Die liminale Theologie des Paulus: Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive 9783666538698, 3525538693, 9783525538692

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Die liminale Theologie des Paulus: Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive
 9783666538698, 3525538693, 9783525538692

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V5R

Meinen lieben Eltern Klara und Erich Strecker

CHRISTIAN STRECKER

Die liminale Theologie des Paulus Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 185. Heft der ganzen Reihe

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Strecker, Christian: Die liminale Theologie des Paulus: Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive / Christian Strecker. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1999 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 185) Zugl.: Neuendettelsau, Augustana-Hochsch., Diss., 1996 u.d.T.: Strecker, Christian: Transformation, Liminalität und communitas bei Paulus ISBN 3-525-53869-3

© 1999 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde unter dem Titel „Transformation, Liminalität und Communitas bei Paulus. Kulturanthropologische Zugänge zur paulinischen Theologie" im Sommersemester 1996 von der Augustana-Hochschule Neuendettelsau als Dissertation angenommen. Für den Druck habe ich sie weiter überarbeitet und neuere Literatur berücksichtigt. Die Arbeit stellt den Versuch dar, kulturanthropologische Erkenntnisse, Thesen und Modelle für die neutestamentliche Paulusexegese fruchtbar zu machen. Da die Praxis eines kulturanthropologisch orientierten Zugriffs auf das Neue Testament im Raum der deutschsprachigen Exegese, anders als in Amerika, noch kaum etabliert ist, setzt die Untersuchung mit einer grandlegenden Verhältnisbestimmung zwischen kulturanthropologischer und exegetischer Forschung ein (Kapitel I). Es folgt eine Besprechung zentraler Aspekte der prozessualen Anthropologie des schottischen Ethnologen und Religionswissenschaftlers Victor W. Turner sowie von Ergebnissen der jüngeren Ritualforschung (Kapitel II). Auf der Grundlage der in den ersten beiden Kapiteln entwickelten Perspektiven werden dann im exegetischen Hauptteil zentrale Themen und Probleme der paulinischen Theologie bzw. der Paulusforschung neu beleuchtet (Kapitel III). Das „Ritual" hat derzeit Hochkonjunktur, auch im Bereich der protestantischen Theologie. Dies dokumentieren eindrücklich die Zeitschriften Evangelische Theologie, Praktische Theologie sowie Glauben und Lernen, die sich in der ersten Hälfte des Jahres 1998 dem Ritual in je einem eigenen Themenheft gewidmet haben. Alle drei Ausgaben enthalten signifikanterweise Artikel, die die Ritualtheorie Turners mehr oder weniger detailliert diskutieren.1 Daß der Anthropologe inzwischen auch im deutschsprachigen Raum als Klassiker gehandelt wird, belegt im übrigen der Beitrag von Peter J. Bräunlein in dem 1997 erschienenen Band „Klassiker der Religionswissenschaft".2 Das breite Echo, welches die Ritualforschung im allgemeinen und Turner im speziellen inzwischen finden, war für mich, als ich vor einigen Jahren mit der Arbeit an meiner Dissertation begann, in dieser Form nicht abzusehen. Daraus erklärt 1

Vgl. P. BAHR, Ritual und Ritualisation. Elemente zu einer Theorie des Rituals im Anschluß an Victor Turner, in: PrTh 33 (1998), 143-158; K.-H. BIERITZ, Ritual, in: GILern 13 (1998), 11-23; G.M. MARTIN, Provozierte Krisen. Rituale in Religion und Gesellschaft, in: EvTh 58 (1998), 12-24. 2 P.J. BRÄUNLEIN, Victor Witter Turner, in: Klassiker der Religionswissenschaft. Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade, hg. v. A. Michaels, München 1997, 324-342.

6

Vorwort

sich die für eine exegetische Studie ungewöhnlich ausführliche Darstellung der prozessualen Anthropologie Turners und der Ritologie in den Paragraphen 3 bis 5. Wenn ich mich entschlossen habe, diese in vollem Umfang beizubehalten, so deshalb, weil ich denke, daß die neutestamentliche Exegese von einer intensiveren Besinnung auf kulturanthropologische Theorien und Konzepte letztlich nur profitieren kann. Der Dialog mit der Kulturanthropologie darf freilich nicht dazu führen, die bewährten Methoden der historisch-kritischen Forschung zu suspendieren oder hintanzustellen. Es kann nur um eine Erweiterung und Vertiefung der „klassischen" Exegese gehen. Ich habe mich deshalb darum bemüht, die Thesen und Resultate der historisch-kritischen Erforschung des Neuen Testaments auf breiter Ebene zu berücksichtigen und mit der kulturanthropologischen Perspektive zu verquicken. Dieser „Spagat" zwischen den Disziplinen ist mir nicht immer leicht gefallen, zumal ich, was den Gebrauch kulturanthropologischer Theorien anbelangt, ein Novize bin. Die nachfolgenden Untersuchungen haben daher vielfach den Charakter eines ersten Annäherungsversuches, der, wie es für Initiationsphasen typisch ist, teilweise auch experimentelle Züge trägt. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn deutlich würde, daß ein kulturanthropologisch inspirierter Zugriff auf das Neue Testament die Mühe lohnt. In diesem Zusammenhang ist schließlich eine Bemerkung zum Titel dieser Publikation angezeigt: Mit der Formulierung „Die liminale Theologie des Paulus" wird keinesfalls der Anspruch erhoben, eine Gesamtdeutung der paulinischen Theologie vorzulegen! Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis genügt, um zu erkennen, daß hier längst nicht alle diesbezüglich relevanten Themen erörtert werden. Der Titel soll allerdings zum Ausdruck bringen, daß „Liminalität" ein zentraler Brennpunkt paulinischen Theologisierens ist.

Allen denen, die das Zustandekommen dieser Arbeit gefördert und unterstützt haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. An erster Stelle ist hier Herr Prof. Dr. Wolfgang Stegemann zu nennen. Er hat in mir das Interesse an einer sozialwissenschaftlich orientierten Exegese bereits im Studium wachgerufen, mich als Doktorvater in der ihm eigenen sympathischen und aufgeschlossenen Art begleitet und mir als seinem Assistenten den nötigen Freiraum für die Fertigstellung der Dissertation gewährt; über den theologischen Lehrer hinaus ist er mir dabei zu einem wichtigen Gesprächspartner und Freund geworden. Für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie für inhaltliche Anregungen und Literaturhinweise habe ich sodann Herrn Prof. Dr. Bruce J. Malina zu danken. Sein kulturanthropologisch fundiertes exegetisches Arbeiten, das mir nicht zuletzt auf mehreren Konferenzen der „Context Group", an denen ich teilnehmen durfte, begegnete, hat mir wichtige Impulse gegeben.

Vorwort

7

Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die vorliegende Reihe; im besonderen gilt dies für Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schräge, dessen wertvolle Anmerkungen mir bei der Überarbeitung für die Publikation eine große Hilfe waren. Die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens haben Frau Andrea Siebert und, was die Erstversion anbelangt, Frau stud, theol. et jur. Friederike Lampe mit mir geteilt. Frau Siebert danke ich darüber hinaus für die sachverständige Erstellung des Layouts, für die Mithilfe bei der Erstellung des Registers und für ihre große Geduld. Die Bibliothek der Augustana-Hochschule hat mir bei der Beschaffung der teilweise fachfremden Literatur wertvolle Dienste geleistet. Dem Landeskirchenrat der Ev.-Luth. Kirche in Bayern bin ich ferner für einen namhaften Druckkostenzuschuß zu Dank verpflichtet. Meiner langjährigen Freundin Friederike Lampe danke ich für das harmonische Umfeld, das sie mir während der Entstehung dieser Arbeit hat zuteil werden lassen, und für ihre unermüdliche Gesprächsbereitschaft. Gewidmet ist das Buch meinen Eltern, Erich und Klara Strecker, die meinen im familiären Kontext ungewohnten Weg stets Verständnis- und liebevoll begleitet und mich in vielerlei Hinsicht unterstützt haben.

Neuendettelsau, Dezember 1998

Christian Strecker

Inhalt Vorwort

5

I.

Anthropologie und biblische Exegese

13

§1

Anthropologische Forschung und biblische Exegese

13

§ 2 Zur Anwendung anthropologischer Forschung und Methodik

II.

Victor Turners prozessuale Anthropologie und die Ritualforschung

§ 3 Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners 1. Die Ritualtheorie: Transformation, Liminalität und Communitas 2. Die Symboltheorie: Semantik und Effektivität der Symbole 3. Die Gesellschaftstheorie: Struktur und Anti-Struktur

§ 4 Zur Beurteilung und Anwendung der Theorien Victor Turners 1. Turners universaltheoretischer Ansatz 2. Zu den Konzepten „Struktur" und „Communitas" 3. Zur Definition des Rituals

§ 5 Zur Bedeutung und Anwendung der Ritualforschung im allgemeinen 1. Marginalisierung des Rituals und Wiederentdeckung der rituellen Dimension des menschlichen Lebens 2. Ritual und Text/Literatur 3. Ritual, Transformation und die paulinische Theologie

24

40

40 41 50 55

64 64 66 67

72

72 75 80

10

Inhalt

III. Die liminale Theologie des Paulus

83

§ 6 Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

83

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Forschungsgeschichtliche Problemanzeige Gall,11-17 Phil 3,2-21 2Kor 4,6-12 IKor 9,1 und 15,8-10 Zusammenfassung

§ 7 Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

§8

§9

83 96 112 137 147 155

158

1. Phil 2,6-11: Eine Amtsinitiation 2. Rom 6,3f.: Tod, Begräbnis und Auferstehung 3. „In Christus": Die Christuscommunitas 3.1 Zur Forschungsgeschichte 3.2 Die rituelle Verankerung 3.3 Die vertikale und horizontale Christuscommunitas 3.4 Christuscommunitas und das alltägliche Denken, Fühlen und Handeln 4. Zusammenfassung

208 211

Die Transformation der Äonen

212

1. 2. 3. 4. 5.

212 216 222 230 245

Forschungsgeschichtliche Problemanzeige Zeit, Kultur und Ritual Die Transformation der Äonen Die liminale Qualität der Gegenwart Zusammenfassung

Das Symbol des Kreuzes

159 177 189 189 192 193

248

1. Das Kreuz und der rituelle Kontext 249 2. Eine Symbolanalyse des Kreuzes 262 3. Die Effektivität des Symbols 275 Exkurs: Ehre und Schande in der antiken mediterranen Kultur .. 279 4. Das Kreuz als kritische Mitte 291 5. Zusammenfassung 297

Inhalt

§ 10 Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

11

300

1. Alternative Modelle zur Communitas

301

2. Gemeinde und Ritual 2.1 Grundlegung 2.2 Die Taufe 2.3 Das Herrenmahl 2.3.1 Die Bedeutung der Kommensalität 2.3.2 IKor 10,16f 2.3.3 IKor 11,17-34

306 306 311 313 314 316 320

3. Der Leib Christi

335

4. Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede 4.1 Die Egalität und Universalität der Communitas 4.2 Der Programmsatz der Communitas: Gal 3,28 4.3 Ethnische Communitas: Zur Integration von Juden und Heiden 4.4 Soziale Communitas: Zum Verhältnis von Sklaven und Freien 4.5 Geschlechtliche Communitas: Zur Minimierung der Geschlechterunterschiede und der Relativierung der Ehe ....

349 349 351 358 369 383

5. Das Dilemma der normativen Communitas 5.1 Ethnische Communitas 5.2 Soziale Communitas 5.3 Geschlechtliche Communitas

407 409 413 418

6. Zusammenfassung

449

Schlußbetrachtung

453

Literaturverzeichnis

456

Bibelstellenregister (in Auswahl)

499

I. Anthropologie und biblische Exegese „Andere Wiesen, andere Heuschrecken." (Javanisches Sprichwort, zitiert nach C. Geertz, Kulturbegriff und Menschenbild) „Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit / Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln. Was ihr den Geist der Zeiten heißt, / Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln." (J.W. Goethe, Faust I)

§ 1 Anthropologische Forschung und biblische Exegese Für die biblische Exegese ist die Einsicht von grundlegender Bedeutung, daß Altes und Neues Testament in einem Kulturraum entstanden sind, der sich erheblich von dem unsrigen unterscheidet. Zwischen uns und den Autoren der biblischen Bücher klafft nicht nur ein zeitlicher Hiatus, dessen Tragweite in besonderer Weise durch die für unsere Kultur epochalen Ereignisse der Aufklärung und der industriellen Revolution markiert ist,1 sondern auch ein räumlicher, ruht doch die Bibel maßgeblich auf den Grundfesten der mediterranen Kultur, einer Kultur, die sich in ihren Werten, Normen und Verhaltensweisen noch heute erkennbar von den im nördlichen Westeuropa und in Nordamerika vertrauten Kulturmustern unterscheidet.2 1 2

Näheres bei MALINA/ROHRBAUGH, Commentary, 1-9. Vgl. dazu W. STEGEMANN, Einführung, 7-10; MALINA/PILCH, Introduction, XXX-

x x x v i i i ; ELLIOTT, What,

1 - 5 ; MALINA/NEYREY, Portraits,

Iff.; MALINA/ROHRBAUGH,

Commentary, 1-14; s. femer CROSSAN, Jesus, 38ff.; D.B. MARTIN, Body, 3ff.; MATTHEWS/ BENJAMIN, Sciences, lOf. Sicherlich ist die Rede von der antik-mediterranen Kultur als Grundlage der biblischen Schriften eine Generalisierung; zweifelsohne kann man noch genauer z.B. zwischen ägyptischen, jüdisch-palästinischen, griechisch-römischen u.a. Kulturmustern differenzieren, die sich an unterschiedlichen Stellen in der Bibel widerspiegeln. Gleichwohl weisen die Mittelmeerkulturen derart viele Übereinstimmungen auf, daß es legitim erscheint, sie zu einem Kulturkreis zusammenzufassen; vgl. dazu nur CROSSAN, Jesus, 41: „Es scheint ..., daß wir eine für den ganzen Mittelmeerraum charakteristische Gesellschaftsform postulieren können, die aufgrund der überall innerhalb dieses Raums ähnlichen geographischen und ökologischen Gegebenheiten und Bedingungen, durch die

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Anthropologische Forschung und biblische Exegese

Infolge dieser zeitlich-räumlichen Distanz sieht sich die biblische Exegese zwei Gefahren ausgesetzt: der des Anachronismus und der des Ethnozentrismus. Anachronismen drohen überall dort, wo der voraufklärerische Charakter der Texte unbedacht bleibt und unbewußt moderne Vorstellungen oder Überzeugungen in die alten Texte eingetragen werden. Ethnozentrismen liegen vor, wenn die Schriften des Alten und Neuen Testaments unkritisch auf der Basis typisch „westlicher" Wertmaßstäbe oder Grundhaltungen interpretiert werden und das spezifische mediterrane Kolorit der biblischen Texte außer acht bleibt. Um diesen Gefahren zu begegnen, bedarf es einer Exegese, die die Kluft zwischen unserer zeitgenössischen und der biblischen Welt explizit berücksichtigt, einer Exegese also, die die Texte nicht vorschnell vereinnahmt, sondern ihre Fremdheit anerkennt und die soziokulturell bedingten Differenzen wie freilich auch vorhandene Gemeinsamkeiten bewußt erfaßt und in die Deutung mit einbezieht. Zur Bewältigung dieser Aufgabe eignen sich in besonderem Maße die Sozialwissenschaften, speziell die Soziologie und Anthropologie. Die inzwischen etablierte soziologisch orientierte bzw. sozialgeschichtliche Exegese hat bereits einen wesentlichen Beitrag in dieser Hinsicht geleistet, indem sie vornehmlich den sozialen und ökonomischen Kontext biblischer Schriften analysierte. Im deutschsprachigen Raum haben etwa die Arbeiten von Gerd Theißen und Wolfgang Stegemann viel dazu beigetragen, die sozioökonomische Einbettung der neutestamentlichen Botschaft bewußt zu machen.3 Nun gibt aber Stegemann neuerdings selbst zu bedenken, „daß wir mit diesen sozialgeschichtlichen Untersuchungen zwar eine Menge an Informationen über die äußeren Bedingungen des alltäglichen Lebens gewinnen, doch kaum etwas über die inneren Einstellungen und Verhaltensweisen der antiken Vermittlung ähnlicher technischer Ausrüstung und Wirtschaftsformen, zu ähnlichen politischen Institutionen und einer, wenn auch von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit variablen, so dennoch unverkennbar gemeinsamen Kultur gelangt ist"; ähnlich äußem sich GILMORE, Mythos, 33f.; MALINA/NEYREY, Personality, 69-72; MALINA/ROHRBAUGH, Commentary, 4f.; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 14f.; vgl. zum Thema ferner unten S. 280f. mit Anm. 148 (§ 9.3). 3

V g l . nur THEISSEN, Studien; DERS., S o z i o l o g i e ; SCHOTTROFF/STEGEMANN, Jesus; W .

STEGEMANN, Wanderradikalismus sowie das umfassende Werk von STEGEMANN/STEGEΜΑΝΝ, Sozialgeschichte. Frühe Beispiele für das Interesse der neutestamentlichen Forschung an implizit oder explizit soziologischen Fragestellungen sind die Arbeiten von A. DEISSMANN, E. LOHMEYER, der sog. CHICAGO SCHOOL (S.J. CASE, S. MATTHEWS) s o w i e

von C.J. CADOUX. Allgemeine Überblicke insbesondere über die neuere soziologisch orientierte Exegese finden sich bei BARTON, Dimension, 405f.407^23; BEST, Study; ELLIOTT, What; GARRETT, Sociology, bes. 93-99; HARRINGTON, Concepts; HOLMBERG, Sociology, 1-144; KEE, Christentum, 1-34; MOXNES, Sociology; RICHTER, Approaches; SCROGGS, Interpretation; vgl. auch ADEYEMI, Approach; DUNNILL, Covenant, 13ff.; GAGER, Description; GORDON, Sister, 35ff.; KÜMMEL, Urchristentum; M.Y. MACDONALD, Churches, 1028; VAN STADEN, Compassion, 26-67.

Anthropologische Forschung und biblische Exegese

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Menschen in Erfahrung bringen" 4 . Diese Erkenntnislücke - so Stegemann werde durch die Berücksichtigung „anthropologischer" Fragestellungen und Methoden innerhalb der Auslegung biblischer Texte gefüllt. 5 Unter d e m Stichwort „Anthropologie" ist in diesem Zusammenhang die in Amerika und England etablierte wissenschaftliche Disziplin der cultural oder social anthropology zusammengefaßt. 6 Als Pendant entspricht ihr im deutschen Wissenschaftsbereich die Ethnologie, wenngleich Unterschiede in der Forschungsentwicklung sowie im wissenschaftlichen Ansatz nicht übersehen werden können. 7 Das Ziel anthropologischen Forschens liegt, vereinfacht gesagt, darin, fremde, zumal nichtwestliche Kulturwelten möglichst adäquat zu entziffern und zu erfassen. 8 D a sich auch die biblische Exegese u m das Ver4

W. STEGEMANN, Einführung, 10 (Hervorhebungen im Original); s. dazu auch DERS., Mentality, 161 und STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 14. 5 Vgl. W. STEGEMANN, Einführung, 11. Zur Verhältnisbestimmung von Sozialgeschichte/Soziologie und Kulturanthropologie s. auch BARTON, Approaches, 892; vgl. ferner unten Anm. 8. 6 Die hier und im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit begegnende Verwendung des Terminus „Anthropologie" als Äquivalent für cultural bzw. social anthropology ist im angloamerikanischen Sprachraum allgemein gebräuchlich (vgl. H. FISCHER, Anfänge, 25; STAGL/STAGL, Einleitung, 13; GEERTZ, Schriftsteller, 7; THIEL, Grundbegriffe, 2.11). Dies rührt daher, daß die „Kultur-" bzw. „Sozialanthropologie" dort neben der „Physischen Anthropologie", der .Archäologie" und der „Ethnolinguistik" gewissermaßen den Schwerpunkt anthropologischer Forschung bildet (zur Untergliederung des Faches in Teildisziplin e n s. H. FISCHER, Anfänge, 24f.; HARRIS, Kulturanthropologie, 1 5 - 1 7 ; PEACOCK, Lens,

7-11.19; VLVELO, Handbuch, 42-44). Auf die ganze Variationsbreite der zahlreichen deutsch- und englischsprachigen Fachbezeichnungen samt den damit verbundenen Definitionsproblemen braucht hier indes nicht weiter eingegangen zu werden (vgl. dazu H. FISCHER, Anfänge, 22-25; STAGL, Kulturanthropologie, 37-64; s. auch GlRTLER, Kulturanthropologie, 48f.). Nur soviel: Die duale Nomenklatur „cultural bzw. social anthropology" verweist auf die differierenden Wissenschaftstraditionen in den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Während sich in den USA mit F. BOAS die Disziplinbezeichnung „Kulturanthropologie" etablierte, setzte sich in England der Terminus „Sozialanthropologie" durch. Begründet liegt dies darin, daß die stark durch die Sicht des sog. Kulturrelativismus geprägte amerikanische Tradition vor allem auf die Untersuchung der unterschiedlichen Afu/turwelten abhob, die vornehmlich vom Funktionalismus beherrschte englische Tradition dagegen mehr auf die Erforschung sozialer bzw. gesellschaftlicher und damit soziologischer Zusammenhänge fixiert war (vgl. dazu H. FISCHER, Anfänge, 17f.25; GlRTLER, Kulturanthropologie, 146ff.; MARCUS/FISCHER, Anthropology, 18ff.; PEACOCK, Lens, 80-82; STAGL, Kulturanthropologie, 49ff.; ROGERSON, Old Testament, 258f.). Gleichwohl stimmen cultural und social anthropology in entscheidenden Punkten überein. Schließlich „betonen beide die Wichtigkeit der Feldforschung. Sie gehen beide vom ganzheitlichen Grundcharakter von Kultur und Gesellschaft aus. Sie sind beide relativistisch und komparatistisch ... Sie haben sich beide um 1920 gegen eine historisch-antiquarisch-diffusionistische .Ethnology' durchgesetzt" (STAGL, Kulturanthropologie, 49; vgl. dazu auch GlRTLER, Kulturanthropologie, 36; ARBUCKLE, Theology, 433; VAN STADEN, Compassion, 113f.). 7 Vgl. dazu STAGL/STAGL, Einleitung, 13-19. 8 Zwar widmet sich die Anthropologie vorrangig den sog. primitiven oder besser: schriftlosen Kulturen, doch gehen Anthropologen in jüngerer Zeit vermehrt dazu über, auch westliche Industriegesellschaften in ihre Analysen mit einzubeziehen (vgl. nur Vi VELO,

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Anthropologische Forschung und biblische Exegese

ständnis von Texten einer fremden Kulturwelt müht, bietet sich die Anthropologie in der Tat als verheißungsvoller Gesprächspartner an. Wie gewinnbringend es sein kann, die dort über einen langen Zeitraum entwickelten Forschungsmethoden und in einer Vielzahl von Feldstudien erworbenen Erkenntnisse für historisches Arbeiten fruchtbar zu machen, belegt der innerhalb der Geschichtswissenschaft seit einiger Zeit geführte und unter dem Stichwort „Historische Anthropologie" subsumierte Dialog mit der anthropologischen Wissenschaft.9 Die Rezeption der reichen angloamerikanischen anthropologischen Forschung steckt dagegen im Bereich der biblischen Exegese, insbesondere im deutschen Sprachraum, noch weitgehend in den Kinderschuhen. Diese Feststellung betrifft freilich in erster Linie die neutestamentliche Exegese.10 Für die alttestamentliche Wissenschaft ist von jeher eine größere Affinität zu explizit anthropologischen Ansätzen festzustellen.11 Ein knapper Überblick soll die unterschiedliche Entwicklung und den aktuellen Forschungsstand anthropologisch orientierter Exegese in den Fächern Altes und Neues Testament zumindest umrißhaft andeuten.

Handbuch, 145-156; MARCUS/FiSCHER, Anthropology, 11 Iff.; s. auch H. FISCHER, Anfänge, 26f.; GlRTLER, Kulturanthropologie, 48ff.). Damit sind Forschungsbereiche tangiert, die traditionellerweise der Soziologie zugeordnet werden. Die Grenzen zwischen Anthropologie und Soziologie verschwimmen von daher (für die britische social anthropology gilt dies ohnehin seit jeher; vgl. H. FISCHER, Anfänge, 18; STAGL, Kulturanthropologie, 51). Doch trotz dieser Überlappungen und anderer, hier nicht weiter zu nennender Affinitäten (s. dazu GlRTLER, Kulturanthropologie, 49-53) lassen sich Soziologie und Anthropologie durchaus als eigenständige Wissenschaftsgebiete begreifen. N.R. PETERSEN, Rediscovering, 18f. kehrt die Differenz z.B. wie folgt hervor: Soziologie beinhalte „the study of social arrangements, with little emphasis on the symbolic forms or their relationship to the arrangements", bei der Anthropologie handele es sich dagegen um einen Ansatz, „which brings together in a single enterprise symbol systems, social systems, and the relations between them". Anders formuliert: Die Soziologie beschäftige sich mit den „typical patterns of social behavior ..., and with the relations between these patterns", die Anthropologie handle dagegen von den „relations between patterns of behavior and patterns of meaning within a closed social situation". 9 Vgl. dazu die Darstellung bei HABERMAS/MlNKMAR, Einleitung; s. auch WINKLER, Eros, 22-25 zum Verhältnis von Anthropologie und Altphilologie. 10 Als Grund für das mangelnde ethnologische Interesse am Neuen Testament führt SCHMITT, Essen, 41 die allgemein verbreitete Vorstellung an, „daß im Alten Testament eine antike Ethnie beschrieben werde, wogegen das Neue Testament die Heilsbotschaft der Christen verkünde". 11 Übersichten über die alttestamentlich-anthropologische Forschung finden sich bei MATTHEWS/BENJAMIN, Sciences, 16-19; FEELEY-HARNIK, Table, 1-6; B. LANG, Introduction, 3—17; WILSON, Approaches, 10-27; CULLEY, Anthropology; RODD, Sociology, 635637; ROGERSON, Anthropology, 26-28; DERS., Old Testament, 259-262; vgl. ferner SCHMITT, Essen, 41ff. Ausführlich behandelt EILBERG-SCHWARTZ, Savage, 1-102 die Thematik.

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Altes

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Testament

Den eigentlichen Anstoß zu einer Interpretation des Alten Testaments und der jüdischen Religion aus anthropologischer Perspektive gab der Julius Wellhausen nahestehende Schotte William Robertson Smith. Dies gilt bereits für seinen 1880 publizierten Aufsatz „Animal Worship and Animal Tribes among the Arabs and in the Old Testament", in dem er die biblischen Stämme mit Totemismus, Exogamie und Polyandrie verband, eine Kühnheit, die ihm nur ein Jahr später den Verlust des Lehrstuhls für Hebräisch und Altes Testament in Aberdeen einbrachte. Von richtungweisender Bedeutung sind dann aber vor allem seine „Lectures on the Religion of the Semites" (1889). Darin untersuchte er die aus semitischen Quellen inklusive des Alten Testaments ableitbaren religiösen Institutionen und konzentrierte sich hierbei namentlich auf die Rolle des Opfers, das er grundsätzlich vom Gedanken der Mahlgemeinschaft her bestimmte. Wohl nicht zuletzt durch Smith inspiriert, griff auch James G. Frazer, einer der Pioniere der Anthropologie, auf das Alte Testament zurück, allerdings mit weniger Erfolg; so in seinem vergleichsweise unbedeutenden, dem damaligen Stand der alttestamentlichen Forschung nur wenig gerecht werdenden Buch „Folk-Lore in the Old Testament" (1919). Smith und Frazer gingen mit der Anwendung der „vergleichenden Methode" neue Wege und negierten damit die bis dato gültige Dichotomie zwischen sog. hebräischer und primitiver Religion. Zugleich aber waren sie beide noch - Smith weniger, Frazer mehr - der damals verbreiteten Theorie einer Evolution der Kulturen und Religionen aus einem primitiven Stadium in das der Zivilisation verhaftet, welche die Gefahr in sich barg, Glaubens- und Verhaltensweisen aus ihrem jeweiligen Kontext herauszureißen, um sie der evolutionistischen Universaltheorie unterzuordnen. Problematisch war zudem, daß vor allem Frazer seine Informationen über fremde Völker lediglich aus sekundären Quellen schöpfte, aus Berichten von Reisenden und Missionaren (sog. „Lehnstuhl-Ethnologie").12 Die Problematik eines solchen Ansatzes machten dann in Amerika Franz Boas und seine Schule, mehr aber noch die Väter des Funktionalismus Bronislaw Malinowski und A.R. Radcliffe-Brown in Großbritannien offenkundig. Die genannten Anthropologen wiesen nicht nur die Evolutionstheorie vehement zurück, sie begründeten zugleich eine neue Form anthropologischer Arbeit, nämlich die Feldforschung. Gemeint ist damit die Analyse einer Kultur durch „teilnehmende Beobachtung". Ausgangspunkt anthropologischer Studien war nun nicht länger die Auswertung von Sekundärberichten und Schriftdokumenten, sondern das soziale Leben selbst. Damit war der Grundstein für die Entwicklung der modernen Anthropologie gelegt. In einer Viel12 Der weltgewandtere W.R. SMITH bereiste dagegen 1878/9 auch aus ethnologischem Interesse Ägypten, Syrien und Palästina.

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Anthropologische Forschung und biblische Exegese

zahl von Feldstudien wurden in der Folgezeit zahlreiche Völker verschiedenster Kulturkreise vor Ort erforscht, und zwar mit dem Ziel, diese jeweils aus ihrem eigenen soziokulturellen Kontext heraus zu verstehen, d.h. möglichst ohne vorausgehende Befrachtung mit einer von außen herangetragenen universalen Theorie. Die Entwicklung von anthropologischen Theorien ergab sich nun allemal erst sekundär aus den in der Feldforschung gewonnenen Daten und bildete nicht mehr in der Weise das Fundament anthropologischen Arbeitens, wie dies noch in der alten, evolutionistisch geprägten Anthropologie der Fall war. Von daher unterschied man nun zwischen Ethnographie, der detaillierten Beschreibung einzelner Kulturen aufgrund beobachtender Teilnahme in der Feldforschung, und Ethnologie, dem verallgemeinernden, theoretischen Studium menschlichen Verhaltens auf der Basis ethnographischer Werke.13 Die Konzentration auf die Feldforschung brachte es dabei mit sich, daß das Interesse von Anthropologen an der Untersuchung schriftlicher Dokumente und folglich des Alten Testaments verloren ging. Auf der anderen Seite ließen sich nun aber einige christliche Exegeten des Alten Testaments durch anthropologische Erkenntnisse und Theorien inspirieren.14 Im Zuge eines neu erwachten Interesses an universalistischen Theorien in den 60er Jahren wurde die hebräische Bibel jedoch erneut zum Forschungsobjekt auch von Anthropologen. Federführend waren in dieser Hinsicht die Untersuchungen von Mary Douglas und Edmund Leach.15 Mit Hilfe strukturalistischer Analysen durchleuchtete Douglas in ihrer Studie „Purity and Danger" (1966) u.a. die alttestamentlichen Speise- und Reinheitsvorschriften, während sich Leach in „Genesis as Myth" (1969) in der Nachfolge des Strukturalisten Claude Levi-Strauss zumal der Interpretation biblischer Mythen widmete. Im Anschluß an diese richtungweisenden Publikationen, mehr aber noch infolge der generellen Expansion der Sozialwissenschaften im damaligen Wissenschaftsbetrieb, wurden in den folgenden Jahrzehnten vermehrt anthropologische Arbeiten innerhalb der alttestamentlichen Exegese rezipiert; dies gilt insbesondere für Forschungen im Bereich der Frühgeschichte und der Prophetie Israels sowie auf dem Gebiet der Opfertheorien.16 13 Vgl. dazu H. FISCHER, Anfänge, 23.26; HARRIS, Kulturanthropologie, 16; VLVELO, Handbuch, 42-45; WILSON, Approaches, 17-22. 14 MATTHEWS/BENJAMIN, Sciences, 17 nennen in diesem Zusammenhang die Untersuchungen von A. ALT zur Frühgeschichte und Staatenbildung Israels, M. NOTHS These von der altisraelitischen Amphiktyonie wie auch R. DE VAUX und seine Rekonstruktion des Lebens und der Institutionen im alten Israel; s. ferner die bei MATTHEWS/BENJAMIN, Sciences, 16 genannten Exegeten sowie NEU, Bedeutung, 1 Iff. 15 Vgl. dazu EILBERG-SCHWARTZ, Savage, 7 7 - 8 4 und B. LANG, Introduction, 8-13. Daneben wäre hier auch auf Veröffentlichungen der Anthropologen T.H. GASTER, M. ELIADE, E.E. EVANS-PRITCHARD und A.S. KAPELRUD hinzuweisen; vgl. dazu MATTHEWS/BENJAMIN, Sciences, 18. 16 U m dies zu demonstrieren, seien wahllos einige Arbeiten genannt. Zur Frühgeschichte

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Neues Testament Die neutestamentliche Exegese kann keine vergleichbar lange Geschichte des Dialogs aufweisen. Erst in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten ist ein intensiveres Bemühen um eine Integration anthropologischer Forschung zu erkennen. Eine Signalwirkung kommt hierbei John G. Gagers Abhandlung „Kingdom and Community" aus dem Jahr 1975 zu, die die soziale Welt des frühen Christentums zum Untersuchungsgegenstand hat. Gleich im Vorwort setzt der Autor mit der Frage ein: „Why is it that the study of early Christianity, as normaly practiced, seems so different from the study of more exotic religions in Africa, Australia and Melanesia?" 17 Als Antwort führt Gager theologische, kulturelle und historische Faktoren an, die das frühe Christentum zu einer „protected enclave" in der Forschung gemacht hätten. Die Folge sei, daß „methods and techniques that are taken for granted in the treatment of other religions have been ignored or discarded in dealing with this one" 18 . Mit dieser Tradition will Gager brechen, indem er bestimmte Aspekte in der Entwicklung des frühen Christentums bewußt mit Modellen aus den Sozialwissenschaften interpretiert. Neben Festingers sozialpsychologischer Theorie der kognitiven Dissonanzen und Cosers Theorie zur Funktion sozialer Konflikte greift er dabei auch auf ein kulturanthropologisches Modell zurück, nämlich das des sog. „Millenarismus" bzw. der „millenarischen Cargo Kulte", wie es in den Arbeiten von Kenelm Burridge, I.C. Jarvie, Yonina Talmon und Peter Worsley entwickelt wurde. 19 Gager zufolge spiegeln sich im frühen Christentum deutlich die Hauptcharakteristika millenarischer Kulte, ja das Christentum sei in seinen Anfängen in Gänze als millenarische Bewegung zu verstehen. Diese Gegenüberstellung von nichtjüdischen bzw. nichtchristlichen Cargo Kulten des 20. Jh.s auf der einen und dem frühen Christentum des 1. Jh.s auf der anderen Seite stieß indes vielfach auf Kritik. 20 Wie auch immer man dazu Israels vgl. LEMCHE, Israel; WILSON, Approaches, 30-53; J. FLANAGAN, Chiefs; CRÜSEMANN, Widerstand; GOTTWALD, Tribes (s. dazu DERS., Method). Zur Prophetie vgl. D.L. PETERSEN, Roles; WILSON, Society und den von CULLEY und OVERHOLT 1981 unter dem Titel „Anthropological Perspectives on Old Testament Prophecy" herausgegebenen Band der Zeitschrift Semeia. Zur Opferthematik vgl. D. DAVIES, Interpretation, 388-398; GORMAN, Ideology, bes. 61-102; HENDEL, Sacrifice, 366-390; MARX, Sacrifice, 27-48. Zu neueren anthropologischen Annäherungen an das Alte Testament allgemein s. B. LANG, Introduction, 14-17; LASINE, Indeterminacy, bes. 56ff. sowie den Überblick bei ROGERSON, Old Testament, 259-262; s. jetzt auch OVERHOLT, Anthropology. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang zudem die von SIGRIST und NEU herausgegebene Reihe „Ethnologische Texte zum Alten Testament". 17 GAGER, Kingdom, xi. 18 Ebd. 19 Vgl. ebd., 20ff. 20 Vgl. nur BEST, Study, 189; ROWLAND, Reading, 360f.; s. auch HOLMBERG, Sociology, 79-81.

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stehen mag, Gager kommt in jedem Fall das grandlegende Verdienst zu, als einer der ersten explizit anthropologische Modelle in die neutestamentliche Exegese eingeführt zu haben.21 Die bewußte Hinwendung zur Anthropologie deutete sich allerdings schon 1973 an, als sich eine Gruppe von Forschern der „Society of Biblical Literature" unter dem Label „The Social Description of Early Christianity" zusammenschloß. Das zur konstituierenden Sitzung von Jonathan Z. Smith eingereichte Arbeitspapier reklamierte bereits damals eindringlich die Berücksichtigung anthropologischer Studien im Bereich neutestamentlicher Exegese.22 Zehn Jahre später, im Jahr 1983, löste Wayne A. Meeks, einer der Leiter jener Gruppe, dieses Desiderat in bemerkenswerter Weise ein, und zwar mit seiner Monographie „The First Urban Christians" (dt.: „Urchristentum und Stadtkultur", 1993), einer kenntnisreichen Untersuchung zur sozialen Welt des Apostel Paulus. Meeks verwertete darin nicht nur - wie schon Gager - die Theorie millenarischer Bewegungen. Er rekurrierte darüber hinaus auf die Ritual- und Gesellschaftstheorie des Anthropologen Victor Turner, um insbesondere die Bedeutung der Taufe als Initiationsritual zu ergründen und die Frage nach den sozialen Grenzen der paulinischen Gemeinden abzuklären.23 Drei Jahre zuvor, also 1980, wurde Howard Clark Kees Arbeit „Christian Origins in Sociological Perspective" (dt.: „Das frühe Christentum in soziologischer Sicht", 1982) veröffentlicht. Auch Kee griff neben soziologischen etliche Male auf anthropologische Theorien zurück. So verarbeitete er in dem Abschnitt über neutestamentliche Wunder die Thesen von Malinowski, Mauss und Mair zur Unterscheidung von Magie und Religion.24 Daneben ging er auf Claude Levi-Strauss und seinen strukturalistischen Ansatz der Mythendeutung ein und nahm die Ritualtheorie Hans Mols in seine Überlegungen auf.25 Der amerikanische Exeget Bruce J. Malina war es dann, der erstmals ausdrücklich und programmatisch ethnographische Werke speziell zur mediterranen Kultur für das Neue Testament auswertete. In seinem 1981 erschienenen Buch „The New Testament World. Insights from Cultural Anthropology" (dt.: „Die Welt des Neuen Testaments", 1993) schälte er eindrücklich die den neutestamentlichen Aussagen unterlegten kulturellen Muster der mediterranen Lebenswelt heraus. Dazu zählen u.a. das Konzept „Ehre und Schande", das dyadische Persönlichkeitsverständnis oder auch die Anschauung von den be21

GAGER, Kingdom, 2f. stellt seine Arbeit selbst in den Kontext eines Paradigmenwechsels innerhalb der Exegese. In der Übernahme der „Millenarismus"-Theorie folgen ihm später in abgewandelter Form MEEKS, Functions; DERS., Urchristentum, 346ff. und JEWETT, Correspondance, 159-178; s. dazu auch HOLMBERG, Sociology, 78-86; DULING, Millennialism. 22 Vgl. J.Z. SMITH, Description, bes. 20. 23 Vgl. MEEKS, Urchristentum, 188f.320f. 24 Vgl. KEE, Christentum, 67ff. 25 Vgl. ebd., 103ff.

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grenzten Gütern. 1986 setzte Malina seine Arbeit mit der Publikation von „Christian Origins and Cultural Anthropology" fort. Darin konzentrierte er sich allerdings stärker auf universal ausgerichtete anthropologische Konzepte, namentlich auf das „grid and group"-Modell (dt.: Klassifikationsgitter und Gruppendruck) der Anthropologin Mary Douglas, das diese zur Analyse von sozialen Gemeinschaftssystemen konzipiert hatte und das Malina für seine Zwecke leicht variierte26 - Robert A. Atkins Jr. verwertete dieses Modell im übrigen in seiner fünf Jahre später veröffentlichten Dissertation „Egalitarian Community. Ethnography and Exegesis" ebenfalls, und zwar zur Analyse des Sozialsystems der paulinischen Gemeinden.27 Seit 1986 arbeitet Malina mit einer Reihe weiterer anthropologisch orientierter Exegeten zusammen, die sich 1989 unter dem Namen „The Context Group" formierten. Aus den vielen Veröffentlichungen der Mitglieder dieser Gruppe sei das 1991 von Jerome Η. Neyrey herausgegebene Gemeinschaftswerk „The Social World of Luke-Acts" hervorgehoben, in dem die Autoren zahlreiche anthropologische Modelle - vor allem aus den Forschungen zum Mittelmeerraum, aber auch aus den Bereichen der medizinischen Anthropologie und der Ritualforschung - paradigmatisch mit dem lukanischen Doppelwerk in Verbindung bringen.28 Anthropologische Zugänge zum Neuen Testament eröffnet überdies John Dominic Crossan in seinem 1992 publizierten und in Amerika zu einem Bestseller avancierten Buch „The Historical Jesus" (dt.: „Der historische Jesus", 1994). Crossans Methode besteht darin, sich dem historischen Jesus auf drei Untersuchungsebenen zu nähern, der literarischen, der historischen und der anthropologischen.29 Auf der letztgenannten Ebene zieht Crossan neben kulturübergreifenden Typologien eine ganze Reihe religions-, medizin- und sozialanthropologischer Einzelstudien heran, um namentlich die Heilungswunder und die Mahlgemeinschaften Jesu neu zu deuten.30 Die beträchtliche Vielfalt der zu Rate gezogenen anthropologischen Literatur erlaubt es, Crossans Untersuchung geradezu als Steinbruch für exegetisch relevante Studien aus dem Bereich der Anthropologie zu gebrauchen.

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Vgl. MALINA, Origins, 13ff. sowie DOUGLAS, Ritual, 79-98. Näheres zu dem von

DOUGLAS selbst mehrfach abgewandelten Modell bei ARBUCKLE, Theology, A31-AA\\ ISENBERG/OWEN, B o d i e s , 5 - 8 ; PEACOCK, Lens, 38f.; WIEDENMANN, Ritual, 1 1 7 - 1 6 1 . 27 Auch ATKINS wandelt das Modell eigenständig ab; s. DERS., Community, 54ff. Übertragungen der „grid and group"-Typologie auf das Neue Testament und seine Umwelt finden sich zudem bei GORDON, Sister, 132ff. u.ö.; KRAEMER, Share, 13-21 u.ö.; NEYREY, Paul, passim; WIRE, Women, 189-193; L.J. WHITE, Grid, 61-90 sowie ISENBERG, Power,

28 A7. 28 Zu anderen wichtigen Veröffenüichungen der „Context Group" siehe den Überblick bei ELLIOTT, What, 29f. 29 Vgl. CROSSAN, Jesus, 28f.; s. auch DERS., Leben, 14ff. 30 Vgl. dazu die Literaturübersicht bei CROSSAN, Jesus, 29f.

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Erwähnenswert sind weiterhin die Arbeiten von Stephen C. Barton, im besonderen sein Aufsatz über die konfliktträchtige Verhältnisbestimmung zwischen den beiden sozialen Räumen „Haus" und „Ekklesia" in der Gemeinde der Korinther. Barton stützt sich darin auf Theorien von Geertz, Douglas, Turner und Leach.31 Auch John Dunnill bedient sich in seiner Untersuchung „Sacrifice and Covenant in Hebrews" strukturalistischer und symbolanthropologischer Methodik.32 Letzteres gilt ebenso für die Arbeiten von Susan R. Garrett („The Demise of the Devil"), J. Dorcas Gordon („Sister or Wife?") und Margaret Y. MacDonald („The Pauline Churches"; „Early Christian Women and Pagan Opinion"). Desgleichen geht AJ.M. Wedderburn im 6. Kapitel seines umfangreichen Werkes „Baptism and Resurrection" neue Wege, wenn er dort die Theorie der Passageriten heranzieht, um das paulinische Motiv vom „Sterben mit Christus" zu erhellen.33 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch das im deutschen Sprachraum leider nur wenig zur Kenntnis genommene Buch „Rediscovering Paul" von Norman R. Petersen. Wegweisend an dieser Arbeit ist, wie es dem Autor gelingt, sowohl moderne literarwissenschaftliche als auch soziologische und anthropologische Methoden und Einsichten mit der philologischen Grundlage der klassisch-historischen Exegese zu verknüpfen. Was die anthropologische Dimension des Buches anbelangt, so ist vor allem Petersens Anwendung der Turnerschen Überlegungen zur sozialen Struktur und Anti-Struktur zu erwähnen. Petersen beruft sich auf diese, um die paulinische Unterscheidung von Kirche und Welt sowie die soziale Hierarchie innerhalb der paulinischen Gemeinde allgemein und speziell im Philemonbrief transparent werden zu lassen.34 Anthropologisch ausgerichtet ist des weiteren die 1995 erschienene Studie „The Corinthian Body" von Dale Β. Martin. Martin demonstriert unter anderem, wie sehr die antiken Konzepte des Körpers, des Selbst, der Psyche und der Sexualität von denen moderner Menschen abweichen.35 Er führt den Konflikt zwischen Paulus und den Korinthern im wesentlichen auf die Präferenz unterschiedlicher antiker Körperideologien zurück. In ähnlicher Weise arbeiten die schon erwähnten Exegeten Bruce J. Malina und Jerome Η. Neyrey in ihrer 1996 veröffentlichten Abhandlung „Portraits of Paul. An Archaelogy of Ancient Personality" die Spezifika des antik-mediterranen Personverständnisses heraus und konkretisieren diese am Beispiel des Apostel Paulus. 31 Vgl. BARTON, Community, bes. 226-228; s. ferner DERS., Cross; DERS., Resurrection; DERS., Approaches. 32 Vgl. DUNNILL, Sacrifice, bes. 43-111. 33 Vgl. WEDDERBURN, Baptism, bes. 363-392. 34 Vgl. N.R. PETERSEN, Rediscovering, 151-170. Weitere Beispiele für die Verwendung der TURNERschen Ritual- und Gesellschaftstheorie im Bereich der Exegese werden unten in § 5.2 (S. 77f.) genannt. 35 Vgl. besonders D.B. MARTIN, Body, 2-37.

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Diese Aufstellung anthropologisch orientierter exegetischer Arbeiten ist selbstverständlich nicht erschöpfend. Ohne weiteres ließen sich andere Publikationen hinzufügen, und zwar sowohl auf dem Gebiet der alttestamentlichen als auch der neutestamentlichen Forschung. Daß in dem voranstehenden gerafften Querschnitt der neutestamentlichen Disziplin mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde, ist von der Themenstellung der vorliegenden Arbeit her gefordert. Dieser Umstand soll und darf indes auf keinen Fall den Blick für die bereits eingangs erwähnte größere Affinität zwischen alttestamentlicher Exegese und anthropologischer Forschung verstellen. Nicht nur haben Alttestamentier schon vor längerer Zeit die Anthropologie für sich erschlossen, umgekehrt war auch das Interesse der Anthropologie nahezu ausschließlich auf das Alte Testament konzentriert.36 Hinzu kommt, daß mit den oben vorgestellten neutestamentlichen Publikationen zwar ein gewisser Aufbruch auch in der neutestamentlichen Exegese nicht mehr zu übersehen ist, zugleich muß aber eingeräumt werden, daß der anthropologisch inspirierte Zugriff auf das Neue Testament immer noch und weitaus mehr als der auf das Alte eine Randerscheinung im breiten Strom exegetischer Wissenschaft darstellt. Dies belegt nicht zuletzt der Artikel „Anthropology" von J.W. Rogerson im „Dictionary of Biblical Interpretation" (1990). Der Beitrag führt zwar etliche alttestamentliche Arbeiten an, doch keine einzige neutestamentliche. Gleichermaßen bezeichnend ist, daß das 1992 erschienene „Anchor Bible Dictionary" lediglich einen Eintrag über „Anthropology and the OT" anbietet, wiederum von J.W. Rogerson, während ein Pendant für das Neue Testament fehlt.37 Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der zu Beginn dieses Paragraphen beschriebenen Problematik anachronistischer und ethnozentrischer Exegese scheint es um so dringlicher, anthropologische Einsichten und Theorien vermehrt auch in die neutestamentliche Exegese einzubinden. Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag in dieser Hinsicht leisten. Bevor dies geschehen kann, bedarf es jedoch einiger grundsätzlicher Überlegungen zum Modus und zur Problematik der Übernahme anthropologischer Forschung in der biblischen Exegese.

36 Eine gewisse Ausnahme bildet die Arbeit der Sozialanthropologin FEELEY-HARNIK „The Lord's Table" über „Eucharist and Passover in Early Christianity". Die literaturethnologische Arbeit „Essen in der Bibel" von SCHMITT geht nur am Rande auf neutestamentliche Belege ein. 37 Vgl. ROGERSON, Old Testament, 258-262. Allerdings geht der Artikel „Sociology of Early Christianity" von GARRETT im selben Wörterbuch auf einige neutestamentliche anthropologische Untersuchungen ein, etwa die von MALINA und NEYREY. Dennoch ist die Marginalisierung anthropologischer Exegese des Neuen Testaments im Lexikon unübersehbar. Auch ESLER, Introduction, 19 A l l moniert dies.

§ 2 Zur Anwendung anthropologischer Forschung und Methodik „Was geschieht mit der Wirklichkeit, wenn sie in die Fremde verschifft wird?" (Emawayish, zitiert nach C. Geertz, Die künstlichen Wilden)

In § 1 wurde bereits die der Anthropologie immanente Unterscheidung zwischen Ethnographie und Ethnologie kurz genannt. Von da aus ergeben sich zwei Möglichkeiten, anthropologische Erkenntnisse in die biblische Exegese sinnvoll einzubeziehen: die Verarbeitung spezifisch ethnographischer Befunde und die Anwendung globaler ethnologischer Theorien.1 1. Zur Verwertung ethnographischer Befunde: Bei diesem Verfahren wird das Datenmaterial vornehmlich deskriptiv ausgerichteter Untersuchungen einer partikularen Kultur genutzt, um die den biblischen Texten inhärenten kulturellen Einstellungen zu erhellen und so ein besseres Verständnis der Texte zu ermöglichen. In der Regel wird man dabei auf ethnographisches Material zurückgreifen, das demselben Kulturraum angehört, dem auch die biblischen Texte entstammen, also auf Ethnographien aus dem Bereich der Anthropologie des Mittelmeerraums. Insbesondere die Mitglieder der erwähnten „Context Group" haben wiederholt an derartige Forschungen angeknüpft. 2 Es ist aber auch denkbar, ethnographische Befunde aus anderen Kulturen zu verwenden, solange sich die kulturellen Konfigurationen in etwa gleichen.3 So konstatiert Peter Burke für den Bereich der Geschichtswissen1 Eine vergleichbare Zweiteilung ist auch in der mehr soziologisch orientierten Exegese gebräuchlich. GARRETT, Sociology, 90.94ff. unterscheidet die eher am sozialhistorischen Datenmaterial orientierten „Social Historical Studies" von den stärker theoriegeleiteten „Social Scientific Studies"; vgl. auch SCHMELLER, Exegese, 104f. 2 Eingehend rezipiert wurden hier etwa die Arbeiten von J.G. PERISTIANY, J. PITT-

RIVERS, P. BOURDIEU und D . D . GLLMORE zur Bedeutung v o n „Ehre und Schande" i m m e -

diterranen Raum; vgl. dazu den Exkurs in § 9.3. Zur Problematik des zeitlichen Abstands notieren MALINA/NEYREY, Personality, 72: the values and meanings shared by contemporary Mediterranean villagers as described and explained by contemporary anthropologists show qualitatively far greater similarity to the values and meanings communicated in ancient Mediterranean texts than anything the contemporary U.S. or northern Europe can approximate or even imagine. For the building of the scenarios required for reading the New Testament, Mediterranean cultural anthropology is indispensable"; s. zum Thema auch WINKLER, Eros, 2 3 f . 3 „As long as the comparative material has some analogy to the situation it is quite unnecessary that it corresponds exactly" (ESLER, Community, 14f.).

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Schaft: „Da gibt es Historiker (mich eingeschlossen), die sich mit dem Europa des Mittelalters oder der Renaissance beschäftigen und dabei Monographien über die entlegensten Winkel Asiens und Afrikas zitieren - von Bali bis Zandeland."4 In der biblischen Exegese bediente sich unlängst Howard Eilberg-Schwartz dieser Vorgehensweise. Er zog u.a. ethnographisches Material aus sog. „wilden" Kulturen heran, um die symbolische Sprache, Rituale und Sozialstruktur des frühen Israels sowie des antiken Judentums zu erfassen.5 2. Zur Verwertung globaler ethnologischer Theorien und Modelle: Anthropologen sind auch Generalisten. Sie studieren bestimmte Gesellschaften und ihre Kulturmuster „not only for the sake of describing them, but also for the purpose of comparing them with other societies in the hope that comparison will disclose some universal truths about ,man"'6. Zur Anthropologie gehört mithin der „Versuch, die Menschen in einer breiten Sicht, also nicht nur in voneinander isolierten Gesellschaften oder innerhalb der Tradition einer einzigen Gesellschaft, zu betrachten. Sie vergleicht Gesellschaft mit Gesellschaft, Tradition mit Tradition, über Zeit und Raum. Sie versucht Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten zu identifizieren, um dadurch zu allgemeinen Aussagen zu gelangen."7 Die vor diesem Hintergrund in der Anthropologie entwickelten Universaltheorien sind in der biblischen Exegese bereits mehrfach verarbeitet worden. Ein Beispiel ist die in § 1 angesprochene vielfältige Aufnahme des „grid and group"-Modells von Mary Douglas.8 Wie sind nun diese beiden Verfahrensweisen zu bewerten? Welche Chancen und welche Schwierigkeiten beinhaltet ein ethnographisch fundierter Zugang zu biblischen Texten, welche ergeben sich aus einem mehr modellorientierten Umgang mit den Schriften des Alten und Neuen Testaments? Und weiter: In welchem Verhältnis stehen die beiden Vorgehensweisen zueinander? Ist die eine gegenüber der anderen vorzuziehen? Lassen sie sich überhaupt strikt voneinander abgrenzen? Mit diesen wichtigen Fragen ist ein ganzes Bündel von z.T. aporetischen Problemen verbunden, die an dieser Stelle unmöglich in ihrer ganzen Komplexität behandelt werden können. So bricht hier in aller Schärfe die elementare Frage nach der Möglichkeit einer adäquaten Erfassung und Repräsentation des „Anderen", des „Fremden" auf, eine Fragestellung, die über den rein anthropologischen Diskurs hinaus zahlreiche philosophische, psychologische und literarwissenschaftliche Implikationen einschließt. Ist das „Dort-Sein" in

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BURKE, Historiker, 23. Vgl. EILBERG-SCHWARTZ, Savage, 115ff. 6 N.R. PETERSEN, Rediscovering, 21 (Hervorhebung im Original). 7 VlVELO, Handbuch, 38 (Hervorhebungen im Original); vgl. dazu auch PEACOCK, Lens, 75ff. und TH. SCHWEIZER, Vergleichsverfahren, 421ff. 8 Vgl. die Angaben in Anm. 26 und 27 in § 1 (S. 21). 5

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einer fremden Kultur überhaupt möglich bzw. inwieweit ist es möglich?9 Wie lassen sich die „dort" gemachten Erfahrungen angemessen und ohne grobe Verzeichnungen ethnographisch in Texte und ins „Hier" umsetzen? Inwiefern sind dabei Verallgemeinerungen des Partikularen unumgänglich oder sinnvoll? Kurzum: Wie ist das Verhältnis des beobachtenden Subjekts zum beobachteten „Objekt", von Eigenem und Fremden, von Erfahrung und Text, von Wirklichkeit und Abbildung (Modellen), von lokalspezifischen Details und universalen Strukturen in der anthropologischen Arbeit zu bestimmen? Hierbei handelt es sich um Schlüsselprobleme der Anthropologie, die seit geraumer Zeit verstärkt diskutiert werden.10 Sie stellen sich in analoger Weise auch einer anthropologisch orientierten Exegese. Ohne ins Detail gehen zu können, sollen wenigstens die für das hier verfolgte Projekt wichtigsten Probleme aufgegriffen und im Zuge ihrer Erörterung einige grundsätzliche Perspektiven für die später durchzuführende anthropologische Exegese entwikkelt werden. Ich beginne mit Überlegungen zur Bedeutung und Funktion generalisierender Modelle.

Zur Anwendung von Modellen11

Die Arbeit mit Modellen stieß in der Anthropologie, aber auch in der biblischen Exegese wiederholt auf Kritik, so z.B. bei Susan R. Garrett. Unter Rekurs auf neuere Entwicklungen innerhalb der anthropologischen Wissenschaft kritisiert die Neutestamentlerin den modellorientierten Umgang mit biblischen Texten als unsachgemäßen „Positivismus". Modelle unterwürfen die textimmanenten sozialen Muster abstrakten Gesetzen, führten so zu Verkürzungen und vermittelten bei alledem einen falschen Schein von Objektivität. In Anlehnung an Clifford Geertz plädiert Garrett deshalb für einen „interpretativen" Ansatz, der die in die Texte eingegangenen sozialen Diskurse als symbolische Verdichtungen begreift, die einer „dichten Beschreibung" bedürfen, 9 Berühmt ist der „Fall Malinowski": Ausgerechnet der Begründer der teilnehmenden Beobachtung, der viel dazu beitrug, die sog. „Primitiven" zu rehabilitieren, offenbarte in seinen posthum veröffentlichten Tagebüchern eine erschreckende Arroganz und Ignoranz gegenüber den von ihm untersuchten Trobriandern. GEERTZ, Schriftsteller, 79 merkt dazu an: „Das Tagebuch beunruhigt, doch nicht wegen der Dinge, die es über Malinowski sagt. ... Es beunruhigt wegen der Dinge, die es über das ,Dort-Sein' sagt." 10 Vgl. nur BERG/FUCHS, Kultur; GEERTZ, Schriftsteller, 11-30.125-143; FABIAN, Time; JAMME, Gewand, 45ff.; MARCUS/FISCHER, Anthropology; s. auch GARRETT, Sociology, 91-93; GORMAN, Studies, 21. 11 Zu den folgenden Ausführungen über die Rolle von Modellen in der Wissenschaft, speziell im Bereich der Sozialwissenschaften, vgl. CARNEY, Shape, 1-43; ESLER, Community, 6-23; DERS., Introduction, 4-8; ELLIOTT, Criticism; DERS., What, 40-48; GORDON, Sister, 51f.57f.; HOLMBERG, Sociology, 12-15; M.Y. MCDONALD, Opinion, 14-17.2022.25; MOXNES, Sociology, 153-159; SCHMELLER, Exegese, 105ff.; VAN STADEN, Compassion, 152ff.; s. auch CHOW, Patronage, 28-30; M.Y. MCDONALD, Churches, 26.

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welche die Subjektivität des Interpreten bewußt mit einkalkuliert.12 Wie ist diese Kritik zu beurteilen? Zunächst sei darauf hingewiesen, daß der Gebrauch von universalisierenden Theorien und Modellen in nahezu allen Wissenschaftsbereichen zu finden ist und allein aus erkenntnistheoretischen Erwägungen heraus eine unabdingbare Notwendigkeit darstellt. Der menschlichen Wahrnehmung ist es nicht möglich, die riesige Menge an Daten, die alltäglich auf uns einströmt, in ihrer Gesamtheit aufzunehmen. Die unermeßliche Vielfalt an Phänomenen muß deshalb kognitiv gefiltert, selektiert und so reduziert werden. Allerlei psychologische und soziale Vorgegebenheiten spielen dabei eine Rolle, die hier nicht näher expliziert werden können. Festzuhalten bleibt aber, daß wir die Realität stets nur in vereinfachten, abstrahierten und verallgemeinernden Formen wahrnehmen, mit anderen Worten in Form von Modellen; ein Modell ist nämlich nichts anderes als „an abstract, simpüfied representation of some real world object, event, or interaction, construed for the purpose of understanding, control, or prediction"13. Modelle dienen gewissermaßen als heuristische Instrumente. Wenn nun aber unsere Wahrnehmung und Verarbeitung von Daten stets durch implizite Modelle strukturiert ist, wenn mithin kein biologisches, soziales oder historisches Phänomen wahrgenommen werden kann, ohne nicht schon durch eine bestimmte implizite Fragehaltung, eine Grundannahme und d.h. durch einen gewissen theoretischen Rahmen determiniert zu sein,14 so ist 12 Vgl. GARRETT, Sociology, 91-93.96f.; DIES., Demise, 33ff.; GARRETT richtet sich primär gegen die modellorientierten Arbeiten von MALINA und NEYREY; vgl. dazu die Entgegnungen bei ATKINS, Community, 35ff. und ESLER, Introduction, 4ff. Die Kontrastierung von „Positivismus" und „Interpretation" entnimmt GARRETT Ausführungen bei PEACOCK, Lens, 68-72 und MARCUS/FISCHER, Anthropology, bes. 25ff.; s. dazu auch HOLMBERG, Sociology, 12. 13 MALINA, Social Sciences, 14; vgl. DERS., Welt, 32. 14 Vgl. dazu auch MEEKS, Urchristentum, 16. An dieser Stelle eine Bemerkung zur Abgrenzung der Begriffe „Modell" und „Theorie": MALINA subsumiert unter dem Terminus „Modell" auch die großen sozialwissenschaftlichen Schulrichtungen des Strukturfunktionalismus, der Konflikttheorie und der symbolischen Interaktionstheorie (vgl. Welt, 33-38; Social Sciences, 16-19). Die Begriffe „Modell" und „Theorie" werden dabei nahezu synonym gebraucht (vgl. Welt, 32). ELLIOTT differenziert dagegen genauer. Die großen Lehrsysteme versteht er nicht als Modelle, sondern als Theorien. Modelle sind bei ELLIOTT lediglich Instrumente, mit denen Theorien arbeiten, sie sind genau gesagt „tools for transforming theories into research operations" (Criticism, 7), d.h. Werkzeuge, die die Wirklichkeit selektiv strukturieren und es so ermöglichen, hochabstrakte Theorien auf die Realität, sprich: auf ein Forschungsobjekt anzuwenden. Beispiele für solche Modelle finden sich bei ELLIOTT, What, 124-126. Zur Differenz von Theorie und Modell vgl. auch CARNEY, Shape, 7f., der ähnlich unterscheidet: „A model is something less than a theory and something more than an analogy ... A theory is based on axiomatic laws and states general principles. It is a basic proposition through which a variety of observations or statements become explicable. A model, by way of contrast, acts as a link between theories and observations. A model will employ one or more theories to provide a simplified (or an experimental or a

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es keine Frage der freien Wahl, ob man mit abstrahierenden Modellen arbeitet oder nicht. Eine Alternative besteht allenfalls darin, ob man bewußt oder unbewußt Modelle nutzt.15 Elliott, Esler und Malina beanstanden nun, daß letzteres, nämlich die unbewußte bzw. nicht klar reflektierte Verwendung von Modellen, gerade unter Exegeten und Historikern weit verbreitet sei. Sie konstatieren eine große Abneigung zumal vieler biblischer Gelehrter, die der eigenen Forschungsarbeit unausgesprochen innewohnenden Theorien und Modelle offen darzulegen.16 Exegetische Untersuchungen würden infolgedessen oft allein auf der Basis des sog. gesunden Menschenverstandes, der Intuition oder, wie Elliott es formuliert, der „educated guesses" durchgeführt.17 Gerade so komme es aber zu den oben beschriebenen ethnozentrischen Anachronismen in der Exegese. Esler illustriert dies wie folgt: „Whenever New Testament critics discuss textual features in terms such as .family', ,class', polities', ,power', ,religion', .personality', .conscience', or .boundarymarkers', they are employing models, although usually implicit and unrecognized ones deriving from modern experience quite remote from biblical culture, with the inevitable risk of ethnocentric and anachronistic readings."18 Prinzipiell sollte es ohnehin zu den Grundsätzen wissenschaftlicher Redlichkeit und Objektivität gehören, die der eigenen Forschung unterlegten theoretischen Voraussetzungen und Modelle unverhohlen zu benennen. Ein expliziter Modellgebrauch erleichtert in jedem Fall die Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Studien, da so den Lesern die Chance eröffnet wird, die in der Untersuchung erlangten Ergebnisse anhand des Modells eigenständig zu verifizieren bzw. zu falsifizieren. Darüber hinaus bietet er anderen die Möglichkeit, „to employ and experiment with the method and the models for themselves rather than submit to the impressive but inimitable inspirations of the , great teacher'" 1 ^ generalized or an explanatory) framework which can be brought to bear on some pertinent data." 15 Vgl. CARNEY, Shape, 5; ELLIOTT, What, 42; ESLER, Introduction, 4; GAGER, BodySymbolism, 347f.; HOLMBERG, Sociology, 13f. 16 Vgl. ELLIOTT, What, 42; ESLER, Community, 15; MALINA, Social Sciences, 21; s. auch A.F. SEGAL, Convert, 21. Bezogen auf die Geschichtswissenschaften s. FLNLEY, History, 66. " ELLIOTT, What, 42. 18 ESLER, Introduction, 4. Wie stark Forschungsergebnisse gerade bei der Analyse fremder Kulturen von dem jeweils gewählten theoretischen Rahmen bzw. Kontext abhängen, notiert KIPPENBERG, Erlösungsreligionen, 488; er bezieht sich ebd. auf den britischen Sozialphilosophen E. GELLNER. " ELLIOTT, What, 48. Unter Berufung auf M. WEBER fordert ähnlich auch ZERUBAVEL, Rhythms, xvi: „... scholars ought to have the necessary discipline to tell their readers where their biases lie"; vgl. ferner GAGER, Body-Symbolism, 346f.

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Ergibt sich somit, daß Modelle in der wissenschaftlichen Arbeit letztlich nicht zu eliminieren sind, so ist nun andererseits die oben formulierte Skepsis von Susan Garrett insoweit zu berücksichtigen, als die Verwendung generalisierender Modelle in der Tat auch Gefahren in sich birgt. Ein erstes Problem besteht darin, daß Modelle aufgrund des hohen Abstraktionsgrades ihrerseits dazu verleiten, die kulturspezifischen Eigenheiten des Forschungsgegenstandes zu verwischen, was gemeinhin grobe Fehlschlüsse zur Folge hat. Vor diesem Hintergrund gibt Cyril Rodd zu bedenken: „... the liability to error is increased when theories that operate at a high level of abstraction are applied directly and in their totality to a narrow and highly specific situation."20 So ist bei einer modellorientierten Analyse spezifischer Phänomene stets ein gewisses Risiko gegeben, daß weniger das Phänomen erhellt als vielmehr die Relevanz des Modells bestätigt wird. Die Gefahr von Verzerrungen und Irrtümern ist besonders hoch, sobald es durch die Anwendung universaler Konzepte zu einer vorschnellen Angleichung antiker und moderner Kulturen kommt. Dies geschieht zumal dann, wenn das in Dienst genommene Modell ausschließlich aus der Analyse zeitgenössischer Kulturen abgeleitet und unreflektiert auf die vergangenen Kulturen biblischer Texte übertragen wird.21 Doch kann man dieser Problematik nicht durch einen grundsätzlichen Modellverzicht entfliehen: „The solution lies not in eliminating abstraction and generalization altogether - an impossible as well es unnessecary option - but in clarifying the specific social phenomenon to be analyzed and employing a model appropriate to that level of particularity."22 Dementsprechend sollte darauf geachtet werden, ob ein Modell dem spezifischen Untersuchungsgegenstand mit seinen speziellen Eigentümlichkeiten gerecht wird, ebenso, ob es diesen zu erschließen vermag, ohne daß dabei extreme Modifikationen des Modells nötig werden, die dessen Anwendung als solche unsinnig werden lassen. Von daher eignen sich im wesentlichen nur solche Konzeptualisierungen für die biblische Exegese, die möglichst nicht ausschließlich an modernen westlichen Kulturen entwickelt wurden, sondern zumindest auch an einer der biblischen Kultur vergleichbaren Gesellschaft. Die hier geforderte Sorgfalt darf indes nicht den Blick dafür verstellen, daß eine gegenüber ihrem eigenen, impliziten Modellgebrauch blinde Bibelexegese in einem weitaus größerem Maß der Gefahr ethnozentrischer Anachronismen ausgeliefert ist. Eine zweite Schwierigkeit ergibt sich nach Ansicht vieler biblischer Forscher daraus, daß sozialwissenschaftliche Konzepte oft auf unqualifizierte Weise verwendet werden, nämlich als Steinbruch bzw. als Füllsel bei man20 21 22

RODD, Applying, 104. Vgl. dazu GARRETT, Sociology, 93; STOWERS, Social Sciences, 151. ELLIOTT, What, 96; vgl. zu der hier verhandelten Problematik auch die Auseinander-

s e t z u n g m i t JUDGE b e i ESLER, C o m m u n i t y , 1 3 - 1 6 .

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gelndem Datenmaterial. Zudem würden mitunter in der Fachdiskussion bereits überholte Modelle verarbeitet bzw. nicht kompatible unreflektiert kombiniert.23 Diese Vorwürfe schließen freilich die Verwendung globaler Konzepte in der Exegese nicht aus, sondern mahnen lediglich zu einem verantwortungsvollen und zeitgemäßen Umgang mit diesen.24 Schließlich noch ein Wort zum Thema „Objektivität" und zu Garretts Positivismusvorwurf. Sozialwissenschaftliche Modelle sind selbstverständlich keine eisernen, unverrückbaren Gesetze mit positivistischem Wahrheitsanspruch. Ihnen wird für gewöhnlich auch von ihren Anwendern keineswegs die gleiche Objektivität zugeschrieben wie etwa Naturgesetzen. Sie gelten vielmehr als „cognitive maps"25, die lediglich einen Orientierungs- und Verstehensrahmen vorgeben, der es ermöglicht, bestimmte Phänomene neu oder anders zu erfassen. Garretts Kritik an einem rein positivistischen Modellgebrauch ist von daher eine Überzeichnung, die der üblichen Praxis modellorientierter Exegese nicht gerecht wird. Ganz in diesem Sinn unterstreicht auch Esler gegenüber Garrett, Exegeten, die mit sozialwissenschaftlichen Modellen arbeiten, „certainly do not claim that there are social laws, or that their results are .objectively valid' ... No ontological status is accorded to the models; they are seen merely as heuristic tools ... Social-scientific modelling yields insight rather than necessarily embodying truth."26 Der Gebrauch von Modellen ist also in aller Regel heuristisch motiviert und nicht positivistisch ausgerichtet.27 Garrett konzediert im übrigen selbst, ihre Beanstandung „ought not to be taken as warrant for abandoning all use of social scientific perspectives and models in the study of early Christianity. Such perspectives and models have already suggested new and productive lines of inquiry and explanation .. ,"28 Am Ende sind modellhafte Abstraktionen eben auch bei dem von Garrett durchaus mit Recht bevorzugten „interpretativen" Ansatz unumgänglich, wie sie selbst zugesteht.29 Alle diese Erwägungen führen zu einer doppelten Erkenntnis: einerseits zur Einsicht in die Unabdingbarkeit von Modellen, andererseits zur Einsicht in die Notwendigkeit eines sorgsam reflektierten, dem Untersuchungsgegenstand mit seinen Besonderheiten möglichst angemessenen Umgangs mit diesen.

23

Zu den genannten Bedenken vgl. RODD, Sociology, 639; STOWERS, Social Sciences, 151.162; HOLMBERG, Sociology, 15; ESLER, Community, 14; RICHTER, Approaches, 83 (mit Blick auf KEE); J.Z. SMITH, Too much, 127 (mit Blick auf GAGER). 24 Vgl. dazu die Leitlinien bei MAUNA, Social Sciences, 22 und WILSON, Approaches, 28f. 25 ELLIOTT, What, 43. 26 ESLER, Introduction, 7. 27 Zur heuristischen und erklärenden („explanatory") Funktion von Modellen vgl. auch ELLIOTT, What, 44. 28 GARRETT, Sociology, 93. 29 Vgl. ebd., 92f.; zum GEERTZschen interpretativen Ansatz s. unten Näheres.

Zur Anwendung anthropologischer Forschung und Methodik

31

Daraus ergibt sich, daß die Arbeit mit generalisierenden Modellen keinesfalls von partikularen, kulturspezifischen Analysen befreit. Universalisieren

und Partikularisieren,

Etik und Emik

Was James L. Peacock für die Anthropologie konstatiert, nämlich: „particularizing and generalizing at the extremes - these are the dual features of anthropology ..." 30 , das sollte auch für eine anthropologisch ausgerichtete Exegese gelten. Anders gesagt, die Übernahme globaler anthropologischer Modelle und Theorien in der Exegese muß stets mit einer klaren Berücksichtigung relevanter kulturspezifischer Analysen Hand in Hand gehen. Beides gehört aufs engste zusammen, ja beide Komponenten anthropologischer Forschung lassen sich - ganz auf der Linie der eben angestellten Überlegungen im Grunde nur künstlich trennen. Zum einen ist nämlich jeder auf Feldforschung basierenden kulturspezifischen Untersuchung unweigerlich ein gewisser theoretischer Rahmen, ein Modell zugrundegelegt - zumindest implizit; Beobachtung ist eben schon immer auch Auswahl und damit Konstruktion.31 Zum anderen macht die Arbeit mit anthropologischen Modellen nur dann Sinn, wenn sie der Zeit- und Kulturgebundenheit des jeweils zu untersuchenden Phänomens möglichst genau Rechnung trägt. So kommt es in der Anthropologie zu dem, was Clifford Geertz das „dialektische Lavieren zwischen kleinsten lokalspezifischen Details und umfassendsten Strukturen"32 genannt hat. Am Beispiel differierender Personkonzeptionen erläutert Geertz diesen Zusammenhang wie folgt: „Beim Versuch, das javanische, balinesische und marokkanische Selbstgefühl zu entdecken, pendelt man unablässig hin und her zwischen exotischen Details (lexikalischen Antithesen, kategorialen Schemata, morpho-phonemischen Transformationen) einerseits, die das Lesen selbst der besten ethnographischen Monographien mühsam gestalten, und verwaschenen Charakterisierungen (,Quietismus', .Theatralik', ,Kontextualität') andererseits, die solche Untersuchungen - abgesehen vielleicht von den trockensten - irgendwie unplausibel machen. So springen wir ständig 30 PEACOCK, Lens, 75; s. auch N.R. PETERSEN, Rediscovering, 21: „Anthropology is traditionally devoted to the study of both the cultures relative to individual societies and cultural universals. It is both relativistic and universalistic." Vgl. dazu auch DOUGLAS, Ritual, 4-7. 31 Vgl. PEACOCK, Lens, 66: „Description is also interpretation, for one categorizes and labels - indeed, constructs - his data even as he .records' them. Ethnographic research is sometimes termed, too simply, as .collecting data'. Why is this too simple? Because the ethnographer does not simply gather facts, as a botanist might gather plants or an archaeologist postherds. The ethnographer's mind is not a bucket or basket, but a searchlight. One seeks and highlights, notices this but not that"; vgl. auch STOWERS, Social Sciences, 168: „... observation cannot be sharply distinguished from theory"; s. femer A. JONES, Quellen, 102. 32 GEERTZ, Beschreibung, 307.

32

Zur Anwendung anthropologischer Forschung und Methodik

von einer Seite auf die andere, betrachten das Ganze aus der Perspektive seiner Teile, die ihm zu Lebendigkeit und Nähe verhelfen, und die Teile aus der Perspektive des Ganzen, aus dem sie verständlich werden. Wie ein perpetuum mobile wollen wir ständig eins aus dem anderen erklären. All das ist natürlich nichts anderes als die mittlerweile wohlbekannte Denkfigur, die Dilthey hermeneutischen Zirkel nannte, und mir geht es hier nur darum zu zeigen, daß sie ethnographischen Deutungen ... ebenso zugrunde liegt wie literarischen, historischen, philologischen, psychoanalytischen oder biblischen Deutungen .. ,"33 Auf die hier am Ende des Zitats ins Spiel gebrachte, über die Hermeneutik vermittelte Beziehung zwischen Anthropologie und Textinterpretationen („literarische und biblische Deutungen") werde ich gleich noch näher eingehen. An dieser Stelle sei zunächst darauf hingewiesen, daß die anthropologische Forschung der von Geertz beschriebenen Dialektik zwischen lokalspezifischer und ganzheitlicher Perspektive im allgemeinen mit der methodischen Unterscheidung zwischen emischen und etischen Kategorien und Analysen begegnet.34 Das Begriffspaar „emisch/etisch" leitet sich aus der in der Linguistik gebräuchlichen Differenzierung zwischen „phonemischer" (Lehre von der Lautbildung und der materiellen Analyse sprachlicher Laute) und „phonetischer" (Lehre von den Sprachlauten unter dem Aspekt ihrer Funktion im Sprachsystem) Analytik ab. Inhaltlich geht es darum, daß man bei der Beschreibung menschlicher Vorstellungs- und Verhaltensmuster jeweils sorgfältig die Standpunkte des Beobachters und der Beobachteten auseinanderzuhalten hat. Emische Analysen zielen darauf, das Verhalten und die Weltsicht der Beobachteten, ihre kulturellen Muster, so wiederzugeben, wie diese sie selbst empfinden und verstehen. Der emische Ansatz versucht folglich, „die Kategorien und Regeln zu erforschen, die man kennen muß, will man wie ein Angehöriger der entsprechenden Kultur denken und handeln"35. Demgegenüber arbeiten etische Analysen mit Kategorien, die dem Beobachter eigen sind, d.h. mit wissenschaftlichen Theorien und Modellen, die von außen an die zu untersuchende Kultur herangetragen werden, um die Ursachen von Glaubens- und Verhaltensmustern der Beobachteten zu eruieren. Die hier zum Einsatz gebrachten wissenschaftlichen Kategorien und Regeln sind also den Angehörigen der fremden Kultur nicht vertraut. Dabei können etische Analysen aber gerade auch dann wertvoll sein, wenn sie die indigenen Informanten abweisen würden.36 33

Ebd. GEERTZ selbst bevorzugt in diesem Zusammenhang im Anschluß an die Terminologie des Psychoanalytikers H. KOHUT die Rede von „erfahrungsnahen" und „erfahrungsfernen" Kategorien; vgl. ebd., 291; s. dazu MARCUS/FISCHER, Anthropology, 30f. 35 HARRIS, Kulturanthropologie, 27. 36 Dies demonstriert HARRIS, Kulturanthropologie, 27f. am Beispiel des ,Rindertötens' unter südindischen Bauern. HARRIS' Thesen zur Emik und Etik sind allerdings innerhalb 34

Zur Anwendung anthropologischer Forschung und Methodik

33

Auch wenn innerhalb der anthropologischen Methodendiskussion gelegentlich Emik und Etik gegeneinander ausgespielt werden und man in unterschiedlicher Weise eine Komponente zugunsten der jeweils anderen negiert, 37 so wird man doch in Anbetracht der bisherigen Ausführungen eher von einer Komplementarität beider Standpunkte ausgehen dürfen. Eine rein emische Analyse ist danach ebenso wenig möglich wie eine rein etische sinnvoll. 38 „Consequently, many anthropologists hold that the best strategy is one that deploys emic and etic categories together. The use of emic and etic categories conjoined is said to permit the investigator best to comprehend what alien people think they are doing and why they think they are doing i t . . ." 39 Damit kann folgendes Fazit gezogen werden: Sowohl in der Anthropologie wie entsprechend auch in der anthropologisch orientierten Exegese kommt es auf die rechte Balance zwischen Universalisieren und Partikularisieren an. Eine fundierte anthropologisch inspirierte Exegese wird universale ethnologische Modelle ebenso zu berücksichtigen haben wie kulturspezifische ethnographische Analysen, d.h. in diesem Fall primär Forschungsergebnisse aus der Anthropologie des mediterranen Raums. Die Texte des Alten und Neuen Testaments sind demnach wechselweise aus etischer wie aus emischer Perspektive zu beleuchten. Oder wie es Alan F. Segal ausdrückt: „Good exegesis demands an attempt to approximate the emic vocabulary and the meanings that the informant would have investeted in [gemeint sind das biblische Textmaterial und die biblischen Autoren]. But analysis of religious experience demands broader categories as well." 40 Dieser duale Methodenansatz gewährleistet wohl am ehesten eine Deutung biblischer Texte, die ethnozentrischen Anachronismen - so weit dies möglich ist - aus dem Weg geht und dabei gleichwohl den Menschen unserer Kultur verständlich bleibt. Zusätzlich gerechtfertigt wird dieser Ansatz, pflichtet man der Überzeugung Frank Robert Vivelos und anderer Anthropologen bei, daß die verschiedenen Kulturen dieser Welt der Anthropologie umstritten; vgl. dazu FELEPPA, Emics, 244ff. Zur Anwendung der Unterscheidung in der biblischen Exegese s. ROGERSON, Old Testament, 261ff.; A.F. SEGAL, Convert, 21; VAN STADEN, Compassion, 69-72. 37 Zu der komplexen Diskussion um Emik und Etik innerhalb der Anthropologie vgl. FELEPPA, Emics, 243-250 samt der im Anschluß abgedruckten Diskussion ebd., 25 Iff. 38 Vgl. dazu SALMOND bei FELEPPA, ebd., 252: „Most anthropological research is intercultural ... and all requires dialogue. In practice, both subjects' and inquirer's notions of the world are on call in anthropological exchanges. The difference between etics and emics rests in attitudes of theoretical privilege: in etics, inquirer's interests and conceptions are cast as preeminent in analysis, and in emics, subjects' interests and patterns of practice are held in focus. Yet even in etics, subjects' answers (in speech or other forms of practice) to the anthropologist's questions are material to the project of explanation, and even in emics, the anthropologist's questions and project of understanding are material to the way that conversations and analysis proceed." 39 G a r r e t t , Sociology, 93. 40 A.F. S e g a l , Convert, 21; vgl. dazu auch den methodischen Ansatz bei CROSSAN, Jesus, 28f.; DERS., Leben, 14ff.

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Zur Anwendung anthropologischer Forschung und Methodik

und ihrer Geschichte neben einer jeweils partikularen Identität zumindest auch einige universale Gemeinsamkeiten teilen.41 Mit diesen Leitlinien sind freilich noch nicht alle Schwierigkeiten einer anthropologisch orientierten Exegese aus der Welt geschafft. Insbesondere das elementare Problem der differierenden Forschungsobjekte anthropologischer und exegetischer Wissenschaft harrt noch einer Klärung. Während sich nämlich die moderne Anthropologie qua Feldforschung vorwiegend mit dem sozialen Leben selbst auseinandersetzt, ist die Exegese auf die Analyse von Texten beschränkt, die soziales Leben und kulturelle Vorstellungsmuster nur mittelbar spiegeln. Von daher ist zu fragen, inwiefern und inwieweit sich Erkenntnisse und Theorien anthropologischer Forschung überhaupt mit dem Textstudium biblischer Exegese vertragen bzw. vernünftig verbinden lassen.

Anthropologie

und

Text/Literatur

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß auch die Anthropologie in mehrerlei Hinsicht mit Texten bzw. mit Literatur zu tun hat. Hier sind m.E. vier Ebenen zu beachten: 1. Anthropologisches Quellenstudium: Auch wenn die im 19. Jh. geläufige Praxis, anthropologische Forschung auf der alleinigen Grundlage von Reiseberichten zu betreiben, durch den Siegeszug der Feldforschung obsolet wurde, so spielt doch die Auswertung schriftlicher Zeugnisse nach wie vor eine nicht unerhebliche Rolle. Das für Anthropologen relevante Quellenmaterial umfaßt dabei (a) schriftliche Zeugnisse, die direkt der jeweils erforschten Kultur entstammen, (b) Transkriptionen mündlicher Quellen (z.B. Gerichtsakten), (c) Notizen und Schriften von Händlern, Verwaltungsbeamten oder Missionaren, (d) Schriften von Anthropologen und anderen Wissenschaftlern über bestimmte Kulturen (vgl. dazu Punkt 3) 42

41

Vgl. VLVELO, Handbuch, 39: „Die Geschichte jeder gegebenen Gesellschaft ist dieser Gesellschaft eigentümlich, ganz genau wie die Lebensgeschichte eines bestimmten Einzelmenschen. Doch haben sowohl menschliche Gesellschaften als auch menschliche Einzelwesen als Mitglieder einer Gattung, d.h. einer taxonomischen Kategorie, einige allgemeine Attribute miteinander gemein ... Wogegen ich hier polemisiere, ist die ... Auffassung, daß jede Gesellschaft als etwas Besonderes, Einzigartiges behandelt werden müsse, das nicht wirklich vergleichbar sei mit dem, was andere menschliche Gesellschaften zu anderen Zeiten und an anderen Orten getan oder geglaubt haben." MALINA, Welt, 22f. argumentiert, daß Menschen ihrem Personsein nach absolut verschieden seien, ihrer biologischen Natur nach im wesentlichen identisch, ihrer Kultur nach aber zu je 50% verschieden und identisch. Vgl. dazu auch die Apologie des kulturvergleichenden Verfahrens bei ELLBERGSCHWARTZ, Savage, 87-102. 42 Ich folge mit dieser Unterteilung der Quellengattungen A. JONES, Quellen, 104f.; ebd. finden sich auch nähere Ausführungen zu den einzelnen Textkategorien; vgl. auch HABERLAND, Historische Ethnologie, 321ff.

Zur Anwendung anthropologischer Forschung und Methodik

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2. Literaturethnologie („literary anthropology"): Während der letzten zwei Jahrzehnte ist eine zunehmende Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Anthropologie und Literaturwissenschaft zu erkennen. Unter dem Label „literary anthropology" widmen sich Vertreter beider Bereiche einer anthropologisch orientierten Erforschung literarischer Werke. Ausgewählte Texte, vorzugsweise Romane, werden als ethnographische Dokumente gelesen, die in verschiedenster Hinsicht Aufschluß über die jeweils zugrundeliegende Kultur geben.43 Näherhin lassen sich bei der „literary anthropology" zwei Ansätze ausmachen. Zum einen wird Literatur schlicht als objektive Quelle anthropologisch bedeutsamer Informationen gesehen und verwertet. Zum anderen setzt man bei den Schriftstellern an und untersucht Werte und Einstellungen, die unterhalb der Textoberfläche in das literarische Werk eingeflossen sind, um so einen Zugriff auf kulturelle Codes zu erhalten, die die jeweiligen Autoren mit anderen Mitgliedern ihrer Kultur teilen.44 3. Die literarische Arbeit des Anthropologen (Ethnographien): In jüngerer Zeit haben sich zahlreiche Anthropologen selbstkritisch mit der ethnographischen Arbeit ihrer eigenen Disziplin auseinandergesetzt und begonnen, diese nach literaturwissenschaftlichen Maßstäben zu beurteilen. Dabei stellte sich heraus, „daß viele Ethnographien formal an die realistische Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts angelehnt sind und wie diese eine Geschichte erzählen, eine Fabel haben"45. Mehr und mehr trat so die schriftstellerische Komponente anthropologischer Tätigkeit ins Bewußtsein. Wie dieser Sachverhalt zu bewerten ist, inwieweit Ethnographie zwangsläufig literarische Elemente integrieren muß und welche Möglichkeiten insgesamt gegeben sind, ethnographische Texte ihrem Gegenstand angemessen zu gestalten, wird derzeit intensiv diskutiert 46 4. Kultur als Text („interpretive anthropology"): Im Rahmen des sog. „interpretive turn" innerhalb der anthropologischen Wissenschaft der 60er und 70er Jahre - gemeint ist der Aufstieg der „interpretive anthropology"47 - hat Clifford Geertz die bekannte Metapher von der Kultur als Text etabliert.48 Danach gleicht die Analyse soziokultureller Ausdrucksformen der Interpretation eines literarischen Textes, wobei Kultur als ein Gewebe von Bedeutungen verstanden wird.

43 Vgl. dazu die Hinführungen bei POYATOS, Introduction und ASHLEY, Introduction; s. auch das Neun-Punkte-Programm von ENNINGER in POYATOS, Symposium, 332. 44 Vgl. dazu BOTSCHAROW in POYATOS, Symposium, 337f. 45 SCHMITT, Essen, 4. 46 Vgl. CLIFFORD/MARCUS, Writing; GEERTZ, Schriftsteller; MARCUS/FISCHER, Anthropology. Weitere Literatur findet sich bei SCHMITT, Essen, 4. 47 Näheres dazu bei MARCUS/FISCHER, Anthropology, 25ff.; s. auch ATKINS, Community, 23ff.; PEACOCK, Lens, 65ff.98ff. 48

V g l . GEERTZ, Beschreibung, 2 5 3 f f .

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Zur Anwendung anthropologischer Forschung und Methodik

Auf allen vier explizierten Ebenen zeichnen sich mehr oder minder Berührungspunkte zwischen anthropologischer Forschung und biblischer Exegese ab, die einen Austausch zwischen beiden Disziplinen sinnvoll erscheinen lassen. Die Anthropologie arbeitet nicht nur wie die Exegese auf unterschiedlichen Ebenen mit Texten differierender Gattungen (Punkt 1 bis 3), sie hat darüber hinaus vor allem mit hermeneutischen Fragestellungen zu tun, die mutatis mutandis auch für die biblische Exegese gelten (Punkt 4). Darauf soll zum Schluß noch etwas ausführlicher eingegangen werden. Zunächst sei dazu nochmals auf den Ansatz von Clifford Geertz Bezug genommen, Anthropologie als deutende Wissenschaft zu begreifen. Geertz vergleicht in diesem Zusammenhang die Arbeit des Ethnographen direkt mit der eines Exegeten. Er schreibt: „Ethnographie betreiben gleicht dem Versuch, ein Manuskript zu lesen (im Sinne von ,eine Lesart entwickeln'), das fremdartig, verblaßt, unvollständig, voll von Widersprüchen, fragwürdigen Verbesserungen und tendenziösen Kommentaren ist, aber nicht in konventionellen Lautzeichen, sondern in vergänglichen Beispielen geformten Verhaltens geschrieben ist."49 Und an anderer Stelle heißt es: „Die Untersuchung der Kulturformen findet ihre Parallelen nicht mehr im Sezieren eines Organismus, im Diagnostizieren eines Symptoms, in der Dechiffrierung eines Codes oder im Anordnen eines Systems - wie die vorherrschenden Analogien in der gegenwärtigen Ethnologie lauten - , sondern gleicht eher dem Durchdringen eines literarischen Textes."50 Die Tätigkeit des Anthropologen stimmt demnach im Kern mit der des Exegeten überein: Hier wie dort geht es im wesentlichen um Deutung. Zwar macht es durchaus einen Unterschied, ob man einen javanischen Informanten befragt bzw. an einem balinesischen Hahnenkampf beobachtend teilnimmt oder ob man einen antiken Text auslegt. Doch der unmittelbare Zugang der Anthropologen zu ihrem Forschungsobjekt entbindet diese nicht von der Aufgabe der Interpretation des Erlebten oder Gehörten. Darin ähneln sie den Exegeten.51 Susan Garrett hat die von Geertz eingebrachte Kongruenz zwischen Kulturanalyse und Textanalyse, zwischen Ethnographie und Exegese wie folgt noch weiter ausgeführt: „... the ethnographer, like the literary critic, must pay close attention to symbolic forms and social relationships; must interpret the whole in relationship to the parts and vice versa; must highlight recurring patterns in the text; must show how an action performed or

49

GEERTZ, Beschreibung, 15. Ebd., 253. 51 „Both the textual scholar and the anthropologist are confronted with the difficult task of appropriating that which is alien or not one's own. Despite the fact that anthropologists frequently work outside their home environments and are generally able to enter into dialogue with their objects, which are also subjects, the process that characterizes the comprehension of human actions and cultural products is not essentially different from the interpretation of a text as a life expression" (ULIN, Understanding, 92). 50

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a word spoken in one place articulates, replicates, or confirms what is depicted elsewhere."52 Parallelen zwischen Anthropologie und Exegese ergeben sich darüber hinaus, wenn man auf den Prozeß der Verarbeitung des in der Feldforschung gewonnenen Materials zu einem ethnographischen Werk achtet. Egal wie intensiv auch immer die Feldforschung betrieben wurde, der Ethnograph ist in dieser Phase gezwungen, aus „Feldnotizen", d.h. letztlich wiederum aus Texten, sein Bild der fremden Kultur, seine Interpretation dieser Kultur in einer kohärenten und logischen Form darzubieten. Anthropologische Kulturanalysen sind insofern nicht nur im übertragenen Sinn, sondern faktisch schriftstellerische Arbeit mit und an Texten und darin exegetischen Untersuchungen ähnlich. Dies gilt vor allem dann, wenn Anthropologen Ethnographien wiederum als Grundlage der eigenen Forschung benutzen.53 Noch ein weiterer Gesichtspunkt ist in diesem Zusammenhang zu bedenken: Anthropologische Daten bedürfen nicht nur Texten vergleichbar der Deutung, sie sind vielmehr ihrerseits schon Interpretationen. Der häufig verwendete Begriff des „Datenmaterials" ist insofern problematisch, als er den falschen Eindruck erweckt, eine Kultur bestünde aus einem Reservoir objektiver, unzweideutiger Fakten, die nur gesammelt und zusammengestellt werden müßten. Demgegenüber betont Geertz in seiner inzwischen klassischen Formulierung, „daß ... das, was wir als unsere Daten bezeichnen, in Wirklichkeit unsere Auslegungen davon sind, wie andere Menschen ihr eigenes Tun und das ihrer Mitmenschen auslegen"54. Auch in diesem Punkt gleichen sich Anthropologie und exegetische Analyse: So wie Anthropologen die Deutung der soziokulturellen Wirklichkeit durch ihre Informanten bzw. durch ein bestimmtes Handeln (z.B. ein Ritual) interpretieren, so interpretieren Exegeten die Deutung der Wirklichkeit durch die biblischen Schriftsteller. Das Verhältnis der Anthropologen zu ihren Informanten (bzw. zu beobachteten Vollzügen) entspricht in etwa dem der Exegeten zu den alt- und neutestamentlichen Autoren.55 Ungeachtet dieser hermeneutischen Entsprechung muß freilich eingeräumt werden, daß Anthropologen mehr Zugänge offenstehen, Ursachen und Zusammenhänge bestimmter kultureller Phänomene zu ergründen. Sie können spezielle Rückfragen an ihre Informanten richten, wiederholt an bestimmten 52

GARRETT, Demise, 5. Vgl. MATTHEWS/BENJAMIN, Sciences, 17: „... anthropology is no less text-based than biblical... studies. One relies on the ethnographies composed by skilled modern observers, the other on texts from the ancient world." 54 GEERTZ, Beschreibung, 14; s. dazu auch EILBERG-SCHWARTZ, Savage, 21; GARRETT, Demise, 8; A. JONES, Quellen, 102; PEACOCK, Lens, 99f. 55 PEACOCK, Lens, 100 hält mit Blick auf die Anthropologie fest: „What is significant is the vision of someone's (the native's) existence through the sensibilities of someone else (the ethnographer) in order to inform and enrich the understanding of a third party (the reader or listener)." Diese Beurteilung läßt sich durchaus auf das Verhältnis Schrift - Exeget - Leser übertragen. 53

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Zur Anwendung anthropologischer Forschung und Methodik

Vorgängen teilnehmen und Ereignisse durch Befragung mehrerer Betroffener aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Die Möglichkeiten der biblischen Exegese sind im Vergleich dazu ziemlich eingeschränkt. Das Neue Testament etwa, oder noch spezieller das Corpus Paulinum, stellt nur ein begrenztes Potential an möglichen Informationen zur Verfügung, ein Potential, das überdies nicht mehr durch direkte Befragungen erweitert werden kann.56 Doch macht diese Problematik eine anthropologisch orientierte Exegese keineswegs überflüssig. Schließlich ist es nicht Aufgabe der Exegese, mit Hilfe biblischer Texte ein erschöpfendes, einer Ethnographie gleichkommendes Bild der jeweils bestimmenden Kultur zu ermitteln. Vielmehr obliegt es ihr, ein möglichst adäquates Erfassen der Texte respektive ihrer theologischen Deutung der Wirklichkeit zu eröffnen. Dazu aber bedarf es der Kenntnis prägender kultureller Symbole, Einstellungen, Werte usw., denen gerade über eine anthropologisch ausgerichtete Untersuchung nicht allein biblischer, sondern auch außertestamentlicher Texte bzw. über eine Berücksichtigung geeigneter anthropologischer Modelle auf die Spur zu kommen ist. Die dargelegten Korrespondenzen dürften zur Genüge gezeigt haben, daß ein Austausch zwischen der auf Feldforschung fußenden anthropologischen Wissenschaft und dem Textstudium der Exegese durchaus möglich ist. Auch wenn das primäre Forschungsziel divergieren mag - hier das Verständnis einer fremden Kultur, dort das Erfassen von Texten - , die aufgewiesenen Parallelen signalisieren, daß ein gewinnbringender Dialog zwischen beiden Disziplinen geführt werden kann.

Theologie und Anthropologie Abschließend sei noch kurz der immer wieder vorgetragene Vorwurf des Reduktionismus besprochen. Gemeint ist die Befürchtung, eine sozialwissenschaftlich orientierte Exegese würde letztlich dazu führen, Theologie auf Anthropologie zu reduzieren, d.h. theologische Aussagen nicht mehr als solche wahrzunehmen, sondern sie als Vehikel für rein anthropologische Feststellungen zu mißbrauchen.57 Dem läßt sich mit Elliott entgegenhalten: „Social scientific criticism does not reduce the focus of attention; rather it expands it. It does not eliminate at the outset the validity of claims concerning the existence 56 Zur Problematik der schmalen „Datenbasis" s. auch ELLIOTT, What, 92f.; MALINA, Social Sciences, 19f.; vgl. ferner allgemein WINKLER, Eros, 24f. 57 Solche Ängste sind verständlich, ruft man sich in Erinnerung, daß die Anthropologie zumal in ihren Ursprüngen durch eine äußerst religionskritische Einstellung geprägt war. ARBUCKLE, Theology, 428 schreibt dazu: „Anthropology has its origins in an atmosphere of Comtism, utilitarianism, agnostic biblical criticism, and the beginnings of comparative religion, an atmosphere which in no way was favorable to religion."

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of God, the resurrection of Jesus, or the action of the Spirit as irrelevant to exegetical and historical investigation. It rather asks under which conditions such beliefs are plausible and persuasive, which persons and groups hold which beliefs, and what were the social consequences of such beliefs. This method in no way denies or ignores the validity of religious ideas but asks what they meant in their own context.'^ Umgekehrt gilt, daß eine mehr idealistisch bzw. rein theologisch geprägte Exegese ihrerseits dem Risiko zu unterliegen droht, reduktionistisch vorzugehen, wenn sie die soziokulturelle Einbindung des Kerygmas ausblendet; auf diese Weise nimmt sie die Inkarnation nicht in ihrem vollen Umfang ernst. Carolyn Osiek bemerkt nachdrücklich: „Rather than treat theology reductionistically, social science analysis saves it from the docetist, dualist tendency to split off social realities from revelation."59 Die in diesem Paragraphen referierten Legitimationsgründe für eine anthropologisch orientierte Exegese sowie die dabei entwickelten Leitlinien begründen die weitere Verfahrensweise in dieser Arbeit. Den Überlegungen zum Gebrauch von Modellen folgend, werde ich zunächst die Ritual- und Gesellschaftstheorie Victor Turners vorstellen; sie bildet die wesentliche Grundlage der späteren Analyse paulinischen Denkens und Theologisierens. Turners Globaltheorie wird dabei - gemäß den obigen Ausführungen zu einem dualen methodischen Ansatz - bereits durch ihre Anwendung auf die paulinischen Texte partikularisiert und darüber hinaus durch die Koppelung mit anderweitig verfügbaren Informationen zur mediterranen Kultur sowie mit spezielleren Erkenntnissen der anthropologischen Erforschung der Mittelmeerkulturen in spezifischer Weise gefüllt werden. Universalisierung und Partikularisierung, etische und emische Perspektive stehen somit in dieser Arbeit Seite an Seite. Dem grundsätzlichen Problem des hermeneutischen Zirkels und der damit verbundenen Unmöglichkeit einer völlig neutralen Beobachtung bzw. Auslegung kann man freilich auch so nicht entgehen; stets gilt hier, „daß das Fremde letztlich immer auch wir selbst sind"60. Dies ist eine crux, der jede Interpretation ausgeliefert ist. Dennoch kann eine von der Anthropologie lernende Exegese vielleicht zu einem reflektierteren Umgang mit der Fremdheit der Texte führen, indem sie sich das Problem ethnozentrischer Anachronismen bewußt vor Augen hält, um so dieser Gefahr zumindest graduell auszuweichen.

58

ELLIOTT, What, 91. OSIEK, Social Sciences, 89; vgl. zur Thematik des Reduktionismus auch MEEKS, Urchristentum, 12ff.; BARTON, Approaches, 893; MALINA, Social Sciences, 19; ESLER, Community, 12f.; SCROGGS, Interpretation, 166; RODD, Sociology, 638. 60 JAMME, Gewand, 49 (im Anschluß an B. WALDENFELS). 59

II. Victor Turners prozessuale Anthropologie und die Ritualforschung „In ritual ,true personhood' and ,true community' are rediscovered." (E.M. Zuesse, Meditation on Ritual)

§ 3 Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners Der 1920 in Glasgow geborene Anthropologe Victor Turner begann seine ethnologischen Studien mit Feldforschungen bei den Ndembu, einem afrikanischen Stamm in Nordwest-Sambia. Auf der Grundlage dieser Felderfahrungen entwickelte er nach und nach eine umfassende und vielfach anerkannte Ritualtheorie. In seinen frühen Arbeiten, zumal in seiner Dissertation, die 1957 unter dem Titel „Schism and Continuity in an African Society" erschien, war Turner noch ganz der funktionalistischen Tradition Dürkheims und RadcliffeBrowns verpflichtet, die ihm vor allem durch seinen Lehrer Max Gluckman, dem Kopf der sog. „Manchester School of Social Anthropology", übermittelt wurde. Er schrieb dem Ritual eine sozial-integrative Funktion zu und betrachtete es als Bestandteil eines übergreifenden sozialen Mechanismus, der der Herstellung von sozialem Gleichgewicht und Gruppensolidarität dient.1 Zu einem eigenständigen und zentralen Untersuchungsgegenstand wurde das Ritual erst in „The Forest of Symbols" (1967) und „The Drums of Affliction" (1968). Inspiriert durch Arnold van Genneps Theorie der Passageriten, löste sich Turner hier von seinen frühen strukturfunktionalistischen Ansätzen. Er verstand das Ritual jetzt in erster Linie als transformatives Prozeßgeschehen und widmete sich nun der symbolischen Dimension ritueller Handlungen und Gegenstände. In diesem Kontext entstand eine differenzierte Symboltheorie. 1969 ging der inzwischen in Amerika lehrende Anthropologe mit seinem vielbeachteten Werk „The Ritual Process" (dt.: „Das Ritual", 1989) noch einen 1

Entsprechend überschreibt TURNER das eigentliche Ritualkapitel seiner Dissertation mit dem Titel „The Politically Integrative Function of Ritual" (Schism, 288). Zum funktionalistischen Ansatz der frühen Arbeiten TURNERS vgl. im übrigen DEFLEM, Ritual, 2-4; BOUDEWIJNSE, Studies, 3; MORRIS, Studies, 236-240. Zur Diskussion um das grundsätzliche Verhältnis TURNERS zum Strukturfunktionalismus s. unten Anm. 32, 52 und 76.

Die Ritualtheorie: Transformation, Liminalität und Communitas

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Schritt weiter, indem er nun auch posttribale, literarische Gesellschaften in seine Analysen mit einschloß. Aus der prozessualen Ritualtheorie erwuchs so eine allgemeine anthropologische Gesellschaftstheorie, nach der rituelle Strukturen als Quelle menschlicher Innovation bzw. als Transformationsriemen zur Umgestaltung gesellschaftlicher Strukturen zu verstehen sind. In den darauffolgenden Jahren entfaltete Turner in zahlreichen Publikationen die These, daß sich das kreativ-transformative Potential tribaler Rituale in abgewandelter Form im Kunstbetrieb (Theater, Dichtung, Konzerte, Malerei etc.) sowie im Freizeitverhalten industrieller und postindustrieller Gesellschaften widerspiegele. Dazu brachte er die Kategorie des „Liminoiden" in die wissenschaftliche Diskussion ein. Bereits zuvor hatte er Leitbegriffe wie „Liminalität", „Anti-Struktur" und „Communitas" geprägt, die sich fest in den Sozialwissenschaften etablieren konnten und den Anthropologen weit über die Grenzen seiner eigenen Disziplin bekannt machten. Weniger Erfolg war ihm bei dem Unterfangen beschieden, seine ritual- und gesellschaftstheoretischen Thesen mit Erkenntnissen aus der Neurobiologie zu verknüpfen, ein Projekt, das er in den letzten Jahren seines Lebens bis zu seinem Tod im Jahr 1983 verfolgte. Die folgende genauere Darstellung der Anthropologie Turners konzentriert sich auf seine Ritualtheorie, die damit einhergehende Symboltheorie sowie seine gesellschaftstheoretischen Überlegungen, da allein diese Aspekte seines (Euvres den mit § 6 einsetzenden exegetischen Teil der vorliegenden Arbeit nachhaltig bestimmen werden. All die anderen Facetten des äußerst vielfältigen Werks, die Theorien zum modernen Kunst- und Freizeitbetrieb, zur Neurobiologie, zur Theater-Anthropologie wie auch das bereits in seiner Dissertation entwickelte analytische Konzept des „sozialen Dramas", eine am Ablauf von Dramen orientierte Deutung sozialer Prozesse, müssen hier ausgeblendet bleiben.2

1. Die Ritualtheorie: Transformation, Liminalität und Communitas Um Turners theoretischen Ansatz angemessen zu erfassen, empfiehlt sich vorab ein kurzer Blick auf Arnold van Genneps klassische Theorie der Passageriten. Ihr verdankt er, wie bereits angedeutet, entscheidende Impulse.

2

Zur Unterscheidung zwischen liminalen und liminoiden Prozessen s. TURNER, Theater, 28-94, bes. 83-87; ALEXANDER, Turner, 20ff.; DRIVER, Magic, 230-236; zum sozialen Drama vgl. nur TURNER, Theater, 10ff.l08ff.l44ff.l67ff.; Edge, 179f.215ff.230f.29Iff.; Dramas, 33ff. sowie GORDON, Sister, 99ff.; GRIMES, Criticism, 174ff.; J. FLANAGAN, Drama, 106-108 und SCHECHNER, Theater-Anthropologie, 129ff.; zu den neurobiologischen Thesen vgl. TURNER, Edge, 249ff. sowie DEFLEM, Ritual, 15f.; RAY, Turner, 96.

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Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

Das Phasenmodell der Passageriten In der 1909 erschienenen Studie „Les rites de passage" (dt.: „Übergangsriten", 1986) geht van Gennep von der Einsicht aus, daß jede Gesellschaft sich aus bestimmten, strikt voneinander abgegrenzten sozialen Gruppierungen bzw. statischen Lebensbereichen zusammensetzt, wie z.B. Familien-, Alters-, Berufs-, oder Religionsgruppen. Da das menschliche Leben aber dynamisch ist, Menschen sich also in Raum und Zeit bewegen, ergibt sich für Individuen wie für ganze Gruppen immer wieder die Notwendigkeit, Grenzen zu überschreiten und von einem sozialen Bereich in einen anderen überzuwechseln. Die Zugehörigkeit zu bestimmten Alters-, Status- oder Lokalgruppen ändert sich daher im Laufe des menschlichen Lebens mehr oder weniger zwangsläufig etliche Male. 3 Damit aber Gesellschaften infolge solcher „Übergänge" nicht auseinanderbrechen, werden die Passagen durch Riten begleitet, deren Aufgabe es ist, die Dynamik des sozialen Lebens zu kontrollieren. Van Gennep nennt sie „Übergangs-" bzw. „Passageriten" (rites de passage),* eine Begrifflichkeit, die inzwischen allgemein gebräuchlich ist. Richtungweisend wurde van Genneps Studie vor allem aufgrund der These, allen Übergangsriten liege im wesentlichen ein und dasselbe, aus drei Phasen bestehende Strukturschema zugrunde, nämlich: 5 1. Trennungsphase (Separation): Das rituelle Subjekt, sei es ein einzelner oder auch eine Gruppe, wird von einer bestimmten Rolle, einem bestimmten Status in der jeweiligen Sozialstruktur losgelöst. 2. Schwellen- bzw. Umwandlungsphase: Das rituelle Subjekt (der Passierende) durchläuft einen Zwischenraum, der gewissermaßen weder Merkmale des vergangenen noch des künftigen Zustands aufweist; es „schwebt zwischen zwei Welten". 6

3 „Es ist das Leben selbst, das die Übergänge von einer Gruppe zur anderen und von einer sozialen Situation zur anderen notwendig macht. Das Leben eines Menschen besteht somit in einer Folge von Etappen, deren End- und Anfangsphasen einander ähnlich sind: Geburt, soziale Pubertät, Elternschaft, Aufstieg in eine höhere Klasse, Tätigkeitsspezialisierungen" (VAN GENNEP, Übergangsriten, 15). 4 Es handelt sich also um Riten, die „den Übergang von einem Zustand in einen anderen oder von einer kosmischen bzw. sozialen Welt in eine andere begleiten" (ebd., 21). Die Rede vom Übergang aus einer „kosmischen Welt" in eine andere zeigt, daß VAN GENNEP auch naturhafte bzw. kosmische Veränderungen und Rhythmen (Sonnenwenden, Mondwechsel, Jahreswechsel etc.) durch Passageriten begleitet sieht (vgl. ebd., 16). Seine grundlegenden Einsichten faßt er ebd., 181ff. zusammen. Zu VAN GENNEPs Ritualtheorie und ihrer Wirkung s. auch RENARD, Rites, 227-238; SCHOMBURG-SCHERFF, Nachwort, 233-255; STAGL, Übergangsriten, 85ff.; ARENS, Religion, 106f.; METCALF/HUNTINGTON, Celebrations, 29ff. 5 Vgl. zum folgenden VAN GENNEP, Übergangsriten, 20ff.l83; s. ferner TURNER, Ritual,

94f.; DERS., Theater, 34f.; DERS., Dramas 23 lf. 6

VAN GENNEP, Übergangsriten, 27.

Die Ritualtheorie: Transformation, Liminalität und Communitas

43

3. Wiedereingliederungsphase (Aggregation): Das rituelle Subjekt kehrt in einen relativ stabilen Zustand zurück und hat nun wieder einen klar definierten sozialen Status sowie genau strukturierte Rechte und Pflichten, freilich andere als zuvor. Van Gennep bezeichnet die mittlere Phase auch als „liminale Phase" (lat. „limen" = Schwelle) und die beiden anderen Stadien entsprechend als „präliminar bzw. „postliminal".7

Liminalität

Van Genneps Erkenntnisse aufnehmend, widmet sich Turner eingehend der Erforschung der liminalen Phase. Diese ist für ihn die schlechthin wichtigste, vollzieht sich doch in ihr der eigentliche Übergang, die wesentliche Transformation des rituellen Subjekts aus einem Zustand (engl.,state' 8 ) in einen anderen. Detailliert arbeitet er die elementaren Charakteristika dieser Schwellenphase heraus und entwickelt eine umfassende Definition der sog. „Liminalität", des Schwellenzustands in rituellen Prozessen. Mit der Überschrift des für seine gesamte Arbeit maßgeblichen Aufsatzes „Betwixt and Between"9 bringt er deren Hauptkennzeichen treffend auf den Punkt: „liminality" beschreibt danach prinzipiell eine Existenz „zwischen den Stühlen" - um ein in etwa vergleichbares deutsches Sprichwort aufzugreifen - , eine Existenz zwischen fixierten Statuspositionen, einen Zustand des „Weder-noch", der Unstrukturiertheit, der Undefinierbarkeit und des Paradoxes; sie ist mithin grundlegend durch Ambiguität definiert. Turner erklärt: „Die Eigenschaften des Schwellenzustands (der .Liminalität') oder von Schwellenpersonen (.Grenzgängern') sind notwendigerweise unbestimmt, da dieser Zustand und diese Personen durch das Netz der Klassifikationen, die normalerweise Zustände und Positionen im kulturellen Raum fixieren, hindurchschlüpfen. Schwellenwesen sind weder hier noch dort; sie existieren zwischen [engl.:,betwixt and between'] den von Gesetz, Tradition, Konvention und dem Zeremonial fixierten Positionen."10

Liminalität setzt mit anderen Worten die geläufigen sozialen und kulturellen Normen und Rollenverteilungen zeitweise, z.T. auch endgültig außer Kraft und hebt damit alltägliche Wirklichkeitserfahrungen auf bzw. kehrt sie um. 7

Vgl. VAN GENNEP, Rites, 14.27 (frz. Original; die entsprechende Terminologie kommt in der deutschen Übersetzung leider nicht zum Ausdruck); s. dazu auch TURNER, Ritual, 159; Dramas, 196. 8 TURNER, Forest, 93 versteht unter ,state' „a relatively fixed or stable condition". Genauer noch schreibt er ebd., 94: „State, in short, is a more inclusive concept than status or office and refers to any type of stable or recurrent condition that is culturally recognized." 9 Vgl. ebd., 93-111. 10 Ritual, 95.

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Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

Zwischen ritueller Separation (Trennungsphase) und Reintegration (Wiedereingliederungsphase) steht somit ein in jeglicher Hinsicht ambivalenter Bereich, der wenige bzw. keine Attribute des vorherigen oder des künftigen Zustande aufweist.11 Diese Ambiguität und Unbestimmtheit spiegelt sich in der reichen Symbolik der Liminalität. Der Schwellenzustand wird in vielen Gesellschaften mit Tod, mit dem Dasein im Mutterschoß, mit Unsichtbarkeit, Dunkelheit, Bisexualität, mit der Wildnis oder mit einer Sonnen- bzw. Mondfinsternis gleichgesetzt.12 Auch Gruben, unterirdische Gänge und das Begrabensein stehen für Liminalität.13 Derartige Symbole verdeutlichen, daß die Ritualteilnehmer „nicht länger mehr" bzw. „noch nicht wieder" nach den Normen und Rollenverteilungen der Gesellschaft klassifizierbar sind.14 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang überdies das häufige Auftreten dämonischer oder monströser Wesen. Sie „verkörpern" die liminale Ambiguität, indem sie gegensätzliche Elemente, wie z.B. göttliche und menschliche, menschliche und tierische, männliche und weibliche Attribute, in sich vereinen.15 Der Ambiguität der liminalen Phase korrespondiert ein ausgeprägter Antinomismus. Die rituellen „Schwellenwesen" verlieren nicht nur ihren sozialen Status, sie sind auch befreit von den normativen Verhaltensregeln der jeweiligen Gesellschaft. Weder die Gesetze und Werte der vorherigen noch die der späteren, nach der rituellen Aggregation erlangten sozialen Position sind für sie bindend; sie besitzen im wahrsten Sinne des Wortes „Narrenfreiheit". Die liminale Phase ist insofern eine Zeit jenseits jeglicher Normativität des Alltags. Symbolisch kommt dies etwa darin zum Ausdruck, daß die liminalen Subjekte bewußt aller Titel enthoben werden, daß sie oftmals nackt sind, daß sie der Außenwelt als unsichtbar gelten. Häufig wird die Auflösung der Normativität auch auf der Ebene der Geschlechterdifferenzierungen symbolisch ausagiert, sei es durch das Ideal asketischer Geschlechtslosigkeit, sei es durch die Wertschätzung der Androgynität bzw. androgyner Motive.16 Der Außerkraftsetzung alltäglicher Normen entspricht darüber hinaus allermeist eine 11

Vgl. Forest, 94. Vgl. Ritual, 95; s. auch Comments, 279. 13 Vgl. dazu nur das „heiße Loch" im Isoma-Ritual der Ndembu, ein unterirdischer Gang, der nach TURNER, Ritual, 33ff. den Übergang vom Tod zum Leben symbolisiert; s. auch Forest, 96 und Religionsverständnis, 443. 14 Vgl. dazu Forest, 96: Danach zeigen insbesondere Tod, Verwesung, Katabolismus, Menstruation, Begrabensein, monströse Maskierungen sowie äußerliche Verwahrlosung an, daß die Neophyten während der liminalen Phase nicht mehr klassifizierbar sind. Die rituelle Symbolik aus dem Bereich der Schwangerschaft und der Geburt, z.B. die Behandlung der Neophyten als Embryonen, Neugeborene oder Säuglinge, illustriert dagegen, daß die Ritualteilnehmer noch nicht wieder klassifizierbar sind. 15 Vgl. ebd., 104f.; Dramas, 253; Theater, 180; s. dazu auch die Ausführungen zu den sacra weiter unten. 16 Zur ganzen Palette der Eigenschaften von Schwellenwesen vgl. Ritual, 95.101ff. sowie besonders Forest, 93-111. 12

Die Ritualtheorie: Transformation, Liminalität und Communitas

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räumliche Distanzierung. Liminale rituelle Handlungen werden in tribalen Gesellschaften in der Regel außerhalb des Dorfes vollzogen, vorzugsweise in sog. Seklusionshütten.17 Diese Seklusion wird aus emischer Perspektive gewöhnlich damit erklärt, daß Liminare gefährlich und verunreinigend seien eine Reaktion auf ihren ungeklärten sozialen Status.18

Communitas Zu den hervorstechendsten Merkmalen der Ritualforschung Turners gehört die Analyse der unter den sekludierten rituellen Schwellenwesen beobachtbaren außergewöhnlichen Gemeinschaftlichkeit und Gleichheit. Turner nennt dieses Phänomen „Communitas".19 Der Isolierung der rituellen Gruppe nach außen (Seklusion) korreliert mithin ein einzigartiges Egalitätsempfinden und -gebaren nach innen. Ermöglicht wird dieses durch die Loslösung der Ritualteilnehmer aus ihrem früheren sozialen Status (Separation). Damit ist die Voraussetzung für Sozialbeziehungen geschaffen, die nicht mehr auf Rangunterschieden basieren, d.h. für unmittelbare zwischenmenschliche Begegnungen, bei der geschlechtliche, kulturelle und soziale Unterschiede zur Bedeutungslosigkeit degradiert sind. Die Ritualteilnehmer treffen während der liminalen Phase eben nicht länger als Rolleninhaber aufeinander, sondern, soweit möglich, als „Menschen an sich", als liminale Wesen, die gleichsam auf eine Art menschliche prima materia, auf eine Art undifferenziertes Rohmaterial reduziert sind, einer tabula rasa gleich.20 Ohne Status, ohne Besitz, ohne Verwandtschaftsbeziehungen, ohne geschlechtliche Differenzierungen unterscheiden sie sich kaum mehr voneinander und erleben eine beispiellose Verbundenheit. Dementsprechend definiert Turner Communitas mit folgenden Worten: 17

Zur Seklusion vgl. Dramas, 196; Forest, 98; Theater, 38. Vgl. dazu Forest, 97f. TURNER bezieht sich hier explizit auf die bekannte These von M. DOUGLAS zur Bedeutung von Reinheit und Unreinheit, die er wie folgt auf den Punkt bringt: „The unclear is the unclean" (ebd., 97). 19 TURNER, Dramas, 201 gibt an, den Begriff „Communitas" von P. GOODMANN übernommen und neu gefüllt zu haben. Den Terminus „Gemeinschaft" vermeidet er bewußt, da er die rituelle Communitas von Gemeinschaftserlebnissen des Alltagslebens abgehoben wissen will; sie ist ein liminales Phänomen (vgl. dazu Ritual, 96; Forest, 100; s. auch DRIVER, Magic, 160; ALEXANDER, Turner, 34; NICHOLS, Worship, 402). Von daher sind die Konzepte „Communitas" und „Liminalität" eng miteinander verbunden. Allerdings dürfen sie nicht völlig in eins gesetzt werden. TURNER, Dramas, 52 unterscheidet wie folgt: „What I call liminality ... is not precisely the same as communitas, for it is a sphere or domain of action or thought rather than a social modality. Indeed, liminality may imply solitude rather than society, the voluntary or involuntary withdrawal of an individual from a social-structural matrix." Liminalität ist also nicht wie Communitas per definitionem auf Sozialbeziehungen angelegt. 20 Vgl. Forest, 98; Ritual, 95.102f.162. 18

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Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

„Communitas ist im wesentlichen eine Beziehung zwischen konkreten, historischen, idiosynkratischen Individuen. Diese Individuen sind nicht in Rollen oder Statuspositionen aufgeteilt, sondern stehen sich eher in der Art des Martin Buberschen ,Ich und Du' gegenüber. Mit dieser direkten, unmittelbaren und totalen Konfrontation menschlicher Identitäten geht ein Modell von Gesellschaft als homogener, unstrukturierter Communitas einher, deren Grenzen sich idealerweise mit denen der Menschheit decken."21 Rituelle Liminalität schafft also einen Raum nichtalltäglicher, antihierarchischer Sozialbeziehungen, in dem die herkömmlichen Distinktionen weitgehend negiert bzw. nivelliert sind,22 ein sozialer Raum ohne Grenzen, dem folglich eine universale Ausrichtung immanent ist.

Die sacra Der Communitas unter den rituellen Subjekten steht bzw. stehen der oder die Ritualleiter als autoritäre Verkörperung der sozialen Strukturen gegenüber. Turner macht darauf aufmerksam, daß den Teilnehmern an Initiationsriten, den sog. Neophyten, in der Regel absoluter Gehorsam gegenüber den Anweisungen der Ältesten abverlangt wird, ein Gehorsam, der das Erleiden von Demütigungen, körperlichen Torturen und willkürlichen Bestrafungen einschließt. 23 Die Neophyten sind in dieser Hinsicht ganz und gar passive Objekte des Geschehens. 24 Dieses paradoxe Neben- und Ineinander einer Communitas unter den rituellen Subjekten auf der einen und der bedingungslosen Unterwerfung unter die Autorität des Ältesten auf der anderen Seite offenbart einmal mehr die Ambiguität ritueller Liminalität. Diese umschließt eben beides: die Destruktion alltäglicher Normativität bis hin zur Communitas und antinomistischer Freiheit als auch die allmähliche Hinführung zu einem neuen Status, der zumal die Initiationsprüfungen, die Instruktionen und Erniedrigungen seitens der Ritualleiter dienen.25 21

Ritual, 129. Soziale Differenzierungen lassen sich oftmals nicht völlig auflösen. Von daher räumt TURNER, Dramas, 196 ein, daß rituelle Liminalität Sozialstruktur nicht nur negiert, sondern auch simplifiziert; vgl. dazu ALEXANDER, Turner, 31; s. auch GORMAN, Ideology, 54 und SCHOMBURG-SCHERFF, Nachwort, 247. 23 Vgl. Forest, 99f.; Ritual, 95.102f. 24 Vgl. Forest, 101. 25 Mit Blick auf dieses paradoxe Ineinander in der Liminalität schreibt TURNER, Theater, 64f.: „In gewisser Hinsicht werden die sozialen Zwänge sogar stärker (und zwar auf eine ungewöhnliche und irrationale Weise stärker) - dann nämlich, wenn die Novizen von den Ältesten gezwungen werden, willkürlich befohlene und in ihren eigenen Augen unnötige Aufgaben zu erfüllen und sowohl hart bestraft werden, wenn sie nicht sofort gehorchen, als auch, was noch schlimmer ist, wenn sie es tun." Allerdings „werden den Novizen ... in anderer Hinsicht unerhörte Freiheiten eingeräumt: sie fallen z.B. über Dörfer und Gärten 22

Die Ritualtheorie: Transformation, Liminalität und Conununitas

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Im Zusammenhang dieser liminalen Melange aus Loslösung und Neukonstitution, Gleichheit und Hierarchie, Freiheit und Gehorsam spielt die Übermittlung der sog. „sacra" durch die Ritualleiter eine wichtige Rolle.26 Es handelt sich hierbei um bestimmte Gegenstände („what is shown": Masken, Figuren, Bilder), Handlungen („what is done": Tänze, Gesten etc.) und verbale Mitteilungen bzw. Anleitungen („what is said": Geheimwissen, Offenbarung von heiligen Götternamen, Mythen etc.), mit denen die Neophyten während des Rituals konfrontiert werden. Diese „heiligen" Objekte, Akte und Lektionen verdichten in sich gleichsam die grundlegenden kulturellen Muster der jeweiligen Gesellschaft in einfacher und abstrahierter Form. Der vielfach disproportionierte, grotesk-monströse und/oder mystische Charakter der meisten sacra dient dabei dazu, die Neophyten zu einer spielerisch-reflexiven Auseinandersetzung mit den in ihnen komprimierten kulturellen Konfigurationen zu veranlassen. Die sacra bieten sozusagen die Möglichkeit einer probeweisen Dekonstruktion und Rekonstruktion der kulturellen Matrix der Gesellschaft und genau dieses provisorische Auseinandernehmen und Zusammensetzen der Bauelemente des eigenen kulturellen Universums führt wesentlich die Transformation der Neophyten während der liminalen Phase herbei.27 Die sacra veranschaulichen insofern besonders deutlich das der Liminalität eigene, ambivalente Ineinander von Auflösung und Neustiftung von Kulturmustern.28 Es gilt daher: „Liminality may perhaps be regarded as the Nay to all positive structural assertions, but as in some sense the source of them all, and, more than that, as a realm of pure possibility whence novel configurations of ideas and relations may arise."29

Das Ritual als Transformationsgeschehen Im Laufe seiner Forschungen gelangt Turner zu der Einsicht, daß nicht allein den typischen Passageriten, sondern Ritualen generell eine liminale Phase und her, ergreifen Frauen und beschimpfen ältere Leute. Es gibt unendlich viele Formen des Durcheinanders, der Paradoxie, der Aufhebung des Normensystems, der Übertreibung normalen Verhaltens bis hin zur Karikatur oder des Spottens über die Ordnung. Die Novizen befinden sich gleichzeitig innerhalb wie außerhalb des Bereichs des Vertrauten." 26 Vgl. zum folgenden Forest, 102-108; Prozeß, 140f. 27 Nach Forest, 106 sind es genauerhin drei Prozesse, die während der Kommunikation der sog. sacra ablaufen: „The first is the reduction of culture into recognized components or factors; the second is their recombination in fantastic or monstrous patterns and shapes; and the third is their recombination in ways that make sense with regard to the new state and status that the neophytes will enter"; vgl. dazu auch Theater, 39f. 28 Die Dekonstruktion und Rekonstruktion der kulturellen Matrix ist ein grundsätzliches Charakteristikum der Liminalität und findet sich auch dort, w o keine sacra übermittelt werden; vgl. dazu nur Edge, 236. 29 Forest, 97; s. auch Religionsverständnis, 445.

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Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

damit transformative Kraft eignet.30 Mehr noch, er gewinnt die Überzeugung, daß sich diese transformative Potenz nicht nur auf einzelne Individuen, die Ritualteilnehmer, konzentriert; sie wirkt vielmehr in die Gesellschaft selbst hinein und führt auch auf dieser Ebene Veränderungen herbei.31 Das Ritual mit seiner in der Liminalität konzentrierten Aufhebung alltäglicher Normativität, dem spielerisch-dekonstruktivistischen Umgang mit festgefügten Strukturen und der Erfahrung egalitäter Sozialbeziehungen verhilft danach zur Entwicklung alternativer Lebensstile, speist Communitaswerte in die Gesellschaft ein und kann so zum Motor der Transformation existierender sozialer Strukturen werden. Es ist diese Entdeckung der verändernden und regenerativen Kraft ritueller Liminalität, die Turner weit über die Grenzen der Anthropologie hinaus bekannt machte. Während sich van Gennep noch vornehmlich dem äußeren Statuswandel in Passageriten widmete, arbeitet Turner den ganzheitlichen Charakter der Transformation in der Liminalität heraus und dokumentiert eindrücklich, daß diese eine moralische wie kognitive, ja eine gleichsam ontologische Wandlung des Individuums ebenso einschließt wie das Potential zur gesellschaftlichen Erneuerung. Mit diesem Ritualverständnis distanziert sich Turner merklich von der strukturfunktionalistischen Schule, in der das Ritual als wesentlicher Stabilisator der herrschenden Sozialstruktur galt. Demgegenüber erklärt er nun: „Das Ritual ist seinem Wesen nach nicht ... ein Eckpfeiler des gesellschaftlichen Konservatismus, wiewohl es diese Funktion unter bestimmten Bedingungen übernehmen kann. Viel eher ist es, zumal in seinem liminalen Stadium, die verändernde Kraft, aus der Kultur und Struktur immer neu entspringen. Das Ritual steht per definitionem in engem Zusammenhang mit sozialen Übergängen."32 30

Vgl. nur Theater, 34. Vgl. ebd., 134-136. 32 Prozeß, 142. TURNER räumt ein, die liminale Energie lasse sich zumal in Stammesgesellschaften „aufgrund der überwiegenden Homogenität der Werte, des Verhaltens und der sozialstrukturellen Regeln relativ leicht mit Hilfe der Sozialstruktur in Schach halten und beherrschen, vor innovativen Exzessen bewahren oder, wie Ethnologen gerne sagen, ,mit Hilfe von Tabus, gegenseitiger Kontrolle usw. einschränken'" (Theater, 69). Das transformative Potential der Liminalität ist hier also durchaus eingeengt, insofern sich Liminalität in Stammeskulturen in der Regel innerhalb der Grenzen der Sozialstruktur vollzieht. Vor diesem Hintergrund konzediert TURNER sogar: „Liminale Phänomene haben ... die Tendenz, für die Sozialstruktur letztendlich funktional zu sein ..." (ebd., 86). In der Tat erfahren ja die Neophyten in tribalen Initiationen zwar eine persönliche Transformation, kehren aber nach der liminalen Seklusion wieder in die strukturierte Gesellschaft zurück und ordnen sich mit ihren neu erlangten Fähigkeiten und dem erweiterten Wissen auf der Basis eines neuen Status erneut dem Brauch und dem Gesetz der Gesellschaft unter (vgl. Forest, 106). Nichtsdestotrotz bleibt das Ritual für TURNER seinem Wesen nach subversiv und anarchisch („conservative readings of Turner fail to catch his distinction between tribal rituals ... and ritual in its fundamental nature" [ALEXANDER, Afterword, 214]). Wie die Besprechung der sacra bereits aufwies, gehört zur Liminalität eben auch die Dekonstruk31

Die Ritualtheorie: Transformation, Liminalität und Communitas

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Natürlich ist sich Turner darüber im klaren - wie im übrigen der erste Nebensatz im Zitat dokumentiert - , daß es in jeder Gesellschaft bestimmte rituelle Vorgänge gibt, die eher die Ordnung zelebrieren als sie in Frage stellen, die das kulturell Determinierte eher gegen Unbestimmtheit abschirmen als es aufweichen. Dieser Umstand ändert indes nichts an der grundsätzlich durch den Transformationsgedanken bestimmten Definition des Rituals, denn Turner zufolge gilt es jeweils genau zwischen Ritual und Zeremonie zu unterscheiden. Während die Zeremonie die bestehende Struktur bestätigt, wird sie durch das Ritual verwandelt.33 In diesem Sinn konstatiert er: „I consider the term .ritual' to be more fittingly applied to forms of religious behavior associated with social transitions, while the term ,ceremony' has a closer bearing on religious behavior associated with social states, where politico-legal institutions also have greater importance. Ritual is transformative, ceremony is confirmatory."34 Turner reserviert somit den Ritualbegriff explizit für diejenigen rituellen Aktionen, die Individuen, Gruppen oder Gesellschaften verändern, während er Handlungen, die die Ordnung eher stabilisieren, das Etikett „Zeremonie" zuweist. Rituale sind demnach per se Transformationsgeschehnisse. Vor diesem Hintergrund faßt Ronald L. Grimes die Wirkung der Ritualtheorie Victor Turners auf folgende Weise treffend zusammen: tion kultureller Muster (s. dazu auch Dramas, 256) und zumal die rituellen Tabuvorschriften zeigen, daß Stammeskulturen um den potentiellen Angriff des Rituals auf die soziale Struktur der Gesellschaft wissen (vgl. dazu Theater, 69.135; Comments, 281; Dramas 14). Folgerichtig spricht der Anthropologe von einem auch „im vorindustriell Liminalen immer implizit enthaltenefn] Keim kultureller Transformation" (Theater, 70). Liminale Phänomene umfassen schließlich stets „in nuce .Freiheit' und die Möglichkeit zur Hervorbringung neuer Ideen, Symbole, Modelle oder Glaubensvorstellungen" (ebd., 85). Ganz im Sinne des obigen Zitats betont TURNER daher ausdrücklich: „I do not have a static, conservative view of anti-structure, liminality, and the liminoid, nor do I consider them auxiliary functions of the larger structure ... I stress the innovative potentials of all .liminal' or .liminoid' situations" (Comments, 295). Mit ALEXANDER, Turner, 3.7.38f.45ff. ist darum eine rein strukturfunktionalistische Deutung TURNERS, wie sie etwa R.A. SEGAL (Theory, 332ff.) und MORRIS (Studies, 240f.) vorlegen, abzuweisen (vgl. dazu ferner ALEXANDER, Afterword, 212.213ff.); s. auch TURNER, Theater, 47f.l35f.; GRIMES, Beginnings, 152; RAY, Turner, 94f. und WORGUL, Consciousness, 6 sowie die folgenden Überlegungen zur Unterscheidung von Ritual und Zeremonie. 33

Vgl. Theater, 128.133f.; Prozeß, 142 sowie ALEXANDER, Ceremony, 179f.; WERLEN, Ritual, 39. Es sei hier angemerkt, daß die Unterscheidung zwischen Ritual und Zeremonie häufig gebraucht wird, um säkulare (= Zeremonie) und religiöse (= Ritual) Ritualhandlungen voneinander abzuheben. Eine TURNERS Differenzierung entsprechende Aufteilung in „confirmatory rituals" und „transformatory rituals" findet sich dagegen bei ZUESSE, Ritual, 414-419. Ähnlich unterscheidet R. DELATTRE zwischen stabilisierenden „rites of anchorage" und „rites of articulation" auf der einen und transformatorisch wirkenden „rites of negotiation" und „rites of passage" auf der anderen Seite (s. dazu SENN, Theology, 204). Vgl. zum Thema ferner McVANN, Rituals, 334f.; NEYREY, Paul, 76f. 34 Forest, 95.

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Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

„The effect of Turner's theory of ritual on the field of ritual studies has been to break the stranglehood of conservatism. The vast majority of definitions and theories had been functionalist, emphasizing the extent to which ritual conserves the status quo and resists change. Ritual had been portrayed as the most backward-looking, footdraggering of cultural forms. It was hardly capable of acting on society; rather, it was a .repository' or .reflection' of it. Always it was passive, inert. Turner painted another picture, that of a cultural .agent', energetic, subversive, creative, socially critical."35 2. Die Symboltheorie: Semantik und Effektivität der Symbole 36 Symbole sind für Turner die elementaren Bausteine eines Rituals. Sie gelten dem Anthropologen als „Moleküle" bzw. als die „kleinsten Einheiten rituellen Handelns, ganz gleich ob es sich dabei um die Gegenstände, Tätigkeiten, Beziehungen, Worte, Gesten oder die räumlichen Anordnungen einer rituellen Situation handelt"37. Das Ritual ist demnach in erster Linie „an aggregation of symbols".38 Näherhin versteht Turner unter einem Symbol - unter Rückgriff auf das Concise Oxford Dictionary - „a thing regarded by general consent as naturally typifying or representing or recalling something by possession of analogous qualities or by association in fact or thought"39, wobei Turner den „general consent" nicht universal verstanden wissen will, sondern lediglich auf diejenige Kultur bezogen, in der das jeweilige Symbol auftritt; gleiches gilt für die Formen der Analogiebildung und der Assoziationen, die ebenfalls kulturspezifisch sind.40

35 GRIMES, Definition, 144; s. dazu auch DERS., Criticism, 21: „Beginning in the mid1960s scholars begin to think of ritual as having subversive, creative, and culturally critical capacities ... Until the 1960s the dominant image of ritual had been that it was wed to the status quo ... Where did this imaginative impulse come from? Some would attribute it to Victor Turner; others to the 1960s in general. Some would say Turner absorbed it from his students in the 1960s; others would say his students of the 1960s absorbed it from him. The truth is probably that the relations between culture and counterculture are circular, or systematic." 36 Einen Überblick über die Symbolanalyse TURNERS liefern u.a. auch BOUDEWIJNSE, Studies, 3-8; DEFLEM, Ritual, 5 - 7 ; GEERTS, Inquiry, 20-24; GRIMES, Beginnings, 154ff.; GORMAN, Ideology, 24f.; MORRIS, Studies, 241-246; MYERHOFF, Kult, 132-136; WOLANIN, Rites; vgl. auch WERLEN, Ritual, 40ff. und ZADRA, Theory, bes. 77-90. Eine kritische Bestandsaufnahme findet sich bei FOSTER, Symbolism und SPERBER, Rethinking, 18ff. 37 Prozeß, 142; vgl. Ritual, 21; Forest, 19; Symbols, 184. 38 Drums, 2. 39 Forest, 19; vgl. Symbolic Studies, 151 sowie KURZ, Metapher, 68, der in ähnlicher Weise Symbolik auf die „Herstellung von analogischen und synekdochischen Beziehungen" zurückführt. 40 Vgl. Symbolic Studies, 151.

Die Symboltheorie: Semantik und Effektivität der Symbole

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Turners Symbolanalyse fußt sodann auf zwei eng miteinander verbundenen Grundannahmen. Zum einen vertritt er ein semantisches Symbolverständnis, das heißt, er deutet den rituellen Symbolismus als Kommunikationsprozeß, der Bedeutungen transportiert, die mittels einer semantischen Analyse näher erforscht werden können.41 Rituelle Symbole können also sprachlichen Äußerungen vergleichbar „dekodiert" werden. Diese Dekodierung kann aber nur dann gelingen, wenn die Symbole in ihrer Relation zu den jeweiligen sozialen Prozessen interpretiert werden, in die sie eingebettet sind. Damit ist bereits die zweite wichtige Grundkomponente der Turnerschen Konzeption genannt: Symbolen eignet soziale Relevanz. Sie sind verknüpft mit „human interests, purposes, ends, and means, whether these are explicitly formulated or have to be inferred from the observed behavior"42. Letztlich bilden die rituellen Symbole eine Art Metakommentar über die soziale und kulturelle Ordnung einer Gesellschaft, oder wie Turner sagt: „Symbols are storehouses of information about the major structural values of a culture."43 Im Zuge dieser sozial-semantischen Symbolanalyse hat Turner eine Reihe detaillierter Distinktionen entwickelt. Zunächst unterscheidet er zwei unterschiedliche Symboltypen, nämlich instrumentale und dominante Symbole.44 Bei instrumentalen Symbolen handelt es sich um solche, die sich lediglich auf ein bestimmtes Ritual beziehen und dessen spezifischen Zielen und Funktionen dienen 45 Dominante Symbole begegnen dagegen in den unterschiedlichsten rituellen Kontexten, wobei jedoch ihre immanente Bedeutung einen hohen Grad an Stabilität und Konsistenz besitzt. Das heißt, dominanten Symbolen wohnt ein besonderes Maß an Autonomie inne. Daraus folgt: „They may be regarded irrespective of the appearance in a given ritual as ends in themselves, as representatives of the axiomatic values of the ... society."46 Was damit gemeint ist, demonstriert der Anthropologe am Beispiel des Mudyi-Baumes. Dieser spielt eine zentrale Rolle in vielen Riten der Ndembu, vor allem in den weiblichen Initiationsriten. Unabhängig von diesem speziellen rituellen Kontext kann der Baum aber auch die Einheit und Kontinuität der Ndembu-Gesellschaft im allgemeinen symbolisieren und gleichsam als Stammessymbol fungieren. So erklärt sich,

41

Vgl. Drums, If. Den kommunikativen Charakter von Ritualen betonen auch LEACH, Ritual, 523f., auf den sich TURNER ebd. bezieht, sowie DOUGLAS, Ritual, 79ff.; WIEDENMANN, Ritual, 201-252; ZUESSE, Ritual, passim; vgl. dazu auch BELL, Ritual, 110-114. 42 Forest, 20. 43 Drums, 5. 44 Vgl. dazu Forest, 30-33; Symbols, 186f. 45 Vgl. Forest, 32. 46 Forest, 32.TURNER bezieht sich in diesem Zitat speziell auf den Ndembu-Stamm; das Zitat kann jedoch im Sinne des universaltheoretischen Ansatzes von TURNER ohne weiteres verallgemeinert werden.

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Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

daß ein indigener Informant die britische Nationalflagge mit dem Baum vergleichen konnte und meinte: ,Mudyi is our flagg."47 Im Rahmen seiner semantischen Symboltheorie spricht Turner den rituellen Symbolen, besonders den dominanten, ferner folgende drei Eigenschaften zu:48 1. Verdichtung bzw. Multivokalitäf. Ein Symbol besitzt zugleich mehrere Referenzpunkte; es ist in der Regel ausgesprochen vieldeutig, kann viele unterschiedliche Dinge repräsentieren. Darin sowie im folgenden Gesichtspunkt unterscheidet es sich von einem Zeichen 49 2. Vereinigung disparater Signifikate: Das Symbol verbindet die verschiedenen Bedeutungen mittels gemeinsamer, analoger Qualitäten oder durch Assoziation „in fact or thought"50. 3. Polarisierung der Bedeutungen: Die Signifikate, die einem Symbol traditionellerweise zugeschrieben werden, lassen sich an zwei semantischen Polen verorten, dem orektischen und dem normativen Pol. Unter dem orektischen oder auch sensorischen Pol versteht Turner die Referenz eines Symbols auf natürliche oder physiologische Phänomene und Prozesse, die zugleich starke Gefühle und Begehren hervorrufen. Als normativen oder auch ideologischen Pol bezeichnet er die Referenz eines Symbols auf Aspekte der moralischen und soziokulturellen Ordnung, d.h. auf die Prinzipien der sozialen Organisation, auf religiöse und politische Ideen u.ä. Zur Illustration sei nochmals auf den von Turner selbst wiederholt als Beispiel herangezogenen Mudyi-Baum verwiesen, der z.B. im Pubertätsritus der Ndembu-Mädchen Verwendung findet. Der Baum repräsentiert in seiner Polysemie auf dem sensorischen Pol Muttermilch bzw. die Brüste einer Mutter (die Baumrinde sondert eine Art weißes Harz aus). Auf dem normativen Pol steht dasselbe Symbol für Weiblichkeit, Mütterlichkeit, vor allem aber für die unter den Ndembu eingeführte Sozialorganisation der Matrilinearität.51 Turner sieht somit im rituellen Symbolismus naturhafte und soziale Aspekte miteinander verknüpft. Wichtig ist, daß die Emotionen, die die Referenz des Symbols auf physiologische (Milch, Blut u.ä.) oder auf naturhafte Prozesse (Tod, Geburt etc.) weckt, letztlich dazu dienen, den sozialen Kosmos mit Energie aufzuladen. Rituelle „Symbole vereinigen also, indem sie ihre grundsätzliche religiöse Einheit verkündigen, die organische mit der soziomoralischen Ordnung ... Starke, mit der mensch47

Vgl. Forest, 21f. Vgl. dazu Forest, 27f.; Symbols, 184f.; Ritual, 55f.; Symbolic Studies, 155f. 49 Vgl. dazu insbesondere TURNER/TURNER, Image, 245: „A symbol is distinguished from a sign by both the multiplicity of its meanings and the nature of its signification. In symbols there is some kind of likeness (either metaphoric or metonymic) between the thing signified and its meaning; signs need bear no such likeness ... Signs are almost always organized in .closed' systems; while symbols ... are themselves semantically ,open'. The symbol's meaning is not absolutely fixed. New meanings may be added by collective fiat to old symbol vehicles." 50 Symbols, 184. 51 Vgl. Symbols, 185; Drums, 18-20; Forest, 20ff.; Ritual, 56. 48

Die Symboltheorie: Semantik und Effektivität der Symbole

53

liehen Physiologie ... verknüpfte Triebe und Emotionen werden im Ritual ihrer antisozialen Qualität beraubt und mit Bestandteilen der normativen Ordnung verbunden. Diese wird so mit entlehnter Vitalität angereichert, wodurch das von Dürkheim so genannte .Obligatorische' begehrenswert wird."52 Turner zufolge lassen sich darüber hinaus drei unterschiedliche symbolische Bedeutungsebenen bzw. -dimensionen unterscheiden:53 1. Die exegetische Bedeutung von Symbolen: Sie ergibt sich aus den Erläuterungen, die indigene Informanten, zumal die Ritualteilnehmer, zu einer bestimmten rituellen Handlung abgeben. Aus diesen Informationen läßt sich erschließen, wie eine bestimmte Gruppe ihre Rituale und Symbole selbst deutet. Turner unterscheidet hier nochmals zwischen esoterischen Interpretationen, d.h. Deutungen, die von Ritualspezialisten stammen, und exoterischen Interpretationen durch Laien. Weiterhin sind folgende drei Aspekte auf der exegetischen Ebene zu untersuchen:54 erstens die nominale Basis des Symbols, d.h. der Name eines Symbols im rituellen oder auch nichtrituellen Kontext, zweitens die substantielle Basis, d.h. die durch die jeweilige Kultur ausgewählten äußerlichen, physiologischen Charakteristika des symbolischen Objekts, und drittens die artifizielle Basis, d.h. das symbolische Objekt mit Blick auf seine spezielle, absichtsvolle Verwendung bzw. Veränderung durch den Menschen. Letztlich geht es bei der exegetischen Bedeutung von Symbolen um deren manifesten Sinn, d.h. um den Sinn, den die am Ritual Teilhabenden selbst ihrem symbolischen Handeln bzw. den symbolischen Gegenständen zuschreiben.

52 Ritual, 56. Näherhin schreibt TURNER: „Ritual ... is precisely a mechanism that periodically converts the obligatory into the desirable. The basic unit of ritual, the dominant symbol, encapsulates the major properties of the total ritual process which brings about this transmutation. Within its framework of meanings, the dominant symbol brings the ethical and jural norms of society into close contact with strong emotional stimuli. In the action situation of ritual, with its social excitement and directly physiological stimuli, such as music, singing, dancing, alcohol, incense, and bizarre modes of dress, the ritual symbol, we may perhaps say, effects an interchange of qualities between its poles of meaning. Norms and values, on the one hand, become saturated with emotion, while the gross and basic emotions become ennobled through the contact with social values" (Forest, 30; vgl. dazu ebd., 28f.54f.; Symbolic Studies, 155f.). Zu beachten ist, daß TURNER gleichwohl eine rein funktionalistische Symboltheorie abwehrt. Er distanziert sich von „anthropologists ... who regard religious symbols as reflecting or expressing social structure and promoting social integration" (Dramas, 57). Rituelle Symbole konfrontieren die Gesellschaft auch mit Communitaswerten (vgl. ebd., 56) und stellen die herrschende Ordnung oftmals elementar in Frauge (vgl. dazu Theater, 32f.). 53 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Drums, 80ff.; Forest, 50f.; Symbols, 190f.; Revelation, 176; Theater, 28f. Neben der Unterscheidung zwischen dem orektischen und dem normativen Pol ist es nicht zuletzt diese Abstufung dreier Bedeutungsebenen, die TURNER von einem strukturalistischen Symbolverständnis abhebt. 54 Vgl. dazu insbesondere Drums, 82ff.; Literature, 57ff.; Symbols, 191; Symbolic Studies, 152-154 sowie die Diagramme in Drums, 86.184.

54

Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

2. Die operationale Bedeutung: Hier wird die Bedeutung eines Symbols aus seinem Gebrauch im Ritual abgeleitet. Dies erfordert eine genaue Beobachtung des Umgangs mit dem symbolischen Objekt seitens der Ritualteilnehmer. Turner zufolge ist dabei besonders auf die affektiven Qualitäten des symbolischen Handelns zu achten. Zudem gilt es zu ermitteln, weshalb gewisse Personen oder Gruppen in bestimmten rituellen Situationen abwesend und damit von der Präsenz des Symbols ausgeschlossen sind. Diese operationale Dimension liefert Aufschluß über die soziale Dynamik in einer Gruppe, die den Teilnehmern selbst nur teilweise bewußt ist. Es geht hier um den latenten Sinn von Symbolen. 3. Die positionale Bedeutung ergibt sich aus der Beziehung eines bestimmten Symbols zum gesamten symbolischen System. Die Polysemie von Symbolen hat zur Folge, daß diese in einem bestimmten Ritual immer nur eine begrenzte Auswahl ihres Bedeutungsspektrums offenbaren. Symbole können daher erst dann in ihrer vollen semantischen Bandbreite verstanden und analysiert werden, wenn sie zu anderen Symbolen in unterschiedlichen rituellen Handlungen in Beziehung gesetzt werden. Letztlich geht es dabei um den verborgenen Sinn von Symbolen, das heißt, hier ist von einer Bedeutungsdimension der Symbole die Rede, die den rituellen Subjekten selbst nicht bewußt ist. Zum Abschluß sei nochmals eigens hervorgehoben, daß Turner Symbole als „soziale und kulturelle dynamische Systeme"55 versteht, die nicht etwa auf bloße Denk- oder Bedeutungskategorien reduziert werden dürfen. Den semantischen Zugang zur rituellen Symbolik hat er stets mit einer Analyse des effektiven Charakters von Symbolen in sozialen Prozessen verbunden. Symbole dürfen demnach nicht als reine Bedeutungsträger gesehen werden, es ist vielmehr stets auch ihre Machtkomponente zu bedenken. Sie sind nicht nur ein „storehouse of information", sondern zugleich eine Art „powerhouse"56. Sie fungieren nicht nur als Vehikel kultureller Normen und Weltanschauungen, sondern wirken primär als effektive Kräfte in sozialen Prozessen. In diesem Sinne heißt es: „Symbols instigate social action. In a field context they may even be described as .forces', in that they are determinable influences inclining persons and groups to action."57 Von daher gilt: „Symbols are triggers of social action."58 Vor allem sind Symbole „wesentlich an Situationen sozialen Wandels beteiligt"59. So ist es für Turner nicht zuletzt die Wirkmacht von 55

Theater, 31. Drums, 2; vgl. auch Symbols, 189: Das Ritual ist „... a fusion of the powers believed to be inherent in the persons, objects, relationships, events and histories represented by ritual symbols. It is a mobilization of energies as well as messages." Die Deutung ritueller Symbole als „Kraftzentren" vertritt im Anschluß an TURNER auch LIPP, Kulturtypen, 463f. 57 Forest, 36; vgl. auch ebd., 22: „Symbols ... produce action, and dominant symbols tend to become focuses in interaction. Groups mobilize around them ..." 58 Symbolic Studies, 155. 59 Theater, 30. 56

Die Gesellschaftstheorie: Struktur und Anti-Struktur

55

Symbolen, die Ritualteilnehmer von einem Status auf den anderen hebt bzw. soziale Konflikte löst.60 Diese sozialdynamische Potenz ergibt sich hauptsächlich aus dem bereits beschriebenen Umstand, daß Symbole über ihren orektischen Pol die Energien, die bestimmten Objekten, Beziehungen, Ereignissen und Geschichten inhärent sind, selbst in sich aufnehmen. „In this respect, the objects and activities in point are not merely things that stand for other things, they participate in the powers and virtues they represent."61 Turner ist im Laufe seiner Theoriebildung von der Analyse ritueller Symbole zu einer Untersuchung sozialer Symbole im allgemeinen vorangeschritten, an deren Ende eine eigene Gesellschaftstheorie steht.62 Dazu ist im einzelnen Nachfolgendes anzumerken.

3. Die Gesellschaftstheorie: Struktur und Anti-Struktur Seine Einsichten zur gesellschaftlichen Relevanz von Ritualen und ihrer Symbolik baut Victor Turner namentlich in seinem Werk „The Ritual Process" zu einer allgemeinen sozialanthropologischen Gesellschaftstheorie aus. Darin transferiert er die aus der Ritualforschung gewonnenen Konzepte der „Liminalität" und „Communitas" auf nichtrituelle Vorgänge und konzentriert sich dabei nicht länger auf kleine homogene Stammesgesellschaften, sondern bezieht literarische und moderne industrielle bzw. postindustrielle Gesellschaften in seine Analysen mit ein. Der Anthropologe zeigt auf, daß sich die Charakteristika und Symbole der Liminalität mitsamt den Communitaserfahrungen auch außerhalb der Schwellenphase von Ritualen ausmachen lassen,63 60

Vgl. dazu Dramas, 56 sowie Forest, 54: „It must not be forgotten that ritual symbols are not merely signs representing known things; they are felt to possess ritual efficacy, to be charged with power from unknown sources, and to be capable of acting on persons and groups coming in contact with them in such a way as to change them ..." 61 Symbols, 189. TURNER verdeutlicht dieses Phänomen, indem er darauf verweist, daß unter den Ndembu bestimmte Symbole zugleich als Medizin verwendet werden. Blätter und Späne des bereits mehrfach erwähnten Mudyi-Baumes, des zentralen Symbols für Muttermilch und Matrilinearität, werden zu einer mehligen Masse verarbeitet und, mit Wasser vermischt, bestimmten Patienten zur Einnahme gegeben oder als Waschung verabreicht. TURNER folgert ebd.: „... when the mudyi is used as medicine in ritual, it is felt that certain qualities of motherhood and nurturing are being communicated physically." 62 In diesem Zusammenhang verwendet TURNER bisweilen die S. PEPPER entlehnte Kategorie der „root metaphor" (vgl. Dramas, 26). Er tut dies jedoch ohne die analytische Schärfe und Differenziertheit, die er in der Symbolanalyse im Rahmen seiner Feldforschungen bei den Ndembu an den Tag legte. Im wesentlichen lassen sich allerdings „Wurzelmetaphern" mit „dominanten Symbolen" in eins setzen (vgl. Dramas, 51; COLLINS, Ritual Symbols, 346). HOLMES, Ritual, 204 unterscheidet Wurzelmetapher und Symbol insoweit, als erstere produziert, während letzteres entdeckt wird. 63 TURNER spricht später von einer metaphorischen Übertragung insbesondere des Liminalitätsbegriffs; vgl. nur Comments, 286f.; Theater 43f.70.128; s. dazu auch HANDELMAN, Models, 66.

56

Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

etwa in millenarischen Bewegungen, monastischen Gemeinschaften, in der modernen Untergrundkultur sowie im Wesen und der Ideologie bestimmter sozial-marginaler Individuen wie Clowns, Trickster64, Schamanen, Propheten oder Künstler. Diese Gruppen und Personen verkörpern gleichsam Liminalität und Communitas auf Dauer.65 Turner spricht diesbezüglich von permanenter Liminalität6 und weitet in diesem Zusammenhang auch den Communitas-Begriff aus. Er beschränkt ihn nicht länger auf die egalitäre Verbundenheit einer Ritualgemeinschaft, sondern gebraucht ihn nun zur Umschreibung einer elementaren Sozialform menschlichen Daseins 67

Die beiden Sozialmodelle Prinzipiell gibt es für Turner zwei Modelle, nach denen Menschen ihre sozialen Beziehungen gestalten: „Das eine ist ... das Modell von Gesellschaft als einer Struktur rechtlicher, politischer und wirtschaftlicher Positionen, Ämter, Status und Rollen, in denen sich das Individuum nur sehr verschwommen hinter dem sozialen Typus abzeichnet. Das andere ist das Modell von Gesellschaft als einer aus konkreten idiosynkratischen Individuen bestehenden Communitas - Individuen, die, obwohl sie sich in ihren körperlichen und geistigen Talenten unterscheiden, dennoch im Hinblick auf ihr gemeinsames Menschsein als gleich betrachtet werden."68 Unter Struktur versteht Turner mit anderen Worten „Gesellschaft als strukturiertes, differenziertes und oft hierarchisch gegliedertes System politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Positionen mit vielen Arten der Bewertung ..., 64

Zur Bedeutung von Trickstem s. SULLIVAN, Tricksters, 45f. Vgl. dazu nur Ritual, 107f.122f.125. 66 Vgl. ebd., 106: „Was in Stammesgesellschaften hauptsächlich eine Reihe von die Übergangsphase zwischen definierten kulturellen und sozialen Seinsformen kennzeichnenden Eigenschaften war, ist, wie es scheint, mit zunehmender gesellschaftlicher und kultureller Spezialisierung und immer größer werdender Komplexität der sozialen Arbeitsteilung zu einer institutionalisierten Daseinsform geworden. Doch sind Spuren der Übergangsqualität religiösen Lebens in Formulierungen enthalten wie: ,Der Christ ist ein Fremdling auf Erden, ein Pilger, ein Reisender, ohne einen Ort, an dem er sein Haupt zur Ruhe betten kann.' Hier ist aus dem Übergang ein permanenter Zustand geworden. Nirgends tritt diese Institutionalisierung des Schwellenzustands klarer zutage als im Kloster- und Bettelmönchsleben, das die großen Weltreligionen hervorgebracht haben"; s. auch ebd., 140ff. 67 Vgl. Dramas, 231: „Communitas is a fact of everyone's experience, yet it has almost never been regarded as a reputable or coherent object of study by social scientists: it is, however, central to religion, literature, drama, and art, and its traces may be found deeply engraven in law, ethics, kinship, and even economics. It becomes visible in tribal rites of passage, in millenarian movements, in monasteries, in the counterculture, and on countless informal occasions." 68 Ritual, 169 (Hervorhebungen nicht im Original). 65

Die Gesellschaftstheorie: Struktur und Anti-Struktur

57

die die Menschen im Sinne eines ,Mehr' oder .Weniger' trennen"69. Communitas bezeichnet hingegen „Gesellschaft als undifferenziertes, homogenes Ganzes ..., in dem sich die Einzelnen als ganze Menschen gegenüberstehen nicht in Status und Rollen .segmentiert'"70. Das Sozialmodell der Communitas bildet so das genaue Gegenteil zur Sozialstruktur, ja es impliziert „die Auflösung der normativen Sozialstruktur, ihres Rollensystems, ihrer Statuspositionen, ihrer Rechte und Pflichten usw."71. Darum nennt Turner es auch Anti-Struktur. Bezeichnet somit Struktur alles, was Menschen definiert, sie trennt, kontrolliert, ja unterjocht, so ist Anti-Struktur demgegenüber mit Freiheit, Spontaneität, Egalität und Universalität verknüpft. Darin kongruiert sie ritueller Liminalität, aus der sie auch immer wieder ihre Energien schöpft. 72 In einer Liste dichotomischer Gegensätze stellt Turner die Kennzeichen beider Grundformen sozialen Daseins und ihrer symbolischen Ausdrucksformen wie folgt einander gegenüber:73

Anti-Struktur/Schwellenzustand

Struktur/Statussystem

Übergang Totalität Homogenität Communitas Gleichheit Anonymität Besitzlosigkeit Statuslosigkeit Nacktheit bzw. uniforme Kleidung Sexuelle Enthaltsamkeit Minimierung der Geschlechtsunterschiede Ranglosigkeit Demut Desinteresse an persönlicher Erscheinung Keine Vermögensunterschiede Selbstlosigkeit Totaler Gehorsam Sakralität Sakrale Einweisung

Zustand Partialität Heterogenität Struktur Ungleichheit Bezeichnungssysteme Besitz Status Kleidungsunterschiede Sexualität Maximierung der Geschlechtsunterschiede Rangunterschiede gerechter Stolz auf Positionen Achten auf persönliche Erscheinung Vermögensunterschiede Selbstsucht Gehorsam nur gegenüber höherem Rang Säkularität technisches Wissen

69

Ebd., 96. TURNER bezieht also den „Struktur"-Begriff im Sinne der britischen Sozialanthropologie auf „Sozialstruktur" und verwendet ihn nicht für logische Kategorien und ihre formalen Beziehungen zueinander, wie dies bei C. L&VI-STRAUSS der Fall ist; vgl. dazu ebd., 159; zur Definition von „Sozialstruktur" s. auch ebd., 123. 70 Ebd., 169. 71 Theater, 40. 72 Vgl. dazu die Ausführungen bei ALEXANDER, Turner, 27-44, bes. 39ff. 73 Vgl. Ritual, 105. Die Gegenüberstellung erinnert an die Polaritäten des französischen Strukturalismus. Doch TURNER unterscheidet sich wesentlich davon; vgl. dazu DEFLEM, Ritual, lOf.

58

Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

Schweigen Aufhebung verwandtschaftlicher Rechte Ständiger Bezug auf mystische Kräfte Dummheit Simplizität Hinnahme von Schmerz und Leid Unselbständigkeit

Sprechen verwandtschaftliche Rechte und Pflichten zeitweiliger Bezug auf mystische Kräfte Klugheit Komplexität Vermeidung von Schmerz und Leid Selbständigkeit

Den ausschlaggebenden Unterschied zwischen den aufgelisteten anti-strukturellen bzw. liminalen Eigenschaften und denen der Sozialstruktur verdeutlicht Turner durch den Kontrast von Inklusivität und Exklusivität. Inklusivität ist das Hauptsignum von Anti-Struktur: „Anti-structure abolishes all divisiveness, all discriminations, binary, serial, or graduated."74 Ziel anti-strukturellen Verhaltens, z.B. freiwilliger Besitzlosigkeit oder sexueller Enthaltsamkeit, ist Turner zufolge die Überwindung entsprechender sozialer bzw. geschlechtlicher Barrieren. Die Sozialstruktur betont dagegen gerade diese Barrieren. Besitz und Sexualität fungieren hier als exklusive Unterscheidungsmerkmale von Individuen bzw. Gruppen. Es gilt also: „Communitas hat die Tendenz, inklusiv - man könnte auch sagen .großzügig' - zu sein, während Sozialstruktur tendenziell exklusiv, ja arrogant ist und Gefallen an der Unterscheidung wir/sie, Ingroup/Outgroup, höher/niedriger, Herren/Knechte findet."75

Struktur und Anti-Struktur als dialektisches Prozeßgeschehen „Struktur" und „Anti-Struktur" dürfen nun aber keinesfalls im Sinne zweier starrer Modelle interpretiert werden. Turner versteht Gesellschaft - im Gegensatz zu den Strukturfunktionalisten und ganz in Übereinstimmung mit Arnold van Gennep - nicht als statisches System, sondern als Prozeßgeschehen.76 Sozialstruktur ist für ihn stets einem Prozeß unterworfen bzw. ergibt sich aus einem solchen. Turners Credo lautet: „The social world is a world in becoming, not a world in being ... and for this reason studies of social structure as such are irrelevant."77 Der Anthropologe begreift die menschliche Geschichte näherhin als dialektischen Prozeß, bei dem sich Struktur und Anti-Struktur kontinuierlich gegen74

Dramas, 288. Theater, 80 (Hervorhebungen nicht im Original). 76 Zur Auseinandersetzung mit dem Strukturfunktionalismus in diesem Zusammenhang vgl. Dramas, 31f. und Theater, 97ff. Der für TURNER so wichtige Prozeßgedanke (s. nur Revelation, 33) bekundet sich zumal in dem Titel seiner einflußreichen Publikation „The Ritual Process". Die deutsche Übersetzung („Das Ritual") blendet diesen Aspekt leider aus. 77 Dramas, 24; vgl. Edge, 229. 75

Die Gesellschaftstheorie: Struktur und Anti-Struktur

59

seitig durchdringen:78 Um sicher und geordnet leben zu können, müssen Menschen eine Sozialstruktur aufbauen. Doch ohne Communitas erstarrt diese zu einem unfruchtbaren, toten Gebilde. Relativ stabile Gesellschaften werden darum immer wieder von enthusiastischen, millenarischen oder apokalyptischen Bewegungen attackiert, Bewegungen, die den Geist der Liminalität und Communitas im oben explizierten Sinn atmen. Analog zur rituellen Liminalität und häufig zugleich mittels ritueller Transformationen brechen diese Bewegungen den Status quo einer Gesellschaft anti-strukturell auf. Doch um überleben zu können, sind sie ihrerseits darauf angewiesen, Ordnungen einzuführen, die letztlich zur Konstitution einer neuen Sozialstruktur führen. Turner zufolge erfährt die bestehende Struktur in diesem Prozeß der Auflösung und Restitution eine fundamentale Wandlung bzw. Reformierung. Bevor auf diesen Aspekt eingegangen werden kann, seien einige Anmerkungen zu den genannten Bewegungen angefügt.

Die liminalen

Bewegungen

Ich will solche Bewegungen, die im einzelnen verschiedenste lokal- und zeitspezifische Ausprägungen aufweisen können, der Einfachheit halber als „liminale Bewegungen" bezeichnen. Diese Terminologie soll deutlich machen, daß es sich um Gruppierungen handelt, deren Ideologie und Verhalten liminal bzw. anti-strukturell geprägt ist. Der Name legt sich auch insofern nahe, als Turner unterstreicht, derartige Bewegungen träten in Phasen der Geschichte auf, „... die in vielerlei Hinsicht den Schwellenphasen in wichtigen Ritualen .homolog' sind, in denen die Hauptgruppen oder sozialen Kategorien stabiler Gesellschaften von einem in einen anderen Zustand überwechseln. Sie sind im wesentlichen Übergangsphänomene. Das ist vielleicht der Grund dafür, daß Mythologie und Symbolik vieler dieser Bewegungen den traditionellen Übergangsriten der Kulturen entlehnt sind, in denen die Bewegungen entstanden sind oder mit denen sie in dramatischem Kontakt stehen."79 Die Übereinstimmungen zwischen den Eigenschaften liminaler Bewegungen und den Merkmalen ritueller Liminalität veranschaulicht der Anthropologe mittels eines ausführlichen Kataloges, der zumal mit Blick auf das frühe Christentum erhellend ist, und darum im folgenden trotz mancher Wiederholungen zur oben zitierten Gegenüberstellung von Struktur und Anti-Struktur vollständig wiedergegeben werden soll. Als Kongruenzen werden genannt:

78 79

Vgl. dazu nur Ritual, 97.126.193. Ebd., 110; vgl. dazu auch Dramas, 248.

60

Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

„Homogenität, Gleichheit, Anonymität, Besitzlosigkeit (viele dieser Bewegungen fordern, da Besitzrechte mit vertikalen wie horizontalen Strukturunterschieden verknüpft sind, von ihren Mitgliedern die Zerstörung all dessen, was sie besitzen, um dem erwünschten vollkommenen Zustand der Übereinstimmung und Gemeinschaftlichkeit näher zu kommen), Herabsetzung aller auf das gleiche Statusniveau, das Tragen gleicher Kleidung (manchmal von beiden Geschlechtern), sexuelle Enthaltsamkeit (oder ... sexuelle Gemeinschaft, denn beide heben die den strukturellen Status legitimierenden Ehe- wie Familienbeziehungen auf), Minimierung der Geschlechtsunterschiede (alle sind ,im Angesicht Gottes' oder der Ahnen gleich), Abschaffung von Rangunterschieden, Demut, Gleichgültigkeit gegenüber der äußeren Erscheinung, Selbstlosigkeit, totaler Gehorsam gegenüber dem Propheten oder Führer, sakrale Einweisung, extreme Betonung religiöser im Gegensatz zu weltlichen Einstellungen und Verhaltensweisen, Aufhebung verwandtschaftlicher Rechte und Pflichten (alle sind Geschwister oder Kameraden, ungeachtet der früheren, säkularen Beziehungen), Einfachheit der Rede und des Auftretens, heilige Torheit, Akzeptieren von Schmerz und Leiden (bis hin zum Märtyrertum) usw." Und weiter heißt es: „Bemerkenswerterweise machen viele dieser Bewegungen zu Beginn ihres Auftretens nicht vor Stammes- oder nationalen Grenzen halt."80 Beispiele für Bewegungen mit liminalem Profil sind für Turner neben dem frühen Christentum die franziskanische Bewegung, der Protestantismus, die Sikhs und die Hippiebewegung der 60er Jahre.81

Das gruppensoziologische Communitas

Sequenzmodell und die drei Formen der

Wie bereits erwähnt, müssen liminale Bewegungen gewisse Verhaltensnormen und Hierarchien aufbauen, um dauerhaft bestehen zu können. Eine zumindest rudimentäre Organisation des Gemeinschaftslebens wird nötig, will die Gruppe nicht über kurz oder lang im Chaos untergehen. Dadurch erstarren liminale Bewegungen wieder zu einer neuen Form von „Struktur", freilich nicht ohne dabei Werte und Normen einer Gesellschaft zu transformieren, bringen sie doch auf der Grundlage ihrer anti-strukturellen Kritik, ihrer liminal-ludischen Dekonstruktion der kulturellen Matrix und aufgrund der Communitaserfahrung neue Lebensentwürfe und -modelle in die Sozialstruktur ein.

80

Ritual, 110. Es fällt auf, daß es sich hierbei überwiegend um religiöse Bewegungen handelt. Dies erklärt sich daraus, daß Religion laut TURNER an sich „liminale Qualität" besitzt, insofern sie als „Rück-bindung" (re-ligare) an eine transzendente Macht bzw. als Hoffnung auf ein kommendes transzendentes Reich per definitionem Menschen von der herrschenden Sozialstruktur „ent-bindet"; vgl. Religionsverständnis, 447 sowie Ritual, 106. 81

Die Gesellschafitstheorie: Struktur und Anti-Struktur

61

Von daher läßt sich mit Blick auf die liminalen Bewegungen häufig folgende Sequenz ausmachen:82 Struktur

Anti-Struktur (Liminalität/Communitas)

Gegen-Struktur

(Neue) Struktur.

Aus einer gegen Strukturverhärtungen ankämpfenden liminalen Bewegung im Geist der Communitas (Anti-Struktur) entwickelt sich mehr und mehr eine Protestbewegung mit eigenem Organisationsgefüge (Gegen-Struktur), die sich schließlich selbst als Struktur etabliert. So schließt sich der Kreis und wiederholt sich stets von neuem: „Eine zum Höchstmaß gesteigerte Communitas provoziert eine zum Höchstmaß gesteigerte Struktur, die wiederum revolutionäre Bestrebungen nach erneuter Communitas entstehen läßt. Die Geschichte aller großen Gesellschaften liefert den Beweis für diese, auf der politischen Ebene auftretende Oszillation."83 Daraus folgt: „Yesterday's liminal becomes today's stabilized, today's peripheral becomes tomorrow's centered."84 Im Verlauf dieser Entwicklung differenziert Turner zwischen drei verschiedenen Formen der Communitas: der spontanen, der normativen und der ideologischen Communitas.85 Die drei Typen sind weniger im Sinne permanent bestehender Sozialformen zu verstehen, sondern eher, dem beschriebenen Sequenzmodell sowie dem grundsätzlich prozessualen Ansatz Turners entsprechend, als Entwicklungsphasen zu begreifen.86 1. Bei der spontanen oder existentiellen Communitas handelt es sich um „eine direkte, unmittelbare und totale Konfrontation menschlicher Identitäten"87, wie sie sich zumal unter rituellen Subjekten während der Schwellenphase findet (s. oben). Wir haben es hier sozusagen mit der Urform der Communitas zu tun. 2. Die normative Communitas stellt den Versuch dar, spontane Communitas durch Institutionalisierung zu bewahren. Erfahrungen und Werte spontaner Communitaserlebnisse werden dazu in ein fixes System ethischer Vorschriften und gesetzlicher Regelungen eingebunden. So aber erfährt die reine Form der Communitas eine nicht unerhebliche Denaturierung, denn diese ist Ausnahme, nicht Gesetz, Wunder, nicht Regel, ursprüngliche Freiheit, nicht anangke, 82

Vgl. Dramas, 279.286. Zur Dialektik von Struktur und Communitas s. auch Ritual, 126; Theater, 73. 83 Ritual, 126. 84 Dramas, 16; vgl. Revelation, 33. 85 Vgl. Ritual, 128ff.; Theater, 74ff.; Dramas, 169. STAGL, Einfluß, 128 vergleicht die drei Typen der Communitas mit den drei reinen Typen legitimer Herrschaft nach M. WEBER. 86 Vgl. dazu DEFLEM, Ritual, 15; s. rum folgenden auch ALEXANDER, Turner, 57ff. 87 Theater, 74.

62

Darstellung der Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie Victor Turners

die Kausalkette der Notwendigkeit"88. Doch - so konzediert Turner - „selbst eine lediglich auf normativer Communitas basierende Gruppe unterscheidet sich von Gruppen, die aus irgendeiner - realen oder eingebildeten - .natürlichen' oder technischen .Notwendigkeit', z.B. einem System von Produktionsbeziehungen oder einer Gruppe mutmaßlich biologisch verwandter Personen wie einer Familie, einer Kindred oder Lineage entstehen. Normativer Communitas haftet etwas von ,Freiheit', .Befreiung' oder ,Liebe' an ,.." 89 3. Alternativ zur normativen Communitas kann sich auch eine ideologische Communitas bilden. Turner versteht darunter utopische Gesellschaftsmodelle, die die Erfahrung spontaner Communitas zu beschreiben und zu reproduzieren versuchen. Die ideologische Communitas ist mit anderen Worten „keine Vergesellschaftungsform, sondern ein kultureller Gegenentwurf zu den bestehenden Strukturen ..." 90 . Beispiele solcher ideologischer Communitas findet Turner vor allem in den großen Weltreligionen der Schriftkulturen.

Liminalität als Chance Vor dem Hintergrund der explizierten Oszillation von Struktur und AntiStruktur, von Normativität und Liminalität, gibt Turner zu bedenken: „Das Liminale kann .... so exotisch es auch erscheinen mag, nie mehr sein als ein kurzes, subversives Aufflackern. Sobald es auftritt, wird es in den Dienst der Normativität gestellt. Ich sehe in ihm aber eine Art institutioneller Kapsel oder Hülle, die den Samen künftiger sozialer Entwicklung, gesellschaftlichen Wandels auf eine Weise in sich birgt, daß die zentralen Tendenzen eines sozialen Systems niemals ganz zu Sphären werden können, in denen Recht und Ordnung sowie die ihnen dienenden Formen der sozialen Kontrolle den Ausschlag geben."91 Das heißt, Liminalität und liminale Bewegungen im speziellen bewahren die Gesellschaft vor Verkrustungen und fördern die gesellschaftliche Evolution. Dies rührt vor allem daher, daß Liminalität - sei es in Form ritueller Schwellenphasen, sei es in Form anti-struktureller Bewegungen oder Individuen ihrem Wesen nach innovativ ist. Turner beschreibt sie näherhin als „Potentialität", als eine Art Experimentierfeld, in dem die Elemente einer Kultur überdacht und reflektiert, zerlegt und dann wieder frei und phantasievoll zusammengesetzt werden können. „Mit anderen Worten, in der Liminalität .spielen' die Menschen mit den Elementen des Vertrauten und verfremden sie. Und aus

88 89 90 91

Ebd., 77 (Hervorhebungen im Original). Ebd. STAGL, Einfluß, 128 (Hervorhebung im Original). Theater, 69 (Hervorhebung im Original).

Die Gesellschaftstheorie: Struktur und Anti-Struktur

63

den unvorhergesehenen Kombinationen vertrauter Elemente entsteht Neues."92 Liminalität - in welcher Form auch immer - ist darum „the mother of invention"93, ein Raum intensiver „Kreativität" und „Reflexivität".94 Aus alledem ergibt sich die grundlegende Einsicht: „Der Mensch wächst mit Hilfe der Anti-Struktur und konserviert mit Hilfe der Struktur."95

92

Ebd., 40; s. auch Edge, 236; Prozeß 139; vgl. dazu ASHLEY, Introduction, xviiif. Experience, 10. 94 Zur Bedeutung von Reflexivität im anthropologischen Diskurs vgl. ASHLEY, Introduction, xixf.; BABCOCK, Reflexivity, 234-237, bes. 236; MYERHOFF/RUBY, Introduction, 1 35. Zur Reflexivität von Ritualen s. ferner GRIMES, Criticism, 166-168 und JENNINGS, Knowledge, passim. 95 Theater, 181; vgl. Dramas, 298. 93

§ 4 Zur Beurteilung und Anwendung der Theorien Victor Turners Victor Turner zählt mit seiner Ritual- und Gesellschaftstheorie inzwischen zu den Klassikern der Anthropologie. Einige Aspekte seines Ansatzes stießen gleichwohl auf deutliche Kritik. Dazu sowie zur anschließenden Anwendung der Turnerschen Einsichten einige Anmerkungen.

1. Turners universaltheoretischer Ansatz Wie in § 3 deutlich wurde, gehört Turner zu den Generalisten unter den Anthropologen. Die von ihm entwickelten Modelle sind weitgehend zeit- und kulturübergreifend konzipiert. Er wurde deshalb wiederholt kritisiert, die polymorphen kulturellen Inhalte spezifischer Kulturen zu sehr eingeebnet zu haben.1 Turner gibt selbst unumwunden zu: „I have ranged widely through geography and history, over India, Africa, Europe, China, and Meso-America, from ancient society through the medieval period to modern revolutionary times. I know that I have trespassed beyond the limits of my disciplinary competence on several occasions." Es folgt dann aber die apologetische Bemerkung: „My excuse is that I regard mankind as one in essence though manifold in expression, creative and not merely adaptive in his manifoldness."2 Weitere Argumente zur Verteidigung universaler Modelle sind bereits in § 2 dargelegt worden; sie brauchen an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden. Ein kurzer Blick auf die Rezeption der universaltheoretischen Thesen Victor Turners kann indes deren heuristischen Wert und ihr Leistungspotential unterstreichen. Dazu sei zunächst auf einige Beiträge des 1982/3 an der Universität Jerusalem abgehaltenen interdisziplinären Seminars zum Thema „Comparative Liminality" verwiesen, die 1985 in der Zeitschrift „Religion" einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Michael Heyd klassifiziert darin enthusiastische Bewegungen im

1

Vgl. dazu nur die Kritik von GEERTZ bei TURNER, Theater, 168f.; s. auch Β EIDELMANN, Kaguru, passim; FOSTER, Symbolism, 124. Der Vorwurf des unangemessenen Universalisierens wurde bereits VAN GENNEPs Theorie der Passageriten gemacht; vgl. dazu SCHOMBURG-SCHERFF, Nachwort, 24Iff. 2 Dramas, 17. TURNER bezieht sich hier zwar auf die Theorie des „sozialen Dramas", doch läßt sich das Zitat ohne weiteres auf dessen gesamte Ritual- und Gesellschaftstheorie übertragen.

Turners universaltheoretischer Ansatz

65

Europa des 17. Jahrhunderts als anti-strukturelle Bewegungen und zeigt dann, wie die liminalen Themen und Symbole dieser Bewegungen vom religiösen und politischen Establishment langsam adaptiert wurden. Heyd dokumentiert so beispielhaft die Relevanz des oben erläuterten Turnerschen gruppensoziologischen Sequenzmodells.3 In einem grundsätzlicher gehaltenen Aufsatz beschreibt der namhafte Soziologe S.N. Eisenstadt anti-strukturelle Liminalität als „ubiquitäres" Phänomen. Die Ubiquität der Liminalität ergebe sich unter anderem aus der unausweichlichen Ambivalenz und Kontingenz menschlicher sozialer Ordnungen, die wiederum in dem offenen biologischen Programm der menschlichen Spezies wurzle. Liminale Formen des Protests gegen die herrschende Struktur fänden sich daher in allen Gesellschaften, ja sie seien eine kontinuierliche und jeder sozialen Ordnung inhärente Komponente. Freilich variierten die mit derartigen Heterodoxien verknüpften liminalen Symbole und Situationen von Gesellschaft zu Gesellschaft, aber auch innerhalb einer Gesellschaft. Eisenstadt veranschaulicht seine Thesen vorwiegend anhand der sog. „Kulturen der Achsenzeit".4 Mehrfach haben sich Forscher und Forscherinnen auf dem Gebiet der Religionswissenschaft und der Theologie Turners Theorien zunutze gemacht. So analysiert Ingvild Saelid Gilhus die liminale Symbolik der Mythologie des Gnostizismus; Norman R. Petersen legt mittels der Unterscheidung von Struktur und Anti-Struktur den Philemonbrief aus; in ähnlicher Weise erforschen Dennis C. Duling die soziale Stellung des Evangelisten Matthäus und seiner Gemeinde sowie George S. Worgul das frühe Christentum im allgemeinen.5 Im Bereich der deutschsprachigen Soziologie und der Ethnologie arbeiten Wolfgang Lipp und Justin Stagl mit Turners Ansatz.6 Diese Beispiele - es ließen sich mühelos weitere hinzufügen 7 - belegen den doch breiten wissenschaftlichen Ertrag der universaltheoretischen Konzepte Victor Turners. Zahlreiche Sozialwissenschaftler, Historiker, Religionswissenschaftler und Theologen haben offensichtlich das beträchtliche heuristische Potential seiner ritual- und gesellschaftstheoretischen Überlegungen erkannt und fruchtbar zu machen gewußt, wobei die Konzepte freilich je nach Untersuchungsgegenstand, d.h. je nach untersuchter Gesellschaft und Kultur, mit je verschiedenen Inhalten gefüllt und so partikularisiert wurden (vgl. dazu die Überlegungen in § 2).

3

Vgl. HEYD, Reaction, 279ff.; s. ferner oben S. 60f. Vgl. EISENSTADT, Liminality, 315ff.; zu weiteren Anwendungen der Konzepte „Liminalität", „Anti-Struktur" und „Communitas" im Rahmen des Seminars s. KAPLAN, Man; SILBER, Opting. 5 Vgl. GILHUS, Gnosticism; N.R. PETERSEN, Rediscovering, 15Iff.; DULING, Marginality; WORGUL, Consciousness; s. ferner ISENBERG, Power, 45; GAGER, Ende, 106. 6 Vgl. LIPP, Kulturtypen, 454ff.; STAGL, Einfluß, 124ff.; DERS., Übergangsriten, 87ff.; s. dazu WIEDENMANN, Ritual, 275-286. 7 Vgl. nur unten S. 77f. mit Anm. 26 (§5.2). Erwähnenswert ist ferner der Einfluß TURNERS im Bereich der Theaterwissenschaften; vgl. dazu SCHECHNER, Theater-Anthropologie; ALEXANDER, Turner, 105ff. 4

66

Zur Beurteilung und Anwendung der Theorien Victor Turners

2. Zu den Konzepten „Struktur" und „Communitas" Eine dezidierte Kritik speziell an Turners gesellschaftstheoretischen Einsichten hat Brian Morris vorgetragen.8 Morris beanstandet, Turner habe dem Sachverhalt zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, daß informelle und egalitäre Sozialbeziehungen auch Teil des normalen sozialen Lebens seien. Es ginge mit anderen Worten nicht an, das säkulare, alltägliche Leben von vornherein mit „Sozialstruktur" gleichzusetzen. Umgekehrt wiesen oftmals gerade viele religiöse Gemeinschaften und Institutionen, die laut Turner bevorzugter Ort von Communitas seien, hierarchische und autoritäre Strukturen und eine Affinität zu politischer Macht auf. Kurzum, Morris wirft dem Anthropologen vor, er habe verkannt, daß Sozialstruktur zuweilen Communitas in sich berge und umgekehrt religiöse Communitas restriktiv sein könne. Stimmt man dieser Kritik zu, so werden wesentüche Aspekte des gesellschaftstheoretischen Ansatzes Turners obsolet. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß Morris mit seinen Einwendungen Turners Anliegen nicht ausreichend erfaßt. Er übergeht völlig dessen wichtige These einer Dialektik von Struktur und Communitas sowie das Sequenzmodell „Struktur ->· Anti-Struktur Gegen-Struktur Struktur".9 Die Sozialmodelle „Struktur" und „Communitas" sind eben keineswegs statische Gegensätze, sie durchdringen sich vielmehr gegenseitig, sind in einem laufenden Wechselprozeß begriffen. So führen Rituale bzw. liminale Bewegungen Communitaselemente in den Alltag ein. Andererseits besitzt eine „normative" Communitas durchaus autoritäre und restriktive Elemente. Morris' Kritik nimmt somit weder den prozessualen Charakter des Turnerschen Ansatzes noch dessen Konzept der normativen Communitas angemessen zur Kenntnis.10 Gerade der letztgenannte Punkt wird in § 10.5 dieser Arbeit eine wesentliche Rolle spielen, wenn dort die hierarchischen und restriktiven Elemente innerhalb des paulinischen Communitasprojekts näher erörtert werden. An dieser Stelle sei schließlich vermerkt, daß der Communitasbegriff in der folgenden Untersuchung in einer erweiterten Lesart verwendet wird. Turner beschränkt den Terminus im wesentlichen auf den zwischenmenschlichen Bereich. Diese rein horizontale Definition der Communitas soll hier um die vertikale Dimension ergänzt werden. In vielen religiösen Ritualen ist eine Relati8

Vgl. zum folgenden MORRIS, Studies, 258-263. Berechtigt ist in diesem Zusammenhang allerdings der Einwand von DRIVER, Magic, 227ff., TURNER verwende den Begriff „Dialektik" nicht eindeutig. An vielen Stellen, an denen der Begriff erscheint, kann tatsächlich kaum an „Dialektik" im strengen Sinn gedacht sein, sondern eher, wie TURNER es selbst einmal formuliert, an eine „Oszillation" zwischen Struktur und Anti-Struktur (vgl. Ritual, 126). Diese Kritik stellt aber TURNERS Theorie als solche nicht in Frage. 10 Zur Auseinandersetzung mit MORRIS' Kritik an TURNER vgl. auch ALEXANDER, Turner, 64. 9

Zur Definition des Rituals

67

vierung strenger Persongrenzen nicht nur auf der sozialen Ebene festzustellen, vielmehr taucht das Ich im Ritual oftmals auch in eine Art transzendenten Bereich ein, erfährt eine Verschmelzung mit göttlichen Wesen und erlebt darin gleichsam eine innerliche Auflösung der Person. Zuesse nennt diesen Vorgang „recentering" und charakterisiert ihn folgendermaßen: „There is in a kind of standing outside of oneself, a taking up of the position of the divine .other' and acting on its behalf that is expressed explicitly as a personal submission to it and that is experienced directly as a submersion of the personal will in the divine will." 11

Die solchermaßen beschriebene rituelle Transzendenzerfahrung trägt insofern die Kennzeichen einer Communitas, als auch hier eine direkte, unmittelbare und totale Konfrontation mit dem Anderen, hier allerdings dem transzendenten Anderen, erfolgt. Diese Ausweitung des Communitasbegriffs vertritt im übrigen auch die Turner-Schülerin Barbara G. Myerhoff. 12

3. Zur Definition des Rituals Turner definiert das Ritual als „prescribed formal behavior for occasions not given over to technological routine, having reference to beliefs in mystical beings and powers" 13 . An dieser Definition ist wiederholt Kritik geübt worden. Problematisch sind vor allem drei Punkte:14 1. Die definitorisch festgelegte Referenz von Ritualen auf mystische Wesen und Kräfte: Zwar findet sich ein solcher Bezug in der Tat in vielen religiösen Ritualen, doch kann diese Bestimmung nicht ohne weiteres auf alle Ritualformen, z.B. auf säkulare Rituale übertragen werden. Auch mit Blick auf religiöse Rituale trifft dieser Definitionsaspekt nur eingeschränkt zu, da einige Religionen - wie etwa der Zen-Buddhismus - auch ohne mystische oder übernatürliche Wesen auskommen. 2. Die definitorisch festgelegte Verbindung des Rituals mit Glauben („bel i e f ) : Der reichhaltigen ethnographischen Literatur zum Thema „Ritual" läßt 11 ZUESSE, Ritual, 407. Auch HAUSCHILDT, Ritual, 29 registriert eine Transzendenzerfahrung im Ritual, allerdings beschränkt er sie auf den Aspekt einer „Reduktion des Bewußtseinsfocus' zugunsten der Formalität des Vorgangs in seiner Allgemeinheit. Nicht mehr das Ich, sondern die symbolische Handlung in ihrer Form steuert." Vgl. zum Thema auch WENDT, Ritual, 20-32. 12 Vgl. MYERHOFF, Kult, 168 A*; Näheres dazu unten in § 7.3.3 (S. 193f.). 13 TURNER, Forest, 19; vgl. DERS., Theater, 126; s. auch DERS., Symbols, 183, wo das Ritual bestimmt wird als „a stereotyped sequence of activities involving gestures, words, and objects, performed in a sequestered place, and designed to influence preternatural entities or forces on behalf of the actor's goals and interests". 14 Vgl. zum folgenden GRIMES, Definition, 141f.; DERS., Beginnings, 59; DERS., Criticism, 12f. sowie ALEXANDER, Turner, 13-16; DRIVER, Magic, 236-238.

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Zur Beurteilung und Anwendung der Theorien Victor Turners

sich ohne viel Mühe entnehmen, daß es durchaus rituelles Handeln gibt, in dem der „Glauben" der rituellen Subjekte keine Rolle spielt. Wie Ronald L. Grimes unter Rekurs auf Jack Goody vermerkt, wurde z.B. in griechischen Stadtstaaten allein die Partizipation am Ritual verlangt, nicht aber Glaube.15 Überdies merkt Grimes an: „The problem with Turner's making belief a definitional requirement lies in the Western, rationalist assumptions packed into the notion of belief. The assumption that belief is primary and action a secondary expression of it is peculiar to certain phases of Western thought and thus ethnocentric if built into a definition. When a dancer dons a lion mask to become a lion god, is .believing' what is going on?" 16 3. Die definitorisch festgelegte Bestimmung des Rituals als „vorgeschriebenes, formelles Verhalten": Dieser Bestimmung zuwiderlaufend, hat Turner selbst immer wieder den informellen, spontanen und kreativen Charakter von Ritualen insbesondere während der liminalen Phase hervorgehoben. So betont er, daß selbst in Stammesritualen, „...in which interest in custom is keen, behavior ranges from prescribed formal', stereotyped action to a free ,play' of inventiveness"17. Mit der definitorischen Einengung rituellen Handelns allein auf vorgeschriebenes, formelles Verhalten widerspricht Turner daher seinen eigenen besseren Erkenntnissen. Die angeführten Argumente schränken die Brauchbarkeit der voranstehenden Definition erheblich ein. Der zuletzt genannte Punkt zeigt aber, daß Turner in seinen Studien der eigenen Ritualdefinition nicht unbedingt gefolgt ist.18 Von daher hängt die Relevanz seiner Ritualtheorie nicht von der in der Tat kritisch zu beurteilenden Ritualdefinition ab, vielmehr hat jene auch unabhängig von dieser Bestand. Auf welchem Fundament ruht die Turnersche Ritualtheorie aber dann? Man wird hier am ehesten an die oben in § 3.1 erläuterte Unterscheidung zwischen Ritual und Zeremonie denken. Die Differenzierung zwischen der transformativen Qualität von Ritualen und der konfirmatorischen Qualität von Zeremonien entspricht Turners sonstigen theoretischem Ansatz jedenfalls mehr als seine persönliche Ritualdefinition,19 sind doch Rituale in Turners Studien in erster Linie dramatisch inszenierte Transformationsgeschehnisse.20 So wird man festhalten dürfen: „Transitionalität ist das definitorisch sicherlich wich-

15

Vgl. GRIMES, Definition, 141; s. dazu GOODY, Against, 33. GRIMES, Definition, 141f. 17 TURNER, Variations, 40. 18 Vgl. GRIMES, Definition, 142: „One can either attribute to him considerable wisdom because he ignored it or fault him for failing to make it consistent with either his theory or his sense of ritual." 19 Vgl. dazu GRIMES, ebd. 20 Zur „dramatischen" Dimension des Rituals vgl. Näheres bei GRIMES, ebd., 143; SCHECHNER, Theater-Anthropologie, passim; s. ferner die Angaben zum „sozialen Drama" oben in § 3 Anm. 2 (S. 41). 16

Zur Definition des Rituals

69

tigste Kriterium rituellen Verhaltens."21 Hinzu kommt als zweites wesentliches Element die symbolisch-effektive Dimension, da Rituale nach Turner primär durch Symbole konstituiert sind. 22 Den Ritualstudien Turners wird von daher m.E. eine Bestimmung des Rituals als transformativ-symbolisches Handeln am ehesten gerecht. Mit solcher Rede vom transformativen und symbolischen Handeln ist freilich noch keine erschöpfende und in jeder Hinsicht befriedigende Ritualdefinition gegeben. Es sind lediglich Grundelemente rituellen Verhaltens genannt. Ist es aber überhaupt möglich, eine umfassende, konsensfähige Ritualdefinition zu entwickeln? Mit dieser Frage ist eines der schwierigsten Probleme der modernen Ritualforschung angesprochen, denn „Ritual" ist in etwa genau so schwer zu definieren wie „Kunst".23 In Anbetracht der zahlreichen im Laufe dieses Jahrhunderts entwickelten und oftmals disparaten Ritualdefinitionen24 sowie im Hinblick auf die Vielfalt und Komplexität rituellen Handelns,25 werden Sinn und Wert klassischer Ritualdefinitionen in jüngerer Zeit mehr und mehr angezweifelt.26 Statt die bereits bestehenden Definitionen um weitere zu ergänzen und dabei den Begriff „Ritual" wiederum reduktionistisch auf einige wenige Phänomene einzuengen, ist der bereits mehrfach erwähnte Ritualforscher Ronald L. Grimes dazu übergegangen, auf eine fixe Definition des Rituals - sei sie nun substantiell, formal oder funktional ausgerichtet27 - ganz zu verzichten und statt dessen qualitative Charakteristika zu sammeln, die eine bestimmte Handlung „mehr oder weniger" als Ritual ausweisen. In diesem Sinn schreibt er: „Ritual is not a ,what', not a .thing'. It is a ,how', a quality, and there are degrees of it. Any action can be ritualized, though not every action is a rite." 28 Dem-

21 WIEDENMANN, Ritual, 14 (Hervorhebung im Original); der Autor bezieht sich ebd. explizit auf TURNER; vgl. auch DRIVER, Magic, 166ff.; TURNBULL, Liminality, 55. 22 Vgl. GRIMES, Definition, 144. Näheres dazu s. oben in § 3.2. 23 LEWIS, Day, 9 bemerkt: „The word ,ritual' like the word ,art' does not have one commonly agreed definition; nor, if we resolve to avoid the uncertainty entailed by using it, is it easy to find a better or a satisfactory substitute. We find we have to use it and in many circumstances we do not doubt that we use it rightly even though it is hard to say exactly what itrightlymeans." Vgl. auch MCVANN, Introduction, 8 - 1 0 ; LAFONTAINE, Initiation, llff. 24 Vgl. dazu die Überblicke bei BELL, Ritual, 7 0 - 7 4 und ZUESSE, Ritual, 4 0 5 ; s. ferner GORMAN, Ideology, 1 8 - 2 8 ; LEWIS, Day, 6ff.; WERLEN, Ritual, 2 1 - 8 0 . Zur Diskussion um „enge" und „weite", „harte" und „weiche" Ritualdefinitionen vgl. GRIMES, Beginnings, xxf.

60. 25

V g l . dazu nur GRIMES, ebd., 4 0 - 5 7 . Dies gilt insbesondere für BELL, Ritual, 69-93 und GRIMES, Criticism, 9-15; BUCKLAND, Ritual, 215; KERTZER, Ritual, 8f.; vgl. ferner DRIVER, Magic, 12-31. 26

27

s. auch

Zur Unterscheidung von formalen, substantiellen und funktionalen Ritualdefinitionen vgl. WERLEN, Ritual, 21f.; s. dazu auch HAUSCHILDT, Ritual, 25. 28 GRIMES, Criticism, 13; s. auch GORMAN, Studies, 25. Von Graden der Annäherung ist im übrigen auch bei WIEDENMANNS extremtypologischem Gebrauch des Ritualbegriffs die Rede (vgl. Ritual, 207).

70

Zur Beurteilung und Anwendung der Theorien Victor Turners

entsprechend stellt Grimes eine differenzierte Liste von Handlungsqualitäten zusammen, die rituelles Handeln indizieren:29 performed, embodied, enacted, gestural (not merely thought or said) formalized, elevated, stylized, differentiated (not ordinary, unadorned, or undifferentiated) repetitive, redundant, rhyhtmic (not singular or once-for-all) collective, institutionalized, consensual (not personal or private) patterned, invariant, standardized, stereotyped, ordered, rehearsed (not improvised, idiosyncratic, or spontaneous) traditional, archaic, primordial (not invented or recent) valued highly or ultimately, deeply felt, sentiment-laden, meaningful, serious (not trivial or shallow) condensed, multilayered (not obvious; requiring interpretation) symbolic, referential (not merely technological or primarily means-end oriented) perfected, idealized, pure, ideal (not conflictual or subject to criticism and failure) dramatic, ludic [i.e. playlike] (not primarily discursiv, or explanatory; not without special framing or boundaries) paradigmatic (not ineffectual in modeling either other rites or non-ritualized action) mystical, transcendent, religious, cosmic (not secular or merely empirical) adaptive, functional (not obsessional, neurotic, dysfunctional) conscious, deliberate (not unconscious or preconscious) Rituelles Handeln enthält Grimes zufolge niemals alle der genannten Qualitäten, umgekehrt konstituiert das Vorhandensein nur einer Qualität noch kein Ritual. Vielmehr gilt: Je mehr der angeführten Qualitäten sich in einer bestimmten Verhaltensweise verdichten, um so mehr besteht Anlaß, diese als „Ritual" zu bezeichnen. Von daher ergeben sich unterschiedliche Grade der Annäherung an ein Ritual. Das „Ritual" ist somit nicht länger eine klar umrissene, eindeutig bestimmbare Größe, sondern ein an den Rändern offenes Konglomerat bestimmter Handlungsqualitäten. Mehr noch, der Ritualbegriff erhält hier den Charakter einer heuristischen Kategorie, eines analytischen Konzepts. Grimes stellt fest: „.Ritual' ... refers here to the general idea of which a rite is a specific instance. As such, ritual does not .exist' ...; ritual is an idea scholars formulate. ... Ritual is what one defines in formal definitions and characterizations; rites are what people enact." 30 Ähnlich heißt es bei David I. Kertzer: „In defining ritual, I am not, of course, trying to discover what ritual .really' is, for it is not an entity to be discovered. Rather, ritual is an analytical category that helps us deal with the chaos of human experience and put it into a coherent framework." 31 Dieser analytische Ritualbegriff ist im übrigen gerade für die Exegese von Bedeutung, verhilft er doch nach meinem Urteil dazu, nicht nur die Vielschichtigkeit menschlicher Handlungen und Erfahrungen, sondern auch die Komplexität bestimmter Textinhalte zu erschließen und diese in einen kohärenten Rahmen zu stellen. Auf das Verhältnis von Text und Ritual werde ich in § 5.2 genauer zurückkommen. 29

GRIMES, Criticism, 14.

30

Vgl. ebd., 10.

31

KERTZER, Ritual, 8.

Zur Definition des Rituals

71

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen verzichte ich hier auf eine eigene enge Ritualdefinition und schließe mich diesbezüglich prinzipiell dem Qualitätsmodell von Grimes an. In der anschließenden ritologisch orientierten Untersuchung paulinischer Texte werden dabei auf der Grundlage der explizierten Ritualtheorie Victor Turners freilich vor allem das transformativ-prozessuale und das symbolische Moment von Ritualen eine entscheidende Rolle spielen.32

32 Leider nennt GRIMES in der oben wiedergegebenen Liste die transformative Qualität rituellen Handelns nicht eigens; sie schwingt jedoch in einigen der genannten Qualitäten implizit mit. An anderer Stelle spricht GRIMES dagegen dem Ritual mit TURNER explizit „transformative Kraft" zu (s. Definition, 143), doch relativiert er dann dort dessen strikte Unterscheidung zwischen Ritual und Zeremonie und subsumiert ebenso konfirmatorisches Handeln unter den Ritualbegriff. Demgegenüber halte ich an TURNERS Differenzierung fest und reserviere die konfirmatorischen Aspekte rituellen Handelns, die teilweise auch in der zitierten Liste von GRIMES auftauchen, für den Begriff „Zeremonie".

§ 5 Zur Bedeutung und Anwendung der Ritualforschung im allgemeinen

1. Marginalisierung des Rituals und Wiederentdeckung der rituellen Dimension des menschlichen Lebens Immer wieder ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf die in der westlichen Wissenschaftstradition tief verwurzelte Tendenz zur Marginalisierung, ja Degradierung rituellen Verhaltens hingewiesen worden. So zeichnet der Soziologe Rainer Wiedenmann in seiner 1991 veröffentlichten Dissertation „Ritual und Statustransformation" für den Bereich der sog. „Mainstream-Soziologie" folgendes Bild: „Rituelle Praktiken gelten häufig als anachronistisch, als Überbleibsel oder Atavismus eines für das westliche Modell , moderner', .säkularisierter' Gesellschaften untypischen Verhaltens, wenigstens aber als Krisensymptom der Moderne."1 Bereits im Jahr 1970 konstatierte die Anthropologin Mary Douglas einen allgemein verbreiteten Abscheu und Widerwillen gegen das Ritual und bemerkte dazu: .„Ritual' ist ein anstößiges Wort geworden, ein Ausdruck für leeren Konformismus."2 Und weiter heißt es dort: „Viele Soziologen verwenden ... den Ausdruck ,Ritualist' für jemanden, der gewisse äußerliche Gesten vollzieht, ohne sich den in ihnen zum Ausdruck kommenden Idealen und Werten innerlich verbunden zu fühlen." 3 Ähnlich äußerte sich zur selben Zeit der Altertumsforscher Walter Burkert: „Ritual ist ein Wort, das heute zumeist in .emanzipatorischer' Tendenz verwendet wird, um traditionelle Ordnungen und Handlungsweisen als irrational und primitiv zu denunzieren und damit beiseite zu fegen." 4 Daß ein derart pejoratives Ritualverständnis gerade auch im Bereich der Theologie und zumal in der exegetischen Forschung verwurzelt ist, belegt u.a. einer ihrer renommiertesten Vertreter, nämlich Rudolf Bultmann, wenn er etwa mit Bezug auf den neutestamentlichen Jesus schreibt: „Tatsächlich ist die alttestamentliche Gesetzgebung, soweit sie aus kultischen und rituellen Vorschriften besteht, durch Jesus aus den Angeln gehoben worden. Wie er sich über das Sabbatgebot hinwegsetzt, so richtet sich seine Polemik gegen den gesetzlichen Ritualismus, der eine äußerliche Korrektheit erzielt, die mit 1 2 3 4

WIEDENMANN, Ritual, l l f . ; s. ferner ebd., 69ff. DOUGLAS, Ritual, 11. Ebd., 12. BURKERT, Ursprung, 77; vgl. auch GRIMES, Beginnings, 60f.

Marginalisierung des Rituals und Wiederentdeckung der rituellen Dimension

73

einem unreinen Willen Hand in Hand gehen kann."5 Rituelles Verhalten wird hier als leerer Konformismus abqualifiziert, der frei von jeglicher ethischen Verbindlichkeit ist, ja mehr noch, der das Motiv zur sittlichen Tat geradezu verdirbt.6 Wo liegen die Ursachen für diese verbreitete Reserve gegenüber dem Ritual? Frank H. Gorman Jr. macht drei zentrale abendländische Diskurse dafür verantwortlich: den reformatorischen Diskurs über Theologie, den Diskurs der Aufklärung über Religion und den historisch-kritischen Methodendiskurs. 7 Was den protestantischen Diskurs über Theologie angeht, nennt Gorman drei Aspekte, die zu einer Abwertung des Rituals geführt hätten: (1) die reformatorische Unterscheidung zwischen Werk und Glauben im Sinne einer qualitativen Differenzierung zwischen bloß äußerlichem Handeln (Ritual) und der eigentlichen innerlichen Glaubenserfahrung; (2) die christozentrische Auslegung biblischer Texte, besonders des Alten Testaments, die das Gesetz Israels mitsamt seinen rituellen Inhalten zu einer vorläufigen bzw. beendeten Instanz erklärte („Christus als des Gesetzes Ende"); (3) antijudaistische und antikatholische Tendenzen, die es mit sich brachten, daß die hohe Bedeutung des Gesetzes und der Sakramente durch Schlagwörter wie „Werkgerechtigkeit" oder „Sakramentalismus" relativiert wurde. Hinsichtlich des aufklärerisch-modernen Diskurses über Religion lassen sich mit Gorman folgende antiritualistischen Komponenten ausmachen: (1) Im Zuge der aufklärerischen Option für eine universal gültige rationale Religion wurde das Ritual, zumal das Opferritual, zu einem überholten irrationalen und primitiven Relikt erklärt. (2) Mit der zunehmenden Reduktion von Religion auf Ethik ging eine Ablehnung des Rituals als ethisch irrelevantes und der menschlichen Autonomie hinderliches Unterfangen einher. (3) Infolge der deutlichen Ausrichtung auf das Moment der Rationalität von Religion erfuhren die kognitiven Aspekte von Religiosität eine einseitige Überbetonung gegenüber der religiösen Dimension ritueller Körpererfahrung. Schließlich führte auch der Diskurs der historisch-kritischen Forschung zur Entwertung des Rituals: Die Konzentration auf (1) eine rationale, objektive und neutrale Auslegung der Bibel, (2) auf den Text als solchen sowie (3) die im Gefolge des deutschen Idealismus etablierte Suche nach der „wahren Bedeutung" der Texte „hinter" bzw. „über" diesen zog eine Ausblendung der rituellen Zusammenhänge in der Bibel nach sich. Nun ist allerdings seit geraumer Zeit eine deutliche Trendwende in der Beurteilung des Rituals und im Umgang mit diesem zu registrieren. Im Zusammenhang mit der aktuellen Problematisierung des Projekts „Moderne" sowie angesichts einer zunehmenden Offenheit für anthropologische Fragestellungen und fremde Kulturen im allgemeinen scheint die lange Zeit dominierende

5

BULTMANN, Theologie, 17. Vgl. dazu ebd., 11. 7 Vgl. zum folgenden GORMAN, Studies, 1 4 - 2 0 ; s. zudem McVANN, Introduction, 7 - 9 ; J.Z. SMITH, Place, 9 9 - 1 0 2 . 6

74

Zur Bedeutung und Anwendung der Ritualforschung im allgemeinen

Marginalisierung des Rituals zu bröckeln. Sowohl im akademischen wie auch im nichtakademischen Bereich wird die rituelle Dimension des Lebens nicht zuletzt im Kontext der Diskussion um die Postmoderne wiederentdeckt.8 Im wissenschaftlichen Raum findet diese Trendwende ihren augenscheinlichsten Niederschlag in der Entstehung und Entwicklung der sog. Ritual Studies. Unter diesem Label ist die Ritualforschung in Amerika seit 1977 auf dem Weg zu einer eigenen Forschungsdisziplin, die mit der 1985 gegründeten Zeitschrift „Journal for Ritual Studies" über ein eigenes Publikationsorgan verfügt. 9 Anders als in der bisherigen sozialwissenschaftlichen Forschung werden rituelle Vollzüge hier nicht länger nur deshalb untersucht, um auf diese Weise eine bestimmte Religion, Gesellschaft oder Kultur besser zu verstehen, die rituelle Dimension des Lebens wird nun vielmehr als solche zum primären Forschungsobjekt. Kennzeichnend für die „Ritual Studies" ist dabei ihre interdisziplinäre Ausrichtung. Rituelles Handeln wird aus unterschiedlichsten Forschungsperspektiven beleuchtet. Neben der Anthropologie und der Theologie zählen dazu die Soziologie, die Religions-, Geschichts- und Kommunikationswissenschaften, aber auch die Psychologie, Medizin, Biologie sowie die Theaterwissenschaft. Grimes, der maßgebliche Impulsgeber der „Ritual Studies", erklärt dazu: „What is new about ritual studies is the deliberate attempt to consolidate a field of inquiry reaching across disciplinary boundaries and coordinating the normative interests of theology and liturgies, the descriptive ones of the history and phenomenology of religions, and the analytical ones of anthropology. As a result of this goal, the discipline of ritual studies is less a method one applies than a field one cultivates."10 Die breite Interdisziplinarität unterstreicht, daß das Ritual von Grimes und anderen als eine nahezu alle menschlichen Daseinsbereiche tangierende, globale Erfahrungsdimension betrachtet wird, die nicht allein auf bestimmte, klar ausgrenzbare religiöse oder säkulare Ritualhandlungen zu beschränken ist. Rituale und rituelle Strukturen erscheinen vielmehr als Grundbausteine menschlichen Lebens, die dieses in Gänze durchdringen, bis in den Bereich

8

Vgl. dazu GORMAN, Studies, 20ff.; GRIMES, Beginnings, xiff.; HAUSCHILD, Ritual, 24; MCVANN, Introduction, 7; Ν. MITCHELL, Entstehen, bes. 268-271; WIEDENMANN, Ritual, 11.76-79; s. auch ARENS, Ritual, passim; DERS., Konturen, 145ff. Den Zusammenhang zwischen Postmoderne und Ritual expliziert GRIMES, Criticism, 23ff. 9 Zur Entwicklung und Gestalt der „Ritual Studies" vgl. GRIMES, Studies, 422-425; DERS., Beginnings, xiff.; s. ferner ALEXANDER, Afterword, 219ff.; BELL, Ritual, 16.56f. A13. 10 GRIMES, Studies, 422. Zu den bisherigen Ergebnissen aus den unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen vgl. DERS., Research, bes. 1-33.

