Die Lehre von der Einteilung der Dichtkunst vornehmlich vom 16. bis 19. Jahrhundert: Studien zur Geschichte der poetischen Gattungen [Reprint 2020 ed.] 9783112325346, 9783112325339

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Die Lehre von der Einteilung der Dichtkunst vornehmlich vom 16. bis 19. Jahrhundert: Studien zur Geschichte der poetischen Gattungen [Reprint 2020 ed.]
 9783112325346, 9783112325339

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BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR

ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON

PROF.

DR.

GUSTAV GRÖBER f

FORTGEFÜHRT UND HERAUSGEGEBEN VON

DR.

W A L T H E R

v.

W A R T B U R G

PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BASEL

XCII. H E F T IRENE

BEHRENS

DIE LEHRE VON DER EINTEILUNG DER DICHTKUNST VORNEHMLICH VOM 16. BIS 19. JAHRHUNDERT STUDIEN ZUR GESCHICHTE DER POETISCHEN GATTUNGEN

MAX NIEMEYER VERLAG

/ H A L L E / S A A L E 1940

DIE LEHRE VON DER EINTEILUNG DER DICHTKUNST VORNEHMLICH VOM 16. BIS 19. JAHRHUNDERT STUDIEN ZUR GESCHICHTE DER POETISCHEN GATTUNGEN VON

IRENE BEHRENS

MAX N I E M E Y E R

VERLAG

/

HALLE/SAALE

1940

Alle Rechte, auch das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag, Halle (Saale), 1940 Printed in Germany D 5

Budidmdcerei Richard Mayr, Würzburg

Herrn

Professor

Dr. E. R.

Curtius,

meinem verehrten Lehrer, danke ich für die Stellung des Themas und die Förderung dieses Buches. Irene Behrens.

Inhaltsverzeichnis. Seite Einleitung: Die Ablehnung der poetischen Gattungen durch Croce. Die Absicht der vorliegenden Arbeit. Thema:

Historischer Überblick über die Klassifikation der Dichtungsformen.

A. Die Antike. 1. Übersicht über die poetischen Gattungen in der griechischen Literatur Hellenische Periode Attische Periode Hellenistische Periode „[isXr/.öc" und „Xoptxöe" „Ode" und „Melos" 2. Antike Theorien über die Gattungen. Plato Aristoteles Dionysius Thrax Tractatus Coislinianus Varro Cicero Horaz Quintilian Athenaios Die Kommentare zur Bukolik Virgils im 4. Jh Diomedes Proklos Londoner Scholien zu Dionysius Thrax B. Das Mittelalter. Isidor von Sevilla Beda Der griechische Roman Papias Tzetzes Honorius von Autun Hugo von Sankt Viktor Das Wort „Drama": Petrus Helias und Wilhelm v. Conches Matthaeus von Vendöme Alexander von Villa Dei Eberhard von Böthune Kurzer Uberblick über die Verwendung einiger poetischer Gattungsnamen um 1200 Averroes Gottfried von Vinsauf

3 4 4 6 7

8 9 13 17 17 18 19 19 23 24 25 25 30 32 33 34 36 38 40 41 42 44 45 45 47 47 49 52 52



Vili

— Seite 53 53 56 57 59 60 62 63 65

Eberhard der Deutsche Johannes von Garlandia Vinzenz von Beauvais Johann Balbi von Genua Dante Antonio da Tempo Petrarca Dantekommentare Sicco Polentone C. Die Neuzeit. 1. Italienische und lateinische Poetiken des 16. Jh. Petrus Crinitus Joachim Vadianus Friedrich Nausea Vida L. G. GyTaldus Trissino Sperone Speroni Claudio Tolomei Mario Equicola Daniello Paccius Robortello Segni Madius und Lombardus Muzio Varchi Giraldi Cintio Capriano Fracastoro Mintumo Scaliger Bernardo Tasso Castelvetro Viperano Riccobonus Giordano Bruno Patrizio Mazzoni Torquato Tasso Denores Malatesta J. Pontanus 2. Französische Poetiken des 16. Jh. Eustache Deschamps Sebillet Du Beilay Aneau Ronsard Peletier du Mans Vauquelin de la Fresnaye De Laudun d'Aigaliers Lambin

_..

67 68 69 70 70 72 74 75 75 76 77 77 79 79 80 81 83 84 85 85 89 91 91 92 93 94 94 96 97 99 100 101 102 104 106 109 110 112 112 115 117

— IX — Seite 5. Englische Poetiken des 16. Jh. Roger Asham G. Gascoigne Sir Philip Sidney Will. Webbe Thom Nash G. Puttenham Sir John Harington Francis Meres

118 119 119 120 121 121 122 122

4. Englische Poetiken des 17. Jh. Francis Bacon Ben Jonson John ¡Vlilton G. Chapman Sir William Davenant Sir Richard Blackmore Thomas Hobbes Sir William Temple

124 124 125 125 125 125 125 126

5. Spanische Poetiken um 1600. Carvallo Pinciano Cervantes Cascales und Sepûlveda

127 127 127 128

6. Lateinische Poetiken des 17. Jh. Casaubonus G. J . Vossius

129 129

7. Deutsche Poetiken des 17. Jh. Opitz Buchner Tietz Schottelius Harsdörffer von Birken

131 132 132 132 133 133

8. Französische Poetiken des 17. Jh. Théophile de Viau J. de la Mesnardière Chapelain B. Lamy D'Aubignac Rapin Boileau Le Bossu Bouhours Furetière Dictionnaire de l'Académie André Dacier Fontenelle Baillet

134 135 136 136 137 138 140 142 142 144 145 145 146 147

9. Entstehung des Théâtre Lyrique in Frankreich im 17. Jh

149

10. Italienische Poetiken um 1700. Crescimbeni Gravina Orsi

158 159 160



X



Manfredi Zeno Muratori

Seite 161 163 165

11. Französische Poetiken des 18. Jh. Montesquieu La Motte-Houdard Batteux Marmontel Uber die Rangordnung der französischen poetischen Gattungen im 18. Jh Das Drama im 18. Jh Diderots Enzyklopädie La Harpe

172 173 174 175

12. Übergang zu der modernen Auffassung von der dritten Hauptgattung Lyrik J. A. Schlegel Gottsched Herder Sulzer, Ramler, Engel Fr. Schlegel, Novalis W. v. Humhold, A. W . Schlegel, Schelling, J. Paul Fr. Schlegel Goethe, A. W. Schlegel Ausgang de9 19. Jh

180 182 183 186 187 188 188 191 193

13. Die Lyrik in Frankreich im 19. Jh. Frau von Staël Victor Hugo Sainte-Beuve Bninetière

195 196 197 199

164 165 167 170

Schluß: Gesamtüberblick

202

Namenregister

222

Sachregister

228

Bibliographie

240

Einleitung. B e n e d e t t o Croce erhob i n seiner „Estetica" 1 )

g e g e n die

altherge-

brachte E i n t e i l u n g der D i c h t k u n s t in G a t t u n g e n Protest u n d erklärte, daß solche Klassifikationen u n n ü t z und u n b e g r ü n d e t seien, w e i l die Dichtkunst

in

ihrer Gesamtheit

mit

„Lyrik = Intuition"

setzen sei u n d daher i n keiner Weise — zwecken —

gleichzu-

a u ß e r e t w a zu Registrier-

in Sondergruppen unterschieden und abgegrenzt werden

dürfe. D i e A b l e h n u n g der G a t t u n g e n durch Croce hat ihre A n h ä n g e r 2 ) und ihre

Gegner 3 )

gefunden.

G e g e n Croce bemerkt u n t e r anderen

José

Ortega y Gasset 4 ): „Jedes Dichtwerk gehört zu einer Gattung, wie jedes Tier zu einer Species. (Die Theorie Croces, welcher Gattungen innerhalb der Kunst leugnet, hat in der Ästhetik keine Spur hinterlassen.)" I n den theoretischen Streit u m Croces Ä s t h e t i k soll hier n i c h t eing e g r i f f e n werden. Ebenso bleiben die zahlreichen Studien der letzten Jahrzehnte über W e s e n u n d B e d e u t u n g der poetischen G a t t u n g e n u n 1) 6. Aufl. Bari 1928, S. 40/44, ferner in den „Nuovi Saggi di Estetica" 1912 und noch sonst mehrfach. 2) z. B. I. E. S p i n g a r n in „Creative Criticism" Oxford 1931, 24: „Only in one sense has any of these terms any profound significance, and that is in the use of the word „lyric" to represent the free expressiveness of art. All art is lyrical . . ." Desgl. S p i n g a r n in „Essays on the Unity of Genius and Taste", New York 1917 S. 26: „We have done with the genres or literary kinds." Ferner K.V o ß l e r : „Lope de Vega" München 1932 S. 155: „Lyrisch im tieferen Sinn des Wortes ist irgendwie freilich alle Dichtung, die uns menschlich anspricht." 3) z.B. J. W. B r i g h t in „Mod. Language Notes" 32 (1917) S.443. Auch R. P e t s c h in „Gattung, Art und Typus" („Forschungen und Fortschritte" Marc 1934). — In einem gewissen Gegensatz zu Croces Lehre stehen die Veröffentlichungen des Verlages Vallardi-Mailand unter dem Titel „Storia dei generi letterari". Hierzu sowie zu der Kritik Reniers nimmt C r o c e Stellung in den „Scritti di storia lett. e politica" X, S. 163 ff. 4) O r t e g a y G a s s e t : „Die Aufgabe unserer Zeit". Mit einer Einleitung Ton E. R. Curtius; übers, v. Helene Weyl. S. 166.



2



berücksichtigt 5 ). Es soll vielmehr nur historisch untersucht werden, seit wann die heute übliche Dreiteilung der Dichtkunst in Epos, Drama und Lyrik allgemein gebräuchlich geworden ist. Dabei ist nicht unmöglich, daß gelegentlich Beziehungen aufgedeckt oder bestätigt werden, die auf die gesamte Poetik der Gattungen hier und da ein neues Licht fallen lassen. 5) Es sei jedoch der jüngsten, auf die „drei reinen Gattungstypen Epos, Drama und Lyrik" gestützten Darstellung gedacht: Julius P e t e r s e n gibt in seinem soeben erschienenen Werk „Die Wissenschaft von der Dichtung" (Berlin 1939, Bd. I: „Werk und Dichter", S. 119 ff.) am Eingang seiner Charakteristik der poetischen Gattungen eine Ubersicht über die neueren Phasen der Gattungsforschung. Ebenso ist hier P. V a n T i e g h e m z u erwähnen, dessen Aufsatz „La Question des Genres Littéraires" im „Helicon" (1938 I, S. 97 ff.) als Hinweis auf den im Mai 1939 nach Lyon berufenen 3. internationalen Kongreß für Literaturgeschichte gedacht ist. Das Thema dieses Kongresses lautet: „Les Genres Littéraires". — Van Tieghem stellt fest, daß die Frage nach den poetischen Gattungen keineswegs veraltet ist. Zwar sind manche ältere Gattungen, wie Ode und Epos, untergegangen; aber es treten beständig neue an die Stelle der vergangenen.



A. Die

3



Antike.

1. Ü b e r s i c h t ü b e r d i e p o e t i s c h e n G a t t u n g e n in der g r i e c h i s c h e n L i t e r a t u r . Wie es fälschlich auch auf anderen Gebieten der Poetik- geschah (z. B. bei dem Gesetz von den drei dramatischen Einheiten), so ist, selbst noch in unseren Tagen, als Urheber dieser Dreiteilung Aristoteles angesehen worden, und nicht nur von Laien. So sagt Ernest B o v e t in „Lyrisme, Epopée, Drame" (Paris 1911, S. 12): „Aristote ayant distingué les genres lyrique, épique, et dramatique . . ." Es handelt sich hier um einen durch lange Tradition überlieferten Satz, der aber keineswegs zu Recht besteht. Schon dem Wortlaut nach nicht, weil Aristoteles in seiner Poetik1) von den drei genannten Gattungen nur das Epos und Drama erwähnt. Aber auch dem Begriff nach kommt bei ihm kein Terminus vor, der etwa unserer viel umfassenden Hauptgattung „Lyrik" entspräche. Denn Aristoteles unterläßt es, die unter die Lyrik (oder „Melik") fallenden Dichtungsformen zu berücksichtigen, wahrscheinlich, weil sie zu jener Zeit unlösbar mit der Musik verbunden sind, mithin innerhalb eines ausschließlich als „Poetik" gedachten Werkes nicht erschöpfend behandelt werden könnten. Zwar ist durch andere Schüler Piatos und Aristoteles', Aristoxenos von Tarent und Herakleides vom Pontos, auch dieser Zweig der Dichtkunst berücksichtigt worden. Daß es eine Richtung der literarischen Kritik gab, die eine Dreiteilung nach Komödie, T r a g ö d i e und Lyrik kannte, geht aus einer Philodemstelle hervor, die schon H . F ä r b e r 2 ) S. 10 angeführt, aber noch nicht richtig gedeutet hat 3 ): "t[a];iß!/.7]v ij [*to]{j.i[*]-fjv Tj ttv' oXcoa . . . [e|vtoi Xé-fo[t>]at, xai tô [p]]8s|iiav [SJiâXextov x[w]Xöstv TÖV à-FA&ov 7to[Tj]tfjV ôta^paEvetv xa[TA]sxeujjv [îjlv oiv eXr^ lad rcostv' [xJat zo ji.r4ôiè]. yapaxt^paç Î8ioç Iîlvat twlvl ror^ôjv, xfal) ~b jiTjSè vorjjiata Sw^pspetv t à xlto^iixà xai] tpa[f]txà xai X[op]ixà, xai tè [iTjSs . . . " 1) Zugrunde liegt u. a. die Ausgabe von A. G u d e m a n, Berlin 193+ (zitiert „Gudeman"). 2) in „Die Lyrik in der Kunsttheorie der Antike" München 1936. 3) Nr. 35 in der Ausg. v. H a u s r a t h, Jahrb. f. klass. Phil. Suppl. 17 S. 255. — Diese Ausführungen gründen sich auf persönliche Mitteilungen von Herrn Professor Jensen, i. T. aus dem nächstens von ihm erscheinenden 4. Buch von Philodems "jtspi JtOlTjjlÄtcov".

