, Erneuerung der Vergangenheit, 18. 13 Vgl. SCHMITZ, Bildung und Macht, 183-184. – Zu dem Pliniusbrief epist. 8,24 als kulturhistorischem Dokument vgl. F. ZUCKER, Plinius epist.VIII,24 – ein Denkmal antiker Humanität; in: Philologus 84 (1929) 209-232; wieder in: F. ZUCKER, Semantica, Rhetorica, Ethica, Berlin 1963, 118-136; RIEKS, Homo, humanus, humanitas, 251253. 14 Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 401, S. 5. Auf ein gewisses Interesse an lateinischer Literatur lassen abgesehen von den zweisprachigen Schulbüchern (s. dazu unten S. 204 Anm. 45) auch einige auf ägyptischen Papyri überlieferte Reste von griechischen ‚Aeneis‘-Übersetzungen schließen. Eine Prosaparaphrase Vergils hat Polybios, der Freigelassene des Claudius, verfaßt. Laut Suda soll ein Epiker Arrian Vergils _Georgica> und der Sophist Zenobios Sallust (Historiae; Bellum Catilinae; Bellum Iugurthinum) ins Griechische übersetzt haben (Suda s.v. ’ȒȺȺȳȫvџȻ; s.v. ȗȱvџȬȳoȻ): vgl. STEMPLINGER, Das Plagiat, 211-212; V. REICHMANN, Römische Literatur in griechischer Übersetzung; in: Philologus Suppl. 34.3 (1943) 28-61 (_Die griechischen Vergil-Übersetzungen>); REIFF, Interpretatio, 115-116 m. Anm. 19; STEINMETZ, Untersuchungen, 78-79; HIDBER, Vom Umgang der Griechen, 18; MÜLKE, Der Autor und sein Text, 118-119 Anm. 371. 120 Anm. 376 (unter Berücksichtigung griechischer Übersetzungen christlicher lateinischer Texte). Die amtlichen Übersetzungen lateinischer Dokumente, wie die des ,Monumentum Ancyranum=, ins Griechische sind anders zu beurteilen; vgl. auch MÜLKE, Der Autor und sein Text, 111-113. 117.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

stiftete und zur Integration des Imperiums beitrug,15 hat den Boden bzw. den Raum bereitet, in dem Gellius= Werk entstehen und gedeihen konnte. 4.1.2. Der Titel _Noctes Atticae> als Programm Gleichsam programmatisch bezeichnet deshalb der Titel _Noctes Atticae> den Erinnerungsraum, den der Autor in seinen commentarii B zunächst im eigentlichen, dann aber vor allem im übertragenen Sinne B durchreist, aus verschiedenen Perspektiven besichtigt und skizziert hat. Denn es knüpfen sich bestimmte kulturelle Vorstellungen und Erwartungen an die Erwähnung der Landschaft Mittelgriechenlands, deren Hauptstadt und kulturelles Zentrum Athen als Keimzelle der hellenistisch-römischen Kulturtradition gerade während ihrer durch rege kaiserliche Bautätigkeit beförderten Blüte16 im zweiten nachchristlichen Jahrhundert besonders verehrt17 und nicht nur von Gellius aufgesucht wurde.18 Außer der attischen Hauptstadt Athen (NA 7,10,[1] in Lycio; NA 7,13; NA 10,1; NA 15,2; NA 17,8; NA 17,20 vgl. NA 9,2; NA 18,2; NA _____________ 15 Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 53-65 (über die verschiedenen das Imperium Romanum trotz aller zentrifugalen Kräfte zusammenhaltenden Bindungen), hier bes. 53- 55: ` ... daß das Imperium über eine erstaunlich lange Zeit zusammenhielt, ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen. Da ist zunächst zu nennen das Band der Sprache, genauer das Band der beiden Sprachen ... Die lateinische Sprache ist so für den Westen des Reiches ein Band, das die einzelnen Reichsteile zusammenbindet, andererseits begleitet sie in ihrer eigenen Entwicklung Sonderentwicklungen in den Provinzen. Ähnliches kann von der griechischen Sprache im Osten gesagt werden. Zwar ist die griechische Sprache in klassischer Zeit vielfältig dialektisch differenziert, aber das Attische hatte für die Kunstprosa den Rang der Literatur- und Hochsprache errungen; gleichzeitig war das Gemein- und Umgangsattisch zur Gemeinsprache vor allem im Handel geworden ... Als Literatursprache und Verkehrssprache blieb bei aller Differenzierung so auch das Griechische ein einigendes Band. Freilich genügt diese sprachliche Bindung keineswegs, um die Konsistenz des Imperium Romanum zu erklären.A 16 Vgl. W. JUDEICH, Topographie von Athen, München 21931 [= HbAW III 2.2], 100103. 17 Davon gibt der ,Panathenaikos> des Aelius Aristides (or. 13 DINDORF = or. 3 LENZBEHR) beredtes Zeugnis: vgl. bes. '' 336-343. 349-350. 396-404; dazu J. H. OLIVER, The Civilzing Power, Philadelphia 1968 [= TAPhS 58/1], bes. 17B25 (,Traditional culture and ancestral constitution>); J. W. DAY, The Glory of Athens. The Popular Tradition as reflected in the Panathenaicus of Aelius Aristides, Chicago 1980. 18 Vgl. SANDY, West Meets East, 163-174: Die Annahme, daß Gellius’ Athenaufenthalt sich mit dem des Apuleius zumindest teilweise zeitlich überschnitten hat, scheint plausibel und würde zur Erklärung der Interferenzen zwischen ihren Werken beitragen. Dieser Ansicht folgt auch L. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 23. Vgl. auch LINDERMANN, Kommentar, 22-23.

4.1. Griechisch-römischer Kultur- und Erinnerungsraum

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18,13; NA 19,12)19 und ihrer Umgebung (Cephisia in NA 1,2 und NA 18,10; Aegina und Piraeus in NA 2,21; extra urbem NA 12,1) sind Eleusis (NA 8,10), Lebadia in Böotien, das Gellius auf dem Weg zu den Pythischen Spielen in Delphi besucht (NA 12,5,1), und die Hafenstadt Cassiopa (Kassiope, heute Kassopi) auf der Insel Korkyra (NA 19,1,1), von der man üblicherweise nach Italien übersetzte, Stationen von Gellius= Griechenlandaufenthalt. Dichter besiedelt mit gellianischen Erinnerungsorten ist Italien: Brundisium als Hafen für die Überfahrt von und nach Griechenland wird mehrfach erwähnt (NA 9,4; NA 16,6; NA 19,1); in Tibur (NA 9,14), Neapel (NA 9,15), Praeneste (NA 11,3), Antium (NA 17,10), Ostia (NA 18,1), Puteoli (NA 18,5) und auf einem Landsitz im ager Faliscus (NA 20,8) sind andere commentarii lokalisiert.20 Als das zweite urbane Zentrum der _Noctes Atticae> tritt die Kapitale Rom vielfach in Erscheinung (NA 7,6,12; NA 12,13; NA 16,3; NA 16,10; NA 18,7; NA 19,8; NA 19,13; NA 20,6). Dadurch, daß von Gellius sogar einzelne Stadtteile (die Erhebung des mons Cispius im Esquilingebiet in NA 15,1,1; das Schusterviertel uicus Sandaliarius mit seinen Buchläden in NA 18,4,1; der ager Vaticanus in NA 19,7; sub urbe in rusculo in NA 19,9) und bekannte Lokalitäten (die Titusthermen in NA 3,1,1; der Tempel des Vediovis auf dem Kapitol in NA 5,12,2;21 die Bibliothek des Trajanstempels bzw. die bibliotheca Ulpia in NA 11,17,1;22 die Trajanssäule auf dem forum Traiani in NA 13,25,1-2; die Bibliothek des tiberianischen Palastes in NA 13,20 und die Bibliothek des Paxtempels in NA 16,8,2; _____________ 19 Für den Athen- bzw. Griechenlandaufenthalt des Gellius gibt es unterschiedliche Datierungen: HOLFORD-STREVENS (Aulus Gellius2, 17 Anm. 31. 143-144 m. Anm. 72; ders., Towards a Chronology of Aulus Gellius, 95-96. 97-98) hat unter Bezug auf die in NA 12,5,1 geschilderte Teilnahme an den Pythischen Festspielen, am wahrscheinlichsten des Jahres 147, ihn mit plausiblen Argumenten in Gellius’ 20er-Jahre datiert. Damit hat er die Spätdatierung durch FRIEDLAENDER / WISSOWA (Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms , Bd. 4: Anhänge, Leipzig 1921, 284-289 [Chronologisches zu Gellius], hier 286-287) zurückgewiesen, die von der engen zeitlichen Beschränkung der Altersbezeichnung iuuenis - auf den 30- bis 45-Jährigen - ausgeht, die Gellius für sich und seine Mitstudenten in Athen wählt (NA 2,21,4. NA 7,10,1. NA 12,5,4). Zugleich hat er die neuere Spätdatierung von AMELING, Aulus Gellius in Athen, 484-490 widerlegt, die darauf beruht, daß zwischen dem Athenaufenthalt des Gellius und dem Tod des Peregrinos Proteus (im Jahr 165) eine zeitliche Verbindung hergestellt und daß die Kritik der übermäßigen Trauer des Herodes Atticus um seinen jungverstorbenen puer in NA 19,12 auf den Tod seines Ziehsohnes Polydeukion bezogen wird. Letzteres hatte er schon früher zu Recht in Frage gestellt: vgl. HOLFORDSTREVENS, Analecta Gelliana, 296-297. Dazu auch LINDERMANN, Kommentar, 1516; HEUSCH, Proteische Verwandlung, 448 Anm. 37. 20 Zur Topographie der _Noctes Atticae> vgl. auch oben S. 163-164. 21 Vgl. oben S. 61 m. Anm. 42. 22 Vgl. oben S. 64 m. Anm. 56-57.

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das fanum Carmentis – nahe der danach benannten Porta Carmentalis zwischen forum boarium und forum holitorium – in NA 18,7,2; der Kaiserpalast bzw. das uestibulum Palatii in NA 19,13 und die area Palatina in NA 20,1) in seiner römischen Topographie markiert werden, gewinnt Roms Silhouette noch das deutlichste Profil in der Erinnerung des Autors und vor den Augen des Lesers. Doch so wenig wie sich aus der Reihenfolge, in der die Orte Griechenlands und Italiens erwähnt und 20 mal gewechselt werden, die Chronologie einer Reise entnehmen läßt,23 so wenig wird die Stadt Rom plastisch visualisiert. Ähnlich wie der Personendarstellung24 fehlt der Topographie der _Noctes Atticae> Anschaulichkeit und Individualität. Die gleichsam bloß kartographisch fixierten Erinnerungsorte geben nur den Hintergrund der commentarii ab, ohne daß die Kulisse weiter ausgeleuchtet wird.25 Vielleicht weil Rom und Athen als Erinnerungsraum so präsent sind,26 begnügt Gellius sich in den sparsam inszenierten Kapiteln mit der bloßen Lokalisierung, um die behandelten Themen aus dem rein geistigen Raum zu holen und in der griechischrömischen Erinnerungswelt des Autors und Erfahrungswelt des Lesers anzusiedeln. Zwar bleibt der Realitätsbezug der _Noctes Atticae> in dieser topographischen Hinsicht schwach ausgeprägt, aber greifbar wird darin die schon räumliche feste Zusammengehörigkeit Roms und Griechenlands. Diese Verbundenheit geht bereits daraus hervor, daß Gellius in der Praefatio ausdrücklich den Titel mit den Anfängen des Werks in Grie-

_____________ 23 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 35 m. Anm. 45; MERCKLIN, Die Citiermethode, 706. 24 Vgl. oben S. 164-166. 25 Auch Cicero gestaltet den Ort der Handlung in seinen Dialogen nicht detailliert aus. Doch die Kulisse als Schauplatz der Gespräche wird dabei ebenso konkret wie diskret angedeutet: vgl. LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de orat. 1,24-29 (Vorbemerkungen), Bd. 1, 77. 26 Athen und Rom werden nicht nur räumlich durch Gedenkstätten, sondern auch zeitlich durch Fixpunkte in der Zeitrechnung, wie die von Hadrian initiierte jährliche Feier des Natalis urbis an den Parilia (21.4.), durch Saecular- und Centenarfeiern und durch die Tausendjahrfeier der Stadtgründung im Jahre 248 n. Chr. als Erinnerungsraum errichtet und stabilisiert: vgl. CANCIK / MOHR, Erinnerung / Gedächtnis, 312. Gellius erinnert in NA 20,1,6 an das (fast) 900-jährige Bestehen der Stadt und damit indirekt an die unter Antoninus Pius mit der Ausrichtung von großen Spielen begangene Feier des Stadtjubiläums im Jahre 147/148 n. Chr., in dem sich zugleich die Thronbesteigung des Kaisers zum zehnten Mal jährte: vgl. HOLFORD-STREVENS, Towards a Chronology, 95 -96; A. BIRLEY, Mark Aurel. Kaiser und Philosoph, München 2 1977, 187-188; ZECCHINI, Modelli e problemi teorici della storiografia, 13; zur Feier des Natalis Urbis seit Hadrian: vgl. FINK / HOEY / SNYDER, The Feriale Duranum, 102. 107 -108; vgl. BELLEN, SAEC(ulum) AVR(eum), 138.

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chenland erklärt.27 Der pluralische Titel mit dem geographischen Adjektivattribut verbirgt zunächst wie bei Ciceros _Tusculanae disputationes> die Vielfalt der verarbeiteten Themen bzw. die Uneinheitlichkeit des Werkes,28 doch darüber hinaus impliziert die geographische Bezeichnung einen Bezug auf die hellenistisch geprägte Kultur.29 Diese Anspielung auf die weiterreichende inhaltliche Bedeutung30 wird verkannt, wenn BIAN_____________ 27 NA praef. 4. 10: Sed quoniam longinquis per hiemem noctibus in agro, sicuti dixi, terrae Atticae commentationes hasce ludere ac facere exorsi sumus, idcirco eas inscripsimus _noctium> esse _Atticarum> nihil imitati festiuitates inscriptionum, quas plerique alii utriusque linguae scriptores in id genus libris fecerunt ... Nos uero, ut captus noster est, incuriose et inmediate ac prope etiam subrustice ex ipso loco ac tempore hibernarum uigiliarum _Atticas noctes> inscripsimus tantum ceteris omnibus in ipsius quoque inscriptionis laude cedentes, quantum cessimus in cura et elegantia scriptionis. B Gewöhnlich nehmen geographische Ausdrücke im Titel wie bei Ciceros ,Tusculanen‘ und Dikaiarchs ȜȯȼȬȳȫȴџȻ und țoȺȳvȲȳȫȴџȻ Bezug auf die Szenerie der Dialoge, nicht auf den Ort der Entstehung. Die Besonderheit des gellianischen Werktitels liegt darin, daß nur ein Teil der szenisch gestalteten Kapitel in Griechenland spielt, das zugleich nach den Aussagen der Praefatio Ort der ersten Aufzeichnungen gewesen und so in den Titel gelangt ist. 28 Vgl. SCHRÖDER, Titel und Text, 58-60; VARDI, Why Attic nights?, 300. Daß die _Tusculanen> anders als alle übrigen Werke Ciceros nicht nach dem Inhalt oder in platonischer Weise nach dem Hauptträger des Gesprächs betitelt sind, sondern ihren Titel, angeregt durch Dikaiarchs _Gespräche in Korinth> (Cic. Tusc. 1,21) und _Gespräche auf Lesbos> (Cic. Tusc. 1,77), von dem angeblichen Ort des Gesprächs erhalten haben, und sich daran der `Mangel an EinheitlichkeitA schon ablesen lasse, hat MAX POHLENZ hervorgehoben: vgl. Cicero: Tusculanarum dispuationum libri V, erklärt v. M. POHLENZ, Stuttgart 1957, Ndr. Amsterdam 1965, 26. B Der gellianische Titel _Noctes Atticae> hat wiederum vielfach Nachahmung gefunden, wie (J.C.F.) BÄHR, Gellius; in: J.S. ERSCH / J.G. GRUBER (Hrsg.), Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste, I. Section, Theil 57, Leipzig 1853, 49 bemerkt: ` ... haben doch selbst neuere Schriftsteller vielfach den alten Gellius in der Wahl des Titels nachzuahmen versucht, bis auf die _Noctes Pevillianae> eines belgischen GelehrtenA; ebd. Anm. 12 ` ... mehr als ein Dutzend solcher mit Noctes gebildeter Titel ..., z.B. Noctes Parisinae, Romanae, Tusculanae, Brixianae, Africanae u.a.A. Vielleicht spielt darauf auch an: JOACHIMI FORTII RINGELBERGII [= JOACHIM STERCK VAN RINGELBERG(H)] Andoverpiani Lucubrationes uel potius absolutissima ȴȾȴȵoąȫȳȮȯɅȫ, Basel 1541. Vgl. auch HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 28 Anm. 9. 29 Das Adjektiv Atticus (anders als Atheniensis) wird üblicherweise mit Bezug auf den Bereich der Kultur und Literatur (insbesondere Sprache und Rhetorik) verwendet: vgl. TLL 2, 1133, 42-80, bes. 59-71 (speziell zur gellianischen Wendung _Noctes Atticae>). 1134, 32-80; VARDI, Why Attic Nights?, 301. 30 Mit einer solchen durch den Titel hervorgerufenen Assoziation rechnet SCHRÖDER, Titel und Text, 59-60 jedoch im Falle von Ciceros _Tusculanae disputationes>. Denn Tusculum dürfte dem gebildeten Leser als Geburtsort des Cato Censorius (vgl. Cic. leg. 2,5; Gell. NA 13,24,2) bekannt gewesen sein, den Cicero an anderer Stelle (rep. 1,1) ausdrücklich als sein Vorbild anführt: M. uero Catoni homini ignoto et nouo, quo omnes qui isdem rebus studemus quasi exemplari ad industriam uirtutemque ducimur, certe licuit Tusculi se in otio delectare.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

CA-JEANETTE SCHRÖDER lapidar feststellt: `Dieser Titel hat mit Ort und Zeit des Inhalts, wie man es eigentlich erwarten sollte, gar nichts zu tun, sondern bezieht sich auf Ort und Zeit der Entstehung des Werkes; das gleiche Werk hätte Gellius an anderem Ort zu anderer Zeit schreiben können, mit entsprechend verändertem Titel.A Denn so wie die Bezeichnung der von Hadrian in Rom gegründeten Schule als Athenaeum, in dem zunächst nach griechischem Muster die Fächer der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ in griechischer Sprache, später auch die Disziplinen Grammatik und Rhetorik lateinisch unterrichtet wurden,31 implizit ein Bildungsprogramm enthält, steht hinter dem gellianischen Werktitel _Noctes Atticae> ein kulturelles Konzept, in dem sich die hellenistisch geprägte Bildungskultur mit römischen Traditionen verbindet. Dabei wird die intellektuelle Ausrichtung durch den zweiten Bestandteil des von Gellius bewußt gewählten, sich im Gestus der affektierten Bescheidenheit gegenüber den hochtönenden Titeln anderer ähnlicher Werke abgrenzenden Titels32 noch verstärkt signalisiert. Denn die Zeitangabe _Noctes> ist eine variierende Bezeichnung für den Ausdruck lucubrationes, mit dessen Diminutivum lucubratiuncula – im Wechsel mit dem Wort uigiliae – tatsächlich an anderer Stelle (NA praef. 14) der Inhalt des Werks charakterisiert wird, an dem nachts gearbeitet zu haben Gellius ausdrücklich angibt (NA praef. 4).33 _____________ 31 Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 87-88. KOLB, Rom, 381 lokalisiert diese Bildungsstätte im Atrium Minervae, d.h. in einem Nebengebäude der Curia. Die Belege für die Identifizierung des Gebäudes am Forum (neben der Kirche S. Maria Antiqua) als Athenaeum nennt F. COARELLI, Athenaeum; in: Lexicon Topographicum Urbis Romae, a cura di E. M. STEINBY, Vol.1, Roma 1993, 131-132. Die jüngsten archäologischen Funde deuten allerdings auf einen anderen Standort: unter der heutigen Piazza Venezia; vgl. URL: (10. 03.2010). 32 Vgl. NA praef. 5-10, bes. 10 (s.o. S. 199 Anm. 27). 33 Vgl. NA praef. 14: ... si cui forte nonnumquam tempus uoluptasque erit lucubratiunculas istas cognoscere; vgl. NA praef. 10: ex ipso loco ac tempore hibernarum uigiliarum _Atticas noctes> inscripsimus; NA praef. 19: ... qui in lectitando, , scribendo, commentando ... nullas hoc genus uigilias uigilarunt; NA 19,9,5: ut interea labor hic uigiliarum et inquies suauitate paulisper uocum atque modulorum adquiesceret. Vgl. auch in NA praef. 21 den Schluß des Zitates aus den _Fröschen> des Aristophanes (ran. 354356. 369-371): Áȶȯ¥Ȼ Ȯ’ wvȯȭȯɅȺȯȽȯ ȶoȵąŽv / ȴȫ¤ ąȫvvȾɀɅȮȫȻ ȽqȻ œȶȯȽɃȺȫȻ, ȫ® Ƚ“Ȯȯ ąȺɃąoȾȼȳv ‹oȺȽ“. Gegenüber dieser naheliegenden Erklärung von noctes ist die von KORENJAK, Le Noctes Atticae di Gellio, 80-82 vorgelegte Deutung des Titels, der mit dem metaphorisch zu verstehenden _Noctes> auf die Eleusinischen Mysterien anspiele und dadurch eine Initiation in die Mysterien der ąȫȳȮȯɅȫ ankündige, unnötig weit hergeholt. Die Aristophanes-Verse der Praefatio sollen sowohl eine `VerklärungA der Bildung zum Mysterium als auch eine Affinität der Komödie des Aristophanes zum Werk des Gellius signalisieren laut GUNDERSON, Nox Philologiae, 41-43. B Die Notwendigkeit der Nachtarbeit für die literarisch Tätigen (und zugleich anderweitig Beschäftigten) hat auch Quint. inst. 10,3,27 gesehen: obstat enim diligentiae scribendi et-

4.1. Griechisch-römischer Kultur- und Erinnerungsraum

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Mit dem anspielungsreichen Titel knüpft Gellius also an die Tradition der Griechenlandreisen an, die vor ihm und mit ihm viele Römer zu Studienzwecken unternommen haben:34 Unter den zahlreichen Griechenlandreisenden und Athenbesuchern ragen die Namen der Autoren Cicero und Vergil, der Redner Crassus und Antonius, der Kaiser Augustus, Tiberius, Nero und Hadrian hervor. Besonders mit Athen verbunden gewesen ist, wie das Cognomen anzeigt, auch Ciceros Freund Titus Pomponius Atticus durch seinen zwanzigjährigen Aufenthalt in der Stadt (ca. 85-65 v. Chr.).35 Athen, das im 2. Jh. durch die Bautätigkeit und Kulturförderung des Kaisers Hadrian eine neue Blütezeit erlebte,36 war von jeher und ist für Gellius= Landsleute `BildungswallfahrtsortA schlechthin gewesen.37 So hat Cicero in der Eröffnungsszene des fünften Buches von _De finibus bonorum et malorum> (fin. 5,1-6) Athen mit seinen zahlreichen geschichtsträchtigen Örtlichkeiten als in der memoria fest verankerte Kultur- und _____________

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iam fatigatio et abunde, si uacet, lucis spatia sufficiunt: occupatos in noctem necessitas agit. Vgl. auch die Ausführungen unten zum otium-Konzept Kapitel 5.2, S. 306-327, bes. S. 316-317. Vgl. FRIEDLAENDER, Sittengeschichte, Bd. 1, 382-383 (_Reisen der Studierenden>). Bd. 1, 411-416 (_Reisen der Touristen>- _Griechenland>), bes. 412-414 (_Athen>). Auch Apuleius hat sich, vielleicht sogar gleichzeitig mit Gellius, in Athen aufgehalten: vgl. SANDY, West Meets East, 163-174, hier bes. 164-166. RAWSON, Intellectual Life, 102-103 sieht den Athenaufenthalt des Atticus als einen entscheidenden Moment in der Entwicklung der römisch-griechischen Kulturbeziehung: `It is possible that Atticus stood at the very point where Roman civilisation was beginning consciously to rival Greek. He had lived long in Greece, and spoke Greek, says Nepos, like an Athenian. Back in Rome, he remained in touch with Athens and with wealthy and prominent Athenians. ... But he was also, as Cicero makes him say, a great lover of Rome and her traditions.A Vgl. WILLERS, Hadrians panhellenisches Programm, bes. 7-12. Vgl. z.B. Cic. de orat. 3,43: Athenis iam diu doctrina ipsorum Atheniensium interiit, domicilium tantum in illa urbe remanet studiorum, quibus uacant ciues, peregrini fruuntur capti quodam modo nomine urbis et auctoritate; Cic. Brut. 332: ... ex urbe ea, quae domus est semper habita doctrinae; Prop. 3,21,1. 25-30: magnum iter ad doctas proficisci cogor Athenas / ... Illic uel stadiis animum emendare Platonis / incipiam aut hortis, docte Epicure, tuis;/ persequar aut studium linguae, Demosthenis arma,/ libaboque tuos, culte Menandre, sales;/ aut certe tabulae capient mea lumina pictae,/ siue ebore exactae seu magis aere manus. In den ciceronischen laudes Athenarum (Cic. leg. 2,36; Flacc. 62; Verr. II 5,187) wird Athen in einem noch umfassenderen Sinn als Ursprung aller Humanität gepriesen: vgl. RIEKS, Homo, humanus, humanitas, 251 Anm. 45. B Dagegen traf den Praetor (ca. 107/105) und Propraetor (106/104) T. Albucius, der in seiner Jugend und später (nach 104) in Athen lebte, als er wegen Erpressung verurteilt worden war und nach Griechenland ins Exil ging, wegen seiner Graekomanie noch der Spott des Lucilius (vgl. frg. 88-94 MARX = frg. 89-95 KRENKEL). Auch Cicero hat den paene Graecus (Cic. Brut. 131) mehrfach als übertrieben Graekophilen und Epikureer (Cic. fin. 1,8-9; Tusc. 5,108) kritisiert: vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 176 R 89, S. 473-474.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

Bildungsstätte topographisch vergegenwärtigt.38 Aber auch Rom hat neben Athen, der Bildungsmetropole ȴȫȽ] ˆȸoɀɄv, zunehmend an kultureller Bedeutung gewonnen und schließlich Weltgeltung erlangt,39 wie aus Iuv. 15,110 hervorgeht: nunc totus Graiasque nostrasque habet orbis Athenas. In der Dominanz der beiden großen Städte und kulturellen Metropolen in den NA spiegelt sich wider, daß in der Mitte des 2. Jahrhunderts mit der größten Ausdehnung und auf dem Höhepunkt der Urbanisierung des römischen Reiches `die Kultur eine ausgesprochen städtische gewesen istA.40 Daneben existieren bei Gellius aber auch weiterhin die außerstädtischen Villenmilieus, die in vielen Dialogen Ciceros (im Unterschied zu den alle in der Stadt Athen oder ihrer Nähe angesiedelten Dialogen Platons) Handlungsort sind, da sie von ihm noch durchwegs als geeignetere _____________ 38 Cic. fin. 5,2-5: (2) tum Piso: _naturane nobis hoc>, inquit ,datum dicam an errore quodam, ut, cum ea loca uideamus, in quibus memoria dignos uiros acceperimus multum esse uersatos, magis moueamur, quam si quando eorum ipsorum aut facta audiamus aut scriptum aliquid legamus ? ... tanta uis admonitionis inest in locis; ut non sine causa ex iis memoriae ducta sit disciplina> ... (4) Hic ego: _... multa in omni parte Athenarum sunt in ipsis locis indicia summorum uirorum ...> (5) Et ille _...: quamquam id quidem infinitum est in hac urbe; quacumque enim ingredimur, in aliqua historia uestigium ponimus.> Cicero beschwört hier aber auch allgemein die den Orten innewohnende Macht der Erinnerung und leitet daraus die (auf der räumlichen Fixierung von Gedächtnisinhalten beruhende) Gedächtniskunst ab; vgl. CANCIK / MOHR, Erinnerung / Gedächtnis, 312. 39 Diese Entwicklung zur kulturellen Großmacht wie auch seine politische Stabilisierung und seine Expansion verdankt das Imperium der `intellektuellen RevolutionA des 1. Jh.s v. Chr., die durch die Hellenisierung in Gang gesetzt wurde: vgl. RAWSON, Intellectual Life, 321-322. Vgl. Strabo 9,2,2 (C 401,8-12): Wie zuvor bei den Griechen wurden für die Römer Bildung und Kultur Grundlage ihrer Vorherrschaft. B Rom ist nach dem Urteil des Dionysios von Halikarnassos geradezu als `neues AthenA zu bezeichnen: vgl. die entsprechende Kapitelüberschrift in HIDBER, Das klassizistische Manifest, 75-80; so auch HIDBER, Vom Umgang der Griechen, 13-14; dazu auch unten S. 274-275. 40 PETERSMANN, Die Urbanisierung des römischen Reiches, 408 (dort in Anm. 6 weitere Literaturangaben zur Bedeutung der Stadt in der Antike). Vgl. KLEIN, Die Romrede des Aelius Aristides, 1-70, bes. 24-51 (_Die Städte als Mittelpunkt des sozialen und gesellschaftlichen Lebens>); A. DEMANDT, Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt, München 1984, 20: `Sichtbares Zeugnis der zivilisatorischen Blüte ist die Stadtkultur, die im Osten griechische, im Westen lateinische Züge trugA; STEINMETZ, Untersuchungen, 50-51; K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 401, S. 5; F. KOLB, Die Stadt im Altertum, München 1984, hier 169- 203 (_Munizipalisierung und Urbanisierung im Imperium Romanum>), bes. 175-178 (im _Osten des Reiches>). 181-182 (im ‚Westen des Reiches>). Die Stadt wird als `center of coherenceA zum Lebensraum der Gebildeten: KASTER, Guardians of Language, 20-23, hier 20.

4.1. Griechisch-römischer Kultur- und Erinnerungsraum

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Umgebung für otium und studium den römischen Stadthäusern vorgezogen wurden.41 Die Verschmelzung griechischer und römischer Kultur zu einer kulturellen Einheit beschreibt STEINMETZ als `Romanisierung des OstensA und `Hellenisierung des WestensA, die eingebettet in die großen im Imperium Romanum sich vollziehenden Expansionsprozesse der fortschreitenden Romanisierung des Westens und der Hellenisierung des Ostens gleichsam als gegenläufige Bewegungen erfolgen.42 Diese komplexen Vorgänge der wechselseitigen kulturellen Durchdringung haben durchaus den Charakter einer `GlobalisierungA nach antikem Weltverständnis, mit Analogien zu der gegenwärtigen, die freilich in tatsächlich welt(kugel)umspannenden Dimensionen stattfindet. Während die seit Jahrhunderten fortschreitende `Hellenisierung des WestensA sich weiter vertieft und verfestigt durch die Ausdehnung der Kenntnisse griechischer Sprache und Literatur sowie durch die Übernahme genuin griechischer Wissenschaften, führt zunächst die Ausbreitung des römischen Bürgerrechts zu einer `Romanisierung des OstensA. Damit einher geht gerade im 2. Jh. die Entwicklung des römischen Rechts, das sich allmählich im gesamten Imperium durchsetzt. Als äußere Faktoren der Romanisierung wirken ferner das auf den Osten ausgedehnte Wasserversorgungssystem und das Straßennetz, die tragende Säulen der öffentlichen bzw. städtischen Infrastruktur und der römischen Zivilisation bilden.43 Überhaupt ist Romanisierung untrennbar mit Urba_____________ 41 Vgl. LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de orat. 1,24-29, Bd.1,76-77: `Während im Phaidros die Natur selber und ihre mythische Atmosphäre gegenwärtig sind ..., bleiben die Villen Ciceros behaglicher Hintergrund für menschliche Kultur, humanitas. Hier spiegelt sich die Rolle, die die Villen in dem kulturellen Leben der Römer spielten ... Dorthin zog man sich für otium und studium zurück in eine Umgebung, die sich in ihrer architektonischen Ausgeklügeltheit eher der griechischhellenistischen Tradition anschloß als die Wohnhäuser in der Stadt Rom. Und dort spielte der philhellene Römer, zeitweilig entfernt von den negotia forensia, unter gleichgesinnten Freunden bei Büchern und Kopien griechischer Statuen den Graeculus.A – Vgl. dazu auch KOLB, Rom, 309-316 _Das Konzept des `vorstädtischenA Bereichs (Suburbiums) und die suburbane Villa als Lebensform>, hier bes. 316 zur Entwicklung in der Kaiserzeit, die im 2. Jh. zu einem Villen-`BauboomA gerade im Umkreis der Hadriansvilla in Tibur führt. Vgl. auch LEFÈVRE, Plinius-Studien III. Die Villa als geistiger Lebensraum, 247-262. 42 Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 77-78. 43 Vgl. FRIEDLAENDER, Sittengeschichte, Bd. 1, 318-333 bes. 322-323. 328 (VI.Verkehrswesen, 1. Verkehrsanstalten / Verbindung ... mit dem Osten ... in Griechenland); Bd. 2,375-378; CH. HÖCKER, Straßen- und Brückenbau; in: DNP 11 (2001) 1030-1036, hier 1032: ` ... das Phänomen korreliert aufs engste mit der militärischen und wirtschaftlichen Expansion Roms. Straßenbau ... wurde seit spätrepublikanischer Zeit eine Metapher für die kulturell-technische Dominanz Roms über die Mittelmeerwelt.A Vgl. auch CH. HÖCKER, Wasserversorgung; in: DNP 12/2 (2002) 403-

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

nisierung verbunden.44 Eine vermehrte Aneignung lateinischer Sprachkenntnisse, die freilich niemals den Grad der Ausbreitung der griechischen Sprache im Westen erreicht haben, leistet einen weiteren Beitrag dazu, daß sich auch im Osten eine gewisse zweisprachige Kultur etabliert.45 Diese in Osten und Westen unterschiedlich stark entwickelte Bilingualität, das signifikanteste Symptom der griechisch-römischen Kulturverbindung, prägt die _Noctes Atticae> wesentlich.46 _____________ 415, hier 411; W. ECK, Die Wasserversorgung im römischen Reich: Sozio-politische Bedingungen, Recht und Administration; in: Die Wasserversorgung antiker Städte [= Geschichte der Wasserversorgung, Bd.2], Hrsg.: Frontinus-Gesellschaft e.V., Mainz 1987, 49-101; wieder in: W. ECK, Die Verwaltung des römischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 1, Basel 1995 [= Arbeiten zur römischen Epigraphik und Altertumskunde 1], 179-252, hier bes. 247-250 (_Historische Wertung>); W. ECK, Die Administration der italischen Straßen: Das Beispiel der Via Appia; in: La Via Appia. Quad. AEI 18 (1990) 29-38; wieder in: W. ECK, Die Verwaltung des römischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 1, Basel 1995 [= Arbeiten zur römischen Epigraphik und Altertumskunde 1], 295-313. 44 Diesen allgemein anerkannten Sachverhalt konstatiert im Obertitel wie im Einleitungssatz seiner Abhandlung H. GALSTERER, Romanisierung als Urbanisierung - lebendige Stadt oder geplantes Quadrat; in: E. STEIN-HÖLKESKAMP / K.-J. HÖLKESKAMP (Hrsg.), Erinnerungsorte der Antike, 468-481, hier 468 (weiterführende Literaturangaben ebd. 762 Anm. 1-2). 45 Die erhaltenen zweisprachigen Schulbücher der sogenannten zu Beginn des 3. Jh.s verfaßten _Hermeneumata Dosithea> und ägyptische Papyri belegen, daß es im Osten Lateinunterricht gab: vgl. MARROU, Geschichte der Erziehung, 485-489; P.L. SCHMIDT, HLL 4 (1997), ' 439.4 (_Zweisprachige Unterrichtsmaterialien>), S. 239240; ders., HLL 5 (1989), ' 523.4 (_Lateinisch-griechische Glossare>), S.132. HIDBER, Vom Umgang der Griechen, 12-13 beschreibt die Zunahme des Lateinunterrichts im 4./5 Jh., die außer zweisprachigen Schulausgaben und Glossaren eine Reihe von Lateingrammatiken für Griechen und Kommentare zu lateinischen Schulautoren bezeugen. Jedoch blieben die Lateinkenntnisse der Griechen, bis Konstantin eine lateinisch sprechende Kapitale gründete, auf kleine Kreise beschränkt: vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 120-121; ders., Utraque lingua doctus, 203-206; dazu auch STEINMETZ, Untersuchungen, 78-79; ROCHETTE, Le latin dans le monde grec, 165-210, bes. 127-128 (zu Konstantin). HIDBER, Vom Umgang der Griechen, 13-14. 16-18 betont die Attraktivität Roms als des intellektuellen Zentrums auch der griechischen Welt und hebt die Vertrautheit mit römischer Literatur hervor, die nicht wenige mehr oder minder prominente Griechen (u.a. Plutarch, Cassius Dio, Eusebios) in ihrer literarischen Tätigkeit erkennen lassen; dagegen bemerkt mangelndes Interesse an der römischen Literatur und an der lateinischen Sprache sogar bei romfreundlichen griechischen Autoren, mit der großen Ausnahme Plutarchs, FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 215-216. Vgl. auch unten S. 222-224. 46 Die Verbreitung dieser Zweisprachigkeit im gesamten Imperium nicht zu überschätzen, warnt BEALL, Homo fandi dulcissimus, 94-95. Vgl. auch HOLFORD-STREVENS, Utraque lingua doctus, 203. 205-208. 211-213.

4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität

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4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität 4.2.1. Zweisprachigkeit und Übersetzung in den _Noctes Atticae> Daß die _Noctes Atticae> von einem Autor geschrieben sind, der selbst doctus sermones utriusque linguae (Hor. carm. 3,8,5) war und mit im Griechischen versierten Lesern rechnete, läßt schon bei oberflächlicher Lektüre die das gesamte Werk vom ersten bis zum letzten Buch gleichmäßig durchziehende Einlage von Ausdrücken (praef. 6-8; NA 1,2,7; NA 1,9,6 ... NA 20,5,2. 3), Wendungen (praef. 12; NA 1,7,19; NA 1,8,2. 4. 5. 6 ... NA 20,4,2. 3; NA 20,5,5. 13; NA 20,6,2) oder auch von längeren Textstellen (praef. 21; NA 1,9,8; NA 1,9,19 ... NA 20,4,4) und Textpartien (NA 1,2,8-12; NA 1,11,5 ... NA 20,5,11-12) in griechischer Sprache und nicht translitterierter Schrift fast auf jeder Seite des gellianischen Textes sichtbar werden.47 Ebenso wie der Autor ohne weiteres – manchmal innerhalb eines Satzes (z.B. NA 1,5,1; NA 2,7,22; NA 2,8,2; NA 2,9,2. 4; NA 7,13,11; NA 11,15,8; NA 13,27,3; NA 14,6,9; NA 17,20,5; NA 19,8,18) – vom Lateinischen ins Griechische wechselt,48 läßt er griechische Phrasen und Passagen auch andere selbstverständlich gebrauchen – zumeist bekannte Griechisch sprechende bzw. genuin griechischsprachige Intellektuelle (z.B. T. Castricius: NA 2,27,3-5; Favorinus: NA 1,3,27; NA 1,15,17; NA 2,1,3; NA 2,26,21; NA 9,8,3; NA 10,12,10; NA 13,25,7-8; NA 17,10; NA 17,19,1; NA 18,7,4; Fronto: NA 2,26; NA 13,29,4-5; Herodes Atticus: NA 9,2,9; Tauros: NA 1,9,8; NA 1,26,10-11; NA 7,13,11; NA 9,5,8; NA 10,19,3; NA 12,5,6.7; NA 17,20,4-5; NA 19,6,3), doch auch andere prominente Persönlichkeiten (z.B. diuus Augustus: NA 15,7,3). Während sich daraus keine sicheren Rückschlüsse ziehen lassen auf das Vordringen des bisher auf die gebildete römische Oberschicht beschränkten Bilinguismus49 in weitere Kreise als die bis zum 2. Jh. üblichen, ist es aufschlußreicher, daß in den NA auch anonyme Perso_____________ 47 Vgl. oben S. 126-127. S. 139-141. 48 Nach SWAIN, Bilingualism and Biculturalism, 37 steht das _code-switching> bei Gellius immer in Verbindung mit grammatischen, rhetorischen oder philosophischen Themen. Ähnlich erfolgt in Frontos Briefen der Wechsel ins Griechische überwiegend in `metalinguistischenA Zusammenhängen: vgl. S. SWAIN, Bilingualism and Biculturalism, 22-23 m. Anm. 58. B Doch in NA 14,6,5 erfolgt der Wechsel ins Griechische, bei der Wiedergabe seiner eigenen direkten Rede, in der er sein Werk in affektierter Bescheidenheit als nostras paupertinas litteras gegenüber einem griechischen Autor mit dessen von ąoȵȾȶȫȲɅȫ strotzenden Opus kontrastiert. 49 DUBUISSON, Le bilinguisme à Rome, 188-191. 195-200. Allerdings gilt diese Beschränkung auf die Oberschicht nur für das Griechische als Literatursprache; davon sind andere soziale griechische Sprachmilieus (der Sklaven, der orientalischen peregrini) zu differenzieren (ebd. 188-189).

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

nen unterschiedlicher Provenienz (puer: NA 17,8,7; medicus: NA 18,10,4; anonym: NA 5,11,8) griechisch sprechen (können). Freilich gibt es auch hier keinen Sprecher, bei dem das Beherrschen des Griechischen ganz ungewöhnlich wäre: denn der achtjährige Knabe in NA 17,8,7, dessen einwandfreie attische Diktion besonders hervorgehoben wird, ist genere Atticus ... festiuissimis aetatis et gentis argutiis scatens (NA 17,8,4). So ist weniger erhellend, wer in den NA als Griechischsprecher bzw. als in zwei Sprachen Beheimateter auftritt, als die Voraussetzung eines durchaus zweisprachigen Lesers.50 Denn es überwiegen zwar die commentarii, in denen der Autor lateinische Übersetzungen oder Inhaltsparaphrasen griechischer Texte bzw. Reden vorlegt,51 aber es werden griechische Texte in großer Zahl auch unübersetzt dargeboten: z.B. NA 1,2,8-12; NA 7,2,14; NA 7,6,12; NA 9,8,3; NA 10,22,4-23; NA 15,20,7. 8. 10; NA 16,3,7-8. 10; NA 17,4,5; NA 19,6,1. Es ist kaum davon auszugehen, daß der Autor Gellius von vornherein nur eine partielle Lektüre intendiert hat, in der das Griechische von dem nicht sprachkundigen Leser ausgespart werden sollte _____________ 50 Anders verhält es sich bei Cicero, der in seinen an einzelne Privatpersonen adressierten Briefen, besonders in seinen Atticus-Briefen gelegentlich ins Griechische wechselt, z.B. in Cic. Att. 6,1,2. 8. 11. 13. 15-26 (einzelne Phrasen) 6,4,3 (vertrauliche Mitteilung über einen Freigelassenen in Griechisch, weil ȶȾȼȽȳȴѡȽȯȺov). 6,5,1-2 (vertrauliche Mitteilung noch einmal in derselben Angelegenheit): vgl. SWAIN, Bilingualism and Biculturalism, 18. 26. Andernorts hat derselbe das `Code-SwitchingA in Ciceros Briefen eingehender auf die zugrundeliegende Strategie untersucht und darin eine im politischen Sinne `philhellenischeA bzw. `sprachimperialistische AttitüdeA des Autors erkannt: SWAIN, Bilingualism in Cicero ?, hier 146-162, bes.149. 163-164. B Auch Caesar schreibt aus Geheimhaltungsgründen eine Nachricht auf griechisch an Quintus Cicero, der bei den Nerviern in Bedrängnis geraten ist und der Belagerung des römischen Winterlagers mit letzter Kraft standhält: vgl. Caes. Gall. 5,48,4-9. Der Text der Geheimbotschaft mit ihrer Durchhalteparole ist überliefert bei Polyainos (Strateg. 8,23,6). Dazu H. AMMANN, Caesars Geheimbotschaft an Q. Cicero, in: Natalicium CAROLO JAX Septuagenario, Bd. 1, Innsbruck 1955 [= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 3], 167-169. 51 Z.B. in NA 1,8,3-6; NA 5,9; NA 7,2,7-10.11.13; NA 12,1,24; NA 13,25,4; NA 15,6,3 (Ciceros Übersetzung von Hom. Il. 7,89-91 in _De gloria> 2 frg. 25([24] MOREL³/ BLÄNSDORF); NA 16,3; NA 16,11,3-8; NA 16,19; NA 17,8,16; NA 17,19,6; NA 18,3,2-8; NA 19,1,15-20; NA 19,12,1; NA 20,8,7. Favorinus’ Reden, die gewöhnlich auf griechisch gehalten wurden (vgl. z.B. 9,8,3), sind von Gellius ins Lateinische übersetzt bzw. lateinisch paraphrasiert worden: z.B. NA 12,1,(24); NA 14,1,(1); NA 16,3; NA 17,10,2-19. (Dagegen hat Favorinus vermutlich lateinisch gesprochen in der in NA 3,1 geschilderten Szene). Auch Herodes Atticus hat zumeist griechisch gesprochen: NA 1,2,6: Graeca, uti plurimus ei mos fuit, oratione utens ... inquit (Vgl. NA 19,12,1); vermutlich auch der Philosoph Tauros: NA 12,5,7-14. Griechische Texte bzw. Textstellen in lateinischer Paraphrase enthalten z.B. NA 1,26,1011; NA 3,16,20; NA 19,5,5-8; NA 19,12,1. Daß Paraphrasen und wörtliche Übersetzungen in einigen Kapiteln ineinander übergehen, ist im Zusammenhang mit der Behandlung der Zitate erwähnt worden; vgl. oben S. 135-137 m. Anm. 290.

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bzw. umgangen werden konnte. Vielmehr hat Gellius eine Leserschaft im Blick, die nicht nur Griechisch verstehen, sondern auch über höhere Sprachkompetenz im Lateinischen und Griechischen verfügen muß. Nur ein solches Publikum weiß nämlich die lateinischen Übersetzungen in der Gegenüberstellung mit ihrer griechischen Terminologie und ihren griechischen Ausgangs- bzw. Vergleichstexten angemessen zu beurteilen, nachzuvollziehen und zu überprüfen: z.B. NA 1,3,9 (die philosophische Frage nach der Erlaubtheit der Freundesunterstützung auch gegen Recht und Gesetz), NA 4,11,4-5 (Aristoxenos über das pythagoreische Bohnenverbot); NA 7,2,1-3. 10-12 (Chrysipps Äußerungen über fatum bzw. ȯ¬ȶȫȺȶɃvȱ); NA 9,3 (Philipps Brief an Aristoteles); NA 15,26,1-2 (Aristoteles’ Syllogismusdefinition); NA 17,19,1. 3-5 (Epiktets Warnung vor den Pseudophilosophen); NA 17,20,3. 20 (Pausanias’ Worte aus Platons _Symposion> 180 e 4 -181 a 6 im griechischen Wortlaut und in gellianischer Übersetzung); NA 18,9,5 (Anfangsvers der _Odusia> des Livius Andronicus und der homerischen Odyssee); NA 20,5,7-13 (Briefwechsel zwischen Alexander dem Großen und Aristoteles).52 Noch offensichtlicher zielt Gellius auf den in beiden Sprachen gebildeten und kompetenten Leser in den nicht wenigen Kapiteln, die Sprachdifferenzen und Übersetzungsprobleme zum Gegenstand haben. Es wird vielfach die Schwierigkeit reflektiert, einzelne griechische bzw. lateinische Ausdrücke in der anderen Sprache wiederzugeben: z.B. in NA 2,26 (verschiedene griechische und lateinische Farbbezeichnungen für Rot- und Gelbtöne); NA 7,14,7-8 (in Plat. Gorg. 525 b 1-4 ȽȳȶɂȺɅȫ im Sinne von punitio); NA 9,1,9 (Q. Claudius Quadrigarius’ Gebrauch von defendere im Sinne von ˆȴąoȮÅv ąoȳȯ¥v; dagegen offendere vgl. ˆȶąoȮÅv ‰ɀȯȳv); NA 10,1,11 (ȽȺɅȽov ȴȫ¤ ȽɃȽȫȺȽov vgl. tertium quartumque); NA 13,6 (ąȺoȼÇȮɅȫȳ vgl. die Varianten notae uocum, moderamenta, accenticulae, uoculationes); NA 19,13,2-5 (vȪvoȳ vgl. pumiliones). Das allgemeine Problem, ein terminologisches Äquivalent zu finden, wird in NA 1,20,8 an Euklids Definition der Linie mit dem lateinisch nur zu periphrasierenden Ausdruck wąȵȫȽɃȻ53 und in NA 11,16 an dem Beispiel des Titels der Plutarch-Schrift ȡȯȺ¤ ąoȵȾąȺȫȭȶoȼѠvȱȻ und _____________ 52 Außer diesen Literaturübersetzungen gibt es auch die Übersetzung griechischer Umgangssprache, z.B. in NA 18,10,4: ˆqv €Ɂ ȫ½Ƚoº ȽȻ ȿȵȯȬџȻ wird von einem Arzt nicht ganz zutreffend wiedergegeben als si attigeris uenam illius. Diese Übersetzung mit der umgangssprachlichen Verwechslung von uena und arteria wird danach von Calvenos Tauros und seinen Anhängern diskutiert (NA 18,10,5-7) und abschließend von Gellius noch weiter kommentiert (NA 18,10,8-11). 53 NA 1,20,7-9: _Linea> autem a nostris dicitur; quam _ȭȺȫȶȶɄv> Graeci nominant. Eam M. Varro ita definit: _Linea est> inquit _longitudo quaedam sine latitudine et altitudine.> Ȗ½ȴȵȯɅȮȱȻ autem breuius praetermissa altitudine: _ȭȺȫȶȶɄ> inquit _est ȶȴoȻ wąȵȫȽɃȻ>, quod exprimere uno Latine uerbo non queas, nisi audeas dicere _inlatabile>.

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verschiedenen Übersetzungsversuchen erläutert. In NA 19,2,2 begründet Gellius im Hinblick auf die lateinische Übersetzung von wȴџȵȫȼȽoȳ (in Aristot. problem. 28,7 = frg. 758 GIGON) die Notwendigkeit einer freieren Wiedergabe: nos eos uel _incontinentes> dicimus uel _intemperantes>; wȴoȵȪȼȽoȾȻ si interpretari coactius uelis, nimis id uerbum insolens erit. Die Unmöglichkeit der Übersetzung wird gar bei der Kallikles-Rede aus Platons _Gorgias> in NA 10,22,3 behauptet: So hat Gellius Gorg. 484 c 5 - e 2. 485 a 3 - e 2 ganz im griechischen Wortlaut ausgeschrieben ... quoniam uertere ea consilium non fuit, cum ad proprietates eorum nequaquam possit Latina oratio aspirare ac multo minus etiam mea. Diese Zurückhaltung übt Gellius allerdings nicht im Falle der Pausanias-Rede aus Platons _Symposion>, zu deren Exzerpt (symp. 180 e 3-181 a 6) in NA 17,20,3 er in NA 17,20,8 eine eigene Übersetzung bietet. Dabei legt er es gemäß der Anweisung des Tauros (NA 17,20,6) aber nicht auf stilistische aemulatio, sondern auf (bloß sinngemäße) imitatio (NA 17,20,8) an: atque uti quaedam animalium parua et uilia ad imitandum sunt, quas res cumque audierint uiderintue, petulantia, proinde nos ea, quae in Platonis oratione demiramur, non aemulari quidem, sed lineas umbrasque facere ausi sumus. Mit diesen Termini für die verschiedenen Weisen des Umganges mit der Vorlage steckt Gellius das Feld der literarischen Abhängigkeit ab, auf dem die Übersetzung immer stattfindet: sie bewegt sich zwischen imitatio und aemulatio.54 Der interpretatio, dem dritten in diesem Kontext relevanten Schlüsselbegriff, räumt Gellius als der auf das Einzelwort bezogenen bzw. wortgetreuen Übersetzung mit der geringsten literarischen Selbständigkeit hingegen nur

_____________ 54 Die Beobachtung, daß `seit den Tagen des Plinius und Tacitus ... aemulari zu einem Modewort gewordenA ist, das besonders häufig auf Vergil Anwendung findet, stützt REIFF, Interpretatio, 109 auf mehrere Textbeispielen aus den _Noctes Atticae>, nämlich: NA 13,27,2: Eum uersum Vergilius aemulatus est, itaque fecit duobus uocabulis uenuste inmutatis parem; NA 17,10,8: Nam cum Pindari, ueteris poetae, carmen, quod de natura atque flagrantia montis eius compositum est, aemulari uellet, eiusmodi sententias et uerba molitus est, ut Pindaro quoque ipso, qui nimis opima pinguique esse facundia existimatus est, insolentior hoc quidem in loco tumidiorque sit; verbunden damit werden Hinweise auf NA 2,23,3 aemulari nequire; NA 2,23,11 uenustatem ... nequaquam parem. Entgegen der Behauptung von VARDI, Diiudicatio locorum, 505 Anm. 42, daß die Termini an Bedeutung verloren haben, läßt sich m.E. gerade ein Rekurs auf die traditionelle Terminologie feststellen, wobei der Begriff aemulatio eine Bedeutungsverschiebung erfahren hat: Es ist nicht mehr Bezeichnung der literarischen Rivalität und Konkurrenz, sondern der auch sprachlich und stilistisch gelungenen Nachahmung bzw. Übertragung. B Daß Übersetzung immer in der Spannung zwischen Texttreue und Überbietung steht und eine `flexible TechnikA erfordert, in der die Annäherung an das Original variiert, betont BEALL, Translation in Aulus Gellius, 218-219.

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untergeordnete Bedeutung ein.55 Überhaupt verwendet Gellius die traditionelle lateinische Übersetzungsterminologie:56 Neben den Begriffen interpretari, imitari und aemulari stehen die weniger spezifischen, aber in diesem Kontext ebenso relevanten Ausdrücke uertere (NA 2,23,1. 6; NA 9,9,cap. 1. 4. 9. 12; NA 10,22,3; NA 11,4,3; NA 15,6,4; NA 16,8,5; NA 19,11,3; NA 20,5,cap.) und sequi (NA 2,23,22; NA 9,9,16; NA 13,1,2. 6; _____________ 55 Offenbar folgt er hierin dem Sprachgebrauch Ciceros, den REIFF in seiner immer noch grundlegenden Arbeit untersucht hat: Vgl. REIFF, Interpretatio, 38-51, bes. 3839. 47: `Bloße interpretatio, die kein echtes Verdienst und keinen Anspruch auf eigene Leistung begründen kann, lehnt Cicero als wertlos ab; ... Der verborum interpres hingegen vermeidet peinlich die geringste Selbständigkeit. Er gibt seine Vorlage ohne jede Abweichung Wort für Wort wieder und ist ängstlich darauf bedacht, kein Wort zu überschlagen ... Vor diesem Hintergrund eines in malam partem verstandenen interpretari werden auch die positiven Auffassungsmöglichkeiten dieses Wortes in ihrem Sinn und in ihrer Beschränkung deutlich. ... In nüchterner Sachlichkeit bezeichnet interpretari so die sprachlich richtige Übersetzung eines einzelnen griechischen Wortes.A Vgl. ZWIERLEIN, _Interpretation> in Antike und Mittelalter, 84-85 (der hier Anm. 17 die umstrittene Etymologie von interpres / interpretari ausführlich behandelt): `Interpres bezeichnete ursprünglich vielleicht den _Vermittler> zunächst in der Handels- und Rechtssprache den Vermittler beim Kauf, der zwischen zwei Geschäftspartnern den Preis (pretium) oder besser das Aequivalent von Leistung und Gegenleistung festsetzte, dann den Vermittler zwischen zwei Sprachen, also den Dolmetscher und Übersetzer, schließlich B im Bereich der Mantik B den Orakel-, Zeichen- und Traumdeuter. Es ist nun charakteristisch für die lateinische _Übersetzungsliteratur>, daß sie sich B im Unterschied zur Übersetzung eines Dolmetschers B nicht sklavisch an den Wortlaut der Vorlage bindet, sondern eine freie Wiedergabe des Originals darstellt ...A Eine Ablehnung allzu wörtlicher Übersetzung findet sich z.B. in [Ps.-]Cic. opt. gen. 14; Hor. ars 133-134; Sen. epist. 80,1; Quint. inst. 10,5,5. B Dementsprechend verwendet Gellius interpretari: wo es nicht _auslegen> (z.B. NA 5,7,cap.; NA 5,7,1; NA 20,1,1 in bezug auf Recht und Gesetze), _deuten> (z.B. in NA 10,12,7 in bezug auf die Sprache der Vögel; in NA 15,20,3 in bezug auf ein Orakel vgl. interpres in NA 4,1,1), _erklären> bzw. _erläutern> (z.B. in NA 13,10,4; NA 15,30,3; NA 16,14 in bezug auf die etymologische Ableitung vgl. interpretatio in NA 4,9,9; z.B. in NA 12,13,19; NA 16,10,6.7; NA 17,3,cap. in bezug auf die Wortgeschichte bzw. Wortbedeutung vgl. interpretatio in NA 12,13,14; NA 13,25,4) bedeutet, bezeichnet es das Wiedergeben Wort für Wort bzw. das Übersetzen eines Einzelwortes: z.B. in NA 11,16,3.5; NA 17,10,14; NA 19,2,2; vermutlich auch in dem verlorenen commentarius NA 8,8, dessen capitulum ankündigt: Quid mihi usu uenerit interpretari et quasi effingere uolenti locos quosdam Platonicos Latina oratione; vgl. interpretamentum in NA 5,18,7; NA 7,2,2; NA 13,9,4; NA 15,26,cap. und interpretatio in NA 15,26,2; vgl. interpretes _Übersetzer; Dolmetscher> in NA 6,14,9 und NA 17,17,2. 56 In einem Anhang zu seiner Untersuchung senecanischer Zitierpraxis hat SETAIOLI Senecas diesbezüglichen Sprachgebrauch analysiert und dessen Verwendung von mutare, exprimere und transferre als einen Beitrag zur Fortentwicklung und Bereicherung der einschlägigen Terminologie bewertet; vgl. SETAIOLI, Seneca e i Greci, 452-467 (Appendice I: ,Terminologia del tradurre in Seneca>).

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

NA 13,21,25; NA 17,2,13; NA 17,10,cap.; NA 17,20,cap.; NA 18,14, cap.).57 Die Methode des uertere, das im Unterschied zu interpretari weniger die wortgetreue Übersetzung als die selbständige, freie Wiedergabe entsprechend Ciceros Ideal non uerba, sed uim conuertere ([Ps.-] Cic. opt. gen. 14; vgl. Cic. ac. 1,10; fin. 3,15) bezeichnet, hat Gellius in dem von ARNO REIFF eingehend untersuchten Kapitel NA 9,9 illustriert: Quis modus sit uertendi uerba in Graecis sententiis; deque his Homeri uersibus, quos Vergilius uertisse aut bene apteque aut inprospere existimatus est. Wandelt er mit der bereits in die Überschrift aufgenommenen Kategorie des aptum58 und mit der eingangs erteilten Absage an die Wort-für-Wort-Übersetzung nicht sprachlich, aber doch gedanklich noch ganz in den Spuren Ciceros (ohne ihn jedoch als direkte Quelle benutzt zu haben), so geht er im folgenden darüber hinaus, indem er für die Nachdichtungen Vergils den auch an anderen Stellen für das Übersetzen gebrauchten Begriff effingere59 einführt, und ihn durch die konkretisierenden Angaben relinquere bzw. exprimere (NA 9,9,3),60 kurz danach auch noch durch substituere (NA 9,9,4)61 erläutert: `Die Begriffe des Ergänzens - substituere -, des Übersetzens im engeren Sinne - exprimere - (wofür bei der Interpretation regelmäßig uertere eintritt) - und des Auslassens - relinquere-omittere - sind an und für sich nur äußerlich gliedernde Rubriken, haben aber für den Römer _____________ 57 Vgl. REIFF, Interpretatio, 40-41 (Gebrauch von conuertere bei Cicero). 100-104. 107108; VARDI, Diiudicatio locorum, 505 m. Anm. 42; SEELE, Römische Übersetzer, 9192. 58 Auf die ciceronische Forderung des aptum esse (vgl. REIFF, Interpretatio, 43) kommt Gellius auch an anderen Stellen zurück, und zwar wiederum an prominenter Stelle in NA 17,20,cap.: Verba sumpta ex Symposio Platonis numeris coagmentisque uerborum scite modulateque apta exercendi gratia in Latinam orationem uersa; aber auch in NA 1,3,11: Et cetera quidem, quae sumenda a Theophrasto existimauit ... sumpsit et transposuit commodissime aptissimeque; NA 11,16,1: Adiecimus saepe animum ad uocabula rerum non paucissima, quae neque singulis uerbis, ut a Graecis, neque, si maxime pluribus eas res uerbis dicamus, tam dilucide tamque apte demonstrari Latina oratione possunt, quam Graeci ea dicunt priuis uocibus. 59 Vgl. NA 8,8,cap.: Quid mihi usu uenerit interpretari et quasi effingere uolenti locos quosdam Platonicos Latina oratione; NA 17,20,8: proinde nos ea, quae in Platonis oratione demiramur, non aemulari quidem, sed lineas umbrasque facere ausi sumus. Velut ipsum hoc est, quod ex isdem illis uerbis eius effinximus. Im Sinne von _literarisch nachahmen> wird er vorher schon vom jüngeren Plinius gebraucht, z.B. in epist 1,10,5. 9,22,2. 60 NA 9,9,3: Scite ergo et considerate Vergilius, cum aut Homeri aut Hesiodi aut Apollonii aut Parthenii aut Callimachi aut Theocriti aut quorundam aliorum locos effingeret, partem reliquit, alia expressit. 61 NA 9,9,4: Sed enim, quod substituit pro eo, quod omiserat, non abest, quin iucundius lepidiusque sit.

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eine durchaus klärende Funktion besessen. Seneca62 versteht ... sein Verhältnis zur Tradition in ganz analoger Weise und beansprucht für sein sequi die Freiheit des inuenire aliquid et mutare et relinquere.A 63 Diese bei Gellius im Sinne der Tradition ausdifferenzierte Begrifflichkeit hat ihre Gültigkeit bis zum Bibelübersetzer Hieronymus behalten und in dessen berühmten Brief _Ad Pammachium de optimo genere interpretandi> (epist. 57), einem zentralen Dokument der Übersetzungsgeschichte, noch einmal ihren Niederschlag gefunden.64 Eine geringere Rolle spielen in den Übersetzungsreflexionen der _Noctes Atticae> die Termini transferre65 (NA 9,9,1.2.12; NA 17,10,15) und traducere (NA 1,18,1), obgleich sie in der Folgezeit nachhaltig fortgewirkt haben als die Verben, von denen die Ausdrücke für _übersetzen> in den (indo)euro-päischen Volkssprachen abgeleitet sind: als Lehnübersetzung im Deutschen, als Lehnwörter im Englischen (translate) und in den romanischen Sprachen (franz. traduire, ital. tradurre, span. traducir). Dabei beruhen die romanischen Übersetzungsbezeichnungen nach GEORGE STEINER auf einem Mißverständnis dieses

_____________ 62 Hier wird Bezug genommen auf Senecas Mitteilung über seinen philosophischen Standort in der Tradition: Non ergo sequor priores ? Facio, sed permitto mihi et inuenire aliquid et mutare et relinquere. Non seruio illis, sed adsentior (Sen. epist. 80,1). 63 Vgl. REIFF, Interpretatio, 101-102. 64 Neben der Forderung nach sinngemäßer, nicht wortwörtlicher Übersetzung finden sich dort die einzelnen Verfahrensweisen des Übersetzens ganz im gellianischen Sinne formuliert: Vgl. REIFF, Interpretatio, 102; ZWIERLEIN, _Interpretation> in Antike und Mittelalter, 87. Zum Kontext und anderen oft vernachlässigten Aspekten dieses Briefes vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 90-91. Im einzelnen ist heranzuziehen BARTELINK (Hrsg.), Hieronymus: Liber de optimo genere interpretandi, bes. 3-5 (Einleitung: Verteidigung der Übersetzungsweise von Epiphanius= Brief als freie Übersetzung ad sensum im Einklang mit der traditionellen Übersetzungspraxis). 46-49 (Kommentar zu epist. 57,5,2 non verbo e verbo, sed sensum exprimere de sensu unter Berufung auf die Autorität Ciceros). 51 (Kommentar zu epist. 57,5,2: quanta ... praetermiserit, quanta addiderit, quanta mutaverit). 103 (Kommentar zu epist. 57,11,1: quanta Septuaginta de suo addiderint, quanta dimiserint). Das weite Gebiet der antiken literarkritischen Wertung wortgetreuer und sinngemäßer (literarischer) Übersetzung allgemein, bes. _Hieronymus und die Übersetzung der biblischen Schriften> hat gerade neu untersucht MÜLKE, Der Autor und sein Text, 109-201, bes. 116. 124-163 (hier 129-150 zu Hier. epist. 57). 65 Als Bezeichnung des Übersetzens begegnet transferre u.a. in Cic. fin. 1,7; Sen. contr. 9,6,16; Sen. dial. 11,11,5; Plin. NH 18,22; Plin. epist. 7,9,2; Quint. inst. 10,5,3. Vgl. OLD 1963 s.v. transfero 6 a; weitere Stellen bei den spätantiken Grammatikern (Don. vita Ter. 10; Diom. gramm. I 489,7) nennt REIFF, Interpretatio, 104.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

Verbs in NA 1,18,1, wo traducere _entlehnen, übernehmen>,66 nicht _übersetzen> bedeutet.67 Das Bemühen um aemulatio, das bei Gellius wie vorher schon bei Plinius und Quintilian als `Sonderform des uertere erscheintA,68 nämlich als die gedanklich und zugleich stilistisch angemessene Form der Übersetzung, führt nicht immer zum Erfolg: Während Q. Ennius die aemulatio des Euripides der Kritik des Gellius zufolge gelungen ist (vgl. NA 11,4,cap.: Quem in modum Q. Ennius uersus Euripidi aemulatus sit und NA 11,4,3: Hos uersus Q. Ennius, cum eam tragoediam uerteret, non sane incommode aemulatus est), halten die, für sich betrachtet, ganz gefälligen lateinischen Komödien dem Vergleich mit ihren griechischen Vorlagen nicht stand (NA 2,23,3). Insbesondere gilt dies für Caecilius, über den Gellius abschließend das Urteil fällt: Itaque, ut supra dixi, cum haec Caecilii seorsum lego, neutiquam uidentur ingrataque ignauaque, cum autem Graeca comparo et contendo, non puto Caecilium sequi debuisse, quod assequi nequiret (NA 2,23,22). Und sogar Vergil, der als aemulus schlechthin gilt,69 scheitert an manchen Stellen in dem Versuch, ein der griechischen Vorlage gedanklich und stilistisch gleichwertiges Äquivalent zu schaffen. Das Bewußtsein für die Grenzen und Möglichkeiten bilingualer Übertragung schärfen die Vergleiche literarischer Übersetzungen: in NA 2,23 (Menander: frg. 296-298 PCG KASSEL / AUSTIN – Caecilius: _Plocium> _____________ 66 An anderen Stellen der NA wird traducere im Sinne von _übertragen (der Bedeutung)> (z.B. in NA 17,2,13; vgl. auch transferre in NA 10,9,3) bzw. _(etymologisch) ableiten> (NA 2,6,5; NA 17,2,14) gebraucht. 67 G. STEINER, After Babel. Aspects of Language and Translation, London 1975, 295: `An error, a misreading initiates the modern history of our subject. Romance languages derive their terms for _translation> from traducere because Leonardo Bruni misinterpreted a sentence in the Noctes of Aulus Gellius in which the Latin actually signifies to _introduce, to lead into>. The point is trivial but symbolic. Often, in the records of translation, a fortunate misreading is the source of new life.A Der italienische Humanist L. Bruni gebraucht in seiner vermutlich um 1420 entstandenen Schrift _De interpretatione recta> nebeneinander verschiedene lateinische Ausdrücke für das Übersetzen. Vgl. H. BARON (Hrsg.), Leonardo Bruni Aretino, Humanistisch-philosophische Schriften mit einer Chronologie seiner Werke und Briefe, Berlin 1928 [= Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 1], 81-96: convertere (z.B. S. 86 Z. 17. 34); interpretari (z.B. S. 83 Z. 28; S. 86 Z. 19; S. 87 Z. 16; S. 96 Z. 6; vgl. interpretatio: S. 84 Z. 6; S. 91 Z. 3/4; S. 95 Z. 32; S. 96 Z. 11/12; interpres: S. 81 Z. 34; S. 85 Z. 22; S. 86 Z. 14; S. 87 Z. 12. 29/30; S. 91 Z. 1. 31; S. 94 Z. 25. 26; S. 96 Z. 9/10); reddere (z.B. S. 87 Z. 35; S. 88 Z. 4/5); transferre (z.B. S. 84 Z. 6. 27; S. 86 Z. 15; S. 89 Z. 36/37); traducere (z.B. S. 83 Z. 32; S. 85 Z. 25; S. 87 Z. 4. 5. 11; S. 95 Z. 35) bzw. traductio (z.B. S. 83 Z. 4; S. 86 Z. 32) bzw. traductor (S. 87 Z. 32). 68 Vgl. REIFF, Interpretatio, 111. 69 Vgl. REIFF, Interpretatio, 109-110.

4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität

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158-172 RIBBECK2);70 NA 2,27 (Demosthenes: or. 18, 67 über Philipp – Sallust: hist. frg. 1,88 MAURENBRECHER über Sertorius); NA 7,14,7-8; NA 9,9 (Theokrit: 5,88-89 – Vergil: ecl. 3,64-65; Theokrit: 3,3-5 – Vergil: ecl. 9,23-25; Homer: Od. 6,102-108 – Vergil: Aen. 1,49850271); NA 9,10 (Vergil: Aen. 8,404-406 – Homer: Od. 23,296. 11,245246); NA 11,4 (Euripides: Hec. 293-295 – Ennius scaen. 199-201 VAHLEN2 = trag. 84 JOCELYN);72 NA 13,27 (Parthenios: frg. 30 Myth.Gr. MARTINI – Vergil: georg. 1,437; Homer: Il. 11,728 – Vergil: Aen. 3,119); NA 17,10 (Pindar: Pyth. 1,21-26 – Vergil: Aen. 3,570-577); NA 18,9,510 (Livius Andronicus: carm. frg. 1 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF – Homer: Od. 1,1).73 Nicht um einen Vergleich bestimmter durch imitatio bzw. _____________ V.142-157.

70 SEELE, Römische Übersetzer, 104-107 führt die in diesem Gellius-Kapitel NA 2,23 präsentierten Fragmente aus der lateinischen Caecilius-Version des menandrischen ȡȵџȴȳov als Beispiele für eine Nachbildung auf einer anderen Stilebene an: `Caecilius gibt die bei Menander in jambischen Trimetern dahinfließende Klage des Ehemannes erstens in wechselnden Metren wieder; zweitens unter Verwendung klanglicher Mittel, die im Original keinerlei Vorbild haben, somit zu einer erheblichen Veränderung auf der Stilebene führen (etwa in der langen homoioteleutischen Reihe plorando, orando, instando atque obiurgando mit ihren Assonanzen, Alliterationen und Binnenreimen).A Nicht wie SEELE unter übersetzungstheoretischem, sondern unter literaturkritischem Aspekt untersucht dieses seit F. LEOs grundlegender Darstellung (im Rahmen seiner Geschichte der römischen Literatur, Berlin 1913, Ndr. Darmstadt 1967, Bd.1, 221-226) immer wieder behandelte Kapitel JENSEN, Aulus Gellius als Literaturkritiker, bes. 370-378 (vgl. hier 363-364 eine Zusammenfassung und Übersicht über die maßgebliche Literatur). Sein Bemühen, daraus eine systematische Werttypologie für die gellianische Literaturkritik abzuleiten, überstrapaziert m.E. die _diiudicatio locorum> von NA 2,23. Zutreffender urteilt VARDI, Diiudicatio locorum, 503-509, der analysiert, wie Gellius in seinem literaturkritischen Vergleich mit zwei einander entgegengesetzten Wertmaßstäben operiert, die sich aus dem rhetorischen imitatioKonzept ableiten. Denn darin sind der Maßstab der Äquivalenz mit dem Original einerseits, der Maßstab der literarischen Selbständigkeit andererseits fest verankert. VOGT-SPIRA, Literarische Imitatio, 32-33 stellt fest, daß dem Vergleich zwischen Caecilius und Menander in NA 2,23 die Imitatio-Doktrin zugrundegelegt ist, die sich aber gar nicht eigne, um der frühen römischen Literatur gerecht zu werden, da in ihrem Selbstverständnis überhaupt nicht das Bedürfnis nach Abgrenzung gegenüber der griechischen Literatur existiere. Seine Aussage `daß man die erste Phase von Roms Aneignung der griechischen Literatur nicht im Horizont der Nachahmungsdoktrin beschreiben kannA, gilt nur, wenn es um die angemessene Beurteilung der archaischen Literatur geht; sie ist jedoch irrelevant, wenn die antike Literaturkritik selbst Untersuchungsgegenstand ist. 71 Vgl. R.G. AUSTIN (Ed.), P. Vergilius Maro: Aeneis. Liber primus, with a commentary, Oxford 1971,166-169; F. KLINGNER, Virgil: Bucolica, Georgica, Aeneis, Zürich / Stuttgart 1967, 401 Anm. 1; V. PÖSCHL, Die Dichtkunst Virgils, Wien 21964 , 117131. 72 SEELE, Römische Übersetzer, 42-43: `Hier liegt uns ein frühes Beispiel normativer Übersetzungskritik vor.A 73 Vgl. GAMBERALE, La traduzione in Gellio, 71-172.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

aemulatio verbundener Textstellen, sondern um einen Vergleich der Ausdrucksmöglichkeiten griechischer bzw. lateinischer erotischer Dichtung geht es in NA 19,9 (Carmen Anacreonticum: 4 [I] WEST – Valerius Aedituus: frg. 1, frg. 2 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF; Porcius Licinus: frg. 6 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF; Q. Lutatius Catulus: frg. 1 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF). Dabei gibt Gellius eine positive Wertung ab über die in NA 19,9,10 vom Rhetor Antonius Iulianus vorgetragenen erotischen Epigramme frührömischer Dichter, mit denen er gegen die provozierenden, von (Ps.-)Anakreons bzw. allgemein von der griechischen `ÜberlegenheitA in der Liebesdichtung überzeugten Graeci plusculi kontert: uersus cecinit Valerii Aeditui, ueteris poetae, item Porcii Licini et Q. Catuli quibus mundius, uenustius, limatius, tersius Graecum Latinumue nihil quicquam reperiri puto.74 In dieser bilingualen literarischen Synkrisis, bei der das arrogante Verhalten der Griechen, deren Kenntnisse der lateinischen Literatur vom Autor besonders hervorgehoben wird, und die Sympathie gewinnende Zurückhaltung des römischen bzw. spanischen Rhetors ein Schlaglicht wirft auf die wechselseitigen Ressentiments und Konfrontationen,75 erscheinen die lateinischen Produkte der imtatio und aemulatio in günstigerem Licht. So kommt auch in NA 2,26,7. 2076 in Gellius’ Reflexionen _____________ 74 Vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 212-216. 75 Vgl. NA 19,9,7: Tum Graeci plusculi, qui in eo conuiuio erant, homines amoeni et nostras quoque litteras haud incuriose docti, Iulianum rhetorem lacessere insectarique adorti sunt tamquam prorsus barbarum et agrestem, qui ortus terra Hispania foret clamatorque tantum et facundia rabida iurgiosaque esset eiusque linguae exercitationes doceret, quae nullas uoluptates nullamque mulcedinem Veneris atque Musae haberet ... ; NA 19,9,8.10: Tum ille pro lingua patria tamquam pro aris et focis animo inritato indignabundus ... tum resupinus capite conuelato uoce admodum quam suaui uersus cecinit ... Der herablassende Spott der Griechen richtet sich zunächst offenbar gegen den spanischen Akzent des Antonius Iulianus (vgl. ADAMS, The Regional Diversification of Latin, 233), dann aber auch gegen die der griechischen Poesie unterlegene lateinische Dichtung. Das Verhalten der Griechen und ihre Geringschätzung des Lateinischen darf man wohl als repräsentative, wenn auch nicht unbedingt authentische Äußerung des allgemeinen Überlegenheitsbewußtseins der Griechen nehmen: vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 215; zur arrogantia inanis vgl. D. FAUSTI, Lo stereotipo della superiorità della cultura greca: la situazione in epoca imperiale attraverso le testimonianze di Plutrarco e Galeno; in: Prometheus 19 (1993) 265-277; VOGT-SPIRA, Literarische Imitatio, 31 mit Bezug auf Sen. contr. 1 praef. 6-7: quidquid Romana facundia habet, quod insolenti Graeciae aut opponat aut praeferat, circa Ciceronem effloruit). – Die römisch-griechischen Ressentiments, aus einem römischen Inferioritätsgefühl erwachsend, haben schon eine lange Tradition seit dem älteren Cato; vgl. WEIS, Zur Kenntnis des Griechischen, 138-142. 76 NA 2,26,7: Tum Fronto ad Fauorinum: _non infitias> inquit _imus, quin lingua Graeca, quam tu uidere elegisse, prolixior fusiorque sit quam nostra; sed in his tamen coloribus, quibus modo dixisti, denominandis non proinde inopes sumus, ut tibi uidemur...; NA 2,26,20: Postquam haec Fronto dixit, tum Fauorinus scientiam rerum uberem uerborum-

4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität

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über die beiden Sprachen das Bemühen zur Geltung, das Lateinische in seinem Reichtum und seiner Differenziertheit als dem Griechischen ebenbürtige Sprache zu präsentieren. Doch zumeist fällt die vergleichende Literaturkritik des Gellius zuungunsten der lateinischen Nachbildungen aus: z.B. räumt er in NA 2,23,2 im Hinblick auf Caecilius,77 in NA 11,4 im Hinblick auf Ennius78 und in NA 17,10 im Hinblick auf Verg. Aen. 3,570-57779 freimütig die Schwäche bzw. Unterlegenheit der lateinischen Nachdichtung gegenüber der griechischen Vorlage ein. Aber Gellius tritt in seinem Werk nicht nur als komparatistischer Literaturkritiker80 in Erscheinung, der die Übertragungen anderer beurteilt, sondern er betätigt sich selbst auch als Übersetzer. Er liefert in NA 17,20,8 _____________

77 78 79

80

que eius elegantiam exoscultatus: _absque te> inquit _uno forsitan lingua profecto Graeca longe anteisset; sed tu, mi Fronto, quod in uersu Homerico est, id facis: ȴȫɅ vѠ ȴȯv – ąȫȺɃȵȫȼȼȫȻ – wȶȿɄȺȳȼȽov ‰ȲȱȴȫȻ (vgl. Hom. Il. 23,382). Vgl. dazu FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 208-209. Vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 118 Anm. 76. Vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 42-43. Den von Favorinus vorgetragenen Vergleich hat kritisch untersucht ZWIERLEIN, Ovid- und Vergil-Revision, 121-130, dessen abschließendes Urteil lautet: `Favorinus hat also das Unvergilische an diesem Ausdruck B und an dem ganzen Aetna-Passus B mit sicherem Gespür erfaßt! Irrig jedoch ist seine Erklärung, die auf eine mangelnde Vollendung des Werkes abzielt: daß hier ein den Vergil überbietendes, eigenes Kunstwollen vorliegt und die Expressivität des Ausdrucks bewußt gesucht wird, diese Erkenntnis ist ihm verschlossen geblieben.A Vgl. dazu auch oben S. 160 m. Anm. 350. B Zur allgemeinen Tendenz der vergleichenden Literaturkritik des Gellius vgl. VARDI, Diiudicatio locorum, 502-509 (bes. 504 mit dem tabellarischen Überblick); SEELE, Römische Übersetzer, 91. B Auch in NA 1,8,6 beurteilt er die bei Sotion in der Anekdote über Demosthenes und die Hetäre Lais gelesenen griechischen Worte als lepidiora gegenüber der vorausgeschickten eigenen lateinischen Paraphrase: sed Graeca ipsa, quae fertur dixisse, lepidiora sunt: o½ȴ Ëvoºȶȫȳ, inquit, ȶȾȺɅɂv ȮȺȫɀȶÆv ȶȯȽȫȶɃȵȯȳȫv. Vergleichende Literaturkritik betreibt Gellius entsprechend einer im Rahmen des `rhetorischen DiskursesA ebenso wie im Grammatikunterricht etablierten und im 2.Jh. vorherrschenden komparatistischen Strömung nicht nur im Hinblick auf griechische und lateinische Texte, sondern auch im Hinblick auf verschiedene Stücke und Stellen der lateinischen Literatur: VARDI, Diiudicatio locorum, 492-514, bes. 492. 499-500. Der gellianischen Literaturkritik eignet allerdings in den Übersetzungsvergleichen genauso wenig wie bei seinen sonstigen Urteilen und Bewertungen eine B mit der in der modernen Literaturwissenschaft entwickelten vergleichbare B geschlossene Systematik, die überhaupt der literarischen Eigenart der _Noctes Atticae> zuwiderliefe. (Vgl. dagegen den in einem `StrukturdiagrammA resümierten Schematisierungsversuch von JENSEN, Gellius als Literaturkritiker, 357-388, bes. 386-387.) Dennoch verfügt sie über einen B allerdings nicht kohärenten und widerspruchsfreien B Kriterienkatalog, der sich aus dem von Rhetorik und Grammatik geprägten literarischen Umfeld des gellianischen Werkes und der Tradition der Synkrisis entwickelt hat: vgl. VARDI, Diiudicatio locorum, 500. 509. 512.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

eine recht genaue, im Sinne der aemulatio stilbewußte Übersetzung von Plat. symp. 180 e 3- 181 a 681 und stellt in der Überschrift zu dem bedauerlicherweise nicht erhaltenen commentarius NA 8,8 eine weitere (nachgestaltende) Platon-Übersetzung in Aussicht.82 Er überträgt in NA 15,26 die Syllogismusdefinition des Aristoteles (top. 1,100 a 25-27), in die mit der verdeutlichenden Begriffsumschreibung mittelplatonische Interpretamente eingeflossen sind.83 In NA 9,3,5 übersetzt er einen anschließend im Original zitierten angeblichen Brief Philipps von Makedonien an Aristoteles, in dem die Geburt Alexanders angezeigt wird, nicht wörtlich, aber doch sehr nah am griechischen Ausgangstext bleibend.84 Auch den angeblichen Briefwechsel zwischen Alexander dem Großen und Aristoteles über die Unterteilung seiner Werke in exoterische und akroatische hat Gellius, auch wenn er den ersten Teil in indirekter Rede wiedergibt, in enger Anlehnung an Wortlaut und Stil des Originals übertragen.85 Weniger an der sprachlichen Form als nur am Inhalt orientiert sich die Wiedergabe eines Abschnitts aus der Rede des Aischines gegen seinen Hauptankläger Timarchos (Aeschin. 1,180-181) in NA 18,3,2-8.86 Ähnlich frei hat Gellius in NA 16,19 Herodots Erzählung über Arions Rettung durch den Delphin (hist. 1,23-24) nachgestaltet und seinem Stil anverwandelt.87 _____________ 81 STEINMETZ, Gellius als Übersetzer, 206-208 hat die gellianische Übersetzung detailliert mit dem platonischen Text hinsichtlich Wortwahl, Syntax, Wortstellung und stilistischer Mittel verglichen und hält sie für `recht genau und auch ansprechendA. BEALL, Translation in Aulus Gellius, 222-224 (der den Textvergleich um Übertragungen derselben Passage durch Marsilio Ficino und Theodoros von Gaza erweitert) sieht das Stilbemühen bei Gellius am stärksten ausgeprägt: ` ... we can see that Gellius’ version of Plato is another successful essay in stylistic imitation. But we have also seen that the introductory anecdote is animated by a spirit of aemulatio.A Vgl. auch GAMBERALE, Traduzione in Gellio, 155-160. 82 Die Wortwahl des capitulum von NA 8,8 (Quid mihi usu uenerit interpretari et quasi effingere uolenti locos quosdam Platonicos Latina oratione) läßt vermuten, daß Gellius bei diesen Übersetzungsversuchen sich auch von dem Bemühen um aemulatio hat leiten lassen: vgl. BEALL, Translation in Aulus Gellius, 221. 83 Vgl. CARVAZERE, Gellio traduttore, 213-215; GAMBERALE, Traduzione in Gellio, 142-143; STEINMETZ, Gellius als Übersetzer, 210-211. 84 Vgl. BEALL, Translation in Aulus Gellius, 219-221, hier 221: `In general, then, we can say that Gellius followed Philip closely without always translating literally. While retaining the formal structure of his model, he altered its syntax and modulated its vocabulary in the interest of smoothness and stylistic equivalence. This is an approach which might be described today as _mimetic>; Gellius elsewhere designates it by the special verb, effingere.A 85 Vgl. STEINMETZ, Gellius als Übersetzer, 207-210. 86 Vgl. STEINMETZ, Gellius als Übersetzer, 205. 87 Vgl. BEALL, Translation in Aulus Gellius, 221-222; GAMBERALE, Traduzione in Gellio, 181-185; STEINMETZ, Gellius als Übersetzer, 202-205.

4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität

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So zeigt Gellius in seinen Übersetzungen die ganze Bandbreite von einer dem griechischen Wortlaut folgenden Wiedergabe, mit gewissen Abstufungen in der nicht Wort für Wort, sondern Kolon für Kolon vorgehenden Übersetzung, bis zu einer recht freien Nachgestaltung der Vorlage.88 Vorherrschend ist in den _Noctes Atticae> die Übertragung, die unter Berücksichtigung der Gegebenheiten und Eigenheiten der Zielsprache dem Sinn Vorrang gibt vor der Wörtlichkeit. Denn trotz seiner, abgesehen von kleinen Schnitzern, guten Beherrschung beider Sprachen und seiner bewiesenen Übersetzungskunst89 bleibt er sich der Grenzen der Übersetzung bewußt, der man in der Antike jedoch von jeher einen größeren Freiraum ließ, als es die moderne Übersetzungswissenschaft tut.90 Sowohl mit seinen Übersetzungen wie mit seiner Übersetzungsreflexion steht Gellius in einer die lateinische Literatur durchziehenden und prägenden Tradition. Denn seit ihren Anfängen bei Livius Andronicus speist sie sich aus der Adaption und Übersetzung griechischer Literatur.91 Die _____________ 88 Vgl. STEINMETZ, Gellius als Übersetzer, 210. 89 Gleichwohl befand er sich mit seiner Sprachkompetenz im Griechischen nach Einschätzung von HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 231-232 nicht auf einer Höhe mit Sueton, und seinen Zeitgenossen Apuleius und Fronto, obwohl auch die Briefe des letzteren Schnitzer im Griechischen aufweisen. Vgl. auch BEALL, Homo fandi dulcissimus, 94-95. B Aber nicht nur Gellius, auch anderen Autoren und sogar Koryphäen wie Cicero unterliefen Fehler in der Übersetzung: vgl. HOLFORD-STREVENS, Utraque lingua doctus, 209-210. 212. B Bisweilen sind die Diskrepanzen zwischen dem zitierten Text und der Übersetzung bei Gellius aber auch durch verschiedene Handschriften der Quellentexte zu erklären, z.B. in NA 17,20,3. Im ersten Satz der zitierten Platonstelle symp. 180 c 2-185 c 3 steht das B in seiner Echtheit umstrittene B Partizip ąȺȫȽȽoȶɃvȱ sowohl in den Handschriften des Platontextes als auch in denen des Gelliustextes; es fehlt aber in der Übersetzung des Gelliustextes (wie auch in den entsprechenden Zitaten bei Proklos und Hermeias von Alexandrien): vgl. dazu. LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 167-168. 90 Vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 10. 15. 17: In dem an den Leitprinzipien imitatio und aemulatio ausgerichteten antiken Übersetzungskonzept waren die Grenzen zwischen Übersetzung und Nachbildung fließend. – VARDI, Diiudicatio locorum, 508509: Ein weiteres Verständnis von Übersetzung lassen Gellius’ eigene Übersetzungen dadurch erkennen, daß er die Vorlagen auch stilistisch und metrisch nachzubilden versucht, während er im Übersetzungsvergleich die enge Übereinstimmung zwischen Original und Übersetzung als Bewertungsmaßstab anlegt. Vgl. auch BEALL, Civilis eruditio, 151-208 (Chapter IV: _Elegantiam adfectare: Translation as a Rhetorical Exercise in Gellius>). 91 Den entscheidenden griechischen Einfluß auf die überlieferte lateinische Literatur und ihre Entwicklung anzuerkennen kommt man nicht umhin, selbst wenn man sie nicht erst mit Livius Andronicus beginnen läßt, sondern den _mündlichen> (und das heißt fast immer autochthon-römischen bzw. italischen) Einflüssen auf die schriftlich fixierte Literatur seit 240 v. Chr. einen höheren Stellenwert einräumt, wie es insbesondere durch die Schriftenreihe _ScriptOralia> des Freiburger Sonderforschungsbereichs `Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und SchriftlichkeitA propa-

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

daraus resultierenden Probleme sind schon früh von den römischen `ÜbersetzernA und Autoren reflektiert und artikuliert wurden. Angesichts der Schwierigkeiten, bei dem unterschiedlichen Entwicklungsstand griechischer und römischer Sprache und Literatur, griechische Texte ins Lateinische zu übertragen, war das Bewußtsein von der patrii sermonis egestas (Lucr. 3,260) früh vorhanden. Es begleitete die Übersetzer im weiteren Verlauf der Übersetzungsepoche auch noch über Cicero hinaus, obwohl er nachdrückliche Versuche unternommen hat, diesem römischen Mangelgefühl abzuhelfen. Zwar fehlen seinen philosophischen Prosawerken nicht die Hinweise auf die lateinischen Sprachdefizite,92 aber dagegen setzt er als römischer `SprachpatriotA93 wiederholt die Behauptung, daß das Lateinische dem Griechischen sogar überlegen sei: sed ita sentio et saepe disserui Latinam linguam non modo non inopem, ut uulgo putarent, sed locupletiorem etiam esse quam Graecam (fin. 1,10); nos non modo non uinci a Graecis uerborum copia, sed esse in ea etiam superiores (fin. 3,5); o uerborum inops interdum, quibus abundare te semper putas, Graecia (Tusc. 2,35). Diese ciceronische Ambivalenz in der Beurteilung der Sprachen aufnehmend läßt Gellius in der Diskussion über die griechischen und lateinischen Farbbezeichnungen Favorinus und Fronto die unterschiedlichen Ansichten über den Sprachreichtum vertreten: Der höheren Einschätzung des Griechischen durch Favorinus (NA 2,26,5: eam uocum inopiam in lingua magis Latina uideo, quam in Graeca) tritt Fronto entgegen: _non infitias> inquit _imus, quin lingua Graeca quam tu uidere elegisse, prolixior fusiorque _____________ giert worden ist; vgl. dazu W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 113 (_Das Entstehen der römischen Literatur unter griechischem Einfluss> B _Der Beginn der römischen Literatur: 240 v. Chr.?>), S. 83-87. B Die durchgehend enge Bindung lassen bereits die griechischen Büchertitel erkennen, die für die gesamte lateinische Literatur von Ennius bis Paulinus von Pella und Priscian bezeugt sind; vgl. K.-E. HENRIKSSON, Griechische Büchertitel in der römischen Literatur, Helsinki 1956. Noch stärker ist die intertextuelle Bezugnahme in den Übersetzungen, die von der archaischen Zeit bis in die hohe Kaiserzeit reichen; vgl. SEELE, Römische Übersetzer, hier bes. 18-20 mit der chronologischen Übersicht; vgl. auch die älteren Arbeiten von H. E. RICHTER, Übersetzen und Übersetzungen in der römischen Literatur, Diss. Erlangen 1938; B. FARRINGTON, Primum Graius homo. An Anthology of Latin Translation from the Greek from Ennius to Livy, Cambridge 1927. 92 Vgl. z.B. Cic. fin. 3,51 (Cato über die Begriffsschöpfung in der stoischen Philosophie durch den Schulgründer): Zeno ... cum uteretur in lingua copiosa factis tamen nominibus ac nouis, quod nobis in hac inopi lingua non conceditur, quamquam tu hanc copiosiorem etiam soles dicere; Cic. Tusc. 2,35 (bezüglich der lateinischen Differenzierung zwischen labor und dolor): haec duo Graeci illi, quorum copiosior est lingua quam nostra, uno nomine appellant. 93 SEELE, Römische Übersetzer, 5. Vgl. auch Cic. Tusc. 1,1: sed meum semper iudicium fuit omnia nostros aut inuenisse per se sapientius quam Graecos aut accepta ab aliis fecisse meliora, quae quidem digna statuissent in quibus elaborarent.

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sit quam nostra; sed in his tamen coloribus, quibus modo dixisti, denominandis non proinde inopes sumus, ut tibi uidemur (NA 2,26,7). Trotz des insbesondere seit Cicero und seiner literarischen Übersetzungsleistung gewachsenen römischen Selbstbewußtseins94 wurde der Topos von der lateinischen Spracharmut mehr oder weniger aus echter Überzeugung (Sen. epist. 58,7) oder im Gestus der affektierten Bescheidenheit (Plin. epist. 4,18,1) weiter verwendet und vor allem auf die Bereiche der Philosophie und Dichtung bezogen.95 Aber auch im Hinblick auf die lateinische Redekunst, die den Anschein hat similis Graecae ac prorsus discipula eius (inst. 12,10,27) zu sein, gelangt Quintilian nach einem differenzierteren Sprachvergleich (inst. 12,10,27-35) schließlich zur Feststellung, daß im Lateinischen summa paupertas im Wortschatz herrsche: at illis non uerborum modo, sed linguarum etiam inter se differentium copia est (inst. 12,10,34). Daher bleibe nur, die sprachlichen Nachteile des Lateins durch Ausdrucksstärke und -fülle zu kompensieren: non possumus esse tam graciles, simus fortiores: subtilitate uincimur, ualeamus pondere: proprietas penes illos est certior, copia uincamus (inst. 12,10,36).96 Die letztere Stelle verdeutlicht, daß sich die `MangelA-Situation der lateinischen Sprache und Sprecher auch als eine Herausforderung bzw. als Gelegenheit, bei der Übersetzung Überlegenheit zu beweisen, begreifen läßt. Tatsächlich haben _____________ 94 Selbstbewußt erkennt Cicero in der Bereicherung der lateinischen Sprache sein eigenes großes Verdienst: complures enim Graecis institutionibus eruditi ea quae didicerant cum ciuibus suis communicare non poterant, quod illa quae a Graecis accepissent Latine dici posse diffiderent; quo in genere tantum profecisse uidemur, ut a Graecis ne uerborum quidem copia uinceremur (nat. deor. 1,8). Vgl. Cic. ac. 1,10; dazu ZIMMERMANN, Cicero und die Griechen, 245-246. 95 Vgl. Sen. epist. 58,7: Quid proderit facilitas tua, cum ecce id nullo modo Latine exprimere possim, propter quod linguae nostrae conuicium feci ?; Plin. epist. 4,18,1-2: quemadmodum magis adprobare tibi possum, quanto opere mirer epigrammata tua Graeca, quam quod quaedam Latine aemulari et exprimere temptaui ? in deterius tamen. Accidit hoc primum imbecillitate ingenii mei, deinde inopia ac potius, ut Lucretius ait, egestate patrii sermonis. Quodsi haec, quae sunt et Latina et mea, habere tibi aliquid uenustatis uidebuntur, quantum putas inesse iis gratiae, quae et a te et Graece proferuntur. 96 Vgl. WEIS, Zur Kenntnis des Griechischen, 141-142. – Überhaupt war die im eigentlichen Wortsinn epigonale und rezeptive Situation der römischen Sprache und Literatur nicht (nur) eine Quelle des Unterlegenheitsgefühls. Denn aus der beständigen imitatio bzw. aemulatio Graeca entwickelte sich ein römisches Selbstverständnis im Kontext eines literarischen Fortschrittsmodells, in dem sich die Römer als die Späteren im Vorteil sahen gegenüber ihren griechischen Vorgängern: `Während der erste Dichter noch auf unmittelbare Nachahmung der Natur angewiesen sei, finde sich der Spätere in der glücklichen Lage, daß er bereits auf Muster aufbauen könne und diese nur wie Rohentwürfe weiter zu überarbeiten und auszufeilen brauche - ein Modell, das sich vor allem in der Renaissance ausgebaut findet.A Zu dem für das Verständnis und Selbstverständnis der römischen Kultur grundlegenden Themenkomplex vgl. VOGT-SPIRA, Literarische Imitatio, 22-27, hier 26.

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die Römer ja schon durch ihre Bilingualität einen enormen Positionsvorteil gegenüber den nur einsprachigen Griechen gewonnen.97 Diese gleichlautenden sprachkritischen Übersetzungsreflexionen, an die Gellius anknüpft, ohne wesentlich neue Gedanken hinzuzufügen,98 verstellen zunächst den Blick darauf, daß sich die übersetzende lateinische Literatur weiterentwickelt hat. Während in dem Jahrhunderte zuvor begonnenen Akkulturierungsprozeß die römischen Autoren sich zunehmend von ihren griechischen Vorbildern lösten und literarische Selbständigkeit erlangten, näherten sie sich umgekehrt in ihren Übersetzungen mit dem Ziel genauerer Nachbildung den griechischen Vorlagen stärker an.99 Begleitet wurde dieser Prozeß von einer Zunahme der bilingualen Sprachkompetenz, bis schließlich zu dem Niveau, auf dem sich Gellius= Zeitgenossen Apuleius und Fronto, Favorinus und Marc Aurel mit ihrer selbstverständlichen bzw. ostentativen Zweisprachigkeit befinden.100 Dabei dient ihr Bilinguismus als Ausweis ihres `BikulturalismusA,101 ihrer Beheimatung in zwei Kulturen. Die Entwicklung der Zweisprachigkeit, die in der Epoche der Antoninen einen Höhepunkt erreicht,102 wird in _____________ 97 Vgl. VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 21 Anm. 38 mit Hinweis auf GRUEN, Studies in Greek Culture, 68-69. 98 Vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 9: `Zwar reflektieren der ältere Seneca, Quintilian und der jüngere Plinius in der Tradition Ciceros noch über das Übersetzen als eine nützliche rhetorische Übung, zwar vergleicht der Archaist Gellius in seinen _Noctes Atticae> mehrfach und ausführlich lateinische Übersetzungen mit ihren griechischen Originalen, all dies gibt jedoch der Übersetzungsreflexion keine wesentlichen neuen Impulse.A 99 Vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 8. 100 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 226-232; ders., Utraque lingua doctus, 211212; SWAIN, Bilingualism and Biculturalism, 3-1, hier bes. 13.16-17. 35. 40; zur Zweisprachigkeit des Favorinus vgl. BEALL, Homo fandi dulcissimus, 92-95; LAKMANN, Favorinus von Arelate, 237. 101 Die Begriffsbildung folgt der Terminologie der Abhandlung von SWAIN, Bilingualism and Biculturalism in Antonine Rome: Apuleius, Fronto, and Gellius. So auch BEALL, Aulus Gellius 17,8, hier 63: `A striking feature of the Attic Nights is its bilingualism and, for lack of a better term, biculturalism.A; vgl. ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 65-80 (_Culture greca e latina>; _L’evoluzione del rapporto fra le due culture>). 102 Vgl. auch oben S. 141-142 Anm. 304. B Stark übertrieben ist die Beschreibung NORDENs, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 362-363: `Die Einwirkung des Griechischen auf das Lateinische ist nie stärker gewesen als in jener Zeit, wo jeder Gebildete beider Sprachen Herr war, wo sogar Griechen es nicht unter ihrer Würde hielten, lateinische Sprachstudien eifrig zu betreiben. Hadrian und Marcus, Gellius, Appuleius und Tertullian sind der griechischen Sprache völlig mächtig und ein gewisser M. Postumius Festus, ein Freund Frontos (p. 200), wird auf einer Inschrift (CIL VI 1416) als orator utraque facundia maximus bezeichnet; umgekehrt werden Favorin und Herodes Atticus von Lateinern über lateinische Worte befragt und Appian benutzt in größerem Umfang, als es sonst griechische Historiker zu tun pflegen, auch da lateinische Auto-

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den _Noctes Atticae> auch thematisiert, wenn der Leser durch ein TiroZitat an die Anfänge der griechisch-lateinischen Sprachbeziehungen erinnert wird. Tiro macht nämlich dort die unzureichenden Griechischkenntnisse der nostri opici103 für die vermeintlich falsche Lehnübersetzung von ÁȪȮȯȻ mit suculae verantwortlich: _adeo> inquit _ueteres Romani litteras Graecas nesciuerunt et rudes Graecae linguae fuerunt, ut stellas, quae in capite tauri sunt, propterea `suculasA appellarint, quod eas Graeci ÁȪȮȫȻ uocant, tamquam id uerbum Latinum Graeci uerbi interpretamentum sit, quia Graece ÂȯȻ, `suesA Latine dicantur (NA 13,9,4). Auch wenn Gellius die Alten gegen Tiro in Schutz nimmt (NA 13,9,5: sic enim ueteres nostri non usque eo rupices et agrestes fuerunt ...),104 ist ihm der Anstieg der Bilingualität bewußt, so wie er überhaupt die Fortentwicklung der lateinischen Sprache bei seinen grammatisch-rhetorischen Diskussionen immer wieder ins Spiel bringt.105 Einen impliziten Appell, sich um die Erweiterung und Verbesserung der Griechischkenntnisse zu bemühen, läßt Gellius ausgerechnet den prononcierten Griechengegner (und Griechischkenner) Cato vorbringen _____________ ren, wo ihm griechische zur Verfügung standen.A Realistischer beschreiben die Situation der Zweisprachigkeit HOLFORD-STREVENS, Utraque lingua doctus, 203-213; ADAMS, Bilingualism and the Latin Language, 9-14 (_Élite and sub-élite bilingualism: anecdotal evidence and its shortcomings>). 15-18 (_Romans. Greeks and others as language learners>). 103 Wegen seiner Unkenntnisse im Griechischen nennt Gellius einen anonymen Gesprächspartner, dem er den Begriff ąoȵȾąȺȫȭȶoȼѠvȱ durch Übersetzung verständlich zu machen versucht, opicus (_opisch; oskisch> =) _altfränkisch; ungebildet> (NA 11,16,2.7). B In NA 11,8,3 zitiert er aus Nepos (frg. 55 MALCOVATI3 = FGrHist 812 F 1 b JACOBY = Postum. hist. 1 HRR PETER = FRH 4 frg. 1b) die captatio benevolentiae, mit der sich der in griechischer Sprache schreibende Historiker Aulus Postumius Albinus (vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 [2002], ' 159, S.372-374; H. BECK / U. WALTER (Hrsg.), Die Frühen Römischen Historiker. Bd.1: Von Fabius Pictor bis Cn. Gellius, Darmstadt 2001 [= FRH], 225-231) für seine unzureichenden Griechischkenntnisse entschuldigt: _nam sum> inquit _homo Romanus natus in Latio, Graeca oratio a nobis alienissima est>. 104 Vgl. oben S. 94-95 m. Anm. 153; dazu auch FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 187-188. 105 Das Thema der Sprachentwicklung und -veränderung wird von Gellius vielfach behandelt. Dabei nimmt er verschiedene Aspekte der Sprachentwicklung in den Blick: Daß Ausdrücke obsolet werden (NA 1,18,2; NA 17,2,21), ihre Bedeutung verändern (NA 6,11,[1-2]; NA 10,1,[1. 4]; NA 15,5,1-2; NA 16,10,8; NA 17,1,9-10) bzw. verengen (NA 12,9, [1-2]; NA 20,1,28) oder in der Gegenwart andere Wortformen als früher gebraucht werden (NA 6,9,1; NA 9,14,2.20-21; NA 10,24, [1]; NA 12,10,1-2) bzw. die Aussprache sich geändert hat (NA 13,26,2), aber auch daß neue Wörter in Umlauf gekommen sind (NA 2,20,[4]; NA 13,6, [2. 4]; NA 13,26,3), sind seine B oft bloß beiläufig notierten B Beobachtungen. B In der Sprachentwicklung spiegelt sich die Fortentwicklung des Rechts, deren sich nicht nur Gellius, sondern auch sein Zeitgenosse, der Jurist Pomponius, bewußt ist; vgl. NÖRR, Pomponius, 500. 508. 594-597; zum Zusammenhang von Sprachwissenschaft und Rechtswissenschaft vgl. S. 78-79. S. 345-346. S. 347 m. Anm. 111.

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mit seiner Kritik an dem frühen römischen Historiker Postumius Albinus (vgl. Anm. 103), der sich für seine Defizite entschuldigt, anstatt dem Mangel abzuhelfen (NA 11,8,4). Mit den _Noctes Atticae> präsentiert sich Gellius als ein Exponent dieser Entwicklung, in der Kompetenz und Praxis in der griechischen Sprache von den gebildeten Römern als Selbstverständlichkeit demonstriert und erwartet wurden. Das damit einhergehende enorme Interesse an aller griechischen Literatur und Kultur war anscheinend umgekehrt auf griechischer Seite ungleich schwächer, die lateinische Literatur hat aber immerhin bei den Griechen auch eine gewisse Resonanz gefunden.106 Jedenfalls kann man aus der Darstellung der _Noctes Atticae> schließen, daß die Protagonisten der zweisprachigen Bildungskultur, der aus Marathon stammende Herodes Atticus (NA 9,2,8)107 und der griechisch sprechende Favorinus aus Arelate / Arles (NA 2,22; NA 2,26; NA 13,25,4-32)108 über fundierte Lateinkenntnisse verfügen. Letzterer zeigt sich sogar in der Lage, mit Fronto eine Diskussionen über subtile Fragen der lateinischen Sprache zu bestreiten. Das Niveau dieses im lateinischen Westen stärker, im griechischen Osten schwächer ausgeprägten Bilinguismus überdauerte aber, obwohl zweisprachige Schulbücher ihn zu festigen und am Leben zu erhalten _____________ 106 Eine entsprechende Andeutung macht Gellius in NA 19,9,7 in der Beschreibung der Graeci plusculi als homines amoeni et nostras quoque litteras haut incuriose docti. Auf das Gelliuskapitel NA 19,9 als Beleg für die Lateinkenntnisse der Griechen verweist auch ADAMS, Bilingualism and the Latin Language, 16. Erst ab der Mitte des 2. Jh.s läßt sich eine Zunahme des Interesses der Griechen feststellen: vgl. PETERSMANN, Die Urbanisierung des römischen Reiches, 410; ROCHETTE, Le latin dans le monde grec, bes. 211-256 (_Personnages grecs ou d=origine grecque connus pour leur connaissances latines: étude prosopographique>), 257-326 (_Les lettres latines dans le monde grec>), hier 267-268 zu NA 19,9. Zu einer höheren Einschätzung von Verbreitung und Niveau der Lateinkenntnisse (vgl. oben S. 204 Anm. 45) sowie des Interesses an lateinischer Literatur in der griechischen Welt kommt HIDBER, Vom Umgang der Griechen, 12-14. 17 zu NA 19,9. 107 Für dieses Kapitel wird von PAUSCH angenommen, `daß Herodes Atticus seine kleine Rede mit Rücksicht auf die möglicherweise vorwiegend aus jungen Römern bestehende Begleitung auf Latein gehalten hatA. Da auch in anderen commentarii ausdrücklich hervorgehoben wird, daß Herodes Griechisch spricht (NA 1,2,6: tum Herodes Graeca, uti plurimus ei mos fuit, oratione utens; NA 19,12,1: Herodem Atticum ... Athenis disserentem audiui Graeca oratione) und aufgrund seiner frühen längeren Romaufenthalte, gilt es als sicher, daß er zumindest sehr gute lateinische Sprachkenntnisse hatte und von ihnen auch Gebrauch machte: vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 218219; NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 363 Anm. 2. 108 Vgl. BEALL, Homo fandi dulcissimus, 94-95.100; LAKMANN, Favorinus von Arelate, 242. Zur Vorbildfunktion des Favorinus in den _Noctes Atticae> vgl. unten Kapitel 4.3.3, S. 261-271.

4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität

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versuchten, nicht das dritte nachchristliche Jahrhundert.109 Zwar gibt es auch da noch vereinzelte muttersprachlich griechische Autoren, die sich der lateinischen Sprache bedienen, und die Ausnahmeerscheinungen des Claudius Aelianus, des auf Griechisch schreibenden Sophisten und Miszellanschriftstellers aus Praeneste / Palestrina,110 und noch später des Dich_____________ 109 Vgl. MARROU, Geschichte der Erziehung in der Antike, 1977, 478-484, hier bes. 479480: Erste Anzeichen für den Rückgang des Griechischen glaubt MARROU schon in dem an den Schulbedürfnissen orientierten Hellenismus Quintilians und in der philhellenischen Stilisierung der Pliniusbriefe zu erkennen. Ähnlich beurteilt die zur Schau gestellte Zweisprachigkeit des Plinius (z.B. in epist. 9,26. 9,36,3; vgl. auch epist. 6,25,4 mit dem Lob der zweisprachigen Bildung des Terentius Iunior) A. WEISCHE, Plinius d.J. und Cicero; in: ANRW II 33.1 (1989) 377 Anm. 8. Die Zurschaustellung von Griechisch-Kenntnissen löste aber auch Ablehnung aus: vgl. Petr. 59,3: cum Homeristae Graecis uersibus colloquerentur, ut insolenter solent, ille canora uoce Latine legebat librum. – Zweisprachiger Unterricht bildete das Fundament des Bilinguismus: vgl. Quint. inst. 1,1,12-13; nach Darstellung Suetons (gramm. 1,2), die aber vielleicht auch nur die Verhältnisse der eigenen Zeit in die Vergangenheit projiziert, haben bereits Livius Andronicus und Ennius in beiden Sprachen Unterricht erteilt: zur Frage der Authentizität des Zeugnisses vgl. KASTER (Ed.), Suetonius: De grammaticis et rhetoribus, 53-54 z.St. – Zur Entwicklung in der Spätantike ENGELS / HOFMANN, Literatur und Gesellschaft in der Spätantike, 54-57 (_Übersetzungen als Kennzeichen des Verlustes an Zweisprachigkeit>); RUSSELL, Greek and Latin in Antonine Literature, 9. B ADAMS, nach eigenem Bekenntnis (XXII) nicht so sehr an der historischen Entwicklung, als an den soziolinguistischen Phänomenen des griechisch-lateinischen Bilingualismus wie anderer Sprachbeziehungen des Lateinischen (vgl. oben S. 141-142 Anm. 304) interessiert, beleuchtet eine Fülle verschiedener Einzelaspekte des Themas, konzentriert sich dabei aber auf das gesprochene Vulgärlatein (765), nicht auf die Literatursprache: vgl. bes. ADAMS, Bilingualism and the Latin Language, 9-15 (_Élite and sub-élite bilingualism: anecdotal evidence and its shortcomings>). 30-40 (_Bilingual texts>). 415 (_* Retention+: some further observations about the code-switching of Roman Greeks>). 432-437 (_Greeks= Latin: some evidence concerning phonetic interference and accent>). 458 (_Latin loanwords as regionalisms in Greek>). 515-519 (_The definite article: Romans= Greek and Roman Latin>). 524-525 (_Bilingualism and the diversity of Latin=). 762-765 (_* Hellenisation+ of the Latin Language [?]>). 110 Vgl. SWAIN, Bilingualism and Biculturalism, 40: Außer Aelians erwiesener Zweisprachigkeit ist das _Code-Switching> des Juristen Ulpianus im 3. Jh. eine auffällige Besonderheit. Sollte er tatsächlich einer griechischen Familie entstammen, wäre er der erste Autor aus dem griechischsprachigen Osten, der aus politischen Gründen in lateinischer Sprache geschrieben hat. – Üblicherweise war die juristische Literatur auch im Osten rein lateinisch, es gab nur `seit dem mittleren 2. Jh. einzelne Juristenschriften in griechischer Sprache über im Osten besonders interessierende SpezialgebieteA; vgl. D. LIEBS, HLL 4 (1997), ' 410, S. 83-86, hier 85. – Der Name und Eigentümlichkeiten des Versbaus legen es nahe, italische Herkunft und lateinische Muttersprache für Babrios, den vermutlich im 2. Jh. dichtenden Verfasser von griechischen Versionen äsopischer Fabeln, anzunehmen: vgl. M.J. LUZZATO, Babrios; in: DNP 2 (1997) 383-384.

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ters Ausonius aus Bordeaux111 und des Boethius;112 aber die Griechischkenntnisse gingen im Westen allenthalben auf ein geringes Maß zurück. Gellius ist mit seiner Zweisprachigkeit, die ihn als Angehörigen der bilingualen Bildungskultur ausweist, ganz auf der Höhe seiner Zeit. Mit seiner Selbstdarstellung in der Gesellschaft der Protagonisten, mit seinen eigenen Sprach- und Übersetzungsreflexionen wie mit seinen eigenen griechisch-lateinischen Übersetzungen nimmt er teil an der interkulturellen Kommunikation. Seine Übersetzungen und Textparaphrasen bleiben in dem von der lateinischen Literaturtheorie vorgegebenen Rahmen des weiteren Übersetzungsbegriffs, der freiere Adaptionsformen als Verfahren des Übersetzens miteinschließt113 und sich an der Zielsprache bzw. dem Leserpublikum orientiert. Auch die gellianischen Übersetzungsreflexionen, die sich an den Kategorien der imitatio / aemulatio ausrichten und auf die Aspekte der patrii sermonis egestas114 bzw. der sprachlich-stilistischen Äquivalenz konzentrieren, knüpfen, wie beschrieben, an die römische theoretische Tradition und ihre Terminologie an. _____________ 111 Als Beispiele seiner Zweisprachigkeit seien hier genannt die Briefe Auson. 27,6. 27,7. 27,8 GREEN [= 18,8-10 p. 232-236 PEIPER], die makkaronischen griechischlateinischen _Epigrammata> [z.B. Auson. 13,31. 35. 41 GREEN = 19,47. 51. 52 p. 330. 331. 333 PEIPER; vgl. auch die rein griechischen Epigramme z.B. Auson. 13, 33. 34 GREEN = 19,49. 50 p. 331 PEIPER] und der _Ludus septem sapientum> [Auson. 26 GREEN = 13 p. 169-182 PEIPER]. Gründliche Kenntnisse der griechischen Literatur bezeugen auch Auson. 8,46-47a GREEN [= 18,22,46-47a p. 263 PEIPER] und die als Schülerarbeit aus dem Kreis des Ausonius eingeschätzten _Periochae Iliadis et Odyssiae= [Appendix 4 GREEN = (Ps.)Auson 21,13 p. 377-405 PEIPER]. Vgl. W.L. LIEBERMANN, HLL 5 (1989), ' 554.10, S. 288. 290-291. Zumindest Menander gekannt hat auch Apollinaris Sidonius: Sidon. epist. 4,12,1 (vgl. carm. 9,213). Zu weiteren spätlateinischen Ausnahme-Autoren mit fundierten Griechischkenntnissen vgl. MÜLKE, Der Autor und sein Text, 120-121. 112 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Utraque lingua doctus, 213; KÜPPERS, Bildungstradition und Persönlichkeit, hier 63. 64-65: `Das erklärte Ziel des Boethius ist es, das gesamte Werk sowohl des Aristoteles als auch Platons zu übersetzen und zu kommentieren, um es somit seinen Landsleuten, denen es vor allem zu dieser Zeit aufgrund der Sprachbarriere weitgehend nicht mehr zugänglich war, zu erschließen.A Zu Übersetzungen christlicher Texte, die Cassiodor veranlaßte, vgl. ebd. 73 Anm. 61. 113 Vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 16-17. Erst unter dem Einfluß des Neuplatonismus gab es einen grundlegenden Wandel des Übersetzungskonzeptes, das nun primär der Ausgangssprache verpflichtet war, so daß freiere vom Wortlaut des Originals abweichende Übersetzungen gerechtfertigt werden mußten; vgl. L. FLADERER, Übersetzung III (lateinischer Bereich); in: DNP 12/2 (2002) 1186-1188, hier 1186. 114 Vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 193-220, bes. 199-200. 207-208. 211-212. 217220. Das Stereotyp der Defizienz des lateinischen Sprache ist auch danach noch oft, insbesondere im Bereich der Theologie und Philosophie, geltend gemacht worden; vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 221-228; MARROU, Geschichte der Erziehung, 482-483.