Ritual und Text/Literatur

75

des Biologischen hinein.11 So wird verständlich, daß das Ritual - wie bereits in § 4.3 anklang - von manchen Forschern gar als genereller hermeneutischer Schlüssels genutzt wird: „Among scholars ritual is not only an .object' of study. Periodically, it has also become a cause (along with myth and symbol) ... Employed as hermeneutical principle, the idea of ritual becomes a metaphor, a tool to ,think by', a way of conceiving aspects of human experience, if not the world itself."12 Die voranstehenden Aspekte zusammenfassend, resümiert Catherine Bell: „The development of ritual studies as an independent and interdisciplinary area of scholarly research evinces, perhaps, the final result of the complex coexistence of ritual as an analytical tool and as a universal human experience - its universality is taken to ensure its usefulness and primacy as analytical concept."13 Das hier zutagetretende komplexe Ritualverständnis, in welchem „Ritual" für eine universale menschliche Erfahrung steht und gleichermaßen ein generelles analytisches Konzept bezeichnet, ein Ritualverständnis, das letztlich bereits den theoretischen Einsichten Victor Turners zugrunde liegt, wird wesentlich auch die anschließende Untersuchung der paulinischen Texte leiten.14 Insgesamt will die vorliegende Arbeit in Anbetracht der aktuellen Renaissance des Rituals und der Fortschritte auf dem Gebiet der „Ritual Studies" einen zumindest kleinen Beitrag zur Wahrnehmung und Entschlüsselung der rituellen Dimension der neutestamentlichen Schriften, hier der paulinischen, leisten. Doch wirft dies folgende Frage auf: Sind die Ergebnisse und Ansätze der neueren Ritualforschung mit dem Studium von Texten überhaupt kompatibel?

2. Ritual und Text/Literatur Die grundsätzliche Affinität zwischen Anthropologie und biblischer Exegese wurde bereits in § 2 besprochen. Gemeinsamkeiten, die einen Brückenschlag zwischen beiden Disziplinen ermöglichen, sind dort herausgearbeitet worden. 11

Die umfassende rituelle Dimension des Lebens erhellen DRIVER, Magic, 12ff. und GRIMES, Beginnings, 40ff. DRIVER, Magic, 32 stellt fest, „that the making and performing of rituals is not just some curious thing that certain religious people like to do, ... it is as universal and essential to the human condition as is the speaking of language". 12 GRIMES, Criticism, 21; vgl. ebd., 235 A12. 13

14

BELL, Ritual, 16.

Auf dieser Grundlage werde ich mir im übrigen erlauben, zuweilen auch auf Analogien rituellen Verhaltens aus anderen Kulturen zurückzugreifen; vgl. dazu v.a. den Vergleich der Struktur des Philipperhymnus mit Elementen einer ndembischen Amtsinitiation in §7.1.

76

Zur Bedeutung und Anwendung der Ritualforschung im allgemeinen

Im folgenden soll deutlich werden, daß gerade auch die anthropologische Ritualforschung eine erhebliche Relevanz für das Verständnis von Texten besitzt. Victor Turner hat wiederholt auf die enge Verflechtung von Ritual und Literatur aufmerksam gemacht. Diese ergibt sich allein schon aus der oben erläuterten Drei-Phasen-Struktur ritueller Prozesse (Separation, Liminalität, Aggregation), die ja eine Art Plot rituellen Handelns darstellt und ein „dramatisches" Moment impliziert.15 Turner gelangt von da aus zu der These, die großen ästhetischen Genres, insbesondere das Theater, aber auch die Literatur, hätten ihren Urgrund im Ritual, ja alle kulturellen Darstellungsformen seien letztlich aus dem performativen Reichtum des Rituals hervorgegangen.16 Vor diesem Hintergrund führte er selbst ritologisch orientierte Literaturuntersuchungen durch und übertrug die in seiner Ritualtheorie entwickelte Symbolanalyse auf den Symbolgebrauch in der Literatur; Turner kommentiert dieses Vorgehen wie folgt: „Both rituals and literary works are highly complex semiotic phenomena. Both are systems of multivocal or polysemous signs (symbols). In both cases the symbols concentrate and bring within a single limited context many designations that are in ordinary life scattered widely through the events of each day and year in the lives of individuals and societies. ... Both ritual and literary opus are metalanguages ... confronting in their symbolisms and within their frames, forms and values that would otherwise be regarded as separate, discrepant, or even opposed. ... Both ... take stock of the cultures in which they are embedded and of which they constitute, so to speak, the reflecting mind and feeling heart."17 Turner widmete sich u.a. Dantes Göttlicher Komödie und stellte die symbolträchtigen Beschreibungen des italienischen Dichters in den Kontext eines Initiationsszenarios, er verglich Melevilles weißen Wal Moby Dick mit der Rolle des weißen Geistes Kavula im ndembischen Chihamba-Ritual, er entnahm Gonzalos Vision eines idealen Gemeinwesens in Shakespeares Schauspiel „Der Sturm" den Communitasgedanken.18 In zahlreichen anderen literarischen und dramatischen Werken spürte er rituelle Strukturen und Symbole auf.19 Auch Mircea Eliade strich das häufige Auftreten speziell von Initiationsmotiven in der Romanliteratur heraus. Er verwies auf die ins 12. Jahrhundert 15 Vgl. nur TURNER, Stories, 161; s. ferner GRIMES, Criticism, 174ff.; DERS., Definition, 143f.; SCH0JDT, Initiation, 94. STAGL, Übergangsriten, 85 spricht von einem „Stück ritueller Grammatik". 16 Vgl. TURNER, Theater, 129 u.ö.; s. dazu GRIMES, Criticism, 174-177. 17 TURNER, Literature, Iii:, vgl. auch ebd., 51. 18 Vgl. ebd., 64ff.; Revelation, 17.189ff.; Ritual, 131ff. 19 Eine eindrückliche Zusammenschau der vielfältigen anthropologisch orientierten Literaturstudien ihres Mannes liefert E. TURNER, Roots, 163ff.

Ritual und Text/Literatur

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datierten „Romane, die Artus, den Gralskönig, Parsival und andere in die Suche nach dem Gral verwickelte Helden in den Vordergrund stellten"20, und machte darüber hinaus vor allem in Märchen eine Verwandlung von Initiationsszenarien in literarische Motive aus.21 Eliade notiert: „Paul Saintyves hatte bereits nachzuweisen versucht, daß eine bestimmte Kategorie von Märchen ihrer Struktur nach - und, wie er hinzufügte, ihrer Herkunft nach initiatorisch sind. Andere Folkloristen haben dasselbe Thema aufgegriffen, und kürzlich hob der holländische Germanist Jan de Vries die Initiationselemente der Sagen und Märchen hervor. Welche Stellung man in dieser Diskussion über den Ursprung und die Bedeutung der Märchen auch einnimmt, es ist nicht zu bestreiten, daß sich die Prüfungen und Abenteuer der Helden und Heldinnen fast immer in Initiationsbegriffe übersetzen lassen."22 Ähnliche Verarbeitungen von Initiationsstrukturen und -motiven eruiert Eliade schließlich in Goethes „Wilhelm Meister" sowie in der modernen europäischen und amerikanischen Literatur, etwa bei Jules Verne, T.S. Eliot, Sherwood Anderson, F. Scott Fitzgerald, Thomas Wolfe und William Faulkner.23 Eliade bestätigt somit ebenfalls, daß es durchaus Sinn macht, literarische Texte auf inhärente rituelle Muster und Initiationsszenarien hin zu befragen. 24 Mit seiner Ritual- und vor allem seiner Symboltheorie hat allerdings Victor Turner der Wissenschaft ein gegenüber Eliade doch differenzierteres Instrumentarium zur Verfügung gestellt, um literarische Werke ritologisch zu analysieren. So nimmt es nicht wunder, daß gerade Turners Konzepte in den letzten Jahren mehrfach im Zusammenhang mit Textanalysen aufgegriffen und fruchtbar gemacht wurden. Dabei sind neben im engeren Sinn literarischen Texten25 auch biblische Texte unterschiedlicher Gattungen herangezogen worden. So untersuchte Mieke Bai unter Bezugnahme auf Turners Ritualtheorie Jdc 4,17-21 und 5,24-27, Robert L. Cohn die Wüstentradition in Ex 12,37 bis Num 25,18, J. Dorcas Gordon die Diskussion um die Ehe in IKor 7, K.C. Hanson das Matthäusevangelium, Leo G. Perdue die Weisheitsliteratur und die Paränese des Jakobusbriefes, Susan Niditch die Paradieserzählung der Genesis, Paula M. McNutt das Portrait 20

ELIADE, Mysterium, 225. Man wird hier freilich mit dem Adjektiv „literarisch" vorsichtig umgehen müssen, handelt es sich doch bei Märchen in der Regel um mündliche Erzählungen, die allemal erst sekundär verschriftlicht wurden. Gleichwohl bleibt das Faktum einer ästhetischen Übernahme von Initiationsszenarien auch so bestehen. 22 Ebd., 227. 23 Vgl. dazu ELIADE, Initiation, 228f. 24 PAVEL, Narratives, 67 macht auf ähnlich lautende Aussagen bei V. PROPP aufmerksam und spricht ebd. von der „Propp-Eliade-Turner hypothesis", nach der „the well-knit, richly articulated folktale must be correlated with the presence of ritual". Ritologische Literaturanalysen finden sich auch bei GRIMES, Reading, bes. 127ff. 25 Vgl. dazu nur BABCOCK, Mud, passim; DALY, Liminality, passim. 21

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Zur Bedeutung und Anwendung der Ritualforschung im allgemeinen

der Keniter, Midianiter und Rechabiter in der biblischen Tradition, Mark McVann das Markusevangelium und seine Passionsgeschichte sowie die Darstellung Jesu als Prophet bei Lukas und Matthäus, Raymond van Leeuwen Proverbien 1-9. 2 6 D i e konkreten Verflechtungen zwischen Ritual und biblischen Texten sind vielfältig. Grundsätzlich lassen sich m.E. sechs Formen der textlichen Verarbeitung ritueller Handlungen, Elemente und Strukturen ausmachen: 1. Ein Text enthält Anweisungen zur Ausführung eines Rituals. 2 7 2. Ein Text berichtet oder konstatiert den Vollzug eines Rituals. 28 3. Ein Text beschäftigt sich mit der Bedeutung, Funktion oder rechten Durchführung eines Rituals. 2 9 4. Ein Text entstammt direkt rituellem Gebrauch. 30 5. Ein Text besitzt unmittelbar selbst rituelle Funktion. 31 6. Ein Text ist mit einem Ritual synekdochisch vernetzt.

26 Vgl. BAL, Experiencing; COHN, Shape; GORDON, Sister; K.C. HANSON, Transformed; PERDUE, Liminality, 115ff.; DERS., Paraenesis, 248f.252f.; NIDITCH, Chaos, bes. 31ff.; McNUTT, Kenites; McVANN, Baptism; DERS., Passion; DERS., Rituals; DERS., Prophets; DERS., Reading; VAN LEEUWEN, Liminality, 116ff. Zur ritologischen Analyse biblischer Texte s. insbesondere auch die bei GORMAN, Studies, 26-28 genannten Arbeiten; vgl. ferner oben S. 65 mit Anm. 5 (§ 4.1). Auch TURNER selbst hat sich biblischen Texten zugewandt, etwa der Erzählung vom leeren Grab (vgl. Revelation, 187ff.). Eine an TURNER orientierte ritologische Analyse der Didache findet sich bei DRAPER, Role. 27 Vgl. nur die Instruktionen in Lev 16f. Im Neuen Testament wäre etwa an die sog. Gedächtnisworte zu denken (IKor 11,24.25; Lk 22,19), die die regelmäßige Feier des Abendmahls anordnen, oder an den Taufbefehl Jesu (Mt 28,19f.; Mk 16,15f.) bzw. an die Aufforderungen zur Taufe in Act 2,38; 10,48. 28 Mehrfach finden sich im Neuen Testament z.B. Taufdarstellungen, angefangen von der Taufe Jesu (Mk 1,9-11) bis zu den vielen Taufschilderungen in den Acta (2,41; 8,12; 8,36-39; 9,18; 16,15.33; 18,8); ebenso gehören die Berichte über die Stiftung des Abendmahls durch Jesus hierher (Mt 26,26-29; Mk 14,22-25; Lk 22,15-20; IKor 11,23-26). Über formelle Amtsinitiationen referieren z.B. Act 1,15-26; 6,1-6; 13,1-3; 14,23. Darüber hinaus begegnet im Neuen Testament häufig die Praxis des Betens (von Jesus: Mk 1,35; 14,35-42; Mt ll,25f. u.ö.; von der Gemeinde: Act 1,14; 2,42; 4,23-31 u.ö.); auch vom Fasten wird wiederholt berichtet (Lk 2,37; Act 13,2f.; 14,23). 29 Vgl. dazu nur IKor 10,16f., die Interpretation des Herrenmahls durch Paulus, oder IKor 14, die Diskussion der Bedeutung ritueller Elemente im Gottesdienst, vor allem der Glossolalie. Zu nennen sind hier auch die Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Sabbatgebot in den Evangelien (Mk 2,23-28; 3,1-6; Mt 12,1 lf.; Lk 13,10-17; 14,1-6; Joh 5; 7,22f.; 9), die Diskussion um Reinheitsvorschriften (Mk 7,1-23; Mt 23,25f.; Lk ll,37ff.) oder die Frage nach dem rechten Fasten (Mk 2,18-22; Mt 6,16-18). 30 Hierzu zählen die vielen traditionellen Formeln (z.B. Rom 10,9; IKor 8,6), Gebete (z.B. Mt 6,9-13) und Hymnen (z.B. Phil 2,6-11; Kol 1,15-20). 31 Hier ließe sich an die Grüße in den Paulusbriefen denken, die den rituellen Akt qua Schrift direkt transportieren. Das gleiche gilt für Segnungen und Doxologien. Zur Verbreitung dieser „rituellen Sprache" im Corpus Paulinum vgl. MEEKS, Urchristentum, 198f. Stimmt man der These von H.D. Β ETZ, Gal, 70-72 zu, der Galaterbrief sei als „magischer Brief' konzipiert, so trägt der Brief in Gänze die Funktion eines Transformationsrituals. Die Lektüre führt danach zur Verfluchung oder Segnung der Leser.

Ritual und Text/Literatur

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Mit dem zuletzt genannten Punkt ist zweifelsohne die vielschichtigste und zugleich interessanteste Relation zwischen Ritual und Text angesprochen. Mieke Bai schreibt dazu: „The text, here, is not .about' ritual, but inserts it, integrates it. Fragments of the text can receive a context that is ritual, while at the same time they keep their semantic function in the text."32 Solche Rede von der Einfügung bzw. Integration eines Rituals in einen Text bzw. vom Ritual als Kontext erinnert an die gegenwärtige Diskussion um die Theorie der Intertextualität. Nach Julia Kristeva - eine der führenden Impulsgeberinnen in der Intertextualitätsdebatte - ist jeder Text durch andere Prätexte konstituiert, ein Mosaik aus Zitaten, eine Absorption oder Transformationen eines anderen Textes bzw. anderer Texte.33 Für den hier relevanten Zusammenhang ist bedeutsam, daß die Literaturtheoretikerin den Textbegriff extrem ausweitet, und zwar so, daß sie auch nichtliterarische kulturelle Systeme oder Strukturen darunter subsumiert.34 Unter dieser Voraussetzung lassen sich auch Rituale als „Texte" deuten, d.h. als les- und interpretierbare semiotische Systeme, die als solche wiederum zum Prätext bestimmter literarischer Texte werden können. Dieses Intertextualitätskonzept schließt insoweit die Möglichkeit ein, daß sich Texte nicht nur aus der Interaktion mit anderen konkreten Erzähltexten heraus generieren, sondern sich ebenso kraft Absorption ritueller Elemente und Strukturen bilden. Als Prätext lassen sich mit anderen Worten Rituale bzw. rituelle Prozesse denken, die einen bestimmten Text wie ein Zitat, eine Anspielung oder ein „Echo" (eine Metalepsis) anreichern und diesem dadurch erst seine spezifische Gestalt verleihen.35 Dieses Modell einer Vernetzung zwischen Text und Ritual dürfte in etwa auch Gorman vor Augen haben, wenn er vermerkt: „Ritual structures and ritual processes may serve as the basis for story and narrative. Ritual may serve as the background for narrative construction and development. Indeed, ritual may generate narrative and story in such a way that ritual dynamics will be reflected within narrative."36 32

BAL, Experiencing, 19. Vgl. KRISTEVA, Semeiotike, 146; s. dazu die Ausführungen bei PFISTER, Konzepte, 5-11. 34 Vgl. dazu PFISTER, Konzepte, 7f. 35 Bei der Verwendung der Begriffe „Anspielung", „Echo" und „Metalepsis" beziehe ich mich auf die von HAYS erstmals vorgelegte intertextuelle Interpretation der paulinischen Briefe (s. Echos, passim). Mit dem Begriff der Metalepsis rekurriert HAYS auf J. HOLLANDER; er schreibt dazu: „Metalepsis ... places the reader within a field of whispered or unstated correspondences ..." (ebd., 20). Den Unterschied zwischen einer Anspielung und einem Echo beschreibt HAYS wie folgt: allusion is used of obvious intertextual references, echo of subtler ones" (ebd., 29). 36 GORMAN, Studies, 23. 33

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Zur Bedeutung und Anwendung der Ritualforschung im allgemeinen

In diesem Sinn sei nochmals auf die oben genannten Thesen Turners und Eliades zurückverwiesen, wonach bestimmte literarische Text Initiationsmuster in sich aufgenommen haben.37 Ich werde im folgenden exegetischen Teil zu zeigen versuchen, daß auch zentrale paulinische Texte durch rituelle Strukturen, Motive und Symbole geformt sind, die sich mit Hilfe der Überlegungen Turners und der allgemeinen ritologischen Forschung genauer erhellen lassen. Die Vernetzungen zwischen Ritual und Text können dabei unterschiedliche Ausformungen annehmen. Sie können sich auf einer mehr strukturellen Ebene bewegen (ein Text spiegelt einen rituellen Prozeß mitsamt den Schritten der Separation, Liminalität und Aggregation wider), es können konkrete Anspielungen auf bestimmte rituelle Erfahrungen vorliegen (z.B. die Rede von Tod und Auferstehung als Hinweis auf die Taufe), es kann sich um direkte semantische Verflechtungen handeln, d.h. ein Text nimmt kultischrituelle Fachtermini im übertragenen Sinn auf (z.B. άφορίζειν [Gal 1,16 u.ö.]; •frudla, λειτουργία, σπονδή [Phil 2,17 u.ö.]; ίλαστήριον [Rom 3,25]),38 schließlich ist es möglich, daß Texte die Auswirkungen ritueller Erfahrungen reflektieren, indem sie dem Ritual entsprungene Communitaserfahrungen zur Sprache bringen.

3. Ritual, Transformation und die paulinische Theologie Die jüngere Paulusexegese hat wiederholt die zentrale Bedeutung des Transformationsgedankens für die Theologie des Apostels herausgestellt. Dies belegen insbesondere die großen Paulusmonographien von E.P. Sanders, Alan F. Segal, Seyoon Kim und Daniel Boyarin. So sieht Sanders die tieferen Schichten des paulinischen Denkens durch Begriffe und Kategorien geprägt, „die einen realen Wandel durch Teilhabe an der neuen Schöpfung beschreiben"39. Paulus gehe es mit anderen Worten vornehmlich um das Thema des Transfers der Christusgläubigen aus dem Bereich der Sünde in den Bereich des neuen 37

An dieser Stelle ist auch die viel diskutierte These von MERKELBACH zu nennen, wonach fast alle uns bekannten antiken Romane in ihrem Gesamtverlauf und Ziel sowie in Einzelzügen der Handlung Mysterienrituale zum Grund haben (vgl. DERS., Roman, passim). 38 Es ließen sich hier freilich zahlreiche weitere Begriffe und Stellen anführen; kultischrituelle Terminologie ist zumal in missionstheologischen und ekklesiologischen Kontexten in den Paulusbriefen durchaus verbreitet; vgl. dazu nur STRACK, Terminologie. Ich werde später etliche Male auf solche Begriffe zu sprechen kommen. Ein Sonderproblem ist der Gebrauch ritueller Termini im Zusammenhang mit dem Tod Jesu. An diesem Punkt bricht die derzeit heftig umstrittene Frage auf, wo überall und inwiefern Paulus Opferrituale metaphorisch zur Deutung des Todes Jesu herangezogen hat (vgl. dazu nur W. STEGEMANN, Opfer). Ich kann darauf in der vorliegenden Arbeit nicht weiter eingehen; die Behandlung dieser äußerst komplexen Problematik würde eine eigene Untersuchung erfordern. 39 SANDERS, Paulus, 98.

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Lebens in Christus.40 Aus einem anderen Blickwinkel arbeitet Segal den hohen Stellenwert der „transformation language" in den Paulusbriefen heraus. Seiner Ansicht nach ist der Apostel vom Damaskuserlebnis her sowie infolge der Verarbeitung desselben mit Hilfe von Vorstellungen aus der jüdischen Apokalyptik und Merkabah-Mystik zu der zentralen Einsicht gelangt, „that all will be transformed"41. Ebenfalls unter Bezugnahme auf das Damaskusgeschehen betont Kim den für die paulinische Theologie wichtigen Gedanken der Transformation der Gläubigen in das Bild Christi 42 Dunn bezeichnet das Thema „Transformed to Christ" als „major plank" der Theologie des Apostels.43 In besonderer Weise kommt der Transformationsgedanke bei Boyarin zum Tragen. Ihmzufolge ist Paulus durch ein sich aus dem jüdischen Monotheismus und dem hellenistischen Zeitgeist speisendes, leidenschaftliches Streben nach Einheit bewegt. Das Christusereignis habe der Apostel dementsprechend als Vehikel für eine umfassende Transformation der ethnisch, sozial und geschlechtlich getrennten Menschen zu einer einheitlichen, nicht länger hierarchisch ausdifferenzierten Menschheit verstanden.44 Zumal aus dieser Perspektive, der offenkundig großen, aber auch vielschichtigen Bedeutung des Transformationsgedankens in der Theologie des Apostels, liegt es nahe, über die beschriebenen Ansätze hinaus Turners ritologische Theorien in der Paulusexegese fruchtbar zu machen, hat doch der Anthropologe, wie dargelegt, die Dynamik von Transformationsprozessen in den unterschiedlichsten Bereichen in einzigartiger Weise erforscht; mit Robert L. Moore darf gesagt werden: „His [sc. Turners] elaboration of the concepts of structure, communitas, liminal, and liminoid, have given us conceptual tools through which we can discern the subtleties of the dynamics of the ways in which deep structural changes occur in human personal, social, and cultural process." 45

40

41

Vgl. bes. SANDERS, Law, 4 - 1 0 ; OERS., Paulus, 9 1 - 1 0 1 ; DERS., Judentum, 4 3 8 f f .

A.F. SEGAL, Convert, 60; vgl. dazu insgesamt ebd., 58-71. 42 Vgl. KIM, Origin, 315ff. u.ö. 43 DUNN, Theology, 118; vgl. im übrigen auch N.R. PETERSEN, Rediscovering, 250ff. 44 Vgl. nur BOYARIN, Jew, 106: „The major argument of this book, then, is that what drove Paul was a passionate desire for human unification, for the erasure of differences and hierarchies between human beings, and that he saw the Christian event, as he had experienced it, as the vehicle for this transformation of humanity." BOYARIN, der Paulus grundsätzlich als gemäßigten Dualisten qualifiziert, deutet jene Transformation im wesentlichen als eine spirituelle: „The Christ event - Jesus' birth as a Jew and his transformation in the crucifixion - both signifies and effects the transformation/transition from the historical moment to the allegorical one, from the moment of ethnicity to the moment of the universal (spiritual) subject, from natural birth to spiritual rebirth in the Promise" (ebd., 35; Hervorhebungen nicht im Original). 45 MOORE, Ministry, 94; die auf moderne Kulturen gemünzte Kategorie des Liminoiden kann in der vorliegenden Untersuchung indes nicht angewendet werden.

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Zur Bedeutung und Anwendung der Ritualforschung im allgemeinen

Im folgenden soll deshalb mit Hilfe dieser Konzepte der dem Corpus Paulinum inhärenten Transformationstheologie und insbesondere ihrer rituellen Prägung genauer nachgespürt werden. Insgesamt scheint es mir sinnvoll, diesbezüglich vier Transformationsebenen zu unterscheiden, die freilich teilweise ineinander verwoben sind bzw. einander bedingen: 1. die individuelle Transformation Pauli und der Christusgläubigen (Damaskuserlebnis, Taufe); 2. die christologische Transformation (Christi Tod und Auferstehung); 3. die kosmische Transformation (Wende der Äonen); 4. die kollektive Transformation (ethnische, soziale, geschlechtüche Communitas). Es wird sich zeigen, daß auf allen vier Transformationsebenen dem Aspekt der Liminalität bzw. dem damit verbundenen Sozialmodell der Communitas eine herausragende Rolle zukommt. Aus diesem Grund trägt der exegetische Hauptteil dieser Arbeit wie auch die Untersuchung insgesamt den Titel „Die liminale Theologie des Paulus".

III. Die liminale Theologie des Paulus „Ich wäre geneigt, Theologie aus Liturgik zu entwickeln." (Jacob Taubes, Die politische Theologie des Paulus)

§ 6 Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß? Das Leben des Paulus ist bekanntermaßen durch einen fundamentalen Wandel geprägt: Aus dem Verfolger der έκκληΰία wurde der namhafte Verkündiger des Evangeliums für die Heiden. Als Ursache dieser bemerkenswerten Transformation in der Biographie des Apostels läßt sich das sog. „Damaskuserlebnis" ausmachen. In diesem Paragraphen soll zunächst sichtbar werden, daß die auf jenes Erlebnis zielenden Ausführungen im Corpus Paulinum deutlich rituelle bzw. initiatorische Strukturen und Motive in sich bergen, die es berechtigt erscheinen lassen, hier von einer Initiation, genauer von der Eröffnung eines Initiationsprozesses zu sprechen. Bevor mit der exegetischen Arbeit an den Einzeltexten begonnen werden kann, empfiehlt es sich jedoch, mittels einer forschungsgeschichtlichen Skizze auf die bisherigen Verständnismodelle einzugehen und die damit verbundenen Probleme herauszuschälen.

1. Forschungsgeschichtliche Problemanzeige Das Damaskuserlebnis des Apostel Paulus erfuhr in der neutestamentlichen Forschung der letzten hundert Jahre äußerst disparate Bewertungen.1 Wurde dem Geschehen in der Exegese des ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jh.s noch größte Aufmerksamkeit zuteil - an ihm meinte man den religiösen Charakter der paulmischen Lehre insgesamt ablesen zu können2 - , so negierte Rudolf Bultmann und die ihm folgende Paulusforschung unseres Jahrhunderts den außergewöhnlichen Gehalt des Ereignisses; es wurde nun auf den Aspekt des Zum-Glauben-Kommens im Sinne der Preisgabe des bisherigen Selbstver1 Die folgende knappe Charakterisierung der älteren Diskussion orientiert sich an LUCK, Bekehrung, 187ff.; s. femer zum Thema HAACKER, Werdegang, 895f. 2

Vgl. WREDE, Paulus, 6ff.

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

ständnisses reduziert und auf diese Weise mit der Bekehrung von Christen insgesamt auf eine Stufe gestellt; so verlor es seine spezifische Relevanz für das Verständnis der paulinischen Theologie. 3 Seit einigen Jahren rückt das Damaskusgeschehen allerdings erneut in den Vordergrund des fachwissenschaftlichen Interesses - wohl nicht zuletzt aufgrund des nachlassenden Einflusses der Bultmannschen Paulusdeutung. 4 Diskutiert wird heute vor allem die Frage, ob die Wende im Leben des Paulus eher als „Bekehrung" oder als „Berufung" angemessen zu interpretieren sei, wobei eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung jeweils weitreichende Konsequenzen für das Gesamtverständnis des Apostels zeitigt. Der Begriff „Bekehrung" impliziert dabei gewöhnlich die These, Paulus habe eine Art Religionswechsel vollzogen, einen Sprung von einem Glaubenssystem in ein anderes. Der Terminus „Berufung" zielt dagegen lediglich auf das Moment einer speziellen Beauftragung des Apostels innerhalb ein und desselben Religionssystems. Zu den jeweiligen Positionen ist im einzelnen folgendes zu sagen: 5 Das klassische Bekehrungsmodell war lange Zeit und ist z.T. noch heute fest in der Paulusexegese verankert. Paulus erscheint hier als Konvertit vom Judentum zum Christentum, der in Analogie zur Biographie Martin Luthers am Gesetz scheiterte und als solchermaßen Verzweifelter in seiner Bekehrung vor Damakus die Erkenntnis der Rechtfertigung aus Glauben als Erlösung fand.6 Krister Stendahl kommt das Verdienst zu, nachhaltig mit dieser Auslegungstradition gebrochen zu haben.7 Stendahl machte zum einen darauf aufmerksam, daß der Apostel nach eigenen Aussagen vor seiner Damaskuserfahrung keinerlei Schwierigkeiten mit der Tora gehabt habe und nicht entfernt an Schuldgefühlen oder Selbstzweifeln litt; er sei vielmehr ein glücklicher und erfolgreicher Jude gewesen (vgl. Gal l,13f.; Phil 3,6).8 Zum anderen verwies der schwedische Exeget auf die auffälligen Parallelen zwischen der Schilderung des Damaskusgeschehens in Gal l,15f. und den alttestamentlichen Prophetenberufungen in Jes 49,1.6 und Jer 1,5. Das Bewußtsein, einen „Religionswechsel" vollzogen zu haben, lasse sich bei dem Apostel von daher nicht nachweisen, vielmehr dokumentiere das Selbstzeugnis im Galaterbrief wie im übrigen auch die Berichte der Apostelgeschichte - , daß Paulus den propheti-

3

Vgl. dazu BULTMANN, Paulus, 1021-1023.1027 sowie DERS., Theologie, 188f. So mit HAACKER, Werdegang, 895f. 5 Eine ausführliche Darstellung neuerer Positionen bietet auch HURTADO, Convert, 2 7 4 283; s. ferner EVERTS, Conversion, 160-163; HAACKER, Werdegang, 896ff. sowie MEISSNER, Heimholung, 141ff., der vor allem Thesen jüdischer Forscher referiert. 6 Vgl. dazu die Darlegung bei DlETZFELBINGER, Berufung, 82ff. sowie die Ausführungen bei EVERTS, Conversion, 156.162. Es sei darauf hingewiesen, daß manche Exegeten trotz „Berufungs"-Terminologie implizit am traditionellen Bekehrungsmodell festhalten. EVERTS betrachtet ebd., 162 auch THEISSENs Paulusbuch (Aspekte) als modifizierte Form dieses alten Paradigmas. Zahlreiche weitere Vertreter nennt DONALDSON, Zealot, 658f. A15. 7 Vgl. zum folgenden STENDAHL, Gewissen sowie DERS., Paulus, 17-37. STENDAHLs Thesen gehen z.T. auf seinen Lehrer MUNCK zurück (s. dazu MUNCK, Heilsgeschichte, 1-27). 8 Vgl. dazu freilich schon BULTMANN, Paulus, 1022. 4

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sehen Vorbildern gleich einen speziellen Auftrag von Gott erhalten habe, nämlich den zur Heidenmission. 9 Dieser Missionsauftrag sei „Berufung zum Dienst, nicht Bekehrung". 10 Gegen das Bekehrungsmodell machte Stendahl zudem geltend, hier bestünde die Gefahr, zwischen dem „Christsein" Pauli und seinem Apostolat allzu sehr zu unterscheiden, so, als ob Paulus unabhängig von seinem Auftrag zur Heidenmission ein christlicher Konvertit gewesen wäre. Dagegen sei einzuwenden, „daß es bei Paulus kaum einen Gedanken gibt, der nicht um seine Mission, seine Arbeit kreist. Das ,ich' in seinen Schriften ist nicht ,der Christ', sondern ,der Heidenapostel'." 11 Insgesamt unterstrich Stendahl mit seiner Argumentation die Kontinuität des Apostels zur Religion seiner Väter - ganz im Gegensatz zum Bekehrungskonzept, das einen Bruch Pauli mit dem Judentum impliziert. Stendahls Deutung fand vor allem im angloamerikanischen Raum vielfach Zustimmung und wurde durch die allmählich sich Bahn brechende Einsicht untermauert, daß in der betreffenden Zeit ohnehin noch nicht vom Christentum als einer eigenständigen Religion im Gegenüber zum Judentum die Rede sein könne, wie dies das Bekehrungsmodell voraussetzt. 12 In jüngster Zeit ist nun jedoch gerade im Bereich der amerikanischen Exegese ein neuerliches Bemühen zu erkennen, trotz der Bedenken Stendahls am Begriff der „Bekehrung" festzuhalten. Diese jüngste Orientierung der Paulusforschung am Bekehrungskonzept verdankt sich größtenteils der bewußten Rezeption moderner sozialwissenschaftlicher Untersuchungen zu diesem Phänomen. Richtungweisende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Arbeiten von Beverly Roberts Gaventa und Alan F. Segal zu. 13 In ihrer 1986 erschienenen Abhandlung „From Darkness to Light. Aspects of Conversion in the New Testament" entwickelt Gaventa eine eigenständige, sorgfältig differenzierte Definition des Begriffs „Konversion". Unter Verarbeitung namhafter sozialwissenschaftlicher und historischer Theorien gelangt sie zu dem Ergebnis, der Begriff der „Bekehrung" sei als Oberbegriff zu nehmen; als solcher umfasse er 9 Die von STENDAHL angesprochene prophetische Charakterisierung des Damaskusgeschehens hat jüngst SANDNES ausführlich herausgearbeitet (s. Paul, passim). 10 STENDAHL, Paulus, 22. 11 Ebd., 23f. 12 Vgl. dazu FREDRIKSEN, Conversion, 15: „In the year c.34, to join the Jesus movement would have been to effect a lateral movement within Judaism, in Paul's case from the Pharisaic party to the Jesus party"; s. auch ebd., 29 sowie H.D. BETZ, Gal, 13 If. 140; CRAFFERT, Damascus, 40; GAVENTA, Darkness, 18; BEKER, Apostle, 3-10; HALL, Anti-Semitism, 167 A8; HOOKER, Apostle, 81f.; HULTGREN, Self-Definition, 97; MEISSNER, Heimholung, 304; DUNN, Gal, 63f.; GEORGI, Kopf, 160 A5; vgl. auch die scharfe Äußerung von TAUBES in seinen Heidelberger Vorträgen: „... und das Wort .Christ', das bitte ich Sie sich einzuhämmern, gibt es bei Paulus noch gar nicht. Diese Modernisierung, diese Anachronismen sind der Ruin jeden Beginns eines vernünftigen Textstudiums. Man darf nicht klüger sein als der Autor und ihm Begriffe unterlegen, die er nicht hat und nicht haben will" (Theologie, 33f.). 13 Sozialwissenschaftlich verankerte Bekehrungskonzepte begegnen ebenso bei DONALDSON, Zealot, 680-682 (Bezugnahme auf TH. KUHNS Paradigmentheorie) und GAGER, Notes, 697ff. (Berufung auf L. FESTINGERs These von den kognitiven Dissonanzen; s. auch A.F. SEGAL, Children, 99-105); vgl. ferner MEEKS, Origins, 18-36; CRAFFERT, Damascus, passim.

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

grundsätzlich drei verschiedene Formen persönlicher Wandlungsprozesse, die im Einzelfall jeweils genau voneinander zu unterscheiden seien, nämlich (1) die „Alternation", eine gemäßigte Form persönlicher Veränderung, die einem Wachstumsprozeß vergleichbar in einer gewissen evolutiven Kontinuität aus dem Verhalten in der Vergangenheit herauswachse, (2) die „pendulum-like conversion", ein radikaler Bruch im Leben des Menschen, durch den alle Verbindungen mit der Vergangenheit zugunsten neuer Bindungen und einer neuen Identität aufgelöst würden sowie (3) die „Transformation", ein umfassender Wandel rein kognitiver Art, d.h. ein Wechsel der Perspektive auf die eigene Vita, der anders als die pendelartige Konversion keine Verwerfung der Vergangenheit, sondern eine Neuinterpretation des Vergangenen wie auch der Gegenwart involviere. 14 Die Bekehrung des Paulus sei - so folgert Gaventa aufgrund ihrer Exegese von Gal 1,11-17 und Phil 3,2-11 - am ehesten als Konversion im Sinne des Typus „Transformation" zu begreifen. Das Damaskuserlebnis erscheine in den Berichten des Apostels mit anderen Worten als „cognitive shift". Paulus verstehe sich zwar auch nach der für ihn offenbar plötzlichen und unerwarteten Damaskuserfahrung noch wie zuvor als guter Jude, doch das Erlebnis hätte dazu geführt, „that his own values and commitments had changed radically. ... Paul underwent a radical change in his understanding of what made his own life worthwile." 15 Dieser Wandel dürfe nun aber nicht, so meint Gaventa, allein bzw. in erster Linie als Wandel des Selbstverständnisses aufgefaßt werden; im Zentrum des „cognitive shift" stehe vielmehr die Erkenntnis Jesu als Messias. 16 In dieser Hinsicht habe Damaskus dann für Paulus auch paradigmatische Bedeutung für jeden Christen. Ebenfalls mit einem sozialwissenschaftlich orientierten Bekehrungsmodell arbeitet Segal in seiner umfangreichen Monographie „Paul the Convert" aus dem Jahr 1990. Segal konzediert darin zwar, Paulus sei, blicke man auf den damals empfangenen Missionsauftrag, durchaus ein „Berufener" - insoweit stimmt er Stendahl zu; betrachte man jedoch die von dem Apostel selbst mehrfach angesprochene Verwandlung bzw. Neuorientierung seines Lebens infolge des Damaskusgeschehens, so komme man nicht umhin, das fragliche Ereignis als typische „Bekehrung" zu bewerten; hiermit sei nämlich eines der Hauptkriterien für Konversionen nach Ansicht der Sozialpsychologie erfüllt: „a radical change in a person's experience" 17 . Zudem umfasse dieser persönliche Wandel des Apostels ganz in Übereinstimmung mit Ergebnissen der modernen Konversionsforschung eine Veränderung der sozialen Be14

Vgl. dazu GAVENTA, Darkness, 8-14. Die Unterscheidung zwischen .Alternation" und „Konversion" ist im wesentlichen R.V. TRAVISANO entliehen, das Konzept der „Transformation" fußt auf TH. KUHNs Theorie des Paradigmen wechseis. 15 GAVENTA, Darkness, 37f.; bereits WREDE, Paulus, 8 sprach im übrigen von einem „Umschlag der Überzeugung". 16 Vgl. GAVENTA, Darkness, 38. 17 A.F. SEGAL, Convert, 6. SEGAL faßt seine These ebd. mit den Worten zusammen: „From the viewpoint of mission Paul is commissioned, but from the viewpoint of religious experience Paul is converted." Die Klassifizierung Pauli als Konvertit ist nach SEGAL indes gerade auch deshalb eindeutig die treffendere, weil dieser sich nirgends selbst als Prophet bezeichne und sich zudem in seinen Briefen nur bedingt prophetischer Redeformen bediene; insofern gelte: „Paul's great change of direction is better understood as a conversion" (ebd., 14); s. dazu außerdem grundsätzlich ebd., 285ff.

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Ziehungen. Zwar sei Paulus auch nach dem Damaskuserlebnis Jude geblieben, doch habe er aufgrund dieser Erfahrung gleichsam die Denomination gewechselt: er sei so Segal - aus einer jüdischen Sekte, dem Pharisäismus, in eine neue apokalyptischjüdische Sekte, das frühe Christentum, übergetreten. 18 Segal entbindet den Konversionsbegriff folglich von der landläufigen Reduktion auf den Aspekt des Religionswechsels und überträgt ihn unter Rekurs auf sozialwissenschaftliche Studien zusätzlich auf den Sachverhalt des „moving from one sect or denomination to another within the same religion, if the change is radical" 19 . Dem jüdischen Paulusforscher ist bei alledem durchaus bewußt, daß er in erster Linie etisch argumentiert, d.h. moderne Kategorien auf Paulus überträgt, 20 er hält dies jedoch aufgrund der auffälligen „analogies between Paul's experience and modem day conversion" für legitim. 21 Sinnvollerweise analysiert Segal die Äußerungen des Apostels aber auch aus emischer Perspektive. Dabei gelangt er zu dem Resultat, Paulus habe sein Erlebnis im Kontext von Vorstellungen und Motiven verstanden, die der jüdisch-apokalyptischen Mystik entlehnt seien. 22 Der erhöhte Christus sei ihm als Träger der göttlichen Herrlichkeit erschienen. Von daher gelte: „Paul is both a mystic and a convert." 23 Präferiert somit Segal insgesamt die soziologische Kategorie der „Bekehrung", ohne das Moment der Berufung in emischer Hinsicht ganz negieren zu wollen, 24 so gibt es zahlreiche Exegeten, die in Anbetracht der kontroversen Diskussion zu dem Schluß kommen, keiner der beiden Begriffe sei wirklich geeignet, die Komplexität des Damaskuserlebnisses adäquat zu beschreiben; man müsse von daher beide Klassifizierungen gleichwertig nebeneinander stellen. In diesem Sinn schreibt z.B. Janet Meyer Everts: „Paul's call to be apostle to the Gentiles is part of a profound and transforming conversion experience. Call and conversion are both aspects of a divine revelation of Christ to Paul." 25 Nicht selten wird das Damaskusgeschehen gar mit dem Doppelterminus ,3erufung/Bekehrung" bzw. „conversion-call" belegt. 26

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Vgl. ebd., 6f. sowie 117ff. Ebd., 6. 20 Zur Unterscheidung von Emik und Etik vgl. ebd., 20f. sowie die Explikation oben in § 2 (S. 32f.). 21 Ebd., 285. 22 Vgl. ebd., 34ff.; zur traditionsgeschichlichen Problematik einer solch frühen Datierung jüdischer Mystik s. ebd., 38ff. sowie MEISSNER, Heimholung, 157ff. 23 A.F. SEGAL, Convert, 34. 24 BEKER, Apostle, 3 - 1 0 verteilt im übrigen die Gewichte mehr oder weniger umgekehrt, wenn er konstatiert, Paulus sei „extremly reticent about his conversion experience and yet extremly outspoken about his apostleship" (ebd., 5), und daraus schließt: „Paul's conversion experience is absorbed by the greater reality of his apostolic calling" (ebd., 6). HALL, Anti-Semitism, 169 A8 gibt zu verstehen: „Perhaps the most accurate picture is that Paul experienced some kind of conversion, but because he himself describes his experience more in terms of ,call', the latter term is more helpful in explicating Paul's gospel." 25 EVERTS, Conversion, 162; vgl. ferner FUNG, Gal, 66; HAACKER, Werdegang, 898; HURTADO, Convert, 284; MODRITZER, Stigma, 170 A8; STENGER, Biographisches, 134. 26 So z.B. W.S. CAMPBELL, Gospel, 73f.; EGGER, Gal, 16; HURTADO, Convert, passim; MATERA, Gal, 62f. u.ö.; R.P. MARTIN, 2Cor, 81.94 u.ö. 19

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

Dieser komprimierte Überblick über einige neuere Positionen der Paulusexegese läßt erkennen, wie schwer es offensichtlich fällt, das Damaskuserlebnis angemessen zu verstehen bzw. einigermaßen zufriedenstellend zu definieren.27 Gerade die zuletzt genannte, m.E. wenig hilfreiche Charakterisierung des Geschehens als „Berufung/Bekehrung" verrät in ihrer Unscharfe eine gewisse Ratlosigkeit.28 Nun muß man jedoch andererseits unumwunden zugestehen, daß die Voraussetzungen für eine adäquate Deutung äußerst ungünstig sind. Insbesondere drei Umstände machen sich in dieser Hinsicht störend bemerkbar: Zum einen thematisiert der Apostel das Ereignis an nur sehr wenigen Stellen der uns erhaltenen Briefe und bleibt dabei obendrein noch äußerst vage. 29 Zum anderen sind die betreffenden Berichte viele Jahre nach dem eigentlichen Geschehen verfaßt. Schließlich finden sich die entsprechenden Äußerungen vorwiegend in polemisch gefärbten Briefen bzw. Briefabschnitten (Galater- und Korintherkorrespondenz, Phil 3), das heißt, sie sind zweifelsohne durch die jeweils aktuelle Konfliktsituation geprägt, was einen ungetrübten Blick auf das dahinterstehende Geschehen neben dem langen Zeitabstand zusätzlich erschwert.30 In Anbetracht dieser Probleme zieht Paula Fredriksen das unumgängliche Fazit: „What actually happened ... is ... not accessible to the historian."31 Doch bleibt Fredriksen in anderer Hinsicht nicht ganz bei diesem negativen Urteil stehen. Sie bewertet nämlich die eben angeführten Schwierigkeiten der historischen Rekonstruktion als eigentümliches Kennzeichen von Konver27

Vgl. dazu auch HULTGREN, Self-Definition, 79f. MATERA, Gal, 63, der den Doppelterminus selbst verwendet, konzediert, es handele sich um eine „somewhat awkward expression". 29 Als auf das Damaskuserlebnis anspielende Textpassagen sind in der Forschung weitgehend anerkannt: Gal 1,11-17; Phil 3,2-11; 2Kor 4,4-6; IKor 9,1; 15,8-10. KIM vertritt eine kaum konsensfähige Position, wenn er auch in Abschnitten wie Rom 10,2-4; IKor 9,16f.; 2Kor 5,16-18; Eph 3,1-13; Kol 1,23-29 und an zahlreichen weiteren Stellen Bezugnahmen auf Damaskus vorliegen sieht (vgl. Origin, bes. 3-31). Der immer wieder unternommene Versuch, das Ich in Rom 7,7-25 autobiographisch zu deuten und in den Versen eine Reflexion des Lebens Pauli vor dem Damaskusgeschehen zu finden, gilt seit KÜMMELS Dissertation über Römer 7 aus dem Jahr 1929 allgemein als gescheitert; vgl. dazu nur BORNKAMM, Sünde, 51ff.; DIETZFELBINGER, Berufung, 83-87; J. DUPONT, Conversion 183; EVERTS, Conversion, 158; GAGER, Notes, 698; GAVENTA, Darkness, 33-36. Die in Rom 7 geschilderte Beziehung zwischen „Ich" und Tora steht in Spannung zu dem, was Paulus selbst über seine Vergangenheit in Phil 3,6 sagt. Zudem fehlt jegliche mit Gal 1 oder Phil 3 vergleichbare direkte biographische Anspielung. Selbst wenn man mit BEKER, Apostle, 240-243; DUNN, Rom I, 381f.387f.; SEIFRIED, Justification, 146-152 und THEESEN, Aspekte, 181-268 zumindest einige biographische Reminiszenzen ausmachen will, so bleibt es doch äußerst fraglich, diese direkt auf das Damaskuserlebnis zu beziehen; vgl. dazu auch KIM, Origin, 54f. 30 Zudem gilt grundsätzlich, daß autobiographische Angaben in antiken Schriften primär kein explizit historisches Interesse verfolgen; s. dazu die Literaturangaben unten in Anm. 70. 31 FREDRIKSEN, Paul, 34 (Hervorhebung im Original). 28

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sionsberichten und weist Paulus somit gerade angesichts dieser Probleme als typischen Konvertiten aus. Die Historikerin geht dabei so vor, daß sie die verschiedenen Konversionsberichte des Kirchenvaters Augustin heranzieht und aufzeigt, wie sehr diese durch die jeweilige Gegenwart geformt sind, näherhin durch dessen theologische Anschauungen während der Zeit der Abfassung sowie durch die zu diesem Zeitpunkt herrschenden Auseinandersetzungen.32 Dieses Phänomen transferiert sie auch auf Paulus.33 Fredriksen gelangt auf diese Weise zu der Einsicht, die großen Bekehrungserzählungen des westlichen Christentums seien insgesamt in einer für dieses Genre symptomatischen Weise anachronistisch und apologetisch, „apologetic personally and publicly, for the convert must explain himself to himself and to his audience (his new group; his old group; an opposing group); anachronistic, because the account rendered in the conversion narrative is so shaped by later concerns. The conversion account, never disinterested, is a condensed, or disguised, description of the convert's present, which he legitimates through his retrospective creation of a past and a self."34 Die zentralen Aspekte dieser These lassen sich durch Einsichten der modernen Konversionsforschung stützen und noch akzentuieren. Zumal in soziologischen Studien zum Phänomen „Bekehrung" wurde und wird immer wieder auf den maßgeblichen Einfluß der Gemeinschaft hingewiesen, in die der Konvertit eintritt. Danach ist es die Ideologie dieser Gruppe, die die Erinnerung an die Konversion sowie entsprechende Konversionsberichte von Grund auf determiniert.35 Mehr noch, aus soziologischer Sicht scheint es überhaupt verfehlt, Konversionen als singulare Ereignisse zu betrachten; sie gelten hier vielmehr als Teil eines umfassenden (Re-)Sozialisationsprozesses.36 Dies haben bereits Peter L. Berger und Thomas Luckmann in ihrem wissenssoziologischen Klassiker „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit" deutlich zu verstehen gegeben. Erst die neue Gemeinschaft, so sagen sie, liefere die nötige Plausibilitätsstruktur für die persönliche Integration des Erlebten und ermögli32

Vgl. ebd., 20ff. Vgl. ebd., 28: „His [sc. Paul's] allusions to his experience of the Risen Christ function similarly and in similar situations, mutatis mutandis, to Augustine's descriptions of his own conversion. They are nodal points in debates occurring many years after the fact, and they articulate his present convictions." FREDRIKSEN räumt freilich ebd. ein, daß die Anspielungen des Apostels nicht in der Form autobiographisch seien wie dies bei Augustin der Fall ist. Die paulinischen Hinweise hätten eine mehr rhetorische Funktion. 34 Ebd., 33 (Hervorhebung im Original). 35 Vgl. dazu B. TAYLOR, Recollection, 316ff.; SNOW/MACHALEK, Convert, bes. 266ff. sowie RAMBO, Understanding, 137-139; weitere Literatur bei GAVENTA, Darkness, 15 A17; HURTADO, Convert, 279 A25; s. ferner CRAFFERT, Damascus, 42f. 36 Vgl. dazu insbesondere SNOW/MACHALEK, Convert, passim; Ν. TAYLOR, Nature, passim (dort weitere Literatur); zum Prozeßcharakter von Konversionen s. auch RAMBO, Understanding, 1.17. 33

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che so die Stabilisierung des neu gewonnenen Weltbildes. Berger und Luckmann führen diesen Gedanken wie folgt aus: „Eine Konversion als Erlebnis bedeutet nicht allzu viel. Entscheidend ist, daß man dabei bleibt, daß man das Erlebnis ernst nimmt und sich den Sinn für seine Plausibilität erhält. Hier nun kommt die Gemeinde ins Spiel. Sie liefert die unerläßliche Plausibilitätsstruktur für die neue Wirklichkeit. Mit anderen Worten: Saulus mag in der Einsamkeit seiner religiösen Ekstase Paulus geworden sein. Paulus bleiben aber konnte er nur im Kreise der christlichen Gemeinde, die ihn als Paulus anerkannte und sein .neues Sein', von dem er nun seine Identität herleitete, bestätigte."37 Das Konversionsgeschehen als solches läßt sich demnach nicht von der nachfolgenden Integration des Betroffenen in die Gemeinschaft der gleichermaßen Bekehrten abtrennen, ja die Konversion vollzieht bzw. vollendet sich in ihrem eigentlichen Sinn erst mit dem Abschluß des besagten Integrationsprozesses. Nimmt man diese Einsichten der soziologischen Konversionsforschung ernst und reklamiert sie auch für Paulus - wie dies ja bereits bei Berger und Luckmann der Fall ist 38 - , dann erscheinen Thesen wie die von Seyoon Kim oder Christian Dietzfelbinger in einem fraglichen Licht. Beide Exegeten deuten das Damaskusgeschehen des Apostels als relativ isoliertes Erlebnis, das als solches gleichsam den Wurzelboden der paulinischen Theologie bilde.39 So führt Kim nahezu alle zentralen Elemente des paulinischen Evangeliums auf Damaskus zurück, u.a. die Idee der Präexistenz, der Schöpfungsmittlerschaft sowie der Sendung und Hingabe Christi, ferner die Imago-Christologie,40 desgleichen die Hauptaspekte der paulinischen Soteriologie, insbesondere die Grundzüge der Rechtfertigungslehre; nach Kims Ansicht habe Paulus damals Christus als „Ende des Gesetzes" erkannt, ja hier sei ihm bereits bewußt geworden, daß kein Mensch aus Werken des Gesetzes gerecht werde.41 Mit anderen Akzentsetzungen, in der Grundausrichtung aber Kims Ansatz vergleichbar, argumentiert auch Dietzfelbinger. Er leitet vor allem die paulinische Lehre von der Tora und etliche andere damit verbundene theologische Axiome mehr oder weniger direkt aus der Damaskuserfahrung ab. Sowohl bei Kim als auch bei Dietzfelbinger kommt die für die Verarbeitung und Auslegung des Bekehrungserlebnisses konstitutive Rolle der christusgläubigen Gemeinschaft und die damit einhergehende anachronistische und apologetische Perspektive der Konversionsberichte nicht recht zum Tragen. 37 BERGER/LUCKMANN, Konstruktion, 169; vgl. dazu CRAFFERT, Damascus, 38f.; REMUS, Sociology, 47. 38 Vgl. ebenso A.F. SEGAL, Convert, 25-30.37; GAVENTA, Darkness, 6f. 39 Ähnlich auch STUHLMACHER, Theologie I, 244ff. 40 Vgl. KIM, Origin, Kap. V und VI. 41 Vgl. ebd., 4 und Kap. VII. Eine ausführliche Kritik der Thesen KlMs findet sich bei DUNN, Jesus, 93-100.

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Die soziale Einbettung der Bekehrung findet hier zumindest nicht die Beachtung, die ihr laut Konversionsforschung zuteil werden müßte. So einleuchtend und erhellend nun aber auch die Anwendung eines soziologisch fundierten Konversionsmodells auf den ersten Blick sein mag, bei genauerem Hinsehen ergeben sich hier gleichfalls beträchtliche Schwierigkeiten. So ist zunächst ganz allgemein mit Larry W. Hurtado die Frage aufzuwerfen, ob der Gebrauch moderner Bekehrungstheorien nicht von falschen Voraussetzungen ausgeht. Hurtado gibt zu bedenken: „It may be a category mistake to apply to Paul generalizations about conversion narratives based on studies of .typical' converts to modern established and tightly-controlled religious groups. It is not clear that the Christian groups of the first decade or so (the time when Paul entered the Christian movement) were as tightly organized and effective in socializing the recollections of converts as the groups (such as the Watchtower Society) included in the sociological studies."42 Dieser Anfrage korreliert in emischer Hinsicht der Befund, daß der Apostel die damals geläufige Bekehrungsterminologie offenbar bewußt vermeidet.43 Noch wichtiger aber ist, daß Paulus sein Erlebnis den soziologischen Konversionstheorien zuwiderlaufend augenscheinlich von jedweden Einflüssen durch die frühchristlichen Gemeinden gesondert wissen will. In Gal 1,1 lf.löf. betont er mit Nachdruck, eine von Menschen unabhängige Offenbarung erfahren zu haben und auch unmittelbar nach dieser nicht mit „Fleisch und Blut" in Kontakt getreten zu sein, zumal nicht mit den Autoritäten der christusgläubigen Gemeinde, den Jerusalemer Aposteln.44 Ja selbst in IKor 15,1-11, einer Stelle, an der Paulus zunächst ausdrücklich auf Gemeindetradition zurückgreift, spricht er sich dann doch einen Sonderstatus zu, indem er sich in V.8 mit einer „Totgeburt" vergleicht und so von den anderen Offenbarungsempfängern abhebt 45 Paulus liegt also sehr daran, den Eindruck einer engen Verbindung zwischen seiner Damaskuserfahrung und der Aufnahme in die Gemeinde zu verwischen. Er beschreibt sich also gerade nicht als Konvertit, der durch ein herausragendes Ereignis dazu bewogen wurde, einer bestimmten Gemeinschaft beizutreten bzw. - wie Segal es formuliert - die Denomination zu wechseln. Vielmehr charakterisiert er sich - so zumindest in seinem grundlegenden Selbstzeugnis in Gal 1 - als Menschen, der durch eine individuelle 42

HURTADO, Convert, 280. Näheres dazu bei G A V E N T A , Darkness, 41-43; A.F. SEGAL, Convert, 19f.; s. auch SCHENK, Phil, 305; GEORGI, Kopf, 159. 44 A.F. SEGAL, Convert, 13 verteidigt sein soziologisches Bekehrungsmodell angesichts dieser Aussagen im Galaterbrief mit der Bemerkung: „That Paul claims the conversion took place without the help of flesh and blood underlines the extraordinary circumstances of the religious decision, but it does not mean that he immediately realized all the implications of his conversion experience. Only time could have disclosed these to him." 45 Näheres dazu unter Abs. 5 in diesem Paragraphen. 43

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göttliche Offenbarung gleichsam zur Gründung einer bestimmten Form der Gemeinschaft von Christusgläubigen eingesetzt wurde, nämlich der beschneidungsfreien Heidengemeinden. Nicht primär als Bekehrter, sondern eher als Gründerfigur erscheint er in seinen eigenen Aussagen, als eine von Gott auserwählte Person, der es obliegt, das Evangelium den Heiden zu bringen (s. auch Gal 2,6-10; Rom 15,15—16).46 Hurtado konkludiert entsprechend: „... the dynamics of the relationship between Paul and the communities were considerably different than in the case of the simple convert and an established religious group, and I doubt that we can postulate the same degree of one-way effect of the community upon Paul's use and formation of his conversion narrative as has been found in the narratives of more typical converts. If we seek analogies for Paul, we will probably have to turn to founders of new religious movements or major reformers of religious traditions, figures whose personal religious experience become foundational and formative for religious groups and traditions."47 Selbstverständlich kann man dagegen nun wiederum mit Paula Fredriksen einwenden, das von Paulus gezeichnete Bild ruhe möglicherweise auf anachronistischen und apologetischen Behauptungen, mit denen der Apostel in jeweils aktuellen Konflikten seine Position zu stärken suche. Aber darf man wirklich alle angeführten Aspekte als nachträgliche Apologie oder anachronistische Argumentation abtun? Dieser Schluß ist nicht zwingend. Auch wenn nicht bestritten werden kann, daß Paulus seine Rekurse bzw. Anspielungen auf Damaskus geschickt für seine Zwecke einzusetzen weiß, macht es durchaus Sinn, die Aussagen des Apostels zunächst einmal als solche beim Wort zu nehmen und zu fragen, ob nicht ein sozialwissenschaftlich fundiertes Modell zur Hand ist, das diesen besser gerecht zu werden vermag als die Rede von Paulus als Konvertit. Stendahls Berufungsthese kommt hier allerdings nur sehr bedingt in Frage, da ihr kein dem Konversionsmodell wirklich vergleichbares eigenständiges sozialwissenschaftliches Konzept zugrunde liegt.48 Ein solches stellt uns aber die anthropologische Forschung zur Verfügung, und zwar eines, das nicht nur imstande ist, die paulinischen Aussagen konstruktiv zu erhellen, sondern das auch den Vorteil besitzt, die wichtigsten Aspekte sowohl der Berufungs- wie auch der Bekehrungsthese zu integrieren. Gemeint ist das ritologische Initiations46 Auch die in Gal 1,23 wiedergegebene Paulusfama thematisiert weniger einen Denominationswechsel samt des damit einhergehenden allmählichen Resozialisationsprozesses in eine neue Gemeinschaft; sie schildert vielmehr eine Art direkten Funktionswechsel: aus dem Verfolger wird der Verkündiger des Glaubens; vgl. STENGER, Biographisches, 129; HURTADO, Convert, 280f. 47 Ebd., 281; zu „Paul as a founder figure" s. auch H.D. Β ETZ, Transferring, 242ff. 48 DRIJVERS etwa bindet die „Berufung" in das Initiationsmodell ein („first phase of ... initiation" [Vocation, 294]) und konstatiert mit Blick auf den Forschungsstand: „A comprehensive study of the various forms of vocation is still lacking" (ebd., 296).

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modell. Dieses kann der breiten Diskussion um das Damaskusereignis nach meinem Urteil einige wichtige Impulse geben. Auf der Grundlage der Ritualtheorie Victor Turners sowie der obigen Überlegungen zum Thema „Ritual und Text" möchte ich darum in den folgenden Abschnitten die betreffenden Berichte und Anspielungen des Apostels aus dieser Perspektive neu ausleuchten. Es wird deutlich werden, wie sehr die in Frage kommenden Texte Struktur und Symbolik einer Initiation, also eines Passagerituals, widerspiegeln. 4 9 Eine knappe Hinführung zum Thema „Initiation" soll vorab die Prämissen und Implikationen der vorgeschlagenen These klarlegen. Initiationen bilden gleichsam den klassischen Fall der rites de passage.50 So kommt es nicht von ungefähr, daß Victor Turner - wie oben in § 3.1 erkennbar wurde - zumal auf Initiationen zurückgreift, um sein transformatives Ritualverständnis zu illustrieren. Jens Peter Sch0jdt schlägt sogar vor, den Begriff des Passagerituals ganz durch den der Initiation zu ersetzen.51 Gemeinhin unterscheidet man drei Typen von Initiationen:52 1. kollektive Rituale, vor allem Pubertäts- bzw. Altersklassenrituale, die allen Mitgliedern einer Gesellschaft vorgeschrieben sind; 2. Eintrittsriten in esoterische Bünde und Bruderschaften, also Rituale, die nur einer bestimmten Gruppe von Mitgliedern einer Gesellschaft oder oftmals nur einem Geschlecht vorbehalten sind (z.B. Mysterienkulte, Freimaurer u.ä.); 3. mystische Berufungen, d.h. individuelle Initiationen bestimmter religiöser Spezialisten und Leitfiguren wie Schamanen, Mystiker oder Propheten;53 der finni49 Zur Äquivalenz von Passage- und Initiationsriten s. gleich; vgl. auch SCH0JDT, Initiation, passim. SENN, Theology, 204 bringt die „Konversion" Pauli, aber auch die Augustins, Luthers und Wesleys ebenfalls mit ELIADEs Initiationsbegriff sowie mit TURNERS Ritualtheorie in Verbindung, ohne dabei freilich auf Einzelheiten einzugehen. Die Begriffe „conversion" und „initiation" werden bei ihm nahezu synonym gebraucht; vgl. dazu überdies unten Anm. 68. Bereits DEISSMANN, Paulus, 105 verstand Damaskus als „Initiationserlebnis". - Die Initiationsthese schließt freilich in keiner Weise aus, daß der Apostel nicht auch wesentlich durch die Tradition beeinflußt und geprägt wurde und seine Damaskuserfahrung im Kontext theologischer Vorstellungen der christusgläubigen Gemeinde sowie der ihm vertrauten zeitgenössischen religiösen Kultur interpretierte - aus wissenssoziologischer Perspektive ist dies anders gar nicht denkbar und die paulinischen Formulierungen dokumentieren dies in vielerlei Hinsicht; Initiationsszenarien sind schließlich in ihren jeweiligen Ausformungen stets auch kulturbedingt. 50 Vgl. dazu GERLITZ, Initiation, 156f. 51

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Vgl. SCH0JDT, Initiation, passim.

Vgl. ELIADE, Mysterium, 24f.; DERS., Initiation, 225ff.; GERLITZ, Initiation, 156ff.; ELSAS, Initiationsriten, 664f.; KAELBER, Initiation, 229ff.; SCH0JDT, Initiation, 95; s. auch BLEEKER, Remarks, 18f., der sechs Kategorien benennt. LA FONTAINE beschränkt sich in ihrer Untersuchung (Initiation) dagegen vorwiegend auf zwei Typen: Pubertätsrituale und Geheimbünde. 53 TURNER, Specialists, 438ff. unterscheidet grundsätzlich zwei Typen des „religiösen Spezialisten"; auf der einen Seite den Typus des „inspirational functionary", wozu er Schamanen, Propheten und spirituelle Medien zählt, auf der anderen Seite den „institutional functionary", vertreten durch den Priester. Die mystische Berufung gehört zum erstgenann-

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sehe Religionshistoriker Lauri Honko spricht hier von „vocational initiation" 54 , Walter Ο. Kaelber von „initiations into religious vocations or mystical careers" 55 ; im weitesten Sinne zählen hierzu wohl auch allgemeinere Formen der „initiation into an office" 56 . Für die aktuellen Belange genügt es, den letztgenannten Initiationstypus etwas näher zu betrachten, denn den eben angestellten Überlegungen zufolge kommt vor allem dieser als Basismodell für das Damaskusgeschehen in Frage. „Eines der spezifischen Merkmale dieser dritten Kategorie", schreibt Mircea Eliade, „besteht in der Bedeutsamkeit der persönlichen Erfahrung." 57 Der Initiand einer mystischen Berufung ist im besonderen dazu bestimmt, „an einer intensiveren religiösen Erfahrung teilzuhaben, als es dem übrigen Teil der Gemeinschaft möglich ist" 58 . Gemeint ist damit die Ekstase (Visionen, Trance, Träume usw.); sie bildet das Hauptkennzeichen mystischer Berufungen. 59 Die Versenkung in einen veränderten Bewußtseinszustand kann dabei absichtlich herbeigeführt werden oder den Betroffenen unfreiwillig ergreifen, etwa in Form einer sog. Initiationskrankheit. Hinzu kommt als weiteres wichtiges Merkmal das der Instruktion. Der Initiand erhält im ekstatischen Zustand von Seiten transzendenter oder mythischer Wesen allgemeine Unterweisungen (Namen und Funktion von Geisterwesen, Mythologie und Genealogie der Gemeinschaft etc.) sowie Anleitungen für seine spätere Tätigkeit. Danach wird er oft zusätzlich von den alten Meistern des Metiers unterrichtet. 60 Die mystische Berufung besteht also aus zwei Grundbestandteilen, der Ekstase und der Instruktion.61 Sie erfolgt zuweilen in Form eines öffentlichen Rituals, doch - so betont Eliade - „... das Fehlen eines derartigen Rituals bedeutet keineswegs das Fehlen der Initiation: diese kann sich sehr wohl im Traum oder in der ekstatischen Erfahrung des Neophyten vollziehen" 62 . In ihren weiteren zentralen Komponenten konvergiert die mystische Berufung sodann mit den Hauptattributen der übrigen Initiationsformen. Eliade konstatiert, „daß zwischen allen Initiationskategorien eine Art strukturelle Solidarität besteht, durch die, aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, alle Initiationen einander ähneln" 63 . So ist die individuelle Berufungsinitiation gleichfalls durch das Drei-

ten Typus, der sich im Gegensatz zum Priester durch seine unmittelbare, nicht institutionell vermittelte Beziehung zum Transhumanen auszeichnet. ELIADE spricht allgemein von „Spezialisten des .Heiligen'" und nennt Schamanen, Medizinmänner und Mystiker (s. Mysterium, passim); vgl. ferner DRIJVERS, Vocation, passim. 54 HONKO, Theories, 375. 55 KAELBER, Initiation, 229.233. 56 Vgl. dazu BLEEKER, Remarks, 19, der in diesem Zusammenhang auch die Einsetzung eines Königs nennt; vgl. dazu unten § 7.1. 57 ELIADE, Mysterium, 24f. 58 Ebd., 25. 59 Vgl. ELIADE, Initiation, 225f.; DERS., Mysterium, 25.166 u.ö.; s. auch ELSAS, Initiationsriten, 665; GERLITZ, Initiation, 160. 60 Vgl. ELIADE, Mysterium, 166.178ff. 61 Vgl. ELIADE, Initiation, 226. 62 ELIADE, Mysterium, 166; s. auch DERS., Initiation, 226. 63 ELIADE, Mysterium, 25; vgl. DERS., Initiation, 225; KAELBER, Initiation, 232; LA FONTAINE, Initiation, 102. GERLITZ, Initiation, 157 notiert sogar: „Der Initiationsritus ... weist

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Phasen-Schema der Passageriten gekennzeichnet, nämlich Separation, Liminalität und Aggregation. 64 Es gilt mithin auch hier „das traditionelle Schema des Initiationsvorgangs, das in der Symbolik von Leiden, Tod und Auferstehung zum Ausdruck kommt"65: Der Initiand der mystischen Berufung stirbt den symbolischen Initiationstod, erleidet darin vielerlei Torturen und Prüfungen - berühmt ist die Marter, Zerstückelung und Skelettierung des Körpers in der schamanischen Initiationsekstase - und ersteht schließlich zu einem neuen Sein auf. Auf diese Weise vollzieht er anderen Neophyten vergleichbar einen Statuswechsel, der einem Seinswechsel gleichkommt; Eliade nennt diese Transformation eine „.mystische Verwandlung"66. Ferner begegnen hier viele der typischen liminalen Symbole, die Victor Turner in seinem Aufsatz „Betwixt and Between" ausführlich expliziert hat. Dieser in § 3 bereits besprochene Aufsatz stellt überhaupt eine wichtige Quelle für ein profundes Verständnis von Initiationsprozessen dar und wird deshalb im folgenden immer wieder herangezogen werden.67 Aus alledem ergibt sich: Die Initiationsform der mystischen Berufung beinhaltet zum einen den Aspekt einer umfassenden Transformation der individuellen Person; darin gleicht sie einer Konversion.68 Sie schließt aber auch das Moment der Instruktion durch göttliche Wesen und Menschen ein; darin gleicht sie einer Berufung. Sie

bei aller kulturellen Verschiedenheit so viele Gemeinsamkeiten auf, daß sich ... von daher eine Typisierung verbietet." 64 Vgl. GERLITZ, Initiation, 157: „Diese drei Phasen treten bei jeder Initiation auf und können religionsgeschichtlich als gesichert gelten"; s. auch SCH0JDT, Initiation, passim. 65 66

67

GERLITZ, Initiation, 160. ELIADE, M y s t e r i u m , 172.

Ich zitiere hier wie in § 3 nach TURNER, Forest, 93-111. Zwischen Konversionen und Initiationen bzw. Passageritualen besteht überhaupt eine besonders enge Verwandtschaft. So reflektieren Bekehrungsberichte oftmals deutlich die Struktur und Symbolik von Initiationen bzw. Passageriten. Für den Bereich der Antike zeigt dies R.C. DOUGLAS' Untersuchung zur jüdischen Schrift .Joseph und Aseneth". DOUGLAS zeigt, wie sehr die Darstellung der Konversion Aseneths dem dreistufigen rituellen Prozeß von Separation, Liminalität und Aggregation folgt (s. Liminality, 36-39); zum Initiationscharakter und zur rituellen Dimension dieses Bekehrungsromans vgl. auch SÄNGER, Mysterien, 148-190; GALLAGHER, Conversion, 7ff. sowie die Bemerkung bei THYEN, Studie, 142: „Ich vermute sehr stark, daß hier ganz reale Initiationsriten einer missionarisch recht aktiven Synagogengemeinde der ägyptischen Diaspora in das erzählerische Genus des Romans umgesetzt sind." Die rituelle Dimension weiterer antiker Konversionsberichte behandelt GALLAGHER, Conversion, passim. Angeführt sei in diesem Zusammenhang femer FINN, Process, bes. 72-80, der die Konversion von Christen im Rahmen des Katechumenats der Alten Kirche als rituellen Prozeß analysiert. KNOBEL, Rites, 397 parallelisiert speziell die Konversion zum Judentum mit einem Passageritus. STAGL, Übergangsriten, 87 konstatiert umgekehrt, daß in komplexen Gesellschaften Initiationen in Form von Konversionserlebnissen fortleben. Der Ethnologe stellt ebd. grundsätzlich „Formen oder Darstellungen der Findung einer .fertigen' Persönlichkeit" in den Kontext von Initiationen. Überdies wird in der modernen Konversionsforschung durchaus auch die rituelle Dimension der Transformation in Bekehrungen beachtet; s. dazu RAMBO, Understanding, 113ff. Trotz aller Verwandtschaft scheint mir jedoch mit Blick auf das Damaskusgeschehen die Anwendung des Initiationsmodells in vielerlei Hinsicht passender zu sein. Dies wird die folgende Beweisführung zeigen. 68

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

eignet sich darum hervorragend, das Damaskusgeschehen in seiner ganzen Komplexität transparent werden zu lassen. Damit können wir uns nun den einschlägigen Paulustexten zuwenden, nämlich Gal 1,11-17; Phil 3,2-11; 2Kor 4,4-6 und IKor 15,8-10.69 W a s die Stellen im Philipper- und im zweiten Korintherbrief anbetrifft, empfielt es sich allerdings, den weiteren Kontext eigens mit zu berücksichtigen und insgesamt Phil 3,2-21 sowie 2Kor 4,7-12 zu behandeln. Nur so wird sichtbar, daß der Apostel seine Damaskuserfahrung in einen gestreckten, noch immer andauernden Initiationsprozeß einbettet, der sich in variierter Form ebenso bei allen Christusgläubigen vollzieht und dort in der Taufe verankert ist. Es ist zweckdienlich, die Textuntersuchung mit dem prägnantesten Damaskuszeugnis, Gal 1,11-17, zu eröffnen.

2. Gal 1,11-17 Nur an dieser Stelle thematisiert Paulus sein Damaskuserlebnis im Rahmen eines längeren biographischen Rückblicks. Daß es sich hierbei keineswegs um eine rein historisch-objektive Dokumentation seiner Lebensgeschichte handelt, ist evident. Nicht nur dürfen antike autobiographische Bekundungen grundsätzlich nicht als rein dokumentarische Berichte gelesen werden,70 Paulus gibt in V.llf., der Einleitung zu seiner Retrospektive, selbst deutlich zu erkennen, daß die folgenden Angaben einer ganz bestimmten Funktion dienen:71 Es geht ihm um den Nachweis der Souveränität und Autorität seines Evangeliums, die er an dessen nichtmenschlicher Herkunft und Qualität festmacht. So konstatiert er in den beiden Versen mit Nachdruck, das von ihm gepredigte Evangelium sei nicht κατά άνθρωπον (V.ll), er habe es nämlich nicht παρά άνθρωπου empfangen noch gelehrt bekommen, vielmehr sei es ihm δι' άποκαλύψεως Ίησοϋ Χριστοί) zuteil geworden (V.12; vgl. 1,1). Mit der anschließenden Schilderung seines Wandels vom Verfolger zum Verkündiger sucht Paulus dies zu untermauern, ja der ganze biographische Passus samt der Rückschau auf die Zeit nach dem Damaskusgeschehen (l,16b-24), den Apo69

Vgl. dazu oben Anm. 29. Da es in diesem Paragraphen allein um das paulinische Verständnis des Damaskusgeschehens geht, unterbleibt eine Untersuchung der Bekehrungsberichte in Act 9,3-9; 22,6-10; 26,13-18. 70 Dies hat LYONS, Autobiography, 29ff. detailliert herausgearbeitet; s. auch MALINA/ NEYREY, Portraits, passim; GAVENTA, Autobiography, 323ff. Daß antike Biographien weniger auf das individuelle Leben denn auf die öffentlichkeitsrelevanten Aspekte des Bios einer Person abheben, betont auch STENGER, Biographisches, 123ff. 71 Daß V . l l f . als Themenangabe für die folgende biographische Narratio fungiert, wird von den meisten angenommen; vgl. dazu nur BÖRSE, Gal, 57; DUNN, Gal, 51; LONGENECKER, Gal, 20ff.; LÜHRMANN, Offenbarungsverständnis, 74; MATERA, Gal, 55; SANDNES, Paul, 52ff. („stasis"); STENGER, Biographisches, 125f.

97

Gal 1,11-17

stelkonvent (2,1-10) und den antiochenischen Konflikt (2,11-14) dient offenbar der Bezeugung der Souveränität des Evangeliums, damit aber auch der seines Verkündigers. Dieser biographischen Rückblende liegt nun insgesamt, so die These, ein Initiationsmuster zugrunde, das die göttlich sanktionierte Transformation Pauli aus einer renommierten Statusposition in eine liminale Stellung zum Inhalt hat und den Apostel als eine der göttlichen Souveränität des Evangeliums entsprechende Schwellenperson zeichnet. Dem gilt es im folgenden Schritt für Schritt nachzugehen.

Beschreibung

der vergangenen Statusposition

(V.13f.)

Paulus setzt in V.13f. mit einem Rekurs auf seine Vergangenheit vor der Transformation ein (ποτέ). Die beiden Verse beinhalten in auffälliger Weise die Insignien dessen, was Turner „Struktur" nennt, nämlich Hierarchisierung und Exklusivität mit dem Effekt „to produce distance and inequality .. ." 72 . Das Moment der Exklusivität tritt in dem Begriff 'Ιουδαϊσμός deutlich hervor. Dieser Terminus begegnet nur hier im Neuen Testament und erscheint im gesamten jüdisch-griechischen Schrifttum lediglich in 2Makk 2,21; 8,1; 14,38; 4Makk 4,26. Er hat aufgrund dieses seltenen Vorkommens zweifelsohne einen hohen Signalwert. In den Makkabäerbüchern beschreibt 'Ιουδαϊσμός die jüdische Lebensweise im Unterschied und in Abgrenzung zu anderen Religionen.73 Die Vokabel zeigt insofern exklusive Distanz an, insbesondere die Distanzierung von Juden gegenüber Heiden aufgrund unterschiedlicher religiöser Praktiken und Normen (vgl. Gal 2,14: ίουδαίζειν). Mit der doppelten Verwendung des ungewohnten Ausdrucks an unserer Stelle bekundet der Apostel insofern nachdrücklich seinen damaligen Anspruch auf einen exklusiven jüdischen Status. V.13b zufolge richtete sich dieser Anspruch speziell gegen die εκκλησία τοϋ θεοί). Paulus gibt an, er habe diese einst im Übermaß verfolgt und zu zerstören gesucht. Solche Verfolgung impliziert freilich keinen Bruch zwischen Judentum und „Christentum", wie bisweilen angenommen; vielmehr trifft das Gegenteil zu: Sie dokumentiert die Zugehörigkeit der εκκλησία zur jüdischen Gemeinschaft, denn: „... punishment implies inclusion - ... in any case no synagogue court would have had a jurisdictional authority over local Gen72

TURNER, Dramas, 272. Bei HENGEL, Judentum, 2 heißt es dazu u.a., mit dem Begriff sei „... der exklusive Glaube an den einen Gott Israels und das Festhalten an der von ihm gegebenen Tora" gemeint (Hervorhebung nicht im Original); s. ferner NLEBUHR, Heidenapostel, 21-24, der ebd., 24 auf das in der Wortwahl enthaltene „Moment der Abgrenzung" hinweist; vgl. 73

e b e n s o H . D . BEIZ, Gal, 137 A 9 3 ; DUNN, Gal, 56; LONGENECKER, Gal, 2 7 ; RÄISÄNEN,

Conversion, 406; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 146. GAVENTA, Darkness, 24 zufolge gehört auch der Begriff αναστροφή in diesen Kontext.

98

Die Transfonnation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

tiles."74 Allerdings offenbart die angesprochene Repression unverkennbar eine Außenseiterrolle der έκκληοία innerhalb des Judentums, so daß hier deutlich die oben erwähnten „Struktur"-Effekte der Distanzierung und der Ungleichheit zum Vorschein kommen. Beachtenswert ist ferner die Wendung καθ' ύπερβολήν. Paulus bringt damit die Außerordentlichkeit seiner Verfolgungstätigkeit zum Ausdruck und reklamiert so rückblickend eine herausragende Stellung seiner Person innerhalb des 'Ιουδαϊσμός.75 Dies setzt sich in V.14 fort; dort berichtet er von seinen Fortschritten im Judentum, die sich darin manifestierten, seine Altersgenossen durch außerordentlichen Eifer um die väterlichen Überlieferungen übertroffen zu haben. Solche Überbietungsformulierungen indizieren das genannte „Struktur"-Moment der Hierarchisierung; es wird eine Art Wettbewerbssituation vorausgesetzt, innerhalb derer Paulus seine Überlegenheit behaupten konnte.76 Zusammenfassend kann somit für V.13f. festgehalten werden: Der Apostel entwirft hier ein Bild von seiner Vergangenheit, das geprägt ist durch die Einbettung seiner Person in ein differenziertes, religiös legitimiertes Sozialsystem mit fest umrissenen Bewertungskategorien, „die die Menschen im Sinne eines ,Mehr' oder .Weniger' trennen"77. Innerhalb dieses Systems macht er einen besonderen Status geltend, indem er auf die von ihm aktiv vollzogene Ausgrenzung der έκκλησία τοϋ ϋεοΰ weist sowie auf seinen ungewöhnlichen, andere überbietenden religiösen Eifer.

74

FREDRIKSEN, Judaism, 549f.; s. auch SANDERS, Law, 92. Zur kontroversen, hier nicht näher zu erörternden Diskussion um Motivation, Ort und Charakter der Verfolgung vgl. BLANK, Paulus, 238ff.; DIETZFELBINGER, Berufung, 4-42; FREDRIKSEN, Judaism, 550-558; DIES., Paul, 10-14; HENGEL, Paulus, 265-291; HAACKER, Werdegang, 877-895; HULTGREN, Persecution, 97ff.; KIM, Origin, 32-50; NIEBUHR, Heidenapostel, 57ff. 75 Nach HULTGREN, Persecutions, 109 zielt die genannte Wendung nicht auf den gewaltsamen Charakter der Verfolgung, sondern auf das besondere Ausmaß der Verfolgung, „indicating that Paul's zeal in persecuting the church was incomparabel to that of most of his time ..."; vgl. auch BLANK, Paulus, 238f.; DIETZFELBINGER, Berufung, 11; NIEBUHR, Heidenapostel, 40. 76 Vgl. DUNN, Gal, 59; nach STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 146 geht es bei der Bemerkung vor allem „um den hohen praktischen Einsatz für die jüdische Lebensweise". 77 TURNER, Ritual, 96. Aus dieser Interpretation darf freilich nicht der falsche Schluß gezogen werden, das Judentum sei ein starres, zur Ungleichheit führendes Religionssystem. Paulus geht es in Gal l,13f. ja nicht um eine adäquate Darstellung der Religionsstruktur des Judentums oder des Pharisäismus; er legt hier vielmehr eine retrospektive, vom gegenwärtigen Standpunkt als Heidenapostel zweifellos stark beeinflußte Beschreibung seiner persönlichen, auf Exklusivität und Ausgrenzung beruhenden Statusposition vor. Was THEISSEN, Aspekte, 160 mit Blick auf 2Kor 3 formuliert, gilt m.E. auch für Gal l,13f.: „Paulus setzt sich vor allem mit sich selbst auseinander; denn sein Verhältnis zum Judentum ist immer auch ein Verhältnis zum eigenen Leben."

Gal 1,11-17

99

Separation und Eintritt in die Liminalität (V.15f.) Aus der in V.13f. dargelegten „Struktur"-Position wird Paulus nach V.15f. durch einen direkten Eingriff Gottes herausgenommen. Der hier beschriebene Vorgang entspricht dabei in mehrerlei Hinsicht einem Initiationsszenario, wobei die beiden Verse erkennbar die Stufen der Separation und der Liminalität schildern. Das Moment der Separation klingt gleich zu Beginn von V. 15 in der Vokabel άφορίζειν an. Das Verb steht in der Septuaginta als Fachterminus für die kultisch-rituelle „Aussonderung aus dem alltäglichen Leben"78. Ziel solcher Aussonderung ist dort die „heilige Beanspruchung"79: Zeiten, Räume, Objekte oder Personen werden der gewohnten Struktur entnommen, um sie unmittelbar Gott zu unterstellen.80 Άφορίζειν umschreibt mit anderen Worten die .„Aussonderung zu heiligem Zweck' oder ins .Heilige'" 81 bzw., wie man mit Turner sagen könnte, die Separation aus dem Bereich der Struktur in den der Liminalität oder der Anti-Struktur.82 Durch den Gebrauch dieser Terminologie wird das Damaskusgeschehen also deutlich einem rituellen Separationsvorgang angeglichen; es artikuliert mithin die „heilige Beanspruchung" der Person des Paulus. Vom Textzusammenhang referiert das Verb dabei klar auf die Separation aus der in V.13f. beschriebenen Strukturposition. Dem steht allerdings die Aussage entgegen, die Aussonderung sei bereits von Mutterleib an (έκ κοιλίας μητρός μου) erfolgt. Doch ist dem gesamten Duktus der narratio in V.13-16 auf der anderen Seite unzweifelhaft zu entnehmen, daß Paulus sich dieser Aussonderung durch Gott erst im Damaskusereignis bewußt wurde. Infolgedessen konnte sie ihm auch erst hier zur faktischen Realität werden.83 78

SCHMIDT, όρίζω, 455; s. dazu auch STRACK, Terminologie, lOOff.

79

SCHLIER, Gal, 53.

80

Vgl. LxxNum 15,20 (Aussonderang von Opferbroten für Jahwe); LxxEz 45,1.4.9 (Aussonderang von Räumen für Jahwe und Priester). SANDNES, Paul, 61 nennt weitere Belege und macht auf die Verbindung zwischen άφορίζειν und άγιάζειν aufmerksam; s. auch STRACK, Terminologie, 99-106; MUSSNER, Gal, 82f.; SCHMIDT, όρίζω, 455f.; H.D. BETZ, Gal, 141 A122. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß Paulus das Verb wenig später eindeutig im Kontext einer rituell bedingten Absonderung gebraucht (s. 2,12). Die These, es läge hier eine Anspielung auf die Partei der Pharisäer vor (so ZAHN, Gal, 63; s. ferner DUNN, Gal, 63; MUSSNER, Gal, 83 A31) - ,,άφωρισμένος ist die gängige Übersetzung von TÖNS und aramäisch Ö'IS, wovon Φαρισαϊος die Transkription ist" (SCHMIDT, όρίζω, 455) - , ist mehr als fraglich. Die heidenchristlichen Galater hätten ein solches Wortspiel jedenfalls kaum verstanden. Nach H.D. BETZ, Gal, 141 A122 gibt es zudem keinen Beweis, „daß Paulus den linguistischen Zusammenhang kannte"; s. auch FUNG, Gal, 63; ROHDE, Gal, 6 0 samt A 6 6 . 81 STRACK, Terminologie, 394. Dieses Verständnis von άφορίζειν findet sich im übrigen auch vielfach in der griechischen Literatur. Darauf macht H.D. BETZ, Gal, 141 A122 unter Verweis auf Piaton, Tim 24A und Aristoteles, Pol 1322b26 aufmerksam. 82 Zur Gleichsetzung des Profanen und des Heiligen mit Struktur und Anti-Struktur s. ZADRA, Theory, 94f.; vgl. bereits DÜRKHEIM, Formen, 62ff. 83 Ähnlich auch SANDNES, Paul, 61; STENGER, Biographisches, 132; BLANK, Paulus, 224.

100

Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

Das Phänomen der Divergenz zwischen göttlicher Aussonderung qua Geburt und späterer Realisation derselben im Berufungsakt begegnet im übrigen auch in den prophetischen Einsetzungsberichten Jes 49,1 und Jer 1,5.84 Überhaupt scheint Paulus seinen Damaskusbericht in Gal l,15f. grundsätzlich am Modell der prophetischen Berufung orientiert zu haben, was ja nicht zuletzt Stendahl zur Ablehnung der Bekehrungsthese bewog.85 Neben dem Motiv der Aussonderung von Mutterleib an erinnern insbesondere das Verb καλέΐν (V.15) sowie die Rede von der Sendung zu den Heidenvölkern (V.16) an Jes 49,1-6.86 Solche intertextuellen Vernetzungen mit prophetischen Einsetzungsberichten verdichten den Separationsgedanken nochmals eigens, handelt es sich doch bei zahlreichen der bekannten alttestamentlichen Propheten um sozial marginalisierte bzw. separierte Menschen. Mark McVann beschreibt den Typus des Propheten überhaupt als „a liminal or marginal entity, a man set apart from others and at odds with the world in which he lives"87. Robert R. Wilson differenziert genauer und spricht diesbezüglich vom Typus des „peripheral prophet", den er vom sog. „central prophet" abgrenzt.88 Die paulinische Anspielung auf die Berufungen des Gottesknechts und Jeremias, deren Leben nach der Schrift ja beträchtlich durch leidvolle Ausgrenzung bestimmt war, vertieft vor diesem Hintergrund in jedem Fall den Aspekt der sozialen Separation und deutet indirekt auch auf die Permanenz der mit dem Damaskusgeschehen einhergehenden Aussonderung. 84 Auch bei Jeremia ergibt sich daraus ein Kontrast zum bisherigen Vorleben; vgl. dazu STENGER, Biographisches, 132f. samt A22; angesichts solcher Parallelität sollte man nun aber mit Blick auf Paulus gerade nicht von einer .„Aussonderung' aus dem Judentum" sprechen, wie dies STENGER, ebd., 133 tut. 85 Dazu s. oben; STENGER deutet die Stelle als „idealbiographischen Einsetzungsbericht" (Biographisches, passim); vgl. auch SANDNES, Paul, 59 samt A38. 86 Vgl. dazu LXXJes 49, 1.6. Zur oftmals ventilierten Frage, ob Gal 1,15 eher Jes 49,1-6 oder Jer 1,5 oder gar Jes 6 zum Hintergrund hat, vgl. die Ausführungen bei SANDNES, Paul, 61-65. SANDNES gelangt ebd., 65 zu dem Ergebnis, „that Paul did not understand his commission in terms of any particular prophet. He describes his call in terms and motifs that are analogous to the call of Isaiah, Jeremiah and the Servant of the Lord. The apostle Paul is, then, as a preacher of the gospel of God's Son a latter day prophet. It comes as no surprise that Isa 49 holds the dominate place, because of his commission to preach the gospel (εύαγγελίζεο-θαι), and the role the Judaism attributed to Deutero-Isaiah in defining what an OT prophet was." Vgl. dazu auch NEWMAN, Glory-Christology, 205f., der über die bekannten Parallelen hinaus hinter der Wendung αποκαλύψω ... iy έμοί in V.16 noch eine Anspielung auf έ\> σοΙ δοξασθήσομαι aus LXXJes 49,3 vermutet. 87 MCVANN, Prophets, 14; zur Entsprechung der Adjektive „peripheral" und „liminal" s. WILSON, Society, 38 A37; vgl. ferner die Zuordnung des „Propheten" zum Typus des religiösen Spezialisten bei TURNER, Specialists, 439f., wo es u.a. heißt, „the prophet may well stand outside the cultural system" (ebd., 440). 88 Vgl. WILSON, Prophecy, 20f. Die Typisierung „peripheral prophet" geht auf I.M. LEWIS' Kategorie der „peripheral possession" zurück; s. dazu auch D.L. PETERSEN, Roles, 43 ff.

Gal 1,11-17

101

Der mit der Separation verbundene Eintritt in die Liminalität wird in Gal l,15f. gleich an mehreren Punkten greifbar. Der Text weist etliche liminale Attribute auf, die den Initiationscharakter des Geschilderten noch weiter festigen. Dazu zählt zunächst die offenkundige Passivität des Paulus. Überblickt man die beiden Verse im ganzen, fällt auf, daß dem Apostel sehr daran gelegen ist, Gott als alleinigen aktiven Part des Geschehens hervorzuheben. Die gesamte Handlung in V.15f. wird in deutlichem Kontrast zur reputierlichen, aber rein menschlichen Aktivität in V.13f. exklusiv als dessen Werk vorgestellt. Paulus versichert: Gott89 faßte den Beschluß, in ihm seinen Sohn zu offenbaren (εύδόκησεν ... άποκαλύψαι τον υΐόν αύτοΰ έν έμοί)90, er sonderte ihn aus (ό άφορίσας με) und er berief ihn durch seine Gnade (καλέσας δια της χάριτος αύτοϋ). Vor allem das betont an den Anfang gestellte Verb εύδόκησεν zeigt unmißverständlich an, daß das Damaskusereignis ganz und gar in der Souveränität des göttlichen Willens wurzelt.91 Der explizite Hinweis, der widerfahrene Ruf sei δια της χάριτος αΰτοϋ ergangen, steigert das Moment der freien göttlichen Gnadenwahl noch zusätzlich. Paulus wird so vollauf zum Objekt eines ausschließlich von Gott verantworteten Vorgangs. Die Vorstellung einer eigenständig vollzogenen, bewußten Konversion des Apostels ist damit gänzlich negiert. Dieser Befund entspricht indes der typischen Charakteristik einer Initiation, sind doch Neophyten in der Regel ganz und gar passive Objekte des von außen an sie herangetragenen Transformationsverfahrens und zumal während der liminalen Phase in toto dem Willen der Ritualleiter unterworfen,92 wobei die Rolle der Initiationsmeister beim Initiationstypus der individuellen Berufung, wie im vorliegenden Fall, von transzendenten Mächten bzw. Gott übernommen wird.93 Hinzu kommt, daß die mystisch-individuelle Initiation meist in Form einer spontanen Erwählung bzw. eines spontanen Rufes seitens der übermenschlichen Wesen ergeht.94 Dies korrespondiert dem von Paulus vermittelten Bild eines abrupten Wandels aufgrund göttlicher Initiative.95 Besonders prägnant tritt der liminale Charakter des Damaskusgeschehens in V.16 zutage. Hier begegnen die beiden zentralen liminalen Merkmale des Ini89 Auch wenn man ό θεός in V.15a als sekundäre Lesart bewertet (sie fehlt in "p46 Β F G etc., findet sich aber u.a. in Ν A D Ψ), so kommt gleichwohl nur Gott als das gemeinte Subjekt des Satzes in Frage. 90 Zur genaueren Bedeutung des Syntagmas έν έμοί s. unten. 91 Das Verb zielt hier weniger auf einen vorzeitlichen Ratschluß von Ewigkeit her als vielmehr auf die Freiheit der göttlichen Gnadenwahl; vgl. dazu BLANK, Paulus, 223;

DIETZFELBINGER, Berufung, 61; FUNG, Gal, 62; MUSSNER, Gal, 81; ROHDE, Gal, 59;

SCHRENK, εΰδοκέω, 739; STENGER, Biographisches, 136. 92 Vgl. dazu die obigen Ausführungen zu den sacra in § 3.1 (S. 46f.); s. dazu TURNER, Forest, 99ff., bes. 101. 93 Vgl. ELIADE, Mysterium, 168.171 u.ö. 94 Vgl. ebd., 166.178. 95 Vgl. dazu GAVENTA, Autobiography, 315; die Exegetin verweist auf das Fehlen eines „transition sentence" zwischen V.13f. und V.15f. und folgert daraus mit Recht: „The picture that emerges is that of an abrupt change."

102

Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

tiationstypus der mystischen Berufung, nämlich Ekstase und Instruktion. Zudem artikuliert der Vers eine Communitaseifahrung. Das instruktive wie auch das ekstatische Moment klingen im Gebrauch des Verbs αποκαλύπτει^ in V.16a an, mit dem der Apostel V.12 und die dortige Charakterisierung der άποκάλυψις Ίηοοϋ Χριστοΰ als Ursprung des Evangeliums wieder aufnimmt. Die Vokabel ist in ihrem Bedeutungsspektrum ziemlich komplex und trägt zahlreiche Konnotationen.96 Im wörtlichen Sinn steht αποκαλύπτει/ν zunächst für den Vorgang des Entschleierns bzw. Enthüllens,97 so daß das Damaskusgeschehen fürs erste ganz allgemein als Akt der Enthüllung von Verborgenem charakterisiert wird.98 Als Terminus technicus der jüdischen Apokalyptik kann άποκαλύπτειν/άποκάλυψις darüber hinaus aber auch bestimmte Inhalte von Geheimwissen transportieren. In apokalyptischen Kreisen wurde mit dieser Begrifflichkeit zumal die proleptische Eröffnung der im Himmel präfigurierten, den gegenwärtigen Menschen in genere aber noch verschlossenen eschatologischen Endereignisse in Verbindung gebracht.99 Man wird freilich vorsichtig damit sein müssen, spezifische apokalyptische Inhalte allein aufgrund der Verwendung dieser Terminologie unbesehen aus Gal 1 herauszulesen. Der Apostel selbst nennt als bestimmenden Inhalt seiner άποκάλυψις Jesus Christus als Sohn Gottes; für eine Übermittlung des Ablaufs endzeitlicher Geschehnisse liefert er im unmittelbaren Kontext ansonsten keine konkreten Anhaltspunkte. Gleichwohl ist es denkbar, ja wahrscheinlich, daß er mit seiner signifikanten Wortwahl auf die eschatologische Qualität seines Erlebnisses hinweisen will, die dann möglicherweise tatsächlich darin bestanden haben mag, daß die Christusoffenbarung für ihn mit einer Erschließung des endzeitüchen Gotteswillens respektive des universalen göttlichen Heilsplans einherging.100 In jedem Fall fügt sich der in der Vokabel grund-

9 6 Zu den verschiedenen Konnotationen vgl. OEPKE, αποκαλύπτω, 565ff.; LÜHRMANN, Offenbarungsverständnis, 40f.74f.98ff.; M . SMITH, History, 9ff.; s. auch H.D. BETZ, Gal, 143; NEWMAN, Glory-Christology, 200f. 9 7 M . SMITH, History, 12 konstatiert, „in the lower-middle-class, eastern Mediterranean milieux ... αποκαλύπτω was ... the common word for revealing secrets". 9 8 Vgl. SCHLIER, Gal, 47.54f.; STUHLMACHER, Evangelium, 71.76f. sowie LUCK, Bekehrung, 201. LÜHRMANN, Offenbarungsverständnis, 156ff. lehnt es hingegen ab, das Motiv der Verborgenheit zur Erklärung der paulinischen Aussagen heranzuziehen. 9 9 In dieser Weise deuten das Verb hier BLANK, Paulus, 212f.; KIM, Origin, 71ff.; MALINA/NEYREY, Portraits, 45; MEISSNER, Heimholung, 162; NEWMAN, Glory-Christology, 20Iff.; STUHLMACHER, Evangelium, 71.76f.; s. auch J. DUPONT, Conversion, 178; zur apokalyptischen Prägung der Termini άποκαλύπτειν/άποκάλνψις vgl. grundsätzlich WLLCKENS, Rom I, 86-88 sowie OEPKE, αποκαλύπτω, 580f.; zur Enthüllung göttlicher Geheimnisse in der Apokalyptik s. ferner BORNKAMM, μυστήριοι, 821ff. M . SMITH, History, 15ff. lehnt eine apokalyptische Herleitung der Begriffe bei Paulus allerdings entschieden ab; s. auch die Bedenken bei H.D. BETZ, Gal, 143 A131. 100 v g l . dazu auch DUNN, Gal, 53: „ T o describe this event as an .apocalypse' ... implied that it has eschatological significance, that is, as the key which unlocked the mystery of

Gal 1,11-17

103

sätzlich angesprochene Aspekt der Vermittlung von verborgenem Wissen dem Initiationsmodell ein und erinnert insbesondere an die Kommunikation der sacra während der rituellen Liminalität in Initiationsvollzügen.101 Der Gebrauch des beziehungsreichen Verbs άποκαλύπτειν deckt sich aber noch in anderer Hinsicht mit der Initiationsthese. Speziell beim Initiationstypus der individuellen Berufung erfolgt die Weitergabe von esoterischen Informationen im wesentlichen durch transzendente Wesen im Zustand der Trance, der Ekstase.102 In Analogie dazu erscheint in Gal 1,16 nicht nur nachdrücklich Gott als alleiniges Subjekt des Enthüllungsvorganges, bemerkenswert ist überdies, daß das Verb άποκαλύπτειν gerade auch das Moment der ekstatischen Erfahrung mit beinhalten kann, war doch der Empfang göttlicher Offenbarungen in der jüdischen Apokalyptik zumeist an außergewöhnliche Bewußtseinszustände gebunden, an Visionen, Entrückungen oder Träume.103 Wichtiger aber noch ist, daß Paulus in 2Kor 12,1.7 das Nomen pluralis αποκαλύψεις104 selbst in einen direkten Zusammenhang mit Visionen (όπτααίαι) und einer Entrückung in den dritten Himmel bringt. Ohne diese Textstelle nun unmittelbar als Schilderung der Damaskuswende auslegen zu wollen,105 bestätigt dieser Sprachgebrauch doch, daß der Wortstamm άποκαλυπτ- auch im Corpus Paulinum ekstatisch-visionäre Erlebnisse konnotieren kann.106 Vor diesem Hintergrund und obendrein gestützt durch die Aussagen in IKor 9,1 und 15,8 - Paulus versichert dort, den Herrn Jesus gesehen (έόρακα) bzw. eine Christuserscheinung erfahren zu haben (ωφϋη) - wird man die Infinitivwendung άποκαλύψαι τον υίόν αΰτοϋ in Gal 1,16 - wie auch die Genitivkonstruktion άποκάλυψις Ίησοϋ Χριστοϋ in V.12107 - mit gutem Recht als Anspielung auf eine God's purpose for his creation, the keystone of the whole arch of human history (cf. Rom i. 17; xvi.25; 1 Cor. ii.10 ...)•" 101 Zur Vermittlung von Geheimwissen in Initiationen vgl. TURNER, Forest, 102ff.; s. ferner BLEEKER, Remarks, 16ff.; KAELBER, Initiation, 230f.; LA FONTAINE, Initiation, 15ff. 102.185ff.; SCH0JDT, Initiation, 95f.l04. 102 Vgl. ELIADE, Mysterium, 166 u.ö. TURNER, Specialists, 439 spricht deshalb von „inspirational functionaries". 103 VGL NUR LÜHRMANN, Offenbarungsverständnis, 98ff.; s. auch die Besprechung des vielfältigen Materials bei A.F. SEGAL, Convert, 34-71 und HEININGER, Visionär, 111-135; vgl. ferner MALINA/NEYREY, Portraits, 216f. und MALINA, Genre, 27f.31ff. zu den „altered states of consciousness". 104 Die ungewöhnliche Pluralformulierung zeigt an, daß Paulus mehrere ekstatische Erlebnisse hatte; vgl. MEISSNER, Heimholung, 168. 105 Einer solchen Gleichsetzung steht schon die Datierung „vor vierzehn Jahren" in 2Kor 12,2 entgegen; dies schließt freilich die Vergleichbarkeit hinsichtlich der Erscheinungs/orm nicht aus; vgl. dazu LÜDEMANN, Auferstehung, 92ff.; MEISSNER, Heimholung, 173ff.; NEWMAN, Glory-Christology, 201ff.; zur Stelle s. ferner A.F. SEGAL, Convert, 35ff.; HEININGER, Visionär, 242ff. 106 Zur ekstatischen Dimension von Visionen vgl. allgemein A.F. SEGAL, Convert, 52ff. 107 Aufgrund der Aussage in V.16a wird man den Genitiv am besten als Genitivus objectivus verstehen; ebenso H.D. BETZ, Gal, 129ff.; DUNN, Gal, 53; FUNG, Gal, 54; MATERA, Gal, 56; MEISSNER, Heimholung, 169; MUSSNER, Gal, 68; STUHLMACHER, Evange-

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

Christusvision ekstatischer Natur interpretieren dürfen. 108 Die bisweilen vorgetragene These, es handle sich dabei konkret um eine Thronsaalvision, 109 läßt sich Gal 1,16 freilich nicht ohne weiteres entnehmen. Als Inhalt der Offenbarung nennt der Apostel den Sohn Gottes (τον υίόν αΰτοϋ). Der im Corpus Paulinum seltene Gottessohntitel kann mehrere unterschiedliche Bedeutungsnuancen tragen. 110 In Gal 1,16 weist das Würdeprädikat wohl in erster Linie auf Jesus als Auferstanden und Erhöhten (vgl. Rom 1,4; IThess Ι,ΙΟ). 111 Zwei Gesichtspunkte sind diesbezüglich im Rahmen des hier gewählten anthropologisch-ritologischen Textzugangs zu notieren. Zum einen deutet sich im Gebrauch des vorgegebenen, traditionellen 112 Titels an, daß Paulus mit und seit dem Damaskuserlebnis in einem zentralen Punkt, nämlich im Christusverständnis, das symbolische Universum derjenigen Gruppe teilt, die er vorher verfolgte, also der έκκλησία (V.13); als symbolische Verdichtung axiomatischer Vorstellungen der Gruppe der Christusgläubigen nimmt der Gottessohntitel an dieser Stelle gewissermaßen die Rolle der sacra in Initiationsprozessen ein. Zum anderen klingt in der Rede von der Offenbarung des υίός ϋεοϋ, des Auferstandenen, zumindest indirekt das klassische Initiationsmotiv „Tod und Auferstehung" an. Im Kontext der anderen paulinischen Damaskuszeugnisse, in Phil 3,10f. und 2Kor 4,10ff., kommt diese Thematik explizit zur Sprache. Ja, der Apostel betont dort, wie noch zu sehen sein wird, daß er aufgrund seiner Damaskuserfahrung unmittelbar in die diesbezügliche Transformationsdynamik Christi hineingenommen wurde. Das Thema der Christusteilhabe kündigt sich aber bereits hier in Gal 1,16 an, nämlich in der eigentümlichen Spezifizierung der Damaskusoffenbarung als Offenbarung έν έμοί. Über die Bedeutung und Funktion des signifikanten Syntagmas ist viel gerätselt worden. Grammatikalisch kann es entweder als einfacher Dativ gedeulium, 71; anders LONGENECKER, Gal, 24; ROHDE, Gal, 51f., die für einen Genitivus subjectivus votieren. SCHLIER, Gal, 47 und BLANK, Paulus, 213f. kombinieren beide Möglichkeiten; ähnlich auch HEININGER, Visionär, 198 mit A81. 108 Auf den Visionscharakter der Offenbarung in Gal 1,16 rekurrieren auch H.D. BETZ, Gal, 143f.; BÖRSE, Gal, 6 2 ; DLETZFELBINGER, Berufung, 5 1 - 5 4 . 6 0 f . ; DUNN, Gal, 64; LON-

GENECKER, Gal, 31; KIM, Origin, 55ff.71ff.; LUCK, Bekehrung, 191; LÜDEMANN, Auferstehung, 65f.93; MATERA, Gal, 63f.; MEISSNER, Heimholung, 161ff.; MUSSNER, Gal, 84f. samt A38; A.F. SEGAL, Convert, 13; SCHLIER, Gal, 56; STUHLMACHER, Evangelium, 76ff.; kritisch ist jedoch LÜHRMANN, Offenbarungsverständnis, 40f.73ff.159f. 109 So MEISSNER, Heimholung, 162ff.; NEWMAN, Glory-Christology, 201ff.; STENGER, Biographisches, 136ff.; s. ferner KIM, Origin, 239ff. Zum Anklang an Thronepiphanien in 2Kor 4,6 s. unten. 110 Vgl. dazu nur HURTADO, Son, 903ff.; KRAMER, Christos, 183ff.; HENGEL, Sohn, 1831. 111

V g l . BLANK, Paulus, 2 2 9 ; MEISSNER, H e i m h o l u n g , 188; NIEBUHR, Heidenapostel,

74; STUHLMACHER, Evangelium, 81 und STENGER, Biographisches, 137, der hier darüber hinaus eine Anspielung auf den Präexistenten vorliegen sieht. 112 Vgl. dazu nur HENGEL, Sohn, 23ff.; KRAMER, Christos, 105ff.

Gal 1,11-17

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tet („mir")113 oder wörtlich mit „in mir" 114 wiedergegeben werden.115 Im ersten Fall hat έν έμοί lediglich die Funktion, Paulus als Empfänger der Offenbarung auszuweisen. Für diese Auslegung läßt sich anführen, daß έν in der Koine in der Tat oftmals den einfachen Dativ vertritt, im besonderen bei Verben des Mitteilens.116 Dennoch wird man die zweitgenannte Interpretation des Syntagmas vorzuziehen haben. Dies empfiehlt sich allein schon deshalb, weil der Apostel das Verb άποκαλύπτειν sonst meist ohne Präposition an den Dativ anbindet (vgl. IKor 2,10; 14,30; Phil 3,15); von daher ist die Präposition έν an unserer Stelle sicherlich eigens zu bedenken. Hinzu kommt, daß sich Gal 2,20 (ζη δέ έν έμοί Χριστός) wie ein Rückbezug auf 1,16 liest und man das dortige έν έμοί ja wohl kaum als bloßen Dativ nehmen kann.117 Auch Aussagen wie die in Gal 4,6 (έξαπέστειλεν ό Φεός τό πνεϋμα τοϋ υιοϋ αΰτοϋ εις τάς καρδίας ήμών) legen eine Übersetzung mit „in mir" nahe.118 Stimmt man der wörtlichen Lesart „in mir" zu, so bleibt immer noch zu klären, was der Apostel dabei konkret im Sinn gehabt haben mag. Hans Dieter Betz und einige andere verstehen die Wendung primär als Indiz für die eben bereits angesprochene ekstatisch-visionäre Natur der Damaskusoffenbarung.119 Ohne diese These in Gänze negieren zu wollen, scheint mir jedoch ein anderer Gesichtspunkt noch mehr im Vordergrund zu stehen. Berücksichtigt man nämlich die bereits genannte Entsprechung zu Gal 2,20 in angemessener Weise und sieht man, daß dort eine äußerst innige Verbindung zwischen

113

So BLANK, Paulus, 229; GAVENTA, Darkness, 27; OEPKE, Gal, 61; MEISSNER, H e i m -

holung, 161 A128; LÜHRMANN, Offenbarungsverständnis, 79 mit Al; SANDNES, Paul, 60 samt A43; SCHNELLE, Wandlungen, 16; STUHLMACHER, Evangelium, 82 Al. 114 S o H . D . BETZ, Gal, 144; BOYARIN, Jew; 123.125.290(A8); DUNN, Gal, 6 4 ; FUNG, Gal, 64; HEININGER, Visionär, 200; LONGENECKER, Gal, 32; NEWMAN, Glory-Christology, 2 0 4 ; A.F. SEGAL, Convert, 64; Μ . SMITH, History, 15.

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Eine dritte Möglichkeit ist die Übersetzung mit „an mir"; danach hätte Gott den Heiden den Sohn durch Paulus offenbart. „Aber wegen des Finalsatzes ϊνα ευαγγελίζομαι αύτόν έν τοις εθνεοιν ist diese Deutung nicht haltbar, denn die Verkündigung des Evangeliums unter den Heiden durch Paulus kann nicht der Zweck einer an die Heiden selbst ergehenden Offenbarung sein ..." (ROHDE, Gal, 60). 116 Vgl. OEPKE, Gal, 61 samt A33 (dort Belege). GAVENTA, Gal, 27 postuliert diesen Sprachgebrauch auch für die folgende Wendung έν τοις εϋνεσιν und erblickt darin eine Parallele zu έν έμοί. OEPKE, Gal, 61 meint indes, έν τοις εθνεσιν sei „schwerlich nach Analogie von έν έμοί zu fassen". 117

V g l . H . D . BETZ, Gal, 144; DUNN, Gal, 64; HEININGER, Visionär, 200; LONGEN-

ECKER, Gal, 32; M. SMITH, History, 15. Zugleich erweckt Gal 2,20 den Eindruck einer Taufreminiszenz (s. dazu unten S. 254 [§ 9.1]); auf die hier sichtbar werdende Entsprechung der persönlichen Initiation des Apostels vor Damaskus zur allgemeinen Initiation in der Taufe werde ich noch häufiger in diesem Paragraphen zu sprechen kommen. 118 Ebenso H.D. BETZ, Gal, 144, der ebd., A139 zusätzlich auf Rom 8,9.11.15f.; IKor 3,16; 6,19; 2Kor 6,16 verweist; s. auch DUNN, Gal, 64; LONGENECKER, Gal, 32. 119

V g l . H . D . BETZ, Gal, 144; BOYARIN, J e w , 2 9 0 A 8 ; NEWMAN, Glory-Christology,

204. BETZ und BOYARIN bewerten ebd. die Frage, ob es sich um eine äußerliche oder innerliche Vision gehandelt haben mag, als ein für Paulus irrelevantes Thema.

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Christus und Paulus formuliert wird, beachtet man obendrein, daß das Syntagma sich gleichsam wie die spiegelbildliche Umkehrung der für Paulus so zentralen έν Χριστω-Vorstellung ausnimmt,120 die im wesentlichen eine ebenso enge Verbindung zwischen Christus und den Christusgläubigen anzeigt (s. dazu § 7.3), so folgt daraus unweigerlich, daß das Moment der Verbundenheit als maßgeblicher Bedeutungsaspekt des έν έμοί in Gal 1,16 zu gelten hat. Der Präpositionalausdruck bringt dann in erster Linie die im Akt der Offenbarung konstituierte, außergewöhnlich intensive Relation zwischen dem Offenbarungsempfänger Paulus und dem geoffenbarten Christus zum Ausdruck.121 Dieser Befund läßt sich vermittels einer ritologisch inspirierten Textbetrachtung als liminale Communitasedahrung erklären, und zwar näherhin als eine Form der vertikalen Communitas zwischen einem menschlichen und einem göttlichen Wesen.122 Das heißt: έν έμοί benennt eine die Person des Paulus gänzlich durchdringende Gemeinschaft mit dem auferstandenen und erhöhten Gottessohn, eine Innigkeit, die der Communitaserfahrung in der liminalen Phase von Transformationsritualen, insbesondere von Initiationen entspricht. Gestützt wird diese These dadurch, daß der Apostel im Kontext auch der anderen Damaskustexte, nämlich in Phil 3,10 sowie in 2Kor 4,7ff., auf eine solche vertikale Christuscommunitas abhebt, wenn auch mit anderen Formulierungen (Christus gewinnen, in ihm erfunden werden, Partizipation an Jesu Tod und Leben etc.; dazu s. unten). Paulus hat sein ekstatisch-visionäres Erlebnis offenbar im Kern als eine Art „Einswerdung mit Christus" erfahren bzw. verstanden, vergleichbar dem in Gal 3,26-28 explizierten Einswerden der Christusgläubigen mit Christus in der Taufe (vgl. dazu § 7.3.3).123 Das Syntagma έν έμοί indiziert von daher, daß die visionäre Konfrontation mit dem Auferstandenen gleichsam in den Personkern des Apostels hineinreichte, und zwar so weit, daß daraus eine umfassende Transformation seiner Persönlichkeit resultierte, so daß aus dem Verfolger der έκκληοία der Verkündiger

120

Vgl. dazu LONGENECKER, Gal, 32.92f. Vgl. SCHLIER, Gal, 55: ,JEs scheint ..., daß mit έν έμοί die Intensität der Enthüllung des Sohnes, die bis in das zentrale Leben des Apostels stattfand, zum Ausdruck gebracht wird." 122 Vgl. dazu oben S. 66f. (§ 4.2) und unten S. 193f. (§ 7.3.3). Hier gilt im besonderen, was TURNER, Specialists, 439 im Rahmen seiner Klassifizierung der „religiösen Spezialisten" allgemein über den Typus des „inspirational functionary" sagt: „The medium, shaman, and prophet communicate in a person-to-person manner: they are in what Buber (1936) would describe as an I-thou relationship with the deities or spirits." 123 Auch A.F. SEGAL, Convert, 64 notiert die Entsprechung zwischen Damaskus und der Taufe, indem er im Rahmen seiner Konversionsthese und seiner mystischen Paulusdeutung über das έν έμοί schreibt: „This is not a simple dative but refers to his having received in him the Spirit, in his case through his conversion. Being in Christ in fact appears to mean being united with Christ's heavenly image. The same, however, is available to all Christians through baptism." 121

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Christi unter den Heiden werden konnte. 1 2 4 Letzteres liegt überdies in d e m in V.16b wiedergegebenen Missionsauftrag begründet. In der Aufforderung, den offenbarten Sohn unter den Heiden (έν τοις εϋνεσιν) 1 2 5 zu verkündigen, begegnet dabei nochmals explizit das für individuelle Berufungsinitiationen charakteristische Element der Instruktion.126 Bezeichnend ist hier, daß der Auftrag in einen Finalsatz (ίνα) eingekleidet ist und so als eigentlicher Zweck der ekstatischen Offenbarung figuriert. Offenbarung und Instruktion sind so aufs engste miteinander verbunden. D i e s betrifft ebenso den jeweiligen Inhalt. Hier wie dort geht es im Kern um eine Begegnung mit dem Sohn. Auch die Heiden sollen qua Verkündigung gewissermaßen in die enge und heilvolle Christusbeziehung hineingenommen werden, 1 2 7 die Paulus in seiner persönlichen Initiation bereits erfahren hat, und die dann zumal bei den Missionierten in der Taufe besiegelt wird. 1 2 8 D i e vor Damaskus erfahrene vertikale Christuscommunitas des Apostels erfährt so mit dem Missionsauftrag gleichsam eine horizontale Ausrichtung. Notabene: Hierin mag sich in abgewandelter Form vielleicht Turners These bestätigen, rituelle Communitaserfahrungen besäßen eine expansive Tendenz und entwikkelten aus sich heraus den Drang zur Mission; die Erfahrung einer die bestehenden alltäglichen Grenzziehungen überschreitenden Inklusivität fiihre - so Turner - zu Bekehrungseifer und zu dem Wunsch, die anderen zum Wir zu machen. 1 2 9 Diese These vermag möglicherweise auch den in Gal 1,16 vorfindlichen Zusammenhang zwischen der Communitaserfahrung in der ekstatischen Offenbarung - hier freilich 124 DUNN, Gal, 64 sieht in έ\> έμοί ebenfalls eine „personal transformation" artikuliert. Er relativiert diese richtige Beobachtung m.E. dann jedoch zu stark, wenn er die Wandlung lediglich auf eine Transformation „not so much of person as of purpose and commitment (no longer ,to destroy the church', but now ,to preach Christ among the Gentiles')" einschränkt. - MALINA/NEYREY, Portraits, 45 weisen mit Recht auf die rituelle Dimension der Offenbarung in Gal 1,16 hin: „... this revelation did not simply alter Paul's awareness, from being ignorant of some bit of information to one who was now informed about it. Rather the revelation proved to be a formative event - it served as a sort of ritual of status transformation whereby the persecutor of the gospel became its herald ..." Den Transformationsgedanken betonen an dieser Stelle gleichfalls A.F. SEGAL, Convert, 64 u.ö. sowie Μ. SMITH, History, 15. 125 Zur Verwendung des Begriffs τά έθ^η für die Heiden vgl. nur HECKEL, Bild, 270-272 sowie DUNN, Gal, 65. Die Verwendung der Präposition έ\ „indicates the sphere and scope

of his m i s s i o n " (LONGENECKER, Gal, 32). 126

Gal 1,16b fügt sich nach STENGER, Biographisches, 139f. und SANDNES, Paul, 58f.65 ganz der Gattung des idealbiographischen, prophetischen Einsetzungsberichtes ein, und zwar insoweit, als hier die Gattungselemente der „Sendung" bzw. „Dienstanweisung" und der Angabe des „Zuständigkeitsbereiches" begegnen. 127 Zur rituell-transformativen Qualität der Verkündigung s. unten § 9.1 (S. 249ff.). 128 YGI dazu auch die Überlegungen bei DUNN, Gal, 65 zur Entsprechung von Damaskusgeschehen und Taufe der Christusgläubigen; s. ferner die Ausführungen bei M. SMITH, History, 15. 129 TURNER, Theater, 80. TURNER führt dort als Beispiel das Pfingsterlebnis der Apostelgeschichte und die daran unmittelbar anschließende Missionierung der Welt an.

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einer vertikalen Communitas! - auf der einen und dem Missionsauftrag auf der anderen Seite ein Stück weit erhellen.130 Faktisch impliziert das Damaskusereignis somit nach dem Selbstzeugnis des Apostels eine anti-strukturelle Umkehrung der in V.13f. geschilderten Strukturmerkmale: War dort die Vergangenheit durch ,Hierarchisierung' und .Exklusivität' gekennzeichnet, zumal im Gegenüber zur εκκλησία τοϋ θεοΰ, so eröffnet das Damaskusgeschehen nun Inklusivität, nämlich die Integration der Heiden, die dem vormals „eifernden" Paulus als verfolgungswürdige Außenseiter galten. James D.G. Dunn kommentiert V.16b in dieser Hinsicht - allerdings unter Verwendung des Konversionsbegriffes - treffend wie folgt: „Central to his conversion, properly speaking, ... was this change in his perception regarding the Gentiles in God's purpose and the resulting transformation of his previous ,us-and-them' (Jews and Gentiles) attitude. The Gentiles from being outsiders, , strangers to the covenants of promise, having no hope and without God in the world' (Eph. ii.12), had moved to the centre of God's purpose. So that all the previous effort to maintain ,the assembly of God' as something distinct and separated from the Gentiles by definition had now to be abandoned."131 Der im Damaskusereignis verwurzelte Missionsauftrag führt so gewissermaßen zur Einspeisung horizontaler Communitaswerte in die Gesellschaft, zumindest in die Gemeinschaft der Christusgläubigen. Die daraus entspringende ethnische Communitas aus Juden und Heiden wird in dieser Arbeit noch mehrmals zur Sprache kommen, ausführlich in §§ 10.4.3 und 5.1.

Permanente Liminalität (V.17ff.) In V.16c-17 benennt der Apostel in groben Zügen den Fortgang der Ereignisse nach dem Damaskusgeschehen. Außergewöhnlich ist die negative Diktion der ersten beiden Aussagen in V.16c und 17a. Paulus unterstreicht darin, was er nicht tat, bevor er ab V.17b auf seine tatsächlichen Unternehmungen zu sprechen kommt. So habe er sich unmittelbar nach dem Ereignis keinerlei Rat 130 Umstritten ist, ob sich Paulus sofort nach der Damaskuserfahrung der Heidenmission zuwandte oder ob er sein missionarisches Selbstverständnis erst allmählich entwickelte (vgl. dazu nur DFFITZFELBINGER, Berufung, 142ff.; KIM, Origin, 58ff. und FUNG, Gal, 71f.;

s. auch H . D . BETZ, Gal, 144 samt A 1 4 3 ; BLANK, Paulus, 2 3 0 ; LONGENECKER, Gal, 3 2 ) . M i t

SCHLIER, Gal, 56 muß man hier wohl einräumen: „... Paulus reflektiert... nicht über diese Frage. Ihm liegt nur daran zu betonen, daß die Offenbarung Gottes an ihn den Auftrag der öffentlichen Verkündigung Christi unter den Heiden einschließt." Die Satzkonstruktion in Gal 1,16 schafft jedenfalls einen äußerst engen Konnex zwischen Offenbarung und Mission, der dem genannten expansiven Moment ritueller Communitaserfahrungen entspricht. 131 DUNN, Gal, 66.

Gal 1,11-17

109

oder Interpretation seines Erlebnisses (προσανατίϋεσθαι.)132 von Menschen (σαρξ κοα αίμα) 133 eingeholt (V.16c); auch die Jerusalemer Apostel habe er nicht sofort 134 aufgesucht (V.17a). Mit solchen Beteuerungen wird die allein in Gottes Handeln verankerte Qualität des Damaskusgeschehens untermauert und damit die in V . l l f . formulierte These der Souveränität seines Evangeliums bestärkt. Die negativen Bekundungen haben aber auch zur Folge, daß der Apostel in einer eigentümlichen Sonderrolle erscheint. Die nach der Liminalität des Damaskusgeschehens eigentlich zu erwartende Aggregation in die Gemeinschaft der Christusgläubigen bleibt aus. Der durch die göttliche Initiation neu gewonnene Status erfährt mit anderen Worten keine menschliche Bestätigung. Paulus fährt in V.17b und c fort, er sei unmittelbar nach seiner Damaskuserfahrung in die Arabia gezogen und dann wieder nach Damaskus zurückgekehrt. Von einer Affirmation oder gar belehrenden Vertiefung des Erlebten durch Menschen ist auch in dieser Auskunft nichts zu entdecken. Die Angabe in V.17b läßt offen, welchen Ort er genau aufsuchte und zu welchem Zweck er dies tat. Mit dem Terminus „Arabia" wird man allerdings kaum den Aufenthalt in einer einsamen Wüstenlandschaft assoziieren dürfen, auch wenn sich dies sehr gut in das Initiationsmodell einfügen würde, was indirekt auch Dunn einräumt: „It would accord with the much more widely attested practice in the history of religions of a period of withdrawal into an uninhabited region, following a revelatory or visionary experience, in preparation for some prophet-like or shamanistic role." 135 Aller Wahrscheinlichkeit nach ist mit „Arabia" auf die nördlichen Teile des Nabatäerreiches angespielt.136 Spekulationen darüber, was Paulus in dieser Gegend unternahm, ob er dort bereits missionierte, wie viele mutmaßen, 137 sich vornehmlich auf die Mission vorbereitete138 oder doch in erster Linie das Damaskusgeschehen in irgendeiner Form aufarbeitete,139 sind letzten Endes müßig. 140 In jedem Fall bringt Paulus mit dieser Bemerkung seine Unabhängigkeit zum Ausdruck. 132 Das Verb meint grundsätzlich .jemand zu Rate ziehen". Im vorliegenden Kontext hat es vermutlich mit DUNN, Gal, 67 die eher technische Bedeutung „consulting someone who was recognized as a qualified interpreter about the significance of some sign - a dream, or omen, or portent, or whatever"; ebenso F U N G , Gal, 7 0 ; M A T E R A , Gal, 6 0 . 6 4 . 133 Der Semitismus steht für den Menschen allgemein und ist hier wohl von Paulus gewählt, um den Kontrast zur göttlichen Aktivität beim Damaskusgeschehen hervorzuheben; vgl. BOYARIN, Jew, 110; DUNN, Gal, 68; LONGENECKER, Gal, 33; MATERA, Gal, 60; MUSSNER, Gal, 89f. samt A58; STUHLMACHER, Evangelium, 83f. 134 Man wird das εύΰέως zu Beginn von V.16c mit DUNN, Gal, 68 und ROHDE, Gal, 61f. auch auf V. 17a und b zu beziehen haben. 135 DUNN, Gal, 69f. 136 So die Mehrzahl der Kommentatoren; s. nur H.D. BETZ, Gal, 147f.; DUNN, Gal, 69f.; FUNG, Gal, 68f.; ROHDE, Gal, 62; SCHLIER, Gal, 58. 137 Vgl. nur H.D. B E T Z , Gal, 148; F U N G , Gal, 69; K I M , Origin, 63; M A T E R A , Gal, 64; S T U H L M A C H E R , Evangelium, 84. 138 Vgl. ROHDE, Gal, 62f. 139 Vgl. OEPKE, Gal, 62 sowie SzYMANEK, zit. bei ROHDE, Gal, 62 A83.

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Der Apostel bleibt somit auch nach seiner Initiation eine „liminale Figur"; die in V.15 erwähnte heilige Aussonderung hält gewissermaßen an. Aber fungiert nun nicht doch der in V.18 beschriebene Besuch bei Kephas in Jerusalem sowie die Vereinbarung auf dem in 2,1-10 geschilderten Apostelkonvent als eine Form der Aggregation auf sozialer Ebene? Hier gilt es genau auf die Formulierungen und den Duktus der Argumentation zu achten. Paulus drückt sich in dieser Hinsicht mit Bedacht aus. So wählt er für die Begegnung mit Kephas das relativ seltene Verb ίστορέίν, das lediglich einen Besuch zum Zweck des Kennenlemens umschreibt.141 Er bekundet damit zwar seinen Respekt gegenüber dem Urapostel, doch zeigt der Gebrauch des relativ unverbindlichen Verbs zugleich seine Unabhängigkeit an. Die ausdrücklich erwähnte Kürze des Besuchs, nämlich 15 Tage, unterstreicht die Ungebundenheit zusätzlich, ebenso die anschließende Bemerkung in V.19, außer Jakobus, den Herrenbruder, keine anderen Apostel gesehen zu haben.142 So kann die Visite auf keinen Fall als offizieller Antrittsbesuch vor der Jerusalemer Gemeinde gewertet werden.143 Mittels der genannten Akzentuierungen in der Darstellung bewahrt sich Paulus souveräne Distanz gegenüber Jerusalem. Von einer allgemeinen Aggregation kann also auch hier nicht die Rede sein. Wie verhält es sich aber mit dem Apostelkonvent (2,1-10)? Ohne hier auf Details eingehen zu können, läßt sich folgendes festhalten: Paulus bestätigt in seiner Darstellung zunächst nochmals seine Unabhängigkeit, indem er gleich zu Beginn in V.2 darauf aufmerksam macht, κατά άποκάλυψι/ν zum Konvent gereist zu sein. Er verdeutlicht auf diese Weise, „that his visit did not stem from any human motivation, either on his part or that of the Jerusalem leaders, but must be seen in the same way as his call and commission"144. Gleichwohl legt der Apostel hier nun sein Evangelium für die Heiden - anders als bei dem in V.18 genannten Privatbesuch bei Petrus - einem größeren Gremium der Jerusalemer Gemeinde vor - das hierfür verwendete Verb άνατίϋεσ&αι enthält allerdings keineswegs das Bedeutungsmoment der Überprüfung durch eine richtende Instanz, sondern steht lediglich für den Vorgang des Mitteilens145 und erfährt dabei eine offizielle Anerkennung seines gottgegebenen Auftrags 140

So mit DUNN, Gal, 70; s. auch LONGENECKER, Gal, 34; MUSSNER, Gal, 92. Vgl. H.D. BETZ, Gal, 151f.; MUSSNER, Gal, 93ff.; ROHDE, Gal, 65f.; SCHLIER, Gal, 60. DUNN, Gal, 73f.; MATERA, Gal, 66.68f. und STUHLMACHER, Evangelium, 84 sehen in dem Verb zusätzlich den Aspekt des Informierens enthalten, schließen dabei aber explizit jegliche Konnotationen in Richtung .Abhängigkeit' oder .Unterordnung' aus. 142 Mit MUSSNER, Gal, 95; SCHLIER, Gal, 61; alternative Überlegungen listet DUNN, Gal, 75 auf. 143 MUSSNER, Gal, 95 spricht von einem „Höflichkeitsbesuch" bei Petrus. 144 LONGENECKER, Gal, 47. 145 Ygi Dunn, Gal, 92: „Paul has choosen a verb which would give no ground whatsoever to those who might have argued that Paul went up to Jerusalem and to ask them for an authoritative ruling on it"; s. dazu auch MATERA, Gal, 80; MUSSNER, Gal, 102ff.; ROHDE, Gal, 76. 141

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zur Heidenmission (s. V.7ff.). Hier scheint insofern endlich die ausstehende Aggregation vorzuliegen. Doch der unmittelbar im Anschluß daran beschriebene sog. antiochenische Konflikt (2,11-14) relativiert diesen Eindruck wieder. Es wird ersichtlich, daß Pauli Position trotz der Abmachungen in Jerusalem keineswegs unumstritten war; von einem gefestigten Status des Apostels und seiner Heidenmisson kann aufgrund dieses Berichtes keine Rede sein. Aber gerade dieser Umstand ermöglicht es andererseits, die über alle Konflikte erhabene Souveränität des paulinischen Evangeliums herauszustellen, eine Souveränität, die den Apostel schließlich zum offenen (εμπροσβεν πάντων) Widerstand gegen Petrus führt (V.14). Somit weist sich Paulus in Gal 1 - 2 insgesamt als der von Gott selbst ausgesonderte und initiierte, allein der Wahrheit des Evangeliums verpflichtete (vgl. 2,5.14) und insofern keiner menschlichen Autorität unterworfene Heidenapostel aus, dessen Status zwar in Jerusalem anerkannt wurde, der aber letztlich von solcher Anerkennung durch menschliche Führer unabhängig ist. Die göttliche Initiation vor bzw. in Damaskus verleiht ihm danach eine Art dauerhaft liminale Rolle; als von Gott Initiierter ist er grundsätzlich nicht an menschliche Statuszuweisungen und Wertmaßstäbe gebunden. Die Liminalität der Berufungsinitiation erstreckt sich mithin über das ursprüngliche Damaskuserlebnis hinaus auf sein Leben als Heidenapostel: Der damalige Initiationsakt hat zwar eine Separation aus dem Bereich der Sozialstruktur (V.13f.) in den liminaler Anti-Struktur (V.15f.) bewirkt, eine unumstrittene, dauerhafte Aggregation in eine neue Sozialstruktur blieb indes aus. Paulus erscheint so als göttlich legitimierte Schwellenperson, vergleichbar den „peripheral prophets" des Alten Testaments, 146 deren Tradition er in l,15f., wie aufgewiesen, modellhaft aufnimmt. Es wird sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit zeigen, daß der Apostel auch in seiner Theologie entsprechend liminal ausgerichtet ist und in mancherlei Hinsicht als Verfechter einer „permanenten Liminalität" verstanden werden kann. Abschließend seien supplementär einige Bemerkungen zur Funktion der biographischen narratio in Gal 1-2 angefügt. Gegen den verbreiteten Konsens in der Forschung, die autobiographische Darstellung allein als apologetische Replik des Apostels auf Angriffe seitens in Galatien eingedrungener Opponenten zu lesen, 147 haben in jüngerer Zeit vor allem George Lyons und Beverly Roberts Gaventa die paradigmatische Funktion der Aussagen hervorgehoben.148 Lyons ordnet den Galaterbrief insgesamt dem genus deliberativum zu - er richtet sich dabei explizit gegen die be146

Vgl. dazu oben S. 100. So argumentiert mit verschiedenen Akzentsetzungen die Mehrheit; vgl. dazu die eindrückliche Auflistung bei GAVENTA, Autobiography, 310 A2; s. ferner MATERA, Gal, 54; zur Diskussion um die Identifizierung der Gegner vgl. nur H.D. BETZ, Gal, 40-47; ROHDE, Gal, 14-21; LONGENECKER, Gal, lxxxviii-c; NlEBUHR, Heidenapostel, 7-10. 148 Vgl. LYONS, Autobiography, 123ff.; GAVENTA, Autobiography; s. auch MATERA, Gal, 54f. 147

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

kannte These von Hans Dieter Betz, es handle sich um einen apologetischen Brief 149 - , entdeckt aber auch zahlreiche Merkmale der epideiktischen Gattung in dem Schreiben und konkludiert speziell bezüglich Gal 1-2: „Paul's autobiographical narrative serves as the paradigm of the behavior he persuades his readers to imitate."150 Ähnlich äußert sich Gaventa über die fragliche Textpassage: „Paul employs events out of his past, events that have to do with the exclusive nature of the gospel's claim on his own life, to urge that same exlusive claim on Christians in Galatia. Simply, Paul presents himself as an example of the working of the gospel."151 Lyons und Gaventa können sich dabei in ihren Untersuchungen neben dem in Gal 4,12 genannten Imitationsmotiv auf die meist paradigmatische Funktion autobiographischer Aussagen in antiken Schreiben stützen.152 Nun ist allerdings die Evidenz für das Wirken von Opponenten in Galatien zu groß, um apologetische Absichten des Apostels bei seiner Rückblende gänzlich negieren zu können.153 Doch wird man Lyons und Gaventa insoweit Recht geben, als der in den paulinischen Briefen einmalig ausführliche Lebensrückblick zumindest auch paradigmatische Bedeutung gegenüber den Galatern haben dürfte und nicht allein auf eine apologetische Funktion reduziert werden darf. 154 Das Beispiel des Paulus mag dann in Anbetracht der vorgelegten ritologischen Textdeutung in aller Kürze darin liegen, daß er an der im Damaskusgeschehen gründenden Initiationsdynamik festhielt und festhält, während die heidnischen Galater in Gefahr stehen, mit ihren Beschneidungsabsichten und der Übernahme bestimmter Toravorschriften aus dem mit der paulinischen Verkündigung und der Taufe eröffneten Transformationsprozeß auszusteigen oder wenigstens der gegenwärtigen liminalen Situation nicht zu entsprechen.155

3. Phil 3,2-21 Auch Phil 3, dem zweiten zentralen Text zum Damaskusgeschehen, liegt ein Initiationsszenario zugrunde. Grenzt man das relevante Textmaterial nicht wie gewöhnlich auf V.2-11 ein, 156 sondern faßt das gesamte dritte Kapitel des 149

Vgl. dazu H.D. BETZ, Gal, 54ff. LYONS, Autobiography, 136; s. ferner ebd., 170ff. 151 GAVENTA, Autobiography, 313. 152 Vgl. GAVENTA, Autobiography, 322ff.; LYONS, Autobiography, passim. 153 Ygj dazu n u r di e Hinweise in 1,7; 3,1; 4,17; 5,7.10.12; 6,12f., die klar zwischen der Gemeinde und einigen Unruhestiftern differenzieren; s. dazu SANDNES, Paul, 50f. sowie NLEBUHR, Heidenapostel, 9 A26. GAVENTA, Autobiography, 315 räumt im übrigen ausdrücklich ein, Paulus verfolge nicht nur paradigmatische, sondern auch apologetische Absichten. 154 So auch SANDNES, Paul, 49; s. feiner NlEBUHR, Heidenapostel, 5-7.10.16, der ebenfalls für mehrere Aussageabsichten plädiert. 155 Der liminale bzw. anti-strukturelle Impuls des Paradigmas Pauli klingt auch bei GAVENTA, Autobiography, 326 heraus: „The retrospect ... presents Paul as an example of the gospel's singular and exclusive power to overthrow human conventions, commitments, and values and to replace those with ,the faith of Jesus Christ' (2:16)." 156 So z.B. GAVENTA, Darkness, 29-33; DIETZFELBINGER, Berufung, 103ff.; anders J. DUPONT, Conversion 179-181.192. 150

Phil 3,2-21

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Philipperbriefes ins Auge, 157 so kristallisiert sich deutlich das typische dreigliedrige Strukturschema rituell-initiatorischer Prozesse heraus:158 Analog zu Gal 1,11-17 schildert der Apostel auch hier zunächst seine vergangene Statusposition, um auf dieser Grundlage dann die Separation aus dieser Position und die andauernde Liminalität zu behandeln. Anders als dort wird hier nun aber auch die dritte Phase eigens angesprochen, die Aggregation in eine neue Strukturposition besonderer Art (s. V.20f.). Zudem wird in Phil 3 der Aspekt der permanenten Liminalität, der in Gal 1 vornehmlich auf Paulus und seine Rolle als Apostel bezogen war, stärker noch theologisch fundiert und verallgemeinert, d.h. in seiner Relevanz für alle Christusgläubigen aufgewiesen: Paulus stellt sich explizit als Vorbild dar und ruft die Philipper in V.17 direkt zur Nachahmung auf (συμμιμηται μου γίνεσ&ε, αδελφοί; vgl. auch 4,9). Vom Textzusammenhang kann dieser Appell nur bedeuten, „daß sich die Gemeinde in ihrem Denken und Tun mit dem in Übereinstimmung befinden möge, was Paulus an sich selbst in V.4-14 exemplifiziert hat"159. Das heißt: Die im Damaskusgeschehen verankerte Transformation Pauli besitzt hier deutlicher als in Gal 1 eine ausgesprochen paradigmatische Funktion.160 Weshalb aber kommt der Apostel in Phil 3 überhaupt auf sein Damaskuserlebnis und die Grundstrukturen christusgläubiger Existenz zu sprechen? Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich aus V.2-4a.

157 Phil 3 wird trotz differierender literarkritischer Briefteilungshypothesen durchgängig als Einheit betrachtet. Zur literarkritischen Problematik des Briefes s. Näheres bei WiCK, Philipperbrief, 16-32 sowie HAWTHORNE, Phil, xxix-xxxii; KOPERSKI, Knowledge, 69ff.; MENGEL, Studien, 191ff.; U.B. MÜLLER, Phil, 4-14; O'BRIEN, Phil, 10-18; SCHNELLE, Einleitung, 164—167. 158 Daß das Kapitel die Grundstrukturen christusgläubiger Existenz in einer Art Dreischritt entfaltet, wurde wiederholt beobachtet. SCHENK, Phil, 305.314.322 überschreibt die Phasen mit den Sätzen: (1) „Der Beginn: Die Berufung durch den auferweckten Jesus"; (2) „Die Gegenwart der christlichen Existenz"; (3) „Die Vollendung als Ziel der christlichen Existenz"; s. auch KOPERSKI, Knowledge, 273. Eine Dreiteilung nach den Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft findet sich schon bei BENGEL, Gnomon, 388; vgl. auch TANNEHILL, Dying, 122; etwas anders gliedert FORESTELL, Perfection, 126, der von vier Stufen ausgeht. 159

MENGEL, Studien, 269; vgl. U.B. MÜLLER, Phil, 173; NLEBUHR, Heidenapostel, 82

sowie SCHENK, Phil, 319. 160 vgl. dazu auch U.B. MÜLLER, Phil, 146, der über das signifikante Verhältnis von „Ich"-Rede (V.4-14) und „Wir"-Passagen (V.3.15f.20f.) in Phil 3 schreibt: „In den ,Wir'Aussagen appelliert Paulus an das, was ihn und die Christen vereint, das neue Sein in Christus. Auf dieser Basis verweist er dann in V.4b-ll auf seine eigene Geschichte, die die Leser auf sich beziehen sollen. Was für ihn gilt, soll in bestimmter Weise auch für sie Geltung haben. An seiner Wende vom Gesetzesfrommen zu dem, der inzwischen allein noch Christus kennt, sollen sie ihre eigene Verpflichtung erfassen."

114

Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

Der Streit um die Initiation

(V.2-4a)

Die mit drastischen Schimpfworten versehene Mahnung in V.2 zeigt unverkennbar an, daß die paulinische Argumentation in Phil 3 durch die Agitation missionarischer Opponenten motiviert ist. Paulus fordert seine Gemeinde mittels eines dreifachen βλέπετε eindringlich auf, sich vor den „Hunden" (κύνες), den „bösen Arbeitern" (κακοί έργάται) und der „Zerschneidung" (κατατομή) in Acht zu nehmen.161 Zumal das Stichwort εργάτης läßt dabei auf eine propagandistische Tätigkeit der Kontrahenten schließen, ist doch der Terminus sonst als Funktionsbezeichnung für Missionare belegt.162 Um wen es sich bei den Opponenten auch immer im einzelnen gehandelt haben mag - in der Forschung gehen die Meinungen darüber auseinander163 - , die in V.2—5 gebrauchten Ausdrücke κατατομή, περιτομή, καυχώμενοι... οΰκ έν σαρκι sowie πεποιθέναι έν σαρκί signalisieren in jedem Fall, daß die Beschneidung der Philipper eines ihrer zentralen Anliegen war.164 Das aber heißt: Im Mittelpunkt der Kontroverse zwischen Paulus und den Kontrahenten stand das Thema der Initiation. Strittig war allem Anschein nach die Frage, ob die christusgläubigen Philipper auch ohne περιτομή bereits in verläßlicher Weise in das Volk Gottes und damit ins Heil integriert sind. Mit Bestimmtheit entgegnet Paulus dem Beschneidungsansinnen der Konkurrenten in V.3: „Wir sind die Beschneidung" - wir, d.h. der Apostel und die

161 Aufgrund der forcierenden Wiederholung ist es eher unwahrscheinlich, daß βλέπετε lediglich soviel wie „consider" bedeutet; so aber HAWTHORNE, Phil, 124f. und PETERLIN, Letter, 95 im Anschluß an KILPATRICK; vgl. dagegen O'BRIEN, Phil, 353f.; U.B. MÜLLER, Phil, 142 A23; THIELMAN, Paul, 147f. 162 Vgl. nur Mt 9,37f.; 10,10; Lk 10,7 sowie 2Kor 11,13; s. dazu GEORGI, Gegner, 4 9 51; KRAUS, Volk, 337 mit A33; U.B. MÜLLER, Phil, 142; O'BRIEN, Phil, 355f.; SCHENK, Phil, 292; WATSON, Paul, 74. 163 Zum Diskussionsstand s. BLOOMQUIST, Suffering, 198-201; ERNST, Phil, 108-112; GNILKA, Phil, 211-218; HAWTHORNE, Phil, xliv-xlvii; KOPERSKI, Knowledge, 113ff.; MENGEL, Studien, 212-221; MEARNS, Identity, bes. 200ff.; U.B. MÜLLER, Phil, 186-191; O'BRIEN, Phil, 26-35; PETERLIN, Letter, 78ff.95ff.; SLBER, Christus, 101-110; WICK, Philipperbrief, 90ff. Zur Problematik, die Ansichten der Gegner spiegelbildlich aus den polemischen Äußerungen des Apostels zu erschließen vgl. NLEBUHR, Heidenapostel, 88; s. dazu auch BARCLAY, Mirror; BERGER, Gegner sowie LYONS, Autobiography, 96ff. (mit Blick auf den Galaterbrief). STOWERS, Friends, 114-117 versteht die Gegnerpolemik des Philipperbriefes hingegen lediglich als allgemeinen Topos der Gattung „Freundschaftsbrief". DOUGHTY, Citizens identifiziert Phil 3,2-21 als „secondary insertion" und äußert sich auf dieser Grundlage ebenso skeptisch über die Existenz von Gegnern. 164 Ebenso KRAUS, Volk, 337; U.B. MÜLLER, Phil, 143f.; NlEBUHR, Heidenapostel, 84. 88f.93ff.; O'BRIEN, Phil, 357; RAISÄNEN, Conversion, 408; SCHENK, Phil, 276; SCHNELLE, Einleitung, 170; THIELMAN, Paul, 149; WATSON, Paul, 74f.; WLCK, Philipperbrief, 92f.96. Darin ähnelt Phil 3 dem Galaterbrief; s. dazu auch NlEBUHR, Heidenapostel, 90; KRAUS, Volk, 339f.

Phil 3,2-21

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Philipper.165 Durch diese programmatische Bemerkung erreicht er ein doppeltes: Zum einen bejaht er damit die Unerläßlichkeit einer Initiation für Christusgläubige und stellt insofern vom Grundsatz her „den der Beschneidungsforderung innewohnenden Anspruch nicht in Frage"166; zugleich aber erklärt er mittels der besagten Behauptung die von den Opponenten eingeklagte konkrete Beschneidung für überflüssig, gibt der Satz doch zu verstehen, daß die Philipper wie er bereits vollgültig Initiierte sind. Die Ausführung der Zirkumzision an den christusgläubigen philippischen Heiden wäre von daher keine Initiation ins Heil respektive in die Heilsgemeinschaft, sondern eben - wie es in V.2 heißt - pure „Zerschneidung" (κατατομή). Zu dieser Erkenntnis führt auch die ausholende Erläuterung des in V.3a in hervorgehobener Spitzenstellung stehenden „Wir" mit den Worten ol π-νεύματι Φεοϋ λατρεύοντες καΐ καυχώμενοι έ-ν Χριστώ Ίησοϋ, wobei der letztgenannten Bestimmung noch die chiastische Umkehrung καΐ οΰκ έ-ν σαρκι πεποιθότες angefügt ist. Damit sind handfeste Indizien für die schon erfolgte Initiation genannt: Die christusgläubigen Philipper und der Apostel haben den Geist Gottes empfangen, führen ihr Leben im Geist und dienen darin Gott,167 ja sie leben in einer unmittelbaren Christusgemeinschaft (έ-ν Χριστώ; s. dazu § 7.3),168 in der ihr ganzer Ruhm gründet. Eine Beschneidung der heidnischen Gemeindeglieder würde bedeuten, statt dessen nun auf das Fleisch zu vertrauen und wäre insofern völlig verfehlt. Bezeichnenderweise weckt Paulus dabei mit dem Hinweis auf den Geist Taufassoziationen;169 es dürfte also insbesondere die Taufe sein, die als zentrales Initiationsritual der Christusgläubigen im Hintergrund der Argumentation gegen eine neuerliche Initiation qua Beschneidung steht.170 Ab V.4 erörtert der Apostel dann die neue Qualität christusgläubiger Existenz anhand seiner eigenen Vita. Er demonstriert an ihr, daß die neue Existenz eine komplette Transformation der Person und ihres Wertesystems impliziert, eine Transformation, die in ihrer Radikalität nicht nur das Initiations165

S o mit BECKER, Paulus, 3 4 5 ; LOHMEYER, Phil, 127; U . B . MÜLLER, Phil, 144; NIE-

BUHR, Heidenapostel, 81; O'BRIEN, Phil, 358f.; PETERLIN, Letter, 79; SCHENK, Phil, 254; WLCK, Philipperbrief, 97. 166

NIEBUHR, Heidenapostel, 98. Der Dativ πνεύματι ist mit LOHMEYER, Phil, 127; U.B. MÜLLER, Phil, 144; NIEBUHR, Heidenapostel, 84 A28 modal zu verstehen; anders hingegen SCHENK, Phil, 293. 168 Ähnlich BECKER, Paulus, 345; LOHMEYER, Phil, 127; NIEBUHR, Heidenapostel, 84, die hier ebenso die paulinische έν Χριστω-Vorstellung angesprochen sehen; dafür spricht vor allem die starke Betonung der Christusgemeinschaft in V.7ff. (s. dazu unten); anders SCHENK, Phil, 294; s. auch O'BRIEN, Phil, 362. 169 Ebenso BECKER, Paulus, 348f.; U.B. MÜLLER, Phil, 144. 170 Zur Abweisung der περιτομή bemerkt KRAUS, Volk, 340 mit Recht: „Damit wird ... nichts gegen die Beschneidung generell oder von Judenchristen gesagt. Aber als Zusatzbedingung für Heidenchristen bedeutet sie einen Rückfall hinter Christus und ist von daher strikt abzulehnen"; zur grundsätzlichen Verhältnisbestimmung von Taufe und Beschneidung bei Paulus vgl. CHRISTIANSEN, Covenant, Kap. VI sowie ebd., 323-325. 167

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Die Transfonnation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

ritual der Beschneidung völlig relativiert, sondern auch den mit der Beschneidung verknüpften Stolz auf religiös-soziale Statuspositionen destruiert, womit Paulus seine Gegner in einem weiteren Punkt treffen dürfte, denn es steht zu vermuten, daß diese sich nachdrücklich ihrer eigenen περιτομ,ή rühmten, nicht zuletzt deshalb, um auf diese Weise den Anreiz zum Vollzug des Rituals seitens der Philipper zu steigern. Dies legt zumindest die Verwendung der Vokabeln καυχασ&αι und πεποιφέναι nahe.171

Beschreibung der vergangenen Statusposition (V.4b-6) In seiner persönlichen Retrospektive begibt sich Paulus in V.4b-6 zunächst ganz auf die Ebene seiner Kontrahenten und mißt sich mit diesen (synkrisis).m Im Kontext der mediterranen Ehrkultur173 tritt er gewissermaßen in einen Ehrwettstreit und zählt nachdrücklich seine überlegenen Statusattribute aus der Vergangenheit auf: Wenn sich schon jemand έν σαρκί rühmt, so kann er es mit größerem Recht (έγώ μάλλον). Der Apostel expliziert seine vergangene Statusposition in zwei Aussagereihen zu je drei Gliedern, wobei er mit den Vorzügen qua Geburt (regiert von der Präposition έκ) einsetzt, um dann diejenigen Statusqualitäten zu nennen, die er sich persönlich erworben hat (regiert von der Präposition κατά). Paulus wirft so zugeschriebene und erworbene Ehrattribute gleichermaßen in die Waagschale, um seinen hohen Ehrstatus zu belegen.174 Die Beschneidung, der zentrale Streitgegenstand, steht dabei in V.5a gleichsam als Überschrift voran. Auffällig ist, daß die beiden Reihen jeweils eine Steigerung bezüglich der Qualität und Exklusivität der Vorzüge aufweisen.175 Die erste Aussagereihe (V.5b-d) eröffnet mit einem Hinweis auf die Zugehörigkeit zum γένος 'Ισραήλ, einer noch ziemlich allgemeinen Kategorie. Gleichwohl manifestiert sich bereits darin Exklusivität, insofern der Name „Israel" für das auserwählte Volk steht, „... das Volk also, das sich Gott, der 171 Mit U.B. MÜLLER, Phil, 145 und SCHENK, Phil, 276 gehören Beschneidungsforderung und Stolz auf die eigene Beschnittenheit zusammen; anders GNILKA, Phil, 187.213. 172 Vgl. MALINA/NEYREY, Portraits, 52f.; U.B. MÜLLER, Phil, 147; GNILKA, Phil, 141; zur Bedeutung und Funktion der rhetorischen synkrisis s. die in § 9.4 Anm. 209 (S. 292) genannte Literatur. 173 Näheres dazu in dem Exkurs über „Ehre und Schande" in § 9.3. 174 In Phil 3,4b-6 geht es primär um Ehre, um den Stolz auf die Beschneidung, die Tora etc., nicht aber um „Werkgerechtigkeit", d.h. um jüdisches „arrogant boasting in one's own achievements as a basis for a saving relationship with God" (O'BRIEN, Phil, 368), wie immer wieder behauptet (vgl. nur Ο. ΒΕΤΖ, Pharisäer, 54.61ff.; GNILKA, Phil, 190f.); zur Kritik an dem in den Text häufig eingetragenen Axiom einer jüdischen Werkgerechtigkeit vgl. SCHENK, Phil, 296.298ff.; s. dazu grundsätzlich auch SANDERS, Judentum sowie CHR. STRECKER, Perspektive, 6f.; vgl. ferner unten Anm. 183. 175 Dies beobachten ebenso O. BETZ, Pharisäer, 55; GAVENTA, Darkness, 30f.; U.B. MÜLLER, Phil, 148; SCHENK, Phil, 282.

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eine, wahre Gott, erwählt hat im Gegensatz zu der ganzen anderen Welt, daß es ihm diene und ihn bekenne"176 (vgl. Rom 9,4.6b). Hebt Paulus so mit seiner ersten Charakterisierung auf das Moment der Exklusivität nach außen ab, so reklamiert er, wenn er sich im folgenden dem Stamm Benjamin zuzählt, Exklusivität nach innen, war doch die Zugehörigkeit zu diesem Stamm mit einer besonderen Ehrenstellung verbunden, die u.a. daraus resultierte, daß sich der Stamm der Überlieferung zufolge in besonderer Weise loyal gegenüber David erwies und Benjamin als einziger der zwölf Söhne Jakobs im heiligen Land geboren wurde.177 Die Wendung „Hebräer aus Hebräern" dürfte schließlich auf die Pflege der aramäischen bzw. hebräischen Sprache in der Familie des Apostels aufmerksam machen178 sowie auf die enge Verbundenheit mit der jüdischen Kultur.179 Trifft dies zu, so beinhaltet diese Beschreibung Pauli exklusiven Anspruch, „to be an .insider' among his people"180. Mit der zweiten Aussagenreihe (V.5e-6) demonstriert Paulus, daß seine Ehre nicht allein in seiner Herkunft (Volk - Stamm - Familie) begründet lag, sondern gerade auch in seinen Taten, d.h. in der aktiven Bewährung seiner ehrenvollen Abstammung. So gibt er zu verstehen, daß er sein Leben bewußt an den Doktrinen des Pharisäismus ausrichtete, was wohl bedeutet, daß er es „mit seiner jüdischen Identität und insbesondere mit der Befolgung der Tora und der damit verbundenen Abgrenzung nach außen ernst meinte"181. Das Moment der Abgrenzung nach außen konkretisiert er dann näherhin in der anschließenden Bemerkung über seine eifernde Verfolgung der έκκληΰία (vgl. Gal 1,13.23), wobei der Begriff ζήλος die Intensität der Verfolgung anzeigt und darüber hinaus die Entschiedenheit und Leidenschaft hinsichtlich der Be176 K.G. KUHN, 'Ισραήλ, 360; nach NLEBUHR, Heidenapostel, 105f. spricht Paulus hier „die Sprache des hellenistischen Judentums, das so sein Selbstverständnis gegenüber einer nichtjüdischen Umwelt zum Ausdruck brachte". 177 Zu diesen und weiteren Gründen für die hohe Achtung des Stammes s. Ο. BETZ, Pharisäer, 56f.; ERNST, Phil, 95; HENGEL, Paulus, 222; HAAKER, Werdegang, 824f.; HAWTHORNE, Phil, 132f.; LOHMEYER, Phil, 129; NlEBUHR, Heidenapostel, 106; VINCENT, Phil, 96; vgl. allerdings PlLHOFER, Philippi, 123ff. 178 Der Terminus 'Εβραίος bezieht sich häufig auf aramäisch bzw. hebräisch sprechende Juden; vgl. dazu WANKE, ΈβραΧος, 893; HENGEL, Paulus, 220 mit A146; NlEBUHR, Heidenapostel, 107; O'BRIEN, Phil, 371; GAVENTA, Darkness, 30; HAAKER, Werdegang, 827f.; HAWTHORNE, Phil, 133; KIM, Origin, 35. 179 O'BRIEN, Phil, 372 sieht folgende Ansprüche des Apostels in der Wendung vereint, nämlich „... that he is a Hebrew (rather than a Hellenist, even though he was born in the Dispersion), that he spoke Hebrew (including Aramaic) as did his parents before him, and (possibly) that he was protected from the paganizing influences of Hellenism"; s. dazu auch NlEBUHR, Heidenapostel, 106ff.; WANKE, ΈβραΧος, 893f.

180 GAVENTA, Darkness, 30. 181 STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 146. Ferner heißt es ebd., „daß Paulus selbst nicht einfach von sich als von einem Pharisäer spricht, sondern lediglich zum Ausdruck bringt, daß er katä nomon, in Relation zur Tora, ein Pharisäer war"; s. dazu auch BECKER, Paulus, 39 und LOHMEYER, Phil, 130; anders deuten z.B. HENGEL, Paulus, 222ff.; NlEBUHR, Heidenapostel, 56f.

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

Währung der Tora indiziert.182 Auf dieser Linie rühmt sich Paulus schüeßlich mit den Worten: κατά δικαωσόνην την έν νόμω γενόμενος αμεμπτος, womit nicht moralischer Perfektionismus oder Werkgerechtigkeit gemeint sein dürfte, wie vielfach postuliert, sondern die herausragende Bewährung innerhalb des jüdischen Bundesnomismus, d.h. die mustergültige Bewährung in der Tora, die im Rahmen des covenantal nomism nicht als Heilsweg fungiert, sondern als Medium der Ausgestaltung des durch Gott gestifteten Bundesverhältnisses mit Israel.183 Analog zur ersten Auflistung in V.5b-d ist so auch hier eine Steigerung zu einem immer exklusiveren Renommee auszumachen. Gaventa beschreibt die Zuspitzung so: „... the groups named narrow successively so that he begins with the largest, the Pharisees, and proceeds to a smaller one, the persecutors, and finally to those who are .blameless'." 184 Das retrospektive Selbstporträt des Apostels in Phil 3,5f. zeichnet sich folglich in beiden Aussagereihen durch einen zunehmenden Nachdruck auf Exklusivität und den gerechten Stolz auf Statuspositionen aus. In dieser Hinsicht entspricht es voll und ganz der Rückblende in Gal l,13f. Hier wie dort kehrt Paulus ostentativ sein im Kontext des damaligen Statussystems der jüdischen Kultur außergewöhnliches Prestige hervor. Wie in Gal 1,15 folgt nun aber auch hier in V.7ff. die Beschreibung der Separation aus dieser Statusposition und der Eintritt in eine liminale Phase. Separation und Eintritt in die Liminalität

(V.7-11.12-16)

Anders als in Gal 1 bleibt in Phil 3 das ekstatische Berufungserlebnis allerdings als solches ungenannt. Die Separation wird auch nicht unter Zuhilfenahme der prophetischen Tradition des Aussonderns von Mutterleib an respektive durch den Ruf Gottes zum Ausdruck gebracht. Der Apostel beschreibt seine Damaskuserfahrung vielmehr primär aus der Perspektive der Destruktion bzw. Inversion des für ihn bislang gültigen und allgemein anerkannten Wertesystems.185 Gerade damit geht nun aber merklich eine Separa182 Vgl. dazu NIEBUHR, Heidenapostel, 26-29.109; SCHENK, Phil, 281f.; O'BRIEN, Phil, 374f.; U.B. MÜLLER, Phil, 149; HAAKER, Werdegang, 883ff.; zur Diskussion um die Verfolgertätigkeit des Paulus s. die Literaturangaben oben in Anm. 74. 183 Zum jüdischen Bundesnomismus („covenantal nomism") vgl. SANDERS, Judentum, 1-406; zur Deutung von Phil 3,6 auf dieser Grundlage s. U.B. MÜLLER, Phil, 149f.; SANDERS, Law, 23f.l39-141; WATSON, Paul, 78. DUNN, Gal, 171 weist im Anschluß an SANDERS' These vom Bundesnomismus darauf hin, daß Pauli Untadeligkeit κατά δίκαιο σΰνην την έν νόμω Fehltritte nicht ausschließe, da die Tora ja selbst Mittel zur Sühne bereitstelle; s. dazu auch THIELMAN, Paul, 155. SCHENK, Phil, 328 paraphrasiert V.6: „nach dem Maßstab der Bundestreue - soweit sie im Herrschaftsbereich des Mosegesetzes galt: unantastbar geworden, ohne Bundesbruch." 184 GAVENTA, Darkness, 31. 185 Daß in diesem Punkt eine Anspielung auf Damaskus vorliegt, wird nahezu einhellig angenommen; vgl. nur BECKER, Paulus, 341ff.; DIETZFELBINGER, Berufung, 97; GNILKA, Phil, 191; LOHMEYER, Phil, 152ff.; KIM, Origin, 3.297f. u.ö.; KRAUS, Volk, 340; LÜDE-

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tion aus dem Bereich der Sozialstruktur und die Eröffnung einer liminalen Gegenwelt einher. So gleich in V. 7: „Was mir Gewinn war, dies habe ich wegen des Christus für Schaden erachtet." Mit der bekenntnishaften Äußerung weist der Apostel all seine in der voranstehenden Selbstempfehlung aufgelisteten Statuspositionen und Ehransprüche rigoros zurück und entwertet damit entschieden das in der Beschneidung wurzelnde Ruhmesstreben der missionarischen Opponenten. Paulus schildert faktisch eine Art geistig-mentale Loslösung aus der Sozialstruktur. Diese könnte kaum deutlicher artikuliert sein, läßt doch das Oppositionspaar κέρδη/ζημία keinen Raum für Kompromisse. Die drastischen Formulierungen in V.8 verstärken diesen Eindruck noch (dazu s. gleich). Die Ablösung ist also radikal; es geht um eine prinzipielle Inversion der Werte,186 die, wie der Gebrauch des Perfekts ήγημαι deutlich signalisiert, in einem Geschehen der Vergangenheit, eben im Damaskusgeschehen gründet.187 Solche Auflösung bzw. Inversion der alltäglichen Normativität samt der damit verbundenen Statuskriterien und Ordnungskategorien zählt, wie in § 3.1 dargelegt, zu den Hauptkennzeichen der Transformationsdynamik in Initiationen bzw. genauerhin der rituellen Liminalität. Turner erklärt: „In ihr [sc. der rituellen Liminalität] sind die im Alltagsleben sinnstiftenden und ordnenden kognitiven Schemata nicht länger anwendbar, sondern gleichsam aufgehoben - in der rituellen Symbolik mögen sie sogar als zerstört oder aufgelöst dargestellt sein. ... Jede Weiterentwicklung erfordert das Opfer dessen, was in einer früheren Phase von fundamentaler Bedeutung war ,.." 188 In V.8 weitet Paulus die Demontage seiner vormaligen Statusposition mit starkem Nachdruck aus189, verdeutlicht und vertieft sie; er tut dies in vierfacher Hinsicht: Erstens holt er sie nochmals ausdrücklich in die Gegenwart herein, indem er den Grundgehalt der Aussage von V.7 mit der präsentischen VerbMANN, Auferstehung, 66f.; U.B. MÜLLER, Phil, 150f.; NIEBUHR, Heidenapostel, 84 A31; RÄISÄNEN, Conversion, 408ff.; STUHLMACHER, Theologie I, 244ff.; anders allerdings EWALD, Phil, 158 A2; s. auch O'BRIEN, Phil, 366; vgl. dagegen ebd., 384 samt A l 1. 186 Das Moment der Umwertung bzw. Umkehrung spiegelt sich sogar im Satzbau von V.7: „Der Vers zeigt ein schönes Ebenmaß in der Entsprechung seiner beiden Teile; von ατινα bis κέρδη und von ταΰτα bis ζημίαν findet jedes Wort in der anderen Hälfte des Verses sein Gegenbild" (DIBELIUS, Phil, 88; vgl. zudem O'BRIEN, Phil, 383). Zur genaueren Bedeutung und Definition des Begriffs Inversion s. unten § 9.3 (S. 279). 187 Ebenso ERNST, Phil, 96; GNILKA, Phil, 191; KlM, Origin, 298 mit A l ; U.B. MÜLLER, Phil, 151; zu den Tempi in Phil 3,7f. s. ferner die Überlegungen bei TANNEHILL, Dying, 116f. 188 TURNER, Theater, 135; zur rituellen Statusumkehrung vgl. DERS., Ritual, 164ff. 189 Paulus akzentuiert die Aussage „durch das steigernde αλλά, die redundant gesetzte Partikel der Versicherung und Bekräftigung μενοϋνγε als auch durch das adverbiale και: , Ja wahrlich, ich halte auch alles für Verlust..."' (U.B. MÜLLER, Phil, 151; vgl. dazu SCHENK, Phil, 264).

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

form ήγοϋμαι wiederholt.190 Das Leben des Apostels erscheint so grundsätzlich durch die liminale Aufhebung der Statuswerte gekennzeichnet. Wir begegnen hier erneut dem Aspekt der „permanenten Liminalität"! Überdies läßt sich das zweifache präsentische ήγοϋμαι auch als „adressatenorientierte Beispielmarkierung" verstehen,191 mit der Paulus seine liminale Umwertung zum Paradigma für die Philipper erhebt, das heißt, das biographische Ich des Apostels wird nun zum exemplarischen.192 Zweitens universalisiert Paulus die Umwertung. Gleich zweimal betont er, „alles" ([τά] πάντα) gelte ihm nun als Schaden bzw. wurde ihm zum Schaden (έζημιώθην), also nicht mehr nur die in V.5f. genannten spezifischen Vorzüge. Wenn ihm aber „alles" zum Schaden wurde, so ist damit zugleich der Grundstein für eine allumfassende Erneuerung gelegt. So gesehen weist V.8 implizit auf eine „totale" Transformation,193 die in ihrer Universalität durchaus an die in Gal 6,14f. und 2Kor 5,17 referierte Neuschöpfung und damit an die Taufinitiation erinnert; die Explikation der Damaskuserfahrung des Apostels korrespondiert von daher der Tauferfahrung der philippischen Christusgläubigen und vermag diese nochmals neu auszuleuchten.194 Drittens verschärft Paulus den Kontrast zwischen Damals und Heute, indem er die vergangenen Statuswerte nicht mehr allein nur als ζημία, sondern auch als σκύβαλα (Kot) bewertet.195 Schließlich begründet er die Umwandlung viertens mit der γνώσις Χριοτοΰ Ίησοϋ und erläutert damit das Syntagma δια τον Χριστόν aus V.7 näher.196 Die sich in dieser Form im 190 U.B. MÜLLER, Phil, 151 sieht hierin den entscheidenden Gedankenfortschritt gegenüber V.7. Der Gegenwartsbezug ist freilich bereits in der Verwendung des Perfekts ηγημαι in V.7 mit enthalten (s. oben), wird allerdings hier in der Tat explizit. Umgekehrt fehlt aber auch in V.8 der Vergangenheitsbezug nicht, d.h. die Rückbindung an das Damaskusgeschehen. Diese liegt im Aorist έζημιώθην vor. TANNEHILL, Dying, 117 betont daher mit Recht, daß ähnlich wie in V.7 auch in V.8 Präsens und Vergangenheit zusammengehen, hier „by placing an aorist between the two present forms". 191

SCHENK, Phil, 307; vgl. NIEBUHR, Heidenapostel, 99; U.B. MÜLLER, Phil, 153.

192

Vgl. BECKER, Paulus, 344: „Das biographisch einmalige Ich des Paulus in V.3-7 wird ... zu einem generellen Ich in V.8ff."; s. auch U.B. MÜLLER, Phil, 150, der dies bereits für V.7 postuliert; vgl. ferner NIEBUHR, Heidenapostel, 82.99f. und grundsätzlich SCHENK, Phil, 260ff. 193 BECKER, Paulus, 345 spricht hier mit Recht von einer „Totalitätsaussage". BLANK, Paulus, 233; LOHMEYER, Phil, 133f. und TANNEHILL, Dying, 115 deuten das τά πάντα im kosmologischen Sinn, ,die ganze Welt' bzw. ,das All' meinend; letzterer beobachtet dabei ebd., A3 eine Entwicklung „from ταΰτα (these prerogatives) to πάντα (all such prerogatives) to τά πάντα (the whole world)..."; anders SCHENK, Phil, 264. 194 Daß und wie sehr auch die Taufe mit einem profunden Wandel des symbolischen Universums der Initiierten verbunden ist, wird sich unten in § 10.2.2 (S. 312f.) zeigen. 195 Zur Bedeutung von σκύβαλα vgl. LOHMEYER, Phil, 135; U.B. MÜLLER, Phil, 153; O'BRIEN, Phil, 390; SCHENK, Phil, 265; vom Kontext her wird bei dieser Wortwahl der Akzent wohl nicht allein und nicht primär auf dem Aspekt des Ekelhaften als vielmehr auf dem Bedeutungsmoment des endgültig Ausgeschiedenen, des Erledigten liegen. 196 Διά ist in V.7 wie in V.8 begründend; so mit HAWTHORNE, Phil, 136f.; U.B. MÜLLER, Phil, 151 samt A56; NEWMAN, Glory-Christology, 208; SCHENK, Phil, 305; anders O'BRIEN, Phil, 385; TANNEHILL, Dying, 118.

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Corpus Paulinum einzig an dieser Stelle findende Rede von der γνώσις Χριστοϋ Ίησοϋ verdient aufgrund ihrer Vielschichtigkeit und zumal wegen ihres Gewichts in der Argumentation des Apostels - Paulus greift das Thema in V.lOa mit der Wendung του γνώναι αΰτόν expressis verbis wieder auf und entfaltet dort im Anschluß wichtige Implikationen der Gnosis Christi - eine genauere Betrachtung. Der Begriff γνώσις besaß in der Antike ein äußerst breites Bedeutungsspektrum. 197 Möglicherweise hat Paulus ihn gerade deshalb gewählt, um so der Komplexität der Transformationserfahrung - sowohl seiner eigenen wie auch der der Christusgläubigen - gerecht zu werden. 198 Grundsätzlich bezeichnet die Vokabel den Akt der Erkenntnis, d.h. „das verstehende Erfassen eines Gegenstandes oder Sachverhalts" 199 . Mit Schenk wird man an dieser theoretischen Grundkomponente des Ausdrucks auch für Phil 3 festhalten dürfen und die γνώσις Χριστοϋ Ίησοϋ fürs erste als „Erkenntnisakt" verstehen: 200 Christusgläubigkeit beruht zumindest auch auf einem verstehenden Erfassen Christi, wobei freilich nicht das Subjekt des Christusgläubigen respektive des Apostels sich des Objekts, also Christus, „bemächtigt", sondern das Objekt sich dem Subjekt aufdrängt (vgl. Gal 4,8f.). 201 Wichtig ist weiterhin, daß die Christuserkenntnis den Aspekt der Transformation eigens mit einschließt, ist sie doch in Phil 3 bezeichnenderweise an jenen eben besprochenen Umwandlungsprozeß der Inversion der Werte gekoppelt; ja, wie die Besprechung von V.lOf. gleich zeigen wird, impliziert die γνώσις Χριστοϋ Ίησοϋ letztlich eine das Sein des Apostels bzw. der Christusgläubigen gänzlich umschließende Umwandlung der Person qua Integration in den Tod, das Leiden und die Auferstehungsdynamis Christi. Dieses Moment des Seinswandels kraft Gnosis entspricht bezeichnenderweise wiederum der charakteristischen Transformationsdynamik in Initiationsprozessen, insbesondere während der Kommunikation der sacra in der Liminalität, denn: 202 „The ... ,gnosis' obtained in the liminal period is felt to change the inmost nature of the neophyte, impressing him, as a seal impresses wax, with the characteristics of his new state. It is not a mere acquisition of knowledge, but a change in being." 203

197 Vgl. dazu die Ausführungen bei BULTMANN, γινώσκω, 688ff.; FORESTELL, Perfection, 128ff.; SCHMITHALS, γινώσκω, 599ff.; HAWTHORNE, Phil, 138; O'BRIEN, Phil, 387f.;

s. auch den Forschungsüberblick bei KOPERSKI, Knowledge, 20-65. 198

Ähnlich FORESTELL, Perfection, 129; GNILKA, Phil, 193; HAWTHORNE, Phil, 138.

199

BULTMANN, γινώσκω, 688. Vgl. SCHENK, Phil, 305-307; daß es sich dabei, wie SCHENK annimmt, um einen Terminus der Agitatoren handelt, scheint mir allerdings nicht ausgemacht. 201 Vgl. dazu genauerhin SCHENKs erkenntnistheoretische Erwägungen ebd. 200

202 vgl. SCH0JDT, Initiation, 96: „One of the main characteristics of the liminal phase is the knowledge aquired during it..."; s. dazu die Literatur oben in Anm. 101. 203

TURNER, Forest, 102; vgl. DERS., Ritual, 102.

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In durchaus vergleichbarer Weise fungiert auch die Gnosis Jesu Christi in Phil 3 als eine die bisherige Existenz völlig umgestaltende Kraft und als Medium der Einprägung eines neuen Seins. Ein ähnlich dynamisches Gnosisverständnis läßt sich im übrigen für die Initiationen der zeitgenössischen hellenistischen Mystik nachweisen; dort steht γνώσις insbesondere für das „Innewerden der Gottheit in Schau und Verwandlung des Schauenden"204; in der Exegese wurde wiederholt auf diese Analogie hingewiesen.205 Das Motiv der Verwandlung durch Gnosis in Phil 3 kann von daher durchaus als geläufiges antikes Initiationsmotiv identifiziert werden 206 Und noch ein weiteres wichtiges Moment schwingt in der Wendung γνώσις Χρίστου Ίησοϋ unverkennbar mit, nämlich das der Christusgemeinschaft. Die besagte Gnosis schafft als Verflechtung mit Christus und seinem Schicksal nach Ansicht des Apostels offenbar eine große persönliche Nähe. Darauf deutet jedenfalls der singuläre Genitivanschluß toi) κυρίου μου: Das im Zusammenhang mit dem κύριος-Titel ungewohnte Personalpronomen der l.Pers.Sg. markiert sichtlich eine in der Gnosis wurzelnde innige Beziehung zu Christus. Zudem wohnt dem Begriff γνώσις bereits als solchem ein stark relationales Moment inne. Insbesondere im jüdischen Kontext war Erkenntnis in erster Linie „ein Kennenlernen im Umgang, in der Erfahrung"207; das hebräische Äquivalent JTP im Alten Testament meint dementsprechend häufig soviel wie „living in a close relationship with something or somebody, such a relationship as to cause what may be called communion"208. Auch im griechischen Sprachgebrauch kann γινώσκειν eine persönliche Beziehung bzw. Freundschaft umschreiben.209 Diesen relationalen Aspekt wird man zweifelsohne auch in Phil 3 mitzubedenken haben.210 Das bedeutet dann: Paulus artikuliert mit der Wendung τό ΰπερέχον της γνώσεως Χρίστου Ίησοϋ τοϋ κυρίου μου in V.8 sowie mit der Infinitivkonstruktion τοϋ γνώναι αυτόν in V.lOa eine im Damaskuserlebnis konstituierte (V.8) und noch weiter zu aktualisierende

204

DIBELIUS, Phil, 89. Vgl. neben DIBELIUS (ebd.) auch BULTMANN, Gnosis, 12f.; TANNEHILL, Dying, 118f.; BEARE, Phil, 114; A.T. LINCOLN, Paradise, 92; SCHMITHALS, γινώσκω, 601; s. ferner KOPERSKI, Knowledge, 21ff. J. DUPONT, Gnosis, 34-36 steht dieser Gegenüberstellung ablehnend gegenüber; er will den Ausdruck ausschließlich auf das alttestamentlich-jüdische Verständnis der Gotteserkenntnis zurückgeführt wissen; sogar das Gnosiskonzept der hellenistischen Mystik gehe, so DUPONT, letzten Endes auf jüdische Einflüsse zurück (vgl. ebd., 357-365). 206 Durch die Parallele gewinnt der Initiationscharakter des Geschilderten an Deutlichkeit, ohne daß deshalb direkte Abhängigkeiten zwischen Paulus und den Mysterien postuliert werden müssen. 207 BULTMANN, γινώσκω, 696; vgl. FORESTELL, Perfection, 128. 208 VRIEZEN, zit. nach O'BRIEN, Phil, 388. 209 Vgl. BULTMANN, γινώσκω, 689f. 210 Nach SCHENK, Phil, 306 gilt grundsätzlich, daß „kein kognitiver Akt des Bekanntwerdens ohne die konnotativen Aspekte des Vertrautwerdens geschieht". 205

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(V.lOa), enge, ja intime Verbundenheit mit Christus,211 die freilich ebenso Anerkenntnis und Gehorsam gegenüber dem κύριος inkludiert.212 Der V.8 abschließende Finalsatz ίνα Χριστόν κερδήσω bestätigt und unterstreicht diesen Aspekt weiter. Der Apostel verleiht mit dieser Aussage der Vorstellung Ausdruck, daß die im Damaskusgeschehen begründete Christusgemeinschaft auf eine kontinuierliche Entfaltung und Vertiefung in der aktuellen Existenz zielt, bis er Christus dereinst ganz gewinnen, d.h. vollständig an ihm und seiner Auferstehung und Herrlichkeit partizipieren wird (vgl. dazu V.20f.). In Anbetracht der in V.7 formulierten Opposition κέρδη/ζημία erinnert der Gebrauch des Verbs κερδαίνειν außerdem daran, daß die Christusgemeinschaft eine Außerkraftsetzung der bisherigen Wertmaßstäbe zur Grundlage hat. Abermals wird der Gedanke der Christusgemeinschaft in V.9a expliziert. Dort setzt Paulus den ΐνα-Satz aus V.8 mit der Wendung κάΐ ευρεθώ εν αΰτω fort. Obgleich εύρεθήναι häufig auf das richterliche Handeln Gottes in der Zukunft abhebt (vgl. PsSal 17,8; 2Kor 5,3; Apk 20,15), geht es an dieser Stelle aufgrund der spezifischen christologischen Akzentuierung sowie infolge des Anklangs an die In-Christus-Vorstellung (έν αύτώ; vgl. Gal 2,17)213 wohl in erster Linie um die sich bereits in der Gegenwart realisierende, aber noch nicht vollendete Heilsgemeinschaft mit Christus.214 Das Verb εΰρεθηναι meint dann soviel wie „to be" oder „be in fact". 215 Somit läßt sich das Fazit ziehen: Der Genitiv τό ΰπερέχον της γνώσεως Χρίστου Ίησοΰ τοΰ κυρίου μου (V.8), die finalen Wendungen ίνα Χριστόν κερδήσω (V.8) και ευρεθώ έν αΰτω (V.9a) sowie die später daran anknüpfende Infinitivkonstruktion τοΰ γνώναι αυτόν (V.lOa)216 sind letzten Endes verschiedene Ausdrucksweisen für ein und dieselbe Sache, nämlich für die in der Damaskuswende grundgelegte Gemeinschaft mit, ja mehr noch Partizipation an Chri211

Vgl. O'BRIEN, Phil, 402 („an intimate personal relationship with Christ"); HAW-

THORNE, Phil, 138; ERNST, Phil, 96f.; HECKEL, Kraft, 238; SLBER, Christus, 111. 212 Die alttestamentliche Rede von der Gotteserkenntnis meint vor allem „die ehrende und gehorchende Anerkennung von Gottes Macht, von seiner Gnade und seiner Forderung" (BULTMANN, γινώσκω, 697). Auf Christus übertragen dürfte dieser Aspekt in Phil 3,8 gleichfalls mitschwingen; vgl. dazu ERNST, Phil, 96; FORESTELL, Perfection, 129; GNILKA, Phil, 193; U.B. MÜLLER, Phil, 152; zum alttestamentlichen Hintergrund der Stelle s. auch J. DUPONT, Gnosis, 34ff. 213 Zu έν αΰτω als In-Christus-Aussage vgl. U.B. MÜLLER, Phil, 154; GNILKA, Phil, 193; HAWTHORNE, Phil, 140; STUHLMACHER, Gerechtigkeit, 99; BLANK, Paulus, 234f.; s. dagegen SCHENK, Phil, 307f. 214 Vgl. dazu U.B. MÜLLER, Phil, 154; DLBELIUS, Phil, 89; GNILKA, Phil, 193f.;

O'BRIEN, Phil, 392f.; TANNEHILL, Dying, 118. GNILKA und MÜLLER meinen ebd. aller-

dings, ein Gerichtsbezug liege hier ebenso vor; s. dazu auch HAWTHORNE, Phil, 140; STUHLMACHER, Gerechtigkeit, 99 samt A3; vgl. dagegen SCHENK, Phil, 307f. 215

S o BEARE, Phil, 116; O'BRIEN, P h ü , 393; SCHENK, Phil, 307; s. auch TANNEHILL,

Dying, 118: ,,Εύρεθώ may come close to the sense of ,be'." 21 ° Zu V.9b-d als Parenthese s. unten.

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stus. 217 Insbesondere angesichts des in V.10 thematisierten und gleich noch näher zu erörternden Aspekts der Verschmelzung mit dem Schicksal Christi läßt sich diese intensive Gemeinschaft als vertikale Communitas begreifen, wie sie für die Liminalität in Initiationsprozessen typisch ist. Paulus attestiert damit, den erhöhten Christus nicht nur rational „erkannt", sondern ihn vielmehr auch innigst „erfahren" zu haben und in sein Schicksal integriert worden zu sein. Entscheidend ist, daß diese Christuserfahrung offenkundig nicht auf das eigentliche Initiationsgeschehen vor Damaskus beschränkt bleibt; sie ragt vielmehr in die Gegenwart hinein, bestimmt die Existenz des Apostels von Grund auf, ist dabei aber auf Vollendung bei der Parusie angelegt. Berücksichtigt man den angesprochenen exemplarischen Charakter der Argumentation, so ist der Gedankenführung in Phil 3,7-11 ohne weiteres zu entnehmen, daß sich die Christusgläubigen aufgrund der Taufinitiation in der gleichen Situation befinden. An dieser Stelle sei eine Randnotiz zu den beiden Konjunktiven κερδήσω und ευρεθώ eingefügt. Turner hat sich zu den sprachlichen Modi einmal wie folgt geäußert: „Alles, was in einer Kultur mit Liminalität zu tun hat, könnte man dem Konjunktiv oder dem inzwischen aus den indogermanischen Sprachen weitgehend verschwundenen Optativ zurechnen, denn die meisten Phänomene, die mit Liminalität zu tun haben, beziehen sich eher auf ein Wünschen, Vermuten, Unterstellen, Möglichsein als auf eine tatsächliche, aktuelle Gegebenheit." 218 Nun ist die Christusgemeinschaft für Paulus selbstverständlich Realität und nicht nur ein „Unterstellen". Dennoch wehrt der Apostel sich immer wieder in seinen Briefen, auch hier in V.12ff. (s. unten), gegen eine enthusiastische Überhöhung dieser Gegenwart, die den - um es mit Turner zu formulieren - konjunktivischen Charakter der laufenden liminalen Phase nicht ernst genug nimmt. Die Konjunktivform der besagten Verben läßt sich aus dieser Perspektive als idealer Ausdruck für die liminale Ambiguität der Gegenwart zwischen Anfang und Vollendung der Transformation ins Heil begreifen. Sie dokumentiert im vorliegenden Fall, daß die Christuscommunitas weder in der Gegenwart aufgeht noch allein Zukunft ist. In der Exegese ist diese Spannung mehrfach beobachtet worden. So kommentiert etwa Gnilka das Syntagma ευρεθώ έν αΰτω mit den Worten: „Weder die gegenwärtige und unter das Gesetz der Bewährung gestellte Christusgemeinschaft allein noch die endzeitlich-jenseitige allein ist getroffen, vielmehr sind beide als spannungsvolle Einheit gesehen, wie sie sich jedem Christen, der noch nicht das Ziel erreicht hat, darbietet." Weiter heißt es dann: „Und in der

217

Zur Christuspartizipation vgl. auch TANNEHILL, Dying, 118; O'BRIEN, Phil, 388. 391f.401f.; s. ferner SANDERS, Judentum, 487, der u.a. unter Verweis auf Phil 3 betont, daß die „dem paulinischen Denken angemessene Terminologie ... die .partizipatorische'" sei. Die der paulinischen Theologie immanente Grundstruktur nennt er „Christusteilhabe"; vgl. ebenso ferner DERS., Paulus, 98ff. 218 TURNER, Religionsverständnis, 444.

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gleichen Spannung ist das Χριστόν κερδήσω zu sehen, insofern ein vorläufiger und noch nicht sicherer Besitz zu einem endgültigen werden soll." 219 Mit der in V.9b-d eingefügten Partizipialbestimmung μή έχων ... έπΐ t f j πίστει bringt Paulus zu der dominierenden partizipatorischen Terminologie spezifisch juridisches Vokabular ein. Vom Satzaufbau her handelt es sich um eine Parenthese, da der Infinitivsatz τοΰ γνώναι αύτόν in V.lOa den ίνα-Satz am Ende von V.8 und dessen Fortführung in V.9a wieder aufnimmt. 2 2 0 Die Parenthese ist am besten als eine Art rechtfertigungstheologischer Exkurs zu verstehen, der seinen konkreten Anlaß im Beschneidungsgebot der missionarischen Opponenten und der damit aufgeworfenen Frage nach der δικαιοσύνη haben dürfte. 221 Es würde nun zu weit führen, auf alle Aspekte und Nuancen der äußerst komprimierten Aussage in extenso einzugehen. Dazu wäre eine eingehende Diskussion der vielschichtigen Implikationen der sog. paulinischen Rechtfertigungslehre nötig. Für unsere Zwecke genügt es, den Grundgehalt des Nebensatzes herauszuarbeiten. Paulus kontrastiert in V.9b-d zwei Formen von Gerechtigkeit, die eigene Gerechtigkeit aus dem Gesetz und die Gerechtigkeit aus Gott, die er in der π'ιστις Χριστοί verankert sieht. Für gewöhnlich meint man, der Apostel expliziere mit dieser Gegenüberstellung den Gegensatz von jüdischer Werkgerechtigkeit und christlicher Glaubensgerechtigkeit, von Werken und Glauben, und distanziere sich auf diese Weise nachdrücklich von seiner eigenen Vergangenheit als Pharisäer. Abgesehen von der Problematik, daß das antike Judentum bei dieser Deutung unzutreffend als dumpfe Leistungsreligion zu stehen kommt, 222 fällt auf, daß der Apostel bei der Aufzählung seiner Vorzüge in V.4b-6 weniger auf Werke im Sinne persönlicher Leistungen vor Gott als vielmehr auf seine spezielle jüdische Herkunft, d.h. auf seine besondere Erwählung - so in der ersten Aussagenreihe - sowie auf die herausragende Bewährung derselben - so in der zweiten Reihe - , hinweist (s. oben). Der Apostel schildert in seiner Rückschau also nicht das Streben nach Werkgerechtigkeit, sondern seinen exklusiven jüdischen Status.223 Diesen dürfte er folglich auch bei dem Syntagma έμή δικαιοσύνη ή έκ νόμου in V.9 im Auge haben. 224 Bei der besagten Wendung geht es 219 GNILKA, Phil, 194; s. auch ERNST, Phil, 97. LOHMEYER, Phil, 136 sieht in den beiden Worten allgemein den „Prozeß angedeutet, der Gemeinde und Einzelnen von dem gottgesetzten Anfang des Glaubens zu dem gottbestimmten Ende führt, das ewige Vollendung heißt". 220 Zum parenthetischen Charakter vgl. ebenso U.B. MÜLLER, Phil, 154f.; GNILKA, Phil, 194; RÄISÄNEN, Conversion, 409; SCHENK, Phil, 266.309f.; SCHNELLE, Wandlungen, 17; anders KOPERSKI, Knowledge, 168f. 221 So mit SANDERS, Judentum, 487; SCHENK, Phil, 266f.309ff.; SCHNELLE, Wandlungen, 17. 222 Vgl. dazu oben Anm. 174 und S. 118 mit Anm. 183. 223 So auch RÄISÄNEN, Conversion, 408; WATSON, Paul, 79. 224 Ähnlich SANDERS, Law, 43f.l39f.; RÄISÄNEN, Conversion, 409f.; WATSON, Paul, 78f. sowie DUNN, Jesus, 99. Die traditionelle Deutung der έμή δικαιοσύνη als „Selbstgerechtigkeit" aufgrund von Gesetzeswerken kritisiert SANDERS, Law, 44 wie folgt: „This

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dann grundsätzlich nicht um Selbstgerechtigkeit durch Werke, sondern um den spezifischen „covenant-status as a Jew, which includes reliance on the divine gifts bestowed uniquely on Israel as well as the confirmation of those gifts by his own obedience"225. Wie das Possessivpronomen έμή erkennen läßt, ist das eigentliche Problem des Paulus dabei aber nicht der jüdische „covenant-status" als solcher,226 sondern die exklusive Beanspruchung desselben,227 d.h. die darin implizite Ausgrenzung der Heiden bzw. der damit verbundene Anspruch, Heiden könnten nur qua Beschneidung und damit als Juden Gerechtigkeit erlangen. Dem stellt er die „Gerechtigkeit aus Gott" gegenüber, die in der πίστις Χρίστου gründet und die von daher Juden wie Heiden gleicherweise offensteht.228 Damit wird die Beschneidungsforderung der Opponenten obsolet. Phil 3,9 ist demnach nicht durch den Gegensatz Werke/Glaube, sondern durch das Thema Exklusivität/Inklusivität bestimmt. Von daher entspricht der Nebensatz ganz dem typisch liminalen Grundzug einer Auflösung exklusiver Strukturpositionen zugunsten inklusiver Anti-Struktur. Es wird hier mithin sichtbar, daß der im Kontext entfalteten vertikalen Christuscommunitas eine horizontale Communitas aus Juden und Heiden korrespondiert, ein Zusammenhang, der bereits im Missionsbefehl in Gal 1,16 ausgemacht werden konnte (s. oben) und den ich in § 7.3.3 noch näher erörtern werde. Damit nun zu dem bereits mehrfach erwähnten, wichtigen V.10, der die partizipatorische Ausrichtung der vorangegangenen Verse aufnimmt und vertieft. Die Gnosis Christi aus V.8 wird hier als ein Erkennen der Dynamis der Auferstehung Christi (γνώναι αΰτόν κάί την δύναμιν της αναστάσεως αΰτοϋ)229 sowie der Gemeinschaft mit seinen Leiden (γνώναι. ... κοινωνίαν παθημάτων αύτοΰ) spezifiziert. Beide Bestimmungen gilt es etwas näher zu betrachten. reading requires a conflation of Phil 3:9 with Rom 3:27; 4:2 (.boasting'), the understanding of ,boasting' as ,boasting in one's individual performance' (Sich-Rühmen) rather than .boasting in the special status of Israel', and the supplying of two views which Paul does not express: (1) righteousness by law is a meritorious achievement which allows one to demand reward from God and is thus a denial of grace; (2) such righteousness is self-evidently a bad thing." Zur breiten Diskussion über die Bedeutung der Vokabel δικαιοσύνη s. den Überblick bei KOPERSKI, Knowledge, 191-221. 225 WATSON, Paul, 78. 226 So allerdings WATSON, ebd.; RÄISÄNEN, Conversion, 410 und SANDERS, Law, 4 4 f . l 4 0 (s. dazu DERS., Judentum, 513), die in unterschiedlicher Weise zu der Auffassung gelangen, Paulus verwerfe hier faktisch den jüdischen Bund. 227 In Rom 10,3 und der dortigen Rede von der 'ιδία δικαιοσύνη findet sich eine Parallele. DUNN, Rom Π, 587 kommentiert treffend: „ίδιος has ... the sense of ,mine' as belonging to me in contrast to what someone else can claim as belonging to him, ,mine' as .peculiar to me' ... That is, it expresses Israel's covenant-consciousness, righteousness as the appropriate expression of their covenant status, and so peculiarly theirs"; s. auch DERS., Works, 530; GASTON, Torah, 141f. sowie KOPERSKI, Knowledge, 230f. 228 Ich folge in diesem Punkt im Grundsatz DUNNs Interpretation der paulinischen Rechtfertigungsaussagen; vgl. dazu die Zusammenfassung bei CHR. STRECKER, Perspektive, 11-13. 229 Das κα'ι ist epexegetisch aufzufassen; so mit HAUPT, Phil, 131; HECKEL, Kraft, 238 samt A156; U.B. MÜLLER, Phil, 158; SCHENK, Phil, 320; TANNEHILL, Dying, 119f.; WOLTER, Apostel, 543.

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Es wäre sicherlich verfehlt, die Gnosis der δύναμις της αναστάσεως αύτοϋ allein auf das Moment der intellektuellen Erkenntnis einzuengen. Auf der Grundlage der voranstehenden Erwägungen zum Begriff γνώσις wird man vielmehr sagen müssen, daß hier mehr das Moment des „Kennenlernens", d.h. der persönlichen Erfahrung dieser Auferstehungsdynamis, im Vordergrund stehen dürfte. 230 Der Apostel entfaltet die Christuscommunitas mit anderen Worten als eine Partizipation an derjenigen Kraft Gottes, die Christus zur Auferstehung geführt hat. 231 Auch wenn sich diese dynamis an seiner Person erst in der Zukunft, nämlich mit der Auferstehung von den Toten vollenden wird (s. V . l l ) , so sieht er sich offenbar doch schon jetzt in ihr Wirkungsfeld hineingenommen. 232 Das heißt: Die im Damaskusgeschehen wurzelnde Christuscommunitas bindet ihn bereits in der Gegenwart in jene göttliche Transformationsdynamik ein, die ihn zu guter Letzt zur Auferstehung geleiten wird, mit der dann auch die Gemeinschaft mit Christus, dem Auferstandenen, ihre Vervollkommnung erfahren kann. Nun führt Paulus allerdings seine Konkretisierung der Gnosis mit einem Hinweis auf die κοινωνία παθημάτων αύτοϋ fort; er bringt damit zum Ausdruck, daß sich die intensive Gemeinschaft mit Christus ebenso in seinen vielfältigen Leidenserfahrungen manifestiert (vgl. auch 2Kor 4,7-10; Näheres dazu unten). 233 Die aktuelle Christuscommunitas stellt sich folglich zumal auch als Communitas im Leiden dar, wobei sich in den παθήματα des Apostels das Leiden Christi selbst spiegelt.234 Somit ergibt sich ein paradox anmutendes Phänomen: Die „Christusgnosis" umfaßt sowohl die Partizipation an der Kraft der Auferstehung Christi als auch die Teilhabe an dessen Leiden. Der Apostel bindet beide Momente über die Satzkonstruktion mit einem Arti230

Vgl. SIBER, Christus, 111; FORESTELL, Perfection, 128; HECKEL, Kraft, 238; HAWTHORNE, Phil, 143. 231 Christus wurde durch die göttliche Dynamis auferweckt (vgl. IKor 6,14). Qua Christuspartizipation erfährt Paulus daran Anteil. Der Genitiv δύναμις της αναστάσεως ist darum mit HECKEL, Kraft, 238 und O'BRIEN, Phil, 404 als Genitivus objectivus zu lesen; gegen HAINZ, Koinonia, 97; EWALD, Phil, 164f.; VINCENT, Phil, 104. 232 Daß Paulus bei der Auferstehungsdynamis in V.10 nicht die physische Auferstehung von den Toten im Auge hat, zeigt sich daran, daß er diese in V. 11 mit dem leicht variierten Begriff έξανάοτασις belegt und so von der jetzigen präsentischen Kraft abhebt; vgl. dazu DLBELIUS, Phil, 90; HAWTHORNE, Phil, 146f.; KOPERSKI, Knowledge, 284; SCHÜTZ, Authority, 220; TANNEHILL, Dying, 120. Den Gegenwartsbezug von V.10 teilen ausdrücklich auch ERNST, Phil, 9 8 ; GNILKA, Phil, 196; MICHAELIS, Phil, 57; SCHENK, Phil, 321; HAINZ, K o i -

nonia, 97. 233 HAINZ, Koinonia, 98 betont, es ginge hier um „die erfahrbare Gemeinschaft mit Christus - in Teilhabe an seinen Leiden"; zur Bedeutung des κοινωνία-Begriffs bei Paulus s. §§ 10.2.3.2 (S. 316ff.) und 10.4.4 (S. 375f.) sowie KOPERSKI, Knowledge, 246ff. 234 Paulus versteht die im Damaskusgeschehen gründende Christuscommunitas offenbar als Hintergrund seiner Leiden, d.h. die Gemeinschaft mit Christus führt ihn in die Leiden; anders WOLTER, Apostel, 542ff.547, demzufolge umgekehrt die Leiden zur Christusgemeinschaft führen; zur Kritik daran s. HECKEL, Kraft, 240 A166 und KOPERSKI, Knowledge, 252 A56; vgl. dazu auch SCHRÄGE, Leid, 157ff.

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kel sogar noch aufs engste aneinander.235 Wie ist diese ungewöhnliche Koppelung gegensätzlicher Phänomene zu erklären? Auch hier kann das Initiationsmodell und die Theorie der permanenten Liminalität ein Stück weit erhellend wirken. So ist das Ineinanderspiel positiver und negativer Erfahrungen wesentlicher Bestandteil der liminalen Phase in initiatorischen Transformationsprozessen.236 Ja, die Verflechtung von leidvollen Demütigungen oder Prüfungen auf der einen und die kraftvolle, schöpferische Entfaltung der Neophyten zum neuen Status hin237 auf der anderen Seite, von schmerzlicher Dekonstruktion einerseits und dynamischer Rekonstruktion andererseits, wirkt in der Liminalität gleichsam als treibender Motor der Transformation. Bei Paulus wird solche Fusion antagonistischer Erfahrungen freilich vom Damaskusgeschehen an zum dauerhaften Signum seiner gesamten irdischen Existenz, so daß hier von permanenter Liminalität gesprochen werden muß. In chiastischer Umkehrung zur Rede von der Dynamis der Auferstehung Christi und der Gemeinschaft mit seinen Leiden thematisiert der Apostel im unmittelbaren Anschluß daran die Gleichgestaltung mit Christi Tod (V.10) sowie die Auferstehung von den Toten (V.ll). 238 Darin begegnet uns nun allemal das klassische Initiationsmotiv.239 Die Partizipialwendung συμμορφιζόμενος τω Φανάτω αυτοί) nimmt dabei die unmittelbar vorauslaufende Leidensaussage wieder auf und führt sie fort. Was Paulus hier konkret im Sinn hat, ist freilich nicht ganz leicht auszumachen. Die These, er denke möglicherweise an seinen Märtyrertod,240 ist allein auf235

N 2 D F G TSR fügen vor κοινωνίαν und παθημάτων jeweils den Artikel ein. Es dürfte sich dabei um eine sekundäre Angleichung an den Artikelgebrauch vor δύναμιν und αναστάσεως handeln. Die Lesart ohne Artikel verdient auch aufgrund äußerer Kriterien den Vorzug, da IP46 X* und Β die gewichtigeren Zeugen sind; ebenso O'BRIEN, Phil, 382; HAINZ, Koinonia, 95; KOPERSKI, Knowledge, 138f.; WOLTER, Apostel, 543. 236 YGJ COHN, Shape, 14: „The combination of positive and negative characteristics ... is ... ambiguity that is typical of phenomena of transition, of treshold beings." COHN bezieht sich hier auf die Exodus- und Wüstentradition im Alten Testament, die durch ähnliche Verflechtungen antithetischer Elemente geprägt ist; vgl. dazu § 8.3 (S. 223f.). 237 Der Rede von der Auferstehungsdynamis korrespondiert, daß Neophyten in Initiationsvollzügen häufig mit besonderen Kräften für den neuen Status ausgestattet werden. Nach TURNER, Forest, 108 wird ihnen oftmals zu verstehen gegeben, „that they are being filled with mystical power by what they see and what they are told about it. According to the purpose of the initiation, this power confers on them capacities to undertake successfully the tasks of their new office, in this world or the next." 238 Auf die chiastische Struktur in V.lOf. verweisen BLOOMQU1ST, Suffering, 180; GNILKA, Phil, 195f.; HAINZ, Koinonia, 96; HAWTHORNE, Phil, 145; HECKEL, Kraft, 244; U.B. MÜLLER, Phil, 161; SCHENK, Phil, 251.320; SIBER, Christus, 111.115; anders jedoch KoPERSKI, Knowledge, 269ff.; O'BRIEN, Phil, 406f. 239 Zu Tod und Auferstehung als klassischer Initiationsmotivik s. ELIADE, Mysterium, 14ff.40ff.66ff. 130ff. 169ff.; DERS., Initiation, 225f.; GERLITZ, Initiation, passim; KAELBER, Initiation, 230; SCH0JDT, Initiation, 98.105(A36).107(A58).104.; STAGL, Übergangsriten, 86; TURNER, Forest, 96.99. 240 Vgl. LOHMEYER, Phil, 139f.; WOLTER, Apostel, 344.

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grund der Präsensform des Partizips σομμορφιζόμενος unwahrscheinlich. Näher liegt, daß er auf seine aktuellen Leiderfahrungen als Apostel blickt und diese als Gleichgestaltung mit dem Tod Jesu deutet. Auch sonst ist nämlich „nach dem Verständnis des Apostels Leiden Tod, im Leiden wirkt der Tod, kommt er zur Erscheinung. Indem PI leidet, wird er in den Tod gegeben (2Kor 4,11), stirbt er (IKor 15,51), wird er getötet (Rom 8,36)."24i Die Thematik bzw. die Erfahrung der Gleichgestaltung mit dem Tod qua Leiden spielt nun aber wiederum in Initiationsprozessen eine bestimmende Rolle. Der symbolische Tod der Neophyten, der sog. Initiationstod, offenbart sich gerade in Leiderfahrungen und Prüfungen. 242 Auch die Passivform des Partizips συμμορφιζό μένος243 fügt sich dem ein, sind doch die Initianden, wie bereits mehrfach erwähnt, in der Regel passive Objekte des Initiationsprozesses.244 Zudem symbolisiert der Initiationstod, daß die Neophyten nicht länger nach den gängigen Klassifikationsschemata beurteilt werden können;243 ganz auf dieser Linie verweist auch die paulinische These von der Gleichgestaltung mit Christi Tod auf die Auflösung der gebräuchlichen, in V.5f. näher aufgelisteten Statusklassifikationsmuster (vgl. auch V.7f.).246 Die enge Zusammengehörigkeit von Initiations- und Todessymbolik dokumentiert für die Antike im übrigen u.a. auch das berühmte, auf Plutarch zurückgeführte Wortspiel mit τελέΐσθαι („initiiert sein") und τελευταν („sterben").247 In V.ll beschreibt Paulus schließlich die Vollendung der Erkenntnis Christi als Christuscommunitas, nämlich die Teilhabe an der künftigen Auferstehung der Toten (έξανάστασις έκ νεκρών).248 Sie kommt der Aggregationsphase bei Initiationen gleich. Der Apostel äußert sich mit εί πως allerdings sehr zurückhaltend darüber249 und wahrt damit den konjunktivischen Charakter der laufenden liminalen Phase.250 V.12ff. präzisiert diese Vorsicht. 241

OSTEN-SÄCKEN, zit. nach SCHENK, Phil, 3 2 0 ; s. auch BLANK, Paulus, 2 3 6 ; HECKEL,

Kraft, 241; U.B. MÜLLER, Phil, 161; SLBER, Christus, 114ff. 242 Vgl. EUADE, Mysterium, passim. 243 Die meisten sind sich einig, daß es sich hier um ein Passiv handelt; anders BEARE, Phil, 123f.; HAWTHORNE, Phil, 145; s. dazu auch KOPERSKI, Knowledge, 274. 244 Die Passivform wiederholt sich in V.12a: Paulus wurde von Christus ergriffen. Der Aorist κατελήμφθην spielt dabei sicherlich auf die Damaskuserfahrung an; vgl. dazu oben S. 101 mit Anm. 92. 245 Vgl. TURNER, Forest, 96; s. auch DERS., Ritual, 95. 246 VGL O'BRIEN, Phil, 410: „That dying with Christ is a present reality was made plain ... in Phil. 3 when the apostle spoke of continuing to count all things as loss ..." 247 Stobaios, Florilegium 120,28; vgl. ELIADE, Mysterium, 205; TURNER, Forest, 96; RuSAM, Gemeinschaft, 65; zu τελέω als Initiationsvokabel s. BADENAS, Christ, 41.45.202(A71). 248 Zur Erklärung der ungewöhnlichen Vokabel έξανάστασις s. oben Anm. 232. 249 Das Moment der Vorsicht oder gar Unsicherheit sehen darin formuliert ERNST, Phil, 99f.; GNILKA, Phil, 197; HAWTHORNE, Phil, 146; KOPERSKI, Knowledge, 279ff.; U.B. MÜLLER, Phil, 162; SLBER, Christus, 118; anders BLANK, Paulus, 236f.; HECKEL, Kraft, 142 mit A 1 7 8 ; SCHENK, Phil, 3 2 1 . 250

Andere Lösungen listet ERNST, Phil, 99f. auf.

