Aus Israels Mitte - Heil für die Welt: Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas [Reprint 2013 ed.] 3110158647, 9783110158649

Die Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft (BZNW) ist eine der ältesten undrenommierteste

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Aus Israels Mitte - Heil für die Welt: Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas [Reprint 2013 ed.]
 3110158647, 9783110158649

Table of contents :
Erster Hauptteil: Grundlegung
I. Einführung zum Gang der Untersuchung
II. Zur Themenstellung
1. Lk-Act – weiterhin »a storm center in contemporary scholarship«
2. Antijudaismus vor und nach Auschwitz – der hermeneutische Rahmen in dieser Untersuchung
3. Zur Rede von Antisemitismus, Antijudaismus und Polemik
3.1. Antisemitismus
3.2. Antijudaismus
3.3. »Innerjüdische Polemik« versus Antijudaismus
3.4. Ergebnis
III. Zur Methodik
1. Die erzählte Welt des Lukas
1.1. Lk-Act als ein einheitlich konzipiertes Erzählcorpus
1.2. Zur narrativ-synchronen Interpretationsweise
1.3. Zur Aufnahme diachroner Methodik
2. Konkretionen narrativer Lukas-Interpretation
2.1. J.D. Kingsbury: »Conflict in Luke« – Plot als Erzählkonstante
2.2. R.C. Tannehill: »The Narrative Unity of Luke-Acts« – theologische Tendenz
2.3. J.B. Tyson: »Images of Judaism in Luke-Acts« – impliziter Leserkreis
3. Im Gefolge Tysons - erneute Bestimmung des impliziten Leserkreises
3.1. Wen bezeichnet Lukas als »Gottesfürchtige«?
3.2. Wer sind die Hellenen in Act?
3.3. Völkerchristen als impliziter Leserkreis
3.4. Theophilus als literarischer Adressat
3.5. Judenchristen als impliziter Leserkreis
3.6. Ergebnisse
Zweiter Hauptteil: Textanalyse
IV. Am Anfang das Ende – die Schlußperikope Act 28,16-31 als hermeneutischer Schlüssel zum Gesamtverständnis von Lk-Act
1. Der Erzählschluß aus der Leserperspektive – Enttäuschung der Lesererwartung
2. Die erste Begegnungsszene Act 28, (16) 17-22
2.1. Die Verteidigung des lk Paulus (V. 17b-20): »Um der Hoffnung Israels willen trage ich diese Kette«
2.2. Was versteht Lukas unter ἡ ἐλπὶς τοῦ Ἰσραήλ?
2.3. Die Entgegnung der stadtrömischen Juden (V. 21f)
3. Die zweite Begegnungsszene Act 28,23-28
3.1. Ein letzter Versuch – die Verkündigung an die stadtrömischen Juden (V. 23b)
3.2. Die geteilte Reaktion der stadtrömischen Juden (V. 24) – eine Zwischenbilanz mit Folgen
3.3. Die Antwort des lk Paulus und das »asymphonische« Gesprächsende (V. 25-28)
4. Der Epilog (V. 30f)
5. Zusammenfassung und Ertrag
V Wie alles beginnt – der Anbruch des Heils (Lk 1f)
1. Lk 1f gleicht einem Introitus in das lk Gesamtwerk
2. Das lk Erzählszenario – aus Israels Mitte kommt das Heil
2.1. Zur Bedeutung des Jerusalemer Tempels in Lk-Act
2.2. Wen bezeichnet Lukas mit λαός
3. Die beiden Hauptfiguren des Heilsgeschehens
3.1. Der Täufer als Wegbereiter des Heils
3.2. Der Interpretationsrahmen für die lk Erzählfigur Jesus
4. Zusammenfassung und Ertrag
VI. Ein dunkler Schatten – die Weissagung des Simeon (Lk 2,29-35
1. Einführung
1.1. Simeon als der paradigmatisch fromme Jude
1.2. Zur narrativen Funktion des Heiligen Geistes
2. Die erste Weissagungshälfte Lk 2,29-32
2.1. Jesus ist τό σωτήριον τοῦ ϑεοῦ (V. 30)
2.2. Das Heilsgeschehen ist universal und israelorientiert (V. 31f)
3. Das Erstaunen der ›Eltern‹ Jesu (Lk 2,33)
4. Die zweite Weissagungshälfte Lk 2,34b-35
4.1. Jesus – gesetzt zum »Fall und Aufstehen vieler in Israel« (V. 34ba)
4.2. Jesus – gesetzt zum »Zeichen, dem widersprochen wird« (V. 34bß)
5. Zusammenfassung und Ertrag
VII. Konfrontation und Ablehnung – Jesu Verkündigung in Nazaret (Lk 4,16-30)
1. Aufbau und Struktur der Perikope
2. Ein guter Ruf eilt Jesus voraus – zur Funktion der summarischen Notiz (Lk 4,14f)
3. Jesu Auftritt in der Synagoge zu Nazaret – erste Szene (V. 16-22)
3.1. Die Lesung und Selbstproklamation Jesu (V. 18-21)
3.2. Zustimmung und doch kein Verstehen – die Reaktion der Zuhörer (V. 22)
4. Jesu zweite Rede und das dramatische Ende – zweite Szene (V. 23-30)
4.1. Die implizite Forderung der Synagogenzuhörer: ›Bekümmere dich um uns!‹ (V. 23)
4.2. Die Regel vom Geschick des Propheten in seiner Heimatstadt (V. 24)
4.3. Elia-Elisa als Beleg für die Prophetenregel (V. 25-27)
5. Die feindselige Reaktion der Zuhörer (V. 28-30)
6. Zusammenfassung und Ertrag
VIII. Das Haus muß voll werden - die Perikope vom großen Gastmahl (Lk 14,16-24)
1. Hinführung
2. Der szenische Rahmen (Lk 14,1-24)
3. Das große Gastmahl (V. 16-24)
3.1. Der Skopus der Perikope
3.2. Die erste Maxime – das Fest muß gefeiert werden (V. 16-21)
3.3. Die zweite Maxime – das Haus muß voll werden (V. 22f)
3.4. Die Konsequenz – der Selbstausschluß der Ersteingeladenen (V. 24)
4. Zusammenfassung und Ertrag
IX. Nähe und Distanz – das narrative Bild der Pharisäer in Lk-Act
1. Die Pharisäer als typisierte Vertreter der jüdischen Führung
2. Die Tür geöffnet, aber nicht das Herz – die Einstellung der Pharisäer zu Jesus
3. Die Pharisäerdarstellung in der Apostelgeschichte – Brücke zum Judentum?
3.1. Gamaliel – ein gottesgläubiger Pharisäer
3.2. Paulus – der vorbildliche Pharisäerchrist
3.3. Die Zurechtweisung anderer christlicher Pharisäer (Act 15,5ff)
4. Zusammenfassung und Ertrag
X. Die Verheißung von Israel- und Völkermission – der Schluß des Evangeliums (Lk 24)
1. Aufbau und Struktur der Perikope
2. Das göttliche δεĩ von Kreuz und Auferstehung Jesu – das leere Grab (V. 1-12)
3. Die Auferstehung Jesu ist die Hoffnung Israels – die narrative Funktion der Emmausperikope (V. 13-35)
4. Die Universalisierung der Hoffnung Israels (V. 36ff)
4.1. Wen bezeichnet Lukas mit εἰς πάντα τὰ ἔϑνη (V. 47)?
5. Die Zeugen im Wartestand – das Ende von Lk 24 im Vergleich zu Mt 28
6. Zusammenfassung und Ertrag
XI. Wie es weitergeht - Bilanz und Ausblick
1. Rekapitulation – Stand der Dinge am Beginn der Apostelgeschichte
2. Die Doppelung des Himmelfahrtsgeschehens als Lesehilfe (Act 1,1ff)
XII. Ein jüdischer »Frühling« der Kirche – der Beginn christlicher Verkündigung an Israel (Act 1,1-6,7)
1. Die Funktion der erfolgreichen Israelverkündigung (Act 1-5)
2. Noch einmal: Heil allein für Israel? (Act 1,6-8)
3. Die Bekräftigung: Heil für Israel meint Heil auch für die Welt – Pfingsten und die Ausgießung des Geistes (Act 2)
4. Hoffnung auf die (endzeitliche) Umkehr Israels? – zum Verständnis von χρόνοι ἀποϰαταστάσεως (Act 3,21)
4.1. Der Bezug zu Act 1,6-8
4.2. Der Erzählrahmen und der Skopus der zweiten Petrusrede Act 3,12-26
4.3. Erstes Junktim: Die Buße Israels beschleunigt die Parusie (V. 19f)
4.4. Zweites Junktim: erst die Apokatastasis, dann die Parusie (V. 21ff)
5. Zusammenfassung und Ertrag
XIII. Dunkle Wolken – Stephanus und die Folgen seines gewaltsamen Todes (Act 6f)
1. Kontinuität und Differenz – Heranführung an die Stephanuserzählung
2. Anmerkungen zur Historizität der Stephanuserzählung – Differenz zwischen erzählter und historischer Welt
3. Die Erzählfigur Stephanus – als Christusanhänger treu dem Tempel und dem Gesetz verbunden
3.1. Der Ausgangspunkt: Falsche Anklagen gegen Stephanus – eine Intrige von Diasporajuden (Act 6,8-12)
3.2. Das Verhör vor dem Synedrion (Act 6,13-7,60)
4. Die Folgen der Rede: Tod und Vertreibung (V. 54ff)
5. Zusammenfassung und Ertrag
XIV. Weichenstellungen – die Jesusverkündigung vor den Toren der Völkerwelt (Act 8f)
1. Die Vertreibung aus Jerusalem (Act 8,1b-3; 11,19)
2. Vom Zentrum an die Peripherie Israels – die Missionstätigkeit des Philippus (Act 8,4-40)
3. Vom Verfolger zum Verfolgten – die Bekehrung des Paulus (Act 9,1-31)
3.1. Die Bekehrung (Act 9,1-19a)
3.2. Paulus – vorrangig Völkermissionar (Act 9,15f)
3.3. Jüdische Feindschaft – der verfolgte Paulus (Act 9,19b-31)
4. Zusammenfassung und Ertrag
XV Der Durchbruch – die Bekehrung des Petrus zur Tischgemeinschaft mit den ἔϑνη (Act 10f;15)
1. Einführung
2. Rollentausch – Petrus wird zum Anwalt der Völkermission
3. Von Gott erhört – die Vision des Cornelius (Act 10,1-8)
4. Neuland – der schwierige Lernprozeß des Petrus
4.1. Nah und doch so fern – Petrus kommt nach Joppe (Act 9,43)
4.2. Erschrecken und Abscheu – die Vision des Petrus (Act 10,9-16)
4.3. Wegweisung – der ratlose Petrus und der Heilige Geist (V. 17-23a)
4.4. Ein Tabu wird preisgegeben – Petrus trifft Cornelius (V. 23b-33)
4.5. Premiere – auch Nichtjuden kann jetzt das Heil verkündigt werden (V. 34-43)
4.6. Das ›zweite Pfingsten‹ – die Geistausgießung auf ἔϑνη (V 44-48)
4.7. Wer wollte Gott wehren? – die Bestätigung der Tischgemeinschaft in Jerusalem (Act 11,1-18)
5. Der Weg der Mission bis zur Apostelversammlung (Act 11,19-14,28)
6. Das Aposteldekret - ein Modus vivendi (Act 15)
7. Zusammenfassung und Ertrag
XVI. Paulus – der scheiternde ›Judenmissionar‹
1. Einführung
2. Die erste Missionsreise (Act 13,1-14,28)
2.1. Der erste Missionserfolg: ein römischer Prokonsul (Act 13,4-12)
2.2. Der Testfall – Paulus im pisidischen Antiochien (Act 13,13-52)
2.3. Der Weg bis hin zur Steinigung (Act 14,1-28)
3. Die zweite und dritte Missionsreise (Act 15,36-21,14)
3.1. Der jüdisch fromme Paulus und seine Beschneidung des Timotheus (Act 16,1-5)
3.2. Zwischen Synagoge und römischer Obrigkeit – die Widrigkeiten der Paulusmission
4. Am Ende seiner Mission – der angeklagte Paulus (Act 21-26)
4.1. Klarstellung – Paulus lebt wie ein Jude (Act 21,17-25)
4.2. Die Verleumdung im Tempel: Paulus sei antijüdisch (Act 21,26ff)
4.3. Ἐγώ εἰμι ἀνὴρ Ἰουδαῖος – Paulus verteidigt sein Judesein (Act 22,1-21)
4.4. Περì ἐλπίδος ϰαì ἀναστάσεως νεϰρῶν [ἐγὼ] ϰρίνομαι – Paulus bekennt seine jüdische Glaubenshoffnung (Act 22,30-23,11)
4.5. Frommer Jude und loyaler Staatsbürger – Paulus vor Felix (Act 24,1-21)
4.6. Zum letzten Mal: Verteidigung und Zeugnis – Paulus vor Agrippa und Festus (Act 26)
4.7. Paulus in Rom (Act 28,16-31)
4. Zusammenfassung und Ertrag
Bilanz
XVII. Zur Frage: Ist Lk-Act antijüdisch?
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Personenregister
Sachregister

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Günter Wasserberg Aus Israels Mitte Heil fur die Welt

W G DE

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

Herausgegeben von Erich Gräßer

Band 92

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

Günter Wasserberg

Aus Israels Mitte Heil fur die Welt Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

@ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnabme [Zeitschrift für die neuteetamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift fiir die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche. - Berlin ; New York : de Gruyter Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift fiir die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche Bd. 92. Wasserberg, Günter: Aus Israels Mitte — Heil fur die Welt - 1998 Wasserberg, Günter: Aus Israels Mitte — Heil für die Welt : eine narrativ-exege tische Studie zur Theologie des Lukas / Günter Wasserberg. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 (Beihefte zur Zeitschrift fiir die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche ; Bd. 92) Zugl.: Kiel, Univ., Diss., 1996/97 ISBN 3-11-015864-7

ISSN 0171-6441 © Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung: OLD-Satz digital, Neckarsteinach Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Studie zur Theologie des Lukas wurde im Wintersemester 1996/97 als Dissertation von der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität in Kiel angenommen. Die mir bis zum Herbst 1996 zugängliche Fachliteratur konnte berücksichtigt werden. Daß diese Fachliteratur nur in Auswahl auch zitiert worden ist, versteht sich angesichts der Fülle des Materials von selbst. Gleichwohl möchte ich betonen, wie sehr ich mich beim Studium der Fachlektüre zum lukanischen Doppelwerk stets auch als ein Lernender begriffen habe. Wer eine Arbeit zur Theologie des Lukas in Angriff nimmt, kann dies nur in dankbarer Anerkennung all derer tun, die sich schon zuvor geäußert haben. Gerade aus Thesen, denen ich mich letztendlich nicht anschließen konnte, habe ich gelernt, die eigene Position zu überprüfen und weiter zu profilieren. Solcher Lernprozeß kann und will mit der Fertigstellung und Drucklegung dieser Arbeit nicht abgeschlossen sein. Die vorliegende Studie markiert meinen gegenwärtigen Standort im wissenschaftlichen Diskurs sowohl zur Theologie des Lukas als auch darüber hinaus im christlich-jüdischen Dialog. Letzterer ist das mich seit dem Beginn meines Theologiestudiums prägende Anliegen. Wie ist es heutzutage möglich, eine christliche Theologie zu formulieren, die dem Zeugnis der urchristlichen Schriften gerecht wird, ohne zugleich antijüdisch zu wirken? Ich habe mich bemüht, das lukanische Doppelwerk möglichst unbefangen zu lesen, selbst wenn es mitunter Positionen vertritt, die im heutigen christlich-jüdischen Dialog schmerzen. Die Wahrheit der eigenen religiösen Position kann nicht im Kompromiß gefunden werden; um sie muß im Diskurs gerungen werden. Zu danken habe ich in erster Linie Herrn Prof. Dr. Jürgen Becker, der mich über die Jahre hinweg stets in meiner theologischen Suche ermutigt und gefördert hat. Von ihm habe ich viel gelernt. Er hat diese Studie angeregt und mir all den Freiraum eingeräumt, den ich nach dem Jahrzehnt in der Gemeindearbeit brauchte, um wieder wissenschaftlich mit biblischen Texten umzugehen und mir schließlich eine eigenständige methodische wie theologische Position zu erarbeiten. Daß die Gemeindeerfahrung meine Herangehensweise an Lukas mitgeprägt hat, dürfte die Lektüre erweisen. Zu danken habe ich auch Herrn Prof Dr. Peter Lampe für die Anregung, im narrative criticism ein angemessenes methodisches Instrumenta-

Vili

Vorwort

rium gerade zur Interpretation des lukanischen Doppelwerkes zu entdekken, sowie für die Erstellung des Koreferats. Danken möchte ich den Freunden, die mich über die mitunter mühsame Wegstrecke verständnisvoll begleitet und ermutigt haben. Darunter ist in erster Linie Ralf Jenett (Halstenbek) zu nennen, der mir ein äußerst kompetenter Gesprächspartner und Ratgeber war, sowie Klaus Schmidt (Viöl). Beide haben das mühselige Geschäft des Korrekturlesens übernommen. Vielfältige Anregungen habe ich durch das Gespräch im Arbeitskreis Judaica-Neotestamentica unter der Leitung von Dr. Chana Safrai (Utrecht/Jerusalem) und Prot Dr. Klaus Wengst (Bochum) erfahren. Dafür sei ihnen wie den übrigen Mitgliedern mein herzlicher Dank ausgesprochen. Schließlich möchte ich Herrn Prof Dr. Erich Gräßer für die Aufnahme der Studie in die Reihe der »Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche« (BZNW) danken. Kiel/Waterloo, ON im Januar 1998

G. Wasserberg

Inhalt Erster Hauptteil: Grundlegung I. Einführung zum Gang der Untersuchung II. Zur Themenstellung 1. 2. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.4.

3 13

Lk-Act - weiterhin »a storm center in contemporary scholarship«

13

Antijudaismus vor und nach Auschwitz der hermeneutische Rahmen in dieser Untersuchung

16

Zur Rede von Antisemitismus, Antijudaismus und Polemik Antisemitismus Antijudaismus »Innerjüdische Polemik« versus Antijudaismus Zum Begriff »innerjüdisch« Identität durch Abgrenzung Unterscheidung von Polemik und Antijudaismus Ergebnis

19 21 23 26 26 27 29 30

III. Zur Methodik 1. 1.1. 1.2. 1.3.

Die erzählte Welt des Lukas Lk-Act als ein einheitlich konzipiertes Erzählcorpus Zur narrativ-synchronen Interpretationsweise Zur Aufnahme diachroner Methodik

31 31 32 34

Konkretionen narrativer Lukas-Interpretation J.D. Kingsbury: »Conflict in Luke« Plot als Erzählkonstante 2.2. R.C. Tannehill: »The Narrative Unity of Luke-Acts« theologische Tendenz 2.3. J.B. Tyson: »Images of Judaism in Luke-Acts« impliziter Leserkreis 2.3.1. Begriffsklärung: Was ist ein impliziter Leser? 2.3.2. Zu Tyson: »Die Gottesfürchtigen« als impliziter Leserkreis

35

2. 2.1.

35 37 41 41 42

χ

Inhalt

3.

Im Gefolge Tysons - erneute Bestimmung des impliziten Leserkreises Wen bezeichnet Lukas als »Gottesfürchtige«? Zur Historizität »der Gottesfürchtigen« Der terminologische Befund in Lk-Act Zur Crux interpretum: οί σεβόμενοι προσήλυτοι (Act 13,43) »Gott fürchtend« - und doch kein Proselyt (Act 13,50) Ergebnis Wer sind die Hellenen in Act? Die Vorkommen Die Hellenen als gottesfürchtige Sympathisanten der Synagoge Die Hellenen als Oberbegriff auch für έ'·θνη Ergebnis Völkerchristen als impliziter Leserkreis Die Bekehrung der έθνη zu φοβούμενοι τον θεόν Cornelius als paradigmatischer >Gott Fürchtenden Zum sozialen Status der nichtjüdischen >Gott Fürchtenden< - die Funktion der auffälligen RomFreundlichkeit Theophilus als literarischer Adressat Judenchristen als impliziter Leserkreis Ergebnisse

3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4. 3.1.5. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3.

3.4. 3.5. 3.6.

44 44 45 48 48 51 52 54 54 55 56 57 58 58 59

60 63 64 66

Zweiter Hauptteil: Textanalyse IV. Am Anfang das Ende - die Schlußperikope Act 28,16-31 als hermeneutischer Schlüssel zum Gesamtverständnis von Lk-Act.... 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 3. 3.1.

Der Erzählschluß aus der Leserperspektive Enttäuschung der Lesererwartung Die erste Begegnungsszene Act 28, (16) 17-22 Die Verteidigung des lk Paulus (V. 17b-20): »Um der Hoffnung Israels willen trage ich diese Kette« Was versteht Lukas unter ή έλπίς τοΰ Ισραήλ? Die Entgegnung der stadtrömischen Juden (V. 21f) Die zweite Begegnungsszene Act 28,23-28 Ein letzter Versuch - die Verkündigung an die stadtrömischen Juden (V. 23b)

71 73 76 78 84 86 87 88

Inhalt

3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.2.

3.3.3. 3.3.4.

Die geteilte Reaktion der stadtrömischen Juden (V. 24) eine Zwischenbilanz mit Folgen Die Antwort des 1k Paulus und das »asymphonische« Gesprächsende (V. 25-28) Wann gehen die stadtrömischen Juden (V. 25a)? Wen meint der lk Paulus mit dem Verstockungswort (V. 25Ò-28)? Exkurs: Der Ansatz Jacob Jervells Zur Einleitung des Jesaja-Zitats (V. 25b) Die lukanische Rezeption von Jes 6,9f in Act 28,26f

XI

91 92 92 94 95 98 100

3.3.4.1. Methodische Voraussetzung

100

3.3.4.2. Das jes Verstockungswort ist Selbstaussage des lk Paulus

101

Exkurs: Die Vorgeschichte - das Verstockungsmotiv in Lk 8,10 . .

103

1. Das Gleichnis von der vierfachen Aussaat (Lk 8,4-8)

103

2. Die Funktion des Gleichnisses (Lk 8,9f) 3.3.4.3. Die jüdische Heilsverweigerung ist gottgewollt

105 108

3.3.5. Jüdische Verstockung korreliert mit >Hörbereitschaft< der έθνη (V. 28)

109

4.

Der Epilog (V. 30f)

112

5.

Zusammenfassung und Ertrag

114

V. Wie alles beginnt - der Anbruch des Heils (Lk I f )

116

1.

Lk lf gleicht einem Introitus in das lk Gesamtwerk

116

2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2.

Das lk Erzählszenario - aus Israels Mitte kommt das Heil Zur Bedeutung des Jerusalemer Tempels in Lk-Act Wen bezeichnet Lukas mit λαός? Der statistische Befund Der jüdische λαός als die fromme Gemeinde Gottes

119 121 124 124 125

3. 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2.

Die beiden Hauptfiguren des Heilsgeschehens Der Täufer als Wegbereiter des Heils Der Interpretationsrahmen für die lk Erzählfigur Jesus Gottessohnschaft vor Davidssohnschaft Jesus als Israels σωτήρ

126 126 127 128 131

4.

Zusammenfassung und Ertrag

132

XII

Inhalt

VI. Ein dunkler Schatten - die Weissagung des Simeon (Lk 2,29-35

134

1. 1.1. 1.2.

134 135 135

Einführung Simeon als der paradigmatisch fromme Jude Zur narrativen Funktion des Heiligen Geistes

2. 2.1. 2.2.

Die erste Weissagungshälfte Lk 2,29-32 Jesus ist τό σωτήριον του ϋεοϋ (V. 30) Das Heilsgeschehen ist universal und israelorientiert (V. 31f) 2.2.1. Wen bezeichnet Lukas mit πάντες oí λαοί (V. 31)? 2.2.2. Jesus ist ein Licht für die Völker zur Ehre Israels (V. 3 2 ) . . .

139 139 140

3.

Das Erstaunen der >Eltem< Jesu (Lk 2,33)

141

4. 4.1.

Die zweite Weissagungshälfte Lk 2,34b-35 Jesus - gesetzt zum »Fall und Aufstehen vieler in Israel« (V. 34ba) Jesus - gesetzt zum »Zeichen, dem widersprochen wird« (V. 34bß)

142 144

Zusammenfassung und Ertrag

147

4.2. 5.

136 138

146

VII. Konfrontation und Ablehnung - Jesu Verkündigung in Nazaret (Lk 4,16-30)

148

1.

Aufbau und Struktur der Perikope

150

2.

Ein guter Ruf eilt Jesus voraus - zur Funktion der summarischen Notiz (Lk 4,14f)

153

3. 3.1. 3.2. 4. 4.1. 4.2. 4.3.

Jesu Auftritt in der Synagoge zu Nazaret - erste Szene (V. 16-22) Die Lesung und Selbstproklamation Jesu (V. 18-21) Zustimmung und doch kein Verstehen - die Reaktion der Zuhörer (V. 22) Jesu zweite Rede und das dramatische Ende zweite Szene (V. 23-30) Die implizite Forderung der Synagogenzuhörer: >Bekümmere dich um uns!< (V. 23) Die Regel vom Geschick des Propheten in seiner Heimatstadt (V. 24) Elia-Elisa als Beleg für die Prophetenregel (V. 25-27)

153 153 155 157 157 159 161

Inhalt

XIII

5.

Die feindselige Reaktion der Zuhörer (V. 28-30)

162

6.

Zusammenfassung und Ertrag

163

VIII. Das Haus muß voll werden - die Perikope vom großen Gastmahl (Lk 14,16-24)

164

1.

Hinführung

164

2. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.4.

Der szenische Rahmen (Lk 14,1-24) Das große Gastmahl (V. 16-24) Der Skopus der Perikope Die erste Maxime - das Fest muß gefeiert werden (V. 16-21) Die zweite Maxime - das Haus muß voll werden (V. 22f) .. Exkurs zur Unverzichtbarkeit der Völker im Heilsvolk Die Konsequenz - der Selbstausschluß der Ersteingeladenen (V. 24)

166 170 170 171 174 175 176

Zusammenfassung und Ertrag

177

4.

IX. Nähe und Distanz - das narrative Bild der Pharisäer in Lk-Act

179

1.

Die Pharisäer als typisierte Vertreter der jüdischen Führung

180

2.

Die Tür geöffnet, aber nicht das Herz - die Einstellung der Pharisäer zu Jesus

182

3. 3.1. 3.2. 3.3. 4.

Die Pharisäerdarstellung in der Apostelgeschichte Brücke zum Judentum? Gamaliel - ein gottesgläubiger Pharisäer Paulus - der vorbildliche Pharisäerchrist Die Zurechtweisung anderer christlicher Pharisäer (Act 15,5ff)

189

Zusammenfassung und Ertrag

189

185 187 188

X. Die Verheißung von Israel- und Völkermission der Schluß des Evangeliums (Lk 24)

191

1.

Aufbau und Struktur der Perikope

192

2.

Das göttliche δει von Kreuz und Auferstehung Jesu das leere Grab (V. 1-12)

193

XIV 3.

Inhalt

Die Auferstehung Jesu ist die Hoffnung Israels die narrative Funktion der Emmausperikope (V. 13-35)

194

4. 4.1.

Die Universalisierung der Hoffnung Israels (V. 36ff) Wen bezeichnet Lukas mit εις πάντα τα έθνη (V. 47)?

198 200

5.

Die Zeugen im Wartestand - das Ende von Lk 24 im Vergleich zu Mt 28

206

Zusammenfassung und Ertrag

208

XI. Wie es weitergeht - Bilanz und Ausblick

209

6.

1.

Rekapitulation - Stand der Dinge am Beginn der Apostelgeschichte

209

Die Doppelung des Himmelfahrtsgeschehens als Lesehilfe (Act l,lff)

211

XII. Ein jüdischer »Frühling« der Kirche - der Beginn christlicher Verkündigung an Israel (Act 1,1-6,7)

213

1.

Die Funktion der erfolgreichen Israelverkündigung (Act 1-5)

213

2.

Noch einmal: Heil allein für Israel? (Act 1,6-8)

215

3.

Die Bekräftigung: Heil für Israel meint Heil auch für die Welt - Pfingsten und die Ausgießung des Geistes (Act 2) . .

218

2.

4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 5.

Hoffnung auf die (endzeitliche) Umkehr Israels? zum Verständnis von χρόνοι άποκαταστάσεως (Act 3,21).. Der Bezug zu Act 1,6-8 Der Erzählrahmen und der Skopus der zweiten Petrusrede Act 3,12-26 Erstes Junktim: Die Buße Israels beschleunigt die Parusie (V. 19f) Zweites Junktim: erst die Apokatastasis, dann die Parusie (V. 21ff) Zusammenfassung und Ertrag

XIII. Dunkle Wolken - Stephanus und die Folgen seines gewaltsamen Todes (Act 6 f ) 1.

Kontinuität und Differenz - Heranführung an die Stephanuserzählung

222 224 225 226 227 231

233 233

Inhalt

2.

Anmerkungen zur Historizität der Stephanuserzählung Differenz zwischen erzählter und historischer Welt

Die Erzählfigur Stephanus - als Christusanhänger treu dem Tempel und dem Gesetz verbunden 3.1. Der Ausgangspunkt: Falsche Anklagen gegen Stephanus eine Intrige von Diasporajuden (Act 6,8-12) 3.2. Das Verhör vor dem Synedrion (Act 6,13-7,60) 3.2.1. Das Tempellogion Act 6,14 3.2.2. Die Verteidigung - die Rede des Stephanus (Act 7,2-53)...

XV

235

3.

237 239 241 241 244

3.2.2.1. Einführung

244

3.2.2.2. Wer sind die Adressaten der Rede?

245

3.2.2.3. Was Gott Abraham verheißt: Land - Exodus - Tempel (V. 2-8) . .

245

3.2.2.4. Wie Israel antwortet: Abfall und Ungehorsam (V. 9-43)

246

3.2.2.5. Die Bedeutung des Gesetzes

247

3.2.2.6. Das Schicksal des Tempels (V. 44-50)

248

3.2.2.7. Aus Anklägern werden Angeklagte - das Urteil des Stephanus über das »halsstarrige« Israel (Act 7,51-53)

251

4.

Die Folgen der Rede: Tod und Vertreibung (V. 54ff)

252

5.

Zusammenfassung und Ertrag

254

XIV. Weichenstellungen - die Jesusverkündigung vor den Toren der Völkerwelt (Act 8f)

256

1.

Die Vertreibung aus Jerusalem (Act 8,lb-3; 11,19)

256

2.

Vom Zentrum an die Peripherie Israels die Missionstätigkeit des Philippus (Act 8,4-40)

258

3.

Vom Verfolger zum Verfolgten - die Bekehrung des Paulus (Act 9,1-31) 3.1. Die Bekehrung (Act 9,l-19a) 3.2. Paulus - vorrangig Völkermissionar (Act 9,15f) 3.2.1. Act 9,15f: Missio und Confessio 3.2.2. Die programmatische Funktion von Act 9,15f 3.2.3. Paulus und die zwölf Apostel - die lukanische Sichtweise .. 3.3. Jüdische Feindschaft - der verfolgte Paulus (Act 9,19b-31)

261 262 265 265 267 268 271

4.

271

Zusammenfassung und Ertrag

XVI

Inhalt

XV. Der Durchbruch - die Bekehrung des Petrus zur Tischgemeinschaft mit den εθνη (Act 10f;15)

273

1.

Einführung

273

2.

Rollentausch - Petrus wird zum Anwalt der Völkermission

275

3.

Von Gott erhört - die Vision des Cornelius (Act 10,1-8) . . .

276

4. 4.1.

Neuland - der schwierige Lernprozeß des Petrus Nah und doch so fern - Petrus kommt nach Joppe (Act 9,43) Erschrecken und Abscheu - die Vision des Petrus (Act 10,9-16) Wegweisung - der ratlose Petrus und der Heilige Geist (V. 17-23a) Ein Tabu wird preisgegeben - Petrus trifft Cornelius (V. 23b-33) Premiere - auch Nichtjuden kann jetzt das Heil verkündigt werden (V. 34-43) Das >zweite Pfingsten< - die Geistausgießung auf εθνη

278

4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6. 4.7. 5.

278 281 ..

282 284 287

( V 44-48)

290

Wer wollte Gott wehren? - die Bestätigung der Tischgemeinschaft in Jerusalem (Act 11,1-18)

292

Der Weg der Mission bis zur Apostelversammlung (Act 11,19-14,28)

296

6.

Das Aposteldekret - ein Modus vivendi (Act 15)

297

7.

Zusammenfassung und Ertrag

303

XVI. Paulus - der scheiternde >Judenmissionar
Israel< ist.«6 Daß eine solche Redeweise von zweierlei Israel problematisch sein könnte, war bei ihm nicht im Blickfeld. Vielmehr stellt Conzelmann im selben Kontext fest, daß durch die Parallelität der Identitäts- und Diskrepanzaussage »die Vermeidung des summarischen christlichen Antisemitismus möglich«7 werde. Im Klartext: Zu sich selber als einem »Israel« könne es keinen Antisemitismus geben. Antisemitismus wäre demnach auch gegen die Kirche selbst gerichtet. Daß die Kirche, so gesehen, mit dem Israel der Juden konkurriert, wird nicht als Gefahr erkannt und ist insofern kennzeichnend für die Forschungssituation damaliger Zeit, als das historische und gegenwärtige Judentum mit seinem Anspruch, selbst, und zwar allein Israel zu sein, nicht als in Spannung zum christlichen Israel-Anspruch stehend wahrgenommen wird. E. Haenchen kommt in seinem Aufsatz »Judentum und Christentum in der Apostelgeschichte«8 faktisch sogar einer Verstoßungslehre Israels nahe: »Wenn man das so gesehene [d.h. Christus-gläubige] Judentum für das wahre hält, dann muß man freilich - wie es Lukas tut - das wirkliche Judentum für eine Verirrung halten, und das >Nein!< des wirklichen Judentums zu Christus als ein Zeichen der Verstockung deuten.« 9 Mit der Verstockungsaussage in der Schlußperikope der Apostelgeschichte Act 28,26f sei ein Schlußpunkt erreicht, den Haenchen in einem englischsprachigen Aufsatz mit den Worten charakterisiert: »Luke has written the

5 G. Lohfink, a.a.O., S. 60 (im Original kursiv). Einen Sonderweg in dieser Frage geht lediglich J. Jervell, Das gespaltene Israel, der zwar grundsätzlich das Kontinuität-Diskontinuität-Paradigma bejaht, aber lediglich in dem judenchristlichen Teil der Kirche Israel sieht. Die Heidenchristen seien diesem Israel zugeordnet, ohne selbst Israel zu werden. 6 H. Conzelmann, Mitte der Zeit, S. 136. 7 Ebd. 8 ZNW 54 (1963), S. 155-187, zitiert nach: ders., Die Bibel und wir, S. 338-374. 9 E. Haenchen, a.a.O., S. 350. Dieser Logik zufolge ist »wahr« ungleich »wirklich«. Somit wäre das Christentum ein un-wirkliches, aber wahres Judentum!

II. Zur Themenstellung

15

Jews oft« 1 0 Inwieweit eine solche Aussage, sofern sie überhaupt lukanisch ist, nach Auschwitz problematisch sein könnte, wird auch von ihm nicht gesehen. Das entspricht einer Grundhaltung nicht nur der Exegese der Nachkriegszeit. Die durch den Holocaust provozierte Frage nach einem möglichen Antijudaismus im Neuen Testament ist (noch) kein zu behandelnder Topos. Erst Anfang der 70er Jahre - bezeichnenderweise aus den USA kommend - setzt diesbezüglich ein Paradigmenwechsel ein. Als wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist hier vor allem Rosemary Radford Ruethers »Faith and Fratricide« aus dem Jahre 1974 einzustufen (deutsch 1978 unter dem Titel »Nächstenliebe und Brudermord« erschienen). Ihr Buch hat das gezielte Fragen nach neutestamentlichem Antijudaismus entscheidend in Gang gesetzt. Dieser Paradigmenwechsel beschränkt sich aber nicht auf christliche Theolog(inn)en allein, sondern wird verstärkt auch von jüdischer Seite aufgegriffen. Wegweisend ist in dieser Hinsicht S. Sandmels » Anti-Semitism in the New Testament?« geworden. Der deutschsprachigen Diskussion wird dann u.a. durch Charlotte Kleins »Theologie und Anti-Judaismus« (1975) der Weg geebnet. Aber es sollten noch einmal etwa zehn Jahre vergehen, ehe - wiederum maßgeblich durch englischsprachige Literatur - auch das lukanische Doppelwerk der Frage unterzogen wurde, inwiefern es antijüdisch sei. Provozierend hat in dieser Hinsicht J.T. Sanders' »The Jews in LukeActs« aus dem Jahre 1987 gewirkt. Formulierte Sandmel seine These noch als Frage (»Anti-Semitism in the New Testament?«), so wähnt sich Sanders sicher, durch seine Untersuchung Lukas des Antisemitismus überführt zu haben. Seitdem wird diese Frage in der Lukas-Forschung lebhaft und äußerst kontrovers diskutiert, so daß Lk-Act erneut als »storm-center in contemporary scholarship« gelten kann. In Kürze: Die Textbeobachtungen am lukanischen Doppelwerk sind wie zu erwarten - die gleichen geblieben, aber die Bewertung des Textbe10 E. Haenchen, Source Material, S. 278. Der gleiche Satz findet sich deutsch wieder in: ders., Apostelgeschichte, in der 14. Aufl. (1965) S. 680, in der 16. Aufl. (1977) S. 135: »Für Lukas sind die Juden >abgeschriebenThe Jews< are the villains, not the victims.«. Weiteres zur Position von J.T. Sanders siehe unten.

16

Erster Hauptteil: Grundlegung

fundes hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Im Gefolge der Formulierung einer Theologie nach Auschwitz wird die Frage nach einem Antijudaismus bei Lukas gestellt.

2. Antijudaismus vor und nach Auschwitz der hermeneutische Rahmen in dieser Untersuchung Die Frage, inwiefern Lk-Act antijüdisch sei, ist nicht neu. Schon F. Overbeck erkennt in seinem Kommentar zur Apostelgeschichte (1870), daß in der Darstellung der »Verstocktheit des jüdischen Volkes ... in der That ... etwas schroff Antijudaistisches«11 liege; insgesamt sei für die Apostelgeschichte »charakteristisch, dass sie connivent ist gegen das Judenthum als Lehre und feindselig gegen die Juden als Nation«12. Der positiven Wertung vom Judentum als Lehre stehe »der nationale Antijudaismus der AG., ihr Antagonismus gegen die Juden als Nation« 13 gegenüber. Solche Unterscheidung von Judentum als Lehre und Juden als Volk und Nation ist der Sache nach auch von A. von Harnack vorgenommen worden. »Der Antisemitismus (Antijudaismus) der alten Heidenchristen« 14 habe sich in fünf Stufen ausgeprägt: »Die erste Stufe bezeichnet Lukas; denn Paulus ist nie Antijudaist gewesen15 ... Schon Lukas hat von Paulus die Verstockungstheorie übernommen ohne Rom ll,25ff.; aber er betrachtet die alttestamentliche Religion und Frömmigkeit mit der höchsten Devotion, freut sich noch über jeden Juden, der gläubig wird, und läßt die Einzelnen überhaupt nicht unter der Theorie leiden.«16 Diese doch relativ freundlichen Töne gegenüber der »alttestamentlichen Religion und Frömmigkeit« stünden aber in einem Gegensatz zur Schilderung des tatsächlichen jüdischen Verhaltens in der Apostelgeschichte: »Der Jude ist der Gegenspieler in dieser dramatischen Geschichte ..., der wirkliche Jude in seinen mannigfaltigen Schattierungen als Pharisäer, Sadduzäer, obrigkeitliche Person, palästinischer und Diaspora-Jude.«17 Daß Overbeck wie von Harnack in Lk-Act das Judentum positiv bewertet finden, liegt daran, daß sie unter diesem Judentum je das Jüdische 11 12 13 14 15 16 17

F. Overbeck, Erklärung der Apostelgeschichte, S. 210, Anm. Ebd. F. Overbeck, a.a.O., S. XXX. A. von Harnack, Die Apostelgeschichte, S. 9, Anm. 1. Daraus dürfte folgen, daß für von Harnack Lukas schon ein Antijudaist war. A. von Harnack, a.a.O., S. 9, Anm. 1. A. von Harnack, a.a.O., S. 8.

II. Zur Themenstellung

17

am Christlichen verstehen, sei es »Lehre« (Overbeck) oder »Religion und Frömmigkeit« (von Harnack). In diesem Sinne könnte die Gleichung aufgestellt werden: Das Judentum ist ein Wesenselement des Christentums. Der »wirkliche Jude« (von Harnack) und »die Juden als Nation« (Overbeck) aber wären in Lk-Act als Widersacher gegen die ChristusVerkündigung ausgewiesen. Solche Charakterisierungen müssen auch auf dem Hintergrund des gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkeimenden Antisemitismus gesehen werden18; denn abgesehen von der Frage, inwieweit Lukas tatsächlich Antijudaismus attestiert werden muß, bleibt festzuhalten, daß weder Overbeck noch von Harnack in der Konstatierung von (nationalem) Antijudaismus bzw. Antisemitismus bei Lukas ein Problem gesehen haben. In dieser Hinsicht stehen wir nach dem Holocaust an einem anderen theologiegeschichtlichen Ort, der auch m.E. deutlich zu markieren ist. Heutzutage Antijudaismus im Neuen Testament, im Schriftkanon festzustellen, sollte eine gänzlich andere Bewertung zur Folge haben, als sie zu Zeiten Overbecks und von Harnacks im Blick sein konnte.19 Antijudaismus im Christentum wird seit Auschwitz als ein die Fundamente christlicher Theologie zentral berührendes Problem zunehmend bewußt. Inwiefern »Auschwitz eine eigene theologische Dimension«20 hat oder letztlich doch nicht »Wendepunkt der Theologie« sein kann, da der Holocaust

18 Vgl. hierzu E. Weinzierl, Art. Antisemitismus S. 159. Besonders aufschlußreich für den damaligen Zeitgeist sind die von J.C.G. Röhl, Wilhelm II, zugänglich gemachten Äußerungen über die Sympathien von Kaiser Wilhelm II mit antisemitischen Kreisen, mit denen er sich seit seiner Jugendzeit umgab. Seine antisemitische Grundhaltung gipfelte in dem Satz Wilhelms II aus dem Jahre 1929 zur Judenfragec »Ich glaube, das Beste wäre Gas.« Zum gegenaufklärerischen Moment der Bismarckzeit siehe E.W. Stegemann, Wurzeln des Judenhasses, S. 484. 19 Hier liegt eine Schwäche in der sonst aufschlußreichen Analyse von M. Rese, >Die Juden^ Rese kritisiert zu Recht, daß sich manche der vermeintlich neueren Beobachtungen zur Frage eines Antijudaismus bei Lukas u.a. schon bei Overbeck nachweisen lassen. Allerdings wäre zu wünschen gewesen, daß nun Rese seinerseits deutlicher die Frage nach der Bewertung der Overbeckschen Thesen stellt. Zeugt nicht der Standpunkt Overbecks - nach heutigem Verständnis - mehr von einem zeitbedingten Antijudaismus des Autors selbst als von dem des Lukas? Eine ähnliche Kritik ist auch an H. Merkel, Israel, zu richten. In seinem forschungsgeschichtlichen Abschnitt (S. 372-382) unterbleibt die Frage nach der Bewertung der Aussagen der jeweiligen Autoren zum Thema Antijudaismus. Aber reicht es angesichts der Bedeutung der Problematik aus, jeweils Antijudaismus zu notieren, ohne zugleich eine kritische Bewertung vorzunehmen? 20 F.-W. Marquardt, Prolegomena, S. 77.

18

Erster Hauptteil: Grundlegung

»Konkretion des Bösen [ist], von dem wir als Christen schon immer wissen«21, wird systematisch-theologisch kontrovers diskutiert. Eine exegetische Untersuchung aber, welche die Frage der Stellung des lk Erzählwerkes zum Judentum heute als Thema hat, kann dies m.E. unter Absehung auf den massenmörderischen Antisemitismus dieses Jahrhunderts nicht tun. Da der Holocaust im Kulturraum christlichabendländischen Denkens geschehen ist, muß sich auch das Christentum der selbstkritischen Frage unterziehen, ob und welche Anteile es an der Entstehung von Antijudaismus gehabt hat. Da aber Grundlage christlichen Glaubens und Bekennens das Neue Testament bleibt, muß auch die neutestamentliche Botschaft hinterfragt werden, insoweit sie selbst antijüdisch ist. Daraus leitet sich die Absicht der vorliegenden Arbeit ab, sich ihres theologiegeschichtlichen Ortes nach Auschwitz bewußt zu sein; denn am Beispiel G. Kittels, der meinte, seine Stellungnahme zur »Judenfrage« (1933) sei wissenschaftlich fundiert 22 , zeigt sich, daß vermeintlich »wertfreie« Wissenschaft durchaus ideologisch befangen urteilen kann. Darum soll hier um so deutlicher werden, welches eigene - auch handlungsleitende - Vorverständnis diese Arbeit prägt: Die christliche Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus bedingt zugleich - wie im Judentum - die Achtung vor dem Nächsten als einem Geschöpf Gottes. Dieses Selbstverständnis christlich gebotener Nächstenliebe muß Grundsatz im Verhältnis zum Judentum sein. Es besteht aber eine Gefahr auch der Exegeten, sich nicht hinreichend dessen bewußt zu sein, daß in der Formulierung christlicher Positionen oftmals zugleich abwertende Aussagen über das Judentum gemacht werden. Dieses Dilemma forschungsgeschichtlich an der »deutschen theologischen Literatur der Gegenwart« vor Augen geführt zu haben, ist ein Verdienst der Studie von Charlotte Klein23. Ein seiner Verantwortung bewußtes Christentum sollte m.E. eine christliche Theologie zu formulieren suchen, die nicht antijüdisch ist. Das schließt keineswegs einen Dissens gegenüber jüdischen Positionen aus. Vielmehr ist ein Diskurs zu erstreben, der unterschiedliche Standpunkte von Juden und Christen aushalten kann 24 . Unter Christen ist also jeder 21 G. Strecker lt. Protokollauszug der Sitzung der Hannoverschen Landessynode vom 8.5.1992, abgedruckt in: S. Falke, »... Eine Last, die uns als Deutsche belastet«, S. 12. 22 G. Kittel, Die Judenfrage. Vgl. hierzu G. Wasserberg, Theologie nach Auschwitz, S. 1821. 23 Zitat aus dem Untertitel von Charlotte Klein, Theologie und Antijudaismus. Eine Studie zur deutschen theologischen Literatur der Gegenwart. 24 Gegen W. Nicholls, Christian Antisemitism, der die Glaubwürdigkeit des Christentums einzig in seiner Rückführung ins Judentum gewahrt sieht. Das Christentum sei durch

II. Zur Themenstellung

19

Herabwürdigung von Juden, jeder Blindheit gegen - auch nur mögliche antijüdische Tendenzen zu wehren. Das sollte spätestens seit Auschwitz eine Conditio sine qua non christlichen Denkens und Bekennens sein.

3. Zur Rede von Antisemitismus, Antijudaismus und Polemik Im Zusammenhang der Frage nach einem möglichen Antijudaismus oder gar Antisemitismus (nicht nur) von Lk-Act muß zunächst eine terminologische Klarstellung erfolgen. Welches Verständnis liegt jeweils zugrunde? Was ist als Polemik, was als Antijudaismus zu bezeichnen, und wo verläuft die Grenzziehung zwischen beiden? Wie ist Antijudaismus von Antisemitismus zu unterscheiden? Ein Blick selbst in die jüngere Forschungsgeschichte weist diese Fragen als ein ungelöstes Problem aus. So fehlt in H. Merkels Aufsatz »Israel im lukanischen Werk« eine Diskussion der von ihm verwendeten Begriffe, wenn er einleitend fragt: »Hat Lukas ... Israel abgeschrieben und durch die Auffassung der Kirche als neues Israel enterbt? Läßt Lukas antijüdische oder gar antisemitische Regungen erkennen, kann man bei ihm Haß gegen das Judentum spüren?«25 Das eigene Auschwitz einer doppelten Krise ausgesetzt. Zum einen müsse es sich seines christlichen Antisemitismus bewußt werden und zum anderen erkennen, daß das paulinisch geprägte Christentum die Botschaft des historischen Jesus entstellt, ja verfälscht habe, denn Jesus sei in Wirklichkeit ein toratreuer Jude gewesen. Deshalb gebe es für Christen eigentlich nur einen legitimen Ausweg: »They must choose between the Gentile religion of Paul and Jesus the Jew. Going back just one step behind Paul would presumably mean attempting to revive Jewish Christianity in some form. It would mean establishing once more a sect (however large) of observant Jews believing in Jesus the Messiah.« (a.a.O., S. 430). Die These vom angeblichen Antagonismus zwischen dem historischen Jesus und der Lehre des Paulus ist weder originell noch exegetisch stichhaltig. Vgl. hierzu J. Becker, Jesus; ders., Urchristentum. Zudem ist zu fragen, ob Juden sich solcherlei neue judenchristliche Nachbarn überhaupt wünschen. Selbst Nicholls, a.a.O., S. 433, weiß darauf keine überzeugende Antwort: »If we could imagine the Church, like the prodigal son, now setting forth on the long journey back to the Father's house, repenting the sin of antisemitism, and leaving the husk of fundamentalism and liberation theology, we can be sure that it would receive the Father's welcome. But if it were to knock on the door of the synagogue and ask for admittance, what would it find within?« Dieses Buch markiert für den christlich-jüdischen Dialog keinen Fortschritt. 25 H. Merkel, Israel, S. 371. Allein die Semantik erweist den Topos der Enterbung als problematisch. Weder Lukas noch »die Kirche« können Subjekt der Enterbung sein, sondern Gott allein könnte das Israel der Synagoge enterben. Ist das aber die Meinung des Lukas? Wenn Lukas am Ende seines Doppelwerkes die Verstockung Israels konstatiert (Act 28,26f), so muß das nicht gleichbedeutend mit Enterbung sein. Auch das in diesem Zusammenhang genannte Wort »Enterbung« ist gefährlich. P. Zingg, Wachsen, S. 294, stellt die These auf: »Die Kirche ist die einzig legitime Erbin Israels (nicht neues

20

Erster Hauptteil: Grundlegung

Verständnis der verwendeten Terminologie wird bei ihm nicht näher definiert, sondern stillschweigend vorausgesetzt. Und selbst wo eine Klärung der Begriffe - wie bei S. Sandmel - thematisiert wird, bleibt es bei einer als unkorrekt erkannten Terminologie. Sandmel zieht in »Anti-Semitism in the New Testament?« aus einer philologischen Beobachtung keine terminologischen Konsequenzen: »The nineteenth- and twentieth-century word anti-Semitism is a completely wrong term when transferred to the first and second Christian centuries. Yet wrong as it is, it has been and continues to be used in connection with Christian hostility to Jews. Scholars have proposed other terms: Anti-Jewish or Anti-Judaism. These terms are better because they are correct; they simply have not caught on. In this book we use >anti-Semitism< consciously, aware of how wrong the term is.«26 Aber kann eine bislang ausgebliebene Durchsetzung korrekter Terminologie die Aufrechterhaltung einer als »falsch« definierten legitimieren? 27 Zwar reicht der Hinweis Sandmels, die Verwendung von »Antisemitismus« sei terminologisch ein Anachronismus, allein zur Begründung einer zu ändernden Wortwahl nicht aus. Denn der Sache nach könnte »Antisemitismus« doch genau das bezeichnen, was im Neuen Testament an Antijudaismen schon zu beobachten ist. Die These u.a. von J.T. Sanders, »the New Testament contains the seeds of anti-semitism«28 könnte also sachlich berechtigt sein. Deshalb muß eine Kritik an der Verwendung von »Antisemitismus« nicht an der Terminologie, sondern zunächst am geistesgeschichtlichen Horizont seiner Prägung ansetzen.

Israel)«. Solche Redeweise von der Kirche hat Israels Tod zur Voraussetzung. Das kann doch wohl nicht intendiert sein. Außerdem könnte, darauf macht u.a. E. Gräßer, ActaForschung, ThR 42, S. 53, zu Recht aufmerksam, der Begriff von der Kirche als Erbin Israels zur Folge haben, in der Völkermission lediglich den »Ersatz für eine unmöglich gewordene Judenmission [zu sehen] ... Gerade das ist nicht die Meinung des Lukas ... Nicht der Bruch, sondern die Kontinuität ist sein Thema.« An dem Topos der Enterbung wird die Schwierigkeit deutlich, das Verhältnis der Kirche zu Israel adäquat zu beschreiben, ohne antijüdisch zu werden. Was als Binnenbeschreibung gedacht ist, erweist sich als um so problematischer im Gegenüber von Kirche und Judentum. Das scheint bei Zingg und anderen nicht hinreichend bedacht. 26 S. Sandmel, Antisemitism in the New Testament?, S. XXI. 27 Vgl. hierzu N.R.M. de Lange / C. Tlioma, Art. Antisemitismus I, & 113-119. Sie rechtfertigen die synonyme Verwendung von »Antisemitismus, Antijudaismus, Judenhaß, Judenfeindschaft u.ä«., wiewohl sie »teilweise irreführend« seien, mit der Norm des Faktischen: »Da sich vor allem der Begriff Antisemitismus nicht mehr ausbürgern läßt, sind alle angeführten Begriffe weiterhin nebeneinander zu verwenden.« (a.a.O., S. 114). 28 J.T. Sanders, Jews in Luke-Acts, S. XVI.

II. Zur Themenstellung

21

3.1. Antisemitismus Der Begriff Antisemitismus ist erst im ausgehenden 19. Jahrhundert in antijüdischen deutschen Kreisen um den Publizisten W. Marr entstanden29. Ziel war es, »die Judenfeindschaft mit der Zugehörigkeit der Juden zur semitischen Rasse und Völkerfamilie zu begründen und ihr das Gepräge einer auf letzte Ursachen zurückgehenden wissenschaftlichen Lehre zu geben«.30 Schon terminologisch »verdeckt diese Wortprägung eher die beabsichtigte Bedeutung, denn der geschichtliche Antisemitismus richtete sich nie gegen >Semiten< (zu denen z.B. auch die Araber gehören) allgemein, sondern ausschließlich gegen Juden«31. Antisemitismus ist also von seinem Ursprung her ein rassistischer Begriff, der nicht zur Kritik an Judenverfolgungen dienen sollte, sondern diese im Gegenteil pseudo-wissenschaftlich zu legitimieren suchte. Diese ideologische, antijüdische Intention sollte folglich beim Gebrauch des Begriffes Antisemitismus heutzutage kritisch mitbedacht werden. Antisemitismus bezeichnet mithin eine rassistisch verstandene Judenfeindschaft. Er kennzeichnet einen »Kollektivhaß gegen das jüdische Volk. Oder: Er ist eine pauschale Feindschaft gegen Juden als solche, insofern sie Juden sind«32. Von einer derartig rassistischen Judenfeindschaft kann in der Antike nicht die Rede sein. Gab es Ausschreitungen und Verfolgungen gegen Juden, so waren diese primär machtpolitisch, weniger religiös, geschweige denn rassistisch begründet33. Solch eine Judenfeindschaft aber glaubt J.T. Sanders dem Verfasser des lk Erzählwerkes nachweisen zu können. Zwar räumt er in »The Jews in Luke-Acts« eingangs ein: »It may be that Luke's hostility toward Jews was not exactly racial in the way in which we think of racial hatred today, but it was something very close to it.«34 Aber letztendlich kommt er doch zu dem Ergebnis, Lukas sei antisemitisch, denn: »Luke finds Jews who 29 Die Frage, ob das Wort Antisemitismus erstmals von Wilhelm Marr selbst oder aber »im Frühherbst 1879 im Berliner Umkreis Wilhelm Marrs geprägt« (E. Weinzierl, Art. Antisemitismus, Sp. 159) worden ist, ist für den Gang unserer Untersuchung nebensächlich. 30 E. Jacob, Art. Antisemitismus I, Sp. 956. 31 M. Stöhr, Antisemitismus, in: Arbeitsbuch Christen und Juden, S. 224. 32 N.R.M. de Lange / C. Thoma, Art. Antisemitismus I, S. 114. 33 Vgl. hierzu R.M. Errington, Juden im Zeitalter des Hellenismus, S. 1-13. Für ihn ist selbst das Motiv für das jüdische Religionsverbot unter Antiochus IV »in der Staatsräson zu suchen: Vom Gesichtspunkt des Königs hatten die Juden ihre Autonomie miß 7 braucht, und dafür mußten sie bestraft werden.« (a.a.O., S. 6). 34 J.T. Sanders, Jews in Luke-Acts, S. XVI.

22

Erster Hauptteil: Grundlegung

are not converted to Christianity just as guilty of the sentence of death as those other Jews who supposedly killed Jesus (Acts 18,635), or that he calls down the sentence, Slaughter them!< on those Jews who refuse to accept Christ as their ruler (Luke 19,2736), I do not know what to call that hostility if not antisemitism.«37 Sind zum einen Sanders' exegetische Befunderhebungen z.T. fehlerhaft 38 , so ist darüber hinaus zu fragen: Ist in Lk-Act eine derartig pauschale negative, ja bösartige Grundhaltung gegenüber Jüdischem überhaupt erkennbar? Kann von einer nahezu rassistischen Judenfeindschaft des Lukas die Rede sein? Sanders sieht den tieferen Grund solch vermeintlicher Judenfeindschaft in der lk Erzählintention. In Anlehnung an Trocmé vertritt er die These, Lukas wolle gegenüber Judenchristen die Legitimation der Völkermission unter Schriftbeweis stellen. Vor diesem Hintergrund sei die Schärfe der lk Argumentation einzuordnen: »Luke fires, as we Americans would say, shotgun blasts at his opponents and hits a rather wide target. In this counter-attack all the Jews are attacked«39. Ist aber nicht genau dieser Vorwurf gegen Sanders selbst zu richten, nämlich daß er nicht genügend zwischen einer möglichen polemischen Zuspitzung, vielleicht sogar Überspitzung und einer von ihm vermuteten antisemitischen Grundhaltung bei Lukas differenziert? Ohne einer abschließenden Bewertung des lk Materials vorgreifen zu wollen, sei schon an dieser Stelle kritisch zu Sanders angemerkt, daß er die positive Zeichnung jüdischer Frömmigkeit vor allem im Evangelium, aber auch in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte viel zu wenig berücksichtigt. Vielmehr entnimmt er Lk-Act einzelne polemische Zuspitzungen, um daraus ein Gesamtbild zu formen. Das Bild, das Lukas in seinem Erzählwerk von jüdischer und judenchristlicher Frömmigkeit entfaltet, ist aber sehr viel positiver und facettenreicher, als Sanders es wahrhaben möchte. Schon aus diesem Grunde ist es unangemessen, in Lukas einen Judenfeind, einen Antisemiten zu sehen. Lukas ist kein Rassist. Ergebnis: Sowohl aus formalen wie auch inhaltlichen Gründen scheidet der Terminus Antisemitismus zur Charakterisierung der Stellung des lk Erzählwerkes zum Judentum aus. In welchen Kategorien ist aber dann

35 Hier liegt eine unzulässige Parallelisierung mit Mt 27,24 vor. 36 Hier wird sachlich unterschlagen, daß Lk 19,27 sich auf das Endgericht bezieht. Das macht die Aussage Lk 19,27 keineswegs angenehmer. 37 J.T. Sanders, Jews in Luke-Acts, S. XVII. 38 Vgl. die obigen Anmerkungen zu Act 18,6 und Lk 19,27. 39 J.T. Sanders, a.a.O., S. 315£

II. Zur Themenstellung

23

sein Verhältnis zu jüdischer Frömmigkeit zu fassen? Ist Lukas etwa antijüdisch eingestellt? 3.2. Antijudaismus D.R.A. Hare nimmt in seinem 1979 veröffentlichten Aufsatz »The Rejection of the Jews in the Synoptic Gospels and Acts« die These Rosemary R. Ruethers, der christliche Antijudaismus sei gleichsam die logische Kehrseite christologischer Hermeneutik 40 , zum Ausgangspunkt seiner eigenen Definition von frühchristlichem Antijudaismus. Er unterscheidet drei Arten: 1) Die Verkündigung Jesu als »prophetischer Antijudaismus«41: »The presupposition of Jesus' preaching was that God was not pleased with Israel, and that individuals must respond in faith and practice in order to >enter the kingdom of Godprophetic antijudaism< is misleading in that it implies a negative attitude toward Judaism as such, although the meaning and control of the central symbols - Temple, Torah, ritual commandments - are in dispute, the symbols themselves are not. Therefore I shall substitute the phrase nntra-Jewish polemici,«49 Wäre dann aber nicht auch die zweite Kategorie unter dem Begriff innerjüdische Polemik angemessener zu fassen? Was kennzeichnet überhaupt - bezogen auf das Neue Testament - eine Polemik als »innefjüdisch«? Diese Frage bedarf noch der weiteren Erörterung (s.u.).

45 46 47 48 49

D.R.A. Hare, a.a.O., S. 31£ D.R.A. Hare, a.a.O., S. 29£ D.R.A. Hare, a.a.O., S. 38f£ D.R.A. Hare, a.a.O., S. 35-38. J.G. Gager, a.a.O., S. 9.

II. Zur Themenstellung

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Antijudaismus wird in dieser Arbeit als eine pauschale, abwehrende Grundeinstellung gegenüber Juden und jüdischem Leben verstanden. Im Unterschied zum Antisemitismus betont der Antijudaismus zwar nicht einen vermeintlich rassischen Differenzpunkt, doch bezeichnet das Präfix Anti- auch im Antijudaismus eine Jüdischem gegenüber negative Grundhaltung. Antijudaismus ist demnach nicht gleichzusetzen mit Antisemitismus, stellt aber schon eine Vorstufe zum rassistischen Antisemitismus dar. Wer kann nun ein Antijudaist sein? Den Versuch, Antijudaismus ethnisch zu verstehen, unternimmt C.A. Evans. In »Faith and Polemic: The New Testament and First-Century Judaism« vertritt er die These, es sei »unlogisch«50, Paulus Antijudaismus zu unterstellen, weil er selbst Jude gewesen ist. Ein Jude kann dieser Logik zufolge kein Antijudaist sein. Dann ergäbe sich aber daraus für Lk-Act die abstruse Schlußfolgerung, diese Frage sei allein an der ethnischen Herkunft des Verfassers zu entscheiden. Folglich auch könnte die Behauptung des Paulus, die Juden seien allen Menschen feind (I Thess 2,14f), kein Antijudaismus sein, weil Paulus unbestreitbar ein Jude gewesen ist.51 Was also bei Paulus noch Polemik sei, wandle sich somit erst im Munde eines Nichtjuden zu Antijudaismus. Solche Einteilung kann aber nicht ernstlich überzeugen. Wenn Paulus von »den Juden« als der Menschen Feinde spricht, dann meint das auf den ersten Blick - im wörtlichen Sinne - alle Juden. Aber es ist doch ganz offensichtlich, daß Paulus sich hier selbst nicht mit unter »die Juden« rechnet, also nicht alle Juden gemeint sein können, sondern allein der Jesus-ungläubige Teil so bezeichnet wird. Der Terminus »die Juden« ist hier nicht als eine ethnische, sondern abqualifizierend als eine religiöse Größe aufgefaßt. Er kennzeichnet das in Gegnerschaft wahrgenommene synagogale Judentum. Insofern ist dieser Ausdruck der Intention nach zwar eine (inneijüdische) Polemik. Aber zugleich wird daraus faktisch ein Antijudaismus (siehe unten 3.3.), weil das Kriterium einer negativen Grundhaltung gegenüber »den Juden«, hier dem synagogalen Judentum, gegeben ist: Jeder Jude - der nicht Jesus-gläubig ist - wird von Paulus

50 C.A. Evans, Faith and Polemic, S. 15: »... the illogical position that finds Paul himself as anti-Judaic«. 51 Ähnlich auch P.-G. Müller, Judenbeschimpfung, S. 64t der zu I Thess 2,14-16 anmerkt: »Paulus gebraucht die Motive im Rahmen und Sinn der innerjüdischen Polemik und angedrohten Selbstverfluchung. Die Aussage kann daher von ihrer historischen Sprachintention nicht im Sinn antijüdischer oder antisemitischer Äußerung gedeutet werden.« Müller ist insoweit zuzustimmen, als Paulus aufgrund seiner jüdischen Herkunft schwerlich ein Antisemit genannt werden kann.

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pauschal als der Menschen Feind gebrandmarkt. Es zeigt sich, wie problematisch es ist, die Volkskategorie »die Juden« überhaupt einer - dazu innerjüdischen - Bekenntnisgemeinschaft vorzubehalten. So werden nämlich Volkszugehörigkeit und Bekenntnisstand in eins gesetzt. Wird aber die bei Paulus gegebene Unterscheidung von Herkunfts- und Glaubensjuden nicht gesehen - wie in der gegenaufklärerischen, antisemitischen Bewegung Ende des letzten Jahrhunderts - , ist dieser religiös gemeinte Terminus rassistischem Mißbrauch um so leichter verfügbar. 3.3. »Innerjüdische Polemik« versus Antijudaismus 3.3.1. Zum Begriff »innerjüdisch« Die Frage, ob und inwiefern das NT antijüdisch oder das als Antijudaismus Wahrgenomme in Wirklichkeit eine »innerjüdische« Polemik sei, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. C.A. Evans sieht in den Auseinandersetzungen, die sich im NT zwischen Christengemeinden und Jesus-ungläubigen Juden ereignen, das Gepräge eines primär innerjüdischen Streites, denn: »Early Christians did not view themselves as belonging to a religion that was distinct from Judaism. New Testament Christianity was Judaism - that is, what was believed to be the true expression of Judaism«52. Dieses Selbstverständnis urchristlicher Gemeinschaften als einer jüdisch-messianischen Heilsbewegung erweise das Etikett »antijüdisch« als »anachronistisch«53. Vielmehr müsse der Charakter der Auseinandersetzung zwischen Christen und Jesus-ungläubigen Juden als Ausdruck einer innerjüdischen Polemik begriffen werden. Was aber qualifiziert eine Polemik als »innerjüdisch«? Wörtlich und unbezweifelt bezeichnet »innerjüdisch«, auf ein Kommunikationsverhältnis bezogen, ein solches unter Juden, und zwar Juden, die dies durch Geburt oder Übertritt sind. Solches Judesein - nicht ein möglicherweise kontroverses »Jüdischsein« - jeweils aller (maßgeblichen) Kommunikationsteilnehmer ist mithin die unabdingbare Voraussetzung der unstrittigen Kennzeichnung als »innerjüdisch«. Diese ist gewissermaßen ethnisch-soziologisch zu verstehen. Für sie ist nicht entscheidend, ob und inwiefern der verhandelte Gegenstand jüdisch ist, sondern allein, wer zu wem redet. Folglich ist auf der lk Erzählebene 54 die Pfingstpredigt des Petrus in Jerusalem (Act 2,14ff) ein innerjüdisches Verkündigungsgeschehen, weil 52 C.A. Evans, a.a.O., S . U . 53 C.A. Evans, a.a.O., S. 12.

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sowohl Prediger wie Hörer jüdischer Herkunft sind. Analog ist auch die Auseinandersetzung des lk Paulus mit den Juden Roms (Act 28,17ff) als ein inneijüdisches Streitgespräch anzusehen. Juden(christen) debattieren bzw. streiten mit Juden über die Heilsbedeutung Jesu von Nazaret für den rechten Glauben Israels. Dagegen ist die sogenannte Areopagrede (Act 17,22ff) keine innerjüdische Rede, weil die von Paulus angeredeten Athener weder jüdischer Herkunft noch zur jüdischen Gemeinschaft übergetreten sind. Die Frage, inwiefern nun das gesamte lk Erzählwerk als ein innerjüdisches Glaubenszeugnis bezeichnet werden kann, hängt demnach davon ab, ob sowohl Lukas als auch seine Adressaten jüdischer Herkunft sind. 3.3.2. Identität durch Abgrenzung Daß eine Selbstkennzeichnung als jüdisch polemisch gemeint sein kann, zeigt sich u.a. an der Johannes-Apokalypse. Dort wird der Titel »Jude« als Ehrentitel für die judenchristliche Gemeinde reklamiert, wenn es über die Jesus-ungläubigen Juden heißt, jene gäben nur vor, Juden zu sein (Apk 2,9; 3,9). In Wahrheit aber gehörten sie zur »Synagoge des Satans« und lögen, wenn sie behaupteten, Juden zu sein (Apk 3,9). Für den Seher Johannes sind folglich nur Judenchristen die wahren Juden. Wahres Judesein hat demnach die jüdische Geburt zur Voraussetzung, aber diese ethnische Herkunft allein reicht noch nicht aus. Ein Herkunftsjude muß nämlich auch den rechten Glauben haben. Für den Seher Johannes ist das der christliche Glaube. Folglich erweise sich allein im Judenchristsein die wahre jüdische Identität. Der Völkerapostel Paulus setzt selbstredend seine jüdische Herkunft zwar voraus: Ημείς φύσει Ιουδαίοι (Gal 2,15). Zudem gebühre den Juden ein heilsgeschichtliches πρώτον nicht nur in der Gabe der Tora, sondern auch des Evangeliums vor der übrigen Menschheit (Rom 1,16), aber in Christus Jesus sind alle ethnischen, sozialen wie biologischen Grenzen obsolet geworden (Gal 3,26-28). Für den Judenchristen Paulus ist also die ethnische Herkunft nicht mehr länger die Voraussetzung des Zutritts zum Heil. Das unterscheidet ihn wesentlich vom Seher Johannes der Apk. Mag die Jesusbewegung vielleicht ursprünglich auch als eine inneijüdische Erneuerungsbewegung intendiert gewesen sein55, mit der Zuordnung, daß nicht die Herkunft, sondern der Christus-Glaube das allei-

54 Zum Unterschied von erzählter Welt und Welt des Erzählers siehe Kap. III. 1. 55 So u.a. G. Iheißen, Soziologie der Jesusbewegung.

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nige Kriterium zur Aufnahme in die Heilsgemeinde Gottes wird, ist der Raum einer rein mne/jüdischen Auseinandersetzung verlassen. Das kennzeichnet auch den Unterschied zwischen der Qumran-Gemeinschaft und der lk Christengemeinschaft. Die Qumrangemeinde nennt sich selbst zwar »Neuer Bund« und die Jerusalemer Tempelgemeinde verächtlich die »Söhne der Grube« 56 , aber solch eine Polemik ist mnerjüdisch. Es geht nicht um Awii'-Judaismus, sondern um den Anspruch, wahres Israel zu sein. Der schroffe Dualismus der Qumrangemeinde ist Element einer, wie E. Schwarz es nennt, wohlweislich jüdischen »Identität durch Abgrenzung«57. Damit soll eben nicht gesagt werden, daß das Verhältnis der lk Christengemeinde zur Synagoge gleichzusetzen sei dem der Qumran-Essener zu den übrigen zeitgenössischen jüdischen Parteien und Strömungen. Der Qumran-Gemeinschaft eignet innc?jüdisch ein exklusives Moment. Die lk Christengemeinde mit ihrem universal-messianischen Heilsanspruch, der - wie wir unten sehen werden - Juden wie auch Menschen aus allen Völkern umfaßt, verhält sich demgegenüber stärker missionarisch-inkludierend. Lukas ist »weltoffen«. Er entschränkt die Heilsgemeinschaft ethnisch, indem alle Menschen (πάντες Act 28,30) durch Gottes Jesus-Heilstat Zugang zu Israels Verheißungen haben, ohne vorher (proselytische) Juden werden zu müssen. Die lk Heils-Entgrenzung nach außen in die Völkerwelt relativiert die ethnische Größe »Israel« radikaler religiös als die Abgrenzung der Qumrangemeinschaft innerhalb Israels. Wohl gilt beiden ein bloßes Geborensein als Jude nicht mehr als hinreichend zum Heil; jedoch hält die QumranGemeinschaft an der Heilsnotwendigkeit des ethnischen bzw. proselytischen Judeseins fest. Insofern entspräche der Terminus »wahres Israel« (in Israel) eher ihrem Selbstverständnis als dem der lk Christengemeinde. Unterscheidbar sind somit das Volk, aus dem die Qumraner Heilsgemeinde sich bildet, und das Volk samt den Völkern, die für die Zusammensetzung der lk Christengemeinschaft bestimmend werden. Was beide - Qumran wie Lukas - intentional verbindet, ist ihr Bemühen um Identitätsfindung. Diese geschieht auch durch Abgrenzung. In der

56 So z.B. im Handelsverbot CD XIII.31: »Und keiner von denen, die in den Bund Gottes eingetreten sind, soll Handel treiben mit den Söhnen der Grube.« (zitiert nach: E. Schwarz, Identität durch Abgrenzung, S. 139). 57 So der Titel seines Buches, in welchem er für die Qumrangemeinde nachzuweisen versucht, daß »Identitätswahrung durch Abgrenzung« (S. 131) ihre Wurzeln u.a. schon im vorexilischen Vertragsverbot hat, aber »in der Qumranliteratur ihren Höhe- und Schlußpunkt findet« (ebd.).

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von Lukas erzählten Welt wird solches Abrücken von Jesus-ungläubigen Synagogen mehrfach terminologisch deutlich, so in der Schlußperikope der Apostelgeschichte. Einerseits läßt Lukas Paulus, wenn dieser Israels Verheißungen und Traditionen meint, von Israel als »meinem Volk« (Act 28,19) sprechen (Kontinuitätsparadigma), andererseits verweist dieser Paulus im selben Erzählduktus mit Jes 6,9f auf »eure Väter« als die Vorfahren Jesus-ungläubiger Juden (Act 28,25; vgl. Act 7,51f) (Diskontinuitätsparadigma). Sprachlich liegt also eine begrenzte Distanzierung vor, welche die von Lukas definierte Christus-Gemeinschaft von »diesem Volk« (Act 28,26; zitiert Jes 6,9) der Jesus-ungläubigen Juden positiv abheben soll. Hinsichtlich der Abgrenzungsfunktion gegenüber Juden anderer religiöser Überzeugungen ist die Polemik der Qumran-Gemeinschaft also analog der lukanischen; beide »Gemeinden« verstehen sich je auf ihre Weise als einzig legitime Wahrer und Befolger der Verheißungen Israels. 3.3.3. Unterscheidung von Polemik und Antijudaismus Bei einer Grenzziehung zwischen Polemik und Antijudaismus ist der Verharmlosung des Begriffes »Polemik« zu wehren: Das Kennwort »Polemik« macht den so bezeichneten Sachverhalt kaum genehmer als den als antijüdisch erkannten. Antijudaismus ist immer zugleich polemisch, da auch Polemik sachlich überzeichnet und verzerrt. Worin liegt nun der Unterschied zwischen beiden? Nehmen wir als Beispiel zur Erklärung die Weherufe über die Schriftgelehrten und Pharisäer in Mt 23: Beide werden, an ihren eigenen religiösen Überzeugungen gemessen, als »Heuchler« (ύποκριταί V. 15.23.27.29) bezeichnet. Diese Äußerungen sind kein Antijudaismus, weil erstens nicht pauschal alle Juden angegriffen werden und zweitens nicht der Glaube der Pharisäer und Schriftgelehrten kritisiert, sondern die vermeintliche Diskrepanz zwischen Reden und Hin als Heuchelei entlarvt wird. Dennoch sind diese Weherufe eine bösartige Unterstellung an die Adresse der Pharisäer und Schriftgelehrten und haben deshalb wirkungsgeschichtlich nicht von ungefähr dazu hergehalten, das antijüdische und sogar rassistische Bild vom Pharisäer als dem Typ eines Juden, der mit zweierlei Zungen spricht, bis in die heutige Zeit fast archetypisch zu prägen. An diesen Weherufen läßt sich zeigen, wie sehr selbst ursprünglich polemisch intendierte Aussagen über eine bestimmte jüdische Gruppe, ihres ursprünglichen Kontextes enthoben, rassistisch mißbraucht werden können.

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3.4. Ergebnis 1) Der Begriff »Antisemitismus« ist schon aufgrund seines geistesgeschichtlichen, d.h. rassistischen Hintergrundes nicht geeignet, als Kategorie für diese Arbeit in Betracht zu kommen. Zudem bezeichnet er nicht das, was der Begriff »neutral« suggerieren könnte, nämlich alle semitischen Völker, sondern richtet sich ausschließlich gegen Juden. Antisemitismus ist Judenfeinschaft. Von derlei rassistisch verstandener Judenfeindschaft kann bei Lukas - entgegen dem Postulat von J.T. Sanders - keine Rede sein. 2) Der Begriff »Antijudaismus« bezeichnet eine pauschal abwertende Grundhaltung gegenüber jüdischem Glauben und Leben. Wenn Paulus in I Thess 2,15f pauschal »die Juden« als den Menschen feind tituliert, dann formuliert er an dieser Stelle antijüdisch, selbst wenn klar ist, daß Paulus »nur« die Jesus-ungläubigen Juden meint. Antijudaismus ist also nicht ethnisch einzugrenzen. Jeder Mensch, insofern er Jüdisches pauschal (»alle Juden«) abqualifiziert, formuliert antijüdisch. 3) Der Begriff »Polemik« hebt sich vom Antijudaismus dadurch ab, daß er nicht pauschal alles Jüdische abqualifiziert, sondern nur jüdische Teilbereiche - wenn auch überspitzt - kritisiert. Dennoch sollte dieser Terminus nicht verharmlost werden, da auch die polemische Äußerung weniger als Sachaussage denn als bewußte Überzeichnung, die auch Juden treffen soll, intendiert ist. Das Beispiel der Weherufe über die Pharisäer und Schriftgelehrten aus Mt 23 zeigt, daß selbst eine polemisch gemeinte Äußerung, einmal ihres Entstehungskontextes entkleidet, durchaus antijüdisch, ja rassistisch mißbraucht werden kann. Daher sind auch polemische Äußerungen im NT über Juden und jüdisches Leben kritisch zu beleuchten.

III. Zur Methodik 1. Die erzählte Welt des Lukas W. Stegemann beschreibt in seiner redaktions- und sozialgeschichtlichen Untersuchung »Zwischen Synagoge und Obrigkeit: Zur historischen Situation der lukanischen Christen« sein methodisches Anliegen mit den Worten, es gehe ihm »um die Welt des Erzählers Lukas, nicht um die von ihm erzählte Welt«1. Um letzteres aber soll es in dieser Arbeit gehen, denn die vorliegende Studie will in Anlehnung an den narrative bzw. literary criticism2 gerade die von Lukas erzählte Welt untersuchen und darstellen. Auf diese Weise sind Lukas und seine Adressatenschaft in ihrem Selbstverhältnis gegenüber jüdisch-biblischer Überlieferung und Synagogengemeinschaft zu erfassen. Mittels der so gewonnenen Einsichten in das lukanische Selbstverständnis sollen Rückschlüsse auf die realhistorische Situation der lukanischen Christen - darin dem Anliegen Stegemannns gleich - gezogen werden. Da diese Arbeit also letztlich nach Realhistorie fragt, bedient sie sich auch des historisch-kritischen Methodenkanons. 1.1. Lk-Act als ein einheitlich konzipiertes Erzählcorpus Mit J.D. Kingsbury3 wird davon ausgegangen, daß das von Lukas verfaßte Evangelium primär als ein Vorlesewerk und somit für gemeindliche Zwecke geschaffen wurde: »Luke's Gospel was read aloud to groups of Christians gathered in house churches.«4 Diese textpragmatische Funktion, die Kingsbury dem lk Evangelium beimißt, ist auch auf das gesamte lk Erzählwerk übertragbar. Lk-Act ist ein in sich geschlossenes Erzählganzes. Seine kohärente Anlage (als διήγησις Lk 1,1-4) erlaubt, Lk-Act 1 A.a.O., S. 12. 2 Die Termini »narrative« und »literary criticism« sind Synonyma. Deutsch wird »literary criticism« zumeist mit »neue Literarkritik« übersetzt. Das Attribut »neu« soll darauf hinweisen, daß diese Art der Textinterpretation keineswegs mit der traditionellen Literarkritik, verstanden als Quellenkritik, verwechselt werden dart 3 J.D. Kingsbury, Conflict in Luke. 4 J.D. Kingsbury, a.a.O., & 1.