Mit den hier zitierten "gviot" sind, wie mir Herr Professor Jensen mitteilte, die sogenannten "xpitwot" gemeint, die eine besondere ästhetische Literaturkritik vertraten, und deren Anschauungen sich in letzter Linie auf Aristoxenos und Herakleides zurückführen lassen. Die Erforschung dieser literarischen Richtung ist aber heute noch nicht abgeschlossen 4 ). Betrachten wir nun den Bestand an poetischen Gattungen, wie er uns in der griechischen Dichtung entgegentritt, so erblicken wir zuerst das noch in vorgeschichtlicher Zeit im jonischen Kleinasien ausgebildete E p o s Homers 8 ). In der darauf folgenden ersten, geschichtlichen — der „hellenischen"— Periode treten zum Epos an neuen Dichtungsformen: 1. eine kürzere, gesprochene Poesie: im jonischen Bereich, vertreten durch E l e g i e und J a m b o s . Sie wurde rezitatorisch vorgetragen, auch von Instrumenten begleitet 3 ). 2. eine gesungene Poesie, vertreten durch a) den Einzelgesang (Lesbos: Alkaios, Sappho; Jonien: Anakreon). b) den Chorgesang (Pindar, Alkman usw.), die sich so verteilt, daß im Osten der Einzelgesang, im Mutterland und im Westen der Chorgesang vorherrschte.

Eine Gesamtbezeichnung für alle diese verschiedenen Formen: Sprechvers, Einzellied, Chorgesang, die sich überdies auf die einzelnen Stammeskulturen und Dialekte verteilen, ist in dieser Frühzeit unbekannt. (Über die Bedeutung von „Ode" und „Melos" vgl. im folgenden S. 8.) Dasselbe gilt für die folgende, die attische Periode (480—320), in der sich die dramatischen Gattungen T r a g ö d i e und K o m ö d i e und der halbdramatische D i t h y r a m b o s aus dem Chorgesang ent4) Näheres über das Vorkommen des Wortes „Lyrik" bei S c h m i d - S t ä h 1 i n, Gr. Lit. (1929) S. 13 Anm. 2. Hinzuzufügen wären noch Anacreontea 2 B 2 (XoptXT) ( l o ö o a ) u - Plutarch De lib. ed. 13 b. Vgl. ferner H. P ä r b e r aaO. 5) Vgl. U. v. W i l a m o w i t z - M o e l l e n d o r f f : a) „Euripides Herakles" I, Berlin 1889; b) „Die Textgeschichte der Griech. Lyriker" in Abh. d. kgl. Ges. d. Wiss., Göttingen, Phil. Hist. Kl. N. F. IV, 3. Berl. 1900. c) „Die griech. u. lat. Literatur u. Sprache" in „Kultur der Gegenwart" I. 8. Berl. 1905. d) „Hellenistische Dichtung", Berlin 1924. 6) Nach S c h m i d - S t ä h l i n aaO. S. 3 wurden sie in ältester Zeit auch gesungen; „aber diese beiden Arten lyrischer Dichtung müssen früh zum rezitator. Vortrag übergegangen sein, so daß sie von den gesungenen getrennt werdeo konnten".



5



wickeln 7 ). Durch deren Vorherrschaft geraten die früheren Dichtungsformen in den Hintergrund oder gar in Vergessenheit (Wilam. Textg. S. 14): „Im 4. Jh. rückt so die alte Lyrik in das Dunkel einer rein literarischen Existenz."

Gegen Ende dieser Epoche entsteht die Poetik von Aristoteles, die einen Überblick über die tatsächlich in Athen noch lebenden Gattungen gewährt. Wie schon gesagt wurde, ist dem Einzelgesang kein Raum darin gegeben — oder verbirgt er sich unter den Künsten der "a'jXrjttxij xai Xi&apiOTixrj" (1447 a)? Die Meinungen hierüber gehen auseinander: Wilamowitz, Textg. 7, A 2: „Aristoteles zählt am Anfange der Poetik die Dichtungsarten auf, da figuriert

8t&opa(i.ßoroitx^ (sie) xai aoXr^r/.r^ -q jiXeianj xai xii>aptarixfj



der mit seinen Versen auf Pindar gar Capriano das Bild zu seiner Verherrlichung Petrarcas leiht (S. 38) : „Et ben in vero si può dir di lui, quello che disse quell' istesso gravissimo Poeta di Pyndaro, che chiunque cercava di emularlo si procurava pericolosissima occasion di precipitio."

So bleibt das Problem, das noch Generationen von Kritikern bis zum 18. Jh. zu schaffen machen wird, ungelöst. „Comedia, Tragedia, Epopeya", das also sind die „trei generi principali" (Capriano 34), weil in ihnen dem Gebot von der Nachahmung am besten Folge geleistet wird. Dieselbe Begründung finden wir auch bei Hieron. Fracastoro in dem Dialog „Naugerius sive de Poetica" (Ven. 1555; Exemplar in Bonn) S. 156/7: „Ponamus igitur certam esse materiam poetae propriam, qua differt a reliquis, qui sermone utuntur, puta illam quae personas inducit, quae proprie imitatio dicitur, quod video a multis dici. hoc enim monstrant Tragoediae & Comoediae & ipsa etiam epea, quae praecipue & maxime poeta scribenda assumit" 43 ).

Leider enthält dieses sehr interessante Werk keinerlei Angaben über die Einteilung der Dichtkunst. Bemerkenswert f ü r unser Thema ist nur noch der (Cicero, Horaz entlehnte) Hinweis (S. 160), daß die einzelnen poetischen Gattungen ihrem Charakter nach voneinander zu scheiden seien, indem die jeder einzelnen von ihnen eigentümlichen Merkmale nicht auf andere übertragen werden: „ . . ita & si rebus comicis maiestatem heroicam addas, omnia facies indecora. hac ergo concinnitate, & convenentia si omnia scribas, & comoedia, Sc lyrica, & alia, partes erunt poeticae si simpliciter pulchra in eo genere elegeris." —

A. S. Minturno bringt am Anfang seiner beiden, umfangreichen Werke: „De Poeta" (Ven. 1559; Exemplar in Bonn) und „L'Arte Poetica" (Ven. 1563; Exemplar in München) einige grundlegende Sätze über die Einteilung der Dichtkunst, worin — zwanzig Jahre nach Daniello 44 ) — wieder als ihre Hauptgattungen „Epos, szenische Poesie und Lyrik" festgestellt werden („De Poeta" Einl. IV; vgl. auch „L'Arte Poetica" S. 3 und „De Poeta" S.417): 43) Vgl. d. Übers, v. Ruth Kelsoe, Univ. of Illinois Stud. IX, 1924, Nr. 3. — Der Dichter ist jedoch, wie Spingam S. 40 f. an Hand von Fracastoros weiteren Ausführungen nachweist, nicht an die Nachahmung menschlicher .Handlungen gebunden; es steht ihm vielmehr die nachahmende Behandlung jedes möglichen Gegenstandes frei. 44) und nicht so allgemein, wie Spingarn S. 58 es hinstellt.



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„Omnis enim poesis cum in tres dividatur partes, quarum una Scenica, altera Lyrica vocatur; Tertia, quae Epica dicitur, omnium maxima est, plurimaque genera complectitur."

Die Einwände, die sich theoretisch, auf Grund des aristotelischen Satzes von der Nachahmung innerhalb der Dichtkunst gegen die Lyrik ergaben (vgl. oben bei Capriano), haben also bei dieser, die Lyrik hervorhebenden Gruppierung keine Berücksichtigung erfahren. Zu erklären ist das dadurch, daß Minturno bei der Abfassung des Buches „De Poeta" noch einer freieren Auffassung von der Dichtkunst huldigt (Toffanin aaO. S. 481): „ . . . M i n t u r n o . . . era venuto preparando con grande sfoggio di stile e schemi ciceroniani, una poetica scevra da coteste formule aristoteliche onde cominciavano a bucinare i nuovi dotti" 45 ). Da Minturno in seinem zweiten Werk, der „Arte poetica", keinen vollständig neuen Entwurf, sondern eine mit der Übertragung ins Italienische verbundene — jetzt aber mehr auf Aristoteles gestützte — Überarbeitung und Erweiterung des ersten Bandes bringt, so bleibt auch noch in der „Arte poetica" manches stehen, was ein völlig nach aristotelischen Lehrsätzen aufgebauter Traktat nicht enthalten würde, und so auch die Dreiteilung der Dichtkunst in Epos, szenische Poesie und Lyrik. Auffallend ist bei Minturno der häufige Gebrauch des Wortes „Melik" neben oder anstatt „Lyrik". Aber wie das „Melos" eine gerade um die Mitte des 16. Jh. gepflegte Dichtungsform ist46), so ist auch das Appellativum „Melik" damals beliebt, ohne sich jedoch für längere Zeit durchzusetzen. — Gelegentlich tritt auch der Dithyrambos stellvertretend f ü r die Lyrik auf (De. P. 28), ja, er bedeutet geradezu „Lyrik im eigentlichen Sinn" (L'A. p. 169): „. . i Dithyrambici, et i Nomici, che particolarmente Melici si chiamano"), weshalb er mehrmals neben der Lyrik oder Melik besonders genannt wird, vor allem an Stellen, wo die verschiedenen Gegenstände der einzelnen Gattungen angegeben werden (De P. 48): „. . dum Diis laudandis, qui Dithyrambici dicuntur, clarissimorum hominum laudibus canendis qui Lyrici, cantilenis, quas leges appellant, edendis, qui melici, flendis amoribus qui Elegiaci, eventis brevi ter narrandis, qui Epigrammata conscribunt.. 45) Vgl. auch C r o c e t t i aaO. über die „libera visione" im 1. und die „rigide strettoie teoriche" in Minturnos 2. Werk. 46) i . B. Paulus Melissus Schede an Vettori.

— 87



Auch Hymnen und Paeane usw. werden von Minturno gesondert betrachtet; doch sind seine Ausführungen über die antike Lyrik nicht immer einheitlich, da gar zu viele Quellen nebeneinander berücksichtigt werden, wodurch sich Unklarheiten, wenn nicht gar Widersprüche ergeben. Es fehlt nicht die Teilung der Melik nach Athenaios in die bekannten „tria genera saltandi" (De P. 27), weil unter „Melik" verstanden wird (L'A. p. 5) „Quella, che col dire in versi, e col canto e col ballo insieme vedere si fà et udire" —

eine Definition, die übrigens auch auf die einheimische Ballade ursprünglich paßte (L'A. p. 170): „Dopo gli antichi Lyriei vennero i nostri ; i quali à scriver cominciarono Ballate, che come l'istessa voce significa, si cantavano ballando."

Da die gleiche Bedeutung der Wörter „Ode" und „Canzone" feststeht, wird unbedenklich auch von den „Canzonen" von Anakreon, Pindar und Horaz gesprochen, denen die Canzonen von Dante und Petrarca an Vorbildlichkeit nicht nachstehen 47 ). In Beantwortung der Frage (L'A. p. 173), ob der „Melico Poeta" imitando oder narrando schaffe, entscheidet Minturno sich f ü r das genus mixtum: „. . . che a'Dithyrambici Platone la semplice narratione, l'imitatione Aristotele attribusca; ma, percioche al parer di tutti sono tre maniere di poemi, delle quali la più semplice consiste in narrare; l'altra in imitare; la terze è mista e partecipe dell'una e l'altra: in quest'ultima i Grammatici pongono la Melica poesia: e ragio 1 nevolmente." (Wird an Petrarcas Sonett „Era il giorno" nachgewiesen.) —

Auffallend ist bei Minturno die große Zahl von Dreiteilungen, die auf alle möglichen Gebiete, der Poetik angewendet werden, einige Male auch auf die epischen Dichter (De p. 105; 146). Sie werden unterschieden in: Heroici (summi), Epici (medioeres) z. B. Empedokl. Bucolici (infimi)4®).

