Die Kurstadt als urbanes Phänomen: Konsum, Idylle und Moderne [1 ed.] 9783412525903, 9783412525880

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Die Kurstadt als urbanes Phänomen: Konsum, Idylle und Moderne [1 ed.]
 9783412525903, 9783412525880

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S TÄ D T E F O R S C H U N G

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Andrea Pühringer, Martin Scheutz (Hg.)

DIE KURSTADT ALS URBANES PHÄNOMEN Konsum, Idylle und Moderne

STÄDTEFORSCHUNG Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster begründet von Heinz Stoob

in Verbindung mit

M. Kintzinger, B. Krug-Richter, A. Lampen, E. Mühle, J. Oberste, M. Rothmann, M. Scheutz, G. Schwerhoff und C. Zimmermann

herausgegeben von

Ulrike Ludwig Reihe A: Darstellungen Band 104

DIE KURSTADT ALS URBANES PHÄNOMEN KONSUM, IDYLLE UND MODERNE

herausgegeben von

Andrea Pühringer & Martin Scheutz

2023 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: „Tag Cloud“ der digitalen Datenbank „Orte der Kur Bad Homburg“ https://www.lagis-hessen.de/de/odk.

© 2023 by Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich). Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike, B&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Redaktion: Ria Hänisch Institut für vergleichende Städtegeschichte, Münster http://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte Layout und Satz: Ria Hänisch, Münster Bildbearbeitung: Tobias Kniep und Oliver Rathmann, Münster Druck und Bindung: a Hubert & Co BuchPartner, Göttingen Gesetzt aus Stempel Garamond LT Pro 10pt.

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52590-3

INHALT

Adressen der Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Verzeichnis der Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

Andrea Pühringer und Martin Scheutz Die Kurstadt als urbanes Phänomen – zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Martin Scheutz Kurstädte im Kontext interdisziplinärer Forschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Andrea Pühringer Zu klein, zu jung, zu unbedeutend – die Kurstadt in der Stadtgeschichts­ forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

Alexander Jendorff Tanzende Kongresse? – Die Kurstadt als Ort der Diplomatie und ihrer Akteure

99

Rainer Hering Konfessionskulturen in der Kurstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

Wynfrid Kriegleder Die Kurstadt und die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

Stefan Hulfeld „Angenehme Abwechslung in dem Kranze verschiedenartiger Genüsse“ – Die Kurtheatersaison des Sommers 1855 in Ischl und Pyrmont . . . . . . . . . . . . .

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6

Inhalt

Thomas Aigner Die Kurstadt als Musikstadt – Walzerseligkeit und neue Tänze im Kurkonzert

197

Michael Prokosch Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207

Holger Th. Gräf Kurstädte als Kunstmarkt – Sondierungen zu einem Desiderat . . . . . . . . . . .

265

Evelyn Reso Zur frühen Rezeption der Fotografie in den Kurorten der Habsburger­ monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

295

Christina Vanja Gärten, Parks und Natur – „gesunde“ Spaziergänge in der Kurlandschaft . .

315

Matthias Marschik Kurstädte – Sportstädte? Die Entwicklungen einer ambivalenten Beziehung

351

Andreas Tacke Verborgene Moderne – Anmerkungen zur Architektur in Kurstädten um 1900

385

Michael Hascher Kurorte als „Hotspots“ der Technikgeschichte? – Wechselwirkungen zwischen Heilbädern, Eisenbahn und Technikentwicklung im ‚langen‘ 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

419

Literatur und gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

459

Index der Orts- und Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

495

ADRESSEN DER AUTORINNEN UND AUTOREN

Dr. Thomas Aigner Wienbibliothek im Rathaus, Stiege 6, 1082 Wien [email protected]

Univ. Doz. Dr. Matthias Marschik Zallingergasse 4, 1210 Wien [email protected]

Prof. Dr. Holger Th. Gräf Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Wilhelm-Röpke-Str. 6 C, 35039 Marburg [email protected]

Mag. Michael Prokosch Kärntner Landesarchiv, St. Ruprechter Straße 7, 9020 Klagenfurt [email protected]

Dr. Michael Hascher Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Referat 83.3 Spezialgebiete, Kulturdenkmale der Industrie und Technik, Berliner Straße 12, 73728 Esslingen am Neckar [email protected]

Dr. Andrea Pühringer [email protected]

Prof. Dr. Dr. Rainer Hering Landesarchiv Schleswig-Holstein, Prinzenpalais, 24837 Schleswig [email protected] Prof. Dr. Stefan Hulfeld Universität Wien, tfm / Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Althanstraße 12–14 (UZA II-Rotunde), 1090 Wien [email protected] Prof. Dr. Alexander Jendorff Universität Gießen, FB Geschichts- und Kulturwissenschaften Otto-Behaghel-Str. 10, Haus C, 35394 Gießen [email protected] Prof. Dr. Wynfrid Kriegleder Universität Wien, Institut für Germanistik, Universitätsring 1, 1010 Wien; [email protected]

Dr. Evelyn Reso Südtiroler Landesmuseum für Tourismus, St.Valentinstr. 51 a, 39012 Meran [email protected] Prof. Dr. Martin Scheutz Universität Wien, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universitätsring 1, 1010 Wien [email protected] Prof. Dr. Dr. Andreas Tacke Universität Trier, FB III, Lehrstuhl Kunstgeschichte, Universitätsring 15, D-54286 Trier [email protected] Prof. Dr. Christina Vanja [email protected]

VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN

ANNO BBC DDSG DFG EKD EWASC FS GLA HStaatsA HUB IOC KIT ND NF OKW ÖNB ÖWSC StaatsA StadtA StABB UNESCO

Austrian Newspaper Online Brown, Boveri & Cie. Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft Deutsche Forschungsgemeinschaft Evangelische Kirche in Deutschland Erster Wiener Amateur-Schwimmclub Festschrift Generallandesarchiv Karlsruhe Hauptstaatsarchiv Humboldt-Universität zu Berlin International Olympic Committee Karlsruher Institut für Technologie Neudruck Neue Folge Oberkommando der Wehrmacht Österreichische Nationalbibliothek Österreichischer Wintersportclub Staatsarchiv Stadtarchiv Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization

DIE KURSTADT ALS URBANES PHÄNOMEN – ZUR EINFÜHRUNG Andrea Pühringer und Martin Scheutz

Kurstädte weckten in der Stadtgeschichtsforschung lange Zeit kaum Interesse, denn sie erschienen zu klein, zu idyllisch, zu unbedeutend und diese Bewertungen waren den Moden und Konjunkturen der Zeit unterworfen. In vielen Kurstädten kon­ trastiert eine goldene oder zumindest silberne Vergangenheit mit einer ‚blechernen‘ Gegenwart; die Zäsuren der Weltkriege sind überdeutlich. Umgekehrt keimt gegenwärtig im Schatten der Klimakrise und angesichts einer erschöpften Bevölkerung auch neue Hoffnung für die scheinbar totgesagten Kurstädte. Oft wurden Kurstädte stadtgeschichtlich als „Minderstädte“ oder gemeinsam mit Bergstädten als ein eigener „Sondertypus“ definiert, sie blieben im Gegensatz zu diesen dennoch kaum erforscht. Ihre Bedeutung schien wohl aufgrund der gering entwickelten städtischen Funktionen – Heilung und Vergnügung – marginal. Mag dies für die Stadtgeschichtsforschung zutreffen, so ist doch festzustellen, dass das Phänomen „Kurstadt“ mittlerweile durch zahlreiche interdisziplinäre Publikationen erschlossen ist, die jedoch meist nur von wissenschaftlichen Teilöffentlichkeiten wahrgenommen werden. Bisherige Forschungen und Publikationen weisen kaum vergleichende Dimensionen auf, befassen sich vorzugsweise mit kunsthistorisch-architektonischen bzw. denkmalpflegerischen und medizingeschichtlich-balneologischen Themen oder nehmen nur das elitäre Kurpublikum bzw. berühmte Persönlichkeiten in den Blick. Der erst kürzlich stattgegebene UNESCO-Welterbe-Antrag „Great Spas of Europe“ folgt inhaltlich diesem verklärenden Blick auf die einstmalige Größe, ohne die nun sich anbietende Möglichkeit einer wissenschaftlich-vergleichenden Perspektive zu nutzen; vielmehr beruhen die Konzepte einzig auf Kriterien der Tourismusindustrie und der Denkmalpflege. Die Landschaft der Neuzeit war aber von hunderten Kurstädten in ganz Europa geprägt, die auch im Kleinen einige Sogkraft entwickelten. Gleichwohl gab der UNESCO-Welterbe-Antrag der Kurstadt-Forschung im letzten Jahrzehnt vielfältige und vor allem auch interdisziplinäre Impulse. Lange Zeit wurde die Bedeutung der Kurstädte gröblich unterschätzt; die Forschungen der letzten Jahre haben das Pendel dann stark in die Gegenrichtung ausschlagen lassen. Weniger an Tourismusgeschichte und Denkmalpflege orientiert, versucht der vorliegende Sammelband – Ergebnis einer Corona-bedingt online geführten Tagung vom 15./16. März 2021 – ein viel weiter gefasstes Themenspektrum zu bieten. Es wird nicht nur eine vergleichende Perspektive auf die Kurstädte eingenommen, sondern auch die Vielschichtigkeit dieser mitunter mondänen Orte soll beleuchtet werden.

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Andrea Pühringer & Martin Scheutz

Von Bedeutung ist dabei ebenso die Widersprüchlichkeit der Kurstadt auf mehreren Ebenen, wobei das Spannungsfeld von ländlicher Idylle und städtischer Moderne das wohl eindrücklichste ist. Denn diese vermeintlich idyllischen Zufluchtsorte, die vor den Unbilden der Moderne Schutz gewährten, mussten adäquate Annehmlichkeiten bieten, um überhaupt Erholung zu ermöglichen, die wiederum von moderner urbaner Infrastruktur im weitesten Sinne abhängig war. Doch spiegeln sich in der Kurstadt noch weitere soziale und gesellschaftliche Gegensätzlichkeiten – wie reich und arm – wider, denn nicht nur betuchte Kurgäste standen verarmten Stadtbewohnern gegenüber – es trafen umgekehrt ebenso Armenbadbesucher auf gutverdienende Hoteliers. Kurimmanente Spannungsfelder von Entsagung und Überfluss traten in vielerlei Hinsicht auf: Kneippkuren versus nächtliche gesellschaftliche Betriebsamkeit, Trinkkur und Diäten versus übermäßigen Alkoholgenuss und Spielsucht. Ein „Experimentierfeld der urbanen Moderne“ zeichnete sich also ab, aber eben nicht nur. Denn Kurstädte waren auch Orte der politischen Auseinandersetzung, des entstehenden Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit. Diese vielfältigen, kontrastreichen Aspekte erscheinen prägend für Kurstädte. Einleitend geben Herausgeberin und Herausgeber einen Einblick in den Forschungsstand zu den Kurstädten, wobei sie sich auf den deutschsprachigen Raum konzentrieren. Es war nicht möglich, den geplanten Blick zumindest auf Mitteleuropa zu erweitern, da entsprechende Studien bzw. Forschende kaum existieren bzw. für dieses Projekt nicht gewonnen werden konnten. Ob dieses geringe Interesse bzw. die hohe Zahl an deutschsprachigen Publikationen im Zusammenhang mit den zahlreichen Kurstädten und Badeorten steht, sei dahingestellt. So wirft Martin Scheutz zunächst einen Blick auf die interdisziplinäre Forschung zu Kurstädten und Kurtourismus, auf Autorinnen und Autoren, auf Lage und Art der Kurorte, auf Besuchende und Besuchte, befasst sich mit Wasserqualität bzw. der Wissenschaftlichkeit der dafür werbenden Ärzte und Wissenschaftler. Auch Begriffe, wie transkulturelle Kontaktzonen und Heterotopie, die auf die Kurstädte angewandt wurden, nimmt er in den Blick. Andrea Pühringer thematisiert anschließend die Kurstädte und ihr Nichtvorhandensein in der Stadtgeschichtsforschung, versucht Paradigmen der „traditionellen“ wie „modernen“ Stadtgeschichte auf die Anwendbarkeit für Kurstädte zu prüfen. Ausgehend von den umstrittenen Themen „Stadtbegriff“ und „Typologie“ nimmt sie die Zentralitäts- und Urbanisierungsforschung ebenso in den Blick wie die Stadt-Umland-Beziehungen und Städtelandschaften sowie Städtenetzwerke oder die Stadt als Idealtypus. Politik und Religion können wohl als grundlegend für Urbanität gelten, daher stellt sich die Frage nach ihrer Relevanz in den Kurstädten. Wie agierte ein internationales, hinsichtlich politischer Einstellung wie Religion disparates Publikum dann am Ort? Alexander Jendorff befasst sich mit dem Teilbereich der „Bäderdiplomatie“ bzw. der „diplomatie thermale“ und geht der Frage nach der Funktion und Wirkungsweise des Kurortes im diplomatischen Geschehen nach, wobei er die Bedeutung der medialisierten Öffentlichkeit als zentral ansieht. Er untersucht vergleichend den Baden-Badener Fürstenkongress 1860 und das Zustandekommen der

Die Kurstadt als urbanes Phänomen – zur Einführung

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Emser Depesche 1870 hinsichtlich der Teilnehmer, der Abläufe der Zusammenkünfte, deren Veröffentlichung in den zeitgenössischen Medien sowie dem Zustandekommen der unterschiedlichen Resultate. Rainer Hering nimmt die unterschiedlichen Konfessionskulturen in der Kurstadt in den Blick, widmet sich dabei auch der bisher kaum thematisierten Kurseelsorge. Dienten Kuren der Unterstützung in der Behandlung von Krankheiten bzw. Leiden als auch der Stärkung einer geschwächten Gesundheit, so war nicht nur das physische, sondern auch das psychische Wohlbefinden ein wichtiger Faktor für die Genesung und Stärkung des Körpers. Neben den sonstigen Annehmlichkeiten des Kuraufenthalts war die Möglichkeit, am gewohnten religiösen Leben aktiv teilzunehmen, von Bedeutung. Gab es einerseits das individuelle Bedürfnis der Kurgäste, vertraute religiöse Räume in der temporären Kurgesellschaft zu nutzen, zeigt andererseits die Vielfalt des religiösen Angebots die Pluralität dieser Gesellschaft. Ein Themenbereich widmet sich den kulturellen Gepflogenheiten als Ausdruck eines „verfeinerten“ Lebensstils und umreißt Literatur, Theater und Musik in der Kurstadt. So betrachtet Wynfrid Kriegleder die Belletristik zur Kurstadt im Hinblick auf die jeweiligen Gegenwartsdiskurse. Denn die Literatur schafft nicht nur eine fiktionale Welt, sondern reflektiert auch das Bild von der Kurstadt, das zeitgenössische Wissen und die zeitgenössischen Vorstellungen darüber. Er kann zeigen, wie diese Diskurse in die Romanliteratur einfließen. Stefan Hulfeld nimmt die Kurtheatersaison von 1855 im Vergleich von Bad Ischl mit Bad Pyrmont in den Blick. Dabei analysiert er nicht nur die Theater, das Repertoire sowie Schauspieler und Schauspielerinnen, sondern auch das Besucher­ aufkommen und damit zusammenhängend „Konkurrenzveranstaltungen“. Die Kurstadt als Musikstadt untersucht Thomas Aigner hinsichtlich der Innovationsbereitschaft von Orchester und Publikum und schaut, inwiefern diese neuen Tänzen und Musikstücken zugeneigt waren; beziehungsweise, ob das Kurkonzert nicht eher konservative, Innovationen abgeneigte Hörgewohnheiten förderte. Dem Konsum und den Konsumierenden – ebenfalls mit „Modernitätsanspruch“ in unterschiedlichen Bereichen – ist ein weiterer Abschnitt gewidmet.1 So wertet Michael Prokosch die Werbeschaltungen in der „Oesterreichischen Badezeitung“ seriell anhand von fünf Jahrgängen aus, um die Häufigkeit bestimmter Produkte und Kurorte zu bestimmen. Darüber hinaus untersucht er die thematische Vielfalt der Zeitung, den Zusammenhang von unterschiedlichen Herausgebern mit der Häufigkeit von Produktwerbung sowie die angeführten Statistiken der Besucherfrequenz in der Habsburgermonarchie, aber auch darüber hinaus. Kurstädte verstanden sich als bürgerlich-adelige Repräsentationsorte von männlicher und weiblicher Kleidung, von Frisuren und von Modegegenständen; die Mode diente der Selbstrepräsentation, aber auch als Kommunikationsmittel. Beim Spaziergang, der täglichen „table d‘hôte“, bei den Theaterbesuchen oder etwa den Tanzveranstaltungen nahm sich die kurende Anwesenheitsgesellschaft genau und kritisch in Augenschein. Am 1



In diesen Kontext gehört ebenso das Thema der „Diät- und Ernährungspläne in Sanatorien“; es ist bislang noch wenig untersucht worden und stellt eine Forschungslücke dar. Leider ist es uns nicht gelungen, das Thema im Band zu behandeln.

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Andrea Pühringer & Martin Scheutz

Ort wurden zudem für die Kurgäste auch Kleidung produziert, aber man handelte auch damit. Nicht nur das „Journal des Luxus und der Moden“ berichtet über die mitunter sogar mehrmals täglich gewechselte Garderobe bekannter Persönlichkeiten, sondern auch Selbstzeugnisse könnten dazu befragt werden. Die Kurorte waren ein wesentlicher Kontaktort verschiedener Modeströmungen der Zeit.2 Als Novum sieht Holger Th. Gräf in seinem Beitrag die Kurstädte auch in Bezug auf ihre Funktion als Kunstmarkt. Die Kunst war als Konsumgut bestimmten Moden und Trends unterworfen, beeinflusste den Habitus und diente auch als Mittel sozialer Distinktion. Kunstgeschmack und Kunststile bestimmten dabei als Moden die Nachfrage und damit wiederum den Markt. Das moderne Medium Fotografie in den Kurorten der Habsburgermonarchie nimmt Evelyn Reso in den Blick. Sie zeigt, dass das Vorhandensein eines Fotoateliers ebenso ein Auswahlkriterium für einen Kurort war und als Dienstleister für gehobene Kreise vorausgesetzt wurde, wie umgekehrt – aus eben diesem Grund – Kurorte große Anziehungskraft für internationale Atelierfotografen und -fotografinnen besaßen. Denn sie trugen zum mondänen Flair der Kurorte bei, indem sie modernste Technik als Luxusgut verfügbar machten. Dem Ausgreifen der Kurstädte auf das Umland entsprechend befasst sich ein Themenbereich mit den unterschiedlichen Nutzungen der Kurparks und der umliegenden Garten- und Parklandschaft. Christina Vanja widmet sich den „gesunden“, als Teil der Kur angesehenen Spaziergängen, der Entstehung von Alleen und Kurparks bis hin zu ganzen Kurvierteln mit Gartenanlagen. Die Schilderungen von zeitgenössischen Besuchern und Besucherinnen aus verschiedenen Jahrhunderten zeugen dabei von dem sich verändernden Naturverständnis. Einen Schwerpunkt sieht sie in der Physiologie und der Gesundheitslehre als Basis der Kur – mit Erklärungsansätzen für Bade- wie Trinkkur. Matthias Marschik hingegen sieht in seinem Beitrag, der dem Sport im Kurort gewidmet ist, bereits die Ambivalenz zwischen Kur und Sport, wie er an den Beispielen von Baden bei Wien und dem Semmering aufzeigt. Was als Therapie und vereinzeltes Freizeitvergnügen begann, konnte sich rasch zur Trendsportart entwickeln, die den Erfolg der Kureinrichtungen untergrub bzw. mit Sportmeisterschaften, Auto- und Motorradrennen dem Kuren an sich eher zuwiderlief. Die abschließenden Beiträge befassen sich mit dem Schwerpunkt Technik und Moderne in der Kurstadt. So geht Andreas Tacke modernen Techniken in der Architektur um 1900 nach, wobei er das Verbergen bzw. die Nicht-Sichtbarkeit von modernen Baumaterialien als zentrales Anliegen sieht. Er vermag eindrücklich zu zeigen, dass neue Baumaterialien – wie Gusseisen, Stahl und Beton – revolutionäre Auswirkungen auf die Bautechnik hatten, die dann zu neuen Bauformen führten bzw. neue Möglichkeiten hinsichtlich veränderter Bauaufgaben boten, was gerade den innovationsbereiten Kurstädten zugutekam. Michael Hascher befasst sich mit Technikgeschichte und der damit einher­ gehenden Innovationsfreude von Kurstädten. Dem liegt die Auswertung des „Baedeker“ zugrunde – im Hinblick auf Eisenbahnanschluss, Wasserqualität, Be2



Leider war es uns nicht möglich, den Beitrag zu „Kurstädten als Orte der Mode und des Kleiderhandels“ für den Tagungsband einzuwerben.

Die Kurstadt als urbanes Phänomen – zur Einführung

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sucherfrequenz, Hotels, Einrichtungskomfort etc. Zwar sieht er die Städte als innovationsbereit, konstatiert aber, dass selten Innovationen direkt von ihnen ausgingen. Doch trieben Kurstädte als Hotspot des Konsums die Verbreitung technischer Neue­rungen voran. Die diesem Sammelband vorangegangene Tagung kann ebenfalls als technische Neuerung für das Institut für vergleichende Städtegeschichte gesehen werden, insofern sie als erste Frühjahrstagung des Instituts im virtuellen Raum stattfand. Wir danken allen Beteiligten – den Vortragenden ebenso wie dem Team des IStG –, dass sie sich auf dieses Novum eingelassen haben. Fehlten einerseits sicherlich die sozialen Kontakte, von denen Tagungen in der Regel leben, bot dieses Format andererseits einem größeren Publikum eine leichtere Teilnahmemöglichkeit. Mit dem Sammelband ist nun auch die Gelegenheit gegeben, die aufgrund des Formats kurz gehaltenen Vorträge in einem längeren Beitrag auszuführen. Als Herausgeberin und Herausgeber danken wir allen Beteiligten sehr herzlich für die unkomplizierte und professionelle Zusammenarbeit. Dem Institut für vergleichende Städtegeschichte, namentlich Prof. Werner Freitag, dessen Abschiedstagung als Vorstand des IStG dies war, Prof. Ulrike Ludwig, unter deren Ägide nun der Sammelband erscheint, sowie der Institutsleiterin Dr. Angelika Lampen. Für das professionelle Lektorat und den Satz danken wir Ria Hänisch sehr herzlich.

KURSTÄDTE IM KONTEXT INTERDISZIPLINÄRER FORSCHUNGEN Martin Scheutz

Schmerzhaft durchlitt der calvinistische Kannengießer Augustin Güntzer (1596–um 1657) aus Colmar seine Geschwüre an den Beinen, schon eine Kur im schweizerischen Baden hatte 1654 nicht die erhoffte Heilung gebracht. „In dißem Jahr anno 1655, den 1 August, bin ich nacher Sultzbach [Thermalbad Sulzbach/Soultzbachles-Bains] zogen in Saurrpronen in Gregorentall, 3 Stundt von Collmarr in Elsos. Alda ich verhoffe durch Gottes Segen, Hilff undt Beystands mein[e]s großen langwihrige[e]n Schmerztens corierdt zu werden“.1 Aufmerksam beobachtete der Böhmen gegenreformierende Prager Kardinal Ernst Adalbert Harrach (1598–1667) die Kuraufenthalte seiner hochadeligen Umgebung im Prager Umfeld – den Prager Adel zog es in den 1660er Jahren gebündelt nach Karlsbad/Karlovy Vary. „Heint ist die frau obrist landrichterin [Maria Elisabeth von Kolovrat] ins Carlsbadt, und vor ein paar tagen die fürstin Carlin [Johanna Beatrix] von Liechtenstein; werden heür sehr vill leüth drausten zu sambenkhomen“.2 Selbst kurte der Kardinal Harrach bei seinen Wienaufenthalten in Baden bei Wien, wohin sich im Herbst 1664 auch eine hochadelige Gruppe aufmachte. Am 11. Oktober 1664 „Bald nach 4 sein wier ins badt gangen, wier mannen alle, von den frauen aber nur die obrist cammerin [Judith Rebecca von Lamberg] und die gräfin von Portia, sein biß gegen halbe 7 gebliben. Danach hatt sich ein jeder nach hauß retirirt, und alein sein kurzes nachtmahll eingenommen und noch etwas auf die post geschriben“.3 1

Fabian Brändle/Dominik Sieber (Hg. und Kommentar), Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben. Die Autobiographie eines Elsässer Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert / Augustin Güntzer, Köln 2002, S. 294. 2 Katrin Keller/Alessandro Catalano (Bearb.), Die Diarien und Tagzettel des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667). Bd. 7: 1661–1667, Wien 2010. 3 Ebd., S. 543 (11. Oktober 1664, Baden). Ebd., S. 544: In unserem badt sein disen morgen unser sehr wenig zusambkhommen, nur der cardinal, der obrist cammerer [Johann Maximilian von Lamberg] sambt der frauen [Judith Rebecca], und der reichs vicecantzler [Wilderich von Walderdorff]; die andern haben alle auß gesezet. Von frembden ware deß bischofen von Münster [Christoph Bernhard von Galen] sein beichtvatter, ein jesuiter, und 4 frauen, die alle so matt gewesen, das sie ihnen nicht getrauet, in dem badt* herumb zu gehen. Zu mittag haben wier alle bei dem hoffmarschalckh [Heinrich Wilhelm von Starhemberg] geßen. Umb 2 sein wier gleich wider herein, und Gott lob baldt nach 5 glückhlich nach hauß khommen. Ihr* khayserliche* Mayestet* [Leopold I.] haben den graf Franzen Augustin von Wallstein der Khaiserin [Eleonora II.] entgegen geschickhet, man hofet noch immerfort das sie morgen hie sein werde.“

16

Martin Scheutz

Umfassend die Welt erklärend eröffnete Goethe im Juli 1831 gegenüber dem stets apportierenden Eckermann auch seine Ansichten über Kurstädte im Allgemeinen und Karlsbad im Speziellen. „‚Eine kleine Liebschaft‘, sagte er, ‚ist das einzige, das einen Badeaufenthalt erträglich machen kann; sonst stirbt man vor Langeweile. Auch war ich fast jedesmal so glücklich, dort irgendeine kleine Wahlverwandtschaft zu finden, die mir während der wenigen Wochen einige Unterhaltung gab.‘“4 Kurstädte verstanden sich aber nicht nur für Unternehmer „in eroticis“ als amouröse He­ rausforderungen, sondern reagierten sensibel auf politische Umbrüche. Der österreichische Alpenkurort Gastein mutierte im Dritten Reich rasch zum „Heilbad für arische Teutonen“5, und bald danach waren dort Juden unerwünscht.6 Schon kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 besuchte Joseph Goebbels (1897–1945) den Salzburger Kurort, wie der „General im Zwielicht“ Edmund Glaise von Horstenau (1882–1946) nach dem Krieg notierte. „Einmal war Goebbels in Gastein und ich musste leider seinen Triumphzug im Auto durch die Hauptstraße mitmachen. […] Die Begeisterung für den Kerl war ekelhaft”.7

1. Der Kataster der Heilorte – eine balneologische Annäherung Die Geschichte der Badeorte, der Bäder, der „Bauernbadln“,8 der (Gesund-)Brunnen, der Brunnenkuren, der Heilbäder, der Heilbrunnen, der „Hydropolen“,9 der Kurorte, der Kurstädte, der Mode-, der Naturbäder, der „Spas“ oder der Wildbä4

Fritz Bergemann (Hg.), Johann Peter Eckermann. Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Bd. 2, Baden-Baden 21983, S. 708. Goethe war allein 13-mal in Karlsbad (zwischen 1785 und 1823) – insgesamt besuchte er 22-mal böhmische Bäder, zudem Pyrmont, Berka, Wiesbaden und Tennstadt. Jörn Göres, Einführung, in: Ders. (Hg.), „Was ich dort gelebt, genossen …“. Goethes Badeaufenthalte 1785–1823. Geselligkeit – Werkentwicklung – Zeitereignisse, Königstein 1982, S. 9–12, hier S. 11 bzw. die Liste S. 313–315. 5 Gert Kerschbaumer, Faszination Drittes Reich, Kunst und Alltag der Kulturmetropole, Salzburg 1988, S. 38. 6 Laurenz Krisch, Bad Gastein während der NS-Herrschaft, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 147 (2007), S. 255–322, hier S. 269–271. 7 Peter Broucek (Bearb.), Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau. Bd. 2: Minister im Ständestaat und General im OKW, Wien u. a. 1983, S. 309. In der „Sportpalastrede“ am 18. Februar 1943 wird Goebbels später den „Totalen Krieg“ einläuten und gegen die Kurorte argumentieren: „Wenn beispielsweise gewisse Männer und Frauen sich wochenlang in den Kurorten herumräkeln, sich dort Gerüchte zutratschen und schwer Kriegsversehrten und Arbeitern und Arbeiterinnen, die nach einjährigem, hartem Einsatz Anspruch auf Urlaub haben, den Platz wegnehmen, so ist das unerträglich und deshalb abgestellt worden. Der Krieg ist nicht die richtige Zeit für einen gewissen Amüsierpöbel.“ 8 Annegret Waldner, Tiroler Wildbäder, Sommerfrischorte und Bauernbadln. Bade- und Sommerfrischewesen im Spanungsfeld kultureller Wandlungsprozesse von der frühen Neuzeit bis zum beginnenden 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2003, S. 86f. 9 Alexa Geisthövel, Promenadenmischungen. Raum und Kommunikation in Hydropolen, 1830– 1880, in: Alexander C. T. Geppert/Uffa Jensen/Jörn Weinhold (Hg.), Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2005, S. 203–229.

Kurstädte im Kontext interdisziplinärer Forschungen

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der (also mit natürlichem Ursprung des Heilwassers)10 erscheint deutlich von interdisziplinären Zugängen geprägt, wobei die Mediziner (unter den Balneologen) als Autoren von Übersichtwerken zu Kurorten lange den Takt angaben. Mitunter steht nicht der Kurort selbst im Mittelpunkt, sondern Begriffe wie die Badenfahrt11 oder die Badefahrt12 thematisieren dagegen die temporäre Migration zu Heil- und Erholungszwecken. Die schiere Fülle der Kurorte erdrückt das Forschungsfeld: Der „Bäder-Almanach“ von 1907 listete 650 Bäder, Kurorte und Heilanstalten in Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz auf. Ein Kartierungsversuch des Denkmalpflegers Volkmar Eidloth13 verdeutlicht für das 15./16. Jahrhundert ein Ansteigen der Bäder im Südwesten und eine zunehmende inhaltliche Vielfalt der Anwendungen. Vor allem im 19. Jahrhundert standen wenigen großen Kurorten viele Sole-, Seebäder, Luftkurorte, Bauernbäder und Kaltwasseranstalten gegenüber.14 Der rastlose Schweizer Naturwissenschaftler, Stadtarzt und Balneologe Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) machte sich im Sommer 1704, geplagt von Migräneanfällen, zu einer Trinkkur in den Schweizer Badeort Pfäfers auf und berichtete davon später in seinen „Itineraria Alpina“. Die Schweizer Wasserquellen, die „von hohen Orten / und erhabenen Bühelen hervor fliessen“,15 wurden von Scheuchzer auch wissenschaftlich untersucht, etwa vor dem Hintergrund seiner Luftdrucktheorie und der Wasseranalysen. 10

Ute Lotz-Heumann, Kurorte im Reich des 18. Jahrhunderts – ein Typus urbanen Lebens und Laboratorium der bürgerlichen Gesellschaft: Eine Problemskizze, in: Raingard Esser/Thomas Fuchs (Hg.), Bäder und Kuren der Aufklärung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen, Berlin 2003, S. 15–35, hier S. 20. 11 Wolfgang Wintperger, Ein Tractat der Badenfart, Straßburg 1512; Gebhard Mehring, Badenfahrt. Württembergische Mineralbäder und Sauerbrunnen vom Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1914; Birgit Studt, Die Badenfahrt. Ein neues Muster der Badepraxis und Badegeselligkeit im deutschen Spätmittelalter, in: Michael Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 2001, S. 33–52. „Badenfahrt“ leitet sich von „Baden“ als Plural im Sinne von Bäder ab, jeder Kurort wird „Baden“ genannt („Baden im Wallis“ für Leukerbad), siehe Philipp Senn, Forscher vor Ort. Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733), Bündner Gönner und die Balneologie, in: Kaspar von Greyerz/Silvia Flubacher/Ders. (Hg.), Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog, Göttingen 2013, S. 255–292, hier S. 255. Andere Forscher erklären die „Badenfahrt“ mit der Fahrt nach Baden (Schweiz). 12 Pius Kaufmann, Gesellschaft im Bad. Die Entwicklung der Badefahrten und der „Naturbäder“ im Gebiet der Schweiz und im angrenzenden südwestdeutschen Raum (1300–1610), Zürich 2009. 13 Volkmar Eidloth, Bäder und Bäderlandschaften in Mitteleuropa. Skizzen zur raumzeitlichen Entwicklung eines Siedlungstyps bis zum Ersten Weltkrieg, in: Volkmar Eidloth/Andreas Dix/Winfried Schenk (Hg.), Orte und Landschaften der Muße, Freizeit und Erholung, Bonn 2018, S. 9–47, mit Karten für römische Heilbäder (11), für das 15./16. Jahrhundert (14), für das 18. Jahrhundert auf der Grundlage von Zückert (26) und für die Kurfrequenz von 1883 nach Flechsig (29). Zum Verhältnis Kurorte/Gästezahl: Ursula Butz, Habsburg als Touristenmagnet. Monarchie und Fremdenverkehr in den Ostalpen 1820–1910, Wien 2021, S. 85f. 14 Zum Bädertourismus in den Alpen (mit Kartenmaterial, S. 80f.): Reto Furter, Hintergrund des Alpendiskurses. Indikatoren und Karten, in: Jon Mathieu/Simona Boscani Leoni (Hg.), Die Alpen! Zur europäischen Wahrnehmungsgeschichte seit der Renaissance, Frankfurt a. M. u. a. 2005, S. 73–96, hier S. 87–90. Die Bäderdichte in den Alpen lag im 18. Jahrhundert bei 0,3 pro 10.000 Quadratkilometer; Ende des 19. Jahrhunderts dagegen bei 5,0 je 10.000 Quadratkilometer. 15 Johann Jakob Scheuchzer, Seltsamer Natur-Geschichten Des Schweitzer-Lands Wochentliche Erzehlung (11. März 1705), in: Ders., Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweitzerlands, Bd. 1, Zürich 1706, S. 20; am Beispiel von Pfäfers und Bad Fläsch: Senn, Forscher vor Ort, S. 255–292.

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Die „systematischen Beschreibungen“ der Gesundbrunnen einer Region besaßen im 18. und frühen 19.  Jahrhundert große Konjunktur. Ärzte wie 1768 der Berliner Mediziner Johann Friedrich Zückert (1737–1778) für „Deutschland“16, 1777 der Botaniker und Mediziner Heinrich Johann Nepomuk Crantz (1722–1799)17 für die österreichische Monarchie oder 1789 der Breslauer Mediziner Johann Gottlieb Kühn erneut für Deutschland18 legten Verzeichnisse vor, welche die medizinische Leistung der Brunnen veranschaulichten, das therapeutische Angebot darlegten und gleichermaßen Reisekatalog für Heilsuchende waren. Notorisch vielschreibend verfasste Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) eine Übersicht über die wichtigsten, „Lebenskraft“ spendenden Heilquellen im deutschen Sprachraum und war gleichzeitig Leibarzt der preußischen Könige.19 Die neubeschworene Heilkraft des Wassers sollte in physischer, aber auch psychischer Hinsicht wirken. Johann Friedrich Zückert etwa setzt sich intensiv mit den chemischen „Bestandtheilen der Mineralwasser“ auseinander.20 Seifenartige Wasser, Bitterwasser, alkalische oder laugensalzige Wasser, „Muriatrische Wasser“, Schwefel- oder Stahlwasser werden voneinander geschieden und nach Nutzen oder Schaden für den Kranken dargestellt. Die insgesamt 656 aufgeführten „Gesundbrunnen“ der Habsburgermonarchie von Heinrich Johann Nepomuk Crantz werden dagegen nach einer Analyse der Mineralwässer („Erklärung der Art und Weise die Mineralwässer chimisch zu untersuchen“) regional geordnet: Vorderösterreich (1–3), Oberösterreich (4–16), Niederösterreich (17– 54), Tirol (55–119), Kärnten (120–142), Steiermark (143–153), Krain (154–172), Kroatien (173–189), Slawonien (190–205), Ungarn (206–429), Siebenbürgen (430–506), Lodomerien und Galizien (507–514), Schlesien (515–521), Böhmen (522–622), Mähren (623–654) und finaliter die Österreichischen Niederlande (655–656). Diesem regional verhafteten Klassifizierungssystem der Mineralwässer21 folgten viele der schreibenden Theoretiker der Kurbäder wie Christoph Wilhelm Hufeland.22 Weitere Ärzte oder sogar explizit ge-

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Johann Friedrich Zückert, Systematische Beschreibung aller Gesundbrunnen und Bäder Deutschlands, Berlin/Leipzig 1768. 17 Heinrich Johann Nepomuk Crantz, Gesundbrunnen der österreichischen Monarchie, Wien 1777. 18 Johann Gottlieb Kühn, Systematische Beschreibung der Gesundbrunnen und Bäder Deutschlands, Breslau 1789. 19 Markwart Michler, Hufelands Beitrag zur Bäderheilkunde. Empirismus und Vitalismus in seinen balneologischen Schriften, in: Gesnerus 27 (1970), S. 191–228. Zur Kalt- und Warmwasseranwendung Manuel Frey, Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760–1860, Göttingen 1997, S. 111–120. 20 Schon ab dem Spätmittelalter war dies Thema: Frank Fürbeth, Die ältesten Mineralquellenanalysen des Gasteiner Thermalwassers durch Sigmund Gotzkircher (um 1450), Johannes Hartlieb (1467/68) und Caspar Schober, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 136 (1996), S. 7–18. 21 Zu den Schwierigkeiten bei der Analyse von Mineralwasser und zur Bedeutung der chemischen Analyse für die Ärzte (am Beispiel etwa von Friedrich Hoffmann [1660–1742]): Noel G. Coley, Physicians, Chemists and the Analysis of Minerals Waters: „The most difficult Part of Chemistry“, in: Roy Porter (Hg.), The Medical History of Waters and Spas [Medical History, Supplement Nr. 10], London 1990, S. 56–66. 22 Christoph Wilhelm Hufeland, Praktische Uebersicht der vorzüglichsten Heilquellen Teutschlands, Berlin, 1815.

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nannte Brunnenärzte ahmten diese auflagenstarken Druckwerke23 in ihren „Allgemeinen Brunnenschriften“, „Taschenbüchern“ oder „Führern in die Kurorte“ mehr oder minder erfolgreich nach:24 etwa Konrad Anton Zwierlein (1755–1825), Johann Evangelist Wetzler (1774–1850), Karl Alexis Weller (1828–1898), August Freiherr von Härdtl (1822–1901), Johann Conrad Hörling (1819–1883), Bernhard Maximilian Lersch (1817– 1902), Robert Ferdi­nand Flechsig (1817–1892) oder der österreichische Obermedizinalrat und Balneologe Karl Diem (1866–1936) mit seinem erfolgreichen „Österreichischen Bäderbuch“. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen „Heilquellenkataster“, die taxativ Kurorte und deren Entwicklung bzw. Besonderheiten aufführten.25 Die Salinenärzte, führend der Schönebecker (Bad Salzelmener) Arzt Johann Wilhelm Tolberg (1762–1831), erkannten um 1800 die heilende Wirkung der Solebäder, was exemplarisch in Ischl (ab den 1820er Jahren mit den habsburgischen „Salzprinzen“) die Transformation eines Salinenortes zu einem Kurort anschob.26 Manche 23

Die Geschichte der Balneologie des 19.  Jahrhunderts ist aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht erstaunlich schlecht erforscht; als Überblick für Österreich etwa: Reinhold Lorenz, Bäderkultur und Kulturgeschichte. Forschungen über den Sozialcharakter der österreichischen Heilquellen, Wien 1949, S. 202–233 (etwa zu Zückert, Crantz, Haerdtl, Diem); Markwart Michler, Zur Geschichte der Balneologie, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 24 (2005), S. 180–194. Zur fehlenden Anerkennung der Wasserheilkunde als akademische Disziplin: Andreas Golob, Die Wasser(heil)kunde auf akademischem Boden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere an der Universität Graz, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 12 (2013), S. 59–72; Ders., Die Entwicklung der Balneologie im langen 19. Jahrhundert, in: Peter Weidisch/Fred Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität. Tagungsband zum Symposium in Bad Kissingen 7.–9. März 2014 im Rahmen der transnationalen seriellen Bewerbung „Great Spas of Europe“ um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkultur­ erbes, Würzburg 2017, S. 41–66. 24 Konrad Anton Zwierlein, Allgemeine Brunnenschrift für Brunnengäste und Aerzte nebst kurzer Beschreibung der berühmtesten Bäder und Gesundbrunnen Deutschlands, Böhmens und der Schweiz, Leipzig 21815; Johann Evangelist Wetzler, Ueber Gesundbrunnen und Heilbäder insbesondere oder Nachrichten über die vorzüglichsten Gesundbrunnen und Heilbäder in der nördlichen Schweiz, in Schwaben, in den Rhein- und Maingegenden, und in Franken, Mainz 1819; Gustav Hauck, Die Kurorte, Gesundbrunnen und Sommerfrischen Deutschlands, mit Einschluss der hervorragenden Bäder der Schweiz und des Auslandes. Ein Quellen-Register, Berlin 1876; Karl Alexis Weller, Taschenbuch der Gesundbrunnen, Bäder, Curorte und Heilanstalten Deutschlands der Schweiz und der angrenzenden Länder nebst Anleitung zum Gebrauch der Trink- und Bade-Curen, Leipzig 1858; Johann Conrad Hörling, Finanzieller, ökonomischer und ärztlicher Führer in die Kurorte von Mitteleuropa, Paderborn 1861/ND Norderstedt 2017; August Freiherr von Härdtl, Die Heilquellen und Kurorte des oesterreichischen Kaiserstaates und Ober-Italiens nach amtlichen Mittheilungen, Wien 1862; Bernhard Maximilian Lersch, Geschichte der Balneologie, Hydropsie und Pegologie oder des Gebrauches des Wassers zu religiösen, diätetischen und medicinischen Zwecken. Ein Beitrag zur Geschichte des Cultus und der Medicin, Würzburg 1863; Robert Flechsig, Bäder-Lexikon. Darstellungen aller bekannten Bäder, Heilquellen, Wasserheilanstalten und klimatischen Kurorte Europas und des nördlichen Afrikas in medizinischer, topographischer, ökonomischer und finanzieller Beziehung, Leipzig 21889; Karl Diem, Österreichisches Bäderbuch. Offizielles Handbuch der Bäder, Kurorte u. Heilanstalten Österreichs, Berlin/Wien 1914. 25 Als Beispiel etwa Reinhold Lorenz, Heilquellenkataster und Landeskunde, in: Bericht über den dritten österreichischen Historikertag in Graz, veranstaltet vom Verband Österreichischer Geschichtsvereine in der Zeit vom 26. bis 29. Mai 1953, Wien 1954, S. 75–78; Ders., Der österreichische Heilquellenkataster, Wien 1953. Der nationalsozialistisch belastete Reinhold Lorenz (1898–1975) baute sich mit den „Kurstädten“ nach 1945 ein politisch unverdächtiges Forschungsfeld auf. 26 Mit guten Argumenten hinterfragt Jakob Vogel die „Schöpfungsthese“ von Tolberg, weil schon Wissenschaftler davor auf die Ähnlichkeit von Salzwasser und Sole hingewiesen haben. Jakob Vogel,

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Kurärzte wie der Wiener Hofarzt Franz de Paula Wirer (1771–1844) in Kombination mit dem Ischler Salinenarzt und ersten Tourismusdirektor Josef Goetz (1777– 1839) verschränkten ihren beruflichen Erfolg mit dem Schicksal eines Kurortes.27 In Übernahme der englisch-belgischen Meerbäder konnten sich ab dem Ende des 18. Jahrhunderts – angeleitet u. a. von der Begeisterung Georg Christoph Lichtenbergs (1742–1799) für englische Meerbäder – auch eigene Seebäder an der Ostsee etablieren; die lange vorherrschende „Meeresangst“ war in eine neue „Meereslust“ (Alain Corbin) umgeschlagen, die dem Meerwasser und der Luft verstärkt Heilung zuschrieb.28 Aber auch Schriftsteller versuchten am lukrativen medialen Nischenprodukt der Bäderschriften mit zu naschen: So veröffentlichte der Schriftsteller Franz Sartori (1782–1832) 1821 eine zweibändige Abhandlung über „Die besuchtesten Badeörter und Gesundbrunnen des österreichischen Kaiserthums“ (worin sich Beiträge beispielsweise über Baden, Teplitz oder Karlsbad finden). Ab dem 20. Jahrhundert lassen sich vermehrt auch Historiker unter den Bäderautoren nachweisen. 1914 veröffentlichte der württembergische Landesarchivar und -historiker Gebhard Mehring (1864–1931)29 eine Übersicht über württembergische Bäder (samt einem Editionsanhang mit Bade-, Badeknecht- und Bademeisterordnungen). Eine möglichst vollständige Erhebung der Heilbäder einer Region blieb aber ein gängiges Motiv der Kurstadtforschung.30 Vor allem die ältere, stark von positivistischen Setzungen bestimmte Kulturgeschichte hat sich neben der Medizingeschichte des Themas Badewesen intensiver vor dem Ersten Weltkrieg angenommen.31 Das reich illustrierte Buch des Nauheimer

Ein schillernder Kristall. Eine Wissensgeschichte des Salzes zwischen Früher Neuzeit und Moderne, Köln 2008, S. 240–243. Als Übersicht Hans-Henning Walter, Der salzige Jungbrunnen. Geschichte der deutschen Solebäder, Freiberg 2006. 27 Reinhold Lorenz, Licht und Schatten in Bad Ischls Frühzeit, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 6 (1959), S. 263–287. 28 Siehe Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie des 18. Jahrhunderts und der Sattelzeit: Die Entstehung einer bürgerlichen Kultur und Gesellschaft, ungedr. Habil. Berlin 2010, S.  184–195; siehe jetzt Dies., The German Spa in the Long Eighteenth Century. A Cultural History, New York 2022. Mit dem Versuch regionale Auf- und Absteiger am Kurmarkt (vor allem im 19. Jh.) zu vergleichen: William Bacon, The Rise of the German and the Demise of the English Spa Industry, in: Leisure Studies 16/3 (1977), S. 173–187. 29 Mehring, Badenfahrt. 30 Als Beispiel etwa mit den Nennungen für Westfalen: Fred Kaspar, Brunnenkur und Sommerlust. Gesundbrunnen und Kleinbäder in Westfalen, Bielefeld 1993, S. 177–240; Karl R. Frick, Kärntner Heilbäder und Kurorte, eine historische Übersicht, in: Carinthia I/187 (1997), S. 495–520; Steffen C. Schürle, Die Kur als touristische Erscheinungsform unter besonderer Berücksichtigung der Mineralheilbäder Baden-Württembergs, Mannheim 2001, S. 141–154; Elke Hammer-Luza, Steirische Kurorte in der Biedermeierzeit, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark 103 (2012), S. 153–204. Für Großbritannien: Phyllis M. Hembry, The English Spa, 1560–1815. A Social History, London 1990. 31 Als neueren Forschungsüberblick aus stadtgeschichtlicher Perspektive: Andrea Pühringer/Holger Th. Gräf, Orte der Fürsorge im Stadtraum der Kurstadt. Das Beispiel Bad Homburg vor der Höhe, in: Gerhard Fouquet/Ferdinand Opll/Sven Rabeler/Martin Scheutz (Hg.), Social Functions of Urban Spaces through the Ages/Soziale Funktionen städtischer Räume im Wandel, Ostfildern 2018, S. 141–165, hier S. 143–145.

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Kurarztes Alfred Martin (1874–1939) über das „Deutsche Badewesen“32 verortet 1906 das Thema der Kurstädte verstärkt in einer höhenschichtigen Kulturgeschichte Lamprecht’scher Prägung. Seine Zäsursetzung innerhalb der Geschichte der deutschen Bäder war eindeutig der Dreißigjährige Krieg (die „alte deutsche Badeherrlichkeit war verschwunden“), dessen Ende die Gesundbrunnen von den „deutschen Mineralbädern“ des Mittelalters schied.33 Häufig wurde das Thema Badeorte aus einer tendenziell sentimentalen, größere kulturwissenschaftliche Konzepte ignorierenden Perspektive (und mitunter ohne Fuß- oder Endnoten) dargestellt. Der Berliner Kunsthändler, Kunstsachverständige der Reichskulturkammer und Malereiexperte Wilhelm August Luz (1892–1959),34 der Mainzer Arzt Alfred Hartmann35 oder ein Autorenduo, bestehend aus den Kunsthistorikern Heinz Biehn (1908–1975) und Johanna von Herzogenberg (1921–2012),36 erkundeten mit unterschiedlicher Tiefenschärfe den Glanz des frivolen, alten Badewesens, die Kultur der Badereise, die „Kulturgeschichte des Heilbades“37 bzw. die „Heilkraft des Wassers“.38 Vielfach stellen diese Bücher den vergangenen Splendor39 einer von Adel und Prominenten geprägten Kurwelt antithetisch den ano­nymen, krankenversicherten Patienten der Gegenwart in Bettenburgen gegenüber. Erst mit den 1970er Jahren zeigte sich ein verstärktes Interesse der universitären Geschichtswissenschaften an diesem vermeintlichen Nebenthema einer Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte.40 Pionierstatus beim Neubeginn der Kurstädteforschung kommt der sozial- und ideengeschichtlich angelegten Einzeluntersuchung des Philologen Reinhold P. Kuhnert41 aus dem Jahr 1984 zu, welcher die Badereise 32

Alfred Martin, Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Nebst einem Beitrage zur Geschichte der deutschen Wasserheilkunde, Jena 1906/ND München 1989. 33 Mit einem kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick: Matthias Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland 1550 bis 1840. Zum Wandel von Gesellschaft und Architektur, Idstein 1989, S. 9–11. 34 Wilhelm August Luz, Büchlein vom Bade, Berlin 1958. Zur Tätigkeit von Luz während des Dritten Reiches: Sibylle Ehringhaus, Galerie Dr. W. A. Luz. Deutsche Meister für Museen, in: Christine Fischer-Defoy (Hg.), Gute Geschäfte. Kunsthandel in Berlin 1933–1945. Ausstellung des Aktiven Museums im Centrum Judaicum, Berlin 2011, S. 67–72. 35 Alfred Hartmann, Badereise durch fünf Jahrtausende, Mainz 1969, Mainz 22015. 36 Heinz Biehn/Johanna von Herzogenberg, Große Welt reist ins Bad. Nach Briefen, Erinnerungen und anderen Quellen zur Darstellung gebracht, München 1960. 37 Auch in globaler Sicht: Vladimir Křižek, Kulturgeschichte des Heilbades, Stuttgart 1990. Der Arzt (1924–2003) im westböhmischen Marienbad/Mariánské Láznĕ vermittelt einen breiten Einblick in Wasserheilkunde und Kurwesen. 38 Gernot von Hahn/Hans-Kaspar von Schönfels, Von der Heilkraft des Wassers. Eine Kulturgeschichte der Brunnen und Bäder, Augsburg 1986. Die Kapitelüberschriften erzählen vom Zuschnitt des Bandes: „Jeder Hufschlag ein Treffer“, „Ein gewitzter Bauer heilt mit dem Schwamm“, „Schweizer Bäder: Freundliche Gäste und artige Feste“, „Die ‚grosse Welt‘ kurt in den Bädern“, „Poeten im Bad: ‚… und dichtet was für die Hermine‘“. Ähnlich auch das Buch des Eisenbahnhistorikers Alfred Niel, Die großen k. u. k. Kurbäder und Gesundbrunnen, Graz 1984. 39 Klaus Günzel, Bäder-Residenzen: Kuren, Amouren, Diplomatie und Intrige, Stuttgart 1998. 40 Als Beispiel sei etwa die sozialwissenschaftliche Studie von Gerhard Hüfner (Wirtschaftsverband Deutscher Heilbäder) genannt: Gerhard Hüfner, Die Sozialkur und ihre statistische Erfassung. Ein Beitrag zur Erhebung und Auswertung von Bäderstatistiken aus den Jahren 1875 bis 1965, Kassel 1969. 41 Reinhold P. Kuhnert, Urbanität auf dem Lande. Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert, Göttingen 1984.

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nach Pyrmont im 18. Jahrhundert überzeugend auch aus der Sicht der Aufklärungsforschung und der Kommunikationsgeschichte untersuchte. Eine breitere, vergleichende Sichtweise auf die Architektur der Kurstädte gelang dem Kunsthistoriker und Museumsleiter Rolf Bothe (geb. 1939), der Kurstädte als eigenen Bautyp begriff und vor dem Hintergrund des Verlustes an historischer Bausubstanz verschiedene Kurorte exemplarisch aufarbeiten ließ.42 Einen Versuch, Architektur (Kurhaus, Konversationssaal) und die Sozialstruktur der Badelisten im Sinne von Norbert Elias zu verbinden, legte der Geograph Matthias Bitz 1989 vor.43 Im 18. und vor allem 19. Jahrhundert zeigte sich in den Kurorten die allmähliche Herausbildung von kur­ ortspezifischen Idealtypen wie Bade-, Gesellschafts-, Quellenhaus, Trinkhalle und Wandelbahn, aber auch der Bäderbau an sich professionalisierte sich.44 Dem zivilisatorischen Ansatz von Elias folgte auch der Ethnologe Burkhard Fuhs, der die enge Verflechtung von Gesellschaftsgeschichte zur Kurstadt und eine Entwicklung der Kurlandschaft hin zu exklusiven, sozial distinkten Kurbezirken (etwa Wiesbaden) betonte.45 Die Ethnologin Annegret Waldner erforschte die Entwicklung der bäuerlichen Tiroler Wildbäder als Mischung von Sommerfrische und Kuraufenthalt.46 Eine breitere Einbettung des Themas aus interdisziplinärer Sicht gelang am Beginn des dritten Jahrtausends zwei wichtigen Sammelbänden,47 die einerseits im Längsschnitt das Thema Bäder bzw. andererseits vor allem die Gesellschaft der Aufklärer (etwa die „Brunnenfreiheit“48) im Bad darstellten. Auch die Kur als Teil der Tourismusgeschichte49 oder spezielle Badegastkulturen wie die Kleriker in Schweizer Bädern oder die Architekturgeschichte von Baden-Baden50 gelangten stärker ins Blickfeld. Die Kurstädte als räumliche Sonderformen, im Sinne von Michel Foucault als Heterotopien, nahm 2010 dann die Historikerin Ute Lotz-Heumann51 mit ihrer spät gedruckten Habilitationsschrift in den Blick, wel42

Rolf Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984. Einem typologischen Ansatz folgte auch der Bauforscher und Architekt Hannes Eckert (geb. 1942): Hannes Eckert, Neue Bäder heilen gut. Zum Wandel der führenden deutschen Kurorte im 19. Jahrhundert, 3 Bde., Darmstadt 1990. 43 Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland. 44 Anke Ziegler, Deutsche Kurstädte im Wandel. Von den Anfängen bis zum Idealtypus im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2004. 45 Burkhard Fuhs, Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700–1900, Hildesheim 1992. 46 Waldner, Tiroler Wildbäder. 47 Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen; Esser/Fuchs (Hg.), Bäder und Kuren. 48 Als Überblick etwa: Brigitte Erker, „Brunnenfreiheit“ in Pyrmont. Gesundheit und Geselligkeit im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, in: Esser/Fuchs (Hg.), Bäder und Kuren, S. 53–97; für das 19.Jh.: Butz, Habsburg als Tourismusmagnet, S. 122–128. 49 Schürle, Die Kur als touristische Erscheinungsform. 50 Kaufmann, Gesellschaft im Bad; siehe die kundige und bautypologisch interessierte Längsschnitt­ untersuchung von Ulrich Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden. Die Baugeschichte der Stadt und ihr Beitrag zur Entwicklung der Kurarchitektur, Mainz/Aachen 2008. 51 Ute Lotz-Heumann, Kurorte im Reich, S. 15–35; Dies., Unterirdische Gänge, oberirdische Gänge, Spaziergänge. Freimaurerei und deutsche Kurorte im 18.  Jahrhundert, in: Aufklärung. Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte 15 (2003), S. 159–186; Dies., Daheim und auf Reisen: Fürst Franz im Bade – Heterotopie und fürstliche Reprä-

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che die saisonal bespielten Kurorte als Laboratorien der Moderne in der Sattelzeit und als Begegnungsorte von Adel und aufstrebendem Bürgertum interpretierte. Die Kurstädte zählten in ihrer Verschränkung von Stadt- und Naturraum zu den im 18.  Jahrhundert stetig wachsenden „Freiräumen“ und zum „Sommerplaisir“ der Stadtbewohner.52 Im Zuge der kostenintensiven UNESCO-Bewerbung der „Great Spas of Europe“ ab 2005 (erste Ablehnung 2008) wurde eine Reihe von interdisziplinären Tagungen von Architektur-, Gartenhistoriker:innen, Ethnolog:innen und Kunsthistoriker:innen veranstaltet, welche vor allem die großen europäischen Kurstädte (wie Baden-Baden, Bath, das böhmische Bäderdreieck, Montecatini, Spa, Wiesbaden) als Ausdruck von Internationalismus und Moderne, als mondäne Orte des politischen Aushandelns und als vielschichtige „Playgrounds of Europe“ vorstellten.53 Kurstädte waren gleichermaßen Orte der weltabgewandten Idylle und einer dem Alltag und der Arbeitswelt enthobenen Heterochronie, aber auch der Modernität mit frühem Fotoatelier, Eisenbahnanschluss, Kanalisation, Pflasterung, Schlachthof, hochmoderner Hotelburg mit Fließwasser samt Aufzug und Telegrafenanschlüssen, wie neuere Forschungsüberblicke zeigen.54 Ohne auch nur annähernd einen vollständigen Überblick über die Gesamtdarstellungen geben zu können, vermittelt vor allem die pointierte Studie des Historikers David Clay Large55 eine gute essayistische Revue des Themas: Die „Summer Capitals of Europe“ mit ihrem Prunk, ihrer internationalen Gästeschar, den Künstlerinnen und Künstlern,56 sentation an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Holger Zaunstöck (Hg.), Das Leben des Fürsten. Studien zur Biographie von Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817), Halle 2008, S. 109–120; Dies., Repräsentationen von Heilwassern und -quellen in der Frühen Neuzeit. Badeorte, lutherische Wunderquellen und katholische Wallfahrten, in: Matthias Pohlig/Ute Lotz-Heumann/Vera Isaiasz/Ruth Schilling/Heike Bock/Stefan Ehrenpreis (Hg.), Säkularisierung in der Frühen Neuzeit. Methodische Probleme und empirische Fallstudien, Berlin 2008, S. 277– 330; Dies., Der Kurort als Heterotopie (Habil.); eine englische Fassung liegt nun vor. 52 Am Beispiel der Bäder im Umfeld von Dresden: Ulrich Rosseaux, Freiräume. Unterhaltung, Vergnügen und Erholung in Dresden 1694–1830, Köln 2007, S. 211–234. 53 Andreas Förderer, Playgrounds of Europe. Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden 2010; Volkmar Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 2012; Katharina Herrmann/Tamara Engert/Markus Mayer (Hg.), Internationalität in ausgewählten Kurstädten des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden 2012; Volkmar Eidloth/Petra Martin/Katrin Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung. Kurgärten und Kurparks in Europa / Between Healing and Pleasure. Spa Parks and Spa Gardens in Europe, Ostfildern 2020. 54 Siehe den breiten Überblick am Beispiel der Taunusbäder, aber in größerem Umfang generalisierbar bei: Andrea Pühringer, Der Taunus – Konjunkturen einer traditionsreichen Bäderlandschaft, in: Christina Vanja/Heide Wunder (Hg.), Die Taunusbäder. Orte der Heilung und der Geselligkeit, Darmstadt 2019, S. 149–177; Weidisch/Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität. Zum Hotel als Maschine: Jacques Gubler/Suzanne Horn-Puhlmann, Eine Saison in zwei Kurorten, in: Herbert Lachmayer/Sylvia Mattl-Wurm/Christian Gargerle (Hg.), Das Bad. Eine Geschichte der Badekultur im 19. und 20. Jahrhundert, Salzburg 1991, S. 209–219, hier S. 211f. 55 David Clay Large, The Grand Spas of Central Europe. A History of Intrigue, Politics, Art, and Healing, Lanham 2015. 56 Als Beispiel für die „Meraner Russenkolonie“, für jüdische Gäste, für Maler wie Kandinsky, Münter und Marc etwa: Ewald Kontschieder/Josef Lanz/„Musik Meran“ (Hg.), Meran und die Künstler. Musiker, Maler, Poeten in einem Modekurort 1880–1940, Bozen 2001.

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aber auch die politische Dimension der Bäderdiplomatie des 19.  Jahrhunderts bis hin zum Bäderantisemitismus und der politischen Instrumentalisierung im Dritten Reich sowie der anschließende Niedergang der Kurstädte werden hier an den deutschen, österreichischen und tschechischen Kurorten (Bad Ems, Bad Homburg, Wiesbaden, Baden-Baden, Karls- und Marienbad, Baden bei Wien, Bad Ischl und Bad Gastein) souverän erzählt vorgeführt.

2. Eine schwierige Periodisierung des Badetourismus Eine überzeugende Periodisierung der mitteleuropäischen Kurorte in ihrer Abfolge von Konjunkturen und Rezessionen erscheint bislang wenig geklärt und ist angesichts der vielschichtigen Masse an großen, mittleren und kleinen Kurorten sowie der Notwendigkeit einer differenzierten komparatistischen Sichtweise schwer vorzunehmen. Als generelles Narrativ zu Kurstädten könnte man folgende idealtypische Erzählung vorschlagen:57 Während im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit vor allem Thermalkuren Zulauf von Kranken erfahren hatten,58 kam es im späten 16. Jahrhundert vermehrt zur Nutzung von Wasser in Form von Trinkkuren mit kalten Sauerbrunnen (Gesundbrunnen). Eine große Rolle spielte die Diätetik der sex res non naturales (Arbeit, Ruhe, Licht, Luft, Schlaf, Speisen etc.). Doch blieb auch das Baden neben dem Trinken weiterhin wichtig. Einige der ehemals kleinen Kurorte bzw. der mittelgroßen Kurstädte erlebten im 18. Jahrhundert ein beträchtliches Wachstum, das Orts-/Stadtbild erfuhr durch Bade- und Brunnenhäuser, Hotels, Thermalanlagen, Wandelhallen (später Theater, Konzerthallen) bedeutende Änderungen. Aussichtswarten, Promenaden, Parks und Spazierwege ließen die Kur­orte landschaftsbildend werden.59 Für die adeligen und zunehmend auch bürgerlichen Besucher entwickelten sich die ehemaligen Gemeinschaftsbäder nun zu Einzelbädern; die Armen- und Soldatenbäder blieben dagegen den kollektiv Badenden vorbehalten.60 Das 18. und 19. Jahrhundert zeigte eine deutliche Pluralisierung der

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Katrin Keller, Bäderstadt, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart 2005, Sp.  926–928; als guten Überblick über Kurortentwicklung und Kurpraktiken: Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 104–124. 58 So etwa die Darstellung von: Studt, Die Badenfahrt, S. 33–52. Als Detailstudie für das bereits im Spätmittelalter professionalisierte Wildbad: Peter Rückert, Die Grafen von Württemberg im Wildbad. Erholung und Politik im spätmittelalterlichen Schwarzwald, in: Eidloth/Dix/Schenk (Hg.), Orte und Landschaften der Muße, S. 73–87. 59 Siehe als Fallbeispiel für die Entwicklung der Kurlandschaft: Roswitha Mattausch, „Überall wird man von neuen Schönheiten überrascht.“ Gärten und Parks und die Homburger „Kurlandschaft“ im 19. Jahrhundert, in: Dies./Andrea Pühringer, Mondäne Stadt – idyllische Landschaft. Der Aufstieg Homburgs zum Kur- und Modebad im 19. Jahrhundert, Bad Homburg 2016, S. 69–116. 60 Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 106.

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Abb. 1: Solebadhaus (später Trinkhalle) in Ischl aus den Jahren 1836/37, errichtet von Architekt Franz Xaver Lössl (mit Flügelbauten 1851 und 1853), dahinter thront das Telegrafengebäude von 1895, Foto von 1914. Quelle: ÖNB Bildarchiv 185.935 (Fotograf Richard Teschner).

Angebotspalette von Kurorten: Sole-, Moor-, Schlammbäder; dazu traten dann die Molkenkur, die Lichtbäder, die Kneipp’schen Wasseranwendungen, die Traubenkur oder auch die Luftkurorte zur Behandlung der Staublunge oder der Tuberkulose.61 Bis dato gibt es nicht nur keinen breit anerkannten Periodisierungsversuch der Kurstädte, auch ein elaborierter Kriterienkatalog, an dem eine überzeugende Periodisierung erstellt werden könnte, fehlt. Die Attraktivität des Kurortes für die Gäste, deren Zusammensetzung, die bauliche Ausgestaltung der Kurorte, die Kommunikationssituation oder auch ideengeschichtliche oder politische Aspekte (etwa Aufklärung, nationalstaatliche Aspekte), Raumgeschichte (Idyllen wie Alleen, Parks, Aussichtswarten) oder „Modernität“ (etwa Telegrafen- und Eisenbahnanschlüsse) könnten als noch zu erarbeitende Kriterienbündel dienen. In der Forschung unumstritten scheint, dass das 18.  Jahrhundert einen Aufschwung der Kurorte brachte, dass das 19.  Jahrhundert die „goldene“ Zeit war und dass nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg ein bestenfalls silberner „Niedergang“ einsetzte, als die Krankenversicherungen vermehrt zum Reisebüro der arbeitenden Kurgäste aufstiegen. 61

Fred Kaspar, Ostwestfalen – der Heilgarten Deutschlands? Zur Geschichte von Kurgebrauch und Kurorten in Westfalen-Lippe, in: Westfälische Forschungen 64 (2014), S. 125–157, hier S. 136–139.

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Manche Forscher sehen Zäsuren des Badewesens mit dem Dreißigjährigen Krieg,62 andere die Entstehung der Kurstädte zwischen 1750 und 1790,63 wieder andere eine „Krise des Badewesens“ zwischen 1770 und 1803 und daran anschließend die „Wiederbelebung des Badewesens durch das Bürgertum“ zwischen 1803 und 1840.64 „Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft“65 entstanden, die saisonal Urbanität auf das „Land“ transferierten. Um 1820 erlebten manche der Kurorte eine take-off-Phase66 im Sinne eines Aufstieges zu weltbekannten Kurorten wie Baden bei Wien, Ems, Ischl, Karlsbad/Karlovy Vary oder Wiesbaden; andere Kurorte sanken dagegen in die Bedeutungslosigkeit ab. Viele Kurorte sahen sich durch die wirtschaftliche Schwächung der alten Eliten und den Untergang der Monarchien nach dem Ersten Weltkrieg und mit den Wirtschaftskrisen danach einem v. a. von der Lokalgeschichtsschreibung bedauerten Niedergang ausgesetzt, wodurch sich mancherorts beträchtliche städtebauliche Probleme bei der Erhaltung der übergroßen Infrastrukturen (Thermalbäder, Hotels, Kurhäuser) ergaben.67 Jahrhunderteübergreifende Studien, die eine Entwicklung der Kurstädte regional und zeitlich vergleichend untersuchen, sind bislang rar. Der Karlsruher Kunsthistoriker und Touristiker Andreas Förderer untersucht in seiner UNESCO-Studie der „Great Spas“68 vergleichend mehrere europäische Kurorte. Er interpretierte Kurorte als urbane Soziabilität im ländlichen Umfeld (als Gegenbild zur Metropole), als wichtigen Standort der Tourismusindustrie, als internationalen/nationalen Kontakt­

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In diese Richtung vorsichtig: Mehring, Badenfahrt, S. 131f. Jill Steward, The Role of Inland Spas as Sites of Transnational Cultural Exchange in the Production of European Leisure Cultures, in: Peter Borsay/Jan Hein Furnée (Hg.), Leisure Cultures in urban Europe c. 1700–1870. A transnational perspective, Manchester 2016, S. 234–259: “Making of the spas, 1750–1790”, “The making of resort culture: 1790s–1840s”, “The making of leisure resorts: 1850–1870”. 64 Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 254–374; Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 250– 261, sieht die Krise erst mit der Französischen Revolution entstehen („partieller Zerfall der Kommunikationsgemeinschaft des Bades“). 65 So der Titel von: Fuhs, Mondäne Orte. 66 Gegen Fuhs (1803) und Bitz (1840) argumentierend: Lotz-Heumann, Kurorte im Reich des 18. Jahrhunderts, S. 22 f.: „Meines Erachtens ist die Epochenschwelle in der Entwicklung der Kurorte jedoch um 1820 anzusetzen: Erstens stieg nach 1820 die Zahl der Kurorte gegenüber dem 18. Jahrhundert erneut sprunghaft an, weil nun zahlreiche Salzgewinnungsorte der Frühen Neuzeit zu Heilbädern umgewandelt wurden. Und zweitens entwickelten sich um 1820 Kurorte zu Weltbädern, die im 18. Jahrhundert gegenüber anderen Heilbädern eher im Hintergrund standen: Ems, Wiesbaden, Baden-Baden und Karlsbad.“ 67 Als Vergleich die Grafik bei Christel Langefeld, Bad Nauheim. Struktur- und Funktionswandel einer traditionellen Kurstadt seit dem 19.  Jahrhundert, Marburg/Lahn 1986, S.  2: Vier Typen von „Badereisen“ sowie drei Formen von „Sozialkuren“ nach 1945 werden differenziert, denen die Autorin dann konkrete Zeiträume und dominante Kurmotive zuweist: „Badereise  I, ca. 1720–1799, Glücksspiel, Gesundheit als Scheinmotiv“, „Badereise II, 1800–1872, Glücksspiel, Erholung“, „Badereise III, 1873–1914, Vergnügen, Gesundheit“, „Badereise IV, 1918–1945, Vergnügen, Gesundheit, Rehabilitation“; „Sozialkur I, 1945–1957“, „Rehabilitation. Sozialkur II, 1957–1981“, „Rehabilitation, Prävention. Sozialkur III, 1982ff., Rehabilitation.“ 68 Förderer, Playgrounds. 63

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ort und als Verhandlungsbühne der Politik. Kurstädte als „Salon Europas“69 dienten als eminent wichtige „Inspirationsorte“ – ein Periodisierungsmodell liegt damit aber nicht vor. Aus der Sicht des Stuttgarter Bauforschers Hans Eckert (geb. 1942) gliedert sich die bautypologische Entwicklung der Kurorte des 19. Jahrhunderts folgendermaßen: „Treffpunkte der Gesellschaft“ (1790/1800–1820/1830), „Eldorado der Genießenden“ (1820/1830–1850/1860), „Standorte der Badeindustrie“ (1850/60–1880/1890) und schließlich „Refugium der Erschöpften“ (1880/1890–1910/1915).70 Die großen Kurorte („Hydropolen) galten „zwischen 1830 und 1880 als Begegnungsraum der Eliten“,71 als sich diese dort „ […] aus Politik und Staatsdienst, Landbesitz, Handel, Industrie und Kunst“72 auf neutralem Boden trafen, während das ärmere Bürgertum kleinere Gesundheitsbäder frequentierte und sich ebenda auch nach „unten“ hin abgrenzte. Der Ethnologe und Pädagoge Burkhard Fuhs (geb. 1956) ließ auf die Modekurorte (vor allem Pyrmont) des 18. Jahrhunderts den Kulturbezirk als „geschlossene Welt“ um 1800 und schließlich die Kurstadt im 19. Jahrhundert folgen.73 Aus einer tourismusgeschichtlichen Sicht (für den Württemberger Raum) gliedert sich der „Kurverkehr“ nach dem Geografen Steffen C. Schürle folgendermaßen, indem der Badereise, die Badekur und dann die Sozialkur folgte.74

3. Reisende und Bereiste – Etablierung neuer Räume Die Geschichte der Kurorte – ob Stadt oder Dorf – wird hauptsächlich aus der Per­ spektive der bürgerlichen, adeligen oder höfischen Saisonreisenden oder der Künstlerinnen und Künstler verfasst, seltener gelangen die armen, mitunter über Stiftungen finanzierten Badenden in den Blick. Die „bereiste“ Gesellschaft wird in den zahlreichen Untersuchungen meist schon weniger behandelt, am ehesten noch anlässlich der baulichen Ausgestaltung der mondänen Kurorte des 18. und 19. Jahrhunderts.

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Peter Martin, Salon Europas. Baden-Baden im 19. Jahrhundert, Konstanz 1983. Eckert, Neue Bäder heilen gut, Bd. 1, S. 5–44. 71 Geisthövel, Promenadenmischungen, S. 211. 72 Ebd., S. 207. 73 So die Gliederung bei: Fuhs, Mondäne Orte. 74 Schürle, Die Kur als touristische Erscheinungsform: (1) feudale Badereise in einer Wiederaufnahme der antiken Tradition (1700–1789) und dann „Übergang von der Kur zur Bade- und Vergnügungsreise“ (1789–1830), (2) Badereisen zu Zeiten der Frühindustrialisierung als „Modisch-luxuriöse Vergnügungsreise einer erweiterten Oberschicht (nach 1830–1872), (3) bürgerliche Badereise mit der „Kur als Massenphänomen einer bürgerlichen Elite“ (1873–1918) und (4) bürgerlich-soziale Badekur im Übergang von einer „erweiterten gesellschaftlichen Elite hin zur demokratisierten Sozialkur“ (1918– 1933), (5) „totalitäre Ansätze einer allgemeinen Volkskur“ im Nationalsozialismus (1933–1945), (6) der „Wiederaufbau und Renaissance“ der bürgerlich-sozialen Badekur (1945–1957), (7) die „Kur als gesetzlicher Versorgungsanspruch“ (1957–1982) und (8) die „Einschränkung des Leistungsumfanges und Kurortkrisen“ (nach 1982). 70

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Ab dem Spätmittelalter zeigte sich eine neue Form der Kur – die Wildbäder mit ihrem mineralisch angereicherten Wasser wurden vermehrt in Anspruch genommen, deren Infrastruktur baut man, gefördert von den Landesherren, aus; eigene Badestuben für die oft stundenlangen Bäder und sozial differenzierte Herbergen wurden errichtet.75 Die Besucher der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bäder lassen sich meist nur über Selbstzeugnisse, balneologische Traktate oder über Rechnungen fassen. Die volkssprachig und auf Latein verfassten Badeschriften dienten im 16. Jahrhundert als Grundlage für Satiren (etwa bei Hans Sachs und seinen Badeschriften), aber sie thematisieren auch die Badesituation eingehender, indem etwa der Badende den robusten Badeknechten ausgeliefert scheint. Als Abbild der menschlichen Seele wird das Bad im Kurort gesehen, aber auch als eigenes Gesellschaftsmodell (etwa als Repräsentation der verschiedenen Stände) gedeutet.76 Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts stand die Krankenheilung bei der Badekur (und noch weniger stark über die Trinkkur) – zumindest in den publizierten Badeschriften – deutlich im Mittelpunkt, aber auch kommunikative Aspekte der „Gesellschaft im Bade“77 bzw. der Badegeselligkeit wie Gastmähler, Badegeschenke, wechselseitige Einladungen und die Bildung von Netzwerken lassen sich gut fassen. Geistliche und weltliche Fürsten sowie Adelige78 besuchten meist in Gruppen die Kurbäder, aber auch Kanoniker, die sich das Recht auf Badekuren in den Statuten der Domkapitel verankern ließen, und Klosterangehörige. Vor allem Rechnungen (etwa der Almosenämter) belegen gut, dass in den Städten auch Arme in den Genuss von Badefahrten kommen konnten. Die Wahl der Unterkünfte, die Größe der jeweiligen Badegesellschaft, das vor den Augen der Badegesellschaft verzehrte Essen differierten beträchtlich. Auch war es reichen Badenden wichtig, memoriale Zeichen wie das Anbringen eines Wappens zu setzen. Am Beispiel Schweizer Bäder wurde gezeigt, dass die „Ausgaben von Arm und Reich […] in einer Bandbreite von 1 ½–600 Gulden“ lagen; die „Reichen gaben mehr als das 370-Fache desjenigen armer Leute aus“.79

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Als Überblick etwa Studt, Die Badenfahrt. Am Beispiel verschiedener Texte von Hans Sachs, Thomas Murner oder von Johann Fischart: Simone Loleit, Wahrheit, Lüge, Fiktion. Das Bad in der deutschsprachigen Literatur des 16. Jahrhunderts, Bielefeld 2008. Aus medizinischer Sicht: Irmgard Probst, Die Balneologie des 16. Jahrhunderts im Spiegel der deutschen Badeschriften, Münster 1971, S. 100–103. Dem Wasser selbst wird keine Wirkung zugeschrieben, nur den Mineralien und Metallen. 77 Zum Folgenden: Kaufmann, Gesellschaft im Bad, S. 147–315. 78 Zu Montaignes Badereise: Hermann Wiedemann, Montaigne und andere Reisende der Renaissance. Drei Reisetagebücher im Vergleich: das „Itinerario“ von de Beatis, das „Journal de voyage“ von Montaigne und die „Crudities“ von Thomas Coryate, Trier 1999, S. 65–72. 79 Kaufmann, Gesellschaft im Bad, S. 314. 76

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3.1 Die Gesellschaft der Kurgäste Die Gesellschaft der Kurgäste im 18. und 19. Jahrhundert wurde am Beispiel von Bad Pyrmont unter den Schlagworten „Urbanität auf dem Lande“ (Reinhold P. Kuhnert) oder auf breiterer Grundlage als von der Aufklärung beeinflusstes „Laboratorium der Moderne“ (Ute Lotz-Heumann) gefasst, wo sich eine adelige Welt trotz adeligem Repräsentationswillen vor dem Hintergrund der „Brunnenfreiheit“ stärker mit den Bürgern zu mischen begann und sich die Ständegesellschaft mit aufklärerischem Impetus deutlich veränderte. Pointiert formuliert könnte man die Kurorte der Sattelzeit folgendermaßen charakterisieren: „Am Kurort waren Krankheit und Gesundheit, Vergnügen und Arbeit, Sexualität und Liebessemantik, adelige Repräsentation und bürgerliche Forderungen nach ‚Freiheit‘ und ‚Gleichheit‘ spannungsreich miteinander verknüpft. Die Heterotopie ‚Kurort‘ war mit einer Heterochronie verknüpft: Der Kuraufenthalt stellte eine abgegrenzte Zeit im Jahresablauf dar, und der Kuralltag stabilisierte als ritualisierter Tagesablauf den gesellschaftlichen Ausnahmezustand“.80 Wenn auch in vielen Kurorten des 18. Jahrhunderts die Nicht-Adeligen, darunter auch bäuerliche „Hausleute“, die Mehrheit stellten,81 so dominierten doch bis rund 1750 der Adel und die „feinen Leute“82 Thorstein Veblens (1857–1929) – als oberste Ebene der Ständegesellschaft – die Vergesellschaftung im Kurbad. Ein wunderbares Beispiel für die Verbindung von Adelsresidenz, adeliger Repräsentation und Bad stellt das 1694 gegründete und zwischen 1704 und 1720 ausgebaute „Kuckus-Bad“ des Reichsgrafen Franz Anton von Sporck (1662–1738) beim böhmischen Dorf Kuks/Kukus am Oberlauf der Elbe dar. Getrennt durch die dort noch schmale Elbe ließ Sporck im Rahmen seines „Kuckus-Bades“ eine Baderesidenz in Form eines Schlosses, eines Theaters, von Wohngebäuden für die Kurgäste, von Wirtschaftsgebäuden und eines großen sowie eines kleinen Badehauses anlegen. Ein Arkadengang, Kegelbahnen und ein Lustgarten (samt Zwergengarten mit 42 Steinskulpturen) ermöglichten auch bei Hitze ein Promenieren der adeligen Gäste.83 Am anderen Elbufer erhob sich ein Spital und die von Giovanni Battista Alliprandi (um 1665–1720) entworfene Dreifaltigkeitskirche samt Gruft. Sporck ließ das „Kuckus-Bad“, das seinen adeligen Rang, die adelige Repräsentation und das Kuren der adeligen Gäste kombinierte, auch intensiv medial bewerben. 80

Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 266. Zur nicht-adeligen Mehrheit der Kurgäste: Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 124f., zu Bauern, S. 129–133, zu Bettlern S. 138–140. 82 Thorstein Veblen, The theory of the leisure class. An economic study in the evolution of institutions. The Macmillan Company, New York/London 1899. Deutsche Ausgabe zuletzt: Ders., Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, übersetzt von Suzanne Heintz und Peter von Haselberg, Frankfurt a. M. 2007. 83 Mit einer Darstellung der Gesamtanlage: Harald Tausch, Franz Anton von Sporcks „Kuckus=Bad“. Intermediale Aspekte von Gartenkunst und Literatur in einem böhmischen Badeort zwischen Barock und Frühaufklärung (J. Chr. Günther und Ph. B. Sinold), in: Natascha N. Hoefer/Anna Ananieva (Hg.), Der andere Garten. Erinnern und Erfinden in Gärten von Institutionen, Göttingen 2005, S. 125–157; Annette Dorgerloh, Franz Anton Graf Sporck und sein Kukus-Bad in Böhmen, in: Esser/Fuchs (Hg.), Bäder und Kuren, S. 113–128. 81

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Ab 1750 zeichnete sich ein Wandel der Gesellschaftsordnung vor dem Hintergrund bürgerlicher Kampfbegriffe wie der aufklärerischen „Brunnenfreiheit“ (die auch Juden inkludieren sollte) im Kurbad ab. Die Rangordnung der öffentlichen Tafeln und deren Tischordnung wurden aufgebrochen, doch zeigten sich bei den Kur­ ortbegegnungen auch deutlich Gläserne Decken. Offene bzw. verdeckte Konflikte bestimmten bei der interständischen Begegnung von Adeligen und Bürgerlichen das Geschehen am Kurort (ähnlich wie in den zeitgenössischen Salons und den aufklärerischen Gesellschaften) mit.84 Das „große“ Frühstück85 an der „Table d‘hôte“ um 9 Uhr, das nach dem ab 6 Uhr früh vorgenommenen, gemeinsamen Gang zur Quelle und dem Trinken von mehreren Gläsern des Heilwassers gemeinsam eingenommen wurde, galt als der „Kristallisationspunkt für das Miteinander von Adel und Bürgertum“.86 Der nachmittägliche Spaziergang in den Alleen, das Sitzen in den Pavillons eröffnete überständische Begegnungsräume. Kurorte verstanden sich zudem als überkonfessionelle Orte, die einerseits Gottesdienste für die jeweilige Konfessionskultur ermöglichten, andererseits das Thema Konfession neutral außer Streit stellten.87 Umgekehrt konnten politische Gegensätze im Kurort face-to-face ungezwungener, jenseits der Etikette der Stadt oder des Zeremoniells des Hofes, und auf überregionaler und mitunter sogar internationaler Ebene diskutiert werden.88 Kurstädte waren in den Sommermonaten zum einen Informationsbörsen, wo man professionell nationale und internationale Nachrichten austauschte und universitäre oder soziale Netzwerke bediente, aber es wurden auch politische Entscheidungen im Sinne des „Fürstenbades“ und der Bäderdiplomatie vorbereitet.89 Zum anderen fungierten die meist von den Landesfürsten intensiv geförderten Kurstädte für die „Brunnengäste“ als exzellente Heiratsmärkte, wo niederschwellig über organisierte Begegnungsforen (wie dem täglichen Spaziergang) auch Heiratsoptionen vor dem Hintergrund der neuen Liebes-Konzeption der Sattelzeit erkundet und mögliche Allianzen ausgehandelt werden konnten.90 Kurorte waren aber auch von der „Demi-monde“ bevölkert und galten als Orte der Prostitution.91 Neben den ungezwungenen Umgang, den freien, integrativen „Ton“ und die „Gleichheit“ der Kurgäste trat als zusätzliche soziale Distinktionsform der informelle „Zirkle“ – vor 84

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Pyrmont besaß seit 1776 eine Freimaurerloge; Ute Lotz-Heumann, Unterirdische Gänge, S. 159–186. Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 181. Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 241. Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 205; Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 260–262. Schon die Badeordnungen des 16. Jahrhunderts verbieten Gespräche über Religion. Zum kommunikativen Aspekt der Kurstädte: Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S.  73–93, zur Politik S. 237–249. Kuhnert sieht am Beispiel von Pyrmont einen Einbruch dieser „Kommunikationsgemeinschaft des Bades“ durch die Französische Revolution. Als Beispiel der Pyrmonter Fürstensommer 1681, des Kongresses von Rastatt (bei Baden) 1797–1799, die Emser Punktation von 1786, die Karlsbader Beschlüsse 1819: Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 132f. Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S.  259. Etwa zur Begegnung von Arthur Schnitzler und Olga Waissnix in Meran 1886: Marion Thaler, Meran als Kur- und Literaturstadt 1850–1950, Diplomarbeit Univ. Innsbruck 1997, S. 113–124. Zur Erotik als Aufstiegsstrategie, zur Begegnung der letzten Chance und zur Prostitution: Fuhs, Mondäne Orte, S. 234–250.

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Ort gruppierten sich gehobene Bürger, Adelige, Gelehrte oder Künstler92 in eigenen überständischen Gesellschaftsformen, wo die aufklärerische „Freundschaft“ gepflegt werden konnte. Nicht nur die Geschlechterrollen93 wurden in Kurorten hinterfragt, sondern auch jüdische Kurgäste lassen sich nachweisen. Während manche Kurorte wie Teplice 1706 oder das schweizerische Baden (Aargau) 1790 noch eigene, von den restlichen Heilquellen gesonderte Judenbäder führten, zeigte sich in anderen Bädern eine langsame Integration. Seit Ende der 1770er Jahre wurden auch jüdische Gäste in Pyrmont explizit als „Herr“ und „Madame“ tituliert, davor hatte man selbst reiche jüdische Kurgäste unterschiedslos als „Juden“ in den Brunnenlisten geführt.94 Jüdische Emanzipation, die Haskala und die Assimilation gerieten zum „Entree-Billet in die Badegesellschaft“. In Pyrmont wurde der berühmte Gelehrte Moses Mendels­ sohn (1729–1786) 1773/74 von Göttinger Professoren umschwärmt und auch von Adeligen eingeladen. Umgekehrt versuchten die Obrigkeiten der Kurstädte die Armen von der mondänen Gesellschaft zu trennen. Obwohl viele Kurstädte über eigene Bade- und Trinkmöglichkeiten für Arme („Armenbäder“,95 Soldatenbäder, „Bettlerhütten“, Stiftungen96) verfügten, war diesen der Kontakt zu den vermögenden Kurgästen nicht erlaubt,97 ebenso sollten sie nicht an den Promenaden, dem Tanz oder dem Theater teilnehmen. Nur zu bestimmten, eingeschränkten Tageszeiten gewährte man ihnen das Betreten der Brunnenanlagen. Auch das obligate Ständchen beim Eintreffen im Kurort wurde den Armen ebenso wenig zugestanden wie ein Eintrag in die Kurlisten. „Organisierte Almosensammlungen und die Errichtung eigener Armenbäder hielten die Bedürftigen auf Distanz.“98 Im Bergwesen bezahlten Knappschaftsverei-

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Als Beispiel etwa Theodor von Frimmel, Beethoven im Kurort Baden bei Wien, in: Neues Beethoven Jahrbuch 4 (1930), S. 39–106. Beethoven nutzte seine Aufenthalte in Baden bei Wien für intensive Kontakte zu seinen Förderern, aber auch zu seinen Verlegern. Zum Modus von Integration und Distinktion: Philipp Prein, Bürgerliches Reisen im 19. Jahrhundert. Freizeit, Kommunikation und soziale Grenzen, Münster 2005, S. 194–201. 93 Zu den Chancen der Emanzipation am Beispiel der „Empfindsamkeit“ der Frauen in der Aufklärung: Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 196–202. 94 Ebd., S. 202–204. 95 Am Beispiel von Baden bei Wien zeigt sich die ambivalente Haltung gegenüber den wenig bemittelten Kurgästen Juliana Mikoletzky, Die Schattenseiten der Sommerfrische – Armenbäder und Armenpolitik österreichischer Kurorte im 19. Jahrhundert am Beispiel Baden bei Wien, in: Willibald Rosner (Hg.), Sommerfrische – Aspekte eines Phänomens. Die Vorträge des dreizehnten Symposions des Niederösterreichischen Instituts für Landeskunde, Reichenau an der Rax vom 5. bis 8. Juli 1993, Wien 1994, S. 53–62; für Baden-Baden: Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 371–373. 96 Für Bad Homburg: Pühringer/Gräf, Orte der Fürsorge, S. 146–150. 97 Zu den sozial gestaffelten Bademöglichkeiten innerhalb von Kurorten: Jill Steward, The Spa Towns of the Austro-Hungarian Empire and the Growth of Tourist Culture: 1860–1914, in: Peter Borsay/Gunther Hirschfelder/Ruth-E. Mohrmann (Hg.), New Directions in Urban History. Aspects of European Art, Health, Tourism and Leisure since the Enlightenment, Münster 2000, S. 87–125, hier S. 88. 98 Am Beispiel von Supplikationen um Kuren entwickelt bei: Christina Vanja, Arme Hessen in Kurbädern des 18. Jahrhunderts, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 12 (2013), S. 11–25, hier S. 21f. (Zitat S. 22).

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ne ihren Mitgliedern Kuren, in den Salinenorten gab es eigene Knappschaftsbäder. Manche Fabriken errichteten eigene Heime für ihre Arbeiter, so etwa die Farbwerke Hoechst um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Bad Soden.99 Kurlisten und später ab dem 19. Jahrhundert die Bäderstatistiken als genuine Quellengattung der Heilbäder erlauben einen hervorragenden, aber limitierten Einblick in die Zusammensetzung der Badegesellschaft. Die von den Kurgästen genau studierten Kurlisten – Kurlisten galten als „Medium der Kontaktaufnahme“100 – prämierten sozialen Stand in auffälliger Weise, indem hochadelige Kurende meist an den Beginn dieser Listen gesetzt wurden.101 In Pyrmont begann die Kurverwaltung eine Erfassung der Gäste mit „Brunnen-“ und „Schlüsselbüchern“, erst seit 1735 liegen gedruckte Kurund Fremdenlisten vor.102 In den Kurlisten wurden länger vor Ort befindliche Gäste mit ihrem Namen (samt Begleitung), dem Beruf, dem Herkunfts-, dem Wohnort und dem Ankunftstag aufgelistet. Der Beginn der Kurlisten ist regional unterschiedlich anzusetzen: In Aachen beginnen beispielsweise die gedruckten Kurlisten mit dem Jahr 1756,103 in Wiesbaden ab 1774;104 seit 1805 gab es diese in gedruckter Form etwa auch in Baden bei Wien.105 Die ältesten erhaltenen Badelisten in Homburg stammen von 1834, in Ischl von 1839106 und in Gastein von 1845.107 Kurlisten ermöglichen bei aller Quellenkritik und Ungenauigkeit im Detail valide statistische Auswertungen. So ergab ein Vergleich der Kurgastzahlen von Baden-Baden, Karlsbad, Nauheim, Reichenhall und Salzuflen (1832 bis 1932), dass sich die Zahl der Kurgäste zwischen 1852 und 1902 in Baden-Baden und in Karlsbad verdoppelt, in Bad Reichenhall versiebenfacht und in Bad Nauheim gar versechs-

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Hüfner, Die Sozialkur und ihre statistische Erfassung, S. 4. Zitiert nach: Geisthövel, Promenadenmischungen, S. 215. Siehe die Bemerkung von: Marie von Ebner-Eschenbach aus Franzensbad („Sechs Episoden aus Franzensbad“): „Die Kurliste wird eifrig und täglich studiert, wir kennen den Namen, die Heimat, den Stand eines jeden Badegastes, seine Wohnung, die Zahl seiner mitgebrachten Diener, wir schließen auf seinen Reichtum oder seinen Großmut nach der Summe, die er zu den gemeinnützigen Sammlungen beigetragen, wir erforschen, weshalb er gekommen, wie lange er bleibt: gehört er aber zu einer anderen Coterie als der unseren, so wird er als ausgestoßener Paria behandelt und – suchend – geflohen!“, zit. nach: Wolfgang Kos, Zwischen Amüsement und Therapie. Der Kurort als soziales Ensemble, in: Lachmayer/Mattl-Wurm/Gargerle (Hg.), Das Bad, S. 220–236, hier S. 226; Butz, Habsburg als Tourismusmagnet, S. 116f. 101 Oliver Kühschelm, Kurort Bad Vöslau, in: Othmar Rychlik (Hg.), Gäste – große Welt in Bad Vöslau, Ausstellungskatalog, Bad Vöslau 1994, S. 23–68, hier S. 46. 102 Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 45 (mit Grafik). 103 Eduard Arens, Kurgäste in Bad Aachen 1756–1818. Nach den Kurlisten und anderen Quellen, Aachen 1926. 104 https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/Kur-_und_Fremdenliste.php [Stand: 22.02.2021]. 105 Die Badener Kurlisten beruhten auf Meldezetteln: Juliana Mikoletzky, Zur Sozialgeschichte des österreichischen Kurortes im 19. Jahrhundert: Kurlisten und Kurtaxordnungen als sozialhistorische Quelle, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 99 (1991), S. 393–433, hier S. 398, S. 418 (Gastein). 106 Kristian Streicher, Die Ischler Kurlisten des 19.  Jahrhunderts als sozialgeschichtliche Quellen, Masterarbeit Univ. Wien 2019, S. 35. 107 Andrea Penz, Inseln der Seligen. Fremdenverkehr in Österreich und Irland von 1900 bis 1938, Köln 2005, S. 36f.; zu Kurlisten Butz, Habsburg als Touristenmagnet, S. 88. 100

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undzwanzigfacht hatte.108 Neben dem Hof, dem Adel und den Bürgern erzwangen die Industrialisierung und die Sozialgesetzgebung ab den 1880er Jahren auch vermehrt Kuraufenthalte von Arbeitern, Handwerkern und Bergleuten, die Eisenbahnen sorgten für rasche Verbindungen. Ab den 1870er Jahren war die Kur zu einem Massenphänomen nicht mehr nur der bürgerlichen Eliten, sondern auch breiterer Bevölkerungskreise geworden.109 Die Kurlisten belegen die Sensibilität des Kurtourismus für politische und wirtschaftliche Krisen (etwa den Börsenkrach 1873) oder für Umwelteinflüsse (etwa Hochwasser).110 Der kaiserliche Kurort Ischl verzeichnete nach der Eröffnung des Kurhauses 1875 und nach dem Bahnanschluss 1877 deutliche Zuwächse, 1897 dagegen gab es infolge des Traunhochwassers ebenso einen Einbruch bei den „Kurparteien“ wie im Jahr 1866 infolge des italienisch-preußisch-österreichischen Krieges.111 Die Nähe eines Kurortes zu einem der regierenden Häuser war ebenfalls ein Pull-Faktor: Im Jahr 1880 feierte der österreichische Monarch Franz Joseph seinen 50. Geburtstag in Ischl und das führte mit 4.749 Kurgästen zu einem neuen Besucherrekord. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg läutete dann die silberne Epoche des Kurtourismus mit der Erschließung neuer Touristenschichten in Ischl ein, die Tausend-Mark-Sperre 1933 markierte dann einen erneuten Einbruch.112 Eine Auswertung der Ischler Kurlisten zwischen 1842 und 1897 verdeutlicht den Wandel des sozialen Profils der größtenteils aus dem Bereich der Habsburgermonarchie stammenden und in Privatquartieren untergebrachten Kurgäste in dieser habsburgischen Sommerresidenz in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. Vor allem Wienerinnen und Wiener strömten nach Ischl, um dort ihre Kur und/oder Sommerfrische zu verbringen. Der Anteil der nichtadeligen Gäste stieg beständig an. Während der Adel um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch rund 36 % der Kurgäste (20 % Geschäftsleute, 12,5 % Privatiers) aufwies, hatte der Adel seine Vorreiterrolle zur Jahrhundertwende verloren. 16,4 % Adeligen standen nun 25 % an Geschäftsleuten und 18 % Privatiers gegenüber; auch die Anzahl der „Gelehrten“ nahm deutlich zu.113 Der Vergleich zu einem anderen kaiserlichen Bad fällt recht ähnlich aus: Der spätere kaiserliche Kurort Ems, eine Art „Staatsbad“, stieg zwischen 1850 und 1860 (Eisenbahnanschluss 1858) zum mondänen, vergnügungsorientierten Kurort 108

Hüfner, Die Sozialkur und ihre statistische Erfassung, S. 2. Schürle, Die Kur als touristische Erscheinungsform, S.  103–110. Siehe den Beitrag von Michael Hascher in diesem Band. 110 Nach einer Erhebung der Kurlisten von Baden, Ischl, Badgastein, Aussee, Gleichenberg und Hall (Oberösterreich) zwischen 1805 und 1937: Lorenz, Bäderkultur und Kulturgeschichte, S. 297–301: Kriegsjahre 1809, 1813, 1859, 1866, 1914; Revolutionsjahr 1848; Einführung der Schillingwährung 1923; Wirtschaftskrise 1873, 1929; politische Krisen 1933 (die Krise von 1938 bis 1945 wird dann nicht mehr erwähnt). 111 Streicher, Die Ischler Kurlisten, S. 51, zum Folgenden, S. 55. 112 Bernd Kreuzer, Tourismus ohne Kaiser: Das Salzkammergut und die oberösterreichischen Kurorte zwischen den Weltkriegen, in: Oberösterreich 1918–1938, hg. vom Oberösterreichischen Landesarchiv, Bd. 2, Wien 2015, S. 113–225, hier S. 141–148. 113 Streicher, Die Ischler Kurlisten, S. 70. 109

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auf, nachdem es zuvor zwar schon viele Adelige, Offiziere und Beamte unter den Badegästen gab, aber die Gesellschaft der Kurgäste noch mit „einfach-ländlichen Noten“114 durchsetzt war. Internationale Gäste (darunter auch viele Russen) zog es infolge der Spielbank nach Ems – mit 1871 erreichte der Kurort seinen Frequenzrekord. Zusehends verdeutschte das Publikum, die Gäste wurden danach sparsamer und waren deutlich weniger wohlhabend als in der Glanzzeit. Stellten die Adeligen 1830 insgesamt noch 18,73 % und 1871 17,48 % der Kurvorstände, sank danach die Prozentzahl der adeligen Kurvorstände auf 3,36 % im Jahr 1910 ab.115 Die Kaufleute hielten die führende Rolle unter den Emser Kurvorständen (1834 27  %), erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts sank diese Gruppe auf unter ein Fünftel der Kurgäste.116 Die Kurvorstände ohne Berufsangaben (Rentiers) und die Beamten folgten dann in der Berufsstatistik der Kurgäste. Neben den Prominenten kamen aber auch einfache Leute (darunter auch osteuropäische Juden) und Personen aus der Umgebung zur Kur nach Ems. Die Kurlisten geben uns über die regionale Herkunft der Kurgäste Auskunft; vergleichende Analysen von sieben Kurorten (Baden-Baden, Franzensbad, Karlsbad, Marienbad, Spa, Vichy, Wiesbaden)117 in den Stichjahren 1810, 1860 und 1900 lassen erkennen, dass sich gewissermaßen „nationale“ Kurstädte etabliert hatten. Kurgäste aus dem Deutschen Reich (bzw. den Vorgängern) fanden sich besonders häufig in Baden-Baden und Wiesbaden. Russische Kurgäste gab es ebenfalls in allen untersuchten Kurstädten (lediglich in den böhmischen Kurstädten weniger häufig). Franzosen zeigten sich naturgemäß in Vichy, aber auch in Baden-Baden und Wiesbaden. Britische und niederländische Kurgäste suchten ab der Mitte des Jahrhunderts in Baden-Baden, Spa und Wiesbaden Linderung von ihren Leiden. Ab 1860 konnte man skandinavische Gäste als kleine Gruppe in Franzensbad antreffen, ebenso fand man um 1900 in Franzens- und Marienbad Gäste aus dem Osmanischen Reich. Betrachtet man absolute Zahlen, so erreichten Wiesbaden 1900 rund 120.075 Kurgäste, gefolgt von Baden-Baden mit 71.065. Die gegen Ende des Jahrhunderts stark wachsenden böhmischen Kurstädte waren da deutlich bescheidener: Marienbad verzeichnete 20.513 (1900), Franzensbad 8.627 (1903) und das wesentlich größere Karlsbad im selben Jahr 49.370 Kurgäste.118 Als Vergleich: Ischl zählte als Rekordwert 27.250 Gäste (1908), Meran 30.726 (1910).119 Während in Baden-Baden wenige Unterkünfte (4 bis 9 %) rund die Hälfte der Kurgäste beherbergten, dominierten in den böhmischen Kurstädten viele kleine Unterkünfte das Beherbergungsgeschehen. Auch lassen die Kurlisten Aussagen über die Reiseformen zu. In Franzensbad, das für seine Heilung von „Frauenleiden“ bekannt war, fanden sich um 1900 75 % Frauen unter den Kurgästen ein. 114

Hermann Sommer, Zur Kur nach Ems. Ein Beitrag zur Geschichte der Badereise von 1830 bis 1914, Stuttgart 1999, S. 291. 115 Ebd., S. 726. 116 Ebd., S. 252. 117 Herrmann/Engert/Mayer, Internationalität, S. 33–61. 118 Ebd., S. 39. 119 Jon Mathieu/Eva Bachmann/Ursula Butz, Majestätische Berge. Die Monarchie auf dem Weg in die Alpen 1760–1910, Baden 2018, S. 88–93.