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auch synchron, als von vornherein einheitlich konzipiertes Erzählwerk zu lesen und zu interpretieren 5 . Damit werden andere hermeneutische Zugänge zum lk Erzählwerk nicht ausgeschlossen. Im vorliegenden Falle wird lediglich ein möglicher Textzugang ausgewählt, der in besonderer Weise dem literarischen Charakter von Lk-Act angemessen scheint: Das lk Erzählwerk soll nicht nur, es kann auch aus sich selbst verstanden werden. Lk-Act will nicht erst dadurch verständlich werden, daß man es diachron - in Schichten liest, sondern gerade in dieser seiner isrcd-Gestalt liegt ein wichtiger Deutungszugang. 1.2. Zur narrativ-synchronen Interpretationsweise Die uns vorliegende Endgestalt des lk Doppelwerkes ist der für diese Arbeit maßgebliche Bezugspunkt. Sie stellt die von Lukas erzählte Welt dar oder bildet sie ab. In der Betrachtung dieser lk Erzählwelt soll nicht danach gefragt werden, ob sich eine von Lukas erzählte Begebenheit etwa der Aufenthalt des Paulus in Rom Act 28,16ff - tatsächlich so ereignet hat. Das moderne Verständnis von Geschichte als Realgeschichte ist nicht das Paradigma, das an Lk-Act angelegt werden soll. Es entspräche auch weder seinem noch überhaupt dem antiken Geschichtsverständnis mit seinem Ineinander von Realgeschichte und Fiktion6. Lukas will als Historiker Geschichte als Heils-Geschichte deuten. Insofern gehört er in den Rahmen antiker und biblischer Geschichtsschreibung7. Diese Deutungsebene ist die von Lukas erzählte Welt. Daher legt sich eine Interpretationsmethode nahe, die diese deutende Erzählwelt angemessen erfaßt. Dieses methodische Gebot ist nun auch auf unser zu erörtendes Thema anzuwenden. Das Verhältnis zu Judentum und Synagoge, das Markus und Matthäus, aber auch Johannes in ihrem jeweils einteiligen literari-

5 Zur Frage der Einheitlichkeit von Lk-Act formuliert M.A. Powell, Toward a NarrativeCritical Understanding of Luke, S. 343, zwei mögliche hermeneutische Zugänge: »The question is not whether these two volumes come from the same author but whether they tell one story or two. In other words, is the book of Acts a sequel to the Gospel, which is therefore complete in itself, or is it a continuation to the Gospel, which would be incomplete if read alone?« Gegenüber letzterer Aussage muß aber daran festgehalten werden, daß beide Werke auch aus sich selbst heraus verstehbar sind. Sie sind sowohl zwei Werke wie auch eins. Vgl. hierzu die Einleitung oben Kap. I. 6 Vgl. hierzu u.a. K. Meister, Die griechische Geschichtsschreibung. 7 Immer noch grundlegend: E. Pliimacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller; M. Dibelius, Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung.

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sehen Werk abhandeln, wird bei Lukas nicht nur breiter in zwei literarisch-theologischen Teilen erörtert. Die deutlich längere Spanne erzählter Zeit, die Lukas mit der Schaffung der Apostelgeschichte literarisch zur Verfügung steht, ermöglicht es ihm auch, diesen Themenbereich in einen anderen Kontext als den der Verkündigung Jesu und/oder der ersten Ostergemeinden zu stellen. Zwar schließt dann auch bei ihm die historische Gegenwart nicht an das Ende seines Erzählwerkes an - Lukas schreibt eine Generation nach Paulus - , aber indem er die nachösterliche Ausbreitung der Jesus-Verkündigung von »Jerusalem und ganz Judäa und Samaria bis an das Ende der Erde« (Act 1,8) eigens in einem zweiten Band thematisiert, kann er stärker als Markus, Matthäus und Johannes von Entwicklung und Wandel jüdischer Reaktionen auf die JesusBotschaft erzählen. Deshalb ist für das Verständnis von Lk-Act stets darauf zu achten, wo Lukas in seinem Erzählwerk was zu Judentum und Synagoge sagt. Solcher Tendenzkritik ist schon immer aufgefallen, wie sympathisch Lukas in seinem Evangelium, aber auch in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte jüdische Frömmigkeit darstellen kann, so daß sich die Überzeugung aufdrängen könnte: Hier redet ein jüdischer Insider. Wie aber verhalten sich dann positiver Anfang im jüdischen λαός Lk l,5ff und Verstockungsaussage über ούτος λαός am Schluß des lk Erzählwerkes? Ist Act 28,26f aus jüdisch-prophetischer Tradition heraus als mahnender Bußruf an die Synagoge zu verstehen? Dann bliebe sehr wohl eine projüdische, ja »inner«-jüdische Kontinuität zwischen Anfang und Ende des lk Erzählwerkes gewahrt. Oder zeigt gerade der Schluß seines Erzählwerkes auf, wie sehr Lukas daran gelegen ist, das letztlich vergebliche Werben um jüdische Synagogengemeinden zu demonstrieren? Haben das bis zu Ende durchlaufende jüdische Kolorit und die zumeist jüdischen Schauplätze literarisch also die gegenläufige Funktion, dem Nein der Synagoge zur Jesus-Botschaft die jesajanische Verstokkungsaussage als ein göttlich autorisiertes und endgültiges Nein zum Jesus-ungläubigen Israel entgegenzustellen? Wie diese Frage letztlich auch zu beantworten sein wird, hermeneutisch entscheidend ist, daß, wer das lk Verständnis von Judentum und Synagoge beschreiben will, den literarischen Charakter von Lk-Act als einer fortlaufenden sowie zielgerichteten narratio im Blick haben sollte. Deshalb ist folglich insbesondere LkAct geeignet, narrativ-synchron interpretiert zu werden.

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1.3. Zur Aufnahme diachroner Methodik Eine ausschließlich synchrone Interpretation von Lk-Act läuft Gefahr, zu einem geschichtslosen, rein literarischen Verstehen anzuleiten. Hingegen will sich die narrative Interpretationsmethode, die in dieser Arbeit angewandt wird, dem historisch-kritischen Methodenkanon eingliedern. Das literarische Interesse an Lk-Act ist hier letztlich ein historisches. Zudem entspricht ein sowohl diachroner als auch synchroner Zugang besonders der literarischen Eigenart des lk Erzählwerkes8. Lukas schöpft nicht aus reiner Phantasie, schreibt mehr als einen Roman, einen unterhaltsamen »Geschichtsroman«, wie R.I. Pervo in »Profit with Delight«9 nachzuweisen versucht. Er ist bei aller literarisch-theologischen Eigenständigkeit deutlich traditions-gebunden. Am augenfälligsten wird das in seiner Zitation biblisch-jüdischer Schriften, seiner Bezugnahme auf Sprichwörter und Redeweisen hellenistischer Popularphilosophie und in seiner gezielten Nutzung urchristlichen Überlieferungsgutes. Die diachrone Untersuchungsmethode, zumal im synoptischen Vergleich, leistet an diesem Punkt unschätzbare Dienste, nicht zuletzt zur Schärfung eines typisch lukanischen Profils. Solches Fragen nach lukanischer Tendenz ist mithin ein erster Schritt vor dem Versuch einer realhistorischen Verortung, wie sie W. Stegemann in seiner Untersuchung vornimmt. Diese Arbeit kann aber nicht wie Stegemann - dort zeitgeschichtlich mit der Abfassungszeit von Lk-Act begründet - die Trennung von lk Christengemeinde und Synagoge voraussetzen, sondern wird sie - wenn überhaupt - aus der Analyse des Textes selbst erheben (z.B. Act 13,45ff; 19,9; 28,25ff). Wichtig ist hierbei die Ein8 Über die Zuordnung der Apostelgeschichte in die Gattung einer historischen Monographie gibt es in der Forschung kaum einen Dissens, wohl aber in der Herleitung. Während E. Plümacher, Art. Apostelgeschichte, S. 509-515, stärker die hellenistische Historiographie als Wurzel und Vorbild annimmt, sehen M. Hengel, Geschichtsschreibung, S. 15, und G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 122-125, den primären Herleitungsort in der biblisch-jüdischen Geschichtsschreibung. Aber unabhängig von der Herleitungsfrage bleibt dennoch richtig: Lk-Act ist als Erzählcorpus aus sowohl Evangelium wie auch Acta Apostolorum gattungsmäßig ein Unikat. Vgl. hierzu auch G. Strecker, Literaturgeschichte, S. 235-243. 9 Pervo ist der Meinung, daß die Kennzeichnung »historische Monographie« formal nicht auf LkAct angewandt werden könne. Vielmehr gehöre das lk Erzählwerk der Gattung nach zum antiken Geschichtsroman (»historical novel«), dessen Anliegen es gewesen sei, eine ernsthafte Botschaft unterhaltsam zu verpacken: »Acts is popular in that it cloaks its message in a pleasant package« (S. XII). Vgl. aber zu Recht schon G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 93: »Lukas ist, trotz seiner nicht geringen Erzählkunst, kein Romanautor, sondern ein Historiker.«

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sieht, daß eine soziologisch-organisatorische Trennung von der Synagoge nicht notwendigerweise gleichzusetzen ist mit einer geistesgeschichtlichen Trennung. Die faktische Trennung der lk Christus-Gemeinschaft von der Synagoge könnte schon erfolgt sein, ohne daß davon der theologisch-geistesgeschichtliche Anspruch, das »Israel« der in Jesus erfüllten MessiasVerheißungen zu sein, berührt wäre. Das Selbstverständnis kann also in gewisser Weise der realhistorischen Situation widersprechen. Deshalb kann eine Exegese, die mit soziologischen Kriterien die lk Christus-Gemeinschaft historisch zu verorten versucht10, im Verein mit den Ergebnissen einer narrativ geführten Exegese mögliche Spannungen zwischen Selbstverständnis und historischer Wirklichkeit aufzeigen.

2. Konkretionen narrativer Lukas-Interpretation 2.1. J.D. Kingsbury: »Conflict in Luke« - Plot als Erzählkonstante J.D. Kingsbury untersucht in »Conflict in Luke: Jesus, Authorities, Disciples« das Lukasevangelium narrativ. Dabei beschränkt er sich auf eine synchrone Vorgehensweise und wendet folgende Terminologien zur Strukturierung an. Die von Lukas erzählte Welt wird von Kingsbury 1) in verschiedene äußere Rahmenbedingungen, das >SettingRollensetting< is the place, time, or social circumstances in which action occurs.« 12 J.D. Kingsbury, a.a.O., S. 34. Vgl. M.A. Powell, Toward a Narrative-Critical Understanding of Luke, S. 344: »Narrative critics prefer to analyze Luke's Gospel with reference to story and discourse. Whereas story refers to the content of the narrative - what it is about, discourse refers to its rhetoric - how the story is told.«

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historisch-kritischen Exegese meint das die redaktionelle oder treffender: die kompositorische Tätigkeit des Lukas. Jesus ist nach Kingsbury der von Gott gesandte Heilsprotagonist, der Künder und Vollender universalen, an Juden wie Heiden gerichteten Heils. Aber da diese Heilsbotschaft in Israel bei aller Zustimmung und Gefolgschaft im Volk und im Jüngerkreis doch auch auf massive Ablehnung vor allem durch die jüdischen Autoritäten stoße, sei das - wie Kingsbury es nennt - »Element des Konfliktes«13 charakteristisch für die lk Erzählstruktur. Deshalb untersucht er das Lukasevangelium unter diesem Plot. Solche heuristische Vorgehensweise verrät deutlich ihren Ursprungsort in der Literaturwissenschaft. So sehr es aber angemessen ist, Lukas als einen theologischen Geschichtsschreiber mit durchaus literarischem Anspruch zu kennzeichnen, er schreibt mit seinem Evangelium doch keinen Jesus-Roman. Das zeigt die Grenzen der Methodik auf, die Kingsbury anwendet. Sie hat dann eine Engführung zur Folge, wenn die Erzählstruktur im Lukasevangelium auf einen einzigen »Plot« reduziert wird. Damit unterläuft ihr der Fehler einer ideologisch bedingten Konstruktion, der mit gewissem Recht auch der historischen Exegese vorgehalten werden kann. Wie die historische Exegese Gefahr läuft, das Konstrukt der von ihr vermuteten Historie mit dem realgeschichtlichen Geschehen in eins zu setzen, so muß eine narrativ geleitete Exegese ihrerseits den Fehler vermeiden, das Paradigmensystem moderner Literaturwissenschaft ungeprüft auf ein antikes, theologisches Geschichtsv/eik zu übertragen. Wenn zudem Kingsbury nicht nur die Analyse der lk Erzählstruktur, sondern auch die der anderen Synoptiker14 auf das Element des Konfliktes beschränkt, dann belegt das die Einseitigkeit seiner Evangelienauslegung. Er blendet mögliche andere strukturelle wie thematische Textzugänge aus. Diese methodische Engführung wiederholt Kingsbury in seinem Aufsatz »The Plot of Luke's Story of Jesus«15. Der Plot wird hier auf das Verhältnis Jesu zu den jüdischen Autoritäten eingegrenzt. Welche Rolle Lukas aber dem jüdischen Volk in dieser Auseinandersetzung zueignet, bleibt unerwähnt. Dadurch wird ein wichtiges Strukturelement lk Erzähl13 J.D. Kingsbury, a.a.O., S. 34: »At the heart of this [d.i. Lukas] gospel plot lies the element of conflict.«. 14 J.D. Kingsbury, Matthew as story. Dort heißt es: »The element of conflict is central to the plot of Matthew« (S. 3), und: »The conflict on which the plot of Matthew's story turns is that between Jesus and Israel.« (S. 4). Daß solches Konfliktelement auch auf Markus übertragbar sei, wird von Kingsbury bejaht (S. 3, Anm. 9). 15 J.D. Kingsbury, The Plot of Luke's Story of Jesus.

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weise, nämlich der Streit Jesu mit den jüdischen Oberen um die Sympathien des λαός, übersehen. Kingsbury mißt also dem Einzeltext mit seinen mehrschichtigen, diachronen Deutungsmöglichkeiten kaum Bedeutung zu, sondern ordnet ihn seinem Anliegen der Darstellung einer übergreifenden Erzählkonstante unter. Solche Textpragmatik enthält aber eine Reduktion und ist Ausdruck einer hermeneutischen Vereinnahmung des zu interpretierenden Textes. 2.2. R.C. Tannehill: »The Narrative Unity of Luke-Acts« theologische Tendenz Gegenüber Kingsburys »Conflict in Luke« hat R.C. Tannehills zweibändiges Kommentarwerk »The Narrative Unity of Luke-Acts: A Literary Interpretation« methodisch den entscheidenden Vorzug, daß beide lk Erzählbände im Blick sind und sie darum auch als eine »narrative Erzähleinheit« ausgelegt werden. Zudem nutzt Tannehill - wenn auch sehr eingeschränkt - die Möglichkeiten der Diachronie: »I am concerned with LukeActs in its finished form, not with pre-Lukan tradition. Furthermore, I do not engage in elaborate arguments to distinguish tradition from Lukan redaction of that tradition. Brief comparisons of Luke with Matthew and Mark are useful where there are parallel texts, for these comparisons help us to recognize the distinctiveness of the Lukan version.«16 Tannehill sieht durchaus Unterschiede im Aufbau und in der literarischen Struktur des Lukasevangeliums einerseits und der Apostelgeschichte andererseits. Der Stil des Lukasevangeliums sei episodisch, während der der Apostelgeschichte mehr einem dramaturgisch inszenierten Aufbauplan folge. Für das Lukasevangelium gelte: »A causal continuity among successive scenes is the exception rather than the rule«17, während für die Apostelgeschichte eine kausale Kontinuität der Erzählfolgen geradezu typisch sei.18 16 R . C Tannehill, The Narrative Unity of Luke-Acts I, S 6. 17 R.C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-Acts II, S 5. 18 R.C. Tannehill, a.a.O., S. 6, demonstriert am Vergleich von Lk 5,17-32 mit Act 3-5 diesen auffälligen literarischen Unterschied beider Erzählbände: »The healing of a lame man at the temple gate in [Act] 3,1-10 causes a crowd to gather, which provides the occasion for a speech by Peter, which offends the temple authorities and causes the arrest of Peter and John. This leads to an interrogation and a command to stop preaching. Failure to heed this command contributes to a second arrest, interrogation, and prohibition of preaching. Thus most of Acts 3-5 traces a sequence of events in which one event

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Erster Hauptteil: Grundlegung

Der Vorteil einer Zusammenschau von Evangelium und Apostelgeschichte kann sachlich an der Frage der Völkermission in Lk-Act aufgezeigt werden. Zwar wird die Einbeziehung der έθνη in Gottes Heilsgeschehen im Evangelium mehrfach präludiert, so z.B. in der Simeonweissagung (Lk 2,30-32), dann im Gleichnis vom großen Festmahl (Lk 14,23) und im Missionsauftrag des Auferstandenen (Lk 24,47). Inhaltlich vollzogen aber wird sie erst Act lOf und Act 13. An dieser Stelle läßt sich wiederum das sachliche Gebot der Verknüpfung von synchroner und diachroner Methodik veranschaulichen. Denn der synoptische Vergleich vermag der lk Sehweise eine zusätzliche Tiefenschärfe zu verleihen. Nimmt man zu Recht an, daß Lukas Markus als Vorlage für sein Evangelium benutzt hat, so fällt auf, daß der lk Jesus im Unterschied zu Mk 7f par Mt 15f das >reine< Gottesvolk Israel weder religiös noch geographisch verläßt. Die Frage der Einbeziehung der εθνη in das Heilsgeschehen Gottes wird sowohl bei Markus als auch Matthäus unmittelbar auf Jesus selbst zurückgeführt, also christologisch beantwortet. Im Lukasevangelium hingegen unterbleibt eine solche Inkludierung. Tannehill ist also zuzustimmen, wenn er feststellt: »Central plot lines are not resolved at the end of Luke.«19 Ohne die Fortsetzung in der Apostelgeschichte hinge z.B. die Konkretisierung der Einbeziehung der έθνη in das Heilsgeschehen Gottes in der Luft. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, Lk-Act in der uns vorliegenden Endgestalt als eine durchkomponierte und thematisch aufeinander bezogene Erzähleinheit zu begreifen. Ein weiterer Unterschied zu Kingsbury besteht darin, daß Tannehill als erstes und vornehmlich nach einer theologischen Tendenz fragt. Wie diese dann literarisch umgesetzt werde, das erst bestimme den Plot.20 Eine causes something else to happen, and the later event presupposes the earlier. This is rather different than Luke 5,17-32, where Jesus' healing of a man who could not walk is followed by the call of Levi and the meal in Levi's house. There is a certain degree of thematic connection among these episodes, but there is no indication that Jesus' healing of the paralytic caused the call of Levi.« 19 R . C Tannehill, Narrative Unity II, S. 7. Diesen Ansatz einer thematischen wie strukturellen Einheit von Lk-Act stellt in Frage M.C. Parsons, Ascension. Er versucht anhand der Unterschiede in der Darstellung des Himmelfahrtsgeschehens Lk 24 und Act 1 nachzuweisen, daß Evangelium und Acta schon je für sich als eine Erzähleinheit gelesen werden müssen: »The narrator of Luke-Acts has employed the ascension narrative to bring closure to one narrative and provide entrance into its sequel.« (S. 198). 20 R.C. Tannehill, Narrative Unity I, S. 1: »I will be standing on the borderline between character and plot, understanding character in terms of role, which is character in action and interaction within an unfolding plot. These roles express competing and conflicting purposes, from which [a] significant plot may emerge if a dominant purpose and tendency appears.«

III. Zur Methodik

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solche theologische Tendenz in Lk-Act benennt Tannehill mit dem Begriff des »umfassenden göttlichen Heilswillens« für Juden wie Heiden: »Scripture and an inspired prophet have already indicated early in Luke the comprehensive saving purpose of God that stands behind the events of both Luke and Acts (Luke 2,30-32; 3,6). These passages explicitly indicate the purpose that stretches from the beginning of Luke to the end of Acts, holding the narrative together in spite of the departure of major characters. Recall of these passages puts the events of Acts in proper perspective. These events represent either the progressive realization of God's purpose of salvation for both Jews and Gentiles or show human resistance to this purpose. In either case the individual events are meaningful parts of a single story because they relate to this overarching purpose behind the whole.«21 Tannehill sieht als ein sich durchziehendes Charakteristikum von LkAct die Diskrepanz zwischen der Heilsabsieht und der Heilse/ns/cAi, welche vor allem an der ablehnenden jüdischen Haltung gegenüber der Christus-Verkündigung offenkundig wird. Der soteriologischen Grundabsicht des Gotteswillens stünde bei allem Verkündigungserfolg unter Juden und Heiden die fehlende Einsicht in eigene Heilsbedürftigkeit unter Juden entgegen. Dieser (teilweise) Mißerfolg der Verkündigung kündige sich schon im ersten öffentlichen Auftreten Jesu in Nazaret Lk 4,16ff an und werde schließlich deutlich am Ende des lk Erzählwerkes Act 28,17ff bilanziert: »At the end of Acts this purpose of God is only partially fulfilled. This incompleteness is not merely the result of mission fields still unharvested. It is also the result of the frequent and persistent rejection which the mission encounters. Rejection of the mission by many Jews is the most painful. Jewish rejection is repeatedly highlighted in the narrative from the first scene of Jesus' public ministry to the last scene of Acts.«22 Die Ablehnung jüdischerseits sei deshalb sehr schmerzlich, weil sich die Heilsbotschaft insbesondere an Israel richte. Die faktisch eingetretene Situation, daß die Christus-Verkündigung als Hoffnung Israels von diesem selbst aber zu großen Teilen verworfen wird, könne nur als tragische Ironie bezeichnet werden: »The theme of Israel's hope also reveals the tragic irony of Israel's situation ... The very hope so eagerly sought is rejected when it appears. This is ironic; it is also tragic, for Israel is losing what

21 R . C Tannehill, Narrative Unity II, S. 7. 22 R.C. Tannehill, Narrative Unity I, S. 2.

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Erster Hauptteil: Grundlegung

rightly belongs to it.«23 Dieser selbst herbeigeführte Heilsausschluß Israels sei am Ende von Lk-Act ein zentrales, ungelöstes Problem: »Hie chief emphasis of the end of Acts is on the unsolved problem of Jewish rejection.« 24 Dieses Ergebnis stehe aber im Widerspruch zur eigentlichen Heilsabsicht Gottes: »This result conflicts with God's purpose that >all fleshsee God's salvations God's purpose has been blocked by human resistance, at least temporarily.« 25 Mit letzterem beantwortet Tannehill zugleich auch die Frage nach der Dauer des Heilsausschlusses Israels. Dieser könne kaum endgültig gemeint sein: »Here lies the real openness of the ending of Acts. The narrative provides a basis for completing Paul's personal story, but it does not provide a solution to the problem of Jewish rejection.« 26 Diese Offenheit im Schlußkapitel von LkAct sei zum einen formal bedingt, denn »closure and openness« 27 sei ein kompositorisches Stilelement, um ein Erzählwerk literarisch zu beenden. Darum sei es auch durchaus statthaft, über Act 28,31 hinaus zu denken: »to anticipate what is not written«. 28 Zum anderen sei es systematischtheologisch geboten, den Heilsausschluß Israels nicht als endgültig anzusehen: »Because God is God, hope remains that God's comprehensive saving purpose will somehow be realized, but there is no indication of how that can happen. In the meantime, Acts can only suggest that the church welcome those Jews who are still willing to listen and continue its mission to the more responsive gentile world.« 29 Diese von Tannehill postulierte Heilsoffenheit gegenüber dem Israel der Synagoge wird in der eigenen Analyse von Act 28,30f einer genaueren Prüfung unterzogen werden. An dieser Stelle sei aber schon darauf hingewiesen, daß die von Tannehill konstatierte formale wie inhaltliche Offenheit auf Vermutungen angewiesen bleibt. Sie basiert auf der Annahme, es sei berechtigt, über den vorliegenden Text hinausgehend darüber zu spekulieren, »what is not written« 30 . Zudem gleicht der Satz »Because God is God, hope remains« 31 mehr einem Bekenntnis, als daß solche Hoffnung im uns vorliegenden Text nachgewiesen werden könnte. Zeichnet Tannehill hier nicht

23 24 25 26 27 28 29 30 31

R.C. Tannehill, R . C Tannehill, R.C. Tannehill, R.C. Tannehill, R.C. Tannehill, R.C. Tannehill, R.C. Tannehill, R.C. Tannehill, R.C. Tannehill,

Narrative Unity II, S. 345. a.a.O., S. 349. Ebd. a.a.O., S. 357. a.a.O., S. 353. a.a.O., S. 355. a.a.O., S. 357. a.a.O., S. 355. a.a.O., S. 357.

III. Zur Methodik

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sein eigenes Gottesverständnis in den Text ein, ein Wunschbild dessen, wie er es - zumal heutzutage - gern hätte? Könnte es aber nicht sein, daß für Lukas die jüdische Ablehnung der Christus-Botschaft zwar »tragische Ironie« genannt werden kann, aber dennoch für Lukas diese ablehnende Haltung kein »ungelöstes Problem« darstellt, sondern die Konstatierung der Verstockung am Ende seines Erzählwerkes geradezu die Lösung einer die lk Gemeinde sehr bedrängenden Frage bedeutete, nämlich der, weshalb ausgerechnet diejenigen, denen das σωτήριον του θεοί] zuallerst (πρώτον) zugedacht war, sich dieser Heilsbotschaft gegenüber verschlossen gezeigt haben. 2.3. J.B. Tyson: »Images of Judaism in Luke-Acts« - impliziter Leserkreis Die Bestimmung des Adressatenkreises von Lk-Act gehört für J.B. Tyson zu den Voraussetzungen, die geklärt werden müssen, bevor die ihn interessierende Frage nach der Stellung des lk Erzählwerkes zum Judentum überhaupt angegangen werden kann.32 Folgerichtig leitet er seine Untersuchung »Images of Judaism in Luke-Acts« mit solchem Bestimmungsversuch ein. Methodisch basiert diese Hermeneutik auf dem Konzept des reader-response criticism33, das wie der narrative criticism seinen Ursprung in der Literaturwissenschaft hat. Wie beim narrative criticism wird der Text auf der uns vorliegenden Textebene, also synchron interpretiert. In Ergänzung zum Ansatz des narrative criticism aber wird - der Name reader-response criticism weist schon darauf hin - der Akzent auf die Frage nach einem impliziten Leserkreis gelegt34. 2.3.1. Begriffsklärung: Was ist ein impliziter Leser? Methodisch ist zwischen einem ersten historischen, dem sogenannten realen Leserkreis und dem aus dem Text eruierbaren impliziten Leserkreis zu unterscheiden. Beide Leserkreise sind letztlich Konstrukte, aber während zur Profilierung des realen Leserkreises sowohl inner- wie auch 32 J.B. Tyson, Images, S. 16: »A ... problem to be faced before we can begin the actual study is that of defining the point of view from which the reading is to be made.« 33 Zum Konzept des reader-response criticism siehe M.A. Powell, What is Narrative Criticism? A New Approach to the Bible, S. 16-18. 34 M.A. Powell, a.a.O. S. 16: »As its name implies, reader-response criticism is a pragmatic approach to literature that emphasizes the role of the reader in determining meaning. More properly, reader-response criticism represents a compendium of approaches that define this role in various ways«

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Erster Hauptteil: Grundlegung

außertextliche Parameter herangezogen werden, basiert die Profilierung des impliziten Leserkreises ausschließlich auf Daten, die dem vorliegenden Text selbst entnommen werden. Lk-Act wird als ein dreigegliedertes Kommunikationsgeschehen begriffen, bestehend aus 1) dem Text, 2) dem Autor des Textes, Lukas genannt35, und 3) dem vom Autor anvisierten intendierten Leserkreis. Dieser intendierte Leserkreis muß zwar nicht identisch mit dem »faktisch« genannten, dem impliziten Leserkreis sein; aber es bleibt das Ziel des Autors, daß der faktisch implizite mit dem von ihm intendierten Leserkreis übereinstimmt. 2.3.2. Zu Tyson: »Die Gottesfürchtigen« als impliziter Leserkreis Zur Bestimmung der impliziten Leserschaft in Lk-Act zieht Tyson die Parameter intellektuelle Auffassungsgabe, Wissensstand sowie kulturelles und religiöses Verhalten heran36. Summa summarum ergebe sich das Persönlichkeitsprofil eines Bildungsbürgers nichtjüdischer Herkunft mit star35 »Lukas« ist ein Kunstwort. Wir kennen den realen Autor von Lk-Act nicht. Der Verfasser stellt sich selbst in seinem Werk nicht vor. Wenn in dieser Arbeit dennoch von »Lukas« als Autor von LkAct die Rede ist, so entspricht dies allgemeiner exegetischer Konvention. 36 J.B. Tyson, a.a.O., S 35f, benennt folgende Untersuchungsbereiche und kommt zu folgendem Ergebnis: »Analysis of locations, persons, languages, events, measurements and money, religious practices, and literature results in a complex profile of the implied reader in Luke-Acts. Such a profile would be based on the following observations about the implied reader. 1. Our reader is a generally well-educated person with a rudimentary knowledge of eastern Mediterranean geography and a familiarity with the larger and more significant Roman provinces. 2. Hie implied reader is familiar with some public figures, especially Roman emperors. He has some knowledge about James and his position within the primitive Christian community. It is not possible to be certain about his extratextual knowledge of Jesus. 3. The implied reader is not expected to know any language other than Greek but is comfortable with some foreign terms and names. 4. The implied reader is knowledgeable about public affairs, especially those that are of concern to Levantine and Jewish communities. 5. The implied reader has a working knowledge of common Greek and Roman measurements and coinage. 6. The implied reader has a limited knowledge of both pagan and Jewish religions, an aversion to some pagan practices, and an attraction to Jewish religous life. But he is probably not Jewish and is not well informed about significant aspects of Jewish religious life. 7. The implied reader is familiar with the Hebrew Scriptures in their Greek translation and acknowledges their authoritative status but is not familiar with those methods of interpretation that find the fulfillment of the scriptures in Jesus.«

III. Zur Methodik

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ken Affinitäten zur Synagoge, mithin ein Profil, das auf die in Act namentlich genannten Gottesfürchtigen (Tyson: »Godfearing Gentiles«37) zutreffe. Insbesondere der Hauptmann von Kapernaum (Lk 7,1-10) und Cornelius (Act 10,1-11,18) erfüllten diese Wesensmerkmale. Sie seien »paradigmatisch«38 und repräsentierten das Idealbild eines impliziten Lesers. Aber auch Hieophilus (Lk 1,3; Act 1,1) entspreche den Charakterzügen eines Gottesfürchtigen im Spannungsfeld von Synagoge und Christengemeinde: »Hieophilus would be described as a well-educated Gentile who is acquainted with paganism, Judaism, and, to a limited degree, Christianity. He has been attracted to Judaism but has as yet made no commitment and continues to live as a Gentile. The implied author thus leads the implied reader to a positive commitment about Jesus«39. Diese dargestellten Personen, denen das Merkmal der Gottesfurcht und der nichtjüdischen Herkunft gemein sei, entsprächen also dem impliziten Leserkreis. Über deren Schulter zu schauen, offenbare dem heutigen Leser die von Lukas intendierte Adressatenschaft. Zugleich werde damit auch

37 J.E Tyson,, a.a.O., & 37. 38 J.E Tyson, Ebd. 39 J.B. Tyson, a.a.O., S. 38. Der letztgenannte Satz endet wie folgt: »The implied author thus leads the implied reader to a positive commitment about Jesus, a commitment similar to that of the centurion in Luke 23,47.« Die von Tyson konstatierte Vorbildfunktion des Centurion unter dem Kreuz ist ein Mißgrift Zunächst fällt auf, daß die lk Formulierung όντως ό άνθρωπος ούτος δίκαιος ήν (V. 47b) deutlich hinter der mk Parallele zurückbleibt, wo der Centurion den sterbenden Jesus als den Sohn Gottes bezeichnet: άληθώς ούτος ό άνθρωπος υιός θεοΰ ήν Mk 15,39b). Gegenüber solchem messianischen Bekenntnis verblaßt aber die Feststellung des Ik Centurion, daß Jesus ein gerechter Mensch gewesen sei. Die Vokabel δίκαιος ist hier gleichbedeutend als Anerkenntnis der Schuldlosigkeit Jesu zu verstehen (vgl. das dreimalige Eingeständnis der Unschuld Jesu durch Pilatus Lk 24,4.11.22). J.A. Fitzmyer, Luke II, S. 1515, vermutet zu Recht: »Luke avoids the Marcan formulation ... because ... he thinks that >son of God< on the lips of a pagan might be misunderstood by his own readers.« Zudem, bezogen auf das lk Erzählwerk, hat der Ausspruch des Centurion unter dem Kreuz bei weitem nicht die gleiche Qualität wie z.E das Bekenntnis des Blinden bei Jericho (Lk 18,3543). Dieser Blinde - doch wohl ein Jude - ruft auf die Kunde, daß ein gewisser Jesus von Nazaret vorbeiziehe, sogleich aus: »Jesus, Sohn Davids, erbarm dich meiner« (V. 38). Wenn denn - wie von Tyson als Erzählintention postuliert - Lukas eine dauerhafte Bindung (Taufe) des impliziten Leserkreises an die christliche Lehre vom JesusMessias anstrebt, so ist der Centurion unter dem Kreuz (Lk 23,47) dafür kein geeignetes Vorbild. Im Gegenteil, selbst hinter Theophilus, dessen bereits erfolgte Unterweisung in der christlichen Lehre ausdrücklich betont wird (Lk 1,4), bleibt das Glaubensprofil des Centurion unter dem Kreuz erkennbar zurück. Ist diese - gemessen am Beispiel des Blinden bei Jericho - positive Zeichnung von jüdischer Frömmigkeit ein erstes Indiz dafür, anders als Tyson den impliziten Adressatenkreis von Lk-Act nicht zu eng zu ziehen?

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Erster Hauptteil: Grundlegung

die lk Erzählintention deutlich: »The purpose of Luke-Acts is to persuade Godfearers to accept the Christian message about Jesus rather than accepting Judaism.«40 Lk-Act wäre somit ein Werberuf an gottesfürchtige έθνη. Der erste Schritt, Unterweisung in der Christus-Lehre (Lk 1,4), sei bereits erfolgt. Jetzt also stehe für den impliziten Leserkreis der zweite Schritt an, das an die lk Gemeinde bindende Christus-Bekenntnis. Diesem Zweck diene das lk Erzählwerk. Tyson kommt mit seiner vorgelegten Analyse das Verdienst zu, ein in sich geschlossenes Interpretationskonzept vorgelegt zu haben, das über die Bestimmung der impliziten Adressatenschaft zugleich auch die Erzählintention benennt. Dieser Weg ist einleuchtend, setzt aber doch voraus, daß die implizite Adressatenschaft auch korrekt erfaßt ist. Zudem gilt es zu beachten, daß methodisch der reader-response criticism erfordert, den Text nach allen möglichen Lesergruppen abzusuchen. Darum stellt sich die Frage, ob tatsächlich die Gottesfürchtigen einzig der von Lukas anvisierten Lesergruppe entsprechen. Gibt es weitere implizite Lesergruppen?

3. Im Gefolge Tysons - erneute Bestimmung

des impliziten

Leserkreises

3.1. Wen bezeichnet Lukas als »Gottesfürchtige«? Die folgende Analyse kann und will nicht die grundsätzliche Frage nach der realhistorischen Existenz einer Gruppe mit dem Namen »die Gottesfürchtigen« behandeln. Unser Vorgehen muß sich auf den lk Textbefund beschränken. Da methodisch dessen implizite Leserschaft gesucht wird, ist zu überprüfen, inwieweit sich im lk Erzählwerk warraft'v-exegetisch die Existenz eines terminologisch festumrissenenen, der Herkunft nach nichtjüdischen Kreises von Synogogensympathisanten namens »die Gottesfürchtigen« nachweisen läßt. Ist φοβούμενος (bzw. σεβόμενος) τον θεόν in Lk-Act Terminus technicus einer Gruppenbezeichnung oder ein Frömmigkeitsprädikat? Anders gefragt: Ist φοβούμενος (bzw. σεβόμενος) τόν θεόν bei Lukas ethnisch auf Nichtjuden eingegrenzt, oder bezeichnet er mit diesem Terminus jüdische Frömmigkeit, die zur Grundlage auch christlicher Frömmigkeit wird?

40 J.B. Tyson, a.a.O., S. 182.

III. Zur Methodik

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3.1.1. Zur Historizität »der Gottesfürchtigen« K.G. Kuhn / H. Stegemann unterscheiden wie folgt zwischen Proselyten und Gottesfürchtigen: »Als Proselyten bezeichnet das nachexilische Diasporajudentum und von daher auch die übrige Literatur Männer und Frauen, die - ohne von jüdischen Eltern abzustammen - auf Grund eines rechtsgültigen Aufnahmeaktes Mitglieder der jüdischen Kultgemeinschaft geworden, ihr beigetreten sind. Von den Proselyten zu unterscheiden sind Leute, die mehr oder weniger intensiv am Leben jüdischer Kultgemeinden teilnahmen, ohne durch einen regelrechten Aufnahmeakt zu Mitgliedern der Gemeinden zu werden. Im Unterschied zu den Proselyten bezeichnet man sie als σεβόμενοι oder φοβούμενοι τον θεόν.« 41 Proselyten werden durch Beschneidung und Opfergaben zu Volljuden, während die Gottesfürchtigen diesen letzten Schritt hin zur Vollmitgliedschaft in der Synagogengemeinde nicht vollziehen. Diese Zurückhaltung ist u.a. dadurch erklärbar, daß für die Gottesfürchtigen schon aufgrund ihrer zumeist gehobenen gesellschaftlichen Stellung das soziale Motiv zum Übertritt fehlte. Das vor allem unterschied sie von den Proselyten, denn die, so H. Gülzow, »gehörten mindestens im Westen des damaligen Reiches zum größten Teil niedrigen Gesellschaftsschichten an und waren häufig auch Sklaven der Juden oder ihre Freigelassenen.«42 Die Gottesfürchtigen waren somit »für die Juden die Brücke zur heidnischen Gesellschaft, in der sie lebten. Mit Vorliebe wandte sich die jüdische Propaganda an die gehobenen Gesellschaftsschichten und Persönlichkeiten in einflußreichen Positionen. Denn ihre Zahl und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit spielten für die Beurteilung der Juden durch die heidnische Umwelt und den Staat eine große Rolle. Die Gottesfürchtigen hatten gegenüber dem Gesetz so viel Freiheiten, wie sie haben wollten. In der Regel besuchten sie den Synagogengottesdienst; sie nahmen im allgemeinen auch einen Teil des jüdischen Zeremonialgesetzes auf sich und hielten sich an die ethischen Grundforderungen des Alten Testamentes. Häufig unterstützten sie die Synagoge mit großzügigen Spenden.«43

41 K.G. Kuhn / H. Stegemann, Art. Proselyten, Sp. 1248£ Vgl. hierzu das immer noch grundlegende Kapitel von K. Lake, Proselytes and God-Fearers, S. 74-96, sowie u.a. P.R. Trebilco, Jewish Communities; Irina Levinskaya, Diaspora Setting; E.W. Stegemann / W. Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, S. 223ff. 42 H. Gülzow, Soziale Gegebenheiten der altkirchlichen Mission, S. 195. 43 H. Gülzow, a.a.O., S. 194t

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Erster Hauptteil: Grundlegung

Diesem von Gülzow gezeichneten Persönlichkeitsprofil eines Gottesfürchtigen könnten in Lk-Act z.B. der Hauptmann von Kapernaum (Lk 7,1-10) und vor allem Cornelius (Act 10,1-11,18) entsprechen, denn beide Figuren zeichnen sich durch eine besondere Zugewandtheit zum jüdischen Volk (Hauptmann von Kapernaum) bzw. zu jüdischer Frömmigkeit (Cornelius) aus. Lukas führt uns also Menschen vor Augen, die sich trotz ihrer nichtjüdischen Herkunft in unterschiedlicher Weise als Sympathisanten bzw. Anhänger der Synagoge ausweisen. Wie aber ist dieser nichtjüdische Sympathisanten- und Anhängerkreis terminologisch zu fassen? Der Hauptmann von Kapernaum wird auffälligerweise im Unterschied zu Cornelius (Act 10,2.22) nicht explizit als ein >Gott Fürchtender< bezeichnet. Zwar wird jüdischerseits seine Liebe zum jüdischen Volk und sein Mäzenatentum für den Bau einer Synagoge herausgestrichen (Lk 7,5), aber das Prädikat »Gottesfürchtiger« unterbleibt. Ist das Zufall oder Absicht? Verbirgt sich dahinter vielleicht der von F. Siegert postulierte Unterschied zwischen »Gottesfürchtigen« als den »ernsthaft an der jüdischen Religion Interessierte[n]« und den Sympathisanten als »bloßen Nachahmern irgendwelcher jüdischer Bräuche oder politisch den Juden wohlgesonnenen Personen« 44 ? A.T. Kraabel 45 hat nunmehr die These aufgestellt, die sogenannten Gottesfürchtigen in Lk-Act seien lediglich eine literarische Konstruktion des Lukas. In Wirklichkeit hätten die von Lukas als »Gottesfürchtige« Bezeichneten niemals existiert46: »The God-fearers are on the stage as needed, off the stage after they have served their purpose in the plot.«47

44 F. Siegert, Gottesfürchtige und Sympathisanten, S. 110. Diese Unterscheidung überzeugt nicht, da sie eine umstrittene Annahme zur Voraussetzung macht, nämlich daß es die Gruppe der Gottesfürchtigen auch tatsächlich gegeben habe. 45 A.T. Kraabel, Disappearance. Kraabel hat sich seither mehrfach zu den Gottesfürchtigen geäußert. Eine umfassende Zusammenstellung seiner Arbeit einschließlich einer kritischen Auseinandersetzung mit seinen Thesen findet sich in: FS. A.T. Kraabel, Diaspora Jews and Judaism. Vgl. des weiteren M. Wilcox, >God-Fearers< in Acts; T.M. Finn, The God-Fearers Reconsidered. 46 Die Existenz der Gottesfürchtigen hatte schon Ende des vergangenen Jahrhunderts A. Bertholet bestritten. In seinem 1896 erschienenen Buch »Die Stellung der Israeliten und Juden zu den Fremden« stellt er die These auf: »Für die damaligen Juden gab es nur Proselyten (αηα) schlechthin, die offiziell Proselyten waren: wer nicht so Proselyt war, war heidnisch.« (a.a.O., S. 328). Für Act kommt Bertholet, a.a.O., S. 329-331, hier 331, zu folgendem Ergebnis: »Alles in allem zeigt uns also der Sprachgebrauch der Apostelgeschichte, dass σεβόμενοι und φοβούμενοι einerseits und προσήλυτοι andererseits promiscue gebraucht werden.« 47 A.T. Kraabel, a.a.O., S. 120.

III. Zur Methodik

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Auf die Apostelgeschichte dürfe sich darum nicht berufen, wer die realhistorische Existenz einer solchen Gruppe postuliert. Vielmehr seien die Gottesfiirchtigen ein Legitimationssymbol, um die Rechtmäßigkeit des von Lukas formulierten Anspruches, in den Traditionen und Verheißungen Israels beheimatet zu sein, zu betonen.48 In der Tat ist für die Apostelgeschichte eine literarische Funktion der »Gottesfiirchtigen« nicht von der Hand zu weisen. Es fällt nämlich auf, daß von φοβούμενοι (σεβόμενοι) τον ϋέον - außerhalb der Coraeliusperikope Act lOf - nur in der konfliktreich geschilderten Missionsphase des lk Paulus von Act 13-19 die Rede ist. Sonst, sowohl vor seiner Mission (z.B. Lk 2,32; 24,47; Act 9,15; 10,45; 11,1) als auch nach ihr (Act 22,21; 26,17ff; 28,28), begegnet die dem Leser vertraute Opposition aus λαός bzw. 'Ιουδαίοι und έθνη. Aber ist daraus notwendig abzuleiten, in den »Gottesfiirchtigen« nichts anderes als eine literarische Konstruktion des Lukas zu sehen? Selbst wenn unsere Untersuchung nahelegen sollte, daß »die Gottesfiirchtigen« in Lk-Act nicht Terminus technicus für eine Gruppe selbigen Namens sind, so müßte doch darum keineswegs die Existenz nichtjüdischer Synagogensympathisanten undenkbar werden, wie auch immer diese dann hießen. Entspricht es nicht geradezu der lypik eines Sympathisantenkreises, keine festen Bindungen und Verpflichtungen einzugehen, so daß sich die Frage stellt: Darf überhaupt ein Einheitsbegriff für nichtjüdische Synagogensympathisanten verlangt werden?

48 A.T. Kraabel, a.a.O., S. 120f: »The God-fearers are a symbol to help Luke show how Christianity had become a Gentile religion legitimately and without losing its Old Testament roots. The Jewish mission to Gentiles recalled in the God-fearers is ample precedent for the far more extensive mission to Gentiles which Christianity had in fact undertaken with such success. Once that point has been made, Luke can let the God-fearers disappear from his story.« Zur Kritik an Kraabels Position zu den >Gottesfürchtigen< siehe J.A. Overman, The God-Fearers: Some Neglected Features; J.G. Gager, Jews, Gentiles, And Synagogues, S. 91-99. Gager stimmt mit Kraabel zwar dahingehend überein, daß Lukas in der Verwendung des Terminus Gottesfürchtiges sehr wohl eine theologische Absicht verfolge (a.a.O., S. 98), aber: »Luke's invention is not the category of >God-fearers< as such but rather their immediate and total abandonment of Judaism for Christianity. Apart from Acts, there is no support for his [d.i. Kraabel] claim whatsoever« (a.a.O., S. 99). Vgl. hierzu erneut A.T. Kraabel, Greeks, Jews, And Lutherans.

48

Erster Hauptteil: Grundlegung

3.1.2. Der terminologische Befund in Lk-Act Die Formulierung φοβούμενος (σεβόμενος) τον fteóv kommt fünfmal in ihrer semitisierenden Form φοβούμενος (-οι) (Act 10,2.22.35; 13,16.26) und sechsmal in der hellenisierten Fassung σεβόμενος (-οι) (Act 13,43.50; 16,14; 17,4.17; 18,7 mit oder ohne Φεόν) vor. Diese Terminologie ist - bezogen zumal auf das NT - eine Lukas eigentümliche Redeweise. Überhaupt ist für ihn charakteristisch, daß er »eine gewisse Vorliebe für die alttestamentlich-jüdische Formel >Gott fürchtenVor-Urteil< beiseite gelassen wird, die von Lukas gekennzeichneten »Gott Fürchtenden« seien selbstredend nichtjüdische Sympathisanten, so eröffnet sich auch ein neuer Zugang zur Deutung der Gottesfürchtigen in Act 13,16.22. Sie hat von Act 13,43 her zu erfolgen. Der Terminus οί σεβόμενοι προσήλυτοι bezeichnet wörtlich »die ehrfürchtigen Proselyten«. Diese sind unterschieden von den zuvor genannten οί 'Ιουδαίοι (V. 43). Auffallend ist, daß Lukas noch an einer weiteren Stelle deutlich zwischen Ιουδαίοι τε και προσήλυτοι (Act 2,11) zu differenzieren weiß. Weshalb muß aber nun wie bei Siegert Lukas ein unterschiedlicher Gebrauch dieser Termini in Act 2,11 und 13,43 unterstellt werden? Für Act 2,11 formuliert Siegert: »Natürlich konnte man bei ausführlicher Aufzählung auch trennen«, 57 während Act 13,43 dem allgemein üblichen Gebrauch folge, der besagt, daß »Proselyten ... im jüdischen wie heidnischen Sprachgebrauch Ιουδαίοι« 58 heißen. Act 2,11 sei also zwischen Juden und Proselyten unterschieden, während hingegen Act 13,43 die Proselyten implizit mit unter οί 'Ιουδαίοι zu rechnen seien. Weshalb aber solch ein Argumentum e silentio, wenn doch explizit der Terminus προσήλυτοι Act 13,43 dasteht? Wir haben also zunächst mit Act 2,11 einen deutlichen Hinweis, daß Lukas zwischen Juden und Proselyten unterscheiden kann. Warum also sollte diese Unterscheidung 56 Blaß-Debrunner-Rehkopf, Grammatik § 412, Anm. 10. 57 F. Siegert, a.a.O., S. 127, Anm. 8. 58 F. Siegert, a.a.O., S. 127.

III. Zur Methodik

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nicht auch Act 13,43 anwendbar sein, zumal sie sich wörtlich nahelegt und auch inhaltlich Sinn macht? 59 Folglich besteht der Adressatenkreis der paulinischen Synagogenpredigt im pisidischen Antiochien für Lukas aus Juden und Proselyten (Act 13,43), nicht auch aus vermeintlichen »Gottesfürchtigen«. Die Geburtsjuden in der Synagogengemeinde werden vom 1k Paulus korrekt als άνδρες Ίσραηλϊται (Act 13,16) und άνδρες άδελφοί, υιοί γένους Αβραάμ (Act 13,26), als Geburtsjuden angeredet, während - aus der Deutung von Act 13,43 hergeleitet - οί φοβούμενοι τον ϋεόν (V. 16.26) an diesen Stellen jeweils die Proselyten bezeichnet. Andernfalls müßte zwischen dem Adressatenkreis in der Synagoge und draußen vor der Synagoge (Act 13,42f) unterschieden werden. 3.1.4. »Gott fürchtend« - und doch kein Proselyt (Act 13,50) Der Personenkreis, der sich sodann am folgenden Sabbat einfindet, hat gegenüber der ersten Zusammenkunft eine deutlich andere Zusammensetzung. Die Synagogenpredigt hat zur Folge, daß »fast die ganze Stadt« (σχεδόν πάσα ή πόλις V. 44) ein Interesse zeigt, die Verkündigung selbst zu hören. Diese also um ein Vielfaches größere Zuhörerschaft besteht aus Juden - darunter wären auch Proselyten möglich - und Menschen aus den εθνη. Aber im Unterschied zur positiven jüdischen Reaktion in der Synagoge und aus ihr heraus (Act 13,14-43) wird nunmehr außerhalb, auf dem öffentlichen Versammlungsplatz, eine ablehnende Haltung »der Juden« (V. 45-50) verdeutlicht. Das massenhafte Interesse von όχλοι vor Augen, werden Juden von eifersüchtigem Zorn erfüllt (V. 45), da die Botschaft offenbar nicht exklusiv nur ihnen zusagt, nicht nur sie sich angesprochen fühlen. Solange die Jesus-Verkündigung auf Juden (einschließlich der Proselyten) beschränkt blieb, traf sie jüdischerseits auf Wohlwollen und Zustimmung. Kommen jedoch jetzt explizit die ε-δνη als interessierte Zuhörer hinzu, schlägt die jüdische Reaktion in Verlästerung der christlichen Verkündigung um und endet in einer Verfolgung der Jesus-Verkündiger (V. 50). Es bleibt festzuhalten, daß der Personen-

59 G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 142, Anm. 141, erwägt ebenfalls, in ol σεβόμενοι προσήλυτοι Act 13,43 Proselyten und keine bloßen Sympathisanten zu sehen: Es sei »denkbar, daß Lukas selbst im Hinblick auf 13,46f deutlich machen will, am ersterwähnten Sabbath habe es sich nur um geborene Juden und zum Judentum voll Übergetretene gehandelt.« Gleichwohl läßt er die Konsequenzen, die sich daraus für die Deutung der >Gott Fürchtenden« Act 13,16.26 ergeben müßten, außer acht.

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Erster Hauptteil: Grundlegung

kreis der έθνη terminologisch erst außerhalb der Synagoge in Erscheinung tritt. Für den Fall der ersten Synagogenpredigt (V. 14-44) kann eine nichtjüdische Zuhörerschaft von vermeintlichen Gottesfürchtigen zwar nicht ausgeschlossen werden, aber als εθνη werden sie in der Synagoge nicht angesprochen. Somit ergeben sich als Ergebnis drei Zuhörerkreise für die Verkündigung des lk Paulus im pisidischen Antiochien: 1) Geburtsjuden in der Synagoge - dort positive Aufnahme der JesusVerkündigung - und außerhalb der Synagoge, wo sie als Anstifter für Unruhe und Verfolgung auftreten, 2) »die ehrfürchtigen Proselyten« innerhalb der Synagoge, vom lk Paulus dort als φοβούμενοι τον θεόν angeredet, 3) die εθνη außerhalb der Synagoge. Die Proselyten sind im ersten Teil (V. 14-43) dieser Perikope die als φοβούμενοι τον θεόν Angeredeten. Im zweiten Teil hingegen (V. 44ff) taucht ein veränderter Terminus auf: Ol σεβόμενοι γυναίκες aus angesehenem Hause in Verbindimg mit den πρώτοι der Stadt (V. 50). Wer genau diese ehrfürchtigen Frauen (vgl. Act 17,4) sind, kann nicht auf den ersten Blick festgestellt werden. Das attributive Partizip σεβόμενοι könnte eine Verbindung zu σεβόμενοι V. 43 nahelegen. Aber in V. 43 soll das attributive Partizip das Nomen προσήλυτοι näher qualifizieren. Die dort erwähnten Proselyten sind »ehrfürchtig«, präziser noch: »Gott fürchtend« (V. 16.26). Die »ehrfürchtigen« und vornehmen Frauen aus V. 50 hingegen sind kaum Proselytinnen, denn warum sollten ol 'Ιουδαίοι (V. 50) ausgerechnet die ihnen am nächsten stehende Gruppe - die Proselyten sind zwar Juden nicht von Geburt, aber aus Überzeugung - noch zum Widerstand anstacheln müssen? Nein, zumal die Verbindung dieser vornehmen Frauen mit den Ersten der Stadt läßt darauf schließen, daß wir es hier mit nichtjüdischen Sympathisantinnen der Synagoge zu tun haben. Somit entstammen diese »ehrfürchtigen Frauen« dem Personenkreis, der gemeinhin als »die Gottesfürchtigen« bezeichnet wird. 3.1.5. Ergebnis Die gängige und auch von Tyson implizit vorausgesetzte Annahme, φοβούμενοι (σεβόμενοι) τον θεόν sei für Lukas Terminus technicus und Gruppenbezeichnung, läßt sich nicht halten. Vielmehr kennzeichnet dieser Begriff bei Lukas grundlegend jüdische Frömmigkeit, die für ihn Ausgangspunkt auch christlich verstandener Frömmigkeit wird.

III. Zur Methodik

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Φοβούμενος τον θεόν ist für Lukas ein Frömmigkeitsprädikat60. Im einzelnen bildet solche (monotheistische) Gottesfurcht das Frömmigkeitsmerkmal folgender Personen und Gruppen: 1) fromme Juden aus dem λαός (Lk 1,50), 2) ehrfürchtige Proselyten (Act 13,43, s.a. 13,16.26), 3) gottesfürchtige Nichtjuden wie Cornelius (Act 10,2.22, s.a. 13,50). So sicher also auch »Godfearing Gentiles« (Tyson)61 zur impliziten Adressatenschaft des Lukas hinzuzurechnen sind (siehe 3.3.), der Begriff »Godfearer« (Tyson)62 darf lukanisch nicht allein diesem Personenkreis vorbehalten bleiben. Lukas kann jeden Menschen, der den Gott Israels fürchtet, als φοβούμενος τον ϋεόν bezeichnen. Negativ formuliert: »Gottesfürchtige« Menschen in Lk-Act rekrutieren sich nicht allein aus den έθνη. Zugleich muß aber auch der Schlußfolgerung Kraabels widersprochen werden, Gottesfürchtige seien schon deshalb nur eine literarische Erfindung des Lukas, weil sich außer bei ihm eine solche Gruppenbezeichnung - und damit auch eine solche Gruppe! - nicht finde. Unsere Untersuchung hat vielmehr aufgezeigt, daß Lukas von gottesfürchtigen Nichtjuden als Sympathisanten der Synagoge erzählt, ohne sie durchgängig mit einem exklusiven Terminus zu bezeichnen. Solche begriffliche Festigkeit zu verlangen, widerspräche wohl auch dem losen Charakter eines Sympathisantenkreises und verfiele zudem in den Fehler, das Judentum des ersten nachchristlichen Jahrhunderts als eine einheitlich-feste Größe anzusehen.63 Vor solcher Sehweise hat selbst Kraabel in seinen Arbeiten zum Diasporajudentum gewarnt64. Entsprechend schlägt Tyson65 vor, an60 So jüngst auch H.W. Stegemann / W. Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, S. 223, die analog zu θεοσεβής anmerken: »Es muß immer aus dem Kontext geschlossen werden, ob er grundsätzlich eine Aussage über die Frömmigkeit eines Menschen (sei es ein Jude, sei es ein Nichtjude), oder eben eine(n) Gottesfürchtige(n) bezeichnet«. 61 J.B. Tyson, a.a.O., S. 37. 62 So in der Kapitelüberschrift Tysons, a.a.O., S. 35: »The implied Reader as Godfearer«. 63 Vgl. in diesem Zusammenhang S.J.D. Cohen, Crossing the Boundary, S. 14, der darauf hinweist, daß es damals regional deutliche Unterschiede im Selbstverständnis jüdischer und nichtjüdischer Identität gab: »There is no reason to assume that these questions will have received uniform answers. A gentile who engaged in >judaizing< behavior may have been regarded as a Jew by gentiles, but as a gentile by Jews. A gentile who was accepted as a proselyte by one community may not have been so regarded by another, because the Jews of antiquity held a wide range of opinions about the degree to which the proselyte became just like the native born.« 64 A.T. Kraabel, Six Questionable Assumptions. 65 J.E Tyson, a.a.O., S. VII: »We have recently learned to think of first-century Judaisms rather than first-century Judaism.« Vgl. hierzu auch S.J.D. Cohen, Crossing the Boundary; Tessa Rajak, The Jewish Community and its Boundaries, S. 9-28.

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Erster Hauptteil: Grundlegung

stelle von einem Judentum von verschiedenen >Judentümern< zu sprechen. Müßte man mit solcher Vielfalt nicht erst recht unter nichtjüdischen Synagogensympathisanten rechnen? Da also im lk Erzählwerk (auch) gottesfürchtige Nichtjuden vorkommen, ist weiter zu fragen, wie Lukas sie bezeichnet. Sind etwa die »Hellenen« mit ihnen identisch? 3.2. Wer sind die Hellenen in Act? 3.2.1. Die Vorkommen Das Nomen Έλλην, -ες66 wird, textlich sicher bezeugt, neunmal im lk Erzählwerk verwendet (Act 14,1; 16,1.3; 17,4; 18,4; 19,10.17; 20,21; 21,28). Textlich fraglich ist zum einen Act 18,17. Unabhängig von dem negativen Entscheid für diese Stelle zeigen die Textvarianten, daß sie jeweils die Differenzierung zwischen 'Ιουδαίοι und Έλληνες als bekannt voraussetzen, demnach Hellenen - negativ formuliert - Nichtjuden sind. Schwieriger ist der andere Fall in Act 11,20 zu entscheiden: Die Herausgeber des Nestle-Aland (27. Aufl.) entscheiden sich - lectio difficilior - für Έλληνιστάς statt "Ελληνας. Diese Lesart ist kaum mit V. 19 in Einklang zu bringen. Dort heißt es, daß bislang nur den Ίουδαίοις christlich gepredigt worden sei. Demgegenüber sei, so V. 20, erstmals in Antiochia auch den Hellenen/Hellenisten der κύριος Ίησοϋς verkündigt worden. Aber den schon in Act 6,1 genannten Έλληνισταί ist erstens die christliche Verkündigung bereits bekannt (Act 6,1-7 schildert nämlich einen innergemeindlichen Streitfall), und zweitens sind die Hellenisten - dies hat zuletzt M. Hengel67 überzeugend dargelegt - Diasporajuden. Daraus folgt für Act 11,20: »Der Sinnzusammenhang erfordert auf jeden Fall Έλληνας als Gegensatz zu Ίουδαίοις«68. Die Hellenen Act 11,20 sind also Nichtjuden. Aber in welcher Verbindung stehen sie zur Synagoge? Darüber soll die Analyse der weiteren Stellen in der Apostelgeschichte Auskunft geben.

66 Vgl. J. Wanke, Art. Έλλην; Η. Windisch, Art. Έλλην, S. 507-509; W. Will / R. Klein, Art. Hellenen, Sp. 419f. 67 M. Hengel, Zwischen Jesus und Paulus, S. 157-164. 68 M. Hengel, a.a.O., S. 165. So auch G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 89, Anm. 22; R. Pesch, Apostelgeschichte I, S 352, Anm. 6.

III. Zur Methodik

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3.2.2. Die Hellenen als gottesfürchtige Sympathisanten der Synagoge Folgen wir nach Act 11,20 weiter der lukanischen Narratio, so begegnen dem Leser bis zur Korinthperikope Act 18,Iff die Hellenen ganz überwiegend als ausgesprochene Sympathisanten der Synagoge. Dabei fällt wiederholt die Juden wie Hellenen gemeinsame Distanz zu den έθνη auf. 1. Die Hellenen in Ikonion (Act 14,1): In der »Synagoge der Juden« in Ikonion finden Paulus und Barnabas »Juden und Hellenen« (οί 'Ιουδαίοι τε και Έλληνες V. 1) vor. Eine »große Anzahl« ihrer Synagogenzuhörerschaft wird durch sie zum christlichen Glauben geführt. Die »unüberzeugten Juden« (οί άπειθήσαντες Ιουδαίοι V. 2) aber hetzen die έθνη gegen »die Brüder« auf. Deutlich wird die Unterscheidung von Hellenen und εθνη. Die Hellenen zeigen sich der christlichen Botschaft gegenüber aufgeschlossen, während die εθνη sich gegenüber der Christus-Botschaft und ihren Kündern in tatkräftiger Vereinigung mit den Juden (V. 4f) als überaus feindlich gesonnen erweisen. Die Hellenen sind im Unterschied zu Hellenisten (s. 3.2.1.) keine Geburtsjuden, aber da sie in der Synagoge anzutreffen sind, entsprechen sie dem herkömmlichen Profil eines nichtjüdischen Gottesfürchtigen (s.a. Joh 12,20). 2. Der hellenische Vater des Timotheus (Act 16,1.3): In Lystra beschneidet der lk Paulus Timotheus, den Sohn einer Judenchristin (γυνή Ιουδαία πιστή) und eines Griechen (πατήρ "Ελλην Act 16,1). Da der Vater als Hellene kein Geburtsjude ist und daher seinen Sohn nicht beschneiden ließ, ist diese Beschneidung nun nachzuholen. Daß dieser hellenische Vater Kontakt zur Synagoge gehabt hat und womöglich der Kategorie eines nichtjüdischen Sympathisanten entsprach, läßt seine Heirat vermuten, aber nicht zwingend voraussetzen. Auch für diese Perikope gilt wohl: Als ein "Ελλην ist er terminologisch von den εθνη unterschieden. 3. Die »ehrfürchtigen Hellenen« in Thessalonich (Act 17,4): In Thessalonich (Act 17,1-9) begibt sich der lk Paulus wiederum in die »Synagoge der Juden«. Den dort Anwesenden, die zunächst nicht näher gekennzeichnet werden, versucht er, die Jesus-Verkündigung nahezubringen. Der Erfolg: Lediglich »einige von ihnen« (τίνες έξ αυτών, d.h. von den Juden, s. V. 1-3) lassen sich von Paulus überzeugen, daneben eine große Menge »der ehrfürchtigen Hellenen« (οί σεβόμενοι "Ελληνες) und

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Erster Hauptteil: Grundlegung

nicht wenige der ersten Frauen (V. 4). Diese Frauen wie jene Hellenen sind wahrscheinlich als Mithörer der paulinischen Synagogenpredigt (s.o. zu Act 14,1), d.h. als Synagogenbesucher(innen) gedacht, die Hellenen (in der Apostelgeschichte nur) hier zudem als σεβόμενοι, als jüdisch fromm expliziert. So entsprechen sie dem bislang in der Apostelgeschichte gezeichneten Frömmigkeitsprofil nichtjüdischer Gottfürchtender. 4. Die Hellenen in Korinth (Act 18,4): In Korinth begibt sich der lk Paulus an jedem Sabbat in die Synagoge und sucht dort »Juden und Hellenen« ('Ιουδαίοι και "Ελληνες V. 4; vgl. Act 14,1) zu überzeugen. Insbesondere bemüht er sich um die Juden (V. 5). Als gerade diese sich aber widersetzen, verkündet er programmatisch in der Synagoge seine Abkehr von den Juden und Hinwendung zu den εθνη (V. 6; vgl. Analoges in Act 13,46f außerhalb der Synagoge). Wiederum sind die Hellenen in der Synagoge anzutreffen, entsprechen somit dem Frömmigkeitsprofil nichtjüdischer Synagogensympathisanten, während die εθνη außerhalb der Synagoge sind. Die jüdische Gottesfurcht verbindet also Hellenen mit Juden und trennt zugleich beide von den εθνη. Um so mehr muß Juden, zumal in der Synagoge, die Hinwendung jüdischer Prediger zu den εθνη >da draußen< provozieren. 3.2.3. Die Hellenen als Oberbegriff auch für εθνη Mit dem Fortgang des lk Paulus aus der Synagoge Act 18,6ff scheinen auch die Hellenen gleichsam mit ausgezogen zu sein. Zumindest kommen auch sonst nach dem Korinther Titius Justus (Act 18,7) keine gottesfürchtigen Synagogensympathisanten in den Blick, kurz: sie verschwinden. Zwar verkündigt der lk Paulus weiter die Christus-Botschaft in der Synagoge, aber als Adressaten werden die Hellenen dort nicht mehr erwähnt (Act 18,19: αΰτός δέ είσελθών είς την συναγωγην διελέξατο τοις Ίουδαίοις). War also bislang die Verbundenheit der »Hellenen« mit den Juden und ihre gemeinsame Distanz zu den εθνη thematisch, so rückt der nunmehr frei gewordene Terminus »Hellenen« von seiner Bindung an Juden ab und schließt als Oberbegriff auch die εθνη ein. 1. Hellenen als neutraler Sammelbegriff für εθνη: In Act 19,10 umfaßt Ιουδαίοι τε και "Ελληνες schlechthin alle Bewohner der Provinz Asia, in Act 19,17 alle Einwohner der Stadt Ephesus und in Act 20,21 sogar alle Menschen (s.a. Rom 1,16; 2,9f; 3,9). Dreimal also bezeichnet "Ελληνες jeweils unterschiedslos alle Nichtjuden im deutlichen

III. Zur Methodik

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Gegenüber zu Ιουδαίοι. Im Unterschied zu Act 14,1; 17,4; 18,4 sind die Act 19,10.17; 20,21 genannten Hellenen nicht mehr als besondere Nichtjuden, als Gott fürchtende Synagogensympathisanten ausgewiesen, sondern bezeichnen auch synagogenferne έθνη. 2. Hellenen im abwertenden Sinne von εϋνη (Act 21,28): In Jerusalem wird der lk Paulus von jüdischer Seite beschuldigt, »auch Hellenen« (και "Ελληνας Act 21,28) in den Tempel geführt und diesen dadurch entweiht zu haben. "Ελληνες wird hier von Juden (!) abwertend im Sinne von εϋνη gebraucht. 3.2.4. Ergebnis Der Terminus "Ελληνες bezeichnet Nichtjuden im Unterschied zu Juden. Das ist der gemeinsame Nenner aller Vorkommen in der Apostelgeschichte. Darüber hinaus ist aber ein perspektivischer Wandel von engerer zu weiterer Bedeutung ersichtlich, den Lukas sukzessiv im Fortgang seiner Erzählung vollzieht: Zunächst bilden Έλληνες innerhalb der Synagoge gemeinsam mit Ιουδαίοι das Gegenüber zu den außerhalb der Synagoge vorfindlichen έθνη. Die so verstandenen Hellenen entsprechen gottesfürchtigen Synagogensympathisanten (Act 14,1; 17,4; 18,4)69. Im Gefolge von Act 18,6(f) jedoch bezeichnen »die Hellenen« in Abgrenzung zu 'Ιουδαίοι alle Nichtjuden, in der Regel neutral (Act 19,10.17; 20,21), nur einmal - dann in jüdischer Rede - abwertend, im Sinne von εϋνη (Act 21,28). Das in Korinth programmatisch verkündete Fortgehen des Christus-Verkündigers aus der Synagoge (Act 18,6) und Lukas' Schweigen von Synagogensympathisanten nach Act 18,7 korreliert dabei mit der sich nun ausweitenden Verwendung von "Ελληνες. Wurde bislang jüdische Synagogenfrömmigkeit als das Juden wie Hellenen - zumal gegenüber den εθνη - Verbindende dargestellt, so wird nunmehr "Ελληνες ausgeweitet zum Oberbegriff auch für εθνη, synagogenferne Nichtjuden. So kann abschließend formuliert werden: Lukas kennt keine »Gottesfürchtigen« im Sinne eines exklusiven Terminus technicus für den Personenkreis nichtjüdischer Synagogensympathisanten (siehe 3.1.). Gleichwohl weiß er diesen wiederholt als Hellenen (Act 14,1; 18,4) und exklusiv gar als »ehrfürchtige Hellenen« (Act 17,4) zu bezeichnen. 69 Act 11,20 meint auch nichtjüdische Synagogensympathisanten. So zu Recht J. Jervell, The Church of Jews and Godfearers, S. 14. Selbst Act 16,1.3 wird ein Έλλην deutlich von έθνη unterschieden, wenn auch nicht zwingend zu erweisen ist, daß der hellenische Vater des Timotheus ein Synagogensympathisant gewesen sein muß.

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Erster Hauptteil: Grundlegung

3.3. Völkerchristen als impliziter Leserkreis 3.3.1. Die Bekehrung der εθνη zu φοβούμενοι τον θεόν Lukas weiß durchaus zwischen paganem und gottesfürchtigem Verhalten unter den έθνη zu unterscheiden. Man kann sogar von einem Zwei-Stufen-Modell sprechen: Zunächst ist es wichtig, den έθνη den Gott Israels nahezubringen. Das bedeutet eine Absage an pagane Gottheiten. In dieser Hinsicht weiß sich das von Lukas erzählte Christentum einig mit der jüdischen Synagoge. Die Hinwendung zum Gott Israels muß mit der Absage an die griechisch-römische Götter- und Götzenwelt einhergehen. Exemplarisch wird dieser Verkündigungsansatz in der Lystra-Perikope Act 14,8-18 und in der Areopagrede Act 17,16-34 vorgeführt. Aufgrund der Heilung eines Lahmen in Lystra werden Paulus und Barnabas von der Menge als Götter verehrt. Gegen diese Apotheose bringt Paulus verkündigend den einen Schöpfergott Israels zu Gehör, wenngleich auch nur mit geringem Erfolg; denn, so schließt die Perikope, Paulus und Barnabas konnten die Menschenmenge kaum davon abbringen, ihnen dennoch zu opfern (Act 14,18). Auffallend ist nun, daß eine christologische Unterweisung ausbleibt. Mit anderen Worten: Paulus und Barnabas versuchen hier, aus den sich pagan verhaltenden έθνη erst einmal φοβούμενοι τον θεόν zu machen. Auch wenn dieser Terminus nicht genannt wird, der Sache nach ist die Absicht vorhanden, »den (einen) Gott fürchten« zu lehren (entsprechend dem von Paulus selbst geschilderten Sachverhalt I Thess 1,9). In dieser Hinsicht also erweisen sich Paulus und Barnabas selbst im Sinne der Synagoge als vorbildliche Missionare. Auch in der Areopagrede Act 17,16-34 liegt der Schwerpunkt auf dem Gegensatz zwischen dem heidnischen Polytheismus der Athener und dem jüdischen Monotheismus, dem sich Paulus selbstverständlich auch als Christ verbunden weiß. Das Neuartige des christlichen Monotheismus liegt in einer Auferstehungshoffnung, die im Christusgeschehen des Jesus von Nazaret gegründet ist. Bezeichnend ist aber, daß der explizite Bezug auf dieses Christusgeschehen unterbleibt. Zwar wird in bezug auf den Grund der Auferstehungshoffnung von »einem Mann« (έν άνδρί V. 31) geredet, der von Gott ausersehen sei, diese zu verwirklichen. Aber die Namensnennung, die Identifizierung der Auferstehungshoffnung mit dem Jesus-Christus unterbleibt. Das zeigt an, daß es der christlichen Verkündigung zunächst einmal der Sache nach darum gehen muß, die εθνη vom jüdischen Monotheismus zu überzeugen, denn dieser ist zugleich auch der christliche. Ja, der jüdisch-christliche Monotheismus ist die Voraussetzung,

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daß die Berufung auf die Verheißungen Israels für die Christen überhaupt legitim genannt werden kann. Das Jesus-Christus-Geschehen aber hat für Lukas eben seine Wurzel in den Verheißungen Israels. Darum besteht er darauf, daß, will jemand aus dem Bereich der έθνη zu einem Christen werden, dieser zunächst einmal in dem Sinne zu einem >Gott Fürchtenden< wird, daß er sich - erster Schritt - von seinen paganen Gottheiten ab- und dem jüdisch-christlichen Monotheismus zuwendet (s. I Thess 1,9), bevor er - zweiter Schritt - überhaupt Christ werden kann. Diesen Zweischritt setzt Lukas voraus, wo er ihn nicht explizit erwähnt. Gedanklich liegt er jeder wahrhaft christlichen Völkermission zugrunde. 3.3.2. Cornelius als paradigmatischer >Gott Fürchtenden Erstmalig taucht der Terminus φοβούμενοι τον θεόν im Zusammenhang der Cornelius-Perikope Act lOf auf und profiliert dort im Singular (Act 10,2.22) die Persönlichkeit des Cornelius. Dieser römische Hauptmann wird, obwohl Nichtjude, als ευσεβής ... (Act 10,2) bzw. δίκαιος και φοβούμενος τον θεόν (V. 22) charakterisiert. Damit wird er in Analogie zu Juden wie Zacharias und Elisabeth (Lk 1,6: δίκαιοι άμφότεροι έναντίον του θεοϋ) sowie Simeon (Lk 2,25: δίκαιος και ευλαβής) als jüdischfromm gezeichnet. Diese - erst recht für einen Nichtjuden - besondere Frömmigkeit des Cornelius erweist sich in seiner Glaubenspraxis: Er gibt der jüdischen Gemeinde (λαός) reichlich Almosen und betet beständig zu Gott (Act 10,2). Cornelius ist für Lukas der Prototyp des jüdischfrommen Nichtjuden, ohne Frage ein Vorbild; ein Mensch, der, obwohl ethnisch von Juden unterschieden, so doch vom Habitus her, durch seine jüdische Frömmigkeit weniger ein fremdes Gegenüber als vielmehr das nichtjüdische Äquivalent zum frommen Juden darstellt. Wesenhaft neuartig ist also nicht Cornelius' jüdische Frömmigkeitspraxis, sondern unerhört ist die göttliche Bekanntmachung, daß Gott solch frommes Verhalten eines Nichtjuden für würdig befunden, d.h. angenommen hat (Act 10,4). Schon mit solcher Gottesfurcht ist also auch jüdisch-frommen Nichtjuden das >Eintrittsbillett< zu den Verheißungen an Israel gegeben. Bezeichnend ist darüber hinaus, daß Lukas schließlich die Gottesfurcht und das Hin der Gerechtigkeit als das - wie schon zuvor Juden - nun auch Nichtjuden einbindende, ja verbindliche Frömmigkeitskriterium herausstreicht: έν παντι εθνει ό φοβούμενος αυτόν [d.i. τον θεόν] και εργαζόμενος δικαιοσύνην δεκτός αύτφ έστιν (Act 10,35; vgl. Lk 1,5070). In

70 Schon im Magnificat wird die Gottesfurcht als die entscheidende Glaubensvorausset-

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Erster Hauptteil: Grundlegung

der Corneliusperikope erhebt Gott durch seine Boten recht, d.h. im Sinne des jüdischen Monotheismus praktizierte Gottesfurcht zum notwendigen und hinreichenden Merkmal solcher Frömmigkeit, die nun auch jedem Nichtjuden eine Teilhabe am Israel Verheißenen eröffnet. Konkretisiert und an ihr Ziel gelangt sind diese Verheißungen nunmehr personal im Jesus-Christus-Geschehen (Act 10,36ff). Dieses Heilsereignis ist der Wendepunkt, welches der Gottesfurcht eine neue Funktion zuweist. Tod und Auferstehung (V. 39-41) haben Jesus von Nazaret als den von Gott ausersehenen Messias/Christus für alle gottesfürchtigen Menschen, ganz gleich ob Jude oder Nichtjude, erwiesen. Jesus von Nazaret ist als Messias nicht allein eine nationale Rettergestalt für Israel, sondern der universale Kyrios aller Menschen: Οΰτός έστιν πάντων κύριος (V. 36). Darum auch kann »jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen Vergebung der Sünden empfangen« (V. 43). Somit wird an dieser Stelle ebenfalls ersichtlich, daß Gottesfürchtige wie Cornelius zwar den einen Teil impliziter Adressatenschaft ausmachen, diese aber mit Sicherheit nicht die exklusive Bedeutung haben, die Tyson ihnen beimessen möchte. Dennoch ist es auch richtig zu sagen, daß jeder nichtjüdische Leser, der sich im Sinne des Cornelius gottesfürchtig verhält, d.h. im geistigen Umfeld der Synagoge lebt, sich durch das lk Erzählwerk durchaus positiv angesprochen fühlen kann. Daß zudem das Persönlichkeitsprofil des Cornelius diesen als sozial höherstehend ausweist - er ist Anführer einer römischen Kohorte und finanziell in der Lage, Almosen zu geben - , deckt sich mit Gülzows71 soziohistorischen Ausführungen zu den »Gottesfürchtigen«. Leser, die sich in Cornelius (als normativem Vorbild) wiedererkennen, können sich durch das lk Erzählwerk durchaus ermuntert und bestärkt fühlen, sich der lk ChristusGemeinschaft anzuschließen. Des weiteren wird für diesen Personenkreis auch ein soziales Profil ersichtlich. 3.3.3. Zum sozialen Status der nichtjüdischen >Gott Fürchtenden< die Funktion der auffälligen Rom-Freundlichkeit Es fällt auf, daß Lukas von den Angehörigen der römischen Staatsmacht, sowohl denen aus dem Bereich des Militärs wie denen der politischen Machtausübung, ein überaus positives, tendenziöses, d.h. einseitig pro-rö-

zung dafür genannt, daß Gott sich aller Menschen erbarmt: τό ελεος αύτοΰ εις γενεάς και γενεάς τοις φοβουμένοις αύτόν (Lk 1,50). 71 Η. Gülzow, Soziale Gegebenheiten der altkirchlichen Mission. Siehe oben 3.1.1.