4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität

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Doch bei aller offensichtlichen Traditionsverbundenheit ist zu berücksichtigen, wie sehr sich die Verhältnisse, in denen Gellius sich als Übersetzer präsentiert, gewandelt haben gegenüber den literarischen Bedingungen, unter denen Cicero sich mithilfe regelrechter Rechtfertigungsstrategien in seinen Prooemien Akzeptanz für seine Übertragungen griechischer Philosophie verschafft hat.115 Gellius dagegen bekennt freimütig in dem capitulum zu NA 17,20, daß er die Platon-Übersetzung nur zu Übungszwecken vorgenommen habe:116 Verba sumpta ex _Symposio> Platonis numeris coagmentisque uerborum scite modulateque apta exercendi gratia in Latinam orationem.117 Gellius verwirklicht damit die in der Tradition Ciceros von Quintilian, vom älteren Seneca und dem jüngeren Plinius wie auch von seinem älteren Zeitgenossen und Vorbild Fronto118 empfohlene _____________ 115 Vgl. bes. Cic. fin. 1,1. 4-8: Cicero setzt sich mit denen auseinander, die lateinische Literatur geringschätzen und ablehnen; ac. 1, 4. 8. 10: Cicero hält Varro entgegen, der keinen Sinn darin sieht, in Latein verfaßte philosophische Texte zu lesen, da alle an philosophischen Fragen Interessierten ohnehin des Griechischen mächtig seien und lieber auf die griechischen Originale zurückgreifen wollten, daß angesichts des existierenden Interesses an den lateinischen Dichtern (qui non uerba, sed uim Graecorum expresserunt poetarum), vom Gegenteil auszugehen sei: quid enim causae est cur poetas Latinos Graecis litteris eruditi legant, philosophos non legant ? Kurz und bündig zu diesem vielbehandelten Themenkomplex ZIMMERMANN, Cicero und die Griechen, 240-248. 116 Griechisch-lateinische Übersetzungen gehörten in das rhetorisch-literarische Übungsprogramm des (angehenden) Redners (Quint. inst. 10,5,2-3; Sen. contr. 9,1,3; Plin. epist. 7,9,2) und dienten zugleich, wie bei Gellius (vgl. NA praef. 16), der Unterhaltung (vgl. Plin. epist. 7,9,12). – Um seine Zweisprachigkeit zu trainieren bzw. seinen Stil zu schulen, hat Cicero lebenslänglich in lateinischer Sprache, bis zu seiner Prätur auch in griechischer Sprache deklamiert: vgl. Cic. Brut. 310. Tusc. 1,7. 2,26; Suet. rhet. 25,3. In diesem Zusammenhang berichtet Cicero, daß er zum selben Zwecke auch griechische Dichterzitate übersetzt habe: studiose equidem utor nostris poetis; sed sicubi illi defecerunt, uerti enim multa de Graecis, ne quo ornamento in hoc genere disputationis careret Latina oratio (Tusc. 2,26). Vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 76-78 (_Übersetzen als rhetorische Übung>). 117 Vgl. auch das erhaltene Lemma NA 8,8: Quid mihi usu uenerit interpretari et quasi effingere uolenti locos quosdam Platonicos Latina oratione. 118 Vgl. RUSSELL, Greek and Latin in Antonine Literature, 10. 12-14. 16. Auch Fronto hat das Übersetzen griechischer Literatur selbst praktiziert: vgl. De eloqu. 5,4 p. 151,23-152,2 v.d.H.2; wohl auf Frontos Verfassen, nicht auf sein Übersetzen griechischer Texte bezieht sich Graece ... compingere in M. Caes. 3,9,2 p. 42,9-15 v.d.H.2. Vgl. BEALL, Translation in Aulus Gellius, 226; ders., Civilis eruditio, 163-182, hier bes. 164. 174 Anm. 18. 202: als Beispiel für Frontos `tour de force of artistic translationA wird dessen von Gellius (in NA 16,19) wahrscheinlich neben der griechischen Quelle der Erzählung, Herodots _Historien> (1,23-24), mitbenutzte _Arion>-Übersetzung analysiert (Arion 1-2 p. 241,1-242,7 v.d.H.2); FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 219 macht unter Verweis auf Fronto De eloqu. 5,4 p. 151,23-152,2 v. d. H.2 bzw. De eloqu. 4,7-8 p. 149,21-150,11 v.d.H.2 geltend: `Gerade ein Römer wie Fronto bediente sich trotz seiner auf die lateinische Wortkunst verwendeten Sorgfalt, mit der er

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Übersetzungsübung, bei der durch die imitatio griechischer Autoren der eigene lateinische Stil verbessert wird. Die Nuancierung und Differenzierung des Ausdrucksvermögens, die Schärfung des Stilbewußtseins, die Sensibilisierung für die Möglichkeiten und Mängel der lateinischen Sprache ist das Ziel der Übersetzungen bzw. Paraphrasen sowie der vielen Übersetzungsreflexionen, die Gellius dem Leser darbietet. Es geht ihm somit letztlich um die Bereicherung und Verfeinerung der lateinischen Sprache durch die erhöhte Aufmerksamkeit und Sorgfalt ihrer Sprecher im Umgang mit ihr. Dabei wird der Sprache ein hoher Stellenwert zuerkannt, den sie für das Bewußtsein und das Empfinden des einzelnen Menschen wie auch für die nationale römische Identität hat. Denn Gellius stellt die kulturelle Bedeutung, in mehreren Sprachen `zu Hause zu seinA, mit dem Diktum des Ennius heraus, der wegen seiner Beherrschung der drei Sprachen Griechisch, Oskisch und Lateinisch gesagt haben soll: tria corda habere (NA 17,17,1). Die Sprache ist mehr als ein bloßes Verständigungsmittel,119 sie gehört vielmehr wesentlich zur Persönlichkeit, prägt ihre Mentalität und Emotionalität, schafft soziale und kulturelle Einbindung,120 weshalb eine Übersetzung nicht nur Technik verlangt, sondern auch Adaptation an eine andere Kultur. Wie sehr die Sprache darüber hinaus identitätsstiftende und kulturell integrative Kraft hat, erläutert das Verhalten des spanischstämmigen Rhetors Antonius Iulianus, der, durch das arrogante Verdikt der Graeci plusculi über die lateinische erotische _____________ selbst die größten griechischen Sprachkünstler auszustechen vermochte, des Griechischen offenbar geschickt ...A – Das mannigfaltige Übungsprogramm von Frontos Unterricht, in dem das Übersetzen seinen festen Platz hatte (vgl. M. Caes. 3,12,1 p. 44,19 v.d.H.2 ; indirekt auch De eloqu. 5,4 p. 151,23-152,2 v.d.H.2), beschreibt STEINMETZ, Untersuchungen, 174. In diesem Zusammenhang ist aufschlußreich auch Fronto Addit. epist. var. 7,2 p. 249,11 v.d.H.2 (te multo placentis illos sibi et prouocantis Atticos anteuenisse); vgl. dazu CHAMPLIN, Fronto and Antonine Rome, 57-59. – Apuleius, in enger Beziehung zu Gellius stehend, wenn auch in den _Noctes Atticae> nicht namentlich erwähnt, übersetzte unter Vortäuschung eigener Autorschaft in _De mundo> die pseudo-aristotelische Schrift ȡȯȺ¤ ȴџȼȶoȾ, wobei er das 13. und 14. Kapitel mit der aus Gellius NA 2,22,3-29 übernommenen Passage kontaminiert hat: vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 57-59. 107. 129 Anm. 244; HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius 2, 22-26, bes. 23. 119 Dagegen kam es Themistokles, von dem Thukydides (hist. 1,138) überliefert, daß er innerhalb eines Jahres Persisch gelernt habe, Mithridates, der zweiundzwanzig Sprachen gesprochen haben soll, wie auch Crassus, der als Prokonsul in Asien bei der Rechtsprechung von fünf griechischen Dialekten Gebrauch machen konnte, offensichtlich nur auf ihre kommunikative Funktion im politischen Rahmen an; vgl. NA 17,17,2; Plin. NH 7,88; Quint. inst. 11,2,50. Jedoch brilliert Crassus mit seiner enormen griechischen Sprachkompetenz auch im privaten Bereich: cum essemus eius domi, ... uel pueri sentire poteramus, illum et Graece sic loqui, nullam ut nosse aliam linguam uideretur (Cic. de orat. 2,2). 120 Vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 27-31.

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Dichtung provoziert, zu ihrer Verteidigung in NA 19,9,8 anhebt: tum ille pro lingua patria tamquam pro aris et focis animo inritato indignabundus ... inquit.. Die lateinische Sprache wird in den Rang religiöser Symbole erhoben, die die römische Nation verkörpern: Die Formel arae et foci, für die im öffentlichen und im privaten häuslichen Bereich angesiedelten Kultstätten, an denen die Götter, Penaten und Laren, verehrt werden, ist als Bezeichnung der `heiligstenA nationalen Werte seit Plautus in Gebrauch, wenn sie attackiert oder gefährdet sind.121 Der als prorsus barbarus et agrestis verspottete Spanier Antonius Iulianus erkennt hier also der lingua patria – in Übereinstimmung mit dem antiken und insbesondere römischen Denken, wie es Cicero mehrfach artikuliert hat122 – die Funktion _____________ 121 Vgl. Plaut. Amph. 225-226: conuenit, uicti utri sint eo proelio,/ urbem agrum aras focos seque uti dederent. Während in Sall. Catil. 52,3 (qui patriae parentibus, aris atque focis suis bellum parauere) damit das perverse Verhalten der Catilinarischen Verschwörer von Cato gebrandmarkt wird (vgl. z.B. Cic. Phil. 3,3: bellum nefarium contra aras et focos; Phil. 13,16: contra patriam, contra deos penates, contra aras et focos ... gerit bellum), zielt die Junktur in Cic. Att. 7,11,3 auf die religiösen Wurzeln des römischen Staates, der aufs engste mit den häuslichen Kultorten verbunden ist: est ... res publica ... in aris et focis. Vgl. die Vergegenwärtigung der höchsten nationalen Werte durch M. Furius Camillus (im Jahr 393 v. Chr. bei der Verhinderung einer Neugründung Roms in Veii) in Liv. 5,30,1: haud desistebat ne aliter descenderent in forum ... quam ut qui meminissent sibi pro aris focisque et deum templis ac solo, in quo nati essent, dimicandum fore (vgl. pro aris et focis dimicare auch in Liv. 9,12,6. 10,44,8; templa deum, aras et focos defendere in Liv. 28,42,12). In Verbindung mit einem kämpferische Verteidigung signalisierenden Verbum steht die Formel auch in Cic. Phil. 2,75: repetebant praeterea deos patrios, aras, focos, larem suum familiarem, in quae tu inuaseras; Phil. 8,8: nos deorum immortalium templa, nos muros, nos domicilia sedesque populi Romani, aras, focos, sepulcra maiorum ... Vgl. OLD 158 s.v. ara 1d; TLL 2, 384, 40-55; TLL 6, 988, 1 ff. Laut L. PRELLER / H. JORDAN, Römische Mythologie, 3. Aufl., Berlin 1883, Bd. 2, 106 Anm. 2 handelt es sich um `die Zusammenfassung aller Heiligthümer einer Stadt in der Formel arae et foci, d.h. die Heiligthümer der Tempel und der HäuserA. Die hohe religiöse Bedeutung erklärt Cicero mit dem Wirkungsbereich der Göttin Vesta: uis autem eius ad aras et focos pertinet, itaque in ea dea, quod est rerum custos intumarum, omnis precatio extrema est (nat. deor. 2,67); vgl. LATTE, Römische Religionsgeschichte, 90. 108. 122 Vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 31-33 mit Bezug auf Cic. off. 1,53: gradus autem plures sunt societatis hominum. Ut enim ab illa infinita discedatur, propior est eiusdem gentis, nationis, linguae, qua maxime homines coniunguntur; Verr. II 5,167 (aufgenommen in Gell. NA 1,7,2) ciues ... Romanos, qui et sermonis et iuris et multarum rerum societate iuncti sunt u.a. und unter Berücksichtigung der griechischen Vordenker, z.B. Herodot (hist. 8,144). Vgl. dazu auch VOGT-SPIRA, Literarische Imitatio, 31(32): `Denn die Literatur ist in Rom durchaus mit dem Projekt nationaler Identitätsbildung verknüpft. Kaum an einer anderen Stelle wird das deutlicher ausgesprochen als im Prooemium der _Academica>, da Cicero Varros antiquarischer Schriftstellerei das bezeichnende Lob erteilt: Nam nos in nostra urbe peregrinantis errantisque tamquam hospites tui libri quasi domum deduxerunt, ut possemus aliquando qui et ubi essemus agnoscere.A [Die zitierte Cicero-Stelle befindet sich in ac. 1,9.]

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zu, nationales Identitäts- und Gemeinschaftsgefühl zu stiften und Selbstbewußtsein zu verleihen. Durch diese identitätsstiftende Wirkung gelingt es der lateinischen Sprache, die Provinzialen erfolgreich in das westliche Imperium einzubinden, wie der Auftritt des Antonius Iulianus demonstriert. Aufschlußreich für den Sprachpatriotismus ist deshalb auch die Äußerung des aus dem numidischen Cirta stammenden Fronto über das griechische Lehnwort nani im Lateinischen, das er (angeblich, aber kaum glaubhaft) für ein sordidum uerbum et barbarum (NA 19,13,2) hält, bevor ihn der Grammatiker Sulpicius Apollinaris über die griechische Herkunft des Ausdrucks und dessen Gebrauch durch Aristophanes belehrt. Mit dem griechisch-lateinischen Bilinguismus,123 dessen ausgedehnte Darstellung in den _Noctes Atticae> eine fortgeschrittene Ausbreitung auf größere Kreise des römischen Gesellschaft widerspiegelt,124 wird der _____________ 123 Andere Sprachen als das Lateinische und Griechische spielen entsprechend der inzwischen fest etablierten Dreiteilung der Welt in Griechen, Römer und Barbaren nur am Rande eine Rolle: Obwohl die Annahme einige Wahrscheinlichkeit hat, daß Gellius aus einer colonia, vielleicht aus einer afrikanischen, stammt (vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 13-15; vgl. auch BEALL, Civilis eruditio, 14-17), interessieren ihn die afrikanische Sprache und andere Fremdsprachen nur peripher. Über den griechischen und römischen Horizont hinaus gehen bloß die Etymologien der lateinischen Fremdwörter in NA 11,1,5 (multa _Strafe> laut Varro sabinischen Ursprungs); NA 13,23,7 (Nerio, Name der Begleiterin bzw. Gattin des Mars, laut Varro sabinisches Wort gleichbedeutend mit dem lateinischen uirtus et fortitudo); in NA 15,30 (petorritum _Wagen> laut Varro keltischen Ursprungs) und in NA 8,13 (cupsones angeblich nicht afrikanischer, sondern griechischer Herkunft), von dem bedauerlicherweise nur das capitulum erhalten ist; vgl. auch FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 219-220. 124 HORSFALL, Doctus sermones utriusque linguae ?, 79-95, bes. 87. 92: Die Darstellung konzentriert sich zwar auf die Zweisprachigkeit der lateinischen Autoren Cicero, Vergil, Horaz, Livius, bezieht aber auch literatursoziologische Hintergründe (Sprachkenntnisse des politischen Führungspersonals, 84-87; Vermittlung durch die Schule, 89-90 u.a.) und diachrone Aspekte mit ein. Für die Kaiserzeit wird trotz der allgemein zurückhaltenden Einschätzung der Griechischkenntnisse im Zuge des römischen Philhellenismus eine Ausbreitung über die engen Kreise der Intellektuellen und oberen Gesellschaftschicht hinaus eingeräumt (91). Vor Überschätzung der Griechischkenntnisse römischer Autoren warnen auch BEALL, Homo fandi dulcissimus, 94-95; CONTE, Latin literature, 575-576; HOLFORD-STREVENS, Utraque lingua doctus, 203213. B Bewußt machte nach Darstellung Plutarchs der alte Cato keinen Gebrauch von seinen Griechischkenntnissen und ließ einen Dolmetscher übersetzen, als er in Athen eine Rede zum Ruhme der Stadt und ihrer Bewohner hielt, weil er ˆȶȶɃvɂv Ȯ‡ Ƚo¥Ȼ ąȫȽȺɅoȳȻ ȴȫ¤ ȴȫȽȫȭȯȵÆv ȽÆv Ƚq ^Ȗȵȵȱvȳȴq ȽȯȲȫȾȶȫȴџȽɂv (Plut. Cato mai. 12,5) die Überlegenheit des Lateinischen habe demonstrieren wollen. Tatsächlich könnte für Catos Sprachwahl aber seine fehlende Sicherheit im Griechischen ausschlaggebend gewesen sein. Denn Fälle, in denen sich römische Aristokraten mit ihrem Griechisch blamierten, waren in dieser frühen Zeit nicht selten; vgl. VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 20-21 Anm. 38 mit Hinweis auf RAWSON, Roman Tradition and the Greek World, 440.

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griechischsprachige Osten auch kulturell in das römische Imperium integriert.125 Aus der weitentwickelten Zweisprachigkeit resultiert, daß die Kulturgrenze zwischen dem griechischen Osten und dem lateinischen Westen immer mehr an Bedeutung verliert.126 4.2.2. _Archaismus> und _Attizismus> als parallele Phänomene des Sprachpatriotismus Die kulturelle Verbundenheit der beiden Sprachräume tritt im zweiten Jahrhundert auch zutage in der bewußten Pflege der alten Literatursprache, die im Rahmen der `reversion to the pastA bzw. des `cult of the pastA bei Griechen und bei Römern betrieben wurde.127 Im griechischsprachigen Osten lassen sich offensichtliche Tendenzen der künstlichen Wiederbelebung alter literarischer Sprachformen aller Dialekte, insbesondere aber des Attischen feststellen.128 Der sogenannte Attizismus129 kommt darin _____________ 125 In die Kultivierung der Zweisprachigkeit ist die Anerkennung des bikulturellen und bilingualen Status quo eingeschlossen, auch wenn bisweilen aus Roms Weltmachtstellung die Zielsetzung abgeleitet worden ist, das Lateinische zur alleinigen Weltsprache zu erheben und ihre Verwendung den Provinzbewohnern zu oktroyieren. Vgl. Val. Max. 2,2,2: Magistratus uero prisci quantopere suam populique Romani maiestatem retinentes se gesserint hinc cognosci potest, quod inter cetera obtinendae grauitatis indicia illud quoque magna cum perseuerantia custodiebant, ne Graecis unquam nisi Latine responsa darent. quin etiam ipsos linguae uolubilitate, qua plurimum ualent, excussa per interpretem loqui cogebant non in urbe tantum nostra, sed etiam in Graecia et Asia, quo scilicet Latinae uocis honos per omnes gentes uenerabilior diffunderetur; Suet. Claud. 16,2: splendidum uirum Graeciaeque prouinciae principem, uerum Latini sermonis ignarum, non modo albo iudicum erasit, sed in peregrinitatem redegit. Daß Kaiser Claudius einem Lykier das römische Bürgerrecht wegen mangelnder Sprachkenntnisse aberkannt hat, berichtet auch Cassius Dio 60,17,4: ȴȫ¤ ȫ½Ƚџv, ˆąȯȳȮŽ ȶŽ ȼȾvȴȯ Ƚ° ȵȯɀȲɃv, ȽŽv ąoȵȳȽȯɅȫv wȿȯɅȵȯȽo, ȯ¨ ąÅv ȶŽ Ȯȯ¥v ^Ѣɂȶȫ¥ov ȯ«vȫȳ Ƚ°v ȶŽ ȴȫ¤ ȽŽv ȮȳȪȵȯȸɅv ȼȿɂv ˆąȳȼȽȪȶȯvov. Die imperiale Rolle der lateinischen Sprache bei der Integration in das Imperium hat der ältere Plinius in seinem Lob auf Rom und Italien beschworen: ... terra omnium terrarum alumna eadem et parens; numine deum electa, quae caelum ipsum carius faceret, sparsa congregaret imperia ritusque molliret et tot populorum discordes ferasque linguas sermonis commercio contraheret ad conloquia et humanitatem homini daret breviterque una cunctarum gentium in toto orbe patria fieret ... lingua manuque superatas gentes (NH 3,39-40). Doch gab es im allgemeinen keinen aggressiven Sprachnationalismus bei den Römern, die zwar wie die Griechen ihre Mutersprache und Nation in Abgrenzung von `barbarischenA Sprachen und Kulturen verabsolutierten, aber stets den (höheren) Wert des Griechischen anerkannten; vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 230-231. 126 K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 401, S. 5. 127 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius 2, 3. 356. 128 Vgl. DIHLE, Attizismus, 1163-1164. 1169-1176; SCHMITZ, Bildung und Macht, 6771 hat kürzlich die der communis opinio über die Existenz des sog. Attizismus entge-

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zur Erscheinung, daß sich Redner und Schriftsteller seit dem klassizistischen Programm des Dionysios von Halikarnassos das im fünften und vierten vorchristlichen Jahrhundert geschriebene Attisch zum Stilvorbild nahmen und in ihren eigenen Reden und Schriften dieses Idiom zu imitieren versuchten. Diese archaisierenden Bemühungen, die im 2. Jh. n. Chr. besonders intensiv zur Geltung kamen, erstreckten sich auf Morphologie und Syntax, aber vor allem auf das Vokabular des Griechischen. Und so sind die wichtigsten Zeugnisse der Bestrebung, die Sprache zu repristinieren, die vielen seit dem 1. Jh. v. Chr. bis in byzantinische Zeit zusammengestellten und im 2. Jh. n. Chr. florierenden attizistischen Lexika unterschiedlicher Anlage und unterschiedlichen Formats.130 Während die früheren Lexika hellenistischer Zeit von gelehrtem Interesse geleitet waren und mit ihren Wortsammlungen primär der Erklärung der alten Texte dienen und ihr Verständnis fördern sollten, trat seit augusteischer Zeit immer mehr ihr normativer Charakter in den Vordergrund. Ziel der an der schriftstellerischen und rednerischen Praxis orientierten Lexika wurde es nun, Anweisungen zum richtigen Sprachgebrauch zu geben. Daraus formten einige Verfasser wie der Lexikograph Phrynichos durchaus rigide Vorschriften, die aus dem der attischen Sprachnorm folgenden Griechisch dieser nicht genügende Ausdrucksweisen scharf ausschlossen.131 Genauso wie der Begriff des Attizismus B zu Unrecht B in die Kritik geraten ist, hat man auch vielfach Anstoß genommen an dem Begriff Archaismus. Die Vorbehalte gegenüber dem Epochenbegriff Archaismus,132 die sich zum Teil aus der allgemein in der Postmoderne üblich gewordenen Skepsis gegenüber Epochenbegriffen, ihren unzulässigen Verallgemei_____________ 129

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genstehenden Zweifel ausgeräumt. Zur Berechtigung des Begriffs vgl. auch HOLFORDSTREVENS, Aulus Gellius2, 363. Der Attizismus als ein Leitbegriff und eine Form des Klassizismus, d.h. der klassizistischen Rückwendung zu einer älteren, als mustergültig anerkannten Periode der künstlerischen resp. literarischen Gestaltung, ist herausgearbeitet worden von GELZER, Klassizismus, Attizismus und Asianismus, bes. 11. 18. 38. Je nach Autor stärker zwischen Attizismus und Klassizismus zu differenzieren, hält für angebracht HOLFORDSTREVENS, Aulus Gellius2, 362. Vgl. DIHLE, Attizismus,1174: `Die ganz oder teilweise erhaltenen Beispiele reichen vom 1. Jh. v. Chr. bis in die byzantinische Zeit und enthielten entweder einfache Gegenüberstellungen attischer und _griechischer> Wörter, mit oder ohne Belege aus der klassischen Literatur ... (Kaikilios von Kale Akte, 1. Jh. n. Chr.; Pausanias, 2. Jh. n. Chr.; Oros, 4. Jh. n. Chr.), nach Sachgruppen geordnete Zusammenstellungen des attischen Wortschatzes (Polydeukes, 2. Jh. n. Chr.), Hilfen für das Studium der attischen Redner (Harpokration, 2. Jh. n. Chr.; Lexicon Cantabrigiense, byz.) oder eine Auswahl ausführlich diskutierter Problemfälle (Phrynichos, 2. Jh. n. Chr.).A Vgl. SCHMITZ, Bildung und Macht, 72-75. Vgl. SCHINDEL, Archaismus als Epochenbegriff, 327-341; ders., Neues zur Begriffsgeschichte von Archaismus, 249-252.

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nerungen und Vereinnahmungen, ihrer schwierigen zeitlichen Begrenzung sowie ihrer unreflektierten Anwendung erklären lassen,133 werden damit begründet, daß _Archaismus> `als stilkritischer Begriff weder in seiner engeren noch in seiner weiteren Bedeutung gängig war, und zwar weder im griechischen noch im römischen Bereich.A134 Dieser Einwand ließe sich jedoch gegen alle Epochenbegriffe auch der späteren europäischen Literaturgeschichte erheben, die doch trotz aller Problematik sinnvoll und notwendig sind `als Ordnungsbegriffe für das Verstehen der Mechanismen des kulturellen Gedächtnisses, welches nur mit ihrer Hilfe über Singularitäten und Unzeitgemäßes urteilen kann.A135 Denn sie werden stets erst nachträglich gebildet bzw. als solche gebraucht B wie z.B. auch die für die deutsche Literaturgeschichtsschreibung zentralen und letztlich unverzichtbaren Leitbegriffe _Klassik> und _Romantik‘136 B, da Epochen und Epochenbewußtsein in den meisten Fällen nicht übereinstimmen.137 Schwerer wiegt, daß der B früher vielfach unkritisch gebrauchte138 B Epochenbegriff _____________ 133 Vgl. GÖBEL, Epochen / Epochenbegriffe, 146. 134 Vgl. SCHINDEL, Archaismus als Epochenbegriff, 334. Den ersten Beleg für die Verwendung des Begriffs archaismus bzw. wȺɀȫɇȼȶџȻ scribendi im Sinne eines archaistischen Stilprogramms hat SCHINDEL (Neues zur Begriffsgeschichte von Archaismus, 250-251) im Brief des Symmachus an den B wahrscheinlich als magister officiorum im Konsistorium des Kaisers Gratian 376 amtierenden B Gallius Siburrius ausfindig gemacht. Vgl. auch LEBEK, Zur rhetorischen Theorie des Archaismus, 70 Anm. 2: `Der Terminus wȺɀȫȳȼȶџȻ hat sich in der rhetorischen Techne wohl nie eingebürgert. ... Eigentlich zuhause und schärfer umrissen ist der Terminus in der Kommentierung einzelner Spracherscheinungen älterer Literatur.A 135 Vgl. GÖBEL, Epochen / Epochenbegriffe, 146. 136 Vgl. z.B. D. BORCHMEYER, Zur Typologie des Klassischen und Romantischen; in: W. HINDERER (Hrsg.), Goethe und das Zeitalter der Romantik, Würzburg 2002 [= Stiftung für Romantikforschung 21], 19-29, hier 19-20: `Bezeichnete sich also schon die Romantik durchaus nicht selber mit diesem Terminus, so noch weniger die sogenannte Klassik.A; R. SELBMANN, Deutsche Klassik - eine Rekonstruktion; in: ders. (Hrsg.), Deutsche Klassik. Epochen - Autoren - Werke, Darmstadt 2005, 7-34, hier bes. 16: `Klassik als Epochenbegriff wird erst festgeschrieben, als das Zeitalter zu Ende ist.A; W. VOSSKAMP, Klassik als Epoche; in: R. HERZOG / R. KOSELLECK (Hrsg.), Epochenschwelle und Epochenbewusstsein, München 1987, 493-514, hier 506: `Goethe und Schiller, die künftigen _Dioskuren> der deutschen Klassik, verwenden den KlassikBegriff nicht im Sinne der späteren literaturgeschichtlichen Epochenbezeichnung, sondern hauptsächlich zur Charakterisierung der antiken Literatur.A 137 Vgl. W. BARNER, Zum Problem der Epochenillusion; in: R. HERZOG / R. KOSELLECK, (Hrsg.), Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, München 1987 [= Poetik und Hermeneutik 12], 517-529, hier bes. 517-518. 520 (`Perspektivität allen EpochenbewußtseinsA); F. GRAUS, Epochenbewußtsein - Epochenillusion; in: R. HERZOG / R. KOSELLECK, (Hrsg.), Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, München 1987 [= Poetik und Hermeneutik 12], 531-533. 138 Vgl. SCHINDEL, Archaismus als Epochenbegriff, 327-331.

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_Archaismus> nicht für die antoninische Epoche geeignet ist, weil es in der lateinischen Literatur dieser Zeit daneben andere nicht darunter zu subsumierende Erscheinungen und sogar ihm zuwiderlaufende `modernistischeA Stiltendenzen gegeben hat.139 Doch der Begriff _Archaismus> trifft insofern auf eine literarische Strömung dieser Epoche zu, als bei mehreren prominenten Autoren eine starke Neigung vorherrscht, außer Gebrauch gekommene Wörter früherer Zeiten wiederzubeleben.140 Dabei erstrecken sich die Repristinationsbemühungen B anders als im griechischen Attizismus, der auch die Syntax einbezieht141 B in erster Linie auf die Lexik. Fronto, der als Protagonist und Initiator dieser Bestrebun_____________ 139 Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 401, S. 6-7: `Was das Lateinische vor der Repristination einer veralteten Sprachform bewahrt hat, ist eine gleichzeitige modernistische Stilkomponente. Die Unbefangenheit der Erfindung von Neologismen, die Vorliebe für Deminutiva, die Neigung zur Para- und Hypotaxe anstelle von Partizipialkonstruktionen führte zu dem blühenden Stil des Apuleius und dem eifernden Affekt Tertullians, mit dem der Ciceronianismus des Fronto und Minucius Felix bemerkenswert kontrastiert. Trotz dieser besonders im Lateinischen anzutreffenden Gleichzeitigkeit von Rationalismus und Irrationalismus, Gegenwartsbejahung und Traditionsorientierung, affektischer Aufhöhung und schlichter Sachlichkeit ist es berechtigt, vom Geist einer allgemeinen Zweiten Sophistik zu sprechen, der allerdings kaum griffig zu definieren ist.A Gerade diese Äußerungen dokumentieren die Schwierigkeit, die Signatur einer Epoche zu charakterisieren und begrifflich zu erfassen. B Die beiden gegenläufigen Strömungen bringt miteinander in Verbindung und sozusagen auf einen Nenner CURTIUS, Zur Literarästhetik des Mittelalters, 440: `In der römischen Literatur der Spätzeit finden wir nebeneinander zwei Modeströmungen, die sich nur scheinbar widersprechen: ein Streben nach _Modernität> und eine romantische Verklärung der Vergangenheit. Beide Richtungen bekunden das Gleiche: das Bewußtsein eines Traditionsbruches ...A 140 LEBEK, Verba prisca, 20 -21 grenzt `ArchaisierenA ein als die bewußte `Verwendung von Archaismen dergestalt, daß diese nach der Intention des Autors einen oder den charakteristischen Zug in der Ausdrucksweise des jeweiligen Textes darstellen.A Bei der Untersuchung sprachlicher Archaismen gilt sein Hauptaugenmerk der Wortwahl, ausgehend von der `natürlichsteA Annahme, daß sich darin vor allem das Archaisieren äußere. 141 SCHMITZ, Bildung und Macht, 72 nennt als Beispiele künstlich archaisierender Flexion bzw. Syntax den forcierten Gebrauch des Optativs oder des Duals, die in der lebendigen Volkssprache nur noch in eingeschränkter Weise verwendet wurden. W. SCHMID, Der Atticismus in seinen Hauptvertretern: von Dionysius von Halikarnass bis auf den zweiten Philostratus, Bd. 1-5, Stuttgart 1887-1897, Ndr. Hildesheim 1964 hat in seiner die Untersuchung abschließenden Übersicht über die _verschiedenen Elemente der atticistischen Literatursprache> (Bd. 4, Stuttgart 1896, Ndr. 1964, 577-734) nach der Formenlehre (580-608) auch die Syntax (608-634) ausführlich berücksichtigt; eine Zusammenstellung der ausdrücklich durch Grammatiker als Attizismen bezeichneten syntaktischen Phänomene (darunter auch die Verwendung des Duals und Optativs) findet sich dort 633-634.

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gen gilt,142 hat entsprechende Auffassungen in seinen Briefen durchblicken lassen. So lobt er, den Antoninus Pius für seinen Adoptivsohn Marc Aurel als Rhetoriklehrer engagiert hat, seinen Zögling für seine sprachliche und stilistische Sorgfalt. Fronto sieht sie darin verwirklicht, daß er seine Worte wohl zu wählen und zu setzen und ihnen ein archaisierendes Kolorit zu verleihen weiß: cetera omnia tibi in eloquentia expolita et explorata sunt: scis uerba quaerere, scis reperta recte collocare, scis colorem sincerem uetustatis appingere (De eloqu. 4,9 p. 150,12-14 v.d.H.2).143 Daraus erhellt, daß die Vorliebe für Archaismen aus dem Bemühen um die Verfeinerung der Ausdrucksfähigkeit und die Differenzierung des Wortgebrauchs resultieren, die Frontos primäres Anliegen sind.144 Es geht ihm um die Wahl des rechten Ausdrucks und die Bereicherung des Wortschatzes aus den Quellen der oft vernachlässigten älteren Literatur. So nennt er als die Autoren, von denen der Schüler profitieren kann im Hinblick auf die Kultivierung seines Stils, indem er aus ihnen jeweils treffende Ausdrücke und Wendungen übernimmt, eine Reihe von ihrerseits in mustergültiger Weise wortkundigen und sprachpflegenden Schriftstellern archaischer Zeit: quamobrem rari admodum ueterum scriptorum in eum laborem studiumque et periculum uerba industriosius quaerendi sese commisere, oratorum post homines natos unus omnium M. Porcius eiusque frequens sectator C. Sallustius, poetarum maxime Plautus, multo maxime Q. Ennius eumque studiose aemulatus L. Coelius nec non Naeuius, Lucretius, Accius etiam, Caecilius, Laberius quoque. Nam praeter hos partim scriptorum animaduertas particulatim elegantis Nouium et Pomponium et id genus in uerbis rusticanis et iocularibus ac ridiculariis, Attam in muliebribus, Sisennam in lasciuiis, Lucilium in cuiusque artis ac negotii propriis (M. Caes. 4,3,2 p. 56,18-57,4 _____________ 142 Fronto selbst ist sich bewußt, eine bestimmte Stilrichtung bzw. `SchuleA begründet zu haben: ... in orationibus uestris uestigia nostrae sectae animaduerto (Antonin.1,2,2 p. 87,21 v.d.H.2). B Mit Recht steht Fronto denn auch im Mittelpunkt der beiden eingehenden Untersuchungen, die MARACHE der archaisierenden Strömung des 2. Jh.s gewidmet hat: R. MARACHE, La critique littéraire de langue Latine et le développement du gout archaïsant au IIe siècle de notre ère, Rennes 1952 (hier bes. 115-179 _Deuxième partie: Fronton>); ders., Mots nouveaux et mots archaïques chez Fronton et Aulu-Gelle, Paris 1957 (hier bes. 17-100). 143 Vgl. auch das Lob seiner Begabung in Antonin. 1,2,3 p. 87,24-88,1 v.d.H.2 und seiner Sprach- und Redekunst in Antonin. 1,2,6-7 p. 88,23-89,23 v.d.H.2, das in die Worte mündet: ... praecipue autem gaudeo te uerba non obuia arripere, sed optima quaerere. Hoc enim distat summus orator a mediocribus, quod ceteri facile contenti uerbis bonis, summus orator non est bonis contentus, si sint ulla meliora. 144 Daraus erwächst sein Postulat von gründlichen Sprachkenntnissen und -reflexionen für die Redekunst: in uerbis uero eligendis conlocandisque ilico dilucet nec uerba dare diutius potest, quin se ipse indicet uerborum ignarum esse eaque male probare et temere existimare et inscie contrectare neque modum neque pondus uerbi internosse (M. Caes. 4,3,1 p. 56,15-18 v.d.H.2).

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v.d.H.2).145 Damit zielt Fronto auf die Vermeidung abgenutzter, d.h. trivialer Ausdrücke: nam solitis et usitatis uerbis non sum contentus (M. Caes. 3,14,1 p. 46,1 v.d.H.2). Deshalb empfiehlt er der Rede mit insperata atque inopinata uerba einen stilistischen Reiz zu verleihen,146 welchen er sogar bei dem als caput atque fons eloquentiae gepriesenen Cicero vermißt,147 warnt allerdings zugleich vor der Verwendung abgelegener, aber nicht treffender Ausdrücke: insperatum autem atque inopinatum uerbum appello, quod praeter spem atque opinionem audientium aut legentium promitur, ita ut, si subtrahas atque eum qui legat quaerere ipsum iubeas, aut nullum ut non ita significando adcommodatum uerbum aliud reperiat. Quamobrem te magno opere conlaudo, quod ei rei curam industriamque adhibes, ut uerbum ex alto eruas et ad significandum adcommodes. Verum, ut initio dixi, magnum in ea re periculum est, ne minus apte aut parum dilucide aut non satis decore, ut a semidocto, conlocetur; namque multo satius est uolgaribus et usitatis quam remotis et requistis uti, si parum significet (M. Caes. 4,3,4 p. 57,18-27 v.d.H.2). Diesem Stilprogramm, dessen Richtschnur immer die differenzierte, auf Genauigkeit und Angemessenheit bedachte Ausdrucksweise ist, widerspricht es deshalb nicht, daß Fronto neben den Archaismen eine größere Zahl von Neologismen in seinen _____________ 145 Eine Übersetzung dieser Stelle wie weiterer Passagen dieses für Frontos Stilideal aufschlußreichen Briefes gibt STEINMETZ, Untersuchungen, 177-181, hier 178: `Deshalb haben nur sehr wenige der alten Schriftsteller sich auf die mühselige Aufgabe und den mühseligen Versuch eingelassen, Wörter mit größerem Fleiß zu suchen, von allen Rednern seit Menschengedenken nur der eine Marcus Porcius Cato und sein unablässiger Nachahmer Gaius Sallustius, von den Dichtern besonders Plautus, vor allem Quintus Ennius und sein eifriger Rivale Lucius Coelius Antipater, ja auch Naevius, Lucretius, Accius und noch Caecilius und Laberius. Außer diesen wirst Du vielleicht noch einige Autoren bemerken, die auf Teilgebieten einen differenzierten Wortschatz besitzen, Novius, Pomponius und ähnliche Leute im Idiom der Landbevölkerung und in Scherz- und Witzworten, Atta in der Art, wie Frauen reden, Sisenna in der Sprache der Liebe und Lucilius in der Fachsprache einer jeden Kunst und eines jeden Gewerbes.A 146 Vgl. MARACHE, La critique littéraire, 138-154 (Chapitre IV: _La théorie du mot rare et archaïque>). 147 Vgl. Fronto M. Caes. 4,3,3 p. 57,5-8. 11-18 v.d.H.2 : Hic tu fortasse iandudum requiras, quo in numero locem M. Tullium, qui caput atque fons Romanae facundiae cluet. Eum ergo arbitror usquequaque uerbis pulcherrimis elocutum et ante omnis alios oratores ad ea, quae ostentare uellet, ornanda magnificum fuisse ... Itaque conperisse uideor, ut qui eius scripta omnis studiosissime lectitarim, cetera eum genera uerborum copiosissime uberrimeque tractasse: uerba propria, translata, simplicia, conposita et, quae in eius scripta ubique dilucent, uerba honesta, saepenumero etiam amoena, quom tamen in omnibus eius orationibus paucissima admodum reperias insperata atque inopinata uerba, quae nonnisi cum studio atque cura atque uigilantia atque multa ueterum carminum memoria indagantur. Vgl. Antonin. 3,8,2 p. 104,6-14 v.d.H.2.

4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität

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Wortschatz integriert hat.148 Daher ist Frontos Latein unzureichend beschrieben, wenn man es auf die Vorliebe für das Archaisieren und seine Bewunderung der ueteres reduziert.149 Fronto hat als lateinischer Rhetoriklehrer nicht nur die kaiserlichen Zöglinge Marcus Aurelius und Lucius Verus unterwiesen und geprägt, sondern auch Gellius, der zwar nicht bei Fronto selbst, aber bei den gleichfalls von Fronto beeinflußten Antonius Iulianus und Titus Castricius150 Rhetorikunterricht erhalten hat, wandelt in seinen Spuren.151 Daß er Fronto als Rhetor bewundert hat (vgl. bes. NA 19,8,1; NA 13,29,5-6), spiegeln die commentarii wider, in denen Frontos Person in Szene gesetzt ist: z.B. in NA 2,26 (in der Debatte zwischen Fronto und Favorinus über die Fülle und Differenzierung der Farbbezeichnungen im Griechischen und Lateinischen), in NA 13,29 (in der Beurteilung des von Quadrigarius gebrauchten und von einem haut sane _____________ 148 Auf der Grundlage von MARACHEs Forschungen (vgl. bes. MARACHE, Mots nouveaux et mots archaïques, 17-100, hier bes. 97-100) hat STEINMETZ, Untersuchungen, 184185 Frontos Sprache beschrieben: `Weiterhin hat man schon lange beobachtet, daß Fronto in seine eigene Sprache gewiß auch Wörter aufgenommen hat, die nur in der vorklassischen Literatur belegt sind, daß sich aber andererseits in ihr sehr viel mehr Neologismen finden. Bei diesen Neologismen, Wörtern also, die zum ersten Mal bei Fronto belegbar sind, handelt es sich in aller Regel nicht um Zusammensetzung von zwei oder mehr Wortwurzeln, sondern um Neubildung durch Ableitung mit Hilfe von Affixen, Suffixen und Infixen ... Diese Neologismen sind also keine Neuschöpfungen unerhörter Wörter, sondern Realisierungen von in der Struktur der lateinischen Sprache angelegten Möglichkeiten.A 149 Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 456, S. 290. 150 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 86-90. 151 Davon hat Fronto Kenntnis genommen, wie seine Äußerung in einem fragmentarischen Brief an Claudius Iulianus, den Verwalter der Germania inferior im Jahre 160, offenbart: non agnoui ista mea ab Gellio pessime quaeri: credideris admonuisse se edere (amic. 1,19 p. 182,5 v.d.H.2). Zur Interpretation dieser im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Fronto und Gellius heiklen Stelle und insbesondere der unklaren Wendung pessime quaeri (wohl _auf unangemessenste Weise beschafft / verlangt werden> im Sinne einer unerlaubten Publikation der frontonischen Werke) sowie überhaupt zur Bedeutung Frontos für Gellius vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 131-139, bes. 138 (vgl. ebd. auch 21). ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 195-197 bes. Anm. 66 deutet die Stelle im Hinblick auf `divergenze culturali fra Gellio e FrontoneA: Frontos auf die linguistische Sphäre beschränktem elitären Kulturbegriff steht das weitere, Philosophie, Jurisprudenz und empirische Wissenschaften umfassende und für ein breiteres Publikum zugängliche Bildungskonzept des Gellius gegenüber. Die Differenzen zwischen den Ansichten Frontos und Gellius= eigenständigem kulturellen Programm übertreibt KEULEN, Gellius the Satirist, 41. 58. 60-61. 65. Daß es Meinungsunterschiede zwischen `Schüler und MeisterA in Einzelfragen (z.B. bei der in NA 19,13 diskutierten Bewertung der Vokabel nani) gibt, in denen sich Gellius ein unabhängiges Urteil erlaubt, aber eine Übereinstimmung in den literarischlinguistischen Grundsätzen besteht, urteilen zutreffend GARCEA / LOMANTO, Gellius and Fronto on Loanwords , 43. 64 (m. Anm. 68).

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uir indoctus kritisierten Ausdrucks cum multis mortalibus); in NA 19,8 (in der Belehrung eines bene eruditus homo et tum poeta inlustris über den rechten Gebrauch von singularia und pluralia tantum); in NA 19,10 (anläßlich eines Krankenbesuchs bei Fronto Belehrung eines Freundes und eines Grammatikers über die Verwendung des Ausdrucks praeterpropter in der pleraque aetas superior, d.h. in der frühen Latinität); in NA 19,13 (im Eingangsbereich des kaiserlichen Palastes geführte Diskussion zwischen Fronto, Festus Postumius und Sulpicius Apollinaris über den Gebrauch von nani bzw. pumiliones im Lateinischen in der Bedeutung _Zwerge> bzw. _Ponys>).152 Seinem Programm ist er aber auch außerhalb dieser Kapitel gefolgt, denn die von Fronto empfohlene Suche nach dem `seltenenA Wort (NA 19,8,16) wird von Gellius vielfach durchgeführt: z.B. in NA 10,9; NA 10,25; NA 11,17; NA 15,25; NA 17,2; NA 19,7,2-16; NA 20,2; NA 20,3 und noch öfter.153 In diesen Zusammenhang einzuordnen ist auch die Nachricht aus dem capitulum NA 8,2, daß Gellius mit Favorinus eine je zehn Wörter umfassende Liste über nicht-lateinische, d.h. nicht in ueterum libris belegte, bzw. nicht-griechische Wörter im Lateinischen bzw. Griechischen getauscht hat.154 Auch die bei Fronto vielfach bekundete Hochschätzung der vor- und frühklassischen Autoren Cato, Sallust und der Dichter Ennius, Plautus und Lukrez155 findet bei Gellius ihren Widerhall. Er zeigt allenthalben eine Vorliebe für Dichter, die über einen besonderen, archaischen bzw. archaisierenden Wortschatz verfügen,

_____________ 152 Vgl. dazu auch unten Kapitel 4.3.1, S. 252-257. B Die Überbewertung von kleineren Meinungsunterschieden (vgl. oben Anm. 151) bringt KEULEN, Gellius the Satirist, bes. 44-46. 65 zu der wenig überzeugenden Ansicht, in der Darstellung Frontos verberge sich Polemik, mit der Gellius die `charismatic authorityA Frontos in Frage stelle und untergrabe, um sich an seiner Stelle selbst als echte `canonical authorityA zu etablieren (vgl. ebd. 9). 153 Vgl. MARACHE, La critique littéraire, 219-225. Die nach der Art der Wortbildung geordnete umfangreiche Zusammenstellung der im Werk des Gellius vorkommenden Archaismen und Neologismen ist ein eindrucksvolles Dokument dieses Strebens nach dem besonderen, unüblichen Wortgebrauch: MARACHE, Mots nouveaux, 106-262. 154 NA 8,2,cap.: Quae mihi decem uerba ediderit Fauorinus, quae usurpentur quidem a Graecis, sed sint adulterina et barbara; quae item a me totidem acceperit, quae ex medio communique usu Latine loquentium minime Latina sint neque in ueterum libris reperiantur. Zu diesem commentarius vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 362. 155 Vgl. Fronto M. Caes. 4,3,2 p. 56,20-57,4 v.d.H.2. Resümierend beschreibt den literarischen Kanon Frontos STEINMETZ, Untersuchungen, 183-184: `Eine solche Vorliebe hat auch Fronto und so empfiehlt er Autoren der vor- und frühklassischen Zeit oder solche, die bewußt archaisiert haben, seinen Schülern zur Lektüre. ... Die empfehlenswerten Autoren sind die des zweiten und des frühen ersten vorchristlichen Jahrhunderts.A Vgl. dazu auch MARACHE, La critique littéraire, 152-175.

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schätzt besonders Ennius, Plautus,156 Caecilius, Lukrez, Catull, unter den Prosaschriftstellern bevorzugt er Cato, Claudius Quadrigarius und die übrigen Annalisten, aber auch Sallust.157 Übereinstimmend lehnen Fronto158 und Gellius den `ModernismusA Senecas ab, wobei Gellius seine Stilkritik mit dessen leue futtileque iudicium über Cicero und Ennius (und Vergil) begründet (NA 12,2,2-11).159 Mit den eingangs aufgeführten Vorwürfen der Gegner Senecas wiederholt und resümiert er die frontonische Seneca-Opposition:160 De Annaeo Seneca partim existimant ut de scriptore minime utili, cuius libros attingere nullum pretium operae sit, quod oratio eius uulgaris uideatur et protrita, res atque sententiae aut inepto inanique impetu sint aut leui et causidicali argutia, eruditio autem uernacula et plebeia nihilque ex ueterum scriptis habens neque gratiae neque dignitatis (NA 12,2,1). Auch wenn er (wie die in NA 12,2,1 genannte zweite Gruppe der alii uero) Seneca als Vermittler moralischer Dikta (NA 12,2,13) gelten läßt, rät er der Jugend von der Lektüre seiner Werke wegen seiner antiarchaistischen Propaganda ab (NA 12,2,12. 14). Viel mehr als bei Fronto161 kommen in den _Noctes Atticae> neben den Vertretern der archaischen Literatur die Autoren der klassischen Latinität zur Geltung:162 Cicero (z.B. in NA 1,3; NA 1,7; NA 13,25,4. 9-11) genießt bei ihm höchste _____________ 156 Die Plautusrezeption in hadrianisch-antoninischer Zeit, deren begeistertes Interesse auch eines weiteren Publikumskreises sich eklatant unterscheidet von der im 1. Jh. v. Chr. auf wenige Gelehrte beschränkten Beschäftigung mit Plautus, manifestiert sich bei Gellius in der von didaktischen Intentionen geleiteten Auseinandersetzung mit den in der `varronischen AuswahlausgabeA 21 enthaltenen Stücken. So ist Gellius ein Zeuge dafür, daß sich diese in späthadrianischer oder frühantoninischer Zeit veranstaltete Edition rasch und nachhaltig bis zum Einsetzen der direkten Überlieferung durchsetzte; vgl. DEUFERT, Textgeschichte und Rezeption, 200-212. 216. 221. 238239; JOCELYN, Studies in the Indirect Tradition, 66-71. 157 Vgl. MARACHE, La critique littéraire, 226-245; ders., Mots nouveaux, 103-105; STEINMETZ, Untersuchungen, 288-289. Vgl. auch oben S. 186. 158 Vgl. Fronto de orat. 2-11 p. 153,11- 158,6. v.d.H.2. Vgl. dazu MARACHE, La critique littéraire, 120-127. Jedoch war Fronto in der Bewunderung der ueteres nicht unkritisch, wie die metaphorische Beschreibung des Catonischen Stils verrät: confusam eam ego eloquentiam catahannae ritu partim pineis nucibus Catonis, partim Senecae mollibus et febriculosis prunuleis insitam, subuertendam censeo radicitus , immo uero Plautino t rato uerbo _exradicitus> (de orat. 2 p. 153,11-14 v.d.H.2). 159 Zur Ablehnung Senecas als Repräsentanten eines corruptum genus dicendi durch Quintilian vgl. HELDMANN, Dekadenz und literarischer Fortschritt, 12-18. 160 Vgl. MARACHE, La critique littéraire, 214-217. Vgl. auch oben S. 187 m. Anm. 434. 161 Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 183-184: `Vergil wird von ihm nicht genannt. Cicero hält er für das Finden überraschender Wendungen für wenig ergiebig. Auf Livius und Ovid wird nur gelegentlich angespielt, beide werden aber nicht genannt.A 162 Vgl. MARACHE, La critique littéraire, 287-310 (_Le classicisme d’Aulu-Gelle>); HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 135-136.

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Anerkennung als Vorbild in Ausdrucksstärke und Wortwahl (z.B. NA 13,25,4: M. Tullius uerborum homo diligentissimus), aber auch in der Argumentation (NA 1,4,cap.), so daß er ihn gegen Kritiker in Schutz nimmt (NA 17,1,1. 3. 11); Vergil, den von Quintilian gleich neben Homer plazierten lateinischen Dichterfürsten und seit der Einführung durch Caecilius Epirota (Suet. gramm. 16) in den Schulkanon stets präsenten Autor, zitiert Gellius als reiche Quelle und höchste Autorität für seltene Wörter und Wortformen (z.B. NA 2,3,5; NA 2,26,11.17; NA 4,1,15; NA 9,12,22; NA 9,14,7; NA 18,5,7), da er ihm als poeta uerborum diligentissimus (NA 2,26,11) bzw. als elegantissimus poetarum (NA 20,1,54; vgl. NA 17,10,6) gilt.163 So zeichnet den von Gellius praktizierten _Archaismus> aus, daß er die Klassiker nicht verdrängt, sondern vielmehr den durch den quintilianischen Klassizismus vorgegebenen Autorenkanon unter dem Einfluß Frontos um die archaischen Autoren erweitert.164 Und seine Vorliebe für die archaischen Autoren schließt auch die Berücksichtigung der zeitgenössischen Literatur nicht aus.165 Bei allem sonst vorherrschenden Bemühen um das seltene Wort warnt Gellius andererseits nachdrücklich vor dem Gebrauch von obsoleten Ausdrücken in der Umgangssprache, abseits von der consuetudo der Sprache seiner Gegenwart, schon im capitulum von NA 11,7: Verbis antiquissimis relictisque iam et desitis minime utendum. Dazu führt er im commentarius _____________ 163 Für die Bedeutung Vergils in den _Noctes Atticae> dürfte der im 2. Jh. herrschende Abstand bzw. die sich immer weiter verändernde historische Perspektive nicht unerheblich sein: Vergil gehört wie Horaz und Lukrez schon seit dem Ende des 1. Jh.s n. Chr. zu den antiqui: vgl. ZETZEL, Latin Textual Criticism, 43. 164 Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 156 Anm. 58; BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 118: `Der Archaismus des Aulus Gellius wäre dann nicht substitutiver Natur _Ennius statt Vergil>, sondern additiver Natur _neben Vergil auch, und nun erst recht, Ennius>.A B Zu der im 1. Jh. n. Chr. sich vollziehenden Entwicklung des literarischen Geschmacks bzw. der Änderung im Kanon der Schulautoren ZETZEL, Latin Textual Criticism, 27-29; vgl. auch oben S. 186-188. JOCELYN, Studies in the Indirect Tradition, 61-62 erkennt in M. Valerius Probus den Wegbereiter für die Hinwendung zu den archaischen Autoren (während er Frontos Bedeutung für `the archaising movementA geringer veranschlagt) und für die Verbindung republikanischer und augusteischer Autoren im literarischen Kanon. Die `reaktionäre Tätigkeit des ProbusA wird schon für das Erstarken der `archaisierenden GegenströmungA verantwortlich gemacht von NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 255; vgl. auch LEO, Die römische Literatur des Altertums, 387. 165 Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 289: `Dieser Vorliebe für die ältere Literatur, die aber keineswegs zur Bevorzugung des Archaischen verengt ist, steht gegenüber auf der einen Seite eine scharfe Kritik an Seneca, auf der anderen aber eine nicht geringe Wertschätzung des zeitgenössischen literarischen Schaffens. Wenn man einmal von den Literaten absieht, die anonym bleiben, so beschäftigt sich Gellius mit über 20 römischen Autoren (Dichtern, Grammatikern, Rhetoren, Juristen) der Zeit von Hadrian bis Mark Aurel. Nicht wenige Autoren sind uns nur durch Gellius näher bekannt.A

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aus: uti aut nimis obsoletis exculcatisque aut insolentibus nouitatisque durae et inlepidae par esse delictum uidetur. Sed molestius equidem culpatiusque esse arbitror uerba noua, incognita, inaudita dicere quam inuolgata et sordentia. Noua autem uideri dico etiam ea, quae sunt inusitata et desita, tametsi sunt uetusta (NA 11,7,1-2).166 An anderer Stelle legt er Favorinus einen entsprechenden einem adulescens casce nimis et prisce loquens erteilten witzig formulierten Tadel in den Mund: tu autem, proinde quasi cum matre Euandri nunc loquare, sermone abhinc multis annis iam desito uteris, quod scire atque intellegere neminem uis, quae dicas (NA 1,10,2).167 Seinen anschließenden Appell uiue ergo moribus praeteritis, loquere uerbis praesentibus (NA 1,10,4) bekräftigt er mit einem Diktum aus Caesars Schrift _De analogia>: tamquam scopulum sic fugias inauditum atque insolens uerbum (frg. 2 p.146-147 GRF FUNAIOLI). Die Berufung auf Caesars Schrift _De analogia> läßt erkennen, daß sein Konzept eines differenzierten Archaismus auch die Grammatik einschließt. Denn die allein durch die Exzerpte in den _Noctes Atticae> bezeugte Kontroverse zwischen Anomalie und Analogie als leitenden Prinzipien der Flexion, in der die genannte Caesar-Schrift zugunsten der Analogie Position bezieht, während Varro, jedenfalls in dem paraphrasierten bzw. zitierten Exzerpt aus dem achten Buch _De lingua Latina> (p. 146,6-21 GOETZ / SCHOELL = NA 2,25,5-9), Partei für die Anomalie ergreift, war eine Debatte, die seit den griechischen Grammatikern Aristarch und Krates den grammatischen Diskurs bestimmt hat (NA 2,25,1-4; vgl. Varro ling. 9,1): Er kreiste um die Frage, ob in der Flexion _____________ 166 Mit seiner Orientierung an der consuetudo nimmt er hinsichtlich der Verwendung von Archaismen eine ähnliche Position ein wie Cicero: neque tamen erit utendum uerbis eis, quibus iam consuetudo nostra non utitur, nisi quando ornandi causa parce, quod ostendam; sed usitatis ita poterit uti, lectissimis ut utatur is, qui in ueteribus scriptis studiose et multum uolutatus (de orat. 3,39). 167 Ähnlich amüsant attackiert Lukian mit der Anspielung auf Agamemnon die geschraubte Altertümlichkeit des archaisierenden Attizismus in der Umgangssprache in Demon. 26: țȫ¤ ȶŽv ȴwȴȯɅvɂv ȴȫȽȫȭȯȵrv ”ȸɅoȾ ȽÆv ˆv Ƚȫ¥Ȼ ´ȶȳȵɅȫȳȻ ąȪvȾ wȺɀȫɅoȳȻ ȴȫ¤ ȸɃvoȳȻ ±vџȶȫȼȳ ɀȺɂȶɃvɂv˜ ‹v¤ ȭoºv ˆȺɂȽȱȲɃvȽȳ Áą’ ȫ½Ƚoº ȵџȭov Ƚȳvq ȴȫ¤ ÁąȯȺȫȽȽȳȴÆȻ wąoȴȺȳȲɃvȽȳ, ’ȖȭÅ ȶɃv ȼȯ, ‰ȿȱ, Î ‹Ƚȫ¥Ⱥȯ, vºv ”ȺѡȽȱȼȫ, ȼ¹ ȮɃ ȶoȳ ÓȻ ˆą’ ’ȒȭȫȶɃȶvovoȻ wąoȴȺɅv. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 100 verweist in diesem Zusammenhang auch auf Luk. Lexiph. 20. Vgl. dazu WEISSENBERGER, Literaturtheorie bei Lukian, 95-96. 98-99. Während nach dem ciceronischen Idealkonzept des orator tenuis (d.h. des Redners des einfachen Stils) uerba prisca und inusitata nur selten zu verwenden sind (Cic. orat. 80. 81), warnt Quintilian sogar: at obscuritas fit uerbis iam ab usu remotis, ut si commentarios quis pontificum et uetustissima foedera et exoletos scrutatus auctores id ipsum petat ex his, quae inde contraxerit, quod non intelleguntur. Hinc enim aliqui famam eruditionis adfectant, ut quaedam soli scire uideantur (Quint. inst. 8,2,12). Zu Ciceros Empfehlung bzw. Vorstellung von den Archaismen in der Rede in orat. 80 und an anderen Stellen: vgl. LEBEK, Zur rhetorischen Theorie des Archaismus, 72-78.

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die Gesetzmäßigkeit einer durchrationalisierten Grammatik oder die Unregelmäßigkeit der consuetudo gelten und maßgebliches Kriterium für die Sprachrichtigkeit sein sollte.168 Die Art und Weise, wie Gellius die hier präsentierte Varro-Stelle (NA 2,25,10-11) bzw. Fronto in NA 19,8,9-13 die Caesar-Zitate (NA 19,8,3-8 = frg. 3 p. 147-148 GRF FUNAIOLI) kommentiert, mit denen er Einblick in die Debatte gewährt, signalisiert, daß Gellius in der Nachfolge Frontos die vermittelnde Position Varros169 teilt. Denn so wie dieser selbst seine einseitige Stellungnahme andernorts aufgibt und Argumente pro und contra Analogie liefert (NA 2,25,10-11), so relativiert Gellius, Frontos Ausführungen170 und Aufforderung folgend (NA 19,8,16), die im Zusammenhang mit den Pluralia tantum (quadrigae, inimicitiae) bzw. Singularia tantum (harena, caelum, triticum) vorgebrachten rationalen Argumente Caesars, indem er Gegenbelege in den ueterum libris sucht und sogar als uerbum rarissimum ein singularisches quadriga in _____________ 168 Vgl. DIHLE, Analogie und Attizismus, bes. 174: `Die mit den Schlagworten Analogie und Anomalie nur ungenügend bezeichneten Positionen innerhalb der späthellenistischen Grammatik kann man sich besonders gut an einem Caesarfragment klarmachen, das uns Gellius überliefert hat (De analog. fr. 4 Klotz = Gell. 19,8,7).A Vgl. auch FEHLING, Varro und die grammatische Lehre, 223-224. 265-266; M.J.F.M. HOENEN, Analogie; in: HWR 1 (1992) 498- 514, hier 506-507; COLLART, Varron grammairien, 132-157. 169 Vgl. DIHLE, Analogie und Attizismus, bes. 173. 195 Anm. 1: `Der Gegensatz Analogie/Anomalie ist recht problematisch, da, mindestens in dem Stadium, in dem unsere Quellen uns diese Kontroverse vorführen, die mit diesen Bezeichnungen markierten Positionen nicht mehr absolut zu nehmen sind. Sowohl die Ausführungen des Sextus (adv. gram. 176 ff.) als vor allem auch Varro zeigen uns, wie vielfältig die grammatischen Richtungen sich gegenseitig beeinflußt haben. ... Wie stark bei Varro bzw. in der von ihm reproduzierten Literatur die entgegengesetzten Anschauungen einander durchdringen und beeinflussen, geht schon aus dem summarischen Bericht des Gellius (2,25) hervor.A Varro wird überhaupt für das Fortwirken der Debatte, deren Relevanz bzw. Existenz in der antiken griechischen Sprachtheorie bestritten wird, verantwortlich gemacht von FEHLING, Varro und die grammatische Lehre, bes. 266-268, hier 267: `Kurz, hätten wir Varro und den von ihm abhängigen Gellius nicht, so wüßten wir nicht das Geringste von einer solchen Kontroverse. Nachdem uns diese Tatsache einmal stutzig gemacht hat, fällt auch auf, daß sogar Varros eigene positive Angaben über die Kontroverse recht dürftig sind.A; ders., Varro und die grammatische Lehre (Fortsetzung), 48-49: `Der erste Teil dieser Arbeit sollte zeigen, daß diese Parteiungen in der vorausgesetzten Form gar nicht existierten, daß es weder _analogistische> noch _anomalistische> Streitschriftenliteratur gegeben hat.A Nach Varro zog die Debatte noch weitere Kreise. Vgl. D. FEHLING, Analogie; in: LAW 1 (1965 / 2001) 151: `Der Streit zwischen Analogie und Anomalie griff auch auf die Rhetorik über. Z.B. neigt die Rhetorik an Herennius zur Anwendung der Analogie, während Cicero (or. 155-162) und Quintilian (inst. or. 1,6) auch der Anomalie Rechnung tragen.A 170 Fronto deckt als ein Vertreter der Anomalie die Unzulänglichkeit der von Caesar propagierten Analogie auf; vgl. MARACHE, La critique littéraire, 208-209. 211.

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Varros Satire _Ecdemeticus> ausfindig macht.171 Dagegen stellt Gellius in NA 15,9,4 für den maskulinen Gebrauch von frons Übereinstimmung zwischen den ueterum auctoritates, Caecilius und Cato, und der ratio proportionis, quae _analogia= appellatur (NA 15,9,4) fest, indem er Textbelege aus den genannten Autoren beibringt und auf die Maskulina mons, pons, fons (NA 15,9,8) verweist. Auf jeden Fall hat Gellius bei der im Sinne Frontos sorgfältig durchgeführten und in quaerendis rarioribus uerbis konzentrierten Lektüre der ueteres (NA 19,8,17) zwar meist auf die Lexik geachtet,172 aber durchaus auch die Morphologie (z.B. NA 6,9; NA 9,14; NA 13,23,4-5. 15-16; NA 14,5; NA 15,3; 19,8,17; NA 20,6) und Phonologie (NA 2,17; NA 4,6,6; NA 4,7,2-5; NA 4,17,4; NA 6,7; NA 6,10; NA 7,5,5; NA 7,15; NA 9,6; NA 10,4,4; NA 10,24; NA 13,23,3. 6. 17; NA 16,12,8; NA 19,14,5-8) im Blick behalten. Die Recherche der archaischen Wörter und die Berufung auf die Sprachautorität der ueteres setzt zum einen das Vorhandensein älteren Sprachmaterials, d.h. älterer Sprach- und Literaturquellen, zum anderen das Bewußtsein voraus, daß Sprachkenntnisse in der Gegenwart verlorengegangen sind.173 Dieses Verlustempfinden wird vielfach von Gellius zum Ausdruck gebracht: z.B. in NA 6,11,2 mit den Worten: sed ueterum hominum qui proprie atque integre locuti sunt, _leues> dixerunt, quos uolgo nunc _____________ 171 An einer anderen Stelle zeigt sich Gellius hingegen als ein Anhänger der ratio, die er gegen die von Sulpicius Apollinaris bei der Erklärung des Zeitbegriffs intra Kalendas geltend gemachte consuetudo in Anschlag bringt: Sein Grammatiklehrer beruft sich in NA 12,13,16 für seine Auffassung von intra Kalendas im Sinne von Kalendis auf die Macht der Sprachgewohnheit: sed nimirum consuetudo uicit, quae cum omnium domina rerum, tum maxime uerborum est. Dagegen begründet Gellius, nachdem er Ciceros Gebrauch von intra oceanum (NA 12,13,19-20 vgl. Cic. Verr. II 3,207), intra modum (NA 12,13,21-24; vgl. Cic. fam. 4,4(3),4) und intra montem Taurum (NA 12,13,2528; vgl. Cic. Sest. 58) zum Vergleich herangezogen hat, mit der ratio, d.h. durch Analogieschluß, daß intra Kalendas zu verstehen sei als _bis einschließlich zu den Kalenden>: num igitur secundum istam uerborum M. Tullii similitudinem, qui iubetur _intra Kalendas> pronuntiare, is et ante Kalendas et ipsis Kalendis iure pronuntiare potest ? Neque id fit quasi priuilegio quodam inscitae consuetudinis, sed certa rationis obseruatione, quonam omne tempus, quod Kalendarum die includitur, _intra Kalendas> esse recte dicitur (NA 12,13,29). 172 Vgl. MARACHE, Mots nouveaux, hier bes. 10-11: `Aulu-Gelle suit en cela totalement son maître; ce qu’il apprécie essentiellement chez un écrivain latin, c ’est le soin apporté au choix des mots, ce qu’il nomme elegantia: la valeur d’un orateur ou d’un poéte se mesure au nombre des mots rares qui orne son style.A 173 Vgl. LEBEK, Zur rhetorischen Theorie des Archaismus, 58-59: `Die Erkenntnis, daß die Sprache sich im Laufe der Zeit verändert und Sprachgut verschwindet, ist nicht selbstverständlich. Voraussetzung für sie ist nicht nur die gleichzeitige Verfügbarkeit von Sprachmaterial verschiedener Zeiten, sondern auch neben einem recht intensiven Nachdenken über Gegebenheiten der Sprache das Vermögen, die Vorstellung des Wandels auf einen derart abstrakten Gegenstand zu applizieren.A

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uiles et nullo honore dicimus. Das Verschwinden von Kenntnissen älterer Wörter und Wortformen macht sich nicht nur in der gesprochenen Sprache, sondern auch in den Textausgaben bemerkbar. In NA 9,14,2 stellt Gellius bei der Erklärung einer im vorhergehenden Kapitel ausführlich präsentierten Quadrigarius-Stelle (über Manlius Torquatus) fest: Sic enim pleraque aetas ueterum declinauit: _haec facies, huius facies>, quod nunc propter rationem grammaticam _faciei> dicitur. Corruptos autem quosdam libros repperi, in quibus _faciei> scriptum est illo, quod ante scriptum erat, oblitterato.174 Verantwortlich für das Abhandenkommen von Sprachkompetenzen, das geradezu zu einer Depravation und Verkümmerung des Lateinischen führt, macht er die Ignoranz und Unbildung der Lateinsprecher seiner Zeit (die sich eben nicht bei den Autoren der Vergangenheit kundig machen): Sicut alia uerba pleraque ignorantia et inscitia improbe dicentium quae non intellegant deflexa ac deprauata sunt a ratione recta et consuetudine, ita huius quoque uerbi, quod est _profligo>, significatio uersa et corrupta est (NA 15,5,1). In diesen Textstellen wird auch die Intention des Archaisierens offenbar, des vom Bewußtseins des Sprachwandels175 getragenen Bestrebens, in Vergessenheit geratene Wörter und Wortformen wieder in den Wortschatz aufzunehmen: die Bereicherung der Sprache. Der um die archaischen Autoren erweiterte Kanon176 der mustergültigen Autoren, für die Gellius in diesem Zusammenhang (NA 19,8,15) den Begriff classici auctores inauguriert,177 der in der Literaturhistorie Weltkarriere gemacht hat, _____________ 174 In demselben commentarius fährt Gellius fort, indem er auf eine andere in der Bibliothek von Tibur gefundene Textausgabe des Quadrigarius rekurriert: in eodem Claudi libro scriptum utrumque _facies> et _facii>. Sed _facies> in ordinem scriptum fuit et contra per ,i> geminum _facii>, neque id abesse a quadam consuetudine prisca existimauimus (NA 9,14,4). Vgl. MÜLKE, Der Autor und sein Text, 54 subsumiert diesen Eingriff wie auch die Textänderung in NA 9,14,1 unter Textentstellung durch mißlungene emendatio. 175 Daß Sprache immer dem Wandel unterworfen ist, dessen war sich Gellius wohl bewußt, wie man den direkt wiedergegebenen Worten Varros, seiner in den _Noctes Atticae> meistzitierten und unangefochten akzeptierten Autorität, in NA 1,18,2 [= _Antiquitatum rerum divinarum libri> frg. 99 AGAHD] entnehmen kann: In quo L. Aelius noster, litteris ornatissimus memoria nostra, errauit aliquotiens. Nam aliquot Graecorum uerborum antiquiorum, proinde atque essent propria nostra, reddidit causas falsas ... Multa uetera illorum ignorantur, quod pro his aliis nunc uocabulis utuntur. Vgl. auch oben S. 183. S. 221 Anm. 105. 176 Gellius’ bzw. Frontos entscheidende Bedeutung für den antiken Sprachgebrauch der Kanonisierung hebt hervor E.A. SCHMIDT, Orientierungsfunktionen von Kanon, 246258, hier 248. 177 Die zur Weltgeltung gelangte Stelle mit Bezug auf das römische Steuersystem und seine Vermögensklassen, in der Fronto seine Zuhörer zu Nachforschungen in den ueterum libris auffordert, lautet: Ite ergo nunc et, quando forte erit otium, quaerite, an

4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität

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und die sprachlichen Archaismen dienen dazu, über den usus der Gegenwartssprache hinaus die sprachlichen Möglichkeiten des Lateinischen auszudehnen, ein Motiv also, das Gellius auch beim Umgang mit den griechischen Übersetzungen leitet, wie oben dargestellt.178 Während durch den Bilingualismus die sprachlichen Grenzen im Dienst des interkulturellen Austauschs geöffnet werden, bedeutet der Archaismus die Erweiterung des Sprachgebrauchs um die historische Dimension. Durch beide aber wird den Lateinsprechern sowohl ein größeres Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten erschlossen als auch ein höheres Maß an Sprachbewußtheit vermittelt. Die reflektierte Verwendung von der gesprochenen Sprache längst entschwundenen Wort- und Sprachreserven zielt auf die Wiederherstellung der proprietas uerborum,179 weshalb Sallust, in elegantia orationis ... uerborumque fingendi et nouandi studium (NA 6,15,1) das große Stilvorbild, in NA 10,20,10 als proprietatum in uerbis retinentissimus und zugleich in NA 1,15,18 als nouator uerborum gerühmt wird. Durch das bewußte Archaisieren wird die Konservierung und Pflege der lateinischen Sprache angestrebt, zugleich aber die stilistische Erneuerung der Schriftsprache bzw. der Sprache der Kunstprosa (der gesprochenen Umgangssprache nur mit Einschränkung, wie die obigen Warnungen vor übertriebenem Archaisieren zeigen) entsprechend den Idealen der proprietas und elegantia180 beabsichtigt. So verwundert es nicht, daß Fronto und erst _____________ `quadrigamA et `harenasA dixerit e cohorte illa dumtaxat antiquiore uel oratorum aliquis uel poetarum, id est classicus adsiduusque aliquis scriptor, non proletarius. Darüber, daß classicus als Bezeichnung nur für den Angehörigen der obersten Steuerklasse gebräuchlich war, unterrichtet Gellius unter Berufung auf den älteren Cato in NA 6,13; was der Terminus proletarius im Unterschied zu adsiduus im Zwölftafelgesetz bedeutet, läßt Gellius in NA 16,10,2-15, nachdem er einen Rechtsgelehrten vergeblich um Auskunft gebeten hat, den Dichter Iulius Paulus erklären. – Die Urheberschaft des Gellius für den Begriff des klassischen Autors und aller daraus abgeleiteten Termini von Klassik bis Klassizismus, ist inzwischen selbst schon ein locus classicus geworden (vgl. S. 185 m. Anm. 425). Deshalb sei hier nur auf einige einschlägige Literatur verwiesen: M. FUHRMANN, Klassik in der Antike, in: H.-J. SIMM (Hrsg.), Literarische Klassik, Frankfurt a.M. 1988, 101-119; GELZER, Klassizismus, Attizismus, Asianismus, hier bes. 4-5; G. SCHULZ / S. DOERING (Hrsg.), Klassik. Geschichte und Begriff, München 2003, 15-22. 178 Vgl. oben S. 226. - Ganz und gar negativ haben diese Tendenz die Literaturhistoriker des 19. Jh.s bewertet: z.B. LEO, Die römische Literatur des Altertums, 387-388: ` ... Eine Tendenz wie diese ist das sichere Zeichen der erschlafften künstlerischen Kraft ... Die römische Produktion sinkt auf das Niveau der griechischen Mittelmäßigkeit hinab und ziert ihre gespreizte Altertümlichkeit durch Flitter und Schwulst wie diese.A 179 Vgl. MARACHE, La critique littéraire, 221; VESSEY, Aulus Gellius and the Cult of the Past, 1914: `From the etymon and from the testimony of ancient writings, proprietas in uerbis may be recovered. This recovery is not archaism, but rather instauration.A 180 Vgl. MARACHE, La critique littéraire, 221-225.

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recht Gellius neben den Archaismen, eine noch größere Zahl von Neologismen in ihrem Wortschatz aufweisen, wie MARACHE in seiner genauen Untersuchung nachgewiesen hat.181 Es ging also im sogenannten Archaismus des 2. Jh.s seinen beiden Protagonisten nicht um eine unkritische und einseitige Repristination des vorklassischen Lateins, sondern um eine `kontrollierte ModernisierungA der Sprache.182 Die Sprache zeigt paradigmatisch für die gesamte literarisch-kulturelle Ausrichtung der _Noctes Atticae>: Die Rückwendung in die Vergangenheit bedeutet keine Abkehr von der Gegenwart, sondern dient ihrer Bereicherung. Bei aller Traditionsorientierung, die in dem gellianischen Werk waltet, hat es daher kein restauratives Bildungs- und Literaturkonzept.183 Und so ist das Werk nicht kulturpessimistisch, sondern knüpft an das klassizistische Programm Quintilians und seinen literarischen Optimis-

_____________ 181 Vgl. MARACHE, Mots nouveaux, 99. 263: `Dans l’oeuvre de Fronton, nous avons relevé 110 mots nouveaux en face de 42 archaïsmes et 12 mots préclassiques; dans les _Nuits Attiques>, il y a seulement 67 archaïsmes et 23 mots préclassiques pour 380 mots nouveaux.A 182 Diese von K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 456, S. 290 mit Bezug auf die `syntaktischen VereinfachungenA Frontos gebrauchte Wendung, läßt sich verallgemeinern und auf die gesamte archaistische Bewegung ausdehnen. Denn K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 401, S. 7 nimmt darin `eine gleichzeitige modernistische StilkomponenteA wahr und SCHWINDT, Prolegomena, 215 charakterisiert Frontos Archaismus als `Archaismus aus ModernitätA. Vgl. auch MARACHE, Mots nouveaux, 100. 265. Die moderne Wirkung des _Archaismus> hat schon Quintilian als Reiz beschrieben: uerba a uetustate repetita non solum magnos adsertores habent, sed etiam adferunt orationi maiestatem aliquam non sine delectatione: nam et auctoritatem antiquitatis habent, et quia intermissa sunt, gratiam nouitati similem parant (Quint. inst. 1,6,39). B Mit seiner Tendenz zur Erneuerung verläuft der Archaismus in der Literatur analog zur Entwicklung in der bildenden Kunst; vgl. dazu MARACHE, La critique littéraire, 83-97 (_La révolution artistique au temps d’Hadrien>), hier bes. 94-95. Die Kontinuität der parallelen Entwicklung in der Literatur mit ihren als `HistorismusA verbuchten `archaisierenden ZügenA und in der Kunst, `die sich mühelos noch immer unter dem Begriff des Klassizismus zusammenfassenA lasse, betont hingegen U. SCHINDEL, Archaismus als Epochenbegriff, 340-341. Die Verstärkung der klassizistischen Tendenz in der bildenden Kunst beschreibt auch P. ZANKER, Zur Funktion und Bedeutung griechischer Skulptur in der Römerzeit; in: Le Classicisme à Rome aux 1ers siècles avant et après J.C. (Vandoeuvres / Genève, 21-26 août 1978), Genf 1979 [= Entretiens sur l=antiquité classique 25], Genf 1979, 285-306 (Discussion: 307-313). 183 Mit dieser Diagnose übereinstimmend würdigt die _Noctes Atticae> STEINMETZ, Untersuchungen, 289: `Bei aller Wendung nach rückwärts hat Gellius demnach auch einen Sensus für Probleme seiner Zeit. Er ist gegenüber Fragen der zeitgenössischen Literatur, der zeitgenössischen Philosophie und Jurisprudenz, ja auch der zeitgenössischen Wissenschaft aufgeschlossen ... Und seine Wissenschaftspropädeutik ist keineswegs restaurativ.A Vgl. auch K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 408, S. 73.

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mus184 an, auch wenn es Spuren einer nostalgischen Verklärung der Vergangenheit trägt. Gellius ist sich bewußt, daß er quasi iam mundo senescente lebt, wie er beiläufig einflicht bei dem Rückgriff auf die homerische Vorstellung, daß die Menschen der historischen Zeit kleiner sind als die Menschen des mythischen heroischen Zeitalters:185 ... ut Homerus opinatus est, uastiora prolixioraque fuerunt corpora hominum antiquiorum et nunc quasi iam mundo senescente rerum atque hominum decrementa sunt (NA 3,10,11). Während aus dem Lebensaltervergleich ein schon topisch gewordenes von Cicero artikuliertes Lebens- und Zeitempfinden spricht, läßt der ganze Gedanke die bis auf Platon zurückgehende Vorstellung der an Erschöpfung leidenden Mutter Erde anklingen, der B in lukrezischer Formulierung B fracta aetas effetaque tellus, die nur noch kleine Geschöpfe hervorbringen kann (Lucr. 2,1150-1152).186 Dagegen ist die Erklärung, _____________ 184 Zum `programmatischen OptimismusA von Quintilians Klassizismus vgl. HELDMANN, Dekadenz und literarischer Fortschritt, bes. 12. 20-22. 185 Der Gegensatz zwischen der menschlichen Körpergröße und -kraft im heroischen Zeitalter und in der historischen Zeit des Dichters wird an vier Stellen der Ilias hervorgehoben (Il. 1,272. 5,303-304. 12,383. 12,449): vgl. dazu K. F. AMEIS / C. HENTZE (Hrsg.), Homers Ilias, Bd.1/2 Gesang 4-6, Leipzig / Berlin 81927, Ndr. 1965 zu Il. 5,304; G.S. KIRK, The Iliad: A Commentary, Vol. 2: Books 5-8, Cambridge 1990, 92 zu Il. 5,304. Mit anderen Stellen der Ilias (Il. 5,744. 13,20. 18,518-519. 21,407) hatte schon LESSING seine Beobachtung im _Laokoon> (Erster Teil, Kap. 12) belegt: vgl. G. E. LESSING, Werke und Briefe, hrsg. v. W. BARNER, Bd. 5/2: Werke 1766-1769, Frankfurt a.M. 1990 [= Bibliothek deutscher Klassiker 57], 103-106 m. Anm. 3. In kritischer Auseinandersetzung mit Lessings _Laokoon> hat sich HERDER im _Ersten Wäldchen> (Kap. 14) über die nur sekundäre Bedeutung der Körpergröße in der homerischen Götterdarstellung ausgelassen: vgl. J. G. HERDER, Die Kritischen Wälder zur Ästhetik: Erstes Kritisches Wäldchen; in: J. G. HERDER, Werke, hrsg. v. G.E. GRIMM, Bd. 2: Schriften zur Ästhetik und Literatur (1767-1781), Frankfurt 1993 [= Bibliothek deutscher Klassiker 95], 173-183. Auf `das bekannte religionsgeschichtliche Phänomen: Götter erscheinen größer als MenschenA, weist hin F. BÖMER, Kommentar: P. Ovidius Naso. Metamorphosen, Buch 12-13, Heidelberg 1982, 451 zu Ov. met. 13,895 (vgl. Ov. fast. 4,861. 9,269-270. 13,962; Tac. hist. 1,86) mit weiteren Literaturangaben. Ausführlicher behandelt dieses Phänomen ausgehend von der Kontrastierung der körperlichen Erscheinung des Aeneas mit der engen Behausung Euanders (Verg. Aen. 8,366-367) C. KLODT, Bescheidene Größe. Die Herrschergestalt, der Kaiserpalast und die Stadt Rom: Literarische Reflexionen monarchischer Selbstdarstellung, Göttingen 2001 [= Hypomnemata 137], 30-32. B Im Zusammenhang mit der verbreiteten Vorstellung von der Körpergröße der Heroen (vgl. auch Verg. Aen. 12,900) steht auch die pythagoreische Berechnung der Größe des Herakles, wie sie das Eröffnungskapitel der _Noctes Atticae> mit der Plutarch-Paraphrase (mor. frg. 7 SANDBACH) bietet. 186 Lucr. 2,1150-1152: iamque adeo fracta est aetas effetaque tellus / uix animalia parua creat quae cuncta creauit / saecla deditque ferarum ingentia corpora partu. B Zur Verbreitung dieses Motivs W. SPEYER, Gigant; in: RAC 10 (1978) 1247-1276, hier 1251. Zu

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die der ältere Plinius in NH 7,73 für die abnehmende Größe der Menschen bietet, naturwissenschaftlich im Sinne der stoischen Kosmologie: wegen der zunehmenden Annäherung an den bevorstehenden Weltenbrand lasse die Vitalität und Fruchtbarkeit des Menschengeschlechtes immer mehr nach.187 Gellius jedoch teilt eher die Auffassung des Tacitus, der trotz des ihn beherrschenden Dekadenzbewußtseins, das er nicht nur in der topischen Form der Verfallsklage wiederholt zum Ausdruck bringt, zu der Einsicht gelangt: nec omnia apud priores meliora (Tac. ann. 3,55,5).188 Auch könnte das verhalten optimistische Diktum des jüngeren Plinius aus seinem Munde stammen: Sum ex iis, qui mirer antiquos, non tamen, ut quidam, temporum nostrorum ingenia despicio. Neque enim quasi lassa et effata natura nihil iam laudabile parit (Plin. epist. 6,21,1). Aus den vorhergehenden Beschreibungen des Attizismus und Archaismus wird ersichtlich, daß der Attizismus im Griechischen und die archaisierende Tendenz des Lateinischen sich in der Präferenz für die Autoren länger zurückliegender Vergangenheit und in der an ihnen orientierten bewußten Sprachpflege treffen. Jedoch haben die beiden Richtungen nicht nur ganz unterschiedliche historische und politische Zusammenhänge, sondern auch sehr andere Konsequenzen: Während der Attizismus und die Hinwendung zur bewunderten Vergangenheit die als deprimierend empfundene politische Realität Griechenlands während der Kaiserzeit kompensierte, fand die Wiederentdeckung der vor- und frühklassischen lateinischen Autoren und die Wiederbelebung ihres archaischen Idioms in einer politischen Blütezeit statt. Daher ging in Griechenland die sprachlichliterarische Nostalgie mit einem gewissen Eskapismus einher (trotz der im 2. Jh. vermehrten Beteiligung der Eliten an der politischen Machtausübung im Imperium),189 während der lateinische Archaismus von poli_____________ dem literarischen Umfeld dieser Alters- und Verfallsmetaphorik vgl. HÄUSSLER, Vom Ursprung und Wandel des Lebensaltervergleichs, 324-325. 187 Im Wortlaut heißt es in Plin. NH 7,73: in plenum autem cuncto mortalium generi minorem in dies fieri propemodum obseruatur rarosque patribus proceriores, consumente ubertatem seminum exustione, in cuius uices nunc uergat aeuum. 188 Vgl. DÖPP, Nec omnia apud priores meliora, 80-81. 92-95; HELDMANN, Dekadenz und literarischer Fortschritt, 5-8. 22-23. Zur Ausgestaltung des Lebensaltervergleichs bei Gellius= Zeitgenossen Florus, der das Greisenalter der Weltgeschichte im 2. Jh. noch nicht erreicht und weiter aufgeschoben sieht, da Rom unter Trajan zu einer zweiten Jugend wiedererstarkt sei (epit. praef. 4-8), vgl. NÖRR, Pomponius, 565. 597. 189 Die von VAN GRONINGEN (In the Grip of the Past, hier bes. 9-10) und BOWIE (Greeks and their Past; in: P & P 46 [1970] 3-41; wieder in: M.I. FINLEY [Hrsg.], Studies in Ancient Society, London 1974, 166-209) prononciert vertretene und von vielen anderen geteilte Ansicht der griechischen Nostalgie hat trotz SCHMITZ, Bildung und Macht, hier bes. 24-25 und seinen Vorläufern ihre Virulenz behalten: Freilich mag die Nostalgie im 2. Jh. während der sogenannten Zweiten Sophistik bei der stei-

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tisch nostalgischen oder gar restaurativen Momenten unberührt war. Den Herrschern der Antoninenzeit persönlich nahestehend und in der Ausübung politischer Funktionen (Fronto)190 bzw. zumindest eines juristischen Amtes (Gellius)191 engagiert, obwohl vielleicht beide,192 sicher aber Fronto aus der römischen Provinz Africa stammten, äußerten die archaisierenden lateinischen Autoren Fronto und Gellius keine Ressentiments oder Opposition gegen die bestehenden Verhältnisse der hohen Kaiserzeit. Fronto unterrichtet in seiner Korrespondenz den jungen Prinzen Marc Aurel in der Verwendung von Archaismen (M. Caes. 4,3,2 p. 56,18-57,4 v.d.H.2; vgl. dazu oben S. 233-234); Gellius, der in seinem Werk auch gegenüber anderen Kaisern Respekt bzw. keinerlei kritische Vorbehalte erkennen läßt,193 reklamiert unbefangen die Autorität des Kaisers Augustus für das Aufsuchen und Gebrauchen altertümlicher Wörter (bei der Datumsangabe), um gleich danach in beinahe sakralem Ton den mos maiorum für denselben Sprachgebrauch zu beschwören: Diuus etiam Augustus, _____________

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genden Bedeutung des griechischen Ostens im Imperium weniger von dem Gefühl der Depression als dem Empfinden begleitet gewesen sein, `es den ruhmreichen Vorfahren gleichzutunA (DIHLE, Attizismus, 1172). Doch im übrigen ändern sich jahrhundertelang tradierte Haltungen und verfestigte Einstellungen nicht sogleich mit dem Zuwachs an Macht bzw. verbesserten Aufstiegschancen in der gesellschaftlichen Oberschicht. Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 456, S. 281-284. Vgl. dazu unten S. 308-310. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 13-15 hat für Gellius’ Herkunft aus einer afrikanischen colonia überzeugende Argumente geltend gemacht. Vgl. oben S. 96 Anm. 158. S. 228 Anm. 123. Er gesteht einigen erwähnten Kaisern den aus ihrer postumen Apotheose resultierenden Titel diuus zu: am häufigsten dem diuus Augustus (NA 2,24,15; NA 9,11,10; NA 10,2,2; NA 10,11,5; NA 10,24,2; NA 13,6,4; NA 13,12,2; NA 15,7,cap. 3), den er allerdings auch Caesar Augustus (NA 2,24,14; NA 6,8,2; NA 10,2,2) nennt; einmal spricht er vom diuus Claudius (NA 13,14,7) und mehrfach vom diuus Hadrianus (NA 3,16,12; NA 11,15,3; NA 13,22,1; NA 16,13,cap. 4); ohne weitere Epitheta nennt er Tiberius Caesar (NA 2,24,15) bzw. Tiberius imperator (NA 16,13,5), Domitianus (NA 15,11,4) und Traianus (dessen Apotheose impliziert ist in der Erwähnung der bibliotheca templi Traiani in NA 11,17,1; NA 13,25,1. 28). Auch Caesar wird in NA 13,14,4 von Gellius diuus Iulius genannt. Hingegen läßt er in NA 19,8,3 Fronto, voller Respekt vor der geistigen und sprachlichen Kompetenz sowie der literarischen Leistung Caesars, diesen (mit Bezug auf seine Titulatur seit Februar 44 n. Chr.) historisch korrekt vorstellen als ... ille perpetuus dictator, Cn. Pompei socer, a quo familia et appellatio Caesarum deinceps propagata est, uir ingenii praecellentis, sermonis praeter alios suae aetatis castissimi. (Als Caesar consul kommt er in NA 4,10,8 in dem Exzerpt aus der Schrift des Juristen Ateius Capito _De officio senatorio> vor, das von der während einer Senatssitzung angewandten Verzögerungstaktik Catos, ähnlich dem amerikanischen Filibuster, und der Reaktion Caesars handelt.) B Daß sich die affirmative Haltung zur kaiserlichen Macht aber vor allem in der Anerkennung ihrer sprachlichantiquarischen Autorität zeigt, betont auch GUNDERSON, Nox Philologiae, 84-88.

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linguae Latinae non nescius munditiarumque patris sui in sermonibus sectator, in epistulis plurifariam significatione ista dierum non aliter usus est. Satis autem erit perpetuae ueterum consuetudinis demonstrandae gratia uerba sollemnia praetoris ponere, quibus more maiorum ferias concipere solet, quae appellantur Compitalia (NA 10,24,2). Gerade aufgrund dieser nationalreligiösen Rückbindung erweist es sich als zutreffend, den lateinischen Archaismus als eine Form des Sprachpatriotismus zu charakterisieren.194 Er war auf dasselbe Ziel ausgerichtet wie die Kultivierung der Zweisprachigkeit, die Steigerung der Sprachbewußtheit und die Bereicherung der lateinischen Sprache. Daher zeitigten der lateinische Archaismus und der griechische Attizismus, dessen Archaisieren, jedenfalls in der radikalen im `ManifestA des Dionysios von Harlikarnassos propagierten Form,195 einen Rückzug in ein Refugium bedeutete, auch sehr unterschiedliche Folgen: Der seit seinen Anfängen im 1. Jh. v. Chr. an Intensität und Einfluß gewinnende und sich im 2. Jh. n. Chr. besonders erfolgreich durchsetzende Attizismus bewirkte eine Konservierung der Sprache in einer um mehrere Jahrhunderte älteren Form und führte dadurch zu einer wachsenden Entfernung und schließlichen Trennung zwischen geschriebener und gesprochener Sprache im Griechischen, die B trotz des von Lukian und Galen artikulierten Widerstandes gegen das übertriebene und überbewertete Archaisieren B bis in byzantinische Zeit fortdauerte.196 Dagegen gingen von den Autoren des lateinischen Archaismus Impulse zur Fortentwicklung der lateinischen Sprache aus, die bei Fronto sogar Einflüsse der Umgangssprache empfing. 197 Und die archaisierende Stilrichtung des 2. Jh.s war nur eine Strömung neben anderen gleichzeitigen Ausgestaltungen des Lateinischen, neben dem `blühenden Stil des ApuleiusA und der affektisch aufgeladenen Sprache Tertullians.198 Die grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden archaisierenden Tendenzen im griechischen Osten und im lateinischen Westen widerlegen die These NORDENs, der lateinische Archaismus sei `ein AblegerA des griechischen Attizismus.199 Jedenfalls ist sie in ihrer lakonischen Undiffe_____________ 194 Vgl. SWAIN, Bilingualism and Biculturalism, 17-18. 40. 195 Vgl. TH. HIDBER, Das klassizistische Manifest des Dionys von Halikarnass, Stuttgart / Leipzig 1996. 196 Vgl. DIHLE, Attizismus, 1171-1172. 1175. 197 Vgl. oben S. 243-244. 198 Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 401, S. 7. 199 NORDEN, Die römische Literatur, [98] 83: 83: `Der römische Archaismus kann nur als ein Ableger des Attizismus der sog. zweiten Sophistik verstanden werden.A Vorsichtiger ders., Antike Kunstprosa, Bd. 1, 361-367, hier bes. 361: `Wenn ich nun behaupte, daß der lateinische Archaismus der hadrianisch-antoninischen Epoche, den wir uns gewöhnt haben, im engeren Sinne so zu bezeichnen, ebenfalls in die engste Beziehung

4.2. Bilinguismus und bikulturelle Identität

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renziertheit nicht haltbar. Dennoch gibt es Verbindungen zwischen beiden Strömungen, die schon durch die persönlichen Kontakte zwischen den zeitgenössischen griechischen und römischen Anhängern der Stilrichtungen zustandekamen.200 Von einer interkulturellen Reaktion geht MARTIN HOSE aus mit seiner Erklärung, daß der griechische Attizismus sich im 1. Jh. n. Chr. entwickelt habe, als die Griechen in Rom, dem neuen Machtund Geisteszentrum, dem römischen Publikum Zugang zu ihrer Literatur und Kultur erleichtern und ihre Tradition in Einklang mit der augusteischen Erneuerungspolitik bringen wollten. Von dem Zentrum des Imperiums, das durch seine politische und kulturelle Hegemonie auch stil- und modebildend wurde, habe der Attizismus dann wieder auf die griechischen Provinzen rückgewirkt.201 Dieses schlüssige Modell der kulturellen Wechselbeziehung fortführend, läßt sich der lateinische Archaismus des 2. Jh.s wiederum dadurch erklären, daß die Römer, die in dieser Hochzeit des Bilingualismus vermehrt und vertieft mit der griechischen Sprache und Literatur in Berührung kommen, mit der Wiederaufnahme der archaischen Autoren in den literarischen Kanon die Repristinationstendenz des griechischen Attizismus ins Lateinische übertragen und nachahmen.202 So _____________ zu den gleichzeitigen attizistischen Tendenzen der griechischen Prosa zu setzen ist, so würde das wohl einleuchten und Glauben finden, auch wenn es sich nicht durch sichere Tatsachen beweisen ließe.A Ebd. Nachträge, 20 zu S. 361 ff.: `Den Archaismus in der lateinischen Prosa der hadrianisch-antoninischen Zeit hat gleichzeitig, unabhängig von mir, auch W. KROLL, Rh.Mus LII (1897) 574 ff. als Reflex des Attizismus in der griechischen Prosa erklärt.A Vgl. auch F. LEO, Die römische Literatur des Altertums, 387: `Es war der sprachliche Archaismus, der von dem sprachlichen Attizismus ausging, wie er sich in griechischen Schulkreisen unter Augustus aus dem rhetorischen Klassizismus, der Neubelebung der großen Attiker entwickelt hatte.A 200 Darauf verweist auch bereits NORDEN, Antike Kunstprosa, Bd. 1, 362: `Fronto, der Hauptvertreter des lateinischen Archaismus, der begeisterte Verehrer der ältesten Literatur ... war mit den hervorragendsten griechischen Attizisten eng befreundet.A 201 Vgl. HOSE, Die zweite Begegnung Roms mit den Griechen, 274-288, bes. 275. 286 ff., hier 288: `Zusammengefaßt läßt sich also der Attizismus, der von der frühen Kaiserzeit an die griechische Kultur prägt, folgendermaßen erklären: Zunächst ist Attizismus eine verkürzte Lehrmethode der griechischen Rhetoren in Rom für ihre römischen Schüler. Sodann wird der Begriff mit inhaltlichen Modifizierungen von griechischen Literaten in Rom erneuert, um das Bild der zeitgenössischen griechischen Literatur vom Vorwurf des Asianismus zu entlasten, ein Vorwurf, der implizit auch Gegnerschaft zu Octavian bedeutete. Dieser modifizierte Attizismus wurde auch in den griechischen Provinzen des Imperiums prägend, teils infolge der kulturellen Hegemonie Roms, teils, um damit eine Distanzierung von Antonius zu erreichen.A Zum Teil entspricht das Erklärungsmodell dem LEOs (vgl. oben S. 248 Anm. 199). 202 Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 401, S. 7: `Diese Entwicklung erklärt sich am leichtesten aus der Übertragung der sich seit Dionys von Halikarnaß ausbreitenden Zweiten Sophistik auf das Lateinische im sich weitenden Imperium Romanum.A; HOLFORD-STREVENS, Utraque lingua doctus, 212-213: `The second century ... is often

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

hat sich B nach dem an der Literatur der ciceronianischen und augusteischen Zeit sich ausrichtenden Klassizismus, der den literarischen Geschmack der Zeit von den Flaviern bis Trajan bestimmt hatte203 B der lateinische Archaismus im Rahmen der zweisprachigen Kultur, dem Attizismus folgend bzw. entsprechend, wieder der archaischen Literatur und Sprache zugewandt.204 _____________ considered the high point of Greek influence in Latin letters, not merely because the so-called archaism is seen as an offshoot of Atticism (rather, it had its native roots, but Atticism made for a favourable climate.)A; JOCELYN, Studies in the Indirect Tradition, 63: `Influential on attitudes of Latin-speakers to their literary past would have been that of contemporary Greek-speakers to theirs.A; MARACHE, La critique littéraire, 98111 (_L=archaisme dans la littérature grecque: L=atticisme>). B Die `Probe auf die RichtigkeitA, die NORDEN (Antike Kunstprosa, Bd. 1, 363-365) mit dem Nachweis attischer Diktion in Frontos Griechisch macht, taugt nicht als Bestätigung für die Übernahme des griechischen Attizismus ins Lateinische. Der Gebrauch des attischen Idioms vervollständigt vielmehr das Bild von dem hohen Grad der Zweisprachigkeit (dazu vgl. oben Kapitel 4.2.1, S. 205-229, bes. 220-221. 228-229). Ebenso wirft es ein bezeichnendes Licht auf die intensiven Sprachbeziehungen, wenn der lateinischsprechende Apuleius das `atticisareA (flor. 18,38-43 HUNINK = 18,19-22 [p. 38,16 - p. 39,11] HELM; Socr. prol. frg. 5 vgl. dazu SWAIN, Bilingualism and Biculturalism, 17-18) beherrscht oder umgekehrt Herodes Atticus das archaische Wort aeruscare (NA 9,2,8) gebraucht und der (offenbar bereits in beiden Sprachen kompetente) Knabe in NA 17,8,7 Graece, et id quidem perquam Attice spricht. 203 Zum Paradigmenwechsel im literarischen Geschmack und Autorenkanon vgl. oben S. 186-187. 204 Die Parallelität und den Zusammenhang der Entwicklung, die den Boden für die _Noctes Atticae> bereitet habe, betont auch P.L. SCHMIDT, Literaturbetrieb II. (Rom); in: DNP 7 (1999) 319-329, hier 325: `Die zeitgenössischen Stilideale der griechischen Literatur waren nunmehr im Rahmen einer (fast) zweisprachigen Kultur als unmittelbare Vorbilder verpflichtender denn je, und der auf dem gelehrten Kult des Einzelwortes basierende lateinische Archaismus als Parallele zum griechischen Attizismus hat die dafür zuständigen Institutionen und Anlässe – von der Grammatikschule bis zu den allseitig gebildeten, indes antiquarisch zentrierten Konversationen der Noctes Atticae des Gellius – besonders gefördert.A – Die dem griechischen Attizismus ebenso wie dem lateinischen Archaismus inhärente Sprachpflege, die besonders in der Lexiko- und Glossographie betrieben wurde, hat die zahlreichen attizistischen Lexika (vgl. oben S. 230 m. Anm. 130) hervorgebracht, aber sich auch in entsprechenden lateinischen Unternehmungen niedergeschlagen: ein Produkt dieser Bemühungen ist das lexikonartige Werk des (bei Gellius nicht vorkommenden) Statilius Maximus, der auch annotationes zu Reden des älteren Cato verfaßt und Cicero-Reden emendiert hat, mit der Sammlung von singularia bzw. semel posita, d.h. seltenen Wörtern in Cato und Cicero (vgl. ZETZEL, Latin Textual Criticism, 66; P.L. SCHMIDT, HLL 4 [1997] ' 445.3, S. 256-258, bes. 258); von demselben Interesse geleitet hat auch Fronto seinen kaiserlichen Zögling Marc Aurel in der Suche nach singularia und synonyma (De eloqu. 2,19 p. 144,17-145,3 v.d.H.2) bzw. insperata atque inopinata uerba unterwiesen (M. Caes. 4,3,3 p. 57,15-27 v.d.H.2; vgl. Antonin. 1,2,7 p. 89,19-23 v.d.H.2). Auch die Epitome aus dem 80 Bücher umfasssenden Glossar _De uerborum significatione> des spätaugusteischen Antiquars Verrius Flaccus, die im 2. Jh. n. Chr. Sextus Pompei-

4.3. Protagonisten der griechisch-römischen Bildungskultur

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4.3. Protagonisten der griechisch-römischen Bildungskultur in den _Noctes Atticae> Das kulturelle Zusammenwachsen des westlichen und östlichen Teils des Imperiums ist, wie oben beschrieben, getragen von den persönlichen Kontakten zwischen den Vertretern der griechisch-römischen Bildungskultur des 2. Jh.s. Und so nehmen persönliche Begegnung, Kommunikation und Konfrontation zwischen Römern und Griechen bzw. Latein- und Griechischsprechern großen Raum in den _Noctes Atticae> ein. Aus dem großen Kreis der Personen, die bisweilen nur flüchtig auf der Bildfläche erscheinen, zum Teil häufiger in den _Noctes Atticae> auftreten,205 seien hier drei prominente Zeitgenossen des Gellius herausgestellt, die einen repräsentativen Querschnitt seines Werkes verkörpern. Ganz verschiedener Provenienz und Observanz, stehen sie sowohl für die Weite des Osten und Westen umfassenden römischen Imperiums als auch für das breite Spektrum der griechisch-römischen Bildungskultur: Fronto, der lateinische Redner und Schriftsteller aus Nordafrika, der griechische Philosoph Tauros aus Beirut und der aus dem gallischen Arelate, dem heutigen Arles, stammende griechisch sprechende Favorinus, als Rhetor und zugleich Philosoph ein typischer Vertreter der Zweiten Sophistik. Auch aus anderen Quellen und zum Teil sogar aus eigenen Werken bekannt, sofern sie überliefert sind, werden diese Persönlichkeiten des 2. Jh.s von Gellius als Lehrer oder bewunderte Vorbilder in Szene gesetzt. Bei der Bewertung der gellianischen Inszenierungen muß allerdings immer das vielbehandelte Problem der Fiktion und Faktizität der _Noctes Atticae>206 bedacht werden. Doch wie bei der Differenzierung echter und vermeintlicher Gedächtniszitate bleibt es auch bei den Auftritten und Gesprächen der Protagonisten unmöglich, pauschal zu entscheiden, ob sie authentisch wiedergegeben oder fingiert sind.207 Es kann nur, wie im Fall der Ge_____________ us Festus als Ergänzung zu der auf 20 Bücher verkürzten Realenzyklopädie unter dem Titel _Priscorum uerborum cum exemplis libri> verfaßte (P. L. SCHMIDT, HLL 4 [1997], ' 440, S. 240-245, hier 242), steht im Zusammenhang mit den besonderen sprachwissenschaftlichen Interessen der Zeit. 205 Die Gesamtheit des in den NA auftretenden Personals behandelt, gruppiert nach den ausgeübten Tätigkeiten bzw. der Bedeutung im Werdegang des Gellius, sehr eingehend HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 83-156. 206 Vgl. dazu schon oben S. 160-161. S. 165 Anm. 363. S. 174-175 m. Anm. 398 und die dort angegebene einschlägige Literatur. 207 Vgl. BEALL, Civilis eruditio, 23; ders., Translation in Aulus Gellius, 216 Anm. 6 (zu NA 17,20); ders., Aulus Gellius 17.8, 58; ders., Homo fandi dulcissimus, 93 m. Anm. 23.100; HOLFORD-STREVENS, Fact and Fiction, 65-68; ders., Aulus Gellius: The Non-Visual Portraitist, 109. 112 (zu den inszenierten Favorinus-Reden in NA 14,2

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

dächtniszitate, je nach Einzelfall beurteilt werden. Aber auch dann erhält man keine Sicherheit, sondern immer nur eine Wahrscheinlichkeit über den Grad der Authentizität. Allerdings ist der vorsichtigen Argumentation PAUSCHs zuzustimmen: `Dabei dürften im allgemeinen die Szenen, die einen der von Gellius verehrten Freunde und Förderer zum Protagonisten haben, mit größerer Wahrscheinlichkeit zumindest auf einen authentischen Kern zurückgehen als die Auftritte der vorwiegend als Negativbeispiele fungierenden Anonymi. Schon die explizite Namensnennung bei Personen, die zum Zeitpunkt der Publikation zum Großteil noch lebten, spricht gegen einen rein fiktionalen Charakter dieser Erzählungen. Bei der Darstellung dieser prominenten Zeitgenossen ist jedoch ein starkes panegyrisches Moment in Rechnung zu stellen. Zudem war Gellius offenbar sehr darum bemüht, sich selbst in vertrautem Umgang und möglichst großer Nähe zu den clarissimi uiri zu zeigen. Allerdings waren dieser Form der Selbstdarstellung aufgrund der zumindest partiellen Überprüfbarkeit durch die Zeitgenossen relativ enge Grenzen gesteckt.A208 4.3.1. M. Cornelius Fronto M. Cornelius Fronto (ca. 110-180),209 der aus dem afrikanischen Numidien (in der Nähe von Cirta) stammte und somit vielleicht ein Landsmann des etwa 15 Jahre jüngeren Gellius (125/128 -180 n. Chr.) war,210 verbrachte den größten Teil seines Lebens in Rom.211 Zunächst als Redner und Anwalt tätig, wurde er bald nach Regierungsantritt des Antoninus Pius (Juli 138) von diesem zum Erzieher der Caesares Marc Aurel und L. _____________

208 209

210 211

und NA 14,1); ders., Aulus Gellius2, 65-72 (_Presentation and Sources>). 123 (`Favorinus is at times a mere lay-figureA); JOCELYN, The Indirect Tradition, 66. 68; LAKMANN, Favorinus von Arelate, 234 m. Anm.14; PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 34-35. 207. 213-214 (zu NA 1,2) 219. 226; ZETZEL, Latin Textual Criticism, 58-62. – Auch bei anderen Autoren stellt sich die Frage nach Authentizität und Fiktion der literarischen Einkleidung, vgl. z.B. K. ABEL, Das Problem der Faktizität der Senecanischen Korrespondenz; in: Hermes 109 (1981) 472-499. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 207-208. Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 456 , S. 281-284. Entgegen der communis opinio, die vom Tod Frontos Mitte / Ende der 170er Jahre ausgeht, spekuliert über ein früheres Todesdatum in den Jahren der großen Pestepidemie 166-167 HOLFORDSTREVENS, Aulus Gellius2, 21 im Anschluß an CHAMPLIN, Fronto and Antonine Rome, 139-142. Entsprechend früher datieren sie auch das Geburtsjahr Frontos am Ende des 1. Jh.s: vgl. CHAMPLIN, Fronto and Antonine Rome, 21. 137-138. Zur Annahme einer afrikanischen Herkunft des Gellius vgl. oben S. 96 Anm. 158. S. 228 Anm. 123. S. 247 Anm. 192. Vgl. CHAMPLIN, Fronto and Antonine Rome, 19 (`Fronto was the African at Rome, the provincial flourishing at the seat of empireA). 20-28.

4.3. Protagonisten der griechisch-römischen Bildungskultur

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Verus berufen. Aus der Unterweisung der beiden Prinzen, an deren Entwicklung der Lehrer regen Anteil nahm, wie der erhaltene Briefwechsel mit den Schülern bezeugt, ist eine lebenslange enge Verbindung Frontos mit dem Kaiserhaus erwachsen. Den cursus honorum krönte er mit dem Amt des consul suffectus, das er entgegen der früher üblichen Datierung schon im Juli/ August des Jahres 142 bekleidete.212 Fronto genoß besonders als Redner großes Ansehen bei den Zeitgenossen. Von seinen zahlreichen Senatsreden ist allerdings nur ein Fragment einer im Namen der Karthager gehaltenen Dankesrede überliefert. Eine im consilium principis gehaltene Staatsrede (De testamentis transmarinis) ist dadurch auszugsweise auf uns gekommen, daß Marc Aurel aus der ihm überlassenen Textfassung einen großen Teil in einem Antwortbrief an Fronto noch einmal abgeschrieben hat (M. Caes. 1,6,2-8 p.10,14-13,9 v.d.H.2). Von den Gerichtsreden erregte Frontos Anklagerede gegen Herodes Atticus, den Konsul des Jahres 143 (vgl. Anm. 212) und eine der `schillerndsten Figuren des 2. Jh.s n. Chr.A,213 der wegen gewalttätiger Übergriffe und Totschlags vor _____________ 212 Damit amtierte er als consul suffectus nicht im selben Jahr, in dem Herodes Atticus consul ordinarius war, was man lange Zeit geglaubt und als symbolisches Zeichen der Bikulturalität gedeutet hat (so noch PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 211 unter Berufung auf MRATSCHEK-HALFMANN, Divites et praepotentes. Reichtum und soziale Stellung in der Literatur der Prinzipatszeit, Stuttgart 1993 [= Historia Einzelschriften 70], 93; vgl. auch DIHLE, Die griechische und lateinische Literatur, 226: `Es kann als typisch gelten, wenn die beiden angesehensten Literaten auf lateinischer und griechischer Seite, M. Cornelius Fronto und Herodes Atticus, zusammen i.J. 143 n. Chr. das Consulat bekleideten.A), sondern ein halbes Jahr vor Herodes= Amtsantritt. WERNER ECK, auf den die neue Datierung zurückgeht, kommentiert diese im Hinblick auf die Rivalität zwischen Fronto und Herodes Atticus. Vgl. W. ECK, M. Cornelius Fronto, Lehrer Marc Aurels, Consul suffectus im J. 142: RhM 141 (1998) 193196, hier 196: `Nach der nunmehr gesicherten Datierung von Frontos Suffektkonsulat ins J. 142 hatte der homo nouus Cornelius Fronto zumindest die Genugtuung, daß er früher das republikanische Oberamt erhalten hatte als sein _Rivale> und er damit auch unter den Konsularen rangmäßig für alle Zeit vor Herodes Atticus rangierte. Das war nicht sehr viel. Doch in einer Zeit und in einem Gremium wie dem Senat, wo Status- und Prestigefragen sehr ernst genommen wurden, zählte dies doch etwas. Bei aller Arroganz konnte Herodes Atticus seinen Konkurrenten in diesem Punkt nicht mehr überholen.A Vgl. auch W. ECK / M. M. ROXAN, Two New Military Diplomas; in: R. FREI-STOLBA / M.A. SPEIDEL (Hrsg.), Römische Inschriften B Neufunde, Neulesungen und Neuinterpretationen, Festschrift H. LIEB, Basel 1995, 55-99, bes. 7997. 213 So PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 210, der in einem Teil seines Buches (_Personenbezogenes Wissen in den noctes Atticae>) an der Figur des Herodes Atticus als Beispiel untersucht hat (206-226), wie Gellius `Zeitgenossen als HandlungsmodelleA darstellt. B Zu ganz anderem Ergebnis kommt KEULEN, Gellius the Satirist, 311312, nach dessen Ansicht Herodes Atticus, die Verkörperung athenischer Bildungstradition und Autorität (300), von Gellius nicht nur wegen seiner `seductive eloquen-

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

Gericht gebracht wurde,214 das größte Aufsehen der Zeitgenossen, wie dem Briefwechsel mit Marc Aurel zu entnehmen ist. Obwohl ihr Wortlaut nicht bekannt ist, interessiert sie auch die Nachwelt am meisten wegen der privilegierten Stellung des Herodes bei Hofe, der letztlich wohl auch sein Freispruch zu verdanken ist: er war nämlich wie Fronto als Prinzenerzieher Marc Aurels engagiert und stand sogar in verwandtschaftlicher Beziehung mit der Kaiserfamilie. Nur aus der frontonischen Briefsammlung zu erschließen sind auch andere verschiedene schriftstellerische Erzeugnisse kleineren Formats (Deklamationen, Lehrbriefe über die Rhetorik und weitere Kleinprosa). Vom Plan eines historiographischen Werkes über den Partherkrieg erfährt man aus dem erhaltenen Sendschreiben an Marc Aurel, dem unter dem Titel _Principia historiae> (p. 202-214 v.d.H.2) überlieferten Traktat, in dem Fronto die Grundzüge des nicht ausgeführten panegyrischen Geschichtswerkes skizziert. Aufgrund der Lückenhaftigkeit der Überlieferung liegt auch von der um etwa 166 endenden Korrespondenz nur etwas mehr als die Hälfte vor.215 Dennoch reiht Fronto sich damit ein in die Tradition der großen römischen Epistolographen, die von Cicero über Seneca und Plinius bis in die Spätantike reicht. So wie die Briefe des Plinius gewähren Frontos mit dem Monarchen gewechselte Briefe Einblick in die Welt des 2.Jh.s, `indem sie eine autonome kulturelle Sphäre über der Ebene der politischen und wirtschaftlichen Realität errichten.A216 In der Anordnung der Briefe, die, obwohl `echte BriefeA, zugleich als stilistische Musterstücke für die Veröffentlichung geschrieben waren, folgt die Sammlung der Briefe allerdings nicht dem Prinzip der plinianischen Variatio, sondern der Gliederung nach Adressaten, wie sie Ciceros Briefcorpus aufweist. Als der fraglos renommierteste lateinische Redner und Rhetoriklehrer des 2. Jh.s nimmt Fronto auch in dem Personal, das die commentarii _Noctes Atticae> belebt, eine prominente Stellung ein,217 obgleich er nur in fünf Szenen auftritt. Dabei ist er stets, so wie es der von ihm selbst bezeugten Hausgemeinschaft des contubernium mit _____________ 214 215

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ceA kritisch bewertet (269), sondern gar als Lehrer (des jungen Marc Aurel) disqualifiziert (311-312) werde. Vgl. AMELING, Herodes Atticus, hier Bd. 1,102-104. Knapp charakterisiert Aufbau und Inhalt der Briefsammlung Frontos K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 456, S. 288-289: Briefwechsel mit dem Prinzen Marc Aurel (5 Bücher); Korrespondenz mit dem Kaiser Marc Aurel (4 Bücher); Briefwechsel mit L. Verus (8 Briefe in 2 Büchern); Korrespondenz mit Antoninus Pius (13 Briefe); 35 Briefe _ad amicos> an 20 verschiedene Adressaten. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 456, S. 288. Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 131-139; CHAMPLIN, Fronto and Antonine Rome, 45-59 (_The Man of Letters>), bes. 47-50; S. PELLINI, Aulo Gellio e Frontone; in: Classici e neolatini 8 (1912) 415-425.

4.3. Protagonisten der griechisch-römischen Bildungskultur

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ausgewählten Schülern entspricht,218 von einer Anhängerschar umgeben,219 sei es daß er in einer seiner Villen Besuch erhält (NA 2,26,2; NA 19,10,1; vgl. auch NA 13,29,2; NA 19,8,1), sei es daß er im Eingangsbereich des kaiserlichen Palastes diskutiert (NA 19,13), womit seine Nähe zur Kaiserfamilie diskret signalisiert wird. Auf seine Bedeutung als Redner gibt es keinen Hinweis, wohl weil seine Berühmtheit das überflüssig macht. Entsprechend den nur sparsam angedeuteten biographischen bzw. zeitgeschichtlichen Bezügen wird Fronto in NA 2,26,1 bloß als consularis vorgestellt; ob die Erwähnung seiner Podagra hier und in NA 19,10,1 zugleich auf ein höheres Alter anspielt, ist nicht zu entscheiden. Auf jeden Fall zeigt er sich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, wenn er in Gesellschaft von plerique docti uiri mit Favorinus eine Diskussion (sermones) über griechische und lateinische Farbbezeichnungen führt und dabei den Ausdrucksreichtum des Lateinischen für Rot- und Grüntöne erfolgreich demonstriert (NA 2,26,7-16: Rottöne; NA 2,26,17-19: Grüntöne). Denn Favorinus, zunächst von der größeren Wortfülle des Griechischen überzeugt (NA 2,26,5-6: Rottöne), gesteht am Schluß mit einem Homerzitat ein, daß das Lateinische in der Farbnuancierung mindestens ebenso wortreich sei (NA 2,26,20). Zugleich wird Fronto von Favorinus, dem herausragenden bilingualen Intellektuellen des 2. Jh.s, als größter lateinischer Sprachexperte anerkannt, weil er sich nun durch die Erklärungen Frontos das Verständnis einer bisher unklaren Enniusstelle erschließen kann (NA 2,26,21-22). Die Autorität Frontos als Spezialist für Fragen der lateinischen Sprache findet die Bewunderung seiner Zuhörer auch in dem Kapitel NA 13,29, als er einen haud sane uir indoctus über die stilistische Angemessenheit des von dem Historiker Claudius Quadrigarius gebrauchten Ausdruck cum multis mortalibus (statt hominibus) belehrt hat (NA 13,29,2-5). Aus der Differenzierung, die Fronto paruis minutisque uocabulis vornimmt, folgert Gellius die Aufforderung an den Leser zu einer subtilior huiuscemodi uerborum consideratio (NA 13,29,6). Gellius selbst huldigt Frontos Wirkung in NA 19,8,2 mit der allgemeinen Feststellung: Nec umquam factum est, quotiens eum uidimus loquentem audiuimus, quin rediremus fere cultiores doctioresque. Daher habe er in jungen Jahren vor seinem Athenaufenthalt sein otium genutzt, den sermones eius purissimi bonarumque doctrinarum pleni beizuwohnen. Als Beispiel einer sermocinatio über eine Detailfrage, die aber doch für einen an der lateini_____________ 218 Vgl. Fronto amic. 1,9 p. 177,5-7. 1,10. p. 177,10-20 v.d.H.2 (Kondolenzbrief Frontos an den Vater eines plötzlich verstorbenen Schülers). Dazu vgl. CHAMPLIN, Fronto and Antonine Rome, 45-50. Auch Herodes ist stets umringt von Schülern und Jüngern: vgl. AMELING, Herodes Atticus, Bd. 1,126. 219 Vgl. z.B. NA 19,10,1: ... offendimus eum cubantem in scimpodio Graeciensi circumundique sedentibus multis doctrina aut genere aut fortuna nobilibus uiris.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

schen Sprache Interessierten relevant sei (NA 19,8,2), führt er aus, wie Fronto zunächst einen quispiam familiaris eius, bene eruditus zurechtgewiesen habe, der mit der Verwendung des Plurals harenae ein uerbi uitium begangen habe, um dann unter Berufung auf Caesars Schrift _De analogia> die Pluralia und Singularia tantum im Lateinischen zu behandeln (NA 19,8,3-8). Die Fronto von seinem Zeitgenossen Gellius zugeschriebene Bedeutung ist dadurch trotz seiner langen Vernachlässigung und Geringschätzung anerkannt worden, daß er mit diesen Erklärungen in die Literaturgeschichtsschreibung Eingang gefunden hat (NA 19,8,15).220 Einblick in die komfortablen Wohn- und Lebensverhältnisse Frontos, der mehrfacher Villenbesitzer B in Rom, an der Via Aurelia, und in Campanien (M. Caes. 4,4,2 p. 60,16 -18 v.d.H.2) B war und auch die horti Maecenatis sein eigen nannte (vgl. M. Caes. 2,2,5 p. 20,11 v.d.H.2),221 gewährt NA 19,10. Anläßlich eines (weiteren) Krankenbesuchs bei dem fußkranken Fronto werden Gellius und der Numidier Iulius Celsinus (der Gellius auch in NA 19,7[2] begleitet222) Zeugen einer Besprechung Frontos mit seinem Architekten und Handwerkern über den Plan, neue Bäder in seinem Anwesen zu errichten. Daraus erhebt sich die Frage nach der Verwendung von praeterpropter, an deren Beantwortung ein Grammatiker haud incelebri nomine Romae docens scheitert, weil er es für eine praenimis plebeium (et in opificum sermonibus beheimatete) Ausdrucksweise hält und erklärt (NA 19,10,7-9). Nachdem Fronto dagegen für den Gebrauch von praeterpropter die Autoritäten Cato und Varro sowie allgemein die pleraque aetas superior ins Feld geführt (NA 19,10,10) und Iulius Celsinus mit einer Stelle der _Iphigenie> Ennius als weiteren Textzeugen beigebracht hat (NA 19,10,11-12), wird der Grammatiker bloßgestellt und seines Unwissens überführt (NA 19,10,13-14). Bei seinem letzten Auftritt in den _Noctes Atticae> erscheint Fronto in uestibulo palatii, d.h. in räumlicher Nähe zum kaiserlichen Hofe, wo er, Postumius Festus und Sulpicius Apollinaris zufällig ins Gespräch gekommen sind über sprach- und literaturwissenschaftliche Themen (NA 19,18,1: de litterarum disciplinis). Unter anderen verfolgt Gellius voller Neugierde ihre Unterhaltung über Herkunft und Bedeutung des Ausdrucks nani (NA 19,13). Dabei läßt sich hier Fronto von Gellius= Grammatiklehrer Apollinaris223 in seiner Beobachtung bestä_____________ 220 Zu den Ausführungen Frontos und ihren Folgen, die aus der Bezeichnung classicus adsiduusque scriptor in NA 19,8,15 resultieren, vgl. auch oben S. 242-243 m. Anm. 177; zur Vorstellung Caesars in NA 19,8,3 vgl. oben S. 247 Anm. 193. 221 Vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 456, S. 283; CHAMPLIN, Fronto and Antonine Rome, 21-25. 222 Sie veranstalten auf dem Heimweg von einer beim Dichter Iulius Paulus besuchten cena gemeinsam Gedächtnisübungen: vgl. dazu oben S. 148. S. 177. 223 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 83-86.