(Hinzu kommt noch der besonders betrachtete

Lukrez,

Romanzo)

Die Zuweisung der Bukolik zur epischen Gattung geschieht im Gegensatz zu zahllosen Poetiken, in denen sie dem „Dramaticum" an47) Es ist auch um diese Zeit durchaus üblich, gleichzeitig als „gli Antichi" Pindar, Dante und Petrarca zu bezeichnen. 43) Daß die lehrhafte Dichtung als „Epos" (im engeren Sinn) angegeben wird, ist ein sehr seltener Fall. Vgl. u. bei Lambin. Uber das Epos bei Minturno vgl.

— 88



gehört. A b e r auch Minturno wird ihrem eigentümlichen Charakter innerhalb der erzählenden Gattungen gerecht, indem er letztere nochmals unterteilt in der A r t , wie es sonst an der gesamten Dichtkunst geschieht (De P. 1 4 6 ) : „Ac tres Epicae rationes dicendi cum sint, simplex quae privatim Epica vocatur, cum Poeta nunquam ponit personam suam, Bucolica cum aliam adeo inducit, ut ipse nihil, aut pauca narret. Heroica, qua cum ipse interdum dicat, tum alios, qui loquantur, inducit.. Der Begriff des Epos wird sogar so weit gefaßt, daß auch Elegie und Epigramm darunter fallen (L'A. p. S. 3 ) : „Quante parti hà l'Epica in uersi? — Molte; conciosia che l'Elegie, gli Epigrammi, gl'Hynni d'Homero e d'Orfeo, non che gli Heroici e Bucolici poemi sotto lei si contengano : percioche di questo nome è ciascuna poesia, che all' esser suo perfetto nè canto, ne ballo richiede. Del medesimo nome chiamar possiamo le terze rime, quali esser ueggiamo quelle di D a n t e . . . & i Triomphi del Petrarca; e l'ottave; che sono attissime à celebrare i chiari, & honorati fatti de gli huomini illustri, e gloriosi, come veder potete ne' libri, che d'Orlando, e di Rinaldo scritti uolgarmente si leggono"®). Es besteht jedoch bezüglich der Elegie keine einheitliche Auffassung (De p. 4 0 6 ) : „Quod porrò genus poematum hoc sit, non facilè constituas. Cum aliis Melicum, propterea quod ad Tibicinem principio canebatur. Aliis Epicum, eò quod persaepe rerum expositiones praeceptionesque contineat. Aliis utroque coniunctum esse •ideatur." Ebenso bereitet die Einordnung der Satire Schwierigkeiten wegen ihrer ständigen Verwechslung mit dem Satyrspiel. A u f Grund von Horaz Sat. 1 4 w i r d sogar erwogen (De p. 4 2 1 ) , ob die „Satyrici" überhaupt unter die Dichter gehören. Schließlich w i r d der Ausweg gefunden, daß ein Unterschied zwischen szenischer und epischer „Satyrica poesia" gemacht w i r d 60 ). Hier, wie auch sonst, f ä l l t die Bevorzugung des Wortes „szenisch" a u f , während „Drama" und seine Ableitungen auch Spingarn aaO. S. 110. Daselbst S. 115 auch eine andere Dreiteilung des „heroicum" nach Giraldi Cintio in: 1. das Epos, 2. den Romanzo, 3. das biographische Gedicht in der Art der „Theseide". 49) Vgl. C r o c e t t i 306, ferner L'A.p. S. 270. Wiederzufinden ist diese Zuteilung der Elegie usw. zum Epos im Spanischen bei Cascales, wodurch erklärt wird, was Menéndez y Pelayo aaO. Bd. III S. 324 bemängelt. 50) Gegenüber S a i n t s b u r y II,54 ist zu bemerken, daß die Satire nicht als Glied der Lyrik betrachtet wird, sondern nur in demselben Buch wie sie; vgl. auch •die Einl. zu De P. S. 4.

— 89 — weiterhin umgangen werden. (Auch die ersten Opern werden meist' „favola in musica" heißen.) Das Sich-Behaupten der einheimischen Ausdrücke erstreckt sich sogar auf die pindarische „Strophe", wofür „Volta" oder „Stanza" eingesetzt wird. — Das berühmteste Handbuch der Poetik in der Renaissance sind die 1561 posthum erschienenen „Poetices libri septem" von J. C. Scaliger (Exemplar in Bonn) 61 ). Im Gegensatz zu Minturno beschränkt Scaliger seine Ausführungen auf die antiken Gattungen, „wie seine Poetik überhaupt nur für eine wieder zu belebende, klassische Poesie geschrieben ist" (Brinkschulte S. 117); z. B. bespricht er „Dante nicht, Petrarca nur als lateinischen Dichter" (Brinksch. 121 A). Dieser Einschränkung steht anderseits die größte Weitschweifigkeit in der Behandlung des gewählten Gegenstandes gegenüber, deren Folge wiederum Unklarheiten, Abweichungen von vorher Gesagtem oder gar Widersprüche sind. Solche Mängel zeigen sich auch bei der Einteilung der Dichtkunst und in der Betrachtung der poetischen Gattungen überhaupt, so daß es nicht überall möglich ist, eine eindeutige Lösung zu finden. Der Einteilung der Poesie (Buch I Kap. 3) liegt das Schema von Diomedes zugrunde, indem unterschieden werden: 1. Narratio simplex (5lTj7TjJiaTty.de, IfiTJYTjfiattXÖ?) Vertreter: Lukrei. 2. Dialogus (SpaaattXÖ?), vertreten durch die antiken, dramatischen Formen,deren älteste die Pastorale sei. 5. Mistum — Epicum: „quod iccirco omnium est prineeps quia continet materias universas."

Sofort anschließend heißt es dann: „Ac nobilissimi quidem Hymni, et Paeanes. Secundo loco Meie et Odae, et Scolia, quae in virorum fortium laudibus versahantur. Tertio loco Epica: in quibus et Heroes sunt, et alii minutiores. Quem ordinem consequetur etiam Tragoediasimul cum comoedia. Comoedia tarnen seorsum quartam sedem obtinebit, inde Satyrae, post Exodia, Lusus, Hymenaei, Elegia, Monodia, Cantiones, Epigrammata"® 2 ). 51) Vgl. hierzu Dr. E. B r i n k s c h u l t e : „J. C. Scaligers kunsttheoretische Anschauungen und deren Hauptquellen", Bonn 1914; und P. M. P a d e l f o r d : „Select Translations from Scaliger's Poetics", Yale Studies in English XXVI, N . Y . 1905. 52) B r i n k s c h u l t e begründet den Vorrang des Epos (vor dem Drama) mit Scaligers Virgilkultus; Virgil, dem größten aller Dichter, stand im röm. Schrifttum kein ebenbürtiger Dramatiker gegenüber.

- 90 — Unverkennbar ist das Vorbild von Diomedes in der Gruppe der „einfachen Erzählung 5 3 ), welche der lehrhaften Dichtung eingeräumt ist. Und ähnlich wie Diomedes scheint Scaliger im Mixtum zu verfahren und ihm neben dem Epos auch die lyrischen Gattungen zuzuweisen 5 4 ). Ganz klar wird das aber nicht gesagt, weshalb Brinkschulte (aaO. S. 2 A) im Zweifel ist, ob die Lyrik von Scaliger als selbständige Gattung gezählt wird oder einen Teil der Epik bildet. Ganz anders als in dem angeführten Abschnitt charakterisiert Scaliger die Lyrik im letzten (7.) Buch seiner Poetik (1. T e i l Kap. 2 : R e r u m Divisio). Hier greift er — bei der Besprechung der Nachahmung — die auch schon von Capriano gestellte F r a g e auf, ob die Lyrik zu den nachahmenden Künsten zu rechnen sei: „. . . Ad haec multa sunt genera carminum, multa poematum, quorum nulluni iam hoc in censu reponeretur, Lyrica, Scolia, Paeanes, Elegiae, Epigrammata, Satyrae, Sylvae, Epithalamia, Hymni, alia: in quibus nulla extat imitatio, sed sola tiudaque i n a ' a z X i a ( sie!), id est enarratio aut explicatio corum affectuum, qui ex ipso proficiscuntur ingenio canentis, "non ex persona picta."

In doppelter Beziehung widerspricht sich Scaliger hier selbst: einmal, indem er das in den ersten sechs Büchern vertretene Nachahmungsprinzip (— f ü r alle Poesie: „Quamobrem tota in imitatione sita f u i t " 5 5 ) — ) plötzlich f ü r die Lyrik nicht mehr gelten läßt. Zum andern, indem er die Lyrik jetzt in die „ ¿ s a Y f s X t a " = enarratio einö'rdnet, welche im ersten Buch durch die lehrhafte Dichtung vertreten war. D a aber das siebente Buch der Poetik nur als eine Art fragmentarischen Nachtrags anzusehen ist (Brinkschulte 110), so soll auf diese Widersprüche kein großes Gewicht gelegt werden, zumal der letzte von ihnen ja nicht von Scaliger selbst stammt, sondern auf dem viel älteren Gegensatz beruht, den wir zwischen den Systemen von Plato und Diomedes festgestellt haben (s. o. S. 28). So möge dieses Beispiel nur als eine Probe dafür dienen, daß gerade die Fülle der zur Verf ü g u n g stehenden Quellen den Renaissancegelehrten h ä u f i g vor schwer lösbare Probleme stellt. 153) B r i n k s c h u l t e (S. 2) übersieht .diese Sondergruppe d. narratio. 54) Beispiele dafür hatte Scaliger in mehreren Poetiken des 16. Jh. (von Vadianus an), denen allen vermutlich ein Diomedestext zugrunde lag, in welchem das „lyricum Poema" neben dem Epos stand. Vgl. oben S. 29. 55) Vgl. B r i n k s c h u l t e S.47, 4.9.

— 91 — B e r n a r d o T a s s o bietet in seinem „Ragionamento della Poesia" (Ven. 1562; Exemplar in Berlin) keinerlei Aufschlüsse auf dem Gebiet der poetischen Gattungen, da er sich darauf beschränkt, die Dichtkunst in die sechs Gattungen einzuteilen, welche Aristoteles am Beginn seiner Poetik verzeichnet (S. 4 r ) : , ¡; „Sei sono al creder mio, le spetie de la poesia. Cioè Comedia, Tragedia, Epopeia, Ditirambica, Auletica, & Citaristica."

N u r das, was die Griechen und Römer geschrieben haben, ist ihm io dieser Schrift maßgebend; doch war er, der Verteidiger des klassischen Epos (dem er - - entgegen Aristoteles — den Vorrang vor der Tragödie gibt), selbst ein Vertreter seines Widerspiels, des Romanzo, mit seiner D i c h t u n g „Amadigi". Wie dann sein Sohn, Torquato Tasso, es wenige Jahre später unternimmt, in den „Discorsi dell'Arte Poetica" 5 6 ) zwischen den beiden Gegensätzen, Epos und Romanzo, einen vermittelnden Standpunkt zu gewinnen, zeigt Spingarn aaO. S. 119 57 ). Lodovico Castelvetro entwickelt in der „Poetica d'Aristotele vulgarizzata et sposta" (Basel 1576; Exemplar in Bonn) zwar auf vielen Gebieten eigene Gedankengänge; aber gerade über die Einteilung der Dichtkunst bringt er nichts Besonderes oder entscheidend Neues. Jedoch ist es f ü r die Frage nach der Rangordnung der poetischen Gattungen interessant, daß er einige Male die Komödie in den Vordergrund rückt, nicht, weil sie die vornehmste der Gattungen wäre, sondern weil sie am besten einigen Forderungen entspricht, die Castelvetro an die Dichtkunst stellt 58 ): I h r größter Vorzug ist es, daß sie vom einfachen Volk verstanden wird 5 9 ); denn Castelvetro, im Gegensatz zu vielen seiner gelehrten Zeitgenossen, fordert (S. 23, 29, 35) von der Dichtkunst in erster Linie, daß sie dem Ergötzen zu dienen habe, und zwar dem Ergötzen der Volksmenge, welcher die wissenschaftliche Bildung versagt ist 90 ). 56) vermutl. schon 1565 verfaßt, aber erst 1587 veröffentlicht. 57) desgl. T o f f a n i n 507/9; T r a b a l z a 171; ausführlich handelt über B. Tasso: C r o c e 11 i aaO. Kap. II und XIV. 58) Zu der Frage, ob der Komödiendichter nicht vor allen übrigen den Vorzug verdient, weil er mit selbsterfundenen Stoffen arbeitet und sie daher durch die Kraft der Erfindung überragt, vgl. S p i n g a r n 47, C r o c e t t i 350, auch Castelvetro selbst S. 191 im Anschluß an Aristoteles 1451 b. 59) Vgl. S p e r o n i aaO. I, 357: „La commedia fe un& scola di tutto U populo." 60) Vgl. S p i n g a r n 45; 56; C r o c e t t i 359; ähnlich, aber drastischer denkt Lope de V e g a : „Arte nuevo . . ." Z. 45/48; bei C r o c e t t i 462.

— 92 — Auf die Komödie läßt Castelvetro im Rang das Epos folgen, an dritter Stelle dann die Tragödie; denn (S. 14) „Io lascio di dire, che l'epopea ha data la forma alla tragedia, & che perciò ragionevolmente dee andare avanti alla tragedia."