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misches Bild zeichnet72. Mit Cornelius ist der erste nichtjüdische Christ ein römischer Kohortenführer. Sein Berufskollege, der Hauptmann von Kapernaum (Lk 7,1-10), wird als Sympathisant der Synagoge vorgestellt. Im Unterschied zu Mt 8,5-13 schildert Lukas diesen römischen Militärbeamten als Freund der Juden. Seine Gunst geht so weit, daß er ihnen sogar eine Synagoge stiftet (V. 5), was K. Wengst in »Pax Romana« mit den Worten kommentiert: »Damit erweckt Lukas geradezu den Eindruck herzlichen Einvernehmens zwischen einheimischer Bevölkerung und fremder Besatzung.«73 Dieses überaus positive Bild vom römischen Militär wird derart überzeichnet, daß Lukas den Soldatenberuf als solchen überhaupt nicht in Frage stellt (Lk 3,12-14). Das zeige, so Wengst, »wie weit er seiner Zeit vorauseilt und welch besonderen Standort er damit in ihr einnehmen muß«.74 Verwiesen sèi in diesem Zusammenhang auf seine Darstellung der Passion Jesu wie Pauli, die generell »dieselbe Tendenz, die Vertreter Roms in korrekter Amtsführung zu zeigen, alle Schuld aber den Juden zuzuschreiben«75, offenbare. »Am eklatantesten«, so Wengst, »ist die Ausblendung römischer Gewaltherrschaft beim Bericht über das Ende Jesu, die gegenüber der vorgegebenen Überlieferung selbst nur gewaltsam genannt werden kann ... Wie er (d.h. Lukas) dabei die Römer aus der Verantwortung für die Hinrichtung Jesu und aus der Durchführung der Exekution heraushält und dafür andere einschiebt, ist ein literarisches Kabinettstück, aber historisch und theologisch eine Ungeheuerlichkeit.«76 Auffallend ist auch, daß die Protagonisten der Christus-Botschaft sich mit den Mächtigen der Welt treffen. So ist der erste namentlich genannte Nichtjude, der durch die Verkündigung Pauli zum Christen wird, ausgerechnet der römische Prokonsul von Zypern, Sergius Paulus (Act 13,12). Wengst entlarvt diesen wirklich außergewöhnlichen Sachverhalt als ideologisch gefärbtes Wunschbild: »Lukas wird gewußt haben, warum er diese Sensation lediglich mit dürren Worten konstatiert und nicht weiter ausführt. Als historische Tatsache hätte die Bekehrung eines Prokonsuls ganz anders traditionsbildend gewirkt.«77 Der von Lukas entworfene Paulus weiß sich souverän gegenüber den Großen seiner Zeit zu behaupten. Seine Verhandlungen vor Felix und Festus samt König Agrippa und 72 73 74 75 76 77

Hierzu im einzelnen K. Wengst, Pax Romana, S. 112-131. K. Wengst, a.a.O., S. 113. Ebd. K. Wengst, a.a.O., S. 117. K. Wengst, a.a.O., S. 121. K. Wengst, a.a.O., S. 126.

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Erster Hauptteil: Grundlegung

Berenike gleichen weniger einem Tribunal als einer Disputation, in der ihm seine jeweiligen Gegenüber im Grunde nichts Entscheidendes entgegenzusetzen haben. So sehr vermag der lk Paulus zu >betörenchristlichen< Sozialverhalten in der eigenen Gemeinde dienen soll?79

78 R. Dillmann, Tendenzschrift, S. 90. 79 Vgl. hierzu F.W. Horn, Glaube und Handeln, S. 231: »Da Lukas ... sich in seiner Paränese vorwiegend an Besitzende richtet und sie zu Distanz von Besitz im Angesicht der Gefahr des Glaubensabfalls und um der Wohltätigkeit [sie!] aufruft, nicht aber Arme anspricht, ist er in jüngster Zeit mit größerem Recht >Evangelist der Reichen< als »Evangelist der Armen< genannt worden.«

III. Zur Methodik

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3.4. Theophilus als literarischer Adressat Theophilus ist der erste und namentlich genannte implizite Leser. Ihm ist das Ik Erzählwerk gewidmet, er ist folglich der literarische Adressat. Seine Namensnennung erfolgt jeweils in den Proömien Lk 1,3 und Act 1,1 und ist das erste und deutlichste Indiz für die Verzahnung von Evangelium und Apostelgeschichte. Ohne diese Namensnennung fiele es schwerer, die Zusammengehörigkeit von Lk-Act sofort zu erkennen. Insofern besteht die primäre Funktion des Theophilus darin, die Einheit von LkAct als ein zusammengehöriges Erzählwerk kenntlich zu machen. Mögliche Zweifel bezüglich dieser Einheitlichkeit, hervorgerufen etwa durch die Doppelung des Himmelfahrtsgeschehens Lk 24,51 und Act 1,9-11, werden durch diese narrative Figur des Theophilus entkräftet. Daß Theophilus im Kontext dieser Arbeit als eine Lesefigur bezeichnet wird, heißt nicht, daß ihr keine historische Persönlichkeit zugrunde liegen könnte. Methodisch aber - wir suchen die implizite Leserschaft ist die Frage der Historizität hier nicht Untersuchungsgegenstand. Dieser Sachverhalt ist zudem auch nicht eindeutig zu klären, denn selbst unter historischer Fragestellung bleibt als Ergebnis, daß wir über besagten Theophilus nicht mehr wissen, als das lk Erzählwerk selbst mitteilt. Mit anderen Worten: Hinter Theophilus kann, aber muß nicht zwingend eine historische Persönlichkeit stehen. Zu beweisen ist trotz vielfältiger Versuche in dieser Hinsicht weder das eine noch das andere80. Mit der Einführung des Theophilus schafft Lukas »eine Kommunikationssituation mit einem fiktiven Leser, dem er die Kompetenz zuschreibt,

80 Vgl. diesbezüglich R. Dillmann, a.a.O., & 89f; F. Bovon, Lukas I, S. 29-43, hier: 39; J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 287-302, hier: 299£ und die Studie von Loveday Alexander, The Preface to Luke's Gospel, S. 187-200. Alexander, die kultur- und sozialgeschichtlich die literarische Gattung des Lk-Prologs untersucht, glaubt sogar, für Theophilus das Persönlichkeitsprofil eines Hauspatrons und Förderers des Christentums entwerfen zu können. Der Verfasser von Lk-Act sei als eine Art christlicher Wanderlehrer (»a travelling Christian teacher«; a.a.O., S. 198) vorstellbar, dessen Werk die komprimierte Fassung seiner Vorträge enthalte und Theophilus als Grundstock für eine christliche Bibliothek überreicht worden sei: »Theophilus ..., as patron to a local housechurch, is already discharging his duties as patron by facilitating the promulgation of Christian teaching which Luke now presents to him in written form and which, Luke assures him, is a reliable collection of traditional material. On this hypothesis the two books which Luke dedicated to Theophilus could have become part of his library, available to the church which met in his house, and ultimately becoming the nucleus of that church library.« (S. 198) Alle in solche Richtung laufenden Versuche bleiben letztlich Spekulation.

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Erster Hauptteil: Grundlegung

das lukanische Werk kritisch zu lesen«81. Diese Lesekompetenz leitet sich her von der Notiz,daß Theophilus bereits in der christlichen Lehre unterwiesen worden ist (περί ών κατηχήθης λόγων Lk 1,4). Darum liegt es nahe, in ihm auch einen Katechumenen zu sehen. Auf die Figur des Theophilus bezogen, benennt Lukas die Stärkung der Glaubwürdigkeit der christlichen Lehre als primäres Erzählziel: »Ich habe mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben, damit du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen kannst, in der du unterwiesen wurdest« (Lk l,3f). Daraus muß nun aber nicht wie bei Tyson gefolgert werden, daß Theophilus zwar schon christlich unterwiesen worden sei, aber noch keine endgültige Entscheidung zugunsten des Christentums getroffen habe 82 . Weder die Taufe noch das Ungetauftsein kann vorausgesetzt werden. Was aber vorausgesetzt werden muß, ist die Tatsache des Katechumenats, das erst aufgenommen oder (längst) schon abgeschlossen sein kann. Auch die Frage des sozialen Status ist für die Lesefigur Theophilus kaum eindeutig zu beantworten. Aus dem Adjektiv κράτιστος in der Anrede des Theophilus zugleich auf seinen sozialen Status rückzuschließen, ist kaum möglich. Zwar trifft es zu, daß dieses Adjektiv im NT nur in der Apostelgeschichte im Kontext der Anrede offizieller Beamter (Act 23,26; 24,3; 26,25) Verwendung findet, aber F. Bovon macht darauf aufmerksam, daß dieser »Terminus öfter in Widmungen literarischer Werke auftaucht], deren Empfänger nicht unbedingt eine offizielle Stellung einnehmen ... Unser κράτιστε in Lk 1,3 zwingt also nicht zur Annahme, Theophilus sei ein offizieller Beamter höheren Ranges.«83 3.5. Judenchristen als impliziter Leserkreis Die von Lukas intendierte Adressatenschaft kann, wie wir oben gesehen haben, nicht allein auf den Kreis >Gott fürchtender< έθνη beschränkt werden. Zwar ist durchaus ein erzählerisches Gefälle in Lk-Act von Juden hin zu εϋνη, zumal solchen, die sich explizit gottesfürchtig verhalten,

81 R. Dillmann, a.a.O., S. 89. 82 J.B. Tyson, Images, S. 38. 83 F. Bovon, Lukas I, S. 39. Ähnlich vorsichtig äußert sich diesbezüglich auch J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 300: »It is not possible to say for certain whether Theophilus was an official of some sort.« Anders hingegen Κ. Wengst, a.a.O., S. 125; vgl. auch L. Alexander, a.a.O., S. 188-190.

III. Zur Methodik

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zu beobachten, aber daraus zu folgern, in letzteren allein den von Lukas intendierten Leserkreis auszumachen, übersieht die positive Zeichnung auch judenchristlicher (Petrus; Paulus) und selbst jüdischer (z.B. Zacharias Lk 1; Simeon Lk 2) Frömmigkeit. Sind solche judenchristlichen Frömmigkeitsprofile wie das der Urgemeinde inklusive Pauli lediglich eine nunmehr obsolete - Vorstufe heidenchristlicher Frömmigkeit? Ein narrativ-exegetisches Herangehen, das dem gesamten Erzählduktus Rechnung tragen will, muß alle möglichen impliziten Leserkreise in Erwägung ziehen, folglich auch Judenchristen. Judenchristen können sich im lk Erzählwerk zunächst schon durch die handlungstragenden Personen der Anfangskapitel im Evangelium angesprochen fühlen. Zacharias und Elisabeth, Maria, Simeon, Hanna, Johannes der Täufer und nicht zuletzt der lk Jesus selbst werden deutlich jüdisch gezeichnet. Aber es fällt auf, daß im Unterschied zum Umgang Jesu und Pauli mit den römischen Mächtigen von den jüdischen Oberen im Evangelium kein gutes Bild gezeichnet wird. Sie verhalten sich zumeist ablehnend gegenüber der Botschaft Jesu. Umgekehrt sind es häufig die einfachen Leute aus dem λαός, die einen positiven Zugang zur Heilsbotschaft finden. Beredtes Beispiel ist in dieser Hinsicht die Geschichte vom Blinden bei Jericho (Lk 18,35-43), der, als er vernimmt, daß ein gewisser Jesus von Nazaret vorbeizieht, diesen messianisch, als Sohn Davids, anruft. Überhaupt zeichnet Lukas ein Bild vom Verkündigungsweg des Jesus-Messias, welches dadurch geprägt ist, daß vor allem die sozial unteren Schichten positiv auf die Jesus-Botschaft reagieren. Das gilt sowohl für Juden als dann auch für Nichtjuden (siehe u.a. Act 3,1-10). Der lk Jesus gibt von sich aus keinen Anstoß, von frommen, gottesfürchtigen Juden nicht anerkannt zu werden. Weder religiös noch geographisch verläßt der lk Jesus den Raum des Gottesvolkes. Insofern wirkt der von Lukas gezeichnete Jesus besonders auf judenchristliche Hörer glaubwürdig und überzeugend. Geradezu unverständlich muß darum auch die ablehnende jüdische Haltung gegenüber diesem so jüdischen Messias erscheinen. Solches Verhalten kann darum auch nur abschließend als Verstockung (Act 28,26f) gedeutet werden. Aber eben erst am Schluß. Wieviel erzählerische Mühe wendet Lukas auf, um insbesondere Juden gegenüber die Wahrhaftigkeit der Jesus-Christus-Botschaft als Verheißung Israels zu bezeugen und nahezubringen! Das heißt, gerade Judenchristen können mit Lukas an der ablehnenden Haltung vieler Juden gegenüber dieser Verkündigung >mitleidendrei Tage< hier eine relativ kurze Zeit. Deshalb wird diese Zeitangabe hier zum Indiz des Eifers des Paulus, unverzüglich auch in Rom wie in anderen Diasporastädten die Juden zu treffen, um ihnen zu predigen.« 18 Das Verb συνκαλέω (zu sich rufen, zusammenrufen) ist eindeutig lk Vorzugswort. Im NT benutzt außer Markus (Mk 15,16) nur Lukas dieses Verb (Lk 9,1; 15,6.9; 23,13; Act 5,21; 10,24; 28,17). Siehe Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 1543; Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik NT, §316, Anm. 3; K.L. Schmidt, Art. καλέω, S. 497f. 19 So die Übersetzung von Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 1453. Außer Act 28,17 erscheint oí πρώτοι noch in Act 13,50 (dort: οί πρώτοι της πόλεως) und in Act 25,2. Η. Langkammer, Art. πρώτος, Sp. 457, stellt diesbezüglich fest: »Es handelt sich um eine Gruppen- und Würdebezeichnung der angesehensten Mannen«. Eine darüber hinausgehende Spezifikation versucht A. Wikenhauser, Apostelgeschichte, S. 287: »Die >Ersten< der Juden sind wohl die Gerusiarchen, d.h. die Präsidenten der einzelnen jüdischen Synagogengemeinden.« Dagegen H.J. Hauser, Abschlusserzählung, S. 83: »Die Frage, welches (wenn überhaupt) Amt diese Ersten bekleiden, ist in diesem Zusammenhang gar nicht aktuell. Im semantischen Kern des Wortes geht es um eine Vorrangstellung einzelner Leute gegenüber den andern Volksmitgliedern; ob der Vorrang organisatorischer oder moralischer Art ist, kann unentschieden bleiben. Als >Hervorragende< sind sie die qualifizierten Vertreter der übrigen Judenschaft. Das heißt, daß Paulus in den Ersten der Juden Roms implizit alle Juden Roms anredet.«

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

Roms. Kaum sind diese als Gerufene vorgestellt, wird auch schon ihr Erscheinen konstatiert, »wobei die gleichlautenden Vorsilben die Implikation der beiden Handlungen hervorheben: σ υ γ καλέσασθαι - σ υ ν ε λ θόντων«. 20 2.1. Die Verteidigung des lk Paulus (V. 17b-20): »Um der Hoffnung Israels willen trage ich diese Kette« Wie es seiner eingangs porträtierten Rolle entspricht, eröffnet Paulus nunmehr die erste Gesprächsrunde (ελεγεν προς αυτούς). Das für den Leserkreis zu erwartende Thema ist der in Aussicht genommene Prozeß vor dem Kaiser. Soll das Gespräch mit den Juden Roms etwa dieser Prozeßvorbereitung dienen? Die nun folgenden Worte des Paulus scheinen dieser Erwartungshaltung zunächst gerecht werden zu wollen. Mit einem betont vorangestellten εγώ (V. 17b) eröffnet Paulus seine Rede. Die vertrauliche Anrede άνδρες άδελφοί 21 signalisiert die Zugehörigkeit zum selben λαός. Paulus stellt mit dieser Formulierung sein Gegründetsein im λαός 'Ισραήλ heraus, was sogleich im weiteren Verlauf seiner Rede näher expliziert wird: »Nichts« (zu beachten ist die pointierte Voranstellung der Negation ουδέν V. 17b) habe er, Paulus, »gegen den λαός 22 oder die väterlichen 23 Ordnungen getan« (V. 17b). Diese Formulierung leitet einen Rückblick auf das Wirken und Verhalten des von Lukas erzählten Paulus zumal in Jerusalem ein. Der Leser hat dessen Lebensweg ausführlich mitverfolgen können. Für ihn kann es keinen Zweifel geben: Lukas hat Paulus überdeutlich als einen gläubigen /udenchristen gezeichnet. Als Pharisäer hat er, dem »väterlichen Gesetz« (Act 22,3) gehorsam, den »neuen Weg verfolgt bis auf den Tod« (την όδόν έδιωξα άχρι θανάτου Act 22,4). Bewußt hat Lukas ihn darum als

20 HJ. Hauser, Abschlusserzählung, S. 19. 21 Diese Wortverbindung findet sich im NT einzig in Act (dreizehnmal). HJ. Hauser, a.a.O., S. 83: »Paulus spricht diese Repräsentanten der Juden Roms als άνδρες άδελφοί an, so wie es in Apg immer geschieht, wenn Juden zu Juden sprechen, gleichgültig, ob der Sprecher oder die Hörer Jesusanhänger sind oder nicht.« 22 Zur Verwendung von λαός siehe unten. 23 Das Adjektiv πατρφος kommt ntl einzig in Act vor und steht dort bezeichnenderweise jeweils im Kontext der Apologie Pauli (Act 22,3; 24,14; 28,17). Daß Lukas, G. Schrenk, Art. πατρφος, S. 1017, zufolge, »das volltönende πατρφος vor dem sonst zumal bei νόμος und εθνη - üblichen πατρφος bevorzugt«, zeigt die besondere Verbundenheit des lk Paulus mit der Botschaft der Väter und soll diese, so H. Balz, Art. πατρφος, Sp. 139, vielleicht bewußt vom Verhalten des Volkes abgrenzen.

IV. Am Anfang das Ende

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Augenzeugen in die Szene um die Steinigung des Stephanus hineingestellt (Act 7,54ff). In der Damaskus-Christophanie aber widerfährt Paulus die Erkenntnis, in der Verfolgung der Jesus-Gemeinde in Wahrheit Jesus selbst verfolgt zu haben: εγώ είμι Ίησοΰς δν σύ διώκεις (Act 9,5b). Dessen Name soll Paulus ενώπιον έϋνών τε και βασιλέων υιών τε Ισραήλ tragen (Act 9,15), was, als er in Rom ankommt, bereits vielfach geschehen ist: Vor allem der Synagoge gegenüber ist er den Auftrag der Jesus-Verkündigung nicht schuldig geblieben (Act 13,14ff; 14,Iff; 17,lf£17; 18,lf£24ff), so daß dieses Verkündigungsmuster, das πρώτον der Juden (Act 13,46; vgl. Act 18,6), in Rom seine Fortführung erfährt. Ein letztes Mal wendet sich Paulus, indem er die Juden Roms anspricht, zuerst an Ισραήλ, betont seine Übereinstimmung mit den väterlichen Sitten und Gebräuchen und unterstreicht damit sein sehr pointiert judenchristliches Profil: Der von Lukas erzählte Paulus beschneidet nach dem Apostelkonzil seinen Begleiter Timotheus »um der Juden willen« (Act 16,3), und es ist der lk Paulus, der in besonderer Weise nach seiner Ankunft in Jerusalem den jüdischen Glaubensritus befolgt (Act 21,23f) und im Tempel opfert (V. 26). Darum auch müssen die Anklagepunkte, die jüdischerseits gegen Paulus vorgebracht werden, ins Leere greifen: »Dies ist der Mensch, der gegen das Volk (κατά τοϋ λαοί))24 und gegen das Gesetz und gegen diesen Ort (d.h. den Tempel) alle überall lehrt; ferner hat er auch Griechen in den Tempel hineingeführt und diesen heiligen Ort profanisiert (κεκοίνωκεν)« (Act 21,28). Die Haltlosigkeit, ja im Grunde Perfidität seiner jüdischen Gegner in Jerusalem wird noch dadurch unterstrichen, daß diese Paulus gerade dort, wo er seinen jüdischen Glauben praktiziert, während der Beendigung seines Opferrituals im Tempel, verhaften lassen (Act 21,27). In dem Verhör vor Felix Act 24,121 bringen die jüdischen Ankläger aus dem Synedrion neben dem aus Act 21,28 schon geläufigen, gewissermaßen inneijüdischen Topos der versuchten Tempelentweihung (τό ίερόν έπείρασεν βεβηλώσαι Act 24,6) den die Interessen der römischen Staatsmacht unmittelbar tangierenden Vorwurf des (politischen) Aufruhrs (κρινοΰντα στάσεις Act 24,5) gegen Paulus vor. Dieser letztgenannte Anklagepunkt erfährt durch die Formulierung, Paulus sei »πρωτοστάτης25 der Partei der Nazoräer« eine an Felix gerichtete Verschärfung. Für Juden sei dieser Paulus eine »Pest« (λοιμός

24 M.a.W.: Paulus ist ein Antijudaist! Das unterstellen ihm seine jüdischen Gegner in Rom. Ausführlich dazu s. Kap. XVI. 4.2. 25 Πρωτοστάτης ist ein Hapaxlegomenon im ΝΉ Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 1454 übersetzen πρωτοστάτης mit »Rädelsführer«; vgl. H. Balz, Art. πρωτοστάτης, Sp. 458.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

Act 24,5), für die römische Staatsmacht vor allem eine politische Gefahr. So wird Paulus von Tertullus verzeichnet. Paulus stellt, nachdem er den Vorwurf, (politischen) Aufruhr zu schüren, zurückgewiesen hat (Act 24,llf), die Treue zum »Gott der Väter« (τω πατρφψ θεω Act 24,14) in den Mittelpunkt seiner Apologie (άπολογοΰμαι Act 24,10). Er glaube allem, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht (Act 24,14). Dies wird von Paulus zugespitzt auf die Hoffnung 26 der Auferstehung (V. 15; vgl 28,20). Diese Hoffnung müsse die »Partei der Nazoräer« (Act 24,5) zumindest mit der jüdischen Partei der Pharisäer einen (Act 23,6ff). Aber paradoxerweise sei es einzig diese Hoffnung, um deretwillen Paulus angeklagt werde (Act 24,21). Mit anderen Worten: Paulus weiß sich der Tradition des »Gottes der Väter« (V. 14) verpflichtet und verbunden. Die eigentlichen Apostaten sind die, welche ihn verklagen! Diese sind es auch, die es zu verantworten haben, daß Paulus »als Gefangener aus Jerusalem in die Hände der Römer ausgeliefert worden ist« (Act 28,17). Somit schließt sich in Rom ein Kreis, der mit der Warnung an Paulus begonnen hatte, nicht nach Jerusalem hinaufzuziehen, weil »die Juden« (oi Ιουδαίοι) ihn dort παραδώσουσιν εις χείρας έθνών (Act 21,11). Dazwischen liegen die Ereignisse in Jerusalem und Caesarea, die dazu geführt haben, daß Paulus nunmehr als Gefangener nach Rom gekommen ist. Bewußt wird mit παρεδόθην εις τάς χείρας των 'Ρωμαίων (Act 28,17) auf die Passion Jesu angespielt, denn in Lk 24,7 wird das Geschick Jesu mit den Worten gedeutet: δει παραδοθηναι εις χείρας άνθρώπων άμαρτωλών. Ein Vergleich mit Mk/Mt 27 zu dieser Stelle erweist diese Formulierung als eindeutig lukanisch. Das die göttliche Absicht betonende δεϊ zur Kennzeichnung der Passion Jesu fehlt zwar Act 28,17 für den von Lukas erzählten Paulus, wohl um die Besonderheit des Todes Jesu zu wahren, aber eine Parallelität beider Leidenswege soll doch unterstrichen werden. 28 Dieser bewußt gestalteten Parallelität wird noch durch ein weiteres sprachliches Motiv Nachdruck verliehen. Im Rekurs Act 28,18 auf das Verhör Pauli verwendet Lukas Vokabeln, die deutlich das Verhör Jesu 26 Zum Topos der έλπίς 'Ισραήλ siehe unten. 27 Mk 16,1-8 wie auch Mt 28,Iff konstatieren zwar den Zusammenhang von Kreuz und Auferstehung (Mk 16,6; Mt 28,5f; diff Joh 20,Iff), aber einzig Lukas bietet an dieser Stelle eine explizite Deutung des Todesgeschickes Jesu: Der Prozeß vor Pilatus und die Kreuzigung waren Teil eines göttlichen Heilsplanes (vgl. Lk 24,26.46). 28 Zu den Parallelmotiven zwischen der Passion Jesu und der des lk Paulus W. Radi, Paulus und Jesus; V. Stolle, Zeuge.

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vor Pilatus >wieder-holenUnterkunft< ist neutraler als >HerbergeReiches Gottes< als Objekt der Verkündigung in den beiden Predigtsummarien dieses Abschnittes [d.i. Act 28,23.31] wird eine enge Verbindung hergestellt zum Anfang der Apg, wo der auferstandene Jesus vom >Reich Gottes< spricht (1,3.6), und zum Anfang des Lk-Evangeliums, wo das gesamte Wirken des irdischen Jesus als >Verkündigung des Reiches Gottes< bezeichnet wird (4,43f)«57. Bezeichnenderweise darf auch Act 28,23b wieder der für Lukas typische Hinweis nicht fehlen, daß (τά) περί τοΰ Ίησοΰ aus der Schrift hergeleitet ist (τοΰ νόμου Μωϋσέως καί των προφητών). Dieser Kontinuitätserweis ist, wie zuletzt in der ersten Begegnungsszene Act 28,17-20 ersichtlich, ein für Lukas zentrales, >inneijüdisches< (zu diesem Begriff siehe Kap. II. 3.3.1.) Anliegen. Daß die Verkündigung an den stadtrömischen Juden vom Charakter intensiven Sich-Abmühens geprägt ist, zeigt nicht nur ihre zeitliche Dauer (άπό πρωΐ εως έσπέρας 58 ), sondern ist auch an der Wahl der Verben abzulesen: Hauptverb ist έκτίτεσθαι. Von ihm leiten sich die beiden Partizipialkonstruktionen διαμαρτυρόμενος und πείθων ab. Das Verb έκτίτεσθαι hat die Grundbedeutung »jemandem etwas auseinandersetzen« 59 und bezeichnet den Vorgang intensiver Erklärungs- und Überzeugungsarbeit. Pauli Rede geht also über den bloßen Akt der Verkündigung, selbst der Lehre noch hinaus (vgl. hingegen Act 28,31: κηρύσσων καί διδάσκων); sie 57 Α. Weiser, >Reich GottesZeugendie einen waren auf dem besten Weg, sich überzeugen zu lassen; die andern neigten zu Unglauben^ könnte man umschreiben«.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

folgert daraus nunmehr sogar grundlegend: »The reference to some being persuaded indicates that there is still hope of convincing some Jews in spite of what Paul is about to say about the Jewish community of Rome« 65 . Aus dieser szenischen Unabgeschlossenheit darf aber noch nicht auf eine grundsätzliche Offenheit geschlossen werden. Die in V. 24 gewählte Zeitstufe zeigt lediglich an, daß das Gespräch zwischen Paulus und den stadtrömischen Juden noch nicht beendet ist. Mehr nicht. V. 24 markiert erst eine, so doch - wie wir sehen werden - den lk Paulus provozierende Zwischenbilanz.

3.3. Die Antwort des lk Paulus und das »asymphonische« Gesprächsende (V. 25-28) Die zweite Begegnung kommt mit V. 25-28 an ihr Ende. Diese Verse müssen als eine Einheit interpretiert werden. Hierbei ist zu beachten, daß die wörtliche Rede des lk Paulus auch den gegenüber dem jes Verstockungswort (V. 26f) nicht minder wichtigen V. 28 mit umfaßt. Entscheidend für das Verständnis dieses Gesprächsabschnitts wird sein, das Zeitverhältnis zwischen V. 25aa (άσύμφωνοι δέ οντες προς άλλήλους άπελύοντο) und 25aß (είπόντος του Παύλου ρήμα εν) korrekt zu bestimmen. Folgende Lösungen kommen in Betracht: Gehen die stadtrömischen Juden, nachdem66 Paulus ρήμα εν gesprochen hat? Oder gehen sie, während,61 Paulus ρήμα εν spricht? Oder provoziert erst das Weggehen der Juden das provokante letzte Wort Pauli? 3.3.1. Wann gehen die stadtrömischen Juden? (V. 25a) Act 28,25 beginnt mit einer Partizipialkonstruktion im Präsens, welche den Gedanken von V. 24 aufnimmt: άσύμφωνοι δέ οντες προς άλλήλους. Sie ist abhängig von άπελύοντο. Dieses Hauptverb steht im Imperfekt. Damit wird das durative Moment gegenüber einer möglichen punktuellen Aktionsart, wie sie im Indikativ Aorist άπελύσαντο zum Ausdruck käme, unterstrichen. Nicht nur das Faktum, sondern der Prozeß des Ab65 R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 347. 66 Für eine Nachzeitigkeit optieren z.B. H. Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 150; B.J. Koet, Five Studies, S. 130-132; R. Pesch, Apostelgeschichte II, S. 306; C.E Puskas, Conclusions, S. 60f; J. Roloff, Apostelgeschichte, S. 370; G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 410; A. Weiser, Apostelgeschichte II, S. 675. 67 Für eine Gleichzeitigkeit optieren z.B. E. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 689; H.J. Hauser, Abschlusserzählung, S. 34; G. Schille, Apostelgeschichte, S. 477.

IV. Am Anfang das Ende

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gangs wird betont. Entscheidend für die Bestimmung des Zeitverhältnisses zwischen Weggang (V. 25aa) und Rede (V. 25b-28) ist nunmehr die zweite Partizipialkonstruktion. Sie steht im Aorist (είπόντος) und ist von άπελύοντο abhängig. Dieser Genitivus absolutus bezeichnet das Tempus der Vorzeitigkeit und ist folglich mit »nachdem, als« zu übersetzen: »Nachdem Paulus dieses eine Wort gesagt hatte, gingen sie - uneins untereinander - fort.« Das Argument Hausers, der es »erstaunlich« findet, einen »so langen Passus wie V. 25b-28 als Rückblende zu verstehen«68, und darum für eine Gleichzeitigkeit optiert, ist grammatisch nicht haltbar. Eine Gleichzeitigkeit zwischen Rede und Weggehen müßte nämlich so formuliert werden: άπολύοντων ειπεν. Und eine Nachzeitigkeit, das ρήμα εν als Reaktion auf das bereits erfolgte Weggehen der Juden anzunehmen, müßte etwa folgenden Wortlaut haben: άσύμφωνων δέ (όντων) προς αλλήλους άπολυσάντων είπεν/ελεγεν ό Παϋλος. Es ist mithin grammatisch zwingend, diesen Genitivus absolutus mit dem Modus der Vorzeitigkeit einzuleiten. Zudem läßt sich die lange Rückblende, die Hauser Erstaunen bereitet, stilistisch gut begründen. Die Act 28,25b-28 angewandte Kompositionstechnik, die wörtliche Rede an den Erzählschluß zu setzen, obwohl sie nicht der erzählte Schluß ist, verleiht diesem Wort nicht nur für diese zweite Begegnung, sondern für das gesamte lk Erzählwerk ein noch größeres Gewicht. Die letzte wörtliche Rede in Lk-Act ist an Juden gerichtet und umfaßt mit Jes 6,9 ein klassisch zu nennendes Schriftwort, das Juden unter das Verdikt göttlicher Verstockung stellt. Darum ist dieses τοΰ Παύλου ρήμα εν auch nicht nur ein beiläufig lokales Wort, sondern von grundsätzlicher Bedeutung für die Konzeption des lk Erzählwerkes. Wer die Erzählintention für Lk-Act bestimmen will, kommt gerade an diesem Wort, auch aufgrund seiner Stellung im lk Erzählwerk, nicht vorbei. Aus narrativer Sicht ist dieses prophetische Verstockungswort in Verbindung mit der Korrelation der Hör- und Glaubensbereitschaft auf Seiten der έθνη ein wesentlicher Zielpunkt von Lk-Act. V. 28 darf nicht unterschlagen werden. Dieser Vers ist mit seiner Aussage, das σωτήριον τοΰ θεού sei zu den εΰνη gesandt, in die Interpretation des τοΰ Παύλου ρήμα εν mit einzubeziehen. Ist dieser Schlußakkord vielleicht sogar der berühmte Tropfen, der das Faß für die stadtrömischen Juden erst zum Überlaufen bringt (vgl. Act 22,21f)?

68 HJ. Hauser, Abschlusserzählung, S. 34.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

3.3.2. Wen meint der lk Paulus mit dem Verstockungswort (V. 25b-28)? Die Verkündigungsbemühungen des lk Paulus stoßen, so die Zwischenbilanz V. 24, auf Widerspruch und spalten die stadtrömische Zuhörerschaft. Daraus folgt die Frage: An wen ist das Schlußwort Pauli gerichtet? Logisch wäre es doch, zielten diese harschen Worte nur auf die »ungläubigen« (ήπίστουν V. 24b) Juden. Das meint auch Jervell: »Selbstverständlich ist das Wort gegen die nicht-gläubigen Juden gerichtet, 28,24b. Die anderen Juden sind schon von der Argumentation des Paulus überzeugt und also nicht verhärtet, 28,24a«69. Dieser überzeugenden Logik schließt sich B.J. Koet ebenfalls an: »Paul ... turns to those Jews present who do not believe (28,24b). It is inappropriate to direct these harsh words to the first group because they are already persuaded by Paul's scriptual arguments«70. Nun mag es ja durchaus richtig sein, daß die Annahme, Lukas adressiere die Schlußaussage an alle anwesenden Juden, heutigem Verstehen gegenüber »unangemessen« scheint. Aber was wäre, wenn Lukas so >unangemessen< denkt? Allein grammatisch ist diese Frage jedenfalls nicht zu entscheiden, und theologisch darf sie nicht präjudiziert werden. Im Text steht: »Sie gingen fort, nachdem Paulus dieses eine Wort gesagt hatte«. Wem er es sagt, steht also nicht explizit im Text. Oder anders herum: Er spricht diese Worte zwar so aus, daß jeder Anwesende sie hören kann, aber wen meint er? Diese Frage muß kontextuell, also allein im Hinblick auf die von Lukas erzählte Welt, erörtert werden. In Act 13,14ff wird erzählt, daß Paulus mit seiner Synagogenverkündigung in Antiochia einen überaus großen Erfolg unter »vielen Juden und ehrfürchtigen Proselyten« gehabt hat (V. 43). Am darauffolgenden Sabbat jedoch sind es plötzlich pauschal »die Juden« (οί Ιουδαίοι), die erst den verbalen Widerstand (V. 45) und dann die Verfolgung gegen Paulus und Barnabas (V. 50) organisieren. Wo aber sind die sich zuvor interessiert zeigenden Juden (ήκολούθησαν πολλοί των Ιουδαίων V. 43) geblieben? Der Erzähler hat offensichtlich kein weiteres Interesse an ihnen. Vielmehr konzentriert er seine Erzählhandlung allein auf den Widerspruch »der Juden«. Dieser Widerspruch und seine Folgen (V. 46f.50) sind das Leitmotiv der Erzählung. Analog kann für Act 28,25b-28 gesagt werden: Selbstverständlich sind die durch Paulus überzeugten stadtrömischen Judenchristen (siehe V. 24:

69 J. Jervell, G o t t e s TVeue, S. 26, A n m . 42. 70 B.J. Koet, Five Studies, S. 133.

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έπείθοντο) nicht verstockt. Aber in der weiteren erzählten Handlung spielen sie - so wie in Act 13 - danach in Act 28,25-28 keine Rolle. Lukas blendet sie aus. Er ist also nicht weiter an ihnen interessiert, vielmehr thematisiert er den Widerspruch der »ungläubigen« (έπίστουν V. 24) Juden. Dieser Widerspruch ist es, der - wie in Act 13,46f - erst die Äußerung und Deutung des jes Prophetenwort provoziert (V. 26-28). Darum also verliert Lukas, wenn er die Spaltung Israels thematisiert, die gewonnenen Judenchristen aus dem Blick. Sie sind nicht sein Thema. Sein Interesse gilt den »unüberzeugten« Juden. An diesen Teil seiner jüdischen Zuhörerschaft ist das Verstockungswort gerichtet. Daß jüdische Uneinigkeit ein bestimmendes Leitmotiv der lk Erzählführung ist (vgl. Lk 2,34f), wird auch an der Wahl von άσύμφωνοι71 deutlich. Dieses ntl Hapaxlegomenon nimmt Act 28,24 auf und setzt zugleich den Schlußpunkt: Uneins untereinander verlassen die stadtrömischen Juden die narrative Bühne. Wieder die gleiche Frage: Wer geht? Antwort: Sie gehen. Nun könnte das gleiche Spiel wieder von vorn beginnen: Warum sollten ausgerechnet die »überzeugten« Juden gehen? Sie hätten doch gar keinen Anlaß dazu. Wäre es nicht logisch, nur die »ungläubigen« Juden gingen? Nochmals die gleiche Antwort: Lukas hat kein Interesse an solchen Spitzfindigkeiten. Sein Grundthema lautet, die jüdische Ablehnung der Christus-Botschaft aufzuzeigen und theologisch zu deuten. Die Uneinigkeit, die Α-Symphonie der stadtrömischen Juden bestätigt jüdische Verstockung - nämlich derjenigen Juden, die nicht für Jesus gewonnen werden können. Exkurs: Der Ansatz Jacob Jervells An dieser Stelle soll der Ansatz Jervells vorgestellt und diskutiert werden. Grundlegend auch für seine späteren Auslegungen von Lk-Act ist der bereits 1965 erschienene Aufsatz »Das gespaltene Israel und die Heidenvölker: Zur Motivierung der Heidenmission in der Apostelgeschichte«. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Zurückweisung der These, die Heidenmission kausal aus der jüdischen Verweigerung gegenüber christlicher Verkündigung abzuleiten. Dieser Ansatz, als dessen prominente Vertreter er u.a. E. Haenchen und H. Conzelmann anführt, sieht seiner Meinung nach wie folgt aus: »Erst nachdem und weil Israel das Evangelium verworfen hat und deswegen selber verworfen worden ist,

71 Das Adjektiv άσύμφωνος ist ein Hapaxlegomenon im NT. Näheres hierzu siehe HJ. Hauser, Abschlusserzählung, S. 67.

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wenden sich die Missionare an die Heiden. Durch diese Haltung Israels wurde die Heidenmission freigegeben, so dass sich eben die jüdische Ablehnung der Missionsbotschaft als entscheidende Voraussetzung der Heidenmission erwies«72. Demgegenüber betont Jervell den Erfolg der christlichen Verkündigung unter Israel. Für diesen Erfolg kann er u.a. zu Recht auf die Anfangskapitel der Apostelgeschichte verweisen. Aber auch Act 13,42ff, Act 18,4ff und Act 28,24ff interpretiert er motivisch in gleicher Weise. Der christliche Missionserfolg unter Juden sei überhaupt erst die Voraussetzung, daß auch den Heiden das Evangelium gepredigt werden könne: »Nur durch Israels Annahme des Evangeliums wird den Heiden Zutritt zum Heil gewährt«73. Zwar sei Israel über das Evangelium in zwei Teile gespalten. Die Judenchristen repräsentierten das »bußfertige« Israel, während die sich dem Evangelium verweigernden Juden »unbußfertig« und »verstockt« seien. Über diesen ungläubigen Teil Israels müsse sogar gesagt werden, er sei »für alle Zeiten ... verworfen«74. Die Heiden 75 seien demgegenüber »nicht Israel, sondern werden Israel eingefügt«76. Daher sei »die Judenmission ... ein heilsgeschichtlich notwendiges Durchgangsstadium«77, damit das Evangelium überhaupt erst zu den έθνη gelangen könne. Zur Zeit des Lukas sei diese Judenmission nunmehr im wesentlichen abgeschlossen: »Die Apostel haben die Judenmission vollendet. Sie haben das bussfertige Israel versammelt und den Heiden Anteil an dem von dem bussfertigen Gottesvolk angenommenen Heil gegeben«78. Diesen Ansatz wendet Jervell nun konsequent auf Act 28,24f an. In diesen Versen sieht er - diachron betrachtet - eine Spannung zwischen Tradition und Redaktion. Es sei »wahrscheinlich, dass Lukas eine ihm vorgegebene Erzählung geändert hat. Ursprünglich ist die Scene entworfen, um eine absolute Ablehnung von Seiten der Juden zu zeigen. Lukas aber hat dieses Verständnis abgeschwächt, indem er behauptet, einige haben sich trotzdem von der Missionsverkündigung überführen lassen. Das lässt sich nicht aus dem Text entfernen. Es ist nicht undenkbar, dass sich 72 J. Jervell, Gespaltene Israel, S. 68f. Daß Jervell mit dieser Darstellung Haenchen und Conzelmann verzeichnet, steht auf einem anderen Blatt. 73 J. Jervell, a.a.O., & 96. 74 J. Jervell, a.a.O., S. 92. 75 Nach J. Jervell, Jews and Godfearers, S. 11-20, hier: S. 13, versteht Lukas unter den Heiden nur >GottesfürchtigemußteEiertanz< gleicht: »Yet such an announcement at the end of a narrative carries extra weight. Just because the narrative ends, the narrator grants the final situation a certain permanence. The narrator may be willing to do this because the possibility of Christians preaching to a Jewish assembly, such as Paul addressed in Rome, has become very remote. Nevertheless, there are signs of the narrator's concern to keep a mission to Jews alive in spite of this situation«. Offenkundig scheut sich Tannehill, eindeutig Position zu beziehen. Das hängt zum einen mit der Offenheit des lk Erzählschlusses zusammen (hierzu Tannehill, a.a.O., S. 353-357), zum anderen wohl aber auch mit der Plazierung dieser theologischen Verstockungsaussage, deren Wucht Tannehill aus verständlichen Gründen nicht paßt, da sie in Spannung zum Heilswillen Gottes steht.

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Paulus ist auch Lukas am Ziel der Erzählung. >Sein< Paulus kommt zu dem Schluß, daß seine Judenmission nicht seinetwegen gescheitert ist. Er hat bis zuletzt sich immer wieder primär um seine Brüder bemüht. Gott aber hat sich seine jüdischen Hörer, diesen λαός, zu dem er ging, verstockt, damit sie auf ihn - wie ihre Väter auf Jesaja - nicht hören (und Paulus das Heil zu den εθνη bringt). Erst jetzt begreift der scheiternde Judenmissionar Paulus: Er ist vorrangig Völkermissionar!

Exkurs: Die Vorgeschichte - das Verstockungsmotiv in Lk 8,10

Daß dieses jes Verstockungswort (einschl. Act 28,28) Zielaussage des lk Erzählwerkes ist, Lk-Act also auf diesen Schluß hin komponiert worden ist, kann auch an der lukanischen Verwendung des Verstockungsmotivs im Gleichnis von der vierfachen Aussaat in Lk 8,4ff aufgezeigt werden. An der Schaltstelle zwischen der lk Gleichniserzählung (Lk 8,4-8) und seiner Deutung (V. 11-15) steht in V. 9f ein Logion, das auf die Jüngerfrage mit dem Verstockungswort antwortet. Mk 4,1-20 ist als Textgrundlage für Lk 8,4-15 (par Mt 13,1-23) anzusehen97, so daß sich die Frage einer traditionsgeschichtlichen Verortung für Lk 8,9f nicht eigens stellt. Sie ist Lukas bereits durch Markus vorgegeben. Daher wird in der jetzt folgenden Analyse Mk 4,1-20 als Lukas synchron vorliegende Texteinheit vorausgesetzt. 1. Das Gleichnis von der vierfachen Aussaat (Lk 8,4-8) Ein erster synoptischer Blick auf Lk 8,4-15 läßt deutlich werden, daß Lukas seine Vorlage kürzt, während Matthäus sie erheblich ausweitet. Diesen Befund gilt es für Lukas zu erklären. Schon in der Bezeichnung des narrativen Rahmens, der Szene, ergibt sich eine erste Differenz zu Mar97 Gegen T. Schramm, Markus-Stoff, S. 114-123,123, der zum Ergebnis kommt, »Lk 8,4-8 und 9f sind nicht als spezifisch luk Mk-Redaktion zu erklären; Lk steht hier deutlich unter dem Einfluß einer TVaditionsvariante«. Demgegenüber meint E Bovon, Lukas I, S. 405, »daß Lukas im Gleichnis wie in der Deutung Markus als einzige schriftliche Vorlage benutzte. Die Abweichungen erklären sich aus der mündlichen Tradition wie aus der theologischen Eigenständigkeit jedes Evangelisten«. In welcher Form Lukas und Matthäus der Markusstoff vorgelegen hat - vgl. das Problem des >minor agreem e n t γνώναι χά μυστήρια τής βασιλείας του θεοΰ (diff Mt: των ουρανών) Lk 8,10 par Mt 13,11 - ist für unsere Fragestellung kaum von Belang, denn außer dem Markustext ist für Lk 8,4-15 keine weitere eigenständige Traditionsgrundlage erkennbar.

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kus (und Matthäus). Lukas liefert keine genaue Ortsangabe für die Gleichnisrede. Ob das daran liegt, daß, wie Bovon98 und Fitzmyer" annehmen, Lukas Mk 4,1 schon Lk 5,3 (καθίσας δέ έκ τοϋ πλοίου έδίδασκεν τους όχλους) gebraucht hat, ist fraglich. Die Auslassung ließe sich dann als Folge der lk Einschaltung Lk 6,20-8,3 erklären, aber das wäre als Begründung kaum ausreichend. Die narrative Lücke zwischen Lk 5,3 und 8,4 wäre groß genug für eine Wiederholung, die Lukas nicht immer vermeidet (vgl. Lk 6,6-10; 14,1-6). Aber Lukas hatte Gründe, seiner Gleichnisrede bewußt nicht den Rahmen einer Lehrunterweisung zu geben, wie ihm die mk Fassung hätte nahelegen können. Dort nämlich besteigt Jesus ein Boot und setzt sich (καθησθαι Mk 4,1), um zu lehren. Schon das Verb καθησθαι suggeriert den Markus-Lesern einen Lehrvortrag. Offen tritt die mk Absicht mit der Verwendung der Vokabel διδάσκειν zutage. Markus benutzt sie in seiner Eingangsszene zweimal (V. 1.2). Für ihn ist die Gleichnisrede eine Jesus eigene Form der Lehre (vgl. noch διδαχή V. 2). Demgegenüber weist Lukas grundsätzlich keine Gleichnisrede als »Lehre« aus. Der Wegfall der mk Lehrtypik könnte hier speziell darin begründet sein, daß Lukas zögert, eine Rede, die wie in Lk 8,9f Verstockung zum Ziel hat, überhaupt als eine prägnante Lehre Jesu zu begreifen. Wie Lukas Lehrrede Jesu versteht, entfaltete er seinen Lesern erstmals und modellhaft in der Nazaretperikope (διδάσκειν Lk 4,15). Jedenfalls fällt die literarische Einführung der lk Gleichnisrede Lk 8,4 gegenüber der mk Inszenierung deutlich unprätentiöser aus. Bei Markus (und Matthäus) hingegen verleiht schon der äußere Rahmen der Gleichnisrede Grundsatzcharakter. Im Unterschied zu Mk 4,2, dem zufolge Jesus έν παραβολαΐς πολλά lehrt, heißt es vom lk Jesus: είπεν διά παραβολής (Lk 8,4). Diese Formulierung entspricht mit dem Singular dem sonst üblichen Gebrauch des Lukas. Lediglich Lk 8,10 gebraucht er zum einzigen Mal den Plural παραβολαί, und dies hat seinen besonderen Grund (siehe unten 2.). Die Formulierung ¿ ώ παραβολής in V. 4 ist allerdings singulär im NT. Sie verweist auf den besonderen Modus der Redeform: »Bei Lukas geht es um das Wie des Hörens und nicht mehr um das Was wie bei Markus«.100 Die lk Änderungen und Kürzungen lassen somit insgesamt erkennen, daß Lukas jedwede Nähe zu einer grundsätzlichen Programmatik vermeiden will.

98 F. Bovon, Lukas I, S. 404. 99 J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 700. 100 F. Bovon, a.a.O., & 406.

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Das Gleichnis von der vierfachen Aussaat ist bei ihm eines von vielen Gleichnissen, in denen der lk Jesus seine Zuhörer anredet. In der Gleichniserzählung selbst (V. 5-8a) folgt Lukas im wesentlichen seiner Markusvorlage, wenngleich er den mk Erzählduktus strafft und redaktionell τον σπόρον αΰτοϋ (V. 5a) ergänzt, wodurch er das Schwergewicht vom Sämann auf die Saat verlagert (entgegengesetzt deutet Mt 13,18). Dieser Eingriff unterstreicht - wie die Gleichnisauslegung (V. 1115) verdeutlicht - die Ver-a/iiHOrt-lichkeit der Hörerschaft. Am Ende seiner Gleichniserzählung beschränkt sich Lukas auf die Erwähnung von »hundertfacher« Fruchtbringung jener Saat, die auf guten Boden fällt (V. 8), während Markus zuvor auch von dreißig- und sechzigfacher Fruchternte spricht (Mk 4,8b). Lukas will qualitativ, nicht quantitativ differenzieren. Die ersten drei Bilder von der Aussaat auf den Weg (παρά τήν όδόν V. 5), auf einen felsigen Untergrund (έπί τήν πέτραν V. 6) und mitten unter die Dornen (έν μέσψ των ακανθών V. 7) weisen eine thematische Kohärenz auf. Auch daß die Saat, die auf guten Boden (εις τήν γην τήν άγαϋήν V. 8) fällt, »hundertfache« (έκατονταπλασίων V. 8), d.h. viel101 Frucht bringen wird, paßt ins Gesamtbild. Den Metaphern fehlt - auch von Lukas allegorisch verstanden - bislang jedoch sowohl die Zuordnung der Sach- (Was ist mit ó σπόρος gemeint?) als auch der Personenebene (Wer entspricht welchem Ackerboden?). Insbesondere die Schlußsentenz ó εχων ώτα άκούειν άκουέτω (V. 8b; vgl. 14,35) signalisiert den Hörern wie in Mk 4,9 die Notwendigkeit besonderen Verstehens, um αΰτη ή παραβολή (Lk 8,9) begreifen zu können. Das Hören im Sinne von Zuhören allein reicht nicht aus. Es bedarf schon eines besonderen Verständnisvermögens, um das Gleichnis zu entschlüsseln. Mit anderen Worten: Es bedarf einer Deutung und eines Deuters. Beides erhoffen sich die Jünger von Jesus (V. 9). 2. Die Funktion des Gleichnisses (Lk 8,9f) Vor der erbetenen Deutung wird zunächst in Lk 8,9 nach der Funktion der Gleichnisse gefragt. Lukas folgt hier im wesentlichen seiner Markusvorlage. Wie bei Markus wird diese narrative Zwischensentenz (V. 9f) literarisch durch eine Jüngerfrage provoziert. Sie wird vom lk Jesus - wie-

101 Das Numerale έκατονταπλασίων ist ein Synonym für πολύς. Vgl. Mk 10,30 par Mt 19,29. Gen 26,12 wird von Isaak gesagt, daß er hundertfach geerntet habe.

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derum in Anlehnung an Markus - zum Anlaß genommen, die grundsätzliche Frage nach der Funktion der παραβολή-Rede zu beantworten. Lukas streicht aber das mk κατά μόνας (Mk 4,IO)102, so daß ihm zufolge (ó οχλος πολύς aus V. 4 weiterhin zugegen ist, also diese Worte Jesu mithört. Somit ist in V. 9 eine für den lk Jesus typische Gesprächssituation bezeichnet (vgl. Lk 20,45; 6,20.27; 16,1.14). Die Volksmenge ist stillschweigend mit anwesend gedacht, obwohl die Verse lOff vordergründig ein Kommunikationsgeschehen zwischen Jesus und den Jüngern beschreiben. Lukas legt in seiner Wiedergabe des mk Gleichnisses also auf Öffentlichkeit Wert. Er beugt - wie Matthäus an dieser Stelle - dem Anschein esoterischer Lehre vor, wie ihn Mk 4,10f erwecken könnte. Lukas schwächt insbesondere den ihm aus Mk 4,11 vorgegebenen Terminus ol εξω zu oí λοιποί ab (Lk 8,10). Der mk Terminus οί εξω103 betont den Gegensatz zwischen ύμΐν (d.i. οί περί αυτόν σύν τοις δώδεκα V. 10) und έκείνος δέ τοις εξω104. Sowohl Lk 8,9 als auch Mt 13,10 bezeichnen im Unterschied zu Mk 4,10 (οί περί αυτόν σύν δώδεκα) den Kreis der Leute um Jesus eindeutig als οί μαθηταί. Beide reden statt von τό μυστήριον δέδοται (Mk 4,10) von δέδοται γνώναι τά μυστήρια (Lk 8,10 par Mt 13,11). Falls aufgrund solcher >minor agreements< eine »deuteromk Bearbeitung des Mk-Textes, die generell das mk Jüngerunverständnis reduziert«105 anzunehmen ist, hätten Lukas und Matthäus diese mk Textform übernommen, weil sie ihrer Deutungsabsicht zumindest nicht widersprach. In der mk Aussage ύμΐν τό μυστήριον δέδοται (V. 10) ist Jesus das seinen Anhängern gegebene μυστήριον. Lukas umfaßt mit dem Plural τά μυστήρια das Gesamtwirken Jesu und zeigt an, daß es weniger um die bloße Gabe (δέδοται) als primär um das rechte Verständnis (γνώναι) des Jesusgeschehens geht106. Ostern muß der lk Jesus selbst seinen Jüngern erst die Augen öffnen (Lk 24,16.31), bevor sie ihn »erkennen (V. 31.35 γιγνώσκειν), und die Schrift auslegen, damit sie die Bedeutung seines Geschickes »verstehen« (V. 45 συνιέναι; vgl. V. 44-49.25-27). 102 Die Streichung von κατά μόνας ist bewußt erfolgt, denn Lukas kann diesen Terminus durchaus gebrauchen, wenn er das Alleinsein mit den Jüngern betonen will: Lk 9,18 κατά μόνας; vgl. Lk 10,23 κατ' ιδίαν. 103 Der Terminus oi εξω erscheint außer Mk 4,11 nur noch 4mal im pin (I Kor 5,12.13; I Thess 4,12) und deuteropln (Kol 4,5) Schrifttum. Die Bedeutung als Kontrastwort wird besonders anschaulich I Kor 5,12, wo das εξω dem εσω gegenübergestellt wird. 104 Mt 13,11 spricht nur von έκείνοι. 105 U. Luz, Matthäus II, S. 301. 106 Vgl. I Kor 13,2, wo τά μυστήρια πάντα und πάσα ή γνώσις parallelisiert werden.

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Den Jüngern wird also in diesem Sinne von Jesus die Gabe verheißen (Lk 8,10a), nicht nur Augen- und Ohrenzeuge seines Wirkens und Geschicks zu sein, sondern auch ein tieferes Verständnis des göttlichen σωτήριον (Lk 2,30) zu erlangen. Im Nahkontext werden den Jüngern Gleichnisse wie dieses (Lk 8,4) zum besonderen Erkenntnisgewinn, den übrigen aber zu »Rätselworten« (παραβολαί). Der plurale Terminus verweist auf deren besondere Funktion. Jesus spricht Gleichnisse wie dieses, damit sie den οί λοιποί zu »Rätselworten« werden. Die Rätselworte sollen folglich nicht Verständnis erhellen, sondern bewußt verstellen. Ihre Funktion »an den anderen« ist somit negativ. Die Konjunktion ϊνα und folglich auch μή, mit denen Lukas die Jesaja-Anspielung anschließt (V. 10c), haben fraglos finalen Charakter, während dieser für Mk 4,12 schwieriger zu erweisen ist107. Sie, οί λοιποί, sollen nicht verstehen (συνιέναι Lk 8,10c). Das also ist für Lukas die besondere Pointe. Aber mehr als ein Rudiment in Form des eingängigen Sprachbildes vom nichtsehenden Sehen und nichthörenden Hören (Verstehen) hat Lukas aus dem Markustext nicht übernommen. Lukas reduziert wieder deutlich seine Markusvorlage, diesmal zumal aus narrativen Gründen. Die von Mk 4,12 gebotene zweite Hälfte des Zitats »damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde«, die besonders durch das Stichwort επιστρέφειν auf Missionserfahrung anwendbar ist, spart sich Lukas für das Resümee seines Erzählwerks, sein Zitat aus Jes 6,9(f) LXX in Act 28, auf (vgl. sonst schon Lk 8,12). Sie bestätigt dort Paulus' Erfahrung als Judenmissionar. In Mk 4,12b allerdings prophezeit der mk Jesus eine insgesamt kaum erfolgreiche Israelmission. Dies kann der lk Jesus schon deshalb nicht tun, weil Lukas nachdrücklich vom großen Missionserfolg unter den Juden Jerusalems (und Umgebung) erzählt (vgl. bes. Act 2-5; 21,20). Missionarischer Mißerfolg unter Juden ist bei Lukas ein spezifisch paulinisches Thema; deshalb muß dessen Reflexion durch Jes 6,9(f) bei Lukas am Ende der paulinischen Reisemission stehen, in Act 28. Der lk Jesus beschränkt sich in Lk 8,10 auf die Ansage jüdischer Verkennung (seiner Botschaft und Identität; vgl. Act 3,13-15.17), die bis auf seine Jünger einmal alle »übrigen« Juden erfassen wird (Lk 23,13ff). Diese lk Gleichnisrede berücksichtigt also nicht nur den konkreten Einzelfall dieser einen παραβολή (Lk 8,4), sondern den Erzählbogen bis 107 Die Übersetzung von ίνα ... μήποτε in Mk 4,12 ist umstritten. J. Gnilka, Markus I, S. 162ff; ders., Verstockung, & 45-50; M. Black, Muttersprache, S. 211-216; CA. Evans, To see and not perceive, S. 91-106, interpretieren sie final; J. Jeremias, Gleichnisse, S. 914, konditional; E Lampe, Markus, S. 140-150; R. Pesch, Markus I, verstehen ϊνα explikativ und μήποτε als dubitatives Adverb.

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zu Act 28,26f. Auch wenn hier das jes Wort von der »Verfettung« des Herzens noch nicht fällt, der antithetische Parallelismus βλέποντες μή βλέπωσιν και άκούοντες μή συνιωσιν (Lk 8,10c) stellt immerhin schon eine verkürzte Wiedergabe des Wortspiels aus Jes 6,9f LXX dar. Lk 8,9f ist also auch im Hinblick auf Act 28,26f komponiert worden. Diese Verse werden in Act 28,26f wieder erinnerlich. Lk 8,10 ist die jesuanische Ansage jüdischer Verkennung, die sich in Act 28,26f - im Rückblick auf die paulinische Judenmission - als Verstockung erfüllt hat. * *

*

3.3.4.3. Die jüdische Heilsverweigerung ist gottgewollt Das stets letztlich negative jüdische Echo auf die Verkündigungsbemühungen des lk Paulus ist gottgewollt. Das ist, lukanisch gesehen, der Skopus des Jesaj aworts von Act 28,26f. Darauf weist im Zitat nicht nur das Passivum divinum (έπαχύνθη V. 27) hin, sondern auch die Schlußzeile και έπιστρέψωσιν, και Ιάσομαι αυτούς, die wie die vorigen von μήποτε abhängt. Das καί vor ιάσομαι ist konsekutiv, und die futurische Verbform Ιάσομαι ist in Kontinuität zu den drei anderen, von μήποτε abhängigen Verben im Konjunktiv als ein Irrealis aufzufassen108, so daß zu übersetzen ist: »[damit nicht ...] noch sie umkehren und ich sie (dann) heile«. Daraus folgt, daß Gott einen Jesus-Glauben des λαός, zu dem Paulus geht (V. 26a), geradezu unterbindet. Äußerlich zwar funktionieren bei den Juden, die sich der paulinischen Heilsverkündigung verschließen, die Sinnesorgane Ohr (άκοή άκούσετε) und Auge (βλέποντες βλέψετε), aber es verhilft ihnen nicht zu einem tieferen Verständnis (ού μή συνήτε) und Einsehvermögen (ού μή ιδητε). Kunstvoll ist dieses Jesaja-Wort (Jes 6,10 LXX = Act 28,27) komponiert. Dreifach werden die Sinnesorgane Ohr und Auge in Verbindung mit Verben der Wahrnehmung gesetzt. Die chiastische Anordnung der drei Organe καρδία, ώτα und οφθαλμοί mit καρδία an Anfang und Ende unterstreicht die Aussageabsicht, daß Hören und Sehen einer Einsichtigkeit des Herzens bedarf, um Wahrgenommenes dauerhaft aufzunehmen. Während Gott den Emmausjüngern (διανοίγεσθαι oi οφθαλμοί Lk 24,31), der Herr den Jüngern in Jerusalem (διανοίγειν τον νουν V. 45) und der Lydia (ό κύριος διήνοιξεν τήν καρδίαν προσέχειν τοις λαλου-

108 Sowohl zum καί consecutivum wie auch zum Futur nach dem Konjunktiv siehe Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik NT, §442, ld und §442, Anm. 8.

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μένοις ύπό τοΰ Παύλου Act 16,14) mit Augen, Verständnis und Ohren auch das Herz öffnet, damit sie das Vernommene annehmen, wird solch eine göttliche Verstehenshilfe offensichtlich den jüdischen Hörern des Paulus (wieder) weiterhin vorenthalten. Deren Herz, im jüdischen Denken Sitz des Verstandes, ist nämlich »verfettet« (παχύνειν Act 28,27). Im Deutschen wird παχύνειν, das ntl sonst nur noch in der Parallelstelle Mt 13,15 (= Jes 6,10 LXX) steht, zumeist mit »verstocken« wiedergegeben. Es entspricht dem hebräischen ptf im Hifil in Jes 6,10 MT.109 Der Sache nach meint παχύνειν das gleiche wie die im NT geläufigeren Verben σκληρύνειν (»verhärten« Act 19,9; Rom 9,18; Hebr 3,8.13.15; 4,7; vgl. σκληροτάχηλος Act 7,51; σκληρότης Rom 2,5) oder auch πωροΰν (Joh 12,40; Rom 11,7; II Kor 3,14; πώρωσις Mk 3,5). In Rom erst begreift der lk Paulus selbst (vgl. zuvor den Erzähler Lukas Act 19,9), daß Gott der Urheber der ihm widerfahrenen jüdischen Verstockung ist. Das Urteil des Jesaja über sein Volk bezieht der lk Paulus jetzt analog auf ούτος λαός, über die Väter auf seine jüdischen Hörer. 3.3.5. Jüdische Verstockung korreliert mit >Hörbereitschaft< der έθνη (V. 28) Eingangs war bereits betont worden (s. 3.3.1.), daß, wer das lk Jesaja-Zitat auslegt, V. 28 nicht außer acht lassen darf. Zwar hinterläßt die Wucht des Verstockungswortes in V. 26f einen prägenden Eindruck beim Leser. Dennoch darf dabei der kurze, prägnante V. 28 nicht aus dem Blickfeld geraten, formuliert er doch die Schlußfolgerung, die der lk Paulus für sich aus dem jes Verstockungswort zieht110. Daß diese Schlußsentenz, das letzte Wort des Paulus, das Lukas wörtlich wiedergibt, von besonderer Bedeutung ist, zeigt schon die einleitende Formulierung γνωστόν ούν εστω ύμΐν, die dem Folgenden ein proklamatives Gepräge verleiht. Schon mehrfach hat Lukas in Reden dieses gliedernde Stilmittel eingesetzt, um nun »etwas besonders Wichtiges den Hörern mitzuteilen«111 (Act 2,14; 4,10; 13,38). Deutlich ist der ringkompositorische Charakter dieser For109 Die dem Verb παχύνειν zugrunde liegende Bildebene signalisiert wie im Hebräischen (vgl. Weinberglied Jes 5,Iff) einen materiellen Überfluß, der nicht zu mehr Gottestreue, sondern zu einem auf das Selbst fixierten Lebensstil verleitet. 110 H. van de Sandt, Acts 28,28, S. 358, will das lk Paulus-Schlußwort insgesamt als biblisch-prophetischen Umkehrruf verstehen: »The whole of w. 25c-28, however, represents a prophetic reproof, modelled upon the passages of severe criticism in Isaiah and Ezekiel, and is intended to incite the Roman Jews to convert.« Vgl. hingegen die eigenen Ausführungen. 111 H.J. Hauser, Abschlusserzählung, S. 39.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

mei: Wie der lk Petrus mit ihr die erste christliche Predigt an Juden eröffnete (Act 2,14), so beendet der lk Paulus die letzte wörtliche Predigt an Juden feierlich mit denselben Worten. Sprach der lk Petrus noch auffallend verhalten von der Universalität des Heils (Act 2,17.21.39; 3,25f), so benennt der lk Paulus die έθνη explizit als Adressaten des Heils: τοις εθνεσιν άπεστάλη τοϋτο τό σωτήριον του θεοί (Act 28,28b). Wie Gott die »Verfettung« jüdischer Herzen bewirkt hat (Passivum divinum έπαχύνθη V. 27), so hat er andererseits das Heil zu den Völkern gesandt (Passivum divinum άπεστάλη V. 28). Jüdische Verstockung korreliert, ja kontrastiert in der Erfahrung des lk Paulus offenkundig mit einer Hörbereitschaft auf seiten der εθνη: αυτοί και άκοΰσονται (V. 28c)112. Das unterscheidet ihm die von Jesus nicht überzeugbaren Juden von den hörund glaubensbereiten εθνη: Zwar hat Paulus beiden, und dabei sogar vorrangig den Juden (Act 13,46), ausgiebigst τό σωτήριον τοΰ θεοϋ verkündigt, aber an den hörunwilligen Juden >offenbart< sich ihm, daß Gott gar nicht will, daß sie hören, wenn er zu »diesem Volk« geht: μήποτε ... τοις ώσίν άκούσωσιν (Act 28,27). Das Hören113 meint hier freilich mehr als ein Zuhören, nämlich weitergehend ein zustimmendes Hören, die Annahme des Jesus-Heils. Daß auch den Völkern dieses Heil Gottes gesandt ist, wissen die Lukasleser doch schon seit Anbeginn des lk Erzählwerkes, aber der lk Paulus hat bisher nicht beherzigt, daß durch ihn das σωτήριον τοΰ θεοϋ zu den εθνη gesandt ist. Die nur Lukas eigentümliche Redewendung τό

112 Insofern zutreffend M. Wolter, Reich Gottes, S. 560: »Die in V. 28 formulierte Mitteilung korreliert damit [d.h. mit jüdischer Verstockung] aber nicht etwa in der Weise, daß die Sendung >dieses Heils zu den Heiden< als >Folgerung< aus der Verstockung Israels gezogen wird, denn sie steht für Lukas in Gottes Heilsplan schon immer fest. Es ist vielmehr genau dieser Sachverhalt, in dessen Nichtbegreifen sich die Verstockung Israels dokumentiert, daß nämlich das mit der Basileia einhergehende Heil den εθνη in gleicher Weise wie Israel gesandt ist«. Zwar impliziert das lk Konzept der BasileiaVerkündigung gewiß auch die Heilsuniversalität (z.B. Act 28,31), zu fragen ist aber, ob die von Lukas dargestellte Heilsuniversalität semantisch in der Basileia gründet. Auffallend ist doch, daß an den für das lk Programm der Heilsuniversalität grundlegenden Stellen Lk 2,30-32; Act 13,44-49 wie auch in Act 28,28 nicht βασιλεία, sondern σωτήριον bzw. σωτηρία gebraucht wird. Der Schwerpunkt der Basileia-Verkündigung in Act 28,23 scheint weniger in der Heilsuniversalität zu liegen, als vielmehr in ihrer Schriftgemäßheit. Anders als in Act 13,44ff; 22,21 begründet Lukas in Act 28,23-28 die jüdische Heilsverweigerung (zumindest) nicht explizit mit der Heilsuniversalität, sondern der Schwerpunkt der lk Aussage liegt für Paulus in der Erkenntnis, daß durch ihn den εθνη das σωτήριον τοΰ θεοϋ gesandt ist. 113 Ausführlich zum Wortfeld άκούειν in Lk-Act H.J. Hauser, Abschlusserzählung, S. 79f£

IV. Am Anfang das Ende

111

σωτήριον τοϋ θεού114 begegnet erstmals in Lk 2,30 in der Simeonweissagung, wo sie auf Jesus angewandt und unter Anspielung auf (Deutero-) Jesaja als Oberbegriff für die Universalität des Heilsgeschehens eingeführt wird (vgl. Kap. VI. 2.). Explizit wird dieser Schriftbezug auf Jesaja im lk Täuferwort in Lk 3,6 (= Jes 40,5). Die Formulierung οψεται πάσα σάρξ τό σωτήριον τοϋ θεού ergänzt synoptisch allein Lukas (diff Mk 1,3; Mt 3,3 = Jes 40,3 LXX), womit gleich zu Beginn des lk Erzählwerk zweifach klargestellt ist: Angemessen kann das Heilsgeschehen Gottes nur in Jesus und in seiner Universalität erfaßt werden. Die Heilsuniversalität ist somit theologisches Programm. Wie diese dann konkret entfaltet und narrativ umgesetzt wird, darauf ist der Fokus beim Durchgang durch das lk Erzählwerk zu richten. Festzuhalten ist aber schon jetzt die auffällige Verzahnung des Anfangs von Lk-Act mit seinem Ende mittels dieses prägnanten Heilsbegriffs. Nur an jenen drei zitierten Stellen findet sich der Terminus τό σωτήριον τοϋ Φεοΰ. Daraus darf gefolgert werden: Was Lukas zu Beginn durch Simeon und den Täufer programmatisch verkünden läßt, erhält nunmehr am Ende durch den Mund seiner Erzählfigur Paulus eine den Gesamtverlauf mit reflektierende Deutung. Das unterstreicht nochmals, was oben bereits aus kompositionskritischen Gründen gegen Tannehill (s. 3.3.4.2.) postuliert worden ist: Lukas läßt Paulus, um den es ihm letztendlich geht, eine grundsätzliche Bilanz ziehen. Was er Paulus den stadtrömischen Juden sagen läßt, sagt er pars pro toto ganz Israel, sofern es sich dem paulinischen σωτήριον τοϋ θεοϋ verweigert. Daß die Universalität des Heils ein besonders heikler Streitpunkt in der Auseinandersetzung zwischen den stadtrömischen Juden und dem Jesusverkündiger Paulus wird, zeigt ihre Reaktion. Denn nach dem an sich schon wenig schmeichelhaften Vorwurf, Erben väterlicher Verstockung zu sein, gibt Act 28,28 als letzter Teil des ρήμα εν (V. 25) den versammelten Juden den letzten Anstoß, daß sie Paulus verlassen und von der narrativen Bühne abtreten (V. 25a; vgl. die Textvariante V. 29115). Auch darin hat die lk Pauluserzählung schon ihre Vorgeschichte, denn als der lk Paulus im Jerusalemer Tempel verhaftet wird, kann er sich so lange ungestört 114 Eph 6,17 spricht vom »Helm des Heils«: ή περικεφαλαία τοΰ σωτηρίου. Zum Wortfeld σωτήριον τοΰ θ ε ο ί HJ. Hauser, Abschlusserzählung, S. 119-124. Allgemein zur lukanischen Vorliebe für Wörter mit dem Wortstamm σωτήρ- K.H. Schelkle, Art. σωτήρ κτλ., Sp. 781-789. 115 Κ. u. Β. Aland, Text, S. 308: »Apg 28,29 kann nicht zum ursprünglichen Text der Apostelgeschichte gehört haben. Dem Mehrheitstext, der den Text einfügte, schien der Übergang von V. 28 zu V. 30 zu hart. Ihm fehlte hier ein Abschlußsatz, aus V. 24/25 bildete er ihn durch Wiederholung des dort Gesagten«.

112

Zweiter Hauptteil: Textanalyse

verteidigen, bis er auf die έθνη als seine Adressaten zu sprechen kommt. Daß durch ihn nicht zuletzt ihnen das Heil gesandt ist (Act 22,21 έξαποστελώ σε), versetzt seine jüdische Zuhörerschaft mörderisch in Rage (V. 22f), so daß zu fragen ist, ob unter den Lukaslesern grundsätzlich jede oder speziell die paulinische Einbeziehung der εΰ-νη in das christliche Heilsvolk umstritten ist. Daran schließt sich die Frage an, wie sich die lk Paulusdarstellung zur theologischen Gesamtkonzeption von Lk-Act verhält. Daß Lukas sein groß angelegtes Erzählwerk mit dem Missionsweg des Paulus enden läßt, ist bemerkenswert, läßt sich aber erst in einem Durchgang durch das gesamte lk Erzählwerk umfassender erklären. Daß Lukas selbst kein Kritiker des Paulus sein kann, dürfte schon jetzt hinlänglich deutlich geworden sein.

4. Der Epilog (V. 30f)

Es ist darauf hinzuweisen, daß das Erstaunen über den Schluß der Apostelgeschichte noch nicht durch die Erzählung über die Auseinandersetzung mit den stadtrömischen Juden erregt wird, sondern erst durch die Schlußsentenz Act 28,30f. Denn nach dem Weggang der Juden hätten Feindseligkeiten von ihrer Seite die Lukasleser nicht überrascht, hätte vor allem das angekündigte Verhör vor dem Kaiser jetzt noch gut folgen und geweckte Neugier befriedigen können. Daß Lukas diesen Prozeß aus apologetischen Gründen bewußt verschweigt, weil er von dessen tragischem Ausgang wußte (Act 20,22-25.38), hat einige Wahrscheinlichkeit für sich. Um so mehr muß aber auffallen, wie Lukas sein Werk beendet. Im Unterschied zum Vermächtnis des mt Jesus an die Jünger (Mt 28,16-20) oder zum zusammenfassenden (Nachtrags-)Epilog im Johannesevangeliums (Joh 21,24f)116 schließt Lukas sein groß angelegtes Werk mit einer fast beiläufig anmutenden Notiz. W.F. Brosand II macht zu Recht darauf aufmerksam, daß keineswegs eine heutige Lesererwartung an den Schluß eines antiken Werkes zu richten sei, der Schluß der Apostelgeschichte entspreche vielmehr durchaus antiker, sowohl biblischer wie hellenistischer, Topik117. Dabei mag offenbleiben, ob, wie Brol l ó Hierzu J. Becker, Johannes, S. 758fñ 117 W.F. Brosand, Absent Ends, S. 359, zitiert als Beispiel das Ende der Königsbücher II Reg 25,27-30 und Homers Illias und faßt zusammen: »Ancient literatures are replete with endings which moderns find incomplete or insufficient«. Zur Offenheit des Erzählschlusses von Act 28 D. Marguerat, Rhetoric of Silence; R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 353-357.

IV. Am Anfang das Ende

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sand118 vermutet, Mk 16,1-8 für Lukas das Vorbild seines Erzählschlusses war. Es reicht, das von Lukas selbst Erzählte und Nicht-Erzählte zu beachten. Die lukanische Schlußsentenz wird man kaum als den Höhepunkt des lk Erzählwerkes werten wollen, eher als seinen Ausklang. Das relativiert auch die Bedeutung von πάντες in Act 28,30. Dieses Numerale ist weniger positive Zielvorgabe (Universalität des Heils) als vielmehr eingetretenes Faktum. Was mit den Juden weiter geschieht, wird nicht gesagt. Entscheidend ist: Das Bild eines Paulus letztlich widersprechenden, weil verstockten (stadtrömischen) Judentums bleibt haften. Dieses Israel ist von der Erzählbühne abgetreten, während Paulus »bleibt« (έμένεινεν V. 30). Daß der lk Paulus noch zwei Jahre in einer »Mietwohnung«119 Gelegenheit zur Missionsarbeit für Christus hat, dürfte dabei die Leser weniger überraschen (vgl. Act 23,11), als vielmehr der betont am Ende stehende Modus der Verkündigung: »Mit allem Freimut und ungehindert«120 predigt der lk Paulus das Reich Gottes und lehrt über den Herrn Jesus Christus (V. 31). Dieses Schlußbild furchtlosen Bekennens, das mit der Formel μετά πάσης παρρησίας den Erzählfaden aus dem Anfang der Apostelgeschichte wieder aufnimmt (Act 2,29; 4,29.31), und der jahrelangen Duldung seiner Verkündigung durch und in Rom soll sich den Lesern einprägen. Jetzt ist es an ihnen, aus dem von Lukas Erzählten die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Diese Offenheit des Erzählschlusses ist Marguerat zufolge bewußt gewählt: »The ending of Acts is left voluntarily in suspense, thus creating in the reader a feeling of incompletion; and furthermore, that this intended incompleteness proceeds from a rhetoric of silence enacted by the author of Luke-Acts«121. Daß Lukas nicht nur informieren will, sondern überzeugen, dürfte einleuchten. Lukas will nicht unterhalten, wie Pervo122 vermutet, er will vor allem vergewissern und stärken. Daß hierbei 118 W.F. Brosand, Absent Ends, S. 358ft 119 Zu μίσθωμα HJ. Hauser, Abschlusserzählung, S. 153-157. 120 Άχωλύτως ist ntl. Hapaxlegomenon. Zur Formulierung μετά πάσης παρρησίας άκωλύτως ausführlich HJ. Hauser, Abschlusserzählung, S. 140-150; G. Delling, Letzte Wort; G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 421: »Der Nachdruck des Berichts [liegt] auf den beiden folgenden Umschreibungen, wie der Gefangene das tat: >mit allem Freimut< und >ungehindertträumteUnfalls< in Frage gestellt zu werden. Lukas aber wird von Anfang an klarstellen, daß Gott Juden wie Nichtjuden gleichermaßen mit seinem σωτήριον Jesus beschenken will, und das lange bevor - welch eine Vorstellung! - ungläubige Juden Gott zwingen könnten, es nur ersatzweise εθνη zukommen zu lassen. Gottes Heil gilt von jeher Juden und εθνη zugleich, Gottes Heilsvermittlung aber erreicht von jeher - so auch Jesus und seine Zeugen - immer Israel zuerst.