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

Bevor dieser Abschnitt jedoch näher diskutiert werden kann, sei noch eine kurze Bemerkung zur Parallelisierung des Leidens, Sterbens und Auferstehens Pauli mit dem Schicksal Christi in V.lOf. eingeschoben. 251 Der Apostel signalisiert mit dieser Angleichung nicht nur, daß er seit dem Damaskuserlebnis an der Dynamik der Transformation Christi aus Leiden und Tod zur Auferstehung teilhat, er greift hiermit zugleich Taufmetaphorik auf und verbindet so seine persönliche Erfahrung mit dem allgemeinen Initiationsritual der Christusgläubigen. 252 Die Anklänge an Rom 6,3ff. und die dortige Interpretation der Taufe als Sterben und künftiges Auferstehen „mit Christus" (vgl. dazu § 7.2) sind jedenfalls auffällig. 253 Die Anwendung des Initiationsmodells auf Phil 3 wird damit zusätzlich gerechtfertigt und es zeigt sich daran, daß Paulus in Phil 3,1 Of. nicht nur von sich spricht, sondern Grundsätze verhandelt, die für alle Christusgläubigen gelten. Gegen eine mögliche enthusiastische Mißdeutung seiner Aussagen in V . 7 11 seitens der Philipper 254 verweist der Apostel dann in V. 12-14 eindringlich auf den unvollendeten Charakter der vor Damaskus respektive in der Taufe begonnenen Transformation. Die Vorstellung, daß die christusgläubige Existenz einem dreistufigen Prozeß entspricht, wobei die Gegenwart in der mittleren Phase zu lokalisieren ist, tritt in dieser Passage besonders deutlich hervor. Die Kommentierung der Zeitformen der Verben in V.12b durch Ernst Lohmeyer zeigt dies anschaulich: ,,κατελήμ,φθην meint ein einmaliges Geschehen der Vergangenheit, διώκω ist Form der Gegenwart, die durch nichts eingeschränkt ist, καταλάβω hat endlich einen deutlich futurischen Sinn; es zielt auf die vollkommene Vollendung. So sind die drei Verben zugleich verbunden und geschieden; sie bezeichnen die drei verschiedenen Stufen des Prozesses, der von dem Beginn des Glaubens zu der bleibenden Vollendung führt... Was hier ausgesagt wird, gliedert das Leben jedes einzelnen gleichsam in drei Stadien. Das erste reicht bis zu dem καταλημφθηναι, bis zur Tat Christi, die das zweite Stadium, ein unablässiges διώκει/ν, erst möglich macht; und dieses wiederum wird beendet durch ein καταλαμβάνει^, mit dem der Übergang in das dritte 251 V.ll verbindet zwar die Auferstehung von den Toten nicht direkt mit der Auferstehung Christi, doch stellt Paulus in V.10 - wie oben dargelegt - seine Existenz ausdrücklich in den Kontext der Auferstehung Christi und der ihr inhärenten Dynamik. 252 vgl. dazu auch BECKER, Paulus, 349; GNILKA, Phil, 196; DE OLIVEIRA, Diakonie,

223.225; JERVELL, Imago, 206.208. 253 Dies bemerken ebenso TANNEHILL, Dying, 120f.; BEARE, Phil, 123; KIM, Origin, 324-326; U.B. MÜLLER, Phil, 160; O'BRIEN, Phil, 410; s. auch SCHRÄGE, Leid, 160f. sowie KOPERSKI, Knowledge, 267, die sich freilich kritisch dazu äußert. 254 So mit PETERLIN, Letter, 83f. und SCHENK, Phil, 166ff. Diese Interpretation liegt deshalb nahe, weil das zu Beginn von 12 verwendete ,,ούχ δτι bei Paulus immer einem möglichen Mißverständnis des von ihm selbst Gesagten wehren will" (U.B. MÜLLER, Phil, 167). Es ist insofern nicht zwingend davon auszugehen, daß der Apostel hier gegen die Opponenten aus V.2ff. oder gar eine zweite Front von Gegnern polemisiert; anders GNILKA, Phil, 198; KRAUS, Volk, 341f.; MENGEL, Studien, 267f.; SCHENK, Phil, 297.

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Stadium gewonnen ist. Dieses ist von ewiger Dauer und nicht mehr in den Lauf der Zeit gebannt; es ruht im Jenseits, sei es des einzelnen Lebens oder der gesamten Geschichte.'^ Die Drei-Phasen-Struktur einer Initiation, hier einer Initiation in die himmlische Vollendung, scheint in dem Zitat klar erkennbar durch. Das Anliegen des Apostels, die Verortung der Gegenwart in der mittleren Phase, also der Liminalität, wird dabei zumal durch die an den Anfang von V.12 gestellten Formulierungen ούχ δτι ήδη έλαβον ή ήδη τετελείωμαι klar hervorgehoben.256 V.13f. artikuliert sodann die Orientierung auf den neuen Status himmlischer Vollendung hin. Paulus verwendet dazu Metaphorik aus dem Bereich des athletischen Wettkampfes. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Erläuterung des Kampfpreises (τό βραβειον) mit der Genitivbestimmung της άνω κλήσεως τοϋ Φεοϋ έν Χριστώ Ίησοϋ. Damit dürfte vom gesamten Gedankengang her weniger die zurückliegende Initiationseröffnung, sondern vielmehr die Vollendung der christusgläubigen Existenz bei der Auferstehung der Toten, also die Aggregation am Ende der liminalen Phase gemeint sein.257 Das heißt, ανω κλήσις hebt hier konkret „auf den Ruf zur Vollendung und damit auf diese selbst"258 ab und umschreibt insofern die mit der Auferstehung verbundene Aufnahme in die himmlische Sphäre. So kommt in V.14 explizit das Ende des in Damaskus bzw. der Taufe wurzelnden Initiationsprozesses in den Blick, die „Erhöhung" in den göttlich-himmlischen Bereich,259 die έν Χριστώ, d.h. im Rahmen der Christuscommunitas geschieht und diese zugleich vollendet. Insgesamt führt Paulus damit in diesem Passus seinen christusgläubigen Adressaten deren gegenwärtige liminale Situiertheit vor Augen; er legt dar, Phil, 145. Das Verb ελαβσν besitzt kein Objekt. Die Auferstehung der Toten aus V . l l , die Gerechtigkeit aus V.9 und der Siegespreis aus V.14 wurden u.a. als Ergänzung zu ελαβον vorgeschlagen. Naheliegender ist es jedoch, V.12 vom gesamten vorauslaufenden Kontext V.7-11 her zu deuten. Die Objektlosigkeit ergibt sich dann daraus, daß Paulus dort das Ziel seiner Transformation mittels vieler unterschiedlicher Formulierungen wiedergegeben hat: „Christus gewinnen", „in ihm erfunden werden", „Christus kennen". Auf alle diese Umschreibungen dürfte sich das ούχ ήδη ελαβον beziehen (vgl. dazu O ' B R I E N , Phil, 420-422), wobei freilich mitzubedenken ist, daß die Christuscommunitas gleichwohl bereits gegenwärtig faßbar ist, auch wenn ihre Vollendung noch ausstehen mag (s. oben). 257 Ähnlich G N I L K A , Phil, 2 0 0 ; A . T . L I N C O L N , Paradise, 93f.; L O H M E Y E R , Phil, 146f.; U . B . M Ü L L E R , Phil, 169; zu alternativen Auslegungen vgl. O ' B R I E N , Phil, 43lf. 2 5 8 G N I L K A , Phil, 200. Diese Verwendung von κλησις ist bei Paulus freilich singular, da er mit der Vokabel sonst die Berufung zum Christusglauben umschreibt (s. IKor 1,26; 7,20; Rom 11,29); vgl. aber Philo, Plant 23, wo diejenigen, die vom göttlichen Geist erfüllt sind, zum Göttlichen emporgerufen werden (προς γαρ τό fclov άνω καλεΤσθαι); explizit auf den Eingang ins Paradies bezogen, erscheint die Wendung in der christlichen Interpolation in grApkBar 4,15: έν αΰτω [sc. Ίησοΰ Χριστώ] μέλλουσιν τήν άνω κλήσιν προσλαβείν καΧ την εις παράδεισον εισοδον. 259 Zu άνω als Terminus für den göttlich-himmlischen Bereich vgl. Gal 4,26; s. auch Kol 3,lf. 2 5 5

256

LOHMEYER,

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

daß ihre Existenz qua Initiation zwar auf himmlische Vollendung angelegt, diese jedoch noch nicht voll und ganz realisiert ist. Die liminale Verortung schärft er in V.15f. in Form einer den Gedankengang zusammenfassenden Mahnung noch weiter ein: Er fordert die Philipper 260 ausdrücklich zu einer mit ihm gemeinsamen Orientierung (φρονώμεν) an der noch ausstehenden himmlischen κλησις (V.15a) auf 261 und dringt darauf, das bereits Erreichte festzuhalten (V.16), d.h. die im Initiationsakt - für die Philipper ist das die Taufe - bereits begonnene Existenzumwandlung zu wahren. Darin wird erneut sichtbar, daß die Christusgläubigen wie die Neophyten in der liminalen Phase eines Initiationsprozesses zwischen Separation und Aggregation stehen. Wer sich indes schon am Ziel angekommen wähnt, der wird - so die Hoffnung des Apostels nach V.15b - durch eine Offenbarung von Gott selbst eines besseren belehrt.

Die künftige Aggregation

(V.20f.)

Nachdem Paulus in V.17 explizit seine Vorbildfunktion thematisiert und dieser in V.18f. das Verhalten der Opponenten als Kontrast gegenübergestellt hat, kommt er schließlich in V.20f. nochmals eigens auf die himmlische Vollendung zu sprechen.262 Er bedient sich diesbezüglich der signifikanten Wendung πολίτευμα έ\> οϋρανοις. Über die Bedeutung der Vokabel πολίτευμα in diesem Kontext ist viel diskutiert worden. Im herkömmlichen griechischen Sprachgebrauch kann bzw. können mit πολίτευμα die politische Handlung (vgl. Plutarch, Cato Maior 26,1), das Subjekt staatlicher Handlungen, also die Behörden (vgl. Piaton, Leg 945d), die Verfassung (vgl. Polybios 3,118,9), der Staat oder die Staatsform allgemein (vgl. Polybios 3,2,6; 8,2-3), das Bürgerrecht (vgl. Plutarch, Phoc 28,4) sowie ethnische Verbände in der Diaspora,

260 p a u i u s gebraucht hier für sich und die Gemeinde den Begriff τέλειοι. Diese Bezeichnung steht in Spannung zu V.12: ούχ ήδη τετελείωμαι. Einige meinen, die Vokabel ziele hier anders als in V.12 auf die Reife der Christusgläubigen, die gerade das Wissen um das Ausstehen der Vollendung umfasse (vgl. DLBELIUS, Phil, 92; Du PLESSIS, ΤΕΛΕΙΟΣ, 196; PETERLIN, Letter, 83; O'BRIEN, Phil, 436; VINCENT, Phil, 112; s. auch KRAUS, Volk, 342 mit A65; WLCK, Philipperbrief, 95f.); andere vermuten ironischen Sprachgebrauch (vgl. BEARE, Phil, 130f.; GNILKA, Phil, 201; HAWTHORNE, Phil, 155f.; A.T. LINCOLN, Paradise, 99f.). Die schwierige Frage kann hier offen bleiben. 261 Τοϋτο φρονώμεν ist mit U.B. MÜLLER, Phil, 170 auf das unmittelbar zuvor Gesagte zu beziehen, d.h. in erster Linie auf die Orientierung an der himmlischen Berufung. 262 Ob Paulus hierbei einen Hymnus oder ein hymnisches Fragment aufgreift, ist im Hinblick auf die initiatorischen Strukturen im Text unerheblich; vgl. dazu die Diskussion bei BECKER, Erwägungen, 65ff.; GÜTTGEMANNS, Apostel, 241f.; HAWTHORNE, Phil, 169; KIM, Origin, 150-156; A.T. LINCOLN, Paradise, 87-89; U.B. MÜLLER, Phil, 184f.; O'BRIEN, Phil, 4 6 7 ^ 7 2 ; SLBER, Christus, 122-126.

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also Kolonien (vgl. Josephus, Ant 12,2,13), gemeint sein.263 Die beiden zuletzt genannten Übersetzungsoptionen scheiden aller Wahrscheinlichkeit nach aus zeitlichen, philologischen oder sachlichen Gründen für Phil 3,20 aus.264 Auch die Bedeutung „Heimat" kommt u.a. mangels wirklich tragfähiger Belege kaum in Betracht.265 So ist die in hellenistischer Zeit am besten bezeugte Bedeutung „Staat" bzw. „Gemeinwesen" für Phil 3,20 am wahrscheinlichsten, genauerhin der Staat im Sinne einer dynamischen Machtinstanz, die durch die Staatsverfassung reguliert wird.266 Bemerkenswert ist, daß der Apostel damit für die letzte Phase des Transformationsprozesses wieder einen Strukturbegriff verwendet.267 Doch auch dies entspricht dem Ablauf einer Initiation. Dort steht am Ende der liminalen Phase gleichfalls die Wiedereingliederung in eine neue Statusposition; die „anti-strukturelle" Liminalität wird sozusagen durch „Struktur" abgelöst. Freilich thematisiert Paulus hier eine Struktur besonderer Art. Nach Stanley K. Stowers erinnert Phil 3,20 an den griechisch-römischen Diskurs über utopische Gemeinschaften bzw. den idealen Staat, wie er zumal bei Piaton und Zenon belegt ist. Stowers zufolge läuft überhaupt der ganze, durch das antike Freundschaftsideal geprägte Philipperbrief auf das Ziel einer idealen Gemeinschaft in und durch Christus hinaus.268 Trifft dies zu, so dürfte das himmlische 263 Vgl. dazu jeweils die weiteren Ausführungen und die zahlreichen Belegstellen bei BÖTTGER, Existenz, 245-253 und A.T. LINCOLN, Paradise, 97-101. Beide Exegeten beziehen sich auf die Arbeit von RUPPEL, Politeuma. 264

Die Bedeutung „Bürgerrecht" ist nach BÖTTGER, Existenz, 252 abzulehnen, „weil sie im allgemeinen und für die Zeit des NT im besonderen zu schwach belegt ist" (ebenso A.T. LINCOLN, Paradise, 99.220; Vertreter dieser Deutung sind ebd., 219 A55 genannt; s. außerdem jetzt wieder PlLHOFER, Philippi, 127ff., der jedoch die beiden Übersetzungsvarianten „Bürgerrecht" und „Staat" ebd., 130 nur als „Nuancen" voneinander abhebt); ebensowenig kann die Bedeutung „Kolonie" im Sinne einer himmlischen Gemeinschaft auf Erden herangezogen werden, da Paulus sonst vom πολίτευμα ουρανών έπι της γης hätte sprechen müssen anstelle vom πολίτευμα έν οϋρανοίς, welches eindeutig im Himmel zu lokalisieren ist (so mit A.T. LINCOLN, Paradise, 99; O'BRIEN, Phil, 460; der wohl bedeutendste Vertreter der „Kolonie"-These ist DlBELIUS, Phil, 93; s. dazu ferner die Kritik bei PlLHOFER, Philippi, 129). 265 Diese Übersetzung findet sich z.B. bei LOHMEYER, Phil, 157f.; zur Kritik daran vgl. BÖTTGER, Existenz, 252f.; A.T. LINCOLN, Paradise, 99; U.B. MÜLLER, Phil, 180; PlLHOFER, Philippi, 128. 266

So übereinstimmend BÖTTGER, Existenz, 253 und A.T. LINCOLN, Paradise, 99; ebenso BAUER/ALAND, Wörterbuch, 1376; O'BRIEN, Phil, 460; ähnlich SCHENK, Phil, 324; U.B. MÜLLER, Phil, 180. 267 Vielfach wurde gemutmaßt, Paulus habe den Begriff von seinen Opponenten übernommen; vgl. BÖTTGER, Existenz, 269f.; SCHENK, Phil, 324; A.T. LINCOLN, Paradise, 97. Daß es sich um ein hapax legomenon handelt, ist jedoch nur ein schwaches Indiz für diese These. Außerdem gibt O'BRIEN, Phil, 469 zu bedenken: „... the cognate verb πολιτεύομαι turns up at 1:27 and the presence of both terms in a letter to Philippi, a military colony of resident aliens related to the capital city of Rome, is quite understandable ... Further, Paul, who knows of a heavenly Jerusalem (Gal. 4:24-26; cf. also 2 Cor. 5:1-5; Phil. 1:21-24 ...) could easily have used the word on his own initiative"; vgl. auch KIM, Origin, 152. 268

Vgl. STOWERS, Friends, bes. 111-113.

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Die Transfonnation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

Politeuma in Analogie zur Konzeption des idealen Staates als ideale Mischung aus Herrschaft - hier eschatologischer Herrschaft - und Gleichheit zu verstehen sein, wobei Christus als σωτήρ die entscheidende Machtinstanz des Politeumas darstellt.269 In Turners Terminologie heißt das, das himmlische Politeuma ist nicht reine Struktur, sondern eine Mischung aus Struktur und AntiStruktur, oder anders formuliert: Im himmlischen Politeuma bilden Christuscommunitas (vgl. V.7-11) und Christusherrschaft (vgl. V.21b) eine ideale Einheit.270 Nun sind Paulus und mit ihm alle Christusgläubigen (ήμών) diesem Politeuma in gewisser Weise schon jetzt unterstellt. Dies geht aus dem Präsens υπάρχει (V.20a) hervor.271 Das Politeuma ist also keine rein futurisch-eschatologische Größe, sondern eine Machtsphäre, in deren Einflußbereich die Philipper bereits gegenwärtig leben. Andererseits steht die unumschränkte Aufnahme in die himmlische Staatsgewalt noch aus. Sie erfolgt erst, wie V.20b und 21 belegen, mit der ersehnten und erwarteten Parusie, wenn der Herr kommt, um die Körper der Christusgläubigen zu verwandeln. Diese temporale Ambiguität ist erneut bezeichnender Ausdruck der Liminalität, d.h. des gegenwärtigen Schwellendaseins 272 Solcher temporalen Ambiguität korrespondiert eine gleichsam räumliche, nämlich das Ineinander von weltlicher und himmlischer Sphäre. Das πολίτευμα besteht zwar einerseits έν ούρανοίς, doch die Initiierten sind diesem himmlischen Politeuma bereits in ihrer irdischen Existenz unterstellt. So trachten sie nicht mehr wie die Opponenten laut V.19 nach „irdischen Dingen" (τά επίγεια), d.h. nach vorübergehenden Werten (vgl. V.2-6) - hier zeigt sich im üb269

Der σωτήρ-Begriff kann hier nicht allein als Ableitung aus der bei Paulus sonst häufigen Rettungsterminologie (σωζειν, σωτηρία) verstanden werden (so z.B. SCHELKLE, σωτήρ, 783). Zweifelsohne enthält er auch herrschaftliche Konnotationen. Dies zeigt allein schon die folgende Erläuterung durch den κύριος-Titel, der ja in 2,11 Christus als Weltenherrscher bezeichnet. Ferner kommt der Aspekt der Herrschaft im folgenden Vers deutlich zum Tragen, nämlich in der Aussage, Christus unterwerfe sich das All. Schließlich gilt: „... although σωτήρ is not a title its appropriateness is apparent in the context of a letter to Philippi, where the Emperor was regarded as .savior'" (O'BRIEN, Phil, 462 A120). TANNEHILL, Dying, 108 sieht allerdings mit anderen sehr wohl titularen Sinn vorliegen. Als Möglichkeit räumt dies auch HAWTHORNE, Phil, 172 ein (dort weitere Vertreter dieser Position); vgl. zudem E.W. STEGEMANN, Alt, 527 A95. 270 TURNER, Ritual, 173 schreibt allgemein religionsgeschichtlich über das Bild vom Himmel, hier begegne die „Vorstellung einer vollkommenen Synthese von Communitas und hierarchischer Struktur. Nicht nur Dante und Thomas von Aquin haben den Himmel gleichzeitig sowohl als hierarchische Struktur mit vielen Stufen der Heiligkeit als auch als strahlende Einheit oder Communitas dargestellt, in der ein niederer Heiliger keinen Neid gegenüber einem höheren Heiligen und der höhere keinen Stolz auf seine Position empfindet. Gleichheit und Hierarchie waren da auf geheimnisvolle Weise eins." 271 Vgl. dazu A.T. LINCOLN, Paradise, 193; KRAUS, Volk, 343; NLEBUHR, Heidenapostel, 102; O'BRIEN, Phil, 461; STOWERS, Friends, 112f.; anders GNILKA, Phil, 206. 272 v g l . dazu die obigen Erläuterungen zu der finalen Wendung ίνα Χριστόν κερδήσω καΐ εύρεθώ έν αΰτω in V.8 und 9.

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rigen nochmals deutlich der Aspekt der Separation vom alten Sein - , sondern sie werden sozusagen vom Himmel her regiert.273 Im Einflußbereich der Herrschaft Christi vertrauen sie nicht mehr wie die Gegner auf das Fleisch (V.3), ihr Gott ist mit anderen Worten nicht die κοιλία (V.19).274 Gleichwohl sind die Initiierten aber noch σώμα της ταπεινώσεως (V.21a), das heißt, ihr aktuelles Leben wird nach wie vor als „hinfällige, auf den Tod zustrebende leiblichirdische Existenz des Menschen"275 bestimmt. Die hier sichtbar werdende Zweideutigkeit ist ein weiteres Indiz für die liminale Situation, in der Paulus sich und die Christusgläubigen ortet. Am Schluß des Transformationsgeschehens steht für den Apostel und seine Gemeinde die eschatologische Gleichgestaltung mit Christi σώμα της δόξης (V.21a). Erst wenn diese vollzogen ist, ist die gegenwärtige Liminalität völlig aufgehoben, die Aggregation erreicht. Die genaue Form der Verwandlung aus dem Niedrigkeitsleib in den Herrlichkeitsleib Christi bleibt freilich im dunkeln; aus dem Verb μετασχημαΐίζειν läßt sie sich jedenfalls nicht näher ableiten. Deutlich ist indes die somatische Dimension der Verwandlung, die die Ganzheitlichkeit, ja den ontologischen Charakter der Transformation anzeigt. Ähnlich wird in Initiationsprozessen der vollzogene Statuswandel meist als Seinswandel, „a change in being",276 verstanden, wobei auch hier die Trans-

273

Daß die himmlische Staatsgewalt quasi von außerhalb wirken kann, hat eine reale Entsprechung in Philippi: Octavian machte die Stadt zur römischen Kolonie; vgl. dazu A.T. LINCOLN, Paradise, 100: „... under the provision of the ,ius Italicum' Philippi was governed as if it was on Italian soil and its administration reflected that of Rome in almost every respect. To the Philippians the πολίτευμα was in Rome, and they would have seen a parallel as the apostle makes the claim about πολίτευμα of Christians. Their state and constitutive government is in heaven and they are to reflect this rule in every respect"; zu den historisch-politischen Hintergründen s. BORMANN, Philippi, 11-29. 274 O'BRIEN, Phil, 456 kommentiert: Die Opponenten hätten es demgegenüber versäumt, „to accept the death of the old life, the κοιλία, and have disqualified themselves from the new, because ,they are serving their own fleshly impulses'". Was κοιλία hier allerdings konkret meint, ist umstritten. Geläufig ist die Übersetzung mit „Bauch", wobei man die Vokabel dann entweder als sarkastische Anspielung auf die Speisegebote (so z.B. HAWTHORNE, Phil, 165f.; A.T. LINCOLN, Paradise, 96) oder auf libertinistisches Verhalten a u f f a ß t (so DLBELIUS, Phil, 93; MICHAELIS, Phil, 62; PLUMMER, Phil, 83). SCHENK, Phil,

287f. sieht in κοιλία dagegen einen textsemantischen Rückbezug auf σκΰβαλα (V.8) und postuliert von daher, es läge die Bedeutung „After" zugrunde, zumindest konnotativ; ebenso U.B. MÜLLER, Phil, 178. WATSON, Paul, 76 meint, Paulus spiele auf die griechisch-römische Phallusverehrung an und folgert: „Paul is saying: ,They worship their genitals'. This would again be a reference to his opponents' emphasis on circumcision." 275

GNILKA, Phil, 207; vgl. U.B. MÜLLER, Phil, 181 sowie HAWTHORNE, Phil, 172:

„This expression, of all expressions, describes the fallenness, the weakness, the corruptibility, the mortality of everyone, including all Christians." 276 Vgl. TURNER, Forest, 102; U.B. MÜLLER, Phil, 183 zieht hier eine Parallele zu den hellenistischen Mysterien.

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

formation meist am Leib als zentralem Symbolisationsmedium ausagiert und gleichsam in diesen eingezeichnet wird.277 Daß es sich bei der endgültigen Verwandlung bei der Parusie nicht um ein plötzliches, einmaliges eschatologisches Geschehen handelt, sondern um den Abschluß eines längeren Prozesses, erhellt schließlich der Umstand, daß das Adjektiv σύμμορφον in V.21 das Stichwort συμμορφιζόμενος aus V.10 wieder aufnimmt. Die dort thematisierte aktuelle Gleichgestaltung mit dem Tod Christi führt so am Ende zur Gleichgestaltung mit dem Herrlichkeitsleib Christi, der gleichsam den Prototyp für das Sein in der himmlischen Existenz bildet (vgl. IKor 15,49; Rom 8,29). Damit wird am Ende des Argumentationsgangs nochmals klargelegt, daß die christusgläubigen Initianden die Transformation Christi, also dessen Tod und Auferstehung, in inniger Verbundenheit mit diesem (Christuscommunitas) nachvollziehen. Doch bleibt die Verwandlung nicht auf die menschliche Existenz beschränkt. Nach V.21b manifestiert sich in der Somaverwandlung der Christusgläubigen die ένέργεια, mit der sich Christus insgesamt den ganzen Kosmos (τά πάντα) Untertan macht. Darin deutet sich an, daß die Gleichgestaltung der Christusgläubigen mit Christus lediglich Teil einer universalen Unterwerfung des Kosmos unter die eschatologische Herrschaft desselben ist. Das heißt, dem persönlichen Transformationsprozeß entspricht ein kosmologischer, eine Äonenwende.278 Zieht man die voranstehenden Ausführungen über Phil 3 zusammen, so ergibt sich folgender Befund: Im Hinblick auf die Beschneidungsforderung missionarischer Opponenten und deren Stolz auf einen besonderen Status schildert Paulus hier seinen persönlichen, im Damaskusgeschehen begründeten Wandel aus einer anerkannten Statusposition in eine anti-strukturelle Christusgemeinschaft, in der die herkömmlichen Statuswerte annulliert sind. Anders als in Gal 1 geht er dabei jedoch nicht unmittelbar auf sein individuelles Berufungserlebnis ein, vielmehr beschreibt er den damit verbundenen Wandel in allgemeinerer Form, verleiht ihm so paradigmatische Funktion und bettet ihn in einen umfassenden Transformationsprozeß ein, der alle Christusgläubigen betrifft und bei diesen in der Taufe wurzelt; darauf deutet die durchgängige Verwendung von Taufsprache bzw. Taufmetaphorik.279 Wichtig ist: Dieser im Damaskusgeschehen bzw. in der Taufe verankerte Transformationsprozeß 277 Zur Rolle des Körpers in rituellen Prozessen vgl. nur ZUESSE, Meditation, 518ff.; DOUGLAS, Ritual, passim; CHR. STRECKER, Notizen, 43f. 278 Näheres dazu in §§ 8.3 und 8.4. 279 BECKER, Paulus, 349 faßt die Anspielungen wie folgt zusammen: „Die Seinsaussage (V.3: ,Wir sind die Beschneidung'), die übertragene Bedeutung der Beschneidung, die Rede vom Geist Gottes (alles V.3), der personbezogene Gegensatz einst und jetzt, wie er sachlich V.4-7.13 prägt, die Art, wie das Lebensgeschick Christi und der Christen durch Vokabeln mit der Vorsilbe ,mit-' verknüpft werden (V.10.21), vielleicht die Bezeichnung der Christen als .Vollkommene' (V.15)."

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hat sein Urbild in der Transformation Jesu Christi selbst, d.h. in dessen Auferstehung aus Leiden und Tod; vollendet wird er mit der Parusie. Von daher ergibt sich ein dreistufiger Phasenablauf, der zusammen mit der verwendeten Motivik einem typischen Initiationsprozeß gleichkommt: Die präliminale Phase (V.4b-6) beinhaltet eine exklusive Statusposition. Die folgende liminale Phase (V.7ff.; V.12ff.) ist gekennzeichnet durch die Lösung von dieser Position und die Initiationsmotive Gnosis, Tod, Leiden, Auferstehung sowie durch typisch liminale Ambiguitäten, Inversionen und Communitas (Christuscommunitas). Am Ende steht diepostliminale Phase (V.20f.; vgl. schon V . l l . 14), die als Vollendung der Verwandlung in den Leib Christi beschrieben wird und eine dauerhafte Christuscommunitas und universale Christusherrschaft beinhaltet. In der Gegenwart verweilen der Apostel und die Christusgläubigen, wie insbesondere V.12 nachdrücklich herausstreicht, in der liminalen Phase. Die christusgläubige Existenz ist insofern bis zur Parusie permanent liminal. Darin gilt, was Victor Turner grundsätzlich über Liminalität so formuliert hat: „Das, was vorher wichtig war, ist es jetzt nicht mehr; das, was in der Zukunft wichtig sein wird, wird in dem Bereich der liminalen Absonderung von der weltlichen und alltäglichen Welt entdeckt und erfahren."280

Eine neuerliche Initiation qua Beschneidung der christusgläubigen Philipper ist vor diesem Hintergrund unsinnig, ebenso der Stolz auf diese.

4. 2Kor 4 , 6 - 1 2 Auch die Aussage des Apostels in 2Kor 4,6 verweist auf einen Transformationsvorgang, der im Damaskusgeschehen seinen Grund hat 281 und gleichfalls Züge einer Initiation trägt. Zwar läßt sich in diesem Vers und seinem unmittelbaren Kontext nicht die für Gal 1 und Phil 3 ermittelte typische Drei-Phasen-Struktur entdecken, doch treten zahlreiche Initiationsmotive auf.

280

TURNER, Religionsverständnis, 4 4 3 .

281

Daß V.6 als Hinweis auf Damaskus zu gelten hat, wird von DLETZFELBINGER, Bekehrung, 49-51 und KIM, Origin, 5-11 ausführlich begründet; s. ferner BULTMANN, 2Kor, 111; J. DUPONT, Conversion, 192; HEININGER, Visionär, 201; F. LANG, Kor, 278; LÜDEMANN, Auferstehung, 6 7 ; R.P. MARTIN, 2Cor, 80f.; MEISSNER, Heimholung, 162; DE OLIVEIRA,

Diakonie, 253-58; KLAUCK, Gemeinde, 269f.; SANDNES, Paul, 137ff.; SCHOEPS, Theologie, 46f.; STUHLMACHER, T h e o l o g i e I, 2 4 4 f f . ; THEISSEN, Aspekte, 129; WINDISCH, 2Kor,

140; WOLFF, 2Kor, 86f. Kritisch äußern sich diesbezüglich jedoch FURNISH, 2Cor, 250f. und SCHNELLE, Wandlungen, 15 Al; auch BLANK, Paulus, 185ff.; EICHHOLZ, Theologie, 14ff.; EVERTS, Conversion; GAGER, Notes und GAVENTA, Darkness übergehen die Stelle in ihren einschlägigen Abhandlungen.

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So beschreibt V.6 das Damaskusereignis als Erleuchtung282 und stellt diese mit der Hinführung ό Φεός ό ειπών· έκ σκότους φως λάμψει, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Erschaffung des Lichtes nach Gen 1,3 anspielt, in einen Zusammenhang mit dem Schöpfungshandeln Gottes. Auf diese Weise weckt der Vers folgende Assoziation: So wie Gott bei der Weltschöpfung das Licht aus dem Chaos - oder wie es hier heißt: aus der Finsternis - hervorgehen ließ, so erleuchtete er damals auch Paulus.283 Die Lebenswende des Apostels wird folglich als elementare Neuschöpfung charakterisiert. Darüber hinaus lassen sich auch Anklänge an die Verarbeitung des Lichtmotivs aus Jes 9,1 ausmachen, wodurch die Vorstellung von der Neuschöpfung zusätzlich mit soteriologischen Konnotationen angereichert wird, strahlt doch dort die rettende Gegenwart Gottes als Licht auf. Im Damaskuserlebnis fallen insofern Gottes Schöpfungshandeln und sein Erlösungshandeln zusammen,284 wobei der Schöpfungsaspekt deutlich im Vordergrund steht. Schöpfungsmythen spielen nun gerade auch in Initiationen eine herausragende Rolle, ja der Initiationsakt selbst wird in vielen Kulturen unmittelbar als symbolische Wiederholung der Schöpfung verstanden und ausagiert.285 Dies rührt daher, daß Initiationshandlungen ihrem Wesen nach, wie in der bisherigen Untersuchung 282 Der Aorist βλαμψεν verweist auf ein punktuelles Ereignis in der Vergangenheit. Zu dem strittigen Problem, ob das Verb transitiv oder intransitiv zu nehmen ist, läßt sich mit KLAUCK, Gemeinde, 267 sagen: „Von letzthin entscheidender Bedeutung ist die Frage nicht. Der Akzent liegt in jedem Fall darauf . . d a ß in den Herzen, das heißt im Inneren, in der Personmitte, eine große Helligkeit entsteht, die Gott zum Urheber hat." 283 Der Plural έν ταΐς καρδίαις ημών zielt primär auf Paulus selbst. Das legt der Kontext nahe, der durch die Verkündigungsthematik geprägt ist (V.5) und insofern das Wirken des Apostels und nicht das der Gemeinde im Blick hat (ebenso KIM, Origin, 5f.; KLAUCK, Gemeinde, 269; DE OLIVEIRA, Diakonie, 254f.; SANDNES, Paul, 137; WOLFF, 2Kor, 87). Allerdings wird man nicht umhinkönnen, die kollektive Redeweise als Fingerzeig auf eine allgemeine Erfahrung zu verstehen. Zwar ist das Damaskuserlebnis und der mit ihm verbundene Missionsauftrag etwas spezifisch Paulinisches, doch wird die Erkenntnis der Doxa Gottes auf dem Angesicht Christi jedem zuteil, der das Evangelium empfängt. Via negationis geht dies auch aus V.4 hervor; zu den unterschiedlichen Deutungen des Plurals vgl. femer DE OUVEIRA, Diakonie, 254f., bes. A826-828. 284 Meist wird allein auf Gen 1,3 als Grundlage der Aussage in V.6 verwiesen; so z.B.

BULTMANN, 2 K o r , 110; DIETZFELBINGER, Berufung, 50; FURNISH, 2Cor, 251; F. LANG,

Kor, 278; NEWMAN, Glory-Christology, 221f.; WOLFF, 2Kor, 87f. Es besteht zwischen 2Kor 4,6 und Gen 1,3 jedoch nur eine inhaltliche, keine verbale Übereinstimmung. COLLANGE, Enigmes, 138f. sieht deshalb eher und primär ein Zitat aus LxxJes 9,1 vorliegen; hier existieren in der Tat verbale Parallelen. Allerdings leuchtet das Licht bei Jesaja im Unterschied zu 2Kor 4,6 έν σκότει auf, nicht aber έκ σκότους. Wahrscheinlich hatte Paulus beide Stellen im Sinn. Dann handelt es sich insgesamt weniger um ein wörtliches Zitat als vielmehr um eine „intertextuelle" Anspielung, „a free creation of the apostle that nonetheless presents itself as a dija lu" (HAYS, Echos, 152; ähnlich auch DE OLIVEIRA, Diakonie, 251f.; vgl. ferner R.P. MARTIN, 2Cor, 80; WINDISCH, 2Kor, 139; KIM; Origin, 8f. A9); KLAUCK, Gemeinde, 266 nennt noch weitere Stellen, die als Assoziationshintergrund in Betracht gezogen werden können. 285 vgl dazu ELIADE, Mysterium, passim; grundsätzlich s. ebd., 14f.

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bereits mehrfach zu sehen war, als fundamentale Seinswandlungen betrachtet werden, d.h. als ganzheitliche Neuschöpfungen, zu deren Verwirklichung gewissermaßen auf die göttlichen Energien des Anfangs zurückgegriffen wird.286 Die in 2Kor 4,6 vorliegende Charakterisierung der Damaskuserfahrung als Schöpfungsvorgang läßt sich diesem Initiationsmuster zuordnen. Paulus ist ja durch sie gleicherweise ein neuer Mensch geworden, ein Mensch, in dem sich die καινή κτίσις manifestiert, wie er nur wenig später in 5,17 sagt. Wie aber soll man sich diesen „Schöpfungsakt" nach 2Kor 4,6 genauerhin vorstellen? Hier kommt erneut die γνώσις ins Spiel. Dies gilt speziell dann, wenn man den Genitiv in der komplexen Wendung προς φωτισμόν της γνώσεως της δόξης τοϋ ϋεού κτλ. als Genitivus auctoris nimmt. In diesem Fall artikuliert der Vers die Anschauung, daß die schöpferische Erleuchtung, die Paulus in oder vor Damaskus widerfuhr, von der Gnosis der δόξα Gottes ausging.287 Das heißt: Es war die Erkenntnis der strahlenden, göttlichen Herrlichkeit, die ihn zur Erleuchtung führte und darin zu einer neuen Person machte. Damit klingt hier wie schon in Phil 3,8.10 das Initiationsmotiv der seinshaften Verwandlung durch Erkenntnis an, einer Erkenntnis, die als „deep knowledge" bezeichnet und definiert werden kann. Dazu heißt es bei Turner: „Gnosis, ,deep knowledge', is highly characteristic of liminality ... it is believed that the esoteric knowledge ... changes the inmost being of the neophytes. It is not merely that new knowledge is imparted, but new power is absorbed, power obtained through the weakness of liminality which will become active in postliminal life when the neophytes' social status has been redefined in the aggregation rites."288 So wie Turner zufolge jene „deep knowledge" in Initiationen letztendlich eine elementare Kraft darstellt bzw. vermittelt, die die Neophyten in der Demutsund Schwachheitsposition der rituellen Liminalität empfangen, um sie später, in der postliminalen Phase, einsetzen zu können, so weiß auch der Apostel um 286 vgl. dazu ebd., 15: „... die symbolische Wiederholung der Schöpfung impliziert eine Reaktualisierung des ursprünglichen Ereignisses und damit die Gegenwart der Götter und ihrer schöpferischen Energien. Die Rückkehr zum Anfang äußert sich durch eine Reaktivierung der heiligen Kräfte, die damals zum ersten Mal in Erscheinung getreten waren." 2 7 * So mit F U R N I S H , 2Cor, 224, der ebd., 202 übersetzt: „the enlightenment which comes from the knowledge"; ebenso J E R V E L L , Imago, 195; s. auch K L A U C K , Gemeinde, 271. Zu den zahlreichen anderen Verstehensmöglichkeiten vgl. nur H E I N I N G E R , Visionär, 203. Die hier gewählte Deutung hat den Vorteil, daß sie der Aussage in V.4 in bestimmter Weise parallel läuft: Dort ist von der Erleuchtung die Rede, die vom Evangelium ausgeht, das die strahlende Doxa Christi zum Inhalt hat (s. dazu K L A U C K , Gemeinde, 260; H O F F M A N N / S I E B E N T H A L , Grammatik, § 172); hier gründet der φωτισμός in der Gnosis, die die Doxa Gottes umfaßt. Gnosis und Evangelium entsprechen sich demnach darin, daß sie zur Erleuchtung führen, was sich wiederum so erklären läßt, daß das Evangelium offenbar die dem Apostel im Damaskusgeschehen eröffnete Gnosis beinhaltet und entfaltet. 2 8 8 T U R N E R , Dramas, 258. T U R N E R sieht dies durch Beispiele im afrikanischen Kontext belegt.

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die Ausrüstung mit einer dynamis, die momentan noch in Schwachheit, nämlich in vielerlei Leidenserfahrungen wirkt, später aber, mit der Auferstehung bei der Parusie, der Aggregation, zur vollen Entfaltung kommen wird. Dieser Gedanke, der, wie oben aufgezeigt, gleichfalls in Phil 3,10 vorausgesetzt ist, wird in V.7ff. näher ausgeführt. Bevor jedoch darauf eingegangen werden kann, müssen Form und Inhalt der besagten Gnosis noch etwas genauer entziffert werden. Paulus spricht konkret von der γνώσις της δόξης τοϋ ϋεοΰ έν προσώπω Χρίστου. Der komplexen Bedeutung dieses beziehungsreichen Syntagmas kommt man fürs erste durch einen Vergleich mit V.4 auf die Spur. Dort spricht der Apostel von der δόξα τοϋ Χρίστου, δς εστίν είκών τοΰ θεοΰ. Zieht man beide Aussagen zusammen, so entsteht folgendes Bild: Paulus hat Christus als είκών θεοϋ wahrgenommen; είκών θεοΰ ist Christus aber insofern, als auf seinem Angesicht die δόξα Gottes erschien. Diese δόξα färbte offenbar derart auf Christus ab, daß Paulus in V.4 von der δόξα τοϋ Χρίστου sprechen kann.289 Was aber ist mit der δόξα Gottes gemeint? Ein Blick auf die Herkunft des Ausdrucks kann hier weiterhelfen. Nach der Überzeugung zahlreicher Exegeten leitet sich die Wendung in erster Linie aus der alttestamentlich-jüdischen Rede von der "TOD Gottes in Epiphanieschilderungen und Thronvisionen ab, wie sie etwa in Ez 1 oder auch in lHen 14,8-25 begegnet.290 Auf diese und andere Stellen Bezug nehmend, legt Segal dar: „... the term Glory is itself a way of safeguarding the actual appearance of God. We do not know God himself, who is beyond our figuration. We only know his Glory, the form in which he chooses to reveal himself."291 Die 1Ώ3 steht in dieser Hinsicht zumal im Kontext jüdischer Apokalyptik und Mystik292 für die Form, in der sich Gott zu erkennen gibt, inklusive der menschlichen Form;293 häufig werden in dieser Tradition bestimmte herausragende Persönlichkeiten oder auch menschenähnliche Figuren als Gottes TOD identifiziert 294 Betrachtet man 2Kor 4,6 auf dieser Folie, so weist der Ausdruck γνώσις της δόξης τοΰ ϋεοϋ έν προσώπω Χρίστου auf die dem Apostel in Damaskus eröffnete Erkenntnis Christi als Repräsentant Gottes.295 Vom Kontext jüdischer Throntheophanien 289 Vgl. dazu SCHRÖTER, Versöhner, 135 A5: Die zugrundeliegende Vorstellung ist die, daß sich „die δόξα Gottes in einem anderen Wesen widerspiegeln kann, das dann ε'ικών Gottes ist. In 3,18 waren es die Christen, die die δόξα Χρίστου widerspiegelten und dabei ebenfalls zum είκών verwandelt wurden"; s. dazu auch DE OLIVEIRA, Diakonie, 222. 290 So A.F. SEGAL, Convert, 39ff.60f.; SANDNES, Paul, 138-144; HEININGER, Visionär, 206ff.; MEISSNER, Heimholung; 162.198f.; s. dazu auch KIM, Origin, 223ff.239ff.; NEWMAN, Glory-Christology, 79ff.; QUISPEL, Rez. Segal, 203-205. 291 A.F. SEGAL, Convert, 52f. 292 Zur Verwandtschaft von Mystik und Apokalyptik im Judentum vgl. ebd., 38f.l65f. 293 „God's Glory or Kavod can be a technical term for God's human appearances" (ebd., 41). 294 Vgl. dazu ebd., 39-56. 295 Einige Ausleger meinen, Paulus greife hier konkret das Motiv der „zweiten Macht im Himmel" auf; s. Jaoel in ApkAbr 10—11; Metatron als „kleiner Jahwe" in 3Hen 10,1 oder

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her liegt es dann weiterhin nahe, ein ekstatisches Visionserlebnis als Ursache dieser Erkenntnis anzunehmen. Der Gebrauch der εΙκών-Terminologie in dem mit V.6 eng verbundenen V.4 untermauert diese Auffassung, 296 denn die hebräischen Äquivalenzbegriffe m m und thx sind in Theophanieberichten termini technici für Gottes TüO und konnotieren im besonderen „the paranormal quality of the experience of these theophanies, safeguarding the sight of God from ordinary human vision" 297 . In V.6 selbst deutet überdies neben der Lichtmetaphorik die Rede von der Erkenntnis der Doxa Gottes ,,έν προαώπω Χρίστου" auf ein Visionserlebnis. Addiert man all diese Indizien, so ist aus 2Kor 4,6 herauslesen, daß Paulus Christus in einer ekstatischen Schau als himmlische Figur, als Repräsentant Gottes wahrnahm und kraft dieser Erkenntnis erleuchtet wurde. Daß derartige ekstatisch-visionäre Erfahrungen zu den Charakteristika der Liminalität besonders individueller Initiationen gehören, wurde oben bei der Untersuchung des Infinitivsatzes άποκαλύιμοα τον υΐόν αΰτοϋ έν έμοί in Gal 1,16 bereits erörtert. Ein kurzer Seitenblick auf 2Kor 3,18 kann diesen Befund festigen und noch einige weitere Einzelheiten zutage fördern. In diesem Vers nimmt Paulus sein individuelles Transformationserlebnis ausdrücklich mit der Verwandlung aller Christusgläubigen zusammen (ήμεϊς πάντες) 298 In der Koppelung der Vokabeln κατοπτριζόμενοι299 und μεταμορφούμεθα schimmert dabei relativ deutlich das in den Initiationen der hellenistischen Mysterienkulte beheimatete Phänomen der Epoptie durch, der Verwandlung durch Schauen. 300 Dieser Anklang unterstreicht die Angemessenheit der Initiationsdie Rolle des Mose bei Ezechiel Tragikus; vgl. dazu HEININGER, Visionär, 207f.; zum Diskussionsstand s. ferner MEISSNER, Heimholung, 194ff. - Darüber hinaus wird man zu erwägen haben, ob der Begriff δόξα in 2Kor 3f. nicht möglicherweise auch „Ehre", „Ansehen" konnotiert. Durch den Anspruch, von der δόξα Gottes erleuchtet worden zu sein, zieht der Apostel doch wohl auch höchste Ehre auf sich und beschämt damit seine Gegner mit ihren menschlichen Empfehlungsschreiben (vgl. 3,Iff.); s. dazu SCHRÖTER, Versöhner, 117; vgl. ferner Anm. 171 in § 9 (S. 285). 296 Zur Parallelität von V.4 und 6 in Aufbau, Motivik und Vokabular vgl. nur SANDNES, Paul, 137; FURNISH, 2Cor, 251; inhaltlich bilden die beiden Verse freilich eme Antithese. 297 A.F. SEGAL, Convert, 52; ebenso KIM, Origin, 195-223, der anhand einer Fülle von Belegen aufweist, daß ε'ικών und die jeweiligen Äquivalenzbegriffe vornehmlich in Epiphanie- bzw. Visionsberichten Verwendung finden; s. auch SANDNES, Paul, 142f. A45. 298

Zu dieser Deutung des ήμείς πάντες vgl. DE OLIVEIRA, Diakonie, 215f.

299

Das Medium κατοπτριζόμενοι heißt im Griechischen in der Regel „im Spiegel schauen" und nicht „widerspiegeln"; Belege bei BULTMANN, 2Kor, 93f. und WINDISCH, 2Kor, 127 Al. Zudem fordert das Motiv der „Verwandlung durch Schauen" diese Bedeutung; ebenso optieren DE OLIVEIRA, Diakonie, 218f.; RLSSI, Studien, 38f.; COLLANGE, Enigmes, 116-118; KIM, Origin, 232f.; THEOBALD, Gnade, 200 A160. A.F. SEGAL, Convert, 323 A94 sieht in der Spiegelthematik eine mögliche Anspielung auf magische Techniken, um in Ekstase zu geraten. 300

So mit DE OLIVEIRA, 219f.; KLAUCK, 2Kor, 41; WINDISCH, 2Kor, 128 mit A l . Zur

Übertragbarkeit des Epoptie-Motivs vgl. nur Philo, Leg All 3,101, der die Schau in den Mysterien z.B. auf den Aufenthalt des Mose auf dem Sinai anwendet (zu Philos Stilisierung des Mose als Mysten und Hierophanten der wahren Mysterien vgl. THEISSEN, Aspekte,

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these in einem weiteren Punkt. Bezeichnend ist außerdem, daß der Apostel die Verwandlung an dieser Stelle als anhaltenden Prozeß darstellt, als kontinuierliche Metamorphose in das Bild des Herrn άπό δόξης εις δόξαν.301 Die Transformation in ein neues Wesen302 ist also noch nicht abgeschlossen. Damit tritt erneut das Thema der permanenten Liminalität auf den Plan: Die Existenz des Christusgläubigen ist nach Paulus offenkundig grundsätzlich eine Existenz im Prozeß der Verwandlung, sie ist liminale Existenz. Die typische Ambiguität solcher liminalen Existenz wird dann in 4,7ff. sichtbar. Relativ unvermittelt schwenkt Paulus in diesem Passus von der emphatisch beschriebenen Erleuchtung auf seine Leidensexistenz als Apostel um und malt sie plastisch aus. Diese signifikante Fortführung des Gedankengangs verhindert, daß das Damaskusgeschehen als triumphale Lebenswende ins Positive mißverstanden wird. Die Verse bezeugen, daß die lebenswendende Erfahrung ein durch Leid und Tod gekennzeichnetes Leben einschließt. Positives und Negatives, schöpferische Erleuchtung (V.6) und Existenz in Drangsalen (V.8f.), gehen darin ineinander über und bilden eine spannungsvolle Einheit. Diese Spannung läßt sich mit dem Bekehrungskonzept, das aufgrund der verwendeten Lichtmetaphorik in V.6 zur Deutung des Textumfeldes immer wieder herangezogen wurde,303 nur schwer erklären; sie ordnet sich aber ausgezeichnet dem Initiationsmodell und der These von der permanenten Liminalität ein. Dazu im einzelnen:

138ff.). Vergleichbare, ebenfalls auf Visionen gründende Transformationsberichte sind aber auch in der mystisch-apokalyptischen Literatur verbreitet; vgl. dazu A.F. SEGAL, Convert, 43-56; FURNISH, 2Cor, 240f. Auf entsprechende Texte aus Qumran weist DE OLIVEIRA, Diakonie, 220 A643. 301 Zu άπό δόξης εις δόξαν als „Fortschrittsformel" vgl. BULTMANN, 2Kor, 98; FURNISH, 2Cor, 215; KLAUCK, 2Kor, 42; F. LANG, Kor, 276; R.P. MARTIN, 2Cor, 72; THEOBALD, Gnade, 200; anders COLLANGE, Enigmes, 123; WINDISCH, 2Kor, 129. 302 Vgl. dazu BULTMANN, 2Kor, 97f.: „Das μεταμορφοΰσθαι bedeutet die Verwandlung in eine neue Gestalt, d.h. in ein neues Wesen. Denn μορφή ist zwar das, was nach außen zur Erscheinung kommt ..., aber nicht im Gegensatz zu einem ,Wesen', wofür im Alten Testament wie bei Paulus das Wort fehlt. Vielmehr ist die ,Gestalt' gerade der Ausdruck des .Wesens'." 303 Vgl. DE OLIVEIRA, Diakonie, 252; SANDNES, Paul, 137 A28; SCHRÖTER, Versöhner, 136; WOLFF, 2Kor, 87; WINDISCH, 2Kor, 139. Die genannten Exegeten deuten die Vorstellung vom Übergang der Finsternis ins Licht in V.6 als Bekehrungsmetaphorik, wie sie sich im Neuen Testament auch in Act 26,18; Rom 2,19; IThess 5,4f.; Eph 5,8; IPetr 2,9 findet und außerhalb der Bibel etwa in TestGad 5,7; TestBenj 5,3; OdSal 41; JosAs 8,10 oder Philo Virt 179; Abr 70. Allerdings können die Symbole Finsternis und Licht auch den Vorgang der Initiation umschreiben. Mit KLAUCK, Gemeinde, 268 läßt sich hier auf die Mysterienformel bei Apuleius, Met 11,23 verweisen: „nocte media vidi solem candido coruscantem lumine"; interessanterweise wird seit Justin, Apol I 61,12 auch das christliche Initiationsritual der Taufe als φωτισμός bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist an die enge Verflechtung von Bekehrungen und Initiationen in der Antike zu erinnern; vgl. dazu oben Anm. 68.

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Die genannte Spannung verdichtet sich zunächst im Bild vom Schatz in den tönernen Gefäßen (V.7). Den θησαυρός der Erleuchtung durch die Gnosis der δόξα Gottes304 besitzt Paulus eben nicht ungetrübt, sondern nur έν όστρακίνοις σκεύεσιν. Auch wenn der traditionsgeschichtliche Hintergrund dieser Wendung nur schwer exakt zu bestimmen ist,305 aufgrund des in V.8f. folgenden Peristasenkataloges und der daran anschließenden Deutung der Bedrängnisse in V.lOf. wird man davon auszugehen haben, daß Paulus bei der TongefäßMetapher im wesentlichen das zumal auch somatische Leid und die Todesbestimmtheit in der apostolischen Existenz im Blick hat. Die Rede vom Schatz in den tönernen Gefäßen versinnbildlicht dann insgesamt den Tatbestand, daß die Erleuchtung, die Neuschöpfung im Damaskuserlebnis, massive Negativerfahrungen nicht etwa eliminiert, sondern vielmehr in diesen wirksam wird, so daß die in der Initiation vermittelte Überfülle der δύναμις sich als nicht menschliche, sondern als göttliche zu erkennen gibt (V.7b), die, wie es in 12,9 heißt, έν άσ&ενεία zur Vollendung kommt. V.lOf. präzisiert die Ambiguität der Erfahrungen in der apostolischen Existenz in nachgerade programmatischer Weise als Ineinander von Leben und Sterben έν τω σώματι (ήμων). Die merklich an Phil 3,10 erinnernde Melange aus Sterben und Leben ist in der Exegese oft als „Paradox" bezeichnet worden.306 Auf der Grundlage des Initiationsmodells läßt sich dieses Paradox 304

Θησαυρός ist auf den direkt zuvor genannten φωτισμός της γνώσις της δόξης τοΰ θεοϋ zu beziehen, da das dazugehörige Demonstrativpronomen τοΰτον am ehesten auf ein Objekt des unmittelbar vorausgehenden Verses weisen dürfte (ebenso EBNER, Leidenslisten, 198; THEOBALD, Gnade, 213; COLLANGE, Enigmes, 146f.; SCHRÖTER, Versöhner, 169; nach FITZGERALD, Cracks, 168 A165 greift θησαυρός im besonderen die γνώσις aus V.6 auf). Da die der Erleuchtung zugrundeliegende Gnosis nun aber in der Verkündigung des Evangeliums weitergeleitet wird und den gesamten Dienst des Apostels trägt, mag darin freilich auch eine Anspielung auf das Evangelium aus V.3 (vgl. LIETZMANN, Kor, 115; GÜTTGEMANNS, Apostel, 97 A26) wie auch auf die in V.l genannte Diakonie des Apostels insgesamt (so BULTMANN, 2Kor, 114; KLEINKNECHT, Gerechtfertigte, 272; Rissi, Studien, 45) mitschwingen (vgl. FURNISH, 2Cor, 279). 305 Gewöhnlich wird hier die Aufnahme alttestamentlicher Metaphorik vermutet: der Mensch als zerbrechliches Gefäß (Ps 31,13; Jer 22,28), Gott als Töpfer (Gen 2,7; Jes 64, 7) und dergleichen mehr (vgl. dazu COLLANGE, Enigmes, 146; FRREGERALD, Cracks, 167; WOLFF, 2Kor, 91). Rabbinische Stellen, wonach Menschen das Gefäß der Tora bzw. der Weisheit sind, sieht MAURER, σκεϋος, 365 A46 als nächstliegende Analogie. Unter dem Vorbehalt, daß Paulus hier nicht den Gegensatz Körper - Seele im Auge hat, verweisen WINDISCH, 2Kor, 142 und FURNISH, 2Cor, 255.278f. auf hellenistische Parallelen, die den Leib als vergängliches Gefäß beschreiben. DUFFs Vorschlag (Language, 160ff.), der Apostel referiere auf die Gefäße, die in religiösen Epiphanie-Prozessionen Verwendung fanden, verdient ebenfalls Beachtung, zumal in περιφέρειν in V.10 eine weitere Anspielung darauf vorliegen könnte und Paulus in 2,14-16 explizit das Bild vom Triumphzug aufgreift; zum Thema s. auch allgemein R.P. MARTIN, 2Cor, 85; EBNER, Leidenslisten, 202 A26; LAMBRECHT, Nekrösis, 125 samt A19; SCHRÖTER, Versöhner, 170ff. 306 Vgl. BULTMANN, 2Kor, 121; THEOBALD, Gnade, 216ff.; HECKEL, Kraft, 249; FURNISH, 2Cor, 284; R.P. MARTIN, 2Cor, 83.87; TANNEHILL, Dying, 89; s. auch FITZGERALD, Cracks, 168.169 (mit Bezug auf 4,7). GÜTTGEMANNS, Apostel, 118f.l22f. spricht von einer

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

zwar nicht auflösen, es kann nun aber einem plausiblen theoretischen Referenzrahmen zugeordnet und als typisch liminale Ambiguität bewertet werden. Danach beschreibt der Apostel in 2Kor 4,1 Of. einen Schwellenzustand, der in seiner ambivalenten Ausformung der widersprüchlichen Symbolik ritueller Liminalität korrespondiert, in welcher Todes- und Geburts- bzw. Lebenssymbole eine Schlüsselrolle spielen, wobei gilt: „The essential feature of these symbolizations is that the neophytes are neither living nor dead from one aspect, and both living and dead from another. Their condition is one of ambiguity and paradox, a confusion of all the customary categories."307 In einer dem Zitat vergleichbaren Weise charakterisiert auch der Apostel sich zum einen als weder tot (vgl. oi ζώντες, V.l 1) noch wirklich lebendig (er existiert έν τη ·9νητη σαρκί, V . l l ) und konstatiert zugleich, er trage das Sterben (νεκρωσις τοΰ Ίησοϋ, V.10; θάνατος ... διά Ίησοΰν, V . l l ) und das Auferstehungsleben Jesu (ζωή τοΰ Ίησοϋ, V.10 und 11) an seinem Leib. Paulus und ebenso die Christusgläubigen - diese dürften hier in dem wohl exemplarischen Gebrauch der l.Pers.Pl. mit eingeschlossen sein 308 - vereinigen so in der Tat zwei diametral entgegengesetzte Prozesse in sich, den des Sterbens und den des Lebens bzw. Auferstehens - eine Koinzidenz antithetischer Phänomene, die kennzeichnend ist für Liminalität, für das, „which is neither this nor that, and yet is both" 309 . Dabei kann und darf nun freilich nicht übersehen werden, daß sich in jenem Sterben und Auferstehen - wiederum analog zur Argumentation in Phil 3 namentlich das Sterben und Auferstehen Jesu manifestiert. Paulus weist darauf nachdrücklich hin; ostentativ hebt er gleich viermal hervor, es sei das Sterben bzw. Leben Jesu, das hier jeweils reaktualisiert werde. Darin kommt abermals der Gedanke der Christuscommunitas zum Vorschein, und zwar in Form einer Partizipation an Jesu Tod und Auferstehen. Solche Partizipation gründet nun aber bei den Christusgläubigen, wie Rom 6,3-5 dokumentiert, grundsätzlich in der Taufe. Auch wenn das Ritual an dieser Stelle nicht expressis verbis genannt ist, drängt es sich doch nicht zuletzt aufgrund der Analogien zu Rom 6 als Assoziationshintergrund auf. 310 Das bedeutet: Die „paradoxen Identität" von Leben und Tod; zur Problematik dieser Akzentuierung s. SCHRÄGE, Leid, 168f.; LAMBRECHT, Nekrösis, 131. 307 TURNER, Forest, 96f. (Hervorhebungen nicht im Original). 308 Vgl. BULTMANN, 2Kor, 118.122; HECKEL, Kraft, 258 (s. auch ebd., 235ff.); LAMBRECHT, Nekrösis, 142f. SCHRÄGE, Leid, 158f. konstatiert: „Der leidende Herr, der leidende Apostel und die leidende Christenschar gehören zusammen. ... Man sollte ... den apostolischen Charakter der Leiden nicht überbetonen (vgl. 2Kor 1,6 .dieselben Leiden' und Phil 1,30 .derselbe Kampf')." Es scheint darum nicht angebracht zu sein, mit GÜTTGEMANNS, Apostel, 323-328 und WOLTER, Apostel, passim die Leiden des Apostels und die der Gemeinde strikt auseinanderzuhalten. 309 TURNER, Forest, 99 (Liminalität definierend). 310 Vgl. dazu BULTMANN, 2Kor, 119; KLAUCK, 2Kor, 46; SCHRÄGE, Leid, 160f. samt A52. Kritisch zu einem solchen Bezug auf die Taufe äußert sich indes GÜTTGEMANNS, Apostel, 1 lOf.

2Kor 4,6-12

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gegenwärtigen Leiden und der darin manifest werdende existentielle Tod sind gerade auch aus der im Initiationsritual konstituierten Christuscommunitas und der damit einhergehenden Teilhabe an Christi Schicksal heraus zu verstehen. Rudolf Bultmann stellt dazu fest: „In die Gemeinschaft mit Christus aber tritt er [sc. der Christ] durch die Taufe, die eine Taufe εις τόν θάνατον αύτοΰ ist. Und der Gedanke von V. lOf. ist der gleiche wie der von Rom 6,3-11: der Christ hat am Tod Jesu teil, um dadurch an seinem Leben teilzubekommen. Freilich liegt 2Kor 4,10f. die Abzweckung von Rom 6,3-11 fern, nämlich daß die Teilhabe an der ζωή Jesu sich in der Freiheit von der αμαρτία dokumentiert; und der für 2Kor 4.10f. wesentliche Gedanke, daß das Sakrament nicht nur am Anfang des christlichen Lebens steht, sondern diesem ganzen Leben sakramentalen Charakter gibt, ist Rom 6,6 nur angedeutet. Aber weil es 2Kor 4,1 Of darauf ankommt, die Gemeinschaft mit dem Tode Jesu als eine das ganze Leben umfassende und bestimmende deutlich werden zu lassen, wählt Paulus statt θάνατος hier den Ausdruck νέκρωσις. ... Paulus gebraucht -νέκρωσις im sakramentalen Sinn; und zwar sagt er νέκρωσις statt θάνατος, weil das Sterben mit Christus hier nicht in dem grundsätzlichen Sinn gemeint ist, in dem es in der Taufe ein für allemal (antizipierend) geschehen ist, sondern sofern es sich im konkreten geschichtlichen Leben dauernd vollzieht. Das christliche (bzw. apostolische) Leiden ist der dauernde Prozeß, in dem der Tod Jesu am Christen (bzw. am Apostel) wirksam wird als ständige Abtötung oder als ständiges Ersterben, als das εις θάνατον παραδίδοσθαι V. II." 311 Der von Bultmann aus dem Initiationsritual abgeleitete „sakramentale Charakter" des christusgläubigen Lebens korrespondiert deutlich dem Konzept der permanenten Liminalität. Wie nun die andauernde Partizipation an Jesu Tod und seinem Leben faktisch aussieht, illustriert eindrücklich der in V.lOf. vorausgesetzte Peristasenkatalog V.8f. Der Prozeß der νέκρωοις τοϋ Ίησοϋ (V.10) 312 sowie das άει ... εις θάνατον παραδώόμεθα ( V . l l ) manifestieren sich dort im θλίβεσθαι, άπορεΐσθαι κτλ. 313 Die ζωή τοϋ Ίησοϋ (V.llf.), das neue Leben, tritt im οΰ στενοχωρούμενοι, ουκ έξαπορούμενοι κτλ. hervor.314 Das Auferstehungsleben, die ζωή 3 1 1 BULTMANN, 2Kor, 119; vgl. dazu freilich meine noch stärker prozessuale und auf den Aspekt permanenter Liminalität ausgerichtete Deutung von Rom 6 in § 7.2. 3 1 2 Νέκρωσις kann entweder den Zustand des Totseins oder den Prozeß des Absterbens bzw. der Tötung bezeichnen. Letzteres ist mit BULTMANN, wie eben zitiert, wahrscheinlicher, da die parallele Wendung εις Μνατον παραδιδόμεφα in V . l l eben keinen Zustand, sondern das andauernde Geschehen der Hingabe in den Tod beschreibt; ebenso HECKEL, Kraft, 251 A229; F. LANG, Kor, 281; KRAFTCHICK, Death, 174 A39; SCHRÖTER, Versöhner, 185ff.; THEOBALD, Gnade, 217; WINDISCH, 2Kor, 145; WOLFF, 2Kor, 92; anders GÜTTGEMANNS, Apostel, 1 1 4 - 1 1 7 ; COLLANGE, Enigmes, 154f.; Rissi, Studien 4 9 ; s. auch FITZGERALD, Cracks, 177ff. 3 1 3 Dieser Sterbeprozeß kommt im übrigen dem Absterben des alten Menschen oder wie es in V.16 später heißt - dem Vergehen des έξω άνθρωπος gleich; zur inhaltlichen Beziehung von V . 7 - 1 2 und V.16 vgl. EBNER, Leidenslisten, 230ff.; HECKEL, Kraft, 256. 3 1 4 Zu dieser Zuordnung vgl. BULTMANN, 2Kor, 118.121; KLAUCK, 2Kor, 4 8 ; THEOBALD, Gnade, 238; s. dazu auch EBNER, Leidenslisten, 204.

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τοΰ Ίησοϋ, wird danach schon in der Gegenwart, nämlich kv -rfj θνητη σαρκΐ 315 ημών offenbar (V.llb). Dies entspricht wiederum der in Phil 3,10 formulierten Vorstellung, daß der Apostel schon jetzt im Wirkungsfeld der Auferstehungsdynamis existiert (s. oben). Freilich: Die Vollendung der ζωή τοΰ Ίησοϋ steht auch hier noch aus, wie V.14 bekundet. Das jetzige Ineinander von Leben und Tod wird erst mit der Parusie zu einem Nacheinander werden.316 Bezeichnend ist in diesem Kontext ferner die überwiegend passive Formulierung der Aussagen. Paulus erscheint als „der völlig Wehrlose, mit dem gehandelt wird, wie mit einem Gegenstand"317. Dieses Merkmal läßt sich, wie bereits häufiger bemerkt, mit der weitgehenden Passivität der Neophyten in der liminalen Phase vergleichen. In V.12 thematisiert Paulus schließlich den Dienstcharakter seines Lebens und Leidens für die Gemeinde.318 Die Verteilung von Tod und Leben auf sich und die Gemeinde darf dabei jedoch nicht in einem exklusiven Sinn verstanden werden. Weder wirkt in Paulus nur der Tod, noch ist die Gemeinde aller Leiden und dem Tod bereits enthoben. Es geht hier vielmehr um eine ganz spezifische Aussage, die sich mit Hans-Josef Klauck am besten so formulieren läßt: „Die Leiden, die der Missionar auf sich nimmt um der Verkündigung willen, schaffen Leben für diejenigen, die durch die Predigt zum Glauben kommen, und das ist in Korinth geschehen. Hierin zeigt sich der Mehrwert des Lebens über den Tod."319 Als Resümee der voranstehenden Überlegungen zu 2Kor 4,6-12 kann festgehalten werden: Analog zu Phil 3 bettet der Apostel die hier ebenfalls nur indirekt thematisierte Damaskuswende erneut in ein das ganze Leben umfassendes Transformationsgeschehen ein, das aufgrund der verwendeten Themen und Symbole (Schöpfung, Gnosis, Vision, Ambivalenz von Tod und Leben, Passivität) in wesentlichen Punkten einem Initiationsprozeß entspricht, wobei die gegenwärtige Existenz als permanent liminale zu stehen kommt. Und wie 315 Zur Kritik der Deutung auf die zukünftige Auferstehung bei LlETZMANN, IKor, 116 und KÜMMEL, Rom 7, 20 vgl. SCHRÄGE, Leid, 169: „... die Sarx ist nicht der Ort der zukünftigen Auferstehungs-ζωή, sondern wird von ihr verschlungen (2Kor 5,4). Da Paulus Sarx niemals sonst für die Auferstehungsleiblichkeit gebraucht ... und sich folglich V . l l b dieser Deutung nicht einfügt, ist daran festzuhalten, daß die .Offenbarung des Lebens Jesu' nicht erst in der Zukunft, sondern am sterblichen Leibe, in der Gegenwart geschieht." Ebenso BULTMANN, 2Kor, 121; FURNISH, 2Cor, 284; GÜTTGEMANNS, Apostel, 121ff.; KLAUCK, 2Kor, 46; WOLFF, 2Kor, 93. 316 Vgl. SCHRÄGE, Leid, 170. 317 RlSSI, Studien, 47 (Hervorhebung im Original). Von einer aktiven Leidensnachfolge ist insofern keine Rede, vielmehr steht der Widerfahrnischarakter im Vordergrund; vgl. SCHRÄGE, Leid, 162f.; LAMBRECHT, Nekrösis, 138ff., die indes zugleich betonen, daß die Teilhabe an Christi Leiden und Tod andererseits auch mehr als bloßes Geschick sei. 318 Zur Verklammerung des Leidens mit dem Dienst- und Sendungscharakter s. SCHRÄGE, Leid, 157. 319 KLAUCK, 2Kor, 46; zur Diskussion vgl. R.P. MARTIN, 2Cor, 88f.; THEOBALD, Gnade, 219.

IKor 9,1 und 15,8-10

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in Phil 3 betrifft dieser Prozeß auch hier alle Christusgläubigen, wobei wiederum die Taufe als Quellgrund des Initiationsprozesses durchscheint. 320 Mit Theißen läßt sich daher konstatieren: „Damals [sc. bei seiner Bekehrung] machte er [sc. Paulus] eine Erfahrung, die er für repräsentativ hielt und im Laufe seiner Tätigkeit weiter entwickelte und bearbeitete." 321

5. IKor 9,1 und 15,8-10 Zu den paulinischen Selbstzeugnissen über das Damaskusgeschehen zählen schließlich noch zwei weitere Stellen im ersten Korintherbrief, nämlich IKor 9,1 und 15,8-10. In IKor 9,1 stellt Paulus seine έξουοία als Apostel in Form von vier rhetorischen Fragen heraus, um auf dieser Grundlage dann später in V.12.15ff. seinen Verzicht auf das ihm als Apostel zustehende Unterhaltsrecht zu erklären. Für die aktuelle Themenstellung ist allein die dritte Frage von Belang: οΰχι Ίησοϋν τόν κύριον ημών έόρακα; Paulus referiert mit ihr allem Anschein nach auf das Damaskusgeschehen, wobei das „Sehen" des Herrn hier zum entscheidenden Kennzeichen eines Apostels erhoben wird. Dies ist aus dem begründenden Verhältnis zur vorangehenden zweiten Frage - οΰκ ε'ιμί απόστολος; zu erschließen. 322 Außergewöhnlich ist die Form, mit der die Christuserscheinung an dieser Stelle beschrieben wird. Anders als in Gal l,15f., 2Kor 4,6 und auch IKor 15,8 tritt der Apostel hier nicht als passives Objekt, sondern als Handlungssubjekt auf (έόρακα; vgl. dagegen IKor 15,8: ώφφη). Diese auffallende Akzentverschiebung könnte ihren Grund schlicht darin haben, daß Paulus die entsprechende Satzkonstruktion der beiden vorangehenden Fragen bewußt wahren will. 323 Möglich ist überdies, daß er damit an eine ältere Osterüberlieferung anknüpft (vgl. Joh 20,18: έώρακα τόν κύριον; Joh 20,25: έωράκαμεν τόν κύριον), um sich so in die Reihe der Osterzeugen zu stellen. 324 Andererseits ist 320 Taufreminiszenzen werden nicht nur - wie aufgezeigt - in V.lOf. registriert, sondern auch in V.4-6: A.F. SEGAL, Convert, 62 hält es mit Blick auf 2Kor 4,4-6 für möglich, „that Paul is paraphrasing a baptismal liturgy ..."; JERVELL, Imago, 196f. verweist in diesem Zusammenhang u.a. auf das Motiv des φωτισμός, die ,Erleuchtung der Herzen', die Vorstellung von der Neuschöpfung, den Sakralstil der Verse und die in der Taufliturgie begegnenden Begriffe λάμπω und αύγάζω; vgl. femer FURNISH, 2Cor, 247f.; s. auch KIM, Origin, 142, der ebenfalls einräumt, in 2Kor 4,4-6 begegne wie auch in 3,16-18 eine an die Taufe erinnernde Sprache, allerdings dreht er die geläufigen Abhängigkeitsverhältnisse um, indem er meint, „that Paul describes baptism in terms of his Damascus experience" und nicht, Jiis Damascus experience in terms of baptismal language". 321 THEISSEN, Aspekte, 129. 322 Vgl. dazu SCHRÄGE, IKor, 287f. 323 So MICHAELIS, όράω, 358; HEININGER, Visionär, 186. 324 Vgl. dazu DIETZFELBINGER, Berufung, 54f.57; HEININGER, Visionär, 186f.

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

nicht auszuschließen, daß er auf prophetisch-apokalyptische Traditionen zurückgreift, denn έόρακα diente „zusammen mit der ungleich häufiger benutzten Aoristform είδον innerhalb der LXX zur Übersetzung der hebräischen Schauformel TPK") ..., mit welcher die prophetischen Visionsberichte häufig eröffnen" 325 . In der Apokalyptik wurde das Verb dann zum integralen Bestandteil in Berichten über Traumgesichte und Himmelsreisen.326 Der Gebrauch des Kyriostitels könnte vor diesem Hintergrund und angesichts der obigen Ausführungen zu 2Kor 4,6 schließlich konkret auf eine Thronvision anspielen.327 Doch all diese Überlegungen verbleiben ganz und gar im Bereich der Spekulation. Mit einiger Sicherheit läßt sich der knappen Äußerungen in IKor 9,1 nicht viel mehr entnehmen, als daß Paulus vor Damaskus Jesus als vom Tod auferweckten Herrn geschaut hat, wobei man aus der aktiven Formulierung nicht allzu viel herauslesen sollte.328 Der Passus IKor 15,8-10 ist demgegenüber mit Blick auf das paulinische Verständnis der Damaskuserfahrung substantieller, er enthält indes mit der Wendung ώσπερεί τω έκτρώματι eine crux interpretum: Es bereitet erhebliche Schwierigkeiten, Bedeutung und Funktion des ungewöhnüchen Vergleichs, an dem das Verständnis der gesamten Aussage in V.8-10 entscheidend hängt,329 einigermaßen befriedigend zu ermitteln. Zwar liegen mehrere interessante Interpretationsansätze vor,330 diese weichen jedoch z.T. beträchtlich voneinander ab; ein Konsens ist nicht in Sicht. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, die enigmatische Wendung und ihren Kontext aus anthropologisch-ritologischer Perspektive nochmals neu zu dechiffrieren; diese Perspektive wirft jedenfalls Licht auf einige Facetten der Wendung und des Abschnitts, die in der bisherigen Diskussion keine oder nur wenig Beachtung fanden. Vorab jedoch einige Anmerkungen zu dem relativ unstrittigen Hintergrund des Textes. Der Apostel stellt sich in V.8 explizit in die Reihe der Auferstehungszeugen, die nach V.6 ihren Anfang mit Kephas und den Zwölfen nahm; er versichert, zuletzt von allen sei Christus auch ihm erschienen. Daß er damit auf das Damaskuserlebnis abzielt, liegt auf der Hand. Die Charakterisierung des ErH E I N I N G E R , Visionär, 1 8 7 . v g l . ebd. samt A 2 7 und 2 8 . H E I N I N G E R nennt als Belege Dan 2 , 3 . 2 9 ; 4Esr 1 3 , 5 . 6 . 8 . 9 . 1 1 . 1 2 sowie ApkAbr 1 8 , 2 ; TestAbr 1 1 , 4 ; grApkBar 7 , 3 . 5 ; 1 0 , 2 ; 1 1 , 8 . 327 Vgl. dazu ebd., 188. 3 2 8 Vgl. B L A N K , Paulus, 202: „Der Erscheinung Christi des Auferstandenen entspricht das ,Sehen' des Apostels, das nur stattfinden konnte, weil Christus selbst ihm sich zu sehen gab." 329 v g l . ebd., 190: „VV.9-10 wird man am besten als die sachliche Explikation der Gegebenheiten, die mit dem ώσπερεί τω έκτρώματι angezielt sind, verstehen dürfen bzw. als die nähere Begründung (γάρ)." 330 Überblicke zum Diskussionsstand finden sich bei H O L L A N D E R / V . D . H O U T , Abortion, 224-227; M. S C H Ä F E R , Fehlgeburt, 209-215; S E L L I N , Streit, 242-245; N I C K E L S B U R G , Έκτρωμα, 199f. 3 2 5

326

1ΚΟΓ9,1 und 15,8-10

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eignisses als Christusvision entspricht jedenfalls der obigen Analyse von Gal l,15f. und 2Kor 4,6; der visuelle Charakter des Geschehens ergibt sich hier klar aus dem medial zu übersetzenden Verb ώφΰη („er ließ sich sehen", „er erschien"),331 das an alttestamentliche Theophanieschilderungen anknüpft (vgl. LxxGen 12,7; 17,1; 26,2.24; 35,9 etc.).332 Neu ist im Vergleich zu den bisher behandelten Stellen, daß der Apostel seine Damaskusvision nun ausdrücklich als genuine Ostererscheinung ausweist, d.h. als eine Erscheinung, „die qualitativ auf der gleichen Stufe steht wie die des Petrus und aller anderen Zeugen" 333 . Damit beansprucht er eine besondere Ehrenstellung; dies um so mehr, als mit ihm als letztem Osterzeugen „die Zeit der besonders qualifizierten Zeugen des Anfangs zum Abschluß [kommt]"334. Doch das so aufgebaute positive Ansehen wird dann angesichts des έκτρωμα-Vergleichs erheblich gestört. Damit ist das Kardinalproblem des Abschnitts aufgeworfen: Wie ist diese Spannung und wie ist das Bild selbst zu erklären? Offensichtlich ist zunächst, daß Paulus mit der Vokabel 'έκτρωμα ganz allgemein Geburtsmetaphorik aufgreift. In diesem Punkt geht IKor 15,8 mit Gal 1,15 konform (vgl. die dortige Rede von der Aussonderung έκ κοιλίας μητρός μου); auch das in 2Kor 4,6 anklingende Schöpfungsmotiv ist im weitesten Sinn mit dieser Metaphorik verwandt.335 Hier gilt es nun des weiteren zu sehen, daß Geburtsmetaphorik zum klassischen Inventar der Initiationsmotivik gehört. Häufig werden Neophyten mit Embryonen, Neugeborenen oder Säuglingen verglichen, um so deren nicht genau klassifizierbaren Status als Schwellenpersonen zu versinnbildlichen.336 Im vorliegenden Fall vergleicht sich Paulus jedoch nicht mit einer „normalen" Geburt, er spitzt die Geburtsmetaphorik mit έκτρωμα in einer spezifischen Weise zu. Um diese Akzentuierung recht zu begreifen, muß als erstes Klarheit über die genaue Bedeutung der Vokabel geschaffen werden. Das in der antiken griechischen Literatur nicht allzu verbreitete Nomen bezeichnet allgemein eine abnorme Geburt, wobei in der Regel nicht der Geburtsakt als solcher,

331

S o mit d e n meisten; vgl. BLANK, Paulus, 159; KLAUCK, IKor, 109; LÜDEMANN, A u f -

erstehung, 71; HEININGER, Visionär, 193; WOLFF, IKor, 165. 332 Vgl. dazu MICHAELIS, όράω, 325.331-335; BLANK, Paulus, 157f.; DIETZFELBINGER, Berufung, 56f.; HEININGER, Visionär, 193; KLAUCK, IKor, 110; WOLFF, IKor, 165f. 333

334

KLAUCK, IKor, l l O f .

Ebd., 111. 335 Zum Zusammenhang von Geburt und Schöpfung in Initiationen vgl. ELIADE, Mysterium, 74.106ff. 336 Vgl. TURNER, Forest, 96; s. auch ELIADE, Mysterium, 106ff.; ELSAS, Initiationsriten, 666; DOUGLAS, Reinheit, 125ff. DOUGLAS schreibt speziell zur symbolischen Bedeutung eines ungeborenen Kindes: „Nicht nur seine gegenwärtige, sondern auch seine zukünftige Stellung ist zweideutig. Niemand kann sagen, welches Geschlecht es haben oder ob es die Gefahren des Kindesalters überleben wird" (ebd., 125).

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Die Transfonnation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

sondern der abgegangene Fötus bzw. das betroffene Kind im Blick ist. 337 Im einzelnen kann der Terminus verschiedene Arten von Geburtsdefekten zur Voraussetzung haben, die allesamt auch in der exegetischen Diskussion sind. Einige Ausleger vertreten die Ansicht, der Apostel meine in IKor 15,8 konkret eine Frühgeburt, also das vorzeitig geborene Kind. 338 Diese Bedeutung sticht sich jedoch mit der Wendung εσχατον πάντων zu Beginn von V.8; Christus erschien dem Apostel schließlich nicht zu früh, sondern als letztem von allen Aposteln. 339 Die dieser Bemerkung gemäße Übersetzung mit „Spätgeburt" ist hingegen sprachlich nicht möglich. 340 Die temporale Bedeutungskomponente der Vokabel kann hier insofern schwerlich im Vordergrund stehen. Häufig wird darum postuliert, der Apostel vergleiche sich mit einem abortierten Fötus oder einem toten bzw. nicht lebensfähigen Kind; es gehe ihm folglich um eine Fehl- oder Totgeburt.341 Die These liegt in der Tat allein schon deshalb nahe, weil der Begriff in der Septuaginta ausnahmslos in dieser Bedeutung auftaucht (vgl. Lxx Num 12,12; Hi 3,16; Koh 6,3) und auch in der paganen griechischen Literatur prinzipiell den Gedanken des Todes einschließt, 342 wobei der Apostel offenkundig vor allem an den Sprachgebrauch der Septuaginta anzuknüpfen scheint, denn dort begegnet die Vokabel wie in IKor 15,8 durchgängig als Vergleich (ώσεί έκτρωμα [Num 12,12]; ώσπερ έκτρωμα [Hi 3,16]) 343 , während sie in der paganen Literatur aus337 Vgl. dazu BARRETT, IKor, 391; FRIDRICHSEN, Paulus, 214; MUNCK, Paulus, 181; M. SCHÄFER, Fehlgeburt, 215; SCHÜTZ, Authority, 104. 338 So z.B. BARRETT, IKor, 391; GÜTTGEMANNS, Apostel, 90 mit A196; zu Belegen für έκτρωμα im Sinne von „Frühgeburt" vgl. SPICQ, Lexicon I, 464f. Mit BAUER/ALAND, Wörterbuch, 497 ist vor allem auf P.Tebt. 800,30 zu verweisen, ein Papyrus aus dem Jahr 142 v.Chr.; dort ist von einer schwangeren Frau die Rede, die aufgrund erlittener Schläge in Gefahr steht, ihr Kind vorzeitig zu gebären. 339 Auf dieses Problem verweisen ebenso NICKELSBURG, Έκτρωμα, 199; V.D. OSTEN-

SACKEN, Apologie, 250; M . SCHÄFER, Fehlgeburt, 208; SELLIN, Streit, 246; WEISS, I K o r ,

351. Nach dem Urteil von FRIDRICHSEN, Paulus, 211; SCHÜTZ, Authority, 105 u.a. zielt εσχατον πάντων hier allerdings nicht auf die Reihenfolge, sondern auf die Rangfolge; V.9 entsprechend (έγώ γάρ ε'ιμι ό έλάχιστος των άποστόλων) sei gemeint: „als dem geringsten von allen (Aposteln)". Doch aufgrund der vorauslaufenden chronologischen Reihung mit επειτα ... επειτα ... είτα (V.7f.) ist die zeitliche Bedeutung vorzuziehen; andernfalls wäre außerdem anstelle des Akkusativs der Dativ zu erwarten; so mit FEE, lCor, 732; HEININGER, Visionär, 191 samt A44; LÜDEMANN, Auferstehung, 57; WOLFF, IKor, 169. 340 Vgl. J. SCHNEIDER, έκτρωμα, 464; HEINRICI, IKor, 452; WEISS, IKor, 351. Anders jetzt aber wieder M. SCHÄFER, Fehlgeburt, 216f., der behauptet, Paulus spiele in IKor 15,8 auf Hos 13,13 an; dort ist von Ephraim als einem unvernünftigen Kind die Rede, das trotz Wehen den Mutterleib nicht verlassen will. Doch in LXXHos 13,13 fehlt bezeichnenderweise der Begriff έκτρωμα! Zur Kritik an SCHÄFER s. zudem HOLLANDER/V.D. HOUT, Abortion, 226f. 341 So BAUER/ALAND, Wörterbuch, 497 sowie mit verschiedenen Schlußfolgerungen BACHMANN, I K o r , 429; F. LANG, Kor, 214; V.D. OSTEN-SACKEN, Apologie, 250; SELLIN,

Streit, 246ff.; WOLFF, IKor, 170. 342 So HOLLANDER/V.D. HOUT, Abortion, 228, die nach der Analyse einschlägiger klassischer Belege u.a. resümieren: „Fundamental is the idea that miscarriage implies death." 343 Auch in LxxKoh 6,3 geht es nicht um die Totgeburt an sich, sondern um die Gegenüberstellung mit einem unglücklichen Reichen: αγαθόν ύπέρ αυτόν τό έκτρωμα. HOLLANDER/V.D. HOUT, Abortion, 229f. und MUNCK, Paulus, 183f. verweisen ferner auf die abwie-

1 Kor 9,1 und 15,8-10

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schließlich im Literalsinn erscheint.344 Auch Philo greift im übrigen an der einzigen Stelle, an der er den Ausdruck έκτρωμα benutzt (LegAll 1,76), auf den bildhaften Gebrauch der Septuaginta zurück, nämlich auf Num 12,12.345 Doch noch eine weitere Interpretationsmöglichkeit will bedacht sein: έκτρωμα als Mißgeburt, d.h. als Bezeichnung für ein verunstaltetes Kind. Auf dieser Linie argumentieren einige wenige Arbeiten, die voraussetzen, der Ausdruck stehe in IKor 15,8 im übertragenen, pejorativen Sinn für „Scheusal", „Mißgeschöpf".346 Das Problem an dieser Bestimmung ist, daß sich Belege für einen solchen figurativen Wortgebrauch als Schimpfwort erst sehr spät finden.347 Gleichwohl macht diese These mit aller Deutlichkeit auf etwas wichtiges aufmerksam: die ausgesprochen negativen, ja despektierlichen Konnotationen des Wortes. Diese treten schon in der Septuaginta unübersehbar zutage, wenn dort zumal Menschen in einer desolaten Situation mit einem έκτρωμα verglichen werden: die aussätzige Mirjam (Num 12,12), der all seiner Güter beraubte und ebenfalls von Geschwüren befallene Hiob (Hi 3,16) und ein unglücklicher Reicher (Koh 6,3).348 Besonders Miqam und Hiob befinden sich dabei in einem unverkennbar sozial-marginalen Zustand der Unreinheit und Unwürdigkeit, und es ist just dieser Zustand, der die Voraussetzung für den Vergleich mit einer Fehlgeburt schafft! Als Befund der semantischen Überlegungen kann somit festgehalten werden: Έκτρωμα bezeichnet in IKor 15,8 aller Wahrscheinlichkeit nach eine „Fehl-" oder „Totgeburt"; bestimmend ist also der Gedanke des Todes bzw. der Lebensunfähigkeit. Zudem ist auf die mit der Vokabel verknüpften negativen Konnotationen zu achten. Welche konkrete Funktion besitzt der Vergleich mit einer Totgeburt nun bei Paulus? 349 Um diese Frage beantworten zu können, ist zunächst abzuklären, chende Lesart (ώς) έκτρωμα in Ps 58(57),9(8) und Jes 14,19 in den griechischen Ausgaben des Aquila, Theodotion und Symmachos. 344 Vgl. dazu HOLLANDER/V.D. Ηουτ, Abortion, 228, die hinsichtlich der nichtjüdischen griechischen Literatur folgern: „... έκτρωμα and cognates are exclusively used in a literal sense. This makes it unlikely that the apostle's metaphorical use of the word έκτρωμα was derived from his non-Jewish or non-Christian environment." 345 Philo bevorzugt sonst άμβλω^ρίδια oder αμβλωσις; vgl. dazu HOLLANDER/V.D. HOUT, Abortion, 231; SELLIN, Streit, 246ff.; M. SCHÄFER, Fehlgeburt, 211f. 346 So BJÖRK, Nochmals, 3ff.; BOMAN, Paulus, 48ff. deutet έκτρωμα vom lateinischen Synonym abortivus her als Bezeichnung für die Unreife Erwachsener bzw. als Spottname im Sinn von „Zwerg". 347 Hauptbeleg ist das aus dem 12. Jh. stammende Werk Historiarum variarum chiliades des J. Tzetze (s. dort 5,515 und 7,505f.); vgl. dazu MUNCK, Paulus, 183.187f.; V.D. OSTENSACKEN, Apologie, 251 A30. 348 Vgl. dazu auch HOLLANDER/V.D. HOUT, Abortion, 229f.; MUNCK, Paulus, 183; BOMAN, Paulus, 47 („Ausdruck des höchsten menschlichen Elends"). FRIDRICHSEN, Paulus, 212f. mit A8 macht allgemein - auch unter Bezugnahme ethnologischer Studien - auf den verbreiteten „unheimlichen Gesamteindruck" einer Fehlgeburt aufmerksam: „Es [sc. έκτρωμα] ist etwas Dämonisches, Unmenschliches, ein Mensch ohne Menschlichkeit, ein Scheusal." 349 Die aufgrund des Artikelgebrauchs immer wieder vorgebrachte Auffassung, der Apostel zitiere hier ein Schimpfwort von Gegnern (so z.B. BARRETT, IKor, 391; BOMAN, Paulus, 50; FRIDRICHSEN, Paulus, 213.215ff.; KLAUCK, IKor, 111 [„kann sein"]; GÜTTGE-

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Die Transformation des Apostels: Bekehrung, Berufung oder Initiationsprozeß?

auf welchen Lebensabschnitt er zielt. Wird mit der Wendung ώσπερει τώ έκτρώματι allein die Vergangenheit des Apostels beschrieben, d.h. die Zeit vor der Damaskuswende inklusive dieser selbst, oder besitzt die Metapher eine aktuelle Relevanz? Meist wird ersteres unterstellt.350 Tatsächlich geht aus dem folgenden, mit begründendem γάρ angeschlossenen V.9 hervor, daß Paulus sich als „geringster der Apostel" einstuft, weil er die έκκλησία τοϋ ϋεοϋ verfolgt hat. Die vergangene Verfolgertätigkeit (vgl. Gal 1,13.23; Phil 3,6) ist von daher wohl ein wichtiger Beweggrund für den Vergleich mit einer Totgeburt. Damit ist aber nicht gesagt, daß die Metapher keinerlei aktuelle Bedeutung mehr besitzt. Im Gegenteil!351 Der Hauptakzent der begründenden und weiterführenden Aussagen in V.9f. liegt auf der Gegenwart. Dies dokumentiert das viermalige Präsens είμι. So heißt es in V.9 nicht: „Damals war ich nicht wert, ein Apostel genannt zu werden", vielmehr argumentiert Paulus grundsätzlicher: er sei prinzipiell nicht wert, ein Apostel zu heißen. Und weiter versichert er: Ich bin 6 έλάχισ&ος των αποστόλων. In V.10 hebt er schließlich hervor, er sei nur kraft der Gnade Gottes das, was er sei: χάριτι δέ -θεοϋ είμι δ είμι, um dann seine mühevolle missionarische Arbeit und deren Erfolg gänzlich in dieser Gnade gründen zu lassen. In Anbetracht dieser manifesten Gegenwartsorientierung der Aussagen in V.9f. wird man auch die Rede von der Totgeburt in V.8 nicht ausschließlich auf die Vergangenheit beziehen dürfen, sondern zugleich als ein aktuelles bzw. in der aktuellen Erfahrung verankertes Bild zu bewerten haben und mit den genannten Niedrigkeitskategorien in V.9 zusammen sehen müssen. Von daher liegt folgende These nahe: Paulus umschreibt mit der Wendung ώσπερεί τω έκτρώματι die spezifische Relevanz des Damaskusgeschehens für seine Person auf eine Weise, die zentrale Implikationen dieser Wende sowohl im Hinblick auf sein früheres Leben als auch auf seine gegenwärtige apostolische Existenz anklingen läßt. Zunächst zu den Implikationen hinsichtlich seiner Vergangenheit: Betrachtet man den Vergleich mit der Totgeburt vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen als Initiationsmotiv, so indiziert έκτρωμα, daß Paulus in der Begegnung mit Christus seinem alten Leben völlig „abstarb"; dies gilt, wie aus MANNS, Apostel, 89ff.; WEISS, IKor, 352) ist nicht zwingend. HOLLANDER/V.D. HOUT, Abortion, 232 A31 deuten den Artikel als generischen („it indicates that the apostle is to be regarded, as it were, as one of the species of .miscarriage'"). Denkbar ist auch, daß der Artikel die Beziehung zu dem Vorausgehenden anzeigt und Paulus als Fehlgeburt unter den Aposteln ausweist (so BACHMANN, IKor, 437; HEININGER, Visionär, 191; v.D. OSTENSACKEN, Apologie, 252; WOLFF, 2Kor, 170. M. SCHÄFER, Fehlgeburt, 213 und SELLIN, Streit, 251 A89 lehnen dies ab, da Paulus sich sonst noch in der Gegenwart als έκτρωμα verstanden haben müßte. Genau dies trifft aber zu, wie ich gleich zu zeigen versuche). 350 Vgl. z.B. HOLLANDER/V.D. HOUT, Abortion, 234; FRIDRICHSEN, Paulus, 212; MUNCK, Paulus, 190f.; NICKELSBURG, "Έκτρωμα, 204; Μ. SCHÄFER, Fehlgeburt, passim; SELLIN, Streit, 250; WOLFF, IKor, 170. 351 Vgl. zum folgenden auch die ähnlichen Überlegungen bei SCHÜTZ, Authority, 103ff.

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V.9 zu ersehen ist, insbesondere für seine Verfolgertätigkeit. Der Gleichsetzung bekundet mit anderen Worten, daß Pauli Neubeginn in der Damaskuserfahrung, metaphorisch gesprochen: seine Geburt als Apostel, den vollständigen Tod der alten Person bewirkte. 352 Im Rahmen des Initiationsmodells läßt sich έκτρωμα mithin als Symbol für den sog. Initiationstod begreiflich machen. Der symbolische Tod der Neophyten verkörpert ja in rituellen Initiationsvollzügen in vergleichbarer Weise das völlige, z.T. drastisch ausagierte Absterben vom bisherigen Leben im Dienst eines Neubeginns (initium).353 Insofern deutet sich in der Rede vom έκτρωμα gerade auch jenes Moment der umfassenden Separation von der vergangenen Statusposition an, das bereits in den Analysen von Gal 1,13-17 und Phil 3,4ff. ermittelt werden konnte. In dieser Hinsicht zeigt der Vergleich obendrein eine Sonderstellung an, die Paulus in der Reihe der Osterzeugen einnimmt, indem er nämlich als der Verfolger der έκκλησία anders als die übrigen in V.5-7 genannten Auferstehungszeugen, die wohl größtenteils zuvor bereits christusgläubig gewesen sein dürften, 354 die Begegnung mit dem Auferstandenen als extremen Bruch in seinem Leben und so als besonderes Initiationserlebnis erfuhr. Die aktuelle Relevanz des Vergleichs besteht nun darin, daß der Apostel sich vermittels der negativ konnotierten Selbstbezeichnung als έκτρωμα grundsätzlich und dauerhaft erniedrigt. Er stigmatisiert sich sozusagen selbst. 355 In diesem Zusammenhang ist auf das durative Moment zu achten, daß die Gleichstellung mit einer Totgeburt zwangsläufig involviert: Wenn Paulus qua Vergleich erklärt, während seiner „Geburt" bei Damaskus symbolisch „gestorben" zu sein, so impliziert dies die Vorstellung, daß er seitdem als Toter, 352 Das Problem der instruktiven These von SELLIN, Auferstehung, 242-251 liegt nach meinem Urteil darin, έκτρωμα im Sinne von „Totgeburt" exklusiv auf das Leben vor der Christuserscheinung zu beziehen. Paulus war danach ein lebendiger Toter, der in seiner Bekehrung und Berufung - so SELLIN, ebd., 250 - durch Gottes Gnade lebendig gemacht wurde. Dieser Deutung steht jedoch entgegen, daß die Metapher in V.8 direkt mit der Damaskusvision selbst verbunden ist, d.h. hier erfolgte der Tod, hierdurch wurde Paulus zum έκτρωμα. 353 Zum Zusammenhang von Tod und Neugeburt in Initiationen vgl. ELIADE, Mysterium, 16f. u.ö. 354 Vielfach wird allerdings erwogen, daß auch die in V.7 genannte Christophanie des Jakobus mit dessen Bekehrung bzw. Initiation in eins fiel (s. nur STROBEL, IKor, 234; WOLF, IKor, 168); die Verwandlung des Paulus vom Verfolger zum Apostel stellt gleichwohl eine ganze besondere Lebenswende dar. 355 Ignatius von Antiochien greift später in ähnlicher Form auf das Bild vom έκτρωμα zurück (vgl. R 9,2). MÖDRITZER, Stigma, 255 erklärt dies auf der Grundlage der von W. LIPP entwickelten Theorie der Selbststigmatisierung. GÜTTGEMANNS, Apostel, 81ff. und BLANK, Paulus, 188 ist in dieser Hinsicht zuzustimmen, wenn sie έκτρωμα mit dem Begriff .Außenseiter" in Verbindung bringen. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht völlig auszuschließen, daß bei der Wortwahl das äußere Erscheinungsbild des Apostels eine Rolle gespielt haben mag. Sein körperliches Auftreten war offenbar sichtlich schwächlich, wie 2Kor 10,10 zeigt. Auch Gal 4,14 oder die Rede vom Pfahl im Fleisch in 2Kor 12,7 sind mögliche Indizien hierfür; vgl. dazu BARRETT, IKor, 391; BOMAN, Paulus, 50.

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eben als Totgeburt existiert. Durch diese abwertende Selbstporträtierung schreibt er sich unverkennbar eine Außenseiterposition zu; als lebende Totgeburt macht er sich gewissermaßen zur liminalen Figur par excellence.356 Solcher liminalen Betonung der Todesbestimmtheit korrespondiert, daß er seine gegenwärtige apostolische Existenz auch an anderen Stellen in seinen Briefen mehrfach als eine vom Tod bestimmte qualifiziert. Nur einige Verse später, in V.31, spricht er bezüglich seiner erlittenen Gefährdungen als Apostel von seinem täglichen Sterben (κα&' ήμ,έραν άπο-θ-νήσκω). Bezeichnend ist ferner IKor 4 9ff 357 j) 0 I t vergleicht er sich und seine Mitstreiter mit Todgeweihten (ώς έπιΰανατίους). Überhaupt ist das Bestimmtsein durch den Tod Christi ein wichtiges Thema in der von der Kreuzestheologie geprägten Korintherkorrespondenz (s. dazu § 9). Es ist von daher nicht in Gänze auszuschließen, daß in der Rede von der Totgeburt das Thema der Konformität mit dem Todesgeschick Christi zumindest latent mitschwingt. In jedem Fall charakterisiert sich der Apostel mittels der Wendung ώσπερεί τω έκτρώματι als eine durch den Tod gezeichnete und von daher - zumal in Anbetracht des alttestamentlichen Gebrauchs der Vokabel (s. oben) - letztlich unwürdige und unreine Person. Darin ist er durchaus dem Gekreuzigten ähnlich.358 Entscheidend ist nun in alledem, daß der Apostel laut IKor 15,8-10 gerade als solche Totgeburt, als stigmatisierte Person, Werkzeug göttlichen Handelns ist. Die Pointe der Verse liegt ja darin, daß ausgerechnet in ihm, der einem 356 Vergleicht man eine gewöhnliche Geburt mit einer Fehlgeburt, so liegt einer der Unterschiede darin, daß die Fehlgeburt in jeder Beziehung formlos bleibt. Sie fällt nicht nur kurzfristig, sondern langfristig, ja dauerhaft aus den üblichen Klassifizierungsrastern heraus und bezeichnet insofern ein andauernd ambivalentes Wesen, ein Wesen en marge. Der nicht genau zu definierende Status, d.h. der liminale Charakter des Neugeborenen, bleibt sozusagen erhalten. Die Fehlgeburt ist somit ein vorzügliches Symbol für „permanente Liminalität". Vgl. dazu GlLHUS, Gnosticism, 11 Iff., die dies im Blick auf die Geburtsmetaphorik in der gnostischen Mythologie herausstellt und dazu prinzipiell notiert: „In contrast to a normal birth, which has only a passing liminal character, the abortion is permanently ambiguous" (ebd., 111). 357 Auf die Verwandtschaft zwischen IKor 4,9ff. und IKor 15,8 verweisen auch M.M. MITCHELL, Rhetoric, 285 samt A556 und SCHÜTZ, Authority, 105f. Dieser Vergleich mit IKor 4,9ff. scheint mir aufschlußreicher als die unmittelbare Rückbindung des Textes an Gal 1,15, die NICKELSBURG, "Εκτρωμα, 200ff. in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt. NICKELSBURG meint, έκτρωμα spiele direkt auf die dort genannte göttliche Erwählung Pauli im Mutterleib an; daraus leitet er für IKor 15,8ff. folgenden Aussagegehalt ab: „Paul's persecution of the church contradicted that appointment. He was an ektröma with respect to the purpose for which he was appointed from the womb. In spite of this, God revealed the risen Christ to him and made him what he was intended to be from the womb" (ebd., 204). Einen solchen Sinnzusammenhang hätten die korinthischen Leser freilich nur dann verstehen können, wenn sie von Pauli Überzeugung, im Mutterleib auserwählt worden zu sein, gewußt hätten. War das der Fall? In der korinthischen Korrespondenz ist davon sonst nichts zu entdecken. NlCKELSBURGs Behauptung, diese Information sei Teil der Predigt und des Lehrens des Apostel in Korinth gewesen, ist spekulativ. 358

Eine Verbindung zur theologia

crucis stellt auch STROBEL, IKor, 236 her.

Zusammenfassung

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έκτρωμα gleicht, Gott in besonderer Weise agiert. Er, der nicht wert ist, ein Apostel zu heißen, ist ganz und gar von der χάρις τοϋ θεοϋ erfüllt. 359 Diese wirkt gar als handelndes Subjekt dergestalt in ihm, daß seine missionarische Arbeit die der anderen Apostel übertrifft (V.10). Dieser Sachverhalt entspricht dem Initiationsmodell insoweit, als im Kontext von Initiationsprozessen just dem Liminalen, dem Marginalisierten und Unwürdigen, ein besonderes Kraftpotential zugeschrieben wird;360 Tod und Unreinheit, Anomalien und Greuel werden hierbei oft sakralisiert und in den Dienst der Erneuerung gestellt.361 Ich werde in § 9.3 darauf zurückkommen und aufzeigen, wie sehr zumal die Kreuzestheologie von dieser liminalen Inversionslogik bestimmt ist. Hier sei angemerkt, daß in der doppelten Selbstcharakterisierung Pauli als Totgeburt und als Gegenstand des gnadenvollen Wirkens Gottes andeutungsweise wiederum die typisch liminale Melange aus Tod und Leben begegnet, die auch in Phil 3,1 Of. und 2Kor 4,7ff. zu beobachten war. In Niedrigkeit und Tod kann sich schließlich die seinsverwandelnde Gnade Gottes und ihre Auferstehungsdynamis in besonderer Weise durchsetzen.362 Und so ist Paulus ausgerechnet als Totgeburt ein herausragendes Paradigma der göttlichen Transformationsdynamik, in die letztlich alle Christusgläubigen eingeschlossen sind und die in der kommenden Auferstehung - dem zentralen Thema von IKor 15 - ihre Vollendung erfahren wird. Von daher erscheint dann auch die despektierliche Metapher έκτρωμα in einem ganz neuen Licht, nämlich als Symbol liminaler Situiertheit im Kontext eines umfassenden göttlichen Transformationsprozesses.

6. Zusammenfassung Die voranstehende Untersuchung konnte deutlich machen, daß die Anspielungen des Apostels auf seine Damaskuserfahrung in unterschiedlicher Weise die Struktur und Symbolik eines Initiationsprozesses widerspiegeln. Dieser Befund rechtfertigt es, das von Paulus berichtete Geschehen insgesamt mit dem anthropologischen Begriff der Initiation zu belegen. Der Vorschlag hat den entscheidenden Vorteil, daß er zentrale Inhalte der beiden bislang geläufigen Deutungsmuster, nämlich der „Bekehrungs-" wie auch der „Berufungsthese"

3 5 9 H O L L A N D E R / V . D . H O U T , Abortion, 234ff. sehen darin ein Echo des in der prophetischen Tradition verbreiteten Motivs „sufficiency in spite of insufficiency". Danach wollte Paulus den Korinthern zu verstehen geben, „that, like so many prophets before him, he felt wholly insufficient to become God's messenger when he was called by God, but that it was God who nevertheless commissioned him to preach the Gospel" (ebd., 236). 360 Vgl. dazu insbesondere DOUGLAS, Reinheit, 124ff. 361 Vgl. ebd., 207ff.; TURNER, Forest, 97f. u.ö. 362 v g l . SCHÜTZ, Authority, 106: „There is no power of the resurrection without the accompanying weakness and ignominy of death."

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in einem Modell zu integrieren vermag, ohne deren problematische Implikationen übernehmen zu müssen. Mit einer Bekehrung stimmt die Initiationsthese insofern überein, als es in beiden Fällen um eine Transformation der Person geht.363 In der Tat verbindet Paulus mit seiner Damaskuserfahrung, wie vor allem die Analyse von Phil 3 gezeigt hat, eine radikale Separation von seinem bisherigen Leben, die einen grundlegenden Wandel herbeiführt. Dieser Wandel darf nun aber nicht auf einen „cognitive shift" verkürzt werden, wie dies Gaventa mit ihrem Bekehrungsmodell tut.364 Die Transformation, die Paulus in Phil 3 im Kontext seines Damaskuserlebnisses behandelt, beinhaltet zwar unverkennbar auch eine neue Sicht der Dinge, zumal der eigenen Vergangenheit, dennoch zielt sie insgesamt, wie erläutert, auf die Partizipation an Christi Tod und Auferstehung, auf die Gleichgestaltung mit seinem Leib. Nicht also allein „a cognitive shift", sondern vielmehr ein elementarer Status-, ja ein Seinswandel ist es, den Paulus thematisiert. Dies aber deckt sich voll und ganz mit der Wesensart von Initiationen, die ja für gewöhnlich ebenso eine fundamentale Umwandlung von Personen zum Inhalt haben, wobei gerade auch Todes- und Auferstehungssymbolik eine gewichtige Rolle spielen. Die in 2Kor 4,6 anklingende Schöpfungsthematik sowie die Geburtsmetaphorik in Gal 1,15 unterstreichen diesen Aspekt der elementaren Umwandlung und damit den Initiationscharakter des Damaskusgeschehens gleichfalls. Mit Hilfe des Initiationsmodells kann außerdem die problematische Implikation des Bekehrungskonzepts vermieden werden, die Wende des Apostels allzu sehr mit einem Religionswechsel zu assoziieren und Paulus auf diese Weise direkt oder indirekt als Apostaten des Judentums zu qualifizieren, was der allerorts in seinen Briefen spürbaren tiefen Verwurzelung im jüdischen Denken widerspräche und überhaupt dem damaligen Status der christusgläubigen Gemeinden schwerlich gerecht würde.365 Im Bezugsrahmen der vorgelegten Initiationsthese findet nun aber auch das zentrale Anliegen des Berufungsmodells eine Entsprechung, nämlich das der Beauftragung zu einem bestimmten Dienst, hier zur Mission. Nicht nur werden Neophyten während der liminalen Phase in Initiationsprozessen, dem Instruktionscharakter einer Berufung korrespondierend, häufig mit Aufträgen und Aufgaben betraut, die ihrer späteren Aggregation in den neuen Status dienen, nicht nur besitzt die Communitaserfahrung in Transformationsritualen oftmals eine expansive Tendenz, die zu missionarischem Eifer führen kann, vor allem steht uns mit dem oben erläuterten Initiationstypus der „mystischen Berufung" (Eliade) ein Initiationsmodell zur Verfügung, das insbesondere den 363 Ygj dazu 364

auch

(jie Ausführungen oben in Anm. 68.

Ähnlich im übrigen HAACKER, Werdegang, 898, der das Ereignis gleichfalls insbesondere als „Erkenntnisakt" deutet. 365 vgl. dazu oben Anm. 12.

Zusammenfassung

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Bericht in Gal l,15f. - wie aufgezeigt - auszuleuchten vermag. Dieses Modell beinhaltet zumal die Instruktion durch transzendente Wesen in einem außergewöhnlichen Bewußtseinszustand. Die mehrfach aufgewiesenen Anhaltspunkte für eine ekstatische Vision in den übrigen Damaskusberichten fügen sich dem in gleicher Weise ein. Das Initiationsmodell wird überdies dem auffälligen Befund gerecht, daß die behandelten Texte fast durchgängig Taufsprache bzw. Taufvorstellungen enthalten: Taufsprache ist Initiationssprache. Paulus gleicht auf diese Weise seine außerordentliche Erfahrung der Initiation der Christusgläubigen an. So aber können umgekehrt bestimmte Züge der Damaskusinitiation paradigmatische Funktion übernehmen, das heißt, die Transformation des Apostels kann in bestimmten Aspekten zum Exemplum christusgläubiger Existenz werden. Dies gilt vor allem in der Hinsicht, daß der Apostel in Phil 3 und in 2Kor 4 das Leben der Christusgläubigen qua Taufe grundsätzlich in den gleichen Transformationsprozeß eingebunden sieht, der bei ihm in der Damaskuserfahrung wurzelt. Hier wie dort bricht durch den Initiationsakt ein gleichsam sakramental geprägtes Leben an, das in der himmlischen Vollendung dereinst sein Ziel finden wird. So tritt die Initiation des Apostels als Modell für alle Christusgläubigen in Erscheinung. Insofern gehört er, der Heidenmissionar, zu jenen „figures whose personal religious experiences become foundational and formative for religious groups and traditions"366. Hier kommt nun aber auch der Aspekt der permanenten Liminalität zum Zug: Die Initiation wird erst mit der Parusie abgeschlossen, die gegenwärtige Existenz figuriert darum als dauerhaft liminale Situation. Das Damaskusgeschehen eröffnet gewissermaßen - ebenso wie die Taufe der Christusgläubigen - eine längere Schwellenphase, in der Auferstehung, Leben, Leiden und Tod aufs engste ineinander verwoben sind. Das Alte ist prinzipiell vergangen, das Neue aber noch nicht in Gänze verwirklicht. Die Ambiguität dieser Schwellensituation wird wiederum am deutlichsten in Phil 3 und 2Kor 4 faßbar. Freilich bleibt das Damaskusgeschehen trotz der paradigmatischen Konnotationen, die Paulus vor allem in Phil 3 andeutet, in seinem Kern eine außerordentliche Erfahrung, die ihn laut eigenen Aussagen zu einer besonderen Person macht, genauerhin zu einem auch in sozialer Hinsicht liminalen Subjekt. In Gal 1 wird dies an der aus der individuellen Offenbarung abgeleiteten, auffällig betonten Unabhängigkeit des Apostels etwa gegenüber Jerusalem und Petrus ablesbar. Auch die Charakterisierung als letzter Osterzeuge sowie die stigmatisierende Selbstvergleichung mit einer Totgeburt in IKor 15,8 weisen unmißverständlich auf eine Sonderrolle unter den Aposteln hin. Die Singularität der Berufungsinitiation bleibt so trotz der paradigmatischen Auswertung gewahrt und damit auch die Besonderheit seiner spezifischen Aufgabe als Heidenapostel. 366

HURTADO, Convert, 281.

§ 7 Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr Der christologischen Komponente der paulinischen Transformationstheologie kommt eine Schlüsselfunktion zu. Dies wurde im voranstehenden Paragraphen mehrfach ersichtlich, expliziert doch der Apostel, wie erörtert, seine eigene Initiationserfahrung vor Damaskus wie auch die der Christusgläubigen in der Taufe zumal als Einbeziehung in Christi Tod und Auferstehung. Dieser christologische Grundpfeiler des paulinischen Denkens, der auch in den anschließenden Paragraphen noch mehrfach Thema sein wird, soll hier gesondert besprochen werden, und zwar wiederum mit Hilfe des in dieser Arbeit favorisierten ritologischen Auslegungsansatzes. In diesem Zusammenhang ist eine Vorbemerkung angezeigt: Bekanntermaßen liefert uns der Apostel in keinem seiner Briefe eine ausführliche und völlig eigenständige christologische Reflexion. Er setzt die Heilsbedeutung Christi vielmehr als grundsätzlich nicht weiter hinterfragbare Prämisse seiner Argumentation voraus und greift bei der Entfaltung derselben in der Regel auf traditionelle Formulierungen zurück.1 Offenkundig richtet sich sein Interesse nicht so sehr auf eine eigenständige Behandlung des Christusereignisses selbst, sondern auf die Auslegung der Relevanz desselben für sich und seine Gemeindeglieder in der Gegenwart.2 Es wäre nun jedoch völlig verfehlt, der paulinischen Christologie angesichts dieses Umstands jegliche Originalität abzusprechen. Diese offenbart sich vielmehr gerade im Umgang mit der Tradition, d.h. in der bewußten Auswahl und Interpretation, vor allem in der spezifischen soteriologischen Akzentuierung bzw. Einbindung derselben seitens des Apostels. Dieser Prämissen eingedenk, konzentriert sich die folgende Untersuchung auf zwei Stellen im Corpus Paulinum, nämlich auf den sog. Christushymnus in Phil 2,6-11 sowie auf Rom 6,3f. Beide Texte dokumentieren auf je eigene Weise, daß Paulus das Christusereignis als ein Transformationsgeschehen entfalten kann, das der Dynamik und Symbolik ritueller Prozesse folgt. Während der Christushymnus jedoch das ganze Leben Christi als umfassenden Transformationsprozeß vor Augen stellt, thematisiert die tauftheologisch geprägte Argumentation in Rom 6 im besonderen den Schlüsseltransfer am Ende des Lebens Jesu Christi, nämlich dessen Passage vom Tod zur Auferstehung, in die dann qua Taufe jeweils die gesamte Existenz der Christusgläubigen einge1

Vgl. dazu nur BECKER, Paulus, 424f.; EICHHOLZ, Theologie, lOlff.; GOPPELT, Theologie, 391ff.; STUHLMACHER, Theologie I, 285f. 2 Vgl. dazu BECKER, Paulus, 424f.; HÜBNER, Theologie Π, 324f.

Phil 2,6-11: Eine Amtsinitiation

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schlossen wird. Da im Zusammenhang mit der Interpretation des Kreuzes als dominantem Symbol in § 9 noch weitere christologisch relevante Texte samt des ihnen inhärenten Transformationscharakters diskutieren werden (z.B. 2Kor 13,4; Gal 2,19f.; 6,14f.), soll die Besprechung der beiden genannten Textbeispiele an dieser Stelle genügen. Allerdings verdient die soteriologische Dimension der paulinischen Christologie, d.h. das dem Apostel wichtige Thema der Teilhabe der Initiierten an der Christustransformation, noch eine eigene Berücksichtigung. Aus diesem Grund soll am Ende des Paragraphen das für Paulus charakteristische Syntagma „in Christus" untersucht werden. Es wird sich herausstellen, daß es als Ausdruck für die in der Initiation erfahrene und von da aus das Leben der Christusgläubigen in Gänze durchwirkende Christuscommunitas steht. Im Zuge dieser Untersuchung wird es sich nicht vermeiden lassen, im Vorgriff auf § 10 bereits die soziale Dimension der Christusteilhabe mit anzusprechen.

1. Phil 2,6-11: Eine Amtsinitiation Der sog. Philipperhymnus gehört zweifelsohne zu den meistdiskutierten christologischen Texten des Neuen Testaments. Die dazu erschienene exegetische Literatur ist Legion. Trotz des immensen Forschungsaufwands3 konnte in den entscheidenden Fragen bislang kein wirklicher Konsens gefunden werden. Die Urheberschaft,4 die Bestimmung von Zusätzen des Apostels bei Annahme ursprünglich nichtpaulinischer Abfassung,5 Form und Struktur,6 der religions-

3

Vgl. dazu nur R.P. MARTIN, Carmen; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 91-156. Zwar gehen die meisten Exegeten seit LOHMEYERS richtungweisender Untersuchung aufgrund des Sprachstils sowie einiger untypischer Wendungen von vorpaulinischer Verfasserschaft aus (vgl. LOHMEYER, Kyrios, 4-13; ebenso BORNKAMM, Verständnis, 177f.; DEICHGRÄBER, Gotteshymnus, 118-120; GNILKA, Phil, 131ff.; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 93f.; HOFIUS, Christushymnus, 1; U.B. MÜLLER, Phil, 90; MURPHY-O'CONNOR, Anthropology, 26 u.v.a.), doch sind bis in die jüngste Zeit immer wieder begründete Zweifel an dieser Überzeugung laut geworden (s. O'BRIEN, Phil, 198-202; HAWTHORNE, Phil, 78.95; H.I. MARSHALL, Hymn, 120f.; MODRITZER, Stigma, 215 A2; WRIGHT, Climax, 57.98); eindeutig für paulinische Verfasserschaft votiert KLM, Origin, 147-149 (ältere Vertreter dieser Sicht benennen DEICHGRÄBER, Gotteshymnus, 120 A2 und R.P. MARTIN, Carmen, 55 A l ) . 5 LOHMEYER, Kyrios, 8.44—46 schied die Wendung -θανάτου δέ σταυροϋ (V.8c) als paulinischen Zusatz aus (ebenso DEICHGRÄBER, Gotteshymnus, 123; EICHHOLZ, Theologie, 135; GNILKA, Phil, 124; U.B. MÜLLER, Phil, 93.105; WENGST, Lieder, 147 u.v.a.; anders jedoch 4

DIBELIUS, Phil, 8 1 ; HOFIUS, Christushymnus, 3 - 1 7 ; HOOKER, Philippians 2, 163; SCHENK,

Phil, 191; MÖDRITZER, Stigma, 220 A13. G. STRECKER, Redaktion, 70f. führt V.8 in Gänze auf Redaktion zurück). JEREMIAS, Abba, 275.312 wertete zudem die Syntagmen επουρανίων και επιγείων και καταχθόνιων (V.lOc) und εις δόξαν ΰϊοϋ πατρός ( V . l l c ) als paulinische Ergänzungen (ebenso HABERMANN, Präexistenzaussagen, 105; HUNZINGER, Struktur, 148ff.; R.P. MARTIN, Carmen, 36-38; mit Blick auf V . l l c s. auch U.B. MÜLLER, Phil, 110;

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geschichtliche Hintergrund,7 der semantische und theologische Gehalt zentraler Begriffe und Sätze8 sowie die Gesamtdeutung des Textes9 werden nach wie vor äußerst kontrovers diskutiert. Es würde zu weit führen, all die genannten Probleme hier en detail zu behandeln. Im folgenden soll es vielmehr lediglich darum gehen, die dem Text immanente Transformationsdynamik genauer auszuleuchten, um auf dieser Grundlage den christologischen Gehalt des Passus genauer erfassen zu können. Gegenstand der Untersuchung wird dabei der Hymnus in seiner uns vorliegenden Gestalt sein.10 Als Ausgangspunkt soll die häufig vorgetragene These dienen, Phil 2,9-11, der sog. Erhöhungsteil des Hymnus, reflektiere die Aktfolge eines altorientalischen bzw. altägyptischen Thronbesteigungsrituals mit den Elementen der Erhöhung (V.9a), der Präsentation respektive der Proklamation (V.9b) sowie der Herrschaftsübertragung, die hier in Form einer Akklamation der Mächte (V.lOf.) begegne.11 Man wird nun freilich sehr vorsichtig damit sein müssen, E. SCHWEIZER, Erniedrigung, 224 A52; anders EICHHOLZ, Theologie, 136ff.; G. STRECKER, Redaktion, 69f.). HOFIUS, Christushymnus, 3-17 weist die These von Zusätzen gänzlich ab. 6 Insbesondere aufgrund der Entdeckung bestimmter sprechrhythmischer Züge (Dreizeiler nach LOHMEYER, Kyrios, 4ff.; Parallelismus membrorum nach JEREMIAS, Abba, 274ff. 310ff.), des Er-Stils sowie der Häufung von Partizipien ist die Formbestimmung „Hymnus" immer noch weithin anerkannt; extrem umstritten ist freilich die genaue strophische Gliederung (s. zum Diskussionsstand HABERMANN, Präexistenzaussagen, 99-110). SCHENK, Phil, 193f. und KENNEL, Hymnen, 276 lehnen indes die Definition als „Hymnus" gänzlich ab. MÖDRITZER, Stigma, 216 postuliert für Phil 2,6-11 im Anschluß an BERGER das Aufbauschema inschriftlicher Enkomien. Trotz mancher offener Fragen scheint es mir aber aufgrund der genannten sprachlichen Indizien sinnvoll, am hymnischen Charakter von Phil 2,6-11 festzuhalten; so auch U.B. MÜLLER, Phil, 92f.; DEICHGRÄBER, Gotteshymnus, 118f. A4. 7 Vgl. dazu nur die Übersichten über die Vielfalt der Thesen bei HABERMANN, Präexistenzaussagen, 149-156; O'BRIEN, Phil, 193-198; GNILKA, Phil, 138-144 und ERNST, Phil, 75-77. 8 Ich werde im Verlauf der folgenden Analyse darauf jeweils im einzelnen zu sprechen kommen. 9 Die Kontroverse konzentriert sich auf die Alternative einer primär ethischen oder einer überwiegend soteriologischen Deutung; vgl. dazu die Darstellung der Diskussion bei O'BRIEN, Phil, 253-262 und R.P. MARTIN, Carmen, 84-93. 10 Die Frage nach der Herkunft kann hier zurückgestellt bleiben. Mit HAWTHORNE, Phil, 95 läßt sich diesbezüglich festhalten: „... wether or not Paul composed it is unimportant. What is important is that Paul found it compatible with his own ideas about Christ and precisely fit to illustrate what he wished to teach the Philippians ..."; s. auch HOOKER, Philippians 2,152. 11 Vgl. JEREMIAS, Tim, 28f., der sich dabei auf NORDEN, Geburt, 116-128 beruft und das Schema als eine erstarrte Stilform versteht, die auch dann noch fortlebte, als die Thronbesteigungsriten längst nicht mehr praktiziert wurden. Diese Stilform läge neben Phil 2,911 auch lTim 3,16; Mt 28,18-20; Apk 5,5-14 und Hebr 1,5-14 zugrunde; s. dazu auch GNILKA, Phil, 126ff.; EICHHOLZ, Theologie, 146; R.P. MARTIN, Carmen, 242f.; E. SCHWEIZER, Erniedrigung, 65; THÜSING, Per Christum, 47; ROLOFF, lTim, 207; DERS., Offenbarung, 72; GRÄSSER, Hebr, 71; SWETNAM, Jesus, 142-145; vgl. ferner KÄSEMANN, Analyse, 83.86ff.; WENGST, Lieder, 149f. VIELHAUER, Geschichte, 344 wendet das Thronbestei-

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den genauen Ablauf eines ganz spezifischen Rituals in den Versen wiedererkennen zu wollen, noch dazu eines Rituals, dessen Hergang äußerst umstritten und nur schwer rekonstruierbar ist.12 Diese Bedenken ändern jedoch andererseits nichts an der Tatsache, daß sich der Text mit der Namens- bzw. Titelverleihung sowie der Huldigung zweifelsohne einiger grundsätzlicher Inthronisationsmorive bedient.13 Insofern wird man die besagte These zumindest dahingehend aufrechterhalten dürfen, daß Phil 2,6-11 ganz allgemein durch Formelemente einer Herrscherinthronisation geprägt ist. Aus ritologischer Sicht handelt es sich dabei um ein Aggregationsritual. Vor diesem Hintergrund stellt sich dann aber die Frage, ob dem in V.9-11 geschilderten Aggregationsvorgang nicht auch in V.6-8 die Merkmale einer Separations- und einer Schwellenphase vorauslaufen, wie dies für viele gedehnte rituelle Prozesse charakteristisch ist. Ungeachtet aller Versuche, die poetische Strophen- und Versgliederang adäquat zu rekonstruieren,14 läßt sich diesbezüglich zunächst festhalten, daß dem Hymnus inhaltlich offensichtlich ein „Drei-Stufen-Schema" bzw. eine „Drei-Stufen-Christologie" immanent ist:15 (1) Christus war έν μορφή Φεοϋ, (2) er erniedrigte sich, nahm Menschengestalt an, war gehorsam bis zum Tod und (3) wurde von Gott erhöht. Es fällt nun tatsächlich nicht allzu schwer, in diesem dreistufigen „Weg Chrigungsschema auf das Markusevangelium an. Kritisch äußert sich FRIEDRICH, Struktur, 140144. 12 Auf die Problematik, den genauen Hergang des fraglichen altägyptischen Rituals zu eruieren, weisen BONNET, Reallexikon, 396; KEEL, Welt, 234; vgl. auch BARTA, Untersuchungen, 46. HELCK, Rituale, 279 geht noch einen Schritt weiter: „Trotz Versuche ist ein Thronbesteigungs- oder Königsritual nicht nachzuweisen." Für HELCK sind die betreffenden Zeugnisse rein mythologische Darstellungen. Nach BARTA wurden die rituellen Handlungen hingegen erst sekundär mythologisiert (Untersuchungen, 57-60.126-131); vgl. zu dieser Problematik auch die spezielle Kritik an der von NORDEN aufgestellten These eines dreigliedrigen Königsrituals bei FRIEDRICH, Struktur, 144-151. So auch HOFIUS, Christushymnus, 29-34, bes. 30 A35; vgl. ferner SCHENK, Phil, 189. Auf die Proklamation der Titulatur als vermutlichen Bestandteil der ägyptischen Inthronisation verweisen im übrigen BARTA, Untersuchungen, 50-57; BONNET, Reallexikon, 396f.; KEEL, Welt, 243; V.D. WOUDE, Name, 944; zur Huldigung vgl. BONNET, Reallexikon, 396; KEEL, Welt, 247. 14 Vgl. oben Anm. 6. HOOKER, Philippians 2, 157 notiert dazu: „The fact that different scholars produce different poetic structures makes one slightly hesitant about the value of this exercise; I myself have produced six or seven different analyses - and found each of them convincing at the time!" O'BRIEN, Phil, 192 folgert im Anschluß an HOOKERs Bemerkung mit Recht, „that formal considerations, though possibly helpful for interpreting the paragraph, are secondary to material factors. A correct understanding of the hymn is not dependent on its correct versification"; s. zum Thema auch HAWTHORNE, Phil, 77. 15 Vgl. BORNKAMM, Verständnis, 182; ERNST, Phil, 78; ROLOFF, Neues Testament, 251; BÖLD, Gott, 37; s. auch JEREMIAS, Abba, 275f.312f.

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sti"16 neben der „Aggregation" im dritten Teil auch die Phasen der „Separation" und der „Liminalität" in den beiden ersten Teilen auszumachen. Genauer noch läßt sich zeigen, daß die in Phil 2,6-11 dargelegte Statustransformation Christi zum Weltherrscher der Struktur und Symbolik eines ganz speziellen Ritualtypus korrespondiert, nämlich der einer Amtsinitiation.17 Dies soll in einem schrittweisen Durchgang durch den Text näher begründet werden. Zunächst zu V.6: Es gehört wohl zu den schwierigsten Unterfangen neutestamentlicher Exegese, eine allseits befriedigende Interpretation dieses ersten Verses des Abschnitts vorzulegen. Das weite Bedeutungsspektrum der verwendeten zentralen Begriffe (μορφή θεοΰ, άρπαγμός) sowie die Vielschichtigkeit der inhaltlichen Beziehung der drei Zeilen zueinander haben zu einer wahren Flut verschiedenst nuancierter Thesen geführt. 18 Angesichts dieses Umstands kann es hier nur darum gehen, die in dieser Hinsicht für das Verständnis des Hymnus wichtigsten Fragen abzuklären. Speziell über den Sinngehalt des Syntagmas έν μορφή θεοϋ in V.6a ist viel gerätselt worden. Dies rührt daher, daß μορφή im griechischen Sprachgebrauch zahlreiche sehr unterschiedliche Bedeutungen umfaßt.19 Die breite exegetische Diskussion zu diesem Problem läßt sich vereinfacht auf die Alternative konzentrieren, ob man den Begriff in Phil 2,6 eher im Sinn von „Gestalt", „äußerer Erscheinungsform" oder von „Wesen", „Substanz" zu deuten hat. Je nachdem kommt dann die in V.7 geschilderte Entäußerung Christi entweder als „Gestalt-" oder als „Wesenswandel" zu stehen. Beide Lösungen sind jedoch unbefriedigend und werden der Aussageintention m.E. nicht gerecht.20 Achtet man auf die im folgenden Vers begegnende parallele Genitiv16

WENGST, Lieder, 149 spricht von einem „Weglied". Vgl. dazu oben S. 93f. mit Anm. 56 (§ 6.1). 18 Eine Schneise in den Dschungel aus Hypothesen schlägt WRIGHT, Climax, 62-81; zur Bedeutung und Zuordnung der Begriffe μορφή, τό είναι l o a Φεω, ούχ ... ήγήσατο und άρπαγμός stellt er tabellarisch zehn Thesen vor, die in sich z.T. nochmals untergliedert sind. Die Variationsbreite der möglichen Koppelungen dieser Elemente wird hierdurch besonders anschaulich. 19 Vgl. dazu nur BEHM, μορφή, 750-757. 20 Der These von einem rein äußerlichen Gestairwandel (vgl. BEHM, μορφή, 758-760; J. SCHNEIDER, ομοίωμα, 197) steht die Einbettung des Genitivs μορφή θεοΰ in die Wendung έν ... ΰπάρχειν entgegen, die „im Sinne des Bestimmtseins durch etwas zu interpretieren" (GNILKA, Phil, 114) ist, während man eine Gestalt hat (vgl. ebd. sowie KÄSEMANN, Analyse, 68; U.B. MÜLLER, Phil, 94). Zudem impliziert die Wendung μορφή δούλου in V.7b im weitesten Sinn Christi Gehorsam bis in den Tod (s. V.8b), d.h. es ist mehr als ein bloßer Wechsel der Erscheinungsform im Blick. Die am Wesensbegnff orientierte Deutung (vgl. neuerdings wieder HAWTHORNE, Phil, 83f.; weitere Vertreter nennt O'BRIEN, Phil, 207 mit A14) ist andererseits „schon deswegen ausgeschlossen, weil der Hymnus in relationalen Kategorien der Beziehung denkt, nicht in solchen der wesensmäßigen Qualität. Zu beachten ist das adverbiale Ίσα, das die Beziehung zu Gott zur Bestimmung des ursprünglichen Status des Christus wählt" (U.B. MÜLLER, Phil, 95 unter Verweis auf V.6c). Die besagte These gerät überdies zu sehr ins Fahrwasser der späteren „Zwei-Naturen-Lehre". KÄSEMANNs alternative Übersetzung mit „Daseinsweise" (vgl. Analyse, 67; ihm folgen z.B. ELCHHOLZ, 17

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wendung μορφή δούλου (V.7b), so wird ersichtlich, daß dem Hymnus vor allem am Kontrast Gott - Sklave gelegen ist, d.h. am Statusunterschied zwischen Christus vor und nach seiner Erniedrigung. Mit der Antithese von μορφή θεοϋ und μορφή δούλου ist dabei der denkbar größte Gegensatz im Hierarchiegefüge der damaligen Gesellschaft benannt.21 Konkret umschreibt der Terminus μορφή daher an dieser Stelle weder das Wesen oder die Daseinsweise noch bloß die Erscheinungsweise als solche, sondern „die spezifische Gestalt ..., an der Identität und Status hängen"22, wobei μορφή -θεού näherhin „die göttliche Gestalt ,als d. Ausdruck gottheitl. Standes'" meint, μορφή δούλου „die einem Knecht eigene Gestalt als Ausdruck seines Standes"23. Μορφή ist hier folglich als Statusbegriff aufzufassen. In dieser Vokabel deutet sich somit bereits das Thema des gesamten Hymnus an: die Statustransformation Christi.

Separation Die besagte Statustransformation vollzieht sich nun in einem ersten Schritt in der Absonderung bzw. Separation Christi aus seiner μορφή θεοϋ, d.h. aus seinem „gottheitlichen Stand". Sie wird in V.6bc vorbereitet, insofern hier zum Ausdruck kommt, daß Christus nicht auf seiner göttlichen Würdestellung beharrte, eine Stellung, die nach V.6c impliziert, Gott gleich zu sein (τό είναι ίσα ϋεω);24 vielmehr nutzte er seinen hohen Status der Gottgleichheit nicht zum Theologie, 141; GNILKA, Phil, 114; HÜBNER, Theologie Π, 327) ist aufgrund des postulierten gnostischen Hintergrundes problematisch (zur Kritik s. nur O'BRIEN, Phil, 210). Differenzierte Überblicke über diese und weitere Positionen finden sich bei HABERMANN, Präexistenzaussagen, 111-118; HAWTHORNE, Phil, 81-84; O'BRIEN, Phil 206-211. 21 Ich folge hierin einem persönlichen Hinweis von B.J. MALINA. 22

PÖHLMANN, μορφή, 1091.

23

Ebd. unter Zitierung CREMER/KÖGELS; ähnlich E. SCHWEIZER, Erniedrigung, 95f.; HOFIUS, Christushymnus, 57f.; KENNEL, Hymnen, 210 A58; MÖDRITZER, Stigma, 216 A3; U . B . MÜLLER, Christushymnus, 24; DERS., Phil, 95; SCHIMANOWSKI, Weisheit, 330. F ü r

diese Deutung sprechen auch die zentralen Verben des Hymnus (κενοΰν, ταπεινοϋν, ύπερνψοΰ-ν), die jeweils Statusimplikationen tragen (vgl. KENNEL, Hymnen, 212-216; Näheres dazu s. unten). Die häufig vorgetragene Kritik, es gäbe in der griechischen Literatur keinen Beleg für den Gebrauch von μορφή im Sinn von „Status" (vgl. nur HAWTHORNE, Phil, 83; GNILKA, Phil, 113f.; s. dagegen ebd., 117), hat inzwischen R.P. MARTIN, Carmen, xx mit einem Hinweis auf Tob 1,13 überholt. 24 Die Wendungen δς έν μορφή Φεοϋ ύπαρχων und τό είναι Ίσα ·θεω müssen aufeinander bezogen werden. Dies liegt allein schon aus grammatikalischen Gründen nahe: Die Funktion des Artikels in der Infinitivkonstruktion τό είναι κτλ. ist es nämlich, auf zuvor Erwähntes zurückzuverweisen (vgl. B L A S S / D E B R Ü N N E R / R E H K O P F , Grammatik, § 399.1). Das „Gott-gleich-Sein" von V.6b expliziert daher die Rede von der μορφή θεοϋ in V.6a (ebenso HAWTHORNE, Phil, 84; WRIGHT, Climax, 83; O'BRIEN, Phil, 216); auch V.6c ist insofern als Statusaussage zu nehmen (vgl. GNILKA, Phil, 117; U . B . MÜLLER, Phil, 95; SCHENK,

Phil, 189).

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persönlichen Vorteil aus (diese Vorstellung dürfte hinter der schwierigen Wendung οΰχ άρπαγμόν ήγησατο stehen25). Dieser Verzicht widerspricht der herkömmlichen Vorstellung von Herrschaft, speziell der eines Despoten, der seine Position zum persönlichen Profit ausschlachtet.26 Ja, eine solche Abwiesung statusbedingter Vorteile und Möglichkeiten hat mithin eine stark antistrukturelle Komponente: Christus zieht aus seiner privilegierten, exklusiven Statusposition keinen privaten Nutzen, sondern gibt sie letztlich in Gänze auf. Mit Recht hat Käsemann in diesem Zusammenhang auf den Ausdruck ζημίαν ήγέίσθαι aus Phil 3,7 als Parallele hingewiesen.27 Die analoge sprachliche Formulierung basiert auf einem vergleichbaren Vorgang: So wie Paulus seine jüdischen Vorzüge nach seiner Selbstaussage in Phil 3 als ζημία ablehnt, sie nicht länger als Gewinn betrachtet, um daraus Profit zu schlagen,28 so nutzt Christus hier seinen gottheitlichen Status nicht für sich aus und verzichtet schließlich auf ihn. Freilich handelt es sich nur um eine formale Entsprechung, denn die Ausgangsposition des Apostels und diejenige Christi lassen sich nicht wirklich parallelisieren, schließt doch die in Phil 2,6 thematisierte Würdeposition Christi präexistenten Status ein. Dies hegt insofern nahe, als der offensichtüche Gegensatz zwischen ος έν μορφή θεοϋ υπάρχων (V.6a) und έν όμοιώματι άν&ρώπων γενόμενος (V.7c) sowie die explizite Formulierung και σχήματι ευρεθείς ώς (sic!) άνθρωπος (V.7d) nur schwer erklärbar wären, würde der Hymnus ausschließlich vom irdischen Jesus sprechen.29 Dennoch, die 25 Das Substantiv άρπαγμός darf nicht isoliert untersucht und interpretiert werden. Um V.6b angemessen zu verstehen, muß man das Syntagma άρπαγμόν ήγεΤσθαι als Ganzes deuten. In Fortsetzung der Arbeit von W. JAEGER hat HOOVER aufgewiesen, daß die enigmatische Wendung auf einem griechischen Sprichwort fußt, das soviel bedeutet wie „to regard something to be used for one's own advantage" (vgl. Harpagmos, 118). HOOVER fährt ebd. fort: „... in every instance which I have examined this idiomatic expression refers to something already present and at one's disposal. The question ... is not wether one possesses something, but wether or not one chooses to exploit something." Das aber heißt, daß sich das Idiom genau genommen weder auf eine res rapienda, res rapta oder res retienda bezieht (s. dazu HABERMANN, Präexistenzaussagen, 120-122; O'BRIEN, Phil, 212-215; R.P. MARTIN, Carmen, 134-148), sondern primär auf die Haltung, die man gegenüber einer im eigenen Besitz befindlichen Sache einnimmt; vgl. dazu WRIGHT, Climax, 78. Auf die sprichwörtliche Bedeutung rekurrieren auch FOERSTER, άρπαγμός, 472f.; GNILKA, Phil, 116; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 122-125; R.P. MARTIN, Carmen, xxii,143f.; O'BRIEN, Phil, 214-216. 26 Vgl. WRIGHT, Climax, 83; ähnlich O'BRIEN, Phil, 216. 27 Vgl. KÄSEMANN, Analyse, 70; s. dazu auch R.P. MARTIN, Carmen, 145f.; PERKINS, Philippians, 94. 28 Es sei hier betont, daß Paulus damit keineswegs das Judentum per se ablehnt; vgl. dazu Anm. 77 in § 6.1 (S. 98). 29 Für das Vorliegen der Präexistenzvorstellung votieren ebenso U.B. MÜLLER, Phil, 96; O'BRIEN, Phil, 263-268; HABERMANN, Präexistenzaussagen, llOff., bes. 156f.; HÜBNER, Theologie Π, 327ff.; HURTADO, Pre-existence, 744f.; SCHIMANOWSKI, Weisheit, 328-336; WANAMAKER, Son, 179-191; WRIGHT, Climax, 90-97. Bestritten wird dies u.a. von DUNN, Christology, 114-121 und MURPHY-O'CONNOR, Anthropology, 30ff. (weitere Vertreter bei HABERMANN, Präexistenzaussagen, 141-147; s. auch R.P. MARTIN, Carmen, 63-66). Es sei

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jeweilige Hauptintention in Phil 2,6 und Phil 3,7f. ist vergleichbar: Hier wie dort geht es um eine Absonderung bzw. Separation aus einer Statusposition. Diese Separation Christi wird dann in Phil 2,7a mit der Wendung εαυτόν έκένωσεν konkret auf den Begriff gebracht. Das Verb κενοϋν meint wörtlich „sich entleeren", ist an dieser Stelle aber wohl metaphorisch zu verstehen im Sinne von „sich entmachten", sich „arm machen".30 Dabei dürfte die Inkarnation im Blick sein, die hier zumal als Statusaufgabe zu stehen kommt: Christus entledigt sich seiner gottheitlichen Würdestellung und nimmt freiwillig einen ohnmächtigen, ärmlichen Status an.31 Die Separation führt somit in eine typische Schwellenphase, die der irdische Christus bis zu seiner Erhöhung (V.9ff.) durchschreitet. Die irdische Existenz ist insofern für Christus - wie für Paulus und die Christusgläubigen generell (s. § 6) - „liminale Existenz".

Liminalität Die Schwellenphase der Transformation Christi wird in V.7f. näher erläutert.32 Die hier verarbeiteten Themen und Motive, nämlich der ,Sklavenstatus', die .Erniedrigung', der ,Gehorsam' und der ,Tod' decken sich jedenfalls auffallend mit den klassischen liminalen Symbolen. Genauer noch gehören sie zu den Charakteristika bei Amtseinsetzungsritualen.33 Um dies zu belegen, er-

hier notiert, daß selbst dann, wenn man den Präexistenzgedanken negiert und V.6 auf den irdischen Jesus bezieht, das implizite Drei-Phasen-Schema des Hymnus gewahrt bleibt. Die Entäußerung bzw. Separation wäre dann gleichsam „innerweltlich" gedacht. Andererseits ist freilich die Ablehnung des Präexistenzgedankens neben den oben genannten Aspekten schon deshalb zweifelhaft, weil sie allermeist dazu führt, eine letztlich den Aussagen des Hymnus nicht eindeutig entnehmbare Adam-Christologie in den Text einzutragen und μορφή ohne zwingenden Grund als Synonym für είκών (LxxGen l,26f.) zu lesen; Näheres dazu samt Kritik bei O'BRIEN, Phil, 263ff.; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 1 Π Ι 16.141-147. 30 Vgl. HOOKER, Philippians 2, 162 samt A19, die Rom 4,14; IKor 1,17; 9,15; 2Kor 9,3 als Belege für diesen metaphorischen Gebrauch angibt; s. auch HOFIUS, Christushymnus, 5 9 f . ; R . P . MARTIN, C a r m e n ,

1 9 4 ; U . B . MÜLLER, P h i l , 9 6 ; O'BRIEN, P h i l , 2 1 7 ; SCHI-

MANOWSKI, Weisheit, 332f.; WRIGHT, Climax, 84. 31 Auf die Statusimplikationen des Verbs κενοϋν weisen Louw/NLDA, Lexicon, 740 (87.70) mit ihrer Umschreibung: „to completely remove or eliminate elements of a high status or rank by eliminating all privileges or prerogatives associated with such status or rank"; vgl. auch KENNEL, Hymnen, 212 samt A63. 32 Die Wendung εαυτόν έκένωσεν hat zwar die Inkarnation im Blick, doch darf sie, wie HOFIUS, Christushymnus, 60 richtig bemerkt, nicht ausschließlich darauf bezogen werden: „Sie blickt vielmehr auf den ganzen Weg des Gottgleichen in die Tiefe" und hat insofern nicht nur die Menschwerdung, sondern auch das Menschsein Jesu mit im Auge. Dies gilt ebenso für die folgenden Partizipialformulierungen, die das Syntagma näher explizieren; anders jedoch z.B. BORNKAMM, Verständnis, 179.181f. 33 PRICE, Funerals, 103 macht darauf aufmerksam: „Royal rituals generally spring from rites of passage current in a given society ..."

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laube ich mir im folgenden einen in der neutestamentlichen Exegese ungewöhnlichen Weg einzuschlagen und ethnographisches Material aus einem völlig anderen Kulturkreis zur Auslegung heranzuziehen. 3 4 Es handelt sich u m einen Bericht über die liminale Phase einer Häuptlingsernennung in Afrika, den Victor Turner in seinem Buch „The Ritual Process" vorgelegt hat. Turner berichtet: 3 5 Die liminale Phase des rituellen Prozesses beginnt damit, daß eine Seklusionshütte außerhalb des Dorfes gebaut wird, die den Namen kafu oder kafwi besitzt. Diesen Namen leiten die Ndembu von ku-fwa, „sterben", ab. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß das künftige Oberhaupt in dieser Hütte als normales Gruppenmitglied sterben, d.h. seinen vorherigen Status verlieren wird. Der angehende Häuptling wird dazu mit seiner Frau in diese Hütte geführt. Er trägt dabei lediglich ein zerlumptes Lendentuch, ein Symbol der Armut, muß eine „Scham- (nsonyi-) oder Demutshaltung" einnehmen und Waschungen über sich ergehen lassen. Es folgt der Kumukindyila-Ritus. Das Wort kumukindyila heißt soviel wie „böse oder beleidigende Worte gegen ihn erheben". Der designierte Häuptling wird dementsprechend vom Ritualleiter und anderen Teilnehmern verbal erniedrigt, wobei dieser die Beleidigungen in der besagten Demutshaltung, d.h. schweigend und mit gesenktem Kopf, über sich zu ergehen lassen hat. Turner hebt in diesem Zusammenhang hervor, daß viele Informanten ihm erklärt hätten, der Häuptling sei „am Abend vor seinem Amtsantritt wie ein Sklave (ndung'u)". Dem korrespondiert überdies, daß er während des rituellen Prozesses niedere Arbeiten verrichten muß, wie etwa Feuerholz sammeln u.ä. Wichtig ist auch hier wiederum: Der angehende Herrscher darf diese Erniedrigungen niemandem übelnehmen, sie auch später keinem seiner Peiniger vorwerfen. Worin liegt aber der Sinn all dieser rituellen Handlungen? Weshalb wird die künftig höchste politische Autorität des Stammes in der liminalen Phase der Amtsinitiation wie ein Sklave behandelt? Turner spricht hier von einer „Pädagogik des Schwellenzustands"; es werde damit darauf gedrungen, daß das hohe Amt nicht als Mittel zur persönlichen Bereicherung, zum persönlichen Vorteil mißbraucht werden dürfe, sondern zum Nutzen und Wohl aller, der ganzen Dorfgemeinschaft zu gereichen habe. All die genannten Elemente, die vor der eigentlichen Amtseinsetzung ihren Ort haben, nämlich die Separation vom vorherigen Status (hier qua Seklusionshütte), das Moment des (symbolischen) Todes, der Aspekt der Erniedrigung, die Demutshaltung und der unbedingte Gehorsam, die Sklaventhematik, schließlich auch der Gesichtspunkt, daß sich die Gemeinschaft qua Erniedrigung des Initianden der Ernennung eines nicht auf seinen eigenen Vorteil bedachten Oberhauptes versichern will, finden sich im Grundsatz mehr oder weniger auch in Phil 2 wieder: Vor seiner Installation als Weltherrscher (V.9-11) vollzieht Christus zunächst die Separation aus dem präexistenten Status der 34 Zur Verwendung ethnographischen Materials aus anderen Kulturen vgl. die grundsätzlichen Überlegungen in § 2; s. ferner speziell zu Phil 2 WOLANIN, Rites, 59. 35 Vgl. zum folgenden TURNER, Ritual, 97-105.

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Gottgleichheit,36 er durchläuft sodann eine liminale Phase, in der er den Status eines Sklaven annimmt, einem Menschen gleich wird, sich erniedrigt und gehorsam bis zum Tod ist. Der Liminalität im Amtseinsetzungsritual vergleichbar liegt dabei dem Hymnus in V. 7f. insbesondere an der Demut und am Gehorsam Christi. Auf diese Weise wird untermauert, was gleich zu Beginn des Hymnus auch explizit formuliert ist, nämlich daß Christus seinen privilegierten Status nicht zum persönlichen Gewinn ausnutzte (V.6bc). Ebenfalls in einer gewissen Analogie zum beschriebenen Ritual zielt das im Hymnus dargestellte Geschehen auf das Wohl der Menschen, denn bei aller Diskussion um den ethischen Charakter des Textes läßt sich doch kaum übersehen, daß dieser zugleich eine dramatische Ausgestaltung des in Christus realisierten Heilsgeschehens einschließt.37 Rein formal gesehen besteht der Hauptvergleichspunkt sodann darin, daß die jeweils anvisierte Statuserhöhung in beiden Fällen erst aufgrund der vorauslaufenden Erniedrigung während der liminalen Phase möglich wird. Dieser unkonventionelle kultur- und zeitübergreifende Vergleich legt somit offen, daß der Hymnus in seiner Grundstruktur und zumal in V.7f. von der universalen Symbolik ritueller Liminalität durchdrungen ist. Er bestätigt dabei eine Grundthese Turners zur Dynamik ritueller Transformationen, nämlich: „Der Übergang von einem niederen zu einem höheren Status erfolgt durch das Zwischenstadium der Statuslosigkeit."38 Diesen ritologischen Grundsatz untermauern Statustransformationshandlungen in zahlreichen anderen Kulturen,39 in denen der liminale Schwellenzustand gleichfalls „... impliziert, daß es kein Oben ohne das Unten gibt und daß der, der oben ist, erfahren muß, was es bedeutet, unten zu sein"40. So gesehen durchläuft Christus in Phil 2,7f. eine durchaus typische liminale Phase. Aus dieser Perspektive ist zu den einzelnen Aussagen in V.7f. in aller Kürze folgendes zu sagen: Die Rede von der μορφή δούλου in V.7b ist metaphorisch zu deuten und be36 Daß Christus dem Hymnus zufolge bereits vor der Schwellenphase und der folgenden Installation einen Würdestatus besitzt, entspricht durchaus den Charakteristika eines Amtseinsetzungsrituals. Der künftige Häuptling oder König ist schließlich in der Regel nicht irgend jemand, sondern eine durch besondere Fähigkeiten oder Deszendenz zu diesem Amt prädestinierte Person, die insofern bereits von Anfang an einen herausgehobenen Status innehat; vgl. dazu nur den Bericht von D u CHAILLUS bei TURNER, Ritual, 163. 37 Die Kontroverse darüber, ob der Hymnus ethisch oder soteriologisch zu verstehen sei (vgl. dazu oben Anm. 9), ist eine der vielen falschen Alternativen, die an den Text herangetragen wurden. HOOKER, Philippians 2, 156 schreibt mit Recht: „As so often happens, it seems that an unnecessary antithesis has been set up by interpreters, between a rather superficial interpretation of Pauline ethics on the one hand - an interpretation implying that Christian behavior is simply a case of following Jesus - and on the other hand the conviction that the passage is to be understood only as a recital of saving acts, to which the Church responds in adoration. What in fact we have is a typically Pauline fusion of these two themes." 38 TURNER, Ritual, 97. 39 Vgl. nur ebd., 104.163. 40 Ebd., 96f.

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zieht sich darauf, daß Christus mit seiner Statusaufgabe (εαυτόν έκένωσεν [V.7a]) alle Rechte und Ansprüche seiner vormaligen gottgleichen Stellung verloren hat - inklusive des Rechts auf das eigene Leben, wie später V.8bc zeigt. Die Wendung μορφήν δούλου λαβών ist mit anderen Worten „eine Metapher für eben jene Ohnmacht und Schmach ..., in die sich Christus mit dem Verzicht auf seine göttliche Macht und Herrlichkeit hineinbegeben hat"41. Als Assoziationshintergrund ist dabei an die real existierende Sklaverei der damaligen Gesellschaft zu denken;42 ein Bezug auf den Gottesknecht aus Jes 53, das Motiv vom leidenden Gerechten oder die hellenistische Vorstellung von der Verknechtung des Menschen unter kosmische Mächte ist vom Text her nicht angezeigt 43 Sklave zu sein heißt hier zuvörderst, keinen anerkannten Status zu besitzen, vogelfrei zu sein, eine Existenz im reinen Dienst für andere zu führen und letztlich als ausgegrenzte, liminale Figur zu existieren.44 Der Annahme des Sklavenstatus, d.h. dem Verlust des vormaligen präexistenten, gottgleichen Status, korrespondiert die Annahme des Menschseins (V.7cd). Für den Präexistenten stellt diese eine Reduktion dar. Der Vorgang entspricht annähernd der liminalen Reduktion von Initianden auf eine Art menschliche prima materia.45 Auffällig ist die Doppelung des Gedankens der Menschwerdung, die wohl als synthetischer Parallelismus zu deuten ist, wobei der entscheidende Gedankenfortschritt im Gegenüber von ανθρώπων - άνθρωπος und γενόμενος - ευρεθείς liegt: „Vom Menschgewordenen im allgemeinen (deshalb Plural!) leitet der Gedanke über zur Identifikation des einen geschichtlichen Menschen."46 41 HOFIUS, Christushymnus, 61; vgl. HABERMANN, Präexistenzaussagen, 132f.; U.B. MÜLLER, Phil, 97.99f.; O'BRIEN, Phil, 223f. 42 Vgl. MOULE, Reflexions, 268; HOOKER, Philippians 2, 162; O'BRIEN, Phil, 223f.; PETERLIN, Letter, 67; s. auch MÖDRITZER, Stigma, 219ff. 43 Vgl. dazu JEREMIAS, παις, 708 und LOHMEYER, Phil, 94 (Bezug auf Jes 53); E. SCHWEIZER, Erniedrigung, 97f. (Bezug auf den leidenden Gerechten; s. dazu ebd., 21-33); KÄSEMANN, Analyse, 74; BORNKAMM, Verständnis, 181; EICHHOLZ, Theologie, 142; GNILKA, Phil, 120 (Bezug auf die Verknechtung durch Mächte). Zur Kritik an den Thesen s. O'BRIEN, Phil, 218-223; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 13lf.; HOFIUS, Christushymnus, 61f. 44 Nach D.B. MARTIN enthält die antike Sklaventerminologie nicht nur Konnotationen der Erniedrigung und Machtlosigkeit. Da Sklaven nach der Freilassung zumindest die Chance eines sozialen Aufstiegs besessen hätten - wie bescheiden dieser auch immer gewesen sein mag - , umgreife die Sklavenmetaphorik bei Paulus eben auch das Bedeutungsmoment des Aufstiegs und der Erhöhung. Martin wörtlich: „... precisely because the social institution of slavery carried different connotations in different contexts, references to slavery could represent self-abasement as well es upward mobility and access to high status" (Slavery, 132). Folgt man dieser Sichtweise, so könnte man in Phil 2,7a evtl. bereits die Möglichkeit einer künftigen Erhöhung mit konnotiert sehen. Der zweideutige, liminale Charakter der Sklavenmetaphorik wird so nur noch deutlicher; speziell zu Phil 2 vgl. ebd., 130f. 45 Vgl. dazu TURNER, Ritual, 162.102f.; Forest, 98. 46 U.B. MÜLLER, Phil, 102f. im Anschluß an GNILKA, Phil, 121; s. auch HABERMANN, Präexistenzaussagen, 134 sowie O'BRIEN, Phil, 226 (trotz anderer Gliederung). U.B. MÜLLER, Phil, 103 verweist zusätzlich auf,,... die Schwierigkeit des Verfassers, der angesichts

Phil 2,6-11: Eine Amtsinitiation

169

Die Kenosis Christi (V.7a: εαυτόν έκένωσεν) wird dann in V.8a mit der Aussage von der Selbsterniedrigung (έταπείνωσεν εαυτόν) fortgeführt. Diese selbstgewählte Demütigung besiegelt gewissermaßen die Statusaufgabe des Gottgleichen;47 sie konkretisiert sich schließlich in V.8b im Gehorsam bis zum Tod (γενόμενος υπήκοος μέχρι θανάτου). Bezeichnenderweise enthält die Rede vom Gehorsam kein Objekt. Gleichwohl wurde gemutmaßt, es ginge an dieser Stelle um Christi Gehorsam gegenüber Gott.48 Wahrscheinlicher aber ist, daß die Frage nach dem Adressaten des Gehorsams bewußt ausgeblendet ist, um den Blick auf die Gehorsamshaltung Christi an sich zu lenken 49 Vergleichbar der Ausrichtung des beschriebenen Amtseinsetzungsrituals auf die grundsätzliche Gehorsamshaltung des Amtsanwärters, die als Garant für die künftige Loyalität gilt, ist wohl auch hier nicht ausschlaggebend, „wem Christus in seiner Selbstdemütigung als Mensch ... gehorcht, sondern ... das Faktum, daß er gehorcht, ... die Haltung der Unterwerfung und Abhängigkeit, in die er sich begibt. ,Er ward gehorsam' blickt zurück auf das Annehmen der Knechtsgestalt V 7 und insofern, nur darum, vorwärts auf die Proklamation der κυριότης (der ,Kyriosherrlichkeit') V II." 50 Der Gehorsam gipfelt (μέχρι51) am Ende in Christi Tod, der in diesem Zusammenhang nicht im Licht seiner Heilsbedeutung thematisiert wird, sondern als tiefster Punkt der Erniedrigung erscheint.52 Die Anadiplosis θανάτου δε σταυροϋ in V.8c spitzt diesen Aspekt noch zu, ist der Tod am Kreuz doch vor allem Verbrechern und sozial Ausgegrenzten vorbehalten; θανάτου δέ σταυροΰ konnotiert von daher im besonderen Schande wie auch Ohnmacht und kommt so als Ausdruck größter Erniedrigung zu stehen (Näheres dazu in § 9.2).53 Der der antiken Vorstellung der Epiphanie eines Gottes, dessen Annahme einer anderen Gestalt nur eine Verkleidung bzw. Verhüllung darstellt, die die göttliche Identität unberührt läßt, den Gedanken sichern will, daß die Selbstentäußerung des Gottgleichen zu einem realen Menschsein geführt hat". 47 Auf die Statusimplikationen des Verbs ταπει-voüv weisen LOUW/NlDA, Lexicon, 740 (87.62) mit ihrer Übertragung: „to cause someone to be in a low status"; vgl. KENNEL, Hymnen, 213 A70; s. auch MÖDRITZER, Stigma, 221f. und seine Deutung als Selbststigmatisierung. 48 Vgl. MICHAELIS, Phil, 39. HAWTOORNE, Phil, 89 geht noch einen Schritt weiter und meint, „... he [sc. Christ] set himself not only to obey God but also to serve humankind"; s. auch HOFIUS, Christushymnus, 63. 49 So mit Κ. BARTH, Erklärung, 59; R.P. MARTIN, Carmen, 216; O'BRIEN, Phil, 239. 50 K. BARTH, Erklärung, 59. 51 Vgl. O'BRIEN, Phil, 229f: „μέχρι here is used as a proposition of degree or measure, not merely of a temporal goal, that is, as long as he lived"; s. auch GNILKA, Phil, 123; U.B. MÜLLER, Phil, 105. 52 Vgl. Ε. SCHWEIZER, Erniedrigung, 97 sowie Κ. BARTH, Erklärung, 59 (unter starker Betonung des Inkarnationsgedankens); GNILKA, Phil, 123f.; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 135; KÄSEMANN, Analyse, 81; U.B. MÜLLER, Phil, 105; DERS., Christushymnus, 32f.; O'BRIEN, Phil, 229ff.; anders HAWTHORNE, Phil, 89. 53 Vgl. HOFIUS, Christushymnus, 63: „Das Kreuz als das Zeichen äußerster Ohnmacht und ärgster Schande macht den Verzicht Jesu auf seine göttliche Macht und Herrlichkeit in

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Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

Tod am Kreuz ist insofern das sprechendste Symbol für den Zustand absoluter Statuslosigkeit; aus ritologischer Perspektive figuriert er als Initiationstod. Bemerkenswert ist die im Hymnus mehrfach betonte Freiwilligkeit Jesu in all den explizierten Handlungen. Besonders greifbar tritt sie in dem zweimaligen Gebrauch des Reflexivpronomens έαυτόν in V.7a und 8a zutage: Jesus wird auf diese Weise nachdrücklich als selbständig Agierender vorgestellt.54 Dennoch trifft auch hier zu, was für Initianden in Passageriten generell gilt: Christus liefert sich gänzlich einer bestimmten Situation aus und übernimmt darin eine ausgesprochen passive Existenz. Denn nichts anderes deuten das Motiv des Gehorsams und die Sklavenmetaphorik, aber auch die Rede von der „Entleerung" (κενοϋν) und der „Erniedrigung" (ταπεινοΰν) an. Zwar handelt Christus aus eigener Kraft, aber die Stellung, in die er sich begibt, ist ein passive. Den Initiationsprüfungen der rituellen Liminalität vergleichbar, praktiziert er Selbsthingabe. In dieser Hinsicht ist Käsemann zuzustimmen, wenn er gerade dem Gehorsamsmotiv eine wichtige Bedeutung für den Hymnus beimißt und die Essenz des Hymnus auf die Formel von der „Inthronisation des Gehorsamen" bringt.55 In der Wendung verdichtet sich die typisch liminale Passivität und Demut als Voraussetzung der kommenden Statuserhöhung. Allerdings schießt Käsemann über das Ziel hinaus, wenn er den Gehorsam zum zentralen Hauptthema des gesamten Hymnus macht und von der „Manifestation" bzw. „Epiphanie des Gehorsamen" als eschatologischem Ereignis spricht.56 Der Hymnus findet seinen Höhepunkt nicht schon im Gehorsam, sondern in der Aggregation in V.9-11, 57 die es nun zu betrachten gilt.

Aggregation

Mit V.9 betritt Gott als Handlungssubjekt die Bühne. Am tiefsten Punkt der Selbsterniedrigung des Menschgewordenen greift er ein und kehrt die bisherige absteigende Dynamik um, indem er Christus erhöht und ihn zum Kosmoseinem ganzen Ausmaß und eben damit die wahre Dimension der .Knechtsgestalt' offenbar." 54 Zur zweifellos vorhandenen aktiven Komponente in den durch Liminalität gekennzeichneten Versen 7f. läßt sich anmerken, daß TURNER, Theater, 63 selbst einräumt, daß vor allem langgestreckte Passageriten oft aktive Elemente enthalten. 55 KÄSEMANN, Analyse, 95; s. ferner ebd., 79-81. 56 Vgl. ebd.; ähnlich BORNKAMM, Verständnis, 182; EICHHOLZ, Theologie, 143-145. 150. Zur Kritik s. WENGST, Lieder, 149 A24: „Die Erhöhung hat zwar ihren Grund in der Erniedrigung, aber daraus folgt nicht, ,daß die Manifestation des Erniedrigten und Gehorsamen das eigentliche eschatologische Ereignis war' (Käsemann, Analyse 79). Die Hauptsache, für die die Erniedrigung Voraussetzung war, folgt erst noch"; vgl. femer SCHENK, Phil, 200f. 57 Vgl. DIBELIUS, Phil, 81; WENGST, Lieder, 149. U.B. MÜLLER, Phil, 110; HAWTHORNE, Phil, 93 und HÜBNER, Theologie Π, 327.336 werten die Kyrios-Akklamation in V. 11 als Höhepunkt.

Phil 2,6-11: Eine Amtsinitiation

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krator einsetzt. Aus ritologischer Sicht betrachtet bedeutet das: Der Initiationsprozeß kommt nun in V.9-11 zu seinem Ende: Christus wird endgültig ein neuer Status verliehen. 58 Die Herrschaftsübertragung - sie manifestiert sich hier speziell in der Namensverleihung - und damit die Verleihung des neuen Status verdankt er dabei ganz allein dem gnadenhaften Wirken Gottes (V.9: έχαρίσατο), das heißt, Christus ist auch in dieser Phase in der für Initianden charakteristischen Weise Objekt, nicht Subjekt des Transformationsgeschehens. Seine Bestätigung findet der Aggregationsakt in der Proskynese und Akklamation der signifikanten Anderen - hier der Dignität eines Kosmokrators entsprechend aller Wesen im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt (V.10) bzw. „jeder Zunge" (V.ll). Der eigentliche Umschlag von der Statuserniedrigung zur Statuserhöhung, der im Text durch das διό κοά in V.9a markiert ist, hat in der Exegese allerdings für einige Diskussion gesorgt: Ist darin nicht doch implizit ein Verdienstgedanke enthalten? 59 Vom ritologischen Standpunkt aus läßt sich dazu folgendes sagen: Die liminale Statuserniedrigung in gestreckten Initiationsprozessen ist stricto sensu kein Verdienst, sondern eine von außen auferlegte Bewährungsprobe des grundsätzlich passiven Neophyten, die als solche allerdings eine unablässige Voraussetzung für die Statuserhöhung im Aggregationsakt darstellt. Die Formulierung des Umschlags von der Erniedrigung zur Erhöhung Christi im Hymnus mittels διό και fügt sich dieser rituellen Initiationsdyamik durchaus ein. Das Vokabular gibt ja vom Wortsinn her („deshalb", „darum") zunächst nur zu verstehen, daß die Erhöhung als Folge, d.h. als Antwort Gottes auf Christi vorherige Bewährung in der liminalen Phase zu nehmen ist; διό weist mit anderen Worten die Erniedrigung Christi als Voraussetzung der anschließenden Aggregationshandlung aus, nicht aber unbedingt als deren verdienstlichen Grund. 60 Traditionsgeschichtlich mag darin im übrigen das biblische Denkschema Erniedrigung/Erhöhung verarbeitet sein, wonach Gott die Erniedrigung eines Menschen seinerseits durch eine Erhöhung beantwortet, ein Schema, das sich zumal im synoptischen Grundsatz Mt 23,12; Lk 14,11; 18,14 z e i g t e Wie ist nun aber der eigentliche göttliche Akt der Erhöhung genau zu fassen? Im Hymnus steht dafür die Vokabel ΰπερυψοΰν. Die meisten Ausleger deuten das Verb im Sinne eines Superlativs bzw. Elativs und sehen darin 58

Zu d e n Statuskonnotationen in V . 9 - 1 1 vgl. nur KENNEL, H y m n e n , 2 1 4 - 2 1 6 .

59

Zustimmend GNILKA, Phil, 125; E. SCHWEIZER, Erniedrigung, 98; ablehnend HABERMANN, Präexistenzaussagen, 135; R.P. MARTIN, Carmen, 231f.; O'BRIEN, Phil, 234; SCHENK, Phil, 2 0 1 . 60 Von einer „Voraussetzung" sprechen ebenso SCHENK, Phil, 201; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 135; ERNST, Phil, 69. 61

V g l . dazu GNILKA, Phil, 125; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 135; HAWTHORNE,

Phil, 90; U.B. MÜLLER, Phil, 106; SCHENK, Phil, 202; s. auch ERNST, Phil, 70; R.P. MARTIN, Carmen, 234; zu weiteren Thesen vgl. HAWTHORNE, Phil, 90f.; O'BRIEN, Phil, 2 3 3 235.

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Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

folglich primär den Gedanken formuliert, Christus sei in die höchste, alle anderen Positionen und Ränge übertreffende Herrscherstellung erhoben worden.62 Nun gilt es aber auch zu beachten, daß der Vers „nicht von einer bloßen Rückkehr Christi in die gottgleiche Stellung des Präexistenten redet, sondern ihm eine neue Stellung gibt"63. Das bedeutet, daß die Erhöhung auch ein „Mehr" im Vergleich zum Status der präexistenten Gottgleichheit mit impliziert. Diese komparativische Komponente paßt erneut zur bislang im Text aufgespürten Initiationsdynamik, die ja speziell bei Amtseinsetzungsritualen in der Regel auf ein „Mehr" in puncto Status und Ansehen hinsteuert. Natürlich ist strenggenommen eine Steigerung des in V. 6 genannten Status der Gottgleichheit unmöglich, nichtsdestotrotz hat sich durch die Erhöhung Christi Stellung gegenüber der Welt verändert, ist er doch erst jetzt - wie die folgenden Verse belegen - faktisch zum Weltherrn eingesetzt und als solcher anerkannt;64 von daher sind eben auch komparativische Konnotationen in ΰπερυψοϋν nicht einfach auszuschließen.65 Nach V.9bc manifestiert sich die Statuserhöhung genauerhin in der Ausstattung mit dem Namen über allen Namen (τό δνομα τό ΰπέρ παν δνομα),66 mit dem vom Kontext her sicherlich auf das Kyriosprädikat angespielt ist, das ja in V . l l b unmittelbar an Jesus Christus gebunden begegnet.67 Da der Name in der Antike nicht nur Differenzkriterium, sondern zugleich Würde- und Wesensbestimmung ist,68 bedeutet die Verleihung des Kyriostitels „that Christ has been given the character of Lord. This is to say, not only does Christ possess the title ,Lord', but he is Lord, the sovereign over the entire universe"69. Auf diesen Erhöhungs- bzw. Inthronisationsakt folgt in V.lOf. unter Rekurs auf LxxJes 45,23 schließlich, wie eben schon erwähnt, die Proskynese und Kyrios-Akklamation des gesamten Kosmos (παν γόνυ, πασα γλώσσα).70 Damit 62 Vgl. GNILKA, Phil, 125; HAWTHORNE, Phil, 91; HOFIUS, Christushymnus, 27; U.B. MÜLLER, Phil, 106; O'BRIEN, Phil, 236; E. SCHWEIZER, Erniedrigung, 98 A389; s. ferner R.P. MARTIN, Carmen, 240ff. Zur Begründung wird meist auf die überwiegend elative Bedeutung von Verben mit dem Präfix ύπερ- bei Paulus sowie auf vergleichbare superlativische Aussagen wie die in LXXPs 96,9 verwiesen; kritisch dazu MURPHY-O'CONNOR, Anthropology, 46. 63 BORNKAMM, Verständnis, 183. 64 Vgl. dazu auch die Überlegungen bei HABERMANN, Präexistenzaussagen, 136; HOFIUS, Christushymnus, 66; HÜBNER, Theologie Π, 330; R.P. MARTIN, Carmen, 241 A3. 65 Vgl. dazu DLBELIUS, Phil, 79; weitere Vertreter einer komparativischen Deutung des Verbs nennt R.P. MARTIN, Carmen, 240 A2. 66 Ebenso U.B. MÜLLER, Phil, 107; O'BRIEN, Phil, 237. 67 Vgl. dazu die ausführliche Begründung bei O'BRIEN, Phil, 238. Ebenso votieren die meisten anderen; vgl. nur R.P. MARTIN, Carmen, 245 A l . 68 Vgl. dazu nur KÄSEMANN, Analyse, 83; GNILKA, Phil, 125f. 69 HAWTHORNE, Phil, 91 (Hervorhebungen im Original); vgl. HABERMANN, Präexistenzaussagen, 136. 70 Die Trias „Himmlische, Irdische und Unterirdische" (V.lOc) deckt den ganzen Raum des Kosmos ab und steht wohl für die überirdischen Geistermächte bzw. Engel, die Men-

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wird die Einsetzung Christi zum Kosmokrator eindrücklich besiegelt; die Aggregation findet ihren Abschluß. Das Verb έξομολογέϊσ&αι meint in diesem Zusammenhang also nicht das persönliche Bekenntnis im Sinne des Ausdrucks gläubiger Erfahrung oder rettender Anrufung, sondern den Rechtsakt, durch den der neue Status Christi qua Aussprache des neuen Namens bzw. Titels gleichsam öffentlich anerkannt wird.71 Die gesamte Aggregationshandlung, Kyrios-Akklamation und kosmosweite Proskynese, ist dabei zudem als eschatologischer Akt zu nehmen, der als solcher allerdings schon in der Gegenwart anhebt und bei der Parusie vollendet wird.72 Daß die Einsetzung Christi zum Kosmokrator indes keine Rivalität gegenüber Gott involviert, sondern ganz im Gegenteil in dessen Absicht liegt und darum zu seiner Ehre gereicht, unterstreicht die abschließende Doxologie (V.l lc). 73

Zwischenfazit

Das Gesagte zusammenfassend, ergibt sich für den Philipperhymnus folgendes Gesamtbild: Der in den sechs Versen entfaltete Weg Christi läßt sich als ein dem dreistufigen Phasenmodell von Passage- bzw. Initiationsriten entsprechendes Initiationsdrama verständlich machen.74 Der Hymnus beschreibt näherhin die Amtsinitiation Christi zum Weltherrscher. In einer für Initiationsprozesse typischen Manier wird dabei die abschüeßende Statuserhöhung durch eine vorübergehende Statusauflösung bzw. Statusinversion in der liminalen Phase erreicht:75 Der Gottgleiche nimmt in dieser Schwellenphase die Position eines Sklaven ein, das heißt, sein hoher Status έν μ ο ρ φ ή θ ε ο ϋ kehrt

sehen auf Erden und die Toten im Hades; so HOFIUS, Christushymnus, 20-25.53-55; HUNZINGER, Struktur, 150-154; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 136; U.B. MÜLLER, Phil, 108f.; O'BRIEN, Phil, 244f.; SCHENK, Phil, 192f. Durchweg auf Geistermächte verweisen hingegen DIBELIUS, Phil, 79; GNILKA, Phil, 128; KÄSEMANN, Analyse, 85f.; R.P. MARTIN, Carmen, 257-265. 71 So mit GNILKA, Phil, 128f.; KÄSEMANN, Analyse, 87; R.P. MARTIN, Carmen, 263f.; U.B. MÜLLER, Phil, 108; THÜSING, Per Christum, 47; s. auch KENNEL, Hymnen, 215; anders jedoch HOFIUS, Christushymnus, 65-67 (vgl. dazu die Kritik bei O'BRIEN, Phil, 247ff.) und SCHENK, Phil, 210. 72 So mit DIBELIUS, Phil, 79.81; KÄSEMANN, Analyse, 86; ERNST, Phil, 72.78; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 136; s. auch GNILKA, Phil, 129f.; SCHENK, Phil, 210f.; anders indes U.B. MÜLLER, Phil, 107; G. STRECKER, Redaktion, 76f.; HOFIUS, Christushymnus, 26f.51-55, die hierin ein rein zukünftiges Geschehen erblicken. Zum Ineinander von Zukunft und Gegenwart bei Paulus s. unten § 8. 73 Die Frage nach dem genauen Bezugspunkt der Wendung εις δόξαν θεοΰ πατρός ist nur schwer zu klären und kann hier offen bleiben; vgl. dazu die Diskussion bei R.P. MARTIN, Carmen, 272ff. und THÜSING, Per Christum, 55ff. 74 Vgl. KÄSEMANN, Analyse, 71: „... ein Geschehen, ein ,Drama' wird hier geschildert, in welchem verschiedene Phasen einander folgen"; s. auch ebd., 80. 75 Vgl. dazu TURNER, Ritual, Kap. 5, bes. 162-164.

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sich um zur niederen μορφή δούλου, wobei diese Inversion dann als Voraussetzung der darauffolgenden Statuserhöhung zum κύριος zu stehen kommt. Die auf den ersten Blick ausgefallene Dynamik des Hymnus gewinnt so gesehen einen plausiblen Deutungsrahmen. In gewisser Hinsicht ist von daher Ernst Lohmeyer zuzustimmen, wenn er von einem universalen Prinzip spricht, durch das der Hymnus in Gänze geprägt sei.76 Er nannte es „das göttliche Gesetz: ,Per aspera ad astra'; oder jüdisch gesprochen: .durch menschliche Niedrigkeit zur göttlichen Hoheit'" 77 . In diesem Gesetz manifestiere sich - so Lohmeyer - zumal die jüdische Erfahrung, daß die von Gott Erwählten leiden müßten, ein Konzept, das in dieser Form erstmals in den Gottesknechtsliedern Deutero-Jesajas zu finden sei.78 Aus ritologischer Perspektive läßt sich das besagte Prinzip als eine der vielfältigen Ausformungen der kulturübergreifenden Initiationsdynamik begreifen. Diese Dynamik begegnet nicht nur in mannigfacher Form in den alttestamentlichen Schriften79, sondern natürlich auch außerhalb der Bibel. Ja, es wäre zu überlegen, ob und inwieweit nicht viele der in der exegetischen Diskussion erwogenen Vorschläge zum religionsgeschichtlichen Hintergrund des Hymnus, vom leidenden Gerechten über den Heraklesmythos und weisheitliche Traditionen bis zum gnostischen Anthroposmythos, zumindest partiell Initiationsmotive enthalten und es nicht zuletzt die im Hintergrund stehende universale Initiationssymbolik und -dynamik ist, die jeweils die wesentlichen Parallelen zum Text schafft. 80 Nicht übersehen werden darf bei alledem freilich, daß als eigentlicher Wurzelgrund des Hymnus ein historisches Ereignis auszumachen ist, nämlich das Leben und der Tod Jesu von Nazareth. Der Hymnus versieht dieses historische Geschehen jedoch mit einer ganz spezifischen Deutung, wobei speziell die dem Text inhärente Initiationsstruktur die Vorstellung evoziert, daß das scheinbar so kläglich am Kreuz gescheiterte Leben Jesu in Wirklichkeit keine 76 Vgl. LOHMEYER, Phil, 93ff.; OERS., Kyrios, 74. Problematisch an LOHMEYERs These ist freilich, daß er allzu sehr dazu neigt, den Hymnus lediglich als Illustration des besagten göttlichen Prinzips zu interpretieren, so daß das Prinzip und nicht Christus zum eigentlichen Thema des Hymnus wird; s. dazu die Kritik bei R.P. MARTIN, Carmen, 233-235. 77 LOHMEYER, Kyrios, 74. 78 Vgl. LOHMEYER, Phil, 93. 79 Vgl. nur COHN, Shape, passim; GORMAN, Ideology, 148; PERDUE, Liminality, passim. 80 Zu den genannten religionsgeschichtlichen Thesen vgl. die in Anm. 7 angeführten Forschungsüberblicke. Um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen sei an dieser Stelle betont, daß sich genaue traditions- bzw. religionsgeschichtliche Untersuchungen angesichts der obigen Ausführungen nicht etwa erübrigen. Zahlreiche Inhalte, etwa der Präexistenzgedanke u.a.m., sind dem Initiationsschema schließlich nicht an sich immanent. Der hier gewählte ritologische Zugang wäre völlig falsch verstanden, wollte man ihn im Sinne einer monokausalen Erklärungsstrategie anwenden. Um die spezifische Ausprägung der Initiationsdynamik in Phil 2,6-11 diachron und kontextuell zu erhellen, sind die besagten klassischen Untersuchungsmethoden selbstverständlich nach wie vor unabdingbar; vgl. auch die Überlegungen in § 2.

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Niederlage war, sondern nur ein Durchgangsstadium, eine Zwischenphase auf dem Weg zur Einsetzung als Kosmokrator. Das bedeutet: Die vermeintliche Unterlegenheit Jesu tritt nicht länger als tatsächliche, sondern als gleichsam strukturelle in Erscheinung. Das Initiationsmuster schafft mit anderen Worten die Plattform dafür, daß das Leben Jesu und sein Tod am Kreuz als liminale Voraussetzung für seine Installation zum Weltherrscher gewürdigt werden können. Jesu irdische Existenz und sein Tod gewinnen so im Hymnus eine wichtige Tiefendimension. Konformität

Zum Schluß sei noch kurz die Funktion des Hymnus diskutiert. Die an sich richtige Beobachtung Käsemanns, das Christuslied gebe ein mehrphasiges, soteriologisch ausgerichtetes Drama wieder,81 sollte nicht dazu verleiten, die paränetische Funktion des Hymnus im Philipperbrief völlig zu leugnen. Diese Funktion ergibt sich allein aufgrund der engen Verbindung mit dem vorausgehenden und nachfolgenden, jeweils paränetisch gefärbten Kontext. So ist der Passus nach vorn mittels des Relativpronomens δς und nach hinten durch die Fortsetzung mit ώστε (V.12) eng an sein Textumfeld gebunden. Stärker noch fällt die Gemeinsamkeit des Vokabulars und das homogene Kolorit der Aussagen ins Gewicht.82 Der Kontext antizipiert bzw. wiederholt mit seiner Aufforderung zu Gehorsam und Demut in V.l-4 sowie in V. 12-18 Hauptthemen des Hymnus und läßt Christus infolge dieser Einbindung zum „verhaltenswirksamen Modell"83 werden. Dabei geht es nun allerdings nicht um eine Imitatio Christi en detail, d.h. um einen Nachvollzug des Schicksals Christi in allen drei dargelegten Phasen. Eine solche Imitatio ist allein schon deshalb unmöglich, weil die Erhöhung zum Kyrios in V.9-11 nur Christus vorbehalten sein kann. Vielmehr zielt Paulus auf Konformität mit Christus.84 Als Fundament dieser Konformität ist zumal mit Hilfe des hier vertretenen ritologischen Textzugangs die elementare Konformität der Transformationsprozesse auszumachen, die Christus und die Christusgläubigen nach Paulus gleichermaßen durchlaufen und über die beide aufs engste zusammengeschlossen sind. Der oben zitierte Grundsatz Turners: „Der Übergang von einem niederen zu einem höheren Status erfolgt durch das Zwischenstadium der Statuslosigkeit"85, findet hier wie dort seine Bestäti81

Vgl. KÄSEMANN, Analyse, 71.80 (s. Anm. 74); s. auch BORNKAMM, Verständnis, 185. Vgl. folgende Parallelen: έταπε'ινωσεν (V.8) / ταπεινοφροσύνη (V.3); ήγήσατο (V.6) / ηγούμενοι (V.3); υπήκοος (V.8) / ύπηκούσατε (V.12). 83 M Ö D R I T Z E R , Stigma, 2 2 4 . 84 Vgl. dazu D A H L , Beobachtungen, 6f.; H O O K E R , Philippians 2, 154-157; K R A M E R , Christos, 137f.; H.I. M A R S H A L L , Hymn, 119; O ' B R I E N , Phil, 262; S C H R Ä G E , In Christus, 35; H A Y S , Crucified, 241; T H Ü S I N G , Per Christum, 51f. 85 Vgl. oben Anm. 38. 82

176

Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

gung. Dabei liegt dem Apostel - wie der Kontext des Hymnus deutlich macht - insbesondere am mittleren Stadium der Statuslosigkeit, der Demut und des Gehorsams, das die Gemeindeglieder wie Christus freiwillig auf sich nehmen sollen. Es ist die liminale Existenz, die Paulus betont. Die These von der Konformität der Transformationsprozesse erhärtet sich noch, berücksichtigt man die in der Exegese wiederholt konstatierte Kongruenz zwischen dem Christushymnus und Teilen des in § 6.3 besprochenen dritten Kapitels des Philipperbriefes. Die sprachlichen Berührungen vor allem mit 3,20f., aber auch mit 3,6-10, sind frappierend.86 Doch nicht nur die Parallelität des Vokabulars fällt auf, mehr noch besticht die inhaltliche Strukturverwandtschaft der Texte. Beiden Abschnitten liegt erkennbar die gleiche Grundkonzeption eines umfassenden Transformations- bzw. Initiationsprozesses zugrunde - wobei die Passagen freilich hinsichtlich der Subjekte und gewisser individueller Ausformungen differieren. Es scheint mithin, als ob Paulus in Phil 3 die Transformation Christi gleichsam in seiner eigenen Vita87 wie auch in der der Christusgläubigen abgebildet sieht. Die folgende Skizze soll die Korrespondenz der jeweiligen Prozesse verdeutlichen: CHRISTUS

P A U L U S /PHILIPPER

(Phil 3 , 2 - 2 1 )

Göttliche μορφή

(Jüdische) Statusposition

Separation

Entäußerung

Vergangenheit für Schaden/Kot erachten δια τόν Χριστόν

Liminalität

Erniedrigung / Tod

Leiden / Todesgestalt ->• κοινωνία παθημάτων αύτοϋ! συμμορφιζόμενος τω Φανάτω αύτοϋ

Aggregation

Erhöhung

Hochrufung / Leibverwandlung —>• άνω κλήσεως ... εν Χριστώ Ίησοΰ

Kyrios

Leib der Herrlichkeit σύμμορφον τω σώματι της δόξης αύτοϋ

STATUS A

STATUS Β

86

(Phil 2 , 6 - 1 1 )

Folgende Termini aus 3,20f. besitzen die jeweils nachstehend in Klammern genannten Entsprechungen in Phil 2,6-11: έν ούρανοϊς (vgl. 2,10: επουρανίων), υπάρχει (vgl. 2,6: υπάρχων), κύριον Ίησοϋν Χριστόν (vgl. 2,11: κύριος Ίησοΰς Χριστός), μετασχηματίσει (vgl. 2,7: σχήμα), ταπεινώσεως (vgl. 2,8: έταπείνωσεν), σύμμορφον (vgl. 2,6f.: μορφή), τα πάντα (vgl. 2,10f.: παν γόνη; πασα γλωσσά), δόξης (vgl. 2,11: δόξαν). Ferner liegen folgende Parallelen ZU 3,6-10 vor: ήγημαι/ήγοϋμαι (vgl. 2,6: ήγησατο), εύρεθώ (vgl. 2,7: εύρεφείς), συμμορφιζόμενος (vgl. 2,6f.: μορφή), Φανάτω (vgl. 2,8: ϋανάτου). Hinzu kommt das Stichwort „Kreuz" in 3,18 und 2,8. 87 Vgl. B L O O M Q U I S T , Suffering, 1 8 : .faul is reflecting on his own experience in terms of the imagery, if not the wording, of 2 , 6 - 1 1 " ; s. auch W R I G H T , Putting, 2 0 5 ; M A L I N A / N E Y REY, Portraits, 54f.

Rom 6,3f.: Tod, Begräbnis und Auferstehung

177

Betont sei, daß die Parallelität der Transformationsvorgänge in Phil 2,6-11 und Phil 3 keine rein äußerliche ist. Die im voranstehenden Diagramm mit einem Pfeil versehenen griechischen Zitate aus Phil 3 zeigen vielmehr deutlich an, daß die Kongruenz partizipatorisch vermittelt ist. Das heißt: Der Gleichlauf der Transformationsprozesse gründet in der Teilhabe Pauli bzw. der Christusgläubigen an Christus selbst. Die Transformation Christi figuriert demnach weniger als Vorbild denn als Urbild der Initiation der Christusgläubigen in die himmlische Vollendung.88 Diesem elementaren Urbildcharakter der Transformation Christi verdankt der Christushymnus wohl nicht zuletzt auch seine zentrale Funktion im Gefüge des gesamten Briefes.89

2. Rom 6,3f.: Tod, Begräbnis und Auferstehung Die klassische ritologische Drei-Phasen-Struktur scheint gleichfalls in Rom 6,3f. durch. Im Mittelpunkt des wichtigen Textes steht hier freilich nicht der Weg Christi zum Kosmokrator, sondern die Trias „Tod - Begräbnis - Auferstehung", wobei der Tod Christi die Separation, das Begrabensein Liminalität und die Auferstehung den Aggregationsakt verkörpert.90 Diese ritologische Interpretation drängt sich um so mehr auf, als der Apostel den besagten Dreiklang an dieser Stelle selbst aufs engste mit einem Passageritual verknüpft, nämlich mit der Taufinitiation,91 und zwar so, daß die Transformation Christi nun unmittelbar als Urgrund bzw. als Urbild der in der Taufe grundgelegten Transformation der Christusgläubigen sichtbar wird. Wie aber kommt Paulus dazu, ausgerechnet den Tod und das Begräbnis Christi mit der Taufe zu assoziieren? Aufgrund welcher Voraussetzung ist 88

Zur Deutung als Urbild vgl. auch KÄSEMANN, Analyse, 81; HOOKER, Philippians 2,154. Näheres dazu bei WLCK, Philipperbrief, 69-81; PERKINS, Philippians, passim. BLOOMQUIST, Suffering, 164-166 dokumentiert die Verteilung zentraler Vokabeln des Hymnus auf den gesamten Brief. 90 Von Christi Tod, Begrabensein und Auferstehen handelt auch die Pistisformel IKor 15,3b-4. 91 Zum Initiationscharakter der in Rom 6 thematisierten Taufe vgl. ARENS, Partizipation, 102f.; BARTON, Resurrection, 73f.; H.D. BETZ, Transferring, 262f.; N.R. PETERSEN, Baptism, 224f.; MEEKS, Urchristentum, 320; WEDDERBURN, Baptism, 363ff. CARLSON, Role, 256-259 und HARTMANN, Namen, 69 nehmen auf die Ritualtheorie ELIADEs Bezug. Die rituelle Grundstruktur der Argumentation in Rom 6 erklärt wohl auch die immer wieder erörterte Verwandtschaft mit den hellenistischen Mysterienkulten, ohne daß deshalb direkter Einfluß postuliert werden müßte; so mit H.D. BETZ, Transferring, 262f.271; DUNN, Rom I, 310; WEDDERBURN, Baptism, bes. 279f.; ZELLER, Mysterienkulte, bes. 47ff.59.68; zur Diskussion um mögliche Vergleichspunkte zwischen Rom 6 und den Mysterienreligionen vgl. ferner G. BARTH, Taufe, 97f. A223; GÄUMANN, Taufe, 38-46; KÄSEMANN, Rom, 152ff.; SCHMITHALS, Rom, 186ff.; jegliche Abhängigkeit strikt ablehnend, argumentiert WAGNER, Problem; s. ferner CRANFIELD, Rom I, 301f.; WLLCKENS, Rom Π, 56-59. Zur grundsätzlichen Vergleichbarkeit von Christentum und den Mysterien vgl. jetzt J.Z. SMITH, Drudgery. 89

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ihm diese auf den ersten Blick doch ungewöhnliche Koppelung überhaupt möglich? 92 Um diese Fragen angemessen beantworten zu können, ist es zunächst angezeigt, sich über das dem Text mutmaßlich zugrundeliegende Todesverständnis und die damalige Bedeutung des Begrabenseins Klarheit zu verschaffen. Einschlägige anthropologische Studien können hier weiterhelfen und den oftmals durch die Prägung der eigenen Kultur verengten Blick auf dieses Thema weiten. Den Rang eines Klassikers nimmt auf diesem Gebiet eine Abhandlung des Durkheimschülers Robert Hertz ein, die erstmals 1905/6 in der Zeitschrift L'Annee Sociologique unter dem Titel „Contribution ä une etude sur la reprdsentation collective de la mort" erschien.93 Hertz widmet sich darin zwar vorwiegend dem Ritual des doppelten Begräbnisses in Indonesien, seine Studie besitzt darüber hinaus aber eine anerkanntermaßen grundsätzliche Bedeutung für die sozialwissenschaftliche Erforschung des menschlichen Umgangs mit dem Tod.94 Dies gilt insbesondere für zwei komplementäre Feststellungen, zu denen Hertz im Hinblick auf die Beerdigungsrituale sog. primitiver Kulturen gelangt: „The first is that death is not completed in one instantaneous act; it implies a lasting procedure which, at least in a great many instances, is considered terminated only when the dissolution of the body has ended. The second is that death is not a mere destruction but a transition: as it progresses so does the rebirth, while the old body falls to ruins, a new body takes shape, with which the soul - provided the necessary rituals have been performed - will enter another existence, often superior to the previous one."95 Da dieser Befund m.E. auch die Argumentation in Rom 6 zu erhellen vermag, muß noch etwas detaillierter darauf eingegangen werden. Zunächst zum erstgenannten Aspekt, der Deutung des Todes als Prozeß. Hier gilt es sich vorab das in unserer modernen westlichen Kultur geläufige Todesverständnis bewußt zu machen. Wir betrachten den Tod in aller Regel als ein punktuelles Geschehen. Dies belegt in eindrücklicher Weise die aktuelle Diskussion um den sog. „Hirntod", ebenso die Praxis der Ausstellung von Totenscheinen, die ja letztendlich von einer genauen Datierbarkeit des Todes ausgeht. Tod und Leben werden so bei uns zu einer exklusiven Alternative, die keinen Raum für ein wie auch immer geartetes Dazwischen zuläßt.96 Diese Auffassung ist jedoch zeit- und kulturübergreifend gesehen nicht sehr weit verbreitet. Im Gegenteil, unser punktuelles Todesver92 M. SMITH, Transformation, 112 meint: „That symbolism was not a likely one. Baptism and burial are conspicuously different. Christ had been baptized, as well as buried, and his baptism had reportedly been followed by the declaration of his divinity, ,This is my beloved son' (Mt. 3.17, etc.). Accordingly it would have seemed appropriate to make Christian baptism a symbol of the baptism of Christ." Vgl. zum Thema auch DUNN, Rom I, 312. 93 Ich zitiere im folgenden aus der englischen Übersetzung von 1960 (s. Literaturverzeichnis). 94 Vgl. dazu nur BLOCH, Death, 1 Iff.; BLOCH/PARRY, Introduction, bes. 2ff.; METCALF/ HUNTINGTON, Celebrations, bes. 33-37.79ff. sowie N.R. PETERSEN, Baptism, 223f. 95 HERTZ, Contribution, 48. 96 Vgl. ebd., 28; s. dazu auch BLOCH, Death, 15ff., der ausführt, unser punktuelles Todesverständnis sei „an aspect of our concept of the person as a bounded individual".

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ständnis wird und wurde von nur wenigen Kulturen geteilt. Zumeist ist man der Überzeugung, daß sich das Leben erst allmählich, gleichsam prozeßhaft aus dem Verstorbenen löst, was zur Vorstellung von einem Schwellenzustand, einer liminalen Phase zwischen Tod und Leben führt.97 Diese liminale Phase wird nun - und damit ist der zweite von Hertz genannte Punkt angesprochen - meist als Raum definiert, in dem sich elementare Transformationen vollziehen, und zwar sowohl was den Verstorbenen als auch was die Gesellschaft anbelangt. Der Tod gilt vielen Kulturen eben nicht bloß als allmählicher Trennungs-, sondern vielmehr als Umwandlungsprozeß.98 Vor diesem Hintergrund verweist Hertz auf die vielerorts auffällige Verwandtschaft der Symbolik und Struktur von Bestattungs- und Initiationsriten.99 Hier wie dort gehe es um den schrittweisen Transfer einer Person aus einem Bereich in einen (imaginären) anderen, hier wie dort vollziehe sich an dem jeweils Betroffenen „a profound change in his personality, a renewal of his body and soul"100. Mit Blick auf das Todesverständnis bedeutet das: „Death ... merely marks the passage from one form of existence to another"101, „the passage from the visible society to the invisible"102. Hertz interessiert sich bei alledem namentlich für die sozialen Implikationen, denn: „Death does not confine itself to ending the visible bodily life of an individual; it also destroys the social being grafted upon the physical individual ..."; diese Destruktion sei, so Hertz, „tantamount to a sacrilege".103 In dieser Hinsicht bietet nun gerade das prozessuale Todesverständnis den Hinterbliebenen die Chance, sich sukzessive als Gemeinschaft ohne das verstorbene Mitglied zu rekonstituieren und dabei die Rollen, die dieses einst einnahm, nach und nach neu zu verteilen. Der ideale rituelle Rahmen für die genannten Vorgänge ist die Praxis des doppelten Begräbnisses: Die Erstbestattung des Leichnams eröffnet zunächst jene Schwellenphase, während derer sich der Verstorbene und die Gesellschaft im beschriebenen Sinn umformen; sie umfaßt in der Regel die Zeitspanne, die es dauert, bis sich das Fleisch völlig von den Knochen abgelöst hat. Beendet wird das gestreckte Ritual samt der angesprochenen individuellen und sozialen Transformationsdynamik mit der Bestattung der Gebeine.104 9 7 B L O C H stellt ebd., l l f . fest: „... that we are either alive or not alive, one thing or the other, is not shared by many other cultures. In many cases a kind of ,in between' is thought to exist, and this is reflected in the fact that funeral rituals continue over a long period involving a number of stages which mark different points in the transformation." Vgl. H E R T Z , Contribution, 41ff. und das Material bei M E T C A L F / H U N T I N G T O N , Celebrations, passim. Bisweilen wird der Tod sogar in den Prozeß des Lebens hereingeholt; s. dazu B L O C H , Death, 13ff. 98 Für die griechisch-römische Antike vgl. nur das Material bei M. SMITH, Transformation, 95ff. 99 Vgl. H E R T Z , Contribution, 80f.; s. auch V A N G E N N E P ; Übergangsriten, 142-159; für den antik-hellenistischen Bereich vgl. W E D D E R B U R N , Baptism, 365ff.; M. S M I T H , Transformation, 106ff.; für die rabbinische Literatur s. M C C A N E , Dead, 36f. 100 HERTZ, Contribution, 80. 101 Ebd., 61. 102 Ebd., 80. 103 Ebd., 77. 104 Zur Verbreitung des doppelten Begräbnisses vgl. M E T C A L F / H U N T I N G T O N , Celebrations, 35, die auf entsprechende Untersuchungen in Zentralasien, Nordamerika, Südameri-

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Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

Rom 6,3f. läßt sich durchaus als Beleg für die von Hertz und anderen konstatierte Kongruenz zwischen prozessualem Todesverständnis und Initiationsritualen fassen. 105 Sensibilisiert durch die anthropologisch-thanatologische Forschung, tritt relativ klar hervor, daß auch Paulus in diesem Passus den Tod als Prozeß- und Transformationsgeschehen präsupponiert und ihn zumal von daher mit der in der Taufe verwurzelten gestreckten Initiation der Christusgläubigen verzahnen kann. Die konkreten Zusammenhänge werden gleich näher durchgesprochen werden. Zuvor sei jedoch noch die weitergehende Frage in den Raum gestellt, ob in Rom 6 nicht möglicherweise sogar der konkrete Brauch des doppelten Begräbnisses vorausgesetzt ist. Einen Vorstoß in diese Richtung hat Norman R. Petersen unternommen.106 Er stützt sich neben den grundsätzlichen Überlegungen von Robert Hertz auf die 1971 publizierte Studie von Eric M. Meyers „Jewish Ossuaries. Reburial and Rebirth", derzufolge das genannte Ritual in jüdischen Gemeinden sowohl in Israel wie auch in der Diaspora gebräuchlich war, und dies gerade während der fraglichen Zeit. Die Verbreitung dieser Bestattungspraxis in Palästina während des 1. Jh.s haben darüber hinaus u.a. auch L.Y. Rahmani sowie Rachel Hachlili und Ann Killebrew anhand archäologischer Funde nachgewiesen.107 Byron R. McCane hat dies zum Anlaß genommen, nach einer ausführlichen Sichtung des zur Verfügung stehenden Materials, die Nachfolgeszene in Mt 8,21f. neu zu überdenken.108 Ist dies aber auch im Hinblick auf Rom 6 geboten? Daß Paulus wirklich an diese Bestattungspraxis dachte, läßt sich natürlich nicht mit Sicherheit belegen. Immerhin wird man zugestehen müssen, daß sich das gestreckte Passageritual ausgezeichnet als Assoziationshintergrund der Argumentation des Apostel einfügt, schließt doch die Phase des „Begrabenseins" für die Taufinitianden ebenfalls einen längeren Transformationsprozeß ein, der mit der Auferstehung bei der Parusie sein Ende finden wird.109 Dabei ka, Melanesien und Griechenland hinweisen. Zum speziellen Brauch des doppelten Begräbnisses bei Bestattungen römischer Kaiser s. F. DUPONT, Body, passim. 105 Die Koppelung von Tod lind Initiation als kongruente Prozeßgeschehen findet sich ebenso in den Mysterienkulten; vgl. dazu generell oben Anm. 91. Zu anderen Ansätzen, die Assoziation zwischen Tod und Taufe in Rom 6 zu erläutern, vgl. im übrigen DUNN, Rom I, 312. 106 v g l . N.R. PETERSEN, Baptism. PETERSEN beschränkt sich in seinem Aufsatz allerdings nicht auf Rom 6; er sieht das Taufverständnis des Apostels insgesamt und mit ihm Grundstrukturen seiner Theologie durch die besagte Bestattungspraxis geprägt: ,.Paul's understanding of the process of dying in which all believers participate from the moment of their baptismal burial is fundamentally informed by funary practices and ideas" (ebd., 217). 107 Vgl. RAHMANI, Customs I M V , 43ff.l09ff.; HACHLILI/KILLEBREW, Customs, 109ff.; STAMBAUGH/BALCH, Umfeld, 80. 108 Vgl. MCCANE, Dead, 3 Iff.; SAWICKI, Seeing, 237f.273 berücksichtigt die Praxis des doppelten Begräbnisses im Zusammenhang ihrer Überlegungen zur Bedeutung der Auferstehung Jesu. 109 Vgl. dazu N.R. PETERSEN, Baptism, 218-222.

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ist vor allem folgender Gesichtspunkt bedenkenswert: Die liminale Phase zwischen der Bestattung der Leiche und der Bestattung der Gebeine, die in Israel für gewöhnlich nach 12 Monaten erfolgte, wurde dort offensichtlich als Loslösung von Unreinheit und Sünden verstanden.110 Dies aber korrespondiert der Gedankenführung in Rom 6 insoweit, als es dem Apostel ja gerade um den Nachweis geht, daß die qua Taufe initiierten Christusgläubigen, also die symbolisch mit Christus „Begrabenen", nicht mehr unter der Macht der Sünde stehen. Aber auch dann, wenn man das Ritual des doppelten Begräbnisses als ungenannte Grundlage der Beweisführung in Rom 6 bezweifelt, wird man in jedem Fall das dem Text unverkennbar inhärente prozessuale Todesverständnis als solches zur Kenntnis zu nehmen haben und in dieser Beziehung von den entsprechenden anthropologischen Arbeiten lernen können. Damit nun zu Rom 6,3f. im einzelnen und der den Aussagen inhärenten dreistufigen rituellen Dynamik:

Separation Angesichts des in 5,20f. Gesagten setzt V . l mit der Frage ein: έπιμένωμεν τη αμαρτία, ίνα ή χάρις πλεονάση; Paulus verneint die Frage in V.2 resolut mit dem Einwurf μή γένοιτο und führt sie anschließend gänzlich mit der Replik ad absurdum, die Christusgläubigen seien der Sünde abgestorben (άπεΑύνομεν τη αμαρτία), sie lebten nicht mehr έν αύτη. In der unmittelbar nachfolgenden Beweisführung ab V.3 sucht er dann die Gültigkeit dieser Entgegnung zu untermauern. Dazu beruft er sich gegenüber der ihm persönlich unbekannten römischen Gemeinde allererst auf vermeintlich gemeinsames theologisches Grundwissen bezüglich der Taufe (η αγνοείτε . . . ) n i und stellt auf dieser Plattform heraus, die Taufe ε'ις Χριστόν Ίησοϋν sei eine Taufe εις τον θάνατον αΰτοϋ. Was ist damit gemeint? Die Formulierung έβαπτίσθημεν ε'ις Χριστόν Ίησοϋν ist in der exegetischen Forschung breit verhandelt worden. Vielfach wurde angenommen, es liege eine Abkürzung der Taufformel βαπτίζεσ&αι εις τό δνομα τοϋ κυρίου Ίησοϋ vor, die die Übereignung der Täuflinge an den Herrn zum Ausdruck bringe und inso1 1 0 Vgl. RAHMANI, Customs I, 175; MEYER, Ossuaries, 8 0 - 8 5 ; MCCANE, Dead, 36; SAWICKI, Seeing, 273. 1 1 1 Ob, inwieweit und inwiefern Paulus hierbei tatsächlich auf bekannte Tradition rekurriert, oder ob sich die Frage mit η αγνοείτε aus pädagogischer Absicht erklärt, ist nur schwer auszumachen und für die hier verfolgten Belange letztlich nicht entscheidend; dafür votieren z.B. G. BARTH, Taufe, 94f.; BORNKAMM, Taufe, 37 A5; KÄSEMANN, Rom, 157; MICHEL, Rom, 148ff.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 75.204f.(A389); WILCKENS, Rom Π, 11; dagegen sind FRANKEMÖLLE, Taufverständnis, 39f.; KUSS, Rom, 297; Rom, 192; SLBER, Christus, 191ff.; WAGNER, Problem, 2 9 0 - 2 9 3 ; ZELLER, Mysterienkulte, 53.58. Eine genauere Differenzierung der Thesen legt HALTER, Taufe, 40f. vor; s. fernerhin die ausführliche Diskussion bei WEDDERBURN, Baptism, 3 7 - 6 9 .

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fern die Zugehörigkeit zu Christus signalisiere.112 Betrachtet man allerdings V.3 insgesamt, so wird man dabei nicht stehen bleiben können, denn die analog konstruierte Feststellung ε'ις τον Μνατσν αΰτοϋ έβαπτίσ&ημεν läßt sich schwerlich von daher begreifen, bezeichnet die Übereignungsformel doch immer eine Person.113 Nicht wenige Ausleger präferieren darum eine lokale Auflösung der Präposition είς und sehen dann in V.3 den Gedanken der Integration in die Person Christi bzw. in den Tod hinein artikuliert.114 Der Übereignungsaspekt mag dann darin freilich zusätzlich aufgehoben sein.115 In jedem Fall zielt Rom 6,3 auf eine im Ritual der Taufe konstituierte, äußerst innige Christusgemeinschaft, die eine Hineinnahme der Initianden in dessen Tod mit einschließt. Aus ritologischer Perspektive kann diese rituell etablierte Christuspartizipation wiederum als vertikale Communitas bestimmt werden sie manifestiert sich dann ab V.4 speziell in den συν-Aussagen - , wobei dem Apostel an dieser Stelle offenkundig insbesondere an dem Hinweis hegt, daß diese Christuscommunitas die Reaktuaüsierung des Todes Christi an den Initianden impliziert. Dabei ist unzweifelbar die in seinen Briefen auch sonst stets wiederholte Grundüberzeugung vorausgesetzt, daß Christus in seinem Tod am Kreuz die Sünde überwunden hat (vgl. nur Rom 3,21-26; 7,1-6; 8,23; 2Kor 5,14-21). Der Tod Christi steht hier mit anderen Worten für das Ende der Sünde, die Taufe für die Integration der Christusgläubigen in dieses umfassende, ein für allemal verwirklichte Befreiungsgeschehen (vgl. V.10: έφάπαξ), so daß gilt: „Christ's death, not our baptism, negates sin."116 Die Taufe als Taufe in seinen Tod schafft aber die Möglichkeit, an diesem einzigartigen Geschehen teilzuhaben, indem sie dieses an den Initianden vergegenwärtigt und sie dergestalt von der αμαρτία losmacht. Bezeichnenderweise formuliert der Apostel seine Auffassung so, daß man unweigerlich an die Loslösung aus einem Machtbereich denken muß. Dies zeigt insbesondere das Syntagma ζήσομεν έν αύτη in V.2,117 zeichnet sich aber bereits in V.l ab. Der dort artikulierte Einwurf lautet ja wörtlich nicht: „Laßt 112 Vgl. ECKSTEIN, Auferstehung, 13f.; HOFIUS, Glaube, 143f.; SLBER, Christus, 206f.; STOMMEL, Abbild, 4f.; WLLCKENS, Rom Π, 11; erwogen bei FLTZMYER, Rom, 433; auch CRANFIELD, Rom I, 301 nennt die Taufformel als Hintergrund, ohne jedoch auf den Übereignungsgedanken sonderlich abzuheben; s. ferner die Literatur bei HALTER, Taufe, 537 A52 und 53. 113 So mit WlLCKENS, Rom Π, 11. 114 So besonders TANNEHILL, Dying, 22-24; vgl. ferner DLNKLER, Rom 6, 157; KÄSEMANN, Rom, 156; Kuss, Rom, 296f.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 76.205(A390); SCHMITHALS, Rom, 189f. 115 Übereignung und Integration müssen und sollten nicht als strenge Alternativen gesehen werden; sie ergänzen sich vielmehr, insofern das letztgenannte Moment das erstgenannte mit einschließt und weiterfuhrt; diese vermittelnde Position vertreten auch HALTER, Taufe, 47-49; SCHLIER, Rom, 192; SCHNACKENBURG, Lebensgemeinschaft, 41f.; WARNACH, Tauflehre, 284ff.; weitere Vertreter bei HALTER, Taufe, 537f. A54. 116 CARLSON, Baptism, 258. 117 Vgl. KÄSEMANN, Rom, 157; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 75; SCHLIER, Rom, 191.

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uns sündigen ...", Paulus gebraucht vielmehr die Formulierung έπιμένωμεν τη αμαρτία κτλ. Diese Wortwahl läßt an das Verbleiben in einem Herrschaftsbereich denken.118 Dies gilt um so mehr, beachtet man den voranstehenden Abschnitt (5,12-21), in dem die Sünde ja als bestimmender Faktor der adamitischen Welt vorgestellt wurde. Der Tod Christi und der daran rückgebundene Tod der Initianden in der Taufe involviert insofern nicht etwa nur die Tilgung von spezifischen Sündentaten, sondern die irreversible, äonenwendende Entmachtung der Sündenherrschaft als solcher und die dadurch mögliche, grundsätzliche Separation der Christusgläubigen aus der sündhaften adamitischen Lebenswelt. Die Hineinnahme in den einmaligen Tod Christi in der Taufe fungiert folglich als Initiationstod, als rituell vollstreckte Trennung vom alten Leben unter der Zwangsherrschaft der αμαρτία, als Abbruch der von der Sünde bestimmten Existenz.119

Aggregation

Solcher Separation aus dem Bereich der Sünde korrespondiert auf der anderen Seite die Aggregation in einen neuen Lebensbereich. Auf diese Aggregation spielt der Apostel mit der Rede von der Auferstehung an. Während er jedoch Christus und die Taufinitianden in puncto Separation bezüglich des Erreichten, der Loslösung von der Sünde, mehr oder weniger auf eine Stufe stellt, benennt er hinsichtlich der Aggregation eine elementare Differenz. Wurde nämlich die Auferstehung Christus bereits zuteil (V.4: ήγέρβη, Aor. pass.), so steht sie den Initianden im wesentlichen noch bevor (V.5: ... της αναστάσεως έσόμεϋα, Futur120). Das heißt: Der Prozeß, den Christus bereits gänzlich 118 So mit HARTMANN, Namen, 70f.; vgl. auch KÄSEMANN, Rom 157 („Bereich der Sünde"); KUSS, Rom, 296 und DUNN, Rom I, 306, der über επιμένω schreibt: „... the verb can have the force of .remain in the sphere of'." 119 ZAHN, Rom, 297 bemerkt richtig, „daß der Tod Jesu hier nicht unter dem Gesichtspunkt seiner Bedeutung als Sühnemittel und Bedingung des Schulderlasses betrachtet wird, sondern unter dem Gesichtspunkt des Gedankens, daß er sowohl für Jesus selbst als rücksichtlich seiner Wirkung auf die Christen das Ende eines bisherigen und den Übergang zu einem neuen Leben bedeutet." 120 Das Verb έσόμε-θα ist mit den meisten als temporales und nicht als logisches Futur auszulegen; so BORNKAMM, Taufe, 43; DUNN, Rom I, 318; ECKERT, Taufe, 217; KÄSEMANN, Rom, 161; Kuss, Rom, 303; SCHLIER, Rom, 196; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 83; WLLCKENS, Rom Π, 15; anders ECKSTEIN, Auferstehung, 20ff.; FLTZMYER, Rom, 435; FRID, Römer 6, 199 samt A50 und 51; s. dazu auch HALTER, Taufe, 56.543f.(A82). Man wird freilich zu beachten haben, daß hier das Zeitkonzept der „experienced" und „procedural time" zugrunde liegen dürfte, so daß die kommende Auferstehung als ein bevorstehendes Geschehen zu werten ist, das auf die Gegenwart abschattet, ihr in gewisser Weise bereits innewohnt, nämlich im Wandel έν καινότητι ζωής (V.4), vergleichbar dem Verhältnis von Keim und Frucht in biologischen Wachstumsprozessen. Auf diese Zeitkonzeption werde ich in § 8 ausführlich zu sprechen kommen.