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Grafik 1: Baden-Baden – Herkunft der Kurgäste (Angaben in Prozent) 1812, 1860, 1900. Quelle: Herrmann/Engert/Mayer, Internationalität, S. 42.

Grafik 2: Karlsbad – Herkunft der Kurgäste (Angaben in Prozent) 1812, 1860, 1900. Quelle: Herrmann/Engert/Mayer, Internationalität, S. 43.

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Grafik 3: Wiesbaden – Herkunft der Kurgäste (Angaben in Prozent) 1817, 1858, 1900. Quelle: Herrmann/Engert/Mayer, Internationalität, S. 46.

Grafik 4: Frauen unter den Kurgästen (Anteil in Prozent) in Baden-Baden, Marienbad, Wiesbaden, Spa, Franzensbad, Karlsbad 1810, 1860, 1900. Quelle: Herrmann/Engert/Mayer, Internationalität, S. 61.

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3.2 Die bereiste Gesellschaft in den Kurorten Kurorte lebten von der saisonalen Überfüllung und vom pulsierenden gesellschaftlichen Leben während des kurzen Sommers oder des langen Winters. Der österreichische Schriftsteller Robert Musil (1880–1942) – kritischer Wegbegleiter der Moderne – besuchte Ischl 1930, nachdem er den ersten Band seines Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ abgeschlossen hatte, und lobte paradox die Absenz der Kurgäste im Kurort. Ischl sei „in Abwesenheit der Kurgäste sehr schön“120 gewesen. Der österreichische Essayist Jean Améry (1912–1978) vermerkte zu diesem Ort: „Mit dem Ende der Kursaison verwandelte sich der Marktflecken urplötzlich und vollkommen. Der Kurort wurde zum Dorf. Die Villen hatten ihre Fensterläden geschlossen, die Kaffeehäuser waren verlassen.“121 Nach dem Abzug der Kurgäste verfielen viele Kurorte in eine Art Winterschlaf, das Heer der Saisonarbeiter zog ab, die Saisongeschäfte (wie Fotoateliers, Klavierverleiher, Kunst- und Antiquitätenläden, Hotels) sperrten zu und die saisonalen „dienstbaren Geister“ wie die Dienstboten, die Sprach- oder die Sportlehrer verschwanden für einige Monate.122 Die Wäschereien und Büglereien, die Gastronomie oder die Nähereien boten vor allem Frauen die Möglichkeit von Erwerbsarbeit.123 Während die Reisenden und deren soziale Schichtung gut erforscht sind, rückt die Interaktion der ansässigen Bevölkerung mit den Reisenden, aber auch die Sozial­ struktur der Kurstädte oder deren politische Entwicklung in Abhängigkeit zum Kurbetrieb deutlich weniger prominent ins Blickfeld der Forschung. Kurgäste suchten in Kurstädten Heilung, Erholung (etwa im Kurpark), Unterhaltung und Kontakte meist im Rahmen ihrer adeligen, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Verhältnisse. Die Einheimischen versuchten aus dem Besuch der Kurgäste Gewinn zu erzielen. Das Verkaufsangebot in Kurstädten korrelierte mit den finanziellen Möglichkeiten der Kurgäste. So errichtete man in den kleinen steirischen Kurorten des 19. Jahrhunderts zuerst bescheidene hölzerne Buden; manche Händler mieteten sich in lokalen Gewölben während der Saison ein.124 Weil den Kurstädten beträchtliche Ausgaben für die Errichtung einer kurstadtspezifischen Infrastruktur erwuchsen, erhoben viele Städte ab dem 19.  Jahrhundert sogenannte Kurtaxen. Kurkommissionen entstanden, Kurkapellen mussten engagiert werden, Verkehrsinfrastruktur, Wasserleitungen, Parks, Pflasterungen, Straßenbeleuchtungen auf der Grundlage von Gas und Strom installiert und v. a. ein Bad und die damit verbundenen Bau-

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Harald Gschwandtner, „war es dort in Abwesenheit der Kurgäste sehr schön“. Robert Musil in Bad Ischl, in: Musil-Forum. Studien zur Literatur der klassischen Moderne 35 (2017/18), S. 278–284, hier S. 282. 121 Ebd., S. 281. 122 Zu Dienstboten in Kurstädten: Hans-Jürgen Sarholz, „Dienstbare Geister“ in Bad Ems – Der schöne Schein und ein Blick hinter die Kulissen, in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 119–132. 123 Als Fallbeispiel Patrizia Peintner, Gries bei Bozen 1838–1914. Vom ländlichen Weindorf zum bürgerlich-mondänen Kurort, Diplomarbeit Univ. Wien 1995, S. 117–127. 124 Hammer-Luza, Steirische Kurorte, S. 186–188.

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ten errichtet werden.125 Mit großem finanziellen Aufwand errichteten manche der großen Kurstädte sogar eigene modische Kurbezirke, die sich von den alten Badebezirken separierten.126 Während die Kurgäste der Modebäder im 19. Jahrhundert Hotels benötigten und später auch eigene Villenbezirke errichteten, machte sich der sozialgesetzgeberische Kurbetrieb des 20. Jahrhunderts vornehmlich in Kurheimen, Sanatorien und Kliniken bemerkbar.127 Die Sozialstruktur der Kurstädte wurde dadurch nachhaltig verändert. Die Ausgaben für Kurinfrastruktur wurden begleitet von intensiven Auseinandersetzungen um die Finanzen in den anfangs noch von Honoratioren (und nicht Parteien) bestückten Gemeinde- und Stadträten.128 Durch den Kurbetrieb wurde der jeweilige Wirtschaftsstandort deutlich verwandelt: Gastgewerbe, aber auch bildungsbürgerliche Berufe wie Rechtsanwälte oder Notare siedelten sich verstärkt in den Kurorten an. Im alten Salzort Ischl bestimmten ab den 1870er Jahren nicht mehr die alten Eliten das politische Geschehen, sondern die zugewanderten neuen Markt­ eliten, die sich politisch den Liberalen zuordneten, gestalteten die kommunale Politik. Diese liberale Honoratiorenschicht musste im Sinne einer Steigerung des Kurtourismus kostspielige Projekte wie den Bau des Kurhauses (1875), des Kursalons, des Schlachthofes, der Wasserleitung, der Kanalisation oder die Elektrifizierung des Kurortes durchsetzen – große Kritik erwuchs diesen liberalen Lokalpolitikern in Ischl durch die konservativen Kräfte (etwa in Gestalt des Ischler Pfarrers Franz Weinmayr).129 Stadträumlich verbannte man die Dampfwäschereien, den Schlachthof oder die Gasanstalt an den Stadtrand.130 Industrialisierung und Kurstädte schlossen sich keineswegs aus, Spinnanstalten, Hut- und Lederfabriken beschäftigten die lokale Bevölkerung zusätzlich.131 Die Kurgäste hatten Einfluss auf die politische Situation der bereisten Kurorte, weil sich die entstehenden Parteien vor dem Hintergrund des sich etablierenden Antisemitismus erbitterte Schlachten lieferten. Die am deutlichsten wachsende kon125

Am Beispiel von Vöslau (südlich von Wien): Die Stadt kaufte 1887 das Bad, errichtete Stromleitungen und Straßenbahnverbindungen, Wasserleitungen. Seit den 1880er Jahren ging die Stadt zur Schuldenwirtschaft über. Oliver Kühschelm, Bad Vöslau und seine Bürger 1850–1914, Bad Vöslau 1996, S. 163–218. 126 David Blackbourn, Taking the Waters. Meeting Places of the Fashionable World, in: Martin Geyer/ Johannes Paulmann (Hg.), The Mechanics of Internationalism. Culture, Society and Politics from the 1840s to the First World War, Oxford 2001, S. 435–457, hier S. 448. 127 An einem Fallbeispiel: Langefeld, Bad Nauheim; Fred Kaspar, Wohnen an informellen Treffpunkten der Gesellschaft. Auf der Suche nach der besten Unterkunft im Kurort zwischen Spätmittelalter und Ende des 19. Jahrhunderts, in: Weidisch/Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität, S. 159–232. 128 Zu den verschiedenen Investoren in Kurstädten: Blackbourn, Taking the Waters, S. 445f. 129 Siehe den guten Überblick bei: Maria K. Aigner, Ischl – unpolitischer Kurort der Politik. Das Ischler Bürgertum von 1861 bis 1912, Diplomarbeit Univ. Wien 2001. 130 Sommer, Zur Kur nach Ems, S. 377–379. 131 Zur Gründung von Schafwollspinnereien und einer Spinnschule für arme Kinder: Lorenz, Licht und Schatten, S. 271; als Überblick für Bad Homburg: Andrea Pühringer, Rauchende Schlote in der Kurstadt. Industrie, Industrialisierung und Kurwesen in Bad Homburg, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 25 (2014), S. 97–125; Dies., Das Kurwesen als Motor der Urbanisierung. Stadtplanung und städtische Expansion im 19. Jahrhundert, in: Mattausch/Pühringer, Mondäne Stadt, S. 7–66.

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fessionelle Gruppe in Meran waren zwar die Evangelischen, aber auch die jüdische Bewohnerschaft der Kurstadt nahm zu: 1880 gab es in Meran 4.696 katholische, 230 evangelische und 112 jüdische Einwohner; 1910 dagegen 20.274 katholische, 4.696 evangelische und 903 jüdische Anwohner in der Passer-Stadt.132 Mit der 1883 gegründeten rabiat-antisemitischen Zeitung „Der Burggräfler“ des Meraner Pfarrers Sebastian Glatz wurde ein Gegengewicht zur liberalen „Meraner Zeitung“ geschaffen und Juden systematisch diffamiert.133 Der hochgebildete Rabbiner Aron Tänzer (1871–1937) trat den Antisemiten oder, wie er sie bezeichnete, „Antiveritanern“ in Meran mit Entschlossenheit gegenüber: Die Zeitung „Der Burggräfler“ gehöre zu den traurigen Episoden in der Geschichte Österreichs, so seine Einschätzung. Die Anzahl der jüdischen Kurgäste nahm zu, aber die jüdischen Kurgäste waren in Meran trotz der dankend angenommenen Einkünfte nicht gerne gesehen. Als Jenny Koscher in Meran eine koschere Ausspeisung eröffnete, wurde ihr vom Gemeinderat beschieden, dass sie diese „abseits von der Habsburgerstraße an einen mehr abgelegenen Teil des Stadtgebietes“134 zu verlegen habe. Der in Meran verstorbene Schriftsteller Daniel Spitzer (1835–1893) lebte zwei Jahre vor seinem Tod ständig in Meran und kritisierte mit spitzer Feder in seinen „Spaziergängen“ die häufigen Prozessionen in Meran und die Vielzahl der dort anzutreffenden konservativen Geistlichen. „Der Burggräfler“ griff umgekehrt auch jüdische Kurgäste, wie den gefeierten Berliner Bühnenautor Oskar Blumenthal (1852–1917), direkt an. Für viele Kurorte bedeuteten die Weltkriege, dass ausländische Kurgäste abreisten bzw. ausblieben und die leerstehende Infrastruktur neu genutzt wurde.135 Meran avancierte schon im Dezember 1914 zum „Kriegskurort“, die ersten Verwundetentransporte trafen bald ein. Alltägliche Routinen der Kurorte wurden dadurch gestört, so gab es – wie die deutschsprachige Presse skandalisierend berichtete – ein „Promenadeverbot für Verwundete und kranke Soldaten im Kurort Meran“. Lebensmittelknappheit, Proteste gegen die Anwesenheit von Gästen, der Aufenthalt flüchtender Familien, Heizmaterialmangel oder Kriegsküche beeinträchtigten die Kursaison während des Krieges.136 Nicht nur die Weltwirtschaftskrise, sondern auch politische Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit erwiesen sich als negativ für die mitteleuropäi132

Sabine Mayr, Von Heinrich Heine bis David Vogel. Das andere Meran aus jüdischer Perspektive, Innsbruck 2019, S. 225. Als Überblick für Meran: Sabine Mayr/Joachim Innerhofer, Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichte jüdischer Familien in Bozen und Meran, Bozen 2015. 133 Mayr, Von Heinrich Heine bis David Vogel, S. 257. 134 Ebd., S. 191. 135 In Ischl gab es 1916 nochmals einen Aufschwung (7.866 Kurgäste 1914, 8.472 1916, 4.337 1917 und 6.395 1918), vgl. Tamara Bocksleitner, Der Fremdenverkehr im Kurort Bad Ischl unter besonderer Berücksichtigung der Kriegsjahre 1914–1918, Masterarbeit Univ. Innsbruck 2017, S. 51. 136 Patrick Gasser, Vom aufstrebenden „Weltkurort“ zum „Weltkriegs-Kurort“: Meran im Ersten Weltkrieg. Krieg und Tourismus, in: Ders./Andreas Leonardi/Gunda Barth-Scalmani (Hg.), Krieg und Tourismus im Spannungsfeld des Ersten Weltkrieges. Guerra e turismo nell’area di tensione della Prima Guerra Mondiale, Innsbruck/Wien 2014, S.  333–358, hier S.  342. Zum Versuch, Tourismus und Weltkriegsforschung zu verbinden: Gunda Barth-Scalmani, Tourismus und Krieg. Ein neues Themenfeld der Weltkriegs-Historiographie, in: ebd., S. 27–56, hier S. 34–42. Für Ischl Bocksleitner, Der Fremdenverkehr, S. 56–64; Bernhard Weller, Kurorte im Krieg. Kurort und Macht, in: Weidisch/Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität, S. 299–313.

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Abb. 2: Villa Blumenthal (Marienheim) im norwegischen Stil, Kaltenbach 153, Bad Ischl. Der Berliner Architekt Johannes Lange konstruierte diese Holzvilla für die Weltausstellung 1893 in Chicago, wohin sie zerlegt transportiert wurde. Der Musikkritiker und Schriftsteller Oskar Blumenthal erwarb sie dort und ließ sie in Bad Ischl 1896 wieder errichten. Quelle: Huemer/Louis/Rath, Moderne Architektur im Salzkammergut, S. 20f.; Villa Blumenthal (2012) by PECH53, CC BY-SA 3.0 [23.03.2021].

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schen Kurorte. In Baden bei Wien spielte sich die Auseinandersetzung zwischen der aufkommenden nationalsozialistischen Partei und der christlich-sozialen Partei bzw. den Sozialdemokraten vor den erstaunten Augen der Kurgäste ab. So gab es zwischen 1934 und 1936 zahlreiche Bombenanschläge in der Kurstadt Baden.137 Auch der Antisemitismus wuchs mit der Wirtschaftskrise. Für Bad Ischl findet sich für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg die antisemitische Bezeichnung „Ischeles“ oder „Neu-Jerusalem“, als viele Villen im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise veräußert werden mussten. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 entließ man nicht nur den Kurhausleiter und vertrieb jüdische Kurgäste; allein in Ischl arisierte man, angetrieben von den lokalen Akteuren, 96 Liegenschaften.138

4. Kurorte als transkulturelle Kontaktzonen und Heterotopie Kurorte verstehen sich als „dritte Räume“ (Homi K. Bhabha) und nahezu idealtypisch als Orte, die an der Fuge zwischen Makro- und Mikroräumen bzw. zwischen Metropolen und Peripherie angesiedelt sind. Reale Räume werden durch die Raumnutzer neu definiert, sodass sich spezifische Verbindungen im Sinne einer Verschmelzung von verschiedenen Kulturen (der Reisenden und der Bereisten) ergeben.139 Hotel­hallen in Kurorten des 19. Jahrhunderts wurden einerseits mit Geweihen drapiert, andererseits mit modernen Thonetstühlen versehen, sodass ein antiquiert-modernes Hybrid entstand, welches die scheinbare Urtümlichkeit der „Natur“ mit den technischen Vorzügen der Metropolen kombinierte. Die zwischen Bürgertum, Adels- und Hofkultur angesiedelten Kurstädte lassen sich mit einer Foucault’schen Begrifflichkeit als Heterotypien interpretieren, die als abgegrenzte Räume (Illusions-, Kompensationsraum) eine soziokulturelle und ökonomische Andersartigkeit gegenüber den üblichen Räumen aufwiesen.140 Kurorte in der Sattelzeit standen auch für einen Wandel: Während die nur saisonal zwischen April bis September genutzten Kurstädte des 18.  Jahrhunderts von der Vorstellung einer Urbanität auf dem Land mit französischen Gärten geprägt waren, setzte sich um 1800 verstärkt das Bild der Kurstadt in der Landschaft bzw. im englischen Landschaftsgarten durch. Am deutlichsten wird die Verschränkung von Badebetrieb und „Na137

Siehe die Fallstudie von Dominik Zgierski, Die Kurstadt unter dem Kruckenkreuz 1933–1938. Gemeindepolitik in Baden während der Österreichischen Diktatur, Baden 2015. 138 Jutta Hangler, Die Villen ,,Neu-Jerusalems“. Die Arisierung von Immobilieneigentum am Beispiel des Kurortes Bad Ischl, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 19 (2000), S. 259–296. Populärwissenschaftlich etwa zur Deportation von Fritz Löhner-Beda aus Ischl: Chris­ tian Rapp/Nadia Rapp-Wimberger, Bad Ischl. Mit und ohne Kaiser, Wien 2016, S. 160–171. 139 Thomas Hellmuth, Transkulturelle Kontaktzonen. „Österreichische“ Mikrohistorie als Geschichte des „dritten Raumes“, in: Martin Scheutz/Arno Strohmeyer (Hg.), Was heißt „österreichische“ Geschichte. Probleme, Perspektiven und Räume der Neuzeitforschung, Wien 2008, S. 111–126. 140 Foucault verwendete den Begriff der Heterotopie nur kurzfristig: Michel Foucault, Die Heterotopien/Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge, Frankfurt a. M. 2005, S. 7–22 (deutsche Fassung).

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tur“ am Beispiel der Promenaden,141 die einerseits mit den unzähligen Kurparks einen physischen Raum schufen und andererseits eine neue kulturelle und soziale Praxis in den Kurorten einführten. Der durchschnittliche Tag eines sich am Brunnengeschehen beteiligenden Kurgastes sah eine frühmorgendliche Trinkkur mit anschließendem einsamen oder geselligen Spaziergang (unterbrochen vom häufigen Besuch der Abtritte) vor. Das anschließende Frühstück als erster kommunikativer Schwerpunkt des Tages wurde von der Kurmusik begleitet, daran schlossen sich Ruhephasen an. Den Nachmittag füllten Ausflüge und am späteren Nachmittag bot der musikbegleitete Corso die beste Repräsentationsmöglichkeit des Tages für den eigenen Stand. Die in Schleifen angelegten Kurpromenaden verstanden sich als genormte Spazierkanäle, die einerseits den Bewegungsraum einschränkten, andererseits auch ein regelmäßiges Begegnen und damit ein Erkennen und ein soziales Anerkennen garantierten.142 Vor diesem Hintergrund verstand sich die Promenade als Interaktionsritual im Raum, gleichermaßen als Empfangs- und als Audienzraum der Kurgäste. Kernstück der Inszenierung der Kurgäste waren die prestigeträchtigen Kurhäuser, die sich zu einem eigenständigen Bautypus der Kurstädte entwickelten und als exklusive Orte der modischen Inszenierung und als Herz des exklusiven Kurbezirkes galten:143 Das nur mit Eintrittsgeld zu betretende Kurhaus von Wiesbaden aus dem Jahr 1810 verfügte über einen mit Marmor ausgestatteten riesigen Tanzsaal, über Restaurants, Lesesäle und einen Spielsaal, wo das 1872 dann verbotene Glücksspiel144 bzw. Roulette seinen Ort hatte. In den Kolonnaden und den beiden Eckpavillons positionierte man exklusive Geschäfte, wo beispielsweise Goldschmiede­arbeiten, Seifen, Parfums, Liköre und ausländische Weine, Schuhe, Porzellan und Kleider angeboten wurden. Die Pächter der Boutiquen kamen zum einen aus der Region selbst, zum anderen aber auch aus der Ferne, etwa aus Böhmen, Kopenhagen, Paris, der Schweiz oder Italien. Während der Saison wurden auch viele Künstler wie Porträtmaler, Silhouettenschneider und Zeichenlehrer vom Geld der Kurgäste angelockt. Die landschaftliche Gestaltung der Kurgärten setzte im 17. und 18. Jahrhundert mit dem Wandel von der Bade- zur Trinkkur bei der Brunnenallee ein, welche die außerhalb der Städte gelegenen Quellen mit dem Zentrum des Kurortes (Schloss, Kirche, Herrschaftssitz) verband. Bereits 1658 zeigte sich in Driburg und 1667 in Pyrmont eine erste mit Linden, Kastanien oder Eichen bestandene Allee, weitere folgten im Sinne von Alleensystemen, wobei Alleen die „Grundstruktur für die

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Gudrun M. König, Eine Kulturgeschichte des Spazierganges. Spuren einer bürgerlichen Praktik 1780–1850, Wien 1996. 142 Geisthövel, Promenadenmischungen, S. 222. 143 Burkhard Fuhs, Städtischer Tourismus, Kur und Sport. Zum exklusiven Leben in Wiesbaden im 19. Jahrhundert, in: Tourismus-Journal 6/3 (2002), S. 397–416, hier S. 402–404. 144 Manfred Zollinger, Geschichte des Glücksspiels vom 17. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg, Wien 1997, S. 217–256 (Karte der Spielbanken auf S. 253); Andrea Pühringer, From „Montecarlisation“ to „Medicalisation“ – the Case of Bad Homburg vor der Höhe, in: Virus. Beiträge zur Sozial­ geschichte der Medizin 13 (2015), S.  233–240. Zur Familie Bénazet in Baden-Baden: Herrmann/ Engert/Mayer, Internationalität, S. 67f., zum städtebaulichen Einfluss von Bénazet: Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 228–242.

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Kurparkanlagen“ bilden.145 Die englischen Landschaftsgärten verstanden sich als Gärten, welche die Emotionen, die Sehnsüchte und die Empfindsamkeiten bedienten und die Etikette der höfisch-bürgerlichen Umgangsformen aufhoben.146 Erst im 19. Jahrhundert weitete sich das Raumsystem von Brunnenplatz und Promenade zu regelrechten Parkanlagen, indem weitere gärtnerisch gestaltete Teile in einen Park integriert wurden. Regelrechte Kuranlagen mit planmäßig terrassierten Wanderwegen, mit gastronomischen Einrichtungen, Aussichtstürmen und Bellevuen entstanden. Die Parklandschaft verstand sich als ein Gegenraum zu Stadt und Hof. Mitunter wurden künstliche Ruinen geschaffen, Wasserfälle erschlossen und „romantische“ Wirtshäuser errichtet. Die Kurgäste sollten mit einem möglichst variantenreichen, aber engmaschigen Wegnetz in Bewegung gehalten werden; immer wieder führten die Wege zum Brunnenplatz und zur Quelle zurück. Aber auch Kurlandschaften, die weit in die Umgebung ausgriffen, entstanden; selbst unwegsame Gegenden wurden mit einem Netz an kunstvoll inszenierten Spazierwegen förmlich überzogen – um 1910 soll das Wegenetz um Karlsbad rund 98 Kilometer betragen haben.147 Die Eroberung der Landschaft durch die Kurgäste wurde durch reizvolle Lockungen wie hölzerne oder steinerne Aussichtstürme, welche die Landschaft gleichsam militärisch überhöhten, vorangetrieben. Die gedruckten Reiseführer erklärten die Kulturdenkmäler der Umgebung, die kommunalen Verschönerungsvereine unterstützten diese neue Ästhetik der Kurlandschaft durch die regulären Anlage von Wegen und die Errichtung von Schutzhütten. Mit der planmäßigen Anlage von Kurparks und Kurlandschaften entstanden therapeutische Landschaften148 ab der Aufklärung, die ein neues Verhältnis von Mensch und Gesundheit im Sinne einer Interaktion postulierten. Die Promenade als Kommunikationsort der Anwesenden wurde zudem architektonisch durch die in vielen Kurorten anzutreffenden Wandelhallen, durch Trink-, Tanz- und Musikpavillons, aber auch durch Konzertmuscheln für die Kurkonzerte im Kurpark unterstützt. Aber nicht nur die planmäßige Landschaftsgestaltung durch Kurlandschaften veränderte die Umgebung der Kurorte, auch die von den bürgerlichen und adeligen Kurgästen mitgebrachten bzw. eingeforderten Sportkulturen prägten den Kurbezirk nachhaltig. Unterhaltung und Selbstinszenierung äußerten sich in räumlichen Interventionen. Im Kurführer von Wiesbaden wurden 1877 körperliche Sportpraktiken wie Büchsenschießen, Fischerei, Pistolenschießen, Rollschuhlaufen, Ruderbootfahren und Schwimmen angeführt. In einer Werbebroschüre rund 35 Jahre später listete man dagegen schon Ballspiele, Fechten, Fußball, Golf, Reiten, aber auch Winter-

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Katrin Schulze, Kurgärten und Kurparks in Europa – ein Überblick zu Charakteristika und Vielfalt ihrer Anlage und Gestaltung, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 15–28, hier S. 17. 146 Fuhs, Mondäne Orte, S. 95. 147 Volkmar Eidloth, Die ganze Landschaft ein Garten? Historische Kurorte „… und ihre Umgebungen“, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 179–197, hier S. 181. 148 Thomas Kistemann, Das Konzept der Therapeutischen Landschaft, in: Ulrich Gebhard/Ders. (Hg.), Landschaft, Identität und Gesundheit. Zum Konzept der Therapeutischen Landschaften, Wiesbaden 2016, S. 123–149.

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sportarten wie das Eislaufen auf.149 Die Kurbezirke lassen sich als „Innovationszentren für die Verbreitung englischen Sports“150 interpretieren. Neue Sportpraktiken trafen damit auf die eingesessenen, deutsch-nationalen Jahn’schen Turnvereine: Der erste Lawn-Tennis-Platz am Kontinent wurde 1876 in Bad Homburg (neben einem Tennisclub) eröffnet,151 wo Männer und Frauen in Flanellkleidern und auf Gummisohlen dem exklusiven Sport huldigten. Die englischen Criquet- und Tennisanlagen (bald mit Ziegelmehl bestreut) verbreiteten sich in rascher Folge in den Kurstädten; Tennisturniere sollten werbewirksam den Namen der Kurstädte in die große Welt hinaustragen. Im Jahr 1889 errichtete man beispielsweise nach dreijähriger Bauzeit in Wiesbaden eine Lawn-Tennis-Anlage mit neun Spielfeldern, die von einer Radfahrbahn umschlossen wurde.152 Homburg übernahm auch den englischen Golfsport rasch, nachdem betuchte englische Kurgäste wie der englische Kronprinz Albert Edward seit den 1880er Jahren im Kurpark dem Golfspiel nachgingen – 1889 schuf man nach schottischem Vorbild eine Neun-Loch-Anlage und seit 1899 bestand ein Homburger Golf Club als „exklusiv britisches (Kurgast-)Unternehmen“.153 Andere Kurorte folgten auch hier, 1911 öffneten die Pforten des Wiesbadener Golfplatzes und Golf Clubs. Zudem begannen die Hochräder die Kurorte zu erobern, bevor sich zur Jahrhundertwende dann auch die unteren Schichten dem gewandelten Radsport mit Niederrädern in Form von Arbeitersportvereinen zuwandten. Auch der exklusive Rudersport hielt in den Kurstädten Einzug, so benannte man 1875 das Emser Ruderrennen in „Kaiserregatta“ um, als auf der schmalen Lahn ein eigener „Kaiserpreis“ ausgelobt wurde.154 Als Relikt der adeligen Repräsentationskultur im lange währenden Pferdezeitalter (Reinhart Koselleck) galt Ende des 19.  Jahrhunderts der vornehme Pferderennsport, aber auch das Reiten auf eigenen Reitbahnen. Erste Trabrennen fanden in der Habsburgermonarchie 1873 in Wien anlässlich der Weltausstellung statt.155 Im darauffolgenden Jahr wurde der Wiener Trabrennverein, 1878 dann eine eigene

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Fuhs, Städtischer Tourismus, S. 410. Ebd., S. 411. 151 Zu Homburg als „Wiege des Tennis und Golfspiels in Deutschland“: Ansgar Molzberger, Kurorte als frühe Zentren des Sports in Deutschland – die Taunusbäder, in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 93–102, hier S. 98f. 152 Heiner Gillmeister, Sportanlagen im Kurpark – deutsche Kurgärten als „Pflanzstätten“ des Tennis und des Golfspiels, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 123–134, hier S. 125; breiter dargestellt bei: Heiner Gillmeister, Bad Homburg, Wiege des Tennisspiels und „The Home of Golf“, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 26 (2015), S. 97–135. 153 Molzberger, Kurorte als frühe Zentren des Sports, S. 99. Siehe den Beitrag von Matthias Marschik in diesem Band. 154 Molzberger, Kurorte als frühe Zentren des Sports, S. 95. 155 Franz Baltzarek, Fremdenverkehr und Sport, in: Harry Kühnel (Hg.), Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs. 2. Teil 1880–1916: Glanz und Elend. Beiträge, Wien 1987, S. 163–174, hier S. 171; für Baden-Baden mit der von Bénazet finanzierten Rennbahn Iffezheim 1858: Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 232f. 150

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Trabrennbahn auf dem Gelände der Weltausstellung eröffnet. 1892 rief man in Baden bei Wien einen ähnlichen Verein ins Leben, 1889 erhielt Karlsbad einen Rennplatz durch den böhmischen Rennverein. Der zwischen Stadt und Land oszillierende Raum der Kurstädte wurde schon in der Frühen Neuzeit während der sommerlichen Saison von Wandertruppen als Aufführungsort von Theaterstücken genutzt; das Theater gehörte neben dem Glücksspiel und dem Tanz zu den wichtigen Vergnügungen am Kurort.156 Das Theater diente einerseits als Zeitvertreib für die Kurgäste, andererseits war es ein wichtiger Einnahmeposten für die Wandertruppen, aber auch für die Entrepreneurs der Kur­ orte. Die Landesfürsten, die Hofkomödianten in ein Fürstenbad einluden, konnten sich durch das Anbieten von Schauspiel und Musiktheater in der Öffentlichkeit als Mäzene darstellen. Während die in prekären Verhältnissen lebenden Schauspielerinnen und Schauspieler anfänglich in Pyrmont noch in einer Scheune spielen mussten, richteten die Grafen von Waldeck-Pyrmont ab den 1780er Jahren ein kleines Theater ein, in dem während der Saison fast täglich gespielt wurde.157 Im 19.  Jahrhundert investierten viele Kurorte in eigene Theater, die mitunter im Kursaal untergebracht waren. Ab der Jahrhundertmitte führte man auch vermehrt eigene Theaterbauten als Erlebnisräume in den Kurstädten aus.158 Den Sommerbetrieb schulterten meist altgediente oder hoffnungsfrohe Schauspielerinnen und Schauspieler sowie anderes Personal größerer Theater, die für die Sommersaison verpflichtet wurden; freie Theaterdirektoren fungierten als Unternehmer. Die zusammengestellten Kurorchester versahen meist den Grabendienst und stellten die populäre Musik im Freien. Mitunter gaben auch Theaterstars der Hauptstädte Gastspiele im Kurtheater. Johann Nestroy beispielsweise führte seine Wiener Paraderollen im 1827 errichteten Ischler Kurtheater auf, zum Teil als Wohlfahrtsaufführungen für die Stadtarmut.159 Kur- und Bademusiken, aber auch Tanz gab es schon in den mittelalterlichen Bädern, wobei die Musik auch therapeutischen Charakter besaß. Die frühneuzeitlichen Fürsten brachten zuweilen ihre Musikensembles mit, aber auch die Kurorte selbst bzw. die dahinterstehenden Obrigkeiten (etwa die Betreiber von Spielbanken) engagierten für die Promenaden und die Bälle eigene Kurmusiken oder auch berühmte Komponisten bzw. Virtuosen für Einzelkonzerte.160 In den ausgedehnten Kurgärten entstanden mit den Musikpavillons eigene Aufführungsorte für die oft 156

Mit Belegen für mehrere Kurorte: Bärbel Rudin, Brunnenkur mit Hanswurst und Thomas Morus. Kukus oder Ems? Kulturräumliche Aspekte barocker Badetheater, in: Daphnis 38 (2009), S. 695–718. 157 Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 189–192. 158 Als breiter Überblick mit Fallbeispielen Marion Linhardt, Theater in Kur- und Badeorten, in: Dies./Thomas Steiert (Hg.), Musiktheater in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Räume – Ästhetik – Strukturen, Graz 2017, S. 154–218. 159 Walter Obermaier, Nestroy-Stadt Bad Ischl, Wien 2010, S. 36–57. Zum Theater in Kurstädten siehe den Beitrag von Stefan Hulfeld in diesem Band. 160 Christoph-Hellmuth Mahling, „Residenzen des Glücks“. Konzert – Theater – Unterhaltung in Kur­orten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen, S. 81– 100; Martin, Salon Europas, S.  113–133; Martina Bleymehl-Eiler, Das Paradies der Kurgäste – Die Bäder Wiesbaden, Langenschwalbach und Schlangenbad im 17. und 18.  Jahrhundert, in: ebd., S. 53–80, hier S. 72f.; Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 215–254.

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im Freien bei den Promenaden aufspielenden Kurorchester.161 Die gelangweilte Kurgesellschaft hatte in der Regel einiges an den Kurmusiken auszusetzen. Im August 1874 stellten zornige Mitglieder der Vöslauer Kurkapelle den Wiener Musikkritiker Moritz Paul Engel (1844–1897), Inhaber des „Wiener Salonblattes“, des Abends im Kurpark von Vöslau. Engel hatte immer wieder die musikalischen Leistungen der Vöslauer Kurkapelle abschätzig beurteilt – die erbosten Kurmusiker stießen den Wiener Kritiker deshalb zu Boden.162 Die Leistungen der Kurkapellen zeigten sich immer wieder von Widerspruch umflort: Das „Badener Wochenblatt“ beschwerte sich beispielsweise 1867: „Unsere Ohren werden von den schläfrig vorgetragenen Antiquitäten der Capelle Drahanek oft wahrhaft gemißhandelt“.163 Neben Altbekanntem nutzten manche Komponisten die Kurgesellschaft auch als Versuchspublikum, um Musik- und Theater-Novitäten bezüglich ihrer Akzeptanz abzutesten, bevor man im Herbst dann mit den verbesserten Stücken die Bühnen großer Städte erobern wollte. Ein englischer Besucher von Gastein meinte 1910: „Life is quiet here, as the frequenters are nervous and elderly people, and the object is soothing and sedative treatment. The music is good.”164 Die dargebotenen Kurmusiken im Musikpavillon stellten einen wichtigen Werbungsposten der Kurstädte bzw. Kurkommissionen dar. Während die im exklusiven Kurbezirk aufspielende Kurkapelle von Wiesbaden im Jahr 1840 am Sonntag aus 20 Mann bestand, hatte man sie um 1877 bereits auf 50 Musiker aufgestockt.165 Im Jahr 1883 machten die Ausgaben für das Wiesbadener Kurorchester knapp 21  % der öffentlichen Gesamtausgaben des Kurbetriebes aus. Das Repertoire bestand sicherlich aus Klassikern, aber selbst diese waren politischem Wandel unterworfen. Als das Kurorchester von Bad Reichenhall nach 1933 weiterhin Werke jüdischer Komponisten spielte, wurde der Kapellmeister in den lokalen Medien dafür gerügt.166 Manch soziale Praktik der adelig-bürgerlichen Welt konnte im hybriden Raum der Kurorte rasch verbreitet werden, wie sich am Beispiel des zwischen 1790 und 1794 Popularität gewinnenden „Joujou de Normandie“ – wohl ein Direktimport der Revolutionsflüchtlinge ins Heilige Römische Reich – zeigen lässt. Das in Frankreich erfundene Spiel wurde „zuerst in Aachen im Sommer 1791 bekannt, kam von da nach Pyr­ mont, Karlsbad u.s.w. Die Bäder und nahmentlich Aachen, waren die Säugammen[,] die das Kindelein gros zogen, es koseten und dann es ausschickten die grand tour zu

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Als breiter Überblick etwa: Ian C. Bradley, Promenade Concerts, Music Pavilions and Bandstands. The Place of Music in Spa Parks, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 115–122. Mit einer Längsschnittuntersuchung: Ian C. Bradley, Water Music. Music Making in the Spas of Europe and North America, Oxford 2010. Siehe den Beitrag von Thomas Aigner in diesem Band. 162 Kühschelm, Kurort Bad Vöslau, S. 54. 163 Ebd., S. 53. 164 Zit. T. Linn, The Health Resorts in Europe (1910, S.  44), zitiert nach Steward, The Spa Towns, S. 112. 165 Fuhs, Städtischer Tourismus, S. 407. Dazu Franz Danneberg, Musik der Kurstadt. 75 Jahre Städtisches Kur- und Symphonieorchester Wiesbaden 1873–1948, Wiesbaden 1949. 166 Lang, Vom „Judenbad“, S. 149.

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Abb. 3: Lehar-Villa, erbaut in den 1870er Jahren, von Franz Lehar 1912 von der Herzogin von Sabran erworben, Foto von 1981. Quelle: ÖNB Bildarchiv 466.721-B/C, Fotograf: Oskar Anrather (1932–2016).

machen“.167 Die schnelle Übernahme zeigt auch, dass neben der Lesewut ebenso performative Aktivitäten (etwa der Tanz) zur sozialen Distinktion der Kurgäste beitrugen. Das „Joujou“ diente der Kurgesellschaft als anfänglich modisches Accessoire des Adels und als „Amulett gegen die Langeweile“168 und verbreitete sich medial über das „Journal des Luxus und der Moden“ im deutschen Sprachraum.169 167

N. N., Ueber das Joujou de Normandie, Leipzig 1792, S. 9; Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 223. Anna Ananieva, „Spielwut“ des eleganten Zeitalters oder wie trägt ein „Joujou de Normandie“ zur Unterhaltung bei, in: Dies./Dorothea Böck/Hedwig Pompe (Hg.), Geselliges Vergnügen. Kulturelle Praktiken von Unterhaltung im langen 19. Jahrhundert, Bielefeld 2011, S. 41–69, hier S. 53. 169 Doris Kuhles, Europa in Weimar. Das „Journal des Luxus und der Moden“ (1786–1827), in: Wolfgang Hackl (Hg.), Wortverbunden – zeitbedingt. Perspektiven der Zeitschriftenforschung, Wien 2001, S. 21–40. 168

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5. Fachspezifische Zugänge zum Thema „Kurstadt“ Tourismus fungiert als eine Art gesellschaftlicher „Spiegel“,170 wie dies Rüdiger Hachtmann treffend formulierte. Der moderne Tourismus entwickelte sich nach einem gängigen Narrativ der Tourismusgeschichte vom elitären Individual- zum bürgerlichen (und später kleinbürgerlichen) Massentourismus. Der adelig-bürgerliche Bädertourismus des 18. Jahrhunderts wurde ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der zunehmend kleinbürgerlichen Sommerfrische abgelöst – neue Formen des Tourismus wie der Sozialtourismus der Arbeiterbewegung und später der Massentourismus ab den 1950er und 1960er Jahren folgten. Überzeugend hat die neuere Tourismusgeschichte die Abhängigkeit des Tourismus von den politischen Entwicklungen, Gesellschaftsstrukturen und ökonomischen Rahmenbedingungen herausarbeiten können. Schübe in der Entwicklung des Tourismus entstanden dabei jeweils an den Wendepunkten der Verkehrsgeschichte (Eisenbahn, Automobil, Flugzeug).171 Die Entstehung der Nationalstaaten zeitigte auch unmittelbar Auswirkungen auf die Kurstädte, indem es zur nationalen Aufgabe wurde, repräsentative nationale Kurbäder bzw. „Staatsbäder“ zu entwickeln. Napoleon III. förderte etwa in Frankreich die nationalen Bäder in der Auvergne nach dem Vorbild deutscher Kurstädte, die er aus eigener Anschauung gut kannte.172 Die Nationalisierung der Kurstädte setzte Inklusions- und Exklusionsbewegungen in Gang, wie das Beispiel des Umgangs der Kurstädte mit jüdischen Kurgästen verdeutlicht. „Man sah Leute aus der guten Gesellschaft, doch leider auch sehr viele polnische Juden, die eine große Vorliebe für Vöslau hatten und in verhältnismäßig kurzer Zeit das gute Pu­ blikum verdrängten“.173 Mit der Entstehung der Nationalstaaten in Europa kamen verstärkt Inklusions- und Exklusionsprozesse der „neuen“ Nationen in Gang, wie sich am Beispiel des Bäder-Antisemitismus zeigen lässt. In einigen Kurbädern gab es Ende des 18. Jahrhunderts eigene Einrichtungen für jüdische Kurgäste, seit 1793 führte etwa Bad Schwalbach einen eigenen „Judensaal“. Mit dem 19. Jahrhundert avancierten die Kurorte einerseits als Spiegelräume jüdischer Reisender, wo der Verbürgerlichungsprozess der jüdischen Kurgäste im Sinne von „Laboratorien ethnischer Images“ manifest werden konnte, andererseits eröffneten die Bäder auch Arbeitsmöglichkeiten für Unternehmer und Ärzte (als Professionalisierungsräume jüdischer Ärzte).174 Jüdische Kurgäste benötigten eine spezifische Infrastruktur aus 170

Rüdiger Hachtmann, Tourismus-Geschichte, Göttingen 2007, S. 172–183. Als Überblick zur Tourismusgeschichte etwa: Cord Pagenstecher, Neue Ansätze für die Tourismusgeschichte. Ein Literaturbericht, in: Archiv für Sozialgeschichte 38 (1998), S. 591–619; Hachtmann, Tourismus und Tourismusgeschichte in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.12.2010, https:// docupedia.de/zg/Tourismus_und_Tourismusgeschichte;  Hasso  Spode, Die paneuropäische Touristenklasse. Zum Potential der historischen Tourismusforschung (2006), in: Themenportal Europäische Geschichte (2006); www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-3207 [Stand: 22.02.2022]. 172 Förderer, Playgrounds, S. 75. 173 Kühschelm, Kurort Bad Vöslau, S. 59. 174 Am Beispiel der böhmischen Bäder, die als Mischung aus Ost- und Westeuropa galten: Mirjam Triendl-Zadoff, Nächstes Jahr in Marienbad. Gegenwelten jüdischer Kulturen der Moderne, Göttingen 2007. 171

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koscheren Restaurants,175 aus Schächtern, zudem Beträume bzw. Synagogen, jüdische Friedhöfe und eigene Wohlfahrtsreinrichtungen.176 Der auch als internationales Phänomen zu sehende Bäder-Antisemitismus (auch ein Sommerfrische-Antisemitismus) ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg, ist vor allem am Beispiel der Nordseebäder untersucht worden, wobei der jüdische Bevölkerungsanteil unter den Badegästen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überrepräsentiert war.177 Viele der jüdischen Aufsteiger wiesen ein deutlich bürgerliches Sozialprofil auf und suchten das bürgerliche Freizeitverhalten und die soziale Repräsentation der Bürger über Kuraufenthalte zu imitieren. Neben dem antisemitischen Stereotyp der jüdischen, „protzigen“ Parvenüs in aufwändigen Kleidern und mit demonstrativem Schmuck offenbart sich in den Ostseebädern auch der Ostjuden-Antisemitismus, der sich gegen die armen, aus Galizien stammenden, orthodoxen Juden wandte, die ihren Kurbad-Aufenthalt mitunter über jüdische Wohlfahrtseinrichtungen finanzieren mussten.178 So zog etwa das 1893 gegründete „Jüdische Sanatorium“ in Meran, das aus den Mitteln der vom Mediziner Raphael Hausmann begründeten Königswarterstiftung (1872–1907) kostenlose Kuraufenthalte und medizinische Betreuung anbot, jüdische Kurgäste aus ganz Europa nach Meran.179 Mehr als ein Drittel jüdischer Ärzte fanden sich 1902 in Meran unter den 46 in der Stadt ordinierenden Medizinern, das antisemitische Abdrängen der jüdischen Ärzte aus Wien zeichnet sich in Meran deutlich ab.180 Am Beginn des 20. Jahrhunderts gingen manche Kurorte dazu über, Ostjuden mit administrativen Verordnungen vom Badebetrieb auszuschließen. Im schlesischen Bad Salzbrunn wurde etwa das Tragen des Kaftans in den Kuranstalten und auf den Promenaden verboten und in Bad Nauheim wurde ein „Antikaftanverein“ gegründet.181 In manchen Bade­ orten begegnete den jüdischen Gästen ein unverhohlener Antisemitismus, der sich beispielsweise im jahrelangen Rechtsstreit um das antisemitische, offen gesungene „Borkum-Lied“, im Flaggenstreit oder in antisemitischen Postkarten in den 1920er Jahren äußerte. Als „Nebeneinander vom antisemitischen Latecomer und dem eta175

Zur Gründung von jüdischen Speiseeinrichtungen am Beispiel von Gleichenberg: Rudolf Grasmug, „Nur für arische Gäste!“ Der Kurort Bad Gleichenberg als Beispiel für den Antisemitismus in der Südoststeiermark, in: Wolfram Dornik/Ders./Peter Wiesflecker (Hg.), Projekt Hainfeld. Beiträge zur Geschichte von Schloss Hainfeld, der Familie Hammer-Purgstall und der gesellschaftlichen Situation der Südoststeiermark im 19. und 20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/Bozen 2010, S. 130–161. 176 Birgit Seemann, Jüdische Kurkliniken in Bad Homburg vor der Höhe, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 28 (2017), S. 61–100. 177 Frank Bajohr, Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2003, S. 25. Kurzgefasst bei: Frank Bajohr, Bäder-Antisemitismus, in: Arno Herzig/Cay Rademacher (Hg.), Die Geschichte der Juden in Deutschland, Hamburg 2013, S. 180–187. Für Bad Ischl: Kreuzer, Tourismus ohne Kaiser, S. 148–159. 178 Zu Animositäten zwischen deutschen Juden und „Ostjuden“: Johannes Lang, Vom „Judenbad“ zum „judenfreien“ Staatsbad. Jüdische Kurtradition und Bäderantisemitismus in Bad Reichenhall, in: Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts 7 (2014), S. 135–151, hier S. 142f. 179 Mayr, Von Heinrich Heine bis David Vogel, S. 232–238; für Gleichenberg mit dem 1882 gegründeten „Judenspital“: Grasmug, „Nur für arische Gäste!“, S. 153–156. 180 Mayr, Von Heinrich Heine bis David Vogel, S. 226. 181 Bajohr, Unser Hotel ist judenfrei.

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blierten ‚Judenbad‘“182 können Borkum gegen Norderney angeführt werden. – Das antisemitische Zinnowitz positionierte sich zu Beginn des 20.  Jahrhunderts gegen das mondäne Heringsdorf als „Kein Luxusbad – judenfrei“.183 Im neuen, nach 1918 entstandenen „Borkum-Lied“ heißt es etwa: „Borkum bleib’ deutsch auch künftig hin, / Nichts Kosch’res laß’ herein“.184 Neben den deklariert antisemitischen Kur­ orten entwickelten sich auch sogenannte Judenbäder, wo ein offenes Klima gegenüber den jüdischen Kurgästen herrschte.185 Nach der rechtlichen Gleichstellung kam es bald zu einer Landflucht der jüdischen Bevölkerung weg von den Großstädten. Unter der jüdischen Bevölkerung in Baden-Baden dominierten zwischen 1862 und 1884 vor allem die Kaufleute, dann die Fleischhauer und die Gastwirte.186 Die jüdischen Restaurantbesitzer, Händler oder Rabbiner vor Ort hatten mit schweren Beeinträchtigungen ihres alltäglichen Lebens zu rechnen.187 Nach 1933 setzte ein radikalisierter Weg des Bäder-Antisemitismus ein, wie sich etwa auch im böhmischen Bäderdreieck zeigt, wo nur im Sommer Juden erwünscht waren. „Während die antisemitischen Vermieter in der Kursaison nach dem Prinzip des ‚non olet‘ verfuhren, galt im Winter in den böhmischen Bädern das Prinzip der gesellschaftlichen Abschottung gegenüber Juden.“188 Die Machtergreifung der Nationalsozialisten führte in Deutschland und dann in Österreich zur Arisierung der jüdischen Restaurants, Hotels und der Villen189 – die jüdischen Gäste blieben aus, was die Gastronomiebetriebe vor große Probleme stellte. Mit mehr oder minder großem Erfolg bemühten sich die Kurorte konfessionell neutral zu sein, auch um keine Besucher zu verlieren, sodass eine Infrastruktur der verschiedenen Konfessionen entstand.190 Ein eigenes Quäkerhaus wurde in der Nähe von Pyrmont errichtet und sollte den Kurgästen der jeweiligen „Sommer-

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Ebd., S.  37. Reichenhall galt als Judenbad, aber auch dort zeigte sich Antisemitismus, wie ihn der daselbst auf Urlaub weilende Sigmund Freud erlebte, vgl. Lang, Vom „Judenbad“, S. 135f. 183 Bajohr, Bäder-Antisemitismus, S. 184. 184 Aufstellung der verschiedenen Borkum-Lieder und Zinnowitz-Lieder, die vom evangelischen Pfarrer Ludwig Münchmeyer (seit 1920 Pastor auf Borkum) mitpropagiert wurden, bei: Bajohr, Unser Hotel ist judenfrei, S. 171–177. 185 Zum offenen Klima in Ems (aber auch zu antikatholischen und antijüdischen Tendenzen): Sommer, Zur Kur nach Ems, S. 485–504. 186 Angelika Schindler, Der verbrannte Traum. Jüdische Bürger und Gäste in Baden-Baden, BühlMoos 1992, S. 31–44, hier S. 33; siehe die Aufarbeitung von Hanno Müller/Lothar Tetzner, Juden und jüdische Kurgäste in Bad Nauheim und Steinfurth, Lich 2020. 187 Als bedrückenden Überblick: Mayr/Innerhofer, Mörderische Heimat. 188 Bajohr, Unser Hotel ist judenfrei, S. 150. Zum amerikanischen Bäder-Antisemitismus („No Mosquitos, no Malaria, no Jews“): ebd., S. 154–165. 189 Für den kleinen steirischen Kurort Gleichenberg (sechs Villen): Grasmug, „Nur für arische Gäste!“, S. 159f. 190 Zu konfessionellen Konflikten: Kaufmann, Gesellschaft im Bad, S. 280–286; zur Religion und zur Erreichbarkeit aller drei im Westfälischen Frieden anerkannten Religionen im Kurort etwa: Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 205–207; zur religiösen Indifferenz von Kurorten: Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 260–262.

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hauptstadt“191 Gottesdienste ermöglichen.192 Tausende Kurgäste aus verschiedenen Teilen der Welt brachten auch ihre konfessionellen Vorstellungen mit. Um dem Gottesdienst beiwohnen zu können, entstanden zuerst Beträume, dann Kapellen und sogar eigene Kirchen, deren fremdländisches Erscheinungsbild mitunter besonders auffällig war. Auch Friedhöfe mussten errichtet werden, um verstorbene Kurgäste bestatten zu können. Der Gleichenberger Wundarzt Josef Benatti meldete am 15. Juni 1855 die Totgeburt eines jüdischen Kindes an das Bezirksamt, der Gleichenberger Pfarrer verweigerte die Bestattung auf dem katholischen Friedhof und bot alternativ eine Bestattung außerhalb des umzäunten Bereiches an.193 Nach umfänglichem Schriftverkehr meldete der Arzt des Kurortes am 15. September 1855, dass er das totgeborene Kind der Triestiner Eltern nun in seinem Garten bestattet habe. Bis zur Anlage eines jüdischen Friedhofes in Gleichenberg sollte es noch bis 1880 dauern, obwohl ein großer Teil der Gleichenberger Kurgäste jüdischen Ursprungs war. Die bauliche Umsetzung kirchlicher Infrastruktur war nicht einfach, weil auf lokale Arbeitskräfte und Architekten zugegriffen werden musste; auch die Finanzierung durch die nationale und internationale Unterstützerschar erwies sich nicht immer als friktionsfrei. Der russische Hochadel stiftete in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Kirchen – am Beginn stand etwa in Wiesbaden die 1855 für die Nichte des Zaren Alexander I. errichtete „griechische Kapelle“; weitere russisch-orthodoxe Kirchenbauten folgten: 1876 in Bad Ems, 1882 in Baden-Baden, 1899 in Bad Homburg, 1901 in Bad Kissingen und 1905 in Bad Nauheim.194 Weniger auffällig waren die anglikanischen Kirchen, die sich formensprachlich weniger von den lokalen Kirchenbautraditionen abhoben. Schon 1864 entstand eine Augustinus-Kirche in Wiesbaden, 1868 eine Christ-Church in Homburg, weitere Kirchen kamen 1867 in Baden-Baden oder etwa 1899 in Bad Nauheim hinzu. König Ludwig I. von Bayern ließ im überwiegend katholischen Kissingen eine evangelische Kirche errichten; eine anglikanische und eine russisch-orthodoxe Kirche folgten nach.195 Diese konfessionell differenten Sommergemeinden strahlten konfessionell auch in das Umland aus, wie ein Beispiel aus dem oberösterreichischen Salzkammergut zeigt. Die lange unterdrückten kryptoprotestantischen Gemeinden des Salzkammergutes erhielten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts starke konfessionelle Unterstützung durch den einsetzenden Kurtourismus, durch den Aufenthalt des Kaiserhauses in Bad Ischl bzw. durch die Anwesenheit des protestantischen Adels (etwa die Fürstin Therese von Thurn und Taxis, geb. Herzogin von Mecklenburg-Schwerin, 1773–1839). So förderten die evangelischen Kurgäste bzw. die hochadeligen Besucher der Region die 191

Am Beispiel von Baden-Baden: Peter Martin, Salon Europas. Baden-Baden im 19.  Jahrhundert, Konstanz 1983, S. 67. 192 Förderer, Playgrounds, S. 69. 193 Grasmug, „Nur für arische Gäste!“, S. 131–133. 194 Siegfried R. C. T. Enders, Kultbauten ausländischer Gäste in europäischen Kur- und Badestädten – ein vernachlässigtes, gemeinsames Erbe?, in: Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte, S. 201–210, hier S. 203–206. Zu Sakralbauten in Kurstädten am Beispiel von Baden-Baden: Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 527–544. Zu den Konfessionskulturen in Kurstädten siehe den Beitrag von Rainer Hering in diesem Band. 195 Förderer, Playgrounds, S. 62f.

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Abb. 4: Besuch von König Edward VII. bei Kaiser Franz Josef in Ischl am 12. August 1908. Kaiser Franz Josef fährt mit Edward VII. im offenen Wagen vom Hotel „Kaiserin Elisabeth“ zum Déjeuner in die Kaiservilla. Quelle: ÖNB Bildarchiv 499237-B (Fotograf Karl Seebald).

evangelischen Gemeinden durch tatkräftige Spenden; die mitgeführten Kurprediger betreuten im Sommer die Pfarrgemeinden Ischl und St. Wolfgang mit. Der mecklenburgische „Saisonprediger“ Johannes Siegmund Krabbe (1839–1901) des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin machte gemeinsam mit dem Ischler Presbyterium 1874 den Vorschlag, den ehemaligen kaiserlichen Kornstadel in Ischl zu kaufen und in eine evangelische Kirche umzuwandeln. Durch die Spenden von Kaiser Franz Joseph, durch Förderer aus Mecklenburg und durch Subventionen von in- und ausländischen Adels- und Bürgerfamilien konnte der Kornstadel 1875 gekauft werden; am 17. Juli 1881 erfolgte die Kirchweihe durch den Schweriner Oberhofprediger Karl Wilhelm Jahn (1816–1891). Im Glockenturm wurden drei Glocken aufgehängt, die als kaiserliches Geläut programmatische Namen für die zeitgenössische, politische Geschichte des österreichischen Protestantismus tragen: „Franz Joseph I., Kaiser von Österreich“, „Wilhelm I., Kaiser von Deutschland“ und „Kaiser Joseph II.“.196 196

Leopold Schiendorfer, Von den Anfängen des Evangelischen Glaubens in Bad Ischl bis in die Gegenwart (1530–2003), in: Wolfgang Degeneve/Dietrich Neumann (Hg.), Bad Ischl. Heimatbuch 2004, Bad Ischl 2004, S. 587–604; Martin Scheutz, Bethäuser, Türme, Glocken und Kirchen – Das

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Jüdische Bethäuser entstanden in den mitteleuropäischen Kurstädten meist in den 1870er und 1880er Jahren. In Wiesbaden wurde 1869 nach einer Spendenaktion eine Synagoge erbaut, in Karlsbad folgte zwischen 1875 und 1878 ein im maurisch-romantischen Stil errichteter Tempel. Marienbad besaß schon 1860 ein Bethaus, eine Synagoge folgte 1869 – meist gingen diese Synagogen während der „Reichspogromnacht“ 1938 in Flammen auf.197 Abhängig von den Kurgästen gab es zudem altkatholische, methodistische oder etwa baptistische kirchliche Einrichtungen. Der böhmische Kurort Teplitz galt im 19. Jahrhundert als „politischer Kur­ ort“, dessen „Einnahmen stiegen und fielen mit der beweglichen Quecksilbersäule, deren Skala der diplomatische Luftdruck zu regulieren pflegt“.198 Die Nähe von Baden-Baden kam dem Kongress von Rastatt 1797–1799, Baden bei Wien dem Wiener Kongress 1814/1815 und Jalta den Verhandlungen über ein Nachkriegseuropa im Februar 1945 zugute. Die Karlsbader Beschlüsse 1819 läuteten die Restauration des Deutschen Bundes in einer Kurstadt ein. Kurorte sind nicht nur Orte der Diplomatie und der Kongresse,199 sondern auch Armeeoberkommanden siedelten sich in Kurstädten an – das k. u. k. Armeeoberkommando der Habsburgermonarchie befand sich 1917/18 in Baden bei Wien. Immer wieder wurde auch diskutiert, Kurorte zu neutralen Zonen während eines Kriegsfalles zu erklären. Prinzipiell nahm die Anzahl der Monarchenbegegnungen zwischen 1814 und 1914 deutlich zu: Gab es nach den offiziellen Aufstellungen in der ersten Jahrhunderthälfte 50 Begegnungen (1814–1853), so stieg die Anzahl in den letzten rund 25 Jahren auf 106 (1888–1914)200 an. Rund die Hälfte der Monarchenbegegnungen fand nicht in den jeweiligen Hauptstädten statt. Kurorte spielten in der Diplomatie der Neuzeit eine herausragende Rolle für multi- oder bilaterale Verhandlungen des politischen Zeitgeschehens, gleichzeitig gab es auch Attentate auf Regenten und Regierungschefs in Kurorten. Die Begegnungen der Regenten sollten in der Öffentlichkeit einen privaten, spontanen Charakter erwecken, um das politische Kerngeschäft der politischen Verhandlungen zu überdecken. Jagden, Theaterbesuche, gemeinsame

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Erbe der Reformation rund um den Dachstein, in: Jahrbuch für Gesellschaft des Protestantismus 132/133 (2016/17), S. 299–310, hier S. 308f. Herrmann/Engert/Mayer, Internationalität, S. 69 (Baden-Baden), S. 91 (Karlsbad), S. 104 (Marienbad), S. 135 (Wiesbaden). Hermann Hallwich (1886) zitiert nach: Reinhold Lorenz, Krieg und Neutralität im Kurort, in: Festgabe für Hugo Hantsch. Zum 60. Geburtstag gewidmet von seinen Kollegen, Mitarbeitern und Schülern, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 63 (1955), S. 571–593, hier S. 593. In einigen Kurorten gab es auch Konsulate: Herrmann/Engert/Mayer, Internationalität, S. 98 (Karlsbad), S. 143 (Wiesbaden). Siehe den Beitrag von Alexander Jendorff in diesem Band. Recht allgemein bei: Peter Steinbach, Kurstädte und Badeorte des 19. Jahrhunderts als politische Bühne: Das Beispiel und die Perspektiven der „kleinen Weltstadt“ Baden-Baden, in: Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte, S. 211–216; Otfried Pustejovsky, Politik und Badewesen, in: Sigrid Canz (Hg.), Große Welt reist ins Bad. 1800–1914. Baden bei Wien, Badgastein, Bad Ischl, Franzensbad, Marienbad, Teplitz. Ausstellung des Adalbert Stifter-Vereins in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Museum für angewandte Kunst, Wien/München/Passau 1980, S. 18–23. Siehe die Tabellen bei: Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000, S. 421–426, zur Ortswahl S. 250– 264, und zum Besuch von Edward VII. in Ischl 1908, S. 183–187; Butz, Habsburg als Touristenmagnet, S. 128–132.

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Besichtigungen standen daher flankierend auf dem Programm. So wurde Kaiser Franz Joseph meist unter dem Vorwand eines Geburtstagsfestes oder eines Regierungsjubiläums in der Kaiservilla in Bad Ischl besucht. Kaiser Wilhelm I. begegnete ihm 1871 dort erstmals, nach dem Abschluss des Zweibundes 1879 traf der deutsche Kaiser den österreichischen Monarchen regelmäßig im Salzkammergut. Zum 50. Geburtstag und im Zusammenhang mit der Okkupation von Bosnien-Herzegowina stellte sich dort nicht nur Wilhelm I., sondern auch Milan von Serbien sowie der Neffe des russischen Zaren, Alexander I. von Bulgarien, ein. Allein dreimal ab 1905 suchte der englische König Edward VII. den österreichischen Kaiser in Ischl auf.201 Seit 1863 kurte Wilhelm I. immer wieder im hochalpinen Kurort Gastein und sein Aufenthalt dort führte, ähnlich wie in Ischl, zu einem Treffen der Prominenz aus verschiedenen Ländern. In den Jahren 1879, 1881, 1885, 1886 und 1887 traf er dort mit Kaiser Franz Joseph zusammen, um die politische Lage zu besprechen.202 Kurstädte lassen sich aus der Sicht der Architekturgeschichte als Orte mit speziellen Bauaufgaben interpretieren; in einem langsamen Entwicklungsprozess entpuppten sich Brunnen-, Kur- und Kurmittelhaus, aber auch Sanatorium, Kurpark und Kurlandschaft – der Kurbadebetrieb veränderte die Baulandschaft vieler Kurorte nachhaltig.203 Die starken Modeströmungen unterworfene Baukultur der Kurstädte lässt sich dabei als „Architektur des Inauthentischen“204 interpretieren. Viele Kurorte besaßen einen adeligen Patron und deshalb kam den Schlössern in den Fürstenbädern große repräsentative Bedeutung zu.205 Die rechtsgeschichtliche Komponente des allmählichen Erwerbs von Brunnengerechtigkeiten als „herrschaftsbezogener Faktor“206 durch die Obrigkeiten ist noch wenig vergleichend untersucht. Doch zeigt sich deutlich, dass die Territorialgewalt versuchte, Rechte über die Bäder geltend zu machen, Gerichtshoheiten zu verleihen und die landesfürstliche Infrastruktur zu stärken. „Lag ein Naturbad wie Baden [Schweiz] in einer Stadt, standen sich der Territorialfürst und die städtische Obrigkeit mit ihren städtischen Freiheitsrechten gegenüber“.207 In Baden bei Wien beäugten einander der Landesfürst und mehrere Grundherren als Quellbesitzer im Mittelalter kritisch. Nach dem Vorstoß der Osmanen 1529 zog sich der Landesfürst aus Baden zurück und die Stadt Baden

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Mathieu/Bachmann/Butz, Majestätische Berge, S. 82f.; Butz, Habsburg als Touristenmagnet. Sebastian Hinterseer, Gastein und seine Geschichte, Badgastein 1965, S. 84. 203 Burckhard Hofmeister, Bad Reichenhall. Eine stadtgeographische Skizze der Salinen- und Kurstadt, in: Die alte Stadt. Vierteljahreszeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie, Denkmalpflege und Stadtentwicklung 31 (2004), S.  210–228. In vergleichender Sicht (Kurhäuser, Trinkhallen, Villen): Heinz Karbus, Bauliche Entwicklung der Kurorte Bad Ischl und Karlsbad/Karlovy Vary von ihren Anfängen bis zum Jahre 1997, 3 Bde., Diss. Univ. Wien 1997. Siehe den Beitrag von Andreas Tacke in diesem Band. 204 Am Beispiel des Stilpluralismus von Wiesbaden: Christian Rabl, Architektur des Unauthentischen. Eine Apologie, Bielefeld 2020, S. 411–451. 205 Carmen Putschky, Wilhelmsbad, Hofgeismar und Nenndorf. Drei Kurorte Wilhelms I. von Hessen-Kassel, Diss. Univ. Marburg 2000. 206 Kaufmann, Gesellschaft im Bade, S. 319–372. 207 Ebd., S. 369. 202

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versuchte als deklariertes Ziel der Stadtpolitik möglichst viele der 14 Thermalquellen in ihre Hand zu bekommen, was im 18. und 19. Jahrhundert dann größtenteils gelang.208 Für die Architekten eröffneten sich in Kurstädten große Betätigungsfelder. In größerem Umfang mussten schon für die Badegäste ab der Frühen Neuzeit in Badehöfen Quartiere geschaffen werden. Neben den Privatunterkünften bildete sich ein spezieller Typ der Badeherberge (mitunter bei rasch wachsenden Bädern sogar Zeltlager) heraus, wo die Kurgäste nicht nur Unterkunft und Kost, sondern auch Bäder geboten erhielten. Erst im 19. Jahrhundert wandelten sich die frühneuzeitlichen Logierhäuser209 und Badeherbergen zu spezialisierten Sanatorien weiter.210 Die getrunkenen Mineralwässer und die Anwendungen von Heilmitteln verabreichte man in Badehallen/-häusern und später Kurmittelhäusern211 mittels Wannenbädern an die Kurgäste.212 Aus den Brunnenplätzen mit den Quellenfassungen und Lauben entwickelte man eigene, geschlossene Brunnenhöfe oder Trinkhallen213 mit Wandelbahnen.214 Erst in der Frühen Neuzeit zeigte sich in den Kurstädten die Baugattung der Gesellschaftshäuser; nach 1800 gehörte das Kurhaus bzw. zeittypisch noch „Conversationshaus“ zur Grundausstattung eines Kurortes, in deren Sälen die gesellschaftliche Unterhaltung in Form von Theateraufführungen, von Musikschauspiel und von Bällen gepflegt wurde. Funktional waren für die Kurhäuser die Gesellschaftssäle, die Salons und Nebenzimmer, die Wandelbahnen/Kolonnaden und Betriebsräume charakteristisch. Nach 1850 musste das sich typologisch aus dem Schlossbau entwickelnde Kurhaus in den größeren Kurorten eine anwachsende Besucherschar beherbergen, verschiedene Interessen der sich differenzierenden 208

Kurzgefasst bei: Rudolf Maurer, Bäder – Badleut – Badeknecht, in: Sonia Horn/Susanne Cl. Pils (Hg.), Sozialgeschichte der Medizin – Stadtgeschichte und Medizingeschichte, Wien 1998, S. 11–19, hier S. 12f. (Übersichtstabelle S. 19). Der Badener Stadtarchivar Rudolf Maurer (1954–2020) hat mit seiner Vielzahl an Publikationen und Ausstellungen die österreichische Kurstadtforschung erheblich beflügelt. 209 Breiter dargestellt bei: Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 95–136. Siehe die archäologischen Ausgrabungen von mittelalterlichen Badeherbergen im schweizerischen Baden: Andreas Schaer, Die Bäder von Baden in der Schweiz im Licht der aktuellen archäologischen und kulturgeschichtlichen Forschung, in: Eidloth/ Dix/Schenk (Hg.), Orte und Landschaften der Muße, S. 91–124, hier S. 104–112. 210 Siehe den typologischen Ansatz bei Eckert, Neue Bäder heilen gut, Bd. 1, S. 111–140; Langefeld, Bad Nauheim, S.  77–79; Susanne Grötz, Zum Architekturvokabular der Kurstädte – Bauten der Bäderarchitektur, in: Irene Haberland/Matthias Winzen (Hg.), Natur und Kulisse. Vornehme Pa­ rallelgesellschaften im 19.  Jahrhundert, Oberhausen 2017, S.  310–327; Petra Simon/Margrit Behrens, Badekur und Kurbad. Bauten in deutschen Bädern 1780–1920, München 1988. 211 Am Beispiel des Ischler Kurmittelhauses von Clemens Holzmeister: Friedrich Idam/Michael Zinner, Kurmittelhaus Bad Ischl, in: Oberösterreich 1918–1938, hg. v. Oberösterreichischen Landesarchiv, Bd. 2, Wien 2015, S. 7–32. 212 Eckert, Neue Bäder heilen gut, Bd. 1, S. 163–210. 213 Monika Gaigg, Die Geschichte des Bades vom Mittelalter bis zur Neuzeit mit Schwerpunkt auf die Kurarchitektur des 19. und 20. Jahrhunderts, anhand der oberösterreichischen Kurorte Bad Ischl und Bad Hall, Diplomarbeit Univ. Salzburg 2011, S. 53–58, S. 77–85. 214 Eckert, Neue Bäder heilen gut, Bd. 1, S. 211–239. Als vergleichende Studie: Barbara Lečnik, Kurorte der Monarchie: Rohitsch-Sauerbrunn, Veldes und Portorose, Diplomarbeit Technische Univ. Wien 2016.

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Besucherschar hatten abgedeckt zu werden: Die Grundfläche vergrößerte sich auf bis zu 5.000 m2, weil neben dem Festsaal beispielsweise auch ein Theatersaal und Lesesalons, Schreibzimmer und Leihbibliotheken untergebracht werden mussten.215 Am Beispiel des anfänglich „wilden“ Kurortes Bad Schallerbach zeigt sich die Notwendigkeit zum Bau von kurspezifischer Architektur gut: In Schallerbach bohrte man nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und infolge des Verlustes der galizischen Erdölquellen nach Erdöl, doch fand man stattdessen eine schwefelhaltige Heilquelle: Im Jahr 1921 eröffnete man in Schallerbach ein provisorisches Badehaus, 1922 ein Heilbad, das bald an seine Kapazitätsgrenzen stieß. Der Neubau fiel dann der Weltwirtschaftskrise zum Opfer, erst 1931/32 konnte von Mauriz Balzarek (1872–1945) ein Badehaus sowie 1936/37 eine Trink- und Wandelhalle errichtet werden.216 Manchen Architekten gelang es, ganzen Kurorten ihren Stil aufzudrücken. Wilhelm Jost (1874–1944) entwarf beispielsweise ortsprägend die Jugendstil-Kuranlagen von Bad Nauheim:217 das Inhalatorium 1901/02, den beeindruckenden „Sprudelhof“ 1905–1911, das Sanatorium Dr. Grödel 1907/08, den Konzertsaal 1908–1910 und die Trinkkuranlage 1910/11. Die räumliche Expansion des Beherbergungssektors machte sich in der Hotelarchitektur, die in den großen Kurorten Grandhotels hervorbrachte, deutlich.218 Die Kurorte trugen wesentlich zur Entwicklung der modernen Hotelarchitektur und -infrastruktur bei. Mussten die ersten kurenden Habsburger in Ischl noch mit dem freigeräumten Pfarrhof Vorlieb nehmen, zeigten sich dort schon bald Hotels, die internationalen Standards entsprachen, demonstrativen Konsum ermöglichten und daher viel Geld kosteten, wie Nestroy in seinem Ischler „Rätsel“ spottete. „Ha seht einen Mann ohne Rock – geplündert beraubt – !? Mitten im frequenten Ischl, wer hätt’ das geglaubt! Wie war es möglich daß ihm das arriviert? Einfache Lösung: Er hat Acht Tage im Hotel Talachini [dem ersten Haus am Platz in Ischl] logiert.“219 In Karlsbad gab es beispielsweise das Grandhotel Pupp aus dem Jahr 1899, gefolgt vom Bristol-Palace um 1900 und dem Imperial 1912; in Ischl waren es das schon genannte, nach dem Stadtbrand 1865 neu aufgebaute Hotel 215

Eckert, Neue Bäder heilen gut, Bd. 1, S. 271–303; Angelika Baeumerth, Königsschloß contra Fest­ tempel. Zur Architektur des Kursaalgebäudes von Bad Homburg vor der Höhe, Marburg 1990. Zum Bautypus Kurhaus siehe die Längsschnittstudie: Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 256–268; zum Konversationshaus ebd., S. 268–290. 216 Kreuzer, Tourismus ohne Kaiser, S. 124f.; zur Typologie der Wandelhalle Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 332–336. 217 Britta Spranger, Wilhelm Jost (1874–1944) – Architekt aus Darmstadt. Erbauer der JugendstilKur­anlagen in Bad Nauheim. Neugestalter der Stadt Halle als Stadtbaurat, in: Angela Dolgner/ Leonhard Helten/Gotthard Voss (Hg.), Von Schinkel bis van de Velde. Architektur- und kunstgeschichtliche Beiträge vom Klassizismus bis zum Jugendstil, Dößel 2005, S. 371–386; Britta Spranger, Jugendstil in Bad Nauheim. Vom Golddesign zum Sichtbeton, Darmstadt 2010. In Baden-Baden wirkte in der ersten Phase des Stadtausbaus Friedrich Weinbrenner stilbildend; zu den Bädern: Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 369–379; zum Holztheater: ebd., S. 479–485. 218 Am Beispiel der Großstädte Habbo Knoch, Grandhotels. Luxusräume und Gesellschaftswandel in New York, London und Berlin um 1900, Berlin 2016; Francesco Dal Negro, Hotels des Alpes. Historische Gastlichkeit von Savoyen bis Tirol, Baden 2007; Désirée Vasko-Juhász, Die Südbahn. Ihre Kurorte und Hotels, Wien 22018; am Beispiel des „Badischen Hofes“ von Friedrich Weinbrenner: Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 496–504. 219 Obermaier, Nestroy-Stadt Bad Ischl, S. 45.

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Abb. 5: Hotel „Kaiserin Elisabeth“, vormals „Tallachini“, in Bad Ischl, 1870. Das mit einer Heißluftheizung ausgestattete Hotel lag am Beginn der Esplanade. An der Spitze des Hotels befand sich ein Kaffeehaus, dahinter mit einer Glaskuppel überspannt ein Speisesaal mit Galerie und Gesellschaftsräumen. Das Hotel war 1865 durch einen Brand vollständig zerstört und danach wiederaufgebaut worden. Quelle: ÖNB WB 331-B/C, Fotograf: Wilhelm Burger.

Elisabeth [vormals das nach der Mailänder Eisenbahndynastie benannte „Tallachini“], das Grandhotel Bauer von 1865 oder das 1895 umgebaute „Hotel zur Post“.220 Neben den Hotels und Pensionen kamen den auch saisonweise vermieteten Villen221 wichtige Beherbergungsfunktionen zu; eigene Villen und koschere Restaurants für jüdische Kurgäste entstanden.222 Reiche Kurgäste erbauten sich dagegen Villen in oft eigenwilligen Stilrichtungen,223 andere Kurgäste konnten diese teils aufwendig gestalteten Kurvillen mit und ohne Personal mieten. 220

Karbus, Bauliche Entwicklung, Bd. 3, S. 40f. Als Beispiel aus dem Salzkammergut: Christian Huemer/Eleonora Louis/Jürgen Rath, Moderne Architektur im Salzkammergut. Region Traunsee – Attersee 1830–2007, Weitra 2008; am Beispiel von Baden-Baden: Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 512–527. 222 Für Meran: Sabine Gamper, Meran – eine Kurstadt von und für Juden? Ein Beitrag zur Tourismusgeschichte Merans 1830–1930, Diplomarbeit Univ. Innsbruck 2001, S. 61–90. 223 Etwa zum romantischen „Schweizer Stil“ der Villen: Herrmann/Engert/Mayer, Internationalität, S. 150. 221

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Kurstädte waren auch Orte der Moder ne, die auf moderne Technik im Verkehr, bei der Kommunikation, aber auch bei der Beherbergung setzten. Der Anschluss der Kurstädte an das privat oder öffentlich finanzierte Eisenbahnnetz und der Bau von Bahnhöfen (mitunter in Form von Fürstenbahnhöfen) bewirkten unmittelbar eine Steigerung der Kurgastfrequenz, wobei die Hauptanschlussphase der „Bäderbahn“ zwischen 1848 und 1870 (mit Nachzüglern bis 1875) im deutschsprachigen Bereich lag.224 Überhaupt erst mit der Südbahn (1856 Wien–Triest, 1873 Wien–Rijeka) und vor dem Hintergrund auch militärischer Überlegungen wurde der Adriatourismus erschlossen, und Wien rückte nahe ans Meer.225 Nicht unumstritten war der Bahnanschluss einiger Kurstädte, weil manche Kurkommissionen dadurch vermehrt nicht standesgemäßes Kurpublikum befürchteten. Einige der Zweigbahnen erwiesen sich als wirtschaftlich nicht rentabel. So wurde die 1845 eröffnete Bahnlinie nach Baden-Baden in den 1970er Jahren eingestellt.226 Die Reisezeit zwischen Karlsruhe und Wiesbaden betrug 1856 ohne Eisenbahn acht Stunden und mit den Schienen nur mehr 75 Minuten. Eigene Bäderzüge verbanden die Hauptstrecken als Kurswagen direkt mit den Kurbädern: Das 1870 ans Bahnnetz angeschlossene Karlsbad war 1895 direkt mittels eines täglichen Kurswagens mit dem Orient-Express verbunden, Marienbad wurde 1905 direkt von drei Bäderzügen angefahren.227 In einem nächsten Schritt bewirkten gute Straßenverbindungen eine leichtere Erreichbarkeit kurstädtischer Örtlichkeiten mittels Bussen und Automobilen. Elektrischer Strom, Gaswerk, Telegrafenstation, Fernsprechnetzwerk, Bergbahnen,228 elektrische Aufzüge, Trinkwasserversorgung und Kanalsystem waren weitere Schritte technischer Innovationen in Kurstädten. Badestädte sind auch aus der Sicht der U m w el tg es chi cht e spannende Forschungsfelder: Durch das langsame Erweitern der Kurorte in Richtung des Umlandes im Sinne von Kurlandschaften wird der Gegensatz von Stadt und Land durchbrochen. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als „umwelthistorische Sattelzeit“229 brachte 224

Michael Hascher, Modebäder und Eisenbahn. Zur Frage des Beitrages der Technikgeschichte zum möglichen Welterbestatus europäischer Kurstädte, in: Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte, S. 159–172; Knut Stegmann, Der Kurort als Bühne – Gusseisen und Beton als „neue“ Baustoffe in der Kurarchitektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Weidisch/Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität, S. 129–157. 225 Šime Knežević, Die Entwicklung des Tourismus an der Adria zwischen 1814 und 1918 – Die Entdeckung adriatischer Kurorte durch die Donaumonarchie, in: Aneta Stojić/Anita Pavić Pintarić (Hg.), Kroatiens Küste im Lichte der Habsburgermonarchie, Wien 2017, S. 205–222; Steward, The Spa Towns, S. 100f. 226 Mit einem Vergleich der Bahnlinien nach Meran und Baden-Baden: Sofie Zagler, Der Eisenbahnbau und seine Auswirkungen im Kontext des europäischen Kurtourismus im 19. Jahrhundert. Eine vergleichende Untersuchung der Debatten rund um die schienentechnische Erschließung der Kurstädte Meran und Baden-Baden mit geschichtsdidaktischen Ansätzen für den Schulunterricht, Diplomarbeit Univ. Innsbruck 2018. 227 Triendl-Zadoff, Nächstes Jahr, S. 12–14. 228 Am Beispiel der engen Verbindung von Straßenbahn und Kurbetrieb und der Saalburgbahn: Walter Söhnlein, Klassisches Bad und elektrische Bahn. Bad Homburg als Beispiel für Straßen- und Berg­ bahnen in führenden Badeorten des 19.  Jahrhunderts, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 28 (2017), S. 27–60; am Beispiel von Baden-Baden: Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 550–552. 229 Frank Uekötter, Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007, S. 14–23.

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Abb. 6: Der Wiener Zuckerbäcker Johann Zauner (1803–1868) kam 1832 als Hoflieferant nach Ischl. Die legendären „Zaunerkipferl“ oder die Ischler Oblaten sind bis heute ein Verkaufsschlager, Foto von 1960. Quelle: ÖNB Bildarchiv FO600145/04.

neue städtische Systeme der Wasserwirtschaft, Kontroversen um Schwemmkanalisation, aber auch das Problem der industriellen Abwässer, der Luft- und Lärmverschmutzung mit sich. Die Kurstädte gerieten wie die Sommerfrischen mit der Industrialisierung zu Oasen der Idylle und der Ruhe – sie fungierten etwa im Sinne der städtischen Lärmschutzbewegung als Fluchtorte der psychisch überforderten Stadtbewohner aus den Metropolen.230 230

Siehe am Beispiel von Wien und als Beitrag zur „sound history“: Peter Payer, Der Klang der Großstadt. Eine Geschichte des Hörens. Wien 1850–1914, Wien/Köln/Weimar 2018.

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Kurstädte sind auch eminent wichtige Orte der komparatistischen Literaturwissenschaften. Der ständig kränkelnde Wilhelm Grimm (1786–1859) begab sich 1833 nach Wiesbaden, um Linderung von seinen Magen- und Herzleiden zu erlangen. Neugierig kommentiert er das Kurgeschehen in den briefartigen Tagebucheinträgen (an seine Frau): „Du hättest einmal gestern, wo wieder über 200 Menschen in dem Speisesaal saßen, die 10–12 Kellner mit dem Oberkellner, der wie ein stolzer Hahn vorangieng, sehen sollten [!], mit welcher Schnelligkeit sie aufsetzen u. abräumen. Eine Dame, die neben mir saß, sagte, ‚ich will lieber nichts essen, der Mensch dauert mich zu sehr‘, es lief ihm auch das Wasser über das Gesicht. Das Essen dauerte von 1 bis 4 Uhr, ich habe von vielen Schüsseln gar nichts angerührt, obgleich alle fein zubereitet waren.“231

Mehrere Romane thematisieren die Kurgesellschaft als Jahrmarkt von großen und kleinen Eitelkeiten. Die Hochburg des englischen Kurtourismus, Bad Homburg („Rougenoirburg“), bot dem englischen Satiriker William Makepeace Thackeray (1811–1863) 1850 ein reiches Betätigungsfeld. Genau beobachtend beschreibt der englische Schriftsteller die Brunnengesellschaft: „Ich trank ein paar Gläser einer abscheulichen Sorte schwacher Salze in einem Zustand gelinder Wallung; aber obgleich ein hübsches Mädchen den Trank darreichte, fand ich ihn scheußlich, und es kam mir wie ein Wunder vor, die mannigfaltigen Trunkenbolde Glas um Glas hinunterstürzen zu sehen, das ihnen von der blonden kleinen Hebe perlend aus dem Brunnen kredenzt wurde.“232

Der Breslauer Schriftsteller Carl Spindler (1796–1855) legte mit dem Buch „Der Teufel im Bade“ die „Aufzeichnungen eines Kurgastes“ aus dem Jahr 1851 vor. „Wie jeder Neuling bin ich [der Erzähler] begierig über den schäumenden Trank hergefallen, und die schnelle Folge war, daß mir geschah, was mir noch nie geschehen: daß ich in der sechsten Frühstunde schon einen Rausch davontrug, der mich in die Flucht schlug.“233

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Germanistisches Oberseminar der Universität Wuppertal unter Leitung von: Heinz Rölleke, Wilhelm Grimms Wiesbadener Kurtagebuch von 1833, in: Ludwig Denecke (Hg.), Brüder Grimm Gedenken 8 (1988), S. 123–173, hier S. 140. Ebd., S. 152, den antijüdischen Kommentar: „Es kommen noch immer neue Gäste u. es ist so voll, daß gestern ein Wagen nach dem benachbarten Bibrich abfuhr. Ich bemerke nur daß die Juden immer mehr überhand nehmen, ganze Tische u. Plätze sind damit angefüllt, da sitzen sie mit der ihnen eigenen Unverschämtheit, fressen Eis u. legen es auf ihre dicken u. wulstigen Lippen, daß einem alle Lust nach Eis vergeht. Getaufte Juden sind auch zu sehen, aber erst in der 5ten oder 6ten Generation wird der Knoblauch zu Fleisch.“ Ebd., S. 154: „Ich sehe aus der Badeliste, daß Dahlmanns Bruder angekommen ist; er wohnt im Nassauer Hof, der recht hübsch gelegen ist. Wahrscheinlich bekomme ich ihn auch noch zu sehen.“ 232 Astrid Krüger, Ein Brite in Homburg – William Makepeace Thackeray als Kurgast und Autor der „Kickleburys am Rhein“ (1850), in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 28 (2017), S. 149–188, hier S. 171. 233 Klaus-Dieter Metz, Der erste Homburg Roman: Carl Spindler „Der Teufel im Bade“, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 26 (2015), S. 183–212, hier S. 202.

Kurstädte im Kontext interdisziplinärer Forschungen

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Ironisch kommentiert auch Fjodor Dostojewskijs (1821–1881) Roman „Der Spieler“ das Geschehen in einer fiktiven deutschen Kur- und Glücksspielstadt, wo sich am Roulette-Tisch in ununterbrochener Reihenfolge Tragödien abspielten. Höhepunkt des 1867 veröffentlichten Romans ist das unverhoffte Auftreten der russischen „Großmutter“ bzw. kränklichen Erbtante, mit deren Ableben der stark verschuldete „General“ gerechnet hatte, auch um seine offenen Forderungen begleichen zu können. Dostojewskij kannte die Kurgesellschaften in „Roulettenburg“ genau, wie seine scharfsinnigen, en passant eingestreuten Kommentare belegen: „In den Kurbädern – wie wohl im ganzen übrigen Europa – lassen sich die Hoteldirektoren und Oberkellner bei der Zuweisung von Quartieren nicht so sehr von den Ansprüchen und Wünschen der Gäste leiten als von ihrer eigenen Taxierung besagter Gäste; und nebenbei gesagt, sie irren selten.“234

Der amerikanische Schriftsteller James Baldwin (1924–1987) verbrachte 1953 schließlich als angestarrter „Fremder im Dorf“ einen Kuraufenthalt in Leukerbad, wo ihm die Kinder „Neger, Neger“ nachriefen. Der Kuraufenthalt geriet für Baldwin zum introspektiven Anlass über Rassismus – das Dorf „erkaufte“ mehrere Taufen von Afrikanern durch kirchliche Sammlungen – und Nationalität nachzudenken. „Die Kinder, die Neger! rufen, können unmöglich ahnen, was für ein Echo dieses Wort in mir auslöst.“235

6. Fazit Die Kurstadtforschung als ein faszinierendes, interdisziplinäres Forschungsgebiet wird durch epochale und disziplinäre Grenzziehungen erschwert. Nicht immer kommunizieren die verschiedenen Fachrichtungen ertragreich miteinander. Einige grundsätzliche Probleme tun sich auf: Eine eindeutige Trennung von Kurtourismus und der „Sommer-“ oder „Winterfrische“ ist kaum möglich. Kurstädte erscheinen als Stätten des Tourismus, etwa vergleichbar mit Tourismuszentren oder Tourismusstädten wie Venedig im 18.  Jahrhundert oder Las Vegas und Barcelona im 20./21.  Jahrhundert. Ein hoher Grad an Dienstleistungen, gute Anbindung an Infrastruktur und ein hohes Maß an Werbeindustrie sind Voraussetzungen. Ein Abgehen von nostalgischen Standpunkten, die im Kurtourismus des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts die große Zeit und die anschließende Entwicklung des Massentourismus vor dem Hintergrund der Industrialisierung (mit den Zäsuren Erster 234

Fjodor Dostojewskij, Der Spieler. Aus den Aufzeichnungen eines jungen Mannes [Übersetzung Elisabeth Markstein], Stuttgart 1992, S. 79 (Zitat), S. 69–79 („Auftritt“ der Großmutter). 235 James Baldwin, Notes of a Native Son (New York 1964); auf Deutsch: Schwarz oder Weiß oder was es heißt, ein Amerikaner zu sein. 11 Essays [Übersetzung Leonharda Gescher-Ringelnatz], Hamburg 1979, darin: „Ein Fremder im Dorf, S. 45–58, hier S. 47.

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Martin Scheutz

Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg) als Phase des Niedergangs sahen, in der die Krankenversicherungen als „Reisebüro“ das Geschehen in den Kur­orten zu diktieren begannen, ist dringend geboten. Eine stärkere Einbettung der Kurtourismusforschung in die politische, soziale und ökonomische Geschichte vor Ort wäre notwendig, um die wechselseitige Beeinflussung von Lokal- und Kurgesellschaft besser interpretieren zu können. Die vermehrte Öffnung des Feldes Kurtourismus für neuere Forschungsrichtungen wie etwa Geschlechtergeschichte,236 Kulturgeschichte der Verwaltung,237 Globalisierungsforschung,238 Food history,239 Archäologie/Bauforschung, der Mediengeschichte240 oder Umweltgeschichte241 würde neue Türen für die Kurstadtforschung öffnen. Zudem sollten Kurstädte unter einem stärker komparatistischen Ansatz im Längsschnitt – benachbarte Kurstädte als „ungleiche Schwestern“242 und Brüder – interpretiert werden. Neben der Höhenschicht der Kurgäste an Hochadeligen oder etwa Künstlern sollte eine stärkere Betonung auf den kurenden Arbeitern, Soldaten oder etwa Angehörigen der Unterschicht liegen.

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Zu Stereotypen: Christina Vanja, Weiber und Männer im Bade – Ehepaare beim Kuren im alten Pfäfers, in: Alexander Jendorff/Andrea Pühringer (Hg.), Pars pro toto. Historische Miniaturen zum 75. Geburtstag von Heide Wunder, Neustadt/Aisch 2014, S. 325–336. 237 So wäre eine vergleichende, akteurszentrierte Untersuchung der Kurkommissionen und der Verwendungsstrategien der Kurtaxen ein wichtiges Forschungsanliegen. 238 Eric T. Jennings, Curing the Colonizers. Hydrotherapy, Climatology and French Colonial Spas, Durham/London 2006. 239 Hierzu hatte Barbara Krug-Richter in ihrem Vortrag auf der Frühjahrstagung interessante Einblicke gewährt. Es stehen jedoch noch vertiefende Forschungen aus, bevor sich die gewonnenen Erkenntnisse zu einer Publikation vereinen lassen. 240 Allein die zwischen 1872 und 1895 in Wien erscheinende „Oesterreichische Badezeitung“ [ab 1887 „Oesterreichisch-Ungarische Badezeitung] brachte viele Inserate von Kurorten, Hotels, Badeanlagen, aber auch Medikamenten, Ärzten usw. Die durch die Kurtaxen finanzierten Kurkommissionen (etwa Ischl nach Ausweis der Tätigkeitsberichte in den Kurlisten) wendeten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Teil der Einkünfte für Inserate auf. 241 Martin Knoll/Robert Gross/Katharina Scharf, Transformative Recovery? The European Recovery Program (ERP)/Marshall Plan in European Tourism, Innsbruck 2020. 242 Als komparatistischer stadtgeschichtlicher Ansatz: Andrea Pühringer, Zwei ungleiche „Schwestern“? Die Kurstädte Bad Homburg und Bad Nauheim, in: Alexander Jendorff/Andrea Pühringer (Hg.), Pars pro toto. Historische Miniaturen zum 75. Geburtstag von Heide Wunder, Neustadt/ Aisch 2014, S. 479–497.

ZU KLEIN, ZU JUNG, ZU UNBEDEUTEND – DIE KURSTADT IN DER STADTGESCHICHTSFORSCHUNG Andrea Pühringer

Angesichts der annähernd 400 Bade- und Kurorte in Deutschland1 stellt man mit Verwunderung fest, dass die Kurstadt in der Stadtgeschichtsforschung ein Schattendasein führt. Abgesehen von wissenschaftlichen Präferenzen, sind unterschiedliche Ursachen für die relative Abstinenz verantwortlich.2 Schon die Frage nach ihrer Definition, was diese Städte als Typus auszeichnet, erweist sich als problematisch. Scheinen auf den ersten Blick die Grenzen zwischen Stadt und Dorf fließend zu sein, so spielen städtische bzw. kommunale Belange nur eine untergeordnete Rolle, während Urbanes hingegen zentral ist. Hier zeigt sich bereits die dieser Thematik innewohnende Ambivalenz – vermutlich auch ein Grund dafür, dass Kurstädte in der Stadtgeschichtsforschung bisher nur am Rande Interesse fanden. Nicht, dass keine Forschungen zu Kur- bzw. Badestädten und -orten existierten, ganz im Gegenteil, doch diese Studien zeigen sich an den Paradigmen der allgemeinen Stadtgeschichtsforschung kaum interessiert.3 Die Schwerpunkte der historischen Forschungen lie1

Vgl. den deutschen Heilbäderverband: www.deutscher-heilbaederverband.de. Im Vergleich dazu, kommen Österreich auf 70, laut www.oehkv.at, und die Schweiz auf 33 anerkannte Kur- bzw. Bade­ orte, www.kuren.ch [Stand: 12.12.2020]. 2 Ähnlich bereits: Reinhold P. Kuhnert, Urbanität auf dem Lande. Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert, Göttingen 1984, S. 19f.: Wenige wissenschaftliche Titel zu einzelnen Bädern „stehen in eigentümlicher Diskrepanz zahllosen populären, halbwissenschaftlichen und kompilatorischen Publikationen neueren Datums und einer Fülle zeitgenössischen Materials aus dem 18.  Jh. gegenüber.“ Den Stadtgeschichten und Badechroniken ohne wissenschaftlichen Apparat, die vorwiegend für Gäste verfasst wurden, attestiert er, „gehobene Unterhaltungsliteratur“ zu sein. Ebd., S. 21. Vgl. Fred Kaspar, Ostwestfalen – der Heilgarten Deutschlands? Zur Geschichte von Kurgebrauch und Kurorten in Westfalen-Lippe, in: Westfälische Forschungen 64 (2014), S. 125–157, hier S. 130, bemängelt, dass Kurorten bis heute keine eigenständige urbane Entwicklung mit stadtbaugeschichtlichen Erscheinungen zugestanden wird, obwohl sie seit Jahrhunderten zu entscheidenden Reisezielen weitester Bevölkerungskreise gehören. Er vergleicht ihre besondere Wirtschaftsstruktur mit Wallfahrtsund Messeorten. 3 Hierbei handelte es sich einerseits um Unmengen lokalhistorischer, kaum rezipierter, grauer Literatur und zum anderen um informative, aber ebenfalls massenhaft erschienene Bäderführer, deren beider Potenzial eben im kaum durchgeführten Vergleich liegt. Vgl. allgemein zur entsprechenden Literatur: Matthias Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland 1550 bis 1840. Zum Wandel von Gesellschaft und Architektur, Idstein 1989, S. 10f.