V. Wie alles beginnt der Anbruch des Heils (Lk lf) 1. Lk lf gleicht einem Introitus in das lk Gesamtwerk Obwohl H. Conzelmann in »Die Mitte der Zeit« vorgibt, redaktionsgeschichtlich zu arbeiten, ignoriert er Lk lf und setzt thematisch erst beim Täufer ab Lk 3,Iff ein. Aber selbst diesen handelt er noch wörtlich unter der Überschrift »Vorgeschichte«1 ab. Dazu ist er aufgrund seiner Auslegung von Lk 16,16 auch genötigt. Abgesehen von der exegetisch fragwürdigen Gewichtung gerade dieses einen Verses, muß vor allem methodisch gegen Conzelmann eingewandt werden, daß er seinem eigenen redaktionsgeschichtlichen Anspruch zuwider gerade nicht »nach dem Ganzen des jetzigen Bestandes«2 fragt, sondern eklektisch vorgeht. P.S. Minear merkt in seinem Aufsatz »Die Funktion der Kindheitsgeschichten im Werk des Lukas« zu Recht kritisch an: »De facto legt H. Conzelmann somit seiner Analyse der lukanischen Theologie nicht das Gesamtwerk zugrunde, sondern lediglich die Kapitel ab Lk 3 einschließlich«3. Diese Kritik trifft nicht allein auf die Nichtberücksichtigung von Lk lf zu, sondern sie gilt auch seiner im Grunde stiefmütterlichen Behandlung der Act. Für Conzelmann ist die Zeit Jesu eben nicht nur theologisch die Mitte der Zeit, sondern augenscheinlich zudem eine nahezu exklusive Mitte der Exegese. Somit übersieht er, daß Lukas schon in den ersten beiden Evangeliumskapiteln die Grundlagen seines theologischen Ansatzes formuliert. Unabhängig von der überaus schwierigen Frage, wie in Lk 1,5-2,52 diachron zu gewichten ist4, synchron gelesen fügt sich dieser Text doch ohne weiteres organisch in die nachfolgenden Kapitel ein. Lk lf ist sogar ein unverzichtbarer Bestandteil des lk Gesamtwerks. Narrativ haben die beiden Eingangskapitel die Funktion, dem Leser zu eröffnen, aus welchem 1 2 3 4

H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit, S. 12. H. Conzelmann, a.a.O., S. 1. P.S. Minear, Funktion der Kindheitsgeschichten, S. 220. Aus der Fülle neuerer Arbeiten sei exemplarisch auf T. Kaut, Befreier und befreites Volk, verwiesen. Vgl. weiter R.E. Brown, The Birth of the Messiah, & 235ff; G. Nebe, Prophetische ZUge im Bilde Jesu bei Lukas, S. 53-63-, I. Jeremias, Sprache des Lukasevangeliums; P.S. Minear, Funktion der Kindheitsgeschichten, S. 207-215.

V. Wie alles beginnt

117

theologischen Blickwinkel heraus Lk-Act zu lesen ist. Eine diachron ausgerichtete Vorgehensweise kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, gilt es doch auch für Ε Bovon als erwiesen, »daß Lukas als der eigentliche, als der Endverfasser dieser Kapitel gelten muß und die Vorgeschichte in seinen theologischen Entwurf zu integrieren ist«5. Schon der Prolog Lk 1,1-4 ist zur Leseorientierung aufschlußreich, denn hier offenbart der Autor sein Anliegen als ein primär didaktisch ausgerichtetes Vorhaben. Mit seinem »Bericht« (διήγησις V.l) möchte er nämlich das Vertrauen des »hochverehrten Theophilus« (zu dieser Lesefigur siehe Kap. III. 3.4.) in die neue Glaubenslehre, in der er zuvor bereits unterwiesen worden ist, stärken (άσφάλεια V. 4). Zum rechten Verständnis seines Werkes setzt Lukas also Grundkenntnisse im christlichen Glauben voraus. Zudem gibt der Verfasser gleich im ersten Satz zu erkennen, daß sein Bericht von den Heilsgeschehnissen auf bestimmten Vorlagen beruht, an die er mit seinem Werk bewußt anknüpfen will. Diese werden zwar namentlich nicht genannt, aber aus dem Erzählverlauf kann geschlossen werden, daß ihm das Mk - in welcher Fassung auch immer - sowie Einzeltraditionen - die Logienquelle und das lk Sondergut - vorgelegen haben dürften6. Zudem hat Lukas - wie er zu erkennen gibt (V. 3) - selbst recherchiert und Eigenerkundigungen eingeholt. Vor allem für Act muß mit verschiedenen mündlichen, wenn nicht gar schriftlichen Vorlagen - etwa einem Itinerar der Reisen Pauli - gerechnet werden7. Auch sei schon in diesem Zusammenhang erwähnt, daß Lukas bestimmte alttestamentliche Schriften, so vor allem das Jesajabuch und die Psalmen, als Vorlage benutzt hat. Er setzt also bei seinen Lesern Bekanntes voraus. Sie können das Bekannte mit dem Neuen seiner Erzählung vergleichen. Das ist wichtig für die Analyse des lk Erzählstoffes. Aber was ihm bisher an Berichten vorgelegen hat, wird seinem didaktischen Anliegen offenkundig noch nicht genügend gerecht. Ohne die Autorität der als Augenzeugen und Diener des Wortes (V. 2) apostrophierten Vorläufer zu hinterfragen, ergreift er nunmehr selber das Wort, um seine Deutung der Heilsgeschehnisse zu

5 F. Bovon, Lukas I, S. 47. Ähnlich J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 309: »The infancy narrative was in large part freely composed by Luke on the basis of information obtained from earlier models and in imitation some OT motifs«; G. Nebe, Prophetische Züge, S. 55. dem »die vorliegende geschlossene Komposition der lk Vorgeschichten ... auf die Hand des Lukas« verweist. 6 In der vorliegenden Arbeit wird die Zwei-Quellen-Theorie zur Lösung der synoptischen Frage vorausgesetzt. Näheres zur Quellenfrage für das Lukasevangelium siehe J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 63-106. 7 Näheres siehe G. Schneider, Apostelgeschichte, S. 82-103.

118

Zweiter Hauptteil: Textanalyse

geben. Dabei kommt es ihm vor allem auf die Art der Anordnung des ihm überlieferten und von ihm gesammelten Erzählstoffes an. Diese Anordnung und Reihenfolge ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Konzeption. Er will die einzelnen Heilsgeschehnisse - wörtlich - »von Anfang an« (άνωθεν V. 3), und zwar der Reihe nach (καθεξής V. 3), aufschreiben. Schon dieser Lesehinweis signalisiert, daß wir den Anfang des lk Erzählwerkes dann auch wirklich ernst nehmen müssen und dieser in die Frage nach der theologischen Konzeption des Lukas mit einzubeziehen ist. Das lk Erzählwerk beginnt nicht erst - wie im Grunde bei Conzelmann - vom dritten Kapitel an. Lk 1,5-2,52 ist keine entbehrliche Vorgeschichte, theologisch etwa von minderem Wert. Auch der Terminus »Kindheitsgeschichten« klingt mißverständlich und wird der Bedeutung dieser Eingangskapitel für das lk Gesamtwerk kaum gerecht. Die ersten beiden Kapitel des lk Erzählwerkes sind auch mehr als nur ein Vorspiel. Lukas formuliert schon hier die göttliche Heilsabsicht und somit die Grundlage seines theologischen Programms. Wie im Introitus der Messe der ganze Inhalt des Gottesdienstes bereits einbegriffen ist, so muß Lk 1,5-2,52 eine analoge Funktion für das lk Gesamtwerk beigemessen werden8. Dieser Eingangsteil ist im wörtlichen Sinne wegweisend: Der Leser wird darüber orientiert, wie er Lk-Act zu lesen hat und auf welcher Heilsgrundlage Lukas' Erzählwelt basiert. Tannehill nennt solch eine Leseorientierung »disclosures«9. Er unterscheidet hierbei vier Arten von »Entschlüsselungen« im lk Erzählwerk: 1) Vor- und Rückverweise auf Geschehnisse, die später erzählt werden bzw. bereits zuvor erzählt worden sind; 2) Verweise oder Anspielungen auf die Schrift; 3) göttliche Beauftragungen, von ihm »commission statements«10 genannt, und 4) autorisierte Personen, »reliable spokespersons of God«11, die den Heilswillen Gottes glaubwürdig und zuverlässig artikulieren. Auf Lk lf angewandt, sind alle diese vier Entschlüsselungsarten vorfindbar. Erstens hat Lk lf die Funktion einer Prolepsis auf zukünftig Erzähltes; zweitens sind gera8 J.B. Tyson, Birth Narratives, S 103-120, erwägt verschiedene Modelle von Analogien aus dem literarischen wie musischen Bereich zur Charakterisierung der lk Eingangskapitel und kommt zu dem Ergebnis (S. 116): »Thus, of the choices for describing the literary function of Luke 1,5-2,52 scenic beginning, introduction, overture, prologue - that of the prologue to the drama is the most satisfactory. When 1,1-4 is included, we have a text which brings together the two major ways in which Greek dramatists composed prologues: that in which a narrator speaks directly to the audience, and that in which a scene or a series of scenes anticipates the main action«. 9 R.C. Tknnehill, Narrative Unity I, S. 21f. 10 R.C. Tannehill, a.a.O., S. 22. 11 Ebd.

V. Wie alles beginnt

119

de die Eingangskapitel regelrecht durchtränkt mit Biblizismen, wiewohl im auffälligen Unterschied gerade zu Matthäus so gut wie nie explizit aus der Schrift zitiert wird12; drittens erscheint der Engel Gabriel sowohl Zacharias als auch Maria, um ihnen den Heilswillen Gottes zu offenbaren; und viertens autorisiert die Anwesenheit des Heiligen Geistes Maria (Lk 1,35), Elisabet (Lk 1,41), Zacharias (Lk 1,67) und Simeon (Lk 2,25-27) als zuverlässige Heilsboten. Für Lk lf kommt Tannehill zu dem Ergebnis: »Theologically, they disclose the narrator's insights and assumptions with regard to God's purpose in Jesus. In terms of narrative composition, they are the narrator's clues for the readers concerning the overarching purpose which holds the story together and in terms of which subsequent events are to be understood«13. Gerade Lk 1,5-2,52 sei »no foreign body tacked to the front of Luke in spite of tensions with the Lukan outlook«14, sondern unverzichtbar zum Gesamtverständnis.

2. Das lk Erzählszenario - aus Israels Mitte kommt das Heil

Analog einer Bühneninszenierung wird in den beiden Eingangskapiteln erzählt, welches Stück überhaupt zur Aufführung kommen soll. Das lk Erzählwerk könnte den Titel tragen: Jesus ist die Erfüllung von lang ersehnter jüdischer Hoffnung auf die Erlösung Israelsfrommen jüdischen Gemeinden In letzterem Gebrauch ist λαός in Übernahme und Anlehnung an den Sprachgebrauch der Septua22 23 24 25 26

Lk 7,1.29; 8,47; 9,13; 18,43; 20,1.9.26; 21,38; 23,27.35. H. Frankemölle, Art. λαός, Sp. 839£ Vgl. H. Strathmann, Art. λαός, S. 29-39.49-57; M.J. Cook, Myth of the >MyriadsName< den Menschen von Gott zu ihrer Rettung und Hilfe gegeben sei, daß Lukas ein richtiger Nomen-Theologe war, für den die vielen Namen Jesu nicht Mittel eines stilistischen Abwechslungsreichtums seiner Sprache waren, schon gar nicht: >Schall und RauchSohn des Höchstem zu interpretieren und nicht umgekehrt«38. Jesu Gottessohnschaft ist nach Lukas also die vorgeordnete Voraus-Setzung seiner mes35 Die Aussage Lk 3,22 »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen« ist von Lk 1,35 her (vgl. auch Lk 2,49) als öffentliche Proklamation und Bestätigung der dem Leser bereits als bekannt vorausgesetzten Gottessohnschaft anzusehen. 36 Dort heißt es in der LXX-Fassung = II Reg 7,14a: έγώ έσομαι αύτω εις πατέρα, και αύτός εσται μοι εις υίόν. Aber die Terminologie Lk 1,32 ist doch auffallend anders, so daß eine Anlehnung an II Sam 7,14 zumindest für diese Stelle, aber doch auch für Lk 1,35 auszuschließen ist. Vgl. F. Bovon, Lukas I, & 75: »Μέγας wie υιός υψίστου sind nicht exklusiv an die Davidstradition gebunden, sondern auch an jede religiös gefärbte Herrscherideologie«. J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 338f, sieht eher eine Anlehnung an nachexilisches Schrifttum (I Chr 17,11-14) und stellt fest: »It should be noted that nowhere in pre-Christian Jewish literature is the expected Messiah given the explicit title >Son of GodSon of God< is now attested in a Qumran text ..., but not clearly used there of anyone said to be a Messiah, it is not to be concluded from this 4QFlor text that >son of God< could be understood in some messianic sense. This is important for the understanding of the Lucan two-stage identification of Jesus. If he is the Davidic Messiah ..., he is not simply >Son of God< in a messianic sense«. Anders hingegen W. Stegemann, Messias, S. 21-40, der versucht, gerade die politisch-messianische Komponente als das die lk Christologie bestimmende Moment auszuweisen. Für ihn ist die Zerstörung des Tempels der hermeneutische Schlüssel zur lk Messiaskonzeption: »Lukas will seine Leser darüber informieren, daß die Aufrichtung der βασιλεία und die Realisierung der Königsherrschaft Uber Israel nicht schon während der irdischen Wirksamkeit des Messias in Israel geschehen sollte. Diese Aufgabe bleibt dem wiederkommenden Christus vorbehalten« (a.a.O., S. 29). Jesu messianische Hoheit habe sich also »erst antizipatorisch ... realisiert« (a.a.O., S. 38f). Diese Deutung, für die Stegemann sich auf Act 3,20f beruft, muß aber berücksichtigen, daß sogar die nachösterliche Gemeinde selbst zu Verkündigern der auch noch ausstehenden βασιλεία του θεού werden kann (Act 28,30). Mit anderen Worten: Die Königsherrschaft Gottes ist bereits vollgültig, wenn auch nicht vollends realisiert. 37 A. Weiser, Theologie des Neuen Testamentes II, S. 136£ 38 J. Kremer, >Dieser ist der Sohn Gottescertainty< promised to the implied reader (Luke 1,4). In short: the Spirit does what the narrative does: assures reliability«. 5 So schon H. Conzelmann, Mitte der Zeit, S. 168: »Jede Andeutung, die man verstehen könnte, als sei Christus dem Geist untergeordnet, ist vermieden«. 6 W.H. Shepherd, Narrative Function, S. 246: »The Spirit functions onstage to prove the reliability of the offstage God«. 7 Das Verb άπολύειν, wörtlich: loslassen, ist hier ein Euphemismus für sterben. Vgl. F. Bovon, Lukas I, S. 143. 8 Das griechische ¿ήμα bezeichnet explizit göttliche Rede (vgl. Ausführungen zu Act 28,25 Kap. IV.3.3.3.), daher kann φήμα an dieser Stelle sachlich wie έπαγγελία (so auch J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 418) gehandhabt werden, da es um die Erfüllung der Geistverheißung an Simeon geht.

VI. Ein dunkler Schatten

137

V. 30 denn meine Augen haben dein Heilsgeschehen gesehen, V. 31 das du bereitet hast im Angesicht aller Völker (πάντων των λαών), V. 32 Licht zur Offenbarung für die Völker (έθνών) und zur Ehre deines Volkes Israel (λαοϋ σου Ισραήλ).«

Der Gattung nach handelt es sich bei diesen Versen, so K. Berger, um das »Dankgebet eines Todgeweihten«.9 Eine solche Einordnung ergibt sich durch die das Gebet einleitende Formulierung εύλόγησεν τον ϋεόν (V. 28b) und durch V. 29. Sprachlich ist dieser poetisch anmutende Text durchsetzt mit Biblizismen. Das ist narrativ konsequent, war doch der Tenor der Hoffnung Simeons bereits jüdisch gestimmt. Motive vor allem deuterojesajanischer Verkündigung werden aufgegriffen. Aber inwieweit Lukas hier bewußt den zweiten Jesaja zitieren will oder die Verse nur seiner Sprache entlehnt sind, muß offenbleiben. Eine klare Quellenzuweisung dürfte trotz vielfältiger Versuche kaum möglich sein.10 Für den Gang dieser Untersuchung ist vor allem wichtig, wie sehr Lukas mit dem Dankgebet Simeons jüdischer Glaubenshoffnung entsprechen will. Das ist der Ansatzpunkt, der die nachfolgende Analyse bestimmen soll. Simeon eröffnet seinen Lobpreis, indem er sich selbst als δοϋλός σου bezeichnet und Gott als δεσπότης anredet (Lk 2,29). Das unterstreicht seine Ergebenheit. Der kausal eingeleitete V. 30 liefert mit dem Stichwort το σωτήριόν σου (d.h. του θεοΰ) die Begründung für das Dankgebet. Von τό σωτήριόν σου ist der Relativsatz V. 31 abhängig, der auf den Urheber und den Ort des Heilsgeschehens verweist. V. 32 ist Apposition zu V. 30 und kennzeichnet σωτήριόν σου του θεοϋ als φως. Schwieriger ist die syntaktische Zuordnung innerhalb von V. 32. Ist δόξαν dem Wort φως oder άποκάλυψιν gleichgestellt? Im ersteren Fall wäre τό σωτήριόν του θεοϋ in zwei Teilaspekte untergliedert. Für die Ιθνη wäre τό σωτήριόν τοΰ θεοϋ ein φως, und für Gottes λαός 'Ισραήλ wäre es eine δόξα. Grammatisch wäre solch eine Lösung gewiß zulässig. Aber es gibt stilistische wie auch inhaltliche Gründe, die doch dafür sprechen, δόξαν von φως abzuleiten. Die beiden Genitiwerbindungen έθνών und λαοϋ σου 'Ισραήλ legen es nahe, V. 32 als einen synthetischen Parallelismus zu interpretieren.11 Dann ist δόξαν wie άκοκάλυψιν von der Präposition εις

9 Κ. Berger, Das Canticum Simeonis, S. 27. 10 Für Lk 230 gibt es terminologische Bezüge u.a. zu Jes 40,5, für Lk 231 zu Jes 52,10 und Lk 232 zu Jes 42,6; 49,6.9; 46,13. Näheres siehe u.a. J.A. Rtzmyer, Luke I, zur Stelle S. 428; M. Rese, Alttestamentliche Motive, S. 184; F. Bovon, Lukas I, S. 144f; W. Stegemann, >Licht der VölkerGlory to thy Peoples S. 21-34, hier: 28. 27 E. Schweizer, Aufbau, S. 23. Er nennt Jes 24,20; Am 5,20; 8,14; Koh 4,10; Prov 24,16; Mi 7,8.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

mit dem Terminus vom Fall »die positive Verheißung gemeint, daß Jesus >viele< in Israel durch den Fall hindurch zum Aufstehen führen wird«28, so kann für diese Vermutung auf das Lukasevangelium und vor allem auf die Eingangskapitel der Apostelgeschichte bis Act 6,7 verwiesen werden (s. Kap. XII.). Es sind sowohl in der lk Passionsgeschichte als auch in Act 2-6,7 ausdrücklich viele Juden (Act 2,41; 4,4; 5,14; rückblickend 21,20), die gegenüber Jesus zunächst - seiner Würde widersprechend - zu Fall kommen und dann zum Glauben an ihn aufstehen. Auf diesen Erzählkontext sollte die Interpretation der Metapher vom »Fall und Aufstehen vieler in Israel« aus Lk 2,34ba beschränkt bleiben. Erst das Verb άντιλέγειν in V. 34bß signalisiert den Bezug zu Act 13 und Act 28, verweist somit auf die Heilsverkündigung des von Lukas erzählten Paulus. 4.2. Jesus - gesetzt zum »Zeichen, dem widersprochen wird« (V. 34bß) Daß Jesu Botschaft und Anspruch in Israel nicht nur auf bereitwillige Aufnahme (vor allem durch den λαός), sondern auch auf Widerspruch und Ablehnung stoßen wird, davon handelt ausführlich der zweite Teil der Apostelgeschichte ab Act 13. Bezeichnet das Verb άντιλέγειν in Lk 20,27 die Leugnung der Auferstehung nur durch die Sadduzäer, so bezeichnet es Act 13,45; 28,19.22 allgemein jeweils breiten jüdischen Widerstand gegenüber christlicher Verkündigung und deren Verkündigern. Act 13,45 führt aus, worin der Act 28,19.22 allgemein gehaltene Vorwurf gegenüber Paulus bzw. christlicher Verkündigung liegt, nämlich in der Einbeziehung der εθνη-Völker in das Heilsgeschehen Gottes. Somit gibt es jüdischerseits zwei Einsprüche, die durch άντιλέγειν bezeichnet und damit in Lk 2,34bß besonders im Blick sind: Der eine, weniger gewichtige besteht gegen den Glauben an die Auferstehung (Lk 20,27). Diese Leugnung betrifft nur einen sehr begrenzten Teil des jüdischen λαός, denn in Übereinstimmung mit pharisäischem Glauben proklamiert der lk Paulus die Auferstehung als »Hoffnung Israels« (s.o. Kap. IV. 2.2.). Der andere, viel gravierendere jüdische Einspruch betrifft die Frage der heilvollen Einbeziehung der εθνη-Völker in die Heilsgemeinschaft Israel. Darüber kommt es nicht nur im pisidischen Antiochien zum Bruch (Act 13,45), sondern auch in Jerusalem ruft erst der positive Hinweis auf die εθνηVölker den energischen Widerspruch auf jüdischer Seite hervor (Act 22,21f). Somit ist die Vokabel άντιλέγειν Lk 2,34bß durch den Gesamter-

28 E. Schweizer, Ebd. (kursiv nicht im Original).

VI. Ein dunkler Schatten

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zählzusammenhang von Lk-Act näherhin qualifiziert, zumal diese Vokabel hier im unmittelbaren Kontext der Heilsuniversalisierung (siehe V. 32) steht. Verweisen insofern die beiden Simeonweissagungen insgesamt schon besonders auf Geschehnisse, die in der Apostelgeschichte erzählt werden, so darf demgegenüber nicht der nähere Erzählkontext außer acht gelassen werden. Wie reagiert der jüdische λαός auf Jesu Heilswirken in Israel? Als nächstes ist darum Jesu Auftritt in der Synagoge seiner Heimatstadt zu analysieren.

5. Zusammenfassung und Ertrag

Im Aufriß des lk Erzählwerkes haben die beiden Simeonweissagungen zweierlei Funktionen. Der erste Weissagungsteil (Lk 2,29-32) bringt zum Ausdruck, daß das Heilsgeschehen Gottes (τό σωτήριον του Οεοΰ V. 30) universal zu verstehen ist, indem es neben Israel gleichermaßen auch die εθνη-Völker als Heilsadressaten mit einbezieht. Diese Ausweitung des Heils soll in besonderem Maße Israel zur Ehre gereichen. Damit ist das Heilsprogramm nunmehr in seiner ganzen FUlle formuliert. Insofern ist der erste Teil der Simeonweissagung Lk 2,30-32 programmatisch für das lk Gesamtwerk. Wie aber wird Israel auf den Heilssohn aus seiner Mitte, Jesus, reagieren? Davon handelt der zweite Simeonweissagungsteil (Lk 2,34b-35). Die Metapher vom »Fall und Aufstehen vieler in Israel« in V. 34ba weist auf die weitere Erzählung im Lukasevangelium, insbesondere die lk Passionsgeschichte, sowie auf die ersten Kapitel der Apostelgeschichte Act 2-6,7 hin, die sogar idealisierend einen jüdischen >Frühling< der Kirche beschreiben, während die Formulierung »gesetzt zum Zeichen, dem widersprochen wird« (V. 34bß), vor allem die lk Paulusverkündigung in der Apostelgeschichte im Visier hat. Was in hellsten Farbtönen so verheißungsvoll begann (Lk 1-2), erfährt somit durch den zweiten Teil der Simeonweissagung eine erste dunkle Schattenseite.

VII. Konfrontation und Ablehnung Jesu Verkündigung in Nazaret (Lk 4,16-30) Die Nazaretperikope Lk 4,16-30 soll nicht für sich allein, sondern auf dem Hintergrund der Simeonweissagung Lk 2,29-35 interpretiert werden. Durch diese weiß der Leser bereits, daß das Christusgeschehen Widerspruch in Israel auslösen wird. Schon aus diesem Grund erhält das erste öffentliche Auftreten Jesu eine paradigmatische Bedeutung. Daß Lukas, dem ansonsten im Unterschied zu Matthäus ein eher »konservativer«1 Umgang mit der Abfolge seiner Markusvorlage bescheinigt werden kann, gerade an dieser Stelle vom markinischen Aufriß abweicht, verdient Beachtung. Unabhängig von der diffizilen Frage der Herkunft und Traditionsgeschichte2 muß mit Tannehill festgehalten werden: »It is Luke who 1 R. Bultmann, Synoptische Tradition, S. 387. 2 Daß trotz vielfältiger Eingriffe und Erweiterungen letztlich Mk 6,1-6 das Gerüst für die lk Nazaretperikope abgegeben hat, meinen u.a. R. Bultmann, a.a.O., S. 31; R.C. Tannehill, Mission, S. 51f; G. Schneider, Lukas I, S. 106f; J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 526£ Eine Kombination aus Q und Mk mit redaktionellen Erweiterungen vermutet u.a. U. Busse, Manifest, S. 113. Daß Q einen eigenständigen vormk »Bericht vom Anfang« gehabt habe, zu dem neben Lk 4,14f auch 16-30 zu zählen sei, glaubt H. Schürmann, Lukasevangelium I, S. 225ff; ders.: Traditionsgeschichte, S. 187-205; ders.: Bericht vom Anfang, S. 69-80, nachweisen zu können. Vgl. hierzu die Kritik von J. Delobel, Rédaction, S. 203223. Eine lk Sondertradition als Grundlage für Lk 4,16-30 nehmen an u.a. E Hahn, Hoheitstitel, S 394f; T. Schramm, Markus-Stoff, S. 37, und für eine Kombination aus Q und lk Sondergut spricht sich Ε Bovon, Lukas I, S. 207, aus. Wenn zu Recht davon auszugehen ist, daß Lukas das Markusevangelium als Vorlage gekannt und benutzt hat, so ist er auch mit der mk Nazaretperikope vertraut gewesen. Ein Vergleich mit Mk/Mt scheint zunächst zwar eher gegen eine Übernahme aus Mk 6,Iff zu sprechen; denn Matthäus stimmt in seiner Nazaretüberlieferung fast wörtlich mit Markus überein, während für die lk Version kennzeichnend ist, daß sie fast ständig von Mk/Mt abweicht. Auch in der Erzählrichtung, das wird die eigene Analyse zeigen, weicht Lukas deutlich von Mk/Mt ab. Aber weisen diese sprachlichen wie inhaltlichen Divergenzen schon notwendigerweise auf eine nicht-mk Vorlage (etwa Q mit/oder lk Sondergut) hin? Es könnte doch sein, daß Lukas seine Markusvorlage mit Einzellogien (z.B. V. 25-27) aus Q und/oder lk Sondergut derart kombiniert und in seinem Sinne theologisch weiter ausgestaltet, daß daraus eine völlig eigenständige Erzählung geworden ist, die nur noch von ferne ihre literarische Vorlage erahnen läßt. Insofern ist E Bovon, Lukas I, S. 208, zuzustimmen: »Gerade die Kompositionskunst des Lukas, die die Quelle(n) so umarbeitet, daß der Leser sie nicht mehr eindeutig erkennen kann, spricht für die Existenz einer Vorlage. Das ist das ständige Paradox«. Aber daraus muß nicht notwendigerweise folgen, Lk 4,16-30 Q und dem lk Sondergut zuzuweisen. Die

VII. Konfrontation und Ablehnung

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interrupted Mark's order in order to place this scene at the beginning of Jesus' ministry, and it is within the context of Luke's work as a whole that themes from this scene are developed and interpreted« 3 . Während also Mk 6,1-6 par Mt 13,54-58 Jesu Auftritt in Nazaret als eine von vielen Etappen seines Wirkens in Galiläa erzählt, setzt Lukas dieses Ereignis programmatisch an den Anfang. Zudem nimmt der von Lukas erzählte Auftritt Jesu in Nazaret einen äußerst dramatischen Ausgang, denn am Ende fühlen sich die Zuhörer in der Synagoge durch Jesu Worte derart provoziert, daß sie ihn sofort töten wollen. Auch diese Dramatik unterscheidet die lk Nazaretperikope deutlich von der mk/mt Parallele. Außerdem verschiebt sich das Motiv für Jesu Weggang aus Nazaret. Während der mk Jesus keine weiteren Wunder in Nazaret vollbringen kann, weil er abgelehnt wird (Mk 6,5a), wird der lk Jesus abgelehnt, weil er sich weigert, in Nazaret Wunder zu tun (Lk 4,23b). Die lk Erzählvariante der Nazaretperikope offenbart also einen deutlich anderen Erzählskopus. Für sich allein gedeutet, scheint sie in manchem rätselhaft, weil der lk Jesus seinen Anfangserfolg in der Synagoge zu Nazaret offenbar bewußt aufs Spiel setzt. Daher vermutet Fitzmyer, daß Lk 4,16-30 eine Vermischung zweier ursprünglich getrennter Geschichten ist: »Because Luke's narrative is a conflation, there is, on the one hand, the fulfillment-story ending on the note of Jesus' success; on the other, there is the rejection-story. As the episode now stands, there is a climatic buildup of popular reaction, but it takes place with conflicting reactions«4. A.H. Leaney zieht aus dieser Widersprüchlichkeit den resignativen Schluß: »It is not too much to say that Luke, in his desire to combine the narrative of a triumphant visit with a rejection, has given us an impossible story«5. Ist Lukas also mit seinem Versuch, zwei gegenläufige Geschichten zu kombinieren, gescheitert, so daß daraus eine letztlich unmögliche Geschichte wurde? Ein Einblick in die synchrone Textstruktur dieser Perikope soll hierüber Aufschluß geben.

eigene Analyse wird zu erweisen suchen, daß gerade die Art der redaktionellen Eingriffe und Veränderungen für Mk 6,1-6 als Grundgerüst der lk Nazaretperikope spricht. 3 Das sagt R.C. Tannehill in seinem 1972 erschienenen Aufsatz: »The Mission of Jesus according to Luke IV,16-30«, S. 51. Dieser Aufsatz ist schon insofern aufschluBreich, als bereits hier wesentliche Elemente seiner späteren narrativen Methode anklingen. Seine damaligen Ergebnisse zur lk Nazaretperikope haben kaum etwas von ihrem aktuellen Wert eingebüßt. 4 J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 528. 5 A.H. Leaney, Luke, S. 52.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

1. Außau und Struktur der Perikope

K. Berger bezeichnet Lk 4,16-30 als eine »paradigmatische biographische Erzählung«, denn »das Ergehen in der Vaterstadt wird zum Paradigma für alles Geschick Jesu, die Vaterstadt wird zum Bild für jede Polis«6. Aber eine solche Charakterisierung darf nicht die punktuellen Momente in dieser Erzählung übersehen, denn schon in Kapernaum wird Jesu Botschaft anders als in Nazaret auf breite Zustimmung stoßen (Lk 4,31ff), was die Nazaretperikope wiederum voraussetzt (V. 23). Die Ablehnung in Nazaret hat also bei aller Programmatik auch einen einmaligen Charakter, was auf bestimmte historische Anteile als Ursprung dieser Überlieferung hindeuten mag. Insofern kann in Anlehnung an R. Bultmanns7 Gattungsbestimmung durchaus von einem szenisch ausgeweiteten biographischen Apophthegma gesprochen werden, das Lukas aber im deutlichen Unterschied zur mk/mt Version sowohl quantitativ als auch qualitativ ausbaut. Zu Recht kann daher die lk Nazaretperikope auch als »Antrittspredigt«8 Jesu bezeichnet werden. Lk 4,16-30 läßt sich in die zwei Erzählblöcke V. 16-21[22] und V. 23-30 unterteilen, wobei dem V. 22 die Funktion einer Überleitung zukommt. Im Mittelpunkt beider Erzählteile steht jeweils eine längere Rede Jesu. Ihn präsentiert Lukas als den Hauptakteur seiner Erzählung. Die geschilderte Handlung basiert, so U. Busse, »auf dem Darstellungsprinzip der actio und der reactio: Jesus ergreift und behält im gesamten Handlungsverlauf die Initiative, auf die das Publikum reagiert«9. Auf die erste Rede Jesu, bestehend aus Prophetenlesung (V. 18f) und indirekter Selbstproklamation (V. 21), antworten die Zuhörer in der Synagoge noch mit mißverstehendem Wohlwollen (V. 22; s.u.), was somit die zweite Rede Jesu auslöst (V. 23-27). Auf diese zweite Rede jedoch reagieren die Synagogenbesucher mit offener Feindseligkeit (V. 28f). Durch Jesu souveränen Fortgang findet die lk Nazaretperikope schließlich ein unversöhnliches Ende (V. 30). Für die V. 16-20 läßt sich im Gefolge der Analyse J.S. Sikers10 zu dieser Perikope eine chiastische Erzählstruktur aufzeigen. Dadurch rückt das Jesajazitat (V. 18f) in den Mittelpunkt dieser Verse. Die weitere Ausle6 K. Berger, Formgeschichte, S. 352. 7 R. Bultmann, Synoptische Tradition, S. 26ff. 8 So F. Bovon, Lukas I, S. 204; E. Schweizer, Lukas, S. 55: »Jesu programmatische Antrittspredigt«. 9 U Busse, Manifest, S. 115. 10 J.S. Siker, Literary Analysis, S. 77. Vgl. D.L. Tiede, Prophecy, S. 35.

VII. Konfrontation und Ablehnung

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gung wird zeigen, daß in der angemessenen Deutung dieser prophetischen Aussage letztlich der entscheidende Streitpunkt zwischen dem lk Jesus und seinen Zuhörern liegen wird: A Β C D

(V. 16) καΐ ήλθεν ... εις τήν συναγωγην και άνέστη άναγνώναι (V. 17) και έπεδσθη αΰτω βφλίον και άναπτύξας τό βιβλΧον

E

(V. 18f) πνεΰμα κυρίου έπ' έμέ

D' C' Β' Α'

(V. 20) και πτύξας τό βφλίον άποδούς τ φ ύπηρέτ,η έκάθισεν κ α ι . . . έν t f j συναγωγή

Jesus kommt nach Nazaret in die Synagoge (A), steht auf, um zu lesen (Β). Es wird ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht (C), das er aufschlägt (D) und aus dem er vorliest (E). Nach der Lesung schließt er wieder das Buch (D'), reicht es dem Diener (C') und setzt sich hin (B') in der Synagoge (A'). Es fällt auf, wie detailliert Lukas diesen Vorgang schildert. Er erreicht durch dieses retardierende Erzählmoment eine sich zunehmend aufbauende Spannung, die zunächst auf das Jesajazitat (V. 18f) hinführt, sich dann aber gerade durch die detaillierte Schilderung der Lesebeendigung erneut zum Ende hin aufbaut und den Leser gebannt die Reaktion der Synagogenzuhörer erwarten läßt. Aber diese sind wie der Leser gespannt (άτενίζοντες) und lenken die Aufmerksamkeit erneut auf Jesus (V. 20b). Durch diese Erzähltechnik wird die Selbstproklamation Jesu zum eigentlichen Höhepunkt dieses ersten Erzählteils (V. 16-21). Daß die Erzählung auf V. 21 zuläuft, wird auch linguistisch erkennbar, indem Lukas hier erstmals das sich »monoton wiederholende parataktische καί«11 durchbricht und Jesu Selbstproklamation mit der Partikel δέ einleitet. Dieser Partikel bleibt fortan literarisch allein Jesus vorbehalten (V. 21.24.25.30) und markiert seine autoritative Distanz zur Synagogengemeinde. Insgesamt kann zunächst für V. 16-21 festgestellt werden, daß diese Verse in der vorliegenden Textform derartig kunstvoll zusammengestellt sind, daß von einer einheitlichen Endbearbeitung ausgegangen werden muß. Thematisch, etwa durch die Anknüpfung der prophetischen Geistsalbung (V. 18a) mit der Geisttaufe (Lk 3,22), verraten sie deutlich die Handschrift des Lukas12.

11 H. Schürmann, Lukas I,S. 231, Anm. 68. 12 Vgl. hierzu die ausführliche Wort- und Stilanalyse von R.C. Tannehill, Mission, & 63-73.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

Schwieriger ist allerdings die Analyse der Erzählstruktur der folgenden Verse. Schon Lk 4,22 ist kaum eindeutig zuzuordnen. Einerseits markiert er die Reaktion der Synagogenzuhörer auf Jesu Rede und Selbstproklamation, andererseits wird deren Reaktion nun ihrerseits zum Auslöser der zweiten Rede Jesu. Auch spricht die Grundstruktur von zweimaliger Rede Jesu (V. 18-21.23-27) und zweimaligem Reagieren der Synagogenzuhörer (V. 22.28f) für eine Zuordnung von V. 22 zum ersten Erzählteil. 13 Insgesamt wird man diesen Vers somit als Überleitung ansehen. Er hat die Funktion eines narrativen Scharniers zwischen dem ersten und zweiten Erzählteil. Der zweite Erzählteil (V. 23-30) ist deutlich weniger kunstvoll gestaltet als der erste. Das könnte darin begründet sein, daß Lukas hier verschiedene Einzellogien zusammenstellt. Bultmann attestiert Lukas sogar eine fehlerhafte redaktionelle Arbeit: »Daß V. 23 hinter V. 22 schlecht paßt, ist die Schuld des Komponisten Lk«14, und auch Fitzmyer sieht »the lack of smooth sutures between different parts of the story«15. Zudem wirkt die Verdoppelung der Einleitung zu V. 24 (άμήν λέγω ύμΐν) und V. 25-27 (έπ' άληθείας δέ λέγω ύμΐν) überladen. Auch die von Lukas noch gar nicht erzählte Erwähnung von Jesu Wundertätigkeit in Kapernaum und ihre Kombination mit den Sprichwörtern vom sich selbst heilenden Arzt und dem Schicksal des Propheten in V. 23f wirken auf den ersten Blick eher störend und verwirrend, als daß sich der Sinn dieser Zusammenstellung von selbst erschlösse. Trotz dieser diachronen Brüche und Spannungen im Text muß synchron nach der von Lukas intendierten Erzählrichtung gefragt werden. Formal wird Jesu zweite Rede (V. 23-27), die den Tötungsversuch der Synagogenzuhörer zur Folge hat (V. 28f), offensichtlich durch die erste Reaktion der Synagogenzuhörer ausgelöst. Darum kommt der Analyse von V. 22 eine entscheidende Bedeutung zu. Sie ist der Schlüssel zum Erzählganzen.

13 So auch H.J.B. Combrink, Structure, S. 28-30. Anders J.S. Siker, Literary Analysis, S. 79f, der V. 22 dem zweiten Teil der lk Nazareterzählung zuordnet. 14 R. Bultmann, Synoptische Tradition, S. 31, Anm. 2. 15 J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 528.

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2. Ein guter Ruf eilt Jesus voraus zur Funktion der summarischen Notiz (Lk 4,14f) Bevor der von Lukas erzählte Jesus nach Nazaret kommt, geht ihm bereits ein guter Ruf voraus. Der summarischen Notiz von Jesu Wirken in Galiläa (Lk 4,14; vgl. Mk 1,14-16) fügt Lukas kommentierend noch den Satz hinzu, daß Jesus aufgrund seiner Lehre »von allen gepriesen« wurde (Lk 4,15). Dieser grandiose Erfolg erhöht beim Leser die Spannung, wie nun Nazaret auf den einheimischen Sohn reagieren wird. Weshalb aber Lukas dieser Erfolgsnotiz zugleich das Wort von »ihren« Synagogen (V. 15) an die Seite stellt, ist schwer zu beurteilen. Selbst wenn dieser Ausdruck, wie Bovon16 vermutet, aus Mk 1,23 nach vorn gezogen worden ist, so hätte Lukas doch durchaus anders formulieren können. Dieser Kontrast erklärt sich vielmehr aus einem theologischen Interesse. Ähnlich wie später in der Apostelgeschichte von Tausenden von Christus-Anhängern unter den Juden Jerusalems die Rede sein wird (Act 2,41; 4,4; siehe Kap. V. 2.2.1.), so ist die Notiz Lk 4,15 vom Lehrerfolg Jesu in Galiläa sicherlich auch im Hinblick auf den Mißerfolg in Nazaret (V. 28-30) komponiert worden. Sie enthält in positiver Umkehrung das Sprichwort vom Propheten, der in seiner Heimatstadt nicht wohl gelitten ist (V. 24). Andererseits bekundet Lukas wie schon Markus in Mk 1,39 mit der Formulierung von »ihren« Synagogen sein eigenes distanziertes Verhältnis zur Synagogengemeinschaft, wie es sich dann wiederum in der Apostelgeschichte u.a. an der Formulierung »Synagoge der Juden« (Act 13,5; 14,1; 17,1.10) mehrfach und sich zunehmend verschärfend zeigt. Aber trotz dieser gewissen Ambivalenz blickt der Leser doch gespannt auf das, was in Nazaret geschehen wird. Sollte, was in der Ferne so überaus erfolgreich begann, nicht gerade auch in Nazaret möglich sein?

3. Jesu Auftritt in der Synagoge zu Nazaret - erste Szene (V. 16-22) Lukas stellt Jesus ausdrücklich als einen in Nazaret »Aufgezogenen« vor (ήν τεϋραμμένος V. 16; vgl. 2,39f). Wie seine Eltern, die ihr Leben vorbildlich »nach dem Gesetz des Herrn« ausrichten (Lk 2,39; vgl. 2,22-24), lebt auch Jesus »als frommer Jude mit guter Erziehung«17. Gemäß seiner Gewohnheit (κατά τό είωθός αύτω Lk 4,16) sucht er am Sabbat die Syn16 F. Bovon, Lukas I, S. 210. 17 Ebd.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

agoge auf. Auch die Tatsache, daß Jesus aus der Prophetenrolle liest, wird von Lukas nicht als ungewöhnlich vorgestellt. Die Frage, ob und inwiefern Jesu Verhalten historischen Gegebenheiten18 entspricht, ist in diesem Zusammenhang zweitrangig. Wesentlich bleibt allein, daß Lukas Jesus als einen frommen Juden zeichnen will. Darauf hebt seine Erzählung ab. Selbst die Tatsache, daß Jesus überhaupt das Prophetenwort auslegt (V. 21), wird für den Leser nicht als eine besondere Ausnahme oder gar als Anmaßung erkennbar, vielmehr folgen Lesung und Auslegung, so Lukas, gängigem jüdischem Ritus. 3.1. Lesung und Selbstproklamation Jesu (V. 18-21) Mit dem Auftritt Jesu in der Synagoge zu Nazaret tritt »das Programm der Lukanischen Christologie«19 deutlich zu Tage. Im Kontext der dieser Arbeit zugrunde liegenden Fragestellung ist zu untersuchen, welche Heilsausrichtung das Mischzitat Lk 4,18f aus Jes 61,f; 58,6 LXX publik macht. R. Albertz befürwortet ein universales Heilsverständnis dieses Jesajawortes. Es bestehe darin, »daß Lukas gerade die Textteile wegläßt, die ihn [d.i. Jes 61,If LXX] auf Israel und den Zion bezogen haben«20. Dazu zähle vor allem das Auslassen vom »Tag der Vergeltung« (ήμερα άνταποδόσεως Jes 61,2 LXX; vgl. indes Ähnliches zuvor in Lk 1,71.74): Lukas »will mit diesen Streichungen und Weglassungen die alttestamentliche Verheißung aus ihrer partikularen Beschränkung befreien, er will sie öffnen über das alte Gottesvolk hinaus«.21 18 Schon die Frage, ob es zu Jesu Lebzeiten überhaupt in Galiäa Synagogen gegeben hat, ist kaum positiv zu beantworten. Vgl. J. Becker, Jesus, S. 35f; E.W. u. W. Stegemann, Sozialgeschichte, S. 131f. Allgemeines zum Synagogengottesdienst damaliger Zeit siehe U. Busse, Nazaret-Manifest, S. 107-112; P. Billerbeck, Synagogengottesdienst. 19 H. Conzelmann, Mitte der Zeit, S. 94; vgl. M. Rese, Motive, S. 148; F.W. Horn, Glaube, S. 171-174. 20 R. Albertz, >Antrittspredigt< Jesu, S. 190. 21 Ebd. Albertz sieht den Einschub des Versteils aus Jes 58,6 LXX sozialethisch motiviert. Die Formulierung τεθραυσμένοι bezeichne weder Sünder (so M.Rese, Motive, S. 146) noch die von Dämonen Besessenen (so U. Busse, Manifest, S. 25; 34), »sondern eindeutig die wirtschaftlich Ruinierten« (R. Albertz, a.a.O., S. 197). Deshalb, so abschließend Albertz, a.a.O., S. 198, "will Lukas mit Hilfe des von ihm so gebildeten Mischzitats offenbar ganz bewußt Jesus programmatisch als messianischen Heilsbringer darstellen, der von Gott gerade zu den Menschen an der unteren Skala der menschlichen Gesellschaft gesandt wurde, zu den Armen, Gefangenen, chronisch Kranken und wirtschaftlich Ruinierten, und zwar zu allen Armen, innerhalb und außerhalb des alten Gottesvolkes Israel ohne jede Beschränkung«. Ähnlich auch J.A. Sanders, Isaiah 61 to Luke 4, S. 75-106, der in der Aufhebung eines allein israelzentrierten Heilsverständnisses den

VII. Konfrontation und Ablehnung

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Narrativ gelesen ist eine solche Deutung aber kaum möglich. Denn im Unterschied zu Lk 2,31f ist eine Ausdehnung des Heils auch auf die εθνη keineswegs klar ersichtlich. Das lk Jesajazitat Lk 4,18f enthält, für sich allein genommen, noch keine universale Heilsaussage. Erst aus V. 25-27 kann indirekt rückgeschlossen werden, daß die Selbstproklamation Jesu auch eine universale Heilsseite hat. Wenn Tannehill22 nunmehr das Adjektiv δεκτός in V. 19 von Act 10,35 her schon universal auslegt, so widerspricht er damit seiner eigenen methodischen Vorgabe, denn narrativ wird diese Universalität des Heilsgeschehens durch Jesu Verweis auf Elia und Elisa (Lk 4,25-27) nur verhalten angedeutet. Sie ist implizit in der Christologie mit enthalten. 3.2. Zustimmung und doch kein Verstehen die Reaktion der Zuhörer (V. 22) Jesu Zuhörerschaft hat also offensichtlich keine Schwierigkeiten damit, daß Jesus das jesajanische Heilswort, das er soeben verlesen hat, auf sich selbst bezieht (V. 21). Dieser Selbstproklamation Jesu als Heilsprophet können die Synagogenbesucher durchaus folgen. Deshalb ist die These kaum zutreffend, V. 21 enthalte bereits »Explosionsstoff«23. Daß Jesus das Jesajawort in seiner Person mit dem heutigen Tage (σήμερον V. 21b) als erfüllt ansieht, wird überhaupt nicht als Provokation aufgefaßt, denn solange sich Jesus den Seinen zuzuwenden bereit ist, wird er in Nazaret auch nicht auf Ablehnung stoßen. Insofern ist die umstrittene Deutung der in V. 22 beschriebenen Reaktion der Synagogenzuhörer im Grunde gar nicht so schwierig. Um eine Erzählkohärenz aufzuweisen, muß nicht wie von J. Jeremias μαρτυρεΐν αύτω als ein Dativus incommodi verstan-

entscheidenden Unterschied zwischen der Rezeption von Jes 61 in Qumran (11 Q Melch) und in Lk 4,18f sieht. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß im Unterschied zu Lk 4,18f im Bam 14,9 der Tag der Vergeltung aus Jes 61,2 wieder aufgenommen ist. Albertz, a.a.O., S. 191, Anm. 40, hat dafür die einleuchtende Erklärung, daß der Vf des Barn »nun wiederum für die christliche Kirche einen exklusiven Heilsanspruch gegen das Judentum geltend machen will«. 22 R . C Tannehill, Narrative Unity I, S. 71, macht zu Recht darauf aufmerksam, daß im Kontext des Act lOf erzählten Übergangs des Heils zu den εθνη Lukas nochmals auf die Nazaretperikope Bezug nimmt (Act 10,38). Aber selbst Tannehill, a.a.O., S. 72, stellt fest, daß erst im Kontext von Act 10,35 die Universalität des Jobeljahres (ένιαυτός κυρίου δεχτός Lk 4,19) offensichtlich wird. Es ist also keineswegs zwingend, daß Jesu Zuhörer das Jesajawort Lk 4,18f überhaupt universal verstehen sollen. 23 E Bovon, Lukas I, S. 212.

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den werden: sie zeugten gegen ihn 24 . Ob dieses Verb allerdings akklamativ im Sinne von »Beifall spenden« 25 interpretiert werden sollte, ist fraglich, doch letztlich nicht entscheidend. Zumindest bezeichnet μαρτυρεΐν neutral die Zeugenschaft. 26 Die Synagogenbesucher sind Zeugen der Selbstproklamation Jesu. Klar ist auch, daß sie ihn im Unterschied zu V. 28f nicht offen ablehnen. Also kann ihr Verhalten V. 22a durchaus als relative Zustimmung gedeutet werden. Darauf weist auch die Zeitstufe des Imperfekts hin: πάντες έμαρτύρουν αύτψ 27 (V. 22a). Aber Zustimmung heißt noch nicht Verstehen. Auch die Frage der Wiedergabe von θαυμάζειν - der Leser wird an Lk 2,18.33 erinnert - ist unter diesem Aspekt zu sehen. Wer dieses Verb im Sinne von »bewundern« übersetzt, muß auch den Satz »Ist dieser nicht ein Sohn Josefs« (V. 22b) als Ausdruck von Bewunderung verstehen. 28 Also entscheidet sich die Deutung des gesamten Verses letzlich am Verständnis der Frage der Synagogenzuhörer. Daß diese Frage ihr einziger wörtlicher Redebeitrag ist, dürfte kein Zufall sein, sondern ist deutlich literarische Absicht. Schon seit Anbeginn weiß der Leser, daß Jesus in Wahrheit der Sohn Gottes ist (Lk 1,32.35). Diese Gottessohnschaft ist mit Jesu Geisttaufe bestätigt worden (Lk 3,22), und der lk Jesus hat seine besondere Würde dem Satan eindrucksvoll demonstriert (Versuchungsgeschichte Lk 4,Iff). Die jesajanische Freudenbotschaft, die Jesus in der Synagoge zu Nazaret mit seinem Kommen für erfüllt erklärt, ist also die öffentliche Inkraftsetzung dessen, was bereits zuvor mit der Geisttaufe geschehen ist. Als Sohn Gottes kommt der von Lukas erzählte Jesus also nach Nazaret und tritt in der dortigen Synagoge sein prophetisches Heilsamt an. Insofern kann Jesus nicht der Sohn Josefs sein. Das erklärt auch die Differenz zur mk 24 J. Jeremias, Jesu Verheißung, S. 37-39. Jeremias sieht im Anschluß an K. Bornhäuser, Das Wirken des Christus, S. 59; B. Violet, Verständnis, S. 251-271, hier 255-258, das Auslassen des Rachetages als Anlaß zur negativen Reaktion der Synagogenzuhörer. Neben μαρτυρεΐν sei auch θαυμάζειν als Entrüstung negativ zu verstehen, so daß sich für Jeremias, a.a.O., S. 39, die folgende logische Erzählkohärenz ergibt: »Lk 4,22 enthält keinen Bruch in der Haltung der Hörer zu Jesus. Vielmehr ist von Anfang an einhellige Entrüstung ihre Antwort auf Jesu Predigt«. Zur Widerlegung dieser These Jeremias' siehe u.a. H. Anderson, Broadening Horizons, S. 266-270. 25 G. Schneider, Lukas I, S. 105: »Seine Rede fand bei allen Beifall«; ähnlich Ε Bovon, Lukas I, S. 206; J. Beutler, Art. μαρτυρέω Sp. 959; Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 999. 26 H. Strathmann, Art. μάρτυς S. 500: »μαρτυρεΐν bedeutet die Tätigkeit eines μάρτυς ausüben. Es bezeichnet auch im NT zunächst das auf unmittelbarer Kenntnis beruhende Bekunden oder Bestätigen irgendwelcher Tatsachen«. F.O. Fearghail, Rejection, S. 72, übersetzt: »And they all witnessed to him«. 27 J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 534, sieht in αύτφ ein Neutrum: acknowledged it. 28 B.J. Koet, Studies, S. 40f; J.S. Siker, Literary Analysis, S. 80.

VII. Konfrontation und Ablehnung

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Formulierung (ό υΙός της Μαρίας (Mk 6,3). Daß Maria die Mutter Jesu ist, gilt auch für die von Lukas vorausgesetzte Gottessohnschaft. Die Vaterschaft bestimmt also den Unterschied, ob in Jesus lediglich ein Mensch (vgl. Lk 3,23) oder zugleich der Sohn Gottes erkannt wird. Die Identifizierung Jesu über Josef anstelle von Maria ist ein deutlicher Aufweis jüdischen Nichtverstehens 29 (vgl. Joh 6,42). Der Leser kann also die Frage der Synagogenzuhörer mit einem eindeutigen Nein beantworten. Ihre Frage greift zu kurz. Sie haben Jesu Selbstanspruch offenkundig nicht verstanden. Ihre Rede kann darum nur im Sinne der zweiten Simeonweissagungshälfte (v.a. Lk 2,35b) als ein Zeichen nachteiliger Selbstoffenbarung aufgefaßt werden. Die Gedanken ihrer Herzen sind offenbar geworden. Ihr Unverständnis wird ihnen zum Gericht. Das Urteil über sie ist bereits indirekt ausgesprochen (s.u. zu V. 24.25-27).

4. Jesu zweite Rede und das dramatische Ende - zweite Szene (V. 23-30) Die nun einsetzende zweite Rede Jesu (V. 23-27) ist formal eine Antwort auf die Reaktion der Synagogenzuhörer. Der lk Jesus deutet das Verhalten seiner Zuhörer. Darin liegt eine Parallele zur zweiten Hälfte der Simeonweissagung, die ja auch erst durch die Reaktion der Eltern Jesu auf das erste Wort Simeons hervorgerufen wird. Das Staunen der Eltern Jesu korrespondiert mit dem Erstaunen der Zuhörer in der Synagoge zu Nazaret. Im Unterschied zu Lk 2,33 wird aber das θαυμάζειν Lk 4,22 durch die Frage nach Jesu Herkunft konkretisiert. Das Erstaunen bezeichnet hier also ein Mißverstehen.

4.1. Die implizite Forderung der Synagogenzuhörer: >Bekümmere dich um uns!< (V. 23) Die Synagogenzuhörer sehen in Jesus offensichtlich zuallererst den Sohn Josefs. Wenn sie der Selbstproklamation Jesu dennoch durchaus positiv gegenüberstehen, so zeigt das, daß sie in gewisser Weise bereit sind, ihn als Heilspropheten anzuerkennen. Dann soll er aber auch für sie Wunder 29 So auch R.C. Tannehill, Mission, S. 53: »The fact that Luke refers to Jesus as son of Joseph rather than son of Mary, as in Mark, is significant for Luke's understandig of the situation. Luke makes clear that in his view Jesus was not, properly speaking, the son of Joseph. So the question of the Nazarenes indicates their failure to understand who Jesus is«.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

tun und so sein besonderes Heilsamt unter Beweis stellen. Das zeigt Jesu Anspielung mit dem Sprichwort in V. 23b. Was Jesus mit der als bekannt eingeführten παραβολή vom Arzt, der sich selbst heilen soll, meint, erläutert er mit dem Hinweis auf seine Wundertätigkeit in Kapernaum. Daß Lukas zuvor von einer solchen Wundertätigkeit nichts berichtet hat30, sondern dies erst unmittelbar im Anschluß an die Nazaretperikope nachholt (Lk 4,31ff), weist auf Markus als Vorlage hin. Inhaltlich bewirkt dieser Hinweis auf die Wundertätigkeit in Kapernaum gegenüber Mk 6,Iff eine deutliche Verschiebung des Erzählskopus. Der mk Jesus heilt (έθεράπευσεν Mk 6,5) und tut Wunder in Nazaret, hat damit aber wenig Erfolg, so daß er über ihren Unglauben enttäuscht ist und verwundert (έθαΰμαζεν Mk 6,6) aus seiner Heimatstadt fortziehen muß. In der lk Nazaretperikope sind hingegen die Zuhörer über Jesu Lehre verwundert (έθαύμαζον Lk 4,22) und fordern, so folgert der lk Jesus, Heilwunder. Das vom ihm zitierte klassische Sprichwort31 ιατρέ, θεράπευσον σεαυτόν (V. 23a) heißt im Klartext: >Heile uns. Bekümmere dich zunächst einmal um die Menschen deiner Heimatstadtk Zugleich wirft diese Haltung schon ihre Schatten auf die Verspottung Jesu voraus. »Andere hat er gerettet; soll er sich doch selber retten, wenn er der Christus Gottes ist!« (Lk 23,35; vgl. V. 37.39: σώσον σεαυτόν). Hier wie dort fordert das Volk Wunder. Setzte man nunmehr die lk Synagogenzuhörer in die mk Nazaretperikope, so würde in Erfüllung gehen, was ihnen der von Lukas erzählte Jesus vorenthält, nämlich Heilwunder. Die lk Synagogenzuhörer und der mk Jesus würden gut miteinander harmonieren. Anders gesagt, die lk Synagogenzuhörer sind in der für sie falschen Geschichte. Gerade das ist, so paradox dies auf den ersten Blick aussehen mag, ein Hinweis auf Markus als Vorlage. Lukas hat somit aus Markus gelernt, daß man Wunder Jesu ohne Glauben an ihn annehmen kann, aber Wunder als solche noch keinen Glauben bewirken (Mk 6,5f). Diese Erfahrung wendet der lk Jesus auf die Zuhörer in Nazaret an. Er heilt also gar nicht erst, wo der rechte Glaube

30 Das Summarium Lk 4,14f dürfte nicht gemeint sein. So auch J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 535. Anders J.S. Siker, Literary Analysis, S. 81. Der Versuch R.C. Tannehills, Mission, S. 39, έρεΐτε wörtlich als »a prophecy of a later situation« anzusehen, ist unnötig. U. Busse, Manifest, S. 38: »Eine Fiktion, die zudem ein konkretes historisches Faktum wie die Machttaten in Kapharnaum impliziert, kann rhetorisch nur im Futur formuliert werden«. 31 Näheres zu Herkunft und Rezeption dieses Sprichwortes in der hellenistisch-römischen Literatur sowie im rabbinischen Judentum siehe J. Nolland, Classical and Rabbinic Parallels, S. 193-209; S.J. Noorda, Cure yourself S. 459-465.

VII. Konfrontation und Ablehnung

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an ihn fehlt (Lk 4,22). Damit ist der lk Jesus souveräner als der mk, der in Mk 6,5f gleichsam erst aus seinen Fehlern (!) lernen muß. 4.2. Die Regel vom Geschick des Propheten in seiner Heimatstadt (V. 24) Das geheime Begehren der Synagogenzuhörer ist nunmehr durch Jesus geoffenbart. Wenn er von sich behauptet, der in der Tradition Jesajas stehende Heilsprophet zu sein, dann muß er sich jetzt auch den Seinen durch Heilwunder zuwenden. Daß der von Lukas erzählte Jesus sich diesem Wunsch aber versagen wird, deutet sich schon durch die Formulierung είπεν δέ (V. 24aa) an. Diese Redundanz weist diachron auf die Übernahme eines in sich geschlossenen Einzellogions hin, das Lukas in Mk 6,4 gelesen hat32. Narrativ hingegen erscheint dieser Neueinsatz absichtsvoll, verstärkt er durch die Verwendung der Partikel δέ auch formal den Gegensatz zwischen Jesus und seinen Synagogenzuhörern. Daß Lukas zudem seine Aussage vom Geschick des Propheten in seiner Heimatstadt ausgerechnet mit dem von ihm sonst sparsam verwendeten άμήν λέγω ύμΐν (diff Mk 6,4)33 einleitet, erhöht die Aufmerksamkeit des Lesers nochmals und verleiht diesem Wort »den Charakter einer Sentenz von äußerster Wichtigkeit«34. Der Zielpunkt der lk Nazaretperikope ist erreicht. Daß der Prophet, der den Seinen versagt, was sie sich von ihm erhofft hatten, nun seinerseits abgelehnt werden wird, scheint nur natürlich. Zwar ist diese Ablehnung bislang noch nicht offen zutage getreten, aber schon die Frage, ob Jesus nicht ein Sohn Josefs sei (V. 22b), ist für den lk Jesus offenkundig der hinlängliche Beweis, daß von seinen Zuhörern nicht erkannt ist, wer er in Wahrheit ist, nämlich als eschatologischer Heilsprophet (Lk 4,18121b) zugleich auch der Sohn Gottes. Diese >Kurzsicht< auf Seiten seiner Zuhörer in Nazaret deutet der lk Jesus, darin gewissermaßen Mk 6,1-6 auslegend, schon vorwegnehmend als Ablehnung seiner Heilsmittlerschaft. Auf dieses Sprichwort läuft die Perikope also 32 Insofern ist Mk 6,4 Vorlage für Lk 4,24. Zur Traditionsgeschichte dieser »Volksweisheit« (Bultmann, Synoptische Tradition, S. 30, Anm. 2,) siehe R. Bultmann, a.a.O., S. 30f; J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 537; K. Berger / C Colpe, Religionsgeschichtliches Textbuch, S. 131£ 33 Außer Lk 4,24 nur noch Lk 12,37; 23,34 ohne Parallele bei Mk und Lk 18,17 par Mk 10,15; Lk 18,29 par Mk 10,29; Lk 21,32 par Mk 13,30. Mk hat hingegen dreizehn, Mt sogar einundreißig und Joh (doppeltes άμήν) fünfundzwanzig Vorkommen. Näheres zu dieser Formel siehe J.A. Fitzmyer, Luke I, S 536f; H.-W. Kuhn, Art. άμήν, Sp. 166-168; K. Berger, Amen-Worte, S. 88£ 34 U. Busse, Manifest, S. 40.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

zu. Sie könnte als Überschrift über der gesamten Perikope stehen. Allerdings steht die Aussage dieses Sprichwortes bislang eher allgemein im Raum. Die gegenüber Mk 6,4 (par Mt 13,57) veränderte Wortwahl des Sprichwortes verdient Beachtung. Durch die Abänderung von άτιμος in δεκτός 35 erzeugt Lukas ein Wortspiel mit ένιαυτόν κυρίου δεκτόν (V. 19). Tannehill merkt hierzu an: »In Nazareth Jesus announces >the Lord's acceptable (δεκτόν) yearWert< (aus Q: Lk 12,30 par Mt 6,32). Selbst die Gerichtsrede über Jerusalem Lk 21,20-24 entwirft noch kein heilvolles Bild von den εϋνη-Völkern, sondern offenbart vielmehr ihre göttliche Unheilsfunktion für Israel (Lk 21,24)4. Daß aber 3 Näheres siehe J. Becker, Jesus, S. 29£ 4 Die Formulierung άχρι ού πληρωθώσιν καιροί έθνών (Lk 21,24b) paraphrasiert J.A. Fitzmyer; Luke I, S. 1347: »until the triumph of the Romans over Jerusalem is complete. When the >end< of Jerusalem comes, the pagans take over«. Mit diesem Ausdruck kann also keine Heidenmission gemeint sein.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

dennoch die έθνη- Völker sogar unverzichtbar im Heilsplan Gottes werden, diese überraschende Einsicht kann aus der allegorisch gedeuteten Szene vom großen Gastmahl Lk 14,15-24 par Mt 22,1-10 (vgl. EvThom 64)5 erschlossen werden.

2. Der szenische Rahmen (Lk 14,1-24) Lukas stellt die Erzählung vom großen Gastmahl in den Kontext einer typisierten Mahlszene im Hause eines Pharisäers, der Jesus zum Essen eingeladen hat (Lk 14,1-24; vgl. Lk 7,36-50; ll,37-54). 6 Mit Ausnahme von Lk 14,1-6 entsprechen die weiteren Textabschnitte (V. 7-11; V. 12-14; [V. 15]7; V. 16-24) in ihrer Abfolge dem Grundmuster von Mahnung und eschatologischer Schlußrede (vgl. Mt 5-7; Rom 12f). Als Eröffnungsszene wird apophthegmatisch die Sabbatheilung eines Wassersüchtigen erzählt (Lk 14,1-6). Darauf aufbauend (s.u.) folgen die Verhaltensregel an die Gäste (V. 7-11), an den Gastgeber (V. 12-14) und schließlich die Erzählung vom großen Gastmahl (V. 15.16-24). Mit dem Drohwort Jesu, keiner der Eingeladenen werde am eschatologischen Heilsmahl teilnehmen (V. 24), endet die szenische Mahlzeit. Die Anschlußperikope (V. 25-35) signalisiert einen Ortswechsel, indem sie auch einen anderen Hörerkreis einführt (συνεπορεύοντο δέ αύτφ οχλοι πολλοί V. 25). Dennoch bleibt ein thematischer Bezug zum Vorhergehenden erkennbar, geht es doch nunmehr allgemein um die Bedingungen für Jesu Jüngerschaft und Nachfolge und somit letztlich wiederum um die Frage des Zutritts zum Reich Gottes. Noch deutlicher als zuvor richten sich diese Worte an den von Lukas intendierten Leserkreis, darunter speziell an wohlhabende Christen (vgl. bes. V. 33 und oben Kap. III. 3.3.3.)8. 5 Näheres zu ihrer Grundform und Oaditionsgeschichte siehe J. Becker, Jesus, S. 205f; W. Harnisch, Gleichniserzählungen, S. 230f£ Anders J.A. Fitzmyer, Lukas II, S. 1051; G. Schneider, Lukas I, S. 317. 6 R.C. Tannehill, Narrative Unity I, S. 170, weist diese Mahlszene einer "iypik zu, als deren Kennzeichen er nennt: »A type-scene is a basic situation which recurs several times within a narrative. Each occurence has a recognizably similar set of characteristics, sometimes highlighted by the repetition of key phrases, but this similarity permits even requires, if boredom is to be avoided new variations in the development of the scene«. 7 Das Scharnier V. 15 ist kaum eindeutig zuzuordnen. 8 R.C. Tannehill, Invitations, S. 1603-1616, hier: 1612ff, liest daher das gesamte Kapitel 14 sozialgeschichtlich als Mahnung an reiche Christen. Vgl. auch F.W. Horn, Glaube und Handeln, S. lOOf; 184-186; 1941

VIII. Das Haus muß voll werden

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Das narrative Leitmotiv in Lk 14,1-24 ist das Mahl, einmal als φαγεϊν άρτον (V. 1.15) und dann als δειπνον (V. 12.16.17.24) bezeichnet. J.O. York verweist anhand der Erzählfiguren auf die Typik des antiken Symposions: »The characters are typical of those found in the symposium genre: the master of the house, the guest of honor and main speaker, the invited guests, and the uninvited«9. Anhand einer Mahlszene im Hause eines wohlhabenen Pharisäers wird die Frage des Zutritts zum eschatologischen Heilsmahl thematisiert. Das Leitverb hierfür ist ab V. 7 καλεΐν. Es bestimmt allein schon quantitativ aufgrund seiner zwölf Vorkommen10 den Gang der Erzählung. Daß diese eschatologische Heilsfrage ausgerechnet im Hause eines wohlhabenden Pharisäers angesprochen wird, der zudem seinesgleichen zu Usch gebeten hat, ist kein Zufall, sondern von Lukas höchst absichtsvoll inszeniert: Die hergebrachten sozialen und Jesu bzw. Gottes Standards sollen kontrastiert werden. Jesus ist zu Gast bei einem Pharisäer, der ihn am Sabbat zum Essen eingeladen hat (Lk 14,1). Daß dieser Pharisäer zugleich als einer der »Obersten der Pharisäer« (τις των άρχόντων [των] Φαρισαίων V. 1) vorgestellt wird, ist schon ein erster Hinweis, daß die Frage des sozialen Status in dieser Erzählung von großer Bedeutung sein wird. Tannehill stellt zur Rolle des Gastgebers fest: »Since he is a >ruler< and is able to give a formal dinner party, the host is a person of high social rank and some wealth«11. Der Erzählduktus wird offenlegen, daß in dieser Perikope scheinbar mehr soziale als religiöse Fragen im Vordergrund stehen. Die Gesetzeslehrer und Pharisäer sind zwar gleich zu Beginn (V. 2-6) in ihrer religiösen Einstellung herausgefordert, aber die Sabbatheilung dient narrativ zur Vorbereitung der Frage ihres Sozialverhaltens, von dem letztlich auch ihre religiöse Glaubwürdigkeit abhängt (vgl. Lk ll,37ff). Auf dieser Einheit von richtiger religiöser Einstellung und gefordertem Sozialverhalten liegt der Schwerpunkt der Gesamterzählung. Gastgeber und Gäste gehören zu den gehobenen Kreisen in Israel. Man ist unter sich und hat seinesgleichen zu Tisch gebeten. Die Formulierung αύτοί ήσαν παρατηρούμενοι αυτόν (V. 1) verdeutlicht aber auch schon die Ambivalenz, die dieser Mahlgemeinschaft von Gesetzeslehrern und Pharisäern mit Jesus zugrunde liegt. Daß dieses Essen zudem an einem Sabbat stattfindet (diff Lk 7,36ff; ll,37ff), erhöht

9 J.O. York, The Last Shall Be the First, S. 134. Vgl. auch R . C Tannehill, Invitations; W. Brown, Feasting; J. Ernst, Gastmahlgespräche. 10 V. 7.8 (zweifach).9.10 (zweifach).12 (zweifach).13.16.17.24. 11 R.C. Tannehill, Inivitations, S. 1605.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

noch zusätzlich die Spannung, weiß der Leser doch bereits aus der Erzählung von der Sabbatheilung einer verdorrten Hand Lk 6,6-11, daß die Schriftgelehrten und Pharisäer »genau darauf achten« (παρατηρεΐν Lk 6,7 par Mk 3,2; vgl. Lk 20,20), ob Jesus - ihrer Meinung nach - gegen das Gebot der Sabbatruhe verstößt, indem er am Sabbat heilt (vgl. Lk 13,ΙΟΙ?). Die Erzählung ist also schon atmosphärisch deutlich auf Konfrontation hin angelegt. Jesus spielt in dieser Erzählung die Rolle des Ehrengastes und ist somit die Hauptperson. Nacheinander wendet er sich den übrigen drei Erzählcharakteren zu. Die Reihenfolge verdient hierbei Beachtung: zuerst der Wassersüchtige, dann die Gäste, bestehend aus Gesetzeslehrern und Pharisäern, und schließlich der Gastgeber. Dem Wassersüchtigen fällt in dieser Inszenierung die Rolle des ungebetenen Gastes zu. In dieser Rolle sprengt er - wie schon in Lk 7,37 die Sünderin - das soziale Gefüge der versammelten Gäste. Der Wassersüchtige verkörpert also den gesellschaftlichen Antipoden zu den Vornehmen in dieser Runde. Daß gerade ihm zuerst Jesu Zuwendung gilt, zeigt seinen hohen Stellenwert für Jesus auf. Er, der Letzte in der sozialen Skala, ist in den Augen Jesu der Erste (vgl. Lk 13,30). Der Wassersüchtige wird zum Paradigma für den in V. 13.21 als »Arme, Krüppel, Lahme, Blinde«12 bezeichneten Personenkreis, mithin also all derjenigen Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Gerade zu ihnen weiß der lk Jesus sich gesandt (vgl. Lk 5,31f; 19,10). Insofern braucht diese Sabbatheilung im Erzählkontext auch nicht befremdlich anzumuten13, sondern sie demonstriert, so York, eine erste Weichenstellung, die den weiteren Verlauf der Erzählung prägen wird: »The story presents the different attitudes taken by Jesus and the Pharisees toward social outcasts: Jesus wishes to heal the man; the Pharisees are more interested in the failure of Jesus to properly observe the Sabbath«14. Der Wassersüchtige bleibt also nicht ausgegrenzt, vielmehr läßt Jesus mit der Heilung an ihm schon deutlich werden, daß gerade auch die Randständigen einzuladen sind. Statt dessen aber beobachtet Jesus, wie sich die geladenen Gäste von ihm absetzen und ein jeder von ihnen den »Ehrenplätzen« (αί πρωτοκλισίαι V. 7; vgl. 20,46; 11,43) entgegenstrebt. 12 Die Vertauschung der beiden letzten Glieder χωλοί und τυφλοί von V. 13 zu V. 21 ist sachlich unbedeutend. 13 Diesen Eindruck erweckt J. Ernst, Gastmahlgespräche, S. 63: »Die Perikope enthält eine Heilungsgeschichte (14,1-6), welche die Mahlsituation nur voraussetzt, ohne sie thematisch auszuwerten«. 14 J.O. York, The Last, & 135.

VIII. Das Haus muß voll werden

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Diese Reaktion nimmt Jesus zum Anlaß, sowohl den Gästen (V. 7-11) als auch dem Gastgeber (V. 12-14) eine Lehre über rechtes Verhalten zu erteilen. Dabei geht es ihm - wie sich im weiteren Verlauf der Erzählung zeigen wird - um mehr als um (christliche) >Benimmregelndas Haus noch nicht fülltvorhervery best part< in Judaism«5. Daraus

1 R.L. Brawley, The Pharisees; ders., Conflict, S. 84-106, hier 105: »In Acts they legitimate the apostles, Paul, and Christianity. In Luke, they legitimate even Jesus«. 2 J.D. Kingsbury, The Pharisees, S. 1511. 3 J.T. Sanders, The Jews in Luke-Acts, S. 84-131. 4 J.T. Sanders, a.a.O., S. 96£ 5 J.T. Sanders, a.a.O., & 97.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

leitet Sanders dann insgesamt die Behauptung ab: »It was Luke's disgust with Jewish-Christians that led him to view all Jews so unfavourably« 6 . Wie kommt diese auffallende Divergenz in der lk Darstellung zustande? Einerseits wird speziell der lk Jesus mehrfach von Pharisäern zum Essen eingeladen (Lk 7,36; 11,37; 14,1), andererseits aber enden diese Mahlgemeinschaften im offenen Meinungsstreit, ja mitunter entsteht der Eindruck, als hätte Lukas diese Mahlszenen allein dazu entworfen, seinen Lesern solchen Dissens vorzuführen. Wie erklärt sich also dieses merkwürdige Beieinander von Nähe und Distanz?

1. Die Pharisäer als typisierte Vertreter der jüdischen

Führung

Analog zu Simeon, der für Lukas einen paradigmatisch frommen Juden darstellt, repräsentieren die Pharisäer die jüdisch-religiöse Führungsschicht. Oftmals treten sie im Verbund mit den Schriftgelehrten (οί γραμματείς) bzw. Gesetzeslehrern (νομικοί oder νομοδιδάσκαλοι) 7 auf. Mitunter sind Schriftgelehrte sogar nur Teilmengen der Pharisäer 8 (Act 5,34; 23,9). Aber selbst dort, wo Pharisäer und Schriftgelehrte jeweils für sich allein stehen, bleiben sie für Lukas letztlich austauschbare Größen. Im Vergleich zur Jesusrede Mt 23 an Schriftgelehrte und Pharisäer unterscheidet Lukas eine Redehälfte an die Pharisäer und eine zweite gesondert an die in der ersten mitgeschmähte Pharisäeruntergruppe der Gesetzeslehrer. Lukas subsumiert außerhalb der Passionstradition (s.u.) νομικοί bzw. γραμματείς in der Regel unter die Pharisäer. Das demonstriert besonders Lk 11,45 (vgl. 5,30 par Mk 2,16). Aber formal unterscheidet gerade Lukas, anders als Matthäus, ihr spezielles vom allgemeinen Profil der Pharisäer in Lk 11,37-52. Deshalb wird im folgenden auch nicht zwischen beiden Gruppen differenziert, sondern die Schriftgelehrten werden unter dem Oberbegriff Pharisäer gefaßt. Die Pharisäer sind nicht die einzige jüdische Führungsgruppe, aber ihnen mißt Lukas eine maßgebliche Rolle zu. Insofern repräsentieren sie pars pro toto insgesamt die religiöse Führungsschicht in Israel. Außer ihnen nennt das lk Erzählwerk noch die Gruppe der (Ältesten), Hohenpriester und Schriftgelehrten, mithin also οί πρώτοι τοΰ λαοΰ (Lk 19,47), 6 J.T. Sanders, a.a.O., S. 131 7 Sowohl νομοδιδάσκαλοι (Lk 5,17) wie auch νομικοί (Lk 11,45£52) ist Synonym für γραμματείς (Lk 5,21 bzw. 11,53). 8 Vgl. G. Baumbach, Art. γραμματεύς, Sp. 624£ Näheres allgemein zu Schriftgelehrten siehe E. Lohse, Umwelt des Neuen Testaments, S 82-86.

IX. Nähe und Distanz

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welche dann als Mitglieder des Synedrions gegen Jesus in Aktion treten. Auch wenn im Unterschied zu den Schriftgelehrten (Lk 9,22 par Mk 8,31; Lk 22,2.66) die Pharisäer im Zusammenhang der Passion Jesu nicht mehr explizit genannt werden9, so bedeutet dies angesichts der oben aufgezeigten terminologischen Verhältnisse keineswegs, daß Lukas die Pharisäer bewußt von einer Teilnahme ausnehmen will. Vielmehr folgt er nur seiner Traditionsvorlage, denn auch Markus läßt die Pharisäer in seinem Passionsbericht unerwähnt (so auch Matthäus 10 ; anders Joh 18,3), und für Lukas sind Schriftgelehrte, wie gesagt, in der Regel Pharisäer. Des weiteren sind die Sadduzäer zu nennen, die in Act 5,17 als Parteigänger des Hohenpriesters gelten. Ihr von Lukas gezeichnetes religiöses Profil reduziert sich allein auf die Ablehnung der Auferstehung (Lk 20,27). Sie werden von Lukas in Szene gesetzt, um mit ihnen den innerjüdischen Widerspruch gegen die Auferstehungshoffnung der Pharisäer zu identifizieren (Act 23,6-8). Wie schon aus der Analyse der Schlußperikope des lk Erzählwerkes Act 28 ersichtlich, eint gerade die Auferstehungshoffnung Pharisäer und Christen (s. Kap. IV. 2.). Damit ist auch schon ein erster Hinweis gegeben, inwieweit Lukas die Pharisäer positiv zeichnen kann. Insgesamt kann aus narrativer Interpretationsperspektive mit M.A. Powell festgestellt werden: »Luke is aware of the distinctions between these groups (Act 23,6-8), but, for the purposes of his narrative, their similarities far outweigh their differences: They are all >religious leaders< and they are all opposed to Jesus«11. In welchem Maße aber tatsächlich alle diese Gruppen unisono Gegner Jesu genannt werden können, bedarf an9 H. Conzelmann, Mitte der Zeit, S. 71: »Das Verschwinden der Pharisäer in der Passion fällt auf«. H. Flender, Heil und Geschichte, S. 99, schließt daraus: »Sie werden damit von der Schuld der Kreuzigung Jesu entlastet und stellen die Gruppe innerhalb der jüdischen Führung dar, die für die Christusbotschaft aufgeschlossen ist, wie am Beispiel Gamaliels gezeigt wird (Apg 5,34ff)«. Ein deutlich feindlicheres Porträt entwirft D.P. Moessner, Leaven of the Pharisees, der die Abwesenheit der Pharisäer im lk Passionsbericht damit zu erklären sucht, daß deren negativer Einfluß (Stichwort Sauerteig) auf das Volk, von Lukas ausführlich in den ersten zwei Dritteln seines Evangeliums vorbereitet, schließlich dazu führt, daß das Volk vor Pilatus Jesu Tod fordert. Die Saat der Pharisäer sei aufgegangen. 10 Einzige Ausnahme ist Mt 27,62, wo nach Jesu Tod die Pharisäer und die Hohenpriester Pilatus ersuchen, das Grab Jesu zu versiegeln. 11 M.A. Powell, Religious Leaders, S. 94. Vgl. auch die ausführliche Studie zum lukanischen Pharisäerbild von D.B. Gowler, Host. Seine methodische Herangehensweise nennt er »socio-narratological« (a.a.O., S. 9): »The primary thesis of a socio-narratological approach to biblical narratives is that dialogue is necessary between literary analyses and analyses of the cultural contexts in which the narratives were created.«

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

gesichts des komplexen Bildes, das Lukas von den Pharisäern zeichnet, der näheren Untersuchung.