Erst an letzter Stelle stehen die kleinen Gedichtarten, die zu einer Gruppe zusammengefaßt sind, wenn auch nicht als „Lyrik" (S. 192, 5): „Hora noi, generalmente parlando, dividiamo tutti i poemi in quattro parti, & sotto la prima constituiamo la comedia, sotto la seconda l'epopea, sotto la terza la tragedia, sotto la quarta Ode, epigrammi, elegie, canzoni, & simili poemi brievi, & varij."

Die geringere Bewertung der letzteren ist aus Aristoteles 1450 b, 1451 a zu begründen, wonach einem schönen Kunstwerk auch ein gewisser Umfang eigen sein muß, um nebenbei auch seine Übersichtlichkeit zu erleichtern. Daher, wenn auch Dante nicht f ü r die „huomini idioti" (S. 597) geschrieben hat (denn seine „Komödie" ist ja in Wahrheit ein poema epopeico — S. 494 —), so ist er doch über Petrarca zu stellen, wie Homer über Virgil 61 ) (S. 164): „. . . havendo impiegato quelli lo stile in poema grande & magnifico, & nel quale chiaramente apparerebbono gli errori, se vi fossero, & questi in poema picciolo & modesto, & nel quale non si discemono con molta agevolezza gli errori, se vi sono, conciosia cosa che i sonetti, gli epigrammi, & simili poemi piccioli sieno simili alle figure picciole, stando celato ne gli uni, & nell' altre di leggiere ogni gran difetto."

Zu den Aristoteleskommentaren gehören — obwohl sie sich nicht immer an den Aufbau der aristotelischen Poetik anlehnen — auch die „De Poetica libri tres" von J. A.Viperano (Antwerpen 1579; Exemplar in Bonn). I m Buch I Kap. 7 S. 24 stellt Viperano einige Beispiele für die Einteilung der Dichtkunst aus dem Altertum zusammen und zitiert nach dem Muster von Gyraldus die entsprechenden Sätze aus der Metrik von Caesius Bassus, Diomedes und auch das Schema von Tzetzes und so weiter. Sie alle werden von Viperano zunächst abgelehnt zugunsten einer von Aristoteles stammenden Zweiteilung, die wir auch bei Averroes sahen, und die auch in anderen Renaissancepoetiken erwähnt wird (S.25): „Ego vero existinio, quoniam humanae actiones omnes, quarum imitatio est poesi9, aut bonae sunt & laudabiles, aut malae & vituperandae . . . poetarum duo 61) Hier spielt Castelvetros bekannte Ablehnung Virgils mit hinein; vgl. S a i n t s b u r y II, S.86.

— 95 — genera apud veteres primum extitisse, alterum laudandi, alterum gratia comparatum, quod iambicum appellarunt."

raaledicendi

Ähnlich wie bei Aristoteles 1448 b, 1449 a wird d a r a u f h i n die E n t wicklungsgeschichte der poetischen G a t t u n g e n betrachtet; doch setzt Viperano die „ M e l i k " ein, wo bei Aristoteles von D i t h y r a m b e n , H y m nen, Enkomion die Rede ist (S. 26): „At ex illo genere laudativo melici extitere, qui deonim, heroum & vironim precationes & laudes ad Iyram concinebant: maxime verö Bacchi n u m e n & virtutem celebrabant; a quo Dithyrambici dicti s u n t . . . " . . . (S. 27) „ T a n d e m igitur poetica in haec genera abiit, Epicum, T r a g i c u m , Comicum, & Dithyrambicum. sive Melicum. N a m (si Tzetzi credimus) olim Dithyrambici iidem erant cum melicis sive lyricis . . ."

Diesem Tzetzeszitat steht jedoch der Satz aus Cicero gegenüber, in dem der D i t h y r a m b u s von der Melik unterschieden wird — ein Beispiel f ü r die Schwierigkeiten, welche die noch unerkannte, doppelte N a t u r des D i t h y r a m b u s den Untersuchungen entgegenstellt (S. 153) —• „cuius tarnen n a t u r a m investigare difficilius est. 1 ' Neben den Feststellungen, daß Auletik und Kitharistik nicht mit „ L y r i k " gleichzusetzen sind, u n d daß dem Epos — entgegen der Mein u n g von Aristoteles — der V o r r a n g vor der Tragödie gebühre, ist noch eine n u r auf äußere M e r k m a l e a u f g e b a u t e Definiton dessen bemerkenswert, was zur Lyrik gezählt werden kann (S. 149): „In universum quaecumque lyricis numeris colligari, „Celestiall, Aeriall, and Terrestriall", so the P o e t s . . . have lodg'd themselves in the three Regions of mankinde, Court (Heroes), City (Citizen), and Country (rural people). From hence have proceeded three sorts of Poesy, Heroique, Scommatique, and Pastorall. Every one of these is distinguished again in the manner of Representation, which sometimes is Narrative, wherein the Poet himself relateth, and sometimes Dramatique, as when the persons are every one adorned' and brought upon the Theater to speak and act their own parts. There is therefore neither more nor less then six sorts of Poesy. For the Heroique Poem narrative . . . is called an Epique Poem. T h e Heroique Poem Dramatique is Tragedy. T h e . Scommatique Narrative is Satyre, Dramatique is Comedy. The Pastorall narrative: is called simply Pastorall, anciently Bucolique; the same Dramatique, Pastorall Comedy. They that take for Poesy whatsoever is writ in Verse will think this Division imperfect, and call in Sonets, Epigrams, Eclogues, and the like peeces, which are but Essayes and parts of an entire Poem, and reckon Empedocles and Lucretius (natural Philosophers) for Poets But the subject of a Poem is the. manners of men, not natural causes. . . - 1 3 *) . . In an Epigram or a Sonnet a man m a y vary his measures, and seek glory from needlesse difficulty " I n d e r s e l b e n W e i s e u r t e i l t Sir

W i l l i a m T e m p l e ( 1 6 9 0 ; I I I , S. 7 3 ff.)

in „Of Poetry": „When I speak of Poetry, nor by a Poet the Composer man has been so bold . . . to to the first Rank, but to the

I mean not an Ode or an Elegy, a S o n g or a Satyr, of any of these, but of a just Poem. . . . I think no question the Title of Homer and Virgil, not only supream Dominian in this S t a t e . . . . "

Ü b e r den I n h a l t der L y r i k gibt S i r W i l l i a m T e m p l e a n (S. 8 9 ) : „ T h e Lyrick Poetry has been chiefly Conversant about Love, tho' turned often upon Praise too." [Vgl. Shafer aaO. S. 83.] D a i m 17. J a h r h u n d e r t i n E n g l a n d sehr viel L y r i k n a c h a n t i k e m u n d italienischem M u s t e r : pindarische, anakreontische, horäzische Oden, Sonette u n d M a d r i g a l e , a u c h von bedeutenderen Dichtern veröffentlicht w i r d , w o b e i es n i c h t a n V o r r e d e n f e h l t , d i e d e n C h a r a k t e r d i e s e r D i c h t u n g e n d e m P u b l i k u m verständlich m a c h e n , so ist die a b l e h n e n d e H a l l u n g der drei K r i t i k e r B a c o n , H o b b e s u n d T e m p l e g e g e n ü b e r der L y r i k besonders bemerkenswert.

genres is the logical outcome of his philosophy. . . Here there is no place for lyrical f o r m s . . . . Bacon had set the example for this indifference, and Temple follows in the path of Hobbes. Nor is there any place for didactic verse." 134) Vgl. oben bei L a m b i n (S. 117), ferner S p i n g a r n aaO. S. 44 f .

— 127 — Spanische

Poetiken

um

1 6 0 0.

Zwar gründen sich die spanischen Poetiken des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts zum größten Teil auf die Vorarbeiten der Italiener 135 ); doch zeigen sie vielfach große Selbständigkeit bei der Anwendung der übernommenen Lehren 136 ). Die Einteilung der Dichtkunst durch Luis Alfonso de Carvallo (,,Cisne de Apolo", 1602) und Alonso López Pinciano („Philosophia antigua poética" 1596) wird von M e n é n d e z y P e l a v o aaO. III, S. 294 ff. wiedergegeben. Danach unterscheidet Carvallo eine poesía dramática, exagemática und mixta und erklärt (S. 294) „que la dramática es la poesía por excelencia y la que en sí las contiene todos." Pinciano dagegen nennt (in Nachahmung des platonischen Schemas) vier Hauptgattungen (S. 301): „épica, trágica, cómica y Dithyrámbica,", wobei er als Beispiel für den Dithyrambus (= Vereinigung von „lenguaje, música y tripudio"; tripudio = „movimiento del cuerpo, numeroso y compuesto") die Zarabanda angibt (S. 314): ,,en lo esencial Dithirambo, zarabanda y lírica, todo es una misma cosa". Damit wird die Lyrik nur in ihrer halbdramatischen, „nachahmenden" Form anerkannt, obwohl (S. 302) zugegeben werden muß, daß es sehr viel lyrische Gedichte gibt, die der Nachahmung entbehren. — Indem (S. 314) der Dithyrambus als alleiniger Vertreter der erzählenden Poesie bezeichnet wird, bestätigt sich das Vorbild Piatos, dem zu Ehren Pinciano sogar die „Diálogos Platónicos" in einer Reihe neben Tragödie und Komödie aufstellt. In anderen spanischen Poetiken ist um diese Zeit die Dreiteilung der Poesie in Epos, Drama und Lyrik einige Male anzutreffen. Schon bei Cervantes im ersten Teil des Don Quijote (Kap. 47; vgl. Crocetti aaO. S. 443) sehen wir eine Zusammenstellung dieser Gattungen: „El autor (sc. de libros de caballería) pueda mostrarse épico, lírico, trágico y cómico, con todas aquellas partes que encierran en sí las dulcísimas y agradables ciencias de la poesía y de la oratoria."

Die Zusammenfassung von Tragödie und Komödie als „Drama", die Cervantes hier unterläßt, ist u. a. der Gegenstand einer Auseinander135) Vgl. S p i n g a r n S. 146. 136) Vgl. C r o c e , Estetica aaO. S.497.



Setzung zwischen Cascales

P. G. de Sepúlveda,

128



(Verfasser der „ T a b l a s poéticas" 1616) u n d

162J.13T)

H i e r wendet S e p u l v e d a g e g e n Cascales'

T a b l a V I ein, er habe dort das Sonett zur lyrischen Poesie

gerechnet

(S. 5 4 2 ) : „. . . en consecuencia de la antecedente división que pone tres especies de poesia, Urica, scènica, épica: si no son mis, de su bando me tiene vmd.; pero si no me engaña mi juicio, no son tan pocas; porque ésas, si bien se mira, m¿s son diversos modos de que el poeta usa en sus narraciones, que diversas especies de imitación. ¿ Quién dirá que la comedia y tragedia son una especie? ¿ No hay mayor diferencia entre una comedia y tragedia que entre dos comedias? . . ." E s g ä b e nach dem, w a s Aristoteles und Cicero lehrten, nicht n u r drei, sondern genau f ü n f G a t t u n g e n „porque en solas éstas seguramente hablando, halló imitación, y de éstas, aún no todo lo tuvo por poesía, pues no toda la lírica admite en ese catálogo. Repare vmd. en aquellas palabras: „Et auleticae maxima pars ac citharisticae." Mucha sola dice, no todo. ? Qué parte es ésta ? aquella parte que tenía strofas, antistrofas y epodos cual es la de Pindaro, porque en esta sola habrá imitación dialogística, y personas agentes." (Vgl. oben Pinciano.) D a s Sonett aber sei kein T e i l der L y r i k , obwohl der B r a u c h a u f g e k o m men sei (S. 547), „que cuanto en breve poema pueda decirse, tanto admite la poetía mélica-, pero no negará vmd. que esto es usurpar á las demás poesías lo que es suyo." Weil aber die L y r i k ihren eigenen Charakter und Stil habe, „es á saber florido, ameno, hermoso y d u l c e " (vgl. T a s s o , Pontanus) so könne das Sonett, das eine A r t E p i g r a m m sei und dauernd gegen diesen Stil verstoßen würde, nicht dazu gehören: „Concluyo pues, que el soneto . . . . es meramente epigrama imposible de reducir a especie determinada de poema, porque en todas ha lugar." H i e r a u f antwortet

Cascales :

„Aristoteles, en su Poética, jamás toma en la boca la poesía lírica con este nombre; pero llámala nómica y ditiràmbica, la una y la otra contenida en la especie lírica, distintas en la materia y en la frasis, como la comedia y la tragedia . . . . poco á poco se dejó la desorden y desmesura de la ditiràmbica y la ceñida religión de la nómica, y de ambas hicieron la lírica, compuesta de mil galas, extendiendo la materia a variedad de cosas, como lo hizo Pindaro, Anacreonte, Stesichoro, Alceo y otros " 137) Wiedergegeben in der Biblioteca de Autores Esp. 62: Epistolario Esp. II. (Madrid 1870.) — C a s c a l e s ' Hauptquelle ist in diesem Passus Mintumo, was sich aus der Dreiteilung der Dichtkunst sowie aus der dabei angewendeten Bezeichnung „szenische" (statt „dramatische") Poesie ersehen läßt.