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Andrea Pühringer

gen bis heute vorwiegend auf der Bau- und Architekturgeschichte der Kurstädte, insbesondere auf den Kurvierteln bzw. den Kuranlagen selbst.4 Hinzu kommen Untersuchungen in landschaftshistorischer Perspektive, denn ähnlich den frühneuzeitlichen Residenzstädten ist auch bei den Kurstädten eine Öffnung der Stadt hin zur Landschaft zu beobachten. War das Ziel der Residenzstädte gewissermaßen die herrscherliche Aneignung des umgebenden Raumes, also Repräsentation und Inszenierung eines Machtanspruches, so war der einzige Zweck der Ausdehnung der Kurstadt in die umgebende Landschaft die Kur selbst, die Raumaneignung also der Kur immanent.5 Insbesondere die vor einigen Jahren initiierte und anfänglich hart umkämpfte serielle Bewerbung von nun elf europäischen Kurstädten als „Great Spas of Europe“ im UNESCO-Welterbe-Programm hat diese Schwerpunkte nochmals erheblich intensiviert.6 So könnte man zwei Forschungsstränge konstatieren, die sich 4



Vgl. zum Überblick: Rolf Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984; Petra Simon/Margrit Behrens, Badekur und Kurbad. Bauten in deutschen Bädern 1780–1920, München 1988; Anke Ziegler, Deutsche Kurstädte im Wandel. Von den Anfängen bis zum Idealtypus im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. u. a. 2004; Angelika Baeumerth, Königsschloß contra Festtempel. Zur Architektur des Kursaalgebäudes von Bad Homburg vor der Höhe, Marburg 1990; Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland; Monika Steinhauser, Das europäische Modebad des 19. Jahrhunderts. Baden-Baden – Eine Residenz des Glücks, in: Ludwig Grote (Hg.), Die deutsche Stadt im 19. Jahrhundert. Stadtplanung und Baugestaltung im industriellen Zeitalter, München 1974, S. 95–128; Thomas E. Föhl, Wildbad, in: Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland, S. 473–512; Carmen Putschky, Wilhelmsbad, Hofgeismar und Nenndorf. Drei Kurorte Wilhelms I. von Hessen-Kassel, Diss. Univ. Marburg 2000. Siehe auch Ulrich Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden. Die Baugeschichte der Stadt und ihr Beitrag zur Entwicklung der Kurarchitektur, Mainz/Aachen 2008, dessen Studie zwar einen architektonischen Schwerpunkt hat, der jedoch die gesamte Stadtentwicklung berücksichtigt und diese in historische Zusammenhänge einbettet. Stark moniert er die fehlende Wissenschaftlichkeit bzw. den populärwissenschaftlichen Anspruch vieler Überblickswerke zur Kurgeschichte, ebd., S. 17. Seine Studie ist insofern herauszustellen, als er nicht nur Vergleiche mit anderen Kurstädten anführt, sondern auch andere Städte behandelt, welche die gleichen Architekten bzw. Stadtplaner wie Baden-Baden beauftragten und damit weit über die Kurstadt an sich hinausgeht. 5 Vgl. Ute Lotz-Heumann, Kurorte im Reich des 18. Jahrhunderts – ein Typus urbanen Lebens und Laboratorium der bürgerlichen Gesellschaft: Eine Problemskizze, in: Raingard Esser/Thomas Fuchs (Hg.), Bäder und Kuren in der Aufklärung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen, Berlin 2003, S. 15–35, hier S. 35, die die Kurstadt als „Mittelpunkt eines die Landschaft bewußt einbeziehenden Kurraumes“ sieht – in Anlehnung an Edith Ennen, Residenzen. Gegenstand und Aufgabe der Städteforschung, in: Kurt Andermann (Hg.), Residenzen. Aspekte hauptstädtischer Zentralität von der Frühen Neuzeit bis zum Ende der Monarchie, Sigmaringen 1992, S. 189–198, hier S. 194. 6 Bei den mittlerweile auserkorenen Städten handelt es sich um Bad Ems, Bad Kissingen, Baden bei Wien, Baden-Baden, Bath, Franzensbad, Karlsbad, Marienbad, Montecatini, Spa und Vichy. https:// greatspasofeurope.org/de/unesco-de/ [Stand: 04.03.2021]. Entgegen den ursprünglich anvisierten wissenschaftlichen Kriterien stehen nunmehr „historisch verbrämte“ touristische und denkmalpflegerische Aspekte im Vordergrund, die den Kriterien der sogenannten „outstanding universal values“ (OUV) entsprechen sollen. Allerdings ist der Initiative zugute zu halten, dass sie zahlreiche Forschungen anstieß – auch in Kurorten, die schlussendlich nicht zu den „happy few“ der Auserwählten zählten. Zu den ursprünglichen Ansätzen vgl.: Andreas Förderer, Playgrounds of Europe. Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden 2010; Ders., „Weltbäder als Welterbe?“ – Überlegungen zu einer transnationalen, seriellen Bewerbung europäischer Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts für das UNESO-Weltkulturerbe, in: Volkmar Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 2012, S.  233–246; Volkmar Eidloth, Kleine historische Geographie europäischer Kurstädte und Badeorte im 19. Jahrhundert, in: ebd., S. 15–39.

Die Kurstadt in der Stadtgeschichtsforschung

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kaum überschneiden, um nicht zu sagen, sich teils auch ignorierten – was sicherlich auch mit den Forschenden und damit in Verbindung stehenden Institutionen zusammenhing.7 Im Folgenden sollen daher die Paradigmen der „traditionellen“ wie der „modernen“ Stadtgeschichtsforschung8 im Hinblick auf Kurstädte untersucht werden, um zu sehen, warum diese derart unterbelichtet blieben. Wie auch umgekehrt zu analysieren ist, welche Aussagen und Ansätze davon für die Kurstädte fruchtbar gemacht werden könnten. Die Möglichkeiten reichen hier von Forschungen zu Stadttypologie, Urbanisierung, Stadt-Umland-Beziehungen, Städtelandschaften bzw. Städtenetzwerken und Zentralität bis hin zu Fragen nach Aufklärung, Kommunikation, Bürgertum bzw. Eliten sowie den unterschiedlichen „Turns“, welche die Geschichtswissenschaften seit den 1990er Jahren beeinflussen und auch in der Stadtgeschichtsforschung ihre Auswirkungen zeitigten. Einige ausgewählte Beispiele sollen im Folgenden vorgestellt werden. Ohne die oftmals zitierten Diskussionen um den Stadtbegriff,9 um Typisierung und Hierarchie hier nochmals in extenso zu wiederholen, sei doch kurz angemerkt, dass diese Themen lange Zeit wirkmächtig waren und eigentlich nie zu einem Abschluss gekommen sind – vermutlich, weil diese Fragen – auch im Hinblick auf geänderte Forschungsansätze und Paradigmenwechsel – mittlerweile an Relevanz verloren haben.10 7



Kritisch: Reinhold Lorenz, Bäderkultur und Kulturgeschichte. Forschungen über den Sozialcharakter der österreichischen Heilquellenorte, in: Archiv für österreichische Geschichte 117/2 (1949), S. 197–306, S. 104, der den Historikern die Ignoranz des Themas vorwirft: „Für die Geschichte der österreichischen Heilbäder haben die rastlos schaffenden Lokalchronisten – und darunter auch viele geschichtsliebende Ärzte – mancherlei Bausteine, kleinere und größere, rohe und schon behauene, vorbereitet. Dagegen versagten sich mit ganz wenigen Ausnahmen die ,zünftigen‘ Historiker, und die länderweisen Zusammenfassungen des bäderkundlichen Stoffes blieben in aneinandergereihten topographischen Skizzen stecken.“ Zur Person Lorenz’ siehe den Beitrag von Martin Scheutz in diesem Band. 8 Mit „traditionell“ und „modern“ sind sowohl die von der Mediävistik herkommende Stadtgeschichte als auch die Urbanistik gemeint, die das Städtewesen seit dem 19. Jahrhundert im Blick hat. Christian Engeli/Horst Matzerath (Hg.), Moderne Stadtgeschichtsforschung in Europa, USA und Japan. Eine Einführung, in: Dies. (Hg.), Moderne Stadtgeschichtsforschung in Europa, USA und Japan, Stuttgart u. a. 1989, S. 9–19. Sie betonen, dass sie Urbanisierung als Prozess beschleunigten Wachstums und Umbaus der Städte, der Herausbildung der modernen Großstadt und der Ausformung städtischer Merkmale und Lebensformen in der gesamten Gesellschaft sehen und dass diese Entwicklung erst im 19.  Jahrhundert einsetzte, ebd., S.  9. Die moderne Stadtgeschichtsforschung, die den Zeitraum von 1850 bis zur Gegenwart umfasst, grenzt sich bewusst gegen Mittelalter und Frühe Neuzeit ab. Wie sie auch einen interdisziplinären Ansatz mit Einbeziehung von Geografie, Stadtplanung, Architektur, Rechtswissenschaft, Demografie, Soziologie, Ethnografie und Kulturwissenschaften verfolgt. Ebd., S. 11 und 13. 9 Vgl. etwa die 31. Frühjahrstagung des IStG im Jahr 2000, wobei das Mittelalter, aber auch – den Städteatlasarbeiten geschuldet – die Kartografie zwei Schwerpunkte in der Themengestaltung des IStG darstellen. Peter Johanek/Franz-Joseph Post (Hg.), Vielerlei Städte. Der Stadtbegriff, Köln/ Weimar/Wien 2004. 10 Vgl. zum Forschungsüberblick vorwiegend aus mediävistischer Sicht: Peter Johanek, Stadtgeschichtsforschung – ein halbes Jahrhundert nach Ennen und Planitz, in: Ferdinand Opll/Christoph Sonnlechner (Hg.), Europäische Städte im Mittelalter, Innsbruck 2010, S. 45–92. Zu den Veränderungen von Stadtbegriff bzw. -definition siehe auch: Alfred Heit, Vielfalt der Erscheinung – Einheit des Begriffs? Die Stadtdefinition in der deutschsprachigen Stadtgeschichtsforschung seit dem 18. Jahrhundert,

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Andrea Pühringer

1. Stadtbegriff und Typologie Studien, die sich mit der frühneuzeitlichen Stadt bzw. der Stadtentstehung befassen, berücksichtigen die Kurstädte kaum, erwähnen sie höchstens als „Sonderform“ oder „Minderstadt“.11 Herbert Knittler etwa sieht die Bäderstädte vorwiegend in England vertreten, während die kontinentalen Bäderstädte wie Spa nur beiläufig Erwähnung finden. Auch ändert er in seinen Ausführungen die Bezeichnung in „Bäder- und Kursiedlung“. Ihre Bedeutung erlangten diese laut Knittler erst nach dem Dreißigjährigen Krieg, in der zweiten Hälfte des 17. bzw. im 18.  Jahrhundert durch die Kombination von Kur- und Vergnügungseinrichtungen.12 Ulrich Rosseaux führt in seiner Stadttypologie an letzter Stelle interessanterweise die „Kurorte“ an, was er damit begründet, dass die meisten Kurstädte in rechtlichem Sinne eigentlich keine Städte gewesen seien. Seiner Meinung nach waren sie dennoch Teil der „Städtelandschaft“, da sie über eine wenn auch „weder juristisch noch räumlich festgelegte Form der Urbanität“ verfügten.13 Ähnlich argumentiert Volkmar Eidloth, der betont, dass die Bäderstädte im Gegensatz zu anderen städtischen Sonderformen ihr eigenständiges typologisches Profil im 19. Jahrhundert nicht nur behaupten, son-

in: Johanek/Post (Hg.), Vielerlei Städte, S. 1–12; Franz Irsigler, Stadt und Umland in der historischen Forschung. Theorien und Konzepte, in: Neithard Bulst u. a. (Hg.), Bevölkerung, Wirtschaft, Gesellschaft. Stadt-Land-Beziehungen in Deutschland und Frankreich 14. bis 19.  Jahrhundert, Trier 1983, S. 13–38, hier S. 26f.; Gerhard Dilcher, Einheit und Vielfalt in der Geschichte und Begriff der europäischen Stadt, in: Johanek/Post (Hg.), Vielerlei Städte, S. 13–30, hier S. 13, der die „Abwendung von rechtshistorischen hin zu wirtschaftlichen, sozialgeschichtlichen, geografisch-topografischen Gesichtspunkten“ konstatiert, wie auch die Auflösung „des Stadtbegriffs in eine Pluralität unterschiedlicher Typen, die überdies je nach dem Ausgangspunkt der Fragestellung variiert.“ 11 Heinz Stoob, Minderstädte. Formen der Stadtentstehung im Spätmittelalter, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 46 (1959), S. 1–28; Heinz Stoob, Frühneuzeitliche Städtetypen, in: Ders. (Hg.), Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, Köln/Wien 1979, S. 195–228. Stoob, dem abwertende Begriffe wie „Städtetal“ und „Minderstadt“ zu verdanken sind, befasst sich zwar mit den italienischen Stadttheoretikern zu Idealstadt und Planstädten (ebd., S. 198– 203), erwähnt aber die Kurstadt mit keinem Wort. Desgleichen Wilhelm Wortmann (Hg.), Deutsche Stadtgründungen der Neuzeit, Wiesbaden 1989, hierin geht Rudolf Endres, Fürstliche Stadtgründungen aus der Sicht des Wirtschafts- und Sozialhistorikers, S. 31–43, einzig auf die „Sonderformen“ von Berg- und Exulantenstädten ein, während Wolf Deiseroth, Fürstliche Stadtgründungen aus der Sicht der Baugeschichte und Denkmalpflege, in: ebd., S. 45–80, einzig Residenzstädte wie Mannheim oder Erlangen behandelt. Vgl. zuletzt Wilfried Ehbrecht, „Minderstadt“ – ein tauglicher Begriff der vergleichenden historischen Städteforschung, in: Herbert Knittler (Hg.), Minderstädte – Kümmerformen – Gefreite Dörfer. Stufen zur Urbanität und das Märkteproblem, Linz 2006, S. 1–50, hier S. 37f., der die Entstehung der Minderstädte im Zusammenhang mit der aufkommenden flächenhaften Herrschaftsbildung im Mittelalter sieht. 12 Herbert Knittler, Die europäische Stadt in der frühen Neuzeit, Wien 2000, S. 78–80. 13 Ulrich Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006, S. 45f.

Die Kurstadt in der Stadtgeschichtsforschung

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dern zur vollen Ausbildung bringen konnten.14 Allerdings ging diese Entwicklung mit einem verschärfenden Prozess des Ausdifferenzierens – international, regional, lokal – einher.15 Die eigentliche Stadtgeschichtsforschung befasste sich anfänglich mit Fragen nach dem Beginn des Städtewesens und der Stadtentstehung. Zentrale Begriffe dieser mediävistischen Forschung wie Stadtrecht,16 Stadtmauer mit Wehrfähigkeit, Stadtverfassung, Autonomie oder Stadtherr sind allesamt Kategorien, die auf die Kurstädte nur beschränkt anwendbar sind. Stadtrechte erhielten manche von ihnen aber durchaus noch in Mittelalter bzw. Früher Neuzeit oder erst im 20. Jahrhundert.17 Andere wiederum waren zuvor bzw. zugleich auch Residenzstädte – etwa Baden-Baden18, Homburg19 oder die waldeckische Sommerresidenz Pyrmont.20 Selbst das kleine 14

Volkmar Eidloth, Europäische Kur- und Badestädte des 19. Jahrhunderts. Ein konsumorientierter Stadttyp, in: Siedlungsforschung 28 (2010), S.  157–182, hier S.  157. Ziegler, Deutsche Kurstädte, meint sogar, eine Entwicklung hin zum Idealtypus festzustellen, wie aus dem Titel ersichtlich ist. 15 Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 311–315; Fred Kaspar, Brunnenkur und Sommerlust. Gesundbrunnen und Kleinbäder in Westfalen, Bielefeld 1993. 16 Der Schwerpunkt auf rechtlichen und verfassungsgeschichtlichen Fragen gründet auch auf dem Einfluss von Juristen in der Frühzeit der Stadtgeschichtsforschung im 19. Jahrhundert. Vgl. Johanek, Stadtgeschichtsforschung, S. 49. 17 Etwa Ems oder Neuenahr „verdanken ihre Qualität als Städte und Mittelzentren fast ausschließlich der heilenden Kraft der Quellen“, Franz Irsigler, Von alten und neuen Bädern, in: Dieter Lau/ Franz-Josef Hayn (Hg.), Vor-Zeiten. Geschichte in Rheinland-Pfalz, Bd. 5, Mainz 1989, S. 87–110, hier S. 109. Vgl. auch Ute Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotypie des 18. Jahrhunderts und der Sattelzeit: Die Entstehung einer bürgerlichen Kultur und Gesellschaft, ungedr. Habil. Berlin 2010, S. 85, die etwa aus der Burgfriedensfreiheit von Schwalbach 1643 sowie der Stadtrechte Pyrmonts 1720 den Schluss zieht, als Kurstädte nur mit Stadtrecht ausgestattete Städte zu bezeichnen, da im Reich eine große Bandbreite städtischer Qualität wie rechtlich-politischer Verfassung existierte. So habe eben auch die Reichsstadt Aachen mit der Akzisestadt Pyrmont nicht viel gemein. Andererseits verweist Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 45f., darauf, dass etwa im 15. Jahrhundert Bäder, selbst Wildbäder, sehr wohl befestigt waren und z. B. das Burgfriedensrecht in der Badeordnung von 1485 verankert war. So unterschieden sich Wildbäder vom umliegenden Land durch einen eigenen Rechtsbezirk. Diese „Badfreiheit“ ersetzte zunehmend Fortifikationen – so wurden Wildbäder im Mittelalter als ein insulares Gebilde, ähnlich einer Stadt, wahrgenommen. Verwiesen sei aber auch auf die zahlreichen größeren oder kleineren Bäder, die im Verlauf der Frühen Neuzeit entstanden (und teils auch wieder verschwanden), die eben nicht als „Städte“ bezeichnet werden können. Darunter waren Orte mit nur einem Bad oder einer Quelle, was sie nicht gleich zu einem Badeort, geschweige denn zur Kurstadt werden ließ. 18 Vgl. Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 145–148, der von der „Kurstadt als Residenzstadt“ spricht. Hier lagen die Badeanlagen bereits im Mittelalter außerhalb der Stadtmauer; sie waren jedoch durch eine eigene Mauer geschützt, vgl. ebd., S. 134. 19 Zur Stadtentwicklung vgl. Andrea Pühringer, Bad Homburg vor der Höhe. Hessischer Städteatlas, Marburg 2012. Zwar ließ bereits Landgraf Friedrich II. von Hessen-Homburg (1633–1708), der berühmteste Sohn seines Geschlechts, die Stadtmauer durchbrechen, allerdings nur an einer Stelle, um eine Querachse anlegen zu lassen, an der sich französische Exulanten ansiedeln sollten. Der Plan ging nicht auf, die Exulanten begründeten das herrscherferne Friedrichsdorf und Homburg wartete bis zum Aufschwung durch das Kurwesen auf seine Expansion. Andrea Pühringer, From „Montecarlisation“ to „Medicalisation“ – the Case of Bad Homburg vor der Höhe, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 13 (2015), S. 233–240, hier S. 233. 20 Dieter Alfter, Bad Pyrmont. Die Sommerresidenz der Waldecker Fürsten, in: Birgit Kümmel/ Richard Hüttel (Hg.), „indessen will es glänzen“. Arolsen. Eine barocke Residenz, Korbach 1992, S. 102–111; Holger Th. Gräf, Arolsen und Butzbach – Beobachtungen zum alten und neuen Typus

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Andrea Pühringer

Abb. 1: Johann Striedbeck, Ansicht der Residenzstadt Baden-Baden, Kupferstich um 1760. Quelle: www.stadtwiki-baden-baden.de.

württembergische Wildbad war bis 1806 Oberamtsstadt.21 Die Kurorte expandierten vorwiegend in einer Zeit, als Stadtmauern ohnehin ihre Funktion verloren hatten und das Gros der Städte sich ihrer dadurch entstandenen mittelalterlichen Enge zu entledigen suchte und die Mauern geschleift wurden. Viele Bäder verdankten ihre Förderung mehr oder weniger „kleinen“, mindermächtigen Landesherren; insofern war eine Stadtverfassung kaum von Belang, da Fragen wie Stadt- und Marktrecht, Zunftwesen oder Gerichtsbarkeit für die zumeist absolutistisch-aufgeklärten Regierungen obsolet waren.22 der kleinen Residenzstadt im Alten Reich, in: Susanne C. Pils u. a. (Hg.), Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit, Wien 2005, S. 27–52, hier S. 44. 21 Vgl. auch das im Schwarzwald liegende Bad Wildbad, das nicht nur Stadtrechte, sondern sogar eine kleine Stadtmauer erhielt, Wolfgang Niess/Sönke Lorenz (Hg.), Kult-Bäder und Bäderkultur in Baden-Württemberg, Filderstadt 2004, S.  261, 263; Gudrun M. König, Eine Kulturgeschichte des Spazierganges. Spuren einer bürgerlichen Praktik 1780–1850, Wien 1996, S. 187. 22 Zur landesherrlichen Förderung von Kurorten vgl. in Auswahl zu Pyrmont: Kuhnert, Urbanität auf dem Lande; zum „zweiherrigen“ Schlangenbad: Andrea Pühringer, Der Taunus – Konjunkturen einer traditionsreichen Bäderlandschaft, in: Christina Vanja/Heide Wunder (Hg.), Die Taunus­ bäder. Orte der Heilung und der Geselligkeit, Darmstadt/Marburg 2019, S. 149–177, hier S. 154; zu Wiesbaden: Martina Bleymehl-Eiler, „Das Paradies der Kurgäste“ – Die Bäder Wiesbaden, Langenschwalbach und Schlangenbad im 17. und 18. Jahrhundert, in: Michael Matheus (Hg.), Badeorte

Die Kurstadt in der Stadtgeschichtsforschung

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Neben der Typisierung der Kurstadt als „Sonderform“ oder „Minderstadt“ wurden Kurstädte auch als Konsumenten- bzw. Konsumtionsstädte definiert. Doch folgt man den theoretischen Überlegungen Max Webers (1864–1920) oder Werner Sombarts (1863–1941), auf die diese Definitionen zurückgehen, so zeigt sich auch hier die Problematik, dass hin zur Großstadt gedacht wurde – je höher das Konsum­ angebot, umso stärker das Stadtwachstum.23 Man könnte dieser Stadttypologie natürlich auch eine Typologie der Kurorte/-städte gegenüberstellen, allerdings sind die Begrifflichkeiten wie Modebad, Fürstenbad,24 Weltbad,25 Bauernbad, Baderesidenz bzw. Residenzbad26 oder Luxusbad27 nur in Ansätzen definiert.

2. Zentralitäts- und Urbanisierungsforschung Die eigentlich von der Geografie kommende Zentralitätsforschung befasst sich mit der Frage nach städtischen Systemen und Hierarchien und ging von Walter Christallers Theorie der zentralen Orte aus – einer Theorie der Raumordnung, worin er Annahmen über die räumliche Verteilung von Städten sowie ihre Anzahl und Größe formulierte. Hatten große Städte als Oberzentren zwar bedeutendere städtische Funktionen, so war ihre Anzahl geringer und sie lagen weiter voneinander entfernt. Kleinere Städte existierten hingegen in höherer Zahl, lagen näher beisammen, verfügten über weniger Funktionen und ein begrenztes Marktangebot. Sie fungierten

und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 2001, S. 53–80; Dies., Ein kleines Elysium – die nassauischen Bäder im 19. Jahrhundert, in: Gast Mannes (Hg.), Nassau und seine Bäder in der Zeit um 1840, Wiesbaden 2005, S. 69–117, die hier auch auf die unterschiedliche Förderung von Bädern in einem Territorium eingeht. 23 Hierzu Stephan Selzer, Die „Konsumentenstadt“. Angebot – Gebrauch – Verbrauch eines stadtgeschichtlichen Konzepts, in: Ders. (Hg.), Die Konsumentenstadt. Konsumenten in der Stadt des Mittelalters, Köln u. a. 2018, S. 11–24, hier S. 23; sowie Friedrich Lenger, Der Begriff der Stadt und das Wesen der Städtebildung. Werner Sombart, Karl Bücher und Max Weber im Vergleich, in: ebd., S. 25–37, hier S. 26–28, zur Sombart’schen Konsumtionsstadt. Zur Stadttypisierung vgl. auch: Franz Irsigler, Überlegungen zur Konstruktion und Interpretation mittelalterlicher Stadttypen, in: Johanek/Post (Hg.), Vielerlei Städte, S. 107–119, hier S. 109f., 117. Er geht zwar chronologisch über das Mittelalter hinaus, hat Kurstädte aber auch nicht im Blick. Allerdings verweist er auf den Ansatz zur Definition einer Weinstadt von Lukas Clemens, Trier – eine Weinstadt im Mittelalter, Trier 1993, S. 413f., deren Kriterienbündel auch auf Kurstädte angewandt werden könnten. 24 Burkhard Fuhs, Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700–1900, Hildesheim 1992, S. 165; Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 51. 25 Sigrid Russ, Weltkurstadt Wiesbaden. Vom Ackerbürger- und Badestädtchen zum internationalen Luxus- und Modebad, in: Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte, S. 143–156. 26 Kaspar, Brunnenkur und Sommerlust, S. 25, 38–40 zu den Kleinbädern. 27 Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 40; Alfred Martin, Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Nebst einem Beitrage zur Geschichte der deutschen Wasserheilkunde, Jena 1906/ND München 1989, S. 345.

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als Mittel- bzw. Unterzentren. Gerade für wirtschaftshistorische Fragestellungen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit galt die Zentralörtlichkeit besonders im Hinblick auf Fernhandel, Exportgewerbe, Markt- und Messesysteme als relevant.28 Gleichfalls mit Rang- und Größenrelationen von Städten und ihrer räumlichen Verteilung befasste sich Jan de Vries, der allerdings einen rein quantitativen Urbanisierungsansatz verfolgte und Kleinstädte von vornherein als irrelevant ausschloss. Paul M. Hohenberg und Lynn H. Lees verstehen Urbanisierung als strukturellen, übergreifenden Prozess, indem sie ein Netzwerk sichtbar machen – mit zwei Idealtypen, nämlich der „Stadt als Zentralort“ im Sinne der Herausbildung arbeitsteiliger regionaler Hierarchien und der „Stadt als Teil überlokaler, häufig internationaler Netzwerke“. Zentrale Kategorien sind in dieser Hierarchisierung Technologie, Demografie und Märkte.29 Zwar berücksichtigten auch sie Kleinstädte nur peripher, doch lösten diese Publikationen eine Urbanisierungsdebatte aus, die zur Intensivierung der Kleinstadtforschung führte.30 Anfänglich standen Fragen nach der Abgrenzung zum ländlichen Umfeld bzw. dem Zusammenhang von regionaler Urbanisierung mit Demografie, Ökonomie und Funktionen im Mittelpunkt sowie die Frage, inwiefern sich die Städtehierarchien durch Bedeutungsverlust bzw. -gewinn veränderten.31 Erst sukzessive befassten sich Studien mit der urbanen Durchdrin28

Walter Christaller, Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen, Jena 1933/ND Darmstadt 1968; Hektor Ammann, Die wirtschaftliche Stellung der Reichsstadt Nürnberg im Spätmittelalter, Nürnberg 1970; Johanek, Stadtgeschichtsforschung, S. 78f.; Christoph Parnreiter, Stadtgeografie, in: Harald A. Mieg/Christoph Heyl (Hg.), Stadt. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2013, S. 46–63, hier S. 54, der betont, dass aufgrund von sich ändernder Transporttechnologie und Handelswegen dieser Ansatz heute als veraltet gilt. Vgl. auch Hans Jürgen Teuteberg, Historische Aspekte der Urbanisierung. Forschungsstand und Probleme, in: Ders. (Hg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte, Köln u. a. 1982, S. 2–34, hier S. 30–32, der auch auf den Zusammenhang von Industrialisierung und Urbanisierung sowie auf die Umschichtung von ländlicher Bevölkerung in die Städte bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum verweist. Doch wie auch Hans Heinrich Blotevogel, Kulturelle Stadtfunktionen und Urbanisierung. Interdependente Beziehungen im Rahmen der Entwicklung des deutschen Städtesystems im Industriezeitalter, in: Teuteberg (Hg.), Urbanisierung, S. 143–185, bleiben beide auf Industriestädte konzentriert, ohne anderweitige Entwicklungen in den Blick zu nehmen. 29 Jan de Vries, European Urbanization, 1500–1800, London 1984; Paul M. Hohenberg/Lynn H. Lees, The Making of Urban Europe, 1000–1950, Cambridge/Mass. 1985; Dieter Schott, Stadt in der Geschichtswissenschaft, in: Mieg/Heyl (Hg.), Stadt, S. 120–147, hier S. 127f. 30 Antoni Mączak/Christopher Smout (Hg.), Gründung und Bedeutung kleinerer Städte im nördlichen Europa der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1991; Herwig Weigl, Die unauffälligen Städte. Österreichs Kleinstädte im Dunkel der Historiographie, in: Willibald Rosner (Hg.), Österreich im Mittelalter. Bausteine zu einer revidierten Gesamtdarstellung, St. Pölten 1999, S. 119–125; Wilfried Reininghaus, Kleinstädte am Ende des Alten Reichs. Fragen und Anmerkungen zu Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur, in: Niedersächsisches Jahrbuch 74 (2002), S. 1–14. Siehe auch Clemens Zimmermann, Village – Small Town – Metropolis, in: Sebastian Haumann/Martin Knoll/Detlev Mares (Hg.), Concepts of Urban-Environmental History, Bielefeld 2020, S. 253–263, mit weiterführender Literatur. Vgl. auch Tom Scott, Kleine Städte, keine Städte. Das so genannte „urbane Netz“ in Südwestdeutschland im ausgehenden Mittelalter, in: Knittler (Hg.), Minderstädte, S. 181–202. 31 Peter Clark (Hg.), Small towns in early modern Europe, Cambridge 1995; Holger Th. Gräf (Hg.), Kleine Städte im neuzeitlichen Europa, Berlin 1997; Wilfried Reininghaus, Idylle oder Realität? Kleinstädtische Strukturen am Ende des Alten Reiches, in: Westfälische Forschungen 43 (1993),

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gung des Landes – anhand unterschiedlicher Faktoren. Vorrangig blieb jedoch die funktionale Einbindung der Städte in den frühmodernen Staat. Dennoch konnte so struktureller Wandel festgestellt werden; einige – auch größere – Städte verloren ihre Position, während kleinere prosperierten.32 Hier zeigt sich indes, dass die einzelnen Paradigmen nicht völlig voneinander getrennt werden können, da sie sich teils wechselseitig beeinflussten bzw. weiterentwickelt wurden. Erst kürzlich verwies Clemens Zimmermann darauf, dass die kleinstädtische „Urbanität in ihrem Eigenwert und nicht als Schrumpf- oder gar Gegenform großstädtisch-klassischer Urbanität zu begreifen“ ist und daher „diese prekäre Frage der Urbanität der Kleinstädte gegenstandsangemessen formuliert werden sollte“.33 Das Konzept der qualitativen Urbanisierung ist jedenfalls ein Ansatz, der auch für Kurorte in vielerlei Hinsicht Anwendung finden kann. Allerdings sind bezüglich der räumlichen Verteilung Einschränkungen zu treffen, denn Kurorte entstanden nicht aufgrund von Funktion oder Notwendigkeit, sondern waren wegen der Heilquellen standortgebunden. Daher ist in manchen Regionen dank der geologischen Voraussetzungen eine Häufung von Badeorten anzutreffen, die ihrerseits wiederum Hierarchien ausbildeten, in denen die Städte in unterschiedlichen Positionen rangierten bzw. diese Positionen auch einem zeitlichen Wandel unterlagen.34 Ein Beispiel dafür sind die Taunusbäder, die teils – wie Wiesbaden – römischen Ursprungs waren, aber auch in ihrer neuzeitlichen Phase unterschiedliche Konjunkturen erfuhren. So lösten etwa die „Modebäder“ des 19. Jahrhunderts – Bad Ems, Wiesbaden und Bad Homburg – diejenigen des 18. Jahrhunderts – Bad Schwalbach und Schlangenbad – ab, während etwa Bad Soden am Taunus oder Camberg zu keiner Zeit eine ähnliche Bedeutung erlangten. Auch international gab es ähnliche Entwicklungen, so verwies Reinhold P. Kuhnert darauf, dass um 1800 Karlsbad begann, Pyrmont den Rang abzulaufen.35 Allerdings konnte der durch Bekanntheit und Beliebtheit zunehmende BesucheranS.  514–529; Heinz Stoob, Zwischen Autonomie und Dirigismus: Zum Städtenetz in Mitteleuropa vom Aufgange der Neuzeit bis zur Wende 1800, in: Michael Stolleis (Hg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt, Köln 1991, S. 267–282, S. 278 zum frühneuzeitlichen Städtetal, in „weitgehender Erstarrung in Hunderten entkräfteter oder auch zerstörter Mittel- bis Zwergstädte“. Dynamik und Prosperität gab es nur in Sonderformen, doch die Kurstädte blieben unerwähnt! 32 Holger Th. Gräf, „Small towns, large implications“? Bemerkungen zur Konjunktur in der historischen Kleinstadtforschung, in: Johanek/Post (Hg.), Vielerlei Städte, S. 145–158, hier S. 151–153. 33 Clemens Zimmermann, Kleinstädte im 20. Jahrhundert. Selbstbilder, Potenziale, Urbanität und Peripherisierung, in: Werner Nell/Marc Weiland (Hg.), Kleinstadtliteratur. Erkundungen eines Imaginationsraums ungleichzeitiger Moderne, Bielefeld 2020, S. 59–74, hier S. 59. Er sieht die Kleinstadt als Entität mit bestimmten Qualitäten und Beziehungen in das Umland sowie zu anderen Städten innerhalb von Regionen und Metropolregionen, ihre untergeordnete Platzierung in der Städtehierarchie stamme aber aus dem späten 19. Jahrhundert. Ebd., S. 60, 65. 34 Vgl. dazu: Eidloth, Geographie. 35 Vgl. Pühringer, Taunus, S.  149–177; Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S.  218f.; Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 54; vgl. zur ähnlichen Situation in der Bäderlandschaft Ostwestfalens: Kaspar, Ostwestfalen – der Heilgarten Deutschlands, hier S. 127; zu Südwestdeutschland: Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 322. Er unterscheidet zwischen Kurstadt und Kurort anhand der Sozialstruktur der Besucher. Erstere war geprägt von raschem Wandel und Internationalisierung,

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Abb. 2. Johann Jacob Tanner, Wiesbaden, Aquatinta auf Papier, nach einer Tuschezeichnung von Johann Jakob Siegmund, um 1835. Im Vordergrund die Kuranlagen, dahinter, von einer Allee getrennt, die Altstadt. Quelle: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 159.

sturm dazu führen, dass das exklusivere Publikum abwanderte – von Wiesbaden nach Kreuznach und von Baden-Baden nach Griesbach oder Rippoldsau.36 Neben den wirtschaftlich-merkantilen Interessen der Landesherren, die diese Hierarchie mit förderten, ist deren „Mitspielen“ in der Bäderhierarchie als Ausdruck adeligen

während die untere Mittel- und die Unterschicht, die bisher großen Anteil hatten, an den Rand gedrängt wurden. Vergnügungen, Luxus und Repräsentation waren die Attraktionen der Kurstadt, während sich die Kurorte durch eine feststehende Hierarchie einer regional begrenzten Öffentlichkeit und der Dominanz bestimmter Berufsgruppen auszeichneten. Siehe auch die Empfehlungen bei Johann Ferdinand Heyfelder, Die Heilquellen und Molkencur-Anstalten des Königreichs Württemberg und der Hohenzollerischen Fürstenthümer, Stuttgart 1840, S. 204, zur Ständegesellschaft im Bad mit Empfehlungen zur Bäderauswahl je nach sozialer Position. 36 Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 314. Es müsste also immer auch die soziale Schichtung des Kurpublikums mitberücksichtigt werden.

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Konkurrenzdenkens nicht zu unterschätzen. Besonders eindrücklich stellte sich dies selbst an einem Ort, nämlich Schlangenbad, dar – als Kampf um die Badehegemonie zwischen dem Landgrafen von Hessen-Kassel und dem Kurfürsten von Mainz.37 Weitere Aspekte qualitativer Urbanisierung sind die hochwertigen balneologischen und infrastrukturellen Einrichtungen in den einzelnen Kurstädten sowie ihr Bemühen, sie stets auf modernstem Stand zu halten. Wobei hier schon das „eherne Gesetz der Moderne“38 mit permanenter Beschleunigung deutlich wird.39 Infrastrukturmaßnahmen wie Bauordnungen, Straßenanlagen, Elektrizitätswerke, Straßenbeleuchtung, Straßenbahnen, Kanalisation oder Schlachthöfe entstanden oft schon ähnlich früh wie in Großstädten und kamen auch der einheimischen Bevölkerung zugute. Erhielten etwa Hamburg, Berlin, München und Frankfurt am Main bereits ab den 1850er Jahren eine Kanalisation, so folgten schon Anfang der 1870er Jahre Bad Homburg, Baden-Baden oder Wiesbaden in den 1880er Jahren.40 Insbesondere Schlachthöfe und Kanalisation sollten die hygienischen Bedingungen verbessern und für das Kurpublikum einen gewissen Schutz gewährleisten.41 Exemplarisch für die balneologische Infrastruktur sei hier Bad Nauheim erwähnt, das nicht nur ab 1903 mit dem sogenannten Sprudelhof eine zentrale Badeanlage, sondern ab 1905/06 eine Maschinenzentrale mit Fernheizwerk, E-Werk und Eisfabrik sowie 1908 eine zentrale Dampfwaschanstalt erhielt. War etwa der technische Bereich des Großen Solsprudels unterirdisch verborgen, so entzogen sich die hinter dem Bahnhof gelegene Maschinenzentrale und Waschanstalt den Augen des Publikums, auch um die vermeintliche Idylle nicht zu stören.42 37

Vgl. Pühringer, Taunus, S. 154. Der Aufschwung von Schlangenbad verdankte sich zum einen, dass beide Herren „ihre“ Kuranlagen errichten ließen und dabei versuchten, sich gegenseitig zu übertreffen. Und zum anderen lockte allein schon die Anwesenheit eines der beiden Fürsten weiteres Publikum an. 38 Hierzu zuletzt: Stefanie Gänger/Jürgen Osterhammel, Denkpause für Globalgeschichte, in: Merkur 74 (2020), Heft 855, S. 79–86, hier S. 81f. 39 Vgl. Niess/Lorenz (Hg.), Kult-Bäder; Andrea Pühringer, Das Kurwesen als Motor der Urbanisierung. Stadtplanung und städtische Expansion im 19. Jahrhundert, in: Roswitha Mattausch/ Dies., Mondäne Stadt – idyllische Landschaft. Der Aufstieg Homburgs zum Kur- und Modebad im 19. Jahrhundert, Neustadt/Aisch 2016, S. 7–67, hier S. 55–60. 40 Jürgen Reulecke, Die Politik der Hygienisierung. Wandlungen im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge als Elemente fortschreitender Urbanisierung, in: Imbke Behnken (Hg.), Stadtgesellschaft und Kindheit im Prozeß der Zivilisation. Konfigurationen städtischer Lebensweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Opladen 1990, S. 13–25, hier S. 18; Heinz Grosche, Die Geschichte der Stadt Bad Homburg vor der Höhe, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1986, S. 374; Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S.  359. Geschichte Kanalisation und Klärwerk in Wiesbaden vom 19. Jahrhundert bis heute (pdf), Wiesbaden 2011, S. 8–11. Gerade in Wiesbaden war die Situation aufgrund der in der Altstadt gelegenen Quellen besonders brisant; Joseph Brix, Die Canalisation der Stadt Wiesbaden, Wiesbaden 1887, S. 4f., 12–15. 41 Grosche, Geschichte, Bd. 3, S. 374–380. Er verweist auf die Beispielhaftigkeit der Infrastruktureinrichtungen, die oft auch den Besuch von Delegationen anderer Städte mit sich brachte. Vgl. Reul­ ecke, Politik, S. 14f., 18. Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass wiederholt Typhus ausbrach, wie etwa 1885 in Wiesbaden. Vgl. Pühringer, Taunus, S. 155; Bernd-Michael Neese, Beiträge zur Geschichte der Stadt Wiesbaden im 19. Jahrhundert, Bd. 1, Wiesbaden 2012, S. 116–118. 42 Andrea Pühringer, Zwei ungleiche „Schwestern“? Die Kurstädte Bad Homburg und Bad Nauheim, in: Alexander Jendorff/Dies. (Hg.), Pars pro toto. Historische Miniaturen zum 75. Geburtstag von

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Der infrastrukturelle Innovationsfaktor bzw. Katalysator, der diese qualitative Urbanisierung vorantrieb, war zweifellos die Eisenbahn. Schon früh bemühten sich die Kurstädte um Bahnanschlüsse, die sie auch meist rasch erhielten: Wiesbaden 1840, Bad Nauheim 1850, Bad Ems 1858 oder Homburg 1860, wobei man den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchte, denn es lagen Bath mit 1840, Montecatini 1853 oder Spa 1855 etwa gleichauf. Jedenfalls führte der Bahnanschluss zu einem enormen Anstieg der Besucherzahlen, der wiederum die weiteren infrastrukturellen Maßnahmen beschleunigte.43 Hand in Hand mit den infrastrukturellen Bemühungen auf kommunaler Seite gingen die technischen Innovationen und der Komfort in Hotellerie und Gas­ tronomie einher. Waren Gas und Strom die ersten Errungenschaften, so folgte die Aufrüstung der Hotels mit Balkonen, Etagenbädern, Zimmern mit Warmwasser, später mit Badezimmern, Toiletten und Zentralheizung. Die Häuser selbst waren mit Telegrafie, Haustelefon und Aufzügen ausgestattet. Der Wettbewerb war groß, sodass kein Haus von Renommee auf diese Neuerungen verzichten konnte.44 Diese Innovationsbereitschaft ist gleichfalls in den Kureinrichtungen, wie etwa Kurhaus, Wandelhallen, Brunnen, Quellen, Parkanlagen etc., nachzuvollziehen. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang die mit als Voraussetzung geltenden kulturellen Einrichtungen, wie Theater, Bibliotheken, Konzerthäuser und sonstige Veranstaltungs- und Gesellschaftsräumlichkeiten.45 Nicht nur diese wurden stets auf den neuesten Stand gebracht – ebenso die Therapien, die sich dem Stand der medizinischen Entwicklung anpassten oder zeitgeistigen Heilverfahren, Licht-, Luft- oder Bewegungstherapeutik verpflichtet waren.46 Auch die um die Jahrhundertwende entstehenden Sanatorien stellten eine neue Form intensivierter Heilbetreuung dar.47

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Heide Wunder, Neustadt/Aisch 2014, S.  479–497, hier S.  490; Britta Spranger, Jugendstil in Bad Nauheim. Vom Golddesign zum Sichtbeton, Darmstadt 2010, S. 68–70. Ernst Dieter Nees, Die Entwicklung von Stadt und Bad 1835–1945, in: Vom Söderdorf zum Herzheilbad. Die Geschichte (Bad) Nauheims bis zur Gegenwart, hg. v. WZ-Verlag in Verbindung mit dem Magistrat der Stadt Bad Nauheim, Bad Nauheim 1997, S. 99–202, hier S. 122–127. Vgl. Michael Hascher, Modebäder und Eisenbahn. Zur Frage des Beitrages der Technikgeschichte zum möglichen Welterbestatus europäischer Kurstädte, in: Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte, S. 159–172, hier S. 161; Pühringer, Taunus, S. 151; Dies., Kurwesen, S. 35f.; Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 233, 528. Vgl. auch Gabriele M. Knoll, Kulturgeschichte des Reisens. Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub, Darmstadt 2006, S. 105f.; Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 506f.; Pühringer, Kurwesen, S. 51–53. Vgl. auch den Beitrag von Michael Hascher in diesem Band. Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 256f.; Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S. 89; Neese, Beiträge, S. 115f., 274; Russ, Weltkurstadt Wiesbaden, S. 150–152. Kaltwasseranstalten, Gasbäder, Inhalations- und elektrotherapeutische Einrichtungen, Molkenkur­ anstalten und sogenannte Zander-Institute für mechanisch-heilgymnastische Behandlungen erforderten auch neue Baulichkeiten. Pühringer, Kurwesen, S. 161; Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 506; Neese, Beiträge, S. 115f., 274; Nees, Entwicklung, S. 128; Joachim Kromer, Bad Soden am Taunus. Leben aus den Quellen, Frankfurt a. M. 1990, S.  46f., 79, 93; Pühringer, „Montecarlisa­ tion“, S. 237f.; Hermann Sommer, Zur Kur nach Ems. Ein Beitrag zur Geschichte der Badereise von 1830 bis 1914, Stuttgart 1999, S. 53–71. Im Gegensatz zu den heutigen, berüchtigten Bettenburgen der Sozial- bzw. Krankenversicherungsanstalten richteten sich die ersten in den Kurstädten aufkommenden Sanatorien an ein betuchtes Pu­blikum. Sie waren insofern der Bequemlichkeit verpflichtet, als sie Unterkunft, Verpflegung und

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Darüber hinaus sind Werbemaßnahmen gleichfalls als Phänomen der qualitativen Urbanisierung zu werten, denn die Intensität und der betriebene Aufwand – die Kurstädte selbst, wie auch die unterschiedlichen Einrichtungen betreffend – waren so nur in Großstädten zu finden.48

3. Stadt-Umland-Beziehungen Forschungen zu Stadt-Umland-Beziehungen gingen ursprünglich von der aus dem Mittelalter stammenden rechtlichen Ungleichheit der Stadt und ihrem Umland aus, es entwickelten sich jedoch bald Untersuchungsansätze zu Umlandpolitik und Landbesitz größerer Städte, wie auch zu ökonomischen Interaktionen.49 Erst mit dem Aufbrechen des Stadtgebiets durch die Schleifung der Mauern, dem Ausgreifen der Stadt in ihr Umland – sei es aus demografischen bzw. ökonomischen Gründen oder aus herrschaftlichen Bauinteressen – veränderte sich nicht nur die rechtliche, sondern auch die soziokulturelle Situation grundlegend. Bezeichnenderweise wurde dieses Phänomen hauptsächlich in der Residenzenforschung untersucht,50 allerdings Therapie an einem Ort anboten. Darüber hinaus waren sie aufgrund ihrer Lage zumeist an den Rändern oder außerhalb der Städte oder in Parkanlagen prädestiniert für Ruhesuchende. In Bad Homburg etwa bot das Taunus-Sanatorium des Arztes Siegfried Goldschmidt seinen jüdischen Gästen nicht nur koschere Verpflegung, sondern sogar eine hauseigene Synagoge. Vgl. Pühringer, Kurwesen, S. 59. Siehe auch: „Sanatorium Dr. Goldschmidt (Taunus-Sanatorium), Untere Terrassenstraße 1“, in: Orte der Kur [Stand: 02.02.2022]. 48 Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 231; Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 125; Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 51. Siehe dazu die Bad Homburger Kur- und Badelisten, die mit zahlreichem Werbematerial versehen waren: https://www.lagis-hessen.de/de/klhg/advertising [Stand: 02.02.2022]. Seit spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts warben Ärzte, Kasino­betreiber und Kurhauspächter sowie Luxuswaren- und Konsumgütervertreiber diversester Art für den Kurort wie für ihre Produkte. Allgemein: Silke Brune-Berns, Im Lichte der Großstadt: Werbung als Signum einer modernen Welt, in: Peter Borscheid/Clemens Wischermann (Hg.), Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. FS für Hans Jürgen Teuteberg, Stuttgart 1995, S. 90–115. Siehe auch den Beitrag von Michael Prokosch in diesem Band. 49 Vgl. etwa Rolf Kiessling, Stadt-Land-Beziehungen im Spätmittelalter. Überlegungen zu Problemstellung und Methode anhand neuerer Arbeiten vorwiegend zu süddeutschen Beispielen, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 40 (1977), S. 829–867; Irsigler, Stadt und Umland, S. 13–38. 50 Ennen, Residenzen, S. 193f.; Stefan Schweizer, Einführung, in: Ders./Sascha Winter (Hg.), Gartenkunst in Deutschland. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Regensburg 2012, S. 11–21, hier S.  16f.; Matthias Müller, Die Residenzstadt im Schatten unserer Wahrnehmung. Einführende Überlegungen zur „Stadt im Schatten des Hofes“, in: Ders./Sascha Winter (Hg.), Die Stadt im Schatten des Hofes? Bürgerlich-kommunale Repräsentation in Residenzstädten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, Ostfildern 2020, S. 11–22, hier S. 12. Er verweist darauf, dass selbst kleine Residenzorte nicht als Dorf, sondern als Stadt wahrgenommen wurden. Den Grund dafür sieht er in der Anlage von repräsentativen höfischen wie städtischen Gebäuden sowie in dem durch Sichtachsen, Haupt- und Nebenstraßen strukturierten Stadtraum. Residenzstädtische Bauwerke und Plätze übernahmen ganz grundsätzliche Funktionen des ständeübergreifenden, Hof und Stadt sprichwörtlich zusammenführenden Interessenausgleichs und der residenzstädtischen Identitätsbildung. Der öffentliche Raum hatte insofern integrative Funktion, als er von beiden genutzt wurde. Ebd., S. 17.

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scheint die Ausdehnung der Städte in ihre umgebende Landschaft auch im Hinblick auf die Kurstädte ein fruchtbarer Ansatz zu sein. Diese Ausdehnung erfolgte auf verschiedene Weise: Manche Städte öffneten ihre mittelalterlichen Mauern, um Raum für die Errichtung von Kuranlagen zu erhalten; zudem entstanden – meist nahe der Brunnen und Quellen – weitläufige Parks, von denen aus in einem dritten Schritt die „Eroberung“51 der näheren und weiteren Umgebung erfolgte.52 Darüber hinaus kam es zu einer „Verdichtung“ der Interaktionen mit den umliegenden Dörfern, denn aus diesen kam zum einen ein Teil der im Kurwesen Beschäftigten, da die Städte selbst aufgrund ihrer geringen Einwohnerzahl meist nicht über ausreichend Personal verfügten. Zum anderen rekrutierten sich auch zahlreiche Handwerker aus der Umgebung, die über Jahre hinweg im Ausbau der Städte Beschäftigung fanden. Insofern intensivierten sich die Stadt-Umland-Beziehungen auf vielfältige Weise.53 Der Vollständigkeit halber seien noch die frühen, meistens weitab gelegenen, oft als Wildbäder54 bezeichneten Orte erwähnt, die allerdings in die folgenden Betrachtungen nicht mit einbezogen werden, da sie selten städtischen Charakter erhielten. Als Beispiel wäre hier das in einer Talschlucht gelegene Bad Pfäfers in der Schweiz zu nennen, das allerdings erst durch die Neuanlage des späteren Bad Ragaz auf einem topografisch geeigneteren Gelände urbane Strukturen erhielt.55 Grundsätzlich sind zwei Faktoren zu nennen, die sicherlich mitverantwortlich sind für die zahlreichen, seit dem 18. Jahrhundert vor den Toren der Städte entstehenden Gartenanlagen. Zum einen hatte sich die Funktion und Bedeutung der Be51

Der Begriff nach Wolfgang Kos (Hg.), Die Eroberung der Landschaft. Semmering, Rax, Schneeberg. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung Schloss Gloggnitz 1992, Wien 1992. 52 Vgl. Roswitha Mattausch, „Überall wird man von neuen Schönheiten überrascht“. Gärten, Parks und die Homburger „Kurlandschaft“ im 19. Jahrhundert, in: Dies./Pühringer, Mondäne Stadt, S.  69–116; Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S.  49; Eidloth, Konsumorientierter Stadttyp, S. 168. 53 Vgl. Hans-Jürgen Sarholz, „Dienstbare Geister“ in Bad Ems – Der schöne Schein und ein Blick hinter die Kulissen, in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 119–132, hier S. 127f. Vgl. Pühringer, Kurwesen, S. 42, in Homburg etwa wurden die Kirdorfer Maurer zum Synonym dieser Bauhandwerker, die anfänglich am Kurhausbau mitwirkten, sich später mit dieser Erfahrung teilweise selbstständig machten und als Bauunternehmer eigene Projekte verfolgten. Manchmal entwickelten sich über Generationen hinweg geradezu Handwerkerdynastien. 54 Die Begrifflichkeit des „Wildbades“ ist nach wie vor unklar, da es bis ins 19. Jahrhundert mit heißen Quellen gleichgesetzt wurde – im Gegensatz zum kalten Sauerbrunnen. Vgl. Robert Flechsig, Bäder-Lexikon. Darstellungen aller bekannten Bäder, Heilquellen, Wasserheilanstalten und klimatischen Kurorte Europas und des nördlichen Afrikas in medizinischer, topographischer, ökonomischer und finanzieller Beziehung, Leipzig 1883, S. 14–17; Martin, Deutsches Badewesen, S. 277; Eidloth, Geographie, S.  17. Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S.  17, erwähnt etwa, dass im Mittelalter damit auch ein Bad in der Natur und nicht im städtischen Badehaus gemeint sein konnte. 55 Vgl. Bad Pfäfers – Bad Ragaz 1868–1968, St. Gallen 1968; Reinhold Meier, Leben im Zeichen von Kloster und Hotel. Bad Ragaz und seine Geschichte(n), in: Terra plana. Vierteljahreszeitschrift für Kultur, Geschichte, Tourismus und Wirtschaft 50/3 (2020), S.  43–48; siehe auch Christina Vanja, Weiber und Männer im Bade – Ehepaare beim Kuren im alten Pfäfers, in: Jendorff/Pühringer (Hg.), Pars pro toto, S. 325–336, zu den Naturbeschreibungen, besonders zu der als gefährlich empfundenen Taminaschlucht. Vgl. auch zu den zahlreichen „Kleinbädern“ in Westfalen: Kaspar, Ostwestfalen – der Heilgarten Deutschlands.

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Abb. 3: Situations-Plan der Stadt Homburg vor der Höhe, 1871. In Grün gehalten der Kurpark mit seinen Brunnenanlagen, südlich davon die drei Hauptachsen der Neustadt mit dem östlich gelegenen Bahnhof. Im Westen die enge verwinkelte Altstadt mit dem vorgelagerten Schloss. Quelle: StadtA Bad Homburg, Sign. S01 C2.

festigungswerke mittlerweile als obsolet erwiesen. Bereits der Dreißigjährige Krieg hatte gezeigt, dass die mittelalterlichen Verteidigungsanlagen den neuzeitlichen Waffen nichts mehr entgegenzusetzen hatten, doch selbst die neuzeitlichen Befestigungen im Stile Sébastien Le Prestre de Vaubans verloren bald an Effektivität.56 Zum anderen veränderte sich im Verlauf des 18.  Jahrhunderts die Einstellung zu Natur und Landleben. Ulrich Rosseaux spricht von „einem mentalen Wandlungsprozess im Hinblick auf den therapeutischen und ästhetischen Wert des Landlebens und einer als natürlich imaginierten ländlichen Umgebung“. In der Nachfolge Jean Jacques Rousseaus wurde das Landleben positiv konnotiert und galt als gesunder Gegenentwurf zum Stadtleben in beengten Verhältnissen und in schlechter Luft.57 56

Vgl. etwa Hartwig Neumann, Reißbrett und Kanonendonner. Festungsstädte der Neuzeit, in: „Klar und lichtvoll wie eine Regel“. Planstädte der Neuzeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Karlsruhe 1990, S. 51–76. 57 Ulrich Rosseaux, Naturgenuss und Sommerpläsier. Städtische Gärten um 1800 als Erholungs- und Unterhaltungsräume, in: Mark Häberlein/Robert Zink (Hg.), Städtische Gartenkulturen im historischen Wandel, Ostfildern 2015, S. 141–147, hier S. 141f., Zitat S. 141; vgl. Petra Raymond, Von der Landschaft im Kopf zur Landschaft in der Sprache. Die Romantisierung der Alpen in den Reiseschilderungen und die Literarisierung des Gebirges in der Erzählprosa der Goethezeit, Berlin 1993, S. 18; König, Eine

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So bleibt etwa die Frage nach dem Gegensatz Stadt – Land, Kultur – Natur, die sich in gartentheoretischen Werken, je nach Verfasser, unterschiedlich dargestellt.58 Die inhaltliche Bewertung der Gegenüberstellung von Stadt und Natur, Zivilisiertheit und Unzivilisiertheit, divergierte in der Geschichte Europas durch die Jahrhunderte stark zwischen Hinwendung und Abkehr.59 Galt nicht-gestaltete Landschaft lange Zeit als nicht beschreibens- und beachtenswert, so rückte mit dem „Erwachen des Naturgefühls“ auch die unberührte Natur in den Mittelpunkt des Interesses. Das Rheintal und die Alpen sind wohl jene Landschaften, in denen sich dieses neue Verhältnis von Mensch und Natur wie auch das neue Landschaftsideal zuerst und am deutlichsten manifestierten. Das Streben nach schwärmerischem Naturgefühl und empfindsamem Landschaftserlebnis erlangte Bedeutung, was auch in der weiteren Landschaftsgestaltung der Kurstädte seinen Ausdruck finden sollte.60 Das Ausgreifen der Kurstädte in die sie umgebende Landschaft lässt sich verallgemeinernd in vier Schritten fassen – wobei die Entwicklung in den einzelnen Städten unterschiedlich vonstattengehen konnte.61 Der erste Schritt über die Stadtgrenzen hinaus betraf zumeist die Kuranlagen, womit die Quellen und Badehäuser wie auch die Kurhäuser und Wandelgänge im engeren Sinne gemeint sind. Nur in wenigen Städten – etwa in Wiesbaden oder Baden-Baden, wo bereits eine weiter zurückreichende Kur- bzw. Bädertradition existierte – befanden sich die Bäder, Quellen oder Brunnen im Bereich der Altstadt. Üblicherweise und auch in den beiden Städten erfolgte die Neuanlage eines Kurviertels außerhalb, allerdings nahe der engen Alt-

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Kulturgeschichte des Spazierganges, S. 222, die darauf verweist, dass dieser Geschmackswandel auch die Natur am Kurort veränderte. Burkhard Fuhs, Natur und Klassengesellschaft in Wiesbaden, in: Imbke Behnken (Hg.), Stadtgesellschaft und Kindheit im Prozess der Zivilisation. Konfigurationen städtischer Lebensweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Opladen 1990, S. 97–119, hier S. 101: „Die hygienisch, ästhetisch und emotional erschlossene und bereinigte Natur wird für den wilhelminischen Kurgast zum romantischen Erlebnis, während Naturwissenschaft und Technik eine vollkommene Naturbeherrschung anstreben.“ Vgl. sehr ausführlich und auch den Rousseau’schen Ideen folgend: Christian Cajus Lorenz Hirschfeld, Gärten bey Gesundbrunnen, in: Ders., Theorie der Gartenkunst, Fünfter Band. Nebst Register, Leipzig 1785, S. 85–115. Vgl. Christine Lauterbach, Städtische Gartenkultur in den Niederlanden um 1600 zwischen Stadtkritik und Lob des Landlebens, in: Häberlein/Zink (Hg.), Städtische Gartenkulturen, S. 127–140, hier S. 127. Vgl. ebd., S. 140, wo die Autorin die in einigen Beiträgen in diesem Band angesprochene Foucault’sche Heterotopie schon auf Gärten an sich anwendet. Zur Heterotopie vgl. Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.) sowie die Beiträge von Martin Scheutz, Andreas Tacke und Wynfrid Kriegleder in diesem Band. Raymond, Von der Landschaft, S. 1. Vgl. dazu auch Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S. 66f. sowie Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S.  186f., die darauf verweisen, dass Seebäder erst so spät entstanden, weil davor – ähnlich wie aufgrund der ungezähmten Natur in den Alpen – Meeresangst bestand. Die ersten Seebäder waren auch vom Meer abgewandt angelegt. Vgl. Alain Corbin, Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste, Berlin 1990/ND Frankfurt a. M. 1994, S. 329f. Vgl. allgemein Volkmar Eidloth, Die ganze Landschaft ein Garten? Historische Kurorte „... und ihre Umgebungen“, in: Ders./Petra Martin/Katrin Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung. Kurgärten und Kurparks in Europa / Between Healing and Pleasure. Spa Parks and Spa Gardens in Europe, Ostfildern 2020, S. 179–197.

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städte.62 Die Folgen waren eine grundlegende Umgestaltung der nahen Landschaft: Brachflächen wurden bebaut, versiegelt (Straßen) und Bäche kanalisiert.63 Einzig um das Kurhaus wurde ein anfänglich eher kleiner Kurgarten angelegt, der zum Flanieren einlud.64 Der zweite Schritt erfolgte mit der Anlage von weitläufigeren Parks, die von geschlungenen Wegen durchzogen waren, die oft die Quellen miteinander verbanden und Blickachsen mit Point de Vues offerierten. Teiche und Blumenbeete erhöhten zudem die Attraktivität. Burkard Fuhs bezeichnet dieses neue „Begrünungskonzept als „neue Qualität von bereinigter Natur“. Denn durch die Trinkkur hatte sich das medizinisch verordnete Spazierengehen etabliert, was zu entsprechenden baulichen Notwendigkeiten führte – Brunnen, Wandelhalle, Kolonnaden, Promenaden, Spazierwege, Kurpark.65 Doch je näher man dem Kurhaus kam, umso verfeinerter war die „Natur“ gestaltet. Die neue „Stadtnatur“ diente der Ästhetisierung des Raumes und dämpfte negative Klimaeinflüsse – so zumindest die damalige Vorstellung.66 Brachten der Kurpark wie auch andere Parkanlagen es mit sich, dass sich an deren stadtabgewandten Seiten Villen und ab der Jahrhundertwende auch Sanatorien ansiedelten und so zum Stadtwachstum beitrugen, kam es in einem dritten Schritt zu einem weiteren Ausgreifen in die Landschaft durch die Anlage eines weitverzweigten Wegenetzes mit Aufenthalts-, Unterhaltungs-, Ruhe- und Verpflegungsmöglichkeiten, das die Umgebung nun weitläufig erschloss.67 62

Neben Wiesbaden und Baden-Baden nahmen Nauheim, Ems oder Homburg diesbezüglich eine ähnliche Entwicklung. Vgl. Fuhs, Natur, S. 97; Pühringer, Zwei ungleiche „Schwestern“; Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 220–222; Hermann Sommer, Stationen eines Kurbads im 19. Jahrhundert – Bad Ems, in: Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen, S.  101–131. Während hingegen Franzensbad/ Františkovy Lázně, dessen Sauerbrunnen ursprünglich zu Eger/Cheb gehörte, wie auch Marienbad/ Mariánské Lázně sich aus neu errichteten Kursiedlungen entwickelten. Vgl. Eidloth, Geographie, S. 25; Sigrid Canz (Hg.), Große Welt reist ins Bad. 1800–1914. Baden bei Wien, Badgastein, Bad Ischl, Franzensbad, Marienbad, Teplitz. Ausstellung des Adalbert Stifter-Vereins in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Museum für angewandte Kunst, Wien/München/Passau 1980. 63 Fuhs, Natur, S. 99. 64 Vgl. Fred Kaspar, Der Kurgarten. Ein historischer Überblick. Von Spielwiese und Allee zu Kurgarten und Kurpark, Petersberg 2016, S. 57–61 zur Situation in Kissingen und Bocklet. 65 Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S.  49. In Bad Homburg etwa wurde der von Peter Joseph Lenné (1789–1866) geplante und ab 1854/55 errichtete Kurpark dreimal erweitert: von demselben 1857, erneut 1867 sowie 1913 um den sogenannten Jubiläumspark ergänzt – anlässlich des 25-jährigen Thronjubiläums von Wilhelm II., Pühringer, Kurwesen, S. 31, 57; Mattausch, Gärten und Parks, S. 84; Kaspar, Der Kurgarten, S. 85–89 zu Wiesbaden und Kissingen. Vgl. György Sebestyén, Die Kurpromenade oder die Erfindung der Kunstnatur, in: Canz (Hg.), Große Welt reist ins Bad, S. 36–42, hier S. 38. 66 Fuhs, Natur, S. 99. 67 Vgl. etwa Mattausch, Gärten und Parks, S. 91–114, zum Beispiel Bad Homburg, an dem sich diese Entwicklung sehr gut nachvollziehen lässt. So waren neben dem Kurpark anfänglich der stadtnahe Schlossgarten sowie die landgräflichen Gärten dem Kurpublikum zugänglich, weitere Wege führten dann zum Gotischen Haus, in den Hardtwald oder bis zur Saalburg. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung der sogenannten Verschönerungsvereine, die für Bänke, Ruhe­plätze, Aussichtstürme etc. sorgten. In Homburg waren auch die Aktivitäten des 1868 gegründeten Taunus-Clubs von Bedeutung. Ebd., S. 106. Eidloth, Landschaft; Ders., Konsumorientierter Stadttyp, S. 164, der darauf verweist, dass etwa Franzensbad einen ganzen „Kranz“ von fünf Parks rund um die Stadt erhielt, der bis heute stadtbildprägend ist. Ebd., S. 168.

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Der vierte Schritt geht hingegen weniger in die umgebende Landschaft als vielmehr in die Dörfer der näheren Umgebung. Denn aus ihnen rekrutierte sich ein Teil der in den Kurstädten Beschäftigten – sei es als Handwerker bei der Errichtung von Baulichkeiten und Infrastruktur aller Art oder als Beschäftigte in den unterschiedlichsten Bereichen des Kurwesens. Leider ist dieser sozio-ökonomische Aspekt der Stadt-Umland-Beziehungen bisher nur rudimentär in den Blick genommen worden – ein Faktum, welches sich eigentlich auf sämtliche Bereiche der im Zusammenhang mit dem Kurwesen Beschäftigten bezieht.68 Damit verquickt ist eine Art Kulturtransfer von der Stadt auf das „Land“, etwa indem einheimische Baumeister Bauformen und -stile übernahmen oder daraus ihre eigene Formensprache entwickelten.69 In diesem Zusammenhang ist gewiss auch die Frage nach der Industrie in der Kurstadt zu stellen. Denn selbstverständlich existierten Industrieunternehmen in den Kurstädten – oftmals anfänglich als kleinere Betriebe in den Altstädten, später an den Stadträndern bzw. in den umgebenden Dörfern oder im Umland. Also auch dieses Phänomen ist Teil des Stadt-Umland-Verhältnisses der Kurstädte. Das 19. war ja das Jahrhundert der Industrialisierung, das heißt, aus handwerklicher und Verlagsproduktion entwickelte sich in den einzelnen Sparten in unterschiedlicher Geschwindigkeit eine industrielle Fertigung, die zumeist auch zur betrieblichen Expansion führte. Die Eisenbahn galt ebenso wie der Fabrikschlot anfänglich als ein Zeichen von Modernität. So wurden frühe Bahnhöfe oftmals nahe den Stadtzen­ tren errichtet, und von vielen Kurstädten existieren Ansichten mit Schloten. Dass sich diese Einstellung im Verlauf des 19.  Jahrhunderts verändern sollte, liegt auf der Hand. Dennoch lässt sich die damit einhergehende Technikbegeisterung nicht leugnen. Vermutlich ist die Industrialisierung in den Kurstädten auch deshalb kaum berücksichtigt, weil es sich dabei um eine Übergangsphase handelte. Mit steigenden Ansprüchen einer sich „verfeinernden“ Gesellschaft wurden die Fabriken dann aus den Städten verbannt – und landeten in den umliegenden Dörfern, allerdings nur in jenen, die nicht den malerischen Ansprüchen der Kurgäste entsprachen. Einzig Teile

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Nicht von ungefähr präferierten die beiden Herausgeberinnen des Bandes zu den Taunusbädern, den Begriff der „dienstbaren Geister“ für im Kurwesen Beschäftigte – vom Brunnenmädchen über Hotelbedienstete, Fahrer und Kutscher bis hin zu Wäscherinnen und Monatsmädchen, denn in diesem spiegelt sich dieses „Unsichtbarsein“ bzw. das Nichtgesehen- und Übersehenwerden der ungezählten Dienstleister und Dienstleisterinnen in den Kurstädten wider. Christina Vanja/Heide Wunder, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Die Taunusbäder, S. 11–17, hier S. 17. Siehe auch: Hans-Jürgen Sarholz, „Dienstbare Geister“ in Bad Ems – Der schöne Schein und ein Blick hinter die Kulissen, in: ebd., S. 119–132. Dies ist einer der wenigen Beiträge, die sich sozusagen mit der „Backside of town“ befassen – ein in jeder Hinsicht enormes Forschungsdesiderat. Anscheinend sitzt die Forschung dem „schönen Schein“ der Kurstädte auf, lässt sich blenden von ehemaligem Glanz, denn sowohl Themen wie Prostitution, Spielgeschädigte und -süchtige inklusive der Selbstmordraten und Verschuldungen als auch die Bediensteten sind nahezu gänzlich unerforscht. Selbst zu den „Einheimischen“ gibt es keine aussagekräftigen Studien. 69 Pühringer, Kurwesen, S. 43.

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der „kurimmanenten“ Industrie verblieben in der Stadt – und wurden nun gut getarnt verborgen, ebenso wie vermutlich die Kur überhaupt durch die Tourismus-Industrie der Industrialisierung anheimfiel.70

4. Städtelandschaften bzw. Städtenetzwerke Sowohl die traditionelle Stadtgeschichtsforschung als auch die moderne Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung befassen sich, allerdings aus unterschiedlichen Blickrichtungen, mit den Städtelandschaften bzw. Städtenetzwerken. Geht Erstere vor allem von gemeinsamen strukturellen Merkmalen unterschiedlichster Natur in einer Region gewisser Größer aus,71 so interessiert Letztere vornehmlich der Zusammenhang von Industrialisierung und Metropolenbildung.72 Die Kurstadt sitzt gleichsam „zwischen den Stühlen“ von traditioneller und moderner Forschung, obwohl sie ja im Kern und in ihrem Entstehungszusammenhang in das Ancien Régime zurückreicht, doch sie greift – als „Phänomen des Übergangs“73 mit ihren modernen urbanen Ausprägungen und ihrer Innovationsfreudigkeit bis weit ins 20. Jahrhundert.74 Auch hier finden sich Ansatzpunkte, die für die Kurstädte fruchtbar gemacht werden könnten. Die Kurstädtelandschaften könnten in ihren unterschiedlichen geografischen Ausprägungen in den Blick genommen werden – seien es der Taunus, 70

Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 212, verweist in diesem Zusammenhang auf die ähnliche Entwicklung von Kur- und Industriestädten, insofern beide auf gute Verkehrsverbindungen angewiesen waren. Zu Bad Homburg vgl. Andrea Pühringer, Rauchende Schlote in der Kurstadt. Industrie, Industrialisierung und Kurwesen in Bad Homburg, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 25 (2014), S. 97–125; Nauheim mit seinen zentralen Maschinenanlagen wurde bereits erwähnt; Spranger, Jugendstil, 68–70. 71 Holger Th. Gräf/Katrin Keller (Hg.), Städtelandschaft – Réseau urbain – Urban networks, Köln u. a. 2004; Monika Escher/Alfred Haverkamp/Frank Hirschmann, Städtelandschaft – Städtenetz – zentralörtliches Gefüge. Ansätze und Befunde zur Geschichte der Städte im hohen und späten Mittelalter, Mainz 2000; Helmut Flachenecker/Rolf Kiessling (Hg.), Städtelandschaften in Altbayern, Franken und Schwaben. Studien zum Phänomen der Kleinstädte während des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, München 1999. Vgl. auch Scott, Kleine Städte, S. 190, 197f., der über Probleme bei der Bestimmung von urbaner Qualität reflektiert und Städtedichte keineswegs als Gradmesser für urbane Qualität sieht. Denn oft sei nicht die Städtedichte oder -größe entscheidend für einen wirtschaftlichen Aufschwung, sondern das Netzwerk, das funktional die kleineren den größeren Zentren zuordnete und sie in ein regionales Wirtschaftsgefüge einband. 72 Friedrich Lenger, Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850, München 2013; Ders./Klaus Tenfelde (Hg.), Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung, Entwicklung, Erosion, Köln u. a. 2006; ähnlich, aber mit stadtplanerischem und architektonischem Ansatz, bereits 1975: Leonardo Benevolo, Die Geschichte der Stadt, Frankfurt a. M. 51990. 73 Übergang hier im Sinne der Koselleck’schen Sattelzeit gemeint, vgl. dazu auch Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.). 74 Gerade als ein Ort des frühen Tourismus, um nicht zu sagen einer Tourismusindustrie, sind die Kurstädte in ihrer Modernität nicht zu unterschätzen. Vgl. Hans Magnus Enzensberger, Eine Theorie des Tourismus, in: Ders., Einzelheiten, Hamburg 2007, S. 177–202.

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Ostwestfalen oder die niederösterreichische Thermenregion – wie sie auch untereinander Vergleichsmöglichkeiten bieten.75 Das aktive Netzwerken von Kurstädten blieb bisher nahezu gänzlich unbeachtet, obwohl dies auf verschiedensten Ebenen – etwa in der Werbung – seit Langem üblich war. So hart der gegenseitige Konkurrenzdruck der Bäder auch sein mochte, Inserate wurden dennoch in den Kurlisten oder Zeitungen der „Mitbewerber“ geschaltet bzw. umgekehrt auch zugelassen.76 Völlig unberücksichtigt blieben bisher zudem Personennetzwerke – seien es zum einen die Gäste und Künstler oder zum anderen auch Ärzte, Architekten, Brunnendirektoren oder Casinochefs, die dafür Sorge tragen mussten, dass der vermeintlichen Idylle nichts im Wege stand. In diesem Zusammenhang wäre auch auf eine Art „Bäderspionage“ zu verweisen, auf Personen, die Badeorte unter bestimmten Kriterien bereisten, um sich für die eigenen Kurortplanungen inspirieren zu lassen.77 Zwar erreichten die Bade- und Kurorte der Frühen Neuzeit nicht die hohe Zahl, die etwa Robert Flechsig (1817– 1892) 1883 in seinem Bäder-Lexikon mit 683 angibt,78 doch findet sich um 1480 bzw. 1560 – also in der Zeit des eigentlichen Tiefpunktes des Badewesens – in den Bäderbüchern von Hans Folz (um 1435/40–1513) und Georg Pictorius (1500–1569) eine erkleckliche Zahl aufgelistet. So nennt Folz über zwanzig Bäder in Italien, der Südschweiz, Frankreich, Spanien und Ungarn und darüber hinaus bereits bekannte, etwa Viterbo, Töplitz (Steiermark), Baden/ Wien, Gastein, Pfäfers, Leukerbad, Baden/Aargau, Baden-Baden, Wiesbaden, Ems, Liebenzell, Karlsbad wie auch Bad Plumers (Plombières-les-Bains) in den Vogesen. Die 38 von Pictorius aufgezählten Bäder befinden sich vorwiegend im süddeutsch-schweizerischen Raum, wobei von ihnen inzwischen nur noch ein Teil – wie Wildbad/Schwarzwald, Baden-Baden, Badenweiler, Zellerbad (Liebenzell), Plumers, Wiesbaden, Ems, Pfäfers, Brieg, Leuk, Baden/Aargau und Gastein – geläufig sind. Dies lag vermutlich auch daran, wie aus seinen medizinischen Empfehlungen hervorgeht, dass es sich um Bäder handelte, die v. a. von der Bevölkerung aus der Umgebung genutzt wurden. Allerdings richtete sich sein Buch auch an ein entfernteres Publikum, denn er beschrieb entweder die regionale Lage der Bäder oder die nächstgelegenen Orte bzw. Städte.79 75

Vgl. Vanja/Wunder (Hg.), Taunusbäder; Kaspar, Ostwestfalen – der Heilgarten Deutschlands; Lorenz, Bäderkultur und Kulturgeschichte; Elke Hammer-Luza, Steirische Kurorte in der Biedermeierzeit, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark 103 (2012), S. 153–204. 76 Zur Werbung vgl. die Beiträge von Michael Prokosch und Michael Hascher in diesem Band sowie die Kur- und Badelisten von Bad Homburg mit den zahlreichen Werbeschaltungen https://www. lagis-hessen.de/de/klhg, mit Beispielen im Beitrag von Holger Th. Gräf. Siehe auch Illustrierter Wegweiser durch die österreichischen Kurorte, Sommerfrischen und Winterstationen, der 1908–1914 erschien: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=wcs [Stand: 14.04.2022]. 77 Vgl. etwa den Fall des Bad Oeynhausener Badedirektors bei: Gerhard Seib, Bäder in Hessen und Nassau 1852. Erlebt und aufgezeichnet von dem königlich-preußischen Bade-Verwaltungs- und Salinendirektor Bischof, Bad Oeynhausen, in: Hessische Heimat 34 (1984), S. 75–79 (StaatsA Münster, Oberpräsidium Nr. 7785 Acta betr. Cur-Nachrichten, fol. 74r-75v). 78 Flechsig, Bäder-Lexikon; Eidloth, Geographie, weist in seinem Beitrag nach, dass die Zahl noch höher gelegen hat. 79 Hans Folz, Bäderbüchlein [um 1480]. Faksimile, Edition, Kommentar hg. von Rüdiger Krüger, Stuttgart 1995; bzw. Georg Pictorius, Baderbüchlein. Gantz kurtzer bericht von allerhand einfach-

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Abb. 4: Carte zu den Heilquellen am Taunusgebirge, aus: Johann Isaak von Gerning, Die Heilquellen am Taunus, Leipzig 1814. In Grün und Gelb sind hier die zahlreichen Mineral- bzw. Salzquellen eingezeichnet. Quelle: Kreisarchiv Hochtaunuskreis.

Doch selbst die meisten dieser frühen Bäder lassen sich in geografische „Bäderlandschaften“ einfügen,80 wie sie sich in späterer Zeit herauskristallisieren sollten. Bei-

ten, und 38. componierten mineralischen teütsches lands wild bädern, Mülhusen 1560; vgl. Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S. 21–23, die darauf verweist, dass etwa in Süditalien eine ungebrochene Bäder-Tradition seit der Antike bestand, so wurden im Golf von Neapel Thermalquellen wie in Pozzuoli oder Bajae an 35 Orten genutzt. Im Norden konnten Lucca, Montecatini oder Petriolo bei Siena oder Bagno Vignoni auf eine längere Tradition verweisen – letzterem ist es mit seinem zentral auf der Piazza gelegenen Bassin noch heute anzusehen. In Frankreich sind zu nennen Vichy und Forges-les-Eaux, während in Großbritannien neben Bath erst 1571 Harrogate, 1606 Tunbridge Wells und 1618 Epsom entstanden. 80 Vgl. Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 19, der die topografische Verteilung der Bäder und Sauerbrunnen geologisch an sieben naturräumlichen Einheiten festmacht: dem Südabfall des Rheinischen Schiefergebirges, dem Saar-Nahe-Bergland, dem Pfälzer Wald, dem Oberrheingraben, dem Schwarzwald, dem Schwäbischen Schichtstufenland und Oberschwaben. Er sieht aber nicht nur die geologischen Verhältnisse, sondern auch den zeitbedingten Stand der Naturerkenntnis als prägend, denn die jeweilige zeitbedingte Kenntnis und Nutzung der Heilquellen bewirkte ein zeittypisches Abbild der objektiven Verteilung der Quellen. Es schließt auch Wässer mit ein, die nur zeitweise als heilkräftig angesehen wurden, aber keinen objektiven Gehalt an Mineralien hatten.

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spielhaft genannt seien hier die Taunusregion,81 das Renchtal,82 die niederösterreichische Thermenregion,83 die Südsteiermark,84 das kleinteilige Weserbergland85 oder auch die südliche Rhön.86 Dass sich hier eine zum Teil regionale Konkurrenz sowie eine soziale wie auch funktionale Differenzierung entwickelte, ist nicht weiter verwunderlich und teils auch von Landesherren bewusst verursacht.87 Gleiches gilt für die etwas später entstehenden Seebäder entlang des Nord- und Ostseesaumes bzw. des Mittelmeeres.88 Zur hohen Zahl der im „Bäder-Almanach“ von 1907 oder im Flechsig’schen „Bäderlexikon“ genannten Orte ist noch anzumerken, dass darin teils einzelne Einrichtungen genannt sind, die manchmal von nur einer oder wenigen Personen betrieben wurden und daher eher kurzlebig waren. Diese Entwicklung konnte sich sowohl auf frühe Bäder mit nachlassendem herrschaftlichem Interesse wie auch auf einzelne Kurärzte, Brunnen- oder Kurhausbetreiber beziehen.89 Betrachtet man die Bäderlandschaften unter dem Blickwinkel der sozialen Differenzierung und der Konkurrenz, so lassen sich ganz unterschiedliche Netzwerke, völlig unabhängig von der geografischen Situierung, festmachen. Mit dem Übergang von der vorherrschenden Bade- zur Trinkkur seit dem 16. und vermehrt im 17. Jahrhundert sowie mit den Mineralwasser-Analysen der Hydrotherapie im 18. Jahrhun81

Mit Wiesbaden, Homburg, Schwalbach, Schlangenbad, Soden, Camberg, Vilbel, Selters, Weilbach, Kronthal, Königstein, wobei etwas weiter gefasst sicherlich auch noch Bad Ems und Bad Nauheim dazu zu zählen sind. Manche dieser Orte reüssierten allerdings nicht durch den Kurbetrieb, sondern den Mineralwasserversand. 82 Griesbach, Peterstal, Antogast, Rippoldsau. Vgl. Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 101. 83 Baden, Vöslau, Bad Fischau. 84 Gleichenberg, Tobelbad, Wildbad Einöd, Radkersburg, Waltersdorf, Tatzmannsdorf, wozu damals auch noch die Bäder der Untersteiermark, heute Slowenien, wie Rhoitsch-Sauerbrunn/Rogaška Slatina, Neuhaus/Dobran und Tüffer/Rimske Toplice, gehörten. Vgl. dazu Elke Hammer-Luza, The Spa as a Commercial Enterprise. Beginnings of Commercialisation by Using the Example of Styria in the first Half of the 19th Century, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 13 (2015), S. 241–249, hier S. 241; sowie Dies., Steirische Kurorte, S. 154. Sie verweist auf den starken Anstieg der Gesundbrunnen – waren es um 1800 21, zählte ein Lexikon von 1821/22 bereits 49, und um die Jahrhundertmitte ging man von 129 heilkräftigen Wässern im Herzogtum aus. 85 Driburg, Lippspringe, Meinberg, Oeynhausen, Pyrmont, Rothenfelde und Salzuflen sowie kleinere wie Iburg, Laer, Essen, Rödinghausen, Holzhausen (bei Preußisch-Oldendorf) und Valdorf (Vlotho). Vgl. Kaspar, Ostwestfalen – der Heilgarten Deutschlands, S.  126f.; Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 48, 55. 86 Bocklet, Kissingen, Brückenau, Bad Neustadt/Saale. 87 Siehe unten, das Beispiel Nassau. 88 Klima- bzw. Luftkurorte bleiben in diesen Erörterungen ausgeschlossen, da ihre Entstehungszeit, ihre Auswahlkriterien wir ihre geografische Lage sehr divergieren. 89 Dies geschah etwa nachdem Carl Theodor von der Pfalz (1724–1799), der in den 1750er Jahren in Schlangenbad kurte, in Zaisenhausen sein eigenes Bad errichten ließ. Nach seinem Weggang nach München verfiel auch das Bad. Ähnliches passierte in Hauerz, in der Grafschaft Waldburg-ZeilWurzach. Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S.  220–224, 230. Ähnliches gilt – trotz landesherrlicher Anstrengungen – etwa für Langensteinach bei Karlsruhe oder Bad Gutenbrunn im Herzogtum Zweibrücken. Ebd., 213f. Zu dem Beispiel Badenweiler etwa meinte Bitz, dass es nur reüssieren konnte, weil man sich an die Vorbildwirkung älterer Bäder hielt. Ebd., S. 218.

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dert veränderte sich die bestehende Bäderhierarchie. Dies hatte – zumindest vorübergehend – etwa für Baden/Wien, Baden/Aargau, Plombières, Baden-Baden und Wiesbaden eher negative Auswirkungen, da ihr warmes und schwach mineralisiertes Wasser als untauglich für die Trinkkur angesehen wurde, während hingegen Pyrmont, Schwalbach, Spa, Vichy und Forges-les-Eaux davon profitierten. In Karlsbad und Bath waren sowohl Trink- als auch Badekuren möglich.90 Zur Konkurrenzsituation bzw. zur funktionalen Differenzierung sei auf die frühe Nutzung mehrerer Orte zu unterschiedlichen Zwecken hingewiesen. So reiste man etwa nach Wiesbaden zur sogenannten „Vorkur“, bevor man sich nach Schwalbach zur Trinkkur und von dort eventuell noch tageweise nach Schlangenbad zum Baden begab.91 Doch selbst Wilhelm Grimm (1786– 1859) konsumierte noch 1833 Wasser aus Wiesbaden, Schwalbach und Schlangenbad.92 Seit dem 17. Jahrhundert etwa ging man nach Spa zum Trinken und badete seit der Römerzeit in Aachen – die Ärzte wiesen sich daher gegenseitig die Patienten zu, da man sich nicht konkurrenzierte.93 Die Bäderreise, also der Besuch mehrerer Bäder, stellte im 19. Jahrhundert keine Ausnahme dar. Es muss allerdings konstatiert werden, dass dieses Phänomen in manchen Regionen eng mit den Rheinreisen des beginnenden englischen Tourismus im Zusammenhang stand.94 Werbemaßnahmen der Kurstädte, die sich auch an dieses Publikum wandten, etwa in den Kur- und Fremdenlisten anderer Kurstädte, in Brunnenschriften und Reiseführern, zeigen, dass zwischen den Städten nicht ausschließlich Konkurrenz, sondern auch Kooperation bestand – allerdings nur mit ausgewählten Städten.95 Gerade in der Taunusregion, die stark von den englischen 90

Vgl. Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S. 45f.; Birgit Studt, Die Badenfahrt. Ein neues Muster der Badepraxis und Badegeselligkeit im deutschen Spätmittelalter, in: Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen, S. 33–52, hier S. 33–36. 91 David-François de Merveilleux, Amusemens des Eaux de Schwalbach, des bains de Wisbaden et de Schlangenbad, Lüttich 1739, S. 12. Dies hing ursprünglich damit zusammen, dass es in Schlangenbad nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten gab. Es kam allerdings auch bald zu einer Art Tagestourismus in beide Richtungen. Vgl. Johann Heinrich Riehl, Das Schlangenbad. Eine historisch-topographische Skizze, Wiesbaden 1851, S. 29. Vgl. Bleymehl-Eiler, „Das Paradies der Kurgäste“, S. 79, die für die Frühzeit Wiesbaden als das Kleinbürgerbad, Schwalbach als multiständisches Modebad und Schlagenbad als das Fürstenbad bezeichnete. Ob diese Klassifizierung einer näheren Überprüfung standhält, muss dahingestellt bleiben – wie überhaupt das „Bäder-Labeling“ (Mode-, Welt-, Fürsten-, Luxus- etc. -bad) insgesamt. 92 Germanistisches Oberseminar der Universität Wuppertal unter Leitung von Heinz Rölleke, Wilhelm Grimms Wiesbadener Kurtagebuch von 1833, in: Ludwig Denecke (Hg.), Brüder Grimm Gedenken 8 (1988), S. 123–173, hier S. 134f. 93 Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S. 49. 94 Vgl. dazu den satirischen Roman William Makepeace Thackeray, Die Kickleburys am Rhein, Leipzig 1965, den er 1850 verfasste. Er schildert allerdings den Aufwand und die Reisebedingungen von der Insel herkommend sehr eindrücklich, wie auch die Bedeutung von Mundpropaganda. 95 So warben etwa in den Homburger Kur- und Badelisten Königstein, Wilhelmsbad, Wiesbaden, Ems, Kronthal, Nauheim, Braunfels, Kronberg und Baden-Baden, alles Orte mit exklusivem „Flair“. Vgl. eine Auswahl der Inserate aus den Kur- und Badelisten zwischen 1854 und 1899, in: Homburger Kur- und Badelisten: https://www.lagis-hessen.de/de/klhg [Stand: 20.01.2022]. Die Brunnenschrift von John Edward [i.e. Johann Eduard] Friedlieb, The Watering-Place of Homburg v. d. Höhe with Indications for the Use of its Ferro-Saline Acidulated Waters, Homburg 1873, S. 15, empfiehlt wiederum für Nierenkrankheiten nicht Homburg, sondern Karlsbad, Vichy oder Ems. Hier zeigt sich auch

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Gästen profitierte, gestaltete man die Werbemaßnahmen entsprechend, wie umgekehrt Informationen von Kurgästen Auskunft über ihr Reiseverhalten geben. So ist dem anonymen Tagebuch eines englischen Kurgastes von 1850 zu entnehmen, dass er nicht nur das Kurhaus in Homburg, sondern auch jene in Baden-Baden, Wiesbaden und Ems kannte.96 Dem Buch ist allerdings auch zu entnehmen, dass der Reisende nicht allein die Kureinrichtungen, sondern auch andere Sehenswürdigkeiten – in Homburg etwa das Schloss – interessiert besichtigte. Ein bemerkenswertes Beispiel staatlicher Intervention in die Bäderhierarchie stellt das nach dem Reichsdeputationshauptschluss entstandene Herzogtum Nassau dar.97 Hier hatte die Regierung über die Bäder- und die Domänenverwaltung einen direkten Zugriff auf ganz unterschiedliche Orte. Dementsprechend wurde staatlicherseits schon aus fiskalischem Interesse dafür gesorgt, dass keine finanziellen Verwerfungen aufgrund von Konkurrenzsituationen auftraten. So wurden etwa die Spielbanken in den Bädern monopolisiert und die bei Weitem ältere Spielbank in Schwalbach (seit 1677) zugunsten der rentableren in Ems und Wiesbaden 1845 aufgegeben.98 Neben diesen dreien gehörten auch Soden oder Schlangenbad zu den bekannteren Orten, doch in Fachingen, Fischbach, Gerolstein, Kronthal, Lorch, Montabaur, Nieder- und Oberselters sowie Weilbach befanden sich ebenfalls Quellen. Nach Aspekten der Rentabilität wurde in ausgewählten Orten der Mineralwasserversand gefördert – etwa in Weilbach, Kronthal oder Schlangenbad, während er in Wiesbaden nachrangig war. In Niederselters – mit damals schon florierendem Wasserversand – wurde der Kurbetrieb eingeschränkt, da die Kurgäste den Abfüllbetrieb behinderten. In Oberselters wiederum wurde die Quelle zugeschüttet, da das Wasser jenem aus Niederselters zu sehr ähnelte.99 Personennetzwerke – sowohl die Gäste als auch im weitesten Sinne die im Kurwesen Tätigen betreffend – könnten völlig neue „Kurlandschaften“ entstehen lassen. Zum einen wäre zu untersuchen, welches Publikum welche Bäder besuchte, wenn es mehrere bereiste. Der siamesische König Chulalongkorn (1868–1907) etwa, der 1907 aus medizinischen Gründen in Homburg weilte, um unterschiedliche Bäder

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der internationale Anspruch Homburgs, in welchem Ranking es gesehen wurde bzw. gesehen werden wollte. Vgl. auch Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 51. [Anonym], The Vallies of Zahringen and Cities of the Plain, 1850, fol. 20, Sammlung Dr. Theresa Leonhardt, Bad Homburg. Vgl. ähnlich dazu Kaspar, Ostwestfalen – der Heilgarten Deutschlands, S. 29, der in den preußisch gewordenen Gebieten der Regierung ein ähnliches Vorgehen konstatiert. Allerdings hätten dort nur „Bauernbäder“ bestanden, da es aufgrund mangelnder Förderung zu keiner Ausbildung eines größeren, konkurrenzfähigen und modernen Kurortes mehr gekommen sei. Er vertritt die These, dass große Kurorte aufgrund territorialer Kleinstaatlichkeit entstanden, und diese der Grund für das Interesse der Landesfürsten am Bäderausbau waren. Vgl. Ute Mayer, Die Bäder Langenschwalbach und Schlangenbad im Taunus. Vom Luxusbad zum Kassenbad, in: Ulrich Eisenbach/Gerd Hardach (Hg.), Reisebilder aus Hessen. Fremdenverkehr, Kur und Tourismus seit dem 18. Jahrhundert, Darmstadt 2001, S. 23–36, hier S. 28. Das Wasser aus dem damals kurtrierischen Niederselters hatte bereits im 18. Jahrhundert Weltruf. Vgl. Konrad Schneider, Nassaus Mineralwasserwirtschaft als Regiebetrieb der Domänenverwaltung, in: Nassauische Annalen 119 (2008), S. 227–248, hier S. 227–229, 232f., 235f.; Eugen Caspary/ Norbert Zabel, Kurwesen in Niederselters im 18. Jahrhundert, in: Eisenbach/Hardach (Hg.), Reisebilder, S. 37–45.

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und weitere Therapiemaßnahmen wie auch eine Trinkkur zu absolvieren, hatte davor beispielsweise auch Baden-Baden zu Kurzwecken besucht, während er Wiesbaden einzig als touristischen Tagesausflug aus Langeweile bereiste.100 Auch wäre zu fragen, welche Künstler, die sich zeitweilig in den Bädern niederließen, Ateliers in unterschiedlichen Kurorten unterhielten – z. B. Herrmann Corrodi (1844–1905), der Sommerateliers in Baden-Baden wie in Homburg betrieb.101 Gleiches gilt für Ärzte, von denen manche ebenfalls in der Sommerzeit ihre Praxis in eine Kurstadt verlegten oder ihrer betuchten Klientel in die Badeorte folgten.102 Architekten und Baumeister konkurrierten zwar oft, doch ihre Netzwerke lassen sich in unterschiedlichen Bereichen fassen. Der vorwiegend für Baumaßnahmen in Karlsruhe verantwortliche Friedrich Weinbrenner (1766–1826), der die Residenzstadt in die Hauptstadt Badens umwandeln sollte, prägte darüber hinaus auch die klassizistischen Bauten in Baden-Baden. Weinbrenner war befreundet mit dem württembergischen Hofbaumeister Nikolaus Friedrich Thouret (1767–1845), der für die Bäder Cannstatt, Wildbad und Teinach zuständig war, die ihrerseits Baden-Baden prägen sollten. Der hessen-darmstädtische Oberbaurat und Hofbaudirektor Georg Moller (1784–1852) wiederum studierte bei Weinbrenner und verfertigte Entwürfe für das Kurhaus und den Kursaal in Homburg, die allerdings nicht zur Ausführung kamen.103 Schließlich wäre auch noch auf die Spielbankbetreiber hinzuweisen, von denen viele von Frankreich auswanderten, nachdem König Louis-Philippe (1773–1850) dort 1838 die Casinos hatte schließen lassen. So erreichte zwar Baden-Baden unter Jean Jacques Bénazet (1778–1848) seine diesbezügliche Blütezeit, doch sein Vorgänger An­ toine Chabert (1774–1850), der zuvor Mitinhaber der Spielbank im Palais Royal in Paris gewesen war, erhielt 1834 von der Regierung Hessen-Nassaus die Spielkonzessionen für Wiesbaden, Ems, Schlangenbad und Schwalbach, weshalb er seinen Vertrag nicht verlängerte.104 Der Homburger Spielbankpächter François Blanc105 (1806–1877) war hingegen so vorausschauend, bereits 1863 – also knapp zehn Jahre vor dem preußischen Spielbankenverbot – in Monte Carlo ein neues Casino zu eröffnen.106

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Siehe Glai baan – Fern von Zuhause. König Chulalongkorns Reisetagebuch 1907, übers. v. Ampha Otrakul, Berlin 2007, S. 20–6, 126–136, 166. 101 Vgl. den Beitrag von Holger Th. Gräf in diesem Band. 102 Vgl. Glai baan, S. 144, wo Chulalongkorn von Ärzten berichtete, die einzig nach Homburg reisten, um ihn zu betreuen. Vgl. auch Martin, Deutsches Badewesen, S. 369f., der Ludwig Spengler, Was wir bringen, in: Balneologische Zeitung 1, Wetzlar 1855, S. 1–3, hier S. 2 zitiert: „[…] das fortwährende Umherreisen und sich Empfehlen der Brunnenärzte gleich den mit Proben ihrer Ware herumreisenden Commis-Voyageurs; […] ist wahrhaft unerträglich und der Nachtheil für die Bäder sicherlich kein geringer!“ 103 Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 233f., 260; Baeumerth, Königsschloß contra Festtempel, S. 53–138, hier auch Vergleiche mit den Bauten Weinbrenners. 104 Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 228; Egon Caesar Conte Corti, Der Zauberer von Homburg und Monte Carlo, Wien 1932/ND Bad Homburg 2008, S. 29. 105 Interessanterweise kurte Blanc nicht in Homburg, sondern begab sich dazu immer nach Leukerbad in der Schweiz, vgl. Corti, Zauberer von Homburg, S. 131. 106 Ebd., S. 171.