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durchlaufen hat, ist den Christusgläubigen mit der Taufe lediglich erst eröffnet worden. Der entscheidende Punkt ist also, mit Norman R. Petersen gesprochen, folgender: „Christ literally died, was buried, and after three days rose, believers have only symbolically died and been buried and are in a longer transitional period between their death and their resurrection and/or transformation."121 Liminalität

Die Christusgläubigen treten demzufolge mit der Initiation in der Taufe in eine liminale Existenz ein;122 sie haben die Separation aus dem Leben unter der Sünde rituell erfahren, die Eingliederung in den Auferstehungsleib aber noch vor sich. Diese mit der Taufe einsetzende liminale Existenz klingt in V.4 in der Rede vom symbolischen Begrabensein mit Christus (συνεταφήμεν αύτω) an.123 Das Grab bzw. das Begrabensein begegnet vor dem Hintergrund der oben explizierten prozessualen Todesdeutung in vielen Kulturen bezeichnenderweise als klassisches liminales Symbol, zumal in Initiationen. Victor Turner stellt heraus, Symbole für Initianden während der Liminalität „are, in many societies, drawn from the biology of death, decomposition ...", und er fährt dann wenig später unter Bezugnahme auf rituelle Praktiken während der Schwellenphase fort: „In so far as a neophyte is structurally ,dead', he or she may be treated, for a long or short period, as a corpse is customarily treated in his or her society. ... The neophyte may be buried, forced to lie motionless in the posture and direction of customary burial ..." 124 Auf der Grundlage einer prozessualen Todesvorstellung eignet sich die Grabessymbolik eben ausgezeichnet zur allgemeinen Charakterisierung und Darstellung von Liminalität, stellt das Begrabensein danach doch eine Schwellensituation par excellence 121 N.R. PETERSEN, Baptism, 221. Die von PETERSEN an dieser Stelle herausgestellte lediglich („only") symbolische Dimension der Taufe stellt jedoch keineswegs den realen Charakter der in der Taufe eröffneten Transformation in Frage, berücksichtigt man mit TURNER die effektiv-transformative Kraft ritueller Symbole (vgl. dazu § 3.2). 122 vgl. auch KUSS, Rom, 295, der die „Lage des Glaubenden" nach Rom 6 als „eigentümlichen Zwischenzustand zwischen Rettung und Vollendung" charakterisiert. 123 Der Aorist συνετάφημεν zielt freilich zunächst punktuell auf den vergangenen rituellen Akt der Taufe. Dieser Initiationsakt eröffnet jedoch, wie dann die Fortführung mit εις τον ΰΰνατον anzeigt (Näheres dazu s. unten), ein neues Existenzstadium auf dem Weg zur Auferstehung (vgl. dazu auch die späteren Erläuterungen zu V.5). Ein zuständliches Moment signalisieren auch zahlreiche Kommentatoren, indem sie übersetzen: „Wir sind mit

i h m begraben"; s o MICHEL, R o m , 148; KÄSEMANN, R o m , 131; SCHMITHALS, R o m , 182; STUHLMACHER, R o m , 83; WILCKENS, R o m Π, 6; a m w e i t e s t e n geht STOMMEL, B e g r a b e n ,

10, der συνετάφημεν direkt auf den „Zustand des Getauften in Analogie zu dem Zwischenzustand Jesu zwischen Tod und Auferstehung" bezieht; vgl. dazu DERS., Abbild, 9.17ff.; kritisch allerdings FRID, Römer, 193 A24; WARNACH, Tauflehre, 292. 124 TURNER, Forest, 96; s. auch DERS., Dramas, 259: „... liminality - very frequently symbolized in ritual and myth as a grave that is also a womb ..."; vgl. femer Anm. 13 in § 3.1 (S. 44).

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dar, nämlich den Zwischenzustand zwischen dem vergangenen irdischen Leben und einem kommenden neuen Dasein. Inwieweit lassen sich nun in Rom 6 vergleichbare Konnotationen ausmachen? Hierzu gilt es zunächst auf das Syntagma εις τόν Μνατον in V.4 zu achten, das mutmaßlich ein prozessuales Todesverständnis zur Voraussetzung hat. Dies ergibt sich, wenn man die Präposition εις nicht primär lokal auflöst,125 sondern ihr eine finale Ausrichtung zuschreibt126 und die Wendung insgesamt mit dem Verb συνταφηναι zu Beginn des Verses zusammenzieht.127 Der Apostel formuliert dann an dieser Stelle den Gedanken eines durch die Taufe (διά τοΰ βαπίσματος) bewirkten Begrabenwerdens „zum Tod", „auf den Tod hin", das heißt, die Aussage συνετάφημεν ... ε'ις τόν θάνατον spielt im oben beschriebenen Sinn auf den Tod als Zielpunkt des Begrabenwerdens an, auf den endgültigen Tod also, der erst im Begrabensein zur Vollendung kommt. So erklärt sich dann auch der im Widerspruch zu unserem heutigen punktuellen Todesverständnis stehende Sachverhalt, daß das „Begrabenwerden"128 in diesem Vers dem „Tod" vorausgeht. Die Wendung εις τόν Μνατον fungiert von daher nicht allein als verstärkender Anhang zu συνετάφημεν,129 sie ergibt

125

So aber HÜBNER, Theologie Π, 245(A670).291; KÄSEMANN, R o m , 157f.; OEPKE,

βάπτω, 537 („abgeblaßte örtliche Vorstellung"); SCHNELLE, Gerechtigkeit, 76.205(A390); WILCKENS, R ö m l l , 12. 126

Zur breiten Verwendung von εις als Bezeichnung des Zieles vgl. grundsätzlich BAUER/ALAND, Wörterbuch, 461-463 (Punkt 4) sowie speziell mit Blick auf die Taufe OEPKE, βάπτω, 537. Was Rom 6,4a anbelangt, hebt z.B. auch SCHNACKENBURG, Lebensgemeinschaft, 39f.43 samt A42 auf eine finale Auflösung von ε'ις ab, freilich mit gegenüber der hier vertretenen These anderen Akzentuierungen. 127

E b e n s o BEASLEY-MURRAY, T a u f e , 178; BORNKAMM, T a u f e , 38 A 6 ; DUNN, R o m I,

314; FRID, Römer 6, 191; Kuss, Rom, 298; SCHNACKENBURG, Lebensgemeinschaft, 39f.; WARNACH, Taufe, 298f.; ZAHN, Rom, 298; weitere Vertreter bei FRID, Römer 6, 191 A6. Die eigentümliche Wortstellung läßt sich damit erklären, daß συνετάφημεν besonders hervorgehoben werden soll. G. BARTH, Taufe, 100 A228; CRANFIELD, Rom I, 304; FLTZMYER, R o m , 43; FRANKEMOLLE, Taufverständnis, 54f.; GÄUMANN, T a u f e , 74A58; KÄSEMANN,

Rom, 158; SCHLIER, Rom, 193 binden jedoch είς τόν θάνατον direkt an das Substantiv βάπτισμα an. Strenggenommen wäre hier freilich eine Wiederholung des Artikels hinter βαπτίσματος und nach θάνατον ein αΰτοϋ zu erwarten. 128 Es ist durchaus denkbar, daß hierbei eine Anspielung auf die Taufe als Immersion vorliegt (so BEASLEY-MURRAY, Taufe, 178f.; MEEKS, Urchristentum, 317; SCHMITHALS, R o m , 189; SCHNACKENBURG, Heilsgeschehen, 4 9 - 5 4 ; WARNACH, T a u f e , 299; DERS.,

Tauflehre, 294ff.; ZELLER, Mysterienkulte, 57f.; dagegen jedoch G. BARTH, Taufe, 100 mit A 3 7 1 ; FRANKEMOLLE, Taufverständnis, 55; GÄUMANN, 74 A 5 9 ; SCHNACKENBURG, L e b e n s g e m e i n s c h a f t , 39f.; STOMMEL, Begraben, bes. 6ff.; ZAHN, Rom, 2 2 9 A86). ZELLER,

Mysterienkulte, 58 A66 hält den Einwänden entgegen: „Selbst wenn sich für die Frühzeit nur eine Taufe durch Übergießen nachweisen ließe (vgl. aber das .Hinabsteigen' Apg 8,38f.; Barn 11,11; Herrn sim 9,16,4.6), könnte Paulus ein Begraben werden damit verbinden, was etwa in den Stammesinitiationen durch Bedecken mit Zweigen symbolisiert werden kann." Vgl. dazu auch SCHLARB, Christus, 238f.250f. 129 Vgl. jedoch FRID, Römer 6, 191: „Daß συνταφηναι hier die Funktion hat, den Tod zu bekräftigen, fuhren unisono alle Exegeten an ..."

186

Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

sich vielmehr aus der zugrundeliegenden prozessualen Todesvorstellung. Der Artikelgebrauch (ε'ις τον Μνατον) zeigt in diesem Zusammenhang an, daß es hierbei um einen ganz spezifischen Tod geht, nämlich just jenen zuvor in V.2 genannten und nach V.3 im Sterben Christi realisierten Tod der Sündenmacht, in den die Christusgläubigen nun qua Taufe hineingenommen sind. Das im Vergleich zu V.3b auffallende Fehlen von αύτοϋ nach Μνατον dürfte dann darin begründet liegen, daß so die spezielle Relevanz dieses Todes für die Getauften deutlich zum Ausdruck kommt.130 Dabei gilt nun aber, daß dieser Tod für die Initiierten eben noch nicht in Gänze umgesetzt ist; sie wurden mit Christus begraben zu (ε'ις) diesem Tod; sie befinden sich mithin als Begrabene in einer Schwellensituation: separiert vom adamitisch-sündhaften Leben und doch noch nicht auferstanden und insofern der Sünde zumindest potentiell noch ausgeliefert.131 V.4a folgert (o&v) mithin aus der in V.3 thematisierten rituell verwirklichten vertikalen Communitas mit Christus und der damit einhergehenden Partizipation an dessen Tod die Integration in eine liminale Phase, die auf die endgültige Loslösung der Initiierten von der Sünde zielt, welche mit der Separation in der Taufe allererst anbruchhaft verwirklicht ist.132 Diese für unser punktuelles Verständnis vom Tod zugegebenermaßen ungewöhnliche Auslegung fügt sich ausgezeichnet in den Gesamtduktus von Rom 6 ein. Der Apostel betont in diesem Kapitel immer wieder, daß zwar ein faktisches Sterben, nämlich die Loslösung aus dem Bereich der Sünde, bereits stattgefunden hat (vgl. nur V.2.6f.l0), zugleich aber läßt er deutlich erkennen, daß die volle und letztgültige Verwirklichung dieser Loslösung noch aussteht. Dies belegt der Imperativische Charakter der Argumentation ab V.12. Doch auch die Zielformulierungen des ίνα-Satzes in V.6b dokumentieren auf ihre Weise, daß Paulus offenbar an ein noch in der Entwicklung begriffenes Prozeßgeschehen denkt. Schließüch ist die völlige Isolierung von der Sünde und damit deren endgültiges Ende für die Christusgläubigen grundsätzlich allein deshalb noch nicht verwirklicht, weil sie nach wie vor in sterblichen Leibern existieren und insofern dem physischen Tod ausgeliefert sind, in dem sich ja nach 5,21 (vgl. IKor 15,56) die Macht der αμαρτία manifestiert. Vor diesem Hintergrund gibt insbesondere V.9f. zu erkennen, wie Dunn mit Recht unterstreicht, „that only Christ has experienced the full effect of death; he has escaped the power of death, but only by virtue of his being raised from the dead; only of him is it true that he has died to sin once and for all, that the 130 Vgl. MERK, Handeln, 24 A l 12; SCHMITHALS, Rom, 190; STOMMEL, Abbild, 9; WARNACH, Taufe, 298; andere ergänzen indes αύτοϋ; so z.B. BEASLEY-MURRAY, Taufe, 178; HOFIUS, Glaube, 144 A33. 131 „Die Gnade überwindet die Sünde, aber nicht so, daß sie uns immun macht gegen sie, sondern daß sie uns von ihr radikal absondert" (FAZEKAS, Taufe, 306). 132 Zu der hier unausgesprochen vorausgesetzten prozessualen Zeitkonzeption s. § 8.1 und oben Anm. 120.

Rom 6,3f.: Tod, Begräbnis und Auferstehung

187

stimulus of sin finds no response" 133 . Für die Initiierten gilt dies bislang nur bedingt. Zwar hat für sie schon eine irreversible Separation aus dem Bereich der αμαρτία stattgefunden. Mit der Taufe sind sie bereits grundsätzlich der adamitischen Welt enthoben und insofern der Sünde de facto bereits abgestorben (άπεΰάνομεν τη αμαρτία V.2); die Transformation der Christusgläubigen hat also realiter begonnen! Doch als Gestorbene und Begrabene sehen sie der Auferstehung allererst entgegen, weshalb der wesenhaft überwundene Einfluß der Sünde unter ihnen gleichwohl noch Nachwirkungen zeitigen kann. Dieser Deutungsansatz klärt vor allem auch den auf den ersten Blick sonderbar wirkenden Abschluß von V.4. Aufgrund der ώσπερ/οΰτως-Struktur des ίνα-Satzes wäre zu erwarten, daß der Vers mit einem Hinweis auf die Auferstehung der Initiierten in Analogie zur Auferstehung Christi endet. Statt dessen begegnet die Formulierung οΰτως καΐ ήμέΐς έν καινότητι ζωης περιπατήσωμεν. Dieser Rekurs auf einen neuen Lebenswandel trägt unverkennbar „ein imperatives Moment" 134 und dokumentiert darin erneut, daß das Begrabenwerden mit Christus είς τον θάνατον einen noch nicht ganz zu Ende gelangten Prozeß eröffnet. Die mit der erfolgten Separation aus der alten sündhaften Existenz bereits angebrochene neue Wirklichkeit des Lebens bedarf mit anderen Worten der Bewährung in einem entsprechenden Lebenswandel. Diese liminale Bewährungssituation, in der das Alte vergangen ist und das Neue lediglich proleptisch in der Erneuerung der Lebensführung greifbar wird, endet erst mit der vollen Teilhabe an Christi Auferstehung bei der Parusie, die dann in V.5b in den Blick kommt und mit der die in der Taufe begonnene Umwandlung ihre Zielbestimmung erreicht, die Sünde dagegen die Besiegelung ihrer schon auf Golgatha ein für allemal herbeigeführten Entmachtung. Bis dahin aber ist die Existenz der Christusgläubigen, wie V.5a nochmals explizit verdeutlicht, durch das in der Taufe gründende Verwachsensein mit dem ομοίωμα des Todes Christi definiert, d.h. durch die seit der Taufinitiation, dem symbolischen Begräbnis, andauernde (Perfekt γεγόναμεν!) Gleichgestaltung mit dem Tod Christi im Sinne eines fortwährenden Absterbens gegenüber der Sünde. 135 Die Implikationen dieser paulinischen Vorstellung hat Dunn in seiner Kommentierung folgendermaßen zusammengefaßt: 133

134

DUNN, R o m I, 332.

WILCKENS, Rom Π, 13; vgl. DLNKLER, Römer 6, 138; KÄSEMANN, Rom, 158f.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 77; ZELLER, Rom, 124; das imperative Moment negieren jedoch MERK, Handeln, 24 mit A l 16; ZAHN, Rom, 299f. 135 Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die vielen Probleme zu behandeln, die der mehrdeutige V.5 aufwirft. Dazu wäre eine ausführliche Einzeluntersuchung nötig. Nur soviel: Der Dativ τω όμοιώματι ist von der Wortfolge her am ehesten als dativus sociativus zu nehmen (ebenso BEASLEY-MURRAY, Taufe, 179f.; BORNKAMM, Taufe, 42; FRANKEMÖLLE, Taufe, 65; HALTER, Taufe, 53; SCHNACKENBURG, Lebensgemeinschaft, 35; TANNEHILL, Dying, 30-32; WLLCKENS, Rom Π, 13; ZELLER, Mysterienkulte, 58 u.v.a.) und nicht, wie früher angenommen, als dativus instrumenti oder causae (so jedoch wieder FLTZMYER, Rom, 435; FRID, Römer 6, 197; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 82). Außerdem wird man όμοιώ-

188

Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

„The whole of his life for the believer is superseded between ... the very likeness of Christ's death and that of his resurrection, between the conversion-initiation which began the process and the resurrection of the body which will complete it: The very real dying of believers is a life-long process: they do not sever all links and relationships with this world until the death of the body. How can they? But in the meantime they must let the death of Christ come to increasing effect in their own lives. Only as believes live in this world, only as they identify themselves with Christ in that death, only as they live out of the enabling which comes from the risen life of Christ, only then can they be said to be knit together with the ongoing reality of Christ's death, only then can they hope to show the effect of Christ's death and resurrection in their present lives, only then can they hope to share fully in the completion of the process in the resurrection of the body like Christ's .. ." 136 Es läßt sich somit festhalten: Das Taufritual erscheint in Rom 6 als Ort, an dem die Christusgläubigen von ihrer alten sündhaften Existenz separiert werden, und zwar so, daß sie mittels der im Ritual eröffneten vertikalen Christuscommunitas und der damit einhergehenden Reaktualisierung des Todes Christi symbolisch-effektiv der Sünde absterben und mit Christus begraben werden. Als solchermaßen Begrabene treten sie in eine liminale Existenz ein, die Paulus als bleibende Gleichgestaltung mit dem Tod Christi beschreibt, 137 die aber gleichwohl bereits einen neuen Lebenswandel inkludiert, 138 der dereinst mit der Auferstehung, der Aggregation in einen neuen Status und ein neues Sein - nach Phil 3,21 erfolgt hier die Gleichgestaltung mit dem Herrlichkeitsleib Christi (s. § 6.3) - , vollendet wird. 139 Alles in allem ist Rom 6 somit deutlich durch die typische Struktur und Dynamik ritueller Prozesse ge-

ματι τοΰ θανάτου αύτοϋ infolge des Perfekts γεγσναμεν, das einen Dauerzustand anzeigt, nicht allein nur auf den vergangenen Taufakt als solchen (so H.D. BETZ, Transferring, 268f.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 82f.; WARNACH, Taufe, 306f.; DERS., Tauflehre, 306) bzw. auf den darin vergegenwärtigten Tod Christi (so KUSS, Rom, 301f.; J. SCHNEIDER, ομοίωμα, 194f.; SCHLIER, Rom, 196) beschränken dürfen. Im Blick ist vielmehr die im Ritual verankerte, aber darüber hinaus fortdauernde Gleichgestaltung der Christusgläubigen mit dem die Sünde vernichtenden Tod Christi. Das Absterben von der Sünde reicht mit anderen Worten über die Taufe hinaus in die christusgläubige Existenz hinein, die so zur liminalen Existenz zwischen Taufe und kommender Auferstehung wird. 136 DUNN, RomI, 331. 137 Auch bei STOMMEL, Abbild, 18-21 steht das ομοίωμα τοΰ θάνατου αύτοϋ für den „Zwischenzustand" nach der Taufe der Christusgläubigen und vor der Auferstehung, ein Zustand, der dem des begrabenen Christus entspricht. STOMMEL beschränkt diesen Zwischenzustand allerdings auf den Taufakt selbst (vgl. ebd., 1 Iff.)- Daß sich ομοίωμα κτλ. inhaltlich auf συνετάφημεν zurückbezieht, bemerkt auch FRTO, Rom 6,197. 138 Hier begegnet das gleiche Ineinander von neuem Leben und Tod, das bereits in Phil 3,10f. und 2Kor 4,10f. eruiert werden konnte; s. dazu die entsprechenden Abschnitte in § 6. 139 N.R. PETERSEN, Baptism, 226 ist somit zuzustimmen, wenn er schreibt: „Pauline baptism is a rite celebrating both the separation of believers from their former social states and their commencement of a transitional process of bodily transformation that will be completed at a given moment of time in the future."

,Ιη Christus": Die Christuscommunitas

189

prägt, wobei hier als Grundlage ein prozessuales Todesverständnis auszumachen ist, das gewissermaßen die Folie bildet, vor deren Hintergrund die Initiationsdynamik des Taufrituals entfaltet wird. Dabei fungiert die dreistufige, Tod, Begrabensein und Auferstehung umfassende Transformation Christi wiederum als Urbild der Initiation der Christusgläubigen, die qua Taufe in den Transformationsprozeß Christi integriert werden, mit dem Unterschied einer bei diesen ungleich stärken Betonung des mittleren liminalen Bereichs.

3. „In Christus": Die Christuscommunitas Die in den beiden vorausgegangenen Abschnitten deutüch sichtbar gewordene Verflechtung zwischen der Transformation Christi und der der Christusgläubigen soll nun in einem letzten Abschnitt nochmals eigens untersucht werden, und zwar anhand der paulinischen „In Christus"-Aussagen. In diesem Zusammenhang kann nun endlich auch das in dieser Arbeit bereits wiederholt gebrauchte Konzept der Christuscommunitas näher entfaltet werden.

3.1 Zur Forschungsgeschichte Das Syntagma έν Χριστώ durchzieht in unterschiedlichen Ausformungen hierzu ist auch die Wendung έν κυρίω zu zählen140 - alle authentischen Paulusbriefe141 und bildet von daher ein wesentliches, wenn nicht das wesentliche Kontinuum innerhalb der paulinischen Theologie.142 Entsprechend hoch war der Forschungsaufwand, der zumal in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bis in die 60er Jahre hinein betrieben wurde, um die kurze Wendung einer genauen

140 Die von NEUGEBAUER (In Christo, 134f.; DERS., Untersuchung, 148f.) eingebrachte These einer durchgängig inhaltlichen Differenzierung zwischen den beiden Grundformen έν Χριστώ und έν κυρίω im Sinne einer Zuordnung der „In Christus"-Aussagen allein auf den Indikativ und der „Im Herrn"-Wendungen allein auf den Imperativ ist kaum zu halten. Die Problematik einer solch schematischen Unterscheidung zeigt sich schon darin, daß Paulus κύριος und Χριστός unter einem έν zusammenschließen kann (Rom 6,23; 8,39; IKor 15,31; lTTiess 1,1). Vor allem aber liegt in Phil 2,1.5 eine Imperativische Verwendung des έν Χριστώ nahe, während 1 Kor 11,11 umgekehrt eine indikativische Interpretation des έν κυρίω fordert (mit SCHNELLE, Gerechtigkeit, 117; zur Kritik an NEUGEBAUERS Differenzierung vgl. auch KÄSEMANN, Rom, 213; K. SCHÄFER, Gemeinde, 87; SCHRÄGE, In Christus, 30). Freilich ist nicht von der Hand zu weisen, daß im Zusammenhang mit Imperativen und paränetischem Gebrauch überwiegend κύριος begegnet. 141 VGL DAZU DIE gegliederte Auflistung der jeweiligen Belegstellen bei NEUGEBAUER, Untersuchung, 65-72.131-133. Instruktiv sind zudem die statistischen Übersichten bei KLEHN, Verwendung, 68; KRAMER, Christos, 139f.141f.176; WRIGHT, Climax, 44f. und BOUTITER, En Christ, 24 A2. 142

Mit SCHNELLE, Gerechtigkeit, 106.

190

Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

Definition zuzuführen. 143 Seit dieser Zeit haben sich generell drei unterschiedliche Interpretationsansätze herausgebildet. 1. Die mystische oder partizipatorische Deutung: Sie expliziert das paulinische έν Χριστώ als innige Verbundenheit mit bzw. seinshafte Teilhabe an Christus, wobei die Präposition έν grundsätzlich lokal aufgefaßt wird. Dieser Auslegungsansatz ist insbesondere mit dem Namen Adolf Deissmann verbunden, der das Syntagma als Ausdruck mystischen Erlebens begreiflich zu machen suchte;144 ihmzufolge zielt die Wendung auf eine persönlich erfahrene Verflechtung mit dem pneumatischen Christus, eine Verflechtung, die er mit folgendem Bild illustriert: „Wie die Lebensluft, die wir einatmen, ,in' uns ist und uns erfüllt, und wir doch zugleich ,in' dieser Luft leben und atmen, so ist es auch mit der Christ-Innigkeit des Apostels Paulus: .Christus in ihm, er in Christus'." 145 2. Die ekklesiologische Auslegung: Gegen die mystische Deutung wandte sich u.a. Rudolf Bultmann mit den Worten: „Das έν Χριστώ, weit davon entfernt, eine Formel für mystische Verbundenheit zu sein, ist primär eine ekklesiologische Formel und bezeichnet das Eingefügtsein in das σώμα Χριοτοϋ durch die Taufe .. ," 146 Das lokale Verständnis des Syntagmas bleibt bei dieser These erhalten, allerdings wird es nun nicht länger auf die individuelle Christusgemeinschaft bezogen, sondern vornehmlich auf die Integration der Christusgläubigen in den Raum der Kirche. 3. Die heilsgeschichtlich-historisierende Interpretation, die sich ebenfalls nachdrücklich gegen die mystische Deutung richtet, brachte namentlich Fritz Neugebauer ein.147 Er bezog die Wendung konsequent auf das einmalige, vergangene christologische Heilsereignis, d.h. auf Kreuz und Auferstehung, und sprach der Präposition έν

143

Über die Forschungsgeschichte informieren BEST, Body, 8ff.; BOUTTIER, En Christ, 5-22; NEUGEB AUER, Untersuchung, 18-33; SCHRÄGE, In Christus, 27-30; VAN OYEN, Deutungsgeschichte, 129-134; s. ferner NEIRYNCK, Lehre, 790-795; K. SCHÄFER, Gemeinde, 85-87. Die beiden letzten größeren Monographien zur Thematik, nämlich die von BOUTTIER und von NEUGEBAUER, sind Anfang der 60er Jahre erschienen. Seitdem wurde keine weitere eigenständige Monographie zum Thema vorgelegt. 144 Vgl. DEISSMANN, Formel, bes. 91ff.; OERS., Paulus, 107-124. Partizipatorische Deutungsansätze - meist jedoch unter Ergänzung einer kollektiven Dimension und z.T. unter Ablehnung oder Vermeidung des Prädikats „mystisch" - finden sich auch bei SANDERS, Judentum, 432-435; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 106-122; SCHWEITZER, Mystik, bes. 122-129; A.F. SEGAL, Convert, 58-71; THÜSING, Per Christum, 62-66; WlKENHAUSER, Christusmystik, 6 - 1 4 u.ö. Auf die unterschiedlichen Nuancen der älteren mystischen Auslegungstradition macht HALTER, Taufe, 548 A l 11 aufmerksam. WRIGHT, Climax, 4 1 - 5 5 vertritt die These, „in Christus" ziele auf eine Inkorporation in den davidischen „Messias" Jesus: „Because Jesus is the Messiah, he sums up his people in himself, so that what is true of him is true of them" (ebd., 48). 145 DEISSMANN, Paulus, 111. 146 BULTMANN, Theologie, 312 (Hervorhebung im Original); ähnlich bereits KÄSEMANN, Leib, 183, der jedoch diese Auffassung später unter Bezugnahme auf die Arbeit von NEUGEBAUER etwas modifiziert (vgl. DERS., Perspektiven, 173-177); s. ferner SCHRÄGE, Einzelgebote, 80f.; KLAIBER, Rechtfertigung, bes. 86-95. 147 Vgl. NEUGEBAUER, Untersuchung, bes. 65-130.147-149; DERS., In Christo, bes. 131ff.

,Ιη Christus": Die Christuscommunitas

191

einen weitgehend instrumentalen bzw. modalen Sinn zu. Das paulinische έν Χριστώ markiert danach in erster Linie das geschichtliche Bestimmtsein durch Christus.148 Zu diesen drei Auslegungsmodellen gesellten sich in der langen Forschungsgeschichte zahlreiche divergierende Vorschläge in bezug auf den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Wendung.149 Abgesehen von einer relativen Einmütigkeit hinsichtlich der eschatologischen Grundierung der εν ΧριστωVorstellung,150 war so das Bild, das die wissenschaftliche Exegese auf diesem Gebiet abgab, äußerst uneinheitlich und zerrissen. Demgegenüber zeichnen sich nun in jüngerer Zeit einige einvernehmliche Tendenzen ab, wenngleich es zu hoch gegriffen wäre, deshalb schon von einem Forschungskonsens zu sprechen. Zahlreiche neuere Auslegungen und Untersuchungen kommen jedoch darin überein, daß sie die Variationsbreite der paulinischen Verwendung des Syntagmas ausdrücklich respektieren, dementsprechend die in der älteren Forschung verbreitete durchgängig eindimensionale grammatikalische Festlegung der Wendung aufgeben151 und von daher nicht länger von einer einheitlich konzipierten „Formel" sprechen.152 Auf dieser Grundlage wird dann freilich weiterhin versucht, eine bestimmte Grundbedeutung des Syntagmas herauszuschälen. Aber auch in diesem Punkt ist in jüngeren Arbeiten ein gewisser einheitlicher Trend auszumachen, nämlich die 148

Näheres zu NEUGEBAUER s. unten. Mit ähnlicher Vehemenz gegen die mystische Deutung und für die vornehmlich instrumentale wie auch modale oder kausale Auflösung der „Formel" hatte sich zuvor bereits BÜCHSEL, In Christus, 141ff. ausgesprochen; vgl. zu diesem Auslegungsmodell ferner FRANKEMÖLLE, Taufverständnis, 116f.; GÄUMANN, Taufe, 58-61; GOPPELT, Theologie, 433f.; KRAMER, Christos, 139ff. 149 Vgl. dazu die knappen Übersichten bei K. SCHÄFER, Gemeinde, 504f. A54 und SEIFRID, In Christ, 434. 150 Dies gilt zumal für das ekklesiologische wie auch das partizipatorische Auslegungsmodell; vgl. zum ersteren nur BULTMANN, Theologie, 312; SCHRÄGE, Einzelgebote, 80f.; zum zweitgenannten s. SCHWEITZER, Mystik, bes. 138-140; SANDERS, Judentum, 437; bei DEISSMANN bleibt freilich die eschatologische Dimension unterbelichtet. Anders verhält es sich mit NEUGEBAUERS Ansatz, bei dem das im Syntagma konzentrierte Bestimmtsein von Kreuz und Auferstehung Christi selbstverständlich als Einbeziehung in ein eschatologisches Geschehen gedacht ist (vgl. dazu nur DERS., In Christo, 132). Allerdings warf KÄSEMANN, Perspektiven, 174f. NEUGEBAUER vor, mit seinem heilsgeschichtlich-historisierenden Ansatz die eschatologische Betrachtungsweise im Kern doch vom Tisch gefegt zu haben. 151 So BEKER, Apostle, 272-274; CRANFIELD, Rom Π, 833-835; DE JONGE, Christ, 916; KÄSEMANN, R o m , 213; K. SCHÄFER, Gemeinde, 87; SCHNELLE, Gerechtigkeit, bes. 1 1 7 -

120; SEIFRID, In Christ, 433; WEDDERBURN, Observations, 84-88. Die Einseitigkeiten der beiden wegweisenden Arbeiten von DEISSMANN und NEUGEBAUER werden so überwunden. Bereits BOUTOER, En Christ, bes. 98-133 hatte die Komplexität und Vielfalt der Aussagedimensionen des paulinischen έν Χριστώ aufgezeigt; ebenso HALTER, Taufe, 65f.; MERK, Handeln, 17. 152 Vgl. dazu BEKER, Apostle, 272; Κ. SCHÄFER, Gemeinde, 86; SCHRÄGE, In Christus, 30; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 107; SEIFRID, In Christ, 433; WEDDERBURN, Observations,

87.92A7. Ich schließe mich dieser Auffassung an und vermeide daher im folgenden die Bestimmung der Wendung als „Formel".

192

Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

Neigung zu einer primär räumlichen Definition, aus der dann die anderen Bestimmungen sekundär abgeleitet werden. 153 Im folgenden sind nun einige Gedanken zusammengetragen, die sich aus einer ritologischen Betrachtung der paulinischen In-Christus-Sätze ergeben und die vor dem Hintergrund der eben genannten neueren Forschungstendenzen dazu verhelfen wollen, den komplexen Bedeutungsgehalt der Wendung noch besser erfassen und stimmig auf den Begriff bringen zu können. Nach einem knappen Hinweis auf das rituelle Fundament der fraglichen Vorstellung soll dazu nochmals ausführlich das ritologische Konzept der Communitas bemüht und auf die zentralen In-Christus-Aussagen angewendet werden. Die Untersuchung schließt mit einer Betrachtung des teilweise abgeschliffenen, auf das alltägliche Denken, Fühlen und Handeln der Christusgläubigen referierenden Gebrauchs des Syntagmas, der gleichfalls unter Zuhilfenahme ritologischer Erkenntnisse neu begreiflich gemacht werden kann.

3.2 Die rituelle Verankerung Die Legitimation für einen ritologisch geprägten Zugriff auf die έν ΧριστωVorstellung ergibt sich aus dem Tatbestand, daß diese für Paulus offensichtlich zumal im Ritual der Taufe gründet. In der Forschung besteht darüber auf relativ breiter Flur Übereinstimmung. 154 Deutlich sichtbar wird die rituelle Verankerung etwa an Stellen wie Gal 3,26-28 oder Rom 6,11; dort finden sich die έν Χριστω-Sätze augenscheinlich in tauftheologische Zusammenhänge eingebettet, wobei das Initiationsritual unverkennbar als Ort figuriert, an dem die für Christusgläubige entscheidende Integration in die Heilssphäre Christi erfolgt: Im Taufritual ziehen sie Christus an (Gal 3,27), werden in dessen Schicksal einbezogen (vgl. Rom 6,3f.; s. oben), mithin in ihn einverleibt. Folgerichtig ist es das Hineingetauftwerden in Christus (εις Χριατόν βαπτισθηναι, 153 Vgl. dazu SCHNELLE; Gerechtigkeit, 106-122; K. SCHÄFER, Gemeinde, 86f.; SCHILSON, Sein, 4 7 - 6 0 ; SEIFRID, In Christ, 433f.; s. auch ARENS, Partizipation, 104; HÜBNER, Theologie Π, passim. Für eine lokale Grundbedeutung votierten bereits zuvor BEST, Body, bes. 8.65-73; OEPKE, έν, 538; PERCY, Leib, 22; WLKENHAUSER, Christusmystik, 27. Die Priorität des lokalen Verständnisses geht auf der grammatikalischen Ebene mit der Feststellung von ROBERTSON, Grammar, 590 konform, wonach der instrumentale Gebrauch der griechischen Präposition έν lediglich eine Art Ausweitung der lokalen Grundbedeutung sei. Bei SEIFRID, In Christ, 434 heißt es: „Even when ,in Christ'/,in the Lord' is used to describe an instrument or manner of action, .Christ' is understood as a defining ,sphere'. The ,in'phrases bear a more specific sense than the .through' phrases ..." 154 Vgl. nur BOUTITER, En Christ, 36-38.133; BULTMANN, Theologie 312; DE JONGE, Christ, 916; GOPPELT, Theologie, 434; LANGKAMMER, Sein, 21.23; LINDEMANN, Kirche, 162; MERK, Handeln, 25ff.; ROLOFF, Kirche, 90ff.; SCHILSON, Sein, bes. 59f.; A.F. SEGAL, Convert, 63 („... baptism provides the moment whereby the believer comes to be in Christ") u.ö.; THÜSING, Per Christum, 65 u.ö.; WlKENHAUSER, Christusmystik, 14.35f. 72ff.; s. besonders SCHNELLE, Gerechtigkeit, 106ff. und SCHWEITZER, Mystik, 117f.

„In Christus": Die Christuscommunitas

193

Gal 3,27), in dem das Leben έν Χριστώ von Grund auf wurzelt.155 Dazu fügt sich, daß die In-Christus-Wendungen nicht selten an Stellen auftreten, an denen der Apostel vermutlich Tauftradition aufgreift. 156 Man wird aber in Anbetracht des Gesagten auch überall dort, wo keine unmittelbare Bezugnahme auf die Taufe vorliegt, das besagte Initiationsritual als ungenannten Hintergrund des έν Χριστώ zumindest mit zu bedenken haben.157 Erinnert werden muß in diesem Zusammenhang indes daran, daß Paulus seine persönliche Christuscommunitas an seiner außerordentlichen Initiationserfahrung vor Damaskus festmacht. Wie aber in § 6 zu sehen war, verwendet er im Zusammenhang der wenigen Rekurse auf dieses Erlebnis in seinen Briefen wiederum Taufsprache bzw. Taufvorstellungen.

3.3 Die vertikale und horizontale Christuscommunitas Berücksichtigt man den ursprünglich rituellen Grund des έν Χριστώ in rechter Weise, so liegt es nahe, die in der Wendung zum Ausdruck gebrachte Beziehung zu Christus mit dem Konzept der Communitas zu erklären und das „Sein in Christus" als Christuscommunitas zu definieren. Zwar hat Victor Turner die Erfahrung von Communitas im Sinne einer Aufhebung der herkömmlichen sozialen Barrieren wesentlich auf den zwischenmenschlichen Bereich bezogen, doch ist es durchaus möglich - wie bereits gegen Ende von § 4.2 angesprochen - , daß der rituellen Annullierung von zwischenmenschlichen, gleichsam horizontalen Trennmauern eine Relativierung von Gegensätzen bzw. Abgrenzungen auf der vertikalen Ebene entspricht, eine Aufhebung also der Differenz zwischen dem transzendenten göttlichen und dem menschlichen Bereich; ja mehr noch, oftmals kommt die horizontale Communitas erst durch eine Art vertikale Communitas zu ihrer vollen Verwirklichung. In diesem Sinn weitet die Turner-Schülerin Barbara G. Myerhoff das Communitaskonzept ihres Lehrers aus, wenn sie im Rahmen ihrer Untersuchung des Peyote-Kultes der mexikanischen Huichol-Indianer schreibt:

155 HALTER, Taufe, 58 schreibt: „Taufe ist Integration in Christus, sie vermittelt das, InChristus-Sein', die Gemeinschaft mit Christus. Dieser Gedanke ist auf jeden Fall sowohl im σί>·ν Χριστώ wie im έν Χριστώ ... impliziert." 156 Vgl. dazu SCHNELLE, Gerechtigkeit, 109ff. Eine detaillierte Diskussion des Problems, wo und in welchem Umfang hinter den relevanten Stellen jeweils spezifische Tauftradition steht und ob der Apostel das fragliche Syntagma bereits in dieser Verwendung vorfand oder ob es eine paulinische Neuschöpfung darstellt, kann hier unterbleiben. Ziel dieser Untersuchung ist die Klärung der Bedeutung des Syntagmas in den vorliegenden Paulustexten. 157 Vgl. LANGKAMMER, Sein, 21: „Wenn er [sc. Paulus] ... in einigen έ-ν Χριστω-Sätzen nicht direkt die Taufe miteinbezieht, setzt er sie voraus."

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Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

„Mir scheint es mehrere Arten von Communitas und viele Wege, um sie zu erreichen, zu geben. In Wirikuta werden die Pilger miteinander eins, indem sie eins mit dem Rothirsch, dem Mais und dem Peyote werden und indem sie zu dem Ort zurückkehren, wo alles eins war. Communitas kann auch als Transzendierung des Ich durch Einswerdung mit dem Kosmos oder den Göttern erreicht werden."158 D i e hier von Myerhoff genannten Elemente treffen in analoger Weise auch auf das in der Taufe wurzelnde είναι έν Χριστώ zu. Auch hier vermischen sich die horizontale und die vertikale Ebene in vergleichbarer Form. So umfaßt das paulinische „in Christus" eine im Ritual, hier vornehmlich in der Taufe konstituierte (1) Einswerdung mit Christus samt Ich-Transzendierung (= vertikale Communitas)159 und bezeichnet zugleich (2) die vorwiegend egalitär geprägte Gemeinschaft der Christusgläubigen (= horizontale Communitas), wobei beide Elemente aufs engste miteinander verknüpft sind. Die Anwendung des ritologischen Communitasmodells kalkuliert somit nicht nur den rituellen Wurzelgrund des Syntagmas ein, sie versetzt uns darüber hinaus in die Lage, mit der Bedeutungskomplexität der In-Christus-Aussagen sachgemäß umgehen zu können. Das Communitasmodell vermag jedenfalls nach meinem Urteil die In-Christus-Sätze besser zu beleuchten als die bislang dazu in der Exegese eingeführten, eher unspezifischen und einseitigen Begriffe der mystischen „Christus-Innigkeit" 160 , der „Christusgemeinschaft" 161 oder der „Christusteilhabe" 162 . Dies gilt es nun anhand der Texte Schritt für Schritt zu untermauern.

158

MYERHOFF, Kult, 168 A* (Hervorhebungen nicht im Original); s. jedoch auch TURNER, Dramas, 291; TURNER bringt dort die Communitas in einen mittelbaren Zusammenhang mit der mystischen Erfahrung des hinduistischen samadhi, „in which such distinctions as I-Thou, God-human, subject-object, become unimportant and all sense to be one or nothing". 159 Ygi SCHWEITZER, Mystik, 125: „Für Paulus ist der Getaufte in allen seinen Lebensäußerungen durch das Sein in Christo bestimmt. In die Leiblichkeit Christi eingepflanzt, verliert er sein kreatürliches Eigendasein und seine natürliche Persönlichkeit." Zu Recht abmildernd formuliert BERGER, Kirche, 203 den Sachverhalt wie folgt: „Kennzeichen des neutestamentlichen .Seins in Christus' ist ... eine hohe Durchlässigkeit, ja partikulare Aufhebung der Persongrenzen (nicht: der Person; das Ich des Menschen redet ja weiter) gegenüber Christus ..." Der von mir gebrauchte Begriff der Transzendierung korrespondiert dieser Einsicht BERGERs: Die Transzendierung des Ich beinhaltet wesentlich ein „Hinüberschreiten", eine „Passage" bzw. eine Transformation des Ego in einen anderen Bereich, hier im besonderen in das Schicksal Christi; dieser Sachverhalt darf nicht mit einer völligen Annullierung des Ichzentrums verwechselt werden, obgleich zweifelsohne eine Relativierung desselben impliziert ist. 160 Vgl. DEISSMANN, Paulus, 107ff.; SCHWEITZER, Mystik, 106.110ff. spricht mit zahlreichen anderen ähnlich von „Christusmystik" 161 So z.B. SCHNELLE, Gerechtigkeit, 106-122 u.ö.; THÜSING, Per Christum, 15.62ff. 162 Vgl. dazu v.a. SANDERS, Judentum, 427-438.480-487, bes. 510; DERS., Paulus, 98101.

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Die vertikale

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Christuscommunitas

Die vertikale Dimension der In-Christus-Aussagen tritt zunächst deutlich in Gal 3,26-29 zutage.163 Aufschlußreich ist insbesondere, wie das in V.26 gebrauchte εν Χριστώ Ίησοϋ164 in V.27 näher begründet (γάρ!) und gedeutet wird. Zunächst ist es die Bemerkung εις Χριστόν βαπτίζεσθαι, die das besagte Syntagma aufnimmt und expliziert. Diese Formulierung wird man nicht ausschließlich als Abbreviatur der geläufigen Formel von der Taufe είς τό όνομα Χρίστου auffassen dürfen.165 Vielmehr ist zusätzlich die räumlich-einverleibende Komponente in der Präposition είς bewußt mitzuhören.166 Das heißt: Die Rede vom „Hineingetauftwerden είς Χριστόν" zielt allem Anschein nach auf einen durch das Ritual bewirkten Akt der „Inkorporation" in die Person Christi. Paulus will die Galater mit anderen Worten an die im rituellen Handeln realisierte Einswerdung mit Christus erinnern.167 Diese Auslegung drängt sich im besonderen angesichts der Aussage Χριστόν ένεδύσασθε in V.27b auf, die als weitere konkretisierende Explikation des „in Christus Jesus" aus V.26 zu lesen ist. Das Motiv des „Anziehens Christi" bringt dabei das Moment der räumlich-leiblichen Eingliederung noch plastischer zum Ausdruck. Zur genaueren Erfassung des Bildes ist ein Blick auf einschlägige Ausführungen des Ethnologen Hermann Baumann zur Bedeutung und Funktion von Kleidern in rituellen Handlungen zweckdienlich. Im Kontext seiner Erläuterungen zu Ritualen sexuellen Kleiderwechsels merkt er 163

Zur Diskussion um die Rezeption von Tauftradition oder einer Taufformel an dieser Stelle s. Anm. 8 und 9 in § 10.4.2 (S. 352). 164 Das „in Christus" ist als eigenständige Wendung von διά τήζ πίστεως abzuheben; so G. BARTH, T a u f e 104 A 2 4 2 ; H.D. BETZ, Gal, 328; DUNN, Gal, 202; ECKSTEIN, Verheißung,

219f.; FUNG, Gal, 171; HALTER, Taufe, 109.563(A2); HAYS, Faith, 169f.; KLAIBER, Rechtfertigung, 92f.; LONGENECKER, Gal, 152f.; LULL, Spirit, 65; MATERA, Gal, 142; MUSSNER, Gal, 261; OEPKE, Gal, 123; K. SCHÄFER, Gemeinde, 85; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 59;

SCHLIER, Gal, 171; THÜSING, Per Christum, 116; WRIGHT, Climax, 47 A18; anders jedoch DEISSMANN, Formel, 103f. 165 So aber z.B. ECKSTEIN, Verheißung, 221; HOFIUS, Glaube, 143f.; LONGENECKER, Gal, 155; s. auch CHRISTIANSEN, Covenant, 314; GUNDRY-VOLF, Christ, 461f. Die besagte Formel steht im Hintergrund von IKor 1,13; vgl. femer Act 8,16; 19,5 sowie Mt 28,19; s. dazu die Literatur in Anm. 22 in § 9 (S. 252). 166 Der räumliche Aspekt kommt in unterschiedlicher Weise bei BÖRSE, Gal, 138; DUNN, Gal, 2 0 3 ; KLAIBER, Rechtfertigung, 93; MUSSNER, Gal, 262; K. SCHÄFER, G e m e i n -

de, 87; SCHILSON, Sein, 50ff. und SCHNELLE, Gerechtigkeit, 121 zur Geltung; s. auch HARTMANN, Namen, 57 samt A7. Zu der immer wieder vorgebrachten Gegenargumentation mit IKor 10,2 vgl. nur die Argumentation bei K. SCHÄFER, Gemeinde, 505 A58 und SCHNELLE, Gerechtigkeit, 121f. 167 OEPKE, Gal, 124 betont zu Recht, daß Paulus an ein durch die Taufe „real vermitteltes rechtliches und persönliches Einswerden mit Christus" denkt. Die Sonderthese DUNNs, Paulus spreche hier nur metaphorisch von der Taufe (s. Gal, 203f.; Theology, 131), scheint mir nicht zwingend.

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Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

grundsätzlich an: „Das Kleid als Organprojektion der Haut ist nicht nur eine Hülle schlechthin, sie ist an Stoff und Person teilhabende Essenz des M e n schen." 1 6 8 Baumann z u f o l g e mag insbesondere der rituelle Kleiderwechsel „dann und w a n n s y m b o l i s c h ' aufgefaßt sein und nur andeuten, primär ist eine faktische und substantielle Umwandlung gemeint" 1 6 9 . Zieht man diese T h e s e Baumanns auch für die im Taufritual verankerte Metapher v o m A n z i e h e n Christi in Gal 3,27 in Betracht, so geht daraus hervor, daß der Ausdruck Χριστόν ένεδύσασθε eine in der Taufe vermittelte Teilhabe an der „Essenz" Christi wiedergibt, eine Art seinsmäßige Einswerdung mit d e m Erhöhten, die eine substantielle Transformation des rituellen Subjekts involviert. 1 7 0 Zu e i n e m analogen Ergebnis gelangt U d o Schnelle: „Keineswegs hat das .Christus anziehen' nur bildhafte Bedeutung, und es ist auch nicht zu reduzieren auf ein Bestimmtsein von Kreuz und Auferstehung, sondern es meint das reale Anziehen und damit Eingehen in den pneumatischen Christus, so daß der Täufling gänzlich von Christus umschlossen und in ihm ist. Auch dominiert ein lokal-seinshaftes Verständnis, denn mit der unbestreitbar räumlichen Dimension der Gewandvorstellung korrespondiert der Gedanke, daß man ,ist', was man .angezogen' hat." 171

168

H. BAUMANN, Geschlecht, 46.

169

Ebd. Zum rituellen, sexuell konnotierten Kleiderwechsel in der Antike vgl. im übrigen DELCOURT, Hermaphrodite, 5-27; zum rituellen Anlegen von Kleidern allgemein s. JOSUTTIS, Weg, 166. Die magische Bedeutung von Kleidung behandelt K.E. MÜLLER, Universum, 314ff. 170 Es ist nicht mehr mit Sicherheit auszumachen, ob Χριστόν ένεδύσααθε an einen konkreten Kleiderritus während des Taufaktes anknüpft. Als Möglichkeit rechnen damit z.B. HANSEN, Abraham, 137; LONGENECKER, Gal, 156; MEEKS, Image, 183 (ältere Vertreter bei HALTER, Taufe, 565 A13). Doch auch wenn es sich nur um eine Metapher für den Taufakt als solchen handeln sollte, so dürfte gleichwohl das Bild - der obigen These BAUMANNs korrespondierend - gerade deshalb gebraucht sein, um die im Ritual realiter bewirkte Transformation zu bekunden; die zahlreichen religionsgeschichtlichen Parallelen für Kleiderwechsel haben jedenfalls meist eine effektive bzw. ontologische Verwandlung im Blick (so K. SCHÄFER, Gemeinde, 88; s. dazu die Übersichten bei H.D. BETZ, Gal, 332f.; BRANDENBURGER, Fleisch, 197ff.; K.M. FISCHER, Tendenz, 154-161; HALTER, Taufe, 113f.565f. A14—18; KEHL, Gewand, 1005ff.). So oder so - ob als Rekurs auf eine symbolische Handlung im Ritual oder als Metapher für das Ritual - zielt das Χριστόν ένεδύσασθε auf eine faktische Einbindung in Christus. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn das Motiv des „Anziehens Christi" auf den rituellen Akt des Untertauchens während der Taufe Bezug nehmen sollte, wie bisweilen gemutmaßt wurde (vgl. BAUMERT, Antifeminismus, 25; BÖRSE, Gal, 138; s. dazu ferner HALTER, Taufe, 565 A13). Zu kurz dürfte hingegen die Ansicht greifen, in Gal 3,27b liege eine Aufnahme von Theatersprache vor (έ-νδύεσθαι mit persönlichem Objekt = „sich wie ein anderer gebärden und darstellen"; so ZAHN, Gal, 188; neuerdings wieder CHRISTIANSEN, Covenant, 316f.); s. dazu die Kritik bei BEASLEY-MURRAY, Taufe, 196; ECKSTEIN, Verheißung, 222 A221; SCHLIER, Gal, 173 A5. 171

SCHNELLE, Gerechtigkeit, 109f.; vgl. ebd., 59; s. dazu auch DlNKLER, Taufaussagen,

65f.; SCHILSON, Sein, 52.

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Bei alledem gilt es zu sehen, daß das den Täufling transformierende Eingehen in den erhöhten Christus zwangsläufig eine Relativierung der herkömmlichen Persongrenzen, eine Abmilderung des Ich-Du-Gegensatzes und insofern eine Transzendierung des Ich einschließt, d.h. eine vertikale Communitas mit Christus. Vollends unterstreicht V.29 diese communitasförmige Gemeinschaft. Der Apostel erläutert in diesem Vers das έν Χριστώ Ίησοΰ aus V.26 und 28 172 mit dem Genitiv Χριστοϋ είναι.173 Der Genitivus possessoris dokumentiert nochmals das enge Verhältnis zwischen den Galatern und Christus und bringt dabei insbesondere die aus der Taufe resultierende Übereignung an diesen auf den Punkt.174 Ja, die in der Taufe etablierte Beziehung zu Christus ist offenbar derart eng, daß es, wie V.29 als Zielformulierung der Argumentation von Gal 3 unmißverständlich anzeigt, zu einer gewissen Statusangleichung zwischen ihm und den Christusgläubigen kommt: Der in V.16 exklusiv Christus zugesprochene Status der Abrahamssohnschaft wird nun nach der Explikation des im Taufritual konstituierten In-Christus-Seins in V.26-28 auf die Christusgläubigen insgesamt ausgeweitet.175 Neben Gal 3,26-28 scheint das Moment der vertikalen Christuscommunitas besonders deutlich in Phil 3,9a (και ευρεθώ έν αΰτώ) auf, hier speziell in Form der engen Verbundenheit zwischen Paulus und seinem Herrn in der Damaskusinitiation. Ich kann dazu auf die obige Exegese in § 6.3 zurückverweisen. Fernerhin klingt der vertikale Aspekt der Christuscommunitas in Rom 6,11 an.176 Der Vers bildet den Abschluß respektive die conclusio des ersten Argumentationsganges in diesem Kapitel.177 Wenn der Apostel nun hier die Römer auffordert, sich als „lebend für Gott in Christus Jesus" (ζώντας δε τω θεώ έν Χριστώ Ίησοΰ) zu betrachten, so formuliert er damit die Quintessenz dessen, was durch die in den Versen zuvor explizierte Taufe möglich wurde, nämlich ein von der Macht der Sünde befreites und dementsprechend Gott gänzlich dienendes Leben. Man wird insofern das έν Χριστώ Ίησοΰ auf das βαπτιζεσ&αι εις Χριστόν Ίησοΰν in V.3 rückzubeziehen haben und es als Ergebnis dieses 172 Auf die Bedeutung des έν Χριστώ in V.28 werde ich gleich unten im Rahmen der Behandlung der horizontalen Communitas eingehen. 173 Die Parallelität von έν Χριστώ Ίησοΰ und Χριστοϋ είναι behaupten ebenso H.D. BETZ,

Gal, 353; DUNN, Gal, 2 0 8 ; KLAIBER, Rechtfertigung, 9 3 ; LONGENECKER, Gal, 158; LULL,

Spirit, 65; THÜSING, Per Christum, 117; vgl. zudem SCHLIER, Gal, 165. 174 Zur Überschneidung der Aspekte der Übereignung und der Integration s. DUNN, Gal, 203; SCHNACKENBURG, Lebensgemeinschaft, 41f. sowie oben Anm. 115. 175 Dies gilt sicherlich primär für jeden einzelnen Gläubigen: Qua Initiation erlangt der Neophyt für sich eine besondere Verbundenheit mit Christus (vertikale Christuscommunitas). Doch nachdem in V.28 auch eine kollektive Dimension des „in Christus" sichtbar wird (dazu s. weiter unten), läßt es sich kaum vermeiden, auch in V.29 kollektive Konnotationen mitzuhören! 176 Zu den unübersehbar heilsgeschichtlichen Konnotationen des Verses s. unten. 177

S o u.a. mit DUNN, R o m I, 306; KÄSEMANN, R o m , 142; MERK, Handeln, 2 5 ; SCHIL-

SON, Sein, 54; SCHNELLE, Gerechtigkeit 85.110; s. auch SCHMITHALS, Rom, 193.

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Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

Hineingetauftwerdens verstehen. Es bezeichnet dann ähnlich wie in Gal 3,26f. die innige Christusgemeinschaft im Sinne einer vertikalen Communitas.178 Auf dieser in 6,1-11 errichteten Grundlage ist schließlich auch die Verwendung des έν Χριστώ in 6,23 sowie in 8,1 zu erklären.179 2Kor 12,2 kann als weiterer Beleg herangezogen werden: Mit den Worten οίδα άνφρωπον έν Χριστώ leitet der Apostel in distanzierter Form (3.Pers.Sg.) die Schilderung einer vor langer Zeit persönlich erfahrenen ekstatischen Entrückung ein. Es ist anzunehmen, daß die Näherbestimmung έν Χριστώ dabei die in der Initiation gestiftete,180 außergewöhnlich enge Zugehörigkeit zu Christus beschreibt, die in diesem speziellen Fall als Fundament für die im Anschluß geschilderte, das eigene Ich transzendierende ekstatische Erfahrung fungiert.181 Daß das paulinische „in Christus" eine vertikale Christuscommunitas zum Inhalt hat, bei der die Persongrenzen zwischen Christus und gläubigem Individuum durchlässig werden, bekundet sich schließlich darin, daß der Apostel die Wendung reziprok verwenden kann: An mehreren Stellen in seinen Briefen spricht er vom „Christus in mir" oder „Christus in euch".182 Erinnert sei hier nur an das έν έμοι der Damaskusszene in Gal 1,16 (s. oben § 6.2). Eine Schlüsselrolle kommt in diesem Zusammenhang freilich Gal 2,20 zu: „Ich lebe, nun aber nicht mehr ich, sondern es lebt in mir Christus" (ζώ δέ οΰκέτι έγώ, ζη δέ έν έμοι Χριστός). Die Radikalität der Christusgemeinschaft im Sinne 178 Ähnliche, gleichwohl nicht in dieser Form ritologisch fundierte Interpretationen bei FITZMYER, Rom, 439 („phrase of union"); SCHLIER, Rom, 201; SCHILSON, Sein, 54; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 110f.; THÜSING, Per Christum, 67ff.; WlKENHAUSER, Christusmystik, 75f.; z.T. ZELLER, Rom, 126 („in der Gemeinschaft mit ihm gehalten"). Ekklesiologisch deuten das Syntagma hingegen GÄUMANN, Taufe, 60; KRAMER, Christos, 140 A10; MERK, Handeln, 27. Der kollektive Aspekt mag hier möglicherweise sekundär mitschwingen, in Anbetracht der obigen Argumentation ist er aber keinesfalls primärer Inhalt der Wendung (s. dazu SCHNELLE, Gerechtigkeit, 111; KÄSEMANN, Rom, 163). 179 Zu diesem Brückenschlag vgl. THÜSING, Per Christum, 67 A22; s. auch DUNN, Rom I,

415; WRIGHT, Climax, 47. 180 Da es um Paulus geht, wird man hier eher an das Damaskuserlebnis denken als an die Taufe. 181 Die Deutung des έν Χριστώ als Ausdruck einer engen Verbundenheit mit Christus vertreten für diese Stelle ebenso'BULTMANN, 2Kor, 221; HECKEL, Kraft, 59 sowie ZmiJEWSKI, Stil, 337, der hier mit WINDISCH, 2Kor, 370 A l den Gedanken der „mystischen Gemeinschaft" ins Spiel bringt. Daß die enge Gemeinschaft zwischen Paulus und Christus zumal in diesem Kontext eine Annullierung des paulinischen Ego impliziert, deutet sich bei BULTMANN, 2Kor, 221 an: „Was Paulus erzählt, ist nur bei einem Menschen έν Χριστώ möglich, weil der Mensch dabei nichts ist"; ebenso A.T. LINCOLN, Paradise, 76; R.P. MARTIN, 2Cor, 399; anders BAUMGARTEN, Apokalyptik, 143 und NEUGEBAUER, Untersuchung, 125f., die die Wendung lediglich als Hinweis auf das „Christsein" des Menschen respektive Pauli verstehen. 182 Zu diesen „Korrespondenzaussagen" vgl. auch NEIRYNCK, Lehre, 793f.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 120f.; SCHWEITZER, Mystik, 126; WlKENHAUSER, Christusmystik, 1925.37-48. An zwei Stellen heißt es, daß Gott den Gläubigen innewohne (IKor 14,25; 2Kor

6,16).

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einer Transzendierung des Ich wird hier augenfällig erkennbar. 183 Christus nimmt sozusagen im Individuum Wohnung, bestimmt und beherrscht es. Auf dieser Linie liegen auch jene Stellen, an denen Paulus in ähnlicher Weise in der 2.Pers.Pl. formuliert, z.B. Rom 8,10 („Wenn Christus in euch [ist] ..."); 2Kor 13,5 („Oder erkennt ihr euch selbst nicht, daß Jesus Christus in euch [ist]?") und Gal 4,19 („Meine Kinder, die ich wieder unter Schmerzen gebäre, bis Christus in euch Gestalt annimmt"). Wie insbesondere der Zusammenhang in Rom 8,9-11 deutlich macht, ist diese Einheit mit Christus durch den Geist vermittelt und insofern pneumatisch bedingt (vgl. dazu die analoge Wendung έν πνεύματι [Rom 8,9; 9,1; 14,17; 15,16; IKor 6,11; 12,3.9 u.ö.] und die Rede von der Einwohnung des Heiligen Geistes [Rom 8,11; IKor 3,16; 6,19]). Bezieht man diese sog. Korrespondenzaussagen mit in die Überlegungen ein - und das empfiehlt sich, ist doch die enge Verwandtschaft unübersehbar - , so erhärtet sich der Eindruck, daß die έν Χριστω-Sätze eine innige Gemeinschaft mit Christus artikulieren, eine Communitas, die mit einer Transzendierung des alten Ego zusammenfällt.

Vertikale Christuscommunitas und Heilsgeschichte In der älteren exegetischen Diskussion erfuhr nun allerdings die Konzentration des besagten Ausdrucks auf den Aspekt der Christuspartizipation mehrfach dezidiert Ablehnung, und zwar zugunsten einer einseitigen Bevorzugung der sog. heilsgeschichtlich-historisierenden Deutung; das heißt, die partizipatorischen und die heilsgeschichtlichen Konnotationen des Syntagmas wurden in aller Regel explizit gegeneinander ausgespielt.184 Die hier vorgelegte Anwendung des ritologischen Modells einer vertikalen Christuscommunitas eröffnet demgegenüber die Möglichkeit einer Synthese wichtiger Aspekte beider Interpretationsansätze. Der partizipatorische Zugang läßt sich auf dieser Folie mit dem heilsgeschichtlichen sinnvoll in Einklang bringen. Um dies zu verdeutlichen, sei zunächst die klassische Ausformulierung der heilsgeschichtlich-historisierenden These nach Neugebauer nochmals in groben Zügen rekapituliert: Neugebauer zufolge zielt das paulinische έν Χριστώ generell auf Kreuz und Auferstehung Christi, und zwar verstanden als faktische Ereignisse. Mit der „formelhaften 183 Vgl. dazu freilich das oben in Anm. 159 Gesagte: Es geht hier nicht um eine völlige Auflösung der Person! „Der Christus ist immer der personale Christus, und auch der Christ verliert seine Persönlichkeit nicht" (NEIRYNCK, Lehre, 794). Schließlich betont Paulus im selben Vers, daß er noch „im Fleisch" lebt. Vgl. dazu auch LONGENECKER, Gal, 92f.;

SCHRÄGE, In Christus, 34; WIKENHAUSER, Christusmystik, 25. 184 Dies trifft zumal auf BÜCHSEL, In Christus, 141ff. und NEUGEBAUER, In Christo, passim zu, die eine räumlich-partizipatorische (= mystische) Auslegung des „in Christus" ausdrücklich negieren.

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Wendung"185 bringe der Apostel dementsprechend primär „eine Geschichte, ein Handeln, ein Geschehen"186 auf den Begriff. Als adverbiale Umstandsbestimmung benenne das Syntagma konkret das „Bestimmtsein von" diesem eschatologischen Geschehen sowie das damit einhergehende Einbezogensein in die besagte Geschichte.187 Auf dieser Grundlage gibt Neugebauer den bekannten Satz ώστε εί τις έν Χριστώ, καινή κτίσις aus 2Kor 5,17 mit den Worten wieder: „Ist jemand bestimmt von Kreuz und Auferstehung Jesu, ist er einbezogen in dieses Christusgeschehen und ist er also mit Christo gestorben und auferstanden, so ist er eine neue Kreatur "188

Dieser Auslegung ist insoweit beizupflichten, als der Apostel das „in Christus" in der Tat immer wieder in Kontexten einsetzt, die die Dynamis des Todes und der Auferstehung Christi entfalten. Dies gilt vorzugsweise für solche Stellen wie Phil 3,9; Rom 6,11 oder den eben zitierten Satz in 2Kor 5,17. Dieser Befund kann nun allerdings ohne viel Mühe in das rituelle Konzept der vertikalen Christuscommunitas integriert werden,189 denn die im Ritual verankerte Konformisierung mit einer göttlichen Person umfaßt gemeinhin die Integration in deren vergangene Geschichte bzw. die Reaktualisierung der göttlichen Geschichte am rituellen Subjekt.190 Auf Paulus übertragen heißt das: Die in der Initiation - sei es in der Taufe, sei es in der speziellen Damaskuserfahrung des Apostels - konstituierte enge Verbundenheit mit Christus inkludiert wesenhaft die Einbindung in dessen heilsgeschichtlich relevantes Schicksal am Kreuz und in der Auferstehung. Genauer noch: Die Communitas mit Christus manifestiert sich grundlegend just in der rituell vermittelten Eingliederung in das Kreuzes- und Auferstehungsgeschehen. Phil 3,9-11 bezeugt diesen Zusammenhang besonders anschaulich - hier im Kontext der Damaskusinitiation: Die mit der Wendung καί ευρεθώ έν αύτω (V.9) zum Ausdruck gebrachte vertikale Christuscommunitas wird in V.lOf. durch die Eingliederung des Apostels in die Dynamik des Todes und der Auf185 NEUGEBAUER, In Christo, 125f.; vgl. dazu die obigen Bedenken im Zusammenhang mitAnm. 152. 186 NEUGEBAUER, Untersuchung, 148. 187 Vgl. NEUGEBAUER, In Christo, 132. 188 Ebd. 189 Freilich lehnen die Vertreter des heilsgeschichtlichen Modells just diesen rituellen respektive „sakramentalen" Bezug ab! Für sie geht es um das direkte, unvermittelte Einbezogensein in das Christusgeschehen. Wie man sich dieses aber vorzustellen hat, bleibt letztlich unklar. NEUGEB AUER spricht lediglich von einem „Bestimmtsein durch" (vgl. z.B. DERS., In Christo, 132), unterläßt es aber, dieses näher zu konkretisieren; vgl. dazu auch die Gedanken unten im Rahmen von Anm. 30 und 31 in § 9.1 (S. 253). 190 Den Aspekt der im Ritual erwirkten Konformität mit göttlichen Taten und die von daher erwirkte Einheit mit diesen hat insbesondere ELIADE herausgearbeitet. ZUESSE, Ritual, 410 faßt diesen Ansatz folgendermaßen zusammen: „By repeating the primordial deeds of the gods, human beings become as the gods, posturing out their will and establishing their divine world." Näheres dazu in § 8.4.

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erstehung Christi expliziert. Zu genaueren Details siehe die obige Exegese in §6.3. Aufschlußreich ist überdies Rom 6,11. Wie bereits gezeigt, steht έν Χριστώ hier für die Inkorporation in die Person Christi. Diese schließt jedoch eine Integration in dessen heilsgeschichtliches Schicksal ein. Die fragliche Wendung rekurriert ja auf V.3ff. Dort aber wird die Taufe ε!ζ Χριστόν mit der Integration der Christusgläubigen in die Heilsdynamik des Todes und der Auferstehung Christi gekoppelt. Das bedeutet: Die in dem Syntagma verdichtete Gemeinschaft mit Christus schließt zugleich eine Hineinnahme in Christi Transformationsprozeß vom Tod zur Auferstehung mit ein, und zwar mit dem Resultat, daß die Getauften - wie es V. 11 explizit formuliert - nun der Sünde gestorben sind, um Gott zu leben.191 Ganz richtig hat Neugebauer speziell 2Kor 5,17 als Bestätigung seines Ansatzes zitiert. So entfaltet der dem Vers unmittelbar vorauslaufende Sinnabschnitt V.14-16 eindringlich die Heilsbedeutung des Todes Christi und fordert dabei vor allem in V.15b ein Leben in Konformität mit dem Gestorbenen und Auferstandenen, des Christus also, der nicht mehr „nach dem Fleisch", sondern der nun in seiner eschatologischen Heilsbedeutung erkannt wird (V.16). In Ansehung dieses Gedankengangs ist das in V.17 artikulierte „Sein in Christus" zu begreifen. Es beinhaltet dann in der Tat das Einbezogensein in das von Christus gewirkte Heilsgeschehen.192 Am Rande sei schließlich notiert, daß selbst Udo Schnelle, der Neugebauers Ansatz von Grund auf kritisch gegenübersteht193 und das paulinische „in Christus" entschieden im Sinne einer individuellen, seinshaften Christusgemeinschaft interpretiert, gleichfalls einräumt, mit dem Syntagma sei „der Gedanke einer realen Teilnahme des Täuflings am Geschick seines Herrn [verbunden], denn das Heilsgeschehen gilt nach vorpaulinischer und paulinischer Auffassung dem Menschen nur dann, wenn er in das Geschehen selbst voll hineingezogen wird"194.

191 Zu einseitig heilsgeschichtlich interpretieren an dieser Stelle jedoch FRANKEMÖLLE, Taufverständnis, 93-95 und GÄUMANN, Taufe, 60; vgl. auch CRANFIELD, Rom I, 315f. NEUGEBAUER, Untersuchung, 101 betont hier dagegen vornehmlich die ekklesiologische Komponente; ebenso MERK, Handeln, 27. 192 Den in der έν Χριστώ-Aussage komprimierten Gedanken der Teilhabe am Heilsgeschehen von Tod und Auferstehung Christi sehen hier ähnlich BULTMANN, 2Kor, 158; DE

OLIVEIRA, D i a k o n i e , 3 6 1 f . ; GÜTTGEMANNS, A p o s t e l , 3 0 9 ; KLAUCK, 2Kor, 55; KREMER, 2Kor, 57; F. LANG, Kor, 55; PERCY, Leib, 33; TANNEHILL, D y i n g , 6 8 f . ; WINDISCH, 2 K o r ,

189; vgl. ferner KIM, Origin, 16, der allerdings den Vers zu sehr allein auf das Damaskuserlebnis des Apostels verkürzt. 193 Vgl. SCHNELLE, Gerechtigkeit, 115.119; ähnlich kritisch auch K. SCHÄFER, Gemeinde, 86. 194 SCHNELLE, Gerechtigkeit, 111. SCHNELLE fährt jedoch ebd. mit der gegen NEUGEBAUER gerichteten Bemerkung fort, daß die Teilnahme am Geschick des Herrn „in ihrer Realistik nicht auf ein .Bestimmtsein durch Christus' zu reduzieren ist". Zu Recht stellt er

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Die horizontale Christuscommunitas Die in der Initiation gestiftete Christusbeziehung besitzt des weiteren eine kollektive Dimension: Die In-Christus-Sätze weisen unübersehbar soziale bzw. ekklesiologische Implikationen auf.195 Auch diese fügen sich trefflich dem Communitasmodell ein, wobei hier nun die eigentlich klassische horizontale Komponente des Modells belangvoll wird, nämlich das Moment der Egalität und Universalität in der Gemeinschaft der Initiierten. Vielsagend ist in dieser Hinsicht erneut Gal 3,26-28, genauer V.28.196 Dem Vers läßt sich entnehmen, daß die allen Täuflingen gemeinsame Erfahrung vertikaler Christuscommunitas, die sich in V.26 in der έν Χριστω-Wendung manifestiert und die in V.27 in der Rede vom Hineingetauftwerden εΐ,ς Χριστόν und vom Anziehen Christi weiter konkretisiert wird (s. dazu oben), mit einer intensiven Einheit unter den Neophyten einhergeht, in der Gegensätze und Differenzen verschiedenster Art überholt sind. Angesichts der allen gemeinsamen Taufe und der darin je und je individuell realisierten Christuscommunitas werden die zentralen ethnisch-heilsgeschichtlichen, sozialen und geschlechtlichen Unterschiede für obsolet erklärt.197 Es gilt: πάντες γαρ είς έστε έν Χριστώ Ίησοϋ. Das heißt: Weil alle Christusgläubigen qua Ritual in dieselbe Person, nämlich Christus, und somit in dieselbe Heilssphäre integriert sind, verlieren die genannten Unterschiede ihre Relevanz; die Getauften bilden nun eine Einheit, sie sind gleichsam „einer" (εις), eine Art Gesamtperson. Die Christuscommunitas erfährt so in Gal 3,28 eine konkrete soziale Zuspitzung; dem έν Χριστώ Ίησοϋ am Ende des Verses ist folglich eine kollektive Ausrichtung nicht abzusprechen, auch wenn es entschieden zu weit gehen mag, das Syntagma hier einfach als Kürzel für die έκκλησία zu nehmen.198 Der kollektiv-ekklesiologische Gehalt ist aber allein schon aufgrund des Vokabulars in V.28 angezeigt, der Aufzählung der zentralen menschlichen Dualismen, sowie aufgrund des expliziten Gegensatzes von πάντες und είς. Zieht man nun die oben erörterte individuelle Orientierung des Kontextes mit in Betracht, so wird Gal 3,26-28 insgesamt zum sprechenden Beleg für die enge Verflochtenheit der vertikalen und horizontalen, der individuellen und sozialen Dimension der In-Christus-Aussagen: Die beiden unterschiedlichen Komponenten bilden in dieser Passage gleichsam die zwei Seiten ein- und dersel-

heraus, daß das „Sein in Christus" als ein in der Taufe konkret manifestierter, objektiver Tatbestand verstanden werden müsse. 195 v g l . KLAIBER, Rechtfertigung, 103: „Die Formel ,in Christus' impliziert eine Sozialstruktur"; ähnlich A.F. SEGAL, Convert, 262: „Paul's phrase in Christ represents his closest approximation of a definition of community." 196 Zur Diskussion um die Rezeption von Tauftradition oder einer Taufformel an dieser Stelle s. den Verweis oben in Anm. 163. 197 Näheres dazu in §§ 10.4 und 10.5. 198 So mit SCHNELLE, Gerechtigkeit, 60f.

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ben Medaille. In der Exegese hat dieser enge Nexus der beiden Communitaskomponenten indes einen Dissens über die korrekte Deutung speziell des „in Christus" in Gal 3,28b heraufbeschworen.199 Wie eben dargelegt, wird man in diesem Fall freilich zumal an der vornehmlich horizontalen Dimension des έν Χριστώ festzuhalten haben; gleichwohl scheint es aufgrund des Textumfeldes und der insgesamt in diesem Abschnitt merklichen Oszillation zwischen beiden Komponenten verfehlt, auf einem allzu strikten Entweder-Oder in dieser Frage zu beharren.200 Das Moment der horizontalen Christuscommunitas tritt weiterhin in Rom 12,4f. zutage. Paulus kommt dort in V.4 zunächst auf den menschlichen Körper mit seinen zahlreichen, in ihrer Funktion verschiedenen Gliedern zu sprechen und zieht dann in V.5 folgenden Vergleich: „So sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, im Verhältnis aber zueinander Glieder." Der Apostel greift das Bild vom Organismus auf, um die Einheit der römischen Gemeinde gerade in und aufgrund ihrer Vielfalt hinsichtlich der Charismen zu versinnbildlichen (s. V.6).201 Bemerkenswert ist, daß er die Beschreibung der Gemeinde als εν σώμα mit dem έν Χριστώ-Syntagma auf spezifische Weise zuspitzt, wobei man die Wendung als den der σώμα-Metaphorik übergeordneten und sie interpretierenden Ausdruck zu verstehen haben wird.202 Daraus ergibt sich, daß die Einheit der Gemeinde in ihrem In-Christus-Sein wurzelt, das heißt, das έν Χριστώ verweist auf „den auferweckten Christus selbst als die alle miteinander verbindende Wirklichkeit, so daß man sagen muß: Der auferweckte Christus ist die Einheit der Gemeinde, er begründet sie in seiner Person."203 Anders gesagt: „Nur sofern ,die Vielen' ,in Christus' sind, sind sie ein Leib."204 Die Wendung εν σώμα έν Χριστώ umschreibt demnach insgesamt den gemeinsamen Lebensraum der an Christus partizipierenden Initiierten. Dem Communitasideal entsprechend erscheint die römische Gemeinde dabei als eine Gemeinschaft, in der bestehende Unterschiede, hier insonderheit im Hin199

Für eine explizit kollektive Auslegung plädieren H.D. BETZ, Gal, 352; BLANK, Jesus,

2 7 3 A 2 8 ; D E JONGE, Christ, 9 1 6 ; DUNN, Gal, 2 0 7 f . ; ECKSTEIN, Verheißung, 2 2 3 f . ; KLAIBER, Gerechtigkeit, 93f.; LONGENECKER, Gal, 158; OEPKE, Gal, 126; K. SCHÄFER, G e m e i n -

de, 97; SCHWEITZER, Mystik, 119; WIKENHAUSER, Christusmystik, 126 (weitere Vertreter bei HALTER, Taufe, 567 A20); deutlicher individuell interpretieren hingegen BAUMERT, Antifeminismus, 34-36; MUSSNER, Gal, 264f. und SCHNELLE, Gerechtigkeit, 6 0 f . l l 0 . 200 Für das Ineinander beider Aspekte votieren gleichfalls HARTMANN, Namen, 57; HALTER, T a u f e , 116; ROHDE, Gal, 165f.; SCHILSON, Sein, 5 2 f . ; SCHLIER, Gal, 175. A u c h

SCHNELLE, Gerechtigkeit, 110 räumt trotz seiner schwerpunktmäßig lokal-seinshaften Auslegung ein, daß damit die ekklesiologische Interpretation nicht einfach bestritten sei. 201 DUNN, Rom Π, 725 konstatiert mit Recht: „The point is that the body is one not despite its diversity, but is one body only by virtue of its diversity." Auf die genauere Bedeutung und Funktion der Leibmetaphorik bei Paulus werde ich in § 10.3 noch ausführlicher zu sprechen kommen. 202 Ygi dazu SCHNELLE, Gerechtigkeit, 143; s. auch KLAUCK, Herrenmahl, 336. 203 204

THEOBALD, R o m Π, 36. SCHRÄGE, In Christus, 37.

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blick auf die Charismen, in einer alle umfassenden Größe relativiert bzw. zusammengefaßt sind. Fragt man, worin das „in Christus" in Rom 12,5 konkret gründet, fragt man mithin nach der Basis des „in Christus" in der Gemeindewirklichkeit, so wird man angesichts der bisherigen Beobachtungen wohl auch für Rom 12,5 zunächst das Taufritual zu benennen haben, den Initiationsakt also, der den Quellgrund der Gemeinde darstellt. Dies legt obendrein die sachliche Parallele in IKor 12,12f. nahe; dort assoziiert Paulus die Leibmetaphorik direkt mit der Taufe: ημείς πάντες εις εν σώμα έβαπτίσθημεν (V. 13).205 Genauer noch dürfte es wiederum die im Initiationsakt gewonnene vertikale Christuscommunitas sein, die letzten Endes im Hintergrund steht und aus der heraus sich die horizontale Gemeinschaft generiert.206 Dann aber trägt die Wendung έν Χριστώ in Rom 12,5 trotz der insgesamt horizontalen Ausrichtung des Kontextes ebenfalls vertikale Konnotationen, auch wenn diese hier nicht so deutlich hervortreten wie in Gal 3,26-28. Darüber hinaus darf nun nicht übersehen werden, daß die Formulierung ol πολλοί εν σώμά έσμεν in Rom 12,5 wörtlich IKor 10,17 aufnimmt; dort steht das Leib-Motiv in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Herrenmahl. Aus diesem Grund ist nicht völlig auszuschließen, daß der Apostel bei der außergewöhnlichen Formulierung εν σώμα έν Χριστώ gleichermaßen an die in der Feier des Herrenmahl erfahrene Gemeinschaft der Gemeinde denkt, 207 in der sich ja die in der Taufe eröffnete Communitas immer wieder aufs neue formiert, und die, wie IKor 10,16 belegt, ebenfalls in der vertikalen, über Brot und Wein vermittelten Communitas mit dem Herrn wurzelt (Näheres dazu in §§ 10.2.3.2 und 10.3). Franz-Josef Ortkemper beobachtet bei Paulus von daher mit Recht „eine feste Gedankenverbindung: Taufe - Herrenmahl - Einheit der Gemeinde" 208 . Auch das „in Christus" in IKor 1,30 besitzt eine horizontale bzw. ekklesiologische Ausrichtung. 209 Diese tritt hervor, wenn man den Kontext gebührend beachtet. 210 Dort thematisiert der Apostel in V.26-28 zunächst das soziale Gefälle innerhalb der korinthischen Gemeinde und zeigt daran auf, daß 205 Auf Taufhintergrund verweisen ebenso ORTKEMPER, Leben, 49; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 142f.; SCHILSON, Sein, 58; s. auch CRANFIELD, Rom Π, 834 („sense Π": „we are in Christ through baptism"). 206 Vgl. CRANFIELD, Rom Π, 834 A l : „12,5 expresses the truth that the believer's being in Christ ... necessarily binds him to all others who are also thus in Christ"; s. ferner SCHNELLE, Gerechtigkeit, 142f. 207 Vgl. dazu WlLCKENS, Rom ΠΙ, 12f. sowie CONZELMANN, Grundriß, 296; KLAUCK, Herrenmahl, 336 (fragend); DUNN, Rom Π, 723; ORTKEMPER, Leben, 50; STUHLMACHER, Rom, 173; THEOBALD, Rom Π, 40ff. 208 ORTKEMPER, Leben, 50; die Verbindung äußert sich namentlich in IKor 12,13, wenn dort mit πάντες εν πνεύμα έποΐίσθημεν auf das Herrenmahl angespielt ist; vgl. dazu Anm. 92 und 93 in § 10.3.2 (S. 320). 209 Auf die ekklesiologische Ausrichtung des Syntagmas an dieser Stelle macht auch SCHRÄGE, IKor I, 214 (vgl. DERS., In Christus, 37) aufmerksam. 210 Ich werde darauf in § 9.3 noch genauer zurückkommen (S. 289f.).

,Ιη Christus": Die Christuscommunitas

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sich Gottes Erwählungshandeln nicht an hohen Statuspositionen orientiert, sondern gerade auf das Törichte, Schwache und Unvornehme der Welt zielt. Im unmittelbar daran anschließenden Finalsatz (V.29) stellt er dann dezidiert die Eliminierung allen menschlichen Rühmens coram deo als innere Absicht dieser göttlichen Erwählung heraus. Auf dieser Folie betont er in V.30a: Von diesem jegliche menschliche Ehransprüche ignorierenden Gott her seid ihr, 211 die korinthische Gemeinde, ε\ Χριστώ Ίησοϋ. Das heißt: Die Gemeinde verdankt ihre Existenz einem Gott, der menschlichen Ruhm aufgrund bestimmter Statuspositionen ignoriert; dieser Umstand impliziert, daß die christusgläubigen Korinther eigentlich der Rangelei um Ehransprüche und Statuspositionen enthoben sind, daß sie von Gott her eine communitasförmige Gemeinschaft bilden, die von dem Rangunterschiede und damit Spaltungen provozierenden καυχασϋαι befreit ist und sich allemal nur „im Herrn" rühmt (V.31); 212 als έν Χριστώ miteinander Verbundene verkörpern sie faktisch eine anti-strukturelle Gemeinschaft unter dem Gekreuzigten (vgl. V.23f.), dem von der Welt Verachteten, der ihnen jedoch zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung wurde (V.30b), wobei symptomatisch ist, daß in den letztgenannten Begriffen wiederum Taufterminologie begegnet. 213 Daraus läßt sich abermals herauslesen, daß das „Sein in Christus" in der Taufe gründet; 214 von daher gibt auch IKor 1,30 zumindest andeutungsweise das Konzept einer sich zumal aus der vertikalen Christuscommunitas heraus generierenden horizontalen Communitas zu erkennen. Die die herkömmlichen Statuspositionen nivellierenden Implikationen des Ausdrucks offenbaren sich ebenfalls in Gal 5,6. An dieser Stelle ist es im besonderen die ethnisch-heilsgeschichtliche Differenz zwischen Beschnittenen und Unbeschnittenen, zwischen Juden und Heiden, die Paulus έν Χριστώ außer Kraft gesetzt sieht. Dementsprechend warnt er seine heidnische Gemeinde bereits in Gal 2,4 vor der Beschneidungsforderung der sog. „Pseudobrüder", und zwar wiederum explizit auf der Basis der „in Christus" gewonnenen Freiheit und d.h. doch wohl aufgrund der in der Taufe gestifteten Communitas aus Juden und Heiden. 215

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Das έστε wird man mit CONZELMANN, IKor, 72f. A25; MERKLEIN, IKor, 200; SCHRÄGE, IKor I, 213f.; THEIS, Weisheitslehrer, 193 nicht als selbständige Aussage nehmen und als Kontrast zum „Nicht-Sein" in V.28 lesen dürfen; zur diesbezüglichen Diskussion in der älteren Exegese s. R. BAUMANN, Mitte, 132f. A48. 212 Es gilt hier mit SCHNELLE, Gerechtigkeit, 44 zu beachten: „IKor 1,30 steht inmitten eines durch die Spaltung in der korinthischen Gemeinde geprägten Abschnitts (1,10-3,23)." 213 Dies zeigt ein Vergleich mit IKor 6,11. Auf die Verwendung von Taufterminologie bzw. Tauftradition weisen auch R. BAUMANN, Mitte, 135f.; MERKLEIN, IKor, 202; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 45f.; SCHRÄGE, IKor I, 204f.; STUHLMACHER, Gerechtigkeit, 185f.; WENDLAND, Kor, 34. 214 Ebenso ORTKEMPER, IKor, 31; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 45f.; WENDLAND, Kor, 33f. 215 Zur ethnischen Communitas aus Juden und Heiden s. unten §§ 10.4.3 und 10.5.1.

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Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

Infolge dieser horizontalen Dimension des Seins in Christus kann der Apostel die Wendung schließlich überhaupt als Kürzel gebrauchen, das die Identität der Gemeinschaft der Erretteten und die Zugehörigkeit zu dieser anzeigt.216 Diese Verwendung des Syntagmas begegnet überwiegend in den Präund Postskripten der paulinischen Briefe: IKor 1,2 („den in Christus Jesus Geheiligten"); Phil 1,1 („allen Heiligen in Christus Jesus, die sind in Philippi"); Rom 16,11 („Grüßt die aus dem Haus des Narzissus, die im Herrn sind"; ähnliche Grüße an bestimmte Personen in Christus bzw. im Herrn begegnen in Rom 16,3.7.9.10.13); auch IKor 15,18 (die in Christus Entschlafenen") und IThess 4,16 sind wohl hier anzusiedeln („die Toten in Christus werden zuerst auferstehen").

Zwischenfazit Die voranstehende Untersuchung hat hinreichend sichtbar werden lassen, daß die in der älteren Forschung erkennbare Tendenz, die von Paulus durchgängig in seinen Briefen gebrauchte Wendung έν Χριστώ bzw. έν κυρίω rein mystisch bzw. partizipatorisch, ekklesiologisch oder heilsgeschichtlich-historisierend zu interpretieren, den Texten nicht gerecht zu werden vermag. Vielmehr sind alle drei genannten Aspekte sachgemäß; sie müssen darum in ihrem Zusammenhang gesehen werden.217 Das Konzept der Communitas ermöglicht es, diesen Zusammenhang auf den Begriff zu bringen, d.h. ihn theoretisch zu verorten. Sowohl die im Initiationsakt gestiftete individuelle Gemeinschaft mit Christus als auch die in diesem Geschehen wurzelnde, egalitär ausgerichtete Verbundenheit der Initiierten läßt sich unter dem ritologischen Leitwort „Christuscommunitas" stimmig zusammenfassen; dies gilt gleichermaßen für 216 Vgl. M.Y. MACDONALD, Churches, 74: „The expression έν Χριστώ reinforces the boundaries separating the body of those who will be saved from those on the outside." 217 Vgl. dazu THÜSING, Per Christum, 65: „Das Sein und Leben in Christus hat sowohl einen individuellen als auch einen sozialen Bezug. Keiner dieser beiden Aspekte darf außer acht gelassen werden; beide bedingen sich einander." M.Y. MACDONALD, Churches, 74 meint: „It seems that when Paul uses ,έν Χριστώ' he means both that salvation is attained through attachment to the Messiah - participation in his death and resurrection - and that salvation is to be found in the community of believers which is centered around Christ." An dieser Stelle sei hinzugefügt, daß sich zumal das Ineinander von individueller und kollektiver Interpretation wenigstens z.T. auch vor dem Hintergrund des mediterran-antiken dyadischen Personkonzepts erklären läßt. Demgemäß hing die Identität eines Menschen nicht so sehr an seiner ganz spezifischen Individualität, sie ergab sich vielmehr namentlich aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Familie, Dorfgemeinschaft etc.; Näheres „zur dyadischen Person" unten im Exkurs in § 9.3 [S. 281f. mit Anm. 155]). Aus dieser Perspektive wäre ein Paulus, der die Identität der Christusgläubigen, die sich ja nicht zuletzt in der έ-ν Χριστω-Wendung verdichtet, exklusiv an die individuelle Christusgemeinschaft rückbindet, nur schwer denkbar.

„In Christus": Die Christuscommunitas

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das heilsgeschichtliche Moment des Syntagmas, das eng mit der vertikalen Christuscommunitas verknüpft ist, insofern diese zugleich das Einbezogensein in den Tod und die Auferstehungsdynamis Jesu Christi mit impliziert. Zur Verdeutlichung und Vertiefung dieser Verflechtung kann Evan Μ. Zuesses bündige Zusammenfassung der Bedeutung des religiösen Rituals herangezogen werden: „By conforming to models or paradigms that refer to the primordial past and that can be shared by many people, ritual ... enables each person to transcend the individual self, and thus it can link many people together into enduring and true forms of community."218 All die oben entfalteten Elemente der έν Χρι,στω-Wendung sind in diesem Zitat mehr oder weniger enthalten: das Einbezogensein in ein vergangenes, hier freilich weniger paradigmatisches denn urbildhaftes Geschehen, die vertikale Transzendierung des Ich219 sowie der horizontale Aspekt der Erfahrung echter und andauernder Gemeinschaft. Konkret ergibt sich auf dieser Basis für Paulus folgendes Bild: Das Ritual, vornehmlich die Taufe, bewirkt die Einbeziehung der Initianden in die Dynamik des Todes und der Auferstehung Jesu Christi; das Christusgeschehen fungiert so als Urbild der Transformation ins Heil (heilsgeschichtlich-historische Dimension). Solches Einbezogensein in das Schicksal Christi setzt eine Transzendierung des Ich des Initianden voraus, die es ermöglicht, daß der auferweckte Christus in der betreffenden Person Raum gewinnen kann (individuelle Dimension: vertikale Communitas). Diese vertikale Einheit mit Christus wird allen Initiierten, sprich: allen Christusgläubigen zuteil und führt so zu einer außerordentlichen Verbundenheit unter diesen, über alle sozialen, kulturellen oder geschlechtlichen Unterschiede hinweg (kollektiv-ekklesiologische Dimension: horizontale Communitas). Dieses die heilsgeschichtliche, individuelle und kollektive Dimension integrierende ritologische Modell erklärt m.E. den äußerst komplexen Gebrauch der kleinen Wendung „in Christus" an den wichtigsten Schlüsselstellen am besten. Paulus kann freiüch je nach Kontext den Ton stärker auf den einen oder auf den anderen Aspekt legen. Häufig mögen auch mehrere der genannten Aspekte in einem Vers vereinigt sein, so daß es schwerfällt, das Syntagma an jener Stelle jeweils eindeutig zu disambiguieren. Entsprechendes gilt dann auch für die Frage nach der grammatikalischen Auflösung des Syntagmas.220 Die Plattform, die die Integration all dieser Interpretationstypen in 218

ZUESSE, Ritual, 406. Zur Transzendierung des individuellen Selbst als vertikaler Vorgang des „recentering" s. auch die Darlegungen in § 4.2 (S. 67). 220 Zu den beiden Hauptthesen, nämlich der lokalen und der instrumentalen Deutung des έν ist dabei folgendes zu sagen: Die erstgenannte besitzt ihre Berechtigung insbesondere aus dem Blickwinkel der vertikalen Communitas, aber auch von der horizontalen Communitas 219

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Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

einem Modell aber erst ermöglicht, ist der ritologische Zugang zu den Texten und die Anwendung des Communitaskonzepts. 3.4 Christuscommunitas und das alltägliche Denken, Fühlen und Handeln Nun ist allerdings nicht zu übersehen, daß Paulus die Wendung „in Christus" bzw. „im Herrn" auch ganz allgemein mit Formen des alltäglichen Handelns, Denkens oder Fühlens in Verbindung bringen kann. Paulus spricht von einem Denken bzw. einer Gesinnung in Christus bzw. im Herrn (Phil 2,5; 4,2), er vertraut im Herrn (Phil 2,24; Gal 5,10), er weiß und ist überzeugt im Herrn Jesus (Rom 14,14), er spricht von der Liebe in Christus Jesus bzw. im Herrn (IKor 16,24; vgl. Rom 16,8), er kennt eine Freude im Herrn (Phil 3,1; 4,4.10; vgl. Phlm 20), er hofft im Herrn (Phil 2,19), er bittet und ermahnt im Herrn (IThess 4,1; vgl. Phil 2,1), er hat Freimut in Christus (Phlm 8), er fordert von Philemon eine Beruhigung seines Herzens in Christus (Phlm 20), die Korinther sind für ihn klug in Christus (IKor 4,10), das Grüßen geschieht im Herrn (IKor 16,19),221 er spricht in bezug auf Witwen vom Heiraten allein im Herrn (IKor 7,39; vgl. auch IKor 11,11), er hat Kraft in dem ihn stark Machenden (Phil 4,13), er hat die korinthische Gemeinde in Christus Jesus gegründet bzw. „gezeugt" (IKor 4,15), er redet in Christus (2Kor 2,17; 12,19; vgl. Rom 9,1), er thematisiert Ruhm in Christus Jesus (Rom 15,17; IKor 15,31; Phil 1,26; 3,3), er spricht von der Mühe im Herrn (Rom 16,12; IKor 15,58), er fordert die gastfreundliche Aufnahme eines Menschen im Herrn (Rom 16,2; Phil 2,29), er spricht überhaupt von seinen Wegen in Christus (IKor 4,17).222 Der Übersicht ist zu entnehmen, daß der Apostel offenkundig das ganze Leben sowohl in seiner mentalen, emotionalen wie in seiner pragmatischen Dimension vom „Sein in Christus" affiziert und geleitet sieht. Die alltägliche Erfahrungswelt wird hier in einem umfassenden Sinn, d.h. sowohl auf der Ebene des geistigen und kulturellen Orientierungsgefüges (Denken, Gesinnung, Ruhm etc.) sowie der emotionalen Verfaßtheit (Freude, Vertrauen, Liebe etc.) als auch in bezug auf soziale Praxisformen (Heirat, Grüßen, Gastfreundlichkeit, „Wege", im weitesten Sinn auch: Bitten, Ermahnen etc.) durch

her, die letztgenannte überwiegend aufgrund des in der vertikalen Communitas eingeschlossenen heilsgeschichtlichen Unterbaus. Das Ineinander von Christusgemeinschaft und Partizipation am Christusgeschehen auf der vertikalen Ebene erklärt die Ambiguität der Wendung, die an vielen Stellen sowohl eine lokale wie eine instrumentale Auflösung zuläßt; vgl. zu dieser Ambiguität auch M.Y. MACDONALD, Churches, 74f. 221 Rom 16,13 und Phil 4,21 fallen nicht unter die Rubrik des Grüßens „im Herrn" bzw. „in Christus": Das έν κυριω in Rom 16,13 ist wohl auf Rufus, den Erwählten, zu beziehen und nicht auf das άσπάσασθε. Desgleichen dürfte das ε\ Χριοτω in Phil 4,21 mit πάντα άγιον verbunden sein. 222 Vgl. zu diesem Überblick SCHWEITZER, Mystik, 125f.; s. auch SCHRÄGE, In Christus, 36.

,Ιη Christus": Die Christuscommunitas

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das „in Christus" neu bestimmt. Wie aber läßt sich diese Neuerschließung der Wirklichkeit έν Χριστώ näher erklären und definieren und wie ist sie an die eben erörterte rituelle Fundierung zentraler In-Christus-Aussagen angebunden? Einen interessanten Vorschlag hat jüngst Michael Wolter offeriert. In seiner Auslegung des Philemonbriefes führt er den Begriff der „Sinnwelt" als Interpretament für das hier verhandelte Syntagma ein. Mit Blick auf Phlm 8.16 und 20 definiert er das „in Christus/im Herrn" näherhin als „religiöse Sinnwelt", in der zumal die geläufigen Statuszuweisungen der „häuslichen Sinnwelt (= „im Fleisch") durchbrochen seien und mit der, exemplifiziert am Verhältnis zwischen Philemon und Onesimus, eine neue Sozialstruktur etabliert werde.223 Problematisch ist an dieser aufschlußreichen Definition des „in Christus/im Herrn" allerdings, daß dem Begriff der „Sinnwelt" eine stark kognitive Schlagseite zu eigen ist; der gewählte Terminus wird von daher, wenn ich richtig sehe, dem von Wolter selbst zu Recht betonten Gesichtspunkt der faktischen Veränderung der Sozialstruktur nur wenig gerecht. Paulus zielt mit der besagten Wendung ja nicht allein auf eine „Smrcwelt", er hat dabei vor allem auch die „gelebte Welt" im Auge. Wolter bestätigt dies, wenn er die sog. Sinnwelten „im Herrn" und „im Fleisch" im Hinblick auf Phlm 16 zugleich als „soziale Bereiche" deklariert.224 Die Anwendung des Ausdrucks „Sinnwelt" scheint mir von daher nicht ganz glücklich gewählt zu sein. Gleichwohl liefert Wolters Interpretationsansatz wichtige Impulse, wobei ihm vor allem das Verdienst zukommt, mit seiner wissenssoziologisch ausgerichteten Verortung den Weg für eine sozialwissenschaftlich untermauerte Betrachtung der In-Christus-Sätze geebnet zu haben. Vor diesem Hintergrund möchte ich, Wolters Auslegung weiterführend, einen Deutungsvorschlag unterbreiten, der den unverkennbaren Bezug der InChristus-Aussagen sowohl auf die sog. „Sinnwelt", das intellektuelle Weltbild, wie auch auf die „gelebte Welt", den Bereich der Lebensführung und der sozialen Praxis, stärker hervortreten läßt und der darüber hinaus rückgebunden ist an die zuvor entfaltete rituelle Verankerung des Syntagmas. Ich greife dazu auf Clifford Geertz' Ansatz zurück, wonach Rituale als symbolische Handlungsmuster der sozialen und psychologischen Wirklichkeit Bedeutung verleihen, indem sie sich nicht nur auf diese Wirklichkeit ausrichten, sondern zugleich auch diese Wirklichkeit auf sich ausrichten.225 Rituale geben demnach auch Modelle für extrarituelle Realitäten ab, ihnen eignet mit anderen Worten performatives Potential 226 Dieses ergibt sich wesentlich aus dem rituellen Vollzug selbst. Geertz zufolge kommt es hier zu einer elementaren Ver223

Vgl. WOLTER, Phlm, 256f.271f.278. Vgl. ebd., 271. 225 Vgl. GEERTZ, Beschreibung, 53.85. 226 Zur bekannten GEERTZschen Unterscheidung „Modelle von'7„Modelle für" vgl. ausführlich ebd., 52ff.85; s. auch TURNER, Ritual, 131. 224

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Die Transformation Christi und die Teilhabe an ihr

Schmelzung von vorgestellter und gelebter Welt, von „Weltauffassung" (= das Bild über die Dinge in ihrer reinen Vorfindlichkeit, die Ordnungsvorstellungen im weitesten Sinne) und „Ethos" (= Stil, Charakter und Beschaffenheit des Lebens, Ethik, ästhetische Ausrichtung und Stimmung) 227 , die über das Ritual hinaus die Wirklichkeit umfassend, d.h. bis in die Alltagswelt der Common sense-Gegenstände und der praktischen Handlungen hinein, affiziert. Wörtlich heißt es bei Geertz: „Die Dispositionen, die die religiösen Rituale wecken, üben ... - aus einer .diesseitigen' Perspektive betrachtet - ihre größte Wirkung außerhalb des rituellen Rahmens aus, insofern sie die Vorstellungen des Einzelnen von der gegebenen Welt der reinen Tatsachen beeinflussen und färben. Die besondere Ausprägung, die die Visionssuche bei den Prärieindianern, die Beichte bei den Manus oder die mystischen Praktiken bei den Javanern annehmen, durchzieht weite Bereiche des Lebens dieser Völker weit über die unmittelbar religiösen hinaus und drückt ihnen einen eigenen Stil auf, der sich sowohl in den vorherrschenden Stimmungen als auch in den charakteristischen Aktivitäten äußert." 228 Wendet man diese These auf Paulus an, so nimmt es nicht wunder, daß der Apostel das in der Taufe konstituierte „Sein in Christus" in der hier vorliegenden Form außerhalb des rituellen Rahmens verankert und das alltägliche Handeln, Denken und Fühlen mittels des h Χριστώ neu qualifiziert. Die zumal in der Initiation etablierte Christuscommunitas formt auch bei ihm die Wahrnehmung der Wirklichkeit in grundsätzlicher Weise um und drückt sowohl dem Orientierungsgefüge (der vorgestellten Welt) als auch den Praxisformen (der gelebten Welt) der Initiierten ihren eigenen Stempel auf; das Leben der Christusgläubigen gewinnt so einen spezifischen Stil, die Lebensführung erfährt eine neue Prägung. Vertrauen, Hoffnung, Liebe, aber auch Handlungsformen wie das Grüßen und die Gastfreundlichkeit, all die oben angeführten Empfindungen und Alltagspraktiken gewinnen durch die Rückbindung an die im Ritual erfahrene Christuscommunitas, d.h. durch das „in Christus", einen neuen, unverkennbaren Charakter. Sie sind nun in den Kontext der rituell konstituierten Christuscommunitas gestellt und damit in den umfassenden Trans227 v g l . ebd., 78: „Es ist das Ritual ... in dessen Rahmen sich in der einen oder anderen Weise die Überzeugung herausbildet, daß religiöse Vorstellungen mit der Wirklichkeit übereinstimmen und religiöse Verhaltensregeln begründet sind. Die Zeremonie ist der Ort, an dem die Stimmungen und die Motivationen, die die religiösen Symbole in den Menschen hervorrufen, und die allgemeinen Vorstellungen von der Seinsordnung, die sie für die Menschen ausdrücken, zusammentreffen und sich gegenseitig verstärken ... Im Ritual sind gelebte und vorgestellte Welt ein und dasselbe, sie sind in einem einzigen System symbolischer Formen verschmolzen ..." 228

Ebd., 87 (Hervorhebungen nicht im Original). Auf der Grundlage dieser Ritualtheorie gelangt GEERTZ ebd. zu der ihm wichtigen These: „Religion ist nicht etwa deswegen soziologisch interessant, weil sie, wie der Vulgärpositivismus meint, die soziale Ordnung wiedergibt..., sondern deshalb, weil die soziale Ordnung von ihr ... geprägt wird."

Zusammenfassung

211

formationsprozeß Christi eingebettet, in den die Christusgläubigen im Taufritual leibhaftig integriert wurden. Anders gesagt: Έν Χριστώ verweist in den oben zitierten Stellen auf die im Christusereignis eröffnete und dann in der Initiation an den jeweiligen Subjekten reaktualisierte grundsätzliche Veränderung der Wirklichkeit sowohl in kognitiver, emotionaler wie in pragmatischer Hinsicht und steht insofern gewissermaßen für das „gelebte Weltbild" der Christusgläubigen.

4. Zusammenfassung Gegenstand des vorliegenden Paragraphen war die Frage nach dem christologischen Wurzelgrund der paulinischen Transformationstheologie, dem exemplarisch anhand einer Untersuchung von Phil 2,6-11, Rom 6,3f. sowie der InChristus-Aussagen nachgespürt wurde. Dabei hat sich gezeigt, daß auch hier rituelle Strukturen respektive die Dynamik „Separation, Liminalität und Aggregation" eine nicht unwesenüiche Rolle spielen. So konnten für den im Philipperhymnus nachgezeichneten Weg Christi zum Kosmokrator die Grundcharakteristika einer Amtsinitiation nachgewiesen werden. Was Rom 6,3f. anbelangt, wurde dargelegt, daß und inwiefern das Schicksal Christi, d.h. dessen Tod, Begräbnis und Auferstehung, vor dem Hintergrund einer prozessualen Todesdeutung als Urbild der in der Taufinitiation eröffneten Transformation der Christusgläubigen fungiert. In beiden Textabschnitten war die Dimension der Liminalität von entscheidender Relevanz. So war zu sehen, daß die Erhöhung Christi zum κύριος in Phil 2 in dessen Erniedrigung zum Sklaven gründet, also in der Statusumkehrung während der liminalen Phase; Paulus und die Christusgläubigen orientieren sich bzw. partizipieren zumal an diesem liminalen Christus, und zwar qua Demut und Gehorsam (vgl. Phil 2,1^.12-18) sowie darin, daß sich dessen Leiden und Tod in ihrer Vita reflektiert, wie der in mancherlei Hinsicht an Phil 2 anklingende und in § 6.3 näher erörterte Abschnitt Phil 3,6-11 dartut. In Rom 6,3f. werden die Christusgläubigen als durch die Taufe mit Christus Gestorbene und Begrabene und in Zukunft mit ihm Auferstehende charakterisiert, so daß ihre Existenz auch hier als liminale erscheint; sie sind „Begrabene", d.h. liminale Personen, die zwar von der alten Existenz unter der Sünde befreit sind, in denen das Neue Sein allerdings erst anbruchhaft wirkt. Die in der Taufe wurzelnde und von da aus die gesamte Existenz und Wirklichkeit der Christusgläubigen bestimmende Partizipation an Christus und seinem Schicksal konnte schließlich anhand einer Untersuchung der In-ChristusAussagen mit dem Modell der Communitas näher erklärt werden, ein Modell, das die individuell-seinshaften, sozial-ekklesiologischen und heilsgeschichtlich-historischen Implikationen der paulinischen In-Christus-Sätze gleichermaßen zu integrieren vermag.

§ 8 Die Transformation der Äonen In den beiden voranstehenden Paragraphen sind wir einige Male auf das Phänomen gestoßen, daß eine strikte Unterteilung der Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in manchen Paulustexten offenbar nicht recht greift. Um die Dynamik der paulinischen Transformationstheologie wirklich adäquat erfassen zu können, ist es daher nötig, in einem weiteren Schritt das Zeitverständnis des Apostel Paulus etwas ausführlicher zu betrachten. Dabei können freilich keineswegs alle Facetten dieses vielschichtigen Themas behandelt werden. Die nachstehende Untersuchung konzentriert sich lediglich auf einige tragende Grundelemente der paulinischen Zeitauffassung und sucht diese mit Hilfe des in dieser Arbeit favorisierten kulturanthropologisch-ritologischen Auslegungsansatzes begreiflich zu machen. Nach einer knappen forschungsgeschichtlichen Problemanzeige und einigen allgemeinen Ausführungen zur kulturellen und rituellen Prägung von Zeitkonzeptionen soll dazu insbesondere die paulinische Vorstellung von der Wende der Äonen und das komplexe Gegenwartsverständnis des Apostels durchleuchtet werden.

1. Forschungsgeschichtliche Problemanzeige Es ist nicht leicht, die paulinische Zeitauffassung angemessen zu beschreiben bzw. zu definieren. Begründet liegt dies vor allem darin, daß die Briefe des Apostels scheinbar Elemente sowohl einer präsentischen wie auch einer futurischen Eschatologie enthalten. So gibt Paulus einerseits zu verstehen, die Heilszeit sei bereits Gegenwart (s. besonders 2Kor 6,2; ferner Gal 4,4; 2Kor 5,17 u.ö.), andererseits aber spricht er von vielerlei gegenwärtigen Leiden etwa in den Peristasenkatalogen oder auch in Rom 8,18ff., wo von den Leiden der gesamten Schöpfung die Rede ist; ja er gibt zu verstehen, daß die Verwirklichung des Eschatons trotz großer Nähe immer noch ausstehe (vgl. IThess 5,1-5; Rom 13,1 lf.; Phil 4,4f.; IKor 15,50ff. u.ö.).i In der neutestamentlichen Forschung ist diese Ambiguität oftmals zugunsten der Betonung vornehmlich nur eines Zeitaspekts, sei es des präsentischen, sei es des futurischen, aufgelöst worden.

1

Weitere Belege für das Neben- bzw. Ineinander von präsentischen und futurischen Aussagen liefert STUHLMACHER, Erwägungen, 426f.; s. ferner generell ERLEMANN, Naherwartung, 188ff.

Forschungsgeschichtliche Problemanzeige

213

Rudolf Bultmann steht für die erstgenannte Option. Er bestreitet zwar das Nebeneinander von präsentischer und futurischer Eschatologie nicht, betont aber, „daß für Paulus das größere Gewicht auf der präsentischen Eschatologie liegt ..." 2 . Die Gegenwartsaussagen kommen danach dem Anliegen des Apostels am nächsten. Die vielen futurischen Äußerungen versteht Bultmann lediglich als Relikte eines überholten apokalyptischen Weltbildes, das sich ganz in den Begriffen des Mythos bewege und das existential zu interpretieren sei, eine hermeneutische Aufgabe, die im übrigen bereits der Apostel selbst in Angriff genommen habe. Bultmann gelangt so zu der Ansicht: „... die Theologie und das Geschichtsbild des Paulus stammen nicht aus der Apokalyptik, sondern aus der Anthropologie, nämlich einem Verständnis der menschlichen Existenz" 3 . Die futurisch-apokalyptischen Aussagen sind infolgedessen von ihrer Orientierung am gegenwärtigen Individuum her zu verstehen. Von daher dürfe auch das apokalyptische Zwei-Äonen-Schema bei Paulus nicht allein kosmologisch gedeutet werden, vielmehr müsse auf den existentialen Sinn dieser mythologischen Aussagen geachtet werden: die Vergangenheit, der Äon der Sünde, sei als je meine Vergangenheit und der kommende Äon, die Zukunft, sei als je meine Zukunft zu explizieren. 4 Ernst Käsemann verteilt die Gewichte genau umgekehrt. Seine bekannte These von der Apokalyptik als „die Mutter aller christlichen Theologie" 5 - eine These, die Käsemann zumal aufgrund seiner Beschäftigung mit Paulus gewann - impliziert, daß gerade den apokalyptischen Aussagen des Apostels zentrales Gewicht zukommt. Paulus habe dem individualistisch-präsentischen Enthusiasmus in Korinth widersprochen, indem er konsequent die futurische und kosmologische Dimension der Apokalyptik herausarbeitete. Die Gegenwart des Heils werde zwar von Paulus nicht geleugnet, doch sei sie „Bestandteil einer futurischen Eschatologie" 6 , insofern die Endzeit angebrochen, das Ende der Geschichte aber gleichwohl noch nicht erreicht sei. Überhaupt sei die Theologie des Apostels von der apokalyptischen Sicht der Welt als Kampfplatz der Mächte sowie vom Thema der Herrschaft Gottes über die Welt geprägt. Sowohl das Zentrum der paulinischen Theologie, die Rechtfertigungslehre, in der es um die eschatologische Durchsetzung des göttlichen Rechts über die Welt gehe, wie auch die Paränese leiteten sich religionsgeschichtlich aus der Apokalyptik ab. 7 J. Christiaan Beker schließt sich der These von der zentralen Bedeutung der Apokalyptik für die Theologie des Apostels an, will sie jedoch aus der situativen Verengung der antienthusiastischen Polemik bei Käsemann gelöst wissen. 8 Für Beker bildet die apokalyptische Weltanschauung, genauer die apokalyptische Interpretation des Christusereignisses, das eigentliche Kohärenzzentrum der gesamten paulinischen Theologie. Das Evangelium des Apostels, sein Denken und seine Sprache seien der 2 3 4 5

6

BULTMANN, Apokalyptik, 479. Ebd., 481. Vgl. BULTMANN, Mensch, 42. KÄSEMANN, Anfänge, 100; vgl. DERS., Apokalyptik, 130f.

KÄSEMANN, Apokalyptik, 128; vgl. DERS., Gottesgerechtigkeit, 193. Vgl. nur KÄSEMANN, Gottesgerechtigkeit, passim; DERS., Apokalyptik 129f. 8 Vgl. BEKER, Apostle, 17; zu BEKERS Ansatz insgesamt s. auch ebd., 11-19 sowie DERS., Sieg, 2 1 - 2 6 . 7

214

Die Transformation der Äonen

Tiefenstruktur nach („deep structure") apokalyptisch geprägt.9 An der Oberfläche („surface structure") verwende Paulus hingegen eine Vielzahl von Symbolen (Rechtfertigung, Gerechtigkeit, Sein-in-Christus, Herrlichkeit etc.), die zwischen dem apokalyptischen Kohärenzzentrum und bestimmten kontingenten Gemeindesituationen vermittelten. Der kontingente, gelegenheitsbedingte Anteil des paulinischen Evangeliums darf Beker zufolge jedoch nicht isoliert betrachtet, sondern muß als situationsabhängige Ausformung der paulinischen apokalyptischen Weltanschauung wahrgenommen werden. Von daher kann die paulinische Theologie keinesfalls abstrahiert vom apokalyptischen Weltbild des Apostels erschlossen oder dieses gar ,entmythologisiert' werden. Beker resümiert seine Grundthese selbst wie folgt: „I) Die bleibende Mitte des paulinischen Evangeliums ist die Überzeugung des Paulus, daß Tod und Auferstehung Christi eine neue Zukunft für die Welt eröffnet haben. Diese Zukunft erreicht ihren Höhepunkt, wenn die Herrschaft und der Triumph Gottes offenkundig sind und die ganze Schöpfung zu ihrer wunderbaren Vollendung gemäß den Verheißungen Gottes an Israel gelangt. Π) Der apokalyptischen Gestalt des Evangeliums entspricht auch die Art, wie Paulus es verkündigt. Das Evangelium von der zukünftigen Herrschaft Gottes wird so verlautbart, daß es sich - analog zur Fleischwerdung Gottes in Christus - in die konkreten und je unterschiedlichen Lebensumstände der Menschen einfügt. So befähigt Paulus seine Gemeinden, schon jetzt die Strahlen der künftigen Herrlichkeit Gottes zu erkennen; mehr noch: sie werden in der Welt zu einer erlösenden Praxis ermächtigt, die darauf abzielt, die ganze Schöpfung für ihre zukünftige Herrlichkeit vorzubereiten."10 Es kann hier nicht der Ort sein, einen intensiven Dialog mit den ohnehin äußerst knapp dargelegten Deutungsansätzen zu führen. Es sollten lediglich Grundtendenzen in der Bewertung des paulinischen Zeitverständnisses deutlich werden. Gleichwohl bedarf es einiger kritischer Anmerkungen zu der offenkundigen Neigung, den Apostel schwerpunktmäßig auf eine präsentische so bei Bultmann - oder eine futurisch-apokalyptische Perspektive - so bei Käsemann und Beker - festzulegen. So wird man Bultmann kaum darin zustimmen können, daß die Zukunft bei Paulus nichts Neues mehr brächte und mit dem Christusereignis eigentlich schon alles geschehen sei. Insbesondere die aus dem Ansatz der existentialen Interpretation heraus erklärbare Strategie, futurische Aussagen zu „entmythologisieren" und auf das Thema der authentischen bzw. „eigentlichen" Existenz im Hier und Jetzt zu komprimieren, ist problematisch. Ganz abgesehen von der Frage, ob die existentiale Interpretation nicht generell als anachronistischer Auslegungsansatz zu bewerten ist, 11 gilt es festzuhalten, daß es nicht 9 Nach BEKER, Sieg, 2 6 - 4 0 hat Paulus i.w. vier zentrale Motive der Apokalyptik entnommen und überarbeitet, nämlich die Treue und Rechtfertigung Gottes, die Universalität Gottes, den Dualismus und die Naherwartung. 10 BEKER, Sieg, 25. Neben BEKER betont im angloamerikanischen Raum zumal MARTYN die apokalyptische Verankerung der paulinischen Theologie (vgl. nur Antinomies, passim); s. auch A.R. BROWN, Cross, passim. 11 Vgl. dazu nur HOWELL, Dualism, 6f. samt der weiteren Literatur ebd., 7 A19.

Forschungsgeschichtliche Problemanzeige

215

möglich sein kann, das Weltbild eines Autors mittels Entmythologisierung gewissermaßen herauszufiltern, ohne dabei der eigentlichen Intention der Texte Gewalt anzutun. Dies hervorgehoben zu haben, ist u.a. das Verdienst der in Deutschland nur wenig beachteten Arbeit Bekers. Die futurisch-apokalyptisch ausgerichteten Aussagen des Apostels müssen daher ernst genommen werden.12 Umgekehrt stößt aber auch eine zu eindimensional futurisch orientierte Auslegung der Paulustexte auf Schwierigkeiten. Ohne hier auf die komplexe traditionsgeschichtliche Problemstellung, inwieweit und in welcher Weise Paulus als Apokalyptiker apostrophiert werden darf, en detail eingehen zu können,13 läßt sich doch festhalten, daß das Corpus Paulinum zweifelsohne gerade auch „seeds of realized eschatology" enthält, wie dies etwa Vincent P. Branick in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Beker hervorgehoben hat.14 Branick verweist dazu auf den möglichen Wandel in der κοανότης ζωης nach Rom 6,4, auf die Rede von der täglichen Erneuerung des inneren Menschen nach 2Kor 4,16, auf die Bezeichnung der Christusgläubigen als „Vollkommene" (τέλειοι.) in IKor 2,6, um nur einige Beispiele zu nennen. Es ist kurzum der auch in dieser Arbeit deutlich hervortretende Gedanke einer sich bereits gegenwärtig im Gang befindlichen umfassenden individuellen wie auch sozialen Transformation, der ein zu stark futurisch-apokalyptisch ausgerichtetes Verständnis der paulinischen Texte problematisch erscheinen läßt. Man wird von daher der Zeitauffassung des Apostels wohl am ehesten gerecht, wenn man die präsentischen und futurischen Aussagen als solche stehen läßt, ohne hierin eine strenge Alternative zu erblicken, die zu einer einseitigen Schwerpunktsetzung in die eine oder andere Richtung Anlaß gibt. Dann stellt sich aber die Frage, wie ein solch spannungsreiches Phänomen nicht nur konstatiert, sondern auch erklärt werden kann.15

12

Dabei gilt es jedoch zu beachten, daß futurische Aussagen in der mediterranen Antike nicht unbedingt mit unserem modernen Verständnis von Zukunft korrelieren; s. dazu die Erläuterungen in Abs. 2. 13 Daß Paulus in seinem eschatologischen Ansatz stark durch die Apokalyptik beeinflußt ist, wird weithin zugestanden. ERLEMANN, Naherwartung, 192 konstatiert: „Die Mehrzahl der Forscher schließt sich in hermeneutischer Hinsicht der Position R. Bultmanns (Primat der präsentischen Eschatologie, existential anthropologische Auslegung), traditionsgeschichtlich jedoch der Position E. Käsemanns (jüdisch-apokalyptische Vorstellungen als Hintergrund der paulinischen Eschatologie) an." Vgl. zum Thema auch die vermittelnde Position bei BAUMGARTEN, Apokalyptik, 227-243. 14 Vgl. BRANICK, Paul, 670-675. Es sei hier allerdings erwähnt, daß Elemente einer präsentischen Eschatologie keineswegs einer apokalyptischen Grundorientierung im Wege stehen müssen; vgl. dazu SCHADE, Christologie, 20f.; MEISSNER, Heimholung, 156f. (unter Bezugnahme auf ROWLAND). 15 Für gewöhnlich werden die beiden Aussagereihen dialektisch aufeinander bezogen, indem gesagt wird, „die Gegenwart bestimme sich ganz von der Zukunft her, die Zukunft sei in der Gestalt Jesu Christi schon gegenwärtig greifbar geworden" (ERLEMANN, Nah-

216

Die Transformation der Äonen

Aus kulturanthropologischem Blickwinkel ergeben sich zwei Erklärungsansätze, die eng miteinander verbunden sind. Zum einen ist das generelle Zeitbewußtsein der mediterranen Antike zu berücksichtigen, das sich in einigen zentralen Punkten klar von unserem heutigen unterscheidet, zum anderen spielen m.E. auch an dieser Stelle rituelle Gesichtspunkte eine wichtige Rolle. Die beiden Aspekte sollen im folgenden näher entfaltet werden.

2. Zeit, Kultur und Ritual In sozialwissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte wurde immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß Zeit nicht nur als physikalische oder philosophische, sondern insbesondere auch als sozial und kulturell determinierte Kategorie verstanden werden muß. Zeitempfinden, Zeitvorstellungen, Zeitbewußtsein sind jeweils wesentlich soziokulturell konstituiert.16 Auch Zeitdifferenzierungen wie etwa unsere Sieben-Tage-Woche basieren ja augenscheinlich nicht auf physikalischen Bedingungen, sondern auf bestimmten sozialen Konventionen und kulturellen Eigenarten, die freilich wiederum an ökonomische und ökologische Notwendigkeiten rückgebunden sein mögen.17 Das Zeitverständnis sowie der Umgang mit Zeit variiert folglich von Kultur zu Kultur und war innerhalb der Geschichte der Menschheit mannigfaltigen Veränderungen unterworfen.18 Von daher wird man auch die dem Neuen Testament zugrundeliegenden Zeitvorstellungen nicht unbedacht mit unserem gegenwärtigen Zeitbewußtsein in eins setzen dürfen. Es ist das Verdienst von Bruce J. Malina, unter Bezugnahme auf kulturanthropologische Studien die Andersartigkeit des in der antiken Mittelmeerkultur wurzelnden biblischen Zeitverständnisses klar herausgearbeitet und eine stärkere Beachtung der Spezifika desselben innerhalb der Exegese eingefordert zu haben.19 erwartung, 189, der damit die Ansicht zahlreicher Exegeten im Gefolge der Auseinandersetzung zwischen BULTMANN und KÄSEMANN zusammenfaßt). 1 6 Vgl. dazu nur LAUER, Man, passim sowie die unten in Anm. 47 angeführte Literatur; s. zum Thema ferner die aufschlußreiche Zusammenschau kulturanthropologischer Untersuchungen bei MUNN, Time. 1 7 Vgl. SOROKIN/MERTON, Social Time, 624f.; LAUER, Man, 22f.; ZERUBAVEL, Rhythms, 11. In anderen Kulturen begegnen Drei-, Vier-, Fünf-, Sechs-, Acht- oder ZehnTage-Wochen. 1 8 Vgl. dazu nur WENDORFF, Zeit, passim. WENDORFFs umfassende Darstellung des abendländisch-europäischen Zeitbewußtseins von seinen Anfängen in der babylonischen Hochkultur bis ins 20. Jahrhundert hinein demonstriert bereits eindrücklich die Variationsbreite der Zeitkonzeptionen innerhalb nur eines großen Kulturkreises. Diese Variationsbreite würde sich bei einer entsprechenden Berücksichtigung des Zeitbewußtseins z.B. afrikanischer oder asiatischer Kulturen noch um ein vielfaches erhöhen. 1 9 Vgl. zum folgenden MALINA, Christ sowie DERS., Orientation. ERLEMANN, Naherwartung, 3 7 - 4 3 (s. auch DERS., Endzeiterwartungen, 3 3 - 3 9 ) relativiert zwar die „klassi-

Zeit, Kultur und Ritual

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Malina kritisiert vor allem die in der exegetischen Forschung verbreitete Auffassung, das Neue Testament sei in wesentlichen Teilen auf die Zukunft hin orientiert, eine Auffassung, die sich zumal in den geläufigen Theorien zur neutestamentlichen Eschatologie, Apokalyptik oder auch zur Parusieverzögerung äußere. Er ist der Ansicht, „that the only scholarly evidence for the existence of anxiety and concern about a perceived delay of a parousia, for interest in eschatology, or for some futureoriented apocalyptic, was in the eyes of liberal, Enlightenment-oriented, 19th-century northern European biblical interpreters and their 20th-century heirs". Demgegenüber gelte, „that the presumed future-oriented categories of the Bible are in fact not future-oriented at all, but present-oriented" 20 . Die biblische Betonung der Gegenwart habe dabei aber nicht allein den jeweils aktuellen Zeitpunkt im Blick, sondern schließe die unmittelbare Vergangenheit und das unmittelbar Bevorstehende mit ein. Malina begründet und erläutert diese Thesen wie folgt: Im Anschluß an Florence Rockwood Kluckhohn und Fred L. Strodtbeck macht er zunächst darauf aufmerksam, daß die verschiedenen Kulturen dieser Welt den drei Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterschiedliche Ränge bzw. Wertigkeiten zuteilen, wobei die jeweils vorherrschende temporale Rangordnung Wesensart und Verhalten der Menschen maßgeblich beeinflusse. In den modernen westlichen Kulturen dominiere eindeutig die Zukunft. Problemlösungsstrategien würden hier vorrangig zukunftsorientiert entwickelt, das Leben in erster Linie an in der Zukunft zu verwirklichenden Zielen ausgerichtet. Gegenwart und Vergangenheit nähmen auf der Rangliste nur die Plätze zwei und drei ein. 21 Die antik-mediterranen, vornehmlich bäuerlich geprägten Kulturen seien dagegen gegenwartsorientiert, die Vergangenheit besitze dort eine nur sekundäre Relevanz, die Zukunft lediglich eine tertiäre. 22 Das in diesem Kulturraum entstandene Neue Testament müsse vor dem Hintergrund dieser Gegenwartsorientierung gelesen werden. Um die Eigenart des antiken gegenwartsbetonten Zeitbewußtseins deutlicher herauszuschälen, hebt es Malina mittels zusätzlicher Distinktionen noch genauer von unserem neuzeitlichen ab. 23 So grenzt er u.a. das moderne abstrakte Zeitverständnis („modern abstract time") vom traditionellen Konzept erfahrungsbezogener und imaginärer Zeit („traditional experienced and imaginary time") ab; er unterscheidet weischen" Unterscheidungsmerkmale zwischen antikem und neuzeitlichem Zeitverständnis, will aber zugleich die eindeutig bestehenden Differenzen keineswegs einebnen (vgl. Naherwartung, 42f.; Endzeiterwartungen, 38.57, wo er von Akzentverlagerungen bzw. -Verschiebungen spricht) und übernimmt mit wenigen Abstrichen die grundlegenden Thesen von MALINA (S. Naherwartung, 43f.244.248f.380.412). 20 MALINA, Christ, 9. 21 Vgl. ebd., 4ff.; MALINA, Orientation, 171 sowie LAUER, Man, 36; RIFKIN, Uhrwerk, 87-89; s. auch WENDORFF, Zeit, 619-629. 22 Vgl. MALINA, Christ, 5: „Peasant societies invariably have the present as first order temporal preference. Secondary preference is past. The future comes in as third choice. Since Mediterranean societies of the first century were examples of classical peasant societies, by and large, the primary preference in temporal orientation at that period and place was the present, with past second and future third." MALINA schreibt allerdings ebd., 5f. der römischen Elite einen Sonderstatus zu; sie sei primär vergangenheitsorientiert; s. auch DERS., Orientation, 166. 23

Vgl. MALINA, Christ, 10-28.

218

Die Transformation der Äonen

terhin die moderne lineare und segmentierbare Zeit („modern linear separable time") von dem traditionellen zyklischen und prozessualen Zeitkonzept („traditional cyclical and procedural time"). 24 Zunächst zur erstgenannten Differenzierung: Malina stellt heraus, Zeit sei in der antiken Mittelmeerkultur nicht wie im modernen Nordeuropa und -amerika als abstrakte, quantifizierbare und exakt meßbare Entität verstanden worden, 25 sondern eng an Erfahrungen angebunden gewesen. Dazu führt er den Begriff der experienced time ein; 26 als primärer Bezugsrahmen des Zeitbewußtseins sei stets der Horizont aktueller Erfahrungen zu berücksichtigen. Die aktuelle Erfahrung, sprich: die Gegenwart, umfasse für den antiken Menschen nun aber - anders als bei uns, wo sie lediglich als Punkt auf der Zeitgerade gesehen wird - neben dem jeweils konkret Erlebten auch das unmittelbar vorausgegangene Geschehen („retained past") wie auch das unmittelbar Bevorstehende („forthcoming"). Gegenwart bilde insofern im antik-mediterranen Raum - so Malina unter Rekurs auf Untersuchungen von Pierre Bourdieu - gleichsam eine organische Einheit aus dem momentan Erlebten samt den ursächlichen Entwicklungen und den konkreten Auswirkungen. Malinas Überlegungen zufolge orientierten sich die Menschen der Antike also primär an einer Art gedehnten Gegenwart, in der - dies ist für die hier aufgeworfene Frage nach einer Erklärung des paulinischen Ineinanders von präsentischen und futurischen Aussagen besonders aufschlußreich - zumal die absehbare Zukunft, das Bevorstehende, bereits mit enthalten war. 27 Verwurzelt sei dieses erfahrungsbezogene, die unmittelbare Zukunft inkludierende Gegenwartsverständnis in alltäglichen Arbeitsvorgängen und den bäuerlichen Lebensrhythmen. Was Barbara Sproul über das Zeitverständnis afrikanischer Gesellschaften schreibt, entspricht diesem Konzept und illustriert das Phänomen nochmals anschaulich. Für diese gelte nämlich: „They envisage no time line stretching toward future dates. Time becomes real only in the present or in a near future conceived as its extension. A farmer sowing seed in his fields can think of their growth and harvest because these developments are inherent in the present." 28 Von solcher erfahrungsbezogenen Zeit („experienced time") hebt Malina die sog. imaginary time ab. Diese markiere die Sphäre außerhalb der Erfahrbarkeit, umfasse sozusagen das Unabsehbare, Unwahrscheinliche und sei im besonderen die exklusi24 Eine weitere Differenzierung, auf die ich hier nicht weiter eingehe, ist folgende: „abstract historical and operational time" versus „traditional historical and operational time"; s. dazu ebd., 24ff. 25 Vgl. ebd., 10f.; s. auch ZERUBAVEL, Rhythms, 59ff. 26 Vgl. MALINA, Christ, 11-14. 27 Zu unserem abstrakten Zukunftsverständnis bemerkt NOWOTNY, Mind, 209: „Many societies have lived for long stretches of time without considering the future; the idea of an open-ended future oriented toward constant improvement emerged late in Western history. It implied the creation of an ideological distance between what has been experienced and what was to be expected ... With the help of science and technology this discrepancy became stabilized in the nineteenth century and was identified as the ever-evolving dynamic movement of progress. The future became accessible under the condition of remaining inaccessible." NOWOTNY stellt ebd., 207 freilich die These auf, die westliche Gesellschaft sei derzeit auf dem Weg, „to abolish the category of the open future as we know it and to replace it with that of the extended present". 28 SPROUL, Time, 540.

Zeit, Kultur und Ritual

219

ve Domäne Gottes, dem alle Dinge möglich sind.29 Als Unterscheidungskriterium zwischen der Zukunft der „imaginary time" und dem Bevorstehenden der „experienced time" ergibt sich für Malina folglich „the degree of immediate and direct organic connection with some presently experienced person, event, or process"30. Folgt man diesen Einsichten in die antike Zeitvorstellung, so ist eine erste Antwort auf die Frage nach dem spannungsreichen Nebeneinander von präsentischen und futurischen Aussagen im Corpus Paulinum möglich. Diese lautet dann: Eine solche Spannung existiert nur infolge unserer abstrakten, von der aktuellen Erfahrung losgelösten Zeit- bzw. Zukunftsauffassung, nicht aber für mediterrane Menschen des 1. Jh.s.31 Versteht man nämlich die futurischen Äußerungen des Apostels im Sinne der experienced time als Bezugnahme auf das Bevorstehende (forthcoming), dann stehen sie den präsentischen nicht gegenüber oder entgegen, sondern bilden eine organische Einheit mit diesen, wohnt doch nach dem Konzept der experienced time das Bevorstehende der Gegenwart inne. Um nochmals Malina zu Wort kommen zu lassen: „What is forthcoming is perceived in the same way as that which is actually present and to which the forthcoming is linked by an organic unity. What is potential is already present in some actual reality. It does not arise from some statistically infinite number of possibilities equally able to come about or not. Rather, the potential cannot not come about, since as it is understood, it is just as much present as any other actually present, directly and immediately perceived object."32 Gegenwart und Zukunft bzw. Bevorstehendes gehören hier untrennbar zusammen, ihr Verhältnis ist gleichsam eines von „Anfang und Ganzem, von Keim und Frucht"33, ein Verhältnis innerster Verbundenheit.34 Malinas oben genanntes zweites Unterscheidungskriterium zwischen neuzeitlichem und traditionellem Zeitbewußtsein unterstreicht diese Zusammengehörigkeit:35

29

Vgl. MALINA, Christ, 14ff. Ebd., 17. 31 Vgl. auch ERLEMANN, Naherwartung, 410, der ebenso Zweifel äußert, „ob für die ntl. Autoren eine solche Spannung überhaupt empfunden wurde". 30

32

MALINA, Christ, 16f.

33

ERLEMANN, Naherwartung, 412. 34 Es sei an dieser Stelle angemerkt, daß MALINA eine Entwicklung im frühen Christentum ausmacht, in der das Bevorstehende zum Zukünftigen, das Erfahrene zum Imaginären wird, ja er lokalisiert diese bereits im Neuen Testament selbst, und zwar in einigen Aussagen der synoptischen Evangelien (vgl. ebd., 15.17.28). Paulus wird man davon weitgehend ausnehmen dürfen; seine Briefe sind wesentlich vom Zeitkonzept der experienced time beherrscht; vgl. dazu ebd., 16: MALINA führt dort zahlreiche Pauluszitate an, um zu illustrieren, was „forthcoming" bedeutet; s. auch ERLEMANN, Naherwartung, 412. 35

V g l . z u m f o l g e n d e n MALINA, Christ, 1 7 - 2 4 .

220

Die Transformation der Äonen

Im Gegensatz zu unserer mathematisch exakt segmentierbaren, objektiven Uhrzeit („clock time") werde Zeit in gegenwartsorientierten Kulturen als zyklisches („cyclical time") oder als prozeßhaftes Phänomen („procedural time") wahrgenommen und erfahren. Zumal der letztgenannte Aspekt, die procedural time, ist in Hinsicht auf das Zeitverständnis des Apostels wichtig. Malina versteht darunter „duration perceived in terms of organic processes"36. Das bedeutet, die gegenwärtige Dauer wird hier nicht als abgrenzbares Segment in einem linearen Zeitfluß gesehen, sondern als zusammenhängende prozessuale Einheit, der Entwicklung biologischer Organismen gleich. Im Vordergrund steht dabei das dem Prozeßverlauf gemäße Verhalten der Menschen und die rechte Vollendung des Prozesses, nicht der objektive Zeitaufwand als solcher: „What counts is adequate completion of some activity, not the amount of time spent on it."37 Den obigen Darlegungen entsprechend und sie unterstreichend, heißt es bei Malina dann weiter: „Here the present covers the whole period of the process in question."38 Das heißt, die Gegenwart umfaßt jeweils das gesamte Prozeßgeschehen samt der vergangenen und der bevorstehenden Dimension. Bei Paulus findet sich „procedural time" z.B. in der Rede vom Geist als άρραβών, d.h. „als G a rantie' oder ,Vorschuß' der Heilsfülle"39 (IKor 1,22; 5,5), im Bild von der in Geburtswehen liegenden Schöpfung (Rom 8,22f.26)40 oder auch in dem Hinweis auf die Sendung Christi zur „Fülle der Zeit" (Gal 4,4).41 Ich möchte nun die Überlegungen Malinas zum antik-mediterranen und neutestamentlichen Zeitbewußtsein durch einige ritologische Überlegungen ergänzen und so in einer spezifischen Weise akzentuieren. In kulturanthropologischen Untersuchungen ist wiederholt auf die große Bedeutung ritueller Zeiterfahrung und -konstitution hingewiesen worden. Folgende Gesichtspunkte verdienen hier Beachtung: Das Ritual spielt in den meisten vorneuzeitlichen bzw. nichtwestlichen Gesellschaften eine gewichtige, ja zentrale Rolle hinsichtlich der Strukturierung und Ordnung des jeweils gültigen Zeitgefüges. Bereits Arnold van Gennep hat auf die Bedeutung von Ritualen bei Jahreszeiten-, Monats- und Tageswechsel hingewiesen und dabei en passant bemerkt, daß die entsprechenden Rituale den jeweiligen Wechsel der Zeit, nicht nur begleiten, sondern sichern bzw. herbeiführen. 42 Das Ritual bestimmt insofern in kultureller Hinsicht maßgeblich den Lauf und die Organisation der Zeit. Auch bei Emile Dürkheim ist zu lesen: „Die Einteilung der Tage, Wochen, Monate, Jahre usw. entspricht der Periodizität der Riten, der Feste, der öffentlichen Zeremonien." 43 Edmund 36

Ebd., 22. Ebd. 38 Ebd. 39 ERLEMANN, Naherwartung, 198. 40 Vgl. dazu ebd., 201. 41 Vgl. MALINA, Christ, 23. 42 Im frz. Original steht „assurent" (Rites, 254); die deutsche Fassung gibt das Verb mit .herbeiführen" wieder (Übergangsriten, 171). 43 DÜRKHEIM, Formen, 29. 37

Zeit, Kultur und Ritual

221

Leach bestätigt diese Ansicht und vertritt die Überzeugung, „that our entire cultural notion of time periods is actually derivative of the celebration of festivals"44. Ganz auf dieser Linie konstatieren schließlich die Soziologen Pitirim A. Sorokin und Robert K. Merton: „Religious ceremonies, rites, seasonal festivals ... are the origins of a strictly defined system of time indication."45 Sorokin und Merton belegen diese Ansicht im übrigen mit einem Verweis auf den hohen Stellenwert kollektiver jahreszeitlicher Riten in antiken Städten. Die rituelle Konstitution des Zeitbewußtseins bzw. der Zeiteinteilung in traditionalen Gesellschaften ist also in den Sozialwissenschaften seit langem und auf breiter Ebene anerkannt.46 Es ist offensichtlich, daß Zeit in vormodernen Kulturen anders und weitaus deutlicher als in unserer, von der Dominanz abstrakter Uhrzeit bestimmten Kultur neben der Orientierung an den natürlichen Abläufen der Natur insbesondere durch die Ordnung der Rituale definiert wurde, was impliziert, daß die Zeitauffassung und das Zeitempfinden in einem höherem Maß als in den heutigen westlichen Kulturen durch soziales Verhalten und soziale Prozesse determiniert war (social time).A1 Möglich ist eine solche soziale Konstitution und Beeinflussung allgemeingültiger Zeitstrukturen durch Rituale nicht zuletzt deshalb, weil diesen, vor allem den sog. Passageriten, aufgrund der fixen Abfolgeordnung bestimmter Handlungselemente selbst eine nachhaltige Zeitstrukturierung immanent ist,48 mit deren Hilfe sie gleichermaßen nach außen wirken können. Rituale schaffen insbesondere an ihren Rändern qua Separation und Aggregation ein klares Davor und Danach und indizieren somit eine zeitliche Struktur. Roy A. Rappaport stellt in dieser Hinsicht treffend fest, „that ritual's ability to distinguish before from after with perfect clarity permits it to impose upon nature discontinuities much sharper than nature's own. Not only may it distinguish one period from the next unambiguously, but it may thereby fashion time itself out of mere duration."49 Neben ditsex funktionalen Bedeutung der Rituale bezüglich der Ordnung der Zeit ist aber auch auf die symbolische Bedeutung der Rituale im Hinblick auf 44

45

ZERUBAVEL, Rhythms, 1 1 4 über LEACH; vgl. dazu LEACH, Rethinking, 1 3 2 f f .

SOROKIN/MERTON, Social Time, 626. Vgl. etwa auch die Ausführungen bei BOURDIEU, Entwurf 228-317, die die enge Verbindung von Ritualen und dem Jahreszeitenkalender bei den Kabylen dokumentieren; s. ferner HEIMBROCK, Gottesdienst, 60ff. und RLFKIN, Uhrwerk, 94, der das Ritual zu den zentralen Zeiteinteilungsmechanismen der Spezies Mensch zählt. 47 Zur „social time" vgl. den gleichnamigen, richtungweisenden Aufsatz von SOROKIN/ MERTON; weitere Pioniere auf diesem Gebiet sind G. GURVITCH und W.E. MOORE; s. dazu LAUER, Man, 13-15; zur generellen Bedeutung der „social time" vgl. ferner ebd., 21-51; MALINA, Christ, 19ff.; ZERUBAVEL, Rhythms, passim; BERGER/LUCKMANN, Konstruktion, 29-31 sowie die bei GORMAN, Ideology, 33 A2 aufgelistete Literatur. 48 Vgl. dazu § 3.1: Das Phasenmodell der Passageriten (S. 42f.). 49 RAPPAPORT, Ecology, 123. 46

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das Erleben von Zeit zu achten. Zeit wird nicht nur durch Rituale strukturiert, Zeit wird auch im Ritual in spezifischer Weise erfahren, symbolisch zum Ausdruck gebracht, ja in der Liminalität sogar aufgehoben bzw. vom alltäglichen Zeiterleben abgekoppelt.50 So heißt es bei Rappaport an der eben bereits zitierten Stelle über das Ritual weiter: „In distinguishing one period from the next, furthermore, it distinguishes both before and after, as periods, from the non-periodic times between them - the times between times occupied by ritual itself - and thus it separates mundane time from sacred time which, being time out of time, may be associated in ritual with the eternal."51 Rituale produzieren somit nicht nur eine Strukturierung der Zeit, sie sprengen stets auch liminale Räume der Anti-Temporalität in den Lauf der Zeit ein. Auf der Grundlage dieser Ausführungen sollen in der Folge einige ausgewählte paulinische Zeitan- bzw. -aussagen ausführlicher behandelt werden, wobei sich bestätigen wird, daß dem paulinischen Zeitkonzept auch eine rituelle Dimension innewohnt. Zumal das Motiv des Wandels bzw. der Wende der Äonen läßt sich gleichsam als Echo ritueller Transitionalität begreifen, ebenso das spezifische Gegenwartsverständnis des Apostels, das genauer noch als Reflex ritueller Liminalität verständlich gemacht werden kann. Die Zeitkategorien des Apostels erweisen sich bei alledem als qualitative Kategorien; ja sie sind im besonderen als Transformationskategorien zu begreifen: Es geht Paulus, wie zu sehen sein wird, wesentlich nicht um Zeit im quantitativ-abstrakten Sinn, sondern um ein universales Prozeßgeschehen, das seinen Grund in der Transformation Christi (Tod und Auferstehung) hat, das in rituellen Vollzügen nacherlebt bzw. erfahrbar wird (bes. in der Taufe) und vor diesem Hintergrund ein neues Zeitbewußtsein heraufführt bzw. das Gefüge der Zeit symbolisch neu ordnet. Zeit ist insoweit bei Paulus gerade auch auf der Grundlage ritueller Erfahrungen und Prozesse experienced time und procedural time.

3. Die Transformation der Äonen In dem Nebensatz εις ους τα τέλη των αιώνων κατήντηκεν in IKor 10,11 verortet der Apostel sich und seine Gemeinde in signifikanter Weise in einem universalen zeitlichen Gefüge. Diese Aussage ist für das rechte Verständnis der paulinischen Äonenlehre und seiner Zeitauffassung besonders aufschlußreich. Der doppelte Plural des Syntagmas τά τέλη των αιώνων hat allerdings immer wieder Probleme bereitet. Um der genauen Bedeutung dieser paulini-

50 51

Vgl. dazu auch HEIMBROCK, Gottesdienst, 67ff. RAPPAPORT, Ecology, 123.

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sehen Zeitansage auf die Spur zu kommen, empfiehlt sich ein Blick auf den Kontext.52 Paulus greift in V.l-10 auf die Exodus- und Wüstentradition zurück und schildert dabei die Widerfahrnisse der „Väter" als τύποι (V.6).53 Diese τύποι dienen offenkundig als Warnung an die Korinther: Zwar wurde den Israeliten unter der Wolke und im Durchzug durch das Meer gleichnishaft die Taufe zuteil (V.2), ebenso qua Mannaspeisung und Felsenwasser sinnbildlich das Herrenmahl (V.3f.), doch das inadäquate Verhalten der Wüstengemeinde, ihr Begehren nach Bösem (έπιΦυμειν κακών, V.6) - faßbar in götzendienerischem Essen und Trinken, Spielen bzw. Tanzen, in Unzucht, Versuchung und Murren - brachte gleichwohl Gottes gerichtliches Handeln über sie (s. V.5.710).

Im Hintergrund steht hier wohl das Problem der Partizipation an heidnischen Kultmählern seitens einiger christusgläubiger Korinther, die der Apostel mit diesen Darlegungen abzuwehren sucht.54 Dies legt vor allem die mit διόπερ eng an den Text angebundene Fortsetzung in V. 14-22 nahe. Darauf muß hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Zur Klärung der Zeitaussage in V . l l c ist vielmehr eine Antwort auf die Frage drängend, weshalb der Apostel ausgerechnet auf den Exodus und die Wüstenwanderung rekurriert und die beiden Rituale Taufe und Abendmahl in diese Zeit zurückprojiziert. Hier hilft m.E. Robert L. Cohns Analyse der Auszugs- und Wüstenerzählung in Ex 12,37-Num 25,18 ein Stück weiter. Der umfassende Erzählkomplex ist danach unverkennbar durch die charakteristischen Strukturen und Attribute ritueller Prozesse, insbesondere durch die Eigenschaften der Liminalität geprägt.55 Laut Cohn vollzieht Israel in der Exodus- und Wüstenerzählung einen kollektiven Übergangsritus, wobei der Exodus und der Durchzug durchs Rote Meer als Separation fungiert, die vierzigjährige Wüstenwanderung als liminale Phase, das Überqueren des Jordan und die Landnahme schließlich als Reinkorporation bzw. Aggregation. 52 Zur vielfach ventilierten Frage, ob und inwieweit hier möglicherweise eine Vorlage von Paulus verarbeitet wurde, heißt es bei SCHRÄGE, IKor Π, 384 treffend: „Die meisten, die mit einer Vorlage rechnen, konzedieren ..., daß das Material von Paulus gründlich verarbeitet worden ist, daß eine Differenzierung zwischen Tradition und Redaktion kaum gelingen kann, ja vermutlich ist es Paulus selbst, der hier formuliert, die einzelnen Ereignisse verknüpft und sich an Taufe und Herrenmahl sowie an der Situation in Korinth orientiert." Ähnlich zurückhaltend äußern sich diesbezüglich BROER, Darum, 307-310; FEE, lCor, 442 A5; HABERMANN, Präexistenzaussagen, 196-202; V.D. OSTEN-SACKEN, Heiligkeit, 63f.78; WOLFF, IKor, 39f. 53 Als Typoi fungieren hier weniger konkrete Personen als vielmehr die angesprochenen Geschehnisse; so mit HABERMANN, Präexistenzaussagen, 192.215; DUGANDZIC, Ja, 247; V.D. OSTEN-SACKEN, Heiligkeit, 71; SCHRÄGE, IKor Π, 397 samt A82; s. auch FEE, lCor, 452f. 54 Vgl. dazu nur FEE, lCor, 441; KLAUCK, Herrenmahl, 256f.; V.D. OSTEN-SACKEN, Heiligkeit, 61; SCHRÄGE, IKor Π, 382; WOLFF, IKor, 39; s. ferner BROER, Darum, 312f. 55 Vgl. zum folgenden COHN, Shape, 7-23; s. dazu auch GORMAN, Assessment, 26.

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Cohns Hauptaugenmerk richtet sich vor allem auf die zahlreichen liminalen Symbole in der Schilderung des ausgedehnten Wüstenaufenthaltes. So sei die Wüste als Heimstätte wilder Tiere und dämonischer Wesen, als menschenleerer Unterschlupf sozial Ausgegrenzter und zugleich als Raum göttlicher Begegnung und göttlichen Schutzes ein ausgesprochen ambivalenter, liminaler Ort. In den Murrgeschichten spiegelten sich ferner die Proben und Demütigungen der Initianden während der Schwellenphase. Die Gabe der heiligen Tora auf dem Berg Sinai forme überdies aus den ehemaligen Sklaven eine offene Gesellschaft, eine Communitas, und gebe gleichzeitig Instruktionen für den kommenden neuen Status der Freiheit im gelobten Land. Kraft dieser liminalen Charakteristika und der damit einhergehenden Zeichnung der Wüstengemeinde als „Gesellschaft im Übergang" habe dann die Exodusund Wüstentradition für die priesterliche Redaktion im babylonischen Exil besondere Relevanz gewonnen und auf deren eigene Situation transferiert werden können. Cohn führt aus: „By retelling, rewriting, and reediting the story of the wilderness trek, the exilic authors gave expression to their own fears and hopes as they reexperienced .liminality' in exile."56 Aus Cohns Überlegungen ergibt sich somit: Die Wüstenerzählung ist ein eindrückliches Paradigma liminaler Situiertheit, das Personen oder Gruppen in Krisen-, Aufbruchs- bzw. Umbruchszeiten, wie z.B. der Exilgemeinde, zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten bietet und zu einer konkreten, hoffnungsvollen Standortbestimmung verhilft; die Gegenwart kann mithin in Analogie zur Exodus- und Wüstenerzählung als Schwellenposition innerhalb eines größeren Transformationsprozesses gedeutet werden, eines Prozesses, der schließlich zur Etablierung eines neuen Status, eines neuen Seins führen wird. Cohns These wirft ein bezeichnendes Licht auch auf die paulinische Rezeption der Exodus- und Wüstentradition: Es dürfte wohl nicht zuletzt auch hier der in der Tradition enthaltene Transformationsgedanke und zumal der Aspekt der Liminalität sein, der den Vergleich mit der korinthischen Situation evoziert. Der Apostel sieht sich und seine Gemeinden jedenfalls, wie in dieser Arbeit mehrfach deutlich wurde, gleichermaßen in einem Übergang begriffen, nämlich in der Schwellenphase zwischen der durch Christus heraufgeführten Heilswende und deren Vollendung bei der kommenden Parusie bzw. der allgemeinen Auferstehung. Die Wüstengeneration und die Christusgläubigen in Korinth finden sich mit anderen Worten in einer analogen Transformationssituation vor: Die „Väter" sind vom alten Zustand der Sklaverei separiert, haben aber den neuen Status im gelobten Land noch nicht erlangt und stehen daher allemal noch auf der „Schwelle". Genau darin gleichen sie den korinthischen Gemeindegliedern, denen die Heilsvollendung trotz Separation vom alten Dasein qua Taufe noch nicht zuteil wurde. Diese strukturelle Analogie vermag vielleicht nochmals neu verständlich machen, weshalb die Geschehnisse in der Wüste bei Paulus als τύποι, als Vorausabbildungen bzw. Vorausdarstellungen der Situation in Korinth fungieren. 57 56 57

COHN, Shape, 19. Zur Verwendung von τύπος im Sinn von „Vorabbildung" vgl. SCHRÄGE, IKor Π,

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Bedeutsam ist nun weiterhin, daß Paulus die Übergangssituation explizit rituell abgesichert sieht, nämlich in Taufe und Abendmahl, die hier gewissermaßen als Schwellenrituale hervortreten: Die Rituale bewirken die Separation vom alten Status, darüber hinaus Communitas,58 schließen aber die Statustransformation gleichwohl nicht endgültig ab, sondern eröffnen vielmehr einen Zustand permanenter Liminalität, wobei dem Apostel offensichtlich besonders an dem liminalen Attribut der Erprobung liegt.59 Dies zeigt sich am Ende des Argumentationsgangs in V.12f.: Vor dem Hintergrund der Gefährdungen der Väter in V.7-10 warnt Paulus die Korinther nachdrücklich, daß auch ihr gegenwärtiger Status ein gefährdeter sei und ein mögliches πίπτειν einschließe, d.h. ein Scheitern der Transformation ins Heil.60 Der Apostel führt dazu in V.13 näherhin das Motiv der Versuchung bzw. Prüfung/Erprobung (πειρασμός) ein.61 Zwar bleibt das Subjekt bzw. der Ursprung des πειρασμός offen, klar aber ist dessen Objekt, die Gemeinde (ΰμας), die Paulus so in typisch liminaler Manier in eine Art „Erprobungssituation" gestellt sieht - dies freilich unter der Obhut des treuen Gottes.62 Der Apostel gibt demnach in IKor 10,1-13 zu bedenken, daß der durch Taufe und Herrenmahl konstituierte Transformationsprozeß keinesfalls mit der Heilsvollendung als solcher verwechselt werden darf und durchaus noch Gefahren in sich birgt, daß sich die Korinther wie die Israeliten in der Wüste in einer liminalen Situation befinden. Von diesen Grundgedanken her ist nun auch V.ll zu lesen und zu verstehen: Mit dem Satz εις ους τά τέλη των αιώνων κατήντηκεν bringt Paulus den Aspekt der liminalen Verortung der Christusgläubigen gewissermaßen auf den 403ff., bes. 407 und die dort intensiv diskutierte Literatur zum Problem der Typologie. LUZ, Geschichtsverständnis, 120; BROER, Darum, 314f.; ÜUGANDZIC, Ja, 2 4 7 und V.D. OSTEN-

SACKEN, Heiligkeit, 71 sprechen von einem „Modell"; vgl. zur Problematik insbesondere auch DAVIDSON, Typology, 193-297; HAYS, Echoes, 95-102; BOYARIN, Jew, 73-76; s. zudem FEE, lCor, 452. 58 Das Moment der Separation wohnt primär der mit dem Exodus parallelisierten Taufe inne (V.2). Der Communitasgedanke klingt in seiner vertikalen Dimension indirekt in dem auf das Abendmahl zielenden Motiv vom mitwandernden, wasserspendenden und somit an sich Teilhabe gebenden Felsen an, der Christus ist (V.4), in seiner horizontalen Dimension in dem auffällig hervorgehobenen fünffachen πά-ντες in V. (dies gilt zumindest dann, wenn man der Deutung von M.M. MITCHELL, Rhetoric, 252f. folgt, nach der hier die Einheit der Gemeinde betont ist) sowie in der Akzentuierung, die Israeliten nähmen dieselbe geistliche Speise und denselben geistlichen Trank zu sich (V.3f.), was an die in V.16f. formulierte Koinonia beim Mahl denken läßt (vgl. CONZELMANN, IKor, 204; der Aspekt der horizontalen Gemeinschaft findet sich dort v.a. in V.17; s. dazu § 10.2.3.1 [S. 317ff.]). 59 Zum Prüfungs- und Erprobungscharakter ritueller Liminalität vgl. neben § 3.1 auch MCVANN, Prophets, 17-19; LA FONTAINE, Initiation, 16.186f. u.ö. (s. ferner den dortigen Index); ELIADE, Mysterium, passim. 60 Vgl. dazu BROER, Darum, 318-320; FEE, lCor, 459f.; WOLFF, IKor, 48. 61 Vgl. POPKES, πειράζω, 158, der vom „Erprobungscharakter" spricht. 62 Die komplexen Aussagen in V.13 können und brauchen hier nicht weiter untersucht zu werden; vgl. dazu nur BROER, Darum, 321-325 und SCHRÄGE, IKor Π, 409-412.

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Punkt. Die den Vätern τυπικώς widerfahrenen Geschehnisse sind als aktuelle Warnung für die Christusgläubigen (πρός νουθεΰίαν ήμών) aufgeschrieben,63 die analog zur liminalen und darin gefahrvollen Existenz zwischen Ägypten und dem gelobten Land nun zwischen den Äonen stehen, d.h. auf dem Scheitelpunkt einer durch Christus heraufgefühlten Äonenwende. Der Plural des Genitivs των αιώνων ist folglich am ehesten auf ein Zwei-Äonen-Denken zurückzuführen, ein Denken, das sich auch sonst bei Paulus andeutet, etwa in Gal 1,4 oder IKor 2,6.8. Diese Auslegung ist allerdings nicht unumstritten. Entschieden sprach sich dereinst Johannes Weiß dafür aus; in seinem Korintherkommentar trug er die These vor, es ginge Paulus bei der Wendung primär um die Schnittlinie der beiden Äonen, insofern die Endpunkte beider Weltalter auf die jetzt lebende Gemeinde träfen. Das Syntagma τά τέλη των αιώνων ziele faktisch auf das Ende des alten und den Beginn des neuen Äons.64 Diese Deutung wurde jedoch mit dem Argument abgewiesen, τά τέλη könne nicht zugleich Anfang und Ende in einem meinen, zumal die Bedeutung „Anfang" für τέλος nicht zu belegen sei.65 So versteht man die fragliche Wendung heute zumeist vor dem Hintergrund einer Art Weltzeitentheorie. Die Formulierung in Y.l 1 wird dabei auf mehrere der Gegenwart vorauslaufende Weltepochen bezogen. Τά τέλη των αιώνων artikuliert dann das Ende der Weltzeit bzw. des alten Äons als eines mehrphasigen, aber nichtsdestoweniger einheitlichen Zeitabschnitts (vgl. 4Esr 11,44) 66 Doch auch diese Lesart bringt unübersehbare Probleme mit sich. So zeugen die paulinischen Briefe sonst nirgends von einer solchen Weltepochenspekulation; wo der Apostel „heilsgeschichtliche Zeiträume voneinander abhebt (Adam - Mose - Christus Rom 5; Abraham - Mose - Christus Gal 3), da ist weder das Periodenschema als solches entfaltet, noch werden die Epochen als αιώνες bezeichnet"67. Die Interpretation des Satzes im Sinne eines „Endes der Weltzeiten" stößt zudem auf die Schwierigkeit, daß hier strenggenommen der Singular τό τέλος zu erwarten wäre, nicht aber die vorliegende Pluralform τά 63

Zur Bedeutung von \ονθεθία vgl. V.D. OSTEN-SACKEN, Heiligkeit, 7 2 samt A43. WEISS, IKor, 254; vgl. auch MICHEL, καταντάω, 627 sowie FLTZMYER, Rom, 344: „The ends of the ages have met' (ICor 10:11), i.e., the term of the old period has met the beginning of the new; hence the eschaton has begun." 65 Vgl. SCHRÄGE, IKor Π, 408; WOLFF, IKor, 46; BAUER/ALAND, Wörterbuch, 53; ablehnend äußern sich auch BAUMGARTEN, Apokalyptik, 184; L u z , Geschichtsverständnis, 121 A398; E.W. STEGEMANN, Alt, 513 A25. 66 Vgl. dazu BACHMANN, IKor, 335; BARRETT, IKor, 264f.; BAUER/ALAND, Wörterbuch, 53; BAUMGARTEN, Apokalyptik, 190; ERLEMANN, Naherwartung, 204; HEINRICI, IKor, 301; HOLZ, αιών, 110; KERTELGE, Rechtfertigung, 134 A l l l ; F. LANG, Kor, 126; LIETZMANN, Kor, 47; PLUMMER/ROBERTSON, lCor, 207; SASSE, ΑΙΏΝ, 203; SCHRÄGE, IKor Π, 408; STUHLMACHER, Gerechtigkeit, 203 A l ; WOLFF, IKor, 45f.; s. auch CONZELMANN, IKor, 206f. 67 CONZELMANN, IKor, 206 A40. 64

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τέλη.68 Schließlich ist auch der Kontext nicht in dieser Weise eschatologisch gefärbt; die Thematisierung des Endes der Weltzeit wäre an dieser Stelle zumindest überraschend. Was aber ist dann gemeint? Zur Beantwortung dieser Frage empfiehlt sich ein Blick auf den allgemeinen griechischen Sprachgebrauch. Signifikanterweise hat der Terminus τέλος dort von vornherein keine rein temporale, sondern vielmehr eine qualitative Bedeutung. Wie Robert Badenas in seiner umfangreichen semantischen Analyse gezeigt hat, ist in profangriechischen Texten der mögliche temporale Sinngehalt immer erst durch den Kontext gesetzt, niemals durch τέλος selbst. Nach Badenas gilt: „The basic notion of τέλος then is not temporal but related to the notions of .intention' and .completion'."69 Ähnlich heißt es schon im Passowschen Wörterbuch über die Bedeutung von τέλος: „nie zeitliches Ende an u. für sich, wofür stets τελευτη zu gebrauchen ist, sondern wo τέλος so vorkommt, wie in βίου τέλος, hat es stets den Nebenbegriff der innerlichen Vollendung."70 Der Vokabel wohnt also grundsätzlich und primär die prozessuale Vorstellung der Vollendung, Kulmination oder auch Erfüllung inne.71 Dies rührt daher, daß mit τέλος ursprünglich ein „Gipfel-" oder „Wendepunkt" bezeichnet wurde.72 Noch ein zweiter, damit verbundener Gesichtspunkt des griechischen Sprachgebrauchs scheint mir für ein angemessenes Verständnis von IKor 10,11 bedenkenswert zu sein. Der Terminus τέλος bzw. τά τέλη wurde auch für bestimmte Rituale verwendet; dies gilt insbesondere für Initiationen im Bereich der Mysterienreligionen, aber auch für Passageriten wie z.B. die Heirat.73 Hinsichtlich der Initiationen konstatiert Paul Johannes Du Plessis, solche rituelle Applikation entspreche ganz dem „original turning point character" des Begriffs; ja, dieser konnotiere überhaupt „... the idea of passing from one

68 Zur Verteidigung wird bisweilen konstatiert, der Plural könne sinnidentisch mit dem Singular τέλος αιώνων sein; so BAUMGARTEN, Apokalyptik, 190 A50; vgl. BAUER/ALAND, Wörterbuch, 53; CONZELMANN, IKor, 206. 69 BADENAS, Christ, 43. 70 PASSOW, Wörterbuch 2/Π, 1856. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei nochmals betont: Natürlich kann sich τέλος auch auf ein temporales Ende beziehen, diese Bedeutung ergibt sich allerdings erst durch einen bestimmten Kontext und wohnt dem Lexem nicht von vornherein inne. BADENAS, Christ, 44 schreibt: „In all etymological studies of τέλος the notion of .termination' is absolutely secondary and the notion of .abolition' is completely alien to the semantic content of τέλος and other words of its same root. The temporal and terminal connotations that τέλος may take in certain contexts represent an extension of the original meaning and come from the context in which this word is used rather than from τέλος itself." 71 Vgl. BADENAS, Christ, 42ff., der ebd. u.a. auf gleichlautende Thesen von J.H.H.

SCHMIDT und W . WACHSMUTH hinweist; s. f e m e r D u PLESSIS, Τ Ε Λ Ε Ι Ο Σ , 3 8 f f . 72 73

So BADENAS, Christ, 43; Du PLESSIS, ΤΕΛΕΙΟΣ, 45. Vgl. dazu die Belege bei LIDDELL/SCOTT, Lexicon, 1773 (Punkt 6.); s. ferner Du

PLESSIS, Τ Ε Λ Ε Ι Ο Σ , 4 6 - 5 0 ; WAANDERS, History, 1 0 2 s o w i e BOGLE, τέλη, 2 4 6 .

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stage of life to the next ..." 74 . Du Plessis weist in diesem Zusammenhang zudem darauf hin, daß bei der rituellen Verwendung des Lexems der Gebrauch des Plurals üblich gewesen sei.75 Stellt man diese Gesichtspunkte auch für IKor 10,11 in Rechnung, so ergibt sich folgende Vorstellung: Die qualitative Bedeutungsdimension von τέλος legt es zunächst nahe, den betreffenden Satz im Sinne einer prozessualen Vollendung der Äonen zu verstehen. Stimmt man dem zu, so ordnet sich die Aussage ε'ις ους τά τέλη των αιώνων κατήντηκεν dem weiter oben dargelegten Konzept der procedural time ein; die Zeitansage zielt dann nicht auf ein wie auch immer geartetes Ende der Äonen innerhalb eines abstrakten, klar segmentierbaren Zeitflusses, sondern auf die Qualität eines sich vollendenden Prozeßgeschehens. Berücksichtigt man darüber hinaus den rituellen Gebrauch des Plurals τά τέλη, der gerade den Korinthern aufgrund ihrer mutmaßlichen Kenntnis der Mysterienreligionen geläufig gewesen sein dürfte, 76 so mag in dem Syntagma τά τέλη των αιώνων im besonderen das dynamische Bedeutungsmoment der Passage aus einem Zustand in einen anderen mitschwingen. Treffen diese Überlegungen zu, dann verleiht Paulus in IKor 10,11 der Überzeugung Ausdruck, daß er und seine Gemeinde sich in einer umfassenden Umbruchs- und Übergangssituation befinden, an einem Wendepunkt der Äonen, der dem Prozeß einer Statustransformation in einem Passageritual gleicht. Das besagte Syntagma steht dann für eine Passage kosmischen Ausmaßes, für die Phase bzw. Epoche der Transformation der Äonen. Dieser äonenhafte Transformationsprozeß ist nun nach Aussage des Apostels auf die korinthischen Christusgläubigen und ihn selbst gelangt (κατήντηκεν), was m.E. den Gedanken impliziert, daß er unter ihnen zum Ereignis geworden ist. Das heißt, die Rede von der Passage der Äonen ist keine abstrakte, sondern eine in den Horizont aktueller Erfahrung eingebundene Zeitansage (iexperienced time). Welche aktuellen Erfahrungen stehen hier aber im Hintergrund? Vom Textumfeld her wie auch aufgrund der genannten rituellen Konnotationen des auffälligen Plurals τά τέλη scheint es geboten, namentlich an die zuvor thematisierten Schwellenrituale zu denken. Daraus folgt dann, daß sich die Wendung τά τέλη των αιώνων mittelbar auch der Ansicht verdankt, die Transformation der Äonen spiegele sich in den Ritualen der Christusgläubigen, nämlich in Taufe und Abendmahl, bzw. sei in diesen erfahrbar. Diese Vorstellung stimmt ganz und gar mit den bislang in dieser Studie herausgearbeiteten Grundsätzen der paulinischen Transformationstheologie überein, vollziehen die genannten rituellen Handlungen doch die für das Leben der Christusgläubigen maßgebliche Partizipation an Christi Tod und Auferstehung 74

Du PLESSIS, ΤΕΛΕΙΟΣ, 47. Vgl. ebd., 46: „It is usual to find the plural use, because a series of established acts constitute the ritual and not one singular act." 76 Vgl. dazu nur SCHRÄGE, IKor I, 54 sowie DERS., IKor Π, 385f. 75

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(vgl. §§ 7.2 und 7.3 sowie unten §§ 10.2.2 und 10.2.3), d.h. die Teilhabe an dem Geschehen, das für Paulus ohne Zweifel den Urgrund der Äonenwende bildet. Dies alles führt zu der These, daß der Apostel mit dem Satz εις ους τά τέλη των αιώνων κατήντηκεν andeutet, daß die Christusgläubigen nicht zuletzt qua Ritual in den laufenden Prozeß der Transformation der Äonen eingebunden sind und sich dabei an einem liminalen Wendepunkt von kosmischem Ausmaß befinden, nämlich in der Schwellenphase der Äonenwende.77 Dieser Auslegungsvorschlag wird durch mehrere Indizien gestützt. Zunächst stimmt er mit dem Proprium der von Paulus aufgegriffenen Exodusund Wüstentradition überein, in deren Zentrum ebenfalls, wie aufgewiesen, der rituell verankerte Gesichtspunkt des Übergangs und der Schwelle steht. V.l lc erscheint somit nicht länger als ein letztlich unvorbereiteter Anhang am Versende, der relativ unvermittelt das Ende der Zeit thematisiert. Der Relativsatz fügt sich nun vielmehr organisch in den Gesamtduktus der Argumentation ein: Die in der Schwellensituation zwischen Ägypten und Kanaan sich befindenden Israeliten sind deshalb warnendes Vorbild für die Korinther, weil letztere sich in einer vergleichbaren liminalen Situation vorfinden, die hier wie dort - bei den Israeliten im übertragenen Sinn - mit den Ritualen der Taufe und des Abendmahls verbunden ist. Überdies macht der vorgelegte, an einer rituellen Transformation orientierte Deutungsansatz die Verwendung des ungewöhnlichen Plurals τά τέλη verständlich, ist dieser doch typisch für den rituellen Gebrauch der Vokabel. Schließlich wird die ritologische Interpretation dadurch gestützt, daß der Kontext von IKor 10,11 ein eminent ritueller ist; Paulus rekurriert nicht nur im Rahmen seines Rekurses auf die Exodus- und Wüstentradition auf Taufe und Abendmahl, er kommt auch im anschließenden Abschnitt V.14ff. erneut auf das Herrenmahl zu sprechen, und dies im Zusammenhang mit der Diskussion um die Teilnahme an den gleichfalls rituell konnotierten Götzenopfermählern. Es liegen also einige triftige Gründe vor, die Zeitansage in IKor 10,11c aus ritologischem Blickwinkel heraus zu betrachten und zu interpretieren. Geschieht dies in der hier vorgeführten Weise, ordnet sich die Satzkonstruktion εις ους τά τέλη των αιώνων κατήντηκεν aufgewiesenermaßen auch den von Ma77 BOGLE, τέλη, 246f. schlägt eine rein rituelle Interpretation der Wendung τά τέλη των αιώνων vor und übersetzt V . l l c ebd., 247 mit dem Satz: „To whom the eternal Mysteries have come down" bzw. (bei alternativer Deutung des Verbs καταντάω) mit: „Who are the heirs of the Mysteries of the ages." BOGLE beendet seine Ausführungen mit der Bemerkung: „I feel what we have to decide is whether St. Paul was here thinking eschatologically, or, as I suspect, sacramentally in language adapted to the religious background of the Corinthian Christians." In der Tat scheint es mir mit BOGLE angemessen zu sein, den rituellen Hintergrund des Syntagmas einzukalkulieren, doch ist die aufgestellte Alternative, wie die obige Auslegung zeigt, unnötig; rituelle Erfahrungen und qualitative (eschatologische) Zeitvorstellungen lassen sich verbinden. Zu weiteren, hier nicht näher besprochenen Interpretationen des Syntagmas vgl. BADENAS, Christ, 74; DAVIDSON, Typology, 271-274; s. auch HABERMANN, Präexistenzaussagen, 195.

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lina herausgearbeiteten antiken Zeitkonzeptionen der experienced und der procedural rime78 ein. Im Ergebnis lokalisiert Paulus sich und seine Gemeinde damit ausdrücklich in der Schwellensituation eines kosmischen Transformationsprozesses, die für die Christusgläubigen Gefährdungen einschließt (V.710) und eine Zeit der Probe ist (12f.). Der Apostel vertritt insofern nicht einfach ein Zwei-Äonen-Denken, bei dem sich zwei Zeitsphären nahtlos ablösen, wie dies etwa in 4Esr 6,7-10 der Fall ist. Dort wird explizit jedwedes Intervall zwischen den Äonen negiert.79 Für Paulus folgt der neue Äon jedoch nicht unmittelbar dem alten, vielmehr fließen beide in einer Zwischenphase ineinander über.80 Im Ritual werden die Christusgläubigen in diesen kosmischen Transformationsprozeß und in diese Schwellenphase hineingenommen, wodurch ihnen die Zeit bzw. ihre Gegenwart eine neue wird. Diesem Verständnis der Gegenwart soll nun in einem weiteren Abschnitt vertieft nachgegangen werden. 4. Die liminale Qualität der Gegenwart Immer wieder beschreibt der Apostel die gegenwärtige Zeit mit dem kleinen Wörtchen νϋν bzw. wvi. Die meist adverbial gebrauchte Partikel besitzt im Corpus Paulinum offenbar einen besonderen Stellenwert und scheint mit besonderen Konnotationen versehen zu sein. Sie begegnet zumindest wiederholt im Kontext wichtiger theologischer Explikationen. Inhaltlich ist sie schillernd. Überblickt man die relevanten Stellen,81 so fällt auf, daß Paulus darin die Gegenwart der Christusgläubigen in zweifacher Hinsicht neu definiert sieht: zum einen durch das objektiv-heilsgeschichtliche Handeln Gottes in Christus (vgl. nur Rom 3,21.26; 5,9.11; 7,6; 8,1; ll,30f.; 2Kor 5,16; 6,2; Gal 4,29), zum anderen durch die subjektiv-individuelle Heilsaneignung, die im wesentlichen über die Taufe vermittelt ist (vgl. nur Rom 6,19.21f.; Gal 2,20).82 78 Paulus beschreibt die Existenz der Christusgläubigen im übrigen auch im weiteren Kontext als Prozeßgeschehen, indem er etwa in 9,24-27 auf die Metaphorik des Wettlaufs und des noch nicht erlangten Siegeskranzes zurückgreift. 79 Vgl. dazu auch CHARLES, Apocrypha Π, 575; LONGENECKER, Eschatology, 71 f. 80 Die Schwellensituation betonen auch HAYS, Rebound, 95; SOARDS, Visionary, 149f.; DERS., Apostle, 39f.; STUHLMACHER, Erwägungen, 426; s. ferner FURNISH, Theology, 134; A.T. HANSON, Paradox, 132 („the ages overlapped"); ERLEMANN, Naherwartung, 242f. Auf die räumliche Ebene transponiert, begegnet ein ähnlicher Gedanke in lHen 18,14. Dort wird ein „liminaler Ort" mit den Worten beschrieben: οϋτός έστιν ό τόπος τό τέλος τοϋ ούρα-νοϋ καΐ της γης. 81 Auf den nichttemporalen, logischen Gebrauch von vüv/wvi bei Paulus gehe ich hier nicht weiter ein; vgl. dazu RADL, νϋν, 1178f.; DERS., vWi, 1180; STÄHLIN, vüv, llOlf. Ebenso unerheblich für die aktuelle Fragestellung ist die temporale Verwendung der Vokabel mit Blick auf spezifische Situationen des Apostels, der Mitarbeiter oder der Gemeinde; s.

dazu e b e n f a l l s RADL, WV, 1179f. und DERS., ΝΥΝΙ, 1181. 82 Die dargebotene Systematisierung der Belege orientiert sich an DE OLIVEIRA, Diakonie, 354 und RADL, vöv, 1179. Die biblischen Stellen lassen sich freilich, wie sich später

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Heilsgeschichte und Individualgeschichte verdichten sich so gleichermaßen in der Partikel, wobei das „Jetzt" auf beiden Ebenen einen fundamentalen Transformationsprozeß voraussetzt bzw. impliziert, zum einen die mit dem Christusereignis verbundene Äonenwende, zum anderen die persönliche Wandlung im Leben des einzelnen qua Initiation. Darüber hinaus kann der Apostel mit der Vokabel die Gegenwart sowohl als Zeit des Heils (s. 2Kor 6,2) wie auch als Zeit des Leidens charakterisieren (s. Rom 8,18.22). Diese semantische Komplexität soll im folgenden noch genauer entziffert werden. Angesichts der Taufkonnotationen empfiehlt es sich, dazu zunächst nochmals das gegen Ende von Abs. 2 bereits angesprochene ritologische Konzept der liminalen Anti-Temporalität kurz darzulegen und auf die in diesem Zusammenhang wichtige Thematik des qualitativen Zeitverständnisses einzugehen, um von da aus dann das in der Vokabel verdichtete paulinische Gegenwartsverständnis paradigmatisch anhand einer Untersuchung von Rom 6,19-23; 8,18ff.; 13,11-14 und 2Kor 6,2 sachgemäß diskutieren zu können.

Liminale Anti-Temporalität

und qualitatives

Zeitverständnis

Victor Turner hat sich in seinem Aufsatz „Images of Anti-Temporality" eingehend mit dem Phänomen der Außerkraftsetzung gewöhnlicher Zeitstrukturen befaßt. 83 Er geht darin zunächst von der Definition des Begriffs „Zeit" im Oxford English Dictionary aus: „A limited stretch or space of continued existence, as the interval between two successive events or acts or the period through which an action, condition or state continues: a finite portion of ,time'." 84

Turner fährt dann fort: „Here, however, I would detect a certain ambiguity in the phrase, .interval between two successive events or acts', for such intervals may, in many societies, be culturally detached from natural or logical sequentiality and formed into a domain governed by anti-temporality. Here the very definition of time implies its opposite."85

Für den Anthropologen sind es wesentlich rituelle Handlungen und verwandte kulturelle Darbietungen, die jene Intervalle der Anti-Temporalität produzieren. Insbesondere verweist er auf die rituelle Liminalität, die eine Art „time outside time" schaffe, in der die alltäglichen Zeitordnungen symbolisch aufnoch genauer zeigen wird, oftmals nicht eindeutig der objektiven oder subjektiven Seite zuordnen; häufig fallen beide Momente ineinander. 83 TURNER, Edge, 227-246. 84 Ebd., 227. 85 Ebd.

Die Transformation der Äonen

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gehoben seien. Dies rührt daher, daß in der maßgeblich durch Ambivalenz charakterisierten Liminalität nicht länger gilt, was vorher war, und noch nicht gilt, was sein wird, so daß hier zwangsläufig der alltägliche, kontinuierliche Zeitlauf durchbrochen ist.86 Die rituell-liminale Aufsprengung bzw. Destruktion der gewöhnlichen Zeitstrukturierungen prägt sich nach Turner näherhin in zweifacher Weise aus: Zum einen bringt sie das überzeitlich Gültige hervor, „the perennially sacred, rooted perhaps in the primordial manifestation of the eternal, generative unmanifest, the Logos, that was ,in the beginning', but was Son of the beginningless fathering will to manifestation"; zum anderen umfaßt sie die anti-strukturelle Zersetzung des Alltäglichen, „the perennially sacrilegious, human freedom to resist and even transgress the culturally axiomatic, the most sacred texts, the mightiest rulers and their commandments"87. Der ersten dieser beiden Formen liminaler Anti-Temporalität hat sich im besonderen Mircea Eliade angenommen. In eigenständiger und origineller Fortführung Dürkheims fundamentaler religionssoziologischer Unterscheidung zwischen dem Heiligen und dem Profanen88 hebt er religionsphänomenologisch zwei elementare Zeitqualitäten voneinander ab, die heilige und die profane Zeit.89 Eliade zufolge durchbricht der religiöse Mensch im Ritual immer wieder die profane Zeit, d.i. die historische Zeit im Sinne einer „verrinnenden Zeitdauer", und begibt sich in das Refugium der heiligen Zeit, die Eliade genauer als ahistorische Zeit definiert, als eine Zeitqualität, die zumal dadurch gekennzeichnet ist, daß sie ein mythisches Erlebnis vergegenwärtigt. Heilige Zeit meint also „eine Art mythische ewige Gegenwart ..., der man sich vermittels der Riten periodisch wieder einfügt" 90 . Der Religionswissenschaftler führt dazu aus:

86

Ähnlich heißt es bei RAPPAPORT, Ecology, 212, rituelle Subjekte in der Liminalität „... do not have their unambiguous before or after values, but are, rather, changing. It is a time out of ordinary time and is marked as such by the prominent place given to representations that connect the moment to the eternal, and thereby disconnect it from the everyday and ordinary." Zur liminalen Unterbrechung der Zeit s. auch LEACH, Culture, 34.77.83 sowie DERS., Rethinking, 132-136. 87

88

TURNER, E d g e , 2 3 6 .

Vgl. DÜRKHEIM, Formen, passim. Vgl. ELIADE, Das Heilige, 63ff.; s. dazu bereits DÜRKHEIM, Formen, 417f. und das Diagramm bei LEACH, Rethinking, 134. Zur Problematik der wissenschaftlichen Rezeption ELIADEs bemerkt HEISIG, Symbolism, 204 treffend: „If it is often difficult to place his work in the accepted academic framework, it is equally difficult to carry on religious studies in any of its aspects without reference to his achievements." 90 ELIADE, Das Heilige, 64. Zur Konzeption der „heiligen Zeit" in der Anthropologie allgemein vgl. SPROUL, Time, 535-544, die ebd., 543f. schreibt: „... rituals demonstrate the belief that temporal being is continuously sustained and re-created out of the eternal. In contrast to the secular view that generations simply give birth of one another and that people simply grow up and die, religions persistently recall the origin of all temporal being in the timeless and see the sacred nature of that connection perpetually expressed and reexpressed in the moments and events of life." 89

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„Die religiöse Teilnahme an einem Fest impliziert das Heraustreten aus der .gewöhnlichen' Zeitdauer und die Wiedereinfiigung in die mythische Zeit, die in diesem Fest reaktualisiert wird. Die heilige Zeit ist somit unendlich oft wiederholbar. Man könnte sagen, daß sie nicht .abläuft', keine irreversible .Dauer' darstellt. Sie ist eine ontologische, eine .parmenidische' Zeit, die sich immer gleich bleibt, die sich weder verändert noch erschöpft. Mit jedem periodisch wiederkehrenden Fest findet man dieselbe heilige Zeit wieder, die sich in dem Fest des Vorjahres oder in dem Fest vor einem Jahrhundert manifestiert hat: es ist die von den Göttern geschaffene und geheiligte Zeit; sie entstand, als die Götter jene gesta vollbrachten, die durch das Fest reaktualisiert werden. Mit anderen Worten: man findet in dem Fest zurück zur ersten Erscheinung der heiligen Zeit, wie sie sich ab origine, in illo tempore erfüllt hat." 91 Eliade weist dort im weiteren Kontext ausdrücklich auf das Proprium des Christentums hin, daß hier illud tempus ein Stück historischer Zeit sei, nämlich das Schicksal Jesu von Nazareth, das zur heiligen Geschichte wurde. Von daher gehe es im christlichen Ritual nicht um die Reaktualisierung einer mythischen Zeit, sondern um „.jene Zeit', in der Christus lebte, starb und auferstand" 92 . Die im christlichen Ritual reaktualisierten Geschehnisse haben sich folglich nicht am Ursprung der Zeit abgespielt, sondern um die Zeit, da Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war. Das Grundmoment der den profanen Zeitenlauf durchbrechenden rituellen Reaktualisierung heiliger Zeit - hier einer historisch verankerten - bleibt freilich im Grundsatz auch so bestehen. Gegenüber Eliade hat sich Victor Turner in seinem Werk stärker dem zweiten Modus ritueller Anti-Temporalität gewidmet, dem „perennially sacrilegious", wie er sagt, der anti-strukturellen Destruktion alltäglicher Zeit, der Inversion und Auflösung des Gültigen, Unverrückbaren. Dieser Aspekt wird, was Paulus anbelangt, im nächsten Paragraphen, der Erörterung des Symbol des Kreuzes eine größere Rolle spielen. Um die liminale „timeless time" recht zu versehen, muß man sich bei alledem im klaren darüber sein, daß beide Modi rituell-liminaler Anti-Temporalität ein qualitatives, nicht ein quantitatives Zeitverständnis zur Voraussetzung haben. Das heißt: Zeit ist hier nicht als abstrakte, homogene Größe im Blick, sondern als heterogene Entität, als Zeit, die je verschiedene Wertigkeiten besitzen kann. 93 Es geht mit anderen Worten um die unterschiedlichen symboli-

91

ELIADE, Das Heilige, 63. Ebd., 98. Vgl. dazu auch ZERUBAVEL, Rhythms, 113, der eine ähnliche Kombination von historischer und heiliger Zeit am jüdischen Segen über den Chanukkah-Kerzen demonstriert. 93 Vgl. ZERUBAVEL, Rhythms, 110: „The qualitative conception of temporality puts a particular emphasis on man's sociocultural ability to distinguish between the .qualities' of periods of time that are entirely identical from a mathematical standpoint"; s. dazu ferner ebd. lOlff. und ERLEMANN, Naherwartung, 39-41. Berühmt ist in diesem Zusammenhang auch die von HENRI BERGSON eingeführte Unterscheidung zwischen „temps" und „duree", die sich „wie Extensität und Intensität, Quantität und Qualität, abstrakt und konkret-gelebt, 92

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Die Transformation der Äonen

sehen Bedeutungen, die einem bestimmten Moment, einer Zeitperiode zugemessen werden, um die variierenden „qualitativen Modalitäten, in denen sich Zeit als solche in der menschlichen Erfahrung manifestiert"94. In diesem Sinn durchbricht rituelle Liminalität die profane Alltagszeit, indem sie im Zwischenraum des „Nicht-mehr" und des „Noch-nicht" Zeit mit nichtalltäglichen Qualitäten anreichert, sie so für das Ewige bzw. für Anti-Struktur öffnet und darin symbolisch den profanen Lauf der Zeit transzendiert oder destruiert. Vor diesem Hintergrund ist auch das eigentümliche paulinische νϋν zu verstehen. Dieses „Jetzt" weist im Sinne qualitativer Zeit auf ein in die Geschichte eingesprengtes „liminales" Zeitintervall, welches im rituell aktualisierten Christusereignis seinen Grund hat und von da aus die Gegenwart der Christusgläubigen neu qualifiziert. Im verbleibenden Teil dieses Paragraphen soll dies näher dargelegt werden. Die oben explizierte Kategorie der procedural time wird dabei als äußerer Bezugsrahmen jenes liminalen Refugiums nach wie vor eine Rolle spielen; desgleichen geht es auch hier um experienced time bzw. die Erfahrung von Anti-Temporalität. Rom

6,19-23

Paulus arbeitet in den fünf Versen die in V. 16-18 eingeführte Metapher des Herrschaftswechsels aus: Die Römer (ΰμεις) sind νυνί von der versklavenden Herrschaft durch die Sünde, welche sich in ακαθαρσία und ανομία manifestiert, befreit; sie sind νϋν Sklaven der Gerechtigkeit unter dem Regime Gottes zur Heiligung (εις άγιασμόν). Der Gebrauch dieser Metaphorik indiziert, daß sich die Gegenwart der christusgläubigen Römer der Realisierung einer elementaren Transformation verdankt. Welches Ereignis ist hier aber im Blick? In welchem Transformationsgeschehen gründet das in den V.19.21.22 dreimal prononciert hervorgehobene „Jetzt"? Eine erste Antwort stellt sich ein, liest man die fraglichen Verse als „Explikation und Präzisierung des Taufgeschehens"95, dessen Bedeutung Paulus ja in V. 1-11 theologisch entfaltet hat. Ein solcher Taufbezug ergibt sich genauerhin aus folgenden Gründen: Erstens weist das hier verhandelte Thema der Befreiung aus der Herrschaft der Sünde unübersehbar auf V.2ff. zurück; dort hatte der Apostel das Absterben von der Sünde bereits als Folge des Taufrituals beschrieben. Sodann liegt den Versen (bes. V.21: τότε ... νϋν) das sog. Einst-Jetzt-Schema zugrunde, das in dieser Form typisch für die Taufparänese ist.96 „Jetzt" bedeutet demnach an dieser Stelle vor allem „in und mit der Tau-

raumgebunden und raumfrei, Ratio und Intuition, tote Materie und Leben, Intellekt und Erlebnis" gegenüberstehen (WENDORFF, Zeit, 471). 94 GEERTZ, Beschreibung, 174. 95 TACHAU, Einst, 119. 96 Vgl. KÄSEMANN, Rom, 176; TACHAU, Einst, 80.119; WlLCKENS, Rom Π, 39.

Die liminale Qualität der Gegenwart

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fe", das heißt: In und mit der Taufe sind die Römer von der Macht der Sünde entbunden; in und mit der Taufe sind sie zu Knechten für Gott geworden. Das vöv/vWi in Rom 6 läßt sich darüber hinaus aber auch als Widerhall des eschatologischen νυνί in Rom 3,21 auffassen. Dort gebrauchte der Apostel die Vokabel zur Beschreibung der durch das Christusereignis angestoßenen eschatologischen Äonenwende.97 Nicht wenige Kommentatoren vertreten die Ansicht, ein Hinweis auf diese Wende sei auch hier in jedem Fall mitzuhören.98 Stimmt man dem zu, dann ergibt sich für die Frage nach dem in den Versen vorausgesetzten Transformationsgeschehen, daß die individuelle Transformation der Christusgläubigen qua Taufinitiation wie auch das äonenwendende Christusgeschehen gleichermaßen im Blick sind. Welchen Konnex hat man sich aber zwischen dem individualgeschichtlichen und jenem heilsgeschichtlichen Vorgang vorzustellen? Im Einklang mit den Ausführungen des Apostels in Rom 6,3f. (s. § 7.2) kann hier das eben explizierte ritologische Modell der Reaktualisierung heiliger Zeit weiterhelfen: Der rituelle Vollzug der Taufe bezieht die Christusgläubigen jeweils in das Schicksal Christi ein, insbesondere in dessen Tod, Begräbnis sowie proleptisch auch in dessen Auferstehung; diese Reaktualisierung des Schicksals Christi an den Initianden impliziert zwangsläufig ein Heraustreten aus der gewöhnlichen Zeit, dem profanen Zeitlauf, und involviert die Aufnahme in die mit dem äonenwendenden Christusgeschehen heraufgeführte Neukonstitution der Zeit als einer nichtprofanen, heiligen Zeit. Bemerkenswert ist, daß dieser Vorgang nach Paulus nicht auf den rituellen Akt beschränkt bleibt. Die rituell-liminale Durchbrechung der profanen Zeit dauert vielmehr für die Initiierten an; sie wirkt in deren Alltag hinein und bestimmt ihre Existenz fundamental.99 Darauf weist im besonderen das Syntagma εις άγιασμόν in V. 19.22, welches die Anschauung evoziert, daß durch die Taufe „der Lebensraum der Gemeinde zum Wirkbereich endzeitlicher Heiligkeit wird"100 (vgl. IKor 6,11), also zu einem durch das rituelle Handeln und einen entsprechenden Wandel von der profanen Welt und der profanen Zeit separierten eschatologischen Wirkungsraum.101 Die Initiierten verbleiben ge97 Zum äonen- bzw. epochewendenden Charakter des -νυνί δέ in Rom 3,21 vgl. DUNN, Rom I, 164; Luz, Geschichtsverständnis, 168f.; FLTZMYER, Rom, 343f.; KÄSEMANN, Rom, 86; SCHMITHALS, Rom, 119; WLLCKENS, Röml, 184f. Daß das v w i dort temporal und nicht logisch verwendet ist, erhellt V.26. 98 Vgl. dazu nur DUNN, Rom I, 346.348; FlTZMYER, Rom, 344; KÄSEMANN, Rom, 177; SCHLIER, Rom, 211; WILCKENS, Rom Π, 39. 99 Zum Potential ritueller Erfahrungen, den Alltag neu einzufärben und die Wirklichkeit auf sich auszurichten, vgl. die an GEERTZ orientierten Überlegungen am Ende von § 7.3 (S. 209f.). 100 WILCKENS, Rom Π, 39. 101 Gegen DUNN, Rom I, 346 und mit KÄSEMANN, Rom, 175; TAUCHAU, Einst, 105; FlTZMYER, Rom, 451 wird man den Taufbezug der Vokabel und damit die kultisch-rituellen Konnotationen des αγιασμός (trotz zweifelloser Eschatologisierung des Begriffs) nicht in toto zurückdrängen dürfen; vgl. zur kultischen Komponente v.a. THÜSING, Per Christum, 94.

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wissermaßen auch nach dem rituellen Akt innerhalb des Refugiums heiliger Zeit; genau besehen finden sie sich nun in der Phase der Heiligung vor, 102 d.i. in einer Phase der Liminalität zwischen der Separation von der Sünde auf der einen und der endgültigen Aggregation ins Heil auf der anderen Seite: Die Vollendung der Transformation im ewigen Leben steht ja, wie V.22c explizit hervorhebt, weiterhin aus und V.19 zeigt an, daß die christusgläubigen Neophyten noch immer an der „Schwachheit des Fleisches" (V.19) partizipieren. 103 Resümierend läßt sich somit konstatieren: Die komplexe Bedeutung des prononcierten „Jetzt" in Rom 6 zielt auf die Gegenwart der Christusgläubigen als eine in der Reaktualisierung des äonenwendenden Christusschicksals im Taufritual gründende und noch im Prozeß der Heiligung begriffene Existenz. Das νΰν visiert insofern keinen einzelnen, exakt fixierbaren Punkt auf der Zeitgerade an, sondern beschreibt vielmehr die aus dem Profanen herausgehobene liminale Qualität christusgläubigen Daseins zwischen Separation und endgültiger Aggregation.

Rom 13,11-14 Die explizit liminale Qualität der Gegenwart der initiierten Christusgläubigen tritt deutlicher noch in der viel diskutierten Stelle Rom 13,11-14 zutage. Der Abschnitt schließt die allgemeine Paränese der Kapitel 12 und 13 des Römerbriefes ab. Paulus motiviert darin seine ethischen Mahnungen anhand dreier signifikanter Zeitbestimmungen, 104 die auf ein konkretes Prozeßgeschehen weisen und die Gegenwart in diesem prozessualen Kontext als Schwellenphase identifizieren. 102 Die dynamische bzw. prozessuale Disposition des αγιασμός akzentuieren CRANFIELD, Rom I, 327; KERTELGE, Rechtfertigung, 272ff.; s. zu diesem kontrovers diskutierten Thema auch DUNN, Rom I, 347.349; KÄSEMANN, Rom, 175. 103 Vgl. dazu DUNN, Rom I, 345: ,„The weakness of the flesh' characterizes Paul's understanding of the human condition: man as ,flesh' is by definition ,weak', mortal, corruptible, subject to his all too human desires, blind to the truth of God and of his own creatureliness, etc. A clear disjunction should not be made between moral defect and the inadequacy of human perception ...; in Paul's use of σάρξ the two senses run into each other"; ähnlich Kuss, Rom, 391. 104 Die meisten Ausleger deuten die Zeitansagen in 13,11-14 als Motivation der gesamten voranstehenden Paränese in 12,1-13,10; s. BAUMGARTEN, Apokalyptik, 209; CRANFIELD, Rom Π, 680; ORTKEMPER, Leben, 132; MERK, Handeln, 166; SCHLIER, Rom, 395; SCHRÄGE, Einzelgebote, 22; WLLCKENS, Rom m , 75.78. Die Wendung καΧ τοϋτο verweist klar auf das Vorhergehende. Anders jedoch U.B. MÜLLER, Prophetie, 481 und SCHMITHALS, Rom, 481f., die Rom 13,11-14 als relativ geschlossene Einheit sehen, bei der sich die Zeitansage allein auf die Ermahnungen in V.12ff. beziehe - SCHMITHALS macht an dieser Stelle allerdings ein paulinisches Fragment (V.12b-14) mit redaktioneller Einleitung ( V . l l - 1 2 a ) aus.

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In V.lla definiert er den gegenwärtigen καιρός der Christusgläubigen fürs erste näher, indem er notiert, es sei die Stunde schon da, vom Schlaf aufzuwachen bzw. aufzustehen (δτι ώρα ήδη ύμας έξ ΰπνου έγερΑή-ναι). Er ruft damit eine in der allgemeinen Erfahrung verankerte Gewißheit auf: „Wer sich abends schlafen legt, rechnet gemeinhin damit, daß der Augenblick des Aufwachens bzw. Aufgewecktwerdens kommen und dasein wird."105 Ganz im Sinne der procedural time wird so die gegenwärtige Zeit aus der Perspektive eines prozessualen Vorgangs heraus beschrieben. Augenfällig steht dabei nicht das Moment des quantitativen Zeitaufwands im Vordergrund, sondern der qualitative Aspekt der Transformation aus einem Zustand in einen anderen, genauer noch der Aspekt der angemessenen Vollendung dieser Transformation. Es geht mit anderen Worten nicht um Terminspekulationen im Sinne objektiver Zeit - konkrete, quantitativ fixierbare Terminangaben lassen sich dem verwendeten Bild nicht entnehmen - , sondern um einen Prozeßverlauf. Dabei gilt - wiederum in Übereinstimmung mit dem Konzept der procedural time - , daß das unmittelbar Bevorstehende, das Wachsein, bereits in die Gegenwart hineinragt und diese bestimmt. Darauf deutet jedenfalls die Formulierung mit ώρα plus Infinitiv: Die Konstruktion drückt aus, daß es hohe Zeit ist, etwas zu tun,106 d.h. aufzuwachen; ήδη unterstreicht diese Dringlichkeit zusätzlich. Der besagte Satz transportiert folglich den Gedanken: Obwohl in bestimmter Hinsicht noch Schlafenszeit ist, ist das Wachsein schon möglich und gefordert. Die zweite Zeitansage in V.llc verbleibt im Konzept prozessualer Zeit und stellt die in V . l l a anklingende Dringlichkeit nochmals pointiert heraus: Paulus gibt zu verstehen, „jetzt" (vüv) sei unser Heil näher (έγγύτερον) als damals, da wir gläubig wurden. Man wird auch dieser Aussage kaum gerecht, versucht man sie in irgendeiner Weise chronologisch zu quantifizieren,107 vielmehr kommt in dem außergewöhnlichen Komparativ έγγύτερον wohl allein der Gesichtspunkt der fortgeschrittenen Vollendung zum Ausdruck.108 Das heißt: Nicht die objektive Zeitdauer, sondern die Dringlichkeit der Vollendung des Heils, die hier in ihrer ethischen Dimension bedacht sein will, ist im Blick, wobei die Jetztzeit, das νΰν, klar als Schwellenphase zwischen der Initiation in der Taufe (έπιστεύσαμεν)109 und der kommenden σωτηρία figuriert.110 V.12a schließt die unmittelbaren Zeitansagen ab, und zwar unter Verwendung des eindrücklichen Bildes von der vorgerückten Nacht und des nahe herbeigekommenen Tages (ή νύξ προέκοψεν, ή δέ ήμερα ήγγικεν). Abermals 105

VÖGTLE, Naherwartung, 563. Vgl. dazu DELLING, ώρα, 678 sowie CRANFIELD, Rom Π, 680; DUNN, Rom Π, 785. 107 Ebenso VÖGTLE, Naherwartung, 565.572. 108 Vgl. dazu BAUMGARTEN, Apokalyptik, 210; CRANFIELD, Rom Π, 68 lf. 109 Zur Bezugnahme des Aorist auf die Taufe vgl. unten die Literaturangaben in Anm. 117. 110 In diesem Sinn heißt es bei DUNN, Rom Π, 786, das νϋν stehe für „the whole between-time". 106

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wird damit ein natürliches Prozeßgeschehen - diesmal der Wechsel von Nacht und Tag 111 - als Bezugspunkt herangezogen (procedural time), um den καιρός zu bestimmen. Hierbei tritt nunmehr der Aspekt der Liminalität besonders sinnfällig zum Vorschein, zielt der Satz doch auf den gleitenden Übergang zwischen Nacht und Tag. Die Gegenwart erscheint so als jener nur schwer definierbare Grenzort, an dem die Nacht ihrem Ende entgegengeht und der Tag bereits nahe bzw. im Anbruch ist.112 Ernst Käsemann liegt insofern richtig, wenn er in V.12 den Gedanken des Stehens auf der „Schwelle" zur Sprache gebracht sieht.113 Das Hier und Jetzt der Christusgläubigen wird mit anderen Worten als ein Zustand des „betwixt and between" definiert. Es stellt sich nun auch hier die Frage, welche konkreten Ereignisse bzw. Erfahrungen im Hintergrund der drei prozessualen Zeitbestimmungen stehen. Welche Vorgänge umschreibt Paulus mit Hilfe der Metaphorik von Schlaf und Wachheit, Tag und Nacht? Angesichts des apokalyptischen Kolorits der Verse verweisen zahlreiche Ausleger auf die Äonenwende.114 Schlaf und Nacht stehen dann für den alten, Wachsein und Tag für den neuen Äon. Zugleich wird man aber sehen müssen, daß der Text auch von Taufterminologie geprägt ist: Die Kontraste und Mahnungen in V.12b-14 geben typische Taufparänese wieder;115 zumal die Verben άποτίΦεσθαι und ένδύεσ&αι in V.12b sowie das konkrete Bild vom Anziehen Christi in V.14a (vgl. Gal 3,27) gehören zur traditionellen Taufsprache; 116 auch der in V.l lb angesprochene Termin des Gläubigwerdens dürfte wohl die Taufe zumindest mit im Auge haben.117 Ob V.l lf. darüber hinaus gar ein von Paulus bearbeitetes Tauflied in sich birgt, eine Möglichkeit mit der Heinrich Schlier und andere rechnen, sei dahingestellt.118 Deutlich ist in jedem Fall, daß die angeführten Zeitansagen aufgrund der gewählten Terminologie in en111 Die Korrespondenz zur Metaphorik von V . l l b - Schlaf und Aufwachen - liegt auf der Hand. 112 Gedacht ist hier wohl an die Schwellenphase um die Zeit der Morgendämmerung herum; ebenso KÄSEMANN, Rom, 350; SCHLIER, Rom, 397; STUHLMACHER, Rom, 189; VÖGTLE, Naherwartung, 569ff. 113 KÄSEMANN, Rom, 350. 114 Vgl. FlTZMYER, Rom, 6 8 l f . („Note the use ... of apocalyptic stage-props: kairos, höra, darkness versus light, sleep versus vigilance, deeds versus armor"); MERK, Handeln, 166; U.B. MÜLLER, Prophetie, 143ff.; VÖGTLE, Naherwartung, 566f.; WlLCKENS, Rom ΠΙ, 75f.78. 115 Vgl. dazu KÄSEMANN, Rom, 350f.; MICHEL, Rom, 330; U.B. MÜLLER, Prophetie, 147; ORTKEMPER, Leben, 140ff.; SCHLIER, Rom, 397f.; STUHLMACHER, Rom, 189; THEOBALD, Rom Π, 109; VÖGTLE, Naherwartung, 562; WlLCKENS, Rom m , 75. 116 Mit KÄSEMANN, Rom, 350; ORTKEMPER, Leben, 140f.; U.B. MÜLLER, Prophetie, 147; SCHLIER, Rom, 397f. 117 So KÄSEMANN, Rom, 350; MERK, Handeln, 166; U.B. MÜLLER, Prophetie, 146f. samt A18; ORTKEMPER, Leben, 136; SCHLIER, Rom, 397. 118 Vgl. SCHLIER, Rom, 395f.; s. ebenso BAUMGARTEN, Apokalyptik, 209ff.; FlTZMYER, Rom, 682; WlLCKENS, Rom m , 75 und auch DUNN, Rom Π, 784.

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ger Relation zum Ritual der Taufe stehen. Zeit erscheint somit auch hier rituell determiniert. Am Ende liegt somit wohl auch Rom 13,1 Iff. - analog zur Argumentation in 6,19-23 - die Vorstellung zugrunde, daß die Christusgläubigen in der Taufe qua Reaktualisierung des Christusgeschehens in die Dynamik der Äonenwende integriert wurden. Diese Integration bleibt, wie in Rom 6,19-23, nicht auf den Augenblick des Rituals beschränkt, vielmehr bezieht das Taufritual die Christusgläubigen dem Duktus des Gedankengangs zufolge in eine längere, gegenwärtig noch andauernde Liminalität ein. Diesem liminalen „Jetzt" der Christusgläubigen wohnt seit der Taufe zum einen das kommende Heil proleptisch bereits inne (im Sinne des forthcoming) - die Stunde ist schon da, das Heil nun „näher" und der Tag bereits im Anbruch - , zum anderen sind die Strukturen des allmählich zu Ende gehenden alten Äons noch immer nicht völlig aufgelöst - das Aufstehen muß noch vollzogen werden, das Heil ist noch nicht in seiner Vollgestalt realisiert, die schon vorgerückte Nacht noch nicht gänzlich vorüber. Aus dieser Schwellensituation leiten sich sodann die ethischen Ermahnungen des Apostel in V.12b-14 ab, die konsequent ein dem bereits angebahnten Heilsstatus adäquates Verhalten einfordern. 119 Insgesamt gesehen eignet dem νϋ\> der Christusgläubigen so eine eigene Qualität: Den in der Taufe Initiierten ist die Gegenwart zur Ausnahmezeit, eben zur liminalen Phase in einem umfassenden, göttlich sanktionierten und rituell vermittelten Transformationsprozeß geworden, wobei der Ausrichtung auf die kommende Heilsvollendung zentrales Gewicht zukommt.

2Kor 6, I f f . Der liminale Charakter der Gegenwart tritt weiterhin in 2Kor 6,Iff. hervor. In V.l ermahnt Paulus dort die Korinther zunächst, an seiner Botschaft festzuhalten, denn als „Mitarbeiter Gottes" (vgl. IKor 3,9; IThess, 3,2) 120 vermittle er in der Rolle des antiken Friedensgesandten (πρέσβυς bzw. πρεσβευτής) 1 2 1 119 WILCKENS, Rom ΙΠ, 78 bringt die Zusammenhänge treffend zur Sprache, wenn er Rom 13,11-14 mit den Worten kommentiert: , 3 s geht darum, der im Christusgeschehen realisierten Weltenwende, die durch die Taufe in die Existenz der Christen hineinwirkt, im Tun zu entsprechen, und zwar in dem Bewußtsein, daß seitdem die endzeitliche Heilsvollendung nahe bevorsteht..." (Hervorhebungen nicht im Original). 120 Die enge Parallele zwischen 6,1 und 5,20, wobei einmal Gott, einmal Paulus Subjekt des Ermahnens (παρακαλέω) ist, sowie die in 6,4 unmittelbar folgende Selbstbezeichnung Pauli als διάκονος Φεοΰ zeigen an, daß das Partizip συνεργοΰντες eine Zusammenarbeit zwischen Paulus und Gott impliziert; so die meisten: BULTMANN, 2Kor, 169; COLLANGE, Enigmes, 284; FINDEIS, Versöhnung, 225f.; FRIEDRICH, Amt, 24f.; FURNISH, 2Cor, 341;

LAMBRECHT, T i m e , 382; F. LANG, Kor, 3 0 3 ; R.P. MARTIN, 2Cor, 165; DE OLIVEIRA, D i a -

konie, 396f.; PLUMMER, 2Cor, 189; WINDISCH, 2Kor, 199; WOLFF, 2Kor, 137; anders votieren BACHMANN, 2Kor, 274; PRÜMM, Diakonia I, 361. 121 Daß Paulus in 2Kor 5,11-6,2 an die Rolle des πρέσβυς beim antiken Friedensschluß denkt und damit die Bedeutung seines Apostolats unterstreicht, haben BREYTENBACH, Ver-

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das Versöhnungsgeschehen Gottes weiter. Würden die Korinther nun die Botschaft des Apostels ablehnen, so verweigerten sie sich letztlich der im Versöhnungsgeschehen manifesten Gnade Gottes selbst. Seine Mahnung unterstreicht Paulus sodann in V.2 mit einem Zitat aus Jes 49,8, wobei ihm offensichtlich am zeitlichen Aspekt der Schriftstelle besonders gelegen ist. Dies zeigt die Interpretation des Zitats in V.2b. Der Apostel bezieht dort den καιρός ευπρόσδεκτος und die ήμερα σωτηρίας mittels eines zweimaligen, durch ίδοϋ noch explizit hervorgehobenen νϋν nachdrücklich auf die Gegenwart; er betont folglich: Die im Zitat angesprochene Heilszeit ist „jetzt" da. In der exegetischen Literatur begegnen zahlreiche Vorschläge bezüglich der konkreten Explikation des zweimaligen vvv. Diese lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen: Zum einen wird die Zeitbestimmung primär subjektivindividuell gedeutet, wobei dann entweder (a) die Zeit seit der Bekehrung der Korinther im Blick ist,122 (b) die Verkündigung des Apostels als Vergegenwärtigung des Christusgeschehens im Rahmen existentialer Interpretation123 oder (c) der Moment der Briefabfassung bzw. die unmittelbare Anrede der Korinther durch den Brief.124 Diesem Interpretationsansatz steht die vornehmlich objektiv-heilsgeschichtliche Deutung gegenüber, bei der die Partikel auf „das mit der Sendung Christi begonnene eschatologische Jetzt"125 bezogen wird, d.h. auf die durch Gottes Handeln in Christus realisierte Äonenwende und die damit initiierte Heilsperiode.126 Der Kontext läßt beide Interpretationsansätze zu. So wird die heilsgeschichtliche Deutung durch die Entfaltung der Versöhnungstat Gottes in Christus in V.17f. gestützt, hingegen können die auf das subjektive Heil ausgerichteten Auslegungsvorschläge mit ihren je eigenen Schwerpunktsetzungen die an die Korinther ergehenden Mahnungen in 5,21 und 6,1 für sich anführen. Eine Entscheidung für nur eine der genannten Positionen fällt von daher schwer. Angesichts dieser Sachlage mag ein Blick auf das zweifache \>ΰν in 2Kor 5,16 weiterhelfen: Der Apostel konstatiert dort, daß wir (ήμέΐς), d.h. die Christusgläubigen, 127 από τοϋ νϋ-ν niemanden κατά σάρκα kennen, was vüv auch für Christus gel-

söhnung, 64ff.; DERS., Stellvertretung, 62-66 und SCHRÖTER, Versöhner, 295ff. wahrscheinlich gemacht. 122

123 124 125

So WINDISCH, 2Kor, 201; vgl. WOLFF, 2Kor, 138; DERS., Knowledge, 88. So BULTMANN, 2Kor, 169. Vgl. COLLANGE, Enigmes, 289; LAMBRECHT, Time, 384; FINDEIS, Versöhnung, 227. KÜMMEL bei LIETZMANN, Kor, 2 0 5 .