— 129 — Unter „Poesie" versteht Cascales: „arte de imitar con palabras y según esta división, no hay más que tres especies, que son épica, lírica y scènica; que si bien la tragedia y comedia son en rigor diferentes, pero porque la una y la otra son dramáticas, y se representan en el tablado, se habla de ellas como de una especie éstas son dramáticas totalmente y el soneto no lo es." Auch ein Epos ist das Sonett nicht. „Teniendo, pues, el soneto por alma de su poesía un concepto como la lirica, y no comprendiendo acción como la heroica ni como la trágica ni como la cómica comprende, ¿ a quién, sino a la lirica, podemos aplicar el soneto ? Esto siento; si otros dijeren otra cosa, „suo se judice quisque tueatur"..

Obwohl der spanischen Poetik wegen ihrer Unselbständigkeit von Saintsbury (aaO. S. 338 A; S. 351) wenig Bedeutung beigelegt wird, so ist doch der angegebene Passus f ü r unser Thema von außerordentlichem Interesse, weil hier zum ersten Mal die Dreiteilung der Poesie in Epos, Drama und Lyrik nachdrücklich bewiesen und verteidigt wird. Lateinische

Poetiken

des

17. J a h r h u n d e r t s .

An der Wende zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert begegnet uns das Werk von Is. Casaubonus: „De Satyrica Graecorum poesi et Romanorum Satira" (Paris 1605; ben. Ausg. von Rambach, Halle 1774), in welchem zum ersten Mal138) der Unterschied zwischen dem griechischen Satyrspiel und der römischen Satire erkannt und aufgezeigt wird. Wir sahen im 16. Jahrhundert (z.B. bei Minturno) mancherlei Versuche, die doppelte Natur der einen „Satyra" zu erklären. Von nun an wird es zunächst üblich, nach dem Muster von Casaubon von einer griechischen und einer römischen Satyra zu sprechen*). Dann aber tritt die praktisch noch immer gepflegte (römische) Satire in den Vordergrund, sodaß später in vielen Poetiken des Satyrspiels nicht mehr gedacht wird. Doch bleibt es immer untrennbar von der Frühgeschichte der Tragödie, und es wird auch gelegentlich wegen seiner angeblichen Mittelstellung zwischen Tragödie und Komödie als Vorstufe zu der im 17. Jahrhundert viel umkämpften Mischgattung der Tragikomödie angegeben. Ähnlich wie Gyraldus und Pontanus gibt G. J. Vossius in der „Artis Poeticae Natura" (Amsterdam 1647) noch einmal eine Übersicht über die verschiedenen Systeme der Einteilung der Dichtkunst. Erklärt wird 138) Vgl. S c h m i d - S t ä h l i n „Gesch. d. griech. I i t . " 1 , 2 (München 1934) S. 79 A. *) Vgl. aber auch oben (S. 114) dasselbe bei Vauquelin de la Fresnaye.

— 130 — die hier bestehende Mannigfaltigkeit mit dem Hinweis (S. 86) : „Nimirum tanta opinionum diversitas provenii ex eo, quoä alii dividunt poetarum genera a vario carminum (Versmaße) genere; alii a materia, quam tractant; aliqui etiam ambo genera commiscent. Quam rem fusé excussit Gyraldus primo de poetis dialogo."

Am kürzesten und empfehlenswertesten erscheint die an Aristoteles und Proklos erinnernde Zweiteilung: „Censeo etiam universa haec melius ad duo poesios genera revocari. Ut si eam dispescamus in dramaticam (com. trag.) et exegeticam (poesis heroica, elegiaca, lyrica — einschließt d. Dithyrambus — epigrammatica.)

Im Gegensatz hierzu bringt Vossius in seinem — fortan für die nördlichen Länder maßgebenden — Hauptwerk: „Poeticarum Institutionum Libri Tres" (Amst. 1647) eine Aufstellung, die teils auf Aristoteles, teils auf Plato beruht. Dabei entsteht ein System von immer weiter ausgesponnenen Dreiteilungen (Buch II Kap. 1 „DeDivisionePoematum"): „Differunt poësios partes trifariam: I. re qua imitamur (sermo, harmonía, rhythmus) II. re quam imitamur; nam vel praestantiores imitamur, vel símiles, vel deteriores. III. modo quo imitamur (narrativum, dramaticum, mixtum)."

So habe es zuerst Plato gelehrt. Die Beispiele für die Diegese (das narrativum) sind von Plato und Diomedes gemeinsam geholt, wobei zu Piatos Dithyrambus die Lyrik ergänzend hinzutritt: Dithyrambus, Lycophrons Cassandra, Empedokles, Lucretius, die Geórgica Virgils, Theognis. „Sunt et fere huius genera quae a Lyricis canuntur."

Die Lyrik wird nach des Proklos Art in vier Gruppen geteilt; hier, wie auch sonst, sind fast nur die antiken Verhältnisse berücksichtigt. Wahrscheinlich liegt einer anderen Gruppierung nicht nur das ähnliche Versmaß, sondern auch das Beispiel von Diomedes zugrunde, welcher die Bukolik, Satire und Elegie mit dem Epos zusammen im genus commune vereinigt hatte: So nennt nun Vossius (111,8 S. 27) die Dichter von bukolischen, satirischen und elegischen Gedichten „Epici inferioris ordinis" 139 ). Damit wird ein Schritt zur Vereinheitlichung in der Einteilung der Dichtkunst getan, der in Frankreich wirksamer als etwa das Vorbild von Minturno ist und im späteren 17. Jh. Nachahmer findet. (Vgl. z. B. Rapin.) 139) Auch C a s c a l e s hatte dieselben drei Gattungen zum Epos gerechnet; vgl. M e n é n d e z y P e l a y o aaO. III S. 324 A: „Gravemente yerra en reducir ¿ la poesia épica (llamándolas „¿picas menores") la égloga, la sátira, y la elegía . . . " Vgl. auch M i n t u r n o o. S. 87.

— 7. D e u t s c h e

151 -—

Poetiken

des

17.

Jahrhunderts.

W e n n auch auf eine Untersuchung der deutschen Poetiken des 17. Jh. verzichtet werden m u ß , so seien hier doch wenigstens einige f ü r unser T h e m a bemerkenswerte Notizen wiedergegeben, die sich hauptsächlich auf Karl B o r i n s k i : „ D i e Poetik der Renaissance und d i e A n f ä n g e der lit. Kritik in Deutschland" (Berlin 1886) gründen. (Vgl. auch Saintsbury I I S. 3 5 2 f f . und, bezügl. des Dramas, K. A . Schild aaO. Ferner, als neuestes Gesamtnachschlagewerk: B. Markwardt: „Geschichte der deutschen Poetik" I, Berl. 1937.) D a ß sich (Bor. Ren. X ) die deutsche Renaissancepoetik „darauf beschränkt, das Material des Auslands, sowie die u m l a u f e n d e n classischen Gemeinplätze oft in crudester F o r m zusammenzustellen", gilt auch bezüglich ihrer Angaben über die E i n t e i l u n g der Dichtkunst. Natürlich ist m a n auch in Deutschland noch nicht an eine Klassifikation in Epos, D r a m a und Lyrik gewöhnt, ja, das Wesen der einzelnen Gattungen an sich wird nicht immer klar erkannt, sodaß ihre Grenzen oft verwischt werden (Bor. Ren. 7 6 / 7 ) und sich unbeabsichtigte A b w e i c h u n g e n von den zugrunde liegenden Quellen (Scaliger, Ronsard, Sidney, Casaubon, Vossius, Heinsius u . a . ) ergeben. Martin

Opitz

(„Buch

von

der

deutschen

Poeterei" 1 4 0 )

[Bunzlau

1624]) betrachtet als erstes das „Heroisch Getichte", f ü r das er jedoch die lateinischen Beispiele aus keinen eigentlichen Heldenepen, sondern vornehmlich aus Virgils „Georgica" und aus Lukrez wählt 1 4 1 ). Das heroische V e r s m a ß sind Alexandriner und die „vers communs" oder „ g e m e i n e n Verse". — D i e „Tragedie" („an der maiestet dem Heroischen Getichte gemesse") wird w i e die „Komedie" nur kurz beschrieben. Sie werden beide in jener Zeit meist als „Schauspiele" bezeichnet. Das Wort „ D r a m a " scheint sich i m 17. Jh. anfangs mehr auf die Oper bezogen zu haben, entsprechend dem italienischen „ D r a m m a musicale"; denn Opitz schreibt (Bor. Ren. 8 9 und 91 A), daß er „dies D r a m a " (d. h. den T e x t zur „ D a f n e " ) „auf selbige Art w i e i m Italienischen" geschrieben habe 1 4 2 ). In enger Verbindung stehen bei Opitz „Satyra" und 140) Ben. Ausg.: Neudruck Halle 1882. 141) Vgl. oben M i n t u r n o , L a m b i n , P a t r i z i o , bei denen ebenfalls die didaktische Poesit zum Epos gezählt wurde. 142) Vgl. H. A11 aaO. S. 563: Erwähnung der damals beliebten (musikalischen) „dramatischen Schäfereien".

— 132 — „Epigramma", die sich nur in ihrem Umfang unterscheiden. Beide sollen hauptsächlich dazu dienen, gute Sitten zu schaffen. Nach den Eclogen und Elegien (einschließlich der Episteln) wird auch ein Vertreter des ,,facetum genus" (Scaliger) erwähnt, die „Echo" oder der Wiederruf. Damit ist Opitz am Ende der gesprochenen Poesie angelangt; er wendet sich nunmehr den „Hymnen oder Lobgesängen" zu und den „Sylven oder wäldern", d. h. Gelegenheitsgedichten und Festliedern. Die „Lyrica" —• „Getichte, die man zur Music sonderlich gebrauchen kan" — bilden zusammen mit einer von Opitz selbst als Beispiel geschriebenen Ode den Abschluß dieses Kapitels; ihr Inhalt wird durch das bekannte Horazzitat angegeben. — Nicht hier, sondern bei der Besprechung der Versmaße gedenkt Opitz noch der in heroischen Versen geschriebenen „Sonnets" und „Quatrains", der „Saphischen Gesänge" und der Pindarischen Ode. Die Beispiele, die er für letztere bringt, sind lediglich ein gereimtes, aber in Strophe, Antistrophe und Epodos geteiltes Hochzeits- und ein ebensolches Trauergedicht. Bei A. Buchner: „Kurzer Weg-Weiser zur deutschen Tichtkunst" (Jena 1663) 143 ) erinnert die Aufstellung zweier poetischer Hauptgruppen: EÄOffEATt'xd ( = Lukrez) und Dramatica, an die antiken, oft zitierten Vorbilder. Doch gehören zu der dramatischen Gattung „alle Comoedien und Tragoedien und was sonst in Form eines Gespräches verfertigt wird, als Hirtenlieder, Satyren, Epigrammata, auch wohl lyrische Oden, wie dann eine bei Horatius zu finden, die dritte des neunten Buches". Ähnlich wie Buchner, jedoch in einer Dreiteilung, gibt J. P. T i e t z in den „Zwey Büchern Von der Kunst deutsche Verse und Lieder zu machen" (Danzig 1642; ebenfalls bei Popp aaO.) unter Berufung auf Scaliger I, 3 an: 1. carmina exegematica (Lukrez) 2. dramatica (wie bei Buchner) 3. Mixta („Virgilii Eneis und andere Epopois") Ganz anders sehen wir J. G. Schottelius in der „Teutschen Versund Reimkunst" (1645; Bor. Ren. S. 153 ff.) verfahren, der seine „Ma143) Die l.Ausg. war 1642; das Zitat ist entnommen der Diss. von G. F o p p (Leipzig 1895): „Über den Begriff des Dramas in den deutschen Poetiken des 17. Jh."

— 153 — t e r i " u. a. in „Trauer- Lust- Mittel- oder Lob- und Lasterhändel" teilt, wobei die grundsätzliche Anwendung verdeutschter Bezeichnungen a u f fällt. Auch sagt Schottel statt „Rondeau": „Ringelreim" usw. (Bor. Ren. S. 167), während sich „Klinggedicht" statt „Sonett" (Übersetzung des holländischen „Klinkdight" ; vgl. Bor. Ren. S. 197) auch sonst in Deutschland vielfach durchsetzt. Indes sich Harsdorf fer: „Poetischer T r i c h t e r . . . " (Nürnberg 1648, 1 6 5 3 . . ; vgl. Bor.Ren. 1 9 0 f f . und Popp aaO.) über die erste „Haupta r t " der Poesie ( = das Lehrgedicht?) nur unklar ausdrückt, wird die zweite Hauptart, die den „Schauspielen" gewidmet ist, eingehend dargestellt: „1. Trauerspiele, 2. Freudenspiele, 3. Hirten- oder Feldspiele, die das Bauerleben vorstellig machen und Satyrisch genannt .werden. Dazu eine Mittelart, die Tragico-Comoedien." (Vgl. dazu die Erklärung Bor. Ren. S. 215.) — Die dritte Hauptart besteht in der „Beschreibung einer Geschichte". In Sigmund, v o n Birken: „Teutschc Rede- hind und Dichtkunst" (Nürnberg 1679; Bor. Ren. S. 221 ff.) sehen wir einen Anhänger Piatos, der den „ H y m n u s " (als Vertreter aller möglichen geistlichen und Gelegenheitsgedichte) an die Spitze aller „Gedichtarten" stellt und ihn weit höher bewertet als: Eklogen Epos

Satyras Schauspiele

„Feldgedichte"), (angeschlossen auch der Roman 1 4 4 ), der Panegyrikus — [heroisch, weil Preislied eines Helden oder Fürsten] — und die „horazische Epistel" = das „Großgedicht", weil es sich an „Große" richtet, usw. [Bor. R. 232]), („Straffgedicht"), usw.