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5. Der Idealtypus Stadt Der in die Antike zurückreichende Begriff der idealtypischen Stadt, der in der Renaissance neu entdeckt worden war und vor allem im Barock zur Hochblüte gelangte, findet sich vorwiegend in der Residenzenforschung107 und betrifft hier – wie auch in der Kurstadt – zumeist nur einzelne Bereiche der jeweiligen Städte.108 Allerdings stellt sich die Frage, ob sich mit diesem Ansatz die „Spreu vom Weizen“, also die Kurstädte von den Kurorten, trennen lässt bzw. ob der Idealtypus seinerseits nicht doch auch Entwicklungs- bzw. Veränderungstendenzen ausgesetzt war.109 Im 16./17. Jahrhundert standen die Bäder und nicht die Städte im Mittelpunkt; entsprechend ging es um anderweitige Vorstellungen. Dies zeigt sich etwa an dem als Musterbad ab 1596 angelegten Bad Boll des württembergischen Hofbaumeisters Heinrich Schickhardt (1558–1635), der den Badgartenvorstellungen von Joseph Furttenbach (1591–1667) folgte.110 Waren im 16. Jahrhundert Badegewölbe wie in Baden/Aargau oder Ems und die Badeherberge zentral,111 erhielt mit der Trinkkur ab dem 17. Jahrhundert die Brunnenlaube, wie in Schwalbach der Weinbrunnen, öffentliche Funktion.112 Die beschriebene Architektur, die sich aus den Gartensalons heraus entwickelt hatte, führt jedoch eher weg vom eigentlichen Thema des städtischen Idealtypus. Vielmehr war es die Villa im Stile Palladios (1508–1580), auf antiken Vorbildern fußend, die seit etwa 1800 prägend für die Formen des Gesellschaftshauses wurde, 107

Vgl. Benevolo, Die Geschichte der Stadt, S. 577; Jan Pieper, Sabbioneta – Die Maßfigur einer Ideal­ stadt, https://arch.rwth-aachen.de/cms/Architektur/Forschung/Verbundforschung/Cultural_Heritage/~cqcn/Sabbioneta/ [Stand: 02.10.2021]; Ulrich Hofmeister, Planstädte im Zeitalter der Aufklärung – ein Forschungsfeld, in: Zeitschrift für Weltgeschichte 20/1 (2019), S. 23–37. 108 Vgl. etwa Ziegler, Deutsche Kurstädte. Hier wirkt der Titel geradezu teleologisch. 109 Hermann Schlimme/Dagmar Holste/Jens Niebaum, Bauwissen im Italien der Frühen Neuzeit, in: Jürgen Renn/Wilhelm Osthues/Hermann Schlimme (Hg.), Wissensgeschichte der Architektur, Bd. 3: Vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit, Berlin 2014, S. 97–367, hier S. 113–116; Hofmeister, Planstädte, S. 23f.; Bettina Vaupel, Vom Reiz der Planstädte, in: Monumente, Februar 2015, https:// www.monumente-online.de/de/ausgaben/2015/1/idealstaedte.php [Stand: 10.10.2021]. 110 Joseph Furttenbach, Architectura recreationis. Das ist: Von Allerhand Nutzlich: vnd Erfrewlichen Civilischen Gebäwen, Augspurg 1640, S. 102; Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 95–105. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf das tragische Beispiel Freudenstadt, das nicht nur als Planstadt der Renaissance nach Dürer’schen Plänen von Schickhardt errichtet und im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurde, wiederaufgebaut im 19. Jahrhundert auch als Kurstadt reüssierte und am Ende des Zweiten Weltkriegs erneut fast völlig zerstört wurde. Vgl. Ehrenfried Kluckert, Auf dem Weg zur Idealstadt. Humanistische Stadtplanung im Südwesten Deutschlands, Stuttgart 1998, bes. S. 57–78. 111 Allerdings lag in Baden/Aargau das Bäderquartier abseits der eigentlichen Stadt. Zu Ems vgl. das Titelblatt der Badeschrift von Johann Dryander, Vom Eymsser Bade, Straßburg 1541. 112 Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 411; Heide Wunder, Der „Neuw Wasserschatz“ – Sauerbrunnen und Trinkkuren in Langenschwalbach, Schwalheim, Karben und Niederselters, in: Vanja/ Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 27–51, hier S. 33–35. Siehe auch Matthäus Merian, Topographia Hassiae et Regionum Vicinarum, Frankfurt a. M. 1646, S. 122–128, der Langenschwalbach ausführlich beschreibt und mehrfach bewarb. Merian (1593–1650) besuchte das Bad nicht nur mehrmals, sondern verstarb auch dort.

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Abb. 5: Der in den 1860er Jahren tiefergelegte Homburger Elisabethenbrunnen in seiner neobarocken Form von 1870, mit den zur Wandelhalle hochführenden Treppen. Im Hintergrund das 1857 erbaute Palmenhaus, Lithografie um 1880. Quelle: StadtA Bad Homburg.

wobei mithin auch der Schlossbau vorbildgebend werden sollte.113 Anke Ziegler sieht die Entwicklung der Kurorte hin zu einem Idealtypus in dreifacher Hinsicht: einmal funktional, durch die städtebauliche Entwicklung mit der Auflösung ehemaliger innerstädtischer Funktionen und dem Auf- und Ausbau des Kurviertels, wobei die Altstadt zum Versorgungs- und Dienstleistungszentrum und das Kurviertel zum Verbraucherzentrum wird. Der architektonische Idealtypus umfasst sodann die vor allem klassizistischen, später historistischen Bauten: Bade- und Kurhaus, Quellenhäuser, Trinkhallen und Wandelbahnen wie die Bäderbauten des späten 19. Jahrhunderts. Der landschaftliche Idealtypus betrifft schließlich die Kurgärten sowie die Parklandschaften im englischen Stil.114 Im Hinblick auf die Kurstadt als Typus wäre also nach bestimmten charakteristischen Bauwerken zu fragen, nach Kurhaus, Trinkhalle, Thermalbad, Kolonnaden, Wandelgängen ebenso wie nach Alleen und Parkanlagen, wobei auch Villen- und Hotelgebäude sowie Sakralbauten zu berücksichtigen sind. Auch wenn diese ver113

Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 412; Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 257; vgl. Baeumerth, Königsschloß contra Festtempel, S. 203–213. 114 Ziegler, Deutsche Kurstädte, S. 172–240, 244–252; Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 233f.; Baeumerth, Königsschloß contra Festtempel, S. 198f.

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mutlich keinen eigenständigen Typus entwickelten, konnten sie doch stadtbildprägend sein. Es wäre zu prüfen, welche Vorläufer existieren, in welchem Umfang sie Selbstständigkeit erlangten und welche Einflüsse auf andere Kurorte bzw. auch Nicht-Kurstädte von ihnen ausgingen.115 Mögen die Kurstädte zwar nur teilweise architektonische Innovationen hervorgebracht haben, so waren sie doch bereit, diese von anderen Modellen zu übernehmen.

6. Sozialstruktur – Elitenforschung Die Thematik der „Beteiligten“ am Kurgeschehen ist wohl eine der bisher am schlechtesten (Einheimische) bzw. schwammigsten (Kurgäste) untersuchte. Hier wäre nicht nur nach den unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen Schichten zu fragen, sondern auch danach, wie das Kurwesen die Sozialstruktur veränderte – aufseiten der Einheimischen wie auch der Gäste.

6.1 Einheimische Grundsätzlich stellt sich die Frage nach der Gründung und danach, wer baute bzw. wer finanzierte? Waren es anfänglich Stadtherren bzw. Duodezfürsten, die sich „ihr“ Bad errichten ließen, z. B. in Pyrmont, Hofgeismar, Nenndorf, Wilhelmsbad, Ale­­ xanderbad, Baden-Baden, Boll, Bocklet, Brückenau, wo die Orte zur „Sommerresidenz“ der Fürsten mutierten, die dann oft adelige und höfische Gesellschaft anzog.116 In Driburg hingegen übernahm Caspar Heinrich von Sierstorpff (1750–1842)117 den Ausbau des Bades, und Franz Anton Reichsgraf von Sporck (1662–1738) hatte bereits 1694 das Kukus/Kuks-Bad nahe Gradlitz/Choustníkovo Hradiště, heute im

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Vgl. Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 235f., der etwa den starken Einfluss von Paris auf die Entwicklung in Baden-Baden herausstellt. 116 Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 85f. Sie meint auch, dass eher die Fürsten kleinerer bis mittlerer Territorien ihre Bäder förderten, was teils aber die Gefahr barg, dass die Unterstützungen schwankten – z. B. bei Baden-Baden und Badenweiler oder Wilhelmsbad und Hofgeismar. Es förderten sowohl geistliche wie auch weltliche Fürsten. Ebd., S. 87–89. Dass diese Pläne nicht immer aufgingen, demonstriert eindrücklich das sogenannte Fürstenlager Auerbach bei Bensheim, das von den hessen-darmstädtischen Landgrafen als Bad konzipiert war, als solches allerdings nicht reüssierte und nur mehr vom Hof genutzt wurde. Claudia Gröschel, Das Fürstenlager in Auerbach an der Bergstraße. Vom Kurpark zur Meierei, in: Die Gartenkunst 10 (1998), S. 75–86. Zu den kurhessischen Bädern siehe: Putschky, Wilhelmsbad, Hofgeismar und Nenndorf, S. 16–18 (Wilhelmsbad), S. 36–38 (Hofgeismar), S. 50–53 (Nenndorf). 117 Vgl. Fred Kaspar, Bau- und Kulturgeschichte, in: Gräflicher Park Bad Driburg – 1782. Tradition und Moderne – 2007, Petersberg 2007, S. 75–294.

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nördlichen Tschechien gelegen, begründet.118 Mit den nicht immer gut betuchten Fürsten und dem aufsteigenden Bürgertum veränderten sich die Finanzierungsmöglichkeiten – zum einen der Kuranlagen und zum anderen der Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe. Ließen sich etwa die Landgrafen von Hessen-Homburg aufgrund ihrer prekären Finanzen, die gerade für ein kleines Gesellschaftshaus an den Quellen gereicht hatten, die Kur- und Badeeinrichtungen von den Spielbankbetreibern Louis und François Blanc finanzieren, die eine anonyme Gesellschaft zur Fortführung ihrer Bestrebungen begründeten, stiegen auch andere Finanziers in das Kurgeschäft ein.119 So investierten Frankfurter Bankiers und Industrielle, allesamt Mitglieder einer Jagdgesellschaft, indem sie ein Konsortium gründeten, in den Ausbau von Bad Orb im Spessart. Allerdings nutzten sie die Gegend als Jagdrevier, während sich das Bad eher an ein Kassenpublikum richtete.120 Die Infrastruktur von Gastronomie, Hotellerie und Kurvillen verdankt sich vorwiegend Privatinitiativen, wie auch die Erbohrung und Erprobung neuer Quellen sowie der Stadtausbau von Einheimischen unterstützt wurde – teils allerdings mit divergierender Interessenlage.121 Die Entwicklung der Kurstädte wirft die drängenden Fragen nach der Bevölkerung und ihrer veränderten Sozialstruktur auf. Denn dass diese sich veränderte, liegt auf der Hand. Der für den Ausbau von Stadt und Kur­ anlagen erforderliche Grund und Boden bedeutete eine maßgebliche Umwandlung von Agrar- in Bauland. Dies führte zum einen zu steigenden Preisen – besonders gut im Zusammenhang mit dem Bau der Eisenbahn zu beobachten – sowie vermehrt zu Spekulationen – anfänglich mit Bauland, später auch mit Kurvillen. Daran waren sicherlich nicht nur, aber auch Einheimische beteiligt; manch auswärtiger Finanzier etablierte sich als Neubürger.122

118

Annette Dorgerloh, Franz Anton Graf Sporck und sein Kukus-Bad in Böhmen, in: Esser/Fuchs (Hg.), Bäder und Kuren, S. 113–128. 119 Pühringer, „Montecarlisation“, S. 234f. 120 Andrea Pühringer/Holger Th. Gräf, Natur und Kur – der Frankfurter Tourismus in Bad Homburg und Bad Orb von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, in: Ferdinand Opll/ Martin Scheutz (Hg.), Fernweh und Stadt. Tourismus als städtisches Phänomen, Innsbruck u. a. 2018, S. 385–408. Vgl. auch Hammer-Luza, Steirische Kurorte, S. 163, zur Finanzierung in den steirischen Bädern, die über Aktiengesellschaften erfolgten. 121 Gerade der Gegensatz von Glücksspiel und Kureinrichtungen bis zum Spielbankenverbot 1872, aber auch andere Vergnügungsetablissements, führten teils zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Bürgerschaft oder im bzw. mit dem Stadtregiment. Vgl. Pühringer, Taunus, 157–159; Christel Langefeld, Bad Nauheim. Struktur- und Funktionswandel einer traditionellen Kurstadt seit dem 19. Jahrhundert, Marburg/Lahn 1986, S. 23; Nees, Entwicklung, S. 106f.; Neese, Beiträge, S. 23. 122 Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S.  214, Grundstücke als Spekulationsobjekte gab es eben nicht nur in der Industrie-, sondern auch in der Kurstadt. Die Bauten wurden teils zu Miet- oder zu Spekulationsobjekten. Ähnlich war die Situation in Wiesbaden, vgl. Berthold Buber, Baudenkmale und historische Stätten, Wiesbaden 1993, S. 138–142; zu Bad Homburg Pühringer, Kurwesen, S. 48 sowie S. 18 der Bauordnungsparagraf zur Vermeidung von Spekulationen.

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Besonders in der boomenden Baubranche war es relativ einfach zu reüssieren. Wenn man innovationsbereit, flexibel und anpassungsfähig war, konnte ein ‚einfacher‘ Maurermeister zum Bauunternehmer, vom Planungsausführenden zum Villenkonstrukteur aufsteigen.123 Hotellerie und Gastgewerbe boten ähnliche Aufstiegschancen – wenngleich hier die Gefahr des Scheiterns ungleich größer war.124 Zu den Gewerbetreibenden kamen zum einen Zuzügler, die die Angebotspalette für die Kurgäste erweiterten, zum anderen waren darunter auch Einheimische, die nun ihre Ladenlokale aus der Altstadt ins Kurviertel transferierten. So verblieben in der Altstadt oft diejenigen, die – teils nur saisonal – im Kurwesen inklusive der Gastro- und Hotelbranche sowie peripheren Dienstleistungen oder in völlig anderen Bereichen tätig waren.125

6.2 Soziale Segregation Schon aufgrund der Trennung von Altstadt und Kurviertel bestand in den meisten Kurstädten eine soziale Segregation, die unterschiedlich gegliedert sein konnte. Sämtliche von Kurgästen genutzten infrastrukturellen Einrichtungen befanden sich im Kurviertel und nicht in der Altstadt – bis hin zum Post- und Telegrafenamt. Architektur und auch Natur teilten die Stadtlandschaft in klassenspezifische Räume. War kaum ein Gast an der Altstadt interessiert,126 so wurden die Vorgaben für Einheimische im Kurareal früh strikt geregelt. Schon 1811 wurde Waschen, Bleichen und Baden im Wiesbadener Kurhaus-Weiher verboten; die wirtschaftliche Nutzung des Kurgartens durch Einheimische war untersagt. Die Kurgäste erlebten exklusive Abgeschlossenheit. Selbst der Durchgang durch das Kurgelände war Dienstpersonal in Arbeitskleidung verwehrt. Darüber hinaus gab es Zugangsbeschränkungen am

123

Pühringer, Kurwesen, S. 43f., 49, 65. Zu nennen wären die Namen Weckerling und vor allem Sauer, der anfänglich am Kurhaus mit baute und sich zum umtriebigen Kurvillenkonstrukteur entwickelte. Ähnliches ist auch für andere Städte anzunehmen. 124 In Bad Homburg war etwa Conrad Ritter eine der schillerndsten Figuren, der sich vom einfachen Kellner zum Hotelier mauserte. Er erwarb 1883 ein Hotel, das er mehrfach erweiterte und damit das erste Haus am Platz schuf. Der Hotelkomplex umfasste ab 1909 insgesamt vier vorher unabhängig voneinander errichtete Gebäude. Vgl. Digitales Gebäudebuch Bad Homburg: https://www. lagis-hessen.de/de/dgb/gsrec/current/5?q=ritters+parkhotel [Stand: 10.02.2021]. Das Gebäudebuch liefert anhand der Auflistung der Besitzer, die meist mit Beruf verzeichnet sind, einen guten Einblick in die Fluktuation gerade auch von Gastronomie- und Hotelbetrieben. In Baden-Baden agierte der Hofkleidermacher Anton Alois Brenner aus Pforzheim in ähnlicher Weise. Er ersteigerte 1872 das Hotel Stephanie-les-Bains und machte es zu Brenner’s Parkhotel. Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 506. 125 Diese Personengruppen sind am schwierigsten zu fassen, am ehesten ist auf Adressbücher zurückzugreifen, die auch den informellen Sektor zumindest teilweise berücksichtigen. 126 Vgl. die Ausnahme bei dem durch die Altstadt flanierenden Thackeray, Die Kickleburys am Rhein, S. 95.

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Abb. 6: Brunnenmädchen in Bad Nauheim, Badehaus 4. Quelle: Privatbesitz, Foto: Dieter Wunder.

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Brunnen.127 In Nauheim wurde 1869 verboten, Schweine und Gänse in den Straßen laufen zu lassen, und in Homburg war noch 1898 der Transport bzw. das Treiben von Schlachtvieh durch den Kurbezirk nicht gestattet.128 In Baden-Baden stellte bereits im 17. Jahrhundert das Armenbad im Zentrum ein Ärgernis dar; ab 1801 wurde dann die noch im 18. Jahrhundert im Kurviertel ansässige Bevölkerung aus diesem verdrängt. Gewerbebetriebe wurden aus Innenstadt und Kurviertel umgesiedelt, sodass am Stadtrand ein neues Handwerker- und Kleinbürgerviertel entstand.129

6.3 Gäste Zwar gibt es Aussagen zur sozialen Position von Kurgästen in einzelnen Kurorten – oft allerdings nur definiert als adelig oder großbürgerlich, international oder regional. Stellt zum einen schon der Gegensatz Adel – Bürgertum aufgrund der zahlreichen Nobilitierungen im 19. Jahrhundert bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein ein Definitionsproblem dar, so sagt zum anderen der Stand an sich nichts über die tatsächliche Finanzsituation aus.130 Auch Vermutungen, dass der soziale Rang die Reichweite – überregional – regional – lokal – bestimmte, ist schwer zu überprüfen, denn ein internationaler Einzugsbereich schließt hochrangige lokale wie auch regionale Gäste nicht aus.131 Dazu kamen unterschiedliche Einzugsbereiche132 sowie unterschiedliche zeitliche Konjunkturen der Bäder. Darüber hinaus ging nicht nur in den Städten, sondern auch unter den Kurgästen der soziale und gesellschaftliche Differenzierungsprozess weiter, sodass eine Kursituation des 18. keineswegs mit einer des 19. Jahrhunderts zu vergleichen ist. Blieben etwa die Gäste in Wiesbaden im 18.  Jahrhundert eher kleinbürgerlich – wie immer dies zu definieren wäre –, so schaffte man es im neu127

Fuhs, Natur, S.  103f.; vgl. auch Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S.  146. Er konstatiert auch Standesschranken zwischen Adel und Bürgertum, da die strenge Regulierung des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland stärker als in Frankreich oder Großbritannien soziale Wirklichkeit war. Ebd., S. 151. Überhaupt waren Eintrittsgelder für Kurparks teils nicht unüblich. 128 Pühringer, Taunus, S. 165. 129 Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 222, 227. Ähnlich der Prozess in Wiesbaden mit der Anlage des historischen Fünfecks. Vgl. Russ, Weltkurstadt Wiesbaden, S. 144–149; Christine Keim, Städte­ bau in der Krise des Absolutismus. Die Stadtplanungsprogramme der hessischen Residenzstädte Kassel, Darmstadt und Wiesbaden zwischen 1760 und 1840, Darmstadt 1990, S. 112. 130 Die oftmalige Kritik in den Kurstädten, dass manche Personen nicht ihrem vorgeblichen Stand entsprachen, fände also hier den Boden der Tatsachen. 131 Lotz-Heumann, Der Kurort als Heterotopie (Habil.), S. 94f. 132 Während die Habsburgermonarchie eher im böhmischen Bäderdreieck kurte, bevorzugten die Engländer die Rheinbäder. Vgl. auch Hasso Spode, Zeit – Raum – Tourismus, in: Die Vielfalt Europas, Leipzig 2009, S. 251–264, hier S. 259. Dank guter Schiffsverbindungen in den Ostseeraum kamen in den 1820er Jahren zahlreiche russische Gäste nach Travemünde, bevor sie dann Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts auch die Rheinbäder besuchten. Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S. 101.

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en Wilhelmsbad bei Hanau, außer Adel und höheres Bürgertum, alle anderen Gesellschaftsschichten auszugrenzen. Die Exklusivität der Gäste wurde in den Werbemaßnahmen entsprechend betont, da man am Geschäft interessiert war.133 Wenig erforscht sind die ohnedies quellenmäßig schlecht belegten Unterschichten, die nur beschränkten Zugang hatten oder eigene Armenbäder besuchen mussten.134 Der Konkurrenzdruck bzw. die Werbemaßnahmen der Kurstädte, mit denen sie um „Celebrities“ buhlten bzw. sich mit diesen schmückten, hat bis heute kein Ende. Manch ein Taunusbad behauptet noch immer – in völliger Ignoranz aller anderen – einziges Vorbild für Dostojewskis „Roulettenburg“ gewesen zu sein. Abgesehen davon, dass schon schwer zu entscheiden ist, wer tatsächlich zur Kur und wer zum Vergnügen kam, ließe sich zumindest eine annähernde Bestimmung der Sozialstruktur wohl erst über eine serielle Auswertung von Kurlisten anstellen – auch wenn damit wiederum nur eine bestimmte Stadt untersucht wäre, und auch hier einige quellenkritische Vorbehalte zu gelten hätten.135 Jedenfalls ließen sich auf diese Weise Herkunftsort, Name, Titel, Familienstand, Beruf, Reisebegleitung, Aufenthaltsdauer und gewähltes Quartier über einen längeren Zeitraum prosopografisch untersuchen.

7. Die Kurstadt im Städteatlas Dem (virtuellen) Veranstaltungsort der Tagung, also dem Institut für vergleichende Städtegeschichte, als einem der Orte der Städteatlanten geschuldet, soll abschließend noch ein Blick auf die Kurstädte in der Städteatlasarbeit geworfen werden. Stadtgeschichtsforschung war aufgrund ihrer institutionellen Ver- bzw. Gebundenheit oft insofern „praxisorientiert“ als auch immer nach dem Nutzen und der Darstellbarkeit der Ergebnisse in den historischen Städteatlanten gefragt wurde. Das seit Ende der 1960er Jahre bestehende Projekt zu den europäischen Städten hat mittlerweile in vielen Ländern Anwendung gefunden und zahlreiche Mappen hervorgebracht.136 Allerdings ist der Anteil der Kurstädte137 bescheiden. Im „Deutschen Städteatlas“ finden sich drei – Aachen, Bad Frankenhausen und Bad Mergentheim, im westfälischen Projekt ist es nur Bad Salzuflen und im hessischen neben 133

Bleymehl-Eiler, „Das Paradies der Kurgäste“, S. 62; Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 33f.; zwar attestiert er der Kurgesellschaft eine soziale Vielfalt, wobei die bäuerlichen, klein- und unterbürgerlichen Schichten Beschränkungen erfuhren – sei es auf Vor- und Nachsaison, sei es auf die zeitliche Nutzung der Brunnen reduziert. Ebd., S. 18. 134 Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland, S. 69: Wildbad, Ems, Wiesbaden oder Baden/Aargau verfügten schon früh über Armenbäder, die teils auch kontrolliert wurden. Er meint aber auch, dass die Bädernutzung der Unterschichten mit dem Aufschwung im 19. Jahrhundert bzw. der landesfürstlichen Förderung schwand bzw. Unterschichten nun ausgegrenzt wurden. Ebd., S. 384. 135 Vgl. die Homburger Kur- und Badelisten: https://www.lagis-hessen.de/de/klhg [Stand: 14.04.2022], die nun dieser Auswertung harren. 136 Vgl. die Liste der erschienenen Städteatlasmappen auf der Homepage des Instituts: https://www. uni-muenster.de/Staedtegeschichte/portal/staedteatlanten/index.html [Stand: 14.04.2022]. 137 Hier nun mit dem Kriterium „Stadtrecht“.

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Bad Homburg vor der Höhe nur Bad Orb.138 In Österreich sieht die Situation mit Bad Aussee, Baden, Gmunden und Meran (sic!) nicht viel besser aus. Der tschechische Städteatlas ließ seine Kurstädte bisher gänzlich unberücksichtigt.139 Doch gerade die Städteatlanten mit dem Anspruch, Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen, wären ein ideales Medium zur Untersuchung von Kurstädten – besonders im Hinblick auf ihre Stadtentwicklung. So wäre etwa zu prüfen, ob die topografische Entwicklung abhängig war vom Entstehungszeitpunkt des Kurwesens. Für die Hochphase des 19. Jahrhunderts lässt sich in vielen Städten eine Dreiteilung der Stadt in Altstadt, Kurviertel und Kurpark feststellen.140 Grundsätzlich folgte die Erweiterung der Kurstädte dem städtebaulichen Trend des 19. Jahrhunderts: Die von ihren Stadtmauern beengten Altstädte begannen, sich durch die Niederlegung der Befestigungsringe hin zu ihrem Umland zu öffnen. Stadtnahe Bereiche wie ehemalige Wälle und Gräben erfuhren durch Überformung anderweitige Nutzung. Mit der Anlage der neuen Kurviertel gingen auch ästhetische Ansprüche einher; im Gegensatz zur verwinkelten Altstadt entstanden breite, oft baumgesäumte Alleen und großzügige Straßenführungen mit teils geschlossener, teils offener, an Parks auch nur einseitiger Bebauung.141 So wirkten manche Stadt­ erweiterungen nahezu überdimensioniert im Vergleich zur Altstadt – ein Phänomen, das für das 19. Jahrhundert nicht untypisch war, allerdings aufgrund der stadtnahen großflächigen Parkanlagen doch ein gewisses Alleinstellungsmerkmal darstellt. Technische Innovationen, insbesondere die Eisenbahn, wären ebenfalls hinsichtlich ihrer topografie-prägenden Rolle vergleichend zu untersuchen. Viele Kurstädte erhielten schon relativ früh einen Bahnanschluss. Der Bahnhof war anfänglich oft zentral und stadtnah gelegen, sodass in der Folge tiefgreifende infrastrukturelle Eingriffe vorgenommen werden mussten, um mit der städtebaulichen Entwicklung Schritt zu halten.

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Städte, die in der zweiten Hälfte des 20.  Jahrhunderts zum Bad wurden, wie Breisig, Münsterfeld oder Hersfeld, sind nicht berücksichtigt. 139 Vgl. die Liste auf der Homepage des Instituts: https://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/portal/staedteatlanten/index.html [Stand: 14.04.2022]. 140 Siehe Pühringer, Der Taunus, zu Ems, Homburg, Wiesbaden und Nauheim, wobei letzteres durch die neuen zentralen Kuranlagen eigentlich einen weiteren vierten Bereich erhielt. Selbst das kleine, eher dörflich strukturierte Schwalbach hatte eine eigene Kursiedlung abseits der Altstadt, vgl. Martina Bleymehl-Eiler, Ein kleines Elysium, S. 93f.; vgl. Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 224–226. 141 Vgl. Kaspar, Der Kurgarten, S.  87; Arie Nahrings, Landverschönerung. Eine Weggefährtin der Denkmalpflege im 19. Jahrhundert, in: Ulrich Stevens/Ulrike Hecker (Hg.), Denkmal-Kultur im Rheinland. FS für Udo Mainzer zum 65. Geburtstag, Worms 2010, S.  360–371; Keim, Städtebau, S. 45–51. Beispiele wie Bad Pyrmont oder Kissingen bestätigen diesen Befund. Ihre Entwicklung ging ebenfalls Hand in Hand mit der Öffnung der Entfestigung, vgl. Kaspar, Der Kurgarten, S. 85. Auch wollte man der Stadt explizit ihr als altertümlich empfundenes Bild nehmen und sich als zeitgemäß präsentieren.

Die Kurstadt in der Stadtgeschichtsforschung

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8. Fazit All die vorgestellten Paradigmen und Forschungsansätze sollten nicht zeigen, dass in diesen die Kurstädte mehr oder weniger unberücksichtigt geblieben sind, sondern vielmehr, dass sie sich zum Teil sehr wohl auf die Problematik der Kurstädte anwenden lassen. Man könnte es also als ein generelles Forschungsdesiderat formulieren, um vielleicht das urbane Phänomen „Kurstadt/-ort“ systematisch greifbarer zu machen.142 Oder vielleicht sollte man auch völlig andere Herangehensweisen wählen – wie etwa die englische Leisure-Forschung,143 die sicherlich auch einzubeziehen wäre, desgleichen die Tourismusgeschichte144 und die Konsumforschung145. Es ist zu hoffen, dass auf diese Weise in Zukunft ein neuer Blick auf die Kurstädte gelingt. Allerdings steht außer Zweifel, dass einer adäquaten Erforschung der Kurstädte noch weitere theoretische Ansätze folgen müssen.

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Vgl. dazu die Homepage des IStG: Fred Kaspar, Kurstadt & Kurort: „Die ,Kurstadt‘ mit einer klar abgrenzbaren Definition gibt es nicht, obwohl sich der um besondere Heilquellen etablierte Kurbetrieb durchaus begünstigend auf die Entstehung urbaner Strukturen bzw. auf Stadtentwicklungsprozesse auswirken konnte“, https://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/portal/einfuehrung/ stadttypen/Kurstadt_Kurort.html [Stand: 03.03.2021]. 143 Vgl. Peter Borsay, Health and Leisure Resorts 1700–1840, in: Peter Clark (Hg.), Cambridge Urban History of Britain, Bd. 2, Cambridge 2000, S. 775–803; Peter Borsay/Gunther Hirschfelder/ Ruth-E. Mohrmann (Hg.), New Directions in Urban History. Aspects of European Art, Health, Tourism and Leisure since the Enlightenment, Münster 2000. 144 Vgl. Martina Hessler/Clemens Zimmermann (Hg.), Creative urban milieus. Historical Perspectives on Culture, Economy, and the City, Frankfurt a. M. 2008; Spode, Zeit – Raum – Tourismus. 145 Vgl. Michael Prinz, Aufbruch in den Überfluss? Die englische „Konsumrevolution“ des 18. Jahrhunderts im Lichte der neueren Forschung, in: Ders. (Hg.), Der lange Weg in den Überfluss. Anfänge und Entwicklung der Konsumgesellschaft seit der Vormoderne, Paderborn u. a. 2003, S. 191–217; Neil McKendrick/John Brewer/John H. Plumb (Hg.), The Birth of a Consumer Society. The Commercialisation of Eighteenth-Century England, Bloomington 1982; sowie in der Fortsetzung: John Brewer/Roy Porter (Hg.), Consumption and the World of Goods, London 1993.

TANZENDE KONGRESSE? – DIE KURSTADT ALS ORT DER DIPLOMATIE UND IHRER AKTEURE Alexander Jendorff

Am 15. September 1877 schrieb der Geheimrat Christoph (von) Tiedemann (1836– 1907) von Gastein aus an seine Mutter: „Das fortwährende Zusammensein mit diesen herrlichen Menschen, den Bismarcks, hat allein schon die Wirkung einer Badekur. Ich kenne sie nachgerade gründlich. Ich bin durch Monate in ihrem Hause in Berlin täglicher Gast gewesen, ich habe mit ihnen in Kissingen, in Varzin gelebt, aber so wie hier habe ich sie doch noch nicht kennen gelernt. Daß er einer der größten Männer gewesen, den die alte und neue Welt hervorgebracht, das wird für unsere Nachkommen außer allem Zweifel stehen. Aber nur wenige werden bezeugen können, daß er auch der liebenswürdigste gewesen, weil er in seiner stolzen, zurückweisenden Abgeschlossenheit sich nur wenigen, wie er wirklich war, gezeigt hat.“1

Die zugegebenermaßen willkürlich herausgegriffenen Bemerkungen Tiedemanns, der 1878 von Bismarck zum ersten Chef der Reichskanzlei ernannt und 1883 nobilitiert wurde,2 scheinen in vielerlei Hinsicht sowohl aus der Perspektive der Zeitgenossen des Reichskanzlers als auch des Historikers als Analysten und Interpreten der Vergangenheit für das hier zu behandelnde Thema symptomatisch zu sein. Bereits die Tatsache, dass dem beobachtenden Historiker sogleich ein Beispiel aus der Umgebung Bismarcks einfällt, deutet an, wie sehr das Kurbad des 19. Jahrhunderts mit der Großmächte-Diplomatie des bürgerlichen Zeitalters verbunden ist, also mit jener internationalen und intergouvernementalen Diplomatie, bei der nach Möglichkeit im Geheimen, aber unter Berücksichtigung der nationalen Öffentlichkeiten von den ‚großen Staatenlenkern‘ kommuniziert wurde. Darüber hinaus erscheint es auch bemerkenswert, dass die Bedeutung des Kurbades als soziale Institution mit der internationalen Diplomatie der europäischen Mächte monarchischer Prägung und doch unter Abschwächung des monarchischen Prinzips durch den (bürgerli1

Tim Klein, Der Kanzler. Otto von Bismarck in seinen Briefen, Reden und Erinnerungen, sowie in Berichten und Anekdoten seiner Zeit, München/Leipzig 1919, S. 302–303. 2 Vgl. den einschlägigen wikipedia-Artikel unter https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_von_Tiedemann [Stand: 13.01.2021].

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chen) Nationalismus zu korrelieren scheint; überdies mit Fernwirkung bis heute! Weder in den Jahrhunderten zuvor noch im 20. Jahrhundert – gerade nach den beiden Weltkriegen – scheint dieser Konnex derart auf. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass Badeorte, Quellen, Casinos etc. nicht schon zuvor und danach Orte der Politik gewesen sind. Tiedemanns Ausführungen aus dem Jahr 1877 – gleichgültig, wie selbstverständlich kritisch sie zu lesen sind – weisen schließlich darauf hin, dass die partielle Privatheit des Kurortes den Raum bzw. die Kulisse für alternative Verhaltensweisen und Gespräche oder wenigstens für die funktionale Fiktion hierfür geboten hat. Dies eröffnet die Frage nach der Funktion und Wirkungsweise des Kurortes im diplomatischen Geschehen an sich. Umso erstaunlicher scheint es, dass diese Facette des Kurstadtlebens bislang zwar attestiert und mit allerlei Annahmen versehen in die öffentlichen Werbeschaufenster unserer Zeit gestellt, aber kaum historisch-analytisch problematisiert wurde.3 Das mag darin begründet sein, dass man allzu schnell eher die tanzenden Kongresse der (neo-)absolutistischen Fürsten- und Adelsgesellschaften vor Augen haben mag. Das kann an dem diplomatischen Personal liegen, das man – keineswegs zu Unrecht – bei solchen Ereignissen vermutet und das – ebenfalls nicht zu Unrecht, wie der entsprechende Roman Iwan Turgenjews („Rauch“, 1867) lehrt – mit passenden Gelegenheiten in Verbindung gebracht wird.4 Doch der folgende Beitrag zielt nicht auf die Präsentation des Extraordinär-Mondänen; ebenso wenig beansprucht er, abschließende Ergebnisse zu präsentieren. Er versteht sich vielmehr als ein erster Anlauf, die wesentlichen Aspekte für einige bislang zwar stets angerissene, aber nicht systematisch analysierte Fragestellungen aufzuzeigen, namentlich für die Bedeutung der (medialisierten) Öffentlichkeit.

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Allenfalls wurden solche Aspekte angerissen, ohne deren Tiefenstruktur zu ergründen; symptomatisch hierfür: Reinhold P. Kuhnert, Urbanität auf dem Lande. Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert, Göttingen 1984, S. 233–249, mit ausschließlichem Blick auf die „Adeligkeit“ des waldeckischen Badeortes Pyrmont bzw. einer Analyse dessen, wie sehr beim Aufenthalt von Fürsten – wie etwa Friedrich II. von Preußen – genauestens dessen Gesprächspartner etc. beobachtet wurden, ohne jedoch dies diplomatiegeschichtlich einzubinden. Klaus Bergdolt, Gesundheit als Ausrede? Gesellschaftlicher Glanz und politische Bedeutung der Kurorte im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Peter Weidisch/Fred Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität. Tagungsband zum Symposium in Bad Kissingen 7. – 9. März 2014 im Rahmen der transnationalen seriellen Bewerbung „Great Spas of Europe“ um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, Würzburg 2017, S. 83–97, hier S. 89–91, der jenseits der Auflistung prominenter und weniger prominenter Beispiele keine eigentliche Analyse vornimmt, sondern vielmehr auf die Sinnhaftigkeit der diplomatischen Nutzung von Kurbädern wegen deren Hotelkapazitäten verweist. Mit anderen, strukturgeschichtlichen Zugängen vgl. Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn/München/Wien/Zürich 2000, S. 56–107, 337–400; Jon Mathieu/Eva Bachmann/Ursula Butz, Majestätische Berge. Die Monarchie auf dem Weg in die Alpen 1760–1910, Baden 2018, S. 51–75, 93–101. Zum Moment bzw. Spannungsfeld von sozialer Segregation und Annäherung in Bädern vgl. Andrea Pühringer, Der Taunus – Konjunkturen einer traditionsreichen Bäderlandschaft, in: Christina Vanja/Heide Wunder (Hg.), Die Taunusbäder. Orte der Heilung und der Geselligkeit, Darmstadt/ Marburg 2019, S. 149–177, hier S. 164–166; Kuhnert, Urbanität, S. 73–93, 146–196.

Die Kurstadt als Ort der Diplomatie und ihrer Akteure

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1. Zugänge und Problematiken: das Kurbad als Bühne der diplomatie thermale Der Gegenstand des folgenden Beitrags wird im Französischen mit dem einschlägigen Begriff der diplomatie thermale belegt. Er hat eine bemerkenswerte Karriere gemacht und ist in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Dies gilt für die Beschreibung bestimmter informeller Formen des diplomatischen Umgangs unserer Gegenwart, so etwa für das Treffen Michail Gorbatschows und Eduard Schewardnadses mit Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher im Kaukasus im Juli 1990 oder für den legendären, später wiederholten Saunagang des russischen Staatspräsidenten Boris Jelzin mit seinem Duz-Freund Kohl am Baikalsee im Juli 1993.5 Diese ‚Strickjacken- und Badetuch-Diplomatie‘ dürfen als Langzeit- und Nachahmungseffekte ähnlich gelagerter diplomatischer Formen des 19.  Jahrhunderts gelten, die vordergründig ein Erleben des Gesprächs- und Verhandlungspartners außerhalb der Formen des Offiziellen mit seinen protokollarischen Zwängen ermöglichte. So ist es jedenfalls von Helmut Kohl, Michail Gorbatschow und Boris Jelzin immer wieder dargestellt worden. Bei solchen medialen Inszenierungen ist es allerdings nicht geblieben. Der französische Begriff hat es bereits 2003 vor den Court d’Europe – die Curia – gebracht, und zwar in einem zivilrechtlichen Streit über die Zulässigkeit der öffentlichen Bewerbung von Kurorten.6 Dies ist insofern interessant, weil die damals verhandelte Sache, bei der man das Merkmal der Internationalität und der diplomatischen Kommunikation als juristische Sachargumente verhandelte, sieben Jahre später bei der Begründung für eine gemeinsame Welterbe-Nominierung von mehreren europäischen Kurorten als Selbstverständlichkeit aufgeführt wurde. Das bei der UNESCO eingereichte, noch nicht abschließend gewürdigte Nominierungsprojekt „Great Spas of Europe“ – ursprünglich nur von Karlsbad eingereicht, jedoch mit dem Hinweis auf mangelnde Exzeptionalität bzw. Exklusivität abgelehnt und daher bei dem Gruppenprojekt als Strukturmerkmal Europas profiliert – berücksichtigt die Orte Spa, Vichy, Montecatini Terme, Baden bei Wien, Franzensbad, Karlsbad, Marienbad, Bath sowie die deutschen Bewerber Ems, Kissingen und Baden-Baden.7 Dabei hebt der zehn zentrale Charakteristika umfassende Katalog auch auf den As5



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Vgl. Dmitri Zakharine, Über die Genese des Kapitalismus unter Anwesenden. Deutsch-russische Saunafreundschaften, in: Leviathan. Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaften 35 (2007), S. 256– 271, hier S.  256–258, insgesamt allerdings mit einer anderen Stoßrichtung (Ritualisierung der Gemeinschaft durch gemeinsame Reinigung). Vgl. http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf;jsessionid=9ea7d2dc30d60b7789f4850542e5a0da8522916d7fdd­. e34KaxiLc3qMb40Rch0SaxyMbN50?doclang=FR&text =&page­Index=0&docid=48512&cid=243662 [Stand: 13.01.2021]: CONCLUSIONS DE L‘AVOCAT GÉNÉRAL ­M. DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER présentées le 10 juillet 2003, Affaire C-8/02, Ludwig Leichtle contre Bundesanstalt für Arbeit [demande de décision préjudicielle formée par le Verwaltungsgericht Sigmaringen (Allemagne)], «Libre prestation des services – Articles 49 CE et 50 CE – Régime d‘assurance maladie des fonctionnaires – Système de remboursement – Cure thermale effectuée dans un autre État membre – Autorisation préalable – Critères – Justification», hier Punkt VI.24 mit Anm. 10. Zum entsprechenden Weltkulturerbeantrag vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Great_Spas_of_Europe [Stand: 30.12.2020].

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pekt des Kurbads als Ort der internationalen Diplomatie ab, dies allerdings als mondäner, effekthaschender Unterpunkt des zentralen Internationalitätscharakteristikums und nicht als analytische Kategorie.8 Differenzierter sieht es mit dem Zugang der wegweisenden Studie von Johannes Paulmann aus, die die Monarchenbegegnungen in der Moderne analysiert und dabei den gerade für das Jahrzehnt zwischen 1860 und 1870 gewichtigen Platz des Kurbades neben anderen publikumswirksamen Haupt- und Symbolorten bestimmt.9 Zugleich reiht sich Paulmanns Analyse in eine Beobachtungsperspektive ein, die für solche Anlässe – wie auch für die beobachtbare intensivierte Reisetätigkeit der modernen Monarchen, mit der sie sich unter anderem ihrer natürlichen Umwelt bemächtigten10 – das mehr oder minder erzwungene Moment der Selbstinszenierung und Theatralik hervorhebt. Gleichwohl werden in all diesen Fällen ganz unterschiedliche Vorgänge und Facetten aufgefangen und zusammengefasst, wie ein schneller Blick verdeutlicht: Das böhmische Karlsbad – zweifelsohne einer der mondänen Kurorte der Habsburgermonarchie, der regelmäßig internationale Gäste höchsten Ranges beherbergte – steht im Kontext der mitteleuropäisch-deutschen Geschichte für einen der folgenreichsten und mit Brachialgewalt durchgesetzten politischen Beschlüsse: Gemeint sind jene antiliberal-repressiven Maßnahmen, die 1819 vom dortigen Gesandtenkongress einiger weniger Mitglieder des Deutschen Bundes unter Anleitung des österreichischen Staatskanzlers Metternich verabschiedet wurden und entsprechende Verfolgungswellen auslösten.11 Dagegen ist das diplomatische Aufeinandertreffen des preußischen Königs Wilhelm  I. (reg. 1857/61–1888) mit dem französischen Botschafter Graf Vincent Benedetti (1817–1900) in Bad Ems 1870 unaufhebbar mit dem Begriff der „Emser Depesche“ als Auslöser für den Deutsch-Französischen Krieg und die Reichsgründung belegt,12 während der Kur­

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Vgl. Andreas Förderer, Playgrounds of Europe. Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts. Vergleichsstudie im Auftrag der Stadt Baden-Baden, Baden-Baden 2010, S. 39f. 9 Vgl. Paulmann, Pomp, S. 357–359. 10 Vgl. Mathieu/Bachmann/Butz, Majestätitsche Berge, S. 51–75. 11 Vgl. Manfred Botzenhart, Reform, Restauration, Krise. Deutschland 1789–1847, Frankfurt a. M. 1997, S. 85–95; Ders., 1848/49: Europa im Umbruch, Paderborn u. a. 1998, S. 52–54; Heinrich Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815–1866, Berlin 1994, S. 46–53. Metternich hatte sich bereits Ende Juli/Anfang August 1819 im böhmischen Heilbad Teplitz mit dem preußischen Monarchen Friedrich Wilhelm III. (reg. 1797–1840) getroffen und in der Teplitzer Punktation jenen Repressionsrahmen abgesteckt, der anschließend auf den geheimen Ministerialkonferenzen im August von den Vertretern von acht – nicht mehr! – deutschen Regierungen in Karlsbad beschlossen und am 20. September auf dem Frankfurter Bundestag verabschiedet wurde. Abgesehen davon, dass bereits das Verfahren des österreichischen Staatskanzlers aus Sicht nicht weniger Bundesmitglieder skandalös war und die wahren Kräfteverhältnisse offenbarte, stand aus kaiserlicher Sicht bei der ganzen Sache zusammen mit der antiliberalen Repression die Frage der österreichischen Handlungs- und Gestaltungsfreiheit – also ureigene internationale Diplomatie im Vordergrund –, was noch heute gerne unterschätzt wird. 12 Vgl. Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt u. a. 1980, S.  432–435; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918. Bd. 2: Machtstaat vor Demokratie, München 1992/ ND 1998, S.  59–60; Michael Stürmer, Das ruhelose Reich. Deutschland 1866–1918, Berlin 1994, S. 163–165.

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aufenthalt des Reichskanzlers Bismarck in Kissingen 1875 stets mit dem Kissinger Diktat – also mit der Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik im Sinne einer Absage an deutsche Präventivkriege – verbunden bleiben wird. Während sich demnach in Karlsbad 1819 die Vertreter der Bundesstaaten im Geheimen und gemäß einem vorab geplanten Arrangement trafen und die Kurstadt kaum mehr als eine Fassade – noch nicht einmal eine Bühne – bot, erhielten die Emser und Kissinger Dokumente ihre Bezeichnung, weil durch sie strategische Entscheidungen im Kontext eines Kuraufenthalts – also gewissermaßen zwischen Bett und Wanne – getroffen wurden. Gemeinsam war ihnen die personale Komponente, also jene Akteure, die als große Staatenlenker dem kollektiven Gedächtnis (Mittel)-Europas erhalten geblieben sind. So wie den genannten Orten Gastein und Baden bei Wien hinzuzuzählen wären, gilt es schon an dieser Stelle mit Blick auf die Akteure deren unterschiedliche Funktionen und Gestaltungspotenziale zu erwähnen: Bei ihnen allen handelte es sich um herausragende Entscheider, die jedoch unterschiedliche Funktionen ausübten, mit denen sie – selbst wenn sie sich teilweise überschnitten – in bestimmten Situationen taktisch lavieren konnten. Solchen Differenzierungen gilt es nachzugehen, um nicht in letztlich aussagelosen Beschreibungen zu verharren.

2. Szenen aus dem Bade 2.1 Der Badener Fürstenkongress vom Juni 1860 Am Wochenende des 17. bis 19. Juni 1860 kamen in Baden-Baden ein Dutzend souveräne Fürsten des Deutschen Bundes auf Betreiben des seit 1857 amtierenden preußischen Prinzregenten zusammen. Im Einzelnen handelte es sich um Großherzog Friedrich I. von Baden (reg. 1852/1856–1907), der zusammen mit seiner Frau Luise und Prinz Wilhelm von Baden auf dem Neuen Schloss residierte; der Preuße hatte sich mit seiner Frau Augusta im Hotel „Maison Messmer“ einquartiert, während die Könige von Bayern, Württemberg und Sachsen im „Hotel d’Angleterre“ untergekommen waren. Darüber hinaus waren zu diesem Zeitpunkt neben dem König von Hannover die Großherzöge von Hessen und Sachsen-Weimar, der Herzog von Nassau, der Herzog von Sachsen-Coburg, der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen und der Fürst von Fürstenberg – jeweils nebst Entourage13 – in Baden-Baden anwesend. Die zu diesem Zeitpunkt elf regierenden Fürsten repräsentierten demnach sowohl den höchsten deutschen Adel als auch die nach Preußen und Österreich wichtigsten Mitglieder des Deutschen Bundes – nur dass eben die wichtigste Großmacht Deutschlands weder anwesend noch beteiligt war, was aus preußischer 13

Im preußischen Falle handelte es sich um nicht weniger als die Generale Manteuffel, Moltke und Wrangel.

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Sicht einen entschiedenen Vorteil bot. Wilhelm I. nutzte diese Gelegenheit: Nachdem Kaiser Louis Napoleon III. (reg. 1852–1870) zuvor um ein Gespräch mit dem preußischen Regenten gebeten und dieser unter der Vorbedingung einer prinzipiellen französischen Vorab-Garantie im Hinblick auf die territoriale Integrität der deutschen Staaten zugestimmt hatte,14 lud der Prinzregent den Kaiser der Franzosen in die Kurstadt ein bzw. hinzu. Die Abläufe während des Zusammentreffens sind bereits durch die zeitgenössischen Medien gut überliefert.15 Weniger gut dagegen ist die Informationslage zu den vorausgegangenen Absprachen. Einzelne Fürsten konferierten offenkundig während ihrer Anfahrt nach Baden-Baden miteinander, während in Berlin und München schon Anfang Juni bekannt war, dass der Prinzregent während seiner Brunnenkur mit den süddeutschen Souveränen zusammentreffen werde.16 In München erwartete man insofern Großes in „Bezug auf die allgemeine Weltlage und künftige Eventualitäten für Deutschland“17. Auch zwischen den Fürstenhäusern Hohenzollern und Baden herrschte ein intensiver Austausch, allein schon aufgrund strategischer Differenzen wegen der allgemeinen Befürchtungen, Preußen könne sich auf Kosten der deutschen Mittel- und Kleinstaaten mit dem als aggressiv empfundenen Frankreich arrangieren. Gegenüber dem äußerst kritischen badischen Schwiegersohn versicherte Wilhelm I. daher explizit, er habe angesichts der französischen Gesprächswünsche vorab kategorisch auf französische Grenzgarantien bestanden und hoffe darauf, die Zusammenkunft, zu der er Bayern und Württemberg ausdrücklich hinzugebeten habe, werde „das Misstrauen Deutschlands gegen Preußen besiegen“18. Gerade des14

Vgl. Hermann Oncken (Bearb.), Großherzog Friedrich I. von Baden und die deutsche Politik 1854– 1871, Briefwechsel, Denkschriften, Tagebücher, Berlin/Leipzig 1927, Bd. 1, Nr. 77: Prinzregent von Preußen an Großherzog Friedrich vom 08.06.1860. – Die französische Intention mag eher darin begründet gewesen sein, dass man angesichts intensiver englisch-österreichischer Gespräche versuchen wollte, öffentlich nicht den Eindruck zu erwecken, man verstehe sich nicht mit Berlin, was ggf. einer (antifranzösischen) Triple-Allianz den Raum eröffnet hätte. 15 Vgl. hierzu die entsprechende Sammlung an Zeitungsartikeln in Form einer entsprechenden Berichterstattung und Kommentierung in: StABB (= Stadtmuseum / -archiv Baden-Baden). Der stellvertretenden Leiterin – Frau Dagmar Rumpf – gilt mein Dank für die schnelle und umfassende Unterstützung bei der Beschaffung der Archivalien. Allgemein zur Konferenz vgl. Wilhelm Oncken, Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm, Berlin 1890, S. 459–463; Aus meinem Leben und meiner Zeit. Ernst II. – Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, Bd. 3, Berlin 1889, S. 28–71 [= Ernst II., Leben]; Dagmar Kicherer, Kleine Geschichte der Stadt Baden-Baden, Leinfelden-Echterdingen 2008, S. 124–126; Rolf Gustav Haebler, Geschichte der Stadt und des Kurortes Baden-Baden, Bd. 2, Baden-Baden 1969, S. 120–122. 16 So reiste etwa König Max von Bayern am 31. Mai nach Darmstadt; vgl. StABB, Badeblatt (04.06.1860). Zu den Berliner und Münchener Medienkenntnissen vgl. ebd. sowie StABB, Badeblatt (05.06.1860) und ebd. (09.06.1860), hier unter Betonung der französischen Bemühungen um ein solches Treffen. Der blinde Georg V. von Hannover (reg. 1851–1866) war derart „bewegt“, dass er ohne Wissen seines Ministers am 12. Juni in den Zug nach Berlin stieg, spät nachts den Prinzregenten im Bett „überraschte“ und ihn von seiner Teilnahme überzeugte; vgl. Ernst II., Leben, S. 33; StABB, Badeblatt (16.06.1860), unter Rekurs auf Berliner Informationen vom 14.06.1860. 17 StABB, Badeblatt (06.06.1860) mit Kenntnisstand vom 02.06.1860. 18 Vgl. Großherzog Friedrich  I. von Baden, Nr. 77: Prinzregent von Preußen an Großherzog Friedrich vom 08.06.1860. Zur kritisch-ablehnenden, dabei loyalen Distanz des Großherzogs, der vor französischen Avancen und antipreußischen Intentionen warnte und die preußisch-österreichische Einheit anmahnte, vgl. ebd., Nr. 78: Großherzog Friedrich an den Prinzregenten von Preußen vom

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halb – nicht zuletzt auch angesichts seiner Thronrede – stach die Berliner Regierung ihre Absichten an die heimische Presse durch und ließ herausstreichen, wie sehr der Monarch gegenüber Paris auf eine breite Beteiligung der anderen Fürsten gedrängt und jedwede Eingriffe in deren Souveränität abgelehnt hatte.19 Mehr noch: Die Presse wusste von einer Warnung des Prinzregenten gegenüber der französischen Regierung und vom Hauptgegenstand des Treffens, nämlich „Fragen des Bundesmilitärwesens“, also „die Regelung der Oberbefehlshaberschaft“20, zu berichten. Zugleich wurde in der Öffentlichkeit der gescheiterte Interventionsversuch des österreichischen Außenministers Friedrich Ferdinand Graf von Beust (1809–1886) genüsslich ausgeschlachtet.21 Die Berliner Regierung bereitete demnach über die Presse gezielt das diplomatische und öffentliche Feld für die kommende Zusammenkunft in Zwanglosigkeit vor. Sie bediente sich dabei von Anfang an des dynastischen Moments, das sich logisch daraus ergab, dass öffentlich die Souveränität der Fürsten zur Disposition zu stehen schien, und das darüber hinaus den Vorteil bot, informeller miteinander umgehen zu können. Die ‚Dynastisierung‘ der Problemstellung ermöglichte demnach die Teilprivatisierung des Umgangs im öffentlichen Politikraum. Von Geheimniskrämerei konnte jedoch kaum die Rede sein. Schon am 13./14. Juni kolportierte die badische Presse, der französische Kaiser werde am 15. Juni am Orte eintreffen und bis zum 17. Juni verweilen: „Seine Majestät reist in strengem Incognito und hat Sich wiederholt ausdrücklich jedweden offiziellen Empfang verbeten.“22 Zeitgleich betonte Berlin, es würden keine Außenminister zugegen sein, weshalb auch der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen „den Prinz=Regenten als Mitglied der preußischen Königsfamilie und nicht in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Staatsministeriums“23 begleite. In dem Maße, indem das informelle Gesprächstreffen vorab in gleichsam ostentativer Vertraulichkeit organisiert worden war, vollzog es sich anschließend öffentlich. In Baden trafen am Vormittag und frühen Nachmittag des 15. Juni die deutschen Hoheiten ein, während Wilhelm I. – schon seit 13. Juni am Orte – den Kaiser der Franzosen an der Grenze abholte. Am Freitagabend gegen sieben Uhr traf Kaiser Napoleon  III. – allerdings ohne die Kaiserin Eugenie – in Baden-Baden ein und residierte im „Hotel Stephanie“. So sehr er zunächst auf sein Incognito geachtet

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10.06.1860. Auch Ernst  II. von Sachsen-Gotha scheint skeptisch gewesen zu sein; vgl. Ernst II., Leben, S. 30–32. Vgl. StABB, Badeblatt (11.06.1860) unter Rekurs auf Berliner Informationen vom 7. und 9. Juni sowie Badeblatt (13.06.1860). Bereits am 12. Juni war faktisch die Gesamtheit der Anwesenden öffentlich bekannt; vgl. StABB, Wochenblatt (14.06.1860). Zitate nach StABB, Badeblatt (12.06.1860) unter Rekurs auf Informationen vom 10.06.1860. Vgl. StABB, Badeblatt (13.06.1860) unter Rekurs auf Berliner Informationen vom 08.06.1860. StABB, Badeblatt (14.06.1860). Ebd., unter Rekurs auf Berliner Informationen vom 12.06.1860, so auch explizit Ernst II., Leben, S. 33, der von einem „Familienbesuch“ – wenn auch als Vorwand – spricht; und so wenig das ganze Treffen offiziell gehalten war, so sehr legte man auf die öffentlichen Auszeichnungen der Fürsten durch den Franzosenkaiser sowie auf einen „Schriftführer“ wert – dazu wurde nämlich Herzog Ernst II. höchst selbst vom Prinzregenten bei seiner Ankunft auserkoren. Ebd. S. 35.

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hatte, so öffentlich wurde seine Ankunft inszeniert und durch die Presse vermittelt.24 Ebenfalls medial im Detail begleitet wurde das folgende Programm: Während sich der Kaiser am folgenden Tag zunächst die Aufwartungen der deutschen Fürsten machen ließ, folgten gemeinsame Spaziergänge in der Lichtentaler Allee und auf der Promenade, Gespräche unter vier oder mehr Augen, Konferenzen im Neuen Schloss und im Hotel „Maison Messmer“. Mochten die gekrönten Häupter allesamt in ‚zivil‘ gekleidet sein, ließen sie es sich nicht nehmen, unter den Augen der stets wachsamen und zahlreichen Öffentlichkeit demonstrativ Orden und andere Ehrenzeichen mit gleichsam bedeutungsvollen Symbolen zu tragen. Am 17. Juni fand das Ereignis mit einem gemeinsamen Frühstück in der Ruine des Rittersaals des alten Schlosses seinen Höhepunkt, nachdem Napoleon III. zunächst die Stiftsmesse besucht hatte. Doch so leger man sich gab, beim Franzosen wollte keine Lockerheit aufkommen, ganz abgesehen von dem Missgeschick, dass ein Gewitter den Moment der Ungezwungenheit störte und offensichtlich die kaiserliche Majestät aus der Fassung brachte.25 Es folgte, wie der Berichterstattung im Detail zu entnehmen war, ein gemeinsames Mittagessen – nun wieder in bester Stimmung –, am Abend Abschiedsbesuche beim Kaiser in „cordialer“ Atmosphäre und schließlich dessen Rückreise am selben (Sonntag-)Abend nach Straßburg.26 Nach Abreise Napoleons III. setzen die deutschen Fürsten ihre Besprechungen – zunächst ohne, dann mit dem Prinzregenten – am folgenden Tag fort, wobei sich Wilhelm I. den massiven, von Misstrauen begleiteten Forderungen seiner Kollegen ausgesetzt sah, die den außenpolitischen Erfolg bedrohten. In einer langen Rede präsentierte er sich daher als Verfechter der deutschen Einheit unter Wahrung der monarchischen Partikularsouveränitäten und vermochte auf diese Weise manche weiterhin zögerlichen Kollegen offenkundig auf seine Seite zu ziehen.27 Es hatte keine konkreten Er-

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Vgl. StABB, Wochenblatt (16.06.1860) sowie ebd., L’Illustration de Bade et d’Alsace, S. 26–30. Vgl. Bericht in StABB, Badeblatt (18.06.1860) sowie Wochenblatt (19.06.1860); Ernst II., Leben, S. 41. 26 Ernst II., Leben, S.  41f., notierte gerade dieses Adjektiv, nicht ohne zu bemerken, dass der Zeitplan des Besuches so programmiert war, weil man unter allen Umständen umgehen wollte, dass sich Napoleon III. noch am Waterloo-Gedenktag auf preußisch-deutschem Boden befand. 27 Vgl. StABB, Wochenblatt (23.06.1860), Bericht der Konferenz vom 19.06.1860; Ernst Berner (Hg.), Kaiser Wilhelms des Großen Briefe, Reden und Schriften, Bd. 1: 1797–1860, Berlin 1906, Nr. 290, S. 491–493. Diese Ansprache hatte einen Tag später ein Nachspiel, als der Prinzregent von König Max von Bayern aufgesucht wurde und man sich noch einmal ernsthaft über die deutsche Situation austauschte; ebd., Nr. 291, S. 493–501, Zitat S. 497. Dazu vgl. Oncken, Zeitalter, S. 459–463, in (teilweise zitierender) Wiedergabe der Unterhaltung. – Dieses Treffen stellte für die preußische Seite eine große Herausforderung dar, weil es im Vorfeld zu eskalieren drohte, und verlief daher in äußerst gespannter, ja gereizter Atmosphäre. Denn offenkundig musste der Prinzregent von den anderen Fürsten zu diesem Treffen gedrängt werden, die auf ein gemeinsames deutsches Schutzbündnis unter Integration Österreichs, eine Reform der Bundeswehrverfassung und eine konservativere Ausrichtung des preußischen Kabinetts zum Schutz der anderen Bundesstaaten, jedenfalls auf eine Eindämmung der natio­ nalen Kräfte in der Bevölkerung – vor allem des Nationalvereins – bestanden. Die Zusammenkunft wurde denn auch nach der Ansprache Wilhelms I. relativ zügig abgebrochen, auch weil die Fürsten immer stärker auf ihn eindrangen, ihren Wünschen zu entsprechen, was der Prinzregent mit dem Verweis auf die zukünftigen Kabinettsverhandlungen dilatierte; vgl. Ernst II., Leben, S. 42–48. 25

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Abb. 1: Der Fürstenkongress 1860. Quelle: Illustrierte Zeitung Nr. 891, 28. Juli 1860 (Erstveröffentlichung).

gebnisse gegeben – jedenfalls bewertete es so Großherzog Friedrich I.28 –, aber immerhin eine Beruhigung der Lage und einen vertrauensbildenden Austausch, wie die deutsche Presse zu berichten wusste.29 Baden-Baden – seit 1805 Sommersitz der badischen Großherzöge – hatte sich in vielerlei Hinsicht angeboten. Sowohl in bundespolitischer als auch internationaler Hinsicht konnten sich das Großherzogtum und die Stadt gewissermaßen als neutraler, zudem für die Anwesenden gut erreichbarer Punkt mit moderner Infrastruktur fühlen. Wilhelm I. wie auch seinen Amtskollegen war sie durch zahlreiche vorherige Aufenthalte vertraut. Bereits 1857 hatte es in der Stadt eine Zusammenkunft zwischen dem Preußen, dem Franzosen-Kaiser und dem Großherzog gegeben. Der 28

Vgl. Großherzog Friedrich I. von Baden, Nr. 79: Großherzog Friedrich an Heinrich von Gagern vom 28.06.1860. 29 Vgl. StABB, Badeblatt (01.07.1860) unter Rekurs auf Berliner Quellen vom 30.07.1860, die neben dem Rundschreiben des preußischen Außenministers v. Schleinitz auch auf entsprechende Rundschreiben des Außenministeriums an seine Gesandten zu berichten wussten, in denen die Berliner Regierung die Rede des Prinzregenten wiedergab und französische Angriffspläne entschieden in Abrede stellte.

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Prinzregent verbrachte mit seiner Frau Augusta über mehrere Jahrzehnte hinweg im Sommer stets mehrere Wochen in Baden-Baden, nicht allein, sondern begleitet von Diplomaten, u. a. von seinem späteren Ministerpräsidenten Otto von Bis­marck. Baden-Baden bot die nötige und angenehme Infrastruktur, das heißt seit 1845 mit Bahnanschluss und Gaswerk.30 Für die Stadt bzw. das Großherzogtum sprach auch die Neuausrichtung der großherzoglich-badischen Politik hin zum Haus Hohenzollern durch die Vermählung des Großherzogs Friedrichs  I. mit der Tochter des preußischen Prinzregenten – Luise von Hohenzollern – 1856. Diese konnubial-dynastische Allianz markierte insofern auch eine schleichende Gewichtsverlagerung im Deutschen Bund. Wilhelm  I. war mit dem Fürstentreffen von 1860 ein vielbeachteter Coup gelungen. Das lag weniger an den konkreten Ergebnissen, die überdies – jenseits der beruhigenden Einheits- und Friedensrhetorik – nicht an die Öffentlichkeit gelangten und die auch gar nicht vorhanden waren, weil es sich eher um vielzählige Akte des informationellen Austauschs und der Positionsbestimmungen handelte. Viel wichtiger für den Prinzregenten und seine Regierung war die Außenwirkung dieses öffentlichen und doch weniger offiziellen Treffens. Daraus machten die Berliner auch gar keinen Hehl. Gegenüber König Max von Bayern äußerte der Prinzregent ebenso freimütig wie kategorisch, „Österreich müsse aufhören, Preußen als einen Emporkömmling zu betrachten und es ehrlich als eine ebenbürtige Großmacht anerkennen“31; und man wusste genau, wie sehr Wien – und andere Regierungen – genau deshalb wegen des Fürstentreffens tobte, auch wenn man öffentlich, wiewohl gequält sein Wohlwollen vermittelte.32 Denn Preußen hatte unter Beweis gestellt, dass es zur Organisation einer vertraulichen und doch sichtbaren,33 weil nämlich visuell propagierten internationalen Zusammenkunft ohne die Beteiligung Österreichs und Russlands in der Lage war. Es hatte größeres Vertrauen schaffen können und dabei den Drahtseilakt vollbracht, zwischen den Selbstbehauptungswünschen der souveränen Dynastien, den bürgerlich-deutschen Einheitsforderungen und den antipreußischen Ressentiments einen Mittelweg ohne Österreich, aber mit einem und gleichzeitig auf Distanz gehaltenen Frankreich zu finden. Das war insofern von 30

Vgl. Kicherer, Geschichte, S.  105–107. Für die Zusammenkunft von 1860 „ward bereits [am 15.  Juni] zur Einrichtung des Feldjägerdienstes behufs Beförderung der Depeschen zwischen hier und Baden das Nöthigste angeordnet“ worden sein, und zwar für die gesamte Dauer des Aufenthalts des Prinzregenten; vgl. StABB, Badeblatt (15.06.1860). 31 Berner, Kaiser, Nr. 291, S. 493–501, Zitat S. 497. 32 Vgl. StABB, Badeblatt (19.06.1860) unter Rekurs auf die Wiener Presse vom 15.06.1860, die vermerkte, dass die k.u.k.-Regierung „ihr Missfallen auch offen“ ausdrücke, auch wenn sie offiziell-medial verlauten ließ: „Von Preußen selbst, vom Prinz=Regenten insbesondere, scheint uns das Bestreben, die deutschen Fürsten zu jener Zusammenkunft heranzuziehen, als eine Gewähr, die man Deutschland von den reinen Absichten dieses Fürsten geben will, an denen Niemand zweifeln kann, der überhaupt sein Vorgehen beobachtet hat.“ – Ganz übel kam das Fürstentreffen in Kopenhagen an, wo „man hier außer sich“ war, weil man sich in Frankreich eine Schutzmacht seiner schleswig-holsteinischen Interessen erhofft hatte: „Wieder ist eine Illusion, und zwar eine der lieblichsten zerstört“ worden; vgl. StABB, Badeblatt (20.06.1860) unter Rekurs auf Kopenhagener Quellen vom 14.06.1860. 33 Das wurde bereits in Baden-Baden deutlich, als die Menge am 16. Juni nach dem vertraulichen Gespräch mit dem Kaiser den Prinzregenten hochleben ließ; vgl. Ernst II., Leben, S. 36.

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Bedeutung, weil die 1850er Jahre hinsichtlich der europäischen, insbesondere aber der innerdeutschen Kräfteverhältnisse von einer allgemeinen diplomatischen Offenheit, Stagnation und Unübersichtlichkeit geprägt gewesen waren. Nach der Olmützer Punktation von 1850, bei der die österreichische Seite die Preußen rüde in die Schranken verwiesen und die Kräfteverhältnisse hatte deutlich werden lassen, hatte es zunächst keine Zweifel an der Wiener Dominanz im Deutschen Bund gegeben.34 Aus königlich-preußischer Sicht musste es seitdem das entscheidende Doppelziel sein, eine größere Bewegungsfreiheit im Deutschen Bund und Reputation bei den Liberalen zu gewinnen. Insofern waren Außen- und Innenpolitik aufeinander bezogen: Die mögliche Annäherung an die Liberalen bedeutete auch ein Signal an Großbritannien und umgekehrt. Dies galt umso stärker nach dem Beginn der „Neuen Ära“ unter dem Prinzregenten, der zwar keineswegs liberal gesonnen war, aber um die politischen Notwendigkeiten wusste. Wilhelm I. zählte nicht zu jenen monarchistischen Ideologen der Kamarilla, die die Politik Friedrich Wilhelms  IV. (reg. 1840–1857/61) beherrscht hatten. Er ging von einem Gegensatz zwischen Österreich und Preußen aus, sofern nicht beide vereint gegen die demokratisch-republikanischen Kräfte kämpften. Daher vertrat er dezidiert die Ansicht, aufgrund des innerdeutschen Gegensatzes müsse Preußen „moralische Eroberungen“35 in Deutschland und bei den Liberalen machen. Preußen sollte sich demnach fortan als friedliebende, Recht schützende, dem nationalen Einheitsgedanken an sich (!) verbundene Großmacht – nicht: Hegemonialmacht – präsentieren. Dies er­zwang einerseits die Abmilderung des bisherigen konfrontativen Verweigerungskurses gegenüber Wien im Bundestag, den der vormalige preußische Gesandte in Frankfurt – ein gewisser Otto von Bismarck,36 der zu diesem Zeitpunkt als Gesandter nach St. Petersburg abgeschoben worden war – zu verantworten hatte, andererseits aber auch den später folgenden Rüstungswettlauf und mit ihm im Februar 1860 die Einbringung einer Heeresvorlage, die es fiskalisch und parlamentarisch in sich hatte. Sie erfolgte zu einem innenpolitischen Zeitpunkt, da die konservative Parlamentsmehrheit im Preußischen Landtag verschwunden, der Konflikt mit einer erfolgshungrigen liberalen Opposition gleichsam vorprogrammiert war. Dennoch schien sich das Wagnis zu lohnen, allein weil sich die internationalen Konstellationen seit dem Ausgang des Krim-Kriegs 1856 günstiger zu entwickeln begannen. Das Zarenreich hatte einen erheblichen Dämpfer erhalten und war zudem auf dem Balkan in eine Rivalität mit Österreich eingetreten, die sich noch lange und regelrecht 34

Vgl. Gall, Bismarck, S. 172–198; Lutz, Habsburg, S. 386–402; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983 (ND München 1998), S. 670–673. 35 Zitat Wilhelms I. aus seiner Rede bei Einsetzung (s)eines (neuen) Ministeriums 1858 nach: Lutz, Habsburg, S. 409; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 697–704. Zur Biografie Wilhelms (neben anderen) vgl. Karl Heinz Börner, Wilhelm I. Deutscher Kaiser und König von Preußen. Eine Biographie, Berlin 1984; Robert-Tarek Fischer, Wilhelm I. Vom preußischen König zum ersten Deutschen Kaiser, Köln 2020. 36 Der nachmalige Reichskanzler bemerkte immerhin in seinen „Erinnerungen“, er habe die Vorgänge in Baden-Baden aufmerksam verfolgt, was man nicht glauben muss, aber annehmen kann, weil Bismarck zu diesem Zeitpunkt von seinem Monarchen maßlos enttäuscht war. Immerhin war er ein Jahr später am selben Ort und arbeitete dort seine gleichnamige Denkschrift zur „deutschen Frage“ aus, ganz abgesehen davon, dass er dort das Attentat auf den Monarchen am 1. Juli mitbekam; vgl. Haebler, Geschichte, S. 122–123.

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schicksalhaft erhalten sollte. Zudem war jenes Österreich seit dem verlorenen Krieg gegen Sardinien-Piemont 1859/60 erheblich geschwächt, während der neu entstehende italienische Staat einen potenziellen Koalitionspartner für Preußen darstellen konnte. Zugleich musste Preußen realisieren, dass es dem Frankreich Napoleons III. im Zuge des Krim- und des Italien-Krieges gelungen war, eine entscheidende Organisationsrolle in Europa einzunehmen, wie der Pariser Frieden von 1856 und der Präliminarfrieden von Villa­franca 1859 bewiesen. Wollte man mehr Bewegungsfreiheit, ging ohne den Kaiser in Paris zu diesem Zeitpunkt nichts, zumal die öffentliche Meinung Preußen gerade nicht wohlgesonnen war, weil es mit seiner demonstrativen Neutralität im Italien-Krieg – also einer faktischen Beistandsverweigerung gegenüber Wien – vermeintlich deutsche Interessen in Norditalien verraten, wenigstens aber geschwächt habe.37 Schließlich gab es noch ein Motiv für die zwanglose monarchische Zusammenkunft in Baden-Baden, dessen Effekt die Macht der Bajonette und die diplomatische Virulenz der Zeit nach 1860 erst ermöglichte: Der sogenannten Cobden-Vertrag zwischen Großbritannien und Frankreich hatte 1860 eine westeuropäische Freihandelszone begründet, die – so das französische Angebot – um den Deutschen Zollverein unter preußischer Führung erweitert werden sollte.38 Dies diente französischen und preußischen Interessen gleichermaßen, verstärkte es doch sowohl die wachsende Präponderanz des Empire in Mitteleuropa so wie jene ökonomische Preußens im Zollverein als auch die wirtschaftspolitischen Ausgrenzungseffekte gegenüber dem fiskalisch am Boden liegenden Wien, das zudem gerade seinem italienischen Fiasko entgegensah. Von den Vorteilen einer solchen Freihandelszone mussten die deutschen Mittelmächte allerdings erst überzeugt werden. Das Badener Ereignis verhallte nicht einfach. Zunächst einmal fand es seine Nachlese unter den beteiligten Fürsten, die in erster Linie das Agieren des Nationalvereins und dessen Eindämmung, aber auch die europäischen Reaktionen auf die Badener Zusammenkunft problematisierten.39 Viel wichtiger aber war die öffentliche (Presse-)Wirkung der Badener Konferenz, die ja nicht zuletzt auch wegen ihres Medialisierungspotenzials in Szene gesetzt worden war; und es wirkte. Nicht nur, dass die Presse peinlich genau eine Verzeichnung der anwesenden Gäste vornahm,40 sie vermerkte auch das legere Äußere der Akteure, wenngleich deren Orden beachtet wurden. Gleiches galt für die Ordensverleihungen, die der Franzosenkaiser sehr schnell gegenüber einigen Fürsten vornahm. Demnach wurde jeder Schritt und dessen Details registriert, was auch den Grund für Illustrationen – wie die obige Abbildung41 (siehe S. 107) – darstellte, die entsprechende Momente der Ungezwungenheit, Freundschaftlichkeit oder gar Herzlichkeit festhielten. Privatheit gab es nicht, 37

Vgl. Lutz, Habsburg, S. 410–415; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 687–697. Vgl. Lutz, Habsburg, S. 431. 39 Vgl. Ernst II., Leben, S. 49–71. 40 Vgl. StABB, Badeblatt (06.06.1860), (10.06.1860), (13.06.1860), (15.06.1860), (16.06.1860), (17.06.1860), (18.06.1860), (24.06.1860); ebenso die L’Illustration de Bade et d’Alsace, S. 26. 41 Sie stellte keine Ausnahme dar, sondern fand mit drei weiteren Momentabbildungen in der L’Illustration de Bade et d’Alsace, S. 28f., ebenso ihren Niederschlag. Zudem verzeichnete Léon Loiseau, der den entsprechenden Artikel verantwortete, neben der Reihenfolge des Eintreffens der Hoheiten auf dem Alten Schloss auch die Sitzordnung (ebd., S. 29). 38

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immerhin aber nicht den unmittelbaren Zwang des Staatsprotokolls. Solche mediale Achtsamkeit bezog sich nicht nur auf die lokale bzw. deutsche Presse. Auch die Pariser Presse nahm wahr, wie sehr der Kaiser die französische Präponderanz zelebrierte, bspw. als er die deutschen Fürsten bei seiner Ankunft empfing.42 Gleiches galt für die „spontaneité“ des Ereignisses, auf die Napoleon dezidiert abhob, die dazu geführt hätte, dass „die gegenseitigen Beziehungen unter den Mitgliedern der Versammlung mehr als blos äußerlich höflich (courtois)“ gewesen seien.43 Doch in Deutschland stieß er – und damit auch die Preußen – auf ein geteiltes Echo in der Presse. So nahm der ‚Beobachter aus Schwaben‘ die Ereignisse und deren Ergebnis weniger gnädig-positiv wahr. Deutlich und ungeschminkt wurde in seinen Artikeln weiterhin das Misstrauen gegenüber den französischen Intentionen formuliert und Napoleon nur die Anerkennung seines Kaisertums durch die anderen Monarchen und die Stärkung Preußens auf Kosten anderer Staaten, aber keine wirkliche Friedenswilligkeit unterstellt.44 Auch die demonstrative Einigkeit unter den deutschen Fürsten wurde in Zweifel gezogen und an der Rede des Prinzregenten vom Montag belegt, wie überhaupt das antipreußische Ressentiment nicht verschwand.45 Weit hoffnungsvoller präsentierten sich andere Artikel oder beschränkten sich auf eine neutrale Berichterstattung bzw. Kommentierung.46 Die Bedeutung der Badener Zusammenkunft als Medienereignis ließ sich auch daran ablesen, dass es bezeichnenderweise bereits kurz nach der Ankunft des Kaisers am Freitagabend zu einem Disput zwischen ihm und Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha über Presse­ freiheit und Pressezensur kam. Seinen Ausgang hatte das Wortgefecht, das für einen Moment zu eskalieren drohte, an der kritischen Öffentlichkeit gegenüber den französischen Absichten genommen. Napoleon III. hatte darüber geklagt, dass ihn die gesamte europäische und insbesondere die deutsche Presse der kriegerischen Expansionswilligkeit bezichtige, was zur Replik des Gothaers führte, die Deutschen seien eben nun mal auch nationalbewusst und die deutsche Presse weniger zensiert als die französische.47 In welchem Ausmaß Baden-Baden unangesehen von manchen Nebentönen die Gesamtsituation durch eine Gesamtinszenierung verändert hatte, kam nur langsam zum Tragen. Der Wandel machte sich gerade am Format und dessen Öffentlichkeitsqualität fest. Spätestens nach dem Badener Fürstentreffen war für Wien deutlich geworden, dass es sich stärker um die deutschen Mittelstaaten bemühen musste. Ihren Effekt fand diese Einsicht drei Jahre später beim Frankfurter Fürstenkongress, der in jeder Hinsicht als diplomatisch-propagandistisches Gegenbild gewertet werden darf.48 Mitten im preußischen Heeres- und Verfassungskonflikt schlug Österreich 42

StABB, Badeblatt (19.06.1860) unter Rekurs auf die Pariser Presse vom 17.06.1860 (Moniteur). Vgl. StABB, Badeblatt (20.06.1860) unter Rekurs auf den Moniteur vom 19.06.1860. 44 Vgl. StABB, Beobachter aus Schwaben (21.06.1860), S. 569–572. 45 Vgl. StABB, Beobachter aus Schwaben (22.06.1860), S. 573f. und ebd. (27.07.1860), S. 697–699. 46 Vgl. StABB, Wochenblatt (23.06.1860) sowie Badeblatt (23.06.1860). 47 Vgl. Ernst II., Leben, S. 37–38. 48 Für das Folgende vgl. Lutz, Geschichte, S. 440–447. Für den Hinweis auf den Frankfurter Fürstentag danke ich Herrn Gregor Maier M.A., Kreisarchiv Bad Homburg, sehr herzlich. 43

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eine umfassende Bundesreform und Wahrung der bundesstaatlichen Komponenten vor. Unter strengster Geheimhaltung und in der Absicht, sowohl Preußen als auch die übrigen Bundesfürsten zu überrumpeln – Kaiser Franz Joseph offenbarte seine Pläne überfallartig und persönlich gegenüber Wilhelm I. während dessen Kuraufenthalt in Gastein zwei Wochen vor dem Bundestag –, präsentierte sich Österreich am 18. August 1860 in Frankfurt als Führungsmacht des Bundes und daher als selbstverständlicher Motor der deutschen Einheit. Entsprechend pompös inszenierte man die Anwesenheit der Bundesfürsten in der offiziellen Bundeshauptstadt mit allen offiziellen, staatstragenden Notwendigkeiten: in Staatsmontur – also Uniform statt Frack und Zylinder –, mit einem Galadiner, offiziellen Begrüßungen, protokollarischen Ehren, öffentlichen Auftritten und auch Fotos. Doch, wie die Fotografie (Abb.  2) ausweist, fehlte in Frankfurt nicht nur die Leichtigkeit von Baden-Baden, sondern auch der mittlerweile entscheidende Mitspieler: Preußen. Hier hatte sich der Ministerpräsident gegen seinen – von Wien diplomatisch düpierten – König durchgesetzt; seine Majestät weilte zur Nachkur in Baden-Baden. Nachdem Kaiser Franz Joseph seine Reformpläne präsentiert hatte, aber auf zögerliche Unentschiedenheit der Kollegen gestoßen war, reiste am folgenden Tag eine Gesandtschaft unter Johann von Sachsen und Friedrich von Beust gen Südwesten, um Wilhelm I. umzustimmen. Die Verhandlungen waren zäh, brachten jedoch auf Betreiben Bismarcks keinen wirklichen Durchbruch. Der König verblieb am Kurort und die Reformvorschläge wurden zum Verdruss Wiens aufgeweicht. Am Ende – also am 20. August – scheiterte der ganze Fürstentag, weil die fürstlichen Akteure es nicht wagten, sich öffentlich gegen Preußen zu stellen, zumal man es sich nicht mit dem neuen französischen Handelspartner verscherzen wollte. Die Frank­ furter Reformakte wurde zwar offiziell verabschiedet, doch besaß sie manchem Lob aus großdeutsch gesinntem Medienmunde49 zum Trotz faktisch kein Gewicht, weil die Mittelmächte ihre Gültigkeit von dem preußischen Plazet abhängig machten; und das kam nicht, sondern Gegenforderungen. Der Frankfurter Fürstentag war demnach für Österreich alles andere als der erhoffte deutschlandpolitische Durchbruch. Sein offizielles Format mochte dem Wiener Anliegen und damit den Ansprüchen der Führungsmacht des Bundes entsprochen haben, aber es scheiterte, weil der entscheidende Mitspieler nicht mitmachte und es kein offizielles Ausweichformat gab. Die Gesandtschaft nach Baden-Baden markierte genau diese Durchbrechung. Bismarck hatte Franz Joseph gezwungen, die eigene Bühne zu verlassen, um die diplomatische Aufführung auf derselben irgendwie noch zu retten – und um ihn anschließend doch faktisch ergebnislos auflaufen zu lassen, das heißt, um die Aufführung im Unbestimmten auslaufen zu lassen. Das war der große Unterschied zu Baden-Baden 1860. Dort hatte man keine großartig offiziell-diplomatischen Ergebnisse produzieren und präsentieren müssen, die Auffüh49

In Frankfurt verbreitete sich in den öffentlichen Medien und der Stadtelite eine prohabsburgische Stimmung, die sich nicht zuletzt aus den antipreußischen Ressentiments speiste und doch letztlich von der Angst vor der Macht des Ministerpräsidenten getrieben war, den man gleichwohl immer bissiger karikierte; vgl. Wolfgang Klötzer, Frankfurt am Main von der Französischen Revolution bis zur preußischen Okkupation 1789–1866, in: Frankfurter Historische Kommission (Hg.), Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1994, S. 303–348, hier S. 341–343.

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Abb. 2: Abschlussfoto des Frankfurter Fürstentages 1863 im Garten des Bundespalais (Palais Thurn und Taxis). Quelle: https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bd/id/263-022.

rung und ihre Bilder waren genug gewesen. Man hatte Österreich außen vorhalten können, weil es sich um ein Treffen der Dynasten gehandelt hatte; beim Frankfurter Bundestag handelte es sich um eine Zusammenkunft der Staatsoberhäupter. – Der Kurort Baden-Baden war ein erstklassiges Pflaster für preußische Diplomatie.50

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Dabei sollte man bedenken, dass dies alles und insbesondere die Umstände des Frankfurter Fürstentages nicht stressfrei für die Beteiligten war: Wilhelm I. erlitt beinahe einen Nervenzusammenbruch, die Konflikte zwischen seiner Familie und Bismarck brachen erneut auf und selbst der Ministerpräsident war zum Schluss am Ende seiner Kräfte – leisure time sah und sieht anders aus!

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2.2 Die Emser Depesche 1870 Kaum ein Dokument hat derart unmittelbare Konsequenzen gezeitigt wie jenes Telegramm König Wilhelms I. an seinen – zu diesem Zeitpunkt praktischerweise wieder in Berlin weilenden – Ministerpräsidenten vom 12. Juli 1870, mit dem er seine Unterredung mit dem französischen Botschafter Graf Benedetti schilderte. Das anschließend durch Bismarck auf zwei Sätze reduzierte Schreiben wurde entsprechend in die Öffentlichkeit lanciert und fand seinen Weg nach Frankreich, wo sich ein um politische Zustimmung bemühter Napoleon  III. dem Zwang zur Kriegserklärung ausgesetzt sah, nachdem er sich in eine diplomatische Sackgasse manövriert hatte bzw. manövrieren lassen hatte. Die Emser Depesche gilt als Beweis dafür, „wie politische Missionen zunehmend außerhalb der Residenzen durchgeführt wurden und wie verstärkt auch Medien zur Beeinflussung der Gesellschaft benutzt wurden“51. In der Tat können die Emser Vorgänge – nicht nur das Telegramm Wilhelms I., das lediglich ein Element der Gesamtchoreografie darstellte, die mit dem Kurort verbunden war – dazu dienen, diese Behauptung zu belegen. Hierzu muss man sich allerdings die Rahmenbedingungen und Abläufe des Ereignisses im Detail anschauen, um die Bedeutung des Kurortes präzise zu erfassen. Den Ausgangspunkt für die Emser Eskalation im Juli 1870 bildete genaugenommen der preußische Sieg über Österreich 1866.52 Mit dem militärischen Sieg war die politische Konkurrenz zwischen den beiden deutschen Großmächten entschieden, die Habsburger-Monarchie aus Deutschland ausgeschieden. Es blieben als Hypotheken ein französischer Nachbar, der ob seiner diplomatischen Düpierung, der Enttäuschung über die Luxemburg-Krise von 1867 und seit dem Übergang vom régime personnel zum Empire libéral 1869/70 angesichts der innenpolitischen Gemengelage insgeheim – in rechtsnationalistischen Kreisen sogar explizit – „Rache für Sadowa“ forderte und den Aufstieg Preußens immer stärker beargwöhnte, und eine Gruppe süddeutscher Staaten, deren antipreußische Stimmungen vorerst un-

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Vgl. Förderer, Playgrounds, S. 39. Ebenso erwähnt bei: Bergdolt, Gesundheit, S. 89, mit der eher unverständlichen Bemerkung, es habe sich um „eine heute fast lächerlich erscheinende Affäre“ gehandelt. 52 Für das Folgende, sofern nicht anders angegeben, vgl. Gall, Bismarck, S. 415–435; Stürmer, Das ruhelose Reich, S.  162–174; Nipperdey, Machtstaat, S.  55–63. Aus der Fülle von Neuerscheinungen vgl. Oliver F.  R. Hardt, Bismarcks ewiger Bund. Eine neue Geschichte des Deutschen Kaiserreiches, Darmstadt 2020; Klaus-Jürgen Bremm, 70/71. Preußens Triumph über Frankreich und die Folgen, Darmstadt 2019; Christoph Jahr, Blut und Eisen. Wie Preußen Deutschland erzwang, München 2020. Zur französischen Deutschland-Politik seit 1866 vgl. Josef Becker, Zum Problem der Bismarck­schen Politik in der spanischen Thronfrage 1870, in: Historische Zeitschrift 212 (1971), S. 529–607, insbesondere S. 543–549; Eberhard Kolb, Der Kriegsausbruch 1870. Politische Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870, Göttingen 1970; Jochen Dittrich, Bismarck, Frankreich und die spanische Thronkandidatur der Hohenzollern. Die „Kriegsschuldfrage“ von 1870. Im Anhang Briefe und Aktenstücke aus dem Fürstlich Hohenzollernschen Hausarchiv. Mit einer Einführung von Gerhard Ritter, München 1962.

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überbrückbar blieben.53 Beides – der französische Argwohn und die süddeutschen Ressentiments – bestimmten die geringe Bewegung in der Deutschland-Frage nach 1866 und waren eminente Faktoren der Emser Vorgänge vier Jahre später. Den unmittelbaren Auslöser jedoch stellte die spanische Thronfrage dar, nachdem im September 1868 die bourbonische Königin Isabella II. (reg. 1833–1868) gestürzt worden war.54 Es handelte sich nicht bloß um einen verfassungsrechtlichen Vorgang – also um die Umwandlung einer absolutistischen in eine parlamentarische Monarchie unter den Auspizien des spanischen Liberalismus –, sondern auch um einen gravierenden dynastischen Vorgang, zumal der spanische Thron als zweifellos ebenbürtig mit anderen Großmonarchien galt. Es stand demnach das dynastische Prestige des Hauses Hohenzollern auf dem Spiel, als die spanischen Emissäre in Berlin anfragten. Inwiefern dies vom Haus Hohenzollern befördert worden war, lässt sich nicht sagen. Dessen Sigmaringische Seitenlinie – seit 1848 nicht mehr selbstständig – stellte bereits seit 1866 auf Empfehlung des französischen Kaisers mit dem zweiten Fürstensohn Karl Eitel Friedrich den rumänischen Fürsten/König (Carol I., reg. 1866–1914). Der preußische Ministerpräsident jedenfalls erkannte das inhärente Sprengpotenzial bereits bei der Vertreibung Isabellas II. Gegenüber Graf Benedetti warf er denn auch diplomatische Nebelkerzen, wenn er auf dessen Nachfragen im Mai 1869 auf die Absichten des von den Spaniern als Nachfolger ins Auge gefassten Sigmaringer Erbprinzen Leopold (1835–1885, reg. 1885–1905) eindeutig negativ, genaugenommen jedoch ausweichend reagierte. Damit versuchte Bismarck, der französischen Strategie auszuweichen, die in ihrem Beharren, ihre Gestaltungsrolle in Europa zu demonstrieren – zumal nach Sadowa/Königgrätz! –, stur versuchte, die Differenz zwischen hohenzollern-dynastischem Großmacht-Ehrgeiz und deutschen Nationalinteressen bzw. süddeutschen Souveränitätsinteressen zu profilieren und zu dokumentieren. Beide Seiten sahen in der Spanien-Frage demnach Chance und Risiko zugleich; doch nur Bismarck wusste die von den Spaniern aufgeworfene, für Berlin so gefährliche dynastische Karte zu spielen, indem er die folgende dynastische Demütigung des Hauses Hohenzollern zur nationalen Schmach umzudeuten verstand. Nachdem die spanische Thronfrage während des gesamten Jahres 1869 ge­ schmort hatte und sich die französische Innenpolitik zunehmend an der Frage der Effektivität der eigenen Monarchie und einer Verfassungsreform abarbeitete, kam im Februar 1870 die Szenerie in Bewegung, als die spanische Regierung ein offizielles Thronangebot zunächst an die in Düsseldorf residierenden Sigmaringer, dann an den Chef des Gesamthauses in Berlin richteten. Obwohl die Aussicht auf eine derartige Bedeutungssteigerung – ein Hohenzoller als Nachfolger des Habsburgers Karls  V. und damit die Wiederauferstehung einer wirklichen europäischen Großmacht mit globalen Tentakeln – verlockend sein musste, blieb Wilhelm I. skeptisch 53

Vgl. Becker, Problem, S. 536–549; Dittrich, Bismarck, S. 36–82; Kolb, Kriegsausbruch, S. 19–70. Vgl. Josep Fontana, La época del liberalismo (Historia de España 6), Barcelona 2007/ND 2015, S.  315–384; Rudolf Morsey, Die Hohenzollernsche Thronkandidatur in Spanien, in: Historische Zeitschrift 206 (1968), S.  573–588; Becker, Problem, S.  579–590; Herbert Geuss, Bismarck und Napoleon III. Ein Beitrag zur Geschichte der preußisch-französischen Beziehungen 1851–1871, Köln/Graz 1969, hier S. 159–225, 252–275, 306–314 (zu Baden-Baden).

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und delegierte die Entscheidung nach Düsseldorf. Dort aber wollte man nur mit Konsens des weiter eher abgeneigten Chefs des Gesamthauses einwilligen, ja genau­ genommen war die Ablehnung im April bereits beschlossen.55 Bismarck dagegen riet – in seltener Übereinstimmung mit der Mehrheit des Kronrats – den Sigmaringern im Mai 1870 ausdrücklich zur Kandidatur und sandte mit Lothar Bucher wenige Wochen später einen Vortragenden Rat des Außenministeriums in geheimer, noch nicht einmal dem (darüber erzürnten)56 Monarchen bekannter, allerdings ausdrücklich dynastisch-quasiprivater Mission nach Madrid, um die Situation aktiv zu dynamisieren. Gleichzeitig ging der Ministerpräsident demonstrativ seit dem 8. Juni in Kur-Urlaub auf sein eigenes Gut Varzin und war damit seitdem offiziell-amtlich nicht erreichbar. Als der Erbprinz Leopold am 19. Juni mit Zustimmung des Königs die Kandidatur offiziell annahm – und überdies anschließend erst einmal einen Alpen-Ausflug unternahm,57 nachdem er die ‚spanische Bombe’ zum Platzen gebracht hatte –, ließ sich der Regierungschef amtlich gar nicht und intern gegenüber Dritten nur kurz angebunden vernehmen, die ganze Sache ginge ihn nichts an. So tappte die französische Regierung in jene Falle, die mit der Abwesenheit der beiden Häupter der preußischen Regierung – Wilhelm I. seit Längerem geplant in Ems und Bismarck kurzerhand, aber wie so oft schon zuvor in Varzin58 – gestellt worden war, als am 2. Juli der spanische Ministerpräsident dem französischen Botschafter in Madrid die Hohenzollern-Kandidatur eröffnete. Paris wandte sich am 4. Juli an die offiziellen Regierungsstellen, das heißt, sie bestellte den preußischen Botschafter ein und wurde im Berliner Außenministerium vorstellig. Zwei Tage später ließ sich der Außenminister – Herzog Antoine Alfred Agénor de Gramont (1819–1880), zuvor französischer Botschafter in Wien und entschiedener Vertreter der Kriegspartei – vor dem Parlament mit deutlich drohenden Sätzen vernehmen. All das blieb von den Preußen zunächst unbeantwortet59 – es war ja offiziell niemand zuhause! So blieb der französischen Regierung nur der Gang nach Ems und damit gewissermaßen erstmals die Überschreitung einer gefährlichen Schwelle zur unhöflichen Übergriffigkeit, nicht zuletzt weil sich die Regierung frühzeitig im Parlament positioniert und damit die von der französischen Presse verstärkte öffentliche Meinung angeheizt 55

Zumal die Sigmaringer Linie hinsichtlich der langfristigen Erfolgsaussichten des Thronangebots skeptisch war; vgl. Becker, Problem, S. 568–571, 581; Dittrich, Bismarck, S. 3–35. 56 Vgl. Becker, Problem, S. 585–587; Dittrich, Bismarck, S. 30–31. 57 Was bewirkte, dass auf dem Chef des Gesamthauses, auf dem Haupt der Sigmaringer Linie und eigentlich auch auf dem Kanzler-Ministerpräsidenten die diplomatische Hauptlast lag; vgl. Becker, S. 584f.; Dittrich, Bismarck, S. 32f. 58 Vgl. Dittrich, Bismarck, S. 31–33, wobei es für diesen Aufenthalt einen guten Grund gab: Bismarck hatte im Frühjahr an einer schweren Gelbsucht gelitten und war schon damals für einige Zeit in Var­ zin gewesen; aber damals wie auch im Juni 1870 hatte er zu jedem Zeitpunkt die Szenerie beobachtet und gelenkt. 59 Das dahinterliegende Dilemma der französischen Regierungsposition war den Pariser Akteuren nur allzu klar: Sie bekamen – trotz des energischen Betreibens Gramonts – die preußische Regierung als offiziell handelnde Institution des preußischen Staates, den man unbedingt involvieren und auf diese Weise demütigen wollte, um die eigene machtpolitische Präponderanz zu demonstrieren oder gar den Krieg auszulösen, nicht zu fassen; vgl. Dittrich, Bismarck, S. 83–133; Kolb, Kriegsausbruch, S. 72–126.

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hatte.60 Am 9. Juli wurde Graf Benedetti bei Wilhelm I. in Ems vorstellig, der ihm die bekannte Linie vortrug:61 Es handele sich um eine dynastische, nicht staatliche Angelegenheit; er habe als Chef des Gesamthauses seine Einwilligung rational nicht verweigern können; die Sigmaringer hätten entschieden. Schon am folgenden Tag riet er jedoch dem Erbprinzen zum Thronverzicht, den dieser am 12. Juli verkündete. Damit schien es Paris erfolgreich gelungen zu sein, am Ende doch den König zu involvieren und dadurch einen diplomatischen Sieg errungen zu haben. Doch zweierlei Konsequenzen scheint die Pariser Regierung übersehen zu haben: Bereits am 8./9. Juli sah die – bis dahin zurückhaltende – deutsche Presse in dem Vorgang eine Angelegenheit von nationaler Tragweite.62 Umso bedenklicher war, dass Paris noch am Tag des offiziellen Thronverzichts über den preußischen Botschafter in Paris eine Entschuldigung für die Vorgänge und in einem zweiten Akt der diplomatischen Übergriffigkeit über ihren in Ems anwesenden Berliner Botschafter einen ausdrücklichen Verzicht für die Zukunft verlangte.63 Die berühmte Brunnenszene im Kurbad wurde dafür symbolisch: Von seiner Regierung getrieben, störte Benedetti den Monarchen, der ihm am Abend zuvor eine Audienz versprochen hatte, am 13. Juli bei seinem morgendlichen, absichtlich zur Distanzierung und Zeitgewinnung eingelegten Promenadenspaziergang in völlig unbotmäßiger Weise.64 Damit war das diplomatische Maß in jeder Hinsicht voll. Der über beide Ansinnen einigermaßen konsternierte Monarch kontaktierte daraufhin seinen Ministerpräsidenten, der am selben Tag bereits wieder in Berlin weilte, und unterrichtete ihn über die Vorgänge in jener Emser Depesche, die von Bismarck anschließend auf zwei Sätze verkürzt und veröffentlicht wurde: Frankreich habe den Kandidaturverzicht auf alle Zeit verlangt, S. M. habe daher weitere Gespräche mit dem Botschafter abgelehnt und dies durch den Adjutanten vom Dienst ausrichten lassen. Die absehbare Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Am 14. Juli beschloss der französische Ministerrat die Mobilmachung, fünf Tage später erfolgte die Kriegserklärung an Berlin, wodurch sämtliche Bündnisfälle gegeben waren. Paris hatte in seiner ‚Maßlosigkeit’ – so mythisierte es später Bismarck65 – schlicht nicht das Kalkül des preußischen Ministerpräsidenten begriffen. Die französische Regierung hatte ganz darauf gesetzt, die Hohenzollern-Regierung als aggressive Vertreterin ihrer dynastischen Eigeninteressen im Gegensatz zu den deutschnationalen Anliegen erscheinen und scheitern zu lassen, und hatte dabei nicht bemerkt, dass genau dieses Ziel schleichend ins Gegenteil verkehrt worden war, als man den Chef des Gesamthauses mehrfach in seiner Emser Privatheit ungebührlich gestört, 60

Dies geschah trotz der allgemein kritischen Sicht der ausländischen – insbesondere der englischen – Presse auf das französische Agieren; vgl. Dittrich, Bismarck, S. 110–112; Kolb, Kriegsausbruch, S. 72–79, 82–84. 61 Vgl. Dittrich, Bismarck, S. 197–204. 62 Vgl. ebd., S. 191–193, 210–213; Kolb, Kriegsausbruch, S. 138–140, insbes. Anm. 191, woraus hervorgeht, dass Paris den antifranzösisch-borussophilen Umschlagpunkt entschieden wahrnahm. 63 Vgl. Dittrich, Bismarck, S. 279–287. 64 Vgl. ebd., S. 280–283. 65 Vgl. Gall, Bismarck, S. 432. So allerdings letztlich auch die Darstellung bei Kolb, Kriegsausbruch, S. 134–136.