126 YGI dazu BAUMGARTEN, Apokalyptik, 185; BACHMANN, 2Kor, 276; CULLMANN,

Heil, 232f.; STÄHLIN, vüv, 1112; TANNEHILL, Dying, 67 samt A5. 127 So mit BULTMANN, 2Kor, 155; COLLANGE, Enigmes, 157f.; DLNKLER, Verkündigung, 182; FURNISH, 2Cor, 312; JEWETT, Terms, 126 A3; RISSI, Studien, 69 A169; für Paulus als Referenzpunkt votieren dagegen DE OLIVEIRA, Diakonie, 274; FINDEIS, Versöhnung, 140, für die Apostel insgesamt BACHMANN, 2Kor, 255; WINDISCH, 2Kor, 184.

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te. 128 Es wäre völlig verfehlt, das paulinische „Jetzt" hier entweder nur auf die individuelle Lebenswende oder allein auf die heilsgeschichtliche Äonenwende zu reduzieren; es umfaßt in diesem Vers sicherlich beide Aspekte. Dies ergibt sich, beachtet man den vorauslaufenden Kontext in angemessener Weise, nämlich V.14f., mit dem V.16 durch das einleitende ώστε eng verbunden ist. Die dort verhandelte Thematik des Sterbens und Auferstehens Christi rekurriert zum einen deutlich auf das Christusgeschehen am Kreuz, zum anderen erinnert sie an das individuelle Taufgeschehen, wie es Paulus etwa in Rom 6,3f.ll zur Sprache bringt. 129 Furnish zieht insofern in bezug auf V.16 und die dort dargelegte neue Kenntnis Christi 130 mit Recht den Schluß: „... the now - the point from which one abandons worldly ways of estimating others - must be the .eschatological now' of God's saving love effective in Christ's death (vv. 14-15), as that becomes actualized for each individual through the faith confessed and sealed at his or her baptism ,.." 131 Ähnlich heißt es bei Collange, der als Hintergrund von V.16 allerdings zunächst mehr an das Damaskuserlebnis des Apostels denkt, 132 die Wendung από τοϋ \>w „ne designe exclusivement, ni la conversion de Paul ..., ni le moment eschatologique de la croix ..., mais bien plutöt Tun et 1'autre ä la fois ... Π faut alors encore preciser en soulignant que cette marque, ne s'appliquant pas ä Paul seul (cf. ήμεΐς) peut, des lors, s'appuyer autant sur le bapteme des croyants (cf. v. 14) que sur la conversion de Paul." 133 Zahlreiche andere Kommentatoren kommen zu einem ähnlichen Urteil. 134 Diese Koinzidenz subjektiver und objektiver Konnotationen dürfte auch für das doppelte νϋν in 6,2 in Anschlag zu bringen sein, 135 ist es doch unwahrscheinlich, daß der Apostel in dem schlüssigen Gedankengang 5,14-6,2 bei der gleichen Vokabel größere konnotative Sprünge intendiert. Der mit Tauf-

128

Κατά οάρκα ist in V.16b mit den meisten auf έγνώκαμεν und nicht auf Χριστόν zu beziehen; s. nur COLLANGE, Enigmes, 260f.; FURNISH, 2Cor, 312; R.P. MARTIN, 2Cor, 151; WOLFF, 2ΚΟΓ, 125; DERS., Knowledge, 88f.; vgl. ferner die umfangreichen Literaturangaben bei DE OUVEIRA, Diakonie, 275 A76. 129

V g l . nur COLLANGE, Enigmes, 255; DE OLIVEIRA, Diakonie, 353; R.P. MARTIN,

2Cor, 130f., WOLTER, Rechtfertigung, 74 mit A174; kritisch: BLANK, Paulus, 315 A20. 130 v g l . dazu nur MARTYN, Epistemology, 278f. 131 FURNISH, 2Cor, 329 (die beiden letzten Hervorhebungen nicht im Original). 132 Eine Anspielung auf das Damaskuserlebnis sehen in 2Kor 5,16 ebenso KlM, Origin, 13ff.; WINDISCH, 2Kor, 184f.; PLUMMER, 2Cor, 177; WOLFF, 2Kor, 123; BLANK, Paulus, 322. 133 COLLANGE, Enigmes, 258; zu dem zweiten \ÜV in diesem Vers schreibt COLLANGE, ebd., 263 in ähnlicher Weise: „Mais un jour est venu (conversion, bapteme) oü le moment eschatologique de la coix (changement radical, coupure entre hier et aujourd'hui) les [sc. les Chretiens] a atteints individuellement ..." Zur Beziehung zwischen dem als Initiation geschilderten Damaskuserlebnis und der Taufe s. oben S. 157 (§ 6.6). 134 Vgl. DE OLIVEIRA, Diakonie, 274; KLM, Origin, 13f.; PLUMMER, 2Cor, 176-179; STÄHLIN, VÜV, 1 1 1 4 A 8 4 ; STUHLMACHER, Erwägungen, 5f.; TANNEHILL, D y i n g , 6 7 f . (aller-

dings unter Akzentuierung des objektiven Aspekts). 135 Vgl. DE OLIVEIRA, Diakonie, 293 A180; s. auch ebd., 402; DLNKLER, Verkündigung, 190; FURNISH, 2Cor, 353; vgl. ferner COLLANGE, Enigmes, 289 und allgemein KERTELGE, Rechtfertigung, 134ff.

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Vorstellungen aufgeladene Kontext136 läßt es dabei auch in diesem Fall angeraten erscheinen, hinsichtlich der subjektiven Komponente das Initiationsritual der Christusgläubigen mit in den Blick zu nehmen.137 Das zweifache νϋν in 6,2 geht dann auf die Zeit, die mit der Initiation inauguriert wurde,138 wobei sich die Taufe ihrerseits wiederum dem Christusgeschehen verdankt, das sie an den Initianden vergegenwärtigt. Die Aussage von der Gegenwärtigkeit des καιρός ευπρόσδεκτος und der ήμερα σωτηρίας zielt insofern nicht auf einen genau bestimmbaren Punkt auf der Zeitgerade, sondern bezeichnet vielmehr die im Initiationsritual und dessen heilsgeschichtlichen Urgrund wurzelnde neue Qualität der Gegenwart. 2Kor 6,2 reflektiert mit anderen Worten die durch rituelles Handeln eröffnete Integration in eine von der profanen Zeit separierte heilige Zeit, in der subjektives und objektives Geschehen, Lebenswende und Äonenwende ineinanderfallen, und die darüber hinaus im Sinne permanenter Liminalität den Alltag dauerhaft affiziert und insofern auch das aktuelle Verhältnis zwischen Paulus und den christusgläubigen Korinthern während der Briefabfassung tangiert. Erwähnt sei schließlich, daß der Thematisierung liminaler Gegenwärtigkeit auch hier - wie schon in Rom 6,19-23 und 13,11-14 -das Moment ethischer Verpflichtung immanent ist.139 Der Hinweis auf die Aktualität des καιρός ευπρόσδεκτος und der ήμερα σωτηρίας will ja schließlich die Dringlichkeit der Malmung aus V.l unterstreichen, die qua Initiation bereits empfangene Gnade Gottes nicht ins Leere laufen zu lassen, indem etwa die vorangehend beschriebene Versöhnungsbotschaft des Apostels und damit eben das Versöhnungshandeln Gottes selbst ausgeschlagen wird. Daran läßt sich ablesen, daß ein Scheitern des gestreckten Initiationsprozesses ins Heil denkbar ist. Insofern darf auch das νϋν der ήμερα σωτηρίας nicht mit der Vollendung bei der Parusie verwechselt werden. Die nachfolgenden Verse (V.4ff.) geben dies auf ihre Weise anschaulich zu erkennen. Der Apostel demonstriert dort, wie sehr sein Leben nach wie vor von Leidenserfahrungen bestimmt ist. Allerdings empfiehlt (συνιστάνειν) er sich auf der anderen Seite gerade im Leid als διάκο136 V g l d a z u SCHNELLE, Gerechtigkeit, 47-50, der neben 5,14f. auch für 5,17.21 einen Taufhintergrund eruiert; zu 5,17 s. ferner DLNKLER, Verkündigung, 183 samt A22. 137 Dies gilt zumal dann, wenn man den Infinitiv Aorist δέξασΟαι in V.l temporal deutet; in diesem Fall spricht Paulus an dieser Stelle vom Empfang der Gnade Gottes bei einem vergangenen Ereignis, womit nur die Bekehrung bzw. die den Glaubensentscheid besiegelnde Taufe gemeint sein kann. Eine solche temporale Auflösung des Infinitivs befürworten R.P. MARTIN, 2Cor, 166 und PLUMMER, 2Cor, 190. WOLFF, 2Kor, 116.137f. und COLLANGE, Enigmes, 281 (s. allerdings die Bedenken ebd., 285f.) beziehen den Infinitiv in ihren Übersetzungen ebenfalls auf die Vergangenheit. Meist wird δέξασθαι jedoch auf den aktuellen Empfang der Heilszuwendung hin ausgelegt; s. dazu nur LAMBRECHT, Time, 383.388; FINDEIS, Versöhnung, 224 A489; FURNISH, 2Cor, 341; HEINRICI, 2Kor, 224f. 138 Die Bekehrung steht dabei insofern im Hintergrund als sie durch die Taufe besiegelt wird. 139 Vgl. dazu vor allem FRIEDRICH, Amt, 29f.; R.P. MARTIN, 2Cor, 169f.

Die liminale Qualität der Gegenwart

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νος ϋεοϋ, genauer, indem er sich in all den Peristasen standhaft bewährt (V.4a). 140 Die hier zutagetretende paradoxe Paarung von Heil (V.2) und Leid (V.4-10) unterstreicht den liminalen Charakter der Gegenwart einmal mehr.

Rom 8,18ff.

Daß und wie sehr die Gegenwart der Christusgläubigen - trotz des Jubelrufs in 2Kor 6,2 - noch immer vom Leiden gezeichnet ist, belegt schließlich nachhaltig Rom 8,18ff. In V.18 kommt der Apostel explizit auf die παθήματα τοϋ νϋν και,ροϋ zu sprechen. Er denkt offenbar speziell an Leiden der Christusgläubigen; 141 dies geht aus der unmittelbar voranstehenden Bemerkung über das Mitleiden (συμπάσχομεν) der Kinder Gottes in V.17c hervor. Die dort geäußerte Feststellung, die Teilhabe am Leiden Christi führe zur kommenden Teilhabe an dessen δόξα (συμπάσχομεν ίνα κα.1 συνδοξασθώμεν), akzentuiert Paulus nun in V.18 dahingehend, daß solches Leiden gegenüber der künftigen Herrlichkeit nicht ins Gewicht falle (vgl. 2Kor 4,17). 142 Die παθήματα werden hierdurch eschatologisch relativiert, womit der Schmerz freilich nicht heruntergespielt werden soll, wie die spätere Rede vom Seufzen der Geistbesitzenden in V.23 zeigt. Aus alledem ergibt sich, daß ,,ό νϋν καιρός" in V.18 nicht den alten Äon an sich, unabhängig vom Christusgeschehen, meinen kann, auch nicht die irdische Gegenwart bar jeglicher theologischer Konnotationen. 143 Das Syntagma steht vor dem Hintergrund des Gesagten vielmehr deutlich für die Schwellenphase, in der sich die Christusgläubigen nach Christi Tod und Auferstehung und vor der Parusie befinden, das heißt, es steht wiederum für die liminale Phase zwischen dem am Kreuz eigentlich besiegten, aber noch wirksamen alten Äon und der mit der Parusie sich vollendenden künftigen Herrlichkeit des neuen. 144 Das Leiden gehört für den Apostel offenkundig unausweichlich zu dieser Zwischenzeit hinzu. In V. 19-22 weitet Paulus die Perspektive auf das Leiden der gesamten Schöpfung aus, wobei er am Ende von V.22 nochmals auf die Zeitbestimmung von V.18 zurückgreift. Dort heißt es, πασα ή κτίσις stöhne mit und liege mit in 140

Zur Sonderstellung des Syntagmas έν ύπομο-vfj vgl. BULTMANN, 2Kor, 172; COLLANGE, Enigmes, 292f.; WOLFF, 2Kor, 139. 141 Vgl. dazu auch CRANFIELD, Rom 1,409. 142 Der Apostel greift hier augenscheinlich auf jüdisch-apokalyptische Vorstellungen zurück; vgl. dazu nur DUNN, Rom I, 469; STUHLMACHER, Rom, 121; WLLCKENS, Rom Π, 148f.l51; ZELLER, Rom, 161. 143 So mit KÄSEMANN, Rom, 224. 144 Ebenso DUNN, Rom I, 468; CRANFIELD, Rom I, 409 AL; s. auch WlLCKENS, Rom Π, 151. Andere Akzente setzt BAUMGARTEN, Apokalyptik, 174. SCHMITHALS, Rom, 284 läßt die genaue Bedeutung der Wendung offen.

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Die Transformation der Äonen

Wehen άχρι τοϋ wv. Das betont an den Schluß gestellte „bis jetzt" darf dabei wiederum nicht als exakte chronologische Angabe aufgefaßt werden. Das typisch liminale Bild von den Geburtswehen145 zeigt vielmehr an, daß es hier um procedural time geht. Das universale Leiden der Gegenwart wird solcherweise als schmerzvolle Übergangsphase expliziert, wobei nicht die Terminfrage, sondern der Prozeßgedanke sowie die damit verbundene Zuversicht auf eine Wandlung der leidvollen Verhältnisse - bildlich gesehen: auf die Geburt - im Vordergrund stehen.146 Paulus läßt nun aber auch hier durchblicken, daß die Christusgläubigen schon jetzt am Heil partizipieren. Im folgenden V.23 klingt dies in der Rede von der απαρχή τοϋ πνεύματος an. Ob man dabei απαρχή mit άρραβών (vgl. 2Kor 1,22; 5,5) gleichsetzt147 oder die kultische Bedeutung „Erstlingsgabe" beibehält,148 die Aussage beinhaltet so oder so den Gedanken, daß die Gemeindeglieder durch die Geistgabe in der Taufe erfahrbar am Prozeß der Transformation ins Heil teilhaben, daß ihnen als Geistträger die Vollendung garantiert ist.149 Auch der signifikante Aorist έσώθημεν in V.24 weist auf das zumal in der Taufe bereits erlangte Heil.150 Freilich gilt: Wir sind „auf Hoffnung" gerettet,151 womit wiederum auf die noch nicht erlangte Vollendung des Heils verwiesen wird. Somit bezeugt Rom 8,18ff. ein nur schwer definierbares Ineinander von Leid und Heil, von altem und neuem Status, von Angefangenem und Bevorstehendem, ein Ineinander, das mit dem Begriff der Liminalität am treffendsten auf den Begriff gebracht werden kann. Die „Jetztzeit" der Christusgläubigen erscheint erneut als fortwährend liminale Phase. Zumal die liminale Metaphorik der Geburtswehen bringt dies in Anbetracht der spezifischen Mischung von Leid und Heil in Übergangsphasen klar zum Ausdruck.

145

Vgl. dazu TURNER, Forest, 96. 146 VGL ERLEMANN, Naherwartung, 200: „Da die Wehen bereits angefangen haben, ist, gemäß der Vorstellung der necessitas temporum, der Zeitpunkt des Endes absehbar geworden. Aufhalten läßt sich der Prozeß nicht mehr, allenfalls etwas forcieren"; s. auch BAUMGARTEN, Apokalyptik, 176. Zur Diskussion um die Frage, ob Paulus hier auf die „messianischen Wehen" anspielt, vgl. nur DUNN, Rom I, 469.472f. 147 148 149

S o z.B. FlTZMYER, R o m , 510; KÄSEMANN, R o m , 2 2 9 ; SCHLIER, R o m , 2 6 4 . V g l . DUNN, R o m I , 4 7 3 ; STUHLMACHER, Rom, 123; MALINA, Christ, 16. D e r Genitiv ist mit DUNN, R o m I, 4 7 3 ; KÄSEMANN, R o m , 2 2 9 ; SCHLIER, R o m , 2 6 4

als epexegetischer zu fassen. Alternativen diskutiert CRANFIELD, Rom I, 418. 150 VGL KÄSEMANN, Rom, 230, der vermerkt, daß „der Aorist des Verbs nur auf das in der Taufe vermittelte Christusgeschehen gehen kann"; s. auch SCHLIER, Rom, 266; WLLCKENS, Römll, 158 A695. 151 Der Dativ τη έλτάδι ist mit den meisten als modaler zu nehmen, nicht als instrumentaler; so z . B . CRANFIELD, R o m I, 4 1 9 ; DUNN, R o m I, 4 7 5 ; FlTZMYER, R o m , 5 1 5 ; SCHLIER,

Rom, 267; WILCKENS, Rom Π, 158 A696.

Zusammenfassung

245

5. Zusammenfassung Die voranstehende Untersuchung konnte anhand einiger ausgewählter Textbeispiele belegen, daß das Zeitverständnis des Apostels im Rahmen des grundsätzlich gegenwarts- bzw. erfahrungsbezogenen Zeitbewußtseins des antiken Mittelmeerraums eine merklich rituelle Verankerung aufweist. Damit ist gemeint, daß die dem Corpus Paulinum immanente Zeitkonzeption sich zumal auch ritueller Erfahrung verdankt, insbesondere der Initiationserfahrung. Bei den paulinischen Zeitansagen handelt es sich dabei insgesamt nicht um quantitative, sondern um qualitative Aussagen,152 und zwar insofern die erfahrene Reaktualisierung des Christusgeschehens im Ritual die Zeit insgesamt neu qualifiziert, die Bewertung und Ausrichtung des Lebens in elementarer Weise verändert. Im Zentrum der paulinischen Zeitbestimmungen steht darum nicht etwa eine abstrakte Spekulation über objektive Zeitetappen, sondern, wie jeweils aufgezeigt, der Aspekt der Transformation, d.h. die rituell fundierte Wandlung der Christusgläubigen auf der Grundlage der Transformation Christi in Tod und Auferstehung und der dadurch heraufgeführten Äonenwende. Die Zeitkategorien des Apostels sind aus diesem Grund im wesentlichen als Transformationskategorien und nicht zuletzt vom rituellen Hintergrund her zugleich als Erfahrungskategorien zu begreifen. Sowohl die Analyse der eigentümlichen paulinischen Konzeption der Transformation der Äonen in IKor 10 als auch die des spannungsreichen Gegenwartsverständnisses des Apostels führten zu diesem Resultat. Des weiteren gilt es festzuhalten, daß Paulus sich und seine Gemeinden im Rahmen jener Transformationsperspektive in einer liminalen Phase verortet. IKor 10,11 weist dabei auf die kosmische Dimension dieser Schwellenphase. Wie die Wendung τά τέλη των αιώνων anzeigt, stehen die Christusgläubigen, qua Ritual in den Prozeß der Transformation der Äonen einbezogen, gleichsam am Scheitelpunkt einer kosmischen Passage.153 Ebenso markiert die von Paulus vielfach gebrauchte Partikel νϋν, wie Ulrich Luz treffend formuliert, 152

Auf die qualitative Dimension paulinischer Zeitaussagen wurde in der Paulusforschung bereits wiederholt hingewiesen; vgl. dazu nur KERTELGE, Rechtfertigung, 135; FURNISH, Theology, 134; s. auch HOWELL, Dualism, 23. 153 Für den Zusammenhang zwischen individueller Transformation und Transformation der Äonen mögen zusätzlich die Erwägungen bei TURNBULL, Liminality, 78f. aufschlußreich sein, auch wenn sie einem ganz anderen Kontext entstammen: „... the movement from one condition, call it the normal, material, mundane, or secular condition, to the liminal, other worldly, or sacred condition, is more a movement of the spheres than of the individuals, though individuals or groups of individuals (more easily) can cause such movement to take place (as through ritual performance ...). This concept is much better translated by the word .transformation' than by .transition', and the distinction is of major significance. ... .Transition' may be an accurate description of what takes place from an purely objective, material, rational point of view, and it may well describe what takes place at certain stages of such rites, but that does not mean that it in any way describes the overall process as it is experienced by the individuals concerned. Their experience is one of transformation."

246

Die Transformation der Äonen

nicht einfach einen zeitlichen Fixpunkt, sondern zugleich eine individuelle und äonengeschichtliche Wende"154. Das paulinische νϋν umschreibt mit anderen Worten die an das Christusgeschehen rückgebundene,155 im Ritual personal vermittelte und von da aus die Gegenwart der Christusgläubigen grundsätzlich bestimmende Eingliederung in jenen durch das Christusereignis angestoßenen umfassenden äonengeschichtlichen Transformationsprozeß, genauerhin wiederum in dessen liminale Phase,156 d.h. in eine den profanen Zeitstrukturen enthobene, das ewige Heil bereits antizipierende Zwischenphase, in der gleichwohl in typisch liminaler Manier noch vielerlei Leiden und Gefährdungen zu bestehen sind. Das temporale νϋν beschreibt insofern weder eine quantifizierbare Strecke noch einen Punkt auf der Zeitgerade,157 sondern es steht für die liminale Qualität der Gegenwart. In diese kulturanthropologisch-ritologische Perspektive fügt sich schließlich auch das in der Exegese viel diskutierte Neben- bzw. Ineinander präsentischer und futurischer Heilsaussagen bei Paulus ein. Der immer wieder herausgestellte paradoxe Charakter des sog. paulinischen „Schon und Noch-nicht"158 relativiert sich vor dem Hintergrund des explizierten, unserer Zeitauffassung allerdings recht fremden antik-mediterranen Zeitkonzepts der gedehnten Gegenwart der experienced time, derzufolge das „Bevorstehende" dem Jetzt schon innewohnt; vom rituellen Kontext der meisten der behandelten Zeitansagen her stellt sich die Dialektik des „Schon und Noch-nicht" genauer noch als Reflex ritueller Liminalität im beschriebenen Sinn dar; liminale Erfahrungen lösen schließlich eine allzu fixe Unterteilung in ein „Davor" und ein „Danach" auf. Signifikanterweise wurde das Zeit- und zumal das Gegenwartsverständnis des Apostels in der neutestamentlichen Exegese immer wieder mit Begriffen 154

LUZ, Geschichtsverständnis, 169. Die Christologie ist insofern in der Tat ein zentraler Brennpunkt der paulinischen Zeitauffassung, wie in der exegetischen Diskussion vielfach bemerkt wurde; vgl. nur 155

BAUMGARTEN, Apokalyptik, 1 9 6 u.ö.; ERLEMANN, Naherwartung, 2 0 6 . 4 0 5 .

156 VGL DAZU STÄHLIN, ΝΫΝ, 1107: „Dieser eigentümliche ... Wert von vöv läßt sich etwa in einem räumlichen Bilde veranschaulichen: das nt.liche Jetzt ist gleichsam ein Grenzgebirge zwischen zwei Ländern, das beiden angehört und nach beiden Seiten schaut. Ohne Bild: dieses Jetzt ist eine Übergangszeit zwischen zwei Zeiteinschnitten, und zwar zwischen den beiden Parusien, von denen die erste den Anfang des neuen und die zweite das (endgültige) Ende des alten Äons markiert." 157 Vgl. BAUMGARTEN, Apokalyptik, 193; s. ferner KLEIN, Römer 4, 426, der speziell über das VÜV in Rom 3,21 schreibt, es handle sich nicht um „einen chronologisch fixierbaren Punkt auf der Linie erstreckter Zeit..., der ja als historisches Datum alsbald zu einem .Damals' degenerieren müßte ... Dies .Jetzt' wird ... niemals mehr zu einem .Damals' werden - jedenfalls für den Glaubenden nicht - , und insofern eignet ihm kein chronologischer Terminus ad quem." 158 Nach BRANICK, Apocalyptic, 675 gilt gar, die Komplexität des sich hier manifestierenden Zeitverständnisses „explodes our concepts of time". Zur Konzeption des „Schon und Noch nicht" s. auch HOWELL, Dualism, 7f. und die dort in A22 Genannten.

Zusammenfassung

247

oder Formulierungen umschrieben, die dem Liminalitätsmodell zumindest äußerlich recht nahe kommen. So hat z.B. Ekkehard W. Stegemann hervorgehoben, Paulus deute die Gegenwart als „Stadium des Übergangs", als „Zwischenzustand" bzw. als „Übergangserfahrung". 159 Aber auch bei Rudolf Bultmann finden sich ähnliche Formulierungen, etwa wenn er konstatiert: „Die urchristliche Gemeinde ist sich bewußt, .zwischen den Zeiten' zu stehen, nämlich am Ende des alten Äons und im Beginn oder wenigstens unmittelbar vor dem Beginn des neuen." 160 Bultmann wirft vor diesem Hintergrund die Frage auf: „Wie ist die Existenz des Menschen als eine Existenz im ,Zwischen' verstanden? Wie ist die Paradoxie verstanden, daß der Glaubende der Vergangenheit entnommen und der Zukunft zugehörig ist, und daß er doch nicht in der Zukunft, sondern noch im alten steht, daß er, der noch in der alten Welt lebt, doch schon zur neuen gehört? Inwiefern ist er anders geworden, und inwiefern ist er doch noch nicht vollendet?"161 Bultmann antwortet darauf mit seiner hinlänglich bekannten existentialen Deutung des Zwei-Äonen-Schemas. Doch diese „Existenz im Zwischen" läßt sich auch sozialwissenschaftlich bzw. kulturanthropologisch verorten: Die „Existenz im Zwischen" ist eine „permanent liminale Existenz".

159 160

161

E.W. STEGEMANN, Alt, 516.518.524; s. auch STÄHLIN, m , l l 0 7 f . BULTMANN, Mensch, 35.

Ebd., 41f. (Hervorhebung im Original).

§ 9 Das Symbol des Kreuzes Die paulinische Predigt vom Kreuz gilt vielen als Zentrum paulinischer Theologie.1 Dies ist zunächst erstaunlich, da der Apostel nur an verhältnismäßig wenigen Stellen in seinen Briefen die Kreuzigung Christi thematisiert. Abgesehen von drei Versen im Römer- und im Philipperbrief (Rom 6,6; Phil 2,8; 3,18) beschränken sich die Belege im wesentlichen auf einige Abschnitte in der Korintherkorrespondenz sowie im Schreiben an die Galater (IKor 1,13.17.18.23; 2,2.8; 2Kor 13,4; Gal 2,19; 3,1[13]; 5,11.24; 6,12.14). Dieser quantitative Befund sagt indes noch nichts über die theologische Qualität und Bedeutung der Rede vom Kreuz aus. So zeichnen sich die staurozentrischen Aussagen, anders als etwa die Predigt von Tod und Auferstehung, die Paulus in IKor 15,3f. ausdrücklich auf Gemeindeüberlieferung zurückführt, allein schon durch ihre Originalität aus. Es lassen sich hier keinerlei Einflüsse aus der Tradition ermitteln,2 vielmehr stoßen wir an den genannten Stellen offensichtlich auf ein spezifisches Anliegen des Apostels. Dabei verdichten sich im Wort vom Kreuz überhaupt charakteristische Grundzüge paulinischen Denkens, vor allem die in den §§ 6 bis 8 behandelten, die Theologie des Apostels maßgeblich tragenden Transformationsprozesse: die Transformation Christi, die individuelle Transformation der christusgläubigen Person sowie die kosmische Wende der Äonen.3 Darüber hinaus verbindet der Apostel den σταυρός auch mit der später in § 10 zu diskutierenden Überwindung soziokulturell bedingter zwischenmenschlicher Barrieren. So gesehen kommt der Rede vom Kreuz in der Tat eine Schlüsselbedeutung zu. Dies gilt es an den Texten im einzelnen zu belegen. Den bislang verfolgten ritologischen Ansatz weiterführend, empfiehlt sich dazu folgendes Vorgehen: Als erstes soll die bislang in der Exegese weithin ignorierte rituelle Einbindung der paulinischen Kreuzes1 Vgl. dazu nur KÄSEMANN, Perspektiven, 84 u.ö.; CONZELMANN, Grundriß, 264ff.; MERKLEIN, Studien, 1.53f.; WEDER, Kreuz, passim; HÜBNER, Theologie Π, 112ff.; STUHLMACHER, Theologie I, 320-323; DERS., Thesen, 192ff. Die zentrale Bedeutung des Kreuzes für Paulus konstatieren auch BARTON, Approaches, 895; R. BAUMANN, Mitte, bes. 286ff.; BEKER, Sieg, 81-85; DERS., Apostle, 198-213; COUSAR, Cross, passim; ECKERT, Lebensmacht, 194.206f. u.ö.; FRIEDRICH, Verkündigung, 142; MCGRATH, Cross, 192f.; ORTKEMPER, Kreuz, 88ff.; LUZ, Mitte, passim; MARTYN, Antinomies, v.a. 420f.; MEEKS, Urchristentum, 359ff. 2 So mit H.-W. KUHN, Jesus, 41; s. auch BECKER, Paulus, 218; SCHRÄGE, Skandalon, 60f. 3 In der Exegese wird in diesem Zusammenhang bisweilen von einer „dreifachen Kreuzigung" bei Paulus gesprochen; vgl. dazu COUSAR, Cross, 143; MARTYN, Antinomies, 420; MLNEAR, World, passim. COSGROVE, Cross, 179 unterscheidet zwei Formen der Kreuzigung mit Christus: „cosmic" und „existential crucifixion with Christ".

Das Kreuz und der rituelle Kontext

249

aussagen sichtbar gemacht werden; auf dieser Basis kann dann mittels Turners ritologischer Symbolanalytik die Vielschichtigkeit der Rede vom Kreuz herausgearbeitet und in einem weiteren Schritt die transformierende Wirkkraft des Symbols verdeutlicht werden. Eine Analyse der polemischen Ausrichtung der Kreuzespredigt soll den Paragraphen abschließen. In alledem wird sich erweisen, daß der σταυρός bei Paulus als dominantes Symbol fungiert.

1. Das Kreuz und der rituelle Kontext Heinz-Wolfgang Kuhn hat in einem instruktiven Aufsatz zur frühchristlichen Verkündigung vom Kreuz eingeklagt, man müsse jeweils genau auf die Kontexte achten, innerhalb derer vom σταυρός/σταυροϋν gesprochen werde, wolle man Verzeichnungen vermeiden.4 Bezüglich der Paulusbriefe unterscheidet er drei Sachzusammenhänge: „1. Kreuz Christi und Weisheit; 2. Kreuz Christi und Gesetz; 3. der Gekreuzigte und die neue Existenz der Glaubenden."5 Kuhn fand mit dieser thematischen Systematisierung mehrfach Zustimmung.6 Ohne diese Unterteilung der Kontexte in Frage stellen zu wollen, läßt sich aus ritologischem Blickwinkel gleichwohl noch eine andere Klassifizierung vornehmen. So fällt auf, daß Paulus, wenn er vom Kreuz bzw. vom Gekreuzigten handelt, dies allermeist vor dem Hintergrund ritueller Vollzüge tut. Genau besehen ist das rituelle Umfeld der Kreuzesaussagen ein dreifaches: Taufe, Verkündigung und Beschneidung, wobei die beiden erstgenannten rituellen Handlungen positiv mit der Rede vom Kreuz verbunden sind, während die letztgenannte, die Beschneidung, in Opposition zum σταυρός steht. Dieser dreifache rituelle Kontext soll in der Folge ausführlich aufgewiesen und erläutert werden. Vorab bedarf jedoch die Charakterisierung der Verkündigung als rituelles Handeln noch einer Klärung. Die rituelle Dimension liegt hier nicht derart offen zutage, wie dies bei Taufe und Beschneidung der Fall ist. Zwar wissen wir über die Missionsstrategien des Apostels und die genaue Art seiner Verkündigung nur unzureichend Bescheid, 7 doch läßt sich seinen Briefen immerhin entnehmen, daß er die Verkündigung im Sinne eines - modern gesprochen -

4

Vgl. H.-W. KUHN, Jesus, bes. 2.44.46. Ebd., 29; vgl. DERS., Kreuz, 719f. Ihm folgen z.B. BADER, Symbolik, 36 A71 und BEKER, Apostle, 204; DERS., Sieg, 84; s. auch SCHRÄGE, Herr, 30. Eine vergleichbare Unterteilung der betreffenden Stellen findet sich bei ORTKEMPER, Kreuz, 9-87. Nach BERGER, Theologiegeschichte, 480f. zielt die Kreuzestheologie auf die Umwertung der Kategorien des sozialen Ansehens auf drei Gebieten: Weisheit, Beschneidung, Taufe; BERGERs Vorschlag kommt der in diesem Paragraphen vorgelegten These in einigen Punkten nahe. 5

6

7

Vgl. dazu nur STOWERS, Status, passim.

250

Das Symbol des Kreuzes

performativen Sprechaktes verstanden hat. 8 Das Evangelium, im besonderen der Logos vom Kreuz, wird bei Paulus als δύναμις θεοΰ ε'ις σωτηρίαν (Rom 1,16; IKor 1,18; IThess 1,5) beschrieben, das heißt, das verkündigende Wort sagt das Heil nicht nur an, es vollzieht vielmehr was es sagt, nimmt die Hörer ins Heil (bei Weigerung ins Unheil) hinein, verändert sie und ihren soteriologischen Status.9 Als solche die Adressaten transformierende, performative Äußerung weist die Verkündung durchaus Züge einer rituellen Initiation bzw. eines Statustransformationsrituals auf. 10 Dem entspricht, daß sie der Apostel mit dem initiatorischen Taufgeschehen in vielerlei Hinsicht parallelisieren kann. Gerhard Barth entfaltet die Analogien wie folgt: „Wie der neue Wandel in Rom 6 durch die Taufe begründet wird, so in Phil 1,27 durch das .Evangelium'. Ebenso wird in Gal 5,13-24 der neue Wandel mit der Verkündigung des Evangeliums begründet. Das gleiche Gefalle zwischen Indikativ und Imperativ, zwischen Heilszusage und Aufforderung zu sittlichem Wandel, wie wir es in Rom 6 beobachteten, bestimmt die Ausführungen von Gal 5,13-25 ... Die Parallelität, in der Paulus von Taufe und Verkündigung spricht, zeigt sich weiter darin, daß nach IKor 12,13 der Geist bei der Taufe empfangen wird, nach Gal 3,2 durch die .Predigt vom Glauben' (ακοή πίστεως). Wie man nach IKor 6,11; 12,13; Gal 3,27 ein Christ durch die Taufe wird, so nach IKor 4,15; 15,lf durch das .Evangelium' ... Nach IKor 6,11 wird die Rechtfertigung mit der Taufe empfangen, nach 2Kor 5,19ff durch das Wort der Versöhnung (λόγος της καταλλαγης) , . . " u Die Verkündigung erscheint somit als eine Art rituelle Proklamation, die die Hörer fundamental umwandelt, indem sie ihnen u.a. den Geist verleiht und einen neuen Lebenswandel herbeiführt. Zieht man die von Grimes zusammengestellten Ritualindikatoren heran (vgl. oben § 4.3), so zeigt sich die rituelle Qualität der Verkündigung noch deutlicher: Indem sie die Adressaten in das Heilsgeschehen hineinnimmt, kommt ihr eine eminent religiös-transzendente Bedeutung zu, die sie von alltäglichen sozialen Verhaltenssituationen unterscheidet. Es dürfte sich beim Verkündigungsakt femer um ein institutionalisiertes, in der Regel nicht rein privates Geschehen handeln; sollte Paulus in der Synagoge gepredigt haben, ist der rituelle Rahmen 8

Zur Theorie performativen Sprechens vgl. AUSTIN, Theorie, passim. Eine gründliche Untersuchung des paulinischen Kreuzeslogos als „performative Äußerung" hat jüngst BROWN vorgelegt (s. Cross, passim). Die performative Dimension der Verkündigung geht femer aus den Ausführungen zum paulinischen Verständnis von καταγγέλλω bei NEUENZERR, Herrenmahl, 103 hervor, etwa wenn er u.a. betont, das christologische Heilsgeschehen werde „im Akt der Verkündigung in seinen soteriologischen Wirkungen den Hörern der Botschaft übereignet". Vgl. auch BADER, Symbolik, 67; HECKEL, Kraft, 289-292; SCHRÄGE, Verständnis, 76f. 10 Performatives Sprechen und Ritual sind eng aufeinander bezogen. MEEKS, Urchristentum, 292 A15 konstatiert unter Verweis auf AUSTIN, „daß das Ritual oder zumindest die Konvention die notwendige Vorbedingung ist, daß eine performative Äußerung funktioniert". AUSTIN erläutert seine Theorie der „performativen Äußerung" selbst am Beispiel ritueller Vollzüge wie z.B. der Heirat (vgl. Theorie, 30ff.). GRIMES, Criticism, 191-209 arbeitet die Verbindung zwischen Sprechakttheorie und „Ritual Studies" eindrücklich heraus (vgl. bes. ebd., 192f.). Auf den Konnex zwischen performativer Äußerung und Ritual deutet mit Blick auf den paulinischen Logos vom Kreuz auch A.R. BROWN, Cross, 159 samt A19 hin. 11 G. BARTH, Taufe, 103f. 9

Das Kreuz und der rituelle Kontext

251

ohnehin offenbar, aber auch bei einer Verkündigung im οίκος ist von einem institutionalisierten Kontext auszugehen,12 wobei der Apostel möglicherweise dem „pattern of Hellenistic teachers"13 gefolgt sein könnte. Ferner charakterisiert Paulus die Verkündigung als ein von Anfang an durch Gott bestimmtes (Gal 1,16; 3,8; Rom l,lff.), bewußtes, vorsätzliches und geplantes (Gal 2,7-9; IKor 9,19ff.), mit verbalem Formelgut angereichertes (IKor 15,3ff.) und nach IKor 9,16 sowie Gal l,8f. ultimativ bedeutsames Handeln, das nicht allein auf das Wort beschränkt bleiben mußte, sondern gegebenenfalls zusammen mit wunderhaften Erscheinungen und Geistgaben bzw. symbolischen Aktionen erging (vgl. IThess 1,5; IKor 2,4; 2Kor 13,3; Gal 3,5).14 Alle diese Aspekte15 verleihen der Verkündigung rituelle Qualität. Insofern scheint die Charakterisierung derselben als rituell-transformatives Handeln durchaus angezeigt.16 Gestützt wird diese Ansicht durch den Umstand, daß Paulus sein Verkündigungshandeln selbst mit kultischen Ausdrücken belegen kann, am deutlichsten in Rom 15,16, wo es als priesterliches Handeln (ίερουργεΤν) beschrieben wird, das er, der Apostel, als λειτουργός Χριστοί Τησοϋ an den Heiden vollzieht, auf daß diese zum wohlgefälligen (ευπρόσδεκτος), im heiligen Geist geheiligten (αγιάζ ε ι ) Opfer (προσφορά) werden; ähnlich charakterisiert Phil 2,17 die missionarische Predigt als θυσία und λειτουργία, mit der die σπονδή des Apostels verbunden ist.17 Auch in Rom 1,15; Gal l,15f. (Aussonderung zum Evangelium); IKor 9,13f. (Vergleich mit Tempeldienst) und 2Kor 2,14-16 (die Verkündiger als Wohlgeruch Gottes) ist die Evangeliumsverkündigung an kultische Termini gekoppelt.18 Damit nun zum rituellen Kontext der staurozentrischen Passagen im einzelnen. Das Kreuz und die Taufe IKor 1,13 Angesichts des korinthischen Parteienstreits (V.llf.) fragt der Apostel ironisch: μή Παϋλος έσταυρώΰη ΰπέρ υμών, ή εις τό δνομα Παύλου εβαπτίσθητε; Ungeachtet der Diskussion um die Frage, ob Paulus mit dieser reductio ad absurdum19 ein mysterienhaftes Taufverständnis der Korinther kritisiert oder ad 12

Näheres bei STOWERS, Status, 64ff.; s. auch W. STEGEMANN, Anfragen, 487f. Ebd., 81; s. auch ebd. 65ff. 14 Diese These ist freilich umstritten; vgl. dazu die Diskussionen bei HECKEL, Kraft, 292-294; HOLTZ, IThess, 46f.; SCHRÄGE, IKor, 234 samt A65. Über Zungenrede als Begleiterscheinung der Bekehrung spekuliert z.B. FEE, lCor, 95. 15 Zur Verdeutlichung seien nochmals die relevanten Indikatoren nach GRIMES genannt: transcendent, religious, institutionalized, patterned, ordered, primordial, formalized, conscious, valued highly or ultimately, deliberate, symbolic (s. oben S. 70 [§ 4.3]). 16 DlNKLER, Verkündigung, 194 spricht im Anschluß an Ε. KÄSEMANN von einem „sacramentum audibile". Die zweifellos dominierende intellektualistische Komponente des Verkündigungshandelns in Betracht ziehend, mag man hier auch an die von B. LANG, Soziologie, 88ff. geprägte Kategorie des „intellektuellen Rituals" denken. 17 Näheres zu den beiden Stellen und ihrer kultischen Begrifflichkeit bei STRACK, Terminologie, 4 4 - 8 0 und 304-307; s. auch VIELHAUER, Oikodome, 109f. 18 Ausführlich dazu STRACK, Terminologie, 97-140. 19 Vgl. FEE, lCor, 60. 13

252

Das Symbol des Kreuzes

hoc formuliert,20 evident ist: Kreuzigung und Taufe sind hier unmittelbar aufeinander bezogen, ja die direkte Koppelung der beiden Fragen läßt erkennen, daß die Taufe gewissermaßen in der Kreuzigung gründet.21 Entfernt man die ironischpolemische Frageform und setzt für Paulus jeweils Christus ein, so kommt die eigentliche Überzeugung des Apostels zum Vorschein, nämlich: Die Taufe εις τό δνομα Χρίστου übereignet den Täufling dem Gekreuzigten und bezieht ihn in das durch den Kreuzestod erlangte Heilsgeschehen (υπέρ υμών) ein.22 Rom 6,6

In Rom 6,6 spezifiziert Paulus die in der Taufe gründende Integration des Initianden in den Tod Christi (vgl. V.3f.) mittels der signifikanten Formel vom „Mit-gekreuzigt-worden-Sein".23 Genauerhin spricht Paulus von „unserem alten Menschen" (ό παλαιός ήμων άνθρωπος), der mit Christus gekreuzigt wurde. Aus dem weiteren Kontext in 5,12-21 geht hervor, daß mit dieser Formulierung auf das adamitische Wesen des Menschen angespielt ist, dem die Christusgläubigen nach 6,Iff. durch die Taufe abgestorben sind. Der Aorist συνεσταυρώθη ist insofern direkt auf den Taufakt zu beziehen. Diese Deutung ist indes nicht unumstritten. Zwar verweist der punktuelle Aorist auf ein bestimmtes, einmaliges Ereignis in der Vergangenheit, doch meinen zahlreiche Exegeten, Paulus habe dabei nicht das Ritual der Taufe, sondern das historische Kreuzesgeschehen im Blick.24 Demnach wäre bereits auf Golgatha die gesamte sündige Menschheit mit Christus gekreuzigt und von der Macht der Sünde befreit worden (vgl. V.2.7), ja am Kreuz Christi hätte sich - so vor allem mit Blick auf V.3 (εις τόν -θάνατον αΰτοϋ έβαπτίσθημεν) - faktisch eine Art „Generaltaufe" vollzogen.25 Diese Auslegung der paulinischen Aussagen dokumen-

20

Vgl. dazu nur THEIS, Weisheitslehrer, 133f.

21

V g l . WLLCKENS, Weisheit, 15; CONZELMANN, IKor, 54; MERKLEIN, IKor, 163; SCHRÄGE, I K o r I, 154; THEIS, Weisheitslehrer, 132f.; HALTER, Taufe, 139; ORTKEMPER,

Kreuz, 45. 22 Vgl. dazu die Überlegungen in §§ 7.2 und 7.3; speziell zur Taufformel s. insbesondere die dortigen Ausführungen auf S. 181 mit Anm. 112 und 115; zur Diskussion um die genaue Herkunft und Bedeutung der Taufformel „auf den Namen ..." vgl. femer G. BARTH, Taufe, 44-59; H.D. BETZ, Transferring, 259ff.; HALTER, Taufe, 138f.; HARTMAN, Namen, 39ff.; DERS., Baptism, 586f.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 41f.l37; SCHRÄGE, IKor I, 154f.; WlLCKENS, Rom Π, 48-50; WEDDERBURN, Baptism, 54-60. 23 Daß σίΛΕσταυρώθη nur die Kreuzigung „mit Christus" meinen kann, ergibt sich aus den parallelen συν-Komposita bzw. -Aussagen im näheren Kontext, denen jeweils ein Personalpronomen folgt, das zweifelsfrei auf Christus zielt; s. V.4.5; in V.8 wird Christus direkt genannt: άχεΜνομ,εν συν Χριστώ. 24 So v.a. SIBER, Christus, 217ff.| bes. 222ff.; vgl. femer BORNKAMM, Taufe, bes. 39.41; ECKSTEIN, Auferstehung, 16; FRANKEMÖLLE, Taufverständnis, 7 3 f . l 0 2 f . ; GÜTTGEMANNS,

Apostel, 21 Off., bes. 213 A14; TANNEHILL, Dying, 24ff. Weitere Vertreter der genannten Position bei HALTER, Taufe, 534 A36. 25 So CULLMANN, Tauflehre, 14ff.; vgl. auch die Literatur bei HALTER, Taufe, 533f. A35. Der Begriff der Generaltaufe fand allerdings wenig Zustimmung.

Das Kreuz und der rituelle Kontext

253

tiert einmal mehr die typisch neuzeitliche Antipathie gegen das Ritual. Nicht zuletzt um den Apostel von jeglichem vermeintlich sakramentalistischen Denken freizuhalten 26 wird der soteriologische Wert der Taufe zugunsten einer fragwürdigen heilsgeschichtlichen Konstruktion minimiert und das Kreuzesgeschehen gegen das Taufgeschehen ausgespielt. Als Begründung führt man an, Paulus könne an anderen Stellen wie z.B. in Gal 2,19 und 6,14 von einer Mitkreuzigung sprechen, ohne die Taufe expressis verbis zu erwähnen. 27 Doch die „Golgatha-These" hat ihrerseits mit unübersehbaren Schwierigkeiten zu kämpfen: (1) Grundsätzlich ist zunächst mit Halter zu fragen, „warum denn Pls immer wieder auf die Taufe zu sprechen kommt, wenn doch das Mit-gestorben-Sein aller schon am Kreuz geschehen i s t . . . Was soll dann die Taufe noch?" 28 (2) Der Apostel gebraucht zur Beschreibung des Taufvorgangs in V.3f. (έβαπτίσθημεν, συνετάφημεν29) ebenso wie für die Rede von der „Mitkreuzigung" in V.6 den Aorist. Ist es nicht naheliegend, daß er dabei jedesmal über das gleiche Ereignis reflektiert, nämlich die Taufe? Andernfalls würde er bei den Aoristformen inhaltlich zwischen Golgatha und Taufakt hin- und herspringen. (3) Das gleiche gilt für die συν-Aussagen. Sollten sie wirklich einmal auf die Taufe (συνετάφημεν) und einmal auf das Kreuz (άπεθάνομεν σύν, συνεσταυρώθη) bezogen sein? Ist es nicht eher angebracht, das δια τοϋ βαπτίσματος von V.4a auch hinter συνεοταυρώθη in V.6a mitzudenken? Wie soll man es sich vorstellen, daß man mit Christus auf Golgatha gekreuzigt, aber erst in der Taufe mit ihm begraben wurde? (4) Die Verfechter der „Golgatha-These" stehen zusätzlich vor dem Problem, die Integration der Christusgläubigen in den zeitlich zurückliegenden Christustod auf Golgatha ohne das Modell ritueller Reaktualisierung verständlich machen zu müssen. Das zuweilen aufgegriffene Kierkegaardsche Konzept der „Gleichzeitigkeit" ist anachronistisch 30 und auch der Rekurs auf das Modell der „korporativen Persönlichkeit" ist nicht unproblematisch. 31 Eine rituelle Deutung der Rede vom „Mit-gekreuzigt-worden-Sein" auf die Taufe geht den angeführten Problemen aus dem Weg. Sie ist auch in Anbetracht der Ausführungen zu Rom 6 in §§ 7.2 und 7.3 vorzuziehen.

26

Vgl. dazu bereits die Kritik bei MUNDLE, Glaubensbegriff, 137.141ff.

27

Vgl. SlBER, Christus, 218.222ff. Ich werde gleich darlegen, daß auch diese Stellen die Taufe zum Hintergrund haben. 28

HALTER, T a u f e , 44.

29

Daß das Mit-begraben-worden-Sein auf die Taufe zielt, wird von den meisten aufgrund der folgenden Wendung δια τοΰ βαπτίσματος unumwunden eingeräumt. 30 So jedoch z.B. HAHN, Mitsterben, 90ff.; GÜTTGEMANNS, Apostel, 216ff., bes. 220. 31 Das Modell verwenden SCHNACKENBURG, Lebensgemeinschaft, 44ff.; FRANKEMÖLLE, T a u f e , 37f.; THÜSING, Per Christum, 69ff.; WEDDERBURN, Baptism, 351ff.; zur Kritik vgl. nur G. BARTH, Taufe, 98 A223; MALINA/NEYREY, Portraits, 12f.; ZELLER, M y -

sterien, 54f.

254

Das Symbol des Kreuzes

Gal 2,19f.

Der Taufbezug der Wendung Χριστώ συνεσταύρωμαι in Gal 2,19c wird gleichermaßen kontrovers diskutiert.32 Für einen solchen Bezug sprechen die augenscheinlichen Parallelen zu dem als Tauftext ausgewiesenen Abschnitt Rom 6,1-11. Hier wie dort beinhaltet die symbolische Kreuzigung das Absterben von einer den Menschen bestimmenden Macht, sei es die αμαρτία in Rom 6,2.10, sei es der νόμος in Gal 2,19. Hier wie dort folgt diesem Absterben qua Kreuz ein durch Christus qualifiziertes Leben (vgl. Rom 6,8 [συζήσομεν αΰτω] mit Gal 2,20 [ζ-rj δέ k\ έμοί Χριστός]),33 dem letztlich ein Leben „für Gott" korrespondiert (vgl. Rom 6,10 [δ δέ ζη, ζη τω ·&εω] mit Gal 2,19 [ίνα ϋεω ζήσω]).34 Zumal der Aorist άπέϋανον in V.19a dürfte wie in Rom 6,2.10 auf ein einmaliges, vergangenes Geschehen zielen, und zwar wie dort auf die Taufe. Die Perfektform συνεσταύρωμαι zeigt dann freilich an, daß das in der Taufe gründende symbolische Sterben in die Gegenwart hineinwirkt und sie dauerhaft bestimmt (Näheres dazu s. unten).35 Die Aussagen in Gal 2,19f. sind so in Gänze zumindest als „Echo" der Tauferfahrung zu begreifen.36 Gal 5,24 und 6,14

Als Hinweis auf die Taufe wird auch Gal 5,24 zu nehmen sein. Darauf deutet abermals der Aorist έσταύρωσαν. Zusätzlich verstärkt wird die Taufassoziation durch die Wendung oi δ£ τοΰ Χριστοϋ, die an 3,29 und das dort im Zusammenhang des Taufgeschehens begründete „Sein in Christus" erinnert (s. dazu oben 32

Kritisch äußern sich H.D. BETZ, Gal, 229; DUNN, Gal, 144 Al; ECKSTEIN, Verheißung, 67f.; FUNG, Gal, 124 A77; TANNEHILL, Dying, 59; SlBER, Christus, 217ff.; THYEN, Studie, 128. Positiv argumentieren BAASLAND, Persecution, 145; BLIGH, Gal, 215; BÖTTGER, Paulus, 94; BRING, Gal, 97f.; BRINSMEAD, Galatians, 73f.l41 u.ö.; COSGROVE, Cross, 176; EGGER, Gal, 22; GÄUMANN, Taufe, 57; HALTER, T a u f e , 102ff.; MATERA, Gal, 96; MELL, S c h ö p f u n g , 237; MUSSNER, Gal, 180f.; ORTKEMPER, Kreuz, 20f.; SCHLIER, Gal,

99f.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 55; A.F. SEGAL, Convert, 134.151; SÖDING, Kreuzestheologie, 48; VAN DÜLMEN, Theologie, 24 A41; WlKENHAUSER, Mystik, 24. Unentschieden ist ROHDE, Gal, 116A80. 33 Daß das durch Christus bestimmte Leben in Rom 6,8 futurisch-eschatologisch ausgerichtet ist, in Gal 2,20 dagegen präsentisch, hebt die grundsätzliche Übereinstimmung nicht auf. Futur und Präsens gehen in der liminalen Zeitkonzeption des Apostels ineinander über; s. dazu § 8 sowie speziell Anm. 120 in § 7 (S. 183). 34 Daß Paulus in Rom 6,10 auf Christus selbst anspielt, stört die Vergleichbarkeit nicht, lebt doch in Gal 2,20 Christus έν έμοί. THÜSING, Per Christum, 111 folgert mit Bezug auf Gal 2,20: „Auch das Leben Christi in mir ist genauso wie in Rom 6,10 als .Leben für Gott' verstanden. Die beiden Gedanken ,Ich lebe für Gott' und .Christus lebt in mir' gehören zusammen; sie ergeben zusammen den Sinn , Christus lebt in mir für Gott." 35 Die Koppelung von punktuellem Aorist und Perfekt im Zusammenhang mit der Taufe begegnet auch in Rom 6,3-5; s. dazu § 7.2 (s. dort besonders Anm. 123 und 135 [S. 184 und 187]). 36 Zum Begriff des „Echos" in dieser Funktion vgl. oben S. 79 (§ 5.2). Daß hier zusätzlich auch die persönliche Damaskusinitiation des Apostels mit anklingt, liegt auf der Hand (vgl. dazu Anm. 117 in § 6 [S. 105]).

Das Kreuz und derrituelleKontext

255

§ 7.3). Taufeinfluß räumt an dieser Stelle im übrigen sogar der sonst konsequente Verfechter der „Golgatha-These" Peter Siber ein.37 Gleicherweise dürfte die Taufe auch die Grundlage der Bemerkung über die wechselseitige Kreuzigung des Kosmos und des Ich in Gal 6,14b bilden. Paulus expliziert die zweifache Kreuzigung nämlich im folgenden Vers durch die Aufhebung der Differenz zwischen Beschneidung und Unbeschnittenheit; die Annullierung ethnischer Differenzen ist aber nach 3,27f. in der Taufe verankert. Hinzu kommt, daß in der Rede von der wechselseitigen Kreuzigung die Vorstellung von der Wende der Äonen samt der Integration der Christusgläubigen in jene anklingt, und wie in § 8.4 deutlich wurde, ist in dieser Beziehung wiederum die Taufe der Ort, an dem die besagte Integration erfolgt.38

Das Kreuz und die

Verkündigung

Gal 3,1

Zu Beginn der zentralen Beweisführung im Galaterbrief {probatio)39 ruft der Apostel den kleinasiatischen Gemeindegliedern seine Missionspredigt anläßlich des Gründungsbesuches ins Gedächtnis zurück. Damals sei ihnen Jesus Christus als Gekreuzigter vor Augen geschrieben worden.40 Das betont an den Schluß des Satzes gestellte Partizip εσταυρωμένος akzentuiert das Wesen der Predigt als Verkündigung des Gekreuzigten ausdrücklich. 37 Vgl. SLBER, Christus, 224. Für einen Taufbezug plädieren ebenso BAASLAND, Persecution, 145; BRING, Gal, 228; BRINSMEAD, Galatians, 141.166f.191; BURTON, Gal, 319;

DIETZFELBINGER, Berufung, 131; DUNN, Gal, 315; EGGER, Gal, 39; FUNG, Gal, 274;

HALTER, Taufe, 131f.; OEPKE, Gal, 183; ORTKEMPER, Kreuz, 36ff.; ROHDE, Gal, 251f.; SCHLIER, Gal, 263f. Negativ votieren H.D. BETZ, Gal, 493 A170; BÖRSE, Gal, 206; SAND, Fleisch, 214; WEDER, Kreuz, 199. Unentschieden ist BARCLAY, Obeying, 117. Nach MUSSNER, Gal, 390 samt A107 zielt das Verb έσταύρωσαν primär auf den Glaubensentscheid, der dann allerdings in der Taufe besiegelt wird, so daß das Taufgeschehen zumindest indirekt in den Blick gelangt. Vgl. ferner TANNEHILL, Dying, 61 A2. 38 Eine Anspielung auf die Taufe erkennen in 6,14 BAASLAND, Persecution, 145; EGGER, Gal, 42; MELL, Schöpfung, 297; MUSSNER, Gal, 414f.; ORTKEMPER, Kreuz, 33; A.F. SEGAL, Convert, 151; THÜSING, Per Christum, 200. Kritisch äußern sich DUNN, Gal, 341; SLBER, Christus, 224. 39

Zur probatio vgl. H.D. BETZ, Gal, 236ff.; BECKER, Paulus, 292f.; LONGENECKER, Gal,

97ff. 40 Mit guten Gründen wird προγράφω mitsamt der Präzisierang κατ οφθαλμούς meist als Hinweis auf eine öffentliche Proklamation interpretiert (vgl. H.D. BETZ, Gal, 241f.; FUNG,

Gal, 129; LONGENECKER, Gal, 100; MATERA, Gal, 112; MUSSNER, Gal, 207; OEPKE, Gal,

100; SCHRÄGE, Skandalon, 61f.; SCHRENK, γράφω, 771f.). BOYARIN, Jew, 124f. liefert darüber hinaus eine interessante Akzentuierung. Er schlägt ebd. vor, „that....before your eyes' suggests a platonic ,eyes of the mind', in which visions are seen. Paul's depiction here is the implementation of enargeia." Mit dieser Deutung sucht BOYARIN seine These zu stützen, Paulus wolle die Galater in 3,1-5 daran erinnern, daß ihnen exakt die gleiche Transformationserfahrung zuteil wurde wie ihm selbst.

256

Das Symbol des Kreuzes

Angemerkt sei hier, daß der weitere Kontext von Gal 3,1 klar den oben angesprochenen performativen Charakter und die rituelle Qualität der paulinischen Verkündigung vom Kreuz deutlich werden läßt. So gibt die anschließende rhetorische Frage in V.2 zu verstehen, daß die Predigt des gekreuzigten Christus zum Geistempfang unter den Galatern geführt hat. Zu diesem Ergebnis gelangt man zumindest dann, wenn man die schwierige Wendung άκοή πίστεως aus V.2 auf die Kreuzespredigt in V.l zurückbezieht41 und in etwa mit „Glaubenspredigt" übersetzt.42 Die glaubenweckende Verkündigung des Christus εσταυρωμένος ist dann eben nicht neutrale Mitteilung, sondern ein die Gabe des πνεϋμα einschließendes und den Menschen von daher transformierendes, performatives Sprachgeschehen. Auffällig ist die rituell geprägte Sprache des Kontextes 4 3 Vor allem das Begriffspaar ένάρχεσθαι/έπιτελείν (V.3) ist hier zu nennen. Die Wortkombination begegnet zum einen in dieser Form in den antiken Mysterienreligionen,44 zum anderen haben die beiden Verben je für sich stark rituelle Konnotationen. Der Terminus (έν)άρχεσθαι steht grundsätzlich für Initiationsakte und speziell für den Beginn von Opferhandlungen 4 5 Ebenso wird έπιτελεϊν bei der Beschreibung aller Arten von Riten gebraucht.46 Auch die in V.2 41

Ebenso LULL, Spirit, 54ff., der diese Deutung ebd. ausführlich begründet; vgl. auch

DUNN, Gal, 153. Andere wie z.B. OEPKE, Gal, 100; LIEBERS, Gesetz, 51; SCHLIER, Gal,

123 führen dagegen den Geistempfang in V.2 auf die Taufe zurück. Dieser These läuft jedoch nicht nur die enge Beziehung zwischen τό πνεϋμα έλάβετε und άκοή πίστεως in V.2 (ähnlich V.5) zuwider, sondern überhaupt die mehrfache Thematisierung der Verkündigung im Kontext (V.l.5), während die Taufe in Gal 3,1-5 keinerlei verbale Erwähnung findet. Nicht auszuschließen ist freilich, daß Paulus die Taufe zusätzlich mit im Blick hat, wie BOYARIN, Jew, 125.130 mutmaßt. SASS, Leben, 275 läßt die Frage offen. 42 Die Wendung άκοή πίστεως deuten ähnlich: HAYS, Faith, 143-149; H.D. BETZ, Gal, 244 samt A47; MATERA, Gal, 112; OEPKE, Gal, 99; SCHLIER, Gal, 78. 43 Darauf machen auch H.D. BETZ, Gal, 243.245f und LULL, Spirit, 51(A87).55.135(A7) aufmerksam; s. femer LlGHTFOOT, Gal, 134; LAGRANGE, Gal, 59f.; SCHLIER, Gal, 124; JEWETT, Agitators, 207; bedingt auch BONNARD, Gal, 63 („peut-etre"). Die These von BRINSMEAD, Galatians, 79ff.139ff.191, Paulus rekurriere hier auf eine These der Gegner, die die Beschneidung im Sinne einer Initiation in einen Mysterienkult verstanden hätten, beruht auf problematischem „mirror-reading". Die drei Jahre zuvor erschienene Arbeit von LYONS, Autobiography, 96ff. kritisiert solches Vorgehen scharf und stellt eine Art Antipode zu BRINSMEADs These dar. Zur Vorsicht gegenüber der gängigen Methode des „mirrorreading" mahnt auch BARCLAY, Mirror; s. femer BERGER, Gegner. Zur Kritik an BRINSMEADs Interpretation von Gal 3,3 im speziellen s. überdies HANSEN, Abraham, 261f. A27 und 263 A39. Grundsätzlich kritisch zur These kultischer bzw. ritueller Sprache an dieser Stelle äußern sich DUNN, Gal, 155; OEPKE, Gal, 101; ROHDE, Gal, 133 A37; SAND, Fleisch, 181 A2; VAN DÜLMEN, Theologie, 28 A52. 44 Vgl. H.D. BETZ, Gal, 243; BRINSMEAD, Galatians, 79; REITZENSTEIN, Mysterienreligionen, 33 8f. 45 Vgl. BURKERT, Homo, llf.l9f.; STENGEL, Kultusaltertümer, 99; SCHLIER, Gal, 124 A2; H.D. BETZ, Gal, 243.245(A54); BRINSMEAD, Galatians, 79. 46 Vgl. BURKERT, Mysterien, 16, der allgemein zur Wortgruppe telein notiert: „Diese Wortgruppe ist von sehr viel allgemeinerer Bedeutung als mysteria; sie kann praktisch für jede Art ritueller Feier verwendet werden ..."; s. auch BADENAS, Christ, 41; H.D. BETZ, Gal, 245 A54; DELLING, τέλος, 62; KERN, Telete, 393ff. Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang, daß das Verb später auch bei den Kirchenvätern zu einem Schlüsselbegriff für den Vollzug religiöser Riten wurde, zumal für jüdische; vgl. dazu G.W.H. LAMPE, Lexi-

Das Kreuz und der rituelle Kontext

257

und 4 begegnenden Verben μ α θ ε ϊ ν und π ά σ χ ε ι ν spielen in den rituellen Mysterien eine gewichtige Rolle. 47 All diese rituellen Konnotationen sind sicherlich nicht zuletzt durch das im Hintergrund von Gal 3,1-5 stehende Problem der Beschneidungsabsicht der Galater motiviert, sie untermauern aber zugleich den rituell-initiatorischen Charakter der Kreuzespredigt im Gegenüber zur Beschneidung. IKor 1,17.18.23/.; 2,2 Spielte Paulus noch in IKor 1,13 auf den Zusammenhang v o n Kreuz und Taufe an (s. oben), so geht er, nachdem er in V . 1 4 - 1 6 auf die Spärlichkeit der eigenen Tauftätigkeit hingewiesen hat, ab V.17 auf das Kreuz als wesentlichen Inhalt seiner apostolischen Verkündigung ein. 4 8 Er qualifiziert das εϋαγγελίζεσ&αι aus V.17 durch den λόγος τοΰ σταυροϋ in V.18 näher und signalisiert damit unmißverständlich, daß seine Predigt primär Kreuzespredigt ist. D i e Aussagen in V.23f. sowie in 2,2 bestätigen dies. Vergleichbar mit Gal 3,1 hebt der Apostel i m letztgenannten Vers die Bedeutsamkeit des Gekreuzigten als Inhalt der Predigt durch die an den Schluß gestellte Wendung και τούτον έσταυρωμένον nachdrücklich hervor 4 9 Paulus betont so mit aller Deutlichkeit, den Korinthern nicht nur Christus, sondern Christus als Gekreuzigten gepredigt zu haben. 5 0 con, 537. H.D. BETZ, Gal, 245 A54 zitiert Epiphanius mit dem Satz: „... der Sabbat, die Beschneidung und alles andere, was von Juden und Samaritanern eingehalten (έπιτελεϊται) wird." 47 Berühmt ist in diesem Zusammenhang der von Synesios überlieferte Satz des Aristoteles, wonach Initianden in einem Mysterienkalt nicht lernen (μαθεϊν), sondern Erfahrungen machen bzw. erleiden (παθεΤν) sollen: καθάπερ 'Αριστοτέλης άξιοι τούς τελούμενους ού μαϋεΐν τι δεϊν άλλά πα&εΐν καΧ διατεθηναι, δηλονότι γενομένους επιτηδείους (zit. nach NILSSON, Geschichte I, 6 5 4 AL; vgl. BURKERT, Mysterien, 58; H.D. BETZ, Gal, 2 4 6 A63).

Auch bei Plutarch, Fr 178 heißt es (zit. nach BETZ, ebd.): „... aber dann hat sie (die Seele) ein Erlebnis wie diejenigen, die in die großen Mysterien eingeweiht werden" (τότε δέ πάσχει πάθος οίον οί τελετοδς τάΐς μεγάλαις κατοργιαζόμενοι). 48 Die Dominanz der Verkündigungsthematik zeigt sich darin, daß der ganze hier in Blick genommene Abschnitt IKor 1,17-2,16 mit Begriffen durchzogen ist, die auf die Predigt zielen: εΰαγγελίζεσβαι (1,17), κήρυγμα/κηρύσσειν (1,21.23; 2,4), καταγγέλλειν (2,1), λαλεΧν (2,6.7.13), λόγος (1,18; 2,4; s. auch 1,17; 2,1.[4].13). - Über das genaue Verhältnis Taufe/Verkündigung läßt sich Paulus indes nicht weiter aus. Feststehen dürfte, daß beide Akte Initiationscharakter haben. THEIS, Weisheitslehrer, 145f. meint: „Die Taufe wie die Predigt vom Kreuz ordnen den Menschen Gott zu ..." KLAUCK, 2Kor, 23 deutet an, daß Taufe und Missionspredigt sich erst allmählich auseinanderentwickelt hätten, was auf eine ursprünglich enge Relation weist. Daß Paulus keine Geringschätzung der Taufe gegenüber der Predigt intendiert, wird von den meisten ausdrücklich vermerkt; vgl. nur G. BARTH, T a u f e , 93; CONZELMANN, I K o r , 51; HALTER, T a u f e , 139; KLAUCK, 2Kor, 23; F. LANG, Kor, 22; ORTKEMPER, I K o r , 24; SCHRÄGE, I K o r Π, 157; THEIS, Weisheitslehrer, 144; WE-

DER, Kreuz, 126 A21. Vertreter der Gegenposition listet HALTER, Taufe, 576 A23 auf. 49 Das Verb είδέναι bezieht sich in 2,2 vom Kontext her auf das Wissen, das Paulus bei seiner Mission den Korinthern weitergab; vgl. R. BAUMANN, Mitte, 156.170; MERKLEIN, IKor, 208f.; WLLCKENS, Zu IKor 2, 505. 50 Ob Paulus hier polemisch gegen das Christusverständnis der Korinther argumentiert oder von sich aus auf das Kreuz zu sprechen kommt, läßt sich kaum mit Sicherheit sagen; vgl. dazu THEIS, Weisheitslehrer, 205.

258

Das Symbol des Kreuzes

Auch und gerade in IKor lf. wird die performative bzw. rituelle Qualität der Verkündigung des Kreuzes bzw. des Gekreuzigten sichtbar. Der Logos vom Kreuz ist kein Bericht über das Golgathageschehen und keine Märtyrergeschichte; in ihm manifestiert sich vielmehr ein Kraftpotential, das Menschen transformiert. Dies deutet bereits V.17 an: Die mögliche „Entleerung" (κενοϋν)51 des Kreuzes aufgrund weisheitlicher Rede impliziert im Umkehrschluß, daß das Kreuz Macht besitzt. Worin diese besteht, zeigt V.18: Der λόγος τοΰ σταυροϋ besitzt die Fähigkeit, die eschatologische Scheidung zwischen Verwerfung und Rettung, zwischen Gericht und Heil zu vollziehen, ja er bewirkt quasi im Hier und Jetzt die Entscheidung darüber, wer ins Heil aufgenommen wird und damit zu den σωζόμενοι gehört und wer zu den άπολλύμενοι zählt, also zu denjenigen, denen das Heil verwehrt bleibt. Auch wenn sich die endgültige Scheidung erst im kommenden Gericht Gottes ereignen mag (vgl. IKor 3,15; 5,5; Rom 2,6-12 u.ö.), so bewirkt der Kreuzeslogos gleichwohl bereits jetzt Zugehörigkeit zum Heil oder Unheil (vgl. die Präsensform der Partizipien!).52 Erneut offenbart sich so der Initiationscharakter der Verkündigung des Kreuzes: Sie stößt die elementare Transformation ins Heil und in die Gemeinschaft der Geretteten an. 2Kor 13,3f. Schließlich ist 2Kor 13,3f. ins Feld zu führen. Der Apostel charakterisiert hier seine missionarische Verkündigung abermals als Kreuzespredigt. Aus V.3a geht zunächst hervor, daß die Gemeinde von ihm fordert, er solle beweisen, daß Christus durch ihn spreche. 53 Hintergrund dieser Forderung dürfte der in 10,10 (vgl. 11,6a) formulierte Vorwurf des schwächlichen Auftretens sein, der wohl nicht zuletzt auf das Wirken der sog. Superapostel (vgl. 11,5; 12,11) zurückgeht. 54 Paulus antwortet auf diesen Vorwurf in V.3b mit einem Hinweis auf die bereits in der Gemeinde geschehenen charismatischen Ereignisse. Diese, so will er sagen, verdanken sich seiner Missionsverkündigung (vgl. Gal 3,1-5). Er erinnert die Korinther daran, daß er es war, der mit seiner Predigt die gegenwärtig unter ihnen noch wirksame Kraft Christi (δυνατέ! έν ΰμΤλ>) initiierte. Dies scheint mir die plausibelste Deutung des Relativsatzes V.3b. 55 51

Zu κενοϋ\ in dieser Bedeutung vgl. A.R. BROWN, Cross, 73f.; OEPKE, κενός, 662; KLAUCK, IKor, 23; SCHRÄGE, IKor I, 160; THEIS, Weisheitslehrer, 146; WEDER, Kreuz, 127 sowie BARBOUR, Wisdom, 60 („presumably"). 52 Vgl. dazu die Gedanken bei WEDER, Kreuz, 142, bes. A84.85; WlLCKENS, Weisheit, 23 und K. MÜLLER, Funktion, 246ff.; s. auch A.R. BROWN, Cross, 79f. 53 Zur instrumentalen Deutung von έν έμοί vgl. nur HECKEL, Kraft, 121f. 54 Vgl. dazu ebd., 121-124; s. auch FURNISH, 2Cor, 576; GEORGI, Gegner, 293f.; R.P. MARTIN, 2Cor, 473; WINDISCH, 2Kor, 417; WOLFF, 2Kor, 262. 55 Die häufig vertretene These, der Relativsatz gebe ein Zitat der Korinther wieder und dokumentiere deren von Paulus zurückgewiesenes Selbstbewußtsein (so FURNISH, 2Cor, 576; GÜTTGEMANNS, Apostel, 146ff.; SCHÜTZ, Authority, 216f.; WINDISCH, 2Kor, 418; s. auch R.P. MARTIN, 2Cor, 474), übersieht, daß der Apostel im näheren Kontext schon einmal auf seine eigenen Krafttaten bei der Erstmission verwiesen hat (12,12). NIELSEN, Verwendung, 142ff. ist in diesem Zusammenhang beizupflichten, wenn er meint, es sei falsch, die Kreuzestheologie ausschließlich so auszulegen, als ob Paulus jegliche aktuelle Durch-

Das Kreuz und der rituelle Kontext

259

Die charismatischen Machttaten in Korinth sind eben „... nicht an Paulus vorbeigelaufen, sondern Resultat seiner von Christus inspirierten Verkündigung." 56 Diese Verkündigung samt der daraus resultierenden Kraft basiert nun aber - so fährt Paulus in V.4a begründend fort (γάρ) - auf der άσβένεια, die zur Kreuzigung Christi führte, wobei Christus zwar aus (εξ) Schwachheit gekreuzigt wurde, 57 aber als Gekreuzigter aus Gottes Kraft lebt. Gottes δύναμις ist daher in der Schwachheit präsent, was nun ebenso für die schwächliche, gleichsam „kreuzförmige" 58 Existenz des Apostels wie auch sein kommendes Wirken in der Gemeinde (είς υμάς) gilt, wie V.4b abschließend belegt. 59 Aus 2Kor 13,3f. ergibt sich von daher insgesamt: „Was jetzt in der Gemeinde wirksam ist (δυνατέϊν), geschieht nicht aus der Stärke des Paulus, sondern aus der Macht, die sich am gekreuzigten Christus erwiesen hat und erweist. ... Was in der Gemeinde an pneumatischen Gaben wirksam ist, ist Auswirkung der Verkündigung des Gekreuzigten, wodurch Gottes Dynamis gegenwärtig am Werk ist ..." 6 0 2Kor 13,3f. bestätigt somit erneut die außerordentliche Kraft des Logos vom Kreuz. 61

Das Kreuz und die Beschneidung Gal 5,11 Im Rahmen seiner Attacke gegen die in die galatische Gemeinde eingedrungenen Opponenten in 5,7-12 stellt Paulus die Frage: Έγώ δέ, αδελφοί, εί περιτομή-ν ετι κηρύσσω, τι έτι διώκομαι; Ob der Apostel mit dem Hinweis auf die Setzung der „Kraft Gottes" negiere und nur die Schwachheit betone. Unbegründet scheint ebenso der Vorschlag von BULTMANN, 2Kor, 244f.; SLBER, Christus, 173 u.a., das Syntagma δυνατει έν ύμϊν auf das von Paulus in V.2 anvisierte kommende Durchgreifen des Apostels zu beziehen. Dagegen spricht allein schon die Präsensform des Verbs. 56 KLAUCK, 2Kor, 101. 57 Zur kausalen Deutung des Verses vgl. insbesondere HECKEL, Kraft, 124-130; WOLFF, 2Kor, 262. Daß die Begriffe ασθένεια und δύναμις auch soziale Konnotationen tragen, streichen FORBES, Comparison, 19 und P. MARSHALL, Enmity, 376.388 heraus. 58 Zur „Kreuzförmigkeit" vgl. LUZ, Mitte, 122 u.ö.; BEKER, Apostle, 299-302; HAYS, Christ, 240ff.; STUHLMACHER, Thesen, 198f. 59 Bei dem Futur ζήσομεν wird man zwar Konnotationen in Richtung auf das künftige eschatologische Leben nicht ganz ausschließen dürfen (so HECKEL, Kraft, 133.137ff.; KLAUCK, 2Kor, 101; KREMER, 2Kor, 119; WENDLAND, Kor, 256; s. auch GRUNDMANN,

δύναμαι, 316), primär aber dürfte Paulus an seinen kommenden Besuch in Korinth denken. Dies ergibt sich aus der nachklappenden Wendung είς ΰμας, die an V.3b zurückerinnert und von daher auf das kraftvolle Verkündigungs wirken des Apostels anspielen dürfte; zur Deutung von V.4b auf den baldigen Besuch vgl. auch BULTMANN, 2Kor, 246; COUSAR, Cross, 168 A67; FURNISH, 2Cor, 571; R.P. MARTIN, 2Cor, 476f.; NIELSEN, Verwendung, 145f.; SCHÜTZ, Authority, 215; SLBER, Christus, 175f.; TANNEHILL, Dying, 99; WOLFF, 2Kor, 263. 60 EBNER, Leidenslisten, 187f. A83. 61 Vgl. auch HECKEL, Kraft, 140 samt A100.

260

Das Symbol des Kreuzes

eigene Beschneidungspredigt eine gegnerische Unterstellung aufnimmt, ob er eine persönliche frühere Praxis im Auge hat oder nur hypothetisch argumentiert, dies läßt sich kaum mehr mit letzter Sicherheit klären.62 Entscheidend ist, daß Paulus am Ende des Verses folgert, eine solche Verkündigung setze den Anstoß des Kreuzes (τό σκάνδαλσν τοϋ σταυροΰ) außer Kraft. 63 Dieser Sinn ergibt sich, wenn man die Partikel άρα (11c) mit den meisten auf den Satzanfang (V.lla) zurückbezieht.64 Beschneidung und Kreuzespredigt erscheinen so in einem scharfen Kontrast. Was hat es dann aber mit der in V . l l b thematisierten Verfolgung des Apostels auf sich? Primär dürfte sie als Folge oder als Bestätigung der nicht getätigten Beschneidungspredigt Pauli zu verstehen sein. Darüber hinaus ist sie wohl auch Ausweis des σκάνδαλο^ τοϋ σταυροΰ, das heißt, die Provokation des Kreuzes manifestiert sich gerade in der Leidensexistenz des Apostels.65 Gal 6,12-15 In ähnlicher Weise werden Beschneidung und Kreuzeslogos auch in Gal 6,12 einander gegenübergestellt. Der Apostel führt hier die Beschneidungsforderung der Opponenten auf deren Bestreben zurück, einer Verfolgung aufgrund des Kreuzes aus dem Weg zu gehen. Auch wenn genauere Hintergründe sowie die Protagonisten dieser Verfolgung - wie bereits in 5,11 - unklar bleiben,66 fest steht doch: Die Botschaft vom Kreuz und die Beschneidungsforderung gegenüber heidnischen Christusgläubigen sind für Paulus offensichtlich unvereinbar. Ganz auf dieser Linie konfrontiert er dann Beschneidung und Kreuz abermals, wenn er dem in V.13 angeführten Stolz der Opponenten auf die mögliche Beschneidung der sog. Heidenchristen in V.14 sein persönliches, allein im „Kreuz unseres Herrn Jesus Christus" gründendes Rühmen entgegenhält. Zu guter Letzt gibt er zu verstehen, daß das Kreuz - genauer noch die 62 Die Bandbreite der vorgeschlagenen Deutungen ist damit noch nicht abgedeckt; vgl. dazu DUNN, Gal, 278f.; s. auch BAASLAND, Persecution, 138; BARCLAY, Obeying, 40.50; BORGEN, Observations, 89ff.; FUNG, Gal, 71.239f. samt A l 19; KIM, Origin, 39f.; LONGEN-

ECKER, Gal, 2 3 2 ; ROHDE, Gal, 2 2 2 f . 63 Zur Bedeutung von καταργέίν vgl. K. MÜLLER, Anstoss, 117-119; DELLING, καταργέω, 454. 64

V g l . BLIGH, Gal, 4 3 l f . ; ROHDE, Gal, 2 2 3 f . ; LAMBRECHT, Parenthesis, 2 4 0 ; MATERA,

Gal, 185; SCHLIER, Gal, 238.240; WEDER, Kreuz, 196. BAARDA, TI ETI, 254ff. bezeichnet V . l l b als „Parenthese" (ähnlich bereits K. MÜLLER, Anstoss, 115ff. und LYONS, Autobiography, 155). Folgt man dieser Annahme, wird der enge Bezug zwischen V . l l a und c und damit die Opposition Beschneidung/Kreuz noch unterstrichen; s. dazu aber die Kritik bei LAMBRECHT, Parenthesis, 237-241. 65 Vgl. dazu auch MUSSNER, Gal, 362f.; BAASLAND, Persecution, 138. Die Interpretation von V . l l b als Parenthese (s. vorausgehende Anm.) darf keinesfalls dazu führen, V . l l b und V . l l c völlig voneinander abzukoppeln. Dies konzediert selbst K. MÜLLER, Anstoss, 120. 66

V g l . dazu d i e Ü b e r l e g u n g e n bei H . D . BETZ, Gal, 5 3 5 f . ; BOYARIN, Jew, 116; DUNN,

Gal, 336f.; HARNISCH, Einübung, 280f.; MATERA, Gal, 230; MELL, Schöpfung, 288f.; MUSSNER, Gal, 412; WEDER, Kreuz, 203f.

Das Kreuz und derrituelleKontext

261

symbolische Kreuzigung in der Taufe (s. oben) - überhaupt die Differenz zwischen Beschneidung und Unbeschnittenheit als Signum des Kosmos negiert, wie der Gedankengang von V.14 zu V.15 offenlegt.

Zwischenfazit Es kann somit festgehalten werden: Die paulinischen Kreuzesaussagen sind in dreifacher Hinsicht rituell verankert. Das Kreuz fungiert: - als Urgrund bzw. Symbol des Initiationsrituals Taufe; - als Essenz der performativ-rituellen Verkündigungstätigkeit; - als Kontrapunkt zum jüdischen Initiationsritual der Beschneidung. Wie aber läßt sich diese dreifache rituelle Einbindung der staurozentrischen Aussagen erklären? Einer Antwort auf diese Frage kommt man näher, achtet man auf folgenden Umstand: Bei allen drei genannten Kontexten handelt es sich um initiatorische Vollzüge. Sowohl die Taufe wie auch die Verkündigung und das jüdische Beschneidungsritual dienen auf je eigene Weise als Statustransformationsrituale, die den Anbruch einer neuen Existenz und die Integration in eine neue Gemeinschaft markieren.67 Offensichtlich deutet Paulus ebenso den σταυρός Christi vornehmlich vom Gedanken der Transformation her. Dies bestätigt z.B. auch Phil 2,8. Dort erscheint der Tod am Kreuz genau am Wendepunkt von der Erniedrigung zur Erhöhung Christi (vgl. oben § 7.1). Ferner kann IKor 2,8 angeführt werden: Der Gebrauch des Titels κύριος της δόξης für den Gekreuzigten läßt zumindest indirekt erkennen, daß Paulus das Kreuz als Ort der Transformation des Erniedrigten zum erhöhten Herrn verstand. Vor diesem Hintergrund wird es möglich, den σταυρός Christi als zentralen Inhalt und als Essenz der Transformationsprozesse in Verkündigung und Taufe zu bestimmen, da diese ja im wesentlichen die Transformation Christi am einzelnen vergegenwärtigen, d.h. die Christusgläubigen in die Transformation Christi und damit eben in das Geschehen am Kreuz inkorporieren und sie solcherweise initiieren. So aber wird auch der Gegensatz, den Paulus zwischen der Botschaft vom Kreuz und der Beschneidung herstellt, zumindest ansatzweise begreiflich: Die Aufrechterhaltung dieses „klassischen" Initiationsrituals auch für Heiden würde das Potential speziell der durch den Kreuzestod Christi ermöglichten, in Verkündigung und Taufe aktualisierten Transformation bzw. Initiation ins Heil in Frage stellen. Die Beschneidung und das Kreuz als Urgrund der Initiationsvollzüge Verkündigung und Taufe stehen für den Heidenapostel deshalb in Konkurrenz.68

67 Zur initiatorisch-transformativen Bedeutung der Beschneidung vgl. nur BOYARIN, Jew, 36ff. u.ö.; s. auch CHRISTIANSEN, Covenant, 42ff.273ff.279ff. 68 Damit ist freilich noch keine erschöpfende Interpretation der kritischen Haltung des Paulus zur Beschneidung gegeben. Es werden in § 10.4.3 weitere Ausführungen dazu fol-

262

Das Symbol des Kreuzes

2. Eine Symbolanalyse des Kreuzes Angesichts der aufgewiesenen rituellen Einbettung der paulinischen Kreuzesaussagen bietet es sich an, diese in einem weiteren Schritt mit Hilfe Turners ritologisch begründeter Symbolanalyse näher auszuleuchten. Die Anwendung des Symbolbegriffs ist nun aber gerade im Zusammenhang der paulinischen Kreuzestheologie mehrfach auf dezidierte Ablehnung gestoßen.69 Hinter dieser Reserve steht die Befürchtung, das Kreuz Christi würde so, seiner geschichtlichen Einmaligkeit beraubt, zu einer allgemeinen Weisheit herabgesetzt und die christliche Identität damit an einem ihrer entscheidenden Kernpunkte aufs Spiel gesetzt.70 Zudem zeigt man sich darum besorgt, der Symbolbegriff könnte die theologische Sprengkraft des Kreuzeslogos verwischen, genauerhin dessen Heilskraft.71 Beide Bedenken sind wohl begründet, sie können aber ausgeräumt werden. Der letztgenannte Einwand wird jedenfalls durch den Einsatz einer an Turner orientierten Symboltheorie völlig obsolet. Für den Anthropologen sind Symbole ja gerade effektive Faktoren, die den Menschen und die Gesellschaft faktisch verändern; Turner weist Symbole als komplexe dynamische Systeme aus, die in psychischen und sozialen Prozessen als Transformationsriemen wirken. Eine an Turner orientierte Symbolanalyse mindert darum die Sprengkraft des Kreuzeslogos nicht im geringsten, im Gegenteil, sie kann diese auf neue Weise offenlegen (Näheres s. unten in Abs. 3). Doch wie steht es mit dem Vorwurf der drohenden Enthistorisierung des Kreuzes? Diesbezüglich gilt es zunächst festzuhalten, daß ein symbolischer Deutungsansatz die Historizität des Kreuzes Christi keineswegs zwangsläufig relativiert. Auf der anderen Seite muß man sehen, daß Paulus die Vokabeln σταυρός und σταυροΰν selbst im übertragenen Sinn verwendet und das historische Kreuz heranzieht, um auf symbolischer Ebene theologische Aussagen zu machen. Dies wird z.B. in Gal 6,14 anschaulich, wo er von der Kreuzigung des Ich und des Kosmos spricht. Der σταυρός Christi ist von daher bei Paulus Fakt und Symbol in einem.72 Das gen (vgl. S. 359ff.). Zur Konkurrenz von Ritualen vgl. im übrigen grundsätzlich GRIMES, Criticism, 203; s. auch BOYARIN, Jew, 130. 69 Vgl. nur BEKER, Apostle, 206; H.-W. KUHN, Jesus, 27; HENGEL, Mors, 135; SCHRÄGE, IKor I, 171; DERS., Verständnis, 69 A57; WEDER, Kreuz, 132.138.146; SLBER, Christus, 224. Positiv jedoch: BADER, Symbolik, 3 5 - 6 9 (bes. 65ff.); BARCLAY, Obeying, 80 A14; BARTON, Cross, passim; A.R. BROWN, Cross, 14 u.ö.; LUZ, Mitte, 141; M.Y. MACDONALD, Churches, 75-77; SCHÜTZ, Authority, 187ff. („symbol of power"); THEOBALD, R ö m l , 193. Von einer „Chiffre" sprechen BRANDENBURGER, Σταυρός, 35 A79; H.-W. KUHN, Jesus, 29 (bei Ablehnung des Symbolbegriffs: s. ebd., 27). SCHLIER, Gal, 281 bezeichnet den σταυρός mit Blick auf Gal 6,14 als „Ideogramm für das Erlösungsgeschehen". 70 Vgl. WEDER, Kreuz, 146; LUZ, Mitte, 141. 71 Vgl. BADER, Symbolik, 65f., der diese Kritik ebd. mit den Worten nachzeichnet, Symbolik sei das „Ende des theologisch wirksamen Kreuzes". 72 Vgl. dazu TURNER, Revelation, 197ff., der zu den christlichen Symbolen bemerkt: „For the Christian ... fact and symbol are one" (ebd., 197; hier speziell mit Bezug auf die Auferstehung als „historical event"). Zur Problematik s. auch BADER, Symbolik, 67.

Eine Symbolanalyse des Kreuzes

263

historische Ereignis wird von ihm gewissermaßen mit Signifikaten aufgeladen, deren Relevanz die historische Dimension in spezifischer Weise anreichern. Gerade so, als historisches Faktum und Symbol in einem, vermag das Kreuz Christi die Existenz der Christusgläubigen zu transformieren und neu zu prägen. Diese Klarstellungen geben den Weg für eine symbolanthropologische Analyse der staurozentrischen Aussagen des Apostels frei. Unterzieht man nun die relevanten Stellen einer entsprechenden Durchsicht, so zeigt sich, daß die paulinische Rede vom Kreuz die Grundcharakteristika dominanter Symbole aufweist, nämlich Multivokalität, die Vereinigung disparater Signifikate sowie die Polarisierung von Bedeutungen.73 Unverkennbar schwingt in den kreuzestheologischen Ausführungen des Corpus Paulinum ein ganzes Bündel von Bedeutung mit, die das Kreuz als multivokales Symbol ausweisen. Achtet man genauer auf die zahlreichen Signifikate, so wird ersichtlich, daß die Bedeutungen, die sich im Kreuz verdichten, äußerst disparat, ja in einer für dominante Symbole typischen Weise gegensätzlich sind. Das Kreuz steht einerseits für Ohnmacht und Schmach, indem es ασθένεια wie auch μωρία anzeigt und als σκάνδαλον erscheint (vgl. IKor 1,18.23; 2Kor 13,4a). Mit Udo Schnelle läßt sich daher zum einen die Einsicht formulieren, daß der σταυρός „in die Ohnmacht und nicht in die Macht, in die Klage und nicht in den Jubel, in die Schande und nicht in den Ruhm, in die Verlorenheit des Todes und nicht in die Glorie vollständig gegenwärtigen Heils führt" 74 . Zugleich aber stellt Paulus das Kreuz Christi in einen Zusammenhang mit Gottes δύναμις und σοφία (IKor 1,18.24), verbindet die Kreuzespredigt mit wunderbaren Krafttaten und pneumatischen Erfahrungen (vgl. Gal 3,1.5; IKor 2,4), rühmt sich des σταυρός und macht an ihm das Ende des alten Ego sowie des Kosmos samt der darin wirkenden ethnischheilsgeschichtlichen Differenzen und damit den Anbruch der καινή κτίσις fest (Gal 6,14f.). Hans Weder kann darum andererseits zutreffend behaupten: „Das Wort vom Kreuz ist die Vergegenwärtigung künftigen Heils ,.." 75 Diese Ambivalenz zwischen tiefster Schmach und göttlicher Herrlichkeit ist kennzeichnend für die Multivokalität und semantische Dichte des Kreuzessymbols. Es steht bei Paulus gleichermaßen für ασθένεια und δύναμις, μωρία und σοφία, für Verfolgung und Herrlichkeit, es repräsentiert den Bruch mit dem Kosmos und ist ebenso Signum einer neuen Schöpfung. Turners Methode der Polarisierung der Signifikate ermöglicht es nun, die vielfältigen Bezüge des Kreuzessymbols einander zuzuordnen und verstehbar zu machen. Dazu ist es nötig, daß man zwischen dem sensorischen bzw. orektischen und dem ideologischen

73

bzw. normativen Pol des Symbols unterschei-

Vgl. dazu und zum folgenden insgesamt § 3.2. SCHNELLE, Gerechtigkeit, 139. 75 WEDER, Kreuz, 143; speziell zum Ineinander von theologia crucis und theologia resurrectionis bei Paulus vgl. jetzt auch SCHRÄGE, Herr, bes. 28ff. 74

264

Das Symbol des Kreuzes

det und die Signifikante entsprechend verteilt; aus der Interaktion zwischen den beiden Polen läßt sich dann in einem weiteren Schritt die Effektivität des Symbols erklären.76

Der sensorische Pol Der sensorische Pol eines Symbols steht für die Referenz auf natürliche bzw. physiologische Phänomene und Prozesse, die zugleich starke Gefühle und Begehren hervorrufen; er umfaßt also im vorliegenden Fall speziell die physiologischen und emotionalen Implikationen des Kreuzessymbols. Da Paulus nur wenige direkte Aussagen in dieser Hinsicht macht, seine Äußerungen sich vielmehr in erster Linie auf den ideologischen Pol konzentrieren, sind wir, um das ganze Bedeutungsspektrum der Botschaft vom Kreuz zu erfassen, darauf angewiesen, entsprechende Nachrichten und Wertungen aus der Umwelt des Apostels in die Analyse mit einzubeziehen.77 Nur durch eine Berücksichtigung auch der unausgesprochenen sensorischen Implikationen, die unterhalb der Textoberfläche bei den staurozentrischen Aussagen mitschwingen,78 kann später die Effektivität der paulinischen Kreuzespredigt wirklich erfaßt werden.79 Was die nominale Basis des Symbols anbelangt, sei vorweg angemerkt: Der griechische Terminus σταυρός benennt prinzipiell zunächst einen Pfahl. Im 76

In einem aufschlußreichen Artikel hat THEISSEN die „Soteriologische Symbolik in den paulinischen Schriften" untersucht. Er unterscheidet darin zwischen soziomorpher (aus dem Bereich sozialer Verhältnisse abgeleiteter) und physiomorpher (aus dem Bereich organischer Prozesse abgeleiteter) Symbolik. Der hier favorisierte TURNERsche Ansatz weicht davon insoweit ab, als er nicht zwischen zwei Klassen von Symbolen, nämlich physio- oder soziomorphen, differenziert. Vielmehr wird der physiologische, d.h. der sensorische, sowie der soziale, d.h. der normativ-ideologische Bedeutungsaspekt eines Symbols, nämlich des Kreuzes, untersucht. Darin offenbart sich die Diskrepanz zwischen einem stärker strukturalistischen Ansatz, dem THEISSEN folgt, und einem symbolanthropologischen. Während die Strukturalisten Bipolarität zwischen Symbolen konstatieren, postuliert der Symbolanthropologe TURNER Bipolarität innerhalb ein und desselben Symbols. 77 Die folgenden Ausführungen stützen sich i.w. auf die Arbeiten von HENGEL, Mors und H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe sowie auf BRANDENBURGER, Σταυρός. Die jeweiligen antiken Belegstellen werden in der Regel nicht eigens aufgeführt. Sie sind den genannten Aufsätzen leicht zu entnehmen. 7 ® Daß der „Wirklichkeitsbezug" des Kreuzes stets mitzubedenken ist, betont gegenüber H.-W. KUHN zumal HENGEL, Mors, 137. KUHN, Kreuzesstrafe, 774 ist, was die Relevanz von Umweltwertungen für die Analyse der paulinischen Kreuzestheologie angeht, sehr zurückhaltend, doch auch er gesteht zumindest im Hinblick auf lKor 1-4 ein, „daß ... eine antike Wertung der Kreuzesstrafe in die paulinische Argumentation mit Eingang gefunden hat". 79 Das heißt, neben dem manifesten Sinn ist auch der latente und verborgene Sinn des Symbols mit zu bedenken; vgl. dazu die in § 3.2 (S. 53f.) erläuterte Unterscheidung zwischen der exegetischen, operationalen und positionalen Bedeutungsebene von Symbolen.

Eine Symbolanalyse des Kreuzes

265

strafrechtlichen Sinn steht σταυρός dann konkret für den Pfahl als Hinrichtungsmedium; gemeint ist also das „Marterholz".80 Selbstverständlich hat Paulus ausschließlich dieses bei der Verwendung der σταυρ-Wortgruppe im Blick. Vor diesem Hintergrund sind auf der orektisch-sensorischen Ebene des Kreuzessymbols folgende z.T. eng miteinander verknüpfte Bedeutungsaspekte auszumachen: - Das langsame Sterben: Wie jedes Hinrichtungswerkzeug dient auch der σταυρός als „Marterholz" der Eliminierung einer Person. Das Kreuz steht daher zunächst für den biologischen Tod, freilich nicht für den natürlichen, sondern für den bewußt inszenierten Tod einer Exekution. Charakteristisch für die Hinrichtung am Kreuz ist dabei im Unterschied zu anderen Exekutionsformen die extreme Dauer des Hinrichtungsaktes.81 Die Todesqualen konnten stunden- oder tagelang andauern.82 Das Kreuz markiert darum in besonderer Weise den absichtlich herbeigeführten langsamen Prozeß des Sterbens. - Das leidvolle Sterben: Die vorsätzliche Verlängerung des Sterbeprozesses am Kreuz diente einem ganz bestimmten Zweck, nämlich der Steigerung somatischer Leiden. Die Kreuzigung war Folter, und zwar Folter bis zum Tod als vorsätzlichem Ziel. Insbesondere aufgrund der Dauer und der sadistischen Art des Sterbeprozesses konnotiert das Kreuz daher auch extreme körperliche Torturen. Dies wird noch durch den Umstand verstärkt, daß dem eigentlichen Hinrichtungsakt zumeist Geißelungen vorausgingen.83 - Die sichtbare Zerstörung des Körpers: Die Kreuzesstrafe vollzieht die sukzessive Vernichtung des Menschen in seiner physisch-leiblichen Existenz in aller Öffentlichkeit. Ein geschundener und dahinsiechender Leib wird vor aller Augen zur Schau gestellt. Oft wurde sogar der am Kreuz bereits Verstorbene mehrere Tage am Holzpfahl hängengelassen und bewußt der Verwesung sowie dem Fraß der Vögel preisgegeben.84 - Der körperliche Kontrollverlust: Der allmählichen Zerstörung des menschlichen Körpers korrespondiert der Verlust der Körperkontrolle der Delinquenten. Dieser manifestiert sich einerseits in der vollständigen Fixierung der Hände und Beine. Andererseits kommen im Moment des Sterbens weitere nicht mehr willentlich steuerbare Körperprozesse hinzu.85

80

Vgl. H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 679; BRANDENBURGER, Σταυρός, 19f. Vgl. H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 679.75 lf. 82 Vgl. ebd., 751f. 83 Vgl. ebd., 752f.; HENGEL, Mors, 141ff. 84 Vgl. H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 759; BRANDENBURGER, Σταυρός, 26. 85 Dazu zählt bei den männlichen Delinquenten die Erektion, die die Entehrung derselben steigert (dazu s. gleich); vgl. dazu DUERR, Nacktheit, 270-273; NEYREY, Despising, 114 sowie STEINBERG, Sexuality, 86.90f., der sich allerdings auf die künstlerische Darstellung der Erektion des Gekreuzigten konzentriert. 81

266

Das Symbol des Kreuzes

Zum sensorischen Pol gehören des weiteren die durch das symbolische Objekt ausgelösten Emotionen und Einstellungen. Diesbezüglich ist zum Kreuz folgendes zu bemerken: - Schrecken: Die Kreuzigung galt in der Antike als eine der grausamsten Hinrichtungsformen86; sie war mit Schrecken und Angst besetzt.87 Martin Hengel hält dafür: „Der Hauptgrund für ihre Anwendung war die - angeblich - unüberbietbare abschreckende Wirkung ihres öffentlichen Vollzugs."88 Dies bezeugt u.a. Josephus, der darüber informiert, daß Titus während der Belagerung Jerusalems einen Gefangenen kreuzigen ließ, damit die Gegner „in Schrecken versetzt werden" (καταπλήσσω).89 Ciceros Verteidigungsrede für den Senator C. Rabirius aus dem Jahre 63 v.Chr. läßt sich gar die abstoßende Wirkung allein schon des Begriffes σταυρός entnehmen.90 - Schande/Scham: Der Tod am Kreuz wurde überdies als besonders schändlich empfunden (vgl. nur Hebr. 6,6; 12,2).91 Dies rührt zum einen daher, daß die Kreuzesstrafe vornehmlich Sklaven und politischen Rebellen vorbehalten war, Menschen also, die als persona non grata galten92 - römische Bürger waren in der Regel von der Kreuzigung ausgenommen.93 Vor allem aber verletzte die am Kreuz vollzogene öffentliche Zurschaustellung des nackten und gequälten Leibes des Delinquenten das Schamgefühl tiefgehend 94 Das Opfer wurde auf diese Weise bewußt entehrt. Der erwähnte 86 Ob die Kreuzesstrafe nun als schwerste Todesstrafe angesehen wurde, wie dies HENGEL, Mors, 145ff. mit Blick auf die bei Cicero und dem römischen Juristen Julius Paulus belegte Wendung „summum supplicium" aufzuzeigen sucht, oder ob man ihre Bedeutung in dieser Hinsicht mit H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 745ff. (vgl. auch DERS., Kreuz, 714; DERS., Jesus, 7ff.) etwas zurücknimmt, das genannte Syntagma weiter faßt und das Kreuz neben Verbrennungen und Volksfesthinrichtungen „nur" als eine der grausamsten Strafen wertet, ist dabei unerheblich. Zur grundsätzlichen Grausamkeit der Kreuzigung vgl. HENGEL, Mors, 137ff.l47f.; H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 751-757. 87 Vgl. dazu BRANDENBURGER, Σταυρός, 24f. 88 HENGEL, Mors, 178. 89 Josephus, Bell 5,289; vgl. H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 756. 90 Cicero, Pro Rabirio 5,16; vgl. dazu HENGEL, Mors, 150-153. Kritische Anmerkungen zur möglichen Überinterpretation der Stelle finden sich allerdings bei H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 761-767. 91 Zu den „shamefull connotations" des Kreuzes vgl. ferner BARTON, Cross, 16; NEYREY, Despising, passim. 92 Vgl. dazu H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 719-736.758-767; HENGEL, Mors, 153164.179; BRANDENBURGER, Σταυρός, 20.22.24; GREEN, Crucifixion, 198. Die Schändlichkeit der Kreuzesstrafe speziell als „servile supplicium" klingt evtl. auch in Phil 2 an, da sich dort Christus einem Sklaven gleichstellt (V.7b: μορφήν δούλου λαβών), der als solcher am Kreuz stirbt (V.8c); so HOFIUS, Christushymnus, 16; anders jedoch H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 723. 93 Vgl. H.-W. KUHN, Kreuzesstrafe, 736-740; HENGEL, Mors, 149-153. 94 Vgl. HENGEL, Mors, 179 sowie BRANDENBURGER, Σταυρός, 20; GREEN, Crucifixion, 198.

Eine Symbolanalyse des Kreuzes

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Kontrollverlust über den Körper am Kreuz steigerte vermutlich die Schande zusätzlich. Überhaupt war wohl der Umstand des Ausgeliefertseins bis in den Tod schandvoll konnotiert. Jerome Η. Neyrey notiert dazu: „Shame lies both in being a victim and more especially in the exercise of power by another over one's live." 95 Die schandvollen Konnotationen des Kreuzes scheinen beim Apostel insbesondere an denjenigen Stellen durch, wo er den σταυρός mit ασθένεια assoziiert und von der Qualifizierung der Kreuzesbotschaft als μωρία sowie als σκάνδαλον berichtet. -

Unreinheit96: Unrein ist das Kreuz zumal im jüdischen Kontext, weil es einen Sterbenden, ja in letzter Konsequenz einen Leichnam bewußt öffentlich postiert und damit die symbolische Trennung zwischen Leben und Tod verwischt, mit dem Toten sozusagen den Bereich des öffentlichen Lebens infiziert. Diese Vorstellung klingt zumindest in Dtn 21,22f. an: Dort ist zwar vom Aufhängen eines bereits Hingerichteten die Rede, der als von Gott Verfluchter das ganze Land zu verunreinigen droht, doch wurde diese Stelle in der jüdischen Auslegungstradition offensichtlich auf die Kreuzigung übertragen. Dies bezeugt die Tempelrolle aus Qumran, die in Kol. 64,6-13 für einen Volksverräter das Hängen ans Holz vorsieht, „so daß er stirbt" (Kol. 8 und 11). Die gegenüber Dtn 21,22f. signifikante Umkehrung von Tod und Hängen weist dabei klar auf die Kreuzesstrafe hin. Es folgt sodann in Kol. l l f . auch hier die Aufforderung, die Leiche des Verfluchten noch am selben Tag zu begraben, damit das Land nicht verunreinigt werde.97 Der Gekreuzigte ist folglich im jüdischen Kontext grundsätzlich unrein, ein Verfluchter98, wie Paulus in Gal 3,13 - ebenfalls unter Rekurs auf Dtn 21,22f. - selbst sagt.99

NEYREY, Despising, 131. Zur Kategorie der Unreinheit vgl. allgemein DOUGLAS, Reinheit, passim; MAUNA, Welt, 1 4 5 - 1 7 7 ; NEYREY, Paul, 2 2 - 2 4 u.ö. sowie PILCH, Purity, 151f. 9 7 Zur Diskussion über 11QT 6 4 , 6 - 1 3 ebenso wie über 4QpNah 3 - 4 1 6 - 8 - ein weiterer möglicher jüdischer Beleg für die Kreuzesstrafe - vgl. die detaillierten Ausführungen bei H.-W. KUHN, Qumranparallelen, 2 3 1 - 2 3 8 . 9 8 In 11QT 64,12 geht die Verfluchung über Dtn 21,23 hinaus von Gott und Menschen aus. " E b e n s o z.B. MERKLEIN, Studien, 6f.; SÖDING, Kreuzestheologie, 40; vgl. dazu auch KÄSEMANN, Perspektiven, 68. SCHRÄGE, Skandalon, 67 gibt allerdings mit Recht zu bedenken, daß viele Juden um ihres Glaubens willen ans Kreuz geschlagen worden seien. Es sei von daher mehr als fraglich, „daß man alle diese Märtyrer als von Gott Verfluchte hingestellt hat, bloß weil sie von Römern gekreuzigt wurden" (ebd.; ähnlich FRIEDRICH, Verkündigung, 124ff.; FREDRIKSEN, Paul, 12f.). Dieser plausible Einwurf stellt indes die These einer grundsätzlichen Unreinheit des Kreuzestodes nicht unbedingt in Frage. Das Unreine bzw. das Verfluchte schließt das Heilige nicht in jedem Fall aus. Wie die Anthropologin M. DOUGLAS anhand vieler Beispiele eindrücklich herausgearbeitet hat, kann das Heilige oftmals mit dem Unreinen zusammenfallen bzw. das Unreine sakralisiert werden (vgl. Reinheit, bes. 207ff.). Der Tod jüdischer Märtyrer am Kreuz ist als eine solche Verknüpfung von Unreinem und Heiligem begreifbar, die an der prinzipiellen Unreinheit des Kreuzes nichts ändert. Die „Heiligkeit" der Märtyrer ergibt sich wohl vielmehr gerade daraus, daß 95

96

268

Das Symbol des Kreuzes

Der ideologische Pol Der ideologische Pol eines Symbols steht für die Referenz auf Aspekte der moralischen und soziokulturellen Ordnung, d.h. auf Prinzipien der sozialen Organisation, auf religiöse und politische Ideen u.ä. Die heterogenen Bedeutungsaspekte des Kreuzessymbols auf diesem Pol lassen sich unter zwei Oberbegriffen subsumieren: Separation und Inklusivität. Bei der Analyse des ideologischen Bedeutungskomplexes können nun stärker als zuvor auch die paulinischen Texte berücksichtigt werden, da der Apostel vor allem auf diese Dimension des Symbols abhebt. Separation Den erläuterten sensorisch-physiologischen Aspekten des langsamen, leidvollen Sterbens und der Zerstörung des Körpers korrespondiert auf der ideologisch-sozialen Ebene das im Symbol des Kreuzes verdichtete Moment der soziokulturellen Separation, d.h. des „Absterbens" von den Strukturen dieser Welt inklusive des herkömmlichen Lebensstils. Dieses Moment tritt im Rahmen der staurozentrischen Passagen im Corpus Paulinum in dreifacher Ausprägung hervor, nämlich im Motiv der kosmischen Äonenwende, in der mehrmals unmittelbar angezeigten Distanz zur sozialen und kulturellen Umwelt sowie in den Aussagen zum Tod des alten Ego. Dazu im einzelnen: - Das Ende des alten Äons: Das Kreuz zieht in den Paulusbriefen eine klare Grenze zwischen der Welt der initiierten Christusgläubigen und der Welt der Nicht-Initiierten. Diese Grenze ist an einigen Stellen an die kosmischepochale Äonenwende rückgebunden,100 am deutlichsten in Gal 6,14f. Wie J. Louis Martyn zutreffend herausgearbeitet hat, werden hier mit der Kontrastierung von κόσμος und καινή κτίσις in apokalyptischer Manier zwei Welten einander gegenübergestellt,101 die konkret im Kreuz voneinander geschieden sind. Vermöge der Identifikation mit dem σταυρός separiert sich Paulus dabei deutlich von der alten Welt:102 Seinem Ego ist der Kosmos als sie sich dem unreinen und verfluchten Tod am Kreuz ausgeliefert haben. Ich werde auf diesen wichtigen Gedanken, die Inversion von Unheiligem und Heiligem, später in Abs. 3 zurückkommen. 100 Zur Äonenwende vgl. allgemein §§ 8.3 und 8.4. Die apokalyptische Dimension des Kreuzes ist in letzter Zeit vermehrt hervorgehoben worden; s. dazu nur A.R. BROWN, Cross, passim; BEKER, Sieg, 76-85; DERS., Apostle, 189-208; DUNN, Theology, 49; GAVENTA, Singularity, 159; HAYS, Christ, 239; KOVACS, Archons, passim; MARTYN, Antinomies, 420f. 101 Vgl. MARTYN, Antinomies, bes. 412f.; s. ferner DUNN, Gal, 343; FUNG, Gal, 3 0 7 309. Das Syntagma καινή κτίσις meint die „neue Schöpfung"; ebenso übersetzen H.D. BETZ, Gal, 541f.; DUNN, Gal, 342f.; HARNISCH, Einübung, 283; LONGENECKER, Gal, 295; MARTYN, Antinomies, 412; MATERA, Gal, 226; MUSSNER, Gal, 415; TANNEHILL, Dying, 65. Anders votiert ROHDE, Gal, 276 samt A48, für den es in Gal 6,15 um das „neue Ges c h ö p f geht. 102 Ob man δι' οΰ auf das Kreuz oder auf Christus bezieht, ist unerheblich. Auch im letzten Fall dürfte Christus gerade als Gekreuzigter im Blick sein.

Eine Symbolanalyse des Kreuzes

269

„gegenwärtiger böser Äon" (Gal 1,4)103 gekreuzigt, umgekehrt ist das Ich dem Kosmos gekreuzigt. Es bestehen also keine immittelbaren Zugriffsmöglichkeiten oder Machtansprüche mehr, weder in die eine noch in die andere Richtung. Was dies bedeutet, läßt sich an der Beschreibung des Verhaltens der missionarischen Opponenten in V.12f. ablesen, in welchem die alte Welt paradigmatisch in Form des Strebens nach „fleischlichem" Ruhm hervorscheint. Diesem Streben sieht sich Paulus durch die Orientierung am Kreuz Christi grundsätzlich enthoben, ja er distanziert sich gänzlich von den hergebrachten antiken Wertmaßstäben und der zentralen Ausrichtung auf Ehre und Ansehen, wenn er sein Rühmen in paradoxer Weise allein auf die Hinrichtung Jesu Christi am Kreuz beschränkt. Insofern signalisiert der σταυρός das Ende des alten Äons im Sinne einer Annullierung der konventionellen „belief and value systems and life-styles" 104 (Näheres dazu in Abs. 3). In anderer, aber doch vergleichbarer Weise kommt das Kreuz in IKor 2,8 als Ende des alten Äons zur Sprache. Paulus zeichnet in diesem Vers die άρχοντες τοϋ αιώνος τούτου für die Kreuzigung des Herrn der Herrlichkeit verantwortlich. Wer auch immer damit gemeint sein mag, ob irdische Machthaber 105 , übernatürliche dämonische Wesen 106 oder - was am wahrscheinlichsten ist - transzendente Mächte, die sich menschlicher Herrscher als Werkzeuge bedienen 107 , klar ist: Das fatale Verhalten der Archonten beruht auf ihrer Ignoranz gegenüber der Weisheit Gottes. Als Vertreter des alten Äons handeln sie weltlich-menschlicher Weisheit gemäß; diese aber hat Gott am Kreuz zuschanden werden lassen (vgl. 1,18-25). Von daher 103 Zur Gleichsetzung des Kosmos mit dem gegenwärtigen bösen Äon vgl. DUNN, Gal, 340; DERS., Theology, 49; MATERA, Gal, 226; MARTYN, Antinomies, passim; TANNEHILL, Dying, 64f. 104 DUNN, Gal, 341. 105 Vgl. nur CARR, Rulers, 20ff.; FEE, ICor, 103f.; SANDNES, Paul, 81; STROBEL, IKor, 65f.; WLLCKENS, Zu IKor 2, 508f.; weitere Vertreter dieser Position nennt THEIS, Weisheitslehrer, 226 A30. 106 Vgl. nur R. BAUMANN, Mitte, 211-214; COSGROVE, Cross, 26; GEORGI, Kopf, 179; KOVACS, Archons, 223; WEISS, IKor, 53f.; WlLCKENS, Weisheit, 61-64; weitere Vertreter nennt THEIS, Weisheitslehrer, 225 A22. 107 Vgl. BEKER, Apostle, 262; A.R. BROWN, Cross, 115f.; SCHRÄGE, IKor I, 254; THEIS, Weisheitslehrer, 228-230; THEISSEN, Aspekte, 370.373f. Die unübersehbar apokalyptische Färbung der Sprache und des Inhalts von 2Kor 2,6-12 (vgl. A.R. BROWN, Cross, 107f.; KOVACS, Archons, 218ff.; SCHRÄGE, IKor I, 243-245) legt es nahe, an transzendente apokalyptische Mächte zu denken, die sich in irdischen Machtverhältnissen manifestieren. D.B. MARTIN, Body, 6 2 bemerkt dazu treffend: „For Paul, as for any self-respecting apocalypticist, the government officials who crucified Jesus were not acting on their own; rather, human agents are mere shadows of cosmic agents who engineer the events of this world like toys in a sandbox. Forcing a division between the natural and the supernatural realms is a modern conceit, one that takes too little account of the importance of apocalypticism for Paul's worldview. For Paul, what we would call the supernatural is inextricably mingled with the natural, and the natural is driven by supernatural forces."

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Das Symbol des Kreuzes

sind auch sie nun ihrer Macht beraubt und dem Untergang geweiht (vgl. V.6: κατσργέί-ν)108. Das aber bedeutet, daß am Kreuz die Machtstrukturen dieser Welt und mit ihnen das entsprechende Werte- und Statussystem depotenziert wurden. - Der Bruch mit der sozialen und kulturellen Welt: Der Apostel kann den Gedanken der im Kreuz verankerten sozialen und kulturellen Separation von seiner Umwelt freilich auch ohne ausdrücklichen Rekurs auf die Äonenwende formulieren. Der im engeren Sinn soziale Bruch qua Kreuz kommt in Gal 5,11 und 6,12 zum Vorschein. Beide Verse stellen einen engen Zusammenhang zwischen Kreuz und Verfolgung her, wobei es der Logos vom Kreuz ist, der unweigerlich zur Konfrontation mit der Umwelt führt. Auch wenn die genauen Hintergründe der Verfolgung nicht mehr mit Sicherheit rekonstruiert werden können,109 so dokumentieren die Verse doch unverkennbar den sozialen Sprengstoff der Botschaft vom Kreuz. Dem mit der Kreuzespredigt verbundenen sozialen Bruch korrespondiert weiterhin ein kultureller, was schon in der voranstehenden Besprechung von Gal 6,14f. und IKor 2,8 anklang. Dieser manifestiert sich darin, daß Pauli soteriologisches Verständnis des σταυρός das antik-mediterrane Wertesystem von Ehre und Schande auf den Kopf stellt. Dies geht zumal aus IKor 1,18-2,16 hervor. Das Törichte, ja das Skandalon des Kreuzes verkörpert hier die Weisheit und Dynamis Gottes. Solcherweise werden die mit dem σταυρός verbundenen Emotionen und Wertungen des Schreckens, der Schande und der Unreinheit positiv invertiert. Da der genannte Passus und die darin enthaltene Inversion der antik-mediterranen kulturellen Matrix in Abs. 3 ausführlicher diskutiert wird, sollen diese rudimentären Bemerkungen an dieser Stelle genügen. - Das Ende des alten Ego: Den kreuzestheologischen Ausführungen zum Ende des alten Äons entsprechen schließlich Aussagen, die eine analoge individuelle Abtötung des „seif, that belongs to the old aeon"110 formulieren. So wird die im Kreuz begründete Äonenwende in Gal 6,14 durch den Dativ έμ,ο'ι individuell zugespitzt. Das heißt: Durch die Einbeziehung in das Christusgeschehen111 erfährt das Ich eine Loslösung („Kreuzigung") von seinen Verstrickungen in den Kosmos, den alten Äon. Genauer noch kann man in Anbetracht von V.12f. und in Übereinstimmung mit den bereits angestell108 Vgl. dazu KOVACS, Archons, 224f.; SCHRÄGE, IKor I, 250 sowie DELLING, καταργέω, 453. 109 v g l . dazu die Literaturangaben oben in Anm. 62 und 66. 110

111

FITZMYER, R o m , 4 3 6 (zu R o m 6,6).

Daß Paulus hier neben der Taufe auch an seine eigene Lebenswende vor Damaskus denkt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Dafür votieren z.B. KIM, Origin, 16; DlETZFELBINGER, Berufung, 98-100; zur Relation von Taufe und Damaskusgeschehen vgl. oben § 6, speziell die Zusammenfassung der Ergebnisse auf S. 157.

Eine Symbolanalyse des Kreuzes

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ten Überlegungen folgern, daß das Ich gekreuzigt ist, „sofern es sich durch das Treiben nach Geltung konstituiert, angewiesen auf ein Forum, das den eigenen Leistungen Tribut zollt"112. Auch in Gal 2,19f. zeitigt die Hineinnahme des Individuums in die Kreuzigung Christi (συνεσταύρωμαι) die Konsequenz einer Vernichtung des alten Ego: ζώ δέ οΰκέτι εγώ. An seine Stelle tritt kein neues, autonomes Ich, sondern die vertikale Christuscommunitas, die enge Verflechtung zwischen Christus und Ego im Christusgläubigen: ζη δέ έν έμοι Χριστός (vgl. dazu § 7.3).113 Nicht explizit von der Kreuzigung des „Ich", aber von der Kreuzigung des „Fleisches" bzw. des „alten Menschen" spricht Paulus in Gal 5,24 und Rom 6,6. Grundsätzlich dürfte dabei der gleiche Wandel des Individuums im Blick sein, der auch in Gal 2,19f. und 6,14 angeschnitten ist, auch wenn die beiden Verse aufgrund der besonderen Wortwahl darüber hinaus noch eigene Konnotationen tragen mögen. So beschreibt Paulus die Kreuzigung der σάρξ in Gal 5,24 als Kreuzigung der „Leidenschaften" (παθήματα) und „Lüste" (έπιϋυμίαι) seitens derjenigen, die Christus angehören (οί δέ τοΰ Χρίστου). Wie Daniel Boyarin jüngst herausstreicht, spielt Paulus damit möglicherweise auf die sexuelle Natur des Menschen an.114 Boyarin reklamiert dies auch für Rom 6,6, wo die Kreuzigung des „alten Menschen" mit dem Ziel gekoppelt ist, das σώμα της αμαρτίας zu vernichten.115 Es ist nicht gänzlich auszuschließen, daß dieser Aspekt zumindest mitschwingt, verficht der Apostel doch in der Tat das Ideal der Asexualität, wie in den Darlegungen zur „geschlechtlichen Communitas" in § 10 noch deutlich werden wird. Unter dieser Voraussetzung schließt dann das paulinische Motiv vom Ende des Ego am Kreuz insbesondere auch das Ende menschlicher Sexualität ein. Generell ist freilich auch in diesen Versen die Loslösung aus dem alten Äon, der adamitischen Welt, im Blick. Inklusivität

Aber nicht nur Separation, sondern auch Inklusivität ist mit dem σταυρός verbunden: Die paulinische Gemeinde unter dem Kreuz vereint Menschen unterschiedlicher sozialer, ethnischer und geschlechtlicher Identitäten in sich. Diesem Aspekt korreliert auf dem sensorischen Pol der Zerfall des Körpers und die Auflösung somatischer Kontrolle am Kreuz (s. oben). Zieht man nämlich Mary Douglas' These der zwei Körper heran, wonach der physische Körper symbolhaft den gesellschaftlichen Körper abbildet, wobei speziell der hohe 112 113

HARNISCH, Einübung, 283. Das έγώ in Gal 2,19f. ist als paradigmatisches Ich zu nehmen; ebenso H.D. BETZ,

Gal, 2 2 8 ; COSGROVE, Cross, 141; FUNG; Gal, 122; LONGENECKER, Gal, 9 1 ; MUSSNER, Gal, 179; OEPKE, Gal, 9 4 ; TANNEHILL, D y i n g , 57; WEDER, Kreuz, 176. 114 115

Vgl. dazu die bedenkenswerten Erwägungen bei BOYARIN, Jew, 172-176. Vgl. ebd., 79.167-169.

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Das Symbol des Kreuzes

oder niedrige Grad der körperlichen Grenzkontrolle den hohen oder niedrigen Grad sozialer Grenzziehungen anzeigt,116 so läßt sich deduzieren, daß der am Kreuz dahinsiechende, der somatischen Eigenkontrolle gänzlich enthobene Körper als Symbol für die Auflösung gesellschaftlich determinierter Grenzsetzungen verstanden werden kann. Die Etablierung eines sterbenden bzw. toten Körpers zum Heilsmedium signalisiert dann die Destruktion sozialer, ethnischer und anderer Barrieren.117 Und tatsächlich bringt Paulus das Kreuz in einen engen Zusammenhang zumal mit sozialer und ethnischer Inklusivität: - Ethnische Inklusivität: In der bereits mehrfach diskutierten Stelle Gal 6,14f. beschreibt der Apostel die Kreuzigung des Kosmos als Annullierung der zentralen ethnisch-heilsgeschichtlichen Differenz zwischen Juden und Heiden und der damit verbundenen Statusansprüche. Wolfgang Harnisch kommentiert: .„Gekreuzigt* ist die Welt, sofern sie durch die Signatur der Polarisierung, nämlich durch die Spannung zwischen Beschneidung und Unbeschnittensein definiert wird. Es handelt sich um ein negativ qualifiziertes Phänomen: die Welt als Domäne von Privilegien, die sich kraft der Abgrenzung von Juden und Heiden aufbaut und auf diese Weise das Material des Selbstruhms abgibt."118 Das Kreuz, das solche Differenzen und Statusunterschiede destruiert, ermöglicht auf diese Weise eine neue Schöpfung und „universal salvation"119. Der gleiche Grundgedanke der ethnischen Inklusivität klingt in IKor l,23f. an. Dort schließt die Botschaft vom Gekreuzigten ebenfalls Juden und Heiden als Berufene (κλητοί) zusammen.120 - Soziale Inklusivität: Das Symbol des Kreuzes trägt des weiteren sozial-integrative Konnotationen. So handelt IKor l,26ff. von der Erwählung der sozial Deklassierten durch Gott, wobei die kreuzestheologische Argumentation im Kontext unmißverständlich anzeigt, daß diese κλησις als „Reflex des Kreuzes Christi"121 zu nehmen ist. Folglich markiert das Kreuz nicht nur die Integration von Juden und Heiden, sondern auch die der sozial Deklassierten.122 116 Vgl. DOUGLAS, Reinheit, 15.151ff. u.ö.; DIES., Ritual, 99ff.; s. dazu ferner die Ausführungen unten auf S. 314f. (§ 10.3). 117 ElLBERG-SCHWARTZ, Savage, 204ff. stellt für das frühe Christentum im allgemeinen und für Paulus im speziellen fest, daß hier unkontrollierbare Körperprozesse (Krankheiten, Menstruation etc.) nicht mehr von vornherein als unrein gelten und erklärt dies mit der parallelen Außerkraftsetzung ethnischer oder verwandtschaftlicher Abstammung als primäres Kriterium für die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Die positive Wertung des Todes am Kreuz fügt sich dem durchaus ein. 118 HARNISCH, Einübung, 283; vgl. auch MARTYN, Events, 177; DERS, Antinomies, passim; DUNN, Gal, 281f.; SÖDING, Geheimnis, 186; WATSON, Christ, 148f. 119 CHRISTIANSEN, Covenant, 284 A45; s. auch BOYARIN, Jew, 76. 120 Der Akkusativ Χριστόν in V.24b ist in Analogie zu V.23a sinngemäß durch das Partizip έσταυρωμέ-νον zu ergänzen. Zur Überwindung der „ethnischen Diversität" im ersten Korintherbrief vgl. bes. M.M. MITCHELL, Rhetoric, 88ff.; s. auch KRAUS, Volk, 165f. 121 SCHRÄGE, IKor 1,217. 122 Zu den sozialen Spannungen in Korinth vgl. auch die Abhandlungen zum Herrenmahl in § 10.2.3.

Eine Symbolanalyse des Kreuzes

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Das inklusive Moment des Kreuzessymbols wird bereits zuvor in IKor 1,13 greifbar, verweisen hier doch die ersten beiden rhetorischen Fragen („Ist Christus gespalten? Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt?") „ausdrücklich auf den Gekreuzigten als das einheitsstiftende Prinzip der Gemeinde"123. Die in V.12 thematisierten Spaltungen bzw. Parteiungen in der Gemeinde 124 sind demnach für den Apostel offenbar im Kreuz Christi negiert. - Geschlechtliche Inklusivität?: Implizit mag das Symbol des Kreuzes auch den Gedanken geschlechtlicher Inklusivität transportieren. Auch wenn Paulus dieses Moment nirgends ausdrücklich formuliert, steht doch fest, daß der σταυρός Männern und Frauen in gleichem Maß die Möglichkeit der Identifikation bot. So schließt ja das Bild von der Kreuzigung des Ego christusgläubige Frauen in keiner Weise aus. Die Taufe als symbolische Kreuzigung ist ohnehin geschlechtsunspezifisch, und zwar im Unterschied zu der explizit als Gegenpol des Kreuzes bewerteten περιτομή, die die geschlechtliche Differenz betont. Pierre Bourdieu etwa schreibt über das Beschneidungsritual: „By treating men and women differently the rite consecrates the difference, it institutes it - and at the same time it institutes man qua man, that is to say, circumcised, and woman qua woman, that is to say incapable of undergoing this ritual operation."125 Demgegenüber mag das Kreuz Christi als Symbol der Schwachheit, in dem gleichwohl Gottes Dynamis zur Entfaltung kommt, speziell für Frauen in patriarchalen Gesellschaften der griechisch-römischen Antike bedeutungsvoll gewesen sein. Stephen C. Barton jedenfalls betrachtet den paulinischen Logos vom Kreuz gerade auch als „symbol of reversal which ... offered the possibility of sexual reversal, the prominence of women rather than their subordination, or, at the very last, the possibility of new roles irrespective of sexual identity"126.

123

ECKERT, Lebensmacht, 209; vgl. SCHRÄGE, IKor 1,153 samt A319. Zur Rekonstruktion der Herkunft und des Profils der korinthischen „Parteien" vgl. nur SCHRÄGE, l K o r l , 142-152; MERKLEIN, IKor, 134-152; SCHWEIBER, Hierarchie, 62ff.; s. auch FEE, lCor, 55ff. 125 BOURDIEU, Rites, 81; BOURDIEU veranschaulicht das Gesagte an der Beschneidungspraxis der Kabylen. In seiner grundsätzlichen Diktion trifft der Satz zweifelsohne auch auf die jüdische Zirkumzision zu; s. zum Thema auch BOYARIN, Jew, 37. Der die geschlechtliche Differenz betonende Charakter der περιτομή tritt überdies darin hervor, daß der Begriff selbst nicht allein die Beschneidung bezeichnet, sondern konkret den „beschnittenen Penis"; entsprechend steht der von Paulus mehrfach gebrauchte Gegenbegriff άκροβυστία für -die männliche Vorhaut (vgl. dazu die Ausführungen bei MARCUS, Circumcision, 74ff.). Die geschlechtliche Exklusivität könnte deutlicher kaum zum Ausdruck kommen. 126 BARTON, Cross, 15. 124

274

Das Symbol des Kreuzes

Zwischenfazit

Die bisherige Analyse hat gezeigt, daß das Kreuz ein Symbol von hoher Bedeutungskomplexität ist. Auf dem ideologischen Pol verdichten sich darin augenfällig tragende Grundelemente der Theologie des Apostels. So spiegeln die unter dem Leitwort „Separation" vereinigten Bedeutungskomponenten „Ende des alten Äons", „Bruch mit der sozialen und kulturellen Welt" und „Ende des alten Ego" die für die paulinische Theologie zentralen und in den umliegenden Paragraphen dieser Studie eingehender beschriebenen elementaren Transformationsprozesse wider, nämlich die kosmische Transformation der Äonen (s. § 8), den soziokulturellen Umbruch in den paulinischen Gemeinden (s. § 10) und die individuelle Transformation der Christusgläubigen (s. §§ 6, 7.2, 7.3). Im Symbol des Kreuzes werden folglich die Konturen des Kosmos, der soziokulturellen Ordnung und des persönlichen Lebens neu bestimmt. Die drei genannten Separationsmomente schaffen mit anderen Worten die Grandlage für eine neue Schöpfung, eine neue Gemeinschaftlichkeit und ein neues Ich. Daß der Kosmos, die Gemeinschaft und das Ich bereits - zumindest im Anbrach - erneuert sind, darauf verweisen die mit dem Symbol vernetzten Aspekte der ethnischen, sozialen und geschlechtlichen Inklusivität, deren praktische Relevanz in §§ 10.4 und 10.5 mit Hilfe des Communitasmodells näher auszuleuchten sein wird. Dreh- und Angelpunkt ist in alledem freilich die Transformation Christi am Kreuz, die das Urbild der Wandlungsprozesse darstellt, was nicht zuletzt die auffällige Koppelung des Verbs σταυροΰν mit συν in Rom 6,6 und Gal 2,19 unübersehbar signalisiert. Es zeigt sich somit: Das Kreuz Christi stellt ein Herzstück paulinischer Theologie dar. Die im Symbol konzentrierten Signifikate bestimmen das theologische Denken des Apostels von Grund auf. Es handelt sich deshalb um ein dominantes Symbol. Paulus deutet dies selbst an, wenn er den σταυρός Christi zur Essenz seiner Verkündigung erklärt (IKor 1,18; 2,2; Gal 3,1) und die Kritiker seiner Theologie als „Feinde des Kreuzes" (Phil 3,18) bezeichnet. Endlich darf folgender Gesichtspunkt nicht unerwähnt bleiben: Dem auf der sensorischen Ebene explizierten Aspekt des langsamen Sterbens entsprechend, verwendet Paulus das Verb σταυροΰν bezeichnenderweise meist im Perfekt (Gal 2,19; 3,1; 6,14; IKor 1,23; 2,2), das für gewöhnlich auf die dauerhafte Wirkung eines vergangenen Geschehens oder einen dauerhaften Zustand weist.127 Daraus ergibt sich zweierlei. Erstens: Der Ausdruck Χριστός έσταυρωμένος (IKor 1,23; 2,2; Gal 3,1) macht das Gekreuzigt-Sein zu einem regelrechten Attribut Christi. Christus erscheint in jener Wendung als Person, die im Sterben begriffen ist, separiert vom Leben und doch noch nicht auferstanden, Christus im Transformationsprozeß, eine liminale Figur. Gleiches gilt 127

Vgl.

BENTHAL,

BLASS/DEBRUNNER/REHKOPF,

Grammatik § 194k-l.

Grammatik §§ 318(4).340ff.;

HOFFMANN/SLE-

Die Effektivität des Symbols

275

zweitens für das christusgläubige Ich und den Kosmos. Der Perfektgebrauch in Gal 2,19 und 6,14 lokalisiert auch das Individuum und die Welt dauerhaft am Kreuz Christi. James D.G. Dunn legt die erstgenannte Stelle passend mit den Worten aus: „I have been nailed to the cross with Christ, and am still hanging there with him."128 Die christusgläubige Existenz erscheint so als eine grundlegend vom Kreuzestod gezeichnete. Der σταυρός wird mithin zum Symbol einer längeren, gegenwärtig noch fortwährenden Phase zwischen der Initiationseröffnung in Verkündigung und Taufe und der Initiationsvollendung in der kommenden Auferstehung.129 So gesehen kommt in der grammatischen Form abermals das Moment der permanenten Liminalität zum Vorschein.

3. Die Effektivität des Symbols Symbole dürfen nicht mit arbiträren Zeichen in eins gesetzt werden. Anders als Zeichen weisen sie nicht nur auf etwas hin, ihnen wohnt vielmehr ein erhebliches psycho- und sozialdynamisches Potential inne; besonders in Umbruchsituationen wirken Symbole als positive Kräfte, die „den psychischen Zustand und das Verhalten derer, die ihrer Wirkung ausgesetzt sind, oder derer, die sie im Kommunikationsprozeß mit anderen verwenden, zu beeinflussen trachten"130. Dem entspricht, wie eben anklang, daß Paulus dem Kreuz offenkundig die Fähigkeit zuschreibt, die Existenz der Menschen grundlegend zu prägen und den Menschen, wie es in der Paulusexegese immer wieder heißt, „kreuzförmig" werden bzw. sein zu lassen,131 was beispielsweise IKor 2,1-5 im Hinblick auf die Existenz des Apostels eindrücklich belegt.132 Das heißt: In der Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Symbol des σταυρός vermag dieses die ihm eigenen impliziten Signifikate in die Existenz der Menschen einzuspeisen, diese gänzlich in ihr Bedeutungsfeld zu integrieren.133 Wie aber ist dies möglich? In § 3.2 wurde dargelegt, daß Symbole solche Kraft im besonderen aus der Verschmelzung ihres sensorischen und ideologischen Pols beziehen. Die aus dem sensorischen Pol heraus generierten Gefühle und Antriebe werden dabei in den Dienst der Sinngebung der Wirklichkeit und der soziomoralischen Ordnung gestellt; das heißt, die ideologische Komponente des Symbols wird durch die Emotionen des sensorischen Pols mit Vitalität und Energie aufgeladen und der Mensch auf diese Weise ganzheitlich auf sie ausgerichtet. 128 DUNN, Gal, 144; vgl. ebd., 341f. sowie DERS., Rom I, 332; s. auch THÜSING, Per Christum, 110f.l38. 129 In Rom 6,3f. zeigt sich dieser Gedanke im prozeßhaften Todesverständnis und der Grabessymbolik; vgl. dazu § 7.2. 130 TURNER, Theater, 31. 131 Vgl. LUZ, Mitte, 122f.; s. dazu ferner oben Anm. 58. 132 Näheres zur Stelle im nächsten Abs. 133 Vgl. dazu FRIEDRICH, Verkündigung, 140f.

276

Das Symbol des Kreuzes

Was das Kreuz angeht, wurden die Korrespondenzen der beiden Pole, die eine Verschmelzung anzeigen, bereits namhaft gemacht. Der Deutlichkeit halber seien sie nochmals genannt: Die sensorischen Aspekte des langsamen und leidvollen Sterbens, aber auch der sichtbaren Vernichtung des Körpers werden von Paulus ideologisch im Sinne einer Separation in kosmisch-weltanschaulicher (Ende des alten Äons), persönlicher (Ende des alten Ego) sowie soziokultureller Hinsicht (Bruch mit der sozialen [qua Verfolgung] und kulturellen Welt [qua Inversion der Werte]) ausgewertet. Ferner spiegelt sich im Zerfall des Körpers und dessen Kontrollverlust auf der ideologischen Ebene Inklusivität, nämlich das Ende von ethnischen, sozialen und möglicherweise auch geschlechtüchen Barrieren. Entscheidend ist auch hier die Energie, mit der der sensorische den ideologischen Pol versorgt. Dies geschieht im vorliegenden Fall durch die mit dem Kreuzestod verbundenen Emotionen und Affekte des Schreckens, der Scham und der Unreinheit (s. oben). Der mit dem Kreuzeslogos konfrontierte Menschen wird von diesen Gefühlen unmittelbar getroffen, sie öffnen ihn, schaffen Ergriffenheit und laden so die ideologische Ebene des Symbols mit Energie auf. Eigentümlich ist allerdings der extrem negative Charakter der Affekte. Dieser wirft Fragen auf. Wie ist es zu erklären, daß Paulus nicht nur den Tod Jesu als solchen theologisch interpretiert, sondern emphatisch, ja in durchaus aggressiv zu nennenden Manier den Ton auf die grausame und schmachvolle Art seines Todes, die Kreuzigung, legt?134 Wie kommt er dazu, ausgerechnet derart negative Gefühle zu aktivieren und wie kann er diese seiner Theologie positiv dienstbar machen? Anders gesagt: Wie kann das Greuel, die Schmach, ja das Unreine des Kreuzestodes mit dem Heiligen, mit dem Χριστός sinnvoll zusammengebracht und vernetzt werden? Als Antwort auf diese Fragen wird häufig geltend gemacht, Paulus habe mit der Botschaft vom Χριστός εσταυρωμένος bewußt ein Paradox formuliert; plausible Erklärungen seien deshalb fehl am Platz, ja das Proprium des Logos vom Kreuz liege gerade darin, alle Weisheit, alle Reflexionsversuche und -systeme, alles Sicherungsstreben des Menschen zu destruieren; das Wort vom Kreuz sei nachgerade „die permanente Krisis aller eigenen theologischen Versuche"135. Daß Paulus hier in der Tat alle gängigen Kategorien, Schemata und Traditionen in Frage stellt,136 läßt sich kaum bestreiten. Gleichwohl ist es möglich und m.E. auch sinnvoll, aus symbolanthropologischer Perspektive ein wenig Licht auf die innere Dynamik der paradoxen paulinischen Kreuzespredigt zu werfen. Auf dieser Grundlage läßt sich dann die Effektivität des Kreuzessym-

134 Ähnlich fragen z.B. BARTON, Cross, 14; SÖDING, Kreuzestheologie, 41. Zur „Aggressivität" der paulinischen Kreuzestheologie vgl. KÄSEMANN, Perspektiven, 69; SCHRÄGE, Skandalon, 59; DERS., Herr, 31. 135 L u z , Mitte, 130; s. auch ebd., 123f.l27f. sowie SCHRÄGE, Skandalon, 68-73; DERS., Leid, 164f.; SÖDING, Geheimnis, 184ff. 136 Vgl. SCHRÄGE, Skandalon, 73.

Die Effektivität des Symbols

277

bols erst in ihrer ganzen Tiefe ausloten. Die begonnene Symbolanalyse weiterführend, soll dies im folgenden vorgeführt werden.

Das Kraftpotential

der Unreinheit

Der Einsatz und die Verwertung von Abnormalem oder Abstoßendem in heiligen Kontexten ist ein in der anthropologischen Literatur wiederholt erörtertes Phänomen. Vor allem Mary Douglas hat sich ihm eingehend gewidmet. Sie stellt fest, es sei „oft so, daß Religionen gerade jene Dinge, die unrein und mit Abscheu zurückgewiesen worden sind, sakralisieren"137. Schmutz, der normalerweise destruktiv ist, würde dabei zu etwas Kreativem umgewandelt.138 Dieses auf den ersten Blick kuriose Phänomen erkläre sich daraus, daß just dem Unreinen, Ausgestoßenen ein besonders hohes Kraftpotential zu eigen sei. Auch bei Edmund Leach heißt es in diesem Sinn: „power is located in dirt."139 Schließlich bezeugen ja die Meidungsvorschriften, mittels derer das Unreine ausgegrenzt wird, dessen Energie. Douglas erklärt: „Die Gefahr, die bei einer Grenzüberschreitung droht, ist eine Entfesselung von Kräften. Die verletzlichen Randbereiche und aggressiven Kräfte, die die anerkannte Ordnung zu zerstören drohen, sind Ausdruck der Kräfte, die dem Kosmos innewohnen. Ein Ritual, das sie zum Guten einsetzen kann, ist im wahrsten Sinne kraftvoll."140 Die Verletzung von Tabus setzt demnach Energien frei, die die Ordnung destruieren, dadurch aber zugleich Raum für Kreativität schaffen. Dem Unreinen inhäriert insofern ein erneuerndes und transformatives Potential. Transformationsrituale bedienen sich dieser Kraft. Speziell während der rituellen Liminalität, in der sich die eigentliche Wandlung der rituellen Subjekte vollzieht, spielt daher das sonst Gemiedene, das Unreine, Grausame und Monströse eine wichtige Rolle, worauf bereits in § 3.1 bei der Besprechung der Thesen Turners zu den sacra hingewiesen wurde. Mary Douglas führt dazu weiter aus: „Es gibt ganz verschiedene Arten von unmöglichen Erscheinungen, Anomalien, unguten Mischungen und Greueln. Die meisten werden in unterschiedlichem Maße verurteilt und gemieden. Dann stellen wir plötzlich fest, daß eines der greulichsten oder unmöglichsten Phänomene ausgesondert wird und in einen ganz besonderen rituellen Rahmen eingefügt wird, der es von den übrigen Erfahrungen abhebt. Dieser Rahmen stellt sicher, daß die Kategorien, die im normalen Zusammenhang die Mei137 138 139 140

DOUGLAS, Reinheit, 207. DOUGLAS bespricht auf den folgenden Seiten Beispiele. Vgl. ebd. LEACH, Culture, 62; vgl. dazu auch BARTON, Place, 227. DOUGLAS, Reinheit, 210.

278

Das Symbol des Kreuzes

dung vorschreiben, in keiner Weise bedroht oder beeinträchtigt werden. Innerhalb des rituellen Rahmens wird das Greuliche dann als eine Quelle ungeheurer Kraft behandelt."141 Dieser anthropologische Deutungsansatz vermag m.E. die Dynamik der paulinischen Kreuzespredigt in mancherlei Hinsicht zu erhellen, denn auch der Apostel bedient sich hier ja der „ungeheuren Kraft" des Greulichen in einer positiven Weise. Innerhalb des rituellen Rahmens der Verkündigung und bezogen auf die Taufe nutzt er gewissermaßen das hohe affektive Energiepotential, das durch die Thematisierung des Kreuzes freigesetzt wird, steigert es durch die Vermischung von Heiligem und Unreinem in der Rede vom Χριστός έσταυρωμένος und stellt es sodann in den Dienst des Heils, indem er das durch den Logos vom Kreuz generierte Kraftpotential als Erfahrung der δύναμις ϋεοΰ auslegt (IKor 1,18.24), als heilbringende Kraft, die den Menschen ε'ις σωτηρίαν transformiert (vgl. Rom 1,16). Vergleichbar den sacra während der rituellen Liminalität bewirkt so das Kreuz eine heilvolle Transformation der mit ihm konfrontierten Menschen. Die Zusammenhänge lassen sich noch etwas genauer auf den Punkt bringen: Der Mensch, der sich den negativen Energien des Kreuzessymbols aussetzt, diese aber mit Paulus als Heilsbotschaft aufzunehmen weiß, ja im rituellen Kontext als δύναμις θεοί), als Heilsenergie erfährt, erlebt darin eine umfassende Transformation, insofern ihm hierdurch eine neue Sicht der Welt eröffnet wird, eine neue Identität erwächst und sich ihm ein neues soziales Netz auftut, nämlich die Gemeinschaft derer, die jene Weltsicht und Identität teilen. Demi es gilt: Wer den Greuel, die Scham und die Unreinheit des Kreuzestodes Christi als positive Heilsdynamis erfaßt und im Ritual gleichsam physisch erlebt, der separiert sich dadurch de facto vom hergebrachten symboüschen Universum mit seinen Reinheitskriterien, dem entsteht daraus zwangsläufig eine neue Identität und mit ihr neue soziale Beziehungen. Daraus ergibt sich, daß das Symbol des Kreuzes die oben beschriebenen ideologischen Bedeutungskomponenten der Separation und der Inklusivität nicht etwa nur darstellt oder im herkömmlichen, falschen Sinne des Wortes „lediglich symbolisiert", sondern sie vielmehr effektiv bewerkstelligt. Kraft der positiven Verwertung der negativen emotionalen Energien des sensorischen Pols wird der dem Kreuzessymbol ausgesetzte Mensch in die ideologischen Signifikate der Separation und Inklusivität hineingezogen: Die erläuterte Separation vom alten Äon, der soziokulturellen Welt und dem alten Ego vollzieht sich tatsächlich durch die Grenzüberschreitung in der Rede vom Χριστός εσταυρωμένος. Die Mischung von Heiligkeit und Unreinheit am Kreuz Christi dekonstruiert überdies die Einteilung des Kosmos in reine und unreine, in ehrenhafte und schändliche Bereiche, d.h. die Einteilung in Juden und Heiden, in sozial Arrivierte und 141

Ebd., 214 (Hervorhebung nicht im Original).

Exkurs: Ehre und Schande in der antiken mediterranen Kultur

279

Deklassierte, in männlich und weiblich, und ermöglicht so eine neue ethnische, soziale und geschlechtliche Inklusivität. Den sacra gleich Rekonstruiert das Symbol des Kreuzes bei Paulus also die kulturelle Matrix, um eine neue, durch Inklusivität und Universalität gekennzeichnete Matrix zu rekonstruieren. Freilich sei an dieser Stelle nochmals betont: Das Kreuz Christi stellt in alledem, anders als die sacra, kein kulturelles Artefakt, auch keinen Mythos dar, sondern Historie. Hier gilt: „fact and symbol are one." 142

Das Kreuz und die

Inversion

Die Effektivität des Kreuzes bekundet sich, die Vermischung von Unreinem und Heiligem gewissermaßen flankierend, zumal auch in der Inversion der zentralen antik-mediterranen Kategorien „Ehre und Schande". Das Symbol des Kreuzes dekonstruiert und rekonstruiert die kulturellen Matrix vor allem an diesem Kernpunkt des antiken symbolischen Universums. Unter „Inversion" verstehe ich dabei der Anthropologin Barbara Babcock folgend „... any act of expressive behavior which inverts, contradicts, abrogates, or in some fashion presents an alternative to commonly held cultural codes, values, and norms be they linguistic, literary or artistic, religious, or social and political."143 Inversionsphänomene beschränken sich demnach nicht allein auf die symmetrische Umkehrung geläufiger Werte und Normen, sie umfassen auch deren Abschaffung oder den Angriff auf gebräuchliche kulturelle Codes. Im Rahmen der mediterranen Ehrkultur des Altertums sticht die paulinische Kreuzestheologie als ein solches Inversionsphänomen heraus. Um deren Inversionspotential angemessen nachvollziehen zu können, ist es vorab nötig, etwas genauer auf das mediterrane Konzept von Ehre und Schande einzugehen. Da ich in § 10 mehrmalig auf die Bedeutung der antiken Vorstellungen von Ehre und Schande zurückgreifen werde, soll hier ein Exkurs eingeschaltet werden, der das Kulturmuster grundlegend vorstellt und über die zum Verständnis des Kreuzeslogos unmittelbar nötigen Belange hinausgeht.

Exkurs: Ehre und Schande in der antiken mediterranen Kultur Prestige und Geltungsbedürfnis spielen in der sozialen Dynamik der meisten Gesellschaften eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Sozialhistorische und kulturanthropologische Studien haben jedoch gezeigt, daß der Zuteilung von Ehre und Schande in der Kultur des Mittelmeerraums in Gegenwart und Vergangenheit eine Schlüssel142

TURNER, Revelation, 197; s. dazu oben Anm. 72.

143

BABCOCK, Introduction, 14.

280

Das Symbol des Kreuzes

rolle zukommt. 144 Ehre und Schande bilden hier gleichsam den primären Referenzrahmen, innerhalb dessen Personen, Handlungen und Situationen beurteilt werden. Dabei verweisen die beiden Begriffe auf ein Doppeltes: Sie umschreiben sowohl moralische, mit bestimmten Emotionen verknüpfte Werte und Tugenden als auch den sozialen Status bzw. die Vorrechte einer Person.145 Als maßgebliche Wegmarken in der Geschichte der anthropologischen Erforschung des mediterranen „Ehre/Schande"-Codes ragen drei Aufsatzsammlungen heraus, nämlich der 1966 von J.G. Peristiany herausgegebene Sammelband „Honor and Shame: The Values of Mediterranean Society", 146 das dazu 1992 erschienene Fortsetzungswerk „Honor and Grace in Anthropology" sowie der bereits 1987 von D.D. Gilmore publizierte Aufsatzband „Honor and Shame and the Unity of the Mediterranean". Die Arbeiten dokumentieren eine zunehmend differenziertere Bewertung der Kulturen des Mittelmeerraums als Schamkulturen, wobei in den beiden jüngeren Veröffentlichungen auch kritische Stimmen zu hören sind, die vor einer allzu pauschalen Anwendung des Konzepts warnen und die bisweilen vorschnelle Beurteilung des mediterranen Raums als einer kulturellen Einheit hinterfragen.147 Gleichwohl rechtfertigt insbesondere die spezifische und dabei relativ einheitliche Art, in der die Mittelmeergesellschaften Ehre und Schande mit Männlichkeit, Sexualität und überhaupt mit dem Verhältnis der Geschlechter verknüpfen, die Theorie von dem einen mediterranen Kulturraum.148 Halvor Moxnes gelangt von daher mit

144 Zur Bedeutung von „Ehre/Schande" im mediterranen Raum vgl. ADKINS, Merit, passim; BOURDIEU, Entwurf, 1 Iff.; DREXLER, Honos, 446-467; MCDONALD, Opinion, 27ff.; MALINA, Welt, 40-66; MALINA/NEYREY, Honor, 25ff.; MALINA/ROHRBAUGH, Commentary, 76f.213f.309—311; KNOCHE, Ruhmesgedanke, 420-445; LLOYD-JONES, Ehre, 1-28; PITT-RIVERS, Honor, 503-511; MAYER-SCHÄRTEL, Frauenbild, 322ff.; MOXNES, Honor, 167-176; MÖDRITZER, Stigma, 21f.; VAN STADEN Compassion, 185f.; WIKAN, Shame, 635-652; s. vor allem die von PERISTIANY und GILMORE herausgegebenen Aufsatzsammlungen zum Thema. Speziell mit Blick auf biblische Schriften vgl. nur CORRIGAN, Shame, 23-27; DESILVA, Despising, 439ff.; MCDONALD, Opinion, passim; MALINA/NEYREY, Honor, 46ff.; MALINA/ROHRBAUGH, Commentary, passim; McVANN, Reading, 179ff.; MEEKS, Origins, passim; PLEVNIK, Honor, 95-104 sowie die Aufsätze in dem von MATTHEWS/BENJAMIN/CAMP herausgegebenen Band 68 der Zeitschrift Semeia. 145 Vgl. PERISTIANY/PRRR-RIVERS, Introduction, 5: „The paradox that honor is at the same time a matter of moral conscience and a sentiment on the one hand, and on the other, a fact of repute and precedence ..., implied that honor could not merely be reduced and treated as an epiphenomenon of some other factor, but obeyed a logic of its own ..." 146 Voraus ging 1960 Ρπτ-RlVERs Studie „The People of the Sierra". Sie behandelt den Lebensstil, die sozialen Beziehungen und die vorherrschenden Werte in einem andalusischen Dorf und widmet sich dabei auch der Bedeutung von Ehre. 147 vgl DAZU DIE kurzen und prägnanten Ausführungen bei MOXNES, Honor, 168f.; s. auch SAWICKI, Seeing, 148.150. 148 Vgl. dazu DELANEY, Seeds, passim; MOXNES, Honor, 169. GILMORE, Mythos, 33f. schreibt: „Obwohl die Mittelmeergesellschaften im Sinne kultureller Homogenität keine Einheit bilden ..., haben viele von ihnen .gewisse Einrichtungen' gemeinsam, die zu Vergleichen einladen ... Außer deutlichen Ähnlichkeiten in der Ökologie, in Siedlungs- und Wirtschaftsformen scheint vor allem anderen eine gemeinsame Vorstellung von Männlichkeit zum Vergleich herauszufordern. ... Im Mittelmeerraum sind die meisten Männer einem

Exkurs: Ehre und Schande in der antiken mediterranen Kultur

281

Recht zu dem Schluß: „... it is fair to say that the thesis of a specific Mediterranean honor and shame culture holds ,.." 1 4 9 Dies gilt um so mehr, als zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen verschiedenster Couleur die Zweckdienlichkeit einer Analyse mediterraner Kulturen als Schamkulturen belegt haben. 150 Im allgemeinen anthropologischen Diskurs fungieren die Begriffe Ehre und Schande primär als konzeptionelle Kategorien. „It is therefore an error to regard honor as a single constant concept rather than a conceptual field within which people find the means to express their selfesteem or their esteem for others." 151 Ehre bezeichnet hier zunächst also nur ganz allgemein Wertschätzung. Was dann in einem konkreten Fall als ehrenvoll oder auch umgekehrt als schändlich angesehen und empfunden wird, kann von Gesellschaft zu Gesellschaft, bisweilen auch von Gruppe zu Gruppe variieren und muß daher jeweils eigens untersucht werden. Um die für den mediterranen Raum spezifische Bedeutung von Ehre und Schande adäquat erfassen zu können, bedarf es folglich einer Prüfung der in diesem Kontext gebräuchlichen Füllungen des besagten „conceptual field", wobei insbesondere die jeweiligen Machtverhältnisse und die Art der geschlechtlichen und sozialen Konstruktion der Person bedacht sein wollen. 152 Auf folgende Faktoren und Inhalte ist dabei zu achten: - Ehre und Schande sind in der Mittelmeerkultur relationale Größen, das heißt, sie werden einer Person primär durch andere Menschen, die sog. signifikanten Anderen, vermittelt. Zwar spielt auch der Aspekt der Selbsteinschätzung eine gewisse Rolle, doch ist für den Besitz und Erwerb von Ehre die soziale Anerkennung und Bestätigung durch andere konstitutiv. 153 Ehre und Schande sind mit anderen Worten „doppelseitige Begriffe", insofern sie stets eines Anerkennenden und eines Anerkannten bedürfen. 154 Dies entspricht ganz der dyadischen Personkonzeption des mediterranen Kulturraums des 1. Jh.s. 155 Die Identität eines Menschen bestimmten Männlichkeitsbild tief verpflichtet, denn dieses ist Teil ihrer persönlichen Ehre oder ihres guten Rufes." Vgl. dazu auch Anm. 2 in § 1 (S. 13f.). 149 MOXNES, Honor, 169. 150 YGI Z Β LLOYD-JONES, Ehre, Iff. sowie die vielfältigen Arbeiten zur römischen und hellenistischen Welt, die MOXNES, Honor, passim anführt. Auch COHEN kommt in seiner Analyse der moralischen Normen des klassischen Athen auf das „Ehre/Schande"-Konzept zu sprechen und führt dabei en passant eine Vielzahl von philologischen und anthropologischen Studien zum Thema an (vgl. Law, bes. 54-69). 151 PERISTIANY/PNT-RIVERS, Introduction, 4; vgl. GLLMORE, Introduction, 4f.; MALINA/NEYREY, Honor, 26; PLEVNIK, Honor, 97.

152

Vgl. MAUNA, Welt, 41f.; MALINA/NEYREY, Honor, 26. Vgl. MALINA, Welt, 43 („Ehre ist ... ein Anspruch auf Wertschätzung und deren soziale Anerkennung bzw. Bestätigung") sowie MOXNES, Honor, 168. 154 VGL dazu die philologisch ausgerichteten Untersuchungen von DREXLER, Honos, 446 und v.a. KNOCHE, Ruhmesgedanke, 420f. Das relationale Ehrverständnis bestätigend schreibt KNOCHE mit Blick auf Cicero und das römische Ehrverständnis: „Der Ruhm ist ... in erster Linie abhängig vom Urteil anderer, nicht so sehr von dem eigenen Wert, dem eigenen Gewicht" (ebd., 421). 155 Vgl. MALINA, Welt, 67-87; MALINA/NEYREY, Personality, 67-96; NEYREY, Dyadism, 49-52; DERS., Group, 88-91. Zu den Unterschieden zwischen unserer individualistischen und einer gruppenorientierten Personkonzeption vgl. auch GEERTZ, Beschreibung, 293ff.; PEACOCK, Lens, 11-15.44-^6; MARCUS/FISCHER, Anthropology, 45ff. und MALINA/NEYREY, Portraits, Iff. 153-201.225-231. 153

282

Das Symbol des Kreuzes

ergibt sich danach primär nicht aus seinen charakterlichen Besonderheiten, nicht aus seiner Individualität, sondern in erster Linie aus der Mitgliedschaft in einer Gruppe sowie aus deren Urteil: „Die dyadische Persönlichkeit ist ein Individuum", erläutert Malina, „das sich wahrnimmt und ein Bild von sich macht aufgrund dessen, was andere in ihm sehen und was sie ihm vermitteln. Für seine unmittelbare psychische Existenz benötigt es andere, da das Bild, das es von sich hat, mit dem Bild übereinstimmen muß, das wichtige andere Personen sich von ihm machen und ausdrücken, Mitglieder wichtiger, die Persönlichkeit unterstützender Gruppen wie Familie, Dorfgemeinschaft, selbst Stadt und Nation." 156 Die Person ist hier also keine klar abgrenzbare, autonome Einheit, sondern stets in eine übergeordnete Gruppe eingebettet. Ehre und Schande sind vor diesem Hintergrund zwangsläufig kollektiv verankert. 157 Hierbei gilt, daß nicht nur die Ehre einer Person durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe fixiert ist, sondern daß auch umgekehrt der Ehrgewinn oder -Verlust eines Menschen auf die kollektive Ehre der entsprechenden Gruppe zurückfällt. - Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, Ehre zu erlangen: 158 Sie kann zugeschrieben oder erworben werden. Zugeschriebene Ehre ist passiv. Sie wird einer Person aufgrund ihres Soseins, nämlich ihrer Geburt und ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie oder Gruppe zuerkannt; sie kann aber auch durch angesehene Personen in Machtpositionen gestiftet werden. Erworbene Ehre ist dagegen aktiv. Sie ergibt sich aus den besonderen Taten einer Person, z.B. in sportlichen Wettkämpfen oder auf dem Schlachtfeld. - Jedwede soziale Interaktion von Personen außerhalb ihrer persönlichen Primärgruppe - zumeist der Familie - ist gekennzeichnet durch einen impliziten oder expliziten Wettstreit um soziales Prestige. Dieser Wettstreit kann verbal, durch symbolisches Handeln oder auch mittels physischer Gewalt geführt werden; er enthält zumeist folgende Elemente: Herausforderung, Beurteilung der Herausforderung durch den Angegriffenen, Reaktion des Angegriffenen und das öffentliche Urteil, in dem Ehrgewinn oder Ehrverlust mit Blick auf die Betroffenen festgestellt werden. 159 Die mediterrane Kultur ist eine agonistische Kultur. 160 156

MALINA, W e l t , 71.

157

Eindrücklich ist BoURDlEUs Beschreibung des Zusammenhangs von Ehre, Individuum und Gruppe im Rahmen seiner Studie über die kabylische Gesellschaft: „The point of honour is the basis of the moral code of an individual who sees himself always through the eyes of others, who has need of others for his existence, because the image he has of himself is indistinguishable from that presented to him by other people ... Respectability, the reverse of shame, is the characteristic of a person who needs other people in order to grasp his own identity and whose conscience is a kind of interiorization of others, since these fulfil for him the role of witness and judge. Defined essentially by its social dimension, respectability must be conquered and defended in the face of everyone ... Hence it is that the dynamics of exchanges of honour are based essentially on the pressure of opinion" (Sentiment, 211; der entsprechende Abschnitt in DERS., Entwurf, 27f. ist gekürzt). Vgl. auch COHEN, Law, 59f.; J.K. CAMPBELL, Honour, 268ff. 158 Vgl. MALINA, Welt, 44f.; MALINA/NEYREY, Honor, 27-29. 159 Zu dieser Grundstruktur des Ehrwettbewerbs vgl. BOURDIEU, Entwurf, 11-47; MALINA, W e l t , 45—48; MALINA/NEYREY, Honor, 2 9 - 3 2 . 160

Vgl. MALINA, Welt, 48; K.C. HANSON, Honorable, 84; s. auch DOVER, Morality,

Exkurs: Ehre und Schande in der antiken mediterranen Kultur

283

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Das Verständnis von Ehre und Schande ist in der mediterranen Kultur, wie bereits erwähnt, eng an die Geschlechterrollen gebunden. Ehre und Schande sind hier gewissermaßen geschlechtsspezifisch aufgeteilt, wobei Ehre den männlichen Pol bildet und Scham 161 den weiblichen. Was bei einem Mann im Sinne eines Ehrverlustes gewertet wird, nämlich Zurückhaltung, Schüchternheit, Scheu, Ängstlichkeit, mit einem Wort: Scham, das wird bei Frauen gerade positiv als Ehrgewinn beurteilt. Die Ehre der Frau ist somit vornehmlich passiv definiert. Sie gründet in der absoluten Unterwerfung unter die Autorität ihres Mannes und einer entsprechenden sexuellen Exklusivität. Sexueller Kontakt mit anderen Männern ist extrem unehrenhaft. Die Ehre des Mannes ist dagegen aktiv und aggressiv nach außen gerichtet. Ihm obliegt es, Frauen zu erobern, „er muß seinen Samen verbreiten" 162 . Nur so bestätigt er sein Ansehen als Mann und verschafft sich Ehre. Zugleich aber kommt ihm die Aufgabe zu, die sexuelle Integrität der ihm zugeordneten Frauen (Mutter, Frau, Töchter, Schwestern) zu wahren und zu verteidigen, ja seine eigene Ehre hängt von der sexuellen Integrität der Frauen seines Hauses ab. Aus alledem ergibt sich ein harter Ehr-Wettbewerb unter Männern, bei dem die Frauen gewissermaßen die umkämpften Ressourcen bilden. 163 - Der Körper fungiert als symbolisches Medium, um Ehre oder Schande sichtbar zum Ausdruck zu bringen. Kopf und Gesicht sind hier von zentraler Bedeutung: „Ehre und Unehre werden dargestellt, wenn das Haupt gekrönt wird, gesalbt, berührt, bedeckt, enthüllt, durch Rasieren kahl gemacht wird, wenn es abgeschlagen, geschlagen oder gestoßen wird." 164 Daß die Körpersprache eine wichtige Rolle im Zusammenhang von Ehr- und Schandzuweisungen spielt, zeigt sich auch an Gesten wie der Proskynese oder der Fußwaschung. Dies leitet zum nächsten Aspekt über: 237, der die antike griechische Gesellschaft als „addicted to comparison and competition" beschreibt. 161 Scham bedeutet soviel wie Sensibilität für die eigene Reputation. Die Vermeidung eines Ehrverlustes ist oberstes Ziel des Schamgefühls. Scham ist insofern eine Art präventive Spiegelung der Schande. Das englische Wort „shame" steht für beide Aspekte, Scham und Schande. 162 GILMORE, Mythos, 45. 163 Zur komplexen Thematik der sexuellen Implikationen von Ehre und Schande/Scham vgl. DELANEY, Seeds, passim; COHEN, Law, 61-64.139ff. u.ö.; GILMORE, Mythos, 33-61; MALINA, Welt, 5 8 - 6 3 ; MALINA/NEYREY, Honor, 41—44; DIES., Portraits, 176ff.; MAYER-

SCHÄRTEL, Frauenbild, 323ff.; MEYER-ZWIFFELHOFFER, Zeichen, bes. 220ff. u.ö.; M o x NES, Honor, 170-172; PITT-RIVERS, Postscript, 226ff.; PLEVNIK; Honor, 96; SPENCER, Eunuch, 157f.; TORJESEN, Praise, 53-57. 164

MALINA, Welt, 50; vgl. MALINA/NEYREY, Honor, 3 4 - 3 6 . A u c h BOURDIEU, Entwurf,

195 weist darauf hin, wie sehr sich „die gesamte Moral des Ehrverhaltens in der körperlichen Hexis zugleich symbolisiert wie realisiert" (Hervorhebungen im Original). Anhand der hergebrachten männlichen wie weiblichen Körperhaltungen in der kabylischen Gesellschaft demonstriert er ebd., 196 anschaulich, daß „die eigentlich weibliche Tugend, lahia, Scham, Bescheidenheit, Zurückhaltung, ... den gesamten weiblichen Körper nach unten, zur Erde, zum Haus, nach Innen hin [orientiert], während die männliche Vorbildlichkeit ihre Bestätigung in der Bewegung nach oben, nach draußen, zu den anderen Männern hin findet". Zur Bedeutung des „Gesichtes" vgl. auch BERGER, πρόσωπον, 435: Es ist „das Angesicht, an dem sich das Verhältnis zwischen Partnern äußert und entscheidet".

284

Das Symbol des Kreuzes

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Ehre und Schande einer Person sind nicht zuletzt rituell verankert. Wie bereits mehrfach in dieser Arbeit erwähnt, spielt das Ritual eine wichtige Rolle bei der Bestimmung des Status einer Person. Zumal Passageriten verleihen einen neuen Status und verändern damit auch die Reputation eines Menschen. Die Ritualforschung kennt eine Vielzahl von sog. „Statuserhöhungs-" oder auch „Statuserniedrigungsritualen".165 Die Anthropologen J. Peristiany und J. Pitt-Rivers notieren außerdem, Rituale vermittelten Ehre „not only in the formal distribution of dignities on ceremonial occasions, but also in the sense of making manifest the honorable status of the actors, whether in the rites of salutation ..., of hospitality, or of passage" 166 . Allerdings kommt es in der rituellen Liminalität gerade auch zur Destruktion oder Inversion der geläufigen Ehr- und Schamkategorien.

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Ehre hat eine religiöse Dimension. Nicht nur kann die Zuweisung von Ehre auch auf Götter zurückgeführt werden, Ehre gründet an sich in letzter Konsequenz im Heiligen, verstanden als Raum letztgültiger Unverfügbarkeit und Integrität. In dieser Letztgültigkeit ist sie gewissermaßen wertvoller als das Leben selbst, woraus sich die verbreitete mediterrane Auffassung erklären läßt, daß der Tod unter bestimmten Umständen einem Ehrverlust vorzuziehen sei. 167 Peristiany und PittRivers führen weiter aus: „One is perhaps chary of talking loosely about ,the sacred' today, for the notion has been overworked since the days of Dürkheim, yet we nevertheless require a word to denote the fact that there is a realm of mental behavior where the extraordinary is opposed to the ordinary and where accepted truths are placed beyond question by a conviction, impervious to reasoning because it lies deeper than consciousness; it commands an attachment that springs from the bottom of the self, refusing the logic of everyday conduct. This is where the sentiment of honor arises, and whether or not this realm is claimed by a particular religion as part of its domain and placed under the aegis of its divinity, it clearly borders on the territory of religion and it is in this sense that we can speak of an aspect of honor related to the sacred." 168

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Zu beachten ist schließlich, daß das „Ehre/Schande"-Konzept auch die in der Antike so wichtige Freundschaftsethik prägt sowie das sog. Patron-Klient-Verhältnis: In der sozialen Interaktion sowohl zwischen Gleichgestellten (Freund Feind) wie zwischen Ungleichen (Patron - Klient) spielten die Gewährung oder der Verlust bzw. der Entzug von Ehre eine tragende Rolle. 169 Wie sehr nun das „Ehre/Schande"-Konzept auch in die paulinische Korrespondenz hineinspielt, wurde in dieser Arbeit schon einige Male deutlich, vor allem in Phil 3,4-6. Konsequent pocht der Apostel dort auf seinen Ehrenstatus und reklamiert sowohl zugeschriebene als auch erworbene Ehre für sich (s. oben § 6.3). Auf welch breiter Ebene sich allgemein in den Paulusbriefen Vokabular findet, das dem „Ehre/ 165

Vgl. nur TURNER, Ritual, 159ff.

166

PERISTCANY/PITT-RIVERS, Introduction, 2.

167 Vgl. ebd.: „.Rather death than dishonor!' was the ideal expression of this sentiment, wether on the battlefield or in the boudoir." Zum Verhältnis von Ehre und Tod s. ferner die Beispiele bei P. MARSHALL, Enmity, 46f. 168

169

PERISTIANY/PITT-RTVERS, Introduction, 2.

Zur Freundschaftsethik vgl. § 10.1 (S. 304f.); zum Patron-Klient-Verhältnis vgl. die Literatur in Anm. 101 in § 10.4.4 (S. 377).

Exkurs: Ehre und Schande in der antiken mediterranen Kultur

285

Schande"-Code zugehört, soll der nachstehende Überblick demonstrieren.170 Die relevanten Termini begegnen sowohl in Relation zu Gott bzw. Christus als auch in bezug auf andere Menschen. Die wichtigsten Begriffe in diesem Zusammenhang sind folgende: (1) Für Ehre und im Hinblick auf die Zuteilung von Ehre stehen: τιμή (Rom 2,7.10; 9,21; 12,10; 13,7; IKor 12,23f.; IThess 4,14), έντιμος (Phil 2,29), δόξα (Rom 2,7.10; IKor 11,7.15; 2Kor 6,8; Phil 3,19; IThess 2,6.20 u.ö.),171 δοξάζω (Rom 1,21; 8,30; 11,13; 15,6.9; IKor 6,20; 12,26; 2Kor 3,10; 9,13; Gal 1,24), κενόδοξος (Gal 5,26); ένδοξος (IKor 4,10); έπαινος (Rom 2,29; 13,3; IKor 4,5; 2Kor 8,18; Phil 1,11; 4,8), έπαινέω (IKor 11,2.17.22 [Menschen]; Rom 15,11 [Gott]), εΰσχημοσόνη (IKor 12,23), εύσχημων (IKor 7,35; 12,24), εΰσχημόνως (Rom 13,13; IThess 4,12; IKor 14,40), σεμνός (Phil 4,8), εΰάρεστος (Rom 14,18; 2Kor 5,9; s. auch Rom 12,lf.; Phil 4,18), αρέσκω (Rom 15,2; IKor 7,32-34; 10,33; Gal 1,10; IThess 2,4; 4,1; rein negativ: Rom 8,8; IThess 2,15),172 μεγαλώνω ([pass.:] 2Kor 10,15; Phil 1,20), προσωπολημψία (Rom 2,11; vgl. Gal 2,6), ευφημία (2Kor 6,8), εύλογητός (Rom 1,25; 2Kor 1,3; 11,31 [nur für Gott]),173 εύπροσωπέω (Gal 6,12), δύναμις (2Kor 13,4 u.ö.),174 μακαρισμός (Gal 4,15; Rom 4,6.9),175 μακάριος (IKor 7,40; Rom 14,22)176. (2) Für das Erstreben und Reklamieren von Ehre steht vorrangig die καυχ-Wortgruppe: καύχησις/καύχημα (Rom 3,27; 4,2; IKor 9,16; 2Kor 1,12; 11,10; Gal 6,4; Phil 1,26 u.ö.); καυχάομαι (Rom 2,17.23; 5,2f.; IKor 1,29.31; 2Kor 11,18b; Gal 6,13f.; Phil 3,3 u.ö.). Von den insgesamt 60 Belegen im Neuen Testament finden sich 53 (!) allein in den authentischen Paulusbriefen - ein sprechendes Indiz dafür, wie sehr die Thematik des Ehrerwerbs gerade den paulinischen Briefcorpus bestimmt. In diesem Zusammenhang ist femer auf die Vokabeln φϋόνος/φθονέω aufmerksam zu machen. „Neid" gehört zum Kampf um Ehre, da Ehre in der mediterranen Antike als limitiertes Gut betrachtet wurde; der Besitz von Ehre implizierte

170

Vgl. dazu auch BERGER, Theologiegeschichte, 45 Iff. u.ö. Vgl. dazu auch Anm. 295 in § 6 (S. 141) und Anm. 371 in § 10.5.3 (S. 439). Natürlich besitzt der Begriff δόξα ein breites Bedeutungsspektrum (vgl. nur SPICQ, Lexicon I, 362-379), zumal wenn man den Terminus von der hebräischen TOD herleitet. Nichtsdestotrotz ist zu überlegen, ob nicht häufiger als angenommen auch dort, wo andere Bedeutungen vorherrschend zu sein scheinen, die Grundbedeutung „Ehre", .Ansehen", „Ruhm" mitschwingt; vgl. dazu ferner BERGER, Theologiegeschichte, 453f.; D.B. MARTIN, Body, 262 A64; SCHRÖTER, Versöhner, 117. 172 In der Bedeutung „jmd. zu Gefallen leben bzw. sein" (vgl. BAUER/ALAND, Wörterbuch, 212; G. SCHNEIDER, αρέσκω, 363) beschreibt das Verb insbesondere den Versuch, Ehre zu erlangen; es könnte von daher auch unter der nächsten Rubrik aufgeführt werden. 173 Zwar leitet sich εύλογητός aus dem hebräischen ab und nicht aus der Profangräzität (vgl. BEYER, εύλογέω, 761f.), doch geht es auch bei der hebr. Vokabel um eine Ehrerweisung gegen Gott. 174 Zur Bedeutung von δύναμις wie auch von ασθένεια als Statuszuweisungen vgl. FORBES, Comparison, 19; P. MARSHALL, Enmity, 210f.376.385-389. 175 H.D. Β ETZ, Gal, 393 kommentiert Gal 4,15 wie folgt: „Auf jeden Fall wird das Wort μακαρισμός (,Ruhm') hier in seinem ursprünglichen weltlichen Sinn und nicht im christlichen Sinn gebraucht." Zur Verankerung der Vokabel im mediterranen „Ehre/Schande"Konzept s. ferner K.C. HANSON, Honorable, 87ff. 176 Vgl. dazu HANSONs Ausführungen ebd. 171

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Das Symbol des Kreuzes

daher automatisch, sie einem anderen weggenommen zu haben. 177 Paulus selbst setzt Ehrerwerb und Neid in Gal 5,26 (vgl. Phil 1,15) in eine Relation. Der Neid auf die Ehre eines anderen produziert sodann Rivalität oder hat Streit zur Folge, wofür der Begriff ερις stehen kann, der deshalb nicht von ungefähr bei Paulus des öfteren kombiniert mit φθόνος oder im Umfeld von φθόνος auftritt (Phil 1,15; Rom 1,29; Gal 5,20f.). Έρις erscheint femer in Verbindung mit ζήλος (IKor 3,3; 2Kor 12,20) und auch die Wortgruppe ζήλος/ζηλόω ist dem „Ehre/Schande"-Konzept zuzuordnen, 178 und zwar insoweit, als damit das Streben nach Ehre vor Gott oder Menschen bzw. das eifernde „Umwerben" 1 7 9 von Gott oder Personen angesprochen sein kann (vgl. Rom 10,2; 2Kor 7,7.11; Gal 4,17f.). 180 Illegitimerweise erhobene Ehransprüche im Rahmen eines Wettstreits gelten als Dummheit und werden mit αφροσύνη/άφρων (2Kor ll,1.16f.l9.21; 12,6.11) bezeichnet. Ehrloses bzw. Schandhaftes zu ehren ist μωρία/μωρός (IKor 1,18.21.23.25.[27]; 2,14; 3,18f.; 4,10). 181 (3) Für Schande bzw. Scham und die Zuteilung von Schande/Scham stehen schließlich Begriffe wie αίσχύνη (2Kor 4,2; Phil 3,19), αίσχύνομαι (2Kor 10,8; Phil 1,20), έπαισχυνομαι (Rom 1,16; 6,21), καταισχύνω (Rom 5,5; 9,33; 10,11; IKor 1,27; 11,4f.22; 2Kor 7,14; 9,4; 10,8), ατιμία (Rom 1,26; 9,21; IKor 11,14; 15,43; 2Kor 6,8, 11,21), ατιμάζω (Rom 1,24; 2,23), άτιμος (IKor 4,10; 12,23), άσχημοσύνη (Rom 1,27), άσχήμων (IKor 12,23), έξουθενέω (Rom 14,3.10; IKor 1,28; 6,4; 16,11; 2Kor 10,10; Gal 4,14; IThess 5,20), έντροπή (IKor 6,5; 15,34), έντρέπω (IKor 4,14), λοιδορέω (IKor 4,12); δυσφημέω (IKor 4,13); δυσφημία (2Kor 6,8), περικαθάρμα (IKor 4,13), περίψημα (IKor 4,13); άσθένεια/άσθενής/άσθενέω (IKor 1,27; 4,10; 2Kor 12,9; 13,4 u.ö.) 182 . Die breite Verwendung des „Ehre/Schande"-Vokabulars bezeugt, daß Denken, Handeln und Fühlen des Apostels doch merklich in der mediterranen Schamkultur wurzeln. Dies tritt in den Briefen nicht zuletzt deshalb so deutlich zutage, weil Paulus sich darin immer wieder mit Kritikern seiner Mission auseinandersetzen muß, die seine Ehre als Apostel zur Disposition stellen und so zwangsläufig einen Kampf um sein Prestige vor der jeweiligen Gemeinde provozieren. 183 Dabei erfährt offensichtlich auch das äußerliche Auftreten bzw. die physische Präsenz des Apostels eine

177

Auf die Bedeutung des φθόνος im Rahmen des Strebens nach Ehre in der griechischen Antike kommt LLOYD-JONES in seiner Besprechung der Bedeutung von Ehre und Schande in der griechischen Kultur wiederholt zu sprechen. Auch die Vokabeln ερις und ζήλος, die gleich thematisiert werden, finden bei ihm Berücksichtigung (vgl. Ehre, passim). Zur Ehre als „limited good" s. MAUNA, Welt, 44f.88-l 13. 178 Vgl. dazu insbesondere SEEMAN, Zeal, 185-188. 179 So übersetzen H.D. BETZ, Gal, 382.397 und MUSSNER, Gal, 304.3 lOf. ζηλοΰν in Gal 4,17f.; vgl. auch POPKES, ζήλος, 249. 180 Zur „säkularen" Bedeutung von καϋχασθαι, ερις und ζήλος im ersten Korintherbrief vgl. CLARKE, Leadership, 95-101. 181 „To claim honor that the community does not recognize is to play the fool" (MALINA/ROHRBAUGH, Commentary, 76). 182 vgl. dazu die Literatur in Anm. 174. 183 Die Bedeutung von Ehre und Ruhm im Rahmen der Gegnerpolemik belegen z.B. Stellen wie Gal 6,12-14; Phil 3,3-«; 2Kor 10,7-17; ll,22ff.

Exkurs: Ehre und Schande in der antiken mediterranen Kultur

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Bewertung nach antiken Ehrkategorien.184 Darüber hinaus stellt der Apostel Gefährdungen und Anfeindungen während seiner Missionstätigkeit in diesen Rahmen.185 Ferner spielen Ehrgewinn und Ehrverlust auch innerhalb der paulinischen Gemeinden eine gewichtige Rolle, etwa bei den Parteiungen und Streitigkeiten in Korinth oder im Zusammenhang der Spannungen zwischen den Starken und Schwachen in Rom, 186 ja Paulus fördert sogar hinsichtlich der Kollekte einen Wettstreit um Ehre zwischen seinen Gemeinden, wie v.a. 2Kor 9 zeigt.187 So sehr nun die Äußerungen des Apostels grundsätzlich in der antiken Schamkultur verankert sein mögen, eigentümlich ist ihm die wiederholte Inversion der Kategorien Ehre und Schande. Paulus wertet oftmals gerade das nonkonforme, deviante Verhalten positiv, indem er es mit Ehrattributen versieht, und stellt damit das besagte, für den antiken Mittelmeerraum zentrale Kulturskript inhaltlich auf den Kopf, was u.a. wiederum an Phil 3 und der dortigen „Umkehrung der Werte" abzulesen ist (vgl. § 6.3). Ob er mit dieser Inversionsstrategie zugleich ein völlig neues Wertesystem kreiert, sei hier offengelassen.188 Zu beachten ist jedenfalls, daß er das konventionelle Wertesystem keineswegs durchweg und auf allen Gebieten invertiert. Im besonderen Maße gilt dies für den Bereich der Geschlechterrollen; der Apostel bleibt hier den hergebrachten Wertvorstellungen zumindest teilweise durchaus verhaftet, was sich etwa an seiner Argumentation in IKor 11,2-16 zeigt. Die an dieser Stelle, aber auch andernorts im Corpus Paulinum erkennbare Aufrechterhaltung von Normen und Prinzipien der Sozialstruktur inklusive des herkömmlichen Umgangs mit den Kategorien Ehre und Schande wird in § 10.5 noch mehrmals thematisiert und diskutiert werden. Wichtig ist nun, daß die angesprochene Inversionslogik des Apostels maßgeblich von seiner theologia cruris getragen wird. Zumal in deren Kontext sowie auf deren Basis findet die Umkehrung der konventionellen Zuschreibungen von Ehre und Schande statt. 189 Eine Schlüsselstelle hierfür ist IKor l,18ff. Mit der Feststellung, der Kreuzeslogos sei den Heiden μωρία und den Juden ein σκάνδαλον (V.23), ordnet Paulus seine Verkündigung dort selbst dem Bereich der Schande zu. Er ist sich folglich gänzlich im klaren darüber,

184 2Kor 10,7-10; 12,7-10; Gal 4,13f. zeigen, wie sehr das persönliche Auftreten des Apostels und seine körperliche Verfaßtheit mit Ehre oder Unehre verbunden wurden. Der physischen Erscheinung kam in der Antike generell eine elementare Bedeutung bei der Beurteilung einer Person zu; vgl. dazu P. MARSHALL, Enmity, 64-66; EVANS, Physiognomies, passim; MALINA, Person, bes. 68ff.; MALINA/NEYREY, Portraits, 100f.l08-127.148-152. 185 Zur Rolle von Ehre und Schande im Rahmen der Peristasen vgl. die Erläuterungen zu IKor 4,13ff. unten in Abs. 4. 186 Vgl. dazu nur CORRIGAN, Shame, 25. 187 Stärker als in 2Kor 8 verwendet der Apostel hier das typische Vokabular und wirft dabei auch seine eigene Ehre in die Waagschale. 188 Dafür plädiert CORRIGAN, Shame, 24f.27. Vorsichtiger ist MOXNES, Honor, 175 (mit Bezug auf das frühe Christentum im allgemeinen). 189 Vgl. dazu auch BERGER, Theologiegeschichte, 480ff.; MEEKS, Origins, 48.86f.

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Das Symbol des Kreuzes

daß er sich mit seiner vermeintlich törichten und anstoßerregenden190 Predigt vom gekreuzigten Christus bewußt einem Ehrverlust aussetzt. Indem er aber in dieser Botschaft Gottes Kraft und Weisheit am Werk sieht (V. 18.24), stattet er das Schandhafte zugleich mit höchster Ehre aus. Um das Profil und die Tragweite dieser kreuzestheologischen Inversionslogik richtig zu erfassen, empfiehlt es sich, den gesamten Abschnitt IKor 1,18-2,16 noch etwas genauer zu betrachten. In durchaus apokalyptischer Manier stellt der Apostel in einem ersten Teilstück seiner Argumentation, in 1,18-25, Gott und Welt als Gegensätze einander gegenüber.191 Für den Bereich der Welt gebraucht er dabei neben dem geläufigen ό κόσμος (l,20f.; vgl. l,27f.) Begriffe wie 6 αίώ-ν ούτος (1,20; vgl. 2,6.8), οί άνθρωποι (1,25; vgl. 2,5) sowie 'Ιουδαίοι και Έλληνες (l,23f.). Vor allem die letztgenannten Termini indizieren, daß es ihm in diesem Zusammenhang nicht so sehr um die Welt im physikalisch-schöpfungstheologischen Sinn geht, sondern um die Menschenwelt, um die sozial konstituierte Welt, also um „Kultur".192 Entscheidend ist nun, daß es das Kreuz Christi ist, das die tiefgehende Differenz zwischen den zeitgenössischen kulturellen Normen und Werten auf der einen und dem göttlichen Handeln auf der anderen Seite markiert. Deutlich sichtbar wird diese Differenz an der je unterschiedlichen Füllung der Oppositionspaare Weisheit/Torheit und Stärke/Schwäche: Während die „Welt" Weisheit und Stärke als Ausweis von Ehre beurteilt, offenbart das Kreuz, daß Gott das Törichte und Schwache ehrt und somit das vermeintlich Schandhafte mit Ansehen ausstattet. Das heißt: Gott hat am Kreuz alle Weisheit der Welt verworfen und seine Dynamis wider alle irdische Konvention an die Verkündigung des Gekreuzigten gebunden. Der göttliche Maßstab, die göttliche Weisheit, konterkariert, ja invertiert daher den antik-mediterranen „Ehre/Schande"-Code. Anders gesagt, das paulinische Evangelium vom Kreuz „reveals the instability of the values assumed by Greco-Roman culture, replacing them with a mirror world in which top is bottom and bottom top" 193 . 190 Σκάνδαλον ist am besten mit „Anstoß" zu übersetzen; vgl. dazu K. MÜLLER, Anstoss, passim; GIESEN, σκάνδαλον, 595f.; STÄHLIN, σκάνδαλον, 338-358. 191 Zu den apokalyptischen Motiven in IKor 1 - 2 vgl. nur A.R. BROWN, Cross, 23f.l07f. u.ö.; s. auch gleich Anm. 193. 192 So mit MEEKS, Origins, 62: ,„The world' then does not refer here to the physical universe, but to society, the human world, or, as we might say, .culture'." 193 D.B. MARTIN, Body, 60; speziell zur apokalyptischen Färbung dieser alternativen „Spiegelwelt" führt MARTIN ebd. aus: „In order to oppose the dominant ideology, with its value system and its ways of attributing status, Paul must advance an alternative system. He finds one, to some extent, ready to hand in the dualism of Jewish apocalypticism, which had for centuries countered the imperialistic ideologies of Greece and Rome with a narrative that depicted an alternative, hidden, and vastly more powerful empire: the kingdom of God. ... Jewish apocalypticism thus provided Paul with an alternative realm to oppose to the apparently seamless, irresistible unity of the dominant Greco-Roman ideology." Paulus beziehe sich hier zudem auf apokalyptische Inversionsmotive - die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten die Letzten; Gott stößt die Mächtigen vom Thron und erhöht die

Die Effektivität des Symbols

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Von der solcherweise im Kreuz Christi begründeten symbolischen „mirror world" ist die Korrespondenz des Apostels, v.a. die mit den Korinthern, maßgeblich bestimmt. Diese Welt ruht letztlich auf einer alternativen Wahrnehmung der Wirklichkeit (vgl. 2Kor 5,16),194 in der gilt: ή δύναμις έν άσθενεία τελείται. (2Kor 12,9). Paulus versteht sich selbst als Verkörperung dieser „verkehrten Welt", in der die herkömmlichen Zuweisungen von Ehre und Schande außer Kraft gesetzt sind; dies belegt neben den Peristasenkatalogen der Korintherbriefe (IKor 4,9-13; 2Kor 6,4-10; 11,23-33) insbesondere der nachfolgende Gedankengang in 2,1-5. Zuvor aber weist der Apostel auf die korinthische Gemeinde als Beispiel für die kreuzestheologische Umkehrung der Werte: Nach 1,26-31 manifestiert sich die göttliche Umkehrung der herkömmlichen Werte in der sozialen Zusammensetzung der korinthischen Gemeinde. Diese besteht schließlich nur zu einem geringen Maß (ου πολλοί) aus Gebildeten (σοφοί), Mächtigen (δυνατοί) und Wohlgeborenen (ευγενείς), d.h. aus Menschen mit hohem sozialem Status.195 Gott hat offenkundig den weltlichen Ehrmaßstäben zuwiderlaufend τά μωρά, τά ασθενή und τά άγενη ... και τά έξουΦενημένα erwählt (V.27f.), d.h. Menschen mit niederem sozialen Ansehen.196 Ausgerechnet das Ehrlose erfährt demnach die Ehre göttlicher Erwählung. Mit diesem Hinweis transferiert der Apostel den Status der sozial Deklassierten in Korinth deutlich nach oben und hebt dergestalt das hergebrachte Statussystem aus den Angeln; die alltägliche, auf Ehre und Schande gründende Statushierarchie wird so explizit umgekehrt. Dies ergibt sich eigens auch aus den 'ίνα-Sätzen in V.27f., die hervorheben, daß Gott das Törichte, das Schwache sowie die niedrige Herkunft und das Verachtete gerade mit dem Ziel erwählt habe, die Welt zu „beschämen" (καταισχύνεσαι) bzw. das, was Ansehen hat, „das Seiende", außer Geltung zu setzen (καταργεΤν).197 Durch Erniedrigten „to challenge the status assumptions of Greco-Roman ideology and traditional rhetoric". 194 Zu der der Kreuzestheologie inhärenten „perceptional transformation" des Menschen, d.h. der im Kreuz konstituierten neuen Weltsicht kata stauron, s. auch MARTYN, Epistemology, 264. BROWN entfaltet diesen Aspekt breiter (s. Cross, passim); die Exegetin zeigt dabei u.a. auf, wie stark gerade IKor 1 - 2 durch „perceptional terminology" bestimmt ist (s. ebd., 24f.l07f. u.ö.). 195 Zur soziologischen Bedeutung des Vokabulars in diesem Abschnitt vgl. nur D.B. ΜΑΚΉΝ, Body, 61: „Paul's terminology in verses 26-31 is full of status significance. Few of the Corinthians are ,wise', .powerful', or ,well-born'; ... All these words are reserved traditionally for members of the upper class. ... The terms Paul applies to the Corinthians, on the contrary, are those used of the lower classes: .foolish', .weak', .shameful', .lowborn', .despised', .those who are not'"; s. ferner THEISSEN, Studien, 232ff.; P. MARSHALL, Enmity, 210; vgl. auch STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 253f. 196 Zu den soziologischen Implikationen der gewählten Begriffe s. die Angaben in der voranstehenden Anm. 197 Zur soziologischen Bedeutung der Wendungen τά μή δντα und τά οντά vgl. nur THEISSEN, Studien, 232ff.

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Das Symbol des Kreuzes

diese Inversion der Wertmaßstäbe werden die Korinther gewissermaßen zum lebenden Beweis eines göttlich sanktionierten, anti-strukturellen „topsy-turvy status system"198, wobei die auffälligen neutrischen Formulierungen τά μωρά, τά ασθενή, τά άγενη ... καΙ τά έξουθενημένα anzeigen, daß die göttliche Inversion der Kategorien der Ehre und der Schande allgemeingültig ist und über den „Fall Korinth" hinaus grundsätzlich gilt.199 In Anbetracht dieser göttlichen Inversionspraxis fallen dann auch die anerkannten Möglichkeiten des Ehrerwerbs dahin. Dementsprechend läßt Paulus in V.29 erkennen, daß ein Rühmen (καυχασ&αι) coram Deo, das sich auf die hergebrachten, alltäglichen Statuswerte beruft, nichtig ist.200 Ähnlich wie in Gal 6,14 bleibt allein das paradoxe Sich-des-Herrn-Rühmen, d.h. der Ehrerwerb vor Gott durch die Ausrichtung auf den und die Identifikation mit dem schandhaft Gekreuzigten (V.31).201 Im nächsten Abschnitt, in 2,1-5, bringt Paulus, wie schon angesprochen, sich selbst und sein Amt als Beispiel für die kreuzestheologische Inversion der Werte ein. Er rekurriert dazu auf seine Missionsverkündigung in Korinth. Die Ehrmaßstäbe dieser Welt enttäuschend bzw. sich ihnen widersetzend, kam er damals nicht mit überragender rhetorischer Beredsamkeit oder Weisheit (καθ' ύπεροχήν λόγου ή σοφίας) zu ihnen (V.l; vgl. V.4). Vielmehr verkündigte er den Korinthern allein den Gekreuzigten (V.2), und zwar έν άσθενεία καΐ εν φόβω κάί έν τρόμω πολλω (V.3). Diese Trias, eine Art „trilogy of shame"202, weist dabei merklich auf die Konformität zwischen Verkündiger und Verkündigtem: Dem schmachvollen Tod des Christus am Kreuz entspricht gleichsam das schmachvolle Auftreten seines Apostels. Paulus bleibt jedoch nicht bei dieser Perspektive stehen. Auch in dieser Textpassage gibt er zu verstehen, daß das nach weltlichen Kriterien Schandhafte mit höchster, nämlich göttlicher Kraft versehen ist: Nachdrücklich weist er darauf hin, daß sich in dem in Schwachheit, Furcht und Zittern vorgebrachten Kerygma die göttliche Dynamis manifestiert (V.4f.). Endlich vollzieht sich die Status- und Wertumkehrung nach 2,6jf. auch auf kosmischer Ebene: Die Archonten und mit ihnen die Machtstrukturen dieser

198

D.B. MARTIN, Body, 61. Vgl. dazu FEE, lCor, 82 A18; HEINRICI, IKor, 79; SCHRÄGE, IKor I, 210. 200 Vgl. D.B. MARTIN, Body, 61. CLARKE, Leadership, 96 schreibt zur Stelle: „Paul, at this point, perceives the boasting to be over symbols of status, such as wisdom, influence, and nobility." 201 Die Satzkonstruktion legt es nahe, das έν κυρίω auf έν Χριστώ in V.30 zurückzubeziehen. Bei dem „Herrn" aus dem Jeremiazitat dürfte Paulus daher an Christus denken (ebenso BARRETT, IKor, 82; R. BAUMANN, Mitte, 138; FEE, lCor, 87; HECKEL, Kraft, 175; MERKLEIN, IKor, 203; SCHNELLE, Gerechtigkeit 46.183[A122]). Das Sich-im-Herrn-Rühmen gründet nicht zuletzt - wie in Gal 6,14 (s. oben) - in der Taufe. Dies ergibt sich aus den Taufkonnotationen in V.30 (vgl. dazu oben S. 205 mit Anm. 213 [§ 7.3.3]). 202 P. MARSHALL, Enmity, 389. 199

Das Kreuz als kritische Mitte

291

Welt 203 haben die Weisheit Gottes, die sich paradoxerweise am Kreuz Christi, also in der Schwäche und in der Schande kundtat, nicht erkannt (V.8); sie werden darum ihrer Macht und ihrer Geltung beraubt (V.6). Demgegenüber kommt just dem Geschändeten, dem Gekreuzigten, Ehre und Ansehen zu; dies signalisiert jedenfalls der auffällige Titel κύριος της δόξης (V.8). 204 Das gleiche gilt für die christusgläubigen Gemeindeglieder, die in dieses Mysterium Gottes eingeweiht bzw. initiiert sind, d.h. in Gottes anti-strukturelles Heilshandeln am Kreuz 205 : Analog zur paradoxen Charakterisierung des Gekreuzigten als κύριος της δόξης werden auch sie, die größtenteils Deklassierten und wenig Angesehenen, von Gott her mit Ehre (δόξα) bedacht (V.7) 2 0 6 Insgesamt ist somit für IKor l,18ff. festzuhalten: Der Apostel leitet aus dem Kreuz Christi eine fundamentale Infragestellung, ja Umkehrung des auf Ehre und Schande basierenden Werte- und Normsystems seiner Kultur ab. Diese im Kreuz gründende Inversion von Ehre und Schande spiegelt sich auf drei Ebenen, auf der sozialen (1,26-31), auf der individuellen (2,1-5) und auf der kosmischen (2,6-8). Kraft solcher Dekonstruktion der zentralen Eckpfeiler der kulturellen Matrix separiert Paulus sich und die ihm gleichgesinnten Christusgläubigen nachhaltig von der Umwelt und entwickelt darin eine antistrukturelle Identität. Der wiederholte Hinweis auf die „Kraft Gottes" (1,18. 24; 2,4f.; vgl. 2Kor 13,4) bestätigt dabei die These von der Kraft des Unreinen, der Randbereiche bzw. des Ausgegrenzten. Das Symbol des Kreuzes ist nicht zuletzt infolge dieser Inversion der kulturellen Ordnung ein kraftvolles, effektives Symbol.

4. Das Kreuz als kritische Mitte Auf der Grundlage der Turnerschen Symboltheorie gibt Justin Stagl zu bedenken: „Symbole entfalten ihr Bedeutungsspektrum erst im Gebrauch, d.h. also vor allem in der menschlichen Interaktion - und hier werden die ,tieferen' 203

Zu dieser Interpretation der Archonten s. oben Anm. 107. Den Titel auf die Korinther zurückzuführen und nicht auf Paulus (so z.B. MERKLEIN, IKor, 230), besteht kein Anlaß. Kyrios-Titel und Kreuz sind auch in Gal 6,14 verbunden. Überdies fügt sich „die paradoxe und bewußte Zuordnung von Kreuzesschmach und Herrlichkeit" (SCHRÄGE, IKor I, 255) in den die kulturellen Normen invertierenden Duktus der paulinischen Argumentation gut ein. Zur apokalyptischen Prägung des ursprünglich auf Gott gemünzten Terminus vgl. R. BAUMANN, Mitte, 223; KIM, Origin, 79ff.; NEWMAN, Glory-Christology, 204.235ff.; SCHRÄGE, IKorl, 255. 205 Das göttliche Mysterium ist nichts anderes „als der im Kreuz Jesu verwirklichte Heilsratschluß Gottes" (SCHRÄGE, IKor I, 250); έν μιχκηρίω ist dabei mit FEE, lCor, 105; SCHRÄGE, IKor I, 251; MERKLEIN, IKor, 228 auf σοφίαν zu beziehen und weniger auf λαλοΰμεν. 206 Zu dieser Deutung von δόξα vgl. oben Anm. 171; s. auch D.B. MARTIN, Body, 62 samt 262 A64. 204

292

Das Symbol des Kreuzes

Bedeutungen erst in Krisensituationen freigesetzt."207 In der Tat rekurriert auch Paulus vornehmlich in Krisensituationen auf das Kreuz. Die Grundtexte seiner theologia cruris finden sich in der Korintherkorrespondenz und im Schreiben an die Galater, in Briefen also, die jeweils tiefgehende Gemeindekrisen zum Hintergrund haben und reflektieren. Aber auch die neben der Anadiplosis in 2,8c im Christushymnus einzige Erwähnung des Kreuzes im Philipperbrief erscheint im Kontext einer Replik auf eine wahrscheinlich durch Opponenten ausgelöste Problematisierung paulinischer Theologie (3,18: „Feinde des Kreuzes Christi"). Es sind somit offenkundig diverse Spannungen in den Gemeinden, die den Apostel dazu veranlassen, nach seiner Missionspredigt die Botschaft vom Kreuz in seiner Korrespondenz erneut zu aktivieren. Von daher erhält der σταυρός eine eminent kritische Funktion:208 Paulus dekonstruiert mit Hilfe des Symbols und seiner Signifikate das korinthische Streben nach Weisheit ebenso wie die Beschneidungsforderung der Missionare in Galatien und Philippi. Der eben entfalteten Inversion des tragenden kulturellen Wertesystems kommt hierbei ein beachtliches Gewicht zu. Vermöge dieser Argumentationsstrategie vermag der Apostel den Lehren seiner jeweiligen Kontrahenten in hohem Maße den Boden zu entziehen; durch sie erfahren deren Ansprüche eine einschneidende Problematisierung. Anhand zweier Beispiele soll dies kurz demonstriert werden; im speziellen soll vorgeführt werden, wie sehr die im Symbol des Kreuzes konzentrierte Inversion der zentralen Wertkategorien „Ehre und Schande" die Gedankenführung des Apostels in Konfliktfällen gerade auch dort bestimmt, wo die σταυρ-Wortgruppe gar nicht explizit begegnet. Instruktiv sind in dieser Beziehung vor allem IKor 4,8-16 und Gal 4,13-20.

IKor

4,8-16

Auf die rhetorische Form der σύγκρισις zurückgreifend, zieht Paulus in IKor 4,8ff. einen Vergleich zwischen sich und seinen Kritikern in der Gemeinde von Korinth.209 Wie das gebrauchte Vokabular unverkennbar dokumentiert, geht es dabei wesentlich um die Verteilung Ehre und Schande.210 Sonderbar 207

STAGL, Einfluß, 130 (Hervorhebungen im Original). Die kritische Funktion und die polemische Ausrichtung der paulinischen Kreuzestheologie ist in der Exegese immer wieder notiert und behandelt worden; vgl. nur FRIEDRICH, Verkündigung, 130ff.; KÄSEMANN, Heilsbedeutung, 67ff.; H.-W. KUHN, Jesus, 40f.; Luz, Mitte, 127f.; SCHRÄGE, Skandalon, passim; DERS., Herr, 29ff. 209 „The synkrisis is most obvious in 4:10, but it runs throughout 4:8-13" (FITZGERALD, Cracks, 132; s. auch EBNER, Leidenslisten, 23f.); zur Synkrisis als rhetorischem Mittel vgl. LAUSBERG, Handbuch, §§ 799.1130; FORBES, Boasting, 2-8; P. MARSHALL, Enmity, 5 3 55.348-353; EBNER, Leidenslisten, 101-103 (dort weitere Literatur). 210 Dies gilt insbesondere für folgende Begriffe: V.9: έσχατοι („die letzten an Rang und Geltung"; so mit SCHRÄGE, IKor I, 341; FITZGERALD, Cracks, 136f.; s. auch SCHIEFER 208

Das Kreuz als kritische Mitte

293

mutet es allerdings an, daß Paulus seine Person betreffend ein unehrenhaftes Attribut nach dem anderen auflistet. Er bezeichnet sich und die Apostel 211 als Allergeringste (έσχατοι),212 Todgeweihte, Narren, als schwach, kurzum als unehrenhaft. Hinzu kommen Hunger, Dürsten, dürftige Kleidung, Mißhandlungen, Heimatlosigkeit und schwere Mühen bei handwerklicher Tätigkeit, Verfolgung und Beschämungen; ja, er und die Apostel sind wie der letzte Dreck der Welt und jedermanns Abschaum. Mit all diesen Prädikaten stilisiert sich Paulus als persona ingrata, als schandbaren Menschen, als liminale Person. 213 Umgekehrt schreibt er seinen Kontrahenten in Korinth ausgesprochen positive, einen hohen bzw. anerkannten Status anzeigende Attribute zu: Sie sind gesättigt, reich und zur Herrschaft gekommen, sie sind klug, stark, kurzum angesehen. 214 Die Legitimität solcher Ehrzuweisungen stellt Paulus jedoch durch einen ironischen Unterton in seiner Argumentation, der vor allem in der relativierenden Äußerung in V.8b greifbar wird, bereits im Ansatz in Frage.215 Vor allem aber macht die Fortsetzung der Gedankenführung in V.14 offenkundig, daß er gerade aufgrund seiner vermeintlichen Unehre einen Ehrenstatus für sich reklamiert. Wenn Paulus hier anführt, er wolle die Korinther mit seiner Argumentation nicht „beschämen" (έντρέπω), so weist er damit schließ-

FERRARI, Sprache, 188); V.10: ένδοξοι, άτιμοι; V.12: λοιδορούμενοι; V.13: δυσφημούμενοι, περικαΜρματα („Abschaum" als Schmähwort; vgl. dazu FEE, lCor, 180; FITZGERALD, Cracks, 142f. A86; KLEINKNECHT, Gerechtfertigte, 231f.; MERKLEIN, IKor, 316f.; SCHRÄGE, IKor I, 349f.; THEISSEN, Studien, 234 A7); περίφημα; s. ferner V.14: έντρέπω. 211 Die l.Pers.Pl. steht wohl für die apostolische Existenz im allgemeinen (so z.B. MERKLEIN, IKor, 304), doch wird man dabei aufgrund der Fortsetzung mit έγώ bzw. μου in 4,14ff. vornehmlich an die Person des Paulus zu denken haben. EBNER, Leidenslisten, 26 meint: „Nachdem die Wir-Aussagen in 4,9-13 in 4,14-16 durch klare Ich-Aussagen eingeholt werden, sind sie als schriftstellerisches Wir einzustufen, hinter denen exklusiv die Person des Paulus steht." 212 Zu 'έσχατοι in dieser Bedeutung s. oben Anm. 210. 213 Die von Paulus vorgebrachten Charakteristika apostolischer Existenz stimmen vielfach mit den in § 3 entfalteten Kennzeichen von Schwellenzuständen bzw. von Anti-Struktur überein. 214 Zur soziologischen Deutung der Kategorien auf die sozial Starken in Korinth vgl. THEISSEN, Studien, 234 sowie P. MARSHALL, Enmity, 209f.; D.B. MARTIN, Body, 65f.71f. 105f.; SCHRÖTER, Versöhner 162f. Nicht zuletzt aufgrund des zweimaligen betont vorangestellten ήδη in V.8 interpretieren FEE, lCor, 172ff.; SCHRÄGE, IKor I, 338ff.; DERS., Leid, 17 lf. die Begriffe theologisch und beziehen sie auf eine in Korinth grassierende „overrealized eschatology". Die Existenz einer solchen eschatologischen Schwärmerei in Korinth ist indes nicht unumstritten. Nach D.B. MARTIN, Body, 105f. und BARCLAY, Thessalonica, 64 handelt es sich dabei lediglich um die Interpretation der korinthischen Situation durch den Apokalyptiker Paulus. Wie immer man hier entscheiden mag, klar ist, daß Paulus den Korinthern an dieser Stelle geläufige „Ehrattribute" zuschreibt, die einen ähnlich realen Hintergrund gehabt haben müssen wie die geschilderten Peristasen mit Blick auf seine Person. Nur so macht der Vergleich einen Sinn (vgl. dazu auch BARCLAY; s. ebd., 57 Al 1). 215 Zur Ironie an dieser Stelle vgl. FEE, lCor, 165.172.176; FITZGERALD, Cracks, 144f.; HECKEL, K r a f t , 2 0 0 f . ; MERKLEIN, I K o r , 305f.; SCHIEFER FERRARI, Sprache, 187; SCHRÄ-

GE, IKor I, 338.343; SCHRÖTER, Versöhner, 161f.