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tigen, daß nani _Zwerge> (im Unterschied zu pumiliones, das sich in den libris ueterum findet; vgl. dazu auch NA 16,7,10) ein vulgäres Wort sei, ein uerbum sordidum, wie Fronto es nennt, bzw. laut Apollinaris in consuetudine inperiti uulgi frequens. Anders als Fronto vermutet, ist nani aber kein barbarum uerbum, sondern ein griechisches Lehnwort, was Apollinaris mit seiner Verwendung in der Aristophaneskomödie ^ȠȵȴȪȮȯȻ (frg. 441 PCG KASSEL / AUSTIN) belegt.224 Bevor zum Schluß ein anonymer grammaticus, homo sane perquam in noscendis ueteribus scriptis exercitus, die übertragene Bedeutung von nani _Ponys> in einem Gedicht des Helvius Cinna nachweist, dessen in Rede stehende Verse Gellius bei der Niederschrift aus dem Gedächtnis hinzufügt (frg. 9 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF), bekundet Sulpicius Apollinaris, selbst von den Anwesenden hochgeachtet (vgl. NA 19,13,5), verbunden mit der Berichtigung Frontos implizit seinen enormen Respekt vor diesem: Eine Übernahme und Verwendung des Lehnwortes durch Fronto hätte den Ausdruck geadelt. Alle diese Stellen vermitteln einen Eindruck von der in diesen intellektuellen Kreisen gepflegten Bildungskultur. Der respektvolle Umgang der Gebildeten miteinander, die alle, ob Meister des Faches, Lehrer oder Schüler, nach ihrem jeweiligen Bildungsgrad und Kenntnisstand zu den Diskussionen beitragen, spiegelt sich darin ebenso wider wie die Ausgrenzung derjenigen, die gegen den kultivierten Komment durch Ignoranz und Arroganz verstoßen. 4.3.2. Calvenos Tauros Dasselbe Bild ergibt sich aus den Szenen der _Noctes Atticae>, in denen Gellius seine Begegnungen und Gespräche mit Calvenos Tauros schildert, obwohl sie in Griechenland angesiedelt sind und Tauros als Philosoph einen ganz anderen Gelehrtentypus verkörpert. Für das Leben des Tauros, eines Lehrers der mittelplatonischen Philosophie, sind die _Noctes Atticae> des Gellius Hauptinformationsquelle neben einigen inschriftlichen (Ehreninschrift in Delphi225) und literarischen Zeugnissen (Philostratos; Iohannes Philoponos; Suda). Aus Beirut (Tyros) stammend, in Athen lebend und lehrend, war Tauros (geb. 105 n. Chr.; nach Hier. chron. ad 145 p. Chr [p. 202,25 HELM] wȴȶɄ im Jahr 145 n. Chr.) Leiter der Akademie und nach Angaben der Suda Verfasser zahlreicher Schriften, von denen _____________ 224 Vgl. zu verschiedenen Aspekten der Stelle NA 19,13,2-3 oben S. 92. S. 152. S. 163. S. 182. S. 197. S. 198. S. 228. S. 235 Anm. 155. S. 236 m. Anm. 151. 225 Vgl. LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 229.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

jedoch keine erhalten ist.226 Außer den Titeln mehrerer philosophischer Werke (ȡȯȺ¤ ȽȻ ȽÆv ȮoȭȶȪȽɂv ȮȳȫȿoȺrȻ ȡȵȪȽɂvoȻ ȴȫ¤ ’ȒȺȳȼȽoȽɃȵoȾȻ ; ȡȯȺ¤ ȼɂȶȪȽɂv ȴȫ¤ wȼɂȶȪȽɂv; Áąџȶvȱȶȫ ȯ¨Ȼ ȡoȵȳȽȯɅȫv ȡȵȪȽɂvoȻ) sind aus einem mehrbändigen Kommentar zum platonischen _Timaios> durch Iohannes Philoponos (_De aeternitate mundi>) Exzerpte überliefert. Dank Gellius sind ferner eine polemische Schrift gegen die Lehren der Stoa (NA 12,5,5) und ein Kommentar zu Platons Dialog _Gorgias> (NA 7,14,5) bekannt. Vielleicht beziehen sich die in NA 1,26,3 erwähnten commentarii über die Krankheit und den Affekt des Zornes noch auf eine weitere spezielle, ȡȯȺ¤ ±ȺȭȻ oder ähnlich betitelte Schrift. Doch geht es Gellius in den 15 Kapiteln der _Noctes Atticae>, in denen Tauros auftritt, weniger um die Würdigung der schriftlichen Hinterlassenschaften als um die Darstellung der Lehrerpersönlichkeit und Lehre des Calvenos Tauros, zu dessen Schülerkreis gehört zu haben er voller Stolz zu erkennen gibt (z.B. NA 17,20,4). Voller Verehrung für Tauros, den er als uir memoria nostra in disciplina Platonica celebratus (NA 7,10,1) vorstellt, sucht er seine persönliche Nähe zu dem Bewunderten zu zeigen, so wie Gellius sich überhaupt gerne im näheren Umkreis angesehener Zeitgenossen aufhält, um dadurch selbst an Ansehen zu gewinnen.227 Gellius gehörte zu dem engeren Kreis der Schüler, die philosopho Tauro iunctiores (NA 7,13,1) über den Unterricht hinaus vertraulichen Umgang mit ihrem Lehrer pflegten und nach der Entlassung der übrigen sectatores länger in seinem Hause verweilten (NA 2,2,2): Sie wurden von Tauros zu mehr oder minder frugalen Abendessen (NA 7,13,1; NA 17,8,1) eingeladen, bei denen wieder gemeinsam über verschiedene mitgebrachte oder sich ergebende quaestiunculae (NA 7,13,cap.; vgl. NA 17,8,cap: in sermonibus apud mensam Tauri philosophi quaeri agitarique eiusmodi solita) diskutiert wurde, und begleiteten Tauros auf Reisen (NA 12,5,1; vgl. NA 18,10,3). Gellius stellt anders als bei Fronto seine persönliche Beziehung zu Tauros dadurch heraus, daß dieser im Unterricht direkt das Wort an ihn richtete (NA 1,26,3; NA 17,7,9; NA 17,20,4-5). Und eine ganz besondere Auszeichnung war es, daß sein Lehrer ihm einen Krankenbesuch abstattete, als er in der Villa des Herodes Atticus zu Kephisia an einer Darmgrippe erkrankt war und zu Bett lag (NA 18,10,3).228 Die persönliche Anteilnahme an dem Wohlbefinden _____________ 226 Vgl. LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 210-211. 227 Vgl. HEUSCH, Proteische Verwandlung, 451-452. 228 Während LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 185-186 plausible Argumente dafür geltend macht, die Rahmenerzählung von dem Krankenbesuch als authentisch anzusehen, hält PEZZATI, Gellio, 842 sie für eine literarische Fiktion. B In NA 12,5 macht Tauros einen anderen Krankenbesuch bei einem stoischen Freund; Favorinus besucht in NA 2,26 den an Podagra leidenden Fronto, in NA 12,1,3 die im Kindbett liegende Frau eines Schülers, und in NA 16,3,2 macht er einen Besuch bei einem namentlich

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seiner Schüler offenbart das Wesen des Tauros, dessen Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit im Umgang mit seinen Schülern und Freunden Gellius in seinen Schilderungen immer wieder zum Vorschein bringt. Wenn Tauros Kritik an seinen Schülern übt, bewahrt er seine freundliche und gelassene Art (ohne Unterschied des Ansehens der Person; vgl. z.B. NA 2,2,1), außer bei der Zurechtweisung eines jungen Mannes, der sich für eine verwerfliche Tat zu rechtfertigen versucht mit dem Hinweis auf ähnliches Verhalten anderer (NA 10,19,1). So tituliert er den jungen Gellius, der nach seiner rhetorischen Ausbildung neu unter seine Schüler aufgenommen ist, humorvoll-ironisch als rhetoriscus (NA 17,20,4), um ihn von den Gegenständen und Übungen der Rhetorik hinzuführen zu den eigentlichen Inhalten und Anliegen der platonischen Philosophie, ad ipsa ... Platonis penetralia (NA 17,20,5).229 Dies ist das Hauptziel seiner Lehrtätigkeit (NA 7,10,1: ad philosophiam capessendam) neben der moralischen Anleitung seiner Schüler (NA 10,19,4: ad rationes bonae inculpataeque indolis ducebat). Außer dem Bild von der Person des Tauros entfaltet Gellius in den _Noctes Atticae> aber auch ein Spektrum der philosophischen Themen, mit denen sich Tauros beschäftigt hat. Es sind vor allem philosophiegeschichtliche Themen (NA 1,9,1-11: Aufnahmeverfahren neuer pythagoreischer Aspiranten und Leben in der Gemeinschaft der Pythagoreer; NA 7,10: Anekdote über den Eifer und den Einsatz des Sokratesschülers Eukleides; NA 9,5: doxographische Sammlung von Meinungen berühmter Philosophen über die Lust; NA 12,5,3-14: die stoische Lehre der Apatheia und die Kritik an ihrem Rigorismus vom Standpunkt der _____________ nicht genannten Kranken. In NA 19,10 besuchen der Numidier Iulius Celsinus und Gellius den (wiederum, diesmal schwer) fußkranken Fronto. Offenbar gehörte das Besuchen von Kranken zum kultivierten Umgang der Gebildeten miteinander (vgl. auch Plin. epist. 1,12,6-8. 1,22,8-11): vgl. BERTHOLD, Auswahl, 52-53; HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 71-72. 304. Auf jeden Fall war die Bemühung um die Kranken ein fester Bestandteil der konsolatorischen Tätigkeit der kaiserzeitlichen Philosophen: vgl. z.B. Dion Chrys. or. 77,7-9; Philostr. soph. 2,9-10 (556-557. 558) [II p. 64,2465,4. 66,3-6 KAYSER] und [ex negativo] Plut. mor. 168 c [= De superst. 7]; dazu R. KASSEL, Untersuchungen zur griechischen und römischen Konsolationsliteratur, München 1958 [= Zetemata 18], 45 m. Anm. 2. 229 Offenbar unterzog Tauros gerade die kürzlich von der Rhetorik zur Philosophie gewechselten Studenten einer kritischen Prüfung, um die Ernsthaftigkeit ihres Vorhabens bzw. ihre ethische Eignung, sich mit Philosophie zu beschäftigen, zu erproben. Denn in NA 10,19,1 tadelt er einen neuen Schüler ziemlich hart wegen eines nicht genannten moralischen Vergehens in der Absicht, sein Verhalten und seinen Charakter zu bessern: Sic Taurus omni suasionum admonitionumque genere utens sectatores suos ad rationes bonae inculpataeque indolis ducebat (NA 10,19,4). B Solche Übertritte von der Rhetorik zur Philosophie waren in der Hohen Kaiserzeit gang und gäbe nach Einschätzung von KASULKE, Fronto, Marc Aurel, 79-142, hier bes. 133-134.

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Metriopathie230), ethische bzw. moralische Fragen (NA 1,26: Darf ein Weiser zürnen ? ; NA 2,2,1-11: Wie soll man sich verhalten, wenn die Sohnespflichten gegenüber dem Vater in Konflikt geraten mit der Vorrangstellung von Privatpersonen gegenüber Amtsinhabern ? ; NA 7,14: Womit die Philosophen die Bestrafung von Vergehen begründen; NA 8,6,cap.: Über die Wiederversöhnung nach Streitigkeiten; NA 10,19: Man kann sich nicht zur eigenen Entschuldigung auf Fehler anderer berufen; NA 20,4: Warnung vor dem Umgang mit Schauspielern), aber auch naturwissenschaftliche Fragen aus der Physik und Biologie (NA 17,8,8: unterschiedliches Gefrierverhalten von Öl, Wein und Essig sowie verschiedener Gewässer; NA 18,10,3-7: über den Unterschied zwischen Venen und Arterien; NA 19,6: die physikalischen Ursachen des Errötens vor Scham und Erblassens vor Schreck) und Themen der Dialektik (NA 7,13,4: ˆvȲȾȶȱȶȪȽȳȫ quaedam lepida et minuta, z.B. NA 7,13,5-11: quaesitum est, quando moriens moreretur). Die Affinität des Platonikers Tauros zur Platonlektüre und -kommentierung231 tritt dabei mehrfach zutage: in NA 17,20,1-7 wird im Unterricht aus dem _Symposion> die Rede des Pausanias (symp. 180 c 2- 185 c 3) gelesen; in NA 7,13,10-11 nimmt Tauros Bezug auf _Parmenides> 156 d 6 - e 1. Aber auch Beschäftigung mit den aristotelischen _Problemata> (NA 19,6,1: frg. 243 ROSE = frg. 761 GIGON; NA 20,4,3: frg. 209 ROSE = frg. 711 GIGON = problem. [enkykl.] 30,10, 956 b 11-16) findet in seinem Unterricht statt.232 Bei aller Bewunderung und Sympathie, die Gellius für seinen verehrten Lehrer empfindet, ist eine gewisse Distanzierung von Tauros233 darin zu erkennen, daß der als rhetoriscus angeredete Gellius trotz dessen Aufforderung, sich mit den Inhalten der platonischen Philosophie zu beschäftigen (NA 17,20,4-7), es nicht lassen kann, eine lateinische Übersetzung der Platonstelle anzufertigen. Dabei versucht er der auch von Tauros gerühmten elegantia Graecae orationis Platons nahezukommen, allerdings nicht im Sinne der aemulatio, _____________ 230 Tauros selbst verteidigt in NA 1,26,10-11, unter Berufung auf eigene schriftliche Abhandlungen über das Thema der Affekte, insbesondere des Zornes (NA 1,26,3), und eine Plutarch-Anekdote (NA 1,26,4-9) die akademisch-peripatetische Position der ȶȯȽȺȳoąȪȲȯȳȫ gegen die stoische Lehre der wąȪȲȯȳȫ. Vgl. LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 40-45. 231 Mit Bezug nicht auf mündliche Unterweisung durch Tauros, sondern auf seinen schriftlichen _Gorgias>-Kommentar wird in NA 7,14,6-9 Plat. Gorg. 525 b 1-4 behandelt. 232 Gellius hat offensichtlich großes Interesse an Aristoteles und auch gute Kenntnisse seines Werkes, wie seine Benutzung insbesondere der naturwissenschaftlichen Schriften beweist; vgl. LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 192. 233 Auch zwischen Fronto und Gellius bestehen `differenze culturaliA hinsichtlich der Weite und Publikumsorientierung ihres Bildungskonzeptes, was ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 195-197 hervorhebt. Vgl. dazu oben S. 235 m. Anm. 151.

4.3. Protagonisten der griechisch-römischen Bildungskultur

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sondern wie er betont, nur auf dem Weg der imitatio: nos ea, quae in Platonis oratione demiramur, non aemulari quidem, sed lineas umbrasque facere ausi sumus.234 Offenbar ist Gellius zu sehr der Rhetorik und ihren Übungen verpflichtet, als daß er darauf ganz verzichten und sich ausschließlich der Philosophie verschreiben könnte. 4.3.3. Favorinus von Arelate Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß unter den Lehrern und Vorbildern, denen Gellius in seinen _Noctes Atticae> ein Denkmal setzt, Tauros noch übertroffen wird von Favorinus, der zugleich Rhetor und Philosoph ist und somit ein typischer Vertreter der Zweiten Sophistik.235 Er wird mit Recht als die Hauptfigur des gellianischen Werkes angesehen und sogar dessen `HeldA genannt.236 Dem entspricht auch die Häufigkeit, in der er in den NA in Erscheinung tritt: mit 101 namentlichen Nennungen in 34 (in NA 15,8 kann sich der mit Crux versehene Name Fauorini kaum auf Favorinus von Arelate beziehen) über das ganze Werk verteilten Kapiteln der _Noctes Atticae> ist er vom Anfang bis zum Ende präsent. Trotz dieser Allgegenwärtigkeit verfährt Gellius in seiner Darstellung wie bei den anderen Gestalten, indem er nur bestimmte Eigenschaften der Lehrer- und Vorbildpersonen beleuchtet, andere markante individuelle biographische Details und Besonderheiten im dunkeln läßt. So erfährt der Leser der _Noctes Atticae> wenig von der schillernden Figur des Favorinus, der nicht nur Aufsehen bei seinen Zeitgenossen erregt hat, sondern auch besonderes Interesse in der Nachwelt gefunden hat, wie die gerade in letzter Zeit ihm gewidmeten Untersuchungen bezeugen.237 Favorinus (ca. _____________ 234 Vgl. zu der Übersetzung in NA 17,20,8-9 oben S. 208. S. 215-216 m. Anm. 81. S. 217 Anm. 89. S. 225. 235 AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 4 nennt ihn einen `représentant de tout premier ordre de la Seconde SophistiqueA. Zu Begriff und Bedeutung der Zweiten Sophistik vgl. E. BOWIE, Zweite Sophistik; in: DNP 12/2 (2002) 851-857. 236 BEALL, Homo fandi dulcissimus, 100: `Favorinus, of all people, is the logical hero of this work.A Vgl. auch S.M. BEALL, Civilis eruditio, 248: `Favorinus is an appropriate hero for the _Attic Nights>A; AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 32-33: `Parmi les maîtres d’ Aulu-Gelle, Favorinos occupe certainement une position de premier rang ... Dans les _Nuits Attiques>, Favorinos est effectivement présenté comme un personnage de premier rang.A 237 HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 98-130 stellt keine andere Person aus dem Umkreis des Gellius so ausführlich dar wie Favorinus, den er in einem eigenen Kapitel und unter verschiedenen Aspekten (_Favorinus the philosophical sophist>; _Favorinus the sophistical philosopher>; _Favorinus the polymath>; _Favorinus the Latinist>; _Favorinus the social being>) behandelt. E. AMATO hat in seiner auf drei Bände angelegten

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

80/85-160), aus der Stadt Arelate, dem heutigen Arles, in der Provinz Gallia Narbonensis stammend, besuchte, nachdem er - wohl in Marseille vor allem im Griechischen ausgebildet worden war, den Unterricht bei Dion von Prusa (96/97-100/01), wahrscheinlich in Rom. Vielleicht ist dort durch seinen Lehrer und dessen Verbindung zu Trajan auch Favorinus früh in Kontakt mit dem Kaiserhaus gekommen. Auf jeden Fall knüpfte er Verbindungen zu vielen prominenten zeitgenössischen Intellektuellen des Imperiums, dessen Osten er als Redner durchreiste. Auf solchen Vortragsreisen, die ihn an verschiedene Orte Griechenlands und Kleinasiens führten, lernte er Plutarch kennen, mit dem ihn seitdem eine Freundschaft verband, wie dessen Werke mehrfach bezeugen. In Athen machte er ferner die Bekanntschaft des Herodes Atticus, mit dem er gleichfalls lebenslang freundschaftlich verbunden blieb.238 Als gefeierter Redner, dem in Athen und Korinth sogar Ehrenstatuen errichtet wurden, erlangte er Zugang in die nächste Umgebung des Kaisers Hadrian. Doch fiel Favorinus aus schwer zu ermittelnden Gründen, vielleicht aufgrund der Spannungen zwischen ihm und seinem Erzrivalen Polemon, der schließlich an seiner Stelle als offizieller Redner für die Eröffnung des Athener Olympieion bestimmt wurde, beim Kaiser in Ungnade, und wurde in die Verbannung geschickt. Eine Rückkehr aus dem Exil auf Chios wurde erst nach dem Regierungsantritt von Hadrians Nachfolgers Antoninus Pius (138) möglich und erfolgte gegen 141 n. Chr. Darauf etablierte sich Favorinus endgültig in Rom, er erwarb dort Besitz, pflegte seine Beziehungen zu den führenden gesellschaftlichen und intellektuellen Zirkeln der Stadt und versammelte eine Schülerschar um sich, vielleicht sogar in einer regelrechten Schule.239 Zu dem Kreis seiner Anhänger und Bewunderer gehörte dort auch Gellius, der später seinen verehrten Meister in seinem Werk verewigt hat. Bei der Darstellung des Favorinus geht es Gellius aber nicht um die Einbeziehung der bewegten, an Höhen und Tiefen _____________ Ausgabe der Werke des Favorinus im Rahmen einer allgemeinen Einführung im ersten kürzlich erschienenen Band auch die Person und das Werk des Autors unter ständiger Berücksichtigung der _Noctes Atticae> gewürdigt; in der Testimoniensammlung nehmen sie denn auch den meisten Platz ein: AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 1-3. 333B375. Vgl. auch die Kapitel in den Gellius-Monographien von ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 173-190; BEALL, Civilis eruditio, 182- 197 (_Favorin spricht zu uns>); ferner die Beiträge von BEALL, Homo fandi dulcissimus: The role of Favorinus in the _Attic Nights> of Aulus Gellius, 87-106; LAKMANN, Favorinus von Arelate, 233-243; SWAIN, Favorinus and Hadrian, 150-158. 238 Vgl. AMATO (Éd.), Favorinus d’ Arles, 17-18; FANTHAM, Literarisches Leben, 219: `Der Athener Herodes Atticus, der so reich war, daß er sich jeden Lehrer leisten konnte, war Favorinus’ Lieblingsschüler und erhielt nach dem letzten Willen des Favorinus dessen Bibliothek, dessen Haus in Rom und dessen indischen Lieblingssklaven.A 239 Vgl. PEZZATI, Gellio e la scuola di Favorino, 843.

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reichen Biographie, sondern wie bei den anderen prominenten Intellektuellen primär um die Präsentation eines Vorbildes. Und so spart er auch ganz die desavouierenden Details aus, die dieses Bild eines mustergültigen Gebildeten hätten trüben können. Solche kompromittierenden Nachrichten waren jedoch über Favorinus reichlich in Umlauf und verdichteten sich in dem gehässigen Porträt, das sein Rivale, der Sophist Polemon, in seiner _Physiognomik> von ihm angefertigt hat.240 Sie sind sogar in Favorinus’ eigenes von Philostratos in den _Vitae sophistarum> überliefertes Diktum eingeflossen: `daher habe er (Favorinus) diese drei Widersprüche für sein Leben verkündet: daß er als Gallier Griechisch spreche, daß er als Eunuch wegen Ehebruchs angeklagt sei, daß er sich mit dem Kaiser entzweit habe und dennoch lebe.A241 Von den drei Paradoxa finden die beiden prekären letzteren bei Gellius keinerlei Berücksichtigung, obwohl oder gerade weil die darin zusammengefaßten Fakten allgemein bekannt waren. Sein Hermaphroditismus und sein Ehebruch242 werden von Gellius ebenso verschwiegen wie seine Auseinandersetzung mit Hadrian, aus der nicht eine Hinrichtung, sondern nur seine Verbannung resultierte. Jedoch auch seine gallische Herkunft wird in den _Noctes Atticae> nur einmal erwähnt.243 Genauso wenig konkret faßbar bleibt dort das reiche rhetorische _____________ 240 Vgl. Polem. physiognom. I p. 161,6 - 164,6 FÖRSTER; Anon. Lat. physiognom. 40 p. 82,14-83,15 ANDRÉ = AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 323-325 T5 / T6. Die Rivalität mit Polemon bezeugt außerdem Philostr. soph. 1,8,3 (490-491) [II p. 10,13-27 KAYSER]. Vgl. dazu AMATO (ebd.) 27-29; SWAIN, Favorinus and Hadrian, 150-158; FANTHAM, Literarisches Leben, 218-219. 241 Vgl. Philostr. soph. 1, 8, 2 (489) [II p. 9,2-7 KAYSER]: µȲȯv ÓȻ ąȫȺȪȮoȸȫ ˆąȯɀȺȱȼȶÈȮȯȳ ȽÊ ‹ȫȾȽoº ȬɅÇ ȽȺɅȫ ȽȫºȽȫ˜ ȔȫȵȪȽȱȻ Ív ‹ȵȵȱvɅȰȯȳv, ȯ½voºɀoȻ Ív ȶoȳɀȯɅȫȻ ȴȺɅvȯȼȲȫȳ, Ȭȫȼȳȵȯ¥ ȮȳȫȿɃȺȯȼȲȫȳ ȴȫ¤ Ȱv. Zu den ebenso plastischen wie drastischen Paradoxa in dem autobiographischen Bonmot des Favorinus auch oben S. 165. 242 Zu seinem physischen Manko, das Favorinus viel Aufmerksamkeit und Spott eingetragen hat, vgl. AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 12-14. 36. GLEASON, Making Men, 131-158 stellt die ganze Karriere des Favorinus von seinem Hermaphroditismus ausgehend als einen Weg dar, seine mangelnde Männlichkeit durch seine öffentliche Redetätigkeit zu kompensieren (_Manhood Achieved through Speech: A EunuchPhilosopher=s Self-fashioning>). 243 Auf Favorins Herkunft aus Arles wird in den _Noctes Atticae> nur in NA 2,22,20 indirekt hingewiesen mit der Erwähnung seiner Landsmänner als nostri Galli im Zusammenhang mit der Windbezeichnung circius für den provenzalischen _Mistral>. (Die regionalen Beziehungen des Windnamens zum Gallischen und Spanischen, die bis in die Gegenwart fortbestehen, beschreibt ADAMS, The Regional Diversification of Latin, 225-227.) B Hingegen wird vielfach lobend hervorgehoben, daß und wie er Griechisch spricht, z.B. in NA 12,1,24 (Haec Fauorinum dicentem audiui Graeca oratione ... amoenitates uero et copias ubertatesque uerborum Latina omnis facundia uix quaedam indipisci potuerit, mea tenuitas nequiquam.); vgl. auch NA 2,26,5-7; NA 14,1,32, (NA 8,2,cap.); NA 16,3,2. Zu der Bevorzugung des Griechischen vgl. AMATO (Éd.), Favorinos d’Arles, 10-11 m. Anm. 27. 41.

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und sonstige literarische Schaffen des Favorinus, das ihn B wie seine Reiseund Lehrtätigkeit244 B mit der zugleich rhetorischen und philosophischen Ausrichtung als veritablen `SophistenA der sogenannten Zweiten Sophistik ausweist, die in der Antoninenzeit ihren Höhepunkt hat:245 denn als `sophistic philosophy, philosophic sophistryA lassen sich allgemein ihre Hervorbringungen charakterisieren.246 Auf die zahlreichen durch andere Textzeugen bekannten Reden und Deklamationen, die aber nur zu einem kleinen Teil (in Fragmenten) erhalten sind,247 gibt es bei Gellius meist allenfalls Hinweise. Lediglich in den Gellius-Kapiteln NA 14,1 und NA 17,12 werden eine Rede des Favorinus Adversum Chaldaeos (frg. 27 AMATO) bzw. eine rhetorische Schrift über ÁąoȲɃȼȯȳȻ xȮoȸoȳ, darunter laudes Thersitae und Febris quartanae laudes (frg. 28-29 AMATO), wie sie bei den Sophisten in Mode waren, als Quellen genannt.248 Auch auf die Buntschriftstellerei des Favorinus, die sich in zwei umfangreicheren Werken, in den =ȒąoȶvȱȶovȯѠȶȫȽȫ (_Memorabilia>; von den ursprünglich mindestens 5 Büchern sind nur erhalten frg. 39-58 AMATO) und in der ȡȫvȽoȮȫąŽ ¬ȼȽoȺɅȫ (_Omnigena historia>; aus 25 Büchern sind bloß überliefert frg. _____________ 244 Vgl. ANDERSON, The Second Sophistic, 22-24 (_Pupils and Teachers>). 28-30 (_The Sophist as Traveller>). 245 Vgl. ANDERSON, Some Problems of Perspective, 91. Favorinus wird als Repräsentant der Zweiten Sophistik ausführlicher behandelt von K. GERTH, Zweite Sophistik; in: RE Suppl. 8 (1956) 719-782, hier 749-752. 246 ANDERSON, The Second Sophistic, 133-143. - Eine umfassende Werkübersicht gibt AMATO in der Einführung seiner Favorinus-Ausgabe: AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 47-71. 247 Außer den im Corpus seines Lehrers Dion tradierten beiden großen Reden, țoȺȳvȲȳȫȴџȻ (,Corinthiaca>; Ps.-Dion. Chrys. or. 37) und ȡȯȺ¤ ȽѠɀȱȻ (_De Fortuna>; Ps.-Dion. Chrys. or. 64) und der direkt überlieferten längsten Rede ȡȯȺ¤ ȿȾȭȻ (_De exilio>; vgl. Dion. Chrys. or. 13) sind nur Titel von etwa 20 Schriften und etwa 160 Fragmente, darunter apokryphe und zweifelhafte, erhalten; darunter befinden sich keine Titel von Deklamationen, wohl aber sind durch Philostratos drei weitere Reden dem Titel bzw. Thema nach bekannt: nämlich eine Verteidigungsrede für die Gladiatoren (^Ȥą‡Ⱥ ȽÆv ȶovoȶȪɀɂv oder _Pro gladiatoribus>), eine Verteidigungsrede für die Bäder (^Ȥą‡Ⱥ ȽÆv ȬȫȵȫvȯɅɂv bzw. _Pro balneis>) und eine Rede gegen die B damals sehr beliebte B Befragung der sortes (]Ȗą¤ ȽÊ ȴȵɄȺÇ bzw. _Contra sortes>): vgl. AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 20. 51-52. 102. 248 Darüber hinaus werden auch aus anderen Gellius-Kapiteln, selbst wenn sie nicht auf Favorinus verweisen, mit mehr oder weniger Sicherheit weitere Fragmente von Favorinus’ Reden und Schriften gewonnen durch AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 30-31: überzeugt zeigt er sich im Falle von NA 1,3 (frg. 101 AMATO), NA 2,1 (frg. 102 AMATO), NA 10,12 (frg. 103 AMATO), NA 11,5 (frg. 32 AMATO), NA 14,1 (frg. 27 AMATO), NA 17,12 (frg. 28-29 AMATO); dagegen bestehen noch Zweifel bei: NA 2,5 (frg. 152 AMATO), NA 2,12 (frg. 153 AMATO), NA 2,22 (frg. 154 AMATO), NA 3,16 (frg. 155 AMATO), NA 12,1 (frg. 156 AMATO), NA 17,19 (frg. 158 AMATO), NA 18,7 (frg. 159 AMATO), NA 19,3 (frg. 160 AMATO).

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59-96 AMATO), niedergeschlagen hat, beruft sich Gellius nicht explizit, obwohl er sich in den _Noctes Atticae> an diesem literarischen Vorbild orientiert hat. Ähnlich verhält es sich mit den etwa fünfzehn philosophischen Schriften des Favorinus,249 von denen nur eine mit dem Titel _decem libri ȡȾȺȺɂvȯɅɂv ȽȺџąɂv> in NA 11,5,5 ausdrückliche Erwähnung findet. Dementsprechend wird Favorinus überhaupt von Gellius meist als philosophus vorgestellt (NA 1,3,27; NA 1,10,cap. 1; NA 2,5,cap.; NA 2,12,5; NA 2,26,1; NA 3,1,1; NA 3,19,1; NA 4,1,cap. 1; NA 9,13,5; NA 10,12,9; NA 14,1,cap. 1; NA 14,2,11.24; NA 16,3,6; NA 17,10,1; NA 17,19,1; NA 19,3,1; NA 20,1,cap. 2) und so auch von anderen angeredet: in NA 20,1,8 tituliert ihn der Jurist Caecilius als uir sapientiae studiosissimus, und der Grammatiker Domitius zählt ihn in NA 18,7,3 unter die philosophorum inlustrissimi. In NA 20,1,9 gibt er sich selbst (indirekt) als Anhänger der skeptischen Akademie zu erkennen: Scis enim solitum esse me pro disciplina sectae, quam colo, inquirere potius quam decernere.250 Als Skeptiker zieht er in NA 14,1 gegen die im 2. Jh. grassierende Astrologie der Chaldäer (vgl. frg. 27 AMATO) zu Felde; aufgrund seiner skeptischen Haltung eignet er sich auch in NA 18,1 zum arbiter in der zwischen einem Stoiker und Peripatetiker debattierten Streitfrage, ob die uirtus hinreichende Voraussetzung der uita beata sei.251 Doch, obgleich Philosoph, diskutiert er bei seinen Auftritten meist über grammatisch-rhetorische Fragen252 und zeigt sich in Streitgesprächen mit Sprachspezialisten den `FachmännernA durchaus gewachsen: NA 1,10 (Warnung vor übertriebenem Archaisieren); NA 2,5 (Stilvergleich zwischen Lysias und Platon); NA 2,22 (lateinische und griechische Windnamen); NA 2,26 (lateinische und griechische Farbbezeichnungen); NA 4,1 (Definition von penus _____________ 249 Unter den philosophischen Werken des Favorinus, die offenbar vorzugsweise von der skeptischen Akademie debattierte Themen behandeln, befinden sich z.B. _De Platone> (frg. 25 AMATO), _De ideis> (frg. 21 AMATO)_ ȡȯȺ¤ ȢɂȴȺȪȽoȾȻ ȴȫ¤ ȽȻ ȴȫȽ’ ȫ½Ƚ°v ˆȺɂȽȳȴȻ ȽɃɀvȱȻ (frg. 24)_ De Homeri philosophia> (frg. 23 AMATO); vgl. dazu E. AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 48-51. 250 Vgl. dazu NA 11,5,1-3: Quos Pyrronios philosophos uocamus, hi Graeco cognomento ȼȴȯąȽȳȴoɅ appellantur; id ferme significat quasi _quaesitores> et _consideratores>. Nihil enim decernunt, nihil constituunt, sed in quaerendo semper considerandoque sunt, quidnam sit omnium rerum, de quo decerni constituique possit. Doch war Favorinus eher ein eklektischer als ein skeptischer Philosoph; vgl. AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 155192, bes. 191-192. 251 Vgl. dazu oben S. 173-175. 252 Das läßt Gellius ihn in NA 4,1,18 mit eigenen Worten, in denen er zugleich die kommunikative und soziale Bedeutung der Sprache unterstreicht, verkünden: _Haec ego>, inquit _cum philosophiae me dedissem, non insuper tamen habui discere; quoniam ciuibus Romanis Latine loquentibus rem non uocabulo demonstrare non minus turpe est, quam hominem non suo nomine appellare.>

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

in Auseinandersetzung mit einem arroganten grammaticus); NA 8,2 (Lehn- und Fremdwörter im Griechischen); NA 9,13,5 (Anschaulichkeit der Schilderung des Claudius Quadrigarius); NA 13,25,2-5 (Bedeutungsdifferenz zwischen manubiae und praeda); NA 17,10 (Vergleich zwischen Vergils und Pindars Ätnabeschreibung); NA 18,7,1-4 (Untersuchung der Frage, ob contiones Äquivalent zu ȮȱȶȱȭoȺɅȫȳ ist). Daneben widmet er sich Themen, in denen die Erörterung moralisch bzw. ethisch relevanter Probleme einhergeht mit bzw. ausgeht von der Beschäftigung mit bestimmten Texten, z.B. in NA 3,1 über die Wirkung der auaritia in der Schilderung Sallusts (Catil. 11,3), in NA 2,12,5-6 über die in Solons Gesetzgebung verordnete Parteinahme und ihr Ziel der Streitschlichtung oder in NA 20,1 über die rechtlichen Bestimmungen des Zwölftafelgesetzes, das er mit Platons _Gesetzen> auf eine Stufe stellt. Auch allgemein juristisch versiert gibt er in NA 14,1 Gellius bei einem Problem, das diesen als jungen Richter vor eine unlösbare Entscheidung stellt, auf Nachfrage Auskunft. Und in NA 5,11,8-13 nimmt Favorinus teil an einer Diskussion über ein (vermeintliches) logisches bzw. dialektisches Problem, ein sogenanntes wvȽɅȼȽȺȯȿov bzw. reciprocum argumentum, d.h. eine umkehrbare Beweisführung als Sonderform des Syllogismus, von der Art, wie sie im vorhergehenden commentarius an einer Protagoras-Anekdote illustriert worden ist (NA 5,10). Dabei bestreitet er jedoch, daß das von Bias’ Äußerung aufgeworfene Dilemma, entweder eine schöne oder häßliche Frau heiraten zu müssen, woraus in beiden Fällen unvermeidlich Konflikte resultieren, wegen der nicht bestehenden Ausschließlichkeit der Alternativen ein solches wvȽȳȼȽȺɃȿov sei, und gibt eine lebenspraktische `LösungA, bei der Wahl der Ehefrau einer media forma, quae et a nimiae pulcritudinis periculo et a summae deformitatis odio uacat, einer kurzum als uxoria charakterisierten Gestalt, den Vorzug zu geben. Lebenserfahrung spricht auch aus der Debatte in NA 16,3, in der Favorinus unter Rückgriff auf den Mediziner Erasistratos sich zu einem Thema der Diätetik äußert. Auch über ein technisches Wunder, eine von Archytas konstruierte fliegende Holztaube, läßt Favorinus sich (vermutlich in seiner ȡȫvȽoȮȫąŽ ¬ȼȽoȺɅȫ) aus (NA 10,12,9-10). Das weite Spektrum von Diskussions- und Vortragsthemen, bei denen sich Favorinus kompetent zeigt, gibt Gellius die Gelegenheit, ihn als einen in vielen Wissensgebieten Beschlagenen, einen `UniversalgelehrtenA seiner Zeit253 oder ąoȵȾȶȫȲŽȻ ȴȫȽq ąrȼȫv ąȫȳȮȯɅȫv254 zu präsentieren. Und so beruft Gellius sich immer wieder auf Favorinus, sei es auf mündliche im Gespräch oder Unterricht erteilte (NA 1,15,7; NA _____________ 253 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 115-118; LAKMANN, Favorinus von Arelate, 235; AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 32-33. 38. 43. 254 Vgl. Suda s.v. ȥȫȬɂȺ¥voȻ 4, 690,16-17 ADLER.

4.3. Protagonisten der griechisch-römischen Bildungskultur

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2,22; NA 9,8,4; NA 14,1,34; NA 14,2,11), sei es auf schriftlich gegebene (NA 10,12,9-10; NA 11,5,5; NA 17,12,2) Informationen, die sich aber angesichts der Überlieferungslage der Werke Favorins255 und dem Zitierverfahren des Gellius256 kaum voneinander unterscheiden lassen. Ungeachtet dessen, daß Gellius wohl auch häufiger auf Favorinus’ Schriften zurückgreift, ohne ihn namentlich zu nennen,257 unternimmt er alles, um seine Nähe zu Favorinus demonstrieren: So spricht er von seinem bewunderten Lehrer, indem er ihn Fauorinus noster (NA 3,3,6; NA 5,11,8; NA 17,12,1; NA 18,7,2) nennt.258 Den Eindruck der Vertraulichkeit vermittelt er aber besonders dadurch, daß er sich ganze Tage in seiner Nähe aufhält (NA 16,3,1) und mit ihm gemeinsame Lektüre betreibt (NA 1,21,4),259 daß er mit anderen Vertrauten an einem Gastmahl des Favorinus teilnimmt (NA 2,22,1) oder ihn auf seinem Landsitz in Antium besucht (NA 17,10,1), ihn (mit anderen Anhängern) auf Spaziergängen in der Stadt wie am Strand von Ostia (NA 3,1,1; NA 18,1,2.16) oder (auf Favorinus’ Wunsch) bei Krankenbesuchen (NA 2,26,1; NA 16,3,2) begleitet. Auch daß Gellius als junger Privatrichter ihn, den Philosophen, in einer beruflichen Angelegenheit nach vergeblichem Konsultieren der magistri muti, d.h. der juristischen Fachbücher, um Rat fragt, weil er sich in _____________ 255 Vgl. AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 211-317, bes. 277-281, hier 279: `Établir avec précision ce qui dans le texte d’Aulu-Gelle revient réellement aux ouvrages de Favorinos et ce qui au contraire n’est qu’un enregistrement enjolivé et mis par écrit des conversations avec le maître, représente un travail ardu et risqué: l’éditeur ne peut pas se baser sur des arguments solides.A Ebd. 281: `Cinq fois seulement (FF 28-29, 32, 101103) on peut conclure avec certitude que le témoignage d’Aulu-Gelle joue un rôle décisif dans la reconstruction de l’ oeuvre de Favorinos, ou bien qu’ il est issu d’ouvrages écrits; pour le reste, l’attitude la plus raisonnable est l’abstention et le doute.A Ebd. 311: ` ... les fragments douteux ou apocryphes: ce sont eux pour lesquels on discute l’ attribution à Favorinos, ou bien pour lesquels on ne peut décider franchement s’ils consistent seulement en simple témoignages verbaux, et non en citations provenant d’oeuvres écrites: c’est le cas des nombreux chapitres d’Aulu-GelleA; vgl. auch oben S. 264 Anm. 247. 256 Vgl. dazu oben S. 149-152. 257 Vgl. AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 279-280 Anm. 753 (mit Angabe der einschlägigen Literatur). 258 Auch Fronto schreibt (mit kritischem Unterton ?): de Fauorini nostri pigmentis fuci (Laudes 2,3 p. 219,2 v.d.H.2). 259 Zu der durch die Überlieferung des Gelliustextes mehrfach aufgeworfenen Frage, wo in NA 1,21,4 die Äußerung des Favorinus endet und ob er (oder Gellius) Hyginus (in seiner Kritik an der vulgären Lesart der Vergilstelle) beipflichtet, vgl. A. M. TEMPESTI, Gellio I 21 e l’amarore lucreziano in Virgilio; in: Serta Antiqua et Mediaevalia, N.S.1, Roma 1997, 133-170, hier 142-144. Für eine fingierte Erzählung mit anekdotenhaften Zügen hält die Szene in NA 1,21 ZWIERLEIN, Ovid- und Vergil-Revision, 90, der (ebd. 87-90) die Identität und zeitliche Einordnung des Vergilkommentators C. Iulius Hyginus kritisch beleuchtet. Vgl. dazu auch oben S. 68 Anm. 70.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

einer schwierigen Entscheidung eine Hilfe zur Lösung seines Gewissenskonfliktes erhofft (NA 14,2,11), offenbart seine Anhänglichkeit an seinen Meister und seine Verehrung für ihn. Wenn Gellius schließlich dennoch dessen Empfehlung nicht folgt und sich zu keiner Entscheidung in Favorinus’ Sinne durchringt, sondern sich von seinem Amt in diesem Rechtsfall entbinden läßt, ist dies nicht ein Zeichen seiner Abkehr von Favorinus und seiner moralisch fundierten Empfehlung, sondern ein Ausdruck seiner von Favorinus gelobten Gewissenhaftigkeit (NA 14,2,12) und Bescheidenheit: sed maius ego altiusue id esse existimaui, quam quod meae aetati et mediocritati conueniret, ut cognouisse et condemnasse de moribus, non de probationibus rei gestae uiderer (NA 14,2,25).260 Generell vertritt Favorinus in seinem Unterricht nicht eine prätentiöse, sondern eine wirklich `nützlicheA Gelehrsamkeit: Sic Fauorinus sermones id genus communes a rebus paruis et frigidis abducebat ad ea, quae magis utile esset audire ac discere, non allata extrinsecus, non per ostentationem, sed indidem nata acceptaque (NA 4,1,19). Gemäß seiner Bewunderung für die Autorität des Favorinus läßt Gellius keine Gelegenheit aus, vor allem seine intellektuellen und rhetorischen Fähigkeiten zu loben: Er rühmt vor allem seine Gedächtniskapazität, seine egregia diuina memoria (NA 13,25,5), und nennt ihn wegen seiner umfassenden Literaturkenntnis und Belesenheit memoriarum ueterum exsequentissimus (NA 10,12,9). Aber auch überhaupt sein ingenium (NA 14,1,2. 32) und sein Scharfsinn (NA 11,5,5: subtilissime argutissimeque decem libros composuit) imponieren Gellius. Besonders haben es ihm aber die Eloquenz und sprachliche Eleganz (NA 9,8,cap.), die facundiae copia simul et uenustas (NA 14,1,32), des Favorinus angetan: Deshalb folgt er diesem homo fandi dulcissimus (NA 16,3,1) möglichst auf Schritt und Tritt und hängt sozusagen an seinen Lippen quasi ex lingua prorsum aptus. Diese Faszination übte Favorinus laut Philostratos auch auf andere Zuhörer aus, bisweilen allein schon durch den Klang seiner Stimme und den Rhythmus seiner Sprache (Philostr. soph. 1,8,4 [491] II p. 11, 7-11 KAYSER).261 Dabei bevorzugt Favorinus, aus einem Gebiet stammend, in dem neben dem Lateinischen und Griechischen auch das Keltische noch lange gesprochen worden ist,262 das Griechische, _____________ 260 Damit verhält sich Gellius wiederum gemäß der von Favorinus vermittelten Morallehre, der es ein wichtiges Anliegen ist, Scheinwissen, Angeberei und Geschwätz zu bekämpfen: z.B. in NA 1,10; NA 4,1; NA 17,19. Vgl. dazu. LAKMANN, Favorinus von Arelate, 239-240. Zum Habitus des Gellius in NA 14,2 vgl. auch S. 309 m. Anm. 15. 261 Vgl. LAKMANN, Favorinus von Arelate, 237-238. 262 Hieronymus bezeugt das unter Berufung auf Varro z.B. für Marseille (Hier. in Gal. 3,8-9 p.380B [= PL 26, p. 380, 426 B]. Vgl. auch Isid. orig. 15,1,63: Hos Varro trilingues esse ait, quod et Graece loquantur et Latine et

4.3. Protagonisten der griechisch-römischen Bildungskultur

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wie Gellius immer wieder zu erkennen gibt und betont (z.B. in NA 9,8,3; NA 16,3,2; vgl. bes. NA 14,1,32: Fauorinus, ut hominis ingenium fuit utque est Graecae facundiae copia simul et uenustas).263 Ausdrücklich läßt er Fronto, den lateinischen Sprachexperten, in der Diskussion über die Frage, ob das Lateinische oder das Griechische den größeren Reichtum an Farbbezeichnungen habe, zu Favorinus sagen: non infitias ... imus lingua Graeca, quam tu uidere eligisse, prolixior fusiorque sit quam nostra (NA 2,26,7). Während jedenfalls in den _Noctes Atticae> die Beherrschung des Keltischen keine Rolle spielt,264 erweist sich Favorinus auch im Lateinischen als außerordentlich bewandert (z.B. NA 1,10,7; NA 1,21,4-5; NA 2,26,21-23; NA 3,1; NA 3,3,6; NA 3,16,17; NA 3,19; NA 4,1,2-19; NA 5,11,12-13; NA 17,10),265 so daß er in NA 13,25,4-5 anläßlich der Bedeutungsdifferenzierung von praeda und manubiae bekennt: Etiamsi ... opera mihi princeps et prope omnis in litteris disciplinisque Graecis sumpta est, non usque eo tamen infrequens sum uocum Latinarum, quas subsiciuo aut tumultario studio colo, ut hanc ignorem manubiarum interpretationem uulgariam ... Vor allen anderen Vorbildfiguren der _Noctes Atticae> zeichnet ihn die Zweisprachigkeit besonders aus. Doch verkörpert Favorinus nicht nur die Bilingualität, sondern durch sein mit den Sprachkenntnissen zusammenhängendes vielfältiges kulturelles Wissen auch die Bikulturalität des 2. Jh.s in idealer Weise als unus profecto in nostra memoria non Graiae modo, sed Romanae quoque rei peritissimus (NA 20,1,20).266 In ihm hat die grie_____________ 263

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Gallice. Zur keltisch-lateinischen Sprachbeziehung vgl. ADAMS, Bilingualism and the Latin Language, 184-199. 438-443. Diese Präferenz für das Griechische, die Favorinus nicht nur mit dem Kaiser Marc Aurel, sondern auch mit Claudius Aelianus aus Praeneste, mit Musonius aus Volsinii, dem heutigen Bolsena, und dem Sophisten Aspasius aus Ravenna teilt, war etwas Besonderes in der damaligen romanisierten Elite der römischen Provinzen des Westens, in denen allgemein die lateinische Sprache vorherrschte; vgl. AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 10-11 Anm. 27. Während Favorinus in seiner Selbstdarstellung seine keltischen Ursprünge in Cor. 27 p. 402, 19-21 betont hat, ist bei Gellius nur aus der Erwähnung des provenzalischen Mistral-Windes in NA 2,22,20 zu entnehmen, daß er auch die keltische Sprache kannte: Nostri namque Galli uentum ex sua terra flantem, quem saeuissimum patiuntur, _circium> appellant a turbine, opinor, eius ac uertigine. Vgl. oben S. 263-264 Anm. 243 (zur gallischen Herkunft). B Dagegen hat auch Lukian die keltische Herkunft des Favorinus hervorgehoben, wenn man mit guten Gründen Luk. Herc. 4 auf Favorinus bezieht: vgl. AMATO, Luciano e l’anonimo filosofo celta di Herc., 4: proposta di identificazione; in: SO 79 (2004) 128-149. Vgl. AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 41 m. Anm. 135; BEALL, Homo fandi dulcissimus, 92-93; HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 118-129. Vgl. BEALL, Civilis eruditio, 23; ders., Homo fandi dulcissimus, 92-95. B Exemplarisch manifestiert sich seine gründliche Vertrautheit mit der römischen Kultur darin, daß er in NA 1,21,4 (ironisch) auf die – in ihrer Herkunft und Bedeutung nicht eindeutig zu

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

chisch-römische bilingue Kultur sozusagen Gestalt angenommen, weshalb er als Schlüssel- oder Symbolfigur in den _Noctes Atticae> rangiert.267 Für den Autor Gellius ist damit Favorinus in mehrfacher Hinsicht ein Vorbild: Nicht nur durch seine auf Sprachrichtigkeit und den Komment gebildeten Verhaltens ausgerichtete Wissens- und Wertevermittlung,268 sondern auch durch die Verbindung griechischer und lateinischer Sprache und Kultur, wie sie die _Noctes Atticae> prägt, ist er, `a microcosm or personification of Gellius’ cultural worldA, `the anchor of an ancient miscellany that originated in Athens but is composed in archaizing LatinA.269 Auf seinen Schüler Gellius hat Favorinus auch literarisch als Buntschriftsteller gewirkt (obwohl dieser Favorinus’ Werk ȡȫvȽoȮȫąŽ ¬ȼȽoȺɅȫ in NA praef. 8 unter den Titeln nennt, von denen er sich mit den _Noctes Atticae> abgrenzt). Durch seinen Sprachstil und seine Affinität zur frühlateinischen Prosa hat er den archaische und `moderneA Sprachelemente integrierenden, `eklektischenA Stil des Gellius vorbereitet, der mit seiner Mischung aus Griechisch und Latein, aus Alt und Neu zugleich als `internationalA und `perennialA charakterisiert wird.270 _____________

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erklärende (vermutlich mit dem ältesten Iuppiterkult, nämlich mit dem des Iuppiter Feretrius zusammenhängende), laut Cic. fam. 7,12(14),2 im ius ciuile angewandte B älteste römische Eidesformel (per) Iouem lapidem rekurriert: vgl. dazu CAVAZZA (Ed.), Le Notte Attiche, vol. 1, 385-386 Anm. 5 z.St.; LATTE, Römische Religionsgeschichte, 122-123 Anm. 4; G. WISSOWA, Lapis; in: RE 12/1 (1924) 779-782. Vgl. ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 190: `Il Favorino delle _Noctes Atticae> è insomma l’esempio emblematico dell’intellettuale nella cultura greco-latina del II sec., che G. ammira, perché, non limitandosi a conoscere un campo specialistico, è aperto a tutti i problemi culturali connessi.A Vgl. LAKMANN, Favorinus von Arelate, 239-240. 243; BEALL, Civilis eruditio, 62: `Favorinus illustrates the ideal of the _homme bien élevé>_ by his ethical preoccupations, gentle conduct and _bonhommie>.A BEALL, Homo fandi dulcissimus, 95. BEALL, Homo fandi dulcissimus, 100-101, hier bes. 100: ` ... he produces an eclectic style that is both _international> and _perennial>: This combination of Latin and Greek, of old and new, is well suited to the ethos of the _Attic Nights>.A Um den stilistischen Einfluß auf Gellius nachzuweisen, hat BEALL, ebd., 96-100 den Stil des Favorinus aus den im griechischen Original wiedergegebenen Passagen mit den von Gellius übersetzten bzw. lateinisch paraphrasierten Abhandlungen (NA 12,1; NA 14,1) bzw. Textstellen (NA 17,12,4-5; NA 17,19,1. 5-6; NA 19,3) verglichen. Gegen diese Methode ist jedoch einzuwenden, daß die Wiedergabe der `OriginalzitateA unter Umständen nicht unverfälscht erfolgt ist, sondern umgekehrt eine Assimilierung der Diktion des Favorinus an die des Gellius stattgefunden hat. Die Sprache des Favorinus untersucht anhand der erhaltenen Fragmente ausführlich AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 192211. B Von einer globalen, insbesondere aber sprachlich-stilistischen Beeinflussung durch Favorinus geht auch aus PEZZATI, Gellio e la scuola di Favorino, 848: `Gli influssi di Favorino su Gellio sono forse anche più notevoli (ma meno studiati) nel cam-

4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis

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Mit Hilfe der hier vorgestellten drei Hauptfiguren der _Noctes Atticae> und Protagonisten der kulturellen Welt des 2. Jh.s, des Numidiers Fronto, des Syrers Calvenos Tauros und des Galliers Favorinus, in denen die verschiedenen Reichsteile ebenso wie die diversen Gebiete der Bildung in den _Noctes Atticae> zur Geltung kommen, übernimmt Gellius als Autor die Aufgabe der Vermittlung der griechisch-römischen Bildungskultur. Während er durch die Darstellung anderer als vorbildlicher Akteure indirekt im Sinne der kulturellen `GlobalisierungA des Imperiums wirkt, fungiert die eigene Person, die in seinem Werk meist in der untergeordneten Rolle des Anhängers, des Bewunderers und gelehrigen Schülers erscheint, als unmittelbares Modell für das richtige Rezeptionsverhalten des Lesepublikums in der bilinguen und bikulturellen Bildungswelt.

4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis 4.4.1. Modelle kultur- und literaturgeschichtlicher Synkrisis Die im 2. Jh. im Rahmen der Zweiten Sophistik ihren Höhepunkt erreichende Entwicklung einer universalen zweisprachigen Kultur im gesamten römischen Imperium vollendet den Prozeß, der im 2. Jh. v. Chr. mit dem ersten Hellenisierungsschub im republikanischen Rom begonnen und bereits im 1. Jh. v. Chr. eine weitgehende Aneignung griechischer Kultur bewirkt hat.271 Von den frühen Anfängen an war die Akkulturation begleitet von wechselseitigen Ressentiments und Rivalitäten zwischen Griechen und Römern, die zum einen von der politischen Dominanz und dem kulturellen Inferioritätsgefühl der Römer, zum anderen von dem erlittenen Machtverlust und dem Bewußtsein der Kulturüberlegenheit der Griechen herrührten.272 Dieses Spannungsverhältnis ist auch schon in der _____________ po della letteratura o, meglio, del gusto stilistico letterario.A (vgl. auch ebd. 843. 852. 860). 271 Vgl. VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 15: `Eine besonders dynamische Zeit ist sodann das zweite Jahrhundert, in dem Rom einen _dramatischen Akkulturationsprozeß> erlebt. ... Schließlich ist im Laufe des ersten Jahrhunderts v.Chr. dann die Aneignung weitgehend vollzogen, die Römer sind zur _Kulturnation> geworden; im Bereich der Literatur wird eine klassische Stufe erreicht, mit Cicero etwa, Sallust (den Quintilian dem Thukydides gleichstellt) oder den augusteischen Dichtern. Dies mündet in der Kaiserzeit in eine durch das Bildungssystem gewährleistete selbstverständliche zweisprachige Kultur.A 272 Vgl. VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 11-33, bes. 29: Die Ambivalenz der römischen Reaktionen wird zuerst exemplarisch sichtbar in der Widersprüchlichkeit der Haltung, mit der Cato auf das Eindringen griechischer Kultur reagiert, einerseits als gelehriger Schüler der griechischen Kultur, andererseits als heftiger Gegner der

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

pointiertesten Beschreibung des Akkulturationsprozesses enthalten, die Horaz in seinen in diesem Zusammenhang notorischen Versen formuliert hat: Graecia capta ferum uictorem cepit et artis / intulit agresti Latio (epist. 2,1,156-157). Während die horazische Zuspitzung `in ihrer satirischen Barbarisierung AltromsA273 provokativ wirkt, beschreibt Vergil, im Bewußtsein des im 1. Jh. erreichten Status quo des Kulturtransfers zwischen Griechen und Römern,274 die Situation affirmativ, indem er in seinen berühmten programmatischen Versen des sechsten _Aeneis>-Buches (Aen. 6,847-853) Rom als politische Macht und Griechenland als Bildungsmacht definiert. Die Ambivalenz zwischen Respekt vor der kulturellen Hegemonie Griechenlands einerseits und den aus dem Unterlegenheitsgefühl gespeisten Vorbehalten gegenüber den Griechen andererseits, die eine Reihe von frühen Abwehrreaktionen hervorgerufen haben,275 literarisch vielfach artikuliert worden sind276 und sich sprachlich in den noch lange kursierenden Ausdrücken Graeculi und graecari mit ihrer peiorativen Konnotation manifestieren,277 hat die römische Mentalität über Jahrhunderte geprägt. Starkes Ressentiment gegen die Griechen hat zu Beginn des _____________

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Hellenisierung in seiner _Epistula ad M. filium>. In Plautus= Komödien wird die divergierende Auseinandersetzung mit der griechischen Kultur weiter ausgetragen, nicht nur auf stofflich-thematischer Ebene, sondern auch auf der `funktionalenA Ebene, indem die Stücke durch die `Inszenierung des dekadenten GriechenlandA ein Ventil für römische Vorurteile abgeben. Obgleich für Cicero das außerordentliche Prestige der griechischen Kultur außer Frage steht, lassen auch seine Äußerungen noch seine Ambivalenz erkennen: auf der einen Seite seine umfassende Beherrschung der griechischen Kultur und philhellenische Einstellung (z.B. Ad Q. fr. 1,1: Respekt vor Griechen als Kulturnation par excellence; Brut. 138: griechisches Niveau der Rhetorik als Maßstab), auf der andere Seite seinen Vorbehalt gegenüber den Graeculi und seine Behauptung römischer kultureller Identität (Tusc. 1,1: Verbesserung des Übernommenen durch die Römer; aber Tusc. 1,3: Graecia nos et omni litterarum genere superabat). VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 11. Die Beschreibung der Kulturüberlegenheit beschränkt Vergil unter Berücksichtigung der Situation seiner Zeit auf die Bereiche bildende Kunst, Rhetorik, Astronomie/Astrologie und spart, um den Anspruch des eigenen Werkes nicht in Frage zu stellen, die Dichtung aus: vgl. HOSE, Die zweite Begegnung Roms, 275-278. Am bekanntesten sind die Abwehrmaßnahmen gegen die griechischen Intellektuellen, das senatus consultum ultimum des Jahres 161 v. Chr. gegen die Philosophen und Rhetoren und die Ausweisung der griechischen Philosophengesandtschaft im Jahr 155 v. Chr. Vgl. GRUEN, Studies in Greek Culture, 158-192 (_Philosophy, Rhetoric, and Roman Anxieties>). Dieses Konglomerat negativer Einstellungen gegenüber den Griechen hat in der Kaiserzeit z.B. in Tacitus’ _Annalen> Niederschlag gefunden; vgl. FUCHS, Der geistige Widerstand, 18-19. 54-56 Anm. 66-67; SCHMITZ, Bildung und Macht, 183-184 m. Anm. 65. Vgl. DUBUISSON, Graecus, Graeculus, graecari, 315-335.

4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis

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2. Jh.s n. Chr. etwa Iuvenal in Iuv. 3,69-78 ganz unverblümt geäußert.278 Seine griechenfeindlichen Verse haben Ventilfunktion und sind zugleich Ausdruck sozialer Reserve genauso wie die abfälligen Bezeichnungen der Griechen.279 Aufgrund der Langlebigkeit von mentalitätsgeschichtlichen Haltungen bestand das spannungsvolle Wechselverhältnis zwischen Römern und Griechen auch dann noch fort, als sich die politische Situation der Griechen im Osten und das kulturelle Niveau und Selbstverständnis der Römer im Westen änderten. Die Griechen hatten durch die zunehmende Beteiligung ihrer Oberschicht an der Reichsverwaltung, die am deutlichsten dokumentiert wird in der wachsenden Zahl der griechischen Senatoren,280 und durch die Vorzugsstellung zahlreicher griechischer Intellektueller am kaiserlichen Hof 281 an politischem Einfluß und Gewicht gewonnen. Die aus dem Philhellenismus Hadrians und der Antoninen resultierende reiche kaiserliche Förderung der griechischen Städte wie kultureller Einrichtungen in ganz Griechenland tat ein Weiteres, um das kulturelle Überlegenheitsbewußtsein der Griechen zu stärken, die in der von Isokrates (or. 4,50) begründeten hellenistischen Tradition Griechentum qua Kultur definierten.282 Während die Römer die gestiegene Einflußnahme und das vermehrte Prestige der Griechen mit Skepsis und Vorbehalten begleiteten, blieb ihre Hochschätzung der griechischen Kultur davon unberührt. Plinius hat darüber in seinem berühmten Brief an den als Propraetor für die Provinz Achaia bestellten Freund Quintilius Valerius Maximus beredtes Zeugnis abgelegt: Reuerere conditores deos et nomina deorum, reuerere gloriam ueterem et hanc ipsam senectutem, quae in homine uenerabilis, in urbibus sacra. Sit apud te honor antiquitati, sit ingentibus factis, sit fabulis quoque. Nihil ex cuiusquam dignitate, nihil ex libertate, nihil etiam ex iactatione decerpseris (epist. 8,24,3-4). Und es gab auch umgekehrt, nachdem sich die Griechen mit der römischen Herrschaft arrangiert hatten, bei allen antirömischen Affekten auf der griechischen Sei-

_____________ 278 Vgl. HOSE, Die zweite Begegnung Roms, 274-275. 279 Vgl. VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 30. 280 Das die hadrianische Epoche und die Antoninenzeit behandelnde Kapitel in FORTEs Monographie über das griechisch-römische Verhältnis trägt die Überschrift _Greeks as Partners in Roman Rule and Educators of Roman Rulers (117 A.D.-182 A.D.)>; vgl. FORTE, Rome and the Romans, 291-450, bes. 339-342 (über die griechischen Senatoren); H. HALFMANN, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jh. n. Chr., Göttingen 1979, bes. 49-51. 76-81. 281 Vgl. FORTE, Rome and the Romans, 343-348. 282 Vgl. SCHMITZ, Bildung und Macht, 179-180.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

te,283 die Anerkennung der römischen Kulturleistungen. Schon in augusteischer Zeit hatte der romfreundliche Dionysios von Halikarnassos zugleich die Förderung des allgemeinen Wohls durch die politische Verwaltung und Machtausübung der Römer herausgestellt und die Römer, in deren Herrschaft er den Grund für den Wiederaufschwung der Rhetorik erkennt, als ȯ½ąȫɅȮȯȾȽoȳ ąȪvȾ ȴȫ¤ ȭȯvvȫ¥oȳ ȽqȻ ȴȺɅȼȯȳȻ ȭȯvџȶȯvoȳ [`überaus wohlgebildet und in ihren Entscheidungen vortreffliche LeuteA] (Dion. Hal. orat. vet. 3,1) gelobt.284 Der griechische Historiker Arrian aus Nikomedeia285 zollt in seiner Kaiser Hadrian gewidmeten Schrift _ȽɃɀȷȱ ȽȫȴȽȳȴɄ> aus dem Jahr 136/137 den Römern Lob dafür, daß sie nicht ihre eigenen Traditionen zu sehr gepflegt hätten, sondern Gutes von allen Seiten aufnehmend sich zu eigen gemacht hätten. Seine zunächst nur auf die militärische Ausrüstung bezogene, dann auch auf die Religion ausgeweitete anschließende Feststellung darf man wohl seiner Intention zufolge noch weiter dahin verallgemeinern, daß das Übernommene nun als römisch bezeichnet werde, da die Römer es aufs beste benutzt haben, d.h. fortentwickelt haben.286 Noch weiter geht Appian, der Historiker aus Alexandria, der in seiner Heimat eine hohe öffentliche Stellung innehatte und im Alter durch Vermittlung seines Freundes Fronto Procurator wurde, in seiner von den mythischen Anfängen bis ins 2. Jh. reichenden Darstellung der römischen Geschichte. Als romanisierter Provinziale identifiziert er sich so sehr mit der römischen Ideologie, daß er im Prooemium seiner in griechischer Sprache verfaßten ^ѢɂȶȫɇȴȪ (_Römische Geschichte>) nicht nur die politische Überlegenheit des römischen Imperiums herausstellt (praef. 11), sondern sogar die seit Augustus entwickelte kulturelle Herrschaft Roms lobt, die sich sowohl in der Verschönerung Roms und Vergrößerung des Reiches als auch im Ausschluß `barbarischer, keinen Gewinn bringenderA Völker aus ihrem Herrschaftsbereich sowie im zivilisierten Umgang mit

_____________ 283 Vgl. FUCHS, Der geistige Widerstand, 18-19. 49-54 Anm. 59-65. Entgegen der häufig verbreiteten Ansicht, daß Lukian von anti-römischer Ressentiments geleitet sei, nimmt SCHMITZ, Bildung und Macht, 178-179 m. Anm. 49 diesen ausdrücklich davon aus. Vgl. auch SWAIN, Hellenism and Empire, 315-321. 284 Vgl. HIDBER, Das klassizistische Manifest, 75-80. 117-122 behandelt die Stelle aus _De oratoribus ueteribus> im Zusammenhang mit Dionysios’ positiver Darstellung der Weltmacht Rom in seinem Geschichtswerk _Antiquitates Romanae>. 285 Zur öffentlichen Karriere Arrians unter Hadrian vgl. FORTE, Rome and the Romans, 307-315. 286 Arrian. techn. tact. 33,2-3: ȴȫ¤ ˆą¤ ȽÊȮȯ xȸȳoȳ ˆąȫȳvȯ¥ȼȲȫȳ ^Ѣɂȶȫ¥oȳ, µȽȳ o½ Ƚq o¨ȴȯ¥ȫ ȴȫ¤ ąȪȽȺȳȫ oÂȽɂȻ Ƚȳ ”ȭȪąȱȼȫv, ÓȻ Ƚq ąȫvȽȫɀџȲȯv ȴȫȵq ˆąȳȵȯȸȪȶȯvoȳ o¨ȴȯ¥ȫ ȼȿɅȼȳv ˆąoȳɄȼȫvȽo ... ȴȫ¤ •Ȯȱ ^Ѣɂȶȫɇȴȫ¤ ±voȶȪȰovȽȫȳ, µȽȳ ȴȺȪȽȳȼȽȫ ^Ѣɂȶȫ¥oȳ ȫ½Ƚȫ¥Ȼ ˆɀȺɄȼȫvȽo.

4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis

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den Provinzen zeige (praef. 7).287 In der Romrede des Rhetoren und prominenten Vertreters der Zweiten Sophistik Aelius Aristides (or. 26 KEIL)288 aus dem kleinasiatischen Mysien wird Rom als Zentrum der Welt und in der Nachfolge Griechenlands als Garant von Kultur und Zivilisation panegyrisch idealisiert: Rom ist xȼȽȾ ȴoȳvџv, `gemeinsame HauptstadtA (61) aller `Gebildeten, Tüchtigen und MächtigenA (59), und die römische Herrschaft hat auch im Osten ein `goldenes ZeitalterA und eine kulturelle Blüte begründet (92-107). Doch trotz dieser von den Intellektuellen propagierten Darstellung der römischen Kultur gab es in der Mehrheit der griechischen Bevölkerung offenbar kein größeres Interesse an ihr. Jedenfalls läßt darauf die geringe Verbreitung lateinischer Sprachkenntnisse schließen.289 Das Griechische war in der östlichen Oikumene für die meisten ihrer Bewohner, ausgenommen für die in der Verwaltung, im Heer oder im Handel Beschäftigten, weiterhin Umgangs- und Verkehrssprache und fungierte auch unter römischer Herrschaft sogar unverändert als Amtssprache. Dies änderte sich ab Mitte des 3. Jh.s in der Epoche der Severer allmählich, und erst im 4. Jh. gewann die lateinische Sprache im Osten an Boden, eine Tendenz, die in der Produktion lateinischer Literatur durch Autoren östlicher Provenienz, etwa in den Dichtungen Claudians von Alexandrien und in der Geschichtsschreibung des Ammianus Marcellinus von Antiochien, sichtbar zutage tritt.290 Bis mit dem Aufkommen des Christentums sich eine neue Opposition herausbildete, blieb jedoch der alte tradierte Gegensatz von griechischem kulturellen Überlegenheitsbewußtsein und römischem, zwischen Bewunderung, Philhellenismus und Aversion schwankendem, Inferioritätskomplex virulent. Die Kulturbegegnung zwischen Römern und Griechen, in der `kulturelle Rezeption und soziale Praxis ... beständig in komplexer Gegenstre_____________ 287 Appian. Rom. praef. 7,26: µȵɂȻ Ƚȯ Ȯȳ’ ȯ½ȬoȾȵɅȫv Ƚq ȴȺȪȽȳȼȽȫ ȭȻ ȴȫ¤ ȲȫȵȪȼȼȱȻ ‰ɀovȽȯȻ ȼѡȰȯȳv ˆȲɃȵoȾȼȳ ȶrȵȵov – ȽŽv wȺɀŽv ˆȻ xąȯȳȺov ˆȴȿɃȺȯȳv ˆą¤ ȬȪȺȬȫȺȫ ‰Ȳvȱ ąȯvȳɀȺq ȴȫ¤ wȴȯȺȮ ...; praef. 11,43: Ƚq Ȯ‡ ^ѢɂȶȫɅɂv ȶȯȭɃȲȯȳ Ƚȯ ȴȫ¤ ɀȺџvÇ ȮȳɄvȯȭȴȯ Ȯȳ’ ȯ½ȬoȾȵɅȫv ȴȫ¤ ȯ½ȽȾɀɅȫv ‰Ȼ Ƚȯ ȽŽv ąȯȺɅȴȽȱȼȳv ȫ½ȽÆv wȺȯȽ“ ȴȫ¤ ȿȯȺȯąovɅs ȴȫ¤ ȽȫȵȫȳąɂȺɅs ąȪvȽȫȻ ÁąȯȺȺȫv... Vgl. dazu FORTE, Rome and the Romans, 355-357. 288 Vgl. Die Romrede des Aelius Aristides, hrsg., übers. u. mit Erläuterungen v. R. KLEIN, Darmstadt 1983; KLEIN, Die Romrede des Aelius Aristides, hier bes. 128-136; dazu auch FORTE, Rome and the Romans, 395-407, hier bes. 400-402. 289 Vgl. dazu oben S. 195. S. 204. S. 222. Inschriftliche und literarische Zeugnisse für die B in geringerem Ausmaß vorhandenen B lateinischen Sprachkenntnisse unter den Griechen finden sich bei HOLFORD-STREVENS, Utraque lingua doctus, 203-207. Vgl. ADAMS, Bilingualism and the Latin Language, 29-107; ROCHETTE, Le latin dans le monde grec, 257-326. 290 Vgl. MARROU, Geschichte der Erziehung, 474-475.

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bigkeit ineinandergreifenA,291 spiegelt sich im Werk des Gellius in zahlreichen commentarii wider, in denen auf vielfältige Weise eine Synkrisis zwischen griechischer und römischer Literatur und Kultur stattfindet: Es werden griechische Texte in Übersetzung dargeboten, einzelne Literaturstellen verglichen, griechische und römische exempla nebeneinandergestellt oder griechische und römische Geschichte miteinander synchronisiert. Mit der Verschiedenartigkeit und Vielfalt der synkritischen Kapitel stehen Gellius= _Noctes Atticae> in einer weitverzweigten literarischen Tradition, die aus vielen verschiedenen Wurzeln gewachsen ist.292 Auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung gibt es seit dem 1. Jh. v. Chr. B zum größten Teil nicht erhaltene B Versuche in lateinischer Sprache, griechische und römische Geschichte im Zusammenhang miteinander bzw. im Vergleich darzustellen.293 Zum ersten Mal hat Nepos mit seinen dreibändigen _Chronica>294 eine Parallelisierung griechischer und römischer Geschichte, beginnend in mythischer Zeit bis in seine Gegenwart, geliefert.295 Im Rahmen dieser Universalgeschichte hat er auch die Kulturgeschichte berücksichtigt. Kurz darauf hat T. Pomponius Atticus in dem seinem Freund Cicero gewidmeten _Liber Annalis> einen kurzen Abriß der römischen Geschichte verfaßt, ausgehend von der Stadtgründung, die er B abweichend von Nepos und seitdem maßgeblich B im Jahr 753 ansetzte,296 bis zu seiner Gegenwart _____________ 291 VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 30. 292 FOCKE, Synkrisis, 327-368 hat in seiner eingehenden Untersuchung der literarischen Form der Synkrisis verschiedene Traditionslinien aufgezeigt: 1. Streitdichtung (328332), 2. Enkomion (332-339), 3. Literaturkritik (339-348), 4. Geschichtsschreibung (348-351), 5. Plutarchs ȼȾȭȴȺɅȼȯȳȻ (351-366). 293 RAWSON, Intellectual Life, 321 erklärt die unternommenen Versuche, griechische und römische Geschichte in lateinischen Werken zu synchronisieren, aus dem Bedürfnis, das in griechischer Sprache gesammelte Faktenwissen den Römern zugänglich zu machen, wie die `intellectual revolutionA auch sonst darauf zielte, durch Übersetzungen und Adaptationen die anderen Fachwissenschaften einem weiteren römischen Leserkreis zu erschließen. 294 Auch GEIGER, Cornelius Nepos, 68-72, hier 71-72 betont Nepos’ Innovationsleistung: `Nepos’ innovation in this composition of the _Chronica> should be seen in its proper context of literary history. ... it does reveal the same overall trend of a concentrated attempt to bring Latin literature up to par with Greek.A 295 Vorangegangen waren griechischsprachige Autoren: So geht Nepos mit der Konzeption seines Werkes und mit der Datierung der Stadtgründung Roms in das Jahr 751/750 v. Chr. auf Apollodoros von Athen zurück, der im 2. Jh. v. Chr. in seinen ȦȺovȳȴȪ in versifizierter Form eine Chronologie der Ereignisse von der Zerstörung Trojas bis zum Jahr 144/143 verfaßt hatte. Auf die apollodorische Chronologie baute Kastor von Rhodos im 1. Jh. v. Chr. auf, der zum ersten Mal in seiner Chronik orientalische, griechische und römische Geschichte bis ins Jahr 61-60 v. Chr. in tabellarischer Form zusammenstellte. 296 Das Gründungsjahr war laut Cic. Brut. 72-73 genauso umstritten wie andere kulturhistorisch bedeutsame Daten. Cicero selbst korrigierte nach Atticus seine Angaben des

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etwa im Jahr 50 v. Chr. In die Chronologie hat er bei aller Kürze kulturgeschichtlich bedeutsame Daten und auch Ereignisse der griechischen Geschichte einbezogen.297 Unter dem gleichen Titel erschien etwa zur gleichen Zeit ein Werk des L. Scribonius Libo, das vermutlich auch Ereignisse griechischer und römischer Geschichte synchronisierte.298 Varros Schrift _De gente populi Romani>,299 zugleich chronologisch und kulturhistorisch ausgerichtet in der Intention, die Stellung des römischen Imperiums in der Abfolge der Weltmächte und besonders die Übernahme griechischer Kultur durch die Römer aufzuzeigen, begann dagegen in der mythischen Vorzeit und endete mit der Gründung Roms. Ob die drei varronischen Bücher _Annales> auch die griechische Geschichte behandelt haben, läßt sich aufgrund der Überlieferung nur eines einzigen Fragmentes nicht mehr ermitteln.300 Nach diesen kürzeren Chronologien sind in augusteischer Zeit die umfangreichen (44 Bücher umfassenden), aber nur in der Epitome des Iunianus Iustinus (2./3. Jh.) erhaltenen, _Historiae Philippicae> des Pompeius Trogus entstanden. Als ausführliche Universalgeschichte konzipiert, enthalten sie in der nach chronologischen und geographischen Kriterien gegliederten Geschichte der Weltreiche eine ausführliche Darstellung der griechischen Geschichte von den Ursprüngen, über die Zeit der hellenistischen Staatenwelt bis zu ihrem Zerfall mit dem Ende des PtolemaierReiches (B. 3-40). Darin gibt Trogus nur eine kurze Darstellung der frühen römischen Geschichte im Rahmen des 43. Buches, die bei Tarquinius Superbus abbricht,301 bevor er am Schluß die historische Entwicklung _____________

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Gründungsdatums (rep. 2,18: 751 v. Chr.; Brut. 72: 753 v. Chr.). Aufschluß über die Bedeutung des Atticus für Cicero gibt dieser in orat. 120: quem laborem (d.h. den für den Redner unerläßlichen Erwerb von Kenntnissen der römischen und auswärtigen Geschichte) nobis Attici nostri leuauit labor, qui conseruatis notatisque temporibus, nihil cum illustre praetermitteret, annorum septingentorum memoriam uno libro conligauit. Vgl. F. MÜNZER, Atticus als Geschichtsschreiber; in: Hermes 40 (1905) 50-100, bes. 77-85; SCHANZ / HOSIUS 1,329-332. Vgl. F. MÜNZER, L. Scribonius (Libo); in: RE 2 A1 (1921) 881-885, hier 884. Vgl. CARDAUNS, Marcus Terentius Varro, 61; SCHANZ / HOSIUS 1,566: Varros Hauptquelle für _De gente populi Romani> war Kastor von Rhodos. B Varros der Fastentradition folgendes System der Umrechnung griechischer Olympiaden in römische `StadtjahreA nach der Gründung Roms setzte sich zwar zunächst nicht in der Praxis, aber seit der Kaiserzeit in der Geschichtsschreibung durch. Zu den Problemen der Umrechnung von Olympiaden in die Stadtära bzw. zur Übernahme der sog. Varronischen Ära in die moderne Zeitrechnung vgl. H. KALETSCH, Zeitrechnung; in: LAW 3 (1965/ 2001) 3307-3324, hier 3321. 3323; LEUZE, Das synchronistische Kapitel, 238-239. Vgl. CARDAUNS, Marcus Terentius Varro, 63. Die angeblich durch die zugrundeliegende griechische Quelle und die gallische Herkunft geprägte antirömische Tendenz wird neuerdings zu Recht in Frage gestellt: vgl.

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Galliens und Spaniens (bis zu seiner Eroberung durch Augustus im J. 25 v. Chr.) in den Blick nimmt. Eine Ausnahme in der romzentrierten römischen Geschichtsschreibung, stellt das Werk das Makedonenreich in den Mittelpunkt, setzt aber, offenbar von der schon in der frührömischen Historiographie aufgekommenen Geschichtskonzeption der translatio imperii 302 geleitet, das römische Reich seiner Zeit als Endpunkt der Geschichte. Velleius Paterculus berücksichtigt in seinem unter Tiberius produzierten unvollständig überlieferten Kompendium der gesamten römischen Geschichte vom Ende des Trojanischen Krieges bis in seine Gegenwart auch die literaturgeschichtliche Entwicklung, indem er in literarischen Exkursen die klassische griechische Literatur und die ältere römische im Vergleich (1,16-18) behandelt sowie die römische Literaturgeschichte des 2./1. Jh. v. Chr. bis zur Zeit Sullas (2,9) und die klassische römische Literaturepoche von Cicero bis Ovid (2,36) in aller Kürze resümiert.303 Während in der Geschichtsschreibung der allgemeine kulturvergleichende, synchronistische Aspekt im Vordergrund steht, sind im Bereich der Biographie die hier interessierenden Werke stärker auf die konkrete Synkrisis von Griechen und Römern ausgerichtet. Ein besonderes synkritisches Strukturprinzip hatten offenbar Varros nicht erhaltene _Hebdomades uel De imaginibus>, deren Titel Gellius in NA 3,10,1 überliefert. In ihren 15 Büchern waren 700 Biographien bedeutender Persönlichkeiten in der Weise zusammengestellt, daß ihrem Bildnis jeweils ein Epigramm und ein Prosatext zugeordnet waren, wie sich aus dem nächsten Gelliuskapitel (NA 3,11,3. 7) schließen läßt. Einiges für sich hat die Annahme, daß jeweils einem Buch mit Porträts griechischer bzw. außerrömischer Vertreter ein Buch mit römischen Repräsentanten einer bestimmten Disziplin oder eines bestimmten Gebietes (z.B. Architektur) folgte, wobei nach einem Einleitungsbuch von den zweimal sieben Büchern jeweils die geraden Nummern den Nichtrömern (so Buch 10 den griechischen Architekten) und die ungeraden den Römern gewidmet waren.304 An das Vorbild Var_____________ R. URBAN, _Gallisches Bewußtsein> und _Romkritik> bei P. Trogus; in: ANRW II 30.2 (1982) 1424-1443. 302 Sura, dessen Werk ,De annis populi Romani> nur durch eine Interpolation in der _Historia Romana> des Velleius Paterculus bekannt ist, hat, wenn man seine Frühdatierung zwischen 189 und 171 akzeptiert, als erster Römer die Konzeption der translatio imperii auf Rom angewendet: vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 166.1, S. 427428. 303 Zu den literaturgeschichtlichen Exkursen im Geschichtskompendium des Velleius Paterculus vgl. J. SCHWINDT, Prolegomena, 139-152 (_Literarhistoriographie als Kulturgeschichte: Velleius Paterculus>). 304 Über Aufbau und Inhalt des Werkes, das sich nur in Umrissen erkennen läßt, sind verschiedene Spekulationen angestellt worden: Die älteren Rekonstruktionsversuche

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ros schloß Nepos mit seinem biographischen Hauptwerk _Viri illustres> an, das, soweit die fragmentarische Überlieferung (nur das Buch mit Biographien von 23 nichtrömischen Feldherrn und aus dem Buch über lateinische Historiker die Biographien des älteren Cato und des Atticus sind erhalten) dies erkennen läßt, auch eine nach Personengruppen gegliederte (sicher Könige, Feldherren, Historiker, Dichter und wahrscheinlich Redner, vermutlich auch Grammatiker einschließende) Gegenüberstellung der Viten von Römern und Griechen (bzw. anderen Nichtrömern) lieferte.305 In der Verbindung griechischer und römischer Beispiele erinnert an Varros _Bildnisse> und Nepos’ Biographien bzw. dessen bloß dem Titel nach bekannten _Exempla>306 die aus tiberianischer Zeit stammende exemplaSammlung des Valerius Maximus, in der er _Dicta et facta memorabilia> berühmter Persönlichkeiten thematisch rubriziert und jeweils römische und außerrömische voneinander getrennt präsentiert hat.307 Näher an die Zeit von Gellius= _Noctes Atticae> heran rücken die Parallelbiographien Plutarchs, der in der Zusammenstellung einer griechischen und einer römischen Persönlichkeit die Synkrisis realisiert.308 Auch wenn es primäres Ziel seiner Darstellung sein mag, die Römer unter Außerachtlassen genuin römischer Vorstellungen an griechischen Maßstäben zu messen und damit _____________

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resümiert H. DAHLMANN, M. Terentius, 1227-1229, bes. 1228; vgl. auch FOCKE, Synkrisis, 364 (der sich an RITSCHLs Vermutung über die verschiedenen `FächerA anschließt), aus jüngster Zeit J. GEIGER, Hebdomades (binae?); in: CQ 48 (1998) 305309 und SCHWINDT, Prolegomena, 79-82. Zu Recht zieht aber CARDAUNS, Marcus Terentius Varro, 79 das Fazit: `Genaueres muß Spekulation bleiben, ebenso die Ausführung der Bilder, die sicher nicht nur Porträts und Brustbilder zeigten. Jedenfalls war ein Buch dieser Art einzigartig (Plin. NH 35,11: benignissimo inuentu).A Zu der Werkkonzeption vgl. LEO, Die griechisch-römische Biographie, 193-218, bes. 193-202; GEIGER, Cornelius Nepos, 84-115; vgl. auch SCHWINDT, Prolegomena, 122-138 (_Cornelius Nepos als Literarhistoriker>). Die griechisch-römischen literarischen Porträts des Nepos ordnet DIHLE, Literatur der Kaiserzeit, 79 nicht in die biographische Literatur, sondern in die römische exempla-Tradition ein: `Das, was wir daraus kennen, umfasst nicht eigentlich Biographien, sondern Persönlichkeitsbilder, die zeigen sollen, in welchem Sinn Themistokles oder Epameinondas in eine Reihe mit den exemplarischen Gestalten der römischen Überlieferung zu stellen sind.A Trotz der Schwierigkeit, die wenigen erhaltenen Fragmente den _Exempla> zuzuweisen, geht von einer Parallelisierung griechischen und römischen Materials aus GEIGER, Cornelius Nepos, 72-76. Dabei spricht er von vornherein den auswärtigen exempla eine andere, geringere moralische, rein literarisch-rhetorische Relevanz zu: attingam igitur externa, quae Latinis litteris inserta, ut auctoritatis minus habent, ita aliquid gratae uarietatis adferre possunt (1,6 ext.1). Vgl. HONSTETTER, Exemplum, 51-66. bes. 52. 54-55. 59. Zum Darstellungsprinzip der ȼѠȭȴȺȳȼȳȻ in den Parallelbiographien Plutarchs vgl. LEO, Die griechisch-römische Biographie, 149-152; H. ERBSE, Die Bedeutung der Synkrisis in den Parallelbiographien Plutarchs; in: Hermes 84 (1956) 398-424, bes. 418-419.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

die Priorität der Griechen zu betonen,309 entsteht doch eine enge Verbindung zwischen den jeweiligen Repräsentanten der beiden Kulturen und so der Eindruck ihrer festen Zusammengehörigkeit. In der lateinischen Literaturkritik war die Synkrisis zwischen Griechen und Römern ein konstitutives Element:310 So integrieren Ciceros und Quintilians rhetorische Schriften in ihre Darstellungen der lateinischen Literaturgeschichte auch kurze Abrisse der griechischen Literaturhistorie. Cicero, der selbst mehrfach in Synkrisis neben Demosthenes gestellt worden ist,311 gibt in seinem _Brutus> im Rahmen der Geschichte der römischen Rhetorik einen Überblick über die Entwicklung der griechischen Beredsamkeit (Brut. 26-52, bes. 26-38) und darin auch einen griechischrömischen Synchronismus (Brut. 39-42).312 Auch seine Schrift _De oratore> enthält nach einer kürzeren Gegenüberstellung der griechischen Historiker mit den römischen Geschichtsschreibern (2,51-58) eine knappe Vorstellung der griechischen Repräsentanten der verschiedenen Redestile (2,92-95) und einen längeren kulturgeschichtlichen Exkurs (3,127-141), in dem die griechischen Redner, Philosophen und andere Intellektuelle sowie Politiker (3,127-132. 137-141) mit römischen Geistesgrößen (3,133-136) kontrastiert werden.313 Ähnlich hat Quintilian in inst. _____________ 309 Diese Ansicht vertritt unter Zurückweisung anderer geläufiger Forschungsmeinungen DUFF, Plutarch’s Lives, 301- 309, bes. 291. 309. Er sieht nicht die kulturelle Einheit oder Aussöhnung betont, sondern er deutet die Unterwerfung der römischen Geschichte unter eine hellenozentrische Perspektive als `a statement of resistanceA. Dagegen ging es nach FOCKE, Synkrisis, 363-366 (hier 365) Plutarch bei der `Parallelisierung griechischen und römischen WesensA nicht in erster Linie um Romkritik, vielmehr `wollte Plutarch ausgleichend und einigend wirken.A 310 Vgl. FOCKE, Synkrisis, 339-348; KROLL, Studien, 14-16, hier 14: `Ganz von selber ergab sich so eine ständige Vergleichung mit den Griechen, wie wir sie bereits bei Quintilian fanden und wie es die Gewöhnung an die Synkrisis als an eine literarische Form nahelegte.A VARDI, Diiudicatio locorum, 492-498 (_Synkrisis as a method of literary criticism>). 311 Laut der Suda (s.v. țȯȴɅȵȳoȻ 3, 83,7 ADLER) hatte vor Plutarch bereits Caecilius von Kale Akte eine ȢѠȭȴȺȳȼȳȻ ȕȱȶoȼȲɃvoȾȻ ȴȫ¤ țȳȴɃȺɂvoȻ verfaßt. Vgl. dazu FOCKE, Synkrisis, 348. 353-354; KROLL, Studien, 16. Eine Synkrisis zwischen Demosthenes und Cicero findet sich auch in der Schrift ȡȯȺ¤ ÂɁoȾȻ (12,4). 312 Die Synkrisis als Strukturprinzip von Ciceros _Brutus> beschreibt KYTZLER in der (nachgestellten) Einführung der zweisprachigen Textausgabe: Marcus Tullius Cicero: Brutus, lat.-dt., hrsg. v. B. KYTZLER, München / Zürich 41990, 292-294; vgl. auch C. RATHOFER, Ciceros _Brutus> als literarisches Paradigma eines Auctoritas-Verhältnisses, Frankfurt a.M. 1986 [= Beiträge zur klassischen Philologie; H. 174], 83-85. 127-132. 313 Die Synkrisis von Griechen und Römer, die Cicero der Geschichtskonzeption des Poseidonios folgend besonders in seinen rhetorischen Schriften unternahm, zielte insgesamt darauf, die römische Akkulturationsleistung herauszustellen. Vgl. LEO, Die griechisch-römische Biographie, 194: `Seine Darstellung ging darauf hinaus, die römische ȰɄȵɂȼȳȻ in der Staats- und Kriegskunst wie im Culturleben überall als erfolgreich

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281

10,1,46-131 im Rahmen seiner literaturdidaktischen Lektüreempfehlungen die Reihe der mustergültigen griechischen Autoren vor den entsprechenden lateinischen aufgezählt.314 Auch in kürzeren Passagen hat Cicero immer wieder in synkritischer Methode griechische und römische Literatur und Kultur einander gegenübergestellt und dabei je nachdem entweder die Ungleichzeitigkeit der kulturellen Entwicklung (rep. 1,58: Rom war adulta uix ... prope senescente iam Graecia) 315 oder die kulturelle (Früh)Reife Roms und die Nähe zu Griechenland betont (rep. 2,18-21: bereits bei der Stadtgründung durch Romulus war das Volk so weit entwickelt, daß Cicero es in einem Lebensaltervergleich bezeichnet als neque ut in cunabulis uagientem relictum, sed adultum iam et paene puberem).316 Um seine eigene schriftstellerische Tätigkeit zu begründen und zu legitimieren und die Bedeutung seiner vermittelnden Leistung ins Bewußtsein zu bringen, hat er insbesondere in mehreren Proömien seiner philosophischen und rhetorischen Schriften, den Literatur- und Kulturvergleich „griechisch-römisch“ ausgeführt.317 In poetische Form hat Horaz in epist. 2,1,50-62 eine Synkrisis griechischer und lateinischer Autoren gekleidet, deren starres Wertungsraster sie aber als `VulgärhistorieA der Kritiker kennzeichnet und deutlich abhebt von der im weiteren Fortgang der Augustusepistel von Horaz selbst präsentierten kulturhistorischen Darstellung der Entwicklung der römischen Literatur aus der Adaptation der griechi-

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nachzuweisen; das führte von selbst darauf, die hervorragenden Männer der griechischen und römischen Welt gegeneinander zu stellen.A B Jedoch haben die synkritischen Abschnitte darüber hinaus unterschiedliche spezielle Funktionen im jeweiligen Argumentationszusammenhang der ciceronischen Werke: vgl. LEEMAN / PINKSTER / NELSON, Kommentar zu Cic. de orat. 2,74-98 (Vorbemerkungen), Bd. 2, 287. Als `ein kritisch kommentiertes Verzeichnis griechischer und lateinischer Literatur nach GattungenA, `einen Lektürekanon für mündige LeserA charakterisiert diesen Abschnitt kurz im Rahmen seiner ausführlicheren Behandlung von _Quintilians Literaturpädagogik> SCHWINDT, Prolegomena, 153-173, hier 155. 159-160 (zur griechischrömischen `Parallelisierung bzw. KontrastierungA). Vgl. Brut. 39: at hi quidem, ut populi Romani aetas est, senes, ut Atheniensium saecula numerantur, adulescentes debent uideri. Im Bewußtsein des kulturellen Rückstandes hebt Cicero die Übereinstimmung der Mentalität hervor bei der Gegenüberstellung griechischer und römischer Gesetzgeber und Politiker in de orat. 3,56: hinc illi Lycurgi, hinc Pittaci, hinc Solones atque ab hac similitudine Coruncanii nostri, Fabricii, Catones, Scipiones fuerunt, non tam fortasse docti, sed impetu mentis simili et uoluntate. Vgl. Tusc. 1,3-5; fin. 1,4-8; leg. 1,5-7. Vgl. auch rep. 1,5-7 (Aufführung von exempla der Verbannung und Ächtung verdienter Politiker in der griechischen und römischen Geschichte von Themistokles bis zu Cicero).

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schen Literatur (epist. 2,1,139-167, bes. 156 ff.).318 Die Autorenkontrastierung blieb aber auch über das 1. Jh. (Tac. dial. 25; vgl. auch dial. 15,3) hinaus bis ins 2. Jh. hinein ein bevorzugtes Mittel der Literaturkritik (Fronto fer. Als. 3,1 p. 227,10-12 v.d.H.2).319 Dabei werden ganze Kataloge, Gruppen oder auch einzelne Paare von Autoren, Dichtern wie Prosaikern, griechischer und lateinischer, aber auch gleicher Sprache zusammengestellt.320 Da die römische Literaturtheorie nicht prinzipiell zwischen gleichund verschiedensprachigen Texten unterschied, sondern an beide dieselben Wertungskriterien anlegte,321 gab es als eine verbreitete Form der literaturkritischen Komparatistik auch den mehr oder weniger ausgedehnten Vergleich einzelner Stellen bzw. Perikopen der lateinischen und griechischen Literatur,322 wobei zumeist bestimmte thematische Aspekte der Gegenüberstellung zugrundelagen und eine Beziehung zwischen den Texten herstellten. Die sprachlich-literarische Synkrisis fand nicht nur im grammatischen Kontext,323 sondern vor allem im Rahmen der sich immer stärker durchsetzenden Rhetorik zunehmend Verbreitung. `The ubiquity of comparative criticism in second-century rhetorical discourseA324 hing auch insbesondere damit zusammen, daß die Synkrisis als rhetorische Übung im Rahmen der Progymnasmata betrieben wurde. _____________ 318 Vgl. SCHWINDT, Prolegomena, 176-186, hier 181. Die griechisch-römische Synkrisis in dieser Epistel behandelt speziell L. BÖSING, Griechen und Römer im Augustusbrief des Horaz, Konstanz 1972. 319 Vgl. VARDI, Diiudicatio locorum, 496-497, bes. Anm. 20. Eine Kurzcharakterisierung der kanonisierten lateinischen Autoren gibt auch Apul. apol. 95,5. 320 Autorenkatalog z.B. in Tac. dial. 18. 26,1; Paarvergleich z.B. in Vell. 2,36,2; Sen. contr. 9,1,13; Petr. 55; Tac. dial. 32,5. Nach Plin. epist. 7,4,3.6 soll Asinius Gallus, Sohn des C. Asinius Pollio, in einer Schrift _De comparatione patris et Ciceronis> Cicero mit seinem Vater verglichen haben, in der er letzterem den Vorrang einräumte und Ciceros Sprache kritisierte (vgl. Quint. inst. 12,1,22; Suet. Claud. 41,3; Gell. NA 17,1,1). B In der giechischen Literaturkritik dieser Zeit ist neben Dionysios von Halikarnassos als Vertreter der vergleichenden Literaturkritik Caecilius von Kale Akte hervorgetreten, der laut der Suda (Suda s.v. țȯȴɅȵȳoȻ 3,83,7.9 ADLER; Plut. Dem. 3,1-2) sowohl eine Synkrisis zwischen Demosthenes und Cicero als auch eine Synkrisis zwischen Demosthenes und Aischines verfaßt hat. Vgl. VARDI, Diiudicatio locorum, 497. 321 Vgl. VARDI, Diiudicatio locorum, 502. 322 Dies bezeugen für die Antoninenzeit Gellius’ detaillierte Textvergleiche (z.B. NA 10,3; NA 16,1,3; NA 19,11) ebenso wie Frontos Vergleich zwischen den Prooemien des Epos Lukans und der _Argonautika> des Apollonios (De orat. 6-7 p. 155,4-156,2 v.d.H.2). 323 Vgl. VARDI, Diiudicatio locorum, 509-514 (_Comparisons of literary imitations and their models by the grammarians>). 324 Vgl. VARDI, Diiudicatio locorum, 500-502, hier 500.

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Innerhalb des progymnasmatischen Übungsprogramms baute die Synkrisis (Comparatio), an allen möglichen Vergleichsgegenständen von Personen, Handlungen, Zuständen, Lebensweisen bis zu Orten, Tieren oder Pflanzen exerziert, auf den vorhergehenden Übungen Enkomion (Laus) und Psogos (Vituperatio) auf. Denn sie nahm Elemente beider auf, indem sie entweder als Doppellob oder Doppeltadel ausgestaltet wurde oder das Lob der einen Seite mit der Kritik an der anderen Seite verband.325 Nach der Theorie der Progymnasmatiker, die den Vergleich als Argumentations- und Amplifizierungsmittel einstufte, hatte die Synkrisis Platz in den verschiedensten rhetorischen Kontexten, zunächst als selbständige Übung oder als Teil innerhalb anderer Übungstücke326 in der rhetorischen Ausbildung, dann aber auch in der öffentlichen Rhetorik ebenso in der Gerichtsrede und politischen Rede wie in der epideiktischen Beredsamkeit. Als besonders eng galt hier ihre Verbindung zum Enkomion.327 Die Verwendung der Synkrisis in der Schulrhetorik hat zugleich ihre literarische Gestaltung beeinflußt328 und ihre Banalisierung bewirkt. Aufgrund ihrer Breitenwirkung wurde sie auch zu einem beliebten Unterhaltungsstoff beim Symposion, was schon vor Gellius= _Noctes Atticae> (NA 19,9) Iuvenals Satiren (Iuv. 6,434-437. 11,179-181) bezeugen. Der Vergleich zwischen Homer und Vergil war dort offenbar ein Standardthema. 4.4.2. Synkrisis und Synchronismus in den ,Noctes Atticae> Die Synkrisis ist im 2. Jh. zur Mode und `zur Manie gewordenA,329 die auch Gellius ergriffen hat, wie seine vielfältigen Vergleiche zwischen Griechen und Römern, griechischer und römischer Literatur und Kultur zeigen.330 Sein Hauptinteresse gilt dabei der Sprache, wenn er in Übersetzungen und Paraphrasen Original und Nachbildung einzelner Textstellen _____________ 325 Vgl. CIZEK, Imitatio, 315-318. 326 Der Vergleich ist Bestandteil in verschiedenen anderen Progymnasmata, im Gemeinplatz wie im Enkomion und Psogos, kommt aber auch in selbständiger Form vor; vgl. HUNGER, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, 1, 106-108. 327 Vgl. CIZEK, Imitatio, 235; FOCKE, Synkrisis, 331. 335-339 (mit zahlreichen Beispielen aus der rhetorischen Theorie und Literatur). 366. 328 Starke rhetorische Einflüsse weist FOCKE, Synkrisis, 354-358 in den Parallelbiographien Plutarchs nach. Vgl. auch DUFF, Plutarch’s Lives, 243-286, bes. 243-245. 249257. 286. 329 Vgl. FOCKE, Synkrisis, 338. 330 BERTHOLD, Synkrisis, 506. 510 geht sogar so weit, die Synkrisis `das GrundthemaA dieses AutorsA bzw. `das Thema Griechenland B Rom, Griechen B Römer als ein, ja eigentlich das Hauptthema dieses ... AutorsA zu nennen.

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nebeneinanderstellt, griechische und lateinische Phrasen und Einzelworte miteinander vergleicht und etymologische Beziehungen zwischen ihnen herstellt.331 Aber auch darüber hinaus stehen in den _Noctes Atticae> sprachlich-literarische Themen im Vordergrund, anhand deren er Konvergenz und Divergenz der griechischen und lateinischen Sprach-, Literaturund Kulturerscheinungen beschreibt. So liegt der Redensart inter os et offam `zwischen Mund und Bissen (kann vieles passieren)A (NA 13,18) im Sinne von `in einem AugenblickA dieselbe Vorstellung zugrunde, wie sie der griechische sprichwörtlich gewordene Vers (zuerst bezeugt durch Aristoteles in der ȢȫȶɅɂv ąoȵȳȽȯɅȫ frg. 571 C ROSE = frg. 589,4 GIGON; vgl. auch Athen. 11,478 e) formuliert: ąoȵȵq ȶȯȽȫȸ¹ ąɃȵȯȳ ȴѠȵȳȴoȻ ȴȫ¤ ɀȯɅȵȯoȻ xȴȺoȾ [`Vieles geschieht zwischen Becherrand und LippensaumA] (NA 13,18,3).332 Das redensartliche caninum prandium führt er in NA 13,31 zurück auf das griechische Sprichwort, daß nach Farbe und Alter mittlerer Wein eine `HundemahlzeitA sei, da er eigentlich gar kein richtiger Wein sei und nicht von Weintrinkern (sondern nur von weinabstinenten Hunden) getrunken werde. Im Lateinischen werde der Ausdruck caninum prandium daher für ein abstemium prandium, d.h. ein einfaches Mahl ohne Weingenuß, gebraucht. In der vor allem durch Varro bezeugten Physis-Thesis-Debatte (NA 10,4), die sich mit der Frage beschäftigt, ob die sprachlichen Äußerungen und Wörter auf Natur oder Setzung beruhen,333 vertritt Gellius mit P. Nigidius Figulus für beide Sprachen in gleicher Weise die Position der Naturgegebenheit: eadem ratio est in Graecis quoque uocibus, quam esse in nostris animaduertimus (NA 10,4,4). Dagegen besteht eine aufschlußreiche Differenz zwischen griechischer und lateinischer Sprache darin, daß im Lateinischen Äquivalente für die griechischen Bruchbezeichnungen hemiolios (_anderthalb>) und epitritos (_vier Drittel>) fehlen und damit im philosophischen Diskurs relevante Ausdrücke nicht zur Verfügung stehen: haec autem notare meminisseque non esse ab re uisum est, quoniam, uocabula ista numerorum nisi intelleguntur, rationes quaedam subtilissimae in libris philosophorum scriptae percipi non queunt (NA 18,14,6). _____________ 331 Zur griechisch-lateinischen Übersetzung und anderen Formen der Zweisprachigkeit vgl. Kapitel 4.2.1, S. 205-229, bes. 212-216; zu den griechisch-lateinischen Etymologien vgl. S. 91-95. 332 Vgl. CAVAZZA (Ed.), Le Notti Attiche, vol. 7, 206 Anm. 10. z.St. 333 Die auf Platons _Kratylos> zurückgehende Physis-Thesis-Debatte und die in der lateinischen Sprachforschung parallel dazu geführte Debatte um Analogie und Anomalie (vgl. NA 2,25; NA 19,8,3-13; dazu oben S. 239-240) sowie Varros Standpunkt in diesen von Philosophen wie Grammatikern diskutierten Fragen beschreibt COLLART, Varron grammairien, 3. 135. 258-302, bes. 258-259. 275-278. 300.

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Bezeichnend dafür, wie Sprache und Literatur auch in anderen commentarii dominieren, in denen Griechen und Römer in der von Gellius geschilderten Gegenwart, aber auch in der literarisch dokumentierten Vergangenheit einander begegnen, ist die erste Beschreibung der für die frühe griechisch-römische Kulturbeziehung334 signifikanten athenischen Philosophengesandtschaft des Jahres 155 v. Chr. in NA 6,14,8-11 (noch einmal in NA 15,11 und NA 17,21,48). Ihre drei namentlich genannten Teilnehmer, Karneades, Diogenes und Kritolaos, deren Ausweisung aus Rom hier nicht (dagegen aber in NA 15,11,3) erwähnt wird, werden nämlich nicht nur als Vertreter der drei philosophischen Schulen der Akademie, der Stoa und des Peripatos, sondern auch und hauptsächlich mit ihren durch einen Dolmetscher (NA 6,14,9: interprete usi) übersetzten Reden im Senat als Repräsentanten der drei genera dicendi vorgestellt.335 Ein anderes Datum aus der frühen griechisch-römischen Geschichte, nämlich die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Makedonen und Römern, die mit dem Sieg über Perseus 168 v. Chr. endete,336 ist ebenso mit einem sprachlich bzw. literarisch relevanten Thema, mit Tiros Kritik an Catos Rede _Pro Rhodiensibus> (des Jahres 167 v. Chr.) und Gellius’ Gegenkritik verquickt, so daß es nur beiläufig, weil offensichtlich als bekannt vorausgesetzt, bzw. mittelbar innerhalb der von Tiro zitierten Cato-Rede angemerkt wird (NA 6,3,2.16). Die wohl berühmteste Rede Catos, die Gellius offenbar fasziniert hat und von ihm noch einmal in NA 13,25,1314 zitiert wird,337 bezeugt, daß Cato trotz seiner notorischen Ablehnung eines unkritischen Philhellenismus und seiner Bekämpfung von dessen Auswüchsen338 außenpolitisch für ein zurückhaltendes Vorgehen in Ma_____________ 334 Zu den Kulturkontakten zwischen Griechen und Römern im 3./2. Jh. v. Chr. vgl. RAWSON, Roman Tradition, 422-476. 335 VARDI, Diiudicatio locorum, 495-496 vermutet als Quelle B trotz der Annahme von G.L. HENDRICKSON (The Origin and Meaning of the Ancient Characters of Style; in: AJPh 26 [1905] 249-290, hier 270-271), daß die varronische Behandlung der drei Stilarten die Grundlage für NA 6,14,8-11 bildet B eher einen Bericht über die Reden der drei Philosophen als eine theoretische Diskussion der Stiltypologie. 336 Zu der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Endes dieses Dritten Makedonischen Krieges, seit dem sich die `synthesis of Greek and Roman elementsA verstärkte, vgl. RAWSON, Roman Tradition, 443. 463-475 (_From the Battle of Pydna to the Fall of Corinth>). 337 Vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 162, S. 398-399: `Cato nahm diese Grundsatzrede zum römischen _Imperialismus> (umgearbeitet ?) in B.5 seiner Origines auf (= orig. 95 P.). Sie war auch in einer Einzelausgabe verbreitet.A B Zu dem durch die griechische Redekunst beeinflußten Stil der Rede vgl. RAWSON, Roman Tradition, 457458. 338 Cato als Griechenhasser einzustufen, wie Plutarch es folgenreich für die gesamte Nachwirkung der Person, getan hat, geht sicher zu weit; vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 162, S. 384-385.

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kedonien und eine milde Behandlung von Rhodos, dem im Krieg neutral gebliebenen Bundesgenossen, eintrat. Auch bei der Darstellung persönlicher Begegnungen, denen Gellius selbst als Beobachter oder Gesprächsteilnehmer beiwohnt, wird immer eine Beziehung zur Literatur hergestellt, indem im Gespräch entweder kurze Verweise auf einschlägige Literatur gegeben (NA 2,21,8-10; NA 17,8,16), literarische Zitate angehängt bzw. eingefügt werden (NA 2,2,12-13) oder überhaupt literarische Texte Gegenstand der Unterhaltung (NA 19,9,5-12; NA 20,1,3-55) sind. Doch gewinnen in den von Gellius tatsächlich miterlebten oder auch nur fingierten Situationen die Kontakte zwischen Griechen und Römern mehr Intensität als in den nur durch die Literatur vermittelten Berührungspunkten der Philosophengesandtschaft und der Catonischen Rhodierrede. Die Schilderung des Empfangs des (römischen) praeses der Provinz Kreta und seines Vaters im Hause des Tauros und der Vorzug, den der griechische Philosoph im privaten Raum dem Älteren vor dem Amtsinhaber gewährt, wirft ein Schlaglicht auf den respektvollen Umgang zwischen den Angehörigen der griechischen Provinzialbevölkerung und der römischen Verwaltung (NA 2,2).339 Schärfer kontrastiert wird der Mentalitätsunterschied bzw. der unterschiedliche Habitus der Griechen (bzw. im Griechischen Gebildeten) und der Römer in NA 2,21 (1-6), bevor Gellius selbst anläßlich eines Gesprächs über Bezeichnung und Bewandtnis des Sternzeichens Wagen bei einer gemeinsamen nächtlichen Schiffahrt von Aegina nach Piraeus die mitreisenden jungen römischen Landsleute als opici (NA 2,21,4) tituliert, um sie zu provozieren und den Griechen, die ihre Bildung eloquent zur Schau stellen, Paroli zu bieten. Wieder im Hause des Tauros findet ein Zusammensein von Griechen und Römern bei einem abendlichen Mahl statt, bei dem das temperamentvolle und gewitzte Verhalten sowie die bewunderte Sprachbeherrschung eines achtjährigen puer Atticus Gellius Anlaß gibt, sich über die Schlagfertigkeit und Intelligenz der Griechen zu äußern: erat is puer genere Atticus ad annos maxime natus octo festiuissimis aetatis et gentis argutiis scatens (NA 17,8,4).340 Nicht so harmonisch verläuft die von einem adulescens e terra Asia de equestri loco veranstaltete Geburtstagsfeier in NA 19,9, bei der der spanischstämmige _____________ 339 Vgl. dazu auch oben S. 259. Die Hochachtung vor dem Alter wird in NA 2,15,1-2 in der (alt)römischen Tradition verankert, bevor die durch die augusteische lex Iulia angeordnete rechtliche Bevorzugung von Verheirateten und Familienvätern in der Ämterlaufbahn historisch mit der demographischen Entwicklung begründet wird (NA 2,15,3). 340 Zu dieser amüsanten Schilderung des Knaben (in der Rolle des in der Symposienliteratur auftretenden Spaßmachers) und zu dem Umgang des Tauros mit seinem jungen Sklaven vgl. LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 153-156. 164. Vgl. oben S. 158. S. 164 Anm. 361. S. 206.

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Rhetor Antonius Iulianus aneinandergerät mit einigen Griechen, die voller Arroganz und Ignoranz über die römische Liebesdichtung urteilen (NA 19,9,7) und ihn dadurch zu ihrer Verteidigung herausfordern. Darin erweist er sich nicht nur selbst den Griechen als mindestens ebenbürtig, sondern demonstriert auch das gleichwertige Niveau der lateinischen Dichter: ... Valerii Aeditui, ueteris poetae, item Porcii Licinii et Q. Catuli, quibus mundius, uenustius, limitatius, tersius Graecum Latinumue nihil quicquam reperiri puto (NA 19,9,10).341 Voller Einvernehmen diskutieren hingegen der römische Jurist Sextus Caecilius und der zwar nicht seiner Herkunft, aber seiner Bildung und Sprache nach griechische Philosoph Favorinus (vgl. oben S. 271, hier bes. 263 m. Anm. 243) über das Zwölftafelgesetz, den repräsentativen Text römischer Rechtstradition, den Favorinus den _Nomoi> Platons als dem Gegenstück griechischer Provenienz und philosophischer Observanz, an die Seite stellt (NA 20,1,4). Bei aller kulturellen und literarischen Differenz der literarischen Produkte soll hiermit dem Zwölftafelgesetz ein gleicher Anspruch, als Bildungsgegenstand zu gelten und zu interessieren, zugesprochen werden.342 Die Gleichrangigkeit der Römer mit den Griechen in verschiedenen Bereichen zu illustrieren, ist auch Ziel der Gegenüberstellung einzelner Gestalten aus der griechischen und römischen Geschichte. Diese führt Gellius durch, indem die Römer an griechischen Vorbildern gemessen werden, etwa der wegen seiner Tapferkeit Achilles Romanus genannte Lucius Sicinius Dentatus (NA 2,11,1) oder der römische Militärtribun Q. Caedicius (NA 3,7), todesmutig und verdienstvoll wie der durch seinen Heldentod für das Vaterland berühmte Leonidas, aber zu Unrecht viel weniger geehrt.343 Auch die Parallelisierungen zwischen Alexander dem Großen und dem älteren Scipio dienen der Herstellung bzw. Behauptung römischer Äquivalenz: sowohl die Erzählung, daß Scipio wie Alexander in seinem Leben seit seiner Empfängnis von Wunderzeichen umgeben und _____________ 341 Vgl. auch oben S. 213-214. S. 226-227. 342 Damit erinnert die Diskussion an die in Cic. de orat. 1,195 von Crassus gewagte Behauptung, aus einem Dokument wie den XII tabulae könne man ebensoviel Weisheit erlernen wie aus allen Büchern der Philosophen: fremant omnes licet, dicam quod sentio: bibliothecas mehercule omnium philosophorum unus mihi uidetur XII tabularum libellus, si quis legum fontis et capita uiderit, et auctoritatis pondere et utilitatis ubertate superare. Jedoch war auch die Kritik am Zwölftafelgesetz ein Topos in der antiken Literatur, wie D. NÖRR, Rechtskritik in der römischen Antike, München 1974 [= Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Phil.-hist. Kl., N.F., Heft 77], hier 66-69, bes. 66-67 belegt. Vgl. zu der Diskussion in NA 20,1 auch S. 183184. S. 265. S. 356. 343 Die zu Unrecht fast vergessene Heldentat des Q. Caedicius (Laberius laut Claudius Quadrigarius in NA 3,7,20) erzählt Cato in den _Origines>; vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 162, S. 391-392.

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ausgezeichnet ist (NA 6,1), als auch die Schilderung, daß Scipio mit seiner Schonung einer kriegsgefangenen Spanierin Alexanders ehrbare Behandlung der Frau des Darius vielleicht sogar noch übertroffen habe (NA 7,8,1-3). Die Synkrisis zwischen Demosthenes und Cicero in NA 15,28,67 greift nur zwei Details aus der der langen von Caecilius von Kale Akte begründeten und besonders durch Plutarchs Parallelbiographie bekannten Tradition344 heraus: Demosthenes und Cicero sind sehr jung B Cicero mit nur 26 Jahren, Demosthenes mit 27 Jahren B zum ersten Mal öffentlich als Redner aufgetreten und beide fast im gleichen Alter gestorben. Eine andere Form zu zeigen, wie die Römer in den Spuren der Griechen wandeln und ihnen gleichkommen, ist die von Gellius unternommene Untersuchung der Aufnahme griechischer Anekdoten bzw. Beschreibungen, die auf Römer bzw. römische Verhältnisse übertragen werden: So werden die von Demosthenes (or. 18,67) an Philipp hervorgehobenen sichtbaren Narben und Verstümmelungen, insbesondere der Verlust eines Auges, in gleicher Weise von Sallust (hist.1 frg. 88 MAURENBRECHER) bei Sertorius als Zeichen der Furchtlosigkeit gedeutet (NA 2,27,6). Die griechische Anekdote des Kritolaos über die Bestechung des Demosthenes durch die Milesier und die römische Anspielung darauf werden auf zwei unmittelbar aufeinander folgende Kapitel verteilt in NA 11,9 und NA 11,10: C. Gracchus hat sich bei seiner in NA 11,10,2-6 teilweise wiedergegebenen Rede für das Aufeische Gesetz mit seinem Vorwurf der Bestechung an seine Widersacher ausdrücklich auf die in NA 11,9 referierte Anekdote berufen, die er aber nicht wie in der ursprünglichen Version auf B den als CiceroVorbild angesehenen B Demosthenes, sondern auf dessen Rivalen Demades übertragen hat. Daß Gellius auf verschiedenen Gebieten des Verhaltens, der Mentalität bzw. der Moral (im weiteren Sinne) Übereinstimmung zwischen Griechen und Römern sieht, geht aus anderen commentarii der _Noctes Atticae> hervor: So herrscht Konsens zwischen vielen Griechen und Römern in der Kritik an dem moralischen Fehler der Geschwätzigkeit (NA 1,15); Varro hat mit Sokrates darin übereingestimmt und dessen Bonmot darüber aufgenommen, daß das Ertragen einer unleidlichen Frau zur eigenen inneren Abhärtung bzw. zur moralischen Besserung beitrage (NA 1,17,1-4); in seiner Satire ȡȯȺ¤ ˆȮȯȼȶȪȽɂv hat Varro den Tafelluxus genauso kritisiert wie Chrysipp, der sich dafür auf Euripides-Verse berufen hat (NA 6,16); _____________ 344 Vgl. dazu oben S. 280 Anm. 311. S. 282 Anm. 320. B Demosthenes, der Rhetor schlechthin, kommt aber in den _Noctes Atticae> nicht nur als _Kontrastfolie> Ciceros zur Geltung, sondern gehört zu den historischen Figuren, deren Person, Leben und Wirken Gellius in Form einer `seriellen BiographieA in verschiedenen Anekdoten und Berichten beleuchtet und würdigt; vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur,191206, hier bes. 194-195.

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während die frühen Griechen und Römer Diebstahl nach ihren jeweiligen Rechtsordnungen hart bestraft haben, war der Diebstahl dagegen bei den Ägyptern erlaubt und wurde bei den Spartanern sogar staatlich gefördert (NA 11,18); unabhängig voneinander formulieren eine Musonius-Sentenz und ein Cato-Diktum denselben Gedanken: der dauernde Lohn einer vorübergehenden und schnell vergessenen Anstrengung wird mit der langen negativen Nachwirkung eines kurzen Vergnügens kontrastiert (NA 16,1). Auch in gewissen institutionalisierten Sitten und Gepflogenheitem entsprechen sich Griechen und Römer gemäß den von Gellius zusammengestellten Belegen. Bei beiden Völkern gibt es die Tabuisierung der Namen von Personen, die sich um den Staat verdient gemacht oder gegen ihn vergangen haben: Während bei den Griechen die Namen der Freiheitskämpfer Harmodios und Aristogeiton als Sklavennamen für tabu erklärt worden sind, existierte bei den Römern umgekehrt die Verordnung, daß Namen von politischen Straftätern, die sich gegen den Staat vergangen haben und zum Tod verurteilt worden sind, nicht mehr in der jeweiligen gens vergeben werden dürfen (NA 9,2,10-11). Genauso hatten die Griechen den Namen des Brandstifters des ephesischen Dianatempels aus dem kollektiven Gedächtnis (jedoch nicht ganz erfolgreich) zu löschen versucht (NA 2,6,17-18).345 Griechen und Römern war die Sitte gemeinsam, einen Ring am Ringfinger der linken Hand zu tragen (NA 10,10). Die Ausgestaltung eines Symposions ist bei Griechen und Römern teils gleich (z.B. NA 13,11,7: hinsichtlich der Art der Nachspeise entsprechen die lateinischen bellaria den ąɃȶȶȫȽȫ bzw. ȽȺȫȭɄȶȫȽȫ ), teils unterschiedlich (z.B. NA 13,11,3: turba ... Romae stat, sedet Athenis). Gebrauch von Geheimschriften, allerdings unterschiedlicher Art, ist durch verschiedene Berichte der Vergangenheit für Griechen und Römer, aber auch Punier, überliefert (NA 17,9).346 Neben all diesen Beweisen der kulturellen Verbundenheit und Gemeinsamkeit zwischen Griechen und Römern stehen nur wenige historische Fakten, die eine bewußte Abgrenzung oder kulturelle Differenz be_____________ 345 Zu diesen Formen der damnatio memoriae vgl. oben S. 80-81. 346 Zu der von Caesar gebrauchten Verschlüsselung von Geheimbotschaften, die Gellius in NA 17,9,1-5 beschreibt, vgl. oben S. 115 Anm. 221. Den bei den Spartanern üblichen Gebrauch der ȼȴȾȽȪȵȱ (NA 17,9,6-15) und die laut Herodot (hist. 5,35) von Histiaios angewandte Methode, einem Sklaven die Nachricht auf die Kopfhaut zu tätowieren und diesen nach Nachwachsen des Haares als Boten zu schicken (NA 17,9,18-27), beschreibt explizit, die angeblich von dem Punier Hasdrubal (?) praktizierte Form der Steganographie, eine Botschaft auf dem Holz einer tabula zu plazieren und dann mit frischem Wachs zu überziehen (NA 17,9,16-17), behandelt nur allgemein SINGH, Geheime Botschaften, 19-20. 23-24; vgl. auch S. 182 Anm. 417.