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massiv bedrängt und so gezwungen hatte, amtlich zu reagieren, als er schließlich seinen Regierungschef informieren bzw. kontaktieren musste. Paris hatte offenkundig unterschätzt, dass der Dynast, der ja um des Friedens willen zum Einlenken bereit gewesen war und aktiv entsprechende Schritte eingeleitet hatte, blitzschnell von der Rolle des Privatmanns als Chef des Gesamthauses in die Rolle des Monarchen als Staatsoberhaupt und Haupt des Norddeutschen Bundes wechseln konnte. Ge­naugenommen war sie zum Spielball eines Ministerpräsidenten und Bundeskanzlers geworden, der – die (Un-)Geschicklichkeit seines Monarchen wie auch dessen dynastischen Stolz einkalkulierend – amtliche Absenz und offizielle Privatheit sehr wohl miteinander effektiv zu kombinieren verstand. Paris war zum steten Anziehen der preußischen Absage-Schraube regelrecht gezwungen worden, weil der Regierungschef nicht im Amt war und das Staatsoberhaupt kurmäßig privatisierte. Indem sie den Monarchen am 12. Juli zwang, offiziell seinen wieder im Amte befindlichen Regierungschef einzuschalten, hatte sie verloren. Nun war aus der Familienangelegenheit eine Staatsaffäre geworden, aber eben keine preußische, sondern eine deutsche, obwohl es keinen deutschen Staat gab. Paris selbst hatte die Differenz zwischen Dynastie und Volk überwunden.66 Der Kurort Ems war für den taktischen Umgang Bismarcks mit den gegebenen – wohlgemerkt: nicht ausschließlich künstlich herbeigeführten! – Herausforderungslagen der perfekte Ort gewesen. Wiewohl wesentlich kleiner als der Baden-Badener Residenz- und Kurort verfügte es über die notwendige komplette Infrastruktur, um Regierungsgeschäfte zu handhaben: neben dem zunehmenden Villenbau insbesondere eine gute Eisenbahnanbindung nebst Fürstenbahnhof, gute Wasserstraßen, Wasserversorgung, seit 1860 eine Gasversorgung und Wegenetze sowie Telegrafenverbindung.67 Ems stellte 1870 die perfekte Scheinkulisse dar, um verschiedene Parketts – das staatlich-offizielle und das privat-dynastische – gleichzeitig bespielen zu können, mit ihnen changieren, sie sperren und öffnen zu können, um anwesend und doch nicht-anwesend zu sein, um zu verschleiern, zu vernebeln und doch völlig handlungsfähig zu bleiben bzw. genau genommen erst vollends handlungsfähig zu werden. Dabei kam es weniger auf Ems als Ort an; mit ihm verband sich nichts. Wohl 66

Das war noch in anderer Hinsicht fatal, insofern in der öffentlichen Meinung Frankreichs ein massiver Wandel vonstattengegangen war. Denn hätte Napoleon III. vor 1869 einen dynastisch motivierten Kabinettskrieg ausgelöst, wäre dies für die Mehrheit der Franzosen zweifellos weder attraktiv noch akzeptabel gewesen. Nach den innenpolitischen Wandlungen Ende 1869 wuchs der innenpolitisch-nationalistische Druck der Öffentlichkeit auf einen nicht wirklich kriegswilligen Kaiser im Frühjahr 1870 aus Gründen des nationalen Prestiges, gleichsam als Beweis für die größere außenpolitische Effektivität des Empire libéral im Vergleich zum vorherigen kaiserlichen régime personnel; vgl. Becker, Problem, S. 546. 67 Allein die Postverhältnisse sind erwähnenswert, weil die Postverbindungen im Herzogtum Nassau im 19.  Jahrhundert nicht die besten waren. Erst seit 1887 gab es eine elektrische Versorgung; vgl. Hans-Jürgen Sarholz, Bad Ems vom Ancien régime bis zur Industrialisierung 1750 bis 1914, Frankfurt a. M. u. a. 1993, S. 266–275, 285–289, 291–293; Ders. (Hg.), Bad Ems und die Great Spas of Europe, Bad Ems 2019; Hermann Sommer, Zur Kur nach Ems. Ein Beitrag zur Geschichte der Badereise 1830 bis 1914, Stuttgart 1999; Rolf Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984, S. 313–336.

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aber spielte Ems als Kurort – also als Ort der Privatheit und Zurückgezogenheit – eine entscheidende Rolle. Mit seiner Bedeutung konnten alle politisch interessierten Untertanen etwas anfangen: Seine Majestät war auf Kur in Ems, das hieß, er war in einer anderen Welt und wünschte seine Ruhe. Wie meisterhaft Bismarck in diesem Zeitraum agiert hatte, bemisst sich daran, dass er gleichzeitig in Kur und damit nicht erreichbar, aber vollumfänglich informiert und handlungsfähig gewesen war.

3. Beobachtungen und Ausblicke In seiner Vergleichsanalyse zur Bedeutungsentwicklung des Kurstädtewesens in der Moderne formulierte Andreas Förderer 2010 die Auffassung, „dass der Einfluss der Fürsten im 19.  Jahrhundert schwindet: Verbürgerlichung der Gesellschaft, demokratische Ansätze als Ergebnis der Revolutionsbewegung, Internationalisierung des Handels, Industrialisierung, [...] die großen politischen Entscheidungen werden wie die großen Geschäfte nicht mehr in den Residenzen getroffen, sondern da, wo die mit den entsprechenden Vollmachten ausgestatteten Personen zusammenkommen. Gerade bei heiklen politischen – und insbesondere bei internationalen Themen werden für solche Zusammenkünfte möglichst neutrale, vertrauliche Orte gewählt: der im französischen geläufige Begriff der „diplomatie thermale“ meint diese interessierte, aber unverbindliche Form von Politik, bei der man Allianzen auslotet und versucht, aufkommende Missverständnisse zu bereinigen.“68 Förderers Aussagen sollen daher den prononcierten Ausgangspunkt darstellen, um auszuloten, inwiefern Kurstädte als typische Orte der Moderne auf dem Feld der internationalen Beziehungen gelten können bzw. inwiefern sie lediglich eine andere Bühne eines längst bekannten Feldes boten. Denn schon der Ansatzpunkt – das Attestat der Bedeutungsminderung fürstlich-monarchischer Macht im Kontext der Verbürgerlichung der europäischen Gesellschaften, der Demokratisierung sowie der Industrialisierung und kommerziellen Internationalisierung – wirft manche Fragen auf, zumal daraus gewichtige Ableitungen für die Einschätzung der Kurorte vorgenommen werden. Förderers Aussage scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, wenn man die Einflussminderung der Monarchen mit der vielerorts beobachtbaren Parlamentarisierung der politischen Entscheidungsprozesse und der konstitutionellen Basierung der Herrschaftsverhältnisse korreliert. Doch bereits hier ist einzuschränken, dass beide Vorgänge die mo­narchische Macht nicht in jedem Fall schmälerten, sondern lediglich in neue Rahmenbedingungen einbanden. In vielen europäischen Staaten blieben die monarchischen Regierungen – sofern sie überhaupt eine Verfassung zuließen – einflussreich, nicht zuletzt in Großbritannien. In Frankreich konnte 1852 sogar eine neue (parlamentarisch-konstitutionelle, dabei semi-dynastische) Monarchie entstehen. Das Kaisertum Napoleons III. wies allerdings jenes Moment auf, dem sich keine Monar68

Förderer, Playgrounds, S. 39.

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chie in Europa mehr entziehen konnte: Es war in besonderem Maße der öffentlichen Meinung verpflichtet, die sie mit Parlamentsmehrheiten versorgte, und insofern von Grund auf populistisch inspiriert bzw. ausgerichtet. Neben den dynastischen Faktor rückte demnach ebenso stark, vielleicht sogar stärker der national-nationalistische. Dies erweiterte einerseits den Verpflichtungsrahmen der Monarchen und ihrer Agenten, bot andererseits jedoch ein neues oder wenigstens intensiviertes Feld.69 Wo nämlich nicht die Dynastie (unmittelbar) betroffen war – wie im Falle Napoleons, dessen „Dynastie“ ohnehin die Geschichte des populistischen Aufstiegs, jedenfalls nicht die einer altehrwürdig legitimierten Tradition repräsentierte70 –, mochte jenes Interesse der Nation tangiert sein, das ein geeignetes politisches Ausbeutungspotenzial – nicht zuletzt für dynastische Interessen – bot. Aus der Perspektive der Monarchen, ihrer Ideologen und Eliten galt es, dies zu nutzen, u. a. auch, indem man Kurstädte als Orte der Verbürgerlichung ausbaute, um an ihnen ostentativ zu partizipieren.71 Dies schien schon deshalb angezeigt, weil es sich dabei – wie auch bei anderen Formaten bzw. Foren – um Bühnen handelte, die notwendig waren, um die Logiken der Deutungszwänge des nationalisierten Staatensystems zu umgehen und persönliche Treffen überhaupt möglich zu machen.72 Doch gilt es sich hierbei vor Augen zu halten, dass diese Orte keineswegs Begegnungsstätten „des Volkes“ mit „den Herrschern“ waren, weil sich dort nämlich nicht „das Volk“, sondern dessen bürgerlich-adelige Eliten trafen. Aus dieser Rekrutierung der personellen Ressource ergab sich der mondäne Charakter eines Kurortes. Hierin mag man einen Wandlungsaspekt in der gesellschaftspolitischen Kultur der Moderne bzw. gar einen Modernisierungsaspekt sehen, die wenigstens partiell den oben aufgeführten Hinweis auf die Abkehr von Residenzen als von der breiten Öffentlichkeit abgeschiedenen Orten des Politisch-Diplomatischen unterstreichen könnte.73 Doch so wenig schon die kommerzielle Internationalisierung ein 69

Er markierte jedenfalls einen charakteristischen Strukturwandel, in dessen Verlauf die Monarchen in das nationalstaatlich-nationalistische Moment integriert wurden und sich neben dem ehemals rein fürstlichen eine neue, nationale Bedeutungs- und Handlungsebene entwickelte, die einerseits zur symbolischen Entlastung, andererseits zur Verpflichtung führte; vgl. Paulmann, Pomp, S. 78–104. 70 Vgl. Klaus Deinet, Napoleon III. Frankreichs Weg in die Moderne, Stuttgart 2019; Alan StraussSchom, The Shadow Emperor. A Biography of Napoléon III, New York 2018, S. 252–314 (zu den Baden-Badener Vorgängen 1860 vgl. S. 306–314); Johannes Willms, Napoleon III. Frankreichs letzter Kaiser, München ²2015, S. 159–225. 71 Zum Auf- und Ausbau der Kurbäder im 19. Jahrhundert ausschnitthaft: Britta Spranger, Jugendstil in Bad Nauheim – die Neubauten der Bade- und Kuranlagen und ihr Architekt Wilhelm Jost, Darmstadt/Marburg 1983; Hannes Eckert, Neue Bäder heilen gut: zum Wandel der führenden deutschen Kurorte im 19. Jahrhundert, 3 Bde., Darmstadt 1990; Susanne Grötz/Ursula Quecke (Hg.), Balnea – Architekturgeschichte des Bades, Marburg 2006; Ulrich Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden: Die Baugeschichte der Stadt und ihr Beitrag zur Entwicklung der Kurarchitektur, Aachen 2008; Rolf Derenbach, Frühe Hauptstädte der Geselligkeit. Aufschwung und Glanz der Städte Bath und Baden-Baden, Bonn 2006. 72 Vgl. Paulmann, Pomp, S. 351. 73 Dies schlug sich in anderer Weise auch in der publikumswirksamen Vereinnahmung der natürlichen Umwelt – bspw. in Form der touristisch-populären Entdeckung und Besetzung der Alpen durch die europäische Hocharistokratie im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert – nieder; vgl. Mathieu/ Bachmann/Butz, Majestätische Berge, S. 51–75, 97–101.

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Kennzeichen nur der Moderne, so wenig war jene Abkehr von den traditionellen politischen Entscheidungszentren ein Merkmal des 19. Jahrhunderts. Denn bereits in der Vormoderne waren sowohl die Aushandlung politischer ‚Deals’ als auch die Beschlussfassung an anderen Orten ausschließlich in Residenzen vorgenommen worden. Zweifellos war die Residenz in der Frühen Neuzeit das Symbol des fürstlich-monarchischen Regierungssystems schlechthin – gleichgültig, ob in der absolutistischen oder in der ständischen Variante – und zweifellos rückten die Entscheidungsmomente aus der Residenz in die Rätegremien, spezialisierten Bürokratien und ständischen Versammlungen hinein. Doch bereits in der Vormoderne wurden für die großen ‚Staatsangelegenheiten’ offizielle Gesandte, die mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet waren, oder inoffiziell agierende vertrauenswürdige Personen zu Gesprächen an ‚besondere’, als neutral begreifbare Orte entsandt. Unter diese Angelegenheiten fielen rein dynastische wie intergouvernementale Gegenstände gleichermaßen, allein weil sie kaum voneinander zu trennen waren. – Man denke hierfür beispielhaft nur an die Kongressorte des Westfälischen Friedensprozesses. Zu nennen wären auch jene Zusammenkünfte fürstlicher Funktionsträger und Vertrauter, die im Rahmen der altreichischen Regionalpolitik agierten und hierfür gezielt ihre familiär-freundschaftlichen Kontakte und klientelistischen Netzwerke nutzten.74 Die großen fürstlichen Empfänge der Frühen Neuzeit stellten aus dieser Perspektive eher die Ausnahme und zudem die Konsequenzen aus vorausgegangenen Gesprächen dar, so spektakulär sie auch gewesen sein mögen und so sehr bereits in der Frühen Neuzeit solche Badeorte von Fürsten gezielt – nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen – gefördert wurden, bspw. indem man sie mit entsprechender medizinischer und gesellschaftlicher Infrastruktur – wie z. B. Spielbanken, Lotte­ rien, Gärten, Promenaden und dergleichen – ausstattete.75 74

Vgl. Alexander Jendorff, Reichskreis- versus Regionalpolitik? Überlegungen zu Bedingungen und Möglichkeiten des regionalen Politikmanagements in der Mitte des Alten Reiches, in: Michael Müller/ Wolfgang Wüst (Hg.), Reichskreise und Regionen im frühmodernen Europa – Horizonte und Grenzen im „spatial turn“, Frankfurt a. M. u. a. 2011, S. 251–282; Ders., Der Mainzer Hofmeister Hartmut (XIII.) von Kronberg (1517–1591), Kurfürstlicher Favorit oder Kreatur des erzstiftischen Politiksystems?, in: Michael Kaiser/Andreas Pečar (Hg.), Der Zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit, Berlin 2003, S. 39–57. 75 Vgl. Michael Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 2001; Matthias Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland 1550 bis 1840. Zum Wandel von Gesellschaft und Architektur, Idstein 1989; Kuhnert, Urbanität S. 95–105; Phyllis M. Hembry, The English Spa 1560–1815. A  Social History, London 1990, S.  4–65; Ute Lotz-Heumann, Kurorte im Reich des 18. Jahrhunderts – ein Typus urbanen Lebens und Laboratorium der bürgerlichen Gesellschaft. Eine Problemskizze, in: Raingard Esser/Thomas Fuchs (Hg.), Bäder und Kuren in der Aufklärung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen, Berlin 2003, S. 15–36; Dies., Der Kurort als Heterotopie des 18. Jahrhunderts und der Sattelzeit. Die Entstehung einer bürgerlichen Kultur und Gesellschaft, Habil.-Schrift (HUB) Berlin 2009; Volkmar Eidloth/Petra Martin/Katrin Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung. Kurgärten und Kurparks in Europa / Between Healing and Pleasure. Spa Parks and Spa Gardens in Europe, Ostfildern 2020; Sarholz, Bad Ems, S. 65–84; Andrea Pühringer, Vom „fürstlichen Raubnest“ zum elitären „Fürstenbad“. Der Einfluss des Kurwesens auf die Stadtentwicklung von Bad Homburg vor der Höhe, in: Hessische Heimat 70 (2020), S. 43–49; Pühringer, Taunus, S. 153–163, mit entsprechender Literatur und dem entscheidenden Hinweis auf den stadtgeschichtlich relevanten Wandel solcher Orte zu Städten bzw. von Badeorten zu Kurstädten. Zur Geschichte des Logierwesens am Beispiel der Entwicklung Kissingens vom frühneuzeitlichen

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Für die Verhandlungs- und Entscheidungsdiplomatie – gleichgültig auf welcher Ebene – waren und blieben die Zirkel der Räte und Vertrauten entscheidend, die ihre Gespräche jenseits der offiziell-amtlichen Orte wie der Residenzen führten. Dabei handelte es sich nicht um jene diplomatie thermale der Moderne, die insofern lediglich einen zusätzlichen Ort der informellen oder eventuell auch nur quasi-informellen Kommunikation darstellte. Er besaß allerdings einen entschiedenen Nachteil: eine im 19. Jahrhundert aufmerksamere Öffentlichkeit, deren Wahrnehmung allen Zensurmaßnahmen zum Trotz durch die Expansion des Pressewesens merklich geschärft und aufgrund neuer technischer Möglichkeiten schneller bzw. schnelllebiger geworden war. Das bedeutete selbstverständlich auch, dass die Kurstadt als Ort der Diplomatie anders beschaffen war als die „vertraulichen Orte“ der Vormoderne. Die politischen Entscheider waren privat – also nicht als Amtspersonen – anwesend und doch offiziell. Die Emser Szenerie beleuchtete dies symptomatisch, insofern Wilhelm I. demonstrativ im privaten Rahmen und als entscheidender Repräsentant des hohenzollernschen Gesamthauses agierte. Erst der offizielle französische Vorstoß in diese Privatsphäre eröffnete dem preußischen Ministerpräsidenten die Chance, durch die Ausnutzung der Telegrafentechnik und die Lenkung der öffentlichen Meinung via gezielter, zudem faktisch ‚gefakter’ Medieninformation aus der (dynastischen) Privat- eine „Staats“-Affäre werden zu lassen. Was Paris als taktisches Ziel gewünscht hatte, verkehrte sich in sein Gegenteil, weil der vertraulich-private Ort zu einem öffentlich-offiziellen Ort wurde, insofern er eine neue „Theatralität“76 bekam. So erwies sich in Ems sowohl der Einfluss der Monarchen als auch ihre Einflussminderung gleich in doppelter Weise vor dem Hintergrund der „Verbürgerlichung“ von Politik und Gesellschaft im nationalistischen Rahmen. Wenigstens Teile der französischen Regierung waren sich dessen bewusst, dass ein Krieg aus Prestigegründen fadenscheinig war, und doch wuchs der innenpolitische Druck und das Selbstbehauptungsbedürfnis, das die Akteure zum fatalen Schritt der veröffentlichten Demütigung verleitete. Ein solches Selbstbehauptungsbedürfnis verspürte auch die Hohenzollern-Dynastie spätestens, als der Monarch in Ems angekommen war, nur dass sie den daraus resultierenden nationalpolitischen Druck auf Betreiben Bismarcks erst selbstständig gemäß der sich bietenden Chance und öffentlich zelebriert aufgebaut hatte. Die Emser wie die Badener Vorgänge beweisen insofern auch, dass in jenen Kur­ orten eben gerade nicht prinzipiell „anders verhandelt werden konnte, als dies in der Residenz eines der Fürsten möglich gewesen wäre.“77 Es handelte sich nicht prinzipiell um einen „weitgehend neutralen Ort“78, wenn ihm bestimmte KonnotaAdels- und Klerus-Bad zum Kurort der mittleren und gehobenen Gesellschaftskreise (unter dem Hinweis auf die bauliche bewusst gesuchte Privatheit, die sich u. a. weniger in großen Luxushotels – als vielmehr kleinen „Häusern“ sowie „Privatquartieren“ ausdrückte) vgl. Fred Kaspar, Wohnen an informellen Treffpunkten der Gesellschaft – Auf der Suche nach der besten Unterkunft im Kurort zwischen Spätmittelalter und Ende des 19. Jahrhunderts, in: Weidisch/Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität, S. 159–232. 76 Vgl. Paulmann, Pomp, S. 344–359. 77 Vgl. Förderer, Playgrounds, S. 39. 78 Ebd.

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tionen zugewiesen wurden, wenn er also zum Schauplatz eines international-nationalistischen „Varietés“79 avancierte. Anders ausgedrückt: Der Neutralitätsbegriff ist hierbei näher zu bestimmen und gewissermaßen weiter zu fassen. Das seit 1866 auf preußischem Boden gelegene Ems konnte gewiss kein neutraler Ort sein, und dies umso weniger, weil der Monarch in seiner Privatheit bewusst durch die französische Regierung aus offiziellem Anlass und im Sinne ultimativ anmutender Forderungen heraus gestört wurde. Zudem machte Ems eine steile Deutungskarriere, insofern es schnell zur nationalen ‚Benchmark‘ – zum Eigenbegriff – wurde, weil die Interessen späterer Generationen es so wollten. „Ems“ avancierte zum Kulminations- und Explosionspunkt der deutschen Geschichte und gleichzeitig quasi zum Schlussstein der Genese einer später so profilierten deutsch-französischen Erbfeindschaft, die es zuvor niemals gegeben hatte. Am ehesten möchte man für den Badener Fürstenkongress von 1860 annehmen, dass der Ort einen neutralen Boden darstellte. Baden-Baden war für alle Teilnehmer bestens erreichbar, und schon der Anlass – also die relativ überraschende Einladung des Prinzregenten an Napoleon III. – bot die Möglichkeit für ungezwungene Gespräche ohne großes Protokoll bzw. vorab definierte Agenda, zumal das Großherzogtum traditionell gute Beziehungen zu Paris pflegte. Baden-Baden konnte weiterhin als neutraler Boden gelten, insofern dort nicht explizit bundespolitisch-„deutsche“ Themen besprochen wurden, wiewohl natürlich alle handelspolitischen Fragen die Vormacht im Deutschen Bund – Österreich – tangieren mussten, und insofern auch österreichische Koalitionäre anwesend waren. Schließlich deutete auch die Rolle des ‚Hausherrn‘ – der badische Großherzog – auf den neutralen Charakter des Ortes hin.80 Denn Friedrich  I. hatte trotz seiner Berliner Einheirat mit Wien nicht vollends gebrochen und erschien zudem nicht als eigentlicher Gastgeber. Gerade diese vorgebliche Protokolllosigkeit des Ortes und Zeitpunktes inklusive der Umstände, der organisierten Plötzlichkeit der Zusammenkunft und der inszenierten Zwanglosigkeit eröffnete den Raum für Maskeraden im diplomatischen Nebel. Baden-Baden offerierte 1860 für alle unmittelbar beteiligten Akteure die Chance, unter dem bundespolitisch relevanten und daher gefährlichen Schirm hindurch wirkungsvoll zu interagieren, indem man ganz auf die dynastisch-private Karte setzte, um dadurch Wien aus dem diplomatischen Spiel zu halten. Insofern hatten die Preußen aus den Kontexten der Olmützer Punktation von 1850 gelernt und sie ins Gegenteil verkehrt. Umso mehr ist danach zu fragen, ob die Akteure bei solcher diplomatie ther­ male wirklich anders handelten. Dies betrifft weniger die Frage, wie die Akteure sich präsentierten und welches Protokoll sie installierten. Auch hierfür gäbe der Badener Fürstenkongress ein wertvolles Beispiel ab, weil die Teilnehmer nicht gemäß einem Staatsprotokoll miteinander verkehrten, sondern bereits äußerlich – nämlich im Frack und mit Zylinder – miteinander in geselliger Runde konferierten und sich derart auch inszenierten. Baden-Baden sandte insofern das politische Signal aus, dass 79

Paulmann, Pomp, S. 386. Dies darf als typisch begriffen werden, lassen sich doch auch in anderen Fällen die Residenzen befreundeter oder verwandter Dynastien als Ausweichorte von Monarchen-Begegnungen erkennen; vgl. Paulmann, Pomp, S. 352–357.

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hier, im Juni 1860 über ein Dutzend Staatsoberhäupter „mal nebenbei“ miteinander wichtige Dinge besprachen. Gleichwohl handelte es sich selbstverständlich um inszenierte Geselligkeit, die manche Ungezwungenheit – im Rahmen des Schicklichen selbstverständlich – zuließ, die allerdings nicht den Kern ausmachte. Mochten die Akteure während ihrer Kuraufenthalte ‚anders‘ agieren, meinte dies nicht den Zustand der Protokolllosigkeit. Es meinte vielmehr ein alternatives Protokoll, das stärkere Freizeiträume kannte und zugleich die Arbeitsfähigkeit des „mo­narchischen“ Akteurs sicherstellte. Der Kuraufenthalt war daher gewiss keine leisure time. Vielmehr diente er der Fortführung eines Amtes bzw. der Instrumentalisierung des Kurortes und seiner Atmosphäre für politische Zwecke, sofern dies notwendig erschien, weshalb zumeist eine professionelle Geschäftigkeit herrschte.81 Selbst die eigentliche Freizeit – also der ungezwungene Aufenthalt der zur Kur weilenden Amtsperson wurde so zur Aufgabe, die bewältigt werden musste. Denn die politische Verbürgerlichung der Gesellschaften ließ es den Herrschenden angeraten sein, sich volkstümlich zu geben und sich so wenigstens zeitweise anzupassen. Solches Agieren war zweifellos nicht immer authentisch, jedenfalls aber gleichermaßen inszeniert. Doch als Merkmal der Moderne sollte es auch nicht überinterpretiert werden. Schließlich hatte es seine Vorbilder in den ritterlichen Turnieren des Mittelalters, den frühneuzeitlichen Jagdgesellschaften82 und anderen Nebenschauplätzen des ‚Protokolls’, in denen eine andere – eventuell auch informelle – Kontaktaufnahme zwischen Herrschenden und Beherrschten inklusive künstlerischer und ökonomischer Aspekte möglich war. Ob es sich dabei um ein gesuchtes Ziel83 oder doch nur einen funktionalen Nebeneffekt handelte, war von der jeweiligen Situation abhängig. Wäre die Kurstadt wirklich ein Ort der leisure time gewesen, hätten die einschlägigen Kurstädte nicht ihre Funktion als diplomatische Nebenresidenzen erfüllen können. Indem sie jedoch dieses Camouflagepotenzial anboten, begründeten wenigstens die herausragenden europäischen Kurstädte der Moderne ihr Potenzial, zu herausragenden Orten der internationalen Diplomatie zu werden. Dies war jedoch auch in starkem Maße personen-, kontext- und situationsabhängig. Während sich im Falle von Ems und Baden-Baden die politische Bedeutung aus den wenig vorhersehbaren diplomatischen ad-hoc-Abläufen ergab, vermochten andere Kurstädte regelrecht zu temporären Nebenresidenzen zu avancieren. Dies erwies sich beispielsweise für Marienbad, das vom englischen König Edward VII. (reg. 1901–1910) zwischen 1903 und 1910 regelmäßig besucht wurde und nicht nur der persönlichen

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Niemand anderes als Otto von Bismarck klagte denn auch gerade darüber, also über die durch Boten, Beamte und anderes Personal verbreitete Unruhe. 82 Gerade das soziale Format der Jagdgesellschaften präsentierte sich im 19. Jahrhundert als ein Forum, auf dem adelige und nicht-adelige, das heißt großbürgerliche Eliten einander trafen und zweifellos nicht nur miteinander Wild erlegten, sondern auch andere Unternehmungen projektierten; vgl. Holger Th. Gräf, Unternehmer – Jagd – Aristokratismus. Die „Frankfurter Jagdherren“ im Spessart (1861–1919), in: Alexander Jendorff/Andrea Pühringer (Hg.), Pars pro toto. Historische Miniaturen zum 75. Geburtstag von Heide Wunder, Neustadt/Aisch 2014, S. 511–522. 83 So Förderer, Playgrounds, S. 40.

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Freude, sondern auch der gezielten Pflege von Kontakten zur k. u. k.-Elite diente.84 Indem er aus seinem wiederholten Aufenthalt eine Regelmäßigkeit bzw. regelrechte Tradition machte, die Berechenbarkeit, Signalcharakter und Abschätzbarkeit von Situationen bot sowie die entsprechende Infrastruktur aufwies, konnte Marienbad den Ruf erwerben, während der Sommermonate zur englischen Nebenresidenz aufzusteigen – nur um anschließend wieder in der Bedeutung herabzusinken; aber dieses Prestigeschicksal teilte Marienbad symptomatisch mit anderen Kurstädten. Durch das Kurbad bekam demnach das dynastische Moment eine neue bzw. neudimensionierte Bühne an mehreren Spielorten, deren Regeln bei genauerer Analyse jedoch keine völlige Verkehrung der Normen des Hofes nach sich zogen. Die Regierenden wussten sich dieser Orte zu bemächtigen. Würde man sich einmal in ganz mediävistischer Art und Weise ein Itinerar der modernen Potentaten und Regierenden erarbeiten und als Beispiele nur Wilhelm I. von Preußen und Bismarck heranziehen, würde schnell auffallen, dass diese beiden Personen genau genommen permanent auf Reisen waren; dies betraf insbesondere Aufenthalte an Kurorten. Das ist insofern eine interessante Beobachtung, der nachzugehen keine Zeitverschwendung wäre, weil damit die Frage verbunden ist, inwieweit im 19. Jahrhundert die vormodernen Verhaltens- und Aktionsweisen endgültig überwunden wurden oder ob sich nicht folgerichtig als Konsequenz aus der Formalisierung der nationalisierten, zudem immer stärker medialisierten Staatendiplomatie ein neues Wanderkönigtum herausbildete, um eben jene Staatendiplomatie informell zu unterstützen oder gar zu ermöglichen.85 Möchte man diesen Aspekt in aller Ernsthaftigkeit weiterverfolgen, so seien in diesem Zusammenhang noch einige Hinweise zu themenverwandten Aspekten angebracht, die Nebenfacetten zu sein scheinen, die sich jedoch aus dem Gesagten ergeben und nicht unerheblich sind, wenn man sie vor dem Horizont der Frage nach der Modernität der diplomatie thermale aufwirft. Hält man sich nämlich vor Augen, in welchem erstaunlichen Tempo und mit welchen kurzen zeitlichen Abständen die politischen Akteure allein bei den beiden beschriebenen Ereignissen agierten, so erscheint es nicht unangebracht, daraus insbesondere Fragen im Bereich der Technik zu generieren,86 die ihrerseits über die Bedingungen der zeitgenössischen Diplomatie und die Leistungen der Beteiligten informieren können: Wie sah die infrastrukturelle Ausstattung im Detail aus, das heißt, wie viele Bahnkilometer wurden in welcher Zeit zurückgelegt? Über welchen Revisions- und Reparaturstandard verfügten die Bahnhöfe, in die die hoheitlichen Züge einfuhren? Wie stand es um die Bequemlichkeit der Personenwaggons, die gerne, aber ungenau als ‚Salons’ bezeichnet wurden? Wie war es mit der telegrafischen Anbindung und der ‚Daten­ 84

Vgl. Beate Borowka-Clausberg, Damals in Marienbad [...] Goethe, Kafka & Co. – die vornehme Welt kuriert sich, Berlin 2009, S. 55. 85 Paulmann, Pomp, S. 344–363, spricht in diesem Zusammenhang von einer regelrechten, weil durch den aufkommenden bürgerlichen Nationalismus dynamisierten und daher konkurrenzbeladenen „rivalisierenden Wanderherrschaft“. Diese Frage hat allein schon deshalb ihren Reiz, weil der Gießener Mediävist Peter Moraw stets darauf beharrte, das Mittelalter habe bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts fortbestanden. 86 Vgl. hierzu Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 52010, S. 1010–1029.

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Alexander Jendorff

sicherheit’ bestellt? Was kostete eigentlich ein solches Ereignis wie das Fürstentreffen von 1860? – Die Diplomatie der Moderne bietet insofern auf dem Feld ihrer (Kultur-)Techniken hinreichend Raum für vertiefende Untersuchungen.

KONFESSIONSKULTUREN IN DER KURSTADT* Rainer Hering

1. Konfession und Kur: Kurseelsorge in der Kurstadt

„Grüß Gott liebe Gäste aus Nah und Fern! Schön, dass Sie uns besuchen. Sie möchten einmal herauskommen aus Ihrem Alltag, einfach ,nur‘ für eine kurze Zeit, oder um hier Ihren Urlaub zu genießen?! Sie suchen Stärkung in einem Leiden und möchten sich von diesem erholen?! – Wir von der Ökumenischen Kurseelsorge Bad Wurzach wünschen Ihnen, dass Sie gut ankommen und hier auftanken können. Gut möglich, dass sich durch den Abstand vom Alltag Manches bewegt. In dieser Bewegung kann Kur eine Chance sein, für Leib und Seele einen Neuanfang zu setzen. Sie kann helfen, die Orientierung des eigenen Lebens zu überprüfen und die heilende Kraft des Glaubens zu entdecken. Der Glaube löst Probleme nicht einfach auf. Aber er kann ein Antrieb sein und die Motivation stärken, um das Leben bestehen zu können und lieben zu lernen. Dabei möchten wir von der Kurseelsorge Sie gerne begleiten: In Begegnung und Gespräch, und mit unseren geistlichen wie thematischen Angeboten!“1

Mit diesen Worten werden die Kurgäste in Bad Wurzach von der ökumenischen Kurseelsorge begrüßt und eingeladen, die dortigen Angebote zu nutzen. Als Ziel wird formuliert: „Kurseelsorge möchte – Menschen, die sich in Kur und Rehabilitation befinden – Raum und Zeit geben, der Seele Gutes zu tun.“2 Kurstädte wurden bislang in der stadthistorischen Forschung wenig berücksichtigt. Dabei sind Kuren und Kurorte seit langem Thema – nicht nur der historischen Forschung. Neben den medizinischen Anwendungen sind die geselligen und kulturellen, aber auch die architektonischen und stadtplanerischen Komponenten des vielschichtigen Prozesses der Kuren untersucht worden. Konfessions- und Religionskulturen jedoch spielten kaum eine Rolle, obwohl Religiosität ein menschliches Grundbedürfnis ist, die religiöse Zuordnung eines Menschen bis weit in das *



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Der Beitrag ist Andrea Pühringer und Holger Th. Gräf gewidmet! https://kurseelsorge-badwurzach.de/ [Stand: 14.01.2021]. Für die Anregung zu diesem Beitrag und viele wichtige Hinweise danke ich Dr. Andrea Pühringer und für ihre bewährte Unterstützung bei der Literaturbeschaffung Anja Steinert sehr herzlich. https://kurseelsorge-badwurzach.de/kurseelsorge-in-kur-und-rehabilitation/ [Stand: 14.01.2021].

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20. Jahrhundert hinein ein zentrales Kriterium der Selbst- und Fremdwahrnehmung war und im Alltag eine herausragende Rolle spielte. Für ein adäquates Verständnis der Gegenwart und ihrer historischen Entwicklung, der Mentalitäten, Rituale, Bauten etc. ist der Blick auf Kirchen und Religionsgemeinschaften unerlässlich – auch in Kurstädten.3 Im Jahr 2012 hat der Architekt, Städteplaner und Denkmalpfleger Siegfried Rudolf Carl Theodor Enders auf die grundsätzliche Bedeutung von religiösen Bauten für Kurgäste hingewiesen.4 Geschichtlich kommen Sakralbauten in Kurstädten jedoch lediglich in einzelnen lokalhistorischen Publikationen und in einigen architekturgeschichtlichen Werken vor. Dieser Beitrag will die Bedeutung des Themas „Religiosität in Kurstädten“ aufzeigen, erste Ergebnisse und Informationen bereitstellen, Aufgaben formulieren und es als wichtige interdisziplinäre Forschungsfrage in die Kirchen- und Religionsgeschichte, die Praktische Theologie, die Bau- und Architekturgeschichte, die Lokal- und Regionalgeschichte sowie gerade in stadthistorische Untersuchungen einbringen. In den einschlägigen evangelischen wie katholischen Lexika fehlen entsprechende Artikel zu Kurstädten; in kirchengeschichtlichen Handbüchern fehlt das Thema ebenso. Artikel zu Kur- oder Urlaubsseelsorge gibt es in protestantischen Lexika nicht, jedoch in der dritten Auflage des katholischen „Lexikons für Theologie und Kirche“.5 Dafür findet man im Internet zum Begriff „Kurseelsorge“ ca. 50.000 Eintragungen, vor allem aktuelle konfessionelle Angebote an Kurorten. Ganz offenbar ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten Kurseelsorge zu einem Thema der Kirchen geworden. Darunter versteht man die seelsorgliche Begleitung von Kur- und Rehabilitationspatientinnen und -patienten sowie der in Heilbädern und Kurorten therapeutisch arbeitenden Personen. Hierfür werden besonders qualifizierte haupt- oder nebenamtliche Kurseelsorgerinnen und -seelsorger eingesetzt, die vor allem durch die Kontakt- und Gesprächsseelsorge wirken. Die Kurseelsorge ist zugleich überregional wie lokal ein Feld der konstruktiven ökumenischen Zusammenarbeit. Zum einen geht es um die Erfüllung spiritueller und religiöser Bedürfnisse, wie Hilfe in Glaubens- und Lebensfragen, zum anderen kann sich Seelsorge aber auch fördernd auf den Genesungsprozess auswirken.6 Im Jahr 1953 erließ die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern eine erste Ordnung für die Kurseelsorge, die zehn Jahre später revidiert wurde.7 Von 1981 bis 1986 erarbeitete der Fachausschuss „Seelsorge in Heilbädern und Kurorten“ im Auftrag des Evangelischen Arbeitskreises für 3



Zur konfessionellen Situation und ihrer historischen Entwicklung in Europa vgl. Michael Maurer, Konfessionskulturen. Die Europäer als Protestanten und Katholiken, Paderborn 2019. 4 Siegfried R. C. T Enders, Kultbauten ausländischer Gäste in europäischen Kur- und Badestädten – ein vernachlässigtes, gemeinsames Erbe?, in: Volkmar Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 2012, S. 201–210. 5 Birgit Siekerkotte, Kurseelsorge, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 6, Freiburg/Basel/ Wien 31997/ND 2006, Sp. 543. 6 Ebd.; vgl. Der Dienst der Kirche am Kurort, in: Amtsblatt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg 48/Nr. 26 (1979), S. 401–404, bes. S. 401. 7 Birgit Siekerkotte, Geschichte und Bedeutung der Kurseelsorge für die Rehabilitation in Deutschland, Diss. Univ. Münster 1993, bes. S. 31–33, 48f., 82f.

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Freizeit, Erholung und Tourismus in der „Evangelischen Kirche in Deutschland“ (EKD) Konzepte für die Kurseelsorge.8 Von 1990 bis 1993 verfasste der Fachausschuss „Kurseelsorge“ Informationen für die Kooperationspartner in Kurorten und kirchliche Gremien. Diese betonen den Unterschied zwischen der Seelsorge an Urlaubs- und an Kurorten.9 Bereits 1983 hatten der Deutsche Bäderverband, der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz die gemeinsame Erklärung „Kur und Kurseelsorge“ verabschiedet, in der diese nicht als Privatsache, sondern als „Bestandteil einer ganzheitlichen Kur“ verstanden wird. Daher sollten Kirchen und Kurverwaltungen vor Ort eng zusammenarbeiten.10 Das Thema hat also innerhalb der Kirchen seit den 1970er Jahren an Bedeutung gewonnen, vermutlich auch aufgrund der gestiegenen Zahl von Kuren und Rehabilitationsmaßnahmen.11 Kurseelsorge wird auch als umfangreiche Kulturseelsorge verstanden. Sie wendet sich an Menschen, „deren Lebenskultur fraglich geworden oder zerbrochen ist. Sie beinhaltet bereits begrifflich eine Orientierung an kulturellen Angeboten und impliziert, dass eine individuell gestaltbare christlich-kirchliche Lebenskultur die Grundlage einer so verstandenen Seelsorge in Kur und Rehabilitation ist. Kultur und Seelsorge sind damit zwei sich ergänzende und erschließende Größen. Kurseelsorge als Kulturseelsorge begleitet Menschen auf ihrem Weg der Rekonstruktion und Neukonstruktion ihrer individuellen Lebenskultur und unterstützt sie im Prozess, existenzielle Fragen zu klären, Kraftquellen wahrzunehmen und Schönes zu entdecken“, betont die Seelsorgerin Claudia Weingärtler.12 Eine übergreifende historische Studie zu diesem instruktiven Forschungsfeld der Konfessionskulturen in Kurstädten fehlt jedoch.13 Dieser Beitrag soll konkret aufzeigen, wie wichtig dieser Aspekt in der Geschichte von Kurstädten ist. Im Folgenden wird anhand einzelner deutscher Kurstädte die bauliche und religiöse Vielfalt aufgezeigt, die Kurgäste mitbrachten bzw. die für sie geschaffen wurde.14 8

Peter Ganzert/Wolfhart Koeppen (Hg.), Kirche am Kurort. Konzepte und Modelle, Stuttgart 1988. Der Band enthält auch weitere Verlautbarungen und Literaturhinweise. Vgl. auch Hans-Georg Pust (Hg.), Kirchliche Arbeit in Kurorten, Gelnhausen/Berlin/Stein 1981. 9 Kurseelsorge. Profil und Perspektiven. Eine Information für kirchliche Entscheidungsgremien und die Partner am Kurort. Erstellt durch den Fachausschuß „Kurseelsorge“ des Evangelischen Arbeitskreises Freizeit – Erholung – Tourismus in der Evangelischen Kirche in Deutschland (Informationen 42), Kiel 1994. 10 Kur und Kurseelsorge. Gemeinsame Erklärung des Deutschen Bäderverbandes, des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, Kassel 1983, Zitat auf S. 12. 11 Schon 1971 waren 335 Pfarrer der EKD an entsprechenden Brennpunkten eingesetzt. 12 Claudia Weingärtler, Kurseelsorge als Kulturseelsorge?, in: Gotthard Fermor/Günter Ruddat/ Harald Schroeter-Wittke (Hg.), Gemeindekulturpädagogik. Festschrift für Prof. Dr. Henning Schröer zum 70. Geburtstag, Rheinbach 2001, S. 243–259, Zitat auf S. 259. 13 Zum konfessionellen Hintergrund vgl. am Beispiel Frankfurts: Matthias Schnettger, Sichtbare Grenzen. Katholiken, Reformierte und Juden in der lutherischen Reichsstadt Frankfurt, in: Julia A. Schmidt-Funke/Matthias Schnettger (Hg.), Neue Stadtgeschichte(n). Die Reichsstadt Frankfurt im Vergleich, Bielefeld 2018, S. 73–98. 14 Auf die deutsche Kurseelsorge im Ausland kann hier nicht eingegangen werden. Diese setzte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein, vgl. A[rved] Hohlfeld, Der Ursprung der Kurseelsorge,

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2. Kurstädte im 19. und 20. Jahrhundert Kurgäste prägen Orte – und Orte prägen Kurgäste, auch in religiöser Hinsicht. „Kur, Chur, f. heilung, ärztliches wort“ definieren die Brüder Grimm in ihrem legendären Deutschen Wörterbuch.15 Heiße Dämpfe, Mineral- oder Thermalquellen wurden zu therapeutischen Zwecken bereits in der Antike genutzt, seit der Frühen Neuzeit auch im deutschsprachigen Raum.16 Charakteristisch ist dafür die Anwendung von lokalen bzw. regionalen Heilmitteln mit besonderen Eigenschaften und einer wissenschaftlich nachweisbaren Heilwirkung. Die ersten modernen Kurorte entstanden im 18. Jahrhundert, seit dem 19. Jahrhundert hat ihre Zahl deutlich zugenommen. Prägend für einen Kurort ist das Vorhandensein natürlicher heilender Rahmenbedingungen, wie Boden, Wasser und Klima oder die Möglichkeit für besondere Behandlungsmethoden, z. B. nach Sebastian Kneipp (1821–1897). Kurorte sind Städte oder Gemeinden, denen ein besonderes Prädikat verliehen wurde, weil sie eine besondere Eignung für eine medizinische Therapie im Rahmen einer Kur besitzen. Werden Wasserkuren angeboten, z. B. Bade- oder Trinkkuren, spricht man von Badeorten, an der Küste von Seebädern. Luftkurorte haben eine besondere Luftgüte aufzuweisen. „Die Kur war und ist eine Form des Gemeinschaftserlebnisses von einem zugeschriebenen hohen Erinnerungswert, unter großem Aufwand, auch von staatlicher Seite, organisiert, mit dem Ziel der Wiederherstellung eines verbesserten Gesundheitszustandes“, schreibt Alexander Jehn in seinem Grußwort zum ansprechenden Band über die Taunusbäder.17 Der Kuraufenthalt war, so fasst es Andrea Pühringer pointiert zusammen, „[…] ein über Jahrhunderte hinweg bewährtes Mittel der Kommunikation und des Netzwerkens. Denn die Kur bot Zeit und Muße – um Berichte oder Tagebücher zu verfassen oder sich in Gesellschaft zu begeben. Entspannung und Erholung ist kurz gefasst das eine Zauberwort, mit der Zeit zu gehen, sich sehen zu lassen – und einfach dazuzugehören – das andere.“18 Kurstädte boten „Eldorados von Möglichkeits- und Identifikationsangeboten“, betont Mirjam Triendl-Zadoff:

in: Brückenschlag. Berichte aus den Arbeitsgebieten des Kirchlichen Außenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bd. 4: Europa, Stuttgart 1972, S. 123–132. 15 Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, Bd. 5, Leipzig 1873/ND München 1984, Sp. 2781–2792, Zitat in Sp. 2781. 16 Hierzu und zum Folgenden: Burkhard Fuhs, Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700–1900, Hildesheim/Zürich/New York 1992, zusammenfassend bes. S. 460–470; Anke Ziegler, Deutsche Kurstädte im Wandel. Von den Anfängen bis zum Ideal­ typus im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. u. a. 2004. Zum internationalen Kontext vgl. Peter Borsay, Health and leisure resorts 1700–1840, in: Peter Clark (Hg.), The Cambridge Urban History of Britain Vol. 11: 1540–1840, Cambridge 2000, S. 775–803. 17 Alexander Jehn, Grußwort, in: Christina Vanja/Heide Wunder (Hg.), Die Taunusbäder. Orte der Heilung und der Geselligkeit, Darmstadt/Marburg 2019, S. 6–8, Zitat auf S. 8. 18 Andrea Pühringer, Der Taunus – Konjunkturen einer traditionsreichen Bäderlandschaft, in: Vanja/ Wunder (Hg.), Taunusbäder, S. 149–177, Zitat auf S. 171.

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„Die Inszenierung der Kurstadt musste die Ansprüche ihres Publikums antizipieren und den nervösen, abgespannten Großstädtern eine behütete Insel vertrauter, urbaner Ästhetik anbieten.“19 Im 19.  Jahrhundert erfahren die Kurstädte einen deutlichen Aufschwung, was der Historiker Thomas Nipperdey (1927–1992) auch im Kontext einer „Tendenz zum Anderen“ sieht: „als Wendung zur Kultur und Bildung anderer Länder und Regionen, bildungsbürgerlich und im klassischen Kanon; als intensive Wendung zur Natur oder reflexiv zum Naturerlebnis, zum unberührt Elementaren, den Bergen, den Wäldern, den Gewässern, zur Stadtferne jedenfalls, zu einer Landschaft, zur schönen ‚Gegend‘ oder Szenerie; oder endlich zum Streben nach Gesundheit, nach Ruhe, guter Luft oder gesunden Wassern, nach der ‚Kur‘, und das nahm mit dem wachsenden Gesundheitsbewußtsein zu. Dazu mochte kommen der ja so allgemein menschliche Wunsch nach einer anderen sozialen Atmosphäre, nach Sozialprestige, nach Promenaden und Gesehenwerden, nach Erzählen-Können auch, nach solcher Art Ferienglanz im grauen Leben. In der Wirklichkeit vermischen sich die Attraktionen der Sehenswürdigkeiten, der schönen Natur und der gesunden Luft mit diesen Gesichtspunkten des Sozialprestiges.“20

Kurstädte verstanden und verstehen sich als Kompetenzzentren gerade im Bereich der ärztlichen als auch der therapeutischen Versorgung – und sie waren und sind ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Sie boten und bieten besondere Einrichtungen an, um Besucherinnen und Besucher anzuziehen, dazu gehören Kur-, Villen- und Versorgungsviertel, Gärten und Parks, Vergnügungsangebote, ein guter Verkehrsanschluss, Kommunikationsmöglichkeiten – wie Telegrafie und Telefon – auf dem jeweils neuesten Stand, ein luxuriöses Warenangebot, ein ansprechendes, breit gefächertes Hotelund Gastronomieangebot sowie modernste Technologie beispielsweise im Bereich der Energieversorgung oder der Wasserver- und Abwasserentsorgung. Kuren dienen der Unterstützung in der Behandlung von Krankheiten bzw. Leiden als auch der Stärkung einer (geschwächten) Gesundheit bzw. der Gesundheitsvorsorge. Dazu gehört nicht nur der physische Bereich, sondern auch das psychische Wohlbefinden ist ein wichtiger Faktor für die Genesung und Stärkung des Körpers. Angenehme Aufenthaltsbedingungen, Unterkunft, Ernährung, Kultur- und Konsumangebote spielen hier eine wichtige Rolle.21 Aber auch die Möglichkeit, an dem gewohnten religiösen Leben aktiv teilnehmen zu können, war wichtig. Es gab ein individuelles Bedürfnis von Kurgästen, vertraute religiöse Räume in dieser temporären Kurgesellschaft nutzen zu können. Zugleich zeigt die Vielfalt auch des religiösen Angebots, die Pluralität dieser Gesellschaft auf Zeit. In Karlsbad gab es z. B. 19

Mirjam Triendl-Zadoff, Nächstes Jahr in Marienbad. Gegenwelten jüdischer Kulturen der Moderne, Göttingen 2007, S. 33. 20 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 177. 21 Zum Unterhaltungsangebot: Christoph-Hellmut Mahling, „Residenzen des Glücks“. Konzert – Theater – Unterhaltung in Kurorten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Michael Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 2001, S. 81–100.

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zwei katholische, eine protestantische, eine anglikanische und eine russische Kirche. Der österreichische Kabarettist Armin Berg, eigentlich Hermann Weinberger (1883–1956), formulierte pointiert: „Wie alljährlich, war ich auch heuer im Sommer wieder in Karlsbad. Ich kann Ihnen nur das eine sagen, ich bin von diesem Kurort entzückt. Wie Ihnen nicht unbekannt sein dürfte, hat Karlsbad eine Kirche für die Katholiken, eine russische für die Russen, und eine Synagoge für die Kurgäste.“22

In Kurstädten ist der Gottesdienstbesuch deutlich höher als in vergleichbaren Orten. Kurgäste gehen dort häufiger in die Kirche, auch wenn sie dies in ihren Heimatgemeinden gar nicht oder nur selten tun. Ob ein religiöses oder heimatliches Bedürfnis, Langeweile oder der Wunsch nach Sichtbarkeit die Motivation dafür ist, muss angesichts der Quellenlage offenbleiben. Anders als bei einem Krankenhausaufenthalt, wo eine meist punktuelle Erkrankung Ursache für den Aufenthalt ist und der Seelsorger meist nicht an der Behandlung der Patientinnen und Patienten mitwirkt, wird heute die Kurseelsorge stärker in den therapeutischen Prozess einbezogen. Die Ursprünge der Kurseelsorge werden im 19. Jahrhundert gesehen, als in verschiedenen Badeorten Kurheime und Hospize von diakonischen und karitativen Vereinen eingerichtet wurden. Moritz Bernus (1843–1913), Mitbegründer des „Evangelisch-kirchlichen Hülfsvereins“ in Frankfurt am Main, ermöglichte es 1883 deutschen Geistlichen, Gottesdienste in Hotels und Pensionen in italienischen Kurorten abzuhalten. Da es für die Ortspfarrer kaum möglich war, zusätzlich noch die geistliche Betreuung der Kurgäste zu übernehmen, wuchs der Bedarf an Seelsorgern für diese Zielgruppe. Gerade die kirchliche Seelsorge kann durch Einfühlungsvermögen und individuelle Fürsorge Lücken des medizinischen Angebots schließen und somit zur sozio-psycho-physischen Gesundung der Patientinnen und Patienten beitragen. Dennoch erfolgte erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Professionalisierung der Kurseelsorge durch eigens dafür ausgebildete Geistliche.23 Während langer Kuraufenthalte war es jedoch schon im 19. Jahrhundert und ist es bis heute für die Attraktivität eines Ortes wichtig, kirchliche und religiöse Angebote zu schaffen und so den entsprechenden Bedürfnissen der Gäste entgegenzukommen. Während einer Kur haben Menschen mehr Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen und sind in der Regel, anders als im Krankenhaus, nicht so sehr durch ihre Krankheit beschäftigt, dass ihre Gedanken nur um diese kreisen. Es ist also Raum für viele grundsätzliche Gedanken über das eigene Leben und Handeln. Daher sind entsprechende Angebote auf Zeit erforderlich. Kirchlicherseits umfassen sie meist Einzelgespräche, Spielgruppen, Diskussions- und Gesprächsrunden oder Vorträge.

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Triendl-Zadoff, Nächstes Jahr, S. 33f., Zitat auf S. 34; zur Karlsbader Synagoge ebd., S. 36. Siekerkotte, Geschichte, bes. S. 51–53; Birgit Siekerkotte/G. Reza Bassiry, Öffentliches Gesundheitswesen und Rehabilitation. Die Bedeutung der Kurseelsorge im Rehabilitationsprozeß für individuelle Genesung und Volksgesundheit, Münster 1998, bes. S. 37–56, 171–173.

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Ein Kurort bzw. eine Kurklinik wird umso mehr geschätzt, wenn den Kurgästen ein umfangreiches Spektrum an Leistungen geboten werden kann, das die eigenen Wünsche erfüllt. Daher kann Kurseelsorge für die Attraktivität eines Ortes von großer Bedeutung sein. Wer mit guten Erfahrungen von einer Kur nach Hause reist, wird auch gern wiederkommen oder den Ort anderen empfehlen. Dabei muss eine Kurstadt in der Lage sein, die zeitlichen Lücken im Alltag der Patientinnen und Patienten sinnvoll zu füllen, wozu das umfangreiche Veranstaltungsangebot im Bereich der Kurseelsorge beiträgt. So wird das kirchlich-religiöse Angebot auch zu einem Wirtschaftsfaktor.24 Umgekehrt prägen die konkreten religiösen Möglichkeiten die Bevölkerung und die Kurgäste sowie das Personal in den Kureinrichtungen, das ebenfalls Interesse an seelsorglicher Begleitung bzw. an diesen Veranstaltungsangeboten haben kann. Das wird im Blick auf Bauten und Bevölkerung auch physisch fassbar. Am Beispiel bekannter Kurstädte soll exemplarisch die religiöse Vielfalt, die in Orten vergleichbarer Größe so nicht anzutreffen ist, aufgezeigt werden. Das religiöse Spektrum am Ort ist in der Regel im Kontext der Anwerbung von Kurgästen im 19. und 20. Jahrhundert entstanden.

3. Religiöse Vielfalt in Kurstädten 3.1 Wiesbaden Wiesbaden ist heute nicht nur die hessische Landeshauptstadt, sondern über Jahrhunderte eine weltbekannte Kur- und Badestadt. Im 19.  Jahrhundert entwickelte sich die kleine Provinzhauptstadt mit 2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern um 1800 zur größten Kurstadt im Deutschen Kaiserreich mit 100.000 Menschen um 1900. Wegen seines milden Klimas galt es als „deutsches Nizza“.25 In Wiesbaden spielten schon früh jüdische Kurgäste eine besondere Rolle.26 Bereits 1635 mietete der Jude Nathan von Dielmann Weber das Badehaus „Zum Stern“. Zwei Jahre später galt es bereits als Badehaus „der Juden oder Thalmutisten Bad“. Er wurde so 24

Siekerkotte, Geschichte, bes. S. 102–105; Siekerkotte/Bassiry, Öffentliches Gesundheitswesen, S. 125–127. 25 Martina Bleymehl-Eiler, „Das Paradies der Kurgäste“. Die Bäder Wiesbaden, Langenschwalbach und Schlangenbad im 17. und 18.  Jahrhundert, in: Matheus, Badeorte, S.  53–80; Fuhs, Mondäne Orte, bes. S.  149–225, 343–345, 352–459; Ziegler, Deutsche Kurstädte, S.  264, Zitat auf S.  274f.; Petra Simon/Margrit Behrens, Badekur und Kurbad. Bauten in deutschen Bädern 1780–1920, München 1988, S. 231–244; Sigrid Russ, Weltkurstadt Wiesbaden. Vom Ackerbürger- und Badestädtchen zum internationalen Luxus- und Modebad, in: Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte, S. 143–156. 26 Zum Kontext vgl. Ruth Pasewald, Die Entwicklung des Badewesens der Stadt Wiesbaden 1806– 1914, Diss. Univ. Mainz 1999, mit genauen Zahlen zu den ausländischen Kurgästen. Zum Kontext: Robert Jütte, Juden als Kurgäste in hessischen Bädern (ca. 1650–1850), in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 80–92.

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zum Begründer einer dreihundertjährigen jüdischen Kurtradition in Wiesbaden, die mit dem Holocaust endete. Allerdings spielten bei der Wahl eines Badehauses seit der Aufklärung nicht nur religiöse Motive eine Rolle, sondern gerade auch ökonomische. Insofern war der Besuch jüdischer Badehäuser nicht ausschließlich an die Religionszugehörigkeit gebunden.27 Dass Jüdinnen und Juden als Kurgäste ein wichtiger ökonomischer Faktor waren, zeigte sich schon im 18. Jahrhundert. Ein Gutachten der Wiesbadener Polizeiverwaltung beklagte im August 1770, dass die vornehmsten jüdischen Gäste Ems aufsuchen würden, weil sie unzufrieden über die Häuser in Wiesbaden seien.28 Daher ist es nachvollziehbar, dass man unbedingt diese Zielgruppe halten wollte. In Marienbad z. B. wurde in einem Wegweiser für Kurgäste im Jahr 1900 die Synagoge ausführlich beschrieben, die im Parterre Platz für 320 Männer und auf der Empore für 200 Frauen bot.29 In Wiesbaden wurde 1869 am Michelsberg die von dem Architekten und Stadtbaumeister Philipp Hoffmann (1806–1889) entworfene Synagoge fertiggestellt, die auf die in der Schwalbacher Straße 43 („Mahr’scher Gartensaal“) folgte. Das durch seine Lage weithin sichtbare jüdische Gotteshaus war mit seinen 35 Metern Höhe und seiner mit goldenen Sternen überzogenen Hauptkuppel ein besonders repräsentatives Gebäude der Stadt. Es wurde als Ausdruck der gesellschaftlichen Integration der reformierten jüdischen Gemeinde Wiesbadens verstanden. In der Reichspo­ gromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde sie zerstört und die Reste im folgenden Jahr abgebrochen.30 Aufgrund der guten nassauisch-russischen Beziehungen und des herausragenden Rufes der Heilquellen kamen viele Kurgäste aus Russland, vor allem Aristokraten und Großbürger, die hier z. T. Sommerresidenzen besaßen; 1906 waren es 7.500. Dadurch wuchs die russisch-orthodoxe Gemeinde, sodass 1844 eine Hauskapelle in der russischen Gesandtschaft in der Rheinstraße geschaffen wurde, die aber nur als Überbrückung auf dem Weg zu einem eigenen Sakralbau diente. Philipp Hoffmann errichtete von 1847 bis 1855 in Wiesbaden auch die Russisch-orthodoxe Kirche als ein Bauwerk von nationaler Bedeutung.31 Er selbst hatte sich 1846/47 in Russland 27

Wolfgang Fritzsche, 300 Jahre jüdisches Kur- und Badewesen in Wiesbaden. Ein Beitrag zur jüdischen Geschichte Wiesbadens, Wiesbaden 2014, bes. S. 7–15, das Zitat S. 7. Vgl. Adolf Kober, Geschichte der Juden Wiesbadens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1913; Bernhard Post/Ulrich Kirchen, Juden in Wiesbaden von der Jahrhundertwende bis zur „Reichskristallnacht“. Eine Ausstellung des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden, Wiesbaden 1988. 28 Fritzsche, 300 Jahre, S. 101. 29 Triendl-Zadoff, Nächstes Jahr, S. 35f.; Stefan G. Wolf, Kirchen in Wiesbaden. Gotteshäuser und religiöses Leben in Geschichte und Gegenwart, Wiesbaden 1997, S. 37f. 30 Rolf Faber, „Errichtet zur Ehre Gottes und zum Wohl der Gemeinde“. Neue Erkenntnisse zu den Vorgängerbauten der Wiesbadener Synagoge am Michaelsberg, in: Karlheinz Schneider (Hg.), Synagogen – Badehaus – Hofreite. Jüdische Bauten in Wiesbaden, Wiesbaden 2012, S. 1–30; Paul Lazarus, Die jüdische Gemeinde Wiesbaden 1918–1942. Ein Erinnerungsbuch, New York 1949; https://www. wiesbaden.de/kultur/stadtgeschichte/gedenkorte/synagoge-michelsberg.php [Stand: 21.02.2021]. 31 Hierzu und zum Folgenden: Kirche auf dem Neroberge in Wiesbaden – Geschichtlicher Überblick und Beschreibung der Kirche,  Wiesbaden 1925; Alexander Hildebrand,  Romantisches Symbol der Unsterblichkeit, Ebenmaß in allen Teilen. Die russisch-orthodoxe Kathedrale in Wiesbaden,

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über sakrale Baukunst informiert und von der Moskauer Erlöserkirche inspirieren lassen. Wie dort wurden die Ikonen von Karl Timoleon von Neff (1804–1876/77), dem St. Petersburger Professor an der Kaiserlichen Akademie der Künste, gemalt. Fünf goldene Kuppeln mit bis zu 55 Metern Höhe machten das Gotteshaus zu einer markanten Erscheinung. Im Duktus des 19. Jahrhunderts wurde die Russisch-Orthodoxe Kirche der heiligen Elisabeth in Wiesbaden, wie sie korrekt heißt, auch als „Griechische Kapelle“ bezeichnet. Anlass für den Bau war der frühe Tod der Gemahlin des Herzogs Adolph von Nassau (1817–1905), der russischen Prinzessin Jelisaweta Michailowna (1826–1845). Die Gemeinde bestand vor allem aus Kurgästen. 1856 wurde der russisch-orthodoxe Friedhof geweiht, auf dem manche von ihnen bestattet wurden. Für die vielen Engländer als Badegäste in Wiesbaden fanden zunächst anglikanische Gottesdienste in den Hotels „Vier Jahreszeiten“ und „Rose“ statt. Seit 1830 bestand eine Gemeinde, die ab 1837 Gast in der evangelischen Mauritiuskirche war, wobei sie einen Teil ihrer Kollekte für die Bedürftigen der dortigen Gemeinde spendete. Je mehr englische Familien sich in der Stadt ansiedelten, umso wichtiger wurde eine eigene anglikanische Kirche. Aus finanziellen Gründen dauerte es jedoch, bis die Gemeinde einen eigenen Sakralbau erhielt. Am Rande des Kurviertels in der Kleinen Wilhelmstraße – und nicht, wie ursprünglich geplant, am Geißberg – entstand mithilfe der Curhaus-Stiftung von 1862 bis 1865 die Church of St. Augustine of Canterbury, auch Englische Kirche genannt. Errichtet wurde sie auf dem von Herzog Adolf von Nassau (1817–1905) gestifteten Gelände durch den herzog­lichen Oberbaurat Theodor Goetz (1806–1885) und von 1887 bis 1888 durch einen Turm­ anbau ergänzt. Zur Einweihung im Sommer 1865 kam der Erzbischof von Armagh, der Primas der Irischen Kirche. Der im neugotischen Stil („gothic revival“) errichtete Sakralbau war für die englischen Kurgäste im Stil ihrer Heimatkirchen geschaffen worden und bot 400 Menschen Platz. Während des Ersten Weltkrieges kam das Gemeindeleben zum Erliegen, im „Dritten Reich“ wurde die Kirche geschlossen, die SA demolierte die Inneneinrichtung und die Hitler-Jugend nutzte den Bau für Versammlungen, der im Februar 1945 bei einem Luftangriff zerstört wurde. 1950 konnte die Kirche in schlichter Form wiedereröffnet werden, da die Amerikaner sie für die Militärgottesdienste hatten wiederaufbauen lassen. Fünf Jahre später erhielt die Anglikanische Gemeinde das Gotteshaus zurück. 1966 brannte es durch einen Defekt in der Heizungslage aus und musste wiederum neu errichtet werden.32

in: Wiesbadener Leben. Die Monatszeitschrift unserer Stadt 8 (1994), S. 30–33; Enders, Kultbauten, bes. S.  203; Wolf, Kirchen in Wiesbaden, S.  40f.; Marina Werschewskaja,  Gräber erzählen Geschichte. Die russisch-orthodoxe Kirche der hl. Elisabeth und ihr Friedhof in Wiesbaden. Aus dem Russischen übersetzt von Maja Speranskij, Wiesbaden 2006. 32 Hilary Norman, The English Church in Wiesbaden: A History, Taunusstein 2003; Wolf, Kirchen in Wiesbaden, S. 36f.; Simon/Behrens, Badekur, S. 231; Enders, Kultbauten, S. 207.

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3.2 Bad Nauheim Bad Nauheim ist ebenfalls ein weltbekannter Kurort – die zweitgrößte Stadt im hessischen Wetteraukreis.33 Dort lebten jüdische Menschen bereits im Mittelalter. Der Aufstieg des Ortes zur Stadt und als international renommierter Kurort führte zu einer deutlichen Zunahme der jüdischen Bevölkerung. Um 1830 entstand eine eigene jüdische Gemeinde, zu der seit 1875 auch die in Steinfurth gehörenden jüdischen Einwohner zählten.34 In den Badeort kamen im 19. Jahrhundert im Sommer immer mehr Jüdinnen und Juden als Kurgäste, um 1880 waren es bereits 1.000, u. a. aus Rumänien, Russland und Ägypten; etliche waren streng orthodoxer Prägung. In diesem Zusammenhang siedelten sich auch jüdische Ärzte, Pflegekräfte und Beschäftigte im Bereich der Gastronomie an. Die während der Kur Verstorbenen wurden oft auf den jüdischen Friedhöfen von Bad Nauheim beigesetzt. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden verschiedene jüdische Kureinrichtungen und Kurheime, wie z. B. das Israelitische Männerheim, das Israelitische Frauenheim und die Israelitische Kinderheilstätte. In der Stadt gab es insgesamt 17 jüdische Hotels und Pensionen. Für die britischen und amerikanischen Kurgäste wurde 1898/99 die kleine an­ glikanische St. Johns Church errichtet. Bauherr war die British and European Lands and Buildings Company. Seit 1960 ist sie evangelische Gemeindekirche.35 1905 erhielt Bad Nauheim eine russisch-orthodoxe Kirche, allerdings nicht als Neubau, was eine Besonderheit darstellt. Die 1732/33 erbaute lutherische Kirche – die älteste der Stadt – wurde ab 1868 als katholische Pfarrkirche genutzt. 1905 wurde sie von der russisch-orthodoxen Gemeinde gemietet, 1907 von der orthodoxen Bruderschaft des hl. Fürsten Wladimir zusammen mit dem Pfarrhaus von der Stadt erworben und im Inneren entsprechend umgebaut. Geweiht wurde sie 1908 nunmehr zu Ehren des hl. Innokentij von Irkutsk (um 1680–1731) und des hl. Seraphim von Sarow (1759–1833) sowie mit einer wertvollen Innenausstattung versehen. Die 33

Fuhs, Mondäne Orte, S. 348f. Hanno Müller/Lothar Tetzner, Juden und jüdische Kurgäste in Bad Nauheim und Steinfurth, Lich 2020. Das gewichtige Nachschlagewerk hat das Ziel, aus der Sicht eines Familienforschers den Nachfahren der Bad Nauheimer und Steinfurther Jüdinnen und Juden Informationen zu ihren Vorfahren zu bieten. Es umfasst die von 1829 bis 1942 in Bad Nauheim ansässigen jüdischen Familien und ihre Beziehungen untereinander, jüdische Ärzte, Masseure, Schauspieler, Musiker und andere Personen, die sich in Bad Nauheim aufhielten. Angegeben werden die genealogischen Daten, die Adressen der Familien bzw. Personen aufgrund der Adressbücher, ihre Berufe, ihr Wohneigentum nach den Brandkatastern von 1868 und 1893 und von ihnen aufgegebene oder sie betreffende Verlobungs-, Heirats-, Geburts-, Todes- und Danksagungsanzeigen, die im Zeitraum von 1895 bis 1933 im „Wetterauer Anzeiger“ und in der „Bad Nauheimer Zeitung“ erschienen. Über 200 dieser Familieninserate sind abgedruckt. Erfreulicherweise umfasst der großformatige Band auch die genealogischen Daten zu über 350 jüdischen Kurgästen, die in Bad Nauheim während ihres Kuraufenthaltes verstarben. In der früheren Israelitischen Kinderheilanstalt, die später als Jüdische Bezirksschule und danach als jüdisches Altersheim genutzt wurde, und in den beiden israelitischen Heimen wurden nach dem Krieg jüdische Überlebende der Konzentrationslager („Displaced Persons“) untergebracht. 35 Bad Nauheim, Johanneskirche (Bad Nauheim, St John‘s Church; UMA8179), geo.hlipp.de/photo/18373 [Stand: 08.03.2021]; Enders, Kultbauten, S. 208. 34

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Ikonostase, die mit dem Heiligen direkt in Verbindung gebracht wurde, wurde aus dem 1927 aufgelösten Kloster Sarow bei Moskau dorthin gebracht. Das im Jugendstil angefertigte Altarfenster und der große Kronleuchter schenkte Zar Nikolaus II. 1910 der Gemeinde, da die Zarenfamilie während eines Kuraufenthaltes mehrfach die Kirche besuchte.36 Damit symbolisiert diese Kirche eine ganz besondere Form früher Ökumene. Wichtige Impulse für den Bau einer russisch-orthodoxen wie auch einer anglikanischen Kirche gingen von den Kuraufenthalten von Angehörigen der Zarenfamilie wie des britischen Königshauses aus.37

3.3 Bad Homburg Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in Bad Homburg eine Salzquelle entdeckt, die 1830 zur Einrichtung eines Heilbades führte.38 Auch hier wuchs im Laufe der Zeit die religiöse Vielfalt durch Kurgäste. Bereits im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit waren einzelne jüdische Familien nachweisbar. Gottesdienst wurde seit 1684 in einem Betsaal gefeiert. 1731/32 wurde die erste Synagoge errichtet, die sich mit der Zeit als zu klein erwies, sodass 1864 der Grundstein für einen Neubau gelegt wurde; 1866 konnte sie eingeweiht werden. 1938 wurde sie im Rahmen des Novemberpo­ groms zerstört.39 Nur knapp ein halbes Jahrhundert wurde von englischen Kurgästen die Christ Church in Bad Homburg genutzt. Nachdem ein neogotischer Entwurf von 1859 nicht angenommen worden war, konnte zwei Jahre später der Grundstein für diesen vom Stadtbaumeister Christian Holler (1819–1903) errichteten Kirchenbau gelegt und dieser 1868 eingeweiht werden. Das Grundstück war bereits von Landgräfin Elizabeth von Hessen-Homburg (1770–1840) zur Verfügung gestellt worden. Ab 1914 wurde das Gebäude nur noch für kulturelle Zwecke genutzt.40 Bad Homburg erhielt nach knapp drei Jahren Bauzeit im September 1899 die russisch-orthodoxe Allerheiligenkirche, die auf die Initiative des russischen Staatsrates Alexej J. Proworoff zurückging, der regelmäßig in Bad Ems zur Kur weilte. Er sorgte für die Finanzierung, die Stadt Bad Homburg stellte das Grundstück im südlichen Kurpark zur Verfügung. Die Planungen übernahm der Architekt Leonti Benois (1856–1928) aus St. Petersburg – ein Großvater des Schauspielers, Regisseurs und Schriftstellers Peter Ustinov (1921–2004), der bereits die russische Kapelle auf der Darmstädter Mathildenhöhe entworfen hatte. Den Bau im Stil der altrussischen 36

Geschichte | Russische Orthodox Gemeinde Bad Nauheim: russische-kirche.com [Stand: 08.03.2021]; Enders, Kultbauten, S. 205. 37 Ich danke Prof. Dr. Heide Wunder herzlich für diesen Hinweis (Email vom 18.03.2021). 38 Simon/Behrens, Badekur, S. 93–100. 39 http://www.alemannia-judaica.de/bad_homburg [Stand: 28.07.2021]; Heinz Grosche, Geschichte der Juden in Bad Homburg vor der Höhe 1866 bis 1945, Frankfurt a. M. 1991. 40 Enders, Kultbauten, S. 207.

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Kirchen des 16./17.  Jahrhunderts selbst beaufsichtigte der Baurat Louis Jacobi (1836–1910). Bei der Grundsteinlegung am 16. Oktober 1896 waren der Zar Nikolaus II. (1868–1918) und seine Frau Alexandra Fjodorowna, geb. Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt (1872–1918), anwesend, was zeigt, wie bedeutsam dieser Sakralbau in der Kurstadt eingeschätzt wurde.41 Eine Besonderheit unter den Kurstädten findet sich in Bad Homburg – ein thailändischer Pavillon, Sala, der von 1910 bis 1914 im Kurpark errichtet worden ist. Dabei handelt es sich zwar nicht um einen klassischen Sakralbau, sondern um einen geschützten Treffpunkt, der sich sonst innerhalb einer buddhistischen Tempelanlage befindet. König Chulalongkorn von Siam (1853–1910; Rama V.) war 1907 zur Kur in Bad Homburg und stiftete den Pavillon aus Dankbarkeit für seine Genesung. In Thailand gebaut, wurde das Gebäude in Einzelteilen per Schiff nach Deutschland transportiert und in einem längeren Prozess aufgebaut, wo es bis heute von vielen Thailändern und Deutschen besucht wird. Hundert Jahre später, 2007, schenkten König Bhumibol (1927–2016) und Königin Sirikit (geb. 1932) Bad Homburg sogar eine zweite Thai-Sala. Diese wurde nun an der Chulalongkorn-Quelle errichtet, so wie es Chulalongkorn für das von ihm gestiftete Bauwerk ursprünglich vorgesehen hatte. Damals hatte sich die Stadt jedoch für den zentraler liegenden Standort in einer der Lenné’schen Blickachsen entschieden, diesmal entsprach sie den Wünschen. Nun steht neben der 1907 entdeckten und von Chulalongkorn selbst eingeweihten Heilquelle die „Thai-Sala an der Quelle“. Beide golden leuchtenden und reich verzierten Pavillons dienen der Ruhe und Einkehr und werden als ein Zeichen der mehr als 100-jährigen engen Beziehungen zwischen Thailand und Bad Homburg geschätzt.42 Ein Tagebuchauszug von englischen Kurgästen, der Familie Thornton, zeigt die Bedeutung der Religion während des Kuraufenthaltes, religiöse Toleranz und eine Offenheit zumindest für den Besuch jüdischer Gottesdienste. Vom 16. August bis zum 23. September 1867 waren Henry Thornton (1837–1904?) und seine Ehefrau Edith mit der Tochter Con aus Canterbury (Ersahm House) zu Gast in Bad Homburg. Da eine solche Quelle sehr selten ist, soll sie hier zitiert werden: „Mittwoch, 4. September: Wieder ein herrlicher Morgen. Der Tag voll großer Hitze trotz der kühlen Brise von den Taunusbergen. Ich besuchte die jüdische Synagoge. Sie ist innen sehr schön bemalt. Ich mußte meinen Hut aufbehalten, weil die Juden bei ihren Gottesdiensten den Kopf bedeckt halten. […] Samstag, 14. September: Am Abend gingen Edith und ich zum Gottesdienst in die jüdische Synagoge.“ 43

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Ebd., S.  204f.; Hochtaunuskreis – Kreisausschuss (Hg.), Kirchenführer: Kirchen im Hochtaunus­ kreis, Bad Homburg 2006, S. 21f. 42 Thai-Sala im Park und Thai-Sala an der Quelle – Bad Homburg entdecken – Bad Homburg Tourismus: bad-homburg-tourismus.de [Stand: 08.03.2021]; Enders, Kultbauten, S. 208f. 43 Hier und im Folgenden: Sammlung Familie Leonhardt, Bad Homburg vor der Höhe. Für den Hinweis auf diese Quelle, die Übersendung des Textes und der deutschen Übersetzung danke ich Dr. Astrid Krüger, Stadtarchiv Bad Homburg, sehr herzlich.

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Interessant sind auch die Ausführungen zum anglikanischen Gottesdienst: „Sonntag, 18. August: An diesem Morgen waren wir alle schon um halb 7 aufgestanden und angezogen und gingen zu den Brunnen, um mit unserer Kur zu beginnen. Das Wasser, das mir verschrieben wurde, schmeckte gut. Die Kapelle beginnt um 7 Uhr und spielt bis halb 9. Massen von Menschen aller Nationen, aber ich glaube, mehr Engländer als alles andere. Eine Viertelstunde zwischen jedem Glas und dann ein rascher Spaziergang nach dem letzten Glas, und anschließend nach Hause zum Frühstück. Weder Tee noch Butter sind erlaubt, nur Kaffee und Brot. Nach 11 Uhr gingen Con und ich zu der neuen Englischen Kirche, welche sich in der Nähe unserer Wohnung befindet. Sie war überfüllt von Engländern und Amerikanern. Die Hitze war sehr groß. Diese Kirche ist außen häßlich, doch innen sehr schön und besitzt eine sehr gute Orgel. Ein großer Basar hat bis vor einer Woche um die Kirche herum stattgefunden, um die Kosten des Baues zu bezahlen. […] Sonntag, 25. August: Um 11 Uhr gingen wir alle zur Englischen Kirche. Sie war voll und die Hitze wirklich schrecklich. Viele mußten die Kirche verlassen. Der Pfarrer, nicht der reguläre, hielt eine recht gute Predigt, doch sie war so lang, daß viele früher gingen. Es ist ein ganz falscher Gedanke mancher Pfarrer, daß sie die Gemeinde durch eine lange Predigt erbauen wollen. Ich hörte noch nie so viel Murren und sah nie, daß so viele Leute die Kirche während der Predigt verließen. Bei diesem extrem warmen Wetter war es nicht das Richtige. Am Nachmittag ging ich allein zur Kirche; sie war nur halb voll und nicht annähernd so warm. Wir hörten eine exzellente Predigt vom örtlichen Pfarrer.“

3.4 Bad Ems Bad Ems gehört zu den traditionsreichsten Kur- und Badeorten, wenngleich es kein luxuriöses Modebad war. Schon für das Jahr 1692 waren jüdische Besucher nachweisbar. Bereits 1720 wurde angeregt, eines der beiden großen Badehäuser als „Judenbad“ anzubieten, weil man sich von jüdischen Gästen höhere Einnahmen erhoffte. Je bekannter der Ort wurde, umso mehr kurten dort auch Jüdinnen und Juden, prominente Gäste waren z. B. Ludwig Börne (1786–1837) und Jacques Offenbach (1819–1880). Es siedelten sich jüdische Ärzte und Sanatorien an, jüdische Gasthäuser entstanden und boten koschere Küche an. Die jüdische Einwohnerzahl und die jüdische Gemeinde wuchsen. Ende des 18. Jahrhunderts feierten sie noch in einem Privathaus Gottesdienst. 1837 erfolgte der Bau einer größeren Synagoge außerhalb des Dorfes in der heutigen Römerstraße. Um 1900 waren drei Prozent der Bevölkerung Jüdinnen und Juden.44 44

Hierzu und zum Folgenden: Ludwig Spengler, Der Kurgast in Ems, Wetzlar 1860, bes. S. 451–467; Ewald Wegner, Bad Ems, in: Rolf Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984, S. 313–336; Hermann Sommer, Stationen eines Kurbads im 19. Jahrhundert

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In Bad Ems befindet sich ebenfalls eine der ältesten russisch-orthodoxen Kirchen in deutschen Kurstädten. Die Anregung zu ihrem Bau ging von christlichen Bürgern aus, die 1857 ein entsprechendes Komitee gründeten, um die Attraktivität ihres Ortes für russische Kurgäste zu steigern. Möglicherweise ist dies der einzige Fall, bei dem aus der christlichen Bevölkerung die Initiative zum Bau einer russisch-orthodoxen Kirche ausging. Adelige aus Russland griffen dann die Idee auf. Die Zarin stiftete 2.000 Taler und schuf somit die finanzielle Basis für den Kirchenbau. 1873 wurde das Komitee wiederbegründet, das nunmehr fast ausschließlich aus Russen bestand. Sogar der Zar spendete aus seinem Privatvermögen letztlich sogar 10.000 Taler für den Kirchenbau. 1874 wurden der Bauplatz auf dem linken Lahnufer erworben und der Grundstein gelegt. 1876 wurde die Kirche fertiggestellt, die der hl. Märtyrerin Alexandra († 303), der Gemahlin des römischen Kaisers Diokletian (†  312), geweiht und der Zarin Alexandra Fjodorowna, geb. Prinzessin Charlotte von Preußen (1798–1860), der Gattin des Zaren Nikolaus I. (1796–1855), gewidmet ist. Architekt war Ferdinand Goldmann vom Bauamt Nassau; die Durchführung oblag dem Emser Bauunternehmer Carl Werner. Die Ikonen wurden auch hier von Karl Timoleon von Neff gemalt. Der bekannte russische Kriegsmaler Vasilij V. Wereschtschagin (1842–1904), Kurgast in Bad Ems, schenkte der Kirche das Gemälde von der Auferstehung Christi, das sich im Altarraum befindet. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges kam auch hier durch die ausbleibenden Kurgäste das religiöse Leben zum Erliegen. Ab 1922/23 wurden am Patronatsfest (23. April/6. Mai) und an hohen kirchlichen Feiertagen gelegentlich wieder Gottesdienste gefeiert. Aufgrund des langen Leerstandes mussten von 1928 bis 1930 umfangreiche Arbeiten zum Erhalt des Daches und des Mauerwerkes durchgeführt werden. Im Frühjahr 1930 konnte die Kirche wieder geweiht werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte im Oktober 1946 wieder ein Gottesdienst zelebriert werden. Es bildete sich erneut eine kleine Gemeinde, die durch Kurgäste unterschiedlicher Konfessionen ergänzt wurde. Neben dem Patronatsfest werden dort an jedem fünften Sonntag im Monat Liturgien gefeiert.45

3.5 Langenschwalbach – Bad Schwalbach Bad Schwalbach im Hintertaunus, bis 1927 Langenschwalbach, ist einer der ältesten Kurorte in Hessen, ca. 20 Kilometer von Wiesbaden entfernt. Bereits im 16. Jahrhundert wurden die dortigen Mineralquellen für Kuren genutzt und das Wasser

– Bad Ems, in: Matheus (Hg.), Badeorte, S. 100–105, Zitat auf S. 100; Ziegler, Deutsche Kurstädte, S. 265f. Vgl. zum jüdischen Leben: Hans-Jürgen Sarholz, Jüdisches Leben in Bad Ems, Bad Ems 2011; Adolf Bach, Beiträge zur Geschichte von Bad Ems, Bad Ems 1990, S. 35–42. 45 Georg Seide, Die russische orthodoxe Kirche der Hl. Alexandra in Bad Ems, München 1993; Ders., Bad Ems. Kirche der Hl. Alexandra, München 1993; Enders, Kultbauten, S. 203f.

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verkauft. Seit 1569 wurde das Dorf gezielt zum Kur- und Badeort ausgebaut.46 Im 19.  Jahrhundert wuchs die Resonanz des Ortes im Ausland deutlich. 1864 waren unter den 4.198 Kurgästen 1.802 Ausländerinnen und Ausländer, also 43 Prozent, davon 889 aus Russland, 534 aus England, 239 aus Frankreich und 140 aus Amerika. Acht Jahre später lag ihr Anteil sogar bei 45 Prozent (2.158 von 4.822), wobei nunmehr aus England 954, aus Russland 680, aus den Vereinigten Staaten 398 und aus Holland 126 Kurgäste kamen. Zwei US-Präsidenten, Franklin Pierce (1804–1869) 1858 und Theodor Roosevelt (1858–1919) 1902, aber auch 1864 das russische Zarenpaar kurten in Langenschwalbach.47 Die 1471 errichtete, ursprünglich der heiligen Anna gewidmete katholische, seit 1527 evangelische Martin-Luther-Kirche prägte das religiöse Leben des Ortes, bis ab 1652 der Katholizismus wieder stärker und 1658 die St.-Elisabeth-Kirche errichtet wurde; 1916 erfolgte die Weihe eines Neubaus. Daneben gab es am Ort die einzige reformierte Kirche in der Niedergrafschaft Katzenelnbogen, die von 1729 bis 1740 gebaut worden war; 1933 erhielt sie den Namen Reformationskirche.48 Schon seit dem späten 17. Jahrhundert und gerade seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts waren in Langenschwalbach neben Angehörigen des Hofes auch viele Jüdinnen und Juden als Kurgäste anzutreffen. Der Ort war als einer der wenigen schon früh für seine religiöse Toleranz bekannt, was u. a. an der Politik des Landgrafen Ernst I. von Hessen-Rheinfels (1632–1693) lag, der 1652 zum Katholizismus übergetreten war. Seit 1663 ist ein jüdisches Bethaus nachweisbar und 1715 entstand eine neue Synagoge – gegen den Willen des örtlichen evangelischen Geistlichen. Langenschwalbach galt bereits im frühen 18. Jahrhundert als ein Ort, an dem sich Jüdinnen und Juden aus Frankfurt am Main trafen. Eigene Bade- und Kureinrichtungen erhöhten für sie die Attraktivität des Ortes. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sogar gezielt in jüdischen Zeitungen für den Kuraufenthalt in Langenschwalbach geworben. Der Anteil der jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner lag 1858 bei 8,8 Prozent, 1885 bei 7,1 Prozent, 1910 bei 4,5 Prozent und 1933 bei 3,1 Prozent der Bevölkerung.49 Der englische Schriftsteller Francis Bond Head (1793–1875) schilderte in seinem 1833 publizierten, populären Buch „Bubbles from the Brunnen of Nassau“ das Badeleben in Langenschwalbach und lobte die Wirkung des dortigen Heilwassers; 1866 lag es bereits in der siebten Auflage vor.50 Dadurch nahm die Zahl der englischen 46

Ad[olph] Genth, Der Kurort Schwalbach. Eine historisch-topographische Skizze, Wiesbaden/ Schwalbach 1864; Simon/Behrens, Badekur, S.  209; Gerhard Elgo Lampel, Bad Schwalbach. 400 Jahre Heilbad 1581–1981, Bad Schwalbach 1981; Kulturvereinigung Bad Schwalbach e. V. (Hg.), Bad Schwalbach. 400 Jahre Heilbad, Eltville 1984; Bleymehl-Eiler, „Das Paradies der Kurgäste“. 47 Heinz Willi Echterhagen, Rückgang und Neugestaltung im 20. Jahrhundert, in: Bad Schwalbach, hg. von der Kulturvereinigung Bad Schwalbach e. V., Erfurt 2009, S. 49–59, bes. S. 49f. 48 Ad[olph] Genth, Kulturgeschichte der Stadt Schwalbach, Wiesbaden 1858, bes. 137–161; Genth, Kurort, S.  72; https://www.bad-schwalbach.de/freizeit-tourismus/sehenswertes/kirchen [Stand: 27.07.2021]. 49 Jütte, Juden als Kurgäste, bes. S. 80–87; Genth, Kulturgeschichte, bes. S. 159–161. Die Zahlen zum Bevölkerungsanteil entstammen dem Artikel über Bad Schwalbach in: alemannia-judaica.de [Stand: 16.03.2021]. 50 Hendrik Rust, Langenschwalbach in der schönen Literatur des 17. bis 20.  Jahrhunderts, in: Bad Schwalbach, hg. von der Kulturvereinigung Bad Schwalbach e. V., Erfurt 2009, S. 61–71, bes. S. 65–67.

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Kurgäste deutlich zu, und das Bedürfnis nach anglikanischen Gottesdiensten wuchs. 1867 stiftete die Amerikanerin Martha Lymann Henderson Geld für eine Kapelle zum Andenken an ihre dort verstorbene Tochter. Der Bau begann nach Plänen des Wiesbadener Architekten Adolf Lade (1826–1869) und wurde – nachdem die nötigen Finanzmittel gerade unter Kurgästen gesammelt worden waren – ab 1873 von Philipp Hoffmann fortgesetzt. Am 24. August 1875 konnte die Christus-Kirche eingeweiht werden. Durch den Ersten Weltkrieg sank – wie auch an anderen Kurorten – die Zahl der englischen Kurgäste dramatisch, das Gemeindeleben kam zum Erliegen. Britische Besatzungstruppen nutzten dann im Rahmen der Rheinlandbesetzung die Kirche. 1929 fand dort der letzte anglikanische Gottesdienst statt. Nach langem Leerstand und drohendem Verfall erwarb die Neuapostolische Kirche 1957 das Gebäude, restaurierte es und nutzt es seit dem 9. November 1958 für Gottesdienste. 1983/84 wurde der Bau grundlegend saniert und durch einen Anbau erweitert.51

3.6 Baden-Baden Einer der bekanntesten Kurorte ist Baden-Baden.52 Der Ort erhielt – wie andere Kurstädte auch – in den 1860er Jahren eine anglikanische Kirche. Von 1864 bis 1867 wurde die All Saints Church durch Lord Augustus Loftus (1817–1904) und Königin Victoria (1819–1901) erbaut und in Anwesenheit der Kaiserin Augusta (1811–1890) am 14. September 1867 geweiht. Als sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Gemeinde aufgelöst hatte, ging das Gebäude in städtischen Besitz über. Heute steht sie der anglikanischen Missionsgemeinde St. John’s Anglican Church zur Verfügung und heißt St. Johanniskirche.53 Besonders eng waren die Beziehungen zwischen Baden und Russland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, da die badische Prinzessin Luise Elisabeth Alexejewna (1779–1826) 1793 den russischen Thronfolger Alexander Pawlowitsch (1777–1825) geheiratet hatte, der von 1801 bis 1825 als Zar Alexander I. amtierte. Dieser setze sich dafür ein, dass das Großherzogtum Baden auf dem Wiener Kongress territorial un-

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Simon/Behrens, Badekur, S. 209; Flyer: Von der Anglikanischen bis zur Neuapostolischen Kirche, Schwalbach neuapostolische-kirche-2019-flyer-v1.0.pdf [Stand: 27.07.2021]; Tatjana Fröhlich, Von Brunnen, Bädern und einer Kirche, https://nac.today/de/a/851952, 27.08.2020 [Stand: 27.07.2021]; Wunsch nach „eigenem“ Kirchlein, in: Wiesbadener Kurier (28.11.2018); zu Adolph Lade freundliche Mitteilungen des Stadtarchivs Wiesbaden vom 28.07.2021 und des Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden vom 04.08.2021. 52 Heike Kronenwett, Baden-Baden – Vom römischen Kurort zur Sommerfrische Europas, in: Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte, S. 43–55; Michael Bollé/Thomas Föhl, Baden-Baden, in: Rolf Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984, S. 185–232; Simon/Behrens, Badekur, S. 25–38. 53 Enders, Kultbauten, S. 207.

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angetastet blieb. Baden-Baden wurde in der Folge zu einem bei vermögenden russischen Familien beliebten Kurort, den u. a. die Schriftsteller Leo Tolstoj (1828–1910), Iwan Turgenjew (1818–1883) und Fjodor Dostojewskij (1821–1881) aufsuchten. 1859 wurde in einem Privathaus in der Lichtenthaler Straße eine kleine Hauskirche eingerichtet, von 1866 bis 1882 bestand sie in der Schillerstraße 5. Jährlich wurden ca. 50 bis 60 Liturgien von Geistlichen aus Karlsruhe und Wiesbaden zelebriert. Initiatorin für den Bau einer russisch-orthodoxen Kirche in Baden-Baden war Maria Maximilianowna von Leuchtenberg (1841–1914), Nichte des Zaren Alexander II. (1818–1881), Gattin Wilhelms von Baden (1829–1897) und Mutter des letzten Reichskanzlers des Deutschen Kaiserreiches Max von Baden (1867–1929). Auf ihre Initiative stellte die Stadt im August 1880 ein Grundstück zur Verfügung. Den Entwurf fertigte der russische Architekt Iwan Strom (1825–1887) im einfachen nordrussischen Stil. Die Ausführung oblag dem Badener Architekten Bernhard Belzer (1830–1907). Am 12. August 1881 erfolgte die Grundsteinlegung, bereits am 28. Oktober 1882 wurde die Kirche eingeweiht, die dem Fest der „Verklärung des Herrn“ geweiht ist. In der Gruft unter dem Altarraum befinden sich die Sarkophage der Initiatorin und der Fürstin Yekaterina Grigoryevna Gagarina (1844–1920), die die Kirche lange gefördert hatte. Die aus weißem Marmor geschaffene Ikonostase stammte von dem italienischen Bildhauer Luigi Broggi (1851–1926) nach einem Entwurf des Fürsten Grigorij Gagarin (1810–1893), der die Ikonen und Fresken in der Kirche zusammen mit dem Kunstmaler Joseph Schwarzmann (1806–1890) gemalt hatte.54 Aufgrund der starken Zuwanderung und der Bedürfnisse der Kurgäste gründete sich 1890 eine jüdische Gemeinde in Baden-Baden. Sie nutzte zunächst einen Betsaal im Hotel Baldreit, der jedoch aufgrund des Zuzuges jüdischer Familien zu klein wurde. Am 16. August 1899 wurde die von dem Architekten Ludwig Levy (1854– 1907) in neoromanischem Stil erbaute Synagoge eingeweiht, die während des Novemberpogroms 1938 in Brand gesteckt wurde und später auf Kosten der Gemeinde abgebrochen werden musste.55

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Werner Günther, Aus der Geschichte der russisch-orthodoxen Gemeinde Baden-Baden. Zum 100jährigen Bestehen der Kirche „Verklärung des Herrn“ in Baden-Baden, Baden-Baden 1982; Zoltan Magyar, Die Russische Kirche in Baden-Baden, in: Badische Heimat 62 (1982), S. 415–428; Georg Seide, Baden-Baden. Russische Kirche, München 1995; Enders, Kultbauten, S. 204; freundliche Mitteilung von Martin Walter, Kreisarchiv Rastatt, vom 15.03.2021 zu Belzer. 55 Joachim Hahn/Jürgen Krüger, Synagogen in Baden-Württemberg, Bd. 2: Joachim Hahn: Orte und Einrichtungen, Stuttgart 2007, S. 42–45.

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4. Religions- und Konfessionskulturen in der Kurstadt als Forschungsfeld In vielen Kurstädten gab es schon früh Synagogen, weil es seit dem Mittelalter bzw. der Frühen Neuzeit eine kleine, wachsende jüdische Minderheit in diesen Orten gab. Mit der Ausweitung des Kurbetriebes wurden diese Bauten vergrößert, weil viele Jüdinnen und Juden als Kurgäste länger dort verweilten, entsprechendes Personal zuzog und ihnen ein religiöses Angebot wichtig war. Für die Attraktivität des Kurortes war ein adressatenentsprechendes religiöses Angebot wichtig – Religion wurde so zum Wirtschaftsfaktor, wie auch die religiöse Versorgung der russischen und englischen Kurgäste zeigt: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts reisten viele Kurgäste aus Osteuropa in die mitteleuropäischen und gerade die deutschen Kurstädte; zwischen 1860 und 1880 stiegen die Zahlen deutlich an.56 Zumeist waren es russische Adelige und reiche Bürgerfamilien, die mit bis zu 20 oder gar 30 Personen ankamen. Durch den Bau eines europäischen Eisenbahnnetzes nahm ihre Zahl deutlich zu. Sie konnten sich einen langen Kur-Aufenthalt finanziell leisten, erwarteten aber auch ein ihren Bedürfnissen entsprechendes Angebot, auch im religiösen Bereich. Die sich architektonisch von protestantischen oder katholischen Sakralbauten deutlich unterscheidenden orthodoxen Kirchen wurden oft im Ausland entworfen und von lokalen Architekten und Baufirmen realisiert. Vereinzelt wurden auch Architekten mit entsprechender ausländischer Erfahrung durch Studienreisen herangezogen, z. B. in Wiesbaden. Die meisten orthodoxen Kirchenbauten in Kurstädten entstanden in der Zeit des Historismus oder des Jugendstils. Teilweise wurden die Kirchen oder die angegliederten Friedhöfe als Grablege für während der Kur Verstorbene, z. T. russische Angehörige des Hochadels, genutzt. Orthodoxe Kirchen entstanden z. B. 1855 in Wiesbaden, 1876 in Bad Ems, 1882 in Baden-Baden, 1899 in Bad Homburg, 1901 in Bad Kissingen, 1905 in Bad Nauheim sowie zwischen 1885 und 1902 in Franzensbad, Karlsbad und Marienbad. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges mussten die russischen Staatsangehörigen das Deutsche Reich verlassen, um nicht interniert zu werden. Priester wurden ausgewiesen und die Kirchen geschlossen. Nach 1918 nutzten Revolutionsflüchtlinge aus Russland diese Kirchen und kompensierten ansatzweise die fehlenden russischen Kurgäste. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stieg durch die Anwerbung ausländischer Arbeiterinnen und Arbeiter aus Osteuropa der Besuch der orthodoxen Kirchen wieder an. Ab 1989 kamen verstärkt Russlanddeutsche aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik, wodurch die orthodoxen Gemeinden quantitativ deutlich wuchsen.