294

Das Symbol des Kreuzes

lieh eigens auf die Möglichkeit hin, den voranstehenden Peristasenkatalog als Angriff auf die Ehre seiner Kontrahenten zu lesen,216 was vice versa wiederum impliziert, daß die Peristasen letztlich als Ehrausweis seiner Person zu bewerten sind. Mit der anschließend reklamierten Rolle eines Vaters gegenüber den Korinthern und dem Aufruf zur Nachahmung (V.16) unterstreicht er seinen Anspruch auf einen gehobenen Status weiter217 - trotz oder vielmehr exakt wegen der eben geschilderten schandvollen Charakteristika. Das herkömmliche Muster von Ehr- und Schandzuweisungen ist darin deutlich auf den Kopf gestellt. Diese Inversion läßt sich nur vom Kreuz her angemessen erschließen.218 So wie Christi schandvoller Tod am Kreuz aus christusgläubiger Perspektive eine Statuserhöhung bedeutet, so wird auch dem Apostel gerade aufgrund seiner schandvollen Erfahrungen ein gehobener Status zuteil. Deutliche kreuzestheologische Konnotationen liegen dabei insbesondere in V.10 vor: Die Bezeichnung der Apostel als μωροί διά Χριστόν steht in unverkennbarer Nähe zum Wort vom Kreuz Christi als μωρία in 1,18.23 (vgl. 3,18); ebenso erinnert die Charakterisierung derselben als „Schwache" an den Gekreuzigten (vgl. 2Kor 13,4); schließlich ist die Thematisierung der Schande als „Reflex der Schande Christi und vom Kreuz her zu verstehen"219. Darüber hinaus ruft be-

216

„Wenn Paulus ausführt, daß er die Korinther nicht beschämen will, so heißt das nicht unbedingt, daß er sie nicht beschämt hat. Im Gegenteil, die Korinther konnten die vorausgehenden Ausführungen kaum anders als beschämend verstanden haben ..., und Paulus selbst dürfte sich dessen auch bewußt gewesen sein" (MERKLEIN, IKor, 323). 217 Vgl. D.B. MARTIN, Body, 103: „... Paul uses high-status language to imply that he is actually superior to those at Corinth who consider themselves wise and free: he is a father and they are children (4:14); he is superior to any other teachers they may have, who are called by the servile term .pedagogue." Vgl. dazu ferner ebd., 66. 218 Als möglicher Hintergrund solcher Inversion wird häufig auch auf die kynisch-stoische Diatribe verwiesen, in der die Peristasen zum Ideal des Weisen bzw. des wahren Philosophen gehören (vgl. nur EBNER, Leidenslisten, passim; FITZGERALD, Cracks, passim; SCHRÖTER, Versöhner, 160f.). Zweifelsohne sind hier Parallelen gegeben, doch können andererseits auffällige Unterschiede nicht geleugnet werden. So heißt es bei P. MARSHALL, Enmity, 358f.: „Unlike the Cynics who spoke satyrically about those qualities which were suspect for a free man and made them .honourable' his [sc. Paul's] weaknesses always remained shameful to him. There is none of the Cynic appeal to live life at its hardest and most painful according to the doctrine of αυτάρκεια. Paul deeply feels his humiliation. ... Paul boasts in his shame and appears to agree with his enemies that these things are truly disgraceful. There is little of the Cynic spirit in his parade of shame." Vgl. dazu auch SCHRÄGE, Leid, 142ff.l50ff.; KLEINKNECHT, Gerechtfertigte, 226ff. u.ö. sowie die grundsätzlichen Überlegungen bei SCHIEFER FERRARI, Sprache, 116-148. Als zentraler Verstehenshorizont ist darum mit SCHRÄGE, Leid, 167ff. die Kreuzestheologie zu nennen. Auch FITZGERALD, Cracks, 207 räumt hinsichtlich der Tradition vom weisen Philosophen und den dazugehörigen Peristasen ein: „Paul's own use of these traditions and the catalogues associated with them is highly creative. ... it is transformed by his fixation on the cross of Christ." 219

SCHRÄGE, I K o r I, 344.

Das Kreuz als kritische Mitte

295

reits die Metapher von den Todgeweihten in einem kosmischen Schauspiel in V.9 kreuzestheologische Assoziationen wach.220 Insgesamt konterkariert der Apostel mit dieser im Kreuz verankerten Inversion der Werte die Ehre der Gegenspieler in Korinth auf paradoxe, aber gleichwohl wirksame Weise. Peter Marshall macht in seiner Studie „Enmity in Corinth" darauf aufmerksam, daß die Zeichnung des Apostolats überhaupt in der gesamten Korintherkorrespondenz von einer solchen positiven Umwertung schandhafter Eigenschaften getragen ist. Er verweist dazu neben IKor 2,1-5 und 4,9-13 auf Stellen wie 9,16-18.19-23; 15,8; 2Kor 2,14; 4,7-9 und 6,4-10. 221 Über die genannten Abschnitte hinaus läßt sich weiterhin das die sog. Narrenrede des zweiten Korintherbriefes durchziehende, ebenfalls apologetisch ausgerichtete Rühmen εν τοίϊς άσθενείαις anführen.

Gal

4,13-20

Auch der Galaterbrief ist von der kreuzestheologischen Inversion der Werte bestimmt. Neben dem Rühmen έν τω σταυρω in Gal 6,14 zeigt sich dies insbesondere in Gal 4,13-20. Der Apostel führt hier auf der Grundlage von Topoi aus dem Bereich der Freundschaftsethik222 einen Wettstreit um die galatische Gemeinde223, wobei er seine Opponenten letztlich als unlautere Schmeichler darstellt (V.17f.).224 In diesem Kontext ruft er den Galatern in V. 13-15 seinen ersten Besuch ins Gedächtnis zurück. Die Gemeinde habe ihn damals nicht mit Schande gestraft bzw. verachtet (έξουϋενέω), obwohl eine ihn zeichnende

220 YGI EBD., 341: „Sein [sc. Pauli] dem Tode geweihtes Leben ist das Leben und Leiden in der Schicksalsgemeinschaft mit dem Gekreuzigten, von dessen Todesgeschick auch der Apostel unübersehbar gezeichnet ist . und dessen Stigmata er an seinem Leib herumträgt (Gal 6,17; vgl. 2Kor 4,10)"; s. auch MERKLEIN, IKor, 313 sowie HAFEMANN, Suffering, 63f., der die angesprochene Todesweihe als Metapher für den folgenden Leidenskatalog sieht und sie als „display ... of the meaning of the cross" versteht. 221 ygi p MARSHALL, Enmity, 358 samt A64. Seine Untersuchung beleuchtet insgesamt die Beziehung zwischen Paulus und den Korinthern vor dem Hintergrund damaliger sozialer Konventionen, wobei die große Bedeutung von Ehr- und Schandzuweisungen klar erkennbar wird. Den der Korrespondenz zugrundeliegenden Konflikt führt MARSHALL auf Pauli Zurückweisung eines finanziellen Hilfsangebotes seitens der bessergestellten Korinther zurück (s. Enmity, 130-258). 222

Vgl. dazu H.D. BETZ, Gal, 383^09. Der Gebrauch des Verbs ζηλόω in V.17f. gibt kund, daß Paulus und seine Kontrahenten gleichsam um die Gemeinde in Galatien „buhlen"; vgl. dazu H.D. BETZ, Gal, 397; 223

LONGENECKER, Gal, 194. 224

Der Topos des Schmeichlers klingt hier insofern an, als Paulus in V.16 für sich selbst reklamiert, den Galatern die Wahrheit gesagt zu haben (άλεθεύων ΰμΐν). Just dieses Kriterium aber unterscheidet den wahren Freund vom Schmeichler, der als vermeintlicher Freund nur auf sein eigenes Interesse aus ist und sein Gegenüber blendet. Näheres dazu bei H.D. BETZ, Gal, 395ff. Zur Rolle des κόλαξ s. auch P. MARSHALL, Enmity, 70-90.309-311.

296

Das Symbol des Kreuzes

Krankheit bzw. somatische Anomalie (άσ&έ-νεια της σαρκός)225 nach damaligen Konventionen Anlaß genug dazu gegeben hätte (vgl. 2Kor 10,10).226 Bezeichnend ist, daß Paulus dieses ungewöhnliche Verhalten am Ende von V.14 direkt mit der Aufnahme Jesu Christi vergleicht. Man wird darin eine Anspielung auf den Χριστός έσταυρωμένος mithören müssen, streicht Paulus doch in 3,1 explizit heraus, den Galatem bei seinem Missionsbesuch Jesus Christus als Gekreuzigten vor Augen geschrieben zu haben. Die Gemeinde nahm damals folglich den „schwächlichen" Apostel gerade so wie den Gekreuzigten auf. Inhalt und Modus der Verkündigung stimmten gewissermaßen überein.227 Somit ergibt sich: Analog zur Inversionsstrategie in der Korintherkorrespondenz versucht Paulus auch hier seinen gefährdeten Ruf - aus dem Freund Paulus droht laut V.16 ein Feind (έχϋρός) zu werden - dadurch zu festigen, daß er das Abstoßende und Schandhafte - seine somatische Anomalie und den Gekreuzigten - zum Quellort seines Ansehens sowie zur Basis seiner Beziehung zu den Galatern macht. Die theologia cruris erscheint so auch hier implizit als kritische Mitte der paulinischen Argumentation, mit deren Hilfe er die Ansprüche der rivalisierenden Missionare zu annullieren versucht. Es kann somit festgehalten werden: Die im Symbol des Kreuzes konzentrierte Inversion von Ehre und Schande bestimmt die Auseinandersetzung des Apostels mit konkurrierenden theologischen Entwürfen grundlegend auch dort, wo das Kreuz nicht expressis verbis genannt ist. Die paulinische Argumentation ist hier gleichsam mit den Signifikaten des Kreuzes imprägniert; mit Hilfe der kreuzestheologischen Inversionslogik löst der Apostel dabei das herkömmliche Wertesystem auf, destruiert darin die Grundlagen der Ansprüche anderer Theologien und legt damit zugleich das Fundament für den Aufbau einer neuen sozialen und kulturellen Identität.

225 Zu den vielfältigen Hypothesen über die Art der Erkrankung vgl. BÖRSE, Gal, 153156; FUNG, Gal, 196f.; GÜTTGEMANNS, Apostel, 174 samt A16-18; LONGENECKER, Gal, 191; s. auch DUNN, Gal, 236. 226 YGJ DAZU P MARSHALL, Enmity, 153f.: „In view of his emphasis upon their noble acceptance of him and the association of the terms πειρασμός, έξουθενείν, and έκπτύειν (v. 14), with ασθένεια (v. 12), I suggest that ασθένεια does not simply signify his physical weakness but alludes to his status also. The issue here is one of social judgement, by himself and others, on his worth and status according to popular convention. Against normally held values, rather than wrong (άδικεϊν) (v. 12) him, they received (δέχεσθαι) him ,as an angel of God, as Christ Jesus' (v. 14). ... We have evidence then of a relationship of warmth and quality in which the usual conventions of acceptance have been put aside." Vgl. zudem H.D. Β ETZ, Gal, 390f.: „Die härtesten Proben für eine Freundschaft waren Krankheit, Entstellung oder Häßlichkeit." 227 v g l MUSSNER, Gal, 308: „Der körperliche Zustand des Apostels und der Χριστός εσταυρωμένος, den er ihnen verkündigte, schienen ja gut zueinander zu passen, gewissermaßen eine Einheit zu bilden."

Zusammenfassung

297

5. Zusammenfassung Die voranstehende Untersuchung hat deutlich werden lassen, daß das Kreuz innerhalb der paulinischen Theologie die Rolle eines dominanten Symbols einnimmt. Dies liegt aus folgenden Gründen nahe: Zunächst erscheint das Symbol des Kreuzes bei Paulus in einer engen Verbindung mit verschiedenen rituellen Prozessen und erfüllt darin das Hauptkennzeichen dominanter Symbole: Es fungiert als Herzstück der rituell konnotierten Missionsverkündigung, es steht für das Geschehen im Ritual der Taufe und tritt darüber hinaus in eine gewisse Spannung zum Ritual der Beschneidung. Zwischen diesen drei rituellen Kontexten läßt sich folgender Nexus ausmachen: Die bereits in der rituell-performativen Kreuzespredigt angestoßene Transformation der Angesprochenen wird im Initiationsritual der Taufe nochmals unmittelbar körperlich erlebt und gefestigt - der Initiand stirbt hier in symbolischer Form selbst den (Kreuzes-)Tod Christi (vgl. Rom 6,6) - , wodurch auf der anderen Seite die Beschneidung zwangsläufig in ihrer Bedeutung als zentrales Initiationsritual relativiert wird. Die Kontrastierung von περιτομή und σταυρός findet dabei ihren tieferen Grund nicht zuletzt darin, daß erstere aufgrund ihrer Funktion als jüdisches Identitätszeichen228 Exklusivität markiert, während das Kreuz im Rahmen der Verkündigung wie der Taufe Inklusivität transportiert, und zwar eine Inklusivität, die neben sozialen Distinktionen gleichfalls ethnische und zumindest implizit ebenso geschlechtliche Differenzen überbrückt, also gerade auch jene Differenzen, die in der Beschneidung explizit akzentuiert und ausagiert werden. Das Symbol des Kreuzes ist darüber hinaus in einer für dominante Symbole typischen Weise durch Multivokalität gekennzeichnet. Es verweist auf mehrere unterschiedliche Sachverhalte. Die vielfältigen disparaten Signifikate lassen sich auf einem sensorischen und einem ideologischen Pol verorten. Die Signifikate des ideologischen Pols umfassen neben solchen der Inklusivität zumal auch solche der Separation. Sie verweisen insgesamt auf den Anbrach einer neuen Schöpfung, eines neuen Ich und einer neuen soziokulturellen Ordnung. Hierin spiegeln sich die in den übrigen Paragraphen dieser Arbeit näher untersuchten, für die paulinische Theologie elementaren Transformationsprozesse: die Transformation der Äonen, des christusgläubigen Individuums und die soziale Transformation zu einer Communitas in den paulinischen Gemeinden. Tragender Grund all dieser Prozesse ist die Transformation Christi am Kreuz, in die die Christusgläubigen in den rituellen Vollzügen der Verkündigung und der Taufe symbolisch einbezogen werden. Das Symbol des Kreuzes ist ein effektives Symbol, das die impliziten Signifikate in die Existenz der Menschen einspeist und sie „kreuzförmig" werden läßt. Dies geschieht durch die Verschmelzung des sensorischen und ideologi228 Ygi d a z u d i e Literaturangaben in Anm. 34 in § 10.4.3 (S. 359).

298

Das Symbol des Kreuzes

sehen Pols, wobei die Emotionen, die die Referenz des Symbols auf die physiologischen Prozesse weckt, in den Dienst der ideologischen Ordnung gestellt werden. Entscheidend ist, daß Paulus sich hier die zwangsläufig negativen Gefühle und Wertungen (Schrecken, Scham und Unreinheit) zu nutze macht, sie im rituellen Rahmen umwertet, damit die Grundlagen der soziokulturellen Ordnung erschüttert und kraft der so freigesetzten Energien die oben beschriebenen Momente der Separation und der Inklusivität faktisch in und unter den Christusgläubigen umsetzt. Die Kreuzesbotschaft ist mit anderen Worten ein Beispiel für die durchaus auch in anderen Kulturen beobachtbare erneuernde Kraft des Unreinen. 229 Das Innovationspotential, das durch die im paulinischen Logos vom Kreuz vollzogene Vermengung von Unreinem und Heiligem, die Inversion der Kategorien Ehre und Schande, den Eckpfeilern der antik-mediterranen Kultur, entsteht, schafft realiter den Aufbau einer neuen individuellen Identität, einer neuen sozialen Gemeinschaft 230 sowie einer neuen Sicht der Dinge. Eine Graphik soll die Zusammenhänge veranschaulichen.

SENSORISCHER P O L Physisch Das langsame Sterben Das leidvolle Sterben Die sichtbare Zerstörung des Körpers Der körperliche Kontrollverlust

Emotional Schrecken Schande/Scham Unreinheit

L 1

KREUZ

\

Ε F F Neue Weltsicht Ε Neue Identität Κ Neue Gemeinschaft τ Ε

Separation:

Ende des alten Äons (kosmisch) Ende des alten Ego (individuell) Distanz zur Umwelt: Verfolgung und Inversion der Werte (soziokulturell)

Inklusivität:

Ethnische Inklusivität Soziale Inklusivität Geschlechtliche Inklusivität? IDEOLOGISCHER P O L

229

Vgl. dazu DOUGLAS, Reinheit, 207ff. 230 Vg[ BARTON, Resurrection, 67: „... the cross provided an alternative agenda for the formation of individual and communal identity by inverting the spiritual and moral and political institutions of Paul's day." BARTON bündelt in diesem Satz die Ergebnisse seines Artikels „Paul and the Cross".

Zusammenfassung

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Das Innovationspotential des Kreuzes kommt in Krisensituationen besonders deutlich zum Tragen. In der Auseinandersetzung mit konkurrierenden theologischen Entwürfen können sich die Signifikate des Symbols voll entfalten und bewähren, wobei dem Kreuz die Rolle eines Identitätssymbols zuwächst, dessen Signifikate auch dort zur Geltung gelangen, wo nicht explizit von ihm die Rede ist. Das Kreuz ist insofern die kritische Mitte der paulinischen Theologie. Als dominantes Symbol ist der σταυρός zugleich ein liminales Symbol·. Der Perfektgebrauch des Verbs σταυροϋν indiziert, daß das Kreuz für einen andauernden, nicht abgeschlossenen Prozeß steht. Es markiert mit anderen Worten die gegenwärtige liminale Phase, in der sich die Christusgläubigen bis zur Auferstehung befinden. Sie sind in kosmischer, soziokultureller und individueller Hinsicht von den alten Mustern der Existenz separiert; eine universale inklusive Gemeinschaft (Communitas) unter den solchermaßen Separierten ist nun möglich; eine bedeutende Transformation hat also stattgefunden, gleichwohl harrt diese noch ihrer Vollendung.

§ 1 0 Communitas und Anti-Struktur bei Paulus Communitas ist die soziale Ausformung von Liminalität. Sie begegnet nach Turner nicht nur in rituellen Schwellenphasen, sondern kann über das Ritual hinaus in die sozialen Strukturen einer Gruppe bzw. einer Gesellschaft hineinwirken, sie mit anti-strukturellen, egalitären Idealen durchsetzen und so transformieren. Diese Dynamik spiegelt sich auch in den paulinischen Briefen. Die anschließende Untersuchung will dies dokumentieren. Es soll sichtbar werden, wie sehr und in welcher Weise das Gemeindeverständnis und die soziale Wirklichkeit der Gemeinden des Apostels durch Communitas geformt waren. Dazu sind mehrere Arbeitsschritte erforderlich: Nach einer knappen Erörterung der dazu bislang in der Paulusexegese eingeführten Modelle ist zunächst das rituelle Fundament der paulinischen Gemeindetheologie und damit die Basis der paulinischen Communitas herauszuschälen. Im Anschluß daran soll die für Paulus maßgebliche Rede vom „Leib Christi" mit Hilfe Turners Symbolanalyse als Symbol der Communitas ausgewiesen werden. In den beiden letzten großen Abschnitten werden schließlich die egalitären wie aber auch die normativen Elemente der paulinischen Gemeindekonzeption besprochen und mit Hilfe des Konzepts der „normativen Communitas" integriert. Gegliedert sind die beiden letzten Abschnitte jeweils gemäß den in Gal 3,28 aufgelisteten Oppositionspaaren. Der Vers kann nahezu als Programmsatz der paulinischen Communitas gewertet werden.1 Es sei vermerkt, daß die Anwendung des Communitaskonzepts in der Paulusexegese nicht ganz neu ist.2 Sie konnte sich allerdings im Mainstream der Exegese bislang nicht durchsetzen. Das Modell wurde freilich oft auch nur sehr pauschal verwertet: In der Regel fand weder dessen ursprünglich rituelle Verwurzelung genügend Beachtung noch wurde die Differenzierung des Communitasbegriffs, nämlich die Unterscheidung zwischen spontaner, ideologischer und normativer Communitas, immer gebührend berücksichtigt.3 Diese Unschärfen sollen hier vermieden werden. 1 BOYARIN, Jew, 22 erklärt Gal 3,28 zum hermeneutischen Schlüssel seiner gesamten Paulusdeutung; GORDON, Sister, 102ff. versteht den Inhalt des Verses als „root metaphor". 2 Vgl. GAGER, Ende, 106; GORDON, Sister, 106ff.; MEEKS, Urchristentum, 188f.191.229. 321.325.381; MOXNES, Integration, lOlff.; NLDITCH, Chaos, 91-105; N.R. PETERSEN, Rediscovering, 151ff.; A.F. SEGAL, Convert, 172; TIDBALL, Setting, 885f.; GLLHUS, Gnosticism, 120. Auf Jesus und seine Jünger bezogen s. WORGUL, Consciousness, 11. 3 MEEKS, Urchristentum, 188 A81 erwähnt die Differenzierung zwar, geht aber dann nicht weiter darauf ein; s. auch die Kritik von LASINE, Indeterminacy, 59f. an NlDITCH; GORDON, Sister, 107f.l 14 u.ö. greift indes das Modell explizit auf und bezieht es auf eine Fraktion in Korinth (s. dazu Anm. 302 in Abs. 5.3 [S. 422f.]).

Alternative Modelle zur Communitas

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1. Alternative Modelle zur Communitas Um die Konturen des Communitasmodells deutlicher hervortreten zu lassen, werden zunächst drei vergleichbare, gleichwohl alternative Deutungsmuster des paulinischen Gemeinschaftsethos vorgestellt. Dabei handelt es sich einerseits um zwei aus antiken Institutionen abgeleitete, also emische Modelle, nämlich um Sampleys These von der konsensualen Societas sowie den Rekurs auf die antike Freundschaftsethik; zum anderen geht es um ein der modernen Soziologie entlehntes, also etisches Modell, nämlich Theißens These vom paulinischen Liebespatriarchalismus. Ich will mit letzterem einsetzen. Liebespatriarchalismus

In Analogie zu Ernst Troeltschs These von den drei idealtypischen Sozialformen christlichen Glaubens, der Anstaltskirche, der Sekte und dem Spiritualismus, unterscheidet Gerd Theißen drei Sozialformen urchristlichen Glaubens: den Liebespatriarchalismus, den Wanderradikalismus und den gnostischen Spiritualismus bzw. Radikalismus.4 Theißen entfaltet diesen Ansatz wie folgt: Während der Wanderradikalismus in der Hauptsache die Jesusbewegung im ländlichen Milieu Palästinas geprägt habe,5 sei der Liebespatriarchalismus die charakteristische Sozialform des Urbanen hellenistischen Urchristentums.6 Im Neuen Testament trete dieser am reinsten in den Haustafeln der Deuteropaulinen sowie in den Pastoralbriefen hervor, doch lasse er sich gleichwohl schon bei Paulus belegen. Theißen führt dazu Stellen wie IKor 7,21ff. oder 11,3-16 an.7 Besonders aber die Diskussion mit den Korinthern hinsichtlich des umstrittenen Konsums von Götzenopferfleisch sowie die paulinische Argumentation im Zusammenhang mit der Kontroverse um die Ausrichtung des Herrenmahls spiegelten das paulinische Ethos des Liebespatriarchalismus.8 Hier werde erkennbar, daß dem Apostel im Gegensatz etwa zum konfliktträchtigen ethischen Wanderradikalismus der Jesusbewegung primär am sozialen Frieden und Ausgleich lag.9 Theißen skizziert die Bedeutung des besagten Ethos näherhin mit folgenden Worten: 4

Vgl. THEISSEN, Studien, 23f.l05. Speziell zur sachlichen Vorprägung des Begriffs „Liebespatriarchalismus" bei TROELTSCH S. ebd., 102(A67).268(A87).288(A26); allgemein zu TROELTSCH vgl. auch K. SCHÄFER, G e m e i n d e , 13ff. 5 Vgl. dazu THEISSEN, Studien, 98-103 sowie DERS., Soziologie, passim; s. ferner die Diskussion des Modells bei W. STEGEMANN, Wanderradikalismus, 94ff. 6 Vgl. dazu bes. THEISSEN, Studien, 268ff. Formen des gnostischen Spiritualismus spürt THEISSEN im übrigen bei den Pneumatikern in Korinth sowie im Johannesevangelium auf (s. ebd., 24.103). 7 Vgl. ebd., 268. 8 Vgl. ebd., 272-289 und 290-317. 9 Es sei an dieser Stelle notiert, daß THEISSENs Analyse der Jesusbewegung auf der Anwendung der religionssoziologischen Konflikttheorie basiert (vgl. Soziologie, 89f.), wäh-

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

„Dieser Liebespatriarchalismus nimmt die sozialen Unterschiede als gegeben hin, mildert sie jedoch durch die Verpflichtung zu Rücksichtsnahme und Liebe, eine Verpflichtung, die gerade gegenüber dem sozial Stärkeren geltend gemacht wird, während vom sozial Schwächeren Unterordnung, Treue und Achtung verlangt werden. Aus welchen geistesgeschichtlichen Quellen sich auch immer dies Ethos speist: Mit diesem Ethos bewältigte ein großer Teil des hellenistischen Urchristentums die Aufgabe, die sozialen Beziehungen einer Gemeinschaft zu gestalten, die einerseits von ihren Gliedern ein hohes Maß an Solidarität und Brüderlichkeit verlangte, andererseits aber sehr verschiedene Schichten umfaßte ... Seine geschichtliche Wirksamkeit ist nicht zuletzt darin begründet, daß er Mitglieder verschiedener Schichten integrieren konnte: Mitglieder höherer Schichten konnten hier in führenden Stellungen ein reiches Betätigungsfeld finden, so daß es dem antiken Christentum wahrhaftig nicht an profilierten Führungsgestalten gefehlt hat - beginnend mit Paulus. Aber auch die unteren Schichten fanden hier eine Heimat: nämlich grundsätzliche Gleichberechtigung vor Gott, Solidarität und Hilfe in den konkreten Problemen des Lebens - nicht zuletzt durch jene Christen, die eine gesellschaftlich gehobene Position innehatten."10 Der Liebespatriarchalismus vereinigt folglich zwei, letztlich inkompatible Elemente in sich, nämlich soziale Integration auf der einen und Bewahrung hierarchischer Strukturen auf der anderen Seite. So überrascht es nicht, daß eines der beiden Elemente eindeutig die Oberhand behält, hier das letztgenannte, das konservativ-patriarchale Beharren auf Statuspositionen und deren Umsetzung im Alltag. Das heißt: Die soziale Integration von Reichen und Armen, Gebildeten und Ungebildeten in eine Gemeinschaft aus Urbanen Christusgläubigen beruht am Ende auf einer gleichzeitigen Affirmation der herkömmlichen sozialen Rangordnungen ihrer Mitglieder. Der Liebespatriarchalismus läßt mit anderen Worten „soziale Ungleichheiten bestehen, durchdringt sie aber mit einem Geist der Rücksichtnahme, der Achtung und der persönlichen Fürsorge" 11 . Nicht eine allgemeingültige Transformation der sozialen Ordnung, sondern eine Art Internalisierung patriarchaler Strukturen in einer durch die Praxis der agape abgemilderten Form innerhalb des Bereichs christusgläubiger Gemeinschaften ist also im Blick. In diesem Sinn konstatiert Theißen, daß im Liebespatriarchalismus „... die Gleichberechtigung zwar grundsätzlich auf alle ausgedehnt wurde, auf Frauen, Fremde und Sklaven ..., aber zugleich verinnerlicht wurde: Sie gilt ,in Christus'. Im politisch-sozialen Bereich werden schichtbedingte Unterschiede grundsätzlich hingenommen, bejaht, ja sogar religiös legitimiert. Es wird nicht mehr um gleiche Rechte gestritten, wohl aber um eine durch Rücksicht, Fürsorge und Verantworrend er für die Rekonstruktion des Liebespatriarchalismus von einer Integrationstheorie ausgeht; s. dazu auch SCHÜSSLER FlORENZA, Gedächtnis, 11 Iff. 10 THEISSEN, Studien, 268f. 11 Ebd., 288.

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tungsbewußtsein charakterisierte Gestaltung der Beziehung zwischen den Mitgliedern verschiedener Schichten."12 Durch Theißens These vom Liebespatriarchalismus erhielt die soziologische Erforschung des frühen Christentums und speziell des paulinischen Gemeinschaftsethos ohne Frage entscheidende Impulse.13 Gleichwohl ist die These nicht ganz unproblematisch. So wird das Modell nur schwerlich der Radikalität der egalitären Züge im Corpus Paulinum gerecht. Theißen reduziert die Sprengkraft paulinischer Spitzenaussagen allzu sehr, wenn er das paulinische Gemeinschaftsethos auf eine mit menschenfreundlichen Anstrich versehene Stabilisierung herkömmlicher gesellschaftlicher Rangunterschiede beschränkt. An dieser konservativen Akzentuierung bricht m.E. deutlich die grundsätzliche Problematik der Anwendung funktionalistischer Theorieansätze auf, die - wie Clifford Geertz es einmal formuliert hat - im allgemeinen mehr an dem Nachweis interessiert sind, „wie Religion die soziale und psychische Struktur erhält, als daran, in welcher Weise sie auf diese zerstörerisch wirkt oder sie transformiert"14. In typisch funktionalistischer Manier führt so auch das Modell des Liebespatriarchalismus den Aspekt der ausgleichenden Integration von Mitgliedern verschiedener sozialer Schichten zu einseitig auf das Ziel eines möglichst reibungslosen „Funktionierens" des Urbanen christlich-hellenistischen Sozialgebildes zurück. Die „anti-strukturelle", transformatorische Komponente der paulinischen Gemeindetheologie kommt demgegenüber kaum noch in ausreichender Weise zum Zug.15 Freilich kann und soll nicht geleugnet werden, daß es Paulus auch um Ausgleich und Stabilität in seinen Gemeinden ging. Doch, so wird man fragen müssen: Stand dieser Ausgleich für ihn nicht letztüch im Dienst einer im Anbrach bereits verwirklichten Transformation der gesellschaftlichen Strukturen? Zudem ist auch das von Theißen praktizierte Verfahren, ein und dasselbe Modell auf Paulus und das nachpaulinische Christentum zu beziehen, nicht ganz glücklich gewählt.16 Die Liebespatriarchalismus12

Ebd., 271. Der Ansatz wurde etwa jüngst u.a. wieder von M.Y. MACDONALD, Churches, 43f. übernommen. 14 GEERTZ, Beschreibung, 97; s. dazu auch LENSKI, Macht, 34ff. Eine kritische Würdigung des funktionalistischen Ansatzes THEISSENs legen ELLIOTT, Criticism, 10-25 und RLIS, Theory, 161-178 vor. Das Grundparadigma des Funktionalismus ist das eines biologischen Körpers, der Homöostasie zu erhalten sucht. In analoger Weise, so die Annahme des Funktionalismus, strebten auch Gesellschaften und soziale Gruppierungen nach harmonischem Ausgleich. 15 Vgl. dazu auch die Kritik bei ENGBERG-PEDERSEN, Gospel, passim; SCHÜSSLER FLORENZA, Gedächtnis, l l l f f . 2 3 5 ; SCHMELLER, Hierarchie, 69ff.90ff„ bes. 95; TLDBALL, Setting, 888; s. ferner D.B. MARΉN, Slavery, 128f.; K. SCHÄFER, Gemeinde, 444. 16 Vgl. dazu THEISSEN, Studien, 268-271. Danach sind nicht nur die Deuteropaulinen und die Pastoralbriefe durch dieses Modell geprägt, THEISSEN zufolge habe sich überhaupt das Christentum des zweiten und dritten Jahrhunderts dank des Liebespatriarchalismus 13

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

These steht so in der Gefahr, die Dynamik der urchristlichen Gemeindeformen zu sehr einzuebnen und die Unterschiede zwischen dem anti-strukturell geprägten paulinischen Gemeinschaftsethos und einer die Strukturpositionen stärker forcierenden Gemeindetheologie und Gemeinschaftspraxis in der nachpaulinischen Zeit zu verwischen. 17

Freundschaftsethik

Wiederholt wurde die Ansicht vorgetragen, die für die antike griechisch-römische Kultur äußerst bedeutsame φιλία (amicitia) bestimme maßgeblich das paulinische Gemeinschaftsverständnis. 18 Tatsächlich hat sich in den vorangegangenen Abschnitten vereinzelt gezeigt, daß der Apostel immer wieder auf Topoi aus dem Bereich der Freundschaftsethik zurückgreift, wenn er das Verhältnis zu seinen Gemeindegliedern beschreibt. Gleichwohl ist das den paulinischen Briefen entnehmbare Gemeindeethos allein damit nicht zu erklären. Es will bedacht sein, daß Freundschaft in der Antike im wesentlichen als reziproke Beziehung zwischen zwei sozial gleichgestellten Männern definiert war, 19 mehr noch, wahre Freundschaft kam allein den sozial Etablierten zu. 20 Sie beruhte zumal auf dem Austausch von Geschenken und Gunsterweisen gleicher Art und Größe inklusive finanzieller Mittel. 21 Φιλία war so im antikmediterranen Kontext ein vornehmlich Männern vorbehaltenes Oberschichtsphänomen. Dagegen ist als wesentliches Proprium der paulinischen Gemeinschaftsaussagen gerade die Verbundenheit zwischen ethnisch, sozial und geschlechtlich Ungleichen auszumachen (vgl. Gal 3,28). Aus Turners gesell-

gegen Gnosis und Montanismus durchsetzen können, ja selbst Kaiser Konstantin „konnte mit seiner Religionspolitik nur deshalb Erfolg haben, weil der christliche Liebespatriarchalismus als eine schöpferische Antwort auf tiefgreifende soziale Veränderungen auch über die kleine christliche Minorität hinaus wirksam werden konnte" (ebd., 271). 17 Vgl. dazu SCHMELLER, Hierarchie, 95, der zu dem Ergebnis gelangt, das Konzept des Liebespatriarchalismus träfe nicht Paulus, wohl aber die nachpaulinische Ära. 18 Vgl. dazu die Überlegungen bei P. MARSHALL, Enmity, bes. 133-164; STOWERS, Friends, passim; M.L. WHITE, Morality, passim; SCHENK, Phil, 6 2 - 6 5 ; s. auch KLAUCK, Haus, 108ff.; generell zur antiken Freundesethik vgl. die bei STOWERS, Friends, 107 A 8 angeführte Literatur. 19 Vgl. nur Aristoteles, Eth Nie 8.1158b29-a5; Cicero, Lael 69. BORMANN, Philippi, 167 A 2 5 schreibt: „Sowohl für die hellenistische φιλία als auch für die römische amicitia ist weitgehende Statusgleichheit bzw. ein nicht allzugroßer Statusunterschied Bedingung"; s. dazu überdies ALFÖLDY, Sozialgeschichte, 89; GARNSEY/SALLER, Kaiserreich, 2 2 0 - 2 2 2 ; P. MARSHALL, Enmity, 12f.l8f.; SCHMELLER, Hierarchie, 23. 20 Vgl. BORMANN, Philippi, 170; P. MARSHALL, Enmity, 12f.18f.29; MEEKS, Origins, 40; STOWERS, Friends, 110; s. dazu auch die Ausführungen zum Freundschaftsbrief bei SCHRÄGE, IKor I, 89. 21 Zu den finanziellen Gunstbeweisen unter Freunden s. GARNSEY/SALLER, Kaiserreich, 220f.

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schaftstheoretischer Perspektive läßt sich daher konstatieren: Während die griechisch-römische φιλία auf einem exklusiven Klassenbewußtsein fußt und folglich dem Bereich der Sozialstruktur zuzuordnen ist, thematisiert Paulus in außerordentlicher Weise Verbundenheit gerade unter Ungleichen und dokumentiert darin eine anti-strukturelle Orientierung. Von daher kann das griechisch-römische Freundschaftsideal die paulinische Gemeinschaftsauffassung nicht vollständig erhellen,22 wenngleich der Apostel sich in seinen Briefen ohne Frage bestimmter Freundschaftsmotive bedient.23

Konsensuale Societas Bedenkenswert ist schließlich Paul Sampleys These, die charakteristische Sozialform christlicher Gemeinschaften lasse sich mit Hilfe einer spezifischen römischen Rechtsinstitution begreiflich machen, der sog. „konsensualen Societas".24 Danach habe der Apostel das Verhältnis zu seinen Gemeinden dieser römischen Rechtsform gemäß ausgestaltet, wobei die Gemeindeglieder sich untereinander als socii verstanden hätten. Die These charakterisiert die Christusgläubigen und Paulus mithin als Partner, die sich mittels eines Vertrages zu einem gemeinsamen Zweck zusammenschlossen. Lukas Bormann hat die Übertragung dieses Modells auf Paulus jedoch ausführlich und stichhaltig widerlegt. Er macht u.a. darauf aufmerksam, es stünde uns kein einziger Beleg zur Verfügung, aus dem eindeutig hervorginge, daß eine solche societas damals im Sinne einer geistigen Bruderschaft verstanden wurde, wie dies Sampley für Paulus und seine Gemeinden reklamiert. Die konsensuale societas ziele vielmehr eindeutig auf die Verfolgung gemeinsamer wirtschaftlicher Inter22 M.L. WHITE, Morality postuliert allerdings unter Verweis auf Aristoteles, Eth Nie, 9.1169a und vor allem Lukian, Toxaris, 2 9 - 3 4 die Existenz von Freundschaften unter Ungleichen in der Antike, wobei der Höhergestellte Statusverzicht leiste; s. auch STOWERS, Friends, 119f. BORMANN, Philippi, 167f. A25 hat diese These indes jüngst anhand der genannten Belege falsifiziert. Soziale Relationen zwischen Ungleichen sind in der Regel patronale Beziehung, die nicht mit dem griechisch-römischen Freundschaftsideal gleichgesetzt werden dürfen (vgl. dazu P. MARSHALL, Enmity, 143f.; MEEKS, Origins, 40). Dies gilt auch für die Beziehungen zwischen Patron und Schützling, die GARNSEY/SALLER, Kaiserreich, 213.217-220 als weiteres Sozialverhältnis zwischen der Patron-Klient-Relation und der amicitia ansiedeln. 23 Daß die Begriffe φίλια und φίλος in den paulinischen Briefen fehlen, ist kein Argument gegen die gelegentliche Aufnahme von Freundschaftsethik seitens des Apostels: „Often one finds friendship discussed without these words ... After all, how many business letters use the word .business' ...?" (STOWERS, Friends, 119 A45). P. MARSHALL, Enmity, 133-135 macht geltend, Paulus habe die entsprechenden Begriffe aufgrund der darin enthaltenen Statusimplikationen (Oberschichtswerte) bewußt vermieden; diese widersprächen seiner Überzeugung, daß es in Christus keinen höheren oder niederen Status mehr gäbe. 24 Vgl. dazu SAMPLEY, Societas, passim; DERS, Partnership, passim; s. auch MALINA/ NEYREY, Portraits, 47.190.

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essen und sei mit der Interpretation als bruderschaftliche Gemeinschaft überfordert. Zudem sei im Corpus Paulinum der vertragliche Charakter der vermeintlichen societas nicht angezeigt.25 Die voranstehende Übersicht über einige wichtige Modelle zum paulinischen Gemeinschaftsethos 26 und die damit verknüpften Probleme gibt nun den Weg frei, das Communitasmodell zur Anwendung zu bringen, das sich nahtlos in die bisherige ritologische Erörterung der Theologie des Apostels einfügt. Als erster Schritt ist dazu die rituelle Basis der paulinischen Gemeindekonzeption zu ermitteln.

2. Gemeinde und Ritual 2.1 Grundlegung Rituelles Handeln ist seinem Wesen nach soziales, interaktives Handeln. 27 Seit den Tagen Emile Dürkheims wissen wir, daß Rituale als gemeinschaftliche Tätigkeit insbesondere Gruppensolidarität erzeugen und bewahren. Im Ritual stiftet sich eine Gemeinschaft selbst, wächst zusammen und versichert sich dabei immer wieder ihrer spezifischen Identität. Im Zusammenspiel von rituellen Körperpraktiken, Emotionen wie auch Belehrungen bildet sich ein Gemeinschaftsethos heraus und wird an die Mitglieder vermittelt. Rituale haben also eine grundlegende Bedeutung für die spezifische Ausformung einer Gemeinschaft sowie für den Gemeinsinn unter den Gruppenmitgliedern. Zugleich ist das Ritual aber immer auch Einbruchsteile nichtalltäglicher Erfahrungen und schafft einen Raum reflexiv-kreativen Umgangs mit den Bausteinen des kulturellen Universums, der Transformationsmöglichkeiten eröffnet, „... generating and envisioning innovative, communitarian alternatives that go beyond the limitations of the dominant structure"28. Daraus erklärt 25 Vgl. BORMANN, Philippi, 183-187; dort finden sich weitere Gegenargumente. Kritisch äußern sich in dieser Hinsicht auch HULTGREN, Self-Definition, 99 A92 und HAINZ, ΚΟΙΝΩΝΙΑ, 385. BORMANNS eigener Vorschlag besteht darin, das Verhältnis Pauli zur Gemeinde in Philippi als Beziehung zwischen Patron und Klientel zu bestimmen; kritisch dazu jedoch SCHMELLER, Hierarchie, 56-58. 26 Weitere emische Deutungsmuster, wie z.B. die Strukturverwandtschaft mit den collegia (s. dazu insbesondere SCHMELLER, Hierarchie) diskutiert MEEKS, Urchristentum, 159— 180, und zwar mit dem Ergebnis, daß keines der Modelle die Wesensart paulinischer Gemeinden wirklich erklären könne (s. ebd., 179); zur Problematik anderer, hier nicht eigens vorgetragener etischer Konzepte, genannt seien das Sektenmodell und der Vergleich mit millenarischen Bewegungen, vgl. nur SCHÜSSLER FLORENZA, Gedächtnis, 109ff.; HOLMBERG, Sociology, 77ff. 27 Vgl. dazu DRIVER, Magic, 154: „ritual activity is interactive and social by nature"; vielzitiert ist RAPPAPORT, Ecology, 154: „I take ritual to be the social act" (Hervorhebung im Original). 28 ALEXANDER, Turner, 103.

Gemeinde und Ritual

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sich, daß das Ritual gerade in Aufbruchs- und sozialen Separationsbewegungen ein besonderes Gewicht hat. Die Ritologin Catherine Bell merkt an: „Ritualization is, therefore, a type of creative socialization. It is most effective and most heavily used in communities that differentiate themselves from other groups."29 Die maßgeblich rituelle Verankerung des paulinischen Gemeinschaftethos zeigt sich in mehreren Punkten:30 An erster Stelle ist dazu auf Taufe und Herrenmahl zu verweisen. Die beiden Rituale besitzen anerkanntermaßen einen hohen Stellenwert im Hinblick auf die Konstitution und Bewahrung der paulinischen Gemeinden. Hier wie dort spielt der Communitasgedanke, und zwar in horizontaler wie freilich auch in vertikaler Richtung, eine herausragende Rolle. Ich werde in den nächsten Abschnitten ausführlich darauf eingehen, weshalb an dieser Stelle die bloße Feststellung der sozialen Relevanz der besagten Rituale genügen soll. Fernerhin ist in diesem Zusammenhang die missionarische Verkündigung des Apostels anzuführen. Wie in § 9.1 näher expliziert wurde, eignet diesem offensichtlich performativen Sprechhandeln ein ritueller Charakter. Von daher gründet die Gemeinde gewissermaßen von Anfang an in rituellen Vollzügen. Die rituelle Dimension der paulinischen Gemeindewirklichkeit tritt sodann vor allem in den gottesdienstlichen Versammlungen hervor. Diese bestanden aus mehreren unterschiedlichen Handlungssequenzen sowie einer Vielzahl kleinerer geprägter Gesten, Formeln und Sprachmuster, die uns heute nur noch z.T. bekannt sind.31 Es handelt sich bei den Zusammenkünften mithin um „a complex of several kinds of ritual behaviors and celebrations all combined into a unified whole"32. Bezeichnend ist dabei nun die von Paulus selbst betonte Verflechtung zwischen den ritualisierten Aktionen und der sozialen Kohäsion innerhalb der εκκλησία, wie sie besonders deutlich in IKor 14 erkennbar wird. Der Apostel spricht hier mehrfach das soziale Prinzip der οικοδομή an (vgl. V.4.12.26). Gemeint ist die Auferbauung und Stärkung der Gemeinschaft sowie die Herausbildung eines Gemeinschaftsethos, die er an die unterschiedlichen rituellen Handlungseinheiten während der Gemeindeversammlung (Prophetie, Glossolalie, Psalmgesang, Lehre, Auslegung etc.) zurückbindet. Man kann sich hier im Grundsatz Wayne A. Meeks anschließen, der in seiner ritologischen Analyse der betreffenden Passage über die οικοδομή schreibt: „Paulus bekennt sich damit offen zu der sozialen Funktion, die er und seine Mitarbeiter den verschiedenen Formen des Gesangs und der Rede bei den geisterfüllten 29

BELL, Ritual, 35f. Vgl. zum Thema auch MEEKS, Urchristentum, 288-331; M.Y. MACDONALD, Churches, 61-83; NEYREY, Paul, 75-101. 31 Näheres dazu bei MEEKS, Urchristentum, 292-307; AUNE, Worship, 980-983.987. 32 AUNE, ebd., 974. 30

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Versammlungen der Gemeinden zuschreiben. Durch das Singen von .Psalmen, Hymnen und Liedern' für Gott (oder den Herrn) im Versammlungsablauf .belehrte' und .ermähnte' die Gemeinde sich selbst und .baute' zugleich Gemeinschaft .auf'. Eine wichtige Aufgabe ritueller Sprache und Musik liegt also ... in der Stärkung des internen Zusammenhalts in der Gruppe. Doch oikodome bedeutet mehr als Gruppenkohäsion. Was hier durch .Lehre und Ermahnung' bewirkt wird, ist die Bildung eines Gemeinschaftsethos. Aus der Vorstellungswelt der der Gruppe eigentümlichen Sprache und der dichterischen Wiederholung von Aussagen und Metaphern, in denen sich ihre fundamentalen Glaubensvorstellungen spiegeln, erwächst, verstärkt durch den Rhythmus der Musik und getragen durch die hohe Emotionalität, die sich aus der engen Interaktion während der Versammlung ergibt, die besondere .Erkenntnis' der Gruppe. In ihr nehmen die Einstellungen und Präferenzen der Gruppe Gestalt an, und die Lebensgestaltung, ,wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht', wird verinnerlicht."33 Die Bedeutung rituellen Verhaltens für die Identität und das Ethos der paulinischen Gemeinde läßt sich am Beispiel des in IThess 5,26; IKor 16,20; 2Kor 13,12 und Rom 16,16 erwähnten „heiligen Kusses" (φίλημα άγων) noch etwas deutlicher herausstellen, also anhand eines nur kleinen Elements gestischen Verhaltens, das in der Gemeindeversammlung seinen zentralen Ort gehabt haben dürfte. 34 Die Charakterisierung des Kusses mittels des Adjektivs „heilig" (άγιος) signalisiert zunächst, daß es sich um eine besondere, von profaner Tätigkeit zu unterscheidende rituelle Form körperlich-symbolischer Kontaktaufnahme handelt. Wo immer die traditionsgeschichtlichen Wurzeln des φίλημα άγιον gelegen haben mögen, 35 klar dürfte sein, daß der Vollzug des „heiligen Kusses" den Gruppenzusammenhalt sichtbar zum Ausdruck brachte und emotional verstärkte. Ja, in ihm manifestierte sich die unter den Christusgläubigen gültige Maxime der Agape gleichsam physisch. 36 Berücksichtigt man dabei die unterschiedliche soziale Zusammensetzung der paulinischen Gemeinschaften, zumal der korinthischen Gemeinde, so wird man im rituellen Kuß nicht zuletzt einen intimen Ausdruck von Communitas sehen dürfen. 37 33

MEEKS, Urchristentum, 299. Zur ekklesiologischen Verankerung der οικοδομή s. auch KlTZBERGER, Bau, 291ff.; VIELHAUER, Oikodome, 108. Letzterer verweist ebd., 109 ausdrücklich auf den Kult als „Sitz im Leben" der Oikodome: „Es ist schwerlich ein historischer Zufall, bzw. durch die historische Situation bedingt, daß Pls das Wort da am häufigsten gebraucht, wo er von der kultisch versammelten Gemeinde spricht, IKor 14. Der Kult ist die eigentliche Erscheinungsweise der Ekklesia; im Kult, durch die objektiven Sachverhalte von Kerygma und Sakrament, konstituiert sich die Gemeinde je neu. Hier ist der eigentliche Sitz der .Erbauung'"; vgl. dazu ebd., 85-88. Zur Synonymität der Begriffe „Kult" und „Ritual" s. AUNE, Worship, 975. 34 Vgl. dazu nur die ausführliche Diskussion bei K. SCHÄFER, Gemeinde, 434—440. 35

Vgl. dazu nur KLAUCK, Herrenmahl, 3 5 2 - 3 5 6 sowie BENKO, Kiss, 7 9 - 1 0 2 .

36

In IPetr. 5,14 ist später direkt vom φίλημα αγάπης die Rede. So mit MEEKS, Urchristentum, 229; vgl. dazu auch BERGER, Theologiegeschichte, 394.

37

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Das erhebliche Integrationspotenial, aber auch umgekehrt die beträchtliche soziale Sprengkraft, die vor allem umfangreicheren rituellen Vollzügen innewohnt, wird im sog. antiochenischen Konflikt sichtbar (Gal 2 , 1 1 - 1 4 ) . Drehund Angelpunkt der geschilderten Auseinandersetzung war das gemeinsame Mahl von Juden und Heiden. Ohne hier allzusehr ins Detail gehen zu können, läßt sich den Ausführungen des Apostels entnehmen, daß in der rituellen38 Kommensalität der beiden ethnischen Gruppen offenbar ein neues Gemeinschaftsideal aufbrach und sozial faßbar wurde, ein Ideal, das Paulus wohl im Sinne der in Christus eschatologisch geeinten Menschheit verstanden haben dürfte (vgl. Gal 5,6; 6,15). D i e im rituellen Vollzug zum Ausdruck kommende neue Gemeinschaft stieß allerdings auf Widerstand und führte zur Intervention der Leute des Jakobus. D i e Kommensalität zwischen Juden und Heiden qua Heiden wurde durch sie in eine Spannung zu den innerjüdischen Kashrut gebracht, 39 die zentrale Bedeutung für die Identität des Judentums hatten. 40 W i e

38 Der „rituelle" Charakter der in Gal 2,11-14 verhandelten Kommensalität tritt klar hervor, wendet man GRIMES' Katalog ritueller Qualitäten an (s. dazu § 4.3 [S. 70]): Die Tischgemeinschaft ist (1) ein in Antiochien offensichtlich institutionalisierter Vorgang. Dies ergibt sich aus dem im Text vorausgesetzten Wandel im Verhalten des Petrus sowie aus dem Imperfekt σονήσθιεν, das auf eine wiederholte Handlung weist (vgl. dazu H.D. BETZ,

Gal, 202; LONGENECKER, Gal, 73; MUSSNER, Gal, 138; STOWASSER, Konflikte, 73 A79).

(2) Es handelt sich um eine kollektive bzw. gleichsam öffentliche Handlung, ist doch die ganze Gemeinde involviert (V.14: 'έμπροσθεν πάντων; vgl. dazu LÜHRMANN, Abendmahlsgemeinschaft, 278; HEIL, Ablehnung, 136). (3) Die Mahlgemeinschaft wird in ihrer referentiellen bzw. symbolischen Qualität thematisiert: Nicht die Nahrungsaufnahme als solche steht im Mittelpunkt, an ihr hängt vielmehr die Frage der Gruppenidentität (vgl. V.14: jüdische oder heidnische Identität). (4) Sie trägt ferner religiöse Konnotationen, wie die in V.14 hergestellte Verbindung mit der αλήθεια τοΰ ευαγγελίου und zumal die später anschließenden Ausführungen des Apostels in V.16ff. anzeigen. (5) Der Aspekt des Dramatischen bzw. der Inszenierung klingt zumindest negativ gefärbt im Vorwurf der ΰπόκρισις in V. 13 an. (6) Die fragliche Kommensalität hat paradigmatische Qualität, drückt sich doch in ihr ein bestimmter Lebensstil aus (s. V.14b). Über die genannten Punkte hinaus fällt auf, daß Paulus für die Absonderung Petri von der Tischgemeinschaft einen rituell-kultisch geprägten Begriff verwendet, nämlich αφορίζω (vgl. dazu STRACK, Terminologie, 99-105 und die Ausführungen zu Gal 1,15 in § 6.2 [S. 99]). Es ist nicht auszuschließen, daß bei der in Gal 2,11-14 verhandelten Mahlgemeinschaft das Herrenmahl mit im Blick ist (vgl. HEIL, Ablehnung, 135f.; LONGENECKER, Gal, 73; LÜHRMANN, Abendmahlsgemeinschaft, 277ff.; ROHDE, Gal, 105; SCHLIER, Gal, 83; SCHWEITZER, Mystik, 193; STOWASSER, Konflikte, 73). 39

Es ist kaum mit Sicherheit auszumachen, worin exakt der Grund für die Problematisierung der Mahlgemeinschaft aus Juden und Heiden in Antiochia lag. Paulus schweigt sich darüber aus. Mit SANDERS, Association ist jedoch die These, daß Heiden generell als .unrein' galten, zurückzuweisen. Wahrscheinlicher ist, daß man Bedenken gegen einen zu engen Kontakt mit Heiden hatte, „... since close association might lead to contact with idolatry or transgression of one of the biblical food laws ... If specific rules about .tablefellowship' were at issue, the problem was the food itself ... Some people had a general reluctance to eat any Gentile food" (ebd., 186). Vgl. dazu auch die Mutmaßung von STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 234: „Es könnte ... sein, daß die Irritationen wegen der Tischgemeinschaft von Juden und Nicht-Juden in der antiochenischen Ekklesia ihren Grund darin hatten, daß nichtjüdische Christusgläubige als Gastgeber fungierten, mithin der

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

sehr sich dabei über das rituelle Mahl ethnische Identitäten definierten, dokumentiert allein die Verwendung von Schlüsselwendungen wie έ-9-νικώς bzw. Ίουδα'ίκώς ζην und ίουδοίΐζει.'ν im fraglichen Text. Das heißt: Die Tischgemeinschaft zwischen Juden und Heiden warf allem Anschein nach die ethnischsoziale Gretchenfrage auf: Wie hälst Du's mit deiner Gruppenzugehörigkeit?41 Der antiochenische Konflikt bestätigt insofern eindrücklich die eminent soziale Bedeutung ritueller Vollzüge. Im Hinblick auf die Frage nach der Relevanz rituellen Handelns für das paulinische Gemeinschaftsethos ist schließlich der Umstand bedeutsam, daß der Apostel seine Gemeinden bzw. Gemeindeglieder wiederholt mit Begriffen aus dem kultisch-rituellen Bereich belegt.42 Sie werden z.B. als „Heilige" (Rom 1,7; 12,13; IKor 6,lf.; 2Kor 1,1; 9,1; Phil 1,1; 4,22 u.ö.; vgl. auch IThess 4,1-8) oder als „Tempel Gottes" bzw. „Tempel des Heiligen Geistes" (IKor 3,16f.; 6,19; 2Kor 6,16) bezeichnet.43 Die Ausdrücke zeigen unmißverständlich an, daß Paulus die έκκλησία als heiligen, d.h. als separierten und durch die Nähe bzw. Präsenz Gottes gekennzeichneten liminalen Raum verstanden wissen will.44 Man wird dabei folgenden Aspekt mit zu bedenken haben: Das der Heiligkeits- wie der Tempelterminologie inhärente Moment der Separation aus dem Bereich der Profanität in einen liminalen Raum ist grundsätzlich rituell konnotiert. Der Raum des Heiligen bzw. der Raum des konkreten Tempels steht für den abgegrenzten Bereich der Gottesgegenwart, der zumal durch rituelle Vollzüge etabliert und markiert ist 4 5 Insofern ist in den Gemeindebezeichnungen „Heilige" und „Tempel Gottes" m.E. nicht nur die Nähe Gottes als solche artikuliert,46 sondern auch die rituelle Konstitution dieser Nähe mitkonnotiert. In den genannten kultisch-rituellen Vokabeln wird man den Aspekt der rituellen Konstitution der paulinischen Gemeinschaften also zumindest mithören dürfen. Etwas eingehender gilt es nun auf die beiden zentralen Ritualen im Corpus Paulinum zu schauen: Taufe und Herrenmahl. Beide bringt der Apostel „in Verdacht bestand, daß problematische Nahrungsmittel auf den Tisch kamen." Vgl. zum Thema ferner A.F. SEGAL, Convert, 230-233; HULTGREN, Self-Definition, 89f.; HEIL, Ablehnung, 135ff. 40 Vgl. nur DUNN, Works, 523-527; FEELEY-HARNIK, Table, 95f. 41 Zur fundamentalen Bedeutung des Essens für die soziale Integrität einer Gruppe s. auch unten Abs. 2.3.1. 42 Vgl. dazu auch den Überblick über kultische Termini in „ekklesiologisch relevanten Aussagen" bei STRACK, Terminologie, 14-16; s. ferner KLAUCK, Gemeinde, 348-358. 43 Vgl. dazu ausführlich STRACK, Terminologie, 152-171.177-274. 44 Vgl. dazu BALZ, άγιος, 46, der ebd. generell zur Bezeichnung der Christusgläubigen als „Heilige" ausführt: .„Heilig' meint hier nicht einen Zustand oder eine Beschaffenheit der Glaubenden, sondern ihre durch Christus bewirkte Absonderung für Gott, die sie dieser Welt entzieht..." Zur Bedeutung des Tempels in dieser Hinsicht s. MALINA, Welt, 163ff. 45 Vgl. dazu J.Z. SMITH, Place, 104, der Tempelgebäude mit guten Gründen als „built ritual environments" bezeichnet. 46 Vgl. dazu insbesondere STRACK, Terminologie, bes. 402ff.

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einen unmittelbaren Begründungszusammenhang mit der Kirche"47. Da jedoch die Bedeutung der Taufe in den §§ 6 bis 9 wiederholt thematisiert und in der obigen Interpretation des In-Christus-Seins als horizontaler Christuscommunitas bereits in ihrer sozialen Dimension ausgelegt wurde, reicht an dieser Stelle ein kurzer Abriß der bereits erarbeiteten Einsichten. Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung wird die Rolle des Taufrituals in sozialer Hinsicht ohnehin noch mehrmals zur Sprache kommen, im besonderen bei der Besprechung der Rede vom Leib Christi und der Bedeutung von Gal 3,28, wobei sich die bisherigen Thesen weiter erhärten werden. Die Erörterung des Herrenmahls, das bislang in dieser Arbeit noch nicht ausdrücklich diskutiert wurde, muß demgegenüber ungleich detaillierter ausfallen.

2.2 Die Taufe Die Taufe fungiert bei Paulus als Initiationsritual.48 Dabei spiegelt sich in den Briefpassagen, in denen er die Taufe direkt oder auch nur indirekt anspricht, jene Bedeutungskomplexität wider, die rituell-symbolischen Initiationsvollzügen grundsätzlich eigen ist (vgl. dazu § 3.2). Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Vielzahl der unterschiedlichen Motive, Gedanken und Perspektiven, die der Apostel meist unter Rückgriff auf Tradition mit dem Initiationsakt verknüpft, alle im einzelnen zu besprechen.49 Mit Rücksicht auf die Themenstellung in diesem Paragraphen soll es hier nur um die mit der Taufinitiation verbundene Communitas gehen, die, wie in der bisherigen Untersuchung immer wieder sichtbar wurde, eine vertikale und eine horizontale Ausrichtung besitzt. Die wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Studie in beiderlei Hinsicht nochmals zusammenfassend und sie um einige wesentliche Punkte ergänzend, läßt sich diesbezüglich festhalten: (1) In der Taufe tritt der einzelne Initiand zunächst in eine enge Verbindung mit Christus, indem er im Ritual dessen Schicksal am eigenen Leib reaktualisiert und auf diese Weise in dessen Transformation vom Tod zur Auferstehung inkorporiert wird. Dieser Grundakkord paulinischer Tauftheologie, die 47

ROLOFF, Kirche, 109. Explizite Deutungen der Taufe als Initiationsritaal finden sich bei CARLSON, Role, 256ff.; CHRISTIANSEN, Covenant, bes. 274ff.323-325 (s. ferner Register); MEEKS, Urchristentum, 307-322; DERS, Origins, 92-96; s. aber auch AUNE, Worship, 986; M.Y. MACDONALD, Churches, 65-69; NEYREY, Paul, 87f. 49 Vgl. dazu nur G. BARTH, Taufe, 73ff.; BEASLEY-MURRAY, Taufe, 345ff.; HALTER, Taufe, 287ff.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, bes. 145ff. Die Variationsbreite der Perspektiven in den Tauftexten betont vor allem HARTMANN, Namen, 53-93.149-155. Er arbeitet dabei einige „Urmotive" heraus, unter denen die Christusbeziehung und die eschatologische Perspektive eine Vorrangstellung einnehmen. Die sozial-kollektive Dimension der Taufe bleibt bei ihm demgegenüber etwas unterbelichtet; zur Kritik daran s. auch CHRISTIANSEN, Covenant, 277. 48

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von mir sog. vertikale Christuscommunitas, wurde in der obigen Besprechung von Rom 6 (s. §§ 7.2 und 8.4) sowie in den Erläuterungen zur vertikalen Dimension der In-Christus-Aussagen (vgl. dazu § 7.3) breit entfaltet. Dabei wurde auch sichtbar, daß der eigentliche Aggregationsakt der Taufinitiation für Paulus noch aussteht. Dieser erfolgt erst mit der Auferstehung der christusgläubigen Initianden. Die Taufe figuriert von daher als Initiation in eine Art „permanente Liminalität": Der Initiand erfährt zwar die Separation von seinem alten Status, d.h. die Loslösung vom Leben unter der Herrschaft der Sünde und des Todes, so daß ihm nun ein neuer Lebenswandel möglich wird, ein Leben in „Heiligkeit", doch die in Christus verbürgte Auferstehung ereignet sich letztlich erst bei der Parusie.50 Der in der Taufe angestoßene Prozeß ist insofern noch nicht vollendet. Diese Unabgeschlossenheit ändert indes nichts an dem Umstand, daß die Realität für die Initiierten grundsätzlich bereits eine neue ist. Hier gilt, was, Clifford Geertz im Rahmen seiner ritologischen Überlegungen einmal so formuliert hat: „Jemand, der beim Ritual in das von religiösen Vorstellungen bestimmte Bedeutungssystem .gesprungen' ist (vielleicht ist dieses Bild für die tatsächlichen Vorgänge ein wenig zu sportlich - .geglitten' mag zutreffender sein) und nach Beendigung desselben wieder in die Welt des Common sense zurückkehrt, ist - mit Ausnahme der wenigen Fälle, wo die Erfahrung folgenlos bleibt - verändert. Und so wie der Betreffende verändert ist, ist auch die Welt des Common sense verändert, denn sie wird jetzt nur noch als Teil einer umfassenderen Wirklichkeit gesehen, die sie zurechtrückt und ergänzt."51 Die von Geertz angesprochene rituelle Wandlung der Wirklichkeit qua Wandlung des symbolischen Universums läßt sich mit Blick auf Paulus besonders deutlich an Rom 6,1-11 ablesen. Der Apostel rekurriert hier immer wieder auf das in der Taufe gründende neue Selbst- und Weltverständnis als gemeinsame Basis zwischen sich und seinen Adressaten. Dies zeigen die wiederholten Formulierungen mit Verben des Wissens, Glaubens und Meinens: αγνοείτε δτι ... (V.3); τοϋτο γινώσκοντες ... (V.6); πιστεύομε^ δτι ... (V.8); είδότες (V.9); ύμεΐς λογίζεστε εαυτούς ... (V.ll). 52 Die Welt ist den Getauften also in der Tat eine neue geworden; die Initiierten sind mithin im Taufritual in die durch das Christusereignis bestimmte Wirklichkeit „eingetaucht", die von nun an alles Erleben und die Welt des Common sense neu qualifiziert. Die mit der Taufe verbundene Geisterfahrung mag dabei den bereits faktisch eingetretenen Wandel unterstrichen haben,53 manifestiert sich doch in ihr gewis50 CARLSON, Role, 257ff. beschreibt die Funktion der Taufe vor dem Hintergrund des Gesagten durchaus zutreffend mit der Trias „negation", „inauguration" und „anticipation". 51 GEERTZ, Beschreibung, 90; s. dazu auch die Überlegungen in § 7.3.4 (S. 209f.). 52 Vgl. dazu N.R. PETERSEN, Rediscovering, 254f. 53 Die meisten Exegeten gehen davon aus, daß die Taufe mit einer Geistübermittlung verbunden war; vgl. nur G. BARTH, Taufe, 60-72; HALTER, Taufe, 414-419; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 124-126; WlLCKENS, Rom Π, 50.131; s. auch BOYARIN, Jew, 186 sowie

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sermaßen die proleptische Teilhabe an der Auferstehungsdynamis im Sinne des in die Gegenwart bereits hineinragenden forthcoming (s. § 8). Der Gebrauch der 1. und 2.Pers.Pl. in Rom 6,1-11 gibt schließlich zu erkennen, daß die Taufe in alledem immer auch Initiation in eine neue Gemeinschaft von Menschen ist, die ein und dasselbe symbolische Universum teilen.54 Damit ist bereits die kollektiv-soziale Dimension der Taufinitiation angesprochen. (2) Als Initiationsritual läßt sich die Taufe nicht auf das Moment der Transformation des einzelnen Christusgläubigen beschränken, sie geschieht vielmehr stets im Kontext einer Gemeinschaft55 und ist gleichermaßen Inkorporation in diese Gemeinschaft.56 Daß es sich hierbei um eine communitasförmige Gemeinschaft handelt (horizontale Communitas), geht aus der bezeichnenden Rede von dem einen, aus verschiedenartigen Menschen bestehenden Leib Christi in IKor 12,12ff. hervor. Der Communitascharakter wird dann aber vor allem in dem programmatischen und ebenfalls an die Tauferfahrung rückgebundenen Satz von der Relativierung der ethnischen, sozialen und geschlechtlichen Oppositionen in Gal 3,28 faßbar. Auch sonst betont der Apostel immer wieder, daß die Getauften zu einer einzigartigen Gemeinschaft der Kinder bzw. Söhne Gottes geworden seien (Rom 8,15-18; Gal 3,26f.; 4,6f.).57 Vor diesem Hintergrand überrascht es nicht, wenn er anläßlich der Parteienspaltung in der Gemeinde zu Korinth an das besagte Initiationsritual als Einheitsgrund zurückerinnert (IKor l,12f.).

2.3 Das Herrenmahl Die folgenden Überlegungen zum paulinischen Herrenmahlsverständnis setzen mit einigen knappen Erläuterungen zur allgemeinen Bedeutung der Kommensalität ein. Im Anschluß daran sollen die beiden diesbezüglich zentralen N.R. PETERSEN, Rediscovering, 255: „The spirit received by believers at baptism is much more than an object of knowledge, much more than a symbol, because it is experienced by them as a power within them." In Anbetracht der obigen Überlegungen zu Gal 3,1 in § 9.1 (S. 255ff.) sei darauf hingewiesen, daß der Geistempfang keineswegs allein auf die Taufe einzuschränken ist. Die Gabe des πνεύμα war vermutlich auch mit der Verkündigung verbunden; vgl. dazu die Erörterungen bei HALTER, Taufe, 417. 54 M.Y. MACDONALD, Churches, 66 spricht in diesem Zusammenhang von der Taufe als „celebration of learning". 55 ALEXANDER, Turner, 24 konstatiert generell: „Rituals in which there is a single participant, too, make reference to a community, or they are provided a frame of reference by a community and hence are related to it." Vgl. ferner DRIVER, Magic, 154. 56 Dieser zentrale Aspekt kommt in der sonst überzeugenden Darstellung der Taufe als Passageritus bei MEEKS, Urchristentum, 307-322 zu kurz; dies kritisiert auch CHRISTIANSEN, Covenant, 17. 57 Zu „Paul's complex kinship system" vgl. allgemein die anthropologisch fundierten Ausführungen bei N.R. PETERSEN, Rediscovering, 206ff.215ff., die den vertikalen und horizontalen Aspekt gleichermaßen behandeln.

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Texte im Corpus Paulinum diskutiert werden, nämlich IKor 10,16f. und 11,17-34.

2.3.1 Die Bedeutung der Kommensalität Aus anthropologischer Perspektive ist zunächst festzuhalten, daß sich im Umgang mit Nahrung sowie insbesondere in der Kommensalität die spezifischen sozialen Strukturen einer Gesellschaft bzw. Gruppe besonders anschaulich reflektieren. 58 So merkt die amerikanische Anthropologin Gillian Feeley-Harnik an, „... that food is one of the principal ways in which differences among social groups are marked .. ." 59 . Und kurz darauf fährt sie fort: „In establishing precisely who eats what with whom, commensality is one of the most powerful ways of defining and differentiating social groups. It may be used to represent kinship or connubium. It may also be used to establish a community of interests, marking close relationship, among those who are neither kin nor affines "60

Und Lee Edwards Klosinski schreibt: „Die gemeinsame Mahlzeit ist eine Transaktion, mit der eine Reihe von gegenseitigen Verpflichtungen einhergeht und die ein komplexes Geflecht von Beziehungen begründet. Sehr auffällig ist die Eignung der Speisen, diese Beziehungen zu symbolisieren wie auch die Grenzen sozialer Gruppen zu bezeichnen ... Der Austausch von Speisen ist ein Symbol für menschliche Interaktion: Essen ist ein Verhalten, das Gefühle und Beziehungen symbolisiert, Status und Macht vermittelt und die Grenzen der Gruppenidentität ausdrückt."61 Diese Beobachtungen lassen sich durch die vieldiskutierte Theorie zur Analogie von Körper und Sozialsystem der Anthropologin Mary Douglas vertiefen. 62 Ihrzufolge symbolisiert der physische Körper, insbesondere der rituelle Umgang mit diesem, stets den gesellschaftlichen Körper. Das heißt: In den rituellen Körpererfahrungen reproduzieren sich immer auch die tragenden so-

58 Einen instruktiven Überblick über die anthropologische Forschung auf diesem Gebiet liefert FEELEY-HARNIK, Table, 6-18; s. ferner LATHAM, Food, 388-391; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 232f. sowie SCHMITT, Essen, 11-64. 59 FEELEY-HARNIK, Table, 10. 60 Ebd., 11. 61 KLOSINSKI, zit. nach CROSSAN, Jesus, 451; vgl. auch MALINA, Feast, 76; speziell zur sozialen Bedeutung antiker Mahlgemeinschaften s. E.W. STEGEMANN, Abendmahl, 133ff. und KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, passim. 62 Vgl. DOUGLAS, Ritual, 99ff.; DIES., Reinheit, 15.151ff.; s. dazu auch oben S. 271f. (§ 9.2) und NEYREY, Ceremonies, 368ff.; DERS., Paul, 102-146, bes. 121ff.; vgl. grundsätzlich bereits MAUSS, Techniken.

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zialen Strukturen einer Gesellschaft bzw. einer Gemeinschaft. Namentlich im restriktiven oder offenen Umgang mit den Grenzen des physischen Körpers (Haut, Körperöffnungen, Körperausscheidungen) offenbart sich dabei der hohe oder niedrige Grad der sozialen Grenzziehung: Eine hohe Körpergrenzkontrolle steht danach für das Vorherrschen sozialer Exklusivität sowie strikter Statusklassifizierungen, eine niedrige Körpergrenzkontrolle für soziale Intimität und die Relativierung von Statusklassifizierungen. Folglich entsprechen strenge Regeln darüber, was den Mund passieren darf und was nicht, strenge Regeln, wer in die Gemeinschaft aufgenommen werden kann und wer nicht, sowie umgekehrt. Überhaupt ist Essen für Douglas ein „Code", in dem sich die sozialen Strukturen einer Gesellschaft verdichten, wobei gilt: „The message is about different degrees of hierarchy, inclusion and exclusion, boundaries and transactions across boundaries. Like sex, the taking of food has a social component, as well as a biological one. Food categories encode social events." 63

Gerade die jüdischen Speisegebote fungieren in dieser Hinsicht als Mittel sozialer Distinktion.64 Die ganz Bandbreite der Möglichkeiten, mit denen grundsätzlich bei antiken Mahlen soziale Grenzen gezogen werden konnten, hat Stephen C. Barton unter Rückgriff auf die anthropologische Forschung bündig zusammengestellt. Er nennt: „the type of food and drink consumed or abstained from", „the time and frequency of eating and fasting", „the time of and time taken for meal preparation", „the quantity of food consumed", „commensality (or the sharing of meal) and non-commensality (or exlusion from the meal)", „the symbolic geography of the meal", „the clothes worn by participants" und „appropriate noise or silence at meals". 65

Auf dieser Folie gilt es im folgenden neben der religiösen bzw. vertikalen Ausrichtung des Herrenmahls zumal auf dessen soziale bzw. horizontale Dimension zu achten.66 Das Herrenmahl gestaltet Gemeinschaft auf beiden Ebe63

64

DOUGLAS, Meanings, 249.

Vgl. FEELEY-HARNIK, Table, 95f. Wenn NEUSNER die sich von der übrigen Gesellschaft separierenden Pharisäer aufgrund ihrer hohen Wertschätzung der Speisegebote als „Eating Club" bezeichnet (s. Pictures, passim), so paßt dies in dieses Bild; vgl. dazu auch E.W. STEGEMANN, Abendmahl, 135. Zur sozialen Dimension der alttestamentlichen Speisegebote vgl. überdies JENKS, Eating, 252ff. sowie SCHMITT, Essen, 65ff. 65 Vgl. BARTON, Place, 235f.; s. dazu ferner NEYREY, Ceremonies, 362ff.; SMITH/TAUSSIG, Tables, 30ff. 66 Den Zusammenhang zwischen beiden Dimension hebt auch FEELEY-HARNIK, Table, 2 hervor. Sie schreibt: „Meals ... symbolize proper behavior among social groups in relation to one another and in relation to God. Who may eat what with whom is a direct expression of social, political and religious relations." Die Beziehungen, die durch das Essen ausgedrückt werden, haben also eine horizontale und eine vertikale Ebene. Speziell mit Blick auf

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

nen; es schafft Gemeinschaft mit Christus und eine besondere Gemeinschaft unter den Mahlteilnehmern. Dieser Doppelaspekt tritt unübersehbar in IKor 10,16f. zutage. 2.3.2 IKor 10,16f. Der Text der beiden exkursartig67 in den Kontext eingebauten Verse lautet: „(16) Der Becher des Segens, den wir segnen, ist er nicht Koinonia des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht Koinonia des Leibes Christi? (17) Weil ein Brot, sind wir, die vielen, ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot."68 V.16 betont zunächst die personale Gemeinschaft mit Christus (vertikale Christuscommunitas) beim rituellen Mahl. Die Teilnehmer erfahren hierbei nach Paulus eine Art Partizipation an Christus und seinem Geschick.69 Über Brot und Wein vermittelt werden sie gleichsam in Christus und dessen heilige Geschichte inkorporiert. Darin gleicht das Herrenmahl der Taufe.70 Zur Formulierung solcher Christuspartizipation führt Paulus den Schlüsselbegriff κοινωνία ein. Die genaue Bedeutung und Funktion dieser wichtigen Vokabel ist in der exegetischen Forschung breit diskutiert worden.71 Mit Hans-Josef Klauck und Bernd Kollmann wird man den Begriff wohl am ehesten von der hellenistischen rituellen Opfer- und Mysterienmahlterminologie her zu verstehen haben. Dort wurde mit κοινωνία/κοινωνεΐν die im Mahl konstituierte personale Verbindung mit einer Gottheit zum Ausdruck gebracht.72 Doch gleichdas Judentum konstatiert FEELEY-HARNIK weiterhin, „that food was one of the most important languages in which Jews expressed relations among human beings and between human and God" (ebd., 19; Hervorhebungen jeweils nicht im Original). 67 WOLFF, IKor, 54 deutet die Verse als „Assoziation, die sich ihm [sc. Paulus] mit der Erwähnung des σώμα τοϋ Χριστοΰ ergibt und die ihm für die Gemeinde wichtig ist"; ähnlich schon WEISS, IKor, 258f („Digression"); vgl. auch FEE, lCor, 469 (dort weitere ältere Vertreter der Exkurs-These). 68 Zu den verschiedenen Möglichkeiten den δτι-Satz in V.17 aufzulösen vgl. YORKE, Church, 35-38. Die hier vorgestellte Übersetzung deutet den Satz mit der Mehrzahl der Exegeten als begründenden elliptischen Vordersatz; so auch FEE, lCor, 462.469; KLAUCK, Herrenmahl, 264; PANIKULAM, Koinonia, 18.25; SCHRÄGE, IKor Π, 440f.; WOLFF, IKor, 49 A269; YORKE, Church, 35ff. u.v.a. 69 SCHRÄGE, IKor Π, 439 A339 notiert: „Auch beim Mahl ist von realer Partizipation und nicht nur von Aneignung der beneficia Christi die Rede." Vgl. ferner WOLFF, IKor, 53; andere Akzente setzt jedoch BARRETT, IKor, 269f. 70 Vgl. dazu auch KOLLMANN, Ursprung, 61.62-65; M.Y. MACDONALD, Churches, 69; MCDERMOTT, Doctrine, 221. 71 Vgl. dazu nur ΗΑΙΝΖ, Koinonia, 176-204; R.0L0FF, Kirche, 103; Μ.Μ. MITCHELL, Rhetoric, 135 A418. 72 Vgl. KLAUCK, Herrenmahl, 91-166.261.268; KOLLMANN, Ursprung, 59f.; CONZELΜΑΝΝ, IKor, 211 (dort jeweils Belegstellen). Man wird jedoch mit MCDERMOTT, Doctrine,

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gültig, ob man dieser Ableitung im einzelnen zustimmen mag, ungeachtet auch der Frage, ob der Begriff an dieser Stelle auf vorpaulinische Tradition zurückgeht oder nicht,73 klar dürfte in jedem Fall sein, daß der Apostel mit der Koinonia des Blutes sowie des Leibes Christi nicht etwa die horizontale, durch Essen und Trinken unter den Christusgläubigen konstituierte Gemeinschaft im Blick hat, sondern die vertikale Communitas mit Christus.74 Dafür spricht allein der Kontext.75 Dort wird das Problem der durch das Essen von Götzenopferfleisch vermittelten Gemeinschaft mit den Dämonen verhandelt, also ein primär „vertikales" Problem. Es geht Paulus in V.16 also letztlich darum, die Unvereinbarkeit des Herrenmahls mit der Teilnahme an Götzenopfermählem zu unterstreichen, indem er auf die qua Essen und Trinken bewirkte Anteilhabe an Christus hinweist 76 Dementsprechend ist gerade σώμα in V.16 auf den Körper Christi zu beziehen77 und nicht etwa als Bild für die Gemeinschaft der Gläubigen zu nehmen.78 Der Aspekt der „horizontalen" Gemeinschaft wird dann aber in V.17 eingebracht. Der Apostel spricht hier explizit von dem „einen Leib" den die πολλοί qua Ritual bilden. Die Rede vom Leib zielt hier also eindeutig auf die soziale Gemeinschaft in der Gemeinde. Zwei Aspekte verdienen hierbei besondere Beachtung: Erstens: Nach V.17 hat die soziale Gemeinschaft ihren Grund in dem „einen Brot", das die rituellen Subjekte während des Mahls zu sich nehmen, das heißt, die rituell-vertikale Partizipation am Leib Christi, auf die είς άρτος unter 232f. einräumen müssen, daß Paulus, blickt man auf alle Belegstellen, den Begriff insgesamt in origineller Weise gebraucht; zur Verbindung von IKor 10,16 mit den Mysterien vgl. ferner SÖDING, Eucharistie, 143-145. 73 Zur Gemeindetradition in V.16 vgl. nur SCHRÄGE, IKor Π, 431^434 und WOLFF, IKor, 50-52. 74 So auch mit verschiedenen Nuancierungen BARRETT, IKor, 269; KLAUCK, Herrenmahl, 261f.; PANIKULAM, Koinonia, 23f.; PARK, Kirche, 276ff.; SCHRÄGE, IKor Π, 4 3 7 440; SÖDING, Leib, 146-148; WOLFF, IKor, 53.113; anders FEE, lCor, 467; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 309f.; weitere Vertreter einer horizontalen Deutung bei PANIKULAM, Koinonia, 22f. und SCHRÄGE, IKor Π, 437 A328. Freilich ist nicht auszuschließen, daß der Begriff κοινωνία in V.16 zumindest sekundär auch die Gemeinschaft unter den Mahlteilnehmern konnotiert, insofern sie ja gemeinsam an Christi Geschick qua Essen und Trinken partizipieren. Doch ist dies nicht die primäre Intention der Aussage; vgl. dazu KLAUCK, Gemeinde, 334; SCHRÄGE, IKor Π, 437. 75 Weitere Argumente bei PANIKULAM, Koinonia, 23. 76 Vgl. dazu insbesondere D.B. MARTIN, Body, 190f.; s. dazu auch unten Anm. 186 (S. 342). 77 Die kontrovers diskutierte Frage, ob Paulus hier an den gekreuzigten oder an den erhöhten Leib Christi denkt, stellt eine falsche Alternative dar. Beides gehört für Paulus zusammen; so mit KLAUCK, Herrenmahl, 261; KOLLMANN, Ursprung, 61; PARK, Kirche, 278; SCHRÄGE, IKor Π, 440; WOLFF, IKor, 53; vgl. auch BULTMANN, Theologie, 149. 78 Ebenso KLAUCK, Herrenmahl, 262; KOLLMANN, Ursprung, 60f.; PANIKULAM, Koinon i a , 2 3 f . ; ROLOFF, K i r c h e , 1 0 1 ; SCHRÄGE, ΙΚΟΓΠ, 4 3 3 . 4 3 9 f . ; WOLFF, I K o r , 5 3 ; YORKE,

Church, 34. Anders BARRETT, IKor, 271; CONZELMANN, IKor, 211; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 309f.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Rückbezug auf V.16b ja offenkundig anspielt, stellt gewissermaßen den Quellgrund der sozialen Gemeinschaft dar, die sich in der Wendung εν σώμα verdichtet.79 Das rituelle Handeln bzw. die rituelle Symbolik (ein Brot) stiftet folglich soziale Gemeinschaft (ein Leib). Darin bestätigt sich erneut die soziale Relevanz des Rituals. Darüber hinaus offenbart sich hier ein weiteres Mal die bereits mehrfach beobachtete enge Verbindung zwischen der vertikalen und der daraus resultierenden horizontalen Christuscommunitas. Zweitens: Paulus hebt hervor, es handle sich um „ein" Brot und um „einen" Leib. Er unterstreicht damit die außerordentliche Einheit der sozialen Gemeinschaft, die durch das Herrenmahl geschaffen wird und die insbesondere in dem „einen" Brot symbolisch greifbar wird.80 Wie aber ist diese Einheit näher definiert? Auf den ersten Blick läßt sich aus V.17 lediglich ableiten, daß das Herrenmahl eine komplexe Vielheit von Menschen, eben die πολλοί, zu einer Einheit verwandelt. Berücksichtigt man aber das korinthische Problem der Fraktionsbildung (s. 1,12 sowie Kap. 1-4 insgesamt) und die vielfältigen Spannungen und Mißständen in der Gemeinde,81 so wird man in der Vokabel πολλοί nicht nur und nicht so sehr den Gesichtspunkt der Vielheit ausgedrückt sehen, sondern vielmehr den der Vielfältigkeit bzw. der Unterschiedlichkeit. Das besagt: Paulus geht es bei der Gegenüberstellung von πολλοί und έν nicht in erster Linie um die Opposition Vielheit/Einheit, sondern eher um den Kontrast Verschiedenheit/Einheitß2 Der Vers bekundet dann weniger die mehrfach in der Exegese vorgetragene Auffassung, die vielen Gemeindeglieder würden im Herrenmahl ihrer „Vereinzelung" entrissen und es würde so eine

79 Vgl. dazu ΗΑΙΝΖ, Koinonia, 175: „Im sakramentalen Geschehen des Abendmahls, in dem Christus Gemeinschaft stiftet zwischen sich und denen, die Anteil empfangen an seinem Leib und an seinem Blut, liegt der Ursprung der ,Kirche', und zwar der .Kirche' als Gemeinschaft." Ähnlich heißt es bei KLAUCK, Gemeinde, 336: „Der Übergang von V.16 zu V.17 beweist, daß Paulus sein Gemeindemodell vom sakramentalen Geschehen aus entwikkelt. Er interpretiert die Gemeinde vom Herrenmahl als ihrem Einheitsprinzip her." 80 Ob während des Mahls tatsächlich nur ein Brot verwendet wurde oder ob Paulus die Rede von dem „einen" Brot im übertragenen Sinn verwendet, kann hier dahingestellt bleiben. Für ersteres votieren z.B. HAINZ, Koinonia, 19; KLAUCK, Gemeinde, 354f.; LlETZMANN, Kor, 48; WEISS, lKor, 259. Dagegen spricht sich z.B. WOLFF, IKor, 54 aus. Mit SCHRÄGE, IKor Π, 441f. A358 ist wohl am ehesten zu vermuten, daß „εν weniger numerisch als qualitativ zu verstehen sein [dürfte]: ein und dasselbe"; vgl. dazu auch ROLOFF, Kirche, 104. 81 Vgl. dazu nur den knappen Überblick bei SCHNELLE, Einleitung, 79-81. 82 Auch NEBE, πολύς, 317 sieht hier die „Differenzierung und Mannigfaltigkeit in einer Menge" angedeutet. Vgl. ferner KLAUCK, IKor, 74: „Der Aufruf zur Einheit richtet sich gegen die differierenden Verhaltensweisen in Korinth"; ähnlich M.M. MITCHELL, Rhetoric, 141f.254f.; s. auch BEKER, Apostle, 308f. Ob darüber hinaus eine Anspielung auf das in der mk Abendmahlstradition verwendete ύπέρ πολλών (Mk 14,24) vorliegt, läßt sich nur schwer sagen (so z.B. KLAUCK, Herrenmahl, 264; ROLOFF, Kirche, 102; mit Vorbehalt SCHRÄGE, IKor Π, 440 A349). Das Syntagma tritt bei Paulus jedenfalls auch außerhalb dieses Kontextes auf (vgl. Rom 5,15.19; 12,5).

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organische Gemeinschaft zwischen ehemals isolierten Individuen etabliert83 man mag ohnehin fragen, ob der Gedanke der „Vereinzelung" in dieser akzentuierten Form angesichts der antik-mediterranen dyadischen Personkonzeption nicht anachronistisch ist84 vielmehr dürfte der Apostel bei der durch das Mahlritual konstituierten Einheit hauptsächlich an die darin bewirkte Relativierung der vielschichtigen Differenzen unter den korinthischen Gemeindeglieder gedacht haben,85 Differenzen, die nicht zuletzt im unterschiedlichen sozialen Status der Gemeindeglieder begründet lagen.86 So gesehen liegt V.17 die Vorstellung einer im Herrenmahl begründeten „Verwandlung sozialer Beziehungen"87 zugrunde, genauer noch einer Transformation alltäglicher Statusunterschiede im Sinne einer rituellen Communitas. Die im Kontext des Mahls praktizierte Kommensalität divergiert dann eklatant von der in der Antike konventionellen Form der Mahlgemeinschaft zwischen Gleichgestellten und/oder Gleichgesinnten,88 bei der im Fall auftretender sozialer Inhomogenität strikt auf die Wahrung der sozialen Statuspositionen geachtet wurde.89 Sie ist demgegenüber als anti-strukturelle, offene bzw. egalitäre Kommensalität zu begreifen, d.h. als Mahlgemeinschaft, die „... zutiefst die Unterscheidungen und Rangordnungen, die Frauen und Männern, Armen und Reichen, Heiden und Juden verschiedene Plätze anweisen"90, negiert. 83

So jedoch SCHLATTER, Bote, 297f.: „Indem der Einzelne durch das Mahl zum Glied dieses Leibes wird, bringt ihm das Mahl das Ende seiner Vereinzelung, die Absage an sein selbstisches Begehren, die völlige Übergabe seines Willens an den Willen des Christus, die Einordnung seines Handelns in das Leben der mit ihm Verbundenen. Es entsteht die christliche Bruderschaft." Ebenso votieren SCHRÄGE, lKor Π, 442 und WOLFF, IKor, 54; ähnlich ROLOFF, Kirche, 101f., demzufolge es um „die Zusanunenfiigung der voneinander getrennten Einzelnen zu einem organisch gegliederten Lebenszusammenhang" geht (ebd., 102; Hervorhebungen im Original); vgl. ferner MERKLEIN, Studien, 333-335. Im Hintergrund der „Vereinzelungs"-These steht vielfach die Überzeugung, Paulus bekämpfe hier individualistisch orientierte Pneumatiker in Korinth. 84 Zur dyadischen Persönlichkeit vgl. oben S. 281f. (dort in Anm. 155 Literaturhinweise). 85

Vgl. dazu M.M. MITCHELL, Rhetoric, 255ff.

86

Zur sozialen Dimension der Differenzen s. nur die wegweisenden Aufsätze von THEISSEN in seinen Studien zur Soziologie des Urchristentums, 231-317; vgl. femer WIRE, Women, 217-219. 87 88

THEISSEN, Studien, 313. Vgl. dazu nur P. LAMPE, Herrenmahl, 198.201; E.W. STEGEMANN, Abendmahl, 134.

89 KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 84-97 stellt nachdrücklich die Momente sozialer Inhomogenität sowohl bei privaten Symposien wie bei Vereinssyssitien heraus; zu den die Statusunterschiede betonenden Mahlpraktiken (Platzverteilung, unterschiedliche Quantität und Qualität des Essens etc.) s. ferner STAMBAUGH, City, 206ff.; NEYREY, Ceremonies, 364f.; SMITH/TAUSSIG, Tables, 32f.; vgl. auch allgemein die obige Darstellung sozial-distinktiver Malelemente nach BARTON (S. 315 mit Anm. 65). 90 CROSSAN, Jesus, 354. CROSSAN bezieht sich hier allerdings auf die Mähler des historischen Jesus und leitet den darin manifesten radikalen Egalitarismus ebd., 335f. unter Berufung auf Thesen des Anthropologen J.C. SCOTT aus der als „Antikultur" verstandenen bäu-

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Dieser Befund wird eindrücklich bestätigt, bezieht man den Satz πάντες εν πνεϋμα έποτίσβημεν aus IKor 12,13c nicht auf die bereits zu Beginn des Verses genannte Taufe,91 sondern auf das Herrenmahl,92 was m.E. die überzeugendere Deutungsvariante darstellt.93 Dann reflektiert sich die hier thematisierte Aufhebung bzw. Relativierung ethnischer (ειτε 'Ιουδαίοι είτε "Ελληνες) und sozialer Unterschiede (είτε δοϋλοι είτε ελεύθεροι) gerade auch in der Praxis des κυριακόν δειπνον.94 In jedem Fall belegt aber IKor 11,17-34 nachdrücklich die Deutung des Herrenmahls vom Gedanken der rituellen Communitas her. Eine genaue Lektüre dieses wichtigen Textes soll dies nun belegen.

2.3.3 IKor 11,17-34 Die Ausführungen in IKor 11 sind von der Besorgnis um die Einheit der korinthischen Gemeinde und die Integrität des Herrenmahls getragen. Diese sah der Apostel aufgrund von Spannungen, die während der Mahlgemeinschaft aufbrachen, gefährdet. Die zahlreichen Versuche innerhalb der exegetischen Forschung, die mit den Begriffen σχίσματα (V.18) und αιρέσεις (V.19) 95 beerlichen Gesellschaftsstruktur ab; vgl. dazu auch DERS., Leben, 94—104. Die spätere „Ritualisierung" in der Eucharistie wertet CROSSAN demgegenüber negativ, nämlich als Einführung von Hierarchie und Autorität; s. dazu ebd., 226f.229ff. 91 So allerdings BACHMANN, IKor, 392; HALTER, Taufe, 172f.; BARRETT, IKor, 332; KIRCHHOFF, Sünde, 155 A 2 0 1 ; SCHNACKENBURG, Heilsgeschehen, 78ff.; WEISS, I K o r ,

303; WOLFF, IKor, 108f. FEE, lCor, 605 meint: „Most likely ... Paul is referring to their common experience of conversion ..." 92 S o KLAUCK, Herrenmahl, 334f.; BECKER, Paulus, 440; HEINRICI, I K o r , 385; KÄSEMANN, Anliegen, 15f.; KOLLMANN, Ursprung, 57 A 9 7 ; weitere Vertreter nennt HALTER, Taufe, 5 9 2 A 2 0 . A l s Möglichkeit räumen dies CONZELMANN, I K o r , 258 A 1 7 ; ENGBERGPEDERSEN, Proclaiming, 113; LIETZMANN, Kor, 63; LINDEMANN, Kirche, 148 A 3 2 ; ORTKEMPER, L e b e n , 50; PARK, Kirche, 306; K. SCHÄFER, Gemeinde, 4 3 2 und WlLCKENS, R o m ΙΠ, 13 ein. MERKLEIN, Studien, 339; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 2 4 4 A 2 8 8 und SÖDING, Leib, 149 A 5 3 lassen die Frage offen.

93

Die gewöhnlich als Argument für die Taufe ins Feld geführte Aoristform έποτισθημεν läßt sich als Angleichung an bzw. Wortspiel mit έβαπΐίσθημεν (V.13a) begreifen. Eine Bezugnahme auf die Taufe würde zudem lediglich die Aussage in V.13a verdoppeln. Zu bedenken ist ferner, daß Paulus Taufe und Herrenmahl auch in IKor 10,2.4 mit den Vokabeln έβαπτίσθησαν (bzw. wahrscheinlicher έβαπτίσαντο [so ^ 4 6 c Β TO; s. dazu nur SCHRÄGE, IKor Π, 390 A44]) und πνευματικόν πόμα nebeneinanderstellt. Gegen eine Taufanspielung spricht zudem, daß die Verwendung des Verbs ποτίζειν nur sehr gezwungen mit der Taufe in Verbindung gebracht werden kann und sich von der Grundbedeutung des Wortes her („trinken") das Herrenmahl als Hintergrund nahelegt. Die Beschränkung auf das Getränk (ein Hinweis auf das Brot fehlt) kann dann als bewußte Angleichung an die in V.13a genannte Taufe erklärt werden; vgl. dazu KLAUCK, Herrenmahl, 335 samt A15. 94 Zum Verhältnis von Taufe und Herrenmahl s. unten. 95 Die beiden Termini sind wohl synonym gebraucht; so mit BARRETT, IKor, 301f.; CONZELMANN, IKor, 235; FEE, l C o r , 5 3 8 A 3 4 ; F. LANG, Kor, 148; WOLFF, IKor, 7 9 ; anders BACHMANN, IKor, 370f.; KLAUCK, Herrenmahl, 289; SCHLIER, αιρεομαι, 182, die hier

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nannten Differenzen exakt zu bestimmen, führten jedoch bislang zu keinem Konsens. 96 Dies rührt daher, daß die diesbezüglich auswertbaren Mitteilungen nur bedingt aufschlußreich und z.T. ambivalent sind. Vor allem ist der paulinischen Argumentation nur schwer die genaue Gestalt des Mahls zu entnehmen, in der die Spaltungen wohl u.a. begründet lagen. 97 Klar dürfte aber sein, daß die wohlhabenderen Gemeindeglieder das im Kontext mit der Eucharistie gefeierte Sättigungsmahl im Sinne einer „Privatmahlzeit" (ίδιον δεΤπνον [V.21]) interpretiert und entsprechend den damaligen antiken Normen wohl auch praktiziert haben. 98 Gerd Theißen konnte dabei wahrscheinlich machen, daß auf diese Weise Statusdifferenzen unter den Teilnehmern ausagiert wurden, die dann die genannten Spaltungen heraufbeschworen. 99 Im folgenden soll zunächst dem Charakter dieser sozialen Spannungen beim Mahl nachgegangen werden, um auf dieser Grundlage dann die Problemlösungsstrategie des Apostels näher skizzieren zu können. Trophische, temporale und spatiale Differenzen Angesichts der komplexen Gedankenführung des Apostels in IKor 11,17-34 sowie im Hinblick auf die oben erläuterten vielfältigen sozialen Implikationen der Kommensalität im allgemeinen wird man mit mehreren Motiven für die sozialen Differenzen rund um das Herrenmahl in Korinth zu rechnen haben. M.E. lassen sich drei Faktoren unterscheiden. (1) Der erste Faktor betrifft die Quantität und Qualität des beim Sättigungsmahl dargereichten Essens. Ungeachtet der Frage, ob die Speisen für das eine Steigerung postulieren. Eine Identität mit den in IKor 1,1 Off. thematisierten σχίσματα dürfte gegen BARTON, Place, 238f. jedoch auszuschließen sein; vgl. dazu nur FEE, lCor, 537; KOLLMANN, Ursprung, 39; WOLFF, IKor 78f. 96 Vgl. dazu die Forschungsüberblicke bei KLAUCK, Herrenmahl, 296f.; KOLLMANN, Ursprung, 40-42; H.I. MARSHALL, Supper, 571; s. auch FEE, lCor, 531 A3. 97 Vgl. diesbezüglich zum Forschungsstand KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 276-286 und SCHMELLER, Hierarchie, 68-71. Strittig ist zumal, ob Brot- und Kelchwort in Korinth als sakramentale Doppelhandlung an das Ende gerückt waren, woraus sich die Abfolge Sättigungsmahl - eucharistisches Essen und Trinken ergibt (so BORNKAMM, Herrenmahl, 155; KLAUCK, Herrenmahl, 295; NEUENZEIT, Herrenmahl, 7 0 f f . l l 5 f . ; K. SCHÄFER, Gemeinde, 426ff.; WOLFF, IKor, 77ff.86), oder ob das Mahl als Sättigungsmahl von Brot- und Kelchwort umrahmt war (so HOFIUS, Herrenmahl, 384-391; ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 110; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 286ff.; ROLOFF, Kirche, 105; ebenso KOLLMANN, Ursprung, 42; P. LAMPE, Herrenmahl, 183f.; SCHMELLER, Hierarchie, 71; STEGEMANN/ STEGEMANN, Sozialgeschichte, 245; THEISSEN, Studien, 298f„ die aber zusätzlich ein „Voressen" der Reichen postulieren). Die letztgenannte Rekonstruktion dürfte wahrscheinlicher sein, da sie der von Paulus zitierten Herrenmahlsparadosis in V.25 entspricht. 98 Die Bedeutung von Ιδιος als Bezeichnung für Eigentumsverhältnisse und die entsprechende Interpretation von ίδιον δέϊπνον als „Privatmahl" der Reicheren hat THEISSEN, Studien, 294—297 überzeugend herausgearbeitet. 99 Vgl. ebd., 29Iff.; s. auch D.B. MARTIN, Body, 73f.

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δεΐπνον vornehmlich vom Gastgeber und einigen Wohlhabenden bereitgestellt wurden oder von allen Mahlteilnehmern mitzubringen waren,100 in jedem Fall kam es offensichtlich zu einer ungleichen Verteilung des zur Verfügung stehenden Essens, so daß einige hungrig blieben, während andere angetrunken waren (V.21). Wichtig ist hierbei, daß die unterschiedliche Quantität der Essensportionen zweifelsohne die sozialen Unterschiede nachhaltig zum Vorschein brachte und unterstrich. Theißen nimmt darüber hinaus an, die reicheren Gemeindeglieder hätten auch qualitativ besseres Essen zu sich genommen. Unter Heranziehung einiger Belege bei Plinius d.J., Martial und Juvenal kann er einsichtig machen, daß ein solches Verhalten im Rahmen antiker Mahle durchaus üblich war.101 Sollte dies für das Herrenmahl in Korinth zutreffen, wären dadurch die sozialen Gräben noch zusätzlich vertieft worden. (2) Anzunehmen ist überdies, daß auch die zeitliche Koordinierung des Mahls soziale Unterschiede sichtbar werden ließ. Dies gilt zumindest dann, wenn man mit der Mehrzahl der Exegeten das Verb προλαμβάνει (V.21) temporal auflöst und mit „vorwegnehmen" übersetzt.102 In diesem Fall ergibt sich folgendes Bild: Die sozial höhergestellten Gemeindeglieder trafen sich auf100

Ersteres vertritt THEISSEN, Studien, 294ff.; s. auch D.B. MARTIN, Body, 74; SCHMELLER, Hierarchie, 71; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 245; WOLFF, IKor, 81. KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 294.323 geht indes von selbst mitgebrachten Portionen aus, die man nicht der Gemeinschaft zur Verfügung stellte, wodurch dann die sozialen Unterschiede offenkundig wurden; ähnlich ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 110. P. LAMPE, Herrenmahl, 192ff. zieht den Mahltyp des έρανος als Parallele heran, d.h. ein Essen auf gemeinsame Kosten. 101 Vgl. dazu THEISSEN, Studien, 302ff. sowie FEE, lCor, 541f.; D.B. MARTIN, Body, 74; MURPHY-O'CONNOR, Corinth, 159f.; NEYREY, Ceremonies, 365; STEGEMANN/STEGEΜΑΝΝ, Sozialgeschichte, 245; s. auch die Ergänzung der Belege bei KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 239 A55; kritisch dazu äußert sich KOLLMANN, Ursprung, 42. 102 So BARRETT, IKor, 303; BORNKAMM, Herrenmahl, 144 A12; P. LAMPE, Herrenmahl, 191ff.; KLAUCK, Herrenmahl, 292; KOLLMANN, Ursprung, 39; MURPHY-O'CONNOR, Co-

rinth, 161; Κ. SCHÄFER, Gemeinde, 426f.; SCHMELLER, Hierarchie, 69f.; WOLFF, IKor, 80f. Anders CONZELMANN, IKor, 237 A22; HOFIUS, Herrenmahl, 384-388; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 288ff.; ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 110; ROLOFF, Kirche, 105, die das Verb mit „(Speisen) einnehmen" übersetzen. THEISSEN, Studien, 297.300f. und FEE, lCor, 542 schließen keine der beiden Übertragungen aus. Gegen die Wiedergabe mit „Speisen einnehmen" spricht jedoch, daß es dafür nur einen einzigen, noch dazu unsicheren Beleg gibt (SIG3 1170, 7.9.15; Verwechslung mit προσλαμβάνει*? s. dazu P. LAMPE, Herrenmahl, 193; vgl. ferner ebd., 191 A28). Von daher wird man die temporale Deutung vorzuziehen haben. Dann ist έκαστος zu Beginn von V.21 „wie in 14,26 unpräzise gebraucht, im Sinn von: jeder, der dazu imstande ist" (KLAUCK, Herrenmahl, 293); gemeint sind folglich allein die sozial Arrivierten, die ihr Mahl vorwegnehmen konnten. Der Einwand bei KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 286.322, ein „Voressen" im Sinne zwei Mähler sei in der Antike ohne Analogie, scheint mir durch das bei P. LAMPE, Herrenmahl, 202f. zitierte Belegmaterial zur Abfolge von alltäglichem und kultischem Essen relativiert - dies gilt ungeachtet der Kritik an LAMPEs eigener ερανος-These (s. dazu KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 282ff.; SCHMELLER, Hierarchie, 70f.). Die temporale Deutung von προλαμβάνει* hat zur Folge, daß έκδέχεσθαι in V.33 mit „warten a u f und nicht mit „gastlich aufnehmen" zu übersetzen ist (vgl. unten Anm. 112).

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grund ihrer größeren Freiheit bereits vor dem eigentlichen Ritual und brauchten dabei das zur Verfügung stehende Essen vorweg auf. Sie waren somit entsprechend gesättigt und angetrunken, als die sozial deklassierten Gemeindeglieder infolge ihrer stärkeren beruflichen und sozialen Einbindungen bzw. Verpflichtungen erst später hinzukamen. An diesem Szenario läßt sich ablesen, wie sehr das sozial determinierte Reservoir an frei verfügbarer Zeit soziale Rangunterschiede offenlegen konnte.103 (3) Schließlich ist es durchaus vorstellbar und wahrscheinlich, daß die Wohlhabenderen das Sättigungsmahl unter sich im Speiseraum, dem Triclinium, einnahmen, während die vermutlich später eintreffenden Armen in das Atrium oder Peristyl verwiesen wurden.104 Das Triclinium bot in der Regel ohnehin nur etwa neun bis zwölf liegenden Personen Platz respektive einer in etwa doppelt so großen Personenzahl bei sitzender Position.105 Zudem entsprach es antiker Konvention, daß beim Deipnon und Symposion - wie oben bereits angemerkt - in der Regel überwiegend sozial gleichgestellte Männer (φίλοι) miteinander tafelten. Vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, daß der jeweilige Patron die ärmeren und sozial niedriger gestellten Gemeindeglieder gleich im Atrium empfing und dort abfertigte.106 In diesem Fall wäre im Kontext des Gemeinschaftsmahles der Christusgläubigen in Korinth auch eine räumliche Trennung von armen und wohlhabenderen Gemeindegliedern praktiziert worden. Treffen all diese Überlegungen zu, so riß die korinthische Mahlpraxis die Gemeinde in trophischer, temporaler und spatialer Hinsicht auseinander, indem auf allen drei Ebenen die sozialen Statusunterschiede der Mahlteilnehmer nachdrücklich herausgehoben und bekräftigt wurden. Ritual contra Zeremonie

Bringt man hier nun Turners Unterscheidung von Ritual und Zeremonie zur Anwendung, so stellt sich die Feier des Herrenmahls in Korinth deutlich als Zeremonie dar, d.h. als „eindrucksvolle, institutionalisierte Darstellung der indikativischen, normativ strukturierten sozialen Realität"107. In der korinthi103

Vgl. dazu grundsätzlich LAUER, Man, 95ff. 104 vgl. dazu FEE, ICor, 533f.; P. LAMPE, Herrenmahl, 190.197.201; MURPHY-O'CONNOR, Corinth, 158f.; M.M. MITCHELL, Rhetoric, 264; SCHMELLER, Hierarchie, 71; THEISSEN, Studien, 297. 105 vgl. p. LAMPE, Herrenmahl, 190 samt A26; MURPHY-O'CONNOR, Corinth, 156; vgl. dazu auch BRÖDNER, Wohnen, 34.55. KLINGHARDT, Gemeinschaftsinahl, 324-326 meint, man hätte sich in einem angemieteten Vereinslokal zu mehreren Triklinienrunden in einem Raum getroffen. 106 So P. LAMPE, Herrenmahl, 201 (unter Verweis auf Martial 12,68,If.; 9,100,2; 4,40,1; 3,38,11); vgl. auch SMITH/TAUSSIG, Tables, 24f.33. 107 TURNER, Theater, 133; zu Mählern als „Zeremonien" s. auch NEYREY, Ceremonies, 362f.

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sehen Herrenmahlspraxis manifestierte sich insofern nicht länger - wie von Paulus offensichtlich erwartet - die liminale Auflösung der Statusunterschiede vermittels einer offenen bzw. egalitären Kommensalität. Im Gegenteil, das Mahl wurde infolge der explizierten trophischen, temporalen und spatialen Differenzen zum Spiegelbild der sozialen Struktur; es replizierte mithin die sozialen Zustände und festgefügten Statuspositionen innerhalb der damaligen Gesellschaftswirklichkeit. Die liminale Transzendierung gesellschaftlicher Gegensätze und Dichotomien, wie sie rituellen Prozessen eigen ist, wurde auf diese Weise völlig ausgeblendet, das κυραικόν δέϊπνον folglich zeremonialisiert.m Um dieser „Zeremonialisierung" entgegenzuwirken, unterstreicht der Apostel in IKor 11,17-34 die rituellen Qualitäten des Herrenmahls, wobei er besonders das Moment der für ihn mit dem Mahl aufs engste verbundenen Transformation der Sozialstruktur im Sinne einer Communitas bekräftigt. Diese Abweisung der zeremoniellen Ausgestaltung des Herrenmahls zugunsten einer Akzentuierung dessen ritueller Qualitäten nenne ich die Strategie der Re-Ritualisierung.m Die Strategie der Re-Ritualisierung Diese Strategie beinhaltet mehrere Elemente: (1) die Zurückdrängung der besagten sozialen Differenzen und damit der zeremoniellen Dimension des Mahls, (2) die Bestärkung der rituellen Qualität mit Hilfe einer entsprechenden Auslegung der in V.23-25 aufgenommenen Paradosis (V.26) sowie (3) die grundsätzliche Betonung des liminalen Charakters des Herrenmahls. Dazu im einzelnen: Ad 1: Die Negierung der trophischen, temporalen und spatialen Differenzen Den in trophischer, temporaler und spatialer Hinsicht beim Mahl realisierten sozialen Differenzen stellt sich der Apostel wie folgt entgegen: a) Zur trophischen Differenz: In V.22 und 34 wendet sich Paulus an die wohlhabenden Gemeindeglieder und fordert sie auf, ihren Hunger zu Hause 108

In gewisser Weise läßt sich die Herrenmahlspraxis in Korinth als „gescheitertes Ritual" begreifen. Angelehnt an AUSTINs Überlegungen zu verunglückten Sprechakten (s. Theorie, 3 5 ^ 5 ) , hat GRIMES, Criticism, 199-205 zahlreiche Möglichkeiten mißglückter Ritualhandlungen zusammengestellt. Der von Paulus kritisierte Vollzug des Herrenmahls in Korinth dürfte dabei am ehesten in die Kategorie „misframe" fallen, d.i. eine falsche GenreZuordnung des rituellen Handelns, hier die Mißdeutung und dann auch falsche Praxis des Herrenmahls als zeremonielles, die Statusunterschiede betonendes Gastmahl. 109 Die Vorsilbe „Re-" soll zu verstehen geben, daß Paulus das Herrenmahl zu seiner ursprünglichen rituellen Bedeutung zurückführen will. Auch ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 117ff. hebt in seiner Analyse auf das Moment der „ritualization" bzw. des „reritualizing the Eucharist" ab, wobei er sich vor allem auf die Zitierung der Herrenmahlsparadosis konzentriert. SMITH/TAUSSIG, Tables, 64 konstatieren: „The central meaning of the meal here ... is its function in ritualizing social bonding."

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zu stillen.110 Dieser Appell darf freilich nicht im Sinne einer Trennung von Eucharistie und Sättigungsmahl verstanden werden.111 Die eigentliche Intention der Aufforderung offenbart sich vielmehr, wenn man den Kontext der beiden Verse beachtet. Die jeweils unmittelbar vorauslaufenden Sätze, nämlich V.21 und V.33, handeln jeweils von dem Problem des unterschiedlichen Mahlbeginns, wobei Paulus die Korinther in V.33 anhält, aufeinander zu warten (αλλήλους έκδέχεσθε)112. Vor diesem Hintergrund ist dann der Hinweis auf das Essen in den Häusern in V.22 und 34 so zu verstehen, daß er den früher eintreffenden Wohlhabenden ans Herz legt, schon zu Hause etwas zu sich zu nehmen, um nicht beim Warten auf die später eintreffenden ärmeren Gemeindeglieder aus Appetit die vorhandenen Essensportionen vorab zu verbrauchen, so daß sie später nicht mehr allen zugänglich gemacht und geteilt werden können. Aus dieser Anweisung sowie aus der damit zusammenhängenden indirekten Ermahnung, diejenigen, die nichts haben, nicht zu beschämen (V.22), läßt sich mithin folgern, daß der Apostel eine gerechte und gleichmäßige Aufteilung der zur Verfügung stehenden Speisen im Bück hat 113 und damit eine Einebnung der sozialen Differenzen qua offener Kommensalität. b) Zur temporalen Differenz: Wie soeben gesehen, votiert Paulus in V.33 mit der Wendung αλλήλους έκδέχεσ&ε für einen gemeinsam Anfang des Mahls. So wird auch dem Ausagieren von Statusunterschieden auf der temporalen Ebene Einhalt geboten. c) Zur spatialen Differenz: Die räumliche Trennung der Gemeindeglieder wurde oben lediglich hypothetisch erschlossen. Entsprechend lassen sich dem Text auch nur mittelbar Indizien für eine Abweisung der sozial-spatialen Differenzierung ausmachen. Immerhin könnte der auffällig häufige und den ganzen Abschnitt umklammernde Gebrauch des Verbs συνέρχεσθαι (V. 17.18.20. 33.34) als Anhaltspunkt für die vom Apostel möglicherweise intendierte Überwindung der mutmaßlichen räumlichen Trennung der Teilnehmer beim Her110

Die Formulierung εί τις πείνα in V.34 bezieht sich sicherlich nicht auf die armen Hungernden in V.21: „Bei denen, die nichts haben, wäre es ein kaum vorstellbarer Zynismus, ihnen zu raten, zu Hause zu speisen - man hätte gleich sagen können: Hungert doch zu Hause" (THEISSEN, Studien, 296f.). 111

S o mit BARRETT, IKor, 303; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 2 9 9 . 3 0 1 ; WOLFF,

lKor, 82; ebenso KLAUCK, Herrenmahl, 294ff. und KOLLMANN, Ursprung, 51, die jedoch in den paulinischen Anweisungen den Urgrund für die spätere Trennung sehen. Anders z.B. CONZELMANN, IKor, 2 3 8 . 112

Die temporale Deutung von έκδέχεσθαι vertreten ebenso BACHMANN, IKor, 380;

BARRETT, IKor, 3 1 8 ; HEINRICI, IKor, 352f.; KLAUCK, Herrenmahl, 3 2 8 ; KOLLMANN, Ur-

sprung, 39.51; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 245; WEISS, IKor, 292; WOLFF, IKor, 96; anders FEE, lCor, 568; HOFIUS, Herrenmahl, 384.388-390; KLINGHARDT, G e m e i n s c h a f t s m a h l , 2 9 8 ; ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 110. 113

Ähnlich P. LAMPE, Herrenmahl, 205; BARRETT, IKor, 303.318f.; SMITH/TAUSSIG, Tables, 65; s. auch KUNGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 297ff. und ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 111, die jedoch die These vom Voressen der Reichen negieren.

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renmahl geltend gemacht werden. Dies gilt um so mehr, als das Verb in V.20 mit dem Zusatz έπί τό αΰτό versehen ist: Das Syntagma besitzt eine lokale Bedeutung und meint so viel wie „an demselben Ort" bzw. „an derselben Stelle". 114 Hinzu kommt, daß συνέρχεσθαι auch „fester Terminus für den offiziellen Zusammentritt des antiken Demos" war. 115 In der Volksversammlung aber manifestierte sich die Identität und Einheit des Demos an einem zentralen Ort. Fazit: Die beschriebene Zurückweisung der auf trophischer, temporaler und spatialer Ebene ausagierten sozialen Differenzen beim Herrenmahl nimmt dem Herrenmahl insgesamt die zeremonielle Qualität und schafft damit die Voraussetzung für eine Re-Interpretation desselben als Ritual. Diese vollzieht Paulus dann vor allem in der Auswertung der ihm από τοϋ κυρίου überkommenen Herrenmahlsüberlieferung, die er den Korinthern einst selbst weitervermittelt hat (V.23ff.). Ad 2: Die Bedeutung der Herrenmahlsparadosis Die entscheidende und in der Exegese immer wieder ventilierte Frage mit Blick auf V.23-25 lautet: In welcher Beziehung steht die Rezitation der Paradosis zur Situation in Korinth, das heißt, inwiefern dient die Herrenmahlsüberlieferung der Bekämpfung der korinthischen Zustände? Der Schlüssel zu einer Antwort auf diese Frage liegt in der als Begründungssatz (γάρ) formulierten Kommentierung der Paradosis in V.26. 116 Paulus offeriert hier nicht etwa nur eine Wiederholung oder Zusammenfassung der Überlieferung, er versieht diese vielmehr mit einer ganz spezifischen Akzentuierung, bevor er dann mit konsekutivem Anschluß (ώστε) in V.27ff. wieder auf die Verhältnisse in Korinth zu sprechen kommt. Allein die grammatikalische Konstruktion erhellt: V.26 fungiert als maßgebliches Scharnier, „as the basis for the connection between the tradition and the difficulties in the Corinthian congregation's practice of the Lord's Supper" 117 . Der Satz hat von daher erhebliches

114 Vgl. HEINRICI, IKor, 341; KLAUCK, Herrenmahl, 290; WEISS, IKor, 280; neben der lokalen Grundbedeutung schwingt in der Vokabel der soziale Aspekt des „Zusammenseins" mit; s. dazu M.M. MITCHELL, Rhetoric, 153f.; BAUER/ALAND, Wörterbuch, 248; KÖHLER, έπί, 57. Freilich wird man in der Wendung in V.20 eine gewisse Ironie mithören müssen, denn das συνέρχεσϋαι επί τό αΰτό ist hier ja gerade nicht voll erfüllt, weswegen ja auch der Charakter des Mahls als wahrhaftiges κυριακόν δεΤπνον in Frage steht. 115 KÄSEMANN, Anliegen, 21; s. auch KLAUCK, Herrenmahl, 287f. Diese Konnotation klingt besonders deutlich in dem in V.18 gebrauchten Syntagma σννέρχεοΦαι έν εκκλησία an; vgl. dazu ferner KLAUCK, Haus, 35f. und STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 238f. 116 Daß V.26 nicht mehr zur Überlieferung gehört, zeigen der Genitiv τοϋ κυρίου und die Verbform ελθη an. Andernfalls wäre τόν έμόν und έλθω zu erwarten; vgl. LlETZMANN, IKor, 58; FEE.'lCor, 556; ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 114 A26. 117 GAVENTA, Death, 378; zum logischen Gefalle der Argumentation s. Näheres bei KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 303f.

Gemeinde und Ritual

Gewicht für das Verständnis des gesamten Abschnitts.118 Angesichts der korinthischen Mißstände verdichtet Paulus hierin seine in der Überlieferung gründende Sicht des Herrenmahls, so daß auch seine Strategie zur Bekämpfung der korinthischen Schismata an dieser Stelle besonders deutlich hervortritt. Dabei wird erkennbar, daß er die Spannungen kraft einer Akzentuierung des rituellen Charakters des Mahls abzuwehren sucht und zumal aus diesem Grund auf die Paradosis rekurriert. Diese Re-Ritualisierung wird in mehreren Punkten faßbar: a) Zunächst ist auf das adverbiale οσάκις zu verweisen. Der Apostel bezieht sich damit wörtlich auf οσάκις έάν πίνητε in V.25 zurück.119 Durch die explizite Wiederaufnahme des Adverbs unterstreicht er, daß Jesus das Mahl als feste Einrichtung in der Gemeinde verankert wissen wollte. Die Vokabel indiziert folglich die vom Herrn selbst verfügte Institutionalisierung des Mahls und damit dessen rituelle Qualität.120 Das Moment ritueller Institutionalisierung zeichnet sich im übrigen bereits zuvor in dem doppelten Anamnesis-Befehl in V.24c und V.25c ab: τοΰτο ποιείτε εις την έμην άνάμ,νησιν. Hofius notiert zu der Wendung treffend: „Das Verbum ποιειν meint hier einen bestimmten, regelmäßig zu wiederholenden rituellen Vorgang, der durch das Pronomen τοΰτο näher bestimmt wird."121 b) Das Demonstrativpronomen τοΰτον nach τόν άρτον verstärkt die rituelle Qualität des Herrenmahls weiter. Es ist eben nicht irgendein Brot (bzw. irgendein Kelch122), das (bzw. der) im Herrenmahl gereicht wird, sondern dasselbe Brot (und derselbe Kelch), das (bzw. den) Jesus in jener Nacht austeilte.123 Hierin begegnet uns erneut das bereits in § 8.4 erörterte Moment der rituellen Anti-Temporalität. Der Hinweis auf dasselbe Brot zeigt nämlich an, daß das Herrenmahl gleichsam einen Raum qualitativer, heiliger Zeit eröffnet, in dem das Geschehen des damaligen Abends reaktualisiert und an den Mahlteilnehmern vergegenwärtigt wird. Der zweifache Anamnesis-Befehl in V.24c und 25c läßt sich gleichfalls vor dem Hintergrund dieser für Rituale typischen 118

Die zentrale Bedeutung von V.26 betonen ebenso ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 115; FEE, lCor, 556; GAVENTA, Death, 378ff.; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 303ff. 119 Ob das fragliche Syntagma in V.25 eine paulinische Zufügung zur Paradosis ist, wie etwa ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 114 A26; FEE, lCor, 556; NEUENZEIT, Herrenmahl, 114f. meinen, kann hier offen bleiben. 120 Genau besehen klingen in οσάκις mehrere der von GRIMES, Criticism, 14 zusammengestellten rituellen Qualitäten an, nämlich: „repetitive", „institutionalized", „traditional"; s. dazu Näheres in § 4.3 (S. 70). 121 HOFIUS, Herrenmahl, 395; zu speziellen rituellen Konnotationen der Vokabel s. auch die Übersicht bei KLAUCK, Herrenmahl, 315; er nennt Opfern, allgemein kultisches Handeln, magische Aktionen und Mysterienkulte (χοιεΤ-ν τά μυστήρια). 122 Wenn CP46 S ! C ! D1 Ψ 1 sowie einige Übersetzungen nach ποτήριον ebenfalls ein τοΰτο lesen, so handelt es sich hierbei um eine sekundäre Erweiterung, die aber der Aussageintention des Apostels vollauf entsprechen dürfte; so mit HOFIUS, Herrenmahl, 394 A134. 123 V g l d a z u HOFIUS, Herrenmahl, 394.

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Reaktualisierung eines zentralen Ereignisses der Vergangenheit verstehen. 124 c) Die Re-Ritualisierung des Herrenmahls bekundet sich schüeßlich in der Charakterisierung des Mahls als Verkündigung des Todes des Herrn. Die auffällige Voranstellung der Wendung τόν θάνατον τοΰ κυρίου weist dabei auf die besondere Bedeutung hin, die Paulus dem Tod Christi im Kontext des Herrenmahls zuschreibt. 125 Wie aber ist die Verbindung zwischen Herrenmahl und dem Tod des Herrn näher zu fassen? Zunächst wird man zu beachten haben, daß der Apostel hier einen Gedanken formuliert, den schon die Herrenmahlsparadosis enthält. Dort beschreibt der κύριος Ίησοϋς die Gabe von Brot und Wein als Gabe seines Leibes „für euch" (V.24) sowie als Teilhabe an der και-νή διαθήκη in seinem Blut (V.25) und spielt damit unmißverständlich auf seinen Tod an, der im Mahl vergegenwärtigt wird. Von daher reaktualisiert das Herrenmahl eben nicht nur das letzte Mahl mit Jesus in jener Nacht, sondern vielmehr gerade auch den in diesem Abendmahl bereits vor Augen geführten Tod Christi. Will man diesen Vorgang genauer auf den Begriff bringen, wird man mit Hans-Josef Klauck am ehesten von „kommemorativer Aktualpräsenz" sprechen. Das heißt: „Im erinnernden Rückblick auf seinen Tod am Kreuz (kommemorativ) wird dieses Geschehen hier und jetzt (aktualiter) gegenwärtig." 126 Paulus sagt weiterhin, daß der Tod Jesu im Herrenmahl „verkündigt" wird. Das Verb καταγγέλω verweist dabei auf den dynamischen Charakter der Vergegenwärtigung des Todes. 127 Dieser wird mit anderen Worten wirkmächtig angesagt. Das bedeutet: Die Gabe von Brot und Wein erinnert nicht lediglich an den Tod am Kreuz, vielmehr wird die Wirkung bzw. die Effektivität des

124

Vgl. ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 118f.: „As commentators usually stress, the remembering of Jesus that is part of the Eucharist is not just any ordinary thinking back on something or other. For it is precisely ritualized .remembering'. And similarly, the meal that is being eaten ,in memory of Jesus' is not just any ordinary Gedächtnismahl. For it is heavily ritualized." In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß „Gedächtnis" zumal im Alten Testament nicht auf die mentale Dimension beschränkt, sondern zumeist mit Aktion verbunden ist, und zwar oft mit rituellem Handeln; vgl. dazu FEE, lCor, 553. Zur Zeitthematik merkt überdies PATSCH, άνάμνησις, 203 an: „In der Bedeutung [der Vokabel άνάμνησις] muß der atl-jüd. Gehalt des Wortfeldes der Wurzel zkr mitempfunden werden, im Sinne einer Repräsentation, Vergegenwärtigung des Vergangenen, das nie bloße Vergangenheit bleibt, sondern gegenwärtig wirksam wird (vgl. das Passa-Gedächtnis Ex 12,14; 13,3.8 u.ö.)." 125 Vgl. GAVENTA, Death, 380; s. dazu auch FEE, lCor, 556f. 126 KLAUCK, Gemeinde, 326; vgl. DERS., Herrenmahl, 373f. und P. LAMPE, Herrenmahl, 208. 127 Vgl. NEUENZEIT, Herrenmahl, 130f.: „Die Bedeutung von καταγγέλω ... besagt die (dynamische) Gegenwart des proklamierten Ereignisses." Ahnlich GAVENTA, Death, 382; WOLFF, IKor, 91; vgl. auch KLAUCK, Herrenmahl, 319, der ebd. unter Rückgriff auf SCHÜRMANN von einer „,Realverkündigung' durch eine .Zeichenhandlung'" spricht und dabei eine unübersehbare Nähe zu den Mysterien konstatiert.

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Todes Christi im Herrenmahl präsent.128 An welche Wirkung des Todes Christi ist hier nun aber gedacht? Otfried Hofius bringt in diesem Zusammenhang das Motiv des Sühnetodes Christi ins Spiel. Als Beleg dafür verweist er auf das Syntagma ύπέρ υμών in V.24, das auch die Rede vom Tod Christi in V.26 sühnetheologisch qualifiziere. Die besagte Wendung gerät ihm dabei überhaupt zum zentralen Auslegungsschlüssel des gesamten Abschnitts. Hofius meint: „Eben dieses ύπέρ υμών ... ist es, was alle Glieder der Gemeinde - auch über die sozialen Unterschiede hinweg - miteinander verbindet, aneinander weist und füreinander verantwortlich macht ... Rücksichtslosigkeit, Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit gegen den .Bruder, für den Christus gestorben ist', sind deshalb nichts Geringeres als die Leugnung des ύπέρ υμών - eine unerhörte Mißachtung des heilschaffenden Sühnetodes Christi und damit eine unbegreifliche Versündigung an Christus selbst."129 Die These wirft jedoch einige Probleme auf. Ganz abgesehen von der Frage, ob die Wendung ύπέρ ΰμών überhaupt von sich aus zwangsläufig den Sühnegedanken impliziert,130 fällt auf, daß der Apostel das Syntagma weder in seinem Kommentar zur Paradosis in V.26 anführt noch im weiteren Kontext des Abschnitts darauf zurückkommt. Desgleichen wird die von Hofius ebenfalls mit dem Sühnegedanken in Zusammenhang gebrachte Rede vom „Blut" Christi in V.25131 im folgenden in keiner Weise hervorgehoben. Im Gegenteil, Paulus scheint mehr an einer Deutung des σώμα-Begriffs interessiert zu sein (vgl. V.29). Dies bestätigt im übrigen auch IKor 10,16f. Dort greift Paulus in V.17 gleichfalls allein das σώμα-Motiv aus V.16 auf, 132 nicht aber die Vokabel αίμα. Es spricht also nur wenig dafür, daß es in erster Linie die Vergegen-

128 Die Verbform καταγγέλλετε ist mit den meisten als Indikativ zu fassen. Der inhaltliche Bezug ist jedoch umstritten. Sehr oft wird καταγγέλλετε auf einzelne verbale Elemente im Herrenmahl bezogen, etwa auf die Rezitation der Herrenmahlsparadosis, die Gabeworte, die Verkündigung beim Mahl, die Eucharistiegebete o.a.; so z.B. BARRETT, IKor, 311.313; BORNKAMM, Herrenmahl, 159f.; CONZELMANN, IKor, 246; FEE, lCor, 557; HOFIUS, Herrenmahl, 402f.; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 317f.; F. LANG, Kor, 154; WENDLAND, Kor, 98; WOLFF, IKor, 91f. Dagegen deute ich mit ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 115;

GAVENTA, Death, 3 8 0 f f . ; HEINRICI, IKor, 3 4 7 ; KLAUCK, Herrenmahl, 3 1 9 ; KOLLMANN, Ursprung, 4 7 ; P. LAMPE, Herrenmahl, 2 0 8 ; LLETZMANN, Kor, 5 8 ; SMITH/TAUSSIG, Tables,

65f.; WEISS, IKor, 288f. die Feier des Herrenmahls selbst als Proklamation des Todes des Herrn; vgl. dazu die begründende Argumentation bei GAVENTA, Death, 380ff.; zur Effektivität der Verkündigung des Kreuzestodes Jesu s. auch oben § 9.3. 129 HOFIUS, Herrenmahl, 407. 130 Zur Gesamtproblematik vgl. nur W. STEGEMANN, Opfer. 131 Vgl. HOFIUS, Herrenmahl, 393f. u.ö. 132 Zur Frage einer möglichen Verarbeitung von Tradition in V.16 s. die Angaben oben in Anm. 73.

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wärtigung des Sühneaspekts ist, die der Apostel hier im Auge hat.133 Was aber ist dann gemeint? In Anbetracht der explizierten korinthischen Zustände wird man davon ausgehen dürfen, daß τον Φάνατο-ν τοϋ κυρίου καταγγέλλετε für die Auflösung des Systems von Statuspositionen steht und insbesondere auf das Ende der in der Mahlpraxis bekräftigten Rangunterschiede zielt, die in der Gemeinde zu σχίσματα geführt haben. Wie sehr Paulus die Rede vom Kreuzestod Jesu gerade in rituellen Kontexten mit sozialer Inklusivität verbindet, wurde ja bereits in § 9 sichtbar. Gordon D. Fee ist darum zuzustimmen, wenn er in seiner Auslegung von V.26 in bezug auf das Verhalten der Korinther anmerkt: „... by their abuse of one another they were negating the very point of his death - to create a new people for his name, in which the old distinctions based on human fallenness no longer obtain."134 Auch Beverly Roberts Gaventa hebt diesen Aspekt hervor, indem sie über die Bedeutung des Todes Christi in V.23-26 schreibt: „That death, in Paul's view, stands diametrically opposed to the claims of social status that were at work in the Corinthian community. To proclaim the death of the Lord is, to say the least, not to proclaim one's own rights or prerogatives."135 Diese Auslegung fügt sich der weiteren Argumentation in V.27 gut ein. Der Vers ist dann so zu verstehen: Wer das Herrenmahl άναξίως einnimmt, das heißt, wer es in Form einer Privatmahlzeit praktiziert, die die sozialen Barrieren verstärkt anstatt sie, wie es eigentlich sein sollte, zu mindern, der wird schuldig (ένοχος) an Christi Leib und Blut, das heißt, er vergeht sich an Christi Kreuzesleib, der für die Überwindung der sozialen Differenzen und die Transformation zu einer einheitlichen Menschheit steht.136 Einem solchen Verhalten folgt unmittelbar das Gericht, das hier nicht von ungefähr gerade auch den leiblichen Bereich betrifft, nämlich Krankheit und Tod (V.30). Daran wird ersichtlich, daß für den Apostel offenbar eine enge Verbindung zwischen somatischem und sozialem Körper besteht. Dale Β. Martin kommentiert: „In Paul's logic, one puts one's own body in a state of vulnerability to 133 CONZELMANN, IKor 239 A41 meint: „Der Abschnitt enthält Theologumena, die Paulus zwar aus der Tradition aufnimmt, aber nicht selbst entwirft und entfaltet: Sühne, Stellvertretung" (Hervorhebungen nicht im Original). ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 114 notiert zu V.24: „Evidently, the phrase does introduce the idea of atonement, but there is no emphasis on it to show that it is intended by Paul to be in any special way significant." Zur Kritik an HOFIUS s. auch KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 302f.316. 134 FEE, lCor, 557. 135 GAVENTA, Death, 384. 136 Die Deutung von σώμα und αίμα primär auf den Leib Christi vertritt in diesem Sinn KOLLMANN, Ursprung, 48f.; ähnlich F. LANG, Kor, 154f.; vgl. auch FUNG, Body, 77. Die These, Paulus ziele hier primär auf eine Mitschuld am Kreuzestod Christi bzw. auf eine Identifikation mit denjenigen, die die Schuld am Tod Christi tragen (so BARRETT, IKor,

3 1 4 ; CONZELMANN, IKor, 2 4 6 ; ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 119; HEINRICI, IKor,

349f.; KÄSEMANN, Anliegen, 24; KLAUCK, Herrenmahl, 325 [erwägend]), ist dabei vom Text her nicht gefordert.

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disease by dissecting the body of Christ. By opening Christ's body to schism, they open their own body to disease and death."137 Freilich wird man diese Verknüpfung nicht dahingehend verstehen dürfen, als ob allein diejenigen mit Krankheit und Tod gestraft würden, deren Verhalten beim Mahl im dargelegten Sinn άναξίως war. Vielmehr bewertet Paulus die aktuelle Zunahme von körperlichen Leiden und Todesfällen in Korinth als Manifestation des Gerichts über die gesamte Gemeinde und ihr fehlerhaftes Verhalten beim Mahl.138 Aus dem bisher Gesagten ergibt sich: Die Zeremonialisierung des κυριακόν δείχνο-ν zum Ίδιον δειπνον unter den Korinthern, die das Mahl zum Stabilisator unterschiedlicher sozialer Positionen innerhalb der Gemeinde werden ließ, ist für den Apostel ein Angriff auf das vom Herrn eingesetzte rituelle Mahl und das darin aktualisierte Heilswerk Christi. Der zeremonialen Entwertung des Herrenmahls korrespondiert mithin eine nicht hinnehmbare Entwertung des im Tod Christi verdichteten Heilsgeschehens, welche zwangsläufig das Gericht nach sich ziehen muß (V.29ff.). Durch den Hinweis auf den im Mahl vergegenwärtigten Tod Christi versucht Paulus den rituellen Charakter des Herrenmahls als eines heiligen, liminalen Bereichs wieder präsent werden zu lassen und damit zugleich ein Miteinander im Sinne ritueller Communitas zu reaktivieren. Dem Argumentationsduktus von 11,17-34 ist dabei insgesamt zu entnehmen, daß das sog. Sättigungsmahl als wesentlicher Bestandteil des Herrenmahls gilt und vom Ritual als solchem nicht abgekoppelt werden darf. 139 d) Schließlich ist noch auf die V.26 abschließende Wendung άχρι οδ ελθη zu achten. Mit diesem Verweis auf die Wiederkunft des Herrn kehrt Paulus den Interimscharakter des Mahls hervor. Das κυριακόν δείπνον wird solcherweise klar als liminales Handeln ausgewiesen. In ihm manifestiert sich mit anderen Worten die Schwellensituation der Christusgläubigen zwischen dem Tod und der Parusie des κύριος.140 Die liminale Qualifizierung bestärkt dabei die rituelle Definition des Herrenmahls zusätzlich. Das Mahl wird so gesehen in die Dynamik der Transformation Christi eingeordnet; die zeremoniale Zelebrierung des bisherigen Status quo erfährt darin eine neuerliche Abweisung. 137

D.B. MARTIN, Body, 194. Vgl. FEE, lCor, 565; KLAUCK, Herrenmahl, 328; PARK, Kirche, 299f.; ROLOFF, Kirche, 106; WOLFF, IKor, 95. 139 Es sind ja gerade die Spannungen, die im korinthischen Sättigungsmahl aufbrechen, die Paulus zu seiner Stellungnahme motivieren. Hätte der Apostel das Sättigungsmahl von der eigentlichen Eucharistie abkoppeln wollen, wäre es überflüssig gewesen, die Herrenmahlsparadosis zu zitieren. Diese Rezitation macht ja nur dann Sinn, wenn Paulus das Sättigungsmahl in den rituellen, „heiligen" Raum der Eucharistie integriert wissen will. 140 Vgl. ENGBERG-PEDERSEN, Proclaiming, 115f.; GAVENTA, Proclaim, 383; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 331f.; KOLLMANN, Ursprung, 45. Die im Anschluß an JEREMIAS immer wieder postulierte finale Deutung der Wendung (s. CONZELMANN, IKor, 246 A101; HOFIUS, Herrenmahl, 405f.; KLAUCK, Herrenmahl, 322) liegt vom Textzusammenhang her nicht nahe. 138

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Die rituell-liminale Qualität des Herrenmahls kommt dann in den unmittelbar anschließenden Versen an mehreren Stellen nochmals deutlich zum Tragen, womit der letzte Punkt der paulinischen Strategie der Re-Ritualisierung genannt ist. Ad 3: Der liminale Charakter des Herrenmahls Die V.27-32 kreisen u.a. um die Sujets Prüfung, Selbstreflexion und Gericht141, Gefährdung142 und Erziehung143. Hierbei handelt es sich um typische liminale Charakteristika, werden doch rituelle Subjekte in der Liminalität häufig Prüfungen und rigiden Erziehungsmaßnahmen sowie potentiellen Gefahren ausgesetzt und damit zur Selbstreflexion aufgefordert (vgl. § 3.1). Ohne hier auf Einzelheiten eingehen zu können läßt sich festhalten, daß Paulus das Herrenmahl offensichtlich als Ritual betrachtet, das einen vergleichbaren, allerdings noch über den engeren rituellen Vollzug hinausgehenden liminalen Raum definiert, der zentrale Bedeutung für das Gelingen der soteriologischen Transformation der rituellen Subjekte und der rituellen Gemeinschaft hat. Dabei schreibt er der rituell-liminalen Gemeinschaftserfahrung eine entscheidende Rolle zu. Dies geht zumal aus V.29 hervor. Der Apostel präzisiert in diesem Vers den unwürdigen Gebrauch des Mahls mit Hilfe des Syntagmas μή διακρίνων τό σώμα. Gemeint ist die mangelnde Unterscheidung bzw. Wert-

schätzung des sich im Herrenmahl zur Darstellung bringenden sozialen Körpers144 gegenüber der in Korinth praktizierten konventionellen, die sozialen 141

Paulus spielt in diesem Abschnitt auf eine nur schwer eindeutig bestimmbare Weise mit Worten, die dem Stamm κριν- zugehören, nämlich διακρίνω (V.29.31), κρίνω (V.31.32) κατακρίνω (V.32), κρίμα (V.29.34); hinzu kommt der Gebrauch des sich partiell mit διακρίνω überschneidenden Verbs δοκιμάζω (V.28), das seinerseits auf δόκιμος in V.19 zurückverweist. Auf all die Einzelprobleme, die dieses Wortspiel und die Vokabeln im einzelnen im Hinblick auf das genaue Verständnis des Textes implizieren, kann und braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden. 142 Zur „dangerous quality of the meal" vgl. zumal BARTON, Place, 241f. 143 In V.32 unterscheidet Paulus bei der Rede vom Richten zwischen dem eschatologischen Endgericht über den κόσμος und dem gegenwärtigen richterlichen Handeln Gottes in Form einer göttlichen Erziehungs- bzw. Züchtigungsmaßnahme. 144 Die Deutung des Syntagmas ist in der Exegese äußerst umstritten, insbesondere der Bezug von σώμα. HOFIUS, Herrenmahl, 408 A224; JEWETT, Terms, 264; LINDEMANN, Kirche, 156; THEISSEN, Studien, 306; WEISS, I K o r , 291; WOLFF, I K o r , 9 5 deuten das Sub-

stantiv auf den eucharistischen Leib. BANKS, Idea, 63; FEE, ICor, 563f.; FUNG, Body, 77; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 3 0 6 - 3 1 5 ; KOLLMANN, Ursprung, 49f.; ROBERTSON/

PLUMMER, lCor, 252f.; ROLOFF, Kirche, 105f.; YORKE, Church, 40f. beziehen es auf den sozial-ekklesiologischen Leib. BORNKAMM, Herrenmahl, 169; KLAUCK, IKor, 84; DERS., Herrenmahl, 327; F. LANG, Kor, 155; M . M . MITCHELL, Rhetoric, 265; NEUENZEIT, Herren-

mahl, 38f.; K. SCHÄFER, Gemeinde, 431f. rechnen mit Doppeldeutigkeit. D.B. MARTIN, Body, 195 sieht gar vier unterschiedliche Bedeutungsmomente in der Wendung vereint. Auch wenn Mehrdeutigkeit beabsichtigt gewesen sein mag, wird man gleichwohl die sozialekklesiologische Bestimmung als primäre Intention zu identifizieren haben. Dafür spricht das Fehlen des Genitivs τοϋ κυρίου (vgl. V.27) sowie die Absenz des Begriffs αίμα. In den

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Unterschiede betonenden Mahlform.145 Der Apostel legt mit anderen Worten Wert auf die spezifische Identität des Herrenmahls als Ausdruck ritueller Communitas, in der soziale Rangunterschiede negiert sind. Überblickt man die explizierte Strategie der Re-Ritualisierung nochmals insgesamt, so bleibt festzuhalten, daß alle drei Komponenten, d.h. die Rückweisung der in trophischer, spatialer und temporaler Hinsicht ausgetragenen sozialen Differenzen, die Aufnahme und Interpretation der Herrenmahlsparadosis unter besonderer Betonung des Todes Jesu wie auch die Akzentuierung des liminalen Charakters des Mahls unverkennbar im Dienst der Neuetablierung einer rituellen Communitas stehen. Das paulinische Herrenmahl läßt sich insofern als Ritual der Communitas begreifen. Wie sehr der Apostel dieses von den gewöhnlichen zeremoniellen Mahlformen unterschieden wissen will, zeigt im übrigen der Gebrauch des eigenständigen Namens κυριακόν δειπνον (V.20), durch den es vom konventionellen Privatmahl (τό ίδιον δείπνον; V.21) ausdrücklich abgehoben wird. Alles in allem ergibt sich daraus: Ein im Sinne des Paulus korrekt praktiziertes rituelles Mahl speist fortlaufend Communitaswerte in das Leben der Christusgläubigen ein, vergegenwärtigt somit stets die in der Taufe wurzelnde liminale Transzendierung gesellschaftlicher Statusklassifizierungen und unterstreicht auf diese Weise die permanent liminale Existenz der Christusgläubigen immer wieder aufs neue. Was speziell das Verhältnis von Taufe und Herrenmahl angeht, ist von daher - gerade auch in Anbetracht der obigen Überlegungen zur Rolle der Communitas im Taufritual - Wayne A. Meeks zuzustimmen, wenn er konstatiert: „Man könnte ... sagen, die in der Taufe erfahrene communitas, in der Rollen- und Statusunterschiede für den ,neuen Menschen' durch die Einheit von Brüdern und Schwestern ersetzt werden, soll, nach der Intention des Paulus, im Heirenmahl sichtbar werden."146 Allerdings scheint mir Meeks diesen richtigen Gedanken in einer beumliegenden Versen (V.26.27.28.29a), in denen der Apostel eindeutig auf die eucharistischen Gaben anspielt, nennt er stets beide Elemente, sei es im übertragenen Sinn (Leib und Blut Christi), sei es im konkreten Sinn (Brot und Becher; Essen und Trinken). Auch von 10,17 her, wo ebenfalls nur vom σώμα ohne weitere Näherbestimmung gehandelt wird, ist die soziale Auslegung geboten, begegnet dort doch die gleiche Bewegung vom eindeutig eucharistischen σώμα τοϋ Χριστοί (V.16) zum sozialen σώμα (V.17); s. dazu oben. - Das Verb διακρίνω kann sowohl „unterscheiden" bzw. „in seiner Besonderheit achten" als auch „richtig beurteilen/angemessen würdigen" bedeuten. Unter Berücksichtigung der sozialen Deutung von σώμα braucht man hier nicht allzu scharf differenzieren. Der Unterscheidung des im Herrenmahl zur Darstellung gebrachten sozialen Körpers von anderen Gemeinschaften korrespondiert zugleich dessen angemessene Würdigung. 145 v g l . FEE, lCor, 564: „The Lord's Supper is not just any meal; it is the meal, in which at a common table with one loaf and common cup they proclaimed that through the death of Christ they were one body, the body of Christ; and therefore they were not just any group of sociologically diverse people who keep those differences intact at this table." 146 MEEKS, Urchristentum, 325; s. ferner M.Y. MACDONALD, Churches, 70 und MERKLEIN, Studien, 334, der IKor 10,17 „als eucharistische Variante zu der aus der Taufe gezo-

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stimmten Hinsicht nicht konsequent genug zu entwickeln. Dies soll zum Schluß noch kurz besprochen werden. Solidarität oder Communitas? Obwohl Meeks in seiner Analyse des Herrenmahls Turners Communitasmodell heranzieht, nennt er es dann doch ein „Ritual der Solidarität".147 Diese Bezeichnung ist insofern problematisch, als sie den liminalen, nichtalltäglichen Charakter der von Paulus reklamierten Communitas beim Mahl verschleiert. Der Begriff der Solidarität trägt deutlich strukturfunktionalistische Konnotationen. Solidarität gibt es schließlich auch in alltäglichen Beziehungen, die die Sozialstruktur als ganze unberührt lassen, ja sie stabilisieren, etwa im Patron-Klient-Verhältnis oder innerhalb von Zweckgemeinschaften unterschiedlichster Art. Communitas ist unterdessen mehr als bloße Solidarität innerhalb vorgegebener sozialer Strukturen, sie zeichnet sich gerade durch die Aufhebung dieser Strukturen aus. Turner mahnte wiederholt, Communitas nicht mit konventionellen Gemeinschaftserfahrungen auf eine Stufe zu stellen.148 Zwar trifft es zu, daß Communitas im Lauf der sozialen Dynamik oft zur Solidarität mutiert, doch rechtfertigt dies keineswegs eine Parallelisierung der beiden Begriffe. So ist Communitas grundsätzlich universalistisch ausgerichtet, während Solidarität - Turner zieht als Beispiel Dürkheims Konzept der „mechanischen Solidarität" heran149 - exklusive Züge (= Struktur) trägt:150 Während Solidarität soziale Grenzen nach außen wahrt und diese nur genen Konsequenz von Gal 3,28b" versteht und ebd. fortfährt: i,So gesehen, ist die eucharistische κοινωνία Ausdruck und Vergegenwärtigung der bei der Taufe grundlegend gewonnenen neuen Identität (in Christus)." 147 Vgl. MEEKS, Urchristentum, 322-329; ähnlich MALINA, Feast, 76f., der grundsätzlich zwei Formen von Mahlgemeinschaften unterscheidet, das „ceremonial meal" und das „ritual festive meal". Letzteres definiert MALINA folgendermaßen: „A ritual festive meal marks some individual or group transition or transformation, held to give honor to those undergoing the important social change" - z.B. die Transformation eines Fremden zu einem Gast oder eines Feindes zu einem Bündnispartner. Bei dem erstgenannten Mahltyp handelt es sich um „a banquet in which the inviter and the invited celebrate their mutual solidarity ..." (Hervorhebung nicht im Original). MALINA ordnet IKor 11,17-34 diesem Typ zu. NEYREY, Paul, 78 charakterisiert das Herrenmahl als „most important ceremony in the Pauline churches". 148 Vgl. TURNER, Ritual, 96f. und Anm. 19 in § 3.1 (S. 45). 149 Vgl. dazu DÜRKHEIM, Teilung, 11 Iff. 150 Vgl. TURNER, Dramas, 202: „Communitas strains toward universalism and openness; it must be distinguished, for example, in principle from Durkheim's notion of .mechanical solidarity', which is a bond between individuals who are collectively in opposition to another solidarity group. Here communitas is asserted for the .part* at the expense of the .whole', hence denies its own distinctive quality. In ,solidarity', unity depends on ,ingroup, out-group' oppositions, on the we-they contrast. The historical fate of communitas seems to have been to pass from openness to closure, from ,free' communitas to the solidarity given by bounded structure ..."

335

Der Leib Christi

nach innen abbaut, steht Communitas für die unmittelbare B e g e g n u n g v o n Personen, die sich ein- und derselben Menschheit zugehörig fühlen und von daher die Rollen und Statuspositionen abgelegt haben. 1 5 1 Diese Differenzierung ist nun speziell hinsichtlich der korinthischen Zustände

bedeutsam.

Schließlich ist das prekäre Verhalten der sozial Arrivierten beim Herrenmahl durchaus auch als Solidarität definierbar, nämlich als Solidarität der Höhergestellten in Abgrenzung zu den sozial Benachteiligten. Paulus will aber ein solches Solidaritätsgebahren gerade durchbrechen und zwar mittels

ritueller

„ C o m m u n i t a s " , 1 5 2 die die Christusgläubigen zu einem einzigartigen Leib, zum L e i b Christi, zusammenschließt.

3. D e r L e i b Christi D i e Charakterisierung der Gemeinde als L e i b Christi begegnet im Neuen T e stament ausschließlich bei Paulus sowie in variierter F o r m in den Deuteropaulinen. 1 5 3 D i e Relevanz dieses Gedankens für die Ekklesiologie und T h e o logie des Apostels wird in der exegetischen Forschung unterschiedlich bes t i m m t . 1 5 4 F ü r nicht wenige steht der Leib-Christi-Gedanke i m Zentrum der

Vgl. TURNER, Dramas, 269. Die von MEEKS favorisierte Bezeichnung des Herrenmahls als „Ritual der Solidarität" erklärt sich wohl aus der von ihm bewußt eingenommenen „Position eines gemäßigten Funktionalisten" (s. DERS., Urchristentum, 19). Von daher folgt er auch ebd., 324f. THEISSENs These vom Liebespartriarchalismus. Doch diese These steht in ihrer funktionalistischen Ausrichtung eigentlich in Spannung zu TÜRNERS Ansatz (vgl. dazu Anm. 32.52.76 in § 3). MEEKS kann dennoch auf TURNER zurückgreifen, weil er diesen im Grundsatz ebenfalls funktionalistisch interpretiert. Dies zeigt sich z.B. ebd., 327, wo er mit Bezug auf Durchgangsriten schreibt: „Die zeitlich begrenzte Aussetzung hierarchischer Klassifizierungen in der liminalen Phase trägt... letztlich nur dazu bei, diese Klassifizierungen in der normalen Welt, in der der Initiand im Anschluß wieder integriert wird, um so stärker festzuschreiben." Allerdings ist einzuräumen, daß MEEKS diesen Satz auf „Situationen [bezieht], in denen sich die Grenzen einer Religionsgemeinschaft mehr oder weniger mit der gesamten Gesellschaft decken". Gruppen, die sich dagegen in ihrer Identität stark von der Gesamtgesellschaft distanzieren, „können ... einige Aspekte der liminalen Phase bis in den Alltag hinein tragen" (ebd.). Dies erwägt MEEKS auch für die frühen paulinischen Gemeinschaften. Wenn dem aber so ist, dann ist der Terminus „Solidarität" unglücklich gewählt. Er reduziert die anti-strukturelle Komponente des TURNERschen Ansatzes zu sehr. Auf den anti-strukturellen Charakter des frühchristlichen Herrenmahls verweisen dagegen mit Recht WORGUL, Consciousness 10 und indirekt FEELEY-HARNIK, Table, 130ff. (jeweils im Gegenüber zum Passahmahl). 151

152

1 5 3 Die Leib-Christi-Vorstellung in Kol 1,18.24; 2,19; 3,15 und Eph 1,23; 2,16; 4,4.12. 16; 5,23.30 besitzt eine gegenüber Paulus eigene Zuspitzung. Christus erscheint hier als das alles überragende Haupt, die Kirche als sein Leib. Diese Abwandlung trägt ein hierarchisches Moment in das Motiv ein, das in den echten Paulinen in dieser Form noch fehlt. 1 5 4 Grundsätzlich zur Forschungsgeschichte vgl. PARK, Kirche, 4—48; GUNDRY, Söma, 223ff.

336

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

paulinischen Ekklesiologie.155 James L. Breed meint gar: „On this concept, Paul seems to build all of his other concepts - concepts such as justification, sanctification, Christian solidarity, redemption, and the underlying dynamic of the Church and the Christian life. All other Pauline doctrines seem to revolve around this one basic issue."156 Auf der anderen Seite warnen zahlreiche Exegeten davor, die Bedeutung dieses Motivs bei Paulus zu überschätzen.157 Nun ist in der Tat einzuräumen, daß der Apostel die Vorstellung vom Leib Christi nur an sehr wenigen Stellen aufgreift, und dies begrenzt auf die Paränese des ersten Korinther- und des Römerbriefes (zu den Belegen s. unten). Gleichwohl verdichten sich in dem fraglichen Motiv in einzigartiger Weise ekklesiologische und christologische Aspekte, so daß diesem allein von daher eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung zukommt. Vor allem aber spiegelt sich im paulinischen Leib-Christi-Motiv deutüch das ritologische Communitasmodell in all seinen Facetten, weshalb das Thema an dieser Stelle in jedem Fall etwas ausführlicher aufzurollen ist.158 Dazu empfiehlt es sich zunächst, das gesamte Spektrum der Rede vom σώμα Χριτσοϋ in den authentischen Paulusbriefen abzustecken. Hier sind näherhin drei Bedeutungen zu unterscheiden: 1. Der physische bzw. individuelle Leib Christi: In Rom 7,4 hebt der Apostel mit der determinierten Wendung τό σώμα τοϋ Χρίστου im besonderen auf den irdischen Kreuzesleib Christi ab. Mit τό σώμα της δόξης αΰτοϋ beschreibt er in Phil 3,21 konkret den Leib des Erhöhten. 2. Der sakramentale Leib Christi (vertikale Dimension): Wie wir bereits mehrfach sehen konnten, wird das σώμα Χρίστου nach Paulus im rituellen Handeln vergegenwärtigt, und zwar namentlich im eucharistischen Brot beim Herrenmahl. In dieser Hinsicht ist vom Leib Christi in IKor 10,16 sowie in 11,24.27 die Rede (s. oben).159 Darüber hinaus will hier bedacht sein, daß die Christusgläubigen bereits in der Taufe persönlich in das somatische Schicksal Christi einbezogen werden, indem sie dort Christus „anziehen", ja mit ihm sterben, mit ihm begraben werden, um dereinst mit ihm aufzuerstehen (Gal 3,27; Rom 6,3-5; s. dazu Abs. 2.2 sowie §§ 7.2 und 7.3). Vor diesem Hinter155

Vgl. KÄSEMANN, Perspektiven, bes. 185-190; DERS., Rom, 299; HAINZ, Volk, 162; KLAIBER, Rechtfertigung, 47f.; BRANDENBURGER, Leib, 390. DUNN, Body, 146 konstatiert: ,„The Body of Christ' ist one of the most important and most fascinating of the concepts used by Paul." 156 BREED, Church, 9. 157 So MERKLEIN, Studien, 341.343; LINDEMANN, Kirche, passim; KRAUS, Volk, 184; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 144. 158 SÖDING, Leib, 159 stellt fest: „Die Kennzeichnung der Ekklesia als Leib Christi ist nicht das Herzstück, wohl aber eine besonders signifikante Ausdrucksform paulinischer Ekklesiologie. Daß die Metapher nur im Kontext brieflicher Paraklesen begegnet, signalisiert nicht etwa, daß sie von geringerer Relevanz wäre, sondern daß sie unmittelbar eine ekklesiale Praxis initiieren will, die ihrer Wesensbestimmung konform ist." 159 Speziell zur Deutung von IKor 11,27 in diesem Sinn vgl. oben Anm. 136.

Der Leib Christi

337

grund wird verständlich, daß der Apostel die σώματα der Korinther in IKor 6,15 als μέλη Χριστοί) bezeichnen kann und angesichts solcher somatischen Verbindung mit Christus den sexuellen, mithin „körperlichen" Kontakt mit einer Prostituierten verwehrt.160 3. Der soziale Leib Christi (horizontale Dimension): Von der Gemeinde als Leib Christi spricht der Apostel explizit in IKor 12,27; er schreibt dort wörtlich: ΰμεΐς δέ έστε σώμα Χριστοϋ.161 Die sozial-ekklesiologische Bedeutung des σώμα Χριστοϋ liegt überhaupt dem gesamten Gedankengang in IKor 12,12-26 zugrunde. Sie klingt überdies in Rom 12,4-8 an und steht ebenso im Hintergrund der Aussagen in IKor 10,17 und 11,29.162 Nicht völlig auszuschließen ist endlich, daß auch die rhetorische Frage „Ist der Christus zerspalten?" in IKor 1,13a das ekklesiologische Leib-Christi-Motiv impliziert.163 Mit diesem dritten Aspekt, dem sozialen Leib Christi, gilt es sich nun etwas genauer zu befassen. Eine solche Konzentration ist allerdings nur bedingt möglich. Die entsprechenden Stellen, die im wesentlichen den Gedanken der sozialen Einheit innerhalb der Gemeinde transportieren, sind nämlich durchgängig an rituelles Handeln rückgebunden und stehen insofern in einer engen Relation zum Gedanken des sakramentalen Leibes Christi. Insofern begegnet uns hier im Leib-Christi-Motiv eine vergleichbare Verkettung von horizontaler und vertikaler Dimension wie sie auch in der Analyse der In-ChristusAussagen in § 7.3 zu verzeichnen war. Ich werde auf diese Entsprechung später nochmals zurückkommen. Hier ist zunächst auf die Art der rituellen Verankerung des sozialen Leib-Christi-Gedankens zu blicken. 160

Zum Taufhintergrund der leiblichen Christusgliedschaft in IKor 6,15 vgl. PARK, Kirche, 210; KIRCHHOFF, Sünde, 156 mit A206; KLAUCK, IKor, 47f. Zu beachten ist, daß Paulus an dieser Stelle nicht wie in IKor 12,12ff. oder Rom 12,5 im engeren Sinn ekklesiologisch argumentiert; er thematisiert nicht die Gemeinde als σώμα Χριστοϋ, sondern nimmt in einem konkreten Fall die ursächlich rituell vermittelte somatische Verbindung des einzelnen Gemeindeglieds mit Christus in den Blick. Andererseits sind ekklesiologische Konnotationen nicht in Gänze auszuschließen, da sich im sexuellen Verkehr eines Christusgläubigen mit einer πόρνη in gewisser Weise das Verhältnis der Christusgemeinschaft zur Welt repliziert. Die Vermischung der Körpergrenzen involviert in diesem Fall unverkennbar eine Vermischung der sozialen Grenzen (vgl. dazu D.B. MARTIN, Body, 174-179; NEYREY, Paul, 118f.l37f.). Gleichwohl steht in IKor 6,15 die vertikale Verbindung mit Christus im Vordergrund. 161 Die Rede von der Gemeinde als „Leib Christi" bezieht sich zwar zumal in IKor 12,27 konkret auf die Einzelgemeinde in Korinth, doch wird man nicht fehlgehen, wenn man Paulus unterstellt, mit dem Konzept in einem umfassenderen Sinn auch die Gesamtgemeinde mit im Blick zu haben; vgl. dazu BEKER, Sieg, 95; BEST, Body, 96; FUNG, Body, 80; KÄSEMANN, R o m , 3 2 3 ; KLAIBER, Rechtfertigung, 111; SÖDING, Leib, 159; anders HAINZ,

Ekklesia, 261.265f.; KLAUCK, Herrenmahl, 334. 162 Zu 11,29 s. oben Anm. 144. 163

S o CONZELMANN, IKor, 53f.; KLAUCK, Herrenmahl, 3 3 3 ; F. LANG, Kor, 2 1 ; MEUZE-

LAAR, Leib, 40; SCHRÄGE, IKor I, 152; STROBEL, IKor, 42; WEISS, IKor, 16f.; zurückhaltend sind FEE, lCor, 60; HALTER, Taufe, 136; SÖDING, Leib, 139 A20; kritisch äußern sich MERKLEIN, Studien, 327; KRAUS, Volk, 181 samt A180; LINDEMANN, Kirche, 158.

338

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Der rituelle Hintergrund

In IKor 10,17; 11,29 und 12,13c164 erscheint deutlich das Herrenmahl als Fundament der sozialen Einheit. In IKor 12,13a sowie in 1,13 - falls an der letztgenannten Stelle wirklich der Leib-Christi-Gedanke vorausgesetzt ist wird von Paulus die Taufe in diesem Sinn namhaft gemacht. Als Hintergrund der Aussage in Rom 12,5 kommt sowohl die Taufe wie auch das Herrenmahl in Frage.165 Auf der Grundlage der rituell geprägten bzw. konnotierten Aussagen in IKor 12,12f. und Rom 12,5 entfaltet der Apostel dann in IKor 12,14ff.166 und in Rom 12,3-8 insgesamt die Einheit der Gemeinde als multifunktionalen „charismatic body"167, d.h. als eine in mannigfaltigen charismatischen Handlungen und Begabungen zusammengebundene Gemeinschaft. Es läßt sich also fürs erste festhalten: Die Einheit der Gemeinde als „Leib Christi" ist bei Paulus offenkundig durchgängig in einen rituellen Kontext eingebunden.168 Das σώμα Χρίστου bezeichnet genauer gesagt einen in der Taufe grundgelegten und im Herrenmahl immer wieder von neuem vergegenwärtigten communitasförmigen Sozialkörper,169 der zudem die Existenz unterschiedlichster Charismen in sich einschließt. Der Leib Christi steht insofern prinzipiell für eine zumal vom rituellen Handeln her vereinte Gemeinschaft. Wie aber ist dies näherhin zu verstehen? In welchem genauen Konnex stehen der Leib Christi und die Gemeinschaft der Christusgläubigen? Der „Leib Christi" als Symbol

An diesem Punkt stoßen wir auf eine zentrale und diffizile Frage, die innerhalb der Paulusexegese nach wie vor heftig umstritten ist, nämlich: Ist die Kennzeichnung der Gemeinde als „Leib Christi" durchweg metaphorisch gemeint oder versteht Paulus das σώμα Χρίστου primär realistisch, d.h. als Wesensbezeichnung der Ekklesia? Liegt mit anderen Worten maßgeblich bildhafter oder eigentlicher Sprachgebrauch vor?170 Einige Exegeten erachten 164 Vgl. dazu die Argumentation oben in Anm. 93. 165 v g l . dazu oben S. 204 (§ 7.3.3) mit Anm. 205 und 207. 166 vgl. dort bes. V.28-31 sowie bereits zuvor V.4-11. 167 DUNN, Body, 149; s. auch ebd., 155. 168 Auf den rituellen Kontext des Leib-Christi-Gedankens verweisen mit unterschiedlichen Akzenten auch BRANDENBURGER, Leib, 393ff.; BROCKHAUS, Charisma, 168f.; BREED, Church, 30; HAINZ, Volk, 155f.; KÄSEMANN, Anliegen, 12ff.; ORTKEMPER, Leben, 56f.; PARK, Kirche, 304f. 306f.; ROLOFF, Kirche, 109f.; SÖDING, Leib, 149.151; MCDONALD, Churches, 76; MEEKS, Urchristentum, 190; MERKLEIN, Studien, 340; WELCKENS, R o m

Π, 65; s. bereits SCHWEITZER, Mystik, 117f.255ff. 169 Das Verhältnis von Taufe und Herrenmahl entfalten ähnlich BRANDENBURGER, Leib, 395; NEUENZEIT, Herrenmahl, 2 1 9 ; ROLOFF, Kirche, 110. 170 Ersteres vertreten BEST, Body, passim; CHOW, Patronage, 176 A2; GUNDRY, Söma, 228ff.; MEEKS, Urchristentum, 189-191; MEUZELAAR, Leib, passim; M.M. MITCHELL, Rhetoric, 157ff.; WOLFF, IKor, 107.110. Zweiteres favorisieren BARKAN, Work, 69;

Der Leib Christi

339

diese Alternative allerdings für verfehlt; sie treten für ein Ineinander von figurativer und realer Leib-Christi-Vorstellung bei Paulus ein. 171 Der Textbefund ist in der Tat vielschichtig. So führt der Apostel das LeibChristi-Konzept in Rom 12,4f. sowie in IKor 12,12 einerseits mit der Formulierung καΜπερ γάρ ... οΰτως deutlich als Analogie ein. Darüber hinaus läßt sich die Entfaltung des Organismusgedankens, d.h. der Vergleich mit Fuß, Hand und weiteren Körperteilen in IKor 12,15ff., kaum anders als bildlich verstehen. Andererseits aber spricht Paulus in dem als Resümee abgefaßten Satz V.27 die Gemeinde unmittelbar als Leib Christi an: ΰμείς δέ έστε σώμα Χρίστου. Die Ekklesia wird an dieser Stelle also nicht länger mit dem Leib Christi verglichen, sie ist nun der Leib Christi, d.h. sie partizipiert an ihm. 172 In diesem Sinn weicht der Apostel bereits zuvor in IKor 12,12c vom bildhaften Redestil ab, indem er dort, wo eigentlich ein Hinweis auf die Gemeinde zu erwarten wäre, überraschend schreibt: οΰτως καΐ ό Χριστός, so daß es naheliegt, δ Χριστός hier direkt auf die Gemeinde zu beziehen. 173 Schließlich übersteigt wohl auch die Wendung εις εν σώμα έβαπτίσΦημεν in V.13 den Rahmen reiner Metaphorik. Dies gilt insbesondere dann, wenn man εις nicht konsekutiv, sondern lokal auflöst; in diesem Fall steht σώμα für eine vorgegebene Entität, in die die Christen im Taufritual kraft des einen Geistes eingegliedert werden.174 Allerdings ist zuzugeben, daß hier ganz neutral von „einem Leib" BREED, Church, 12.31; CONZELMANN, IKor, 257f.; HAINZ; Ekklesia, 259-265; HALTER, Taufe, 167; HEINE, Glaube, 146ff.; KLAIBER, Rechtfertigung, 43; JEWETT, Terms, 271273.456f.; KÄSEMANN, Perspektiven, 180ff.; NEUENZEIT, Herrenmahl, 201-219; PARK, Kirche, 300ff.; SCHWEITZER, Mystik, 116ff.; E. SCHWEIZER, σώμα, 1067-1069; STUHLMACHER, Theologie I, 358f. BEKER, Sieg, 94 weist auf „eine Bewegung von der Metapher weg hin zur ontologischen Wirklichkeit"; s. auch DERS., Apostle, 307-309. 171 So BROCKHAUS, Charisma, 164-170; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 139 und ihm folgend HÜBNER, Theologie Π, 191; vgl. zudem SÖDING, Leib, 152 A61 und PARK, Kirche, 7. 172 Von einer völligen Identifikation der Gemeinde mit dem Leib Christi sollte man trotz des eigentlichen Redestils nicht sprechen. Paulus thematisiert auch sonst, etwa in IKor 10,16f., Teilhabe an bzw. κοινωνία mit Christus und nicht völlige Identität mit diesem; vgl. dazu ferner die Einwände bei BARRETT, IKor, 330; HÜBNER, Theologie Π, 193; MERKLEIN, Studien, 335-340; ROLOFF, Kirche, 108; SÖDING, Leib, 151, die freilich z.T. auf eine Herrschaftsbeziehung abheben (s. auch KRAUS, Volk, 182); ich gehe indes von einer Communitas-Relation aus. Zur metaphorischen Deutung s. hier nur MEUZELAAR, Leib, 40; WOLFF, IKor, 110; KIRCHHOFF, Sünde, 156. 173 Vgl. BROCKHAUS, Charisma, 165; CONZELMANN, IKor, 257f.; HAINZ, Ekklesia, 261; HALTER, Taufe, 167; HÜBNER, Theologie Π, 191; LLETZMANN/KÜMMEL, IKor, 63.187f.; PARK, Kirche, 301f.; PERCY, Leib, 4f.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 138; auch hier sollte man nicht von einer Identität Christus - Gemeinde ausgehen, Basis ist die Christuscommunitas (vgl. die voranstehende Anm.). Zur metaphorischen Auslegung s. MEUZELAAR, Leib, 39f.; LINDEMANN, Kirche, 147; WOLFF, IKor, 107f. Metonymisch deuten KIRCHHOFF, Sünde, 155; FEE, lCor, 406. 174 So auch BEASLEY-MURRAY, Taufe, 225; BROCKHAUS, Charisma, 165; CHRISTIANSEN, Covenant, 310; HAINZ, Ekklesia, 261.263; KLAIBER, Rechtfertigung, 43; KLAUCK, IKor, 89; KÜMMEL bei LLETZMANN, IKor, 187; HÜBNER, Theologie Π, 192f.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 141; E. SCHWEIZER, σώμα, 1068f.; SÖDING, Leib, 149f.; anders BARRETT,

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

und nicht explizit vom Leib „Christi" die Rede ist. 175 Aber auch so wird an dieser Stelle die Bildebene verlassen und eine Realität bezeichnet: Paulus interpretiert die in der Taufe konstituierte Einheit der Christusgläubigen sozusagen als „leib-hafte Wirklichkeit" 176 Diese wird man dann freilich vom Kontext her, d.h. angesichts von V.12c und V.27, näherhin als Wirklichkeit des Christusleibes explizieren dürfen. 177 Ähnlich verhält es sich mit Rom 12,5. Die Formulierung οί πολλοί ε-ν σώμα έσμεν faßt zunächst die unterschiedlich charismatisch begabten Christusgläubigen faktisch in einem Leib zusammen. Der Fortgang des Satzes zeigt dann an, daß diese leibhaft-reale Einheit zumal im Sein έν Χριστώ wurzelt bzw. ihren Ort hat (Näheres dazu s. oben in § 7.3.3). Somit liegt auch hier eine Aussage mit Realitätscharakter vor, „die sachlich mit dem ,Leib Christi' von 1 Kor 12,27 identisch ist" 178 , auch wenn die Vorstellung vom σώμα Χριστοϋ nicht expressis verbis im Text erscheint. In Anbetracht der Komplexität des Leib-Christi-Gedankens, seines bildhaften und doch zugleich realen Charakters, sowie im Hinblick auf die aufgewiesene rituelle Fundierung scheint es opportun, nochmals auf die Symboltheorie Victor Turners zurückzugreifen, um das Konzept in seiner ganzen Tiefe auszuloten. Nimmt man σώμα Χριστοϋ als rituelles Symbol, so läßt sich dessen vielfältige Verwendung und Bedeutungsbreite plausibel aufklären. 179 Vor allem läßt sich auf diese Weise die Alternative „metaphorisch contra real" überwinden, handelt es sich doch nach Turner zumal bei dominanten Symbolen, Symbolen also, die in der Regel in mehrere rituelle Kontexte eingebettet sind, um bildhafte Bedeutungsträger, die zugleich real erfahren werden. Solche Symbole umschließen mithin sowohl die metaphorische Darstellung bestimmter Werte und Vorstellungen meist sozialer Natur als auch das Moment der sinnlichen Partizipation. Turner demonstriert dies am Beispiel der rituellen Verwendung des Mudyi-Baums:

IKor, 330; KIRCHHOFF, Sünde, 155 mit A200; LLETZMANN, IKor, 63; WEISS, IKor, 303; WOLFF, IKor, 108, denenzufolge der eine Leib erst durch die Taufe der πάντες geschaffen wird; ähnlich FEE, lCor, 605, der die Aussage allerdings auf die Geisterfahrung bei der Konversion bezieht. MERKLEIN, Studien, 338 hält die Frage, ob der Vers auf die Aufnahme in den Leib oder auf die Schaffung desselben zielt, für eine falsch gestellte Alternative. 175 Darauf weisen z.B. nachdrücklich MERKLEIN, Studien, 339; LINDEMANN, Kirche, 148. 176 MERKLEIN, Studien, 339; vgl. KRAUS, Volk, 182. 177 Anders indes MERKLEIN, Studien, 339 (zur Kritik an MERKLElNs Grundthesen s. HAINZ, Volk, 154 A31 und KRAUS, Volk 183). 178 MERKLEIN, Studien, 340; zum Realitätscharakter der Aussage s. auch HAINZ, Ekklesia, 260; E. SCHWEIZER, σώμα, 1067; KÄSEMANN, Perspektiven, 180f. 179 Bislang hat m.W. allein SÖDING, Leib, 158ff. den Symbolbegriff auf das paulinische Leib-Christi-Motiv angewendet; er bezieht sich dabei freilich vornehmlich auf die Symboltheorie ELIADES (S. ebd., 158 A98).

Der Leib Christi

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„Thus, when the mudyi tree is used in puberty rites it clearly represents mother's milk; here the association is through sight, not taste. But when the mudyi is used as medicine in ritual, it is felt that certain qualities of motherhood and nurturing are being communicated physically ... The same objects are used both as powers and symbols... The power aspect of a symbol derives from its being a part of a physical whole, the ideational aspect from an analogy between a symbol vehicle and its principal significata."180 Auch der Leib Christi wird nach Paulus in rituellen Vollzügen physisch erfahren181 und dient zugleich als Analogie für bestimmte sozial-ekklesiologische Werte, wobei Paulus ebenso einmal mehr auf dieses, einmal mehr auf jenes Moment abzielen kann. Als Symbol vereint das σώμα Χριστοϋ sozusagen gleichermaßen den Aspekt der realen Partizipation wie auch den der Repräsentation in sich. Hans-Josef Klauck ist so gesehen zuzustimmen, wenn er im Hinblick auf die Frage, „ob man die Leib-Christi-Lehre in 1 Kor 12 metaphorisch-bildhaft-figurativ oder realistisch-ontologisch-metaphysisch zu verstehen hat", von „der Eigenart des sakramentalen Denkens bei Paulus" spricht, das mit dieser Alternative nicht getroffen sei.182 Jenes eigentümlich rituell-sakramentale Denken des Apostels läßt sich aber mit Hilfe Turners differenzierter Symboltheorie genauer erschließen, da diese auf subtile Weise beide Aspekte zu integrieren weiß.183 In diesem Zusammenhang ist im besonderen dessen These von Gewicht, wonach dominante Symbole ihr Potential wesentlich aus dem Spannungsfeld zweier Pole beziehen, dem orektisch-sensorischen und dem normativ-ideologischen Pol. Angewendet auf die Leib-ChristiSymbolik ergibt sich daraus folgendes:184 1. Auf seiten des orektischen bzw. sensorischen Pols ist namentlich auf die

Assoziation des Leibes mit dem eucharistischen Brot hinzuweisen. Schon in der von Paulus in IKor 11,23-25 aufgenommenen Herrenmahlstradition wird der physische Leib des Herrn explizit mit dem im Ritual ausgeteilten Brot 180 TURNER, Symbols, 189; vgl. dazu oben § 3.2. Leider verwendet Turner den Symbolbegriff in dem angeführten Zitat nicht ganz einheitlich, indem er ihn in dem Satz „The same objects are used both as powers and symbols" nicht mehr als Oberbegriff nimmt, sondern auf den Aspekt der Analogie beschränkt. 181 Freilich ist die sinnliche Erfahrung etwa im Herrenmahl dann nochmal über die Elemente Brot und Wein vermittelt. 182 KLAUCK, Herrenmahl, 346. 183 Die Mediävistin BYNUM hebt in ihrer Auseinandersetzung mit TURNER positiv hervor, daß einige seiner Ideen es ihr ermöglicht hätten, „Aspekte der europäischen Religiosität zu beschreiben, für die die Wissenschaft lange keine Begriffe hatte"; dazu zählt sie „insbesondere seine feinfühlige und subtile Konzeption dominanter Symbole" (Fragmentierung, 31). In analoger Weise darf man dies vielleicht auch für das paulinische Leib-ChristiMotiv in Anspruch nehmen; das immer wieder konstatierte Ineinander von Metaphorik und Realismus (vgl. oben Anm. 171) kann so jedenfalls theoretisch verortet werden. 184 Ich beziehe im folgenden auch den latenten und verborgenen Sinn des Symbols in die Überlegungen mit ein; vgl. dazu oben § 3.2 (S. 54).

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gleichgesetzt. Dies gilt zumal für die in IKor 11,24 zitierte, wirkungsgeschichtlich so bedeutungsvolle Wendung τοϋτό μου έσαν τό σώμα. Ebenso sind in IKor 10,16 Brot und σώμα Χρίστου miteinander verflochten. Der physische Leib Christi empfängt auf diese Weise eine besondere sensorische Tiefendimension. Indem er mit dem „naturhaften" Vorgang des Essens assoziiert wird, bezieht er all die damit verknüpften emotionalen Stimuli auf sich. Insbesondere die mit starken Gefühlen besetzte Thematik von Tod und Leben fällt in diesem Zusammenhang ins Gewicht; diese ist ja dem Essen insoweit eigen, als die Nahrungsaufnahme zugleich Vernichtung von Leben durch das Verspeisen und den Erhalt von Leben durch die Zufuhr lebenswichtiger Stoffe impliziert. In IKor 11,24 wird vor allem die Todeskonnotation hervorgehoben, und zwar mittels der Näherbestimmung des Leibes Christi als τό σώμα τό υπέρ υμών.185 Der Apostel unterstreicht diesen Aspekt in seiner Interpretation der Paradosis in V.26 - wie oben besprochen - abermals. In IKor 10,16 dominiert noch ein anderer Aspekt des Essens (von Brot), nämlich der der stofflichen Partizipation. Nahrungsaufnahme bedeutet immer auch stoffliche Integration bestimmter Substanzen. Das Essen des eucharistischen Brotes als des „Leibes Christi" schließt hier den Gedanken einer unmittelbaren Teilhabe (κοινωνία) am physischen σώμα τοϋ Χριστοί) ein und damit dann auch an dessen somatischer Transformation.186 Das Gefühl innigster Verbundenheit mit Christus wird so stimuliert. IKor 12,13 bringt diesen Gedanken nochmals auf andere Weise, nämlich unter Verwendung der ebenfalls physisch vermittelten Rede von der „Tränkung" mit dem Heiligen Geist zum Ausdruck. Derselbe Vers nennt des weiteren die „Taufe" als Fundament der Einheit im Leib Christi. Das hierbei gebrauchte Verb βαπτίζειν bedeutet wörtlich so viel wie „ein-" oder „untertauchen" bzw. „ins Wasser tauchen".187 Die darin enthaltene Anspielung auf das Grundelement „Wasser" birgt dieselbe sensorische Tiefendimension in sich, die auch dem Brot zukommt. Auch hier spielen auf der orektisch-sensorischen Ebene die Thematik von Tod und neuem Leben 185 Entsprechende Syntagmata mit ύπέρ sind in der Regel auf den Tod Christi bezogen; vgl. nur Rom 5,8; 2Kor 5,14f.; Gal 3,13; IThess 5,10. 186 D.B. MAlttlN, Body, 190f. notiert: „It is anachronistic to attribute to Paul the notion that the Eucharist had a .merely' metaphorical or, in the modern sense of the term, .spiritual' effect on the Christian. As Jean Hering observes: .Descartes' distinction between res cogitans and res extensa was ... unknown in the apostle's times. It is always the whole human reality which preoccupies him.' This is why Paul was so concerned ... about the .weak' Christians' consumption of idol-meat: without the prophylaxis of gnosis, their eating constituted a sharing in the table of daimons; they became, to some extent, integrated into the very being of those daimons. Conversely, when they share in the table of the Lord ... they are integrated into the being of Christ (10:14-22). The bodily ingestion of idol-meat could mean the dangerous ingestion of the daimonic realm; the parallel with the Eucharist is simply assumed by Paul: normally it would constitute the ingestion of the body of Christ, which would of course be positive, even soteriological." 187 Vgl. nur ΟΕΡΚΕ, βάπτω, 527.537; WOLFF, IKor, 108.

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wie auch der Aspekt der Partizipation („in etwas eintauchen") samt den entsprechenden Emotionen eine Rolle. 2. Auf Seiten des ideologischen Pols der Symbolik treffen im Ausdruck σώμα Χρίστου mehrere für die paulinische Gemeinde konstitutive sozial-organisatorische Signifikate zusammen: Zuvörderst umschreibt der Ausdruck die innere Verbundenheit der Gemeindeglieder untereinander. Die gemeinsame Partizipation am Leib Christi qua Brot führt, wie in der Besprechung von IKor 10,17 herausgearbeitet, auf der horizontalen Ebene zu einer besonderen Zusammengehörigkeit unter den Mahlteilnehmern. Der genannte Vers belegt mit anderen Worten die „Deduktion der .Gemeinschaft im Leib Christi' aus der .gemeinsamen Teilhabe am Leib Christi"'» 8 . Genauer noch bringt das Leib-Christi-Symbol das Motiv der Einheit in der Vielgestaltigkeit zum Tragen. So betont Paulus in Rom 12,4f. und in IKor 12,12 samt den dortigen Ausführungen in V.14-26, daß die unterschiedlichen Geistgaben nicht zur Zerrissenheit in der Gemeinde führen dürfen (vgl. bes. V.25).189 Vielmehr entsprächen die divergierenden Charismen den unterschiedlichen Gliedern ein- und desselben Leibes. Der Apostel bedient sich hierbei des weitverbreiteten antiken Bildes vom Organismus als einer Einheit in der Vielheit. Ich werde darauf gleich zurückkommen. IKor 12,13 zeigt dann außerdem an, daß das σώμα Χρίστου die außerordentliche, rituell in Taufe und Herrenmahl190 verankerte Aufhebung sozialer und ethnischer Grenzen einschließt. Wie wir oben sehen konnten, schärft IKor 11,29 in diesem Sinn die eucharistische Integration aller Gemeindeglieder ein, also auch der Armen und Schwachen.191 Schließlich dokumentiert IKor 12,22-24, daß die Leib-Christi-Symbolik mit einer Inversion des antik-mediterranen „Ehre/Schande"-Konzepts einhergeht. Im Kontrast zur Logik einer Schamkultur schreibt Paulus in diesem mit dem entsprechenden „Ehre/Schande"-Vokabular durchsetzten Passus gerade den schwächer (ασθενέστερα) und minder edel (ατιμότερα) qualifizierten, ja den unanständigen (άσχήμονα) Körperteilen - mit letzteren ist auf die Genitalien angespielt192 - größere Ehre zu. Indirekt erfahren so die edleren Körperteile eine Herabminderung ihres Status und ihres Ansehens und umgekehrt die weniger edlen eine Aufwertung.193 Daraus folgt: „... Paul's rhetoric pushes 188

HAINZ, Koinonia, 26. 189 vgl. dazu auch die Interpretation von IKor 10,17 in Abs. 2.3.2. 190 Zum Bezug auf das Herrenmahl in V.13c vgl. oben Anm. 92 und 93 (Abs. 2.3.2). 191 Vgl. dazu die Erläuterungen im Zusammenhang mit Anm. 144 und 145 (Abs. 2.3.3). 192 Vgl. FEE, lCor, 613; LINDEMANN, Kirche, 151; D.B. MAIOTN, Tongues, 567f.; WOLFF, IKor, 109. 193 B. LINCOLN, Myth, 141f. macht darauf aufmerksam, daß in vielen indo-europäischen Kulturen ein Mythenkomplex existiert, in dem die sozialen Klassen aus dem Körper eines ersten Wesens geformt sind, „and each class derived its nature and status from the bodily member from which it had emerged". Danach entstammt die Priesterklasse dem Kopf des

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for an actual reversal of the normal, ,this wordly' attritbution of honor and status. The lower is higher and the higher is lower."194 Faßt man die genannten Elemente des ideologischen Pols der Leib-ChristiSymbolik zusammen, nämlich Verbundenheit, Einheit, Aufhebung sozialer Barrieren sowie die Inversion von Ehre und Schande, berücksichtigt man ferner deren rituelle Konstitution, so zeigt sich: Das Symbol des Leibes Christi umfaßt auf dem ideologischen Pol das Modell einer anti-strukturellen, die herkömmlichen Werte invertierenden Communitas.195 3. Ihr eigentümliches Profil gewinnt die paulinische Leib-Christi-Konzeption freilich erst aus der Verschmelzung bzw. wechselseitigen Interaktion des sensorischen mit dem ideologischen Pol, durch die sie sich von reiner Metaphorik abhebt. Wie in den voranstehenden Überlegungen bereits mehrmals sichtbar wurde, bezieht das sozial-ekklesiologische Symbol seinen Realitätscharakter zumal aus der Rückkoppelung mit der orektisch-sensorischen Dimension des σώμα Χρίστου im rituellen Vollzug. Das heißt: Durch die im Ritual am eigenen Körper widerfahrende physische Begegnung mit dem „Leib Christi" - sei es kraft des eucharistischen Brotes und Weines im Herrenmahl, sei es durch den Kontakt mit dem Taufwasser, das somatisch erfahrbar in den Prozeß des Todes und der Auferstehung Christi eingliedert - erleben die Gemeindeglieder eine für sie stofflich bzw. somatisch greifbare Partizipation am Christusgeschehen und der darin inhärenten Heilskraft. Die solchermaßen im rituellen Handeln allen Christusgläubigen gemeinsame physische Teilhabe am Leib Christi samt den darin freigesetzten Gefühlen transformiert diese dann effektiv zu einem real erlebten sozialen Leib Christi, der sich schließlich auch in den unterschiedlichen und dabei doch durch den einen gemeinsamen Quellgrund verbundenen Charismen artikuliert. Die Objektivität des rituellen Handelns gewährleistet dabei jeweils, daß sich der Leib Christi als vorgegebene Größe erweist, als leibhaftige Wirklichkeit, und nicht etwa nur als Produkt menschlicher Solidarität; das Ritual macht mithin deutlich, daß „dieser Leib da [ist], ehe wir seine Glieder werden"196. So vereinigt die Rede vom σώμα Χρίστου im Grunde analog zu den In-Christus-Aussagen das Konzept einer vertikalen und horizontalen Christuscommunitas in sich. Das Leib-Christi-Symbol läßt sich von daher praktisch als Interpretation des In-Christus-Seins begreifen. Diese Verzahnung der beiden

ersten Wesens, die Krieger dem Oberkörper, die gewöhnlichen Bürger dem Unterleib. Zur Hierarchisierung der Körperglieder in der Antike s. ferner D.B. MARTIN, Tongues, 564 mit A34; SÖDING, Leib, 142 samt A29; kritisch bezüglich einer Anwendung auf IKor 12 ist LINDEMANN, Kirche, 149. 194 D.B. MAIOTN, Tongues, 569. 195 Vgl. dazu auch MEEKS, Urchristentum, 189-191; s. zudem NlDlTCH, Chaos, 98f. 196 KÄSEMANN, Anliegen, 14; vgl. dazu u.a. auch ΗΑΙΝΖ, Ekklesia, 261; ROLOFF, Kirche, 108; E. SCHWEIZER, σώμα, 1068f.

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Vorstellungen wurde in der Paulusexegese wiederholt vorgetragen.197 Freilich sollte man es vermeiden, sie völlig zu parallelisieren. Es gilt immerhin zu beachten, daß das Leib-Christi-Symbol das Sein έν Χριστώ in spezifischer Weise zuspitzt, indem es die objektiv-leibhafte Dimension der Christuscommunitas nochmals eigens akzentuiert.

Der anti-strukturelle Charakter des Leibes Christi Um das Wesen der horizontalen Communitas der Christusgläubigen und damit den ideologischen Pol des Leib-Christi-Symbols konkret zu veranschaulichen, greift der Apostel in IKor 12,14ff. ausführlich auf den Organismusgedanken zurück, wie er namentlich in der Stoa, aber auch darüber hinaus allgemein in der Antike weit verbreitet war. Wie schon mehrfach in dieser Arbeit bemerkt, hat insbesondere die Anthropologin Mary Douglas dargelegt, „daß der Organismus als System ein Analogon des sozialen Systems bildet, das (sofern keine besonderen Umstände dagegen sprechen) auf der ganzen Welt einheitlich verwendet und verstanden wird"198. Aber auch bei Victor Turner spielt der menschliche Körper eine grundsätzlich fundamentale Rolle betreffs der symbolischen Darstellung, Vermittlung wie auch Auflösung sozialer Klassifikationen.199 In der Literatur zahlreicher, zeitlich wie räumlich z.T. weit auseinanderliegender Kulturen wird der Körper in der Tat immer wieder explizit als Abbild gesellschaftlicher Strukturen benannt.200 Dies gilt speziell auch für den antiken Mittelmeerraum.201 197 Vgl. KRAUS, Volk, 182; MERKLEIN, Studien, 339f.; ROLOFF, Kirche, 100.109; WOLFF, IKor, 114.; s. bereits PERCY, Leib, bes. 18.43f.; nach HÜBNER, Theologie Π, 194 geht es hier wie dort um „ein und diesselbe geistliche Realität"; kritisch indes KLAUCK, Herrenmahl, 336. SCHNELLE, Gerechtigkeit, 143f. wendet sich bei Anerkenntnis der engen Zusammengehörigkeit ausdrücklich gegen eine Gleichsetzung. 198

199

DOUGLAS, Ritual, 2.

In der Bewertung der beiden Körper unterscheiden sich DOUGLAS und TURNER allerdings. DOUGLAS folgt DÜRKHEIMS These, daß die sozialen Beziehungen zwischen Menschen den Prototyp der logischen Beziehungen zwischen Dingen bilden, weshalb bei ihr die sozialen Kategorien als Ursprung der physiologischen gelten (vgl. Ritual, 2f.99ff.; s. dazu ferner WIEDENMANN, Ritual, 106ff.). Für TURNER stehen umgekehrt nicht die sozialen Relationen am Anfang, sondern die somatischen Erfahrungen und Bedürfnisse; er meint, „that the human organism and its crucial experiences are the fans et origo of all classifications. Human biology demands certain intense experiences of relationship. If men and women are to beget and bear, suckle, and dispose of physical wastes they must enter into relationships - relationships which are suffused with the affective glow of the experiences" (Forest, 90). 200 Der Vergleich zwischen Gesellschaft und Leib läßt sich zeitlich bis ins 9. Jh. v.Chr. zurückverfolgen; er zieht sich von dort über das Mittelalter bis in die Moderne hinein, wo er den Grundstock unterschiedlicher politischer Theorien bildet. Geographisch ist die Analogie z.B. in slavischen, iranischen, indischen und russischen Quellen zu finden; vgl. dazu B.

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Das prominenteste und in der Exegese zu IKor 12 stets von neuem herangezogene Beispiel für den antiken Organismusgedanken und die damit einhergehende sozial-körperliche Analogiebeziehung ist die Fabel vom Aufstand der Glieder gegen den Magen,202 mit der es nach der Überlieferung des Livius (Ab urbe condita II, 32f.) dem Patrizier Menenius Agrippa gelang, einen Streik der Plebejer zu brechen und diese zur Rückkehr in die Stadt und an die Arbeit zu bewegen, da, so die Botschaft der Erzählung, die Glieder nicht ohne den sie ernährenden Magen überleben könnten. Die Fabel war in unterschiedlichen Abwandlungen in der Antike allgemein bekannt.203 Ihre Funktion war unverkennbar eine eminent konservative, nämlich die Erhaltung des gesellschaftlichen Status quo, d.h. die Stabilisierung der gegebenen hierarchisch gegliederten Sozialstruktur. Die Rangordnung innerhalb des sozialen Körpers wurde durch den Vergleich mit dem physischen Körper gleichsam als „natürliche", unverrückbare Ordnung ausgewiesen.204 Offenkundig steht nun Paulus in IKor 12,14ff. hinsichtlich des Bildmaterials ganz in dieser Tradition, doch ist andererseits kaum zu übersehen, daß er sich inhaltlich grundlegend von ihr abhebt. Nicht die Stabilisierung bzw. Rechtfertigung einer Statushierarchie innerhalb der Gemeinde ist die Botschaft der besagten Verse, der Apostel stellt vielmehr die herkömmliche Verteilung von Ehre und Schande und damit eine bedeutende Grundfeste des hergebrachten Statussystems auf den Kopf.205 So geht er zwar in seiner ArguLINCOLN, Myth, 141ff.; DERS., Body, 503f.; D.B. MARTIN, Tongues, 563 A31; s. zudem BARKAN, Work, 61-115. 201 Zu entsprechenden Belegstellen s. K.M. FISCHER, Tendenz, 56f.; LINDEMANN, Kirche, 142-146; D.B. MARTIN, Tongues, 563-566; BARKAN, Work, 61-66; M.M. MITCHELL, Rhetoric; 157ff.; SCHLIER, Corpus, 441-444; SÖDING, Leib, 153 A66; WOLFF, IKor, l l l f . ; vgl. ferner SCHWEITZER, σώμα, 1025-1042. 202 Über den Einfluß des in der Fabel konzentrierten Organismusdenkens auf IKor 12 besteht Einigkeit; vgl. nur BROCKHAUS, Charisma, 166; BECKER, Paulus, 455; DUNN, Rom Π, 722f.; FEE, lCor, 602; FUNG, Body, 77f.; KÄSEMANN, Rom, 324; KLAUCK, Herrenmahl, 337-340, bes. 339; D.B. MARTIN, Tongues, 563ff.; M.M. MITCHELL, Rhetoric, 157ff.; MEEKS, Urchristentum, 189; ORTKEMPER, Leben, 56f.; SÖDING, Leib, 153f.; WLLCKENS, Rom ΙΠ, 12; WOLFF, IKor, l l l f . Zu weiteren, überwiegend problematischen traditionsgeschichtlichen Thesen s. die Diskussionen bei DUNN, Rom Π, 722-724; K.M. FISCHER, Tendenz, 54-78; FUNG, Body, 77f.; JEWETT, Terms, 201-250; KLAUCK, Herrenmahl, 337-343; MERKLEIN, Studien, 319-321.328-331; NEUENZEIT, Herrenmahl, 207-217; ORTKEMPER, Leben, 50-58; PARK, Kirche, 27ff.; SÖDING, Leib, 154f.; YORKE, Church, 2 - 4 . Der oftmals stark traditionsgeschichtlich orientierten Exegese wird von MEUZELAAR, Leib, 16 und HEINE, Glauben, 145 vorgeworfen, über die Suche nach den Wurzeln des Syntagmas die Frage nach dessen Funktion aus den Augen verloren zu haben. 203

Vgl. nur die Belege bei LINDEMANN, Kirche, 143; SÖDING, Leib, 154 A69; weitere Literatur zur Fabel findet sich ebd., 153 A67 sowie bei D.B. MARTIN, Tongues, 565 A36. 204 D.B. MARTIN konstatiert ebd., 565: „Conceiving the social group as a body is a strong strategy for establishing the givenness of the current order and hierarchy. Who can imagine a foot becoming a hand - or, even less plausibly, a head?" 205 Zur großen Bedeutung von Ehre und Schande vgl. den Exkurs in § 9.3.

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mentation nach wie vor noch von einer bestehenden Statushierarchie aus, insofern er nämlich zwischen edleren und minder edlen Körperteilen unterscheidet und auf diese Weise die Existenz unterschiedlicher Ränge zugesteht. Doch indem er dann die konventionellen Ehrzuweisungen umkehrt und betont, es komme gerade den unedlen Körperteilen eine besondere Würde zu, 206 ja selbst Gott habe sie mit größerer Ehre ausgestattet, kritisiert er die gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit und hebt die starre hierarchische Sozialstruktur auf. 207 Aufgrund dieser Inversion ist die paulinische Argumentation in IKor 12 als „anti-strukturell" zu bezeichnen. Das Gesellschaftsmodell, welches in der paulinischen Fassung der bekannten Analogie von sozialen und physischen Körper zutage tritt, ist mit anderen Worten das einer die geläufige Hierarchie und die hergebrachten Werte aus den Angeln hebenden Communitas. Wie aber kommt es zu diesem anti-strukturellen, inversiven Entwurf? Worin liegt der Grund für die beschriebene Umkehrung? Die nächstliegende Erklärung hierfür ist vor dem Hintergrund des bisher Gesagten wiederum die Erfahrung ritueller Communitas. Dem entspricht, daß Paulus das anti-strukturell geformte Gemeinschaftsmodell Zug für Zug im Anschluß an IKor 12,13 entfaltet, einem Vers, welcher von der in Taufe und Herrenmahl verwurzelten Annullierung ethnischer und sozialer Statusunterschiede handelt und der in nachgerade programmatischer Weise rituelle Communitas auf den Punkt bringt. Von daher darf man annehmen, daß die im Ritual erlebte Communitas, d.h. die Ausblendung der Statusunterschiede im rituellen Rahmen, den entscheidenden Impuls für die Gemeindekonzeption in IKor 12,14ff. lieferte. Auf dem Fundament der hier konstituierten Communitas stellt sich die Gemeinde für Paulus offenbar grundsätzlich als einheitlicher Leib mit unterschiedlichen Gliedern dar, in dem kein Glied entbehrlich ist, in dem die konventionellen Zuteilungsmechanismen von Ehre und Status aufgehoben bzw. invertiert sind,208 so daß eine echte Gemeinschaft in gegenseitiger Verwiesenheit der Glieder aufeinander möglich wird. In Anbetracht der obigen symbolanthropologischen Überlegungen zur paulinischen Kreuzestheologie (§ 9) und der in diesem Zusammenhang u.a. herausgeschälten Momente der Inversion

206 D . B . MARTIN kommentiert ebd., 567: „The genitals ... may seem to be the most shameful part of the body; but our very attention to them - our constant care to cover them and shield them from trivializing and vulgarizing public exposure - demonstrates that they are actually the most necessary of the body's members, those with the highest status." 207 D.B. MARTIN spricht ebd., 577 von einer „strategy of status reversal", die er im übrigen auch in IKor 14,14—17 ausmacht, und zwar aufgrund der dortigen Umkehrung der herkömmlichen Bewertungen von χνβϋμα und νους (vgl. ebd., 569-576); die Inversionsstrategie begegne aber auch in IKor 8-10 und 12-14 (s. ebd., 577). Ebenso erkennt CHOW, Patronage, 179 A3 in IKor 12,22-26 „a reversal of the use of the metaphor in Livy's context". 208 vgl. dazu D.B. MARTIN, Tongues, 569; DERS., Body, 96.

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und der Inklusivität läßt sich eine solche Gemeindekonzeption überdies als angewandte theologia crucis begreifen. 209

IKor 12,28 Der vorgelegten Deutung des Leib-Christi-Symbols als Symbol für Communitas steht IKor 12,28 nicht im Wege. Der Vers scheint zwar auf den ersten Blick einer Hierarchisierung das Wort zu reden, indem er den verschiedenen Funktionen in der Gemeinde Rangzahlen zuordnet (πρώτον, δεύτερον, τρίτον, επειτα) und so eine Stufenordnung der innergemeindlichen, charismatischen Aktivitäten suggeriert, doch darf man nicht übersehen, daß der Apostel andernorts die Charismen in abweichender Weise gruppiert (vgl. IKor 12,6ff.; Rom 12,6f.), eine feste Rangliste der Gemeindeaktivitäten bzw. Geistgaben von daher bei Paulus nicht auszumachen ist.210 Das Interesse an einer fixen hierarchischen Gemeindeordnung darf ihm also nicht unterstellt werden. Doch wird man andererseits aufgrund der Zählung in IKor 12,28 nicht ausschließen können, daß er zumindest in diesem Vers eine gewisse Wertung von Gemeindefunktionen im Blick hat. Allerdings legt der unmittelbare Kontext des Verses wie auch der Kontext des gesamten Briefes nahe, daß es bei dieser Abstufung gerade nicht um die Stabilisierung einer hierarchischen Struktur geht, sondern um Inversion. Paulus rekurriert hier indirekt auf die in V.22-24 bereits thematisierte Umkehrung von Ehrzuweisungen und macht diese gewissermaßen an konkreten Beispielen fest. Inwiefern aber involviert die Auflistung in V.28 eine Inversion von Statuspositionen? Dies klärt sich, wenn man das erste und das letzte Glied in der Liste, den Apostolat und die Zungenrede, auf ihren jeweiligen Statuswert hin befragt. 211 Zunächst zum Apostolat. Um dessen Statuswert zu eruieren, empfiehlt sich ein Blick auf IKor 4,9-13. Dort wird der Dienst des Apostels als nach weltli209 Vgl. auch SÖDING, Leib, 144f.; STROBEL, IKor, 196; s. zudem KÄSEMANN, Perspektiven, 197. 203. 210 Vgl. dazu BROCKHAUS, Charisma, 215f.; FEE, ICor, 619f.; KLAIBER, Rechtfertigung, 206; ΗΑΙΝΖ, Ekklesia, 87 mit A2; ROLOFF, Kirche, 137f.; K. SCHÄFER, Gemeinde, 394f.; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 242; STUHLMACHER, Theologie I, 361f. MEEKS, Urchristentum, 191 findet hier zwar durchaus „das Akzeptieren einer Rollenhierarchie in der Gemeide", sieht diese aber zugleich aufgrund der Betonung des einen Geistes und der Umkehrung der Ehrzuweisungen in V.23f. relativiert; IKor 12,28 dient ihm daher als Beispiel für die von TURNER postulierte Dialektik von Struktur und Anti-Struktur (vgl. ebd., 189; zum Ineinander von Konservatismus und Inversion in 1 Kor 12 s. ferner DERS., Origins, 134). 211 NEYREY, Paul, 39 schreibt zur Stelle: „Although we probably should not look too carefully at the total arrangement of this list, the beginning and ending are important for the way they map out certain gifts and persons." NEYREY kommt allerdings insgesamt zu einer anderen Bewertung des Verses.

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chem Standard niedere und mit allerlei unehrenhaften Folgeerscheinungen behaftete Tätigkeit gezeichnet (Näheres s. in § 9.4). Dabei verwendet Paulus zumal in V.10 teilweise die gleiche „Scham"-Terminologie wie in IKor 12,22ff., nämlich άσ&ενής und άτιμος; er betont dort aber auch in den umliegenden Versen, insbesondere in V.13, das Unehrenhafte dieses Dienstes. Wenn Paulus dann in IKor 12,28 just den Aposteldienst an erster Stelle nennt, so impliziert dies vor diesem Hintergrund eine Inversion weltlicher Statuszuschreibungen. In gleicher Weise schließt die Nennung der Glossolalie am Ende der Liste das Moment einer Statusumkehrung ein. Dale Β. Martin hat anhand einer Vielzahl von Beispielen aus vormodernen Kulturen einsichtig machen können, daß Zungenrede nicht, wie immer wieder behauptet, ein Kennzeichen marginalisierter Personen und Gruppen und daher Indikator eines geringen sozialen Status war. Dies mag in modernen Kulturen der Fall sein. In antiken Gesellschaften, zumal in der griechisch-römischen, galten Glossolalie und Ekstase häufig gerade als Attribute eines hohen Status.212 Aus diesem Grunde ist es durchaus wahrscheinlich, daß die Praxis der Glossolalie in Korinth vornehmlich auf die sozial Arrivierten beschränkt war. Trifft dies zu, so wird durch die Hintanstellung des ekstatischen Phänomens die Inversion komplett: Der allerlei Anfechtungen ausgesetzte, umherwandernde Apostel mit geringem gesellschaftlichen Ansehen wird an erster Stelle genannt, die allenthalben geschätzte Zungenrede an letzter.213 In dieses Schema fügt sich im übrigen ein, daß Paulus die in der hellenistischen Antike so hochgerühmten δυ-νάμεις ebenfalls auf die unteren Ränge verweist, desgleichen korrespondiert dem die auffällige Nennung der Leitungsfunktion (κυβερνήσεις) an vorletzter Stelle. Somit ergibt sich, daß auch in IKor 12,28 eine Umkehning des konventionellen Statussystems anklingt. Die Charismenliste hebt also das in der Entfaltung der Leibanalogie konzentrierte anti-strukturelle, inversive Moment nicht auf, sondern bestätigt es.

4. Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede 4.1 Die Egalität und Universalität der Communitas Nachdem die rituellen Grundlagen des paulinischen Communitasmodells ausführlich dargelegt wurden, wobei die Taufe und insbesondere das Herrenmahl als Rituale der Communitas bestimmt und die Rede vom Leib Christi als Symbol der Communitas ausgemacht werden konnten, sollen nun speziell die vielfältigen über den engeren rituellen Rahmen hinausgehenden Füllungen des 212

V g l . D . B . MARTIN, T o n g u e s , 5 5 1 - 5 6 3 .

213

Vgl. ebd., 577f.