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zeugen: Daß Gellius B wie Cicero (vgl. de orat. 2,154-155; rep. 3,9; ac. 2,137; Tusc. 4,5) B der griechischen Philosophengesandtschaft des Jahres 155 v. Chr. erhebliche kulturgeschichtliche Bedeutung zumißt, offenbart ihre mehrfache Erwähnung in NA 6,14,8-11 (Philosophen als Repräsentanten der drei Stilarten vgl. dazu oben S. 285), in NA 15,11,3-4 und NA 17,21,48. Nur an einer der drei Stellen wird jedoch die Ausweisung der Philosophen aus Rom erwähnt, an der Cato, von Gellius allerdings nicht genannt, `als Exponent einer großen anti-hellenistischen GruppierungA347 maßgeblich mitwirkte, wobei der Affront der Römer gegen die Griechen temporibus nimis rudibus necdum Graeca disciplina expolitis in NA 15,11,4-5 relativiert wird durch den Hinweis auf die spätere Philosophenvertreibungen unter Domitian (93 n. Chr. bzw. 89 und 95).348 Zuvor hat Gellius zu Beginn des commentarius den Text des Senatsbeschlusses aus dem Jahr 161 v. Chr. präsentiert, aufgrund dessen alle (griechischen) Philosophen und Rhetoren aus Rom ausgewiesen wurden (NA 15,11,1)349 und das Edikt des Senates gegen die lateinischen Rhetorenschule als eine gegen den mos maiorum verstoßende Institution dokumentiert (NA 15,11,2).350 Daß Gellius bei der Zusammenstellung dieser erfolglosen Abwehrmaßnahmen gegen den zunehmenden Einfluß griechischer Kultur auf die römische die Intention leitete, das Scheitern der Versuche, die beiden Kulturen in ihrer Entwicklung voneinander zu trennen, und damit ihre Zusammengehörigkeit als eine historisch gewachsene verstärkt zu Bewußtsein zu bringen, bleibt nur Vermutung, da er keine direkten Hinweise darauf gibt. Das Hauptstück der griechisch-römischen Synkrisis in den _Noctes Atticae> bildet das sogenannte synchronistische Kapitel NA 17,21, das in _____________ 347 Zur Rolle Catos bei der Philosophen-Vertreibung vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 162, S. 385 mit Lit.8, zu den Personen und zur Bedeutung der Philosophengesandtschaft vgl. W. SUERBAUM, ebd., ' 189.1 Lit.6, S. 531-532; ' 160.2, T.1 [= Gell. 6,14,9], S. 375; ' 162, T. 12 [= Plut. Cato mai. 22,5-23,1], S. 381-382. 348 Sowohl in den Quellen als auch in der Forschungsliteratur differieren die Angaben darüber, wann und wie oft unter Domitian Vertreibung(en) von Philosophen und/ oder Astrologen stattgefunden haben, zwischen zwei Verbannungswellen 88/89 und 95/96 (bzw. laut Armenischer Version 93/94) und nur einer Exilierung; vgl. B.W. JONES, The Emperor Domitian, London / New York 1992, hier 119-120. 349 Den Text des senatus consultum bietet auch Suet. rhet. 25,1. Eine weitere Ausweisung griechischer (epikureischer) Philosophen hat wahrscheinlich 154 (oder 173) stattgefunden: vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 162, S. 385 mit Lit.8; ' 189.1.c. mit Lit.5, S. 531. 350 Ausführlich untersucht die Hintergründe dieses Edikts P. L. SCHMIDT, Die Anfänge der institutionellen Rhetorik in Rom. Zur Vorgeschichte der augusteischen Rhetorenschulen; in: E. LEFÈVRE (Hrsg.), Monumentum Chiloniense. Studien zur augusteischen Zeit, Kieler Festschrift für E. BURCK zum 70. Geburtstag, Amsterdam 1975,183-216; vgl. dazu auch MARROU, Geschichte der Erziehung, 463-464.

4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis

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fünfzig Paragraphen in Form eines Datengerüstes die politischen, militärischen und kulturhistorischen Fakten und biographischen Daten der griechischen und römischen Geschichte, angefangen von der Gründung Roms bis zum Zweiten Punischen Krieg, miteinander parallelisiert und kontrastiert. Für den selektiven Charakter und die wenig ausgearbeitete Darstellungsform351 dieser Chronographie rechtfertigt sich Gellius, indem er eingangs als Zweck seines Synchronismus die historisch-biographische Orientierung der Leser bestimmt. Denn das synchronistische Kapitel dient nach seiner Erklärung dazu, die Leser davor zu bewahren, sich in sermonibus derart zu blamieren wie der vermutlich als lächerliche Kontrastfigur bloß fingierte sophista wąȫɅȮȯȾȽoȻ mit seinen hanebüchenen Anachronismen, als er Karneades zu einem Zeitgenossen Alexanders des Großen und Panaitios zum Freund des älteren (anstatt des jüngeren) Scipio gemacht hatte.352 Die Orientierungsfunktion teilt Gellius= Chronographie mit den von ihm benutzten _Chroniken>, von deren Konzeption er mit seinem im Umfang reduzierten Datenraster dem Leser einen Eindruck vermittelt, vielleicht tatsächlich um ihre Funktion zu illustrieren und den Umgang mit den kulturgeschichtlichen Kompendien des 1. Jh.s v. Chr. einzuüben353 oder doch um einen auf signifikante und als epochentypisch erachtete Daten komprimierten Auszug zu geben.354 Neben den angegebe_____________ 351 Gellius bringt die Flüchtigkeit der Niederschrift in Anschlag für die lose Komposition und unterlassene acris atque subtilis cura bei der Quellenüberprüfung in NA 17,21,1; vgl. dazu auch SCHWINDT, Prolegomena, 68; LEUZE, Das synchronistische Kapitel, 240-241. 352 Vgl. NA 17,21,1: ... ut ab istiusmodi, inquam, temporum aetatumque erroribus caueremus, excerpebamus ex libris, qui chronici appellantur, qui uel ingenio uel imperio nobiles insignesque post conditam Romam fuissent ante secundum bellum Carthaginiensium, easque nunc excerptiones nostras uariis diuersisque in locis factas cursim digessimus. Zu dem Eingangssatz des Kapitels und der darin enthaltenen Paronomasie (conspectum - inconspectum) VESSEY, Aulus Gellius, 1908-1909. 353 Das ist nach PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 173 neben der Lieferung der Basisdaten Ziel des Kapitels, das damit dem `komplementärenA Charakter und dem `subsidiären SelbstverständnisA der _Noctes Atticae> entspreche. Diese Gesamtintention erläutert ders. ebd. 227-229, hier 229: `Daß für seine Zeitgenossen solche Sammelbiographien und andere Schriften, die der Vermittlung historischen Wissens dienten, in großer Zahl verfügbar waren, erlaubt es Gellius, den noctes Atticae einen komplementären Charakter zu geben und auf diese Weise seine eigenen Schwerpunkte zu setzen.A B Zu den lateinischen Chronographien vgl. oben S. 276-278. 354 NA 17,21,2: Satis autem uisum est in hoc commentario de temporibus paucorum hominum dicere, ex quorum aetatibus de pluribus quoque, quos non nominaremus, haut difficile coniectura fieri posset. – Zur komprimierten Darstellungsweise der Epitome vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 227 m. Anm. 438, der es als ein Anliegen des Gellius beschreibt, Basisdaten verschiedener Wissensgebiete in kompakter Form zur Verfügung zu stellen. Daraus erklärt sich Gellius’ Vorliebe für chronologische Themen der Literaturgeschichte, wie z.B. das zeitliche Verhältnis von Homer und He-

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

nen Quellen Varro (NA 17,21,24.[_De poetis>] 43. 45) und Nepos’ _Chronik> (NA 17,21,3. 8. 24),355 hat OSKAR LEUZE eine annalistische tabellarische Chronik angenommen,356 deren verschiedene Datierungen der Stadtgründung (751 bzw. 753; vgl. dazu oben S. 276 m. Anm. 296) Gellius, ohne sich ihrer Differenz bewußt zu sein, nebeneinander, d.h. abwechselnd verarbeitete.357 Die Anordnung der von Gellius für signifikant bzw. epochentypisch gehaltenen (NA 17,21,2) Daten, deren Auswahl aber keine erkennbare Systematik zugrundeliegt, erfolgt in bestimmten chronologisch zusammenhängenden Blöcken, innerhalb deren Ereignisse überwiegend aus der politischen, aber auch aus der kulturellen Geschichte Griechenlands und Roms zusammengestellt werden (NA 17,21,3. 4-8. 915. 16-18. 19-27. 28-36. 37-39. 40-43. 44-45. 46-49). Dabei liefert zunächst die griechische Geschichte die `LeitereignisseA, die neben einer aus römischer Zeitrechnung stammenden Zeitangabe (zunächst in NA 17,21,4-8 bezogen auf die Regierungszeit der römischen Könige; danach auf die Stadtgründung) zur historischen Fixierung der präsentierten Daten dienen.358 Seit dem Peloponnesischen Krieg (NA 17,21,16) werden als Orientierungspunkte, zu denen die folgenden Daten in zeitliche Beziehung gesetzt werden, zunehmend Ereignisse aus der römischen Geschichte verwendet. Außer der Gleichzeitigkeit gibt es zwischen den meisten Ereignissen auf griechischer und römischer Seite keine Verbindung, so daß ihre Zusammenstellung kontrastierend wirkt und die voneinander getrennte politische und kulturelle Entwicklung Griechenlands und Roms dadurch zutage tritt;359 z.B. in NA 17,21,10-11: Tum Aeschylus Athenis tragoedia_____________

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siod (NA 3,11; vgl. dazu unten S. 294 m. Anm. 363) oder die Chronologie der griechischen Historiker Hellanikos, Herodot und Thukydides (NA 15,23). Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 178: `Daß Gellius’ chronographische Interessen mit der Vermittlung darüber hinausgehender biographischer Nachrichten eine enge Verbindung eingehen können, zeigt nicht nur die Behandlung der aristotelischen Nachfolgeregelung in 13,5 ...A FANTHAM, The Synchronistic Chapter, 7-13 bes. 8-10 versucht zu ermitteln, auf welche Quelle Gellius jeweils für die einzelnen Daten zurückgreift. LEUZE, Das synchronistische Kapitel, 237-274, hier 238-239. 246. 251. 255. 258. 266-269. 272. LEUZEs Untersuchung ist noch immer `the definitive source analysisA (FANTHAM, The Synchronistic Chapter, 7), trotz späterer Quellenforschungen zu diesem Kapitel: vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 242-243 Anm. 9. Vgl. LEUZE, Das synchronistische Kapitel, 271; PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 172 Anm. 138. Die `doppelte VerortungA der Ereignisse, die `einmal abstrakt durch ihren Abstand zum Beginn der römischen Geschichte und zum anderen konkret durch den Bezug auf ein konkretes, als bekannt vorausgesetztes historisches GeschehenA fixiert werden, beschreibt zutreffend in seiner Untersuchung des synchronistischen Kapitels PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 172-179, hier 175-176. Vgl. BERTHOLD, Synkrisis Rom - Griechenland, 507.

4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis

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rum poeta celebris fuit. Romae autem istis ferme temporibus tribunos et aediles tum primum per seditionem sibi plebes creauit ...; NA 17,21,14-15: Iuxta ea tempora Empedocles Agrigentinus in philosophiae naturalis studio floruit. Romae autem per eas tempestates decemuiros legibus scribundis creatos constitit tabulasque ab his primo decem conscriptas, mox alias duas additas; NA 17,21,26-27: Aliquot deinde annis post bellum Senonicum Thebani Lacedaemonios duce Epaminonda apud Leuctra superauerunt, ac breui post tempore in urbe Roma lege Licinii Stolonis consules creari etiam ex plebe coepti, cum antea ius non esset nisi ex patriciis gentibus fieri consulem. Doch zwischen diesen kontrastiven Synchronisierungen werden auch mehrere Berührungspunkte zwischen griechischer und römischer Geschichte markiert: so wird die Reise des Pythagoras nach Italien (NA 17,21,6; vgl. Cic. rep. 2,28) und der Aufenthalt Platons am Hof des Dionysios in Sizilien (NA 17,21,29; vgl. Cic. rep. 1,16) erwähnt; außer diesen friedlichen Kontakten findet die in kriegerischer Absicht unternommene Überfahrt des Alexander Molossus nach Italien (NA 17,21,33)360 und der Krieg der Römer gegen Pyrrhus B unter Verschweigen der römischen Niederlage B Aufnahme in die griechisch-römische Chronologie (NA 17,21,37); schließlich wird jedoch wieder ein verbindendes Kulturereignis notiert, nämlich die zuvor schon zweimal (in NA 6,14,8-11 und NA 15,11,3-4) von Gellius thematisierte Philosophengesandtschaft des Jahres 155 n. Chr.361 Obwohl insgesamt die politische und militärische Ereignisgeschichte in dem Kapitel überwiegt, ist es gewiß nicht zufällig, daß die Chronographie mit Daten aus der Kulturgeschichte beginnt und endet: Am Anfang wird in Form einer Praeteritio vor der Solonischen Gesetzgebung die schon in NA 3,11 ausführlich thematisierte und nicht erst seit _____________ 360 Alexander I. (362-331/330 v. Chr.), König der Molosser in Epirus, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des Großen, war 334 mit einem Heer dem von Brettiern, Lukanern und Mesapiern bedrängten Tarent zu Hilfe gekommen. Trotz anfänglicher Erfolge und trotz zeitweiliger Allianz mit Rom vermochte sich der König, dessen Pläne zur Ausbreitung des Hellenismus im Westen Alexander der Große unter-stützte, in Unteritalien nicht zu halten, da er keinen Rückhalt bei den unteritalischen Griechen fand. Schließlich wurde er 331/330 bei Pandosia ermordet; vgl. J. KAERST, Alexandros 6, A, (I. von Epeiros); in: RE 1/1 (1893) 1409-1410. B Die Erwähnung des Alexander Molossus gibt Gellius nicht nur Gelegenheit, auf Roms wachsende Bedeutung hinzuweisen, sondern auch ein diesem zugeschriebenes Bonmot zu präsentieren, in dem er sich und Alexander den Großen sowie Rom und Persien kontrastiert: Alter autem Alexander, cui cognomentum Molosso fuit, in Italiam uenit bellum populo Romano facturus B iam enim fama uirtutis felicitatisque Romanae apud exteras gentes enitescere inceptabat B, sed priusquam bellum faceret, uita decessit. Eum Molossum, cum in Italia transiret, dixisse accepimus se quidem ad Romanos ire quasi in andronitin, Macedonem isse ad Persas quasi ad gynaeconitin (NA 17,21,33). 361 Vgl. dazu oben S. 290.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

dem _Certamen Homeri et Hesiodi>362 diskutierte Chronologie der Dichter Homer und Hesiod (NA 17,21,3)363 behandelt. Am Schluß stehen die Teilnehmer der Philosophengesandtschaft (NA 17,21,48), umrahmt von den bedeutenden Repräsentanten der lateinischen Literatur des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts, dem Redner Cato und dem Komödiendichter Plautus auf der einen Seite (NA 17,21,47) und den Dichtern Ennius, Caecilius, Terenz, Pacuvius, Accius und Lucilius auf der anderen Seite (NA 17,21,48).364 Mit diesem `Aufmarsch der literarischen GrößenA zum Ausklang des synchronistischen Kapitels wird eindrucksvoll demonstriert, daß die Römer spätestens seitdem den literarischen Vergleich mit den Griechen nicht mehr zu scheuen brauchen. Zudem zeigt sich in der konzentrierten Darstellung eines Abschnittes der römischen Literaturgeschichte, der schon über das angekündigte Ziel des Zweiten Punischen Krieges hinausreicht (NA 17,21,50), die für Gellius’ Interessen insgesamt bezeichnende Priorität der Kulturgeschichte vor der politischen Geschichte.365 Die das Werk durchziehende griechisch-römische Synkrisis macht offenbar, wie Gellius im Rückgriff auf die im kulturellen Gedächtnis der Römer bewahrten historischen Daten eine römische Identität konstruiert, die sich in Akkulturation der griechischen Kultur entwickelt hat. Diesen Prozeß der kulturellen Rezeption beschreibt er jedoch nicht (mehr) als Quelle eines Minderwertigkeitsgefühls, sondern wegen seines Gelingens _____________ 362 Die maßgebliche Literatur über das sog. _Certamen Homeri et Hesiodi> findet sich zusammengestellt bei SCHWINDT, Prolegomena, 47-48 Anm.161. Vgl. auch FOCKE, Synkrisis, 329. 343-344; VARDI, Diiudicatio locorum, 500. 363 Wie Varro in NA 3,11,3 scheint Cicero in Tusc. 1,3 Hesiod etwa gleichzeitig mit Homer anzusetzen, dagegen nennt er ihn in rep. 2,19 und Cato 54-55 jünger als Homer. Während in Tusc. 1,3 Homer und Hesiod nur ante Romam conditam datiert werden, liegt Homers Lebenszeit nach Cic. rep. 2,19 (permultis annis ante ...Romulum) und Brut. 40 (annis multis ... ante Romulum) lange vor der des Romulus bzw. vor der Gründung Roms. B Auf die Chronologie von Homer und Hesiod geht auch Velleius im Rahmen seines Kompendiums der römischen Geschichte (vgl. oben S. 278) ein: Huius temporis aequalis Hesiodus fuit, circa CXX annos distinctus ab Homeri aetate, uir perelegantis ingenii et mollissima dulcedine carminum memorabilis, otii quietisque cupidissimus, ut tempore tanto uiro, ita operis auctoritate proximus (1,7,1). 364 In der chronologischen Anordnung sind Gellius Fehler unterlaufen, die LEUZE, Das synchronistische Kapitel, 254 vermerkt hat: Denn Ennius ist schon 169, Caecilius 168, Terentius 159 v. Chr. gestorben, d.h. sie waren zum Zeitpunkt der griechischen Philosophengesandtschaft schon tot. 365 Daher halte ich die Interpretation des Kapitelschlusses von BERTHOLD, Synkrisis Griechenland - Rom, 508 für abwegig: `Zwei Meinungen legt der Autor dem Leser zur Annahme vor: eine wirklich ernst zu nehmende politische Kraft sind die Griechen nicht mehr und den makabren Gedanken_ Kriegskontakte erbringen Kulturfortschritte.A

4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis

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als Fundament eines gewachsenen römischen Selbstbewußtseins.366 Nur punktuell reflektiert Gellius die Distinktion der griechischen Identität; vorherrschend ist seine Darstellung der Integration griechischer und römischer Kultur. In diesem Sinne kann man die _Noctes Atticae> als Produkt einer gesteigerten Interkulturalität bezeichnen.367 Die Abschwächung der traditionellen exempla der römischen Geschichtsschreibung, die bei Gellius ihre moralisierende Wirkung und ihre Funktion im politischen und gesellschaftlichen Kontext weitgehend eingebüßt haben und zu bloß literarischen, d.h. im literarisch-rhetorischen Diskurs relevanten Figuren geworden sind,368 ist ein Indiz dafür, daß es _____________ 366 Diese Einschätzung der eigenen Akkulturationsleistung in dem die römische Kulturgeschichte beherrschenden Rezeptionsprozeß, die schon von Cicero in programmatischen Äußerungen (z.B. Tusc. 1,1. 5) artikuliert worden ist, bestimmt die literarische Entwicklung bis hin zu Macrobius, der die gelungene Amalgamierung griechischer und römischer Kultur in eindrücklichen Metaphern beschwört. So hält Macrobius, für den Rezeption eine Grundkonstante der eigenen Kultur ist (vgl. Sat. 1 praef. 7), in der ausführlichen Synkrisis zwischen Homer und Vergil, der das 5. Buch seiner _Saturnalien> großenteils gewidmet ist, die vergilische Nachbildung dem homerischen Original für überlegen, weil Vergils ars weiter entwickelt sei: vgl. ZINTZEN, Rezeption und Originalität, bes.19-22; G. VOGT-SPIRA, Ars oder Ingenium? Homer und Vergil als literarische Paradigmata; in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 35 (1994) 9-31, hier bes. 15-29. Die Höherbewertung der römischen Autoren gegenüber den griechischen nimmt noch J.C. SCALIGER durchweg in seiner 1561 erschienenen _Poetik> vor; erst seit dem im späten 18. Jahrhundert erfolgten `Paradigmenwechsel in der AntikenrezeptionA setzt sich die `Geringschätzung einer rezipierenden Kultur als sekundär und abgeleitetA durch: So VOGT-SPIRA, Die Kulturbegegnung Roms, 13; auch schon ders., Literarische Imitatio, 24. 26 m. Anm. 17. 367 Die hier gebrauchte kulturwissenschaftliche Terminologie entstammt dem gedächtnisgeschichtlichen Konzept ASSMANNs: vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 144-160. 368 Dieses zugespitzte pauschale Urteil bedarf freilich der Differenzierung bei den einzelnen von Gellius eingebrachten exempla. Auch ihnen ist nicht jegliche moralische Wirkung bzw. Absicht abzusprechen, da diese schon durch ihre lange literarische Tradierung untrennbar mit den exempla verbunden ist. In der kaiserzeitlichen Rhetorik, in der die ästhetische Gestaltung und moralische Paränese in den Vordergrund treten, erstarrten die exempla vollends zu Stereotypen mit festen Deutungsmustern. Diese Entwicklung wird angedeutet von HONSTETTER, Exemplum, 199-200 in seiner Untersuchung der exempla-Sammlung des Valerius Maximus: `So steht Valerius gewissermaßen zwischen zwei rhetorischen Welten: hinter ihm die forensische Rhetorik, welcher das Exemplum noch in gewissem Maße offen für die Deutung galt und wo die Kasuistik das zentrale Mittel zum Argumentieren mit Exempla darstellte; um ihn herum und vor ihm die kaiserzeitliche Rhetorik, wo das Exemplum zusehends zum Stereotyp erstarrte, wo die Figuren des Exemplums endgültig mit bestimmten Eigenschaften gekoppelt waren, weil der exemplarische Sinn als ein für allemal ,gefunden> galt. So ist Valerius Maximus der einzige Autor der Kaiserzeit, bei dem der für die späte Republik charakteristische kasuistische Umgang mit Exempla noch einmal anzutreffen ist.A Dagegen ist als Charakteristikum des kaiserzeitlichen, deklamato-

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Gellius nicht um die `Stärkung nationaler IdentitätA369, d.h. um distinktive römische Identität geht, sondern um eine (inter)kulturelle Identität. Die `Entpolitisierung der ErinnerungA370 an die als exempla maiorum tradierten Gestalten bedeutet zugleich ihre Literarisierung oder Kulturalisierung. In diesem Sinne hat für Gellius die ciceronische Unterscheidung an Gültigkeit verloren: sed ut ad Graecos referam orationem, ... nam ut uirtutis a nostris, sic doctrinae sunt ab illis exempla repetenda (Cic. de orat. 3,137).371 Doch bei aller griechisch-römischen Interkulturalität kommt das Werk nicht ganz ohne kulturelle Abgrenzung aus:372 Sie findet vor allem statt, indem die nur sporadisch einbezogene karthagische Geschichte bzw. afrikanische Sprache in ihrer Alterität gezeigt wird. Angesichts der in Erwägung gezogenen afrikanischen Herkunft des Gellius373 darf man diesem Aspekt einige Bedeutung beimessen, obwohl die diesbezüglichen Bemerkungen in der Tat nur spärlich sind:374 In dem nicht erhaltenen commen_____________

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rischen Exempelgebrauchs von M. FUHRMANN (Das Exemplum in der antiken Rhetorik; in: R. KOSELLECK / W.-D. STEMPEL, (Hrsg.), Geschichte - Ereignis und Erzählung, München 1973 [= Poetik und Hermeneutik 5], 449-453, hier 451) `das autoritative Insistieren auf EindeutigkeitA herausgestellt worden. Darin sieht hingegen zu Unrecht die zentrale Intention der _Noctes Atticae> BERTHOLD, Synkrisis Griechenland - Rom, bes. 509-511, hier 511. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 230 (vgl. auch den Kontext ebd. 227-232 über _Form und Funktion biographischen Wissens in den noctes Atticae>). Vgl. auch Quint. inst. 12,2,29-30: Neque ea solum, quae talibus disciplinis continentur, sed magis etiam, quae sunt tradita antiquitus dicta ac facta praeclare, et nosse et animo semper agitare conueniet. Quae profecto nusquam plura maioraque quam in nostrae ciuitatis monumentis reperientur. An fortitudinem, iustitiam, fidem, continentiam, frugalitatem, contemptum doloris ac mortis melius alii docebunt quam Fabricii, Curii, Reguli, Decii, Mucii aliique innumerabiles ? Quantum enim Graeci praeceptis ualent, tantum Romani, quod est maius, exemplis. Aus dem Zusammenhang der Stelle wird die Einbindung in den rhetorischen Kontext ersichtlich, in dem die exempla oft in Deklamationen stereotype Verwendung fanden. Vgl. oben Anm. 368. Im Unterschied dazu führt bei Plutarch die durch den Lampriaskatalog bezeugte (Lamp. Cat. 139) Einbeziehung einer dritten Gruppe in seine kulturgeschichtlichen Untersuchungen, die er danach nicht nur in den Ȓ©Ƚȳȫ ^ȖȵȵȱvȳȴȪ (_Aetia Graeca>) und den Ȓ©Ƚȳȫ ^ѢɂȶȫɇȴȪ (_Aetia Romana> bzw. _Quaestiones Romanae>), sondern eben auch in den verlorenen ’ȒɅȽȳȫ ȓȫȺȬȫȺȳȴȪ unternommen hat, zu einer doppelten Abgrenzung der griechischen kulturellen Identität; vgl. DUFF, Plutarch’s Lives, 298-300. Dazu oben S. 96 m. Anm. 158. S. 228 Anm. 123. S. 247 m. Anm. 192. Diese hätte er gemeinsam mit Fronto und Apuleius, die aber explizit ihre afrikanische Herkunft zu erkennen gegeben haben: So hat Fronto an Marc Aurels Mutter geschrieben ˆȭÅ Ȯ‡ ȜɅȬȾȻ ȽÆv ȜȳȬѠɂv ȽÆv voȶȪȮɂv (M. Caes. 2,3,5 p. 24,9 v.d.H.2), und Apuleius hat sich in seiner Verteidigungsrede vor seinem Publikum in Sabratha als Seminumida et Semigaetulus vorgestellt (apol. 24,1). Vgl. AMATO (Éd.), Favorinos d’ Arles, 11 Anm. 27. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 220 zeigt sich über die Dürftigkeit der Nachrichten verwundert, weil `Berichte speziell über sprachliche Verhältnisse und Sitten fremder

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tarius NA 8,13 ging es laut capitulum um die etymologische Herleitung des von den Afrikanern gebrauchten Wortes cupsones aus dem Griechischen: _Cupsones>, quod homines Afri dicunt, non esse uerbum Poenicum, sed Graecum.375 Die Abgrenzung gegen die Karthager, die ihre Brisanz aus der römischen Geschichte erhält, wird denn in der Hauptsache auch durch die militärische Auseinandersetzung in den Punischen Kriegen markiert: Die Kontrastierung reicht von der Schilderung der Ausgangssituation zweier gleichstarker Mächte im Mittelmeerraum (NA 10,27) über nicht primär aus historischem Interesse, sondern in sprachlich-literarischen Zusammenhängen stehende und zu rhetorischen Zwecken376 präsentierte Anekdoten (NA 5,5: Hannibal-Antiochus-Apophthegma; NA 6,2,5-9: Hannibal-Antiochus-Begegnung) und Kriegsereignisse und -folgen meist des Zweiten Punischen Krieges (NA 4,18,3: Scipios Sieg bei Zama; NA 7,3,1: Erlegung eines Ungeheuers durch Atilius Regulus im Ersten Punischen Krieg; NA 7,5,1: Vertrag über Silberlieferung der Karthager an Rom; NA 7,8,3: Scipios zivilisierter Umgang mit einer spanischen Gefangenen; NA 10,1,3: Hannibal in Italien), in denen überwiegend römische Heldentaten (NA 3,7,1-19: vergessene Heldentat des Q. Caedicius im Zweiten Punischen Krieg; NA 5,6,10: Rettung Roms durch Q. Fabius Maximus; NA 6,1,4: Sieg des Scipio Africanus) und römische Eidestreue (NA 6,18), aber auch karthagischer Vertragsbruch (NA 10,1,10) und Untaten der Karthager (NA 7,4: Vergiftung des Atilius Regulus in der Gefangenschaft) vorgeführt werden, bis zur Fixierung der Daten der beiden ersten Punischen Kriege im griechisch-römischen Synchronismus (NA 17,21,40. 42. 45: Erster Punischer Krieg; NA 17,21,cap. 1. 46. 50: Zweiter Punischer Krieg). Nicht direkt auf die militärischen Konflikte bezogen, aber doch damit zusammenhängend ist die Distanzierung von den Karthagern, die in En_____________ bzw. weniger bekannter Völker und Stämme angesichts der gewaltigen Expansion des römischen Imperiums eigentlich nahegelegen hätten. ... Mit diesem Desinteresse an allem, was jenseits des römischen und griechischen Horizontes liegt, bildet Gellius jedoch keine Ausnahme in der Antike.A 375 Vgl. dazu oben S. 92. S. 96. S. 228 m. Anm. 123. Nicht behandelt wird der Ausdruck von ADAMS, in seiner umfangreichen Untersuchung _The Regional Diversification of Latin>, obwohl er sich darin auch in einem längeren Abschnitt mit dem afrikanischen Latein und mit Entlehnungen aus dem Afrikanischen befaßt (vgl. _Africa>, 516-576, bes. _Miscellaneous lexical items>, hier 566-569). Desgleichen findet sich kein Hinweis auf cupsones, weder in der ausführlichen Untersuchung der punisch-lateinischen Sprachbeziehungen noch im Rahmen der Behandlung der aus dem Punischen und Libyschen stammenden Vokabeln, bei ADAMS, Bilingualism and the Latin Language, 200-246. 454-455. 376 Am deutlichsten wird die Rhetorisierung der exempla im Falle der Kurzbiographie des Scipio Africanus minor in NA 16,8,10-11, die dort bloß das Material für ein sogenanntes ȼȾȶąȯąȵȯȭȶɃvov wȸɅɂȶȫ liefert und nicht historisch gewürdigt wird.

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4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

nius’ Kritik der karthagischen tunicata iuuentus (Enn. ann. 325 VAHLEN2 = 303 SKUTSCH in NA 6,12,7) und in Catos Hinweis auf die barbarischen Strafmethoden der Karthager (NA 3,14,19) liegt. Die Fremdheit Afrikas tritt auch in der Darbietung einer herodoteischen Sagenversion (hist. 4,173) über das Ende des afrikanischen Stammes der Psyllen (NA 16,11,3-8; vgl. Plin. NH 7,14) hervor. Angesichts dieser historisch bedingten und nicht zu umgehenden starken Distinktion fällt besonders auf, daß in einem Punkt Übereinstimmung besteht, nämlich in der Benutzung von Geheimschriften, die Griechen, Römer und Karthager verbindet (NA 17,9,16-17).377 Bei der deutlich distinktiven Darstellung der Bewohner Africas, in der Vergangenheit nur durch die Karthager repräsentiert, bezieht sich Gellius ausschließlich auf die bereits Jahrhunderte zurückliegende Geschichte,378 während zu Lebzeiten des Gellius durch die ihn in den _Noctes Atticae> umgebenden Personen afrikanischer Herkunft nicht nur selbstverständliche kulturelle Einheit, sondern sogar persönliche Nähe signalisiert wird. Vor allem Fronto, der Protagonist der lateinischen Literatur und Sprache, steht für diese inzwischen erfolgte vollständige Integration. Während dessen numidische Herkunft379 unausgesprochen bleibt, weil vermutlich als bekannt vorausgesetzt, wird Iulius Celsinus, der gemeinsam mit Gellius bei einem Besuch am Krankenbett Frontos erscheint, ausdrücklich als Numidus vorgestellt (NA 19,10,1). Genauso wird die Verbundenheit mit Gallien und Spanien in den _Noctes Atticae> nicht explizit thematisiert, sondern durch Personen verkörpert: der `HauptheldA und die kulturelle Symbolfigur der _Noctes Atticae> ist, wie oben beschrieben, Favorinus aus Arles,380 und der Rhetor Antonius Iulianus aus Spanien profiliert sich in NA 19,9 als vehementer Verfechter der lateinischen Sprache und Literatur, die er als seine eigene verteidigt (NA 19,9,8-9). Unterstrichen und untermauert wird diese in der Gegenwart des Gellius offenbare kulturelle Einheit mit den westlichen Provinzen des Imperiums durch etymologische Forschungsergebnisse, deren Anliegen es ja ist, alte bestehende Verbindung in der Sprache aufzudecken, etwa über das keltische Lehnwort petorritum und das spanische Lehnwort lancea (NA _____________ 377 Vgl. dazu oben S. 289 Anm. 346. 378 In der berühmten aus Apions Ȓ¨ȭȾąȽȳȫȴȪ übernommenen Mirabilie (NA 5,14) von der Begegnung des Androclus mit dem Löwen im römischen Circus Maximus und der in Afrika spielenden Vorgeschichte wird auf das politische Verhältnis zwischen Rom und der römischen Provinz Africa (seit 146) nur angespielt, indem der römische Herr des Sklaven Androclus als Prokonsul bzw. terrae illius praeses (NA 5,14,17) vorgestellt und später als wieder in Rom weilend erwähnt (NA 5,14,27) wird. 379 Vgl. oben S. 296 Anm. 373. 380 Vgl. oben Kapitel 4.3.3, S. 261-271.

4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis

299

15,30,7).381 Schärfer dagegen ist die Abgrenzung gegen die Provinzen an den östlichen Rändern des Imperiums, deren Bewohner nur pauschal als Asiatici (z.B: NA 19,1,7. 11: Graecus quispiam diues ex Asia magno bzw. Asiaticus; NA 19,9,1: adulescens e terra Asia)382 vorkommen. Die kulturelle Differenz zu den Aegyptii wird in NA 11,18,16 betont mit der Erwähnung der alten ägyptischen Besonderheit, Diebstahl nicht zu bestrafen. Daß die Spartaner ihn sogar noch von Staats wegen gefördert haben, da er als exercitium disciplinaque rei bellicae (NA 11,18,17) eingestuft wurde, setzt sie in Opposition zu den übrigen Griechen, die aufgrund der Rechtsordnungen Drakons und Solons Diebstahl wie die Römer aufgrund ihres Zwölftafelgesetzes schwer geahndet haben. Diese historische innergriechische Differenzierung (vgl. auch in NA 17,21,16. 23: Datierung des Peloponnesischen Krieges; in NA 17,21,16: Datierung der Schlacht bei Leuktra zwischen Thebanern und Spartanern; in NA 17,21,19: Datierung der von Sparta aufgezwungenen Herrschaft der Dreißig in Athen; in NA 1,11,1-5: bei den Lakedämoniern Einsatz der Flöte als militärisches Instrument) wird aber nicht durchgängig beibehalten: die in NA 3,7,19 geschilderten Ehrungen des Spartaners Leonidas sind ihm offenbar als gesamtgriechischem Held entgegengebracht worden, und in NA 1,3 wird der Lakedämonier Chilon, einer der Sieben Weisen, mit seinen Überlegungen über den Konflikt von Freundespflicht und Richterpflicht in die Nähe des Atheners Perikles gerückt (NA 1,3,20), wie überhaupt in diesem commentarius sich die allgemeine Übereinstimmung von Griechen und Römern in der gründlichen Erörterung des Dilemmas und in der Vermeidung konkreter Handlungsanweisungen bei Cicero und Theophrast widerspiegelt. Eine besondere Verbindung der Spartaner mit den Römern wird darin aufgezeigt, daß diese die durch Lykurgs Gebot initiierte lakedämonische Hochschätzung des Alters und den Brauch, Ältere heimzubegleiten, übernommen haben (NA 2,15,2). Ein Indiz für die im ganzen schwach ausgeprägte Abgrenzung gegenüber fremder Kultur in den _Noctes Atticae> ist der Gebrauch des Ausdrucks barbarus (und seiner Wortfamilie), den die Römer von den Griechen samt dem kulturellen Selbstverständnis übernommen haben, um das _____________ 381 Vgl. dazu oben S. 88 m. Anm. 131. S. 96. B Ein distanziertes bzw. abschätziges Urteil über das Gallische (und Etruskische) spricht allerdings aus der Äußerung in NA 11,7,4, in der Gellius die spöttische Reaktion auf die unverständliche antiquierte Diktion eines celebratus homo in causis beschreibt: Aspexerunt omnes, qui aderant, alius alium, primo tristiores turbato et requirente uoltu, quidnam illius utriusque uerbi foret; post deinde, quasi nescio quid Tusce aut Gallice dixisset, uniuersi riserunt. 382 Eine historische Distinktion schafft der Hinweis auf die Schlacht bei Leukai in Asien (130 v. Chr.), in der der römische Konsul Crassus eine Niederlage erlitt und ums Leben kam (NA 1,13,11).

300

4. Griechisch-römische Erinnerungskultur in den _Noctes Atticae>

Fremde in seiner Andersartigkeit zu stigmatisieren.383 In drei Fällen dient die Vokabel barbaricus bzw. das abgeleitete barbaria dazu, das Nicht(griechisch)römische zu bezeichnen: das Substantiv ist eine Umschreibung für Thrakien, die ultima barbaria, woher nach einer Sagenversion ein vorab als insipiens et rudis charakterisierter Mann ohne Ahnung vom Ackerbau stammte (NA 19,12,9); das Adjektiv bezeichnet einmal die luxuriöse Lebensart des Lyderkönigs Alyattes (NA 1,11,7: more atque luxu barbarico praeditus) und einmal die Methode des kleinasiatischen Tyrannen Histiaios (6./5. Jh. v. Chr.), einem Sklaven das Haupt zu scheren und zu tätowieren, um durch ihn eine geheime Botschaft übermitteln zu lassen (NA 17,9,18: inopinabilis latebra barbarico astu excogitata). Bezeichnenderweise geht es an den drei Stellen wie auch bei der Abqualifizierung der in Nordafrika rekrutierten Soldaten des Sertorius als barbari (NA 15,22,cap. 9) um die mehr oder weniger ferne (nicht) historische Vergangenheit. Ins Reich der Phantasie gehören die angeblich anonymen Werken, tatsächlich aber der plinianischen _Naturalis historia> entstammenden Erzählungen De barbararum gentium prodigiosis miraculis (NA 9,4,cap.).384 Nur an einer Stelle wird mit Bezug auf die Gegenwart die nicht einheimische Amme aus dem Sklavenstand, um ihr die Eignung zum Stillen der (römischen) Säuglinge abzusprechen, diffamiert als aut serua aut seruilis ... et, ut plerumque solet, externae et barbarae nationis (NA 12,1,17). Ganz anders dient in den meisten Fällen die auf die Gegenwart bezogene Verwendung nicht der Abgrenzung nach außen, sondern der innersprachlichen Ausscheidung unkorrekter lateinischer Ausdrucksweise bzw. Aussprache (z.B. NA 3,18,10; NA 4,1,5; NA 4,6,6; NA 4,17,cap. 7; NA 5,21,5. 11; NA 7,15,2; NA 16,6,3).385 Und so wird die sowohl im Griechischen (NA 5,20,4) wie auch im Lateinischen (NA 13,6,4) erst nachklassisch bzw. spät aufgekommene Vokabel barbarismus386 zur Disqualifi_____________ 383 Vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 41-44. Die wichtigste Literatur zu dem in letzter Zeit vielbehandelten Thema ist dort in Anm. 42 zusammengestellt: vgl. bes. K. CHRIST, Römer und Barbaren in der hohen Kaiserzeit; in: Saeculum 10 (1959) 273288; DIHLE, Die Griechen und das Fremde, München 1994. 384 Das in NA 2,6,8 eingebrachte Zitat aus Cic. Verr. II 4,122 (quae ab isto sic spoliata atque direpta est non ut ab hoste aliquo, qui tamen in bello religionem et consuetudinis iura retineret, sed ut a barbaris praedonibus uexata esse uideatur) kann nicht dem eigenen Sprachgebrauch des Gellius zugerechnet werden. 385 Im Zusammenhang mit etymologischen Erklärungen bezeichnet barbarus die (nicht bestätigte) nichtgriechische Herkunft in NA 8,2,cap. und NA 19,13,2. 3. 386 Gellius’ Auffasung von barbarismus als Sprachverstoß deckt sich mit dem eingeengten Verständnis von barbarismus, das Quintilian in inst.1,5,6. 10 erkennen läßt: (6) Interim uitium, quod fit in singulis uerbis, sit barbarismus ... quis hoc nescit, alios barbarismos scribendo fieri, alios loquendo ? ... illud prius adiectione detractione inmutatione transmutatione, hoc secundum diuisione complexione adspiratione sono contineri ? ... (10)

4.4. Vorbilder und Formen griechisch-römischer Synkrisis

301

zierung eines uitium rusticum (NA 13,6,2) bzw. eines ungebildeten Sprechers eingesetzt. Die Sprachverstöße können durchaus auch einem linguae Latinae litterator (NA 16,6,3) unterlaufen oder gar einem celebratus homo in causis nachgewiesen werden, der sich selbst gerade mit seinem außergewöhnlichen Sprachgebrauch profilieren möchte, aber damit nur lächerlich macht: post deinde, quasi nescio quid Tusce aut Gallice dixisset, uniuersi riserunt (NA 11,7,4). In diesem aus dem gellianischen Sprachgebrauch ermittelten Bild des kulturellen Selbstverständnisses konkretisiert sich die kulturhistorisch theoretisierende Beschreibung J. ASSMANNs, daß eine `integrativ gesteigerte kulturelle Formation, deren Integrationskraft nach innen ein Reich zusammenhältA und die `eine ungewöhnliche AssimilationskraftA nach außen entfaltet,387 eine Binnendifferenzierung ent-wickelt, die `wissenssoziologischA die Experten von der illiteraten Menge scheidet, oder `ethologischA die zivilisierten Lebensformen der gebildeten Oberschichten den unkultivierten Lebensformen der Masse entgegenstellt.388 Denn bei Gellius ist der Umgang mit der lateinischen Sprache, wie weiter unten ausführlicher dargelegt werden wird, ein Instrument bzw. Indikator dieser sozialen Differenzierung. Jedoch nicht so sehr aus den sparsam angedeuteten Linien, die das Fremde abgrenzen, als aus den Schattierungen und Nuancierungen der verschiedenen Synkriseis, Gegenüberstellungen und Unterscheidungen gewinnt die griechisch-römische Kultureinheit mit ihren vielen Facetten Konturen.

_____________ Tertium est illud uitium barbarismi, cuius exempla uulgo sunt plurima, sibi etiam quisque fingere potest, ut uerbo, cui libebit, adiciat litteram syllabamue uel detrahat aut aliam pro alia aut eandem alio quam rectum est loco ponat. 387 J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 151. 388 J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 149.

5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae> im Schnittpunkt griechischer und römischer Traditionen 5.1. Die pädagogische bzw. didaktische Intention der _Noctes Atticae>1 Schon aus der Praefatio geht hervor, daß Gellius mit seinen _Noctes Atticae> pädagogisch-didaktische Ziele verfolgt. In dem leider verlorenen Anfangsteil hat er das Werk offenbar besonders seinen Kindern gewidmet, wie der vorliegende Rest des ersten erhaltenen Satzes erkennen läßt (NA praef. 1): ... ad hoc ut liberis quoque meis partae istiusmodi remissiones essent, quando animus eorum interstitione aliqua negotiorum data laxari indulgerique potuisset. Am Ende der Praefatio meldet sich Gellius noch einmal in seiner Rolle als Familienvater zu Wort, dessen Hauptanliegen die Erziehung und Bildung seiner Kinder ist: quantum autem uitae mihi deinceps deum uoluntate erit quantumque a tuenda re familiari procurandoque cultu liberorum meorum dabitur otium, ea omnia subsiciua et subsecundaria tempora ad colligendas huiuscemodi memoriarum delectatiunculas conferam (NA praef. 23). Damit stellt er sich in die von Cato Censorius initiierte Tradition der Werke, die die in einer patriarchalischen Ordnung üblichen mündlichen Weisungen des Vaters an den Sohn literarisieren und sich nach eigenen Angaben primär den eigenen Kindern pädagogisch zuwenden,2 aber doch ihre Belehrung auf weitere Publikumskreise ausrichten: Den Anfang macht der ältere Cato mit einer für seinen Sohn `eigenhändig in großen BuchstabenA (Plut. Cato mai. 20,7) geschriebenen kurzen Ge_____________ 1

2

Es ist sinnvoll, an der Charakterisierung der _Noctes Atticae> durch die `didaktische IntentionA festzuhalten, auch nachdem LINDERMANN, Kommentar, 23-24. 34-35. 36 diese Zielsetzung in nicht ganz nachvollziehbaren Gedankengängen B offenbar unter dem Einfluß der poststrukturalistischen Infragestellung der Intention als eines Interpretationsprinzips B zu problematisieren versucht hat. Gegen seine Argumentation läßt sich schon allgemein, ohne sich konkret auf Gellius zu beziehen, einwenden, daß eine erklärtermaßen bestehende Absicht (eines Autors) unabhängig davon vorhanden ist, ob sie ihr Ziel erreicht oder nicht. B Vor dem Hintergrund ihrer Bezüge auf die römische Satire wird den _Noctes Atticae> eine moralisch-didaktische Intention jüngst wieder attestiert von KEULEN, Gellius the Satirist, 63. Vgl. NORDEN, Composition und Literaturgattung, hier 519-521; W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 162, S. 410.

5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

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schichte exemplarischer Gestalten und seinen _Libri ad M. filium>, die in Form eines Lehrbriefes oder einer Lehrschrift Ratschläge auf den Gebieten Medizin, Ackerbau und Redekunst erteilen.3 Das prominenteste Werk dieses Typs ist Ciceros an seinen Sohn Marcus adressierte, doch zugleich für eine weitere Öffentlichkeit bestimmte philosophische Schrift ,De officiis>.4 Livius soll laut Quint. inst. 10,1,39 eine epistula ad filium5 rhetorischen Inhalts geschrieben haben und auch der Rhetor Seneca hat seine Sammlung von _Controversiae et suasoriae> seinen Söhnen zugedacht (contr. 1 praef. 1). Diesen den Söhnen gewidmeten Schriften stehen die Werke nahe, in denen die Söhne als Dialogpartner in der Unterweisung in Erscheinung treten. So hat es von M. Iunius Brutus eine juristische Belehrung des Sohnes gegeben, die, in Gesprächen auf verschiedenen Landsitzen (Privernas, Albanum, Tiburtinum) lokalisiert, wohl Cicero zu seinen `VillendialogenA angeregt hat.6 Ciceros _Partitiones oratoriae> enthalten ein katechismusartiges Lehrgespräch zwischen Vater und Sohn über Tätigkeit des Redners, Aufbau der Rede und Themen der Rhetorik. Neben und nach Gellius hat die Tradition der für die Kinder geschriebenen Werke vielfache Fortsetzung gefunden: Apuleius hat seine Übersetzung der pseudoaristotelischen Schrift _De mundo> und das zweite Buch seines mit dem kosmographischen Traktat inhaltlich und stilistisch verwandten Lehrbuchs des Mittelplatonismus ‚De Platone et eius dogmate> seinem Sohn Faustinus gewidmet.7 Dem Sohn hat auch der Grammatiker Flavius _____________ 3

4 5

6 7

Vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 162, S. 410-411; RAWSON, The Introduction of Logical Organization in Roman Prose Literature; in: Roman Culture and Society, Oxford 1991, 324-351, hier 339; P.L. SCHMIDT, Catos Epistula ad M. filium und die Anfänge der römischen Briefliteratur; in: Hermes 100 (1972) 568-576. Vgl. A.R. DYCK, A Commetary on Cicero _De officiis>, Ann Arbor 1996, hier Introduction ' 4, 10-16, bes. 16. 60-61. Zu dem isagogischen Lehrbrief als einer beliebten literarischen Form, die auch in Quintus Ciceros _Commentariolum petitionis> und Ciceros erstem Brief an den Bruder realisiert ist, vgl. J. SYKUTRIS, Epistolographie; in: RE Suppl. 5 (1931) 186-220, hier 202-204. – Hingegen ist der in zwei (in ihrer Echtheit bisweilen angezweifelten) Fragmenten überlieferte Brief der Cornelia an ihren Sohn Gaius Gracchus die erste publizierte Privatkorrespondenz der römischen Literatur; vgl. W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 174, S. 456-458. Vgl. SCHANZ / HOSIUS, 1,238-239 (unter Berufung auf Cic. Cluent. 141; Quint. inst. 6,3,44). Vgl. K. SALLMANN / P.L. SCHMIDT, HLL 4 (1997), ' 457. 8. 10, S. 300-301. 302; dort auch wie oben S. 146 Anm. 314 zum Einsatz des Stilmittels der Klassikerzitate in _De mundo>. B Zeitlich nicht genau einzuordnen ist die medizinische Isagoge der _Quaestiones medicinales> des Ps.-Soranus, eine lateinische Bearbeitung der pseudogalenischen µȺoȳ, die (wie die davon zu unterscheidende mittelalterliche _Isagoge> des Ps.-Soranus, die aus ihnen B nur B die Praefatio und die ersten vier Einleitungskapitel [quaest. med. p. 243-247,5 ROSE] übernommen hat) mit einer Widmung an den

5.1. Die pädagogische bzw. didaktische Intention der _Noctes Atticae>

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Sosipater Charisius (um 362) sein materialreiches Werk gewidmet, um ihm - wie dem allgemeinen Publikum - trotz offenbar nichtrömischer Herkunft gute Lateinkenntnisse zu vermitteln;8 als Lehrwerk für seinen Sohn hat am Ende des 4. Jh.s Ti. Claudius Donatus seinen Aeneiskommentar geschrieben, so wie zu Beginn des 5. Jh.s auch Macrobius seinen Kommentar zu Ciceros _Somnium Scipionis> und seine (Gellius reichlich ausschöpfenden) _Saturnalien> seinem Sohn Eustachius gewidmet hat. Desgleichen hat Nonius Marcellus das mit seiner Anlage (in 20 Büchern) in der Gelliusnachfolge stehende Sammelwerk _De compendiosa doctrina> dem Sohn zur Belehrung verfaßt. Nicht zuletzt hat Martianus Capella seine in ein allegorisches Gewand gekleidete Enzyklopädie _De nuptiis Philologiae et Mercurii> (etwa 470) seinem Sohn gewidmet.9 Doch die in der lateinischen Literatur in typisch römischer Weise ausgeprägte Affinität zur Didaxe erstreckt sich über den Kreis der eigenen Kinder hinaus allgemein auf die jüngere Generation, was paradigmatisch Ciceros Selbstaussage in div. 2,4-5 über die Intention seiner rhetorischen und philosophischen Werke verdeutlicht.10 Die _Noctes Atticae> nehmen also mit ihrer Vorgabe bzw. Angabe, zunächst der privaten Unterweisung der Kinder zu dienen, und mit ihrer zugleich die Praefatio durchdringenden (NA praef. 11-12. 14-21) wie das ganze Werk durchziehenden Intention, das Lesepublikum zu belehren B und zu unterhalten B, eine bis in die Anfänge der römischen Literatur zurückgehende Tradition auf und haben wohl auch selbst wieder an ihrer Fortsetzung mitgewirkt. _____________ Sohn eröffnet wird: vgl. NORDEN, Composition und Literaturgattung, 511-512. 525; K.-D. FISCHER, Beiträge zu den pseudosoranischen _Quaestiones medicinales>; in: K.D. FISCHER/ D. NICKEL/ P. POTTER (Hrsg.), Text and tradition. Studies in ancient medicine, presented to J. KOLLESCH, Leiden 1998, 1-54, bes. 19-22; K.-D. FISCHER, The Isagoge of Pseudo-Soranus; in: Medizinhistorisches Journal 35 (2000) 3-30, hier bes. 4-5. 12-17. 20. 8 Vgl. P.L. SCHMIDT, HLL 5 (1989), ' 523.2, S. 125-131, hier 125-126. 9 Weitere weniger prominente Werke, die von den Autoren ihren Söhnen zur Belehrung gewidmet werden, nennt KASTER, Guardians of Language, 67 Anm. 142. Die Tradition wird auch in der griechischen Literatur z.B. von Stobaios (vgl. Phot. bibl. 167 = 2,149,14-24 HENRY) aufgenommen und in der christlichen Literatur z.B. von Marius Claudius Victor(ius) in seinem biblischen Lehrepos _Alethia> (bzw. _Commentationum in Genesin libri III>), das generell für die Unterweisung der Jugend bestimmt war, mit der Widmung an seinen Sohn Etherius fortgesetzt (vgl. Gennad. vir. ill. 60). Avienus widmet seine Küstenbeschreibung dem explizit an Sohnesstelle stehenden jungen Verwandten Probus (ora 1-28, bes. 14-15. 26-27). 10 Vgl. unten S. 313. Über die Ausdehnung der Belehrung auf weitere Kreise der Jugend auch LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de orat. 1,1-5, Bd.1,23-24 W. STEIDLE, Einflüsse römischen Lebens und Denkens auf Ciceros Schrift _De oratore>; in: MH 9 (1952) 10-41; wieder in: B. KYTZLER (Hrsg.), Ciceros literarische Leistung, Darmstadt 1973 [= WdF 377], 372-420, hier bes. 374 -380 [12-15].

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

5.2. Otium als Voraussetzung und Grundlage der Bildung Mit der Werkintention, die STEINMETZ zutreffend erfaßt hat in der komplementär-paradoxen Formulierung `belehrende Unterhaltung - unterhaltende BelehrungA,11 befinden sich die _Noctes Atticae> auf dem im Laufe der römischen Literaturgeschichte zur Begründung und Rechtfertigung lateinischer Prosaliteratur immer wieder neu vermessenen Feld, das die in einem Spannungsverhältnis stehenden Begriffe otium, negotium und utilitas begrenzen. Diese in der literarischen bzw. soziologischen Selbstverortung der Autoren von Cato über Sallust und Cicero bis Tacitus und Plinius12 konstant verwendeten Leitbegriffe, deren Inhalte aber im Zuge der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen von der frühen Republik bis zur hohen Kaiserzeit sich ebenso verändert haben wie ihre Beziehung zueinander,13 werden auch von Gellius in der Praefatio schon als Ecksteine markiert: .... unum alterumue reppererit, quod sit aut uoluptati legere aut cultui legisse aut usui meminisse. Ego uero, cum illud Ephesii uiri summe nobilis uerbum cordi haberem, quod profecto ita est: ąoȵȾȶȫȲɅȱ vџov o½ ȮȳȮȪȼȴȯȳ, ipse quidem uoluendis transeundisque multis admodum uoluminibus per omnia semper negotiorum interualla, in quibus furari otium potui, exercitus defessusque sum, sed modica ex his eaque sola accepi, quae aut ingenia prompta expeditaque ad honestae eruditionis cupidinem utiliumque artium contemplationem celeri facilique compendio ducerent aut homines aliis iam uitae negotiis occupatos a turpi certe agrestique rerum atque uerborum imperitia uindicarent (NA praef. 11-12). Gellius nimmt für sich in Anspruch im Unterschied zu den anderen, insbesondere griechischen Autoren von Miszellanwerken, deren Titel in NA praef. 6-9 aufgezählt werden, die unterschiedslos alles anderswo Aufgelesene in ihren Werken angehäuft _____________ 11 So lautet die Überschrift über das der Prosaliteratur des 2. Jh.s gewidmete 4. Kapitel in STEINMETZ, Untersuchungen, 239-295. Schon MERCKLIN, Die Citiermethode, 694 hatte die Intention des Gellius zwischen Unterhaltung und Didaxe eingeordnet: `Seine Absicht gieng also dahin, ein Werk zu liefern, welches unterhalten und belehren sollte durch Mannigfaltigkeit und Faszlichkeit der Gegenstände.A 12 Die den römischen Kultur- und Literaturbetrieb von Anfang an prägende soziokulturelle Konstante des otium hat eingehend untersucht ANDRÉ, L’otium dans la vie morale et intellectuelle romaine des origines à l’époque augustéenne, Paris 1966; ders., Griechische Feste und römische Spiele, 179-183. Speziell zu Sallust vgl. CHRISTES, Bildung und Gesellschaft, 190-196; zu Plinius vgl. LEVÈFRE, Plinius-Studien III, 247262, hier bes. 252-258. B Daß die otium-Thematik auch schon in der frühen römischen Dichtung behandelt wurde, belegt die B gewiß nicht zufällig B von Gellius bezeugte Verspassage aus der _Iphigenia> des Ennius (Enn. scaen. 234-241 VAHLEN2 = trag. frg. [99] 195-202 JOCELYN) in NA 19,10,12. Vgl. dazu ANDRÉ, L’otium, 17-23. 34-36 und unten S. 325-326 m. Anm. 62. 13 Vgl. ANDRÉ, L’otium romain à l’ époque impériale, 240-257.

5.2. Otium als Voraussetzung und Grundlage der Bildung

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und `zusammengekehrtA haben (NA praef. 11: ,alba> ut dicitur ,linea> sine cura discriminis solam copiam sectati conuerrebant), bei der Auswahl der Themen und Stoffe ihre Verwertbarkeit bzw. Nützlichkeit für die honesta eruditio der Leser berücksichtigt zu haben. Sein eigenes otium habe er für die Zusammenstellung eines compendium verwendet, das den Vielbeschäftigten (negotiis occupatos) in ihren Mußestunden (praef. 14) zugute kommen und nützen soll, damit sie in kurzer Zeit und ohne großen Aufwand genauere Sach- und Sprachkenntnisse erwerben können, die sie zu einer gründlicheren Bildung benötigen. Maßstab ist dabei das (non in) utile und (non in)decorum (NA praef. 13), wie er durchblicken läßt. Mit dem Nützlichkeitsmaßstab greift er ein im römischen Denken seit jeher allgegenwärtiges Kriterium auf, an dem sich auch ein literarisches Werk messen lassen mußte, selbst wenn der praktische Nutzen sich nicht mehr unmittelbar im politischen Leben erwies. Die Inhalte, die er in diesem Sinne (unter anderen) für nützlich und wichtig hält, beschreibt Gellius, die in Heraklits Diktum resümierte pauschale Zurückweisung der Vielwisserei einschränkend: Quod erunt autem in his commentariis pauca quaedam scrupulosa et anxia uel ex grammatica uel ex dialectica uel etiam ex geometria, quodque erunt item paucula remotiora super augurio iure et pontificio, non oportet ea defugere quasi aut cognitu non utilia aut perceptu difficilia (NA praef. 13). In einer captatio benevolentiae versucht er so seinen von verschiedenen Seiten kommenden Kritikern und ihren Vorwürfen, zu abgedroschene oder im Gegenteil zu abgelegene Gegenstände zu behandeln (NA praef. 14-15), schon vorweg den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er für sein Konzept wirbt, auch etwas abwegigere und diffizilere Themen einzubeziehen. Denn er rechnet offenbar mit einem bereits vorgebildeten und auf jeden Fall an allen möglichen Bildungsdisziplinen interessierten Publikum (NA praef.15: nam ecquid tam remotum in litteris est, quin id tamen complusculi sciant ?), dem er jedoch kein vertieftes Fachwissen, sondern nur primitias quasdam et quasi libamenta ingenuarum artium vermitteln will, deren Kenntnis einem uir ciuiliter eruditus von Nutzen und eigen ist (NA praef. 13). Angesichts dieser Vorstellung eines nicht ganz widerspruchsfreien Bildungskonzeptes für das Kompendium ergibt sich die Frage, was davon Gellius in seinem Werk tatsächlich realisiert und was er nur prätendiert hat, um die durch die Tradition vorgeprägten Erwartungen seines Lesepublikums nicht zu enttäuschen. Zunächst ist danach zu fragen, wie Gellius sein eigenes otium als Schriftsteller versteht und definiert, d.h. abgrenzt gegenüber seinen negotia. In der Praefatio präsentiert sich Gellius als pater familias, für den die Sorge um seinen Hausstand und insbesondere die Bildung seiner Kinder oberste Priorität hat (NA praef. 23). Alle übrige von diesen Pflichten nicht beanspruchte Zeit (otium bzw. omnia subsiciua et subsecundaria tempora)

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

verwendet er gegenwärtig und nach Möglichkeit auch zukünftig nach seinen eigenen Angaben auf die Stoffsammlung für seine _Noctes Atticae>, in deren Niederschrift er so sehr die Erfüllung und den Sinn seines Lebens findet, daß er sie bis zu seinem Lebensende fortsetzen möchte: Progredietur ergo numerus librorum diis bene iuuantibus cum ipsius uitae, quantuli quomque fuerint, progressibus, neque longiora mihi dari spatia uiuendi uolo, quam dum ero ad hanc quoque facultatem scribendi commentandique idoneus (NA praef. 24). Auch in den folgenden commentarii äußert Gellius nichts von der Ausübung eines Berufes oder Amtes neben der Schriftstellerei, mit der er sich seit Studienzeiten intensiv zu beschäftigen scheint. Nur an zwei Stellen gibt er zu erkennen, daß er als junger Mann nach seiner rhetorischen Ausbildung (vorübergehend ?) ein Richteramt in der Zivilgerichtsbarkeit bekleidet hat (NA 14,2,1; vgl. auch NA 11,3,1) bzw. als iudex extra ordinem bestellt worden ist (NA 12,13,1):14 In dem letztgenannten _____________ 14 Es entspricht der üblichen Prozeßpraxis in der außerordentlichen Gerichtsbarkeit, daß der (vom Princeps damit bauftragte) Konsul (NA 12,13,1) bzw. (Sonder-)Praetor in der iudicis datio den Richter aus einer Richterliste auswählte (NA 14,2,1) bzw. einen Privatmann (in der Regel aus den Reihen der Advokaten) als Richter extra ordinem (NA 12,13,1) einsetzte. Dem bestimmten Richter oblag die Untersuchung und Entscheidung des Falles, wofür ihm der Praetor eine rechtliche Instruktion erteilte. Mit der Entscheidung des Falles endete die Zuständigkeit des delegierten Richters. Vgl. [G. THÜR] P. E. PIELER, Gerichtsbarkeit; in: RAC 10 (1978) [360] 391-492, hier 395-396; WEISS, Aulus Gellius, Bd.2, 241 Anm. zu 14,2,1; CAVAZZA (Ed.), Le Notti Attiche, vol. 6, 222-224 (zu Cap. XIII Anm.1); zur Praxis der cognitio extra ordinem in der Kaiserzeit vgl. M. KASER / K. HACKL, Das römische Zivilprozeßrecht, München 2 1996 [= HdAW X 3.4], 460-466. 547-554, hier bes. 548 m. Anm. 1. 2. 4a (über den unteren rechtlichen und - gegenüber dem delegierenden Praetor - `minderen sozialen StatusA dieser iudices pedanei). B Aus den Hinweisen auf seine außerordentliche Richtertätigkeit in Zivilprozessen (vgl. auch die Erwähnung der arbitria in NA 11,3,1; arbiter ist eine variierende Bezeichnung für den iudex pedaneus) lassen sich daher vielleicht Rückschlüsse auf die soziale Zugehörigkeit des Gellius zur gehobenen Mittelschicht bzw. Aufsteigerschicht ziehen, aus der üblicherweise diese delegierten iudices extra ordinem bestellt wurden. Zur sozialen Zusammensetzung der Juristenbranche in der hohen Kaiserzeit allgemein vgl. W. KUNKEL, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. überarb. u. erg. Aufl., Graz / Wien / Köln 1967, bes. 302. 344 (personelle und räumliche Ausweitung der Jurisprudenz und Andrang auf das Rechtsstudium auch aus den Provinzen ). 368-369 (breitere soziale Basis der Jurisprudenz und Eindringen der homines novi in die aristokratischen Spitzengruppe der Jurisprudenz). 372-373 (trotz der Ausbreitung der juristischen Bildung auch in den Provinzen meist geringe Qualifizierung der an Statthaltergerichten tätigen Rechtsassessoren). B Einen sozialen Status des Gellius „in the middle range of good society“, nicht sehr verschieden von dem der Grammatiker, die in den ,Noctes Atticae> sich blamieren und lächerlich gemacht werden, vermutet auch KASTER, Guardians of Language, 57-58 Anm. 100. Vgl. auch BEALL, Aulus Gellius 17.8, 60 Anm. 22: `We may place Gellius in the _second tier> of Roman society, which is to say that he enjoyed a privileged education and entrée to men of rank such as Fronto and Herodes

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Fall erkundigt er sich bei seinem Lehrer, dem Grammatiker Sulpicius Apollinaris, welcher Zeitraum mit der Fristsetzung intra Kalendas in der Verordnung der Konsuln genau bezeichnet werde, und erhält darüber gründliche Auskunft durch ihn (NA 12,13,5-16). In einem schwer zu entscheidenden Fall habe er nach vergeblicher Heranziehung der einschlägigen Gesetze und juristischen Literatur (NA 14,2,1-3) und Befragung von Rechtskundigen (NA 14,2,9: uiri exercitati atque in patrociniis et in operis fori celebres), die ihm in seinem konkreten Fall nicht weitergeholfen hätten, seinen Lehrer Favorinus konsultiert, dessen ausgiebig erteilten Rat über die Amtsführung des Richters er aber letzlich wegen nicht ausgeräumter Bedenken nicht Folge geleistet habe. Denn der philosophische Standpunkt, von dem aus Favorinus empfohlen habe, Charakter und Moral der Prozessgegner bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen, sei ihm in seinem noch geringen Alter und seiner noch nicht hohen Kompetenz zu heikel gewesen, so daß er sich in der Streitsache für nicht entschlußfähig erklärt und den Fall abgegeben habe (NA 14,2,24-25).15 Auch in NA 13,13,1 betont Gellius, daß er als junger Mann, gerade ex angulis secretis_____________ Atticus, but evidently as their social inferior.A Daß Gellius sich auf der einen Seite abgrenzt von den nouicii semidocti (NA 16,7,13) unter den Grammatikern (NA 11,1,5) und Philosophen (NA 1,9,11), auf der anderen Seite aber auch gegenüber den Wohlhabenden eine deutliche Distanz erkennen läßt, indem er eine abfällige Bemerkung Plutarchs über einen nimis delicatus diues wiedergibt (NA 3,5,1) und auch Szenen schildert, in der adulescens quispiam ex ditioribus mit seiner unangebrachten Bildungsostentation decouvriert wird (NA 9,15,2. 9) bzw. Graecus quispiam diues ex Asia magno ... cultu paratuque rerum et familiae ... multis corporis animique deliciis diffluens wegen seiner Arroganz von einem Stoiker zurechtgewiesen wird (NA 19,1,7-11), spricht dafür, seinen sozialen Status in der Mitte der Gesellschaft zu vermuten. 15 Die Skrupelhaftigkeit und Zurückhaltung, religio illa cunctationis et sollicitudinis (NA 14,2,12), ist ein Wesenszug, den Gellius an sich selbst nicht nur in diesem Zusammenhang (vgl. NA 14,2,25) hervorhebt: Er enthält sich der Antwort auf eine Frage des Favorinus und bittet ihn statt dessen um die Erklärung einer Aussage Sallusts über die verweichlichende Wirkung der auaritia in NA 3,1,4 (uix ego haec dixeram cunctabundus); er maßt sich kein Urteil darüber an, in welcher Intention Favorinus seinen Chaldäerdiskurs gehalten habe: exercendine aut ostentandi gratia ingenii, an quod ita serio iudicatoque existimaret, non habeo dicere (NA 14,1,2). Zurückhaltung übt er auch in der Kritik an anerkannten Vorbildern, z.B. in NA 11,15,4-6 in der Zurückweisung des Terentius Scaurus, des grammaticus uel nobilissimus hadrianischer Zeit, der seinerseits zu Unrecht den Caesellius Vindex kritisiert habe. Erst recht drückt er sich ganz vorsichtig aus an der Stelle, in der er nachweist, daß der von ihm sonst tief bewunderte Cicero (z.B. NA 17,1,1) es in der Übertragung Theophrasts an seiner gewohnten Genauigkeit (anxietate illa et quasi morositate disputationis praetermissum) habe mangeln lassen (NA 1,3,12). Doch wird das Verdikt KROLLs (Studien, 137) der CiceroVerehrung des Gellius trotzdem nicht gerecht: ` ... bei Gellius geht die Bewunderung vollends ins Servile und Abgeschmackte über.A B In NA 14,2 spiegelt sich auch die Verehrung für seinen Lehrer Favorinus wider; vgl. oben S. 268.

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que librorum ac magistrorum in medium iam hominum et in lucem fori hervorgetreten, aufgrund seiner profunden Kenntnis von Varros _Res humanae> sogar eine maßgebliche Rechtsauskunft habe erteilen können in einer damals aktuellen Rechtsfrage. Über die Anwendung unterschiedlicher rhetorischer principia in den Gerichtsreden, je nach dem, ob es um die Verteidigung eines Angeklagten im Zivilprozeß oder um die Wahrnehmung öffentlicher Interessen vor Gericht geht, zeigt er sich gut unterrichtet (NA 6,3,18-21). Die Beziehung des Gellius zur Jurisprudenz, insbesondere zur Zivilgerichtsbarkeit, wird ferner deutlich aus der Aussage in NA 20,10,6, daß er selbst Rechtsauskunft eingeholt habe bei den iureconsulti bzw. in deren Büchern über den auch juristisch relevanten Ausdruck manum conserere : itaque id, quod ex iureconsultis quodque ex libris eorum didici, inferendum his commentariis existimaui, quoniam, in medio rerum et hominum uitam qui colunt, ignorare non oportet uerba actionum ciuilium celebriora. Außer diesen wenigen offiziellen negotia ist nichts an öffentlicher Aktivität des Gellius in den _Noctes Atticae> erwähnt (oder aus anderen Quellen bekannt), wodurch sein otium beschränkt würde. Die in der Praefatio offenbar primär gemäß der Konvention bemühte Opposition von otium und negotia hat bei Gellius, der in den _Noctes Atticae> außer als Schriftsteller nur in der privaten Rolle des pater familias (in der Praefatio)16 und des ehemaligen `(ewigen) StudentenA (in den commentarii) erscheint, ihre Bedeutung weitgehend verloren.17 Um diesen Bedeutungsverlust zu illustrieren, sei daran erinnert, wie anders das Thema von Cicero oder auch noch Plinius behandelt worden ist. Deren Anwaltstätigkeit und vor allem ihr Engagement in führenden politischen Ämtern bzw. in der Reichsverwaltung des Imperiums ließen ihnen tatsächlich ein nur begrenztes otium. Während das Amt des consul suffectus, das Plinius im Jahr 100 n. Chr. für zwei Monate bekleidet hat, im Gegensatz zu Ciceros hochbrisantem und folgenreichem Konsulat im Jahre 63 v. Chr. kaum mehr ein politisches, sondern nur ein Ehrenamt _____________ 16 Vgl. Rhet. Her. 1,1,1: Etsi negotiis familiaribus impediti uix satis otium studio suppeditare possumus ... tamen tua nos, Gai Herenni, uoluntas commouit ut de ratione conscriberemus. Zu den teils abwegigen Schlußfolgerungen aus dieser einleitenden Selbstdarstellung des Autors vgl. CALBOLI (Ed.), Rhetorica ad C. Herennium, 207 z.St. B Die Aufgaben des pater familias bilden seit frührömischer Zeit den Kernbereich der Tätigkeiten des nobilis: vgl. CHRISTES, Der Gebildete im republikanischen Rom, 112-113. 17 Vgl. VARDI, Genre, Conventions, 185: `Gellius’ narration does not involve the world of negotium.A Diese Feststellung trifft er im Rahmen seiner Untersuchung der otiumThematik (ebd. 179-186), die entgegen PAUSCHs grundsätzlichen Bedenken bezüglich des Fortbestands der Opposition von otium und negotium in der Kaiserzeit (Biographie und Bildungskultur, 14 Anm. 91) Aufschluß über das kulturelle Konzept der ,Noctes Atticae> gibt.

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war,18 bedeutete die außerordentliche Statthalterschaft, die Plinius (als legatus pro praetore consulari potestate) 111-113 n. Chr. in Bithynien zum Abschluß seiner Karriere innehatte, eine durchaus verantwortungsvolle Tätigkeit, deren politische Relevanz der Briefwechsel mit Kaiser Trajan bezeugt. Angesichts dieser öffentlichen Aufgaben im Dienst der Gemeinschaft, die den aus der römischen Republik stammenden Vorstellungen von politischer utilitas und dem Primat der Praxis entsprechen,19 hatten sich die beiden Autoren veranlaßt gesehen, ihre Schriftstellerei jeweils zu begründen. So hat Cicero, der schon vorher wiederholt für die Anerkennung des otium als eigenständiger Lebensform geworben hatte, die sich zu Studienzwecken und literarischer Arbeit nutzen ließ, in seinen Schriften erklärt, die Werke seinen negotia abgerungen zu haben, auch wenn sie nach der communis opinio in Phasen eines durch die politischen Verhältnisse herbeigeführten unfreiwilligen otium B in den Jahren nach der Wiederbefestigung des Triumvirats in Lucca am 15.1.56 v. Chr. die ersten drei größeren Werke (55-51 v. Chr.: _De oratore>; _De republica>; _De legibus>) und während Caesars Diktatur die zahlreichen rhetorischen und philosophischen Werke der zweiten längeren Schaffensperiode (46-43 v. Chr.: u.a. _Brutus>; _Orator>; _Hortensius>; _Academica>; _De finibus bonorum et malorum>; _Tusculanae disputationes>; _De natura deorum>, _De divinatione> _De fato>; _Cato maior>; _Laelius>; _De officiis>) B entstanden sind: Über die Abfassungszeit von _De re publica> gibt Cicero selbst in seinem Werkkatalog in div. 2,3 an, daß er das Werk geschrieben habe, cum gubernacula rei publicae tenebamus; im Prooemium von _De oratore> (1,3) betont er ausdrücklich, daß er die Schrift verfaßt habe, obwohl ihm die politischen Verhältnisse nach seinem Konsulat sehr zugesetzt und ihn die negotia stark beansprucht hätten: sed tamen in his uel asperitatibus rerum uel angustiis obsequar studiis nostris et, quantum mihi uel fraus inimicorum uel causae amicorum uel res publica tribuet oti, ad scribendum potissimum conferam.20 Darüber, daß es sich bei diesen Äußerungen nicht um reine Exordialtopik handelt, sondern Cicero tatsächlich entgegen der vorherrschenden üblichen Auffassung (zumindest teilweise) noch ins politische Geschehen involviert war, das ihn aber zunehmend frustrierte, geben seine Briefe aus dieser Zeit Aufschluß. Aufgrund dieser Entwicklung haben für ihn sowohl in seinem Leben wie in seiner Gedankenwelt die im otium kultivierten studia eine immer größere Bedeutung gewonnen und sich in seiner Ideal_____________ 18 Gleichwohl bezeugt der Panegyricus, den Plinius auf Trajan als Dank für die Übertragung des Konsulats vor dem Senat gehalten und nachträglich für die Publikation literarisch überarbeitet hat, wie hoch er die Auszeichnung durch dieses Amt veranschlagte. 19 Vgl. CHRISTES, Der Gebildete im republikanischen Rom, 113-114. 20 Vgl. LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de orat. 1,1-5, Bd.1,17-21.

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vorstellung eines otium cum dignitate 21 verdichtet. Deshalb setzt sich Cicero besonders im Rahmen von _De oratore> mit der häufiger artikulierten22 Auffassung auseinander, daß die Römer durch ihre negotia an gründlichen Studien und einer vollständigen Aneignung der doctrina gehindert gewesen und diese den Griechen, illi nati in litteris ardentesque his studiis, otio uero diffluentes (de orat. 3,131), vorbehalten seien.23 Gegen die von der Dialogfigur Crassus selbst vorgetragene Ansicht, daß ihm nicht genügend Zeit für wissenschaftliche Beschäftigung geblieben sei (de orat. 1,78-79; vgl. auch de orat. 3,85-86),24 verkörpert gerade dieser in Ciceros Darstellung das Ideal des allseitig gebildeten orator perfectus, wie beispielhaft aus der Beschreibung des Catulus hervorgeht: cum tu in alia lingua ac moribus natus, occupatissima in ciuitate uel priuatorum negotiis paene omnibus uel orbis terrae procuratione ac summi imperi gubernatione districtus, tantam uim rerum cognitionemque comprenderis eamque omnem cum eius, qui consilio et oratione in ciuitate ualeat, scientia atque exercitatione sociaris (de orat. 3,131). Diese Stelle verdeutlicht exemplarisch, daß sich in der antithetischen Wechselbeziehung von otium und negotia das Spannungsverhältnis zwischen Griechen (vgl. auch Cic. de orat.1,22. 3,57) und Römern (vgl. de orat. 1,249) spiegelt.25 Dies geht auch hervor aus der römischen Ausrichtung der im otium betriebenen studia und sermones auf _____________ 21 Während diese Formel in Cic. de orat. 1,1 sein persönliches Ideal ausdrückt, steht sie in Sest. 98-100 im politischen Kontext auf die Politik der konservativen Koalition bezogen: vgl. ANDRÉ, L’otium, 295-306; J. CHRISTES, Cum dignitate otium (Cic. Sest. 98). – Eine Nachbereitung; in: Gymnasium 95 (1988) 303-315; M. FUHRMANN, Cum dignitate otium. Politisches Programm und Staatstheorie bei Cicero; in: Gymnasium 67 (1960) 481-500. 22 Vgl. z.B. Cic. de orat. 1,78-79. 80-81; 3,74-75. 85. 23 Vgl. die berühmte Gegenüberstellung von spezifisch römischer und spezifisch griechischer Beschäftigung in Verg. Aen. 6,847-853: excudent alii spirantia mollius aera / (credo equidem), uiuos ducent de marmore uultus, / orabunt causas melius, caelique meatus / describent radio et surgentia sidera dicent:/ tu regere imperio populos, Romane, memento/ (hae tibi erunt artes), pacique imponere morem, / parcere subiectis et debellare superbos. Vgl. oben S. 272. 24 Dies macht Cicero auch für sich selbst im Rückblick auf seine politisch aktive Zeit und seine in ihr eingeschränkte Schriftstellerei geltend: Cui cum multum adulescens discendi causa temporis tribuissem, posteaquam honoribus inseruire coepi meque totum rei publicae tradidi, tantum erat philosophiae loci, quantum superfuerat amicorum et rei publicae tempori. Id autem omne consumebatur in legendo, scribendi otium non erat (off. 2,4). Vgl. auch off. 3,4: nos autem, qui non tantum roboris habemus, ut cogitatione tacita a solitudine abstrahamur, ad hanc scribendi operam omne studium curamque conuertimus. Itaque plura breui tempore euersa quam multis annis stante re publica scripsimus. B Dagegen versichert er im Prooemium zu _De natura deorum>, daß er sich immer intensiv mit Philosophie beschäftigt habe (nat. deor. 1,6). 25 Vgl. LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de orat. 1,21-23, Bd. 1,57.

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die politische Praxis bzw. den Nutzen des Staates,26 die sie unterscheidet von den autonomen wissenschaftlichen Beschäftigungen der Griechen: Quodsi studia Graecorum uos tanto opere delectant, sunt alia liberiora et transfusa latius, quae uel ad usum uitae uel ad ipsam rem publicam conferre possumus (rep. 1,30). Während Cicero hier durch Laelius den studia Graeca lediglich einen propädeutischen Wert im Hinblick auf die späteren negotia zuerkennt, wird in den Prooemien der philosophischen Schriften der zweiten Schaffensphase, in denen Cicero immer wieder das Thema umkreist und den Nutzen des von wissenschaftlicher und schriftstellerischer Tätigkeit erfüllten otium herausarbeitet, der von dem politischen Kontext unabhängige Wert des otium und der studia betont.27 Ihr Nutzen wird nun von Cicero neu definiert: zum einen durch die aus der geistigen Beschäftigung gewonnene individuelle Sinnerfüllung und Lebenshilfe,28 zum anderen durch die pädagogische Wirkung der Schriftstellerei. Insbesondere das pädagogische (und indirekt politische) Anliegen betont er im Rückblick auf sein literarisches Schaffen in div. 2,4-5: quod enim munus rei publicae adferre maius meliusue possumus, quam si docemus atque erudimus iuuentutem, his praesertim moribus atque temporibus, quibus ita prolapsa est, ut omnium opibus refrenanda ac coercenda sit ? nec uero id effici posse confido, quod ne postulandum quidem est, ut omnes adulescentes se ad haec studia conuertant. Pauci utinam quorum tamen in re publica late patere poterit industria. Daß sich Inhalt und Funktion des otium mit den politischen und sozialen Verhältnissen ändern, hat Cicero bei seiner Behandlung von Scipios berühmtem Paradoxon im Prooemium des dritten Buches _____________ 26 Vgl. Cic. rep. 1,33: _quid esse igitur censes Laeli discendum nobis, ...?> (Laelius:) _eas artis quae efficiant ut usui ciuitati simus; id enim esse praeclarissimum sapientiae munus maximumque uirtutis uel documentum uel officium puto. Quam ob rem ut hae feriae nobis ad utilissimos rei publicae sermones potissimum conferantur, Scipionem rogemus, ut explicet quem existimet esse optimum statum ciuitatis.> 27 Vgl. CHRISTES, Der Gebildete im republikanischen Rom, 123-126; ders., Bildung und Gesellschaft, 184-188. 28 Wie die studia lebenslang und in allen Lagen Bereicherung, Sinnstiftung und Halt gewähren, hat Cicero in Arch. 16 beschrieben: haec studia adulescentiam acuunt, senectutem oblectant, secundas res ornant, aduersis perfugium ac solacium praebent, delectant domi, non impediunt foris, pernoctant nobiscum, peregrinantur, rusticantur. Daß Cicero selbst aus den studia, insbesondere aus der Beschäftigung mit der Philosophie Trost in schwierigen Lebenssituationen gezogen hat, bekundet er in vielen seiner Briefe (z.B. fam. 4,4[3],4. 5,15[16],3. 6,12,5. 9,2[3],5. 13,28,2; Att. 12,14[13],3; ad Q. fr. 3,7 [9],1-2) und wiederholt er auch in seinen philosophischen Schriften (Tusc. 5,5. 121; nat. deor. 1,9; div. 2,7); vgl. J. GRAF, Ciceros Selbstauffassung, Heidelberg 1963, 4654, bes. 48-52 (u. 132-136 Anm. 14-36). Schon in de orat. 2,22 hatte Cicero die entspannende Wirkung des otium mit den ausgelasssenen Freizeitbeschäftigungen der Freunde Scipio und Laelius bei ihren Landaufenthalten illustriert: uerum otii fructus est non contentio animi, sed relaxatio.

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_De officiis> (dicere solitum numquam se minus otiosum esse, quam cum otiosus, nec minus solum, quam cum solus esset)29 in Gegenüberstellung zu seinem eigenen otium explizit dargelegt: Nam et a re publica forensibusque negotiis armis impiis uique prohibiti otium persequimur et ob eam causam urbe relicta rura peragrantes saepe soli sumus. Sed nec hoc otium cum Africani otio nec haec solitudo cum illa comparanda est. Ille enim requiescens a rei publicae pulcherrimis muneribus otium sibi sumebat aliquando et coetu hominum frequentiaque interdum tamquam in portum se in solitudinem recipiebat, nostrum autem otium negotii inopia, non requiescendi studio constitutum est. Exstincto enim senatu deletisque iudiciis quid est, quod dignum nobis aut in curia aut in foro agere possimus ? (off. 3,1-2). Deshalb ist es offensichtliche Folge der politischen Entwicklung, daß Seneca, nachdem seit dem Beginn der Prinzipatszeit die Emanzipation des Einzelnen von der politischen Verantwortung noch weiter fortgeschritten ist, in seiner Schrift ganz auf die individualethische Legitimation des otium abstellt, ohne jedoch die utilitaristische Begründung aufzugeben. Im Hinblick auf den stoischen, allen Menschen gemeinsamen Kosmos argumentiert er: Huic maiori rei publicae et in otio deseruire possumus, immo uero nescio an in otio melius, ut quaeramus quid sit uirtus, una pluresne sint, natura an ars bonos uiros faciat ... (dial. 8,4,2 [= De otio 4,2]).30 Nach der vorausgegangenen ausgiebigen Apologetik bedarf in der hohen Kaiserzeit schließlich das otium keiner eigenen Rechtfertigung mehr, vielmehr dient es als Ausweis der intellektuellen Elite, sich ohne Einschränkung durch andere Verpflichtungen geistigen bzw. wissenschaftlichen Beschäftigungen widmen zu können. So läßt Plinius B trotz seiner Beanspruchung durch seine Aufgaben als Patron, seine Anwaltstätigkeit und seine Ämterlaufbahn31 B keine Ge_____________ 29 Zur Fortwirkung des auch in Cic. rep. 1,27 zitierten einprägsamen Diktums vgl. KARL GROSS, Numquam minus otiosus quam cum otiosus, 122-137. 30 Vgl. J.-M. ANDRÉ, Recherches sur l’otium romain, Paris 1962 [= Annales Littéraires de l’Université de Besancon 52 ], 27-81, bes. 70-71; ders., L’otium, 534. 538-540. 31 Plinius klagt wiederholt über seine Belastung durch diese Verpflichtungen: Nam distringor officio ut maximo sic molestissimo: sedeo pro tribunali, subnoto libellos, conficio tabulas, scribo plurimas sed inlitteratissimas litteras. Soleo non numquam (nam id ipsum quando contingit !) de his occupationibus apud Euphraten queri. Ille me consolatur, adfirmat etiam esse hanc philosophiae et quidem pulcherrimam partem, agere negotium publicum, cognoscere iudicare, promere et exercere iustitiam, quaeque ipsi doceant in usu habere. Mihi tamen hoc unum non persuadet, satius esse ista facere quam cum illo dies totos audiendo discendoque consumere (epist. 1,10,9-11); Interim mille laboribus conteror, quorum mihi solacium et exemplum est idem Spurinna; nam ille quoque, quoad honestum fuit, obiit officia, gessit magistratus, prouincias rexit, multoque labore hoc otium meruit (epist. 3,1,11-12); ... circumibam agellos, audiebam multum rusticarum querelarum, rationes legebam inuitus et cursim (aliis enim chartis, aliis sum litteris initiatus) ... nam includor angustiis commeatus eoque ipso, quod delegatum Cornuto audio officium, mei admoneor (epist. 5,14,8).

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legenheit aus, sich als unermüdlich wissenschaftlich und schriftstellerisch tätig zu präsentieren. Im Leben seiner Freunde und bewunderten Zeitgenossen, von dem er in mehreren seiner Briefe ein anschauliches Bild vermittelt, bilden die geistigen Interessen und Beschäftigungen gleichfalls den Mittelpunkt, sofern keine anderen Aufgaben (mehr) Vorrang haben.32 Exemplarisch stehen hierfür das plinianische Briefportät von Vestricius Spurinna, der sich an seinem Lebensabend ganz dem literarischen otium (epist. 3,1, bes. 3-10) hingibt (und deshalb von Plinius beneidet wird),33 und die Beschreibung des Tagesablaufs des älteren Plinius in epist. 3,5, der mit seinem gewaltigen Pensum literarischer Arbeiten und Studien sowie mit seiner unermüdlichen, nur von kurzen Ruhepausen unterbrochenen geistigen Aktivität (bei gleichzeitiger Ausübung politischer Ämter) unerreichtes Vorbild seiner eigenen in epist. 9,36 und epist. 9,40 geschilderten Lebens- und Arbeitsweise ist.34 Dementsprechend preist er in epist. 1,9,6 die ihm auf seinem Laurentinum gegönnte Ruhe (im Gegensatz zu dem städtischen Getriebe, dem zum Trotz laut epist. 3,5,14 der ältere Plinius sein literarisches Oeuvre zustande gebracht hat): O rectam sinceramque uitam, o dulce otium honestumque ac paene omni negotio pulchrius ! O mare, o litus, uerum secretumque ȶoȾȼȯ¥ov, quam multa inuenitis, quam multa dictatis.35 Dadurch wird das otium nachdrücklich als Voraussetzung seiner reichen literarischen Produktivität ins Bewußtsein der Leser gebracht.36 Und so wie er für sich dieses Dasein in der Abgeschiedenheit der Villeggia_____________ 32 In der Würdigung des kürzlich verstorbenen Verginius Rufus (in epist. 2,1, einem Brief an Voconius Romanus), der als Modell einer für die vorherigen Generationen verbindlichen Lebensweise (exemplar aeui prioris) dargestellt wird, stehen allerdings dessen militärischen Führungsaufgaben und politischen Ämter sowie sein Einsatz als Förderer und Freund des Plinius im Vordergrund. Seine literarischen Aktivitäten werden hier ausgespart (jedoch in Plin. epist. 5,3,5 erwähnt). Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 99-113, hier bes. 101. 33 Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 114-129. 34 Vgl. E. LEFÈVRE, Plinius-Studien V: Vom Römertum zum Ästhetizismus. Die Würdigungen des älteren Plinius (3,5), Silius Italicus (3,7) und Martial (3,21); in: Gymnasium 96 (1989) 113-128 , hier 115-118: Während der ältere Plinius eine derart hohe Produktivität inter medios labores urbisque fremitum (epist. 3,5,14) erreicht hat, da er als homo occupatus sowohl durch officia maxima und die amicitia principis (epist. 3,5,7) beansprucht war, braucht der jüngere Plinius das otium ländlicher Abgeschiedenheit in seinen Villen, um schriftstellerisch tätig zu sein (epist. 2,17,24). 35 In diesem Lob des otium erkennt ANDRÉ, L’otium, 534 nicht nur `la joie spirituelleA, sondern zugleich auch als Erbe der republikanischen Debatte `la survivance du scrupuleA, der den Römer fern von den negotia befällt. 36 Dies gilt auch für die anderen Schriftsteller der hohen Kaiserzeit: vgl. CONNORS, Imperial space and time, 495-496 (Phaedrus). 496-498 (Martial). 499-500 (Statius vgl. bes. silv. 4,4,34: maior post otia uirtus).

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tur37 gewählt hat, empfiehlt er z.B. auch seinem mit der Verwaltung der res familiaris beschäftigten Freund Caninius (epist. 1,3,2), sich auf seinem Landsitz in Comum ganz dem otium litteratum zu widmen: hoc sit negotium tuum, hoc otium, hic labor, haec quies (epist. 1,3,3). Denn darin wird die tradierte Spannung und Antithese von otium und negotium aufgehoben, und es wird zwischen beiden Lebensformen ein Ausgleich gefunden. Mit den hier exemplarisch skizzierten Beiträgen zum Thema gewähren die Briefe des Plinius einen Einblick in die zeitgenössische Debatte darüber, wie traditionelle negotia und literarische studia im Leben eines Angehörigen der Oberschicht miteinander vereinbart werden können. Darin hat das otium litteratum (Cic. Tusc. 5,105), d.h. die mit intellektuellen, insbesondere schriftstellerischen Aktivitäten verbrachte Freizeit, eine starke Aufwertung erfahren. Die wachsende Bedeutung literarischer Bildung und kultureller Kompetenz spiegelt einen Mentalitätswandel in der römischen Oberschicht zu Beginn des 2. Jh.s38 und das Aufblühen einer regelrechten Bildungskultur wider, deren sich Plinius sehr wohl bewußt ist: Si quando urbs nostra liberalibus studiis floruit, nunc maxime floret. Multa claraque exempla sunt (epist. 1,10,1). Die Ausbreitung dieser Bildungskultur39 ist im Werk des Gellius noch weiter fortgeschritten. In den studia liegt für den Autor der _Noctes Atticae> der Lebenssinn und die Lebensmitte, auch wenn er noch die durch die literarische Tradition vorgegebene Rechtfertigung aufrechterhält, durch andere Aufgaben und Ämter beansprucht zu sein: Quando ab arbitriis negotiisque otium est et motandi corporis gratia aut spatiamur aut uectamur, quaerere nonnumquam aput memet ipsum soleo res eiusmodi paruas quidem minutasque et hominibus non bene eruditis aspernabiles, sed ad ueterum scripta penitus noscenda et ad scientiam linguae Latinae cumprimis necessarias (NA 11,3,1). Daß sich sein Werk B zumindest zu einem guten Teil B der Nachtarbeit verdankt und ein Produkt der in Athen genutzten hibernarum uigiliarum (NA praef. 10; vgl. auch praef. 4. 14 und NA 19,9,5: labor hic uigiliarum et inquies) ist und dies schon mit dem Titel zu _____________ 37 Zur Bedeutung der Villeggiatur für die römische `FreizeitkulturA vgl. ANDRÉ, L’otium romain à l’ époque impériale, 248-249; ders., Griechische Feste B römische Spiele, 243-248; BEALL, Civilis eruditio, 140-141 illustriert den allgemeinen Befund an konkreten Textbeispielen des 1./2. Jh.s n. Chr. und weist u.a. auf die von Statius bedichteten otia in der Villa Tiburtina des Manilius Vopiscus (Stat. silv. 1,3,108-109: sic docta frequentes / otia) hin. 38 Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 145. 39 Vgl. auch oben S. 107-108. Nicht nur die intellektuelle otium-Kultur, sondern auch die populären und elitären Ausprägungen der `FreizeitkulturA erleben in der Kaiserzeit enormen Aufschwung: dazu ANDRÉ, L’otium, 533; ders., Griechische Feste B römische Spiele, 203-264.

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erkennen gibt, unterstreicht das Bemühen, den Eindruck der täglichen Inanspruchnahme zu erzeugen.40 Aus demselben Grund läßt Gellius, die ursprüngliche enge Verbindungvon otium und feriae als kollektiver Freizeit bestätigend,41 den Leser mehrfach direkt oder indirekt wissen, daß sich die geschilderten Begegnungen und Diskussionen mit prominenten Intellektuellen bzw. die geistigen Beschäftigungen in den Ferien (während des Studiums, aber auch danach) oder an Feiertagen zugetragen haben: z.B. NA 1,2,2 (Sommer- bzw. Herbstferien); NA 9,15,1 (Sommerferien); NA 13,22,1 (dies feriatus); NA 16,10,1 (laeta celebritas feriarum); NA 17,10,1 (Sommerferien); NA 18,2,1 (Saturnalia); NA 18,5,1 (aestiuarum feriarum ludus et iocus); NA 18,13,1 (Saturnalia); NA 19,5,1 (Sommerferien); NA 19,8,1 (Studienpause); NA 20,8,1 (Herbstferien). Die starke Beanspruchung durch die offenbar in der Gerichtsbarkeit angesiedelten (beruflichen ?) Tätigkeiten42 nimmt man ihm aber – wegen mangelnder genauerer Angaben seinerseits und fehlender anderweitiger Zeugnisse – nicht so recht ab; die geltend gemachten privaten und gesellschaftlichen Verpflichtungen des pater familias, die traditionell hoch angesehen und sogar von philosophischer Seite legitimiert waren,43 dienen in gleicher Weise eher der Selbststi_____________ 40 Dazu auch oben S. 200 m. Anm. 33. Vgl. Quint. inst. 10,3,27: ... si uacet, lucis spatia sufficiunt: occupatos in noctem necessitas agit. Est tamen lucubratio, quotiens ad eam integri ac refecti uenimus, optimum secreti genus. Unmittelbarer dürfte die Formulierung bzw. das Konzept des älteren Plinius aus der Praefatio der _Naturalis historia> bei Gellius nachgewirkt haben: Homines enim sumus et occupati officiis subsiciuisque temporibus ista curamus, id est nocturnis, ne quis uestrum putet his cessatum horis. Dies uobis impendimus, cum somno ualetudinem computamus, uel hoc solo praemio contenti, quod, dum ista, ut ait M. Varro, musinamur, pluribus horis uiuimus. Profecto enim uita uigilia est (NH praef. 18). Vgl. dazu auch MINARINI, La prefazione delle _Noctes Atticae>, hier bes. 541. Auch ein Freund des Gellius widmet sich in gleicher Weise wie er selbst der lucubratio: homo lectione multa exercitus, cui pleraque omnia ueterum litterarum quaesita meditataque euigilataque erant (NA 1,7,4). Die Hervorhebung der wȭȺȾąvɅȫ für die literarische Produktion ist seit Kallimachos (epigr. 27,4 PFEIFFER = epigr. 56,4 GOW/PAGE) bzw. Cicero (parad. 5) ein Exordialtopos in der Prosa wie in der Dichtung: vgl. JANSON, Latin Prose Prefaces, 97-98. 147-148. 41 Vgl. ANDRÉ, L’otium, 23-28. 42 Vgl. dazu oben S. 308. 43 Die Erziehungsaufgaben des pater familias gehörten neben den Aufgaben der Gutsund Hausverwaltung (vgl. Cato agr. 2; Cic. Quinct. 11: officia certi patris familias) zu den durch die römische Tradition und auch philosophisch begründeten officia: vgl. z.B. Cic. off. 1,12. 118. 121-122; Cic. Verr. II 3,161; Sen. clem. 1,12,1-14,3; [Ps.-]Plut. mor. 1a-13 f (_De liberis educandis>); vgl. auch Plut. Cato mai. 20; Lucr. 2,604-605 (officia parentum; so auch Sen. clem. 1,14,1). Vgl. MARROU, Geschichte der Erziehung, 431-432. Die (Aus-)Bildung der Kinder war dabei B jedenfalls für Gellius B eine wichtige elterliche Aufgabe: Ea epistula , quoniam curae diligentiaeque in liberorum disciplinas hortamentum est, exscribenda uisa est ad commonendos parentum animos (NA 9,3,4). Auch in der Philosophie des von Plinius

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lisierung des Gellius zu einem dilettierenden Schriftsteller. Auch bei seinem Lesepublikum, das er allen werkimmanenten Indizien zufolge in derselben bildungshungrigen und ambitionierten oberen (aber nicht obersten) sozialen Schicht bzw. Aufsteiger-Schicht sucht, der er selbst anzugehören scheint,44 setzt Gellius wie bei dem in seinem Werk als vorbild_____________ porträtierten Euphrates (epist. 1,10) war die Pflichterfüllung des Familienvaters ein wichtiges Anliegen; vgl. dazu PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 137 m. Anm. 492 (dort weitere Literatur). B Die durch das Recht fest- und vorgeschriebenen Aufgaben und Pflichten des pater familias, der als rechtliches Leitbild jedoch in der Kaiserzeit zunehmend an Verbindlichkeit verlor, sind aus den Quellen schwer zu rekonstruieren: vgl. G. SCHIEMANN, Pater familias; in: DNP 9 (2000) 394-395, hier 395; R.P. SALLER, Patriarchy, property and death in the Roman family, Cambridge 1994, 102-132 (,Pietas and patria potestas>), bes. 110-112. Schon seit der Prinzipatszeit fand eine Lockerung bzw. Auflösung des festen Familienverbandes und mit ihr eine Schwächung der patria potestas statt, die sich schließlich im wesentlichen auf eine den heutigen Verhältnissen nahekommende soziale Schutz-, Leitungs- und Aufsichtsfunktion gegenüber dem minderjährigen Kind beschränkte: vgl. M. KASER, Das römische Privatrecht. Zweiter Abschnitt: Die nachklassischen Entwicklungen, München 21975 [= Rechtsgeschichte des Altertums 3.3.2 = HdAW X 3.3.2], 108-109. Doch die Wahrnehmung der Erziehungsaufgabe als pietatis opus studiumque insigne parentum (Paulin. Pell. 60-67) setzt sich bis in die christliche Spätantike fort: vgl. KASTER, Guardians of Language, 67 m. Anm. 145. B Wie sehr darüber hinaus andere allgemeine gesellschaftliche Pflichten einen Angehörigen der Oberschicht als Privatmann beanspruchen konnten, illustriert der jüngere Plinius mit der Antwort des fictus interlocutor in epist. 1,9,2: Nam, si quem interroges ,Hodie quid egisti?=, respondeat: ,Officio togae uirilis interfui, sponsalia aut nuptias frequentaui; ille me ad signandum testamentum, ille in aduocationem, ille in consilium rogauit.> Vgl. dazu SHERWIN-WHITE, The letters of Pliny, 106-107. 44 Die sozialen Kontakte zu prominenten hochgestellten Zeitgenossen und die Bewunderung für diese Upperclass sowie das Besitztum in Praeneste, auf das Gellius in NA 11,3,1 (in Praenestino recessu) anspielt, lassen auf die soziale Stellung des Gellius schließen. Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 13: `Although he is an accepted member of good society, he is one of its lesser members; not for nothing does he admire Ennius’ verses on the ideal confidant for a man of higher station (12.4). Yet by implicitly bidding his readers take them to heart (' 2) he seems to indicate that he is writing rather for his peers than for the great.A Auch seine Tätigkeit als iudex pedaneus bzw. arbiter bestätigt die Vermutung seiner Zugehörigkeit zu den aufstrebenden Mitgliedern am unteren Rande der Oberschicht: vgl. dazu auch S. 308-309 Anm. 14. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 160-161, bes 160 m. Anm. 83 stellt weitere Vermutungen über die sozialökonomische Einordnung von Gellius’ Pubikum an, das sich nach seiner Vorstellung aus den homines noui der nach Rom drängenden Munizipalaristokratie bzw. aus den im Staatsdienst aufgestiegenen liberti rekrutieren könnte: `Bei dieser Personengruppe könnte es sich beispielsweise um soziale Aufsteiger gehandelt haben, denen aufgrund ihrer nicht dem oberschichtlichen Komment entsprechenden Umgangsformen die volle gesellschaftliche Anerkennung bislang verwehrt geblieben war.A Auch im Falle des Gellius selbst geht er davon aus, daß er seiner kulturellen Kompetenz seinen sozialen Aufstieg verdanke, der ihn als homo nouus an den `unteren Rand der besseren Gesellschaft RomsA (151; vgl. auch 76) gebracht habe.

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lich dargestellten Personenkreis negotia voraus. So wie er einen Freund als doctrina homo seria et ad uitae officia deuincta ac nihil de uerbis laborante (NA 5,21,1-2) einführt, dessen öffentliche Beanspruchung seiner Bildung und Sprachkompetenz keinen Abbruch tut, beschreibt er schon in der Praefatio seine Leser als homines aliis uitae negotiis occupatos (NA praef. 12; vgl. auch NA 20,10,6: in medio rerum et hominum uitam qui colunt). Allerdings stellt er sie in einer disjunktiven Formulierung einer anderen Gruppe von bildungsbeflissenen Lesern, den ingenia prompta expeditaque ad honestae eruditionis cupidinem utiliumque artium contemplationem (NA praef. 12), gegenüber, die ein ihren Interessen entsprechendes schnell und leicht zu handhabendes Kompendium erwarten. Offenbar müssen seine Rezipienten über ein gewisses Maß an otium verfügen,45 denn ausgegrenzt werden aus dem Zielpublikum diejenigen, die intemperiarum negotiorumque pleni sunt (NA praef. 19), ebenso wie unter Anspielung auf Horazens elitären Affront (carm. 3,1,1) die `BildungsbanausenA, das profestum et profanum uolgus a ludo musico diuersum (NA praef. 20). Um den beiden angesprochenen Personenkreisen gerechtzuwerden und ihnen die Benutzung des Kompendiums zu erleichtern, kündigt er schließlich am Ende der Praefatio an, seinen _Noctes Atticae> ein Inhaltsverzeichnis beizufügen. Tatsächlich hat Gellius, wie es vor ihm in ähnlicher Weise schon der ältere Plinius und Columella (und wohl auch Sueton) getan haben,46 kurze In_____________ Diesem eigenen Werdegang entsprechend präsentiere er sich seinem Publikum als ein Beispiel eines gelungenen gesellschaftlichen Aufstieges und lege ein besonderes Interesse für die homines noui in seinem Werk (z.B. NA 7,9; NA 15,4) an den Tag: PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 151-152. 161 Anm. 90. 165. 183-184. 191. Jedoch werden gerade gegen diese Gruppe Vorbehalte artikuliert, wenn sich Gellius abfällig über die nouicii äußert, die er mit den semidocti gleichsetzt und vornehmlich unter den Grammatikern ausmacht: vgl. dazu unten S. 382 Anm. 207. 45 Angesichts der Ausdehnung des otium im 2. Jh. (vgl. oben S. 316) erwartet Gellius von seinen Adressaten solche Bildungsfreizeit, wie er schon in NA praef. 1 zum Ausdruck bringt: ... ut liberis quoque meis partae istiusmodi remissiones essent, quando animus eorum interstitione aliqua negotiorum data laxari indulgerique potuisset. – Dieses begrenzt vorhandene otium wird aber nicht nur beim Publikum vorausgesetzt, sondern auch bei den agierenden bzw. diskutierenden Personen der _Noctes Atticae>: Der Gellius-Freund (vielleicht ein alter ego des Autors ?), der in NA 5,21 bei der äußerst kenntnisreichen Auskunft über den korrekten Gebrauch von pluria, compluria und compluriens seine Gelehrsamkeit und Sprachbildung unter Beweis stellt, betont, daß die Beschäftigung mit solchen weniger wichtigen Fragen otium verlangt: quia nunc mihi a magis seriis rebus otium est, uelim doceas nos, cur ,pluria> siue ,compluria> B nihil enim differt B non Latine, sed barbare dixerint M. Cato, Q. Claudius, Valerius Antias, L. Aelius, P. Nigidius, M. Varro quos subscriptores approbatoresque huius uerbi habemus praeter poetarum oratorumque ueterum multam copiam (NA 5,21,6). 46 Unter Berufung auf den `ErfinderA Valerius Soranus hat der ältere Plinius, von einer partiellen Lektüre seines Werkes ausgehend, im ersten Buch ein vollständiges Inhaltsverzeichnis seiner _Naturalis historia> gegeben. Nach ihm hat Columella an das elfte

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haltsangaben der commentarii, von uns Lemmata oder capitula genannt, von ihm als capita rerum (NA praef. 25) bezeichnet, den zwanzig Büchern _Noctes Atticae> vorausgeschickt, die im Laufe der Überlieferungsgeschichte noch einmal den einzelnen Büchern (in den karolingischen Handschriften) bzw. später den einzelnen Kapiteln vorangestellt worden sind.47 Sie dienen zum einen der Orientierung, indem sie Vorinformationen zu den Kapiteln liefern, zum anderen bieten sie einen Lektüreanreiz, indem sie auf verschiedene Weise die Aufmerksamkeit bzw. Neugier des Lesers wecken.48 Damit animiert er seine Leser, ihr B offensichtlich trotz Frontos Aussage in NA 19,8,14-16 (ista omnia et enucleari et extundi ab hominibus negotiosis in ciuitate tam occupata non queunt) nicht allzu knapp bemessenes B otium für die Lektüre seines Werkes zu nutzen. Denn ohne fortdauernde Beschäftigung mit der Literatur gerät man in Gefahr, so zu werden wie die, die er in NA 15,30,1 kritisiert bzw. karikiert: Qui ab alio genere uitae detriti iam et retorridi ad litterarum disciplinas serius adeunt, si forte _____________ Buch seiner _De re rustica libri XII> eine Inhaltsliste angehängt. Vermutlich hat auch Sueton in seinem antiquarischen Sammelwerk _Pratum> in Nachahmung des Plinius die Vorrede mit einem Inhaltsverzeichnis verbunden und damit das unmittelbare Vorbild für Gellius abgegeben. Zur Rezeption des suetonischen _Pratum> durch Gellius: vgl. P.L. SCHMIDT, Suetons _Pratum>, 3801. 3818-3819. Gellius nimmt außer auf Suetons _Pratum> (NA praef. 8; NA 9,7,3) in seiner Praefatio zugleich auf Plinus’ _Naturalis historia> ausdrücklich Bezug (NA praef. 8), ein Werk, mit dem er sich nicht nur an dieser Stelle, sondern auch in der übrigen Praefatio und über diese hinaus intensiv auseinandersetzt, wie A. MINARINI, La prefazione delle _Noctes Atticae>, 536553 nachgewiesen hat. Vgl. dazu auch oben S. 122 m. Anm. 241. B Die paratextuellen Elemente des Inhaltsverzeichnisses und der Kapitelüberschriften haben sich in der lateinischen Literatur im Laufe des 1. Jh. n. Chr. als `neue Dienstleistungen des Autors gegenüber dem LeserA herausgebildet: vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 158 mit Hinweis auf H. KRASSER, `Sine fine lecturiasA. Zu Leseszenen und literarischen Wahrnehmungsgewohnheiten zwischen Cicero und Gellius, Tübingen 1996 (unveröffentlichte Habilitationsschrift), 62; die gesamte Entwicklung beschreiben im Kontext P.L. SCHMIDT, Paratextuelle Elemente, 223-232, hier bes. 226-227 (zu Suetons _Pratum> und Gellius) und SCHRÖDER, Titel und Text, 93-127. 47 Entgegen früheren Zweifeln sind die Lemmata als authentisch anzusehen: Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 30. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 158 Anm. 67 hält anscheinend die in der Überlieferungsgeschichte entstandenen Kapitelüberschriften für eine gellianische Neuerung. Dagegen beschreiben ausführlicher MASELLI, Osservazioni, 36-37 und P.L. SCHMIDT, Paratextuelle Elemente, 227, daß die Umstände der Überlieferung, in der schon der Übergang von der Buchrolle zum Codex die 20 Bücher der _Noctes Atticae> zweiteilte und die beiden Bände im Mittelalter getrennt wurden, zu Inhaltsübersichten vor den einzelnen Büchern führten. In den ersten gedruckten Ausgaben war die Entwicklung schon so weit fortgeschritten, daß die Lemmata nicht mehr (nur) insgesamt dem Werk, sondern den einzelnen commentarii vorangestellt wurden. Vgl. auch S. 51-52 Anm. 9. 48 Vgl. MASELLI, Osservazioni, 26-27. 31-32. 34-35; P.L. SCHMIDT, Paratextuelle Elemente, 228-229; SCHRÖDER, Titel und Text, 113-114.

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idem sunt garruli natura et subargutuli, oppido quam fiunt in litterarum ostentatione inepti et friuoli. Nachdem er sich schon in der Praefatio in protreptischer Absicht erklärt hat (NA praef. 17), appelliert er noch einmal an sein Publikum, seinem Beispiel zu folgen und weitere Recherchen in der einschlägigen Literatur zu unternehmen in NA 6,16,3 (et ipsos quidem uersus, cui otium erit, in libro, quo dixi, positos legat ...).49 Offenbar kann er selbst für solche intensiven Literaturstudien, deren Extrakt er in den _Noctes Atticae> verarbeitet, lebenslang genügend Zeit erübrigen50 _____________ 49 Außer mit direkten Appellen fordert Gellius sein Publikum zur weiteren gedanklichen Beschäftigung dadurch auf, daß er Probleme darstellt und diskutiert, aber abschließende Lösungen vorenthält: vgl. HOLFORD-STREVENS, 37 m. Anm. 37; BEALL, Civilis eruditio, 4. 66-69; BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 110. Ganz offen tut er dies in NA 12,6,1 bei der Vorstellung eines Rätsels (das vermutlich nach dem durch einen Stein auf dem Kapitol repräsentierten Gott Terminus fragt; vgl. dazu F. BÖMER [Hrsg.], P. Ovidius Naso: Die Fasten, hrsg., übers. u. komment., Bd. 2: Kommentar, Heidelberg 1958, 129-130 zu Ov. fast. 2,639 ff.): Quale est quod nuper inuenimus per hercle anticum, perquam lepidum, tribus uersibus senariis compositum aenigma, quod reliquimus inenarratum, ut legentium coniecturas in requirendo acueremus. ... Hoc qui nolet diutius aput sese quaerere, inueniet quid sit in M. Varronis ,de sermone Latino ad Marcellum> libro secundo. Vgl. auch NA 19,14,5: ... uerba haec scripsit , quae reliquimus inenarrata ad exercendam legentium intentionem. 50 So läßt Gellius an mehreren Stellen erkennen, daß und wie er aufgrund bei der eigenen Lektüre oder bei Vorträgen empfangener Anregungen weiterführende gründliche Nachforschungen angestellt hat bzw. noch immer anstellt: z.B. NA 2,19,3 (cur autem in hoc uno uerbo _re> particula huius sententiae uim habeat, equidem adhuc quaero); NA 5,17,5 (nihil nos super ea re scriptum inuenimus, nisi quod ...); NA 11,15,8 (sed inquirentibus nobis ...); NA 12,13,17 (cordi mihi fuit, priusquam ad te irem, quaerere explorareque, quonam modo ueteres nostri particula ista ... usi sint); NA 12,14,7 (fictum nimis tamen esse uidetur commenticium. Censuimus igitur amplius quaerendum); NA 13,21,10 (nos autem aliud quoque postea consimiliter a Vergilio duplici modo scriptum inuenimus); NA 18,4,11 (... quas requisitas ego et repertas cum primarum significationum exemplis, ut commentariis harum _noctium> inferrem ... ). Auch die Sorgfalt, mit der er bei seinen Recherchen wie bei der Niederschrift vorgeht und sich um erschöpfende Behandlung (auch von Quisquilien) bemüht, legt es nahe, aus der Intensität seiner Studien auf ihre zeitliche Extensität zu schließen: NA 1,9,12 (sed id quoque non praetermittendum est, quod ... coibatur societas inseparabilis, tamquam illud fuit antiquum consortium, quod iure atque uerbo Romano appellabatur ,ercto non cito>); NA 13,29,6 (hoc iudicium Frontonis etiam paruis minutisque uocabulis non praetermittendum putaui, ne nos forte fugeret lateretque subtilior huiuscemodi uerborum consideratio); NA 13,31,16 (rem leuiculam diu et anxie quaesiuimus); NA 15,30,5 (ego cum Probi multos admodum commentationum libros adquisierim, neque scriptum in his inueni ...). Darauf, daß solche Untersuchungen weitab führen können von der ursprünglichen Fragestellung und viel otium erfordern, macht Favorinus seinen Schüler Gellius aufmerksam anläßlich dessen Frage nach der Aufgabe des Richters: _est enim disceptatio ista multiiugae et sinuosae quaestionis multaque et anxia cura et circumspicientia indigens ... Sed de his> inquit _et ceteris huiuscemodi iudicialis officii tractatibus et nos posthac, cum erit otium, dicere ... conabimur> (NA 14,2,12-13. 20). Die Erklärung für seine Sorgfalt, daß er sich darin nicht

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trotz gegenteiliger Aussagen (z.B. in NA 7,8,4, wo er um Sympathie werbend sich abgrenzt von denen, quibus abunde et ingenii et otii et uerborum est)51 und setzt voraus, daß auch die Rezipienten seines Werkes ausreichendes otium haben, um sich durch seine und andere Bücher sowie durch Lehrerpersönlichkeiten belehren und unterhalten zu lassen.52 Daher be_____________ von der schriftstellerischen Konkurrenz übertreffen lassen wolle, gibt Gellius in NA 1,25,18: Hoc ... propterea non praeterii, ne cui harum _noctium> aemulo eo tantum nomine elegantius id uideretur, tamquam id nos originem uerbi requirentes fugisset. Überhaupt legt Gellius Gründlichkeit bei der schriftlichen Ausarbeitung der _Noctes Atticae> an den Tag: bei der umfassenden Lektüre der ueteres scriptores und Aufnahme ihrer locutiones in seine adnotamenta (NA 1,7,18), bei der Hinzufügung eines exemplum zur Verdeutlichung (NA 1,13,9) oder eines weiteren Textbeispiels (NA 3,18,9) zur Bestätigung einer Begriffsbestimmung genauso wie bei der Übersetzung im Bemühen um eine angemessene Wiedergabe eines griechischen Ausdrucks im Lateinischen (NA 20,5,13). 51 Damit wandelt Gellius eine Formulierung Ciceros ab, mit der dieser die Leistung der Griechen in Theorie und Praxis der Rhetorik beschreibt, um daran anknüpfend die zuvor universell definierten Aufgaben des römischen Redners in hac tanta occupatione urbis et uitae wieder zu begrenzen: ... sed quia non dubito, quin hoc plerisque immensum infinitumque uideatur, et quod Graecos homines non solum ingenio et doctrina, sed etiam otio studioque abundantis partitionem iam quandam artium fecisse uideo neque in uniuerso genere singulos elaborasse, sed seposuisse a ceteris dictionibus eam partem dicendi ... et id unum genus oratori reliquisse (de orat. 1,21). In Abgrenzung von dem sprichwörtlich gewordenen (im Überschuß vorhandenen) otium Graecum (vgl. de orat. 3,57. 131) hebt auch Cicero selbstbewußt seine schriftstellerische Leistung hervor: Nemo enim orator tam multa ne in Graeco quidem otio scripsit, quam multa sunt nostra, eaque hanc ipsam habent, quam probo, uarietatem (orat. 108). B An anderer Stelle hingegen reiht sich Gellius, der sich in nicht geringem Umfang mit biographischer Buntschriftstellerei befaßt hat (vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 164-226), ein in die Tradition derer, quibus otium et studium fuit uitas atque aetates doctorum hominum quaerere ac memoriae tradere (NA 13,2,1). 52 Daß er sich an ein Publikum wendet, das sich auf ähnliche Weise mit Literatur beschäftigt wie er selbst, bringt er in NA praef. 19 zum Ausdruck: Erit autem id longe optimum, ut qui in lectitando, , scribendo, commentando numquam uoluptates, numquam labores ceperunt, nullas hoc genus uigilias uigilarunt neque ullis inter eiusdem Musae aemulos certationibus disceptationibusque elimati sunt, sed intemperiarum negotiorumque pleni sunt, abeant a ,noctibus> his procul atque alia sibi oblectamenta quaerant. Vgl. auch oben S. 98. S. 320. Genauso wie Valerius Probus zuvor einen Zuhörer unterwiesen hat über die klanglichen Gründe für Vergils jeweiligen Gebrauch der Akkusativform urbes bzw. urbis, so setzt Gellius in NA 13,21,10-23 quasi in der Rolle des Probus die Belehrung seiner in der 2. Person Singular angesprochenen Leser fort, indem er sie auffordert, bei der Beurteilung der vorgelegten Textstellen ihrem Empfinden für den Wortklang zu folgen. (Möglicherweise hat sich Gellius hier aber auch einen Teil des Probus-Vortrags einfach selbst zugeschrieben.) B Gegen die Vorstellung eines durch die literarische Beschäftigung allzusehr okkupierten Publikums betont BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 109: `Welche Art von Oberschicht ist es, die hier vorgeführt wird ? Sicherlich keine _leisure class>, die über hinreichende Ressourcen verfügt, sich ganz dem Gelehrtenleben hingeben zu können. ... So sieht er auch sein

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schreibt er im Gestus der affektierten Bescheidenheit53 die protreptische Intention der _Noctes Atticae>: Quae autem parum plana uidebuntur aut minus plena instructaque, petimus, inquam, ut ea non docendi magis quam admonendi gratia scripta existiment et quasi demonstratione uestigiorum contenti persequantur ea post, si libebit, uel libris repertis uel magistris (NA praef. 17). Indem er sich in den commentarii den verschiedensten literarischen Werken und der Fachliteratur unterschiedlichster Provenienz widmet und sie für seine Zwecke auswertet, führt er seinen Lesern ein Leseverhalten vor, an dem sie sich bei ihrer eigenen Lektüre orientieren sollen. Der richtige Umgang mit der Literatur ist denn auch in Gellius= Verständnis der Sinn von Frontos Aufforderung zu weiteren Recherchen nach bestimmten Worten in den Texten der classici, der er selbst sogleich nachgekommen ist: Haec quidem Fronto requirere nos iussit uocabula non ea re, opinor, quod scripta esse in ullis ueterum libris existumaret, sed ut nobis studium lectitandi in quaerendis rarioribus uerbis exerceret (NA 19,8,16).54 Neben dem angemessenen Umgang mit Literatur aller Art demonstriert Gellius mit seiner Selbstdarstellung in den szenisch gestalteten commentarii, wie man in der Begegnung mit den mehr oder weniger prominenten Intellektuellen seiner Zeit, die ihrerseits als Vorbildfiguren fungieren,55 sei es im privaten Rahmen, sei es im öffentlichen Raum, sich adäquat verhält. Auch das Decouvrieren von Scheinwissen und Bildungsarroganz bei Pseudointellektuellen und das Brandmarken von unangemessenen Verhaltensweisen der semidocti dient ex negativo der Präsentation vorbildlicher kultureller Kompetenz. Sie äußert sich zum einen in dem richtigen Lektüreverhalten, sich die gesellschaftlich anerkannte bzw. relevante Bildung lesend anzueignen, was in der aufblühenden Lese- und Bibliothekskultur des 2. Jh.s zunehmend wichtig wurde, zum anderen in der rhetori_____________ Zielpublikum: er schreibe für die negotiis occupatos ... Dementsprechend darf der Erwerb solchen Spezialwissens keinesfalls in irgendeiner Form mit Arbeit assoziiert werden; es handelt sich um delectatiunculas, der Leser soll uoluptas empfinden. Sich mit Etymologien und archaischen Schriftstellern zu beschäftigen, ist das Hobby und Vergnügen eines Gentleman.A 53 CURTIUS, Europäische Literatur, 93 nennt die Praefatio des Gellius (bes. praef. 10: ut captus noster est, incuriose et immediate ac prope etiam subrustice) als ein Beispiel `affektierte(r) BescheidenheitA im Dienst der captatio benevolentiae. B Dieselbe Strategie, für sein Werk einzunehmen, hat Gellius bei seiner Kontrastierung der _Noctes Atticae> als nostras paupertinas litteras mit dem gelehrten Opus eines anonym bleibenden befreundeten griechischen professionellen Autors, das er als Produkt der ąoȵȾȶȫȲɅȫ und librum hunc opulentissimum charakterisiert (NA 14,6,5). 54 Vgl. dazu oben S. 185-186. S. 236. S. 240-241. S. 242. S. 256. 55 Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 206-226. 230-231; oben Kapitel 4.3, S. 251-271; HEUSCH, Proteische Verwandlung, 451-455. 458-459.