56

Die folgenden Ausführungen basieren auf: Enders, Kultbauten, bes. S. 201f. Auch in anderen Orten mit engen Beziehungen nach Russland entstanden im 19. Jahrhundert „russische Kirchen“, z. B. St. Nikolai in Stuttgart aufgrund der engen Verbindungen zwischen dem württembergischen und dem russischen Hof. Vgl. Denkmalstiftung Baden-Württemberg (Hg.) Denkmalstimme 1/2021, Stuttgart 2021, S. 1–4; Annette Schmidt, Ludwig Eisenlohr. Ein architektonischer Weg vom Historismus zur Moderne. Stuttgarter Architektur um 1900, Hohenheim 2006, S. 326–331; Jörg Kurz, Nordgeschichte(n). Vom Wohnen und Leben der Menschen im Stuttgarter Norden, Stuttgart 22005, S. 154–156.

Konfessionskulturen in der Kurstadt

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Nach Russland kam die zweite große Gruppe ausländischer Kurgäste aus Großbritannien.57 Auch hier gab es enge Verbindungen innerhalb des Hochadels ins Deutsche Reich. Anglikanische Kirchen waren im Stadtbild nicht so auffallend wie die orthodoxen Sakralbauten. Zumeist von englischen Architekten oder deutschen, die in England studiert hatten, entworfen, wurden Motive britischer Landkirchen aufgegriffen. Sie entstanden u. a. 1864 in Wiesbaden, 1867 in Baden-Baden, 1868 in Bad Homburg, 1875 in Langenschwalbach, 1899 in Bad Nauheim sowie in böhmischen Kurstädten. Dieses breite religiöse Angebot in Kurstädten ist Ausdruck des vielfältigen kulturellen und kirchlichen Lebens am Ort. Die Initiativen für den Bau russisch-orthodoxer und anglikanischer Kirchen in Kurstädten kamen nicht nur aus den jeweiligen Gemeinden, sondern z. T. auch aus der lokalen Bevölkerung. Auf jeden Fall unterstützte die deutsche Seite sie in der Regel mit der Bereitstellung von Grundstücken. Beim Bau wurde sehr darauf geachtet, dass die Ausführungen den konkreten Bedürfnissen und Erfahrungen der Kurenden entsprachen, sie sich also wohlfühlen konnten, um sie langfristig an die jeweilige Kurstadt zu binden. Interessanterweise scheinen sich diese Religionsgemeinschaften in ihrer Außenwirkung kaum auf den öffentlichen Raum in der Kurstadt ausgedehnt zu haben. Vielmehr hat sich die weitgehend temporale Gemeinde zumeist auf den eigenen sakralen Raum beschränkt. Dadurch wurden vermutlich potenzielle Konflikte minimiert. Natürlich bestanden die in der deutschen Gesellschaft vorhandenen konfessionellen Spannungen weiter, insbesondere die gerade im Kaiserreich tiefe Spaltung zwischen protestantischem und katholischem Milieu. Offenbar wirkten sich diese Differenzen in Kurstädten nicht so erkennbar aus, weil für den ökonomischen Erfolg des Tourismusortes eine Akzeptanz anderer Konfessionen und Religionen existenziell war.58 Kurgäste prägen Orte – und Orte prägen Kurgäste, auch in religiöser Hinsicht. Die hier benannten religiösen Gemeinden und Bauten wurden zwar speziell für Kurgäste errichtet, standen aber auch den im Kurbetrieb tätigen Menschen sowie allen Einwohnerinnen und Einwohnern offen. Die Zitate aus Bad Homburg über den Besuch von Gottesdiensten anderer Konfessionen bzw. Religionen deuten auf eine religiöse Offenheit zumindest unter den Kurgästen hin. Es wäre, vor allem in lokalen und regionalen Studien, genauer zu untersuchen, wie sich diese religiösen Angebote auf die konfessionelle Kultur eines Ortes ausgewirkt haben. Wurden sie als Bereicherung gesehen oder als Bedrohung? Wie wirkten sie sich auf die (religiöse) Toleranz der Bevölkerung aus?

57

Die folgenden Ausführungen basieren auf: Enders, Kultbauten, bes. S. 206f. Eine Wertmarke aus Bad Oeynhausen mit dem Text: „In Oeynhausen sind sie alle egal, ob Zentrum, sozial, deutschnational, hier tönt’s nicht: Sie Flegel, betrunkener Wicht! ‘nen jeden beschäftigt die eigene Gicht“ suggeriert, dass es in Kurorten eine größere politische Toleranz gab. Ob das zutraf und ob das auch für religiöse und konfessionelle Unterschiede galt, müsste genauer untersucht werden. Für den Hinweis danke ich Martin Wedeking, Münster. Zum Kontext vgl. Martin Wedeking, Bad Oeynhausen – Stadt der Rollstühle. Ein Gewerbezweig zwischen 1870 und 1945, in: Beiträge zur Heimatkunde Löhne und Bad Oeynhausen 22 (2013), S. 21–42.

58

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Deutlich geworden ist: Religion ist ein wichtiges Thema für das Forschungsfeld „Kurstädte“. Die Erfüllung religiöser Bedürfnisse spielte bei langen Kuraufenthalten schon im 19. Jahrhundert eine große Rolle. Zudem besteht auch heute eine enge Einbindung der Kurseelsorge in den Genesungsprozess der Kurgäste. Theologen arbeiten dabei eng mit dem medizinischen Personal zusammen. Diese Entwicklung gilt es auch (medizin-)historisch zu untersuchen. So könnte die interdisziplinäre Erforschung der Kurstädte neue Dimensionen in die Kirchen- und Lokalgeschichte implementieren.

DIE KURSTADT UND DIE LITERATUR Wynfrid Kriegleder

1. Eine literarische Annäherung an den Schauplatz Kurstadt Kurstadt und Literatur – zu diesem Thema liegen vonseiten der (germanistischen) Literaturwissenschaft zwar diverse kleinere Arbeiten vor, aber keine größeren Untersuchungen.1 Insbesondere die böhmischen Bäder haben es der Germanistik angetan, hat doch Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), die Leitfigur der „deutschen“ Literatur, viel Zeit in Karlsbad und Marienbad verbracht.2 Aber auch sonst wurde öfter gefragt, welche Autoren und Autorinnen welche Kurstädte besucht haben, was sie dort getrieben haben, ob und inwieweit der Kuraufenthalt ihre Texte geprägt habe. An diese Forschungen schließe ich in den folgenden Überlegungen freilich kaum an. Ich frage vielmehr, wie die fiktionale Literatur des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Roman, das Phänomen Kurstadt behandelt hat, und unterziehe zu diesem Zweck eine ausgewählte Anzahl europäischer Romane einer detaillierten Lektüre. Der Kanon ist beschränkt; einige weitere Texte, die ergiebig sein könnten, zähle ich in einem Anhang auf. Zunächst sind aber einige Vorüberlegungen nötig. Die Belletristik, die „schöne Literatur“, wie man früher sagte, reagiert bekanntlich auf die Welt, in der sie geschrieben wird. Die historisch bedingte jeweilige Wirklichkeit und die jeweilige Sicht auf diese Wirklichkeit, die Diskurse einer jeden Gegenwart, finden sich in den literarischen Texten wieder, und zwar sowohl in der fiktionalen Welt, die entworfen wird, als auch in den literarischen Strukturen, der Art und Weise, wie der literarische Text über diese fiktionale Welt spricht. Wenn daher Kurstädte in der Literatur auf1



2



Vgl. Sigrid Canz (Hg.), Große Welt reist ins Bad. 1800–1914. Baden bei Wien, Badgastein, Bad Ischl, Franzensbad, Marienbad, Teplitz. Ausstellung des Adalbert Stifter-Vereins in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Museum für angewandte Kunst, Wien/München/Passau 1980; Beate Borowka­-Clausberg, An den Quellen des Hochgefühls: Kurorte in der Weltliteratur, in: Volkmar Eid­loth (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 2012, S. 217–230. Vgl. Beate Borowka-Clausberg, Damals in Marienbad [...] Goethe, Kafka & Co. – die vornehme Welt kuriert sich, Berlin 2009; Roswitha Schieb, Literarischer Reiseführer Böhmisches Bäderdreieck: Karlsbad, Marienbad, Franzensbad, Potsdam 2016, S. 9–21; Uwe Henschel, Goethe und seine Zeitgenossen in Böhmen, in: brücken. Germanistisches Jahrbuch Tschechien Slowakei 24/1–2 (2016), S. 13–38.

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tauchen, dann spiegelt das einerseits eine auch außerhalb der Literatur existierende Wirklichkeit wider, andererseits reflektiert das Bild von der Kurstadt das zeitgenössische Wissen und die zeitgenössischen Vorstellungen darüber. Die moderne Kurstadt ist – wie so vieles – ein Phänomen des 18. Jahrhunderts, als sich die Vorstellung vom menschlichen Körper veränderte. Dem Wasser, das bisher humoralpathologisch „als eine der wichtigsten Ursachen für Krankheiten“ galt, weil es in den Körper eindringe und die Körpersäfte verderbe, wurde nun eine physische und auch psychische Reinigungskraft zugesprochen. Bade- und Trinkkuren wurden populär. Immer breitere gesellschaftliche Schichten, die über Freizeit und Kaufkraft verfügten, frequentierten die neu errichteten oder nun erst aus einem Dornröschenschlaf auferweckten Kurorte. Damit entstand eine Infrastruktur, die zunehmend weniger den medizinischen Notwendigkeiten als vielmehr dem Unterhaltungsbedürfnis der Kurgäste dienen sollte.3 Typisch für Kurstädte war, dass viele einander eigentlich fremde Menschen vorübergehend auf relativ engem Raum miteinander verkehren konnten oder mussten. Einige besonders populäre europäische Kurorte zeichneten sich überdies durch ein internationales Publikum aus. Für die fiktionale Literatur ergaben sich dadurch Chancen und Möglichkeiten. Der Schauplatz Kurstadt bot dem Roman des 19. Jahrhunderts, was dann im frühen 20.  Jahrhundert der Hotelroman fortführen würde, einen heterotopischen Raum, den man für ungewöhnliche Geschichten nutzen konnte. Kurorte sind Heterotopien, um mit Foucault zu sprechen: „[…] wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können“.4

Wenn daher im 19. oder frühen 20. Jahrhundert ein Roman, eine Erzählung oder ein Theaterstück den Schauplatz Kurstadt nutzte, konnten die Leser oder die Theaterbesucherinnen eine Imago abrufen. Kulturell kodiertes Wissen stand zur Verfügung – bestimmte Vorstellungen waren mit der Nennung eines Kurort-Städtenamens verbunden. Die Autoren mussten nicht erst mühsam das „Setting“ ihrer Geschichte aufbauen. Karlsbad oder Wiesbaden als Schauplatz etablierten von vornherein ein mentales Bild. Ich beschränke mich auf einige Hinweise. Kurorte sind eine große Bühne. Die Gäste „sind gleichzeitig Schauspieler und Publikum“,5 sie vertreten unterschiedliche soziale Stände, treten zwar gemeinsam auf, sind aber trotzdem dem Kastengeist unterworfen, was Anlass zur Sozialsatire gibt. Der bevorzugte Schauplatz für das Zusammentreffen der Menschen ist die 3



Vgl. Raingard Esser/Thomas Fuchs, Einleitung: Bäder und Kuren in der Aufklärung. – Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen, in: Dies. (Hg.), Bäder und Kuren in der Aufklärung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen, Berlin 2003, S. 9–14. 4 Michel Foucault, Andere Räume, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34–46. 5 Schieb, Literarischer Reiseführer, S. 9.

Die Kurstadt und die Literatur

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Kurpromenade, wo sich ‚wirklich Kranke‘ und ‚Möchtegern-Kranke‘ begegnen und ihre Rollen spielen. György Sebestyén hat treffend formuliert: „der Erkrankte simuliert den Gesunden“.6 Der vorübergehende Aufenthalt im Kurort ist eine Metapher für das menschliche Leben: Man kommt als Neuling an und lernt allmählich die Bewohner kennen. Manche, die man kennengelernt hat, reisen am Ende ihres Kuraufenthalts wieder ab. Man bleibt zurück und findet sich zuletzt in der Rolle des alteingesessenen Einheimischen, ehe man selbst abreisen muss. Der Kuraufenthalt erlaubt die Bekanntschaft mit Menschen, die man im Alltag nicht treffen würde, zu denen man sich aber hingezogen fühlt, geistig oder auch erotisch. Der Kuraufenthalt ist daher oft auch eine „Aus-Zeit“, eine Abwechslung vom Alltag, eine kurze Epoche der Verheißungen, manchmal auch der rauschhaften Liebesaffären. Nur in Parenthese sei angemerkt, dass viele dieser Charakteristika auch auf den Sanatoriumsroman zutreffen, dem Thomas Mann 1924 mit seinem „Zauberberg“ unnachahmliche Gestalt gegeben hat. Ein Unterschied ist freilich evident: Im Sanatoriumsroman sind die Figuren tatsächlich Patienten; es gibt kaum Abreisen, sondern das Ende des Aufenthalts wird durch den Tod erzwungen. Im Kurstadtroman sind die meisten Protagonisten hingegen nicht wirklich – oder zumindest nicht ernsthaft – krank. Eine angebliche Krankheit ist der Vorwand für einen touristischen Aufenthalt. Im Kurstadtroman geht es daher auch kaum je um medizinische Probleme, umso mehr aber um Freizeitaktivitäten und erotische Komplikationen.

2. Das Imago der Kurstadt Eine methodisch stringente Analyse der unterschiedlichen Kurstadt-Imagines in ausgewählten Romanen des 19. Jahrhunderts müsste sich an den Überlegungen zu literarischen Städtebildern orientieren, die Franco Moretti, Andreas Mahler, Kathrin Dennerlein und viele andere vorgelegt haben.7 Ich vermerke dankbar die Anregungen dieser Arbeiten, werde aber im Folgenden, scheinbar weniger theoretisch fundiert, in einem Akt des close reading einige Kurstadtromane vorstellen. Meine Impressionen beruhen daher auf meinen eigenen ausgewählten Lektüre-Erfahrungen. Es spricht vieles dafür, dass die Kurstadt als literarisches Thema und als Schauplatz fiktionaler Handlungen ihre große Zeit in der zweiten Hälfte des ‚langen 19. Jahrhunderts‘ hatte – also von den 1830er Jahren bis 1914. In dieser Zeit scheint sich im atlantischen Raum, in Europa und den beiden Amerikas, ein Kurstadt-Image 6

György Sebestyén, Die Kurpromenade oder die Erfindung der Kunstnatur, in: Canz (Hg.), Große Welt reist ins Bad, S. 36–42. 7 Franco Moretti, Atlas of the European Novel, 1800–1900, London u. a. 1998; Andreas Mahler, Stadttexte – Textstädte. Formen und Funktionen diskursiver Stadtkonstitution, in: Andreas Mahler (Hg.), Stadt-Bilder. Allegorie, Mimesis, Imagination, Heidelberg 1999, S. 11–36; Katrin Dennerlein, Narratologie des Raumes, Berlin/New York 2009.

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etabliert zu haben, auf das sich Romane, Dramen und Gedichte ganz selbstverständlich berufen konnten, ohne ihren Lesern oder Zuschauern ausführlich erklären zu müssen, was es mit einer Kurstadt eigentlich auf sich habe. Das Konzept „Kurstadt“ war im kollektiven Bewusstsein der potenziellen Leserinnen und Leser bereits fest verankert. Das trifft auch auf den frühesten Roman zu, den ich hier behandeln will: ein (zu Recht) vergessenes Buch des seinerzeitigen deutschen Bestseller-Autors Carl Spindler (1796–1855). Sein „Der Teufel im Bade. Aufzeichnungen eines Kurgastes in Homburg“ dürfte 1852 erstmals veröffentlicht worden sein. Es ist erstaunlich, dass hier schon fast alle Topoi versammelt sind, die wir in den späteren Romanen ebenfalls finden werden. Spindlers Roman ist eine Kombination aus (oft satirischer) Schauerliteratur im Sinn von E. T. A. Hoffmann und Sozialsatire (unter teuflischer Mitwirkung) in Imi­ tation des berühmten „Le Diable boiteux“ von Alain-René Lesage (1701), ergänzt um biedermeierliche Sentimentalität und eine entsprechende Morallehre. Es handelt sich um das fiktionale Tagebuch des jungen Schriftstellers Karl Geismar, der im Juni 1851 etwa zehn Tage in Bad Homburg zubringt und sich dort mit einem vornehmen türkischen Kurgast namens Abd-el-Scheïtan anfreundet, in dem er den Teufel erkennen muss – allerdings einen wohlmeinenden Teufel, der im göttlichen Auftrag unterwegs ist, um diverse Dinge ins Lot zu bringen. Dank der übernatürlichen Kräfte des Teufels kann der Erzähler immer wieder die Gedanken anderer Figuren lesen und diese beobachten, während sie sich scheinbar unbeobachtet in ihren Privaträumen aufhalten. Am Ende gibt es ein Happy End mit Mehrfachhochzeiten, und diverse Liebesverwirrungen werden aufgelöst. Der Roman singt explizit das Loblied von anständigen Frauen, die in ihren Rollen als Ehefrauen und Mütter die Welt erlösen. Mir geht es aber nicht um die Ideologie des Romans, sondern um die Imago der Kurstadt, die er entwirft. Und diese Imago ist paradigmatisch für die Epoche. Vom medizinischen Mehrwert des Kuraufenthalts ist der Roman nicht sonderlich überzeugt. Die wenigen auftretenden Ärzte sind sich hinsichtlich der notwendigen Behandlungsmethoden uneinig. Der Kurort ist in erster Linie eine Heterotopie. „Vetter, nehm‘ Er sich zu Homburg in Acht! Der Teufel sitzt im Bade.“, sagt der Onkel des Erzählers, bevor dieser abreist, und hält ihm mehrfach „Badepredigten [...] vom grünen Tisch, von Kartenspiel und Würfellust, von gefährlichen Sirenen, von Fraß und Völlerei und Schuldenmachen [...]“.8 Charakteristisch für Bad Homburg ist in erster Linie das mondäne und internationale Publikum. Schon vor seiner Abreise dorthin notiert der Erzähler: „Wie ich oft gehört, so sprechen dort Grafen und Fürsten ein, englische, schwedische und preußische Große [...] vielleicht gar eine russische Durchlaucht, die ihr eigenes Hoftheaterchen hat […].“9 Diese Erwartung bestätigt sich dann auch. Das mondäne Publikum ist freilich nicht immer moralisch einwandfrei; erotische Ungehörigkeiten sind an der Tagesordnung. Eine russische Aristokratin verursacht einen Skandal, als 8

Carl Spindler, Der Teufel im Bade. Aufzeichnungen eines Kurgastes in Homburg. [1852] [C. Spindlers sämmtliche Werke, NF Bd. 27], Stuttgart 1853, S. 33. 9 Ebd., S. 21.

Die Kurstadt und die Literatur

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ihre drei Liebhaber, „ein Franzose, ein Italiener und ein Polack, sich im Haus der Geliebten nebenbuhlerisch herausforderten, und endlich sich durchprügelten wie das gemeinste Pack.“10 Am Kurort etabliert sich eine klare Routine: Am Morgen geht man zum Brunnen, um das Heilwasser zu trinken und andere Kurgäste kennenzulernen. Tagsüber schweift man durch die angrenzende Naturlandschaft, wo es auch manchmal zu ungewöhnlichen Begegnungen und Ereignissen kommen kann. Und den Abend verbringt man im Kursalon. Die wichtigste Attraktion des Kursalons ist das Glücksspiel, dem so mancher Kurgast verfällt. In Spindlers Roman zeigt der Freund des Erzählers, Karl Schmette, Symptome der Spielsucht, die Dostojewskis späteren Roman „Der Spieler“ vorwegnehmen, obwohl Spindler das Motiv dann im Sand verlaufen lässt. Diese Trias – zweifelhafter medizinischer Wert, mondänes und gleichzeitig fragwürdiges Publikum, Glücksspiel – bestimmt die Kurstadt-Imago in den weiteren Romanen. Sie muss daher gar nicht immer explizit abgerufen werden; sie ist im Schauplatz impliziert. Ein schönes Beispiel dafür findet sich in einem der berühmtesten Romane der englischen Literatur, George Eliots „Middlemarch“ von 1871/72. Dieser Roman erzählt – unter anderem – vom Scheitern zweier Protagonisten, die in der mittelenglischen Kleinstadt Middlemarch ihre jugendlichen Illusionen und ihre Träume, die Welt zu verbessern, angesichts der schnöden Alltagsrealität begraben müssen. Einer der Protagonisten ist der idealistische Arzt Tertius Lydgate, der in der englischen Provinz neue medizinische Erkenntnisse durchsetzen und selbst wissenschaftliche Entdeckungen machen will. Er beabsichtigt, sich um die Leute aus der „lower class“ zu kümmern, und strebt weder Reichtum noch ein berufliches Renommee an. Schon ziemlich früh im Roman wird Lydgate mit einem abschreckenden Fall konfrontiert. Ein Freund erzählt ihm von einem gemeinsamen Bekannten, dem jungen Arzt Trawley, der in Paris studiert hat und gestützt auf sozialreformerische Ideen sogar eine utopistische Gemeinschaft gründen wollte – der Roman spielt um 1830. Lydgate fragt, was aus Trawley geworden sei. „He is practising at a German bath, and has married a rich patient”,11 antwortet sein Freund. Trawley ist also Modearzt in einer deutschen Kurstadt geworden und hat seine Position dafür verwendet, eine reiche Patientin zu heiraten – viel tiefer kann man nicht sinken, suggeriert der Roman an dieser Stelle. Wir haben es freilich mit einer narratorialen Vorausdeutung zu tun, denn Lydgate wird sich bald ähnlich verhalten. In Middlemarch heiratet er die verwöhnte junge Rosamond Vincy, die ihren Ehemann drängt, bei der erstmöglichen Gelegenheit die Provinz zu verlassen und sich und sie in die große Welt – in diesem Fall London – zu transferieren. Lydgate verlässt am Ende des Romans – ungern – die Provinz. In London arbeitet er als Arzt für die Reichen und Schönen, die ihn eigentlich gar nicht brauchen. Im „Finale“ informiert uns die Erzählerstimme lakonisch:

10 11

Ebd., S. 141. George Eliot, Middlemarch. A Study of Provincial Life, hg. v. Gregory Maertz, Toronto 2004, S. 161.

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“He died when he was only fifty, leaving his wife and children provided for by a heavy insurance on his life. He had gained an excellent practice, alternating, according to the season, between London and a Continental bathing-place; having written a treatise on Gout, a disease which has a good deal of wealth on its side. His skill was relied on by many paying patients, but he always regarded himself as a failure: he had not done what he once meant to do.”12

Lydgate hat also in den Sommermonaten gutes Geld als Arzt in einem (vermutlich deutschen) Kurort verdient und damit seine wissenschaftlichen Ambitionen begraben. Seine Abhandlung über „Gout“, also die Gicht, hat keinen wissenschaftlichen Wert, sondern gilt einer Krankheit, die vor allem reiche Patienten befällt. Lydgates Praxis in der Kurstadt, das deutet der Roman an, ohne ins Detail gehen zu müssen, ist ein ökonomischer Aufstieg und ein menschlicher Abstieg. Begabte Ärzte wie Lydgate haben besseres zu tun, als in einem Kurort Sommerfrischler zu betreuen. In keinem der von mir analysierten Romane ist die Kurstadt ein Ort, an dem die Protagonisten ihr Glück finden. Man ist fast versucht, zu konstatieren: Die Kurstadt ist eigentlich ein „locus horribilis“, es wäre besser, die Protagonisten wären nie dorthin gefahren. Freilich wird die Kurstadt nie als schrecklicher, sondern immer als attraktiver oder zumindest interessanter Ort geschildert. Und unter erzähltechnischen Aspekten ist schon klar, dass Umschwünge im privaten Schicksal der Personen, unerwartete Zusammentreffen und Konfrontationen mit dem Nicht-Alltäglichen viel eher in einer Kurstadt plausibel sind als im Alltagstrott des gewöhnlichen Lebens. Von den vielen Romanen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kurstädte als selbstverständlichen Nebenschauplatz wählen und damit einen guten Einblick in das zeitgenössische Image dieser Städte geben, seien Tolstois „Anna Karenina“ und Fontanes „Effi Briest“ genannt. Lew Tolstois „Anna Karenina“ aus dem Jahr 1875 (bzw. in Buchform 1878) zeigt, wie sehr der Sommeraufenthalt in einer deutschen Kurstadt für die russische Oberschicht in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts selbstverständlich war. Alexej Alexandrowitsch Karenin, der Ehemann der Protagonistin, ein hoher Beamter, fährt jedes Jahr „mit Beginn der Saison zur Badekur ins Ausland, um seine Jahr für Jahr durch die angestrengte Winterarbeit zerrüttete Gesundheit wiederherzustellen“,13 und kehrt gewöhnlich im Juli zurück nach Petersburg. Als eine weitere Figur, die junge Kitty Schtscherbazkaja, psychisch erkrankt, weil die erhoffte Verlobung mit dem Grafen Wronski nicht zustande kommt, sprechen sich ihre Mutter und der Hausarzt, der ihre Krankheit vor allem mit Lebertran behandelt, für eine Auslandsreise zu einem Kurort aus. Ein berühmter Moskauer Modearzt, der beigezogen wird, widerspricht: „Ich bin ein Gegner der Auslandsreisen“. Da es aber der Wunsch der Mutter sei, „sollen sie reisen. Bloß werden dann die deutschen Scharlatane Schaden anrichten. Auf uns müssen sie hören [...]“.14 Beim Moskauer Arzt steht hier wohl nicht nur die Skepsis gegenüber der geringen medizinischen Wirkung von 12

Ebd., S. 637. Lew Tolstoi, Anna Karenina. Roman in acht Teilen, übersetzt und kommentiert von Rosemarie Tietze, München 2009, S. 305. 14 Ebd., S. 183. 13

Die Kurstadt und die Literatur

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Kuraufenthalten Pate, sondern auch professionelles Konkurrenzdenken. Denn sein eigener Therapievorschlag – „die Ernährung unterstützen, die Nerven in Ordnung bringen“ wirkt auch nicht sonderlich originell. In Bad Soden erholt sich Kitty jedenfalls sehr gut, freilich weniger infolge der Trinkkuren, sondern eher einiger Menschen wegen, die sie dort kennenlernt. Der soziale Effekt des Kuraufenthalts ist also auch in diesem Roman wichtiger als das Heilwasser. Freilich treten in Tolstois Roman nicht nur Badetouristen auf, sondern auch wirklich kranke Menschen wie der russische Maler Petrow oder der alkoholkranke Nicolai Lewin, dessen späterer Tod im Roman eine wichtige Rolle spielt. Kittys Vater, der lebensfrohe Fürst Schtscherbazki, ist gleich am Beginn des Badeaufenthalts nach Karlsbad, Baden-Baden und Kissingen weitergereist, um dort russische Bekannte zu treffen. Als er nach Bad Soden zurückkommt, ist er über die vielen Kranken, diese „von allen Ecken und Enden Europas angereisten, verzagt dahinschleichenden Leichname“15 irritiert und schämt sich ein bisschen wegen seiner eigenen Gesundheit. Aber international und mondän ist auch dieser kleine Kurort: Eine „echte deutsche Fürstin“ weilt in dem Ort, außerdem macht Kitty „die Bekanntschaft mit der Familie einer englischen Lady, mit einer deutschen Gräfin, mit ihrem im letzten Krieg verwundeten Sohn, mit einem schwedischen Gelehrten [...] und mit einem Moskauer Obersten“ sowie der russischen „Madame Stahl“, die „zur Creme der Gesellschaft“ gehörte.16 Tolstois „Anna Karenina“ schildert die Kurstadt jedenfalls als einen Ort, der von tatsächlich kranken Menschen aufgesucht wird, der aber auch als Erholungsort für Leute dient, die genauso gut an die Riviera fahren oder sich ein beliebiges anderes Reiseziel suchen könnten – also Sommerfrischler, wie man damals sagte. Auch in Fontanes „Effi Briest“, einem 1894 bis 1896 zuerst in Fortsetzungen, dann in Buchform erschienenen Roman, ist die Kurstadt eher ein Erholungsort. Effi, die blutjunge Ehefrau des bei der Hochzeit doppelt so alten preußischen Geheimrats Geert von Instetten – aber das hat nicht viel zu besagen: Effi ist 17 Jahre alt, Instetten 38, also nach heutigen Begriffen auch noch relativ jung –, Effi lebt zunächst mit ihrem Ehemann in der fiktiven Ostseestadt Kessin, langweilt sich, fühlt sich zurecht von ihrem Ehemann vernachlässigt und hat eine kurze Affäre mit dem mehr als 40 Jahre alten Major von Crampas. Dieser Affäre liegt von Effis Seite weder Leidenschaft noch große Verliebtheit zugrunde; sie ist eher ein halbherziger Versuch, der tristen Lage zu entkommen. Effi ist daher heilfroh, als ihr Mann nach Berlin versetzt wird, schämt sich im Inneren für den Ehebruch und hofft, dass die Sache nie ans Licht kommen wird. Wie alle Leser und Leserinnen des Romans wissen, kommt die Affäre sieben Jahre später durch einen dummen Zufall trotzdem ans Licht, und Effis Ehemann ist der Meinung, sich der gesellschaftlichen Konvention wegen mit Crampas duellieren und seine Ehefrau verstoßen zu müssen. Die daraus folgende Tragödie – Crampas wird beim Duell getötet, und die verstoßene, von ihrer Tochter getrennte Effi stirbt 29-jährig – wirft ein bezeichnendes Licht auf die oberflächliche, militaristische und lieblose preußische Oberschicht in den 1880er Jahren. 15 16

Ebd., S. 346. Ebd., S. 325f.

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Bevor es zur Tragödie kommt, fungiert die Kurstadt Bad Ems kurzfristig als Schauplatz. Effi, die seit sieben Jahren mit ihrem Ehemann in Berlin lebt und schon vor ihrer Affäre mit Crampas eine Tochter geboren hat, wird nicht mehr schwanger. Heute würden wir dafür wohl psychosomatische Gründe vermuten: Effi lebt trotz ihrer nach außen glücklichen Ehe in der steten Angst, ihr früherer Fehltritt würde irgendwann einmal entdeckt. Der sie betreuende alte Arzt Doktor Rummschüttel, der davon natürlich nichts weiß, verordnet als Heilmittel einen Kuraufenthalt in den rheinischen Bädern: „Also zuerst Schwalbach, meine Gnädigste, sagen wir drei Wochen und dann ebensolange Ems. Bei der Emser Kur kann aber der Geheimrat zugegen sein.“17 Rummschüttel, der nie an eine tatsächliche Erkrankung seiner Patientin geglaubt hat, verordnet ihr also, banal gesagt, drei Wochen Urlaub von ihrem Ehemann und dann nachgeholte Flitterwochen, die einer erhofften künftigen Schwangerschaft dienlich sein könnten. Leider kommt es anders, denn gerade in Effis Abwesenheit entdeckt ihr Ehemann die alten Liebesbriefe Crampas’, die Effi unvorsichtigerweise nicht vernichtet hat. Während Effis Kuraufenthalt in Ems ist von irgendwelchen medizinischen Behandlungen nie die Rede – so wie in den meisten Romanen der Zeit. Die Kuraufenthalte dienen zwar angeblich der Wiederherstellung der Gesundheit, tatsächlich aber dem Tapetenwechsel, dem, was wir heute als Urlaubsbedürfnis bezeichnen würden. Von Effis Ems-Aufenthalt erfahren wir daher auch nur, dass sie dort eine unbeschwerte Zeit verbringt, „unter Menschen, das heißt unter Männern“,18 und sich mit der in ihren Ansichten ziemlich frivolen Geheimrätin Zwicker anfreundet. Diese Geheimrätin ist eine Karikatur der typischen Kurstadt-Gäste. Woran sie eigentlich leidet – ob sie überhaupt ein Leiden hat – bleibt unklar; interessiert ist sie vor allem am Klatsch und Tratsch, höflicher gesagt: an der sozialen Komponente eines Kuraufenthalts. Als Effi abreist, spricht das „Hausmädchen“ der von Effi bewohnten kleinen Villa den eigentlichen Zweck eines Kuraufenthalts unverblümt an, wenn sie die Hoffnung äußert, Effi werde „im nächsten Sommer wiederkommen.“ Denn „wer mal in Ems gewesen, der komme immer wieder. Ems sei das schönste, außer Bonn.“19 Man komme also immer wieder – auf Urlaub. Dass Menschen, die nach Ems kommen, Heilung erhoffen und daher nicht wiederkommen wollen, liegt außerhalb der Vorstellung der Kurstadt-Betreiber. Dass der medizinische Wert eines Kuraufenthalts dubios sei, spricht der skeptische alte Doktor Rummschüttel drei Jahre später offen aus, als er die inzwischen von ihrem Ehemann verstoßene, einsame und kränkliche Effi in Berlin betreut. Er empfiehlt ihr einen Kuraufenthalt in Ems, den Effi aufgrund ihrer Situation natürlich ablehnt – während sie in Ems war, ist ja ihre Welt zusammengebrochen. Rummschüttel bemerkt lakonisch: „Aber da Sie’s nicht mögen (und ich finde mich darin zurecht), so trinken

17

Theodor Fontane, Effi Briest, in: Theodor Fontane. Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes. Vierter Band, hg. v. Walter Keitel/Helmuth Nürnberger, Darmstadt 2002, S. 223. 18 Ebd., S. 225. 19 Ebd., S. 257.

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Sie den Brunnen hier. In drei Minuten sind Sie im Prinz Albrechtschen Garten, und wenn auch die Musik und die Toiletten und all die Zerstreuungen einer regelrechten Brunnenpromenade fehlen, der Brunnen selbst ist doch die Hauptsache.“20 Das ganze Drumherum, der Kurbetrieb inklusive der feinen Kleidung (Toiletten) der Kurgäste ist also für den alten Doktor medizinisch irrelevant. Der Verfasser des Romans, Theodor Fontane, dürfte das ähnlich gesehen haben. 1891 schrieb er ein satirisches Gedicht mit dem Titel „Brunnenpromenade“, das auf seinen Aufenthalt in Bad Kissingen zurückgeht. Wir haben es hier wohl nicht mit einer poetischen Meisterleistung zu tun, aber erneut wird klar, dass der medizinische Aspekt der Kur keine Rolle spielt, umso mehr aber der vom Sprecher als „Mummenschanz“ bezeichnete Betrieb, vermutlich eine Anspielung auf Goethes „Faust II“: Als ich ankam, Johannistag war grade, Gleich ging ich auf die Brunnenpromenade. Kaum wollt‘ ich meinen Augen traun, So viel des Herrlichen war da zu schaun, Eine lange Reihe der schönsten Damen, Wer zählt die Völker, wer nennt die Namen! Eine ganz Teint und Taille war, Aschblond das schlicht gescheitelte Haar, Blendende Zähne, feines Kinn, Typus einer Engländerin, Aber solcher, die palankin-überdacht Weit draußen ihre Tage verbracht, In Hongkong oder Singapor (Ihr Diener Malaie halb, halb Mohr), Und neben ihr plaudert ein junger Lord Von Lachsfang im Stavanger-Fjord, Alles albionmäßig abgestempelt, Die Beinkleider unten umgekrempelt. Es plätschert der Springbrunn, es duften die Blumen, Fremd blicken die Bonnen und Kindermuhmen, Noch fremder die Ammen; die Badekapelle Spielt eben eine Wagnerstelle, Lohengrin-Arie, jetzt laut, jetzt leis, Die Damen schließen einen Kreis, Und in den Kreis, auf den Schlag des Gong, Tritt jetzt die Schönheit der Saison. Ihr Aug‘ ist wie getaucht in Glut, Rot ist ihr Kleid und rot ihr Hut, Ein Hut, wie die Kirchenfürsten ihn tragen, Breitkrempig, ein Schleier umgeschlagen, 20

Ebd., S. 260.

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Der Schleier auch rot – am Arme Korall’n, Rot alles, worauf die Blicke fall’n, Eine Römerin (flüstert man) soll es sein, Andre sagen: aus Frankfurt am Main. Und herwärts wogt es und wieder zurück, Auf Wagner folgt ein ungrisch Stück, Ein Tschardas, und auf dem bewässerten Rasen Blitzt es wie von Goldtopasen; Überirdisch, ein paradiesisch Revier, Und die Frage kommt mir: »Was willst du hier?« Eine Freiin grüßt mich ... doch, wer sie nicht kennte, Die Macht der höheren Elemente!



Nun ist die erste Woche dahin, Verändert schon fühl’ ich Herz und Sinn, Und eh’ eine zweite Woche vergangen, Ist es nahzu vorbei mit meinem Bangen; Mummenschanz alles und Fastnachtsorden, Selbst der rote Hut ist mir komisch geworden, Ob aus Rom oder Frankfurt – ich seh’ in Ruh’ Jetzt lieber dem Paukenschläger zu, Der kränklich und mürrisch und doch begeistert Auch Becken noch und Triangel meistert; Zu Schemen ist plötzlich alles verschwommen, Ich bin wieder zu mir selbst gekommen, Und während mir Scheuheit und Demut entschlummern, Zähl’ ich mich zu den »besseren Nummern«.21

Mit der Engländerin, die aus den britischen Kolonien ins Kurbad gekommen ist, nimmt Fontane einen berühmten englischen Roman vorweg: Ford Madox Fords 1915 erschienenen „The Good Soldier“, der seinen Titel dem Verleger „verdankt“. Der Autor wollte den Roman nämlich „The Saddest Story“ nennen und war über die Titeländerung durch den Verleger sehr irritiert. Die Übersetzung ins Deutsche erschien dann unter dem Titel „Die allertraurigste Geschichte“. Fords kurzer, aber erzähltechnisch sehr komplexer Roman handelt von zwei wohlhabenden Ehepaaren, die sich zwischen 1904 und 1913 alljährlich von Juli bis September in dem hessischen Kurbad Nauheim treffen: die Amerikaner John Dowell und seine Ehefrau Florence, geborene Hurlbird, und die Engländer Edward Ashburnham und dessen Ehefrau Leonora, geborene Powys. Florence und Edward beginnen eine Affäre, die bis 1913 dauert und mit Florences Selbstmord endet. Weitere traurige Ereignisse folgen im zweiten Teil des Romans. 21

Theodor Fontane, Brunnenpromenade, in: Theodor Fontane. Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes. Sechster Band, hg. v. Helmuth Nürnberger, Darmstadt 2002, S. 377f.

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Bad Nauheim fungiert im ersten Teil des Romans als Schauplatz und dient als Vorwand, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen. Florence und Edward sind angeblich herzkrank; im Original heißt es zweideutig, Florence und Edward „had a heart“, was sich natürlich auch auf ihre Leidenschaft bezieht. Denn an einer tatsächlichen Krankheit leiden sie wohl nicht. (Was in diesem Roman Faktum und was Vermutung ist, ist besonders schwer zu klären, weil die Geschichte von John Dowell, dem betrogenen Ehemann erzählt wird, der sich als überaus unzuverlässiger, vielleicht sogar lügenhafter Erzähler entpuppt). Von der medizinischen Seite des Kurbetriebs erfährt man in dem Roman wenig, außer dass Florence täglich ihr „morning bath“ nimmt, während ihr Ehemann gelangweilt durch den Ort spaziert, dessen artifizielle Atmosphäre ihn irririert – alles ist sorgfältig arrangiert: „I stood upon the carefully swept steps of the Englischer Hof, looking at the carefully arranged trees in tubs upon the carefully arranged gravel whilst carefully arranged people walked past in carefully calculated gayety, at the carefully calculated hour.”22 Der Erzähler fühlt sich als Außeneiter unter all den langweiligen Badegästen, „amongst the long English, the lank Americans, the rotund Germans, and the obese Russian Jewesses“.23 Die internationale Atmosphäre, in der sich die Reichen und Schönen der Ära unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg treffen, erinnert an Thomas Manns zur selben Zeit verfassten „Zauberberg“, mit dem Unterschied, dass sich bei Thomas Mann in Davos tatsächlich kranke Menschen treffen, während Fords Bad Nauheim in erster Linie Urlauber beherbergt. Freilich nur in erster Linie – eine Nebenfigur des Romans, die tatsächlich herzkranke Maisie Maidan, Edward Ashburnhams frühere Geliebte vor seiner Affäre mit Florence, stirbt an ihrer Krankheit. Angesichts der langweiligen Kurstadt freut sich der amerikanische Erzähler über die Bekanntschaft mit dem britischen Ehepaar. Das Kennenlernen erfolgt im eleganten Hotel Excelsior, dessen „dining-room“ der Erzähler ausführlich beschreibt: „that white room, festooned with papier-maché fruits and flowers [...] the black screen round the door with three golden cranes flying upward on each panel; the palm tree in the centre of the room; the swish of the waiter’s feet; the cold expensive elegance“.24 Und zum Kurbetrieb gehört auch das alljährliche Dinner, dass der „Grand Duke of Nassau Schwerin“, ein regelmäßiger Badegast, 18 ausgewählten Kurgast-Familien im Austausch dafür gibt, dass sie ihn und seine Entourage vorher ebenfalls zu einem Dinner einladen – eine reichlich kostspielige Angelegenheit, für die man als Privileg dem gemütlichen Großherzog zuhören kann, wenn er über „his nephew, the Emperor“ plaudert.25 Zum Kurbetrieb gehören natürlich auch die Ausflüge in nahegelegene inte­ ressante Orte. Ein solcher Ausflug resultiert in einem der zentralen Momente der komplizierten Vierecksgeschichte. Man besucht in der „ancient city of M–“ eine 22

Ford Madox Ford, The Good Soldier [1915], in: The Bodley Head Ford Madox Ford, Vol. 1, London/Sidney/Toronto 1962, S. 29. 23 Ebd., S. 31. 24 Ebd., S. 31. 25 Ebd., S. 40.

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alte Burg, in der sich ein Entwurf des Protestdokuments findet, das dereinst Martin Luther gemeinsam mit Zwingli und anderen unterzeichnet hat. Florence erzählt enthusiastisch von diesem Dokument: „And she laid one finger upon Captain Ashburnham’s wrist“, für Ashburnhams Ehefrau Leonora ein sicheres Indiz dafür, dass sie mit Ashburnham bereits eine Affäre hat oder unmittelbar vor deren Beginn steht. Der Erzähler ist, wie zumeist im Roman, freilich ahnungslos. „The Good Soldier“ ist ein Roman, in dem der Kurort als Katalysator genutzt wird, um zwischen Menschen Beziehungen zu stiften, die sich sonst kaum getroffen hätten, und Prozesse in Gang zu setzen, die im Alltag schwer vorstellbar wären. Diese heterotopische Funktion ist auch im wohl berühmtesten Kurstadt-Roman evident, in D ostojewskis „Der Spieler“. Natürlich ist „Der Spieler“ eher ein Casino-Roman als ein Kurstadt-Roman, aber der Heil- und der Casinobetrieb gehen in Kurstädten Hand in Hand. Dostojewskij, der wiederholt die rheinischen Kurstädte besuchte, wurde 1862 in Wiesbaden selbst spielsüchtig. Ein erneuter Besuch 1863 verschärfte die Situation. Mit hohen Schulden kehrte er nach St. Petersburg zurück, borgte sich Geld von dem Verleger Fjodor Stellowski und unterschrieb 1865 einen für ihn ungünstigen Vertrag über die Ablieferung eines kleinen Romans. Zwar arbeitete er in dieser Zeit vor allem an seinem großen Roman „Schuld und Sühne“ (in neueren Übersetzungen meist „Verbrechen und Strafe“ genannt), aber es gelang ihm innerhalb von 26 Tagen, den Auftragsroman zu verfassen. Anstelle des vorgesehenen „Roulettenburg“ wünschte der Verleger den Titel „Der Spieler“.26 Das Buch erschien 1867. Der Ich-Erzähler, Alexej Iwanowitsch, ein 25-jähriger, mittelloser, russischer Hauslehrer, erzählt in monologischen und tagebuchartigen Kapiteln, ähnlich wie der Erzähler bei Carl Spindler, seine Erlebnisse während einiger Wochen in der fiktiven Kurstadt Roulettenburg, die an Bad Homburg oder Wiesbaden erinnert. Alexej arbeitet für die Familie des hochverschuldeten, verwitweten, russischen Generals Sagorjanski, der auf den baldigen Tod seiner in Moskau lebenden Erbtante Antonida Wassiljewna hofft. Zum Entsetzen der Familie taucht die Erbtante aber eines Tages ziemlich gesund und munter in Roulettenburg auf. Ein Sonderwaggon der Eisenbahn hat die weite Reise möglich gemacht. Die Erbtante, eine unbekümmerte und auch etwas vulgäre Frau, die sich ob ihres Reichtums nicht um die Benimmregeln der feinen Gesellschaft kümmert, verfällt der Spielsucht und verliert den größten Teil ihres Vermögens, ehe sie reumütig nach Russland zurückkehrt. Der General und seine Familie können nun auf keine Erbschaft mehr hoffen. Das löst diverse erotische Komplikationen aus. Die junge Mademoiselle Blanche, die Braut des Generals, beendet die Verlobung. Die Stieftochter des Generals, Polina, in die der Erzähler verliebt ist, obwohl sie ihn stets abweisend behandelt, ist nun finanziell von dem französischen Aristokraten des Grieux abhängig. Alexej eilt deshalb ins Casino und gewinnt eine große Geldsumme, mit der er Polinas Schulden begleichen könnte. Sie aber lehnt es ab, sich von ihm kaufen zu lassen. Alexej verprasst schließlich den gan26

Fjodor Dostojewskij, Der Spieler oder Roulettenburg. Aus den Aufzeichnungen eines jungen Mannes [russ.: Igrok. 1866], aus dem Russischen übersetzt von Alexander Nitzberg, München 2016, Nachwort.

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zen Gewinn innerhalb weniger Wochen mit Blanche in Paris. Verarmt kehrt er nach Deutschland zurück und schlägt sich in den nächsten 20 Monaten als Lakai und in ähnlichen Berufen durch. Das wenige verdiente Geld verspielt er dann sofort wieder in den Kasinos der verschiedenen Kurstädte – genannt werden außer Roulettenburg noch Bad Homburg und Baden-Baden. Auch die Nachricht, dass Polina ihn immer noch liebe, bewirkt keine Umkehr. Damit endet der Roman. Im „Spieler“ ist von einer medizinischen Komponente des Kuraufenthalts fast nie die Rede. Kaum eine der vielen Figuren hat einen medizinischen Grund, sich in Roulettenburg aufzuhalten. Die Stadt ist vielmehr ein Treffpunkt des internationalen Jet-Set, was erst durch die Eisenbahn möglich geworden ist. Auf diese Art und Weise kommt auch die Großtante nach Roulettenburg. Sie ist die einzige, die einen medizinischen Grund für ihren Kuraufenthalt haben könnte, lag sie doch angeblich bereits im Sterben. Aber auch Antonida Wassiljewna weiß, dass die ärztlichen Verordnungen von Kuraufenthalten nicht ernst zu nehmen sind. Über ihre unerwartete Genesung erzählt sie: „Ich lag und lag, die haben an mir herumgedoktert. Dann hab ich diese Quacksalber fortgejagt und den Küster von Sankt Nikolaus kommen lassen. Der hat mal ein Weib von derselben Krankheit mit bloßer Weizenkleie geheilt. Hat auch mir geholfen. Nach drei Tagen war ich nassgeschwitzt und wieder putzmunter. Schon kommen meine Deutschen wieder zusammen, setzen ihre schlauen Brillen auf und geben mir weise Ratschläge: Ach, könnten Sie jetzt noch, zu guter Letzt, ins Ausland reisen, zur Wasserkur, dann wären Sie ganz vom Bett erlöst! Da denk ich mir: Warum eigentlich nicht?“27

Der General spielt in Roulettenburg den „steinreichen Russen“, obwohl er vor dem Bankrott steht – ein Image, das er sich dadurch erwirbt, dass er Alexej an die Hotelrezeption schickt, um dort einen 2000-Franc-Schein in Kleingeld zu wechseln.28 Das Leben in der Kurstadt besteht aus dem Essen in eleganten Restaurants, dem Besuch nahe gelegener Aussichtspunkte und dem abendlichen Aufenthalt im Casino. Der Erzähler notiert einmal: „[...] die anderen haben in der Zwischenzeit irgendwelche Ruinen besichtigt. Zwei prächtige Kutschen, rassige Pferde! Mademoiselle Blanche in einem Gefährt mit Marja Filippowna und Polina. Das Französchen, der Engländer und unser General hoch zu Ross. Die Passanten bleiben stehen und staunen – ein grandioser Effekt.“29

Als die Großtante eintrifft, gelten ihre ersten Fragen natürlich nicht dem Kur-Re­ gime, sondern dem Freizeitprogramm:

27

Ebd., S. 88. Ebd., S. 8. 29 Ebd., S. 9. 28

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„Ich werd es mir heute selbst ansehen, dieses Roulette und was es damit auf sich hat! Und du, Praskowja, erzähl mir, was es hier Sehenswertes gibt und wo. Alexej Iwanowitsch wird mich schon herumführen. Und du, Potapytsch, schreib alles auf: Wohin fahren, wie der Ort heißt. Was schaut man sich hier denn so an?“30

Erst später will sie wissen, „was es hier für Brunnen und Heilquellen gibt und wo die sich alle befinden“.31 Dass sich die Großtante in einer Art Rollstuhl zum Kurhaus bringen lässt, ist dem General peinlich. Für ihn ist das Kurhaus keineswegs in erster Linie für Kranke da, sondern für den Freizeitbetrieb – es ist mit dem Casino identisch: „Bis zum Kurhaus ist es knapp eine Viertelmeile. Unser Weg führt über die Kastanienallee bis zu einem viereckigen Platz, um diesen muss man herumgehen, bevor man beim Kurhaus anlangt. Der General hat sich einigermaßen beruhigt, denn obwohl unser Zug schon exzentrisch wirkt, so ist er dennoch recht ehrwürdig. Und in der Tat, was sollte so seltsam daran sein, dass hier, an einem Kurort, Menschen erscheinen, die krank und gelähmt sind und nicht laufen können? Nein, der General fürchtet sich vor dem Kurhaus: Menschen, die krank sind und nicht laufen können, zumal wenn es sich um alte Frauen handelt, haben rein gar nichts am Spieltisch verloren.“32

Dostojewskijs Roman zeichnet also ein Bild, das vierzig Jahre später in Ford Madox Fords Roman immer noch zutrifft: Wohlhabende Menschen machen in einer Kurstadt Urlaub unter ihresgleichen; die medizinische Komponente ist in erster Linie ein Vorwand. Und noch etwas ist auffallend: Die scheinbar wohlhabenden Kurgäste sind oft gar nicht so wohlhabend, wie sie scheinen; es gilt aber, den Schein zu wahren. Keeping up appearances ist das zentrale Motto. Einen Roman, der nicht nur in einer Kurstadt spielt, sondern dessen eigentlicher Protagonist der Kurort selbst ist, finden wir in Guy de Maupassants „MontOriol“ von 1887. Die Handlung wirkt wie eine ins (fast) Komische gewendete Variante von Flauberts berühmter Ehebruchs-Tragödie „Madame Bovary“. Eigentlich aber geht es um die kleine Kurstadt Mont-Oriol in der französischen Auver­ gne, zuerst ein unbedeutender Badeort, der aber nach der Entdeckung einer neuen Heilquelle mit allen Mitteln des modernen Marketings zu einer Kurstadt moderner Provenienz gepusht wird. Das Buch beginnt in einem Sommer in dem verschlafenen kleinen Kurort Enval in der Auvergne. Der örtliche Arzt Bonnefille hat vor einigen Jahren eine Heilquelle entdeckt und ein kleines Thermalbad errichten lassen, in dem drei Ärzte, die alle aufeinander eifersüchtig sind, die wenigen Kurgäste aus Paris umsorgen. Unter diesen Kurgästen befinden sich der Marquis Ravenal, ein schon älterer Aristokrat aus Paris, sein Sohn Gontran, seine Tochter Christiane, Christianes Ehemann, der junge jüdische Bankier William Andermatt, und ein Freund Gontrans, der reiche junge Paul Brétigny. 30

Ebd., S. 89. Ebd., S. 96. 32 Ebd., S. 97. 31

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Die private Handlung betrifft eine leidenschaftliche Affäre zwischen Christiane und Paul Brétigny, während ihr Ehemann immer wieder aus geschäftlichen Gründen nach Paris fahren muss. Der Erzähler enthüllt, dass Christiane ihren Ehemann des Geldes wegen geheiratet hat und ihn zwar ganz sympathisch findet, ihn aber nicht liebt. Ihr Kuraufenthalt hat einen medizinischen Grund – ganz wie bei Fontanes Effi Briest: Sie will schwanger werden. Nach einem Jahr wird sie ein Kind zur Welt bringen. Der biologische Vater ist zwar Paul Brétigny, aber das weiß niemand. Ein zweiter Handlungsstrang betrifft eine neue Thermalquelle, die zufällig auf dem Grundstück des reichen Weinbauern Oriol entdeckt wird. Der geschäftstüchtige Andermatt nimmt die Sache in die Hand, um einen mondänen neuen Kurort namens Mont-Oriol zu errichten. Er schließt mit Oriol einen Vertrag, aber Oriol behält die umliegenden Grundstücke, sodass Andermatts Expansionspläne zunächst auf Eis liegen. Trotzdem gründet er eine Aktiengesellschaft, der neben Oriol auch Andermatts Schwager Gontran und Paul Brétigny angehören. Andermatts Geschäftsstrategie ist klar: Ein Kurort wird nicht von selbst erfolgreich, sondern muss lanciert werden. Zu diesem Zweck wird ein gichtbrüchiger Bettler, der alte Clovis, bestochen, täglich in der Heilquelle zu baden und dann seine wunderbare Heilung zu verkünden. (Die Dorfbewohner wissen natürlich, dass Clovis bei weitem nicht so immobil ist, wie er zu Bettelzwecken vorgibt). Außerdem werden berühmte Pariser Ärzte mit finanziellen Anreizen dazu gebracht, den Sommer mit ihren Patienten in dem neuen Kurort zu verbringen – man bietet ihnen gratis neu erbaute Chalets an, die sie, sofern sie einen zweiten Sommer hier verbringen wollen, billig kaufen können. Der zweite Teil des Romans spielt ein Jahr später. Das „Mont-Oriol“ genannte neue Heilbad ist ein großer Erfolg. Ein Casino und ein großes Hotel wurden errichtet, mondänes Publikum ist aufgetaucht, neue Ärzte haben sich niedergelassen. Alles geht seinen Lauf. Christianes Geschichte wird fortgesetzt. Sie kommt hochschwanger wieder nach Mont-Oriol, aber Paul, der biologische Vater, der auf ihre dringende Bitte widerwillig ebenfalls einen Kuraufenthalt absolviert, hat jegliches Interesse an ihr verloren. Dafür beginnt nun eine tragisch-komische Geschichte um Christianes Bruder, den leichtsinnigen, aber durchaus liebenswerten Gontran, der schwer verschuldet ist. Sein Schwager Andermatt überredet ihn, eine der Töchter Oriols zu heiraten. Auf diese Weise käme Andermatt durch die Mitgift für die Tochter an die für ihn wichtigen Immobilien. Gontran weiß ohnedies, dass er früher oder später eine reiche Braut finden muss, um sich finanziell zu sanieren. Er macht daher der jüngeren Tochter Charlotte, die ihm sehr gefällt, den Hof. Als Andermatt aber herausfindet, dass der alte Oriol die Ländereien, um die es ihm zu tun ist, als Mitgift für die ältere Tochter Luise reserviert hat, wechselt Gontran einfach das Objekt seiner Werbung aus und bewirbt sich nun um Luise. Die Hochzeit kommt zustande, und Charlotte ist am Boden zerstört. Christiane und Paul machen Gontran schwere Vorwürfe. Gontran verwehrt sich dagegen und deutet Paul gegenüber an, dass er um dessen Affäre mit Christiane weiß. Überraschend verliebt sich Paul in Charlotte und macht ihr spontan einen Heiratsantrag; ihm ist die Mitgift egal.

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Es kommt fast zu einem tragischen Ende, denn als Christiane von Pauls Verlobung erfährt, setzen bei ihr die Wehen ein und sie stirbt beinahe bei der Geburt. Doch alles geht gut aus, Christiane akzeptiert ihre Tochter, Andermatt ist stolz auf sein (vermeintliches) Kind, und in einem kurzen Abschiedsgespräch besiegelt Christiane die Trennung von Paul. Gontran fasst ironisch das Leben in einer Kurstadt und damit die Romanhandlung zusammen: „Unglaublich, diese Bäderstädte. Es sind die einzigen Orte auf Erden, wo es noch Zauberei gibt. In zwei Monaten geschieht da mehr als auf der ganzen übrigen Welt in den zehn anderen Monaten des Jahres. Man möchte wirklich meinen, die Quellen seien nicht mineralisiert, sondern verhext. Und überall das gleiche, in Aix, Royat, Vichy und Luchon, auch in den Meerbädern, in Dieppe, Étretat, Trouville, Biarritz, Cannes und Nizza. Hier findet man Probemuster aus allen Völkern und Weltteilen, herrliche Hochstapler, ein Rassen- und Menschengemisch wie nirgend sonst, und wunderbare Abenteurer. Die Frauen sind erfrischend leicht und gern bereit. In Paris zieren sie sich, in den Bädern fallen sie, plumps. Männer finden hier ein Vermögen wie Andermatt, andere finden den Tod [...], wieder andere finden noch Schlimmeres [...] und heiraten ... wie ich ... und wie Paul. Ist das blöd und lustig!“33

Maupassants Roman entwirft ein überaus satirisches und vermutlich ziemlich realistisches Bild des Kurstadtbetriebs im ausgehenden 19. Jahrhundert. Zwar geht es offiziell um die Gesundheit der Badegäste, aber in Wirklichkeit geht es darum, an den Kurgästen Geld zu verdienen und ihnen ein touristisches Programm zu bieten. Das ist auch schon in dem kleinen Badeort am Beginn des Romans der Fall, obwohl das Etablissement des Doktor Bonneville die Sache noch relativ provinziell anlegt. Aber bereits der erste Absatz des Romans verrät: „Die ersten Kurgäste, die Frühaufsteher, die bereits im Wasser gewesen, promenierten langsam, zu zweit oder allein, unter den großen Bäumen am Bach, der aus den Schluchten von Enval herunterfließt. Andere kamen aus dem Dorfe und betraten eilig das Bäderhaus. Das Erdgeschoß des großen Gebäudes war für die Thermalbehandlung eingerichtet, der erste Stock diente als Kasino, Café und Billardsaal.“34

Bad, Casino, Café und Billardsaal sind eine Einheit, nicht nur in Dostojewskis mondänem Roulettenburg, sondern auch in der französischen Provinz. Die ganze Anlage ist noch relativ bescheiden: „[...] zugleich mit der kasino-medizinischen Anstalt waren drei Hotels entstanden: das Splendid Hotel, ganz neu, an der Berglehne über den Bädern; das Thermenhotel, ein zurechtgemachtes altes Gasthaus; und das Hotel Vidaillet, das einfach mittels Durchbrechung der Mauern dreier aneinandergebauter Häuser, die man angekauft hatte, in ein einziges verwandelt worden war.“35 33

Guy de Maupassant, Mont-Oriol [1887], übertragen von Josef Halperin, Zürich/Stuttgart 1962, S. 285f. 34 Ebd., S. 7. 35 Ebd., S. 9.

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Auch von einem Kurbetrieb ist noch nicht wirklich zu sprechen, es herrscht eine Atmosphäre der Langeweile: „Die Kurgäste promenierten ernst und langsam in den drei Alleen, tranken ihr Glas Wasser und entfernten sich. Einige saßen auf Bänken und zeichneten mit der Spitze ihres Stockes oder Schirms Linien in den Sand. Sie sprachen nicht, schienen nicht zu denken und kaum zu leben, stumpf, gelähmt von der Langeweile der Thermalstationen.“36

Aber immerhin scheint der Badebetrieb tatsächlich medizinischen Zwecken zu dienen, wie eine kurze Szene zeigt: „Christiane betrat das Bäderhaus [...], reichte das Billet einer Bademeisterin, die gleich gekleidet war wie jene am Trinkbrunnen, und folgte ihr in einen Korridor, auf den die Türen der Badekabinen mündeten. Man führte sie in eine ziemlich geräumige Zelle mit kahlen Wänden, die mit einem Stuhl, einem Spiegel und einem Schuhlöffel ausgestattet war. Eine große ovale, in der gelben Farbe des Bodens auszementierte Höhlung diente als Badewanne. Die Frau drehte einen Schlüssel, ähnlich denjenigen für Straßenanschlüsse, und das Wasser schoß durch eine kleine runde, vergitterte Öffnung im Boden der Wanne. Diese war bald bis zum Rande gefüllt, und der Überlauf floß durch eine in die Mauer eingelegte Ableitung ab. Christiane [...] blieb allein. Sie würde klingeln, wenn sie die Badetücher oder sonst etwas brauchte.“37

Nachdem aber der forsche Andermatt die Sache in die Hand genommen hat, geht es primär um das Geschäft – und mit dem Kurort aufwärts. Dem alten Weinbauern Oriol erklärt Andermatt: „Herr Oriol ich komme in Geschäften zu Ihnen. Ich will keine Umschweife machen. Also! Sie haben in Ihrem Weingut eben eine Quelle entdeckt. Die Wasseranalyse wird in einigen Tagen vorlegen. Ist sie negativ, so trete ich selbstverständlich zurück. Ergibt sie aber das, was ich erhoffe, so schlage ich vor, dieses Stück Land und die anstoßenden Parzellen von Ihnen zu kaufen. Überlegen Sie folgendes: Keiner außer mir kann ein solches Angebot machen, keiner! Die alte Gesellschaft befindet sich am Rande des Bankrotts. Sie wird also nicht auf die Idee verfallen, ein neues Kurhaus zu bauen, und der Mißerfolg ihres Unternehmens ermuntert nicht zu neuen Versuchen. Antworten Sie mir heute nicht, beraten Sie sich mit Ihrer Familie. Wenn die Analyse fertig ist, so nennen Sie mir Ihren Preis. Paßt er mir, so sage ich Ja, paßt er mir nicht, so sage ich Nein und gehe. Ich markte nie.“38

Der alte Oriol sagt Ja, auch wenn er Andermatt ein bisschen über den Tisch zieht und die umliegenden Grundstücke behält. Aber ein Jahr später hat sich der Ort massiv verändert; die Infrastruktur eines modernen Kurorts ist errichtet:

36

Ebd., S. 19. Ebd., S. 70. 38 Ebd., S. 56. 37

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„Am 1. Juli des nächsten Jahres war das Thermalbad Enval kaum wiederzuerkennen. Oben auf dem Hügel zwischen beiden Talausgängen stand ein maurischer Bau, der an der Front das Wort Casino in goldenen Lettern trug. Ein Wäldchen am Hang gegen die Limagne war zu einem kleinen Park gestaltet. Eine Mauer vor dem Bau, in ihrer ganzen Länge mit großen Vasen aus Simili­ marmor geschmückt, stützte eine Terrasse mit dem Blick auf die weite Ebene der Auvergne. In den Reben weiter unten zeigten sechs Chalets in Abständen ihre Fassaden aus gefirnißtem Holz. Vom Südhang lockte ein mächtiges, ganz weißes Gebäude die Touristen von weitem; sie sahen es, wenn sie Riom hinter sich ließen. Das war das Grand Hotel Mont-Oriol. Gerade darunter, am Fuße des Hügels, bot ein einfacheres, doch geräumiges quadratisches Haus in einem Garten, den das Bächlein aus den Schluchten durchfloß, den Patienten die Wunderkur, die eine Broschüre von Doktor Latonne versprach. An der Fassade war zu lesen: ‚Thermen von Mont-Oriol‘, auf dem rechten Flügel in kleineren Lettern: ‚Hydrotherapie – Magenspülungen – Piszinen mit laufendem Wasser‘, und auf dem linken Flügel: ‚Medizinisches Institut für automotorische Gymnastik‘. Das alles leuchtete neu in grellem Weiß.“39

Der Kurbetrieb wird dann offiziell mit einer Festveranstaltung und einem großen Feuerwerk eröffnet. Dabei geht zwar fast alles schief, was schiefgehen kann, aber der Erfolg des neuen Etablissements ist unaufhaltsam. Natürlich kann Maupassants Roman auch metonymisch für die Entwicklung Frankreichs im späten 19. Jahrhunderts gelesen werden: Paris übernimmt die Kon­ trolle über die Provinz, die moderne Geldwirtschaft ersetzt die alte agrarische Ordnung.40 Für unser Thema aber halte ich fest: Der Roman verifiziert in der lockeren Form einer unterhaltsamen Erzählung vieles, was die neuere Städtegeschichte über das Phänomen der Kurstadt erarbeitet hat.41

3. Kurstädte im 21. Jahrhundert Seit dem späten 20. Jahrhundert ist die Funktion der traditionellen Kurstädte vermutlich zu einem guten Teil auf Wellness-Center und Ferien-Clubs übergegangen. Die Kurstadt als Schauplatz in der Literatur ist im 20. Jahrhundert ebenso allmählich verschwunden. Zum Abschluss möchte ich allerdings einen Roman aus dem 21. Jahrhundert vorstellen, der als Gegenstück zu Maupassants „Mont-Oriol“ den Untergang der Kurstadt-Kultur grotesk-komisch nachzeichnet: „Bad Regina“, 2020 veröffentlicht von dem österreichischen Autor und Fernsehregisseur David Schalko. 39

Ebd., S. 157. Vgl. Trevor A. Le V. Harris, Maupassant’s Mont-Oriol: Narrative as declining noun, in: Modern Language Review 89 (July 1994), p. 581–594. 41 Vgl. Andrea Pühringer, Der Taunus – Konjunkturen einer traditionsreichen Bäderlandschaft, in: Christina Vanja/Heide Wunder (Hg.), Die Taunusbäder. Orte der Heilung und Geselligkeit, Darmstadt 2019, S. 149–177. 40

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„Bad Regina“ schildert den Niedergang eines ehemals mondänen österreichischen Kurortes, dessen Beschreibung ganz deutlich an Bad Gastein angelehnt ist. Die Handlung spielt im Jahr 2018. In der Stadt leben nur mehr 46 Menschen, weil ein mysteriöser chinesischer Investor namens Chen sukzessive die Häuser aufkauft und sie dann verfallen lässt. Die Bewohner wissen nicht, dass ihr Bürgermeister mit Chen kooperiert und saftige Provisionen kassiert. Gemeinsam entführen sie Chen, um herauszufinden, was er eigentlich plane. Chen, vom Bürgermeister informiert, spielt mit und nützt die Gelegenheit, den Einwohnern ein kollektives Kaufangebot zu machen: Sie sollen alle abgesiedelt werden und ein rekonstruiertes Bad Regina besiedeln, das – offenbar in China – aufgebaut werden soll. Erst am Ende wird enthüllt, dass Chen im Auftrag des mittlerweile 89-jährigen Gideon Bromberg handelt, der 1942 als 12-jähriger Junge mit seiner Familie vertrieben wurde und sich in die USA retten konnte. Niemand im Ort war damals bereit, der jüdischen Familie zu helfen. Brombergs Ziel ist es daher, Bad Regina zu vernichten. Was die turbulente Handlung und den Stil Schalkos betrifft, begnüge ich mich mit zwei Zitaten des Literaturkritikers Martin Halter, der am 21.01.2021 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schrieb: „Schalko beschreibt in kurzen, pointierten Sätzen Typen, Szenen und Säuferdialoge aus dem Irrenhaus Österreich. Das ist oft witzig, manchmal irrwitzig oder sogar kafkaesk-surreal, aber doch mehr Hochleistungskabarett als Roman. [...] ‚Bad Regina‘ liest sich wie ein Gemeinschaftswerk von Böhmermann, Agatha Christie und einem Thomas Bernhard auf Speed, garniert mit Rollenprosa von Qualtinger bis Josef Hader: eine wilde Kreuzung aus Politsatire, Heimatkrimi, Aphorismensammlung [...] und Daily-Soap-Simulationen, etwas lang geraten, aber nicht ohne Schmäh und provozierenden Schmackes.“42

Mich interessiert vor allem, welche Elemente der Kurstadt-Imago, die wir in den früheren Romanen kennengelernt haben, Schalko aufruft. Es zeigt sich tatsächlich das gesamte bekannte Ensemble. Schon auf der zweiten Seite werden wir aus der Perspektive einer der verbliebenen Figuren mit dem Ort konfrontiert: „[...] das alte Helenenbad [...] Zu viel Marmor. Zu viel Kurort. [...] das Grand Hotel, das Casino, das Sanatorium Kleeberg, die Radonbäder, das Kraftwerk [...]“.43 Natürlich ist auch vom wundersamen „Heilwasser“ die Rede44 und davon, dass das Sanatorium Kleeberg „wie ein Hotel“ geführt wurde: „[Der Betreiber] sorgte für die Unterhaltung der gut situierten Gäste, die er nie Patienten nannte. Im Sanatorium war jeden Abend Rambazamba. Den meisten fiel es schwer, nach monatelanger Kur Abschied zu nehmen. Nicht wenige täuschten Krankheiten vor, um möglichst bald wieder zurückzukehren.“45 42

Zitiert nach: https://www.buecher.de/shop/oesterreich/bad-regina/schalko-david/products_products/ detail/prod_id/59394131/#reviews [Stand: 26.04.2022]. 43 David Schalko, Bad Regina, Köln 2020, S. 7. 44 Ebd., S. 37. 45 Ebd., S. 54.

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Und natürlich war Bad Regina dereinst Tummelplatz der Adeligen, auch wenn der Roman nur das schwarze Schaf der Habsburgerfamilie namentlich nennt, den wegen seiner Homosexualität verstoßenen jüngsten Bruder des Kaisers Franz Joseph, Erzherzog Ludwig Viktor, der auch in Bad Regina „berüchtigt für seine Zudringlichkeiten gewesen sei.“46 An ihn bzw. seinen Spitznamen erinnert in der Gegenwart allerdings nur mehr der Name des heruntergekommenen Gasthauses am Ortsende, des „Luziwuzi“. „Mitte der Achtigerjahre“, also schon bevor Chen im Auftrag Brombergs den Ort aufkauft, beginnt der Untergang: „Bis dahin war Bad Regina ein Kurort gewesen, der den Reichenzirkus vor allem im Sommer anzog. Aber wie es sich mit Zirkussen so verhielt, zogen sie mit der Zeit weiter. Der morbide Charme von Bad Regina stand nicht mehr im Ansehen. Man vergnügte sich lieber in Porto Cervo, Biarritz oder dort, wo die Formel 1 gerade gastierte.“

Bad Regina sattelt daher auf den Massentouristen, das heißt, auf das „Wintergeschäft“ um: „Im Nachhinein wäre es klüger gewesen, die teils maroden Hotels zu restaurieren. Die Kulinarik auf Höhe der Zeit zu bringen. Oder das Unterhaltungsprogramm aufzurüsten. Stattdessen baute [der Betreiber] Skilifte und ließ die Bergwälder roden. [...] Man sagte, ab diesem Moment habe er begonnen, die Gäste als Melkkühe zu bezeichnen. Denn das Publikum, das jetzt nach Bad Regina kam, war mit dem davor nicht vergleichbar. Es war laut, stillos und arm.“47

Der Kurort Bad Regina ist verloren. Der Roman endet zwar mit einer paradoxen Szene: Eine größere Gruppe afrikanischer Flüchtlinge nimmt die leeren Häuser in Besitz und bringt wieder Leben in die Ruinen. Aber so, wie es einmal war, wird es sicher nicht mehr werden. Während Guy de Maupassant am Aufstieg eines kleinen Kurorts den europäischen Aufstieg des späten 19. Jahrhunderts verdeutlicht, skizziert David Schalko am Beispiel von Bad Regina einen europäischen Abstieg. Beiden Büchern gemeinsam ist ein ironischer Blick auf die Entwicklung. Maupassants Roman kann im Nachhinein als zutreffende Diagnose der historischen Dynamik gelesen werden. Ob Schalkos Blick ähnlich treffsicher ist, wird erst die Zukunft zeigen.

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Ebd., S. 41. Ebd., S. 55.

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4. Anhang: Literarische Kurstadt-Texte – eine vorläufige Bibliografie: Austen, Jane: Northanger Abbey. (1798–1803, veröffentlicht 1817). Austen, Jane: Persuasion. (1815–1816, veröffentlicht 1818). Austen, Jane: Sanditon. (1817, unvollendet, veröffentlicht 1925). Bauernfeld, Eduard von: Bürgerlich und romantisch. (1835). Becher, Peter: Karlsbad, in: Der Löwe vom Vyšehrad. Essays, Feuilletons, Reden. Passau 2012. Dostojewskij, Fjodor: Der Spieler oder Roulettenburg. Aus den Aufzeichnungen eines jungen Mannes. [Igrok]. (1866). Ebner-Eschenbach, Marie von: Aus Franzensbad, Sechs Episteln von keinem Propheten. (1858). Eliot, George: Middlemarch. A Study of Provincial Life. (1871/72). Flake, Otto: Hortense oder Die Rückkehr nach Baden-Baden. (1933). Fontane, Theodor: Brunnenpromenade. (1891). Fontane, Theodor: Effi Briest. (1894–1896). Ford, Madox Ford: The Good Soldier (1915). Hahn-Hahn, Ida: Zwei Frauen (1845). [Hesler, Ernst Friedrich]: Das Leben eines Farospielers. Leipzig: Paul Gotthelf Kummer 1794. Hesse, Hermann: Kurgast (1925). James, Henry: Confidence. (1879). Laube, Heinrich: Reisenovellen. (1834). Mansfield, Katherine: In a German Pension. (1911). Maupassant, Guy de: Mont-Oriol. (1887).

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Molnar, Franz: Olympia. (1928). Pichler, Karoline: Der Badeaufenthalt, in: Karoline Pichler: Sämmtliche Werke, 3. Teil, 31. Band. (1813 ins Französische übersetzt). [Pratt, Samuel Jackson]: Der Wüstling, eine Geschichte aus Pyrmont. Nach dem Englischen. Berlin 1788 (Übersetzung: J. Chr. F. Schulz). Sealsfield, Charles: Die deutsch-amerikanischen Wahlverwandtschaften. (1839). Schalko, David: Bad Regina. (2020). Schnitzler, Arthur: Doktor Gräsler, Badearzt. (1917). Schnitzler, Arthur: Spiel im Morgengrauen. (1927). Schopenhauer, Johanna: Die Brunnengäste. (1830/31). Spindler, Carl: Der Teufel im Bade. (1853). Stifter, Adalbert: Der Waldsteig. (1844). Thackeray, William Makepeace: The Kickleburys on the Rhine. (1850). Thackeray, William Makepeace: The Virginians. (1857). Turgenjew, Iwan: Rauch. (1867). Tolstoj, Lew: Anna Karenina. (1875–1878).

„ANGENEHME ABWECHSLUNG IN DEM KRANZE VERSCHIEDENARTIGER GENÜSSE“ – DIE KURTHEATERSAISON DES SOMMERS 1855 IN ISCHL UND PYRMONT Stefan Hulfeld

1. Kurstadt, Theater, Repertoire Theaterorganisationsformen modernen Zuschnitts bildeten sich seit der Frühen Neuzeit in Europa parallel zur Urbanisierung heraus. Der Zusammenhang zwischen Stadt und Theater oder, genauer formuliert, zwischen unterschiedlichen Stadttypen und unterschiedlichen Theaterformen, prägt deshalb die Methoden theaterhistorischer Forschung. Aus den ökonomischen und machtpolitischen Verhältnissen resultieren im städtischen Raum soziale Ordnungen, die sich einerseits in architektonischen Gegebenheiten manifestieren, und die andererseits in koexistierenden Formen von Festen, Vergnügungen und Theater erfahrbar werden. Wechselwirkungen zwischen sozialer Dynamik und theatralen Formen rücken deshalb in den Fokus und schärfen die Wahrnehmung für die typologische Vielfalt von Städten und Theaterpraktiken gleichermaßen, womit Theatergeschichtsschreibung auch die ererbten nationalkulturellen und epochalen Homogenisierungen hinter sich lässt.1 Aus dieser Perspektive sind Kurstädte ein untypisches und merkwürdiges Untersuchungsfeld. Sie wurden von einer geringen Anzahl an Einwohnerinnen und Einwohnern ganzjährig bewohnt, sodass von Städten kaum die Rede sein könnte, wären sie nicht in den Sommermonaten bevölkerungsmäßig um ein Vielfaches angewachsen. Viele der Kurgäste aus Nah und Fern ließen größere Städte hinter sich, um primär Badekuren zu machen oder Abwechslung, „Natur“ und Regeneration zu erleben, während sie gleichzeitig die städtisch konnotierten Begegnungsräume (z. B.

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Immer noch grundlegend in diesem Zusammenhang ist: Ludovico Zorzi, Il teatro e la città. Saggi sulla scena italiana, Torino 1977. Vgl. auch Stefan Hulfeld, Theatergeschichtsschreibung als kulturelle Praxis. Wie Wissen über Theater entsteht, Zürich 2007, S. 282–307.

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Casino, Kaffeehaus, Theater) nicht missen wollten.2 Feste Theaterbauten für mehrere hundert Zuschauende, die zwei bis drei Monate lang von ebenfalls nur temporär in der Kurstadt weilenden Truppen regelmäßig bespielt wurden, gehörten in einigen Bädern zu dieser Infrastruktur. Für die Produktion und Rezeption von Kurtheater galten deshalb besondere Bedingungen. Marion Linhardt hat diesbezüglich drei generelle Erkenntnisse zum Kurtheater im deutschsprachigen Raum im Zeitraum vom 18. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts formuliert: 1. Obwohl es in den Bädern „stets Reiche neben Bedürftigen, amüsierwillige Gesunde neben Linderung suchenden Kranken, von weither Angereiste neben Ortsansässigen“ gab, so gehörte der Theaterbetrieb „in erster Linie der Sphäre der Gutsituierten, wenn nicht Reichen an, die zugleich diejenigen waren, die […] für einige Wochen oder gar Monate im Badeort“3 weilten. 2. „Ihren Ausbau […] zu Schauplätzen des Vergnügens verdankten die traditionsreichen Badeorte vielfach der Tatsache, dass Fürsten hier ihre Sommerresidenz aufschlugen.“ Der ökonomische Aufwand für den Theaterbau sowie den Spielbetrieb rechnete sich offenbar nur dann, wenn regelmäßig Fürstenhäuser samt ihrer Gefolgschaft in einer Kurstadt weilten, denen internationale „Eliten aus Politik, Handel, Industrie und Kunst“4 folgten. 3. Der Stellenwert des Vergnügungs- und Theaterangebots gegenüber den Therapie­ angeboten der Kurbäder erweist sich als historische Variable, wobei zwei Gesetze im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine tendenzielle Schwächung des Amüsierbetriebs bewirkten, nämlich das Spielbankenverbot Ende 1872, das etwa in Homburg zu einer Reduktion der Gäste um 56 Prozent im Jahr 1873 führte,5 sowie die in den 1880er Jahren im Deutschen Reich implementierte Sozialversicherung, die den Kurstädten mehr tatsächlich therapiebedürftiges Publikum aus unterprivilegierten Schichten zuführte. Beides stärkte das Kerngeschäft der Kur­ orte, nämlich die Kur.6 Diese drei Erkenntnisse definieren den Theaterbetrieb als Domäne des Adels und des Besitzbürgertums, und das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Theaterbetriebe bis 1918 entweder mit der Ökonomie der Höfe verquickt blieben, oder aber der Ökonomie des freien Marktes ausgesetzt waren, wobei Letzteres sich 2



Diesen Widerspruch hat Reinhold P. Kuhnert als „Urbanität auf dem Lande“ umschrieben, vgl. Reinhold P. Kuhnert, Urbanität auf dem Lande. Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert, Göttingen 1984. 3 Marion Linhardt, Theater in Kur- und Badeorten, in: Dies./Thomas Steiert (Hg.), Musiktheater in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Räume – Ästhetik – Strukturen, Graz 2017, S. 154–218, hier S. 159. 4 Linhardt, Theater in Kur- und Badeorten, S. 161. 5 Ebd., S. 198. 6 Ebd., S. 158.

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in Kurorten schlicht nicht rechnete. Ein Sachverhalt sorgt allerdings in der Beschäftigung mit Kurtheater immer wieder für Irritation. Trotz der ökonomischen und personellen Abhängigkeit der Kurtheaterbetriebe vom Hoftheatersystem, zeigen sich die Spielpläne eher der Programmierung von Geschäftstheatern verpflichtet. Die Rede ist hier schnell von einem anspruchslosen Repertoire, das als „bieder“ und „konventionell“, jedoch „nicht ohne Witz“ beschrieben wird.7 Die Ernüchterung der Geschichtsforschenden steigert sich mit deren Erwartungen, beispielsweise wenn auch auf der Bühne von Bad Liebenstein, das im Einflussbereich der für Klassikerinszenierungen berühmten Meininger lag, die üblichen Lustspiele, Schwänke und Operetten das Repertoire dominierten.8 Dass die Kurtheater in der deutschsprachigen Theatergeschichtsschreibung der letzten 200  Jahre kaum von Interesse waren, hat einen Grund: Sie eigneten sich schlicht nicht dafür, entweder den Bildungsauftrag von Theater oder szenische Innovation zu thematisieren, womit sie den lange Zeit wichtigsten Kriterien für theatergeschichtliche Relevanz nicht gerecht zu werden vermochten. Erst die bereits zitierte Arbeit von Linhardt eröffnet neue Sichtweisen auf das Phänomen Kurtheater, dessen Repertoire sie folgendermaßen umreißt: „Theater wurde als Medium des Vergnügens und der Erheiterung begriffen, ästhetische und Bildungsaspekte blieben im Hintergrund, ein Sachverhalt, der sich an den Repertoires der Kurtheater nachvollziehen lässt, in denen das Lustspiel, der Schwank und die Operette noch prominenter figurierten, als dies an den städtischen (Winter-)Theatern der Fall war.“9

Mein Beitrag soll diese Zuschreibung verifizieren sowie konkretisieren, indem ich eine vergleichende Perspektive einnehme und das Forschungsfeld sowohl zeitlich als auch räumlich radikal eingrenze. Der Fokus fällt auf Ischl im Salzkammergut (Oberösterreich) sowie auf Pyrmont im Landkreis Hameln (Niedersachsen), ergo auf einen Kurort im katholischen Süden des deutschsprachigen Raumes sowie auf einen im protestantischen Norden. Der eine Kurort wird von den Grafen von Waldeck-Pyrmont beehrt, die mit dem Schloss Pyrmont dort über eine Sommerresidenz verfügten, in Ischl hingegen verbrachten viele Habsburger und insbesondere Kaiser Franz Joseph I. regelmäßig die Sommerfrische. 1823 wurde in Ischl das erste Solebad eröffnet, 1827 ein stehendes Theater. Der Badebetrieb in Pyrmont hatte demgegenüber eine wesentlich längere Geschichte.10 Ein neuer Theaterbau, der während des ganzen 19. Jahrhunderts auch genutzt werden sollte, wurde in Pyrmont 1818 eingeweiht. Das Repertoire dieser beiden Bäder problematisiere ich anhand des Beispieljahres 1855, das deshalb ausgewählt wurde, weil es einerseits erst den Beginn

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Karl Veit Riedel, 100 Jahre Kurtheater Norderney. Theater auf Norderney und die Geschichte der Landesbühne Niedersachsen Nord, Norderney 1994, S. 3. 8 Christian Storch, Vom Comödienhaus zum KurTheater. Das Theater in Bad Liebenstein von 1800 bis heute, Köln 2014, S. 120–125. 9 Linhardt, Theater in Kur- und Badeorten, S. 172. 10 Vgl. Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 31–58.

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des allgemeinen Booms von Badereisen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts markiert, und weil andererseits Untersuchungen zum Phänomen Kurtheater bislang die letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt rückten. Unter Repertoireforschung verstehe ich mit Tracy C. Davis die Auseinandersetzung mit dem Gewohnten, Erwartbaren, gängigen Mustern Folgenden; just mit dem also, was eine auf ästhetische Innovation und Entwicklungsdynamik ausgerichtete Theatergeschichte nicht interessiert. Dabei ist unter Repertoire mehr als das scheinbar nur von den Produzenten realisierte Angebot aufeinanderfolgender Aufführungen zu verstehen. Davis definiert Repertoire als “that which constitutes the dayto-day competencies of performers and audiences to make and understand theatre, drawing upon their familiarity with aesthetic conventions, contemporary politics, and cultural preoccupations.”11 Dieser Begriff von Repertoire zielt also einerseits auf die Fähigkeiten, Mittel und Techniken, die Theaterschaffende aufzubieten haben, um überhaupt ein Publikum zu gewinnen und diesem für das bezahlte Eintrittsgeld einen Erlebniswert zu bieten. Im Repertoire bündeln sich andererseits aber auch Erfahrungen, Wahrnehmungsgewohnheiten und Erwartungen von Zuschauenden. Der Begriff umschreibt also das, was Produzierende grundsätzlich hervorzubringen und Rezipierende grundsätzlich zu verarbeiten imstande sind, woraus die folgenden Fragen resultieren: Welches waren die Organisationsformen der Kurtheater in Pyrmont und Ischl 1855, und auf welche künstlerischen Kompetenzen konnten die Theaterdirektionen zurückgreifen? Aber auch: Welches Angebot an Vergnügen gab es in Ischl und Pyrmont und mit welchen Erwartungen ließen sich Zuschauende auf einen Theaterabend ein? In beiden Fällen dokumentieren lokale Blätter den Spielbetrieb zumindest rudimentär; in Pyrmont erschien das Pyrmonter Wochenblatt. Zeitschrift für Leser aller Stände in Stadt und Land12 jeweils am Sonntag und am Mittwoch, in Ischl der Ischler Fremden-Salon13, der während der Hauptsaison drei Mal pro Woche veröffentlicht wurde. Das Pyrmonter Wochenblatt adressierte, wie der Untertitel verdeutlicht, eine heterogene Leserschaft und richtete sich nicht explizit an die Badegäste. Theater ist deshalb kein zentrales Thema in diesem Blatt. Lediglich in der Ausgabe vom 18. Juli 1855 findet sich der Artikel „Ueber das Theater in Pyrmont“ abgedruckt, in jeder Nummer annoncierte die Theaterdirektion aber den aktuellen Spielplan. Der Ischler Fremden-Salon hingegen ist ein an die Gäste adressiertes Badeblatt, das die touristischen Angebote von Ischl vermittelte und selbst als solches fungierte. Mit Beiträgen über die balneologischen Segnungen der Ischler Bäder oder über Spaziergänge und Sehenswürdigkeiten sowie mit zahlreichen Annoncen zum Angebot von Hotels, Verkehrsmitteln, exklusiven Konsumwaren, Dienstleistungen, aber auch mit einem Fortsetzungsroman sowie der Auflistung neu angekommener Gäste begleitete dieses 11

Tracy C. Davis (Ed.), The Broadview Anthology of Nineteenth-Century British Performance, London 2012, S. 13. 12 Pyrmonter Wochenblatt: Zeitschrift für Leser aller Stände in Stadt und Land, erschienen 1853–1863, die Jahre 1854–1857 sind verfügbar in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn. 13 Ischler Fremden-Salon, erschienen 1854–1856, die Ausgabe des Jahres 1855 ist verfügbar in der Hauptbibliothek der Paris Lodron-Universität Salzburg, II 5358/1855.

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Blatt die in Ischl Weilenden durch die Sommerfrische. Selbstredend wurde in diesem Blatt auch regelmäßig über Konzerte, Bälle und Theater berichtet, in der Rubrik „Kunst-Salon“ würdigte ein Theaterrezensent mindestens die neu aufgeführten Stücke. Für Ischl lässt sich deshalb in diesen Artikeln nachvollziehen, welche Wertmaßstäbe für gelingende Theateraufführungen gegenüber der Leserschaft als selbstverständlich vorausgesetzt wurden. Im Appendix finden sich zwei Listen, auf denen die in diesen Periodika eruierten Stück- bzw. Veranstaltungstitel in der Abfolge ihrer Aufführung aufscheinen.

2. Der Sommer 1855 in den Kurtheatern Pyrmont und Ischl 2.1 Organisatorische Herausforderungen und das Können der Spielerinnen und Spieler Organisatorisch wurde in Pyrmont und in Ischl der Spielbetrieb in Abhängigkeit von nahegelegenen Hoftheatern auf identische Weise gewährleistet. Die Truppe des „k. k. Theaters“ Salzburg unter der Leitung des Direktors Gottfried Denemy (1810–1891) bespielte 1855 die Bühne in Ischl. Der Deutsche Bühnen-Almanach listet für den fraglichen Zeitraum 34 Erwachsene als „Darstellende Mitglieder“ der Salzburger Bühne auf, 19 Männer und 15 Frauen.14 Davon waren 17 Akteurinnen und Akteure im Sommer 1855 nachweislich in Ischl tätig, wobei nicht alle die ganze Spielzeit bestritten. Zur Kerntruppe gehörten Direktor Denemy selbst, der laut Almanach „die Oberregie der Oper“ sowie „des Schau- und Lustspiels“ führte und als Akteur auf „erste Helden und Liebhaber, Bonvivants und Charakterrollen“ spezialisiert war.15 Seine Ehefrau Karoline Denemy, geb. Ney (1823–1894) trat als Sopranistin auch an größeren Opernhäusern auf und beherrschte als Primadonna der Truppe „erste muntere und tragische Gesangsparthieen“, während ein jüngerer Bruder des Direktors namens Christian Denemy (1817–1878) auf „Intriguants, Väter und Charakterrollen“ abonniert war. Weil aber der Spielplan die sowohl komödiantischen als auch auf Musik und Gesang basierenden Gattungen favorisierte, standen jene Akteurinnen und Akteure, die genau dies in ihrem Repertoire hatten, besonders oft auf der Bühne. Namentlich die Sopranistin Mathilde Kurz, geb. Preiß, die „zweite Gesangsparthieen in der Oper“ und „erste Lokalpartieen in der Poße“ zu meistern wusste, und als Regimentstochter Marie, als Salome Pockerl neben Johann Nestroy (1801–1862) im Talisman und als Köchin von Baden namens Kathi das Publikum gleichermaßen begeisterte. Ferdinand Pöschl stand als verantwortlicher Regisseur 14 15

Alois Heinrich (Hg.), Deutscher Bühnen-Almanach, Berlin 1856, S. 351–353. Sämtliche Angaben zu den Rollenfächern werden nach den Informationen zum „k. k. Theater“ Salzburg im Deutschen Bühnen-Almanach von 1856 zitiert, vgl. Heinrich (Hg.), Deutscher Bühnen-Almanach, S. 351–353.

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für die Possen u. a. in seinem Rollenfach „komische Rollen und Väter“ auch vielfach selbst auf der Bühne, und zwar zusammen mit seiner Frau, die „komische Mütter“ zu geben wusste. Als unentbehrlich für viele Spielplanpositionen erwies sich auch jener Herr Rudolf, der „Buffoparthieen, erste komische und Lokalgesangsparthien in der Posse“ beherrschte. Im Bereich der Lustspiele zogen zudem die als „Fräulein“ bezeichneten unverheirateten Schauspielerinnen Frl. Bertha Schmidt („erste tragische und muntere Liebhaberinnen“), Frl. Bormeth („Liebhaberinnen und Soubretten“) und Frl. Grimm („Nebenrollen“) die Aufmerksamkeit auf sich. Carl Koppensteiner („erste[r] Lokalvater und chargierte Rollen“) spielte weniger häufig, war aber als Literat der Truppe für Gelegenheitsdichtungen wie festliche Prologe zuständig. Sowohl als Regisseure und Spieler waren die Herren Hysel (Regie Oper und „chargierte Rollen“) und Krilling (Regie Schau- und Lustspiele; „feinkomische Rollen, Väter und Charakterrollen“) beschäftigt. Einzelne Erwähnungen widmete der Rezensent auch den Herren Esser („chargierte Rollen, Nebenrollen“), Hamel („erste jugendliche Liebhaber, Bonvivants und Naturburschen“) und Pichon („erste Bariton- und hohe Bassparthieen, Väter und Charakterrollen“). Zum Ischler Stammpersonal gehörten 1855 also rund zwölf Akteurinnen und Akteure, die ihr spezifisches spielerisches Repertoire in die Truppe einbrachten und damit flexibel in den unterschiedlichsten Genres eingesetzt werden konnten. In Possen, Lustspielen und Schauspielen mussten de facto alle einsetzbar sein und angesichts der Tatsache, dass die genannten Genres auf der Kurtheaterbühne sehr häufig von Gesang geprägt waren, mussten auch alle auf einem bestimmten Niveau singen können. Gerade mal von der Gattin des Direktors und Primadonna scheint nicht erwartet worden zu sein, dass sie ihre Gesangskunst außerhalb der Oper ausübte. Angesichts seines Personals konnte Denemy also Possen oder Lustspiele mit kleinerer oder größerer Besetzung problemlos auf den Spielplan bringen, zumal seine Truppe an buffonesken Talenten kein Mangel litt. Problematischer war es, in der Oper die anspruchsvolleren Partien besetzen zu können, zumal im Kurtheaterpublikum stets mit Kennern der Hautevolee zu rechnen war. Denemy verfügte mit seiner Frau sowie Mathilde Kurz-Preiß immerhin über zwei anerkannte Sopranistinnen, blieb aber im Bereich der Männerstimmen von Gästen abhängig und litt im Sommer 1855 an einem akuten Mangel an Tenören. Am 25. August berichtete der Fremden-Salon freimütig, wie es zu einem Opernabend kam, bei dem zuerst der zweite Akt von Carl Maria von Webers Freischütz, dann der zweite Akt von Gioachino Rossinis Der Barbier von Sevilla und zum Schluss der dritte Akt von Guiseppe Verdis Ernani erklang: „Die bereits fest engagierten Tenore haben noch anderweitige Verpflichtungen und können erst in etwa 14 Tagen eintreffen; zwei an ihrer Statt genommene Gäste aber erkrankten zur Zeit ihrer Abreise.“ Auch die Realisierung des zusammengewürfelten Opernabends war nur möglich, weil der gemäß Gästeliste seit dem 4. August in Ischl weilende Sänger Otto Uffmann aus Wien einsprang und sich zwei Tage auf seine Partien vorbereitete.16

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Ischler Fremden-Salon, Nr. 44 (25.08.1855), S. 186f.