2. Die Tür geöffnet, aber nicht das Herz die Einstellung der Pharisäer zu Jesus Für den Lukasleser ist klar, daß Jesus der Sohn Gottes und universale Heilsmessias Israels ist. Nicht nur Simeon besingt in dem Jesuskind die lang ersehnte Heilshoffnung auf die Erlösung Israels, sondern auch die Dämonen erkennen in Jesus den Heiligen und Sohn Gottes (Lk 4,34 par Mk 1,24; Lk 4,41). Ausdrücklich wird von Lukas festgehalten, daß sie »wissen«, daß Jesus der χριστός ist (V. 41). Wie schon bei Markus, so wendet sich auch der von Lukas gezeichnete Jesus vor allem den Kranken und Randständigen der Gesellschaft zu (z.B. Lk 4,31ff; 5,12ff). Programmatisch formuliert Lukas Jesu Sendung in den Worten: »Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist« (Lk 19,10)12, nicht zuletzt durch den Aufruf zur Umkehr (Lk 6,32). Jesu guter Ruf verbreitet sich schnell im ganzen Land, so daß von überall her die Menschen herbeiströmen, um ihn zu hören und von ihm geheilt zu werden (Lk 5,15). Das ruft nunmehr auch die Pharisäer und Schriftgelehrten auf den Plan. Erstmalig von Lukas erwähnt, läßt er sie wörtlich »aus jedem Dorf Galiläas, Judäas und Jerusalem« (Lk 5,17; vgl. Mk 3,22) herbeikommen. Lukas Vorliebe für große Zahlen und Mengen wird hier wieder von ihm als ein Stilmerkmal eingesetzt (vgl. Kap. V. 2.2.1.) und soll die Aufmerksamkeit des Lesers erhöhen. Was hier geschieht, ist keine Beiläufigkeit, sondern von wegweisender Bedeutung. In den Pharisäern ist die gesamte Führungsschicht Israels repräsentiert. Liegt es in der Konsequenz der dem Leser bereits bekannten Heilsautorität Jesu begründet, daß dieser als »Menschensohn die Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben« (Lk 5,24 par Mk 2,10), so sehen die Pharisäer (zumindest zunächst) darin eine Blasphemie, denn »wer außer Gott allein kann Sünden vergeben?« (Lk 5,21 par Mk 2,7). Der Schluß dieser Krankenheilung läßt den Leser darüber im unklaren, ob die Pharisäer am Ende mit in den Chor der Gott Lobsingenden einstimmen (εκστασις ελαβεν απαντας και έδόξαζον τον θεόν Lk 5,26a par Mk 2,12) oder ob sie mißtrauisch abseits stehen. Jesu Frage an die Pharisäer 12 Selbst wenn dieses Logion J. Jeremias, Sprache, S. 223, zufolge vorlukanisch sein sollte, ändert das aus narrativer Sicht nichts an der für Lukas programmatischen Bedeutung.

IX. Nähe und Distanz

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»Was denkt ihr in eurem Herzen?« (Lk 5,22b par Mk 2,8) nimmt synchron das Wort Simeons wieder aut der im Zusammenhang der Vorhersage der gegensätzlichen Reaktion auf das Heilskind vom Offenbarwerden von »Gedanken aus vielen Herzen« (Lk 2,35) sprach. Dieser Riickverweis sowie der weitere Erzählduktus lassen es irreal erscheinen, in den Pharisäern hier »begeisterte« (Lk 5,26) Anhänger Jesu zu sehen13. Dieser negative Eindruck wird in der nächsten Perikope bestätigt (Lk 5,27-32 par Mk 2,13-17). Wiederum treten die Pharisäer als Fragende in Erscheinung, diesmal eindeutig gegen Jesus und seine Jünger eingenommen: Die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten murren (γογγύζειν) über Jesu Mahlgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern (Lk 5,30). Wie schon oben in Kap. VIII. aus der Analyse der Mahlszene Lk 14,1-24 ersichtlich, denken und handeln die Pharisäer elitär. Wenn Jesus sich mit sozial Randständigen, mit »Sündern« (Lk 5,30.32), einläßt, verstößt er gewissermaßen gegen religiöses Standesrecht. Er scheidet aus, als einer der Ihren, der »Gerechten« (Lk 5,32), betrachtet zu werden. Somit wird nach dem Vorwurf der Blasphemie als zweites Jesu gesellschaftlicher Umgang abgelehnt. Als nächstes verstößt Jesus in den Augen der Pharisäer gegen den Sabbat (Lk 6,1-11 par Mk 2,23-3,6). Jetzt wird festgehalten, daß die Schriftgelehrten und Pharisäer regelrecht darauf aus sind, Gründe zur Anklage gegen Jesus zu finden (Lk 6,7 par Mk 3,2). Das Klima hat sich also beträchtlich verschlechtert, so daß, als Jesus seine Souveränität über den Sabbat (Lk 6,5 par Mk 2,28) dadurch unter Beweis stellt, daß er Gutes tut und Leben rettet (Lk 6,9 par Mk 3,4), sie »von Wut erfüllt sind und untereinander beraten, was sie gegen Jesus tun können« (Lk 6,11). Zwar kommt dies nicht dem mk Tötungsbeschluß gleich (Mk 3,6), aber dennoch steht auch für Lukas die Gegnerschaft der Pharisäer außer Frage. Zugleich muß betont werden, daß von einer abgrundtiefen Feindschaft nicht die Rede sein kann. Das entspräche wohl auch kaum der ansonsten zu beobachtenden Milde im Denken des Lukas: Obwohl der jüdische λαός selbst aktiv am Todesbeschluß Jesu mitwirkt (Lk 23,13ff), bereut er das, soweit und sobald er Jesu Sterben miterlebt (Lk 23,48; vgl. 18,13), ja kann dies später in der Apostelgeschichte wörtlich »Unkenntnis«, einem entschuldbaren Nichtwissen zugeschrieben werden, das selbst die Führer des Volkes von der Möglichkeit zur Umkehr nicht ausnimmt (Act 3,17-

13 Ähnlich kritisch auch J.D. Kingsbury, Pharisees, S. 1498ñ J.T. Carroll, Luke's Portrayal, S. 608 Anm. 17, führt stilistische Gründe an: »Any report of a divided audience here would diminish the impressive climax achieved by Jesus' word and action«.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

19)14. Aus solch einem versöhnlichen Blickwinkel heraus werden auch die Mahlgemeinschaften Jesu mit den Pharisäern verständlich. Sie stellen zwar gewiß kein freundliches Tête-à-tête dar, sondern sind durchaus mit z.T. scharfer Polemik durchsetzt, wie insbesondere die zweite Mahlszene (Lk ll,37ff) zeigt. Von den Pharisäern scheint ein für Jesu Jünger sogar gefährlicher Einfluß auszugehen: »Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das ist die Heuchelei« (Lk 12,1). Lukas denkt den Sauerteig der Pharisäer zwar nicht als Lehre, sondern nach Lk ll,37ff als Heuchelei, d.i. eine äußerliche Scheinfrömmigkeit (Lk ll,39f.44). Darum folgt auch in Lk 12,2f eine Rede über das Verborgene (Innere; vgl. Lk 11,39.[42]), das schließlich (im Endgericht, s. Lk 11,42 Gericht) offenbar werden wird. M.a.W., alle Heuchelei, Verstellung usw. wird von Gott schließlich entlarvt. Jesu Warnung (Lk 12,l.[2f]) verdeutlicht, daß solche Heuchelei keinen Bestand hat, schon gar nicht solche Menschenfurcht vor dem ewigen Tod (Lk 12,4f) bewahrt, sondern ihn heraufbeschwört (V. 8f). Die Heuchelei, die Jesu Jüngern naheliegt, ist nach Lk 12,2-12 also nicht die pharisäische, sondern die verlogene Verleugnung des Glaubens an Jesus in Verfolgungssituationen15; eine narrativ an Petrus (Lk 22,55-62; vgl. V. 31-34) als berechtigt erwiesene Warnung. Gerade weil bekanntermaßen den Pharisäern historisch gar nicht die Rolle zukommen kann 16 , die Lukas ihnen literarisch zuerkennt, muß die Polemik als ein Stilmittel, möglicherweise auf dem Hintergrund von Gemeindeerfahrung 17 , begriffen werden. Damit ist nicht gesagt, daß z.B. der Parabel vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9-14) kein Anhalt an der Verkündigung des historischen Jesus zugebilligt werden könnte 18 , aber es ist doch aus narrativer Sicht primär nach der literarischen Funktion solcher Erzählfiguren zu fragen 19 . In dieser Hinsicht vermittelt Lukas ein klares Bild. Die Zöllner und Sünder zeigen sich selbstkritisch-umkehrwillig (Lk 3,12; 18,13f) und daher auch offen für Jesus und seinen Bußruf (z.B. Lk 19,8), während die Pharisäer selbstgerecht und unbußfertig daherkom-

14 Unter diesem Aspekt ist auch das gegensätzliche Porträt von Synagogenvorstehern zu sehen. Während Jairus deutlich positiv gezeichnet wird (Lk 8,41 par Mk 5,22), zeigt Lukas einen anderen Synagogenvorsteher empört über Jesus (Lk 13,14). 15 Vgl. hierzu ausführlich und grundlegend W. Stegemann, Synagoge, S 40f£ 16 Vgl. hierzu D.A. Neale, None but the Sinners, S. 18-39; J. Becker, Jesus, S. 75f; G. Stemberger, Pharisäer; H.-F. Weiß, Art. Pharisäer. 17 So W. Stegemann, Synagoge. 18 Vgl. hierzu J. Becker, Jesus, S. 94f£ 19 Das ist Gegenstand der Untersuchung von D.A. Neale, None but the Sinners.

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IX. Nähe und Distanz

men (Lk 7,29f; 16,14f; 18,9ff). Der Leser weiß also stets, mit wem er sich zu identifizieren hat und wen es zu kritisieren gilt. Daß Lukas dabei Belange in der eigenen Gemeinde vor Augen hat, ist hinreichend erkannt20. So verstärken die Mahlgemeinschaften, die Jesus mit Pharisäern wie Zöllnern hält, dieses Kontrastprogramm. Der Freude über Zachäus als einen wahrhaft würdigen Sohn Abrahams (Lk 19,9b; vgl. »Tochter Abrahams« 13,16) stehen das Mißtrauen, sogar eine Geldverliebtheit (Lk 16,14) und die Selbstgerechtigkeit (V. 15) der Pharisäer gegenüber. Aber immerhin öffnen die Pharisäer Jesus ihr Haus. Zwar wird nirgends im Lukasevangelium erzählt, daß Pharisäer zu Anhängern Jesu geworden sind. Das widerspäche wohl auch ihrer negativen Typisierung. Dennoch können Pharisäer Jesus durchaus ernstgemeinte Fragen stellen (Lk 17,20), ja, sie warnen ihn sogar vor einem Anschlag des Herodes (Lk 13,31-33)21, so daß insgesamt der Eindruck entsteht, die Pharisäer sind zwar verblendet, aber doch nicht von Grund auf bösartig. Ihnen fehlt es an der wesentlichen Einsicht, daß Jesus nicht nur ein διδάσκαλος (Lk 7,40; 10,25) ist, sondern - wie Petrus bekennt - (χριστός του θεοΰ (Lk 9,20). Pointiert gesagt: Die Pharisäer öffnen Jesus ihr Haus zwar wie die Zöllner Levi und Zachäus, aber nicht ihr Herz.

3. Die Pharisäerdarstellung in der Apostelgeschichte Brücke zum Judentum?

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Wer ein positives Bild von den Pharisäern in Lk-Act sucht, ist vor allem auf die Apostelgeschichte verwiesen. So stellt U. Luz in seinem Artikel »Jesus und die Pharisäer« insgesamt für das NT fest: »Am positivsten kommen die Pharisäer bei Lukas, vor allem in der Apostelgeschichte, weg. Sie ... spielen in der Apostelgeschichte eine positive Rolle als Ver20 F.W. Horn, Glaube und Handeln. 21 Näheres hierzu M. Rese, Überlegungen; J. Becker, Jesus, S. 415f; R. Schnackenburg, Lk 13,31-33. Selbst J.T. Sanders, Jews in Luke-Acts, S. 86, beurteilt das Verhalten der Pharisäer an dieser Stelle als: »It is sincere«. Dennoch kann narrativ diese Stelle auch anders bewertet werden (vgl. D.B. Gowler, Host, S. 236-241): Zwar mag das Anliegen der Pharisäer durchaus ernst gemeint sein, aber es offenbart doch zugleich auch ihr Unverständnis, denn für den Leser ist bereits klar, daß Jesus leiden und sterben muß (Lk 9,22.44f). Insofern könnte die Warnung der Pharisäer vor Herodes auch als ein Versuch bewertet werden, Jesus von diesem vorgezeichneten Heilsweg abzubringen. Jedenfalls schlagen sie Jesus vor, wie sie zuerst an sich selbst und nicht, wie Jesu Antwort zeigt (Lk 13,32), an die denken, die seinen exorzierenden und heilenden Dienst benötigen (s. auch Lk 22,27).

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teidiger der Christen (5,34) und ihres Mitbruders Paulus (23,6ff.); manche sind auch zu Christen geworden (15,δ)«22·. In der Tat zeichnet Lukas in der Apostelgeschichte von ihnen ein deutlich freundlicheres Bild als noch in seinem Evangelium. Aus diesem Befund leitet Brawley in »LukeActs and the Jews: Conflict, Apology, and Conciliation« die These ab, daß die Pharisäer im lk Erzählwerk die Funktion hätten, die christliche Verkündigung, deren zentraler Inhalt die Hoffnung auf Auferstehung ist, theologisch gegenüber Juden zu legitimieren, die die Auferstehung (Jesu) bezweifelten. Innergemeindlich sei Lk-Act indes apologetisch ausgerichtet. Es gehe Lukas darum, Paulus vom judenchristlichen Vorwurf zu entlasten, ein jüdischer Glaubensapostat zu sein. Deshalb sei Paulus so überaus jüdisch gezeichnet. Zugleich sei dieser jüdisch eingefärbte Pharisäer Paulus (Act 23,6) eine Brücke für mögliche jüdische Glaubensinteressenten: »In Paul as a role model of a Pharisee become Christian, Luke seeks to arouse a sympathetic response among Jews and/or God-fearers who stand on the threshold of the faith, as well as among Jewish Christians already within the Church«23. Einer solchermaßen tendenzkritischen Ausrichtung schließt sich auch J.T. Carroll an, wenn er über die von Lukas gezeichneten Pharisäer abschließend urteilt: »They represent an important link connecting the Gentile church to its Jewish heritage. They serve to legitimate the Gentile Christian movement, whose hero is Paul, himself a Pharisee«24. Die oben vollzogene Bestimmung des von Lukas intendierten Leserkreises hat diesen als zumindest christlich orientiert ausgewiesen (s. Kap. III. 3.) und kann daher in Übereinstimmung mit Brawley gebracht werden. Es wird aber letzten Endes zu fragen sein: Aus welcher Erzählperspektive heraus zeichnet Lukas die Pharisäer, aus einer Position christlich hoffnungsvoller Nähe oder aus einer Position enttäuschter Nähe? Schaut er voraus, oder blickt er zurück?

22 U. Luz, Jesus und die Pharisäer, S. 232. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch G. Stemberger, Pharisäer, S. 33; L. Gaston, Anti-Judaism, S. 134-140. 23 R.L. Brawley, Conflict, S. 158. 24 J.T. Carroll, Luke's Portrayal of the Pharisees, S. 620. Ähnlich J.A. Ziesler, Luke and the Pharisees, S. 147: »Luke wished to demonstrate a certain continuity between Israel and the Church, which meant that it was important to show the Jewish party which believed in resurrection (and therefore represented enlightened Judaism at its best, i.e. nearest to Christianity) as on the whole friendly to the Church«.

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3.1. Gamaliel - ein gottesfürchtiger Pharisäer Daß Petrus und die Apostel dem Pharisäer Gamaliel ihr Leben verdanken, daran läßt die Apostelgeschichte keinen Zweifel. Die Mitglieder des Synedrions, dem auch Gamaliel angehört, sind nämlich über die christliche Büß- und Jesusverkündigung derart aufgebracht, daß sie den Wunsch hegen, die Apostel zu töten (Act 5,33). In diesem unrühmlichen Szenario spielen auch die Sadduzäer eine gewichtige Rolle. Sie sind an den Verhaftungen beteiligt (Act 4,1-3; 5,17f). Zentraler Streitpunkt ist für sie die christliche Lehre von der Auferstehung (Act 4,2). In ihren Augen stellt sie ein Ärgernis dar (διαπονεισθαι ebd.). Der Hohepriester und mit ihm die Sadduzäer sind »erfüllt von Eifersucht« (έπλήσθησαν ζήλου Act 5,17; vgl. 13,45!), die Mitglieder des Synedrions »ergrimmen« (Act 5,33). In dieser für die Apostel lebensbedrohlichen Lage kommt ihnen der Pharisäer und Gesetzeslehrer Gamaliel zur Hilfe. Sein hohes Ansehen im Volk (τίμιος παντί τψ λαω Act 5,34) verleiht seinen Worten entscheidendes Gewicht, so daß er die feindselige Stimmung zum Guten zu wenden vermag. Seine Worte (bes. V. 38f) erweisen ihn als einen gottesfürchtigen Juden. Auf keinen Fall dürfe das Synedrion so auftreten, als >kämpfe es gegen Gott< (θεομάχος Act 5,39). Gott selber nämlich werde, wie im Fall der falschen Propheten und Volksverführer Theudas und des Galiläers Judas, die Sache richten. Ist der christliche Glaube Menschenwerk, so wird er zugrunde gehen, seine Anhängerschaft zerstreut werden; ist er hingegen έκ -θεού, so wird er sich durchsetzen (V. 39). Also gelte es, die Sache allein Gott zu überlassen. Damit erweist sich Gamaliel als ein Jude, der auf Gottes Wirken vertraut. Gamaliel kann mit L. Gaston in gewisser Weise ein »Verteidiger der frühesten Jerusalemer Kirche«25 genannt werden, da er die Jerusalemer Hierarchen vor vorschnellen Sanktionen gegen sie bewahrt. Aber daraus darf nicht folgen, ihn zu einem Anhänger der christlichen Partei zu machen. Es wird nirgends gesagt, daß er Christ wird, daß er die Sache der Apostel vertritt. Auch sollte in ihm nicht ein christlicher Sympathisant gesehen werden. Gamaliel ist und bleibt, was er bereits zuvor war: ein kluger und wohlabwägender, frommer pharisäischer Jude. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Es ist schon beachtlich, daß Lukas einen pharisäischen Juden derart freundlich und frei von Polemik zeichnen kann. 25 L. Gaston, Anti-Judaism, S. 136: »It is not insignificant that the only Pharisee named in the NT is .... Rabban Gamaliel I, who was Paul's teacher (22,3) and the defender of the earliest Jerusalem church«.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

3.2. Paulus - der vorbildliche Pharisäerchrist Als der von Lukas erzählte Paulus nach der Verhaftung im Tempel zu seiner Verteidigung auf seine Vergangenheit zu sprechen kommt, verweist er mit Stolz darauf, ein Schüler Gamaliels gewesen zu sein (παρά τους πόδας Γαμαλιήλ πεπαιδευμένος Act 22,3). Mit besonderer Akribie sei er im Gesetz der Väter unterwiesen worden. Wie seine Hörer, seine jüdischen Glaubensbrüder, sei auch er ein ζηλωτής του θεοϋ (V. 3). In ähnlicher Weise verteidigt sich Paulus danach vor dem Synedrion (Act 23,Iff). In der Gegenwart sowohl von Pharisäern als auch von Sadduzäern ordnet er sich ohne Umschweife der ersten Gruppe zu: »Ich bin ein Pharisäer« (V. 6). Im Hintergrund steht wieder das Thema der Auferstehung. Diesen Erzählkontext gilt es zu beachten, denn er verdeutlicht, daß der jüdische Anknüpfungspunkt für seine christliche Identität im Pharisäismus liegt. Dort sind seine jüdischen Wurzeln. Wie schon der historische Paulus26 von sich selber sagen kann, er sei κατά νόμον Φαρισαΐος (Phil 3,5), so präsentiert sich der von Lukas erzählte Paulus, vor Agrippa auf seine Vergangenheit Bezug nehmend, sogar als ein überaus strenger und gesetzestreuer Pharisäer (Act 26,5). Wenn er zuvor seine pharisäische Identität sogar im Präsens bejaht (έγώ Φαρισαΐός είμι, υΙός Φαρισαίων Act 23,6), so ist dies einerseits ein Entgegenkommen an seine jüdisch-pharisäischen Glaubensbrüder und andererseits zugleich auch das Bekenntnis, daß wahre jüdische Identität post Christum Jesum einzig die pharisäisch-christliche sein kann. Gerade der Topos der Auferstehung müßte doch seine pharisäisch-jüdischen Glaubensbrüder von Jesus überzeugen. Paulus sucht sich also Verbündete im Synedrion in dieser für ihn lebensbedrohlichen Situation. Der von Lukas gezeichnete Paulus will sich gerade in seinem Christsein als wahrer Jude erweisen. Insofern kann zu Recht davon gesprochen werden, daß für Lukas der Pharisäismus die entscheidende Brücke vom Judentum zum Christentum darstellt, nämlich als jüdischer Propagator von Auferstehungshoffnung. Diese pharisäische Wurzel erweist und legimitiert den christlichen Glauben als wahrhaft jüdisch. Anschaulich formuliert Brawley: »Luke ushers the Pharisees right up to the portals of the Christian faith«27. Vom Pharisäismus zum christlichen Glauben scheint es insofern nur ein kleiner Schritt.

26 Zur pharisäischen Herkunft des Apostels Paulus siehe J. Becker, Paulus, S. 34f£ 27 R.L. Brawley, Conflict, S. 158.

IX. Nähe und Distanz

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3.3. Die Zurechtweisung anderer christlicher Pharisäer (Act 15,5ff) Ist Paulus für Lukas der christliche Musterpharisäer schlechthin, gewissermaßen also der christliche Idealtyp jüdischen Glaubens, so weiß Lukas doch auch noch von anderen christlichen Pharisäern zu sprechen. Sie verlangen für die nichtjüdischen Christen die Beschneidung (Act 15,1.5). Damit werden sie zum Auslöser der von Lukas erzählten Apostelversammlung (Act 15,Iff) 28 . Aber genau diese Einforderung der Beschneidung als Heilsmittel (vgl. V. 1) wird auf dem Apostelkonzil letztlich abgewiesen (V. 19f.28f). Zwar sollen vier Gebote der Reinheitstora 29 eingehalten werden (V. 20.29), aber diese werden nicht als Neuerung präsentiert, sondern das leitende Motiv für diesen Beschluß ist im Grunde ein seelsorgerliches, wenn selbst Jakobus sagt, man solle den Völkerchristen »keine Unruhe machen« (κρίνω μή παρενοχλεΐν Act 15,19). Jedenfalls wird die weitergehende Forderung nach Beschneidung eindeutig zurückgewiesen. Sie sei eine unnötige Last (V. 10.28)30. Somit ergibt sich das Kuriosum, daß, so G. Stemberger, »dies die einzige Stelle in der Apostelgeschichte [ist], wo Pharisäer Probleme machen, und da sind es zum Christentum gekommene Pharisäer« 31 . Ist dies ein Hinweis auf innergemeindliche Probleme? 32

4. Zusammenfassung und Ertrag Der Durchgang durch beide Teile des lk Erzählwerkes bestätigt den ersten Eindruck. Lukas entwirft ein komplexes Bild von den Pharisäern, das z.T. in sich widersprüchlich und nicht zu vereinheitlichen ist. Einer28 Zum historischen Hintergrund dieser Jerusalemer Apostelversammlung und seiner unterschiedlichen Darstellung Gal 2 und Act 15 siehe J. Becker, Paulus, S. 87ff; P.J. Achtemeier, Quest for Unity; D. Slingerland, Pauline Portions. 29 Zur Frage der sogenannten noachidischen Gebote siehe K. Müller, Tora für die Völker, S. 137ft 30 Daß der lk Paulus dennoch wenig später seinen Begleiter Timotheus beschneiden läßt (Act 16,3), geschieht ausdrücklich den Juden zuliebe und soll zeigen, daß Paulus nichts unversucht läßt, um sich in seinem Christsein als gläubiger Jude zu erweisen (s. auch später Act 21,20-26). 31 G. Stemberger, Pharisäer, S. 35. 32 J.T. Sanders, Jews, S. 84f£, leitet hieraus seine zentrale These ab, die negativ dargestellten Pharisäer repräsentierten für Lukas das Judenchristentum. Gegen solche Einseitigkeit wendet sich G. Stemberger, Pharisäer, S. 35: »Das heißt allerdings noch nicht, daß man bei Lk die Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern primär und prinzipiell auf noch am Gesetz festhaltende Judenchristen beziehen soll«.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

seits versteht gerade er es, dieser Gruppe ein positives Leseprofil zu geben, andererseits aber weiß auch er wie seine Seitenreferenten die Pharisäer in Gegnerschaft zu Jesus. Die Gründe für dieses ambivalente Porträt sind in der theologischen Nähe zu suchen, die Lukas zwischen dem christlichen Glauben und dem Pharisäismus sieht. Vor allem die Auferstehungshoffnung eine Pharisäer und Christen. Solche Nähe erklärt aber auch die Schärfe und die Polemik in der Darstellung dieser jüdischen Gruppe durch Lukas. Denn für ihn ist klar, daß im Horizont der Auferstehung Jesu wahrhaft pharisäischer Glaube einzig der christliche Glaube sein kann. Diesen Glaubensweg vertritt mustergültig der von Lukas erzählte Paulus. Seine Person verkörpert den idealtypischen Juden, der vom Pharisäismus her zum Glauben an Jesus Christus gekommen ist. Es scheint, so formuliert Brawley 33 anschaulich, insofern nur ein kleiner verheißungsvoller Schritt von den Stufen des Pharisäismus zum Erreichen des christlichen Glaubensportals. Dennoch sind Vorbehalte gegen ein insgesamt hoffnungsvoll ausgerichtetes Pharisäerbild angebracht. Nicht nur schildert Lukas die Bekehrung des Paulus dreimal keineswegs als kleinen Schritt (Act 9; 22; 26). Es gilt mehr noch, dieses Teilporträt der in sich schon sehr facettenreichen Pharisäer in das Gesamtkonzept des lukanischen Erzählwerkes einzuzeichnen. Eine erste Analyse von Act 28 kam hierbei zu dem Ergebnis, daß Lk-Act vom Ende her zu lesen ist (s. Kap. IV.). Somit stellt sich die Frage, wie sich die positive Zeichnung der Pharisäer insgesamt zur abschließenden Deutung von jüdischer Glaubensverweigerung als Verstokkung (Act 28) verhält. So gelesen, erscheinen selbst die positiven Aspekte des lk Pharisäerbildes in einem anderen Licht. Fraglos weist der von Lukas erzählte Paulus mustergültig den einzig legitimen jüdischen Glaubensweg, der zumal vom Pharisäismus 34 zum christlichen Glauben verläuft. Wer immer sich als Jude diesem Bekenntnis gegenüber verweigert und etwa Pharisäer oder Sadduzäer bleibt, erweist sich als verstockt. An diesem Punkt kennt Lukas keine Unterschiede innerhalb der verschiedenen jüdischen Gruppierungen. Allein das Bekenntnis zu Jesus Christus bestimmt für Juden die Legitimität ihres Glaubens.

33 R.L. Brawley, Conflict, S. 158. 34 In Act 6,7 sind christliche Priester erwähnt, die zuvor nicht Pharisäer gewesen sein müssen. Also auch Nicht-Pharisäer bekehren sich in Lk-Act.

X. Die Verheißung von Israel- und Völkermission der Schluß des Evangeliums (Lk 24) Das Schlußkapitel des von Lukas erzählten Evangeliums ist für den Gang der vorliegenden Untersuchung aus zweierlei Gründen wichtig. Formal ist erstens nach seiner narrativen Funktion im Aufriß des Gesamtwerkes Lk-Act zu fragen. In diesem Zusammenhang muß auch erörtert werden, inwiefern sich die Annahme der literarischen Einheitlichkeit des lk Doppelwerkes, von der bislang ausgegangen worden ist, bestätigt oder der Korrektur bedarf. Ist Lk-Act ein Buch in zwei Teilen, oder besteht dieses Werk aus zwei verschiedenen Büchern? Während Tannehill und Tyson schon durch ihre Vorgehensweise in den oben (Kap. III. 2.) vorgestellten Monographien die Einheit unterstreichen, hinterfragen Parsons/Pervo in ihrem 1993 erschienenen Buch »Rethinking the Unity of Luke and Acts« diesen Konsens. Sie führen u.a. die unterschiedliche stilistische Arbeitsweise, mit der Lukas in seinem Doppelwerk operiert, als Gegenargument an: »Can the same author produce two narratives which are distinct at the level of discourse?«1 Diesem Einwand kann u.a. schon mit M. Dibelius' Aufsatz »Stilkritisches zur Apostelgeschichte« aus dem Jahre 1923 begegnet werden: »Daß der Autor aber bei der Abfassung der Apostelgeschichte anders arbeitete, als er es früher am Evangelium getan, das hing mit der Art der Aufgabe zusammen, die er sich hier gestellt hat. Damals hatte er Vorgänger gehabt, deren Werke er benutzte und deren Technik, die Tradition zusammenzufügen, auch für seine überlegtere und pragmatischere Weise vorbildlich wurde; ja einer von ihnen, Markus, hatte sogar die Reihenfolge der lukanischen Erzählung zum guten Teil maßgebend bestimmt«2. Könnte, so wäre doch einmal zu fragen, hinter 1 M.C. Parsons / R.I. Pervo, Rethinking, S. 47. Anhand der Untersuchung der beiden Himmelfahrtsgeschichten Lk 24 und Act 1 vertreten sie sogar die These (a.a.O., & 62): »Lukas shows no indication of contemplating a second volume«. [Beachte: Mit »Lukas« bezeichnen die beiden Autoren den Verfasser von Lk-Act, »Luke« hingegen meint das Evangelium.] 2 M. Dibelius, Stilkritisches, S. 11. Zum Verhältnis Evangelium zur Apostelgeschichte vgl. G. Strecker, Literaturgeschichte, S. 234f; E. Pltimacher, Art. Apostelgeschichte, S. 483f, hier 484: Die Apostelgeschichte ist »kein Werk für sich und noch weniger nur die zweite Hälfte einer zu späterem Zeitpunkt geteilten Schrift, sondern das von vornherein als solches geplante zweite Buch eines zweigeteilten Geschichtswerkes, dessen erster Teil das Lk ist«.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

der Abfassung des Lukasevangeliums nicht der Versuch stehen, das der Gemeinde vorliegende Markusevangelium (vgl. Kap. V. 1.) als >heilige< Grundschrift abzulösen? Solcherlei Vermutung fände z.B. im auffallend behutsamen Umgang des Lukas mit dem Aufriß seiner Markusvorlage einen Anhaltspunkt. Aus synchroner Sicht wäre erst ein erkennbar unterschiedlicher Adressat beider 1k Erzählteile ein gravierender Einwand gegen ein einheitliches Lesen. Aber der ist nicht auszumachen. Schon die Voranstellung des Theophilus als ersten und einzigen namentlich genannten Lesers sowohl im Evangelium wie in der Apostelgeschichte deutet literarisch auf denselben intendierten Leserkreis. Die Frage der Einheitlichkeit von Lk-Act stellt sich zweitens in der vorliegenden Arbeit vor allem thematisch und somit abhängig vom Erzählinhalt: Wie verhalten sich im Lukasevangelium diesbezüglich Erzählanfang und Erzählende zueinander? Was hat Lukas bislang von seinem universalen Heilsprogramm umgesetzt? Daß die εθνη-Völker zum Heilsvolk dazugehören, ist dem Leser seit der Simeonweissagung klar. Aber bis jetzt sind sie noch nicht eigenständig als Heilsadressaten angeredet worden. Jesu Heilsverkündigung richtet sich im Lukasevangelium nämlich fast ausschließlich an Israel (vgl. Kap. VIII. 1.). Die εθνη-Völker sind außerhalb der Simeonweissagung bisher im wörtlichen Sinne kaum mehr als eine Randerscheinung und werden hauptsächlich in ihrer Gerichtsfunktion an Israel wahrgenommen (Lk 13,23ff; 14,24). Bildlich gesprochen: Die εθνη-Völker stehen bereit, aber ihre Heilsstunde hat noch nicht geschlagen. Lukas begreift das Heilsgeschehen als eine zentrifugale Bewegung, die er literarisch als eine lineare Abfolge von Gottes planvoller Heilsgeschichte umsetzt. Aus der Mitte Israels kommt das Heil, das zuerst Israel und dann in einem zweiten Schritt auch die Völker erreicht. Dieser zweite Schritt ist bislang nur präludiert, aber - auch in Lk 8,26-39 par Mk 5,1-20 - noch nicht nachhaltig vollzogen worden. Von ihm wird die Apostelgeschichte handeln. Um so wichtiger ist es, zu untersuchen, wie Lukas diesen Übergang von der Israelmission zur Völkermission im Schlußkapitel seines Evangeliums thematisch vorbereitet.

1. Aufbau und Struktur der

Perikope

Lukas wertet die Auferstehung, indem er sie ή έλπίς τοϋ 'Ισραήλ nennt (Act 28,20; vgl. Kap. IV. 2.2.), als Zentrum des jüdischen Glaubens. Diese Hoffnung ist das christliche Bindeglied zu biblisch-jüdischer Verheißung und zugleich die Grundlage des christlichen Glaubens. Deshalb verwen-

X. Die Verheißung von Israel- und Völkermission

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det er große Anstrengung darauf dieses Thema breit zu entfalten und seiner christlich orientierten Leserschaft näherzubringen. In dieser Funktion ist Lk 24 zu sehen. Von allen drei Synoptikern beschäftigt sich Lukas am ausführlichsten mit dem Ostertheologumenon. Das zeigt, wie wichtig ihm dieses Thema ist. Lukas reiht nun nicht einfach wahllos mehrere Ostergeschichten aneinander, sondern er folgt einem Erzählplan. An die Verkündigung des Ostergeschehens (V. 1-12) schließt sich die Emmausgeschichte an (V. 13-35), ein Abschnitt, in dem die Auferstehung Jesu als Hoffnung Israels dargestellt wird. Darauf aufbauend wird in der Erscheinung Jesu vor den Jüngern in Jerusalem (V. 36-49) die Universalität dieser Israelhoffnung proklamiert, bevor Jesus dann in den Himmel entrückt wird (V. 50-53). Der Erzählschluß ist im Unterschied zu Mt 28 offen gehalten, denn den Jüngern wird ausdrücklich geboten zu warten, bis die Geistausgießung, die >Bekleidung mit Kraft aus der Höhe< (V. 49) erfolgt. Das ist ein weiterer Hinweis darauf, im jetzt vorliegenden Evangeliumsschluß nur das bewußt gestaltete vorläufige Ende, den Halbschluß des lk Erzählwerkes zu sehen. Die kataphorische Spannung, die sich im Schlußkapitel kontinuierlich szenisch aufbaut, wird am Ende nicht gelöst, sondern bleibt erhalten. Die Sendung der Zeugen ist zwar ausgesprochen, aber sie wird noch nicht ausgeführt. Das bleibt der Erzählung der Apostelgeschichte vorbehalten.

2. Das göttliche δει von Kreuz und Auferstehung Jesu das leere Grab (V. 1-12) Lukas gestaltet seine Erzählung vom leeren Grab zwar nach der Markusvorlage Mk 16,1-8, aber er nimmt doch einige gewichtige redaktionelle Veränderungen vor,3 von denen vor allem eine für unseren Thertienbereich von Interesse ist. Der lk Verweis auf Galiläa Lk 24,6 ist im Unterschied zu Mk 16,7 kein Hinweis auf zukünftige Begegnung mit Jesus, sondern ein Rückverweis auf sein irdisches Wirken in Galiläa, und den Osterzeugen sollen in Lk 24,7 Jesu Leidensankündigungen aus Lk 9,22.44; 18,31-33 wieder in Erinnerung gerufen werden: »Der Menschensohn muß in die Hände sündiger Menschen ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen« (Lk 24,7 diff Mk 16,6f). Mit der Vokabel δεΐν (Lk 24,7.26 [Impf!]; vgl. 9,22) ist der Topos benannt, der 3 So verlagert er alle Ostergeschichten auf einen einzigen Tag und lokalisiert sie in (und um) Jerusalem. Näheres zum Vergleich zu Mk siehe J.A. Fitzmyer, Luke II, S. 1533f£

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

den weiteren Erzählverlauf maßgeblich bestimmt: Jesu Tod und Auferstehung erfolgen nämlich in Erfüllung eines göttlichen Heilsplanes. Mehr wird in Lk 24,7 noch nicht gesagt. Eine weitere Begründung unterbleibt. Sie wird erst in der Emmausgeschichte nachgereicht: Das Geschick Jesu ist nämlich aus der Schrift zu erschließen (V. 25-27; vgl. 44ff). Die ersten Osterzeugen bräuchten sich doch nur an Jesu eigene Worte zu erinnern, denn er selbst hatte sie mehrfach (Lk 9,22.44; 18,31-33) auf das göttliche Muß seines künftigen Leidens hingewiesen. Aber ähnlich wie die Jünger schon damals in Galiläa und später auf dem Weg nach Jerusalem Jesu Worte nicht verstanden (Lk 9,45; 18,34), so ist auch jetzt schwerlich im Sich-Erinnern der Frauen in Lk 24,8 ein zustimmendes Verstehen zu sehen. Auf jeden Fall stoßen sie mit ihrem Bericht bei den »Aposteln«4 (V. lOf) auf große Skepsis: Die Apostel halten ihn im Grunde für »Geschwätz«5 (V. 11). Selbst Petrus, der sich nunmehr auf den Weg zum Grab macht, kehrt voller Verwunderung zurück (V. 126), ohne zu verstehen (vgl. V. 24f). Es genügt also offensichtlich noch nicht, das leere Grab zu sehen, auch nicht, an Jesu Leidens- und Auferstehungsankündigungen erinnert zu werden, um von der Wirklichkeit der Auferstehung Jesu überzeugt zu werden. Skepsis und Ratlosigkeit bleiben. Es bedarf eines weiteren Lernprozesses.

3. Die Auferstehung Jesu ist die Hoffnung Israels die narrative Funktion der Emmausperikope (V. 13-35) Die Emmauserzählung schließt emotional an die Stimmung der ersten Osterzeugen an. Diese Kenntnis vom leeren Grab (V. 22-24) beläßt die beiden Emmausjünger mit »Trauer« (σκυθρωποί V. 17), verwirrt sie allenfalls (V. 22). Narrativ hat die Szene von der Wegstrecke nach Emmaus (V. 13-27)7 die Funktion, einen Klärungsprozeß darüber herbeizuführen, 4 Näheres zum lk Apostelbegriff siehe Kap. XIV.3.2.3. 5 Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 960, übersetzen λήρος mit »dummes Zeug, Narrenrede«. 6 Zu Frage der Zugehörigkeit dieses Verses zum Originaltext siehe J.A. Fitzmyer, Luke II, S 1542; R.J. Dillon, Eye-Witnesses, S 59f£ Zum Problem der sogenannten non-Western interpolations siehe J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 130-132. 7 Zumeist werden diachron in der Emmausperikope die V. 13.15b.[16] 28-31 als vorlukanisch eingestuft, so u.a. Ρ Schubert, Structure, S. 174f; U. Wilckens, Auferstehung, S. 56; M. Dömer, Heil Gottes, S. 74; J. Wanke, Brotbrechen, S. 180f; ders., Emmauserzählung. Daraus folgt, die V. 17-27 als lukanische Bildung anzusehen. Demgegenüber glaubt F. Hahn, Hoheitstitel, S. 388, Anm. 1, »daß die Erzählung V. 13-35 dem Evangelisten im

X. Die Verheißung von Israel- und Völkermission

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worin die Hoffnung Israels besteht bzw. bestehen sollte. Gerade an dieser Stelle von Lk-Act wird die didaktische Seite des Erzählstoffes erkennbar. Die Notwendigkeit von Jesu Tod und Auferstehung ist bereits durch V. 7 vorbereitet. Lukas schafft nunmehr eine rhetorische Gesprächssituation, die diesen Themenbereich als Hoffnung Israels darstellt. In den Emmausjüngern spiegelt sich ein Heilsverständnis, das in Jesus lediglich eine politisch-messianische Heilsfigur sieht (V. 21 λυτροϋσϋαι τον Ισραήλ). Damit ist eine Brücke geschlagen zum Beginn des lk Erzählwerkes, wo die Stimmung der beiden Eingangskapitel deutlich von ebensolcher Hoffnung auf eine politisch-messianische »Erlösung« geprägt ist (λύτρωσις Lk 1,68; 2,38). Diese Erwartungshaltung greift Lukas zum Ende seines Evangeliums wieder auf. Die Emmausjünger sind nun die Repräsentanten solch jüdisch-messianischen Hoffens. Lukas ermöglicht diesen Klärungsprozeß, indem er, so Tannehill8, eine ironische Gesprächssituation herstellt: Die Emmausjünger informieren Jesus über Jesus. Sie tadeln Jesus der Unkenntnis (V. 18), wo doch gerade sie es sind, die nicht verstehen. Sie sehen in Jesus ähnlich wie einst die Nazarener (Lk 4,24-27) und die Volksmassen (Lk 9,19) lediglich einen »Propheten, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk« (V. 19b). Dieses Verständnis entspricht in Lk 13,33(ff) sogar der Selbstaussage Jesu. Insofern ist diese Titulierung nicht grundfalsch (vgl. die Moses-Jesus-Typologie Act 3,21ff; 7,37)9. Solchermaßen aber allein in der prophetischen Tradition Israels verortet, muß dann Jesu Kreuzestod logisch als das Ende der Hoffnung Israels auf »Erlösung« erscheinen (Lk 24,21). Diese Hoffnungen, die in diesen Propheten Jesus gesetzt wurden, sind offenkundig enttäuscht. Das verdeutlicht das Imperfekt ήλπίζομεν in V. 21. Daß Lukas Jesu Tod nicht als »Erlösung« (vgl. hingegen λύτρον Mk 10,45; s. auch άπολύιρωσις Rom 3,24) bezeichnet, könnte darin seine Ursache haben, daß er diesen Terminus politisch-messianisch versteht. Lukas verwendet das Nomen λΰτρωσις (Lk 1,68; 2,38) bzw. das Verb wesentlichen bereits vorgelegen habe«. Narrativ gelesen zeigt sich hingegen, wie sehr die V. 13-35 von lukanischen Theologumena und Motiven durchsetzt sind. Die Handschrift des Lukas ist auffallend spürbar. Allgemein ist auch bei einer diachronen Interpration von Lk 24 darauf zu achten, dieses Kapitel stets in den Gesamtkontext des lk Erzählwerkes einzubinden, zumal zu großen Textpassagen wie der Emmausgeschichte die unmittelbaren textlichen Vergleichspunkte fehlen, die jeweilige diachrone Auslegung somit hypothetisch bleiben muß. 8 R.C. Tannehill, Narrative Unity I, S. 282ñ 9 Vgl. G. Nebe, Prophetische Züge, S. 85ff, der dieses Prophetenverständnis literarisch als eine »>vorösterliche< Jüngermeinung« kennzeichnet.

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λυτροΰσθαι (Lk 24,21) allein auf Israel bezogen, m.a.W., er versteht »die Erlösung noch recht urspr. im Lichte jüd. Erwartungen als ein heilsgeschichtlich-politisches Geschehen«10. Daraus ist aber nicht zu schließen, Lukas wolle diesen Glaubenstopos gänzlich für obsolet erklären. Lukas negiert nicht, er transformiert ihn. Die Heilshoffnung Israels meint kein politisch-irdisches Endreich mehr (vgl. Act 1,6-8), etwa in Form der Befreiung von den Römern, sondern besteht nun in Wahrheit in der Hoffnung auf die Auferstehung zu ewigem Heil (vgl. Lk 14,14; 16,22f; Act 24,15; s. auch Lk 12,5). Diese ist nunmehr mit Jesus Wirklichkeit geworden. Das verständlich zu machen, ist das Anliegen der Emmausperikope; dieses Hoffen geht mit einer Universalisierung des Heils einher (Lk 24,47). Aber davon ist in der Emmausperikope noch nicht die Rede. Sie verbleibt sozusagen im Kontext einer reinen Israelrede. Entscheidend ist dementsprechend der Hinweis auf die Schrift (V. 25-27). Mit Conzelmann kann gesagt werden, daß in V. 26f »der Erweis des >Muß< geradezu zum Skopus der Auferstehungsgeschichte«11 wird. Das leere Grab ist für sich allein noch keine Erfahrung, die der alten Hoffnung Israels auf Erlösung neuen Sinn erschließt. Vielmehr gehört solches für die Emmausjünger in V. 21b-24 noch zum Erfahrungsbereich enttäuschter hergebrachter Hoffnung. Das Begreifen der recht verstandenen Hoffnung Israels bedarf vor allem der angemessenen Schriftauslegung. Aus der Schrift wird Jesus als der notwendig »leidende Messias«12 erwiesen, der ebenso notwendig mit seiner Auferstehung in die Herrlichkeit Gottes 13 eingeht (V. 26.46). Die ganze Schrift von »Moses14 und allen Propheten« an zeugt von ihm (V. 27; vgl. V. 32). Wer nun aber darüber hinausgehend genauere Hinweise auf bestimmte Schriftzitate erwartet, sieht sich enttäuscht. Es kommt Lukas an dieser Stelle wie auch in V. 44ff nicht darauf an, gezielt be-

10 Κ. Kertelge, Art. λύτρον, Sp. 905. 11 H. Conzelmann, Mitte der Zeit, S. 143, Anm. 3. 12 Mit der Substitution von υίός τοϋ άνθρώπου in χριστός schafft Lukas hier ein Theologumenon, das im NT nur ihm zu eigen ist, wie J.A. Fitzmyer, Luke II, S. 1565, herausstreicht: »The notion of a suffering Messiah is not found in the OT or in any texts of pre-Christian Judaism«. 13 Auf dieses Erzählmotiv in V. 26 macht R.C. Tannehill, Narrative Unity I, S. 284 aufmerksam, der darin eine bewußte Hinführung auf die Apostelgeschichte sieht: »Tlie interest is not just in the resurrection but in Jesus' entry into a new status, which involves becoming >head of the corner< or sitting at the right hand of God, thereby sharing in God's power and glory as messianic king. Peter will proclaim that this happened in Acts 2,30-36. Thus Luke 24,26 combines Jesus' prophecies of the suffering and resurrection of the Son of Man with prophecies of Jesus' exaltation«. 14 Damit ist das Gesetz, die Tora gemeint.

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stimmte biblische Textpassagen heranzuziehen. Vielmehr ist ihm entscheidend, zu dokumentieren, daß die ganze Schrift den Christus auf Jesus und sein Geschick verweist. Ähnlich thetisch verfährt Lukas auch in der Simeonweissagung. Dort wird die Universalität des in Jesus erscheinenden Heils nicht mit biblischen Zitaten begründet, sondern lediglich als Erfüllung alter Israelhoffnung proklamiert (Lk 2,26.29f). Daß eine detailliertere biblische Begründung unterbleibt, ist narrativ nicht als ein Ausdruck von Mangel zu werten. Offensichtlich genügt es Lukas in Lk 24,25-27.44ff, Jesus bloß behaupten zu lassen, daß alle auf ihn bezüglichen biblischen Weissagungen in seinem Geschick erfüllt werden mußten. Insofern kann durchaus mit Fitzmyer davon gesprochen werden, daß Lukas zum Vorbild eines »späteren globalen christlichen Gesamtverständnisses des AT als einer praeparatio evangelica«15 wird. Daß Lukas aber auch Schrifterfüllung mit biblischen Zitaten demonstrieren kann, zeigt er nicht nur in der Täuferverkündigung Lk 3,4-6 und in der Nazaretperikope Lk 4,18ff, sondern vor allem auch in einigen Redepassagen der Apostelgeschichte, so etwa in der Deutung des Pfingstgeschehens durch Petrus Act 2,16ff und in der christologischen Auslegung einer Jesajastelle durch Philippus Act 8,28ff.16 Aber offensichtlich reicht den Emmausjüngern selbst das neueröffnete Schriftverständnis (Lk 24,27; vgl. V. 32.45) noch nicht aus, um vollends zu begreifen, wer der Unbekannte ist. Denn erst als Jesus am Abend mit ihnen >das Brot bricht< (V. 30.35; vgl. Lk 9,16; 22,19; Act 2,42.46; 20,11; 27,35)17, erkennen sie ihn. Jesus selbst muß also anwesend sein, damit sich der Sinn der Schrift erschließt. Dem entspricht im weiteren Verlauf der lk Erzählung in der Apostelgeschichte die Gegenwart des erhöhten Herrn bzw. des Geistes. Der κύριος vermag das Herz der heidnischen, aber Gott ehrenden Lydia zu öffnen, so daß sie Pauli Verkündigung gegenüber aufgeschlossen wird (Act 16,14), wie andererseits der Geist jüdische Herzen verschließen und verstocken kann (Act 28,25ff). Dieses werbende Verhalten Jesu im Schlußkapitel des Lukasevangeliums steht im auffallenden Gegensatz zur schroffen Zurückweisung, welche dem Leser am Ende der Parabel vom reichen Mann und armen Lai s J.A. Fitzmyer, Luke II, S. 1565: »He [Lukas; Verf.] thus becomes the model for much of later Christian global reading of the OT as praeparatio evangelica«. 16 Näheres zum Schriftgebrauch im lk Erzählwerk siehe M. Rese, Motive; D.L. Bock, Proclamation; M.L. Strauss, Davidic Messiah; EJ. Koet, Five Studies; G. Schneider, Apostelgeschichte, S. 232fñ 17 Zum Verständnis dieses Emmausmahles vgl. J.A. Fitzmyer, Luke II, S. 1559f; J. Wanke, Emmauserzählung, S. 96-108; R.C. Tannehill, Narrative Unity I, S. 289f£

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zarus (Lk 16,27-31) begegnet. Alles was Jesus den Emmausjüngern und bald darauf auch den Seinen in Jerusalem an Erklärungshilfe zuteil werden läßt, wird dem inständig bittenden Reichen (V. 27Í.30), der den armen Lazarus im Schöße Abrahams ruhen sieht, für seine Brüder bitter verweigert (V. 29.31). Des Reichen Reue kommt einfach zu spät; und seine Brüder sollen nicht gesondert, d.i. durch den auferstandenen Lazarus, vorgewarnt werden: »Sie haben Mose und die Propheten; auf die sollen sie hören«18 (Lk 16,29). Ähnlich wird zwar auch den Emmausjüngern kritisch vorgehalten, daß sich Jesu notwendiges Geschick - Leiden, Tod und Auferstehung - ihnen doch schon aus der Schrift erschließe (Lk 24,25-27). Aber von selbst legt sich die Schrift offensichtlich nicht aus; selbst die Osterzeugen bedürfen noch zusätzlich des Auferstehungsbeweises (Lk 24,30-32.34f.39-43). Um die Erscheinung eines Auferstandenen bittet nun auch der Reiche, um so seine fünf Brüder zur Umkehr zu bewegen (Lk 16,30). Aber dieser Wunsch wird harsch zurückgewiesen, weil jene sowieso nicht auf die Schrift hören, sich folglich auch nicht überzeugen ließen, wenn einer von den Toten auferstünde (V. 31). In Lk 16 und Lk 24 bedingt die rechte Rezeption der biblischen Schriften die Möglichkeit, von einem Auferstandenen überzeugt zu werden. Die gesamte Perikope Lk 16,19-31 hat narrativ allerdings die Pharisäer zu Adressaten (V. 14f). Sie werden von Lukas hier explizit als »geldliebend« vorgestellt (V. 14). Insofern sind sie mit dem reichen Mann in dieser Parabelerzählung gemeint (vgl. Kap. Vili. u. IX.). Besonders polemisch ist, daß Lukas so erstens den »Vater Abraham« (V. 24.30) als Ankläger gegen sie in Stellung bringt (vgl. Lk 3,8) und zweitens den Pharisäern unterstellt, ihnen sei nicht nur der Sinn der Schrift verborgen, vielmehr würden sie überhaupt nicht auf die Schrift hören. Solcherlei Polemik übertrifft selbst noch das Schlußwort der Apostelgeschichte, daß Gott die Herzen der ungläubigen Israeliten verstockt habe (Act 28,25ff).

4. Die Universalisierung der Hoffnung Israels (V. 3 6 f f ) Die Emmausszene ist in einem strukturellen Chiasmus mit der nachfolgenden Erscheinung Jesu in Jerusalem verknüpft. Auf die Schriftauslegung (V. 25-27) folgt Jesu Eröffnung der Mahlgemeinschaft mit den Emmausjüngern (V. 28-30). An deren Ende steht die »Identitätser/aA18 Ganz anders hingegen ergeht in der Verklärunggeschichte die Stimme Gottes an die Jünger: »Das ist mein auserwählter Sohn; hört auf ihn« (Lk 9,35).

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rung«19 Jesu: Der Irdische ist auch der Auferstandene (V. 31-35). Aus dieser Erfahrung in V. 46-49 wird nunmehr der »Identitätsbeweis« 20 : Recht drastisch demonstriert der auferstandene Jesus die Leibhaftigkeit seiner Gegenwart (V. 36-43). Der von Lukas erzählte Jesus wählt dieses letztmögliche Darstellungsmittel, da die nun in Jerusalem versammelten Jünger trotz ihres gegenseitigen Bekennens, daß Simon und die Emmausjünger den Auferweckten gesehen haben (V. 33-35), seiner leibhaftigen Auferweckung offensichtlich nicht gewiß sind; denn als Jesus plötzlich mitten unter ihnen steht, ergreift sie Furcht vor einem Geist (V. 3739). Auch wenn es sich beim Abschluß dieses Auferstehungsbeweises in V. 42f kaum um eine Mahlgemeinschaft handeln dürfte, so ist doch sachlich insofern ein Vergleich zum Emmausmahl gegeben, als in beiden Szenen Jesus in einem Mahlkontext erkannt wird. Somit schließt sich der Kreis, der mit der Schriftauslegung in V. 25-27 begann und nunmehr mit einer programmatischen Schriftauslegung endet (V. 44-49). Dieses chiastische Stilmittel verstärkt die oben angezeigte Beobachtung (siehe oben Kap. X. 3.), daß weder Auferstehungsbeweise noch eine angemessene Schriftauslegung je für sich allein ausreichend sind, damit die Jünger im Jesusgeschehen das Heil Gottes verwirklicht sehen. Es bedarf der Kombination beiderlei Lernens: Die Auferstehungserfahrungen überzeugen die Jünger von der Wirklichkeit der leibhaftigen Auferwekkung Jesu, und die Schriftauslegung Jesu eröffnet ihnen, daß sein Kreuzestod ebenso gottgewollt war wie seine Auferweckung. Somit ist es letztlich gleichfalls Gott, der in der Gegenwart des erhöhten Jesus bzw. des Heiligen Geistes das Verständnis oder die »Augen öffnet« (V. 31.45 [νους]) oder das Herz verschließt (Act 28,25ff). Das zeigt, wie sehr Lukas in seinem Denken theozentrisch bestimmt ist. Schon formal muß das Augenmerk auf Lk 24,44-49 gerichtet werden, da es sich hier (in V. 44.46-49) um die letzte direkte Rede Jesu im Lukasevangelium handelt. Sie ist deshalb wie die letzten Worte Pauli am Ende der Apostelgeschichte besonders eindrücklich. Gemeinsam ist beiden Reden der deutende Rückblick. Am Ende der Apostelgeschichte zieht der von Lukas erzählte Paulus angesichts seines Verkündigungsmißerfolgs unter Juden bilanzierend die Konsequenz, die jüdische Selbstverweigerung als gottgewollte Verstockung zu deuten. Somit ist der Weg der Heilsverkündigung zu den εθνη-Völkern endgültig frei und nahegelegt. Anhand der Erzählfigur Paulus schildert Lukas diese Erkenntnis in Form 19 So U.Wilckens, Auferstehung, S. 61. 20 Ebd.

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eines langwierigen und schmerzlichen Lernprozesses. Der von Lukas dargestellte Paulus ist im Grunde ein wiederholt verhinderter und am Ende gescheiterter Judenmissionar (s. Kap. XVI.). Ein derart pessimistischer oder zumindest ernüchterter Unterton ist der Schlußrede Jesu an seine Jünger verständlicherweise fremd. Vielmehr hat sie gewissermaßen eine umgekehrte Funktion, nämlich die Enttäuschung der Jünger über Jesu irdisches Scheitern (Lk 24,21) in neue Hoffnung zu verwandeln, so daß am Ende Jesus die Seinen in »großer Freude« zurücklassen wird (Lk 24,52; χαρά μεγάλη sonst nur noch Lk 2,10, angekündigt bei Jesu Geburt). Der Leser ist narrativ in Lk 24 mit den Osterzeugen den mühevollen Weg von Zweifel (»Geschwätz« V. 11) und bleibender Trauer (V. 17) hin zur freudigen Gewißheit gegangen. In hoffnungsvoller Erwartung sieht der Leser nunmehr mit den Jüngern der Realisierung der Verheißungen Jesu entgegen. Der Evangeliumsschluß ist also perspektivisch auf Zukunft hin angelegt. Solch eine erwartungsfrohe Heilsperspektive ist dem Schluß der Apostelgeschichte gänzlich fremd. Insofern hat der Evangeliumsschluß seinen Anknüpfungspunkt eher im Beginn des lk Erzählwerkes, der von einer ähnlich verheißungsvollen Erwartung geprägt ist. Was Lk 24 von Lk lf unterscheidet, ist der hier unmittelbar bevorstehende Anbruch der Heilsverkündigung auch an die εθνη-Völker. Was von Lk lf an lediglich proklamiert ist, soll nun endlich Wirklichkeit werden. Ähnlich proklamativ wie schon zuvor konstatiert der von Lukas erzählte Jesus die Schriftgemäßheit seines Leidens, Sterbens und Auferstehens (Lk 24,44-46). Es reicht ihm hierbei, ganz allgemein auf die Schrift zu verweisen: οΰτως γέγραπται (V. 46). Der Formulierung έν πάσαις ταΐς γραφαΐς τά περί έαυτοΰ (V. 27) entspricht πάντα τά γεγραμμένα έν τω νόμω Μωϋσέως και τοις προφήταις και ψαλμοΐς περί έμοΰ (V. 44b). Was der Irdische den Seinen schon in Galiläa (Lk 9,22) angekündigt hatte, ist nunmehr mit seiner Auferweckung ganz in Erfüllung gegangen. Diese hat letztgültig und unumstößlich den Heilswillen Gottes verwirklicht: δει πληρωθηναι (V. 44). Was bislang im Schlußkapitel des Evangeliums noch fehlt, ist die explizite Benennung der universalen Heilsdimension. Diese erfolgt nun mit dem Verkündigungsaufruf εις πάντα τά έθνη (V. 47). 4.1. Wen bezeichnet Lukas mit εις πάντα τά έθνη (V. 47)? Lukas verfährt in seinem Gebrauch von λαός und έθνη konsequent. Mit Ausnahme von Act 15,14; 18,10, wo λαός als Heilsbegriff bewußt auch die nichtjüdischen Christen mit einschließen soll (siehe Kap. V. 2.2.), be-

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zeichnet λαός bei Lukas stets das jüdische Volk. Nichtjuden sind unter die εθνη zu zählen21. Folgerichtig müßte auch πάντα τά εθνη Lk 24,47 Israel exkludierend alle nichtjüdischen Völker umfassen. Dieses Verständnis entspräche vorwegnehmend schon in gewisser Weise der Schlußbilanz, die Paulus am Ende der Apostelgeschichte zieht (Act 28,28). Zudem könnte das Adjektivattribut πάντα unter Verweis auf Parallelstellen wie Lk 21,24; Act 14,16f; 15,1722 ebenfalls eine nichtisraelitische Deutung stützen, da πάντα τά εΰνη an diesen Stellen formal Oppositionsbegriff zum λαός Israel ist. Diachron vorgehende Analysen verweisen vor allem auf Mk 13,1023. So meint G. Schneider: »Da Lukas innerhalb von Lk 21,12-19 aus seiner Vorlage Mk 13,9-13 den Vers 10 wegließ, kann man schließen, daß er ihn für Lk 24,47 >aufsparte«Rückzug< in heidnische Gebiete gezwungen ist«37. U m so unverständlicher muß darum erscheinen, wie Luz seine Argumentation nunmehr fortsetzt: »Aber erst 28,19f finden wir eine grundsätzlich andere Orientierung. Nun sollen die Jünger πάντα τά 33 Gegen diese Formulierung wendet I. Broer, Verhältnis, S. 36, zu Recht ein: »Wo steht in Mt 28 etwas davon, daß die Juden im Unglauben bleiben? Es ist nur davon die Rede, daß das von den Oberpriestern mit Hilfe der Soldaten ausgestreute Gerücht bei (den) Juden bis heute Verbreitung findet«. 34 Im Unterschied zu U. Luz sieht I. Broer, Verhältnis, S. 36i, im Matthäusevangelium eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Volk und seinen Führern. Daher richte sich der Missionsbefehl auch nicht an der Stelle Israels an die Heiden, sondern schließe beide ein: »Nach Matthäus trägt das jüdische Volk zwar Schuld am Tode Jesu, aber die eigentlich Schuldigen sind die Führer der Juden. Insofern spiegelt der Missionsbefehl des Auferstandenen durchaus eine radikale veränderte Lage im Vergleich zum Missionsbefehl des irdischen Jesus, aber die Aufhebung des heilsgeschichtlichen Vorzuges Israels durch den Auferstandenen impliziert m.E. nicht notwendig, daß die Mission nach Ostern >sich an der Stelle Israels den Heiden< zuwendet, sondern nach Matthäus gilt der Ruf, sich taufen zu lassen und alles zu halten, was Jesus aufgetragen hat, Israel und den Heiden in gleicher Weise«. 35 U. Luz, Antij udaismus, S. 315£ 36 In solcher exklusiv verstandenen Israelbezogenheit des irdischen Jesus stimmen Luz und Broer, Verhältnis, S. 10, sachlich überein: »Jesus ist nach Matthäus - die anderen Evangelisten sagen das nicht so eindeutig - ausschließlich zu Israel gesandt«. 37 U. Luz, Matthäus II, S. 92.

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έθνη zu Jüngern machen. Die beiden Stichworte πορεύομαι und εθνη zeigen, daß 28,19 wohl bewußt auf 10,5f Bezug nimmt.«38 Gerade diese auffällige Übereinstimmung schon in der Wortwahl müßte aufhorchen lassen und nicht wie bei Luz zu der Schlußfolgerung führen, daß Mt 10,5f im Missionsbefehl Mt 28,19 »nicht aufbewahrt, sondern durch ihn aufgehoben«^ 9 sei. Wieso sollen aus den bislang für Matthäus so negativ besetzten Heiden plötzlich am Ende die einzig verbleibenden Heilsadressaten werden? Wer kann solch drastische Wandlung erklären? Die Verweigerung Israels allein ist kaum ein hinreichendes Motiv für eine derart auffällige Kehrtwendung. Eine exklusive Völkermission müßte auch im Verlauf des von Matthäus erzählten Evangeliums positiver vorbereitet werden40. Ansonsten liefe der von ihm dargestellte christliche Glaubensweg Gefahr, in den Augen von Juden noch mehr als vielleicht schon ohnehin als häretisch zu erscheinen. Dabei will gerade Matthäus demonstrieren, wie sehr der von ihm formulierte christliche Glaube höchsten jüdischen Anforderungen entspreche (vgl. die »bessere Gerechtigkeit« Mt 5,20). Viel einsichtiger ist darum die Deutung von Mt 28,19, daß dieser Vers als Spitzenaussage die Israelbezogenheit des Matthäusevangeliums aufnimmt und sie dahingehend erweitert, daß aufgrund von erlittener jüdischer Ablehnung nunmehr zusätzlich zu Israel auch die Heiden in die Heilsverkündigung einbezogen werden sollen. Diese έθνη sind nach dem Vorigen aber zu Proselyten zu machen. Denn wenn Mt 28,20a ernst genommen wird, gilt für die mt Mission Mt 5,17-20; 23,3, ist also Mission mit Beschneidung geboten. Das aber unterscheidet das mt Missionsverständnis von dem aus Act 10; 15 ersichtlichen Modell eines Zusammenlebens von Christen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft. In Act 15 wird gerade die Beschneidungsforderung (V. 1.5) explizit zurückgewiesen (V. 9f). Man solle, so der Rat des Jakobus (sie!), den έθνη mit solcher Forderung keine »Unruhe 38 Ebd. 39 Ebd. Luz formuliert diese Äußerung zwar als Hypothese im Konjunktiv, gibt aber im weiteren Verlauf (a.a.O., S. 93) zu erkennen, daß er selbst dieser Meinung sachlich zuneigt. 40 Selbst wenn u.a. die vier Stammütter Tamar, Rut, Rahab und Batseba Mt 1,3.5.6 wie auch die Magier Mt 2,Iff nichtjüdischer Herkunft sind, so kann dies mit U. Luz, Matthäus I, S. 94, nur indirekt als ein Hinweis auf eine universale Heilsperspektive bei Matthäus in Anspruch genommen werden: »So enthält der Stammbaum einen universalistischen Unterton: Daß der Davidsohn, der Messias Israels, Heil für die Heiden bringt, ist versteckt angedeutet«. Wäre es aber nicht sachgemäßer, in diesen vier Stammüttern Proselytinnen zu sehen?

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machen« (παρενοχλεΐν V. 19; Hapaxlegomenon im NT), sondern sie lediglich die bereits praktizierten Verhaltensregeln (die sog. Jakobusklauseln V. 20.29; vgl. 21,25; vgl. Lev 17f; s. Kap. XV. 6.) weiter halten lassen. Insofern stimmt die Wortwahl ε'ις πάντα τα ε§νη aus Lk 24,47 terminologisch zwar mit πάντα τα εθνη Mt 28,19 überein, aber sachlich unterscheidet Lukas von Matthäus die Beschneidungsforderung an die εθνη. Darin erweist sich Lukas als Gefolgsmann des historischen Paulus (vgl. Gal 2,6f; 5,3; 6,15).

5. Die Zeugen im Wartestand - das Ende von Lk 24 im Vergleich zu Mt 28 Mit Lk 24,47 ist für Lukas das (vorläufige) Ziel seines Evangeliums erreicht41. Insofern besteht literarisch eine Übereinstimmung mit Mt 28,19f. Aber im Unterschied zu Matthäus werden bei Lukas die Osteijünger (noch) nicht ausgesandt, sondern ihre Beauftragung ist mit dem Terminus ΰμεΐς μάρτυρες τούτων (V. 48)42 lediglich in Aussicht gestellt. Sie sind Zeugen im Wartestand. Es ist zwar nicht gesagt, wer genau diesen universalen Zeugendienst ausführen wird. V. 48 zeigt lediglich an, daß die versammelten Jünger Zeugen dessen sind, was V. 46f aus der Schrift entlehnen wollen: Jesu messianisches Geschick und die ebenso gottgewollte Metanoiapredigt in Jesu Namen. Das plurale Medium άρξάμενοι άπό 'Ιερουσαλήμ (V. 47) hingegen läßt aber auch schon ihren spezifischen Beitrag zur Erfüllung des Heilsplans erkennbar werden und weist voraus auf die Anfangskapitel der Apostelgeschichte. Lukas betont also am Ende seines Evangeliums im Unterschied zu Mt 28,20 die Vorläufigkeit der erzählten Jetztzeit; sie ist ein Interim. Der Sendung der Jünger bei Matthäus entspricht ihr Warten bei Lukas. Das unterscheidet beide Evangelienschlüsse voneinander. Daher kann auch zu Recht bei Matthäus von einem literarisch bewußt gestalteten Abschluß seiner Jesusgeschichte gesprochen werden.

41 Die übrigen Evangelienschlüsse bleiben hier unberücksichtigt, da sie für die thematische Vorgabe unserer Untersuchung keine vom Vergleich Lk 24 mit Mt 28 wesentlich abweichenden Daten liefern. Zum Vergleich der Evangelienschlüsse siehe G. Schneider, Missionsauftrag; J.A. Fitzmyer, Luke II, S. 1578ft 42 Lk 24,48 benennt zum ersten Mal die für Lukas zentrale Aufgabe der Osteijünger als μάρτυρες. J.A. Fitzmyer, Luke II, S. 1584: »Thus eyewitnesses are to become testifiers«. Näheres zum lk Zeugenverständnis siehe Chr. Burchard, Zeuge, S. 130-135; G. Schneider, Die zwölf Apostel als >ZeugenUnwissenheit< abgemildert werden« 5 soll. Der Mord an Jesus ist für Lukas kein unverzeihliches Geschehen! Den Juden steht der Weg zur Umkehr offen, denn Gott hat Jesus auferweckt und ihn zu seiner Rechten erhöht, um Israel Buße zur Vergebung der Sünden zu geben (Act 5,31; vgl. Lk 24,47). Als auf solchen Bußruf hin die Mitglieder des Synedrions die Apostel töten wollen (Act 5,33), wird dieser Tötungswunsch - dank des besonnenen Eingreifens Gamaliels - noch in Schläge abgemildert, welche die Apostel dann vorbildlich als eine Ehre zum Lobe Christi bereitwillig ertragen (V. 41). Zu Tausenden strömen die Menschen herbei und lassen sich taufen (Act 2,41.47; 4,4; 5,14-16). Der später so erfolgreichen paulinischen Jesusmission unter den Völkern fehlt demgegenüber jegliche Zahlenangabe (vgl. Act 21,19 mit V. 20). Die Urgemeinde ist wie »ein Herz und eine Seele« (Act 4,32), alles wird miteinander geteilt (Act 2,42-47; 4,32-37), und freimütig wird überall in Jerusalem das Evangelium bezeugt. Wer das von Lukas so Dargestellte lediglich wie Conzelmann 6 als eine vergangene Heilsperiode versteht, welche die Anfänge gewissermaßen als die >gute alte Zeit< idealisiere, ohne dabei zugleich die gegenwärtigparänetische Funktion dieses Abschnitts in Betracht zu ziehen, übersieht einen wesentlichen Aspekt der lk Darstellung. Deren paränetische Funktion kann am Abschnitt Act 4,32-5,11 gut veranschaulicht werden: Wenn Lukas im ersten Teil das Ideal der Gütergemeinschaft skizziert (Act 4,3237), so ist damit das ethische Anforderungsprofil des Gemeinsinns aus4 U. Wilckens, Missionsreden, S. 42. Zum lk Metanoiaverständnis vgl. J.-W. Taeger, Heil, S. 127ft 5 U. Wilckens, a.a.O., S. 42. 6 H. Conzelmann, Mitte der Zeit, S. 195f£ Er bezeichnet die Anfangszeit der Kirche als eine abgeschlossene »Epoche sui generis« (S. 196); sie sei somit »unwiederholbar« (S. 197). Zur Kritik an Conzelmanns Verständnis siehe EW. Horn, Glaube und Handeln, S. 43f.

XII. Ein jüdischer »Frühling« der Kirche

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drücklich vorgestellt. Es dient als Bewertungsmaßstab zur Beurteilung des Verhaltens von Hananias und Saphira (Act 5,Iff). Gemessen an diesem Gemeinde-Ideal erscheint das Vergehen beider um so schändlicher, so daß ihr Tod die gerechte Strafe für ein krasses Fehlverhalten ist. Insofern erfüllen diese Anfangskapitel für den von Lukas intendierten Leserkreis eine durchaus aktuelle Funktion. »Frühling der Kirche« meint ekklesiologisch den überaus erfolgreichen Beginn christlicher Heilsverkündigung an Israel und soll dem Leser vor Augen führen, wie tief das Christentum in jüdischer Verheißung und Schrift verwurzelt ist. Dieser Anfangserfolg der Verkündigung ist für Lukas überaus wichtig, dient er ihm doch vor allem als genuin jüdischer Erweis der Rechtmäßigkeit der christlichen Lehre. Denn ein Scheitern der Evangeliumsverkündigung gleich zu Beginn unter Juden hätte den Grad der Legitimität der später mindestens ebenso erfolgreich verlaufenden Völkermission erheblich gemindert. Lukas benötigt also aus konzeptionellen Gründen einen jüdischen »Frühling der Kirche«. Wie aber wird in diesen Anfangskapiteln das Thema der Völkermission behandelt?

2. Noch einmal: Heil allein für Israel? (Act 1,6-8)

Das unmittelbar bevorstehende Heilsereignis der Geisttaufe provoziert auf Seiten der Apostel die Frage: »Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?« (Act 1,6; vgl. Sir 48,10 LXX 7 ). Ausgehend von der Regel, daß das zu Betonende am Satzrand, am Anfang oder Ende, liegt, wäre es naheliegend, den Aussageschwerpunkt in dem Begriff »Reich für Israel« zu sehen. Dem steht aber Jesu Antwort in V. 7 entgegen. Es folgt kein Ja oder Nein, vielmehr greift Jesus die Terminfrage vom Satzbeginn auf. Der Sache nach entspricht έν τω χρόνω τούτω (V. 6) der Formulierung ού μετά πολλάς ταύτας ημέρας (V. 5). Auch die Pharisäer hatten Jesus mit der Frage konfrontiert: πότε ερχεται ή βασιλεία τοϋ θεοϋ (Lk 17,20)? Hatte der von Lukas erzählte Jesus schon damals jegliche Errechnungsmöglichkeit verworfen und darauf verwiesen, daß ή βασιλεία τοϋ ϋεοϋ εντός ύμών έστιν (V. 218; vgl. Lk 11,20), mithin - so Haenchen - das Reich Gottes nicht »in den ungläubigen Pharisäern 7 Zu diesem traditionsgeschichtlichen Hintergrund für Act 1,6 siehe F. Mußner, Apokatastasis, S. 297; U. Wilckens, Missionsreden, S. 155f; Billerbeck IV, S. 797f. 8 Lk 17,20f ist ohne Parallele bei den Synoptikern. Zur Herkunft dieses Logions als ein echtes Jesuswort siehe J. Becker, Jesus, S. 147f; R. Bultmann, Synoptische Tradition, S. 24; J.A. Fitzmyer, Luke II, S. 1157-1159.

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ist, sondern es in ihm selbst in ihrer Mitte ist«9, so lehnt er es auch diesmal als menschlich illegitim ab, konkrete Termine des souveränen Gottes zu wissen (Act 1,7). Damit ist zwar nicht die Idee einer endzeitlichen βασιλεία τ φ 'Ισραήλ an sich verworfen. Aber wenn Mußner betont: »Jesus weist also in Apg l,7f nicht die Idee der endzeitlichen Apokatastasis Israels zurück, sondern nur die falsche Naherwartung der Apostel«10, so geht das an der Satzaussage in V. 7f vorbei, denn nicht die Frage nach dem Reich für Israel steht im Mittelpunkt von Jesu Antwort, sondern die Terminfrage. V. 7 und V. 8 sind als ein Satz zu lesen. Hierbei muß der adversative Charakter der Partikel ούχ (V. 1) ... αλλά (V. 8) beachtet werden. In Act l,7f stehen sich zwei mögliche Begabungen der Apostel gegenüber: In V. 7 ist es die Begabung mit Wissen um einen von Gott festgesetzten Termin (nach V. 6 für »das Reich für Israel«), in V. 8 ist es die Begabung durch den Heiligen Geist mit δύναμις zum israelzentrierten weltweiten Jesuszeugnis. Die erste Begabung wird ganz prinzipiell verwehrt, nicht weil sie partikulares Heil für Israel betrifft, sondern überhaupt um Gottes souverän gesetzte Termine wissen, Macht für sich haben will (egoistisch). Die zweite Begabung, in V. 5 schon angekündigt, ersetzt - im Sinne des lk Jesus ganz legitim - die erste, zu Unrecht gewünschte Begabung; es ist eine Begabung, Jesus als Jünger von Israel aus weltweit zu dienen, für andere sich einzusetzen (sozial). Darin liegt der Gegensatz beider Begabungen. Der Gegensatz partikular/universal ist zwischen V. 7/8 nur sichtbar, wenn zu V. 7 der V. 6 herangezogen und in V. 8 die >israelfugale< Richtung ignoriert wird. Er ist auf jeden Fall dem obenbeschriebenen Gegensatz von Macht (Wissen) für sich und Macht (δύναμις zum Zeugnis) für andere untergeordnet. Das Eschaton kann also zu jeder Zeit kommen 11 . Von etwaiger »Parusieverzögerung«12 ist in diesen Versen keine Rede. Der Fokus liegt auf

9 E. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 147, Anm. 5. 10 F. Mußner, Apokatastasis, S. 298. Auch ist der Vergleich Mußners, Apostelgeschichte, S. 16f, mit Rom 11,26 an dieser Stelle irreführend: »Wenn Lk Jesus die Idee einer >Wiederherstellung< Israels nicht ablehnen, diese vielmehr unter die souveräne Verfügungsgewalt des Vaters stellen läßt, dann scheint Lk damit doch ähnliches sagen zu wollen wie Paulus in Rom 11,26: >Ganz Israel wird gerettet werdentimes of restoration«, involving the coming of Israel's messiah to the people of Jerusalem, as a real possibility«. Die eigenen Überlegungen weisen indes einen anderen Weg. 25 G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 289: »Das Partizip σφζόμενοι läßt den Zeitpunkt der Rettung offen, geht aber wenigstens davon aus, daß an den Konvertiten die Rettung begonnen hat«.