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

schen _Performanz>,56 die erworbene Bildung in verschiedenen Kreisen der Gesellschaft in Gespräch und Unterhaltung richtig anzubringen.57 Daß die _Noctes Atticae> sich aber nicht ausschließlich nur als Orientierungshilfe für den rechten Bildungserwerb und Bildungsgebrauch verstehen, sondern auch als Informationsquelle für bestimmte, durchaus spezielle, Wissensbereiche (NA praef. 13.16),58 führt zu einer Diskrepanz zwischen dem bekundeten bloß `subsidiärenA59 Anspruch und der weitreichenden intel_____________ 56 Zu dem aus der Sprachtheorie stammenden Begriff der Performanz, der im Sinne der individuellen Sprachverwendung der Kompetenz, verstanden als allgemeine Sprachfähigkeit, zugeordnet wird, vgl. C. RIEHL, Performanz und Kompetenz; in: NÜNNING (Hrsg.), Metzler Lexikon: Literatur- und Kulturtheorie, 498. 57 Auch PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 160-163 hat als ein zentrales Anliegen der _Noctes Atticae> beschrieben, `nicht nur die Informationen als solche, sondern zugleich auch die adäquate Form ihrer Anwendung zu vermittelnA. Das Werk des Gellius, eine `Art _Leitfaden für den adäquaten Umgang mit Wissen> A und in diesem Sinne der `sekundären WissensvermittlungA dienend, charakterisiert er als Beitrag zur zeitgenössischen Debatte über die Erlernbarkeit bzw. Anerziehung echter ąȫȳȮȯɅȫ. 58 Deshalb ist der Vergleich mit einem _Konversationslexikon> im eigentlichen Sinne durchaus zutreffend (vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 160), da dieses auch in dem ursprünglichen Selbstverständnis die Funktionen, Wissenstoffe zu vermitteln und sie in allgemeinverständlicher, für die gebildete Konversation tauglicher Form zu präsentieren, verbindet. Der Titel des (aus R. LÖBELs und Ch.W. FRANKEs _Conversationslexikon>, dem ersten 1796-1808 unvollständig erschienenen Lexikon dieses Namens, hervorgegangenen) ersten 1809 erschienenen BROCKHAUS-Lexikons lautete dementsprechend: _Conversations-Lexicon oder kurz gefaßtes Handwörterbuch für die in der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse der älteren und neueren Zeiten>. Was unter _Conversation> verstanden wurde, hat nach Untersuchung der BROCKHAUS-Vorrede und des entsprechenden Artikels der dritten Auflage von 1814 zusammengefaßt U. SPREE, Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert, Tübingen 2000 [= Communicatio 24], 271: `Abwechslungsreichtum, ein offenes Bekenntnis zu einer oberflächlichen, eben nicht wissenschaftlich vertiefenden, sondern dilettierenden Betrachtungsweise, die persönliche Meinungsäußerung, aber auch die Bereitschaft, Meinungen zu revidieren, und vor allem die Vermeidung von Streit sind nach Brockhaus’ Ansicht wichtige Voraussetzungen einer gelungenen Konversation.A- Vgl. auch die Vorrede zum 15. Bd. des Brockhaus von 1868, V : `Das Conversations-Lexikon [hat] die Flüssigmachung und Popularisierung der wissenschaftlichen, künstlerischen und technischen Ergebnisse, nicht für die geschäftliche Praxis, sondern für die Befriedigung und Förderung der allgemeinen Bildung zur Aufgabe.A Vgl. dazu auch unten S. 328-332, bes. 329 Anm. 67. 59 Die Bezeichnung _subsidiär> hat BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 118-119 vorgeschlagen, weil das Werk im Kontext der Bücher- und Bibliothekskultur die exzerpierten Bücher nicht ersetze, sondern voraussetze: `So gesehen könnte man von subsidiärer Literatur sprechen, die dann leicht möglich ist, wenn man Bücher für grundsätzlich verfügbar und ihre Sammlungen für dauerhaft ansieht. Die Ironie der Geschichte hat es gewollt, daß die Bücher, die wir nach dem Willen des Aulus Gellius

5.2. Otium als Voraussetzung und Grundlage der Bildung

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lektuellen und zeitlichen Inanspruchnahme des ja angeblich in der Hauptsache anderweitig beschäftigten Freizeit-Lesers schon durch die Lektüre der _Noctes Atticae>, selbst wenn sie nur partiell erfolgen sollte.60 So kommt das in der römischen Prosaliteratur immer wieder problematisierte Spannungsverhältnis zwischen otium und negotium unter den veränderten sozialen Bedingungen des 2 . Jh.s wieder zum Vorschein. Der Rekurs auf die negotia des Autors und des Publikums scheint, in der Gesellschaft des 2. Jh.s, in der dem otium litteratum als Lebensform so viel Raum gegeben und so hohe Wertschätzung zuteil wird, da Bildung zum Mittel geworden ist, sich gesellschaftliches Prestige zu verschaffen, und in der das Verfügen über möglichst unbeschränktes otium die Zugehörigkeit zur Bildungselite signalisiert,61 vor allem der römischen Tradition geschuldet. Deshalb wird wohl nicht, wie vorgegeben, nur um den Gebrauch des Ausdrucks praeterpropter durch Ennius zu legitimieren (dafür hätte der letzte Vers schließlich genügt), sondern durchaus um dessen Autorität für die Nutzung des otium zur geistigen Beschäftigung in Anspruch zu nehmen, aus der ennianischen _Iphigenie> eine längere Versreihe wohl eines Chorlieds der Krieger62 dem Zuhörer vorgelesen bzw. dem Leser vorgelegt (NA 19,10,12 = _____________ lesen und konsultieren sollten, nicht erhalten sind. Sie hat ihn - sicherlich gegen seine Intention - von einem subsidiären zu einem substitutiven Autor gemacht ... und so muß dieser Mann von höchst eleganter Diktion und vielfältigem Wissen, der uir elegantissimi eloquii et multae undecumque scientiae, wie ihn Augustin so treffend charakterisierte, uns heute als Ersatz für verschiedenste Werke dienen, der er gewiß nicht sein wollte.A Vgl. auch S. 147 Anm. 319. S. 401. 60 Dies hängt zusammen mit der Disparität der dargebotenen Wissensstoffe: Zum Teil wird nämlich ausgesprochenes Spezialistenwissen behandelt, aber nicht systematisch und nicht erschöpfend, zum Teil wird auch Allgemeinwissen geboten, jedoch nicht immer in unterhaltsamer Form, sondern mit Details und Nebenaspekten, die sich kaum zum Amüsement eignen: vgl. BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 118: `Um es plakativ zu sagen: Inhaltlich kann man ihn unter die Fachschriftsteller einordnen, aber die Darstellungsmodalitäten weisen auf einen Unterhaltungsschriftsteller.A Daß die Ambivalenz von prätendiertem Ziel bzw. Anspruch der _Noctes Atticae> sich in der Auswahl und Behandlung der Themen widerspiegelt, notiert auch GUNDERSON, Nox Philologiae, 32. 36. 38-40. 71. – Auf den das ganze Werk durchziehenden Widerspruch des Gellius, nur eine private Sammlung von Aufzeichnungen und Exzerpten vorzulegen und doch das Ergebnis langjähriger intensiver Lektüre und Studien zu präsentieren, hat schon ANDERSON, Aulus Gellius, 1836 aufmerksam gemacht. 61 Zur Ausdehnung der otium litteratum in der Kaiserzeit vgl. ANDRÉ, L’otium, 533. 541; CONNORS, Imperial space and time, 506-508; auch oben S. 316. S. 319 Anm. 45. 62 Vgl. dazu JOCELYN, The Tragedies of Ennius, 333-339, bes. 336: Das Chorlied der Krieger, die in der erzwungenen Kampfpause über stumpfsinnig und sinnvoll verbrachtes otium räsonnieren, hat keine Entsprechung in der euripideischen _Iphigenia auf Aulis>. Gleichwohl könnte Ennius eine sententia seiner griechischen Vorlage im römischen Sinne unter Verwendung zeitgenössischen philosophischen Gedankengutes amplifiziert haben. O. SKUTSCH, Der Ennianische Soldatenchor: RhM 96 (1953)

5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

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Enn. scaen. 234-241 VAHLEN2 = trag. frg. [99] 195-202 JOCELYN). Frontos anschließender Kommentar (NA 19,10,13: cum sententia quidem tali, quali seuerissimae philosophorum esse obiurgationes solent), verleiht ihrer Aussage besonderes Gewicht. Darin wird das durch Cic. off. 3,1 und rep. 1,27 (vgl. dazu oben S. 314 m. Anm. 29) überlieferte literarische otiumnegotium-Paradox vorweggenommen: Otio qui nescit uti, plus negoti habet quam, cum est negotium, in negotio. Nam cui, quod agat, institutum in otio est negotium, id agit, studet, ibi mentem atque animum delectat suum; otioso in otio animus nescit quid uelit. Hoc idem est; em neque domi nunc nos nec militiae sumus: imus huc, hinc illuc; cum illuc uentum est, ire illinc lubet. Incerte errat animus, praeterpropter uitam uiuitur.

Wenn sich Gellius mithilfe der in der Praefatio reichlich angebrachten, aber auch das übrige Werk durchziehenden Bescheidenheitstopoi63 als ein _____________ 193-201, bes. 198-200 hat mit überzeugenden Argumenten das Chorlied auf die _Iphigenie> des Sophokles, nicht des Euripides zurückgeführt. Vgl. GROSS, Numquam minus otiosus, quam cum otiosus, 123. Vgl. auch oben S. 306 Anm. 12. 63 Zu den Bescheidenheitstopoi der Praefatio, bes in praef. 4 (idcirco eas inscripsimus _noctium> esse _Atticarum> nihil imitati festiuitates inscriptionum im Vergleich mit Plin. NH praef. 26: me non paenitet nullum festiuiorem excogitasse titulum) und praef. 10 ( ... ,Atticas noctes> inscripsimus tantum ceteris omnibus in ipsius laude cedentes, quantum cessimus in cura et elegantia scriptionis) vgl. MINARINI, La prefazione delle _Noctes Atticae>, 539. 547. Nicht nur in der Titelwahl, sondern auch darin, daß Gellius sein Werk mit Diminutivformen bezeichnet, zeigt sich seine (echte bzw. gestellte) Bescheidenheitspose: z.B. praef. 14: lucubratiunculae; praef. 23: huiuscemodi memoriarum delectatiunculae; NA 17,21,50: adnotatiunculae (so auch NA 19,7,12). Vgl. PUGLIARELLO, Disparilitas e memoria, 97 Anm.14 (mit Hinweis auf den Gebrauch des Diminutivum lucubratiunculae durch Marc Aurel in Fronto M. Caes. 1,4,1 p. 6,1 v.d.H.2); vgl. T. JANSON, Latin Prose Prefaces, 124-140, bes. 127-128. Ausdruck der Bescheidenheit sind ferner die Formulierungen mea mediocritas in NA 14,2,5 (vgl. Vell. 2,111,3: mediocritas nostra; auch Val. Max. 1 praef.: mea paruitas) und mea tenuitas in NA 12,1,24, mit denen Gellius von seiner Person spricht. Zu dem Fortleben dieser und ähnlicher Junkturen als Formel der Selbstverkleinerung bis zu der deutschen Floskel `meine WenigkeitA vgl. CURTIUS, Europäische Literatur, 94. Untertreibend charakterisiert Gellius die Redeweise seiner vorangehenden Erklärung über die lateinische Umschreibung des griechischen Ausdrucks ąoȵȾąȺȫȭȶoȼѠvȱ in NA 11,16,7 mit den Worten uerbis meis inchoatis et inconditis; auch in NA 17,20,8 spielt er seine Übersetzungslei-stung einer Stelle aus Platons _Symposion> herunter und an anderer Stelle lehnt er eine Platon-Übersetzung wegen seines (übertriebenen) Unvermögens sogar ganz ab: cum ad proprietates eorum nequaquam possit Latina oratio aspirare ac multo minus etiam mea (NA 10,22,3). Daß die den Wert der Übersetzungen relativierenden Bescheidenheitsbekundungen aber nicht nur als konventionelle Topik einzustufen sind, betont FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 217. V. BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 110 erkennt in der Bescheidenheitstopik einen Grundzug der _Noctes Atticae>, der

5.2. Otium als Voraussetzung und Grundlage der Bildung

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_Schriftsteller im Nebenberuf> stilisiert, wird dadurch der Eindruck erweckt, daß die alttradierte, aber längst obsolete Zeiteinteilung im Leben des dilettierenden Autors64 noch fortbestehe. Die literarische Gestaltung der _Noctes Atticae> mit ihrer künstlich hergestellten bzw. beibehaltenen disparilitas und ihrer offenen Form, in der viele commentarii keine Lösung der behandelten Fragen bieten, sondern zur weiteren Beschäftigung mit der Materie auffordern, unterstreicht diese bewußte Vermeidung des Anscheins von Professionalität.

_____________ `von expliziten Äußerungen über Darstellungsformen bis hin zu sprachlichen StrategienA reicht. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 151. 161 m. Anm. 85 bringt die gellianische Bescheidenheitstopik in Zusammenhang mit seinem Bekenntnis zum _Dilettantismus>. Bisweilen drückt er darin gerade sein literarisches Selbstbewußtsein aus, so z.B. dort, wo er sich abgrenzt von anderen Autoren bzw. Rhetoren: sed hanc utrimque de-clamatiunculam super Alexandro et Scipione celebrauerint, quibus abunde et ingenii et otii et uerborum est; nos satis habebimus, quod ex historia est, id dicere (NA 7,8,4). Die prätendierte Bescheidenheit deutet KEULEN, Gellius the Satirist, 4. 11. 46 (m. Anm. 32) gar als bewußte Selbstironisierung des Autors und gezielte Strategie, seinen eigenen Anspruch als kulturelle Autorität durchzusetzen. B Dagegen nimmt man es Gellius als echte Bescheidenheit bzw. Schüchternheit ab, wenn er Zurückhaltung und Skrupel zeigt gegenüber den Prominenten seiner Zeit, z.B. in NA 3,1,4-5 (... uix ego dixeram cunctabundus); NA 14,1,2 (non habeo dicere über die Intention einer Rede des Favorinus); NA 14,1,32 (ut caueremus ...); NA 14,2,12 (Fauorinus religione illa cunctationis et sollicitudinis nostrae conprobata ... inquit). Zurückhaltung übt Gellius auch im Urteil über bzw. in der Kritik an den Autoritäten der Vergangenheit (z.B. in der Bemängelung der Sorgfalt einer Theophrast-Wiedergabe im _Laelius> des sonst tiefbewunderten Cicero in NA 1,3,12; in der Aufdeckung eines varronischen Irrtums in NA 1,18,6; in der Beschreibung eines Fauxpas des Grammatikers Terentius Scaurus in NA 11,15,4-6). Vgl. dazu BERTHOLD, Aufgliederung und Auswahl, 24-26: `Schülerscheu vor eigenem Urteil findet man allenthalben in den N.A. ... Diese Überängstlichkeit des Gellius, die vor allem Anstoßerregendem, vor allem, was nicht dem Zeit- und Publikumsgeschmack entspricht, zurückschreckt, bietet nun die Gewähr, einen gültigen Querschnitt des Zeitwissens, besser Wissenwollens, ein repräsentatives Bild des durchschnittlichen Publikumsinteresses zu besitzen.A Hingegen wird die Zurückhaltung bzw. das skrupulöse Verhalten des Gellius gleichsam als berufsbedingt erklärt mit seiner Ausübung des Richteramtes von D. NÖRR, L esperienza giuridica di Gellio, 51. Zurückhaltung bzw. uerecundia zeichnet aber auch den guten grammaticus aus: vgl. C. ATHERTON, Children, animals, slaves and grammar; in: Pedagogy and Power. Rhetorics of Classical Learning, ed. by Y. L. TOO / N. LIVINGSTONE, Cambridge 1998, 214-244, hier 240; KASTER, Guardians of Language, 60-62; vgl. dazu auch unten S. 387. S. 391-392. 64 Den Dilettantismus hat DAHLMANN als ein Charakteristikum der römischen Wissenschaftsautoren herausgearbeitet: vgl. Der römische Gelehrte; zuerst in: Das humanistische Gymnasium 42 (1931) 185-192, bes. 187. 189; wieder in: H. DAHLMANN, Kleine Schriften, Hildesheim / New York 1970 [= Collectanea 19], 1-8, bes. 3. 5.

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

5.3. ... quasi libamenta ingenuarum artium - Enzyklopädische Bildung in Verbindung griechischer und römischer Wissenstraditionen In dem in der römischen Literatur immer wieder ausgeloteten und in den _Noctes Atticae> nun noch einmal neu austarierten Verhältnis von otium und negotium, in dem sich die Gewichte zugunsten des otium verschoben haben, spiegelt sich wider die (mit dem Paradoxon `Belehrende Unterhaltung-unterhaltende BelehrungA plakativ überschriebene) Verbindung von Fachwissen und Allgemeinbildung, die in einer nicht ganz spannungsund widerspruchsfreien Mischung im Werk des Gellius zusammenkommen. Diese eigenartige Kombination von Wissensbereichen bzw. Wissensstoffen, die zur allgemeinen Bildung gehören, und solchen, über die nur Spezialisten verfügen, hat Gellius schon in der Praefatio angekündigt: In einer captatio benevolentiae verspricht er die speziellen Gebiete so zu behandeln, daß sie noch allgemeinverständlich sind (NA praef. 13. 15), und die allgemeinbildenden so, daß ihnen auch der schon Gebildete noch etwas Interessantes bzw. Unterhaltsames abgewinnen kann (NA praef. 14).65 Seine die Vermittlung von Allgemeinbildung und Fachwissen in gleicher Weise einschließende Intention verdeutlicht er noch einmal, indem er die Kritik der zwei nicht homogenen Adressatenkreise vorweg entkräftet: den Einwänden der (auf bestimmten Gebieten) noch nicht Bewanderten, mit zu viel Detailwissen belastet zu werden, nimmt er den Wind aus den Segeln, mit der Ausführung der allgemeinbildenden Funktion (NA praef. 16); die schon Vorgebildeten bzw. Fortgeschrittenen und an Spezialwissen Interessierten beschwichtigt er damit, Hinweise auf weiterführende Informationsquellen zu geben (NA praef. 17). Mit diesen beiden diversen Rezipientengruppen richtet sich Gellius an dasselbe Publikum _____________ 65 Ganz ähnlich klingen die Ankündigungen über sein Projekt, die der ältere Plinius in der Praefatio seiner auf die Naturwissenschaften ausgerichteten Enzyklopädie zur Publikumswerbung und -einstimmung macht: Magna pars studiorum amoenitates quaerimus; quae uero tractata ab aliis dicuntur immensae subtilitatis, obscuris rerum tenebris premuntur. iam [ante MAYHOFF] omnia attingenda, quae Graeci ȽȻ ˆȭȴȾȴȵɅoȾ ąȫȳȮȯɅȫȻ uocant, et tamen ignota aut incerta ingeniis facta; alia uero ita multis prodita, ut in fastidium sint adducta. Res ardua uetustis nouitatem dare, nouis auctoritatem, obsoletis nitorem, obscuris lucem, fastiditis gratiam, dubiis fidem, omnibus uero naturam et naturae sua omnia (Plin. NH praef. 14-15). – Daß es sich bei der Ankündigung des Gellius, gegensätzliche Bildungsbereiche in seinem Werk zu vereinen, um eine Strategie handelt, einen weiteren Leserkreis für sich einzunehmen, verkennt KEULEN, der daraus seine Deutung ableitet, die eigene Beschäftigung des Autors mit solchen als ineptiae (NA 10,25,1) charakterisierten belanglosen Wissensdetails diene dazu, sich selbst und diese Randthemen zu ironisieren und die Aufmerksamkeit auf sein zentrales kulturelles Programm zu lenken (KEULEN, Gellius the Satirist, 46-49. 51. 55-58 ).

5.3. ... quasi libamenta ingenuarum artium

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wie in der Neuzeit die seit dem Ende des 18. Jh.s neu entstehenden _Conversationslexica>. Diese wandten sich in einer ähnlichen Situation, in der ein starker Wissenszuwachs stattfand, sich einerseits die Wissenschaften stärker differenzierten, andererseits aber ihr interdisziplinärer Zusammenhang auch stärker hervortrat,66 im Dienst der `PopularisierungA67 an ein _____________ 66 Vgl. MEYER, Vorwort, VII-VIII: `Zu keiner Zeit hat der Baum des Wissens zahlreichere und vollere Zweige getrieben, als jetzt ... Alle einzelnen Wissenschaften haben in den letzten Jahrzehnten, an Umfang, wie an innerer Reichhaltigkeit, so unglaublich gewonnen, daß auch der Mann vom Fach, wenn er, wie billig, seine Hauptsorge auf lebendiges Durchdringen und Begreifen des Ganzen richtet, selbst mit dem stärksten Gedächtnisse nicht im Stande ist, jede wichtige Einzelheit zu behalten, und sich begierig nach einem Hilfsmittel umsieht, welches ihm auf jeden Wink die fehlenden Notizen darreiche. So erklärt sich die Entstehung so vieler Encyklopädien, welche eine oder mehrere Disciplinen zum Gebrauche der Gelehrten alphabetisch verarbeitet enthalten ... Allgemeinere Werke dieser Art aber wurden durch den engen Zusammenhang, in welchen gegenwärtig die Wissenschaften zueinander getreten sind, hervorgerufen. Niemals hat sich Cicero’s bekanntes Wort von dem natürlichen Bande, das alle Künste und Wissenschaften umschließt, schlagender bestätigt, als in unserer Zeit, wo Jeder, der sich mit der Abweisung alles Dessen, was außer dem unmittelbaren Bereiche seiner Wissenschaft liegt, nur auf ein Fach beschränken wollte, einem Einsiedler gleichen würde, an dem die Besonnenen mit Kopfschütteln, die Knaben mit Spottreden vorübergehen.A 67 BROCKHAUS, Conversations-Lexikon, V. X: `Während die Real-Wörterbücher als Materialienspeicher hauptsächlich nur zur Befriedigung des gelegentlichen Notizbedürfnisses dienen, jene Encyklopädien aber entweder das Gesammtgebiet wissenschaftlicher Thätigkeit und Erkenntniß für rein wissenschaftliche Zwecke zur Anschauung bringen, oder den Inhalt gewisser Zweige der Wissenschaft und Kunst zur praktischen Belehrung für Fachgenossen auseinanderlegen, hat dagegen das _Conversations-Lexikon> die Flüssigmachung und Popularisierung der wissenschaftlichen, künstlerischen und technischen Ergebnisse, nicht für die geschäftliche Praxis, sondern für die Befriedigung und Förderung der allgemeinen Bildung zur Aufgabe. ... Da Zweck und Ziel des _Conversations-Lexikon> die Popularisierung der Wissenschaft ist ...A. Vgl. dazu auch oben S. 324 Anm. 58. Geradezu von missionarischem Eifer erfüllt verkündet dies als bildungspolitische Ideologie MEYER, Vorwort, VI: `Jede RealEncyclopädie ist nichts anderes als eine Vorschule für den Universal-Untericht, der unsere Kinder von der Tyrannei des Pedantismus befreien und den Vortheilen allgemeiner Bildung zuführen wird. Jede den Massen zugängliche und auf ihre Bedürfnisse berechnete Real-Encyklopädie, folglich auch unser Werk, muß ihrer Natur nach dazu beitragen, das drückende Monopol des Wissens, welches so lange auf den Völkern gelastet, über den Haufen zu werfen; und indem sie durch die Mittheilung aller vorhandenen menschlichen Kenntnisse, welche positiven Werth haben, vielen Tausenden neue Mittel an die Hand gibt, sich ein besseres Loos zu bereiten, die öffentliche Wohlfahrt auf breitern, vernünftigern und dauerndern Grundlagen befestigen. Der Aristokratie des Wissens freilich ist eine populäre Encyklopädie ein Dorn im Auge ... Es ist unglaublich, mit welcher Begierde zumal das Brockhausische Buch, von Männern und Frauen, von Jung und Alt gesucht wurde, und wie Vieles und wie Großes es seit seinem ersten Erscheinen bis auf den heutigen Tag für Verbreitung allgemeiner Kenntnisse und höherer Bildung fortwährend gewirkt hat.A

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

breiteres Publikum, das außerhalb seiner beruflichen Betätigung (vgl. die Hervorhebung der negotia des gellianischen Publikums in praef. 1. 12.) an allgemeiner Bildung interessiert war,68 aber auch an die Fachgelehrten bestimmter Disziplinen, die sich auf anderen Gebieten Grundkenntnisse (vgl. NA praef. 14-15) aneignen wollten.69 Das auf diese Adressatengruppen zugeschnittene humanistische Bildungskonzept dieser Conversations_____________ 68 In der Absicht, die Fülle der unübersehbar gewordenen Wissensbereiche und -stoffe `zur Anschauung zu bringenA, definiert den Zweck und das Publikum des Lexikons BROCKHAUS, Conversations-Lexikon, VI: `So entsteht denn die populäre Encyklopädie, die das _Conversations-Lexikon> repräsentiert, mit der bestimmten Aufgabe: den Kreis der Ideen und Thatsachen, wie er sich für den Einzelnen unabsehbar in Geist, Geschichte und Natur auseinanderlegt, in begrenztem Rahmen, gleichsam als Mikrokosmos, zur Anschauung zu bringen, nicht zur Lösung eines wissenschaftlichen Problems oder zur Uebung einer Kunstfertigkeit, sondern um den Menschen als solchen mit der Welt, die über seinen täglichen Horizont hinausgeht, bekannt zu machen, indem ihm die Einsicht in den Begriff und den organischen Zusammenhang der Dinge sowie die Uebersicht über das Ganze, wenn nicht erschlossen, so doch erleichtert wird.A 69 Vgl. die Vorrede zum ersten deutschen 1796 erschienenen _Conversations-Lexikon von R.G. LÖBEL / CH.W. FRANKE (zitiert nach F.A. BROCKHAUS, Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. [Conversations-Lexicon], 6. Aufl., 10 Bd.e, Leipzig 1822-1826, hier Bd. 1, 1823, II): `Allein zu einer Zeit, in welcher ein allgemeines Streben nach Geistesbildung, wenigstens nach dem Scheine derselben ..., das Weib wie den Mann, den Nichtgelehrten wie Gelehrten in einen gemeinschaftlichen Conversations-Kreis führt, in welchem man gewisse Begriffe und Kenntnisse bei einem jeden schon aus Höflichkeit voraussetzt, deren Mangel zwar nicht selten Statt findet, aber doch ohne Scham nie verrathen wird; zu einer solchen Zeit muß ohne Zweifel ein dem gegenwärtigen Umfange der Conversation angemessenes Wörterbuch für dieselbe mehr als jemals nothwendig und nützlich seyn.A Während BROCKHAUS sich ausdrücklich nicht an den Fachgelehrten, sondern nur an den Allgemeininteressierten wendet (vgl. BROCKHAUS, Conversations-Lexikon, VII. IX), schließt MEYER auch die Gelehrten mit ein in sein Publikum: vgl. MEYER, Vorwort, VIII. X: `Soll aber etwa Jeder sich den Universalismus durch systematische Durchforschung anzueignen trachten ? Dies hieße nichts anders, als sich zum Beherrscher aller Reiche des Wissens, zum Meister aller Künste machen wollen ... Nein! nicht vollständige Darstellungen der uns ferner liegenden Wissenschaften, nicht zusammenhängende Systeme brauchen und suchen wir, sondern kurze, klare, bestimmte, leicht aufzufindende Nachweisungen – mit einem Worte, solche Hülfsmittel der Belehrung, wie in einem guten allgemeinen Realwörterbuche gefunden werden sollen. – Wenn so das Interesse der Gelehrten an allgemeinen Encyklopädien gesichert ist, so hat ihnen doch die Zeit ein weit größeres Publikum geöffnet. ... [X] stets den Grundsatz vor Augen behaltend, daß, wenn einerseits das Lexicon auch für die Gelehrten vom Fach brauchbar und ein zuverlässiges, bequemes Handbuch zum Nachschlagen sein soll, es doch hauptsächlich für das große Publikum bestimmt ist, welchem es eine Fundgrube werden soll aller Kenntnisse, die positiven und wesentlichen Werth haben und unsern socialen Bedürfnissen angemessen sind.A Ganz ähnlich versteht Gellius seine _Noctes Atticae> als subsidium memoriae quasi quoddam litterarum penus (NA praef. 2) und als Mittel zur allseitigen Bildung (NA praef. 16).

5.3. ... quasi libamenta ingenuarum artium

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lexica70 zeigt deshalb auch große Ähnlichkeit mit dem des Gellius, und ist zum besseren Verständnis seiner auf den ersten Blick disparat erscheinenden Zielvorstellungen hier im Rahmen der Fußnoten so ausführlich dargestellt. Wie den _Noctes Atticae>, deren Anliegen die Bildung, Unterhaltung und Anregung des Lesers ist (praef. 11: quod sit aut uoluptati legere aut cultui legisse aut usui meminisse; praef. 16: uel ad alendum studium ... uel ad oblectandum fouendumque animum ... eius seminis generis sint, ex quo facile adolescant aut ingenia hominum uegetiora aut memoria adminiculatior aut oratio sollertior aut sermo incorruptior aut delectatio in otio atque in ludo liberalior), geht es nämlich auch den _Conversations-Lexica> darum, den Leser mit der gegen den Vorwurf der Oberflächlichkeit verteidigten Allgemeinbildung71 für die gebildete Konversation salonfähig zu machen ebenso wie ihn zur vertiefenden Lektüre aller möglicher Werke verschiedenster Literaturform anzuleiten.72 Freilich unterscheidet die _Noctes _____________ 70 Vgl. BROCKHAUS, Conversations-Lexikon, V. XXIV: `Unter diesen Gesichtspunkt gestellt, ist es ein die edelsten Culturinteressen berührendes Ziel, welches das _Conversations-Lexikon> in seiner populären Tendenz verfolgt, und sein bescheidener Name, der nur den einen seiner Wirkungskreise bezeichnet, aber freilich schon typisch geworden ist, entspricht der Sache wenig mehr, will man nicht den Begriff _Conversation> als die Form des populären Denkens im Gegensatz zur systematisch-wissenschaftlichen Geistesthätigkeit verstehen. Denn jene allgemeine Bildung ist nichts Geringeres als die humane Bildung, welche das Individuum innerhalb des Culturlebens seiner Zeit erlangt, die für ihren Ausgangspunkt die Berufsbildung voraussetzt und, wie den intellectuellen so den moralischen Menschen umfassend, als der Quellpunkt socialer und nationaler Kraft und Entwicklung betrachtet werden muß. ... [XXIV] Dennoch aber kann das _Conversations-Lexikon>, ungeachtet seines Humanismus, mit Recht auf den Namen eines deutschen Nationalwerks Anspruch machen. ... Es ist seinem Inhalt nach der populäre Ausdruck der deutschen Wissenschaft und repräsentirt in der Reihe seiner verschiedenen Auflagen sowol die Fortschritte als überhaupt den Reichthum und die Universalität der deutschen Geistescultur. ... Alle Stände und Berufsklassen des deutschen Volks werden auch in ihr wieder eine reiche Quelle sachlicher Belehrung und ein tüchtiges Förderungsmittel allgemeiner humaner Bildung finden.A B Zum Begriff der humanitas in den _Noctes Atticae> vgl. unten Kapitel 5.4, S. 370-395, bes. 373-376. 71 Vgl. BROCKHAUS, Conversations-Lexicon, IX. Nicht nur die Abgrenzung vom Halbwissen (vgl. BROCKHAUS, Conversations-Lexicon, V-VI: `ScheinculturA; `flacher CulturanstrichA), sondern auch die Ablehnung von `PedantismusA und Bildungsdünkel (vgl. MEYER, Vorwort, VI) hat Gellius (viele Szenen in den NA decouvrieren vermeintliche `BesserwisserA als Ignoranten, z.B. NA 17,5,3-14 den Cicerokritikaster; vgl. dazu auch unten S. 378-385) mit den Konversationslexika gemeinsam. Die Verteidigung gegen die Vorwürfe der Gelehrten, die sich in ihrer Exklusivität als `Aristokratie des WissensA gefährdet sehen, (am heftigten bei MEYER, Vorwort, VI; vgl. auch BROCKHAUS, Conversations-Lexicon, X-XI), findet auch bei Gellius in NA praef. 1415 statt. 72 Vgl. die Vorrede zum ersten deutschen 1796-1808 erschienenen _ConversationsLexikon von R.G. LÖBEL / CH.W. FRANKE (zitiert nach F.A. BROCKHAUS, Allgemeine

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

Atticae> von den neuzeitlichen Konversationslexika einerseits der Reichtum an Exzerpten, die es zu einer Art `Reader’s Digest“73 machen, andererseits die unterhaltsame, abwechslungsreiche Form,74 die eher an Werke wie das in der Gegenwart so populäre Bildungskompendium von SCHWANITZ, _Bildung. Alles, was man wissen muß> denken läßt.75 Über_____________ deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände [Conversations-Lexicon], 6. Aufl., 10 Bd.e, Leipzig 1822-1826, hier Bd.1, 1823, II-III): `Mit der Conversation hält, wenigstens bei dem männlichen Geschlechte, die Lecture gleichen Schritt ... Der Zweck eines solchen Wörterbuchs kann auf keinen Fall der seyn, vollstaendige Kenntnisse zu gewaehren; es wird vielmehr dieses Werk B welches eine Art von Schlüssel seyn soll, um sich den Eingang in gebildete Cirkel und in den Sinn guter Schriftsteller zu oeffnen B aus den weitschichtigen Gebieten der Geographie, Geschichte, Mythologie, Philosophie, Naturlehre, der schoenen Künste und andern Wissenschaften, blos diejenigen Kenntnisse enthalten, welche ein jeder als gebildeter Mensch haben muß, wenn er an einer guten Conversation Theil nehmen und ein Buch lesen will, wiefern gewisse wissenschaftliche Begriffe unter den Begriffen des gemeinen Lebens das Bürgerrecht erlangt haben.A In der 11. Aufl. des BROCKHAUS, Conversations-Lexicon, XI heißt es über den von LÖBEL / FRANKE herausgegebenen Vorgänger: `Das Werk, das sehr richtig zwei Hauptmomente, in denen sich das Bedürfniß allgemeiner Bildung geltend macht, die Conversation und die Lektüre, in den Vordergrund stellte, erschien seit 1796 ... unter dem doppelten Titel: _ConversationsLexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten> und _Frauenzimmer-Lexikon zur Erleichterung der Conversation und Lektüre>.A 73 K. BÜCHNER, Römische Literaturgeschichte. Ihre Grundzüge in interpretierender Darstellung, Stuttgart 5 1980 [= Handbuch der Literatur in Einzeldarstellungen] 497500 (Gellius), hier 498. 74 Dagegen sind die neuzeitlichen Enzyklopädien und Konversationslexika systematisch bzw. alphabetisch geordnet; vgl. dazu z.B. BROCKHAUS, Conversations-Lexikon>, VI. VIII: `Dieser Weg zur Erkenntniß durch die Bücher, dem wir hauptsächlich die Ausbreitung der Intelligenz und Gesittung unserer Zeit verdanken, führt aber nicht minder in ein weites, dem einzelnen unermeßliches Feld; und je weiter man vordringt, je mehr der Reichthum und die Mannichfaltigkeit des Stoffs den Wissensdrang weckt, desto mehr tritt gerade hier das Bedürfniß nach solchen literarischen Hilfsmitteln hervor, welche die überwältigende Fülle der einzelnen Dinge für den allgemeinen Bildungszweck encyklopädisch, das heißt in planmäßiger Verkürzung und bestimmten Gesichtspunkten und in fester Ordnung zusammenfassen. ... Eine weitere Bedingung für die zweckmäßige Ausführung und Nutzbarkeit des _Conversations-Lexicon> ist seine lexikalische Form.A 75 Offenbar besteht in der Gegenwart, da sich die (Natur-)Wissenschaften in einem rasanten Tempo entwickeln und die Fülle der Wissensgebiete und Informationen kaum noch überschaubar ist, vermehrter Bedarf nach Führern durch die kulturelle Wissenslandschaft. Denn nachdem SCHWANITZ mit seinem 1999 publizierten populären Bildungshandbuch einen enormen Publikumserfolg erzielt und in den Jahren 2002/2003 noch eine Reihe von Einzelveröffentlichungen für die verschiedenen Kulturgebiete produziert hat (_Literatur>;_Kunst und Musik>; _Philosophie>; _Geschichte Europas>; _Die Welt des Buches>; _Sprache, Denken, Wissen>), sind weitere ähnlich geartete Werke entstanden: z.B. CH. ZSCHIRNT, Bücher. Alles, was man lesen muß, Frankfurt am Main 2002; HARENBERG Kursbuch Bildung. Das erste interaktive Lexi-

5.3. ... quasi libamenta ingenuarum artium

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haupt wird das Lesevergnügen von Gellius besonders in den Vordergrund gestellt: quod sit ... uoluptati legere (NA praef. 11); uoluptates ... alia oblectamenta quaerant (praef. 19); memoriarum delectatiunculas (praef. 23). Dadurch wie durch den Vergleich mit dem ludus musicus (praef. 20), der durch die anschließend im griechischen Wortlaut zitierten AristophanesVerse aus den _Fröschen> (V. 354-356. 369-371) noch zusätzliches Gewicht erhält, werden die _Noctes Atticae> dem Bereich des otium zugewiesen. Analog dem in der hellenistischen Literaturtheorie gelehrten doppelten Wirkungszweck der Dichtung, die Horaz pointiert zusammengefaßt hat in seinen die allbekannte Alternative aut prodesse uolunt aut delectare poetae / aut simul et iucunda et idonea dicere uitae (ars 333-334) kommentierenden und gleichfalls zum geflügelten Wort gewordenen Versen omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci / lectorem delectando pariterque monendo (ars 343-344), wird zugleich jedoch der `NutzenA (NA praef. 11. 12) der durch die _Noctes Atticae> geförderten echten Bildung hervorgehoben, in Abgrenzung von dem, was nur den Anschein von Bildung hat (NA 14,6,cap.: cuimodi sint quae speciem doctrinarum habeant, sed neque delectent neque utilia sint). Auch die Nützlichkeit bewährt sich, trotz der gelegentlich, z.B. in NA 13,13,2, NA 14,2 und NA 20,10,6, hergestellten Nutzanwendungen für die juristischen negotia, primär im otium, worin sie der kultivierten Kommunikation zugute kommen oder bei der privaten Lektüre den Zugang zu den verschiedenen Texten und Textsorten erschließen und zur Vertiefung der Lektüre anregen. Das spiegelt die schon bei Plinius weit fortgeschrittene Entwicklung wider, daß das otium litteratum zum Selbstzweck geworden, nicht mehr wie noch zu Zeiten Ciceros argumentativ auf den praktischen und politischen Nutzen der Gemeinschaft bezogen ist (vgl. rep. 1,30: studia ... quae uel ad usum uitae uel etiam ad ipsam rem publicam conferre possumus; dazu oben S. 313 m. Anm. 26), _____________ kon, Dortmund 2003. Sie alle, als `mühelose SchnellkurseA konzipiert, dienen eher dazu, Bildungslücken in Geschichte, Literatur, Kunst und Philosophie mit einem dünnen Kulturanstrich zu übertünchen als zu schließen. Die Reihe dieser aktuellen Bucherscheinungen, die der Prätention von Bildung dienen, läßt sich fortsetzen mit dem bewußt provokant titulierten gerade ins Deutsche übersetzten Essay des französischen Literaturprofessors P. BAYARD, Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat, München 2007. Auch fehlt es in deutscher Sprache nicht mehr an einer (nach 1941 zum zweiten Mal aus dem Amerikanischen übersetzten) Leseanleitung, die als `Schlüsselwerk zur KulturA zu vermitteln beabsichtigt, sich je nach Text und Ziel der Lektüre verschiedener Lesetechniken zu bedienen und den Verständniszugang zu unterschiedlichen Texte sowohl der Belletristik wie der Wissenschaft zu erleichtern. Sie stammt wohl nicht zufällig aus der Feder zweier führender Mitarbeiter der _Encyclopædia Britannica>: M. J. ADLER / CH. VAN DOREN, Wie man ein Buch liest, [Orig.: How to Read a book, New York 1940, rev. ed. New York 1972], deutsche Übers. v. XENIA OSTHELDER, Frankfurt a. M. 2007.

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

sondern auf den sozialen Status und die Geltung des Individuums in der Gesellschaft. Darin hat eine weitgehende Angleichung an die gesellschaftliche Rolle und Funktion der Bildung im griechischen Teil des Imperiums stattgefunden, wo die universale, nicht fachmännische Bildung seit hellenistischer Zeit einen sehr hohen Stellenwert hatte und daher die Grundlage gesellschaftlichen Erfolges darstellte und besonders während der Kaiserzeit den Zugang zu Karriere und Prestige eröffnete.76 Innerhalb des von der römischen Tradition vorgegebenen und unter den soziokulturellen Voraussetzungen des 2. Jh.s neu ausgestalteten Rahmens des otium werden von Gellius die primitiae quaedam et quasi libamenta ingenuarum artium (NA praef. 13) plaziert. Von den Wissensdisziplinen, in die er nach dieser Maßgabe in seinem Werk Einblick gewährt, werden in der Praefatio nur in Auswahl genannt grammatica, dialectica, geometrica, paucula remotiora super augurio iure et pontificio (praef. 13). Die drei ersten, die, aus den Bereichen Sprache, Philosophie und Mathematik stammend, das Spektrum der griechischen Wissenschaften repräsentieren, sind unter die im Mittelalter fest etablierten artes liberales aufgenommen und zwar dem Trivium und Quadrivium zugeordnet worden; daneben steht als vierte Disziplin der genuin römische Bereich des Sakralrechts. Jedoch über diese Gebiete hinaus werden in den 398 folgenden commentarii einzelne Aspekte einer Fülle von Wissensgebieten untersucht, die den genuin griechischen und spezifisch römischen Bildungssektoren bzw. -traditionen entnommen sind. Aus Astronomie (z.B. NA 2,21,10-11: Erklärung des Ausdrucks septentriones; NA 13,9: Erklärung des Namens und Lokalisierung der suculi bzw. ÁȪȮȯȻ) bzw. Astrologie (z.B. NA 14,1: Widerlegung der astrologischen Vorhersagen der Chaldäer), Arithmetik und Geometrie (z.B. NA 1,1: Berechnung der Größe des Hercules; NA 1,20: Beschreibung geometrischer Formen; NA 3,10: Bedeutung der Zahl Sieben; NA 18,14: griechische Bezeichnungen der Bruchzahlen), Musik (z.B. NA 1,11: Wirkung der `KriegsinstrumenteA; NA 4,13: therapeutische Wirkung der Musik), aus Naturwissenschaften (z.B. NA 2,30: Wirkungen der Winde auf die Meere; NA 3,6: Verhalten des Palmbaumes; NA 17,8,7-16: Gefrierverhalten verschiedener Flüssigkeiten; NA 10,7: die größten Flüsse im Mittelmeerraum; NA 16,6,14-15: Zahnentwicklung bzw. -stellung der Schafe) und Medizin (z.B. NA 3,16: Dauer der Schwangerschaft; NA 18,10: Unterschied zwischen Venen und Arterien; vgl. mehr dazu unten Kapitel 5.3.2, S. 352-356) werden Fragen erörtert _____________ 76 Dieselbe Entwicklung hat insbesondere im Rahmen der sogenannten Zweiten Sophistik im griechischen Osten des Imperiums stattgefunden: vgl. dazu z.B. SCHMITZ, Bildung und Macht, hier bes. 39-66 (_Eine gebildete Aristokratie>). 136-159 (_Eine aristokratische Bildung>).

5.3. ... quasi libamenta ingenuarum artium

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bzw. oft nur angeschnitten. Gründlicher werden Probleme der Philosophie (z.B. vgl. dazu unten Kapitel 5.3.3, S. 356-370), insbesondere der Ethik (z.B NA 1,2,4-13; NA 12,5,4-14; NA 19,1; NA 19,12: ApatheiaThematik), aber auch der Physik (z.B. NA 2,28,1: Ursachen von Erdbeben; NA 5,16: Funktionsweise der Sehkraft) und Logik bzw. Dialektik (z.B. NA 5,10: Beispiel für den Trugschluß des sog. wvȽȳȼȽȺɃȿov bzw. reciprocum argumentum; NA 15,26: Aristotelische Definition des Syllogismus; NA 16,8: Bedeutung von wȸȳѡȶȫȽȫ) diskutiert. Hauptsächlich jedoch werden Themen aus den Gebieten Sprache und Literatur (z.B. NA 5,18: Unterschied zwischen annales und historia; NA 6,14: Charakterisierung der drei Stilarten; NA 11,2: ursprüngliche Bedeutung von elegantia; NA 17,13: Bedeutungen von quin; NA 18,8: Lucilius= Kritik am Gebrauch von Homoioteleuta und ähnlichen Stilmitteln; NA 18,15: zur Metrik bzw. Cäsursetzung im Hexameter; vgl. auch oben Kapitel 3.3.3, S. 83-97 ,Etymologie als Vergangenheitsbezug>; Kapitel 4.2.1, S. 205-229 über ,Zweisprachigkeit und Übersetzung>; Kapitel 4.2.2, S. 229-250 über ,Archaismus und Attizismus als parallele Phänomene des Sprachpatriotismus>; Kapitel 5.3.1, S. 341-351 über ,Dominanz von Grammatik und Rhetorik>) behandelt. Daneben werden juristische Bestimmungen und Fälle (z.B. NA 2,24: verschiedene leges sumptuariae; NA 3,2,11-13: juristische Befristungen; NA 4,3 und NA 4,4: Ehescheidungen und Eheschließungen; NA 6,15 und NA 11,18: Ahndung von Diebstahl zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Rechtssystemen; NA 14,2,4-11. 24-25: Prozeß unter Gellius’ Richtervorsitz; NA 20,1: Bestimmungen des Zwölftafelgesetzes),77 antiquarische und religionsgeschichtliche Details (z.B. NA 5,6: militärische Auszeichnungen; NA 5,12: die altrömischen Götter Diiouis und Vediouis; NA 10,8: militärische Strafe des Aderlasses; NA 7,7: Sagenversionen über Acca Larentia und die sagenhafte Abkunft der Priesterbruderschaft der Arvales fratres von den Söhnen der Acca Larentia; NA 10,28: Definition der menschlichen Alterstufen; viele antiquarische commentarii gehören in den Bereich des von Gellius als Wissensdisziplin explizit angegebenen Auguralrechts: z.B. NA 13,14: Begrenzung und Funktion des pomerium; vgl. dazu oben S. 82 m. Anm. 112) ausgebreitet. Zudem werden anekdotenhafte Stoffe und Figuren der Geschichtsschreibung (z.B. NA 1,23: Anekdote über die Verschwiegenheit des Knaben Papirius Praetextatus; NA 4,18: Anekdoten über Scipio maior; NA 7,8: Anekdoten über Alexander den Großen und Scipio; NA 9,11: Anekdote vom Kampf des Valerius Corvinus; NA 9,13: Anekdote über den Kampf des Manlius _____________ 77 Weitere juristische Themen aus den _Noctes Atticae> sind zusammengestellt bei BERTHOLD, Aufgliederung und Auswahl, 173-178; vgl. auch HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 294-301. Vgl. auch oben Kapitel 3.3.1, S. 77-81.

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

Torquatus mit einem Gallier; NA 10,18: unermeßliche Trauer der Artemisia über den Tod des Mausolos) sowie legendäre mirabilia (z.B. NA 5,14: Geschichte der Freundschaft zwischen Androclus und dem Löwen; NA 6,1: Wunderzeichen bei der Geburt Alexanders des Großen und Scipios; NA 6,8: Liebestod eines Delphins; NA 16,19: Rettung Arions durch einen Delphin) in das Kompendium einbezogen.78 Das dargebotene Spektrum an Wissensdisziplinen und -stoffen läßt sich beschreiben als ein erweitertes Konzept der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ, des Kreises von allgemeinbildenden propädeutischen Fächern, wie sie die Römer spätestens seit dem 1. Jh. v. Chr. auffaßten.79 Zu der in diesem Sinne enzyklopädischen Bildung gehören _____________ 78 Vgl. BERTHOLD, Aufgliederung und Auswahl, 21. 178-180. 79 Zu diesem Begriffsverständnis hatte sich der Terminus bei den Römern aus seiner ursprünglichen das alte griechische Ideal der musischen Erziehung umschreibenden Bedeutung entwickelt, wie das Zeugnis des Quintilian belegt: In inst. 1,10,1 fährt er nach Behandlung der Grammatik fort: nunc de ceteris artibus, quibus instituendos, priusquam rhetori tradantur, pueros existimo, strictim subiungam, ut efficiatur orbis ille doctrinae, quem Graeci ˆȭȴѠȴȵȳov ąȫȳȮȯɅȫv uocant. Daß ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ zur Bezeichnung für die Allgemeinbildung durch die Gesamtheit der `zum Kreis der Fächer gehörigenA Wissensdisziplinen geworden ist, geht schon aus Vitruvs im Rückblick auf seine eigene Ausbildung in Athen gemachter Bemerkung hervor: itaque ego maximas infinitasque parentibus ago atque habeo gratias, quod Atheniensium legem probantes me arte erudiendum curauerunt, et ea, quae non potest esse probata sine litteratura encyclioque doctrinarum omnium disciplina (Vitr. 6 praef. 4). Vgl. dazu KOLLER, ȖȔțȤțȜIȠȢ ȡȒIȕȖIȒ, hier bes. 18-20. Die griechischen Ursprünge der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ, die bei der Teilnahme am Chor erworbene musische Bildung der freigeborenen Bürger (vgl. dazu KOLLER, ȖȔțȤțȜIȠȢ ȡȒIȕȖIȒ, hier bes. 5-16; dagegen KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 14-17), sind bei Gellius noch faßbar in NA praef. 20-21, wo er aus den _Fröschen> des Aristophanes die Worte des Chorführers zitiert (ran. 354-356. 369-371): atque etiam, quo sit quorundam male doctorum hominum scaeuitas et inuidentia irritatior, mutuabor ex Aristophanae choro anapaesta pauca et quam ille homo festiuissimus fabulae suae spectandae legem dedit, eandem ego commentariis his legendis dabo, ut ea ne attingat neue adeat profestum et profanum uolgus a ludo musico diuersum. Versus legis datae hi sunt: ȯ½ȿȱȶȯ¥v ɀȺŽ ȴwȸɅȼȽȫȼȲȫȳ Ƚo¥Ȼ œȶȯȽɃȺoȳȼȳ ɀoȺo¥ȼȳv,/ µȼȽȳȻ xąȯȳȺoȻ ȽoȳÆvȮȯ ȵџȭɂv – ȭvѡȶ ȶŽ ȴȫȲȫȺȯѠȯȳ,/ – ȭȯvvȫɅɂv ²Ⱥȭȳȫ ȝoȾȼÆv ȶɄȽ’ ȯ«Ȯȯv ȶɄȽ’ ˆɀџȺȯȾȼȯv,/ ... ȽoѠȽoȳȻ ȫ½ȮÆ, ȴȫÀȲȳȻ wąȫȾȮÆ, ȴȫÀȲȳȻ Ƚ° ȽȺɅȽov ȶȪȵ’ wąȫȾȮÆ/ ˆȸɅȼȽȫȼȲȫȳ ȶѠȼȽȫȳȼȳ ɀoȺo¥Ȼ˜ Áȶȯ¥Ȼ Ȯ]wvȯȭȯɅȺȯȽȯ ȶoȵąŽv/ ȴȫ¤ ąȫvvȾɀɅȮȫȻ ȽqȻ œȶȯȽɃȺȫȻ, ȫ® Ƚ“Ȯȯ ąȺɃąoȾȼȳv ‹oȺȽ“. Zu den anapaesta pauca bzw. ʱvȪąȫȳȼȽoȳ des Aristophanes und ihrem Bezug auf die mit der Komödie verbundenen Dionysischen Mysterien vgl. K. DOVER, Aristophanes Frogs, ed. with introduction and commentary, Oxford 1993, 239-242. B Dagegen hält KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, bes. 14 `allgemeine nicht-fachmännische Bildung, die der Freie sich an einem (mehr oder weniger) bestimmten Kreis von Lehrgegenständen erwirbtA nicht für eine sekundär im Lateinischen entwickelte, sondern bereits für die ursprünglich im Griechischen vorhandene Bedeutung von ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ. Eher ablehnend dazu J. CHRISTES, Enkyklios Paideia; in: DNP 3 (1997) 1037-1039, der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ definiert als die `normaleA, `die StandardbildungA.

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außer den Fächern, die als artes liberales80 in die mittelalterliche Schultradition eingingen, wie schon bei Cicero81 Geschichte und Philosophie sowie Naturwissenschaften, aber auch Jurisprudenz und antiquarische Wissenschaft für Gellius dazu.82 Daher wird Varro von Gellius als ein prominentes Ideal dieser enzyklopädischen Bildung,83 die Wissenschaften _____________ 80 KOLLER, ȖȔțȤțȜIȠȢ ȡȒIȕȖIȒ, 17 Anm. 12 erklärt artes liberales als `echtlateinische Übersetzung von ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ ... sie ist erst denkbar zu einer Zeit, der die drei Bereiche der alten griechischen Musik zu _Fächern> und Propädeutik der Rhetorik geworden sind. Noch schimmern aber in der Bestimmung _liberales> die Verhältnisse der athenischen Demokratie des 5. Jahrhunderts durch: Nur der Freibürtige nahm ja teil am ȴѠȴȵȳoȻ ɀoȺџȻ und seiner musischen Schulung.A B Zur Definition Senecas in epist. 88,23 (hae artes, quas ˆȭȴȾȴȵɅoȾȻ Graeci, nostri autem liberales uocant) vgl. STÜCKELBERGER, Senecas 88. Brief, 46-52; HADOT, Arts libéraux, 272; M. STOLZ, Artes-liberales-Zyklen. Formationen des Wissens im Mittelalter, Bd.1-2, Tübingen / Basel 2004, hier 1, 8-9. 81 Vgl. Cic. de orat. 3,127: Ex quibus Elius Hippias, cum Olympiam uenisset maxima illa quinquennali celebritate ludorum, gloriatus est cuncta paene audiente Graecia, nihil esse ulla in arte rerum omnium, quod ipse nesciret; nec solum has artis, quibus liberales doctrinae atque ingenuae continerentur, geometriam, musicam, litterarum cognitionem et poetarum, atque illa, quae de naturis rerum, quae de hominum moribus, quae de rebus publicis dicerentur, ... Das in _De oratore> faßbare ciceronische Konzept der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ, in dem die beiden Bildungsmächte der isokrateischen Rhetorik und der sokratisch-platonischen Philosophie zum Ausgleich gelangen, und seine Ursprünge behandelt METTE, ȖȔțȤțȜIȠȢ ȡȒIȕȖIȒ, 30-34. Vgl. auch KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 26-31, bes. 31 über die artes liberales, die nach Ciceros Verständnis zur Allgemeinbildung gehören. 82 In diesem gellianischen Konzept und Umfang der Bildungsdisziplinen besteht eine weitere (unausgesprochene) Opposition zu Seneca, der in seinem Brief über Wert und Unwert der artes liberales (epist. 88) die ihnen innewohnende Tendenz zur unnützen Vielwisserei kritisiert: _At enim delectat artium notitia multarum.> Tantum itaque ex illis retineamus, quantum necessarium est. An tu existimas reprendendum, qui superuacua usibus comparat et pretiosarum rerum pompam in domo explicat; non putas eum, qui occupatus est in superuacua litterarum supellectile ? Plus scire uelle quam sit satis, intemperantiae genus est. Quid ? quod ista liberalium artium consectatio molestos, uerbosos, intempestiuos, sibi placentes facit et ideo non discentes necessaria, quia superuacua didicerunt (epist. 88,36-37). Vgl. dazu STÜCKELBERGER, Senecas 88. Brief, hier bes. 71-76; HADOT, Arts libéraux, 40-41. 272-273. Die gegen Seneca geäußerte Aversion des Gellius beruht also nicht nur auf den unterschiedlichen Positionen zur Sprache der ueteres (vgl. oben S. 187. S. 237), sondern auch auf der gegensätzlichen Einschätzung der Bildungsdisziplinen und auf der ganz anderen Verarbeitung der angeeigneten Wissensstoffe (zu letzterem vgl. oben S. 181-182 m. Anm. 414). 83 Zwar war die antiquarische Forschung kein eigenes Bildungsfach in seiner die nunmehr sieben freien Künste umfassenden und um Architektur und Medizin erweiterten großen Enzyklopädie der _Disciplinae>, aber Varro behandelt sie als Hauptgebiet in den ebenso enzyklopädischen _Antiquitates>. Vgl. DAHLMANN, M. Terentius Varro, 1255-1259 (_Die Disciplinae>), hier 1257-1258: `Die einzelnen Disciplinen in ein Werk zusammengefaßt und ihre Zahl bestimmt zu haben, das ist wohl das Hauptverdienst Varros gewesen. Allerdings waren es bei ihm 9 artes und erst durch das Fortlas-

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griechischer Provenienz mit denen römischer Observanz vereinte und besonders der römischen antiquarischen Forschung auf den Gebieten Sprach-, Religions-, Landes- und Rechtskunde Geltung verschaffte, als doctrinarum multiformium uariarumque artium, quibus humanitas erudita est, columen (NA 19,14,1) B neben dem nach Gellius’ Urteil unverdienterweise viel weniger bekannten (auch in NA 13,26,1 als homo in disciplinis doctrinarum omnium praecellens gerühmten) Nigidius Figulus B vorgestellt. Die von Varro begründete Erweiterung der enzyklopädischen Bildung durch die antiquarische Disziplin, deren Ziel es ist, die römische nationale Identität historisch zu begründen und zu stabilisieren, kann man als typisch römische Ergänzung der griechisch geprägten Allgemeinbildung bezeichnen. Diese griechisch-römische Wissenskombination versucht auch Gellius in seinem Werk zu realisieren, indem er neben den artes liberales dem Antiquarischen und Juristischen gebührenden Raum gibt.84 Zugleich bezieht er in sein griechisch-römisches Konglomerat die aktuellen Ausläufer der Enzyklopädie, Paradoxographie und Poikilographie,85 ein. _____________ sen der beiden letzten sind die septem artes liberales geworden ... So sind die Disciplinen ähnlich wie die encyclopaedischen Werke V.s auf den Gebieten der Sprachwissenschaft, l.l. und die antiquitates, ein Schlußstein, das Ende einer Entwicklung, eine Zusammenfassung, verlangen keinen Neuerer, sondern höchstens Fortsetzer oder Exzerptoren. ... V. will den Kreis der griechischen Bildung für römische Verhältnisse umsetzen, ersetzt also für die weit mehr in der griechischen Bildung wurzelnden Menschen seiner Zeit die Encyclopaedie des M. Cato, der wohl die gleichen utilitaristischbelehrenden Absichten hatte, aber von den Griechen noch kaum beeinflußt war in seinem enzyklopaedischen Werk, ... einer den durchaus praktischen Bedürfnissen vielmehr entgegenkommenden Zusammenstellung von Gebieten als die ganz auf die geistige Bildung gerichteten ˆȵȯȾȲɃȺȳȫȳ ˆąȳȼȽȶȫȳ, Disciplinen Varros, der eben der Römer war, der am tiefsten unter dem Einfluß der griechischen Wissenschaft stand.A B P. GRIMAL, Encyclopédies antiques; in Cahiers d histoire mondiale 9/3, Neuchatel 1966, 459-482, hier 470-474 charakterisiert das Werk Varros als `un programme et un exposé de culture universelleA bzw. einen Versuch, `d=embrasser dans un vaste système a posteriori toute la culture *romaine +A. 84 Keine Berücksichtigung findet in dem enzyklopädischen Konzept des Gellius jedoch die vom älteren Cato und auch noch von Cornelius Celsus im Programm der Allgemeinbildung plazierte und von Varro in seinen Büchern ,Res rusticae> und von anderen Römern, zuletzt im 1. Jh. n. Chr. von Columella, in weiteren Spezialschriften behandelte Landwirtschaft (lockeren Bezug dazu hat allenfalls in NA 3,14,17 die zitierte Anweisung Catos über die Aussaat von Zypressen und die von Tauros zum Vergleich herangezogene Erzählung in NA 19,12,7-9, in der ein des Weinbaus unkundiger Thraker, um das Unkraut zu beseitigen, die Weinberge radikal abholzt und damit zerstört). Ebenso fehlt die in den varronischen _Disciplinae> mit den später kanonisch gewordenen septem artes liberales und der Medizin verbundene Architektur. 85 Vgl. S. FORNARO, Enzyklopädie; in: DNP 3 (1997) 1054-1058, hier 1057: `Aus einer Erwiderung auf die aristotelische E. geht zwischen dem 2. und 3. Jh. n. Chr. eine bes. Form des Enzyklopädismus hervor, die bis ins Mittelalter weiterlebte: die Sammlung

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Wegen ihres breiten Themenspektrums und ihrer gleichzeitigen formalen Inhomogenität hat MERCKLIN die _Noctes Atticae> zutreffend charakterisiert als `eine Enzyklopaedie der freiesten Art nach Form und UmfangA.86 Die Bezeichnung Enzyklopädie nicht im Sinne eines festen Fächerkanons, sondern im neuzeitlichen Verständnis als eine alle möglichen Disziplinen umfassende für den Nichtfachmann konzipierte Darstellung soll hier beibehalten werden für die _Noctes Atticae>, auch wenn die von Gellius gewählte Form der Buntschriftstellerei gerade nicht die Systematik aufweist, die nach moderner Vorstellung einer Enzyklopädie eigen ist.87 Durch die im Unterschied zur naturwissenschaftlichen plinianischen Enzyklopädie _Naturalis historia>88 überwiegende Präsentation der `GeisteswissenschaftenA in dem gellianischen Bildungskompendium gibt die Darstellung der _Noctes Atticae> vor allem Aufschluß darüber, was im 2. Jh. als kulturhistorisches Bildungsgut vorhanden und angesehen war. Die darin allgemein vorherrschende Verbindung griechischer und römischer Wissenstraditionen und Bildungsstoffe ist ein Signum der _Noctes Atticae>, die so die `BikulturalitätA der Zeit widerspiegeln.89 Zugleich knüpfen _____________

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von mirabilia, d.h. von Phänomenen, die sich einer wissenschaftlichen Erklärung entziehen.A Vgl. auch H. FUCHS, Enzyklopädie; in: RAC 5 (1962) 504-515, hier 505506. Vgl. MERCKLIN, Die Citiermethode, 694. Auch K. SALLMANN, Enzyklopädie, (III. Rom); in: DNP 3 (1997) 1058-1059 subsumiert die Buntschriftstellerei des 2. Jh.s. als eine enzyklopädische Variante und mit ihr die _Noctes Atticae> unter die römische Literaturgattung der Enzyklopädie, in der es `weder einen festen Fächerkanon noch eine generisch typische FormA gegeben hat. Vgl. K. SALLMANN, Die Fachwissenschaften und die Ausbildung der spätantiken Enzyklopädie, 225-228. – Zur Entwicklung des Begriffs der Enzyklopädie, der eine Neuschöpfung des ausgehenden 15. Jh.s ist, vgl. U. DIERSE, Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftstheoretischen Begriffs, Bonn 1977 [= Archiv für Begriffsgeschichte, Suppl. 2], hier 1-8; J. MITTELSTRASS, Enzyklopädie; in: J. MITTELSTRASS (Hrsg.), Enzyklopädie. Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd.1, Mannheim / Wien / Zürich 1980, 557-562. Die Vermutung, daß Gellius in den Anfängen der neuzeitlichen Enzyklopädie als Vorbild gewirkt haben könnte, legt der an die gellianischen _Noctes Atticae> (dazu oben S. 199 m. Anm. 28) angelehnte Titel des Werks von JOACHIM(US) FORTIUS RINGELBERGIUS [JOACHIM STERCK VAN RINGELBERG(H)] nahe: [J.F. Ringelbergii Andoverpiani] Lucubrationes uel potius absolutissima ȴȾȴȵoąȫȳȮȯɅȫ, Basel 1541. Vgl. Plin. NH praef. 14: iam [ante MAYHOFF] omnia attingenda, quae Graeci ȽȻ ˆȭȴȾȴȵɅoȾ ąȫȳȮȯɅȫȻ uocant, ... res ardua ... omnibus uero naturam et naturae sua omnia. Dazu auch oben S. 328 Anm. 65. Zur ausdrücklichen Abneigung des Plinius gegen die sprachliche Disziplin vgl. BORST, Das Buch der Naturgeschichte, 18-19. Vgl. MICHEL, Aulu-Gelle et Cicéron, 360, der die Verbindung zwischen Favorinus und Gellius und ihre Offenheit für alle griechische Kultur, insbesondere die griechische Philosophie hervorhebt. Zur Bikulturalität des 2. Jh.s vgl. oben Kapitel 4.2.1, S. 205-229, bes. 220. S. 251. S. 269-270. S. 271.

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

sie an die von Cicero, dem Protagonisten der lateinischen Literatur im Dienst kultureller Bildung,90 begründete kulturvermittelnde Tradition an.91 Cicero, der, seine Vermittlerrolle zwischen griechischer und römischer Kultur immer wieder reflektierend und hervorhebend,92 den Anspruch auf eine eigenständige kulturelle Leistung der Römer und insbesondere seiner Person selbstbewußt vertreten hat,93 verkündet gleichsam programmatisch zu Beginn seiner an den Sohn gerichteten Schrift _De officiis>: ut ipse ad meam utilitatem semper cum Graecis Latina coniunxi neque id in philosophia solum, sed etiam in dicendi exercitatione feci, idem _____________ 90 Cicero versteht seine Schriftstellerei nicht nur als persönliches Trostmittel in schwierigen Lebenslagen und als private Beschäftigung, an der er selbst, aber auch seine Leser sich intellektuell und ästhetisch erfreuen (ac. 1,10), sondern vor allem als quasi bildungspolitische Tätigkeit zum Nutzen seiner Mitbürger (ac. 1,11): Nunc uero et fortunae grauissimo percussus uulnere et administratione rei publicae liberatus doloris medicinam a philosophia peto et otii oblectationem hanc honestissimam iudico. Aut enim huic aetati hoc maxime aptum est, aut his rebus si quas dignas laude gessimus hoc in primis consentaneum, aut enim ad nostros ciues erudiendos nihil utilius ... Vgl. auch Cic. fin. 1,10: Ego uero ... debeo profecto, quantumcumque possum, in eo quoque elaborare, ut sint opera, studio, labore meo doctiores ciues mei; Tusc. 1,5: Philosophia iacuit usque ad hanc aetatem nec ullum habuit lumen litterarum Latinarum; quae inlustranda et excitanda nobis est, ut si occupati profuimus aliquid ciuibus nostris, prosimus etiam, si possumus, otiosi; nat. deor. 1,7: Nam cum otio langueremus et is esset rei publicae status ut eam unius consilio atque cura gubernari necesse esset, primum ipsius rei publicae causa philosophiam nostris hominibus explicandam putaui, magni existimans interesse ad decus et ad laudem ciuitatis res tam grauis tamque praeclaras Latinis etiam litteris contineri; div. 2,4: Quod enim munus rei publicae adferre maius meliusue possumus, quam si docemus atque erudimus iuuentutem; div. 2,7: ... tum pristinis orbati muneribus haec studia renouare coepimus, ut et animus molestiis hac potissimum re leuaretur et prodessemus ciuibus nostris, qua re cumque possemus; off. 1,1: Quam quidem ad rem nos, ut uidemur, magnum attulimus adiumentum hominibus nostris, ut non modo Graecarum litterarum rudes, sed etiam docti aliquantum se arbitrentur adeptos et ad discendum et ad iudicandum. 91 Gellius steht nicht nur mit seinem bikulturellen Bildungsverständnis, sondern auch mit dem Konzept einer `éloquence totaleA in der Tradition Ciceros; vgl. MICHEL Aulu-Gelle et Cicéron , bes. 356. 360. B Gerade nicht die Kulturvermittlung und Integration griechischer Wissenstraditionen, sondern die kulturelle Rivalität und die Dominanz der (`imperialenA) römischen Kultur soll dagegen nach KEULEN, Gellius the Satirist, 5-6. 237. 244. 249-250. 297-298 Grundzug und Anliegen des gellianischen Bildungskompendiums sein. 92 Vgl. z.B. Cic. ac. 1,11; Tusc. 1,5. 7. 2,5-6; nat. deor. 1,7-8; off. 1,1-2. Vgl. auch oben zu Ciceros Sprach- und Übersetzungsreflexionen S. 218. S. 227 m. Anm. 122. 93 Am pointiertesten hat er dieses römische mit seiner Person verbundene kulturelle Selbstbewußtsein artikuliert in Cic. Tusc. 1,1: ... hoc mihi Latinis litteris inlustrandum putaui, non quia philosophia Graecis et litteris et doctoribus percipi non posset, sed meum semper iudicium fuit omnia nostros aut inuenisse per se sapientius quam Graecos aut accepta ab illis fecisse meliora, quae quidem digna statuissent, in quibus elaborarent. Zur Behauptung der kulturellen Unabhängigkeit und des spezifisch römischen Bildungsanspruchs durch Cicero vgl. ZIMMERMANN, Cicero und die Griechen, 246-248.

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tibi censeo faciendum (Cic. off. 1,1). Diese Devise hat Gellius jedenfalls, wie sich gezeigt hat, über Rhetorik und Philosophie hinaus in seinem Bildungskompendium befolgt. 5.3.1. Dominanz von Grammatik und Rhetorik Daß die Bildungsfächer in dieser griechisch-römischen Enzyklopädie nicht gleichmäßig zur Geltung kommen, sondern in sehr unterschiedlicher Gewichtung mit ihren Themen vertreten sind, geht nicht nur auf persönliche Prioritäten des Gellius zurück, sondern läßt ihre Relevanz in dem Bildungskanon der ciuilis bzw. honesta eruditio (NA praef. 12) seiner Zeit erkennen. Die Anteile und behandelten Themen der Bildungsfächer sind in der Gelliusforschung bereits einige Male mehr oder weniger systematisch und ausführlich untersucht worden.94 Das zu Recht immer hervorgehobene Überwiegen der sprachlichen Disziplinen in den _Noctes Atticae>, d.h. der in der Praefatio an erster Stelle genannten (NA praef. 21) und im folgenden tatsächlich alles dominierenden Grammatik, die primär als Lexikographie in Erscheinung tritt, und der Rhetorik, die sich in Sprach- und Textkritik, vergleichender Literaturkritik und Literaturgeschichte äußert,95 B sie nehmen etwa ein Drittel der _Noctes Atticae> ein96 B entspricht der immensen Bedeutung der Rhetorik in der antiken Kultur.97 Der Einfluß der Rhetorik zeigt sich in den _Noctes Atticae> auch auf _____________ 94 Vor allen sind hier in chronologischer Reihenfolge zu nennen die Untersuchungen von NETTLESHIP, The Noctes Atticae, ( 1883), bes. 399-414 bzw. 258-275; BERTHOLD, Aufgliederung und Auswahl seiner Themen, (1959); ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae> (1993), bes. 35- 171; HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius (1988 / 2003), bes. 115-235 bzw. 157-328. 95 Vgl. NETTLESHIP, The Noctes Atticae, 403-405. 408-414 bzw. 262-264. 268-274; BERTHOLD, Aufgliederung und Auswahl seiner Themen, 115-125; ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 35-82; HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 157-240; ZWIERLEIN, Ovid- und Vergil-Revision, 89-90. 116-118. 121-131. Vgl. oben Kapitel 3.3.3, S. 83-97; Kapitel 4.2.1, S. 205-229; Kapitel 4.2.2, S. 229-250; S. 283-284. S. 335. 96 Vgl. MASELLI, Lingua e scuola, 9. 97 Vgl. dazu oben S. 57. S. 101-102. Diese Gewichtung der Disziplinen setzt sich bis in christliche Zeit (und darüber hinaus) fort: Cassiodor z.B._ bestrebt, nicht nur die theologische, sondern auch die profane Bildung der Mönche in Vivarium zu befördern bzw. zu vertiefen, wie seine zweigeteilten _Institutiones> schon in der Werkanlage offenbaren, hat in seinem Psalmenkommentar durchgängig die für die Fächer der artes liberales relevanten Stellen mit kritischen Zeichen, d.h. Abkürzungen, am Rande markiert, um sie leichter auffindbar zu machen. Dabei überwiegen deutlich die Zeichen für die Themen aus den Disziplinen des Trivium mit acht (von zwölf für die artes,

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andere Weise: In der formalen, in der thematischen oder in der szenischen Gestaltung trägt eine Reihe von commentarii unverkennbare Züge verschiedener rhetorischer Praktiken bzw. Übungen. Daß Gellius eine gründliche rhetorische Ausbildung bei Antonius Iulianus und Titus Castricius erhalten hat98 und mit den im rhetorischen Betrieb praktizierten Übungen und Unterrichtsmethoden vertraut war, teilt er selbst mit (NA 9,15; NA 11,13,1. 5. 7-9; NA 13,22,1; NA 15,1,1; NA 17,2,1; NA 17,20,4). So nimmt er auf die declamationes seines Lehrers Antonius Iulianus (NA 15,1,1) Bezug, auch wenn er sich an anderer Stelle von der im rhetorischen Betrieb praktizierten declamatiuncula ausdrücklich distanziert: sed hanc utrimque declamatiunculam super Alexandro et Scipione celebrauerint, quibus abunde et ingenii et otii et uerborum est; nos satis habebimus, quod ex historia est, id dicere (NA 7,8,4). Ähnlich kritisch stellt er den Deklamationsbetrieb in NA 9,15 dar, indem er einen großspurig auftretenden adulescens quispiam ex ditioribus an einem von einem Zuhörer vorgeschlagenen Thema einer controuersia, einem sogenannten xąoȺov (NA 9,15,6-7), grandios scheitern läßt. Trotzdem wendet Gellius die ihm im Unterricht begegneten Vorgehensweisen auch selbst an, wenn er z.B. in NA 17,2,1 bekennt, nach der Lektüre ein Buch zu rezensieren und zu notieren, quae in eo libro scripta essent in utrasque existimationes laudis aut culpae adnotamentis digna. Denn das Verfahren erinnert an die in der Rhetorikschule im Rahmen der Progymnasmata praktizierten Anaskeue und Kataskeue, ein Übungspaar, in dem eine Erörterung in utramque partem geübt wird, wobei die Anaskeue die widerlegende, destruktive Kritik bündelt, während die Kataskeue die Bestätigung und Affirmation des Themas bzw. Gegenstandes liefert. In der dialektischen Methode schulen auch die gleichfalls einander antithetisch zugeordneten, wenngleich selbständigen Progymnasmata von Enkomion (ˆȭȴѡȶȳov) und Psogos (ɁџȭoȻ) bzw. laus und vituperatio, in denen alles zum Lobe oder umgekehrt alles zum Tadel einer Person oder Sache zusammengetragen wird.99 Auch der Vergleich zwi_____________ dreizehn insgesamt verwendeten) Zeichen, so wie diese im Kommentar selbst dominieren: vgl. STEIN, Kritische Zeichen, 157-158. 98 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 86-90. 99 Die Stil- und Kompositionsübungen der Progymnasmata, die in einer bestimmten Reihenfolge im Rhetorikunterricht durchexerziert wurden, sind seit dem 1. Jh. n. Chr. in einem geschlossenen System durch verschiedene Rhetorikhandbücher (von Theon, Hermogenes, Aphthonios und Nikolaos; auch Quintilian behandelt sie in seiner _Institutio oratoria>) belegt und hielten sich bis zur Spätantike und weit darüber hinaus bis ins lateinische Mittelalter und in die byzantinische Ära im Schulbetrieb und wurden sogar als prosaische oder poetische Kleinformen literarisiert: vgl. CIZEK, Imitatio, 228-319, (allgemein), bes. 233-234 (speziell über Anaskeue und Kataskeue bzw. Enkomion und Psogos). 294-317 (speziell über Enkomion und Invektive als komplexere Progymnasmataformen und ihre stofflich-formale und gedanklich-affektische tracta-

5.3. ... quasi libamenta ingenuarum artium

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schen verschiedenen Texten, dem Gellius sich in den _Noctes Atticae> ausgiebig widmet (vgl. oben S. 207-215), ist ein Verfahren, das in der Synkrisis (ȼѠȭȴȺȳȼȳȻ bzw. comparatio) trainiert wird, einem anderen, dem weiter fortgeschrittenen Rhetorikschüler vorbehaltenen Progymnasma, das auf den im Übungsprogramm vorausgehenden Formen Enkomion und Psogos aufbaut.100 Das Paraphrasieren von Texten ist sowohl zentrales Element der _Noctes Atticae> als auch Hauptaufgabe der ersten Progymnasmata ȶºȲoȻ (fabula) und ȮȳɄȭȱȶȫ (narratio) am Anfang des rhetorischen Übungsprogramms.101 Die Chrie (ɀȺȯɅȫ), eine für das praktische Leben lehrreiche Anekdote, die im Rhetorikunterricht nach Fabel und Erzählung als nächstes einfacheres Progymnasma dem Schüler zur Komposition in Anlehnung an literarische Vorbilder aufgegeben wurde, könnte für Gellius bei der Abfassung einiger seiner biographischen Kapitel ein Modell abgegeben haben.102 Ein vielbehandeltes Thema der Thesis (ȲɃȼȳȻ), des an vorletzter Stelle im Übungsprogramm vorgesehenen Progymnasma, der Erörterung einer fachwissenschaftlichen oder praktischen Frage, nämlich die Diskussion der brisanten Frage ȯ¨ ȭȫȶȱȽɃov,103 nimmt _____________

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tio); HUNGER, Die hochsprachliche profane Literatur, 92-119 (Progymnasmata und andere Übungsreden), bes. 101-103. 105-106. Daß Anaskeue und Kataskeue auch bei literarischen Stoffen angewandt wurden, bezeugt Quint. inst. 2,4,18-19. Bei Lob und Tadel, die zwar primär Personen gelten, gibt es eine fast uneingeschränkte thematische Vielfalt (Quint. inst. 3,7,26-28). Vgl. CIZEK, Imitatio, 315-317; HUNGER, Die hochsprachliche profane Literatur, 106108. 120-132. Zu den Vergleichen des Gellius vgl. BEALL, Civilis eruditio, 123-124. Vgl. CIZEK, Imitatio, 257-276; HUNGER, Die hochsprachliche profane Literatur, 9498. Das mündliche und schriftliche Wiedergeben gelesener bzw. gehörter Texte bildet aber auch das Fundament des gesamten Rhetorikunterrichts: vgl. Quint. inst. 2,4,1517. Zu Gellius’ Erzählungen vgl. BEALL, Civilis eruditio, 116-119. Vgl. BEALL, Civilis eruditio, 119-122; PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 4041. 168-170; zum rhetorischen Progymnasma der Chrie vgl. CIZEK, Imitatio, 256257; HUNGER, Die hochsprachliche profane Literatur, 98-101; R.F. HOCK / E. N. O’NEILL (Ed.), The Chreia in Ancient Rhetoric, Vol.1: The Progymnasmata, Atlanta (Georgia) 1986 [= Texts and Translations 27; Graeco-Roman Religion Series 9]. Quint. inst. 1,9,3-4 weist die Chrie dagegen noch dem Grammatikunterricht zu. Vgl. HUNGER, Die hochsprachliche profane Literatur, 117-118. Die Vorzüge bzw. Nachteile der Ehe werden in verschiedenen anderen commentarii thematisiert. Neben der ernsthaften Behandlung des Themas in NA 1,6,1-6, wo die Rede des Censors Metellus Numidicus referiert und diskutiert wird, der zur Eheschließung trotz aller damit verbundenen Unannehmlichkeiten und Probleme auffordert, wird es auch humorvoll dargestellt, z.B. in NA 1,17, mit dem Apophthegma des Sokrates über das Ertragen seiner unleidlichen Ehefrau Xanthippe, das ihn für das Erdulden von außerhäuslichen Widerwärtigkeiten abhärte, und mit der Abwandlung des Diktums durch Varro, daß man entweder seine Frau oder aber sich selbst durch ihr Ertragen moralisch bessern könne (vgl. oben S. 288); in NA 4,20,3-6, wo der (in Cic. de orat. 2,260 dem Luc. Nasica zugeschriebene) Witz eines unglücklich Verheirateten über seine Ehefrau und

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die Anekdote in NA 5,11 auf. Hier antwortet Bias mit einem witzigen Syllogismus auf die Frage, deberetne uxorem ducere an uitam uiuere caelibem (NA 5,11,2): die Ehelosigkeit sei vorzuziehen, weil bei der Wahl der Ehefrau ein unauflösliches Dilemma entstehe, entweder eine schöne, aber deshalb mit anderen geteilte Frau (ȴoȳvɄ) oder eine häßliche Frau zur eigenen Plage (ąoȳvɄ) nehmen zu müssen.104 Die anschließende Widerlegung seines Schlusses bzw. die Aufhebung des vermeintlichen Dilemmas durch Favorinus, der implizit eine Empfehlung zur Heirat einer als uxoria bezeichneten, zwischen den Extremen stehenden, Frau gibt, quae neque ȴoȳvɄ futura sit neque ąoȳvɄ, könnte eine Thesis darstellen, wie sie im Rhetorikunterricht105 und auch außerhalb der Schule behandelt wurde. An _____________ die Abstrafung des cauillator quidam et canicula et nimis ridicularis, der mit der Doppeldeutigkeit der Formulierung ex animi sententia gespielt hat, durch den Censor Cato beispielhaft die Sittenstrenge der Censoren illustriert. Vgl. zu dem Witz U. KNOCHE, Über Horazens satirische Dichtung: Witz und Weisheit; in: Gymnasium 57 (1960) 56-72; wieder in: H. OPPERMANN (Hrsg.), Wege zu Horaz, Darmstadt 1972 (WdF 90), 196-219, hier 201-202. Zu dem in NA 1,6,4 zitierten Ehe-Gesetz des Metellus von 131 v. Chr und zur Sokrates-Xanthippe-Anekdote sowie Varros Menippeischer Satire _De officio mariti> in NA 1,17 vgl. KRENKEL, (Hrsg.), Varro: Saturae Menippeae, 1,140-142 (Men. 83). 285-286 (Men. 167). 2,417-420 (Men. 235); DÖRING, Exemplum Socratis, 173. B Zu NA 5,11 vgl. auch oben S. 266. 104 Das bekannte gellianische Bias-Apophthegma ist auch anderen Philosophen (z.B. Solon, Sokrates, Antisthenes) in den Mund gelegt worden, aber tatsächlich dem Bion zuzuschreiben (vgl. Bion frg. 61 A-B KINDSTRAND = Diog. Laert. 4,48 / Codex Parisinus Graecus 1168 Nr.14, p. 413 FREUDENTHAL; dazu J.F. KINDSTRAND [Ed.], Bion of Borysthenes. A Collection of the Fragments with Introduction and Commentary, Uppsala 1976, 272-273 zu frg. 61 A-B; O. CRUSIUS, Bias; in: RE 3/1 [1897] 383389, hier 389). Nach der lebhaften antiken Diskussion der Ehefrage (vgl. KONRAD GAISER [Hrsg.], Für und wider die Ehe: Antike Stimmen zu einer offenen Frage, München 1974 [= Dialog mit der Antike; Bd. 1]) findet sich das Diktum im 12. Jh., mit einem entsprechenden Text des Hieronymus (Hier. ad Iov. 1,47 [= PL 23, 290 A]) kombiniert, in der Schrift _De nuptiis> des mittelalterlichen Autors HUGO DE FOLIETO (= Ps. Hugo von St. Viktor; PL 176, 1202-1218, hier p. 1203 D -1204 A) rezipiert, wie E. BICKEL (Diatribe in Senecae philosophi fragmenta, Vol. 1: Fragmenta de matrimonio, Leipzig 1915, 40-43) nachgewiesen hat. Im 19. Jh. hat SOEREN KIERKEGAARD das Thema in _Entweder -oder> (vgl. S. K., Entweder / Oder. Ein Lebensfragment. Zweiter Teil: B.s Papiere; Das ästhetische Recht der Ehe, übers. v. W. PFLEIDERER u. CH. SCHREMPF, Kopenhagen 1843 / Jena 1922 , 3-128) wieder behandelt: vgl. W. SCHMID, Nachruf auf E. BICKEL; zuerst in: In memoriam ERNST BICKEL, Bonn 1961, 8-23. 37-39, hier 37-38 Anm. 11; wieder in: W. SCHMID, Ausgewählte philologische Schriften, hrsg. v. H. ERBSE u. J. KÜPPERS, Berlin / New York 1984, 683-694, hier 688 Anm. 11. 105 Die Erörterung der Frage ȯ¨ ȭȫȶȱȽɃov war ein Standardbeispiel der Thesis bei den antiken Progymnasmatikern: vgl. z.B. Theon prog. 11 [p. 82(120,5). p. 83(121,10). p. 84(121,16). p. 94(128,6-7) PATILLON / BOLOGNESI = prog. 12 II p. 120,15. 121,9. 15-17. 128,4-5. 12-13 SPENGEL]; Hermog. prog. 11 [p. 24,8. 25,17-19. 26, 2 RABE = II p. 17,16. 18,3-5 SPENGEL]; Aphth. prog. 13 [p. 41,17. 42,11-46,18 RABE = II p.

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diesem Kapitel wie an den _Noctes Atticae> überhaupt wird sichtbar, wie die schulische Ausbildung und rhetorische Unterrichtspraxis sich außerhalb des Schulbetriebes in der gesellschaftlichen und literarischen Welt fortsetzt.106 So wirkt in den zahlreichen Übersetzungen und Textparaphrasen, die Gellius vorlegt, die im Rhetorikunterricht intensiv gepflegte Übung der Übersetzung und Wiedergabe nach, deren Ausmaß und Bedeutung auch im höheren Unterricht Quintilian (inst. 10,5,2-4. 5-11) beschrieben hat. Daß die in den _Noctes Atticae> ebenso zur Darstellung kommenden wie der Darstellung zugrundeliegenden Verfahren der auditio, lectio, scriptio und memoria (vgl. oben S. 104-105. S.106-107. S. 111117) zugleich auch die Säulen des Rhetorikunterrichts bilden, unterstreicht die Nähe von Gellius’ Werk zum rhetorisch geprägten Kulturund Literaturbetrieb des 2. Jh.s. Die _Noctes Atticae> reflektieren somit die allgemeine Relevanz und Dominanz der Rhetorik in Kultur und Gesellschaft der Zeit und illustrieren zugleich die rhetorischen Methoden, Formen und Themen konkret an einzelnen Beispielen. Gellius hat seinen Lesern dabei nicht nur intellektuelle Verfahrens- und Verhaltensweisen sowie moralische Verhaltensmodelle vor Augen gestellt, sondern sogar Material für bestimmte Situationen der gebildeten Konversation, in denen rhetorische Gewandtheit erwartet wird, an die Hand gegeben.107 Damit erfüllt Gellius, dessen erklärtes Bildungsziel die intellektuelle Ertüchtigung seiner Leser für die private und öffentliche rhetorische Praxis ist (NA praef. 16),108 sein im Vorwort gegebenes Versprechen, nützliche und passende Stoffe für den uir ciuiliter eruditus zu liefern: quae uirum ciuiliter eruditum neque audisse umquam neque attgisse, si non inutile, at quidem certe indecorum est (praef. 13). Die Dominanz von Grammatik und Rhetorik offenbart sich auch darin, daß die sprachlichen Aspekte in den commentarii andere Themen überlagern bzw. diese umstellen oder sich vor diese drängen. Sie dienen als Aufhänger, Einschub oder Anhängsel bei Erörterungen auf dem Gebiet der Jurisprudenz (z.B. NA 4,2: Bedeutungsunterschied von uitium und _____________ 49,17. 50,5-53,15 SPENGEL]; Nikol. prog. 13 [p. 71,20. 74,15-75,12 FELTEN = III p. 494,4-7. 495,29-496,12 SPENGEL]. Eine ausgearbeitete Thesis zu diesem Thema liegt bei Aphthonios (prog. 13 p. 42,11-46,18 RABE = II p. 50,5- 53,15 SPENGEL) und im Werk des Libanios vor (prog. 13,1 = VIII 550-561 FOERSTER). Vgl. auch Quint. inst. 2,4,25. 106 Vgl. dazu CH. HEUSCH, Die Achilles-Ethopoiie des Codex Salmasianus. Untersuchungen zu einer spätlateinischen Versdeklamation, Paderborn / München / Wien / Zürich 1997 [= Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums 12], 24-25; MARROU, Geschichte der Erziehung, 386-388. 107 Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 170 m. Anm.131. 227-228. Vgl. auch oben Kapitel 4.3, S. 251-271, bes. 254-257. 258-260. 265-266. 268-270. 108 Vgl. dazu oben S. 56-57. S. 328.

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morbus in einem ädilischen Edikt; NA 4,3,3: Erklärung des Ausdrucks paelex in einem Gesetz des Königs Numa; NA 4,6,3-10: Klärung der Ausdrücke succidaneae und praecidaneae in einem Senatsbeschluß bzw. in Ateius Capitos Schrift _De pontificio iure>; NA 11,1: Etymologie von Italia und Etymologie von multa im Zusammenhang mit der altertümlichen Strafbemessung der multa suprema bzw. minima; NA 12,13: Bedeutung von intra Kalendas als Fristangabe im juristischen Kontext; NA 16,10: Bedeutung von proletarii bei Ennius und im Zwölftafelgesetz; NA 20,10: Bedeutung von ex iure manum consertum). Auch antiquarische Recherchen werden mit Sprachforschungen verwoben: z.B. nehmen in NA 1,12 bei der Darstellung der Voraussetzungen für die Aufnahme unter die Vestalinnen und ihrer Auswahl nach der lex Papia die Erklärungen des Ausdrucks capi durch entsprechende Stellen der einschlägigen Literatur einigen Raum ein (NA 1,12,13-17); in NA 13,23 gibt die Vorstellung der comprecationes deum immortalium in den libri sacerdotum Anlaß für Ausführungen über die korrekte Aussprache des Namens der Mars begleitenden Göttin Nerio (NA 13,23,3-7. 15-17). Sprachlich-literarische Ausführungen werden aber auch mit Themen aus allen möglichen anderen Gebieten verbunden bzw. in verschiedenste Diskussionen eingeschoben: in NA 2,21 veranlaßt der Anblick des nächtlichen Sternenhimmels bei einer Schiffsreise Gellius und seine Freunde, Überlegungen über die Bedeutung und Entstehung des Ausdrucks septentriones anzustellen (NA 2,21,4-10); die angefügte Erklärung über den Namen Statius als Sklavennamen in NA 4,20,12-13 erhellt die vorausgehende schlagfertige Rechtfertigung eines herausgeputzten Ritters für sein ungepflegtes Pferd, für das sein Sklave die Verantwortung habe; in NA 12,1 ist der Besuch bei einer Wöchnerin und ihrem Mann für Favorinus Gelegenheit, die Bedeutung des Stillens auch unter Einbeziehung homerischer und vergilischer Verse (NA 12,1,20-21) herauszustellen; in NA 13,22 bietet die Zurechtweisung des Castricius, der seine Schüler an einem Feiertag wegen des Tragens von ungehörigen Schuhwerk tadelt, Gellius Anlaß, die Bezeichnungen verschiedener Fußbekleidungen (NA 13,22,4-8) zu erklären; in NA 19,10 ist das Gespräch Frontos mit einem Architekten und dessen Einschätzung der Kosten für den geplanten Bau seiner Bäder Ausgangspunkt für die Diskussion über das von letzterem verwendete Wort praeterpropter (NA 19,10,5-14). In NA 2,22 überwuchern die sprachlichen Erläuterungen des Favorinus zur Herkunft der Windnamen die knappen metereologischen Erklärungen (NA 2,22,3-6. 11-18); um die unterschiedlichen Ansichten über die reguläre Dauer einer Schwangerschaft zu belegen (NA 3,16,1), zieht Gellius außer den medizinischen Autoritäten (NA 3,16,7-9. 20) eine Fülle literarischer Quellen (NA 3,16,2-5. 22-23) und juristischer Fälle (NA 3,16,12. 21) heran, die ihn zum Teil weit vom Thema wegführen und zu anderen

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sprachlichen Erklärungen provozieren (NA 3,16,10-11. 12-19). Ganz im Hintergrund der Vorstellung der ins Lateinische übernommenen griechischen Zahlwörter hemiolios und epitritos bleibt das mathematische Thema der Bruchzahlen in NA 18,14,109 obwohl ihre Bedeutung für das Verständnis gewisser philosophischer Diskurse betont wird. Auch in NA 16,8 widmet Gellius mehr Aufmerksamkeit den lateinischen Bezeichnungen (proloquium / pronuntiatum) und Definitionen der verschiedenen Formen der wȸȳѡȶȫȽȫ (NA 16,8,4-14) als diesen Gegenständen der Dialektik selbst (NA 16,8,1-3), obgleich er die Beschäftigung mit ihnen verteidigt gegen den Vorwurf der Unattraktivität und Nutzlosigkeit (NA 16,8,15). In der Verknüpfung von grammatisch-rhetorischen Themen mit Gegenständen anderer Sach- und Fachgebiete spiegelt sich die Interdisziplinarität der artes. Die häufig sichtbar werdende feste Verbindung zwischen Sprach- und Rechtswissenschaft (z.B. in NA 4,3 und NA 4,4; NA 10,20; NA 13,10; NA 16,10,5-14)110 hängt damit zusammen, daß die Jurisprudenz ihrem Wesen nach immer Interpretations- bzw. Auslegungswissenschaft ist.111 Genauso eng verbunden mit der Sprachwissenschaft ist die Altertumsforschung (z.B. NA 2,10: über die fauisae Capitolinae; NA 16,16: über die Altäre der Prorsa und Postuerta), da verständlicherweise die Antiquiertheit ihrer Forschungsgegenstände mit dem Alter, manchmal auch mit der Veraltung der sie bezeichnenden Ausdrücke korrespondiert. Die genaue Kenntnis der Wortbedeutung zu eruieren, bemühen sich aber nicht nur Juristen und Antiquare, sie ist auch für den Philosophen unerläßlich, wie Favorinus in NA 4,1,9-12 einem ebenso arroganten wie ignoranten Grammatiker darlegt, dem er die allgemeine Definition des Menschen als eines vernunftbegabten sterblichen Lebewesens exemplarisch vorhält. Zu einem Vorwurf gegen Favorinus und die `Philosophenzunft@ umgemünzt wird das Bemühen der Philosophen um uerba auctoritatesque uerborum in NA 18,7,3 durch den verdientermaßen mit dem Epitheton Insanus titulierten gelehrten Grammatiker Domitius, wobei sich indes der _____________ 109 Vgl. RAWSON, Intellectual Life, 160-161 unter Bezug auf NA 10,1 und NA 3,14. 110 Vgl. ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 149-151. 111 Dies gilt auch für die moderne Rechtswissenschaft: vgl. K. LARENZ, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., Berlin / Heidelberg / New York u.a. 1995, 25-27 (,Jurisprudenz als verstehende Wissenschaft> B ,Verstehen durch Auslegen>). B Die Verbindung von Sprache und Recht bzw. von Grammatik und Jurisprudenz wird von Gellius besonders betont in NA 16,10,3-8. Die Stelle behandelt NÖRR, Pomponius, 555-556, der auch allgemein auf die Beliebtheit etymologischer Erklärungen bei den römischen Juristen (507-508) und die Kontakte zwischen juristischem und antiquarischem Schrifttum (504-506) verweist; noch einmal ausführlicher ders., Der Jurist im Kreis der Intellektuellen: Mitspieler oder Außenseiter ? (Gellius, Noctes Atticae 16.10); in: D. MEDICUS / H. H. SEILER (Hrsg.), Festschrift für M. KASER, München 1976, 57-90; vgl. auch BEALL, Civilis eruditio, 82.

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Kritiker durch sein Verhalten selbst desavouiert und Favorinus gerade ins Recht gesetzt wird. Sprachbeherrschung hat darüber hinaus fundamentale soziale und politische Bedeutung, denn sie dient als Ausweis der Zugehörigkeit zur lateinischen Sprachgemeinschaft und römischen Bürgergemeinschaft: quoniam ciuibus Romanis Latine loquentibus rem non uocabulo demonstrare non minus turpe est, quam hominem non suo nomine appellare (NA 4,1,18).112 Die Terminologie spielt auch in der Medizin eine wichtige Rolle, was Gellius z.B. in NA 18,10,5-11 an der Unterscheidung bzw. Definition von uena und arteria illustriert. Interdiziplinäre Anknüpfungen gibt es aber nicht nur bei der Sprachwissenschaft; auch zwischen anderen Fächern des gellianischen Bildungskompendiums bestehen solche Verbindungen, wie die auf Varros _Hebdomades= zurückgehende fächerübergreifende Behandlung des Themas der Siebenzahl in NA 3,10 zeigt, wo nebeneinander Astronomie (NA 3,10,2. 6), Astrologie (NA 3,10,3-6. 9), Biologie (NA 3,10,5) bzw. Medizin (NA 3,10,7-8. 10.12-15) und Mythologie (NA 3,10,11) berührt werden. In NA 2,28 wird die Beschreibung der religiösen Riten bzw. Gebetsformeln der Römer bei Erdbeben (NA 2,28,2-3) verknüpft mit der Nachricht über das naturwissenschaftlich bisher ungeklärte Entstehen von Erdbeben (NA 2,28,1), um abschließend Catos mangelndes Interesse an der Erforschung bzw. seine Unkenntnis der wahren Ursachen von Mond-und Sonnenfinsternissen (NA 2,28,4-6) anzumerken. Auf diese Weise wird wie in der Gesamtanlage der _Noctes Atticae> in der Komposition der einzelnen commentarii ein ganzheitliches Konzept von Bildung realisiert, das von einen inneren Zusammenhang der verschiedenen Fächer ausgeht, die gemeinsam die ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ konstituieren und garantieren. Zuerst hat diese Vorstellung im Lateinischen Cicero unter Verweis auf Platon, hinter dem sich in Wirklichkeit aber eine Anspielung auf eine Aussage in der pseudoplatonischen _Epinomis> verbirgt,113 zur Sprache gebracht bzw. ins Bild gesetzt: ... est etiam illa Plato_____________ 112 Vgl. S. M. BEALL, Civilis eruditio, 82-83. Zur soziokulturellen Bedeutung des richtigen Wortgebrauchs auch in der alltäglichen Rede äußert sich Gellius in NA 4,1,6: Sed hoc plane indigeo, quid sit ,penus> et qua fini id uocabulum dicatur, ne rem cotidiani usus, tamquam qui in uenalibus Latine loqui coeptant, alia quam oportet uoce appellem. (Tatsächlich handelt es sich bei penus um ein gänzlich prosaisches, beinahe umgangssprachliches Wort: vgl. ZWIERLEIN, Ovid- und Vergil-Revision, 131.) Dementsprechend läßt er sich in NA 16,5,1 kritisch vernehmen: Pleraque sunt uocabula, quibus uulgo utimur neque tamen liquido scimus, quid ea proprie atque uere significent, sed incompertam et uulgariam traditionem rei non exploratae secuti uidemur magis dicere, quod uolumus, quam dicimus: sicuti est _uestibulum> uerbum in sermonibus celebre atque obuium, non omnibus tamen, qui illo facile utuntur, satis spectatum. Vgl. auch S. 226-227. 113 Vgl. Epinomis 991 e 5 - 992 a 1: Ȯȯȼȶ°Ȼ ȭqȺ ąȯȿȾȴÅȻ ąȪvȽɂv ȽoѠȽɂv ȯ¯Ȼ wvȫȿȫvɄȼȯȽȫȳ ȮȳȫvooȾȶɃvoȳȻ. Dazu LEEMAN / PINKSTER/ WISSE, Kommentar zu Cic. de orat.

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nis uera et tibi, Catule, certe non inaudita uox, omnem doctrinam harum ingenuarum et humanarum artium uno quodam societatis uinculo contineri; ubi enim perspecta uis est rationis eius, qua causae rerum atque exitus cognoscuntur, mirus quidam omnium quasi consensus doctrinarum concentusque reperitur (de orat. 3,21). Eine Bestätigung dafür, daß diese Vorstellung, die nach dem Zeugnis des Diogenes Laertios auch Speusippos, der Nachfolger Platons als Schulhaupt der Akademie, propagierte (Diog. Laert. 4,2 = Speusippos frg. 70 TARÁN), zu Ciceros Zeit weiter verbreitet war, liefert Cic. Arch. 2: etenim omnes artes, quae ad humanitatem pertinent, habent quoddam commune uinclum et cognatione quadam inter se continentur. Aufgegriffen wird das Bild von dem unter Augustus schreibenden Vitruv in seiner Schrift ,De architectura>, die als Voraussetzung der erfolgreichen Tätigkeit des Architekten seine enzyklopädische Bildung hervorhebt: cum autem animaduerterint omnes disciplinas inter se coniunctionem rerum et communicationem habere, fieri posse faciliter credent; encyclios enim disciplina uti corpus unum ex his membris est composita (Vitr. 1,1,12).114 Auch wenn Quintilian die ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ als einen `be_____________ 3,21-22, Bd. 4,134-140 (Die Herkunft des ‚Ausspruchs Platons‘), hier 134: `Zwar ähnelt die Aussage auch einigen anderen Platonstellen (Rep. 522 C1-3; 531 C9-D4; 537 C1-3; Leg. 967 E2-3), aber die Übereinstimmung mit dem Satz aus der Epin. ist fast wörtlich. Daß Cicero das Werk Platon zuschrieb, ist dabei unproblematisch, weil die meisten antiken Autoren, die darauf verweisen oder es zitieren, es für echt hielten.A Vgl. auch L. TARÁN, Speusippos of Athens. A critical study with a collection of the related texts and commentary, Leiden 1981 [= Philosophia antiqua 39], 418-420 Kommentar zu frg. 70 (= Diog. Laert. 4,2). Zur philosophischen Grundlage und zu den Implikationen dieses unitarischen Konzeptes von Wissen bzw. Wissenschaft vgl. CERAMI, Il concetto di scienza nel II secolo, 184-192. 114 Dazu KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 11-12: `Die einzelnen disciplinae stehen also untereinander in einer engen gegenseitigen Verbindung und fügen sich wie die Teile eines Körpers zu einem organischen Ganzen, der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ, zusammen. Sie zu erlernen ist relativ leicht, da man bald überall die gleichen Merkmale und das Gemeinsame aller Wissenschaften erkennt. ... Die allen Disziplinen gemeinsamen notae sind also die allgemeinen theoretischen Prinzipien, deren Kenntnis und Beurteilung allen Gebildeten möglich ist. Demnach versteht Vitruv unter der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ die allgemeine, nicht-fachmännische Kenntnis verschiedener Wissensgebiete, die miteinander verbunden sind und sich zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfügen.“ Vgl. auch den Kommentar zu Vitr. 1,1,12 von PH. FLEURY (Éd.), Vitruve de l’architecture: Livre 1, Paris 1990, 93-94 mit weiteren Literaturhinweisen. – Daß diese umfassende enzyklopädische Bildung ihm selbst zuteil geworden ist, verdankt er, wie er bekennt, seinen Eltern: me arte erudiendum curauerunt et ea quae non potest esse probata sine litteratura encyclioque doctrinarum omnium disciplina. Cum ergo et parentium cura et praeceptorum doctrinis auctas haberem copias disciplinarum, philologis et philotechnis rebus commentariorumque scripturis me delectans, eas possessiones animo paraui e quibus haec est fructuum summa (Vitr. 6 praef. 4). Vgl. den Kommentar z.St. von L. CALLEBAT (Éd.), Vitruve de l’architecture: Livre 6, Paris 2004, 59-60.

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stimmten WissenskreisA auffaßt, kommt darin die Verbundenheit der verschiedenen Fächer zum Ausdruck, die vor Beginn des rhetorischen Fachstudiums zu erlernen sind.115 Mit diesen anderen römischen Vertetern des Konzeptes der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ besteht Übereinstimmung darin, daß Gellius ihr propädeutische Bedeutung zuspricht für die Bildung des ciuiliter eruditus, die sein erklärtes Programm darstellt (NA praef. 13). Daß die Römer, nach ihrem eigenen vom älteren Plinius ausgedrückten Selbstverständnis omnium utilitatium rapacissimi (Plin. NH 25,4), auch in ihrer wissenschaftlichen bzw. schriftstellerischen Tätigkeit immer den praktischen Nutzen, die utilitas iuuandi (Plin. NH praef. 16), im Blick hatten,116 offenbart insbesondere die von ihnen als `spezifisch römische LiteraturgattungA initiierte und kultivierte enzyklopädische Schriftstellerei.117 Ganz darauf ausgerichtet, den Bedürf_____________ 115 Vgl. Quint. inst. 1,10,1: de ceteris artibus quibus instituendos ... pueros existimo strictim subiungam, ut efficiatur orbis ille doctrinae, quem Graeci ˆȭȴѠȴȵȳov ąȫȳȮȯɅȫv uocant. 116 Nach dem von Cassiodor überlieferten Diktum Varros, des berühmten Autors der enzyklopädischen _Disciplinae>, sind alle artes auf Nutzen gegründet: sicut Varro dicit, utilitatis causa omnium artium exstitisse principia (Cassiod. inst. 2 praef. 4). B In Übereinstimmung damit bemißt Cicero nach dem usus ciuitatis den Wert der artes, wenn er Laelius zum Erlernen der Disziplinen auffordern läßt, die dem Gemeinwesen am meisten nützen: Tum Mucius _quid esse igitur censes Laeli discendum nobis ...> (Lael.:) _eas artis quae efficiant ut usui ciuitati simus; id enim esse praeclarissimum sapientiae munus maximumque uirtutis uel documentum uel officium puto. Quam ob rem ut hae feriae nobis ad utilissimos rei publicae sermones potissimum conferantur ...> (Cic. rep. 1,33). Vgl. auch rep. 1,30 (Laelius bzw. Aelius Sextus :) _... Quodsi studia Graecorum uos tanto opere delectant, sunt alia liberiora et transfusa latius, quae ad usum uitae uel ad ipsam rem publicam conferre possumus. Istae quidem artes, si modo aliquid, ualent, ut paulum acuant et tamquam inritent ingenia puerorum, quo facilius possint maiora discere.> 117 Vgl. KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 51; CHRISTES, Bildung und Gesellschaft, 171-172; ders., Der Gebildete im republikanischen Rom, 115 m. Anm. 17: `Die Literaturgattung der Enzyklopädie ist nicht zufällig eine römische Erfindung. In ihr fand sich Fachwissen komprimiert und leicht verfügbar gemacht. Angesichts solch hohen Nutzwertes widmeten sich führende Männer des öffentlichen Lebens wie Cato Censorius und M. Terentius Varro dieser Aufgabe und fanden dafür uneingeschränkte Anerkennung.A B Daß es genausowenig eine feste literarische Form wie einen festen Fächerkanon in der Literaturgeschichte der römischen Enzyklopädie gibt, betont indes K. SALLMANN (vgl. oben S. 339 Anm. 87). B Die von Gellius in NA 20,4,3 erwähnte nicht erhaltene Schrift ąȺoȬȵɄȶȫȽȫ ˆȭȴѠȴȵȳȫ (frg. 209 ROSE = frg. 711 GIGON), die vielleicht mit den von Gellius häufiger zitierten ȿȾȼȳȴq ąȺoȬȵɄȶȫȽȫ (frg. 214 ROSE = frg. 760 GIGON [= NA 19,5]; frg. 229 ROSE = frg. 757 GIGON [= NA 3,6]; frg. 243 ROSE = frg. 761 GIGON [= NA 19,6]; frg. 244 ROSE = frg. 755 GIGON [= NA 1,11]) identisch ist und Aristoteles zugeschrieben wird, aber wohl aus dem Lehrbetrieb des Peripatos hervorgegangen ist (vgl. V. ROSE [Ed.], Aristotelis qui ferebantur librorum fragmenta, Stuttgart 1867, p. 167,20-24), war ein enzyklopädisches Werk vermutlich im Stil der Schriften, die Gellius in seiner Praefatio charakteri-

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nissen und Anforderungen der im Dienst der sozialen und politischen Gesellschaft Engagierten zu dienen, ist die Enzyklopädie wesentlich charakterisiert durch ihren `utilitaristischen ZugA.118 Vor diesem Hintergrund stehen auch die Stellen der _Noctes Atticae>, in denen Gellius mit der Nützlichkeit argumentiert, um die verschiedenen commentarii als Beiträge zur Allgemeinbildung zu rechtfertigen.119 In dieser Weise beginnt er gleich in der Praefatio, sein Publikum für sein enzyklopädisches Kompendium einzunehmen: ... non oportet ea defugere quasi aut cognitu non utilia aut perceptu difficilia. Non enim fecimus altos nimis et obscuros in his rebus quaestionum sinus, sed primitias quasdam et quasi libamenta ingenuarum artium dedimus, quae uirum ciuiliter eruditum neque audisse umquam neque attigisse, si non inutile, at quidem certe indecorum est (NA praef. 13). Unter diesem Aspekt bewertet Gellius gegen Ende seines Werkes in NA 19,14,3 auch die enzyklopädische Schriftstellerei der als doctrinarum multiformium uariarumque artium columina vorgestellten Autoren des 1. Jh.s v. Chr. M. Terentius Varro und P. Nigidius Figulus, wobei er an letzterem, der sich vor allem als Naturforscher profiliert hat, aber auch durch antiquarische und grammatische Arbeiten hervorgetreten ist, mangelnde Rücksichtnahme auf die vom Leser erwartete Nützlichkeit kritisiert: Varronis quidem monumenta rerum ac disciplinarum, quae per litteras condidit, in propatulo frequentique usu feruntur, Nigidianae autem commentationes non proinde in uolgus exeunt, et obscuritas subtilitasque earum tamquam parum utilis derelicta est. _____________ siert (NA praef. 7 nennt er unter den Werktiteln, von denen er sich mit seinen _Noctes Atticae> absetzt, auch ąȺoȬȵɄȶȫȽȫ): Nam quia uariam et miscellam et quasi confusaneam doctrinam conquisiuerant, eo titulos quoque ad eam sententiam exquisitissimos indiderunt (NA praef. 5). 118 Vgl. CHRISTES, Bildung und Gesellschaft, 169-196 (,Utilitas und usus‘), bes. 170; ders., Der Gebildete im republikanischen Rom, 117. SALLMANN, Die Fachwissenschaften und die Ausbildung der spätantiken Enzyklopädie,197, stellt fest, daß die auf das `Ausbildungsziel freier StaatsbürgerA ausgerichtete spätantike Enzyklopädie `auf einem relativ breiten Fächerkanon aufbaue[n], der zwar auf die Fachwissenschaften angewiesen ist, aber doch nur praktisch verwertbares Grundwissen vermitteln will und soll.A 119 Vgl. z.B. NA 2,29,cap.-1: Apologus Aesopi Phrygis memoratu non inutilis: Aesopus ille e Phrygia fabulator haut immerito sapiens existimatus est, cum, quae utilia monitu suasuque erant, non seuere neque imperiose praecepit et censuit, ut philosophis mos est, sed festiuos delectabilesque apologos commentus res salubriter ac prospicienter animaduersas in mentes animosque hominum cum audiendi quadam inlecebra induit. Dementsprechend grenzt Gellius die bloße ąoȵȾȶȫȲɅȫ aus dem Bildungsspektrum der _Noctes Atticae> aus: cuimodi sint, quae speciem doctrinarum habeant, sed neque delectent neque utilia sint (NA 14,6,cap.; vgl. auch NA 14,6,5: ȽȫѠȽȱȻ ȽȻ ąoȵȾȶȫȲɅȫȻ et librum hunc opulentissimum ... nil prorsus ad nostras paupertinas litteras congruentem).

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5.3.2. Nutzen der Medizin Am stärksten verfängt das Nützlichkeitsargument – auch für den modernen Leser – bei der Medizin, die seit Cato in den Bereich der enzyklopädischen Bildung gehört. Im Anschluß an die Ausführungen des Tauros über die Differenzierung der Bezeichnungen arteria und uena gibt Gellius gleichsam programmatisch über die Medizin kund: ... existimaui non medico soli, sed omnibus quoque hominibus liberis liberaliterque institutis turpe esse ne ea quidem cognouisse ad notitiam corporis nostri pertinentia, quae non altius occultiusque remota sunt et quae natura nobis tuendae ualitudinis causa et in promptu esse et in propatulo uoluerit; ac propterea, quantum habui temporis subsiciui, medicinae quoque disciplinae libros attigi, quos arbitrabar esse idoneos ad docendum, et ex his cum alia pleraque ab isto humanitatis usu non aliena ... (NA 18,10,8). Diesem Grundsatz trägt Gellius auch tatsächlich in seinem Werk Rechnung, indem er Themen aus allen Bereichen der Medizin in die _Noctes Atticae> aufnimmt: Das Spektrum reicht von der Anatomie (Unterscheidung von Vene und Arterie in NA 18,10,5-7. 9-11; Nervenverlauf von der linken Hand zum Herzen mit ausdrücklichem Hinweis auf die von den Ägyptern praktizierte und von den Griechen Anatomie genannte Leichensezierung in NA 10,10,2) über physiologische Phänomene (Funktionsweise der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme in NA 17,11; Auslösen von Diarrhoe durch Schrecken, von Harnlassen durch Feuer in NA 19,4; Entstehen von Schamesröte und Schreckensbleiche in NA 19,6; die fünf Sinne der Menschen in NA 19,2; die der Philosophie, d.h. der Physik zugerechnete Frage, ob die Stimme des Menschen körperlich oder unkörperlich sei, in NA 5,15; Gesichtssinn des Menschen in NA 5,16), bis zu Themen der Diätetik und Pharmakologie (Appetitlosigkeit, Hunger und Fasten in NA 16,3; überflüssige und notwendige Nahrungsmittel in NA 6,16,4-7; Heilwirkung des Weines in NA 13,31,14 und Wirkung des Nieswurzes in NA 17,15;120 über das Blut pontischer Enten als Entgiftungsmittel in NA 17,16; Schädlichkeit des Trinkens von Schneewasser in NA 19,5,3-5.10) sowie der Gynäkologie (Schwangerschaft in NA 3,10,78; Stillen in NA 12,1). Die Themen umfassen das gesamte menschliche Leben vom Anfang bis zum Ende: Schwangerschaft(sdauer) in NA 3,10,78; NA 3,16; Geburt in NA 10,2 (Mehrlingsgeburt) und in NA 16,16 _____________ 120 Auf die abführende bzw. entgiftende Wirkung des Nieswurz, für dessen Anwendung in entsprechenden Kuren die Stadt Anticyra bekannt war, spielen auch an bzw. weisen auch hin Hor. sat. 2,3,82-83. 166. ars 300-302; Plin. NH 25,54. 56-61; Val. Max. 8,7, ext. 5; Cens. 15,3 (die letzten drei auch im Zusammenhang mit der KarneadesAnekdote).

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(schwere Geburt); Geschlechtsakt in NA 19,2,8;121 Todeszeitpunkt in NA 7,13,5-11; plötzlicher Tod durch unerwartete Freude in NA 3,15. Dabei treten bisweilen andere Aspekte in den Vordergrund, z.B. rechtliche Gesichtspunkte in NA 3,16,21-23 bei der Bemessung der Schwangerschaftsdauer und in NA 4,2 bei der definitorischen Abgrenzung von uitium und morbus. Auch geraten die medizinischen Themen nicht immer aus medizinischem Interesse oder medizinischer Perspektive in den Blick: so etwa bei der von Favorinus zur Übung des Scharfsinns unternommenen laus febris (quartana) in NA 17,12,2-5. Bei der Diskussion über die Bestimmung des Todeszeitpunkts, die nach Gellius= Bericht in NA 7,13,5-11 beim Symposion von Calvenos Tauros und seinen Gästen geführt worden ist, geht es mehr um eine Herausforderung der Logik bzw. Dialektik als um eine Definition der Medizin. Aber nicht nur die medizinische Wissenschaft, sondern auch die Praxis der Medizin hat in den ,Noctes Atticae>, wenngleich in geringerem Umfang, ihren Platz. So berichtet Gellius vom Besuch der Ärzte bei einem von Koliken und Fieberkrämpfen Geplagten im griechischen Lebadia (NA 12,5,3), von der Visite eines griechisch sprechenden Arztes bei einem an Appetitlosigkeit leidenden Patienten in Rom (NA 16,3,2) und von der Diagnose eines griechischen Arztes, als ihn selbst in Kephisia eine fiebrige Magen-Darmgrippe ereilt hat (NA 18,10,2-3). Auch Frontos Podagra (NA 2,26,1; NA 19,10,1122) findet Erwähnung, ebenso wie das vorgetäuschte Augenleiden eines sich als Literaturkenner aufspielenden und dabei durch einen Fauxpas blamierten nebulo (vgl. NA 13,31,10-12; vgl. auch den Hinweis auf die causatio ista aegri corporis in NA 20,1,30). Auf diese Weise werden die medizinischen Themen in die (fingierte) Realität des Autors eingebettet. Bezug zur Welt des Autors und des Lesers stellen auch die Szenen her, in denen Besuche bei Kranken geschildert werden: in NA 2,26 gibt Gellius die Gespräche zwischen Favorinus und Fronto über die griechischen und lateinischen Farbbezeichnun_____________ 121 Der in NA 19,2,8 unter Berufung auf Hippokrates (statt Demokrit, dem dieses Diktum gewöhnlich zugeschrieben wird: vgl. VS 68 B 32 [II6 153,4-7] DIELS / KRANZ) als pars quaedam morbi taeterrimi, d.h. als ȶȳȴȺq ˆąȳȵȱɁɅȫ, beschriebene coitus Venerius wird in NA 9,10 von Gellius bzw. von dem dort zitierten Dichter Annianus als poetisch geschilderter Vorgang besprochen, wobei er Bezug nimmt auf Vergils Verse über die Vereinigung von Venus und Mars (Verg. Aen. 8,404-406) und homerische Verse über die Liebesakte von Enipeus und Tyro bzw. Penelope und Odysseus (Hom. Od. 11,245-246. 23,296). 122 Frontos Anfälligkeit für Krankheiten ist durch seine eigenen Briefe bezeugt: vgl. die Zusammenstellung der Äußerungen in: M. Cornelii Frontonis Opera inedita cum Epistulis item ineditis Antonini Pii M. Aurelii L. Veri et Appiani, necnon aliorum fragmentis, ed. A. MAI, Frankfurt 21816, Commentarius praevius ' 11, p. XXV; SCHANZ / HOSIUS, 3,89 m. Anm. 2; auch K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 456, S. 281-282 (bes. T.6).