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Für das musikalisch geprägte Repertoire der Kurtheater arbeiteten die Theaterdirektionen mit den jeweiligen Kurorchestern zusammen, die für Ballmusik sowie Konzerte in Innen- und Außenräumen unentbehrlich waren, was auch bedeutete, dass Theateraufführungen, Bälle und Konzerte nicht gleichzeitig stattfinden konnten. Die in Ischl auch als Bademusik-Kapelle bezeichnete Formation spielte beispielsweise täglich schon am frühen Morgen ab 6.30 Uhr zwei Stunden und zwar im Rudolfsgarten bei schönem, im Kursalon bei schlechtem Wetter. Abends kam sie bei schönem Wetter auf der Esplanade eine Stunde zum Einsatz, und zwar ab 17.30 Uhr, sofern sie danach im Theater zu spielen hatte; erst ab 20.00 Uhr hingegen, wenn der Theaterbetrieb pausierte.17 In Salzburg verfügte das „k. k. Theater“ über ein Orchester, das aus 36 Mitgliedern des Mozarteums bestand, dessen Direktor Alois Taux gleichzeitig Kapellmeister im Theater war. Von personellen Überschneidungen der „Bademusik-Kapelle“ mit dem Theaterorchester ist auszugehen; Taux selbst dirigierte das Orchester zwischen zwei Fest-Aufführungen im Zeitraum vom 17. August bis zum 7. September regelmäßig. Auf den ersten Termin fiel die Vorfeier des kaiserlichen Geburtstages, die im Theater mit der Rezitation des Festspiels Der Völkerliebe Jubelklänge eröffnet, und mit Gaetano Donizettis Liebestrank begangen wurde. Am zweiten Termin feierte das Theater die Ankunft des Kaiserpaares in Ischl mit einer Fest-Ouvertüre, einem Huldigungsprolog von Koppensteiner und Guiseppe Verdis Ernani. Diese Ischler Huldigungsrituale bestimmten damit einen Zeitraum von rund drei Wochen, in denen auf die Musikpflege besonderen Wert gelegt wurde, der Kapellmeister persönlich dirigierte und mehr Opern zur Aufführung gelangten. Auch Pyrmont wurde von einer Hoftheatertruppe bespielt, 1855 durch jene des Fürstlichen Hoftheaters Detmold, die unter der Leitung der „Direktoren und Unternehmer“ August Pichler junior (1817–1888) und Gustav Mewes auch die Stadttheater in Pyrmont, Münster und Osnabrück zu versorgen hatte. Pichler war der Sohn des langjährigen Pächters gleichen Vornamens, der 1817 den Theaterneubau maßgeblich finanziert und mit den Grafen von Waldeck-Pyrmont einen Nutzungsvertrag abgeschlossen hatte,18 und in dessen Familie die Pacht des Pyrmonter Theaters formal bis 1890 verblieb. Direktor August Pichler jun. betätigte sich als Schauspieler und als Regisseur der Possen, Gustav Mewes stand selbst nicht auf der Bühne, führte aber die Regie in der Oper, während seine Frau für „das Kassenwesen“ zuständig war. In der Detmolder Truppe waren laut Theater-Almanach 23 Personen engagiert, 14 Darsteller und neun Darstellerinnen werden aufgezählt, wobei in dieser Liste Angaben zu den Rollenfächern fehlen.19 Im einzigen Bericht zur Theatersaison werden je fünf Schauspieler und Schauspielerinnen namentlich genannt, die explizit als diejenigen adressiert werden, die „recht Anerkennungswerthes“ leisten, während

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Ischler Fremden-Salon, Nr. 14 (16.06.1855), S. 53. Sibylle Lehmann, Das fürstliche Schauspielhaus in Bad Pyrmont. Die Funktion eines Kurtheaters im 19. Jahrhundert, München 1994, S. 40 sowie 114–122. 19 Heinrich (Hg.), Deutscher Bühnen-Almanach, S. 162f. 18

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der Rezensent weitere Namen unerwähnt ließ.20 30 Hofmusiker umfasste das Orchester unter der Leitung von Hofkapellmeister August Kiel (1813–1871), auch hier ist von personellen Überschneidungen mit der in Pyrmont während der Badesaison unentbehrlichen Kapelle auszugehen. Pichler und Mewes verfügten für die Spielplangestaltung insgesamt über ein Ensemble, das in puncto Größe und Erfahrenheit im Vergleich zu Ischl mehr Beschränkungen auferlegte. In den Bereichen Lust- und Schauspiel machte sich dies bezüglich des Repertoires nicht signifikant bemerkbar, aber für die stark musikalisch geprägten Genres konnte das in Pyrmont tätige Ensemble auf bescheidenere personelle Ressourcen bauen. Auffällig ist, dass verschiedentlich Einakter programmiert wurden, die in Kombination mit Tanzaufführungen von Gästen oder anderen nur wenige Rollen involvierenden Stücken zur Aufführung gelangten. Diese aus mehreren kürzeren Darbietungen zusammengesetzten Theaterabende mochten für das Badepublikum, dessen Aufmerksamkeit dadurch weniger lange gefordert war, auch ein Vorteil sein. Für die Truppe selbst war das auf jeden Fall eine Möglichkeit, Theater zu spielen, auch wenn durch Krankheit oder anders begründete Abwesenheiten das verfügbare Ensemble temporär klein war. Dass es aus personellen, ökonomischen und künstlerischen Gründen auch in Pyrmont die größte Herausforderung darstellte, Opern auf die Bühne zu bringen, wird im Artikel über Theater in Pyrmont direkt angesprochen, wenn der Rezensent sich öffentlich fragt, ob „die Direction nicht bedeutend gewinnen würde, wenn sie sich nur auf Lust- und Singspiele beschränkte“. Dieser Weg wurde nach 1855 auch tatsächlich eingeschlagen; in den Folgejahren verschwanden Opern fast ganz aus dem Repertoire (Anteil in den Jahren 1851–59: 15,2 %; 1861–69: 3,2 %).21

2.2 Spielpläne In Pyrmont sind für den Zeitraum vom 27. Juni 1855 bis 28. August 1855 immerhin 48 Aufführungen nachzuweisen; an 63 potenziellen Spieltagen wurde von Donnerstag bis Sonntag mit einer Ausnahme (Probe einer neuen Posse) immer gespielt und mittwochs fast nie, weitere spielfreie Abende fielen zuweilen auf Montage oder Dienstage. An 33 Abenden wurde ein abendfüllendes Stück von drei bis fünf Aufzügen oder ein Ballett gegeben, 15 Mal war ein gemischtes Programm mit mehreren kürzeren Stücken oder einer Tanz-Vorstellung mit abschließendem Lustspiel in einem Akt zu sehen. 40 unterschiedliche Stücktitel gehörten im Sommer 1855 zu dem von Pichler und Mewes gezeigten Repertoire, das zudem Tanzvorstellungen auswärtiger Ballettmeister und Tänzerinnen sowie die Magierin Bénita Anguinet (1819–1887) aus Paris bot. Zu mehr als einem Drittel wurden längere und kürzere

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Pyrmonter Wochenblatt, Nr. 57 (18. Juli 1855). Lehmann, Das fürstliche Schauspielhaus in Bad Pyrmont, S. 77.

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Lustspiele gezeigt, darunter fünf des Erfolgsautors Roderich Benedix (1811–1873) (Die Hochzeitsreise, Der Weiberfeind, Doctor Wespe, Das Gefängnis, Das Concert), daneben standen sieben Possen und fünf Opern auf dem Pyrmonter Spielplan. Die Theatersaison in Ischl dauerte im Sommer 1855 vom 17. Juni 1855 bis zum 27. September 1855. An diesen 103 Tagen war der Dienstag in der Regel theaterfrei, auch weil das Orchester dienstags im Casino regelmäßig zu einer Tanzveranstaltung aufspielte. Wenn ein weiterer theaterfreier Tag pro Woche angenommen wird, so wären in diesem Zeitraum 73 Vorstellungen gespielt worden. 37 unterschiedliche Stücktitel nennt der Ischler Fremden-Salon namentlich, wobei Direktor Denemy den Spielplan dann verantwortete, wenn nicht Gäste die Auswahl der Stücke selbst bestimmten. Dass Aufführungen wiederholt wurden, findet sporadisch in den Thea­ terberichten Erwähnung, die aber vor allem die neuen Stücke vorstellten. Fast die Hälfte des Ischler Repertoires 1855 war von Possen, Vaudevilles und Schwänken bestimmt, ein Viertel von Lustspielen und ein Fünftel von Opern, während auffallend wenige Schauspiele und ein einziges von einem weiblichen Gast bestimmtes Trauerspiel zur Aufführung gelangten. Die Differenz der Spielpläne in Ischl und Pyrmont liegt letztlich vor allem in der unterschiedlichen Gewichtung von Posse mit Gesang und Lustspiel, die sich aber nicht mit einer unterschiedlichen Wirkungsabsicht, sondern eher mit personellen und ökonomischen Differenzen erklären lässt. Dasselbe gilt für die eigentlich zeittypische, aber in Ischl kaum geübte Komposition von Aufführungen aus mehreren Programmpunkten oder Stücken, was in Ischl personell nicht nötig war und durch das in Kurstadttheatern allgemein übliche Bestreben, die Theaterabende von der Dauer her auf zwei Stunden zu beschränken, nicht geboten. Ansonsten ist auffallend, was schon als allgemeine Erkenntnis zum Kurtheaterbetrieb erwähnt wurde, nämlich, dass trotz des dominanten Anteils adeliger sowie besitz- und bildungsbürgerlicher Schichten im Publikum der Bäder das Repertoire weder von der Präferenz des Adels für die Oper, noch von einem bildungsbürgerlichen Theaterideal geprägt ist. Allerdings scheint die nicht zentrale Bedeutung der Oper für das Repertoire auch dem organisatorischen Umstand geschuldet, dass es weitaus schwieriger und ökonomisch aufwendiger war, dafür die erforderlichen Sänger und Sängerinnen bzw. Musiker und Musikerinnen über einen längeren Zeitraum in den Kurstädten zu halten. Das gilt für Ischl und noch dezidierter für Pyrmont. Hervorzuheben ist allerdings auch, dass es beträchtliche Überschneidungen in den Spielplänen beider Kurorte gibt. Die Lustspiele Die Hochzeitsreise sowie Das Gefängnis von Benedix gehörten im Norden und im Süden des deutschsprachigen Raumes zum Standardrepertoire für ein Badepublikum, ebenso wie der Schwank Der verwunschene Prinz von Johann von Plötz, der auf Jacob und Wilhelm Grimm gemünzte Einakter Einer muß heiraten!, der langjährige Spielplanrenner Das Fest der Handwerker von Louis Angely, Johann Nestroys Posse Der Talisman und die beschwingten Opern Die Regimentstochter sowie Martha, oder: Der Markt zu Richmond. Die teilweise dialektale „Scene aus den Österreichischen Alpen mit Nationalgesängen“ mit dem Titel Das Versprechen hinterm Herd von Alexander Baumann mag auf dem Ischler Spielplan unvermeidlich, in Pyrmont überraschend wirken. Allerdings gehörte dieses Vierpersonenstück mit viel Musik und Gesang, in dessen Zentrum die ebenso

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muntere wie kluge Sennerin Nandl stand, zu einem Repertoire, das mit seiner fröhlichen Verklärung von Bergwelten, Natur und Rechtschaffenheit sowohl im Theater der Berufsakteure und Amateure international gerne gespielt und gesehen wurde. In Ischl setzte es nicht etwa Denemy auf den Spielplan, sondern ein Schauspieler vom Stadttheater Hamburg, der sich die Rolle des in den Alpen weilenden Freiherrn aus Berlin „im affektirt steyrischen Costum“ als Gastrolle auserwählt hatte.22 Die mit einfachen Mitteln wirkungsvoll umzusetzenden Szenen, in denen eine als naturwüchsig verklärte Sennerin auftrumpft, war durch das abseits des Städtischen angesiedelte Ambiente einem Badepublikum erfolgreich zu vermitteln. Das von Adolph Oppenheim und Ernst Gettke herausgegebene Theater-Lexikon aus dem Jahr 1889 widmete jedem Kurtheater einen Artikel, wobei sie kaum künstlerische Aspekte, sondern ökonomische Fakten in den Mittelpunkt stellten. Wem das Theater gehört, wie viel die jährliche Pacht desselben betrug, wie groß der Zuspruch des Publikums ist etc., war zu erfahren. Gemäß diesem Lexikon fasste das Theater in Ischl 500 Zuschauende,23 jenes in Pyrmont hingegen 750.24 Die Schwierigkeit solcher Angaben besteht darin, dass sie die Struktur des Zuschauerraums nicht berücksichtigen und beispielsweise auch nicht zwischen Sitz- und Stehplätzen differenzieren. Im Theater in Ischl gab es Sitzplätze im Parterre sowie Logen im ersten, im zweiten und im dritten Rang, während der als „letzte Gallerie“ bezeichnete vierte Rang primär Stehplätze aufwies. In der Mitte des ersten Ranges war zudem die Hofloge untergebracht. Auf der Grundlage verfügbarer Informationen sowie einigermaßen detaillierter Risse aus der Zeit vor 1865, lässt sich vermuten, dass die Angabe zur Publikumskapazität im Theaterlexikon auch für das Jahr 1855 grob 22

Alexander Baumann, Das Versprechen hinterm Herd. Eine Scene aus den österreichischen Alpen mit Nationalgesängen, in: Ders., Singspiele aus den österreichischen Bergen im Volksdialekt, Wien 1850, S. 3. – Dass sich Gäste in Ischl Trachten als Kleidung für den Kuraufenthalt zugelegt haben, überliefert Franz Carl Weidmann, Ischl und seine Umgebung. Taschenbuch für Badegäste und Touristen, Wien 1854, S. 61: „Ein Theil der Badegäste, und besonders die Touristen, haben in neuerer Zeit die Zweckmäßigkeit und Kleidsamkeit der älplerischen Tracht erkennend, sich derselben zu bedienen angefangen, und diese Sitte verbreitet sich immer mehr.“ 23 Adolf Oppenheim/Ernst Gettke (Hg.), Deutsches Theater-Lexikon. Eine Encyklopädie alles Wissenswerthen der Schauspielkunst und Bühnentechnik, Leipzig 1889, S. 407: „Jschl. Stadt und Kur­ ort in Ob.-Oesterr., einer der besuchtesten Badeorte und zwar fast durchgehends von der besseren Gesellschaft. Sommeraufenthalt des österr. Hofes. Das Theater ist Eigenthum der Gemeinde, und wird dem Direktor gegen eine jährliche Pacht von 1200 Fl. überlassen. Dasselbe faßt 500 Personen, Tageskosten excl. Gagen 50 Fl. Aufgeführt werden Operette, Schau- und Lustspiel. Der Besuch ist nur bei Regenwetter oder trüben Tagen gut. Hohe Eintrittspreise, daher decken einzelne gut besuchte Häuser den Ausfall an schönen Tagen. Konzerte bei schlechter Witterung gut besucht und werden sowohl im Kursaal als Hotel Kaiserin Elisabeth abgehalten. Sehr theure Lebenspreise. Saison vom 1. Juni bis 15. September.“ 24 Oppenheim/Gettke (Hg.), Deutsches Theater-Lexikon, S. 670: „Pyrmont. Stadt und vielbesuchter Badeort in Waldeck, 2000 Einw. AG. Das Theater in P., dessen Direktion seit Jahrzehnten mit dem fürstl. Theater in Detmold verbunden ist, Privateigenthum der Pichler’schen Erben, wurde 1826 erbaut und faßt 750 Pers., Miethe 1600–2000 Mk. für die Sommersaison, und einige nicht gerade sehr angenehme Bedingungen für die Dekoration. Spielzeit gewöhnlich Mitte Juni bis September. Zur Aufführung gelangen: Schau-, Lustspiel, Possen und kleine Singspiele. Lebensmittel und Wohnungen ziemlich theuer.“

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stimmen könnte, wobei die 500 Plätze geschätzt auf 400 Sitzplätze und 100 Stehplätze aufzuteilen wären.25 Für das Theater in Pyrmont dürfte eine Zuschauerkapazität mit 750 Personen zu hoch gegriffen sein. 500 Personen haben aber 1855 sicherlich im Theater Platz gefunden, das ein geräumiges Parkett, Parkett-Logen und Logen im ersten Rang inklusive Fürsten-Loge sowie eine Galerie aufwies.26 Ungeachtet der Schwierigkeit, diese Zahlen zu objektivieren, ist zu betonen, dass beide Theater einer enormen Anzahl an Badegästen Platz bot. In der Saison 1855 wurden in Pyrmont 4.33827 Kurgäste registriert, in Ischl 6.279.28 Wenn also tausend bis maximal zweitausend Gäste gleichzeitig anwesend waren, so hätten die Direktoren jeden Abend die Hälfte bis ein Viertel aller anwesenden Fremden gewinnen müssen, um das Theater zu füllen. Selbst wenn ein Theaterbesuch dank der stark abgestuften Preiskategorien mit günstigen Galerieplätzen grundsätzlich für alle finanzierbar war, so gehörte ein Theaterbesuch zu den zusätzlichen Kosten eines Kuraufenthalts, die sich die meisten nicht mehrmals die Woche gegönnt haben werden, mal abgesehen davon, dass es andere lustvolle Möglichkeiten gab, insbesondere die schönen Sommerabende zu verbringen. Ausreichend Publikum zu finden stellte die Direktoren deshalb vor eine gewaltige Herausforderung. Ein Blick auf die Repertoirelisten lässt aus dieser Perspektive eine zentrale Strategie in Bezug auf die Spielplangestaltung erkennen. Dass für die gerade mal zwei Monate dauernde, rund 48 Aufführungen umfassende Spielzeit in Pyrmont 40 unterschiedliche Stücktitel nachzuweisen sind, zeugt vom wichtigsten Prinzip, mit dem die Direktoren von Kurtheatern sich um ein gut gefülltes Haus bemühten: Varietas delectat! Im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten die maximale Varietät anzustreben, bedeutete in Pyrmont: verschiedene Genres abwechselnd zu programmieren; Stücke auszuwählen mit Figuren, die in puncto sozialer Milieus und Ausdrucksweisen variieren; neue Stücke und altbewährte Publikumsrenner abwechseln zu lassen; unterschiedliche Kombinationen von Gesang, Sprache, Musik und Tanz anzubieten; neben gemischten Programmen mit heiteren und kürzeren Programmpunkten auch Abende mit längeren und durchaus mit Bildungsniveau konnotierten Stücken anzusetzen; periodisch Gäste in das Programm zu integrieren etc. Die Varietät war dann gewährleistet, wenn mit jeder Aufführung dem Publikum der Eindruck vermittelt werden konnte, dass im Theater etwas Besonderes über die Bühne gehen wird und dass alle Geschmäcker mindestens einmal pro Woche bedient werden. Dass der Pyrmonter Spielplan durch die so knapp wie möglich gehaltenen Annoncen der Direktoren dokumentiert ist, verleiht den offenbar unerlässlichen Informationen Gewicht. Dass das „neueste Lustspiel von Benedix“ auf dem Programm stand, mussten alle wissen, die Roderich Benedix als Ga25

Sandra Leitinger, Das Sommertheater Bad Ischl. Mit besonderer Berücksichtigung der Zwischenkriegszeit, Diplomarbeit Univ. Wien 2001, S. 27–29 sowie Anhang 6. 26 Dies entspricht auch der Angabe in: Karl Friedrich Heinrich Strass, Pyrmont und dessen Umgebung. Ein Taschenbuch für Curgäste und Reisende, Pyrmont 1850, S. 57: „Es enthält ein ziemlich geräumiges Parket und Parterre, auch einen ersten Rang, mit einer hinreichenden Anzahl von Logen, so daß es über 500 Personen faßt.“ Vgl. auch Lehmann, Das fürstliche Schauspielhaus in Bad Pyrmont, S. 45f. Zur Abstufung der Eintrittspreise vgl. ebd., S. 32f. 27 Lehmann, Das fürstliche Schauspielhaus in Bad Pyrmont, S. 110. 28 Ischler Fremden-Salon, Nr. 56 (29.09.1855), S. 251.

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ranten für gute Unterhaltung schätzten. Wenn etwas „zum Erstenmale“ in Pyrmont zu sehen war, musste dies betont werden. Die ausführlichsten Zusatzinformationen betrafen aber die Anwesenheit der Fürstin und des Fürsten zu Waldeck-Pyrmont im Theater, die den Theaterabend unabhängig von dem, was gespielt wurde, zu einem exklusiven gesellschaftlichen Anlass machten. Zu den Besonderheiten des Pyrmonter Spielplans gehörten die Gastvorstellungen von drei Ballettmeistern mit ihren Tänzerinnen, die immerhin sechs Theaterabende dominierten, dann der Auftritt der in ganz Europa bekannten Magierin Bénita Anguinet aus Paris, aber auch von Professor Rasimi und seinen „beiden liebenswürdigen 7- und 8-jährigen Knaben“, die im „mimisch-plastischen Gebiete“, also dem Stellen von lebenden Bildern, offenbar „Ausgezeichnetes und Vollendetes“ zu bieten hatten. Auffällig bei der Programmierung des Pyrmonter Sommers ist aber auch die für Kurtheater verhältnismäßig große Anzahl an längeren und inhaltlich anspruchsvolleren Stücken, die im Widerspruch zur allgemeinen Tendenz der Spielpläne in Kur- und Badeorten stehen. Dazu gehören etwa die als „Schauspiele“ bezeichneten Stücke wie Heinrich von Kleists Das Käthchen von Heilbronn in der Bearbeitung von Franz Ignaz von Holbein, Eine Frau von Charlotte Birch-Pfeiffer, Der Sohn der Wildnis von Friedrich Halm, Die Valentine von Gustav Freytag und Das Glas Wasser oder Ursachen und Wirkungen nach Eugène Scribe von Alexander Cosmar, die beispielsweise auch zum Repertoire des Wiener Burgtheaters gehörten. Zudem boten die Lustspiele Des Königs Befehl von Karl Töpfer, das mit Friedrich II. einen historischen Protagonisten kannte, oder Der geheime Agent von Friedrich Wilhelm Hackländer, in dem sich ein junger Herzog listig gegen die in ihren Mechanismen nicht reformfähige Welt seines Hofes zur Wehr setzt, trotz ihres leichten Konversationstons einen Raum für Reflexion für diejenigen, die das vom Theater erwarteten. Ein weiterer Pyrmonter Programmpunkt ist hervorzuheben, nämlich die Premiere der Lokalposse Die Bummler von Berlin von David Kalisch und August Weihrauch, für deren Hauptprobe an einem Samstag gegen Ende der Spielzeit das Theater geschlossen bleiben musste, um es danach zwei Mal zeigen zu können. Dieses Werk folgte zwar mit viel Gesang und aufwändiger Szenografie ganz den Gesetzen des Geschäftstheaters, aber es verlieh dem Berliner Prekariat eine selbstbewusste und witzige Stimme, während es bürgerliche Stützen der Gesellschaft in ihrer scheinheiligen Doppelmoral und Geldgier lustvoll entlarvte. Für das maßgeblich auf Possen mit Gesang basierende Programm des Theatersommers 1855 in Ischl wären die Protagonisten der Berliner Lokalposse von ihrer Haltung her zu forsch und zu konfrontativ gewesen. Zwar erklangen die scharfen Tiraden und Couplets von Johann Nestroy auf der Bühne dieser Kurstadt auffallend oft, nicht weniger als sechs seiner Possen mit Gesang gelangten zur Aufführung, aber die wurden nicht in ihrer kritischen Dimension rezipiert, zumal das Publikum Nestroy als einen Freund und Verbündeten sehen konnte, da dieser selbst seine Sommer regelmäßig in Ischl verbrachte. Zwei Mal trat er 1855 als Akteur auf und unterstellte die beiden Aufführungen einem karitativen Zweck, indem er die Einnahmen der Ischler „Kleinkinderbewahr-Anstalt“ spendete.29 An diesen Tagen bot das Schauspielhaus „ein Bild der Überfüllung, wie solches unser Kurort schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte“, 29

Vgl. auch Walter Obermaier, Nestroy-Stadt Bad Ischl, Wien 2010, S. 36–57.

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und der Rezensent wünschte sich, „es möchten die Mauern des Hauses von Kautschuk geformt sein“, da tatsächlich nicht alle zur Aufführung des Mädel aus der Vor­ stadt eingelassen werden konnten. Nestroy feierte auf dieser Bühne einen Triumph als Schauspieler, und der Rezensent gelangte zur Überzeugung, „daß es der Nachwelt vorbehalten bleiben muß“, Nestroy „als Mensch, Dichter und Schauspieler zu feiern“. Das Programm zu variieren gehörte auch zu den wichtigsten Aufgaben von Direktor Denemy, aber die Rahmenbedingungen unterschieden sich. Erstens hatte er mit seiner Truppe innerhalb der musikalischen Genres mehr Varietät zu bieten und vermochte in der letzten Phase der Spielzeit größere Opern anzusetzen, zweitens orientierte sich das Theaterinteresse in Ischl primär an Personen und sekundär an Stücken. Denemy selbst konnte mal seine Sängerinnen in den Vordergrund rücken, mal sein breites Personal für die Posse und mal seine junge Liebhaberin Frl. Bertha Schmidt. Zusätzlich boten sich renommierte Gäste an, die sich vornehmlich in ihren Paraderollen präsentierten. Gäste waren für Denemy ökonomisch zwar nur bedingt interessant, da seinem Unternehmen dann ein gewisser Teil der Einkünfte entging, aber die Gastspiele wirkten sich positiv auf das Theaterinteresse insgesamt aus. Der erste Gast, der in Ischl 1855 auftrat, war Georg Friedrich Starke (1815–1858) vom Stadttheater Hamburg. Er debütierte am 4. Juli in Ischl in der Rolle des Schusters Wilhelm in Der verwunschene Prinz. An weiteren Abenden trat er, wie schon erwähnt, als Freiherr von Stritzow in Das Versprechen hinterm Herd auf sowie als Baron Palm in List und Phlegma, einer Vaudeville-Posse von Louis Angely. Laut dem Fremden-Salon zog Starke ein „zahlreich versammeltes, elegantes Publikum“ an, über „stürmische Beifallsbezeugungen“ war danach zu berichten. Noch enthusiastischer und vor allem in Bezug auf die Auslastung des Theaters einzigartig erfolgreich fielen die oben schon erwähnten karitativen Auftritte des Kurgastes Johann Nestroy aus, der am 16. Juli als Schnoferl in Das Mädel aus der Vorstadt auf der Bühne agierte und am 20. Juli als Titus Feuerfuchs in Der Talis­ man. Und auch der dritte Gast, „Frl. Johanna Hofmann vom Theater in Pest“, sorgte (mutmaßlich am 26. Juli) für einen sehr besonderen Theaterabend, weil sie nämlich als Protagonistin Thusnelda im einzigen Trauerspiel der Saison, in Friedrich Halms Der Fechter von Ravenna, auftrat. Auch diese Aufführung habe „vor glänzend gefülltem Hause“ stattgefunden, wobei offenbleiben muss, ob dies an der für Ischl ungewöhnlichen Repertoireentscheidung, an der Schauspielerin Hofmann, die mit zwei weiteren Gästen aufgetreten ist, oder an der Tatsache, dass diese Aufführung gleichzeitig die Benefiz-Vorstellung für das beliebte Truppenmitglied Mathilde Kurz-Preiß war, gelegen hat. Vermutlich sind einfach ausreichend Faktoren zusammengekommen, um vielen Menschen einen Grund zu geben, diesen außerordentlichen Abend im Theater zu verbringen. Neben den Gastvorstellungen wirkten auch in Ischl Theaterbesuche von Vertretern des Hochadels vitalisierend auf das Publikumsaufkommen. So konnte mit der Königin der Niederlande, Sophie von Württemberg, 1855 die Hauptattraktion des Abends auch mal in der Loge sitzen, und auch die Huldigungen, die der kaiserlichen Familie im Theater dargebracht wurden, generierten Publikum. Denemy war grundsätzlich gut beraten, seine Repertoireplanung auf die Akteurinnen und Akteure abzustützen und sich auf Gäste einzulassen, während der Grundzug der ausgewählten Stücke fast immer ein heiterer sein sollte. Jeglicher Planung waren aber Grenzen ge-

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setzt, „indem die Hallen des Kunsttempels zumeist nur an regnerischen, trüben Tagen sich öffnen“.30 Es war üblich, bei allzu schönem Wetter nicht zu spielen, weil sich dann andere Vergnügen aufdrängten.

3. Der balneologische Imperativ: „Süßer Müßiggang“ als „heilige Pflicht“ Ein in Berlin 1855 erschienener Führer für „Badereisen nach den vorzüglichsten Bädern und Kurorten Deutschlands“ zählte 150 Bäder auf, wobei der Fokus da­ rauf gerichtet war, welches Bad welche Krankheiten zu heilen versprach. Zusätzliche Information betrafen auch die balneologischen und weiteren therapeutischen Einrichtungen, die Reise- und Unterkunftsmöglichkeiten, aber auch das Angebot an Vergnügungen. Seinem Führer hatte der Autor „Notizen für Brunnen-Trinkende und Bade-Reisende“ vorangestellt, um allgemeine Empfehlungen auszusprechen. Was bei Trinkkuren und Bädern, den Mahlzeiten, den so wichtigen Stunden in der frischen Luft etc. zu beachten sei, wurde hier zusammengefasst. Diese Verhaltensregeln zielten auf die leibliche Verfassung, die allerdings nicht nur durch das ‚richtige‘ Baden, Trinken, Essen, Spazieren und Schlafen verbessert werde, denn: „[…] auch das geistige Leben des Brunnen-Besuchers ist von sehr großem Einflusse auf seine Kur; jede schlimme Einwirkung übt ihre Rückwirkung auf den Körper aus; deshalb müssen alle sogenannten geistigen Beschäftigungen, als anstrengendes Nachdenken, ernste Gespräche und bedeutende Schreibarbeiten, selbst inhaltreiches Briefschreiben vermieden werden. Nicht minder muß der Kurgast jede Einsamkeit, Langeweile und Zurückgezogenheit, so wie besonders Kummer, Ärger und Zorn vermeiden. Zerstreuung Behaglichkeit und eine gemüthliche Unterhaltung sind für den Kurgast durchaus nothwendig und von den ersprießlichsten Folgen.“31

In dieser Einleitung war also angesprochen, was den Rhythmus der Kurstädte bestimmte: Therapeutische Anwendungen, Mahlzeiten, das Flanieren und Verweilen in Parkanlagen, Ausflüge in die Umgebung, aber auch die heitere Geselligkeit bei Konversation, Spiel, Musik, Tanz und, sofern vorhanden, im Theater. Wer als Tourist ohne gesundheitliche Beschwerden und ärztliche Anordnungen die Wochen des Sommers in einem Kurort verbrachte, war freier in der Tagesgestaltung, trotzdem prägte das Kurwesen den Rhythmus dieser besonderen Lebensräume. In Pyrmont, wie in vielen anderen Kurstädten, wurde spätestens morgens um sechs aufgestanden, um als erstes in der Trinkhalle „die vorgeschriebene Zahl von Bechern mit einer

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Ischler Fremden-Salon, Nr. 33 (31.07.1855), S. 129. H. Cant, Badereisen nach den vorzüglichsten Bädern und Kurorten Deutschlands, nebst Angabe derjenigen Krankheitsformen, welche durch den Gebrauch dieser Bäder geheilt werden. Enthaltend 150 Bäder, Berlin 1855, S. 3.

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Pause von 15 Minuten zwischen jedem“ einzunehmen.32 Danach durfte ein leichtes Frühstück genossen werden, ehe die verschiedenen Sole-, Schlamm-, Dampf- oder Molkebäder aufzusuchen waren. Nach dem Baden war ein Spaziergang empfohlen. Blieb nach diesem noch Zeit, so sollte diese mit „einer leichten Lectüre, durch einen Besuch, Zeichnen, Sticken, Musicieren oder geselliges Gespräch“ verbracht werden. Um ein Uhr wurde das Mittagessen eingenommen, danach brach die Zeit an, um Kaffee zu trinken oder Ausflüge zu unternehmen. Wer eine Trinkkur machte, musste auch tagsüber zu festen Zeiten trinken und andere Aktivitäten darauf abstimmen. Am Abend war die Hauptallee das Zentrum Pyrmonts. Dort stand das Kurhaus, das zwei miteinander verbundene Säle für Bälle, Maskeraden und Konzerte aufwies, sowie das Kaffeehaus mit Restauration, Billardtischen und Tischen zum Schachspielen. In beiden Gebäuden war früher auch Hazard, Roulette und Rouge et Noir gespielt worden, wobei Karl Friedrich Heinrich Straß in seinem Pyrmont-Führer von 1850 versicherte, diese Glücksspiele seien „jetzt eingestellt“. Neben dem Kurhaus bzw. gegenüber dem Kaffeehaus lag der Theaterbau, wo die Aufführungen frühestens um 17 Uhr, spätestens um 19 Uhr begannen, denn ab 22 Uhr war in Pyrmont, wie in den meisten anderen Kurorten, Nachtruhe verordnet.33 Alle diese Aktivitäten folgten dem balneologischen Imperativ: „Anstrengende geistige Arbeiten sind ganz verboten. Der süße Müßiggang ist in Pyrmont, wie in den meisten Bädern, eine heilige Pflicht. Gemüths-Bewegungen soll man schlechterdings zu vermeiden suchen.“34 Sinngemäß galt dies auch in Ischl, vielleicht in noch erhöhtem Maß, unterschied doch der Reiseführer Ischl und seine Umgebung von Franz Carl Weidmann aus dem Jahr 1854 dezidiert zwischen zwei Besuchergruppen, nämlich zwischen „Badegästen“ und „Touristen“; der Anteil der Gäste, die sich im Sommer primär des „süßen Müßiggangs“ und nicht der Trinkkuren und Bäder wegen in Ischl aufgehalten haben, dürfte also hier höher zu veranschlagen sein. Das Angebot an Kuren und Vergnügungen war ähnlich, obgleich noch etwas reichhaltiger, was Sport, Freischwimmen, Berggänge und Ausflüge betraf.35 Auch das Angebot an Konzerten und Bällen und anderen gesellschaftlichen Zusammenkünften war breiter. Neben dem Casino, wo am Dienstag regelmäßig die Badekapelle für eine „ungemein zahlreiche, gewählte 32

Vgl. die Schilderung der „curmäßigen Lebens-Ordnung“ in: Strass, Pyrmont und dessen Umgebung, S. 39–45. 33 Kurstädte waren verschiedentlich auch die Handlungsorte von Lustspielen, die ebendort auch zur Aufführung kamen, jenes von zu Putzlitz etwa 1855 in Pyrmont. Diese Stücke geben unabhängig von ihren konventionellen Lustspielelementen ebenfalls Einblick in Selbstverständlichkeiten des Tagesablaufs in Badeorten, aber auch in Kurstädte als Begegnungsräume, in denen soziale Konventionen teils hochgehalten, teils unterminiert werden. Zur Analyse bieten sich u.­a. an: Johann Friedrich Jünger, Die Badekur. Ein Lustspiel in zwey Aufzügen. Leipzig 1782. – Alexander Cosmar, Badekuren. Lustspiel in zwei Aufzügen, in: Ders., Dramatischer Salon. Almanach kleiner Bühnenspiele zur Unterhaltung in geselligen Kreisen, Berlin 1839, S. 53–126. – Gustav Heinrich Gans zu Putlitz, Badekuren. Lustspiel in einem Aufzuge von Gustav zu Putlitz, Berlin 1859. 34 Strass, Pyrmont und dessen Umgebung, S. 41. 35 Vgl. Weidmann, Ischl und seine Umgebung. Als Ischler Besonderheit kann das sog. „Kur-Tragen“ gelten: Menschen mit wenig Bewegungsdrang oder -fähigkeit konnten sich in einem geschützten Sessel über Spazierwege, in die Berge, aber auch, insbesondere bei Regen, ins Theater oder Konzert tragen lassen.

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Gesellschaft“36 spielte, wo Gesangs- und Instrumentalvirtuosen oder Deklamatoren auftraten, veranstaltete auch das Hotel Kaiserin Elisabeth musikalische Soiréen und auch in Privathäusern gab es entsprechende Angebote für geladene Gäste. Die sogenannten „Reunionen“ im Casino begannen um 20.30 Uhr und konnten auch mal bis Mitternacht dauern.37 Die Nachtruhe um 22 Uhr wurde in Ischl also nicht strikt gehandhabt, auch die Theaterabende begannen gewöhnlich erst um 19.30 Uhr. Zwei Dinge sind in Bezug auf Wahloptionen und Erwartungen an Kurtheater festzuhalten, die von dieser Seite her das Repertoire bestimmen. Erstens gab es eine breite Auswahl an Vergnügungen, oder – wie dies im Ischler Fremden-Salon schlagend umschrieben wird –, sei Theater „in richtiger Schätzung nicht als unbedingt zum täglichen Brode des Badelebens gehörig“ zu betrachten, sondern habe „als angenehme Abwechslung in dem Kranze verschiedenartiger Genüsse“ zu gelten.38 Zweitens stand das Publikum der Kurstädte eben unter dem balneologischen Imperativ, der postulierte, dass alle leiblichen und sinnlichen Erfahrungen von Entspannung, Leichtigkeit und Heiterkeit geprägt sein sollen, weshalb auch negative Affekte und intellektuelle Anstrengung zu meiden waren. Leicht verdauliches Essen, kein „Kummer“, kein „inhaltreiches Briefschreiben“, höchstens „leichte Lectüre“ und keine „Gemüths-Bewegungen“, stattdessen „süßer Müßiggang“. Selbst wenn nicht alle diese Verhaltensregeln befolgt haben mögen, so etablierten diese doch einen spezifischen Erfahrungsmodus im gesellschaftlichen Leben von Kurorten. Unter solchen Voraussetzungen fristeten Theater in Kurstädten eine schwierige Existenz. Auch jener Gast des Jahres 1855 kam in seinem Aufsatz „Ueber das Theater in Pyrmont“ auf diesen problematischen Status zu sprechen: „Wer aber bedenkt, daß es für einen Ort, wie dieser, an sich schon ein großer Vorzug ist, eine Bühne zu besitzen, daß unter den deutschen Bädern nur wenige, wie Karlsbad, Teplitz, Wiesbaden, Jschl, Baden-Baden, sich solcher Vergnügungen erfreuen, der wird es für einen Akt angenehmer Pflicht erachten, ein solches Theater zu unterstützen.“39

Theaterbauten gehörten zu jenen Infrastrukturen, die Kurorte als Kurstädte erscheinen ließen. Für das Renommee eines Bades war ein Theaterbau deshalb förderlich, für die Badegäste selbst aber waren Theaterbesuche eine nette Abwechslung neben vielen anderen Vergnügungs- und Erholungsmöglichkeiten. Deshalb sind in lokalen Zeitungen immer wieder Aufrufe zu finden, das Publikum möge doch die Vorstellungen zahlreicher besuchen, oder es sind Klagen zu vernehmen, dass es dies nicht tue, sodass zuweilen – wie im obigen Zitat – an den Theaterbesuch als „Pflicht“ erinnert wurde. Die Erwartungshaltung des Publikums orientierte sich zudem am Theaterbetrieb der europäischen Großstädte. Auch der Schreiber der obigen Zeilen 36

Ischler Fremden-Salon, Nr. 26 (14.07.1855), S. 101. Ischler Fremden-Salon, Nr. 41 (18.08.1855), S. 171. 38 Ischler Fremden-Salon, Nr. 33 (31.07.1855), S. 129. Aus diesem Bericht stammt auch das Titelzitat dieses Beitrages. 39 Pyrmonter Wochenblatt, Nr. 57 (18.07.1855). 37

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legitimierte seine Urteilskraft damit, dass er schon „zahlreiche Vorstellungen auf den bedeutenden Bühnen Europas, zu Paris, London, Wien, Brüssel, Berlin, Dresden, München, Amsterdam“ gesehen habe. Aber es fiel ihm nicht ein, die dabei gewonnenen Maßstäbe tel quel auf den Pyrmonter Spielbetrieb zu übertragen, vielmehr sah er sich verpflichtet, „nach den bisherigen Leistungen der Bühne Pyrmonts […] Gerechtigkeit widerfahren“ zu lassen, und kam zum Gesamturteil, „daß sie mit den vorhandenen geringen Mitteln recht Erfreuliches und Vorzügliches geleistet hat“. Er räumte zwar ein, dass „das Personal der hiesigen Bühne nicht reich an ausgezeichneten Talenten“ sei, aber weil erstens „die Mittel zur Erhaltung der Bühne nur höchst gering sind“, zweitens „die Direction sich eifrig bestrebt, billige Wünsche des Publikums zu erfüllen“ und drittens „der Eifer des gesammten Personals“ lobenswert sei, positionierte er die Unterstützung der Bühne als „Akt angenehmer Pflicht“. Aus der Sicht des potenziellen Publikums war ein Theater in einer Kurstadt ein „Nice-tohave“ und keine Notwendigkeit, aber durchaus attraktiv, wenn ein abwechslungsreiches Programm geboten wurde, wenn es zumindest teilweise weltstädtischen Ansprüchen genügte oder durch Publikumsnähe punktete. Anhand des für den Ischler Fremden-Salon für die Rubrik „Kunst-Salon“ zuständigen Berichterstatters lässt sich eine entsprechend flexible Mischung an Wertungskriterien erkennen, die zwar nicht für das ganze Publikum generalisierbar sind, die aber im Sinne des eingangs entwickelten Repertoire-Begriffs auf Erfahrungen, Wahrnehmungsgewohnheiten und Erwartungen von Zuschauenden verweisen. Ganz im Sinne des balneologischen Imperativs ist die Rezeptionshaltung in Ischl erstens als auf die Akteure bezogen und zweitens als wirkungsorientiert zu erkennen, denn darauf zielen die dem Rezensenten als selbstverständlich geltenden Wertungsmaßstäbe. Bei den Akteuren werden die Persönlichkeit, die künstlerischen Mittel und die gespielten Parts kaum auseinandergehalten, vielmehr schienen Haltungen und erzeugte Stimmungen relevant. Es ist zu lesen, dass Akteure „mit gewohnter Laune wirkten“, mit „spielender Leichtigkeit“, „voll Begeisterung und Kraft“, „voll übersprudelnden Humor“ oder auch „voll liebenswürdiger Grazie“ aufgetreten seien. Wenn alle „mit sichtbarer Lust und Liebe ihr Schärflein beitrugen“ und dem Publikum „den heitersten Abend“ oder „ergötzliche Wirksamkeit“ durch die „lebensfrische Darstellung“ von „ganz köstlichen Figuren“ bescherten, waren die relevanten Qualitätskriterien für das Kurtheater erfüllt, und der Rezensent konnte sich der Schilderung enthusiastischer Reaktionen des Publikums zuwenden, das applaudierte, die Wiederholung insbesondere von Couplets forderte, einzelne Akteure und Akteurinnen vor den Vorhang rief, oder Blumensträuße auf die Bühne warf. „Lebensfrisch“ ist eines der häufig verwendeten Attribute für Akteure und ihr Spiel. Etwas spezifischer wurde das Vokabular des Rezensenten, wenn er über Nestroy schrieb. Dieser riss angeblich „durch sein meisterhaftes Spiel und seine unwiderstehliche vis comica Alles hin und mit der allgemeinen erregten Lachlust vereinigte sich das ganze aus so verschiedenen nationalen Elementen zusammengesetzte Publikum […]“. Weiter war die Rede von der „Allgewalt seiner hinreißenden Laune“, wie über seine „nie die Schranken des Edlen überspringende und doch so unwiderstehlich wirkende, drastische Komik, die selbst den größten Misanthropen ein heiteres Lachen abringen muß“. Aber auch in den Bezug auf den damals immer-

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hin schon 54-jährigen Direktor des Wiener Carl-Theaters blieb die Sehnsucht nach dem „Lebensfrischen“ ein Thema, wenn der Rezensent Nestroy als „selbst ewig jung und neu“ beschrieb, und ihm die Fähigkeit zusprach, dass er „alles wieder neu mit wahrem Jünglingsfeuer zu beleben verstehe“, weshalb seine „elektrische Darstellung […] auf das gesammte Personale mit zauberischer Gewalt“ gewirkt habe.40 Heiterkeit und Lachen als die von den Akteuren erzeugte Wirkung war eine zentrale Erwartung an die Aufführungen des Kurtheaters, von dem im Idealfall eine ähnlich belebende Wirkung ausging wie von den Bädern. Für die Possen und Lustspiele galt dies in besonderem Maß, während bei den sentimentalen Rollen und Stücken das Dekorum von Belang war. Bertha Schmidt, die den Rezensenten offensichtlich besonders zu affizieren vermochte, bezeichnete er als „ganz treffliche Darstellerin echt weiblicher Charactere, wo Gemüth und Empfindung vorwalten“; ausdrücklich lobte er „die Eleganz ihrer Salondamen, der feine Schliff des konversationellen Lebens, wie sie ihn zu geben versteht, ohne Bizarrerie oder überflüßige kokette Minauderien“.41 Wenn das Dekorum aus seiner Sicht nicht eingehalten wurde, rügte er das mit dem Hinweis auf das feine Ischler Publikum. Obwohl etliche Kurgäste tagsüber in ihren Bädern mit nicht nur wohlriechender „Natur“ in Berührung kamen, und obwohl der Reiseführer auch herausstrich, wo in Ischl „die Kranken die so heilsame Kuhstall-Luft athmen können“,42 verstand der Rezensent den Theaterraum doch als Refugium der sublimen Natur. Als am Ende der Saison das naturnahe Leben der Berge nicht mehr durch Schauspieler und Schauspielrinnen mittels „lebensfrischer“ Gesten und Gesänge evoziert wurde, sondern stattdessen die „steier’schen Naturund Alpensänger“ im Theater auftraten, schien ihm „solches Hahnengekrähe nicht aufs Theater“ zu gehören, und befand, dass er sich „etwas derartiges im Wirthshause gefallen lassen“ würde. Fröhlichkeit, Lachen und Grazie waren die Heilquellen des Kurtheaters, während Dramatik, Konflikt oder „inhaltreiche“ Absichten von Autoren dort fehl am Platz waren. Letztere ließen sich zwar auch im Kurtheater nicht ganz vermeiden, wurden aber im Rezeptionsprozess offenbar neutralisiert. Wenn eine Schauspielerin, die als Gast nach Ischl kam, in einem Trauerspiel auftreten wollte, dann war dies möglich. Und obwohl das Trauerspiel Der Fechter von Ravenna von Friedrich Halm die nationale Vereinigung Deutschlands heraufbeschwor, die zu den zentralen bürgerlich-liberalen Agenden auch in der Wiener Revolution 1848 gehört hatte, so war dies 1855 kein Argument gegen die Aufführung dieses Stücks. Aber der Ischler Rezensent stellte klar, „daß man hier nicht in’s Schauspielhaus geht um Politik zu machen, wie etwa in Paris, daß ein aus allen möglichen deutschen oder auch nicht deutschen Vaterländern zusammengesetztes Puplikum [sic] sich nicht eben von einzelnen tendenziösen Tiraden in Bewegung setzen läßt, sondern daß der gespendete Beifall vorzüglich der trefflichen Darstellung der Hauptcharactere zuzuschreiben“43 sei. Das internationale Kurtheaterpublikum wird also hier als Forum beschrieben, das keiner nationalen Parteilichkeit Raum geben kann, dafür aber fähig 40

42 43 41

Vgl. Ischler Fremden-Salon, Nr. 28 (19.07.1855), S. 110f. sowie Nr. 29 (21.07.1855), S. 114f. Ischler Fremden-Salon, Nr. 25 (12.07.1855), S. 98. Weidmann, Ischl und seine Umgebung, S. 49. Ischler Fremden-Salon, Nr. 33 (31.07.1855), S. 130.

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ist, entsprechende Inhalte zu neutralisieren. Die weiteren Ausführungen der Rezension gehen auch nicht weiter auf den Inhalt oder den Konflikt des Trauerspiels ein, sondern sie betonen spielerische Leistungen und Stimmungen und loben „das Feuer beflügelter Rede“ oder die „Begeisterung und Kraft“, mit der Direktor Denemy den Thumelicus gespielt habe.

4. Conclusio: „Was Jeder sucht, befriedigt Jeder findet“ Der Rezensent des Ischler Fremden-Salon verwies zwei Mal auf das internationale Badepublikum als den besonderen Rahmen für die Rezeption von Kurtheater; einmal staunend und anerkennend im Zusammenhang mit der gemeinschaftsbildenden Kraft des Lachens, das Nestroy in seinen Gastspielen zu erzeugen wusste, einmal apodiktisch hinsichtlich der Neutralisierung von potenziell politischen Inhalten. Auch aus heutiger Sicht ist die Internationalität des Badepublikums, die konkret anhand der Badelisten zu verifizieren ist, als Bedingung von Kurtheater hervorzuheben, denn der heitere und hedonistische Grundzug des Kurtheater-Repertoires im deutschsprachigen Raum ist auch unter dieser Rezeptionsbedingung zu reflektieren. Die Geringschätzung theatraler Künste, die auf Lachen, Fröhlichkeit und Beschwingtheit zielen, war und ist vor allem im deutschsprachigen Raum dominant. Die Internationalität des Badepublikums sowie der balneologische Imperativ, der über den Kurstädten schwebte, beförderte also ein für den deutschsprachigen Raum spezifisches Theaterrepertoire, dem Leichtigkeit und Leichtsinn nicht nur erlaubt, sondern verordnet war. Eine weitere und auch inhaltliche Analyse der in Ischl und Pyrmont gespielten Stücke würde festzustellen haben, dass die allermeisten Repertoirepositionen eklatante Ungerechtigkeiten bezüglich Klasse, Gender und ethnischer Zugehörigkeit verschleierten, verlachten, romantisierten oder naturalisierten. Allerdings wäre auch ein solcher Befund, der hier aus Platzgründen nicht ausgeführt werden kann, mit zwei besonderen Rezeptionsfaktoren in den Kurstädten in Verbindung zu bringen. Erstens erzeugten die Bäder selbst eine gewisse illusionistische Vergemeinschaftung über gesellschaftliche Fraktionierungen und Diskriminierungen hinweg, weil der Zweck des Kuraufenthaltes für alle ähnlich war. Auch wenn die hinter den Therapieangeboten, den Regenerationspraktiken und den geselligen Vergnügen liegende Preisgestaltung nicht alles für alle gleichermaßen verfügbar machte, so mussten doch für alle Badegäste leistbare Therapieangebote, Regenerationspraktiken und gesellige Vergnügen offen stehen,44 wobei in Trinkhallen, auf Spazierwegen, 44

Im Pyrmonter Wochenblatt Nr. 56 (15.07.1855) wurde beispielsweise explizit darauf verwiesen, dass es ein Angebot für sämtliche Stände gibt: „Pyrmont, gegenwärtig mehr und mehr sich vergrößernd und fortschreitend, läßt den der Quelle zuströmenden Fremden kaum etwas zu wünschen übrig. Er kann in einfacher bescheidner Wohnung, oder auch in hohen Prunkgemächern wohnen, kann in der Garküche für wenige Silbergroschen, oder aber auch an der üppigen Tafel speisen, kann sich die Zeit durch Ausflüge zu Wagen, zu Pferd oder Esel, durch einen Besuch der Bank, im Theater oder auch auf dem Balle – die, Gott sei’s geklagt, noch immer spärlich frequentiert werden – vertreiben, kurz:

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im Theater und anderswo von einer stärkeren sozialen Durchmischung auszugehen ist, als im städtischen Alltagsleben. Zweitens gehörte Theater in Kurstädten zu den marginalen Vergnügungsformen. Trotz der grundsätzlich zentralen Bedeutung der Institution Theater im 19. Jahrhundert in Bezug auf die Verhandlung von Verhaltensformen und sozialen Normen sowie der Tatsache, dass in vielen Schichten ein regelmäßiger Besuch eines bestimmten städtischen Theaterhauses Usus war, blieb Theater in Kurstädten ein unverbindliches Angebot unter vielen. So schnell es bei gutem Wetter und Hitze einfach entfallen konnte oder weitgehend leer blieb, so spontan gingen Badegäste ins Theater, wenn sie eben Lust dazu hatten. Bekannte Persönlichkeiten auf der Bühne und im Publikum wirkten sich dabei auf die Attraktivität besonders positiv aus, was bedeutet, dass das besondere gesellschaftliche Ereignis oftmals mehr zählte als das spezifische Stück. Aus Pyrmont ist zudem überliefert, dass teilweise Kinder im Theater abgegeben wurden, während die Eltern die Abendstunden anderweitig verbrachten.45 „Theater wurde als Medium des Vergnügens und der Erheiterung begriffen […]“ – Wenn sich die These zum Kurtheaterrepertoire von Linhardt als richtig erwiesen hat, so scheint der Kontext von Theater in den Kurorten für die Funktion desselben ausschlaggebend zu sein. Kurgäste und Touristen strebten die Regeneration der Lebenskräfte an und suchten in den Freizeitangeboten nach Heiterkeit, Vergnügen und Mühelosigkeit. Dies sowie der internationale und sozial durchmischte Rahmen, in dem eine temporäre illusionistische Vergemeinschaftung der Kurgäste auch in dem Maße gelang, in dem gesellschaftliche und politische Standpunkte in den Hintergrund traten, prägten hier das Repertoire. In dem von Carl Koppensteiner zu Beginn der Ischler Theatersaison 1855 vorgetragenen Eröffnungsprolog findet sich vieles in eine poetische Sprache übersetzt, was diese Mikrostudie damit als Erkenntnis formuliert hat. Koppensteiner evozierte zunächst den Winter in den Bergen, um dann die Erneuerung der Natur im Grün der Pflanzen, im Sprudeln der Bäche sowie im Gesang der Vögel zu feiern. Dieses erneuerte Leben mutierte im Gedicht sogleich zur Kraft des Kurorts, ohne Ansehen von Stand, Nationalität oder Alter Leben zu erneuern: „Aus allen Ländern, Ständen, Jung und Alt, ein Strom zum offnen Schöpfungstempel wallt“. Dieses sakralisierte Refugium versprach den als „Pilgern“ bezeichneten Gästen ein Leben nach der simplen Spielregel: „Was Jeder sucht, befriedigt Jeder findet“. Damit umschrieb der Schauspieler den Umstand, dass das Angebot der Kurorte insgesamt breit war und es den Gästen allein oblag, die Auswahl zu treffen. Er blieb auch konsequent, als er poetische Worte für die Funktion der Theaterkunst in Ischl suchte.

er kann sich einrichten, wie er will und es für gut findet. In Pyrmont ist jetzt für das Bedürfnis aller Stände gesorgt.“ 45 Lehmann, Das fürstliche Schauspielhaus in Bad Pyrmont, S. 95.

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„Sie ringt mit der Natur nach gleichem Ziele, Erheitert gern durch ihre muntern Spiele, Und wahrer Lebensbalsam träufelt nur, Wo Kunst sich eint der reizenden Natur. Sie will mit sorgsam sinnendem Bemühen, Genüßen, wie sie hier so reich erblühen, In Wald und Flur, auf See’n und Bergeshöhn, Abwechslung leih’n und hofft sich gern geseh’n.“46

Dass auch der auf „chargierte Rollen“ spezialisierte Koppensteiner die Einheit von Natur und Kunst betonte, ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht originell, dieses bürgerlich-aufgeklärte Credo zur Theaterästhetik nimmt aber im Kontext der als Schöpfungstempel verstandenen Kurstadt eine ungewöhnliche Bedeutung an. Der positive Reiz, der zwecks Belebung von der Natur ausgeht, mag im Theater von einem „sinnenden Bemühen“ getragen sein, woraus aber kein besonderer Vorzug resultiert, da dieser höchstens in der „Abwechslung“ liegt, wenn die nach Genuss strebenden Sinnesorgane der Kurgäste ausnahmsweise ihren Blick von „Wald“, „Flur“ oder „Seen“ abwenden und stattdessen auf eine Bühne richten.

46

Vgl. den „Prolog zur Eröffnung des neu dekorierten Theaters in Ischl, verfasst und vorgetragen von Carl Koppensteiner“, in: Ischler Fremden-Salon, Nr. 16 (21.06.1855), S. 62.

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5. Appendix 5.1 Theaterrepertoire Pyrmont, 1855 „Der Ball zu Ellerbrunn. Lustspiel in drei Akten von Carl Blum“ | Mi, 27.06. „Der Sonnwendhof. Volksschauspiel in fünf Akten von [Salomon Hermann] Mosenthal“ | Fr, 29.06. „Unter der Erde. Original-Charakterbild mit Gesang in drei Akten von [Carl] Elmar“ | So, 01.07. „Zur Ankunft Ihrer Durchlaucht der Fürstin Emma zu Waldeck-Pyrmont bei festlich erleuchtetem Hause: Fest-Ouverture, Prolog und Des Königs Befehl. Lustspiel in vier Akten von [Karl] Töpfer“ | Mo, 02.07. „Einer muss heiraten. Lustspiel in einem Akt [von Alexander Wilhelmi]. Guten Morgen, Herr Fischer. Vaudeville in einem Akt [von Wilhelm Friedrich Riese]“ | Di, 03.07. „Der Sonnwendhof. Volksschauspiel in fünf Akten von [Salomon Hermann] Mosenthal“ | Do, 05.07. „Die Hochzeitsreise. Lustspiel in zwei Akten [von Roderich Benedix]. Die Kunst geliebt zu werden. Liederspiel in einem Akt [nach dem Französischen, Musik von Ferdinand Gumbert]“ | Fr, 06.07. „Der geheime Agent. Lustspiel in vier Akten von [Friedrich Wilhelm] Hackländer“ | Sa, 07.07. „Farinelli, oder: König und Sänger. Schauspiel mit Gesang in drei Akten von [Wilhelm] Friedrich [Riese]“ | So, 08.07. „Wir benutzen diesen kurzen Raum, um auf die wahrhaft ausgezeichneten und kaum zu übertreffenden Leistungen des Professors Rasimi und seiner beiden liebenswürdigen 7- und 8-jährigen Knaben im mimisch-plastischen Gebiete, das Publikum dringend aufmerksam zu machen. Es ist in der That so Ausgezeichnetes und Vollendetes hier noch nicht gesehen worden.“

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„Letzte Gastvorstellung des Herrn Balletmeisters Schäffers mit Familie aus Bremen. Der Talisman. Posse mit Gesang in drei Akten von [Johann] Nestroy. Zum Beschluss: Traumbilder in sieben Tableaux.“ | So, 15.07.47 „Der Sonnwendhof. Volksschauspiel in fünf Akten von [Salomon Hermann] Mosenthal“ | Di, 17.07. „Der Sonnwendhof. Volksschauspiel in fünf Akten von [Salomon Hermann] Mosenthal“ | Do, 19.07. „Der Berliner im Schwarzwald. Schwank [von August Wilhelm Hesse]. Das Fest der Handwerker. Vaudeville [von Louis Angely]“ | Fr, 20.07. „Der Ball zu Ellerbrunn. Lustspiel in drei Akten von [Carl] Blum“ | Sa, 21.07. „Muttersegen, oder: Die neue Fanchon. Schauspiel mit Gesang in fünf Akten [von Heinrich Schäffer und Friedrich Wilhelm Riese]“ | So, 22.07. „Letzte Vorstellung der Zauberin Fräulein Benita Anguinet aus Paris“ | Mo, 23.07. „Das Concert. Neuestes Lustspiel in vier Akten von [Roderich] Benedix“ | Di, 24.07. „Der letzte Trumpf. Lustspiel in einem Akt [von Alexander Wilhelmi]. Das Versprechen hinterm Herd. [Eine Scene aus den Österreichischen Alpen mit Nationalgesängen von Alexander Baumann]“ | Do, 26.07. „Das Glas Wasser, oder: Ursachen und Wirkungen. Lustspiel in fünf Akten [von Eugène Scribe, in der Übersetzung] von [Alexander] Cosmar“ | Fr, 27.07. „Doctor Wespe. Lustspiel in vier Akten [von Roderich Benedix]“ | Sa, 28.07. „Bei festlich erleuchtetem Hause und zur Feier der Anwesenheit JJ. Durchlaucht des Fürsten und der Fürstin zu Waldeck-Pyrmont: Prolog. Darauf: Preciosa. Schauspiel mit Gesang in vier Akten von [Pius Alexander] Wolff. Musik von Carl Maria von Weber“ | So, 29.07. „Ballettvorstellung des Herrn Ballettmeister Rathgeber und der Solotänzerinnen Fräulein Oelecker und Rathgeber vom Hoftheater zu Hannover“ | Do, 02.08. „Der verwunschene Prinz. Lustspiel in drei Akten [von Johann von Plötz]“ | Fr, 03.08. 47

Zwischen dem Wochenblatt vom Sonntag, 8. Juli, und Sonntag, 15. Juli, fehlt die Mittwochausgabe des Pyrmonter Wochenblatts und damit auch das Repertoire dieser Woche.

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„Pagenstreiche. Posse in fünf Akten [von August von Kotzebue]“ | Sa, 04.08. „Das Käthchen von Heilbron[n]. Schauspiel in fünf Akten von [Heinrich von Kleist, für die Bühne bearbeitet von Franz Ignaz von] Holbein“ | So, 05.08. „Tanz-Vorstellung des Ballettmeisters Herrn Helmcke und der Solotänzerin Fräulein Bernadelly vom Hoftheater zu Dessau“ | Mo, 06.08. „Marie, die Tochter des Regiments. Komische Oper in zwei Akten von [Gaetano] Donizetti“ | Di, 07.08. „Eine Frau. Schauspiel in vier Akten [von Willibald Waldherr, i.e. Charlotte Birch-Pfeiffer]“ | Do, 09.08. „Gastspiel des Ballettmeisters Herrn Helmke und der Solotänzerin Fräulein Bernadelli. Dazu: Badecuren. Lustspiel [in einem Aufzug von Gustav zu Putlitz] und Der Weiberfeind. Lustspiel [in einem Aufzug von Roderich Benedix]“ | Fr, 10.08. „Der Sohn der Wildnis. Schauspiel in fünf Akten von [Friedrich] Halm“ | Sa, 11.08. „Das Donauweibchen. Komisches Volksmärchen [mit Gesang] in drei Akten [von Karl Friedrich Hensler]“ | So, 12.08. „Letzte Gastvorstellung des Ballettmeisters Herrn Helmke und der Solotänzerin Fräulein Bernadelli vom Herzoglichen Hoftheater zu Dessau. Dazu: Der Salzdirector. Lustspiel in drei Akten von [Gustav zu] Putlitz“ | Mo, 13.08. „Das Gefängniß. Lustspiel in vier Akten von R.[oderich] Benedix“ | Di, 14.08. „Die Valentine. Schauspiel in fünf Akten [von Gustav Freytag]“ | Do, 16.08. „Martha, oder: Der Markt zu Richmond. Romantische Oper in vier Akten [teilweise nach einem Plan von St. George von Friedrich Wilhelm Riese, Musik von Friedrich] von Flotow“ | Fr, 17.08. „Sonnabend bleibt das Theater wegen Vorbereitungen zu der sonntägigen neuen Posse geschlossen. […] Zum Erstenmale: Die Bummler von Berlin. Posse mit Gesang in zwei Abteilungen und vier Bildern von [David] Kalisch & [August] Wei[h]rauch“ | So, 19.08. „Donna Diana. Lustspiel in fünf Akten [von Don Augustin Moreto, übersetzt von Carl August West, i.e. Joseph Schreyvogel]“ | Mo, 20.08. „Der letzte Trumpf. Lustspiel in einem Akt [von Alexander Wilhelmi]. Darauf: Der Dorfbarbier. Oper in zwei Akten [von Johann Baptist Schenk?]“ | Di, 21.08.

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„Der Freischütz. Große romantische Oper in vier Akten von C.[arl] M.[aria] von Weber“ | Do, 23.08. „Die Bekenntnisse. Lustspiel in vier Akten [von Eduard| von Bauernfeld“ | Fr, 24.08. „Wiederholt: Die Bummler von Berlin. Posse mit Gesang in zwei Abteilungen und vier Bildern von [David] Kalisch & [August] Wei[h]rauch“ | Sa, 25.08. „Vorletzte Vorstellung: Nacht und Morgen. Schauspiel in vier Akten von Charlotte Birch-Pfeiffer“ | So, 26.08. „Vorletzte Vorstellung: Czaar und Zimmermann. Komische Oper in drei Akten von [Albert Lortzing]“ | Mo, 27.08. „Letzte Vorstellung: Der letzte Trumpf. Lustspiel in einem Akt [von Alexander Wilhelmi]. Darauf: Der Dorfbarbier. Oper in zwei Akten [von Johann Baptist Schenk?]“ | Di, 27.08.

5.2 Theaterrepertoire Ischl, 1855 Ein Hausmeister aus der Vorstadt. Original-Posse in drei Akten von Anton Langer. Die Vormundschaft. Lustspiel in zwei Aufzügen von Wolfgang A. Gerle und Uffo Horn. Der Rechnungsrath und seine Töchter. Original-Lustspiel in drei Akten von Leo­ pold Feldmann. Der Zerrissene. Posse mit Gesang in drei Akten von Johann Nestroy. Liebesgeschichten und Heurathssachen. Posse mit Gesang in drei Akten von Johann Nestroy. Die Regimentstochter. Opéra-comique in zwei Akten von Gaetano Donizetti. Die Köchin von Baden. Posse mit Gesang in 3 Akten von Carl Blum mit der Musik von Adolf Müller. Der Vater der Debütantin. Posse in 4 Aufzügen frei nach dem Französischen von Jean-François-Alfred Bayard von Bernhard Anton Herrmann.

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[Peter und Paul.] Lustspiel in drei Abtheilungen aus dem Französischen des Jean Henri Ferdinand La Martelière von Ignaz Franz Castelli. Der verwunschene Prinz. Schwank in drei Akten von Johann von Plötz. (Mit dem Hamburger Schauspieler Georg Friedrich Starke als Gast in der Rolle des Wilhelm). Das Versprechen hinterm Herd. Eine Scene aus den Österreichischen Alpen mit Nationalgesängen von Alexander Baumann. (Mit dem Hamburger Schauspieler Georg Friedrich Starke als Gast in der Rolle des Freiherr[n] von Strizow). List und Phlegma. Vaudeville-Posse in einem Akt von Louis Angely. (Mit dem Hamburger Schauspieler Georg Friedrich Starke als Gast in der Rolle des Baron von Palm). Ein Lump. Original-Posse mit Gesang in drei Akten von Friedrich Kaiser. Musik von Kapellmeister Carl Binder. Die reiche Bäckerfamilie, oder: Liebesbrief und Wechselbrief. Locales Charakterbild in zwey Akten von Friedrich Kaiser. Musik von Kapellmeister Michael Hebenstreit. Das Mädel aus der Vorstadt. Posse mit Gesang in drei Akten von Johann Nestroy. (Wohltätigkeitsvorstellung für die Ischler Kinderbewahranstalt, mit Johann Nestroy als Gast in der Rolle des Schnoferl). Der Talisman. Posse mit Gesang in drei Akten von Johann Nestroy. (Wohltätigkeitsvorstellung für die Ischler Kinderbewahranstalt, mit Johann Nestroy als Gast in der Rolle des Titus Feuerfuchs). Der Fechter von Ravenna. Trauerspiel in fünf Akten von Friedrich Halm. (Benefizaufführung für Mathilde Kurz-Preiß, die Salzburger Truppe verstärkt mit den drei Gästen „Frln. Hofmann vom Theater in Pest, Frln. Maier aus Wien und des Herrn Kurz von stdsch. Theater zu Laibach“). Einen Jux will er sich machen. Posse mit Gesang in vier Aufzügen von Johann Nestroy. Die Gefoppten oder Simmering und Wien. Posse mit Gesang in zwei Acten von Anton Bittner. Musik von Herrn Kapellmeister Adolph Müller. Dienstbothenwirthschaft, oder: Chatoulle und Uhr. Komisches Lokal-Charakterbild mit Gesang in zwei Aufzügen von Friedrich Kaiser. Musik vom Kapellmeister Michael Hebenstreit.

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Ein alter Deutschmeister. Charaktergemälde in drei Akten mit Gesang, nebst einem Vorspiele, von Alois Berla. Musik von Kapellmeister Adolf Müller. (Benefiz-Vorstellung für C. Koppensteiner). Englisch. Lustspiel in einem Aufzug von Karl August Görner. Der Platzregen als Eheprokurator. Posse in zwei Aufzügen von Ernst Raupach. Der Liebestrank. Opera buffa in zwei Akten von Gaetano Donizetti mit einem Libretto von Felice Romani nach Eugène Scribes Libretto zu Daniel-François-Esprit Aubers Oper Le philtre. Die Mäntel, oder: Der Schneider in Lissabon. Lustspiel in zwei Akten von Carl Blum. Die Musik des zur Handlung gehörigen Melodrams ist von Carl Blum. Das Gefängnis. Lustspiel in vier Aufzügen von Roderich Benedix. Des Teufels Zopf. Posse mit Gesang und Tanz in drei Aufzügen von Carl Giugno (Karl Juin) und L. Flerx. Die Grundidee nach Clairville. Musik von Kapellmeister Carl Binder. Goldteufel, oder: Ein Abenteuer in Amerika. Romantisch-komisches Gemälde mit Gesang in drei Akten von Carl Elmar. Festspiel Der Völkerliebe Jubelklänge (von Burghauser) sowie Opernabend mit Akten aus Der Freischütz (Akt II), Der Barbier von Sevilla (Akt II) und Ernani (Akt III) an einem Abend. Martha, oder: Der Markt zu Richmond. Oper in vier Abtheilungen (theilweise nach einem Plan von St. George) von Friedrich Wilhelm Riese. Musik von Friedrich von Flotow. Alessandro Stradella. Romantische Oper in drei Akten von Friedrich Wilhelm Riese. Musik von Friedrich von Flotow. Das Fest der Handwerker. Komisches Gemälde aus dem Leben. Als Vaudeville bearbeitet von Louis Angely. Ernani. Oper in vier Akten und fünf Bildern von Francesco Maria Piave. Musik von Guiseppe Verdi. Eisenbahnheirathen, oder: Wien, Neustadt, Brünn. Posse mit Gesang in drei Akten von Johann Nestroy.

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Das Nachtlager in Granada. Oper in zwei Akten von Conradin Kreutzer nach einem Libretto von Karl Johann Braun Ritter von Braunthal. Die Hochzeitsreise. Lustspiel in zwei Aufzügen von Roderich Benedix. Ein weißer Othello. Possenspiel in einem Akte nach Brisebarre’s „Un tigre du Bengale“ von Friedrich Wilhelm Riese. Einer muß heiraten! Lustspiel von A. Wilhelmi [Alexander Victor Zechmeister].

DIE KURSTADT ALS MUSIKSTADT – WALZERSELIGKEIT UND NEUE TÄNZE IM KURKONZERT Thomas Aigner

Nicht jede Kurstadt kann bzw. konnte ihre Gäste mit einem voll ausgebildeten Musikleben erfreuen. Das jeweilige Selbstverständnis der eigenen Bedeutung und die finanziellen Möglichkeiten bestimmten und bestimmen die eingesetzten Mittel. Für die vorliegende Studie möge es genügen, einige führende Kurstädte beispielhaft zu betrachten. Die Nutzung von Thermalquellen ist bereits für die Antike belegt. Inwieweit Musik im damaligen Badebetrieb eine Rolle spielte, sei einer Spezialstudie vorbehalten. Analoges gilt für das Mittelalter, als die Heilwirkung mineralhaltigen Wassers zwar ebenfalls genutzt wurde, jedoch ohne dass Kurorte oder gar Kurstädte im modernen Sinn entstanden wären. Diese Entwicklung fällt erst in die Neuzeit, erstmals zu beobachten im England des 18. Jahrhunderts. Die Stadt Bath im Westen Englands war bereits im Altertum für seine Heilquellen bekannt. Während die römischen Thermen verfielen, entstanden im Mittelalter neue Bäder. Nach einem Besuch der englischen Königin Elisabeth I. im Jahr 1574 nahm die Stadt einen bedeutenden Aufschwung. Adelige und sogar Monarchen kamen; 1702 stattete Königin Anna von England, Schottland und Irland Bath eine Visite ab. Damals gab es bereits bescheidene musikalische Darbietungen zur Unterhaltung der Kurgäste. 1670 wurde eine Gruppe von Musikanten erwähnt, die auf dem Schotterweg unter einem Baum aufspielten.1 Im Jahr 1704 wurde Richard „Beau“ Nash (1674–1761) inoffizieller Zeremonienmeister von Bath. Nash galt als Dandy, als ein auf seine Kleidung und Manieren besonders bedachter Mensch; heute würde man ihn als Stilikone bezeichnen. Er setzte verschiedene Reformen durch, insbesondere im Bereich der gesellschaftlichen Regeln. Er führte auch bauliche Maßnahmen durch; so ließ er etwa den Pump Room errichten, in dem das Heilwasser im Sinn

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Zur Geschichte der Kurmusik in Bath vgl. Robert Hyman/Nicola Hyman, The Pump Room Orches­ tra Bath. Three Centuries of Music and Social History, Gloucester 2011. Als genereller Überblick: Ian C. Bradley, Water Music. Music Making in the Spas of Europe and North America, Oxford 2010; Ders., Promenade Concerts, Music Pavilions and Bandstands. The Place of Music in Spa Parks, in: Volkmar Eidloth/Petra Martin/Katrin Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung. Kurgärten und Kurparks in Europa / Between Healing and Pleasure. Spa Parks and Spa Gardens in Europe, Ostfildern 2020, S. 115–122.

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einer Trinkkur verabreicht wurde. 1805 eröffnete das erste Theater seine Pforten, das allerdings zunächst Sprechstücken vorbehalten war. Bath stieg unter Nash zum führenden Kurort Englands, wenn nicht gar Europas, auf. Ärzte überredeten Nash, das aus fünf bis sechs Musikern bestehende Ensemble, das nach wie vor unter Bäumen seine Darbietungen zum Besten gab, im Pump Room auftreten zu lassen. Bald kam ein siebenter Spieler hinzu und die Kapelle spielte bei Matineen im Pump Room sowie abends auf Bällen in den Assembly Rooms auf. Bereits 1747 wurden eigene „Breakfast Concerts“ annonciert. Drei Jahre später ersetzte ein Neubau das alte Theater. Der erste namhafte Musiker, der in Bath wirkte, war Thomas Chilcot (1707–1766). Er war ab 1728 Organist an der Abteikirche, veranstaltete Konzerte und machte das Publikum mit dem Werk Georg Friedrich Händels bekannt. Händel selbst besuchte Bath im Jahr 1749, wo er mit Chilcot zusammenarbeitete, der den damaligen Kapellmeister des Pump-Room-Orchesters in einem heftigen Konflikt unterstützte. Zehn Jahre später plante Händel einen Kuraufenthalt in Bath; sein Tod verhinderte diesen. Thomas Linley senior (1733–1795), ein Schüler Chilcots, führte Subskriptionskonzerte ein und organisierte Oratorienaufführungen. Im Jahr 1766 übernahm Wilhelm Herschel (1738–1822) das Amt des Organisten in Bath. Er trat in das Orchester, inzwischen eines der besten in England, ein und wurde noch im selben Jahr dessen musikalischer Leiter. 1780 wurde er Direktor des Orchesters. Im darauffolgenden Jahr entdeckte er, nachdem er sich schon länger mit der Astronomie beschäftigt und neuartige Teleskope konstruiert hatte, den Planeten Uranus und gab bald darauf die Musik auf. Im August 1794 traf Joseph Haydn während seines Besuchs in Bath mit dem Kastraten Venanzio Rauzzini (1746–1810), dem Nachfolger Herschels, zusammen und komponierte einen Kanon auf den Text des Grabspruchs für den verstorbenen Hund seines Gastgebers. Haydn wurde von der lokalen Presse herzlich willkommen geheißen. Seine Werke waren damals bereits in Bath bekannt. Insbesondere dürfte seine Symphonie Nr. 53 in D-Dur im Pump Room gespielt worden sein. Bath, an der Wende zum 19. Jahrhundert die achtgrößte Stadt Englands, verlor in der Folge seine führende Stellung. Auf dem Kontinent gewannen etwa die westböhmischen Kurorte Karls­bad (Karlovy Vary), Franzensbad (Františkovy Lázně) und Marienbad (Mariánské Lázně) an Bedeutung. Dort wurden zu Beginn der 1820er Jahre zunächst kleinbesetzte Kurkapellen eingerichtet. Der Aufstieg des Orchesters von Karlsbad ist untrennbar mit dem Wirken Joseph Labitzkys (Josef Labický, 1802–1881) verbunden. Er erhielt seit frühester Jugend in Petschau (Bečov nad Teplou) Musikunterricht, wurde mit zwölf Jahren Vollwaise und schloss sich zwei Jahre später einer reisenden Petschauer Musikantengruppe an. Seine ersten Kompositionen schrieb er im Alter von 15 Jahren. 18-jährig spielte er im Badeorchester in Marienbad, ein Jahr später im Karlsbader Saisonorchester unter Badekapellmeister Schmit. Im Winter musste er saisonbedingt anderweitige Engagements annehmen, so 1821/22 in Bern im Musikverein und bei einer französischen Operntruppe sowie 1822/23 beim russischen Gesandten Graf Woronzoff-Daschkoff in München. Dort genoss er eine weiterführende Ausbildung bei Peter von Winter, dem Fortsetzer von Mozarts „Zauberflöte“. 1823/24 unternahm Labitzky eine Tournee durch süddeutsche Städte.

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1824 legte er seine Meisterprüfung im väterlichen Handwerk als Tuchmacher ab; dies war eine Bedingung seines Schwiegervaters in spe. Noch im gleichen Jahr heiratete er. 1825/26 und 1826/27 reiste er mit einer selbst gebildeten Kapelle nach Wien und machte dort Bekanntschaft mit Joseph Lanner (1801–1843) und Johann Strauss Vater (1804–1849), die damals am Beginn ihrer Karriere standen. Dadurch kam Labitzky mit den neuesten Entwicklungen der Tanzmusik in Berührung, die gerade durch die Tätigkeit dieser beiden Musiker einen großen Aufschwung nahm. Eine Folge dieses Aufschwungs war, dass das Publikum die Musik auch während des von der Kirche festgelegten Tanzverbots wenigstens hören wollte. Tanzmusik wurde daher in Veranstaltungen mit dem Titel Réunion, Conversation und dergleichen dargeboten, allerdings immer zusammen mit instrumental umgearbeiteten Liedern, Opernouvertüren und anderen populären Werken aus dem heute der E-Musik zugerechneten Bereich. Es gab verschiedene Spielarten, etwa in Gaststätten in Verbindung mit Mahlzeiten, als Promenadenkonzert oder im Freien als Gartenkonzert. Das in seinen Grundzügen von den größeren Städten ausgehende Modell übertrug sich auf die im Zuge der verkehrstechnischen Verbesserungen an Bedeutung gewinnenden Sommerfrischen und Kurorte. Der Modetanz des 19. Jahrhunderts schlechthin war der Walzer, der sich, wiewohl nicht in Wien erfunden, von dort aus über die ganze Welt verbreitete, selbstverständlich auch in die westböhmischen Badeorte. Umgekehrt könnte man erwarten, dass Selbige bei der Verbreitung der Polka eine Rolle gespielt hätten. Dies trifft jedoch nicht zu. Die Polka wurde der Legende nach 1830 in Elbeteinitz (Týnec nad Labem) oder Elbekosteletz (Kostelec nad Labem) vom Dienstmädchen Anna Slezák erfunden und vom Schullehrer Joseph Neruda, nach anderen Quellen von František Matěj Hilmar (1803–1881), aufgezeichnet. 1834 gelangte der Tanz nach Prag und wurde vom Kapellmeister des dortigen Scharfschützenkorps Peter Pergler instrumentiert. Dort erst erhielt er die Bezeichnung „Polka“, die sich vom tschechischen Wort „pulka“ („Hälfte“, im Zusammenhang mit dem Tanz „Halbschritt“), ableitet.2 Der gefeierte Tanzmeister Johann Raab (1807–1888) machte die Polka sodann 1839 in Wien und 1840 in Paris salonfähig, von wo sie ihren Weg um die Welt machte.3 Zurück zu Joseph Labitzky: 1835 wurde er Leiter des Karlsbader Kurorchesters, vergrößerte dieses und zeichnete für anspruchsvollere Darbietungen verantwortlich. Durch seine Auftritte vor distinguierten Kurgästen erlangte er internationale Berühmtheit und erhielt Einladungen in zahlreiche europäische Metropolen. Seit 1842 gab er mit seinem Orchester auch eigene Symphoniekonzerte; im selben Jahr gründete er den Karlsbader Musikverein, mit dem er Oratorien von Haydn und Felix Mendelssohn Bartholdy sowie Symphonien von Ludwig van Beethoven ein-

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Vgl. N.  N., Slezak, Anna, in: Constant von Wurzbach (Hg.), Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 35, Wien 1877, S. 140–141; N. N., Neruda (Polka), ebd., Bd. 20, Wien 1869, S. 191. Vgl. N. N., Raab, Johann (1807–1888), in: Peter Csendes/Ernst Bruckmüller (Hg.), Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 8, Wien 1982, S. 356f.

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studierte. Neben Tanzmusik komponierte Labitzky auch Kammer- und Kirchenmusik, darunter eine große Messe und ein Requiem, sowie tschechische, polnische und russische Volkslieder-Potpourris.4 Labitzkys Sohn August (1832–1903), der die Leitung des Karlsbader Kurorchesters 1868 übernahm, ging den Weg seines Vaters weiter. Er vergrößerte das Orchester abermals und gab der Aufführung symphonischer Musik noch breiteren Raum als sein Vater, dessen Hauptaugenmerk trotz aller Ambitionen auf diesem Gebiet letztlich doch der gehobenen Tanzmusik galt. Der Höhepunkt der Dirigenten­tätigkeit August Labitzkys war wohl die europäische Erstaufführung von Antonín Dvořáks Symphonie „Aus der Neuen Welt“ 1894 in Karlsbad. Außerdem war Labitzky auch musikalischer Leiter am dortigen Stadttheater.5 Mit ihrem Streben nach einer Aufwertung des Repertoires nach künstlerischen Gesichtspunkten standen die Labitzkys keineswegs allein da. Es lässt sich im 19. Jahrhundert vielmehr ein allen größeren Kurorten und Sommerfrischen gemeinsamer Aufschwung des Musiklebens beobachten. War die Musik anfangs nur Nebensache, rückte sie immer mehr ins Zentrum des Interesses, bis schließlich die führenden Erholungsorte auf diesem Gebiet etwa einer kleineren deutschen Residenzstadt nicht mehr nachstanden. Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung stellt die Geschichte des Vauxhall in Pawlowsk, einem Vorort St. Petersburgs, dar. Dort, am Endpunkt der von St. Petersburg ausgehenden ersten russischen Eisenbahnlinie, hatten die Besucher die Möglichkeit zu dinieren, Zeitung zu lesen, Karten zu spielen und nebenbei Musik zu hören. Dadurch sollten möglichst viele Bewohner der damaligen russischen Hauptstadt zu einer Bahnfahrt animiert werden. Die Qualität der musikalischen Darbietungen stieg zusehends und erreichte mit den Gastspielen von Johann Strauss Sohn (1825–1899) in den Jahren von 1856 bis 1865 und 1869 einen ersten Höhepunkt. Sein Repertoire entsprach dem oben beschriebenen mit einer Mischung aus eigenen Tanzkompositionen, Salonstücken sowie Ausschnitten bzw. Arrangements von Werken des Konzert- und Opernrepertoires.6 Nun war Pawlowsk eine Sommerfrische und kein Kurort. Einen solchen gab es allerdings im Weichbild St. Petersburgs auch, und zwar die sogenannte Mineralwasser­ anstalt in Nowaja Derewnja. Das Etablissement wurde 1848 von Iwan Iwanowitsch Isler (Johann Luzius Isler, 1810–1877) gegründet, einem aus Davos ausgewanderten Konditor, der in St. Petersburg zunächst als Gastronom und Vergnügungsunternehmer hervorgetreten war. Die Mineralwasseranstalt verfügte über ein Bad inmitten eines weitläufigen Gartens. Die Kurgäste wurden durch ein von 6 bis 9 Uhr je nach Witterung im Garten oder im Saal abgehaltenes Morgenkonzert geweckt. Abends gab es mehrmals wöchentlich Veranstaltungen für ein allgemeines, bis zu 10.000 Besucher starkes Publikum.7 Im Mittelpunkt standen die Darbietungen eines aner4



Vgl. Uwe Harten, Labitzky, Josef, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 13, Berlin 1982, S. 365–366; Maria Tarantová, Labitzky František Josef, (1802–1881), in: Peter Csendes/Ernst Bruckmüller (Hg.), Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 4, Wien 1969, S. 390f. 5 Vgl. Maria Tarantová, Labitzky August (1832–1903), in: ebd., S. 390. 6 Alexander Rosanow, Musykalnyj Pawlowsk, Leningrad 1978, S. 47–62. 7 Vgl. Adolph Banda, Russische Zustände im Jahre 1850, Hamburg 1851, S. 261f.

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kannt guten Orchesters unter der Leitung von so renommierten Kapellmeistern wie Johann Gung’l (1818–1883) oder Hans Christian Lumbye (1810–1874). Daneben traten „Moskauer Zigeuner“, Tiroler Sänger sowie der Seiltänzer Charles Blondin (Jean-François Gravelet, 1824–1897) und andere Artisten auf. Weitere Attraktionen waren Theater- und Ballettaufführungen, Feuerwerke und sogar ein Ballonaufstieg. Im Garten sorgten Gondeln in einem Teich bereits ein halbes Jahrhundert vor dem Wiener Vergnügungspark „Venedig in Wien“ für eine Anmutung der Lagunenstadt.8 In den ersten Jahren ihres Bestehens war die Mineralwasseranstalt zweifellos der führende Sommerbelustigungsort in der Umgebung St. Petersburgs. In diesem Zusammenhang ist auch die Verpflichtung von Johann Strauss Sohn in Pawlowsk zu sehen. Seine Zugkraft eroberte dem Vauxhall die Spitze in der Rangordnung der konkurrierenden Vergnügungsetablissements zurück.9 Eine wesentliche Rolle für diese zeitgenössische Einschätzung, um nicht zu sagen die Grundvoraussetzung dafür, spielte der Umstand, dass in Pawlowsk, einer Großfürstenresidenz, die vornehmsten Gesellschaftsschichten verkehrten,10 während die nach damaligen Maßstäben bisweilen recht freizügigen Darbietungen in der Mineralwasseranstalt auch ein weniger distinguiertes Publikum anlockten. Allerdings stand Selbige keineswegs am untersten Ende dieser Skala.11 Es scheint, als hätte Isler an seinem einmal ausgearbeiteten Konzept stur festgehalten, und so blieb seine Unternehmung eine Modeerscheinung. Zur schlechter werdenden Konjunktur kamen Brände, sodass die Mineralwasseranstalt zugrunde ging und Isler 1877 als armer Mann starb.12 In Pawlowsk hingegen setzte man 1870 mit Benjamin Bilse auf einen Mann, der dem symphonischen Repertoire einen breiteren Platz einräumte, und folgte damit dem internationalen Trend. Der einmal eingeschlagene Weg wurde nicht mehr verlassen.13 Strauss hätte im Sommer des zuletzt genannten Jahres erstmals über einen längeren Zeitraum hinweg in einem echten Kurort, noch dazu in einem der europaweit führenden, auftreten sollen, nämlich in Baden-Baden. Infolge des Deutsch-Französischen Krieges verschob sich dieses Engagement um ein Jahr. Strauss hatte die Zeichen der Zeit erkannt. Er war soeben ins Operettenfach gewechselt und hatte sein Orchester seinem Bruder Eduard überlassen. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass er auch in Pawlowsk nicht mit der Wiener Strausskapelle, sondern mit einem hauptsächlich aus norddeutschen Musikern zusammengestellten Ad-hoc-Orchester gastierte. Im Gegensatz zu Pawlowsk aber, wo er das gesamte Repertoire dirigierte, führte er in Baden-Baden und auch fortan, wenn er zu einem Dirigat eingeladen war, nur noch seine eigenen Kompositionen auf. Den ernsten Teil des 8



Vgl. Roman Bühler, Bündner im Russischen Reich. 18. Jahrhundert – Erster Weltkrieg. Ein Beitrag zur Wanderungsgeschichte Graubündens, Chur 1991, S. 268. 9 Vgl. N. N., St. Petersburger Skizzen, in: St. Petersburger Zeitung 181 (20.08.[01.09.] 1860), S. 734. 10 Vgl. N. N., Newskij nabljudatel [Newa-Beobachter], in: Sanktpeterburgskije wjedomosti 210 (15. [27.]08.1865). 11 Vgl. N. N., Smjes [Vermischtes], in: Russkoje slowo 7 (1860), S. 26–28. 12 Vgl. Johann Luzius Isler, http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Luzius_Isler [Stand: 30.09.2021]. 13 Vgl. Rosanow, Musykalnyj Pawlowsk, S. 64.

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Programms übernahm der langjährige Dirigent des Baden-Badener Kurorchesters, Miloslav Könnemann (1826–1890), wobei es wegen des überwältigenden Erfolgs von Strauss zu Verstimmungen zwischen den beiden Kapellmeistern gekommen sein soll. Im Jahr 1872 wiederholte sich das Gastspiel von Strauss in Baden-Baden, wobei er auch gemeinsam mit Hans von Bülow (1830–1894) auftrat. Letztmals gastierte er dort 1877 auf der Durchreise von Paris nach Wien.14 Strauss und Bülow waren nicht die einzigen illustren Musiker, die in Baden-Baden, der „Sommerhauptstadt Europas“, auftraten, wenngleich die Anfänge wie überall sonst bescheiden waren.15 1800 wurde der Stiftskirchenorganist Josef Zerr als Stadtmusikus und Leiter der sommerlichen Konzerte eingestellt. Ein Theater, in dem auch Oper gespielt wurde, existierte bereits. 1820 wurde ein kleines Orchester zur Unterhaltung der Kurgäste engagiert. Vier Jahre später wurden sowohl das Theater als auch das Konversationshaus neu errichtet, ebenso ein hölzerner Konzert­kiosk für die Darbietungen des Orchesters. Bis zur Mitte des Jahrhunderts besuchten u. a. Carl Maria von Weber (1810), Louis Spohr (1817), Felix Mendelssohn Bartholdy (1827), Robert und Clara Schumann (1829, 1830), Niccolò Paganini (1830), Henri Vieuxtemps (erstmals 1833), Franz Liszt (erstmals 1840), Albert Lortzing (1844) und Johann Strauss Vater mit seinem Orchester (1849) die Stadt; die meisten von ihnen kamen in einer aktiven Rolle als Musiker. In Baden-Baden wurden auch Meilensteine in der Rezeptionsgeschichte berühmter Musikwerke gesetzt. So wurde im dortigen Theater 1842 erstmals auf deutschem Boden Gioacchino Rossinis „Stabat Mater“ aufgeführt. 1852 entdeckte Hector Berlioz (1803–1869) die Kurstadt; er gab dort ein Monsterkonzert mit über 100 Mitwirkenden und prägte damit den Begriff „Festival“. Bis zu seinem Tod leitete er die Sommerfestspiele in Baden-Baden. 1862 dirigierte er zur Eröffnung des Nachfolgebaus des zum Casino umfunktionierten bisherigen Theaters die Uraufführung seiner Oper „Béatrice et Bénédict“. Weitere Welturaufführungen in Baden-Baden galten der Oper „La Colombe“ von Charles Gounod (1859) und der Operette „La Princesse de Trébizonde“ von Jacques Offenbach (1869). 1887 kam es zu einem Probedurchspiel des eben fertiggestellten Doppelkonzerts von Johannes Brahms mit Joseph Joachim (Violine), Robert Hausmann (Violoncello) und dem Baden-Badener Kurorchester unter der Leitung des Komponisten. Brahms war ein regelmäßiger Gast in der Kurstadt; er vollendete u.a. dort sein „Deutsches Requiem“ und die 2. Symphonie. Für Richard Wagner wäre in Baden-Baden beinahe ein Festspielhaus errichtet worden, doch der Plan wurde bekanntermaßen letztlich in Bayreuth verwirklicht. 1998 sollte die Kurstadt an der Oos schließlich doch noch ihr Festspielhaus erhalten.

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Franz Mailer, Johann Strauss (Sohn). Leben u. Werk in Briefen u. Dokumenten, Bd. 2, Tutzing 1983, S. 197, S. 209–219, 324. 15 Zur Geschichte der Kurmusik in Baden-Baden vgl. die Einträge unter „Geschichte“ in der Rubrik „Portrait“ auf der Website der Philharmonie Baden-Baden, http://philharmonie.baden.baden.de/ [Stand: 30.09.2021].

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Nachzutragen ist, dass das Kurorchester 1872 von der Stadt übernommen wurde und so zum ältesten kommunalen Orchester Baden-Württembergs wurde. Heute trägt es den Namen „Philharmonie Baden-Baden“. Eine gewichtige Rolle im Konzertleben der Sommerfrischen und Kurorte spielten die Virtuosen, insbesondere im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts und im Jahrzehnt danach. Paganini, Liszt und Vieuxtemps wurden bereits erwähnt. In einigen Kurstädten kam es neben einmaligen Besuchen auch zu dauerhaften Beziehungen. So war etwa der französische Trompeten- und Kornettvirtuose Jean-Baptiste Arban (1825–1889) über viele Jahre hinweg Mitglied und Solist des Orchesters in Baden-Baden. Besonders beliebt waren seine Variationen über das Lied „Der Carneval von Venedig“, bei uns besser bekannt mit der Textunterlegung „Mein Hut, der hat drei Ecken“ oder „Ein Hund kam in die Küche“. In Bad Kissingen trat ab 1892 der Flötenvirtuose Julius Manigold (1873–1935) regelmäßig auf. Das Kurorchester Bad Kissingen bezeichnet sich übrigens als die älteste noch existierende Kurmusik,16 wenngleich bei den Ausführenden keine Kontinuität besteht. Nachdem bereits im 18. Jahrhundert eine Feldmusik den Kurgästen aufspielte, wurde 1836 der böhmische Kapellmeister Johann Kliegl (1808–1883) mit seinem aus 15 Musikern bestehenden Bläserensemble für die nächstjährige Badesaison verpflichtet. Dies gilt als Geburtsstunde des Kurorchesters Bad Kissingen. Ab 1838 nahm Kliegl Streicher hinzu, nachdem das Orchester auch im Theater Dienst zu versehen hatte. Dieses Modell hatte den Vorteil, dass die Musiker ganzjährig beschäftigt werden konnten. Es wird seither in vielen Kurorten und Sommerfrischen angewendet. Böhmische Musiker, insbesondere Bläser, genossen europaweit einen hervorragenden Ruf und waren dementsprechend über den ganzen Kontinent verstreut in Theater- und Konzertorchestern beschäftigt. Die Verpflichtung ausländischer Musiker galt in einigen Teilen Europas eine Zeit lang sogar als besonderes Qualitätskriterium. So hatte Johann Strauss in seiner ersten Saison in Pawlowsk erheblichen Rechtfertigungsbedarf, nachdem er sein Orchester aus lokalen Musikern zusammengestellt hatte. Dies wurde ihm in der Folge vertraglich verboten. Mit dem Aufstieg des Nationalismus in den letzten Jahrzehnten des 19.  Jahrhunderts wendete sich jedoch das Blatt, denn nun wurden heimische Musiker bevorzugt. Ähnlich wie in der Mineralwasseranstalt von Nowaja Derewnja spielte in Bad Kissingen die Kapelle frühmorgens zum Wecken der Gäste. Später kam noch ein Morgenchoral hinzu, der bis heute gepflegt wird. Die eigentlichen Kurkonzerte wurden anfangs im Garten abgehalten, wobei die Musiker um einen Tisch gruppiert saßen. Bei Schlechtwetter konnte man ab 1838 in den eben fertiggestellten Conversationssaal im Arkadenbau ausweichen, in dem jedoch wegen seiner Halligkeit der Musikgenuss getrübt war. Ab 1855 fanden die Kurkonzerte in einem – ebenfalls akustisch unzureichenden – offenen Gartenpavillon statt, der 1899 durch einen größeren ersetzt wurde. Eine zufriedenstellende Lösung wurde schließlich mit dem Bau der Wandelhalle (1911) und des Regentenbaus (1913) erreicht. 16

Zur Geschichte der Kurmusik in Bad Kissingen vgl. Kurorchester Bad Kissingen, http://de.wikipedia.org/wiki/Kurorchester_Bad_Kissingen [Stand: 30.09.2021].

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Die ursprüngliche Kapelle genügte den wachsenden Anforderungen bald nicht mehr. Sie wurde 1855 durch ein aus Musikern des Würzburger Theaters, der Meininger Hofkapelle und aus Böhmen zusammengestelltes 34-köpfiges Orchester ersetzt. Die Konzerte wurden immer anspruchsvoller; es gab regelmäßige Probenarbeit. Von 1898 bis 1905 versah das Münchner Kaim-Orchester, der Vorläufer der Münchner Philharmoniker, die Dienste des Kurorchesters Bad Kissingen. Auch hier war die ganzjährige Verpflichtung der Musiker ein wesentliches Kriterium. Von 1906 bis 1918 trat der Wiener Concert-Verein, der Vorgänger der Wiener Symphoniker, an deren Stelle; danach kehrten die Münchner Philharmoniker zurück. Sie galten in ihrer Funktion als Kurorchester zwischen den beiden Weltkriegen als das beste Deutschlands. Im Jahr 1942 musste die Kurmusik kriegsbedingt ihren Betrieb einstellen; aus der Kuranstalt wurde ein Lazarett. Nach Kriegsende bestritten bis 1949 das Städtische Orchester Würzburg und sodann bis 1979 die Hofer Symphoniker die Kurkonzerte. Die Münchner Philharmoniker gaben nur mehr Gastspiele; vereinzelt traten noch Solisten wie Erna Berger, Rudolf Schock und Yehudi Menuhin auf. Inzwischen hatte der Zustrom breiterer Publikumsschichten zu einem Geschmackswandel geführt. Zudem nahm – infolge der durch die Verbreitung der Unterhaltungselektronik gewährleisteten jederzeitigen Verfügbarkeit von Musik – der Bedarf an Live-Musik ab. Dem Kurkonzert haftete nunmehr etwas Nostalgisches an; die Gebietskörperschaften waren in der Regel nicht mehr bereit, größer besetzte Kurorchester finanziell zu unterstützen, so sie es jemals getan hatten. In Bad Kissingen war schon seit einiger Zeit ein aus zwölf Musikern bestehendes Ensemble für die Wintersaison verpflichtet worden. Dieses übernahm, auf 18 Personen verstärkt, ab 1980 auch den Betrieb in den Sommermonaten und trat daneben als Tanzorchester auf. Moderne Tänze, Swing und Schlager bestimmten das Repertoire. Nachdem das Orchester zwischenzeitlich auf 13 Mann geschrumpft war, wurde es 2018 in „Staatsbad Philharmonie Kissingen“ umbenannt, um damit auszudrücken, dass es sich um keine reine Kurkapelle, sondern um einen ganzjährig auf hohem Niveau spielenden Klangkörper handelt. An Beschäftigung mangelt es nicht: 2012 wurde das Kurorchester Bad Kissingen mit 727 Auftritten pro Jahr als „meistspielendes Ensemble der Welt“ ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Diese Entwicklung ist symptomatisch für die Lage der Kurorchester nach dem Zweiten Weltkrieg. Trotzdem kam es in den letzten fünfzig Jahren in kleinerem Rahmen fallweise zu Neugründungen. Beispielhaft sei hier das 1976 gegründete, nach einem Wiener Stadtteil benannte Jugendblasorchester Oberlaa genannt, das sich 1987 in Musikverein Kurkapelle Oberlaa umbenannte. Auftritte in der zur Therme Wien gehörenden Kurhalle Oberlaa bilden dabei nur die Nebensache; man ist stolz auf die Teilnahme an Wettbewerben und auf Konzertauftritte in verschiedenen Ländern Europas sowie in Japan.17

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Vgl. Musikverein Oberlaa, http://www.stadt-wien.at/kunst-kultur/musik/musikverein-oberlaa.html [Stand: 30.09.2021].

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Einen völlig anderen Weg beschritt man hingegen in Bath, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer ausgesprochenen Festivalstadt mauserte. Neben dem sich über mehrere Sparten erstreckenden Bath Festival sind auf dem Gebiet der Musik das Bath Music Festival (1948–2016), das alternative Bath Fringe Festival sowie das Bachfest und das Mozartfest zu nennen. An Orchestern sind die professionell agierende Bath Philharmonia und das Kammerorchester „Bath Festival Orchestra“, ferner die aus Amateuren gebildeten Bath Symphony Orchestra und Bath Community Orchestra, die University of Bath Choral and Orchestral Society (ChaOS) sowie das auf dem Gebiet von Pop, Jazz, Blues, Filmmusik und klassischen Favorit-Piecen tätige BathTub Orchestra.18 Hier ist das Wort von der „Kurstadt als Musikstadt“ heute wohl am vollkommensten verwirklicht.

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Vgl. Bath Festival, http://en.wikipedia.org/wiki/Bath_Festival; Bath Philharmonia, http://www. bath­phil.co.uk; Bath Festival Orchestra, http://bathfestivalorchestra.com; Bath Symphony Orches­ tra, http://www.bathsymphony.org.uk; Bath All Comers Orchestra, http://www.bathallcomersorchestra.org.uk; Choral and Orchestral Society, http://www.thesubath.com; BathTub Orchestra, http://bathtuborchestra.com [jeweils Stand: 30.09.2021].