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4.2. Der Erzählrahmen und der Skopus der zweiten Petrusrede Act 3,12-26 In diese letzte Zeit vor dem Ende muß nun auch die zweite Petrusrede Act 3,12-26 eingezeichnet werden. Sie hat wie die gesamte Szene von Act 3,Iff bis zur ersten Verhaftung der Apostel (Act 4,3) durchgängig den Tempel als Erzählort. Den äußeren Redeanlaß bildet dort die Heilung eines Lahmgeborenen in Jesu Namen (V. Iff). Sie ruft großes Erstaunen hervor und läßt das »ganze Volk« herbeiströmen (V. lOf). Es besteht also offensichtlich Aufklärungsbedarf. Diesem Wunsch entsprechen die Apostel: Petrus ergreift das Wort und knüpft an ihr Erstaunen an (V. 12). Nachdem er den anwesenden Juden Jesus, sein gottgewolltes Geschick und ihre schuldhaft tödliche Verkennung seiner Würde vor Augen geführt hat (Act 3,13-18), fordert Petrus seine Zuhörer zur Umkehr und Bekehrung auf, »damit eure Sünden getilgt werden« (V. 19). Diesem Bußruf liegt also ein konkreter Schuldaufweis zugrunde. Im Unterschied aber zur ersten Petrusrede (Act 2,38) kommt es nicht mehr zu einem Taufaufruf. Statt dessen werden die Apostel schon nach Beendigung der Mahnung zur Umkehr verhaftet (Act 4,3). Die folgende Notiz über den großen Erfolg dieser Verkündigungsbemühung (V. 4) minimiert aber den missionarischen Schaden dieser Sanktion. Der Tenor dieser Tempelszene ist also schon weniger euphorisch als der der ersten Petruspredigt. Sie zeigt, daß die Führer des Volkes gegen Jesus - ähnlich wie schon in Lk 5Í26 im Gefolge seiner Heilungswunder negativ eingestellt sind (Act 4,2). Das prägt den Skopus dieser zweiten Petrusrede. Stellt die Pfingstrede Petri einen ausgeführten Büß- und Taufaufruf an Israel dar, so enthält diese zweite, gleichsam gekappte Rede anders als die erste auch ein unüberhörbar krasses Drohwort, denn, so wird aus dem Mosegesetz (Lev 23,29 LXX 27 ) zitiert, »jeder, der nicht auf jenen Propheten [d.i. lk: Jesus] hören wird, soll aus dem λαός ausgerottet werden« (Act 3,23). Dieses Anmahnen der Handlungsfolgen bestimmt - zusätzlich zur Segensverheißung in V. 24-26 - den Duktus der Rede. In diesen Deutungshorizont sind nun auch die Verse 20f einzuzeichnen.

26 Zur Parallelität im Aufbau von Act 3-5 mit Lk 5f siehe R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 50ff; ders., Hie Composition of Acts 3-5; C H . Talbert, Literary Patterns. 27 Näheres siehe M. Rese, Motive, S. 66-71. Lev 23,29 bezieht sich auf die Fastenforderung am Versöhnungstag. Diesen Zusammenhang betont F.W. Marquardt, Eschatologie II, S. 309.

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4.3. Erstes Junktim: Die Buße Israels beschleunigt die Parusie (V. 19f) Die den V. 20 einleitende Konjunktion όπως άν hat - wie schon Lk 2,35 (vgl. Act 15,17) - eine finale Bedeutung28. Damit ist ein gewisser Heilssynergismus kaum zu leugnen29, denn ganz offensichtlich soll gläubige Buße der Juden die Wiederkehr Jesu, ihres Messias, beschleunigen helfen30. Weist die Formulierung χρόνοι η καιροί in Act 1,7 nach 1,6 auf das noch ausstehende Eschaton hin, so muß sich eine solche Zuordnung für καιροί άναψύξεως in Act 3,20 und χρόνοι άποκαταστάσεως in V. 21 erst noch zeigen. Für den ersten Begriff der »Zeiten der Erquickung«31 ist die Antwort relativ klar: Sie sind noch nicht gegenwärtig. Vielmehr stehen sie als noch kommende aus, wie auch V. 20b verdeutlicht. V. 20b ist parataktisch an V. 20a angeschlossen: όπως άν ελθωσιν ... και άποστείλβ. Mit der göttlichen Sendung Jesu ist hier nicht sein irdisches Wirken gemeint, sondern, wie V. 21 eindeutig erweist, seine Parusie aus dem Himmel32. Sie wird - im positiven Falle der Umkehr Israels - die Folge der Buße sein33. 28 Blaß-Debrunner-Rehkopf, Grammatik, §369, Anm. 11; G. Lüdemann, Apostelgeschichte, S. 57. 29 Gegen G. Lohfink, Christologie, S. 233: »Von dem immer wieder aus Apg 3,19f herausgelesenen Gedanken Umkehr beschleunigt die Parusie kann keine Rede sein. Es geht um die letzte Gelegenheit für Israel, das messianische Heil zu erlangen.« 30 U. Wilckens, Missionsreden, S. 153: »Die gegenwärtige Buße beschleunigt offenbar das Kommen dieser Zeiten der Erquickung; sie hat diese zu ihrem Ziel.« Überzogen ist allerdings die Schlußfolgerung von F. Hahn, Problem, S. 138; »daß es ein Kommen der καιροί άναψύξεως ohne die Bekehrung Israels nicht gibt«. 31 Zur Herkunft dieses Begriffes aus der jüdischen Apokalyptik siehe G. Lohfink, Christologie, S. 230-32; F. Hahn, Problem, S. 144t 32 U. Wilckens, Missionsreden, S. 234, macht darauf aufmerksam, daß »von einer endzeitlichen >Sendung< des Christus durch Gott ... weder sonst bei Lukas noch überhaupt im NT die Rede« ist. Von solch einer eschatologischen Sendung hingegen spricht die Eliatradition (Mal 3,22f LXX; vgl. Mk 9,12), so daß O. Bauernfeind, Apokatastasisspruch, S. 20, zufolge eine schon vorlukanische christologisierte Täufertradition vorliegt. Im Gefolge G. Lohfinks, Christologie, der mit Ausnahme von Act 3,20a alle übrigen Versteile von 3,19-21 hingegen für lk Bildung hält, schränkt U. Wilckens, a.a.O., & 234f, den Anteil von Tradition in der dritten Auflage seines Buches wieder ein, wenngleich er daran festhält, daß »eine im Kontext unausgeglichende Spannung zwischen a) der endzeitlichen Sendung Christi 3,20 und b) seiner irdischen Sendung als Erfüllung aller prophetischen Voraussagen 3,22« besteht, die auf die Aufnahme und Verarbeitung von Täufertradition schließen lasse. Zur Auseinandersetzung zwischen Lohfink und Wilckens in dieser Frage nimmt G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 324f£, Stellung. Vgl. auch F. Hahn, Hoheitstitel, S. 184-186; H. Flender, Heil Gottes, S. 89-91; G. Lüdemann, Apostelgeschichte, S. 57f£ 33 Damit scheint dieser Gedankengang auf den ersten Blick in Spannung mit V. 26 zu stehen. Dort nämlich ist die Buße die Folge der Sendung Jesu. Allerdings löst sich dieser vermeintliche Widerspruch auf, wenn gesehen wird, daß der lk Petrus von zweierlei

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Falls aber jemand in Israel bis dahin nicht zu Jesus umkehrt, wird er nach dem so gedeuteten »Mose«-Zitat - aus dem λαός »ausgerottet« werden (V. 23), m.a.W., »der Jude, der sich nicht zu Christus bekehrt, hört auf, ein Mitglied des Gottesvolkes zu sein!«34. In dieser Eindeutigkeit und Schärfe verläuft hier die lukanische Gedankenführung. Sie muß nicht nur Lukas, sondern vor allem auch seinen heutigen Auslegern vorgehalten werden, wenn sie diese Äußerung unkommentiert rezipieren35. 4.4. Zweites Junktim: erst die Apokatastasis, dann die Parusie (V. 21ff) Die Parusie Christi wird aber noch an ein zweites Junktim geknüpft. Sie kommt nämlich erst, wenn »alles, was Gott seit jeher durch den Mund seiner heiligen Propheten verkündet hat« (V. 21b; vgl. Lk 1,7ο36), sich erfüllt hat. Zunächst muß die Frage geklärt werden, worauf sich das relativische ών bezieht. O. Bauernfeind entscheidet sich in seinem Kommentar zur Apostelgeschichte »trotz ihrer grammatischen Härte«37 aus inhaltlichen Gründen für χρόνοι, denn »was die Propheten gesagt haben, wird

Sendung spricht. V. 20 ist eindeutig von einer eschatologischen Sendung Christi aus dem Himmel die Rede. Sendung meint hier Parusie. In V. 26 hingegen wird die irdische Sendung Jesu gemeint sein. Das Partizip Aorist άναστήσας ist »doppelsinnig« (J. Kremer, Art. άνάστασις, Sp. 219). Es bezeichnet zunächst einmal in seiner grundlegenden Bedeutung analog zum Mose vergleichbaren αναστήσει in V. 22 (Weissagungszitat) das irdische Auftreten des Menschen Jesu (vgl. άνάστασις Lk 2,34). Zugleich aber ist άναστήσας in Act 3,26 auch eine Anspielung auf die Auferweckung Jesu in V. 15. Beide Sendungen, die erste, bereits erfolgte und durch die Auferstehung und Auffahrt in den Himmel weiter wirksame Sendung wie auch die zweite, noch ausstehende eschatologische Sendung aus dem Himmel haben die Buße Israels gemeinsam, die erste als ihr Zweck, die zweite als ihre Bedingung. Das verbindet sie und entspricht somit dem Skopus der ganzen Rede. 34 E. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 208. 35 Das in V. 23 gebrauchte Verb έξολεθρεύειν ist ein ntl Hapaxlegomenon. Es betont den gewaltsamen Akt eines solchen Ausschlusses: »gänzlich verderben, zerstören, ausrotten«, so J. Schneider, Art. όλεθρεύω κτλ., S. 171. Interessanterweise aber nehmen sowohl E. Haenchen, J. Schneider wie auch J. Roloff, R. Pesch, G. Schneider und A. Weiser in ihren Kommentaren zur Apostelgeschichte keine Stellung zur Härte dieser Terminologie. Nach dem Holocaust von Ausrottung zu lesen, selbst wenn diese nicht allen, sondern nur einzelnen Juden gilt, muß beim heutigen Leser auf Widerspruch stoßen. Die terminologische Schärfe dieser lk Redeweise darf nicht unterschlagen werden. Sie ist zunächst exegetisch darzustellen, muß dann aber in einem zweiten Schritt aus heutiger Sicht sachkritisch auf ihre Vertretbarkeit befragt werden. 36 Die Formulierung έλάλησεν ... προφητών in Act 3,21b entspricht wörtlich Lk 1,70. Vgl. G. Lohfink, Christologie, S. 238. 37 O. Bauernfeind, Studien, S. 69.

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doch erfüllt und nicht >wiederhergestelltsubjektiven< Aspekt Bezug genommen ist (V. 20a), im andern Fall mehr auf den Zustand der verwirklichten Verheißung und somit auf den >objektiven< Aspekt«. 45 Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund dieses Begriffes siehe Billerbeck IV, S. 780; F. Mußner, Apokatastasis, a 294f; F. Hahn, Problem, S. 146-148; J. Parker, Concept. 46 Insofern ist G. Lohfink, Christologie, S. 230, zuzustimmen: »>Zeiten der Erquickung< ist ihm [Lukas; Vert] einfach ein Ausdruck für die Heilszeit«. 47 W.S. Kurz, Role of Eschatology, S. 311. G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 327, Anm. I l l , schließt sich dieser Meinung an.

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ροί άναψΰξεως werden zeitlich unmittelbar an die χρόνοι αποκαταστάσεως anschließen und sie ablösen48. Die χρόνοι άποκαταστάσεως bezeichnen somit die Gegenwart als letzte Vor-Zeit vor der Wiederkunft Christi49. In sie gehört wesentlich der Bußruf an Israel. Er ist der erste Schritt im Vollzug des universalen Heilsprogramms, denn das πρώτον in V. 26 bestätigt zum einen das Vorrecht Israels in der Umkehrverkündigung zum Heil, zugleich aber signalisiert es darüber hinaus, daß es noch ein δεύτερον, und zwar in Form der Völkermission, geben wird. Letztere ist schon indirekt in der Formulierung πάσαι αί πατριαί της γην in V. 25 mit enthalten. Einerseits findet sich das πάντα τά εθνη της γης aus der Vorlage Gen 22,18 LXX50 in Act 3,25 entsprechend verändert, so daß sich Israel besonders angeredet wissen darf, aber andererseits läßt die Ergänzung της γης doch zumindest indirekt die Heilsuniversalität mit anklingen51. Aber im Zentrum dieser letzten Sentenz V. 25f steht eindeutig Israel als ethnische Heilsgröße. In bemerkenswerter Weise ruft der erzählte Petrus seinen jüdischen Zuhörern Bundesschluß und Abrahamskindschaft ins Gedächtnis (V. 25). Jesus ist nicht nur ein Prophet wie Mose, sondern er ist vor allem einer aus eurem Volk (V. 26)! Hatte der Täufer den Gedanken einer hinreichend heilbringenden Erwählung Israels schon aus der Abrahamskindschaft scharf verworfen (Lk 3,8), so appelliert der erzählte Petrus hier um so eindringlicher an die heilsgeschichtliche Bedeutung dieser Abstammung - als Anspruch. Das Heil Gottes kommt zunächst zu und darum sui generis aus Israel. Jesu Auftreten ist die Erfüllung sehnlichster Hoffnung Israels (Lk 2,25ff; 24,21ff). Israel kommt darum auch das Privileg der Erstlingsschaft zu: »Euch zuerst hat Gott seinen Knecht erstehen lassen (άναστήσας) und ihn gesandt, damit er euch segne, indem ein jeder von euch sich abwende (έν τω άπο48 Anders CK. Barrett, Faith, S. 12. Er versteht den Zeitraum bis zur Parusie als καιροί άναψύξεως: »Καιροί άναψύξεως does not suggest the final messianic deliverance brought about by the coming of the Messiah. It does suggest moments of relief during the time men spend in waiting for that blessed day.« 49 So auch M. Rese, Motive, S. 70f; J. Parker, S. 37; E. Kränkl, Knecht Gottes, S. 193-198. Schon (W.M.L. de Wette) E Overbeck, Apostelgeschichte, S. 55, formulierte: »Die χρ. άποκ. π. sind nichts Anderes als die έσχάται ήμέραις [Act] 2,17., die zwischen erster und zweiter Parusie verlaufende Zeit, auf welche die Weissagung des Joël bezogen wurde«. Vgl. E. Gräßer, Parusieerwartung, S 118, der diese Exegese als »ansprechend« bezeichnet. 50 Näheres hierzu siehe M. Rese, a.a.O., S. 71-77; G. Lüdemann, Apostelgeschichte, S. 58. 51 Selbst wenn ή yfjç hier primär nur das Land Israel meinen sollte, der Doppelsinn bleibt bestehen und ist wohl auch mit Bedacht gewählt.

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στρέφειν) 52 von seiner Bosheit« (Act 3,26). Somit ist am Ende dieser Rede klar: Das Heil ist für Israel mit Händen zu greifen. Wer sich diesem Umkehrangebot zum Heil verweigert, kann nur verstockt sein.

5. Zusammenfassung und Ertrag Lukas schildert in den Eingangskapiteln der Apostelgeschichte durchaus einen jüdischen »Frühling« (Lohfink) der Kirche. Dieser trotz wachsender Widerstände seitens der Führungsschicht letztlich verheißungsvolle Beginn in Jerusalem ist von großer Bedeutung für Lukas' theologische Grundkonzeption. Er benötigt diese erfolgreiche Periode im Aufriß seiner Geschichte der Heilsvermittlung, um so seinen Lesern vor Augen zu führen, wie legitim der christliche Glaube in jüdischem Denken verankert ist. Die christliche όδός ist keine neue Religion, sondern die Erfüllung uralter Verheißung an Israel (άπ' αιώνος Act 3,21). Diese aber bleibt nicht nur auf Israel beschränkt, sondern sie wird universaliert. Die βασιλεία τω 'Ισραήλ aus Act 1,6 wird vom lk Jesus nicht als exklusiv israelitisch zu fassende Heilsgröße aufgenommen, vielmehr umfaßt die Verkündigung der βασιλεία τοϋ ϋεοϋ (Act 1,3; 28,30) den ganzen Erdkreis (Act 1,8). Das Heil für Israel meint Heil für die ganze Welt. In diesen weitestmöglichen Denkhorizont, der zum ersten Mal programmatisch in der Simeonweissagung formuliert worden ist, wird nunmehr auch der Beginn der Apostelgeschichte eingezeichnet. Zwar ist die pfingstliche Geistausgießung in Jerusalem ein Geschehnis allein vor Juden, wenngleich sie doch bezeichnenderweise aus aller Welt stammen (Act 2,5ff). Ist das schon ein erstes Indiz auf die Ausweitung des Heils, so wird im folgenden klar, daß auch die Völker bereits mit anvisiert sind. Denn èra πάσαν σάρκα soll der Geist ausgegossen werden (Act 2,17), so daß »jeder (πάς), der den Namen des Herrn anrufen wird, gerettet werden soll« (V. 21). Die Stunde der Heilsvermittlung an die Völker hat aber noch nicht geschlagen. Vielmehr ist diese letzte Zeit zwischen Himmelfahrt und verheißener Parusie Jesu (Act 1,11) zunächst vor allem die Zeit der 52 Wer έν χφ άποστρέφειν intransitiv versteht, wird diese Infinitivkonstruktion konditional auffassen. Wer hingegen in dieser Formulierung eine transitive Infinitivkonstruktion sieht, wird sie modal übersetzen. Dann wäre die Buße nicht Folge der Sendung, sondern wie der Segen ihr Wesensmerkmal. Sowohl M. Rese, a.a.O., S. 75, als auch R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S 56, Anm. 21, entscheiden sich aus kontextuellen Gründen für die transitive Variante. Vgl. auch G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 329, Anm. 124.

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Buße und Umkehr für Israel. Zwar sind zumal Jerusalemer Juden schuldhaft in den Tod Jesu verstrickt (so u.a. Act 2,23), aber diese Schuld ist tilgbar, denn ihr Tötungswille galt nicht dem Gottessohn, sondern einem vermeintlichen Hochstapler (Act 3,13ff). Die Reden der Apostel sind ein mahnendes Werben um Israel. In Act 3,19f kann der erzählte Petrus in der Buße Israels sogar einen beschleunigenden Faktor für die mit Freude zu erwartenden »Zeiten der Erquickung« der Parusie erblicken. Aber jetzt ist erst einmal die Zeit zunehmender Apokatastasis (V. 21). Sie ist nicht identisch mit der Parusie, sondern geht ihr als deren Vorbereitung voran. Sie hat zum Gegenstand und Ziel die Erfüllung aller prophetischen Verheißung an Israel (Act 3,22-24) und verstärkt somit den heilsamen Druck auf Israel, zu Jesus umzukehren, denn »ihr seid die Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott für eure Väter gesetzt hat« (V. 25). Im Unterschied zur Täuferpredigt (Lk 3,8) verweist der erzählte Petrus sogar positiv auf die Abrahamskindschaft als verpflichtende Heilsverheißung, um dadurch seiner jüdischen Zuhörerschaft ins Gewissen zu reden, daß sie einzig durch Jesus den so verheißenen Segen empfangen (Act 3,26). Zugleich schwingt in solchem heilsgeschichtlichen Aufweis aber auch unüberhörbar eine deutliche Warnung mit: Wer nicht bereit ist, auf Jesus, diesen prophezeiten Mose redivivus, zu hören, der soll schon Mose zufolge aus dem λαός Israel »ausgerottet« werden (Act 3,23).

XIII. Dunkle Wolken - Stephanus und die Folgen seines gewaltsamen Todes (Act 6f) 1. Kontinuität und Differenz - Heranführung an die Stephanuserzählung Daß Lukas nicht einfach wahllos Erzählung an Erzählung reiht, kann insbesondere an den Eingangskapiteln der Apostelgeschichte gut studiert werden. Die Erzählperikopen bauen aufeinander auf. Wichtiges wird wiederholt1, damit es sich dem Leser einprägt; anderes kann wegfallen oder bis auf weiteres in den Hintergrund rücken, aber stets sind die Einzelerzählungen in einen Makrokontext eingebunden. Lukas hat ein erkennbares theologisches Grundkonzept, das er mittels seiner Narratio konsequent umsetzt und entfaltet. Erst aus der Gesamtschau erschließen sich die Bedeutung und Funktion der jeweiligen Einzelüberüberlieferung. Dementsprechend soll nun die Erzählführung der Eingangskapitel der Apostelgeschichte bis zur Stephanusperikope kurz nachgezeichnet werden. Am eindeutigsten kann für Act 2 von einem jüdischen »Frühling der Kirche« gesprochen werden, denn auf die dortige Heilsverkündigung Petri, die mit harschen Vorwürfen an die jüdische Adresse nicht spart (V. 23.36), reagiert die jüdische Zuhörerschaft durchweg einsichtig: »Was sollen wir tun, Brüder?« (V. 37). Der eindringliche Umkehrruf an Israel endet - im Sinne der Erzählintention - mit der Taufe wohl ungefähr aller angeredeten Juden. Jedenfalls ist kein jüdischer Widerstand erkennbar. Überhaupt wird auffälligerweise (noch) nicht zwischen dem Volk und seinen Führern unterschieden. Nichts stört das Bild einer stetig wachsenden, allseits beliebten christlichen Judengemeinschaft in Jerusalem (V. 42-47). Das erste große Etappenziel in der Darstellung des lukanischen Heilskonzeptes ist erreicht: Israel kehrt um. Ein verheißungsvoller Anfang. Aber schon bald schieben sich erste dunkle Wolken vor dieses freundliche Heilspanorama. Der Ton nimmt an Schärfe zu. Der erzählte Petrus führt Mose als Kronzeugen an, um seiner jüdischen Zuhörerschaft ein Ultimatum zu stellen: Entweder Umkehr, oder es drohe die gewaltsame 1 Zur narrativen Funktion der Wiederholung siehe R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 74-77.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

Verstoßung aus dem λαός (Act 3,23). Erstmals treten nun - im Tempel erkennbar Mitglieder aus der jüdischen Oberschicht, unter ihnen Sadduzäer, auf; sie verhaften die Apostel (Act 4,1-3). Ihnen ist die Jesus- und Auferstehungspredigt, gegen die sie aber vorläufig nichts ausrichten können, offensichtlich ein Dorn im Auge (V. 2). Mit großem Freimut (παρρησία V. 13; V. 29.31; vgl. 28,31) verkündigen die Apostel das Evangelium der Auferstehungshoffnung in Jesus, und selbst Drohungen des Synedrions (Act 4,17f.21.29) vermögen die Apostel keineswegs einzuschüchtern. Zu offensichtlich hat sich zuletzt mit der Heilung des Gelähmten die göttliche Evidenz dieser christlichen Lehre erwiesen. Das Verhör vor dem Synedrion sieht am Ende die Ankläger selbst als Angeklagte: »Urteilt selbst,« so Petrus, »ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott« (V. 19). So wird, wie schon zuvor im Evangelium, ein deutlicher Riß im jüdischen λαός offenbart, eine Trennlinie, die zwischen der hörwilligen Volksmenge einerseits und den Führern andererseits verläuft. Mit dieser ersten Scheidung in Israel beginnt sich die Weissagung Simeons über den Widerspruch gegen Jesus in Israel erneut zu erfüllen (Lk 2,34b). Die Apostel sind nach dieser ersten Auseinandersetzung vor dem Synedrion also deutlich vorgewarnt. Darum beten sie - mit Erfolg - um den Beistand Gottes, den Heiligen Geist (Act 4,24ff), den der irdische Jesus ihnen für den Fall anstehender Bedrängnis zugesagt hat (Lk 12,llf) 2 . Auch treten erste interne Gemeindeprobleme auf (Act 5,1-11); diese werden mit unnachsichtiger Härte zur Abschreckung aller gelöst. In der folgenden Szene (Act 5,17ff) spitzt sich die Lage für die Apostel dramatisch zu. Sie werden erneut verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Jetzt wird auch explizit, was bislang nur indirekt zu erschließen war: Es geht den jüdischen Oberen weniger um rechte jüdische Lehre als um Macht über und Einfluß auf das Volk. Die Tempelaristokratie ist »erfüllt von Eifersucht« (έπλήσϋησαν ζήλου V. 17; vgl. 13,45)3. Darin liegt das 2 In der Bestimmung der realhistorischen Situation der lk Gemeinde hat Lk 12,11 für W. Stegemann, Synagoge, S. 84, eine entscheidende Bedeutung: »Lk 12,11 spricht aus den Erfahrungen einer heidenchristlichen Gemeinde außerhalb des jüdischen Palästina, also von Konflikten zwischen Heidenchristen und Diasporasynagogen, die schließlich auch vor staatliche Beamte getragen werden (können). Lk 12,11 ist wie die gesamte Ermahnung zum offenen Bekenntnis auf die Situation der lukanischen Adressaten bezogen«. Vgl. auch seinen Exkurs über den >Beistand des Geistes im Konfliktfall: Act 4,8ff; 5,29ff«, a.a.O. S. 85f£ 3 Diese Formulierung kann ebenso wie Act 13,45 aus kontextuellen Gründen mit Sicherheit nicht als besonderer Gesetzeseifer verstanden werden. Siehe unten die Ausführungen zu Act 13.

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XIII. Dunkle Wolken

Motiv für ihr Einschreiten. Aber noch muß sich diese jüdische Oberschicht davor fürchten, vom Volk gar gesteinigt zu werden, falls sie gegen die inzwischen wundersam befreiten Apostel gewaltsam vorgeht (V. 26; vgl. ähnlich bei Jesus Lk 19,47f; 20,19; 22,2). Der Eindringlichkeit des christlichen Umkehrrufes aber (Act 5,29-32) kann sich diese jüdische Führungsschicht nur gewaltsam, mit Tötungsabsichten erwehren (V. 33). Es ist auffallend, daß Lukas sowohl in Act 5,33 als auch in 7,54 das sonst nirgends im NT vorkommende Verb διαπρίεσθαι (wörtlich »zersägen«; übertr. im Passiv »einem durch und durch gehen«4) verwendet, um die Reaktion des äußerst gereizten Synedrions zu schildern. Was es hier begehrt, wird bald darauf in der Steinigung des Stephanus blutige Wirklichkeit. Noch aber kann das besonnene Eingreifen Gamaliels Schlimmeres verhindern helfen. Der Interpretationsrahmen zur Deutung der Stephanusperikope ist somit abgesteckt. Am Schluß von Act 5 zeichnet sich ab, daß der einst so verheißungsvolle Anfang der Christusverkündigung in Jerusalem nunmehr einer Phase gewaltsamer Verfolgung weicht. Der Leser weiß sich, auch noch bei der Erfolgsmeldung Act 6,7, hinreichend auf die folgenden dramatischen Ereignisse vorbereitet.

2. Anmerkungen zur Historizität der Stephanuserzählung Differenz zwischen erzählter und historischer Welt

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Für die Untersuchung der Geschichte des Urchristentums ist die Zeit, die Lukas in seiner Stephanusperikope erzählt (Act 6,8-8,3; vgl. zuvor 6,5), von großer Bedeutung. Im Gefolge der Arbeiten von M. Dibelius zur Apostelgeschichte5 wurde dabei allerdings der Historizität der von Lukas erzählten Ereignisse wenig Vertrauen entgegengebracht. Dieses Bild hat sich in den letzten Jahren jedoch gewandelt. Die Arbeiten u.a. von M. Hengel 6 haben diesbezüglich eine Kehrtwendung auch in der deutschsprachigen Diskussion eingeleitet. Was in der anglo-amerikanischen Diskussion schon immer ein gewisser Common sense gewesen ist, nämlich ein größeres Zutrauen in die Historizität der in der Apostelgeschichte dargestellten Geschehnisse, hat nun auch in der deutschsprachi-

4 So Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 377. 5 M. Dibelius, Aufsätze. 6 M. Hengel, Zwischen Jesus und Paulus; ders., Hellenismus und Judentum; ders., Geschichtsschreibung.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

gen Diskussion Einzug gehalten7. Insbesondere der Gruppe der Hellenisten gilt hierbei das Interesse, wird in ihnen doch das entscheidende Bindeglied »zwischen Jesus und Paulus« (Hengel) gesehen. Dabei wird aber leicht übersehen, daß außer Lukas niemand von solchem Kreis zu berichten weiß. Der Begriff der Hellenisten ist neutestamentlich nur bei ihm belegt. Selbst wenn der Sachverhalt, daß es einen einflußreichen Kreis Griechisch sprechender Juden (vgl. Act 2,5ff) bzw. Judenchristen in Jerusalem gegeben hat, nicht bestritten werden soll, muß man jedoch fragen: Warum schweigt sich der historische Paulus im Unterschied zum lukanischen Paulus (Act 22,20) über Stephanus aus? Gerade das Wirken des historischen Stephanus müßte doch, zumal wenn die >Theologie< der Jerusalemer Hellenisten geistig der paulinischen Theologie nahegestanden, ja diese maßgeblich mitgeprägt haben soll, im Corpus Paulinum explizit, etwa in Gal If 8 , verifizierbar sein. Zu Recht warnt K. Löning: »Über das theologische Profil des Stephanuskreises und das Konzept seiner Mission Aussagen zu machen, ist angesichts der Knappheit des Materials nur ansatzweise möglich. Unsere Kenntnis stützt sich lediglich auf drei Einzeltraditionen: das Stephanusmartyrium und zwei Philippus-Episoden. Diesen Mangel an Stoff sollte man nicht spekulativ dadurch erweitern, daß man in freier Verwendung lukanischer Vorstellungen Stephanus zu einem >Vorgänger des Apostels Paulus< macht (EChr. Baur) und seiner Theologie alles zuordnet, was als missing link die Entwicklung von der Jerusalemer Urgemeinde zu Paulus verständlich machen könnte« 9 . Die Vermutung liegt nahe, daß, ähnlich wie bei der Diskussion um die lukanischen Gottesfürchtigen, zu wenig das durch Lukas geleitete Interesse seiner Erzählung beachtet wird. Damit ist nicht gesagt, Act 6f sei bloße lukanische Fiktion. Das zu behaupten, wäre genauso verkehrt, wie andererseits zu sehr auf die Historizität der von Lukas erzählten Geschehnisse zu vertrauen. Vor allem ist methodisch darauf zu achten, nicht unmittelbar von der erzählten Ebene in die historische Welt zu wechseln. Die Apostelgeschichte ist historisch nicht direkt auswertbar. In mancher Hinsicht scheint M. Dibelius unserer Zeit wieder voraus zu sein, wenn er Lk-Act als eine bewußte literarische Konstruktion begreift, die den Geist der antiken Geschichtsschreibung atme. Lukas wird wichtige Erzählfigu-

7 Vgl. L. Schenke, Urgemeinde; B. Wander, Trennungsprozesse. 8 Die Hinweise, die H. Räisänen, Hellenisten, S. 1499-1502, in Gal 1 zu entdecken glaubt, sind dürftig. 9 Vgl. K. Löning, Stephanuskreis, S. 86.

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ren nicht frei erfunden haben, aber er legt sie sich so zurecht, daß sie sich seiner Vorstellung und Zielplanung einordnen; sie dienen also seiner theologischen Konzeption. Das gilt es gerade auch bei Stephanus zu beachten. Dabei sollte vor allem nicht erwartet werden, daß der lukanische Stephanus eine andere >Theologie< verträte als etwa der lukanische Petrus oder der lukanische Paulus, es sei denn, es gäbe dafür sachliche Gründe, die in den Personen selbst zu suchen sind. Die in Lk-Act vorkommenden Personen sind zuallererst Erzählfiguren. Lukas >benutzt< sie, um an ihnen und mit ihnen sein theologisches Konzept zu entfalten. Er dirigiert so auch seine Leser. Gerade in der Apostelgeschichte ist seine Erzählführung deutlich zu spüren. Seine Christentumsgeschichte ist zielgerichtet, in einem guten Sinne ideologisch. Die narrativ geleitete Exegese stellt sich darum der Aufgabe, das Spezifikum der lukanischen Erzählperspektive freizulegen. Damit ist in einem ersten Schritt die Grundlage geschaffen, die als Voraussetzung zwingend nötig ist, um danach in einem zweiten Schritt die Stephanusperikope mittels diachroner Methodik historisch auswerten zu können.

3. Die Erzählfigur Stephanus - als Christusanhänger treu dem Tempel und dem Gesetz verbunden Lukas führt seine Erzählfigur Stephanus im Zusammenhang mit der Schilderung eines zweiten internen Gemeindekonfliktes ein. Erstmals erfährt der Leser von einer Gruppenfriktion auch innerhalb der Jerusalemer Urgemeinde. Die »Hellenisten« (οί Έλληνισταί) begehren gegen die »Hebräer« (oi Εβραίοι) auf (Act 6,1). Mit Hengel u.a. ist davon auszugehen, daß diese Termini die sprachliche Herkunft der so Bezeichneten anzeigen. Bei den »Hellenisten« handelt es also um Griechisch sprechende Juden aus der Diaspora, während hinter den »Hebräern« Aramäisch sprechende Juden aus Palästina stehen10. In Act 6,Iff wird von einem Streit um die gerechte Ausübung der praktischen διακονία berichtet; die Witwen der »Hellenisten« werden bei der täglichen Versorgung mit Nahrungsgütern übersehen (V. l ) u . Somit ist klar, daß die hier genannten 10 Näheres zu den »Hellenisten« und den »Hebräern« siehe u.a. M. Hengel, Jesus und Paulus; G. Lüdemann, Apostelgeschichte, S. 84f; H. Räisänen, Hellenisten, S. 1477ff; 11 G. Lüdemann, Apostelgeschichte, S. 84, sieht in dieser Darstellung eine »luk. Verharmlosung eines anderen Konfliktes«, als deren eigentlichen Hintergrund er vermutet: »Gesetzesstrenge aramäisch sprechende und griechisch sprechende Christen gerieten über die Gesetzesfrage aneinander, wobei die Sprachbarriere noch ein übriges zum Streit

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

»Hellenisten« und »Hebräer« nur Christen, und zwar Judenchristen, sein können12. Die innergemeindliche Auseinandersetzung wird mit der Einsetzung eines Siebenerkreises einvernehmlich gelöst (V. 3-6); diesem Kreis steht Stephanus als Erstgenannter in prominenter Rolle vor (V. 5). Zwar wird eine Arbeitsteilung in >Wortdienst< und >Tischbedienung< zwischen dem Zwölfer- und dem Siebenerkreis beschlossen, aber auffälligerweise wird es doch gerade Stephanus sein, der sich im folgenden als ein treuer >Diener des Wortes< auszeichnet (V. 9f; vgl. V. 2-4). Schon seine Einführung gibt Aufschluß über seine besonderen geistlichen Qualitäten: Von den Sieben wird nur er dem Leser als ein άνήρ πλήρης πίστεως και πνεύματος άγίου vorgestellt (V. 5), und bald darauf wird seine herausragende Rolle mit der Formulierung πλήρης χάριτος και δυνάμεως eingangs nochmals unterstrichen (V. 8). Er wird - obgleich kein Apostel, ihnen dennoch ebenbürtig13 als ein wortgewaltiger Charismatiker vorgestellt, der am λαός Wunder

beitrug«. Demgegenüber schränkt H. Räisänen, Hellenisten, S. 1479, ein: »Welcher konkrete Tatbestand dahinter steckt, läßt sich kaum mehr erhellen«. Vgl. den Lösungsversuch von B. Wander, Trennungsprozesse, S. 123-130, der bei seinem Rekonstruktionsversuch zu wenig den literarischen Charakter der lk Darstellung berücksichtigt. Es könnte doch sein, daß Lukas in dieser Sache über keine Detailkenntnis verfügt. Das Proprium seiner Darstellung ist doch zum einen die gütliche Lösung und zum anderen die Einführung des Siebenerkreises um Stephanus. 12 Hingegen scheint es sich in Act 9,29 zwar ebenfalls um jüdische, aber nicht um judenchristliche, sondern jüdische Hellenisten zu handeln. So auch M. Hengel, Jesus und Paulus, S. 164; G. Schneider, Stephanus, S. 232; ders., Apostelgeschichte II, S. 39. Zum Entscheid, in Act 11,20 Έλληνας statt Έλληνιστάς zu lesen, siehe Kap. III. 3.2.1. 13 B. Wander, Trennungsprozesse, S. 131, übersieht die literarische Funktion in der Charakterisierung des Stephanus. Wenn Lukas ihn - wie später auch Philippus (Act 8,13) als Wundertäter vorstellt, so ist doch die Parallele zu Jesus (Act 2,22; 10,38) und zu den Aposteln (Act 5,12) gewollt. Lukas muß doch ein starkes Interesse daran haben, Stephanus möglichst nahe an die Jesusverkündigung der Apostel heranzurücken, um die Geschehnisse um Stephanus nicht zu einem Sonderfall werden zu lassen. Die Ereignisse um Stephanus haben für Lukas nämlich fundamentale Auswirkungen auf die gesamte weitere Entwicklung der von ihm erzählten Christentumsgeschichte. Auch die These eines besonderen »Pneumatikertums des Stephanus«, so Wander, a.a.O., S. 145, ist überzogen, denn die Geistbegabung des Stephanus muß doch primär in seiner literarischen Funktion gesehen werden. Bezeichnenderweise ist nicht nur Stephanus geistbegabt, sondern auch Petrus (Act 3,8) und alle anderen Apostel (Act 4,30f: σημεία καί τέρατα ... έπλήσθησαν άπαντες του άγίου πνεύματου). Auch Paulus ist wie Barnabas (Act 11,23) geistbegabt (Act 9,17; 12,4) und vollbringt Wunder (Act 19,11). Das relativiert doch jede historische Verwertbarkeit eines angeblich besonderen Pneumatikertums für Stephanus, was Wander aber in Anlehnung an Hengel, Jesus und Paulus, S. 193f£, als Spezifìkum dieses Kreises ausweisen will und zur Grundlage seiner Analyse macht.

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vollbringt. Nach Act 5,12-16.17f dürften die Lukasleser eifersüchtige Gegnerschaft anderer Juden zu Stephanus erwarten.

3.1. Der Ausgangspunkt: falsche Anklagen gegen Stephanus eine Intrige von Diasporajuden (Act 6,8-12) Das Christus-Charisma des Stephanus ist offensichtlich im λαός erfolgreich. Das ruft auf jüdischer Seite, wie zuvor schon bei den Aposteln, Widerstand hervor. Aber diesmal ist es nicht mehr die jüdische Tempelaristokratie, die eingreift, sondern es sind Diasporajuden, die einschreiten (V. 9)14. Zwar sind Diasporajuden schon in der Völkerliste (Act 2,5ff) mitenthalten, aber erst jetzt treten sie gesondert als handelnde Gruppe in Erscheinung. Juden aus der Diaspora sind also die eigentlichen Urheber dieses so folgenschweren Konfliktes. Sie führen in dieser Sache das Wort. Weniger die Frage, ob dieser Konstellation ein realgeschichtlicher Hintergrund zugrunde liegt, interessiert in unserem Fall, als vielmehr der Eindruck, den Lukas hier beim Leser erzeugt: Die jüdischen Gegner des Evangeliums stammen nun nicht mehr aus Jerusalem und Judäa, sondern aus der Diaspora. Das läßt jetzt für die Judenmission des Paulus in jüdischer Diaspora schon nichts Gutes erahnen. Vor allem die Erwähnung von Juden aus der Asia am Ende ist narrativ bedeutungsvoll, denn gerade diese werden auch die Verhaftung Pauli im Jerusalemer Tempel initiieren (Act 21,27). Überhaupt scheint später gerade die Provinz Asia ein schwieriges Gebiet für christliche Mission zu sein. Ein erster Besuch des lk Paulus dort wird vom Heiligen Geist verhindert (Act 16,6), und nicht nur der Widerstand von staatlicher und jüdischer Seite, sondern auch innergemeindliche Probleme - erinnert sei an die Johannesjünger (Act 19,Iff) - erschweren die Verkündigungssituation in Ephesus15. Besonders den Juden aus der Asia mißt Lukas insgesamt 14 Zu den verschiedenen Synagogengemeinschaften in Jerusalem siehe M. Hengel, Jesus und Paulus, S. 182ff; G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 435; G. Lüdemann, Apostelgeschichte, S. 88£ 15 Aus der gewiß auffälligen Prominenz von Ephesus in Lk-Act sollte nicht zwingend auf den Ort seines Verfassers rückgeschlossen werden. Das ephesinische Lokalkorit könnte doch auf Gemeindeüberlieferungen beruhen, die Lukas narrativ für seinen Zweck der Darstellung einer Einheit der Kirche nutzt. M. Günther, Frühgeschichte, S. 63ff, sieht gerade in der Miletrede eine Kritik am ephesinischen Christentum. Genausogut könnte also auch Rom Standort des Lukas sein, gerade weil er so wenig über die dortige Gemeinde sagt. Bekanntes kann nämlich vorausgesetzt werden und muß nicht wiederholt werden. Wie dem auch sei, das Werk selbst wird seinen Ursprungsort nicht preisgeben.

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eine pointiert negative Rolle zu. Man beachte, daß in Ephesus zum ersten und einzigen Male in Lk-Act wörtlich eine Trennung (άφωρίζειν) von einer Synagogengemeinde vollzogen wird (Act 19,9). Als Grund für diese Trennung gibt Lukas ausdrücklich jüdische Verstocktheit an. Das von ihm nur hier verwendete Verb σκληρύνεσθαι ist seinem Wortstamm nach auch in der Rede des Stephanus enthalten, als dieser am Ende seines heilsgeschichtlichen Exkurses seine jüdische Zuhörerschaft provozierend als σκληροτράχηλοι anredet (Act 7,51). Worüber die Diasporajuden im einzelnen mit Stephanus disputieren (συζητεΐν Act 6,9), wird nicht weiter ausgeführt. Deutlich aber stellt Lukas deren Unterlegenheit 16 heraus. Der »Weisheit und dem Geist« des Stephanus sind sie nicht ebenbürtig (V. 10). Neid, so der Eindruck für den Leser (zumal von Act 5,12-18), motiviert ihr Eingreifen. Heimlich und hinterrücks treten sie denn auch in Aktion. Sie stiften dazu an (ύποβάλλειν V. 11; ntl Hapaxlegomenon), daß irgendwelche »Männer« behaupten, Stephanus habe bezeugbar »blasphemische Worte« über Mose und Gott geäußert (V. 11). Man beachte: Wäre dies tatsächlich wahr gewesen, hätte Stephanus sich nicht nur aus dem Synagogenverband, sondern zugleich aus der Jerusalemer Urgemeinde ausgeschlossen. Denn für den Leser ist seit der zweiten Petrusrede klar: Wer sich prinzipiell gegen Mose stellt, der kann kein Anhänger Jesu, des Mose redivivus, sein (Act 3,22f). Mose und die Propheten werden zudem von Lukas gerade als das Fundament des christlichen Glaubens gewürdigt und beansprucht; auf diesem jüdischen Fundament baute das Bekenntnis zu Jesus auf. Die Beschuldigungen gegen Stephanus sind für Lukasleser also offenkundig haltlos, als Lüge entlarvt. Dennoch vermögen derlei entehrende Gerüchte und vernichtende Anschuldigungen diesmal nicht allein interessierte Kreise der Oberschicht, sondern nicht zuletzt auch den λαός aufzuwiegeln (V. 12). Wie schon in der Passion Jesu, so läßt sich das Volk jetzt wieder schuldhaft verblenden - gegen den, dessen Wunderhilfe es

Lukas schreibt keine lokal oder regional begrenzte Gemeindegeschichte, sondern eine universale Heilsgeschichte. 16 Wenn B. Wander, Trennungsprozesse, S. 132, ausführt, daß die Diasporajuden »dem derartig ausgewiesenen Charismatiker Stephanus ... nicht gewachsen« wären, so ist diese Textbeobachtung gewiß richtig. Aber darf aus dieser erzählten Welt, ohne daß weiter nach ihrer literarischen Funktion gefragt wird, sogleich der Sprung in eine historische Konstruktion erfolgen? Die Unterlegenheit der Diasporajuden ist doch in allererster Linie ein literarisches Stilmittel. Als historisches Argument wäre es geradezu eine Verunglimpfung von Juden!

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vordem schätzte (V. 3). Stephanus wird abgeführt und vor das Synedrion gebracht. 3.2. Das Verhör vor dem Synedrion (Act 6,13-7,60) Was von dem folgenden Verhör zu halten sein wird, verdeutlicht Lukas gleich zu Beginn. Da für den Leser erkennbar ist, daß gegen Stephanus nichts vorliegen kann, was eine Anklage wirklich rechtfertigte, müssen μάρτυρες ψευδείς (V. 13; ntl Hapaxlegomenon; vgl. Mk 14,56f) beigebracht werden. Damit ist für den Leser klar: Dieses Verhör kann nur eine Farce sein. Was immer von Seiten der Falschzeugen an Argumenten vorgebracht werden mag, die Anklage kann nicht stimmen; sie baut nämlich auf Lügen auf. Die Anschuldigungen der Falschzeugen von Act 6,13 sind darum für den Leser von vornherein unglaubwürdig: Selbstverständlich hat Stephanus nicht gegen diesen »heiligen Ort« 17 , also den Tempel, geredet, hat er nicht gegen das Gesetz verstoßen 18 . Das wird nicht nur daran ablesbar, daß es sich ja explizit um Falschaussagen handelt, sondern beides widerspräche auch fundamental der christlichen Überzeugung und Praxis, wie Lukas sie bislang entfaltet hat. In diesen Verstehenshorizont von Tempel und Gesetz ist auch der umstrittene V. 14 mit seinem traditionsgeschichtlichen Verhältnis zu Mk 14,58 einzuzeichnen. 3.2.1. Das Tempellogion Act 6,14 Die Deklamation durch falsche Zeugen Act 6,13 liefert den Mk 14,57 entsprechenden und für Lukas wichtigen apologetischen Rahmen, um seiner Erzählintention gemäß mit den falschen Zeugen aus Mk 14,57 auch ihr aus Mk 14,58 stammendes Tempellogion in V. 14 aufnehmen zu können. V. 13 zeigt, wie Lukas das mk Tempellogion 19 , das er dann in 17 Zu τόπος als Bezeichnung für den Tempel siehe H. Koester, Art. τόπος, S. 204t 18 Fast wörtlich wiederholen sich diese Anklagepunkte gegen Paulus Act 21,28; Näheres hierzu unten Kap. XVI. 4.2. 19 Gegen E. Rau, Jesus zu Paulus, S. 20-22, der das traditionsgeschichtliche Abhängigkeitsverhältnis von Mk 14,58 zu Act 6,14 umkehrt. Seiner Meinung nach ist Act 6,14 »die >Vorlage< von Mk 14,58« (S. 22), denn: »Wer die Anklage gegen Stephanus in einer eigenen Schrift thematisiert, braucht sie nicht in die Passion Jesu hineinzuprojizieren« (S. 24). Aber warum sollte Lukas sich diese zweite Chance entgehen lassen? Daß Lukas die positive Aussage über den Tempelneubau aus Mk 14,58b in Act 6,14 fortläßt, ist kein überzeugendes Argument für eine traditionsgeschichtliche Priorität dieser lukanischen Stelle. Act 7,48a (οΰχ ... χειροποίητος) wird nämlich - wie Rau selbst in einer

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

V. 14 bewußt verkürzt, d.h. verfälscht, anklingen läßt, auf der synchronen Textebene verstanden wissen will: Weder der lk Jesus noch Stephanus hat sich je tempel- oder gesetzesfeindlich geäußert. Gerade der etwas umständliche Verweis auf Jesus wäre doch an dieser Stelle nicht nötig, wäre er nicht durch Tradition nahegelegt. Die (verleumderischen) Anklagepunkte gegen Stephanus sind bereits mit V. 11 und vor allem V. 13 bekannt; die in V. 13 genannten erfahren durch V. 14 lediglich eine weitere Zuspitzung durch vermeintliche Berufung des Stephanus auf ein vermeintliches Jesuswort. Haenchen muß also aus narrativer Sicht widersprochen werden, wenn er behauptet, Lukas habe »beim Prozeß des ersten Märtyrers Jesu Prozeß vor Augen gehabt und hier Material gebracht, das dort gefährlich wäre« 20 . Das mk Tempellogion wird in der Lukas-Passion, welche die schon in der Markus-Passion letztlich entbehrlichen Falschzeugen (Mk 14,63) nicht übernimmt, überflüssig und gilt in Act 6,14 schlicht als falsch. Aber das letztere ist zugleich ein Indiz, das Haenchens Argument aus historischer Perspektive wahrscheinlich macht. Die Position zu Tempel und Gesetz war zur Zeit des Lukas, das ist aus Act 6,14 wohl ablesbar, eine brisante Frage. Insofern kann gefolgert werden, daß der historische >Stephanuskreis< Gesetzeskritik geübt haben wird. Daß Lukas diesen Sachverhalt entgegengesetzt schildert, weist gerade in diese Richtung und zeigt sein apologetisches Interesse. Aus narrativer Sicht ist die lukanische Position zum Tempel bislang in sich schlüssig und kohärent. Wir hatten oben (Kap. V. 2.1.) bereits gesehen, daß Lukas den Tempel positiv beurteilt. Diese Wertschätzung kann ihm um so leichter fallen, als der für Völker(christen) verschlossene Tempel zu seiner Zeit zerstört ist. Diese Annahme ist zwar ein extratextueller Parameter, kann aber aus dem lk Text selbst erschlossen werden (Lk 13,34f; 19,41-44; 21,51). Daher muß dieser Faktor in Übereinstimmung mit Tannehill als ein Leserwissen mit in die Textanalyse einbezogen werden: »The knowledge in question is extratextual only in the sense that an event clearly anticipated in Luke has actually happened« 21 . Lukas vermeidet in seinem Evangelium jegliche Aussage, die Jesus auch nur in die Nähe einer Verantwortung für die Tempelzerstörung rük-

Fußnote S. 22, Anm. 82 als Möglichkeit einräumt -, unter dem Einfluß von Mk 14,58b (άχειροποίητος) gestaltet worden sein. 20 E. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 267. 21 R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 95 Anm. 45.

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ken könnte. Wenn der lk Jesus von der bevorstehenden Zerstörung des Tempels spricht, dann zunächst wiederholt in der Form der Klage über Jerusalem (Lk 13,34f par Mt 23,37-39 aus Q; 19,41-44). Diese beiden lk Textstellen lesen sich wie ein Interpretament zur Stephanusperikope. Wäre Jerusalem (und mit ihm Israel) gehorsam geblieben, dann wäre der Tempel auch nicht zerstört worden. Das ist der lukanische Erzählduktus (vgl. Lk 21,20-44, bes. V. 22). Selbst das aus Mk 13,2 stammende Logion von der Tempelzerstörung in Lk 21,5 ist weniger Drohwort als vielmehr Erkennungszeichen der einsetzenden Endzeit. Aber im Unterschied zur mk/mt Version spricht der lk Jesus dieses Logion im Tempel (Lk 21,5f). Daß er auch danach tagsüber im Tempel lehrt (V. 37), ist ein weiteres Indiz der von Lukas bewußt gezeichneten Nähe zum Tempel. Lukas hat in der Darstellung und Bewertung des Tempels also ein deutlich apologetisches Interesse. Dies mag ihn darin bestärkt haben, die mk falschen Zeugen mit dem Tempellogion Mk 14,58 nicht in seinen Passionsbericht aufzunehmen. Daß Lukas dieses Logion aber nicht ganz wegfallen läßt, sondern es in seine Stephanusperikope integriert, offenbart, wie brisant dieses Thema ist. Gerade nach der Zerstörung des Tempels dürfte diese Frage hochaktuell gewesen sein22. Wenn R. Pesch konstatiert: »Während die Zeugen bei Markus (14,58) objektiv Falsches berichten, erklären die falschen Zeugen Apg 6,13£ objektiv Richtiges. Dieser Jesus bricht mit dem Tempel und Gesetz«23, dann ist der Lukas betreffende Teil seiner Aussage narrativ unzutreffend. Die falschen Zeugen in Act 6,13f sagen im Sinne des Lukas wirklich etwas >objektiv< Falsches. Der lk Jesus bricht nämlich nicht mit dem Tempel und dem Gesetz: Für Lukas ist weder Jesus noch Petrus noch Paulus noch Stephanus Gegner des Jerusalemer Tempels oder des Gesetzes. Vielmehr stellt Lukas seine Heilsprotagonisten durchweg als tempeltreue, fromme Juden dar. Das ist ein wesentlicher Punkt seiner gesamten Erzählung. Ein Wirken wider Tempel und Gesetz liegt eher bei denen vor, die Jesus und seinen Boten nicht folgen.

22 Es ist darum zu kurz gegriffen, wenn Tannehill, a.a.O., S. 94, meint, »The charge is not eliminated but is transferred to a context that provides more freedom for theological comment than the passion story«. Lukas hat offensichtlich ein sehr großes Interesse, Jesus von jeglichem Vorwurf, gegen den Tempel eingestellt gewesen zu sein, reinzuwaschen. 23 R. Pesch, Vision, S. 45.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

Daraus erklärt sich nun auch die im Futur gehaltene Aussage in Act 6,14. Sie muß keineswegs eschatologisch ausgelegt werden 24 , zumal eine Gesetzesänderung im Eschaton kaum gegenwärtig berühren könnte. Vielmehr stellt Act 6,14 die Tatsachenverdrehung der christlichen Gegner bloß. Deren Behauptung, daß Jesus den Tempel »zerstören« (καταλύειν) und die jüdischen Bräuche, mithin also das Gesetz, aufheben, wörtlich: verändern (άλλάσσειν; Hapaxlegomenon in Lk-Act) werde, ist >objektiv< falsch. Der Leser weiß, daß nicht Jesus für die nach der erzählten Zeit eingetretene Zerstörung des Tempels verantwortlich zu machen ist (Lk 21,20-24). Auch die Relativierung, wenn nicht sogar Aufhebung des Gesetzes, die der Evangelist Markus Jesus in 7,Iff vollziehen läßt, hat Lukas (bislang) bewußt umgangen. Der gegnerischen jüdischen Seite im Synedrion könnten die Lukasleser hier kein Argument an die Hand geben, das deren Eingreifen rechtfertigen könnte. Weder ist bislang Tempelkritik noch eine gesetzeskritische Haltung in der Apostelgeschichte erkennbar. Die jesusgläubige Schar der Jerusalemer Urgemeinde repräsentiert vielmehr, so Lukas, das der Verheißung Israels jetzt treu bleibende Judentum. 3.2.2. Die Verteidigung - die Rede des Stephanus (Act 7,2-53) 3.2.2.1. Einführung Für M. Dibelius 25 ist die Stephanusrede ein Fremdkörper. Das »auffallendste Merkmal dieser Rede« sei ihre »Beziehungslosigkeit« zum Erzählganzen - für ihn ein Indiz, daß die Rede »offenbar von Lukas in das ihm bereits vorliegende Martyrium des Stephanus eingeschoben« worden ist. Er unterscheidet zwischen einem »neutralen« Grundtext, der, die Heilsgeschichte erzählend, den »Geist der hellenistischen Synagoge« atme, und den »polemischen Stellen«, die von Lukas stammen, der zudem »das Ganze bearbeitet« habe. Im Gefolge von O.H. Steck 26 geht U. Wilckens 27 den umgekehrten Weg und weist die polemischen Teile der Rede der deuteronomistisch geprägten Umkehrtradition zu. Der Anteil von Tradition und Redaktion in dieser Rede bleibt - siehe u.a. M. Hen-

24 So M. Hengel, Jesus und Paulus, S. 192: »Jesus ist das - eschatologische - Subjekt dieser in die Zukunft weisenden Veränderung«. Ähnlich auch H. Räisänen, Bridge, S. 169: »Acts 6,14 is an >apocalyptic prophecy< rather than a continuation of Jesus' preaching«. 25 Alle folgenden Dibeliuszitate entstammen M. Dibelius, Reden, S. 145. 26 O.H. Steck, Gewaltsame Geschick, S. 265-269. 27 U. Wilckens, Missionsreden, S. 217, Anm. 1.

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gel28 - umstritten und wird letztgültig nicht zu klären sein. Es fehlt nämlich das zuverlässige Vergleichsmaterial, das herangezogen werden könnte, um zu sicheren Daten zu gelangen. Um so wichtiger ist es, im Sinne unserer Aufgabenstellung herauszufinden, ob sich die Stephanusrede in den lukanischen Erzählkontext sinnvoll einfügen läßt oder ob sie sich auch narrativ als ein im Grunde sperriger Einschub erweist. 3.2.2.2. Wer sind die Adressaten der Rede? Auf der erzählten Ebene redet Stephanus lediglich das Synedrion an (Act 6,1-5). Seine Mitglieder sind die primären Adressaten der Stephanusrede. Dennoch kommt dieser Rede eine weit über die engere Narratio hinausragende Bedeutung zu. Zum einen sind - wie später in der Darstellung des Paulus - bewußt Parallelen zur Passion Jesu gesetzt. Das Resultat der Stephanusepisode hat zudem wesentliche Auswirkungen auf die Christusverkündigung. Auch verursacht durch die Vertreibung der judenchristlichen Hellenisten aus Jerusalem, läßt Lukas den Gang des Evangeliums hinaus in die Welt der Völker beginnen. Auch die Anlage der Rede, ihre große Ausführlichkeit und Thematik, läßt auf eine intendierte Grundsätzlichkeit schließen. Die Stephanusrede hat eine paradigmatische Funktion, die weit über das angeredete Synedrion hinausreicht und ganz Israel meint, sofern es sich der Christusbotschaft gegenüber verschließt. Selbst das Diasporajudentum ist indirekt schon mitbetroffen, da sich ja aus seinen Kreisen der Widerstand gegen Stephanus rekrutiert hat. Noch weitere Indizien weisen auf diese paradigmatische Rolle: 1. Lukas differenziert nicht mehr zwischen dem λαός und seinen Führern, 2. Dafür unterscheidet er (πατήρ ημών Αβραάμ (Act 7,2) und οί πατέρες υμών (V. 51). - 3. Der Umkehrruf fehlt, der bislang für die Reden in der Apostelgeschichte kennzeichnend gewesen ist. Interessant ist zudem, daß - wie in Act 4 - am Ende aus dem Angeklagten der legitime Ankläger wird und die Ankläger zu rechtmäßig Angeklagten werden. 3.2.2.3. Was Gott Abraham verheißt: Land - Exodus - Tempel (V. 2-8) Das Fundament der Heilsgeschichte Israels ist für den von Lukas erzählten Stephanus die Verheißung an Abraham. Drei Heilstopoi werden aufgeführt: Land (V. 35), Exodus (V. 6f) und Tempel (V. 7). Vor allem der 28 M. Hengel, Jesus und Paulus. Vgl. T. Holtz, Untersuchungen, S. 85-114; G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 446ff; ders-, Stephanus, S 232ff; G. Lüdemann, Apostelgeschichte, S. 93f; K. Haacker, Stephanus, S. 1530-1542.

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letztgenannte Heilstopos überrascht. Wer meint, der erzählte Stephanus rede einer Tempelkritik das Wort, den belehrt die Tempelverheißung aus dem Munde Abrahams eines Besseren: Statt έν τφ ορει τούτψ aus der Vorlage Ex 3,12 LXX findet der Leser in Act 7,7 έν τω τόπψ τούτφ vor. Der Kontext erweist (τόπος für Tempel Act 6,13f), daß mit dieser Formulierung nur der Tempel gemeint sein kann29: Israel wird nach seinem Auszug aus Ägypten Gott »an diesem Ort dienen« (V. 7). Daher ist es kaum möglich, den späteren Tempelbau Salomos (V. 47) als einen Verstoß gegen den Willen Gottes zu interpretieren. Er ist vielmehr ganz im Gegenteil die Erfüllung einer Verheißung schon an Abraham. Somit ist der Heilsplan Gottes an Israel offengelegt. Als Unterpfand und Siegel erhält Israel zudem den »Bund der Beschneidung« (V. 8; vgl. V. 51). Die folgenden Abschnitte werden zeigen, wie Israel auf diesen Heilswillen Gottes reagiert. Strukturell erinnert diese Abrahamverheißung zudem an die Simeonweissagung. Der Setzung des Heils folgt die Rezeption durch Israel. 3.2.2.4. Wie Israel antwortet: Abfall und Ungehorsam (V. 9-43) Schon die Josefgeschichte (V. 9-16) präludiert das Thema, das sich wie ein roter Faden durch den ausführlichsten Teil der Rede, die Mosegeschichte (V. 17-43), hindurchzieht. »Beiden Überlieferungen«, so K. Haacker, »ist gemeinsam, daß der von Gott Erwählte zunächst von denen abgelehnt und bekämpft wird, deren Retter er nach Gottes Plan werden soll«30. Tannehill kennzeichnet diesen deuteronomistisch geprägten Skopus der lk Erzählführung als tragische UmkehrungZentrum< Israels ist der Tempel nur dann, wenn er auch Zentrum der Heidenwelt ist«45. Das sagt Lukas an keiner Stelle. Vielmehr ist der Tempel für ihn allein der Ort jüdischer und - siehe die Jerusalemer Urgemeinde - auch judenchristlicher Frömmigkeit. Die Unterstellung von Juden aus der Asia in Act 21,27-29, Paulus hätte mit dem Epheser Trophimus einen der »Griechen« (Έλληνες V. 28), also einen Nichtjuden (s. Kap. III. 3.2.3.), in den Tempel geführt und zugleich »diesen Ort entweiht« (κοινοΰν V. 28), ist für Lukas eine Verleumdung und liefert den Vorwand für die jüdischen Gegner, Paulus zu verhaften (V. 29). Einzig der Kämmerer der Kandake (Act 8,26-39) ist, was seine Herkunft anbetrifft, nicht eindeutig einzuordnen (s. Kap. XIV. 2.), aber daß er nach Jerusalem gekommen war, um dort (im Tempel) »anzubeten« (προσκυνεΐν V. 27), weist ihn zumindest der Sache nach als einen >Gottesfürchtigen< aus.

45 M. Klinghardt, Gesetz, S. 305.

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3.2.2.7. Aus Anklägern werden Angeklagte - das Urteil des Stephanus über das »halsstarrige« Israel (Act 7,51-53) Gott hat Abraham für Israel drei Heilstopoi verheißen: Land, Exodus und Tempel (Act 7,5-7). Als Siegel dieser Israelverheißung hat Gott seinem Volk zudem noch den »Bund der Beschneidung« gegeben (V. 8). Jetzt zieht der von Lukas erzählte Stephanus eine ernüchternde Bilanz (V. 51-53). Alle drei Verheißungen sind daran gescheitert, daß Israel sich verweigert hat. Der Bund der Beschneidung ist nur äußerlich geblieben, denn innerlich sind die Israeliten »Unbeschnittene an Herz und Ohren« (V. 51). Was sie sogleich unter lautem Gebrüll vor Stephanus wieder unter Beweis stellen, haben sie schon immer getan: Sie haben sich die Ohren regelrecht zugehalten (συνέσχον τά ώτα αύτών V. 57). Derart verschlossen, zeigen sie sich Gottes Heilswillen gegenüber unwillig und ablehnend. Auch wenn Lukas es hier sorgsam unterläßt, den Fall des Tempels direkt als eine Konsequenz des Ungehorsams Israels zu werten (s. Lk 22,20.22.24), so ist doch klar, daß auch das Schicksal des Tempels in diesen Geschichtsrahmen wiederholten Scheiterns Israels hineingehört. Stephanus geht nun zur verbalen Attacke über. Aus dem Angeklagten wird der Ankläger. Sprach er soeben noch von »unseren Vätern« (V. 44f; zuvor V. 12.15.19.38f), so ist jetzt mit einem Mal deutlich distanzierend von »euren Vätern« die Rede (V. 51f). »Halsstarrige« (σκληροτράχηλοι V. 51) nennt er sein Auditorium. Jüdischen Ohren ist diese Anrede im Zusammenhang der Moseüberlieferung durchaus vertraut (Ex 33,3.5; Dtn 9,6.13 LXX u.a.)46. Um nun seine Zuhörer mit diesem Vorwurf zu behaften, stellt Stephanus sie im Unterschied zu sich genealogisch in eine direkte Nachfolgerschaft zur ungehorsamen Vätergeneration: (ώς ot πατέρες υμών και ύμεΐς (V. 51). Pauschal wird das von ihm angeredete Israel verklagt und haftbar gemacht: Schon »immer« (άεί) habt ihr euch dem Heiligen Geist wörtlich »entgegengeworfen« (άντιπίπτειν V. 51). Mit aller Gewalt habt ihr euch gegen das Heil Gottes gestemmt und alle Propheten umgebracht, auch die die Ankunft des »Gerechten« angekündigt haben, dessen »Verräter« (wie Judas Lk 6,16) und »Mörder« ihr nunmehr geworden seid (V. 52). Der Vorwurf an die jüdische Seite, daß sie für den Tod Jesu mitverantwortlich sei, ist für die Lukasleser nicht neu. 46 Ρ Fiedler, Art. σκληροκαρδία, Sp. 607: »Der Vorwurf der >Vorhaut (Unbeschnittenheit) des Herzens« gehört zur Topik der deuteronomistisch-prophetischen - und davon abhängig: der frUhjüd. Umkehrpredigt, wonach sich Israel >verstockt< weigert, auf Gott zu hören«. In Hebr 3,13.15 findet sich dieser Topos christianisiert als Mahnung an die eigene Gemeinde.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

Der Vorwurf des Mordes an Propheten (und Christen) klingt schon in Lk 6,22£26 und explizit in der Scheltrede in Lk 11,47-51 an, der des Mordes am Gottessohn in der Winzerallegorie Lk 20,9ff, bes. V. 15. Solche Mordtradition wird dann in der Beteiligung des gesamten λαός am Tode Jesu bestätigt (Lk 23,13ff). Selbst Petrus kann seine jüdische Zuhörerschaft mit diesem Vorwurf behaften, aber er redet sie noch als »Brüder« an und spricht von ihrer und ihrer Führer »Unwissenheit« bei der Tötung Jesu (Act 3,17). Das Ziel seiner Reden ist noch die Umkehr Israels. Von solchem Werben ist bei Stephanus aber nichts mehr geblieben. Der Tonfall ist äußerst polemisch. Lukas läßt seine Erzählfigur hier in einer für ihn fast einmaligen Schärfe sprechen. Ein Umkehrruf unterbleibt, scheint auch gar nicht mehr der appellative Skopus der Rede zu sein. Hier wird provokant abgerechnet, ganz unversöhnlich ein Schnitt vollzogen. Für ein Gerichtswort fehlt eine ausdrückliche Gerichtsankündigung; das Verhalten der Zuhörer bestätigt nur die Anklage 47 . Die von Lukas erzählte Verkündigung der Heilsbotschaft wird mit Jerusalem ihr bisheriges Zentrum zumindest zeitweilig (s. u.a. Act 11; 15) aufgeben müssen. Wichtig an dieser Distanzierung ist, daß sie christlicherseits nicht aus eigenem Antrieb geschieht, sondern allein am »halsstarrigen« Verhalten der Jerusalemer Juden liegt. Sie sind dafür verantwortlich zu machen, daß sich das Heil - in Erfüllung des Heilsplans Act 1,8 - nun neuen Zielgruppen zuwendet. Darin wirft diese Erzählung schon deutliche Schatten voraus auf die Romperikope (Act 28).

4. Die Folgen der Rede: Tod und Vertreibung (V. 54ff) Schon einmal reagierte das Synedrion mit spürbarem Unmut aggressiv (διαπρίεσθαι Act 5,33) auf Worte aus christlichem Munde. Aber was damals noch - dank des besonnenen Eingreifens Gamaliels - ein böser Wunschtraum blieb, wird jetzt Wirklichkeit. Dem Haß des Synedrions sind nun keine Schranken mehr gesetzt. Man mag sich das einmal bildlich vorstellen, was Lukas hier beschreibt: auf der einen Seite das Synedrion, das 47 Nicht von ungefähr hat darum E. Haenchen, Judentum, S. 349, gemeint, daß gerade hier »Lukas selbst« rede, »und zwar nicht im Kostüm einer judenfreundlichen Vergangenheit, sondern in Haltung und Stimmung der eigenen, heidenchristlichen Gegenwart. Sie ist dem jüdischen Volk nicht mehr innerlich-freundlich verbunden, sondern läßt eine abgrundtiefe Feindschaft zwischen den beiden Glaubensweisen sichtbar werden. Wenn in der Apostelgeschichte etwas >anachronistisch< ist, dann sind es eben diese Teile der Stephanusrede«. Für Haenchen schlägt also in Act 7,50-53 spürbar das Herz des Lukas.

XIII. Dunkle Wolken

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zum Mob mutiert, mit den Zähnen knirscht, sich unter lautem Gekreische die Ohren zuhält, um ja nichts von dem, was Stephanus über den erhöhten Jesus sagt, hören zu müssen, sich dann auf Stephanus stürzt, ihn aus der Stadt wirft und steinigt. Stephanus hingegen ist der personifizierte Unschuldsengel, ganz vorbildlicher Märtyrer. In einer Vision48, über sich den Himmel geöffnet, sieht er den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen49 (V. 56) und vermag, nachdem er - wie Jesus - um die Aufnahme seines Geistes ersucht hat, hier im Gebet zum κύριος (V. 59), noch in der Stunde seines Todes um Sündenvergebung für seine Peiniger und Mörder zu bitten (V. 60; vgl., wohl sekundär, Lk 23,34; aber auch Lk 6,27f.37; 11,4). Schon zu Beginn des Verhörs hätten seine Ankläger erkennen müssen, daß Stephanus unschuldig ist, denn »sie sahen sein Angesicht wie das Angesicht eines Engels« (Act 7,15). Welche Herzensgedanken sie aber - siehe die Simeonweissagung Lk 2,35 - hegen, das wird nun offenbar. Stephanus stirbt - wie Jesus - eines unschuldigen Todes, als leidender Gerechter. Diejenigen, die zuvor Falschzeugen gegen Stephanus aufstellen mußten, um überhaupt gegen ihn einschreiten zu können, legen nun ihrerseits ein beredtes Zeugnis ihrer eigenen Gesinnung ab. Sie breiten ihre Gewänder zu Füßen eines gewissen Saulus aus (Act 7,58). Damit ist zugleich die Er-

48 Für B. Wander, Trennungsprozesse, S. 138, ist die Vision des Stephanus das auslösende Moment für die Steinigung, denn die Behauptung, daß Stephanus Gott und den Menschensohn gesehen habe, [war] schon ein ausreichendes Ärgernis und könnte folglich ein Hinrichtungsgrund gewesen sein.«. Die eigentliche Ursache für die Tötung aber sei im »visionär gesteigerten Pneumatikertum des Stephanus begründet« (a.a.O., S. 145). Das ist bloße Spekulation. Wozu läßt Lukas Stephanus erst die lange Rede halten, wenn lediglich die Vision der Anlaß zur Steinigung gewesen sein soll? Die Vision ist ein verstärkendes Moment, nicht aber deren ausschlaggebende Ursache. 49 R. Pesch, Vision, S. 54-58, mißt dem singulären Perfekt Partizip έστώτα statt des καθήμενος (Lk 22,69) eine weitreichende Bedeutung zu: »Das Stehen des Menschensohnes ist Symbol für die Bestätigung der Anklage, Symbol für den gottgewollten Fortgang des Evangeliums von den Juden (zu den Heiden), Symbol für die damit angezeigte heilsgeschichtliche Wende«. Aber sein Verweis auf AssMos 10,3 und Jes 3,13 LXX als einer »Vorstellungsparallele« (S. 56) vermag kaum zu überzeugen, wie F. Mußner, Menschensohn, S. 290Í, aufzeigt. Denn im Unterschied zu Jes 3,13 LXX (στήσει εις κρίσιν) fehlt in Act 7,56 der Hinweis auf das Gericht, und zudem ist in AssMos 10,3 nicht vom Stehen, sondern vom Aufstehen die Rede. Zwar sollte das Partizip έστώτα darum noch nicht gleich für »bedeutungslos« (Mußner, a.a.O., S. 291) erklärt werden, aber in der Verwendung dieses Partizips ein Symbol für die heilsgeschichtliche Wende zu sehen, greift vielleicht zu weit. Ebenso könnte mit G. Schneider, Menschensohn, S. 112, gesagt werden: »Der Menschensohn hat sich erhoben, um den Märtyrer nach der Steinigung zu empfangen«. Ähnlich nach Abwägung der verschiedenen Argumente auch M. Sabbe, The Son of Man Saying, S. 279: »The use of the variant term >standing< different from Lk 22,69 implies no new significance.«

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

zählfigur Saulus/Paulus eingeführt. Auf welcher Seite er in diesem dramatischen Spektakel steht, ist eindeutig: Mit Wohlgefallen schaut er dem mörderischen Treiben des Mobs zu (Act 8,1a; vgl. 22,20), und wenig später ist bereits von seiner Verfolgertätigkeit die Rede (Act 8,3). Das Heilsgeschehen nimmt also einen paradoxen Verlauf. Waren nach Jesu Tod und Auferstehung die Jerusalemer Predigten Gelegenheit zur Umkehr für Israel, so führen der Tod des Stephanus und die anschließende Verfolgung dazu, daß ein Großteil der Urgemeinde (ausgenommen die Apostel Act 8,ld) und ihrer Wortverkündigung die Mauern Jerusalems verläßt (V. 2.4; vgl. 11,19). Sukzessiv entfaltet die Erzählung die Universalität des Heilsgeschehens. Was dessen Gegner einzudämmen suchen, breiten sie so gerade aus. Ihr Erfolg in Jerusalem ist kontraproduktiv hinsichtlich der übrigen Gebiete. In einer konzentrischen Bewegung drängt nun das Evangelium - in Erfüllung eines Herrenwortes (Lk 24,47; Act 1,8) aus der Mitte Israels hinaus, schließlich auch in die Völkerwelt. Nach Jerusalem ist zunächst Samaria an der Reihe (Act 8,5-25). »Das Wort des Herrn« (V. 25) erreicht dann über Philistäa und die Sharon-Ebene, ja »Äthiopien«, (Act 8,26-40), im Norden Damaskus und Tarsus (Act 9,1-30), aber selbstverständlich auch Judäa und Galiläa (Act 9,3143), und steht mit der Corneliusperikope in Cäsarea schon an der Grenze zur Völkerwelt. An diesem Schritt zur Völkerwelt muß nun notwendigerweise geklärt werden, wie die Völker Zutritt zum bislang judenchristlichen Heilsvolk erhalten. Müssen sie sich vor der Taufe erst beschneiden lassen und also zu jüdischen Proselyten werden, oder weist Gott respektive der Geist in dieser Frage einen anderen Weg? Die Stellung zum Gesetz bedarf nunmehr unumgänglich der grundsätzlichen Klärung.

5. Zusammenfassung und Ertrag Die Stephanusperikope hat die erste große Wende in der Apostelgeschichte eingeleitet. Die Universalität des Heils beginnt sich auf paradoxe Weise zu erfüllen. Durch Ablehnung und Gewalt - hier geschehen an Stephanus - wird der Heilsvermittlung zu ihrem Aufbruch aus den Mauern Jerusalems verholfen. Der Widerstand gegen das Evangelium führt nicht zu seinem Ende, sondern bringt es voran auf seinem Wege hin zu seinem äußersten Ziel: zur Völkerwelt. Augenfällig wird das apologetische Interesse in der Stephanuserzählung. Nichts kann wahrhaftig gegen Stephanus vorgebracht werden, worin er gegen jüdische Tradition und Sitte verstieße. Lukas zeichnet Stephanus

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als einen der Verheißung Israels treu bleibenden hellenistischen Judenchristen. Weder gegen den Tempel noch gegen das Gesetz an sich ist Stephanus eingestellt. Entgegen häufiger Annahme ist der Tempel Ort der Verheißung (Act 7,7). Daß Salomo ihn errichtet hat, geschieht in Erfüllung einer Abrahamverheißung und widerspricht nicht dem Willen Gottes. Daß Lukas derart positiv über den Tempel reden kann, dürfte auch damit zusammenhängen, daß es den Tempel zu der Zeit, da Lukas schreibt, gar nicht mehr gibt. Warum sollte man sich also unnötigerweise möglichen jüdischen Angriffen aussetzen? Anders ist seine Beurteilung des Gesetzes im engeren Sinne zu sehen. An diesem Punkt ist Lukas deutlich zurückhaltend. Zwar ist klar, daß Stephanus - wie alle bislang judenchristlichen Zeugen - nicht gegen das Gesetz verstößt, aber auffälligerweise wird an Mose typologisch seine führende, rettende und prophetische Dimension in den Vordergrund gerückt. Eine gewisse Hintanstellung des Gesetzes wird darum auch für die Stephanusrede nicht zu leugnen sein. Aber bislang konnte Lukas diese Frage noch aussparen, weil sie sich nicht gestellt hat. Erst beim Übertritt des Evangeliums in die Welt der Völker muß und wird Lukas sein Gesetzesverständnis präzisieren.