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gen wieder, deren Ohrenzeuge er geworden ist, als er Favorinus zu dem krank daniederliegenden Fronto begleitet hat (NA 2,26,1); in NA 18,10,3 berichtet Gellius, daß ihn während einer Erkrankung (Calvenos) Tauros mit einigen Anhängern besucht hat; in NA 12,1 macht Favorinus zusammen mit einigen seiner Schüler, unter ihnen Gellius, einen Besuch bei einem seiner Anhänger aus dem Senatorenstand, dessen Frau nach der Geburt eines Sohnes im Wochenbett liegt, und empfiehlt das Stillen des Kindes durch die junge Mutter.123 Offenbar eignen sich die Situationen gemeinsamer Besuche am Krankenbett besonders zur Belehrung, da in ihnen die praktische Anwendung und der Lebensbezug gleich vor Augen sind: denn als Tauros seine Reise nach Delphi unterbricht, um einem von schweren Koliken geplagten Stoiker einen Besuch abzustatten, begleiten ihn Gellius und andere Reisegefährten (NA 12,5,2); und noch einmal leistet Gellius dem Favorinus Gesellschaft bei dem Besuch eines gleichfalls anonym bleibenden Patienten (NA 16,3,2). Der Praxisbezug der Medizin wird also schon innerhalb des Werkes illustriert. Dieser praktische Nutzen war der Grund dafür, daß die Medizin, die von jeher als genuin griechische Disziplin galt (vgl. Plin. NH 29,13-14 = Cato Libri ad M. Filium frg. 1 JORDAN), bereits in die erste römische enzyklopädische Schrift, Catos (_Libri) ad M. filium>, neben Rhetorik und Landwirtschaft, vielleicht auch Kriegskunst und Jurisprudenz, Aufnahme fand.124 In der Enzyklopädie Varros, des `am tiefsten unter dem Einfluß der griechischen WissenschaftA stehenden Römers,125 hatte die Medizin neben den (später so genannten) septem artes und der Architektur ihren Platz. Aus der frühkaiserzeitlichen, in der Nachfolge Catos und Varros stehenden Enzyklopädie des Cornelius Celsus, der die Disziplinen Landwirtschaft, Medizin, Militärwissenschaft, Rhetorik, Philosophie und vielleicht auch Jurisprudenz behandelte, ist nur der Teil _De medicina> erhalten, so daß Celsus vor allem als medizinischer Autor bekannt ist.126 Obwohl die Zusammenstellung der Medizin mit den Fächern der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ nicht unumstritten war,127 knüpft _____________ 123 Vgl. auch oben S. 346. Die Ausführungen des Favorinus über das Stillen gibt Gellius wieder, wie er zum Schluß in NA 12,1,24 betont, communis utilitatis gratia. 124 Zu Catos Behandlung der Medizin bei gleichzeitiger Warnung vor den griechischen Ärzten in den _Libri ad M. Filium= und darüber hinaus vgl. KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 52-56, bes. 54; RAWSON, Roman Tradition, 430. 455. 476; W. SUERBAUM, HLL 1 (2002), ' 162 B 4 a; S. 385. 411 bes. Lit.51. 125 DAHLMANN, M. Terentius Varro, 1258. 126 Vgl. KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 56-58; K. SALLMANN, Cornelius Celsus; in: DNP 2 (1997) 1051-1052. 127 Vgl. KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 37 mit Hinweis u.a. auf Plut. mor. 122 c-d (= De san. praec. 1) und Cic. off. 1,150-151.

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Gellius an diese enzyklopädische Tradition an,128 wenn er zahlreiche commentarii über medizinische Themen in seinem Werk liefert. Die gellianischen Beiträge zur Medizin, der dem älteren Plinius zufolge bei den Römern lange vernachlässigten wissenschaftlichen Disziplin,129 offenbaren ihn als Nichtfachmann, der reges Interesse an dem damals aufblühenden Fach hat und offenbar auch informiert ist über den Stand der Wissenschaft,130 wie ihn sein (zeitweilig in Rom als Arzt und Philosoph tätiger) Zeitgenosse Galen erreicht und schriftlich festgehalten hat und auch andere Dokumente seiner Epoche bezeugen. Genauso läßt die Behandlung der von Cicero den propädeutischen artes an die Seite gestellten bzw. übergeordneten131 und erst bei Vitruv und Celsus unter den allgemeinbildenden artes etablierten Jurisprudenz,132 die Gellius allerdings ja auch professionell ausgeübt und, wenn auch vermutlich nur vorübergehend und nicht auf höchstem Niveau, betrieben hat (vgl. oben S. 308310),133 Bezüge zur Rechtskultur und -wissenschaft der Antoninenepoche erkennen. Die von Gellius gewährten Einblicke in diese genuin römische, in der römischen Welt seit dem 2. Jh. aufgrund der Bürokratisierung und Vereinheitlichung der Reichs- und Provinzialverwaltung systematisch weiterentwickelte Wissenschaft134 lassen das damals vorhandene Bedürfnis _____________ 128 Vgl. KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 65. 129 Plin. NH 25,4: Minus hoc quam par erat nostri celebrauere, omnium utilitatium et uirtutum rapacissimi, primusque et diu solus idem ille M. Cato, omnium bonarum artium magister, paucis dumtaxat attigit, boum etiam medicina non omissa. Post eum unus inlustrium temptauit Gaius Valgius eruditione spectatus inperfecto uolumine ad diuum Augustum, inchoata etiam praefatione religiosa, ut omnibus malis humanis illius potissimum principis semper mederetur maiestas. 130 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 301-305, bes. 302-303. B Im allgemeinen gilt jedoch, daß die Medizin wie auch die anderen gerade im 2. Jh. aufblühenden (Natur-)Wissenschaften Mathematik, Physik, Astronomie / Astrologie, Geographie `kaum Reflexe in der lateinischen WeltA zeitigten: vgl. K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 447, S. 262. 131 Ciceros aus persönlichen Interessen und Erfahrungen gespeiste Wertschätzung der Rechtswissenschaft erörtern genauer LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de orat. 1,6-20 (Vorbemerkungen), Bd. 1, 40-41; LEEMAN / PINKSTER/ NELSON, Kommentar zu Cic. de orat. 1,66-203 (Vorbemerkungen), Bd. 2, 22-29. 132 Vgl. KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 25-26. 84-85. 133 Vgl. LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 82 erklärt das besondere Interesse des Gellius an juristischen Fragen aus seiner biographischen Verbindung mit dem Gerichtswesen. 134 Die als spezifisch römischer Beitrag zur Ausbildung der Wissenschaften charakterisierte Jurisprudenz, die sich in republikanischer Zeit deutlich von den anderen Bildungsfächern abhob, näherte sich in der Kaiserzeit durch zunehmende Spezialisierung und Professionalisierung diesen an: vgl. CHRISTES, Bildung und Gesellschaft, 140-150. 231-233. B Zusammenfassende Darstellungen über die Entwicklung der Jurisprudenz im 2. Jh. liefern STEINMETZ, Untersuchungen, 292-294; D. LIEBS, HLL 4 (1997), ' 410, S. 83-86.

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nach Systematisierung erkennen.135 Auch wenn Gellius reichlich ältere, und nur in geringem Umfang aktuelle Rechtsliteratur und neuere Gesetzestexte in sein Werk einfließen läßt, ist er sich bewußt, daß das römische Recht entsprechend der ständigen Rechtsentwicklung sich bis zu seiner Zeit kontinuierlich und durchgreifend gewandelt hat (NA 20,1,22) und dem obsolet gewordenen Zwölftafelgesetz in der Gegenwart nur noch antiquarisches bzw. sprachlich-literarisches Interesse entgegengebracht wird (NA 20,1,53; vgl. auch NA 16,10,7-8).136 Denn im Rahmen der von Favorinus und dem Juristen Sextus Caecilius geführten Diskussion über das Zwölftafelgesetz hebt ein expliziter Hinweis dessen hohes Alter von 600 Jahren hervor, wobei die Angabe der von der Gründung Roms bis zur Gegenwart gemessenen Zeitspanne indirekt zugleich an das im Jahr 147/148 begangene neunhundertjährige Stadtjubiläum erinnert (NA 20,1,6; vgl. dazu oben S. 198 Anm. 26). 5.3.3. Sinn und Wert der Philosophie Gleich zweimal kurz hintereinander ruft Gellius in seinen _Noctes Atticae> (NA 5,15,9; NA 5,16,5) den auch von Cicero mehrfach zitierten (De orat. 2,156; rep. 1,30; Tusc. 2,1) dem Neoptolemos in den Mund gelegten Enniusvers ins Gedächtnis: philosophandum est paucis, nam omnino haud placet (Enn. scaen. 376 VAHLEN2 = trag. 95 JOCELYN).137 Unter Berufung _____________ 135 Insbesondere das Kapitel NA 14,2, in dem Gellius sich selbst als in einem Beziehungsgeflecht sozialer, ethischer und juristischer Normen agierenden Richter präsentiert, ist mit Gellius Suche nach praecepta generalia (NA 14,2,3) symptomatisch für das entstandene Erfordernis eines festen juristischen Regelwerks; vgl. NÖRR, L esperienza giuridica di Gellio, 43-44. 48-49. Aufschlußreich ist auch der Kommentar des Gellius zu der in Theophrasts Schrift über die Freundschaft behandelten Problematik der Pflichtenkollision zwischen Freundschaft und Rechtstreue in NA 1,3,29: Haec taliaque Theophrastus satis caute et sollicite et religiose cum discernendi magis disceptandique diligentia quam cum decernendi sententia atque fiducia scribsit, quoniam profecto causarum ac temporum uarietates discriminumque ac differentiarum tenuitates derectum atque perpetuum distinctumque in rebus singulis praeceptum, quod ego nos in prima tractatus istius parte desiderare dixeram, non capiunt. B Um Systematisierung und methodologische Erneuerung auf empirischer Grundlage ging es nicht nur in der Fortbildung der Jurisprudenz, sondern auch in der Entwicklung der übrigen Wissenschaften laut CERAMI, Il concetto di scienza nel II secolo, bes. 170. 178-180. 183-192. 201. 136 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 298-299; NÖRR, Pomponius, 555-556. 561-562. 137 Die indirekten ciceronischen Zitate weichen geringfügig voneinander und von der gellianischen Version ab. Die vollständigste Fassung bietet Cic. Tusc. 2,1: Neoptolemos quidem apud Ennium _philosophari sibi> ait _necesse esse, sed paucis, nam omnino haud placere>. In rep. 1,30 verweist Laelius darauf mit den Worten: magis eum philosophische Texte und Belehrungen unter die commentarii aus den verschiedenen propädeutischen Disziplinen mit aufgenommen und auf eine Ebene mit diesen gestellt (vgl. auch Cic. fin. 2,68). Dabei nimmt _____________

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risten Sextus Aelius Paetus Catus> delectabat Neoptolemus Ennii, qui se ait ,philosophari uelle, sed paucis; nam omnino haud placere>. In de orat. 2,156 beruft sich Antonius auf den Vers, um seine Haltung gegenüber der Philosophie zu verteidigen gegen den Vorwurf, daß er ihr beinahe den `Krieg erklärt habe“ : ,minime= inquit Antonius ,ac sic decreui philosophari potius, ut Neoptolemus apud Ennium: paucis, nam omnino haud placet ...> Den literaturgeschichtlichen Kontext der Auseinandersetzung mit der griechischen Kultur, in dem der viel zitierte Satz bei Cicero verwendet wird, beleuchtet ZINTZEN, Rezeption und Originalität, 29. Vgl. auch CHRISTES, Bildung und Gesellschaft, 185-186; ders., Der Gebildete im republikanischen Rom, 124 m. Anm. 54. Apuleius zitiert allerdings den Vers nicht wörtlich, sondern spielt nur darauf an: da igitur ueniam Platoni philosopho uersuum eius de amore, ne ego necesse habeam contra sententiam Neoptolemi Enniani pluribus philosophari (apol. 13,1). B Zu dieser Gemeinsamkeit und weiteren intertextuellen Beziehungen zwischen Apuleius und Gellius und den daraus möglichen Rückschlüssen auf das Verhältnis der beiden Autoren vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 22-26, hier bes. 25. Vgl. HADOT, Arts libéraux et philosophie, 270-276; RAWSON, Intellectual Life, 282. B Das um die Philosophie erweiterte Programm kennt anscheinend auch der um die Zeitenwende lebende griechische Historiker Nikolaos von Damaskus, der in seinem `IȮȳoȻ ȬɅoȻ (90 F 132,2,1 FGrHist JACOBY) davon berichtet, er habe ȭȺȫȶȶȫȽȫȽȳȴɄ, ·ȱȽoȺȳȴɄ und ȶoȾȼȳȴɄ, die mathematischen Disziplinen und Philosophie betrieben; vgl. METTE, ȖȔțȤțȜIȠȢ ȡȒIȕȖIȒ, [305] 38. Philosophie ist den Römern Inbegriff griechischer Bildung und Wissenschaft: vgl. z.B. Cic. Tusc. 1,1. 2,4. – Trotz Ciceros großer Leistung, die griechische Philosophie auch in der lateinischen Sprache heimisch gemacht zu haben (vgl. ZIMMERMANN, Cicero und die Griechen, 244-248), ist auch noch im 1. und 2. Jh. n. Chr. die Philosophie eine primär griechische Disziplin; vgl. FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 209. Den Disziplinen der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ bzw. den artes liberales wird in den verschiedenen philosophischen Schulen, in der stoischen und peripatetischen genauso wie in der platonischen, eine propädeutische Funktion für die ihnen übergeordnete Philosophie zugewiesen; vgl. HADOT, Arts libéraux, 273. 275; STÜCKELBERGER, Senecas 88. Brief, 60-68. Vgl. auch KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 26-31, bes. 26-27. 34-35; MARROU, Geschichte der Erziehung, 389-396.

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die Dialektik insofern eine Mittelstellung zwischen der höheren Fachbildung und den allgemeinbildenden Fächern ein, als sie einerseits ein Teilgebiet der Philosophie ist, andererseits, später auch oft unter deren Namen firmierend, eingereiht wird in die enzyklopädischen Disziplinen.142 Insbesondere durch diese Rolle der Dialektik sowie überhaupt durch die in dem ordo rerum fortuitus (NA praef. 2) der ,Noctes Atticae> aufgelöste Hierarchie der Bildungsdisziplinen wird auch das Konkurrenzverhältnis aufgehoben oder zumindest entschärft, das zwischen der Bildungsmacht Philosophie und der mit ihr von altersher um die Vorherrschaft in der Jugenderziehung rivalisierenden Rhetorik besteht.143 Die im isokrateischen Bildungskonzept hergestellte Gleichberechtigung von Rhetorik und Philosophie wird also in den ,Noctes Atticae> in gewisser Weise verwirklicht, obwohl sich die Rhetorik stärker in den Vordergrund drängt und auch philosophische Themen überlagert (vgl. oben Kapitel 5.3.1, S. 341351). So geht es z.B. in der Diskussion zwischen Fronto und Favorinus, in der die Windrose beschrieben wird (NA 2,22), nur am Rande um die der antiken Philosophie als Teilgebiet zugehörige Meteorologie bzw. Physik (NA 2,22,3-4. 30-31)144 und hauptsächlich um die Erklärung der korrek_____________ 142 Vgl. KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 34-35. 41 m. Anm. 3 (über die bei Galen, Philostrat und Victorinus durchgeführte Einteilung der Bildungsdisziplinen): `Der Obergruppe gehören also die üblichen sieben ˆȭȴѠȴȵȳȫ ȶȫȲɄȶȫȽȫ an, wobei an Stelle der Dialektik stets die gesamte Philosophie genannt wird. (Anm. 3) Diese Klassifizierung der ȽɃɀvȫȳ hat zweifellos auch viel dazu beigetragen, daß unter den Fächern der ˆȭȴѠȴȵȳoȻ ąȫȳȮȯɅȫ so oft die Philosophie erscheint und dafür die Dialektik (als Teil der Philosophie) unerwähnt bleibt.A 143 Vgl. MARROU, Geschichte der Erziehung, 396-400; H. VON ARNIM, Leben und Werke des Dio von Prusa, Berlin 1898, Ndr. Hildesheim 2004, 1-114 (Einleitung: ,Sophistik, Rhetorik, Philosophie in ihrem Kampf um die Jugendbildung>); KASULKE, Fronto, Marc Aurel, 21-48 (Darstellung der Genese und der Geschichte des Konflikts zwischen Rhetorik und Philosophie). B Damit scheint das von Gellius realisierte Bildungskonzept das Ergebnis zu bestätigen, zu dem KASULKE in seiner Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Rhetoriklehrer und Prinzenerzieher Fronto und dem späteren Kaiser Marc Aurel gelangt ist, nämlich daß im 2. Jh. der Konflikt zwischen den Bildungsmächten nicht mehr besteht, sondern vielmehr eine Annäherung und Vermischung von Rhetorik und Philosophie stattgefunden hat, so daß sie `untrennbar miteinander verflochten und zu gleichen Teilen Element wie Träger der literarischen Kultur ihrer ZeitA sind; vgl. KASULKE, Fronto, Marc Aurel, 9-19, 383-386, hier 385386, auch 12. 14 (zur Ununterscheidbarkeit von Philosophen und Rhetoren bzw. zur Verkörperung der Konvergenz von Rhetorik und Philosophie in Gestalten wie Dion von Prusa, Favorinus und Apuleius). 144 Die Winde werden seit Aristoteles in dem naturphilosophischen Kontext der Meteorologie behandelt; nach Theophrast hat auch der vor allem als Naturforscher hervorgetretene römische Autor Nigidius Figulus eine mehrere Bücher umfassende Schrift _De uentis> verfaßt, und auch Varro, Seneca (nat. 5,16-17) und Vitruv (Vitr. 1,6) haben sich mit dem Thema beschäftigt. Vgl. RAWSON, Intellectual Life, 288-289.

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ten sprachlichen Bezeichnungen im Griechischen und Lateinischen. Die Dominanz der Rhetorik bleibt also letztlich trotz gegenläufiger Tendenzen, der Philosophie ausreichend Raum und Geltung zu verschaffen, bestehen.145 Deshalb warnt mit gewissem Recht der Philosoph Tauros in NA 1,9,10 und in NA 17,20,4-6 davor, die Platonlektüre weniger aus Interesse am philosophischen Inhalt als zur sprachlich-stilistischen Schulung zu betreiben.146 In NA 17,20,6 richtet sich die Warnung des Philosophen Tauros: _Ad ipsa enim Platonis penetralia ipsarumque rerum pergendum est, non ad uocularum eius amoenitatem nec ad uerborum uenustates deuersitandum>, sogar an den als rhetoriscus titulierten jungen Gellius selbst, der, von Tauros zuvor auf die stilistische Eleganz der Pausaniasrede im _Symposion> aufmerksam gemacht, sich gleich über dessen admonitio hinwegsetzt und anspornen läßt zur lateinischen Übersetzung der diskutierten Textpassage. Noch deutlicher ist die Abgrenzung im vorausgehenden commentarius: äußerst heftig und drastisch distanziert sich dort der zunächst von Favorinus wiedergegebene (NA 17,19,1), dann auch selbst in griechischer Sprache und in lateinischer Paraphrase zu Wort kommende Epiktet (diss. frg. 10 SCHENKL) von einem moralisch und intellektuell unzureichend qualifizierten Philosophie-Adepten: ,Nam cum> inquit ,animaduerterat hominem pudore amisso, inportuna industria, corruptis moribus, audacem, confidentem, linguam ceteraque omnia praeterquam animum procurantem, istiusmodi> inquit ,hominem cum uiderat studia quoque et disciplinas philosophiae contrectare et physica adire et meditari dialectica multaque id genus theoremata aucupari sciscitarique, inclamabat deum atque hominum fidem ac plerumque inter clamandum his eum uerbis increpabat: `ȒvȲȺɂąȯ, ąoº ȬȪȵȵȯȳȻ; ȼȴɃɁȫȳ, ȯ¨ ȴȯȴȪȲȫȺȽȫȳ Ƚ° wȭȭȯ¥ov˜ yv ȭqȺ ȯ¨Ȼ ȽŽv o©ȱȼȳv ȫ½Ƚq ȬȪȵȵȻ, wąѡȵȯȽo˜ –v ȼȫą“, oÀȺov – ²ȸoȻ ȭɃvoȳȽo – ȯ© Ƚȳ ȽoѠȽɂv ɀȯ¥Ⱥov.> Nil profecto his uerbis grauius, nil uerius, quibus declarabat maximus philosophorum litteras atque doctrinas philosophiae, cum in hominem falsum atque degenerem tamquam in uas spucrum atque pollutum influ_____________ 145 Auch wenn Gellius nicht so offen eine Lanze für die Rhetorik gegen die Philosophie bricht, wie seine Zeitgenossen Fronto oder Aelius Aristides es tun, ist doch aus mehreren Kapiteln, in denen die Auseinandersetzung von Rhetorik und Philosophie konkrete Gestalt annimt (NA 2,5; NA 3,13; NA 3,17), ersichtlich, daß er auf Seiten der Rhetorik steht; vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 261-262. 146 In NA 1,9,10 gipfeln die Auslassungen des Philosophen Calvenos Tauros gegen diejenigen, die ohne ausreichende Kenntnisse und Vorbildung in anderen Disziplinen (wȲȯѡȺȱȽoȳ, xȶouȼoȳ, wȭȯɂȶɃȽȺȱȽoȳ) sich der Philosophie widmen und dabei noch anmaßend die Lehrmethoden und -stoffe sowie Reihenfolge ihrer philosophischen Unterweisung bestimmen wollen (NA 1,9,8-10) in dem Vorwurf: ,Est etiam ... pro Iuppiter! qui Platonem legere postulet non uitae ornandae, sed linguae orationisque comendae gratia, nec ut modestior fiat, sed ut lepidior.>

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xissent, uerti, mutari, corrumpi, et, quod ipse ȴȾvȳȴѡȽȯȺov ait, urinam fieri aut si quid est urina spurcius (NA 17,19,3-4). Der alte Widerstreit zwischen Philosophie und Rhetorik spiegelt sich aber nicht nur darin wider, daß die Philosophie gegen bloß sprach- und literaturwissenschaftlich Interessierte abgegrenzt wird, sondern auch darin, daß die Grammatiker aus ihrer Disziplin die Philosophen ausschließen. In diesem Sinn entgegnet der als homo doctus celeber in urbe Roma vorgestellte Grammatiker Domitius Insanus auf eine die Grammatik betreffende Frage des Philosophen Favorinus ebenso selbstbewußt wie aufbrausend: Ego enim grammaticus uitae iam atque morum disciplinas quaero, uos philosophi mera estis, ut M. Cato ait _mortualia>; glossaria namque colligitis et lexidia, res taetras et inanes et friuolas tamquam mulierum uoces praeficarum (NA 18,7,3). Während sich hier der Grammatiker durch die Unangemessenheit seiner Kritik, in der die fachliche Ausrichtung der Disziplinen geradezu ihrer üblichen Zuständigkeit entgegengesetzt beschrieben wird, und durch sein aufbrausendes Verhalten ins Unrecht setzt, wobei ihn der als Philosoph angegriffene Favorinus wegen seiner ȶȯȵȫȭɀoȵɅȫ sogar noch in Schutz nimmt (NA 18,7,4),147 erscheinen die nicht nur von Grammatikern geführten Angriffe gegen die Pseudophilosophen als durchaus berechtigt. Sie werden ihres Scheinwissens überführt und verdientermaßen aus der Gemeinschaft der Gebildeten ausgeschlossen (vgl. unten S. 378-385). So wird in NA 1,2 ein adulescens philosophiae sectator, disciplinae, ut ipse dicebat, Stoicae, sed loquacior inpendio et promptior (NA 1,2,3) von Herodes Atticus als ein mit philosophischem Wissen protzender Schwätzer (NA 1,2,6), mit einem besonderen Hang zu den von den Stoikern bevorzugt behandelten artifiziellen dialektischen Fangfragen und Scheinproblemen (NA 1,2,4)148 und ganz ohne die Haltung des echten Philosophen (NA 1,2,7), bloßgestellt; in NA 9,2 demaskiert derselbe Herodes Atticus einen im Habitus der Kyniker auftretenden Bettelphilosophen als Scharlatan, der den Namen der Philosophie für sein Gehabe mißbraucht. Gegen die Geschwätzigkeit und die Unaufrichtigkeit der Möchtegernphilosophen sowie die Nutzlosigkeit ihrer Beschäftigung zieht allgemein Macedo, ein _____________ 147 P.L. SCHMIDT, HLL 4 (1997), ' 432, S. 220 erkennt in der Beschimpfung der sprachlich interessierten Philosophen eine `Beschreibung des grammatischen Betriebes, der in der Tat jetzt mehr als auf die res auf die uerba und ihre belegbare Autorität ausgerichtet war, auch mit den Glossarien und Lexika als Quintessenz solcher Kultur des Einzelwortes.@ 148 Die Stoa hatte eine besondere Affinität zu den Themen und Fragestellungen der Dialektik, in deren Rahmen auch die stoische Sprachtheorie entwickelt wurde und die Beschäftigung mit der Grammatik stattfand: vgl. COLISH, The Stoic Tradition, Bd.1, 50- 60; D. BLANK / C. ATHERTON, The Stoic Contribution to Traditional Grammar; in: B. INWOOD (Ed.), The Cambridge Companion to the Stoics, Cambridge 2003, 310-327, hier 314-316.

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Freund des Gellius und selbst Philosoph, unter Berufung auf Pacuvius zu Felde, nachdem Gellius selbst zuvor (NA 13,8,2-4) die wahren Philosophen als nicht nur durch Buchweisheit und Belehrung, sondern auch durch Lebenserfahrung gereifte Persönlichkeiten charakterisiert hat:149 Item uersus est in eandem ferme sententiam Pacuuii, quem Macedo philosophus, uir bonus, familiaris meus, scribi debere censebat pro foribus omnium templorum: ego odi homines ignaua opera et philosopha sententia. Nihil enim fieri posse indignius neque intolerantius dicebat, quam quod homines ignaui ac desides operti barba et pallio mores et emolumenta philosophiae in linguae uerborumque artes conuerterent et uitia facundissime accusarent intercutibus ipsi uitiis madentes (NA 13,8,4-5). Ganz ähnlich lautet Gellius’ eigener Kommentar zu Catos autobiographischen Äußerungen über seine Bedürfnislosigkeit, in dem er die mera ueritas dieses Erzrömers und die bloßen Lippenbekenntnisse der griechischen Pseudophilosophen miteinander kontrastiert: ... plus hercle promouet ad exhortandam parsimoniam sustinendamque inopiam quam Graecae istorum praestigiae philosophari sese dicentium umbrasque uerborum inanes fingentium, qui se nihil habere et nihil tamen egere ac nihil cupere dicunt, cum et habendo et egendo et cupiendo ardeant (NA 13,24,2). Dafür, daß die wahre Philosophie vor den Pseudophilosophen in Acht zu nehmen ist, beansprucht Gellius auch Platon als Kronzeugen, indem er auf die wörtlich zitierte Rede des Kallikles aus Gorg. 484 c 5 - e 3. 485 a 3 - e 2 rekurriert (NA 10,22, bes. 1-2. 24). Bei aller Abgrenzung gegen die falschen Philosophen und ihr Scheinwissen gibt es jedoch auch eine stattliche Zahl von `wahren PhilosophenA der Gegenwart und Vergangenheit, die in den _Noctes Atticae> auftreten und zu Wort kommen bzw. deren Lehre in Umrissen oder Verhalten in typischen Situationen dargestellt wird. Als berühmte Philosophen länger oder kürzer zurückliegender Zeiten erscheinen in den _Noctes Atticae> z.B.: Pythagoras (NA 1,1; NA 1,9,1-7. 11-12; NA 4,11; NA 17,21,6), Demokrit (NA 4,13,3; NA 5,3,4 [-6]: Democritus ... homo ante alios uirtutis et philosophiae gratia uenerandus; NA 5,15,8; NA 10,12; NA 10,17; NA 17,21,18), Sokrates (NA 1,17; NA 2,1; NA 2,18; NA 8,11; NA 12,9,6; NA 14,3,5-6 u.ö.), Platon (NA 2,18,1; NA 3,13; NA 3,17; NA 7,14; NA 10,22,1: Plato ueritatis homo amicissimus eiusque _____________ 149 NA 13,8,1-2: Eximie hoc atque uerissime Afranius poeta de gignenda conparandaque sapientia opinatus est, quod eam filiam esse Usus et Memoriae dixit. Eo namque argumento demonstrat, qui sapiens rerum esse humanarum uelit, non libris solis neque disciplinis rhetoricis dialecticisque opus esse, sed oportere eum uersari quoque exercerique in rebus comminus noscendis periclitandisque eaque omnia acta et euenta firmiter meminisse et proinde sapere atque consulere ex his, quae pericula ipsa rerum docuerint, non quae libri tantum aut magistri per quasdam inanitates uerborum et imaginum tamquam in mimo aut in somnio deblaterauerint.

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omnibus exhibendae promptissimus; NA 14,3; NA 15,2; NA 17,11; NA 17,20; NA 17,21,28; NA 18,2,8 u.ö.), Aristoteles (NA 3,16,6; NA 6,6; NA 9,3; NA 13,5; NA 13,7,6; NA 15,26; NA 19,2,5; NA 19,5 [3.10: Aristotelis philosophi rei omnis humanae peritissimi ... placuit honorem doctissimo uiro haberi Aristoteli]; NA 20,4; NA 20,5 u.ö.), die Stoiker Zenon (NA 2,18,8; NA 17,15,1), Chrysipp (NA 1,2,10; NA 7,2,1: Chrysippus Stoicae princeps philosophiae; NA 19,1,14) und Panaitios (NA 12,5,10: Panaetii grauis atque docti uiri; NA 17,21,1) sowie Musonius Rufus (NA 5,1; NA 9,2,8; NA 16,1) und Epiktet (NA 1,2,cap. 6: Epictetus Stoicorum maximus; NA 2,18,10; NA 15,11,5; NA 19,1,14. 21: Stoicorum maximus), die Teilnehmer der Philosophengesandtschaft des Jahres 155 v. Chr. (NA 6,14,9; NA 17,21,48): der Akademiker Karneades (NA 6,14,9; NA 17,15,1; NA 17,21,1. 48), der Stoiker Diogenes (NA 6,14,9; NA 17,21,48), der Peripatetiker Kritolaos (NA 6,14,9; NA 9,5,6; NA 17,21,48), Theophrast (NA 1,3,10; NA 2,18,8; NA 13,5,11-12: e Lesbo Theophrastus, suauitate homo insigni linguae pariter atque uitae) und Sotion (1,8,1) als Peripatetiker, Epikur (NA 2,6,12; NA 2,8; NA 2,9; NA 2,18,8; NA 5,15,8; NA 9,5; NA 17,21,38), die Kyniker Menippos (NA 2,18,7) und Diogenes (NA 1,2,10; NA 2,18,9). Unter den zeitgenössischen Philosophen, denen Gellius in seinem Werk sozusagen ein Denkmal setzt, ragen hervor sein (in 15 Kapiteln namentlich erwähnter) Lehrer Calvenos Tauros, der Mittelplatoniker, und Favorinus von Arles (mit 101 namentlichen Nennungen in 34 Kapiteln auch zahlenmäßig die Hauptfigur der ,Noctes Atticae>), der als Philosoph der skeptischen Akademie anhängt.150 Die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der genannten Repräsentanten zeigt, daß die Philosophie im Werk des Gellius beachtlichen Raum einnimmt und unter den berücksichtigten Disziplinen eine herausragende Stellung hat.151 Und so kommt neben der oben behandelten traditionell römischen Warnung vor übermäßiger Beschäftigung mit der Philosophie (S. 356_____________ 150 Zu den beiden philosophischen Protagonisten der _Noctes Atticae> und ihrer nur modellhaften Darstellung vgl. oben S. 163-165. S. 251-252. S. 257-271. Ansonsten unbekannt ist Macedo, der Freund des Gellius, den er als philosophus vorstellt (NA 13,8,4); vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius, 154 m. Anm. 51. B Oft werden Philosophen auch anonym nur unter Angabe ihrer philosophischen secta (NA 19,1,3; NA 20,1,9) in den commentarii vorgestellt. So treten als Vertreter ihrer Schule ein Peripateticus (NA 18,1,1: Peripateticae disciplinae sectator; NA 19,5,2: uir bonus ex peripatetica disciplina bene doctus et Aristotelis unice studiosissimus) und ein Stoicus (NA 18,1,1; NA 19,12) auf und verkünden ihrer jeweiligen Herkunft konforme Grundsätze, die von einem anderen Standpunkt kritisiert und widerlegt werden. 151 Die Bedeutung der Philosophie in den ,Noctes Atticae> ist eingehender untersucht worden u.a. von ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 83-118; GASSNER, Philosophie und Moral, 197-235; HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 260-285; MICHEL, Rhétorique et philosophie, 39-49.

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357) auch der durch eine Euklid-Anekdote gestützte Protreptikos des Griechen Tauros zur Geltung und findet im Werk Beachtung: philosophus Taurus, uir memoria nostra in disciplina Platonica celebratus, cum aliis bonis salubribusque exemplis hortabatur ad philosophiam capessendam, tum uel maxime ista re iuuenum animos expergebat, Euclidem quam dicebat Socraticum factitauisse (NA 7,10,1). Die hohe Wertschätzung, die die Philosophie in den _Noctes Atticae> genießt, läßt Gellius denselben an anderer Stelle zum Ausdruck bringen, wo Tauros betont, daß die philosophische Unterweisung bei ihren Studenten gründliche wissenschaftliche Vorbildung voraussetze (NA 1,9,8-9). In der langen Reihe der aufgeführten Repräsentanten spiegelt sich das weite Spektrum der philosophischen Themen und Gebiete wider, die in den _Noctes Atticae> behandelt werden. Die Beiträge stammen aus allen Bereichen der Philosophie. Mit unterschiedlicher Gewichtung werden Dialektik, Physik und Ethik berücksichtigt. Am schwächsten vertreten ist die in Gellius= primär rhetorisch-literarischem Kulturkonzept nachrangige Physik.152 Dafür mag ein äußerer Grund sein, daß die Behandlung naturwissenschaftlicher Probleme auf dieselben Publikumsinteressen zielt, die vor nicht sehr lang zurückliegender Zeit die naturwissenschaftliche Enzyklopädie des Plinius so umfassend und tiefgehend befriedigt hat. Aber auch metaphysische Fragen, die innerhalb der antiken Philosophie der Physik zugerechnet wurden, werden nur in geringem Umfang behandelt: lediglich die beiden aufeinanderfolgenden Kapitel NA 7,1 und NA 7,2 befassen sich mit den Begriffen Vorsehung (ąȺџvoȳȫ) und Schicksal (ȯ¬ȶȫȺȶɃvȱ) im Rahmen der stoischen Lehre.153 Nicht von ungefähr findet dagegen die Dialektik bzw. Logik mehr Beachtung. Denn sie paßt mit ihrer tradierten Mittelstellung zwischen Rhe_____________ 152 Fragen der Physik (vgl. oben S. 335. S. 352. S. 355 Anm. 130. S. 358) im heutigen Sinne behandeln z.B. NA 17,8,9-16 (Gefrierverhalten von Öl und anderen Flüssigkeiten) und NA 19,5,6-9 (Gefrierverhalten von Wasser). Weitere naturwissenschaftliche Themen stammen aus den Gebieten Mechanik: NA 10,12,9-10 (hölzerne Taube des Archytas), NA 5,3 (Protagoras’ Technik, Holz zu schichten und zu tragen); Meteorologie: NA 2,22,3-4. 30-31 (Entstehung und Verteilung der Winde), NA 2,30 (Wirkung der Winde auf das Meer); Optik: NA 5,16 (Funktionsweise der Sehkraft); Akustik: NA 5,15 (Frage, ob die Stimme ein Körper ist oder nicht); Geologie: NA 2,28,1 (Ursachen von Erdbeben). Astronomie bzw. Astrologie werden in dem enzyklopädischen Konzept den artes zugerechnet (vgl. dazu oben S. 334. S. 348) und sind vielleicht deshalb von Gellius verhältnismäßig stark berücksichtigt worden: z.B. NA 2,21 (Sternbild des Großen Wagen); NA 3,10,2-4. 6 (Pleiaden, Planeten, sieben Himmelskreise, Mondumlauf); NA 14,1 (Favorinus’ Diskurs gegen die Chaldäer); NA 20,8 (Einfluß des Mondes auf Tiere und Pflanzen). 153 Ausführlicher kommentiert die beiden Gellius-Kapitel und ihren philosophiegeschichtlichen Hintergrund GASSNER, Philosophie und Moral bei Gellius, 207-209.

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torik und Philosophie154 genau in das von den beiden Bildungsmächten bestimmten kulturelle Spannungsfeld, in dem die _Noctes Atticae> stehen.155 Daß Favorinus, zugleich Philosoph und Rhetor, neben seiner Beschäftigung mit philosophischen Problemen nicht nur in sprachlichen Fragen seine Kompetenz beweist (NA 4,1,10-19), sondern sein ingenium auch darin übt, xȮoȸoȳ ÁąoȲɃȼȯȳȻ, d.h. unrühmliche Themen, wie z.B. eine laus Thersitae oder eine laus febris quartanae (NA 17,12,1-2)156 zu behandeln, macht ihn zu einem idealtypischen Protagonisten dieser Bildungskultur. Die Dialektik dient einerseits zur gesellschaftlichen Unterhaltung (z.B. in NA 7,13; NA 18,13,5-8: Beispiele für Trugschlüsse, sog. sophismata bzw. captiones), andererseits ist sie durchaus Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung157 z.B. in NA 5,10 und NA 5,11 (Beispiele für ein wirkliches und ein vermeintliches wvȽȳȼȽȺɃȿov bzw. reciprocum argumentum), NA 9,16,5 (Beispiel eines für eine controuersia taugenden wvȽȳȼȽȺɃȿov), NA 11,12 (Zweideutigkeit der Wörter in der Kommunikation), NA 15,26 (Aristotelische Definition des Syllogismus), NA 16,2 (dialektische Argumentationsmethode), NA 16,8 (Bedeutung von wȸȳѡȶȫȽȫ), NA 1,4 und NA 17,5 (Untersuchung der Argumentationsstruktur in verschiedenen Werken Ciceros), NA 12,6 (Vorlage einer Rätselfrage). Daher wird sie denn auch von Gellius gegen den Einwand, schwierig und nutzlos zu sein,158 schon kurz in NA praef. 13 und ausführlich in NA 16,8,15-16 verteidigt und, im richtigen Maß betrieben, als intellektuelles Vergnügen empfohlen: sed hoc iam breue ex dialectica libamentum dedisse nunc satis erit, atque id solum addendum admonendumque est, quod huius disciplinae studium atque cognitio in principiis quidem taetra _____________ 154 Vgl. KÜHNERT, Allgemeinbildung und Fachbildung, 34-35. 155 Vgl. MICHEL, Rhétorique et philosophie, 39-49, hier 39: `Les _Nuits Attiques= d’ Aulu-Gelle ... constituent en effet ... une sorte de la culture de leur temps ... la culture se trouve lié de manière fondamentale aux rapports de la rhétorique et de la philosophie.@ 156 Diese nur kurz vorgestellten Themen (vgl. AMATO [Éd.], Favorinos d’ Arles, 51 über F 28 und F 29 AMATO) entsprechen im Typus den Scherzlobreden Frontos _Laudes fumi et pulueris= (p. 215,1-217,21 v.d.H.2) und _Laudes neglegentiae‘ (p. 218,1-220,3 v.d.H.2). 157 Darauf weist Tauros in NA 7,13,7 hin, als im Rahmen eines Symposions die Definition des Todeszeitpunktes versucht wird: quaesitum est, quando moriens moreretur: cum iam in morte esset, an cum etiamtum in uita foret ? ... sed ea omnia cum captiones esse quidam futtiles atque inanes dicerent, _nolite> inquit Taurus _haec quasi nugarum aliquem ludum aspernari. Grauissimi philosophorum super hac re serio quaesiuerunt ...> (NA 7,13,5. 7). 158 Daß die Dialektik traditionell auch wissenschaftstheoretisch von Bedeutung war, indem sie das logische und methodologische Fundament der verschiedenen Disziplinen lieferte, stellt heraus CERAMI, Il concetto di scienza, 186-188.

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et aspernabilis insuauisque esse et inutilis uideri solet, sed, ubi aliquantum processeris, tum denique et emolumentum eius in animo tuo dilucebit, et sequetur quaedam discendi uoluptas insatiabilis, cui sane nisi modum feceris, periculum non mediocre erit, ne, ut plerique alii, tu quoque in illis dialecticae gyris atque maeandris tamquam apud Sirenios scopulos consenescas. Doch das philosophische Hauptgebiet ist in den _Noctes Atticae> deren didaktisch-pädagogischen Zielen entsprechend die Ethik, wobei diese von Gellius weitgehend auf die Rolle einer sozialen und zivilen Moral beschränkt wird.159 Dennoch beruft er sich für die Konzentration auf Fragen der Ethik und Moral programmatisch auf Sokrates (NA 14,3,5-6; NA 14,6,5) und dessen Orientierung an dem Vers aus der _Odyssee>: µȽȽȳ Ƚoȳ ˆv ȶȯȭȪȺoȳȼȳ ȴȫȴџv Ƚ] wȭȫȲџv Ƚȯ ȽɃȽȾȴȽȫȳ [`alles, was Böses und Gutes dir geschehen ist im PalastA] (Hom. Od. 4,392).160 Sokrates, der noch für andere ethische Grundsätze als Gewährsmann herbeigezogen wird (NA 12,9,6; NA 19,2,7), ist auch im übrigen als der Philosoph ȴȫȽ] ˆȸoɀɄv dargestellt,161 da wie bei kaum einem anderen sein Leben in patientia und temperantia seine Lehre bezeugt (NA 2,1). Unter die herausragenden historischen Gestalten der griechisch-römischen Geschichte eingeordnet (in NA 14,1,29 als Zeitgenosse von Antisthenes und Platon; in NA 17,21,18 als Zeitgenosse von Sophokles, Euripides, Hippokrates und Demokrit), tritt er als Lehrer des Euklid (NA 7,10) und Euripides (NA 15,20,4) in Erscheinung und wirkt als Vorbild nach, indem seine Lehrme_____________ 159 Vgl. GASSNER, Philosophie und Moral bei Gellius, 209-223; HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 42-43. 261 (`ethical poseA); NETTLESHIP, The Noctes Atticae, 400-402 bzw. 258-260. B Auch die Geschichte wird in den _Noctes Atticae> gemäß den Darstellungsinteressen des Gellius, wo nicht auf sprachlich-literarisch interessante Texte oder konversationstaugliche mirabilia, auf moralische exempla reduziert: vgl. SCHETTINO, Interessi storici, 351-352. 359; dies., Aulo Gellio e l’annalistica, 126. 140-141. Sein Umgang mit der Geschichte ist aber den Römern nicht fremd, denn die Geschichte wurde im römischen Denken von Anfang an auf den Nutzen der Gegenwart bezogen (CHRISTES, Der Gebildete im republikanischen Rom, 115; PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 38-39); im rhetorischen Kontext war die Geschichtsschreibung auch bei Cicero nur `Lieferant von exemplaA: vgl. LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de orat. 1,6-20, Bd. 1,40. B Aufschlußreich für die Rolle, die Gellius der Geschichte als Bildungsfach und Bestandteil der Konversationskultur beimißt, ist seine Einleitung in dem griechisch-römischen Synchronismus in NA 17,21,1: Vt conspectum quendam aetatum antiquissimarum, item uirorum inlustrium, qui in his aetatibus nati fuissent, haberemus, ne in sermonibus forte inconspectum aliquid super aetate atque uita clarorum hominum temere diceremus, sicuti sophista illa wąȫɅȮȯȾȽoȻ ... ut ab istiusmodi, inquam, temporum aetatumque erroribus caueremus, excerpebamus ex libris. 160 Vgl. Diog. Laert. 2,5,21. Daß Sokrates die Ethik begründete und sich auf sie beschränkte, gehörte zu den oft behandelten Sokrates-Themen; vgl. DÖRING, Exemplum Socratis, 173. 161 Vgl. ASTARITA, La cultura nelle _Noctes Atticae>, 87.

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thode von Zeitgenossen des Gellius nachgeahmt wird (NA 4,1,cap.; NA 18,4,1). Zu Wort kommt Sokrates aber auch in amüsanten Anekdoten, die sich um seine Ehe mit Xanthippe ranken (NA 1,17,1-3; NA 8,11). Die Vorliebe des Gellius für ethisch-moralische Themen, die soziale Relevanz im Leben der Angehörigen der oberen (aber nicht obersten) gesellschaftlichen Schicht haben, bestätigt sich darin, daß mögliche Pflichtenkollision und Konfliktsituationen bei der Ausübung eines Amtes allgemein und am Einzelfall konkretisiert behandelt werden (z.B. NA 1,3: Chilon als Richter und Freund im Konflikt; NA 1,13: vom Auftrag abweichende Ausführung einer Aufgabe zu ihrer besseren Lösung; NA 14,2: Gellius als Richter in Entscheidungsnot). Das Sozialverhalten berühren auch die commentarii über die amicitia: außer NA 1,3 und NA 14,2,15 über die Bewahrung der Freundschaft im Konfliktfall, handeln NA 8,6 über die Versöhnung nach wechselseitigen offensiunculae und NA 17,5,1-2 über die Freundschaft als Selbstzweck. Auch die in NA 12,11,5 von Peregrinos Proteus verkündete Lebensweisheit, daß zwar der Weise aus Gerechtigkeitssinn, Ehrliebe und Pflichtgefühl, statt aus Angst vor Strafe, sich nichts zu Schulden kommen lasse, aber die anderen ethisch weniger Gefestigten das Bewußtsein, daß die Verfehlungen nicht unentdeckt bleiben, zu moralischem Verhalten motiviere, hat ihre Funktion im sozialen Kontext.162 Eher die Individualethik betreffen hingegen die Kapitel über die stoische Apatheia-Lehre, wobei der altstoische Rigorismus aus berufenem Munde zurückgewiesen (NA 1,2,6-13; NA 12,5,4-14; NA 19,12) und für den differenzierten Standpunkt eines gemäßigten Stoizismus (NA 19,1) geworben wird: am Anfang (NA 1,2) und gegen Ende (NA 19,12) der _Noctes Atticae> tritt Herodes Atticus jeweils einem Stoiker entgegen, der die rigorose stoische Apatheia-Lehre verkündet. Während Herodes Atticus an der ersten Stelle den sich arrogant und großmäulig hervortuenden nebulo unter Berufung auf Epiktet zurückweist, kontert er in NA 19,12 den von einem Stoiker erhobenen Vorwurf der unmäßigen Trauer (NA 19,12,2) um einen geliebten puer mit einer Fabel. In NA 12,5,4-14 debattieren anläßlich eines Krankenbesuchs bei einem unter Schmerzen stöhnenden Stoiker der Philosoph Tauros und einer seiner jugendlichen Anhänger über die Apatheia, wobei Tauros eine ausführliche Darstellung der stoischen Lehre und der Einwände gegen sie gibt (NA 12,5,7-8).163 In einem anderen Kapitel wehrt sich ein glaubwürdiger stoischer Philosoph gegen die Vorwürfe eines vom Luxusleben verweichlichten Griechen asia_____________ 162 Vgl. dazu HEUSCH, Proteische Verwandlung, bes. 455-458. 163 Ausführlich erläutert den sermo Tauri philosophi über die stoische Schmerztheorie LAKMANN, Der Platoniker Tauros, 132-138.

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tischer Herkunft (NA 19,1,7: Graecus quispiam diues ex Asia magno, ut uidebamus, cultu paratuque rerum et familiae, atque ipse erat multis corporis animique deliciis diffluens), indem er die auf Epiktet zurückgehende ausdifferenzierte Apatheia-Lehre darlegt, nach der auch stoische Weise von unwillkürlichen ȿȫvȽȫȼɅȫȳ ergriffen und erschüttert werden (NA 19,1,1321).164 Auch Herodes Atticus, der umgekehrt einen jungen MöchtegernStoiker (NA 1,2,3: adulescens philosophiae sectator, disciplinae, ut ipse dicebat, Stoicae, sed loquacior inpendio et promptior) zurechtweist, stützt sich in seiner Argumentation gegen den vorlaut propagierten stoischen Rigorismus in NA 1,2,11-13 auf Epiktet. Während der Stoiker (in NA 1,2,3-6: vgl. NA 19,12,2: a quodam Stoico) als arroganter und vorlauter Verkünder der Apatheia-Doktrin wegen seiner Borniertheit und seines moralischen Rigorismus bloßgestellt wird (NA 1,2,6-13), werden der Peripatetiker und Aristoteleskenner in NA 19,5,2 (uir bonus ex peripatetica disciplina bene doctus et Aristotelis unice studiosissimus) wie der anonym bleibende Schüler des Tauros in NA 12,5,4 (tum e sectatoribus Tauri iuuenis in disciplinis philosophiae non ignauus) und der berühmte, aber namenlose Stoiker in NA 19,1,4 (philosophus in disciplina Stoica celebratus, quem ego Athenis cognoueram non parua uirum auctoritate satisque attente discipulos iuuenes continentem) mit seiner differenzierten Auslegung der Apatheia-Lehre hingegen in durchaus günstigem Licht dargestellt. Nicht nur in puncto Apatheia-Lehre werden Stoiker in Auseinandersetzung mit Repräsentanten anderer philosophischer Richtungen gezeigt: Ein anonymer Stoiker und ein namenloser Peripatetiker streiten sich in NA 18,1 über die zentrale stoische Doktrin von der Autarkie der uirtus, die allein zur uita beata hinreiche und nicht von äußeren Dingen abhänge, wobei Favorinus die Rolle des Schiedsrichters übernimmt (vgl. dazu oben S. 173-175. S. 265). Daß Gellius diesen am Schluß der unentschieden bleibenden Diskussion zur Verteidigung der stoischen Auffassung eingreifen läßt, verrät eine gewisse Affinität des Autors zum Stoizismus, auch wenn er sein durch den commentarius bekundetes Interesse für dieses Thema gleich danach wieder zurücknimmt mit der abschließenden Bewertung des Gegenstandes: haec atque alia quaedam minuta magis et nodosa tamquam apud Fauorinum in suam uterque sententiam conferebant (NA 18,1,15). Die Nähe des Gellius zum Gedankengut der Stoa165 läßt sich meines Erachtens daraus ableiten, _____________ 164 Zur Gestalt des Graecus quispiam diuues vgl. oben S. 309 Anm. 14. B Um die Vermittlung zwischen Peripatetikern und Stoikern im Streit über Apatheia und Autarkeia der Tugend geht es auch in Aug. civ. 9,4,(2), wo Augustinus Gell. NA 19,1 in Kurzfassung referiert. 165 Genau entgegengesetzter Ansicht ist SCHETTINO, Questioni di biografia gelliana, 80, die bei Gellius eine deutliche Distanz zur `scuola stoicaA wie überhaupt zur zeitgenössischen `cultura antoninaA feststellt. B Aufgrund der Zusammenstellung aller Textpas-

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daß er in einigen anderen Kapiteln die vorgetragenen Ansichten kommentiert und seine Zustimmung signalisiert. Kaum ist zwischen ihm und seinem Vorbild Favorinus zu unterscheiden, wo dieser die Summe aus der Lehre Epiktets in dem moralischen Imperativ wvɃɀoȾ et wąɃɀoȾ [`halte aus und enthalte dichA] zusammenfaßt und als Lebensmaxime empfiehlt (NA 17,19,6). Unter Berufung auf Epiktet, den maximus philosophorum (NA 17,19,4), wird hier in aller Kürze die zentrale stoische Moral als echte Philosophie (NA 17,19,6) dem Zerrbild der pseudophilosophischen Beschäftigungen (NA 17,19,3) entgegengehalten. Das Lob des Epiktet stimmt zusammen mit dem Preis des Stoikers Hierokles als eines uir sanctus et grauis (NA 9,5,8), das Tauros, der bewunderte philosophische Lehrer des Gellius, vorbringt und mit dessen Sentenz über œȮovɄ und ąȺџvoȳȫ verknüpft: ^ȘȮovŽ ȽɃȵoȻ, ąџȺvȱȻ Ȯџȭȶȫ˜ o½ȴ ‰ȼȽȳv ąȺџvoȳȫ, o½Ȯ‡ ąџȺvȱȻ Ȯџȭȶȫ [`Lust zum Lebenszweck zu erheben ist Hurengrundsatz; nicht an die Vorsehung zu glauben ist noch nicht einmal HurengrundsatzA]. Da in der Darstellung des Gellius die Figur und Lehre des Peregrinos Proteus der eines stoischen Philosophen angeglichen werden,166 läßt sich seine Charakterisierung als uir grauis atque constans (NA 12,11,1) hier als weiterer Beleg für Gellius’ Sympathie mit dem Stoizismus anreihen. Daß die Nähe zur stoischen Moral durch den römischen Schulbetrieb hergestellt wurde, geht aus NA 16,1,1-2 hervor, wo Gellius seine Zustimmung zu einem Diktum des Musonius und dem vom älteren Cato ausführlicher formulierten gleichen Gedanken zu erkennen gibt.167 Zu _____________ sagen der _Noctes Atticae>, die Gedanken und Geschichte der stoischen Philosophie behandeln bzw. enthalten, wird zwar keine persönliche Bindung an die stoische Lehre, aber doch ein breitgefächertes Interesse für ihre Gedanken, in deren recht zuverlässiger Überlieferung das Verdienst des Gellius zu sehen ist, konstatiert von COLISH, The Stoic Tradition, Bd. 1, 334-340, hier bes. 334. 339-340: `Aulus Gellius is not the only classical Latin author who could be termed an encyclopedist, but he is the only one who preserves and comments on ideas that are of interest for a history of the Stoic tradition ... Although Aulus Gellius is essentially a reporter, citing assorted bits and pieces of information on a wide range of subjects with no particular agenda or emphasis, he does manage to communicate a respectable body of Stoic doctrine. ... He shows little awareness of philosophy as a sustained or systematic intellectual enterprise in dealing with the Stoics or with any of the other philosophical schools whose doctrines he mentions. The scope of Gellius’ interests is wide and he does succeed in transmitting a substantial number of Stoic teachings much more correctly and in a broader range of areas than is true for many other Latin authors whose philosophical pretensions may have been more overt or elevated than his own.A Daß der Stoizismus im 1./2. Jh. n. Chr. besonders beliebt bzw. verbreitet war, bezeugt COLISH, The Stoic Tradition, Bd. 1, 19-21. 166 Vgl. HEUSCH, Proteische Verwandlung, bes. 454-455. 167 Vgl. dazu oben S. 148. S. 289.

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Recht stellt HOLFORD-STREVENS fest, daß Gellius nicht dem dogmatischen Stoizismus anhängt, sondern dem römischen common sense mit seinen stoisierenden Tendenzen folgt: `Gellius is a Stoic only when Romanity and common sense allow.A168 Aus dieser allgemeinrömischen stoisierenden Moral erwächst auch die Übereinstimmung des Gellius mit Chrysippos, dem zweiten Schulhaupt der Stoa, der sich für seine Ablehnung des Tafelluxus auf Verse des Euripides berufen hat (NA 6,16,6). Doch auch dort, wo die von Chrysippos verkündeten spezifischen Philosopheme der Stoa über prouidentia bzw. ąȺџvoȳȫ (NA 7,1) und fatum bzw. ȯ¬ȶȫȺȶɃvȱ (NA 7,2) wiedergegeben werden,169 teilt Gellius offenbar die stoischen Ansichten. Und die von Chrysippos ausgemalte Allegorie der Gerechtigkeit in Jungfrauengestalt (NA 14,4,1-4) hat Gellius als Redner bzw. Schriftsteller in seinen eigenen Bestand übernommen, um seine Zuhörer damit im Sinne der stoischen Moral zu beeinflussen (NA 14,4,5). So wie Gellius weltanschaulich in der Nähe des konventionellen kaiserzeitlichen Stoizismus beheimatet ist, so traditionell scheint auch seine religiöse Haltung.170 Kaum als persönliche Aussagen, sondern eher als Floskeln sind seine Äußerungen in NA praef. 23-24 zu bewerten: quantum autem uitae mihi deinceps deum uoluntate erit ... progredietur ergo numerus librorum diis bene iuuantibus cum ipsius uitae. Wenn er in NA 2,28,(1) die Ungewißheit darüber zum Ausdruck bringt, ob Erdbeben durch das Wirken einer Naturgewalt oder einer Gottheit verursacht werden, handelt es sich nicht um die Mitteilung eines Glaubenszweifels, sondern um die einer wissenschaftlichen Unsicherheit: ... uentorumne ui accidant specus hiatusque terrae subeuntium an aquarum subter in terrarum cauis undantium pulsibus fluctibusque ... an cuius aliae rei causa alteriusue dei ui ac numine, nondum etiam, sicuti diximus, pro certo creditum. Für den nüchternen, an den Realitäten der Welt und Wissenschaft interessierten Gellius ist in den _Noctes Atticae> die Religion ein Gegenstand antiquarischer Forschungen, keine persönliche Angelegenheit.171 Ansatzweise läßt aber der Vergleich der _____________ 168 HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 281; vgl. ebd. auch 43. 169 Die beiden commentarii stammen vermutlich aus derselben Quelle, in der vermutlich auch Cicero (vgl. NA 7,2,15) schon zitiert war. Thematisch verwandt ist die dissertatio Fauorini gegen die Astrologie der Chaldäer in NA 14,1; vgl. NETTLESHIP, The Noctes Atticae, 400 bzw. 258. Die Schriften Chrysipps charakterisiert zusammenfassend P. STEINMETZ, Chrysipp aus Soloi; in: H. FLASHAR (Hrsg.), Die Philosophie der Antike, Bd.4/2: Die hellenistische Philosophie, Basel 1994 [= F. UEBERWEG, Grundriß der Geschichte der Philosophie, neubearb. Aufl., 4/2], 584-625, hier 589-590. 170 Vgl. FRIEDLAENDER, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, Bd. 3,128: `Bei Gellius ist nach seiner ganzen Geistesrichung und nach der seiner Lehrer in Griechenland ein streng konservatives Festhalten an der Tradition auch im Glauben mindestens als wahrscheinlich vorauszusetzen.A 171 Vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 286-289, bes. 288.

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Cicerokritiker mit Gotteslästerern (quidam fuerunt monstra hominum, quod de dis inmortalibus impias falsasque opiniones tradiderunt) zu Beginn von NA 17,1,1 in dem entrüsteten Ton doch ein gewisses religiöses Engagement erkennen. Daß er selbst dem tradierten Glauben an die Macht der Götter, die wie die Eltern Vergehen strafen, anhing, verrät seine dringende Empfehlung, die anschließend exzerpierte Aussage aus der Rede des Metellus (wohl nicht Numidicus, wie in NA 1,6,cap. 1 behauptet, sondern) Macedonicus (frg. 7 p. 108 ORF MALCOVATI2) sich durch ständige Lektüre im Bewußtsein zu bewahren: Hoc quoque aliut ex eadem oratione Q. Metelli dignum esse existimauimus adsidua lectione non hercle minus, quam quae a grauissimis philosophis scribta sunt. Verba Metelli haec sunt. _Di immortales plurimum possunt; sed non plus uelle nobis debent quam parentes. At parentes, si pergunt liberi errare, bonis exheredant. Quid ergo nos ab immortalibus dissimilius expectemus, nisi malis rationibus finem facimus ? Is demum deos propitios esse aecum est, qui sibi aduersarii non sunt. Dii immortales uirtutem adprobare, non adhibere debent > (NA 1,6,7-8). Doch im übrigen hat er offenbar kein besonderes spirituelles Interesse an Religion.172 Damit steht er abseits der aktuellen religiösen Strömungen und Stimmungen des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, die so viele seiner Zeitgenossen ergriffen und in ihren Bann gezogen haben.173

5.4. Der Bildungsbegriff der _Noctes Atticae> : zwischen honesta eruditio und humanitas Das im vorigen Kapitel dargestellte Bildungskonzept ist, wie Gellius gleich in der Praefatio zu erkennen gibt, zugeschnitten auf die Bildungsbedürfnisse und -interessen des uir ciuiliter eruditus (NA praef. 13). Diese von Gellius geprägte Junktur, mit der er in seiner captatio benevolentiae auf die intellektuelle Qualifikation des Lesers abhebt,174 verweist mit dem Adverb175 auf den sozialen Bezugsrahmen des Bildungskonzeptes, in dem die _____________ 172 STEINMETZ, Untersuchungen, 289. 173 Vgl. BEAUJEU, La religion romaine, bes. 28-37 (_La crise religieuse‘); KUHLMANN, Religion und Erinnerung, 21-25; STEINMETZ, Untersuchungen, 222-238 (über Apuleius, Tertullian, Minucius Felix). 174 Einen Überblick über die geläufigsten Adjektive, deren sich die Autoren zur intellektuellen Qualifizierung ihrer Leser bedienen, gibt BARTELINK (Hrsg.), Hieronymus: Liber de optimo genere interpretandi, 105. 175 Der Gebrauch des Adverbs ciuiliter im Bildungskontext wirkt bei Laktanz nach in der indirekten Wiedergabe und der Kommentierung eines ciceronischen Brieffragments aus den verlorenen Briefen an seinen Sohn: philosophiae quidem praecepta noscenda, uiuendum autem ciuiliter (Cic. epist frg. Lact. inst. 3,14,17). ... melius est ciuiliter

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behandelten Disziplinen ihre Entfaltung finden und sich zu bewähren haben: die erworbene bzw. wiedervergegenwärtigte und angewandte Bildung wird damit alter römischer Tradition folgend in den Kontext der Gemeinschaft der Bürger gestellt.176 Auch Cicero erklärt, um seine Schrift _Academica‘ zu legitimieren, mit seinem Vorhaben, die Römer mit griechischer Philosophie in lateinischer Sprache bekanntzumachen, vor allem der Bildung seiner Mitbürger dienen zu wollen: denn er halte ad nostros ciues erudiendos nihil utilius (ac. 1,11). Derselben gewissermaßen bildungspolitischen Argumentation folgend rechtfertigt Cicero wiederholt in ähnlichen Worten seine Schriftstellerei mit dem daraus erwachsenden Nutzen für die Bürger.177 Freilich hat er in der politischen Situation der ausgehenden Republik noch eine andere Vorstellung von der gesellschaftspolitischen Rolle, Einflußnahme und Verantwortung der ciues als Gellius in der hohen Kaiserzeit.178 Für letzteren beschränkt sich der _Nutzen für die Bürger‘, den sein Werk in seiner pädagogisch-didaktischen Ausrichtung intendiert,179 auf die Förderung der sozialen Stellung bzw. des sozialen Aufstiegs und die Steigerung des gesellschaftlichen Prestiges der Einzelnen, die sich durch den richtigen Umgang mit Bildung eine höhere Anerkennung und einen höheren Status erwerben.180 Dabei geht es in seinem _____________

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quam philosophe uiuere (Lact. inst. 3,14,18). Vgl. R. M. OGILVIE, The Library of Lactantius, Oxford 1978, 65-66. Häufiger wird der adverbielle Ausdruck auf das kultivierte Verhalten bezogen: vgl. TLL 3, 1219, 6-34. B Im späteren Latein wird auch das Substantiv ciuilitas auf Zivilisation und Kultur bezogen und in diesem Sinne beinahe synonym zu humanitas verwendet: vgl. z.B. Sidon. epist.1,2,1 (ciuilitas Theoderichs II.); Sidon. epist. 1,7 (ciuilitas und Loyalität der germanischen Herrscher als Voraussetzung für die Kooperation mit Rom); vgl. dazu J. KÜPPERS, Autobiographisches in den Briefen des Apollinaris Sidonius; in: M. REICHEL (Hrsg.), Antike Autobiographien. Werke B Epochen B Gattungen, Köln / Weimar / Wien 2005, 251-277, hier 271. 276. Vgl. oben S. 350-351. Vgl. CHRISTES, Bildung und Gesellschaft, 180-188. Dazu auch oben S. 340-341 m. Anm. 90. Vgl. BEALL, Civilis eruditio, 103-104. Das Fehlen der Didaxe bemängelt Gellius in dem _Commentarius de proloquiis> des Aelius Stilo: Sed in eo nihil edocenter neque ad instituendum explanate scriptum est, fecisseque uidetur eum librum Aelius sui magis admonendi, quam aliorum docendi gratia (NA 16,8,2). Die Stelle wird als Auskunft über die an isagogische Literatur gestellten Anforderungen ausgewertet von E. RAWSON, The Introduction of Logical Organization in Roman Prose Literature; in: dies. (Hrsg.), Roman Culture and Society. Collected Paper, Oxford 1991, 324- 351, hier 331-332. Die Kritik des Gellius eignet sich als Kontrastfolie für die Selbstaussage in NA praef. 17 ... petimus, inquam, ut ea non docendi magis quam admonendi gratia scripta existiment et quasi demonstratione uestigiorum contenti persequantur ea post, si libebit, uel libris repertis uel magistris. Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 14-19. 23-24. 38-39; SCHMITZ, Bildung und Macht, 50-65. 127-135. Vgl. dazu auch oben S. 318-319 Anm. 44.

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Werk nicht so sehr um den Erwerb der Bildungsgrundlagen, die er bei seinen Lesern schon voraussetzt, als um eine Wiedervergegenwärtigung des Bildungswissens, das in den _Noctes Atticae> repetiert, gefestigt, vertieft und ergänzt wird. Insofern ist das Bildungskompendium des Gellius, das vergleichbar mit den neuzeitlichen Konversationslexika versucht, das grundlegende Faktenwissen möglichst vollständig zu erfassen,181 konzipiert als ad subsidium memoriae quasi quoddam litterarum penus (NA praef. 2) sowohl für den Autor als auch für das Lesepublikum, und steht im Dienst der individuellen und kollektiven kulturellen memoria (vgl. oben Teil 3: S. 49-189). Darüber hinaus wird in dem enzyklopädischen Programm der _Noctes Atticae> das Bildungswissen der verschiedenen Disziplinen nach seiner gesellschaftlichen Relevanz gewichtet und in den szenischen commentarii seine angemessene Anwendung in bestimmten Situationen exemplarisch demonstriert, so daß Gellius dem Leser einen `Leitfaden für den adäquaten Umgang mit WissenA an die Hand gibt.182 In diesem Sinne grenzt sich Gellius in NA 9,4,11 von den mirabilia der naturwissenschaftlichen Enzyklopädie des älteren Plinius ab, weil sie nichts ad ornandum iuuandumque usum uitae beitrügen. Die soziale und moralische Einbindung des auf die Lebenspraxis und den gesellschaftlichen Nutzen ausgerichteten Bildungskonzeptes kristallisiert sich in dem Begriff honesta eruditio (NA praef. 12), der zudem sowohl Bezug zum rhetorischen als auch zum philosophischen Kontext erkennen läßt.183 Die ethisch-moralische Qualifizierung der eruditio durch das Adjektiv honesta, das sich auch in anderen Zusammenhängen der Bedeutung liberalis annähert,184 entspricht der Variation des Terminus artes liberales durch das Epitheton honestae und knüpft an die seit Cicero im kulturellen Diskurs gebräuchliche ethische Wertung der Bildungsdisziplinen an.185 Die sozial_____________ 181 Aufschlußreich für das Bemühen um Vollständigkeit ist die Bemerkung des Gellius in NA 1,25,18: Hoc ab Aurelio scriptum propterea. non praeterii, ne cui harum _noctium> aemulo eo tantum nomine elegantius id uideretur, tamquam id nos originem uerbi requirentes fugisset. Ähnlich begründet er in NA 6,2,12 seine Auseinandersetzung mit einem möglichen Einwand auf seine vorangegangenen Ausführungen über einen Irrtum des Caesellius Vindex: sed non fugit me, si aliquis sit tam inconditus, sic posse defendi _cor> Caeselli masculinum ... sed non dignum est eis, qui hoc dixerint, responderi: Vgl. dazu auch oben S. 188-189. S. 321-322 Anm. 50. 182 Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 159-160. 183 Den Gebrauch in diesen Zusammenhängen belegt TLL 6/3, 2908, 14- 2912, 41, bes. 2908, 77-79. 2910, 69 ff. 184 Dies geht hervor aus TLL 6/3, 2909, 48-49 bzw. 2910, 36-38. 185 Eine terminologische Untersuchung der artes-Junkturen, unter denen auch artes honestae / honestissimae (12 mal) nicht selten ist, hat vorgenommen CHRISTES, Bildung und Gesellschaft, 197-206, vgl. hier bes. 197. 199 Anm. 181. 202. B Die Bezeichnung honesta eruditio steht in der gedanklichen Nachfolge von Aussagen über die Bil-

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ethische und utilitaristische Intention seines Werkes, in NA praef. 12 auf die prägnante Formel gebracht ad honestae eruditionis cupidinem utiliumque artium contemplationem, verbindet Gellius mit dem Anliegen, die menschliche bzw. personale Bildung seiner Leser zu fördern.186 So wie Cicero die Synthese der gesellschaftlichen, d.h. rhetorischen Funktion und der spezifisch menschlichen Dimension der Sprache als Grundlage aller Kultur in de orat. 1,33 ausdrückt in der Formulierung homines a fera agrestique uita ad hunc humanum cultum ciuilemque deducere,187 hebt Gellius neben dem sozialen Bezug und der moralischen Dimension in dem berühmten Kapitel NA 13,17 die anthropologische Bedeutung der Bildung ins Bewußtsein, indem er den beim Auctor ad Herennium und kurz danach bei Cicero zuerst begegnenden Begriff der humanitas zunächst von dem verbreiteten Mißverständnis als ȿȳȵȫvȲȺɂąɅȫ absetzt, um ihn dann unter Berufung auf Varro und Cicero (NA 13,17,2) positiv als epochemachendes lateinisches Pendant zur griechischen ąȫȳȮȯɅȫ zu bestimmen: propemodum, quod Graeci ąȫȳȮȯɅȫv uocant, nos eruditionem institutionemque in bonas artis dicimus (NA 13,17,1).188 Obwohl Gellius die weitrei_____________ dung(sdisziplinen) in Cic. inv. 1,1: rectissimis atque honestissimis studiis rationis ac officii (vgl. die Ausführung des Gedankens in inv. 1,4 ); Cic. Cael. 9: cum artibus honestissimis erudiretur; Cic. Brut. 213: in omni genere honestarum artium ... indoctum (vgl. Tac. dial. 28,6); Tac. dial. 34,1: refertus honestis studiis; Quint. inst. 1,12,16: honesta ac rerum pulcherrima eloquentia; Suet. rhet. 25,3: paulatim et ipsa utilis honestaque apparuit. B Signifikant ist für die positive Bewertung der eruditio durch das Attribut honesta auch die Junktur, mit der Gellius die antiquitas durch Favorinus charakterisieren läßt: honesta et bona et sobria et modesta (NA 1,10,3). 186 Vgl. BEALL, Civilis eruditio, 247. 187 Vgl. LEEMAN / PINKSTER, Kommentar zu Cic. de orat. 1, 33, Bd. 1,110. 188 Ausführlich kommentiert die Definition CAVAZZA (Ed.), Le Notti Atiche, vol. 7, 192200 (zu Cap. XVII, bes. Anm. 3-9. 13-14). Vgl. I. HEINEMANN, Humanitas; in: RE Suppl. 5 (1931) 282-310, hier 283-284. 302; REIFF, Interpretatio, 6-7: `Den frühesten Beleg einer ausdrücklichen Gleichsetzung von römischer humanitas und griechischer ąȫȳȮȯɅȫ bietet bekanntlich erst Gell. 13,17, jedoch die theoretische Fassung für die bewußte Durchdringung mit griechischer Kultur ist die humanitas auch für ihn noch nicht, sondern eruditio institutioque in bonas artis überhaupt.A Damit wandelt er einen von Cicero mehrfach formulierten Gedanken ab: vgl. z.B. Arch. 2: artes quae ad humanitatem pertinent; Arch. 3: ab iis artibus, quibus aetas puerilis ad humanitatem informari solet; rep. 1,28: cui persuasum sit appellari ceteros homines, esse solos qui essent politi propriis humanitatis artibus. B Aber die humanitas geht auch bei Gellius über die rein intellektuelle Bildung hinaus, wie die Erklärung der Afranius-Verse in NA 13,8,2 erkennen läßt: Eo namque argumento demonstrat, qui sapiens rerum esse humanarum uelit, non libris solis neque disciplinis rhetoricis dialectisque opus esse, sed oportere eum uersari quoque exercerique in rebus comminus noscendis periclitandisque eaque omnia acta et euenta firmiter meminisse et proinde sapere atque consulere ex his, quae pericula ipsa rerum docuerint, non quae libri tantum aut magistri per quasdam inanitates uerborum et imaginum tamquam in mimo aut in somnio deblaterauerint. Vgl. dazu auch oben S.

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chenden Implikationen dieses umfassenden griechischen Kultur- und Bildungsbegriffs189 in seinem Werk auf ein enzyklopädisch-propädeutisches Programm verkürzt,190 macht er doch auch in den _Noctes Atticae> den Anspruch auf Bildung im Sinne von Charakterbildung bzw. Persönlichkeitsbildung geltend. Darauf zielt die anschließende etymologisierende Erklärung in NA 13,17,1 ab: Quas qui sinceriter cupiunt adpetuntque, hi sunt uel maxime humanissimi. Huius enim scientiae cura et disciplina ex uniuersis animantibus uni homini datast idcircoque _humanitas> appellata est.191 Die moralischen Qualifizierungen der Bildungs_____________ 361. Daß humanior uita im weiteren Sinne für eine zivilisiertere Lebensweise steht, erhellt die Aussage in NA 19,12,7 über den Thraker, der in terras cultiores humanioris uitae cupidine eingewandert ist und sich dort ohne den nötigen Sachverstand in der Landwirtschaft versucht. 189 Immer noch grundlegend ist die Darstellung der griechischen Bildungskultur von W. JAEGER, Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, Bd.1-3, Berlin 19331947, Nachdr. in 1 Bd., Berlin / New York 1973; vgl. auch MARROU, Geschichte der Erziehung, 185-197. 190 Dies wird deutlich in NA 18,10,8: Ac propterea, quantum habui temporis subsiciui, medicinae quoque disciplinae libros attigi, quos arbitrabar esse idoneos ad docendum, et ex his cum alia pleraque ab isto humanitatis usu non aliena, tum de uenis quoque et arteriis didicisse uideor ad hunc ferme modum. Vgl. auch S. 352. Aufschlußreich hierfür ist ebenso die Äußerung über die spätrepublikanischen Bildungsautoren Varro und Nigidius Figulus in NA 19,14,1: Aetas M. Ciceronis et C. Caesaris ... doctrinarum autem multiformium uariarumque artium, quibus humanitas erudita est, columina habuit M. Varronem et P. Nigidium. In diesem Sinne zu verstehen ist auch die Aussage über die Bildung des Makedonenkönigs Philipp II. in NA 9,3,2: a liberali tamen Musa et studiis humanitatis numquam afuit, quin lepide comiterque pleraque et faceret et diceret. Vgl. BEALL, Civilis eruditio, 100-101. 191 An diese `maximalistischeA oder `universalistischeA Bildungsdefinition knüpft unter anderen im 18. Jh. JOHANN GOTTFRIED HERDER an in seiner Rede _Vom Begriff der schönen Wissenschaften, insonderheit für die Jugend> (Schulrede Juli 1782): `Die Alten nannten die schönen Wissenschaften artes, quae ad humanitatem pertinent, ad humanitatem informant, also Wissenschaften, die uns menschlich machen, die uns zu Menschen bilden; man könnte sie also auch vielleicht am besten bildende Wissenschaft nennen.A Vgl. auch seine Rede _Vom echten Begriff der schönen Wissenschaften und von ihrem Umfang unter den Schulstudien> (Schulrede März 1788): `Die Griechen nannten das, was wir schöne Wissenschaften heißen, Künste der Musen, und verbanden damit den Begriff, den die Römer nachher durch das Wort literae humaniores oder studia humanitatis wie mich dünkt, sehr glücklich ausdrückten. Sie verstanden dadurch alles, was den Menschen zum Menschen macht, was die Gabe der Sprache, der Vernunft, der Geselligkeit, der Teilnehmung an andern, der Wirkung auf andre zum Nutzen der gesamten Menschheit kurz alles was uns über das Tier erhebt und die sein lehrt, die wir sein sollen, ausbildet und befördert.A (J.G. HERDER, Werke in zehn Bänden, Bd. 9,2: Journal meiner Reise 1769 / Pädagogische Schriften, Frankfurt 1997 [= Bibliothek deutscher Klassiker 147] 453. 584). Die Bedeutung HERDERs, der insbesondere mit den _Briefen zur Beförderung der Humanität> dem Begriff Humanität erst volle Geltung verschafft hat, hebt heraus RIEKS, Homo, huma-

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beflissenen bzw. der Bildung selbst (sinceriter, bonas artis192), die Gellius auch an anderen Stellen vornimmt (NA praef. 13: ingenuarum artium ... quae uirum ciuiliter eruditum neque audisse umquam neque attigisse, si non inutile, at quidem certe indecorum est; NA 18,10,8: omnibus quoque hominibus liberis liberaliterque institutis turpe esse ne ea quidem cognouisse ad notitiam corporis nostri pertinentia), machen Gellius nicht zu einem `MoralistenA,193 aber sie weisen darauf hin, daß er die intellektuelle Bildung in ein moralisches Wertesystem einordnet. So resumiert ROBERT KASTER die gellianische Definition folgendermaßen: `humanitas is a way of life, unique to man because it is the realization of certain ethical qualities which man alone has, and because those qualities are properly expressed through the pursuit of certain skills, which in their turn demand the intellectual faculties that only man possesses.A194 In diesem Verständnis der humanitas verdichtet sich die zwei Jahrhunderte alte Tradition des römischen Gedankens, daß sich vollwertiges Menschsein erst in Kultur, Bildung und Erziehung verwirklicht.195 Zugleich steht auf diesem Fundament die Vorstellung, daß Bildung (doctrina) und Verhalten bzw. Charakter (mores) _____________

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nus, humanitas, 15-16. Vgl. auch F. KLINGNER, Humanität und Humanitas; in: Beiträge zur geistigen Überlieferung, Godesberg 1947, 1 -52; wieder in: ders., Römische Geisteswelt, Hamburg / München 51965, 704-746, bes. 705-711. 717-718. Zu der Junktur bonae artes und ihren Implikationen sowie zu alternativen Wendungen vgl. CHRISTES, Bildung und Gesellschaft, 197-206, hier bes. 201: `Unter den Attributen ... greift zweifellos das Attribut bona am höchsten; sind damit doch die bonae artes dem uir bonus zugeordnet. Diese Verbindung ist ganz römisch gedacht. Sie bezeichnet alle artes, deren der im öffentlichen Leben stehende Römer bedarf. ... Wenn wir den Terminus bonae artes in der Kaiserzeit nur noch auf geistige Tätigkeiten angewendet finden, so folgt daraus, daß sich in dieser Zeit in ihnen die Aktivitäten eines uir bonus erschöpften.A Ebd. 235-236 m. Anm. 391: `Die gestiegene Bedeutung der Bildungsfächer haben wir im Vorgriff auch schon bei der Betrachtung ihrer mannigfachen Bezeichnungen ablesen können. Der häufigste Ausdruck für sie ist jetzt bonae artes; er findet sich in der Literatur häufiger als alle anderen Bezeichnungen zusammen.A HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 42, bes. Anm. 75 übt Kritik (wie auch BEALL, Civilis eruditio, 86. 99. 102) an der These vom _Primat der Moral> (vgl. MARACHE, La critique littéraire, 264) bzw. an der Auffassung, daß Gellius `the best exponent of the optimistic, non-religious Antonine moralityA sei (vgl. R. J. VIPPER, VDI 1948/2, 5864, bes. 58). KASTER, _Humanitas> and Roman Education, 7; dazu noch einmal ders., Guardians of Language, bes. 211 (17 m. Anm. 13). BEALL, Civilis eruditio, 100-101 erkennt in der gellianischen Definition der humanitas eine Verkürzung und Vereinfachung des Begriffes: `Gellius oversimplifies and distorts the meaning of humanitas both in his own time and in the writings of the classical writers, especially Cicero. Humanitas covers a range of human qualities, in which ȿȳȵȫvȲȺɂąɅȫ and ąȫȳȮȯɅȫ both have place. Gellius’ narrow definition has stripped the word of its peculiar Roman connotations.A Vgl. KASTER, _Humanitas> and Roman Education, 6-7; ders., Guardians of Language, 15-16. 91.

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untrennbar miteinander verbunden sind, was wiederum im Selbstverständnis der antiken Bildungselite eine große Rolle spielt.196 Von der anthropologischen und der moralischen Komponente der Bildung her wird die dem Sprachgebrauch beigemessene Bedeutung verständlich. Denn Sprache ist einerseits das Vermögen, das den Menschen vor den anderen Lebenswesen auszeichnet (vgl. NA 13,17,1), sie befähigt ihn zur Zivilisation und Kultur197 und ist Ausdruck seiner Bildung;198 andererseits ist die Sprache das Medium, in dem sich die Person bzw. der Charakter eines Menschen mitteilt. Dieser in der Antike und darüber hinaus weit verbreiteten Vorstellung199 verleiht im Lateinischen am poin_____________ 196 Die geläufige Auffassung, daß Bildung eine Charaktereigenschaft ist, durch die sich der Gebildete wie durch seine moralischen Qualitäten auszeichnet, belegen zahlreiche Inschriften und Texte der Kaiserzeit: vgl. SCHMITZ, Bildung und Macht, 136-146; KASTER, Guardians of Language, 27. m. Anm. 65-66. (29 Anm. 76-77 mit weiteren Belegen; vgl. auch 57-62. 65-66. 70 zum Zusammenhang von doctrina und mores). B Darauf, daß der Begriff _Bildung> auch im heutigen Verständnis im Unterschied zum Fachwissen gemeinhin schon eine moralische Komponente enthält, weist zu Recht hin BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 106: `Allgemeinbildung funktioniert so in der Vorstellung derer, die ihre Fahne hochhalten, als integraler Bestandteil der Persönlichkeit, sie macht einen Menschen erst zur vollwertigen Person, und sie zu vervollkommnen, zählt geradezu als ethisches Postulat.A 197 Vgl. z.B. Cic. de orat. 1,32-33; inv. 1,2-3; leg. 1,62; nat. deor. 2,148; Tac. dial. 5,4-7; Plin. NH 3,42. Eine Übersicht über die einschlägigen Stellen der griechischen Literatur gibt FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 36 m. Anm. 24. Die ganze Tragweite dieses von den Römern initiierten `Sprachhumanismus“ untersucht K. O. APEL, Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Bonn 1963 [= Archiv für Begriffsgeschichte 8], 135: ` ... so ergibt sich als antik-römisches Fundament des humanistischen Sprachbegriffs eine Auffassung, welche in der Sprache die ererbte _Form der Kultur schlechthin>, gleichsam die _Institution der Institutionen> erblickt: _Latinus sermo cum ipso homine ciuitatis suae natus> heißt eine auf Varro zurückgehende charakteristische römische Urformel über die eigene Sprache.A Vgl. auch ebd. 273. 275. 198 Diese Vorstellung (_Sprache als Kennzeichen von Bildung>) ordnet SCHMITZ, Bildung und Macht, 83-91 ein in seine Untersuchung des in der Zweiten Sophistik propagierten Ideals der Sprachreinheit. – Auf den Zusammenhang von sermo und Bildung verweist Gellius in NA 13,6,2, mit der Erklärung, daß der seiner Zeit gemeinhin als barbarismus bezeichnete Fehler in der Rede, bei den Alten ursprünglich _ungebildeter> (nicht _ausländischer>) Sprachverstoß genannt worden sei (uitium sermonis non barbarum esse, sed _rusticum>). Dagegen definiert Quint. inst. 1,5,8 den barbarismus zunächst im engeren Sinne als Übernahme aus der Fremdsprache, bevor er die anderen als barbarismi bezeichneten Verhunzungen der lateinischen Sprache (aufgrund von Buchstabenvertauschungen, -hinzufügungen oder -auslassungen) und die im übertragenen Sinn barbarisch genannte unbeherrschte Redeweise erwähnt. 199 Vgl. M. MÖLLER, Der Stil ist der Mensch? Zu einem Topos der antiken Literaturkritik; in: J.P. SCHWINDT (Hrsg.), Zwischen Tradition und Innovation: Poetische Verfahren im Spannungsfeld Klassischer und Neuerer Literatur und Literaturwissenschaft, München / Leipzig 2000, 88-108: Die im Griechischen von Solon (vgl. Diog.

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tiertesten die von Seneca zugespitzte Formel Ausdruck (hoc quod audire uulgo soles, quod apud Graecos in prouerbium cessit:) talis hominibus fuit oratio, qualis uita (Sen. epist. 114,1), die zuvor Cicero als Socratica conclusio ausgegeben hat: qualis autem homo ipse esset, talem esse orationem; orationi autem facta similia, factis uitam (Tusc. 5,47). Auch das catonische Rednerideal (Quint. inst. 12,1,1) des uir bonus dicendi peritus bzw. der Kontrastfigur des uir malus dicendi imperitus (Plin. epist. 4,7,5) entspringt diesem Gedanken. Der rhetorische Kontext, in den das römische Erziehungs- und Bildungswesen eingebettet ist, hat den Topos aufgenommen und seine Wirkungsmacht verstärkt und befestigt. Vor diesem Hintergrund tritt die Wechselbeziehung von sprachlicher und charakterlicher Bildung200 in zahlreichen commentarii der _Noctes Atticae> in Erscheinung, in denen die Ausdrucksweise einzelner Personen oder Autoren Thema oder Ausgangspunkt einer Diskussion ist. Während die ueteres oft als moralische und zugleich sprachlichliterarische Autoritäten herausgestellt werden (z.B. Ennius in NA 12,4,5; Cato Censorius in NA 13,24 vgl. dazu oben S. 361) und die großen Lehrer des Gellius und bewunderten Persönlichkeiten der Gegenwart ihre menschliche Vorbildlichkeit auch und gerade durch ihre Sprache erweisen (z.B. T. Castricius in NA 13,22;201 Herodes Atticus in NA 9,2,1; Antonius Iulianus in NA 18,5,1; Annianus in NA 6,7,1; sogar Peregrinos Proteus in NA 12,11,1; Favorinus in NA 16,3,1.5 u.a.), wird bei einer Reihe ande_____________ Laert. 1,58: Ƚ°v ȶ‡v ȵџȭov ȯ©Ȯɂȵov ȯ«vȫȳ ȽÆv ‰Ⱥȭɂv; vgl. Simonides frg. 190 B BERGK) bis Menander (frg. 72 PCG KASSEL/ AUSTIN: wvȮȺ°Ȼ ɀȫȺȫȴȽŽȺ ˆȴ ȵџȭoȾ ȭvɂȺɅȰȯȽȫȳ) anzutreffende Vorstellung, schreibt Cicero in Tusc. 5,47 sogar Sokrates, dem princeps philosophiae, zu. Der nach Cicero (vgl. auch Brut. 52) und Seneca (vgl. auch epist. 75,4. 115,2; Ps.-Sen. mor. 73: imago est animi sermo, uitae oratio) von Quintilian wiederaufgegriffene Gedanke (Quint. inst. 11,1,30: nec sine causa Graeci prodiderunt ut uiuat quemque etiam dicere) bleibt in der antiken Literatur wirkungsmächtig und lebt in dem legendären Ausspruch des Grafen Buffon fort: `le style est l’ homme mêmeA. 200 Vgl. KASTER, Guardians of Language, 14. 17. 26- 27. 58. bes. 65-66. 69-70; BEALL, Civilis eruditio, 95-96. 201 Gellius’ Darstellung seines Rhetoriklehrers Titus Castricius eignet sich vorzüglich, um diesen Zusammenhang zwischen Charakter und Redeweise der Person zu veranschaulichen: T. Castricius, rhetoricae disciplinae doctor, qui habuit Romae locum principem declamandi ac docendi, summa uir auctoritate grauitateque et a diuo Hadriano in mores atque litteras spectatus ... profecto scite atque incorrupte locutus est (NA 13,22,1. 4). Auf den Punkt gebracht, d.h. in einer appositionellen Wendung zusammengezogen hat Gellius die untrennbare Verbindung im Falle seines anderen Rhetoriklehrers Antonius Iulianus: Cum Antonio Iuliano rhetore, uiro hercle bono et facundiae florentis ... (NA 18,5,1). Sogar bei der schillernden Figur des Peregrinos Proteus wird die übereinstimmende persönliche und sprachliche Integrität lobend hervorgehoben: Philosophum nomine Peregrinum ... uirum grauem atque constantem, uidimus ... multa hercle dicere eum utiliter et honeste audiuimus (NA 12,11,1).

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rer Zeitgenossen des Gellius der Zusammenhang von Sprache und Verhalten an Negativbefunden bestätigt: Die aufgedeckten sprachlichen Fehlleistungen und Verstöße verschiedener anonymer, vorgeblich der Bildungselite angehörenden Personen, insbesondere professioneller Grammatiker, aber auch Rhetoren und Philosophen, verweisen auf ihre moralischen Defizite. In NA 7,16,1 wird ein angehender Redner (eiusmodi quispiam, qui tumultariis et inconditis linguae exercitationibus ad famam sese facundiae promiserat neque orationis Latinae usurpationes ue ullas didicerat) wegen seiner mangelnden Sprachkenntnisse verspottet und ironisch als uir bonus tituliert (NA 7,16,3). So wie bei diesem aufstrebenden MöchtegernRedner die Diskrepanz zwischen Geltungsanspruch und vorhandenem Wissen Anlaß zum Spott gibt, prätendieren die von Gellius vorgeführten Pseudo-Intellektuellen alle mehr Bildung, als sie tatsächlich vorweisen können. Ein Paradebeispiel ist der egregius nebulo (NA 13,31,13), der sich in NA 13,31,9 schon beim Vorlesen blamiert, ein Augenleiden als Entschuldigung für sein Versagen vorschützt und auf eine Frage des Gellius nach dem Sinn des von Varro verwendeten bildlichen Ausdrucks caninum prandium keine Antwort weiß, obgleich er sich zuvor prahlend als VarroSpezialist ausgegeben hat: Laudabat uenditabatque se nuper quispiam in libraria sedens homo inepte gloriosus, tamquam unus esset in omni caelo _saturarum> M. Varronis enarrator, quas partim _Cynicas>, alii _Menippeas> appellant (NA 13,31,1). Ganz ähnlich verläuft die Begegnung zwischen Gellius und einem sich zur öffentlichen Belehrung bzw. Unterhaltung anbietenden (quispiam) linguae Latinae litterator in NA 16,6,1-12: Auch er versagt schon bei der Rezitation (legebat barbare insciteque) und scheitert gänzlich bei der Beantwortung einer Frage, die Gellius ihm zur Bedeutung des von Vergil benutzten Wortes bidentes _ausgewachsene Schafe (mit doppelten Zahnreihen)> stellt. Nach demselben Schema ist die Auseinandersetzung des Gellius mit einem sich als Kapazität gebärdenden Grammatiker in NA 6,17 inszeniert: Das anmaßende Verhalten des Fachmannes provoziert eine aus echter Wißbegierde gestellte Frage des gelehrigen und sachkundigen Zuhörers Gellius (NA 6,17,1. 6-10), die den vermeintlichen Experten in Verlegenheit stürzt und seine Unkenntnis decouvriert, so daß er der Antwort ausweicht und sich schließlich mit einer Ausrede der Situation entzieht (NA 6,17,11-12). In NA 15,9 wird der junge Gellius, der für die sprachliche Autorität der ueteres Caecilius und Cato eintritt und sie gegen die Vorwürfe eines semidoctus grammaticus (NA 15,9,6) verteidigt, sogar selbst von diesem angegriffen, erteilt ihm aber zum Schluß in einer Umkehrung der Rollen von Schüler und Lehrer die Anweisung, weitere Nachforschungen anzustellen und Belege für seine Ansicht vorzulegen. Daß in NA 16,10 gegen den anonymen Juristen, der als familiaris meus schon durch sein Vertrauensverhältnis zu Gellius einen gewissen Schutz genießt,

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trotz seiner fehlenden Kenntnisse über die genaue Bedeutung der Termini des Zwölftafelgesetzes, nicht polemisiert wird, liegt offenbar an seinem umgehenden Eingeständnis seiner diesbezüglichen Inkompetenz bzw. an der vorgebrachten zutreffenden Erklärung, daß dessen B ihm sehr wohl geläufigen B Ausdrücke veraltet und in der aktuellen (Rechts)Sprache ungebräuchlich seien (NA 16,10,7-8). Denn gemeinsam ist allen von Gellius Bloßgestellten ihre Arroganz und prätentiöse Bildungsostentation, weshalb sie häufig als lächerliche nebulones _Windbeutel>, _aufgeblasene Typen> bzw. _Schaumschläger> (NA 16,6,12: facetias nebulonis hominis risi; so auch in NA 1,2,cap. 7; NA 6,17,12; NA 13,31,13; NA 19,1,10; noch stärker ist der Ausdruck homo nulli rei in NA 15,9,11) charakterisiert und tituliert werden. Besonders unangenehm tut sich ein iactator quispiam et uenditator Sallustianae lectionis (NA 18,4,1) durch sein arrogantes Verhalten hervor (NA 18,4,2. 6), bevor Sulpicius Apollinaris seine Unfähigkeit, die Bedeutung einer Salluststelle (hist. 4) zu erklären, aufdeckt und ihn mundtot macht (NA 18,4,1-9). So wird auch in NA 4,1 ein mit belanglosen Wissensquisquilien protzender Grammatiker von Favorinus seines Unwissens über die präzise Wortbedeutung und seiner Unfähigkeit zur Definition von penus überführt (NA 4,1,5-9). Auf Grundlage der herausgehobenen soziokulturellen Bedeutung des rechten Sprachgebrauchs (vgl. NA 4,1,6. 18; vgl. dazu oben S. 347-348) erfolgt hier die Disqualifizierung des professionellen Grammatikers durch den Philosophen, in der die alte Rivalität zwischen Philosophen und Grammatikern um die Vorherrschaft in der Erziehung ihre Fortsetzung findet, wobei Favorinus sich in dem sermo factus in Socraticum modum (NA 4,1,cap.)202 als vorbildlicher Lehrer präsentiert: Sic Fauorinus sermones id genus communes a rebus paruis et frigidis abducebat ad ea, quae magis utile esset audire ac discere, non allata extrinsecus, non per ostentationem, sed indidem nata acceptaque (NA 4,1,19). Zugleich findet in diesem commentarius wie in anderen eine Selektion bzw. Hierarchisierung der Wissensstoffe statt. Denn Gellius ist es nicht nur ein Anliegen, die wirklich Gebildeten vom semidoctum uulgus (NA 1,7,17)203 zu scheiden, sondern auch das relevante Bildungswissen von der ąoȵȾȶȫȲɅȫ (NA 14,6,5), der unnützen Vielwisserei abzugrenzen, gegen die er schon in der Praefatio mit Heraklits ąoȵȾȶȫȲɅȱ vџov o½ ȮȳȮȪȼȴȯȳ [`Vielwisserei lehrt nicht Verstand A] (frg. 40 [VS I6 _____________ 202 Vgl. die Ironie des Sulpicius Apollinaris genere illo facetissimae dissimulationis, qua Socrates ad sophistas utebatur in NA 18,4,1; auch Gellius selbst bedient sich in NA 6,17,4 der Ironie, um einen Grammatiker zu decouvrieren. 203 Die Halbbildung attackiert auch Fronto in M. Caes. 4,3,1 p. 56,6-7. 9-10 v.d.H.2: omnium artium, ut ego arbitror, imperitum et indoctum esse praestat quam semiperitum ac semidoctum. Nam ... ubi quis leuiter quid cognitum pro conperto ostentat, falsa fiducia multifariam labitur.

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160, 3-4 DIELS / KRANZ) zu Felde zieht (NA praef. 12).204 Darum ging es auch Seneca, der freilich die Grenze zur Polymathia an einer anderen Stelle als Gellius, nämlich schon bei dem überflüssigen Wissenskram der artes liberales, zieht und deshalb Gellius sicherlich B und nach dem Urteil moderner Leser mit einem gewissen Recht B für einen typischen Vielwisser erklärt hätte.205 Nach Gellius= Urteil wissen die vermeintlichen Fachmänner zwar allerhand, aber ihnen fehlt das maßgebliche Wissen, über das ein wahrhaft Gebildeter verfügen muß (vgl. NA 8,10). In diesem Kontext, den Umfang und die Erscheinungsweise echten Bildungswissens zu illustrieren, steht auch die Zurückweisung vorlauter Besserwisser. So wird in NA 5,21 die Gelehrsamkeit und Zurückhaltung eines Freundes des Gellius, eines alter ego des Autors (NA 5,21,2: doctrina homo seria et ad uitae officia deuincta ac nihil de uerbis laborante), den ein halbgebildeter Wortkritikaster (NA 5,21,3: reprehensor audaculus uerborum) zu Unrecht eines Sprachfehlers bezichtigt, kontrastiert mit der unverschämten Arroganz und Ignoranz dieses bloßen Silbenstechers. Gellius selbst desavouiert einen sogenannten sophista (NA 17,5,3) wegen seiner unangebrachten und un_____________ 204 So distanziert sich Gellius unter Berufung auf einen Homervers (Od. 4,392), mit dem er die pragmatisch-moralische Ausrichtung seines Werkes beschreibt (vgl. dazu oben S. 365), auch von der ąoȵȾȶȫȲɅȫ (NA 14,6,5; vgl. dazu auch S. 351 Anm.119) eines ihm befreundeten `hauptberuflichenA Autors, eines homo nobis familiaris, in litterarum cultu non ignobilis magnamque aetatis partem in libris uersatus (NA 14,6,1), als ihm dieser gönnerhaft und etwas herablassend seinen sorgfältig ausgearbeiteten Wälzer doctrinae omnigenus (NA 14,6,1) zur Verfügung stellt, um daraus Material für seine _Noctes> zu entnehmen. Das Werk erinnert in der Charakterisierung durch den anonym bleibenden Autor selbst (NA 14,6,1: dat mihi librum grandi uolumine doctrinae omnigenus, ut ipse dicebat, praescatentem, quem sibi elaboratum esse ait ex multis et uariis et remotis lectionibus) und mit den von Gellius vorgestellten inhaltlichen Beispielen (NA 14,6,3-5) an die reine Buchgelehrsamkeit der _Deipnosophistai> des Athenaios. 205 Vgl. dazu oben S. 337 Anm. 82. BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 118 beschreibt zusammenfassend das Paradox der _Noctes Atticae> in der Präsentation der Wissensstoffe und -sektoren (vgl. auch oben S. 328): `Aulus Gellius zwischen Fachwissen und Allgemeinbildung ? Im Grunde liefert er ... beides B oder auch keines von beidem. Dargeboten wird ausgesprochenes Spezialistenwissen ohne Systematik in der Darbietung oder den Anspruch auf erschöpfende Behandlung eines Problems: das ist die Schwierigkeit, die wir mit ihm haben, wenn wir ihn als Fachschriftsteller klassifizieren. Als ein unterhaltsames Panorama der Allgemeinbildung kann man die Noctes Atticae aber auch nur teilweise sehen: der kommunikative und erzieherische Aspekt ... spielt in der Tat eine große Rolle, andererseits ist das vorgeführte Wissen wiederum zu speziell, die herangezogenen Autoren zu wenig kanonisch, die Diskussionen zu kleinteilig, als daß man glauben könnte, sie seien wirklich stets reines Amüsement gewesen ... Um es plakativ zu sagen: Inhaltlich kann man ihn unter die Fachschriftsteller einordnen, aber die Darstellungsmodalitäten weisen auf einen Unterhaltungsschriftsteller. ... Gellius präsentiert Fachwissen als Allgemeinbildung der Oberschicht in einer Weise, wie es nur in einer ausgesprochenen Buchkultur möglich ist.A

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haltbaren Cicerokritik (NA 17,5,9-14). Nicht so vehement, wenn auch prope inclementer reagiert Valerius Probus (NA 13,21,8-9) auf das mangelnde Sprachempfinden für den Wohlklang der Laute, das ein rudis profecto et aure agresti homo verrät. Zwar schließt er den Unbelehrbaren von seinem weiteren Vortrag aus, aber die Mankos der offensichtlich sprachlich Inkompetenten, deren Nichtzugehörigkeit zum Kreis der Gebildeten außer Frage steht, lassen ihn, den Sprachgelehrten, eher gleichgültig (NA 13,21,8); vielmehr geht es den Gebildeten um die Ausgrenzung der semidocti. Die Strategie, die Bildungsdefizite derjenigen aufzudecken, die voller Prätention und Arroganz mit Scheinwissen protzen, findet jedoch nicht nur auf die Berufsgruppe der Sprachwissenschaftler Anwendung, sondern wird vom Autor Gellius im Rahmen der _Noctes Atticae> auch (in geringerem Umfang) bei den `professionellenA Philosophen praktiziert. So läßt er Herodes Atticus in zwei prominent plazierten Kapiteln, in NA 1,2 und NA 9,2, zwei Pseudophilosophen enttarnen, die sich nur durch äußeres Gebaren als kynischer Bettelphilosoph (NA 9,2,1-7) bzw. durch angehäufte Kenntnisse stoischer Dogmen als Stoiker (NA 1,2,3-5) gerieren und in Szene setzen, aber in ihrem Verhalten nichts von einem echten Philosophen zeigen. Dabei geht es Gellius nicht um die Desavouierung einer bestimmten philosophischen Schule, sondern um die Ausscheidung der Scheinphilosophen aus dem Kreis der glaubwürdigen, `echtenA Vertreter gerade dieser philosophischen Strömung, worin er sich mit Herodes Atticus und dem von ihm zitierten Epiktet auf einer Linie befindet: Quibus uerbis Epictetus seuere simul et festiuiter seiunxit atque diuisit a uero atque sincero Stoico ... uolgus aliud nebulonum hominum, qui se Stoicos nuncuparent atraque uerborum fuligine ob oculos audientium iacta sanctissimae disciplinae nomen ementirentur (NA 1,2,7). Dazu paßt, daß er, was bei seiner Affinität zum gemäßigten kaiserzeitlichen Stoizismus nicht verwundert (vgl. oben S. 367-369), in NA 19,1 einen ernsthaften Stoiker, der bei einer stürmischen Seefahrt schreckensbleich geworden ist, gegen die ungerechtfertigten Vorwürfe eines in dekadentem Luxus schwelgenden Asiaticus (NA 19,1,7), sich unstoisch verhalten zu haben, verteidigt und diesen mit Aristipp als nebulo (NA 19,1,10) attackiert. Hauptkriterium für die Beurteilung und Bewertung aller Gebildeten, insbesondere der Philosophen, ist in den _Noctes Atticae> ihre moralische Integrität: So kann in NA 15,2 ein sich als Philosoph ausgebender Trinker, der sich für seine Trunksucht zu Unrecht auf Platons _Symposion> beruft, vor Gellius nicht bestehen und wird von ihm als nihili homo et nugator atque in Graecae facundiae gloria iactabundus et praeterea uini libidine adusque ludibria ebriosus (NA 15,2,2) und nebulo (NA 15,2,4) abqualifiziert.

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Das Grundübel dieser aufgedeckten Depravationen im Bildungsverhalten, der unangebrachten Bildungsostentation, erkennt Gellius in der ±ɁȳȶȫȲɅȫ: Die schnelle und oberflächliche Aneignung von Wissensstoffen bringt die `SpätlernerA dazu, ihr Wissen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zur Schau zu stellen und anderen mit ihrer aufdringlichen Geschwätzigkeit lästig zu fallen (NA 11,7,3).206 Die Ursache für diese (nicht mehr aufzuholende) Verzögerung im Bildungserwerb ist die andersartige Lebensausrichtung und Beanspruchung der Spätberufenen (NA 15,30,1), so daß man die Kritik der ±ɁȳȶȫȲȯ¥Ȼ als Ausgrenzung der sozialen Aufsteiger aus der Gesellschaft der Gebildeten verstanden hat.207 Indessen unterläßt es Gellius nicht, an seinem eigenen Verhalten wie dem anderer zu zeigen, daß der Bildungsprozeß stete Anstrengung und beständigen Fleiß erfordert, zugleich aber auch Freude und Vergnügen bereitet. Mit dieser positiven Darstellung des Bildungsprozesses vor dem Hintergrund der Kontrastfolie des falschen Bildungserwerbs wie mit der Darstellung der Gebildeten im Kontrast zu den ungebildeten Antipoden erweist sich Gellius ganz auf der Höhe seiner Zeit. Denn entsprechend ihrer ungeheuren gesellschaftlichen Bedeutung hatte Bildung eine große Aktualität in der gesamten Literatur und Kultur der Epoche. Und überall ging es der Bildungselite darum, sich selbst zu legitimieren und ihre soziale Stellung zu stabilisieren.208 Daher war es im 2. Jh. im griechischen Osten wie im _____________ 206 In NA 11,7,3 gibt Gellius eine ausführliche Beschreibung dieses Phänomens, bevor er es erläutert am Beispiel eines homo in causis, der sich während einer juristischen Verhandlung in der gesprochenen Sprache einer antiquierten literarischen (vielleicht echt plautinischen) Ausdrucksweise bedient (NA 11,7,3-6), und am Fall eines apirocalus _im Schönen Unerfahrenen>, der vor Gericht den veralteten lucilischen Ausdruck bouinator anbringt (NA 11,7,7-9): Est adeo id uitium plerumque serae eruditionis, quam Graeci ±ɁȳȶȫȲɅȫv appellant, ut, quod numquam didiceris, diu ignoraueris, cum id scire aliquando coeperis, magni facias quo in loco cumque et quacumque in re dicere. B Schon Theophrast hat das unangemessene und lächerliche Bildungsverhalten des ±ɁȳȶȫȲɄȻ in allen Bereichen anschaulich dargestellt (Theophr. char. 27): vgl. dazu J. DIGGLE (Ed.), Theophrastus: Characters, edited with introduction, translation and commentary, Cambridge 2004 [= Cambridge classical texts and commentaries; 41], bes. 477-478. 486 zu Theophr. char. 27,1-2. 16. 207 Darauf deuten auch die verbalen Angriffe gegen die nouicii semidocti (NA 16,7,13), gegen die turba grammaticorum nouicia (NA 11,1,5) und die nouicii philosophorum sectatores (NA 1,9,11). B Vgl. auch BEALL, Aulus Gellius 17.8, 60 m. Anm. 22, der Gellius selbst ` _in the second tier> of Roman societyA plaziert, davon ausgehend, daß er zwar eine privilegierte Erziehung genossen hat, die ihm Zugang zu solchen Größen wie Herodes Atticus und Fronto verschafft hat, aber ihnen im sozialen Status unterlegen war. Zum sozialen Status des Gellius vgl. auch oben S. 308-309 Anm. 14. S. 318319 Anm. 44. 208 Vgl. KASTER, Guardians of Language, 14; SCHMITZ, Bildung und Macht, 96. 232233.

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lateinischen Westen ein verbreitetes gesellschaftliches Phänomen und literarisches Thema, daß die Oberschicht aus der Gesellschaft der Gebildeten die aufstrebenden sozialen Aufsteiger ausschloß, die sich durch den Erwerb von Bildung Zugang zu ihren Kreisen verschaffen wollten, aber die in ihnen geltenden Verhaltensformen, Regeln und Usancen im Umgang mit Bildung (noch) nicht oder nur unzureichend beherrschten.209 Lukian, der griechische Zeitgenosse des Gellius und Protagonist der Zweiten Sophistik,210 ist beispielsweise unter anderen in den drei kleinen zeitkritischen satirischen Schriften mit den bezeichnenden Titeln ȡȺ°Ȼ Ƚ°v wąȫɅȮȯȾȽov ȴȫ¤ ąoȵȵq ȬȳȬȵɅȫ ËvoѠȶȯvov (_Adversus indoctum>),211 ^ѢȱȽџȺɂv ȮȳȮȪȼȴȫȵoȻ (_Rhetorum praeceptor>) und ȡȯȺ¤ ȽÆv ˆą¤ ȶȳȼȲÊ ȼȾvџvȽɂv (_De mercede conductis>) gegen die Pseudointellektuellen, zwar sehr viel amüsanter und unterhaltsamer als der römische Autor, vorgegangen, aber er hat die Ausgrenzung der Halb- und Ungebildeten aus der Bildungselite mit ganz ähnlichen Strategien wie Gellius betrieben. Dieser hat auch schon in der Praefatio sozusagen zum Programm erhoben, das semidoctum uulgus (NA 1,7,17) aus seinem Publikum auszuschließen, indem er sich die von Aristophanes in ran. 354-356. 369-371 (vgl. S. 336 Anm. 79) formulierte lex auf seine Fahnen schreibt: Eandem ego commentariis his legendis dabo, ut ea ne attingat neue adeat profestum et profanum uolgus a ludo musico diuersum (NA praef. 20). Auf welchen Personenkreis seine Kritik konkret zielt, erhellen sein Seitenhieb gegen die semidocti

_____________ 209 Die Arbeiten von SCHMITZ über die griechischsprachige Literatur des 2. Jh.s (unter dem Titel _Bildung und Macht>, bes. 39-156) und PAUSCH über die biographische lateinische Literatur dieser Zeit (_Biographie und Bildungskultur>, bes. 9-21. 227-232) untersuchen diese soziokulturellen und -literarischen Strategien. B Daß der gesellschaftliche Aufstieg durch Bildungserwerb ein mühsamer und langwieriger Prozeß war und erst in der zweiten oder dritten Generation erreicht wurde, betont SCHMITZ, Bildung und Macht, 63: `Das im zweiten Jahrhundert vorherrschende Bildungsideal sah in der Bildung eine letztlich nicht erwerbbare Eigenschaft und bewertete außerdem die durch Unterricht kaum erlernbare soziale Kompetenz im Umgang mit den Bildungsgegenständen höher als ein abrufbares Wissen.A 210 Die Zweite Sophistik als ein den griechischen Osten und lateinischen Westen des Römischen Reiches umfassende kulturelle Strömung mit ihren hier wie dort hervortretenden Phänomenen hat beschrieben ANDERSON, The Second Sophistic, bes. 1-40. 234-245; vgl. auch K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 401, S. 5: `Dieselbe Bildungsidee beherrscht den Westen wie Osten: Die Zweite Sophistik kann als Gesamtströmung in getrennten Sprachräumen bezeichnet werden.A 211 `Die Diskrepanz zwischen dem Fehlen jeglicher Bildung und der durch den Bücherkauf zur Schau gestellten ScheinbildungA bilde `Rückgrat und Angelpunkt der InvektiveA, urteilt in seiner Würdigung dieses lange Zeit wenig beachteten Pamphlets WEISSENBERGER, Literaturtheorie bei Lukian, 37-41, hier 40.

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nouicii, die halbgebildeten Aufsteiger (NA 16,7,13),212 oder die Demontage eines semidoctus grammaticus, eines halbgebildeten Fachmannes für Grammatik (NA 15,9,6; vgl. NA 15,9,3: de grammaticorum uolgo quispiam). Diese Kritik ist vor dem Hintergrund zu betrachten, daß im 2. Jh. eine zunehmende Professionalisierung des Grammatikerberufes bzw. des institutionalisierten Unterrichts stattfand, die Gellius offenbar mit Argwohn betrachtete.213 Denn sein Bildungsideal verkörpert gerade nicht der Fachmann und Spezialist in Sprachwissenschaft, sondern der breit gebildete Amateur, bzw. derjenige, der zugleich Gentleman und Grammatiker ist.214 Wie Lukian attackiert er daher die verschiedenen Typen der ±ɁȳȶȫȲȯ¥Ȼ, `sowohl den Pedanten, der mit seiner unnützen Bildung protzt, als auch den Halbgebildeten, der sich durch seine elementaren Fehler immer wieder verrät.A215 Allerdings erscheinen die beiden taktlosen Verhaltensweisen bei Gellius häufig als die beiden Seiten ein und derselben Person. Gegen den Bildungspedantismus216 und die Wissensdefizite zugleich richtet sich Gellius, wenn ein `BesserwisserA, ein rhetoricus quidam sophista utriusque linguae callens, haut sane ignobilis ex istis acutulis et minutis doctoribus, qui ȽȯɀvȳȴoɅ appellantur (NA 17,5,3), ein rhetoricus artifex (NA 17,5,9), der es sich anmaßt, Cicero wegen seiner Ausdrucksweise zu kritisieren, von ihm eines Besseren belehrt und abschließend zum Halbgebildeten deklassiert wird: inlotis, quod aiunt, pedibus et uerbis reprehendit doctissimi uiri orationem (NA 17,5,14).217 Auch in den zahlreichen _____________ 212 Die nouicii scheint Gellius bzw. Calvenos Tauros vor allem unter den Grammatikern (NA 11,1,5: turba grammaticorum nouicia), aber auch unter den Pseudophilosophen (NA 1,9,11: nouicios philosophorum sectatores) auszumachen. 213 Vgl. P. L SCHMIDT, HLL 4 (1997), ' 432, S. 218-219; STEINMETZ, Untersuchungen, 80-91, bes. 80-83. 90-91. 214 Vgl. BEALL, Civilis eruditio, 102-104; KASTER, Guardians of Language, 15-17. 27-31. 51-57. 59-60. 64-69; A. VARDI, Gellius against the Professors, 41-54; ders., Genre, Conventions, 185. 215 SCHMITZ, Bildung und Macht, 151 im Rahmen seiner Behandlung der Frage _Wer waren die ±ɁȳȶȫȲȯ¥Ȼ ?> (152-156). 216 Die Abwehr des Bildungspedantismus, wie ihn gerade die Grammatiker an den Tag legen, war nicht erst im zweiten Jahrhundert ein Anliegen der kulturellen Elite und blieb es bis in die Spätantike; vgl. KASTER, Guardians of Language, 50-64. 217 Mit derselben Metapher greift Calvenos Tauros die nouicii philosophorum sectatores (NA 1,9,11; vgl. NA 10,19,1) an: isti, qui repente pedibus inlotis ad philosophos deuertunt, non est hoc satis, quod sunt omnino wȲȯѡȺȱȽoȳ, xȶoȾȼoȳ, wȭȯɂȶɃȽȺȱȽoȳ, sed legem etiam dant, qua philosophari discant (NA 1,9,8). Ganz ähnliche Bedenken hatte er sogar zu Beginn gegenüber Gellius, den er als Neuling unter seinen Schülern mit dem abfälligen heus tu rhetorisce angeredet (NA 17,20,4) und vor der aus rein sprachlichrhetorischen Interessen betriebenen Beschäftigung mit Platon gewarnt hat. KASULKE, Fronto, Marc Aurel, 79. 133-142. 384 hält die in NA 10,19 berichtete Konversion von der Rhetorik zur Philosophie wie auch andere `Bekehrungsfälle in der Hohen

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anderen Szenen, in denen Halbgebildete bloßgestellt werden, zielt Gellius in einem auf ihre Arroganz und Ignoranz, indem er ihren Bildungsdünkel gerade mit der Aufdeckung ihres Unwissens oder Halbwissens lächerlich macht. Aus all diesen szenisch gestalteten Abgrenzungs- und Ausschlußmaßnahmen genauso wie aus der Darstellung der bewunderten Bildungsidole und der Selbstdarstellung des Gellius läßt sich das den _Noctes Atticae> zugrundeliegende Bildungsideal konstruieren. Ausgangspunkt ist das Bildungsinteresse (NA praef. 12) und die Bereitschaft, sich um den Erwerb von Wissen und Kenntnissen zu bemühen. Bildungsanstrengung wird von Gellius, der sie ja selbst beständig unternimmt und als deren Ergebnis er schließlich sein Werk vorlegt, positiv dargestellt. So zeigt er in seinen ,Noctes Atticae> den Bildungserwerb als einen Prozeß, beginnend beim Unterricht, bei privater Lektüre und eigenen Literaturrecherchen, über Memorierübungen und Anfertigung von Notizen, bis zur Endredaktion der ,Noctes Atticae>. Gellius selbst, der Bildungs-Dilettant im eigentlichen Sinne, scheut offenbar keine Mühe, sich geistig weiterzubilden, er gibt sich nicht zufrieden mit vorschnellen Erklärungen und halbherzigen Lösungen anstehender Probleme, sondern treibt seine Studien immer weiter voran, wie die zahlreichen später hinzugefügten Ergänzungen der commentarii illustrieren (sollen). Die Kontrastfiguren der Fachleute hingegen weichen der Antwort auf Fragen aus und bemühen sich gar nicht um eine Lösung, wie z.B. der Grammatiker in NA 19,10,4, der sich der für ihn peinlichen Situation durch seinen Abgang entzieht und erklärt, das Problem verdiene gar keine Untersuchung (NA 19,10,8).218 Daß Gellius Bildung nicht nur als einen Zustand, sondern als einen Prozeß den Lesern B entsprechend seiner didaktisch-propädeutischen Intention B vor Augen führt, unterscheidet seine Darstellung wesentlich von dem im Selbstverständnis der kulturellen Elite verhafteten und in Literatur und Epigraphik reproduzierten Bild der `aristokratischenA ąȫȳȮȯɅȫ, die nicht erarbeitet werden muß, sondern sozusagen als Charaktereigenschaft vererbt wird.219 Im gelliani_____________ KaiserzeitA (Dion von Prusa, Lukian, Aristokles von Pergamon, Isaios) für `topisch überformt(e)A bzw. stilisierte (Selbst)Inszenierung. Vgl. oben S. 260-261. S. 360. 218 Dasselbe Verhaltensmuster zeigt sich auch bei vielen anderen in Verlegenheit gebrachten Spezialisten: vgl. z.B. NA 4,1,7-13; NA 6,17,11-12; NA 13,31,6-13; NA 16,6,1112; NA 18,4,6-9. Bezeichnend ist die Ausflucht des Grammatikers in NA 6,17,11: At ille oscitans et alucinanti similis: _nunc> inquit _mihi operae non est. Cum otium erit, reuises ad me atque disces, quid in uerbo isto et Vergilius et Sallustius et Plautus et Ennius senserint.> Ein anderer Grammatiker erklärt sich in NA 20,10,2. 5 bei einer ihm unbekannten ennianischen Ausdrucksweise für nicht zuständig und verweist Gellius mit seiner Frage an den Rechtsgelehrten. 219 Vgl. SCHMITZ, Bildung und Macht, 136-146, bes. 138. 140. 146.