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Modells, die uns im paulinischen Briefkorpus begegnen, weiter untersucht werden. Vorweg seien dazu nochmals eigens zwei Beispiele aus unterschiedlichen Kulturkreisen angeführt, die die definitive Egalität und Universalität der Sozialform „Communitas" illustrieren und untermauern, daß Communitas von ihrer Anlage her potentiell auf die ganze Menschheit, ja die gesamte Schöpfung ausgerichtet ist.1 Barbara G. Myerhoff behandelt in ihrem Aufsatz „Return to Wirikuta" den PeyoteJagd-Ritus der mexikanischen Huichol-Indianer und geht dabei im besonderen auf die Bedeutung des Ortes Wirikuta ein. Wirikuta ist der geographische Zielort der rituellen Wallfahrt und zugleich Symbol für die paradiesische Ur- wie Endzeit. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist, daß an jenem mythischen und doch zugleich realen Ort die alltäglichen Unterscheidungen und Hierarchisierungen aufgehoben sind. Myerhoff führt aus: „In Wirikuta ... all is unity, a cosmic totality without barriers of any kind, without the differentiations that characterize the mundane mortal world. In Wirikuta, separations are obliterated - between sexes, between leader and led, young and old, animals and man, plants and animals, and man and the deities."2 Die gesamte sog. Peyote-Jagd ist darum bemüht, die Teilnehmenden mittels eines reichen Ritual- und Symbolkomplexes in die Lage zu versetzen, diese Einheit, diese egalitäre und universale Communitas, zu erfahren.3 Konkrete Vorgaben für das zwischenmenschliche Verhalten während der Wallfahrt arbeiten diesem Ziel zu: „All forms of discord are strictly forbidden, and disruptive emotions such as jealousy and deceit, usually tolerated as part of the human condition, are completely proscribed for the pilgrims. No special treatment is afforded to children; no behavioral distinctions between the sexes are allowed. Even the separateness of the mara'akäme [gemeint ist der Priester-Schamane] from his group is minimized ,.." 4 Ein anderes Beispiel liefert uns Victor Turner. In seinem Klassiker „The Ritual Process" beschließt er das Kapitel über die Communitas mit dem Zitat eines Liedes der Bäuls, einer vagabundierenden bengalischen Musikantensekte. Das Lied dokumentiert eindrucksvoll die der Communitas eigene Überwindung religiös-ethnischer und sozialer Unterschiede in einer die gesamte Schöpfung umfassenden Einheit. Es lautet: „Hindu, Muslim - es gibt keinen Unterschied, auch keine Kastenunterschiede. Kabir, der bhakta (Eiferer) gehörte der Kaste der Jola an, 1

Vgl. dazu die Ausführungen in §§ 3.1 und 3.3. MYERHOFF, Wirikuta, 226; vgl. dazu die Beschreibung Wirikutas durch den schamanischen Informant Ramon Medina Silva: „Wenn die Welt endet, wird es so sein, wie wenn bei der Peyote-Jagd die Namen der Dinge geändert werden. Alles wird anders sein, das Gegenteil von dem, was jetzt ist. Jetzt gibt es zwei Augen in den Himmeln, Dios Sol und Dios Fuego. Dann wird der Mond sein Auge öffnen und alles heller werden. Die Sonne wird trüber werden. Es wird keinen Unterschied mehr geben. Weder Mann noch Frau. Weder Kind noch Erwachsener. Alles wird seinen Ort wechseln ... Denn der alte Mann und das winzige Baby sind ein- und dasselbe" (DIES., Kult, 173 [= Wirikuta, 232f.]). 3 Vgl. MYERHOFF, Wirikuta, 226. 4 Ebd., 228. 2

Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

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doch trunken vor prema-bhakti (wahrer Liebe ...) ergriff er die Füße des Schwarzen Juwels (d.h. Krishnas). Ein Mond dient dieser Welt als Laterne, und die ganze Schöpfung entstand aus einem Samen."5 Die angeführten Beispiele erinnern in ihrer universal-egalitären Grundausrichtung merklich an die paulinische Spitzenaussage in Gal 3,28 (vgl. IKor 12,13), auch wenn sie aus anderen Kulturen und einer anderen Zeit stammen. Die Korrespondenz hinsichtlich der Destruktion ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Dichotomien ist jedenfalls frappierend. So gesehen liegt es nahe, auch Gal 3,28 aus ritologischer Perspektive vom Konzept der Communitas her noch einmal neu zu diskutieren. In § 7.3 wurde anläßlich der Erörterung der In-Christus-Sätze als Ausdruck der sog. vertikalen und horizontalen Christuscommunitas bereits ein erster Schritt in diese Richtung getan. Hier gilt es nun die Tragweite und praktische Relevanz des οΰκ ενι 'Ιουδαίος ουδέ "Ελλην, οΰκ ενι δοΰλος ουδέ ελεύθερος, οΰκ ενι αρσεν και θήλυ im einzelnen auszuloten und so die horizontale Dimension der Christuscommunitas genauer abzumessen. Zu fragen ist also: In welcher Form konkretisiert Paulus die in Gal 3,28 artikulierte Aufhebung der ethnischen, sozialen und geschlechtlichen Differenzen in seinen Briefen und wie weit geht er dabei jeweils in den drei Bereichen? Welches Gewicht kommt mithin den Werten der Egalität und Universalität im Corpus Paulinum zu? Zuvor ist jedoch der rituelle Hintergrund des Verses näher abzuklären und zumal der Frage nachzugehen, ob Gal з,28 überhaupt eine sozialethische Relevanz zukommt. 4.2 Der Programmsatz der Communitas: Gal 3,28 Der Passus Gal 3,26-28 ist seit geraumer Zeit Gegenstand einer intensiven Fachdiskussion.6 Im Zuge dieser Diskussion haben sich differierende Thesen и.a. zur traditionsgeschichtlichen Verankerung wie auch zum Wirklichkeitsbezug von V.28 herausgebildet.7 Tradition und Ritual in Gal 3,28 Auf die rituelle Fundierung des Abschnitts weist V.27. Paulus identifiziert hier namentlich die Taufe als Basis der Aufhebung ethnischer, sozialer und 5

TURNER, Ritual, 158, zitiert nach DlMOCK Jr. Dies gilt gerade auch für den Bereich feministischer Exegese; vgl. dazu nur die Auslegungen von FATUM, Image, 6 2 - 7 0 und SCHÜSSLER FlORENZA, Gedächtnis, 258-274, die in ihren Ergebnissen allerdings weit auseinander liegen; s. dazu allgemein SCHOTTROFF, Weg, 197f. 7 Vgl. nur die Darstellung der unterschiedlichen Standpunkte bei D.R. MACDONALD, Male, 1 - 1 4 und SNODGRASS, Conundrum, 162ff. 6

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geschlechtlicher Unterschiede. Eine große Zahl von Exegeten und Exegetinnen ist nun der Auffassung, der Apostel verarbeite hierbei eine vorpaulinische Taufformel,8 das heißt, er zitiere in Gal 3,26-28 einen im engeren Sinn rituellen Text aus dem Initiationsakt selbst. Auch wenn einige Indizien für diese These zu sprechen scheinen, alles in allem läßt sie sich nicht wirklich stichhaltig beweisen.9 Viel wahrscheinlicher ist, daß Paulus die Galater an die Er8

So mit variierender Textabgrenzung und unterschiedlicher Formbestimmung BECKER, Gal, 45f.; H.D. BETZ, Gal, 325ff.; BOUTITER, Complexio, 6; COSGROVE, Cross, 182; COUSAR, Cross, 145; ECKERT, Verkündigung, 88; GAYER, Stellung, 1 3 5 f f . l 6 9 f . ; GUNDRY-

VOLF, Christ, 450f. mit A17; FATUM, Image, 63; FRANKEMÖLLE, Taufverständnis, 14.50; HANSEN, Abraham, 136f.; HEINE, Frauen, 94; JERVELL, Imago, 294f.; KRAEMER, Share, 141; LONGENECKER, Gal, 155; D.R. MACDONALD, Male, passim; MATERA, Gal, 146;

MEEKS, Image, 180ff. („baptismal reunification formula"); MELL, Schöpfung, 306-308; MULLER, Trinity, 153; NEYREY, Paul, 67; NIEDERWIMMER, Askese, 178; K. SCHÄFER, G e -

meinde, 80ff.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 58f. („Taufruf'); SCHÜSSLER FLORENZA, Gedächtnis, 258ff.; THYEN, Studie, 138f.; WITHERINGTON, Women, 77. Eine ungewöhnliche These vertritt BRINSMEAD, Galatians, 139-161: Dimzufolge liegt Gal 3,26-28 die Sakramentaltheologie der galatischen Opponenten zugrunde, näherhin eine ursprünglich von diesen auf die Beschneidung gemünzte Formel, die erst Paulus auf die Taufe bezogen habe. 9 Kritisch äußern sich ebenso BAUMERT, Frau, 270f.; DAUTZENBERG, Interpretation, 201f.; DUNN, Gal, 201; ECKSTEIN, Verheißung, 223 A255; KRAUS, Volk, 219-221; STUHLMACHER, Phlm, 47f.; zögerlich ist auch HALTER, Taufe, 114f.; vgl. femer SANDERS, Paulus, 76: , 3 s ist unmöglich, hier zu verkennen, daß .getauft', .Christus angezogen', .allesamt einer in Christus Jesus' und ,Christus angehören' Pauli eigene Ausdrücke sind." Die Problematik der Taufformel-These offenbart sich allein darin, daß ihre Verfechter und Verfechterinnen sich uneins darüber sind, welchen Umfang die Formel ursprünglich umfaßt haben soll (V.26-28 insgesamt oder nur Teile davon? V.28a mit oder ohne das letzte Gegensatzpaar?). Auch die zur Stützung der These gewöhnlich angeführten Indizien können nicht voll überzeugen. Verwiesen wird auf den Personwechsel zwischen V.25 und 26, den stringent gegliederten, einer Ringkomposition gleichkommenden Aufbau der Verse mit Chiasmus in V.28, das Auftreten des bislang im Galaterbrief unerwähnt gebliebenen Syntagmas υιοί θεοϋ sowie die Parallelität mit IKor 12,13; Kol 3,9-11 als auch die Ähnlichkeit mit einem apokryphen Herrenwort, das u.a. in ThomasEv 22; 2Clem 12,2; Clemens Alexandrinus, Strom 3,92,2 und in einer Reihe von gnostischen Texten begegnet (vgl. dazu Näheres bei DAUTZENBERG, Interpretation, 189-193; PAULSEN, Einheit, 80ff.; D.R. MACDONALD, Male, 17-63). Nun weicht aber die zuletzt genannte apokryphe Tradition erheblich von Gal 3,28 ab, ja die direkte Parallelität beschränkt sich nahezu allein auf die Relativierung der Geschlechterunterschiede. Auch IKor 12,13 und mehr noch Kol 3,9-11 sind nicht wortidentisch mit Gal 3,28. Diese Fakten allein machen schon skeptisch gegenüber der These einer vorliegenden Formel. Hinzu kommt, daß sich der Personwechsel von V.25 auf V.26 damit erklären läßt, daß der Apostel hier nach der theologischen Argumentation der vorauslaufenden Verse nun bewußt an die spezielle Tauferfahrung der Galater zurückerinnern will (so wie er auch in 3,1-5 auf die Erfahrung der Galater rekurriert) und deshalb die inkludierende l.Pers.Pl. verläßt. Die Einführung des Syntagmas „Söhne Gottes" wie auch der gegliederte Aufbau der Verse lassen sich darüber hinaus aus der Verwendung gemeinantiker Topik erklären (s. dazu gleich) und müssen nicht auf eine feste „Formel" weisen. Von daher ist DAUTZENBERG, Interpretation, 201 zuzustimmen, wenn er resümiert: „Die Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Redaktion läßt sich in Gal 3,26-28 nicht durch die Ausgrenzung einer .formelhaften' Tradition aus dem bestehenden Kontext beantworten, sondern durch den Nachweis, daß sich der Abschnitt und besonders Gal 3,28b

Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

353

fahrungen bei und im Kontext der Taufe erinnern will und dazu auf allgemeinantike Topik sowie auf Taufterminologie zurückgreift, ohne damit eine fixe Formel oder geprägte Überlieferung zu zitieren.10 Die Thematisierung ethnisch-nationaler, sozialer und sexueller Differenzen in analogen Reihungen war schließlich ein in der Antike geläufiger Topos. Gerade die Gegenüberstellung Jude - Heide bzw. Grieche - Barbar, Mann - Frau11 samt der Opposition gegenüber Sklaven und Ungebildeten ist in mehreren griechisch-römischen wie auch jüdisch-rabbinischen Quellen in Form von Lob- und Danksprüchen bezeugt.12 Allerdings schreiben die entsprechenden Texte im Unterschied zu Gal 3,28 den Status quo meist fest, das heißt, sie artikulieren in der Regel den Dank des jüdischen bzw. hellenistischen Mannes, kein Goi bzw. Barbar, keine Frau und kein Sklave bzw. Unwissender zu sein. Es lassen sich jedoch auch Belege ausmachen, die auf eine Aufhebung der genannten Oppositionen zielen. Eindrücklich ist SER 10: „Ich rufe Himmel und Erde zu Zeugen an, daß sowohl der Heide als auch der Israelit, sowohl der Mann als auch das Weib, sowohl der Knecht als die Magd durch sittliche Handlungen in den Besitz des heiligen Geistes kommen."13 Darüber hinaus wurde zumal in der Stoa die Einheit der Menschheit propagiert; die stoischen Philosophen gingen generell von einer Art natürlichen Egalität aller Menschen aus.14 Noch allgemeiner setzt Daniel Boyarin in seiner jüngsten Paulusstudie „A Radical Jew" an. Er verweist auf den verbreiteten hellenistischen Zeitgeist und postuliert: „Paul was motivated by a Hellenistic desire for the One, which among other things produced an ideal of a universal human essence, beyond difference and hierarchy."15 Boyarin ordnet diesem hellenistischen Einheitsverlangen nicht nur Gal 3,28 zu, er versteht die gesamte paulinische Theologie von daher. Obgleich sich nun angesichts der breiten Streuung des Vergleichsmaterials kaum mehr mit Sicherheit konkrete traditionsgeschichtliche Entwicklungsauf schon traditionelle Anschauungen und Formulierangen bezieht." Vgl. dazu auch F.ST. JONES, Freiheit, 160 A9. 10 Zu den Auswirkungen auf die soziale Wirklichkeit allgemein s. gleich. 11 Auf den signifikanten Gebrauch substantivierter Adjektive in Gal 3,28 (αρσεν καΐ βηλυ) werde ich in Abs. 4.5 eingehen; einstweilen verwende ich der Einfachheit halber die Substantive „Mann" und „Frau". 12 Für den griechisch-römischen Bereich vgl. Diogenes Laertius 1,33; Lactantius, Inst 3,19,17; Plutarch, Mar 46,1; für den jüdisch-rabbinischen Bereich s. bMen 43b; TBer 7,18. Die Stellen werden bei BOUCHER, Parallels, 52-55; DAUTZENBERG, Interpretation, 186f.; PAULSEN, Einheit, 85 und MELL, Schöpfung, 313f. eingehend diskutiert; vgl. femer H.D. BETZ, Gal, 3 2 6 A 2 0 ; THYEN, Studie, 143. 13 14

Übersetzt nach BERGER, Exegese, 152; vgl. ferner SER 14. Vgl. dazu POHLENZ, Stoa I, 137.315.351f.; s. ferner H.D. Betz, Gal, 339 A81; BRINS-

MEAD, Galatians, 150; MEEKS, Image, 171. 15 BOYARIN, J e w , 7.

354

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

linien zu Gal 3,28 rekonstruieren lassen, illustriert die voranstehende knappe Aufstellung doch zur Genüge, daß Paulus mit der Thematisierung der drei Oppositionspaare innerhalb eines breiten Motivstroms steht, auf den sowohl in konservativer wie auch in „anti-struktureller" Manier zurückgegriffen wurde, wobei auf den Apostel offenkundig letzteres zutrifft. Als entscheidenden Impuls für die anti-strukturelle Option des Paulus wird man dabei in Anbetracht von V.27 die rituelle Initiationserfahrung in der Taufe zu benennen haben. Vergleichbare rituelle Aufhebungen von Strukturwerten, wie sie eingangs am Beispiel der Peyote-Jagd der Huichol skizziert wurden, sind mehrfach auch für die Antike belegt. So heißt es im Tempelgesetz von Philadelphia/Lydien aus dem 1. Jh. v.Chr., Zeus gewähre Männern und Frauen, Freien und Sklaven gleichermaßen Zugang zu seinem Tempel.16 Die Gesellschaftshierarchie ist hier, zumindest was den Tempelbereich angeht, d.h. bezüglich des „rituellen Raums", nivelliert. Elisabeth Schüssler Fiorenza macht überdies darauf aufmerksam, daß die orientalischen Kulte prinzipiell „... Frauen genauso wie Männer ohne Ansehen der Familie, Klasse und sozialen Stellung aufgenommen [haben]. In Eleusis war die Initiation Frauen wie auch Sklaven und Sklavinnen und sogar Hetären und Fremden, falls sie griechisch sprechen konnten, zugänglich."17 Rituelle Communitas und die ihr eigene Egalität und Universalität qua Annullierung bzw. Minimierung nationaler Grenzen, sozialer Rangunterschiede und geschlechtlicher Differenzen18 ist demnach allemal auch ein antikes Phänomen. Gal 3,28 läßt sich diesem Hintergrund zuordnen.19

Zur Frage der sozialethischen

Tragweite von Gal 3,28

Welche konkrete Relevanz besitzt nun aber die anti-strukturelle Deklaration in Gal 3,28? Beschränkt sie sich auf den rituellen Akt als solchen, zielt sie über 16 Der griechische Text mit englischer Übertragung findet sich bei BARTON/HORSLEY, Cult Group, 7 - 1 0 . Die Autoren fügen eine ausführliche Besprechung samt Vergleich mit neutestamentlichen ekklesiologischen Konzepten an, bei dem einige Parallelen zutage treten

(s. ebd., 1 1 - 4 1 ) ; vgl. z u d e m H . D . BETZ, Gal, 3 2 6 A 2 0 ; SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtnis, 266; MEEKS, Image, 169. 17 SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtnis, 265f.; s. zum Thema ferner MEEKS, Image, 169f.; KROEGER, Apostle, 30ff.; zu den gleichfalls existierenden geschlechtsspezifischen Kulten und einer „religiously inspired hostility between the sexes" s. ebd., 32ff. 18 Vgl. TURNER, Ritual, 110; s. dazu überdies ebd., 105. 19 MEEKS, Image, 182 ist durchaus zuzustimmen, wenn er für Gal 3,28 konstatiert, „a resident of one of the cities of the province Asia who ventured to become a member of one of the tiny Christian cells in their early years would have heard the Utopian declaration of mankind's reunification as a solemn ritual pronouncement" (Hervorhebung nicht im Original). Entsprechend den obigen Darlegungen im Zusammenhang mit Anm. 9 ist der Vers jedoch weniger als ritueller Ruf im Sinne eines zitierten liturgischen Textes zu fassen denn als eine allgemeiner Topik entlehnte Äußerung über rituell-liminale Erfahrungen; zur Differenz vgl. die prinzipiellen Überlegungen zur Relation Text - Ritual in § 5.2 (S. 78).

Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

355

die Taufe hinaus auf eine Transformation des Alltags oder handelt es sich etwa doch „nur" um eine rein soteriologische Aussage, die faktisch keinerlei sozialethische Implikationen besitzt? Alle drei Positionen werden in der exegetischen Diskussion verhandelt. (1) Die letztgenannte Ansicht, die soteriologisch-heilsindividualistische Deutung, ist weit verbreitet.20 Hier wird behauptet, die in Gal 3,28 angeführten Differenzen seien allein coram Deo aufgehoben, bestünden ansonsten aber weiter. Die Außerkraftsetzung der Unterschiede bei der Taufe sei mithin „rein religiös"21 gemeint, das heißt, sie erstrecke sich lediglich auf den soteriologischen Status des einzelnen, nicht aber auf dessen soziale Stellung. Diese traditionelle These wirft jedoch erhebliche Probleme auf. So setzt sie unausgesprochen die Heilsbedeutsamkeit der genannten Oppositionen voraus, um sie dann in Gal 3,28 negiert zu sehen. Nun ist zwar die Unterscheidung von Juden und Heiden innerhalb der jüdischen Tradition tatsächlich als erwählungsgeschichtlicher und damit heilsbedeutsamer Gegensatz verstanden worden, doch nirgendwo, weder in jüdischen Quellen noch im Neuen Testament, ist von einer Heilsrelevanz der Differenz zwischen Sklaven und Herren die Rede. Entsprechendes gilt für die Unterscheidung der Geschlechter.22 Schon dieser Sachverhalt stellt die rein soteriologische Interpretation beträchtlich in Frage. Hinzu kommt, daß der soteriologisch-heilsindividualistische Auslegungsansatz auf einer anachronistischen Trennung zwischen „Religion" und „sozialer Welt" beruht. Bruce J. Malina warnt grundsätzlich davor, in diesem Sinn unser heutiges, explizites Religionsverständnis („explicit religion") in die mediterrane Kultur des 1. Jh.s n.Chr. einzulesen.23 Religion fungiere in der damaligen Welt gerade nicht als eigenständige gesellschaftliche Institution oder als ein vom sozialen Leben isolierbares Glaubens- bzw. Überzeugungsreservat des Individuums; Religion sei zu jener Zeit vielmehr - wie im übrigen auch die Wirtschaft - stets in eine der beiden großen sozialen Sphären „eingebettet" gewesen, nämlich entweder in den Bereich der ο'ικονομία, des Haushalts und der Verwandtschaftsbeziehungen, oder in den Bereich der πολιτεία, des öffentlichen Lebens und der politisch-staatlichen Ordnung („embedded religion"). Malina führt aus:

20 Vgl. dazu nur namhafte deutsche Galaterbriefkommentare, wie z.B. MUSSNER, Gal, 264; SCHLIER, Gal, 175 A4; OEPKE, Gal, 126. In dieser Auslegungstradition stehen mehr oder weniger auch BAUMERT, Antifeminismus, 27; DERS., Frau, 265ff.; BOUCHER, Parallels, 56f.; MATERA, Gal, 147; ROHDE, Gal, 165; THRAEDE, Ärger, 103; weitere Vertreter bei WITHERINGTON, Rite, 602 A2. SNODGRASS, Conundrum, 163 bemerkt, dieser Standpunkt „may fairly be called the traditional position". 21 OEPKE, Gal, 126. 22 Näheres dazu bei DAUTZENBERG, Interpretation, 194f.; s. ferner SNODGRASS, Conundrum, 178. 23 Vgl. MAUNA, Religion, passim; s. zum folgenden auch STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 247.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

„The point here is that religious groups were dependent on prior kinds of social relations. One did not adopt and live out a set of religious values and attitudes because of some individualistic conviction of the truth and revelational quality of that set. Rather one's adherence to some .religion' was based on norms having to do with politics (and power) or kinship and/or ethnicity (and solidarity), or some other more specific social institution other than religion (e.g. army, philosophical .school'). Thus people became Christians for reasons other than and/or along with religious ones, e.g. to be healed, to share in power, to find patrons or clients, to have a proper funeral, to take part in weekly meals, and the like. Religious groups in the first-century Mediterranean world were multipurposed; their religious activities were but one aspect of the things done by the group."24 Nimmt man diese Überlegungen ernst, so läßt sich die „rein" religiöse bzw. heilsindividualistische Auslegung schwerlich halten. Zum gleichen Ergebnis gelangt Klaus Schäfer aufgrund exegetisch-theologischer Erwägungen. Er wirft der heilsindividualistischen Interpretationslinie vor, sie arbeite „... mit einer außerordentlich problematischen Unterscheidung zwischen Soteriologie und Ekklesiologie bzw. mit einer Ekklesiologie, die ,Kirche' oder ,Leib Christi' in unzulässiger Weise als unsichtbar-verborgene Wirklichkeit auffaßt. Die Inkorporation ,in Christus Jesus' als Heilsträger und Gesamtperson bedeutet ja für die hellenistischen Gemeinden wie für Pls selbst zugleich immer auch den Eintritt in die konkrete Gemeinschaft der Christen an einem Ort; ... und gerade Pls ist es, der in seinen Briefen leidenschaftlich wirbt, daß die Gemeinden dieses ihr Wesen als ,Leib Christi' sichtbar-geschichtlich zur Darstellung bringen, was für den Apostel in einer Praxis des Mit- und Füreinanders geschieht, die von Liebe und Brüderlichkeit geprägt ist. Daraus wird man folgern müssen, daß die in Gal. 3,28 proklamierte Aufhebung der Gegensätze ... sich ganz konkret in den einzelnen Gemeinden, d.h. im Zusammenleben der Christen ereignet.. ." 2S (2) In seiner konsequent ritologischen Auslegung spricht Jerome Η. Neyrey Gal 3,28 ausdrücklich eine real-sozialtransformative Bedeutung zu. Allerdings betrachtet er den Vers als liminale Bekundung, deren Gültigkeit sich allein auf den engen Rahmen der rituellen Schwellenphase beschränke: „People in rituals of status transformation frequently experience a liminal state in wich all former marks of social differentiation are absent during their rite of passage ... Yet when the rite of passage is completed, these same people leave the liminal, 24

MAUNA, Religion, 97. K. SCHÄFER, Gemeinde, 98f. Am Rande sei hier angemerkt, daß die zumal in der reformatorischen Exegese fest etablierte primär soteriologisch-heilsindividualistische Sicht auf den Apostel in Teilen der jüngeren angloamerikanischen Paulusforschung, der sog. „new perspective on Paul", überhaupt in Frage gestellt wird; vgl. dazu nur DUNN, Justice, 1-22, bes. 4f.; STENDAHL, Paulus, 10-57; WATSON, Paul, 1-18 und die Überblicke zum Diskussionsstand bei HAFEMANN, Interpreters, 671-674 und CHR. STRECKER, Perspektive. 25

Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

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undifferentiated state and return to their former society invested with their new role and status. Previous absence of differentiation and classification, which was appropriate during the liminal state, yields as people return to their ordered and structured worlds. Such seems to be the case with the liminal remarks in Galatians 3:28. They do not describe the state when neophytes are reaggregated into society, but the undifferentiated, liminal state."26 Neyrey vertritt eine Art Mittelposition. Einerseits räumt er ein, daß im Initiationsritual soziale Klassifikationen und Differenzierungen de facto außer Kraft gesetzt sind; er geht damit über die soteriologisch-heilsindividualistische Perspektive hinaus. Da er die Annullierung der Strukturpositionen jedoch exklusiv auf die rituelle Schwellenphase eingrenzt, bestreitet er andererseits Gal 3,28 jeglichen allgemeinen, über das reine rituelle Handeln hinausgehenden sozialethischen oder anti-strukturellen Impuls. Angesichts der großen Relevanz des Communitasgedankens in den Paulusbriefen, der gleich noch genauer nachzuspüren ist, scheint mir diese These jedoch zu kurz zu greifen. Das Moment der Einspeisung ritueller Communitaswerte in das innergemeindliche Miteinander wird hier zu Unrecht vernachlässigt.27 (3) So spricht alles für die dritte Auslegungsvariante, die sozial-ekklesiologische Deutung, die zahlreiche Exegeten und Exegetinnen favorisieren.28 Bei diesem Modell wird der Wirklichkeitsbezug der Aussage nachdrücklich herausgestrichen und so dem im Corpus Paulinum immer wieder durchscheinenden Communitaskonzept voll entsprochen. Die Auslegung kann im besonderen die pointierte Verwendung des Präsens ούκ ενι (= οΰκ ενεσαν), das einen dauerhaften Zustand anzeigt und auf eine reale Erfahrung schließen läßt, für sich anführen.29 26

NEYREY, Paul, 134; vgl. ebd., 66-68. Die These NEYREYs erklärt sich nicht zuletzt daraus, daß er den paulinischen Aussagen insgesamt ein äußerst streng stratifiziertes, ordnungsstheologisch ausgerichtetes symbolisches Universum unterlegt sieht. Der Apostel tendiere dazu „... to perceive the world as an orderly place in which all persons, places, things, and times can and should be classified. Everything in its place, and a place for everything" (ebd., 53). Dieser klar strukturierte Kosmos bietet keinen Spielraum fur egalitäre Elemente. Solches Ordnungsdenken führt NEYREY, ebd., 31 u.ö. im übrigen auf „Paul's Jewishness" zurück - eine Begründung, die in dieser Allgemeinheit problematisch ist. 28 Vgl. H.D. BETZ, Gal, 333ff.; BOUTTIER, Complexio, 15ff.; BOYARIN, Jew, passim; COUSAR, Cross, 145f.; DAUTZENBERG, Interpretation, 196ff.; DERS., Stellung, 214-221; 27

GASQUE, R e s p o n s e ; 188ff.; HEINE, Frauen, 94f.; KLAIBER, Rechtfertigung, 103; LONGEN-

ECKER, Gal, 157 (zumindest sekundär); LÜHRMANN, Sklave, 57ff.; LUZ, Theologia, 126; MEEKS, Image, 166f.l82f.l97ff.; MELL, Schöpfung, 309f.; MOXNES, Integration, lOOff.; PAULSEN, Einheit, 88f.93f. (zumindest sekundär); ROLOFF, Kirche, 94-96; K. SCHÄFER, Gemeinde, 99ff.; SCHNELLE, Gerechtigkeit, 60f.; SCHRÄGE, Ethik, 230.232; SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtnis, 258-274.294f.; SCHOTTROFF, Kritik, 237-241; SNODGRASS, Conundrum, bes. 174ff.; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 336; THYEN, Studie, 133ff. u.ö.; vgl. dazu auch die bei WITHERINGTON, Rite, 602 A l genannte Literatur. 29 ROLOFF, Kirche, 94 bezeichnet die indikativische Form des Satzes als „Indikativ der Erfahrung".

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Allerdings sollte der sozial-ekklesiologische Deutungsansatz angesichts der genannten rituellen Fundierung stärker als dies bislang geschehen ist mit dem eben dargelegten ritologischen Modell zusammengesehen werden, wobei dann freilich im Unterschied zu Neyreys Auslegung dem Potential rituellen Handelns Rechnung zu tragen ist, aus der im rituellen Vollzug erfahrenen egalitären Verbundenheit heraus den Alltag und die Sozialstruktur mit Communitaswerten zu imprägnieren. Auf der theoretischen Ebene hat diesen Aspekt insbesondere Bobby C. Alexander in seiner Relektüre der Turnerschen Theorie dezidiert hervorgehoben; Alexander schreibt: „By introducing the values of directness and equality, ritual alters social structure, putting it in the service of a communitarian ideal."30 Nimmt man diese ritologische Sicht der Dinge ernst, erweist es sich als verfehlt, die rituelle Verankerung und die allgemeine sozialethische Dimension von Gal 3,28 völlig voneinander zu entkoppeln. Der paulinische Vers läßt sich dann vielmehr als Reflex einer durch die Initiationserfahrung inspirierten realen Transformation der Sozialbeziehungen lesen,31 das heißt, er artikuliert eine in der Taufe umgesetzte Auflösung der Differenzen der Sozialstruktur, die über das rituelle Handeln hinaus den Alltag neu qualifiziert und ihn mit universalistischen und egalitären Communitaswerten tränkt.32 Inwieweit dies zutrifft, inwieweit die Paulusbriefe also tatsächüch Communitas auch außerhalb des begrenzten rituellen Rahmens reflektieren, dieser Frage soll nun im einzelnen nachgegangen werden, und zwar auf allen drei in Gal 3,28 angeschnittenen Ebenen; ich spreche in diesem Zusammenhang von der ethnischen,

der sozialen und der geschlechtlichen

Communitas.

Im An-

schluß daran werden dann diejenigen Bekundungen und Einwürfe des Apostels zu erörtern sein, die der in Gal 3,28 programmatisch vorgebrachten Universalität und Egalität entgegenstehen, die sie relativieren bzw. zurücknehmen; es wird schließlich zu klären sein, wie sich das Neben- bzw. Ineinander von anti-strukturellen und konservativen Anschauungen, Motiven und Impulsen bei Paulus begreiflich machen läßt (s. dazu Abs. 5). 4.3 Ethnische Communitas: Zur Integration von Juden und Heiden Die Neubestimmung und Neuregelung des Verhältnisses zwischen Juden und Heiden angesichts des Christusereignisses gehört sicherlich zu den wichtig30 ALEXANDER, Turner, 39; vgl. zudem ebd., 2: „In essence, ritual is activity that transcends the limitations of social distinction by creating community and that infuses everyday social life with communitarian values." 31 Vgl. dazu auch §§ 7.3.3 und 7.3.4 sowie Abs. 2.2 in diesem Paragraphen. 32 Zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt MEEKS, Image, 182 mit seiner Deutung von Gal 3,28 als rituelle performative Äußerung: „A factual claim is being made, about an .objective' change in reality that fundamentally modifies social roles. New attitudes and altered behavior would follow ..."

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sten Anliegen paulinischen Denkens und Handelns.33 Eindrucksvoll ist, mit welcher Verve sich der Apostel der Heiden (vgl. Gal 1,16; 2,8f.; Rom 1,5; 11,13; 15,16.18) dabei für die in Christus eröffnete ethnisch-heilsgeschichtliche Gleichstellung von Juden und Nichtjuden stark macht, ohne damit freilich die bleibende Erwählung Israels in Frage zu stellen. Dieses Engagement zeigt sich neben anderen Indizien insbesondere an folgenden Punkten: an seiner Haltung zur Beschneidung, an seiner Kritik am Rühmen, am auffälligen Gebrauch von πας im Römerbrief.

Die Relativierung der Beschneidung Die von Paulus vehement verfochtene Relativierung der Beschneidung für Heiden (vgl. Gal 2,1-10; 5,1-12; 6,12-15; Rom 2,25-29; 4,9-12; IKor 7,18f.; Phil 3,2ff.) zählt zweifelsohne zu den provokativsten Strategien des Apostels. Die ganze Tragweite dieses Standpunkts wird ersichtlich, wenn man sich den damaligen Signalwert der Beschneidungspraxis vor Augen hält. Im Judentum des 1. Jh.s galt die Zirkumzision als wesentliches ethnisches Distinktionszeichen, vermittels dessen man sich seiner eigenen Identität gegenüber anderen Völkern versicherte. Als sichtbares Signum der exklusiven Erwählung Israels war die περιτομή mithin einer der, wie James D.G. Dunn es treffend formuliert, zentralen jüdischen „identity and boundary marker".34 So gesehen gibt Paulus mit seiner kompromißlos ablehnenden Einstellung gegenüber der Zirkumzision der ε-9-νη unmißverständlich zu verstehen, daß christusgläubige Heiden sich nicht länger jüdischem Selbstverständnis ein- bzw. unterzuordnen haben, daß sie vielmehr als Heiden bzw. als gleichberechtigte Partner des jüdischen Volkes am jetzt durch Christus und zumal „in Christus" eröffneten universalen Heil partizipieren. Auf diese Weise reißt er ethnisch-soziale Trennmauern ein und ebnet einer egalitären Gemeinschaft den Weg, in der Beschnittene und Unbeschnittene auf der gemeinsamen Basis des Christusglaubens gleichrangig nebeneinander stehen, einer Gemeinschaft, in der Hierarchisierungen zwischen den Ethnien, wie sie der Vollzug des jüdischen Beschneidungsrituals an Heiden unweigerlich implizieren würde, nicht länger von ausschlaggebender Bedeutung sind. Mit anderen Worten: Paulus zeigt 33

Vor allem innerhalb der „new perspective on Paul" wird der ethnisch-heilsgeschichtlichen Dimension paulinischer Theologie eine essentielle Rolle zugeschrieben; vgl. dazu oben Anm. 25. Wegweisend waren diesbezüglich die Arbeiten von STENDAHL (vgl. DERS., Paulus und DERS., Gewissen); s. zuvor bereits WREDE, Aufgabe, 56; DERS., Paulus, 67ff. und MUNCK, H e i l s g e s c h i c h t e , 2 8 - 6 0 . 34

Vgl. dazu DUNN, Works, bes. 524-532.538f.; DERS., Perspective, bes. 107-110; DERS., Rom I, lxxi; s. ferner BARCLAY, Obeying, 56f.; HECKEL, Bild, 273f.; SANDERS, Law, 102f. und A.F. SEGAL, Convert, 208: „In opposing circumcision Paul was opposing the traditional view of Jewish identity"; vgl. auch HALL, Circumcision, 1027ff. und MEYER, περιτέμνω, 77ff.

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vermittels der Ablehnung der περιτομή für Heiden an, daß die christusgläubige Gemeinschaft keine communitas tribus ist, sondern eine wahrhaftige communitas hominis, in der sich die Einheit der Menschheit widerspiegelt und eine neue Schöpfung anbricht.35 Die dargelegten Zusammenhänge werden an mehreren Stellen im Corpus Paulinum greifbar. Besonders nachhaltig trifft dies auf die bereits in § 9 wiederholt besprochene Aussage in Gal 6,15 zu, wo es heißt: οΰτε γαρ περιτομή τί έστιν οϋτε άκροβυστία άλλα καινή κτίσις. Die qua Beschneidung symbolisch in den männlichen Körper eingeschriebene ethnische Differenz wird danach in der neuen Schöpfung obsolet, wobei die καινή κτίσις freilich zunächst auf den Raum der Ekklesia beschränkt bleibt, setzt sie doch laut V. 15 die Kreuzigung der Beziehungen zum Kosmos voraus, d.h. die Initiation in der Taufe. 36 In ähnlicher Form negiert Paulus auch in Gal 5,6 die in der περιτομή manifeste ethnische Differenz (vgl. ferner IKor 7,19); dort tut er es konkret mittels Bezugnahme auf das Sein έν Χριστώ Ίησοϋ, also auf die in der Taufe konstituierte Gemeinschaft mit Christus und seinem Schicksal; das heißt, er weist wesentlich auf die in der Initiation vollzogene, Juden wie Heiden gleichermaßen offenstehende Christuscommunitas,37 die die in der Beschneidung zelebrierte Abgrenzung der Ethnien annulliert38 und das Miteinander unter den Christusgläubigen vermöge der ethnisch indifferenten πίστις mit dem Communitaswert der Liebe imprägniert (πίστις δι' αγάπης ενεργούμενη). Es zeigt sich somit: Die Gemeinschaft der christusgläubigen Initiierten figuriert bei Paulus gewissermaßen als eine Art Vorhut der neuen Schöpfung, die eine Communitas der Ethnien έν Χριστώ inkludiert. Ausdrücklich darauf hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang, daß der Apostel die Zirkumzision in seinen Briefen keineswegs in toto negiert; er lehnt sie allein als Zusatzbedingung für initiierte Heiden ab,39 ansonsten behandelt er sie als Adiaphoron. E.P. Sanders bringt die paulinische Logik in dieser Frage wie folgt auf den Punkt: „Wenn jemand sagte: ,Du mußt Jude werden, indem du die Beschneidung, die Speisevorschriften und den Sabbat annimmst', erwiderte Paulus: ,Wer die Beschneidung 35 Die gebrauchten Termini sind D'AQUIU, Aggression, 28 entlehnt. D'AQUILI spricht darüber hinaus von einer communitas universalis, „a unity of all things, whether animate or inanimate" (ebd.), eine Communitasform, die im Corpus Paulinum, wenn überhaupt, allenfalls ansatzweise ins Blickfeld gerät, am ehesten noch in Rom 8,18ff. 36 Zum Konnex Taufe - Kreuzigung s. § 9.1 (bes. S. 25 Iff.). 37 Vgl. dazu § 7.3. 38 Vgl. A.F. SEGAL, Convert, 205: „The unifying factor was the experience of Christ; both [sc. Jews and Gentiles] had received baptism in the crucified messiah. Both had the same faith; thus, both must recognize that they have the same faith. As he [sc. Paul] had learned in his fourteen-year sojourn among gentile Christians, this transforming mystical identification with Christ had nothing to do with circumcision." 39 Vgl. Anm. 170 in § 6 (S. 115).

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annimmt, sagt sich los.' Wenn statt dessen jemand fragte: .Paulus, wie steht es mit der Beschneidung?', war seine Antwort:, An und für sich spielt sie keine Rolle.'"40 In beiden Fällen verliert die περιτομή indes ihren zentralen Differenzcharakter. Gerade auch als Adiaphoron unter Christusgläubigen ist sie nicht länger Signum ethnischer Exklusivität; sie büßt auch hier ihr hierarchisierendes Klassifikationspotential ein. Mit solcher Relativierung der περιτομή eröffnet der Apostel eine Art anti-strukturelle Gegenwelt, innerhalb derer die ansonsten geltenden Distinktionen der Sozialstruktur außer Kraft gesetzt sind.41 Augenscheinlich erfuhr er deshalb heftige Anfeindungen, die möglicherweise bis zum Vorwurf der Apostasie reichten.42 Wie aber zumal Tonfall und Polemik des Galaterbriefes bekunden (vgl. bes. Gal 1,6-9; 5,12) war er entschlossen, die Communitas aus Heiden und Juden auf Biegen oder Brechen zu verteidigen. Die Kritik am Rühmen

Eng verbunden mit der Relativierung der Beschneidung ist die wiederholt vorgebrachte Kritik am Rühmen (καυχασθαι κτλ.),43 mit der Paulus verschiedenenorts in seiner Korrespondenz auf den Wettstreit um Ehre und Privilegien zwischen Juden und Heiden innerhalb der Gemeinschaft der Christusgläubigen zielt. Eine solche Sicht der paulinischen Ruhmeskritik legt sich zumindest dann nahe, wenn man der neueren angloamerikanischen Paulusforschung, der sog. „new perspective on Paul", folgt. Sie weicht merklich von der traditionellen lutherischen und von Bultmann wirkmächtig reformulierten Deutung ab, nach der sich im Rühmen der Juden paradigmatisch das sündhafte Selbstrechtfertigungsstreben des Menschen artikuliere.44 Sanders, Dunn, Räisänen und einige andere vertreten demgegenüber die Ansicht, der Apostel habe an so markanten Schlüsselstellen wie Gal 6,13; Rom 2,17.23; 3,27; 4,2 weniger die sündhafte Grundhaltung des Menschen im Bück als vielmehr den jüdischen Anspruch auf die in der Erwählung, dem Bundesschluß und der Toragabe 40

SANDERS, Paulus, 82. Vgl. dazu auch N.R. PETERSEN, Rediscovering, 155f. 42 Vgl. A.F. SEGAL, Convert, 202; s. ferner GASTON, Torah, 32.71.76-79. 43 Für die aktuelle Themenstellung sind allein diejenigen Stellen von Belang, an denen Paulus das Rühmen negativ qualifiziert; zur positiven Verwendung der Wortfamilie s. nur HECKEL, Kraft, 186ff. 44 Vgl. nur BULTMANN, Theologie, 281: „Das καυχασθαι (έ-ν νόμω) ist ja die sündige Grundhaltung des Juden"; s. dazu ferner ebd., 242f.; DERS., καυχάομαι, 6 4 8 - 6 5 3 sowie DERS., Ende, 48: „Das Geltungsbedürfnis, das Streben nach eigener Gerechtigkeit, nach Ruhm vor Gott, ist also die Grundsünde ... So sieht Paulus den Menschen vor Christus, und es scheint mir nicht grundsätzlich verschieden zu sein von der Weise wie Luther den Menschen ohne Christus gesehen hat." Zahlreiche Exegeten nehmen bis heute eine mehr oder weniger identische Position ein. 41

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

gründende sowie in der Beschneidung am männlichen Körper symbolisierte einzigartige Stellung des jüdischen Volkes samt des damit einhergehenden Exklusivitätsbewußtseins gegenüber Heiden.45 Kritisiert werde von Paulus folglich nicht ein sich im Rühmen verdichtendes falsches Existenzverständnis, sondern jüdischer Partikularismus, d.h. die religiös-soziale Ausgrenzung respektive Vereinnahmung der Heiden. Schließt man sich diesem jüngeren Interpretationsansatz an, so wird man jedoch darauf achtzugeben haben, damit nicht doch wieder unversehens das alte Paradigma von der „Ruhmsucht der Juden"46 zu repristinieren. Keineswegs bezichtigt der Apostel das jüdische Volk pauschal der Überheblichkeit - er hält selbst mehrfach an der Prärogative Israels fest (s. dazu Abs. 5.1). Es gilt hier genau auf den Motivationsgrund der entsprechenden Äußerungen zu achten, um die Gewichte richtig zu verteilen: Die paulinische Mißbilligung des Rühmens wurzelt primär nicht in einer vermeintlich überspannten kollektiven jüdischen Geltungssucht, sie ergibt sich vielmehr folgerichtig aus dem Bestreben des Apostels, die durch das Christusgeschehen ermöglichte und in der Taufe faktisch ausagierte Gleichstellung von Juden und Heiden im alltäglichen Leben zu wahren und zu verhindern, daß dieses Miteinander der Ethnien durch das in der mediterranen shame culture verbreitete Rühmen und die damit verbundene Überhebung über andere aufs Spiel gesetzt wird. Eine einseitige prahlerische Betonung ethnischer Identität würde schließlich die ethnische Communitas der Initiierten bedenklich unterhöhlen. Diese Auslegung findet ihre Bestätigung darin, daß Paulus seine Ruhmeskritik für gewöhnlich in einem Textumfeld entfaltet, das die Gleichheit von Juden und Nichtjuden zum Gegenstand hat - wobei er sich im übrigen nicht allein gegen jüdisches Rühmen wendet, wie gleich noch zu sehen sein wird, auch wenn dieses ohne Frage rein quantitativ den Hauptangriffspunkt bildet.47 45

Vgl. SANDERS, Law, 33f.; DUNN, Perspective, 118f.; DERS., Rom I, lxxif.110f.115. 116-118.185.191f.; DERS., Gal, 339; RÄISÄNEN, Paul, 170f.; s. auch BOYARIN, Jew, 88f.; CRANFORJD, Abraham, 73-79; HALL, Anti-Semitism, 93-103; G.E. HOWARD, Inclusion, 232; MOXNES, Righteousness, 70ff.; WATSON, Paul, 132-135; vgl. ferner WLLCKENS, Rom I, 246. Zu den generell negativen Konnotationen von καυχασθαι κτλ. vgl. die umfassende Untersuchung bei HECKEL, Kraft, 145-159, die zu dem Ergebnis führt, daß das Verb „im allgemeinen Sprachgebrauch einen negativen Beiklang erhält und daher vielfach abwertend benutzt wird im Sinn von ,sich brüsten, prahlen, großtun, angeben, aufschneiden, sich aufblasen, sich aufblähen, sich aufplustern'" (ebd. 159). Zur antiken Kritik am Selbstlob s. grundsätzlich auch FORBES, Comparison, 8-10. 46 Vgl. dazu nur BULTMANN, Ende, 40, wo es heißt, das Gesetz diene „dem Juden" lediglich dazu, „sein Geltungsbedürfnis zu befriedigen, Ruhm vor Gott zu erlangen ..."; vgl. dazu die Kritik bei W. STEGEMANN, Judenfeindschaft, 160ff. und DERS., Verhältnis, 32ff. 47 Dies mag nicht zuletzt daher rühren, daß im nachexilischen Judentum seit der makkabäischen Krise die Sorge der Juden um die Wahrung ihrer Identität als Bundesvolk besonders ausgeprägt war (vgl. dazu DUNN, Works, 524-527; DERS., Paulus-Perspektive, 38f.). Von daher wird das offenbar deutliche Pochen auf jüdische Identität auch im Kreis der Christusgläubigen nachvollziehbar.

Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

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So setzt der Apostel in Gal 6,13-15 dem Ansinnen seiner Opponenten, sich der Beschneidung der Galater zu rühmen, die Replik entgegen, daß die mit der Kreuzigung der Welt heraufziehende neue Schöpfung die Differenz zwischen περιτομή und άκροβυστία gegenstandslos hat werden lassen, womit sich auch der Stolz auf die Beschneidung erübrigt. Das heißt, es ist die mit der Initiation geschaffene Einheit der Christusgläubigen, die dem ethnisch fundierten Rühmen alle Legitimität entzieht. Auch die kritische Bewertung des καυχασ&αι in Rom 2,17.23 steht im Kontext der von Paulus propagierten Gleichheit von Juden und Heiden; hier geht es allerdings um eine Art negative Egalität in der Sünde. Der Apostel attakkiert nämlich in Rom 2 insgesamt die Überbewertung der Erwählung und des Torabesitzes seitens des jüdischen Volkes im Sinne einer göttlichen Privilegiertheit gegenüber Heiden,48 indem er im Stil der Diatribe seinem jüdischen Gegenüber vor Augen führt, daß es Heiden gibt, „who show more evidence in themselves of what the law points to than many Jews (vv 12-16), just as there are Jews, members of the people of the law, who break the law (vv 17-24), Jews who keep the law at one level (circumcision) but who are not properly to be described as real Jews, as ,doers of the law' (vv 25-29).1'49 Paulus legt folglich bei Juden und Heiden ein und denselben Maßstab an und stellt so heraus, daß jüdisches Rühmen auf Kosten der Heiden gerade angesichts des Umgangs mit der Tora unbegründet ist; schließlich und endlich - so resümiert er in 3,9 (vgl. V.22) den gesamten Gedankengang ab 1,18 - leben beide Ethnien gleichermaßen unter der Sünde. Umgekehrt, nämlich ins Positive gewendet, verwehrt dann aber vor allem der Glaube ethnisches Rühmen, fungiert dieser doch bei Paulus als die entscheidende, Juden und Heiden gemeinsame Basis des Rechtfertigungshandelns des einen, Juden und Heiden gemeinsamen Gottes. Dies geht aus Rom 3,27ff. hervor, wo es heißt, der eine Gott beider Ethnien werde περιτομή und άκροβυστία jeweils auf derselben Grundlage, der πίστις, rechtfertigen, unabhängig von den jüdische Differenz indizierenden εργα νόμου.50 Dieses Prinzip 48

So mit BOYARIN, Jew, 86-95 und DUNN, Rom I, 76-128; s. auch LONGENECKER, Eschatology, 174-195; WATSON, Paul, 109-122. Paulus verurteilt danach nicht das Judentum an sich, er moniert die Tendenz zu jüdischer Exklusivität. 49 So die bündige Zusammenfassung der Argumentation bei DUNN, Rom I, 107. 50 Zu der vom lutherischen Auslegungsparadigma abweichenden, ethnisch ausgerichteten Deutung der εργα νόμου vgl. insbesondere DUNN, Rom I, 185ff. sowie DERS., Works, bes. 527ff.; DERS., Yet, lOOff.; DERS., Perspective, 107ff. DUNNs Ansatz folgen mit z.T. jeweils eigenen Akzentsetzungen BOYARIN, Jew, 53ff.91; HANSEN, Abraham, 102; KRAUS, Volk, 215f. (s. bes. A84); LONGENECKER, Eschatology, 200-202.206ff.; MEISSNER, Heimholung, 224ff.; A.F. SEGAL, Convert, 123-125; WRIGHT, Climax, 139 A10. Zur Interpretation der εργα νόμου als Kennzeichen jüdischer Identität bzw. des jüdischen Lebensstils vgl. ferner BARCLAY, Obeying, 78.82(A18).235-242; HEILIGENTHAL, Implikationen, 41ff.; TYSON, Works, bes. 430f.; WATSON, Paul, 63ff.112f.119ff.132ff.165f.178f.; WINGER, Law, 1 3 4 139.157f.; s. auch M. BARTH, Eph, 244-248.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

der universalen Glaubensgerechtigkeit bindet der Apostel dann in Rom 4 an die Gestalt Abrahams zurück; der jüdische Patriarch kommt so als gemeinsamer Vater von Juden und Heiden zu stehen (s. V.llf.16-18), wobei nur folgerichtig auch hier jeglicher Ruhm Abrahams vor Gott aufgrund distinkter Werke zurückgewiesen wird (V.2). Doch nicht nur jüdisches Rühmen ist Paulus ein Dorn im Auge. Mit dem Ölbaumgleichnis in Rom 11,17-24 wendet er sich eindringlich gegen die Überheblichkeit von Heiden. Im diatribischen Stil vergegenwärtigt er darin einem nichtjüdischen christusgläubigen Gesprächspartner in bildlicher Form, daß dieser als Zweig eines wilden Ölbaums unter die Zweige des Ölbaums Israel eingepfropft wurde und an dessen fettspendender Wurzel Anteil bekam, d.h. an Abraham und den Erzvätern.51 Auch wenn dafür einige Zweige des fruchtbaren Ölbaums ausgebrochen wurden - gemeint sind die nichtchristusgläubigen Juden - , so könne bzw. dürfe er sich vor diesem Hintergrund nicht gegenüber den Zweigen des guten Ölbaums, d.h. gegenüber den Juden52, rühmen (μή κατακαυχώ τώ-ν κλάδων), werde er doch infolge der „Einpfropfung" selbst von deren Wurzel getragen (V.17f.). Nachdrücklich mahnt der Apostel sodann sein Gegenüber, nicht hochmütig zu sein (μή υψηλά φρονεί), und zwar mit dem Argument, Gott werde, wenn er schon die natürlichen Zweige aufgrund ihres Unglaubens nicht verschont habe, auch die eingepfropften Zweige im Fall ihrer Abkehr von der Güte Gottes vor einem vergleichbaren Schicksal nicht bewahren (V.20-22). Schließlich erinnert er seinen heidnischen Adressaten daran, daß Gott die Macht besitze, die ausgehauenen Zweige auch wieder einzupfropfen, gesetzt den Fall, sie bleiben nicht bei der απιστία (V.23f.). Damit legt Paulus ein drittes Argument gegen heidnischen Dünkel vor.53 51

Ebenso interpretieren die Wurzelmetapher BERGER, Abraham, 84f.; CRANFIELD, Rom,

Π, 5 6 5 . 5 6 7 ; FITZMYER, R o m , 6 1 0 ; KRAUS, V o l k , 3 1 7 ; ROLOFF, Kirche, 129; SCHLIER, R o m , 3 3 2 ; STUHLMACHER, R o m , 1 5 0 f . l 5 2 ; WATSON, Paul, 170; WILCKENS, R o m Π, 2 4 6 ;

ZELLER, Rom, 196; zu anderen Deutungen vgl. die Angaben bei CRANFIELD, Rom Π, 565 und KRAUS, V o l k , 3 1 7 A 3 1 4 . 52 Es ist nicht auszuschließen, daß Paulus bei den Zweigen in V.18a nicht nur die ausgebrochenen, sondern auch die am Baum verbleibenden Zweige, d.h. die christusgläubigen Juden, mit im Blick hat. Dies erwägen CRANFIELD, Rom Π, 565f.; DUNN, Rom Π, 662; MICHEL, Rom, 276; SCHLIER, Rom, 333; ausdrücklich gegen diese Auffassung wendet sich

WRIGHT, C l i m a x , 2 4 8 . 53 Möglich ist, daß die Abwehr des heidnischen Rühmens in Rom 11,17-24 insgesamt auf konkrete Probleme in Rom zielt (vgl. RÄISÄNEN, Paul, 173: „The warning of boasting is not offered as a theme of missionary preaching, but as an attempt to solve concrete problems concerning communal life in the church"). Diese lassen sich jedoch nur schwer mit Sicherheit bestimmen. DUNN, Rom Π, 662 verweist auf Konflikte, die sich aus der durch das Claudiusedikt bedingten Ausweisung und späteren Rückkehr von Juden in die Gemeinde ergeben haben könnten. Daß Rom ll,17ff. einen ausgesprochenen Antijudaismus bzw. Antisemitismus seitens christusgläubiger römischer Heiden voraussetzt, wie dies z.B. W.S.

CAMPBELL, G o s p e l , 3 3 . 7 5 f f . ; CRANFIELD, R o m Π, 5 6 8 und W . D . DAVIES, People, 13.26

Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

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Es läßt sich somit festhalten: Paulus wehrt zumal im Galater- w i e im Römerbrief alle Ansätze ethnischen Rühmens innerhalb der Gemeinschaft der Christusgläubigen entschieden ab - egal von welcher Seite das Rühmen kommen mag, sei es von der jüdischen, sei es von der heidnischen. Er tritt damit d e m für eine shame culture charakteristischen Ehrwettbewerb unter den Ethnien entschieden entgegen und verteidigt so die im Christusgeschehen begründete Communitas aus Juden und Heiden, die eine hierarchische Stratifikation der Ethnien nicht zuläßt. 54 Notabene: Auch die Korrespondenz mit den Korinthern enthält mehrfach Kritik am Rühmen. Die negative Bewertung des καυχάσθαι (vgl. IKor 1,29; 3,21; 4,7; 5,6) steht hier allerdings weniger im Dienst der ethnischen Communitas, sie gründet in diesem Fall vielmehr im Engagement des Apostels für die soziale Einheit innerhalb der korinthischen Gemeinde, die aufgrund von Schismen und sozialen Differenzen gefährdet war. 55 Die Ablehnung des Rühmens erfolgt hier also strenggenommen im Kontext der von mir sog. sozialen Communitas. Die Bedeutung

von πας im

Römerbrief

D a s Interesse des Apostels an der Gleichstellung der Ethnien unter den Christusgläubigen spiegelt sich auch in der außerordentlichen Gewichtung der Vokabel πας im Römerbrief. 5 6 Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht insbesondere Rom 10,11-13. Dort heißt es: andeuten, ist eher unwahrscheinlich; vgl. dazu nur DUNN, Rom Π, 662: „Christianity was not yet sufficiently distinct from Judaism, so that few were likely to be attracted to Christianity who cherished anti-Jewish feelings." 54 Vgl. dazu auch BEKER, Apostle, 88, der für den Römerbrief notiert, „... the boasting of the Jew (3:27), or the Gentile (11:18), destroys the unity of both in the one eschatological body of Christ (12:4-5)". Unter Aufnahme der Forschungen zur Bedeutung von Ehre und Schande in der mediterranen Kultur schreibt MOXNES, Righteousness, 74 zum Römerbrief: „His [Paul's] main goal is unity in the community, and thus he could not accept competition about praise and honour." MOXNES führt in diesem instruktiven Aufsatz die in seiner Dissertation formulierte These anthropologisch untermauert fort, wonach Paulus in seinem Schreiben an die Römer Spannungen zwischen Juden und Heiden in der Gemeinde mit dem Ziel theologisiere, „to create a new identity for a community consisting of Jewish and nonJewish Christians" (DERS., Theology, 14; s. femer ebd., 88f.96f.289). 55 Zu IKor 1,29 s. oben § 7.3.3 (S. 205). An den anderen genannten Stellen wird die Einheit der Gemeinde gefährdet durch Ehransprüche aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten Parteien innerhalb der Gemeinde (3,21), aufgrund von Hybris, die, wie P. MARSHALL, Enmity, 194-218 zeigt, mit einem hohen sozialen Status einhergeht (4,7) sowie aufgrund sexuellen Mißverhaltens, das ebenfalls auf einen höheren Status weisen dürfte (5,7). Nach HECKEL, Kraft, 184 zielt auch Gal 6,4 „nicht auf die Rechtfertigung vor Gott, sondern richtet sich gegen die zerstörerische Wirkung des Selbstruhms auf das Zusammenleben in der Gemeinde, wie er auch in l.Kor Iff. zu Streitigkeiten und Spaltungstendenzen führt ..." (Hervorhebung im Original). 56 Vgl. dazu den Stellenüberblick bei MUSSNER, Heil, 207f.; s. ferner DERS., Kraft, 35f.; WILLIAMS, Righteousness, 247; GASTON, Torah, 131. Zur Bedeutung des Wortes πας in den Paulusbriefen allgemein s. Η WANG, Verwendung.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

„Denn die Schrift sagt: Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden' [Jes 28,16]. Es gibt nämlich keinen Unterschied zwischen Jude und Grieche, denn es ist derselbe Herr über alle, der reich ist für alle, die ihn anrufen. Denn jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet werden [Joel 3,5]." Das vierfache πας in diesem Passus (in der Übersetzung jeweils kursiv) unterstreicht nachhaltig Pauli universalistischen Standpunkt; die signifikante Vokabel ebnet die ethnisch-heilsgeschichtlich begründeten Unterschiede zwischen Juden und Heiden unübersehbar ein; unter der Herrschaft des einen Kyrios erscheinen in ihr gleichsam beide Ethnien zu einer Größe vereint. Besonders deutlich offenbart sich der universalistische Impetus des Apostels darin, daß er dem Zitat aus Jes 28,16 (vgl. 9,33) in V . l l eigenständig ein πας zufügt und durch diesen Zusatz die ursprünglich auf Israel gemünzte Aussage universal ausweitet, so daß nun, wie V.12f. weiter entfaltet, Gottes gnädige Zuwendung, vermittelt über den κύριος Jesus,, jedem" Glaubenden offensteht, was impliziert, daß Heiden an dem ehemals exklusiv jüdischen Bundesverhältnis mit Gott teilbekommen.57 In ähnlicher Funktion, nämlich als Signalwort für die Gleichstellung von Juden und Heiden, begegnet πας gleichfalls in Rom 1,16 (das Evangelium als Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt); 3,22 (Glaubensgerechtigkeit durch die πίστις Ίησοϋ Χριστοί) für alle Glaubenden); 4,llf.l6f. (Abraham als Vater aller); 5,18 (Rechtfertigung zum Leben für alle Menschen); 8,32 (die Hingabe des Sohnes für uns alle); 9,5 (Gott über alle); 9,17 (Verkündigung des Gottesnamen auf der ganzen Erde [Ex 9,16]); 10,4 (Christus als τέλος der Tora, zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt); 10,18 (in alle Welt ging aus der Schall der Botschaft [Ps 19,5]); 11,32 (dem Ungehorsam aller korrespondiert, daß Gott sich aller erbarmt). Der letztgenannten Stelle ist zu entnehmen, daß die in der Vokabel πας verdichtete Gleichstellung von Juden und Heiden auch im Rahmen des paulinischen Konzeptes der Sündenverfallenheit aller Menschen vor dem Erscheinen Christi auftaucht. Dies belegen ebenso die Aussagen in Rom 3,4.9.12.19f.23; 5,12.18. Juden und Heiden erscheinen hier samt und sonders in einer Art universalen massa perditionis zusammengeschlossen. Dieser Sachverhalt mag die Frage aufwerfen, ob Paulus auch eine Communitas im negativen Sinn voraussetzt, eine Communitas in der Sünde, die völlig unberührt vom Christusgeschehen schon immer bestanden hat. Eine solche Vorstellung ist freilich, genau besehen, abwegig, denn die Universalität der Sünde konstituiert ja keine konkrete Gemeinschaft aus Juden und Heiden, vielmehr schließt sie gerade die Ausgrenzung der Heiden seitens der Juden ein, das heißt, sie verhindert de facto die erst in Christus mögliche Gemeinschaft beider Ethnien. Gleichwohl vermag die Einsicht in die universale Sündenverfallenheit die universale Be57

Ich folge hierin i.w. der Auslegung von DUNN, Rom I, 616f.

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deutung des Christusgeschehens einzuschärfen und sie hat darin eine wichtige Funktion. In diesem Zusammenhang sei abschließend angemerkt, daß Paulus auch das Gericht als universalen Gleichmacher lancieren kann; so etwa in Rom 14,10-12, wo er angesichts der mutmaßlich ethnischen Spannungen zwischen Starken und Schwachen58 zu verstehen gibt, daß „alle" dereinst vor Gottes Richterstuhl stehen werden, um Rechenschaft abzugeben.

Weitere Anhaltspunkte Nur kurz und summarisch seien einige weitere Anhaltspunkte für Pauli Ausrichtung auf die Gleichstellung von Juden und Heiden im Leib Christi angefügt: Wie schon anklang, rekurriert Paulus wiederholt auf die zentrale jüdische Gestalt des Patriarchen Abraham, um die besagte Gleichstellung aus der Schrift zu begründen. So arbeitet er in Gal 3 die Inklusion der Heiden in die Sohnschaft Abrahams heraus, indem er die an den Patriarchen ergangene Nachkommenschaftsverheißung auf Christus fokussiert, dann auf die in der Taufe verwirklichte Teilhabe an Christus weist, um so schließlich die heidnischen Christusgläubigen in Galatien als Erben der Verheißung, d.h. als Nachkommenschaft Abrahams, zu legitimieren. In Rom 4 konzentriert sich der Apostel dagegen stärker auf den Gedanken der gemeinsamen Vaterschaft von Juden und Heiden (vgl. V.llf.16-18), so daß hier nun auch die jüdischen Christusgläubigen explizit mit in den Blick kommen. Ungeachtet dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen59 figuriert der Patriarch in beiden Kapiteln als „Integrationsfigur"60, über die jüdische und heidnische Christusgläubige in einer gemeinsamen symbolischen Lineage vereint erscheinen; solcherweise als „Söhne Abrahams" ausgewiesen, sind sie nun gleichsam Geschwister. Der Stammvater Israels wird so zum Stammvater aller Christusgläubigen, einschließlich der heidnischen.61 In ihm verdichtet sich mithin bereits vorab 58 59

Vgl. dazu die Angaben unten in Anm. 65. Zu den Unterschieden zwischen Gal 3 und ROM 4 s. Genaueres bei BERGER, Abraham,

87f.; KRAUS, V o l k , 2 7 7 . 60

HECKEL, Bild, 281f.294. Paulus weitet an diesem Punkt die bereits in der alttestamentlich-jüdischen Tradition erkennbare integrative Funktion Abrahams als Vater der Völker bzw. als Vater der Proselyten, der auch den Nicht-Juden den Eintritt in die Heilsgemeinschaft ermöglicht, in seinem Sinn aus; zur universalistischen Komponente der jüdischen Abrahamstradition s. bes. WIESER, Abrahamsvorstellungen, 171-175; zur grundsätzlichen Bedeutung des Patriarchen im Judentum vgl. nur ebd., 153-179; HANSEN, Abraham, 175-199; LONGENECKER, Gal, 1 ΙΟΙ 12; Luz, Geschichtsverständnis, 177ff.; MOXNES, Theology, 117ff.; ZELLER, Rom, 98f. WIESER, Abrahamsvorstellungen, 75 stellt fest: ,.Paulus kombiniert ... die beiden grossen Blöcke der jüdischen Tradition über Abraham als den Vater Israels ... und von Abraham und den Völkern ... zu einer umfassenden Vorstellung ..." Zur Motivation des Rückgriffs auf Abraham bei Paulus vgl. zudem SASS, Verheißung, 277f.376 61

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die universale Inklusivität, die dann erst mit Christus und in der Taufe faktisch umgesetzt wird. In Abrahams Glaubensgerechtigkeit und den an ihn ergangenen Verheißungen ist die ethnische Communitas sozusagen von jeher göttlich sanktioniert. Ich komme darauf in Abs. 5.1 noch einmal zurück. Die angesprochene Geschwisterlichkeit zwischen Juden und Heiden klagt Paulus deutlich auch in der Paränese seiner Briefe ein. Stephen D. Lowe hat hierzu den interessanten Vorschlag unterbreitet, das in Rom 12-16 auffällig häufig verwendete, Reziprozität anzeigende Pronomen αλλήλων (12,10.16; 13,8; 14,13.19; 15,5.7.14; 16,16) sei prinzipiell auf die Egalität von Juden und Heiden zu beziehen.62 Die in Rom 1-11 theologisch aufgewiesene ethnischheilsgeschichtliche Gleichheit würde darin gewissermaßen auf die Ebene der praktischen Umgangsformen gehoben.63 Lowe wörtlich: „The pronoun allelön suggests that Paul intends his reader to understand that the relationship [Jew/Gentile] is now egalitarian and reciprocal, not hierarchical (with Jews on top and Gentiles on the bottom)."64 Die These beleuchtet die verbreitete Auffassung, der in Rom 14,1-15,13 verhandelte Konflikt zwischen den „Schwachen" und den „Starken" speise sich vornehmlich aus der Spannung zwischen jüdischer und heidnischer Lebensweise innerhalb der Gemeinde65, nochmals eigens. Aber auch die außerhalb dieser Passage auftretenden Imperative mit αλλήλων lassen sich ansatzweise als Aufforderung zu ethnischer Egalität lesen. Zuletzt sei der hohe persönliche Einsatz des Apostels für die ethnische Gleichstellung genannt. Dieser tritt mehrfach in seinen Schreiben zutage, vor allem in seinem Ringen um die Ebenbürtigkeit der ε·θνη auf dem Apostelkonvent in Jerusalem (Gal 2,1-10), in seiner Standfestigkeit beim sog. antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11-14) sowie in seinem Engagement für die Kollekte (vgl. Gal 2,10; IKor 16,1^; 2Kor 8f„ Rom 15,25ff.), die als Zeichen der Bruderschaft und Einheit zwischen jüdischen und heidnischen Christusgläubigen diente.66 All diese Indizien - es ließen sich noch weitere hinzufügen - dokumentieren nachhaltig die praktische Bedeutung der in der Taufe verankerten Aussage 62 Vgl. LOWE, Rethinking, 62-65.72; s. auch DUNN, Rom Π, 705f. Insbesondere der Abschluß der Paränese in 15,7-13 bestätigt, „that the underlying theme of the preceding parenesis has still focused on Jew-Gentile relationships" (ebd., 706); SASS, Verheißung, 4 6 2 482 deutet den genannten Abschnitt als Summe des gesamten Römerbriefes (vgl. auch DERS., Summe, bes. 526f.). 63 LOWE, Rethinking, 63 moniert: „What is often overlooked in most exegesis on Romans 12-16 is that Paul is simply extending his theological argument about Jew/Gentile relationships in Christ to Jew/Gentile relationships in the Church." 64 Ebd., 64. 65 Vgl. dazu nur DUNN, Rom Π, 749ff., bes. 810-812; Κ. SCHÄFER, Gemeinde, 225-248; STUHLMACHER, Rom, 195ff.; WATSON, Paul, 94-98; WLLCKENS, Rom m , 79ff., bes. 8 6 89; s. auch den Überblick über die wichtigsten Thesen zu Rom 14,Iff. bei CRANFIELD, Rom Π, 690-695. 66 Vgl. K. SCHÄFER, Gemeinde, 208-225, der namentlich diesen Aspekt betont; grundsätzlich zur Kollekte vgl. die ebd., 579 A101 genannte Literatur, bes. GEORGI, Kollekte.

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ουκ ενι 'Ιουδαίος οΰδέ "Ελλην. Die ethnische Communitas war Paulus erkennbar ein wichtiges Anliegen, und zwar über das Ritual hinaus.

4.4 Soziale Communitas: Zum Verhältnis von Sklaven und Freien Die hohe Relevanz sozialer Communitas für das Gemeindeverständnis des Apostels wurde bereits in der voranstehenden Untersuchung zum Herrenmahl und zum Leib-Christi-Symbol sichtbar. Hier soll, Gal 3,28 folgend, das Thema der neuen Verhältnisbestimmung von Freien und Sklaven analysiert und an diesem Punkt paradigmatisch die soziale Komponente des paulinischen Communitasprojekts untersucht werden; dies soll anhand der Schlüsselaussagen Phlm 15-17 und IKor 7,21-24 geschehen.

Phlm 15-17 Anlaß und Absicht des Philemonbriefes sind nur schwer eindeutig zu ermitteln. Die diesbezüglich auswertbaren Angaben liefern nicht auf alle Fragen eine befriedigende Antwort und sind überdies teilweise mehrdeutig. Die exegetische Forschung stellt dementsprechend mehrere differierende Rekonstruktionsvorschläge bereit.67 Nichtsdestotrotz sind der Argumentation des Apostels einige wesentliche Eckdaten relativ klar zu entnehmen. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Sklave Onesimus hat seinen Herrn Philemon verlassen (V.15) 68 und ist zu dem 6 7 Zum Diskussionsstand s. nur BALZ, Philemonbrief, 488f.; BINDER, Phil, 32ff.; PATZIA, Letter, 703-706; RAPSKE, Prisoner, 187-197; WOLTER, Phlm, 227ff.; vgl. auch den Fragenkatalog bei BARTCHY, Epistle, 306. 6 8 Zu den Hintergründen des Weggangs liegen folgende Thesen vor: (a) Die traditionelle Sicht geht davon aus, Onesimus sei ein jvgitivus, ein der Sklaverei Entflohener, der seinen Herrn materiell geschädigt habe, sei es durch Diebstahl (evtl. zur Finanzierung der Flucht), sei es durch Veruntreuung, sei es durch die Flucht selbst; vgl. dazu BARCLAY, Dilemma, 163f.; BELLEN, Studien, 78ff.; BINDER, Phlm, 32-36; ERNST, Phlm, 123; GAYER, Stellung, 229ff.; GNILKA, Phlm, 2f.68ff.; GÜLZOW, Christentum, 31; HAUPT, Gefangenschaftsbriefe, 4ff.; LAUB, Begegnung, 67ff.; LOHSE, Phlm, 263; LOHMEYER, Phlm, 171; NORDLING, Onesimus; N.R. PETERSEN, Rediscovering, 2; Κ. SCHÄFER, Gemeinde, 248f.; SCHRÄGE, Ethik, 243; STUHLMACHER, Phlm, 22f.; SUHL, Phlm, 21. (b) Viele neuere Auslegungen betonen indes, Onesimus sei in rechtlicher Sicht keineswegs als fugitivus zu beurteilen, er habe Paulus vielmehr bewußt als einflußreichen Fürsprecher in einem häuslichen Konflikt aufgesucht; diese These überzeugt, weil sie nachvollziehbarer als die traditionelle Sicht begründen kann, weshalb der Sklave ausgerechnet mit dem inhaftierten Paulus, einem Vertrauten seines Herrn, zusammentrifft (vgl. dazu auch die folgende Anm.); so P. LAMPE, Sklavenflucht, 135ff.; BALZ, Philemonbrief, 489; BARTCHY, Epistle, 307f.; RAPSKE, Prisoner, 195ff.; THEISSEN, Wert, 68; WOLTER, Phlm, 230f.; erwägend: SCHRÄGE, Ethik, 221.244. (c) Unwahrscheinlich ist die Annahme, Onesimus sei von der Gemeinde in Kolossä dele-

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im Gefängnis einsitzenden (vgl. V.1.23) Paulus gelangt.69 Dieser gewinnt ihn für Christus (V.10). Der Apostel schickt daraufhin Onesimus mit dem uns vorliegenden Brief an Philemon zurück (V. 12) und bittet ihn, Onesimus nicht mehr als Sklaven, sondern als geliebten Bruder (V.16) bzw. als κοινωνός (V.17) aufzunehmen; er erwartet obendrein, Onesimus künftig als Mitarbeiter überlassen zu bekommen (V.13f.).70 Die Berechtigung, derartige Anliegen vorzutragen, leitet Paulus maßgeblich aus dem Umstand ab, daß er es war, der Philemon zum Christusglauben führte (V.19; vgl. auch V.4-7); dementsprechend redet er Philemon eindringlich als Bruder an (V.7.20). Für unsere Themenstellung gilt es nun darauf zu schauen, wie sich das Verhältnis zwischen dem initiierten Sklaven und seinem Herrn nach der Ansicht des Apostels zu gestalten hat. Der Passus Phlm 15-17 ist in dieser Hinsicht besonders instruktiv. Die drei Verse thematisieren die besagte Relation im Brief erstmals eigens und dokumentieren sichtlich die durch die Hinwendung des Onesimus zu Christus erwirkte Veränderung.71 Nicht wenige lokalisieren darum hier den sachlichen Kern bzw. Höhepunkt des gesamten Briefes. 72 In V.15 stellt der Apostel zunächst den Weggang des Onesimus von Philemon mittels des Passivum divinum έχωρίσθη in den Kontext göttlicher Fügung.73 Der von Philemon offenbar als Vergehen erachtete Fortgang wird damit nicht nur entschuldigt,74 er erfährt gewissermaßen höchste Legitimation. giert worden, wurde der Sklave doch erst durch Paulus zum Christusglauben geführt; so aber WINTER, Letter, 3; SCHENK, Brief, 3460f. 69 Das Zusammentreffen mit Paulus wird im Rahmen der traditionellen Deutung (s. Anm. zuvor) als zufällige Begegnung im Gefängnis, als gezielter Besuch infolge einer ausweglosen Situation des fugitivus oder als eine über Dritte vermittelte Zusammenkunft erklärt; zu den damit verbundenen Problemen vgl. RAPSKE, Prisoner, 191f. 70 Die Auslegungen variieren darin, daß einmal mehr der letztgenannte Wunsch des Apostels, nämlich Onesimus als Missionsgehilfe für sich zu gewinnen, als Hauptanliegen des Briefes bestimmt wird (so insbesondere OLLROG, Mitarbeiter, 43f.l01ff.; femer BALZ, Philemonbrief, 488; BINDER, Phlm, 40; SCHNELLE, Einleitung, 180), einmal mehr die Bitte um brüderliche Akzeptanz des Sklaven (so v.a. WOLTER, Phlm, 233f.268ff.; s. auch ERNST, Phlm, 123; GAYER, Stellung, 234-245; K. SCHÄFER, Gemeinde, 251ff.; STUHLMACHER, Phlm, 24.57), wobei diese Bitte nach Meinung vieler Vertreter der fitgitivus-These speziell den Appell an Philemon inkludiert, auf die für entlaufene Sklaven vorgesehenen harten Bestrafungen zu verzichten (vgl. dazu nur NORDLING, Onesimus, 114-118; SCHRÄGE, Ethik, 221.243f.; SUHL, Phlm, 39; s. auch BELLEN, Studien, 17ff.); nach P. LAMPE, Sklavenflucht, 137 fordert der Brief vorrangig Strafverzicht im Hinblick auf das hinter V.18 vermutete Delikt (kritisch dazu WOLTER, Phlm, 231f.); s. zum Thema auch BARCLAY, Dilemma, 172ff. 71 Zuvor geht es in V.8f. primär um das Verhältnis Paulus - Philemon sowie in V.10-12 um die Beziehung Paulus - Onesimus; vgl. WOLTER, Phlm, 258.268f. 72 Vgl. insbesondere WOLTER, Phlm, 268f.; ähnlich ERNST, Phlm, 135f.; GAYER, Stellung, 256; GNILKA, Phlm, 52; K. SCHÄFER, Gemeinde, 252.254. 73 Vgl. BINDER, Phlm, 59f.; GNILKA, Phlm, 50; HAUPT, Gefangenschaftsbriefe, 193; LOHSE, Phlm, 282; K. SCHÄFER, Gemeinde, 252; SUHL, Phlm, 34; WOLTER, Phlm, 269f.; WINTER, Letter, lOf. 74 Das in V.15 erkennbare Bemühen des Apostels, Onesimus' Trennung positiv zu deuten, signalisiert, daß dieses ohne das Einverständnis des Philemon erfolgte; vgl. dazu WOLTER, Phlm, 269.

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Paulus weckt mithin die Vorstellung, daß Gott die fraglichen Geschehnisse von Anfang an bewußt gelenkt habe. Hierdurch unterminiert er freilich indirekt die Autorität des Philemon und hebt dessen Herrschaftsrecht als Sklavenhalter in diesem konkreten Fall in der größeren Macht Gottes auf.75 Gerade darin eröffnet sich aber die Chance einer neuen Verhältnisbestimmung zwischen Philemon und Onesimus, die Paulus dann in V.16f. auf den Punkt bringt. Doch bereits der direkt an Philemon gerichtete Finalsatz ίνα αΐώνιον αΰτόν άπέχης in V.15b läßt erkennen, daß die von Gott verfügte vorübergehende (πρός ώραν) Trennung zwischen Onesimus und Philemon eine Neubestimmung der persönlichen Relation zwischen beiden involviert. Vom Kontext her und aufgrund des sonstigen Gebrauchs des Wortes αιώνιος im Corpus Paulinum wird man nämlich den ίνα-Satz nicht etwa so zu verstehen haben, als bekomme Philemon nun den Sklaven Onesimus als lebenslangen Besitz zugesprochen.76 Vielmehr indiziert V.15b, daß der Weggang von Philemon auf eine Statustransformation des Onesimus ausgerichtet war, die eine Transformation der Beziehung zwischen Sklave und Herrn zwangsläufig einschließt: Philemon erhält (άπεχειν77) Onesimus nach der kurzen Trennung nun „auf ewig" zurück, d.h. als christusgläubigen Initiierten und damit als Gefährten, mit dem er in die Ewigkeit Gottes hinein verbunden ist.78 Dieses in der Initiation des Onesimus begründete neue Verhältnis wird in V.16 und 17 näher expliziert, und zwar als Bruderschaft und Koinonia, wobei die beiden entsprechenden Leitbegriffe, nämlich αδελφός (V.16) und κοινωνός (V.17), unverkennbar eine Umformung des ehemals hierarchischen Verhältnisses zwischen Sklave und Herrn in Richtung auf eine ebenbürtige Beziehung erkennen lassen. Dem gilt es im folgenden noch etwas genauer nachzuspüren. Zunächst zu V.16. Paulus gibt hier Philemon klar zu verstehen: Der initiierte Onesimus kehrt nicht mehr im Status eines Sklaven zu ihm zurück; er ist nun „mehr als ein Sklave" (ΰπέρ δοϋλον), mehr als ein beliebig verfügbares Objekt in seinem Besitzstand; er kehrt als Bruder zurück! Bruderschaft und Sklavenstatus stehen dabei merklich in Opposition zueinander, was bereits die Formulierung mit ούκέτι . . . ά λ λ ά signalisiert. Ohnehin impliziert Bruderschaft 75

Vgl. WINTER, Letter, lOf: „Paul's use of the passive voice indicates that Onesimus has been taken away through God's authority, and thus God alone has .ownership' of Onesimus." 76 So jedoch unter Verweis auf Ex 21,6; Dtn 15,17 bzw. Lev 25,46 MERK, Handeln, 226; STUHLMACHER, Phlm, 41f.; WOLTER, Phlm, 269; s. teilweise auch BALZ, αιώνιος, 115. 77 Es handelt sich hierbei um einen Terminus technicus der Geschäftssprache für die Ausstellung einer Quittung (vgl. Phil 4,18); s. dazu BAUER/ALAND, Wörterbuch, 169; nach BINDER, Phlm, 60 zeigt Paulus damit an, „daß Onesimus als Geschenk aus Gottes Hand durch Philemon ordnungsgemäß zu .quittieren' (άπέχειν) ist". 78 Ähnlich BINDER, Phlm, 60; GAYER, Stellung, 243f.; GNILKA, Phlm, 50f.; HAUPT, Gefangenschaftsbriefe, 193; LOHSE, Phlm, 282 A3; K. SCHÄFER, Gemeinde, 252; SUHL, Phlm, 34; WINTER, Letter, 10; s. teilweise auch BALZ, αιώνιος, 115.

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Gleichstellung, während das Sklave-Herr-Verhältnis auf Hierarchie und Autorität ruht.79 Paulus akzentuiert diesen Gegensatz noch weiter, indem er den Bruderschaftsgedanken mit dem Adjektiv αγαπητός koppelt. Diese Qualifizierung destruiert die hierarchisch strukturierte Sklave-Herr-Verbindung vollends und bindet die Beziehung zwischen Onesimus und Philemon letztlich in die αγάπη der Gemeinschaft der Christusgläubigen ein, die sich so einmal mehr als eine die bestehenden sozialen Unterschiede einebnende bzw. relativierende Communitas erweist. Auf das egalisierende Potential der Liebe greift Paulus im übrigen bereits in V.8f. zurück, und zwar dort im Hinblick auf sein Verhältnis zu Philemon. Δια την άγάπην unterläßt er es an jener Stelle, seine Autorität und Weisungsbefugnis als Apostel voll geltend zu machen und Philemon einen Befehl von oben zu erteilen (έπιτάσσειν). Der αγάπη entsprechend formuliert er statt dessen eine Bitte (παρακαλειν). N.R. Petersen bemerkt dazu, Paulus gleiche so, nämlich „by appealing to the nonauthoritarian value of love which they share"80, die Spannung zwischen seiner Autorität als Apostel und der weltlichen Autorität des Philemon aus. Anders gesagt, mit der Berufung auf die Liebe schafft Paulus eine Ebene der Gleichrangigkeit zwischen sich und seinem Briefadressaten. Diese Ausrichtung auf Ebenbürtigkeit scheint auch an anderen Stellen im Brief durch. So nennt er Philemon gleich zu Beginn in V.l einen „Geliebten" und spricht ihn dann in V.7 und 20 direkt als αδελφός an, was mit Blick auf das Bruderschaftsmotiv in V.16 besonders aufschlußreich ist: Es ist allem Anschein nach dieses an der Beziehung zwischen seiner Person und Philemon bereits exemplifizierte Modell der liebenden Bruderschaft, das Paulus in V.l6b auch auf das Verhältnis zwischen Onesimus und Philemon transferiert wissen will, wobei er zudem sein persönliches Bruderschaftsverhältnis zu Onesimus als Vorbild für Philemon anführt (μάλιστα έμοί, πόσω δέ μάλλον σοι)81. Voraussetzung für dieses in der Liebe gründende Dreiecksverhältnis ist freilich die allen drei Personen gemeinsame Initiation. Aus ihr speist sich jene αγάπη, die alle christusgläubigen Neophyten über soziale Barrieren hinweg als Geschwister miteinander vereint. Der initiierte Sklave Onesimus wird dabei gleichsam „von unten" auf jene Ebene der Egalität gehoben, die zwischen Paulus und dem initiierten Philemon bereits seit längerem besteht. Auch er ist nun „geliebter Bruder", was Paulus mittels des vorliegenden Briefes Philemon sozusagen ins Stammbuch schreibt. Wie ist es aber um die praktische Bedeutung dieser Bruderschaft bestellt? Geht es hier um eine echte, realisierte Bruderschaft, die sich in einer ver79

Zum Gebrauch des Brudertitels in der Antike vgl. GAYER, Stellung, 237-240; SCHELKLE, Bruder, 631ff.; speziell zu Paulus s. K. SCHÄFER, Gemeinde, 21ff. 80 N.R. PETERSEN, Rediscovering, 106; ihm folgt WOLTER, Phlm, 259. Zu den verkappten Autoritätsansprüchen des Apostels an dieser Stelle und im Philemonbrief insgesamt s. unten Abs. 5.2. 81 Zur a-fortiori-Argumentation in V.16 vgl. WOLTER, Phlm, 271.

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änderten Praxis niederschlägt und die Freilassung des Onesimus einschließt bzw. nahelegt, oder hat der Apostel lediglich eine rein potentielle Bruderschaft im Auge, bei der Philemon den Onesimus bei unverändert aufrecht erhaltenem Sklavenstatus lediglich wie einen Bruder betrachten soll? Die letztgenannte Option, nämlich die einer rein potentiellen Gleichwertigkeit von Sklaven, nach dem Motto: Sklaven sind auch Menschen, ist zumal bei den Stoikern belegt, etwa bei Epiktet oder Seneca. 82 Insbesondere Senecas viel zitierter Einsatz für einen menschenfreundlichen Umgang mit Leibeigenen als Hausgenossen auf der Grundlage eines affectus amici zwischen Herren und Sklaven zielt im Kern auf eine nur innerliche Auflösung des Sklavenverhältnisses, bei der die äußerlichen Statusunterschiede und der niedere Rang der Leibeigenen unangetastet bleiben. 83 Das Beispiel Senecas dokumentiert überdies, daß sich hinter einer vermeintlich humanitären Haltung oftmals persönliche ökonomische und andere pragmatische Interessen des Sklavenhalters verbergen, die letztlich nur der größeren Effektivität und damit der Stabilisierung der Sklaverei dienen. 84 Man wird eine solche Haltung nicht unbesehen auf den Philemonbrief übertragen dürfen. D e m Apostel liegt keineswegs an einer bloß potentiellen Gleichwertigkeit; was er mit dem Bruderschaftsmotiv in V.16 - w i e dann zumal auch vermöge des Koinoniagedankens in V.17 (s. unten) - einklagt, ist „eine ganz reale Statusänderung des Sklaven, die nach sozialer Verwirklichung drängt" 85 . Paulus hebt mit anderen Worten auf eine effektive Status82 Epiktet leitet in Diss l,13,3f. die Bruderschaft aller Menschen aus der Gotteskindschaft ab und schließt Sklaven ausdrücklich darin ein; s. auch Diss 3,24,16.; vgl. dazu GAYER, Stellung, 38ff., bes. 44; K. SCHÄFER, Gemeinde, 269; RUSAM, Gemeinschaft, 2325. Seneca zufolge partizipieren alle Menschen an der göttlichen Vernunft, was die Theorie einer .Sklaverei von Natur aus' - wie sie etwa bei Piaton und Aristoteles begegnet - ausschließt; vgl. dazu Ep 31,11; 44; 47,10; s. ferner Ben 3,28,Iff.; zu Senecas Haltung in dieser Frage vgl. überdies BROCKMEYER, Sklaverei, 9f.; GAYER, Stellung, 48-51.276f.; GRIFFIN, Seneca, 256-285; GRIMAL, Seneca, 126f.; K. SCHÄFER, Gemeinde, 269-271. Seneca folgt Anschauungen, die sich bereits bei den Sophisten finden. Dazu sowie zu weiteren antiken

Sklaventheorien s. BROCKMEYER, Sklaverei, 4 - 1 0 ; ALFÖLDY, Sklaverei, 21f.; DERS., So-

zialgeschichte, 119; GNILKA, Phlm, 61ff. 83 Ich folge hierin der bündigen Zusammenfassung von Senecas Werk „De benificiis" bei BROCKMEYER, Sklaverei, 10; zur vermeintlichen Humanisierung der Sklaverei durch stoisches Denken, die in Wirklichkeit eher eine Moralisierung war, s. VEYNE, Reich, 75f. 84 Vgl. dazu ALFÖLDY, Sklaverei, 21. FLNLEY, Sklaverei, 146f. merkt an: „Die ,humanitas' eines Seneca und Plinius diente ... einem einzigen Ziel: die Einrichtung der Sklaverei als solche zu stärken, nicht sie zu schwächen." K. SCHÄFER, Gemeinde, 271 macht auf Senecas Nützlichkeitserwägung aufmerksam, wonach das Hauswesen besser funktioniere, wenn man Rücksicht auf die Sklaven nehme; vgl. dazu Ep 47,4. In diesem Zusammenhang ist auch auf die z.T. recht harschen negativen Äußerungen Senecas über Sklaven hinzuweisen; sie finden sich bei GAYER, Stellung, 51 A178 und GRIFFIN, Seneca, 266f. zusammengestellt. 85 WOLTER, Phlm, 272; vgl. auch BARCLAY, Dilemma, 181f.; CRUZ, Motives, 180f.; LAUB, Begegnung, 70; SCHENK, Brief, 3466ff.; WINTER, Letter, 10f.; anders urteilen z.B.

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transformation des Sklaven Onesimus zum Bruder (und zum Partner; V.17) ab. Darauf weisen folgende Indizien in V.16: So gibt die Verwendung des οΰκέτι (anstelle von μηκέτι) zu Beginn des Verses deutlich zu erkennen, daß Paulus bei der Aussage, Philemon empfange Onesimus „nicht mehr als einen Sklaven", einen objektiven Tatbestand im Sinn hat. 86 Lightfoot schreibt mit Recht: „The ,no more as a slave' is an absolute fact, whether Philemon chooses to recognize it or not." 87 Auf die Faktizität der Statusänderung des Onesimus deutet ferner die signifikante Wendung και έν σαρκι καΐ έν κυρίω am Ende des Verses hin: Die Bruderliebe des Onesimus gilt für den Apostel eben nicht nur „im Herrn", sondern auch „im Fleisch", das heißt, sie durchdringt das Leben in toto, bis in die ganz alltäglichen Lebensvollzüge hinein. 88 Die Formulierung και έν σαρκί και έν κυρίω ist allerdings ungewöhnlich; 89 schließlich impliziert das έν κυρίω bei Paulus ja, wie wir in § 7.3.4 sahen, an sich bereits eine Neuqualifizierung des gesamten Lebens samt der Alltagspraktiken. Daß der Apostel die umfassende Realisierung der Bruderliebe mittels des έν σαρκί nochmals eigens hervorhebt, erklärt sich wohl aus der für die damalige Kultur außerordentlichen Befremdlichkeit des anti-strukturellen Ansinnens, einen Sklaven de facto und nicht nur potentiell als gleichberechtigten „geliebten Bruder" zu behandeln. Paulus ist sich vermutlich im klaren darüber, daß Philemon allemal geneigt sein dürfte, die neu gewonnene Bruderschaft des Onesimus lediglich als eine in der gemeinsamen Initiation begründete Gesinnungsbruderschaft zu verstehen, einer Bruderschaft also, bei der die Statusunterschiede zwischen Herren und Sklaven in praxi letztlich unverändert fortbestehen. Um eine Deutung dieser oder ähnlicher Art auszuschließen, setzt er die Verstärkung „im Fleisch" vor das Syntagma „im Herrn" und stellt so seine Überzeugung sicher, daß Onesimus' neu gewonnener Bruderstatus die gesamte soziale Realität tangiert.90 THEISSEN, Wert, 66ff. und die bei K. SCHÄFER, Gemeinde, 601 A37 (vgl. dazu ebd., 253) angeführten Ausleger; s. hierzu auch den Überblick über die zwei grundlegenden Interpretationsmodelle des Philemonbriefes bei BALZ, Philemonbrief, 490. 86 Die Negation mit οΰ „verneint objektiv die bezeichnete Wirklichkeit" (HOFFMANN/ SIEBENTHAL, Grammatik, § 244); s. auch BLASS/DEBRUNNER/REHKOPF, Grammatik, § 426 sowie WINTER, Letter, 10 und WOLTER, Phlm, 270. 87 LIGHTFOOT, zit. nach WINTER, Letter, 10. 88 Die Deutung des έν σαρκί. auf den alltäglichen, häuslichen Bereich vertreten ebenso BINDER, Phlm, 6 1 ; GAYER, Stellung, 2 3 6 . 2 6 4 ; GNILKA, Phlm, 52; N.R. PETERSEN, Redis-

covering, 95ff.; SAND, Fleisch, 169; K. SCHÄFER, Gemeinde, 255f.; SCHRÄGE, Ethik, 221; STUHLMACHER, Phlm, 4 2 ; WOLTER, Phlm, 2 7 1 . LOHMEYER, Phlm, 189 und VIELHAUER,

Geschichte, 172 lesen das Syntagma darüber hinaus als Hinweis auf eine von Paulus intendierte Freilassung des Onesimus. Diese Auslegung ist jedoch nicht zwingend; Näheres zu diesem Thema s. unten (S. 376f.). 89 Die Koppelung von έν σαρκί und έν κυρίω mittels καί findet sich nur an dieser Stelle im Corpus Paulinum. 9 " Nach WOLTER, Phlm, 271 ist damit gesagt, „daß die Einbeziehung eines Menschen in den durch ,in Christus' gekennzeichneten Heilsbereich diesen ganz real zu einer ,neuen

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V.17 fährt auf dieser Linie fort. Hier formuliert Paulus nun sein Anliegen unmittelbar in Form eines Imperativs: Philemon solle den Onesimus so aufnehmen (προσλαμβάνει) wie ihn, nämlich als κοινωνός. Was ist damit gemeint? Die Koinonia-Terminologie begegnet in der Profangräzität für Gemeinschaftsverhältnisse unterschiedlicher Art. Sie ist sowohl in der Geschäftssprache verbreitet, wo κοινωνός speziell für den Geschäftsteilhaber bzw. den Gesellschafter steht,91 sie wird aber auch für andere, allgemeinere Formen zwischenmenschlicher Beziehungen im Kontext der Polis wie auch des Oikos verwendet; neben dem antiken Ehe-Diskurs hat sie dabei insbesondere in der griechisch-römischen Freundschaftsethik ihren festen Platz.92 Die besagte Vokabel weckt insofern zahlreiche Assoziationen. Entsprechend vielfältig sind die vorgetragenen Auslegungen des Imperativs in der Exegese.93 Um nun die zentrale Intention des Verses richtig zu erfassen, hat man zunächst zu beachten, daß Paulus hier die Konsequenz aus den voranstehenden Ausführungen zieht (οδν). Dabei nimmt der Begriff κοινωνός inhaltlich das in V.16 genannte Bruderschaftsmotiv auf - der Apostel spricht ja Philemon in V.7.20 ebenfalls als Bruder an - und führt die Implikationen der neu gewonnenen Bruderschaft des Onesimus am Vorbild der κοινωνία zwischen Philemon und Paulus aus. Von daher dürfte beim Gebrauch der Vokabel zunächst schlicht die in der Geschäftssprache wie auch der Freundschaftsethik gleichermaßen wichtige Komponente der Gleichberechtigung im Vordergrund stehen.94 Hinzu kommt nun aber, daß κοινωνία bei Paulus ein eigenes, ganz spezifisches Kolorit besitzt: Mehrfach umschreibt er mit dieser Begrifflichkeit die über den rein zwischenmenschlichen Bereich hinausgehende, im Ritual, vor allem in der Initiation gestiftete Teilhabe an Christus und dem Christusgeschehen.95 Man wird diesen speziellen Bedeutungsaspekt auch in Phlm 17 nicht einfach ausblenden dürfen, das heißt, die in der κοινωνία verdichtete soziale Gleichberechtigung gründet wohl auch hier grundsätzlich in der vertikalen Christuscommunitas.96 Das κοινωνός-Μοΰν weist dann an dieser Stelle, im Schöpfung' (2Kor 5,17) werden läßt, daß also die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde die bestehenden sozialen Statuszuweisungen suspendiert und durch neue ersetzt". 91 Vgl. dazu HAUCK, κοινός, 799; LOHSE, Phlm, 283 samt A3; LOHMEYER, Phlm, 189 A5; WOLTER, Phlm, 273f.; s. dort speziell den Hinweis auf entsprechende Belege aus den Papyri, die auch die Wendung προσλάμβανειν κοινωνόν bezeugen. 92 Vgl. dazu HAUCK, κοινός, 799; LAUB, Begegnung, 71; WOLTER, Phlm, 254. 93 Vgl. dazu nur K. SCHÄFER, Gemeinde, 258. WINTER, Letter, l l f . rekurriert unter Bezugnahme auf die Thesen SAMPLEYs sowohl in V.6 wie in V.17 speziell auf das Konzept der „konsensualen Societas"; s. auch SCHENK, Brief, 3474f.; zur Problematik der Grundlagen dieser Interpretation s. oben Abs. 1 (S. 305f.). 94 Vgl. dazu WOLTER, Phlm, 274; auch N.R. PETERSEN, Rediscovering, 104f. hebt auf das Moment der „equality" ab. 95 Vgl. dazu nur § 6.3 (zu Phil 3,10 [S. 127f.]) sowie oben Abs. 10.3.2 (zu lKor 10,16f. [S.316f.]); s. ferner § 7.3.3. 96 Auf die Christuszugehörigkeit weisen in diesem Zusammenhang ebenso BINDER, Phlm, 61; LAUB, Begegnung, 70f.; LOHSE, Phlm, 283; K. SCHÄFER, Gemeinde, 258. Der

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ganzen gesehen, auf die horizontale, gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Philemon und Paulus, die in deren gemeinsamer Teilhabe an Christus wurzelt, und in die nun auch der initiierte Sklave Onesimus einzubeziehen ist.97 Die Brisanz dieses Ansinnens darf nicht übersehen werden. Der Appell, Onesimus, der ja ungeachtet seiner Initiation dem Rechtsstatus nach weiterhin Sklave des Philemon war, als κοινωνός aufzunehmen, birgt ohne Zweifel erheblichen sozialen Sprengstoff in sich und mußte vor dem Hintergrund damaliger sozialer Konventionen als Zumutung empfunden werden. Wolter gibt diesbezüglich zu bedenken: „Es gehört... zu den Grundsätzen des antiken Verständnisses von koinönia, daß sie ebenso wie die Freundschaft, deren Mittelpunkt sie markiert..., nur zwischen Gleichen möglich ist. Dementsprechend kann es innerhalb des Hauses ... keine koinönia zwischen dem Herrn und seinem Sklaven geben."98 Paulus war sich wohl des provokativen Charakters seines Ersuchens bewußt und formuliert sein Ansinnen darum in V.17 nur indirekt, indem er die Koinonia zwischen Philemon und Onesimus über seine Person vermittelt. Nichtsdestotrotz überschreitet er auch so eklatant soziale Normen seiner Kultur.99 Ja, die vom Apostel faktisch eingeklagte Egalität zwischen Herrn und Sklaven im Oikos stellt die Grundfeste der damaligen Gesellschaftsstruktur weitaus mehr in Frage und besitzt einen weitaus stärkeren anti-strukturellen Impuls als die Forderung nach einer Freilassung des Onesimus, die expressis verbis nirgends im Brief erscheint. Während nämlich die manumissio von Sklaven zum festen Bestandteil der damaligen Gesellschaft gehörte und systemimmanent ohnehin vorgesehen war - sie galt gleichsam als Normalfall innerhalb der damaligen Sozialstruktur100 - , unterläuft der Apostel mit seiner κοινωνία-Forderung das für die Kultur der Sklavenhaltung konstitutive System der strikten Unter- und Überordnung radikal. Bei der manumissio blieb schließlich das Hierarchiegevertikale Aspekt klingt im Philemonbrief in V.6 immerhin indirekt an. Dort ist von der κοινωνία της πίστεως die Rede. 97 Damit begegnet hier in der Koinonia-Terminologie erneut die in dieser Arbeit wiederholt herausgestellte Verschmelzung von vertikaler und horizontaler Communitas. Nicht ganz auszuschließen ist dabei, daß auf der horizontalen Ebene auch der Aspekt der „Mitarbeiterschaft" (vgl. 2Kor 8,23) mitschwingt; so GNILKA, Phlm, 83f.; N.R. PETERSEN, Rediscovering, 104f.; K. SCHÄFER, Gemeinde, 258. 98 WOLTER, Phlm, 274, der dazu Aristoteles, Eth Eud 1241b 17ff. und Piaton, Leg 756e757a anführt; s. auch LAUB, Begegnung, 71. 99 Ich stimme hier und im folgenden im Grundsatz mit WOLTER, Phlm, 233f.274f. überein; s. auch BALZ, Philemonbrief, 489. 100 VGL BARTCHY, Slavery, 71: „... manumissions were entirely normal events of urban daily life and were expected by both owners and slaves"; s. auch DERS., MAAAON, 88; ALFÖLDY, Gesellschaft, 286-331; DERS., Sozialgeschichte, 119; CHRIST, Römer, 85f.; HARRILL, Manumission, 53.75; K. SCHÄFER, Gemeinde, 265f.; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 87.

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fälle grundsätzlich weiter intakt, war doch nach damaligen Rechtsvorstellungen der libertus seinem ehemaligen Herrn weiterhin verpflichtet, nun im Rahmen einer konventionellen Patron-Klient-Beziehung.101 Die Freilassung ließ insofern ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen vormaligem Herrn und Sklave bestehen, ein Abhängigkeitsverhältnis, das neben Loyalitäts- und Ehrerweisungen seitens des Freigelassenen (obsequium, reverentia, honor) auch das Anrecht des Patrons auf Arbeitsleistungen und finanzielle Abgaben des ehemaligen Sklaven einschloß (operae).102 Die manumissio war daher lediglich das Eintrittsbillett in eine raffiniertere Form der Sklaverei.103 Der an Philemon gerichtete Imperativ, Onesimus als gleichberechtigten κοινωνός zu akzeptieren, durchkreuzt demgegenüber auch noch jene Ausbeutungs- und Abhängigkeitsstrukturen, die bei der manumissio nach wie vor durchschlagen würden, attackiert er doch das für die Patron-Klient-Relation wie für die Sklave-Herr-Beziehung gleicherweise unabdingbare hierarchische Fundament. Die in der Exegese des Philemonbriefes breit diskutierte Frage, ob nun die Aussagen des Apostels die Freilassung des Onesimus zumindest indirekt einklagten oder nicht,104 verdeckt so nur allzu leicht die eigentliche antistrukturelle Stoßkraft von Phlm 16f. und sucht den gesellschaftskritischen Impuls gleichsam an der falschen Stelle. Dieser steckt im Communitasgedanken, der hier im explizierten Gebrauch der Leitbegriffe αδελφός und κοινωνός aufscheint. Auf die immensen Schwierigkeit, die eine solche Communitas von Sklaven und Herren freilich in praxi unweigerlich heraufbeschwören mußte, werde ich in Abs. 5.2 noch zu sprechen kommen. 101

Vgl. dazu VEYNE, Reich, 93ff.; zum Patron-Klient-Verhältnis s. auch BORMANN, Philippi, 187-205; BROCKMEYER, Sklaverei, 153-155; CHOW, Patronage, 38-82, bes. 70ff.; EISENSTADT/RONIGER, Patrons; ELLIOTT, Patronage; GARNSEY/SALLER Kaiserreich, 215ff.; MALINA, Patronage, 133ff.; DERS., Patron, 3-8; MOXNES, Relations, 241-250; SCHMELLER, Hierarchie, 22ff. 102 Zu den Verpflichtungen der liberti bei den Römern bzw. zur griechischen παραμονή vgl. jeweils ALFÖLDY, Sozialgeschichte, 120; DERS., Gesellschaft, bes. 311f.; ANDREAU, Der Freigelassene, bes. 207; BARTCHY, Slavery, 70f.; DERS., ΜΑΛΛΟΝ, 88ff.; BARCLAY, Dilemma, 169; BROCKMEYER, Sklaverei, 122ff.l57ff.; CHRIST, Römer, 86; HARRILL, Manumission, 53ff.; KÄSER, Privatrecht I, 118f.298ff.; Π, 137-142; LYALL, Law, 78f.; VEYNE, Reich, 93ff.; WALDENSTEIN, Operae, passim; weitere Literatur bei VOLLENWEIDER, Freiheit, 237 A194. 103 VGI ALFÖLDY, Sozialgeschichte, 120, der mit Blick auf das System der Verpflichtungen der liberti während der Kaiserzeit schreibt: „So war dieses System in Wirklichkeit nur eine raffiniertere Form der Ausbeutung als die Sklaverei ohne Freilassung ...; viele Herren schafften sich Sklaven anscheinend mit dem Ziel an, um diese nach Ablauf einer bestimmten Zeit freizulassen und dadurch eine für sie besonders rentable soziale Abhängigkeitsform herzustellen." Ähnlich BROCKMEYER, Sklaverei, 181. 104 Dafür votieren BELLEN, Sklavenflucht, 80; LOHMEYER, Phlm, 189; N.R. PETERSEN, Rediscovering, 97f.; SCHENK, Brief, 3479; VIELHAUER, Geschichte, 172; WINTER, Letter, 11; skeptisch bzw. ablehnend äußern sich u.a. BINDER, Phlm, 36ff.; GNILKA, Phlm, 51; MERK, Handeln, 226.228(A22); WOLTER, Phlm, 233f.; s. zum Thema auch BARCLAY, Dilemma, 174.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Nicht unerwähnt bleiben darf zum Schluß, daß natürlich auch die Beziehung zwischen Paulus und Onesimus von dem in der Initiation gestifteten Geist der sozialen Communitas bestimmt ist. Daraus erklärt sich die in der Exegese immer wieder mit Erstaunen konstatierte Intensität, mit der sich der Apostel mit Onesimus identifiziert. 105 Diese Identifikation offenbart sich etwa in der Wendung προσλαβοϋ αυτόν ώς έμέ in V.17. Sie äußert sich des weiteren in der Bereitschaft des Paulus, für mögliche Schulden des Onesimus einzustehen (V.18f.). 106 Deutlicher noch sticht sie in V.12 hervor: Der Apostel belegt dort den zu ihm gelangten Sklaven mit dem Ausdruck τά έμ,ά σπλάγχνα, das heißt, er beschreibt ihn als sein Herz, als sein Innerstes. Dieser Sprachgebrauch begegnet in der antik-griechischen Literatur selten und allemal nur auf die eigenen Kinder bezogen; 107 er signalisiert daher die ungewöhnlich innige Beziehung zu Onesimus. So ist der kürzeste uns erhaltene Brief des Apostels in Gänze von der Schlüsselterminologie der Liebe (V.l.5.7.9.16), der Gemeinschaft (V.6.17), der Bruderschaft (V.l.7.16.20) und der „Herz"-lichkeit (V.7.12.20) geprägt.10» Er illustriert auf diese Weise eindrücklich das Modell einer sozialen Communitas unter den Christusgläubigen und reflektiert darin vor allem die in Gal 3,28 programmatisch thematisierte Communitas zwischen initiierten Herren und Sklaven. IKor 7,21-24 Etwas anders scheint der Fall in IKor 7,21-24 zu liegen. Das Modell einer Communitas aus Sklaven und Herren läßt sich dem Passus zumindest nicht sofort entnehmen. Allerdings ist auch die Grundlage, auf der Paulus hier seine Argumentation entfaltet, von der des Philemonbriefes augenfällig unterschieden. So liegt den Aussagen offenbar kein konkreter Fall zugrunde. Paulus zieht das Thema der Sklaverei - neben der Beschneidung in V. 17-20 - lediglich als Beispiel für einen bestimmten Argumentationszusammenhang im Kontext seiner Reflexion über die Bedeutung der Ehe und damit verwandter Sujets heran. 109 Entsprechend richtet sich der Apostel an dieser Stelle nicht 105

Vgl. nur LAUB, Begegnung, 69f.; STUHLMACHER, Phlm, 49; K . SCHÄFER, Gemeinde, 2 5 8 . 106 y i 9 enthält eine juristisch verbindliche Schuldverschreibung für den Sklaven, die ein hohes Maß an Verbundenheit mit Onesimus voraussetzt; zur Rechtsverbindlichkeit der Formulierung vgl. BINDER, Phlm, 62; GNDLKA, Phlm, 85; P. LAMPE, Sklavenflucht, 137; LOHMEYER, Phlm, 190; SUHL, Phlm, 34; WOLTER, Phlm, 277; zu den unterschiedlichen Thesen in bezug auf den konkreten Anlaß der Ersatzansprüche s. nur ebd., 275. 107 VGL philo, Jos 25; Artemidorus, Onirocr 1 , 4 4 ; s. dazu LOHMEYER, Phlm, 186f.; WOLTER, Phlm, 264f. 108 Vgl. dazu auch GNILKA, Phlm, 9; WOLTER, Phlm, 255; K. SCHÄFER, Gemeinde, 254f.; s. ferner EGGER, Phlm, 78f. 109 Zur Funktion der Beispiele vgl. die Überlegungen bei BARTCHY, ΜΑΛΛΟΝ, 161ff.; DAWES, Freedom, 694ff.; FEE, lCor, 307f.; LÜHRMANN, Sklave, 61; SCHRÄGE, IKor II, 129ff.; THYEN, Studie, 157.

Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

379

wie im Philemonbrief an einen bestimmten Sklavenbesitzer, um von ihm einen neuen Umgang mit seinem initiierten Leibeigenen zu fordern, angesprochen sind hier vielmehr die christusgläubigen Sklaven selbst (vgl. den Gebrauch der 2.Pers.Sg. in V.21). Endlich ist auch nicht explizit vorausgesetzt, daß diese wie Onesimus in einem „christlichen" Oikos leben und tätig sind. Alles in allem greift der Apostel also die Sklavenfrage in IKor 7,21-24 aus einer anderen Perspektive auf. Nicht die konkrete Beziehung zwischen Sklaven und Herren bildet den primären Fokus, sondern die Rolle und der Status des einzelnen christusgläubigen δοϋλος allgemein. Nichtsdestoweniger schimmert auch in diesen Versen anti-strukturelles Potential durch. So ebnet Paulus im Zuge seiner Argumentation die Statusdifferenzen zwischen Leibeigenen und Freien spürbar ein und macht auf diese Weise Communitas geltend. Ein knapper Durchgang durch die Verse soll dies belegen. V.21 stellt bekanntermaßen eine crux interpretum dar. Die vermutlich elliptische Formulierung am Satzende (μάλλον χρηοαι) läßt diametral entgegengesetzte Deutungen zu. Das Kardinalproblem lautet: Empfiehlt der Apostel dem angeredeten Sklaven, eine mögliche Freilassung auszuschlagen und in der Sklaverei zu verbleiben (so bei Ergänzung der Ellipse durch δουλεία), oder rät er ihm, die Freiheit zu ergreifen (so bei Ergänzung durch ελευθερία bzw. xfj κλήσει oder bei objektloser Deutung des χρασθαι)? Unzählige Abhandlungen und gelehrte Äußerungen liegen zu dieser Frage vor.110 Eine Sichtung und Wertung der jeweils deklamierten Argumente legt die letztgenannte Option nahe. Auf der philologischen Ebene sprechen folgende Indizien für die Freiheitsoption: Das den zweiten Versteil einleitende αλλά zeigt einen deutlichen Kontrast zu dem im ersten Versteil angesprochenen Sklavenstand auf. Zusätzlich weist der ingressive Aorist des Imperativs (χρήσαι) auf eine Veränderung der vorherigen Situation und 111 daher auf die manumissio. Das ε'ι και muß nicht konzessiv aufgelöst werden, sondern kann steigernde Bedeutung haben („wenn gar") oder einfach eine andere Möglichkeit anzeigen („wenn tatsächlich"). 112 Zudem gilt der Grundsatz, daß eine Ellip110

Vgl. nur BARTCHY, Μ Α Λ Λ Ο Ν , 6f. und den Forschungsüberblick bei HARRILL, Ma-

numission, 74-108; zu den jeweils vorgebrachten Argumentationsgängen s. auch die Darstellungen bei DAWES, Freedom, 689-694; FEE, lCor, 316-318; K. SCHÄFER, Gemeinde, 2 8 3 - 2 8 7 ; SCHRÄGE, IKor Π, 139f.; TRÜMMER, Chance, 356ff. und VOLLENWEIDER, Frei-

heit, 234f., die den Vers jeweils selbst im Sinne einer Option für die Freiheit interpretieren. Eine detaillierte Darstellung mit gegenteiligem Ergebnis findet sich bei GAYER, Stellung, 206-208. 111 Zur ingressiven Bedeutung des Imperativs im Aorist s. BLASS/DEBRUNNER/REHKOPF, Grammatik, § 337.1; vgl. femer BAUMERT, Ehelosigkeit, 122; TRÜMMER, Chance, 355f.; SCHRÄGE, IKor Π, 139; STUHLMACHER, Phlm, 45 A l 13. 112

Zum nichtkonzessiven Gebrauch von ε'ι καί vgl. nur IKor 4,7; s. dazu ferner

BARTCHY, Μ Α Λ Λ Ο Ν , 178; BAUMERT, Ehelosigkeit, 1 2 3 - 1 2 5 ; DAWES, Freedom, 692; FEE, lCor, 317; K. SCHÄFER, Gemeinde, 286; SCHRÄGE, IKor Π, 140 mit A 5 0 5 ; TRÜM-

MER, Chance, 355f.; VOLLENWEIDER, Freiheit, 234.

380

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

se eher durch ein Wort aus dem unmittelbaren Kontext zu ergänzen ist als durch eine Vokabel aus einem weiter zurückliegenden Satz; von daher bietet sich die Ergänzung mit ελευθερία an. 113 Des weiteren fällt das von Scott S. Bartchy in die Diskussion eingebrachte sozialhistorische Argument ins Gewicht, daß Sklaven aufgrund ihres rechtlosen Status überhaupt nicht die Möglichkeit hatten bzw. das Recht besaßen, eine ihnen auferlegte manumissio abzulehnen. Sie waren nicht Subjekt, sondern Objekt der Freilassung.114 Die immer wieder vertretene Ansicht, Paulus verlange von Sklaven eine freiwillige Aufrechterhaltung ihres minderwertigen Status quo, entbehrt darum einer realistischen Grundlage. Hinzu kommt schließlich, daß das die Status-quo-These am nachhaltigsten stützende Argument, nämlich die im Umfeld von V.21 dreimal geäußerte Aufforderung, im jeweiligen Stand der Berufung zu verbleiben (V. 17.20.24), letztlich nicht schlagkräftig ist. Sieht man auf das gesamte Kapitel, so wird erkennbar, daß der Apostel auch im Hinblick auf die Lebensformen der Ehe und der Ehelosigkeit immer wieder Ausnahmen einräumt (s. V.9.11.15.28. 39).115 Vor diesem Hintergrund kann auch IKor 7,21b als Konzession interpretiert werden. Der Vers besagt dann: Ungeachtet der geforderten Indifferenz gegenüber dem sozialen Status ist bei einer entsprechenden Gelegenheit gleichwohl die Freiheit zu favorisieren. Mit den meisten neueren Auslegungen wird man IKor 7,21b folglich nicht als kompromißlose Sanktionierung des Status quo, sondern als Votum für die Freiheit lesen, 116 wobei man jedoch darauf zu merken hat, daß die ins Auge gefaßte manumissio nicht das Hauptthema der Argumentation des Apostels in 113 Dieser Grundsatz problematisiert auch die oben erwähnte und von BARTCHY, ΜΑΛΛΟΝ, 157ff.l79 vertretene These, es sei τη κλήσει (vgl. V.20) zu ergänzen, ebenso die weitere, ebenfalls von BARTCHY, ebd., 156ff.l79 erwogene Addition des Syntagmas „Gebote Gottes" aus V.19. Zur Kritik an der These eines objektlosen Gebrauchs von χρασθαι (so STUHLMACHER, Phlm, 44f.) vgl. im übrigen SCHRÄGE, IKor Π, 140 A507; s. ebd. auch die Bedenken gegen den Vorschlag von BAUMERT, Ehelosigkeit, 129.445ff., einen Akkusativ zu ergänzen. 114 Vgl. BARTCHY, ΜΑΛΛΟΝ, 96ff.118f.176f.; DERS., Slavery, 71; s. auch VOLLENWEIDER, Freiheit, 235f. 115 Vgl. dazu die Übersicht bei GORDON, Sister, 18f.25-30; s. ferner HARRILL, Manumission, 123-126; DAWES, Freedom, bes. 694ff.; BARTCHY, ΜΑΛΛΟΝ, 9f.; FEE, lCor, 318; SCHRÄGE, IKor Π, 51.139; VOLLENWEIDER, Freiheit, 234f. 116 Während in der älteren Exegese die konservative Auslegung die Oberhand hatte, ist bei Untersuchungen jüngeren Datums ein auffälliger Trend in die entgegengesetzte Richtung unübersehbar; vgl. dazu nur die unterschiedlich nuancierten Interpretationen von BAUMERT, Ehelosigkeit, 114-134; DERS., Frau, 69ff.; DAWES, Freedom, 689ff.; DEMING, Diatribe, 134ff.; FEE, lCor, 316-318; HARRILL, Manumission, 68-128; KLAUCK, IKor, 54; KRUSE, Servant, 869; F. Lang, Kor, 97; MULLER, Trinity, 153; Κ. SCHÄFER, Gemeinde, 2 8 3 288; SCHOTTROFF, Schwestern, 202f.; SCHRÄGE, IKor Π, 139f.; DERS., Ethik, 242;

SCHÜSSLER RORENZA, Gedächtnis, 275; STUHLMACHER, Phlm, 4 3 - 4 5 ; TRÜMMER, Chance,

352ff.; ΤΗΥΕΝ, Studie, 159f.; VOLLENWEIDER, Freiheit, 234f.; WEISER, δουλεύω, 851; WIRE, Women, 86; WIMBUSH, Ascetic, 16. Die Status-quo-Auslegung verfechten dagegen nach wie vor BINDER, Phlm, 38; CLAUDEL, Neu, 30; CRUZ, Motives, 190f.; GNILKA, Phlm, 73f.; LAUB, Begegnung, 64; STENDAHL, Auffassung, 127; STROBEL, IKor, 124; weitere Vertreter dieser Position bei BARTCHY, ΜΑΛΛΟΝ, 6f. und SCHRÄGE, IKor Π, 139 A497.

Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

381

diesem Abschnitt ist. Paulus zielt vielmehr grundsätzlich darauf, daß alle Christusgläubigen ein Leben in Übereinstimmung mit Gottes κλήσις führen, 1 1 7 gleichgültig, ob sie sich dabei im Sklavenstand oder in Freiheit befinden; das heißt, es geht dem Apostel an dieser Stelle letzten Endes um ein Festhalten an der i m göttlichen Initiationsakt begründeten liminalen Verortung und Lebensorientierung der Christusgläubigen, die die Strukturpositionen dieser Welt transzendiert. V.22 dokumentiert diesen zentralen Punkt recht anschaulich. Danach wird der weltliche Status der Christusgläubigen εν κυρίω erheblich relativiert; dies geschieht hier genauerhin durch eine Inversion der gewöhnlichen Statuszuweisungen: Der initiierte δούλος ist der Bekundung des Apostels zufolge im Herrn ein απελεύθερος κυρίου, 118 der initiierte ελεύθερος ein δοϋλος Χρίστου. 119

117 Die genaue Bedeutung von κλησις in V.20 ist strittig. Vielfach gab man den Begriff mit „Stand", „Beruf', „Lage" wieder (so z.B. LLETZMANN, Kor, 32; STROBEL, IKor, 124; GAYER, Stellung, 193-200; weitere Vertreter ebd., 194 A296). Diese zumal seit Luther etablierte Deutung läßt sich jedoch weder vom profangriechischen noch vom sonstigen paulinischen oder neutestamentlichen Sprachgebrauch her wirklich halten (s. dazu SCHMIDT, κλήσις, 492f.[Al].494[A6]; BARTCHY, ΜΑΛΛΟΝ, 136 mit A482). Neuere Auslegungen beziehen κλησις daher primär auf den göttlichen Ruf bzw. die Berufung; zahlreiche Exegeten sehen darin jedoch auch die konkrete Lebenssituation des Gerufenen mit eingeschlossen; so FEE, lCor, 308f.314; KLAUCK, IKor, 53f.; NEUHÄUSLER, Ruf, passim; SCHMIDT,

κλησις, 492; SCHRÄGE, I K o r Π, 137; TRÜMMER, Chance, 349; VOLLENWEIDER, Freiheit,

243 A221; WIMBUSH, Ascetic, 16 A12; s. schon WEISS, IKor, 187; anders BAUMERT, Ehelosigkeit, 110-114; DERS., Frau, 66f.; BARTCHY, ΜΑΛΛΟΝ, 137ff.l73 und SCHOTTROFF, Schwestern, 182-189, die κλήσις allein auf die Berufung als solche beziehen. Vom Sprachgebrauch wie auch vom Kontext her zielt κλήσις wohl hauptsächlich auf die erfahrene Initiation, und zwar hier speziell auf die Initiation in die liminale, christusgläubige Existenz, die als solche eine Entwertung des weltlichen Statussystems inkludiert. 118 Es bereitet Schwierigkeiten, den Ausdruck απελεύθερος κυρίου als Terminus technicus zu nehmen und mit „libertus des Herrn" wiederzugeben, da der Genitiv dabei meist den ehemaligen Sklavenhalter bezeichnet, Christus so mithin als Sklavenherr zu stehen käme (vgl. dazu SCHRÄGE, IKor Π, 141 A511). Nur wenig gewonnen ist, interpretiert man κύριος hier als Patron des „Freigelassenen" (so z.B. BARRETT, IKor, 202f.; KÜMMEL bei LlETZMANN, Kor, 178; LYALL, Law, 77-79), da Christus auch so letztlich noch immer als ehemaliger Sklavenhalter erscheint und das fortbestehende Dienstverhältnis des Freigelassenen gegenüber dem Patron nur eine raffiniertere Form der Sklaverei darstellt (s. oben; vgl. dazu auch die Kritik bei BAUMERT, Ehelosigkeit, 139). F.ST. JONES, Freiheit, 33-36 versucht dem Problem mit der These zu entgehen, der Genitiv beziehe sich auf Christus als Drittperson, die die Freilassung des Sklaven erkauft habe. Für diese Rechtspraxis läßt sich jedoch die fragliche Begrifflichkeit nicht wirklich belegen (Näheres bei VOLLENWEIDER, Freiheit, 236 A193; zur Kritik an weiteren Thesen auf der Grundlage damaliger Rechtsbräuche s. GAYER, Stellung, 181-186). Man wird darum am ehesten VOLLENWEIDER, Freiheit, 237f. zustimmen, wenn er resümiert: „Der Begriff .Freigelassener des Herrn' spiegelt keinen präzisen juristischen Sachverhalt und betont primär die Freiheit des Sklaven, während 22b umgekehrt die Gebundenheit des Freien (wie des Freigelassenen von 21b) herausstreicht." Wahrscheinlich liegt ein Wortspiel zugrunde, „um ein griffiges Äquivalent zum δοΰλος Χρίστου bieten zu können" (ebd., 236).

382

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Aus der Perspektive der göttlichen Initiation erscheinen insofern die herkömmlichen Statusunterschiede zwischen Sklaven und Freien als überholt.120 Die Initiierten bilden mithin eine Gemeinschaft, in der den konventionellen sozialen Rangunterschieden nicht mehr die sonst übliche zentrale Bedeutung zukommt. Der Sklave erfährt durch die Initiation eine Aufwertung als Freigelassener des Herrn, der Freie (wie wohl auch der libertus) wird dagegen im Herrn zum Sklaven. Auf diese Weise kommt es im Bereich der Initiierten gewissermaßen zu einem Ausgleich zwischen Statuspositionen, die auf der sozialen Hierarchieleiter der damaligen Gesellschaft weit auseinanderlagen. Auch wenn Paulus mit derartigen Äußerungen die Institution der Sklaverei keineswegs als solche angreift, so unterscheidet er sich gleichwohl sichtlich von einer lediglich der individuellen Innerlichkeit verhafteten Anwendung des Freiheitsbegriff auf Sklaven, wie sie in der Stoa begegnet;121 nicht der Rückzug in die Innerlichkeit, sondern die erfahrbare Communitas in der Ekklesia ist bei ihm im Blick. Gnilka resümiert die Position des Apostels in dieser Hinsicht wie folgt: „Auch für Herren und Sklaven gibt es den neugewonnenen Raum der Gleichwertigkeit. Es ist der Leib Christi, die Kirche, in dem die bestehenden Unterschiede nicht mehr zum Nachteil ausgespielt werden dürfen, sondern durch den Geist, der ein Geist der Liebe ist und in dem sie getränkt wurden, auszugleichen sind. Die Aussagen des Apostels dürfen nicht platonisiert noch rein zukünftig genommen werden. ... Zwar werden die politischen Verhältnisse nicht umgestoßen. Aber die neue Schöpfung muß auch für den Sklaven einen Ort in der Welt haben, wo er sich als gleichwertig und befreit erfährt. Dies ist die Gemeinde und das in ihr gelebte Verhältnis der Christen untereinander."122 V.23 erinnert nochmals ausdrücklich an das Christusgeschehen, das den Urgrund der liminalen Situiertheit und der Communitas der Christusgläubigen 119 Zur Statusumkehrung an dieser Stelle s. auch MOXNES, Integration, 104; D.B. MARTIN, Body, 198; DERS., Slavery, 63-67; N.R. PETERSEN, Rediscovering, 156; vgl. ferner

VOLLENWEIDER, Freiheit, 2 4 5 . 120 Treffend heißt es bei SCHRÄGE, IKor Π, 142: „Die durch Christus geschenkte Freiheit und der dem Christus geschuldete Dienst gehören zusammen und relativieren die innerweltlichen Differenzierungen und Realitäten von δουλεία und ελευθερία. Wenn der Sklave ein Freigelassener des Herrn ist und der Freie ein Sklave des Christus, dann ist die alle soziologischen und sozialen Kategorien übergreifende christliche Freiheit und Bindung das eigentlich Gewichtige, das alle anderen Standards und Einstufungen transzendiert." 121 Ähnlich LAUB, Begegnung, 65f.67(A9); K. SCHÄFER, Gemeinde, 288f.; SCHRÄGE, IKor Π, 141; zur stoischen Auffassung der Freiheit von Sklaven vgl. WEISS, IKor, 189 und GAYER, Stellung, 38ff. 122 GNILKA, Phlm, 73; vgl. dazu auch die Konkretionen bei K. SCHÄFER, Gemeinde, 289. LAUB, Begegnung, 65f. notiert: „Die Freiheit, die der Sklave im Horizont der Berufung gewonnen hat, ist ... nicht einfach in die Innerlichkeit verlegt wie beim Stoiker. Vielmehr ist die Gemeinde der Jesus-Gläubigen der Raum, wo dem Sklaven die Freiheit und Gleichheit, die Paulus meint, neben und mit dem Freien zuerkannt wird."

Minirmerung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

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bildet. Sklaven und Freie sind gegen Barzahlung erkauft (τιμής ήγοράσθητε; vgl. 6,20), nämlich durch den Tod Christi, und insofern an ihn gebunden. Diese Bindung, die zugleich Freiheit von den Strukturen dieser Welt bedeutet,123 darf nun nicht durch eine neuerliche Orientierung an den herkömmlichen Wertmaßstäben und Verhaltensweisen, die auf eine Etablierung konventioneller hierarchischer Strukturen in der Ekklesia hinausläuft, zerstört werden (μή γί/νεσθε δοϋλοι ανθρώπων).124 V.24 formuliert abschließend nochmals den bereits in V.20 vorgebrachten Grundsatz, die im göttlichen Ruf eröffnete Liminaliät, vermöge derer weltliche Statusunterschiede relativiert werden, zu wahren.125 Die ausdrückliche Anrede mit αδελφοί unterstreicht zusätzlich die Egalität unter den Initiierten, ihre Communitas, transzendiert doch die symbolische Geschwisterlichkeit der Christusgläubigen die sozialen Schranken auch zwischen Herren und Sklaven.126

4.5 Geschlechtliche Communitas: Zur Minimierung der Geschlechterunterschiede und der Relativierung der Ehe Die Aussagen zur Beziehung der Geschlechter und zur Stellung der Frauen sind bei Paulus gleichfalls merklich durch Communitas geprägt. Außerordentlich deutlich treten bei dieser Thematik jedoch ebenso konservative Züge zutage, die diesen Eindruck wiederum empfindlich eintrüben. Die paulinische Haltung zu Frauen scheint insgesamt von einer eigentümlichen Ambivalenz gekennzeichnet, wie zumal ein Vergleich von Gal 3,28 mit IKor 11,2-16 zeigt. Luise Schottroff spricht in diesem Zusammenhang jüngst vom „gespaltenen Bewußtsein" des Apostels.127 Im folgenden werde ich zunächst die egalitäre, anti-strukturelle Komponente der paulinischen Konzeption des Miteinanders der Geschlechter behandeln und mich dabei auf die Bedeutung von Gal 3,28c, die Relativierung der Ehe in IKor 7 sowie auf einige allgemeine Hinweise zur Rolle von Frauen im Gemeindeleben konzentrieren. Die angesprochenen konservativen Züge des Apostels sollen dann später in Abs. 5.3 untersucht werden; dort wird dann auch ein Erklärungsversuch für die tiefgehende Ambivalenz der paulinischen Position in der Geschlechterfrage vorgelegt. 123

Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Bedeutung des Kreuzes in § 9. Ähnlich K. SCHÄFER, Gemeinde, 289.618(A243); THEISSEN, Wert, 68; BULTMANN, Theologie, 232.344; VOLLENWEIDER, Freiheit, 238; s. auch BARTCHY, ΜΑΛΛΟΝ, 182. Eine Warnung vor konkreter Selbstversklavung (so BARRETT, IKor, 203; DEISSMANN, Licht, 276; BARTCHY, ΜΑΛΛΟΝ, 181; F.ST. JONES, Freiheit, 160 A155) liegt wohl kaum vor (vgl. dazu VOLLENWEIDER, Freiheit, 238 A200). 125 Vgl dazu die Überlegungen in Anm. 117. 126 Vgl. LAUB, Begegnung, 52; K. SCHÄFER, Gemeinde, 289; s. auch MEEKS, Urchristentum, 184. 127 Vgl. SCHOTTROFF, Schwestern, 195ff. 124

384

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Gal 3,28c

Die Bekundung οΰκ ενι αρσεν και θηλυ in Gal 3,28 verdient eine gesonderte Besprechung. Was man sich nämlich unter der Aufhebung der Geschlechterdifferenz konkret vorzustellen hat, erschließt sich nicht unmittelbar. Einen wichtigen Anhaltspunkt zur Klärung dieser Frage liefert die eigentümliche Formulierung. An die Stelle der Nomen in den ersten beiden Versteilen (ΊουδαΐοςΓΕλλην; δουλος/έλεύθερος) treten hier Adjektive im Neutrum; nicht von „Mann und Frau" (άνήρ/γυνή) ist die Rede, sondern von „männlich und weiblich" (άρσεν/Φηλυ). Weiterhin fällt der Gebrauch des kopulativen και anstelle des negierenden οΰδέ auf. In dieser signifikanten Formulierung erinnert die Aussage stark an LxxGen dort heißt es von Gott: αροεν και ·θηλ/ο έποίησε-ν αυτούς (vgl. auch LxxGen 5,2). Trifft dies zu, handelt es sich also um eine Anspielung auf den Schöpfungsakt, so liegt es nahe, daß Gal 3,28c primär auf die biologische Geschlechterdifferenz zielt und nicht in erster Linie die sozialen Unterschiede zwischen Mann und Frau im Auge hat. Im Unterschied zu den beiden vorausgehenden Oppositionspaaren geht es dann nicht allein oder in erster Linie um die Transzendierung sozialer Rollen, vielmehr kommt eine Art Transformation ontologischer Kategorien in den Blick. Nun muß man allerdings einräumen, daß Gen 1,27b innerhalb der breiten Auslegungsgeschichte auch auf die gesellschaftliche Stellung von Männern und Frauen hin ausgelegt wurde. Darauf beruft sich etwa Elisabeth Schüssler Fiorenza, die dafürhält, die Wendung beziehe sich im besonderen auf die patriarchale Ehe und die Verteilung der Geschlechterrollen. Die Negation der Dichotomie in Gal 3,28c bekunde folglich, „daß für die neue Gemeinde in Christus die patriarchale Ehe - und patriarchale Beziehungen von Ehemännern und Ehefrauen - nicht mehr konstitutiv sind"129. In allgemeinerer Form

128

S o d i e meisten: vgl. nur BAUMERT, Antifeminismus, 31; BOYARIN, J e w , 186; FATUM,

Image, 66f.; MATERA, Gal, 142f.; MEEKS, Image, 181 samt A77; MULLER, Trinity, 152; PAULSEN, Einheit, 8 3 A 4 7 ; LONGENECKER, Gal, 157; K. SCHÄFER, G e m e i n d e , 83; SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtnis, 2 6 3 ; STEGEMANN/STEGEMANN, S o z i a l g e s c h i c h t e , 3 3 6 ; STEN-

DAHL, Auffassung, 125; THYEN, Studie, 109ff.; WITHERINGTON, Rite, 597f. 129 SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtnis, 263. Es ist freilich darauf zu achten, daß SCHÜSSLER FIORENZA dies von der vorpaulinischen Tradition sagt. Auch MULLER, Trinity, 152 räumt im übrigen ein, „... the Genesis narratives ground not only the sexual distinction but also marriage, so the appeal to Genesis in Gal. 3:28 could be interpreted in the context of marriage". Vgl. ferner SCHOTTROFF, Kritik, 240. In diesem Zusammenhang sei auch die These von WITHERINGTON, Rite, 599ff. genannt, Paulus rekurriere mit Gal 3,28c auf eine zumal mit Gen l,27f. begründete Forderung judaistischer Opponenten, Frauen müßten beschnittene Männer heiraten, um volle Mitglieder der Heilsgemeinschaft zu werden. Wenn Paulus darum hervorhebe, daß es „männlich und weiblich" nicht (οΰκ) gebe, so negiere er dieses Ansinnen und hebe hervor, daß der religiöse Status der Frau unabhängig von einem beschnittenen Mann und einer entsprechenden Heirat sei. WITHERINGTON arbeitet hier allerdings mit nicht beweisbaren Voraussetzungen. Die These ist ein weiterer Beleg für die

Minimierung ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Unterschiede

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macht auch Gerhard Dautzenberg eine soziale Ausdeutung von Gal 3,28c geltend. Er führt eine Reihe griechischer Belege an (z.B. Aristoteles, Polit 1254b 13f.; 1259b 1; 1260a 20-23), um darzulegen, daß das Begriffspaar „männlich und weiblich" (αρρην/θηλυς) in der Antike gewissermaßen als „Kurzformel für die unterschiedlichen sozialen Rollen von Männern und Frauen" kursierte.130 In diesen Kontext reiht er ebenso Gen 1,27b ein, da dieser Vers trotz seiner an sich emanzipatorischen Tendenz allemal im Sinne einer geschlechtsgebundenen Rollen- und Machtverteilung interpretiert worden sei - wie im übrigen IKor ll,7f. belege. Vor diesem Hintergrund handle Gal 3,28c „nicht nur von der Aufhebung von Gegensätzen, sondern auch von der Aufhebung von Diskriminierungen"131. Dennoch signalisiert m.E. die auffällige Abweichung in der sprachlichen Form, daß es hier gerade anders als in den zwei unmittelbar voranstehenden Erklärungen, die unmißverständlich soziokulturell bedingte Unterschiede ins Visier nehmen, prinzipiell um mehr geht, eben um die grundsätzliche biologisch-sexuelle Differenz, von der im Kern auch der Schöpfungsbericht handelt. Der Eindruck, daß der Apostel in der Tat daran denkt, erhärtet sich bei einem Blick auf seinen sonstigen Sprachgebrauch. So weisen die besagten neutrischen Ausdrücke in Rom l,26f., dem einzigen weiteren Beleg für dieses Vokabular im Corpus Paulinum, klar auf die sexuelle Differenz - der Apostel reflektiert dort das Thema weiblicher und männlicher Homosexualität132 und bezeichnet Frauen und Männer in diesem Zusammenhang explizit als Αήλειαι und αρσενες.133 Überall da hingegen, wo primär die sozialen Geschlechterrollen innerhalb der Ehe, der Familie oder der Gemeinschaft der Christusgläubigen Gegenstand seiner Überlegungen sind, wie dies etwa in IKor 7 oder 11,2— 16 der Fall ist, stehen die Begriffe άνήρ und γυνή. Vor diesem Hintergrund Problematik der zumal in der Exegese des Galaterbriefes gebräuchlichen Praxis des „mirror reading" (vgl. dazu § 9 Anm. 43 [S. 256]); s. auch die Kritik bei FATUM, Image, 96 A36. 130 DAUTZENBERG, Interpretation, 194; s. auch DERS., Stellung, 216f.; vgl. dazu K. SCHÄFER, Gemeinde, 93f. 131 DAUTZENBERG, Stellung, 216; zur verbreiteten sozialen Interpretation s. ferner W.S. CAMPBELL, Gospel, 110; GUNDRY-VOLF, Christ, bes. 458f.; K. SCHÄFER, Gemeinde, 9 3 95; VOLF, Exclusion, 183f. 132

Unter B e z u g n a h m e auf Studien von FOUCAULT, SEDGWICK, GREENBERG, WINKLER

und HALPERIN weist D.B. MARTIN, Body, 211 (291 A38) mit Recht darauf hin, daß die Kategorie „Sexualität" „ - wether one is speaking of homosexuality, heterosexuality, or human sexuality in general - is a modern one, heavily indebted to psychology, psychotherapy, and the medicalization of the self so important to modern culture, especially since the nineteenth century. Paul does not speak of sexuality but of sexual actions and desires"; s. zu dieser Problematik auch MEYER-ZWIFFELHOFFER, Zeichen, 9f. mit A2. Wenn ich hier und an anderen Stellen der Arbeit aus sprachlichen Überlegungen heraus dennoch den Begriff „Sexualität" gebrauche, so gilt es das eben Gesagte stets mitzubedenken, d.h. es ist dabei primär sexuelle Aktivität und Begierde bzw. die Negierung derselben („Asexualität") im Blick. 133 Zu ΰήλειαι und άρσενες in Rom l,26f. als sexuell konnotierte Termini vgl. CRANFIELD, R o m 1 , 1 2 5 ; DUNN, R o m I, 64; KÄSEMANN, Rom, 44; SCHLIER, R o m , 62.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

spricht einiges dafür, die Aussage οΰκ ενι άρσεν και ·9ηλυ in Gal 3,28c vornehmlich als Hinweis auf die Beseitigung bzw. Relativierung der in der Schöpfung verankerten biologisch-sexuellen Geschlechterpolarität zu lesen. Allerdings wäre es nun absolut verfehlt, die Dimension des Sozialen deswegen völlig auszublenden! Die uns geläufige Scheidung von biologischer Geschlechtlichkeit (sex) und sozialen Geschlechterrollen (gender) war antiken Menschen fremd, galten damals doch gerade auch soziale Kategorien selbst als natürliche.134 Man darf hier also nicht allzu strikt das eine vom anderen trennen.135 Dennoch sollte in Gal 3,28 aus den genannten Gründen der Aspekt der Aufhebung der biologisch-sexuellen Polarität zunächst als solcher wahrund ernstgenommen werden. Wie hat man sich dann aber eine solche Aufhebung zu denken? Wayne Α. Meeks hat in einem viel beachteten Aufsatz aus dem Jahr 1973 die These vorgetragen, der in der Antike weit verbreitete Mythos vom androgynen Urmenschen, der nicht nur in Aristophanes' berühmter Erzählung von den kugelförmigen Wesen in Piatons Gastmahl (Symp 189D-193D) anklingt, sondern auch von Philo, den Rabbinen und im Gnostizismus aufgegriffen und mit Gen 1 und 2 zusammengearbeitet wurde, sei als Hintergrund von Gal 3,28c auszumachen.136 Neben anderen hat sich auch Hans Dieter Betz dieser Auffassung angeschlossen und sie in seinem Galaterbriefkommentar auf eigene Weise akzentuiert.137 Betz vertritt die Ansicht, hinter Gal 3,28 stünde genauerhin die Lehre von einem androgynen Christus-Anthropos. Durch die in der Taufe erlangte Inkorporation der Gläubigen in jene androgyne Erlöserfigur gelangten diese schließlich selbst faktisch

134

Dies belegen nicht zuletzt die von DAUTZENBERG, Interpretation, 194 angeführten Stellen bei Aristoteles; vgl. dazu femer LAQUEUR, Leib, 42f. sowie K. SCHÄFER, Gemeinde, 93; s. femer W. STEGEMANN, Wahrheit, 275ff. im Hinblick auf Paulus, der in IKor l l , 1 4 f . soziale Konventionen zur Haartracht als naturgegeben beschreibt. LAQUEUR zeigt im übrigen in seiner profunden Monographie eindrücklich auf, wie gerade auch das biologische Geschlecht sozial inszeniert wurde; was wir als Sexus und Genus unterscheiden, war LAQUEUR zufolge vor der Aufklärung innerhalb des von ihm sog. „Ein-Geschlecht/EinLeib-Modells" in einem Kreis von Bedeutungen aufs engste zusammengebunden (s. Leib, 20 u.ö.); s. zum Thema auch WINKLER, Eros, 33f. („Statt,Natur' lies:, Kultur'"). 135 So auch DUNN, Gal, 206; SCHÜSSLER FLORENZA, Gedächtnis, 265; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 336; vgl. aber auch FATUM, Image, 66-70. 136 Vgl. MEEKS, Image, 185ff.; zur Bedeutung der Androgynität in der philonischen Exegese s. zudem H.D. BETZ, Gal, 349f.; BOYARIN, Jew, 19ff.l87ff.; NlEDERWIMMER, Askese, 46 A l 1; zu den Rabbinen vgl. JERVELL, Imago, 107ff.; NlEDERWIMMER, Askese, 46f.; zur Gnosis s. JERVELL, Imago, 161ff.; D.B. MARTIN, Body, 231; zur unterschiedlichen Funktion des Mythos in der Version des Aristophanes und im Judentum s. BOYARIN, Jew, 312 A6; MEEKS, Image, 186; vgl. ferner LAQUEUR, Leib, 68f. 137 Vgl. H.D. BETZ, Gal, 347ff.; s. weiterhin BOYARIN, Jew, 19-22.24.180-200; BRINSMEAD, Galatians, 15Iff.; CROSSAN, Jesus, 396; D.R. MACDONALD, Male, passim; M.Y. MACDONALD, Women, 165-167.173; D.B. MARTIN, Body, 230-232.

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zu einer androgenen Natur.138 Nach Meeks liegt Gal 3,28 der Mythos der Androgynität hingegen in Form des bekannten Urzeit-Endzeit-Musters zugrunde. Im Initiationsritual der Taufe werde das Wesen des Menschen in seiner ursprünglich androgynen Wesensform nach dem Bilde Gottes restituiert, so daß nun die alte, durch Adams Sünde und die Zerteilung der Menschheit in Männer und Frauen geprägte Welt ihrem Ende entgegen gehe.139 Anders als Betz räumt Meeks dabei ausdrücklich ein, die Rekonstitution der originären Androgynität des Menschen in Christus stehe unter einem eschatologischen Vorbehalt, sie werde für Paulus also nur abschattungsweise Wirklichkeit, woraus sich dann u.a. auch die konservative, gegen die „spirituals" gerichtete Position des Apostels im ersten Korintherbrief erkläre.140 Ganz abgesehen von der Frage, ob der antike Mythos vom androgynen Urmenschen überhaupt das ihm von Betz und Meeks zugeschriebene Ideal der Gleichheit der Geschlechter transportierte,141 die auf Androgynität abhebende Auslegung von Gal 3,28c ist jedenfalls in mehrerlei Hinsicht problematisch. So gesteht Betz selbst offen ein, daß sich sonst weder im Corpus Paulinum noch im weiteren Neuen Testament wirklich Belege für die von ihm postulierte androgyne Christologie und Soteriologie finden. 142 Der wiederholte Verweis insbesondere auf gnostische und apokryphe Quellen wie auch die Anführung von IKor 15,21f.45-50 und Rom 5,12-21 können als Absicherung der These nicht recht überzeugen.143 Mit ähnlichen Schwierigkeiten ist auch der Auslegungsvorschlag von Meeks verknüpft: An keiner weiteren Stelle in den authentischen Paulusbriefen findet sich die Überzeugung, Gott habe den Menschen als androgynen Einheitsmensch geschaffen und erst später sei es zu einer Spaltung in die zwei Geschlechter gekommen. Ganz im Gegenteil: IKor

138

Vgl. H.D. BETZ, Gal, 350f., der ebd., 351 darauf hinweist, daß Paulus diese Position im ersten Korintherbrief aufgebe. 139 Vgl. MEEKS, Image, 185: „... Galatians 3:28 contains a reference to the ,male and female' of Genesis 1:27 and suggests that somehow the act of Christian initiation reverses the fateful division of Genesis 2:21-22. Where the image of God is restored, there, it seems, man is no longer divided - not even by the most fundamental division of all, male and female. The baptismal reunification formula thus belongs to the familiar Urzeit-Endzeit pattern, and it presupposes an interpretation of the creation story in which the divine image after which Adam was modeled was masculofeminine"; s. auch ebd., 197.206-208 sowie die Zusammenfassungen seiner These in DERS., Urchristentum, 318 und DERS., Origins, 195. 140 Vgl. MEEKS, Image, 202-204.207f. 141 Vgl. dazu die Kritik bei D.B. MARTIN, Body, 230-232, der einwirft, Androgynität habe in der Antike nicht Gleichheit, sondern eine Art Aufhebung der Differenz im männlichen Sein bedeutet; anders gesagt: „Androgyny was invariably defined in male terms" (ebd., 231); MARTIN zufolge räumt dies inzwischen auch MEEKS ein (s. ebd., 294 A4). 142

143

V g l . H . D . BETZ, Gal, 3 4 4 . 3 4 7 . 3 5 1 .

Vgl. ebd., 344f.347.350. BAUMERT, Antifeminismus, 52 bezeichnet BETZ' Idee einer androgynen Erlösung als „abwegige Spekulation, die in keiner Weise zu Paulus paßt"; von einer „unbegründeten Spekulation" spricht auch KRAUS, Volk, 221 A124; vgl. ferner die Bedenken bei MULLER, Trinity, 150f.l53.

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11,7 dokumentiert, daß der Apostel offenbar von einer von Anfang an männlich konstituierten Gottebenbildlichkeit ausgeht.144 Von einer androgynen imago Dei ist weder hier noch sonst im Corpus Paulinum die Rede.145 Man tut daher wohl gut daran, auch Gal 3,28c von Einträgen mythisch-androgynen Gedankenguts freizuhalten. Naheliegender und mit weniger hypothetischem Ballast beladen ist demgegenüber der Vorschlag, den Versteil als Aussage über die Annullierung der schöpfungsgemäßen sexuellen Polarität und damit als Fingerzeig auf die auch in Gal 6,15 angesprochene καινή κτίσις zu nehmen. Nicht Androgynität, sondern Asexualität als solche ist dann das Thema.146 Diese Deutung hat den entscheidenden Vorteil, daß sie auch sonst in den Paulusbriefen Stützung findet. So läßt sich der Gedanke der Asexualität etwa in Pauli Präferenz für Enkratie in IKor 7 widergespiegelt sehen; dem wird gleich noch näher nachzugehen sein. Darüber hinaus fügt sich die These gut in den Taufkontext des Verses ein. Aus ritologischer Perspektive läßt sich nämlich die Annullierung der sexuellen Polarität als typisches liminales Phänomen begreifen.147 Victor Turner hat wiederholt auf das Phänomen der Außerkraftsetzung sexueller Distinktionen im Rahmen ritueller Schwellenphasen hingewiesen. So vermerkt er in seinem grundlegenden Aufsatz „Betwixt and Between", „that in liminal situations ... neophytes are sometimes treated or symbolically represented as being neither male nor female"148. Asexualität zählt danach zu den tragenden liminalen Charakteristika.149 Selbstverständlich kann die biologische Geschlechterpolarität sub conditione mundi nicht einfach als solche aufgelöst werden; gleichwohl läßt sie sich im Raum ritueller Liminalität symbolisch-effektiv überwinden. In vielen Kulturen spielt hierbei Kleidersymbolik eine wichtige Rolle; neben Turner150 verweist auch der Ethnologe Hermann Baumann auf 144 vgl. dazu insbesondere FATUM, Image, passim. Genaueres zu diesem Vers unten in Abs. 5.3 (S. 439f.). 145 Weitere Kritik zur These von MEEKS bei MULLER, Trinity, 154ff.; s. ferner DUNN, Gal, 206f.; GUNDRY-VOLF, Christ, 458f.; FATUM, Image, 96f. A40; SNODGRASS, Conundrum, 171; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 336; WIRE, Women, 125.281(A16). 146 Ebenso FATUM, Image, 66-70; MOXNES, Integration, 108f.; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 336; vgl. auch N.R. PETERSEN, Rediscovering, 236f. 147 Vergleichbare ritologische Überlegungen finden sich im übrigen auch bei MEEKS, Image, 1 8 0 - 1 8 5 , bes. 184; D.R. MACDONALD, Male, 50f.; THYEN, Studie, 144f. und WEDDERBURN, Baptism, 386 A22; s. auch BOYARIN, Jew, 186ff. 148 TURNER, Forest, 98; nach TURNER gilt dies vor allem in „kinship-dominated societies".

149

TURNER verweist ebd. allerdings auch auf Bisexualität und Androgynität als liminale Attribute. 150 Vgl. TURNER, Ritual, 102.110; s. auch DERS., Dramas, 247: „Thus in many tribal initiations where both sexes appear as neophytes, men and women, boys and girls, are often dressed alike and behave similarly in the liminal situation ... In religious movements, at some of the critical rites of incorporation, such as baptism by immersion, male and female neophytes or catechumens may wear the same type of robe - a robe which often deliberately conceals sexual differences ..."

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den in Initiationsritualen wiederholt zu beobachtenden rituellen „Trachtwechsel als Zeichen eines asexuellen Zwischenstadiums"151. Vor diesem Hintergrund gewinnt die in Gal 3,27 vorfindliche Rede vom „Anziehen Christi" nochmals eigenes Gewicht. Das ούκ ε-νι αρσεν και θήλυ läßt sich aus diesem Blickwinkel nämlich als Folge der in der Taufe vollzogenen Einkleidung in das gleiche Gewand begreifen.152 Das Gewand ist hier aber Christus. Und das heißt: Es ist letztlich die im Ritual erfahrene vertikale Christuscommunitas, die die Geschlechterpolarität negiert. Die beiden Geschlechtern gleichermaßen offenstehende rituelle Partizipation an ihm neutralisiert gewissermaßen die sexuellen Distinktionen.153 Sicherlich kann eine sexuell-biologische Neutralisierung in Gänze erst mit der Verwandlung der Leiber bei der Auferstehung durchschlagen,154 doch ebenso wie die Christusgläubigen mit ihrer Initiation bereits jetzt faktisch in das Wirkungsfeld der Auferstehungsdynamis hineingenommen sind,155 so wirkt für Paulus offenbar die in der Taufe proleptisch angebrochene Annullierung der Geschlechterpolarität, das ούκ ενι αρσεν και ΰηλυ, in das aktuelle Verhalten von Männern und Frauen innerhalb der Gemeinschaft der Christusgläubigen hinein, ermöglicht Enkratie und imprägniert es mit Communitaswerten. Das heißt, die in der Taufinitiation gestiftete liminale Asexualität und die darin ermöglichte geschlechtliche Parität bestimmt das Miteinander der Geschlechter unter den Christusgläubigen dauerhaft. An

151 H. BAUMANN, Geschlecht, 57; s. auch ebd., 58, wo BAUMANN seine Überlegungen zum rituellen Transvestismus und ritueller Nacktheit mit den Worten resümiert: „In allen diesen und ähnlichen Fällen ist der Leitgedanke wohl der, den Übergangsritus - der oft durch eine rituelle Wiedergeburt abgeschlossen wird - als einen Zustand des Asexuellen zu betonen." 152 Die Frage, ob hier auf einen tatsächlichen Kleiderwechsel im Taufritual angespielt ist oder ob lediglich eine Metapher vorliegt, bei der dann allerdings der weitverbreitete Kleidertausch in Initiationsriten als Hintergrund auszumachen wäre, kann hier dahingestellt bleiben; vgl. dazu oben § 7 Anm. 170 (S. 196); s. zum Thema auch THYEN, Studie, 144f., der allerdings von einem „Geschlechtswandel" spricht; daß aber das Männliche weiblich und das Weibliche männlich wird, kann Gal 3,28c nur schwerlich entnommen werden; zu sozialen Konnotationen von Kleidung und Kleiderritualen vgl. nur T.S. TURNER, Skin, 112ff. 153 Daß die Relativierung der Geschlechterpolarität in Christus und damit in einem Mann geschieht, sollte m.E. nicht überbewertet werden; anders jedoch FATUM, Image, 97 A43, die die Meinung vertritt, „the masculine designation in v. 28 d should be respected as an androcentric designation of exclusiveness instead of inclusiveness". 154 So mit STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 336; s. auch FATUM, Image, 68. Pauli eschatologisches Ideal war offenbar das einer asexuellen Menschheit. Der Vorstellung von einer endzeitlichen Asexualität bzw. eines engelgleichen Zustands nach der Auferstehung begegnet im übrigen als fester Topos in der Apokalyptik (äthHen 15,6f.; 51,4; 104,6; syrApkBar 51,7ff.; vgl. ferner Mk 12,25par); s. dazu auch GAYER, Stellung, 149; KÄSEMANN, Thema, 124. Zu den eschatologischen Konnotationen von Gal 3,27f. insgesamt vgl. ferner BOUTOER, Complexio, 17f.; GUNDRY-VOLF, Christ, 465 u.ö.; LÜHRMANN, Sklave, 70; PAULSEN, Einheit, 90ff. 155 Vgl. dazu nur die Überlegungen zu Phil 3,10 in § 6.3 (bes. S. 127) und generell zum Zeitverständnis des Apostels in § 8.

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Coiranunitas und Anti-Struktur bei Paulus

die Seite der sozialen und ethnischen Communitas tritt so die geschlechtliche. Dies soll im folgenden anhand von IKor 7 genauer aufgezeigt werden.

IKor 7 Richtungweisend steht dem Kapitel der Satz voran: καλόν άνθρώπω γυναικός μή άπτεσθαι.156 Auch wenn es sich hierbei substantiell um einen korinthischen Slogan handeln dürfte,157 dem sich Paulus nicht vorbehaltlos anschließt, den er vielmehr differenziert und nur mit gewissen Einschränkungen übernimmt, so kann andererseits kein Zweifel darüber bestehen, daß der Apostel in IKor 7 grundsätzlich einer zölibatären Lebensweise das Wort redet. Insbesondere V.7 sowie die daran anschließenden Empfehlungen an Ehelose und Witwen in V. 8-9 artikulieren relativ klar eine Präferenz für die Enthaltsamkeit. Analog dazu erscheint vor allem in V.26-28.29c.32-34.37f.40 der in der damaligen Kultur hohe Stellenwert der Ehe158 abgemindert. Ehe und Sexualität159 tragen in IKor 7 insgesamt merklich den Charakter einer Konzession.160 Dazu im einzelnen: 156

Zu den eindeutig sexuellen Konnotationen des Syntagmas „eine Frau anrühren" im hebräischen wie im griechischen Sprachgebrauch vgl. nur FEE, lCor, 275; GORDON, Sister, 111 A42; SCHRÄGE, IKor Π, 59 samt A43; YARBROUGH, Gentiles, 94f. 157 Dafür spricht u.a. die Einleitung mit περί δέ ώ\ έγράψατε, die eine Angabe über den Inhalt des Schreibens erwarten läßt (vgl. 6,12; 8,1), sowie die Einschränkung des Satzes in V.2-5, die bereits durch das adversative δέ in V.l angedeutet wird. Mit teilweise zusätzlichen Argumenten votieren ebenso BARRETT, IKor, 184; DEMING, Marriage, 110-112; FEE, lCor, 275f.; KLAUCK, IKor, 50; F. LANG, Kor, 88; MERKLEIN, Studien, 389ff.; MOISER, Reassessment, 104f.; ORTKEMPER, IKor, 69; K. SCHÄFER, Gemeinde, 297; SCHRÄGE, IKor Π, 53f.; STROBEL, IKor, 118; WENGST, Fehlanzeige, 100; WLTHERINGTON, Women, 27f.; YARBROUGH, Gentiles, 93f. CLAUDEL, Neu, 26f. meint, V.lb-4 sei insgesamt Wiedergabe der korinthischen Ideologie; vgl. dazu jedoch die Kritik bei SCHRÄGE, IKor Π, 54. Die These, bei V.lb handle es sich um einen paulinischen Programmsatz, verfechten dagegen u.a. BACHMANN, I K o r , 262f.; BALTENSWEILER, Ehe, 156; FASCHER, I K o r , 180; NIEDERWIM-

MER, Askese, 81; WEISS, IKor, 170. Die Uneinigkeit in der Exegese an dieser Stelle indiziert, wie sehr sich Pauli Position und die einiger Korinther in puncto Enthaltsamkeit offensichtlich ähneln; vgl. dazu mit Recht THYEN, Studie, 174: „In dem asketischen Grundsatz, daß es für den Mann ... am besten ist, keine Frau je zu berühren (v.l) stimmt Paulus mit den Briefschreibern aus Korinth überein. Dem entspricht auch seine eigene Praxis"; s. dazu ferner P. BROWN, Keuschheit, 68; CONZELMANN, IKor, 147; BOYARIN, Jew, 309 A22. Die breite Diskussion zu den Hintergründen der Argumentation in IKor 7 hat DEMING, Marriage, 5-49 Punkt für Punkt zusammengestellt. 158 Näheres dazu s. unten. 159 Zur nicht unproblematischen Verwendung des Begriffs „Sexualität" s. oben Anm. 132. 160 JD γ g tritt dieser Gedanke möglicherweise in der Vokabel συγγνώμη (= „Zugeständnis") verbaliter hervor; es ist indes umstritten, ob sich das voranstehende τοϋτο und damit die Konzession tatsächlich auf die in V.2-5 behandelte Ehethematik als solche bezieht oder nicht eher auf die unmittelbar zuvor in V.5 eingeräumte zeitweilige Enthaltsamkeit. Für ersteres machen sich BACHMANN, IKor, 269 (Bezug auf V.2); CONZELMANN, IKor, 149f.;

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Gleich zu Beginn, in V.2-5, billigt Paulus zwar ausdrücklich eheliche Sexualität, doch tut er dies unter der Maßgabe, daß auf diese Weise πορνείαι vermieden würden (V.2). Unter den Verheirateten hat der Geschlechtsverkehr dementsprechend dann auch einen verpflichtenden Charakter (οφειλή, V.3). Eine allzu lange sexuelle Abstinenz in der Ehe würde nur dem Satan Gelegenheit zur Versuchung geben (V.5). Die Ehe bzw. matrimoniale Sexualität figuriert hier also nicht als positiver Wert an sich; es dominiert vielmehr das funktionale Moment der Prophylaxe, das heißt, die konjugale Beziehung wird in erster Linie als Einrichtung zur Verhütung sexueller Vergehen beschrieben und erscheint so vorrangig als Zugeständnis an den Geschlechtstrieb.161 In diesem Sinn heißt es dann auch in V.9: κρεΐττον γάρ έστιν γαμησαι ή πυροϋcrffriL.162 Demgegenüber offenbart der Apostel in V.7 sein eigentliches Ideal: Er wünscht sich, alle Menschen möchten so sein wie er, und das kann nur heißen, alle möchten sexuell enthaltsam und ehelos leben (vgl. V.8f.). Freilich, so konzediert er im selben Vers, die Umsetzung dieses Wunsches liegt nicht in der Macht des Menschen allein; Ehelosigkeit, genauer noch: dauerhafte sexuelle Abstinenz,163 ist eine Existenzweise, die ein entsprechendes Charisma voraussetzt und daher nicht allen gleichermaßen offen steht.164 HEINRICI, IKor, 216; MERK, Handeln, 99(A128).103; LLETZMANN, Kor, 30; MERKLEIN, Studien, 392f.; NLEDERWIMMER, Askese, 94f.; ROBERTSON/PLUMMER, IKor, 135 und WENGST, Fehlanzeige, 102 stark. Die zweitgenannte These favorisieren Β ALTENS WEILER, Ehe, 162; BARRETT, IKor, 188; DEMING, Marriage, 125; FEE, lCor, 284f.; KLAUCK, IKor, 51; SCHRÄGE, IKor Π, 71f.; WEISS, IKor, 175; WITHERINGTON, Women, 29; YARBROUGH, Gentiles, 98-100. In jedem Fall bleibt es dabei, daß Paulus die Ehe in IKor 7 insgesamt als Konzession qualifiziert. 161 Ähnlich BORNKAMM, Paulus, 214 („Notmaßnahme"); BOYARIN, Jew, 171.192f.; LIETZMANN, Kor, 29; D.B. MARTIN, Body, 209; NEYREY, Paul, 120; NIEDERWIMMER, Askese, 88ff.; SCHOTTROFF, Weg, 189 („Notlösung"); s. auch WIRE, Women, 73ff.; YARBROUGH, Gentiles, 107ff.; anders akzentuieren jedoch FEE, lCor, 273ff.285f.; KLAUCK, IKor, 50; MERKLEIN, Studien, 399f.; SCHRÄGE, IKor Π, 60ff.74; DERS., Ethik, 234 und WITHERINGTON, Women, 28, die in den Ausführungen keine Wesensbestimmung der Ehe erblicken. In der Tat: Paulus referiert in IKor 7 keine abstrakte Ehelehre; gleichwohl ist die Charakterisierung der Ehe als remedium concupiscentiae so konzentriert vorgetragen, daß sie sich schwerlich nur als Nebenmotiv im Eheverständnis des Apostels verstehen läßt; s. zum Thema grundsätzlich auch NEJSUM, Tendency. 162 Das bedeutet: Die Ehe ermöglicht legitime und kontrollierte Sexualität. Zur Beschreibung sexuellen Begehrens als „brennen" s. Sir 9,8; 23,17; Prov 6,27f.; 4Makk 3,17; vgl. hierzu auch die Ausführungen bei D.B. MARTIN, Body, 212f.; LAQUEUR, Leib, 41ff. 60ff. und P. BROWN, Keuschheit, 23f.30ff. zur antiken Vorstellung von der elementaren Bedeutung somatischer Hitze im sexuellen Handeln; vgl. dazu ferner CARSON, Putting, 139142; FOUCAULT, Sorge, 144; ROUSSELLE, Ursprung, passim. 163 Mit Recht betont FEE, lCor, 284, Paulus ziele hier auf „celibacy in its true sense not referring to singleness as such ..., but to that singular gift of freedom from the desire or need of sexual fulfillment that made it possible for him to live without marriage in the first place". Ebenso BROCKHAUS, Charisma, 136 A44; NlEDERWIMMER, Askese, 96 A68. 164 Daß in V.7b nun auch die Ehe als Charisma in den Blick kommt, ist kaum anzunehmen; gesagt wird hier nur, daß die Enthaltsamkeit eine Gabe neben anderen ist (ό μεν ούτως,

392

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Doch ändert dies nichts an der für Paulus grundsätzlich ausgemachten Prävalenz von Enkratie und Agamie: Ungebrochen favorisiert er auch im weiteren Verlauf der Gedankenführung Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit gegenüber Ehe und matrimonialer Sexualität. So gibt er den Unverheirateten und Witwen klar zu verstehen, es sei gut (καλόν) für sie, so zu bleiben wie er (V.8). Nicht unbedeutend ist in diesem Zusammenhang auch das Faktum, daß der Apostel trotz des Scheidungsverbotes des Herrn (V.10) eigens ein χωρισ&ήναι als Ausnahme einräumt165 und im Fall der Trennung einer verheirateten Frau von ihrem Mann noch vor der Option zur Versöhnung an erster Stelle die Aufforderung artikuliert, sie solle άγαμος bleiben (V.ll). 1 6 6 Auch bei Mischehen schließt er im übrigen eine Scheidung nicht in Gänze aus, nämlich dann, wenn der nichtchristusgläubige Partner die Trennung anstrebt (V.15). Aufschlußreich ist aber vor allem die Argumentation im zweiten Teil des Kapitels, in V.25-40, wo sich Paulus an die παρθένοι wendet, also zumal an diejenigen, die als Verlobte beabsichtigen, eine Ehe einzugehen.167 Ihnen gegenüber stellt er in einem ersten Abschnitt (V.25-28) die jungfräuliche Ehelosigkeit nachdrücklich als etwas Positives heraus, indem er versichert, es sei gut, ehelos zu bleiben.168 Diese Feststellung impliziert indes keine Verwerfung der Ehe an sich. Der Apostel unterstreicht dezidiert: Die Ehe ist keine Sünde. Doch angesichts gegenwärtig heraufziehender apokalyptischer Bedrängnisse (V.26: δία

ό δέ οΰτως); so mit BARRETT, IKor, 189; BROCKHAUS, Charisma, 137; P. BROWN, Keuschheit, 71; CONZELMANN, IKor, 150; HERTEN, Charisma 73f.; KLAUCK, IKor, 51; LLETZMANN, K o r , 3 0 ; MERKLEIN, S t u d i e n , 3 9 3 A 1 0 ; NIEDERWIMMER, A s k e s e , 9 6 A 7 0 ; WEISS,

IKor, 176; anders BAUMERT, Ehelosigkeit, 59ff.; ÜEMING, Marriage, 127f.; FEE, lCor, 258; SCHRÄGE, IKor Π, 73. 165

Ob Paulus hier eine hypothetische Möglichkeit diskutiert oder bereits eingetretene Fälle bzw. einen bestimmten Einzelfall in Korinth im Auge hat, ist strittig; s. dazu nur die Erörterungen bei SCHRÄGE, IKor Π, 101; BAUMERT, Ehelosigkeit, 66 mit A135 und FEE, lCor, 294f. Für die letztgenannte Variante macht sich jüngst insbesondere GORDON, Sister, 116ff. stark; sie sieht hier eine konkrete, von einer Frau initiierte Ehescheidung angesprochen und interpretiert diesen Vorfall unter Heranziehung TURNERS Theorie des sozialen Dramas als „Breach Phase" in der sozialen Dynamik der Gemeinde. 166 Möglicherweise mag hier auch das synoptische Wiederverheiratungsverbot des Herrn (Mk 10,12; Mt 19,9) eine Rolle spielen, obgleich nicht ausgemacht ist, daß Paulus dieses bekannt war; vgl. dazu SCHRÄGE, IKor Π, 103 A285. 167 Zu dieser Deutung des Begriffs παρθένοι vgl. nur FEE, lCor, 327; SCHRÄGE, IKor Π, 152.156; aufgrund des femininen Artikels in V.28 und in Anbetracht von V.36f. dürften wohl primär Frauen angesprochen sein, wenngleich Männer nicht in Gänze ausgeschlossen sind, wie V.27 belegt. 168 Das τούτο in der Wendung τοϋτο καλόν ΰπάρχειν und das ούτως in der Bekundung δτι καλόν άνθρώπφ τό οΰτως είναι rekurrieren am ehesten auf die Ehelosigkeit der παρθένοι, denn das doppelte καλόν weist auf V.l und 8 zurück; außerdem steht οΰτως auch in V.40 für das Unverheiratetsein; ebenso LLETZMANN, Kor, 33; NIEDERWIMMER, Askese, 107; anders jedoch MERK, Handeln, 115f. und SCHRÄGE, IKor Π, 157, die einen Bezug auf V.17.20.24 für wahrscheinlicher halten.

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την ένεστώσαν ανάγκην; V.28: θλίψις)169 ist Agamie von Vorteil. Abermals ohne die konjugale Gemeinschaft pauschal zu entwerten, räumt Paulus dann in V.32-34 zölibatärer Existenz einen Vorrang ein, und zwar nun namentlich mit dem Argument, daß Unverheiratete anders als Verheiratete, die stärker um die Alltagsgeschäfte dieser Welt und die Anerkennung ihres Partners bekümmert seien, sich ungeteilt um die Sache des Herrn und dessen Anerkennung sorgten. Des weiteren bewertet der Apostel in dem schwierigen Passus V.3638 170 Verheiratet- wie Nichtverheiratetsein171 als „gut", teilt dann aber doch der Ehelosigkeit das Prädikat „besser" (κρείσαον) zu. Schließlich wird in V.39f. einer Frau, die ihren Mann durch Tod verloren hat, zwar eine Heirat freigestellt, aber μακαριωτέρα ist sie, wenn sie ungebunden bleibt. Insgesamt zeigt sich: Die paulinischen Aussagen zur Beziehung der Geschlechter in IKor 7 ruhen offenkundig auf einer Art Doppelstrategie; einerseits bekunden sie eine Konjugalisierung sexueller Aktivität, die eine Verteidigung der matrimonialen Gemeinschaft gegenüber rigoristischer Asketik einschließt, andererseits beinhalten sie unverkennbar eine Relativierung des Ehestatus. Was den erstgenannten Punkt anbelangt, so erinnert die paulinische Argumentation zumindest ansatzweise an ähnliche Voten aus der griechischrömischen Literatur der ersten beiden Jahrhunderte n.Chr. Michel Foucault hat sich im dritten Band seiner Studie „Sexualität und Wahrheit" zentralen Texten zur Ethik der Ehe aus dieser Zeit gewidmet und dabei auf wichtige Akzentverschiebungen gegenüber entsprechenden Abhandlungen der klassischen Epoche aufmerksam gemacht.172 Zu diesen Verschiebungen zählt er auch die Lehre vom sexuellen Monopol der Ehe.173 Vor allem bei Musonius Rufus, aber auch bei Epiktet und anderen Autoren zeichne sich das Leitbild ab, daß

169 Zu den apokalyptischen Konnotationen vgl. BARRETT, IKor, 206-208; BALTENSWEILER, Ehe, 170f.; DEMING, Marriage, 177f. mit A270; FEE, lCor, 328f.; MERK, Handeln, 116; NIEDERWIMMER, Askese, 107-109; SCHRÄGE, IKor Π, 156f.l59f.; DERS., Stellung, 131; YARBROUGH, Gentiles, 103. 170 Unklar ist, welche konkrete Situation hier vorausgesetzt ist; vgl. dazu nur die Überlegungen bei SCHRÄGE, IKor Π, 197ff.; NIEDERWIMMER, Askese, 116-120; GORDON, Sister, 17f. A31; mit SCHRÄGE wird man am ehesten davon ausgehen dürfen, daß Paulus hier eine allzu starke sexuelle Spannung (ΰπέρακμος) unter Verlobten thematisiert, die dann eine Heirat erfordert; SCHRÄGE zufolge ist dabei das Begehren des Mannes das Hauptproblem; D.B. MARTIN, Body, 219-228 hält dies zwar ebenfalls für möglich (s. ebd., 226f.), meint dann aber doch, antiker Mentalität entsprechend sei hier eher von der sexuellen Schwäche die Rede, die man damals allgemeinhin jungen Frauen unterstellte. 171 Die genaue Bedeutung der Wendung τηρεΐν την έαυτοϋ παρ&ένσν in V.37 ist nicht leicht auszumachen; in jedem Fall impliziert sie Agamie; vgl. dazu FEE, lCor, 35 lf. Zur Problematik der an dieser Stelle bisweilen vorgebrachten These vom „geistlichen Verlöbnis" im Sinne des späteren Syneisaktentums (so u.a. BULTMANN, Theologie, 105; NIEDERWIMMER, Askese, 116-120; WEISS, IKor, 195) vgl. nur FEE, lCor, 326f. 172 Vgl. FOUCAULT, Sorge, 89-109 sowie bes. 191-240; s. dazu auch VEYNE, Reich, 48ff. 173

V g l . FOUCAULT, Sorge, 2 1 5 - 2 2 8 .

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„die Natur der Ehe und des Bandes, das sich zwischen den Gatten bildet, ... die sexuellen Vergnügen ausschließen [soll], die man anderswo finden könnte. Ehestand und sexuelle Aktivität sollen also zur Deckung kommen ,.." 174 Daß die Ehe zumal der Abwehr von Unzucht dient, ist freilich eine Anschauung, die vor allem im damaligen Judentum fest verwurzelt war und wiederholt von den späteren Rabbinen herangezogen wurde.175 Obwohl nun Paulus in ähnlicher Weise geschlechtliche Beziehungen auf die Ehe einschränkt, unterscheidet er sich aber doch augenfällig von den gemeingültigen heidnischen (stoischen) und jüdischen Anschauungen, und zwar vor allem darin, daß bei ihm gerade die dort auszumachende hohe Wertschätzung der Ehe unterbleibt.176 Der Apostel hält das konjugale Band zwar für unabdingbar, um der mit dem sexuellen Begehren einhergehenden Gefahr der πορνεία zu begegnen, ihm liegt mithin daran, daß der Geschlechtstrieb qua Ehe in eine feste soziale Form bleibend und kontrollierbar eingebunden wird. Doch besser noch ist es seiner Überzeugung nach, wenn jenes Begehren ganz versiegt, wenn folglich die Sexualität gar keine Rolle mehr spielt, womit sich dann auch die matrimoniale Gemeinschaft überhaupt erübrigt. Insofern figuriert die Ehe bei Paulus zwar nach wie vor als zentrale Institution im Hinblick auf eine legitime Regulierung des sexuellen Umgangs, sie ist bei ihm aber im Unterschied zu den damals verbreiteten Moralvorstellungen alles andere als Pflicht.177 Im Gegenteil, die der Enthaltsamkeit entspringende Agamie wird vom Apostel, wie wir sahen, eindeutig favorisiert, wobei er allerdings auch dafür plädiert, bestehende Ehen, inklusive derjenigen mit nichtchristusgläubigen Partnern, grundsätzlich aufrechtzuerhalten. Paulus ist demzufolge weder als rigider Asket noch als Förderer der Ehe einzustufen. Mit seiner Konjugalisierung der Sexualität bei gleichzeitiger Relativierung der matrimonialen Beziehung zugunsten enkratischer Ehelosigkeit bewegt er sich vielmehr zwischen diesen beiden Polen. Dieser eigentümliche Standpunkt des Apostels ist im folgenden noch etwas genauer zu betrachten, und zwar indem zunächst die anti-strukturelle Komponente der Position in IKor 7 näher bedacht wird,178 um auf dieser Grundlage dann in Abs. 5.3 die paulinische Apologie des konjugalen Bandes 174

Ebd., 217; vgl. dazu insbesondere Musonius, Diatr ΧΠ, der jeglichen nichtehelichen Geschlechtsverkehr unterbinden will, während Epiktet (Ench 33,8) und andere eine solche Maxime als Ideal betrachten; s. dazu auch DEMING, Marriage, 116 A26; HAUCK/ SCHULZ, πόρνη, 583; YARBROUGH, Gentiles, 58; zu den Differenzen gegenüber der späteren christlichen Moral vgl. FOUCAULT, Sorge, 221f.238ff.; VEYNE, Reich, 59. 175 Vgl. TestLev 9,9; Tob 4,12; bQid 29b; weitere rabbinische Belege bei BILLERBECK, Kommentar m , 368-372; s. auch YARBROUGH, Gentiles, 23 mit A50. 176 Ygi dazu auch P. BROWN, Keuschheit, 69. 177 Zur Ehe als Pflichtgebot vgl. nur VEYNE, Reich, 48ff. (für den griechisch-römischen Bereich) und OEPKE, Ehe, 656; FALK, Ehe, 313f. (für das Judentum). 178 Zur ,Anti-Struktur" in IKor 7 s. auch N.R. PETERSEN, Rediscovering, 155 („Paul's instructions on marriage in 1 Corinthians 7 are ... predicated on the opposition between a worldly social structure and a churchly anti-structure"); WIMBUSH, Ascetic, 81ff.

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detailliert durchsprechen und erklären zu können. Vorangestellt seien jedoch einige allgemeine Überlegungen zur sozialen Bedeutung von Ehe und Sexualität, die helfen mögen, das anti-strukturelle Potential der Ausführungen des Apostels klarer herauszuschälen. Die Ehe stellt als Urquell der Familie und des Verwandtschaftsystems in zahlreichen Kulturen der Vergangenheit und der Gegenwart die Basiszelle der Sozialstruktur dar.179 In ihr wird das Verhältnis zwischen Mann und Frau mittels klar verteilter Rollenzuweisungen grundlegend und differenziert definiert. Zugleich gewährleistet sie eine geregelte, den sozialen Normen der Gesellschaft entsprechende Erziehung der Nachkommenschaft und damit die kontinuierliche Stabilität der Sozialstruktur. Der Geschlechtstrieb wird mittels der Ehe gleichsam sozialisiert, das heißt, er wird in den Dienst der Gesellschaft eingebunden. Victor Turner weist darauf hin, daß die matrimoniale Gemeinschaft aber auch immer wieder von religiösen, anti-strukturellen Bewegungen attackiert wird, die ihr als Alternative entweder zölibatäre Existenz oder umgekehrt Promiskuität gegenüberstellen, wobei beide Alternativen jeweils darin übereinstimmen, daß sie die Geschlechterpolarität symbolisch auflösen und darin die Homogenisierung der eigenen Gruppe befördern.180 Für Turner reflektieren sich insofern im Umgang mit Sexualität die beiden großen Sozialmodelle „Struktur" und „Anti-Struktur" bzw. „Communitas": Die Einbindung der Sexualität in die Ehe verkörpert Struktur, in Enkratie und sexueller Ungebundenheit manifestieren sich dagegen Communitas bzw. AntiStruktur.181 Allem Anschein nach war unter den Christusgläubigen in Korinth anti-strukturelles Sexualverhalten in beiderlei Form gebräuchlich, sexueller Libertinismus (vgl. IKor 5,1-5; 6,12-20) ebenso wie sexuelle Asketik (IKor 7,1).182 Während Paulus allerdings die erstgenannte Ausprägung verurteilt, macht er, wie wir sehen konnten, keinen Hehl aus seiner Präferenz für sexuelle Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit. Die Taufaussage οΰκ ένι άρσεν και θήλυ aus Gal 3,28c verwirklicht sich für ihn insofern offenkundig vor allem in einer asexuellen, agamischen Lebensform. Das eminent anti-strukturelle Potential dieser Position tritt klar zutage, wenn man die politischen Bestrebungen und geistigen Strömungen jener Zeit 179

Vgl. TURNER, Dramas, 246; s. ferner GORDON, Sister, 60ff.; N.R. PETERSEN, Rediscovering, 155.198(A170). 180 TURNER, Dramas, 246. Die Dekonstruktion der monogamen Ehe gehört ebenso zur rituellen Liminalität; s. dazu ebd., 246f. sowie DERS., Ritual, 103; die gruppensoziologisch hohe Relevanz der jeweiligen Ehepraxis diskutiert auch M.Y. MACDONALD, Opinion, 129ff., und zwar anhand der Sektentheorie von B. WILSON. 181 TURNER, Dramas, 247 beschreibt Sexualität „... as the expression, in its various modalities, either of communitas or structure. Sexuality, as a biological drive, is culturally and hence symbolically manipulated to express one or the other of these major dimensions of sociality." 182 V g l . F. LANG, Kor, 88; KLAUCK, IKor, 5 0 ; KÜMMEL bei LLETZMANN, Kor, 175; MERKLEIN, Studien, 389; SCHRÄGE, I K o r Π, 13.57; WEISS, IKor, 169.

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bedenkt, die die Ehe stärker als zuvor fest im gesellschaftlichen und politischen Leben zu verankern suchten. So erklärte die Gesetzgebung des Augustus - von größerer Bedeutung sind hier die lex Iulia de maritandis ordinibus (18 v.Chr.) und die lex Papia Poppaea (9 n.Chr.) die Ehe für römische Bürger schlichtweg zur Pflicht, und zwar für Männer im Alter von 25-60 und für Frauen im Alter von 20-50. Ehe- und Kinderlose wurden steuerlich und erbrechtlich benachteiligt, Witwen und Geschiedene gehalten, innerhalb von 18 Monaten bzw. zwei Jahren wieder zu heiraten.183 Augustus zielte mit diesen und anderen Vorschriften insgesamt auf eine Aufwertung der Ehemoral und im besonderen auf eine Steigerung der Geburtenzahlen. Auch wenn die Härte der Gesetze durch eine elastische Praxis vermutlich deutlich abgefedert wurde,184 so bekunden die Bestimmungen gleichwohl ein eminent politisches Interesse an der Ehe als Keimzelle der Gesellschaft.185 Dieser Eindruck wird durch die von Dio Cassius überlieferte Rede des Kaisers Tiberius über die Vorteile der ehelichen Gemeinschaft für das Individuum und die Wohlfahrt des Staates bestätigt.186 Zudem bricht sich auch im philosophisch-ethischen Diskurs der frühen Kaiserzeit eine besondere Wertschätzung des konjugalen Bandes Bahn. Dies gilt vor allem für die wirkmächtige, die allgemeinen Moralvorstellungen jener Zeit maßgeblich beeinflussende Stoa, die die Ehe im Gegensatz zur kritischen Haltung der Kyniker als natur- respektive gottgewollte Notwendigkeit propagierte.187 Eindrücklich ist die Hochachtung des Gattenbundes bei Musonius Rufus.188 Er bezeichnet die unter dem Schutz der Götter stehende Ehe als etwas Großes und Wertvolles (μέγα και άξιοσπούδαοτον ό γάμος έστί) und konstatiert, wenn überhaupt etwas naturgemäß sei (κατά φύσιν), dann sie; der Ehebund gewährleiste, daß die Städte nicht entvölkert würden und das Gemeinwesen gedeihe; wer die Ehe ausrotte, der rotte die Familie aus, der rotte den Staat aus, ja das ganze Menschengeschlecht; keine andere menschliche Gemeinschaftsform sei notwendiger (άναγκαιοτέραν) und liebevoller (προσφιλεστέραν), weder die Freundschaft noch die Bruderschaft noch das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern; auch dem Philosophen stehe es insofern an, zu heiraten und Kinder zu zeugen.189 Was den letztgenannten Punkt anbelangt, ist Epiktet zwar anderer Meinung - er folgt hier der ehekritischen Position der Kyniker, indem er einräumt, die matrimoniale Gemeinschaft sei mit der wahren philosophischen Existenz nicht 183

Näheres zu Einzelheiten und Hintergründen der Gesetze bei BALSDON, Frau, 82ff. u.ö.; GORDON, Sister, 74ff.; M.Y. MACDONALD, Opinion, 167f.; NÖRR, Planung, 309ff.; RADISTA, Legislation; s. auch die Literatur bei DEMING, Marriage, 58 A19. 184 Vgl. GORDON, Sister, 76ff. 185 v g l . dazu auch GARNSAY/SALLER, Kaiserreich, 180 zur Bedeutung der Familie. 186 Dio Cassius, Hist. 56,1-10; vgl. Polybios, Hist 36.17,5-10; s. dazu M.Y. MACDONALD, Women, 177f. und YARBROUGH, Gentiles, 46. 187 Näheres zur kynisch-stoischen Ehedebatte bei DEMING, Marriage, 51-61; vgl. auch YARBROUGH, Gentiles, 32ff. 188 Vgl. Musonius, Diatr ΧΠΙ*" und XIV; s. dazu auch DEMING, Marriage, 78f.; GORDON, Sister, 87f.; FOUCAULT, Sorge, 197ff. In ähnlicher Form hat bereits im 2. Jh. v.Chr. der Stoiker Antipatros von Tarsus in seiner Abhandlung περί γάμου die Ehe gewürdigt. 189 Die angeführten Gedanken finden sich alle in Diatr XIV.

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verträglich190 - , ansonsten hält aber auch er an der Ehe als natürlicher und als bürgerlicher Pflicht fest; als Naturwesen wie auch als Glied der Gesellschaft ist der Mensch bei ihm an die Ehe gebunden. Ja, selbst der Zölibat des Philosophen entfällt für Epiktet in der idealen Gesellschaft, sei doch der Philosoph dort als Lehrer nicht mehr nötig, da dann „alle Menschen imstande wären, eine ihrer eigentlichen Natur gemäße Existenz zu führen"191, eine Existenz, die gerade die Ehe einschließt.192 Vergleichbare Vorstellungen über den Wert der matrimonialen Gemeinschaft finden sich überdies bei Seneca und Hierokles, aber auch bei Nichtstoikem wie Plutarch oder den Rhetorikern Quintilian, Theon und Dio Chrysostomos.193 Herauszustreichen ist nochmals, daß die Ehe im Diskurs der Stoiker ausdrücklich als Quellgrund und Stabilisator der Sozialstruktur zu stehen kommt und zu einem wesentlichen Teil auch von daher definiert wird. Will Deming merkt diesbezüglich an: „What was really at stake in their .marriage discussions' ... was not marriage per se, but the promotion of a traditional view of human society. In posing the question of whether a man should take on the responsibilities of marriage, the Stoics were actually asking a much more profound question: should a man affirm the traditional Greek understanding of human society and consequently become involved in the life of his city-state, beginning with marriage, procreation, and the establishment of a househould."194 Umfassender noch bringt Foucault die stoische Eheauffassung wie folgt auf den Begriff: „Was ... innerhalb der Geschichte der Moral die stoische Position so bedeutsam macht, ist dies, daß sie nicht als schlichte Präferenz für die Ehe wegen ihrer Vorteile und trotz ihrer Nachteile formuliert wird. Heiraten hat für Musonius, Epiktet oder Hierokles nichts mit einem .besser' oder .schlechter' zu tun; heiraten ist Pflicht. Das Eheband gilt als universale Regel. Dieses allgemeine Prinzip stützt sich auf zwei Arten von Überlegung. Die Pflicht zum Heiraten ist für die Stoiker zunächst direkter Ausfluß des Prinzips, daß die Ehe naturgewollt ist und daß das Menschenwesen durch einen Antrieb zu ihr hingeführt wird, der, natürlich und vernünftig in einem, bei allen gleich ist. Doch sie ist auch als ein Element im Gesamt der Aufgaben und Pflichten enthalten, denen das Menschenwesen sich nicht entziehen darf, soweit es sich als Mitglied einer Gemeinschaft und Teil des Menschengeschlechts erkennt; die Ehe ist eine jener Pflichten, durch welche die besondere Existenz zum Wert für alle wird."195 Pauli Präferenz für die Ehelosigkeit ist vor diesem Hintergrand in der Tat bemerkenswert, der Apostel liegt damit in gewisser Weise quer zum allgemeinen Zeitgeist. Schüssler Fiorenza ist insofern zumindest im Grundsatz zuzustimmen, wenn sie behauptet, 190

Zum kynischen Standpunkt in dieser Frage vgl. nur DEMING, Marriage, 60f.63f.71-73. FOUCAULT, Sorge, 208 (Epiktet auslegend). 192 Vgl zu dem voranstehend Gesagten jeweils Epiktet, Diss 3,7,19-28 und 22,67-76; s. dazu auch DEMING, Marriage, 83-87; FOUCAULT, Sorge, 203-208; KIRCHHOFF, Sünde, 95f. 193 Näheres dazu bei DEMING, Marriage, 76ff.; speziell zu den Rhetorikern und Plutarch s. ebd., 7 9 - 8 1 mit A105; FOUCAULT, Sorge, 193-240 stellt zumal Plutarch mehrfach an die Seite der stoischen Ehemoral. 194 DEMING, Marriage, 59f. 195 FOUCAULT, Sorge, 203. 191

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„daß der Rat des Paulus, frei von der Ehe zu bleiben, einen Frontalangriff auf das bestehende Gesetz und das allgemeine kulturelle Ethos darstellte, insbesondere, da diese Anweisung Menschen erteilt wurde, die in den städtischen Zentren des römischen Imperiums lebten. Sie stand im Widerspruch und Gegensatz zu den herrschenden Werten der griechisch-römischen Gesellschaft."196 Allerdings wird man den „Frontalangriff etwas gemäßigter einzustufen haben als es das Zitat nahelegt, denn der Apostel verwirft ja die Ehe nicht in toto\ wie wir sahen, relativiert er sie vielmehr nur gegenüber der Agamie. Bestehende Ehen sollen schließlich im allgemeinen aufrechterhalten bleiben und das Heiraten ist für ihn zumal als Prophylaxe gegenüber Unzuchtsünden auch weiterhin von Relevanz. Andererseits geht Paulus dort, wo er die Ehe in Schutz nimmt, gerade nicht auf ihre Bedeutung für die Zeugung und Erziehung von Nachkommen ein! Diese weit verbreitete, letztlich auf die Stabilisierung der Sozialstruktur ausgerichtete Argumentation unterbleibt signifikanterweise.197 Darin zeichnet sich neben der prinzipiellen Präferenz für die Ehelosigkeit unausgesprochen ein weiteres Mal die anti-strukturelle Prägung der paulinischen Position ab. Woraus speist sich nun aber die grundsätzliche anti-strukturelle Haltung des Apostels im Hinblick auf die Ehe? Zwei Abschnitte in IKor 7 geben Aufschluß darüber, nämlich V.29-31 und V.32-35. 198 In V.29-31 liefert Paulus, die apokalyptischen Konnotationen aus V.26 und 28 (ή έ-νεοτώσα ανάγκη, ϋλΐψις) 199 fortführend, zunächst eine vornehmlich eschatologisch motivierte Erklärung. Der Apostel benennt hier die Zusammengedrängtheit der Zeit (ό καιρός συνεσταλμένος έστίν; V.29b) und das Vergehen des σχήμα τοϋ κόσμου τούτου (V.31b) als Hintergrund der Relativierung der Ehe und anderer weltlicher Lebensverhältnisse (V.29c-31a). Die beiden den Passus umklammernden Standortbestimmungen nehmen dabei offensichtlich auf die in Christi Tod und Auferstehung konstituierte, sich gegenwärtig realisierende Äonenwende als kosmisch-eschatologisches Transformationsgeschehen Bezug (vgl. dazu § 8),200 das auch die Alltagswelt neu be196

SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtnis, 2 8 0 ; s. auch M . Y . MACDONALD, W o m e n , 1 7 6 -

179; SCHOTTROFF, Kritik, 242. 197 Auf dieses Faktum weisen auch BOYARIN, Jew, 177; DEMING, Marriage, 216f.; D.B. MARTIN, B o d y , 2 1 4 ; MEEKS, Urchristentum, 2 1 3 ; SCHRÄGE, E i n z e l g e b o t e , 2 2 0 A 1 5 7 ; DERS., I K o r Π, 6 5 mit A 8 1 ; WARD, M u s o n i u s , 2 8 4 f f . ; WEISS, IKor, 172; YARBROUGH,

Gentiles, 107f.; vgl. ferner die antiken Belege zu der besagten funktionalen Bestimmung der Ehe ebd., l l f . 6 0 - 6 2 und bei MEEKS, Urchristentum, 213 A136. 198 WIMBUSH, Ascetic, 21ff. mißt den beiden Abschnitten zentrales Gewicht zu; M.M. MITCHELL, Rhetoric, 237 bezeichnet V.29-35 als „apocalyptic justification of all of Paul's advice"; ERLEMANN, Naherwartung, 197 schreibt V.29-31 eine „Schlüsselfunktion" zu. 199 v g l . dazu oben Anm. 169. 200 SCHRÄGE, IKor Π, 176f. kommentiert V.31 mit den Worten: „Die gesamte Wirklichkeit der Welt wird nicht bleiben, was sie jetzt ist, und damit ist weniger von Weltuntergang als vielmehr vom Weltende im Sinne der Weltwende ... die Rede."

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stimmt. Der Terminus καιρός dürfte jedenfalls am ehesten, wie auch in Rom 13,11201, auf die objektiv im Christusereignis und subjektiv in der Taufe angebrochene liminale Qualität der Gegenwart als Zwischenstadium vor der Aggregation bei der Parusie zielen;202 die Näherbestimmung des καιρός mit dem Partizip συνεσταλμένος („dichtgedrängt", „konzentriert") bringt dann genauerhin zum Ausdruck, daß die Parusie unmittelbar heraufzieht bzw. bereits in die aktuelle Wendezeit einwirkt und die Gegenwart neu qualifiziert.203 Dem korrespondiert der Hinweis auf das gegenwärtig im Vergehen begriffene (παράγει [Präsens!]) σχήμα τοϋ κόσμου τούτου, d.i. die Entmachtung bzw. Entwertung der sozialen und ökonomischen Infrastrukturen dieser Welt samt der herkömmlichen psychischen Dispositionen des Menschen (V.31b).204 Die dieser liminalen Situierung einzig angemessene Lebensform ist, so gibt Paulus in V.29c-31a zu verstehen, die des ώς μή.205 Damit fordert er die Christusgläubigen unmittelbar zu einem bewußten Schwellendasein auf,206 verdichtet sich doch im „Haben, als hätte man nicht" die typische Ambiguität liminaler Situiertheit, die sich hier speziell in einer Existenzform manifestiert, die einerseits eine Loslösung von der vergehenden Welt impliziert und ande201

Näheres dazu in § 8.4 (S. 236ff.). Auf die Übergangszeit zwischen Christusereignis und Parusie beziehen den Begriff auch BAUMGARTEN, Apokalyptik, 222; ERLEMANN, Naherwartung, 197f.; FEE, lCor, 338f.; SCHRÄGE, IKor Π, 170f.; E.W. STEGEMANN, Alt, 516; WEISS, IKor, 197. Die völlige Ausblendung eschatologischer Konnotationen bei BAUMERT, Ehelosigkeit, 208ff. (s. dazu seine Übersetzung ebd., 197: „Die Gelegenheit läßt nicht auf sich warten [wörtlich: der Treffer ist gerüstet]") vermag vom endzeitlich geprägten Kontext her nicht recht zu überzeugen. 203 Ähnlich FEE, lCor, 339 und HLERZENBERGER, Weltbewertung, 34.74f.83, die gleichfalls auf das Moment der qualitativen Zeit und das Hereinragen des Kommenden abheben; s. dazu auch U.B. MÜLLER, Prophetie, 162f.; ERLEMANN, Naherwartung, 376f. und die im Anschluß an MALINA angestellten Überlegungen mm forthcoming in § 8. 204 Diese Deutung der umstrittenen Wendung bietet sich aufgrund der unmittelbar zuvor in den ώς μή-Sätzen aufgeführten Inhalte am ehesten an; ähnlich DEMING, Marriage, 185, der jedoch den in V.30a und b thematisierten menschlichen Affekten zu wenig Beachtung schenkt; zu den zahlreichen anderen Interpretationsvorschlägen s. nur HIERZENBERGER, Weltbewertung, 61f., der die Aussage ebd., 63 selbst auf das „Vergehen der Sünden- und Todesgestalt des Kosmos" bezieht, was jedoch weder zu V.29-31 noch zu V.32-34 wirklich paßt; mit SCHRÄGE, IKor Π, 176 mag man allerdings erwägen, ob nicht auch die Mächte und Gewalten dieser Welt mit im Blick sind. 205 Unklar ist, ob hinter dem ώς μή mehr stoische (so vormals LLETZMANN, Kor, 34; WEISS, IKor, 199; s. ferner BRAUN, Indifferenz sowie die bei SCHRÄGE, Stellung, 132f. und DEMING, Marriage, 190 genannten Ausleger) oder mehr apokalyptische Traditionen stehen (so besonders SCHRÄGE, Stellung, 138ff.; ebenso BAUMGARTEN, Apokalyptik, 221; MERK, Handeln, 118f.; U.B. MÜLLER, Prophetie, 160ff. mit A62) oder ob Einflüsse aus beiden Bereichen verarbeitet sind (so DEMING, Marriage, 177-197; s. auch CONZELMANN, IKor, 166 A26; KLAUCK, IKor, 56; NIEDERWIMMER, Askese, 110 A149; WOLBERT, Argumentation, 122f.l25f.). Die gnostische Ableitung bei JONAS, Gnosis Π, 34 hat demgegenüber keine Zustimmung gefunden (s. dazu WIMBUSH, Ascetic, 35-37). 206 £>er Aufforderungscharakter ergibt sich aus dem'i-va, das hier zur Umschreibung eines Imperativs steht; s. dazu BAUER/ALAND, Wörterbuch, 767 (ΠΙ.2.); BLASS/DEBRUNNER/ 202

REHKOPF, Grammatik, § 387.3.

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rerseits um die Unausweichlichkeit des Eingebundenseins in bestimmte weltliche Strukturen und Vollzüge weiß, die diese folglich nicht einfach schwärmerisch überspringt, sie aber in Anbetracht der kommenden neuen Schöpfung dann doch beträchtlich relativiert. In dem von Paulus eingeklagten Weltverhältnis des ώς μή spiegelt sich insofern unverkennbar die ambivalente Position von Schwellenwesen zwischen Separation (aus der alten Welt) und Aggregation (in die neue Welt).207 Paulus buchstabiert diese liminale Lebensweise des ώς μή genauerhin an fünf Beispielen durch, wobei er, dem Kardinalthema des gesamten Kapitels entsprechend, mit der Ehe einsetzt.208 Mit dem Aufruf, diejenigen, die Frauen haben, sollten sein, als hätten sie keine, ordnet er dabei die matrimoniale Gemeinschaft klar der vergehenden Welt zu und rät den Verheirateten von daher eine gewisse Souveränität gegenüber der konventionellen konjugalen Bindung an, ohne damit den bestehenden Ehebund als solchen vollkommen in Frage zu stellen.209 In V.32-35 folgt eine weitere, christologisch motivierte Begründung für Pauli anti-strukturelle Einstellung, die überhaupt die Normativität der Ehe untergräbt. Der Apostel wägt hier Ehe und Ehelosigkeit gegeneinander ab, indem er über die in den beiden Lebensformen jeweils mögliche Hingabe der Christusgläubigen an ihren Herrn räsoniert und diesbezüglich klar die Vorteilhaftigkeit der Agamie herausstellt: Während nämlich die Verheirateten mit ihren ehelichen Verpflichtungen stärker in die Alltagsgeschäfte dieser vergehenden Welt (τά τοΰ κόσμου) eingebunden sind210 und sich besonders darum bekümmern211, ihrem jeweiligen Ehepartner zu gefallen, können sich die Un207

Ähnlich auch E.W. STEGEMANN, Alt, 516. Anders akzentuiert DERRETT, Disposal, 189f., demzufolge alle fünf ώς μή-Aussagen auf Phasen des Heiratsprozesses Bezug nehmen. MALINA, Welt, 124 folgt dieser These. 209 Daß γυναίκας μή έχοντες nicht auf eine grundsätzlich geforderte Sexualaskese anspielt, sondern eher Distanz zur Institution Ehe artikuliert, ergibt sich aus V.2-5, denn dort wird der eheliche Geschlechtsverkehr von Paulus gerade legitimiert; so mit BARRETT, lKor, 209; NIEDERWIMMER, Askese, 111; SCHRÄGE, lKor Π, 174; anders akzentuiert BAUMERT, Ehelosigkeit, 24ff.217ff.358, der V.29c insgesamt auf eine Relativierung der sexuellen Gemeinschaft deutet. 210 Wie sehr Paulus die Ehe dem κόσμος zuordnet, zeigt sich daran, daß er die parallele Struktur von V.32f. durchbricht und dem μεριμν&ν τά τοΰ κυρίου ein μεριμναν τά τοΰ κόσμου gegenüberstellt, obwohl eher ein „Sorgen um die Frau" zu erwarten wäre; s. dazu auch WOLBERT, Argumentation, 128. 211 Das den Abschnitt prägende μεριμναν steht zunächst neutral für den Aspekt des SichKümmems, des Besorgtseins um etwas (zur semantischen Spannweite der Vokabel vgl. BULTMANN, μεριμνάω, 593ff.; BAUMERT, Ehelosigkeit, 258.479ff.), wobei je nach Objekt κύριος oder κόσμος - positive oder negative Konnotationen zum Tragen kommen; so mit BACHMANN, lKor, 294; SCHRÄGE, lKor Π, 178 samt A716; WIMBUSH, Ascetic, 51.64; WOLBERT, Argumentation, 127; YARBROUGH, Gentiles, 104; s. auch BAUMERT, Ehelosigkeit, 500. Der These vom durchgängig pejorativen Gebrauch des Wortes an dieser Stelle (so BARRETT, lKor, 21 If.; BALCH, Debates, 434f.; WIRE, Women, 173f.) steht die bei Paulus sonst positive Verwendung des Ausdrucks άρέσκειν τω θεώ entgegen (Rom 8,8; IThess 2,15; 4,1; BARRETT, lKor, 212 weist selbst daraufhin). 208

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verheirateten ganz auf die Sache des Herrn (τά τοϋ κυρίου) konzentrieren und ihr Sorgen allein darauf ausrichten, ihm zu gefallen. Ist der Verheiratete folglich zwischen dem Herrn und der Welt bzw. dem Ehepartner geteilt (μεμέρισται), so kann der Unverheiratete demgegenüber seine ganzen Energien ohne Ablenkung (άπερισπάστως) auf den κύριος versammeln.212 Für den Apostel läßt sich demnach die in der Initiation gestiftete vertikale Christuscommunitas offenbar im Zölibat leichter und besser verwirklichen. Ohne eheliche Bindung ist gewissermaßen eine Art Ganzhingabe an den Herrn möglich.213 Dieses Moment der uneingeschränkten Hingabe tritt in V.34, bezogen auf unverheiratete Frauen214, in der als Näherbestimmung des μεριμνάν τά τοϋ κυρίου eingeführten Charakterisierung άγια και τω σώματι και τω πνεύματι besonders profiliert hervor. Die Formulierung bringt die Ganzheitlichkeit der ursprünglich in der Taufe eingestifteten Christusbeziehung prägnant zum Ausdruck, nämlich als Heiligkeit einer den ganzen Menschen umfassenden Christuszugehörigkeit.215 Diese profunde Christuscommunitas aber, so gibt Paulus zu erkennen, kann, was die christusgläubigen Frauen anbelangt, eigentlich nur von den nichtverheirateten im vollen Umfang umgesetzt werden, von denjenigen Frauen also, die mit Leib und Geist nicht bereits bestimmten Männern gehören. Die anti-strukturelle Haltung des Paulus hinsichtlich der Ehe ruht in IKor 7 also auf zwei Fundamenten, nämlich zum einen auf der liminalen Verortung 212

An diesem Punkt besteht eine merkliche Nähe zu kynisch-stoischen Ansichten, besonders zu Epiktet, Diss 3,22,69.71; vgl. dazu BALCH, Debates, 429ff.; DEMING, Marriage, 1 9 7 - 2 0 5 ; GORDON, Sister, 173f. mit A l 19 u n d 120; WEISS, I K o r , 205 A 2 ; WOLBERT, Ar-

gumentation, 130f.; YARBROUGH, Gentiles, 105f. - NEYREY, Paul, 119 weist in diesem Zusammenhang allgemein auf die antike Vorstellung von den begrenzten Gütern als Hintergrund: „... it is implied that loyalty is a .limited good' ... There is only so much loyalty available; as much as is given to a spouse, that much cannot be given to the Lord"; Näheres zur Anschauung von den „limited goods" bei MALINA, Welt, 88ff. 213 Der Ausdruck „Ganzhingabe" ist NIEDERWIMMER, Askese, 116 u.ö. entlehnt, ohne daß damit dessen Detailauslegung übernommen wurde. 214 Der Text ist an dieser Stelle unsicher. Mit NESTLE/ALAND und den meisten Auslegern ist am ehesten zu lesen: κα\ μεμέρισται. κα\ ή γυνή ή άγαμος και ή παρθένος f})15 Β Ρ etc.); Näheres dazu bei LLETZMANN, Kor, 34f.; NIEDERWIMMER, Askese, 114 A166; SCHRÄGE, IKor Π, 178 samt A721; WEISS, IKor, 202f. Mit ή γυνή ή άγαμος καΧ ή παμένος sind dann vermutlich einerseits speziell geschiedene und/oder verwitwete Frauen sowie andererseits Verlobte bzw. unverheiratete Mädchen angesprochen; s. dazu LIETZMANN, Kor, 35; SCHRÄGE, IKor Π, 180 A724; vgl. auch die Überlegungen bei BARRETT, IKor, 213. 215 Die Begriffe σώμα und πνεΰμα prononcieren hier höchstwahrscheinlich die totale Beanspruchung des Menschen; πνεϋμα ist folglich primär anthropologisch und weniger soteriologisch zu fassen; ebenso CONZELMANN, IKor, 167 A32; NIEDERWIMMER, Askese, 115 A169; MULLER, Trinity, 128; SCHRÄGE, IKor Π, 180 A725; anders BAUMERT, Ehelosigkeit, 272. Aufgrund der Spannung zu V.14, wo Heiligkeit gerade durch die Ehe konstituiert wird, präsumieren BARRETT, IKor, 214 und M.Y. MACDONALD, Women, 174 an dieser Stelle ein Zitat korinthischer Asketen. Vermutüch spitzt Paulus mit der Aussage aber nur seine Präferenz für die Ehelosigkeit rhetorisch zu, ohne damit Heiligkeit und Christuscommunitas in der Ehe rundweg problematisieren zu wollen; vgl. dazu die Überlegungen bei SCHRÄGE, ΙΚΟΓΠ, 179f.

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der Gegenwart der Christusgläubigen (V.29-31) und zum anderen auf der im Zölibat leichter realisierbaren vertikalen Christuscommunitas (V.32-35). Anti-Struktur wurzelt hier demzufolge in durchaus klassischer Weise in Liminalität und Communitas, in diesem Fall freilich einer vertikalen. Beide Komponenten, die liminale Situierung und die Christuscommunitas, gehören aufs engste zusammen, denn beide gründen letztlich im Christusgeschehen sowie in der Reaktualisierung desselben am Subjekt des Christusgläubigen in der Initiation. Näherhin relativiert der Apostel dabei mit seiner liminalen Standortbestimmung und der daraus abgeleiteten Haltung des ώς μή den Ehebund von innen her, während er im Zusammenhang mit seiner Argumentation bezüglich der Christuscommunitas generell Agamie favorisiert. Kraft beider Argumentationsgänge wird die Ehe, die Keimzelle der Sozialstruktur, in ihrer Bedeutung deutlich herabgemindert. Auf der anderen Seite geht damit freilich auch die Chance einer ganz neuen, anti-strukturellen Bestimmung des Geschlechterverhältnisses einher. Eine solche Neubestimmung kündigt sich in der auffälligen Reziprozität der Aussagen über Männer und Frauen in IKor 7 an. Diesem Sachverhalt will ich mich zum Schluß noch etwas näher zuwenden. Nahezu das gesamte Kapitel hindurch formuliert der Apostel seine Anweisungen zur Beziehung der Geschlechter paritätisch auf Männer und Frauen bezogen (s. V.2-5.10f.l2-16.27f.32-34) 2 »\ Diese ausdrückliche Symmetrie ist in Anbetracht der damaligen patriarchalisch geprägten Kultur äußerst bemerkenswert. Die herkömmliche hierarchische Stufenordnung der Geschlechter, d.h. die Überordnung des Mannes und die entsprechende Unterordnung der Frau, scheint in den Parallelaussagen außer Kraft gesetzt zu sein, und zwar sowohl im Hinblick auf die eheliche Gemeinschaft als auch in bezug auf die prinzipiell vorzuziehende nichteheliche Lebensführung. Ersteres, die Einspeisung von Communitaswerten in die Ehe, zeigt sich insbesondere in der Reziprozität der Ausführungen in V.3-5. Paulus weist hier dem männlichen wie dem weiblichen Ehepartner gleicherweise (ομοίως, V.3f.) identische sexuelle Rechte und Verpflichtungen zu. Zunächst erklärt er den Intimverkehr zur mutuellen Pflicht (οφειλή)217 und stellt damit die Gatten in dieser Beziehung auf eine Stufe. Sodann entzieht er dem Ehemann wie der Ehefrau das Verfügungsrecht über den eigenen Leib, um es dem jeweiligen Partner zuzuerkennen. 218 Die traditionell allein dem Mann gewährte sexuelle Verfügungsgewalt erfährt auf diese Weise eine empfindliche Korrektur, und zwar insoweit, als dieser nun seine εξουσία τοϋ ίδιου σώματος an die Frau abtritt. Die sexuelle Gemeinschaft wird mit anderen Worten als egalitäre vorge216

Vgl. auch IKor ll,4f.llf.; dazu s. unten. Zu οφειλή als „Euphemismus fiir den ehelichen Geschlechtsverkehr" s. SCHRÄGE, IKorll, 63f. 218 Zu den möglichen traditionsgeschichtlichen Ableitungen und Hintergründen dieser Anschauung s. nur die Diskussion bei BRUNS, Frau, 179ff.; DEMING, Marriage, 118ff. 217

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stellt, bei der Ehemänner und -frauen gleichermaßen das Verfügungsrecht über das σώμα des jeweiligen Geschlechtspartners besitzen. Dem korrespondierend hebt der Apostel in V.5 hervor, auch der Entschluß über einen zeitweiligen sexuellen Entzug innerhalb der Ehe habe έκ συμφώνου zu geschehen, also in gegenseitigem, harmonischem Einverständnis. Dies impliziert, wie Scott S. Bartchy schreibt, „daß die traditionellen Rollen der Geschlechter, nach denen Männer befehlen durften und Frauen gehorchen sollten, zugunsten eines wechselseitigen Entscheidens aufgegeben wurden, was auf einem beiderseitigen Verständnis für die Bedürfnisse des Partners beruhte." 219 Faktisch unterminiert das in V . 3 - 5 beschworene sexuelle Symmetrieprinzip 220 jedenfalls das traditionelle patriarchale Ehemodell. An dieser Stelle darf freilich nicht unerwähnt bleiben, daß der Gedanke der Gemeinschaftlichkeit und der Gegenseitigkeit, gerade auch der sexuellen, ebenso im philosophisch-ethischen Ehediskurs der Kaiserzeit eine nicht unbedeutende Rolle spielte, namentlich wiederum in der Stoa. 221 So heißt es bei Musonius Rufus, Eheleute seien zu dem Zweck miteinander vereinigt, daß sie miteinander lebten und zusammen Kinder zeugten und alle Dinge gemeinsam hätten, ja, daß keiner etwas für sich allein habe, auch nicht den Körper (μηδ' αυτό τό σώμα)! Er fordert dann weiter die gegenseitige Fürsorge von Mann und Frau in jeder Lebenslage und ein gegenseitiges Treueverhältnis. 222 Explizit besteht der Stoiker auf einer Symmetrie hinsichtlich der sexuellen Beziehung; der Ehebruch des Mannes sei nicht anders zu bewerten als der der Frau. 223 Grundlegende Aspekte dieses Ideals einer Partnerschaftsehe scheinen auch bei anderen Denkern jener Zeit auf - wenn auch nicht derart ausgeprägt wie bei Musonius. Paul Veyne spricht in diesem Zusammenhang von einer „neuen Ehemoral", die sich zumal im Adel des Prinzipats durchgesetzt habe; er führt aus: „In der alten bürgerlichen Moral war die Gattin sozusagen nur ein Instrument des Staatsbürgers und Familienoberhaupts; sie setzte die Kinder in die Welt und vergrößerte das Erbe. Nach der neuen Moral ist die Frau eine Freundin. Sie wird zur .Gefährtin ein ganzes Leben lang'." 224 Veyne fährt dann aber einschränkend fort: „Sie [sc. die Frau] muß allerdings vernünftig sein, d.h. ihre natürliche Unterlegenheit anerkennen und gehorchen; dann wird ihr Gatte sie respektieren, so wie ein Vorgesetzter seine ihm ergebenen Helfer respektiert, die seine Freunde, wenn auch minderen Ranges sind." 225 219

BARTCHY, Machtverhältnisse, 120.

220

Angemerkt sei, daß das Symmetrieprinzip eine Aufwertung der Frau impliziert; vgl. WIRE, Women, 82: „It is not difficult to see that women more than men would be attracted to an argument from reciprocal rights in a society where their rights are minimal." 221 Vgl. dazu die genaueren Ausführungen bei BALCH, Debates, 437ff.; DEMING, Marriage, 118ff.; WARD, Musonius, 287f.; YARBROUGH, Gentiles, 53ff. sowie bei FOUCAULT, Sorge, 208-214.222-228; GARNSAY/SALLER, Kaiserreich, 190f.; VEYNE, Reich, 48f. 222 Vgl. dazu DiatrXm A . 223 Vgl.DiatrXn. 224 VEYNE, Reich, 49; vgl. dazu die kritischen Bemerkungen bei GARNSAY/SALLER, Kaiserreich, 188f. zu VEYNEs These von der Erfindung der Liebesehe in jener Zeit. 225 VEYNE, Reich, 49.