XIV. Weichenstellungen - die Jesusverkündigung vor den Toren der Völkerwelt (Act 8f) 1. Die Vertreibung aus Jerusalem (Act 8,lb-3; 11,19) Die Steinigung des Stephanus hat ursächlich zur Folge, daß noch am selben Tag »eine große Verfolgung über die Gemeinde in Jerusalem« hereinbricht (Act 8,1b), an der als einzig namentlich Genannter1 Saulus leitend beteiligt ist (Act 8,3). Indem Lukas von einer διωγμός μέγας spricht, nimmt er terminologisch den Vorwurf des Stephanus auf, daß Israel schon seit jeher alle Propheten verfolgt habe (διώκειν Act 7,52). In diese Verfolgungstradition sieht sich nun auch die christliche έκκλησία hineingestellt2. Die Verfolger der Gemeinde bestätigen durch ihr Hin die Anklage des Stephanus. Der Vorwurf galt ihnen also mit vollem Recht. Lukas betont, daß alle - mit Ausnahme der Apostel 3 - zerstreut werden: άπαντες δέ διεσπάρησαν ... πλην τών άποστόλων (V. lc). Das heißt 1 Chr. Burchard, Zeuge, S. 30, Anm. 23, will den historischen Paulus dem Stephanusmartyrium zuordnen: »In der von Hellenisten gegründeten antiochenischen Gemeinde hatte Paulus nach Apg ll,25f; 13,1 gearbeitet ... Das mag erklären, warum er in der Stephanustradition vorkommt und warum so harmlos: die Hellenisten wollten ihren eigenen Mann schonen. Gehört er originär in die Tradition hinein? Das ist denkbar, wenn seine Beteiligung an Stephanus' Tod in irgendeiner Form historisch ist. Mir scheint das nicht ausgeschlossen zu sein«. Diese Argumentation macht sich auch M. Hengel, Jesus und Paulus, S. 172, Anm. 80; 196, Anm. 145 zu eigen. Dagegen spricht aber der pln Selbstbericht in Gal l,13ff. 2 W. Stegemann, Synagoge, S. 115, trennt, was für Lukas gerade bindend zusammengehören soll, wenn er feststellt: Es »lassen sich alle Belege für διώκειν/διωγμός im lukanischen Doppelwerk zwei Sachverhalten zuordnen: Der Verfolgungssituation göttlicher Sendboten (Propheten und Apostel) in Israel und der Verfolgung der Jerusalemer Urgemeinde«. Daß diese Terminologie in der weiteren Verwendung durch Lukas stets die Verfolgungstätigkeit des lk Saulus kennzeichnet, bestätigt doch, daß mit diesem Wortfeld ein großer Geschehenszusammenhang gemeint ist. Das ist die redaktionelle Pointe! 3 D a ß aber άνδρες ευλαβείς Stephanus' Leichnam bestatten und sogar eine öffentliche Totenklage für ihn abhalten (Act 8,2), soll aus narrativer Sicht anzeigen, daß offensichtlich keineswegs alle Jerusalemer Juden auf Seiten des Synedrions und der Volksmenge stehen. Vgl. G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 479, der aus historischer Perspektive folgert: »Die Notiz über die Bestattung des Stephanus gehörte wohl schon zum überlieferten Martyriumsbericht. Gemäß San 6,6 durfte für einen Hingerichteten keine Totenklage gehalten werden. Wenn es im Falle des Stephanus dennoch geschah, so muß er wohl Opfer einer Lynchjustiz gewesen sein. Legal Gesteinigten wurde ein eigenes Grab

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aus narrativer Perspektive, daß sich der Leser fortan nur die Apostel als Teil der christlichen έκκλησία in Jerusalem anwesend denken soll. Für den Stand der Jesus-Mission bedeutet dies: »This is the low point of the entire narrative of Acts« 4 . Dennoch werden gerade die Apostel im Gefüge der Heilsvermittlung weiter von entscheidender Bedeutung sein. Dank ihrer besonderen Autorität (Augenzeugen Jesu Act l,21f) kommt ihnen nämlich die Aufgabe zu, das jeweilige Missionsgeschehen abzusegnen« (Act 8,14ff). Das erklärt schon im voraus, weshalb der Durchbruch zur Völkermission auch nur durch einen von ihnen bewerkstelligt werden kann. Höchste Autorität vom Range eines Petrus oder des Herrenbruders Jakobus ist gefordert. Selbst wenn historisch das Verdienst der Völkermission primär Paulus zukommt, so zeigt die davon abweichende lukanische Darstellung eine höchst absichtsvolle Tendenz, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. Weiter gilt zu beachten, daß Lukas in Act 11,19 den Erzählfaden von Act 8,1 b.4 wieder aufgreift. Nicht nur der ausdrückliche Verweis auf Stephanus, schon die Wiederaufnahme von διασπείρειν (nur an diesen drei Stellen im NT) zeigt terminologisch diesen engen Zusammenhang au£ Auffallend ist aber die Notiz, daß bis dahin ausdrücklich nur Juden das Evangelium verkündigt worden sei: μεδενί λαλοΰντες τον λόγον εί μή μόνον Ίουδαίοις (Act 11,19). Daraus muß narrativ gefolgert werden, daß die im vorigen erzählte Verkündigung des Philippus sich nur an Juden gerichtet haben kann. Das hat Konsequenzen für die Auslegung der Kämmerer-Episode Act 8,26ff.

versagt (San 6,5). Die άνδρες ευλαβείς, die den Märtyrer bestatteten, werden seine Anhänger gewesen sein«. Daß es sich gegen Schneider hierbei aber nicht um Anhänger im Sinne christlicher μαΰηταί handelt, sondern um Juden, zeigt das viermal in Lk-Act verwendete Adjektiv ευλαβής. Es charakterisiert nämlich jeweils jüdische Frömmigkeit: der fromme Simeon (Lk 2,25), die fromme Juden aus der Diaspora (Act 2,5). Insbesondere Hananias als ein άνήρ ευλαβής κατά xòv νόμον (Act 22,12) wird, obgleich er dem Leser in Act 9,10 als judenchristlicher μαθητής vorgestellt worden ist, vom lk Paulus in seiner Verteidigungsrede von den Juden Jerusalems (Act 22,1-21) bewußt als jüdisch gezeichnet. Die άνδρες ευλαβείς in Act 8,2 sollen dem Lukasleser verdeutlichen, daß die Feindschaft, die sich gegen Stephanus richtete und zu seinem Tode führte, nicht von allen im Volk geteilt worden ist. Vor einer diesbezüglichen Pauschalisierung muß also gewarnt werden. 4 R . C Tannehill, Narrative Unity II, S. 100.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

2. Vom Zentrum an die Peripherie Israels die Missionstätigkeit des Philippus (Act 8,4-40) Die nächsten Schritte in der Heilsverkündigung verfolgt der Leser anhand der Erzählfigur Philippus5. Dessen Verkündigung in Samaria bedarf der Sanktion durch die Apostel, denn die Philippus-Taufe ist noch keine Geisttaufe und insofern ein defizitäres Heilsgeschehen (vgl. Act 2,38; 19,Iff). Darum müssen die Jerusalemer Apostel Petrus und Johannes absenden, um der Philippus-Taufe durch Geistverleihung ihr Siegel >amtlicher< Beglaubigung aufzudrücken (Act 8,16f). Nur ihnen allein kommt zumindest bis auf weiteres - diese autoritative Geistbegabung zu. Das unterscheidet Philippus im übrigen auch von Stephanus (Act 6,5; 7,55). Zwar kann der Geist sich seiner bemächtigen (Act 8,29.39), aber als Geistbegabter wird Philippus gerade nicht vorgestellt (siehe Act 6,5f). Die Samaria-Mission wird also durch die beiden Jerusalemer Apostel Petrus und Johannes autorisiert. Diese Mission verbleibt trotz der historischen Distanz und Entfremdung zu den Samaritanern6 (vgl. Lk 9,52f; 17,15f) noch im Rahmen inneijüdischer Heilsgrenzen (vgl. Lk 10,25ff). Aber sie ist zugleich schon ein erster Grenzfall, der nunmehr mit der Taufe des äthiopischen Kämmerers (Act 8,26ff) noch eine zusätzliche Brisanz erhält. Wer dieser Kämmerer in V. 27f ist, ob ein Jude, ein Proselyt7 oder was die überwiegende Zahl der Forscher annimmt8 - ein sogenannter Gottesfürchtiger, ist nicht eindeutig auszumachen. Legt man die Notiz aus Act 11,19 zugrunde, daß bislang nur Juden das Evangelium verkündigt worden sei, so müßte logischerweise der von Lukas erzählte Kämmerer der Kandake ein Jude oder zumindest ein Proselyt gewesen sein. Das wäre theoretisch insofern möglich, als das in Frage kommende Ge5 Näheres zu Philippus siehe F.S. Spencer, Philipp. 6 Vgl. hierzu die eher moderaten Ausführungen von S Safrai, Wallfahrt, S. 111-120. 7 So J.B. Tyson, Images, S. 118: »We should regard the Ethiopian official as Jewish. But, from the perspective of Judean Jews, he is peripheral«. Ähnlich auch Β. Wander, Tïennungsprozesse, S. 165ñ S.G. Wilson, Gentiles, S. 171f, votiert zwar auch für einen Proselyten, meint aber dann einschränkend: »It may well be that Haenchen and Conzelmann are right in thinking that the original version made it clear that the eunuch was a Gentile. But it is unlikely that Luke knew this and deliberately covered it up ... It is more likely that Luke did not realise that the eunuch was a Gentile«. Dem muß aus narrativer Sicht widersprochen werden. Die Uneindeutigkeit ist eher literarisch absichtsvoll gestaltet, als daß sie Unkenntnis auf Seiten des Lukas demonstriert. 8 So u.a. S. Safrai, Wallfahrt, S. 92; 109; 132; F.S. Spencer, Philipp, & 160ff; J. Schneider, Art. ευνούχος, S. 766; G. Schneider, Apostelgeschichte I, S. 498f£

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biet9 auch von Juden besiedelt war. Dann mtißte εύνοΰχος titular gebraucht sein und δυνάστης Κανδάκης βασιλίσσης Αιθιόπων attributiv verstanden werden10. Εΰνοΰχος wäre somit eine Amtsbezeichnung und kein Ausweis der geschlechtlichen Identität. Ist der Kämmerer also ein unkastrierter königlicher Beamter? Weshalb aber betont Lukas fünfmal in diesem kurzem Abschnitt (Act 8,27.34.36.38.39), daß der Fremde (ό) εύνοϋχος gewesen ist? Lukas unterstreicht damit doch gerade diese >Eigenschaft< des Kämmerers als das für ihn typische Charaktermerkmal. Der soziale Status eines wohlhabenden königlichen Beamten scheint Lukas weniger wichtig zu sein als der seiner geschlechtlichen Identität, was somit auch die Frage nach seinem religiösen Status aufwirft. Nach jüdischem Gesetz (Dtn 23,Iff) aber kann ein kastrierter Mann weder gläubiger Jude bleiben11 noch Proselyt werden. Er ist also in den Augen der Juden eine extreme Randfigur, ein aus soziokultureller und religiöser Perspektive betrachtet - exotischer Sonderling. Ein unmittelbarer Zugang zum Heil bleibt ihm verwehrt, da für ihn der Übertritt zum Judentum ausgeschlossen ist. Das unterscheidet den Kämmerer grundlegend vom Gott fürchtenden Cornelius aus Act 10, der - wenn er es denn wollte - durchaus ein jüdischer Proselyt hätte werden können. Gleichwohl bleibt es dem Kämmerer aber nicht verwehrt, als ein den Gott Israels verehrender Sympathisant nach Jerusalem zur Wallfahrt12 zu kommen, um dort in einem für Nichtjuden ausgewiesenen Außenbezirk des Tempels »anzubeten« (έληλύθει προσκυνησων εις Ίερπυσαλήμ Act 8,27). Auch daß er eine Prophetenrolle13 sein eigen nennt, erscheint historisch möglich14 und verweist zum einen auf seinen Wohlstand, und zum anderen zeigt es den Ernst seiner religiösen Einstellung an. Damit ist das Limit seiner religiösen Möglichkeiten in bezug auf 9 Näheres hierzu E. Dinkier, Philippus, S. 89f£ 10 So B. Wander, ftennungsprozesse, S. 165£ 11 Dieses gilt nur für den Fall, daß der afrikanische Kämmerer ein Geburtsjude gewesen ist. Kastration sowohl von Menschen wie Tieren aber war im Judentum verboten, weil es gegen Gottes Schöpfungsordnung verstößt (vgl. Dtn 23,Iff). Näheres hierzu J. Schneider, Art. εΰνοΰχος, & 764f; A. Hug, Art. Eunuchen, Sp. 449f; L.H. Gray, Art. Eunuch, Sp. 578f£ 12 S. Safrai, Wallfahrt, S. 105fñ 13 Zum Jesajazitat siehe M. Rese, Motive, S 97-103. 14 S. Safrai, Wallfahrt, sieht darin jedenfalls in seinen Verweisen auf diesen äthiopischen Kämmerer keine Auffälligkeit. Anders hingegen J. Schneider, Art. εΰνοΰχος, S. 766, Anm. 26: »Merkwürdig ist allerdings, daß der >Kämmerer< eine Rolle des Propheten Jesaja in seinem Besitz hat. Ein solches Buch ist für einen Nichtjuden schwer zugänglich gewesen«. Mag sein, aber das wäre eher ein finanzielles Problem als ein kultisch-religiöses. Der Kämmerer hat schließlich keine Torarolle bei sich!

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

das Judentum erreicht. Das scheint das wesentliche Moment seiner Zeichnung durch Lukas zu sein. Ganz gleich, inwieweit er ein Jude oder Nichtjude gewesen ist, für Lukas ist entscheidend, was ihn vom Heil Israels trennt. Der Kämmerer markiert einen schillernden Grenzfall, der im Schnittpunkt zwischen Israel und der Völkerwelt liegt. Lukas siedelt ihn bewußt dort an. Dafür spricht auch, daß im Unterschied zur SamariaMission die Taufe des Kämmerers nicht durch die Autorität der Jerusalemer Apostel beglaubigt wird. Wenn dies bei den Samaritanern notwendig war, so wäre eine >amtliche< Beglaubigung in diesem Fall um so dringlicher gewesen. Warum bleibt sie aus? Mag die Geistentrückung des Philippus auch bewußt auf die Entrückung des Elia anspielen, ein gewisses Manko bleibt dieser Taufe; sie ist aus jüdischer bzw. judenchristlicher Sicht nicht >koscherÄthiopien< bezeichneten Sudan«. 17 Zugleich zeigt sich hier auch die schriftstellerische Kunst des Lukas, wie E. Plilmacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller, S. 12£ anmerkt: Lukas sucht »seine Darstellung gelegentlich durch die Verwendung von Bildungselementen stofflicher Art auszuschmücken ... Die Erwähnung eines Äthiopiers in der Vorlage dürfte Lk dazu verlockt haben, in den tradierten Bestand der überlieferten Geschichte einzugreifen, um das Kandake-Motiv einzufügen und damit auf ein etwa von der Mitte des ersten bis weit in das zweite Jahrhundert hinein die romantischen Gemüter fesselndes Thema einzugehen. Denn spätestens seit der neronischen Nilquellen-Expedition (61-62 n. Chr.) war das Interesse an Nachrichten über Äthiopien so gestiegen, daß seine Befriedigung literaturfähig geworden war«. 18 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kap. XII. 2.

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solche Israelbezogenheit noch integriert werden, so ist mit der Kämmerer-Episode die Grenze des bislang Möglichen erreicht. Darin liegt ihre wesentliche Botschaft und Funktion: Wer bislang vom Israelheil ausgeschlossen war, kann nunmehr durch das Christusheil in das Heilsvolk integriert werden. Diese Programmatik ist der Kämmererperikope zu eigen19, wobei aber noch nicht geklärt ist, wie sich solche Aufnahme konkret im Alltag vollziehen soll. Der Kämmerer ist noch Einzelfall und zieht als einzelner Christ in die Ferne (Act 8,39). Bislang war indes stets von einer ausschließlich inneijüdischen Lebensgemeinschaft die Rede. Zwar ist die inneijüdische Glaubensgemeinschaft am Widerstand der Jerusalemer Juden (Stephanusmartyrium) zerbrochen, aber die christliche εκκλησία versteht sich doch als eine jüdisch-eschatologische Heilsgemeinde, die sich entgegen allen Verleumdungen (Act 6,11-14) den Mosesatzungen und dem Tempel verbunden weiß. In dem Maße aber, in dem sich die christliche Heilsverkündigung aufgrund ihrer gewaltsamen Vertreibung aus Jerusalem von Israel abwenden muß, ist sie geöffnet für die Völkerwelt. Das hat zur Folge, daß - wie im übrigen für jeden Juden - in zunehmendem Maße die Frage geklärt werden muß, wie mit Nichtjuden zu verkehren ist. Daß allen Menschen das Heil gilt, ist zwar eindeutig (Lk 2,30-32; 24,47; Act 1,8), aber wie Nichtjuden in das judenchristliche Heilsvolk zu integrieren sind, diese Frage ist auch mit dem Kämmerer noch nicht geklärt. Hat vor der Taufe womöglich erst noch die Beschneidung zu erfolgen?

3. Vom Verfolger zum Verfolgten - die Bekehrung des Paulus (Act 9,1-31) Auf den ersten Blick mag die Plazierung der Bekehrunggeschichte des Paulus an dieser Stelle im lk Erzählwerk überraschen. Warum ist sie der Corneliusepisode vorgeschaltet? Act lOf trennt doch die Pauluserzählung 19 F.S. Spencer, Philipp, S. 170f, untersucht in diesem Zusammenhang mögliche sachliche Bezüge zu Jes 56,3-8. Sowohl (ό άλλογενής (V. 3) als auch ol ευνούχοι, δσοι αν φυλάξυνται τά σάββαχά μου (V. 4) wie insgesamt πάνχα χά εθνη (V. 7) werden der endzeitliche Zutritt zum Heilsvolk in Aussicht gestellt. So verstanden, entspricht das Prophetenwort aus Jes 56,3-8 der von Lukas dargestellten Heilszeit. So auch E. Dinkier, Philippus, S. 86: Es ist »nicht auszuschließen, daß eine Verheißung als erfüllt dargestellt werden soll: Dtn 23,2 ist aufgehoben durch die Erfüllung von Jes 56,3f£ Der Verschnittene darf ebenso wie der Fremdling im Hause des Herrn sein, womit gesagt wäre: Die Vollendung des Heils ist da, und deshalb gilt jetzt nicht mehr das Gesetz im partikularistischen Sinn. Heiden bzw. Samaritaner und Eunuchen dürfen zusammen mit Israel an der Verheißung teilnehmen«.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

in Act 9 von ihrer Fortsetzung in Act 12ff. Aber diese Unterbrechung ist kompositionstechnisch wohlbegründet. Der Leser erfährt, daß Paulus vom Kyrios zu Völkern sowie Königen und Söhnen Israels gesandt ist (Act 9,15). Damit stellt sich nun noch grundsätzlicher als nach dem Einzelfall des Kämmerers (s.o. 2.) die Frage nach dem Wie eines Miteinanders von Juden und Nichtjuden in der christlichen έκκλησία. Sie wird durch Petrus in der Corneliusperikope geklärt, so daß erst in ihrem Gefolge, d.h. im Gefolge petrinischer Völkermission, die Mission des Paulus beginnen kann. Ganz offensichtlich steht hinter dieser Abfolge das Bemühen, Paulus und seine Lehre aus der >Schußlinie< möglicher Gegner zu nehmen. Diese Funktion lukanischer Tendenz wird sich im weiteren Verlauf der Erzählung immer klarer zeigen. Noch eine weitere Tatsache überrascht: Lukas erzählt die Bekehrung des Paulus insgesamt dreimal (Act 9; 22; 26), aber nicht in bloßer Wiederholung, sondern setzt jeweils andere Akzente. Sie liefern wichtige Daten zur Erfassung des lukanischen Paulusbildes. Vor allem fehlt der ersten Darstellung in Act 9 jeglicher apologetische Unterton. Sie ist - mit Ausnahme von V. 15f - schlicht eine Bekehrungsgeschichte. Als solche ist sie zunächst in den Kontext von Act 8-12 zu stellen. Das muß methodisch Vorrang haben vor einem Vergleich mit Act 22; 26. Nur insofern Act 22; 26 wichtige Daten zur Erhellung von Act 9 liefern, sind auch diese beiden Erzählungen hier heranzuziehen. 3.1. Die Bekehrung (Act 9,l-19a) Saulus, der die Steinigung des Stephanus mit Sympathie nur beobachtet hatte, ist mittlerweile selbst ein Exponent des Israels geworden, das die Christusverkündigung aktiv verfolgt. Um so drastischer mutet nun der Seitenwechsel vom Todfeind zum Freund des »neuen Weges«, der neuen Heilslehre, an. Als Saulus sich Damaskus nähert, trifft ihn urplötzlich φως έκ του ούρανοΰ (V. 3; vgl. Act 22,6; 26,13). Diese Lichterscheinung ist trotz 9,17 eigentlich keine Vision (όραμα Act 9,10.12), sondern eine Christophanie, eine »unmittelbare Begegnung mit Jesus«20, die Saulus mit Hilfe der göttlichen δόξα (vgl. Lk 2,9; auch 9,29-32) körperlich überwältigt und zu Boden drückt. Diese Christophanie unterscheidet sich auch von der visionären Schau eines Stephanus, der im Geist über sich den Himmel ge20 Chr. Burchard, Zeuge, S. 93.

XIV. Weichenstellungen

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öffnet und dort Gottes δόξα und Jesus sieht (Act 7,55f). Saulus hört allein eine himmlische Stimme: »Saul, Saul, warum verfolgst du mich?« (V. 4) und antwortet: »Wer bist du, Herr?«. Darauf gibt sich die Stimme zunächst zu erkennen: »Ich bin Jesus, den du verfolgst« (V. 5). Mit dieser lichtherrlichen auditiven Selbstoffenbarung (V. 3-6) ist der erste Schritt zur Umkehr des Saulus eingeleitet. Der Macht Jesu korrespondiert die Ohnmacht des Saulus (V. 7-9). Vom göttlichen Licht über die Maßen geblendet, ist er erblindet, als er sich wieder vom Boden erhebt. Saulus ist hilflos, in einem wörtlichen Sinne am Boden zerstört. D. Marguerat formuliert drastisch, die Christophanie »has the effect of reducing Saul to nothingness«21. Das erklärt narrativ die Funktion der plötzlich auftretenden Begleiter (V. 7), denn ohne ihre Hilfe wäre Saulus auch physisch verloren. Selbst als sie Damaskus erreichen, hält der Zustand der Erblindung noch an. Auch nimmt er drei Tage nichts zu sich (V. 9). Ob darin ein Zeichen seiner Bußbereitschaft (Fasten) zu sehen oder ob er einfach körperlich unfähig ist, Nahrung zu sich zu nehmen, ist nicht eindeutig auszumachen 22 . Entscheidend ist: Die Pläne des eifernden Verfolgers sind durchkreuzt und zerschlagen. In einem doppelten Sinne, physisch wie mental, ist Saulus orientierungslos, oder, wie Tannehill anschaulich formuliert: »Saul is left in limbo«23. Der nun einsetzende Prozeß der Bildung neuer Identität hat selbstverständlich nach V. 4 nicht die Wiedererlangung alter Verhaltensstrukturen zum Ziel, sondern zeitigt eine radikale Richtungsänderung und Kehrtwendung im Leben des von Lukas erzählten Saulus. Aus dem Christenverfolger wird ein getaufter Christ, ja ein aktiver Verfechter des Jesusglaubens. Bei dieser Umkehrung kommt dem Jünger Hananias (V. lOff) eine wichtige Rolle zu. Er wird nämlich zum Mittler nicht nur zwischen dem Kyrios Jesus und Saulus, sondern vor allem dient er als Erzählfigur dazu, die nur allzu verständlichen christlichen Bedenken gegen den Christenverfolger Saulus zu artikulieren. Hananias spricht aus, was die offenbar gewarnte Gemeinde in Damaskus in der erzählten Welt denken muß (V. 13f). Nicht nur Saulus bedarf der Neuorientierung, vielmehr müssen ebenfalls Christen wie Hananias von solcher Wandlung erst noch über21 D. Marguerat, Saul's Conversion, S. 141. 22 H. Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 58: »Die Enthaltung von Speise kann als unmittelbare Wirkung der Erscheinung oder als Akt der Buße und der Taufvorbereitung ... gemeint sein«. Vgl. D. Marguerat, a.a.O., S. 142, Anm. 37: »Hie text itself seeks primarily to pinpoint the negativity of that time when Saul's identity is being suspended before it is refashioned. Image of a re-creation ex nihilo?« 23 R.G Tannehill, Narrative Unity II, S. 116.

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zeugt werden. Der bekehrte Saulus allein wäre dazu wohl außerstande, denn für die christliche Gemeinde steht nichts Geringeres an als die Versöhnung mit ihrem bislang bedrohlichsten Feind. Insofern hat auch die zweimalige Aufforderung, die an Hananias ergehen muß, bevor er auszuführen bereit ist, wozu ihn der Kyrios sendet, ihre innere Logik. Die Annäherung beider Parteien geschieht durch eine korrespondierende Parallelvision. Sowohl Hananias als auch Saulus wird die gleiche Vision (όραμα V. 10.[12]24) zuteil, daß durch Hananias' Handauflegung Saulus wieder das Augenlicht erlangen soll. Während offenkundig vom erblindeten Saulus kein Widerstand mehr droht, sträubt sich Hananias zunächst noch gegen diesen göttlichen Auftrag. Erst als er erfährt, zu welch christlichem Dienst Saulus vom Herrn auserwählt ist (V. 15f), ist sein Einwand überwunden. Auffälligerweise aber enthält er dem Saulus den Inhalt des Verkündigungsauftrages vor (V. 17f)25. Darin ist überhaupt kein - wie G. Klein vermutet - Versuch einer »Subordination unter die ihm [Paulus] jeweils übergeordneten missions- und kirchenleitenden Instanzen«26 zu sehen, sondern diese »Berufung in pectore« 27 ist ein bewußtes lukanisches Stilmittel. Die Verse 15f richten sich nämlich in erster Linie an die Leser und sind in ihrer Bedeutung durchaus mit Lk 2,30ff; 24,47 und Act 1,8 vergleichbar. Nur die Leser werden mit Hananias Zeuge dieser göttlichen Offenbarung und erfahren, zu wem Paulus gesandt ist28. Sie verfügen somit über eine gewichtige Grundsatzinformation, die ihr Verständnis leiten soll, während sie literarisch den Verkündigungsweg des lk Paulus begleiten. Was die Leser so bereits wissen, seine Sendung primär zu έθνη (s.u. Abs. 3.2.), überschreitet - aus der Leserperspektive von Act 9 - also noch den Denkhorizont des von Lukas erzählten Paulus. Denn dieser sucht nach seiner Bekehrung in Damaskus die Synagogen auf, um dort - doch wohl vor Juden (und vielleicht einigen nichtjüdischen Sympathisanten) - zu verkündigen, daß Jesus der Sohn Gottes bzw. der 24 Die Zugehörigkeit von έν όράμαχι in V. 12 ist zwar strittig, ändert aber sachlich nichts an der Tatsache einer Parallelvision. Näheres zur Textkritik siehe G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 20, Anm. 1. 25 Die Spekulation darüber, ob Hananias nicht doch den Inhalt des Verkündigungsauftrages an Saulus weitergegeben habe, ist zwar in Act 22,14-16 begründbar, scheitert aber am Text. 26 G. Klein, Apostel, S. 146. 27 Chr. Burchard, Zeuge, S. 100. 28 Daß der lk Paulus später (Act 26,16ff) von einer eigenen Offenbarung seines Auftrags zu berichten weiß, steht auf einem anderen Blatt. Narrativ entscheidend ist der Eindruck, daß sich der Leser an dieser Stelle mit Hananias in dem Wissen allein glaubt, daß Paulus auch zu den Völkern gesandt ist.

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Messias ist (V. 19-22). Paulus wird von Lukas bewußt als ein christlicher Judenmissionar eingeführt. Das entspricht - gemessen am bisherigen Erzählduktus - der bislang verfolgten Logik. Der 1k Paulus befindet sich insoweit in nahtloser Übereinstimmung mit den Aposteln und selbst den Hellenisten des Siebenerkreises. Der aktuelle Vollzug der Völkermission ist bislang noch kein lukanisches Thema. Daß der Erhöhte diese Rolle besonders Saulus/Paulus zugedacht hat, verdeutlichen programmatisch Act 9,15f. Paulus erscheint somit für die Umsetzung des universalen Heilsplans unverzichtbar.

3.2. Paulus - vorrangig Völkermissionar (Act 9,15f) 3.2.1. Act 9,15f: Missio und Confessio Act 9,15f ist grundlegend für das lukanische Bild des Christen Paulus. Der Sinn dieser beiden Verse erschließt sich kaum literarkritisch oder traditionsgeschichtlich, sondern vornehmlich unter kompositorischen Gesichtspunkten, wie G. Lüdemann anhand des Nachweises zahlreicher Lukanismen in V. 15f aufzeigt 29 . Nun ist es umstritten, inwiefern V. 15 missionarisch oder konfessorisch zu verstehen ist. G. Lohfink 30 glaubt, daß ένώπιον έθνών τε και βασιλέων υιών τε Ισραήλ lokativ gemeint sei, also auf die Frage »Wo?« antworte: »zu tragen meinen Namen vor Völkern, Königen und den Söhnen Israels«. Dann tendiert βαστάσαι t ò övoμά μου in Richtung >bekennenbringennämlich< zu übersetzen«34. Es fragt sich aber, ob es überhaupt dieses Gegensatzes von Missio und leidender Confessio bedarf, um zu einer Übersetzung von γάρ im Sinne Lohfinks zu gelangen. Erst einmal muß die Missionsverkündigung zu den genannten Adressaten gelangt sein, bevor dann leidende Verfolgte den Namen Jesu auch vor ihnen bekennen können. Auch der Hinweis auf die Könige, den Lohfink 35 in V. 15 (vgl. Lk 21,12f; Act 4,26f) als störend empfindet, deutet bei Lukas auf einen im Bekenntnis implizierten Verkündigungsaspekt. Denn während der lk Paulus sich vor den Juden Jerusalems in der Tat lediglich bekenntnishaft verteidigt (Act 22), wird er in seiner Verteidigung vor Festus und Agrippa geradezu zu einem glühenden Verkündiger des Heils (Act 26). Selten trägt der von Lukas erzählte Paulus sein Bekenntnis eindringlicher und werbender vor als hier. Deshalb reagiert König Agrippa auch verwirrt, von dieser Rede so beeindruckt, daß 31 G. Lohfink, a.a.O., S. 214: »'Ενώπιον wird von Lukas häufig und in einem ziemlich einheitlichen Sinn verwendet: Es steht bei ihm wenigstens 31mal eindeutig auf die Frage wo und höchstens 3mal auf die Frage wohin, nämlich Lk 5,18; Apg 6,6; 10,30«. 32 G. Lohfink, a.a.O., S. 216, verweist auf Herm(s) VIII 10,3 u. IX 28,5. Auch Chr. Burchard, Zeuge, S. 101, leitet aus diesem Textbefund ab: »»Meinen Namen tragen< ist also nicht Missions-, sondern Märtyrerterminologie«. Vgl. hingegen Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 275, die in βαστάζειν keine metaphorische Bedeutung im Sinne von ertragen und leiden sehen. Schon H.M.F. Büchsei, Art. βαστάζω, S 597, formulierte: »βαστάσαι ist auch hier εχειν. Die Vorstellung einer Last ist trotz ν 16 fernzuhalten«. 33 G. Lohfink, a.a.O., S. 216. 34 G. Lohfink, a.a.O., S. 219£ 35 G. Lohfink, a.a.O., S. 217: »Ist mit βαστάσαι όνομα die aktive Missionsarbeit des Paulus gemeint, so sind Könige fehl am Platz«.

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nicht mehr viel fehle, um ihn zu einem Christen zu machen (Act 26,28). Bekenntnis, auch leidendes Bekenntnis, des Namens Jesu vor anderen setzt dessen Verkündigung an dieselben voraus und manchmal auch erst frei. Insofern will Lohfink trennen, was für Lukas offenbar ursächlich zusammengehört. Mit Conzelmann kann darum formuliert werden: »Verfolgung und Ausbreitung gehören zusammen«36. Wenn Klein dagegen fragend einwendet: »Warum betont Lks diese Wahrheit gerade anläßlich der Berufung des Pis und hält die der Zwölf (1,8) davon frei?«, so ist darauf zu entgegnen, daß Hananias hier versichert werden soll, daß Paulus nicht mehr als Verfolger Christen leiden lassen wird (vgl. Act 9,13f). Wie kann dies überzeugender geschehen als durch den Hinweis, daß Paulus nun ganz im Gegenteil selbst als verfolgter Christ leiden wird? Und tatsächlich erweist sich bei Lukas speziell der Verkündiger Paulus als ein Leidender (siehe bes. Act 14,19; 16,22-24; 22-26). Insofern nimmt Act 9,15f vorweg, was dem von Lukas erzählten Paulus insgesamt bevorsteht: einerseits das Bekenntnis sowohl vor έθνη (Act 14; 17), andererseits das vor Israels König Agrippa und nicht zuletzt vor Israels Söhnen. Letzteres - daran knüpft Act 9,16 an- wird Paulus den Tod bringen. Der Lukasleser weiß somit, daß Pauli Passion - Jesu Passion nicht unähnlich37 - gottgewollt ist. 3.2.2. Die programmatische Funktion von Act 9,15f Die göttliche Offenbarung in V. 15f sichert und legitimiert vorab die Verkündigung des Paulus, von der Lukas im folgenden erzählt. Das ist ihre entscheidende Funktion. Der Leser wird - in Anlehnung an Chr. Burchards Buchtitel von Paulus als »dem dreizehnten Zeugen« - zum Zeugen, ja Bürgen des Zeugen. Er weiß jetzt schon aus >objektiver< Quelle, wozu Paulus gesandt ist, was sich hingegen diesem selbst - so die lukanische Erzählführung - erst noch erschließen soll. Daß der von Lukas erzählte Paulus ein Völkermissionar sein wird, erfährt dieser - so sein Selbstzeugnis in Act 22,Iff - zwar schon in Damaskus (εση μάρτυς αύτφ προς πάντας ανθρώπους V. 15), aber erst in einer εκστασις im Jerusalemer Tempel erhält dieser Auftrag seine Schärfe, weil er mit jüdischer Ablehnung begründet wird: σπεϋσον και εξελϋε έν τάχει έξ Ίερου36 Η. Conzelmann, Mitte der Zeit, S. 195, Anm. 2. Ähnlich auch R . C Tannehill, Narrative Unity II, S. 118: »It is a mistake to divorce this preview of suffering from a call to mission. The suffering that Saul must face will come as a result of his preaching«. 37 Darauf verweist V. Stolle, Zeuge.

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σαλήμ, διότι ού παραδέξονταί σου μαρτυρίαν περί έμοΰ (V. 18). Der Einwand des von Lukas erzählten Paulus, gerade er als ehemaliger Verfolger der christlichen έκκλησία müsse doch für Juden ein besonders glaubwürdiger Zeuge sein, verfehlt die Realität, denn Paulus - siehe Act 9,29 - muß um sein Leben fürchten. Darum ist die Aufforderung: Πορεύου, οτι έγώ είς εθνη μακράν έξαποστελώ σε (Act 22,21), in dieser Situation ein göttliches Mittel, Leib und Leben Pauli zu retten, wie auch Act 26,17 (έξαιρούμενος) verdeutlicht. Aber von solcher ausdrücklichen Sendung Pauli zu εΰ*νη schon in Damaskus oder Jerusalem erfährt der Leser in Act 9 noch nichts. Vielmehr sieht er sich in dem Glauben bestärkt, daß Paulus zwar vorrangig zu den Völkern gesandt ist, aber davon bisher selbst noch nichts weiß. Deshalb ist sein Verkündigungsweg hin zu den Synagogen in Damaskus wie in Jerusalem hier nur allzu verständlich. Das kann an dieser Stelle der lk Erzählung auch noch gar nicht anders sein, weil der Weg zur Völkermission bislang nicht beschritten ist. Es bedarf erst noch einer Petrus-Erzählung wie Act lOf, um am ersten Apostel prinzipiell zu klären, wie die Völkermission in die Israelmission einzubinden ist. 3.2.3. Paulus und die zwölf Apostel - die lukanische Sichtweise In der Jesus-Offenbarung an Hananias wird Saulus als Jesu »Werkzeug der Erwählung« (σκεϋος έκλογης Act 9,15) bezeichnet. Das stellt ihn, wiewohl er keiner der zwölf Apostel ist, dennoch auf eine ihnen (fast) ebenbürtige Stufe38. Wie der irdische Jesus die Zwölf (έκλεξάμενος άπ' αύτοϋ δώδεκα Lk 6,13 diff Mk 3,14; Act 1,2) und dann der erhöhte Jesus Matthias an Judas' Stelle (Act 1,24) erwählt, so erwählt dieser himmlische Jesus Saulus zu einem besonderen Dienst39. Der von Lukas erzählte 38 Das Herrenwort Act 9,15f hebt Paulus auch vom Siebenerkreis ab, der aufgrund menschlicher Rede eingesetzt wird. 39 Insofern ist es nicht zutreffend, wenn W. Schmithals, Tendenz, S. 155, im Gefolge Kleins von einer Abwertung spricht: »Wir haben es mit einer bewußten Kontraposition zu der Berufung des Paulus zu tun. Der Bericht von der Himmelfahrt schließt a limine aus, daß Jesus dem Paulus in einer Weise begegnete, die seinem österlichen Umgang mit den Aposteln vergleichbar ist. Denn er wird ja erst bei der Parusie wieder sichtbar werden! ... Paulus konnte, auf die Erde geworfen und geblendet, nichts sehen, und er brauchte auch nichts zu sehen, weil nichts zu sehen war. Jesus hat keineswegs den Himmel verlassen, um Paulus zu berufen; er ruft ihn vielmehr aus dem Himmel an und gibt ihm die erforderlichen Weisungen. Insofern ist es ausgeschlossen, Paulus aufgrund seiner Berufung durch Jesus neben die Apostel zu stellen. Er ist kein Augenzeuge!« Letzteres braucht er für Lukas auch nicht zu sein, um die Apostolizität zu sichern. Was Fakt ist, braucht nicht bestritten zu werden. Das tut auch der historische Paulus nicht (I Kor

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Saulus/Paulus ist der einzige, dem eine Beauftragung durch den himmlisch Erhöhten selbst zuteil wird! Was ihn zudem in seiner Sendung von den übrigen Aposteln heraushebt, ist, daß er erstrangig den έθνη das Christusheil verkündigen soll (V. 15). Die Heilsuniversalität, die für Lukas' Konzeption grundlegend ist (Simeonweissagung), soll Paulus vorrangig verfolgen. Der entscheidende Überschritt zu den Völkern wird zwar aus apologetischen Gründen - dem Apostel Petrus vorbehalten (Act lOf)40, aber nur der lk Paulus wird explizit mit der Aufgabe eines eigentlichen Völkermissionars betraut (Act 9,15). Damit erfüllt sich an ihm das Herrenwort aus Lk 24,47 und Act 1,8. Jetzt erfährt der Leser, wen der Herr primär mit der Völkermission beauftragt, nämlich Paulus. Damit ist dessen Heilsverkündigung an εθνη zugleich im Heilsplan Gottes verankert und somit legitimiert. Wer welche Rolle in diesem Heilsplan auszufüllen hat, davon war in bezug auf die Völkermission bislang noch nicht die Rede. Von einer Subordination oder Mediatisierung unter die kirchliche Tradition und ihre Träger, so G. Klein41, ist an diesem Verkündigungsauftrag kaum etwas zu entdecken. Eher kann der Sache nach mit Burchard von Paulus als dem dreizehnten Zeugen des Auferstandenen (vgl. Act 1,22) oder mit Roloff von »den Zwölfen plus Paulus«42 gesprochen werden. Daß Lukas Paulus den Aposteltitel - bis auf Act 14,[4].1443 - vorenthält,

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15). Aber die Tatsache, daß allein dem von Lukas erzählten Paulus nach Jesu Himmelfahrt ein ihn erwählendes Herrenwort zuteil wird - unabhängig von der Frage, ob und was der lk Paulus vor Damaskus gesehen hat - , ist doch höchst auffällig und wertet den von Lukas erzählten Paulus keineswegs ab, sondern stellt ihn - darin völlig übereinstimmend mit dem historischen Paulus! - auf eine den Aposteln ebenbürtige Stufe. Vgl. Act 15,7, wo im Rekurs auf die Corneliusepisode der lk Petrus sagt: έ£ελέ£ατο ό θεός διά του οτόματός μου άκοΰσαι τά εθνη τόν λόγον του ευαγγελίου και πιστεϋσαι. Die Völkermission ist auch schon bei Petrus göttliche Erwählung. Der lk Petrus artikuliert und praktiziert ein für allemal, was der Herr Jesus seinem Heilswerkzeug Paulus in Sonderheit zugedacht hat. Das zeigt, wie sehr die Proklamation der Universalität des Heils die eine Sache ist, der praktische Vollzug hingegen eine andere. Für diese Rolle eignet sich prinzipiell kein anderer besser als der Apostel Petrus, in dessen Fußspuren dann auch ein Paulus treten kann, sofern er es denn im Verlauf der lukanischen Darstellung tatsächlich tut. G. Klein, Zwölf Apostel, S. 202: »Die Darstellung des Juden Paulus ist bestimmt von einer Tendenz zur Nivellierung, die des Verfolgers von einer zur Perhorreszierung, die des Bekehrten von einer zur Mediatisierung, die des Kirchenmannes einerseits von einer zur Subordinierung unter die vorgeordnete, andererseits von einer Superordinierung über die nachgeordnete Tradition und ihre Träger«. J. Roloff, Art. Apostel, S. 443. Bezeichnenderweise wird auch Barnabas als Apostel bezeichnet, und in V. 4 ist nicht eindeutig auszumachen, ob allein Barnabas und Paulus Apostel genannt werden sollen:

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ist ein diffiziles Problem. Liegt die lk Zurückhaltung in der nicht vorhandenen Augenzeugenschaft des irdisch sichtbaren Wirkens Jesu (Act l,21f) begründet44? Aber wird sie von Lukas wirklich als ein Mangel dargestellt? Doch wohl kaum. Paulus gehört dem Zwölferkreis zwar nicht an, gleichwohl kommt ihm eine herausragende Stellung im universalen Heilswerk Gottes zu. Am Ende der Apostelgeschichte wird allein von ihm und seinem Wirken erzählt, während die großen Jerusalemer Führungsautoritäten - erst Petrus, dann Jakobus - einfach von der lukanischen Erzählbühne verschwinden. Der Fokus der lukanischen Darstellung liegt >achtergewichtig< deutlich auf Paulus. Schon dieses äußere Kennzeichen spricht gegen eine lukanische Subordination oder Mediatisierung Pauli. So paradox es klingen mag: Zumal wenn die Apostolizität der paulinischen Lehre - siehe die Beschneidungsforderung als Anlaß zur Apostelversammlung (Act 15) - umstritten war45, war es klug, sich schriftstellerisch an diesem Punkt bewußt zurückzuhalten - entgegen dem historischen Paulus Gal If; I Kor 9; 15. Im Schatten der Autorität

Sind nur sie oi άδελφοί (V. 2)? Der Verweis auf »Rudimente des Sprachgebrauchs einer antiochenischen Quelle« (J. Roloff, a.a.O., S. 443) überzeugt kaum, um hinreichend zu erklären, weshalb Lukas Paulus ausgerechnet hier den Aposteltitel zuerkennt, den er ihm sonst bewußt vorenthält. Eine Unachtsamkeit? Käme es Lukas darauf an, Paulus partout nicht als Apostel auszuweisen, so hätte er die Notiz Act 14,14 tilgen können. Der Vermutung A. Lindemanns, Bild des Apostels, S. 62, zur Abfassungszeit der Apostelgeschichte sei »offensichtlich ... die Autorität des Paulus nicht gefährdet möglicherweise ist das der Grund, weshalb Paulus der Aposteltitel nicht betont zuerkannt werden braucht«, ist ein geschickter Lösungsversuch, aber angesichts der auffallenden lukanischen Zurückhaltung wenig überzeugend. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Daraus folgt: Lukas weiß sehr wohl, daß Paulus den Aposteltitel für sich reklamiert hat. Ist aber die Apostolizität des Paulus umstritten, so wäre es unklug, gerade diese Seite terminologisch in den Vordergrund zu schieben. Einen semantischen Erklärungsversuch (engerer und weiterer Apostelbegriff) unternimmt K. Haacker, Apostelbegrift 44 Kritisch dazu A. Lindemann, Bild des Apostels, S. 60: »Tatsächlich wird in der Regel darauf verwiesen, daß in Apg l,21f für den Apostolat eine theoretische Begründung gegeben werde, die Paulus aus dieser Gruppe von vornherein ausschließen müsse: Apostel könne nur sein, wer Begleiter Jesu von der Johannestaufe bis zur Himmelfahrt gewesen sei. M.E. vermag aber der Abschnitt 1,15-26 diese These nicht zu tragen. In erster Linie nämlich wird die Nachwahl des zwölften Apostels (1,22) damit begründet, daß ein μάρτυς της αναστάσεως gefunden werden müsse (vgl. 10,41). Dieser Titel μάρτυς aber wird dann sowohl dem Stephanus (22,20) als auch dem Paulus (22,15; 26,16) zuerkannt - offenbar deshalb, weil beide im Sinne der Apg ja in der Tat >Zeugen der Auferstehung< sind (7,55; 9,4f)«. 45 Zwar wird dies explizit so nicht benannt, aber die gesamte Anlage der Erzählfigur Paulus läßt darauf schließen, daß Lukas bemüht ist, mit seinem Erzählwerk eine Paulusapologie zu schreiben. Mehr zu dieser Frage siehe unten Kap. XVI.

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der Zwölferapostel kann der von Lukas gezeichnete Paulus sich um so eindeutiger als ein legitimer Zeuge der Völkermission ausweisen46.

3.3. Jüdische Feindschaft - der verfolgte Paulus (Act 9,19b-31) Daß der >gewendete< Saulus nicht nur die ehemals Verfolgten, sondern insgesamt [οί] Ιουδαίοι in Verwirrung und helle Aufregung versetzt (Act 9,22), verwundert nicht. Aber es ist schon - narrativ betrachtet - eine tragische, wenn auch gottgewollte Umkehrung (s. V. 13-16), daß der Jäger nunmehr sogleich zum Gejagten, daß Saulus, zum Morden der Jünger einst bereit (Act 9,1), nun selbst wiederholt zum Ziel tödlicher Anschläge seiner bisherigen Gesinnungsgenossen wird (V. 23.29). Hier, in V. (22.)23f, taucht zum ersten Mal in der Apostelgeschichte eine negativ gemeinte, pauschale Redeweise von οί Ιουδαίοι auf Keine Differenzierung zwischen dem Volk und seinen Führern ist mehr erkennbar. Das übertrifft die Polemik der Stephanusanklage aus Act 7,51-53 insofern, als dort - aus narrativer Sicht - allein das Synedrion samt den übrigen Zuschauern angeredet war, wiewohl die Stephanusvorwürfe grundsätzlicher gemeint sind, sich an das ganze jesusungläubige Israel richten könnten. Aber mit der Stephanusperikope hat ein umfassender Beziehungswandel eingesetzt, in dessen Gefolge Lukas das jesusungläubige Israel abwertend und pauschal mit οί 'Ιουδαίοι bezeichnet. Eine neue Qualität im Verhältnis zwischen jüdischen Synagogen und christlicher έκκλησία ist erreicht.

4. Zusammenfassung und Ertrag

Das Evangelium gelangt in Act 6-9 vor die Tore der Völkerwelt. Wie schon in der Passion Jesu, so führen auch diesmal jüdische Ablehnung und Feindschaft (Tod des Stephanus) nicht das Ende jeder Jesusverkündigung herbei, sondern treiben diese sogar programmgemäß (Act 1,8) hinaus nach Samaria und Judäa. Jesus, das Heil Gottes, bricht sich selbst Bahn, und das gerade trotz jüdischer Ablehnung. Mit der Taufe des Kämmerers 46 In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu notieren, daß die Funktionen des Zwölferkreises mit dem Ende des Apostelkonzils überflüssig werden und die gesamte weitere christliche Mission allein an Paulus festgemacht wird. Das unterstreicht die elementare Bedeutung des Paulus im lukanischen Konzept. Die Lehre der Apostel ist gute Vergangenheit, während die des Paulus bis in die erzählte Gegenwart hineinreicht. J. Roloff, a.a.O., S. 443, spricht darum zu Recht von »einer faktischen Gleichstellung des Paulus mit den Zwölfen«.

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der >äthiopischen< Kandake stößt die christliche Heilsverkündigung unmittelbar an die Grenze zur Völkerwelt vor (εως έσχατου της γης Act 1,8). Aber die Grenze wird noch nicht eindeutig durchstoßen; solcher Durchbruch soll dem von Lukas erzählten Petrus vorbehalten bleiben. Bevor Lukas aber derlei programmatische Grenzüberschreitung erzählt, hat er die ihm hochbedeutsame Bekehrung des Paulus eingefügt. Ihre Vorschaltung vor die Corneliusperikope unterstreicht einerseits die Eigenständigkeit der von Lukas erzählten Paulusmission (Act 9,15f) wie andererseits deren Einbettung in die apostolische Lehre: Paulus wandelt in den Spuren des Petrus (Act lOf), ohne den Zwölfen subordiniert (gegen Klein) zu sein. Paulus wird durch ein Herrenwort für die Lukasleser (Act 9,15f) in den universalen Verkündigungsauftrag eingebunden (Lk 24,47; Act 1,8). Allein er wird vorrangig mit der Völkermission beauftragt. Das unterscheidet seine Mission von der der übrigen Jünger und Apostel, die primär Israelmission ist. Dieses Herrenwort weist nicht nur auf die Verheißung des Auferstandenen zurück (Lk 24,47; Act 1,8), sondern auch voraus auf das Ende des lk Erzählwerks (Act 28). Act 9,15f verhält sich zu Act 28,26-28 wie Auftrag zu Bilanz. Erst am Ende seines Wirkens begreift der von Lukas erzählte Paulus, wie bei ihm jüdische Verweigerung und Völkermission göttlich miteinander korrelieren. Jüdische Verweigerung gegen seine Jesuspredigt (s. anders Act 21,20) hat ihn gelehrt, daß er den εθνη das Heil bringen soll. Dieser paradoxe Erfahrungsweg der Heilsvermittlung schließt keineswegs Israel vom Heil aus, aber er relativiert - jedenfalls für den lk Paulus - Israels Vorrang als erster Heilsadressat (siehe πάντες Act 28,30). In der erzählten Welt des Lukas ist dieses Privileg Israels faktisch bislang unangetastet geblieben, da die Heilsverkündigung noch nicht die Schranken Israels verlassen hat. Auch Paulus wirkt innerhalb dieses Heilshorizonts, als er nach seiner Bekehrung die Synagogen in Damaskus und Jerusalem aufsucht. Er engagiert sich zunächst - wie die Apostel und Jünger - als christlicher Judenmissionar. Daß auch ihm schon - wie schon den Lesern - bekannt wäre, in erster Linie zum Völkermissionar bestimmt zu sein, bleibt den Lesern bislang noch verborgen. Erst in Act 22,15-21 wird ihnen dies bedeutet. Daß Lukas derart verschlungen erzählt, ist leicht zu erklären: Zum einen ist mit Act 9,15f die >Objektivität< der himmlischen Berufung gesichert - der Leser wird zum Anwalt der lk Paulusmission - , und zum anderen muß dieser Verkündigungsauftrag primär zu den εθνη narrativ dem lk Paulus verborgen bleiben, weil erst mit der neuen petrinischen Geisterfahrung in Act lOf die Völkermission vollziehbar wird.

XV. Der Durchbruch - die Bekehrung des Petrus zur Tischgemeinschaft mit den εθνη (Act 10f;15) 1. Einführung

Daß die Überschrift dieses Kapitels von der »Bekehrung des Petrus« spricht, ist eine bewußte Akzentverschiebung gegenüber der herkömmlich überwiegenden Redeweise von einer >Bekehrung des Cornelius^. Wenn der Terminus >Bekehrung< hier überhaupt angebracht ist, dann eher in bezug auf Petrus als auf Cornelius. Zwar erfährt auch Cornelius existentiell Entscheidendes, und die Frage seiner Einbeziehung in das Heilsvolk ist das zentrale Thema dieser Perikope. Aber Petrus muß sich noch grundlegender umstellen, nämlich in seiner Einstellung zur Völkerwelt. Er steht in einem fundamentalen Loyalitätskonflikt: Welchem >Gotteswort< soll er mehr Vertrauen schenken, dem in der Schrift oder dem des Heiligen Geistes?2 Es geht gleichsam um Schrift und Dogma. Auffallend ist nämlich, daß diese neue Geisterfahrung, die jetzt auch die εθνη miterfaßt (Act 10,44-48), hier weder durch ein direktes Schriftzitat (vgl. etwa Lk 3,6; Act 2,17ff; 13,47; 15,16f) noch indirekt durch irgendeinen pauschalen Verweis auf die Erfüllung der Schrift (wie etwa in Lk 24,2527.44-47; Act 3,18.21.24) abgesichert wird3. Das zeigt an, was Petrus und

1 So u.a. E. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 330ff; G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 54f£ Vgl. hingegen P.-G. Müller, der seinen Ausatz über Act 10 »Die >Bekehrung< des Petrus« betitelt. 2 Ähnlich formuliert auch D.L. Tiede, Acts 11,1-8, S. 176: »How shall God's determined purpose be discerned? Shall the literal text be identified as Word of God, or does the Spirit illumine anew the will and word of the Lord as God's people face new occasions?« 3 Darauf verweist auch J.B. Tyson, Gentile Mission, S. 628ff; ders., Images, S. 124f: »It is important to observe that scripture plays almost no role whatsoever in the story of Peter and Cornelius ... Although the story of Cornelius is Luke's centerpiece in describing the initiation of the Gentile mission, there is no attempt to provide a scriptural justification for the dramatic changes required by this mission. On the contrary, the Hebrew scriptures, which include the dietary regulations, seem to stand in the way of the Gentile mission at this point. It is difficult to avoid the conclusion that the implied author provides a signal of a problem precisely by omitting quotations and allusions to scripture in this story. What is required is the annulment of dietary regulations, and scripture provides no basis for it«.

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der bislang ja ausschließlich judenchristlichen εκκλησία hier verlorenzugehen droht: ihre jüdische Beheimatung und Identität. Sie sehen sich mit der Frage konfrontiert, inwieweit sie mit ihrer Lösung der Einbeziehung der Völker in das Heilsvolk noch auf dem Boden des Judentums stehen. Nicht die Frage, ob die Völker überhaupt Zutritt zum Heilsvolk erlangen können, ist der eigentliche Streitpunkt - dafür kannte das Judentum bereits verschiedene Lösungen (Völkerwallfahrt zum Zion4; Proselytismus; >gottesfürchtige< Sympathisanten etc.) -, sondern die unerhörte Art und Weise, wie diese Einbeziehung in Act lOf vollzogen wird, markiert mindestens den Dissens, wenn nicht sogar den Bruch mit dem herkömmlichen Judentum. Daß Lukas - hypothetisch gesprochen - von einem bloßen Bruch nicht spreche, steht auf einem anderen Blatt und erklärt sich aus seiner apologetischen Tendenz, den christlichen Glaubensweg als die konsequente und seit Jesus einzig mögliche Fortführung alter Israelhoffnung zu zeichnen (siehe Simeon Lk 2,25ff). Ist die grundlegende Funktion von Act lOf für die lukanische Konzeption der Heilsvermittlung erst einmal erkannt, so erklärt das auch die lk Erzählführung an dieser Stelle. Daß Lukas z.B. die beiden Visionen jeweils mehrfach und überhaupt den Modus des Zueinanderfíndens der beiden Haupterzählfiguren Petrus und Cornelius derart redundant und ausführlich darstellt, ist weniger eine Frage ungeschickter Verknüpfung verschiedener Traditionen und Vorlagen5, als vielmehr - aus narrativer Sicht - ein überdeutliches Lesesignal. Ähnlich wie in der Emmauserzählung soll der Leser etwas grundlegend Neues über Gottes Heil einprägsam erfahren. Die didaktisch-katechetische Komponente dieser Perikope darf nicht übersehen werden. Lukas ist ein beeindruckender Erzähler und Lehrer, dabei aber nicht - wie Haenchen unterstellt6 - dem Mirakulösen verhaftet. 4 Vgl. hierzu J. Jeremias, Jesu Verheißung, S. 40ff; D. Zeller, Logion. 5 So K. Löning, Kornelius tradition, S. 17, der von »redaktionellen Fehlleistungen erzählerischer Art in Apg 10« spricht. 6 E. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 349f: Es »zeigt sich eine Besonderheit der lukanischen Theologie, die man nicht als eine besondere Stärke ansprechen kann: im Bestreben, die Hand Gottes im kirchlichen Geschehen sichtbar zu machen, schaltet Lukas die menschliche Entscheidung so gut wie völlig aus. Nicht in menschlichen Entscheidungen verwirklicht sich der göttliche Wille, nicht durch menschliche Entscheidungen hindurch, sondern zwischen die menschlichen Handlungen schieben sich übernatürliche Eingriffe ein: die Erscheinung des Engels, das Gesicht von den Tieren, die Weisung des Geistes, die Ausgießung des ekstatischen πνεΰμα. Diese göttlichen Eingriffe haben nach der lukanischen Darstellung eine solche Wucht, daß der Zweifel ihnen gegenüber verstummen muß. Sie beweisen zwingend, daß hier nicht der Mensch, sondern Gott wirkt. Gott

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2. Rollentausch - Petrus wird zum Anwalt der Völkermission Es fällt auf, daß der von Lukas erzählte Petrus im Verlauf der Erzählung Act lOf wie auch in dem lk Bericht von der Jerusalemer Apostel- und Gemeindeversammlung (Act 15) theologische Positionen vertritt, die durchaus kompatibel scheinen mit denen des historischen Paulus. Schon aus diesem Grund ist es ratsam, Vorsicht walten zu lassen bei der Frage einer realhistorischen Verortung dieser von Lukas erzählten Begegnung des Petrus mit Cornelius in Caesarea. Lukas zeichnet hier eine idealtypische Situation, für die neben Cornelius auf nichtjüdischer auf judenchristlicher Seite keiner besser als Petrus geeignet ist. Nicht von ungefähr hat Lukas zuvor die Bekehrung Pauli und seinen Lesern auch dessen Berufung zum Völkermissionar erzählt. Daß Lukas den wirklichen Durchbruch zur Völkermission aber Petrus vorbehält, ist ein deutlicher Hinweis, daß Lukas hier literarisch eine Rollenkongruenz anstrebte: Petrus wird zum Erstling der Völkermission, die im weiteren Erzählverlauf vor allem von Paulus ausgeführt wird. Deshalb auch muß der lk Petrus erst seine eigene Mission von έθνη in der Jerusalemer Gemeinde erfolgreich verteidigen (Act 11,1-18), bevor er später einmal, darauf aufbauend, die paulinische Völkermission in der Jerusalemer Apostelversammlung in

wird konstatierbar. Damit fällt aber der Charakter der Glaubensentscheidung als Entscheidung hin, und was Lukas als Glaubensgehorsam schildern möchte, wird etwas ganz anderes: die Menschen drohen zu Marionetten zu werden. Auch wer mit Lukas einig ist in der Überzeugung, daß Gott die Heidenmission gewollt hat, wird sich die Bedenken nicht verschweigen dürfen, welche die lukanische Darstellung erweckt. Damit daß Lukas die Entscheidung über die Heidenmission so völlig, wie es überhaupt möglich ist, den Menschen aus der Hand nimmt, um sie Gott zu geben, verläßt er die Wirklichkeit, in der die echten Glaubensentscheidungen fallen, und anstatt uns Gottes Handeln spüren zu lassen, macht er daraus eine Reihe von Mirakeln.« Diese Abwertung Haenchens muß auch auf dem Hintergrund der deutschen Nachkriegstheologie gesehen werden. Allein schon der Begriff der Heilsgeschichte war in Deutschland diskreditiert, so daß gerade auf protestantischer Seite die Frage »Paulus oder Lukas?« eindeutig zugunsten des Paulus entschieden wurde. Haenchen sieht Lukas aus johanneisch-paulinischer Perspektive, so daß ihm die große didaktische Kunstfertigkeit des Lukas an dieser Stelle entgeht. Lukas will weniger in eine Glaubensentscheidung rufen als vielmehr das bislang Geglaubte apologetisch stützen. Auch durch Lehre kann Glaube gefestigt werden. Zudem - das erklärt den lukanischen Stil der Darstellung - fehlt offensichtlich die Schriftbasis für die christliche Art der Einbeziehung der Völker in das Heilsvolk (s.o. Anm. 3), so daß Lukas um so stärker das Wirken des Geistes herausstellen muß. Die Menschen werden durch die lukanische Darstellungsweise nicht zu blind gehorsamen Marionetten göttlichen Handelns degradiert. Vielmehr will Lukas zeigen, wie wenig die heilvolle Einbeziehung der Völker in das Gottesvolk menschlicher Subjektivität und Entscheidungskraft entspringt.

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Schutz nehmen kann, indem er daran erinnert, daß ihn einst »Gott bestimmt hat, daß durch meinen Mund die Völker das Wort des Evangeliums hören und zum Glauben kommen« (Act 15,7b). Für Lukas steht in Act 15 mit der Mission des Paulus auch die Legitimität des Petrus auf dem Spiel. Der konkrete Anlaß zur Apostelversammlung liegt zwar in der lk Paulusmission, aber es ist doch Petrus, der dort das Wort ergreift und die Völkermission verteidigt. Petrus nimmt bei Lukas eine Rolle wahr, die der historische Paulus für sich selbst reserviert sieht (Gal 2,7). Dieser Rollentausch läßt weniger darauf schließen, daß Lukas sachunkundig ist, als vielmehr, daß er bewußt andere Akzente setzen will. Die für Lukas unbestrittene Autorität des Petrus soll helfen, die umstrittene Figur des Paulus in ein gutes Licht zu setzen. Die lukanische Petrusdarstellung zeigt, daß Lukas weithin eine Paulusapologie verfassen will. Ist Petrus als Erstling der Völkermission ausgewiesen, braucht Paulus im Prinzip nur seinen Spuren zu folgen.

3. Von Gott erhört - die Vision des Cornelius (Act 10,1-8) Das Leseprofil für Cornelius ist bereits oben (Kap. III. 3.3.2.) entworfen worden. Diese lk Erzählfigur ist - vielleicht mit Ausnahme des äthiopischem Kämmerers (siehe dazu Kap. XIV. 2.) - der erste nichtjüdische Christ. Jedenfalls ist er eindeutig nichtjüdisch, und seiner >Bekehrung< kommt im Unterschied zur Kämmerertaufe keine allein private Bedeutung zu7. Sie ist vielmehr paradigmatisch, grundlegend für die gesamte von Lukas gezeichnete Völkermission. Ist also klar, daß Cornelius kein Jude ist, sondern ein den Gott Israels Fürchtender aus den έθνη, so fällt auf, daß Lukas als ersten Völkerchristen eine Person ausgewählt hat, die gerade für jüdisches Empfinden eine Idealfigur darstellt (siehe auch Act 10,22). Der gesellschaftlich angesehene Kohortenführer Cornelius 8 entstammt dem den Synagogen nächstliegenden Kreis nichtjüdischer Anhänger und Sympathisanten. Er verhält sich in vielem wie ein frommer Jude lukanischer Prägung. Seine Frömmigkeitspraxis umfaßt sowohl das - von Lukas forcierte (Lk 11,41; 12,33) - reichliche Almosengeben (hier 7 Der Kämmerer zieht weiter seines Weges und verschwindet dann narrativ aus dem Gesichtsfeld. Seine Taufe hat keine öffentliche Bedeutung. Niemand außer dem Leser erfährt davon. Weder wird von einer Gemeindegründung noch von seiner Tätigkeit als Christusverkündiger berichtet. Seine Taufe bleibt also - wie er selbst - eine Randerscheinung. 8 Zum sozialen Status der sogenannten Gottesftirchtigen siehe Kap. III. 3.1.1. u. 3.3.3.

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betont an den jüdischen λαός) als auch das beständige Gebet zu Gott (Act 10,2.4), das bei Lukas allen vorbildlich Frommen gemein ist. Mitsamt seinem Haus lebt Cornelius also ευσεβής και φοβούμενος τον θεόν (ebd). Kaum mehr als seine Unbeschnittenheit und sein Speiseplan trennen ihn von einer Integration in das jüdische Heilsvolk. Was dem äthiopischem Kämmerer, so er denn kein Geburtsjude war, verwehrt bleibt, ist für Cornelius möglich: der Übertritt zum Judentum. Daher ist es kaum richtig, wie van Unnik anzunehmen, daß Cornelius sich in einer »Notlage« befunden habe: »The distress in which Cornelius found himself was the prospect of the Gehenna. God was not at all obliged to hear him; on the contrary, he could do as he pleased for ultimately in spite of all praising testimonies of the Jews, Cornelius was a heathen, a rejected heathen to whom the gate of heaven was closed«9. Weder entspricht dieses Bild im Umkehrschluß jüdischem Glauben, noch erfaßt es den religösen Status, den ein Mann wie Cornelius aus jüdischer Sicht innehat. Auch in ihren Augen ist er doch ein hochgeschätzter Mann, wie ausdrücklich im Text festgehalten wird (V. 22). Zudem hätte Cornelius seiner angeblichen Höllenfurcht durch die Beschneidung entkommen können. Nein, Lukas entwickelt ein großes Interesse, seiner Leserschaft diesen Mann als einen für Judenchristen vorzüglichen Taufkandidaten aus der Völkerwelt zu präsentieren. Dieser Cornelius ist - im übertragenen Sinne - im wesentlichen koscher, aus judenchristlicher Sicht eine Idealfigur für eine christliche Völkermission. Deshalb auch ist es Lukas wichtig, diesen Cornelius sowenig wie möglich, aber zugleich soviel wie nötig als defizitär darzustellen. Defizitär ist Cornelius nur insofern, als ihm der Zutritt zum jüdischen Heilsvolk verwehrt bleibt, zumal er sich nicht beschneiden läßt (vgl. Act 11,3). Dieser Wunsch liegt bei ihm aber offenkundig gar nicht vor. Cornelius leidet keine religiöse Not. Das Überraschungsmoment für die Leser besteht darin, daß sich der Gott Israels dem Nichtjuden Cornelius mit einem όραμα (V. 3) gleichermaßen zuwendet wie dem Judenchristen Petrus (V. 17). Diese Synchronie göttlichen Heils ist ein erstes Signal eines sich abzeichnenden Paradig9 W.C. van Unnik, Background and Significance, S. 252£ Ähnlich einseitig wie van Unnik formuliert auch K. Löning, Korneliustradition, S. 10, wenn er Cornelius einerseits als »einen positiv disponierten Heilsanwärter« kennzeichnet, andererseits aber feststellt: »Das Motiv der Anwartschaft ist ein Hinweis auf Mangel: Kornelius ist zwar dem >Volk< (λαός, also Israel) durch seine Spendenfreudigkeit verbunden (V. 2), aber er gehört als Römer nicht zum >Volk< dazu.« Dieser Mangel ergäbe sich doch nur aus jüdischem Blickwinkel. Aber das ist in Lk-Act narrativ zunächst kaum ersichtlich, sondern wird erst in Act 10,25t28.34£45 erzählt.

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menwechsels. Insofern der Engel dem Nichtjuden Cornelius kundtut, daß Gott seiner Frömmigkeit gedenkt (V. 4)10, ist er den Juden gleichgestellt, wie auch van Unnik zu Recht feststellt: »That which Cornelius has done as a heathen is treated as if he had been an Israelite«11. Wichtig ist die Reihenfolge: Erst kommt die Bekanntmachung göttlichen Willens (V. 4), dann der Auftrag, nach Simon Petrus zu senden (V. 5f). Die Frage der Heilszugehörigkeit klingt göttlicherseits also bereits mit dem in V. 4 Gesagten an, selbst wenn Cornelius sich über die Heilsbedeutung dieser Erscheinung noch kaum im klaren sein kann. Erst im Gefolge der Zusammenführung der ethnisch verschiedenen Personengruppen um Cornelius und Petrus wird die Partizipation auch der εθνη am Heilsvolk durch die Geistausgießung den Akteuren publik gemacht und göttlich besiegelt (V. 44ff). Deshalb kann Lukas nach V. 4 auch zusehends den Blick seiner Leser von Cornelius abwenden und auf Petrus fokussieren. Denn um ihn soll es im folgenden in allererster Linie gehen. Er hat einen enormen Lernprozeß vor sich, an dem die Leser teilhaben sollen. Höchste Aufmerksamkeit ist vonnöten. Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob die jüdische Identität des christlichen Glaubens weiterhin gewahrt wird. Und das berührt offensichtlich ein ganz zentrales Anliegen im lk Erzählwerk.

4. Neuland - der schwierige Lernprozeß des Petrus

4.1. Nah und doch so fern - Petrus kommt nach Joppe (Act 9,43) Der von Lukas erzählte Petrus befindet sich geographisch schon in Cornelius' Nahe, als er nach Joppe kommt (Act 9,43). Dennoch trennen Welten beide voneinander. Zwischen ihnen steht die Grenze von rein und unrein12. Bislang ist nirgends ersichtlich geworden, daß der von Lukas erzählte Petrus diese Grenzziehung, die Israel von der Völkerwelt trennt, nicht respektiert hätte. Das ist schon daraus zu ersehen, daß Lukas die Jerusalemer Gemeinde mit Petrus an der Spitze stets als tempeltreue (Act 3ff) und somit zugleich gesetzestreue Judenchristen vorgestellt hat (siehe die falschen Anklagen gegen Stephanus). 10 Zum alttestamentlich-jtidischen Hintergrund dieses Verses siehe W.C. van Unnik, a.a.O., S. 213f£ 11 W.C. van Unnik, a.a.O., S. 253. 12 Näheres zu diesem Topos siehe J. Becker, Jesus, S. 378-387; B.J. Malina, Welt des NT, S. 145-177.

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Nun aber zeichnet sich eine Veränderung ab, die auch am geographischen Erzählverlauf ablesbar ist. Die petrinische Jesusmission hat sich mittlerweile von Jerusalem entfernt. Eilte der lk Petrus noch von Jerusalem kurzfristig nach Samaria und zurück, um die dortige Jesusmission des Philippus durch Handauflegung apostolisch zu beglaubigen (Act 8,14ff), so ist Petrus jetzt selbst als eine Art Wandermissionar im westlichen Judäa unterwegs und kommt über Lydda in die einstige Philisterstadt Joppe (Act 9,32-43). Die Levante, ein Mittelmeerhafen, ist erreicht (vgl. Act 10,6.32) und mit dem Mittelmeer auch der weitere Horizont der paulinischen Mission. Daß sich die Begegnung mit Cornelius und die Geistausgießung in Caesarea am Meer, dem Sitz des römischen Prokurators, zutragen werden, verstärkt diesen Leseeindruck einer im doppelten Sinne fortschreitenden Jesusmission. Zwar bleibt die Gemeinde in Jerusalem weiterhin unverzichtbar, um die jeweiligen Etappen des Heilsgeschehens auch >abzusegnen< (Act 11,1-18; 15,Iff), aber der von Lukas erzählte Petrus hält bereits die Staffel der Christusverkündigung so in der Hand, daß sie nach den Ereignissen um Cornelius gewissermaßen nahtlos an den nach Tarsus verbrachten Saulus weitergereicht werden kann (Act 9,30; 11,22-26). Auffällig ist, wie Lukas die Erzählführung gestaltet. Wie auf einem Schachbrett werden die einzelnen Figuren aktiviert, gezogen und dann wieder beiseitegestellt: Philippus weilt nach seiner Begegnung mit dem Kämmerer der Kandake in Caesarea (Act 8,40), tritt aber in der Corneliusgeschichte überhaupt nicht, sondern erst wieder für einen kurzen Moment in Erscheinung, als Paulus auf seiner letzten Missionsreise, von Milet kommend, in Caesarea bei ihm, dem »Evangelisten Philippus«, einkehrt (Act 21,8f). Auf die Philippusmission in Act 8 folgt die Bekehrung und erste Verkündigungstätigkeit des Saulus/Paulus in Damaskus und Jerusalem, bis dieser schließlich über Caesarea (!) nach Tarsus in Sicherheit gebracht wird (Act 9,30). In einem doppeldeutigen Sinne hat die christliche έκκλησία Frieden vor diesem Unruhestifter (vgl. V. 31). Sind die Erzählfiguren Philippus und Paulus jeweils an ihrem Ort >abgestelltGlaubenspuzzle< zusammenzusetzen. 4.3. Wegweisung - der ratlose Petrus und der Heilige Geist (V. 17-23a) Petrus tappt im dunkeln. Während er dem Erlebten ratlos nachsinnt, treffen die Abgesandten des Cornelius ein. Es besteht Handlungsbedarf, und diese Lücke überbrückt der Geist (V. 19f). Er ist es, der Petrus auffordert, allen Zweifel zurückzustellen und den Fremden einfach zu folgen, »denn

rein erklärt werden, wird Gott in der Zukunft [= in den Tagen des Messias] für rein erklären.«) kommt Löning, ebd, zu dem Schluß: »Falls die Petrusvision auf diesen Vorstellungszusammenhang anspielt, soll damit in verhüllender Form ausgesagt werden, daß Jahwe vor der apokalyptischen Katastrophe ähnlich handelt wie in den Tagen des Noah, indem er Reine und Unreine, d.h. Beschnittene und Unbeschnittene zu einem neuen >Volk< zusammenschließt, um es als neüe Schöpfung zu retten«. Ähnlich auch W. Dietrich, Petrusbild, S. 273: »Die dem Petrus zuteilgewordene Vision zielt auf die möglicherweise endzeitlich verstandene - Gleichstellung der an Christus glaubenden Heiden mit den aus dem Gottesvolk stammenden Christen«. 21 Im NT nur hier und Act 11,8 in der Bedeutung: Niemals; auf gar keinen Fall! 22 Was es für einen streng gesetzestreuen Juden bedeuten mußte, unreine Speisen zu essen, kann anschaulich an der heldenhaften Legende von Eleasar in II Makk 6,18ff studiert werden. Dieser ist eher bereit zu sterben, als sich der Zumutung auszusetzen, Schweinefleisch zu essen. 23 Dieses Verb kommt im NT nur in Lk-Act vor: Lk 9,7; Act 2,12; 5,24; als άπορείθσαι in Lk 24,4.

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ich habe sie gesandt« (V. 20bß). Mehr braucht auch - analog zu Act 8,26f - nicht gesagt zu werden, denn hier artikuliert sich höchste göttliche Autorität, selbst wenn Petrus immer noch nicht weiß, welche Folgen diese Reise am Ende für ihn haben wird. Aber sein Gottvertrauen reicht aus, um ihn nun in Gang zu setzen. Er gibt sich den Fremden zu erkennen und fragt nach dem Grund ihrer Reise (V. 21). Nochmals erfährt der Leser von der vorbildlichen Gottesfrömmigkeit des Cornelius, die »bezeugt ist vom ganzen Volk (έθνος) der Juden« (V. 22). Wenn also der Jude Petrus einem Nichtjuden zu begegnen hat, dann ist Cornelius dafür ein vorzüglicher Kandidat. Neu ist aber auch für den Leser der Hinweis, was diese Reise eigentlich bezwecken soll, denn, so die Abgesandten, »ein heiliger Engel« (V. 22; vgl. Lk 9,26) habe Cornelius bedeutet, Petrus in sein Haus zu holen, um zu hören, was dieser ihm zu sagen hat (vgl. V. 46). Petrus wird also von Gott aufgefordert, in das Haus eines Goi zu gehen. Das ist für den Leser etwas unerhört Neues. Der von Lukas erzählte Jesus hat - im Unterschied zum markinischen (siehe die große Auslassung von Mk 6,45-8,26) - den Umgang mit Nichtjuden tunlichst vermieden (mit wenigen Ausnahmen 24 ). Selbst das Haus des Hauptmanns von Kapernaum, in das sogar der mt Jesus hineinzugehen bereit ist (Mt 8,7), betritt der lk Jesus nicht (Lk 7,Iff). Zwar gilt explizit auch den εϋνη das vom Auferstandenen verkündigte Heil Gottes (Lk 24,47), aber vom Vollzug dieser Heilsgemeinschaft war bislang noch nicht die Rede. Wie diese Begegnung mit Cornelius ausgehen wird, ob dieser geheimnisvolle Besuch überhaupt auf eine >Bekehrung< des Cornelius zielt, wissen weder Petrus noch die Lukasleser. Aber immerhin, es ist Nachmittagszeit, zu spät, um noch aufzubrechen, und so nimmt Petrus die fremden Männer auf in das Haus seines Gastgebers Simon (Act 10,23). Petrus, der Gast, wird zum Gastgeber seines Gastgebers. Er läuft jetzt Gefahr, sich in doppelter Weise zu verunreinigen 25 . Eine teils fromme (s. V. 7), aber wohl >heidnische< Gesellschaft, auf 24 J.A. Fitzmyer, Luke I, S. 189: »By and large, there is no extension of salvation to Gentiles in the Period of Jesus. The sole exceptions to his activity among non-Jews are the few episodes that deal with Samaritans and the trip to the Gerasenes«. Aber selbst bei diesen Erzählungen ist es doch fraglich, ob Lukas sie als eine Begegnung mit Nichtjuden verstanden hat. Zumindest die Samaritaner sind doch Geburtsjuden, in welch innerer Distanz zum Jerusalemer Tempel sie für Lukas auch immer stehen mögen. Lukas kann sie als eine jüdische Randgruppe mit Vorbildfunktion zeichnen (Lk 10,25ff; 17,15f). 25 Zwar wird nicht ausdrücklich gesagt, daß es sich bei den Abgesandten um Nichtjuden handelt, aber die distanzierte Formulierung ύπό όλου του έθνους των 'Ιουδαίων (V. 22) deutet doch darauf hin. Vgl. J. Zmijewski, Aufnahme, S. 1580: »Ein bemerkens-

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die Petrus sich einläßt! Doch der Geist vermag solche Gemeinschaft des frommen Judenchristen Petrus mit diesen Unreinen (schon der Gerber Simon, mehr noch die Abgesandten des Cornelius) zu legitimieren. Zwar sollte der hier geschilderten Gastgemeinschaft noch nicht zuviel Gewicht beigelegt werden, denn erst im Hause des Cornelius soll die Heilsgemeinschaft von Juden mit Nichtjuden göttlich besiegelt werden, aber schon jetzt ist dieser Schritt für den Leser erkennbar vorbereitet. Aufgrund und mit Hilfe des Geistes befindet sich Petrus auf dem Sprung, die schützende Welt jüdischer Glaubens- und Lebenspraxis zu verlassen und den Schritt in die für ihn fremdartige Kultur der Völkerwelt zu wagen. 4.4. Ein Tabu wird preisgegeben - Petrus trifft Cornelius (V. 23b-33) Wie wichtig für Lukas in der gesamten Corneliusperikope die Zusammenführung der bislang getrennten soziokulturellen Welten Israels und der Völker ist, wird mitunter nur unzureichend erkannt und gewürdigt26, Die Bedeutung dieses Themas aber kann sprachlich schon an der gehäuften Verwendung von Vokabeln abgelesen werden, die, so K. Löning27, »Orientierungsaktivitäten (sehen, suchen, finden, zur Suche auffordern, rufen fragen, erklären u.a.)« bzw. »Bewegungsaktivitäten (kommen, gehen, schicken, sich nähern, hineingehen, begegnen u.a.)« bezeichnen. Sie verdeutlichen die Dynamik der lk Erzählführung, denn was Menschen nicht vermögen, vermag der Geist Gottes. Er führt und lenkt die handelnden Personen, nicht wie E. Haenchen meint 28 - als nahezu willenlose Marionetten, sondern weil diese Zusammenführung etwas so fundamental Neuartiges darstellt, daß Gott selbst die Fäden in der Hand halten werter Vorgang! Petrus, der ja inzwischen durch den Bericht der Männer weiß, daß es sich um Heiden handelt, durchbricht zum ersten Mal das Verbot, als Jude mit Heiden in Gemeinschaft zu treten!« Selbstverständlich wäre es unsinnig, davon zu reden, daß der Kontakt zwischen Juden und Nichtjuden verboten war. Es gab fraglos vielfältige soziale Berührungspunkte, aber eben auch die bewußte Abgrenzung von der heidnischen Völkerwelt. Ausführlich dazu J.N. Seventer, Pagan Anti-Semitism, S. 89ff; Ph.F. Elsler, Community, S. 71ff. Die Art der Gemeinschaft, von der Act lOf handelt, durchbricht aber sukzessiv eine für Juden wesentliche Grenze. 26 Darauf weist zu Recht Ph.F. Esler, Community, S. 93, hin: »The central issue in this narrative is not that the gospel has been preached to Gentiles, but the far more particular fact, of great ethnic and social significance, that Peter has lived and eaten with them«. Ähnlich auch B.R. Gaventa, From Darkness to Light, S. 108; D.L. Matson, Household Conversion, S. 87-134. 27 K. Löning, Korneliustradition, S. 8. 28 Siehe Anm. 6 in Kap. XV. 1.