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schen Bildungsverständnis ist Bildung sogar ein lebenslanger Prozeß. In diesem Sinne ist seine in der Praefatio gemachte Ankündigung zu verstehen, seine Studien und sein Werk bis an sein Lebensende fortzusetzen (NA praef. 23-24).220 Einige werkimmanente Indizien legen nahe, diese auf kontinuierliche Weiterführung angelegte offene Werkkonzeption nicht nur als Prätention aufzufassen, sondern sie als eine echte Intention des Gellius in Übereinstimmung mit seinem Bildungskonzept zu bewerten.221 _____________ 220 Damit zeigt Gellius sich von dem Forschungsdrang getrieben, den Quintilian beschrieben hat: ... cum grammatices amor et usus lectionis non scholarum temporibus, sed uitae spatio terminentur (inst. 1,8,12). 221 Es gibt eine Reihe von Indizien, die für die Vermutung sprechen, daß die _Noctes Atticae> nicht abgeschlossen sind. Gewiß ist es einer flüchtigen Endredaktion der publizierten (ersten) zwanzig Bücher zuzuschreiben, daß Gellius in ihnen inhaltliche Dubletten hat stehen lassen (vgl. seine Aussage in NA 14,7,3; dazu PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 189 Anm. 242) und bei seinem sonstigen Bemühen um Gründlichkeit und Vollständigkeit (z.B. NA 13,29,6; vgl. oben S. 188. S. 321-322 Anm. 50. S. 372 Anm. 181) einige Fehler (z.B. unvollständiges, wenn nicht in der Überlieferung beschädigtes, Favorinus-Zitat in NA 10,12,10) bzw. offene Punkte (z.B. NA 2,22,31) übersehen hat (vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 31-32; PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 178 m. Anm. 172). Daraus erklärt sich auch die Diskrepanz zwischen capitulum und commentarius in NA 13,6,4, wo er den Gebrauch des Begriffs barbarismus bei den Attici noch nicht, wie in der Überschrift angekündigt, definitiv ausschließt (... an dixerint, nondum equidem inueni). Auf mangelnde Ausarbeitung ist wohl auch die nur ansatzweise durchgeführte Inszenierung (NA 1,7,4-5. 9. 16-17) in NA 1,7 zurückzuführen, die im Vergleich mit der Parallelszene in NA 5,4 auffällt, wo auch eine als Fehler inkriminierte Lesart einer Handschrift verteidigt wird. Jedoch tragen die _Noctes Atticae> nicht nur unbeabsichtigte Spuren der Unfertigkeit bzw. der `carelessness in compositionA (NETTLESHIP, Aulus Gellius, 396-397), sondern der `Anstrich des Offenen und Unfertigen, der sich dem Ganzen mitteiltA (MERCKLIN, Citiermethode, 704), scheint durchaus vom Autor intendiert. Wenn er darauf hinweist, daß noch weitere Nachforschungen erforderlich sind zur vollständigen Klärung einer Frage (z.B. in NA 12,14,7), meint er nicht nur eigene Recherchen (z.B. NA 2,19,3: adhuc quaero), sondern er fordert auch seine Leser dazu auf (vgl. NA praef. 18; NA 13,26,5; vgl. auch oben S. 321 Anm. 49). Daß er selbst über das vorliegende Werk hinaus weitere Nachforschungen unternimmt, kündigt er z.B. mit dem Futur in NA 13,7,6 scriptum inueniemus ... scribemus an. Auch die in NA 17,1,9 aufgeschobene, aber im überlieferten Text der _Noctes Atticae> nicht behandelte Etymologie von penuria (sed id aliorsum pertinet atque alio in loco dicetur) macht das Vorhaben einer Fortsetzung glaubhaft, wie es Gellius in der Praefatio programmatisch erklärt. Deshalb ist die Zahl von 20 Büchern der _Noctes Atticae> wohl vom Autor nicht als Abschluß geplant (vgl. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 30; MERCKLIN, Die Citiermethode, 706-707: `So scheint auch die runde Zahl von Büchern nur ein Ergebnis des Augenblicks, das die nächste Zukunft ändern kann.A). B Dagegen wird auch die Ansicht vertreten, daß Gellius mit der `fast schon kanonische[n] BuchzahlA sein Werk habe beenden wollen (BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 110 Anm. 31 hat bei dieser pointierten Aussage offenbar Suetons _Pratum>, das Werk des Caesellius Vindex und die Schrift _De verborum significatione> des Festus im Blick). P.L. SCHMIDT, HLL 4 (1997), ' 440, S. 241 hatte zuvor den Umfang von 20 Büchern die

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Der quasi sportliche Gedanke, nach dem Bildung auf Anstrengung und Training, aber auch auf Vergnügen und Lust, d.h. zugleich auf labor und uoluptas beruht und sich inter eiusdem Musae aemulos certationibus disceptationibusque (NA praef. 19) beweist,222 bereitet den Boden für weitere Wertvorstellungen, die Gellius seinen Lesern vermittelt: Fleiß und Disziplin, Sorgfalt und Gründlichkeit sind Grundelemente seines Bildungsbegriffs: huius enim scientiae cura et disciplina ex uniuersis animantibus uni homini datast idcircoque _humanitas> appellata est (NA 13,17,1).223 Neugier und Wissbegierde, die auch Gellius auf seinem Bildungsweg antreiben, bilden die Voraussetzungen für das Bildungsstreben; Bescheidenheit und Zurückhaltung fördern den Bildungsprozeß bzw. resultieren aus ihm, wie die vielfach geäußerte Bescheidenheit des Gellius und anderer Figuren veranschaulicht (vgl. dazu oben S. 326-327 Anm. 63). Dagegen sind die Bildungsostentation und die vorlaute Besserwisserei typische Charakteristika der Pseudointellektuellen.224 Ein wirklich Gebildeter stellt andere _____________ `sozusagen klassische Proportion antiquarischer FachliteraturA genannt; vgl. auch K. SALLMANN / P.L. SCHMIDT, HLL 4 (1997), ' 404, S. 41: `eine seitdem sozusagen klassische ZahlA. Denn nach dem Vorbild der _Noctes Atticae> haben die Realenzyklopädie des Festus, die _Compendiosa doctrina> des Nonius und auch Isidors _Etymologiae> 20 Bücher. Der von P.L. SCHMIDT, Suetons _Pratum>, 3818-3819 zuerst vorgebrachten Argumentation folgen auch PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 153 Anm. 37 und FÖGEN, Patrii sermonis egestas, 180. 222 Eine geläufige Metapher für den mit Anstrengung und Übung verbundenen Bildungserwerb ist die `vom Schweiß der MusenA, der im `Gymnasium der WeisheitA oder beim Training (xȼȴȱȼȳȻ) vergossen wird; vgl KASTER. Guardians of Language, 16-17. B Das aristokratische Bildungsverständnis, das sich in die Metapher des Heiligtums kleidet, zu dem nur Eingeweihte Zutritt erlangen, tritt schließlich hinter der anderen Konzeption zurück: vgl. KASTER, Guardians of Language, 15-16. 54 m. Anm. 88. 223 Vgl. KASTER, _Humanitas> and Roman Education, 9. 12-13. 14. – Gellius selbst verkörpert geradezu cura und disciplina in seiner Person. Zu seiner ausgeprägten Sorgfalt und Gründlichkeit vgl. oben S. 321-322 m. Anm. 50. S. 372 Anm. 181. 224 Diese Laster anzuprangern war schon ein Anliegen Varros in seiner satura Menippea _Nescis quid uesper serus uehat> (vgl. Gell. NA 13,11,3-5): vgl. KRENKEL (Hrsg.), Varro: Saturae Menippeae, 2, 601-616 (Men. 333-341). Kritik an Schwätzern und Vielschreibern übt auch Horaz, z.B. in sat. 1,9,23-25 und sat. 2,8. In der Figur des Trimalchio führt Petron ein Paradebeispiel für einen Bildungsprotz vor, der sich gerade durch seinen eklatanten Mangel an Bildung lächerlich macht; vgl. H. PETERSMANN, Petrons _Satyrica‘; in: J. ADAMIETZ (Hrsg.), Die römische Satire, Darmstadt 1986 [= Grundriss der Literaturgeschichten nach Gattungen], 383-426, hier bes. 411-413. Die besondere Ironie bringt Petron darin zum Ausdruck, daß gerade Trimalchio sich mit der Formel homo inter homines (Petr. 39,4. 74,13; genauso Trimalchios Mitfreigelassener Hermeros in Petr. 57,5) seiner humanitas brüstet, wenn er von seinem sozialen Aufstieg als einem Aufstieg zu menschenwürdigen Dasein spricht: vgl. RIEKS, Homo, humanus, humanitas, 145. 158-159. 166. B Lukians Polemik richtet sich immer wieder gegen pseudointellektuelle Scharlatane verschiedener Couleur: vgl. J. GERLACH,

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nicht auf die Probe,225 ausgenommen die Bildungsprotze, deren Diskreditierung nicht nur amüsante Szenen liefert, sondern wiederum moralpädagogische Wirkung hat. Der ernsthaft an Bildungserwerb Interessierte läßt sich wie Gellius durch Gestalten der Gegenwart und durch Literatur der Vergangenheit belehren, insbesondere nimmt er die moralischen Lehren aus Vorträgen, Diskussionen und schriftlichen Texten an. Deshalb hält er sich nicht nur (Gellius allerdings überwiegend) in der Studierstube bei der Lektüre auf, sondern er bewegt sich auch in den Kreisen der gebildeten Gesellschaft. So stellt Gellius sich selbst als Teilnehmer von Gesprächen und Debatten, meist zwar nur in der Rolle des stummen Zuhörers, bisweilen aber auch in der des Gesprächspartners und Mitdiskutanten als Fragesteller (z.B. NA 6,17,1; NA 9,1,2; NA 12,13,1; NA 13,31,3; NA 15,1,5; NA 16,10,3; NA 19,1,12; NA 20,6,1; NA 20,10,2) oder seltener als Antwortender bzw. Wortführer (z.B. NA 6,17,4-10; NA 8,2; NA 15,9,2. 4-5; NA 13,13,4) dar. Auf diese Weise ist er an der Konversationskultur beteiligt, die sich in den privaten Salons der Gebildeten ebenso wie an öffentlichen Plätzen, in Bibliotheken, Vortragssälen, im Vorraum des Theaters (NA 18,5,5) und sogar des Kaiserpalastes (NA 19,13,1; NA 20,1,2-3. 55) entfaltet. Verschieden wie die Orte der inszenierten Konversation sind die Situationen, in die sie eingebettet wird: Spaziergang (z.B. NA 3,1,1; NA 7,16,1; NA 14,5,1; NA 15,1,2; NA 18,1,2-3; NA 19,7,2; vgl. auch Gellius allein auf Spaziergang in NA 11,3,1 und Spazierfahrt in NA 10,25) und Reise (NA 2,21; NA 12,5,1; NA 19,1), Ferienaufenthalt (z.B. NA 1,2,1-2; NA 9,15,1; NA 17,10,1; NA 18,5,1; NA 19,5,1; NA 20,8,1), Krankenbesuch (vgl. oben S. 258 Anm. 232. S. 353-354), Festgesellschaft (NA 18,2,1-2; NA 18,13,1; NA 19,9,1), Cena (NA 2,22,1; NA 3,19,1; NA 17,8,1; NA 19,7,1-2; NA 20,8,3) und Symposion (NA 1,2,4; NA 7,13,14; NA 15,2,3) bieten Gelegenheiten für gelehrte Gespräche und Unterhal-

_____________ Die Figur des Scharlatans bei Lukian; in P. PILHOFER / M. BAUMBACH / J. GERLACH / D.U. HANSEN (Hrsg.), Lukian: Der Tod des Peregrinos. Ein Scharlatan auf dem Scheiterhaufen, Darmstadt 2005 [= Sapere 9], 151-197, hier bes. 151-152. 154-155. 163. 165. 167; H.-G. NESSELRATH, Lukians Parasitendialog. Untersuchungen und Kommentar, Berlin / New York 1985 [= Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 22], 459. 464-465. 476. 225 Wohl deshalb betont Gellius in NA 6,17,1, daß er aus echter Wißbegierde eine Frage an einen berühmten Grammatiker gerichtet hat, mit der er diesen unbeabsichtigt in große Verlegenheit gebracht hat: percontabar Romae quempiam grammaticum primae in docendo celebritatis non hercle experiundi uel temptandi gratia, sed discendi magis studio et cupidine, quid significaret _obnoxius> quaeque eius uocabuli origo ac ratio esset. B Daß man die Bildung anderer nicht überprüft, gehört offenbar zu allen Zeiten zum Komment der gebildeten Gesellschaft; vgl. SCHWANITZ, Bildung, 395-397.

5.4. Der Bildungsbegriff der _Noctes Atticae>

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tungen.226 Diese Inszenierungen sind keine gellianischen Erfindungen, sondern knüpfen an literarische Traditionen an.227 Insbesondere das Symposion ist als Rahmen solcher Diskussion und Konversation durch die Literatur fest etabliert und die Gattung der Symposion-Literatur228 ist in den _Noctes Atticae> durch das sie begründende _Symposion> Platons, das Unterrichtsthema bei Calvenos Tauros ist (NA 17,20,1-6; vgl. auch NA 1,9,9), sowie durch Auszüge aus bzw. Verweise auf Plutarchs _Symposiaka> (NA 3,5: Plut. mor. 705 e [= quaest. conv. 7,5 ]; NA 3,6: Plut. mor. 724 e [= quaest. conv. 8,4 ]; NA 4,11,13: Plut. mor. 728 c -730 d [= quaest. conv. 8,8]; NA 17,11: Plut. mor. 698 e [= quaest. conv. 7,1]) gegenwärtig. Über die Bedeutung des Symposions als Ort intellektueller Anregung und Erholung (sowie moralischer Erprobung) unterrichtet ausdrücklich die Paraphrase der Rede über œ ȽȻ ȶɃȲȱȻ ɀȺȯɅȫ (leg. 673 d 10) in den platonischen _Nomoi> (leg. 666 a 2 - d 1. 671 a 4- 672 d 9. 673 e 3- 674 c 7) in NA 15,2,4-8. So wie es von alters her der Ort der geselligen Unterhaltung _____________ 226 Die in diesen Situationen zur Geltung kommende humanitas macht sie zu einem Komplementärbegriff des otium; vgl. ANDRÉ, L’otium, 541. 227 Die Einkleidung mag tatsächlich in vielen Fällen fingiert sein, um das `Erzählte als Selbsterlebtes hinzustellenA; vgl. MARTIN, Symposion, 181-183, hier 181. Zum generellen Problem, Fingiertes und Faktisches in den _Noctes Atticae> voneinander zu unterscheiden vgl. oben S. 174-175. S. 251 m. Anm. 206-207. B Zu den verschiedenen in der lateinischen Literatur, besonders in den ciceronischen Dialogen, verankerten Szenentopoi von Spaziergängen, Landaufenthalten und Symposien, vgl. BEALL, Civilis eruditio, 124-131. B LINDERMANN, Kommentar, 40-42, in seiner Tendenz, gebräuchliche literaturwissenschaftliche Begriffe (beeinflußt von der analytischen Literaturwissenschaft und ihrer Vorliebe für terminologische Klärungen ?) in Frage zu stellen (vgl. oben S. 303 Anm. 1), nimmt eine ebenso unergiebige wie unnötige Problematisierung des (formalästhetisch völlig unproblematischen, weil wertungsfreien, und üblichen) Begriffs _Inszenierung> vor, der hier und sonst in der literaturwissenschaftlichen Beschreibung im Sinne einer (nicht diskursiven) szenischen Gestaltung ohne Aussage über die Autorintention gebraucht wird. 228 Die Monographie von MARTIN über das Symposion stellt _Die Geschichte einer literarischen Form> dar; vgl. A. HUG, Symposion-Literatur; in RE 4 A2 (1932) 1274-1282, bes. 1277 mit Hinweis auf Gell. NA 13,11; H. GÖRGEMANNS, Symposion-Literatur; in: DNP 11 (2001) 1138-1141. B BEALL, Civilis eruditio, 129 unterscheidet die sympotische Inszenierung einzelner Kapitel durch Gellius von der sympotischen Konzeption ganzer Werke bei seinen Vorgängern: `While his known predecessors (like his successors Athenaeus and Macrobius) employed the banquet as the general setting for a work of miscellaneous erudition, Gellius _miniaturizes> the genre, using it to create occasional scenery for specific discussions.A B Daß die Originalität von Athenaios= _Deipnosophistai> darin liegt, die Tradition der Symposienliteratur mit der literarischen Deipnon-Form zu verbinden und in dieser Form und Inhalt ineinander übergehen zu lassen, hat herausgearbeitet A. LUKINOVICH, The Play of Reflections between Literary Form and the Sympotic Theme in the _Deipnosophistae> of Athenaeus; in: Sympotica. A Symposium on the Symposion, ed. by O. MURRAY, Oxford 1990, 263-271, hier bes. 263-264. 271.

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über Themen verschiedenster Art ist, dient es in den _Noctes Atticae> der Erörterung von Rätselfragen (z.B. NA 7,13,4; NA 18,2,9; NA 18,13), sprachlich-literarischen Themen (z.B. NA 2,22; NA 3,19; NA 17,10; NA 19,9,3-14) genauso wie der Rede über philosophische Probleme (NA 1,2,4-13; NA 7,13,5-11; NA 17,8229). Und auch die Cena, gewissermaßen als das römische Pendant, wird in NA 18,2,1-3 zum Ort eines intellektuellen Wettbewerbs, den man als Gesellschaftsspiel austrägt: Saturnalia Athenis agitabamus hilare prorsum ac modeste, non, ut dicitur, remittentes animum, B nam _remittere> inquit Musonius _animum quasi amittere est> B, sed demulcentes eum paulum atque laxantes iucundis honestisque sermonum inlectationibus. Conueniebamus autem ad eandem cenam complusculi, qui Romani in Graeciam ueneramus quique easdem auditiones eosdemque doctores colebamus. Tum qui et cenulam ordine suo curabat, praemium soluendae quaestionis ponebat librum ueteris scriptoris uel Graecum uel Latinum et coronam e lauro plexam totidemque res quaerebat, quot homines istic eramus; cumque eas omnis exposuerat, rem locumque dicendi sors dabat. Quaestio igitur soluta corona et praemio donabatur; non soluta autem transmittebatur ad eum, qui sortito successerat, idque in orbem uice pari seruabatur. Si nemo dissoluebat, corona quaestionis eius deo, cuius id festum erat, dicabatur. Doch es gibt nicht nur diese selbstformulierten Spielregeln für die cenae an den Saturnalien in Athen, sondern generell gelten für diese gesellschaftlichen Ereignisse bestimmte Konventionen, die auch im Rahmen der _Noctes Atticae> mehrfach Thema sind: So werden die im Symposion herrschenden `GesetzeA behandelt in NA 7,13,1-4 und NA 15,2. Wichtige Vorschriften über Ausrichtung und begleitendes Unterhaltungsprogramm der Cena hat Gellius Varros Satire _Nescis quid uesper serus uehat= (Men. frg. 333-341) entnommen (NA 1,22,4-5; NA 13,11). Im Zentrum steht dabei die in NA 13,11,4-5 referierte und in NA 1,22,5 wörtlich zitierte Anforderung an die ausgewählten Lektüre- und (damit auch) Gesprächsthemen, zugleich nützlich und amüsant zu sein: In conuiuio legi nec omnia debent, et ea potissimum, quae simul sint Ȭȳɂȿȯȵ et delectent, potius ut id quoque uideatur non defuisse quam superfuisse. Weiteres Anschauungsmaterial für solchermaßen ausgerichtete Konversation bieten außer dem oben beschriebenen Unterhaltungsspiel die sophismata der Cena-Teilnehmer in NA 18,13, die sie reihum quasi talos aut tesserulas in medium werfen und deren bestes sie wiederum prämieren (NA 18,13,2_____________ 229 Das Ausgehen und Nachkaufen des Öles in NA 17,8,4-8, das zum Anlaß genommen wird, in NA 17,8,8-15 über das physikalische Problem des unterschiedlichen Gefrierverhaltens von Öl und Wein zu diskutieren, ist ein Motiv der Symposion-Literatur (vgl. MARTIN, Symposion, 182. 235. 314).

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4).230 Obwohl eigentlich im conuiuium gilt, daß nicht nur einer redet (NA 2,22,26), dient auch der im Anschluß an die gemeinsame Lektüre eines lateinischen Dichters gehaltene Vortrag des Favorinus über die Winde in NA 2,22 der Unterhaltung, wie Gellius betont.231 Die Lektüre griechischer und lateinischer Autoren gehörte bei Favorinus (NA 2,22,1) wie beim Dichter Iulius Paulus (NA 19,7,2) zum Unterhaltungsprogramm der Gastmähler (vgl. NA 9,9,4). Aber nicht nur für die geistige Unterhaltung und Konversation, sondern auch für den äußeren Rahmen der conuiuia, der schon in der literarischen Tradition sympotisches Thema war, wie z.B. Hor. sat. 2,2,1-7 mit seinem Spott über Mäßigkeitsthemen beim üppigen Mahl bezeugt, gibt Gellius seinen Lesern sozusagen einen literarisch eingekleideten Benimmführer an die Hand, indem er Varros Satire ȡȯȺ¤ ˆȮȯȼȶȪȽɂv mit einem Katalog extravaganter Luxusspeisen (NA 6,16,3-6) und eine anschließende Warnung des Euripides vor Schwelgerei und Prasserei (NA 6,16,6-7) sowie altrömische gesetzliche Bestimmungen (NA 2,24) und eine anonyme Rede (NA 15,8) gegen den Tafelluxus zitiert. Desweiteren werden bei der Sitz- und Tischordnung der Cena zu berücksichtigende Regeln in NA 2,2,9 und NA 10,15,21 erwähnt. Offenbar ist es Gellius ein zentrales Anliegen, auf verschiedene Weise die `SpielregelnA für die Wettbewerbs- bzw. Konkurrenzsituationen des Symposions zu veranschaulichen und zu vergegenwärtigen, in denen sich die Gesellschaftstauglichkeit eines Angehörigen der kulturellen Elite zu bewähren hatte.232 Denn hier werden die inter eiusdem Musae aemulos certationes disceptationesque ausgetragen, von denen Gellius eingangs in NA praef. 19 gesprochen hatte. Grundregel und Ziel des `sozialen SpielsA der Bildung ist es hier für jemanden wie Gellius und seinesgleichen, der nicht in der ersten Reihe spielt (vgl. zum sozialen Status des Gellius oben S. 308-309 Anm. 14. S. 318-319 Anm. 44), nicht unbedingt, sich vor den _____________ 230 Die zwischen NA 18,2,9 und NA 16,2,10 sowie NA 18,13,8 bestehenden Dubletten sind wohl keine Zeichen von mangelnder Sorgfalt des Gellius; vgl. HOLFORDSTREVENS, Aulus Gellius2, 33-34: `... we should contemplate deliberate repetitions made in order to bind his text together.A B Die wiederkehrenden Szenen von Unterhaltungen über solche (nicht gelöste, sondern dem Leser zur Lösung überlasssene) captiones (NA 18,2,9; NA 18,13,4. 5) bzw. sophismata (NA 18,2,10; NA 18,13,6) im Rahmen geselliger Zusammenkünfte veranschaulicht nach GUNDERSON, Nox Philologiae, 106-108. 137-138 das Verständnis von Bildung als einem großen Gesellschaftsspiel bzw. `(infinite) feast (of learning)A (131. 249. 263), das in den _Noctes Atticae> Niederschlag gefunden habe und das ganze Werk als `a protracted dinner partyA (137-138 vgl. 136) erscheinen lasse. 231 Dies hebt Gellius in NA 2,22,27 ausdrücklich hervor: Haec nobis Fauorinus in eo, quo dixi, tempore apud mensam suam summa cum elegantia uerborum totiusque sermonis comitate atque gratia denarrauit. 232 Vgl. SCHMITZ, Bildung und Macht, 127-133 (_Spielerische Konkurrenz>).

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anderen zu profilieren (so präsentiert er B nachträglich B in NA 18,2,1516 die Lösung einer beim Symposion unbeantwortet gebliebenen quaestio), sondern `mithalten zu könnenA und sich nicht durch falsches Verhalten oder fehlendes Wissen in der Konversation zu blamieren.233 So gibt er mit seinen _Noctes Atticae> zum einen ein Spiegelbild der Konversationskultur des 2. Jh.s, die mit der weiter oben beschriebenen Lesekultur der Epoche (vgl. S. 107-108. S. 319-324) aufs engste verbunden war,234 zum anderen liefert er wiederum Material und Verhaltensmuster für die zeitgenössische und spätere antike Konversationskultur.235 Denn die ‚Saturnalia‘ seines buntschriftstellerischen Nachfolgers Macrobius, der ohne _____________ 233 Wie dieses Spiel B auf der Ebene der Durchschnitts- oder Halbgebildeten B funktioniert, beschreibt ausgehend von einem minimalistischen, rein kommunikativen Bildungsbegriff SCHWANITZ, Bildung, 394-399, hier 394. 396: `Bildung ist die Fähigkeit, bei der Konversation mit kultivierten Leuten mitzuhalten, ohne unangenehm aufzufallen. ... Bildung ist der Name eines sozialen Spiels, das durch erhöhte Erwartungen und Erwartungserwartungen in bezug auf das kulturelle Wissen der Mitspieler gekennzeichnet ist; diese dürfen die Erwartungen und Erwartungserwartungen nicht thematisieren. Ihre Geschicklichkeit besteht darin, diese Erwartungen gleichzeitig zu erkunden und zu erfüllen oder, wenn das nicht gelingt, es den anderen nicht merken zu lassen.A In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder der Vergleich mit dem _Knigge> bemüht, in dem sozusagen die Spielregeln des Gesellschaftsspiels kodifiziert sind: vgl. BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 106; PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 160 Anm. 82. 234 Denn beim gebildeten Umgang mit Literatur gehört immer das Kommunizieren über die Lektüre wesentlich dazu. Vgl. SCHLAFFER, Der Umgang mit Literatur, 23: `Der Kenner von Literatur ... genießt Literatur lieber in Portionen und als Kostprobe, um dann sein Urteil anderen mitzuteilen, mit ihnen zu teilen. Bereits die Absicht, literarische Kenntnisse mit seinesgleichen auszutauschen, schärft seine Aufmerksamkeit und stärkt sein Gedächtnis. Das eigentliche Vermögen eines Literaten besteht darin, daß er etwas über Literatur zu sagen weiß.A Vgl. ebd. 19: `Wechselnde Einrichtungen sorgen, über die zufällige private Kommunikation hinaus, für eine gesellige Kompensation der einsamen Lektüre: Privatbibliotheken, Lesegesellschaften, literarische Vereine, philologische Seminare.A 235 Dieser Aspekt ist zu Recht von PAUSCH im Anschluß an KRASSER aus den biographischen Kapiteln der _Noctes Atticae> herausgearbeitet worden: vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 36-38. 160 m. Anm. 81. 161. 163. 190. 207-209. 227. 228. B Ausdrücklich hat die literarische Intention, mit seinem Werk der Tischunterhaltung im Symposion dienen zu wollen, der Verfasser des _Querolus> (ca. 415 n. Chr.) in der an Rutilius (wahrscheinlich Namatianus) gerichteten Widmung vorgetragen: nos fabellis atque mensis hunc librum scripsimus (p. 3,13-14 RANSTRAND); vgl. dazu J. KÜPPERS, _Querolus sive Aulularia>; in: Philologus 133 (1989) 82-103, hier 88. B Auch in späteren Zeiten läßt sich beobachten, daß Erzählsammlungen zum Zweck der `galanten ConversationA entstanden sind, z.B. als im 17. Jh. die Vorstellung mächtiger wurde, `daß der sich in Gesellschaft Bewegende in der Unterhaltung geistreich und witzig zu sein habeA, wie E. ROHMER, Anekdote; in: HWR 1 (1992) 566-579, hier 576 analysiert.

5.4. Der Bildungsbegriff der _Noctes Atticae>

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Gellius zu nennen, vielfach an die _Noctes Atticae> anknüpft,236 zeigen in der Einkleidung als Gespräche bei der Saturnalienfeier, wie die gellianischen Themen Eingang in die Symposienunterhaltung gefunden haben. Die dargestellten Gespräche vermischten gelehrten Inhalts kündigt Macrobius im vorangestellten argumentum mit Hinweis gerade auf ihren unterhaltenden Charakter an: sed erit in mensa sermo iucundior, ut habeat uoluptatis amplius, seueritatis minus (Sat. 1,1,2). Damit entspricht der von Macrobius intendierte Charakter seiner ,Saturnalien=-Unterhaltung dem Lesevergnügen, das Gellius seinen Lesern schon in der Praefatio wortreich in Aussicht stellt (NA praef. 11: ... quod sit aut uoluptati legere aut cultui legisse aut usui meminisse; praef. 19: qui in lectitando, , scribendo, commentando numquam uoluptates, numquam labores ceperunt ... abeant ab _noctibus> his procul atque alia sibi oblectamenta quaerant; praef. 23: ... subsecundaria tempora ad colligendas huiuscemodi memoriarum delectatiunculas conferam) und in seinem Werk vornehmlich dadurch bereitet, daß er die auftretenden Personen in heiter entspannten Gesprächssituationen darstellt, obwohl sie gelehrte und durchaus ernste Themen diskutieren. Die auf Banketten und in den Salons der Gebildeten stattfindende Konversationskultur erfordert von den Gesprächsteilnehmern humanitas in dem Sinn,237 wie Cicero sie versteht, der in de orat. 1,27 von Crassus sagt: Eo autem omni sermone confecto tantam in Crasso humanitatem fuisse, ut, cum lauti accubuissent, tolleretur omnis illa superioris tristitia sermonis eaque esset in homine iucunditas et tantus in loquendo lepos, ut dies inter eos curiae fuisse uideretur, conuiuium Tusculani. Die hier von Cicero an Crassus hervorgehobenen Eigenschaften zeichnen auch die gellianischen Bildungsprotagonisten und Vorbildgestalten aus: Sie alle verfügen über mehr oder weniger Freundlichkeit, Charme, Witz, Schlagfertigkeit und Iro_____________ 236 Vgl. G. WISSOWA, De Macrobii Saturnaliorum fontibus, Breslau 1880, bes. 3 m. Anm. 1. 5. 9. 17. 34; E. TÜRK, Macrobius und die Quellen seiner Saturnalien, Diss. Freiburg 1961, 17. 102-117. 121-134; GUNDERSON, Nox Philologiae, 255-269. 237 Die Auffassung Ciceros und seiner Zeitgenossen von humanitas im Sinne von urbanitas hat in seiner weite Horizonte eröffnenden Abhandlung dargelegt KLINGNER, Humanität und Humanitas, 704-737, bes. 719-722: `Urbanus bezeichnet die feine, witzige, geistreiche und höfliche Art des Stadtrömers. Und humanus steht ihm nicht nur der Wortbildung, sondern auch der Bedeutung und vor allem dem Tone nach sehr nahe. Es ist kein Wort ernster Besinnung, sondern heiterer Selbstsicherheit.A Den Beitrag KLINGNERs zur Forschung über die römische humanitas würdigt RIEKS, Homo, humanus, humanitas, 19. 258. B Die universale Bedeutung der humanitas bei Cicero, die `fast alle Züge der Idee des Menschen und der MenschlichkeitA vereine und in der das humaniter uiuere und die studia humanitatis mit dem Brückenschlag zwischen griechischer und römischer Anthropologie, zwischen Philosophie und Rhetorik, sich verbinden, stellt heraus W. SCHADEWALDT, Humanitas Romana; in: ANRW I 4, (1973) 43-62, bes. 58-61.

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

nie.238 Besonders im Charakterbild von Favorinus, Herodes Atticus und Calvenos Tauros hebt Gellius die Züge comitas, lenitas und lepos hervor.239 Damit bezieht Gellius auf einem Umweg die ȿȳȵȫvȲȺɂąɅȫ, die er als dexteritatem quandam beniuolentiamque erga omnis homines promiscam240 ver_____________ 238 Der Rhetor Antonius Iulianus wird vorgestellt als rhetor perquam ... honesti atque amoeni ingeni (NA 1,4,1; vgl. NA 15,1,4: laeta, ut mos eius fuit, inter fabulandum uenustate ... inquit; NA 18,5,1: cum Antonio Iuliano rhetore ... aestiuarum feriarum ludum et iocum in litteris amoenioribus et in uoluptatibus pudicis honestisque agitabamus). Am Dichter Annianus wird nicht nur sein einnehmendes Wesen (ingenii amoenitates), sondern auch die Sprachkunst seiner Werke und die Gefälligkeit seiner Rede (sermocinabatur mira quadam et scita suauitate) hervorgehoben (NA 6,7,1). Zudem zeichnet er sich durch seine Gastfreundlichkeit aus (NA 20,8,1-2) genauso wie der Dichter Iulius Paulus: nos ad sese uocabat et olusculis pomisque satis comiter copioseque inuitabat (NA 19,7,1). Sulpicius Apollinaris übt sogar in der Kritik noch Milde: ... ut mos eius in reprehendendo fuit, placide admodum leniterque ... inquit (NA 13,20,5). Auch der nicht mit Namen genannte Stoiker antwortet auf die Frage des Gellius placide et comiter (NA 19,1,13), während der Grammatiker Domitius Insanus sich sein Epitheton verdient und auf eine Frage des Favorinus aufbrausend und abweisend reagiert (NA 18,7,1-4). Obwohl dieser andere an seinem Wissen nicht teilhaben läßt, nimmt Favorinus ihn noch verständnisvoll in Schutz, indem er die Unbeherrschtheit des Grammatikers mit seiner ȶȯȵȫȭɀoȵɅȫ (NA 18,7,4) erklärt. Erstaunlicherweise orientiert sich Gellius auch bei der Beschreibung des Makedonenkönigs Philipp II. an dem humanitas-Ideal: is Philippus, cum in omni fere tempore negotiis belli uictoriisque adfectus exercitusque esset, a liberali tamen Musa et a studiis humanitatis nusquam afuit, quin lepide comiterque pleraque et faceret et diceret (NA 9,3,2). Vgl. dazu LINDERMANN, Kommentar, 113 z.St.: `Die Bildungsbegriffe beschreiben Philipp II. als einen König nach platonischem Vorbild, als Philosophen und Gelehrten.A 239 Von Favorinus heißt es z.B. in NA 16,3,1.5: sermonibus usquequaquam amoenissimis demulcebat ... adfabilissime dicebat; vgl. NA 2,5,cap.: quam lepide signateque dixerit Fauorinus; NA 2,22,27: haec nobis Fauorinus ... apud mensam suam summa cum elegantia uerborum totiusque sermonis comitate atque gratia denarrauit; NA 8,14, cap.: lepidissima altercatio Fauorini philosophi aduersus quendam intempestiuum; NA 12,1,24: ... amoenitates uero et copias ubertatesque uerborum Latina omnis facundia uix quaedam indipisci potuerit, mea tenuitas nequaquam; NA 14,1,32: Fauorinus, ut hominis ingenium fuit utque est Graecae facundiae copia simul et uenustas, latius ea et amoenius et splendidius et profluentius exsequebatur; NA 16,3,1: tenebatque animos nostros homo ille fandi dulcissimus; NA 20,1,33 (Caecilius zu Favorinus): dixisti lepida quadam sollertia uerborum. B Herodes Atticus stellt Gellius vor als einen consularem uirum ingenioque amoeno et Graeca facundia celebrem (NA 9,2,1) . B Auch das freundliche Wesen des Tauros wird mehrfach hervorgehoben: assurrexit placide ... Taurus grauiter simul et comiter disseruit (NA 2,2,4. 11); Taurus, ut mos eius fuit, satis leniter ... (NA 18,10,5); vgl. dazu LAKMANN, Der Platoniker Taurus, 211-213. 240 Daß ȿȳȵȫvȲȺɂąɅȫ aufgrund eines Mißverständnisses wiedergegeben wird mit dem aus Liv. 37,7,15 übernommenen ungewöhnlichen dexteritas, versucht, gegen die in der communis opinio vorherrschende Gleichsetzung mit comitas, plausibel zu machen A. P. MAC GREGOR, Dexteritas and Humanitas: Gellius 13.17.1 and Livy 37,7,15; in: CPh 77 (1982) 42-48; vgl. dagegen die überzeugendere Ansicht von CAVAZZA (Ed.), Aulo

5.5. Fortleben gellianischer humanitas und memoria

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steht und im Rahmen seiner Begriffsdefinition aus der humanitas ausgeschlossen hat (NA 13,17,1), wieder in sein Bildungskonzept ein. Denn das seltene dexteritas ist geradezu ein Synonym zur comitas _Höflichkeit>, die in der gellianischen Darstellung zum Wesen des Gebildeten gehört.

5.5. Fortleben gellianischer humanitas und memoria in europäischen Humanismus-Epochen Mit diesen Charakterzügen ist der gellianische uir ciuiliter eruditus Vorläufer des Prototypen des gentiluòmo, des universal gebildeten Menschen der Renaissance, der als honnête homme oder Gentleman241 zum gesellschaftlichen Leitbild nachfolgender Jahrhunderte der europäischen Kulturgeschichte wurde. Auf der diesen Epochen gemeinsamen Blüte der Konversationskultur beruhen die Verbindungen zwischen dem >Libro del Cortegiano> (1528 erschienen) des Baldassare Castiglione und den _Noctes Atticae>, die sich nicht auf die Übernahme des gellianischen Einleitungskapitels mit der Berechnung der Größe des Hercules zur Eröffnung des dritten Buches beschränken, sondern ideeller und konzeptioneller Art sind.242 Gellius= humanitas,243 im ersten, römischen Humanismus wur_____________ Gellio, vol. 7, 192-200 (zu Cap. XVII Anm. 3-13); MARACHE (Éd.), Aulu-Gelle, tom. 3, 201 Anm. zu p. 85. 241 Gentleman nennt den charakterlich und intellektuell gebildeten Idealtypus in Opposition zum bornierten und blasierten Berufsgrammatiker auch KASTER, Guardians of Language, 58. 60. 64; ders., _Humanitas> and Roman Education, 14. Vgl. VARDI, Genre, Conventions, 186: `... Gellius’ view of learning and intellectual life preserves some distinctly Roman ideas of the gentleman-scholar, in which he seems much indebted to Cicero.A B Statt der eher den höfischen Gesellschaften entstammenden Bezeichnungen wird der Begriff des _Bildungsbürgers> in Ermangelung eines besseren Begriffs für diesen Typus des `KultiviertenA vorgeschlagen von E. WIERSIG, Kleriker Beamte - Gelehrte - Erziehung - Künstler. Vorüberlegungen zu einer Geschichte und Typologie des Gebildeten im vormodernen Europa; in: R.W. KECK / E. WIERSING / K. WITTSTADT (Hrsg.), Literaten - Kleriker - Gelehrte. Zur Geschichte der Gebildeten im vormodernen Europa, 1996 [= Beiträge zur historischen Bildungsforschung 15], 15-56, hier 37: `Auf eine seit den jeweiligen klassischen Zeiten der vormodernen Gesellschaften fast regelmäßig entstehende Form persönlicher Kultivierung ist hier gesondert hinzuweisen: auf die des _Bildungsbürgers>. Dieser begnügt sich nicht mit einer Kultivierung seines Verhaltens, sondern versucht darüber hinaus, durch den (meist schulmäßigen) Erwerb einer in der Tradition wurzelnden höheren _Allgemeinbildung> in öffentlicher ehrenamtlicher Tätigkeit und in seiner Muße geistig auf der Höhe seiner Zeit zu sein und am kulturellen Leben seines Lebenskreises mitzuwirken.A 242 Vgl. PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 231 m. Anm. 456; vgl. auch E. LOOS, Literatur und Formung eines Menschenideals. Das _Libro del Cortegiano> von Baldas-

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

zelnd, weist aber nicht nur in die Zukunft der Bildungsgeschichte auf die mittelalterlichen und neuzeitlichen europäischen Humanismus-Epochen voraus, in denen der Autor signifikanterweise jeweils wieder zur Geltung gekommen ist, sondern reproduziert zugleich auch ein Idealbild, das Ennius von dem Freund des Edelmannes entworfen hat244 und dem Ennius (nach dem Urteil des L. Aelius Stilo) selbst entsprochen haben soll (NA 12,4,5): Descriptum definitumque est a Quinto Ennio in _annali> septimo _____________ sare Castiglione (Zur 500. Wiederkehr des Geburtsjahres des Autors 1478-1978), Wiesbaden 1980 [= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz; geistes- u. sozialwiss. Kl., 1980; 5], bes. 10-12: Konzept und Struktur des Werkes, das in einer Reihe von Gesprächen verschiedener Personen einer urbinatischen Hofgesellschaft das Ideal des _perfetto Cortegiano> entfaltet, liegt zugrunde ` ... das anregende Gespräch als beliebteste Form des Gesellschaftsspieles; denn als Spiele gelten insbesondere solche der Konversation, bei denen jeder zu einem im Einverständnis aller gestellten Themen etwas sagen kann und soll.A 243 Sie hat viele Gemeinsamkeiten mit der plinianischen humanitas, die in sich auch die Aspekte der ąȫȳȮȯɅȫ und ȿȳȵȫvȲȺɂąɅȫ vereint; vgl. RIEKS, Homo, humanus, humanitas, 225-253. Auch bei Cicero verbindet der humanitas-Begriff Aspekte der Paideia und Philanthropia, z.B. in dem berühmten Brief an seinen Bruder ad Q. fr. 1,1,9. 2728; vgl. dazu J. L. FERRARY, Philhellénisme et impérialisme. Aspects idéologiques de la conquête romaine du monde hellénistique, de la seconde guerrre de Macédoine à la guerre contre Mithridate, Rome 1988 [= Bibliothèque des écoles françaises d’Athènes et de Rome 271], 511-516, bes. 512 m. Anm. 26; LEFÈVRE, Humanismus und humanistische Bildung, 3. 7-13; VOGT-SPIRA, Kulturbegegnung Roms, 27; ZIMMERMANN, Cicero und die Griechen, 240-241 Anm. 6. 244 Daß Gellius dieser Ennius-Stelle durch seine vorausgeschickte Paraphrase und das anschließende wörtliche Zitat soviel Raum gibt, darf man zum einen wohl als Ausdruck seines Selbstverständnisses werten, daß er als Freund so vieler hochgestellter Persönlichkeiten hat; zum anderen weist es darauf hin, eine wie große Bedeutung die Pflege der Freundschaft in der Gesellschaft der Gebildeten hat (vgl. auch NA 1,3; NA 2,12,5-6), in der zwischen Freundschafts- und Symposienkultur ein enger Zusammenhang besteht; vgl. J. D’ARMS, The Roman Convivium and the Idea of Equality; in: O. MURRAY (Ed.), Sympotica. A Symposium on the Symposion, Oxford 1990, 308320, hier 312-314. Gellius betont in seinen _Noctes Atticae> wiederholt seine freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Angehörigen der kulturellen Elite (auch wenn er sich in zwei Fällen in NA 7,15,2 und NA 14,6,1. 5 von ihrem übertriebenen Bildungspedantismus distanziert): vgl. z.B. NA 1,7,4. 16; NA 5,21,1. 5. 6. 9; NA 7,15,1; NA 9,15,1.3.10; NA 11,17,4; NA 13,8,4; NA 13,20,1; NA 14,2,9; NA 16,10,3; NA 18,5,1; NA 19,5,1; NA 19,9,1-2; NA 19,10,1; NA 19,11,3; NA 20,8,2. Freunde umgeben auch die bewunderten Geistesgrößen Fronto und Favorinus u.a.: vgl. z.B. NA 18,1,1; NA 19,8,3; NA 19,10,1; NA 19,13,4. Zur Bedeutung der Freundeszirkel als einer der sozialen Gruppen neben Familie und Staat, in der sich das Leben des Gellius und seiner Standesgenossen abspielt, vgl. T. MORGAN, Educational Values; in HOLFORD-STREVENS / VARDI (Ed.s), The Worlds of Aulus Gellius, 200-201. Aufschlußreich für die enge Verbindung zwischen Bildungs- und Freundschaftskultur im 2. Jh. ist der Epitaph eines Fronto-Freundes, eines Senators und Redners: uixi beatus diis, amicis, literis (CIL VI 1417); vgl. dazu MARROU, ȝȠȤȢIțȠȢ ȒȞȘѢ, 223. 230.

5.5. Fortleben gellianischer humanitas und memoria

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graphice admodum sciteque sub historia Gemini Seruili, uiri nobilis, quo ingenio, qua comitate, qua modestia, qua fide, qua linguae parsimonia, qua loquendi oportunitate, quanta rerum antiquarum morumque ueterum ac nouorum scientia quantaque seruandi tuendique secreti religione, qualibus denique ad minuendas uitae molestias fomentis, leuamentis, solaciis amicum esse conueniat hominis genere et fortuna superioris (NA 12,4,1-2).245 Den danach (NA 12,4,4) noch im originalen Wortlaut zitierten ennianischen `TugendkatalogA (Enn. ann. 234-252 VAHLEN2 = 268-286 SKUTSCH), den er in den Rang philosophischer Ethik erhebt, empfiehlt Gellius als Lebensmaxime zur ständigen Erinnerung und Vergegenwärtigung (NA 12,4,2-3). An der Präsentation dieses Ennius-Textes wird beispielhaft sichtbar, wie humanitas und memoria in den _Noctes Atticae> miteinander verbunden sind. Das im kulturellen Gedächtnis gespeicherte und durch die Erinnerung aktivierte und immer wieder neu zu aktualisierende Wissen der Vergangenheit liefert sozusagen das Material für die humanitas, die Bildung, die es durch persönliche Aneignung in Verhalten umsetzt. Humanitas und memoria gehören zusammen246 wie zwei Seiten derselben Medaille: memoria stellt die materielle, humanitas die habituelle Seite von Kultur und Bildung dar. In der humanitas, von Gellius als Inbegriff der griechisch-römischen Kultur etabliert, fokussieren der kulturelle Aspekt und, wie im letzten Teil beschrieben, der anthropologische, der moralische und der soziale Aspekt der Bildung, die sich in den mores der Menschen realisiert. Die im ersten Teil der Untersuchung in ihren verschiedenen Faktoren analysierte Macht der memoria bündelt die vielen divergierenden griechischen und römischen, formalen und inhaltlichen Traditionslinien, die in den _Noctes Atticae> zusammengeführt werden. So wirkt die memoria in den _Noctes Atticae> als Gegenkraft zum ordo rerum fortuitus (NA praef. 2) und zur rerum disparilitas (NA praef. 3), die eine bis ans Äußerste gehende formale und thematische Unhomogenität des Werkes herbeiführen. Diese einheitsstiftende Wirkung der memoria, die so Disparates wie private Lektürereminiszenzen und -exzerpte aus allen möglichen Werken heterogenster Form, verschiedensten Inhalts und Alters, (fingierte oder authentische) Symposienunterhaltung und öffentliche Vorträge, längst Vergangenes und (vorgeblich) kürzlich Geschehenes, Gelesenes und (angeblich) _____________ 245 BEALL, Aulus Gellius 17.8, 61 erkennt in dem von Gellius paraphrasierten Tugendkatalog `his social idealA. 246 BEALL, Civilis eruditio, 104 hat die Verbindung schon angedeutet: `Memory as a faculty, as well as a storehouse, is an important subject in the collection, as is eloquence. Gellius defined humanitas as an acquired perfection of the faculties which distinguish men from animals. His goal is to encourage others in this most human of pursuits; thus it is certainly most appropriate to speak of Gellian humanism.A

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

Erlebtes, Griechisches und Römisches zusammenhält, überbrückt Zeit und Raum. Die verbindende Macht der memoria hat auch über die Zeit der Abfassung des Werks hinaus gewirkt. So sind die _Noctes Atticae> zwar in ihrer Überlieferungsgeschichte in Florilegien exzerpiert und in zwei Teile getrennt (die Bücher 1-7 bzw. 9-20 umfassend), aber schließlich doch wieder (seit dem 15. Jh. in einer Handschrift) vereinigt worden und abgesehen vom Verlust der commentarii des achten Buches247 als ein Werk tradiert worden, das mit seinem breiten Wissensspektrum zu allen Zeiten an antiker Literatur und Kultur interessierte Leser angezogen hat und besonders in den Renaissance-Epochen gelesen und rezipiert worden ist, die man in Anlehnung an Ciceros studia humanitatis und die darauf bezogene gellianische humanitas-Definition als _Humanismus> bezeichnet hat.248 Nachweislich gekannt und benutzt hat die _Noctes Atticae> in der karolingischen Renaissance der Abt Lupus von Ferrières, Schüler des Hrabanus Maurus, der als junger Student im Auftrag seines Lehrers ein von seinem Freund Einhard ausgeliehenes Gellius-Exemplar (zwischen 829 und 836) abgeschrieben und eine Handschrift für das Kloster in Fulda angefertigt hat.249 Im englischen Humanismus des 12. Jh.s haben die Verfasser gelehrter Kompendien William von Malmesbury (_Polyhistor>) und John von Salisbury (_Policraticus>)250 zwar nur auf die ersten sieben Bücher rekurrieren können, aber schon Radulfus de Diceto (Ralph von Diss, 1120/1130-1202) hatte für seine um 1180 begonnenen _Abbreviationes chronicorum> zum ersten Mal in der Überlieferungsgeschichte wieder _____________ 247 Zur Überlieferungsgeschichte vgl. REYNOLDS / WILSON, Scribes and Scholars, 99-100. 104-105. 132; P. K. MARSHALL, Aulus Gellius; in: L.D. REYNOLDS (Ed.), Texts and Transmission. A Survey of the Latin Classics, Oxford 1983, 176-180; vgl. auch oben S. 51-52 Anm. 9. S. 320 Anm. 47. 248 Vgl. J. CHRISTES, Cicero und der römische Humanismus, Antrittsvorlesung 24. Januar 1995 [= Öffentliche Vorlesungen der Humboldt-Universität zu Berlin 56], 1-35, hier 4. 11-12; wieder in: HUMANISMUS IN EUROPA, 45-73, hier 46-47. 55-56; LEFÈVRE, Humanismus und humanistische Bildung, 15; F.-R. HAUSMANN, Humanismus und Rennaissance in Italien und Frankreich; in: HUMANISMUS IN EUROPA, 89109, hier 90; H. RÜDIGER, Die Wiederentdeckung der antiken Literatur im Zeitalter der Renaissance; in: Die Textüberlieferung der antiken Literatur und der Bibel, München 21988, 511-580, hier 525-526. 249 Vgl. L. MEAGHER (OSB), The Gellius Manuscript of Lupus of Ferrières, Chicago 1936, bes. 16-17; M. MANITIUS, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. 1: Von Justinian bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts, München 1911, Ndr. München 1965 [= HbAW 9.2.1], 483-490, hier 487. 250 Vgl. J.M. MARTIN, John of Salisbury and the Classics, Ph.Diss. Harvard University, Cambridge, Mass. 1968, 142-175; R. M. THOMSON, William of Malmesbury, John of Salisbury and the _Noctes Atticarum> ; in: G. CAMBIER (Éd.), Hommages à ANDRÉ BOUTEMY, Brussels 1976 [= Collection Latomus 145], 367-389.

5.5. Fortleben gellianischer humanitas und memoria

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einen vollständigen Gelliustext zur Verfügung.251 Der Protagonist des italienischen Renaissancehumanismus Francesco Petrarca bewahrte Gellius’ _Noctes Atticae> in seiner Bibliothek unter den libri peculiares, d.h. seinen Lieblingsbüchern, zusammen mit den _Saturnalia> des Macrobius als exempla-Sammlungen, wie sein Bibliothekskatalog (ca. 1333) verzeichnet, und benutzte sie, geleitet von historischen Interessen, in seinen _Rerum memorandarum libri>.252 Nikolaus von Kues, als Handschriftenkenner und -vermittler von den italienischen Humanisten geschätzt, wurde 1432 vom damaligen Bischof von Pavia und späteren Erzbischof von Mailand Francesco Pizolpasso beauftragt, für seine Bibliothek außer Texten anderer Autoren auch eine Handschrift des Gellius zu beschaffen, obwohl zuvor der bedeutende Humanist und Entdecker antiker Handschriften Poggio Bracciolini sich B allerdings zu Unrecht B enttäuscht gezeigt hatte über den Zustand des Gelliustextes, den Nikolaus ihm auf sein Gesuch neben dem Plautus-Kodex und einer Curtiushandschrift 1429 nach Rom mitgebracht hatte.253 ANGELO POLIZIANO hat seine _Miscellanea>, deren erster Teil _Centuria prima> 1489 veröffentlicht wurde, in bewußter Anlehnung an das Miszellanwerk des Gellius komponiert.254 HARTMANN _____________ 251 Vgl. P.K. MARSHALL / J. MARTIN / R. H. ROUSE, Clare College Ms.26 and the Circulation of Aulus Gellius 1-7 in Medieval England and France; in: Medieval Studies 42 (1980) 353-394, bes. 369-374. 252 Vgl. B.L. ULLMANN, Studies in the Italian Renaissance, Roma 21973 [= Storia e letteratura 51], 113-133, bes.117. 122; W. MILDE, Petrarchs List of Favorite Books; in: RPL 2 (1979) 229-232; P. DE NOLHAC, Pétrarque et l’ humanisme, Bd.1, Paris 21907, Ndr. Paris 1965, 42. 156. Vgl. auch H. BARON, Aulus Gellius in the Renaissance: His Influence and a Manuscript from the School of Guarino; in: H. BARON, From Petrarch to Leonardo Bruni. Studies in Humanistic and Political Literature, Chicago / London 1968, 196-215 hier bes. 199-202; H.D. JOCELYN, Gellius Redivivus. Rez L. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius; in: CR 40 (1990) 43-44. 253 Vgl. H. SCHNARR, Frühe Beziehungen des Nikolaus von Kues zu italienischen Humanisten; in: M. THURNER (Hrsg.), Nicolaus Cusanus zwischen Deutschland und Italien. Beiträge eines deutsch-italienischen Symposiums in der Villa Vigoni, Berlin 2002 [= Münchener Universitätsschriften, Veröffentlichungen des Grabmann-Instituts zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie 48], 187-213, hier 191192. 209. 211: ` _Von Aulus Gellius und Curtius hat er gewisse als lächerlich einzuschätzende Dinge mitgebracht, der Aulus Gellius ist z.B. verstümmelt und unvollständig, und das Ende ist ihm der Anfang.> Daß sich Poggio in seiner Bewertung des von Cusanus mitgebrachten Textes des Aulus Gellius getäuscht hatte, hat die neuere Forschung bewiesen. Nikolaus hatte den besseren Text des Gellius.A 254 So beruft er sich in der Praefatio der _Miscellaneorum centuria prima> ausdrücklich auf Gellius: ... at inordinatam istam, et confusaneam quasi sylvam, aut farraginem perhiberi, quia non tractim, et continenter, sed saltuatim scribimus, et vellicatim, tantum abest uti doleamus, ut etiam titulum non sane alium quam Miscellaneorum exquisiverimus, in quis Graecum tamen Helianum, Latinum sequimur Gellium, quorum utriusque libri varietate sunt ordine blandiores (ANGELUS POLITIANUS, Miscellaneorum centuria prima,

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

SCHEDEL bekundet in seiner _Weltchronik> (1493) durch die Aufnahme eines enkomiastischen Eröffnungsgedichtes einer 1485 in Brescia gedruckten Gellius-Ausgabe in sein sonst eher lakonisches Datengerüst die hohe Reputation des Gellius als Bildungsautor.255 Und auch im europäischen Humanismus des 16./17. Jh.s erfreute sich Gellius bei keinen Geringeren als ERASMUS VON ROTTERDAM und MICHEL DE MONTAIGNE großer Wertschätzung.256 Man mag es der Ironie der Überlieferungsgeschichte oder vielmehr der in den _Noctes Atticae> versammelten Kraft der memoria _____________ impressit ex archetypo ANTONIUS MISCOMINUS, Florenz 1489, ad Laurentium Medicem praefatio, p. 2). Vgl. BERTHOLD, Interpretationsprobleme, 12; REYNOLDS / WILSON, Scribes and Scholars, 143-144. 255 HARTMANN SCHEDEL, Liber chronicarum, Nürnberg 1493, fol. CXIIII s.v. Sexta etas mundi (neben einer Darstellung des Aulus Gellius mit Buch): Si quem Cecropia clarum Latiaque camoena esse iuuat, Gelli scripta probanda legat. Attica nox luci numquam est cessura diurnae ad uarias artes quam bene monstrat iter. BERTHOLD (Hrsg.), Die _Attischen Nächte> des Aulus Gellius, 296 übersetzt das Gedicht: Suchst du rühmliche Kunde von Hellas’ und Latiums Musen, Wähle des Gellius Werk, das sich bewährt hat, und lies. Niemals wird _Attikas Nacht> dem hellen Tageslicht weichen, Weil sie Dir kundig erschließt, jegliches Wissensgebiet ! 256 ERASMUS, dessen intensive Gellius-Benutzung in den _Adagia> (1500) allenthalben zutage tritt, würdigt die _Noctes Atticae> lobend bei der Paraphrase von Gell. NA praef. 19 mit der Zurückweisung der nicht geeigneten Leser: scite et venuste his duobus adagiis usus est A. Gellius Noctium Atticarum extrema lucubratione [weil in den frühen Gellius-Drucken die Praefatio am Schluß stand] in homines crassiore ingenio amusos et prophanos, qui politiores litteras elegantiorem doctrinam ridere possunt ... id genus homines a suis commentariis, quibus nihil potest fieri tersius, huiusmodi dicterio tanquam fuste abigit (Coll. 3 in: DESIDERIUS ERASMUS ROTERODAMUS, Opera omnia, edd. F. HEINIMANN / M.L. VAN POLL-VAN DE LISDONK, Tom. II 9: Adagiorum Collectanea, Amsterdam / Boston u.a. 2005, p. 48, 273-278). Schon im Widmungsbrief der _Adagiorum Collectanea> (an seinen Gönner William Blount, Lord Montjoy) beruft ERASMUS sich auf Gellius, den er als eleganti litteratura uir (epist. 126, p. 40, 89-90) und als einen Vorläufer für seine Sprichwörtersammlung vorstellt. B MONTAIGNE hingegen zeigt sich in seinen _Essais> (1580/1588 veröffentlicht) in Konzeption und Komposition stark von den _Noctes Atticae> beeinflußt, auch wenn er sie nicht wörtlich zitiert und nur wenig direkt benutzt: C. MAGNIEN-SIMONIN, Montaigne et AuluGelle; in: Bulletin de la Société des amis de Montaigne, Ser. 7, 41-42 (1995) 7-23. Dennoch bekennt er seine Vertrautheit mit Gellius, indem er ihm dafür dankt, daß er eine Erzählung über Plutarchs Leben überliefert: ` ... et me suis jetté en ce discours à quartier à propos du bon gré que je sens à Aul. Gellius de nous avoir laissé par écrit ce conte de ses meurs qui revient à mon subjet de la cholereA (Essais II 31 716 A), schickt er voraus, bevor er die Anekdote über die Auspeitschung eines Sklaven in Gegenwart Plutarchs und den dabei geführten Wortwechsel der beiden über den Zorn referiert (nach NA 1,26,5-9).

5.5. Fortleben gellianischer humanitas und memoria

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zuschreiben, daß die von Gellius exzerpierten Bücher, deren Verfügbarkeit für den Leser er voraussetzt und deren komplementäre Benutzung neben der (partiellen) Lektüre seines Kompendiums er vom Leser erwartet, zu einem großen Teil verlorengegangen sind, während sein Werk (fast vollständig) erhalten geblieben und so an die Stelle der nicht mehr zugänglichen Texte getreten ist und sie dem Leser nun sozusagen ersetzt.257 Insofern hat Gellius mit seinen _Noctes Atticae>, wenn auch anders als von ihm beabsichtigt, nicht neben den von ihm benutzten Werken, sondern statt ihrer fortgewirkt im Sinne der Förderung der humanitas. Das Lob des (Minucius Felix, Lactanz, Ammianus Marcellinus und Nonius Marcellus nachfolgenden) wohl prominentesten antiken Lesers Augustinus, der Gellius als uir elegantissimi eloquii et multae undecumque scientiae (Aug. civ. 9,4) gerühmt hat, zeigt, daß Gellius schon bald in den Augen der (ihm zeitlich nächsten) Nachwelt, die sein Werk zur Belehrung und Unterhaltung gelesen hat, das Ideal der humanitas verkörpert hat, so wie er selbst sie verstanden hat, nämlich als umfassendes Bildungswissen, das anderen in gewinnender sprachlicher Form mitgeteilt und weitergegeben wird.258 _____________ 257 Vgl. BINDER, Vir elegantissimi eloquii, 119; PAUSCH, Biographie und Bildungskultur, 155-156. 229. 333-334. 258 Daß in seinem Namen auch die gelehrte Konversationskultur in der Neuzeit gepflegt wurde, bezeugt die Einrichtung eines _Gellianum Collegium> in Leipzig im Jahre 1641. Vgl. J. H. ZEDLER, Großes vollständiges Universal-Lexicon, Bd. 10, Halle / Leipzig 1735, Ndr. Graz 1961, 746-747 s.v. Gellianum Collegium: `Es wurde dasselbe A. 1641 den ersten Advent gestiftet, als an welchem Tage sie jährlich ein Jubileum hielten. Die ersten Urheber davon ... wöchentlich Sonntags nach dem Gottesdienst zusammen kamen, und von einigen zur Philologie gehörigen Sachen sich unterredeten.A Welche Bedeutung diese wissenschaftliche Gesellschaft hatte, die sich offenbar Themen totius Eruditionis widmete, geht daraus hervor, daß GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ sie in seiner Schrift _De collegiis> aus dem Jahr 1665 (N.24 = G.W. LEIBNIZ, Sämtliche Schriften und Briefe, Bd.2: Philosophische Schriften [1663-1672], Berlin 1966, 5,20-21) für diesen Bereich exemplarisch nennt und sie außerdem in seinem Briefwechsel mit den Herzögen Rudolf Augustus und Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg (Brief vom 7./17. Juni 1695) als Vorbild bei der Einrichtung einer Akademie empfiehlt: `... die professores so wohl als Academisten und ihre Hofmeistern oder Informatores ... dem oberwehnten Concept nach selbst zumtheil daraus dem publico zum besten mit ihrem Ruhm und Nuz pro cujusque industria et curiositate durch ihre studia etwas beytragen und die denn es beliebet, zu zeiten als in einem Collegio Gelliano oder Conference zu nützlicher conversation zusammen kommen köndten, so gleich als in den Italienischen und Französischen auch Englischen Academien, Collegien und Societäten der beaux Esprits oder Virtuosi wegen des handgreiflichen Nuzens, aemulation, und Ruhms, ja annehmligkeit, keine geringe invitation zu besuchung dieser Academia illusrtris geben würde.A (N.45 = G.W. LEIBNIZ, Sämtliche Schriften und Briefe, Bd. 11: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel [Januar - Oktober 1695], Berlin 1982, 67,5-14). Über die Namensgebung, die Statuten und die Tätigkeit des Collegium Gellianum unterrichtet aufgrund der historischen Quellen genauer D. DÖRING, Samuel Pufendorf und die Leipziger Gelehrtengesell-

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5. Das Bildungskonzept der _Noctes Atticae>

Da die Gegenwart des 21. Jahrhunderts trotz ihres Anspruchs, sich durch ihre `WissensgesellschaftA auszuzeichnen, keine humanistisch profilierte Epoche ist, wird Gellius heute nicht mehr primär aus Interesse an dem in `belehrender UnterhaltungA und `unterhaltender BelehrungA259 vermittelten Wissen gelesen, sondern vielmehr aus Interesse an der sich in seinem Werk widerspiegelnden Bildungskultur des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, die zu der kulturellen Situation der Postmoderne mit ihrem wuchernden und unübersichtlich gewordenen Wissenswust und dem Bedürfnis nach Wegweisern durch den Dschungel eine auffällige Affinität zeigt.260 Dennoch oder gerade deswegen werden die postmodernen Leser, die das kulturelle Wissen zum großen Teil nicht mehr im eigenen Gedächtnis gespeichert haben, sondern denen es nur noch `virtuellA zur Verfügung steht, Gellius mit seiner aus Buchwissen gespeisten umfangreichen memoria B im gehörigen Abstand B einreihen unter die so genannten `Wundermänner des GedächtnissesA, deren Wertschätzung KANT einfordert mit dem Diktum: tantum scimus, quantum memoria tenemus.

_____________ schaften in der Mitte des 17. Jahrhunderts, Berlin 1989 [= Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philol.-hist. Kl. 129,2], 15-20, bes. 16: `Ihren Namen erhielt die Gesellschaft aus einer Stelle in den _Noctes Atticae> des Aulus Gellius, bei der eine Art Fragespiel während des Saturnalienfestes geschildert wird, wo bestimmte Probleme aus dem Bereich verschiedener Wissensgebiete zu lösen waren.A (Verf.: d.h. NA 18,2); hier 18: `Als zu behandelnde Gegenstände waren einmal die _philologia sacra> vorgeschrieben, also exegetische Ausführungen zu den Texten des Alten und Neuen Testaments, zum anderen Themen der griechischen und römischen Altertumskunde. Spitzfindige Auseinandersetzungen um Fragen einer _finsteren Philosophie> (tetrica philosophia) waren verpönt. ... Bedingungen zur Aufnahme in das Collegium bildeten die Zustimmung der Mitglieder, Gelehrsamkeit und die Sittsamkeit (modestia). Ausdrücklich wird die Aufnahme zanksüchtiger und scheinweiser (doxosophos) Personen abgelehnt.A 259 Vgl. STEINMETZ, Untersuchungen, 239; vgl. dazu oben S. 306 m. Anm. 11. 260 Vgl. oben S. 19-21. S. 332-333 m. Anm. 75.

6. Fazit und Ausblick Durch ihre intendierte eigentümliche formale und inhaltliche Inhomogenität, vom Autor selbst als ordo fortuitus (NA praef. 2) und disparilitas charakterisiert (NA praef. 3), entziehen sich die _Noctes Atticae> des Aulus Gellius einem systematisierenden Zugriff. Ihre thematische und formale Uneinheitlichkeit lassen das Werk nicht nur als ein typisches Produkt der in der Bildungskultur des 2. Jh.s besonders beliebt gewordenen, aber in der griechischen Literatur nur fragmentarisch überlieferten (durch Favorinus= ȡȫvȽoȮȫąŽ ¬ȼȽoȺɅȫ, Athenaios= ȕȯȳąvoȼoȿȳȼȽȫɅ und Ailianos= ȡoȳȴɅȵȱ ¬ȼȽoȺɅȫ) bzw. durch Plutarchs ȡȺoȬȵɄȶȫȽȫ ȼȾȶąoȼȳȫȴȪ (_Quaestiones convivales>) repräsentierten und in der lateinischen Literatur sonst nicht erhaltenen Buntschriftstellerei erscheinen, sondern zeichnen auch die Wege der deskriptiven Annäherung an das in 20 Büchern und 398 Kapiteln sich kaleidoskopartig entfaltende Bildungskompendium vor. Entweder konzentriert man sich auf einzelne Kapitel, oder man wählt für eine Gesamtinterpretation einzelne aufschlußreiche Aspekte aus. Daß es aber außer der mehr oder weniger selektiven Beschreibung, wie sie bisher in der Latinistik im Umgang mit Gellius= Werk stattgefunden hat, möglich ist, in der verwirrenden Vielfalt einen roten Faden zu finden, der das Ganze durchzieht und zusammenbindet, hat die vorliegende Untersuchung zu zeigen versucht. Nachdem Gellius selbst schon in der Praefatio sein Werk als `gleichsam einen Wissens- (bzw. Literatur-)Vorrat zur Unterstützung des GedächtnissesA (NA praef. 2: ad subsidium memoriae quasi quoddam litterarum penus) bzw. als Hilfsmittel zur Festigung des Gedächtnisses (NA praef. 16: ex quo facile adolesca[n]t ... memoria adminiculatior) ausgegeben hat, liegt es nahe, das Paradigma der memoria, wie es vor einiger Zeit von den Kulturwissenschaften (wieder)entdeckt und intensiv bearbeitet worden ist, als Leitfaden durch die _Noctes Atticae> aufzunehmen und zu verfolgen. Die verschiedenen Bereiche der sich in individueller Gedächtniskraft und -kunst und zugleich im kollektiven kulturellen Gedächtnis äußernden memoria und ihre Zusammenhänge hat die Gedächtnisforschung in den letzten Jahren ausgiebig erkundet, so daß aufgrund ihrer Ergebnisse und Erkenntnisse sich die verschiedenen Erscheinungsformen der memoria im gellianischen Werk behandeln und erklären lassen. Ausgangspunkt und Fundament der kultur- und literaturwissenschaftlichen

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6. Fazit und Ausblick

Untersuchung bildet aber die philologische Analyse, die erkennen läßt, wie außergewöhnlich stark und fest die memoria schon sprachlich in den _Noctes Atticae> verankert ist. Das ausgeprägte Interesse des Autors, die unterschiedlichen Manifestationen der memoria sichtbar und bewußt zu machen in Baudenkmälern und literarischen Denkmälern, insbesondere in Bibliotheken und Büchern, aber auch in den immateriellen, institutionalisierten Formen der Bräuche, Sitten und Gesetze sowie in der zu exempla verfestigten Geschichtsdarstellung, erweisen das Werk des Gellius selbst als ein kulturhistorisch ausgerichtetes. Auch die von Gellius in Anknüpfung an die reichlich zitierten renommierten römischen Sprachforscher intensiv betriebene Etymologie ist eine Weise, den der Gegenwart oftmals unbewußten Vergangenheitsbezug anhand der in der Sprache eingeprägten Spuren zu Bewußtsein zu bringen. Die Formulierungen, deren er sich bedient, wenn er etwa in auffälliger Nähe zu den in der Kulturwissenschaft analysierten und geläufig gewordenen Magazinmetaphern `Gedächtnisspeicher oder -archivA bzw. `SpeichergedächtnisA1 vom penus litterarum spricht, verraten, daß er klare Vorstellungen von Form und Funktionsweise des kulturellen Gedächtnisses hat. Auch sind ihm die Vorgänge der Kanonisierung und der gezielten Auslöschung des Gedächtnisses bzw. des Prozesses des allmählichen Ausscheidens aus dem kulturellen Gedächtnis bewußt, an denen er zugleich als Autor mitwirkt, nicht nur indem er die in die Literaturgeschichte eingegangene Terminologie für die classici scriptores (NA 19,8,15) inauguriert, sondern auch indem er bestimmte Autoren der Vergangenheit, vor allem die der republikanischen Zeit, dem kollektiven Vergessen entreißt und andere dem Vergessen anheimfallen läßt. Die Wechselbeziehung bzw. der Austausch zwischen dem kulturellen Gedächtnis und dem individuellen Gedächtnis, dessen Arbeitsweise er mit der körperbezogenen Metapher der Verdauung bzw. des Wiederkäuens veranschaulicht, nimmt entsprechend seiner didaktischen Intention in den _Noctes Atticae> großen Raum ein. Gellius stellt sich selbst wie auch die großen Protagonisten der Bildungskultur seiner Zeit als `GedächtniskünstlerA dar, die aufgrund ihrer besonderen mnemonischen Kapazität und Leistung souverän über die in Büchern tradierten Wissensbestände verfügen. Mit den in enormem Umfang und in bisher nicht geübter Genauigkeit präsentierten Zitaten aus Texten aller möglicher Provenienz beteiligt sich Gellius zugleich an der Traditionsbildung, deren Auswirkun_____________ 1

Vgl. A. ASSMANN, Formen und Wandlungen des Gedächtnisses, 341-407; W. ERNST, Speichern I; in: N. PETHES / J. RUCHATZ (Hrsg.), Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon, Reinbek bei Hamburg 2001 [= rowohlts enzyklopädie], 553555; RICOEUR, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 255-272 (_Das Archiv=); H. WEINRICH, Metaphora Memoriae; in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, 291294, hier 291-292 (_Das Gedächtnis-Magazin>).

6. Fazit und Ausblick

405

gen weit über seine Gegenwart hinausreichen. Denn viele der Autoren und Texte, deren Kenntnis er gewiß zu einem (großen) Teil nicht der unmittelbaren eigenen Lektüre verdankt, sondern aus Mittelquellen bezieht, sind allein durch die von ihm dargebotenen Zitate, Paraphrasen und Referate der Nachwelt überliefert. Auf diese Weise wird der Autor Gellius selbst der zentralen Bedeutung der memoria in der Bildungskultur gerecht, die er mit dem Zitat der Afranius-Verse ins Gedächtnis ruft, in denen Sapientia / Sophia als Tochter von Memoria und Usus vorgestellt ist (NA 13,8). Bei aller Heterogenität der in den _Noctes Atticae> tradierten Texte und Wissensstoffe, die aus dem später fest umschriebenen Bereich der Allgemeinbildung der artes liberales stammen, aber auch andere spezielle Gebiete wie antiquarische Forschung, römisches Kultrecht und römische Jurisprudenz einbeziehen (vgl. NA praef. 13), grenzt sich Gellius ausdrücklich ab von der uaria et miscella et quasi confusanea doctrina (NA praef. 5). Angesichts der zunehmenden Spezialisierung der Wissenschaften und des fortschreitenden Wissenszuwachses versucht er offenbar, noch einmal eine Summe des verbindlichen Wissens zusammenzubringen. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, für sein sowohl allgemeine wie fachliche Bildung einschließendes didaktisches Konzept, in dem zugleich dem Moment der Unterhaltung eine nicht unbedeutende Rolle eingeräumt wird, einen Nenner zu finden. Am besten trifft den Charakter dieser nicht ganz widerspruchsfreien Mischung des enzyklopädischen Miszellanwerkes die von Gellius selbst gewählte Bestimmung, daß sein Kompendium auf die Bildungsinteressen des uir ciuiliter eruditus (NA praef. 13) zugeschnitten ist bzw. der honesta eruditio dient. Diese kommt in der Gesellschaft des 2. Jh.s, in der Bildung als zentraler Leitwert rangiert, zur Geltung in der Unterhaltungskultur und in der Lesekultur. So gibt das gellianische Bildungskompendium seinen Lesern einen Führer an die Hand, der sie durch die unübersichtlich gewordene Wissens- und Bücherlandschaft führt, und ihnen den angemessenen Umgang mit Literatur aller Art am Lektüre- und Rezeptionsverhalten des Autors und anderer Figuren demonstriert. Daneben gewähren die _Noctes Atticae>, in den Kapiteln, die mehr oder weniger fiktiv bzw. authentisch als Situationen der gelehrten und geselligen Kommunikation inszeniert sind, Einblick in das Regelwerk des Gesellschaftsspiels der gebildeten Unterhaltung. Diese als `belehrende Unterhaltung und unterhaltende BelehrungA dargestellte Bildungskultur hat einerseits distinktive Funktion, wie in vielen Kapiteln hervorgehoben wird, in denen die Ausgrenzung des semidoctum uolgus (NA 1,7,17) aufgrund seines unkorrekten oder unangebrachten Bildungsverhaltens vorgenommen wird. Andererseits entfaltet die von Gellius reflektierte und reproduzierte Bildungskultur auch integrative Kräfte. Denn sie ist durchwegs bikulturell, d.h. sie vereint in sich griechische und römische

406

6. Fazit und Ausblick

Kultur- und Wissenstraditionen, so wie der Titel der _Noctes Atticae> schon mit der geographischen Bezeichnung der Bildungslandschaft zu erkennen gibt. Daß hinter der `Globalisierung@ (im damaligen Weltverständnis) des Kultur- und Erinnerungsraumes die Erfahrung und das Programm des Gellius steht, der das Zusammenwachsen des lateinischsprachigen Westens und des griechisch sprechenden Ostens miterlebt und gestaltet, spiegelt der ausgeprägte Bilinguismus der _Noctes Atticae> wider. Verkörpert wird die bilinguale und bikulturelle Identität des Bildungsbürgers der Antoninenepoche durch die von Gellius bewunderten und idealisierten Protagonisten. Insbesondere seine Zeitgenossen, der Sprachexperte Fronto aus Nordafrika, der Philosoph Calvenos Tauros aus dem kleinasiatischen Tyros und der Rhetor und Vertreter der Zweiten Sophistik Favorinus aus dem gallischen Arles, stehen mit ihren Personen für die Weite und Offenheit des Bildungskonzeptes, in dem die Kultur integrierend wirkt. Die in den _Noctes Atticae> mehrfach durchgeführten griechischrömischen Synkriseis und Chronologien verstärken die kulturelle Integration, insofern sie überwiegend griechische und römische Sprache, Literatur und Kultur auf einer Stufe zeigen und damit die althergebrachten römischen Minderwertigkeitsgefühle und die griechischen Überlegenheitsdünkel entkräften. Hierbei kann Gellius die von Cicero in der immer wieder geführten Auseinandersetzung gelieferten Argumente wie selbstverständlich voraus- und in seiner Darstellung umsetzen. Mit der starken Traditionsorientierung sind die _Noctes Atticae> einerseits ein typisch römisches Werk, denn der Traditionalismus wird mit gewissem Recht als tief in der römischen Mentalität verankerter Zug beschrieben, zugleich sind sie andererseits Teil der damals auch im griechischen Osten vorherrschenden Strömung der Rückwendung zur Vergangenheit. Sie artikuliert sich sprachlich in den parallelen Phänomenen des Attizismus und des sogenannten Archaismus. Dieser geht aber auf römischer Seite keineswegs mit reiner Nostalgie und Restauration einher, schon gar nicht im politischen Bereich, in dem Gellius sich ganz versöhnt mit den herrschenden Verhältnissen zeigt, sondern die Beschäftigung mit der Vergangenheit dient hier der Bereicherung der Gegenwart. So bewirkt die Vorliebe für Literatur und Sprache der frühen republikanischen Epoche und ihre Pflege keine Repristination, sondern aus ihr gehen im Werk des Gellius wie in dem seines Vorbildes Fronto trotz aller Bewunderung der antiquitas sogar eine Reihe von Neologismen hervor. Auch darüber hinaus sind den ,Noctes Atticae> innovative Züge eigen. Denn daß und wie Gellius nicht nur in der Praefatio, sondern über alle Bücher verteilt Einblick in den Prozeß der Produktion seines Werkes von den ersten Aufzeichnungen, über die Ausarbeitung bis zur Endredaktion der commentarii gewährt, ist eine literarische Neuerung. Die fortlaufende

6. Fazit und Ausblick

407

(und nach Angaben des Gellius über die vorliegenden 20 Bücher hinausgehende) Abfassung der Kapitel in verschiedenen Arbeitsphasen, soviel daran auch fingiert sein mag, und die angekündigte (von der Verf. für glaubhaft gehaltene) Unabgeschlossenheit führt zu der `offenen FormA, wie sie Jahrhunderte später wieder von Montaigne in seinen B sonst in mancherlei anderer Hinsicht unvergleichlichen B _Essais> kultiviert wurde.2 Auch mit seiner genauen Zitiertechnik und mit der Bereitstellung eines Inhaltsverzeichnisses zur leichteren Handhabung seines Kompendiums, worin ihm der ältere Plinius in seiner naturwissenschaftlichen Enzyklopädie und Columella allerdings schon vorausgegangen waren, hat er später Schule gemacht. So weisen die ,Noctes Atticae> zunächst auf die KollektaneenBildungsliteratur der Spätantike voraus, aber ihr Einfluß reicht dann auch weiter darüber hinaus in Zeiten, in denen aufgrund verwandter intellektueller Verhältnisse und Interessen Werke ähnlichen Zuschnitts entstehen und das gellianische Werk kraft der in ihm kultivierten memoria fortwirkt. Die alle formalen und inhaltlichen Unterschiedlichkeiten vereinende Macht der memoria stiftet nämlich nicht nur den Zusammenhalt des Werkes, sondern sichert auch seine Überlieferung, so daß in allen Epochen, in denen man auf Förderung der humanitas im Sinne der gellianischen Definition (NA 13,17) Wert gelegt hat, auch Gellius= _Noctes Atticae> in Ansehen gestanden haben und rezipiert worden sind. Die Themenfülle und der Inhaltsreichtum der ,Noctes Atticae> werden in Zukunft auch weiter genügend Stoff zur Beschäftigung der Philologen, Literatur- und Kulturwissenschaftler mit ihnen bieten, gerade wenn man sich, wie jüngst angeregt, auf die Analyse jeweils einzelner (der 398 weitgehend noch nicht für sich untersuchten) commentarii konzentriert. Besonderes Interesse und vertiefte Untersuchung verdient aber zukünftig auch der in den bisherigen Gesamtinterpretationen zumeist nur angedeutete Zusammenhang zwischen der Eigenart der literarischen Form und der Entstehungszeit des gellianischen Bildungskompendiums. Auf inhaltlicher und struktureller Ebene bleiben die Fragen zu klären, ob Gellius an der _____________ 2

H. FRIEDRICH, Montaigne, 2. neubearb. Aufl., Bern / München 1967, bes. 322. 327330: `Einige deutliche Linien führen zurück auf meist spätantike Vorbilder, unter denen die vielgelesenen Noctes Atticae des Aulus Gellius mit ihrem Grundsatz des ordo fortuitus erwähnt seien. (Man vergleiche Montaignes denk- und prosatechnisches Lieblingswort fortuite.)A Vgl. G. NEGWER, Essay und Gedanke. Beitrag zur Erforschung der Problematik des Essays am Beispiel der französischen Essayistik, Diss. Berlin 1953, 24-25; L. ROHNER, Der deutsche Essay. Materialien zur Geschichte und Ästhetik einer literarischen Gattung, Neuwied / Berlin 1966, 604. 606-607 (Essay als eine `offene FormA, `eine Lieblingsform von ÜbergangszeitenA bzw. als `Produkt der Spätzeit - einer kürzeren oder längeren EpocheA).

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6. Fazit und Ausblick

Ausbildung der spätantiken Enzyklopädie B trotz seiner mangelnden Systematik B stärker beteiligt gewesen ist und inwiefern er in der Vorgeschichte der mittelalterlichen artes liberales doch eine größere Rolle gespielt hat, obwohl er in deren Beschreibung bislang zumeist nicht oder nur am Rande berücksichtigt worden ist.

7. Literaturverzeichnis Bei dem Verweis auf Stellen der _Noctes Atticae> folgt diese Untersuchung der von LEOFRANC HOLFORD-STREVENS in seiner Gellius-Monographie u.a. geübten Praxis, die _Noctes Atticae> mit NA anzugeben (wobei die Wiederholung von NA vor den jeweils einzelnen Stellenangaben eine bessere Übersicht auch über längere Aufzählungen gewähren soll). Abgesehen von der dazu analogen Abkürzung NH für Plinius’ _Naturalis historia> und der zusätzlichen Verwendung von abgekürzten Bezeichnungen der Schriften Frontos (neben den Seitenangaben der VAN DEN HOUT-Edition) werden ansonsten die Werke der lateinischen Autoren mit den vom _Thesaurus linguae Latinae> festgelegten Siglen zitiert.

7.1. Textausgaben 7.1.1. Ausgaben der _Noctes Atticae> (chronologisch): Verzeichnisse älterer Ausgaben bieten L. HOLFORD-STREVENS, Aulus Gellius2, 337340; K. SALLMANN, HLL 4 (1997), ' 408, Lit.1, S. 68. Aulu-Gelle, Les nuits attiques, texte établi et traduit par RENÉ MARACHE, I-IV, Paris 1967-1998 (tom. I: livres I-IV 1967; tom. II: livres V-X 1978; tom. III: livres: XI-XV 1989; tom. IV: livres XVI-XX 1998). Aulus Gellius, Noctes Atticae, rec. brevique adnotatione critica instruxit P.K. MARSHALL, tom. I-II, Oxford 1968, reissued with corrections 1990, repr. 1991 (tomus I: libri I-X; tomus II: libri XI-XX). Aulo Gellio, Notti Attiche. Libri I-XIII, introduzione, testo latino, traduzione e note di FRANCO CAVAZZA, 8 vol., Bologna 1985-1999 (vol. I: libri I-III 1985; vol. II: libri IV-V 1987; vol. III: libri VI-VIII 1988; vol. IV: libri IX-X 1989; vol. V: libro XI 1991; vol. VI: libro XII 1992; vol. VII: libro XIII cap. I-XVIII 1996; vol. VIII: libro XIII cap. XIX-XXXI 1999). Aulo Gellio, Le Notti Attiche, a cura di GIORGIO BERNARDI-PERINI, vol. I-II, Torino 1992, rist. 2007. Aulo Gellio, Notti Attiche con testo latino a fronte, traduzione e note di LUIGI RUSCA, vol. I: libri I-X, intruduzione di CESARE MARCO CALCANTE; vol. II: libri XIXX, Milano 1992, rist. 2001.

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7. Literaturverzeichnis

Übersetzungen ohne lateinischen Text: Aulus Gellius, Die Attischen Nächte, zum ersten Male vollständig übersetzt und mit Anmerkungen versehen v. FRITZ WEISS, Bd. 1-2, Leipzig 1875-1876, Ndr. Darmstadt 1992. Aulus Gellius, Attische Nächte. Aus einem Lesebuch der Zeit des Kaisers Marc Aurel, hrsg. v. HEINZ BERTHOLD, Leipzig 1987. Aulus Gellius, Die _Attischen Nächte‘. Aus einem Lesebuch der Zeit des Kaisers Marc Aurel, hrsg. und aus dem Lateinischen übertragen v. HEINZ BERTHOLD, mit Erläuterungen und einem Nachwort, Frankfurt am Main 1988.

7.1.2. Textausgaben anderer Autoren in Auswahl (alphabetisch): (nur in der Untersuchung explizit genannte Editionen)

Griechische Autoren: Aristoteles, De memoria et reminiscentia, übersetzt u. erläutert v. R.A.H. KING, Darmstadt 2004 [= Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, hrsg. v. HELLMUT FLASHAR, Bd. 14/2: Parva naturalia II]. Favorinos d’Arles, Oeuvres, tom.1: Introduction générale, Témoignages, Discours aux Corinthiens, Sur la Fortune. Texte établi et commenté par EUGENIO AMATO, traduit par YVETTE JULIEN, Paris 2005. Progymnasmata. Greek Textbooks of Prose Composition and Rhetoric, Translated with Introductions and Notes by GEORGE A. KENNEDY, Atlanta 2003 [= Society of Biblical Literature 10]. Sibyllinische Weissagungen / Oracula Sibyllina, griechisch-deutsch, auf der Grundlage der Ausgabe von ALFONS KURFEß neu übersetzt u. hrsg. von JÖRG DIETER GAUGER, 2. Aufl., Düsseldorf / Zürich 2002. Aelius Théon, Progymnasmata. Texte établi et traduit par MICHEL PATILLON, avec l’assistance de GIANCARLO BOLOGNESI, Paris 1997.

Lateinische Autoren: [Aurelius Augustinus, Confessiones] Augustine, Confessions, [ed.] JAMES J. O=DONNELL, vol. 1: Introduction and Text; vol. 2: Commentary on Books 1-7; vol. 3: Commentary on Books 8-13 / Indexes, Oxford 1992. M. Tullius Cicero, Tusculanarum disputationum libri quinque, revised text with introduction and commentary and a collation of numerous mss., ed. THOMAS W. DOUGAN / ROBERT M. HENRY, vol. 1-2, Cambridge 1905 / 1934, repr. New York 1979.

7. Literaturverzeichnis

411

Fragmenta Poetarum Latinorum epicorum et lyricorum praeter Ennium et Lucilium, post W. MOREL novis curis adhibitis edidit CAROLUS BUECHNER, editionem tertiam acutam curavit JÜRGEN BLÄNSDORF, Stuttgart / Leipzig 1995. M. Cornelius Fronto, Epistulae, ed. iterum MICHAEL P.J. VAN DEN HOUT, Leipzig 1988. Hieronymus, Liber de optimo genere interpretandi (epistula 57), ein Kommentar von G.J.M. BARTELINK, Leiden 1980 [= Mnemosyne Suppl. 61]. [Cornifici] Rhetorica ad C. Herennium, introduzione, testo critico, commento, a cura di GUALTIERO CALBOLI, Bologna 1969. Seneca[s], 88. Brief, Über Wert und Unwert der freien Künste, Text - Übersetzung Kommentar, von ALFRED STÜCKELBERGER, Heidelberg 1965 [= Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften: Reihe 2; N.F. Bd. 8]. C. Suetonius Tranquillus, De Grammaticis et Rhetoribus, ed. with a translation, introduction and commentary, by ROBERT A. KASTER, Oxford 1995. Marcus Terentius Varro, Saturarum Menippearum fragmenta, edidit RAYMOND ASTBURY, editio altera, München/ Leipzig 2002. Marcus Terentius Varro, Saturae Menippeae, hrsg., übersetzt u. kommentiert v. WERNER A. KRENKEL, Bd.1-4, St. Katharinen 2002 [= Subsidia Classica Bd. 6].

7.2. Sekundärliteratur Zeitschriften und Schriftenreihen sind (wo nicht mit vollständigem Titel) zitiert nach PETER ROSUMEK, Index des périodiques dépouillés dans la collection de Bibliographie classique et dans la Revue des comptes rendus des ouvrages relatifs à l’ antiquité classique (publiée par J. MAROUZEAU) et index de leurs sigles, Supplement à l’ Année Philologique Tome 51, Paris 1982; bzw. nach der _Liste des périodiques dépouillés> in L’Année Philologique, Tome 71, Paris 2007. Beiträge des _Handbuchs der lateinischen Literatur der Antike> werden in der von diesem selbst vorgegebenen Weise nach Verfasser, Erscheinungsjahr und dem jeweiligen Paragraphen zitiert; ergänzend sind noch die Seitenzahlen hinzugefügt. ADAMIETZ, JOACHIM, Senecas _Apocolocyntosis>; in: J. ADAMIETZ (Hrsg.), Die römische Satire, Darmstadt 1986 [= Grundriß der Literaturgeschichten nach Gattungen], 356-382. ADAMS, JAMES N., Bilingualism and the Latin Language, Cambridge 2003. ADAMS, JAMES N., The Regional Diversification of Latin 200 BC-AD 600, Cambridge 2007. ALBRECHT, MICHAEL VON, Geschichte der römischen Literatur: von Andronicus bis Boethius mit Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Neuzeit, Bd. 1-2, 2., verbess. u. erweit. Aufl., München / New Providence / London / Paris 1994. AMELING, WALTER, Aulus Gellius in Athen; in: Hermes 112 (1984) 484-490. AMELING, WALTER, Herodes Atticus, Bd. 1 (Biographie) - Bd. 2 (Inschriftenkatalog), Hildesheim / Zürich / New York 1983 [= Subsidia epigraphica 11].

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8. Register

Im ersten Register werden durch Fettdruck die Zahlen der Seiten hervorgehoben, die für das jeweilige Stichwort besonders relevant sind. Die einer Seitenzahl folgende hochgestellte Zahl verweist auf die entsprechende Fußnote; ein der Fußnotennummer vorausgehendes + signalisiert, daß das betreffende Stichwort bzw. die betreffende Stelle sowohl im Haupttext der Seite als auch in der angegebenen Fußnote behandelt wird.

8.1. Begriffe, Personen und Sachen Die Namen der nachantiken Autoren sind hier anders als im vorausgehenden Haupttext nicht zur Hervorhebung in Kapitalschrift gesetzt (und dort nur die Namen derjenigen, die auch in den Fußnoten bzw. im Literaturverzeichnis als Verfasser genannt werden). Abgrenzung / Ausgrenzung - kulturelle 20. 296–301 vgl. Distinktion, nationale griechischrömische - sprachliche, intellektuelle bzw. soziale 98. 301. 30914. 33171. 333. 348+112. 360–361. 378–385, bes. 380– 381; 382–383; 384212. 388. 405 vgl. Bildungsdefizite, nouicii, semidocti Acca Larentia 82. 335 Accius, L. 186. 233. 234145. 294 ad(n)notamenta 113–115+216. 32250 vgl. Exzerpte Aelius Stilo Praeconinus, L. 69. 71 371179. 396 aemulatio 125252. 208–209 bes. + 54. 212. 213–214bes.+70. 21681;82. 21790. 21996. 224. 260–261

Afranius, L.

57. 361149. 373188. 405

Africa 92+147; 148. 96+158. 228+123. 247+192. 252+211. (256. 259228. 271). 296–298, bes. 296–297373; 375 Ailianos (Aelian) von Praeneste 51. 156. 223+110. 269263. 403 Alexander d. Gr. (Alexandros III. von Makedonien) 207. 216. 287–288. 291. 293360. 32763. 335. 336. 342 Allgemeinbildung vs. Fachwissen 324– 325+60. 328. 330–331+70. 337–338. 380+205 Amato, Eugenio 6561. 6666. 261235, 236. 261–262 237. 262238. 263240; 242. 264243; 246-248 . 265249; 250. 266253. 267255; 257. 269263- 265. 270270. 296373. 364156 Analogie vs. Anomalie 239–241. 284333

434

8. Register

Anderson, Graham 35. 174398. 264244-246. 32560. 383210 Androclus 298378. 336 Anekdoten 52. 59. 81–82. 106. 120. 135–136. 170–171386. 182+417. 21579. 259. 260230. 266. 267259. 287–288. 297. 335–336. 343–344+102; 103. 352120. 363. 366. 400256

archaisierende / antiquierte Sprache 712. 2924. 30. 176403. 230. 233+140; 141. 233. 236–237. 238–239+167. 246. 247. 250202; 204. 254. 265. 299381. 347. 382206 Architektur 61. 63–64. 164. 20031. 197–198. 202–203+41. 278. 33783. 33884. 346. 347. 349. 354

Annianus 6871. 353121. 377. 394238

Arion 216. 225118. 336

Antiquare 2162. 31. 88. 250. 347

Aristeides, Ailios (Aelius Aristides) 156338. 19617. 275+288. 359145

antiquarische Forschung 31–32. 52. 80+106. 83. 87. 89–90. 99. 124250. 177406. 19411. 227122. 250–251204. 32046. 335. 337–338 +83. 346. 347+111. 351. 356. 369. 386–387221. 405 antiquitas 29–30. 69–7080; 81. 73. 373185. 406 ʱȷȽɅȼȽȺȯȿȹȷ (reciprocum argumen-

tum)

266. 335. 364

Antoninus Pius 41. 77101. 87. 192–193. 19826. 233. 252–253. 254215. 262 Apatheia-Lehre 151. 174396. 259– 260+230. 335. 366–367 Apion 298378 Apollinaris, C. Sulpicius 60. 62. 70. 73. 87–88. 92. 123. 151326. 159–160. 163. 164. 165+365. 228. 236. 241171. 256– 257. 309. 379+202. 394238 338

102

Appian(os) 156 . 220–221 . 274– 275287 Apuleius, L. 611. 921. 518. 5210. 65–66+65. 6871. 20134. 146314. 147318. 19618. 20134. 21789. 220+102. 226118. 232139. 248. 250202. 296373. 304+7. 357+138. 358143. 370173 archaische Literatur / Dichtung 58. 67. 146. 148. 186–187. 188+437. 21370. 21891. 233. 236–237. 238. 241. 242. 246. 249. 32352. 294 Archaismus 11. 59. 7. 1026. 98+166. 176403. 186+429;430. 187433. 192–1935. 194. 229–250, bes. 231134; 238+164; 244182; 248–249; 2504. 335. 406

Aristophanes 141. 144. 152. 20033. 228. 257. 333. 33679. 383 Aristoteles 1851. 231. 5626. 72. 74. 84118;119. 93–94. 106+196. 121238. 126253. 138. 139. 141. 153329. 171– 172. 175401. 207. 216. 224112. 260232. 284. 350–351117. 358144. 362. 367 Arrian(os) 105. 135. 141. (19514). 274+285; 286 ars memoriae 42–47. 101–117. 162– 182 vgl. Gedächtniskunst; Mnemotechnik / Mnemonik artes liberales (honestae) (3130). 334. 337–338. 341–34297. (347). 349–350. 354. 355. 357+139; 141. 363152. 372– 373bes.+185. 375192. 380. 405. 408 Astarita, Maria Laura 9+23. 1025. 115222. 122243. 146315. 147+318. 220101. 235151. 260237. 262237. 270267. 34194; 95. 347110. 362151. 365161 Astronomie / Astrologie 1851. 52. 94– 95153. 107. 149322. 150. 265. 272274. 334. 348. 355130. 363152. 369169 Assmann, Aleida 1437. 3853. 4383. 46+91. 49–505. 96+161. 97–98+164; 165. 102183. 172391. 180413. 4041 Assmann, Jan 1437. 16+43; 44. 1748. 1953. 24+2; 4. 25+5. 3127; 28. 3441. 3543. 3854. 3957. 4062; 63. 42+75-78. 4381. 4589. 4795. 5834. 96159. 100173; 176. 185424. 1911. 19410. 295367. 301+387; 388 Athen 518. 62. 65. 72–73. 109203. 149. 159347. 163. 164+361. 165365. 168374. 196–197+19. 198+26. 201–202 bes. + 37.

8.1. Begriffe, Personen und Sachen 222107. 228124. 253213. 255. 257. 262. 270+267. 281315. 289. 299. 316. 33679. 33780. 367. 390 Athenaeum 192–1935. 200+31 Athenaios von Naukratis 611. 38. 120236. 128260. 156. 157341. 189441. 380204. 389228. 403 267

Atticus, T. Pomponius 62. 130 . 140298. 20135. 20650. 276–277bes.+296. 279 Attizismus 194+10. 229–250, bes. 229– 230 bes. + 129. 335. 406 auctoritas (bes. Sprach-Autorität) 27–29. 60. 72–73. 7492. 86–87. 94. 105. 128. 144+309. 157340. 185. 21164. 238. 241. 242175. 247+193. 253213. 255. 256. 268. 280312. 325. 32763. 346. 356–357. 360147. 377. 378 auditio 104–105. 106–107. 111. 115. 139. 150–151. 160. 345. 390 Augustinus, Aurelius 3748. 38–39. 59– 60. 84117. 87127. 90136. 92. 114219. 132. 169+379. 180+413. 185424. 32559. 367164. 401 Augustus 18. 30. 41. 59. 6142. 64. 6979. 7698. 124248. 1935. 201. 205. 247– 248+193. 249199. 274. 278. 349. Authentizität s. Fiktionalität barbaria/ barbaricus / barbarismus / barbarus 95–96. 229125. (272. 274–275. 296372. 298). 299–301bes.+383; 386. 376198. 386221 Beall, Stephen Michael 9–10+22; 25. 1130. 122–123243. 158345. 159346. 160348. 165363. 20446. 20854. 21681; 82; 84; 87. 21789; 90. 220100; 101. 222108. 225118. 228123; 124. 251207. 261236. 262237. 269265; 266. 270+268- 270. 308–30914. 31637. 32149. 343100-102. 347111. 348112. 371178. 373186. 374190. 375193; 194. 377200. 382207. 384214. 389227; 228. 397245; 246 Belehrung, unterhaltende 1127. 5210. 127255; 259. 147+317. 236. 303–305. 306

435

+11 . 325+60. 328. 33170. 354. 357. 378. 401. 402. 405 vgl. Unterhaltung, belehrende

Berthold, Heinz 611. 8+15. 1025. 133279. 259228. 283330. 292359. 294365. 32763. 33577. 33678. 34194; 95. 400254; 255 Bias 266. 344+104 Bibliotheken 62–66. 6767;68. 6873. 69. 74. 107. 108+202. 164. 169381. 171. 197. 242174. 247193. 262238. 287342. 323. 32459. 388. 296369. 392234. 399. 404 - imaginäre Bibliotheken 6768 Bildungsdefizite, stigmatisiert 155. 164+362. 242. 256. 291. 30914. 319. 323. 353. 359–361. 368. 378–385. 405 Bildungsdemonstration /- ostentation passim, bes. 144. 156+339. 157+340. 173. 316–319bes. +45 - unangebrachte angeprangert bzw. ausgegrenzt 30914. 342. 379–385. 387–388 vgl. Bildungsprätention Bildungsgebiete 17. 188–189. 271. 291–292354. 307. 328. 334–338. 339. 341–370. 372. 379–380+205. 405 Bildungsideal / -konzept 9–10. 57. 102. 189+440. 200. 244. 260233. 307. 31017. 312. 323. 337–338. 336–337+bes. 81; 82. 348–351. 357. 358+143. 370–395, bes. 374; 384; 385–389. 395–396. 405– 406 - verkörpert durch Personen 166+368. 173. 189. 251–271, bes. 271. 315. 318–319. 323+55. 337–338. 345. 351. 377–378. 382. 385–388. 393–395, bes. 394238. 401. 404. 405. 406 Bildungskomment 257. 270. 388225. 390–392 Bildungskompendium 98. 123. 291. 319. 332+75. 336. 339–341. 351. 357. 372. 403. 405. 407–408 Bildungskultur 11. 6459. 107–108. 193– 194. 200. 222. 224. 257. 271. 314– 316+38; 39. 322–32352. 334. 325. 345.

436

8. Register

374189. 382. 396244. 402. 403. 404. 405 Bildungsprozeß 323–324+57. 382. 385– 388 Bildungsprätention 156339. 160. 268260. 333+75. 378–382. 384. 387+224 vgl. Bildungsdemonstration / - ostentation Bildungsscharlatane 360–361. 378–379. 380–381. 387–388224 Bildungsvergnügen 146–147. 180412. 322–32352. 333 . 380205. 383–384. 387 vgl. Unterhaltung, belehrende Bilinguismus 141+304. 195+14. 19615. 203–204+45; 46. 205–229, bes. 222– 224; 228. 268–269+262. 248. 406 Binder, Vera 6978. 118227. 124248. 147319. 150–151325. 187+433. 238164. 32149. 322–323252. 324–32559; 60. 326– 32763. 376196. 380205. 386221. 392232. 401257

Caecilius, Sex. 78. 152. 183. 265. 287. 356. 394239 Caecilius Epirota 238 Caecilius (Kaikilios) von Kale Akte 230130. 280311. 282320. 288 Caesar, C. Iulius 2821. 4061. 5525. 60. 72. 7597. 81. 103. 106. 115+221. 121237. 140298. 185. 186–187. 20650 . 239– 240. 247193. 256+220. 289346. 311. 374190 Caesellius Vindex 372181. 386221

5525. 87+128. 30915.

Calvenos Tauros, L. 106. 123. 148– 149. 152. 158+345. 163. 164+361. 165+365. 174396; 398. 205. 20651. 20752. 208. 251. 257–261. 271. 286+344. 33884.. 352. 353. 354. 359+146. 362. 363. 364157. 366+163. 367. 368. 384212. 384–385217. 389. 394+239. 406 Capito, C. Ateius 30. 247193. 346 capitula (Lemmata) 51–529. 113–114218. 319–320+47

Biographie 11. 518. 141. 156338. 168375. 19411. 262–263. 278–280. 283328. 288+344. 291353. 291–292 354. 297376. 32251. 343

captatio benevolentiae 115. 221103. 307. 323+53. 328. 370

Blanck, Horst 6246. 6348; 50; 52; 53. 6459. 6562; 63

Castricius, T. 72. 81. 165+365. 205. 235+154. 342. 346. 377+201

Blum, Herwig 4382. 101180; 181. 106198. 166369. 167372. 168374; 375. 169378. 170381; 383-385. 171386-389. 172391

Cato, M. Porcius Censorius 2924. 5525. 56. 58. 59. (60. 6141). 6980. (70). 71– 72. 99. 114. 115222. 120. 129261. 144. 151. 152. 155. 162. 186. 19410. 19930. 21475. 221–222. 228124 . 233. 234145. 236. 237+162. 241. 243177. 247193. 250204. 256. 271–272272. 279. (281316). 285–286+337; 338. 287343. 289. 290+347. 294. 298. 303–304+3. 306. (311). 31743. 31945. 33883; 84. 344103. 348. 350117. 352. 354+124. 355129. 360. 361. 368. 377. 378

Bruni, Leonardo 21267 Buchhandel 62+46. 6872. 102242. 107+200. 108. 164 Buch- und Lesekultur 62–77. 107–108. 110. 164. 171. 323. 32459. 325. 331. 380205. 388. 392. 404. 405 Buntschriftsteller(ei) 814. 51. 89132. 122– 123+242; 243. 144308. 156. 162. 223. 264–265. 270. 32251. 338. 339+87. 392–393. 403. 405 vgl. Miszellanliteratur (Kollektaneen) Caecilius, C. Statius 71. 146. 186. 212– 213+70. 215. 233. 234149. 237. 241. 294+364. 378

Castiglione, Baldassare 395+242

Cavazza, Franco 1025. 13. 84120. 85122. 86124. 88129. 89134. 90136-140. 92147. 95154. 96156. 153331. 160–161352. 270266. 284332. 30814. 373188. 394– 395240 Celsinus, Iulius 148. 164. 177. 178. 256. 259228. 298

8.1. Begriffe, Personen und Sachen Celsus, (Cornelius Celsus, A.) 33884. 354+126. 355

156.

437

Columella (Iunius Moderatus Columella, L.) 319–320+46. 33884. 407

cena (45). (77). 98167. (109203. 112215). 148. 163. 164361. 177. 178+408. 256222. 286. (288). 388. 390–391 vgl. Symposion

commentarii 51–529. 54–56bes. +25. 407

Chilon 136. 137289. 299. 366

Curtius, Ernst Robert 5311. 83114. 129261. 232139. 32353. 32663

Chronographien 276–278. 291–292. 293. 400. 406 311

Chrysippos 139. 143. 145 . 152. 207. 288. 362. 369+169 Cicero, M. Tullius 26. 27. 28–29+21; 22; 24 . 3027. 31–32+34; 35. 34+42. 35+43. 36– 37. 38. 42. 44. 46+90; 93. 58+41. 6142. 62. 6769. 6870. 6979. 70. 71. 73. 7492. 81+109. 84+117; 119. 87+127. 88131. 93. 94. 95. 96. 100. 102182. 103+189. 109– 110+207. 111. 115222. 116. 121237. 126253. 127+257; 259. 129264. 130267. 131+272. 132+275; 276. 133. 135287. 136. 137289. 138. 139. 140bes. + 298; 299; 300; 301. 141304. 143+308. 144. 145311. 146313; 314. 148. 150. 152. 153+331. 156337. 157+341; 342 . 159. 160–161352. 167–168. 169379. 170384. 171. 173–174396. 175401. 187. 195. 19825. 199 27; 28; 30. 201+35; 37. 20238. 20341. 20650; 51. 20955. 210+57; 58. 21164; 65. 21475. 21789. 218. 219+94. 22098. 225+115; 116. 227+121; 122. 228124. (232139). 234147. 237–238. 239166; 167. 240169. 241171. 245. 250204. 254. 271271. 272272. 276–277296. 278. 280– 281+311-313; 315- 317. 282320. 33781 282324. 288+344. 290. 294363. 295366. 296. 299. 304+4;5. 305+10. 306. 30915. 310–314. 31740; 43. 32251. 32763. 32966. 33171. 333–334. 337+81. 340–341bes.+91. 348. 349+113. 350116. 355+131. 356–357+137; 140 . 364. 365159. 369169. 370+175. 371. 372–373+185; 188. 374190. 375194. 377+199. 380–381. 384. 389227. 393+237. 395241. 396243. 398+248. 406 ciuiliter eruditus 102. 307. 345. 350– 351. 370–372. 375. 395. 405 classici auctores 83. 185–186+426; 427. 242–243+177. 323+54. 404 Collegium Gellianum

401–402258

controuersia 342. 364. 365 cupsones 92. 96+158. 228+123. 296–297+375

Cusanus s. Nicolaus Cusanus damnatio memoriae 40+64-66. 80–81. 289+345 declamatio (declamatiuncula, Deklamation) 107+199. 163. 188. 254. 264+247. 295–296368. 296 371. 32763. 396371. 342. 345+106 Demokrit(os) 5626. 73. 155–156. 353121. 361. 365 Demosthenes 138. 140300. 152. 213. 21579. 280+311. 282320. 288+344 Detailarmut 165–166. 175. 177407. 198 Dialektik (Logik) 69. 260. 266. 335. 347. 353. 357–358. 360+148. 363–365 Diatribe (diatriba) (108203). 127+259. 145+312. (149) Diktat / dictare 114–115 bes. + 219 Dilettantismus 318. 32663. 32763; 64. 331. 332–333. 384. 385 vgl. auch Unterhaltung, belehrende Diogenes (Kyniker) 362 Diogenes (Stoiker) 285. 362 Dionysios von Halikarnassos 32+32. 75. 145311. 156338. 20239. 230. 232145. 248+195. 249202. 274+284. 282320 disparilitas (und ordo fortuitus) 52. 55125. 135. 139. 181. 327. (332). 339. 358. 397. 403. 4072 Distinktion, nationale griechischrömische 195+13. 20137. 21475. 218– 219. 272–273. 275–276. 281bes. +320. 286–287. 290. 406 Domitius Insanus 70. 360. 394238 Domitian(us, T. Flavius) 40+66. 78. 186. 247193. 290+348

438

8. Register

200. 336bes. +79. 337– 33980-81; 84. 348–351, bes. 348–349113; 114 . 354–355+127. 357+139; 141. 358142

ȭȴѠȴȵȳȹȻ ąȫȳȮȯɅȫ

Ehethema 79. 266. 289. 343–344+103105 . 366 Ehrendekret von Halikarnass 66 Ehrenmale in Bibliotheken 66+66 Ennius, Q. 26. 71. 6769. 69. 71. 74. 79. 109+204. 122242. 126253. 130265. 157341. 161–162. 176+403. 182. 185. 186. 187+433. 212. 213. 215. 21891. 223109. 226. 233–234+145. 236–237. 238164. 255. 256. 294+364. 297–298. 30612. 31844. 325–326+62. 346. 356+137. 357+138. 377. 385218. 396–397+244

372–373. 374–376. 377–378. 380204. (388). 396–397+245 Etymologie 3337. 34. 3751. 52. 54. 60. 71. 79. 82. 83–97. 144. 155. 182416. 20955. 21266. 228123. 284. 296–297. 298–299. 300385. 32352. 346. 347111. 374. 386221. 404 Eukleides (Euklid) 207+53. 363. 365 Euripides 58–59+35. 128260. 140298. 141. 144. 145311. 154. 166366. 212. 213. 288. 325–32662. 365. 369. 391 Exemplum /-a 26. 27–28+21. 138292. 153331. 276. 279+305- 307. 281317. 295– 296+368; 371. 297376. 303–304. 31532. 316. 32250. 365159. 399. 404

Enzyklopädie 7–813. 21+60. 251208. 305. 32458. 32865. 329bes.+66; 67. 33274. 33783. 338+85. 339bes.+87. 341. 350–351+117. 351118. 354. 363. 372. 374190. 387221. 408

Exzerpte 21. 52. 6874. 10695. 112–117. 117–162, bes. 117–119; 127255; 128– 130. 188. 208. 239. 32560. 332. 405 vgl. ad(n)notamenta; Zitate

Epiktet(os) 105. 135. 145312. 207. 359– 360. 362. 366. 367. 368. 381

Fabius Pictor, (Q. ?) 94152. 149

Epikur(os) / Epikureismus 20137. 290349. 362. (368) Epochen(begriffe), literarische / kulturelle 16. 18–20. 4381. 146314. 186– 187bes. +430. 188+438. 189+441. 191–192. 230–231bes.+137. 237156. 238165. 248– 249199. 250. (291–292). 395–396. 398. 402. 407 Erasmus von Rotterdam 400+256 Erinnerungskultur 15. 1952. 20. 24. 26. 34. 35. 42–44. 50–51. 58–59. 62. 151325. 185424. 191–301, bes. 191; 194–195; 229–230 vgl. kulturelles Gedächtnis Erinnerungsorte / - raum 25. 6040. 100. 191–204, bes. 196–204. 406 Erll, Astrid 1540. 1952. 4381. 505 Essay / Essai 145+312. 174398. 177406. 189440. 400256. 407+2 Ethik (Moralphilosophie) 2821. 106. 266. 268+260. 288–289. 295+368. 3031. 309. 33170. 345. 361. 363. 365–369 .

62. 6769. 6872.

Fantham, Elaine 23. 1024; 26. 6244; 45. 6348;49. 6458. 6564. 110207. 192–1935. 262238. 263240. 292355; 356 Favorinus von Arelate (Arles) 712. 921. 30. 56. 61. 65. 66. 6979. 70. 76. 77100. 78. 87. 98167. 106197. 122–123+243. 128260. 136. 144. 145310. 149322. 150– 151. 152. 154. 159+348. 160+350. 162– 163+360. 164 165+363; 364. 166366. 174– 175. 179. 183–184. 187435. 205. 20651. 21579. 218–219. 220+100; 102. 222+108. 235. 236+154. 239. 251+211. 255. 258+228. 261–271. 287. 298. 309+15. 32150. 32763. 33989. 344. 346. 347–348. 353–354+123. 356. 358+143. 359. 360. 362. 363152. 364+156. 367. 368. 369169. 373185. 377. 379. 386221. 391+231. 394+238; 239. 396244. 403. 406 Festus, Sex. Pompeius 34. 50+6. 6142. 88+130. 250–251204. 386–387221 Festus, Postumius 92. 163. 256 Fiktionalität / Fiktion, literarische 6668. 123245. 135+287. 149321. 158344. 159– 161. 164362. 165363. 173–175, bes.

8.1. Begriffe, Personen und Sachen 174397; 398. 251–252+207. 258228. 267259. 389227. 405. 407 Flaig, Egon 2612. 6040 Fögen, Thorsten 91142. 94–95153. 95155. 96162. 97163. 20445. 21474; 75. 21576. 221104. 224114. 225118. 226120. 227122. 228123. 229125. 296–297374. 300383. 32663. 357140. 376197. 387221 Form, offene 15–16+42. (177406). 291351. 308. 327. 386bes. + 221. 407+2 Freizeitkultur 31328. 315–316+37; 39. 317. 31945. 322–32352. 325 vgl. otium Freundschaft, - skultur (62). 104. 108. 136. 149–150. 159. 164. 177–178. 20341. 207. 252. 258–259228. 262. 299. 31328. (31945). 346. 356135. 360– 361. 362150. 366. 380204. 394238. 396+244

439

- Kommunikatives 4381. 99–101 - Kulturelles 24–25. 31. 45–47. 50. 60–61. 62–66. 66–77, bes. 66–67; 69; 73. 82. 96+159. 97–99. 147–148. 189. 191–196. (231). 294. 372. 397. 402. 403. 404 Gedächtniskunst 42–47, bes. 44–45; 46–47. 101+181. 102+182. 148–162. 162–182, bes. 162–171; 173+394. 20238. 402. 404 vgl. Mnemotechnik (Mnemonik) Gedächtnismetapher 98–99+167. 177– 182, bes. 178–179+409. 404+1 Gedächtnisübung 102–104. 148. 166– 167. 170383. 171+389. 173395. 179–180 vgl. Mnemotechnik (Mnemonik) Gedächtnisversagen 39. 44–47. 153– 154. 182–183 vgl. Vergessen

Friedlaender, Ludwig 1024. 109205. 140298. 19719. 20134. 20343. 369170

Geheimschrift 115+221. 182+417. (20650). 289+346. 298. 300

Fronto, M. Cornelius 59. 7. 10 26. 65+64. 6869. 72. 92. 10389. 108. 109203. 112. 130267. 140298. 145–146. 152. 163. 164+362. 185–186+428. 187+434. 205+48. 214–21576. 21789. 218–219. 220. 222. 225+118. 228. 232–237, bes. 235151; 236155. 238+164. 240+170. 241. 242176.242–243177. 243–244+181; 182. 247+193. 248. 249+200. 250202; 204. 251. 252–257, bes. 253212; 255. 258+228. 260233. 267258. 269. 271. 274. 282+322. 296373. 298. 30814.320. 32150. 323. 326+63. 346. 353–354+122. 358+143. 359145. 364156. 379203. 382207. 396244. 406

Gellius, Aulus - Arbeitsweise 105. (107). 113–117, bes. 115. 136–137+289. 159+346. 200+33. 291351. 291–292+351; 354. 316–317+40. 321–323bes. + 50; 52. 385. 386221. 387+223. 391230. 406–407 - Bescheidenheit, (affektierte) 200+32. 20548. 208. 30915. 323+53. 326–327+63. 387 - Griechenlandaufenthalt 518. 196– 197+18; 19. 20134 - Herkunft aus Africa 96 158. 228123. 247+192. 252210. 296–297+373 - Intellektualität 49. 90. 91. 156. 271. 369 309+15. 321–322+50. 32763. 372181. 387223 - pater familias 303. 305. 307. 310+16. 317–318 - pecus aurei uelleris 5–6+11 - politische Haltung 246–247+193 - philosophischer Standpunkt 367– 369. 381 - Religiosität 369–370 - Richteramt 76. 162. 247. 266. 267–268. 308–310bes.+14. 317. 32763. 355+133. 356135. 366

Gedächtnis - Individuelles 42–44. 46. 101–117, bes. 101–102; 106–107; 111. 148– 182, bes. 171–172; 173; 175; 177– 180. 188–189. 372. 402. 403. 404 - Kollektives 231. 26–29bes. +12; 16; 21. 32. 34. 36. 42–44. 45. 60. 73. 77–81. 96–97. 98167. 99–100. 131269. 147– 148. 173. 175–176. 177–189, bes. 183–184; 188–189. 191. 194–195. 403

440

8. Register

- soziale Stellung 252. 308–30914. 318–319–320+44. 366. 382207. 391– 392 - Quellenbenutzung passim, bes. 52. 87–88+129. 90. 117–162, bes. 117– 118+ 227. 291+351. 321–32250 - Überlieferung der NA 124248. 147319. 320+47. 324–32559. 398+247. 400–401. 407 - Unfertigkeit der NA 291351. 308. 327. 386+221. 407 vgl. Form, offene Gentleman 32352. 384+214. 395+241 Geschichte / Geschichtssschreibung 3545. 81–83. 103. 187. 194+10. 254. 274. 276–278. 281317. 287–288. 290–298, bes. 292354; 295–296. 335– 336. 365159. 404 Gibbon, Edward 23. 2054 Goethe, Johann Wolfgang von 49. 145312 Goldmann, Stefan 46–47+92. 60+40 Gowing, Alain M. 2714. 3545. 4064. 505; 6 . 51+7 Grabepigramme

57–60. 61. 146. 396244

Grammatik, Bedeutung / Themen 84. 90. 103187. 104190. 19411. 200. 20445. 21580. 239–241. 265–266. 282–283. 283–285. 334. 335. 33679. 341–351. 360+147; 148 vgl. Etymologie grammatici (38. 50. 5728. 59). 62. 6769. 70. 79. 86. 87. 91–92+145. 123. 125252. 144. 21165. 228. 232141. 236. 238165. 239. 241171. 256. 265. 279. 284333. 304–305. 308–30914. 309. 31944 32763. 347. 360. 378–379+202. 381. 384+212; 216. 385+218. 388225. 394238. 395241 Grimm, Jacob (u. Wilhelm) 100172. 179409

231 . 96+160.

Hadrian (921. 1745). 41. 45. 63. 64. 65. 77+101. 87. (99169). 165–166365. (186430). 192–1934-6. 19826. 200. 201. 20341. (220102). 244182. 247193. 262. 263+241. 273. 274+285. 377201.

Häusle, Helmut 506. 6038 Halbwachs, Maurice 244. 3128. 42. 50. 97 Heraklit(os) 307. 379–380 Herder, Johann Gottfried 374–375191

83. 245185.