Eine Änderung in der Bewertung der Gattungen bringt das letzte Viertel des 17. Jh. insofern, als in Deutschland, ähnlich wie in Frankreich, als Hauptvertreter des Epos: der Roman, und des Dramas: die Oper auftritt, die „Opéra" — „das galanteste Stück der Poesie so man heutzutage zu ästimiren pflegt" (Neumeister, bei Bor. Ren. S. 361). So wenig Befriedigung auch dieser flüchtige Blick auf die deutschen Poetiken des 17. Jh. gewährt, so erscheint er doch unerläßlich, u m die 144) Die deutsche Pluralfonn f ü r „Roman" lautet in jener Zeit: Romanzi, Romanen, Romans, Romains, auch Romainen; vgl. Bor. Ren. S. 347, Markwardt 247.



134



Grundlage anzudeuten, von der sich die deutsche Poetik des 18. Jh. abheben wird. Ein Punkt verdient in den genannten Werken unsere besondere Aufmerksamkeit: wir finden in ihnen keine dritte große Hauptgattung „Lyrik", sondern wo, wie bei Opitz, dieser Name fällt, bezeichnet er Gedichte in Nachahmung von Horaz und Pindar, die angeblich sangbar sind, also die Ode145). Das entspricht genau der Anwendung dieses Wortes im Französischen, wie auch in der neulateinischen Dichtung jener Zeit: z. B. stellen Jak. B a l d e s „Lyrica" (1638/45) Oden dar, deren Formen von Horaz übernommen sind. 8. F r a n z ö s i s c h e

Poetiken

d e s 1 7. J a h r h u n d e r t s .

Da im 17. Jh. nicht mehr Italien, sondern Frankreich die führende Stellung in der literarischen Kritik einnimmt 148 ), sei von nun an unser Hauptaugenmerk auf die französischen Poetiken und die ihnen verwandten Werke gerichtet. Hierbei wird uns bezüglich der Einteilung der Dichtkunst kaum ein neuer Gedanke begegnen. Vor allem werden wir sehen, daß sich ihre Dreiteilung in Epos, Drama und Lyrik im 17. Jh. in Frankreich ebensowenig einbürgert wie im 16. Jh., ja, daß sie uns in den in Betracht kommenden Werken überhaupt nur sehr selten entgegentreten wird. An ihrer Stelle finden wir meist die Aufzählung aller bekannten Gattungen und ihrer im 17. Jh. aufkommenden neuen Abarten, wobei sie meist in der ihrer Bewertung entsprechenden oder entgegengesetzten Aufeinanderfolge angeordnet werden. Wenn auch in dieser Zeit die Erforschung der alten poetischen Gattungen hinter anderen Problemen zurücktritt 147 ), so finden sich doch gelegentlich Bemerkungen, die sie in einem neuen Licht erscheinen lassen. Namentlich die Lyrik, deren Geltung ja auch bisher am meisten schwankte, wird davon betroffen. Das zeigt bereits eine Äußerung von Théophile de Viau (f 1626), die dem Ideal der Plejade: daß Lyrik eine Verbindung von Poesie und Musik vorstelle148), entgegengesetzt ist, oder vielmehr seine Unhaltbarkeit bezeugt 149 ) : 145) Die Terminologie, die Zesen (vgl. B o r. R e n. S. 279) anwendet, ist daraufhin nicht nachgeprüft. 146) Vgl. S a i n t s b u r y 240. 147) S a i n t s b u r y S. 355 : „Everything had been said and done ; all the Kinds found out; all the phrases set down . .." 148) Vgl. S p i n g a r n S. 220 f.; 224. 149) Zitat entnommen H. G i 11 o t : „La Querelle des Anciens et des Modernei en France" (Paris 1914) S. 229.



135



„ . . . E t nos vers d'aujourd'hui qui ne se chantent point, sur la' Lyre, n e se doivent point nommer Lyriques; non plus 1 que les autres héroïques, puisque nous n e sommes plus au temps des Héros; et toutes ces singeries ne sont n y du plaisir, ny du profit d'un bon entendement." D i e s e Erkenntnis Théophiles150), d a ß die Lyrik praktisch nicht m e h r a n d i e m u s i k a l i s c h e B e g l e i t u n g g e b u n d e n ist, e r f ä h r t i m L a u f e des Jahrh u n d e r t s z w a r einerseits i h r e W i d e r l e g u n g d u r c h die E n t s t e h u n g des „ T h é â t r e l v r i q u e l i , anderseits aber a u c h m e h r m a l s B e s t ä t i g u n g durch d i e F e s t s t e l l u n g m e h r e r e r A u t o r e n , d a ß die p o e t i s c h e G a t t u n g „ L y r i k " ihren N a m e n zu Unrecht trage.

B e i J. d e l a M e s n a r d i è r e : „ L a P o ë t i q u e " (Paris 1 6 4 0 ) d i e n t i n d e m e i n l e i t e n d e n „ D i s c o u r s " e i n e Ü b e r s i c h t ü b e r die G a t t u n g e n dazu, d e n v o n C a s t e l v e t r o a u f g e s t e l l t e n Satz z u w i d e r l e g e n , „che la Poesia sia stata trouata solamente per dilettare & per ricreare . . gli animi della rozza moltitudine, & del commune Popolo, il quale non intende le ragioni..." W e d e r Tragödie

n o c h Komödie

g e b i l l i g t ) n o c h „Poème

Epique"

(dieser w i r d e i n e k l e i n e A u s n a h m e z u s e i e n f ü r d i e B e l u s t i g u n g oder B i l d u n g

151

der M e n g e geeignet ), auch nicht „cette autre espece si delicate & si polie que l'on a surnommée Lyrique; nous connoltrons que les exploits des personnes heroïques racontez par l'Epopée, sont infiniment élevez au dessus de l'esprit du peuple; & que la grandeur des Dieux, leurs passions & leurs exercices, les tournois, la chasse & l'amour, que les Vers chantent sur le Luth, n'ont rien de proportionné à l'humeur grossiere & farouche d'une brutale multitude. J'estime qu'il n'est pas besoin d'expliquer la Dithyrambique, VElegie, ni la Satyre, pour faire voir par leur nature qu'elles n'ont rien de convenable à la grossiereté du peuple. La force et l'art des Dithyrambes, Celestes, pour leur matiere, & plus encore pour leur forme pleine d'invention & de f e u ; les langueurs molles & mignardes de la Poesie Elegiaque; les pointes de la Satyre & ses graves réprimandes, ne peuvent plaire à ce Monstre, qui n'aime que les bassesses, les ris & les bouffonneries. Nous pourrions c o n d u r r e le mesme pour toutes les autres Poësies." I m l e t z t e n K a p i t e l s e i n e r P o e t i k b e r ü h r t L a M e s n a r d i è r e a u c h die Vèr-' bindung v o n Poesie und Musik, die i m A l t e r t u m f ü r alle dichterischen G a t t u n g e n u n e r l ä ß l i c h w a r , n i c h t n u r f ü r d i e j e n i g e (S. 4 2 4 ) , 150) Sie ist nicht erst eine Erkenntnis des 17. J h . Vgl. E . V p e g e : „Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit in der Lyrik" (München 1932), z. B'. S. 25 : $chpn Plutarch stellt den Verlust der Melodie bei den sapphischen Oden fest. 151) Vgl. denselben Gedanken D u Beilays bei S p i n g a r n S.216.



136



„que Pindare accordait avec le Luth, & qu'il fit surnommer Lyrique".

Eine Parallele zu dem oben wiedergegebenen Zitat von Théophile de Viau bildet die Überlegung (S. 425) „que le mestier des Poëtes ¿toit bien plus difficile durant l e s s i è c l e s h é r o ï q u e s , qu'il n'est maintenant parmi nous; puisqu'il leur étoit nécessaire de posséder plusieurs Arts subordonnez à leurs Ouvrages".

D e r Abstand von den „heroischen Zeiten", der hier, wie bei Théophile zum Ausdruck kommt, ließ letzterem auch das „Poème héroïque" fragwürdig erscheinen. Und tatsächlich war, um den modernen Verhältnissen gerecht zu werden, durch Chapelain („Préface de l'Adone" 1623) eine neue Abart des Epos festgestellt worden, die „Epopée pacifique" 1 5 2 ). Hier untersucht Chapelain, ob Marinos „Adone" als „Epos" 153 ) angesprochen werden könne oder nicht. E r bejaht die Frage, denn es sei geschrieben „selon les règles générales de l'Epopée". Jedoch sei es „une nouvelle espèce composée sous le genre de l'Epopée une Action pacifique ou qui est arrivée en tems de paix, peut devenir le sujet d'un Poëme Epique aus«: bien qu'une g u e r r e . . . ." 1 M )

Nicht n u r die friedliche Art des erzählenden Gedichtes wird jetzt neben dem Poème héroïque in den Rahmen des Epos mit einbezogen; auch die Prosagattung des Romanes wird vielfach dazu gerechnet, nachdem bereits in Italien 1 5 5 ) seine trotz der Prosagestalt poetische Natur erörtert worden war. Mail bezog sich hierbei meist auf einen Satz bei Aristoteles, wonach die Versform nicht das ausschlaggebende Charakteristikum einer Dichtung sei (1451 b). Daher finden wir, nachdem bereits Spezialstudien über den Roman vorliegen, bei Bernard Lanty in den „Nouvelles Reflexions sur l'Art Poétique (lfi68) 1 5 6 ), in denen n u r von einigen ausgewählten Gattungen die Rede sein soll, auch den Roman berücksichtigt (S. 447) : „ . . on prétend seulement examiner celles (sc. les règles) du Poëme, & particulièrement du Poëme Epique & des Pièces de Thé&tre: lesquelles sont aussi communes à ces Histoires Poëtiques, qu'on appelle Romans." 152) Vgl. B o r . R e n . S.201. 153) Epos — eine Gattimg, die von den Griechen diesen Namen erhalten habe — „à laquelle nous n'avons point encore trouvé de nom." 154) B a i l l e t (Jugemens des Savans IV S. 175) f ü g t hinzu: „Mr. Chapelain . . . a bien voulu fabriquer lui-même cette nouvelle espèce d'„Epopée Pacifique", qu'il oppose h l'„Héroïque" dans le même genre qui est l'„Epique", de même que le Comique & le Tragique sont deux espèces différentes contenuës sous le genre „Dramatique"." 155) Vgl. S p i n g a r n S. 51, 35, 36, 196. S. die literaturangaben bei R. K o s k i m i e s : „Theorie des Romanes". Helsinki 1935. 156) Ben. Ausg. im Anhang zu Lamys Rhétorique, Am st. 1712.

— 157 — Der Roman ist also ein Teil des „Poème narratif", welches bei Lamy alles das umfaßt, was „un simple discours sans action" ist, nämlich die gesungene Poesie (Odes, Hymnes, Chansons), wie auch die Lesepoesie, die ihrerseits noch weiter untergeteilt wird, sodaß man, um z. B. bis an die „Satyra" zu gelangen, folgendes System zu durchlaufen hat: Poëme Poésies pour être chantées.

narratif. Poésies pour être seulement lùes. I Discours didactique I I Discours historique I I I Discours Oratoire 1. genre délibérât if 2. genre judicaire 3. genre démonstratif a) Panégyriques (Epithalame, Epicedie. Apotheose) b) Satyre latine & françoise.

Elegie und Ekloge sind nicht dramatische, aber auch nicht rein erzählende Gattungen. Das Epos aber vereinigt in sich alle erwähnten Gattungen — es ist oratoire, historique, didactique (S. 553), „il n'est pas fait pour être chanté comme les Odes; cependant tous les vers â cause de leur harmonie, ont été considérez comme des chants; d'où vient que les Poëtes ne disent pas qu'ils racontent, mais qu'ils chantent." Hiermit wird also eine Rechtfertigung der von Théophile beanstandeten Metapher vom „Singen" des Dichters gegeben. Während aber das Epos „un Ouvrage serieux" ist, unterscheidet sich der ihm artverwandte Roman dennoch von ihm durch seinen Gegenstand: „Les Romans . . . sont des Poem.es en prose. Les auteurs de ces pieces n'occupent presque l'esprit de leurs Lecteurs que d'intrigues amoureuses. Ce qui fait qu'on peut appeler ces Ouvrages des Livres d'amours . . . "

Auch unter den dramatischen Gattungen ist seit Jahrzehnten 157 ) ein Neuling aufgetreten, die Tragikomödie, die, wie der Romanzo in Italien, nicht leicht Anerkennung findet. Durch d'AubignaC: „La Pratique du Théâtre" (Paris 1669) erfahren wir die Geschichte dieser Gattung, woraus, trotz ihrer geringen Bedeutung, ein Passus wiedergegeben sei ; hier wird nämlich, wie auch in Harsdörffers „Poetischem Trichter" (s. o. 157) Zu G u a r i n o s „Paster Pido" vgl. T r a b a h a S. 197 u. 203; s. auch L a n s o n : „Hist. de la Litter. f r ç e " (22. Ausg.) S. 415; 420/1.