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muß, damit das Heilswerk überhaupt gelingen kann. Gott kann also gar nicht anders als dirigistisch eingreifen, damit der von Lukas charakterisierte Petrus als gläubiger Jude(nchrist) sich bereit findet, die schützende Welt der Reinheitstora zu verlassen. Indem Petrus diesem Sendungsauftrag nicht willenlos, sondern gottergeben folgt, setzt er als erster den universalen Heilswillen Gottes durch, wie er anfangs bei Simeon (Lk 2,3032) und im Wort des Täufers kundgetan ist: οψεται πάσα σάρξ τό σωτήριον του ϋεοϋ (Lk 3,6 = Jes 40,5 LXX; vgl. Act 2,17f = Joel 3,lf LXX; Act 2,38f). Daß die nun folgende Begegnung im Unterschied zur Kämmerertaufe keine isolierte Begebenheit bleibt, zeigt sich äußerlich schon daran, daß sowohl Petrus »einige der Brüder« aus Joppe mitnimmt (Act 10,23b; vgl. 11,12) als auch Cornelius »seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen« hat (V. 24; vgl. V. 27). So unterstreicht Lukas den Gemeinschaftscharakter und macht es unwahrscheinlich, daß seine Leser diese Begegnung als singuläre Ausnahme mißverstehen. Auch die bei der Geisttaufe anwesenden Judenchristen (V. 45) signalisieren: Hier begegnen sich durch die Geistgabe paradigmatisch Juden- und Völkerwelt. Es kommt durch Gottes Geist zur Schöpfung einer neuartigen Familia Dei. Das dreimalige είσέρχεσθαι (V. 24.25.27) ist ein weiteres sprachliches Indiz, das anzeigt, wie schwierig es für den Judenchristen Petrus ist, die Grenze zur Völkerwelt zu überschreiten. Von außen nähert er sich in einem Dreischritt dem eigentlichen Ort der Begegnung: Als erstes wird seine Ankunft in der Capitale der römischen Provinz Judäa geschildert (είσήλθεν εις τήν Καισάρειαν V. 24), dann - ώς δέ έγένετο του εί,σελθεΐν τον Πέτρον - folgt die Begrüßung durch Cornelius, der ihm entgegenkommt und demütig auf die Knie fällt29 (V. 25), bis Petrus schließlich das heidnische Haus des Cornelius betritt (είοηλθεν), in dem sich »viele versammelt haben« (V. 27). Daß schon damit ein für Juden entscheidendes Tabu verletzt ist, begreifen offenkundig alle Beteiligten: »Ihr wißt, daß es für einen Juden nicht erlaubt ist (άθέμιτον) 30 , mit einem Fremdstämmigen (άλλό-

29 Vgl. das Verhalten der >Heiden< in Lystra Act 14,8ff! 30 Daß Lukas άθέμιτος statt άνομος setzt, erklärt sich aus den Adressaten seiner Rede, meint aber dasselbe, nämlich den Verstoß gegen die Tora. Insofern ist es nicht nur mißverständlich, sondern falsch, wenn S.G. Wilson, Law, S. 70, aus dieser Wortwahl folgert: »It may express his [Lukas'] awareness that the distinction between clean and unclean was seen to be part of the order of things, a matter of ingrained custom and practice, rather than the result of a legal prescription. If so, then the effect of the vision is not to contravene the law as such but to challenge what Luke knew to be the common Jewish

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φυλος)31 zu verkehren (κολλάσθαι)32 oder zu ihm hinzugehen« (V. 28a), so daß sich automatisch die Frage aufdrängt: Warum hat er es dann getan? Darauf gibt Petrus sogleich selbst die Antwort: »Mir aber (κάμοί)33 hat Gott gezeigt, keinen Menschen gemein oder unrein (μηδένα κοινόν ή άκάθαρτον) 34 zu nennen« (V. 28b). Damit schließt sich der Kreis. Der Sinn seiner Audiovision hat sich nunmehr Petrus erschlossen. Was vordergründig auf die Speisegebote gemünzt schien, betrifft in der Konsequenz viel grundsätzlicher die Frage der schwierigen Sozialkontakte zwischen Juden und Nichtjuden. Dieses zwischenmenschliche Problem macht sich gerade an den Speisegeboten fest. Insofern muß kein Bruch zwischen der Audiovision des Petrus und seiner späteren Erkenntnis im Hause des Cornelius konstatiert werden. Das eine folgt aus dem anderen. Dennoch ist damit noch nicht alles geklärt. Zunächst ist so erst einmal ermöglicht, gezielt das Christusheil den έθνη zu verkündigen. Das war bislang kaum möglich (siehe V. 28a). Insofern ist die Frage des Petrus, warum

practice of segregation from Gentiles«, ergo: »The law as such is not at stake.« Die Trennung, die Wilson vornimmt, ist nicht nur für Juden, sondern auch für Lukas unsinnig. Es gibt nicht das »Gesetz an und für sich< und davon getrennt allgemeine Verhaltensnormen. Die Tora allein ist die Norm, von der sich dann auch die einzelnen Bestimmungen, etwa die Reinheitsgebote, ableiten. Sind diese außer Kraft gesetzt, so ist die Tora insgesamt außer Kraft gesetzt. Der Versuch Wilsons, a.a.O., S. 71, in der Reinheitsfrage zwischen Palästina und Diaspora zu unterscheiden: »The effect of the vision is thus that Peter abandons his conservative (Palestinian?) position for a more liberal (diaspora-Jewish and Christian?) stance«, scheitert, wie J. Becker, Jesus, S. 379, deutlich macht: »Wie ernst es dem ganzen Judentum mit der Reinheitstora war, erweist sich nicht nur an der sporadischen Häufigkeit, mit der dieses Thema wie selbstverständlich in den Texten anklingt ... Es zeigt sich auch eindrücklich an dem Umstand, daß dort, wo das Judentum im hellenistischen Umfeld lebte, man sich zwar z.B. hellenistischer Auslegungskunst wie der Allegorese gerade auch in Anwendung auf die Kulttora bedienen konnte, aber nichtsdestotrotz an der wörtlichen und peniblen Einhaltung dieser Gesetze keinen Zweifel aufkommen ließ«. 31 Daß Lukas hier die εθνη nicht namentlich nennt, sondern generell auf Ausländer verweist, könnte wiederum durch die Adressaten der Rede bestimmt sein oder aber über die εθνη hinaus generalisieren, somit die Grundsätzlichkeit des Verbots herausstreichen. 32 Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 897, übersetzen: »sich eng anschließen an« (vgl. Act 5,13; 9,26). 33 Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 783, übersetzen: »mir dagegen«; vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik, §442, Anm. 3. 34 C. House, Defilement, S. 146, verweist auf den Unterschied zwischen κοινός und ακάθαρτος: »Rather than being synonymous, the relationship is processional or filial, for the Jewish idea of >commonality< - defilement by association - proceeded or grew from the concept of unclean«.

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er geholt worden sei (V. 29), eher rhetorisch gemeint, denn natürlich ist ihm bekannt, daß er zu den Anwesenden sprechen soll (V. 22). Aber durch diesen Kniff erzeugt Lukas eine dialogische Gesprächsssituation, die Cornelius die Möglichkeit verschafft, Petrus (und den Lesern nochmals) seine ganze Vision mit eigenen Worten zu erzählen (V. 30-33)35. 4.5. Premiere - auch Nichtjuden kann jetzt das Heil verkündigt werden (V. 34-43) Cornelius' Schlußbemerkung, daß nunmehr »wir alle vor Gott anwesend sind, um alles zu hören, was dir [Petrus] vom Herrn aufgetragen ist« (V. 33b), ist für Petrus ein Zeichen, daß - wie Tannehill anschaulich formuliert - Gott von beiden Seiten her arbeitet, um seinen universalen Heilswillen zu verwirklichen36. Daß Gott die sozialen Schranken zwischen Israel und der Völkerwelt aufgehoben hat, beweist, daß dem Heil Gottes keine Grenzen zu setzen sind (V. 34). Was der historische Paulus in Rom 2,11 eher anklagend als Verantwortlichkeit aller Menschen vor Gott formuliert, daß Gott die Person nicht ansieht, ist bei Lukas demgegenüber positiv als Heilsaussage gefaßt (Act 10,34f)37: Der lk Petrus begreift, »daß Gott nicht parteiisch ist, sondern in jedem Volk (έν παντί 35 Hingegen sieht K. Lotung, Korneliustradition, S. 14, diesbezüglich »spürbare Erzählfehler«: »Lukas hat es für sinnvoll gehalten, bereits in der ersten Begegnungsszene mit den Boten (10,17-23a) Petrus von der Vision des Kornelius erfahren zu lassen (V. 22). Damit verliert die Erkenntnisszene (10,27-36) das auslösende Motiv. Petrus erfährt in den Versen 30-33 im Prinzip nichts Neues über V. 22 hinaus; seine Reaktion mit καταλαμβάνομαι (V. 34) ist unmotiviert, weil schon vorher möglich«. Aus diachroner Sicht legt sich somit eine Differenz zwischen Vorlage und Redaktion nahe. Aus narrativer Sicht hingegen erscheint diese Doppelung rhetorisch sinnvoll, wie R . C Tannehill, Narrative Unity II, S 131, erkennt: »It is true that the motivation of Peter's question in 10,29 is weak because he has already been informed by the messengers. Nevertheless, the summaries of Cornelius' vision in w. 22 and 30-32 have a function in both locations, in the one case to explain why the messengers have come, in the other case to prepare for Peter's speech, which is to be understood as the fulfillment of what Cornelius has been led by God to seek«. 36 R . C Tannehill, Narrative Unity II, S. 132: »God works from two sides at the same time to achieve this goal«. 37 Jouette M. Bassler, Impartiality, S. 546, meint: »The author of Acts ... and Paul are not really saying the same thing when they appeal to divine impartiality. Behind the verbal similarities lie quite different understandings of impartiality, one of which is rooted in Jewish notions of divine judgement, the other of which seems closer to Graeco-Roman expressions of universality«. Aber an diesem Punkt stehen sich Paulus und Lukas näher, als Bassler vermutet. Gericht und Heil sind hier jeweils nur die Kehrseite ein und derselben Medaille. Insofern wirkt ihre Unterscheidung künstlich.

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εθνει) ist ihm genehm, wer ihn fürchtet (ό φοβούμενος αυτόν) und Gerechtigkeit übt«. Recht verstandene Gottesfurcht im Sinne des jüdischen Monotheismus, wie sie im Magnifikat grundgelegt wird (Lk 1,50) und Cornelius sie auch als Nichtjude praktiziert (Act 10,2.22), ist also das allein notwendige und hinreichende Kriterium, um des in Jesus Christus geschenkten Heils teilhaftig zu werden. Das ist für Lukas jüdischer Heilsglaube. Er ist in gleicher Weise israelbezogen wie universal. Deshalb muß jetzt - wie schon zuvor πρώτον den Juden (Act 3,26) - auch den εθνη dieses Gottesheil verkündigt werden. Das ist kein anderes Evangelium, das da zu predigen ist, sondern selbst ohne den Vorwurf der Tötung Jesu (vgl. Act 10,39) und ohne Umkehrruf im wesentlichen die christliche Heilsbotschaft, die Petrus zuvor schon den Juden in Jerusalem kundgetan hat (Act 2ff). Diese Apologie erklärt auch, daß die Heilspredigt (Act 10,36-43) bewußt zentrale Themen der lukanischen Heilsverkündigung wieder aufgreift. Eine Gliederung der gesamten Petrusrede (V. 34-43)38 nach rhetorischen Gesichtspunkten vermag das Spezifikum dieser ersten Heilspredigt vor Nichtjuden in Lk-Act zu erfassen. J.I.H. McDonald unterteilt wie folgt:39 Das Exordium (V. 34f) formuliere die These, das Argumentum (V. 36-42) stelle die Beweisführung dar, und die Peroratio (V. 43) markiere den (vorläufigen) Schluß. Sowohl das Exordium (V. 34f) wie auch die Peroratio (V. 43) betonen die Universalität des Heils, das Exordium allgemein jüdisch-theologisch, die Peroratio christologisch. Darin eingebettet ist als Argumentum (V. 36-42) die Erzählung über das Geschick Jesu: Von der Täuferverkündigung (V. 37) über die Nazaretperikope, Heilungen und Exorzismen (V. 38), in Judäa und Jerusalem bis hin zur Passion (V. 39), Auferstehung und Ostererscheinungen (V. 40-42) spannt sich der Erzählbogen. Dabei fällt auf, daß selbst das Argumentum wiederum mit einer These eingeleitet wird (V. 36). Sie faßt das Jesusheil für Israel

38 Vgl. P. Stuhlmacher, Zum Ulema: Das Evangelium, S. 23, der vermutet, in V. 36ff stoße man »auf das kerygmatische Grundmuster der von Markus inaugurierten Evangelienschreibung«; ders, Das paulinische Evangelium, S. 181: »In Apg 10,36-43 liegt keineswegs nur ein von Lukas geschaffenes Muster einer (auf Lukas zurückverweisenden) >Predigt< vor, sondern zugleich und vor allem eine traditionsgesättigte Darstellung, wie im Missionsraum vor Heiden von der Geschichte Jesu erzählt und gelehrt worden ist«. Diese Hypothesen scheitern sprachlich an den zahlreichen Lukanismen, die A. Weiser, Tradition; G. Lüdemann, Apostelgeschichte, S. 133f, nachweisen. 39 J.I.H. McDonald, Rhetorical Issue, S. 69. Ähnlich auch G. Schneider, Petrusrede, S. 272, der statt Argumentum von dem Corpus der Petrusrede spricht.

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schließlich universal: »In bezug auf das Wort40, das er [Gott] den Söhnen Israels gesandt hat, indem er verkündigen ließ das Evangelium des Friedens durch Jesus Christus: Dieser ist Herr aller [Menschen]«. Burchard sieht darin eine bewußte Anspielung auf das Engelwort der Geburtsgeschichte Jesu (Lk 2,10-14)41. Damit wäre dann die Heilsvita Jesu von Anbeginn erfaßt und somit auch ein guter Übergang zum Wort über die Täuferverkündigung gegeben (Act 10,37). Die Universalität des Heils, die in der Geburtsgeschichte Jesu in nuce angedeutet wird und dann in der Simeonweissagung programmatisch zutage tritt, wird in Act 10,36 durch die Satzstellung hervorgehoben42. Dementsprechend mündet diese erste Heilsverkündigung vor Nichtjuden auch wieder ein in eine universale Heilsaussage, die deutlich auf das Herrenwort aus Lk 24,47 Bezug nimmt: »Jeder, der an ihn [Jesus Christus] glaubt, empfängt durch seinen Namen die Vergebung der Sünden« (Act 10,43; vgl. auch 2,38). Somit sind jetzt erstmalig auch >HeidenLord of allzweite Pfingsten< - Geistausgießung auf έθνη (V. 44-48) Wie aus diesem Wissenstand ein Heilszustand wird, erzählt die folgende Geschichte (V. 44-48): Während Petrus noch redet, kommt plötzlich der Heilige Geist auf alle herab, die das Wort44 hören (V. 44). Der nächste und entscheidende Schritt in diesem für Juden(christen) so überaus schwierigen Lernprozeß ist erreicht, der sich, im nachhinein betrachtet, logisch aus den zuvor erfolgten Lernschritten ergibt. Ist nämlich die Sozialgemeinschaft mit Nichtjuden möglich, so könnte es auch die Heilsgemeinschaft sein. Genau diese erzwingt (vgl. Reihenfolge in Act 2,38: erst Taufe, dann Geistgabe) und besiegelt jetzt der Heilige Geist. Es muß betont werden: allein der Heilige Geist. Das Erstaunen der Judenchristen zeigt an, daß sie mit dieser Möglichkeit voller Heilsgemeinschaft grundsätzlich nicht gerechnet hatten (V. 45f). Dementsprechend fällt auf, daß diese Verse kein Schriftzitat enthalten. An der für Lukas entscheidenden Nahtstelle, wo die Völkerwelt erstmalig und zugleich grundlegend in das Heilsvolk integriert wird, unterbleibt ein Wort aus der Schrift. Das zeigt e silentio, wie wenig Lukas für diese Art der Partizipation der Völker am Heilsvolk an jüdische Tradition anknüpfen zu können meinte und wie sehr er darum ringen muß, sie trotzdem überzeugend vorzustellen. Wenn man so will, so ist dieser Punkt der lk Erzählung für die Leser zwar ein narrativer Höhepunkt, aber in bezug auf eine argumentative Auseinandersetzung mit Juden zugleich auch ihr Schwachpunkt. Hier, im Wie der Einbeziehung der Völker, ist die lk Gedankenführung verwundbar. Schon daß die Reinheitsgrenze aufgehoben ist, ist zwar für die Völkerwelt ein Gewinn, aber der Synagoge wohl kaum als Heilseinsicht plausibel zu machen. Lukas nimmt diese Vorbehalte narrativ auf, indem er schildert, wie sehr gerade die bisherigen Christen, οί έκ περιτομής πιστοί, befremdet aus der Fassung gebracht sind (έξέστησαν) 45 , als sie diese Geistausgießung auf Nichtjuden erleben (V. 45). während »gentiles« als Übersetzung von έΰνη in Lk-Act neutral die nichtjüdischen Völker bezeichnet. 44 Die Formulierung τόν λόγον knüpft an V. 36 an. 45 B. Wander, Trennungsprozesse, S. 190: »Lukas benutzt die dafür gebrauchte Vokabel έξίοτημι in verschiedenen Kontexten, um mit Hilfe menschlicher Erschütterung epochemachende Ereignisse innerhalb der Geschichte des Urchristentums herauszustreichen. Dazu gehören die Auferstehung Jesu (Lk 24,22); die Gabe des Geistes (Act

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Jetzt erst verwirklicht sich vollends, was Petrus selbst schon zur ersten pfingstlichen Geistausgießung deutend aus der Schrift zitierte: έκχεώ άπό του πνεύματος μου επί πάσαν σάρκα (Act 2,17 aus Joel 3,1 LXX). Ergoß sich der Geist damals nur auf Jesu Jünger (vor allem aus Galiläa Act 2,7), also nur auf Juden, so werden diesmal ganz entsprechend (Act 10,47; 11,15; 15,8f) die εθνη mit Heiligem Geist begabt. Diese Entsprechung verwirrt, erstaunt, bringt die Judenchristen um den Verstand: »Auch auf die Völker ist die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen« (και έπί τά εθνη ή δωρεά τοΰ αγίου πνεύματος έκκέχυται Act 10,45b). Da wird nicht nur geistiges, sondern geistliches Neuland betreten, vermeintliches jüdisches Sonderrecht, der Bund der Beschneidung göttlich ignoriert. Der erzählerisch beglückendste Moment für die Völkerwelt ist für die Judenchristen zugleich der schwierige Abschied vom bislang mit Israel geteilten sozial-religiösen Lebenskonsens46. Wer wollte noch diesen εθνη (und den εθνη überhaupt) das Wasser zur Taufe verweigern, wenn der Heilige Geist, d.h. Gott selbst (s. Act 11,17), nicht parteiisch ist und keine Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden macht (V. 47)? Diesem Gottesurteil treu ergeben, ordnet der lk Petrus an, Cornelius und die Seinen zu taufen (V. 48a). Daß somit eine neue Heilsbasis etabliert ist, zeigt der Hinweis, daß Petrus und die »sechs Brüder« (Act 11,12b) noch einige Tage zu Gast im Hause des Cornelius bleiben (Act 10,48b). Die christliche έκκλησία ist - zumindest für kurze Zeit47 - eine >realexistierende< Heilsgemeinschaft aus Juden und Menschen der Völkerwelt geworden. 2,7.12); die Bekehrung des Paulus (Act 9,21) und die Gabe des Geistes an Heiden (Act 10,45). Damit ist der außerordentliche Charakter der AusgieBung des Geistes über Heiden besonders illustriert«. 46 Wenn B. Wander, a.a.O., S. 190, feststellt: »Die >Bekehrung< des Petrus wird darin bestanden haben, daß er seine Positionen derjenigen der liberalen Rabbinen angenähert hat, die die Notwendigkeit der Beschneidung von >Gottesfürchtigen< zumindest diskutierten«, so unterschätzt er die Bedeutung solcher Reinheitsgebote gerade auch in der jüdischen Diaspora. Wenn die Reinheitsgebote fallen, braucht nicht mehr über die Beschneidung diskutiert zu werden. Umgekehrt aber, wird die Beschneidung zurückgewiesen, ist damit noch lange nicht gesagt, daß auch die Reinheitsgebote fallen. Genau von dieser Problematik handelt Act 15. 47 K. Löning, Kirchliche Realität, S. 2619, sieht darin lediglich ein Übergangsphänomen: »Nach lukanischer Darstellung hat die Taufe des heidnischen Hauptmannes Cornelius keine Rückwirkungen auf die bis dahin geschaffenen kirchlichen Zustände in Palästina, sondern bedeutet die Schaffung neuer neben den alten. Das ergibt sich schon daraus, daß der getaufte Cornelius nicht als Mitglied in eine neue schon bestehende Gemeinde aufgenommen wird, sondern in seinem Hause eine neue Gemeinde entsteht, die ausschließlich aus Heidenchristen besteht«. Diese Beobachtung ist zwar korrekt, aber Lö-

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4.7. Wer wollte Gott wehren? - die Bestätigung der Tischgemeinschaft in Jerusalem (Act 11,1-18) Daß diese Art von Heilsgemeinschaft, wie der lk Petrus sie in Caesarea im Hause des Cornelius praktiziert hat, anschließender Erklärung und Rechtfertigung bedarf, ist kaum überraschend. Bisher wurden die Jerusalemer Apostel zur Approbation herangezogen, wenn die christliche Mission außerhalb von Jerusalem Neuland betrat (Samariamission Act 8,14ff). Aber diesmal ist ein Tabu verletzt. Die christliche έκκλησία hat bislang als eine jüdisch-eschatologische Heilsgemeinde innerhalb des Judentums gelebt. Sie hat wie selbstverständlich die Grenzen, die das Judentum dem sozialen und religiösen Leben zieht, respektiert. Die christlichen Juden sind tempeltreu und dem Gesetz ergeben. Anderslautende Vorwürfe sind böse Verleumdungen (Act 6,llff). Vor allem der lk Petrus ist der Garant dieses sich jüdisch verstehenden und jüdisch lebenden Christentums gewesen, so daß sich für die Jerusalemer Gemeinde die Frage stellen muß, warum gerade er gleichsam abgefallen ist. In ihren Augen muß er ein Apostat sein, der die jüdische Identität des christlichen Glaubens preisgegeben hat. Darum ist es auch nicht zufällig, daß οί έκ περιτομής (Act 11,2) ihm vorwerfen: »Du bist hineingegangen (εισήλθες) zu Männern, die unbeschnitten sind, und hast mit ihnen gegessen« (V. 3). Man möchte hinzufügen: sogar mit ihnen gegessen48. Petrus hat nicht nur das Haus eines Goi betreten, um dort den jüdischen Heilsmessias Jesus bekanntzumachen, nein, er ist sogar für einige Tage bei diesen Gojim geblieben und hat mit ihnen Tischgemeinschaft gehalten. Das ist der Affront, nicht etwa die Taufe! Was hier - wenn auch nur für kurze Zeit - geschehen ist, widerspricht, so Ph.F. Esler in seiner Untersuchung »Community and Gospel in Luke-Acts«, allgemein dem jüdischen Konsens zur Regelung sozialer Kontakte zwischen Juden und

ning unterbewertet den paradigmatischen Charakter dieser, wenngleich nur kurzen gemischten Hausgemeinde im lk Konzept. Nicht Act 15 ist, wie Löning, a.a.O., S. 2621, annimmt, das »Zentralkapitel der Apg«, sondern Act 10ñ 48 Für M. Dibelius, Bekehrung, S. 96, ist dies der Grund, Act 11,1-18 als erstes von mehreren Teilstücken der Corneliusperikope als lukanisch auszuweisen, denn »in der Erzählung selbst [d.i. Act 10] spielt die Tischgemeinschaft gar keine wesentliche Rolle«. Aber schon die Petrusvision verdeutlicht doch, wie sehr mit der Heilsfrage für die εθνη zugleich auch die Frage der Tischgemeinschaft mit ihnen verknüpft ist. Insofern handelt Act 10 implizit immer von diesem Thema, was Lukas gerade mit Act 11,3 anzeigt. Zu den methodischen Defiziten der Analyse von Dibelius zur Corneliusperikope vgl. K. Haacker, Dibelius und Cornelius.

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Nichtjuden: »Although Jews were happy to mix with Gentiles in synagogues or possibly even in market-places or streets, eating with them was a very different matter. Eating was an occasion fraught with the possibility of breaching the purity code, one of the most crucial aspects of the Mosaic law for the maintenance of the separate identity of the Jewish ethnos. The antipathy of Jews towards table-fellowship with Gentiles, in the full sense of sitting around a table with them and sharing the same food, wine and vessels, was an intrinsic feature of Jewish life«.49 Der lk Petrus ist also gezwungen, sein Verhalten in Caesarea zu rechtfertigen. Die Leser erhalten somit - analog zu den Verteidigungsreden des lk Paulus in Act 22; 26 - nicht nur die Gelegenheit, das Geschehen noch einmal aus der Sicht des Verklagten zu erleben, sondern ein Erzählschluß hat, so Tannehill, zugleich die Funktion, rekapitulierend das zu Erlernende einzuprägen: »The final scene of a narrative is an opportunity to clarify central aspects of plot and characterization in the preceding story and to make a final, lasting impression on the readers« 50 . Der Reihe nach (καθεξής Act 11,4; vgl. Lk 1,3) will Petrus erzählen, was geschehen ist. Er beginnt - aus seiner Warte durchaus logisch - mit einem Bericht seiner eigenen Vision (Act 11,5-10). Dabei folgt er im wesentlichen dem in Act 10,9-16 erzählten Ablauf, allerdings mit zwei Abweichungen: Es fehlt zum einen der Hinweis darauf, daß Petrus hungrig war, und zum anderen ist die Zurückweisung des göttlichen Befehlsaufrufs allgemeiner formuliert. Verwahrte sich Petrus dem ersten Bericht in Act 10,9ff zufolge, noch nie in seinem Leben habe er etwas Unkoscheres gegessen (εφαγον V. 14), so heißt es demgegenüber in Act 11,8, daß nichts Unreines »in meinen Mund hineingekommen ist« (είσήλθεν εις τό στόμα μου). Aus dem Spezialfall des Essens wird hier der allgemeinere Topos der Verunreinigung (durch den Mund) 51 . Damit verstärkt sich auch der zu Act 10,15 oben vermerkte Anklang an Mk 7,18f: Dort wird wie im ganzen Abschnitt Mk 7,14-23 bestritten, daß das, was in den Menschen hineingeht, ihn verunreinige (Stichwort: είσπορεύσεσθαι κοινοϋν).

49 Ph.F. Esler, Community, S. 84. 50 R . C Tannehill, Narrative Unity II, S. 344. 51 R.D. Witherup, Cornelius, S. 59, folgert daraus: »What is essential in the second version is not what one eats or how one satisfies one's hunger but how one views all reality, animal and human alike, which God has declared >cleanTatsachenbericht< der Corneliusvision selbst noch nichts verlautete (Act 10,3-8) -, daß Petrus zu holen sei, um ρήματα, d.h. Gottes Wort zu verkündigen (Act 10,22), aber jetzt erfährt der Leser sogar explizit, was dieser göttlichen >Zwangsvereinigung< von Anfang an zugrunde gelegen hat: die Rettung der εθνη (Passivum divinum σωθήση Act 11,14). Für die έθνη steht paradigmatisch die Hausgemeinschaft des Cornelius (πάς ό οίκος σου V. 14). Als der Heilige Geist in der gleichen Weise »wie am Anfang auf uns« (V. 15) unterschiedslos auf alle Versammelten fällt, hat Petrus erkannt (V. 16), daß sich nunmehr die Verheißung des Herrn (Act 1,5) erfüllt, und zwar universal (vgl. Act 1,8). Dieses >zweite Pfingsten< vereinigt zwei bisher getrennte soziokulturelle Welten miteinander, die Welt der Juden mit der Welt der έθνη. Wenn Gott durch eine Pfingsten entsprechende Ausgießung des Geistes auch auf die εθνη offenbart, daß er sie wie die jüdischen Jünger Jesu allein aufgrund ihres Glaubens an den Herrn Jesus Christus mit Geist beschenkt (αύτοϊς ... ώς καί ήμίν πιστεύσασι,ν έπί τον κύριον Ίησοΰν Χριστόν V. 17a)52 und selig macht, dann ist mit Petrus zu Recht zu fragen: »Wer bin ich, daß ich vermocht hätte, Gott zu wehren?« (V. 17b). Auf solchen Erweis des Gottesgehorsams kann eine dem Gott Israels treu ergebene Gemeinde nur mit zustimmendem Schweigen reagieren. Ihre Kritik am somit nur scheinbar eigenmächtigen Verhalten des Petrus, so heftig sie am Anfang war, ist nunmehr folglich verstummt (Aorist ησύχασαν V. 18). Kein einziges Wort der Widerrede läßt Lukas vernehmen, sondern alle Anwesenden stimmen ein in den Chor der Gott Lobsingenden: »Also hat Gott auch den Völkern die Umkehr zum Leben gegeben« (V. 18b; vgl. Lk 24,47; Act 2,38ff; 5,31). Darin lediglich die Zustimmung zur Völkermission als solcher zu sehen, geht am Skopus dieses Schlußlobs vorbei, denn die Heilsmission steht seit Beginn bereits als gottgewollt fest (Lk 2,30ff) 52 Der lukanische Petrus klingt an dieser Stelle durchaus paulinisch.

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und ist als solche seit Ostern den Aposteln bekannt (Lk 24,47; Act 1,8 u.ä.). Vielmehr ist jetzt auch die Tischgemeinschaft mit Nichtjuden von Jerusalem sanktioniert53. Was bislang aufgrund der Reinheitstora nicht möglich war, ist nunmehr dank göttlicher Weisung und Fügung mustergültig verwirklicht: die vollgültige Heilsgemeinschaft christlicher Juden und Nichtjuden, die sich sinnfällig in ihrer einen Tischgemeinschaft ausdrückt. Insofern greift zu kurz, wer wie Löning annimmt, daß die von Petrus mit Cornelius »praktizierte TCschgemeinschaft ... keine ekklesiologisch programmatische Pioniertat« 54 sei. Was in Act lOf geschehen ist, ist für Lukas beileibe kein Randereignis, sondern der entscheidende Durchbruch zu praktizierter Heilsgemeinschaft von christlichen Juden und Nichtjuden. Ohne Act 10,1-11,18 könnten alle weiteren Kapitel der Apostelgeschichte kaum sinnvoll erzählt werden. Das Tor zur Heilsgemeinschaft mit den έθνη ist dank göttlicher Autorität geöffnet, das Fundament von Petrus gelegt, die Mission in die Völkerwelt kann nunmehr verwirklicht werden. Daß dabei Gestalten wie Cornelius, gottesfürchtigen Sympathisanten aus dem Umfeld der Synagogen, in der lukanischen Konzeption eine entscheidende Brückenfunktion zukommt, darf nicht übersehen werden 55 . Auffallend ist aber auch, wie Cornelius jetzt aus dem Blickfeld der lk Erzählführung verschwindet. Ähnlich wie der >äthiopische< Kämmerer nach der Taufe weiter seines Weges gen Süden zog, bleibt Cornelius ebenfalls ein - wenn auch sehr bedeutsamer - Einzelfall. Von weiteren Kontakten etwa der Jerusalemer Apostel und ihrer judenchristlichen Gemeinde zur >heidenHeidenGottesfürchtiger< vorgestellt (Act 10,2.22). Primär die Unbeschnittenheit trennt ihn von einer vollständigen Integration in das jüdische Heilsvolk. Daraus läßt sich folgern, daß er in gewissem Umfang - vorstellbar etwa im Rahmen der gemäß Lev 17f für Fremde in Israel geltenden Verhaltensregeln - jüdisch gelebt hat, nach Lukas jedenfalls durch Almosen an Juden

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und beständiges Gebet. Gerade solche Nähe zu Juden läßt ihn für den lk Petrus zu einem idealen nichtjüdischen Täufling werden. Dafür, daß beide im Gefolge ihrer Begegnung ihre jeweilige, wenn auch in verschiedenem Grade jüdische Lebensweise ändern, liegt indes kein zwingender Grund vor. Gewiß regelt Act lOf die Frage der Tischgemeinschaft von Juden mit Nichtjuden. Aber damit ist keineswegs gesagt, daß Cornelius von nun an ganz pagan gelebt hätte 57 . Warum auch? Entscheidend ist, daß beide von nun an volle Tischgemeinschaft praktizieren können. Darin vor allem realisiert sich immer wieder die universale Heilsgemeinschaft aller Christen, die ein zentrales Anliegen des lk Erzählwerks ist. Bei aller grundsätzlichen Akzeptanz der Taufe des Cornelius und der Seinen (Act 11,18), der antiochenischen Hellenenmission (V. 22f) durch Jerusalemer Christen - nach langer Zeit (vgl. Act 15,7) und den Erfolgen der Reisemissionare unter den εθνη (Act 14,27) - stellt sich nach Lukas manchen Judenchristen erneut die Frage, ob sich die Christen aus den έθνη nicht doch beschneiden lassen müßten (Act 15,1). Diese Forderung ist zwar mit Act 11,1-18 schon einmal indirekt zurückgewiesen worden (vgl. V. 3). Daß sie aber angesichts der Missionserfolge unter den έθνη wiederum auftauchen kann, zeigt die Virulenz des Problems 58 . Es geht um nichts Geringeres als die jüdische Identität des christlichen Glaubens. Deshalb muß diese Frage jetzt ein für allemal verbindlich geklärt werden. Für den Leser aber ist bereits vor der Apostelversammlung klar, daß jedwede Entscheidung zugunsten eines Beschneidungsgebots für die Christen aus den έθνη dem in Act lOf von Gott Erreichten fundamental widerspräche. Denn die von Lukas erzählte Uschgemeinschaft von Petrus mit Cornelius impliziert eine Aufhebung der Beschneidungsforderung für Völkerchristen. Es entspricht der Logik, wenn die Jerusalemer Apostelversammlung mit der weitestgehenden jüdischen Forderung einsetzt (Act 15,5): Wer zum Heilsvolk dazugehören will, muß sich beschneiden lassen und das 57 Gemeint ist immer die erzählte Ebene. Wichtig ist doch der Eindruck, den Lukas beim Leser erzeugen will. Pagan zu leben ist für Lukas kein Leitbild christlicher Lebensweise. Näheres hierzu siehe K. Löning, Kirchliche Realität, S. 2627ff. 58 Wenn K. Löning, Kirchliche Realität, S. 2622, zu Recht die Frage aufwirft: »Warum ist das Beschneidungsthema auch in Jerusalem noch strittig, nachdem der Fall Cornelius dort öffentlich gebilligt worden ist (Apg 11,18)?«, so ist darauf zu antworten, daß dieses Problem offenkundig so schwerwiegend ist, daß es mehrfach erörtert werden muß. Ähnlich ist doch zu fragen, weshalb der von Lukas erzählte Paulus zwar in Act 13,46 verkündigt, von nun an gehe er zu den έθνη, aber gleichwohl dann bei nächstbester Gelegenheit zunächst wieder erst die Synagoge aufsucht (Act 14,1). Solche Wiederholungen sind ein wichtiges literarisches Lehrmittel.

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Mosegesetz halten. Diese traditionelle jüdische Position vertreten christlicherseits τίνες των άπό της αίρέσεως των Φαρισαίων πεπιστευκότες (ebd.)59. Es ist klar, auf wen diese Forderung in erster Linie gemünzt sein muß: auf Paulus und Barnabas, denn diese haben schon erfolgreich unter den έθνη missioniert, ohne daß Lukas von Beschneidung sprach. Aber der lk Paulus bleibt mit Barnabas auffällig im Hintergrund; sie sind zunächst lediglich anwesend. Selbst als sie später das Wort ergreifen, um über Gottes wunderreiche Unterstützung ihrer Völkermission zu berichten, macht Lukas nur eine kurze Notiz daraus (V. 12). Dafür steht zuvor der lk Petrus um so stärker im Vordergrund. Petrus setzt in der Versammlung als bekannt voraus, daß Gott ihn zum Erstling der Völkermission erwählt hat (V. 7). In gleicher Weise wie über Jesu Jünger zu Pfingsten sei der Heilige Geist im Hause des Cornelius unterschiedslos auf alle Versammelten gekommen und habe der έθνη »Herzen durch den Glauben gereinigt« (V. 8f). Die (Beschneidungs-)Tora hat somit ihre soteriologische Bedeutung verloren. Nicht Toraobservanz begründet den Zugang zum Heil, sondern allein das Jesusgeschehen. Das heißt im Umkehrschluß, daß Judenchristen ihre Heilszugehörigkeit nicht (auch) aus der Beschneidung ableiten können60. Diese wird - wie insgesamt die Tora61 - als ein von jeher untragbares »Joch« (ζυγός V. 10) disqualifiziert62 und danach die allen Christen gemeinsame - und somit einzig wesentliche - Heilsbedingung hervorgehoben: ή χάρις του κυρίου Ίησοϋ (V. 11). Darauf reagiert die ganze Versammlung (πάν τό πλήθος V. 12) - anders als zuvor in Act 11,18 - mit einem abwartenden Schwei59 Näheres zu dieser Gruppe siehe Kap. DC. 3.3. 60 So auch K. Löning, Kirchliche Realität, S. 2625: »Daß Gott hinsichtlich der Rettung der Menschen keinen Unterschied macht zwischen Juden und Heiden, besagt gerade nicht, daß Heidenchristen nach ihrer Bekehrung so leben müßten, als beruhe ihre Reinheit auf Gesetzesbeobachtung (vgl. V. 9), sondern zutreffend ist die umgekehrte Folgerung, daß auch die Judenchristen nicht wegen ihrer Gesetzesbefolgung gerettet werden, sondern διά τής χάριτος τοΰ κυρίου Ίησοΰ πιστεύομεν σωΰηναι καθ' δν τρόπον κάκεΐνοι (V. 11). Damit ist die soteriologische Argumentation von V. l b widerlegt«. 61 Darauf zielt V. 10b. Unabhängig von der Frage, ob βαστάσαι eine negative Konnotation hat, die doppelte Negation ούτε ... οϋτε meint das Unvermögen und Scheitern an der Toraobservanz. 62 Gegen J. Nolland, Fresh Look, der meint, daß ζυγόν βαστάζειν dem jüdischen Selbstverständnis der Toraobservanz entspreche. Richtig hingegen J.B. Tyson, Images, S. 147: »Although the Lucan Peter uses a term (zygon) that is customarily used to express the idea of obedience, frequently used in Hellenistic Jewish writings in a positive sense, it does not seem to have that sense here. When used in association with the verb bastazo, it points to something that is regarded as a burden, and here it is said to be an intolerable burden«.

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gen (Act 15,12f)63. Noch sind die Zweifler nicht gewonnen. Zu offenkundig markiert der vom lk Petrus vorgebrachte Gedankengang einen Bruch mit dem herkömmlichen Judentum64. Wer der (Beschneidungs-)Tora ihre überragende soteriologische Bedeutung bestreitet, muß sich als Judenchrist fragen lassen, warum er sein Leben weiterhin nach den Regeln der Tora ausrichten will. Welchen Stellenwert im Alltag können die einzelnen Gebote für ihn noch haben? Diese Frage wird mit der Jakobusrede (V. 13ff) beantwortet. Daß jetzt ausgerechnet Jakobus65 das Wort ergreift, läßt aufhorchen. Offenkundig hat für Lukas allein er die Autorität, selbst οί άπό της αίρέσεως των Φαρισαίων πεπιστευκότες (V. 5; vgl. V. 1) zu überzeugen. Daß er Petrus semitisierend Συμεών nennt (V. 14), weist Jakobus als prominenten Vertreter der Aramäisch sprechenden έκκλησία aus66. Sein späterer Auftritt gegenüber Paulus lehrt (wieder in Jerusalem Act 21,18ff), in ihm mit Lukas den christlichen Wortführer jüdischer Lebensweise zu sehen. Dennoch 63 Vgl. G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 181, der meint, έσίγησεν sei keineswegs »als Zustimmung zu verstehen, sondern es zeigt an, daß die Hörer zunächst beschwichtigt sind«. Dagegen R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 186: »Peter's speech produces a change in the audience. Previously there was >much dispute< (15,7), but the multitude is now silent (v. 12) and willing to listen further to Barnabas' and Paul's account«. Man beachte aber, daß das Schweigen, von dem in Act 11,18 die Rede ist, mit einem Lobpreis Gottes abschließt, während das in Act 15,12a berichtete Schweigen eine Zwischenbilanz markiert, die Anwesenden also erst noch überzeugt werden müssen. 64 Mit E. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 111: »Mit dem Verzicht auf die Befolgung des jüdischen Gesetzes trennt sich das Christentum vom Judentum«, gegen J. Jervell, Law, S. 142: »The mark of distinction between Christian Jews and other Jews is not law or circumcision. The mark of distinction is that the Christian Jews believe all things in the law and the prophets, which includes the acceptance of the circumcised Messiah promised the people and now come«. Das Christusgeschehen vervollständigt aber nicht nur das Gesetz und die Propheten, sondern ist das Axiom, von dem her sich das Verhältnis zum Gesetz neu bestimmt. Lukas äußert nicht nur - wie Jervell, a.a.O., S. 146, zu Act 13,38; 15,10 annimmt - »some critical remarks« zum Gesetz, sondern durch das Christusgeschehen hat das Gesetz seine Heilsbedeutung grundsätzlich verloren. Das Gesetz ist für Lukas Ethos, nicht mehr notwendige Heilsnorm. Aber als Ethos ist es durchaus von Rang, wie an dem nur von Lukas erzählten Faktum der Beschneidung Jesu (Lk 2,21) deutlich wird. Der Satz Jervells, a.a.O., S. 142: »Outside Israel, no salvation!«, müßte im lukanischen Sinne folgendermaßen zugespitzt werden: Außerhalb von Christus gibt es kein Heil für Israel (und alle Menschen). 65 Erstmalig wird Jakobus, der »Bruder des Herrn« (Gal 1,19), durch Lukas in Act 12,17 erwähnt. Neben Act 15 erscheint sein Name noch Act 21,18. 66 Um so auffallender ist, daß der lk Jakobus die Schrift aus der LXX-Fassung zitiert. Lukas scheint dieser Widerspruch nicht zu stören. Es zeigt zugleich, daß Lukas insgesamt nicht den MT als Vorlage benutzt hat. Deshalb ist es auch methodisch unzulässig, die Unterschiede zwischen MT und LXX zur Erhebung der lukanischen Position heranzuziehen.

XV. Der Durchbruch

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kann Jakobus der Rede des lk Petrus im wesentlichen zustimmen (Act 15,14f). Bezog sich die Erwählung Gottes in V. 7 (έξελέξατο) noch doppeldeutig sowohl auf Petrus als auch auf die von ihm zu haltende Völkerpredigt, so unterstreicht jetzt Jakobus, daß Gott so, wie er einst Israel als seinen λαός erwählte, diesen seit Petri >zweitem Pfingsten< auch aus den έθνη erwählt hat67: ό θεός έπεσκέψατο λαβείν έξ έθνών λαόν 68 (V. 15). Die Christen aus den εθνη sind ebenso λαός, Gottesvolk, wie die Juden(christen). Dieses elementare Heilsfaktum kann der lk Jakobus durch die Schrift untermauern. Das größtenteils Am 9,llf (LXX) entnommene Schriftzitat in Act 15,16-1869 rekurriert auf den von Lukas dargestellten Ablauf der Heilsverkündigung. V. 16 meint nicht die Auferstehung Jesu70, sondern die Zeit der Heilsverkündigung an Israel, wie Lukas sie eingangs der Apostelgeschichte erzählt hat. Insofern entspricht der Sache nach das Wiederaufrichten der zerfallenen Hütte Davids in V. 16 der in Act 3,21 bezeichneten Zeit der Apokatastasis der prophetischen Verheißungen Israels. Die jetzt angebrochene Zeit der Heilsverkündigung auch an die Völker ist der Zeit der alleinigen Israelverkündigung aber nicht einfach zeitlich nachgeschaltet, sondern dieser als ihr Zweck zugeordnet (όπως άν V. 17). Die Heilsverkündigung an Israel - das ist hier die besondere Pointe - hatte schon von alters her (άπ' αιώνος V. 18) das Ziel, die Völkerwelt in die Ausrichtung auf den κύριος mit einzubeziehen71. Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich bei Jakobus daraus? Er betont, den εθνη mit den nun zu beschließenden Regelungen »keine

67 Diesen Zusammenhang betont R . C Tannehill, Narrative Unity II, S. 186: »The events directing Peter and Cornelius to each other and the subsequent coming of the Spirit have the same meaning for Gentiles as the election of Israel has for the Jewish people. The God who chose Israel continues to act in the same way, calling people as a special possession, now from non-Israelites also«. 68 Zum Sprachgebrauch von λαός siehe Kap. V. 2.2. G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 182: »Die bewußte Paradoxie von έξ έθνών und λαβείν λαόν drückt das Überraschende der göttlichen Wahl aus«. 69 Näheres hierzu u.a. G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 182f; R. Bauckham, James; E. Richard, Creative Use. 70 So aber G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 182£ Demgegenüber verweist R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 188, darauf daß Lukas auffallenderweise im Unterschied zur LXX άνοικοδομήσω statt άναστήσω setzt. Die Auferstehung Jesu bezeichnet Lukas vorzugsweise mit άνίστημι (Act 2,24.32; 3,26; 13,33f; 17,31), so daß diese Abweichung bewußt gewählt ist, um den heilsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Israel und den Völkern zu akzentuieren. Das entspricht auch der Aussage von Act 15,14. Die Verse 16-18 sollen V. 14 als traditionsgemäß auslegen (siehe καθώς γέγραπται V. 15). 71 Κ. Löning, Kirchliche Realität, S. 2626: »Das Schriftwort belegt die universale Bedeutung dieser Sammlung: Ohne Judenchristenheit keine Heidenmission«.

302

Zweiter Hauptteil: Textanalyse

Unruhe« zu bereiten (ntl Hapaxlegomeon παρενοχλεΐν 72 V. 19). Seine Maxime lautet: Die Regelungen sollen leicht erfüllbar sein. Beschneidung (und mit ihr volle Gesetzesobservanz; vgl. V. 5) kommt als beunruhigende Forderung (V. 1) nicht in Frage. Nur folgender Dinge haben sich die Völkerchristen zu enthalten (in der Terminologie und Reihenfolge von V. 29; vgl. Act 21,25): des Genusses von Götzenopferfleisch (ε'ιδωλόθυτα), Blut (αίμα), Ersticktem (πνικτά) und Unzucht (πορνεία). Zwar zitiert Lukas hier nicht explizit aus der Schrift, aber allgemein wird davon ausgegangen, daß diesem Dekret ein Normenkatalog zugrunde liegt, welcher das Verhalten von Fremden regelt, die in Israel leben (Lev 17,818,18)73. Wie dem auch sei, für unseren Zusammenhang ist die Frage entscheidend, ob diese Beschlüsse (Act 15,22-29) hinter Act lOf zurückfallen. Lukas sieht offensichtlich keinen Grund, eine Spannung zwischen der in Act lOf erreichten Tischgemeinschaft mit Cornelius und den jetzigen Beschlüssen der Jerusalemer Apostelversammlung zu thematisieren. Lukas ließ in Act lOf bewußt offen, ob Petrus in Cornelius' Haus wirklich unreine Speisen vorgesetzt wurden (Act 10,48b; 11,3). Und relativiert Act 15,20.29 die in V. lOf formulierte prinzipielle Freiheit vom Gesetz? Nach lukanischem Verständnis ist diese Frage ebenso zu verneinen. Das von Lukas erzählte Aposteldekret respektiert jüdische und judenchristliche Empfindungen, ohne die Beschneidung zu verlangen oder die grundsätzliche Freiheit vom Gesetz von Act 15,10f in Frage zu stellen. Der gefundene Kompromiß ist ein Modus vivendi, der beiden Seiten gerecht zu werden und ihre Gemeinschaft zu sichern sucht, wie auch Tannehill feststellt: »The Jerusalem meeting that guarantees the Gentiles' freedom from the law also anticipates the problem that will arise as the gentile portion of the church grows, for James is proposing that Gentiles be asked to abstain from certain things especially offensive to a Jewish sense of cultic purity so that Jewish Christians may remain in the fellowship of the church without being forced to give up their way of life«74. Act 15 ist also gegenüber Act lOf kein Rückschritt, sondern Act 15 geht

72 Bauer/Aland, Wörterbuch NT, Sp. 1264, übersetzen: »Schwierigkeiten machen, beunruhigen, belästigen«. 73 So u.a. Ph.F. Esler, Community, S. 99; G. Schneider, Apostelgeschichte II, S. 187; K. Löning, Kirchliche Realität, S. 2625. Anders M. Klinghardt, Gesetz, S. 185t der über Lev 17f hinausgehend auf andere Texte verweist, und S.G. Wilson, The Law, S 84-94, der grundsätzlich die Herleitung des Aposteldekretes aus Lev 17f bestreitet. Vgl. hierzu T. Callan, Apostolic Decree. Näheres zu den sogenannten noachidischen Geboten siehe K. Müller, Tora.

74 R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 191.

XV. Der Durchbruch

303

insofern organisch aus Act lOf hervor, als es gesamtisraelitisch Rücksicht nimmt auf die besondere kulturelle Normenwelt im Judenchristentum: »Denn Mose hat von alten Zeiten her in jeder Stadt welche, die ihn predigen, da er an jedem Sabbat in den Synagogen gelesen wird« (Act 15,21). Dieser jüdische Verhaltenskodex entspricht nach Lukas guter Sitte75. Das ist für Lukas keine völlige Aufhebung der Tora, sondern bewahrt ihr christlicherseits die Funktion, die ihr nach dem Verlust der Heilsbedeutung noch zukommen kann. Daß Lukas mit dieser Haltung eine moderate Position einnimmt, die weder die Radikalität der paulinischen Freiheit vom Gesetz (Gal 3ff) teilt noch die markinische Aufhebung aller Reinheitsgebote (Mk 7,19b)76 durchhält, eine Position, die eben nicht (mehr) Völkerchristen in ihrer Freiheit von der Tora bestärken muß, mag darauf verweisen, daß Lukas in anderer Situation schreibt als vor ihm Paulus und Markus. Entgegen der These Lönings, daß »der nachpaulinischen heidenchristlichen Kirche .... ein relevantes judenchristliches Kontingent von Mitgliedern«77 fehle, muß für Lk-Act davon ausgegangen werden, daß ein solches Kontingent zumindest so einflußreich vorhanden ist, daß Lukas sich genötigt sieht, auf judenchristliches Empfinden Rücksicht zu nehmen. Darauf deutet auch die Analyse der impliziten Leserschaft (Kap. III. 3.5.). Weshalb sonst zeichnet Lukas Paulus derart jüdisch? Völkerchristen gegenüber wäre solche >Überzeichnung< legitimatorisch kaum nötig. Sie leuchtet aber um so mehr ein, wenn unter Lukas' Adressaten hinreichend viele jüdische, jedenfalls jüdisch empfindende sind.

7. Zusammenfassung und Ertrag

Act 10,1-11,18 markiert in der Darstellung der von Lukas erzählten Heilsgeschichte einen Höhepunkt: Das Heil Gottes hat die Völkerwelt jetzt realiter erreicht. Nicht das Faktum überrascht, sondern der Modus. Die 75 So verstanden, wird aus dem Heilstopos νόμος die Lukas eigentümliche, jüdisch-hellenistischem Sprachgebrauch entlehnte Redeweise εθη Μωϋσέως (Act 6,14; 28,17). Näheres hierzu siehe K. Löning, Kirchliche Realität, S 2623, Anm. 44; A. Weiser, Gesetzesund Tempelkritik, S. 227t 76 M. Fettem, Luke's Omission, S. 46£, überzieht, wenn er feststellt: »Luke believes that God gave the law of Moses to the Jews. The coming of Christ changes many things, but it does not change the applicability of God's special law for the Jews. Specifically, while Jews may now associate with gentiles, the law on dietary purity stands. Mark says precisely the opposite«. Aus der Differenz beider darf aber kein Gegensatz konstruiert werden. 77 K. Löning, Kirchliche Realität, S. 2619.

304

Zweiter Hauptteil: Textanalyse

christliche εκκλησία lebte bislang innerhalb der Heilsgrenzen der Tora, die Juden von Nichtjuden unterscheidet. Insofern verwirklichte sie sich als eine inneijüdische Heilsbewegung. Lukas hat von Anfang an in der Apostelgeschichte großen Wert darauf gelegt, die Apostel, vor allem Petrus, die Griechisch sprechenden Judenchristen um Stephanus und nicht zuletzt Paulus als stets Tempel und Gesetz treu Ergebene zu zeichnen. Insofern ist es schon ungewöhnlich, daß Petrus in das Haus eines Gerbers einkehrt, der durch seinen Umgang mit Tierkadavern kultisch unrein ist (Act 9,43). Aber dieser Gerber ist trotz allem ein Jude. Gemeinsam sind beide als Beschnittene von der Völkerwelt unterschieden. Dieser entstammt nun der römische Kohortenführer Cornelius. Als ein den Gott Israels Fürchtender aber lebt er gewissermaßen fast wie ein frommer Jude ohne Beschneidung (Act 10,2). Aus der Völkerwelt steht er Israel religiös am nächsten. Insofern ist er für Lukas eine ideale Figur, um das Hinausgehen der christlichen Heilsbotschaft in die Völkerwelt zu erzählen; denn vom paganen Verhalten etwa der Bevölkerung in Lystra (Act 14,1 Iff) trennen den lk Cornelius Welten. Von beiden ethnischen Enden her ist Gott mit großem Eifer am Werk, um den Juden Petrus mit dem - wenngleich jüdisch lebenden - >Heiden< Cornelius zusammenzuführen. Lukas stellt diese Zusammenführung wie das Zusammenlegen eines Puzzles dar. Schritt für Schritt fügen sich die einzelnen Teile ineinander. Was anfangs beiden, insbesondere Petrus, rätselhaft >erscheintseinzweites Pfingsten< dem der ersten jüdischen Jünger Jesu. Petrus und seine mitgereisten Glaubensbrüder bleiben noch für einige Tage im Hause des Cornelius und halten Tischgemeinschaft mit den neugetauften εθνη-Christen. Als das den Brüdern in Jerusalem zu Ohren kommt, reagieren sie aus jüdischer Sicht verständlich: Wer mit Nichtjuden eine Tischgemeinschaft eingeht, verstößt gegen die Gebote der Reinheitstora. Damit steht der bislang gelebte Lebens- und Frömmigkeitskonsens, der die christliche έκκλησία mit Juden eint, auf dem Spiel. Als aber Petrus die Tischgemeinschaft mit Cornelius als geistgewirkt und gottgewollt erklären kann, stimmen sie zu. Im Vollzug solcher Tischgemeinschaft zeigt sich: »Also hat Gott auch den Völkern die Umkehr zum Leben gegeben« (Act 11,18). Nach der erfolgreichen Völkermission des Paulus und Barnabas steht diese geistgewirkte Gotteserkenntnis aber wieder auf dem Spiel. Es kommt zur Apostelversammlung in Jerusalem (Act 15). Sie ist durch eine Beschneidungsforderung christlicher Pharisäer veranlaßt. Wer wie sie die Beschneidung aber als Bedingung für die Aufnahme ins toratreue Heilsvolk versteht, der mißt der Tora eine soteriologische Schlüsselrolle zu, die ihr durch das Heilsgeschehen in Christus nicht mehr zukommt. Wieder wird auf die Geisterfahrung, das Gottesurteil, im Hause des Cornelius zurückgegriffen, um dieses Problem zu lösen. Da der Glaube die Herzen der έθνη reinigt und alle Christen allein durch Jesu Gnade gerettet werden, können Judenchristen keine Heilsanwartschaft mehr aus ihrem Beschneidungsbund ableiten, von keinem Völkerchristen mehr Beschneidung als Heilsbedingung verlangen. Solche Nachricht beruhigt und freut die Völkerchristen (Act 15,19.31). Im Christusheil sind Juden und Nichtjuden einander unterschiedslos zugewiesen. Die Tischgemeinschaft von Christen aus den Juden und den έθνη wird als sichtbares Zeichen dieser Heilsgemeinschaft aber pragmatisch bewahrt werden müssen.

XVI. Paulus - der scheiternde >Judenmissionar< 1. Einführung Die Kennzeichnung Pauli als eines scheiternden >Judenmissionars< will weder polemisieren noch überzeichnen, sondern versucht, das bestimmende Moment dieser lukanischen Erzählfigur zu erfassen. Dabei soll keineswegs unterschlagen werden, daß der von Lukas erzählte Paulus bei seinem Versuch, Juden für Jesus zu gewinnen, nicht auch erfolgreich ist. Selbst in Rom stößt die christliche Heilsbotschaft unter den Juden auf Zustimmung (Act 28,24), aber eben nur auch auf Zustimmung! Israels Widersprechen, das Simeon voraussah (Lk 2,34bb), ist bei Lukas ein Charakteristikum jüdischer Reaktion auf das Evangelium. Besonders typisch tritt dieses Verhaltensmuster in der Verkündigung des lk Paulus zutage. Zwar führt ihn der erste Gang in großer Regelmäßigkeit jeweils in die örtlichen Synagogen (Act 13,5; 17,17), auch können sich zum Teil beachtliche Anfangserfolge einstellen (Act 13,43; 14,1); aber sie sind nur von kurzer Dauer. Nicht nur verbal regt sich jüdischer Widerstand (Act 14,2ff.l9). Nirgends weiß Lukas von einem dauerhaften Erfolg paulinischer Synagogenverkündigung zu berichten. Selbst die im Unterschied zu Thessaloniki freundlicher gesonnenen Juden in Beröa (Act 17,llf) bleiben nicht für sich, sondern werden Aufwiegelungen thessalonischer Juden ausgesetzt (V. 13). Was immer auch im Einflußbereich der Synagoge verheißungsvoll beginnt (Act 13,42f; 14,1), endet also entweder in Verfolgung bzw. Flucht der christlichen Missionare (Act 13,50; 14,2.19; 17,13) oder führt gar zu ihrer aktiven Selbsttrennung von der Synagoge (Act 18,6f; άφωρίζειν 19,9). Insofern ist der von Lukas erzählte Paulus trotz aller Teilerfolge unter Juden letztendlich ein scheiternder >Judenmissionaralle VölkerJudenmissionar
Judenmissionar
Judenmissionar
Licht der Völkeryou< in the quotation in 13,47 is referring to Jesus, Paul (and Barnabas) is a false dilemma. The mission of these disciples is depicted with a quotation, while allusions to it have been used to describe Jesus. In dynamic continuity with Jesus' task of gathering Israel and the apostles as witnesses thereof, the disciples present themselves as resembling the Servant. According to the LXX interpretation the Servant is the gathered Israel which will be a light for the Gentiles«. Das Problem solcher Auslegung besteht darin, das jüdische Schriftverständnis, sei es dem MT oder der LXX entnommen, kurzerhand zugleich für lukanisch zu erklären. 31 W. Stegemann, a.a.O., S. 85f, verwirft den Bezug auf Paulus und Barnabas u.a. mit dem Argument, daß »nirgends eine solche Sonderbeauftragung [nämlich Licht für die Völker zu sein] für Paulus und Barnabas erwähnt« (S. 85) sei. Act 13,2 sowie 9,15 erwähnt er in diesem Zusammnenhang nicht. Es wäre doch verwunderlich, wenn eingedenk des lukanischen Erzählzusammenhanges von Act 13, in dem sich die Synagogengemeinde gerade der Heilsuniversalität gegenüber explizit verschlossen gezeigt hat, just von solcher Heilsfunktion für Israel die Rede sein soll. Nicht Israel hat für Lukas die Heilsfunktion, Licht für die Völker zu sein, sondern allein Jesus (Lk 2,32; Act 26,23) und darin ihm folgend schließlich Paulus (Act 9,15; indirekt auch Act 26,18) gemein-

318

Zweiter Hauptteil: Textanalyse

men, sondern die christlichen Missionare Paulus und Barnabas, die dieses Wort einleitend auf sich beziehen. Der Leser wird zunächst an Act 13,2 erinnert. Jetzt wird der Horizont explizit geweitet, der dort nur offengehalten war. Zugleich wird der Erzählbogen über Act 9,15 zurück zu Act 1,8 gespannt, wo der Horizont christlicher Zeugenschaft wortgleich mit εως έσχατου της γης denkbar weitgesteckt ist. Vor allem Paulus - das wird der weitere Erzählverlauf zeigen - ist dazu bestimmt, in dieser Hinsicht ein »Licht für die Völker« zu sein (Act 13,47). Er wird damit ekklesiologisch vermitteln, was in Jesus christologisch (Lk 2,32) und soteriologisch (Act 26,18.23) begründet ist. Auf dieses Angebot des Heils reagieren die εϋνη mit großer Freude und Zustimmung (Act 13,48f.52), was an die Corneliusschar erinnert (Act 10,44). Schon die Judenchristen um Petrus hätten eine solche Einbeziehung von έθνη von selbst kaum vertreten (Act 10,45; vgl. ll,2ff). Als nun oi Ιουδαίοι mit diesem Erfolg christlicher Heilsverkündigung konfrontiert werden, können sie nur ablehnend und sich ihm, ähnlich wie zuvor bei den Aposteln (Act 5,17f) und Stephanus (Act 6,10ff), nicht anders als mit Aufruhr und Verfolgung entgegenstellen (Act 13,50). Somit sind Paulus und Barnabas gezwungen, mit dem negativen Gestus des Staub-Abschütteins 32 (vgl. Lk 9,5; 10,10f) aus der Stadt zu fliehen. 2.3. Der Weg bis hin zur Steinigung (Act 14,1-28) Daß die Jesusverkündigung geographisch voranschreitet, verdankt sie paradoxer- und tragischerweise - wie schon im Gefolge der Steinigung des Stephanus - jüdischen Feindseligkeiten. Dennoch suchen die vertriebenen »Apostel« (Act 14,4.14), als sie die Landschaft Lykaoniens bereisen, in Ikonion sogleich als erstes wieder die örtliche Synagoge auf (V. 1). Das πρώτον Israels bleibt ihre Maxime (vgl. Act 10,46). Eine »große Schar« von Juden und gottesfürchtigen Hellenen (vgl. Act 11,20; zum Status der Hellenen siehe Kap. III. 3.2.) kommt zum Glauben (πιστεΰσαι Act 14,1). Das fordert den Widerstand jesusungläubiger Juden heraus. Wie schon im sam mit Barnabas (Act 13,2.47). Die Du-Anrede erklärt sich also einerseits aus dem Wortlaut des Schriftzitates, auch wenn es als solches nicht kenntlich gemacht wird, und zum anderen aus der Tatsache, daß vor allem doch Paulus der Protagonist dieser universalen Heilsverkündigung sein wird, während Barnabas immer mehr in den Hintergrund gerät und schließlich von der Erzählbühne ganz abtritt. 32 Zu dieser jüdischen Geste siehe Billerbeck I, S. 571.: »Schüttelte man ... den Staub einer Stadt von den Füßen ab, so drückte man damit aus, daß man den Ort dem Gebiet der Heiden gleichstelle u. mit seinen Bewohnern keine Gemeinschaft habe«.

XVI. Paulus, der scheiternde >Judenmissionar
Mutterkirche< unterstreicht Lukas narrativ dadurch, daß er Paulus vor dem Ende der zweiten Missionsreise in Antiochia noch kurz die Jerusalemer Gemeinde besuchen läßt (άσπασάμενος την έκκλησίαν Act 18,22). Auffallend ist aber, wie lautlos Petrus von der lukanischen Erzählbühne abtritt. Wo er bleibt und was er fortan macht, wird nicht gesagt. Lukas läßt diese bislang äußerst wichtige Erzählfigur verschwinden, so als sei sie überflüssig geworden. Jakobus wird zum allein sichtbaren

34 R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 196.

XVI. Paulus, der scheiternde >Judenmissionar
erzählten Welt< von Act 19,23ff zu fragen. Vielmehr sollte diese legendarische Episode dabei helfen, die Welt des Erzählers und seiner Adressaten aufzuhellen«.

XVI. Paulus, der scheiternde >Judenmissionar
Judenmissionar
Judenmissionar
Judenmissionar
Judenmissionar
seinen< Paulus verhängnisvolle Auswirkungen bis nach Jerusalem hinein. Paulus wird inhaftiert. Er wird in der erzählten Welt nie mehr auf freien Fuß gesetzt. - Bittere Ironie am Rande: Mit der Verhaftung des Paulus geht auch die Schließung der Tempeltore einher, von deren (Wieder-)Öffnung nichts mehr verlautet (Act 21,30). Das ist das letzte Bild vom Tempel bei Lukas: Der jesusungläubige jüdische Mob schließt sich gleichsam selbst aus dem Tempel aus. 4.3. Έ γ ώ είμι άνήρ 'Ιουδαίος - Paulus verteidigt sein Judesein (Act 22,1-21) Der lk Paulus charakterisiert seine Rede vor der aufgebrachten Volksmenge als άπολογία (V. 1). Sie will die in Act 21,28 gegen ihn erhobenen Vorwürfe widerlegen, ein Feind des jüdischen Volks zu sein. Eine Apologie zielt im allgemeinen darauf ab, die Unschuld des Betroffenen zu erweisen. Ein Apologet muß also weniger provozieren als überzeugen. Ein Vergleich dieser vom lk Paulus gehaltenen Apologie mit den forensischen Verteidigungsreden griechisch-römischer Rhetorik 98 ergibt jedoch eine auffällige Differenz, auf die Tannehill aufmerksam macht: »Paul's speech ceases to be a forensic defense speech with the last verse, which is no longer designed to persuade his audience. It is followed by renewed cries for Paul's death, and this result should not be unexpected. A rhetorician might advise Paul to avoid the whole subject of w. 17-21«". Insofern zielt diese »Apologie« letztendlich auf die lukanischen Leser. Sie sollen in ihrer Ansicht über Paulus bestärkt werden. Die Rollen in dieser Verteidigungsszene sind somit vorgegeben. Da es für den Leser außer Frage steht, daß Paulus sich gerade jetzt im Tempel wieder als ein inte98 Näheres hierzu J. Neyrey, Forensic Defense Speech; F. Veitmann, Defense Speeches; W.R. Long, Trial, S. 159f£ 99 R.C. Tannehill, Narrative Unity II, S. 277.

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Zweiter Hauptteil: Textanalyse

grer Jude erwiesen hat, können die Anwürfe gegen ihn nur verleumderisch sein. Dennoch fordert der Mob wie bei Jesus: αιρε αυτόν (Act 21,36; 22,22; vgl. Lk 23,18). Damit ist der Weg nicht nur dieser ersten Verteidigungsrede vorgezeichnet. Sie wird zu einer Abrechnung mit den jesusungläubigen Juden, die ihren literarischen Höhepunkt und Schluß in Rom finden wird. In dieser dramatischen Auseinandersetzung sind die Rollen zwischen Juden und Römern klar verteilt. Zwar können auch die Prokuratoren Felix und Festus durchaus judenfreundlich (Act 24,27; 25,9) und korrupt sein (Act 24,26). Aber ohne das Eingreifen der römischen Staatsmacht wäre Paulus schon auf den Stufen zum Tempel von der aufgebrachten jüdischen Volksmenge gelyncht worden. Die Juden Jerusalems werden auch weiterhin nichts unversucht lassen, um Paulus zu töten (Act 23,12ff; 25,2f). In diesem feindseligen Klima sucht Paulus sich zu bewähren, wohl wissend, daß sein Weg - nicht unähnlich der Passion Jesu100 - für ihn vorgezeichnet ist (Act 20,22-25; 21,13). In dieser ersten Verteidigungsrede geht es darum, die jüdische Identität des Paulus nachdrücklich unter Beweis zu stellen, mehr noch: Sie ist theologisches Programm: »The formula in v. 3 εγώ είμι άνηρ Ιουδαίος is not just a declaration of his identity; it constitutes rather the theological thesis of his speech, unfolding Paul's uninterrupted faithfulness to the Jewish tradition«101. In allem, was Paulus getan hat, ob vor oder nach Damaskus, hat er sich stets als gläubiger Jude verstanden und erwiesen. Insofern gibt es keinen Bruch in seiner jüdischen Identität. So wie er einst als »Eiferer für Gott« (V. 3) den christlichen »Weg bis auf den Tod verfolgt« hat (V. 4), so ist er auch jetzt als Christusmissionar dem Gott Israels treu ergeben. Wie sehr das Damaskusgeschehnis als eine jüdische Heilswende zu verstehen ist, zeigt sich auch daran, daß Paulus den μαθητής Hananias (Act 9,10) hier, vor diesem jüdischen Auditorium, als einen bei allen Juden in Damaskus wohlgelittenen άνήρ 100 Hierzu siehe Ausführungen zu Act 28 in Kap. IV. 2. V. Stolle, Angeklagter, S. 273, kritisiert, daß »die Bedeutung der lukanischen Paulusgeschichte als Jesusgeschichte« nicht hinreichend erkannt sei. Allerdings ist es eine Engführung, den Prozeßbericht zu sehr unter diesem Blickwinkel zu sehen. Lukas hat durchaus ein Eigeninteresse an Paulus. Es ist sogar eine Verdrehung der lk Erzählkonzeption, wenn Stolle, a.a.O., S. 140, meint: »Als eigentlich umstritten wird von Lukas nicht Paulus, sondern Jesus herausgestellt«. Was für die Jesusdarstellung des Evangeliums zutrifft, muß nicht für die Apostelgeschichte gelten. Weder Jesu Lehre noch die der zwölf Apostel sind laut Lukas derart umstritten wie die des lk Paulus unter Juden. Wenn überhaupt, dann ist Paulus für Lukas ein >ProblemJudenmissionar
Judenmissionar
Judenmissionar
seinem< Paulus zeichnet, weil es in einigem Gegensatz zum historischen Paulus steht. Der lk Paulus lebt als Christ wie ein Jude, ohne daß er der Torabefolgung Heilsnotwendigkeit beimessen muß. Aber die jüdischen Gebräuche sind ihm auch weiterhin selbstverständliche Lebensgrundlage. Diese Traditionalität unterstreicht seine jüdische Beheimatung. Deshalb auch beschneidet der lk Paulus kurz nach der Jerusalemer Apostelversammlung seinen Begleiter Timotheus - »um der Juden willen« (Act 16,3) - , unterzieht er sich dem Nasiräat (Act 18,18b; 21,23ff), um zuletzt Verleumder zu widerlegen, und geht in den Tempel, um zu opfern. All dies ist nicht aus Taktik erwachsene Verstellung, sondern entspricht seiner jüdischen Lebenshaltung. Man bedenke: Als treuer Tempeljude wird der lk Paulus verhaftet. Lukas wird nicht müde, seine Erzählfigur Paulus immer wieder als integren Juden darzustellen, der sich mit jüdischer Tradition und Glaubensverheißung in bestem Einklang befindet. Paulus ist für Lukas kein Neuerer, sondern Künder ureigenster Israelhoffnung, die sich in Jesu Auferstehung allen Menschen zugute realisiert hat. Dieser jüdischen Verheißung wegen führt ihn sein Weg immer, wo möglich, zuerst in die Synagoge, um den Juden mit Jesus ihr ersehntes Heil zu verkündigen. Hat er bei Juden auch anfangs Erfolge, zeigt sich ihm letztendlich immer wieder, daß gerade diejenigen, denen das Heil primär angesagt war, sich dem Jesus-Heil stets widersetzen. Sie verweigern sich Paulus nicht nur, sie gehen auch gewaltsam gegen ihn vor (Steinigung Act 14,19; Verhaftung im Tempel Act 21,27ff). Insofern erweist sich der lk Paulus und das kann nur als Tragik bezeichnet werden — letztendlich als scheiternder Judenmissionar. Daß der lk Paulus allerdings kein jüdischer Glaubensapostat ist, zeigen auch seine mehrfachen Apologien und die Verhöre nach seiner Verhaftung (Act 21-26). Weder vor dem Volk noch vor dem Synedrion, weder vor Felix noch vor Festus und Agrippa ist Paulus ein Vergehen nachzuweisen. Den lk Paulus als einen Antijudaisten zu bezeichnen, der gegen das Volk, das Gesetz und gegen den Tempel lehre (Act 21,28), erscheint

XVI. Paulus, der scheiternde >Judenmissionar
VersuchungFrühling< der Kirche (Act 2,1-6,7). Wer Stellen wie die feindliche Koalition von λαός und jüdischen Oberen im lk Passionsbericht untersucht - nur Lukas kennt hier eine solche Massierung - , versteht, weshalb L. Gaston Lk-Act einerseits »one of the most anti-Jewish writings in the New Testament« nennt 1 . Der >Umfall< des Volkes ist schon »erstaunlich«2. Das reumütige Verhalten des Volkes unmittelbar nach Jesu Tod braucht aber nicht »sonderbar« 3 anzumuten (Lk 23,48), sondern muß narrativ auf dessen positives Verhältnis zu Jesus sowohl vor der Passion als auch am Beginn der Apostelgeschichte bezogen werden. Dort spricht der lk Petrus von der »Unwissenheit« des Vol1 L. Gaston, Anti-Judaism, S. 153. 2 L. Gaston, a.a.O., S. 144: »The reversal of the role of the people in the passion narrative is astounding«. 3 L. Gaston, a.a.O., S. 149: »Peculiar to Luke is the presence of the people at the scene of the cross«.

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Bilanz

kes und seiner Oberen: κατά αγνοιαν έπράξατε ώσπερ και oí άρχοντες υμών (Act 3,17). M.a.W., sie alle hatten nicht erkannt, daß sie tatsächlich den Gottessohn zu Tode brachten. Das läßt ihr Verhalten in Jesu Passion, sowohl das des Volkes wie das seiner Führer, in einem anderen Licht erscheinen. Eine ontologische Gottesfeindschaft, die bewußte Absicht, Gottes Sohn zu töten, wird den Juden, die für Jesu Tod (mit-)verantwortlich sind, von Lukas hier nicht unterstellt (gegen Lk 20,13-15). Deshalb ist es notwendig, daß die Apostel, nach Jesu Auferweckung und der Ausgießung des Geistes auf sie, Israel über Jesu wahre, nun erwiesene Identität aufklären. Das ist der Skopus der ersten Missionsreden in der Apostelgeschichte, und der zahlenmäßig überragende Erfolg, von dem Lukas erzählt - zu Tausenden lassen sich Jerusalemer Juden taufen (Act 2,41; 4,4; 5,12-16; vgl. 21,20) - , belegt: Israel kehrt um. Mit Lohfink kann von einem jüdischen »Frühling« der Kirche gesprochen werden 4 . Werden diese beiden Erzählteile vom Fall und Aufstehen Israels für sich genommen, so könnte mit Gaston ein Paradox konstatiert werden: »The paradox remains that Luke-Acts is one of the most pro-Jewish and one of the most anti-Jewish writings in the New Testament« 5 . Aber beide Erzählteile sind aufeinander zu beziehen. Zwar redet der lk Petrus seine jüdischen Zuhörer wiederholt gezielt als am Tode Jesu Mitschuldige an (ύμεΐς έσταυρώσατε Act 2,36; 4,10 vgl. 2,23; 3,15; 5,30), aber dieser Vorwurf, so massiv ihn Lukas vorbringen läßt, muß im Kontext des Umkehrrufes an Israel gesehen werden. Die Schuld ist vergebbar, da das Vergehen aufgrund von Verkennung geschah. Insofern erzählt Lukas keine paradoxe Situation, sondern eine sinnvolle Abfolge von Schuld und Umkehrwilligkeit. Gemessen an der dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition von Antijudaismus als einer pauschalen, abwehrenden Grundeinstellung gegenüber Juden und jüdischem Leben 6 enthält die lk Erzählführung zwar durchaus polemische Spitzen, von einer antijüdischen Grundtendenz kann aber nicht gesprochen werden. In diese Richtung weist auch das Numerale πολλοί in der Simeonweissagung Lk 2,34b. Es verdeutlicht, daß kein negatives Pauschalurteil über Israel intendiert ist. Solche Denkweise widerspräche dem dieser Weissagung folgenden lk Erzählverlauf Lukas stellt in seinem Evangelium exemplarisch an den Einwohnern Nazarets dar, wie Juden fehlgehen, wenn sie in Jesus nur einen jüdischen Propheten, nicht aber den Sohn Gottes 4 G. Lohfink, Sammlung, S. 55. 5 L. Gaston, a.a.O., S. 153. 6 Siehe oben Kap. II. 3.2.

XVII. Zur Frage: Ist Lk-Act antijüdisch?

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sehen (Lk 4,16-30; vgl. V. 3.9.41). Obgleich dieses erste von Lukas breit entfaltete öffentliche Auftreten Jesu, dazu noch in seiner Heimatstadt, in einen Tötungsversuch mündet (V. 29), wird diese wachsende jüdische Feindschaft den Lesern verständlich gemacht: Jesus verweigert sich dem Begehren der Nazarener, für sie Wunder zu tun, weil sie sich seiner Würde als Sohn Gottes verweigern. Insofern ist das Ende in all seiner Tragik durchaus sinnvoll, wenngleich festzuhalten ist, daß die lukanische Darstellung an diesem Punkt polemisch weit überzieht. Daß die Nazarener Jesus angeblich nicht nur veijagen, sondern gleich umzubringen versuchen, ist aus heutiger Sicht kritisch anzufragen - zumal vor dem Hintergrund der weitverbreiteten Verleumdung der Juden als >GottesmörderAntrittspredigt< Jesu im Lukasevangelium auf ihrem alttestamentlichen Hintergrund, ZNW 74 (1983), S. 182-206 Aletti, Jean-Noël, Jésus à Nazareth (Le 4,16-30): Prophétie, Écriture et Typologie, in: À Cause de l'Évangile: Études sur les Synoptiques et les Actes (FS. Jacques Dupont), Paris 1985 (LeDiv 123), S. 431-451 Alexander, Loveday C.A., Luke's Preface in the Context of Greek Preface-Writing, NT 28 (1986), S. 48-74 Alexander, Loveday C.A., The Preface to Luke's Gospel: Literary Convention and Social Context in Luke 1,1-4 and Acts 1,1, Cambridge u.a. 1993 (MSSNTS 78) Alexander, Loveday C.A., Acts and Ancient Intellectual Biography, in: The Book of Acts in its Ancient Literary Setting, Vol. 1: Acts in its First Century Setting, hg. v. Winter, Bruce W , / Clarke, Andrew D., Grand Rapids 1993, S. 31-63 Alexander, Philip S., Rabbinic Judaism and the New Testament, ZNW 74 (1983), S. 237-246 Anderson, Hugh, Broadening Horizons: The Rejection at Nazareth Pericope of Luke 4,16-30 in Light of Recent Critical Trends, Interp. 18 (1964), S. 259-275 Annen, Franz, Art. θαυμάζω, E W N T I I (21992), Sp. 332-334 Arai, Sasagu, Zum >Tempelwort< Jesu in Apostelgeschichte 6,14, NTS 34 (1988), S. 397-410 Aring, Paul Gerhard, Art. Judenmission, TRE 17 (1988), S. 325-330 Arnold, Bill T., Luke's Characterizing Use of the Old Testament in the Book of Acts, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. Witherington, Ben III, Cambridge 1996, S. 300-323 Baarlink, Heinrich, Ein gnädiges Jahr des Herrn - und Tage der Vergeltung, ZNW 73 (1982), S. 204-220 Bachmann, Michael, Jerusalem und der Tempel: Die geographisch-theologischen Elemente in der lukanischen Sicht des jüdischen Kultzentrums, Stuttgart u.a. 1980 (BWANT 109) von Baer, Heinrich, Der Heilige Geist in den Lukasschriften, Stuttgart 1926 (BWANT 39) Bajard, J., La structure de la péricope de Nazareth en Le. IV,16-30: Propositions pour une lecture plus cohérente«, EThL 45 (1969), S. 165-171 Balz, Horst / Wanke, Günther, Art. φοβέω κτλ., ThWNT IX (1973), S. 186-216 Balz, Horst, Art. κατηγορέω, EWNT II (21992), Sp. 672 Balz, Horst, Art. όχλος, EWNT II (21992), Sp. 1353-1355 Balz, Horst, Art. παρρησία κτλ., EWNT III (21992), Sp. 105-112 Balz, Horst, Art. πατρώος, EWNT III (21992), Sp. 139

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