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Dem entspricht, daß selbst Musonius, der das Ideal der Gleichheit in der Ehe sicherlich am intensivsten verfolgte, die besagte Symmetrie in der matrimonialen Geschlechtsbeziehung deutlich mit der moralischen Überlegenheit des Mannes koppelt. So begründet er etwa die prinzipielle Gleichbewertung von Mann und Frau in Sachen Ehebruch damit, daß der Mann gerade auch im sittlichen Bereich auf der Grundlage der gleichen Maßstäbe seine Überlegenheit gegenüber der Frau beweisen müsse, wenn er den Anspruch erhebe, ihr Herr zu sein.226 Diese Diskrepanz zwischen dem Ideal geschlechtlicher Gleichstellung und gemeinschaftlichen Lebens in der Ehe auf der einen und der gleichzeitigen Dominanz des Ehemanns auf der anderen Seite, die in mehreren ethischen Abhandlungen der Kaiserzeit auszumachen ist,227 findet sich in dieser Prägnanz in IKor 7 nicht. Zwar ist zuzugeben, daß Paulus in V.29.37f.39f. die paritätische Behandlung der Geschlechter zugunsten einer rein männlichen Perspektive verläßt,228 gleichwohl unterbleibt ein vergleichbar explizites Abheben auf männliche Dominanz. Dies gilt um so mehr, sollte J. Dorcas Gordon mit ihrer Deutung von V.29c recht haben; die Exegetin kommentiert die Aufforderung ίνα και οί εχοντες γυναίκας ώς μή εχοντες ώσιν mit den Worten: „Paul allows the marriage relationship to remain but calls upon the husband not to use his rights to the full. He is to cease relating to his wife as a structural superior, except in the residual legal sense which attaches to the identities of husband and wife in the world. In other words, to live as ,not married' means being uninvolved with those statuses and roles which are integral to the proper ordering of a patrilineal kinship system."229 In jedem Fall stellt das konjugale Symmetrieprinzip des Apostels offensichtlich die Rangordnung der Geschlechter in der Ehe kompromißloser in Frage, als dies in der die Sozialstruktur eher bewahrenden Stoa der Fall war. Paulus trägt demgegenüber die Werte einer geschlechtlichen Communitas in die matrimoniale Gemeinschaft ein und weicht diese insofern in ihrer Funktion als Fundament der hieraichisch-patriarchalen Sozialstruktur von innen her auf. Die paritätische Behandlung von Mann und Frau begegnet aber auch dort in 226

Vgl. Diatr ΧΠ; s. auch Musonius' Ausführungen in der Abhandlung ΟΤΙ KAI ΓΥΝΑΙΞΙ ΦΙΛΟΣΟΦΗΤΕΟΝ (Diatr Π), die zwar in mancher Hinsicht eine Gleichstellung der Frau thematisieren, diese aber letztlich doch auf die traditionelle Rolle im οίκος festlegen; s. dazu WARD, Musonius, 287ff. 227 v g l . dazu nur die Darlegungen bei Y A R B R O U G H , Gentiles, 5 3 - 6 0 , der dies neben Musonius vor allem an Plutarchs Coniugalia Praecepta aufzeigt. 228 Dies trifft auch auf IThess 4,3-5 zu, zumindest dann, wenn man dort die Wendung τό έαυτοϋ σκεΰος κτασθαι (V.4) nach verbreiteter Auffassung auf die sexuelle Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau und nicht auf das Verhältnis zum eigenen Leib bezieht (vgl. dazu nur die ausführliche pro et confra-Argumentation bei W L T H E R I N G T O N , Women, 6 5 68). Trotz solcher Androzentrik ist aber auch hier zu sehen, daß der Ton der Paränese auf einem respektvollen und gottgefälligen Umgang mit der Gattin liegt, was zumal von V.5 her bedeutet, „that the wife is to be treated as an end in herself, not as a means to satisfy lustful ends" (ebd., 68). 2 2 9 G O R D O N , Sister, 17 If. Diese These korreliert mit dem obigen Befund im „Fall Onesimus", läßt Paulus doch auch dort die äußere Institution der Sklaverei bestehen, qualifiziert sie aber von innen her neu durch die eingeklagte Egalität unter den Christusgläubigen (s. oben Abs. 4.4).

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IKor 7, wo die ehelose Existenz im Vordergrund der Überlegungen steht, so im besonderen in dem bereits angesprochenen Abschnitt V.32ff. Paulus favorisiert an dieser Stelle das sexuell enthaltsame Leben ohne Ehebindung je eigens in bezug auf Männer und Frauen. Dabei gilt es zu beachten, daß die Negierung von Sexualität und Ehe im Kontext einer patriarchalen Kultur gerade Frauen beachtliche Chancen bot.230 Aufschlußreich ist, was Ross Kraemer in dieser Sache allgemein konstatiert: „In traditional societies, the rejection of sexuality usually entails the rejection of roles associated with one's sex and with sexuality, namely reproduction, child-raising and often the associated tasks of domesticity. Since, in most cases, all of these tasks fall to women ..., the rejection of sexuality carries with it the potential release of women from obligations and roles which are almost always linked to sex and sexuality."231 Die Relativierung der sexuellen Polarität qua Enkratie hat mit anderen Worten für Frauen, denen innerhalb einer patriarchalen Sozialstruktur gegenüber statusgleichen Männern stets eine niedrigere Position zugewiesen wird, ein stärkeres Befreiungspotential. Vermutlich besaß daher die von Paulus favorisierte Enkratie und Agamie für christusgläubige Frauen durchaus Attraktivität.232 Bartchy vertritt in diesem Zusammenhang gar die Ansicht, Paulus lehne mit seinem die Geschlechter übergreifenden Plädoyer für die Ehelosigkeit überhaupt „auch die gesellschaftliche Forderung ab, daß eine Frau ihre persönliche Identität durch ihren nächsten männlichen Verwandten erlangen sollte (Vater, Bruder, Ehemann, Schwager)"233. Wie dem auch sei, die geschlechtswnspezifische Favorisierung sexueller Enthaltsamkeit und die damit verbundene Relativierung von Ehe und Familie eröffnete den Frauen in jedem Fall, zumindest innerhalb der Gemeinschaft der Christusgläubigen, also unter Brüdern und Schwestern, „... a choice of roles they did not formerly have in this Greek setting"234. So ergibt sich für IKor 7 folgendes Gesamtbild: Im Rahmen einer Art Doppelstrategie, nämlich einer betonten Konjugalisierung der Sexualität bei gleichzeitiger Bevorzugung einer agamischen respektive enkratischen Lebensform, unterhöhlt Paulus gegen den „Zeitgeist" das hierarchische Strukturmodell „Ehe" von zwei Seiten her, ohne es in Gänze zu destruieren: äußerlich durch die massive Bevorzugung der Ehelosigkeit und innerlich durch die 230

Zur sozialen Situation von Frauen in den mediterranen Gesellschaften des 1. Jh.s vgl.

nur die differenzierten Ausführungen bei STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 3 0 9 -

322. 231

KRAEMER, zit. nach GORDON, Sister, 61f. A10; vgl. ferner SCHOTTROFF, W e g , 189f.

232 Vgl. dazu auch die Überlegungen und Thesen bei GORDON, Sister, 120 u.ö.; M.Y. MACDONALD, Women, 161ff. und WIRE, Women, 79ff.93ff. 233 234

BARTCHY, Machtverhältnisse, 121. WlTHERINGTON, Women, 41.

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Egalisierung der Geschlechter vermöge eines Symmetrieprinzips zwischen den Gatten. Die sich darin manifestierende anti-strukturelle Position des Apostels, die er selbst in der liminalen Situiertheit der Christusgläubigen und der vertikalen Christuscommunitas verankert, zielt letztlich auf eine geschlechtliche Communitas, in der sich die Gal 3,28c artikulierte, in der Taufe begründete Aufhebung der Geschlechterpolarität zumindest abschattungsweise realisiert, sei es in der Enkratie, sei es im Sinne einer Konzession in der sexuellen Symmetrie innerhalb der Ehe, welche die Sexualität zugleich streng kontrolliert. Die Rolle der Frau im Leben der Gemeinde

Nur kurz soll am Ende nochmals die der geschlechtlichen Communitas inhärente Aufwertung der Frau in der christusgläubigen Gemeinschaft beleuchtet werden. Diese offenbart sich vornehmlich in denjenigen Aussagen des Apostels, die Frauen in aktiven Rollen, ja sogar in Führungsrollen innerhalb des Gemeindelebens beschreiben, in Rollen also, für die im Rahmen der damaligen Kultur eigentlich eine männliche Besetzung zu erwarten wäre. Ekkehard und Wolfgang Stegemann registrieren diesbezüglich für die paulinischen Gemeinden, „... daß Frauen grundsätzlich an den meisten charismatischen Begabungen der christlichen Gemeinschaften Anteil hatten, sei es in der Wahrnehmung missionarischer Funktionen, sei es in der Ausübung bestimmter Kompetenzbereiche in den Ortsgemeinden, sei es in der aktiven Beteiligung an den Versammlungen der Ekklesia. In Korinth haben Frauen sich auch in der Versammlung selbst aktiv an allen Lebensäußerungen beteiligt. Diese geschlechtliche Indifferenz bezüglich der .ideologischen' Führung in der Gemeinde resultierte offenkundig aus der charismatischen Gleichstellung der christlichen Männer und Frauen durch die Taufe und den mit ihr verbundenen Geistempfang. Das charismatische Element war also das egalitäre."235

Einige Belege sollen diesen Punkt weiter konkretisieren.236 So kommt Frauen offensichtlich eine nicht geringe Bedeutung in der Missionsarbeit zu. Es sind nicht nur Männer, sondern ausdrücklich auch Frauen, deren missionarische Tätigkeit Paulus bezeugt. Dies gilt für Maria (Rom 16,6), Tryphäna, Tryphosa und „meine geliebte Persis" (Rom 16,12) sowie für Euodia und Syntyche, die mit Paulus für das Evangelium gekämpft haben (Phil 4,2f.). Eigens zu nennen ist Priska, deren gemeinsame Missionstätigkeit mit Aquila Paulus besonders 235

STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 338f. Näheres dazu bei BAUMERT, Frau, 181-190; COTTER, Authority, passim; DAUTZENBERG, Stellung, 184-193; HEINE, Frauen, 96ff.; KLAUCK, Gemeinde, 232ff.; K. SCHÄFER, Gemeinde, 290-296; SCHOTTROFF, Kritik, 229-233; WLTHERLNGTON, Women, 104-117; vgl. auch KRAEMER, Share, 174f. und STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 332ff. 236

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hervorhebt (vgl. Rom 16,3-5a). In diesem Zusammenhang sei überdies angeführt, daß in Rom 16,7, wie Bernadette Brooten wahrscheinlich gemacht hat, eine Frau, nämlich Junia, explizit unter die Apostel gerechnet ist.237 Des weiteren spielen Frauen in der Gemeindeversammlung eine aktive Rolle. IKor 11,5 bestätigt, daß dort Prophetinnen und Beterinnen in Erscheinung traten. Man wird davon ausgehen dürfen, daß die Beteiligung von Frauen in dieser Hinsicht noch weitere Aktivitäten umfaßte: „Alle haben ja als Glieder des Leibes Christi auch eine Funktion in diesem Leib, und daß die Frauen davon ausgeschlossen sind, ist nicht zu erkennen."238 Außerdem begegnen Frauen in der Rolle von Patroninnen bestimmter Hausgemeinden. Dies ist etwa für Phoebe in Kenchreä (Rom 16,lf.) anzunehmen, vielleicht auch für Chloe in Korinth (IKor 1,11).239 Wendy Cotter hat überdies auf den anti-strukturellen Charakter der dargestellten Autoritätszuschreibungen an Frauen aufmerksam gemacht. Sie verweist auf das bekannte Faktum, daß Frauen in der gesamten mediterranen Welt von öffentlichpolitischen Angelegenheiten ausgeschlossen waren. Vor dem Hintergrund der paulinischen έκκλησία-Terminologie, die eindeutig politische Konnotationen trage, kommt Cotter zu dem Schluß: „This means that Christian organizations were in that way a ,civic' or .political' entity, however pious the context." Auf dieser Grundlage folgert sie: „Seen from this point of view, then, women in leadership roles within the έκκλησία were indeed participating in a countercultural activity. As we have seen, neither Greek nor Roman culture allowed women a ,civic' office. Despite the fact that this έκκλησία met in a household, where Roman culture allowed women to exercise a greater authority, the fact that the assembly considered itself a political, civic entity means that the roles of these women leaders were also political and civic."240 5. Das Dilemma der normativen Communitas Nachdem die egalitären und universalistischen Konturen der paulinischen Gemeindekonzeption und Gemeindewirklichkeit erörtert wurden, gilt es nun, wie mehrfach angekündigt, die entsprechenden „konservativen" Züge bei Paulus zu behandeln und mit der egalitären Komponente in Verbindung zu setzen. Ich greife hierzu auf das in § 3.3 bereits angesprochene Konzept der sog. „normativen Communitas" zurück. Gemeint ist damit 237 238 239

Vgl. BROOTEN, Junia, passim; s. dazu auch SCHOTTROFF, Weg, 223f. K. SCHÄFER, Gemeinde, 293. Vgl. dazu COTTER, Authority, 351f.353f.; SCHOTTROFF, Kritik, 230f.; SCHÜSSLER

FIORENZA, Gedächtnis, 232f.; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 254; CHOW,

Patronage, 91f.l01; kritisch u.a. SCHMELLER, Hierarchie, 58f. Nach Act 16,15.40 stand wohl auch Lydia einer Hausgemeinde vor. 240 COTTER, Authority, 370.

408

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

„... ein .dauerhaftes soziales System', eine Subkultur oder Gruppe, die versucht, Beziehungen der spontanen Communitas auf mehr oder weniger dauerhafter Basis zu fördern und aufrechtzuerhalten."241 Normative Communitas erwächst mithin aus dem Bemühen, die im Ritual sowie in Aufbruchsituationen erlebte Annullierung von Strukturpositionen zu konservieren und sie zu einem beständigen sozialen Zustand werden zu lassen. Die anti-strukturellen Impulse werden dabei gleichsam in ein sozialstrukturelles Gefüge eingewoben. Dieses Absicherungsstreben und die Anreicherung der Communitas mit Elementen der Sozialstruktur führt zwangsläufig zu einer Aufweichung der spontan-egalitären Züge der Communitas in ihrer Urform. In der normativen Communitas treffen daher Anti-Struktur und Struktur unmittelbar aufeinander, es handelt sich folglich um ein äußerst spannungsreiches, ja in sich widersprüchliches und paradoxes Phänomen. Turner führt aus: „Wir begegnen ... dem Paradox, daß die Communitaserfahrung zur Communitaserinnerung wird - mit dem Ergebnis, daß Communitas, indem sie versucht, sich historisch zu reproduzieren, selbst eine Sozialstruktur entwickelt, in der anfänglich freie und innovative Beziehungen zwischen Individuen in normgeleitete Beziehungen zwischen sozialen Personen umgeformt werden. ... Spontaneität und Unmittelbarkeit der Communitas - im Gegensatz zum rechtlich-politischen Charakter der Struktur - lassen sich selten über lange Zeit aufrechterhalten. Communitas entwikkelt sehr bald selbst eine (schützende soziale) Struktur, in der sich freie Beziehungen zwischen Individuen in normengeleitete Beziehung zwischen sozialen Personen verkehren." 242 Der einer normativen Communitas inhärente Konflikt zwischen freien, innovativen Beziehungen auf der einen Seite und der notgedrungenen Etablierung normgeleiteter Beziehungen auf der anderen kennzeichnet nach meinem Urteil auch alle drei besprochenen Ebenen des paulinischen Communitasprojekts. Die in der exegetischen Forschung immer wieder hervorgekehrten und teilweise mit Ratlosigkeit konstatierten Spannungen in der Verhältnisbestimmung von Juden und Heiden, Sklaven und Freien sowie von Männern und Frauen im Briefkorpus des Apostels lassen sich m.E. von diesem Modell her adäquat

241

TURNER, Theater, 77. Ebd., 73f.; s. auch ebd., 78: „Gewöhnlich entstehen Gruppen auf der Grundlage normativer Communitas während religiöser Erneuerungszeiten. Ist normative Communitas nachweislich die in einer Gruppe vorherrschende Form der sozialen Beziehung, läßt sich der Umwandlungsprozeß von einer charismatischen und persönlichen Bewegung zu einem dauerhaften, relativ repetitiven Sozialsystem beobachten. Die inneren Widersprüche zwischen spontaner Communitas und einem deutlich strukturierten System sind jedoch so groß, daß alle Versuche, diese Formen miteinander zu verbinden, immer der Gefahr struktureller Spaltung oder der Unterdrückung der Communitas ausgeliefert sind." 242

Das Dilemma der normativen Communitas

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erfassen. Dies soll im folgenden aufgezeigt werden; dazu sind die „strukturellen" Legitimierungen und Absicherungen der an sich egalitären, „antistrukturellen" Communitas in allen drei Bereichen zu analysieren.

5.1 Ethnische Communitas Trotz seines beharrlichen Engagements für die Gleichstellung von Juden und Heiden im Leib Christi hält Paulus an der Sonderstellung Israels fest. Wie in Abs. 4.3 bereits angemerkt, greift er bezeichnenderweise auf den jüdischen Stammvater Abraham als Integrationsfigur für jüdische und heidnische Christusgläubige zurück. Mehrfach und mit Bestimmtheit spricht er zudem die Prärogative Israels an (vgl. Rom 1,16; 3,lf.; 9,4f.; 11,17-24). Widerspricht der Apostel damit nicht einer wirklichen Gleichstellung der Ethnien? Höhlt er auf diese Weise nicht selbst sein Konzept der ethnischen Communitas aus? Turner hat im Rahmen seiner gruppensoziologischen Überlegungen243 darauf hingewiesen, daß in religiösen Aufbruchsbewegungen häufig das Bestreben zu beobachten sei, die eigenen anti-strukturellen Ideen und Erfahrungen und die damit einhergehende Abgrenzung zur Umwelt und zur Sozialstruktur durch einen Rekurs auf altüberlieferte Traditionen, die die gegenwärtigen Erfahrungen in irgendeiner Weise vorbilden und von daher stützen können, zu legitimieren.244 Da diese Traditionen als solche nun aber selbst bereits Teil der herrschenden Struktur geworden seien, komme es zu dem Paradox einer „rejection of structure ... legitimated by recourse to structure"245. Innerhalb dieses Koordinatensystems läßt sich auch der paulinische Rückgriff auf die Geschichte Israels verorten. Der Apostel ist hierbei ebenfalls wesentlich darum bemüht - veranlaßt wohl nicht zuletzt durch Angriffe auf seine beschneidungsfreie Heidenmission - , sein anti-strukturelles Modell einer ethnischen Communitas zu legitimieren, indem er jüdische Traditionen aktiviert, die seiner Meinung nach diese Communitas aus Juden und Heiden vorzeichnen und gleichsam in einer Art göttlichem Heilsratschluß von jeher begründet sein lassen. Dies gilt vor allem für die Aufnahme und Bearbeitung der Abrahamstradition. Aber auch die besagten Hinweise auf die Prärogative Israels ordnen sich der heilsgeschichtlichen Verankerung und Legitimierung der ethnischen Communitas ein. Zwar bewahrt Paulus damit für Israel als ersterwähltem Volk einen Sonderstatus, doch geht er auf der anderen Seite mit dieser Prävalenz derart vorsichtig, ja kritisch um, daß das Modell der ethnischen Communitas dadurch nicht negiert wird, sondern aufrechterhalten bleiben

243

Vgl. dazu oben § 3.3 (bes. S. 60f.). 244 Vgl. TURNER, Dramas, 288; hier geht es dann nach TURNER strenggenommen nicht mehr um „Anti-Struktur", sondern um „Gegen-Straktur". 245 Ebd.

410

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

kann. Anhand zweier Schlüsselstellen im Römerbrief, nämlich Rom 3,Iff. und 9,4f., soll dies illustriert werden. Der einzige Vers, in dem Paulus verbaliter von einem Vorzug (τό περισσόν) des Judentums spricht, ist Rom 3,1. Um die fragliche Aussage richtig zu deuten, gilt es genau auf den Kontext zu achten: Paulus benennt hier das περισσόν τοϋ Ιουδαίου und mit ihm den Nutzen der Beschneidung (ή ωφέλεια της περιτομης) in einem äußerst kritischen Umfeld. So ist die Frage nach dem Vorzug des Judentums ja durch die unmittelbar vorausgehende Kritik an der Selbsteinschätzung des jüdischen Gesprächspartners in 2,17-28 provoziert. Zudem fährt der Apostel, nachdem er die jüdische Prävalenz in V.2 bestätigt und auf den Empfang der λόγια τοϋ θεοϋ zugespitzt hat,246 in V.3 wiederum mit einer kritischen Bemerkung fort, die auf die Untreue (ήπίστησαν, απιστία) einiger Juden (τινές), wie Paulus vorsichtig sagt, zielt. Doch kann diese Untreue, so der Apostel, die Bundestreue Gottes nicht zunichte machen. Zweierlei ist an diesem Gedankengang für die aktuelle Fragestellung bedeutsam. Erstens: Das eigentliche Thema des gesamten Abschnitts (3,1-8) ist, genau besehen, weniger das Vorrecht Israels als vielmehr die Zuverlässigkeit Gottes und seiner Worte angesichts menschlicher und zumal jüdischer Untreue. Explizit weist Michael Theobald in seiner Auslegung zur Stelle darauf hin, daß das hier entfaltete περισσόν τοϋ 'Ιουδαίου zwar ein bleibendes ist, faktisch aber nicht so sehr als Vorzug des jüdischen Volkes in Erscheinung tritt, also auch nicht als exklusives Privileg Israels gegenüber anderen Völkern, sondern eigentlich als Vorzug des jüdischen Gottes, dessen Wesen Treue heißt.247 Zweitens: Die Grundlage der jüdischen Prävalenz bilden die λόγια τοϋ ·&εοΰ. Was damit gemeint ist, erschließt sich nicht auf den ersten Blick, denn der nur hier von Paulus aufgegriffene Terminus λόγια besitzt ein weites Bedeutungsspektrum.248 Angesichts der sicherlich mit Bedacht gewählten Anbindung an das Verb πιστεύεσθαι („anvertrauen") scheint es jedoch angeraten, die λόγια τοϋ ϋεοΰ hier in erster Linie auf die in der Schrift überlieferten Verheißungen und Zusagen Gottes zu beziehen, einschließlich derer, die auf die Inklusion der Heiden zielen.249 Unter dieser Voraussetzung beruht das περισσόν des jü246 Das πρώτον (V.2) deutet an, daß Paulus eigentlich eine Liste von Vorzügen im Sinn hat; er beschränkt sich hier gleichwohl auf die λόγια τοϋ ΰεοϋ und führt erst in 9,4f. weitere Vorzüge auf. 247 Vgl. THEOBALD, Rom I, 8 4 ; ebenso SASS, Leben, 4 3 0 A 4 5 8 ; s. ferner FLTZMYER, Rom, 325: „The advantage that the Jew has does not rest on what he is or has, but on what God has promised him and what God has done for him. God chose Israel to be his own people and made promises to it that will not be revoked (11:28)." 248 Vgl. dazu MANSON, Appendix, 87ff.; zur exegetischen Diskussion s. nur FlTZMYER, Rom, 326f. 249 Den Verheißungscharakter der λόγια τοϋ ϋεοΰ betonen gleichfalls MICHEL, Rom, 95

A 3 ; KÄSEMANN, R o m , 7 4 („promissio d e s Evangeliums"); THEOBALD, R o m I, 83; SCHMIT-

HALS, Rom, 105f.; weitere Vertreter bei WILLIAMS, Righteousness, 267 A78. Auf den Aspekt der Inklusion der Heiden verweisen im besonderen GASTON, Torah, 121 und

Das Dilemma der normativen Communitas

411

dischen Volkes zumindest auch darauf, daß ihm Weissagungen anvertraut wurden, die den Segen für die Völker und die Gemeinschaft aus Juden und Heiden einbegreifen. Folgender Gedanke schwingt dann im Hintergrund mit: „Israel is privileged to be the recipient and trustee of the promises, and Christ, through whom the promises are fulfilled, comes from Israel; but the promises themselves are not intended only for Israel. All peoples of the earth are their beneficiaries." 250 So gesehen markiert das περισσόν τοϋ 'Ιουδαίου letzten Endes keine exklusive Überlegenheit, vielmehr schließt es die Einsicht in die von Gott intendierte und nun in Christus ermöglichte universale ethnische Communitas aus Juden und Heiden ein. In Rom 9,4f. findet die in 3,2 begonnene Auflistung der Vorzüge Israels ihre Fortführung. 251 Der Apostel zählt mehrere Punkte auf: die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesschlüsse, die Gabe der Tora, den Gottesdienst, die Verheißungen; hinzu kommen die Vätertradition und das Faktum, daß Christus Israel entstammt. 252 Auch diese Auszeichnungen stehen in einem kritischen Kontext. So bekundet Paulus unmittelbar zuvor seine tiefe Trauer und seinen Schmerz darüber, daß Israel Christus verkennt (V.2-3). 253 Die Vorzüge sind also, 3,1 f. vergleichbar, in das Umfeld einer enttäuschenden Realität eingebettet. Wie dort folgt aber auch hier zu Beginn des nächsten Argumentationsgangs die Versicherung, der λόγος Gottes sei keinesfalls hinfällig geworden (V.6). Gottes Treue ist folglich von dieser enttäuschenden Realität nicht tangiert. Das heißt, die Prärogative Israels ist letztlich auch hier in Gott, in seiner Verheißungstreue, verankert. 254 In diese Richtung weist bereits der den Auszeichnungen in V.4f. übergeordnete Ehrentitel Ίσραηλίται, der für das erwählte Bundesvolk steht und insofern „eine von Gott her gültige QualifikaWLLLIAMS, Righteousness, 266f. Der letztgenannte folgert ebd., 267 noch genauer: „Ta logia tou theou refers first und foremost to the promises given to Abraham (chapter 4) and confirmed by the prophets (cf. especially 1:17; 9:25-26,33; 10:11,20)." WILLIAMS vermerkt im übrigen, daß Paulus das Passiv πιστεύεσθαι sonst nur noch dreimal gebraucht, und zwar durchgängig in Verbindung mit dem Evangelium (Gal 2,7; IThess 2,4; IKor 9,17). 250

WILLIAMS, ebd., 2 6 9 .

251

SASS, Leben 430 problematisiert die verbreitete Etikettierung der in 9,4f. genannten Heilsgaben als „Vorzüge" oder „Privilegien" Israels; s. auch HÜBNER, Ich, 14; V.D. OSTENSACKEN, Antijudaismus, 244 samt A7. In der Tat fehlt hier, anders als in 3,1, ein entsprechender Begriff. Gleichwohl verdichtet sich in den angeführten Gaben die Ersterwählung Israels, also ein heilsgeschichtliches Prä, weshalb es m.E. durchaus gerechtfertigt ist, an der verbreiteten Rede vom Vorzug festzuhalten. 252 Zu den einzelnen Vorzügen s. jeweils Näheres bei CRANFIELD, Rom Π, 460ff.; DUNN, Rom Π, 526ff.533ff.; FITZMYER, Rom, 545ff.; Luz, Geschichtsverständnis, 271ff.; SASS, Leben, 414ff.420ff. 253 Paulus nennt diesen Grund der Trauer nicht expressis verbis, er ist jedoch indirekt dem in V.3 geäußerten Wunsch zu entnehmen, zugunsten seiner Brüder und Volksgenossen nach dem Fleisch selbst von Christus geschieden zu sein. 254 Zur Deutung des λόγος τοϋ θεοΰ auf die Verheißungen Gottes und zur Gleichsetzung mit den λόγια τοΰ θεοϋ in 3,2 vgl. KRAUS, Volk, 298 A174; KÄSEMANN, Rom, 252; WILCKENS, R o m Π, 1 9 2 A 8 4 8 ; ZELLER, R o m , 176; s. auch WILLIAMS, R i g h t e o u s n e s s , 2 8 1 .

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

tion" darstellt.255 Angesichts dieser göttlichen Qualifikation erscheinen die anschließend wiedergegebenen Vorzüge deutlich als Gnadengaben, als Schenkungen von Gott her (vgl. 11,29). Das bedeutet: „Der Vorzug Israels besteht gerade darin, daß es ,Israel Gottes' ist."256 Gerhard Sass macht nun weiterhin darauf aufmerksam, daß Paulus zumindest einige der in Rom 9,4f. angeführten Gaben an Israel schon vorher im Brief auch für die Heiden reklamiert hat; Sass nennt die Tora (vgl. 2,15), die Väter und die Verheißung (vgl. 4,12.16), die Sohnschaft (vgl. 8,15.23) und verweist darüber hinaus mit Blick auf 15,12 auch auf Christus.257 Dieser Befund untermauert, daß die Israel verliehenen Gnadengaben von Paulus nicht als Exklusivrechte gedeutet werden, er universalisiert sie vielmehr in Anbetracht des Christusgeschehens, wobei freilich das πρώτον der Ersterwählung des jüdischen Volkes unangetastet bestehen bleibt (vgl. Rom 1,16). Doch trotz jener Ersterwählung ermöglicht die Öffnung der Gnadengaben Israels aktuell eine relative Ebenbürtigkeit von Juden und Heiden. Das Moment der ethnischen Parität klingt ferner, zumindest indirekt, in dem doxologischen Abschluß in V.5 an. Gott258 wird hier ausdrücklich als Gott über alle (έπι πάντων ·&εός) gepriesen. Vor dem Hintergrund des oben besprochenen ethnisch-inklusiven Gebrauchs von πας im Römerbrief (s. Abs. 4.3) wird man annehmen dürfen, daß dabei Juden und Heiden gleichermaßen in dem έπι πάντων eingeschlossen sind. Paulus ruft dann am Ende seiner Auflistung jüdischer Vorzüge nochmals ins Gedächtnis, daß der Gott Israels zugleich ein Gott der ganzen Menschheit ist, d.h. inklusive der Heiden.259 Auch die Doxologie weist demnach auf die universale Ausrichtung der Israel zugesprochenen Heilsgaben. Alles in allem ergibt sich somit: Paulus hält zwar unverkennbar am περισσόν τοϋ Ιουδαίου fest, bindet dieses aber mit der Inklusion der Heiden ins Heil Israels zusammen. Er bettet so die gegenwärtig gültige und erfahrbare ethnische Communitas aus Juden und Heiden in den heilsgeschichtlichen Rahmen der Geschichte Gottes mit Israel ein und verleiht ihr damit normatives Gewicht. 255

KRAUS, Volk, 297; s. auch LUZ, Geschichtsverständnis, 269f.; SASS, Leben, 414. LUZ, Geschichtsverständnis, 273. 257 Vgl. SASS, Leben, 430 samt A456. 258 Die umstrittene Frage, ob die Doxologie auf Gott oder auf Christus zu beziehen ist, wird man am ehesten im erstgenannten Sinn zu beantworten haben, da Paulus Christus sonst niemals Gott nennt und seine Doxologien grundsätzlich auf ihn richtet. Zudem fügt sich eine solche Referenz besser in den Kontext, sind doch die vorweg aufgelisteten Vorzüge Gottes Heilsgaben; vgl. dazu auch die ausführliche Begründung bei DUNN, Rom Π, 528f. und KUSS, Rom, 679-696; ebenso votieren BERGER, Abraham, 79; KÄSEMANN, Rom, 250; LONGENECKER, Eschatology, 252 A2; LUZ, Geschichtsverständnis, 27; SCHMITHALS, Rom, 256

3 3 3 ; THEOBALD, R o m I, 2 6 2 ; WLLCKENS, R o m Π, 189; ZELLER, R o m 173f. C h r i s t o l o g i s c h

deuten hingegen CRANFIELD, Rom Π, 464-470; MICHEL, Rom, 296-298; SCHLIER, Rom, 88; auch FITZMYER, Rom, 548f. tendiert zu dieser Auslegung. 259 Die Wendung έπι πάντων explizieren DUNN, Rom Π, 529.536; SCHLIER, Rom, 288; SCHMITHALS, Rom, 333 und WRIGHT, Climax, 237 ebenso im Sinn von „über Juden und Heiden".

Das Dilemma der normativen Communitas

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Die Prärogative Israels, zumal die göttlichen Verheißungen und das Heil der Väter bilden nun den Wurzelgrund jenes Universalismus, der aktuell in der Gleichstellung von Juden und Heiden im Leib Christi auf der Basis der Taufe zur Entfaltung kommt. Die ethnische Communitas erscheint insofern als normative Communitas, d.h. als eine von Gott seit langer Zeit geplante, durch seinen Heilswillen festgelegte Communitas. Anti-Struktur wird auf diese Weise von der etablierten Tradition her legitimiert, die ethnische Communitas mit der erwählungsgeschichtlichen Vorordnung Israels verquickt. Die Spannung, die einer solchen Verzahnung zwangsläufig immanent ist, gehört zu den Charakteristika einer normativen Communitas. Aus diesem Blickwinkel lassen sich auch das πρώτον in Rom 1,16 und die Wurzelmetapher in Rom 11,17-24 (s. bereits Abs. 4.3) begreifen.

5.2 Soziale Communitas Normative Konturen sind ebenso bei der sozialen Communitas zu verzeichnen, und zwar gerade, was die in Abs. 4.4 näher diskutierte Verhältnisbestimmung von Sklaven und Herren anbelangt, denn die dort herausgearbeiteten egalitären Züge in der paulinischen Argumentation sind mit exegetischen Befunden zusammenzusehen, die das Moment der Egalität teilweise wieder einschränken oder zumindest Spannungen in puncto sozialer Gleichstellung signalisieren. Dies gilt vor allem für die Autoritätsstrukturen im Philemonbrief und die Frage der Stellung des Apostels zur manumissio von initiierten Sklaven.

Autoritätsstrukturen

im Philemonbrief

Das normative Profil der sozialen Communitas aus Sklaven und Herren spiegelt sich im Philemonbrief bereits auf der Korrespondenzebene, d.h. in der Art und Weise, wie Paulus mit Philemon kommuniziert. Der Verzicht auf den Aposteltitel, die Anwendung der Bruderschafts- und Koinoniaterminologie, das behutsame Bitten δια την άγάπην in V.8f. und der Rekurs auf das Prinzip der Freiwilligkeit in V.14 indizieren zwar zunächst eine Gleichstellung zwischen Adressat und Empfänger, doch übt der Apostel andererseits merklichen Druck auf den Sklavenbesitzer aus, auf daß dieser den zurückkehrenden Sklaven auch wirklich bruder- und partnerschaftlich empfange.260 Dies gilt zumal

260 Zum Wechselspiel zwischen Autoritätsverzicht und der Berufung auf Autorität im Philemonbrief vgl. auch GAYER, Stellung, 257f.262f.; K. SCHÄFER, Gemeinde, 279ff.; WOLTER, Phlm, 237.258ff.; vgl. ferner die differenzierten Darlegungen zu den sozialen Rollen im Philemonbrief bei N.R. PETERSEN, Rediscovering, 89-199.287-303.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

für den zweiten Teil des Briefes; hier schlägt Paulus immer wieder einen „tone of authority and power"261 an, um der eingeklagten kommunitären Beziehung zwischen Sklave und Herrn Geltung zu verschaffen. So artikuliert er in V.17 sein Anliegen, Philemon solle Onesimus wie ihn als κοινωνός aufnehmen, geradeheraus in Form eines Imperativs. In V.20 erwartet er von Philemon Freude bzw. einen Nutzen (όναίμην; Optativ)262 und daß er sein Herz erquicke (άνάπαυσόν μου τά σπλάγχνα; Imperativ), womit nochmals die erwünschte Aufnahme des Onesimus als Bruder eingeschärft wird;263 auf diesen Zusammenhang weist jedenfalls der dortige Gebrauch der Syntagmen έν κυρίω und έν Χριοτω. Das dem Vers vorangestellte ναι unterstreicht dabei den appellativen Charakter zusätzlich.264 V.21 klagt dann indirekt Philemons Gehorsam (υπακοή) ein und schließlich fordert V.22 die Bereitung einer Unterkunft für den bevorstehenden Besuch, wobei in dieser Bitte die Absicht mitschwingen dürfte, „to make Philemon take this letter seriously: Paul will very soon be on the spot to see how Philemon has responded!"265 Mit all diesen Forderungen reklamiert der Apostel einen gegenüber Philemon höheren Status;266 dies bestätigt im übrigen auch V.19, wo er den Hausherrn zu seinem Schuldner erklärt (προσοφείλειν) - im Hintergrund steht hierbei der Umstand, daß Philemon seine christusgläubige Existenz der paulinischen Missionstätigkeit verdankt.267 Paulus wirft also bewußt seine apostolische Autorität in die Waagschale, um das angepeilte bruderschaftliche Verhältnis zwischen Sklave und Herrn durchzusetzen. Daraus ergibt sich „the apparent paradox that in defense of the ... relationships of equality in the church Paul acts from his position of structural superiority in the church - tactfully, to be sure, but nevertheless clearly and forcefully" 268 . Kurzum: Paulus übt im Dienst sozialer Communitas

261

Ebd., 294. Seine apostolische Autorität (παρρησία) und Befehlsgewalt (έπιτάσσειν) läßt Paulus freilich bereits in V.8 deutlich hervortreten, auch wenn er sie dort nicht explizit zur Anwendung bringen will. 262 Das Verb όνίνημι, ein hapax legomenon, kann sowohl die Bedeutung „erfreuen" als auch „nützen" tragen. 263 Ebenso GNILKA, Phlm, 87; LOHSE, Phlm, 285f.; STUHLMACHER, Phlm, 51; WOLTER, Phlm, 278. SUHL, Phlm, 35 sieht hierin auch die Bitte um Erlaß der in V.18f. übernommenen Haftung anvisiert (s. dazu oben Anm. 106); so schon HAUPT, Gefangenschaftsbriefe, 197. 264 So auch WOLTER, Phlm, 278. 265 BARCLAY, Dilemma, 171; daß Paulus mit der Besuchsanmeldung seiner Bitte für Onesimus Nachdruck verleiht, erwägen gleichfalls ERNST, Phlm, 138; GAYER, Stellung, 258; LOHSE, Phlm, 287; N.R. PETERSEN, Rediscovering, 267; SUHL, Phlm, 37; anders BINDER, Phlm, 66; GNILKA, Phlm, 89; WOLTER, Phlm, 280. 266 vgl. N.R. PETERSEN, Rediscovering, 105, der mit Rücksicht auf V.17 feststellt: „... Paul reveals that despite the connotations of equality in the notion of partner, he is the senior partner in the relationship, and that as such he is Philemon's social structural superior." 267

S o mit den meisten; vgl. nur GNILKA, Phlm, 86; STUHLMACHER, Phlm, 5 0 ; WOLTER,

Phlm, 276. 268 N.R. PETERSEN, Rediscovering, 101.

Das Dilemma der normativen Communitas

415

Druck auf Philemon aus,269 er ertrotzt mithin Anti-Struktur durch den Rekurs auf innergemeindliche Struktur. Durch dieses in sich spannungsreiche Vorgehen, anti-strukturelle Egalität gezielt und autoritär zur „Norm" zu erheben, wird Communitas gewissermaßen von vornherein in ein neues strukturelles Korsett gezwängt, sie wird zur normativen Communitas. Das Bestreben, die in der Initiation gründende soziale Communitas qua Anordnung dauerhaft zu bewahren, sie zu einer kontinuierlichen Sozialbeziehung auszubauen, hinterläßt dabei angesichts der paradoxen Koppelung von Egalität und Autorität einen zwiespältigen Eindruck. Diese Ambiguität normativer Communitas zeigt sich in anderer Form auch bei der Frage der Freilassung der initiierten Sklaven. Die Frage nach der Freilassung von Sklaven In Anbetracht der obigen Auslegung von IKor 7,21b gilt es zunächst nochmals daran zu erinnern, daß Paulus dem zu seiner Zeit alltäglichen Institut der manumissio an sich aufgeschlossen gegenüberstand und an der genannten Stelle nicht etwa, wie in der exegetischen Forschung immer wieder behauptet, eine Zurückweisung derselben und ein Verbleiben in der Sklaverei forderte. Gleichwohl fällt auf, daß er weder in IKor 7 noch im Philemonbrief die Freilassung wirklich eigens zum Thema macht und auch sonst nirgendwo in seinen Briefen explizit die Freilassung von initiierten Sklaven einklagt. Wäre aber eine solche Forderung nicht zumindest für den „christlichen" Oikos nahegelegen? Stellt die auffällige Zurückhaltung des Apostels in diesem Punkt nicht doch das Projekt einer sozialen Communitas in Frage? Diese Problematik wurde bereits bei der obigen Besprechung von Phlm 1517 angerissen; eine erste Antwort hat sich dort aus der Wesensart der manumissio ergeben. Die Entlassung von Sklaven annullierte ja nach damaligem Recht das Abhängigkeitsverhältnis zu dem ehemaligen Herrn längst nicht, sondern löste letztlich nur eine hierarchische Struktur (Sklave - Herr) durch eine andere (libertus - Patron) ab. Die manumissio hatte insofern mit sozialer Communitas, dem Anliegen des Apostels, nur wenig zu tun; sie war vielmehr ein Baustein im großen Räderwerk der damaligen streng hierarchisch gegliederten Sozialstruktur. Die Sprengkraft sozialer Communitas manifestiert sich demgegenüber in den Paulusbriefen just darin, daß der Apostel auf eine Gleichstellung von Herren und Sklaven gerade unter Beibehaltung des formalrechtlichen Verhältnisses Sklave - Herr dringt, wodurch dieses gleichsam von innen her ausgehöhlt und transzendiert wird.270 269 PETERSEN geht ebd., 9 9 - 1 0 2 dem von Paulus in mehrerlei Hinsicht ausgeübten Druck in allen Einzelheiten nach. 270 Vgl. dazu Abs. 4.4 sowie WOLTER, Phlm, 233f.268ff.; zu den Schwierigkeiten einer praktischen Umsetzung s. gleich.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

In diesem Zusammenhang ist nun aber ein weiterer Gesichtspunkt unbedingt mit zu bedenken, der in die genau entgegengesetzte Richtung weist und eine Stabilisierung bestehender Strukturen impliziert. Die Zurückhaltung in der Frage der Freilassung dürfte nämlich ihren Grund nicht zuletzt auch darin gehabt haben, daß Paulus an der Wahrung des Oikossystems gelegen sein mußte. Der Oikos bildete schließlich das Fundament der Ekklesia271 und Sklaven waren wesentlicher Bestandteil des antiken Hauses.272 Wäre Paulus vor diesem Hintergrund etwa im Philemonbrief mit der Forderung nach Freilassung eines initiierten Sklaven an die Öffentlichkeit getreten,273 so hätte dies ohne Zweifel nachteilige Folgen für den Oikos als konstitutive Organisationsund Lebensform des frühen Christentums gezeitigt.274 Nicht nur hätten dann unter Verweis auf den Fall Onesimus wahrscheinlich auch andere bereits getaufte Sklaven in Häusern mit christusgläubigen Hausherren den Anspruch auf Freilassung geltend gemacht, die Chance, die manumissio allein schon durch die Taufe zu erlangen, wäre womöglich von allen Sklaven in den besagten Häusern wahrgenommen worden 275 Die Stabilität der Oikosstruktur der Ekklesia wäre folglich erheblich ins Wanken geraten. John M.G. Barclay gibt zu bedenken: „If Philemon were to manumit Onesimus and, as a matter of principle, any other slaves who were or became Christians, he might soon find himself without any slaves at all. That would severely dent his pride since slave-ownership was a key component of his status. But it would also have very serious repercussions on the whole church because as host of the church he had the responsibility of providing the venue for its meetings; and without slaves he could not possibly maintain a house of sufficient size ... Paul's churches depended on patrons wealthy enough to provide homes as meeting-places of Christians - and that meant, in effect, that they depended on Christian slave-owners! To urge Christian masters to be rid of their slaves was to

271

Dies indiziert allein schon die geprägte Wendung κατ' οίκον εκκλησία (Rom 16,5; IKor 16,9; Phlm 2; Kol 4,15); zur Bedeutung des Oikos für das frühe Christentum s. ferner KLAUCK, Hausgemeinde; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 2 4 0 - 2 4 2 ; STUHL-

MACHER, Phlm, 70-75; WOLTER, Phlm, 245-249; GNILKA, Phlm, 17-33. 272 Ygi n u r Aristoteles, Pol 1253b 4 - 8 : „Ein vollständiges Haus wird aus Sklaven und Freien gebildet... die ersten und kleinsten Teile eines Hauses sind Herr und Sklave, Gatte und Gattin, Vater und Kinder ..." 273 Zur öffentlichen Anlage des Briefes (vgl. V.2.23f.) und dem damit einhergehenden Verpflichtungs- und Paradigmencharakter vgl. nur N.R. PETERSEN, Rediscovering, 99f. samt 176 A26.; s. auch GAYER, Stellung, 262; GNILKA, Phlm, 16; HAINZ, Ekklesia, 199ff. 208; LOHSE, Phlm, 264.267; WICKERT, Privatbief, passim sowie BARCLAY, Dilemma, 171. 274 Zu dieser Funktionsbeschreibung des Oikos vgl. WOLTER, Phlm, 246. 275 Trotz der weiterbestehenden Bindung an den ehemaligen Herrn im Rahmen eines Patron-Klient-Verhältnisses war die manumissio dem Sklaven für gewöhnlich hochwillkommen, „not only for his own benefit and self-esteem but also so that any subsequent children might have the benefit of being born free, including the capacity to inherit the family goods" (BARCLAY, Dilemma, 168).

Das Dilemma der normativen Communitas

417

require them not merely to demean themselves but also to deprive themselves of important means by which they could serve other Christians."276 Der Apostel war sich gewiß im klaren darüber, daß der mit einer allgemeinen Freilassung initiierter Sklaven einhergehende Ehrverlust der christusgläubigen Hausherren wie auch der damit verbundene Zusammenbruch der Funktionsfähigkeit des Oikos die überlebensnotwendige Grundfeste der Ekklesia erschüttern würde. Letztlich stand damit seine ganze Mission in Frage. Denn welcher Patron und welche Patronin wollte bzw. könnte ihm und den von ihm missionierten Christusgläubigen unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch das Haus öffnen? In diesem Punkt bestätigt sich auf deprimierende Weise, was Geza Alföldy auf breiterer Ebene für die Antike generell wie folgt konstatiert: „Die antike Sklaverei war entschieden mehr als ein juristisches Phänomen: Ohne sie sind das Wirtschaftssystem, die sozialen Verhältnisse, die Staatsverwaltung und das geistige Leben der Antike gleichermaßen undenkbar."277 Auch die Existenz der Ekklesia, so mag man ergänzen, war wohl aufgrund ihrer Verankerung im Oikos zumindest mittelbar mit dem Phänomen der Sklaverei verflochten. Insgesamt ergibt sich somit ein äußerst ambivalentes Bild, was die paulinische Argumentation in der Sklavenfrage angeht: Neben den oben erläuterten, unverkennbaren anti-strukturellen Vorstellungen schimmert in der Zurückhaltung des Apostels hinsichtlich einer außerordentlichen manumissio initiierter Sklaven zugleich dessen essentielles Interesse an der Stabilität der äußeren Strukturen des antiken Oikos durch, zu dem Sklaven maßgeblich hinzugehörten. Dieses spannungsvolle Ineinander von anti-strukturellen Impulsen und einem gleichzeitigen Interesse an der Bewahrung bestimmter Aspekte der Sozialstruktur ist charakteristisch für eine „normative Communitas". Was Paulus hier unternimmt, ist letztlich der Versuch, das von ihm favorisierte egalitäre Verhältnis zwischen Herrn und Sklaven im Kontext einer auf Hierarchie gründenden Sozialstruktur, dem auf Sklaverei basierenden antiken Haushaltssystem, zu etablieren. Er sucht mithin Communitas in ein tragendes Segment der konventionellen Sozialstruktur einzuzeichnen. In praxi mußte eine solche normative Communitas unter Herren und Sklaven im hierarchischen Koordinatenfeld des Oikos zu zahlreichen Konflikten und Dilemmata führen. Barclay malt u.a. folgende Szenarien aus. „If a Christian slave refused to obey an order (he felt ,led by the Spirit' to do otherwise) would a Christian master have to accept this recalcitrance? ... It is also difficult to see how instructions to Christian brothers to ,bear one another's burdens' 276

Ebd., 176f.

277

ALFÖLDY, Sklaverei, 23; s. dazu auch BARCLAY, Dilemma, 177.

418

Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

(Gal 6.2) or ,be slaves to one another through love' (Gal 5.14) could be applied in practice in the daily lives of masters and slaves. Their whole relationship depended on the agreed assumption that it would be the slave who opened the door for his master, filled his bath, carried his luggage, washed up his dishes etc. Life in the household would become impossible if the performance of this tasks had to be agreed each time by mutual consent between master and slave; and matters would become hopelessly complicated if not all the slaves were Christian, so that the master might see it as his duty to serve some of his slaves as Christian brothers but not others!"278 Vergleichbare Spannungen sind ebenso im Zusammenhang mit den Versammlungen der Christusgläubigen im Oikos zu präsumieren.279 Ungeachtet dieser zweifellos elementaren Probleme, die der Versuch der Verwirklichung einer normativen Communitas im Oikos heraufbeschwören mußte,280 gilt es aber die Intention des Apostels, das Verhältnis zwischen Herren und Sklaven bleibend mit Communitaswerten aufzuladen, zu würdigen. Nichtsdestotrotz offenbart sich an diesem Punkt eindrücklich die ganze Paradoxie normativer Communitas.

5.3 Geschlechtliche Communitas Daß Paulus trotz seiner grundsätzlich anti-strukturellen Position in der Frage der Beziehung der Geschlechter Ehe und Sexualität keineswegs einfach verwirft, wurde in der obigen Beschäftigung mit IKor 7 in Abs. 4.5 mehrfach herausgestellt. Über diesen wichtigen Sachverhalt gilt es hier nochmals gesondert nachzudenken. Dabei soll es darum gehen, die Hintergründe der paulinischen Verteidigung der Ehe in IKor 7 herauszuschälen. Ferner ist in diesem Zusammenhang eine genauere Analyse des nicht selten als Gegenpol zu Gal 3,28c charakterisierten Abschnitts IKor 11,2-16 gefordert. Der schwierige und umstrittene Passus IKor 14,33b-36 kann indes außer acht bleiben, da nach wie vor unsicher ist, ob die Argumentation wirklich von Paulus stammt oder sich nicht vielmehr ganz oder teilweise einer Interpolation verdankt.281 278

Ebd., 178f. Vgl. wiederum BARCLAYS Überlegungen ebd., 179f. 280 STUHLMACHER, Phlm, 54 A140 notiert diesbezüglich: „Bei der denkbar engen Lebensgemeinschaft in einem ,Hause' bot eine Wiederaufnahme [sc. des Onesimus] auf die Dauer wohl mehr Schwierigkeiten als die Freilassung." 281 Mit unterschiedlichen Thesen und Versabgrenzungen sprechen sich gegen paulinische Verfasserschaft aus: BARRETT, IKor, 378f. (bedingt); CONZELMANN, IKor, 299; DAUTZENBERG, Prophetie, 257-273.290-298; FEE, lCor, 699-708; FITZER, Weib; GAYER, Stellung, 128f. A40 („wahrscheinlich"); HASLER, Frau, 43^18; KLAUCK, Gemeinde, 240; KRAEMER, Share, 149 („high degree of propability"); F. LANG, Kor, 200 („Vorzug"); D.B. MARTIN, Body, 289 A2; MEEKS, Image, 203f. (bedingt); MUNRO, Authority, 67-79; DERS., Women, 26ff.; MURPHY-O'CONNOR, Interpolations, 90-92 („more probable"); ORTKEM279

Das Dilemma der normativen Communitas

419

Nochmals IKor 7

Wie wir oben sahen, billigt Paulus im Rahmen seiner in IKor 7 verfolgten Doppelstrategie, nämlich der Konjugalisierung sexueller Aktivität bei gleichzeitiger Bevorzugung der Enkratie, der Ehe einen legitimen Platz innerhalb der Gemeinschaft der Christusgläubigen zu, wenn auch einen gegenüber der enthaltsamen Agamie untergeordneten. Warum aber schränkt der Apostel seine prinzipiell anti-strukturelle Haltung in dieser Frage auf diese Weise ein? Wäre es nicht viel konsequenter, wenn er angesichts der zumal in V.29-35 angeführten Argumente (Liminalität und vertikale Christuscommunitas) die Ehe gleich ganz zurückweisen würde und sich vollauf der in V.l geäußerten strikt asketischen Überzeugung einiger Korinther anschlösse? Diese Frage drängt sich um so mehr auf, als es Paulus ja auch sonst keinerlei Probleme bereitet, konventionelle Kultur- und Verhaltensmuster zu durchbrechen, wie besonders seine theologia crucis zeigt (s. § 9). Einer Antwort auf diese Anfrage kommt man näher, wenn man nochmals einen genaueren Blick auf die Begründung der paulinischen Verteidigung der Ehe wirft. Der Apostel weist diesbezüglich primär auf die Funktion der Verhütung von πορνειαι (V.2), dringt dann vor diesem Hintergrund auf eine mehr oder minder beständige sexuelle Praxis innerhalb der Ehe (V.3ff.) und befürwortet für diejenigen Ehelosen, die ihre sexuelle Begierde nicht im Zaum halten können (οΰκ έγκρατεύεσ&αι [V.9], ύπέρακμος [V.36]), eine Heirat. Die Grundstruktur dieser Gedankenführung indiziert, daß der Apostel sexuelles Begehren offenbar als potentiell gefahrvoll und verunreinigend erachtet282 und die Ehe bzw. matrimoniale Sexualität in dieser Hinsicht gleichsam als PER, IKor, 140; K. SCHÄFER, Gemeinde, 292; SCROGGS, W o m a n , 284; STROBEL, IKor,

233f.; THYEN, Studie, 186f.; WALKER, Place; WEISS, IKor, xli.342; vgl. auch BARTON, Place, 229-234. Für paulinische Herkunft votieren in unterschiedlicher Weise: N. FLANAGAN, Women (V.34f. ist hier allerdings Wiedergabe einer korinthischen Position, von der sich der Apostel abgrenzt); JERVIS, Reconsideration; KEENER, Women, 74f.; KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 360; LLEFELD, Women, 149; M.M. MITCHELL, Rhetoric, 281f. A536 („probably authentic"); SCHÜSSLER FLORENZA, Gedächtnis, 287; SCHOTTROFF, Kritik, 2 4 4 ; STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 340; TRÜMMER, Paulustradition, 1 4 4 - 1 4 9 ;

WIRE, Women, 229-232; WITHERINGTON, Women, 90ff.; WOLFF, IKor, 140-143; vgl. auch BAUMERT, Antifeminismus, 109ff., bes. 135, der IKor 14,33b-36 für einen paulinischen Text hält, welcher von einem späteren Redaktor an dieser Stelle eingefugt worden sei; s. dazu ALLISON, Women, 28. Vgl. femer die ausführliche Diskussion der vielfältigen Positionen bei BAUMERT, Antifeminismus, 109-142 sowie die Überlegungen bei MULLER, Trinity, 189f. Das Problem der Herkunft dieser Passage ist derart komplex, daß nicht wenige eine klare Entscheidung scheuen und lediglich Präferenzen für die eine oder andere Lösung formulieren (vgl. jeweils die Angaben in den Klammern). 282

So auch D.B. MARTIN, Body, 212-217; NEYREY, Paul, 119f.; STROBEL, IKor, 118. Nach den Vorstellungen zahlreicher antiker Mediziner und Philosophen war sexuelles Handeln mit einem hohen Gefahrenpotential verbunden; man begegnete diesem Problem, indem man den Geschlechtsverkehr ausgeklügelten „Diät"-Vorschriften unterwarf; vgl. dazu die Erläuterungen bei FOUCAULT, Sorge, 133-190; s. auch D.B. MARTIN, Body, 200ff.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Schutzwall versteht. Der Schutz der Ehe erstreckt sich dabei auf zwei Bereiche, nämlich auf den individuellen Körper wie auch auf den sozial-ekklesiologischen. Dies ergibt sich zumindest, wenn man den vorausgehenden Kontext mit in die Überlegungen einbezieht. Dort macht Paulus in 5,1-8, der Besprechung des Falls einer inzestuösen Beziehung in der Gemeinde, und in 6,12-20, einem Abschnitt, der den Verkehr mit einer πόρνη283 perhorresziert, deutlich, wie sehr πορνεία beide Körper bedroht.284 In der erstgenannten Passage zeigt er mit Hilfe der Metapher vom Sauerteig (5,6-8) auf, daß die πορνεία des Blutschänders die ganze Gemeinde mit Unreinheit zu infizieren droht;285 Unzucht gefährdet demnach den gesamten Leib Christi. In 6,12ff. hebt Paulus dann unter Bezugnahme auf Gen 2,24 darauf ab, daß Mann und Frau beim Geschlechtsverkehr „ein Fleisch" werden (V.16), was zwangsläufig bedeutet: „If one partner is impure and polluting, the other partner will be corrupted."286 Die Beziehung zu einer πόρνη verunreinigt daher gerade auch den Körper des Christusgläubigen (V.18). Da nun dessen Körper aber seit der Taufe zugleich Glied Christi ist (μέλη Χριστοΰ; V.15), wird überdies auch hier, wenigsten mittelbar, der Leib Christi, d.h. die Gemeinde, von der Unzuchtshandlung mitbetroffen.287 Aus alledem geht hervor, daß die Ehe, genauer matrimoniale Sexualität, als Schutzwall gegen πορνεία die Reinheit des individuellen wie des sozialen Körpers gewährleistet288 - wobei freiüch nicht aus dem Blick geraten darf, daß eine enkratische Lebensform, in der das potentiell gefährliche sexuelle Begehren in Gänze aufgehoben ist, solchen Schutz noch besser zu verbürgen vermag. Paulus setzt sich in IKor 7 also nicht zuletzt deshalb für die eheliche Geschlechterbeziehung ein, weil diese im Fall nicht realisierbarer Enkratie die sexuelle Energie in eine feste Form einbindet, kontrollierbar macht289, und so den einzelnen wie die Ekklesia als Gruppe vor

283 KIRCHHOFF, Sünde, 196 präzisiert den Begriff wie folgt: „Πόρνη nennt Paulus nicht speziell eine Prostituierte, sondern jede Frau, mit der ein christlicher Mann nach Pauli Meinung nicht sexuell verkehren darf, d.h. eine, die nicht die einzige Sexualpartnerin und also die Ehefrau ist." Sie fährt dann allerdings fort: „Faktisch waren es vor allem Prostituierte, zu denen die Adressaten von IKor 6,12-20 nichtehelichen Sexualkontakt aufnahmen bzw. unterhielten." 284 Der Begriff πορνεία erscheint jeweils in 5,1; 6,13.18; vgl. femer 5,9.11; 6,11. 285 SCHRÄGE, IKor I, 371 merkt außerdem zu 5,1 entsprechend an: „Entscheidend im ersten Satz ... ist das έν ύμίν. Damit wird bereits signalisiert, daß es weniger um den Inzestfall des einzelnen korinthischen Christen als um die Heiligkeit und Verantwortung der Gemeinde g e h t . . . " Daß die Fernhaltung von πορνεία für Paulus gewissermaßen als sozialer boundary marker der Gruppe der Christusgläubigen in einer heidnischen Umwelt fungiert, dokumentiert im übrigen auch IThess 4,3-5; vgl. dazu auch M.Y. MACDONALD, Opinion, 130. 286 NEYREY, Paul, 117. 287 Vgl. dazu oben Abs. 10.3 Anm. 160 (S. 337). 288 Ähnlich D.B. MARΉN, Body, 212ff.; s. auch MEEKS, Origins, 143f. 289 D.B. MARTIN, Body, 214ff. geht in seiner Auslegung noch einen Schritt weiter. Er insinuiert, Paulus habe die Ehe weniger als Maßnahme zur Kontrolle denn zur gänzlichen

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einer gefahrvollen Infektion mit der Unreinheit des Kosmos qua πορνεία bewahrt. 290 Ein tragendes Element der Sozialstruktur, die Ehe, wird auf diese Weise letztlich in den Dienst der Integrität und Souveränität einer ansonsten durchaus anti-strukturell geprägten Gemeinschaft gestellt. In dieser Strategie des Apostels begegnet erneut die für eine normative Communitas bezeichnende Koppelung von Struktur und Anti-Struktur. Ein weiterer Aspekt ist hierbei mit zu bedenken: Die Ehe verkörperte in der Antike den Kern des Haushaltssystems, das wiederum, wie bereits erwähnt, eine substantielle Basis der Gemeinschaft der Christusgläubigen war. 291 Auf dem οίκος ruhte überhaupt zu wesentlichen Teilen das ganze paulinische Missionsprojekt wie auch die zur Aufrechterhaltung des Gemeindelebens nötigen Autoritätsmuster. Peter Brown folgert daraus mit Blick auf IKor 7: „Paulus war ... entschieden dagegen, daß sein eigener Stand der Ehelosigkeit von der Kirche von Korinth als ganzer übernommen würde. Das hätte die Strukturen des frommen Haushalts hinweggefegt. Und die Beseitigung des Haushalts hätte Pauli eigene Autorität in der fernen Stadt untergraben. Sie hätte die subtile Befehlskette unterbrochen, über die seine Lehren durch die Autorität der örtlichen Familienväter jeder einzelnen Gemeinschaft weitergereicht wurden. Eine Gemeinschaft absoluter Zölibatäre ... wäre eine Gemeinschaft gewesen, die tatsächlich von der Außenwelt abgeriegelt gewesen wäre. Doch Paulus hatte gehofft, die Heiden in großer Zahl in Israel zu sammeln, bevor Jesus vom Himmel wiederkehrte. Eine Gemeinschaft, die durch Gruppenzölibat scharf von ihren Nachbarn abgesondert gewesen wäre, hätte kaum Heiden als Mitglieder angezogen."292 In der Tat: Wäre der Apostel vehement für einen allgemeinen Zölibat eingetreten, wie dies mutmaßlich einige Gemeindeglieder in Korinth taten,293 so hätte er damit zugleich eine wesentliche Stütze seiner Missionsarbeit in Frage gestellt. Die kompromißlose Auflösung des zentralen Fundaments der antiken Lebensordnung 294 hätte vermutlich Skepsis und Mißtrauen nicht nur unter den Auflösung des Begehrens verstanden: marriage functions not as a legitimate avenue for the expression of desire but as what will preclude it altogether" (ebd., 214). 2 9 0 Ob Paulus sich dabei in V.2 nur an Verheiratete wendet oder an Unverheiratete, ist unklar. Vermutlich sind beide Gruppen im Blick; vgl. CONZELMANN, IKor, 148; SCHRÄGE, IKor Π, 62f.; WOLBERT, Argumentation, 80. 2 9 1 Vgl. dazu die Literatur oben in Anm. 271. 2 9 2 P. BROWN, Keuschheit, 68. 2 9 3 Die Frage, wie diese asketische Bewegung in Korinth näher zu beschreiben ist, kann hier offenbleiben. Es sei jedoch angemerkt, daß die These, es handle sich vornehmlich um Frauen, einiges für sich hat; vgl. dazu die Argumente bei M.Y. MACDONALD, Women, passim sowie bei WIRE, Women, bes. 72-97. Naheliegend ist überdies, daß diese asketische Bewegung ihre Wurzeln in der „liminalen" Predigt des Apostels (Gal 3,28) selbst gehabt hat; so mit M.Y. MACDONALD, Women, 164f.; SCHRÄGE, IKor Π, 156f.; YARBROUGH, Gentiles, 121; s. zum Thema auch GORDON, Sister, 1 lOff. 2 9 4 Dies gilt insoweit, als in der Antike „ . . . das Haus mit dem pater familias an der Spitze eine Miniatur der Gesellschaft ist" (KIRCHHOFF, Sünde, 99).

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

Patronen und Patroninnen geschürt. Gleichwohl bedeutet das paulinische Zurückweichen vor dem Postulat einer durchgängigen Agamie für Christusgläubige nun nicht, wie Brown meint, daß Paulus grundsätzlich darauf aus war, „die fortdauernde Gültigkeit aller sozialen Bindungen zu betonen"295. Im Gegenteil: Paulus lag, wie mehrfach in dieser Studie sichtbar wurde, durchaus an der Auflösung der sozialen Strukturen und Zwänge dieses Kosmos, dies allerdings in einer realistischen und am Überleben sowie am Ausbau der Gemeinschaft der Christusgläubigen orientierten Weise,296 was zwangsläufig zur Integration struktureller Momente für die Aufrechterhaltung der gleichwohl anti-strukturell imprägnierten Gemeinschaft führen mußte, also zu einer normativen Communitas mit all ihren Dilemmata.297 In dieses Bild fügt sich der Tatbestand ein, daß Paulus in V.35 mit der Vokabel εΰσχημο-ν den antiken Ehre/Schande-Code positiv aufruft und damit sein anti-strukturelles Votum für die Agamie durch einen Hinweis auf konventionelle Werte der Sozialstruktur abfedert. Margaret Y. MacDonalds resümiert in diesem Sinn das gesamte Kapitel zutreffend mit den Worten: „He [sc. Paul] wishes to make known his preference for the freedom of celibacy in a world that is passing away without contributing to the unseemliness which might destroy the community."298 Schließlich ist auf die zahlreichen Wendungen mit unterschiedlich nuanciertem Aufforderungscharakter zu merken, die das gesamte Kapitel durchziehen und der dargelegten Communitas der Geschlechter, sei es in Form enkratischer Agamie, sei es in Form geschlechtlicher Symmetrie in der Ehe, ein normatives Profil verleihen.299 Zwar trägt Paulus seine Forderungen teilweise recht behutsam vor, doch insbesondere der Abschluß des Kapitels in V.40, in dem er ausdrücklich auf seinen Geistbesitz verweist, gibt deutlich zu erkennen, daß keine der Instruktionen einfach als quantite negligeable abzutun ist.300 Insgesamt erscheint so die geschlechtliche Communitas in IKor 7 in ein System verbindlicher ethischer Regelungen eingebunden,301 das diese stabilisiert und als normative Communitas kennzeichnet.302 295

P. BROWN, Keuschheit, 70. Ähnlich BOYARIN, Jew, 193. 297 Vgl. auch M.Y. MACDONALD, Opinion, 129-154, die IKor 7 u.a. vor dem Hintergrund der Sektentheorie B. WILSONS analysiert und zu der Einsicht gelangt: „In Paul's writings the desire to remain separate from the world is in constant tension with the desire to engage the world in the hope of winning it" (ebd., 132). 298 M.Y. MACDONALD, Women, 179; s. dazu auch DIES., Opinion, 140ff. 299 Vgl. dazu die Übersicht bei SCHRÄGE, IKor Π, 52: λέγω κατά συγγνώμην (V.6); θέλω (V.7.32); λέγω (V.8); παραγγέλλω, ουκ εγώ άλλα ό κύριος (V.10); λέγω έγώ οΰχ ό κύριος (V.12); διατάσσομαι (V.17); έπιταγην κυρίου οΰκ εχω, γνώμη-ν δέ δίδωμι (V.25); νομίζω (V.26); φημι (V.29); πρός τό ύμών αύτών σύμφορον λέγω (V.35); δοκώ (V.40). 300 Vgl. dazu ebd. 301 Zum autoritativen Weisungscharakter der Worte des Apostels vgl. insbesondere auch SCHRÄGE, Einzelgebote, 88f.ll4f.; WEISS, IKor, 176. 302 GORDON projiziert hingegen die normativen Aspekte des IKor 7 zugrundeliegenden 296

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IKor 11,2-16 Die Frage, wie IKor 11,2-16 zu deuten und in das Gesamtgefüge der paulinischen Argumentation einzuordnen ist, hat unzählige Exegetinnen und Exegeten beschäftigt. Die Vielfalt der Thesen, die dabei im Laufe der Forschungsgeschichte vorgelegt wurden, ist immens.303 Bernadette Brooten schreibt: „I can hardly imagine any two thinking New Testament scholars coming together to discuss it without a dispute."304 Dies rührt nicht zuletzt daher, daß der Text zahlreiche, z.T. recht komplexe exegetische Einzelprobleme in sich birgt. Infolge dieser Probleme steht nach wie vor zur Diskussion, wie Paulus hier nun eigentlich das Verhältnis der Geschlechter genau bestimmt. Eine der Kardinalfragen ist dabei die nach der Beziehung zu Gal 3,28. Genauer: Hebt IKor 11,2-16 den dort artikulierten egalitären Impuls in der Geschlechterfrage auf? Blickt man beispielsweise auf V.3, wo es heißt, der Mann sei die κεφαλή der Frau, mag man auf den ersten Blick genau diesen Eindruck gewinnen, denn zeugt jene Aussage nicht von einer entschieden hierarchisch-patriarchalischen Denkart des Apostels?305 Dies gilt um so mehr, als in V.7 der Gedanke anzuklingen scheint, allein der Mann sei Bild Gottes, die Frau lediglich Abglanz des Mannes, eine Vorstellung, die dann in V.8f. durch die im sukzessiven Schöpfungsakt des Menschen festgemachte Nachordnung der Frau noch bestärkt wird. Falsifiziert also IKor 11,2-16 nicht die hier vorgetragene These vom paulinischen Konzept einer geschlechtlichen Communitas? Dieser Schlußfolgerung ließe sich leicht entgehen, wäre der Passus nachweislich nicht auf den Apostel selbst zurückzuführen. In der Tat ist mehrfach behauptet worden, IKor 11,2-16 enthalte eine Interpolation oder ein Konglomerat aus unterschiedüchen Interpolationsstücken.306 Doch weder die TextgeCommunitasmodells auf eine bestimmte Partei in Korinth (Sister, passim); naheliegender scheint es mir jedoch, die diesbezüglichen Aussagen des Apostels, wie oben geschehen, als ihm eigene ernstzunehmen und nicht sofort „mirror-reading" zu betreiben (vgl. dazu § 9 Anm. 43 [S. 256]). Für GORDON steht indes hinter IKor 7 der Konflikt zwischen einer „pro-singleness/celibacy group" (= „anti-structure group"), die normative Communitas fordere, und einer „pro-marriage/sexual intercourse group" (= „structure group"); dieser Konflikt wurzle in einer unterschiedlichen Beurteilung der „root metaphor" Gal 3,28 und habe in der Trennung einer christusgläubigen Frau von ihrem Ehemann (vgl. V.10) einen konkreten Anlaß. Dieses intensive „mirror-reading" strapaziert den Text zumindest in Teilen über Gebühr. 303 vgl. dazu nur die knappe Problemanzeige bei M.M. MITCHELL, Rhetoric, 261 und die ausführliche Berücksichtigung des Forschungsstandes bei BAUMERT, Antifeminismus, 5 3 108. Einen detaillierten Durchgang durch die Forschungsgeschichte ab Calvin liefert MERCADANTE, Hierarchy. 304 BROOTEN, Response, 296. 305 WEISS, IKor, 270 spricht diesbezüglich von einer gegenüber Gal 3,28 „unterchristlichen Schwäche". 306 v g l insbesondere WALKER, Views, bes. 97-108, der in IKor 11,2-16 gleich drei verschiedene Stücke eingefügt sieht (V.3.8f.llf./V.4-7.10.13.16/V.14f.), die ein Re-

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

schichte n o c h das verwendete Vokabular noch auch die Stellung i m Kontext liefern eindeutige und wirklich überzeugende Indizien in dieser Hinsicht. 3 0 7 D i e Interpolationsthese konnte sich v o n daher mit Recht nicht durchsetzen. 3 0 8 W i e aber läßt sich I K o r 1 1 , 2 - 1 6 dann mit der T h e s e v o n der geschlechtlichen Communitas bei Paulus in Einklang bringen? D i e s e Frage soll mit H i l f e einer genauen Untersuchung des Textes beantwortet werden. D a b e i ist darauf zu achten, daß der Abschnitt trotz allen konservativen Kolorits auch deutliche egalitäre B e k u n d u n g e n enthält. B e i d e Aspekte gilt es zu würdigen. Vorab ist es j e d o c h nötig, den Anlaß der Ausführungen zu ermitteln. Leider ist die D i k tion d e s A p o s t e l s derart vielschichtig, daß es nicht leicht fällt, an d i e s e m Punkt letzte Sicherheit zu gewinnen. Im folgenden sollen die z w e i wichtigsten V o r s c h l ä g e kurz genannt und bewertet werden, u m s o eine Entscheidung i m Sinne einer Arbeitshypothese fällen zu können. Weit verbreitet ist nach wie vor die Auffassung, Paulus verhandle in IKor 11,2-16 die Frage der Kopfbedeckung von Frauen im Gottesdienst. 309 Diese Deutung hat daktor mittels V.2 an dieser Stelle eingefügt habe; s. auch DERS., Place, bes. 105-109 und DERS., Vocabulary, 75-88; ähnlich COPE, Step, 435f. (V.2 ist hier allerdings paulinisch). Eine einheitliche Interpolation vertritt TROMPF, Attitudes, 196-215; vgl. ferner MUNRO, Authority, 69ff. Zu weiteren Interpolationsthesen s. MURPHY-O'CONNOR, Sex, 482f. A4 und SCHRÄGE, IKor Π, 496 A50. 307 Die Textbezeugung ist ohne Auffälligkeiten. Das Vokabular enthält neben einigen Besonderheiten (z.B. den sonst bei Paulus nirgends belegten Plural έκκληΟίαι τοϋ θεοϋ [V.16]) auch paulinische Standardformulierungen (etwa έν κυριω [V. 11]; weitere Beispiele bei WLTHERINGTON, Women, 79). Auch die Kontextanbindung ist gegeben. Mit 10,31-11,1 werden die in Kap 8-10 erörterten Speisefragen abgeschlossen. V.2 eröffnet daher einen neuen Abschnitt, der um die Fragen des Gottesdienstes kreist und in V.17ff. mit der Behandlung des Herrenmahls planvoll fortgesetzt wird. Das immer wieder vorgebrachte Indiz, IKor 11,2-16 argumentiere in einer für Paulus ungewöhnlichen Weise rein schöpfungstheologisch bzw. mit Verweisen auf die Natur und das Herkommen, nicht aber christologisch-eschatologisch, läßt sich zum einen apologetisch erklären und trifft überdies mit Blick auf V. 11 nicht ganz zu. 308 Vgl. dazu MURPHY-O'CONNOR, Character, 615-621 (eine profunde Widerlegung der These von WALKER); DERS., Interpolations, 87-90 sowie MULLER, Trinity, 161f.437f.(A70. 73f.78); PADGETT, Women, 74f.; SCHRÄGE, IKor Π, 496f.; WlTHERINGTON, Women, 78f.; WOLFF, IKor, 68f. Kritisch äußem sich ebenso FEE, lCor, 492 A3; FlTZMYER, Look, 504; HASLER, Frau, 26 samt A42; DERS., Gleichstellung, 189; KEENER, Women, 20.47f.(A7); KLAUCK, IKor, 80; KRAEMER, Share, 237 A72; MEEKS, Urchristentum, 152 A107; MEIER, Veiling, 218 A12; M.M. MITCHELL, Rhetoric, 261 A417; Κ. SCHÄFER, Gemeinde, 310; SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtnis, 282 A64; THEISSEN, Aspekte, 171 A30; WIRE, Women, 220. 309 So z.B. in neuerer Zeit BERGER, Theologiegeschichte, 453f.; CORRINGTON, Headless Woman, passim; DAUTZENBERG, Stellung, 209ff.; DELOBEL, Interpretation, passim; ENGBERG-PEDERSEN, Character, passim; FATUM, Image, bes. 75ff.; HEISTER, Frauen, 168ff., KEENER, Women, 22; KROEGER, Apostle, 36ff.; KÜCHLER, Schweigen, 73ff.; F. LANG, Kor, 137ff.; D.R. MACDONALD, Veils, 276-282.285ff.; D.B. MARTIN, Body, 229ff.; M.M. MITCHELL, Rhetoric, 262f.; ORTKEMPER, IKor, 102-104; OSTER, Men, passim (bezogen auf Männer); K. SCHÄFER, Gemeinde, 305; SHOEMAKER, Equality, 61—63; STEGEMANN/

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jedoch mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß der Apostel nirgends im Text explizit von einem Kopftuch bzw. einem Schleier (κάλυμμα, κρήδεμνσν, καλύπρα, μίτρα) spricht. Der in V.15 verwendete Terminus περφόλαιον trägt jedenfalls diese spezielle Bedeutung für gewöhnlich nicht; gemeint ist damit lediglich ein „Umwurf d.h. ein Umhang, ein Gewand, eine Schutzhülle im weitesten Sinne, womit in V.15 auf die Haare selbst, nicht aber auf ein spezielles Tuch angespielt sein dürfte. 310 Die Schleierthese kann zudem nicht wirklich glaubwürdig erklären, weshalb das Tragen bzw. Nichttragen von Kopfbedeckungen in einer griechischen Gemeinde überhaupt zum Problem hätte werden sollen. Anders als für den östlichen Mittelmeerraum ist für den griechischen Kontext ein allgemeiner Brauch, wonach Frauen verpflichtet waren, einen Schleier oder Kopfumhang zu tragen, kaum zu belegen. 311 Die Annahme, es sei Paulus gewesen, der die jüdisch-orientalische Tradition der Kopfverhüllung in Korinth einführen wollte, vermag nicht recht zu überzeugen. 312 Sollte derselbe Apostel, der etwa im Galaterbrief die elementaren jüdischen Bräuche der Beschneidung, des Festkalenders und der Speisegebote erheblich relativieren kann, hier plötzlich apodiktisch eine solche Konvention in Korinth durchsetzen wollen? Vor allem aber spricht gegen diese Vermutung, daß V.16 augenfällig eine bereits etablierte, nicht aber eine neu zu konstituierende Sitte benennt. 313 STEGEMANN, Sozialgeschichte, 339f.; STROBEL, IKor, 166f.; THEISSEN, Aspekte, 161-180; THOMPSON, Hairstyles, 112f.; THYEN, Studie, 180ff.; WIRE, Women, bes. 130ff.220-223; WITHERINGTON, Women, 81-83; WOLFF, IKor, 67f. FEE, lCor, 496-498.508-510 neigt ebenfalls zu dieser traditionellen Lösung, räumt aber ausdrücklich ein, es könne hier auch speziell um Fragen der Haartracht gehen. 310 Vgl. BAUER/ALAND, Wörterbuch, 1302f.; s. dazu auch SCHRÄGE, IKor Π, 522f.; WITHERINGTON, W o m e n , 83.; BAUMERT, Antifeminismus, 7 7 - 7 9 ; MURPHY-O'CONNOR,

Sex, 489; THOMPSON, Hairstyles, 112. THEISSEN, Aspekte, 163 setzt allerdings περιβόλαων mit ίμάτιον gleich und gibt folgenden Aspekt zu bedenken: „Das Himation war ... die übliche, ja, weithin die einzige Form in Griechenland und Rom, sich zu verschleiern." Doch die Interpretation von περιβόλαιον in V.15 im Sinne einer zusätzlichen Kopfverschleierung neben den Haaren bleibt problematisch: „Es brauchte schon viel Phantasie und guten Willen, ... die Aussage anzunehmen: .Weil sie [sc. die Frau] schon von Natur aus lange Haare hat, soll sie auch noch einen Schleier dazu anlegen'" (BAUMERT, Antifeminismus, 78). 311 Vgl. dazu nur KEENER, Women, 27f.; SCHRÄGE IKor Π, 491f.; THOMPSON, Hairstyles, 112, die freilich jeweils auch auf Ausnahmen hinweisen, auf Belege also, die in bestimmten Kontexten eine Verschleierung im griechisch-römischen Raum belegen, vor allem im Bereich des Kultus. Bei THOMPSON heißt es jedoch dazu: „These circumstances would have been seen as unusual, however" (ebd.). Zu der immer wieder für die Verschleierung angeführten Stelle bei Plutarch, QuaestRom 14 (Mor 267AB) s. die Erwägungen bei SCHRÄGE, IKor Π, 491 A14. THEISSEN, Aspekte, 164-167 weist auf ein deutliches „OstWest-Gefälle", in das er das Judentum einschließt; anders jedoch DERRETT, Hair, 171 und WITHERINGTON, W o m e n , 81f. 312 Zur Verbreitung der Verschleierung im zeitgenössischen Judentum vgl. die Hinweise bei KEENER, Women, 27f. und THOMPSON, Hairstyles, 113. Oftmals wird darauf verwiesen, daß dem Apostel die Verschleierung aus Tarsus vertraut gewesen sein müßte, da sie dort einer Bemerkung Dio Chrysostomos' (Disc. 33.48) zufolge verbreitet war (vgl. dazu THOMPSON, ebd.), doch zwingt dies keineswegs zu der Annahme, der Apostel wolle das Tragen von Kopfbedeckungen auch in seinen vorwiegend heidnischen Gemeinden durchsetzen. 313 Die These, der Brauch der Kopfbedeckung sei nicht von Paulus, sondern von jüdischen Immigranten aus dem Osten eingebracht worden, muß mit einer starken jüdischen

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In Anbetracht dieser Probleme behauptet sich in der jüngeren Exegese vermehrt die Auffassung, im Hintergrund der Gedankenführung stehe die Frage der angemessenen Haartracht der christusgläubigen Frauen.314 In der Tat liegen uns eine ganze Reihe griechisch-römischer Belege vor, aus denen hervorgeht, daß Frauen während bestimmter ritueller Handlungen ihr normalerweise hochgebundenes Haar lösten. 315 Solches Aufbinden der Frisur im rituellen Kontext läßt sich als liminales Symbol begreifen, das die Separation aus der Welt des Alltags und die Auflösung der Normen der Sozialstruktur inklusive der fixen Geschlechterrollen anschaulich zum Ausdruck bringt.316 Auch wenn die Verbreitung eines solchen liminalen Gestus unter den damaligen christusgläubigen Frauen nicht hundertprozentig zu beweisen ist, 317 die paulinische Argumentation in IKor 11,2-16 läßt sich jedenfalls schlüssig als Reaktion auf ein derartiges rituelles Handeln während des Gottesdienstes in Korinth verstehen. Zwar muß unumwunden eingestanden werden, daß das dem Schlüsselbegriff άκατακάλυπτος (V.5.13) zugrundeliegende Verb κατακαλύπτεσθαι (vgl. V.6f.) in der Regel die Bedeutung „sich verhüllen" bzw. „verschleiern" hat; 318 doch zeigt andererseits LxxLev 13,45, daß άκατακάλυπτος durchaus auch auf aufgebundenes Haar bezogen werden konnte, spielt doch der MT an dieser Stelle auf das frei herunterfallende Haar der Aussätzigen an. Bezeichnend ist überdies, daß das Öffnen der Haare einer Frau bei Verdacht auf Ehebruch in LxxNum 5,18 mit dem verwandten

Fraktion in Korinth rechnen. Kritisch merkt KEENER, Women, 27 dazu an: „... the problem with this solution is that it assumes a much larger eastern immigrant population in the church than we would expect from the demography of Corinth." - Wie schwierig generell die Argumentation mit Bräuchen der Verschleierung bzw. der Kopfbedeckung ist, demonstriert im übrigen folgende Bemerkung bei FEE, lCor, 508: „... even if we were sure of prevailing customs, we would need be able to distinguish between Greek, Roman, and Jew customs as well as differences in geography, how one dressed at home, outside the home, and in worship, and differences between the rich and poor." 314 So mit unterschiedlichen Ausformungen BAUMERT, Antifeminismus, 56-65; BROOTEN, Response, 294f.; J.K. HOWARD, Male, 36; HURLEY, Veils, passim; ISAAKSON, Marriage, 165ff.; KLAUCK, IKor, 78.80; MICKELSEN/MICKELSEN, Kephale, 107; MOXNES, Integration, 107f.; MURPHY-O'CONNOR, Sex, passim; DERS., Once again, passim; W.J. MARTIN, Interpretation, passim; MULLER, Trinity, 168.187.442f.(A107); NEYREY, Paul, 131ff.; PADGETT, Women, 70ff.; PERROT, Lecture, 266; SCHRÄGE, IKor Π, 492-494 u.ö.; SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtais, 283f. 315 SCHRÄGE, IKor Π, 493f. führt Zeugnisse u.a. von Gellius, Livius, Petronius und Athenaeus an; s. dazu auch LÖSCH, Frauen, 236ff.; KÖTTING, Haar, 191; SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtnis, 283f.; THOMPSON, Hairstyles, 112. 316 Zur Liminalität in diesem Zusammenhang s. auch MEEKS, Image, 203 A154. Am Rande sei angemerkt, daß das offene Haar der Frauen auch in späteren Kulturen einen liminalen Status anzeigen konnte. Dies geht etwa aus einer Bemerkung DüERRs über Hexen hervor: „Wenn man sich die Hexen als Feinde der Kultur so vorstellte, daß sie nackt, mit aufgelösten Haaren zum Sabbat flogen, ... so bestätigt diese Kulturlosigkeit ja gerade die kulturellen Normen der frühen Neuzeit, nach denen eine Frau selbstverständlich alles das nicht tun durfte" (Nacktheit, 239; Hervorhebung nicht im Original); zur liminalen Auflösung bzw. Umkehrung der Geschlechterrollen in antiken Frauenritualen s. im übrigen auch WINKLER, Eros, 275-304; KROEGER/KROEGER, Inquiry, 333. 317 Vgl. dazu jedoch die Belege aus späterer christlicher Zeit bei KÖTTING, Haar, 197f. 318

Vgl. LlDDELL-SCOTT, Lexicon, 689; s. auch DELOBEL, Interpretation, 375 samt A 3 0 .

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Verb άποκαλύπτειν wiedergegeben wird. 319 Norbert Baumert verweist überdies auf Polybios 15,27,2; dort wird άκατακάλυπτος gleichfalls mit einem entehrenden öffentlichen Aufbinden der Haare in Verbindung gebracht.320 Neben dieser zugegebenermaßen schmalen Textbasis - die wenigen Belege bilden zweifelsohne die Achillesferse dieser Interpretation321 - indiziert vor allem der Terminus περιβόλαιον in V.15, daß der Apostel bei der Rede vom „Unverhülltsein" (άκατακάλυπτος) bzw. vom „sich Verhüllen" (κατακαλύπτεσθαι) nicht an eine Kopfbedeckung der Frauen, sondern an das „Geöffnetsein" bzw. „Gebundensein" des weiblichen Haares denkt, bringt doch die Vokabel anschaulich das für damalige Frauenfrisuren typische „Herumbinden" der Haare um den Kopf auf den Begriff. 322 Mit dieser These wird dann auch an einigen Stellen die Beweisführung des Apostels schlüssiger. Dies gilt außer für V.15 3 2 3 besonders für V.5f.: Die polemische Rede von der Kahlrasur macht im Kontext einer Diskussion um die rechte Haartracht mehr Sinn als im Kontext eines Disputs um Verschleierung. Fernerhin kann diese These für sich verbuchen, daß der Apostel das Sujet „Haare" in V.14f. wörtlich thematisiert, während von einem Schleier bzw. Kopfumhang, wie bereits gesagt, nirgends im Text die Rede ist. In demselben Maße leuchtet es eher ein, die elliptische Wendung κατά κεφαλής εχων in V.4 mit την κόμην zu ergänzen - angespielt ist dann auf „herunterhängendes Haar" als mit einem sonst im Passus nirgendwo belegten κάλυμμα oder ίμάτιον. 324 Auf 319 Vgl. zu diesen Belegen die ausführliche Erörterung bei BAUMERT, Antifeminismus, 57-60; s. ferner FEE, lCor, 509; HURLEY, Veils, 198f.; MURPHY-O'CONNOR, Sex, 488; PADGETT, Women, 70; SCHRÄGE, IKor Π, 494.507; kritisch äußert sich dazu DELOBEL, Interpretation, 375. 320 BAUMERT, Antifeminismus, 59. Es sollte außerdem nicht übersehen werden, daß der Apostel die Vokabel άκατακάλυπτος in V. 13-15 selbst in eine enge Beziehung zur Thematik der richtigen Haarfrisur bringt. 321 Hinzu kommt das Problem, der LXX den gleichen Sinn zu unterstellen wie dem hebräischen Text. 322 Vgl. dazu THOMPSON, Hairstyles, 112: „Paul ... represented Greco-Roman conventions when he suggested that women's long hair be a .wrapping' {peribolaion; 1 Corinthians 11:15) - that is, fastened up, as contrasted to being allowed to flow unimpeded around the shoulders"; s. dazu ebd., 106-111 die Illustrationen für das gewöhnlicherweise hochgesteckte Haar bei Frauen auf Münzen, an Büsten und Statuen aus Korinth (vgl. auch BALSDON, Frau, 282-288). Ähnlich schreibt MURPHY-O'CONNOR, Once again, 269: „... Paul's use of peribolaion is perfectly justified in terms of what is known of feminine hairstyles of the period; long hair was braided and wrapped around the head. It is obvious that a .wrapper' can be considered a .covering', and it is this simple fact that explains Paul's use of katakalyptö and akatakalyptö elsewhere in the pericope. His use of these verbs may have confused the Corinthians at first, but he eventually made his meaning unambiguous (v 15). The only .covering' he had in mind was feminine hair well-dressed in the conventional manner. A woman who failed to give such attention to her hair would be .uncovered'." MURPHY-O'CONNOR bekräftigt damit seine frühere Deutung von άκτατκάλυπτος auf die gelösten Haare, nimmt angesichts der Kritik von DELOBEL (Interpretation, 374f.) jedoch ebd., 269 A12 Abstand von seiner vormaligen Ableitung dieser These aus den oben erwähn-

ten L x x - S t e l l e n (vgl. MURPHY-O'CONNOR, Sex, 488).

323 vgl dazu a u c h oben Anm. 310. 324 Bereits Theophylakt, Chrysostomus und Oecumenius ergänzen in dieser Weise; s. dazu SCHRÄGE, IKor Π, 506 samt A103; vgl. zusätzlich MURPHY-O'CONNOR, Sex, 484f.: „Since Paul grew up in a tradition where priests prayed with turbans on their heads, it is

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diese Weise gewinnt der Text insgesamt an Kohärenz. Die genannten Indizien ergänzend, sei schließlich das in lTim 2,9 genannte Verbot einer aufwendigen Haartracht angeführt, welches zu erkennen gibt, „daß in der Schülerschaft des Paulus IKor 11 kaum als Gebot einer Kopfbedeckung oder gar Verschleierung aufgefaßt worden ist"32S. Alles in allem besitzt so die Annahme, IKor 11,2-16 verhandle das Thema der rechten Haartracht im Gottesdienst, eine größere Wahrscheinlichkeit. Ich werde deshalb im folgenden, wo und so weit dies nötig ist, von dieser These her argumentieren.326 Damit nun zu den egalisierenden Konnotationen in IKor 11,2-16. Vier Punkte sind diesbezüglich zu erörtern: (1) die jeweils auf Frauen und Männer ausgerichtete Perspektive in der Beweisführung des gesamten Abschnitts, (2) das in V.5 offenkundig als selbstverständlich vorausgesetzte Beten und Prophezeien von Frauen im Gottesdienst, (3) die Rede von der εξουσία der Frau in V.10 und schließlich (4) die reziproke Beschreibung des Geschlechterverhältnisses in V.llf. Ad 1: Es fällt auf, daß der Apostel in seiner Argumentation in IKor 11,2-16 nahezu durchgängig sowohl auf männliche wie auch auf weibliche Verhaltensweisen und Rollenbestimmungen eingeht (V.4f.: πας άνήρ - πασα δέ γονή, V. 7: άνήρ μεν - ή γυνή δέ, V.7/10: άνήρ μεν γαρ ουκ οφείλει - οφείλει ή γυνή, V.11: οΰτε γυνή χωρίς άνδρός - οΰτε άνήρ χωρίς γυναικός, V.12: ώσπερ γαρ ή γυνή - οΰτως και ό άνήρ, V.14f.: άνήρ μεν — γυνή δέ).327 Speziell aus dem Vergleich männlichen und weiblichen Auftretens beim Beten und Prophezeien in V.4f. wurde dabei bisweilen geschlossen, der Anlaß der Ausführungen in IKor 11,2-16 sei nicht allein im problematischen Benehmen einiger Frauen in Korinth zu suchen, Paulus habe vielmehr gleichermaßen ein entsprechendes Fehlverhalten von Männern im Visier.328 Doch liegt es näher, den Hinweis auf das Gebaren der Männer in V.4 lediglich als hypothetischen Vergleichspunkt zu dem der Frauen zu fassen. Dafür spricht, daß die auf Frauen ausgerichteten Darlegungen in V.5f. umfangreicher und differenzierter ausfallen. Zudem durchbricht V.13 das Prinzip der parallelen respektive vergleichenden Berücksichtigung der Geschlechter, folgt doch dem dortigen Hinweis auf das einer Frau geziemende (πρέπον) Verhalten beim Beten kein entsprechendes

impossible to imagine him being disturbed to the extent indicated by the emotional tone of this passage simply because a man prayed with something on his head." 325 SCHRÄGE, IKor Π, 494. 326 Eine Verlegenheitslösung, die mehr Probleme aufwirft als beiseite schafft, ist es, beide Ansätze nebeneinander zu stellen. FEE, lCor, 510 A77 und MURPHY-O'CONNOR, Character, 620f. deuten diese Möglichkeit an, jedoch ohne sie wirklich weiter zu verfolgen. 327 Vgl. dazu DELOBEL, Interpretation, 380. 328 So vor allem MURPHY-O'CONNOR, Sex, 483ff.; s. auch BROOTEN, Response, 294f.; KROEGER, Apostle, 37; NEYREY, Paul, 131f.; OSTER, Men, 483ff.

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Korrelat in bezug auf Männer.329 Unbeschadet dessen bleibt freilich insgesamt gesehen die überwiegend parallele Diskussion des Geschlechterverhaltens bemerkenswert. Darin bekundet sich ein Symmetriestreben, das zumindest entfernt an IKor 7 erinnert. Allerdings ist zuzugeben, daß die Symmetrie hier anders als dort überwiegend rein formal und weniger inhaltlich bestimmt ist, so daß sie nicht völlig mit jenem Symmetrieprinzip auf eine Stufe gestellt werden kann und darf. Für V.llf. gilt die Differenzierung in dieser Form allerdings nicht. Die beiden Verse zeugen von einer gerade auch substantiell bestimmten Parität der Geschlechter; ich werde darauf gleich gesondert zurückkommen. Ad 2: Es verdient eigens herausgestrichen zu werden, daß Paulus das Beten und Prophezeien von Frauen in V.5 nicht im entferntesten problematisiert, sondern ganz im Gegenteil derartige weibliche Aktivitäten im Gottesdienst als Selbstverständlichkeit voraussetzt. Der Apostel gibt „darin deutlich die charismatische Gleichrangigkeit beider Geschlechter zu erkennen".330 Dieses egalitäre Substrat des Verses hat in der exegetischen Diskussion nicht immer die ihm gebührende Beachtung gefunden. Paulus beanstandet bezeichnenderweise nicht das charismatische Handeln der Frauen als solches, sondern einzig den daran gekoppelten Gestus des Lösens der Frisur. Ad 3: Weiterhin ist das emanzipatorische Potential von V.10 kurz zu diskutieren. Das Verständnis der Aussage hängt wesentlich an der rechten Interpretation des Begriffs έξουσία. Mutmaßungen, der Terminus sei auf aramäische Worte wie iTJTB'TO („Macht, Herrschaft"; selten: „Schleier")331 oder mom (1. „Macht, Kraft"; 2. „Kopfbedeckung, Schleier")332 zurückzuführen, erübrigen sich, weil derartige Assoziationen den griechisch sprechenden Briefadressaten in Korinth unverständlich geblieben wären.333 Die ehemals geläufige These, Paulus artikuliere mit έξουσία das Beherrschtsein der Frau durch den Mann, welches sich in der Kopfbedeckung anschaulich manifestiere,334 scheitert daran, daß ein passives Verständnis des Begriffs έξουσία weder für das Neue Testament noch in den relevanten jüdisch-griechischen Schriften (Lxx, Josephus, Philo) zu belegen ist.335 Ungewöhnlich ist im Griechischen 329 Vgl. dazu DELOBEL, Interpretation, 379f.; s. zu diesem Thema auch BAUMERT, Antifeminismus, 65f.; DERS., Frau, 167; D.B. MARTIN, Body, 300 A73; MULLER, Trinity, 442 A105; SCHRÄGE, IKor Π, 504f. A94; WIRE, Women, 118. 330 SCHRÄGE, IKor Π, 506. 331 Vgl. KITTEL, Macht, 20; s. ferner die Autoren bei KÜCHLER, Schweigen, 90 A47, der selbst ebd., 91f.96f. ein hebräisches Wortspiel mit ΓΤΚΠ als Hintergrund postuliert. 332 Vgl. SCHWARZ, έξουΟίαν, 249. 333 So mit KÜMMEL bei LlETZMANN, Kor, 184; SCHRÄGE, IKor Π, 513; WOLFF, IKor, 73; s. dazu auch HOOKER, Authority, 413; FlTZMYER, Feature, 52f. 334 Vgl. nur BACHMANN, IKor, 363; HEINRICI, IKor, 329f. Weitere Vertreter dieser klassischen Position bei SCHRÄGE, IKor Π, 513f.(A159).161; s. aber auch NEYREY, Paul, 135. 335 Vgl. dazu FEE, lCor, 519, der ebd., A24 W.M. RAMSAY mit den Worten wiedergibt: „[That her authority] is authority to which she is subject [is] a preposterous idea which a

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ebenso ein metonymer Gebrauch von έξουσία für „Kopfbedeckung" oder „Schleier". Dieser Einwand steht auch der These entgegen, έξουΰί,α charakterisiere die Kopfbedeckung der Frau als Zeichen nicht einer fremden, sondern ihrer eigenen Autorität, nämlich ihrer Autorität im Gottesdienst, die sich im Beten und Prophezeien dokumentiere.336 Sprachlich wie inhaltlich am nächsten liegt es, das Syntagma έξουΰίαν εχειν έπΐ της κεφαλής mit „Autorität über den Kopf haben" zu übersetzen.337 Möglicherweise greift Paulus dabei mit έξουσία ein korinthisches Schlagwort auf (vgl. 6,12; 10,23) und pflichtet dergestalt dem Standpunkt einiger Korintherinnen bei, Frauen seien grundsätzlich in der Wahl ihrer Haartracht frei, d.h. die Frisur unterliege ihrer persönlichen Autorität. Zweifelsohne erwartet der Apostel aber von den Frauen, daß sie diese Freiheit auf eine Weise in die Praxis umsetzen, die dem Herkommen entspricht, auf daß sie nicht durch ihr offenes Haar während des ekstatischen Prophezeiens und Betens die Engel verführen338 und die Männer der Schande preisgegeben. Ich werde diese komplexen Zusammenhänge später noch genauer erläutern. Hier sei lediglich festgehalten, daß V.10 den Frauen offenkundig zumindest im Grundsatz eigene Autorität und Freiheit zubilligt, die ihrem Recht zu öffentlichem Beten und Prophezeien korrespondiert. Ad 4: Schließlich ist in puncto Gleichstellung auf V . l l f . zu verweisen. Paulus verläßt hier, ähnlich wie in V.8f., für einen Augenblick die spezielle Greek scholar would laugh at anywhere except in the New Testament, where (as they seem to think) Greek words may mean anything that commentators choose"; s. ferner FITZMYER, Feature, 50f.; SCHRÄGE, IKor Π, 514; WEISS, IKor, 274. 336 So HOOKER, Authority, 415f. und im Anschluß an sie BARRETT, IKor, 294. 337 So FEE, lCor, 520f.; DELOBEL, Interpretation, 387; KEENER, Women, 38; LlEFELD, Women, 145; PADGETT, Women, 78; SCHRÄGE, IKor Π, 513f.; SHOEMAKER, Equality, 61; THOMPSON, Hairstyles, 112. Die Genannten unterscheiden sich freilich darin, daß sie die „Autorität" der Frau entweder auf das Tragen eines Schleiers oder auf die Haartracht beziehen. 338 Der Zusatz δια τούς αγγέλους ist äußerst dunkel und umstritten. Zum Stand der Diskussion s. nur FEE, lCor, 521f.; KEENER, Women, 39-42; KÜCHLER, Schweigen, 98-110; SCHRÄGE, IKor Π, 515-517. KEENER, Women, 42 gibt zu bedenken: „Whatever conclusion one ultimately reaches about the angels, Paul does not spell out in detail the meaning of the phrase, and it is not his main argument." Dessenungeachtet scheint mir die gängige Deutung auf die uns fremde, zur damaligen Zeit aber verbreitete Vorstellung von den sexuell erregbaren Engeln respektive Göttersöhnen nach Gen 6,Iff. (vgl. nur äthHen 6f., 19,1 f.; Jub 4,21 f.; 5,1; syrApkBar 56,10ff.; TestRub 5; Jos Ant 1,73; Qumranbelege bei KÜCHLER, Schweigen, 483ff.; s. auch das reiche Material und die Literaturangaben bei KEENER, Women, 39f.60-66) am wahrscheinlichsten (ebenso CORRINGTON, Headless Woman, 230; FATUM, Image, 123f. A91; KÜCHLER, Schweigen, 107ff.488ff.; LLETZMANN, Kor, 54f.; SCHRÄGE, IKor Π, 515f.; THEISSEN, Aspekte, 176f.; WEISS, IKor, 274; s. auch D.B. MARTIN, Body, 243f.); dafür spricht neben der besagten Tradition auch das in der Anthropologie immer wieder konstatierte Faktum der sexuellen Attraktivität von Haaren. Implizit mit im Blick sein dürfte dabei wohl gerade auch das durch die offenen Haare ausgelöste sexuelle Begehren der Männer in Korinth (vgl. dazu HOOKER, Authority, 415; BARRETT, IKor, 294).

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Frage der Haartracht und geht grundsätzlich auf das Verhältnis von Mann und Frau ein. Dabei hebt er sichtlich auf die Ebenbürtigkeit der Geschlechter ab, so daß Padgetts Charakterisierung dieser Verse als „egalitarian statements" auch nach meinem Urteil durchaus zutreffend ist.339 V.l 1 bringt die Gleichrangigkeit von Mann und Frau besonders anschaulich auf den Punkt. Die Reziprozität der Aussage schließt eine Differenzierung der Geschlechter im Sinne der Zuteilung unterschiedlicher Statuspositionen schlechterdings aus. Nicht ganz deutlich ist jedoch, auf welche konkrete Wirklichkeit der Satz ουτε γυνή χωρίς ανδρός οΰτε άνήρ χωρίς γυναικός έν κυρίω zielt. Die Ansicht, Paulus habe hier die eheliche Gemeinschaft im Blick, vermag aufgrund des Textumfeldes, in dem nirgends von der Ehe explizit die Rede ist, und angesichts der Relativierung der matrimonialen Gemeinschaft in IKor 7 nicht recht zu überzeugen.340 Die von V.l2 her zunächst naheliegende Auffassung, es ginge um das Zusammenwirken von Mann und Frau im Blick auf den natürlichen Zeugungs- und Geburtsvorgang, ist angesichts des έν κυρίω ebenfalls mehr als fragwürdig.341 Die meisten Ausleger beziehen den Satz daher auf die gegenseitige Angewiesenheit und das gleichberechtigte Miteinander von Mann und Frau im Raum der Ekklesia, speziell während des Gottesdienstes respektive charismatischer Tätigkeiten.342 Folgt man allerdings dem Vorschlag Josef Kürzingers und übersetzt χωρίς nicht mit „ohne", sondern versteht die Vokabel im Sinne von „anders als" bzw. „verschieden von", 343 so läßt sich V. 11 dahingehend zuspitzen, daß Paulus hier die eschatologische Nivellierung der Geschlechtlichkeit in Analogie zu Gal 3,28 anspricht.344 Nicht das Miteinander der Geschlechter im Raum der Kirche ist 339 Ygi PADGETT, Women, 82 (unter Einbezug von V.10); s. auch ebd., 72 sowie den erhellenden Vergleich der paulinischen Argumentation mit den zahlreichen mysogynen Texten der griechisch-römischen Antike bei KROEGER/KROEGER, Treatment, passim; kritisch dazu jedoch z.B. D.B. MARTIN, Body, 295f. A15. 340 So allerdings FATUM, Image, 79.125-127(A96), die ebd., 126 konstatiert, V . l l f . sei „... introduced by Paul in dependence of chapter 7, in order to establish marriage and the purpose of reproduction as the legitimation of sexuality among Christians". Zur Frage, ob άνήρ und γυνή in IKor 11,2-16 möglicherweise grundsätzlich Ehemann und Ehefrau meinen, s. zudem die kritischen Anmerkungen bei SCHRÄGE, IKor Π, 500f.; ebenso wirft CONZELMANN, IKor, 225 ein: hier stehen nicht Ehe-, sondern Gemeindefragen zur Diskussion"; vgl. ferner BAUMERT, Antifeminismus, 67.98.105; WlTHERINGTON, Women, 85. 341 So jedoch THEISSEN, Aspekte, 171 A31, der indes Schwierigkeiten hat, das έν κυρίω zu erklären. 342 So DAUTZENBERG, Stellung, 212; FEE, lCor, 523; SCHRÄGE, IKor Π, 518; WOLFF, IKor, 74; WlTHERINGTON, Women, 89; vgl. auch MURPHY-O'CONNOR, Sex, 497f. 343 Vgl. KÜRZINGER, Frau, 273ff.; ihm folgen BOYARIN, Jew, 194; MURPHY-O'CONNOR, Once again, 273; PADGETT, Women, 72; SCHÜSSLER FlORENZA, Gedächtnis, 286; KÜCHLER, Schweigen, 76 A7. 344 Daß der Apostel hier eine gegenüber Gal 3,28 abweichende Formulierung wählt, läßt sich damit erklären, daß die Korintherinnen, wie immer wieder gemutmaßt wurde, die Botschaft des Paulus aus Gal 3,28 selbst zum Anlaß ihres Verhaltens gemacht haben.

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dann in erster Linie das Thema, sondern das „Nicht-verschieden-Sein" von Mann und Frau im Sinne einer Neutralisierung der sexuellen Differenz. Das k\ κυρίω ist dann in Entsprechung zu dem έν Χριστώ Ίησοϋ in Gal 3,28 auf Christus und nicht auf den Schöpfergott zu beziehen345 und weist wie dort auf die in der Initiation eröffnete Christuscommunitas, die eine Neukonstitution der geschlechtlichen Wirklichkeit einschließt, in der die sexuelle Unterschiedenheit relativiert ist (vgl. § 7.3). V.12 bekundet sodann, daß die geschlechtliche Communitas dem Schöpferwillen entspricht, auch wenn die volle Realisierung solcher Communitas allein „im Herrn" faßbar wird.346 Mann und Frau werden hier in ihrer sexuellen Identität insoweit aneinander angeglichen, als beide dem göttlichen Willen gemäß als Quellort menschlichen Lebens figurieren. Paulus setzt dazu die Priorität des Mannes im göttlichen Schöpfungsakt (V.12a; vgl. V.8 und Gen 2,18.22f.)347 in Relation zur menschlichen Geburt aus der Frau (V.12b). Eine Prävalenz des Mannes oder auch der Frau ist damit negiert; beiden kommt gleichermaßen eine elementare Rolle hinsichtlich der Entstehung des Menschen zu. Diese Nivellierung der Geschlechter wird dann am Ende des Verses durch den Hinweis auf die universale Schöpfermacht Gottes verstärkt: Mann und Frau werden unter dem egalisierenden τά πάντα zu einer Einheit zusammengeschlossen und stehen so gewissermaßen in einem identischen Verhältnis zu Gott, dem eigentlichen Schöpfer, der gleichsam die im Mann konstituierte Phylogenie (V.12a) und die in der Frau gründende Ontogenie (V.12b) des Menschen in seiner Verantwortung umfängt. In deutlicher Spannung zu diesen egalisierenden Inhalten und Konnotationen stehen nun freilich die eher „konservativen", d.h. die Geschlechterdifferenz bekräftigenden Bekundungen in V.3.7-9. Diese gilt es nun näher ins 345

Die Verbindung des Syntagmas έν κυρίω mit Christus vertreten die meisten, z.B.

BOYARIN, Jew, 194; DAUTZENBERG, Stellung, 212; DELOBEL, Interpretation, 383f.; FEE, l C o r , 523; KÜRZINGER, Frau, 274f.; MURPHY-O'CONNOR, S e x , 498; K. SCHÄFER, G e -

meinde, 311; SCHRÄGE, IKor Π, 518f.; WITHERINGTON, Women, 89; WOLFF, IKor, 74. Zur Kritik an der von NEUGEB AUER vertretenen strikten Unterscheidung zwischen έν κυρίω und εν Χριστώ, die er auch hier geltend macht (vgl. DERS., Untersuchung, 136f.), s. oben § 7 Anm. 140 (S.' 189). 346 Zum Verhältnis der beiden Verse schreibt MURPHY-O' CONNOR, Once again, 273: „The function of the causal particle (gar) introducing ν 12 is to be explained not in the order of efficient causality but in the order of knowledge. Priority in childbirth does not make woman the equal of man. Rather, it is only Christians who perceive childbirth as manifesting the divine intention regarding the equality of the man-woman-relationship." 347 Nicht ganz auszuschließen ist, daß sich V.12a im Gegenüber zu V.12b (die Geburt des Menschen geschieht aus der Frau) auf die Zeugung des Menschen durch den männlichen Samen bezieht. Der nahezu identische Wortlaut mit V.8 unterstützt jedoch die oben vertretene Deutung auf den Schöpfungsakt (ebenso SCHRÄGE, IKor Π, 519; MURPHYO'CONNOR, Once again, 272f.; WOLFF, IKor, 75; anders BAUMERT, Antifeminismus, 93ff.; DELOBEL, Interpretation, 382). Bei beiden Deutungsansätzen ist die Gleichrangigkeit der Geschlechter das eigentliche Proprium.

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Auge zu fassen. Dazu soll zunächst die zentrale Problematik der κεφαλή-Kette in V.3 behandelt werden, um im Anschluß daran dann die Bedeutung von V.7-9 zu diskutieren. Die Reihung der κεφαλή-Aussagen in V.3 wird nach wie vor von nicht wenigen Auslegern mit einer Art ontologischen Herrschaftsordnung gleichgesetzt, die angeblich ein deutliches hierarchisches Gefälle von Gott über Christus zum Mann und schließlich zur Frau als letztem Glied in der Kette umfaßt, so daß die Frau hier seinsmäßig auf Subordination und Gehorsam festgelegt erscheint.348 Dreh- und Angelpunkt dieser Interpretation ist meist die Übersetzung von κεφαλή mit „Haupt" im Sinne einer Autoritäts- bzw. Herrschaftsinstanz. So naheliegend diese Deutung nun auch von unseren heutigen Sprachgewohnheiten her sein mag („Ober-haupt"), so problematisch ist sie mit Blick auf IKor 11,3, und zwar allein schon aus lexikalischen Gründen; es will nämlich beachtet sein, daß κεφαλή im griechischen Sprachgebrauch, wenn überhaupt, so höchstens am Rande in der Bedeutung „Oberhaupt" Verwendung findet.349 Zumal die Septuaginta weicht signifikanterweise immer dann von ihrer sonst geläufigen Übersetzung des hebräischen Begriffs otci mit κεφαλή ab, wenn tOfcCi so viel wie Herrscher, Führer meint. Bis auf wenige Ausnahmen stehen dann im griechischen Text Begriffe wie άρχων, αρχηγός u.ä. 350 Angesichts dieses Befunds wird man vorsichtig sein müssen, κεφαλή unbesehen einfach mit Herrschaft und Autorität zu assoziieren, vielmehr wird man Joel Delobel in dem Schluß folgen: „It may be wise to conclude that the first century reader would not read κεφαλή in that sense."351 Zur Vorsicht mahnt auch das Faktum, daß der Vers rein äußerlich gar nicht die Form einer Stufenfolge von Gott zur Frau als letztem Glied aufweist. Weder beginnt er

348 vgl. dazu nur ENGBERG-PEDERSEN, Character, 68 If. mit A9; KÜMMEL bei LLETZMANN, Kor, 183; MEIER, Veiling, 217f.; K. SCHÄFER, Gemeinde, 306; SCHLIER, κεφαλή, 678; WEISS, IKor, 269f.; WENDLAND, Kor, 90f.; von Hierarchie und Subordination spricht auch D.B. MARTIN, Body, 232. 349 Ein entsprechender Hinweis in den einschlägigen Lexika, etwa bei LlDDELL/SCOTT, fehlt; vgl. dazu femer MICKELSEN/MICKELSEN, Kephale, 98ff.; DELOBEL, Interpretation, 377f.; FEE, 502 samt A42; MURPHY-0'CONNOR, Sex, 491f.; SCROGGS, Woman, 534 A8. FlTZMYER, Look, 509f. (s. auch SCHRÄGE, IKor Π, 502 A81) verweist jedoch neben einigen Lxx-Stellen auf Aussagen bei Philo (Som 2,207; VitMos 2,30; SpecLeg 3,184; Praem 114), Josephus (Bell 3,54 und 4,261) und dem Hirten des Hermas (s 7,3), in denen κεφαλή angeblich unverkennbar Autorität über andere anzeige; die besagten Belege und einige andere werden allerdings von PERRIMAN, Head, 606ff. kritisch gesichtet. Doch selbst wenn man PERRIMANs Einzeldeutungen nicht folgen mag, so bleibt immer noch die Frage, „whether this figurative use of the term ,head' is common enough that we should automatically read it into the present passage" (KEENER, Women, 33). 350 vgl. dazu die statistische Übersicht mit allen vierzehn Übersetzungsvarianten der LXX bei MICKELSEN/MICKELSEN, Kephale, 103f.; ebd. werden auch die angesprochenen Ausnahmen erörtert; s. dazu ferner PAYNE, Response, 122f. und die kritische Diskussion bei PERRIMAN, Head, 603-606. 351 DELOBEL, Interpretation, 378.

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mit Gott noch schließt er mit der Frau; der entsprechende Satz ist vielmehr von Christusaussagen umklammert.352 Hinzu kommt, daß die einzige explizite verbale Thematisierung von Autorität in IKor 11,2-16, nämlich der Gebrauch der Vokabel έξουσία in V. 10, just auf die Frau gemünzt ist. Andere Ausleger sind daher zu der alternativen Überzeugung gelangt, κεφαλή meine hier so viel wie „Ursprung" bzw. „Quelle".353 Dafür läßt sich in der Tat die in V.8.12a erwähnte Erschaffung der Frau aus dem Mann ins Feld führen, bei der der Mann ja durchaus als eine Art „Quelle" der Frau vorgestellt wird. Doch es stehen auch diesem Vorschlag beträchtliche Schwierigkeiten entgegen. So ist die Verwendung der Vokabel κεφαλή in dieser Bedeutung gleichfalls eine Randerscheinung im griechischen Sprachgebrauch in der Septuaginta findet sich hierfür kein Beleg!354 Darf man unterstellen, Paulus setze bei seinen Adressaten die nicht gering einzuschätzende sprachliche Beschlagenheit voraus, den Terminus κεφαλή ohne weitere Hinweise im unmittelbaren Kontext sofort im Sinne dieser Marginalbedeutung aufzulösen? Schließlich folgen die für diesen Sinn vorgebrachten Anhaltspunkte ja erst in V.8 und 12, also mehrere Sätze später. Äußerst fraglich wird dieser Übersetzungsvorschlag darüber hinaus infolge des Tatbestands, daß Paulus das besagte Ursprungsverhältnis zwischen Mann und Frau in V. 12b umdreht, was die Auslegung von V.3 im Sinne einer einseitigen Quellen-Relation zusätzlich erschwert. Wie aber ist der Vers dann zu verstehen? Einen wichtigen Anhaltspunkt liefert der Gesamtkontext. Das zentrale Thema des Abschnitts ist ja die Frage nach dem rechten Umgang mit den Kopfhaaren. Es liegt auf der Hand, daß sich der Gebrauch der κεφαλή-Metaphorik daraus ableitet. Wie sehr die κεφαλή-Aussagen in V.3 tatsächlich mit der aktuellen Haarproblematik verwoben sind, zeigt sich daran, daß Paulus in den folgenden Versen (V.4-7) 352 Darauf machen ebenso F. LANG, Kor, 138f.; MULLER, Trinity, 170; MURPHYO'CONNOR, Once again, 270 und SCHRÄGE, IKor Π, 503 aufmerksam. 353 So BARRETT, IKor, 287f.; BAUMERT, Antifeminismus, 96-102; FEE, lCor, 503f.;

KROEGER/KROEGER, Treatment, 216; MEIER, Veiling, 217; MICKELSEN/MICKELSEN,

Ke-

phale, 107; PARK, Kirche, 232ff.; PAYNE, Response, 126f.; SCROGGS, Woman, 298f. A41; DERS., Revisited, 534; WLTHERINGTON, Women, 84f.; s. dazu auch BEDALE, Meaning, 214f.; CORRINGTON, Headless Woman, 225f.; HASLER, Frau, 27 A43; SCHLIER, κεφαλή, 678f. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß einige der Angeführten, z.B. FEE und SCROGGS, dabei hierarchische Konnotationen ausschließen, andere jedoch, wie etwa MEIER und die Paulus äußerst kritisch bewertende L. FATUM (Image, 122f. A90), sehen gerade auch bei dieser Bedeutung eine hierarchische Rangfolge zum Ausdruck gebracht. 354 Das eher spärliche Material wird bei PERRIMAN, Head, 612-616 ausführlich besprochen; vgl. dazu nur sein Fazit ebd., 617: „The basic problem is that while it is possible to bring forward a few instances where , source' can quite coherently be substituted for ,head', it has not by that been demonstrated that .source' should be taken as a standard and familiar sense of κεφαλή. The word may be used to refer to that which functions as a source, but that need not be even its metaphorical denotation."

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scheinbar problemlos zwischen metaphorischem und nichtmetaphorischem Gebrauch des Terminus hin- und herspringen kann.355 Angesichts dieses Ineinanders empfiehlt es sich, die metaphorische Bedeutung in V.3 aus dem nichtmetaphorischen Gebrauch der Vokabel in V.4—7 abzuleiten oder zumindest das enge Bezogensein der beiden Redeweisen von der κεφαλή mit in die Überlegungen einzubeziehen. Was ergibt sich dann? Zunächst fällt auf, daß Paulus den Kopf mitsamt den Kopfhaaren offenkundig als Sitz von Schande (καταισχύνεις; vgl. V.4f.) oder Ehre (δόξα; vgl. V.15) bzw. als Quelle für entsprechende Ehr- und Schandzuweisungen betrachtet. Damit bewegt er sich ganz im Rahmen des primär an diesen beiden Kategorien orientierten antik-mediterranen Wertesystems, zu dem auch die symbolische Repräsentation der beiden Zentralwerte am Körper und zumal am Kopf gehört.356 Die κεφαλή fungierte damals gewissermaßen als elementarer symbolischer Sitz des Ansehens einer Person; dementsprechend kam ihr besondere Aufmerksamkeit zu, sowohl was die Selbstpräsentation anbelangt als auch was die Beurteilung anderer angeht. Der Kopf stand in der mediterranen Antike mithin pars pro toto für die ganze Person und ihr soziales Gewicht. Dieses Verständnis der κεφαλή als Repräsentationssymbol der ganzen Person qua Synekdoche spiegelt sich deutlich auch im Sprachgebrauch. So machen die maßgeblichen Wörterbücher durchgängig darauf aufmerksam, daß κεφαλή in der Profangräzität als Bezeichnung für den edelsten Teil des Körpers häufig die ganze Person umschreibt.357 In gängigen Anreden wie z.B. φίλη κεφαλή oder auch - im negativen Sinn - & κακή κεφαλή bzw. μιαρά κεφαλή wird dies konkret greifbar.358 Wichtig ist hierbei, daß gerade auch in der Septuaginta κεφαλή wiederholt als Repräsentationssymbol der ganzen Person erscheint, wobei zahlreiche moralische und religiöse Erfahrungen, wie etwa Segen, Unheil, Rache, aber eben auch Ehre und Schande, mit der κεφαλή der jeweiligen Person in Verbindung gebracht werden (vgl. Gen 49,26; IReg 25,39; 2Reg 1,16; Neh 4,4; Ez 9,10; Jud 9,9).359 Wendet man nun diese verbreitete Repräsentationsfunktion des Kopfes in der mediterranen Welt auf die figurative Rede von der κεφαλή in V.3 an,360 so artikuliert sich in der Aussage κεφαλή δε γυναικός ό άνήρ die Vorstellung, der 355

Das Syntagma καταισχΐτνειν την κεφαλήν in V.4.5 zielt zweifelsohne auf Christus (V.4) bzw. auf den Mann (V.5), d.h. κεφαλή hat hier den gleichen metaphorischen Sinn wie in V.3. 356 Vgl. dazu den Exkurs in § 9.3 (bes. S. 283). 357 Vgl. PASSOW, Wörterbuch I, 1717; LLDDELL/SCOTT, Lexicon, 945 („as the noblest part, periphr. for the whole person"); PAPE, Wörterbuch I, 1428; SCHLIER, κεφαλή, 673. 358 Die bei LIDDELL/SCOTT, Lexicon, 945 für diesen Gebrauch angeführten Belege reichen von Homer über Herodot bis zu Vettius Valens. 359 Näheres dazu bei PERRIMAN, Head, 618. 360 Ähnlich neben PERRIMAN (s. ebd., 619-622) auch LLEFELD, Women, 139f.; ihm folgt JOHNSON, Response, 156; vgl. dazu femer KEENER, Women, 33; s. auch MURPHY-O'CONNOR, S e x , 4 8 5 u n d WEISS, l K o r , 2 7 1 zu V . 4 .

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Mann repräsentiere die Frau gleichsam als ihr edelster Teil, wobei dieser Gedanke in Anbetracht von V.4-7 dann noch weitergehend dahin zuzuspitzen ist, daß es namentlich die Ehre bzw. die Unehre einer Frau ist, die sich im Mann verdichtet bzw. auf ihn zurückfällt. Das heißt: So wie der Wert einer Person gleichsam vermittels des Kopfes symbolisiert wird, so reflektiert sich das Ansehen einer Frau nicht zuletzt in ihrem Mann als ihrer symbolischen κεφαλή. Der Umgang der Frau mit der physischen κεφαλή, hier der Kopfhaare, schlägt deshalb auf ihre symbolische κεφαλή, den Mann, zurück (vgl. V.5). Die solchermaßen definierte Beziehung zwischen Mann und Frau betrifft dabei keineswegs einzig das Verhältnis zwischen den Ehegatten. Der erwachsene und verheiratete Mann steht in der mediterranen Welt für die Integrität aller ihm zugeordneten Frauen im οίκος ein, das heißt, er repräsentiert nicht nur die Ehre seiner Gattin, sondern auch die seiner Mutter, seiner Töchter sowie die seiner Schwestern.361 Vor diesem Hintergrund ist auch die von Paulus in V.3 anhand der κεφαλή-Metaphorik beschriebene Beziehung zwischen Mann und Frau nicht allein auf das Verhältnis zwischen Ehemann und Ehefrau zu begrenzen, wie Paulus überhaupt in dem gesamten Passus eher grundsätzlich argumentiert; dem Apostel geht es in IKor 11,2-16 schließlich allgemein um das Verhältnis der Geschlechter in der Gemeinde, nicht um Ehefragen im speziellen.362 Treffen alle diese Überlegungen zu, dann bezeichnet die κεφαλή-Metaphorik in V.3 primär weder die Herrschaft des Mannes über die Frau noch qualifiziert sie ihn als „Quelle" der Frau, vielmehr kennzeichnet der Apostel damit den Mann als eine Art symbolische Korporativperson, in der sich das Prestige und die Identität der Frau konzentrieren. Dementsprechend geht es dann in dem besagten Vers nicht in erster Linie um Autorität, sondern um Relationalität im Rahmen der für die mediterrane Kultur zentralen Kategorien Ehre und Schande. Nicht der Aspekt der herrschaftlichen Überordnung bildet den zentralen Fokus der Aussage, sondern der relationale Gesichtspunkt der Zuordnung.363 Das Gemeinte tritt noch deutlicher vor Augen, wenn man die herkömmliche antik-mediterrane Personkonzeption mit in Betracht zieht. Malina nennt sie eine dyadische.364 Nach ihr definiert sich der einzelne nicht aus sich selbst 361

Vgl. dazu wiederum den Exkurs in § 9.3, bes. S. 283 und die dort in Anm. 163 genannte Literatur. 362 v g l . dazu auch oben Anm. 340. 363 Ähnlich BAUMERT, Antifeminismus, 98, der κεφαλή jedoch in der Bedeutung „Ursprung" faßt. 364 Vgl. dazu die Literaturangaben in Anm. 155 in § 9.3 (S. 281). Bei GEERTZ, Beschreibung, 294 heißt es: „Die abendländische Vorstellung von der Person als einem fest umrissenen, einzigartigen, mehr oder weniger integrierten motivationalen und kognitiven Universum, einem dynamischen Zentrum des Bewußtseins, Fühlens, Urteilens und Handelns, das als unterscheidbares Ganzes organisiert ist und sich sowohl von anderen solchen Ganzheiten als auch von einem sozialen und natürlichen Hintergrund abhebt, erweist sich, wie rieh-

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heraus, sondern über die jeweiligen „signifikanten Anderen", d.h. über die Familie, die Dorfgemeinschaft, die Stadt oder ethnische Zugehörigkeit. Konstitutiv für das dyadische Persönlichkeitsmodell ist der Grundsatz: „Jedes Individuum wird als .eingebettet' in einige andere gesehen."365 Nach diesem Persönlichkeitsmodell beziehen Frauen ihre Identität insbesondere aus der symbolischen „Einbettung" in den jeweiligen paterfamilias bzw. den Ehemann, der wiederum dafür einzustehen hat, daß die Ehre seiner Bezugsgruppe, also auch der ihm zugeordneten Frauen, erhalten bleibt oder gemehrt wird. Diese Form der „Einbettung" im Rahmen der dyadischen Personrelation ist es, so meine ich, die bei Paulus in der Metapher κεφαλή mitschwingt. Dieser Interpretationsvorschlag zu Y.3 wird dadurch gestützt, daß sich mit ihm auch die übrigen κεφαλή-Aussagen des Verses plausibel erklären lassen. Der Satz παντός ανδρός ή κεφαλή ό Χριστός έστιν beinhaltet dann den Gedanken, daß Christus der entscheidende signifikante Andere für den christusgläubigen Mann ist, also derjenige, über den dieser seine eigene Identität und sein Ansehen gewinnt.366 Dies kongruiert mit den wiederholten Äußerungen des Apostels, auf den eigenen Ruhm zu verzichten und sich allein des Herrn zu rühmen (vgl. IKor 1,31; Phil 3,3). Ferner bringen die charakteristischen InChristus-Aussagen die Einbettung der Initiierten in und die Identifikation mit Christus zum Ausdruck.367 Das dritte Glied der Aussagenreihe, nämlich: κεφαλή δέ του Χρίστου ό θεός, thematisiert schließlich die enge Relation zwischen Gott und Christus, die Paulus in anderer Form auch mit Hilfe der Metapher „Sohn Gottes" benennen kann, welche gleichfalls auf die „Einbettung" Christi in Gott weist. Darüber hinaus spricht V.7 für die hier vorgelegte These: Daß nämlich die Formulierung κεφαλή δέ γυναικός ό άνήρ in V.3 in der Tat die dyadische Vorstellung zum Inhalt hat, die Identität und die Ehre der Frau sei im Mann repräsentiert, bestätigt die dortige Aussage ή γυνή δέ δόξα ανδρός έστιν, die unmißverständlich zu erkennen gibt, daß sich die Ehre der Frau im Mann manifestiert.368 Die hier vorgelegte These kann so letztlich durch die Aneinanderreihung dreier zentraler Sätze des Abschnitts auf den tig sie uns auch scheinen mag, im Kontext der anderen Weltkulturen als eine recht sonderbare Idee." 365 MAUNA, Welt, 71. 366 Das Syntagma παντός ανδρός dürfte in erster Linie auf die Initiierten zielen; so mit FEE, lCor, 504f. Da Christus allerdings der Initiator einer „neuen Schöpfung" ist, die auf die Transformation des gesamten Kosmos ausgerichtet ist, steckt in dem πας implizit wohl auch eine allgemein-universale Ausrichtung; vgl. dazu MURPHY-0'CONNOR, Sex, 494. 367 Genau besehen transzendiert freilich das den In-Christus-Sätzen inhärente Konzept der Christuscommunitas (s. § 7.3) die dyadische Personrelation, die ja nach wie vor der Sozialstruktur mit ihrer Ausrichtung auf Rangordnungen verhaftet ist. Im Gegensatz zu der in V.3 prononcierten konservativ-patriarchalen Vorstellung einer nur sekundären, über den Mann vermittelten Einbettung der Frau in Christus sind in der Christuscommunitas Mann und Frau gleichermaßen in Christus eingebettet. Zu dieser Spannung s. später. 368 Zur Wiedergabe von δόξα mit Ehre s. die Angaben gleich im Zusammenhang mit Anm. 371.

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Punkt gebracht werden: Der Mann ist der symbolische Kopf der Frau (V.3), das heißt, er repräsentiert sie und ihre Ehre; deshalb hängt umgekehrt auch seine Ehre an der Frau und ihrem Verhalten (V.7). Da sich nun die Ehre der Frau äußerlich sichtbar zumal in ihren Kopfhaaren manifestiert (γονή δέ έάν κομ,α δόξα αύτη έστιν; V.15), tangiert die Frage der angemessenen Haartracht in elementarer Weise das relational-dyadische Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Diese These hat gegenüber den zuvor genannten mehrere Vorteile. Sie arbeitet zum einen mit einem Verständnis des Begriffs κεφαλή, das in der Profangräzität allgemein verbreitet ist und sich dem bestimmenden antik-mediterranen Wertesystem einfügt; darüber hinaus bezieht sie sowohl den unmittelbaren Kontext als auch die zentrale Problemstellung des gesamten Abschnitts in ausreichender Weise mit in die Deutung ein. Wenn nun betont wurde, es gehe in der κεφαλή-Reihe vornehmlich um Relationalität und nicht primär um Herrschaft, so bedeutet dies freilich nicht, daß hier Statusunterschiede, gerade im Hinblick auf das Verhältnis der Geschlechter, überhaupt keine Rolle spielten. Dies anzunehmen wäre allein schon deshalb naiv, weil die antike Schamkultur, vor deren Hintergrund die Äußerungen des Apostels erhellt werden konnten, bekanntermaßen durch ein eindeutig patriarchalisches Rollenverständnis geprägt war. Dieses scheint unverkennbar auch in V.3 durch, ist doch nach der Logik des Verses die Frau nur sekundär in Christus eingebettet, nämlich vermittelt über ihre Einbettung in den Mann ein typisch patriarchates Denkmuster. Nichtsdestotrotz hat man zu beachten, daß die einzige explizite Verbalisierang der Machtfrage im Text, wie bereits erwähnt, gerade der Frau Autorität zuspricht (V.10). Es scheint mir daher nicht ganz sachgemäß, die Intention des Apostels allein oder primär auf den Gedanken der Inferiorität der Frau fokussiert zu sehen. Schließlich geht es auch in den beiden anderen, auf Christus und Gott bezogenen κεφαλή-Bestimmungen in V.3 sicherlich nicht zuvörderst um die Inferioriät des Mannes gegenüber Christus oder die des Christus gegenüber Gott, sondern eher um Beziehung und Zuordnung,369 also, wie schon gesagt, um eingebettete Identität im Rahmen des dyadischen Persönlichkeitsmodells, das hier gleichsam in die Vertikale ausgezogen wird. Unzweifelhaft involviert aber die Eingleisigkeit der Zuordnung der dyadischen Identität eine deutliche Vorrangstellung der hier als „Haupt" qualifizierten Subjekte (Christus, Mann, Gott) im Verhältnis zu ihrem jeweiligen Gegenüber - der Gedanke der Prävalenz ist schließlich schon der Metapher κεφαλή an sich immanent, repräsentiert doch der Kopf nur deshalb die ganze Person, weil er als „edelster Teil" des Körpers gilt. Auch wenn zumal die männliche Vorrangstellung nun nicht ohne weiteres mit 369 Bei SCHRÄGE, IKor Π, 504 heißt es: „Den Apostel interessieren hier funktionale Beziehungen und nicht zeitlose kosmologische Spekulationen oder metaphysisch-hierarchische Autoritätsstrukturen ..."

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herrschaftlicher oder gar despotischer Superiorität gleichgesetzt und eine ontologisch-hierarchische Stufenordnung aus V.3 herausgelesen werden darf, so steht die κεφαλή-Metaphorik aufgrund der genannten Implikationen gleichwohl in einer unverkennbaren Spannung zur Communitasvorstellung in Gal 3,28 und den Reziprozitätsaussagen in V.llf., da dort die geschlechtlichen Statusunterschiede gerade eingeebnet bzw. ausgeblendet erscheinen. In V.7-9 erfährt die Prävalenz des Mannes auf der Basis der antiken, an Ehre orientierten Mentalität noch eine weitere Stützung, wird hier doch einzig der Mann expressis verbis als είκών und δόξα Gottes ausgewiesen, während die Frau wiederum nur sekundär als δόξα ανδρός daran teilhat. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, daß Paulus die auf LxxGen l,26f. rekurrierende Charakterisierung des Mannes als είκών Gottes um den Terminus δόξα erweitert und damit allem Anschein nach den dort verwendeten Terminus όμοίωσις substituiert. Mit diesem Schachzug setzt er merklich eigene Akzente.370 Der Begriff δόξα evoziert zum einen die hebräische Vorstellung von der "TOD Gottes, so daß in V.7 die Partizipation des Mannes an der Herrlichkeit Gottes anklingt; das heißt, der Mann widerstrahlt und vertritt als Ebenbild Gottes dessen Herrlichkeit. Zugleich trägt die Vokabel kraft ihrer in der Profangräzität etablierten Bedeutung „Ruhm", „Ansehen", „Ehre" das mediterrane Wertessystem, den „Ehre/Schande"-Code, in den Schöpfungskontext ein.371 Diese Assoziation wird dadurch bestärkt, daß der gesamte Passus von in dieser Hinsicht typischem Vokabular durchzogen ist (καταισχύνεις [V.4f.]; αίσχρόν [V.6]; πρέπον [V.13]; ατιμία [V.14]) und der Apostel den Begriff δόξα in V.15 eindeutig im Sinn von Ehre gebraucht.372 Paulus konkretisiert insofern die Gottebenbildlichkeit des Mannes gewissermaßen als Teilhabe an der Ehre Gottes. Entsprechend der dyadischen Personalität läßt sich die Erklärung, der Mann sei δόξα ·&εοϋ, näherhin so verstehen, „that the existence of the one brings honor and praise to the other. By creating man in his own image God set his own glory in man. Man, therefore, exists to God's praise and honor, and is to live in relationship to God so as to be his ,glory'."373

370 Vgl. dazu FEE, ICor, 515: „Paul's own interest ... is finally not in man as being God's image, but in his being God's glory, a word that does not appear in the creation accounts. This is Paul's own reflection on the creation of man ..." 371 Zur Verschränkung der beiden Bedeutungen „Ansehen" und „Herrlichkeit" vgl. BERGER, Theologiegeschichte, 453f., der ebd. grundsätzlich von einer paulinischen „Theologie des Sozialprestiges" spricht; s. auch CORRINGTON, Headless Woman, 226. Die Bedeutung „Ehre" ist freilich schon im hebräischen Terminus TOD mit enthalten; vgl. dazu nur KITTEL, δόξα, 246ff.; s. auch MULLER, Trinity, 174f. und Anm. 171 in § 9.3 (S. 285). 372 Vgl. KEENER, Women, 39; SCHRÄGE, IKor Π, 533; WIRE, Women, 128f.; s. überdies BAUMERT, Antifeminismus, 76f.; die große Bedeutung der mediterranen Werte Ehre und Schande in IKor 11 stellen ferner CORRINGTON, Headless, Woman, passim; M.Y. MACDONALD, Opinion, 144ff. und MOXNES, Integration, 107f. heraus. 373

FEE, l C o r , 516.

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Die Frau wird sodann als δόξα ανδρός charakterisiert. Im Kontext der antiken Schamkultur bedeutet dies zunächst, wie bereits angesprochen, daß sie ganz im Dienst der Ehre des ihr jeweils zugeordneten Mannes steht - sei es ihres Vaters, sei es ihres Ehemannes - , daß sie mithin die Ehre und Zierde des Mannes ist. Dies hat freilich umgekehrt zur Folge, daß Frauen bei unangemessenem, schandvollem Verhalten die Ehre des Mannes, ihrer κεφαλή, verletzen; wie noch zu sehen sein wird, liegt dem Apostel daran, daß dies vermieden wird. Darüber hinaus weist δόξα aber sicherlich auch hier auf die Herrlichkeit und Glorie Gottes, die der Mann reflektiert und die die Frau als δόξα ανδρός dann mittelbar ebenfalls zurückstrahlt. Insofern spricht Paulus der Frau an dieser Stelle die Gottebenbildlichkeit keineswegs ab; es ist jedoch bezeichnend, daß er die imago Dei nur beim Mann explizit anführt. Der Apostel entfernt sich darin auffallend von Gen 1,27 und liest Gen 1 offenbar von Gen 2 her.374 Ganz auf dieser Linie fährt er dann in V.8f. unter Rückgriff auf den zweiten Schöpfungsbericht damit fort, die soziale Einbettung der Frau in den Mann und ihre dyadische Zuordnung zum Mann gleichsam schöpfungstheologisch zu fundieren, indem er nachdrücklich vermerkt, die Frau sei aus dem Mann und δια τον άνδρα geschaffen worden. Auch wenn insbesondere die letztgenannte Formulierung mit δία + Akkusativ bei Paulus meist positiv konnotiert ist und von sich aus noch keine Abwertung impliziert (s. 4,6.10; 9,10.23; 2Kor 4,5.11.15; 8,9; Phil 1,24; IThess 1,5)375, so zeichnet sich in V.7-9 im Gesamteindruck doch eine klare Vorrangstellung des Mannes gegenüber der Frau ab. Die Schlüsselfrage lautet nun: Wie lassen sich all die bislang ermittelten Bausteine aus IKor 11,2-16 mit ihrer unterschiedlichen Bewertung des Geschlechterverhältnisses zu einem einheitlichen Bild zusammensetzen? Gibt es Möglichkeiten und Wege, die Spannungen im Text, die im direkten Nebeneinander von konservativ-partriarchalen und egalitären Impulsen kulminieren, sinnvoll zu erklären?376 Läßt sich mit anderen Worten hinter der explizierten 374 Möglicherweise spielen hier jüdische Auslegungstraditionen herein, „die Gen 1,27 z.T. ebenfalls allein auf Adam bezogen haben, weil dort im Singular von einem Menschen die Rede ist" (SCHRÄGE, IKor Π, 509; vgl. dazu das Quellenmaterial ebd., A126 und bei JERVELL, Imago, 109-111; die rabbinischen Belege gehen allerdings zumeist insoweit über Paulus hinaus, als sie Eva bzw. der Frau die imago Dei in Gänze absprechen). 375 Vgl. KROEGER/KROEGER, Treatment, 214; SCHRÄGE, IKor Π, 513 A152. 376 Der Text wurde in der Exegese immer wieder als spannungsvoll und widersprüchlich beschrieben, deutlich etwa bei SCROGGS, Woman, 297: „The logic is obscure at best and contradictory at worst"; vgl. aber auch FEE, ICor, 492ff.; GAYER, Stellung, 130; PADGETT, Women, 69-73; K. SCHÄFER, Gemeinde, 313. PADGETT, Women, 76ff. versucht die Spannungen dadurch zu erklären, daß er V.3-7b als Beschreibung eines angeblich in Korinth grassierenden Chauvinismus versteht, dem Paulus sich in den verbleibenden Versen widersetze (vgl. die ähnliche Argumentation bei SHOEMAKER, Equality, passim); s. dazu jedoch die Kritik bei SCHRÄGE, IKor Π, 497 A51. Das Vorgehen von FATUM, Image, 79.103f. (A57), alle mit Blick auf die Rolle der Frau positiven Aussagen in IKor 11,2-16 - insbesondere V . l lf. - einfach zu unbedeutenden Parenthesen zu erklären, nimmt m.E. den kom-

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Melange differierender Erklärungen und Direktiven in bezug auf die Geschlechterrelation ein bestimmtes Konzept des Apostels ausmachen? Die Gedankenführung des Apostels wirklich in jeder Hinsicht befriedigend und eindeutig abklären zu können, ist kaum möglich. Dennoch kann auf der Basis der bisherigen Beobachtungen und in Anbetracht des Communitasmodells eine Hypothese formuliert werden, die den Text gerade in seiner Widersprüchlichkeit wenigstens halbwegs zu erhellen vermag. Dazu muß in einem ersten Schritt, die eingangs formulierte Arbeitshypothese ausbauend, die Situation in Korinth in Umrissen rekonstruiert werden, um von da aus anschließend die komplexe paulinische Argumentation ein Stück weit enträtseln zu können. Wie oben wahrscheinlich gemacht wurde, ist davon auszugehen, daß einige christusgläubige Korintherinnen dazu übergingen, während des Gottesdienstes, im besonderen beim Beten und Prophezeien, ihr für gewöhnlich hochgebundenes Haar aufzulösen und über die Schultern fallen zu lassen.377 Dieses aus der Liminalität der Ritualsituation erklärbare symbolische Verhalten378 stieß allem Anschein nach auf dezidierten Widerspruch. Pauli Ausführungen legen jedenfalls die Folgerung nahe, daß diese liminale Praxis als Angriff auf die Ehre (δόξα) derjenigen Männer gewertet wurde, denen die solcherweise agierenden Frauen „zugeordnet" waren, sei es nun als Gattin, Tochter oder Schwester. Die genaueren Hintergründe für diesen Konflikt erschließen sich sodann, wenn man berücksichtigt, daß das offene Haar der Frau in der Antike als Zeichen sexueller Attraktivität und Begehrlichkeit bewertet wurde, und zwar sowohl im jüdischen wie im griechisch-römischen Kulturraum.379 Des plexen Text zu wenig ernst und kann daher nicht überzeugen. Die von K. SCHÄFER, Gemeinde, 310f. und anderen verfochtene These, der Apostel vertrete in V.3-10 ein „sexistisches Frauenbild", das er in V.l lf. „korrigiere", ist in ihrer Kontrastierung zu scharf. 377 Dies ist nicht zuletzt aus dem Hinweis auf das περιβόλαιον in V.15 rückzuschließen (vgl. dazu die Überlegungen zu Beginn dieses Abschnitts) sowie aus dem damit in Verbindung gebrachten Terminus κόμη, „which ... predominantly means to wear long hair ..." (THOMPSON, Hairstyles, 112). 378

Es sei hier nochmals darauf aufmerksam gemacht, daß das Lösen der Haare in rituellen Kontexten durchaus nicht ungewöhnlich war; s. dazu die Angaben oben in Anm. 315. 379 Für den jüdischen Kulturraum vgl. nur DERRETT, Hair, 171: „It is certain that if a Hebrew woman untied her hair and uncovered it in public she was regarded as .shameless', and had no reputation whatever: this is said in so many words in the Mishnah. The person injured when a married woman uncovered her hair in public was her husband, who was put to shame"; ebenso KEENER, Women, 29. Für den römisch-griechischen Kulturraum vgl. v.a. Apuleius, Met 2,8f., der dort beredsam die sexuelle Attraktivität des geöffneten Frauenhaares beschreibt (s. auch Met 16f.: das Lösen der Haare vor dem Liebesspiel), und Chariton, Kallirhoe 1,14,1 (das aufgelöste Haar der Kallirhoe führt dazu, daß sie als Erscheinung der Aphrodite gesehen wird; hier ist allerdings auch von einer Entschleierung die Rede); s. ferner Ovid, Ars Amatoria 3,235f.; vgl. zudem die Belege unten in Anm. 395; auch im Liebeszauber spielt das Haar bezeichnenderweise eine wichtige Rolle (s. WINKLER, Eros, 131); ebenso wird das lange Haar des ejfeminatus häufig sexuell konnotiert beschrieben (vgl. HERTER, Effeminatus, 631 f.); zur sexuellen Attraktivität des weiblichen Haares s. generell auch COOPER, Hair, 65-89, bes. 73 zum offenen Haar.

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weiteren ist zu bedenken, daß die Ehre einer Frau in der antiken Schamkultur passiv definiert war. Das heißt, ihre Ehrenhaftigkeit wurde an ihrem Gefühl für Scham, an ihrer Zurückhaltung und dem öffentlichen Verbergen ihrer Ehrattribute gemessen, wozu auch das Haar zählte. 380 Das öffentliche Aufbinden der Haare in der Ekklesia mußte vor diesem Hintergrund als ungebührliche Anmaßung sexueller Aktivität der herkömmlich zur Passivität angehaltenen Frauen betrachtet werden, eine Anmaßung, die zumal die Ehre der betroffenen Männer antastete, als deren „Ehrkapital" die Frauen galten. Durch das sexuell konnotierte Verhalten der christusgläubigen Frauen im Gottesdienst wurden die Männer mithin der Schande preisgegeben. So erklärt sich die wichtige Bemerkung in V.5, die Frauen würden mit ihren beim Beten und Prophezeien geöffneten Haaren ihre κεφαλή, d.h. den ihnen zugeordneten Mann, beschämen (κατοασχύ-νειν). Zur Verdeutlichung der sexuellen Implikationen des Textes seien hier einige grundsätzliche Gedanken zu den in vielen Kulturen bezeugten sexuellen Konnotationen des Kopfes und der Kopfhaare eingefügt. Edmund Leach konstatiert in seiner vielbeachteten Auseinandersetzung mit den psychoanalytischen Thesen zur Haarsymbolik von Charles Berg angesichts einer diesbezüglich klaren ethnographischen Evidenz: „Even the most sceptical anthropologist must admit that head hair is rather frequently employed as a public symbol with an explicitly sexual significance."381 Ganz allgemein gilt zunächst, daß sich die Kopfbehaarung aufgrund ihrer Formbarkeit, ihrer Regenerationsfähigkeit, ihrer unterschiedlichen Qualität und Farbe ausgezeichnet als Symbol geschlechtlicher - wie im übrigen auch sozialer und ethnischer - Distinktionen eignet. Männlichkeit und Weiblichkeit werden vielerorts mit bestimmten Haarfrisuren assoziiert.382 Dies trifft auch auf die griechisch-römische Kultur der Antike zu, in der der Umgang mit dem Kopfhaar nicht unwesentlich zur sozialen Konstruktion der Geschlechter beitrug. Von Ausnahmen abgesehen stand es Männern seit etwa 300 v.Chr. gemeinhin an, die Haare zu schneiden und kurz zu tragen,383 während Frauen ihre Haare für gewöhnlich wachsen ließen und in der Öffentlichkeit hochbanden;384 dementsprechend konnte langes Haar einen Mann als effeminatus abstempeln.385

380

Zur passiven Ehre und zur Scham der Frau vgl. wiederum den Exkurs in § 9.3 und die dort in Anm. 163 genannte Literatur (S. 283). 381 LEACH, Hair, 153; s. auch ebd., 150: „That hair rituals may have sexual associations has been apparent to anthropologists from the beginning"; vgl. ferner FIRTH, Symbols, 263. 296; HALLPIKE, Grundlagen, 187f. und die zahlreichen Beispiele und Illustrationen bei COOPER, Hair, 65-89. 382 Ygi dazu nur FlRTH, Symbols, 265ff.; s. im übrigen auch V.14f. 383 YGI THOMPSON, Hairstyles, 104, die freilich unter Anführung von Dio Chrysostomos, Or 35,2f auf „philosophers, priests, peasants, and barbarians" als Ausnahmen weist, also auf zumeist liminale Personen; s. ferner MURPHY-O'CONNOR, Sex, 486 mit A22. 384 Vgl. THOMPSON, Hairstyles, 112. 385 y g i pS-Phokylides 210-214; Philo, VitCont 50f.; s. dazu HERTER, Effeminatus, 632f.; THEISSEN, Aspekte, 173f.; MURPHY-O'CONNOR, Sex, 486f.

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443

Bedeutsam ist darüber hinaus, daß die Gestaltung des Kopfhaares in vielen Kulturen auch unmittelbar sexuelle Aktivität oder umgekehrt Askese symbolisiert, vor allem in rituellen Kontexten. Edmund Leach notiert in diesem Zusammenhang: „An astonishingly high proportion of the ethnographic evidence fits the following pattern in a quite obvious way: In ritual situations: long hair = unrestrained sexuality; short hair or partially shaved head or tightly bound hair = restricted sexuality; close shaven head = celibacy."386 Wie Leach selbst zu verstehen gibt, handelt es sich hierbei selbstverständlich nicht um ein eisernes, universales Gesetz. Es ließen sich ohne Frage genügend Abweichungen von diesem „pattern" anführen.387 Bemerkenswert ist aber die hier zutagetretende grundsätzliche enge Verbindung zwischen Sexualität und Kopfhaar. Woraus erklärt sie sich? Christopher R. Hallpike weist aus symbolanthropologischer Perspektive auf Korrespondenzen zwischen Kopf und Genital- bzw. Analbereich; er führt aus: „... the head resembles the genitoanal region because these are the only two areas of the body with orifices, and each embraces radically opposed functions: social relations on the one hand, and physcial functions on the other. Because the realm of nature confronts that of the social and the intellectual so blatantly in these two regions, it is not surprising that they can be substituted for one another in humor, in magical and religious contexts, and in popular and prescientific sexual lore."388 Speziell die Assoziation von Kopf und Geschlechtsbereich ist gerade auch in der antiken griechisch-römischen Mentalität fest verwurzelt.389 Dies zeigt sich etwa darin, daß die gebräuchlichen Vokabeln für die Geschlechtsorgane Begriffen für den Kopf- und Gesichtsbereich entsprechen.390 Neben solchen terminologischen Parallelen wurden aber auch direkte Vergleiche gezogen und sogar faktische Wechselbeziehung angenommen. Aristoteles bemerkt z.B., der Schoß der Frau solle während des Geschlechtsverkehrs so benetzt sein, wie es der Mund mit Speichel ist, bevor wir essen.391 Vielfach belegt ist die Assoziation zwischen Hals und Cervix/Vagina, die z.T. über reine Metaphorik hinaus als wirkliche Verbindung mit kausalen Folgen im Körper begriffen wurde; danach wirkten sich Aktivitäten auf der einen Seite auf die andere aus.392 Dieser Konnex spielte in der hippokratischen Medizin eine derart wichtige Rolle, daß in der Forschung die These aufgestellt wurde, die Hippokratiker hätten geglaubt, „that an actual tube connected the .upper mouth' with the .lower

386

LEACH, Hair, 154; vgl. auch HALLPIKE, Grundlagen, 184. So steht etwa die in IKor ll,5b.6 thematisierte Kahlrasur, wie ich gleich zeigen werde, nicht für den Zölibat. LEACH, Hair, 154 bemerkt zu den oben zitierten Gleichsetzungen außerdem ausdrücklich: „The equations only apply if they relate to ideal social categories rather than empirical expectations." 388 HALLPIKE, Hair, 154; vgl. DERS., Grandlagen, 187ff. 389 HALLPIKE weist ebd. mehrfach auf die Griechen und Römer der Antike, wobei er sich auf R.B. ONIANS beruft. 390 Vgl. D.B. MARTIN, Body, 237 zu den weiblichen Genitalien: „The womb is called a ,mouth'; the labia are, of course,,lips'; the cervix is spoken of as the .lower neck'"; s. allgemein auch HALLPIKE, Hair, 154. 391 Aristoteles, HistAn 10,3,635bl9-24; vgl. dazu LAQUEUR, Leib, 66. 392 Näheres dazu bei LAQUEUR, ebd., 50f.283(A29 und 30); s. auch A.E. HANSON, Woman, 326ff. 387

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mouth'"393. Weitere beredte Beispiele für die Wechselbeziehung zwischen Kopf und Genitalbereich bei antiken Autoritäten hat Dale Β. Martin in seiner Studie „The Corinthian Body" zusammengestellt.394 Angesichts solcher Vorstellungen wird nachvollziehbar, wie sehr ein Öffnen der Frisur zugleich sexuelle Offenheit symbolisieren konnte. Nicht umsonst galt damals offenes und herunterhängendes Haar als Zeichen der Bacchantinnen und der Prostituierten, während umgekehrt geschlossenes, d.h. gebundenes Haar Jungfräulichkeit sowie Reinheit anzeigte und aufgrund der letztgenannten Bedeutung auch verheirateten Frauen oblag.395 Dieser kulturelle Hintergrund erhellt nochmals deutlich, warum Paulus das lange Haar (ή κόμη) der Frau zwar als eines ihrer wichtigsten Ehrattribute (V.15a) qualifiziert, zugleich aber betont, sie solle es um den Kopf binden (V.15b):396 Das Öffnen der Haare in der Öffentlichkeit der gottesdienstlichen Versammlung signalisierte eben unverkennbar „unrestrained sexuality", die Frauen unziemlich war, eine Schande, die auf die Männer zurückfiel. Aus dieser Perspektive bekommt dann auch die harsche Äußerung des Apostels in V.5b.6, die „unverhüllten" Frauen sollten sich doch gleich kahlscheren lassen, ihren Sinn. Das Abrasieren der Haare bedeutete den Verlust der weiblichen Ehre und kam einer Vermännlichung der Frau gleich,397 wobei hier möglicherweise auch eine pejorative Anspielung auf homosexuelle Frauen mitschwingen mag, galten diese doch im besonderen als vermännlicht.398 Der polemische Gedankengang des Apostels läßt sich insofern folgendermaßen umschreiben: Diejenigen Frauen, die beim Beten und Prophezeien ihr Haar lösen, ähneln mit diesem sexuell konnotierten Verhalten in effectu vermänn-

393

D.B. MARTIN, Body, 238 (unter Bezugnahme auf H. KING); vgl. dazu ebd., 298 A54, wo die Ansicht von A.E. HANSON referiert wird, „that Hippocratics thought that there was a ,central tube' in both men and women connecting the nose and mouth to the anus". 394 Vgl. ebd., 237-239. 395 Vgl. Euripides, Ba 695; AnthGraec 275.276.280.281; s. dazu CARSON, Putting, 152. 396 Ob man das umstrittene άντί in V.15 nun mit „als" (so FEE, ICor, 529; MURPHYO'CONNOR, Sex, 489) oder mit „anstelle von" (so ISAAKSON, Marriage, 185; W.J. MARTIN, Interpretation, 233; PADGETT, Women, 82f.; SCROGGS, Woman, 298 A40; SHOEMAKER, Equality, 62; WlTHERINGTON, Women, 83) wiedergibt, ist nicht entscheidend. Ob nämlich das Haar „als Umwurf" oder „anstelle eines Umwurfs" gegeben wurde, die Aufforderung, das Haar um den Kopf herumgebunden zu tragen, ist in jedem Fall in dieser Aussage enthalten; so mit SCHRÄGE, IKor Π, 522f. 397 Zur Vermännlichung von Frauen durch Rasur vgl. Lukian, Fug 27; weiteres Material bei KÜCHLER, Schweigen, 80f. D.B. MARTIN, Body, 243 meint indes: „The removal of their hair symbolizes the shameful uncovering of their genitals that has transpired in some socially unacceptable transgression." 398 Lukian, DialMeretr 5,3 berichtet von einer geschorenen, homosexuellen Frau aus Lesbos und hebt dabei insbesondere auf deren äußerst männliches Gebaren ab, gerade auch in sexueller Hinsicht; vgl. dazu STEGEMANN/STEGEMANN, Sozialgeschichte, 389 A44; MEYER-ZWIFFELHOFFER, Zeichen, 104f.; DOVER, Homosexualität, 160. Zur Anspielung auf weibliche Homosexualität in IKor 11,5f. s. auch MEIER, Veiling, 219 A15; W. STEGEMANN, Wahrheit, 275f.; WEISS, IKor 272 A l .

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lichten respektive lesbischen Frauen, die eine dem weiblichen Geschlecht nicht erlaubte sexuelle Autonomie an den Tag legen; 399 dementsprechend können sie sich auch gleich wie diese die Haare scheren lassen. Nicht also homosexuelle Ängste, Tendenzen oder gar Praktiken als solche dürften als Problem hinter IKor ll,2ff. stehen, wie bisweilen gemutmaßt wird, 400 sondern ein Verhalten von Frauen, das in ungebührlicher Weise sexuelle Aktivität konnotiert und in dieser Hinsicht von Paulus konsequent in die Nähe einer Vermännlichung bzw. weiblicher Homosexualität gerückt wird. Es ist wichtig, sich in diesem Punkt die antik-mediterranen Einstellungen zur sexuellen Identität klar vor Augen zu halten, um die Zusammenhänge richtig zu beurteilen. Paul Veyne bringt die Erkenntnisse der neueren Forschung auf diesem Gebiet wie folgt auf den Nenner: „In dieser Welt wurde nicht nach Geschlechtern - Liebe zu Frauen oder Liebe zu jungen Männern - klassifiziert, sondern nach Aktivität und Passivität: Aktiv sein hieß Mann sein, gleichgültig, welches Geschlecht der als passiv angesehene Partner besaß. Sich das Vergnügen auf männliche Weise zu nehmen oder es sklavisch zu geben, das war alles. Die Frau ist definitionsgemäß passiv, außer sie ist selbst ein Ungeheuer ,.." 401 Daß die christusgläubigen Frauen in Korinth mit ihrem liminalen Verhalten die ihnen gemäße sexuelle Passivität durchbrachen und damit zugleich die gerade auch in das sexuelle Verhalten eingeschriebene Sozialstruktur der damaligen Gesellschaft unterminierten, dies war wohl der hauptsächliche Stein des Anstoßes, nicht Homosexualität, wie wir sie heute definieren, nämlich primär konzentriert auf die Wahl des gleichen biologischen Geschlechts innerhalb einer sexuellen Beziehung. Der Umgang des Apostels mit dieser Situation ist nun insgesamt gesehen ambivalent. Einerseits billigt er dezidiert die rituelle Aktivität von Frauen im 399 VGL (JAZU w . STEGEMANN, Wahrheit, 269, der zur scharfen Verurteilung weiblicher Homosexualität bei Seneca d.Ä., Martial, Lukian und Pseudo-Phokylides treffend anmerkt: „Dabei ist der Vorwurf vor allem der, daß Frauen sich wie Männer geben bzw. versuchten, wie Männer zu sein. In der Tat scheint ... hinsichtlich der weiblichen Homosexualität der Vorwurf darin begründet zu sein, daß die kulturell zugewiesene Geschlechtsrolle von Frauen nicht eingehalten und durch die des anderen Geschlechts ersetzt wird"; s. dazu die aufschlußreiche Diskussion der Belege bei BROOTEN, Leidenschaften, 118-125 sowie allgemein DOVER, Homosexualität 151-161. 400 So MURPHY-O'CONNOR, Sex, 485-487; vgl. dazu auch BARRETT, IKor, 297; BROOTEN, Leidenschaften, 133; SCROGGS, Woman, 297 samt A38; DERS., Revisited, 534; THEISSEN, Aspekte, 174.179f., der ebd., 180 „... latent in der Gemeinde vorhandene homosexuelle Tendenzen ..." ausmacht; kritisch dazu D.B. MARTIN, Body, 296 A19. 401 VEYNE, Homosexualität, 44; vgl. dazu ferner COHEN, Law, 171ff.; DOVER, Homosexualität, passim; FOUCAULT, Gebrauch, 62ff.; DERS., Sorge, 42ff.; HALPERIN, Diotima,

2 6 4 - 2 7 5 ; LAQUEUR, Leib, 69f.; D . B . MARTIN, B o d y , 34; MEYER-ZWIFFELHOFFER, Zei-

chen, bes. 64-108; W. STEGEMANN, Mentality, 164; DERS., Wahrheit, 263f.; WINKLER, Eros, passim.

446

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Gottesdienst; außer Frage steht für ihn, daß auch Frauen wie Männer beten und prophezeien; insofern unterstreicht er die liminale Aufhebung der Geschlechterrollendifferenz. Andererseits lehnt er das sexuelle Aktivität konnotierende Lösen der Haare ab und schränkt damit die Freiheit der Frauen ein. Diese Doppelstrategie gewinnt eine gewisse Stringenz, versteht man sie auf der Grundlage der in IKor 7 artikulierten und auch Gal 3,28c entnehmbaren Präferenz für Asexualität. Dann ergibt sich: Gleichberechtigt sind die christusgläubigen Frauen im Gottesdienst - und allein darum geht es hier ja - zumal als asexuelle Wesen.402 Das heißt, die liminale Gleichheit unter den Geschlechtern ruht maßgeblich auf der Annullierung der sexuellen Differenz, die zwangsläufig eine Verwerfung sexuellen Gebarens einschließt. Auf diese Annullierung der sexuellen Spannung „im Herrn" weist Paulus ja, wie oben wahrscheinlich gemacht werden konnte, in V.llf. Äußerst komplex wird die Argumentation des Apostels allerdings dadurch, daß er den anti-strukturellen Impuls der Negierung der sexuellen Differenz hier mit einer an den zentralen Ehrvorstellungen seiner Kultur orientierten Gedankenführung zusammenbindet und so anders als etwa in den staurozentrischen Aussagen (s. § 9.3) die etablierte Sozialstruktur sanktioniert. Aber auch dieses Vorgehen läßt sich erhellen, nämlich dann, wenn man annimmt, daß das Auflösen der Haare für ihn als sexuell konnotiertes Verhalten ein Charakteristikum der „alten" Welt ist, einer Welt, die zwar im Vergehen begriffen ist, die aber teilweise noch immer in die liminale Gegenwart der Initiierten hineinspielt, wobei solche „Atavismen" in der christusgläubigen Gemeinschaft dann auch nach den alten Regeln, nämlich den Strukturwerten der damaligen shame culture, zu bewerten sind. Damit entspräche die Argumentation in IKor ll,2ff. zumindest von der Grundkonzeption her in etwa der in IKor 7, beharrt doch der Apostel auch dort in bezug auf diejenigen Christusgläubigen, denen eine enkratische Lebensweise nicht möglich ist, auf der Ehe, also auf einer zentralen Einrichtung der Sozialstruktur, da nur so der Geschlechtstrieb kontrollierbar eingebunden wird und die sozialen Grenzen der Gruppe nach außen bewahrt bleiben. Treffen diese Überlegungen zu, so steht hinter dem komplexen Argumentationsgang des Apostels in IKor 11,2-16 folgender Grundsatz: Als asexuelle Wesen sind Frauen in der christusgläubigen Gemeinschaft gleichgestellt, geht es jedoch um sexuelle oder sexuell konnotierte Handlungen - und ein solcher Fall liegt hier mit dem Aufösen der Frisur vor - , so greifen nach wie vor die Normen der Schamkultur.403 Deshalb müssen die Haare der Frauen im Got402 MOXNES, Integration, 111 mutmaßt in ähnlicher Weise im Hinblick auf die christusgläubigen Frauen in führenden Rollen: „... it seems that the admittance of women into leadership roles rested on the condition that they ideally were stripped of their sexuality, or that their sexuality was strictly controlled." 403 Dies erklärt auch die Negativaussagen zur Homosexualität in Rom l,26f., die W. STEGEMANN, Mentality, 165 unter Beachtung der antiken Mentalität treffend wie folgt interpretiert: „... sexual activity with some of one's own sex means the choice of the wrong

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tesdienst hochgebunden bleiben, damit keinerlei sexuelle Begehrlichkeit geweckt wird (wobei beim spirituellen Handeln des Prophezeiens und Betens insbesondere die Engelwesen erregt werden könnten) und auf diese Weise die Ehre der Männer gewahrt bleibt.404 Mit dieser auffälligen Ausgliederung der Sexualität aus dem Bereich liminaler Freiheit und der damit verbundenen nachdrücklichen Applikation der zeitgenössischen Ehrkategorien im Kontext der Gemeinschaft der Initiierten, ja auf den liminalen Bereich des Gottesdienstes selbst, schränkt Paulus das anti-strukturelle Potential der Communitas unter den Geschlechtern gravierend ein; er normiert damit zumindest das sexuell konnotierte Verhalten zwischen Männern und Frauen in einer unverkennbar konventionellen Weise, die insbesondere die letztgenannten nachteilig trifft. Die christusgläubigen Frauen bleiben so in letzter Konsequenz, zumindest was den Bereich des sexuellen Handelns anbelangt, Objekte der Ehre der Männer - die δόξα des Mannes figuriert insofern nicht zufällig als einer der Brennpunkte des Abschnittes. Die bisherigen Erwägungen fortführend, lassen sich nun freilich auch einige konkrete praktische Gründe für diese Normierung der Communitas der Geschlechter erschließen. Berücksichtigt man nämlich den Gesamtkontext des ersten Korintherbriefes, so liegt es nahe, daß der Apostel auch hier die Einheit und Integrität der Gemeinde sowie eine möglichst positive Außenwirkung des Verhaltens der Christusgläubigen als Stütze seiner Mission im Visier hat. Was den letztgenannten Punkt angeht, so bezeugt IKor 14,23-25, daß der Gottesdienst, obwohl er im οτικος gefeiert wurde, offenkundig den Bereich der Öffentlichkeit berührte. Das gottesdienstliche Handeln stand sozusagen auf der Schnittlinie zwischen privatem und öffentlichem Bereich.405 Von daher mußte dem Völkerapostel daran gelegen sein, daß durch das gottesdienstliche Verhalten soziale Normen nicht derart verletzt wurden, daß dadurch die Gemeinschaft der Christusgläubigen der Außenwelt suspekt erschien und so sein Missionsprojekt gefährdet wurde. Das die Ehre der Männer gefährdende Gebaren der Frauen war jedoch in der patriarchalisch geprägten antiken griechisch-römischen Kultur gerade in dieser Hinsicht problematisch und geeignet, die ganze Gemeinde in einen schlechten Ruf zu bringen.406

sexual object because one of the partners has to behave like a woman (if the partners are males) or to behave like a man (if the partners are females)." 404 Nicht unerwähnt soll bleiben, daß Paulus mittels der oben näher erläuterten Parallelaussagen hervorhebt, daß ähnliches für Männer gilt: Auch sie dürfen sich nicht über die Normen der Sexualmoral einer Schamkultur hinwegsetzen, indem sie sich etwa durch langes Haar zum effeminatus machen, was freilich nur als Kontrastfolie zu den eigentlichen Aussagen über die Frauen zu werten ist. 405 Vgl. M.Y. MACDONALD, Opinion, 145; s. dazu auch allgemein BARTON, Place, passim. 406 Ebenso M.Y. MACDONALD, Opinion, 146: „Behaviour that might be judged by the outside world as shameful for women could dishonour men and bring disgrace on the whole

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Notabene: Die unklare Grenzziehung zwischen privatem οίκος und der Öffentlichkeit der έκκληΟία im Gottesdienst mag den Konflikt in Korinth überhaupt erst mit herbeigeführt haben.407 Wenn man bedenkt, daß die beiden Bereiche in der Antike mehr oder weniger ausdrücklich den beiden Geschlechtern zugeordnet waren - der Privatbereich galt als weibliche Sphäre, die Öffentlichkeit als männliche408 - so nimmt es nicht wunder, daß ausgerechnet beim gottesdienstlichen Handeln als einer Schnittstelle zwischen den beiden Sphären die Frage der Bestimmung der Geschlechterrollen virulent wurde und unterschiedliche Auffassungen aufeinanderstießen. Durch das Lösen der Haare war darüber hinaus natürlich auch die innere Einheit der Gemeinde gefährdet. Die soziale Sprengkraft, die der so herbeigeführten Verletzung der Ehre der Männer in einer shame culture innewohnt, darf nicht unterschätzt werden. Durch den drohenden oder möglicherweise schon ausgelösten Ehrkonflikt stand der Zusammenhalt in der Gemeinde ernsthaft auf dem Spiel. Die zum Überleben einer Gemeinschaft nötige soziale Ordnung war bedroht. Aus symbolanthropologischer Perspektive läßt sich ergänzen, daß das Auflösen der Frisur beim ekstatischen Prophezeien und Beten und die damit einhergehende Auflösung der Körperkontrolle grundsätzlich auf eine Zersetzung der sozialen Grenzkontrolle und somit auf eine Gefährdung der Integrität der Gemeinschaft weist. Das offene Haar im ekstatischen Akt signalisiert offene Sexualität, die nicht nur die Grenzen des weiblichen Körpers, sondern zugleich auch den sozialen Leib der Ekklesia durchlässig macht.409 Paulus sah sich in dieser Situation in seinem eigenen Interesse als Gemeindegründer und Missionar gezwungen, auf eine besonnene Beachtung konventioneller sozialer Werte und Rollenbestimmungen gerade auf dem Gebiet des Geschlechterverhältnisses zu dringen. Nur so war eine dauerhafte Stabilisierung der Gemeinschaft zu erreichen. Dabei sind allerdings die Gewichte richtig zu verteilen; Schüssler Fiorenza konstatiert in dieser Hinsicht m.E. mit Recht: „Ziel seiner [sc. Pauli] Ausführungen ist ... nicht, kulturelle Geschlechterunterschiede und Geschlechterrollen zu verfestigen, sondern die Ordnung und den missionarischen Charakter der Gottesdienstgemeinde zu wahren." 410

community." CORRINGTON, Headless Woman, 229 führt antike ekstatische Kulte an, die vor ähnlichen Problemen standen. 407 Y g i 408 v g i ( j a z u

auci, nur

CORRINGTON, ebd., 2 2 8 . M . Y . MACDONALD, Opinion, 30ff.; W . STEGEMANN, Mentality, 162.

409 Ähnlich CORRINGTON, Headless Woman, 227f.; D.B. MARTIN, Body, 233-249, die allerdings beide das Lösen des Schleiers und die dadurch herbeigeführte Öffnung der Haare als Situation voraussetzen; s. auch NEYREY, Paul, 131ff. 410

SCHÜSSLER FIORENZA, Gedächtnis, 287.

Zusammenfassung

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In summa ergibt sich somit: Das vieldiskutierte Hin und Her zwischen egalitären Elementen und konservativen Aussagen, zwischen Struktur und AntiStruktur, spiegelt in IKor 11,2-16 ähnlich wie in IKor 7 das Dilemma einer normativen Communitas wider. Das in Gal 3,28 programmatisch formulierte Projekt einer geschlechtlichen Communitas wird hierbei nicht destruiert, sondern mit Rücksicht auf die innere Einheit sowie die Außenwirkung der missionarisch orientierten Gemeinde mit Strukturwerten angereichert, wodurch freilich der Geist der Communitas spürbare Einschränkungen erfährt.411 Das Bemühen des Apostels, das Handeln der Frauen im Gottesdienst in die Schranken zu weisen, ohne die Gleichberechtigung der Frauen im Gottesdienst prinzipiell in Frage stellen zu wollen, führt letzten Endes zu einem argumentativen Drahtseilakt, der in seiner Unschärfe der ambivalenten Strategie im Fall Onesimus durchaus ebenbürtig ist.412 6. Zusammenfassung In dem umfangreichen § 10 konnte in mehreren Schritten aufgezeigt werden, in welcher Weise und in welchem Maß sich im Corpus Paulinum die charakteristische soziale Ausformung von Liminalität, nämlich Communitas, reflektiert. Nur einige wenige zentrale Punkte können und sollen hier nochmals herausgehoben werden. Zunächst: Rituelles Handeln spielt eine gewichtige Rolle im Zusammenhang mit der Gründung, Ausformung und Integrität der paulinischen Gemeinden. Dies gilt neben der missionarischen Verkündigung, der Taufe und dem Abendmahl auch für die gottesdienstlichen Versammlungen mit ihren vielfältigen kleineren rituellen Handlungselementen (Glossolalie, Prophetie, Gesang etc.). Insgesamt erwächst aus dem symbolisch-rituellen Handeln Gruppenkohäsion und ein Gemeinschaftsethos. Zentrale Überzeugungen der Gemeinschaft werden im rituellen Vollzug gleichsam individuell „verkörpert", d.h. körperlich ausagiert, angeeignet, aber auch neu kreiert 413 Anders gesagt: Präreflexive Körperlichkeit und symbolisches Universum verschmelzen im Ritual,414 und zwar mit der Folge, daß die rituellen Subjekte ganzheitlich transformiert und der Gemeinschaft „einverleibt" werden. Entscheidend ist nun, daß Paulus in seinen Schreiben wiederholt mehr oder minder deutlich auf die im rituell-liminalen Raum eröffnete Communitas ab411

Zur Relativierung von Gal 3,28 in diesem Sinn s. auch W.S. CAMPBELL, Gospel, 109; SNODGRASS, Conundrum, 175. 412 CORRINGTON, Headless Woman, 224 notiert zu IKor l l , 2 f f . : „Paul is negotiating the difficult .border state' that lies between what ist .freedom in Christ' (Gal 5:1) and need for Christans as members of a religio illicita to demonstrate that they subvert neither the social order (nomos) nor the .natural' order (physis)." 413 Vgl. dazu allgemein JENNINGS, Knowledge, 115ff. 414 Vgl. dazu ZUESSE, Meditation, 518ff.

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hebt, und zwar neben der vertikalen Christuscommunitas gerade auch auf die horizontale Communitas, also auf die nichtalltägliche, die vielfältigen Differenzen der herkömmlichen Sozialstruktur transzendierende, innige Verbundenheit unter den Christusgläubigen. Dies trifft zunächst auf jene Ausführungen zu, die unmittelbar von der Taufe und dem Herrenmahl handeln und die die in diesen Ritualen erfahrbare liminale Transzendierung der geläufigen Statusklassifizierungen thematisieren (bes. Gal 3,28, IKor 12,13). Die beiden Rituale erscheinen dabei insoweit aufeinander bezogen, als sich die in der Taufe verwurzelte Überwindung der ethnischen, sozialen und geschlechtlichen Demarkationen im Mahl stets aufs neue reaktualisiert, womit die liminale Existenz der Christusgläubigen permanent untermauert wird. Wie sehr Paulus an der Wahrung der Communitas im Herrenmahl lag, dokumentiert die an IKor 11,17-34 demonstrierte Strategie der Re-Ritualisierung, die sich gegen eine augenscheinlich in Korinth eingerissene Zeremonialisierung des Mahls richtet, bei der die ursprünglich egalitäre Kommensalität im Ritual zu einer die unterschiedlichen Statuspositionen stabilisierenden Kommensalität umfunktioniert wurde. In deutlicher Widerrede zu solchen Tendenzen drängt der Apostel entschieden auf eine Deutung und Praxis des Herrenmahls, in der sich Communitas artikuliert und abbildet. Wie sehr Paulus seine Gemeinden überhaupt vom Konzept einer horizontalen Communitas her bestimmt, wurde an der Rede vom Leib Christi gezeigt. In ihr verdichtet sich symbolisch-effektiv der anti-strukturelle, das herkömmliche Wertesystem invertierende Charakter der Christusgemeinschaft. Zahlreiche Anhaltspunkte im Corpus Paulinum indizieren die über den rituellen Rahmen hinausgehende Imprägnierung des Alltags mit Communitaswerten. Ich bin diesem Phänomen, orientiert an der programmatischen Taufaussage Gal 3,28, auf den drei Ebenen der ethnischen, sozialen und geschlechtlichen Stratifikationen nachgegangen und habe dabei die universalistischen und egalisierenden Konnotationen der paulinischen Argumentation herausgeschält. Was den ethnischen Bereich anbelangt, so setzt sich der Apostel in mehrerlei Hinsicht für eine Relativierung der Differenz von Juden und Heiden unter den Christusgläubigen ein. Dies wurde namentlich an seiner kritischen Haltung zur Beschneidung der christusgläubigen Heiden, seiner Kritik an ethnisch motiviertem Rühmen, am Gebrauch des Wortes πας und einigen anderen Anhaltspunkten vorgeführt. Im sozialen Bereich mindert Paulus die Statusdifferenz von Sklaven und Herren im Leib Christi mittels des Bruderschaftsmotivs und der Rede von der Koinonia (Phlm 15-17) sowie mit dem Hinweis auf die grundsätzlich liminale Relativierung solcher Statuspositionen infolge der Initiation (IKor 7,21-24). Im Hinblick auf die Geschlechterpolarität geht der Apostel offenbar von einer „in Christus/im Herrn" zumindest abschattungsweise möglichen Annullierung derselben in Form einer enkratischen und agamischen Lebensform aus. Aber auch die Ehe, die er angesichts des Umstandes, daß viele Christusgläubige als Verheiratete initiiert wurden,

Zusammenfassung

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sowie mit Rücksicht auf den Geschlechtstrieb nicht einfach in toto verwirft, unterfüttert er mit Communitaswerten, indem er auf eine Art Symmetrieprinzip unter den Gatten pocht. Nichtsdestotrotz erfährt dieses zentrale Institut der damaligen Sozialstruktur infolge der gegenwärtigen liminalen Situiertheit der Christusgläubigen in der kosmischen Äonenwende und der in der Ehelosigkeit leichter verwirklichbaren Christuszugehörigkeit eine gegenüber dem damaligen Zeitgeist deutliche Entwertung (IKor 7). Paulus konterkariert nun allerdings die universalistischen und egalitären Komponenten der christusgläubigen horizontalen Communitas in zweierlei Hinsicht immer wieder. (1) Zum einen hält er in allen drei besprochenen Bereichen in unterschiedlicher Weise bestimmte Strukturwerte seiner damaligen Kultur und Gesellschaft aufrecht. Dies reicht von seinem Beharren auf der heilsgeschichtlichen Prärogative Israels über die stillschweigende Billigung des Sklaveninstituts bis zur eben bereits angesprochenen Bewahrung der Ehe und einer für die mediterrane Kultur typischen Abweisung sexuell konnotierter weiblicher Aktivität. Die den paulinischen Briefen inhärenten anti-strukturellen Impulse werden dergestalt spürbar eingeschränkt. Das bedeutet jedoch andererseits keineswegs, daß Paulus mit dieser teilweise doch recht manifesten Integration von Strukturwerten das Communitaskonzept über Bord wirft. Vielmehr lassen sich die Rekurse auf die Sozialstruktur im Sinn einer Legitimierung, Stabilisierung und Absicherung der Sozialform Communitas lesen, d.h. die horizontale Communitas wird mittels bestimmter Komponenten der Sozialstruktur „eingehegt". So stehen die Verweise auf die Prärogative Israels gerade im Kontext einer heilsgeschichtlichen Legitimation der Communitas aus Juden und Heiden; die ambivalente Haltung zum Sklaveninstitut wie auch die Verteidigung der Ehe mitsamt den konventionellen Direktiven im Zusammenhang mit dem Verhalten der korinthischen Frauen im Gottesdienst erklären sich zu einem wesentlichen Teil aus dem Interesse an einer Konservierung des Oikossystems, das die Existenz und Integrität der paulinischen Gemeinden grundlegend trägt und zugleich zentraler Eckpfeiler der Missionsarbeit ist;415 anders gesagt, sie erklären sich aus dem Ansinnen die nötigen strukturellen Voraussetzungen für die spezifischen Communitaserfahrungen der Christusgläubigen zu erhalten. (2) Darüber hinaus durchbricht Paulus die egalitäre Ausrichtung seiner Äußerungen und Thesen immer wieder auch auf der Korrespondenzebene, nämlich mittels autoritativer Argumentationsstrukturen und Anordnungen. Doch dieses Vorgehen steht ebenfalls - wie insbesondere bei der Besprechung des Philemonbriefes und von IKor 7 sichtbar wurde - im Dienst einer permanenten Kultivierung der horizontalen Communitas. Die Communitas der Christusgläubigen entpuppt sich so angesichts des normierenden Eingreifens des Apostels sowie in Anbetracht der beschriebe415

Vgl. dazu auch MEEKS, Origins, 49f.

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Communitas und Anti-Struktur bei Paulus

nen Anreicherung mit Strukturwerten als normative. Stimmt man dem zu, dann erklären sich nicht wenige Spannungen der sozial-ekklesiologischen bzw. ethischen Argumentation der Paulusbriefe aus der für diese Sozialform charakteristischen Dialektik von Struktur und Anti-Struktur. Das Corpus Paulinum ist dementsprechend in seiner ethischen Orientierung in den genannten Bereichen von den typischen Paradoxien und Dilemmata gezeichnet, in die sich das Bemühen einer Konservierung der von Haus aus spontanen Sozialform Communitas stets verstrickt.416 Die Argumentation des Apostels zeugt folglich von einer Phase in der Entwicklung des frühen Christentums, in der der ursprünglich spontane und enthusiastische Geist der Communitas offenbar mit Strukturen versehen und genormt werden mußte, um weiter bestehen zu können. 417 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das in § 3.3 vorgestellte prozessuale Entwicklungsschema liminaler Bewegungen. Paulus ist somit auf dem Weg zur Etablierung einer „Gegen-Struktur". Eines darf bei alledem freilich nicht übersehen werden: Trotz aller Normierung und ungeachtet der Integration von Strukturwerten gilt mit Turner: „... selbst eine lediglich auf normativer Communitas basierende Gruppe unterscheidet sich von Gruppen, die sich irgendeiner - realen oder eingebildeten - .natürlichen' oder technischen .Notwendigkeit', z.B. einem System von Produktionsbeziehungen oder einer Gruppe mutmaßlich biologisch verwandter Personen wie einer Familie, einer Kindred oder Lineage entstehen. Nonnativer Communitas haftet etwas von .Freiheit', .Befreiung' oder .Liebe' an."418

Dies will gerade in bezug auf Paulus stets mit bedacht sein.

416 Am Rande sei hier angemerkt, daß TURNER, Dramas, 294 für Religionen grundsätzlich ein Ineinander von Struktur und Communitas konstatiert: „The great religious systems harmonize rather than oppose structure and communitas and call the resultant total field the .body' of the faithful, the umma (.comity') of Islam, or some similar term which reconciles love with law, communitas with structure." 417 Bei MOXNES, Integration, 113 A31 ist entsprechend zu lesen: „An initial period of a group is often characterized by communitas, i.e. undifferentiated relationships. Paul's letters seem to bear witness to a period in which the question of structure becomes more dominant, and with a tension between communitas and structure as a result." 418 TURNER, Theater, 77.

Schlußbetrachtung Die wichtigsten Einzelergebnisse des exegetischen Teils der vorliegenden Untersuchung finden sich jeweils in den Zusammenfassungen am Ende der Paragraphen 6 bis 10 sowie in mehreren Zwischenresümees in den verschiedenen Unterabschnitten gebündelt und müssen darum hier nicht nochmals wiederholt werden. Einige grundsätzliche Beobachtungen und Feststellungen verdienen jedoch eine abschließende Darstellung. Ziel dieser Studie war es, gestützt auf die Ritual-, Symbol- und Gesellschaftstheorie des schottischen Anthropologen Victor Turner, einen kulturanthropologisch inspirierten Zugang zu einigen zentralen Abschnitten und Aussagen im Corpus Paulinum zu eröffnen. Dabei hat sich gezeigt, daß Turners Modelle der Liminalität und der Communitas wie auch seine Symboltheorie einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der paulinischen Theologie leisten können.1 Dies gilt zumal dann, wenn man die Theologie des Apostels maßgeblich vom Transformationsgedanken her bestimmt sieht. Ich habe diesbezüglich vier Transformationsebenen unterschieden: die individuelle Ebene der Transformation des Apostels sowie der Christusgläubigen allgemein, die christologische Ebene der Transformation Jesu Christi, die kosmische Ebene der Transformation der Äonen und die kollektiv-soziale Ebene der Transformation der Beziehungen unter den Christusgläubigen. Im dominanten Symbol des Kreuzes Christi, so wurde deutlich, verdichten sich alle vier Transformationsebenen; darin bestätigt sich überdies, daß die Transformation Christi als Brennpunkt aller anderen Transformationsprozesse fungiert. Festzuhalten ist nun, daß für Paulus auf jeder der genannten Ebenen der Aspekt des Schwellendaseins grundlegend ist, das heißt, der Apostel hebt in allen Bereichen insbesondere auf das Moment des Übergangs ab und qualifiziert Gegenwart und Existenz der Christusgläubigen prinzipiell als liminal, wobei solcher Liminalität in sozialer Hinsicht die Etablierung einer Communitas korrespondiert. Anders gesagt: Paulus ist der Überzeugung, daß die Welt in einem fundamentalen Wandel begriffen ist, ein Wandel, der eine essentielle Umformung des Individuums und des sozialen Miteinanders einschließt und der seinen Grund in der Transformation Christi in Tod und Auferstehung hat. Die Paulusbriefe sind folglich von einer spezifisch liminalen Selbst-, Welt-, und Zeitwahrnehmung geprägt. Ja, die paulinische Theologie kann vor diesem 1 PETERSEN, Rediscovering, 197 A165 meint: „I am convinced that if Turner had not created the concepts of structure and anti-structure, we would have had to invent them ourselves in order to account for what we see in Paul's letters. Looked at from another angle, Paul's letters lend further support to many of Turner's ideas."

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Schlußbetrachtung

Hintergrund als „liminale Theologie" bezeichnet werden, eine Theologie, die konsequent von der Übergangsqualität der Wirklichkeit ausgeht und im christusgläubigen Sein als einem Sein „betwixt and between", d.h. einem Sein zwischen der Separation aus der alten Welt und der endgültigen Aufnahme in eine neue, Gottes heilschaffende und die Strukturen des gegenwärtigen Äons überwindende Macht am Werk sieht. Die Christusgläubigen sind bei Paulus sozusagen Schwellenwesen, die weder hier noch dort sind und die in gewisser Weise „zwischen den von Gesetz, Tradition, Konvention und Zeremonial fixierten Positionen"2 existieren. Die liminale Theologie des Apostel ist in alledem kein rein geistiges System, kein lediglich intellektuelles Konstrukt, sie wurzelt vielmehr in konkreten Erfahrungen, insbesondere in rituellen und rituell konnotierten Erfahrungen. Sie ist mithin kein „bloßes Wissen", sondern gründet im rituell-liminalen Erleben und in einer liminalen Praxis, die sich aus der transformativen Kraft der Rituale, vor allem der Initiationserfahrung generiert. Die liminale Theologie des Apostels ist, so läßt sich in Anlehnung an Überlegungen Turners sagen, erlebte Bedeutung, die an das bedeutungsvolle Erleben im Ritual rückgebunden ist.3 Mehrfach wurde in dieser Hinsicht auf die rituelle Fundierung zentraler Aussagen im Corpus Paulinum hingewiesen. Von elementarer Bedeutung für die liminale Theologie ist dabei die vertikale Christuscommunitas, d.i. die die ganze Person durchdringende Partizipation an Christus qua Inkorporation in sein Schicksal und die damit verbundene Teilhabe an der Transformationsdynamik vom Tod zur Auferstehung im rituellen Erleben. In ihr wurzelt nach Paulus ein neues Sein, in ihr bricht die neue Schöpfung an, in ihr wird die äonenwendende Macht des Christusgeschehens gleichsam auf den einzelnen appliziert und aus ihr resultiert schließlich auch eine horizontale Communitas unter den Christusgläubigen als „Leib Christi". Ihre Vollendung findet diese in der Initiation eröffnete Christusteilhabe freilich erst in der leiblichen Auferstehung bei der Parusie; doch die Dynamis der Auferstehung Christi wirkt, vermittelt über das Ritual, abschattungsweise bereits jetzt in die Existenz der Christusgläubigen ein, transformiert diese und eröffnet ihnen eine von den Strukturen und Todesmächten dieser Welt separierte, wenn auch noch nicht völlig ungefährdete liminale Existenz bis zur endgültigen Aggregation bei der Wiederkunft des Herrn. 2

So TURNERS Definition von Schwellenpersonen (Ritual, 95). Vgl. dazu TURNER, Theater, 138, der allgemein dafürhält: „Wie die Kunst lebt die Religion nur, wenn sie dargeboten wird, d.h. wenn ihre Rituale ,gut funktionieren'. Will man die Religion kastrieren oder unfruchtbar machen, muß man zuallererst ihre generativen und regenerativen Prozesse unterbinden. Denn Religion ist nicht nur ein kognitives System, besteht nicht nur aus einer Reihe von Glaubenssätzen, sondern ist vor allem bedeutungsvolles Erleben und erlebte Bedeutung" (Hervorhebungen im Original); zur „noetischen Funktion" ritueller Vollzüge vgl. grundsätzlich JENNINGS, Knowledge, passim; zur Verhältnisbestimmung von Ritual und Theologie s. allgemein auch die Auseinandersetzung mit WlNQUISTbei GRIMES, Criticism, bes. 166-168. 3

Schlußbetrachtung

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Die Permanenz der aktuellen Liminalität der Christusgläubigen im Sinn einer anhaltenden Loslösung von den Stratifikationen und Grenzziehungen der Sozialstruktur des gegenwärtigen, vergehenden Kosmos führt Paulus an seiner eigenen Existenz plastisch vor Augen. Stephen C. Barton weist mit Recht auf „the evident willingness of Paul to adopt a conspicuously liminal lifestyle - culturally anomalous, socio-political provocative, financially independent, transient, physically dangerous and so on"4. Paulus repräsentiert also in seiner eigenen Person in mancherlei Form paradigmatisch Liminalität. Als jüdischer Apostel der Völker tritt er vor allem als eine Art Grenzgänger zwischen Juden und Heiden in Erscheinung, der fixe ethnische Demarkationslinien seines kulturellen Raums überschreitet, genauer noch: überbrückt. Darüber hinaus verwendet sich der Apostel grundsätzlich für eine horizontale Communitas unter den Christusgläubigen, die auf ein kontinuierliches egalitäres Miteinander nicht nur in ethnischer, sondern auch in sozialer und geschlechtlicher Hinsicht zielt. Mit großem Engagement setzt er sich dafür ein, die außergewöhnliche Sozialform der Communitas, die zu den herausstechenden Charakteristika liminaler Existenz gehört, in seinen Gemeinden fest und anhaltend zu verankern. Dazu muß er allerdings die Radikalität der spontan-egalitären Züge der ursprünglich rituellen Communitas teilweise zurückfahren und sie mit Strukturwerten und -normen anreichern, denn nur so ist die Überlebensfähigkeit einer communitasförmigen Gemeinschaft innerhalb der damaligen streng stratifizierten und genormten Welt auf Dauer gewährleistet.5 Von daher wird auch verständlich, daß Paulus wiederholt an den die antikmediterrane Kultur bestimmenden Kategorien Ehre und Schande festhält, obwohl er sie im Symbol des Kreuzes zugleich scharf attackiert und invertiert. Im Zusammenhang mit diesen und anderen Spannungen kann in Anlehnung an Turner von einer normativen Communitas gesprochen werden. Trotz des zwiespältigen Kompromißcharakters einer solchen normativen Communitas ist die grundsätzliche und konsequente Ausrichtung auf eine beständige Überwindung der zentralen Polaritäten Jude - Heide, Sklave - Freier, männlich - weiblich, von der die Briefe des Apostels sichtbar zeugen, bemerkenswert. In solchem Streben nach Aufweichung dualer Klassifikationen, wie problembeladen deren Umsetzung in praxi auch immer gewesen sein mag, spiegelt sich eindrücklich einmal mehr das liminale Kolorit der paulinischen Denkbewegung, spiegelt sich seine „liminale Theologie". 4

BARTON, Approaches, 898f. Vgl. dazu auch CORRINGTON, Headless Woman, 223: „There is ... a unresolved tension between religion as a form of stepping across the .normal' boundaries of social intercourse, and religion as a form of reinforcing those boundaries. The letters of the apostle Paul, and particularly the Corinthian correspondence, reveal .tension and ambivalence' on his own part and on that of his congregations between the freedom from traditional religiosocial roles their new religion appears to promise and what is actually .permissible' within the religious and social institutions of that environment." 5

Literaturverzeichnis Die im Literaturverzeichnis verwendeten Abkürzungen für Zeitschriften, Serien und Lexika richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie, zusammengestellt von S. Schwertner, Berlin/New York 19922 (IATG). Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen benutzt: ABD BSVM DBibl DPL WBC

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Quellen und Hilfsmittel sind im Literaturverzeichnis nicht eigens aufgenommen. Sie lassen sich anhand der bekannten Einleitungswerke, Handbücher o.ä. leicht verifizieren. In den Anmerkungen ist die Literatur mit Kurztiteln zitiert, Kommentarwerke werden dabei mit den gebräuchlichen deutschen bzw. englischen Abkürzungen der entsprechenden Bibelschrift wiedergegeben. Bei ähnlichen Titeln eines Autors ist im Literaturverzeichnis die im obigen Text benützte Abkürzung jeweils in runden Klammern angegeben. Für antike Autoren und ihre Werke wurde das Abkürzungsverzeichnis des ThWNT (Bd. X,l, 53-85) sowie des EWNT 2 (Bd. I, xii-xxi) herangezogen. Andere, nicht fachspezifische Abkürzungen entsprechen dem herkömmlichen Gebrauch. Adeyemi, M.E., A Sociological Approach to the Background of Pauline Epistles, in: DelBibMel 10 (1991), 32-42 Adkins, A.W., Merit and Responsibility. A Study in Greek Values, Oxford 1960 Alexander, B.C., An Afterword on Ritual in Biblical Studies, in: Semeia 67 (1994), 209225 - Art. „Ceremony", in: EncRel(E) m (1987), 179-183 - Victor Turner Revisited. Ritual as Social Change (AAR.AS 74), Atlanta 1991 Alföldy, G., Antike Sklaverei. Widersprüche, Sonderformen, Grundstrukturen (ThyssenVorträge. Auseinandersetzungen mit der Antike 7), Bamberg 1988 - Die römische Gesellschaft. Ausgewählte Beiträge (Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigrahpische Studien 1), Stuttgart 1986 - Römische Sozialgeschichte (Wissenschaftliche Paperbacks 8. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte), Wiesbaden 19843 Allison, R.W., Let Women be Silent in the Churches (1 Cor 14.33b-36): What did Paul Really Say, and What did it Mean, in: JSNT 32 (1988), 26-59 Andreau, J., Der Freigelassene, in: Der Mensch der römischen Antike, hg. v. A. Giardina, Frankfurt a.M./New York 1989, 200-225

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Bibelstellenregister (in Auswahl) Die Kursivierung von Seitenzahlen weist auf eine eingehende Behandlung der jeweiligen Schriftstelle hin. Die Besprechung des Ehre/Schande-Vokabulars im Corpus Paulinum im Exkurs des § 9.3 (S. 285f.) wurde für das Register nicht berücksichtigt.

Altes Testament/Septuaginta Genesis lf. 386 l,26f. 165.439 1,27 384.385.387.440 1,3 138 2 440 2,7 143 2,18 432 2,21-22 387 2,22f. 432 2,24 420 2,7 143 5,2 384 6, Iff. 430 12,7 149 17,1 149 26,2 149 26,24 149 35,9 149 49,26 435 Exodus 12,14 328 12,37ff. 77.223f. 12,3 328 13,8 328 21,6 371 Leviticus 13,45 426 16f. 78 25,46 371 Numeri 5,18 426 12,12 150f. 15,20 99

Deuteronomium 15,17 371 21,22f. 267 Judicum 4,17-21 77 5,24-27 77 IRegum 25,39 435 2Regum 1,16 435 Nehemia 4,4 435 Judith 9,9 435 2Makkabäer 2,21 97 8,1 97 14,38 97 4Makkabäer 3,17 391 4,26 97 Hiob 3,16 150f. Psalmen 31,13 143 58,9 151 96,9 172 Proverbien 1-9 78 6,27f. 391

Kohelet 6,3 150f. Jesus Sirach 9,8 391 23,17 391 Psalmen Salomos 17,8 123 Jesaja 6 100 9,1 138 14,19 151 28,16 366 45,23 172 49 240 49,1 84.100 49,1-6 100 49,6 84 53 168 64,7 143 Jeremia 1,5 84.100 22,28 143 Ezechiel 1 140 9,10 435 45,1 99 45,4 99 45,9 99 Daniel 2,3 148 2,29 148 Hosea 13,13 150

500 Neues

Bibelstellenregister Testament

Matthäus 3,17 178 6,9-13 78 6,16-18 78 9,21f. 180 9,37f. 114 10,10 114 ll,25f. 78 12,1 lf. 78 19,9 392 23,12 171 23,25f. 78 26,26-29 78 28,18-20 160 28,19f. 78 28,19 195 Markus 1,35 78 1,9-11 78 2,18-22 78 2,23-28 78 3,1-6 78 7,1-23 78 10,12 392 12,25 389 14,22-25 78 14,35-42 78 16,15f. 78 Lukas 14,1-6 78 2,37 78 10,7 114 ll,37ff. 78 13,10-17 78 14,11 171 18,14 171 22,15-20 78 22,19 78 Johannes 5 78 9 78 7,22f. 78 20,18 147 20,25 147 Acta 1,14 78 1,15-26 78

2,38 78 2,41 78 2,42 78 4,23-31 78 6,1-6 78 8,12 78 8,16 195 8,36-39 78 9,3-9 96 9,18 78 10,48 78 13,1-3 78 13,2f. 78 14,23 78 16,15 78.407 16,33 78 16,40 407 18,8 78 19,5 195 22,6-10 96 26,13-18 96 26,18 142 Römer l , l f f . 251 1,4 104 1,5 359 1,7 310 1,15 251 1,16 250.278.366.409.412 l,26f. 385 2,6-12 258 2,12-16 363 2,15 412 2,17-28 410 2,17-24 363 2,17 361.363 2,19 142 2,23 361.363 2,25-29 359.363 3,1-8 410 3,lf. 409.411 3,1 410f. 3,2 411 3,4 366 3,9 363.366 3,12 366 3,19f. 366 3,21-26 182 3,21 230.235.246 3,22 366 3,23 366 3,25 80

3,26 230 3,27ff. 363 3,27 126.361 4 364.367 4,2 126.361.364 4,9-12 359 4,1 lf. 364.366.367 4,12 412 4,14 165 4,16-18 364.367 4,16f. 366 4,16 412 5 226 5,9 230 5,11 230 5,12-21 183.252.387 5,12 366 5,18 366 5,21 181.186 6,1-11 234.254.312f. 6,1 181.182 6,2 181.182.186.252.254 6,3-11 145 6,3-5 144.254.336 6,3f. 177-189.192.211.235. 241.252f.275 6,3 312 6,4 215 6,5 183.187f. 6,6f. 186 6,6 145.186.248.252/271. 274.312 6,7 252 6,8 254.312 6,9f. 186 6,9 312 6,10 186.254 6,11 I92.197f.200.201.24l. 312 6,12 186 6,16-18 234 6,19-23 234-236.239.242 6,19 230 6,21f. 230 6,23 189.198 7,1-6 182 7,4 336 7,6 230 7,7-25 88 8,1 198.230 8,2-3 182 8,8 400 8,9-11 199

Bibelstellenregister 8,9 105.199 8,11 105 8,15-18 313 8,15f. 105 8,15 412 8,18ff. 212.243f. 8,18 231 8,22f. 220 8,22 231 8,23 412 8,26 220 8,29 136 8,32 366 8,36 127 8,39 189 9,1 199.208 9 , 2 - 3 411 9,4f. 409.477/ 9,4 117 9,5 366.412 9,6 117.411 9,17 366 10,2-4 88 10,3 126 10,4 366 10,9 78 10,11-13 365f. 10,18 366 11,13 359 11,17-24 3 6 4 / 4 0 9 11,29 131.412 l l , 3 0 f . 230 11,32 366 12-16 368 12,3-8 338 12,4-8 337 72,4/ 203/339 12,4 343 12,5 338.340 12,6f. 348 12,13 310 13,11-14 236-239.242 13,1 lf. 212 13,11 399 14,1-15,13 368 14,14 208 14,17 199 15,7-13 368 15,15-16 92 15,16 199.251.359 15,18 359 15,25ff. 368 16,lf. 407

16,2-5 407 16,2 208 16,3 206 16,5 416 16,6 406 16,7 206.407 16,8 208 16,9 206 16,10 206 16,11 206 16,12 208.406 16,13 206.208 16,16 308 IKorinther 1,2 206 1,1 lf. 251 1,11 407 l,12f. 313 1,12 273.318 1,13 195.248.257/273.337. 338 1,14-16 287 1,17 165.248. 257f. 1,18-25 269.288f. 1,18ff. n0.287ff. 1,18 248.250.257f.263.274. 278.294 1,21 257 1,22 220 l,23f. 205.257.272 1,23 248.257.263.274.294 1,24 263.278 1,26-31 289f. 1,26-28 204 l,26ff. 272 1,26 131 1,29 205.365 1,30 204f. 1,31 205.437 2 , 7 - 5 275.295 2,1 257 2,2 248.257.274 2,4 251.257.263 2,6 215.226.257 2,7 256 2,8 226.248.261.269/ 2,10 105 2,13 257 3,9 239 3,15 258 3,16f. 310 3,16 105.199

501 3,18 294 3,21 365 4,6 440 4,7 365.379 4,8-16 292-295 4 , 9 - 1 3 289.295.348 4,9ff. 154 4,10 208.440 4,15 208.250 4,17 208 5,1-8 420 5 , 1 - 5 395 5,1 420 5,5 220.258 5,6-8 420 5,6 365 5,9 420 5,11 420 5,19ff. 250 6,1 310 6,11 199.205.235.250.420 6,12-20 395.420 6,12 390.430 6,13 420 6,14 127 6,15 337.420 6,16 420 6,18 420 6,19 105.199.310 6,20 383 7 77.383.385.388.390-406. 41S.419-422.446.449. 451 7,17-20 378 7,18f. 359 7,19 360 7,20 131.380.381 7,21-24 378-383.450 7,2Iff. 301 7,21 415 7,39 208 8 - 1 0 347 8,1 390 8,6 78 9,7 88.103.747/ 9,10 440 9,13f. 251 9,15 165 9,16-18 295 9,16f. 88 9,16 251 9,19-23 295 9,19ff. 251

502 9,23 440 10,1-13 225 10,1-10 223 10,1-4 225 10,2 195.225 10,3f. 225 10,4 225 10,7-10 225.230 10,11 222f.225-230.245f. 10,12f. 225.230 10,14-22 223.342 10,16f. 78.225.376-379. 329.339.375 10,16 204.333.336.342 10,17 204.229.333.337. 338.343.343 10,23 430 11,2-16 287.383.385.418. 423-449 11,3-16 301 11,5 407 11,7f. 385 11,7 387f. 11,11 189.208 ll,14f. 386 11,17-34 320-335.450 11,23-26 78 11,23-25 341 l l , 2 4 f . 78 11,24 336.342 11,26 342 11,27 336 11,29 337.338.343 12-14 347 12,3 199 12,6ff. 348 12,9 199 12,12-26 337 12,12ff. 313. 12,12f. 204.338 12,12 339.340.343 12,13 204.250.320.338. 339.342.343.347.351. 352.450 12,14-26 343 12,14ff. 345-348 12,15ff. 339 12,22-26 347 12,22-24 343.348 12,22ff 349 12,27 337.339.340 12,28 348f. 13,4 263

Bibelstellenregister 14 78.307f. 14,14-17 347 14,23-25 447 14,25 198 14,30 105 14,33-36 418 15,1-11 91 15,lf. 250 15,3ff. 251 15,3f. 248 15,8-10 88.748-755 15,8 103.147.157.295 15,18 206 15,21f. 387 15,21 189 15,31 208 15,45-50 387 15,49 136 15,50ff. 212 15,51 127 15,56 186 15,58 208 16,1-4 368 16,9 416 16,19 208 16,20 308 16,24 208 2Korinther 1,1 310 1,18 291 1,22 244 1,24 291 2,1-5 290 2,4f. 291 2,6ff. 290f. 2,9 287 2,14-16 251 2,14 295 2,17 208 3 98 3,18 141f. 4,4-6 88 4,5 440 4,6-12 137-147 4,6 147.148.149.156 4,7-9 295 4,10ff. 104.188 4,10 295 4,11 129.440 4,15 440 4,16 215 4,17 243

5,3 123 5,4 146 5,5 244 5,11-6,2 239.241 5,14-21 182 5,14-16 201 5,15 201 5,16-18 88 5,16 201.230.240^289 5,17f. 240 5,17 120.139.200.201.212 5,20 239 5,21 240.242 6 , I f f . 239ff. 6,2 212.230.231.243 6,4-10 289.295.243 6,11 205 6,16 105.198.310 8f. 368 8,9 440 8,23 376 9,1 310 9,3 165 10,10 258.296 11,6 258 11,13 114 11,23-33 289 12,1 103 12,2 103.79S 12,7 103.153 12,9 289 12,11 258 12,19 208 73,3/ 258f. 13,3 251 13,4 248.291.294 13,5 199 13,12 308 Galater 1,4 226.269 1,6-9 361 1,7 112 l,8f. 251 1,11-17 86.88.96-772.113 l , l l f . 91 1,13f. 84.118 1,13 117.152 1,15f. 84.147.149.157.251 1,15 118.154f.156.309 1,16f. 91 1,16 80.198.251.359 1,17ff. I08ff.

503

Bibelstellenregister 1,23 117.152 2,1-10 110.359.368 2,4 205 2,5 111 2,6-10 92 2,7-9 251 2,8f. 359 2,10 368 2,11-14 111.309.368 2,12 99 2,14 97.111 2,19f. 254.Π \ 2,19 248.253.274f. 2,20 105.198f.230 3 226.367 3, Iff. 256f. 3,1 112.248.255^263.274. 296.313 3,2 250.256 3,3 256 3,4 257 3,5 251.263 3,8 251 3,13 248.267 3,26-29 195ff. 3,26-28 106.192.202/204 3,26f. 313 3,27f. 255.389 3,27 192.193.238.250.336. 389 3,28 300.304.313.334J57358.3S3.384-390.395. 406.418.423.431f.439. 446.449.450 3,29 254 4,4 220 4,6f. 313 4,6 105 4,8f. 121 4,12 112 4,13-20 295f. 4,14 153 4,17 112 4,19 199 4,26 131 4,29 230 5,1-12 359 5,6 205.309.360 5,7 112 5,10 112.208 5,11 24S.259f.nO 5,12 112.361 5,13-24 250

5,14 418 5,24 248.254/271 6,2 418 6,4 365 6,12-15 260f. 359 6,12f. 112.269 6,12 248.270 6,13-15 363 6,13 361 6,14f. 120.263.26S/272 6,14 248.253.254/262. 270£274f.290.295 6,15 309.360.388 6,17 295 Epheser 1,23 335 2,16 335 3,1-13 88 4,4 335 4,12 335 4,16 335 5,8 142 5,23 335 5,30 335 Philipper 1,1 206.310 1,24 440 1,26 208 1,27 250 2,1-4 175.211 2,1 189.208 2,5 189.208 2,6-11 78.759-777.211 2,7 266 2,8 248.261.266.292 2,11 134 2,12-18 175.211 2,12 175 2,17 80.251 2,19 208 2,24 208 2,29 208 3 287 3,1 208 3,2-21 112-137.176 3,2-11 86.88 3,2ff. 359 3,3 208.437 3,4-6 284 3,6-11 211 3,6-10 176

3,6 84.152 3,7 164 3,9-11 200f. 3,9 197 3,10f. 104.188 3,10 140.143.146.375 3,15 105 3,17 113 3,18 248.274.292 3,20f. 176 3,21 188.336 4,2f. 406 4,2 208 4,4f. 212 4,4 208 4,9 113 4,10 208 4,13 208 4,18 371 4,21 208 4,22 310 Kolosser 1,15-20 78 1,18 335 1,23-29 88 1,24 335 2,19 335 3,lf. 131 3,9-11 352 3,15 335 4,15 416 IThessalonicher 1,1 189 1,5 250.251.440 1,10 104 2,15 400 3,2 239 4,1-8 310 4,1 400 4,3-5 404.420 4,16 206 5,1-5 212 5,4f. 142 5,26 308 Philemon 1 370.372.378 2 416 4 - 7 370 5 378 6 375.376.378

504 7 370.372.375.378 8f. 370.372.413 8 208.209 9 378 10-12 370 10 370 12 370.378 13f. 370 14 413 15-17 369-378A15A50 15 369 16 209.378 17 378.414

Bibelstellenregister 18f. 378 18 414 19 370.414 20 208.209.370.372.375. 378.414 21 414 22 414 23f. 416 23 370 1 Timotheus 2,9 428 3,16 170

Hebräer 1,5-14 160 6,6 266 12,2 266 IPetrus 2,9 142 5,14 308 Johannesapokalypse 5,5-14 160 20,15 123