— S . 1 3 3 ) , die P a s t o r a l e (S. 1 8 5 ) :

mit

138

dem



griechischen

Satyrspiel

gleichgesetzt

„ L a Satyrique ou Pastorale portait un mélange de choses serieuses et de bouffonnes, comme elle avoit souffert le mélange des personnes de condition & des gens de la campagne, des Heros & des Satyres 1 6 8 ); et ce dernier Poëme se doit considérer en deux façons", nämlich : 1. die kurze Idylle oder Ekloge, 2. das griechische Satyrspiel („Tragédie Satyrique"). I n der ersteren seien die S a t y r n , die V e r t r e t e r der „ b o u f f o n n e r i e s " , i n der G e s e l l s c h a f t von L a n d l e u t e n a u f g e t r e t e n , i m letzteren u n t e r H e r o e n u n d F ü r s t e n 1 5 9 ) . I n diesen beiden F o r m e n w i r d n u n eine G r u n d s t u f e der m o d e r n e n T r a g i c o m é d i e gesehen (S. 1 8 7 ) : „Ainsi nous avons pris toute la matiere des Idilles et des Eglogues des Anciens, & nous y avons appliqué l'oeconomie de la Tragédie Satyrique. (S. 189) . . . nous avons osté le nom de „Tragédie" aux Pièces de Theatre dont la Catastrophe est heureuse, encore que le Sujet & les personnes soient Tragiques, c'est à dire heroïques, pour leur donner celuy de Tragi-Comedies. J e ne sçay si Garnier fut le premier qui s'en servit, mais il a fait porter ce tiltre à sa Bradamante (Celuy de „Tragédie" ne signifie pas moins les Poëmes qui finissent par la joye, quand on y décrit les fortunes des personnes illustres.)" E i n a n d e r e r n e u e r B e g r i f f ist i m 17. J h . die „ p e t i t e P o é s i e " , die L i e b l i n g s g a t t u n g der P r e z i ö s e n 1 8 0 ) . A l s K r i t i k e r tritt i h r R a p i n in den „ R e f l e x i o n s sur l a P o e t i q u e D ' A r i s t o t e " ( P a r i s 1 6 7 4 ) e n t g e g e n , ein A n h ä n g e r des strengsten A r i s t o t e l i s m u s , vor d e m der g e n a n n t e Z w e i g der D i c h t k u n s t ebenso schlecht bestehen k a n n , wie bei D e n o r e s ( s . o . S. 9 9 ) . E s w e r d e n jedoch nicht alle diese „petites p i è c e s " d u r c h w e g v e r d a m m t , sondern es w e r d e n d a A b s t u f u n g e n g e m a c h t , die den b e k a n n t e n drei, Stilunterscheidungen

entsprechen;

den höchsten R a n g

unter

ihnen

n i m m t die O d e ein, die sich m i t i h r e m erhabenen Stil u n d V e r s m a ß d e m heroischen G e d i c h t n ä h e r t : 158) Ganz ähnlich bei V o s s i u s (Poet. Inst. S. 97 §11): „Interdum et graves personae miscebantur, ut heroum aliquis; vel quis è majorum aut minorum gentium D i i s . . " 159) Vgl. als vermutliche Quelle dieser Darstellung C a s a u b o n aaO. S. 100: „Satyrica est poëma dramaticum, tragoediae adnexum, chorum e Satyris habens, personarum illustriam actionem notabilem, partim seriam, partim iocosam exprimens, stilo hilari, exitu plerumque laeto . . . . " 160) Vgl. G i l l o t aaO. S. 350; 420.



139



(S. 105) „II (sc. der Charakter des Verses) doit estre grave et nombreux dans le Vers héroïque, dans le Vers tragique et dans l'Ode; il doit estre doux & délicat dans les petits Vers & dans les sujets tendres." (S. 117/8) „Aristote distingue la Poétique generale en trois diverses especes de Poëme parfait, en l'Epopée, la Tragédie & la Comedie. Horace redit ces trois especes en deux seulement, dont l'une consiste dans l'action, & l'autre dans la narration 1 6 1 ). Toutes les autres especes dont Aristote fait mention peuvent se reduire & ces deux là. La Comédie au Poëme dramatique, la Satire à la Comédie, et l'Ode et l'Eclogue au Poëme heroïque. Car le Sonnet, le Madrigal, ¡'Epigramme, le Rondeau, la Balade, ne sont que des especes du Poëme imparfait." D i e Ode ist also z w a r i h r e m U m f a n g , n i c h t aber i h r e m Charakter nach eine „petite Poésie". D i e E k l o g e d a g e g e n wird h i e r w o h l n u r ihrer l a n g z e i l i g e n Verse w e g e n •— und z i e m l i c h g e w a l t s a m — z u m P o è m e héroïque gezählt. D e n n (S. 2 3 3 ) „L'Ode doit avoir autant de noblesse, d'élévation, et d'emportement, que l'Eclogue a de simplicité, de pudeur et de modestie." Und (S. 219) : „L'Eclogue est le plus considérable des petits Poërrws: c'est une image de la vie des bergers. Ainsi sa matière est petite, et son genie n'a rien de grand; elle s'occupe à décrire les amours, les jeux . . ."lMj Ä h n l i c h w i e der E k l o g e ergeht es der E l e g i e (S. 2 3 2 ) : „Je ne parle point des Elegies Prançoises, c'est un genre de vers que nous ne distinguons pas de l'herojque: et on appelle indifféremment Elegie parmy nous, tout ce qu'on veut. En quoy la distinction du vray caractere de ce vers ne me paroist pas encore fort établie." U n t e r vorbildlicher Lyrik versteht R a p i n n u r die Ode, soweit sie seiner F o r d e r u n g nach „Elévation, grandeur, majesté" n a c h k o m m t (S. 2 3 9 ) : „Voiture et Sarrazin ont de jolies choses dans leurs Odes: car ils ont l'art de badiner agréablement dans les petits sujets . . . . mais ils n'ont pas de force & d'élévation dans les grands. La pluspart des autres qui écrivirent après eux en Vers Lyriques, dont on a fait tant de recueils, s'attacherent à une fausse délicatesse d'expression, qui les éloigna du veritable caractere de rOde, qui est la grandeur & la majesté du discours, & ils tombèrent dans une honteuse médiocrité: leurs vers estoient languissans, & ils n'avoient rien de cette chaleur, & cette noblesse si essentielle à l'Ode qui ne doit rien dire de bas ny de commun." A n d e r n f a l l s sinkt sie also in M i t t e l m ä ß i g k e i t (offenbar nicht n u r des Stiles, ist hier g e m e i n t ) ab u n d gerät damit i n die geringst geachtete Sphäre der „Petits Vers", der „ u n v o l l k o m m e n e n Poesie", w o (S. 2 4 4 ) 161) Ep. ad Pis. Vers 179: „Aut agitur res in scaenis aut acta refertur." Vgl. auch oben die Einteilung bei V o s s i u s. 162) Vgl. oben bei V o s s i u s, das Zitat, aus Buch III, 8.



140



„un peu d'imagination peut suffire, pour reiissir dans ces sortes d'ouvrages, sans aucun genie." Ganz ausichtslos ist es jedoch nicht, sich dieser kleinen Gattungen anzunehmen (S. 2 4 4 ) : „Le caractere des petits Vers, & de tous les petits ouvrages de Poësie est la naïveté jointe & la delicatesse: car comme les petits sujets ne fournissent d'euxmesmes aucune beauté, l'esprit du Poëte y doit suppléer de son propre fonds. Le Sonnet est d'un caractere à recevoir plus de grandeur183) dans son expression que les autres petites pièces, mais rien ne luy est plus essentiel que le tour heureux & naturel de la pensée qui le compose." Die hier mehrmals genannte „délicatesse" findet Rapin in Frankreich nur bei Marot 1 8 4 ). Denn Rapins Zeitgenossen

verderben

kleinen Verse

Aufwand

meist

durch

einen

zu

großen

sich von

ihre Geist

(S. 2 4 7 / 8 ) : „Voiture avoit du naturel pour ce caractere, s'il ne se fust un peut gâté l'esprit par la lecture des Espagnols & des Italiens Mais le défaut le plus universel des petites pieces de Vers, c'est qu'on y veut mettre trop d'esprit. C'est le vice ordinaire des Espagnols et des Italiens, qui cherchent toûjours à dire les choses finement. Ce n'est pas un fort bon caractere: car on cesse d'estre naturel dés qu'on songe à avoir de l'esprit ." Eine Ausnahme wird jedoch der kleinsten aller Gedichtformen, dem Epigramm zugestanden (S. 2 4 3 ) : „Une Epigramme vaut peu de chose, quand elle n'est pas admirable: & il est si rare d'en faire d'admirables, que c'est assés d'en avoir fait une en sa vie." Rapin lebt ja in einer Zeit, die dem Epigramm, der knapp gefaßten „Devise" oder Inschrift höchste Bewunderung zollt 165 .

Dennoch ist

bei ihm bereits eine leise Abwehr gegenüber dem Überhandnehmen dieser Mode zu spüren. Ähnliches ist aus den Versen zu ersehen, die Boileau in seinem ebenfalls 1 6 7 4 erschienenen „ A r t poétique" dem Epigramm widmet. Auch in der Beurteilung oder Beschreibung anderer Gattungen

stimmen

Rapins und Boileaus Poetiken (nicht nur auf Grund des gleichen, durch 163) Vgl. die Bedeutung, die einzelne Sonette („Job" von Benserade, „Uranie" von Voiture) im 17. Jh. hatten. S. auch B o i l e a u , A. poét. V. 94: „Un Sonnet sans défaut vaut seul un long poème", wobei (nach S a i n t s b u r y II S. 283 A) tinter long poème noch immer, wie z. Z. der Plejade, das Epos zu verstehen ist. Über die Bedeutung des Sonetts im 17. Jh. vgl. A. A l b a l a t : „L'Art poétique de Boileau" (Paris 1929) S. 135 ff. 164) Vgl. Marots Geltung bei B o i l e a u V. 96 u. 119 des Art poét. 165) Ludwig XIV. gründet eine besondere Académie des Inscriptions.

— 141 — lange Tradition oft feststehenden Materials) überein, n u r daß Boileau seinen Ausführungen über die Gattungen eine poetische, z. T . selbst fast epigrammatische Form verleiht. Gleich den Versen, die Horaz 166 ) den poetischen Gattungen widmet, und die durch Mittelalter und Renaissance ihre Geltung behielten, werden auch Boileaus Sätze fortan nicht mehr aus den französischen Poetiken verschwinden und in der Art geflügelter Worte zur Charakterisierung der Gattungen dienen. Boileau beginnt 187 ) mit der „Idylle oder Eglogue" als der Vertreterin des niederen Stiles, in der keine großen Worte angebracht sind. Sie sei schlicht und doch elegant: „Art sans bassesse." In höherem Stil erscheint die Elegie, doch reicht ihr Schwung nicht an die Ode heran, deren Flug bis zum Himmel aufsteigt. Es ist das alte Bild von der pindarischen Lyrik, demgegenüber auch der Vergleich mit der Biene, den Horaz (Carm. IV, 2) auf sich selbst bezieht, nicht fehlt. In dem Vers (67) „Elle peint les festins, les danses et les ris" liegt wohl ein Hinweis auf die anakreontische Ode (wie in dem horazischen: „ . . e t iuvenum curas et libéra vina"), doch wird dieser leichteren, lyrischen Form nicht weiter gedacht, da sich mit dem Wort „Ode" ja doch in erster Linie die Vorstellung des Erhabenen, Heroischen verbindet. Ausdrücklich verweist Boileau darauf, daß das didaktisch-historische Element in der Ode zu vermeiden ist 168 ). — Im Gegensatz zur Ode, auf deren „schöne Unordnung" ein Vers geprägt wird (71), „Son style impétueux souvent marche au hasard. Chez elle un beau désordre est un effet de l'art",

der aus den französischen Poetiken nicht mehr wegzudenken ist, untersteht das Sonett den strengsten, formalen Gesetzen. Freier, doch dabei im U m f a n g begrenzter ist das Epigramm. Ohne daß je der Terminus „Lyrik" fällt 169 ), wird dann des Rondeaus, der Ballade, des Madrigals gedacht, wobei, wie eine Antwort auf Rapins Mißachtung der „petite poésie", der Vers 139 erscheint: „Tout Poème est brillant de sa propre beauté." D e n n Boileau läßt auch die kleinen Gedichtarten zu ihrem Recht kommen, mit Ausnahme der unerwähnt bleibenden Fabel 170 ). E r 166) dessen Poetik teils direkt, teils durch Vermittlung von V a u q u e l i n s Poetik B o i l e a u als Vorbild gedient hat. 167) im 2. Gesang des Art. poét. 168) Vgl. zu diesem ganzen Passus S a i n t s b u r y II S. 983. 169) L a n s o n aaO. S. 500: „II n'a pas vu que tout cela c'étaient les variétés de l'espèce lyrisme . . . " 170) Vgl. L a n s o n 501.