Herodes Atticus 135. 151. 163. 164. 165–166+365. 19719. 205. 20651. 220102. 222+107. 250202. 253–254bes.+212; 213. 255218. 258. 262+238. 308–30914. 360. 366. 367. 377. 381. 382207. 394+239 Hertz, Martin 3. 49. 510. 92. 124248. 127255. 129265 Heusch, Christine 1231. 19719. 258227. 32355. 345106. 366162. 368166 Hierokles 368 Hippokrates 73. 121237. 353121. 365 Hölkeskamp, Karl-Joachim 1644. 255. 2613. 2716; 17. 6040. 20444 Holford-Strevens, Leofranc 612. 8–9+18; 19; 21 . 1025. 11+28; 29. 518. 6871. 7285. 77101. 85120. 86124. 88129. 96158. 118229; 230 . 119232. 122–123242; 243. 123244; 245 149321. 154333; 334. 155335. 161353. 163360. 164362. 165+363. 166366; 368. 174398. 175399. 182416 . 183 418; 419. 186430. 187431. 1925. 1949; 10. 19618. 19719. 19823; 26. 19928. 20445; 46. 21789. 220100. 221102. 224112. 226118. 228123; 124 . 229127. 230128; 129. 235150; 151. 236154. 237162. 239167. 247192. 249– 250202. 251205. 251–252 207. 254217. 256223. 259228. 261237. 266253. 269265. 275289. 292356. 31844. 32047. 32149. 33577. 34194; 95. 34298. 355130. 356136. 357138. 359145. 362150; 151. 365159. 369+168; 171. 375193. 386221. 391230. 396244. 399252 Homer(os) 58. 92. 93150. 121237. 127259. 128260. 135. 138. 140298, 301. 141. 143. 144. 145311. 152. 153329. 179. 207. 213. 21576. (223109). 245+185. 255. (265249). 365+160. 380204 - und Hesiod 291–292354. 293– 294+362; 363 - und Vergil 88129. 107. 210+60. 213. 238. 283. 295366. 346. 353121

441

8.1. Begriffe, Personen und Sachen honesta eruditio 2159. 144310. 306–307. 319. 341. 370–395, bes. 372–373+184; 185 . 405 Honstetter, Robert 279307. 295368 Horaz (Horatius Flaccus, Q.) (34. 506). 88131. 110209. 127258. 139297. 177– 178+408.187–188+435-438. (205. 20955). 228124. 238163. 272. 281–282+318. 319. 333. 352120. 387224. 391 Hose, Martin 1851. 189441. 1935. 19512. 249+201. 272274. 273278 Hosius, Carl 91142. 92. 117–118+227; 230. 122240. 123245. 124248. 153331 Hugo de Folieto 344104 41

humanitas 202–203 . 338. 370–395, bes. 373; 375–376; 389226; 393bes.+237– 395. 395–396+241-243. 397. 401. 407 Humanismus (Renaissance) 611. 10. 330–331, bes. 33170. 374–375191. 375194. 376197. 395–402, bes. 395– 396; 398+248; 399. 407 Humor (Charme) und Ironie 1231. 158. 259. 343103. 393–395 Hyginus, C. Iulius 6870. 143. 267259 Identitätsbewußtsein, nationales römisches 218. 219. 227122. 274. 294– 295+366. 287. 296. 340–341+93 Imitatio (imitatio) 2821. 29. 105+ 194 . 107. 111212. 124–126. 176–177405. 180. 181+414. 188406. 208. 213–214 bes.+70 . 21681. 21790. 21996. 224. 226. 260–261. 295366 Inhaltsverzeichnis 920. 51–529. 113– 114218. 116223. 319–320+46; 47. 407 Inszenierung 123+245. 148. 158+345. 159. 163–164. 171. 173–175, bes. 174398. 198. 251+206; 207. 378. 384–385217. 386221. 388–389+227; 228. 405 Integration, kulturelle - von Osten und Westen bzw. von Griechenland und Rom 15. 19. 191– 192. 195–196+15. 198–200. 201+35. 203–204. 220. 228–229bes.+125. 249– 250. 251. 269–270. 271. 272. 276294. 284. 285+334; 336. 287–288. 289–290.

293. 294–296bes. +366. 298–301. 33989. 340–341.405–406 - von anderen römischen Provinzen und Rom 298–299 Intention 56–57. 98. (104). 111–112. 146314. 147319. 189441. (232140). 242– 243. (274. 277). 290–291+352- 354. 295– 296+369; 370. 303–305bes.+1; 10. 306–307. 32149. 322+52. 323. 324–325+57-60. 328– 331. 34091. 370–376, bes. 370–373. 385–386. 389227. (392235). 404. 405 Interdisziplinarität (13. 17+49; 50. 1851. 99). 329+66. 347–350, bes. 348– 349+113; 114. 358+143 interpretatio 84. 208–210bes.+55. 21267. 269 Intertextualitätstheorie 133–135bes. + 278. 138292. 142–144. 147–148+320 Isidor(us Hispalensis) 268–269262. 387221 Iulianus, Antonius 67–6869. 69. 71. 74. 107199. 163. 164. 165+365. 214+75. 226– 228. 235. 286–287. 298. 342. 377+201. 394238 Iulius Celsinus 259228. 298

148. 164. 177. 178. 256.

Iulius Paulus 62. 6872. 69. 148. 164. 165–166+365. 177. 243177. 256222. 391. 394238 Iura (Recht und Gesetze) 35. 77–81. 103. 104. 152+186. 183–184. 203. 286339. 287+342. 288. 299. 335+77. 346. 391. 404 Jocelyn, H.D. 919. 122241. 158344. 1935. 237156. 238164. 250202. 252207. 30612. 32562. 35262. 399252 John von Salisbury 398+250 Jurisprudenz (Juristen) 30. 31. 52. 79. 88. 89+133. 128260. 183–184. 19411. 223110. 244183. 287+342. 30814. 309– 310. 334. 335+77. 337–338. 345–346. 347+111. 354. 355–356+131; 133- 135. 405 Kaiser(zeit) 40. 41. 5311. 62–65bes. +58. 67. 7698. 107–108. 115220. 146314. 163.

442

8. Register

182. 191–194. (203). 228124 . 247+193. 273+280. 275. 277299. 306. 30814. 31017. 314. 31536. 31639. 334. 355134. 371. 375192. 384–385217 - hadrianische Zeit 22. 41. 5311. 64. 66+66. 77.101. 87. 192. 1936. 237156. 248–249199. 273+280. 274. 30915 - Antoninenzeit 23. 34. 15. 16. 17. 41. 65. 108. 161353. 177406. 186430. 1935. 237156. 192–193+5; 6. 220+102. 247. 248–249199. 264. 273+280. 282322. 355. 375193. 406 vgl. Zweites Jahrhundert

Konversationslexikon 32458. 329–332. 372. 395

Kanon(isierung) (3). 25. 3127. 100176. 107. 184–186, bes. 185426. 189441. 236155. 238+164.. 242+176. 249202. 250203. 281314. 282319. (33884. 339+87). 341. (350–351117; 118). 357+139. 386–387221. 404

Kulturwissenschaften / -geschichte 10. 13–15bes. +35.. 17. 23. 50–51. 77. 339. 403–404. 407

Kant, Immanuel 21–22+64. 3854. 44– 45+86. 402

Labeo, M. Antistius 30. 31. 5525. 82. 89

360

+396

Karneades 163 .173–175 291. 352120. 362

. 285.

Karthago 5311. 297–298 vgl. Africa Kaster, Robert 5525. 5728. 5832. 78102. 130265. 20240. 223109. 3059. 30814. 31843. 32763. 375+194; 195. 376196. 377200. 382208. 384214; 216. 387222; 223. 395241 Kierkegaard, Soeren 344104 Klassik 3. 186427. (186–187). 231136. 243177 Klassizismus 16. 186+427; 430. 230129. 238. 243177. 244+182. 250+203 Klingner, Friedrich 375191. 393237

26+9. 4168. 21371.

Komödie(ndichter) 57. 71. 84117. 125252. 141. 146. 152. 157–158+343; 344. 182. 184–185+422. 188437. 20033. 212. 257. 272272. 294. 33679 Konversation, gebildete 250204. 251– 271, bes. 255–257. 258–260. 265– 267. 268–270. 32458. 331. 333. 345. 364. 365159. 388–393, bes. 392. 395. 396242. 401+258. 405

Krankenbesuch 164+362. 256. 258+228. 267. 298. 346. 353–354. 366. 388 Kritolaos 285. 288. 362 Kuhlmann, Peter 16–1745. 186430. 1935. 370173 Kult, römischer, offizieller (öffentliche Kultstätten) 32–34. 41–42. 61. 75– 76+97-99. 78. 82. 83. 197. 227+121. 270266. 32149. 346

Kunst, bildende 61. 1925. 244182. 272274 Kyniker 145312. 360. 362

Laberius, D. 87. 92146. 142. 159. 233. 234145 Laevius 104. 148. 177 Lakmann, Marie-Luise 119232. 145310. 21789. 222108. 252207. 257225. 258226; 228 . 260230; 232. 262237. 266253. 268260; 261 . 270268. 286340. 355133. 366163. 394239 lancea 96. 298–299+381 Landwirtschaft

33884. 354. 374188

laudatio funebris 60+40. 70 Lebensaltervergleich 1–2+2. 51–5211. 245–246+186-188.. 281+315 Lesen (lectio), - kritische / partielle Lektüre 70–72 . 73–74. 102–106. 107. 108–111. 112. 115–117. 123. 131. 147–148+320. 180+412. 189. 206–207. 271. 321–323. 345. 388. 392+234. 397–398. 405 - lautes / leises Lesen 108–109+203. 110–111+209. 180412 Lesermotivation /-appelle 71–72. 74. 106. 147319. 161–162. 173+395. 175– 176. 185. 255. 321+49. 386221. 320– 321+48; 49. 32252. 323(+54). 325–327.

443

8.1. Begriffe, Personen und Sachen 328. 330–331. 333. 370. 386221. 391230 Leibniz, Gottfried Wilhelm 83. 401258 Leo, Friedrich 11. 59. 1851. 21370. 238164. 243178. 249199; 201. 279305; 308. 280– 281313

Marache, René 7+13. 1025. 13. 518. 103188. 153331. 186428. 187432; 434. 188437. 1925. 233142. 234146. 235148. 236153; 155. 237157; 158; 160; 162. 240170. 241172. 243179;180. 244+181; 182. 250202. 375193. 395240

Leuze, Oskar 277299. 291351. 292+356; 357. 294364

Marc Aurel 19. 518. 65. 112. 130267. 193+6. 193. 220+102. 233+143. 235. 247. 250204. 252–253. 254+213; 215. 269263. 296373. 32663. 358143

Lexika - antike 87+128. 20445. 230bes.+130. 250204. 360147 - neuzeitliche 32458. 329–332. 372

Marrou, Henri-Irénée 5729. 5832; 33. 84117. 110210. 127259. 141304. 20445. 223109. 224114. 275290. 290350. 31743. 345106. 357141. 358143. 374189. 396244

libri Sibyllini 74–76

Marshall, Peter K. 398247. 399251

Lessing, Gotthold Ephraim 245185

Literaturkritik / Literaturwissenschaft, antike 207–215+79. 224. 256. 280– 282. 283–284. 291–292354. 335. 34195

13+33. 117. 153331.

Masurius Sabinus 53. 82. 87+127. 90. 122242

Livius Andronicus, L. 32+33. 69. 207. 213. 217+91. 223109

Mathematik (Arithmetik / Geometrie) 52. 284. 334. 347+109. 355130

Livius, T. 2923. 33+36. 3545. 506. 80. 92148. 187. 227121. 237161. 304. 394240

Medizin 52. 266. 304+3; 7. 334. 337+83. 33884. 346. 348. 352–356, bes. 354+127. 355+130

Lucilius, C. 127258. 139297. 146313. 186. 188437. 20137. 233. 234149. 294. 335. 382206 lucubratio(nes) / lucubratiuncula(e) 147316. (19928). 200+33. 316– 317+40. 32663. (33987). 400256 Lukian(os) 49. 63+51. 145311. 146314. 153329. 157+340. 174398. 239167. 248. 269264. 274283. 383+211. 384215; 217. 387– 388224 Lupus von Ferrières 398+249 Maccius Plautus, T. 30. 54. 58. 84117. 90136. 142. 146. 157–158+343; 344. 159+346. 182. 185+423. 186. 227+121. 233. 234149. 236+155. 237+156; 158. 272272. 294. 382206. 385218. (399)

memoria publica 35+45 memoria passim, bes. 23–25. 34. 42–44. 53–58. 69–70. 102+182. 105. 111. 397–398. 400–401. 403–404. 407 vgl. Gedächtnis (individuelles/ kollektives/ kommunikatives/ kulturelles) Menippos 362 Mercklin, Ludwig 3. 510. 2160. 88129. 106195. 118+228; 229. 119232. 120234; 235. 121237. 121–122239. 122241. 123245; 247. 137290. 138294. 150 324. 153329. 154332; 334 . 155335. 158344. 19823. 30611. 339+86. 386221 Michel, Alain 364155

1541. 33989. 34091. 362151.

Macedo 360–361. 362150

Minucius Felix, M. 163360. 174397. 232139. 370173. 401

Macrobius, (Ambrosius Theodosius) 29. 129261. 147. 176+404. 181414. 295366. 295366. 305. 392–393+236. 399

Mirabilien (mirabilia) 52. 298378. 336. 338–33985. 365159. 372

magister a memoria 45+87; 88

Miszellanliteratur (Kollektaneen) 815. 52. 121237. 122–123+242; 244. 128260. 129262. 147316. 169–170381. 177406.

444

8. Register

223. 305. 306–307. 32046. 399. 400256. 405. 407 Mnemosyne (ȝȷȱȶȹȼѠȷȱ) 32+32; 33. 37– 38+49-51. 168375 Mnemotechnik (Mnemonik) 16. 42. 43+82; 83. 46–47. 60. 101+181. 106– 107+198. 148320. 166+369. 168–173, bes. 171. 20238 Modernisierung / Modernismus (Neologismus) (612). 103189. 186+430. 232+139. 234–235+148. 236153. 237. 243–244+181; 182. (248). 270+270. 406 Moneta (Iuno)

Nonius Marcellus 3025. 172392. 305. 387221. 401 Nora, Pierre 14+36. 20+57. 51 Norden, Eduard 22. 59. 611. 2821. 52– 5311. 6666. 109204. 110209. 114219. 121238. 124250. 130+268. 132+274. 140298; 300 . 145311. 186+430. 220–221102. 222107. 238164. 248–249+199; 200. 250202. 3032. 3057 nouicii 30914. (318–31944). 382207. 383– 384+212; 217 Nünning, Ansgar 1435. 1952. 3956

32–34

Montaigne, Michel de 116–117+224. 400+256. 407+2

Oexle, Otto Gerhard 1437. 244. 2612. 3855. 44+84. 494

monumenta 34. 36. 50+6. 58–61. 6979. 70. 98167. 119. 296371. 351

opici 94–95. 221+103. 286 )ɁȳȶȫȲɅȫ 382+206. 384+215

mos maiorum 27–28+16. 247–248. 290+350

ordo fortuitus

Mülke, Markus 6869; 70. 7492. 19514. 21164. 224111. 242174 Musik 3748. 58+33. (299). 319. 333. 334. 33679. 33780; 81. 383 Musonius, C. Rufus 145312. 148. 150324. 269263. 289. 362. 368. 390 253

Naevius, Cn. 58. 126 . 146. 233. 234149 Naturwissenschaften 1852. 52. 99171. 246+191. 260+236. 32865. 334. 337. 339. 348. 351. 355130. 358144. 363+152. 372 Neoptolemos 356+137. 357 138 Nepos, Cornelius 6666. 70. 99171. 114218. 20135. 221103. 276+294; 295. 279+305; 306. 292+355 Nesselrath, Heinz-Günther 388224 Nettleship, Henry 23. 3. 510. 34194; 95. 34194; 95. 365159. 369169. 386221 Nicolaus Cusanus (Nikolaus von Kues) 399+253 Nietzsche, Friedrich 21+63. 178409 Nigidius Figulus, P. 5626. 71. 72. 85– 86. . 86–87 +125; 126. 88. 143. 171. 284. 31945. 32149. 338. 351. 358144. 374190

52. 358. 397. 403. 4072

otium (litteratum) 3646. 109. 159346. 185. 20033. 202–203+41. 306–327, bes. 30612; 319+45; 325+61; 326. 328. 333– 334. 388–389+226 Pacuvius, M.

58. 146. 186. 294. 361

Pamphila 122–123 Panaitios 291. 362 Pausch, Dennis 5–611. 11+27; 30. 5935. 6245. 6459. 118229. 166366. 1948-11. 222107. 238164. 252+207; 208. 253212; 213. 288344. 291353. 291–292 354; 357; 358. 296370. 31017. 31532; 33. 31638. 31843. 318–319 44. 32046; 47. 32251. 32355. 32457; 58. 32763. 343102. 345107 . 365159. 371180. 372182. 383209. 386–387221. 392233; 235. 395–396242. 401257 pater familias 518. (303–305). 307. 310+16. 317–318+43 penus litterarum 21. 56+27. 97–99, bes. 98–99+167. 112. 179+410. 181. (266). 33069. (348112). 372. (379). 403. 404 Peregrinos Proteus 151326. 154332. 159+347. 165+365. 19719. 366+162. 368+166. 377+201

445

8.1. Begriffe, Personen und Sachen Personendarstellung 163–166. 175. 198. 251+205. 252–271, bes. 261; 270–271. 393–394 petorritum 88+131. 96. 155. 228123. 298– 299+381 Petrarca, Francesco 170381. 399+252 Philipp(os II. von Makedonien) 139. 207. 213. 216+84. 288. 31743. 374190. 394238 Philologie (philologia) 49. 5–6. 17+51. 49. 505. 52. 6870. 96. 113216. 118227. 119230. 133+279. 189440; 441. 349114. 392234. 401258. 402259 vgl. Grammatik; Literaturkritik / Literaturwissenschaft Philosophen, antike 207. 259233. 259– 260. 285. 290. 361–362+150. 379. 381 Philosophengesandtschaft 272275. 285. 286. 290+347. 293. 294364. 362 Philosophenvertreibung 290+347-349 Philosophie 135. 152. 163360. 174– 173+396-399. 259–260. 265. 335. 33781. 33989. 340–341. 354. 356–370, bes. 357+140; 141; 358–359+143; 145; 362+151; 363–364+155. 371. 393237 Physik 60. 335. 352. 355130. 358+144. 363+152. 390229 vgl. Naturwissenschaften Physiognomik

166+366; 367. 263

Physis-Thesis-Debatte 85–86+123. 284+333 Platon 38+53. 39+57-60. 83. 103. 106198. 109203. 119232. 129262. (131272). 141. 147318. 149+321. 154. 165365. 167. 174396; 398. 19928. 20137. 202. 207. 208. 20955. 21058; 59. 215–216+81; 82. 21789. (224112). 225+117. 245. 258. 259. 260– 261+231. 265249. 266. 284333. 287. 293. 304. 32663. 348–349+113. 357138; 141. 359+146. 361–362. 363. 365. 381. 384217. 389. 394238 Plautus s. Maccius Plautus, T. Plinius d. Ä. (Plinius Secundus, C.) 69+79. 7287. 112+215. 115220. 117+225; 226; 122+239; 241; 242. 129264; 265.

130267.156. 169–170381. 188. 319+46. 328. 339+88. 355+129. 363. 372. 407 Plinius d. J. (Plinius Caecilius Secundus, C.) 5936. 62–63+48. 112+215. 115220. 130267. 140300. 20854. 21059. 212. 254. 273. 306+12. 310–311+18. 314–316. 333–334. 396243 Plutarch(os) 37+50. 72. 93+150. 101180. 121237. 135. 136. 141. 145+312. 153329. 156338. 158. 159346. 170383. 20445. 207–208. 228124. 245185. 260230. 262. 276291. 279–280+308; 309; 311. 283328. 285338. 288. 296372. 30914. 389. 400256. 403 Poliziano, Angelo (Angelus Politianus) 22. 399+254 Polymathia (ąȹȵȾȶȫȲɅȫ) 20548. 306. 307. 32353. 33782. 351119. 379–380+204 ąȹȵȾąȺȫȭȶȹȼѠȷȱ

326

207–208. 221103.

63

Pompeius Trogus

187. 277–278+301

Postmoderne 11. 19–20. 21+62. 125. 230–231. 332–33375. 402 Progymnasmata 105+194. 111+214. 282– 283. 342–345, bes. 342–34399 Pugliarello, Mariarosaria 98167. 101178. 102184. 160352. 32663 pumiliones (vs. nani) 92+146. 152. 163. 207. 235+151. 236. 256–257 Pythagoras / Pythagoreismus 74. 93–94. 135. 143. 152. 153331. 178408. 207. 245185. 259. 293. 361 Quadrigarius, Q. Claudius 6769. 73. 103. 148. 151–152. 159. 186. 207. 235–236. 237. 242+174. 255. 266. 287343 Quellenkritik 5. 86124. 88129. 90. 91142. 116223. 117226. 118–119+229-231. 136. 155335. 291351. 292+355; 356 Quintilian (Fabius Quintilianus, M.) 2821. 28–29+24. 4793. 6666. 84. 88131. 94. 101–102182. 103185; 187. 104+190-192. 107. 111+213. (115220). 125252. 146+313. 168+375. 169–170+384. 171+389. 173395. 178409. 179–180. 187.

446

8. Register

188. 1925. 200–20133. 20955. 21165. 212. 219. 22098. 223109. 225–226+119. 237163. 238. 239167. 240169. 244– 245+184. 271271. 280–281+314. 282320. 296371. 300–301386. 304+6. 31740. 33679. 342–34399; 101; 102. 345+105. 349– 350+115. 373185. 376198. 377+199. 386220

Romidee / Roma aeterna 41–42bes. +68 ruminari 30+25. 178–181bes.+409; 413. 182. 404 Sakralrecht 30–31+27; 28. 78+104. 88–89. 334. 335. 346. 405

Rätsel- bzw. Fangfragen (quaestiones, captiones bzw. sophismata) 32149. 360+148. 364. 390–391+230. 392 Ralph von Diss (Radulfus de Diceto) 398–399+251 Realitätsbezug 163–165. 173. 175. 177407. 198–199+27. 251–252bes. +211 vgl. Fiktionalität / Fiktion, literarische; Inszenierung Reiff, Arno 125251. 19514. 20854. 20955. 210+57; 58. 21163- 65. 21268; 69. 373188 Religion / Religiosität (religio) 30– 31bes.+27; 28. 32–34. 75–76. 87+127. 1935. 348. 369–370 bes. +170; 173 vgl. Kult Renaissance 6 . 10. 83. 97–98. 129 . 170381. 178409. (188438). 21267. 21996. 395. 398. 399 vgl. Humanismus 11

- Stadtgründung (Jahr) 276–277+296. 277299. 292+358. 294363 - Stadtjubiläum 19. 19826. 356

262

Rezitation (recitatio) 66. 104. 107+199. 108–109204. 110–111+211. 177. 378 Rhetorik 43. 57. 101–102+181; 183. 104– 105. 107+199. 111. 152. 21580. 235. 240169. 274. 261. 274. 282–283. 290+350. 295–296368. 297+376. 304. 33781. 340–341. 341–351. 354. 358+143. 359. 360. 363–364+155. 377. 393237

Sallmann, Klaus 38. 815. 920. 1026. 3130; 31 . 518. 52–5311. 6564. 99169. 117226. 118230. 119231. 120236. 122239; 242. 124248. 144309. 19514. 20240. 229126. 232139. 235149. 244182; 183. 247190. 248198. 249202. 252209. 254215; 216. 256221. 3047. 33987. 350117. 351118. 353122. 354126. 355130. 383210. 387221 Sallust (Sallustius Crispus, C.) 27+15. 3646. 62. 88129. 143. 144. 146314. 19514. 213. 233. 234149. 236–237+157. 243. 266. 271271. 288. 306+12. 30915. 379. 385218 Satura Menippea (30+25). 127+258. 139+297. 179. 344103. 378. 387224 Scaliger, - Joseph Justus (Sohn) 611. 22 - Julius Caesar (Vater) 295366 Schedel, Hartmann 399–400+255 Schlaffer, Heinz 115–117+223; 224, bes. 116–117. 123+246. 130–131+269; 270. 148320. 161+354. 189+440. 392234 Schmidt, Peter Lebrecht 38. 1026. 1851. 3130. 529. 87128. 88130. 20445. 250– 251204. 290350. 3043; 7. 3058. 32046- 48. 360147. 384213. 386–387221

Richteramt 76. 77. 162. 266. 267–268. 299. 308–310bes.+14. 31844. 32150. 32763. 335. 356135. 366 - Schiedsrichter (arbiter) 174– 175+395. 265. 367

Schmitz, Thomas 22. 35. 133278. 1935. 1948. 19513. 229–230128; 131. 232141. 246–247189. 272276. 273282. 274283. 33476. 371180. 376196; 198. 382208. 383209. 384215. 385219. 391232

Ricoeur, Paul 3957. 42–43+79- 81. 4911; 2. 99+168. 101+177. 4041

Schopenhauer, Arthur 66–67+67. 178– 179409

Rom, Stadt 32–33+35. 41. 61. 63–64. 163. 164. 1925. 200. 197–198. 200+31. 202bes.+39. 20445. 262. 276299. 274–275. 276–277296. 277299. 292. 294363. 347

Schulunterricht 103187. 104190. 106– 107bes.+ 198. 110–111. (174398). 19411. 19514. 20445. 21580. 222–223+109. 228124. (236159).237. 238164. 250204.

8.1. Begriffe, Personen und Sachen (253. 254–255+218. 257. 258–259+229. 262. 270. 271). 283. 290+350. 342– 345, bes. 342–34399; 101. 346. (354). 360147. 368. (378). 384217 Schwindt, Jürgen Paul 1851. 130265. 184–185422; 424. 186429; 430. 244182. 278303. 279304; 305. 281314. 282318. 291351. 294362 Scipiones 281316 - L. Cornelius Scipio 169381 - P. Cornelius Scipio Africanus maior 2715. 36. 184421. 287–288. 291+352. 297. 313. 32763. 335. 336. 342 - P. Cornelius Scipio Africanus Aemilianus 2924. 112. 177–178+408. 297376. 31326; 28 Scribonius Libo, L. 277+298 scriptio, Schreiben 104–105. 111–117. 148–149. 343+101. 345 Seele, Astrid 21057. 21164. 21370; 72. 21577- 79. 21790. 21891; 93. 22098. 224113. 225116. 226118 semidocti 234. 30914. 31944. 323. 378. 379+203. 381. 382207. 383–385. 405 Seneca, L. Annaeus (philosophus) 39– 40. 127+259. 140+301. 176403 . 177406. 181 182+414. 187+434. 20956. 211+62. 237+159. 254. 314+30. 33780; 82. 358144. 377+199. 380 Seneca, L. Annaeus (rhetor) 169+376- 378; 380 . 188+439. 304 senescens mundus (Dekadenzbewußtsein, biologisches / kulturelles) (22; 3). 19– 20+54; 55. 52–5311. 130+268. 245– 246+186. 281+315 Servilius, Geminus P. 162. 176. 397 Sidonius, Apollinaris 6666. 180412. 224111. 371175 Simonides 44. 46–47+92; 93. 60. 128260. 167+371; 373. 168+375. 169381. 377199 Sokrates 3853. 154+333. 288. 343–344103; 104 . 361. 365–366+160; 161. 377199. 379+202

447

Solon 78. 266. 293. 299. 344104. 376– 377199 Sophokles 141. 151326. 154+332. 325– 32662. 365 Sotion 123+244. 21579. 362 Spahlinger, Lothar 109205. 110207. 127257. 128259. 131–132272; 275; 276. 133– 134+277; 281; 282. 135287. 138292. 140299. 143–144308. 146314. 175401 Speusippos 74. 349+113; 114 Sprache - Bedeutung 57. 96+162. 226–228. 247. 265+252. 300–301. 347–348+112. 376–381, bes. 376–377; 379 - Bereicherung und Verfeinerung 98. 103188. 226. 233+126. 242–244. 248. 406 - Erneuerung 232+139. 243–244+179182 . 248. 270. 406 vgl. Modernisierung / Modernismus (Neologismus) - und Literatur, vorrangiges Interesse 57. 78–79. 169–171. 188–189. 283–284. 285. 297. 335. 34091. 341– 351, bes. 341–342; 345–347. 358–359 - Repristination 98. 232–233. 243– 244. 248. 406 Sprachkompetenz(en) 98. 103189. 104. 207. 226119. 241–242. 247193. 250202. 286. 319. 323–324+56. 364. 378–379. 381. 406 - lateinische Sprachkenntnisse der Griechen 195. 204. 219. 222–223. 275+289 - griechische Sprachkenntnisse der Römer 21789. 220–224. 226119. 228124. 268–269+263 vgl. Bilinguismus Sprachpatriotismus 218+93. 227–228. 229–250, bes. 229125. 248. 348 Sprachpflege 103+188; 189. 226. 233– 234+143; 144. 229. 238–239. 243. 246. 247–248. 250204 Sprachverwandtschaft, griechischlateinische 94–95+153. 284 Sprachwandel 96+159. 183+420. 221105. 241173. 242–243+175. 347. 379

448

8. Register

Sprachwissenschaft 61. (62). 79. (83). 86–88. 89–90. (95154). 250–251204. 284333. 298. 34195. 346. 347. 348. 404 vgl. Grammatik

Synkrisis (ȼѠȭȴȺȳȼȳȻ) 78. 271–283. 283–301, bes. 283–296. 342–343+100. 406

Steiner, George 166–167+370. 211– 212+67

Tacitus (Cornelius Tacitus, P.) 26. 7698. 78102. 140–141. 187. 188. 20854. 245185. 246. 272276. 282+320. 306. 373185. 376197

Steinmetz, Peter 1. 2. 34. 2055. 5210 . 6245 . 136289. 141303. 147317; 318. 186428. 187 431; 434. 1922; 5. 1935; 6;7. 19514. 19615. 20031. 20240. 203+42. 20445. 216 81 83; 85-87 ; . 21788. 226118. 234145. 235 148 . 236155. 237157; 161. 238165. 244183. 306+11. 318. 355134. 369169. 370172; 173. 384213. 402259 Stemplinger, Eduard 120234. 122241. 125252. 126253. 128260. 129262; 263. 131271. 132273. 145311. 153329; 330. 156338; 339. 179409. 181414. 188437. 19514 Stenographie 115+220 Sterck von Ringelbergh, Joachim 19928. 33987 26

Stoizismus / Stoiker 56 . 152. 173– 175+396. 258. 357141. 360148. 363+153. 366–369+bes. 165. 381 Suerbaum, Werner 115222. 185423. 20137. 21891. 221103. 278302. 285337; 338. 287343. 290347; 349. 3032. 3043; 5. 354124 Sueton (Suetonius Tranquillus, C.) 714. (11). 5525. 64. 7698. 78102. 114218. 115221. 122+242. 123247. 130265. 141+302. 156338. 21789. 223109. 282320. 290349. 319–32046. 386–387221 Sulpicius Apollinaris s. Apollinaris, C. Sulpicius Swain, Simon 35. 140298. 166367. 20548. 20650. 220100; 101. 223110. 248194. 250202. 262237. 263240. 274283 Symposion 158. 159346. 164. 283. 289. 353. 364157. 381. 388–392. 396244 - Platons ‚Symposion‘ 103. 149. 174398. 207. 208. 260. 32663. 359. 381. 389 vgl. cena Synchronismus, griechischrömischer 276–278. 290–294. 297. 365159. 406

Terentius Scaurus, Q.

87. 30915. 32763

Textausgaben bzw. - handschriften 62. 67–69, bes. 6870; 6979. 70. 71+82. 74+92. 76–77. 113216. 119+232. 122241. 153331. 159. 161353. 21789. 242+174. 285337. 398. 399+253 Themistokles 167+373. 226119. 279305. 281317 Theophrast(os) 71. 136. 149–150. 21058. 299. 30915. 32763. 356135. 358144. 362. 382206 Thesis 343–344+103; 105 Tiro, M. Tullius 61. 6769. 71–72. 7492. 94–95+153. 115220. 121237. 139. 153331. 159. 184. 221. 285 Topographie 163–164. 196–200. 201– 202 Traditionsorientierung 20. 25–32. 99+169. 192+5. 194+11. 232143. 244. 274. 406 Trajan (Traianus, M. Ulpius) 61. 64. 65. 6666. (87. 149). 192. 197. 247193. (250). 262. 311+18 Übersetzung 94–95. 158345. 205–229, bes. 212–216. 224. 226. 276. 283– 284. 345. 359 Übersetzungsprobleme, -theorie 207– 215. 217–220. 224. 226. 284 uirtus 26. 27+15. 314. 31536 - und uita beata 163360. 173–175bes.+ 396; 397 . 265. 367+164 Umgang, kultivierter sozialer 164+362. 258–229228. 267–268. 286–287. 353– 354. 372. 383–392. 405 vgl. Konversation, gebildete Unfertigkeit der NA 291351. 308. 327. 386+220; 221. 407

449

8.1. Begriffe, Personen und Sachen vgl. Traditionsorientierung

vgl. Form, offene Unterhaltung, belehrende 11 . 52 . 98. 147+317. 158–159. 177–178. 180412. 283. 286–287. 305. 306+11. 324. 32560. 328. 331. 332–333. 345. 354. 364. 380205. 388–393. 402. 405 vgl. Belehrung, unterhaltende 27

+10

Urbanisierung 202+40. 203–204+43; 44 utilitas (der Bildung) (7598). 112215. 146313). 268. 306. (311). 333–334. 345. 350–351bes.+116 -118. 352. 354+123. 371–373. 390 Valerius Aedituus 146. 214. 287. Valerius Maximus 505. 53. 279+307. 295–295368 Valerius Probus 5626. 6870. 88129. 107. 113216. 115221. 122242. 155. 238164. 32252. 381 Valerius Soranus, Q. 319+46 - Ps.-Soranus 304–3057 Vardi, Amiel 1025. 1128; 29. 19928; 29. 20854. 21057. 21129. 21370. 21579; 80. 21790. 280310. 282319-321; 323; 324. 285335. 294362. 31017. 384214. 395241 Varro, M. Terentius 30+25. 31–32. 49– 50. 5211. 5525. 58. 61+42; 43. 62+47. 7081. 7493. 75–76+94, bes.98; 99. 80106. 81+108. 82. 84116. 85+123. 86. 88. 85+123. 91+142. 92. 94152. 96. 116. 121237. 122242. 124248. 127+258. 129–130+265. 138293. 149. 155. 157–158+343; 344. 179. 182416. 184– 185+422.. 20753. 225115. 227122. 228123. 237156. 239–241+169. 242175. 256. 277+299;300. 268–269262. 277+299. 278– 279+304. 284+333. 285335. 288. 291– 292+355. 294363. 309–310. 31740. 31945. 32149. 32763. 337–338+83; 84. 343– 344103. 348. 350116; 117. 351. 354+125. 358144. 373. 374190. 378. 387224. 390. 391

Vergil (Vergilius Maro, P.) 5525. 6142. 6870. 6979. 72. 73. 88129. 107. 109203. 126253. 131+272. (132277. 133279. 134+283). 146314. 151. 160+350. 169+379. 176+403. 184. 187+433. 188436. 19514. 201. 20854. 210+60. 212. 213+71. 21579. 228124. 237+161. 238+164; 165. 266. 267259. 272+274. 283. 295366. 32150. 32252. 346. 353121. 378. 385218 Vergessen 1437. 44–47. 5421. 131. 182– 189, bes. 183–184; 188–189+441. 404 Velleius Paterculus, C.

278+307

Verrius Flaccus, M. 5417. 6979. 70. 72. 79. 88+130. 91. 122242. 250204 Villeggiatur 135. 164. 165. 177–178+408. 202–203+41. 304. 315–316+34; 37. 31844 Vitruv(ius Pollio) 56. 63+50. 187. 33679. 349+114. 355. 358144 Vogt-Spira, Gregor 26+9. 127256. 21370. 21475. 21996. 22097. 227122. 228124. 271271. 271–272272. 272273. 273279. 275–276+291. 295366. 396243 Volcacius Sedigitus 184–185+422 Vorurteile, nationale (Ressentiments) 195. 20137. 214+75. 272–273. 287. 290. 406 Walter, Uwe 1645. 1750.1952. 25+6; 7 . 26+10; 11. 2717. 3235. 3336. 3439; 42. 3544. 50–51+7. 6141. 99170. 100176. 103187 Warburg, Aby

13–14+34; (38). 244

Weinrich, Harald 1437. 3854. 3957. 6767. 173394. 4041 Werktitel 196–204, bes. 199+27; 28. 200+33 Wiederkäuen 177. 178–179+409. 181. 182. 404 vgl. ruminari

Velleius Paterculus 505. 187. 278+302; 303. 294363

Wieland, Christoph Martin 49

Vergangenheitsverehrung (cult of the past) 20. 29–30+26. 32–34. 52+11. 96159. 192+5. 229+127. 237158. (244+183). 246–247+189

William von Malmesbury 398+250

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 1–2+2. 17–1851

450

8. Register

Witz (und Ironie) 11–12+31. 84+117. 239. 286. 292+344. (32763). 343–344103. 387–388224. 392235. 393–394+237- 239 Yates, Frances A. 2611. 4382. 167371; 372. 168374. 169379. 170382; 383. 171389. 172391 Zeitrechnung, römische 19826. 276– 297296. 277299 Zetzel, James E.G. 6870. 122241. 161353. 187432. 238163; 164. 250204. 252207 Zitate 68+74. 117–162, bes. 132– 133+273-277. 404–405 - aus dem Gedächtnis 119232. 148– 157+341, bes. 149–152. 159–160+352. 161–162. 169–171. 251 - fehlerhafte 153–154+330-333. 171– 172 - Funktion 128–131. 144–147, bes. 144; 146+214. 148320. 176+404. 404–405 - Genauigkeit 119–121. 123–127, bes. 123247; 124+248; 126253. 131+272. 149–150. 156+337 - griechische 127258. 127–128259. 139–141

Zweite Sophistik 22. 16. 162. 1948. 195. 232139. 246–247189. (248199) . 249 202. 251. 261+235. 264+245; 246. 271. 275. 33476. 376198. 383+210. 406 Zweites Jahrhundert - kulturelle Aspekte 1–3. 11. 15. 16. 19–20. 52–5311. 59+36. 61. 66. 99. 193–194. 196. 201. 203–204. 21580. 233142. 246188. 249–250202. 251. 254. 269–270+267. 271. 273. 275. 282. 283. 30611. 316. 31945. 323–325. 334. 338–33985. 33989. 345. 355+130; 134. 357140. 358143. 368165. 382–383+210. 392. 396244. 402. 405. 406 - politische Aspekte 19. 61. 191– 192. 1936. 1948. 203. 273+280. 355 - soziale Aspekte 19. 191. 193. 203– 204. 246–247+189. 272–273. 30814. 334. 382–384. 396244 Zwierlein, Otto 6870. 160350. 20955. 21164. 21579. 267259. 34195. 348112 Zwölftafelgesetz 5525. 78. 79. 150. 152. 183–184. 243177. 266. 287+342. 299. 346. 356. 379

8.2. Stellen Aelian (Ailianos) nat. 6,40 80 var. hist. 51 Aelius Aristides (Ailios Aristeides) or. 13 DINDORF = or. 3 LENZBEHR 19617 26, 59 KEIL 275 26, 61 KEIL 275 26,92-107 KEIL 275 Aeschines (Aischines) 1,180–181 216 Ammian(us Marcellinus) 23,1,7 7698 (Ps.-)Anakreon Anacr. 4 [I] WEST 141. 146. 214 Anthologia Palatina 5,78 146 Aphthonios prog. 13 p. 41,17. 42,11–46,18 RABE = II p. 49,17. 50,5–53,15 SPENGEL 344–345105 Apollinaris Sidonius carm. 8,8 6666 9,213 224111 epist. 1,2,1 371175 1,7 371175 4,12,1 180412. 224111 8,6,3 5311 9,16,3 v.25–28 6666 Appian(os) Rom. praef. 7 275 7,26 275287 11 274 11,43 275287 Apuleius apol. 9,6–8 518 13,1 357+138 24,1 297373 53,8 66+65 95,5 282319 flor. 18,19–29 518 18,38–43 249–250202

mund. 13–14 518 Socr. prol.frg. 5 250206 Aristophanes ran. 354–356. 369–371 141. 142. 200+33. 333. 33679. 383 Thesm. 453–456 141 frg. 441 PCG KASSEL / AUSTIN 152. 256 (Ps.-)Aristoteles De int. 2, 16 a 28 84118 De mem. 2, 435 a 5–14 172392 2, 451 b 2–5 172393 meteor. 2, 6 (364 b 13–14) 141 De somn. 2, 455 a 7–8 121234. 172 top. 1, 100 a 25–27 216 (Politeia 129) frg. 571 C ROSE = frg. 589, 4 GIGON 284 problem. (enkyklika) 30,10, 956 b 11–16 = frg. 209 ROSE = frg. 711 GIGON 260. 350117 problem. (physika) 28,7 (949 b 37 – 950 a 12) = frg. 758 GIGON 141. 208 frg. 214 ROSE = frg. 760 GIGON 350117 frg. 229 ROSE = frg. 757 GIGON 350117 frg. 243 ROSE = frg. 761 GIGON 260. 350117 frg. 244 ROSE = frg. 755 GIGON 350117 Pyth. frg. 194 ROSE = frg. 158 GIGON 94 frg. 195 ROSE = frg. 157 GIGON (= Diog. Laert. 8,34) 94 Arrian(os) diss. Epict. 2,19,12–17 135. 141 frg. 10 SCHENKL 359 techn. tact. 33,2–3 274+286 Athenaeus (Athenaios) 11,478 e 284

452

8. Register

11,503 f 37–38 Augustinus anim. 4,7,9 169379 civ. 9,4, (2) 367164. 401 conf. 10,14,21–22 180+413 c. Cresc. 3,19,22 114219 c. Parm. 2,3,7 114219 cur. mort. 4,6 59–60 epist. 140,85 180413 in psalm. 46,1 180 in psalm. 36 serm. 3,5 180413 ord. 2,14,41 3748 retr. 1,12 87127 2,37 90136 serm. 46,39 92 soliloqu. 1,1–2 38–39 trin. 11,3,6 3748 Ausonius 8,45–50 GREEN = 18,22,45–50 PEIPER 110 –111+211 8,46–47 a GREEN = 18,22, 46–47 a PEIPER 224111 13,31 GREEN = 19,47 PEIPER 223111 13,33 GREEN = 19,49 PEIPER 224111 13,34 GREEN = 19,50 PEIPER 224111 13,35 GREEN = 19,51 PEIPER 223111 13,41 GREEN = 19,52 PEIPER 223111 26 GREEN = 13 PEIPER 224111 27,6 GREEN = 18,8 PEIPER 224111 27,7 GREEN = 18, 9 PEIPER 224111 27,8 GREEN = 18,10 PEIPER 224111 App. 4 GREEN = Ps. Auson. 21,13 PEIPER 224111 Avienus ora 1–28, bes. 14–15. 26–27 3059 Bion frg. 61 A-B KINDSTRAND = Diog. Laert. 4,48 / Codex Parisinus Graecus 1168 Nr. 14, p. 413 FREUDENTHAL 344104 Caecilius Plocium V. 142–157. 158–172 RIBBECK2 212 Caesar analog.

frg. 2 p.146–147 GRF FUNAIOLI 239 frg. 3 p. 147–148 GRF FUNAIOLI 240(+168) Gall. 5,12 7080 5,48,2–9 115221 5,48,4–9 20650 6,14 4061 Carmen aureum 54 p. 162,1 THESLEFF 152 Cassiodor(us) inst. 2 praef. 4

350116

Cassius Dio 60,17,4 229125 Cato ad fil. frg. 1 JORDAN 354 agr. 2 31743 orat 53 frg. 172 ORF4 MALCOVATI = orat. 43 frg. 127 SBLENDORIO CUGUSI 120. 155 Catull(us) 92 119. 142. 146 Censorinus 15,3 352120 Chrysipp(os) frg. 1000 p. 2,293,22-32 SVF ARNIM 139 frg. 1000 p. 2,294,25-29 SVF ARNIM 152 Cicero ac. 1,4 225115 1,8 225115 1,9 227122 1,10 210. 21994. 34090 1,11 34090; 92. 371 1,32 84119 2,2 167373. 168375 2,4 168375 2,137 290 Arch. 2 349. 373188 3 373188 16 31328 23 195 Att. 2,9,4 140298 2,12 (10),1–4 140298 6,1,2. 8. 11. 13 20650 6,4,3 140298. 20650

453

8.2. Stellen 6,5,1–2 140298. 20650 7,1,2. 4. 8 140298 7,6,2 140298 7,9,2 140298 7,11,1 140298 7,11,3 140 298. 227121 7,13,4 140298 8,5 (6),1 140298 9,7c (8),5 2821 12,5,3 (13,20,3) 130267 12,14(13),3 31328 13,8 (17) 130267 16,2 (4),5 130267 16,3 (5),1 130267 in Klammern die Zählung von KASTEN

Brut. 26–52, bes. 26–38 280 39 281315 39–42 280 40 294367 52 377199 60 31. 62 72 277296 72–73 276–277296 76 126253 82 2924 131 20137 138 272272 213 373185 217–220, bes. 219 4690 301 169376 310 225116 327 2922 332 20137 Cael. 9 373185 78 5 Catil. 3,2 3646 Cato 21 58 22 3129 54–55 294367 Cluent. 141 3046 de gloria 2 = frg. 25(24) FPL MOREL3/ BLÄNSDORF 58. 143. 20651 de orat. 1,1 38. 31221. 376197 1,1–3 3646 1,3 311 1,4 36–3747. 38 1,9 357 1,18 101181 1,21 32251 1,22 312

1,27 393 1,32–33 376197 1,33 373 1,78–79 312+22 1,80–81 31222 1,142 102182 1,150 111+212 1,150–153 111+212 1,152 111 212 1,157 171389 1,195 287342 1,212 357 1,249 312 2,2 226119 2,7–9 37 2,22 31328 2,36 2714 2,51–58 280 2,52 35+45 2,96 111+212 2,154–155 290 2,156 356+137 2,169 42 2,260 343–344103 2,299–300 167+373 2,351 167373 2,351–353, bes. 353 46–47+93 2,351–360 4690 2,360 168374 3,21 349114 3,39 239166 3,43 20137 3,56 281316 3,57 312. 32251 3,74–75 31222 3,85 31222 3,85–86 312 3,93–94 78102 3,127 33781 3,127–141 280 3,131 312. 32251 3,133–136 281 3,137 296 3,230 168 3,249 312 div. 1,34 2821 1,62 93. 153+331 1,101 3337 2,3 311 2,4 34090 2,4–5 305. 313

454

8. Register

2,7 31328. 34090 2,69 3337 div. in Caec. 3 87 epist. frg. Lact. inst. 3,14,17 371175 fam. 1,8 (9),3 3646 4,4 (3),4 241171. 31328 5,12 (13),2. 7 36 5,12 (13),8 2922 5,15(16),3 31328 6,12,5 31328 7,12 (14),2 270264 9,2(3),5 31328 9,20 (18),3 110207 13,15 140298 13,28,2 31328 15,16 (18),1 6666 in Klammern die Zählung von KASTEN

fat. frg. 1 AX p.152b 152 fin. 1,1 225115. 357140 1,4–8 225115. 281317 1,7 21165 1,8–9 20137 1,10 218. 34090 2,4 357140 2,68 357 2,104 167373 3,5 218 3,15 210 3,51 21892 5,1–6 201 5,2–5 20238 Flacc. 62 20137 har. resp. 44 81109 inv. 1,1 373185 1,2–3 376197 2,4 129264 2,160 2611 Lael. 30 119 36 136. 153331 59 136 61 136. 153 leg. 1,5–7 281317 1,62 376197 2,5 19930 2,27 29+24 2,36 20137 2,40 2924 2,59 103 3,41 27 3,46 34–35+42; 45

nat. deor. 1,6 31224 1,7 34090 1,7–8 34092 1,8 218–21994 1,9 31328 2,62 3234 2,67 227121 2,72 87127 2,111 94153 2,148 376197 3,47 32 off. 1,1 340–341+90 1,1–2 34092 1,12 31743 1,53 96. 227122 1,111 128259. 140299. 145311 1,118 31743 1,121–122 31743 1,150–151 354127 2,4 31224 3,1 326 3,1–2 314 3,4 36. 31224 3,43–46 137289 or. frg. A 14,22 SCHOELL = frg. A 15,21 PUCCIONI 81109 orat. 80 239167 81 239167 108 32251 120 26. 277298 155–162 240173 159 87 169 2924 parad. 5 31740 part. 3 102182 60 157342 78 3027 Phil. 2,75 227121 2,76 81109 8,8 227121 3,3 227121 Quinct. 11 31743 ad Q. fr. 1,1 272272 1,1,9 396243 1,1,27–28 396243 3,7(9),1–2 31328 rep. 1,1 100. 19930 1,5–7 281317 1,13 36 1,16 293 1,27 31429. 326

455

8.2. Stellen 1,28 373188 1,30 313. 333. 350116. 356+137 1,33 31326. 350116 2,18 277296 2,18–21 281 2,19 294363 2,28 293 2,54 6141 3,9 290 Sest. 58 241171 98–100 31221 top. 35 84119 Tusc. 1,1 21893. 272272. 295366. 34093. 357140 1,3 272272. 294363 1,3–5 281317 1,5 295366. 34090; 92 1,7 225116. 34092 1,15 128259. 145311 1,16 293 1,21 19928 1,26 29 1,59 44. 168+375 1,65 46 1,77 19928 2,1 356+137 2,4 357140 2,5–6 34092 2,26 225116 2,28 293 2,35 218+92 3,41 174396 4,5 290 4,6 174396 5,5 31328 5,47 377+199 5,82 173396 5,85b -87 173396 5,105 316 5,108 20137 5,116 110207 5,119–120 173–174396 5,120 163360. 174 5,121 31328 Verr. II 1,47 6980 II 3,161 31743 II 3,207 241171 II 4,122 300384 II 5,31 81109 II 5,161 148 II 5,161–163 161352

II 5, 167 95. 159. 227122 II 5,187 20137 Ps.-Cicero opt. gen. 14

20955. 210

Clemens Alexandrinus strom. 6,2,10,9 [2,430,6 STÄHLIN] 154332 Cyprian(us) Demetr. 3 5311 Demokrit(os) VS 68 B 32 II6 153,4–7 DIELS/ KRANZ 353121 Demosthenes or. 18,67 212. 288 Digesten (Digesta) Florentinus dig. 11,7,42 506 Diogenes Laertios 1,58 377199 2,5,21 365160 4,2 349113 7,180–181 145 Dion Chrysostomus or. 13 264247 or. 77,7–9 259228 Dionosysios von Halikarnassos ant. 4,62 7699 4, 62,2–3 7493. 7594; 97 4,62,5–6 7698 7,72,13 32+32 orat. vet. 3,1 274+284 Dissoi Logoi VS 90,9,1 II6 416,13–14 DIELS/ KRANZ 101+180 VS 90,9,3 II6 416,15–17 DIELS/ KRANZ 106 198 Donat(us) Ter. Ad. 952. 3 p. 179 WESSNER 85 Empedokles frg. 141 VS I6 368,16–28 DIELS/ KRANZ 143 Ennius ann. 234–252 VAHLEN2 = 268–286 SKUTSCH 146. 162. 397

456

8. Register

ann. 268–273 VAHLEN2 = 248–253 SKUTSCH 142 ann. 325 VAHLEN2 = 303 SKUTSCH 298 ann. 500 VAHLEN2 = 156 SKUTSCH 26 ann. 537 VAHLEN2 = 550 SKUTSCH 150 scaen. 199–201 VAHLEN2 = trag. 84 JOCELYN 213 scaen. 234–241 VAHLEN2 = trag. frg. [99] 195–202 JOCELYN 325–326 scaen. 376 VAHLEN2 = trag. 95 JOCELYN 356+137 Euripides Bacch. 386–388 141 Hec. 293–295 141. 213 Fabius Pictor, (Q. ?) frg. 3 IAR HUSCHKE 149 Favorinus Cor. = Ps.-Dion Chrys. or. 37 66. 264247 Cor. 8 p. 395,1–4 AMATO = Ps.DionChrys. or. 37,8 p. 2,18,27–30 ARNIM 6561 Cor. 27 p. 402, 19–21 AMATO 269264 Ps.-Dion Chrys. or. 64 264247 frg. 21 AMATO 265249 frg. 23 AMATO 265249 frg. 24 AMATO 265249 frg. 25 AMATO 265249 frg. 27 AMATO = Gell. NA 14,1 264+248. 265 frg. 28–29 AMATO = Gell. NA 17,2 264+248. 364156 frg. 32 AMATO = Gell. NA 11,5 264248 frg. 39–58 AMATO 264 frg. 59–96 AMATO 264 frg. 101 AMATO = Gell. NA 1,3 264248 frg. 102 AMATO = Gell. NA 2,1 264248 frg. 103 AMATO = Gell. NA 10,12 264248 frg. 152 AMATO = Gell. NA 2,5 264248

frg. 153 AMATO = Gell. NA 2,12 264248 frg. 154 AMATO = Gell. NA 2,22 264248 frg. 155 AMATO = Gell. NA 3,16 264248 frg. 156 AMATO = Gell. NA 12,1 264248 frg. 158 AMATO = Gell. NA 17,19 264248 frg. 159 AMATO = Gell. NA 18,7 264248 frg. 160 AMATO = Gell. NA 19,3 264248 Florus epit. praef. 4–8

5311. 246188

Fronto Addit. epist. var. 7,2 p. 249,11 v.d.H.2 226118 amic. 1,9 p. 177,5–7 v.d.H.2 255218 1,10 p. 177,10–20 v.H.2 254218 1,19 p. 182,5 v.d.H.2 235151 Antonin. 1,2,2 p. 87,21 v.d.H.2 232142 1,2,3 p. 87,24–88,1 v.d.H.2 233143 1,2,6–7 p. 88,23–89,23 v.d.H.2 233143 1,2,7 p.89,19–23 v.d.H.2 250204 3,8,2 p. 104,6–14 v.d.H.2 234147 4,2,5 p. 106,24–26 v.d.H.2 145– 146 (Aur.) Antonin. 4,1,3 p. 105,13. 16–17 v.d.H.2 130267 Arion 1–2 p. 241,1–242,7 v.d.H.2 225118 M. Caes. 1,6,2–8 p. 10,14–13,9 v.d.H.2 253 2,2,5 p. 20,11 v.d.H.2 256 2,3,5 p. 24,9 v.d.H.2 296373 3,9,2 p. 42,9–15 v.d.H.2 226118 3,12,1 p.44,1–9 v.d.H.2 225118 3,14,1 p. 46,1 v.d.H.2 234 4,3,1 p. 56,6–7. 9–10 v.d.H.2 379203 4,3,1 p. 56,15–18 v.d.H.2 233144 4,3,2 p. 56,18–57,4 v.d.H.2 233. 247 4,3,2 p. 56,20–57,4 v.d.H.2 236159 4,3,3 p. 57,5–8 v.d.H.2 234147

8.2. Stellen 4,3,3 p. 57,11–18 v.d.H.2 234147 4,3,3 p. 57,15–27 v.d.H.2 250204 4,3,3 p. 57,18 v.d.H.2 103189 4,3,4 p. 57,18–27 v.d.H.2 234 4,4,2 p. 60,16–18 v.d.H.2 256 (Aur.) M. Caes. 1,4,1 p. 6,1 v.d.H.2 32663 2,8,3 p. 29,1–4 v.d.H.2 112 4,5,2 p. 61,15–19 v.d.H.2 6564 De eloqu. 2,19 p. 144,17–145,3 v.H.2 250204 4,7–8 p. 149,21–150,11 v.d.H.2 225118 4,9 p. 150,12–14 v.d.H.2 233 5,4 p.151,23–152,2 v.d.H.2 225– 226118 De orat. 2 p. 153,11–14 v.d.H.2 237158 2–11 p. 153,11–158,6 v.d.H.2 237158 2–12 p. 153,11–158,9 v.d.H.2 187434 6–7 p. 155,4–156,2 v.d.H2. 282322 fer. Als. 3,1 p. 227,10–12 v.d.H.2 282+319 Laudes 1 p.215,1–217,21 v.d.H.2 364156 2 p. 218,1–220,3 v.d.H.2 364156 2,3 p. 219,2 v.d.H.2 267258 Gellius praef. 1 518. 56. 109206. 303. 31945. 330 praef. 2 21. 52. 56+27. 95153. 99. 109206. 112. 161. 179+410. 181. 189. 33069. 358. 372. 397. 403 praef. 2–3 113 praef. 3 52. 5525. 109206. 115. 181. 397. 403 praef. 4 56. 109206. 176. 177407. 19927. 200. 316. 32663 praef. 5 351117. 405 praef. 6–8 205 praef. 6–9 306 praef. 7 95153. 350117 praef. 8 122. 122+242. 270. 32046 praef. 10 109206. 177407. 19927. 200+33. 316. 32353. 32663 praef. 10–12 176 praef. 11 147316. 307. 331. 333. 393

457 praef. 11–12 6874. 305. 306 praef. 12 2159. 109206. 205. 319. 330. 333. 341 372. 373. 380. 385 praef. 13 5525. 109206. 181. 307. 324. 328. 334. 345. 350. 351. 364. 370. 375. 405 praef. 14 147316. 200+33. 307. 316. 32663. 328 praef. 14–15 307. 330. 33171 praef. 14–21 305 praef. 15 5525. 307. 328 praef. 15–16 98 praef. 16 56–57. 98. 147316. 161. 225115. 324. 328. 33069. 331. 345. 403 praef. 17 109206. 321. 323. 328. 371179 praef. 17–18 71. 175–176402 praef. 17–19 6874 praef. 18 72. 109206. 386221 praef. 19 19. 54–5524. 147316. 200+33. 319. 32252. 333. 387. 391. 393. 400256 praef. 19–20 98 praef. 20 5525. 109206. 187–188+436. 319. 333. 383 praef. 20–21 33679 praef. 21 141 . 142. 200+33. 205. 341 praef. 22 5525 praef. 23 7081. 98. 109206. 147316. 303. 307. 32663. 333. 393 praef. 23–24 369. 386 praef. 24 5524. 109206. 308 praef. 25 5525. 109206. 320 1,1 135. 245189. 334. 361 1,2 197. 360. 366. 381 1,2,cap. 362. 379 1,2,1–2 388 1,2,1–6 135 1,2,2 177407. 317 1,2,3 360. 367 1,2,3–5 381 1,2,3–6 367 1,2,4 360. 388 1,2,4–13 335. 390 1,2,6 5626. 121238. 20651. 222107. 360. 362 1,2,6–7 135 1,2,6–13 366. 367 1,2,7 137. 138. 205. 360. 379. 381 1,2,8 135

458 1,2,8–12 141. 205. 206 1,2,9–12 135 1,2,10 362 1,2,11–13 367 1,2,13 135. 138 1,3 135. 264248. 299. 366. 396244 1,3,cap. 114 1,3,1 73 1,3,1–7 136 1,3,9 136. 138. 207 1,3,10 136. 149. 362 1,3,10–26 136 1,3,11 21058 1,3,11–20 149 1,3,12 30915. 32763 1,3,13 136. 138. 153+331 1,3,18 153331 1,3,19 71. 136 1,3,20 299 1,3,21–22 136 1,3,21–25 150 1,3,22 138 1,3,23–25 136 1,3,25 137290 1,3,26 120. 136. 137290. 150 1,3,27 136. 205. 265 1,3,28–29 136 1,3,29 71. 356135 1,4 364 1,4,cap. 237 1,4,1 163. 394238 1,5,1 205 1,6,cap. 370 1,6,1 370 1,6,1–6 343103 1,6,4 344103 1,6,7–8 370 1,7 158+345. 159. 386221 1,7,1 6769. 7492 1,7,2 153331. 227122 1,7,4 159. 31740. 396244 1,7,4–5 386221 1,7,4–15 153331 1,7,6–8 159 1,7,8 95 1,7,9 386221 1,7,16 396244 1,7,16–17 159. 386221 1,7,17 380. 383. 405 1,7,18 113. 32250 1,7,19 205

8. Register 1,8,1 362 1,8,2 205 1,8,3–6 20651 1,8,4 205 1,8,5 205 1,8,6 205. 21579 1,9,1–7 361 1,9,1–11 259 1,9,4 5524 1,9,6 205 1,9,8 205. 384217 1,9,8–9 363 1,9,8–10 359146 1,9,9 389 1,9,10 359146 1,9,11 30914. 382207. 384212; 217 1,9,11–12 361 1,9,12 32150 1,9,19 205 1,10 265. 268264 1,10,cap. 265 1,10,1 265 1,10,2 239 1,10,(2–)3 30+26 1,10,4 239 1,10,7 269 1,11 334. 350117 1,11,cap. 114 1,11,1–5 299 1,11,5 120. 141. 205 1,11,7 300 1,11,8 141 1,11,16 120 1,11,19 120 1,12 78. 346 1,12,13–17 346 1,12,18 5525 1,13 366 1,13,9 32250 1,13,11 299382 1,14,1–2 120 1,15 144. 288 1,15,4 138 1,15,7 267 1,15,14 141 1,15,17 138. 141. 205 1,15,18 88129 1,16,3 121238 1,17 343–344103. 361 1,17,1–3 366 1,17,1–4 288

459

8.2. Stellen 1,18 91 1,18,1 85. 121237 1,18,2 91. 100. 221105. 242179 1,18,3 121237. 138293 1,18,6 32763 1,19 74 1,19,1 75 1,19,10 7598 1,19,11 75 1,20 334 1,20,7–9 20753 1,20,8 207 1,21 267259 1,21,1 142 1,21,1–4 6870 1,21,2 5525. 6870 1,21,4 108203. 267+259. 269–270264 1,21,4–5 269 1,21,5 72 1,21,6 119. 142 1,22,4–5 390 1,22,5 390 1,22,9 100+174 1,22,12 72 1,22,12–13 119 1,23 335 1,23,2 5525. 114. 155 1,23,2–3 120 1,23,3 6875 1,23,9 141 1,23,12 141 1,23,20 141 1,24 58 1,24,1 5525. 146 1,25,1 138 1,25,8–9 93 1,25,10–11 85 1,25,12 90 1,25,12–13 85 1,25,13 106197. 108 1,25,13–16 90 1,25,17–18 91. 144 1,25,18 85. 144. 188. 32250. 372181 1,26 260 1,26,1 108–109203 1,26,3 123. 257. 258. 259234 1,26,4–9 260230 1,26,5–9 400256 1,26,10–11 205. 20651. 260230 2,1 264248. 361 2,1,3 205

2,2 80. 286 2,2,1 165365. 259 2,2,1–11 260 2,2,2 258 2,2,4 394239 2,2,9 391 2,2,11 394239 2,2,12–13 116. 286 2,2,13 120 2,3 95 2,3,5 6870. 69. 238 2,4 78102 2,4,3–6 88 2,5 264248. 265–266. 359145 2,5,cap. 265. 394239 2,6,5 21166 2,6,8 300384 2,6,12 362 2,6,17–18 80. 289 2,6,9 137291 2,7,22 205 2,8 362 2,8,1 121237. 141 2,8,1–2 93150 2,8,2 205 2,9 362 2,9,1 141 2,9,1–2 (4) 93150 2,9,2 205 2,9,4 205 2,10 347 2,10,1–4 120 2,11 365 2,11,1 287 2,12 78. 264248 2,12,1 138 2,12,5–6 266. 396244 2,15 77. 80 2,15,2 299 2,15,3 286339 2,16 6977 2,16,5–10 87 2,17 241 2,18 361 2,18,1 361 2,18,7 362 2,18,8 362 2,18,9 362 2,18,10 188. 362 2,19,3 32150. 386221 2,20 221105

460

8. Register

2,20,1 89. 90137 2,20,4 221105 2,21 197. 286. 346. 363152. 388 2,21,1–6 286 2,21,2 177407 2,21,4 197+19. 286 2,21,4–10 346 2,21,6 70 2,21,8–10 86. 286 2,21,10–11 334 2,22 109203. 222. 264248. 267. 346. 358. 390. 391 2,22,1 267. 388. 391 2,22,2 187+435 2,22,3 518 2,22,3–4 358. 363152 2,22,3–6 346 2,22,3–29 226118 2,22,4 141 2,22,7 91144 2,22,11–18 346 2,22,20 263243. 269264 2,22,25 187+435 2,22,26 391 2,22,27 391231. 394239 2,22,30–31 358. 363152 2,22,31 182. 386221 2,23 212+70 2,23,1 108. 209 2,23,2 108. 146. 215 2,23,3 20854. 212 2,23,5 108. 109203 2,23,6 208 2,23,6–22 71 2,23,8 71. 109203. 114 2,23,11 146. 20854 2,23,14 138 2,23,22 108. 209. 212 2,24 77. 335. 391 2,24,9 119 2,24,11 183 2,24,14 247193 2,24,15 182. 247193 2,25 284333 2,25,1–4 239 2,25,5–9 239 2,25,10–11 240 2,26 164362. 205. 207. 222. 235. 258228. 266. 353 2,26,1 164. 255. 265. 267. 353. 354 2,26,2 254

2,26,5 218 2,26,5–6 255 2,26,5–7 263243 2,26,7 214+76. 218–219. 269 2,26,7–16 255 2,26,11 238 2,26,17 238 2,26,17–19 255 2,26,20 214+76. 255 2,26,21 205 2,26,21–22 255 2,26,21–23 269 2,27 212 2,27,3–5 205 2,27,6 288 2,28 348 2,28,1 335. 348. 363152. 369 2,28,2–3 348 2,28,4–6 348 2,29,cap. 351119 2,29,1 351119 2,29,20 162 2,30 334. 363152 2,30,11 113 3,1 20651. 266. 269 3,1,1 108. 164. 177407. 197. 265. 267. 388 3,1,4 30915 3,1,4–5 32763 3,2,8–13 77 3,2,11–13 335 3,3 157–158+343; 344. 160350 3,3,1 158. 185 3,3,2 185 3,3,3 108 3,3,3–4 116 3,3,4 158 3,3,6 267. 269 3,3,7–8 120 3,3,8 71. 119 3,3,14 182 3,4,1 108 3,5 389 3,5,1 30914 3,6 334. 350117. 389 3,7 287 3,7,1–19 297 3,7,19 59+37. 299 3,7,20 287343 3,8,cap. 73 3,9,1 161

461

8.2. Stellen 3,10 334. 348 3,10,1 278 3,10,2 348 3,10,2–4 363152 3,10,3–6 348 3,10,5 348 3,10,6 348. 363152 3,10,7–8 348. 352 3,10,9 348 3,10,10 348 3,10,11 5311. 244–245. 348 3,10,12–15 348 3,10,17 6247 3,11 291–292354. 293–294 3,11,3 278. 294363 3,11,7 58. 278 3,12 87 3,13 359145. 361 3,13,2 138 3,13,5 138 3,14 347109 3,14,17 33884 3,14,19 298 3,15 353 3,15,cap. 6980 3,16 264248. 334. 352 3,16,cap. 161 3,16,1 346 3,16,2–5 346 3,16,6 362 3,16,7 121237 3,16,7–9 346 3,16,8 5524 3,16,9 120 3,16,10–11 347 3,16,11 87 3,16,12 77. 120. 346. 247193 3,16,12–19 347 3,16,13 108 3,16,17 269 3,16,20 121237. 138. 20651. 346 3,16,21 346 3,16,21–23 353 3,16,22–23 116. 346 3,16,22–24 121237 3,16,23 105. 119 3,17 74. 359145. 361 3,18 5525. 78. 79–80 +105 3,18,3–5 88 3,18,9 114. 138. 32150 3,18,10 300

3,19 269. 390 3,19,1 164. 265. 388 3,19,1–2 88 3,19,2 138 3,19,3 85 4,1 163. 175399. 266. 268264. 379 4,1,cap. 265. 366. 379+202 4,1,1 20955 4,1,2 114219 4,1,2–19 269 4,1,5 300 4,1,5–9 379 4,1,6 348112. 379 4,1,6–18 179 4,1,6–23 179 4,1,7–13 385218 4,1,9–12 347 4,1,10–19 364 4,1,15 238 4,1,17 98167 4,1,18 265252. 348. 379 4,1,19 268. 379 4,1,20–23 106195. 120 4,2 79. 345–346. 353 4,3 79. 335. 347 4,3,3 91. 346 4,4 335. 347 4,5 59. 69 4,5,7 5417 4,6 78 4,6,1 69. 6980. 108 4,6,3–10 88–89. 346 4,6,6 241. 300 4,7,2–5 241 4,9 87 4,9,1 86. 161 4,9,4 85 4,9,8 87127. 89–90 4,9,9 20955 4,10 81 4,10,8 247193 4,11 93. 143. 361 4,11,2 141 4,11,4–5 207 4,11,10 93 4,11,11 72. 94 4,11,12 93150. 141 4,11,13 153+331. 389 4,11,14 114219 4,12 79 4,12,cap. 161

462 4,12,3 72 4,13 334 4,13,3 361 4,14 81 4,14,1 108 4,15 143 4,15,2 5314 4,16,8 121238 4,16,8–9 121237 4,17,cap. 300 4,17,1 109203 4,17,4 241 4,17,5 109203 4,17,7 300 4,18 335 4,18,3 297 4,20,3–6 343103 4,20,11 121238 4,20,12–13 346 5,1 362 5,3 363152 5,3,4(–6) 361 5,4 62. 6872. 164. 386221 5,4,1 62. 100+175. 166365 5,4,1–3 6769. 108 5,5 297 5,5,1 7081 5,6 80. 335 5,6,10 297 5,7 85. 88 5,7,cap. 20955 5,7,1 20955 5,8 85 5,9 20651 5,9,4 7081. 141 5,10 518. 266. 335. 364 5,11 344+103; 104. 364 5,11,2 344 5,11,8 206. 267 5,11,8–13 266 5,11,12–13 269 5,12 82. 335 5,12,2 61. 197 5,12,10 6142 5,12,11 61 5,13 80 5,13,3 6980 5,13,6 60 5,14 298382. 336 5,14,17 298378 5,14,27 298378

8. Register 5,15 352. 363152 5,15,8 361. 362 5,15,9 356 5,16 335. 352. 363152 5,16,5 356 5,17 82 5,17,1 88 5,17,5 32150 5,18 335 5,18,2 88 5,18,7 20955 5,19 82 5,19,16 119 5,20,4 300 5,21 31945. 381 5,21,1 396244 5,21,1–2 319 5,21,2 380 5,21,3 380 5,21,5 300. 396244 5,21,6 31945. 396244 5,21,9 64. 65. 396244 5,21,11 300 6,1 288. 336 6,1,4 297 6,2 6876 6,2,5–9 297 6,2,8 122242 6,3 6876 6,3,2 285 6,3,16 285 6,3,18–21 310 6,3,49–50 120 6,3,55 71 6,4 80. 82 6,6 362 6,6,3 121238. 171 6,7 241 6,7,1 6871. 378. 394238 6,7,3 88129 6,8 336 6,8,1 70 6,8,2 247193 6,9 95. 241 6,9,cap. 113 6,9,1 221105 6,9,11–12 88129. 113216 6,9,13–14 95 6,10 241 6,11 221105 6,11,1–2 221105

8.2. Stellen 6,11,2 241–242 6,11,8 86 6,12,7 298 6,13 83. 185426. 242181 6,13,2–5 185 6,13,3 113 6,14 335 6,14,8–11 285+335. 293 6,14,9 20955. 285. 290347. 362 6,15 79. 335 6,15,2 121238 6,16 288 6,16,3 321 6,16,3–6 391 6,16,4 139. 183 6,16,4–7 352 6,16,5 149 6,16,6 369 6,16,6–7 391 6,17 378 6,17,1 85. 378. 388 6,17,3 90136 6,17,4 90136. 379202 6,17,4–10 388 6,17,6–10 378 6,17,11 385218 6,17,11–12 378. 385218 6,17,12 90136. 379 6,18 81. 297 6,18,1 81+109 6,19,5 119 6,19,8 2821. 73. 120 6,20 6876. 6977 6,20,1 73 6,20,5 141 6,22 77 7,1 363. 369 7,2 143. 363. 369 7,2,1 139. 362 7,2,1–3 207 7,2,2 152. 20955 7,2,3 139 7,2,6 138 7,2,6–10 152 7,2,7–10 20651 7,2,10–12 207 7,2,11 138. 152. 20651 7,2,12 152 7,2,13 20651 7,2,14 119. 120. 141. 152. 206 7,2,15 152. 369169

463 7,3,1 120. 297 7,4 297 7,4,1 108 7,5,1 297 7,5,2 108 7,5,2–10 89 5,5,5 241 7,6,5 121238 7,6,12 197. 206 7,7 335 7,7,5–7 82 7,7,8 82 7,8 335. 390 7,8,cap. 161 7,8,1–3 288 7,8,3 297 7,8,4 322. 32763. 342 7,9 31944 7,9,1 161 7,10 259. 365 7,10,1 100+175. 165365. 174396. 196. 197+19. 258. 259. 363 7,12 89 7,13 164. 196. 364 7,13,cap. 258 7,13,1 258 7,13,1–4 388. 390 7,13,4 139. 260. 390 7,13,5 364157 7,13,5–11 260. 353. 390 7,13,7 364157 7,13,10–11 260 7,13,11 205 7,14 260. 361 7,14,5 123. 257 7,14,6–9 260231 7,14,7–8 207. 212 7,15 241 7,15,1 396244 7,15,2 300. 396244 7,16,1 164. 378. 388 7,16,2 119. 142 7,16,3 378 7,17 62 8,2(cap.) 87. 95. 236+154. 264243. 266. 300385. 388 8,6(cap.) 260. 366 8,7(cap.) 121238. 157. 171 8,8(cap.) 149321. 20955. 21059. 216+82. 225117 8,10(cap.) 197. 380

464

8. Register

8,11(cap.) 361. 366 8,13(cap.) 92. 96+158. 228123. 296– 297+375 8,14(cap.) 86126. 87. 394239 9,1,cap. 121238 9,1,2 388 9,1,7 138293. 139 9,1,9 207 9,2 196. 360. 381 9,2,1 165365. 377. 394239 9,2,1–7 381 9,2,4–6 166365 9,2,8 222. 250202. 362 9,2,9 205 9,2,10–11 289 9,2,11 80 6,2,12 372181 9,3 207. 362 9,3,2 374190. 394238 9,3,4 31743 9,3,5 139. 216 9,4 122241. 161353. 164. 197 9,4,cap. 300 9,4,1–5 122241 9,4,3 2821. 7287 9,4,4–5 76 9,4,5 77. 108. 113. 116 9,4,6 122241 9,4,6–10 122241 9,4,7 122241 9,4,11 372 9,4,11–12 77. 116 9,4,12 7287 9,4,13 7287. 113. 122241 9,4,14 116 9,4,15 122241 9,4,15–16 122241 9,4,16 122241 9,5 123. 259. 362 9,5,6 362 9,5,8 205. 368 9,6 241 9,7,3 122242. 32046 9,8,cap. 268 9,8,3 205. 206+51. 269 9,8,4 267 9,9 213 9,9,cap. 209. 210 9,9,1 209 9,9,3 210+60 9,9,4 108. 109203. 209. 210+61. 391

9,9,12 88129. 107. 209 9,9,12–16 88129 9,9,16 209 9,10 213. 353121 9,10,1 6871 9,11 335 9,11,10 59. 247193 9,12,22 238 9,13 335–336 9,13,5 266 9,14 197. 241 9,14,1 242178 9,14,1–2 183 9,14,1–3 6873 9,14,2 6769. 221105. 242+174 9,14,3 62. 65 9,14,4 242+174 9,14,5 6873 9,14,6 71 9,14,7 6870. 238 9,14,14–15 121237 9,14,20–21 221105 9,15 197. 342 9,15,1 177407. 317. 388. 396244 9,15,2 30914 9,15,3 396244 9,15,6–7 342 9,15,9 30914 9,15,10 396244 9,16,5 364 10,1 196. 347109 10,1,1 221105 10,1,3 297 10,1,4 221105 10,1,6–9 61 10,1,7 139 10,1,8 184 10,1,10 297 10,1,11 207 10,2 352 10,2,2 59. 247193 10,3 282322 10,3,7–13 161352 10,3,8 108 10,3,8–9 116 10,3,9–10 148 10,3,12 5416 10,4 85. 284 10,4,4 241. 284 10,5,3 89. 90137 10,6 81

8.2. Stellen 10,7 334 10,8 80. 336 10,9 236 10,9,3 21166 10,10 80. 289 10,10,2 352 10,11,5 247193 10,12 264248. 361 10,12,1 149. 155 10,12,2–7 149 10,12,6 156 10,12,7 20955 10,12,9 70. 265. 268 10,12,9–10 267. 363152 10,12,10 205. 386221 10,15 78. 149 10,15,2 105. 139. 149 10,15,21 391 10,16,12 5314 10,17 361 10,17,1 5626 . 73 10,18 59. 336 10,18,4 59 10,19 260. 384217 10,19,1 165365. 259+229. 384217 10,19,3 152. 163. 205 10,19,4 259+229 10,20 79. 347 10,21,1 100+174 10,21,2 121237 10,22,1 361–362 10,22, 1–2 361 10,22,3 208. 209. 32663 10,22,3–23 119 10,22,4–23 206 10,22,24 361 10,23 79 10,23,4 121237 10,24 221105. 241 10,24,1 221105 10,24,2 247193 10,25 103. 236. 388 10,25,1 32865 10,25,1–2 103189 10,25,5 5420. 103187 10,27 297 10,27,1 69. 99171 10,28 335 10,28,2 113 10,29,2 150. 182 11,1 85. 346

465 11,1,1 7081 11,1,5 100. 228123. 309+14. 382207. 384212 11,1,6 113 11,2 335. 364 11,2,2 119 11,2,5 151 11,3 197 11,3,1 164. 308+14. 316. 388 11,4 213. 215 11,4,cap. 212 11,4,2 141 11,4,3 209. 212 11,5 264248 11,5,cap. 114 11,5,1–3 265250 11,5,5 265. 267 11,6 83 11,7 237 11,7,cap. 113218 11,7,1–2 237 11,7,3 382+206 11,7,3–6 382206 11,7,4 299381. 301 11,7,7–9 382206 11,8,cap. 113218 11,8,3 221103 11,8,4 222 11,9 288 11,9,cap. 114218 11,10 288 11,10,2–6 288 11,11,cap. 114218 11,11,1 119 11,12 364 11,13,1 103–104. 342 11,13,5 342 11,13,7–9 342 11,15,2 5525 11,15,2–7 87 11,15,3 247193 11,15,4–6 30915. 32763 11,15,8 71. 85. 205. 32150 11,16 207 11,16,1 21058 11,16,2 221103 11,16,3 20955 11,16,5 20955 11,16,7 221103. 32663 11,17 236 11,17,1 62. 64+57. 108. 197. 247193

466 11,17,4 85. 88. 396244 11,18 78. 289. 335 11,18,cap. 161 11,18,4 183 11,18,16 149. 299 11,18,17 70. 299 12,1 197. 264248. 270270. 346. 352. 354 12,1,3 258228 12,1,4–23 150 12,1,17 300 12,1,20 141 12,1,20–21 346 12,1,24 183. 20651. 263243. 32663. 354123. 394239 12,2 181. 187 12,2,1 181. 237 12,2,2–11 237+163 12,2,12 237 12,2,13 5416. 237 12,2,14 237 12,3,1 88 12,3,4 90137 12,4,1–2 396–397+245 12,4,2–3 397 12,4,2–4 162 12,4,3 146. 176 12,4,4 397 12,4,5 377. 396 12,5 123. 164+362. 258228. 366 12,5,1 197+19. 258. 388 12,5,1–2 164 12,5,2 354 12,5,3 353 12,5,3–14 259–260 12,5,4 197+19. 367 12,5,4–14 335. 366 12,5,5 257 12,5,6 205 12,5,7 174396. 205 12,5,7–8 366 12,5,7–14 20651 12,5,10 362 12,6 364 12,6,1 32149 12,6,3 121237 12,9 221105 12,9,1–2 221105 12,9,4–5 121237 12,9,6 71. 106195. 154. 361. 365 12,10,1–2 221105

8. Register 12,10,4 86 12,11 151326. 159. 183 12,11,1 159347. 165365. 368. 378+201 12,11,2–6 120. 151326. 183 12,11,6 154332 12,11,7 141. 151326. 182. 183 12,13 197. 346 12,13,1 77. 308+14. 388 12,13,5–16 309 12,13,6 139 12,13,14 20955 12,13,16 241171 12,13,17 32150 12,13,17–18 70 12,13,19 20955 12,13,19–20 241171 12,13,21–22 106195 12,13,21–24 241171 12,13,21–29 70 12,13,25–28 241171 12,13,29 241171 12,14,1 85 12,14,4 71. 106. 108 12,14,7 182. 32150. 386221 12,15,1 108 13,1,2 209 13,1,6 209 13,2,1 32251 13,5 362 13,5,11–12 362 13,6 207. 221105 13,6,2 221105. 301. 376198 13,6,4 221105. 247193. 300. 386221 13,7 143 13,7,1 137290 13,7,2 120. 141 13,7,6 71. 182. 362. 386221 13,7,22 137290 13,8 405 13,8,1–2 57. 361149 13,8,2 373–374188 13,8,2–4 361 13,8,3 57 13,8,4 362150. 396244 13,8,4–5 361 13,9 95154. 334 13,9,1 121237 13,9,1–2 154 13,9,2 95153 13,9,4 94. 20955. 221 13,9,5 221

467

8.2. Stellen 13,10 347 13,10,1 85 13,10,3 89 13,10,4 87. 20955 13,11 389228. 390 13,11,3 289 13,11,3–5 387224 13,11,4–5 390 13,11,7 289 13,12 81 13,12,2 30. 7081. 247193 13,12,5 7182. 116 13,12,5–6 106195. 120 13,13 82 13,13,1 309 13,13,2 333 13,13,4 71. 388 13,14 82. 335 13,14,4 247193 13,14,7 247193 13,15 79. 292358 13,15,cap. 114218 13,15,4 7286 13,17 373+188. 407 13,17,1 373. 374. 376. 387. 395 13,17,2 373 13,17,3 121237 13,18 284 13,18,3 123. 284 13,20 60–61+41. 64. 65. 70. 164. 197 13,20,1 62. 108. 396244 13,20,5 165365. 394238 13,20,16–17 70 13,21,4 6870 13,21,8 381 13,21,8–9 381 13,21,10 71+82. 32150 13,21,10–12 106195 13,21,10–23 71+82. 32252 13,21,16 7492 13,21,25 113216. 209 13,22 81. 346. 377+201 13,22,cap. 114218 13,22,1 72. 81109. 165365. 317. 342. 247193. 377201 13,22,4 377201 13,22,4–8 346 13,22,6 81109 13,22,7 73 13,23 79. 89. 346 13,23,3 241

13,23,3–7 346 13,23,4–5 241 13,23,6 241 13,23,7 228123 13,23,8 89 13,23,10 89 13,23,15–16 241 13,23,15–17 346 13,23,17 241 13,23,19 7182 13,24 377 13,24,2 19930. 361 13,25 175399 13,25,1 61. 247193 13,25,1–2 197 13,25,2 164 13,25,2–5 266 13,25,4 20651. 20955. 238 13,25,4–5 269 13,25,4–32 222 13,25,5 152. 162. 268 13,25,6–12 152 13,25,7–8 205 13,25,12 56. 152 13,25,13–14 285 13,25,16–21 152 13,25,22–24 152 13,25,28 247193 13,26,1 86. 338 13,26,2 221105 13,26,3 221105 13,26,5 72. 86. 386221 13,27 213 13,27,2 20854 13,27,3 205 13,29 235 13,29,2 108. 109203. 254 13,29,2–5 255 13,29,4–5 205 13,29,5–6 235 13,29,6 255. 32150. 386221 13,30,6 119 13,31 62. 284 13,31,1 62. 108. 378 13,31,3 388 13,31,3–12 109203 13,31,6–13 385218 13,31,9 378 13,31,10–12 353 13,31,13 378. 379 13,31,14 352

468

8. Register

13,31,16 32150 14,1 150 +325. 159. 20651. 264+248. 265. 266. 270270. 334. 363152. 369169 14,1,cap. 265 14,1,1 159–160348. 20651 14,1,1–2 107 14,1,2 107. 113. 139. 150. 160+348. 163. 268. 30915. 32763 14,1,2–7 120 14,1,8–10 120 14,1,11–12 120 14,1,13–17 120 14,1,18 99–100171 14,1,18–20 120 14,1,21–22 14,1,23 120 14,1,24–26 120 14,1,27 120 14,1,28–30 120 14,1,29 365 14,1,31 120 14,1,32 263243. 268. 269. 32763. 394239 14,1,33 120 14,1,34 106195. 149322. 267 14,1,36 120 14,2 76. 77. 162. 268260. 30915. 333. 356135. 366 14,2,1 308+14 14,2,1–2 76 14,2,1–3 309 14,2,3 356135 14,2,4–11 335 14,2,5 32663 14,2,9 309. 396244 14,2,11 265. 266. 268 14,2,12 268. 30915. 32763 14,2,12–13 32150 14,2,15 366 14,2,20 108. 32150 14,2,21 137290 14,2,24 265 14,2,24–25 309. 335 14,2,25 268. 30915 14,2,26 6980. 120. 137290. 162 14,3 362 14,3,5 5525 14,3,5–6 361. 365 14,4,1–4 369 14,4,5 109203. 369 14,5 241

14,5,1 56. 108. 388 14,6,cap. 333. 351119 14,6,1 380204 . 396244 14,6,2 108 14,6,3–5 380204 14,6,5 20548. 32353. 351119. 365. 379–380+204. 396244 14,6,9 205 14,7 79–80+105. 81 14,7,3 386221 14,7,7 61 14,8 79105. 80 14,8,7–12 184421 15,1,1 197. 342 15,1,1–2 107199. 163 15,1,2 388 15,1,4 394238 15,1,5 388 15,1,6 137290 15,1,7 71. 137290 15,2 196. 362. 381. 390 15,2,2 381 15,2,3 388 15,2,4 381 15,2,4–7 120 15,2,4–8 389 15,3 241 15,3,8 85. 90137 15,4 31944 15,4,1 100+175. 113 15,4,4 122242 15,5,1 242 15,5,1–2 221105 15,5,3 123 15,6 143 15,6,3 20651 15,6,3–4 58 15,6,4 209 15,7,cap. 247193 15,7,1 100 15,7,3 205. 247193 15,8 261. 391 15,8,1 104 15,8 77+100 15,9 378 15,9,2 388 15,9,3 384 15,9,4 241 15,9,4–5 388 15,9,6 378. 384 15,9,8 241

8.2. Stellen 15,9,11 379 15,11 78. 285 15,11,1 290+349 15,11,1–2 78102 15,11,2 290 15,11,3–4 290. 293 15,11,4 247193 15,11,4–5 290 15,11,5 362 15,11,13 285 15,13,11 79 15,17 122 15,19,cap. 161 15,20,cap. 114 15,20,3 20955 15,20,4 365 15,20,7 141. 206 15,20,8 206 15,20,10 58–59. 206 15,22,cap. 300 15,22,9 300 15,23 123. 292354 15,24 184 15,25 236 15,25,cap. 113218 15,26 216. 335. 362. 364 15,26,cap. 20955 15,26,1–2 207 15,26,2 20955 15,27 80 15,27,5 82112 15,28,1 70. 99171 15,28,6–7 288 15,30 228123 15,30,1 155. 320–321. 382 15,30,3 20955 15,30,3–7 88 15,30,4–5 155 15,30,5 5626. 71. 32150 15,30,5–7 155 15,30,7 96. 298–299 15,30,10 96 16,1 289. 362 16,1,1 104 16,1,1–2 148. 368 16,1,3 7182. 282322 16,1,3–4 106195 16,2 364 16,2,10 391230 16,3 164362. 197. 20651. 266. 352

469 16,3,1 164. 267. 268. 378. 394239. 394239 16,3,2 258–259228. 264243. 267. 269. 353. 354 16,3,3 137290 16,3,4 137290 16,3,5 378. 394239 16,3,6 7182. 265 16,3,6–8 106195 16,3,6–9 120 16,3,7–8 206 16,3,7-10 137290 16,4 80 16,4,5 119 16,5 159 16,5,1 348112 16,5,3 88 16,5,4 71. 160349 16,5,4–12 88 16,5,5 151326 16,5,5–12 151326 16,5,11 160+349 16,6 143. 197 16,6,1–12 378 16,6,3 109203. 300. 301 16,6,11–12 385218 16,6,12 379 16,6,14–15 334 16,7,3 142. 309+14 16,7,4 142 16,7,5 142 16,7,7 142 16,7,8 142 16,7,9 142 16,7,12 142 16,7,13 119. 30914. 382207. 384212 16,7,14 142 16,7,10 92. 256 16,8 335. 347. 364 16,8,1–3 347 16,8,2 64. 69. 71. 164. 197. 371179 16,8,3 5525. 71 16,8,4–14 347 16,8,5 209 16,8,10–11 297376 16,8,15 347 16,8,15–16 364 16,10 79. 197. 346. 378–379 16,10,1 109. 317 16,10,2–5 185426. 242181 16,10,3 388. 396244

470 16,10,3–8 347111 16,10,4–5 79 16,10,5 150. 183 16,10,5–14 347 16,10,6 20955 16,10,7 20955 16,10,7–8 356. 379 16,10,8 183. 221105 16,10,9 100+175 16,10,10 109 16,10,14 137290 16,10,16 106. 119. 120. 137290 16,11,3–8 20651. 298 16,11,4–8 120 16,12,1 91. 94152 16,12,2–4 91 16,12,6 94152 16,12,7 86. 298 16,12,8 241 16,13 83 16,13,cap. 247193 16,13,4 247193 16,13,5 247193 16,13,9 183 16,14 20955 16,14,3 88 16,16 82. 347. 352 16,16,1 89 16,16,4 83 16,17 82. 86 16,19 20651. 216. 225118. 336 17,1,1 238. 282320. 30915. 370 17,1,3 238 17,1,9 386221 17,1,9–10 221105 17,1,11 238 17,1,20 160350 17,2 236 17,2,cap. 114 17,2,1 5422. 102–103. 108. 112. 113. 342 17,2,1–2 148 17,2,2 113. 151+327 17,2,4 89 17,2,5–7 89 17,2,10 79 17,2,11 95 17,2,13 95. 210. 21166 17,2,14 21166 17,2,21 221105 17,2,27 113. 148. 151+327

8. Register 17,3 92. 335 17,3,cap. 20955 17,3,2 141 17,3,4 71 17,4,5 206 17,5 364 17,5,1–2 366 17,5,2 119 17,5,3 108. 380–381. 384 17,5,3–14 33171 17,5,9 384 17,5,9–14 381 17,5,14 384 17,6 79 17,6,4 72 17,7 79 17,7,5 171 17,7,9 258 17,8 158+345. 159346. 163. 164+361. 196. 390 17,8,cap. 258 17,8,1 164 361. 258. 388 17,8,1–10 158 17,8,2 164 361 17,8,3–8 158 17,8,4 206. 286+344 17,8,4–8 390229 17,8,7 206. 250202 17,8,7–16 334 17,8,8 260 17,8,8–15 390229 17,8,9 158 17,8,9–16 363152 17,8,10 158 17,8,11–15 159 17,8,16 159. 20651. 286 17,8,17 158 17,9 289+346 17,9,cap. 113218 17,9,1–5 115221. 289346 17,9,5 115221 17,9,6–15 289346 17,9,16 108. 182+417. 286 17,9,16–17 289346. 298 17,9,18 300 17,9,18–27 289346 17,10 160+350. 163. 184. 197. 205. 213. 215. 266. 269. 390 17,10,cap. 210 17,10,1 151. 160350. 177407. 265. 267. 317. 388

8.2. Stellen 17,10,2–19 20651 17,10,6 238 17,10,7 184 17,10,8 20854 17,10,9 139. 141. 152. 154. 183 17,10,14 20955 17,11 73. 352. 362. 389 17,12 264+248 17,12,1 267 17,12,1–2 364+156 17,12,2 267 17,12,2–5 353 17,12,4–5 270270 17,13 335 17,13,5 119 17,15 352 17,15,1 362 17,15,7 108 17,16 352 17,17,1 226 17,17,2 20955. 226119 17,19 264248. 268264 17,19,1 205. 207. 265. 270270. 359 17,19,3 368 17,19,3–4 359–360 17,19,3–5 207 17,19,4 368 17,19,5–6 270270 17,19,6 20651. 368 17,20 148321. 174398. 196. 251207. 362 17,20,cap. 210+58. 225 17,20,1 103. 108 17,20,1–2 109203 17,20,1–6 389 17,20,1–7 260 17,20,2–3 148 17,20,3 119232. 141. 207. 208. 21789 17,20,4 148. 258. 259. 342. 384217 17,20,4–5 205. 258 17,20,4–6 359 17,20,4–7 260 17,20,5 205. 259 17,20,6 208. 359 17,20,8 208. 21059. 215–216+81. 32663 17,20,8–9 260238 17,20,9 119232 17,20,20 207 17,21 290–293 17,21,cap. 297

471 17,21,1 291351; 352. 297. 362. 365159 17,21,2 291354. 292 17,21,3 292. 294 17,21,4 78 17,21,4–8 292 17,21,6 293. 361 17,21,8 292 17,21,9–15 292 17,21,10–11 292–293 17,21,14–15 293 17,21,15 78 17,21,16 292. 299. 361 17,21,16–18 292 17,21,18 361. 365 17,21,19 299 17,21,19–27 292 17,21,23 298 17,21,24 292 17,21,26–27 293 17,21,27 78 17,21,28 362 17,21,28–36 292 17,21,29 293 17,21,33 293+360 17,21,37 293 17,21,37–39 292 17,21,38 362 17,21,40 297 17,21,40–43 292 17,21,42 297 17,21,43 122242. 292 17,21,44–45 292 17,21,45 292. 297 17,21,46 297 17,21,46–49 292 17,21,47 294 17,21,48 285. 290. 294. 362 17,21,50 113. 294. 297. 32663 18,1 163+360. 173–175. 197. 265. 367 18,1,1 108. 362150. 396244 18,1,1–3 175 18,1,2 267 18,1,2–3 174. 388 18,1,3 164. 174397. 177407 18,1,6 174397 18,1,15 174. 367 18,1,15–16 175 18,1,16 257 18,2 164. 196. 402258 18,2,1 317

472

8. Register

18,2,1–2 388 18,2,1–3 390 18,2,8 362 18,2,9 390. 391230 18,2,10 391230 18,2,13 141 18,2,15–16 392 18,3,2–8 20651. 216+86 18,4 62. 175399 18,4,1 100. 165365. 197. 366. 379+202 18,4,1–9 379 18,4,2 379 18,4,5 85 18,4,6 379 18,4,6–9 385218 18,4,11 5525. 56. 71. 85. 86+126. 113. 32150 18,5 109+204. 197 18,5,1 69. 165365. 177407. 317. 377+201. 388. 394238. 396244 18,5,5 388 18,5,7 238 18,5,11 2821. 6869. 69. 71. 74 18,5,12 71+82 18,6,1 100 18,6,7 2821. 73 18,6,8–9 120 18,6,11 119 18,7 197. 264248 18,7,cap. 113218 18,7,1–4 266. 394238 18,7,2 198. 266 18,7,3 265. 347. 360 18,7,4 205. 360+147. 394238 18,7,8 6979. 70 18,7,8–9 120 18,8 335 18,9,5 65. 69. 74. 207 18,9,5–10 213 18,10 163. 197. 334 18,10,cap. 113218 18,10,1 177407 18,10,2–3 353 18,10,1–3 164 18,10,3 258. 354 18,10,3–7 260 18,10,4 206. 20752 18,10,5 165365. 394239 18,10,5–7 20752. 352 18,10,5–11 348 18,10,8 352. 374190. 375

18,10,8–11 20752 18,10,9–11 348 18,11,4 119 18,12,10 113. 182. 183 18,13 197. 390 18,13,1 317. 388 18,13,2–4 390–391 18,13,4 391230 18,13,5 391230 18,13,5–8 364 18,13,6 391230 18,13,8 391230 18,14 334. 347 18,14,cap. 210 18,14,6 113. 284 18,15 335 19,1 197. 335. 366. 367164. 381. 388 19,1,1 197 19,1,4 73. 367 19,1,7 106. 299. 367. 381 19,1,7–11 30914 19,1,10 379. 381 19,1,11 299 19,1,12 388 19,1,13 74. 105. 394238 19,1,13–21 367 19,1,14 362 19,1,15–20 20651 19,1,15–21 105 19,1,21 113. 362 19,2 352 19,2,2 208. 20955 19,2,5 362 19,2,7 365 19,2,8 353+121 19,3 264248. 270270 19,3,1 265 19,3,5 141 19,5 350117 19,5,1 317. 388. 396244 19,5,2 362150. 367 19,5,3 362 19,5,3–5 352 19,5,4 62. 65. 74 19,5,5–8 20651 19,5,6–9 363152 19,5,10 72. 352. 362 19,6 260. 350117. 352 19,6,1 121237. 206. 260 19,6,2 109203 19,6,3 205

8.2. Stellen 19,7 197. 256 19,7,1 166365. 394238 19,7,1–2 388 19,7,2 104. 109203. 177407. 181. 256+226. 388. 391 19,7,2–16 148. 236 19,7,3 89. 113. 115 19,7,4 89. 113. 115 19,7,12 113. 160. 163. 32663 19,8 197. 235 19,8,1 235. 254. 317 19,8,2 255. 256 19,8,3 247193. 256220. 396244 19,8,3–8 240. 255 19,8,3–13 284333 19,8,6 106 19,8,7 103. 105 19,8,9–13 129. 240 19,8,10 72. 106 19,8,14–16 320 19,8,15 185. 242. 256+220. 404 19,8,16 236. 240. 323 19,8,16–18 185 19,8,17 241 19,8,17–18 120 19,8,18 205 19,9 518. 164. 175399. 197. 213. 222106. 283. 286–287. 298 19,9,1 299. 388 19,9,1–2 396244 19,9,3–14 390 19,9,5 146. 200+33. 316 19,9,5–12 286 19,9,6 141 19,9,7 21475. 222106 . 287 19,9,8 21475. 226 19,9,8–9 298 19,9,10 146. 214+75. 287 19,9,12 146 19,10 164362. 235. 256. 259228. 346 19,10,1 164+362. 255+219. 255. 298. 353. 396244 19,10,4 385 19,10,5–14 346 19,10,7–9 256 19,10,8 385 19,10,10 256 19,10,11–12 256 19,10,12 325–326 19,10,13–14 256 19,11 147318. 282322

473 19,11,1 146 19,11,3 6871. 119. 209. 396244 19,11,4 142 19,12 197+19. 335. 362150. 366 19,12,1 100+175. 165365. 20651. 222107. 366 19,12,2 366. 367 19,12,3 151 19,12,7 374188 19,12,7–9 33884 19,12,9 300 19,13 92. 163. 197. 198. 235+151. 254. 256 19,13,1 164. 388 19,13,2 152. 228. 300385 19,13,2–3 256224 19,13,2–5 207 19,13,3 85. 92. 152. 182. 300385 19,13,4 396244 19,13,5 148. 163. 257 19,13,9 85 19,14,1 338. 374190 19,14,3 351 19,14,3–4 87 19,14,4 5626. 108 19,14,5 32149 19,14,5–8 241 19,18,1 256 20,1 78. 163. 198. 335 20,1,cap. 265 20,1,1 20955 20,1,2 163. 265 20,1,2–3 388 20,1,3–55 286 20,1,4 287 20,1,6 19825. 356 20,1,8 265 20,1,9 265. 362150 20,1,14 152. 182 20,1,20 100. 269 20,1,22 356 20,1,22–23 184 20,1,23 183 20,1,28 221105 20,1,30 353 20,1,33 394239 20,1,45 120 20,1,52 106195 20,1,53 356 20,1,54 238 20,1,55 388

474

8. Register

20,2,2 87 20,4 260. 350117. 362 20,4,2 205 20,4,3 106196. 119. 205. 260. 350117 20,4,3–4 106 20,4,4 205 20,5 362 20,5,cap. 209 20,5,1 5626 20,5,2 205 20,5,3 205 20,5,5 205 20,5,7 120 20,5,7–13 207 20,5,10 119 20,5,11–12 205 20,5,13 205. 32250 20,6 197. 241 20,6,1 388 20,6,9 142 20,6,12 2821. 73 20,6,14 6876 20,6,15 113. 160351 20,8 197. 363152 20,8,1 317. 388 20,8,1–2 394238 20,8,1–4 6871 20,8,2 396244 20,8,3 388 20,8,7 20651 20,10 346 20,10,1 79 20,10,2 385218. 388 20,10,2–6 79 20,10,4 142 20,10,5 385218 20,10,6 5525. 310. 319. 333 Gennadius vir. ill. 60 3059 Helvius Cinna frg. 9 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF 148. 257 Heraklit(os) frg. 40 VS I 160,3–4 DIELS / KRANZ 379–380

Hermogenes prog. 11 p.24,8. 25,17–19. 26,2 RABE = II p. 17,7. 18,3–5 SPENGEL 344105 Herodot(os) hist. 1,23–24 216. 225118 1,85 141 3,108 141 4,173 298 5,35 289350 7,239,2–4 182417 8,144 227122 Hesiod(os) opp. 40–41 141 719–720 141 Theog. 54–55 3749 Hieronymus ad Iov. 1,47 344104 chron. ad 145 p. 202,25 HELM epist. 57 211 57,5,2 21164 57,11,1 21164 96,17 180411 in Gal. 3,8,9 p. 380B 268262 Historia Augusta Aurelian. 1,7 6456 1,10 6456 8,1 6456 20,4–5 7698 Gord. 26,2 7698 Hadr. 1,4 1924 2,8 7698 Tac. 8,1 6456 Homer(os) Il. 1,272 245185 2,135 141 2,332 121238 3,8–9 141 5,303–304 245185 5,744 245185 7,89–91 58. 20651 7,291 bzw. 399 121238 11,728 213 12,383 245185 12,449 245185 13,20 245185 16,33–35 141 18,518–519 245185

257

475

8.2. Stellen 21,407 245185 22,151–152 141 23,382 21476 23,724 127259. 140301 Od. 1,1 207. 213 1,32–34 119. 141. 152 4,392 365. 380204 6,102–108 88129. 107. 141. 213 8,480–481 3233 8,488 3233 9,39 135 11,245–246 213. 353121 23,296 213. 353121 Horaz (Horatius) ars 133–134 20955 300–302 352120 333–334 333 343–344 333 carm. 1,3,4 187435 3,1 187–188 3,1,1 319 3,8,5 205 epist. 2,1 188 2,1,50–62 281 2,1,139–167, bes. 156 ff. 281– 282+318 2,1,156–157 272+277 sat. 1,4 188 1,4,6–13 188437 1,5,78 187–188435 1,6,122–123 110209 1,9,23–25 387224 1,10 188 1,10,1–71 188437 1,10,20–21 127258 1,10,20–35 139297 2,1,71–74 177–178+408 2,2,1–7 391 2,3,82–83 352120 2,3,166 352120 2,6,59–76 177 2,6,60–65 177–178-408 2,8 387224 Hyginus praef. 27

3233

Isidor(us) orig. 8,8,6 7594 15,1,63 268–269262

Isokrates or. 4,50

273

Iuba frg. 4–5 p. 386–387 GRF FUNAIOLI 94152 Iuvenal(is) 3,69–78 273 6,184–199 140298 6,434–437 283 11,179–181 283 15,110 202 Kallimachos epigr. 27,4 PFEIFFER = 56,4 GOW / PAGE 31740 frg. 553 PFEIFFER 141 Laberius V.1 RIBBECK2 142 V. 13–15 RIBBECK2 142 V. 37 RIBBECK2 142 V. 46 RIBBECK2 142 V. 61 RIBBECK2 142 V. 63–64 RIBBECK2 142 V. 87 RIBBECK2 142 V. 147 RIBBECK2 142 V.148 RIBBECK2 142 Lactantius inst. 1,6,7–13 7699 1,6,10–11 7493. 7594 1,6,11 7698 1,6,14 7698 3,14,18 371175 4,28,3 87127 7,14,15 5311 Libanios prog. 13,1 VIII 550–561 FOERSTER 345105 Livius Andronicus carm. frg. 1(1) FPL MOREL3 / BLÄNSDORF 207. 213 carm. frg. 21 (23) FPL MOREL3 / BLÄNSDORF 3233 Livius, T. praef. 10 506 5,30,1 227121 6,1,2 3545

476

8. Register

6,20,14 80 7,28,6 33 9,12,6 227121 10,44,8 227121 22,20,6 92148 28,42,12 227121 37,7,15 394240 43,13,2 2923 Lucilius 88–94 MARX = 89–95 KRENKEL 20137 181–188 MARX = 182–189 KRENKEL 117 258 303–304 MARX = 302–303 KRENKEL 117258 338–347 MARX = 376–385 KRENKEL 117 258 462–463 MARX = 464–465 KRENKEL 117 258 485 MARX = 499 KRENKEL 117 258 497–498 MARX = 496–497 KRENKEL 117 258 540–546 MARX = 541–547 KRENKEL 117 258 581 MARX = 583 KRENKEL 17 258 650 MARX = 607 KRENKEL 117 258 828–829 MARX = 816–817 KRENKEL 117 258 1058 MARX = 994 KRENKEL 117 258 1155–1155 a MARX = 1172–1173 KRENKEL 117 258 1321 MARX = 1337 KRENKEL 117 258 Lukian(os) Adv. ind. 4 157340 7 157340 17–18 157340 Demon. 26 239167 Herc. 4 269264 Laps. 7 145311. 157340 Lexiph. 20 239167 Lukrez (Lucretius) 2,604–605 31743 2,1150–1152 245+186 3,260 218 4,223–224 119. 142 4,1160–1169 140298 Lutatius Catulus frg. 1 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF 213

Macrobius Sat. 1 praef. 7 295366 1,1,2 393 2,2,15–17 147 3,14,2 29 6,1,5 176 6,1,6 176404 Martial(is) 10,68 140298 Matius, Cn. frg. 3 FPL MOREL3 / BLÄNSDORF 121238 Menander (Menandros) frg. 72 PCG KASSSEL / AUSTIN 377199 frg. 296–298 PCG KASSEL / AUSTIN 141. 212 Metellus Macedonicus frg. 7 p. 108 ORF MALCOVATI2 370 Minucius Felix 2,3–4 174397 3,2–4 174397 Musonius frg. 51 HENSE 148. 289. 368–369 Mythographi Vaticani 2,88 7594 Nepos Them. 1,1 114218 frg. 55 MALCOVATI = FGrHist 812 F 1 b JACOBY = Postum. hist. 1 HRR PETER = FRH 4 frg. 1 b 221103 Nikolaos (rhetor) prog. 13 p.71,20. 74,15–75,12 FELTEN = III p. 494,4–7. 495,29–496,12 SPENGEL 345105 Nikolaos von Damaskus 90 frg. 132,1 FGrHist JACOBY 357139 Nonius (Marcellus) p. 441,3–7 [= p.708 LINDSAY] 172392 Oracula Sibyllina prol. p.12 GAUGER / KURFESS2

7594

477

8.2. Stellen Ovid(ius) fast. 4,861 245185 9,269–270 245185 13,962 245185 her. 21,1(3) 110209 met. 1,400 2821 13,895 245185 Parthenios frg. 30 Myth. Gr. MARTINI 213 Paulus Diaconus Fest. p. 123,7–10 LINDSAY 34. 506 p. 519,22 LINDSAY 6142 Paulinus von Pella 60–67 31843 Pausanias 9,29,2 37+51 Petron(ius Arbiter) 39,4 387224 48 63 55 282320 57,5 387224 59,3 223109 66,1 45 74,13 387224 Philargyrus Verg. ecl. 4,4

7594

Philostratos Ap. 1,7 168375 1,14 168375 soph. 1,8,2 (489) [II p. 9,2–5 KAYSER] 165364. 263245 1,8,3 (490–491) [II p. 10,13–27 KAYSER] 263244 1,8,4 (491) [II p.11,7–11 KAYSER] 268 1,11 (495) [II p. 13, 27–30 KAYSER] = VS 86 A 2 [II6 326,23–25 DIELS / KRANZ] 167372 1,22, 2 (523) [II p. 36,20–27 KAYSER] 106198 2,9–10 (556–557. 558) [II p. 64,24– 65,4. 66,3–6 KAYSER] 259228 Phaedrus 4,26 4793

Photios bibl. 167 = 2,149,14–24 HENRY 3059 Physiognomonicus scriptor latinus 40 p. 82,14–83, 15 ANDRÉ = T.6 AMATO 262244 Pindar(os) Pyth. 1,21–26 213 1,23 154 1,26 154

141. 151. 152. 154.

Platon Euthyd. 275 c 7 – d 2 38 Gorg. 473 a 5 154 484 c 5 – (e 3. 485 a 3 –) 485 e 2 119. 141. 208. 361 525 b 1–4 207. 260231 Hipp. mai. 285 d 6 - 286 a 2 167372 Hipp. min. 386 d 6–7 167372 leg. 666 a 2 – d 1 389 671 a 4 – 672 d 9 389 673 d 10 389 673 e 3 – 674 c 7 389 811 a 1–5 129264 967 e 2–3 349113 Parm. 156 d 6 – e 1 260 Phaidr. 274 b 9 - 278 b 6 3960 274 c 5 – 278 b 4 3853 275 a 5 39+57 275 a 2–5 (6) 3853. 39+57 276 d 2–4 39+59 277 e 9 – 278 a 1 39+59 rep. 486 d 1–2 3958 522 c 1–3 349113 531 c 9 – d 4 349113 568 b 1 154 symp. 180 c 2 – 185 c 3 21789. 260 180 e 3 – 181 a 6 141. 207. 208. 15–216+81 180 e 4 – 181 a 5 149 181 a 2 119232 Ps.-Platon Epinomis 991 e 5 - 992 a 1 349113 Theages 125 b7 154 Plautus Amph. 225–226 227121 Asin. 284–285 90136

348–

478 Pseud. 3–6 142 Stich. 497 90136 Trin. 1030–31 30 Plinius (maior) NH praef. 10 32663 praef. 14 32865. 33988 praef. 14–15 32865 praef. 16 350 praef. 17 117. 129264 praef. 18 31740 praef. 22 131. 171 praef. 22–23 131–132272 praef. 23 131 praef. 26 32663 2,106 94153 3,39–40 229125 3,42 376197 3,83 6870. 6979 7,9–12 122241 7,14 298 7,16 122241 7,23–24 122241 7,26 122241 7,34 122241 7,73 246+187 7,88 168375. 226119 7,88–89 169381 7,88–90 173 7,90 173394 7,115 80106 13,88 7493. 7594 14,3 45. 46. 188439 14,7 46. 188439 16,7 80106 18,22 21165 18,247 94153 24,65 92148 25,4 350. 355129 25,54 352120 25,56–61 352120 27,1 29 28,112 149. 155 29,13–14 354 35,11 279304 Plinius (minor) epist. 1,3,2 316 1,3,3 316 1,6 112 1,7,1. 5 140300 1,9,2 31843

8. Register 1,9,6 315 1,10 31843 1,10,1 316 1,10,5 21059 1,10,9–11 31431 1,12,6–8 259228 1,13,1. 4 140300 1,19,15. 17. 19 140300 1,22,8–11 259228 2,1 31532 2,17,8 63 2,17,24 31534 2,20,12 140300 3,1, bes. 3–10 315 3,1,11–12 31431 3,5 315+34 3,5,7 31534 3,5,10 129264 3,5,10–11 112215. 130267 3,5,14 315+34 3,5,15 115220 4,7,5 377 4,11,10 140300 4,14,2 112 4,18,1(–2) 219+95 4,28,1 63. 6666 5,3,5 31532 5,8,2 42 5,14,8 31431 5,19,2 140300 6,20,2. 5 112 6,21,1 246 6,25,4 223109 7,4,3 282320 7,4,6 282320 7,6 110207 7,9,2 21165. 225116 7,9,12 225116 8,24 195+13 8,24,3–4 273 9,10 112 9,13,20 140300 9,19 5936 9,22,2 188. 21059 9,26 223109 9,26,6 140300 9,26,8–12 140300 9,36 315 9,36,2 115220 9,36,3 110207. 223109 9,36,4 110207

8.2. Stellen 9,40 315 10,81 6560 10,81,7 6666 16,20,5 130267 Plutarch(os) Lamp. Cat. 139 296372 mor. 122 c-d (= De san. praec. 1) 354127 168 c (= De superst. 7) 259228 698 e (= quaest. conv. 7,1) 389 705 e (= quaest. conv. 7,5) 389 724 e (= quaest. conv. 8,4) 389 728 c - 730 d (= quaest. conv. 8,8) 389 743 d (= quaest. conv. 9,14) 3750 mor. frg. 7 SANDBACH 135. 245185 mor. frg. 122–124 SANDBACH 93150. 141 Brut. 4 130267 Cato mai. 12,5 228124 20 31743 20,7 303 22,5–23,1 290347 Dem. 3,1–2 282320 Sulla 27 7698 Ps.-Plutarch(os) mor. 1 a-13 f (= de lib. ed.) 31743 mor. 9 e-f (= de lib. ed. 13) 101180 mor. 9 d-f (= de lib. ed. 13) 170383 Poeta anonymus FPL p. 347–348 MOREL3/ BLÄNSDORF 142. 146 Polemon physiogn. I p. 161,6–164,6 FÖRSTER 262244 Polyainos Strateg. 8,23,6

20650

Porcius Licinus frg. 6 FPL MOREL3/ BLÄNSDORF 213 Porphyrio, Pomponius Hor. carm. 1,2,15 34. 506 Properz (Propertius) 3,21,1. 25–30 20137 Querolus p.3,13–14 RANSTRAND 392235

Quintilian(us) inst. praef. 27 104192 1,1,12–13 223109 1,1,36 104191 1,4,3 111+213 1,5,6 300386 1,5,8 376198 1,5,10 300–301386 1,5,55 88131 1,5,58 94 1,6 240173 1,6,2 29 1,6,28–29 84 1,6,28–38 84 1,6,31 94 1,6,34–38 84 1,6,39 2821 1,6,42 29 1,8 103187 1,8,10–12 146313 1,8,14–16 104190 1,9,1 103187 1,9,3–4 343102 1,9,9 103187 1,10,1 33679. 350115 1,12,16 373185 2,4,15–17 343101 2,4,18–19 34399 2,4,25 345105 2,5,(1) 103185; 187 2,5,21 2924 2,5,9 104190 2,17,1 170384 3,3,7 102182 3,7,26–28 34399 3,87 168 6,3,44 3046 8,2,12 239171 10,1,1–2 104–105192 10,1,8 105192 10,1,19 107. 180 10,1,19–20. 37 29 10,1,39 304 10,1,46–131 281 10,1,96 188 10,1,124 6666 10,2,28 125252 10,3,5–10,5,23 111 10,3,19–20 115220 10,3,27 200+33. 31740 10,5,2–3 225116

479

480

8. Register 10,5,2–4 345 10,5,3 21165 10,5,5 20955 10,5,5–11 345 10,6,4 169376 10,7,7 111+213 11,1,30 377199 11,2,1 101 11,2,11–17 4793 11,2,24 169377 11,2,40 104. 171389 11,2,41 179–180 11,2,41–45 104 11,2,50 226119 11,2,50–51 170 11,2,51 168375. 173395 12,1,1 377 12,1,22 282320 12,2,29–30 296371 12,4,2 282 12,10,27 219 12,10,27–35 219 12,10,34 219 12,10,36 219+96

Rhetorica ad Herennium 1,1,1 31016 3,16,28 101181 3,16,28–24,40 168374 3,17,30 106 4,1,2 2821 Rutilius Namatianus 2,52 7698 Sallust(ius) Catil. 3,2 143 11,3 266 52,3 227121 hist. 4 379 frg. 1,88 MAURENBRECHER 213. 288 Iug. 4,1. 5–6 2715 86,2 119 Santra frg. 8–9. 11–12 p. 452–453. p. 455– 456 GRF FUNAIOLI 94152 Seneca (rhetor) contr. 1 praef. 1 304 1 praef. 2–3 169378

1 praef. 6–7 21475 1 praef. 11 188439 1 praef. 17 169376 1 praef. 18 169380 1 praef. 19 168375. 170–171 1 praef. 24 169377 9,1,3 225116. 282320 9,6,16 21165 suas. 3,7 126253 Seneca (philosophus) Apocol. 9,2 115220 clem. 1,12,1–14,3 31743 dial. 3,20,8 127259. 140301 8,4,2 3646. 314 8,6,4–5 3646 9,9,4–7 63 11,11,5 21165 epist. 28,1. 3. 9. 127259 49,7. 12 127259 58,7 219+95 75,4 377199 80,1 20955 84,5 181–182 84,5–7 181 88,23 33780 88,32 39–40 88,36–37 33782 90,25 115220 114,1 377 115,2 377199 nat. 5,15,2 29 5,16–17 358144 Ps.-Seneca mor. 73 377199 Servius Aen. 6,36 7698; 99 6,72 7594. 7698; 99 Simonides frg. 190 B BERGK 377199 Solinus 1,108–109 p.27,15–25 MOMMSEN2 170 381 2,16–17 p. 35,14 –36,1 MOMMSEN2 7594 2,17 p. 35,18 MOMMSEN2 7493 40,2–4 p.166,7–14 MOMMSEN2 80

481

8.2. Stellen Sophokles frg. 14 TrGF RADT 154332 frg. 301 TrGF RADT 141. 151+326. 154332 Ps.-Soranus quaest. med. p. 243–247,5 ROSE 304–3057 Speusippos frg. 70 TARÁN = Diog. Laert. 4,2 349+113 Statius silv. 1,3,108–109 4,4,34 31536

31637

Stobaios ecl. 1,8,17 [p.1,96,7 WACHSMUTH] 154332 Strabo 9,2,2 (C 401,8–12) 20239 14,1,22 (C 640,22) 80 Sueton(ius) gramm. 1,2 223109 4,4 5525 8,3 130265 16 238 rhet. 25,1 290349 25,2 78102 25,3 225116. 373185 26,1 114218 Aug. 25,4 141302 31,1 7698 65,4 141302 98,4 141302 99,1 141302 Claud. 16,2 229125 41,3 282320 Iul. 30,5 141302 56,6–7 115221 Nero 81,1 141302 39,2 141302 40,2 141302 46,3 141302 Tib. 21,4,5 141302 Symmachus epist. 3,13 180411 Tacitus ann. 3,55,5

246

6,12 7698 dial. 5,4–7 376197 15,3 282 18 282320 20,5 188 25 282 26,1 282320 28,6 373185 34,1 373185 32,5 282320 35,1 78102 hist. 1,86 245185 2,4 26 Theokrit(os) 3,3–5 213 5,88–89 213 Theon prog. 1 p. 4 PATILLON / BOLOGNESI = p. 61,30–33 SPENGEL 105 prog. 1 p. 4–5 PATILLON / BOLOGNESI = p. 61,30–62,21 SPENGEL 105 prog. 2 p. 15 PATILLON / BOLOGNESI = p. 70,25–32 SPENGEL 111214 prog. 11 p. 82 [120,15]. 83 [121,10]. 84. [121,16–18]. 94 [128,6–7] PATILLON / BOLOGNESI = prog.12 II p. 120,15. 121,9. 15–17. 128,4–5. 12– 13 SPENGEL 344105 Theophrast(os) char. 27,1–6. 12

382206

Thukydides 1,138 226119 5,70 141 Tibull(us) 2,5,23 4167 Tzetzes Schol. Lykophr. 1279 7493. 7594 Valerius Aedituus frg. 1 FPL MOREL3 / BLÄNSDORF 213 frg. 2 FPL MOREL3 / BLÄNSDORF 213 Valerius Maximus 1 praef. 32663 2,2,2 229125 8,7 ext. 5 352120

482 8,14 ext. 5

8. Register 81

Varro bei Lact. inst. 1,6,10–11 7493 1,6,11 7698 1,6,14 7698 frg. 99 AGAHD 242175 frg. 265. 117–122. 125 p. 281 GRF FUNAIOLI 85 frg. 265,125–127 p. 281–282 GRF FUNAIOLI 84116. 86 ling. 5,2 86 6,49 34. 50 8 p.146,6–21 GOETZ / SCHOELL 239 9,1 239 Men. 60 179 83 344103 167 30. 344103 235 344103 333–341 387224. 390 403 149 505 30. 179 rust. 1,1,3 7598. 7699 1,2,1 6143 Velleius Paterculus 1,7,1 294363 2,9 278 2,36 278 2,36,2 282320 2,111,3 32663 Vergil(ius) Aen. 1,498–502

1,498–504 88129 3,119 213 3,570–577 151. 152. 213. 215+79 6,71–73 75 6,760–766 6977 6,847–853 272. 31223 7,93 143 8,366–367 245185 8,404–406 213. 353121 12,900 245185 ecl. 3,64–65 213 9,23–25 213 georg. 1,437 213 2,224–225 6977 2,246–247 142 3,4–5 137291 3,10 119 3,126–127 119 Vitruv(ius) 1 praef. 2 56 1,1,4 56 1,1,12 349+114 1,2,7 6350 1,6 358144 6 praef. 4 33679. 349114 6,4,1 6350 6,7,1–5 6350 Zonaras 7,11,1–2 [=Cass. Dio frg. 11,7 BOISSEVAIN = frg. 12,3 CARY] 7594

107. 213+71