— 142 — streift, im Anschluß an die Satire, sogar noch das Vaudeville 171 ) und wendet sich dann im dritten Gesang den großen Gattungen: Tragödie, Epos (es ist größer — d'un air plus grand — als die Tragödie) und Komödie zu 172 ). Zwischen Tragödie und Epos sind noch einige Bemerkungen über den Roman eingestreut, der jedoch seine eigentliche Kritik in dem satirischen Dialog „Les Héros de Roman" und in Boileaus Satiren erfährt. Über das Epos erscheint ein Jahr nach Boileaus „Art poétique" eine Sonderschrift, die hierfür auf Jahrzehnte hinaus (Kritik durch Voltaire) maßgebend sein wird : der „Traité du Poème épique" von Le Bossu (1675; ben. Ausg. Paris 1693). Hier wird, im Gegensatz zu Rapin, der eine Vereinheitlichung versuchte, indem er unter das „Poème héroïque" auch Ekloge und Elegie gruppierte, eine strenge Abgrenzung der Gattungen vorgenommen und (S. 11) gezeigt, worin sich die Epopöe zunächst vom Drama unterscheidet; dann werden die "Werke von Empedokles, Lukrez und Virgils Georgica davon ausgenommen: „parce que ces ouvrages ne sont point pour former les moeurs, & que les instructions qu'ils contiennent, sont nuës, simples, & propres, sans déguisements & sans allégories". . . . „Je ne m'arrêterai pas à marquer la différence de l'Epopée d'avec la Satyre, l'Eglogue, l'Elégie, l'Ode, l'Epigramme, et autres moindres poëmes; cela se voit assez."

Dagegen bestehen nach Le Bossu Beziehungen zwischen dem Epos und anderen Disziplinen : „ . . . l'Epopée a du rapport & quatre choses, savoir au Poëme, & la Fable, à la Philosophie Morale (ihr Gegenstand: „instruction pour les moeurs") & & l'Histoire."

Indem so der ernste, erzieherische Zweck des Epos betont wird, ver-, rät sich ein Wesenszug der Franzosen, der vielfach dafür verantwortlich gemacht wird, daß das Epos in Frankreich niemals zur Blüte gelangt ist. Zum Ausdruck bringt das beispielsweise Bouhours in „Les Entretiens d'Ariste et d'Eugène" (1671) 173 ), indem er davon ausgeht, daß die französische Poesie sprachlich von der Prosa gar nicht sehr verschieden sei (Entr. S. 60): 171) 172) 173) penser

wohl entsprechend seiner Vorlage, V a u q u e l i n . Analyse dieses Gesanges bei L a n s o n aaO. Einige der folgenden Zitate stammen aus B o u h o u r s : „Manière de bien dans les ouvrages d'esprit" 1687.



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„Nous avons fort peu de mots p o ë t i q u e s 1 7 * ) . . . . Nos Muses bien loin d'estre libres, et emportées comme celles d'Italie et d'Espagne. . sont si sages et retenues, qu'elles ne se permettent aucun excès. Elles n'ont garde de s'abandonner à cette fureur, qui toute divine qu'elle est, fait dire aux autres souvent bien des folies. — Ne serait-ce point pour cela, dit Ariste, que les poëmes epiques ne réussissent pas tant en nostre langue; car comme ces sortes d'ouvrages demandent beaucoup de feu et d'enthousiasme; des imaginations hardies; des expressions poétiques et fort élevées au dessus de la prose, il se peut bien faire que le genie de la langue françoise, ne s'accordant gueres avec tout cela, nos plus excellens poëtes ne peuvent parvenir en ce genre de poësie, à la perfection où les Grecs, les Latins et les Italiens mesmes sont parvenus. Quoy qu'il en soit, reprit Eugene, il est certain que le style métaphorique n'est bon parmi nous ni en prose ni en vers." A n anderer Stelle (S. 8 0 ) w i r d das A u s b l e i b e n des französischen E p o s nicht m i t e i n e m M a n g e l der S p r a c h e , sondern m i t der U n f ä h i g k e i t der Dichter begründet: „si nous n'avons point encore d'Histoire générale . . . ni de poëine d'Epique, . . . . ce n'est pas tant la faute de la langue, que celle des Historiens et des Poëtes." D i e „ S a g e s s e " der M u s e 1 7 5 ) schließt jedoch nicht a u s , daß d e m f r a n zösischen W e s e n Zärtlichkeit u n d G e f ü h l s w ä r m e eigen sind, j a , die französische S p r a c h e h a t ein besonderes T a l e n t d a f ü r , g e r a d e diese auszudrücken ( E n t r . S . 6 7 ) : „. . cela paroist jusques dans nos chansons qui sont si passionnées et si touchantes; et où le coeur a bien plus de part que l'esprit, quoy qu'elles soient infiniment spirituelles Je dirois presque que nostre langue est la langue du coeur; et que les autres (se. langues) sont plus propres à exprimer ce qui se passe dans l'imagination, que ce qui se passe dans l'ame" 1 7 8 ). W e n n a u c h B o u h o u r s nicht v e r s ä u m t ( E n t r . 2 4 8 ) , a u f die V o l l e n d u n g des f r a n z ö s i s c h e n D r a m a s i m 17. J h . h i n z u w e i s e n , so g i l t doch seine ganze

Liebe

und

Bewunderung

den

kurzen

Gedichten —

„petits

o u v r a g e s " — , die er m e h r noch als B o i l e a u g e g e n die A n g r i f f e seines F r e u n d e s R a p i n zu verteidigen scheint. E r spricht s o g a r 1 7 7 ) von den „madrigaux, chansons, rondeaux, sonnets, . . . et autres poèmes qui ont en petit l'invention et les agréments de l'Epopée, sans que la lecture en soit ennuyeuse 174) Ahnlich äußert sich S a i n t - E v r e m o n d , zitiert v. R. B r a y : „ L a Formation de la Doctrine Classique" (Paris 1927) S. 121, der hinzufügt: „Peut-on nier que le rationalisme conduisait au prosaïsme"? 175) B o u h o u r s lobt sie z. B. auch bei V i r g i l (Man. S. 281) : „Virgile est sage jusque dans son enthousiasme . . . " 176) Vgl. auch Man. S. 66/7, wo „esprit" und „coeur" gegeneinander abgewogen werden. 177) Zitat bei D o n c i e u x : „Un Jésuite Homme de Lettres — L e Père Bouhours" (Paris 1886) S.246, au9 B o u h o u r s : Préface du „Recueil de vers choisis" 1693.



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comme l'est celle de quelques-uns de nos poèmes épiques." Und (Man. S. 267) : „Je ne croy pas, dit Philante, que les petits ouvrages de poésie soyent assujétis aux réglés rigoureuses des poëmes Epiques. Dés que ces petits ouvrages, repartit Eudoxe, sont graves et sérieux, ils doivent estre aussi exacts que les grands poëmes pour ce qui regarde les pensées."

Im übrigen verwirft auch Bouhours (gleich Rapin) „le trop d'esprit" in diesen Gedichten und lobt eines von ihnen als „Meisterwerk der Naivität". — Die höchste Bewunderung aber zollt er der kürzesten, fast nicht mehr „poetisch" zu nennenden Form, den „Devisen", denen er ein umfangreiches Kapitel widmet. In ihnen wird sogar — bei aller Schärfe und Genauigkeit des Gedankens — von der sonst im französischen Schrifttum unerläßlichen, von Bouhours selbst streng geforderten „Clarté" abgesehen, und, um ihren größten Reiz, das Mysterium, noch zu erhöhen, wählt man nicht die eigene Sprache, sondern das Lateinische, Italienische oder Spanische dazu (Entr. S. 355)178). Im übrigen aber kommt keine der anderen romanischen Sprachen dem Französischen gleich, und namentlich über die italienische Sprache und Literatur (Entr. 79 ; 128) findet Bouhours derart abfällige Worte 179 ), daß nach seinem Tode von italienischer Seite her zahlreiche Abwehrschriften veröffentlicht werden, die wiederum f ü r die Geschichte der poetischen Gattungen von Interesse sind 180 ). Bei einem Blick in die in jenen Jahren erscheinenden französischen Wörterbücher findet man in den uns angehenden Rubriken nichts, das sich wesentlich von den Äußerungen der drei letztgenannten Autoren unterscheidet. Bei Furetière: „Dictionnaire universel" (1. Ausg. 1690; ben. Ausg. Haag 1701) werden in einer Aufzählung der Arten voa Dichtern genannt: Poëtes Epiques, DramatiquesM1) (Sophocle, Corneille, Racine), Comiques (Terence, Molière) Lyriques (Horace, Malherbe) und Satiriques (Régnier, Boileau).

Unter „Lyrique" sind nur Oden und Stanzen zu verstehen, doch dringt daneben allmählich noch eine Sonderbedeutung dieses Wortes durch, von der in dem Kapitel über die Oper zu reden sein wird. 178) Vgl. L a n s o n aaO. S. 596. 179) Übereinstimmend mit B o i l e a u , z.B. „. . Laissons à l'Italie de tous ces faux brillants l'éclatante folie." usw. 180) Vgl. J . G . R o b e r t s o n : Studies in the Genesis of Romantic Theory, in the 18th Century." Cambridge 1925, S. 9 II. 181) Dramatiques anstatt Tragiques ist für das 17. Jh. ungewöhnlich.



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A u c h in d e m „ D i c t i o n n a i r e de l'Académie"

(Paris 1 6 9 4 ) sind die A n -

g a b e n über die Lyrik spärlich; das W o r t bezieht sich h i e r ebenfalls nur a u f Oden u n d ähnliche D i c h t u n g e n , die früher

zur Lyra g e s u n g e n w u r -

den. — U n t e r „ P o ë m e " wird die lyrische G a t t u n g sogar ü b e r g a n g e n : „Poeme" : „Toute sorte d'ouvrage en vers. L'Epigramme, le Sonnet, le Madrigal sont de petits Poëmes. L'Elegie, l'Idylle, l'Eglogue & l'Ode sont des Poëmes d'une plus grande étendiie. . . Poëme dramatique = Tragédie et Comédie. . . On appelle Poëme épique, Poëme héroïque un grand Poëme, oû l'on raconte quelque action grande & héroïque Poëme se dit aussi absolument & particulièrement du Poëme epique " D a g e g e n f i n d e t sich unter „Poësie" der kurze Satz: „ O n appelle Poesie lyrique, celle des Odes." A n die Oper wird hierbei also noch nicht gedacht. D i e s e wird charakterisiert als „Piece de theatre en musique accompagnée de machines & de danse9. Il n'a point d's au pluriel." A m E n d e des

17. Jh. erscheint die französische Ü b e r s e t z u n g

aristotelischen Poetik mit d e m K o m m e n t a r von A n d r é D a t i e r

der

(Paris

1 6 9 2 ) . H i e r f i n d e t sich noch e i n m a l — sei es i n f o l g e zu freier Übert r a g u n g oder auf Grund einer v e r s t ü m m e l t e n T e x t v o r l a g e von Aristoteles 1 4 4 7 b ( = Kap. I, 5) — eine auf diesen griechischen Meister g e stützte R e c h t f e r t i g u n g des modernen Romanes. W e n n n ä m l i c h i m Epos sowohl Prosa als auch Poesie a n g e w e n d e t w e r d e n kann, d a n n darf ja auch der Prosaroman zur poetischen G a t t u n g erklärt werden 1 8 2 ). Text von Aristot. 1447 b in der Obers. von Gudeman (Leipz. 1920) S. 2 : „Die Kunstform, aber, die sich bloß der Rede bedient, sei es der ungebundenen, sei es der metrischen und, falls der letzteren, entweder mehrere Versmaße miteinander verbindet oder nur eine Versgattung anwendet, hat bis jetzt keinen Namen. Denn wir wüßten keine gemeinsame Bezeichnung anzugeben f ü r die Mimen eines Sophron und Xenarchos und die Somatischen Gespräche einerseits, noch andrerseits f ü r eine nachahmende Darstellung in (jambischen) Trimetern 182) Vgl. oben bei L a m y S. 137.

Übers, von Dacier S. 2 f. : „L'Epopée se sert du discours en prose ou en vers, soit qu'elle m i l e plusieurs sortes de vers ou qu'elle se contente d'une seule espece comme elle l'a fait jusqu'à present. Je donne au mot Epopée une signification fort ¿tendue; car autrement nous n'aurions pas de mot général qui comprit les Mimes de Sophron" etc.

— 146 oder im elegischen Distichon oder in irgendwelchen anderen Versmaßen dieser Art."

Die Anmerkung, die Dacier (S. 11 f.) zu diesen Sätzen gibt, zeigt, daß er der festen Meinung ist, ihren rechten Sinn herausgefunden zu haben: Comme le motvE7CO