DIE „OESTERREICHISCHE BADEZEITUNG“ (1872–1895) IM SPIEGEL IHRER WERBESCHALTUNGEN Michael Prokosch

Zeitungen und Zeitschriften sind eine nicht zu unterschätzende Quelle in der Erforschung neuzeitlicher Lebensumstände. Durch diese Populärdruckschriften erfährt man nicht nur aus meist erster Hand etwas über globale, weltverändernde Ereignisse, sondern vorrangig auch über lokale Begebenheiten, die den Alltag der Menschen geprägt haben. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass es Zeitschriftenwerbung gibt, seit Zeitungen existieren, denn Letztere gab es schon vor der weitläufigen Verbreitung des Buchdrucks. Als bekanntestes Beispiel seien hierfür die Fuggerzeitungen genannt, die erstmals ab 1568 handschriftlich verbreitet wurden, also noch Jahrzehnte vor den ersten periodisch gedruckten Erzeugnissen der Berichterstattung, von denen als früheste nachweisbare die „Relation aller Fuernemmen und gedenckwuerdigen Historien“1 gilt. Diese wurde in Straßburg zuerst noch manuell geschrieben, bevor man im September 1605 mit dem Einsatz von Druckerpressen begann.2 Im Zeitalter der Aufklärung versuchte das Bürgertum einerseits, sich vom Geburts­ adel und von den unteren Klassen abzugrenzen und entdeckte andererseits dabei die Möglichkeiten des Handels und die Relevanz von schneller Information. Dies führte zu einem Wechselspiel zwischen Lesern und Leserinnen sowie den Zeitungen, mit dem Effekt, dass Werbungen in Druckschriften eine immer größere Rolle spielten. Seit zumindest dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts wurden Inserate in den Zeitungen abgedruckt, mit der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt, dem „Wiennerischen Diarium“ (herausgegeben von Johann Baptist Schönwetter, Ersterscheinungsdatum am 8. August 1703), heute „Wiener Zeitung“ genannt, setzte 1



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Relation aller Fürnemmen und Gedenckwürdigen Historien so sich hin unnd wider in Hoch und Nieder Teutschland, auch in [...] verlauffen und zutragen möchte, Straßburg 1609–1667. Zu den Fuggerzeitungen siehe etwa Katrin Keller, Die Fuggerzeitungen. Geschriebene Zeitungen und der Beginn der periodischen Presse, in: Matthias Karmasin/Christian Oggolder (Hg.), Österreichische Mediengeschichte. Band 1: Von den frühen Drucken zur Ausdifferenzierung des Mediensystems (1500 bis 1918), Wiesbaden 2016, S. 27–50; ferner Dies. u. a., Die Fuggerzeitungen. Ein frühneuzeitliches Informationsmedium und seine Erschließung, online unter: https://fuggerzeitungen.univie.ac.at/ [Stand: 01.10.2021]; zur ersten periodisch gedruckten Zeitung etwa Martin Welke, Johann Carolus und der Beginn der periodischen Tagespresse, in: Ders./Jürgen Wilke (Hg.), 400 Jahre Zeitung. Die Entwicklung der Tagespresse im internationalen Kontext, Bremen 2008, S. 9–116.

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der Siegeszug der Reklame in Tageszeitungen ein. Während in den ersten Jahren der Zeitung kaum Inserate geschaltet wurden, bestand die Zeitung 1753 zu beinahe 30 Prozent aus Werbung. Es ist also durchaus so, dass es Produktwerbung schon vor der Industriellen Revolution und damit auch dem Massenkonsum gab.3 Im Allgemeinen kann man als Vorläufer der von den Nachrichtenteilen getrennten Inseratenteile in den Zeitungen die sogenannten „Intelligenzblätter“ des 18. Jahrhunderts ansehen, die sich in den 1870er Jahren zu den „Generalanzeigern“ entwickelten. In diesem Zeitraum wirtschaftlichen Aufstiegs hatten Inserate nur mehr vereinzelt den Zweck, als Informationsquelle für die Stillung der Notwendigkeiten des täglichen Lebens zu dienen, vielmehr weckten sie Bedürfnisse und Wünsche der Leser und Leserinnen und trugen somit ebenfalls zur Steuerung des Marktes bei.4 Außerdem gab es einen Umbruch im Layout der Anzeigen: „Bildliche Darstellungen und verzierte Umrahmungen kamen vermehrt in Mode. Der Informationsgehalt ging zurück, und die suggestive Qualität der Anzeige nahm zu.“5 Diese fast zum Exzess geführte Verbildlichung mündete ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts darin, dass die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte sukzessive in praktischen Anleitungen und Ratgebern zur Erstellung erfolgreicher Reklame verschriftlicht wurden, was wiederum den Weg zur Bild-Anzeige ab den 1910er Jahren ebnete.6 Nach einer Zeit massiver Zensurbestrebungen beschloss man 1862 und 1868 Novellierungen des Pressegesetzes, welche zusammen mit dem erstarkenden Liberalismus zu einer der Hochblüten der Presse führte.7 In diese Zeit fällt die Entstehung der „Oesterreichischen Badezeitung“, die als Ausdruck einer seit dem späten 19. Jahrhundert „ausgedehnte[n] wie auch zunehmend ausdifferenzierte[n] Konsumgesellschaft“8 selbst schon auf ein Thema und eine Zielgruppe spezialisiert war. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts kann als Blütezeit der Badezeitschriften gelten. Damals begann man, in einigen Gebieten und Kurorten eigene Bäderzeitungen herauszugeben; zu diesen zählen etwa die „Union. Illustriertes Fremdenblatt“, gegründet 1856, 3



Dazu Rita Klement, Inserate im Wien[n]erischen Diarium 1703–1753. Werbung im frühen 18. Jahrhundert, in: Wiener Geschichtsblätter 74/3 (2019), S. 259–268, hier S. 261f.; Klement führt als Beispiele beworbener Produkte Bücher, Produkte für den Garten (Blumenzwiebel) und Lebensmittel an, vgl. ebd., S. 264–266; Andrea Reisner/Alfred Schiemer, Das Wien(n)erische Diarium und die Entstehung der periodischen Presse, in: Karmasin/Oggolder (Hg.), Österreichische Mediengeschichte, S. 87–112. 4 Helga Schadenböck, Das Anzeigenwesen in den Wiener Tageszeitungen 1848 bis 1873: mit besonderer Berücksichtigung der Geschäftsanzeigen und der kleinen Anzeigen, Diss. Univ. Wien 1977, S. 8–12, 16–18. 5 Peter Borscheid, Agenten des Konsums. Werbung und Marketing, in: Heinz-Gerhard Haupt/ Claudius Torp (Hg.), Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890–1990. Ein Handbuch, Frankfurt a. M./New York 2009, S. 79–96, hier S. 80. 6 Helen Barr, Zwischen Reklamekunst und Kunstreklame. Anzeigen in Illustrierten Zeitschriften um 1910, in: Natalia Igl/Julia Menzel (Hg.), Illustrierte Zeitschriften um 1900. Mediale Eigenlogik, Multimodalität und Metaisierung, Bielefeld 2016, S. 231–259, hier S. 234, 237–246. 7 Christian Oggolder, Politik, Gesellschaft, Medien. Österreich zwischen Reformation und Erstem Weltkrieg, in: Karmasin/Oggolder (Hg.), Österreichische Mediengeschichte, S. 9–26, hier insbes. S. 17–21. 8 Barr, Zwischen Reklamekunst und Kunstreklame, S. 233. Zum Aussehen der Inserate in der „Wiener Zeitung“ und anderen Druckschriften vgl. auch Schadenböck, Das Anzeigenwesen, S. 32–36.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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die „Borkumer Zeitung und Badezeitung“, welche ab 1861 erschien, die „Bayerische Badezeitung“ (ab 1865), die „Norderneyer Badezeitung“, herausgegeben seit 1867, und ebenso die „Oesterreichische Badezeitung“ mit der Erstnummer vom 14. April 1872.9 Solche Zeitschriften ermöglichen unterschiedliche Untersuchungszugänge: Die Veränderungen der letztgenannten Zeitung hinsichtlich der Erwähnung von Frauen in den Artikeln wurde etwa von Christa Bernert untersucht.10 In der folgenden Betrachtung sollen die in der „Badezeitung“ geschalteten Annoncen im Vordergrund stehen und anhand von diesen untersucht werden, welche Orte wie für ihre Funktion als Badezentrum warben, welche Vorteile Hotels und Anlagen hervorstrichen, um für die Badegäste attraktiv zu wirken, und schließlich, wie diverse Berufssparten – etwa das Transportwesen, Ärzte oder die Gastronomie – die „Badezeitung“ für sich zu nutzen versuchten. Im Vergleich zu Tageszeitungen sind jedoch Badeblätter dennoch nur als Nischenprodukt zu sehen, vor allem hinsichtlich der Effektivität von Werbeschaltungen: Im „Illustrierte[n] Lexikon der Bade-, Brunnen- und Luftkurorte“ aus dem Jahr 1904 werden als „Zeitungen, welche für Insertionszwecke bestens empfohlen werden“,11 keinerlei Badezeitungen genannt, einzig Tagesanzeiger und Wochenblätter. Die „Oesterreichische Badezeitung“ war eine Zeitschrift der Donaumonarchie, welche im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erschienen war. Sie behandelte unterschiedlichste, das Badewesen betreffende Themen, wie medizinische beziehungsweise balneologische, gesellschaftliche, geschichtliche sowie religiöse. Die Zeitung bot aber auch Unterhaltung durch humorvolle Glossen und Kurzartikel, Informationen zum aktuellen Badegeschehen in den Badeorten vor allem des deutschsprachigen Raums und den Gebieten der Habsburgermonarchie, Gästestatistiken, Rezensionen von Büchern und vieles andere mehr. Die Inserate in der „Oesterreichischen Badezeitung“ wurden zumeist auf den letzten drei bis fünf, selten sogar auf maximal sieben Seiten der Ausgaben geschaltet, klar getrennt vom restlichen Textteil (siehe Abbildung 1).12 Da insgesamt 568 Exemplare der Zeitung erschienen, konnten für diese Arbeit nicht sämtliche Werbeschaltungen aller Ausgaben untersucht werden, zumal pro Seite im Durchschnitt rund acht Annoncen geschaltet wurden, beruhend auf den statistischen Berechnungen der fünf komplett erfassten Jahrgänge von 1872, 1878, 1883, 1889 und 1895. Diese konkreten Jahre wurden ausgewählt, um den ersten, den letzten und drei dazwischen 9



Für weitere Badezeitungen vor allem aus der Habsburgermonarchie siehe beispielsweise die Auswahl in: Ferdinand Grassauer (Hg.), Generalkatalog der laufenden periodischen Druckschriften, Wien 1898, S. 744. 10 Christa Bernert, Die Österreichische Badezeitung. Wie verändert sich die Berichterstattung?, München 2017. 11 Anton Salzger (Hg.), Illustriertes Lexikon der Bade-, Brunnen- und Luftkurorte, Berlin/Zürich/ Wien 131908, S. 401–404. 12 Betrachtet man die Anzahl der Reklameschaltungen in anderen Zeitungen, so ist in der Regel ein massiver Anstieg zu beobachten, wie Schadenböck, Das Anzeigenwesen, S. 115, für die Jahrzehnte vor dem Erscheinen der „Oesterreichischen Badezeitung“ zeigt: Die Anzeigen in der „Wiener Zeitung“ fielen zwar zwischen den Jahren 1848 und 1873 von 45 % des Umfangs auf 34 %, dafür stieg der Anteil im „Fremdenblatt“ von Null auf 48 % und jener in der „Presse“ von sechs auf 21 %.

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erschienene Jahrgänge in gleichmäßigem zeitlichen Abstand analysieren zu können. Es versteht sich von selbst, dass nicht alle gesichteten Anzeigen im Detail beschrieben werden können, auch wenn sie wie jene für das „Franzensbader Eisenmoorsalz“, die Stadt Franzensbad selbst, „Dr. Sedlitzky’s Halleiner Mutterlaugensalz“, die „Hunyadi János Bitterquelle“ der Firma Andreas Saxlehner oder die „Vereinigte Gummiwaaren-Fabrik Harburg-Wien, vormals Menier & J. N. Reithoffer“ häufig geschaltet wurden. Die „Oesterreichische Badezeitung“, ab 1887 „Oesterreichisch-Ungarische Badezeitung“, erschien in 24 Jahrgängen zwischen 1872 und 1895 mit einem stetig wechselnden Umfang von acht bis zwölf Seiten pro Ausgabe. Die Redaktion des Blattes war in Wien ansässig. Herausgegeben wurde es meist von jeweils zwei im Lauf der Jahre unterschiedlichen Kurärzten aus Franzensbad/Františkovy Lázně. Zu Beginn zeichneten die beiden Brunnenärzte Friedrich Boschan13 (1818–1882) und Emil W. Hamburger für die Herausgabe verantwortlich, bevor sich mit dem Erscheinen des achten Jahrganges der Geheime Sanitätsrat Boschan von der He­ rausgeberschaft lossagte. Dies geschah nicht wegen Differenzen „über die Haltung des Blattes“,14 sondern um sich ganz seiner Praxis widmen zu können, wie in der Ausgabe vom 13. April 1879 betont wurde. War bis zur ersten Ausgabe des nächsten Jahres nur Hamburger für die Veröffentlichung zuständig, wurde mit der zweiten ein weiterer Franzensbader Doktor Mitherausgeber, nämlich Brunnenarzt Bernhard Raumann (1840–1886). Gleichzeitig mit der Namensänderung der „Oesterreichischen Badezeitung. Organ für die Interessen der europäischen Kurorte und des Kurpublikums“ in „Oesterreichisch-Ungarische Badezeitung. Organ für Balneologie, Klimatologie und Hygiene“ mit der ersten Ausgabe des Jahres 1887 wurden – ohne dass der Wechsel in der Zeitung mit einem Wort erwähnt wurde – der Arzt G. A. Egger und der Mediziner und Schriftsteller Josef Steinbach15 (1850–1927) alleinige Herausgeber der Zeitschrift und blieben es auch bis zur letzten Ausgabe vom 22. September 1895. In der ersten Ausgabe vom 14. April 1872 wurde auf dem Titelblatt die Linie der „Badezeitung“ vorgegeben: „Der bedeutende Aufschwung der Kurorte in neuester Zeit hat uns bestimmt dieses Blatt he­ rauszugeben. Seine Aufgabe soll es sein, die Interessen derselben als öffentliche Heilanstalten zu vertreten. Es soll allen Faktoren, deren gedeihlichem Zusammenwirken die Badeorte ihre Blüthe verdanken – so den Kurverwaltungen, den industriellen Unternehmungen, den Aerzten, den Einwohnern und Besuchern der Kurorte – ein Organ sein, ihre Wünsche und Bestrebungen in ruhiger objektiver Weise zum Ausdruck zu bringen. Wir werden bemüht sein, allen Neuerungen 13

Für seine Todesanzeige vgl. http://freepages.rootsweb.com/~prohel/genealogy/pictures/Misc9/1882_Friedrich_Boschan_obituary.jpg [Stand: 01.10.2021]. 14 Oesterreichische Badezeitung, 8.  Jg./Nr.  1 (13.04.1879), S.  1. Die „Oesterreichische Badezeitung“ wurde im Zuge der Plattform ANNO (Austrian Newspapers Online) der Österreichischen Nationalbibliothek komplett digitalisiert und ist abrufbar unter dem Link: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=oeb [Stand: 01.10.2021]. 15 Österreichisches Biographisches Lexikon Online-Edition, Lfg. 3 (15.11.2014), https://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_S/Steinbach_Josef_1850_1927.xml [Stand: 01.10.2021].

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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und Verbesserungen auf dem Gebiete der Bade-Industrie unsere vollste Aufmerksamkeit zuzuwenden, um durch sachgemäße Besprechungen auf die Beseitigung der bestehenden Mängel und eine Vervollkommnung der gegenwärtigen Badeeinrichtungen hinzuwirken.“16

Des Weiteren sollten populärwissenschaftliche Aufsätze den Lesern und Leserinnen eine „anregende Lektüre“ bieten sowie mehrere „hervorragende Schriftsteller“ für „zerstreuende Abwechslung“ sorgen. In der Regel erschien die „Badezeitung“ immer sonntags, nur im Jahr der Titel­ änderung wurde der Veröffentlichungstag auf Samstag verschoben. Zudem gab es wenige Ausnahmen vom üblichen Publikationstermin in den Jahren 1873 bis 1878 und 1880 bis 1884, die sich vor allem bei den frühen Jahresexemplaren äußerten: 1873 und 1881 erschien die jeweils erste Ausgabe an einem Dienstag (15. April beziehungsweise 5. April), 1874 konnte man die zweite „Badezeitung“ am Mittwoch, dem 15. April, lesen und im Jahr darauf erschienen die beiden April-Ausgaben mit den Nummern 2 und 3 am Donnerstag (8. und 22. April). Die ersten drei Blätter von 1875 erschienen am 20. März, einem Samstag, sowie am 8. und 22. April, was Donnerstage waren. Auch 1876 wurden die ersten beiden Ausgaben irregulär an einem Mittwoch (5. April) und einem Donnerstag (20. April) veröffentlicht; im nächsten Jahr betraf es die erste Ausgabe vom 5. April, einem Donnerstag, und Ausgabe Nummer 3 vom 25. April, einem Mittwoch. 1878 wurden die erste und 1880 die ersten beiden Exemplare wieder am Donnerstag herausgebracht (28. März 1878 und 8. bzw. 22. April 1880), um die Ersterscheinung des Jahres 1879 wieder an einem Dienstag – dem 5. April – stattfinden zu lassen. 1882 war das einzige Mal, dass die „Badezeitung“ an einem Freitag erschien, nämlich die erste des Jahres am 31. März. Am selben Tag genau ein Jahr später, welcher wenig erstaunlich ein Samstag war, war die Premi­ere des zwölften Jahrgangs. Und schließlich erschienen die ersten beiden Zeitungen des Jahres 1884 zum letzten Mal – mit der schon erwähnten Ausnahme des Jahres 1887 – an anderen Tagen als einem Sonntag, nämlich dem 2.  April (Mittwoch) und 17. April (Donnerstag). Nur montags wurde die Zeitschrift nie veröffentlicht. Der hauptsächliche Erscheinungszeitraum der „Oesterreichischen Badezeitung“ war alljährlich zwischen Mai und September, also der Hauptsaison der meisten Kurorte in der Habsburgermonarchie, wie soeben angeführt, wurden aber auch oft bereits im April ein bis drei und manchmal sogar im März ein oder zwei Ausgaben gedruckt (Abbildung 2). Beispielsweise im Jahr 1878 wird dies am Titelblatt deutlich kommuniziert, es ist zu lesen: „Erscheint jeden Sonntag während der Bade-Saison. (In den Monaten März und April erscheinen drei Nummern.)“17

16

Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 1 (14.04.1872), S. 1. Ebd., 7. Jg./Nr. 1 (28.03.1878), S. 1.

17

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Abb. 1: Die Gesamtseitenzahl der Oesterreichischen Badezeitung schwankte zwischen acht und zwölf; in grün gehalten ist der Anteil der Inserate-Seiten. Quelle: Berechnungen d. Verf.

Abb. 2: Anzahl der Erscheinungstermine der Oesterreichischen Badezeitung pro Monat 1872–1895. Quelle: Berechnungen d. Verf.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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1. Allgemeines zu den Inseraten Auch wenn die Werbeschaltungen vom Textteil deutlich getrennt abgedruckt wurden, nämlich mittels einer Zierzeile, den Titel „Inserate“ enthaltend, so gab es doch Mittel und Wege, mit seiner Anzeige noch im Nachrichtenteil zu erscheinen. Dazu betrachte man etwa die Nummer vom 16. Juni 1872: Nachdem auf der vierten Seite das Feuilleton, in dieser Ausgabe „Quellenmärchen aus Ungarn“18, sein Ende findet, wurde die Rubrik „Korrespondenzen“ fortgesetzt, die Frequenzliste der Badeorte bis Mitte Juni dieses Jahres veröffentlicht sowie die „Kleinen Mittheilungen“, ebenfalls Bestandteil jeder Ausgabe der „Badezeitung“, bevor der Textteil mit der Rubrik „Eingesendet“ nun tatsächlich beendet war. Beginnend mit der nächsten Seite konnte man sich dann über Produkte vom „Hamburger Kaffee- und Thee-Lager in Wien, Weihburggasse 27“ und vom Gummiwaren-Fabrikanten Reithoffer, der nicht nur Katheter, Spritzen und Urinbehälter, sondern auch elastische Strümpfe für die Behandlung von Krampfadern und „Erschlaffung der Gelenkbänder des Fußes“ anbot, ferner über das Hotel zum „König von Ungarn“ in der Wiener Schulerstraße, den Kurort Johannisbad/Janské Lázně im Riesengebirge, angepriesen als „das böhmische Gastein“, und schließlich über die Stadt Marienbad/Mariánské Lázně informieren. Zusammen mit den weiteren vier Seiten an Werbung war dies eine Ausgabe, bei der sich Text- und Inseratenteil die Waage hielten. Das Mittel zum Zweck, noch vor den als Werbung markierten Inseraten im Nachrichtenteil Annoncen schalten zu können, war eine redaktionelle Notiz in der Rubrik „Eingesendet“:19 In der Ausgabe vom 16. Juni 1872 kann man hier zum einen sogar in teils elongierter Schrift lesen: „Zahnarzt Dr. E. Alexovits, American Dentist, Wien, Kärntnerring Nr. 14“,20 zum anderen: „Dr. S. Schweiger beehrt sich hiermit den geehrten Herren Kollegen zur Kenntniß zu bringen, dass er vom 1. Mai d. J. an in Franzensbad (Kaiserstraße, deutsches Haus) die badeärztliche Praktik ausübt“.21 Während die zweite Anzeige getarnt als Mitteilung an die ärztliche Konkurrenz erscheint – wohlgemerkt nicht an das „P. T. Badepublicum“, an das sich viele Werbungen richten –, ist die erste zweifelsohne eine Werbeschaltung in Reinform. Im Lauf der Jahre war es wohl nicht mehr nötig, seine Werbung in dieser Rubrik zu verstecken: So pries etwa Carl Berck, k.-k. Hoflieferant, den Verkauf von Fleischextrakt der Liebig Company im Jahr 1883 regelmäßig unter der Rubrik „Eingesendet“ an – zwar dreimal in diesem Jahr im Gegensatz zu seinen regulären Werbeschaltungen mit einem kurzen Informationstext zur Ware versehen, aber trotzdem mit dem üblichen Markenauftritt. Auf dieselbe Art und Weise schloss sich im Jahr 1895 die Budapester Badedirektion an, die

18

Dazu und zum Folgenden: ebd., 1. Jg./Nr. 9 (16.06.1872), S. 90–92. Zu dieser Taktik Karl Bott, Wirkungsvolle Reklame, I. Teil: Wie Zeitungsanzeigen aussehen sollen, Hamburg 1919, S. 34–36. 20 Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 9 (16.06.1872), S. 91. 21 Ebd., 1. Jg./Nr. 7 (02.06.1872), S. 69; ebd., 1. Jg./Nr. 10 (23.06.1872), S. 102. 19

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ihr „Franz Josef Bitterwasser“ bewarb.22 Diese Praxis nutzten mehrere Firmen immer wieder, um an erster Stelle noch über den restlichen Inseraten in der Zeitung aufzutauchen, selbst wenn „diese Notizen […] ihre besondere Wirkungskraft [verloren], da sie sofort als geschäftliche Reklamen erkannt“23 wurden. Für eine Analyse besonders zwiespältig zu sehen sind Einschaltungen von Ärzten, die – häufig, um mitzuteilen, dass sie eine Auszeichnung erhalten haben – unter „Eingesendet“ inserierten, denn bei solchen Einschaltungen verwischen sich die Grenzen zwischen Werbung und reiner Information. Streng betrachtet könnte man hinterfragen, ob nicht etwa auch ein Bericht der Rubrik „Korrespondenzen“ über Kirchschlag im Mühlviertel Werbung darstellt.24 Doch andererseits ist natürlich jede Äußerung in gedruckter oder mündlicher Form, welche eine Wertung abgibt, mehr oder weniger Reklame; Überlegungen darüber anzustellen, sei der Literaturwissenschaft oder benachbarten Gebieten vorbehalten. Ursprünglich war die Rubrik „Eingesendet“ wohl eigentlich dazu gedacht, Leserbriefe und andere an die Redaktion eingesendete Gedanken zu veröffentlichen, wie man an den Ausgaben vom 4. und 11. August 1872 erkennen kann (s. Abbildung 3), wobei hier „ein Israelite“ deutlich antisemitische Äußerungen kundmacht und in der nächsten Ausgabe vom Adressaten zurechtgewiesen wird.25 In vielen Jahrgängen der Zeitung bürgerte es sich ein, die jeweils letzte Seite mit denselben häufig oder immer Inserierenden zu befüllen; dies begann schon mit den letzten Ausgaben des Jahres 1872. Im Jahr 1878 bot annähernd jede zweite „Badezeitung“ den gleichen Anblick der Rückseite und spätestens 1883 war dies zur Regel geworden, was sicherlich Vorteile hatte: So konnten das Layout und der Satz der 22

Zu Liebigs Fleischextrakt: ebd., 12.  Jg./Nr.  1 (31.03.1883), S.  5; ferner Nr.  9 (10.06.1883), S.  82 mit darauffolgender Rubrik „Correspondenz der Redaction“; Nr.  23 (16.09.1883), S.  209; Nr.  24 (23.09.1883), S.  219. Zum Bitterwasser vgl. etwa Oesterreichisch-ungarische Badezeitung 24  Jg./ Nr. 13 (21.07.1895), S. 101. 23 Bott, Wirkungsvolle Reklame, S. 34. 24 „[… D]as Mühlviertl [hat] seine landschaftlichen Schönheiten, trotz Salzkammergut und Ennsthal, und wer es einmal gewagt, vorzudringen in den Thälern der Ranna, der Mühl, der Rotel [sic!], wer einmal angestaunt hat die wunderbaren Flußläufe der Mühl und der Aist, der kommt sicherlich wieder, um hier zu genießen, was er an vielen hochberühmten Orten nicht gefunden: erquickende Luft, wundervolle Fernsicht von jedem Punkte aus, vor Allem Ruhe und dies unter einer Bevölkerung, die wirklich noch nicht ‚geleckt ist von der Ueberkultur‘ moderner Saisonorte. […] Der Grund, warum [Kirchschlag nicht so bekannt ist], liegt darin, daß ein großer Theil seiner Kurgäste Kreisen angehört, aus denen erfolgreiche Reklame nicht hervorgeht. Da aber Kirchschlag, trotzdem es unbeachtet von der großen Welt ist, oder – vielleicht eben deshalb? so Vielen Ruhe, Frieden, Gesundheit und Glück bringt, so sind ihm wohl diese Zeilen mit Recht gewidmet. […] Was bietet Kirchschlag? Non multa, sed multum. Außerordentlich reines Wasser, unbedingt das bewährteste Auflösungsmittel, und reine – genauer gesagt schon etwas rauhe Luft, denn wir befinden uns in einer Höhe von ca. 2800 Fuß; wundervolle Aussicht auf Linz, über das oberösterreichische Flachland und über ein Großtheil der nördlichen Alpenkette – welche des Morgens und Abends ein unsagbar herrliches Bild vor unser Auge zaubern. […] Die Preise sind billig; ein Abbild derselben ist die Kurtaxe, welche bei mehr als viertägigem Aufenthalt 50 kr., sage ‚fünfzig Kreuzer‘ beträgt […]“. Der gesamte Beitrag, über eine halbe Seite lang, ist in: Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 11 (23.06.1878), S. 123, nachzulesen. 25 Zum sogenannten Bäder-Antisemitismus: Martin Radermacher, Badeurlaub und Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Ein Überblick zu Hintergründen und Entwicklungen, in: Lisa Andryszak/Christiane Bramkamp (Hg.), Jüdisches Leben auf Norderney: Präsenz, Vielfalt und Ausgrenzung, Münster 2014, S. 25–34.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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Abb. 3: Der „Sprechsaal“ der Rubrik „Eingesendet“ 1872. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 04.08.1872, S. 168; 11.08.1872, S. 180.

Seiten immer gleichbleiben und die treue Leserschaft konnte wohl schon anhand einer rückseitig liegenden Zeitung erkennen, ob es sich um die „Badezeitung“ oder ein anderes Blatt handelte. Auf den Rückseiten der ersten vier Ausgaben, danach ab der siebten Ausgabe auf jeder zweiten (bis auf die letzten drei Ausgaben des Jahres 1878), bot der Hoflieferant Heinrich Mattoni – beziehungsweise seine Tochterfirmen – Ofner Königs-Bitterwasser, Giesshübler alkalischen Sauerbrunn, Kaiser-Quellsalz und andere Eisenmoor-Produkte feil26 und machte als „Besitzer des ganzen Quellengebietes und sämmtlicher Bade- und Kuranstalten“ gemeinsam mit Emil Kammerer, leitendem Brunnenarzt in Giesshübl und erstem Sekundararzt im Allgemeinen Krankenhaus in Wien, Reklame für den Kurort Giesshübl-Puchstein.27 In den restlichen Blättern dieses Jahres wechselten die Inserate der letzten Seiten. Im Jahr 26

Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 1–4, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19 und 21 auf der jeweils letzten Seite. 27 Ebd. ohne Nr. 1.

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1883 waren die Werbenden für den Kurort das Bürgermeisteramt der Stadt Franzensbad, die Mineralwasser- und Moorsalzfabrik Mattoni, die beinahe die gleichen Mittel anbot, die „Erste Pilsner Actien-Brauerei“, die ihre „hochfeinen Biere“ zur „Verwendung bei Heilzwecken“ bewarb, und schließlich die Brunnen-Direktion im tschechischen Bilin/Bílina, die wiederum den Kurort selbst lobte.28 1889 teilten sich zwei Werbungen jede letzte Seite, nämlich jene für das private Hotel „Drei Lilien“ mit integrierten Bädern sowie das 1827 gegründete Badehaus des Arztes Loimann in der Franzensbader Kaiserstraße und Louisenstraße einerseits, andererseits jene der Franzensbader Brunnenverwaltung für den Kurort selbst.29 Das Jahr 1895 bot noch weniger Abwechslung: Der einzig Werbende war hier erneut Badearzt Loimann, der in Franzensbad sein Kur-Imperium ausgeweitet hatte. Beworben wurden dabei der Höhe nach halbseitig sein Franzensbader Quellsalz sowie jeweils viertelseitig sein Privathotel und die Badeanstalt mit 180 Badezimmern.30 Vonseiten der Werbenden wurden viele Inserate immer wieder verändert, sei es nun, dass ein Bild hinzugefügt, der Text leicht angepasst oder das Layout modernisiert wurde. Am auffallendsten sind die Größenänderungen der Inserate. Die Annoncen für den Kurort Franzensbad wurden von der Brunnendirektion und auch dem Bürgermeisteramt im Lauf der Jahre immer größer und gleichzeitig ansprechender gestaltet: 1872 waren sie in der Breite halbseitig, in der Höhe rund ein Viertel der Seite, 1883 wurden sie jeweils über die gesamte Seitenbreite gedruckt und 1895 nahmen sie die gesamte Seitenbreite und die halbe Seitenhöhe ein, wobei der Text reduziert, aber ein Bild des Ortes hinzugefügt wurde (s. Abbildung 4).31 Für den Südtiroler Ort Meran/Merano warb in den betrachteten Jahren der Kurvorstand bzw. Kurvorsteher Dr. J. Pircher zwar nicht sehr häufig, aber ebenfalls immer mit einem anderen Sujet. 1872 waren die vier Werbungen, geschaltet im August, am größten, nämlich eine halbe Seite breit – dies änderte sich auch in den nächsten Jahren nicht – und eine Viertelseite hoch. Das Inserat bestand nur aus Text, wobei als Überschrift „Herbst-Saison und Traubenkur“ dominierte. Im Jahr 1878 wurde Meran ebenfalls nur im August beworben, der Text wurde auf knapp die Höhe eines Zehntels der Seite zusammengestaucht; der Ortsname blieb dominierend und der mit einer geschwungenen Klammer auf den Ort verweisende Text lief um den Namen herum. Weitere fünf Jahre später mit Annoncen in den Ausgaben vom 12. und 26. August kehrte eine geschwungene Klammer mit Verweis auf den werbenden Ort auf der linken Seite als Gestaltungselement zurück, während die Größe der Einschaltung nicht verändert wurde. In den Inseraten des Jahres 1889, jeweils eines pro Sommermonat, wurde der Schriftzug „Meran“ mit weiß auf schwarzem Grund gedruckt, und am Ende des betrachteten Zeitraums wurden nur mehr zwei Inserate platziert, nämlich am 7. Juli und am 4. August, deutlich erkennbar auf der ersten Seite des Werbeteils. Das Mehr an Text wurde insgesamt zwar noch kleiner gedruckt, dafür konnte man die Anzeige in der 28

30 31 29

Ebd., 12. Jg./Nr. 1–24 auf der jeweils letzten Seite. Ebd., 18. Jg./Nr. 1–23 auf der jeweils letzten Seite. Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 1–22 auf der jeweils letzten Seite. Siehe etwa Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 5 (19.05.1872), S. 50; 12. Jg./Nr. 9 (10.06.1883), S. 86; Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 14 (28.07.1895), S. 110.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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Abb. 4: Werbung für Franzensbad seitens der Brunnenverwaltung. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 01.09.1889, S. 169.

Größe eines Fünftels der Seitenhöhe, die nun mit einem „Meran“ in weißem Text auf einem schwarzen schrägen Balken warb, kaum mehr übersehen.32 Vom Stil her dürfte man sich dabei das Vorbild der Kurstadt Wiesbaden genommen haben, denn dieser Ort warb zumindest seit 1878 mit einem schwarzen Schrägbalken mit dem Schriftzug „Wiesbaden“. In den Ausgaben von 1889 hatte man den schwarzen Balken dann gegen einen weißen mit schwarzer Schrift ausgetauscht.33 Gänzlich mit einem ins Schwarze invertierte Sujet wurde bei der Anzeige für „St. Marias vegetabilisches Magen-Elixier“34 des Wiener Spirituosenherstellers Friedrich Schenkiržik gearbeitet. Zwar stach sie sofort ins Auge, war jedoch nicht unbedingt problemlos lesbar (s. Abbildung 5). 32

Oesterreichische Badezeitung, 1.  Jg./Nr.  16 (04.08.1872), S.  170; 7.  Jg./Nr.  17 (04.08.1878), S.  187; 12.  Jg./Nr.  18 (12.08.01883), S.  167; Oesterreichisch-ungarische Badezeitung 18.  Jg./Nr.  12 (11.07.1889), S. 99; 24. Jg./Nr. 11 (07.07.1895), S. 85. 33 Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 24–25 (23.09.1878), S. 250; Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 22 (22.09.1895), S. 174. 34 Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 17 (04.08.1878), S. 186.

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Abb. 5: Werbung für Schenkiržiks Magen-Elixier. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 04.08.1878, S. 186.

Bei der Werbung für das kroatische Jodbad Lipik gab es gleich im ersten Jahr eine Anpassung der Höhe: Während die sechs Einschaltungen zwischen 19. Mai und 30. Juni 1872 ebenfalls nur rund ein Zehntel der Höhe einer Zeitungsseite hatten und nur vier Zeilen Text beinhalteten, verdreifachte man die Anzeigenhöhe und brachte dementsprechend viel Text unter. In den nächsten Jahren blieb zwar die Höhe beinahe gleich, der Werbetext wurde allerdings stark ausgebaut und folglich in kleinerer Schriftgröße gedruckt.35 Über die Gestaltung der Inserate ließe sich noch viel sagen, zieht man allein den Ratgeber Karl Botts über „Wirkungsvolle Reklame“36 aus dem Jahr 1919 zurate. Darin gibt er Ratschläge zur guten Gestaltung von Inseraten, die auch manche 35

Ebd., 1. Jg./Nr. 11 (30.06.1872), S. 113; 1. Jg./Nr. 16 (04.08.1872), S. 172. Siehe Anm. 19.

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Abb. 6: Bei dem Inserat der Firma Grünecke beachte man die Zeigehände bei dem Wort „Sommer-“ – ein häufig verwendetes Element bei Inseraten (mitunter bis zu sechsmal pro Inserat) – sowie die Darstellung eines offenbar dunkelhäutigen Menschen für Werbezwecke. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 28.07.1878, S. 179.

Desi­gnerinnen und Designer der Anzeigen in der „Oesterreichischen Badezeitung“ besser beachtet hätten, wie etwa zu der Gestaltung des Rahmens, den verwendeten Schrifttypen, der Raumaufteilung und Anordnung des Textes, der wirkungsvollen Erstellung von Schlagworten, der Verwendung innovativer Abbildungen und noch vielem anderen mehr. Abgesehen davon seien hier noch zwei Dinge erwähnt, die nicht in der Hand der Werbenden lagen, sondern durch das Layout der Seiten bestimmt wurden. Einerseits wurden von den Zeitungsmachern mitunter über und unter wenig Papier füllenden Annoncen schwarze Balken eingefügt, um ein gleichmäßiges Layout zu erhalten, andererseits schreckte man auch nicht davor zurück, Inserate um 90 Grad zu drehen, um Platz einzusparen – selbst bei solchen, die Bilder beinhalteten. Dies soll obenstehende Abbildung 6 verdeutlichen, bei der die Werbung für Julius Grüneckes „Sommer-Patent-Netz-Jacken und Hosen“ für die durchschnittlichen Rezipienten und Rezipientinnen wohl nicht sonderlich gut zu erkennen war, geschweige denn schnell zu lesen. Rechts darüber ist ein Beispiel für die Füllung von leerem Platz seitens der Redaktion durch schwarze Balken dargestellt.

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2. Verteilung der Annoncen in den betrachteten Jahren Stellt man sich die Frage, für welche Lokalitäten, Dienstleistungen und Produkte geworben wurde, kommt man nicht an der Tatsache vorbei, dass in einem Blatt, das sich auf die Fahne geschrieben hat, über die Neuentwicklungen der Badeindustrie und die Anliegen von Ärzten zu informieren, zwangsläufig auch im Nachrichtenteil Texte veröffentlicht sind, die in der einen oder anderen Form Werbung betreiben, ohne dass dies das Hauptanliegen wäre. Beispielsweise hatte die Meldung, der Kaiser, ein Fürst oder andere Adelige beabsichtigen, an einem gewissen Ort die Sommerfrische zu verbringen, sicher Publikumswirkung. Dies konnte ein Anreiz sein, selbst die nächste Badesaison in genau jener Stadt zu verbringen. Lässt man diese Überlegung außer Acht und betrachtet nur den Inseratenteil, so lässt sich durchaus quantifizieren, wer in den betrachteten fünf Jahren zwischen 1872 und 1895 wie oft in der „Oesterreichischen Badezeitung“ warb, wobei hier Unschärfen zu bedenken sind:37 Badehäuser warben mit der medizinischen Betreuung durch berühmte Ärzte, Orte mit den verfügbaren Badehäusern und medizinischen Quellen, aber auch mit der Anbindung an den öffentlichen Verkehr, im Speziellen an das Eisenbahnnetz. Im Gegenzug versuchten Eisenbahngesellschaften durch die Erwähnung der bedienten Orte mehr Fahrgäste anzulocken; Ärzte erhofften sich durch die Erwähnung der Orte, in denen sie ihre Kurpraxis leiteten, mehr Kundschaft. Kulinarische Angebote priesen ähnlich wie Mineralwässer ihre – vermutlich oft nur angebliche – Heilkraft gegen verschiedene Krankheiten. Für die Systematisierung innerhalb der vorliegenden Auswertung wurde, wenn er angegeben ist, jeweils der Hauptauftraggeber der Einschaltung oder aber das hauptsächlich beworbene Produkt verwendet. Die daraus erfolgte Kategorisierung der 3.766 Annoncen in 441 Ausprägungen von 252 Werbenden in den betrachteten fünf Jahren ist der Tabelle 1 (s. S. 222) zu entnehmen. Dabei ist zu beachten, dass im gleichen Jahr ein Inserat als verschiedenartige Einschaltung nur dann gezählt wurde, wenn der Text oder das Layout, etwa der Rahmen,38 verändert wurden. Sofern nur die Zeilenhöhe verändert wurde, sind zwei zwar unterschiedliche Wirkung entfaltende Werbungen lediglich als eine Ausprägung gezählt. Allerdings kam es auch selten vor, dass in vier betrachteten Jahren 37

Diese Unschärfen betreffen nicht nur die Inserate der „Oesterreichischen Badezeitung“, wie der Literaturwissenschaftler Kai Kaufmann festhält: „Bei meiner eigenen Beschäftigung mit den Wiener Unterhaltungszeitungen vor und den Wiener Tageszeitungen nach 1848 habe ich allerdings erfahren müssen, daß sich sowohl die Zeitungsteile wie auch die Textsorten häufig nur schwer gegeneinander abgrenzen lassen. Und deshalb bin ich äußerst skeptisch gegenüber allen rein quantitativen Untersuchungen, die – meist ohne Angabe von Abgrenzungskriterien – statistische Vollständigkeit und Genauigkeit beanspruchen.“, Kai Kaufmann, „Narren der modernen Kultur“. Zur Entwicklung der Wochenplauderei im Wiener Feuilleton 1848–1890, in: Hubert Lengauer/Klaus Amann/Karl Wagner (Hg.), Literarisches Leben in Österreich 1848–1890, Wien/Köln/Weimar 2000, S. 343–358, hier S. 343–344. 38 Wie beispielsweise bei den Anzeigen für das nach dem Dreh für den Film „Der dritte Mann“ 1948 abgerissene Hotel Metropol am Wiener Morzinplatz, vgl. Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 1 (14.04.1878), S. 17; 12. Jg./Nr. 2 (15.04.1883), S. 17.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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immer dieselbe Annonce gedruckt wurde, diese wurde dennoch separat gezählt.39 Die so gelagerte Analyse führt auch dazu, dass Transportgesellschaften bei der Anzahl der Inseratenvarianten weit voraus liegen, denn sie passten ihre Werbungen an den jeweils aktuellen Fahrplan an; so hatte etwa die damalige DDSG, geführt als „Erste k. k. privilegirte Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft“, in den Jahren 1872 bis 1889 insgesamt 13 verschiedenartige Anzeigen, und auch die Generaldirektion der Franz-Josefs-Bahn kam in den Jahren 1872 und 1878 auf acht unterschiedliche Einschaltungen. Außerdem wurden Produkte, für die in einer gemeinsamen Anzeige geworben wurde, als zwei Anzeigen gewertet – dies ist etwa bei den Kurorten Wiesbaden, Marienbad und Franzensbad der Fall, bei denen mitunter einzelne Badeanstalten gesondert hervorgehoben sind, oder auch bei den Produkten Heinrich Mattonis. Aus der Auflistung wird deutlich, dass es Usus unter den Werbenden war, öfter Annoncen für dasselbe Produkt zu schalten. Hinweise auf neu erschienene Literatur oder Ausstellungen wurden nur wenige Male inseriert (durchschnittlich 8,95 Werbungen je Produkt in den betrachteten Jahren). Noch seltener wurden die Annoncen für Banken und Finanzdienstleister wiederholt (7,82 Werbungen je Produkt). An der Spitze dieser Wertung liegen medizinische Hilfsmittel (15,45 Werbungen je Produkt), einzelne Ärzte und Arztpraxen (19,25 Werbungen je Produkt), und unübertroffen oft erscheinen Mineralwässer und Badesalze (28,88 Werbungen je Produkt). Die Franzensbäder Mineralwässer beispielsweise wurden etwa durch die „Stadt Egerer Brunnenverwaltung“ in jeder Ausgabe, also 117-mal, feilgeboten. Diese therapeutischen Mittel sind auch absolut gesehen jene, die die meisten Werbeschaltungen hatten (24,52 % aller Inserate in den betrachteten Jahren, also rund ein Viertel). Obwohl die Kurorte selbst sowie Hotels und Badeanlagen knapp unter dem Durchschnitt der gemittelten Anzahl von Werbungen liegen, sind sie nach der Gesamtzahl der Inserate auf Platz zwei (22,63 %) und drei (15,44 %) aller Werbeschaltungen. Auffällig ist auch die Absenz von Anzeigen für Arzneien, Krankenbehelfe, Finanzdienstleister und Transportmittel im Jahr 1895; offensichtlich hatte sich in den Jahren zuvor herauskristallisiert, dass für diese Sparten Inserate in der „Badezeitung“ nur mäßig rentabel waren. Die geringe Anzahl an medizinischen Mitteln, die nicht in die Kategorie Badesalze und Mineralwässer fallen, mutet merkwürdig an, könnte sich aber dadurch erklären, dass diese im Gegensatz zu Heilwässern40 üblicherweise nicht nach ganz Europa exportiert wurden. 39

Als wegen der Menge geschalteter Inserate herausragendes Beispiel sei hier die „Privat-Heilanstalt für Gemüths- und Nervenkranke“ in der Oberdöblinger Hirschengasse 71 in Wien genannt, die in den Jahren ab 1878 insgesamt 66-mal, also gut in zwei Drittel aller Ausgaben, für sich warb; siehe hierzu Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 18. Jg./Nr. 15 (04.08.1889), S. 127. 40 Diverse Mineralwässer, Eisenlaugen und Moorpackungen waren schon längere Zeit gerade auch unter der europäischen Nobilität als Heilmittel verbreitet. So schreibt etwa im Jahr 1826 Leo Thun-Hohenstein, späterer k.-k. Minister für Cultus und Unterricht zwischen 1849 und 1860, in seinem Tagebuch über die Heilungsversuche seines Bruders Franz: „Uibermorgen wird Franz seine Karlsbader Kur anfangen, er bekömmt alle 5 Tage eine Masse aus Dresden, welche hier [in Prag, Anm.] zubereitet wird.“; vgl. Státní oblastní archiv v Litoměřicích, pobočka Děčín, Rodinný archiv Thun-Hohensteinů, Děčín, Nachlass Leo Thun, A3 XXI B1, „Tagebuch des Grafen Leo Thun, angefangen am 1. Jänner 1825, geführt mit Unterbrechungen bis 7. Jänner 1842“, S.  189. Bei der Karlsbader Kur

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Tab. 1: Aufteilung der Inserate nach Kategorien von Werbenden Anzahl der Annoncen Kategorie

Anzahl d. Werbenden o. Produkte

Variationen von Annoncen

1872

1878

1883

1889

1895



Kurorte

143

252

160

156

142

853

63

136

Hotels und Badeanlagen

145

74

119

179

65

582

39

59

Mineral­ wässer, Badesalz etc.

172

213

203

200

136

924

32

65

andere Arzneien



38

44





82

7

9

medizinische Behelfe

53

83

11

23



170

11

13

Ärzte und Praxen

24

73

27

15

13

152

8

13

Kulinarik

8

92

74

86

53

313

23

28

Finanzdienstleister

46

19

20





85

11

22

Transportwesen

41

47

24

23



135

9

33

Literatur / Ausstellungen

25

55

46

21

50

197

22

30

anderes

47

175

42

5

4

273

27

33

Summe

704

1121

770

708

463

3766

252

441

trinkt man „des Morgens 3–6 Becher [Karlsbader Wasser, Anm. d. Verf.] und gebraucht sowohl Mineralwasser- und Dampfbäder als auch mit vielem Erfolg Moorbäder, zu denen die Schlammerde dem Franzensbader Moorlager entnommen wird. Von Wichtigkeit sind auch die Quellenprodukte von K[arlsbad] und zwar das Sprudelsalz, welches durch Abdampfung der Sprudelquelle, und die Sprudelseife, welche als Erzeugnis aus den Sprudelsalzlaugen gewonnen wird.“, Meyers Konversationslexikon, Bd. 9, Leipzig/Wien 41885–1890, S. 541.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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3. Die Werbenden 3.1 Kurorte

„Wir aber wollen, wenn es Ihnen gefällt, eine kleine Promenade durch den Park unternehmen. Finden wir doch heute die ganze Franzensbader Welt dort versammelt, es fehlt auch nicht ein Element des bunten, lebendigen Ganzen, alle sind sie da, vom langbärtigen Jüd’chen bis zum stattlichen Abraham, von der schlichten Beamtenfrau bis zur hochgeborenen Fürstin. Wir finden sie wieder, die Ritterguts- und Fabriksbesitzer, die Kaufleute mit und ohne Frauen, die Wirtschaftsinspektorin, die Meierhofpächtersgattinnen, die Oekonomiebesitzerstöchter, Bankiers, Rentiers und Privatiers, die Baroninnen, Gräfinnen und Fürstinnen.“41

Mit 853 Inseraten und 63 einzelnen Werbenden zählen die verschiedenen Kurorte zu den wichtigsten Inserenten in der Österreichischen Badezeitung. Für welche Orte wie oft geworben wurde, ist in Abbildung 7 dargestellt. Das böhmische Franzensbad, welches immer wieder, allerdings nicht immer so blumig wie im obigen Zitat, im gesellschaftskritischen Werk „Aus Franzensbad“ von Marie von Ebner-Eschenbach beschrieben wird, ist dabei mit insgesamt 159 Werbungen in den 117 untersuchten Ausgaben markant zu erkennen: Für diese Stadt wurde von zwei Seiten geworben, einerseits vom Bürgermeisteramt als Kurverwaltung (in allen Jahrgängen ausschließlich dem Jahr 1883), andererseits von der Brunnenverwaltung/Brunnenversendung Kaiserbad sowie der „Stadt Egerer Brunnen-Versendungs-Direction in Franzensbad“ (in allen Ausgaben der Jahre 1872, 1889 und 1895), außerdem im gesamten Jahr 1883 gemeinsam vom Bürgermeisteramt und der Brunnenversendungsdirektion. Dadurch erklärt sich auch der Unterschied zwischen den 63 Werbenden und den lediglich 62 auf der Karte verzeichneten Orten. Bilin (69 Inserate), Wiesbaden (65), Lipik und Marienbad (jeweils 31) sowie Bad Gleichenberg (28) waren von den Auftraggebern ebenfalls gut beworben, im Gegensatz zu den deutschen Orten Bad Liebenstein und Soden am Taunus, dem heute slowenischen Bad Neuhaus/Dobrna und Gross-Ullersdorf/Velké Losiny in Tschechien mit jeweils einer Annonce.42 In der Regel rührten Kurorte sowohl des Deutschen Reiches als auch der Habsburgermonarchie, aber auch Italiens für sich die Werbetrommel.43

41

Marie von Ebner-Eschenbach, Aus Franzensbad. Sechs Episteln, Leipzig 1858, S. 85f. Vgl. dazu in gleicher Reihenfolge Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 9 (9. 6. 1878), S. 101; Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 18. Jg./Nr. 2 (5. 5. 1889), S. 14; Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 7 (26. 5. 1878), S. 77; ebd., 7. Jg./Nr. 3 (28. 4. 1878), S. 34 43 Zu den Kurorten innerhalb der Österreichisch-ungarischen Monarchie vergleiche man auch die jeweiligen Jahresstatistiken der k.-k. Statistischen Zentralkommission; etwa Statistik des Sanitätswesens der im Reichrathe vertretenen Königreiche und Länder für das Jahr 1880 nach Amtlichen Berichten (Wien 1883), S. XIV–XVI. 42

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Abb. 7: Beworbene Orte in den Jahren 1872 (schwarze Balken), 1878 (gelbe Balken), 1883 (grüne Balken), 1889 (rote Balken) und 1895 (blaue Balken) in ihren heutigen Bezeichnungen. Die Höhe der Balken gibt die Anzahl der Inserate wieder. Quelle: Berechnungen d. Verf.; Grundkarte: https://staatsbibliothek-berlin.de/fileadmin/ user_upload/zentrale_Seiten/kartenabteilung/topo/kartf6580.jpg [Stand 01.10.2021].

Da praktisch für alle beworbenen Orte mit sehr textlastigen Inseraten Werbung gemacht wurde, lässt sich relativ präzise beschreiben, welche Ansprüche man in der damaligen Zeit an Kurorte stellte (siehe Abbildung 8): Grundsätzlich waren laut den Inseraten eine gute Verkehrsverbindung, die Lage und das Klima, die ansässigen Ärzte und andere gesundheitliche Angebote sowie natürlich der gebotene Komfort und der Preis ausschlaggebend, für welchen Erholungsort man sich entschied. Außerdem galt es nicht – entgegen mancher heutiger Vorstellung von Urlaub –, dass man Erholung fernab großer Menschenansammlungen suchte, im Gegenteil: Vor allem die größeren Orte priesen an, wieviel tausende Menschen sie in den letzten Jahren aufgesucht hatten; Kuren waren also Ende des 19. Jahrhunderts eine Gelegenheit, sich in die Gesellschaft zu integrieren und Kontakte zu knüpfen. Dass in der Badezeitung in den Ausgaben ab Juni die Besucherfrequenzen vieler Badeorte veröffentlicht wurden und

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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Abb. 8: Beworbene Vorzüge der Kurorte. Quelle: Berechnungen d. Verf.

die Städte selbst dafür verantwortlich waren, die aktuellen Zahlen der Redaktion zukommen zu lassen, verstärkt das Bild, dass es durchaus auch eine Werbestrategie war, die hohen Besucherzahlen der Öffentlichkeit kundzutun. Die verkehrstechnische Verbindung zur restlichen Welt, also auch zu den regulären Wohnorten der Kurgäste, welche eine leichte An- und Abreise ermöglichte, sowie die Möglichkeit, durch Post und Telegrafie den Anschluss an das alltägliche Leben aufrechtzuerhalten, waren wesentliche Punkte, die für einen Kurort sprachen. Allein 44 aller 62 Kurorte waren laut den Inseraten an die Eisenbahn oder andere Verkehrsmittel angebunden; nach Meran konnte man am bequemsten mit Schlafwaggons reisen, bei Teplitz-Schönau/Teplice-Šanov in der böhmischen Aussiger Region hielten die Lokomotiven gleich an zwei Bahnhöfen. Venedig/Venezia und Sylt waren anstatt mit Zügen mit Dampfschiffen zu erreichen, und auch die Kurbäder auf der ostfriesischen Nordseeinsel Norderney mussten mit Dampfschiffen angesteuert werden, wobei zu den Anlegestellen eine Schnellzugverbindung existierte. Die Margaretheninsel in Budapest wurde ebenfalls per Dampfer angesteuert. Die Wahl zwischen mehreren Verkehrsmitteln hatte man in Bad Assmannshausen, wohin man mit Schiff oder Bahn gelangte, und Bad Plattensee/Balatonfüred: Dorthin konnte

226

Michael Prokosch

man gleichfalls über den Plattensee mit dem Dampfschiff fahren; es wurde aber auch die Anreise per Wagen empfohlen. Wollte man ins slowakische Eisenbad Szliács/ Sliač, so hatte man den Vorteil, dass die sechs Wochen gültigen Eisenbahnbillets um den um ein Drittel vergünstigten Normalpreis zu haben waren. Auch Lipik bot im Jahr 1889 33 Prozent Ermäßigung auf den Tarif von Linien der ungarischen Staatsbahnen und der k.-k. Südbahn; es gab auch eine Dampfschiffstation und 1878 wurde ein besonderer Service geboten: Auf telegrafische Benachrichtigung hin schickte die Badeverwaltung „gute gedeckte Wägen […] zur Weiterbeförderung“.44 Die aber wohl beste Eisenbahnanbindung hatte Franzensbad, wie man in den Annoncen von 1889 nachlesen kann: Es hielten dort sowohl Züge der sächsischen und bayerischen Staatsbahn, der bayerischen Ostbahn, der Nordwestbahn, der Franz-Josefs-Bahn als auch der Buschtierader Bahn. Gleichzeitig mit einer guten Verkehrsanbindung warben insgesamt 18 Kurorte auch damit, sowohl an die Postrouten als auch an die Telegrafenverbindungen angeschlossen zu sein. Dazu zählte das in der Pilsner Region gelegene tschechische Neudorf/Nová Ves (heute Konstantinsbad/Konstantinovy Lázně), von dem man mit einem „Badeomnibus“ zur nächsten Bahnstation gelangen konnte. Dort war auch ein „Postamt im Kurhause“45 untergebracht, jedoch wie in Bad Gleichenberg offenbar kein Telegrafenamt. Zwei Kurorte, nämlich das bayerische Bad Reichenhall und das hessische Assmannshausen, warben zwar mit der Eisenbahn und der Möglichkeit, Telegramme absenden zu können, jedoch nicht mit Postanbindung, obwohl zumindest Reichenhall schon früh mit den Postwegen verbunden war.46 Bemerkenswert ist auch der Zusammenhang zwischen Postwesen und dem damaligen Telekommunikationsinstrument, dem Telegrafen. Von den insgesamt 26 mit einem dieser neuzeitlichen sozialen Medien ausgestatteten Orten stechen nur fünf hervor, die ausschließlich eine der beiden Möglichkeiten boten: Neudorf und das steirische Bad Gleichenberg warben trotz Postanbindung nicht mit ihrer Telegrafenverbindung, während Baden bei Wien und, wie soeben erwähnt, Bad Reichenhall sowie Bad Assmannshausen zwar mit Telegrafie aufwarten konnten, jedoch erstaunlicherweise nicht mit einer Poststation in der Nähe warben. Obgleich die Anzeige von Baden ohne Telegraf auskam, wurde dargelegt, dass der Ort Anbindung an das Staatstelefon besaß. Marienbad hingegen buhlte mit einer Zollstation um die Gunst der Reisenden. Es erinnert stark an die Situation heutzutage, dass die potenziellen Kurgäste da­ rauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie für günstiges Geld hohen Komfort in den Kurorten und -unterkünften erwarten konnten. Der Inserent für Bad Sternberg/ Český Šternberk, Louis Fritsch, bewarb das Kurörtchen bei Prag damit, dass 44

Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 8 (26.05.1878), S. 67. Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 1 (28.04.1895), S. 6. Im Jahr 1889 sowie davor war vom eigenen Postamt noch nicht die Rede, wohl aber von der Anbindung an das Zugnetz. 46 Siehe Post und Strassen Karte der oesterreichischen Monarchie nebst allen angrenzenden Laendern herausgegeben von der k. k. Obersten-Hof-Post-Verwaltung im Jahre 1840, online unter: http:// chartae-antiquae.cz/en/maps/44911; ebenso Post- und Reisekarte von Deutschland, online unter: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/43/Map_Thurn-und-Taxis-Post.jpg [Stand: 01.10.2021]. 45

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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„er auch fernerhin das ‚Hôtel zur Post‘ in Schlan fortführen wird, und empfiehlt sich den Herren Geschäftsreisenden sowie seinen sämtlichen geehrten Gönnern auf’s Wärmste in der sicheren Hoffnung, daß seine bekannte solide und prompte Bedienung, die er stets an den Tag legte, nicht nur die bisherigen Gönner ihm erhalten, sondern noch zahlreiche neue verschaffen wird.“47

Königswart/Lázně Kynžvart, ebenfalls in Tschechien gelegen, warb mit der Nennung des Fürstlichen (Metternich’schen) Kurhauses als Beispiel für den gebotenen Luxus, und die Kurverwaltung von Bad Tatzmannsdorf ließ wissen, dass für „die Unterkunft der Gäste […] im heurigen Jahre [1883] durch einen Neubau mit zahlreichen gesunden, schon möblirten Zimmern gesorgt“ worden war.48 Im badischen Badenweiler entschied man sich dafür, nicht wie viele andere Orte mit „günstigsten Preisen“ oder dem Attribut „billig“ zu werben, sondern man versuchte, die Lage des Ortes, die „hocheleganten Bade-Einrichtungen“ und die „vorzügliche Unterkunft in Hôtels, Pensionen und Privatwohnungen (Villen)“ mit nur „mässigen Preisen“49 feilzubieten. Mit einem anderen Angebot wollte man die Besucher und Besucherinnen auf die Budapester Margaretheninsel locken: Nahm man sich in der Stadt eine Unterkunft, gab es als „Inwohner der Insel […] Vortheile bei Bade- und Fahrkarten“,50 jedoch ohne genaue Nennung der Vergünstigung. Einen Einblick in die Preise für Wohnungen in Badeorten gewähren die Werbungen für Meran und Bürgenstock in der Schweiz: 1872 wurden im „deutschen Südtirol“ Pensionen mit Zimmer für zweieinhalb bis viereinhalb Gulden angeboten, ein einzelnes Zimmer war 1883 für zehn bis 40 Gulden zu haben. 1878 verlangte man für Pensionen nur noch zwei bis vier Gulden, um die Spanne im Jahr 1883 zu erhöhen: Nun kosteten Einzelzimmer zehn bis 50 und Pensionen zweieinhalb bis fünf Gulden.51 In den nächsten zwei Jahrgängen verzichtete man auf Preisangaben. Der schweizerische Kurort Bürgenstock verlangte 1878 für „Pension inkl. Wohnung 5–7 Francs“.52 Für die schon vorher beschriebene Angewohnheit, hohe Besucherzahlen besonders hervorzuheben, spricht auch die Werbung des mährischen Karlsbrunn/Karlova Studánka: 1895 war „[d]as neue Badhaus […] mit grösstem Comfort, modernsten und grossartigsten Badeeinrichtungen ausgestattet“ und „[d]urch neu aufgebaute Villen […] die Zahl der comfortabel eingerichteten Wohnungen bedeutend vermehrt“, dafür wurden sowohl 1883 als auch 1895 die Kurgäste informiert, „Wohnungen wollen im Vorhinein franco bei der erzherzoglich Hoch- und Deutschmeister’schen Badeverwaltung in Karlsbrunn bestellt werden, da nur nach vorhergegangener Bestellung sicher auf Unterkunft gerechnet werden kann.“53 47

Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 1 (14.04.1872), S. 8. Ebd., 12. Jg./Nr. 8 (03.06.1883), S. 74. 49 Ebd., 12. Jg./Nr. 2 (15.04.1883), S. 15; 12. Jg./Nr. 3 (29.04.1883), S. 25. Badenweiler schaltete in den betrachteten Jahren nur zweimal Inserate. 50 Ebd., 7. Jg./Nr. 13 (07.07.1883), S. 149. 51 Ebd., 1. Jg./Nr. 16 (04.08.1872), S. 170; 7. Jg./Nr. 19 (18.08.1878), S. 209; 12. Jg./Nr. 18 (12.08.1883), S. 167. 52 Ebd., 7. Jg./Nr. 13 (07.07.1878), S. 150. 53 Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 2 (05.05.1895), S. 15. 48

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Abb. 9: Inserat für Bad Gleichenberg. Quelle: Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 02.06.1889, S. 47.

Um verbilligte Kuraufenthalte anpreisen zu können, setzten einige Orte – und auch hier gibt es wieder Parallelen zu heutigen Urlaubsbuchungen – auf günstigere Preise am Anfang und am Ende der üblichen Badesaison, also bis Ende Mai und ab Anfang September. Dazu zählten beispielsweise Krapina-Töplitz/Krapinske Toplice in Kroatien (Wohnungstarife 25  % billiger) und Neudorf in Böhmen (Wohnungsmieten und Bäderaufenthalt 20 % billiger), aber auch Bad Elster in Deutschland (im September 1883 halbe Kurtaxe, im Jahr 1895 zwischen 1. und 15. Mai und ab September ermäßigte Badepreise) und Bad Flinsberg/Świeradów-Zdrój in Schlesien (schon ab 16. August halbe Kurtaxe sowie ermäßigte Preise der Kurmittel und Wohnungen). Ob sich diese „Nebensaison“ allerdings auch in der Anzahl der Gäste niederschlug, muss im Rahmen dieser Arbeit ungeklärt bleiben. Bevor die weiteren Punkte besprochen werden, mit denen die einzelnen Kurstädte noch warben, soll erwähnt werden, was in Abbildung 8 mit „Nennung von Prämierungen“ gemeint ist. Als Beispiel hierfür können etwa das heutige kroatische Jodbad Lipik und das steirische Bad Gleichenberg dienen, deren Inserate in den Abbildungen 9 und 10 zu sehen sind.

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Abb. 10: Inserat für das Jodbad Lipik. Aufgrund des Natrongehalts gab die Badedirektion dem Jodbad die Selbstbezeichnung „ungarisches Ems“. Quelle: Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 22.09.1895, S. 173.

Bad Gleichenberg hatte fünf Auszeichnungen (davon eine Medaille im Zuge der Weltausstellung von 1888) vorzuweisen und bewarb zudem seine vier Thermalstellen, nämlich die Konstantinsquelle, die Klausner Stahlquelle, die Emmaquelle sowie den Johannisbrunnen. In der Lipiker Annonce sind beide Arten von Alleinstellungsmerkmalen, die in den Inseraten verwendet wurden, zu erkennen: Einerseits war Lipik viermal mit Auszeichnungen prämiert worden, andererseits stellte sich der Ort durch seine Besonderheit dar, nämlich als „einzige heisse jodhaltige alkalische Quelle am Continent“.54 Vor allem letztere Bezeichnung ist auch im Bäderalmanach nachzulesen,55 dürfte jedoch für das durchschnittliche Badepublikum, welches dieses 54

Ebd., 24. Jg./Nr. 22 (22.09.1895), S. 173. Bäder-Almanach. Mittheilungen der Bäder, Luftkurorte und Heilanstalten in Deutschland, Oesterreich, der Schweiz und den angrenzenden Gebieten für Aerzte und Heilbedürftige, Berlin/Frankfurt a. M. 41889, S. 158.

55

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Buch nicht immer zur Hand hatte, relativ schwer nachzukontrollieren gewesen sein. Doch im Gegensatz zu Behauptungen in Inseraten anderer Kurorte bestach Lipik geradezu mit Authentizität und Überprüfbarkeit, wie in der folgenden Tabelle 2 zu überprüfen ist. Fehlende genaue Angaben machten und machen eine Überprüfung solcher Behauptungen oft schwierig – ein ja auch heutzutage noch oft gewünschter Effekt bei Annoncen. Selbst wenn Kurorte versuchten, sich durch diverse Angebote von anderen Städten zu unterscheiden, so sind die Bezeichnungen „böhmisches Gastein“56 für Teplitz-Schönau und „ungarisches Ems“ für die Stadt Lipik schon fast Oxymora: Man versuchte, anderen berühmten Kurorten nachzueifern und doch sein eigenes Image aufzubauen. Tab. 2: In den Inseraten verwendete Selbstbezeichnungen und Nennungen von Auszeichnungen

56

Ort

Nennungen von Prämierungen und Selbstbezeichnungen

Bad Assmannshausen

„Lithiumreichste alkalische Therme“

Baden-Baden

„Musteranstalt, einzig in ihrer Art in Vollkommenheit und Eleganz“

Baden bei Wien

„seit Jahrhunderten bekannt und berühmt“ die „schon den Römern bekannt gewesenen alkalisch-salinische Schwefelquellen“ „Welt-Kurort“

Colberg

„einziges Seebad, welches gleichzeitig Soolquellen besitzt“

Franzensbad

„heilkräftigstes aller bekannten Moorbäder“ Ausgaben 1895: „Höchste Auszeichnung Brüssel 1888, Barcelona 1888“

Die damals steirische, heute slowenische Badeanstalt „Römerbad“ wurde analog dazu in den drei Inseraten 1878 und den zwei 1883 mit der Bezeichnung „steirisches Gastein“ beworben, vgl. etwa Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 3 (28.04.1878), S. 31.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

Gleichenberg

Ausgaben 1889: „Weltausstellung Barcelona 1888 Medaille mit Goldkrone, Goldene Medaille Amsterdam 1883, Goldene Medaille Paris 1878, Ehrendiplom Graz – Fürstenfeld, Ehrendiplom Triest – Radkersburg“

Bad Hall

„bedeutendste Jodquelle des Continents“

Ilidze

„Empfohlen durch ärztliche Capacitäten ersten Ranges“

Johannisbad

„Kurort ersten Ranges“ „Weltkurort“

Königswart

mit broncener Medaille in Frankfurt prämiert

Lipik

„Prämiert 1885, 1893, 1894, 1894“ „einzige heisse jodhaltige alkalische Quelle am Continent“ „ungarisches Ems“

Marienbad

„Weltkurort, der zweitgrößte Badeort Oesterreichs“ „stärkste sämmtlicher bekannter Glaubersalzwässer“ Ausgaben 1883: Aufzählung aller sieben Badequellen

Pystyán

„altberühmte Schlammbäder“

RohitschSauerbrunn

„Seit Jahrhunderten berühmte Glaubersalz-Säuerlinge“

Bad Schandau

„Bewährter Nachkurort“

TeplitzSchönau

„böhmisches Gastein“ „seit Jahrhunderten bekannte und berühmte heisse alkalisch-salinische Thermen“

Töplitz (Unterkrain)

„seit mehr als hundert Jahren bekannte Therme“

Wiesbaden

„altbewährt und seit Jahrhunderten bekannt“ „seit Jahrtausenden bekannt“, „besuchtester Badeort Deutschlands“

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Mit den in den Orten existenten Quellen warben 18 Badeorte (29  %), die für Kurgäste verfügbaren Kuren, Badeeinrichtungen, Ärzte und andere medizinische Versorgungsangebote waren hingegen sehr prominent in den Inseraten platziert (44  Nennungen, 71  %). Wiesbaden57 warb etwa zu Beginn – wie dies im Übrigen auch Meran und der heutige Bozener Stadtteil Gries/Gries-San Quirino taten – mit Traubenkuren. In den späteren Jahren wurden die Inserate erweitert und es wurden die 28 Badehäuser mit rund 900 Bade-„Cabinetten“, die verschiedenen Bäderarten (elektrische, römisch-irische, russische), die schwedische Heilgymnastik, orthopädische Anstalten, ein neues Inhalatorium, Massagekuren, im Jahrgang 1889 mit Morphium-Entziehungskuren und – damit lag Wiesbaden in den Werbungen allein auf weiter Flur – die „berühmten Augenheilanstalten“ beschrieben.58 Bad Hall pries sich als Jodbad, das thüringische Bad Köstritz konnte mit warmen Sandbädern punkten. Ärztliche Fürsorge wurde in den Annoncen von Bad Luhatschowitz/Luhačovice (Mähren) betont: Drei Badeärzte taten dort ihren Dienst, außerdem gab es eine öffentliche Apotheke, mit der geworben wurde.59 Eine Apotheke fand man auch auf der Margaretheninsel vor, in Rosenau/Rožnov pod Radhoštěm, ferner in Krapina-Töplitz/Krapinske Toplice, Szliács sowie im galizischen Krynica/Krynica-Zdrój. Teplitz-Schönau bot zusätzlich zur Kur ärztliche Kontrolle an und vermarktete auch seine Versorgungsmöglichkeiten mit „glänzendem Erfolge bei den Nachkrankheiten aus Schuss- und Hiebwunden“.60 Bad Homburg warb mit dem dortigen orthopädischen Institut und in Bad Vöslau fand man „Wiener Aerzte [vor], darunter Koryphäen der medizinischen Wissenschaft, wohnen mit Vorliebe während des Sommers in Vöslau und üben daselbst ärztliche Praxis“.61 Wer auch beim Baden Luxus suchte, wurde wohl durch die Anzeigen von Bad Tatzmannsdorf mit einem eigenen Frauenbad erfreut, Trenchin-Teplitz/Trenčianske Teplice, in der heutigen Slowakei gelegen, bot ebenfalls Herren- und Damen-„Douchen“ an, zudem noch fünf Spiegelbäder, Holz-, aber auch Porzellanwannen und Duschen mit Dampfbetrieb. In Krapina-Töplitz hingegen konnte man es sich in Separatmarmorwannen gut gehen lassen. Neben der Anpreisung der Angebote für die Gesundheitsfürsorge durfte den Besuchern und Besucherinnen selbstverständlich auch das kulinarische Vergnügen nicht vorenthalten werden: 19 Kurorte, also über 30 Prozent, beschrieben in den Werbeschaltungen ihr gastronomisches Angebot. Zu nennen wären hier vor allem jene Kurstädte, die dafür warben, dass man sich nach dem Heilbad an Kaffee und Kuchen laben konnte: Venedig, Lipik und Trenchin-Teplitz ließen ausdrücklich die Kaffeehäuser in den Städten nicht außer Acht. In Bad Sternberg konnte man „vor-

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Wiesbaden inserierte 1883 in allen Ausgaben der Badezeitung außer den ersten beiden und nannte in ihren Anzeigen explizit die verschiedenen Badequellen. Die beiden Formulierungen, „seit Jahrhunderten bekannt“ und „seit Jahrtausenden bekannt“, wurden dabei abwechselnd verwendet. 58 Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 2 (05.05.1895), S. 14. 59 Ebd., S. 13. 60 Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 7 (26.05.1878), S. 77. 61 Ebd., S. 82.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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zügliche Küche (Getränke und Delikatessen)“62 genießen. In Neudorf waren die „Restauration und Wohnungen gut und billig“.63 Und Baden bei Wien warb in seinen Annoncen sowohl 1883 als auch in den folgenden Jahren damit, das „anerkannt beste […] Trinkwasser wegen Anbindung an [die] Wiener Hochquellen-Wasserleitung“, welche 1873 fertiggestellt worden war, zu haben.64 Nur sechs werbende Städte, weniger als zehn Prozent, warben mit ihrem Angebot an Kirchen beziehungsweise den darin gefeierten Gottesdiensten. Das Angebot an Konfessionen und Religionen, die man in den Kurorten ausüben konnte, war zwar ausreichend, aber durchaus überschaubar und verriet nicht nur, welche Glaubensrichtungen in den Städten vorherrschten, sondern auch, welche Besuchergruppen vermehrt die Badeanstalten aufsuchten. Am allgemeinsten waren die religiösen Angebote der böhmischen Stadt Teplitz-Schönau formuliert: In den Anzeigen der Jahre 1883 und 1895 wurde angepriesen, dass es „Kirchen und Bethäuser mehrerer Confessionen“65 gab. Ebenfalls nur in diesen Jahren sind die Angebote der Stadt Baden bei Wien an katholischen, evangelischen und israelitischen Gottesdiensten beschrieben. Marienbad und Franzensbad im böhmischen Bäderdreieck hatten hingegen ein bedeutend größeres, aber – miteinander verglichen – annähernd gleich breit aufgestelltes Angebot für das Seelenheil: Beide Städte konnten mit einer Synagoge punkten. In den christlichen Kirchen wurden katholische, evangelische, anglikanische Messfeiern und auch Dienste nach russisch-orthodoxer Tradition abgehalten. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass in den Jahren 1878 und 1883 jeweils in der ersten Ausgabe, ebenfalls unter den Inseraten zu finden, ein „Rechnungs-Ausweis [des jeweils letzten Jahres, Anm. d. Verf.] über die Einnahmen und Ausgaben der Sammlung zur Errichtung eines orthodoxen russisch-griechischen Gottesdienstes, eventuell Erbauung einer Kirche in Franzensbad“66 gedruckt wurde. Diese religiös-karitative Sammlung konnte in beiden Jahrgängen um die 12.300 Gulden vorweisen. Das Komitee dahinter bestand 1878 aus den schon bekannten Personen Dr. Gustav Loimann, Dr. Friedrich Boschan, Dr. Emil W. Hamburger und Dr. Bernhard Raumann. 1883 waren anstatt Boschan und Loimann Dr. Carl Reinl und Gustav Wiedermann als Verantwortliche genannt. Zurück zu den Messen: Marienbad inserierte mit einem „schwed[ischen] Gottesdienst“.67 In Meran hingegen konnten in den Jahren 1872 und 1883 laut Werbungseinschaltungen nur Menschen protestantischer Konfession ihren Glauben praktizieren. Erst im Jahr 1895 bot man auch in der Zeitung katholische, evangelische, russisch-orthodoxe, anglikanische und sogar jüdische Gottesdienste an. In Bad 62

Ebd., 1. Jg./Nr. 1 (14.04.1872), S. 8. Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 1 (28.04.1895), S. 6. 64 Oesterreichische Badezeitung, 12.  Jg./Nr.  3 (29.04.1883), S.  26; 12.  Jg./Nr.  4 (06.05.1883), S.  36, für die einzigen beiden Anzeigen der Stadt Baden 1883; auch 1889 wurden nur zwei Werbungen platziert, nämlich in: Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 18. Jg./Nr. 1 (21.04.1889), S. 4; 18. Jg./Nr. 4 (19.05.1889), S. 31. Zu den sieben Inseraten des Jahrganges 1895 vgl. etwa ebd., 24. Jg./Nr. 7 (09.06.1895), S. 54. 65 Dazu die drei einzigen Inserate der Stadt: Oesterreichische Badezeitung, 12. Jg./Nr. 1 (31.03.1883), S. 6; 12. Jg./Nr. 2 (15.04.1883), S. 16; 12. Jg./Nr. 5 (13.05.1883), S. 46. 66 Ebd., 7. Jg./Nr. 1 (28.03.1878), S. 9; 12. Jg./Nr. 1 (31.03.1883), S. 7. 67 Ebd., 12. Jg./Nr. 1 (31.03.1883), S. 7. 63

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Elster schließlich hatte man die geringste Auswahl: Die insgesamt fünf Inserate der Jahre 1883 und 1895 beinhalten nur die Nennung von protestantischen und katholischen Gottesdiensten. Mit Lesesälen beziehungsweise -hallen versuchten insgesamt 23 Kurstädte zu begeistern. Auch wenn die Erwähnung dieser meist nur Teil einer mehr oder weniger langen Liste von nutzbaren Freizeiteinrichtungen war, gab es doch auch bei manchen Städten genauere Beschreibungen. So ist etwa im Fall von Bad Sternberg, der Margaretheninsel, Trenchin-Teplitz und Johannisbad ausdrücklich beschrieben, dass es sowohl in- als auch ausländische Zeitungen gäbe. In letzterem Ort konnte man sogar Zeitungen in mehreren Sprachen lesen, außerdem wurde seine neue Badeschrift angepriesen. Marienbad hatte ein „reichhaltiges Lesecabinet“68 und in mehreren Orten fand man sogar eine Leihbücherei vor, nämlich in Rosenau, Krapina-Töplitz, Arco und Krynica. In Meran hatte man eine Bibliothek erbaut, an die auch eine „Musikalien-Leihanstalt“69 angeschlossen war. Selbst wenn damit nur im Jahr 1872 geworben wurde, ist dies etwas, das man in Inseraten anderer Orte vergeblich sucht; dennoch muss festgehalten werden, dass die allermeisten Städte, die Lesemöglichkeiten in ihrem Unterhaltungsrepertoire aufzählten, auch mit musikalischer Unterhaltung aufwarteten – bis auf die Städte Trenchin-Teplitz, Bad Homburg, das niederländische Scheveningen und Bilin. 43,5 Prozent aller Kurorte (in absoluten Zahlen 27) warteten damit auf, auch den Ohren ihrer Gäste Erquickliches bieten zu können, und zwar mit der Bespielung durch Orchester (mitunter als „Brunnen-Orchester“ bezeichnet), oder auch den Ohren und Beinen durch Ausrichtung von Bällen und „Tanz-Reunionen“. Bad Ems stellte sich dabei besonders abwechslungsreich dar, denn dort wurden, zumindest laut den beiden Anzeigen des Jahres 1883, „[t]äglich Concerte des Kurorchesters (J.  Langenbach) im Park und den schönen Räumen des Kursaales, Deutsches und französisches Theater, Militärconcerte, Künstlerconcerte, reiches Lesekabinet, Salons für Karten-, Schach-, Domino-Spiele etc., Bälle, Réunionen, Jagd [und] Fischerei […]“70 angeboten. Während man sich, wie beschrieben, in Meran Musikinstrumente ausleihen konnte, hätte man diese in Karlsbrunn spielen können, denn dort wurde mit einem eigenen Musikzimmer und drei täglichen Konzerten im Ort geworben.71 Damit war Karlsbrunn auch eine jener vier Städte, die mehrmals täglich Musikprogramme anboten. Wer in puncto Musikgeschmack Sicherheit haben wollte, wurde in Johannisbad nicht überrascht, wo im Jahr 1872 mit „erzgebirgischer Musik“ und sechs Jahre später mit „Bademusik von der prinzl[ichen] Bergkapelle aus Schwadowitz“72 aufgewartet wurde. 68

Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 18. Jg./Nr. 1 (21.04.1889), S. 7. Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 16 (04.08.1872), S. 170. 70 Ebd., 12. Jg./Nr. 3 (29.04.1883), S. 25; 12. Jg./Nr. 7 (27.05.1883), S. 65. 1872 wurden in 13 von 24 Ausgaben Anzeigen platziert, 1878 nur noch in drei, danach wurde Ems nicht mehr beworben. 71 Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 2 (05.05.1895), S. 15. 72 Vgl. die vier Inserate 1872 in: Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 8 (09.06.1872), S. 86; 1. Jg./ Nr. 9 (16.06.1872), S. 92; 1. Jg./Nr. 12 (07.07.1872), S. 128; 1. Jg./Nr. 16 (04.08.1872), S. 169; sowie zwei Inserate 1878 in: ebd., 7. Jg./Nr. 4 (05.05.1878), S. 46; 7. Jg./Nr. 5 (12.05.1878), S. 54. 69

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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17 Kurorte, also etwas mehr als ein Viertel aller Orte, warben mit Theatervorstellungen; unter diesen waren nur drei (nämlich Trenchin-Teplitz, das thüringische Bad Colberg und Bad Homburg), welche nicht zusätzlich musikalische Unterhaltung anpriesen. In Colberg konnte man „vorzügliches Theater“ mit Darstellungen des „Personals des Großherzogl[ichen] Oldenburgischen Hoftheaters“73 während der gesamten Badesaison genießen. Für Theaterliebhaber und -liebhaberinnen war auch Bad Ems ein lohnendes Ziel, denn wie im Zitat zu den Tanzveranstaltungen weiter oben veranschaulicht, spielte man dort nicht nur deutsches, sondern auch französisches Theater. Opernbegeisterte kamen im tschechischen Teplitz-Schönau auf ihre Kosten, denn dort gab es im Theater auch Opernaufführungen. Erstaunlicherweise verzichteten andere Städte auf eine Erwähnung solch spezifischer Gattungen von Theaterstücken. Obiges Zitat aus der Werbung für die Stadt Ems führt auch die Salons für Karten-, Schach- und Dominospiele auf; Gesellschaftsspiele dürften also in so manchem Kurort auch zur täglichen Unterhaltung gehört haben, selbst wenn damit nur Bad Ems dafür Werbungen schaltete. Mit Spielen und anderen Unterhaltungsmöglichkeiten warben insgesamt 19 Kurorte, also knapp über 30 Prozent. Gelegenheiten für sportliche Betätigungen etwa wurden in den Annoncen mehrerer Städte betont: Lawn-­Tennis wurde in drei Orten als so wichtig erachtet, dass man hoffte, damit mehr Leute anzulocken, nämlich in Meran, wo man zudem auf Kricketplätzen die Schläger schwingen konnte, im Seebad Norderney und in Bad Elster. Für Letzteres wurde im Übrigen zusätzlich mit „Spielplätze[n] für Kinder und Erwachsene“, aber auch „Speise-, Spiel-, Lese-, Billard- und Gesellschaftszimmer[n]“74 geworben. In Krapina-Töplitz waren damals ebenfalls Billardsalons en vogue. Des Weiteren konnte man sich durch die Annoncen informieren, dass doch einige Kurstädte so situiert waren, dass die Gäste an Jagden teilnehmen, fischen gehen oder Reitausflüge unternehmen konnten, ebenso gab es in manchen Orten die Möglichkeit, an Schießübungen teilzunehmen oder Lustfahrten zu machen. Auch die Teilnahme an Tombolas wurde als adäquate Unterhaltung angesehen. So manche Stadt warb mit ihr eigenen Freizeitvergnügungen, so etwa Baden mit Trabrennen; Wiesbaden bot Wettrennen an und am Abend konnte man bei Gartenfesten, „Illuminationen“ und Feuerwerken soziale Kontakte knüpfen. In Baden-Baden konnte man an „zahlreichen Kunstgenüsse[n] jeder Art, Jagd, Fischerei [und] Große[n] Pferderennen“75 teilnehmen. In Bad Homburg wurden Waldfeste veranstaltet. Auch Gondelfahrten zählten zu den Angeboten – allerdings nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, in Venedig, sondern in Bad Sternberg. Besuche der nahegelegenen und den Städten eigenen Parks, der Kolonnaden und der Wandelbahnen der Städte und der Hotels, waren ebenfalls gern beworbene Aktivitäten. Ganz allgemein und damit nicht sonderlich verlockend beschrieben Pirawarth in Niederösterreich und Lipik in Kroatien ihre Freizeitangebote: Ersteres warb im Jahr 1883 73

Bad Colberg warb nur dreimal in: Oesterreichische Badezeitung, 1.  Jg./Nr.  3 (05.05.1872), S.  28; 1. Jg./Nr. 4 (12.05.1872), S. 41; 1. Jg./Nr. 8 (07.07.1872), S. 81. 74 Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 1 (28.04.1895), S. 6. 75 Ebd., 18. Jg./Nr. 19 (01.09.1895), S. 159.

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in seinen vier einzigen Inseraten mit „Amüsements wie in allen anderen Bädern“,76 Lipik mit „Zerstreuungen mannigfacher Art“.77 Diese Beschreibung dürfte selbst der verantwortlichen Badedirektion in der Stadt zu nichtssagend gewesen sein, denn sechs Jahre später bot man den Besuchern und Besucherinnen an, dass man in einer „loftige[n] Wandelhalle mit Bazarlocalitäten“78 flanieren und somit nebenbei noch Einkäufe tätigen konnte. Da Shopping offenbar schon 1878 angesagt war, entschied sich wohl auch das Seebad Scheveningen, heute Stadtteil von Den Haag, dazu, alle sieben ausschließlich in diesem Jahr geschalteten Inserate mit dem Text „L’Hótel des Galeries, mit 18 Läden im Erdgeschoss, nebst Kolonnade zum Spaziergang bei schlechter Witterung“ zu versehen.79 Sowohl Gemütlichkeit als auch Unterhaltungen in Gruppen waren also in der Regel Bestandteil eines Kuraufenthalts. Dass man Gäste mit den Genüssen der Natur ebenfalls zu locken versuchte (in 36 Fällen, also 58 % der Orte), wird in den Annoncen für das niederösterreichische Waidhofen an der Ybbs aus dem Jahr 1883 deutlich. Darin kann man lesen, dass sowohl die „Kalt-Douche-Kammern im schattigen Parke, in reizender Landschaft gelegen“ waren und man ansonsten auch „[d]ie gesunde und prachtvolle Lage im Mittelpunkte der schönsten und mannigfaltigsten Ausflüge“ genießen konnte und bei „bequem angelegte[n], trockene[n] Spazierwege[n] in duftigen Nadelholz- und schattigen Laubholz-Waldungen, in einer Gesammtlänge von 7 Kilometer[n]“80 die Seele entspannen konnte. Arco in Südtirol hingegen hob schon 1878 seine „prachtvolle Lage und Umgebung“ und die Gelegenheit zu „herrliche[n] Spaziergänge[n] in den Olivenhainen“ inmitten „südliche[r] Vegetation“ hervor.81 Auch wenn Rosenau unter dem Radhoscht/Rožnov pod Radhoštěm nicht explizit hervorhob, dass Hobby­angler hier gut aufgehoben waren, wurde es zumindest angedeutet, wenn im Jahr 1878 zu lesen ist: „Prachtvolles Karpathen-Panorama. Grossartige Parkanlagen am forellenreichen Becva-Flusse“.82 Gerade wenn es um Ausflüge in der freien Natur und das allgemeine Wohlbefinden ging, war die Darstellung zum einen der geografischen Lage, zum anderen der lokalen Klimaverhältnisse des jeweiligen Kur­ ortes von nicht zu unterschätzender Bedeutung. So kommt es auch, dass 29 Orte nicht nur mit ihren Parks, Wandelbahnen und Kolonnaden, sondern auch mit ihrer Lage und den Wetterverhältnissen warben. Umgekehrt warben von 37 Kurstädten (60 %), die mit ihrer geografischen Position und dem Klima prahlten, ebenfalls 29 mit ihren künstlich angelegten Wegen in der Natur. Wo möglich, wurden die ausgedehnten Wälder angepriesen. Eine gewisse Höhenlage war ebenfalls immer ein gutes Argument in den Inseraten, und zwar in mehrerlei Hinsicht: Zum einen war damit – 76

Oesterreichische Badezeitung, 12.  Jg./Nr.  3 (29.04.1883), S.  26; 12.  Jg./Nr.  4 (06.05.1883), S.  37; 12. Jg./Nr. 6 (20.05.1883), S. 54; 12. Jg./Nr. 7 (27.05.1883), S. 63. 77 In allen sechs Anzeigen 1883 sowie in: Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 18.  Jg./Nr.  6 (02.06.1889), S. 47. 78 Vgl. ebd., 24. Jg./Nr. 5 (26.05.1895), S. 37. 79 Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 14 (14.07.1878), S. 160. 80 Waidhofen an der Ybbs schaltete nur 1883 drei Inserate: Ebd., 12. Jg./Nr. 4 (05.06.1883), S. 36; 12. Jg./ Nr. 7 (27.05.1883), S. 65; 12. Jg./Nr. 9 (10.06.1883), S. 84. 81 Ebd., 7. Jg./Nr. 20 (25.08.1878), S. 218. 82 Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 6 (19.05.1878), S. 65.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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wie auch bei der Nähe zu Wäldern – gute Luft fernab von größeren Siedlungen oder gar Werkshallen, garantiert, zum anderen konnte man mit weiter Fernsicht prahlen. Eine ebenfalls öfters anzutreffende Formulierung war, dass die Kurstätten geschützt und nur „nach Süden offen“ lagen, was natürlich dafür sorgte, dass kalte Winde relativ gut abgeblockt wurden. Und schließlich – wer hat dies nicht gern? – warben mehrere Kurorte mit ihrer „romantischen Lage“.83 Genauso gern wie Orte in bewaldeten Gebieten wurden offenbar Gegenden besucht, die an der See lagen und damit schon im Vorhinein zum Baden prädestiniert waren. Man konnte sich durch die Werbeschaltungen auch leicht aussuchen, welche Art von Meeresstrand man bei seiner Kur unter seinen Füßen spüren wollte. Wollte man einen „festen, ebenen Strand“ gemeinsam mit einer „Wandelbahn über dem Meere“ und „schöne Gartenanlagen“ auf seinen „schattige[n] Spaziergänge[n]“84 genießen, so würde man sich das königliche Nordseebad Norderney wählen. Bevorzugte man hingegen den klassischen Sandstrand, wäre wohl Venedig, das zudem mit Kurhäusern in der Nähe des Markusplatzes warb, das optimale Reiseziel: „Der Strand mit weichem, sandigem Boden und leisem Abhange ist der gefahrloseste, bequemste und angenehmste für Damen und Kinder. Badezeit vom Mai bis zum November. Mittlere Temperatur des Seewassers am Strande in den Monaten Mai, Juni, September und October 17 bis 19° R., im Juli und August 20 bis 22° R.“85

Und wer lieber an raues Meer fahren wollte, war in Colberg genau richtig, denn der Ort liegt zwar „unmittelbar am Meere“, jedoch zeichnete sich „das Seebad […] durch starken Wellenschlag aus.“86 Interessanterweise machte das Strandbad auf der Insel Sylt nie Werbung mit seinen Stränden. Einzelne Städte boten noch weitere Annehmlichkeiten, wie etwa Lipik: Hier konnten die Frauen der Gesellschaft in einem eigenen Damensalon verweilen. In Meran hatte man auch an die Kinder der Kurgäste gedacht; 1872 warb die Stadt für die dortigen Privatschulen für Knaben und Mädchen, elf Jahre später für das k.-k. Obergymnasium und den Kindergarten, im letzten Jahr wurde verallgemeinert geworben, dass die Kinder gute Schulen in Meran besuchen könnten. In Baden-Baden konnten die Jugendlichen „Höhere Lehr- und Erziehungs-Anstalten [und] Mädchen-Pensionate“87 besuchen. Marienbad brüstete sich damit, Sitz des k.-k. Bezirksgerichtes zu sein. Norderney bot dafür sanitäre Infrastruktur mit der ausgebauten „Wasserleitung und Schwemmcanalisation“, außerdem war der Ort mit 83

So Bad Kissingen in allen drei Inseraten: Ebd., 7. Jg./Nr. 2 (14.04.1878), S. 22; 7. Jg./Nr. 4 (05.05.1878), S. 46; 12. Jg./Nr. 2 (15.04.1883), S. 16. 84 Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 11 (07.07.1895), S. 85. 85 Vgl. etwa eines der acht Inserate 1883 und gleichzeitig jene aller betrachteten Jahrgänge: Oesterreichische Badezeitung, 12.  Jg./Nr.  24 (23.09.1883), S.  221. Die Anwendung der Reaumur-Gradskala war nichts Ungewöhnliches in den Anzeigen, jedoch wurde genauso oft die Celsius-Einteilung verwendet. 86 Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 3 (05.05.1872), S. 28; 1. Jg./Nr. 4 (12.05.1872), S. 41; 1. Jg./ Nr. 8 (07.07.1872), S. 81. 87 Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 18. Jg./Nr. 11 (07.07.1889), S. 93, sowie zehn weitere Inserate 1889, dem einzigen Jahr mit Werbung für den Kurort.

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„[e]lektrische[r] Beleuchtung des Strandes und der Kuranlagen“88 ausgestattet. In der damaligen Zeit war Elektrizität hochmodern, was auch der Grund dafür ist, dass auch Bad Elster, Baden bei Wien, Lipik, Krapina-Töplitz, Marienbad und Wiesbaden damit warben. Im Überblick lässt sich sagen, dass eine durchaus große Diversität im Angebot der Kurorte herrschte. Jeder versuchte, bei gleichzeitiger Nennung des beschriebenen „standardmäßigen“ Angebots die Besonderheiten der Kurstätten hervorzuheben. Keine Stadt hatte alles zu bieten, aber einige Städte warben in ihren Inseraten mit sehr vielen der soeben dargestellten Angebote: Franzensbad, Marienbad, Karls­ brunn, Bad Elster, Lipik und Meran waren – zumindest laut den Anzeigen – am besten ausgestattet. Wie es auch heute noch teilweise der Fall ist, dürfte sich die Auswahl der Besucher und Besucherinnen jedoch hauptsächlich an zwei Dingen orientiert haben, nämlich der Lage des Kurortes und der dortigen Hautevolee.

3.2 Hotels und Badeanlagen Tabelle 3 (s. S.  240) listet die 39 verschiedenen Privatanbieter von Unterkünften oder Badeanlagen, die in den betrachteten Jahren zwischen 1872 bis 1895 in der „Oesterreichischen Badezeitung“ inserierten, wobei die Unterscheidung zwischen Hotels und Badeanlagen rein auf die Annoncen bezogen ist – es soll nicht ausgeschlossen werden, dass manche Hotels auch Bäder beherbergten und manche Bäder auch Schlafstellen anboten. Die Unterzeichnenden der Annoncen waren meist die Inhaber oder Direktoren der jeweiligen Anstalten oder Hotels bzw. Wohnungen. Angesichts des Erscheinungsortes der Zeitung dürfte es nicht verwundern, dass 13 davon in Franzensbad ansässig waren, und angesichts des Titels, dass jene aus der Habsburgermonarchie stark überrepräsentiert sind. Unter den tschechischen Einträgen waren fünf, die sich als Badeanstalten deklarierten: aus Franzensbad das „Stadt Egerer Badehaus“ und die Anstalt von Dr. Gustav Loimann, einem der häufigsten Inserenten in der „Badezeitung“; in Bilin die Kuranstalt Bilin-Sauerbrunn; in Teplitz-Schönau die Wasserheilanstalt Eichwald und in Giesshübl in der Karlsbader Region Mattonis Wasserheilanstalt. Die restlichen Nennungen aus Tschechien bezogen sich auf Hotels, davon elf in Franzensbad sowie jeweils eines in Eger/Cheb, Marienbad und der heutigen Wüstung Wies/ Stráž u Chebu. Eine der Franzensbader Unterkünfte sticht unter allen anderen hervor: Das Gästehaus „Zum Aeskulap“, für das als einzige Besitzerin Mathilde Sgustav Reklamen inserierte; alle anderen waren laut den Werbungen im Besitz oder unter der Leitung von Männern. Auf heutigem österreichischen Boden befanden sich zwei Anstalten (Theodor Fischers Margarethenbad und die Döblinger Kiefernadel-Heilanstalt) sowie drei Hotels („König von Ungarn“, „Metropole“, „Goldenes Lamm“) in oder nahe der 88

Ebd., 24. Jg./Nr. 11 (07.07.1895), S. 85.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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Abb. 11: Das Römerbad im Markt Tüffer. Quelle: Max Leidesdorf, Das Römerbad Tüffer in Steiermark. Medizinisch beleuchtet, Wien 1857, vor Seite 1.

Stadt Wien. In der Steiermark buhlten die Kuranstalt „Alpenheim“ in Bad Aussee und die Wasserheilanstalt Frohnleiten in Graz sowie das Hotel „Kaiser von Österreich“ in Bad Radkersburg um die Gunst der Besucher und Besucherinnen. In Niederösterreich konnten die Kurgäste zwischen den Wasserheilanstalten in Vöslau und Kaltenleutgeben wählen und in Linz im Hotel „Erzherzog Karl“ einkehren. Die in der damaligen Zeit zur Steiermark, heute zu Slowenien gehörige Kurstadt Markt Tüffer/Laško beherbergte zwei Badeanstalten: das Römerbad (s. Abbildung 11) und das Kaiser-Franz-Josefs-Bad. Im Herminenhof im kroatischen Lipik konnten laut Inserat vor allem junge Genesung Suchende Heilung finden; diese Anlage wurde als „Pensionat für kranke Kinder“ beworben.89 Aus Deutschland inserierte das Hotel „Zu den vier Jahreszeiten“ in Wiesbaden, das bayerische Mineralbad Alexanderbad sowie die Nachkurstation Arnstadt in Thüringen. Die verbleibenden drei Urlaubsmöglichkeiten, die in der „Oesterreichischen Badezeitung“ Werbungen schalteten und deswegen hier genannt sein sollen, sind das Grand Hotel „Catania“ auf Sizilien, das Hotel „Sonnenberg“ am Vierwaldstättersee in der Schweiz und schließlich die Wasserheilanstalt Bad Buchenthal im schweizerischen Kanton St. Gallen. 89

Vgl. dazu sämtliche Inserate 1889, etwa ebd., 18. Jg./Nr. 23 (29.09.1889), S. 189.

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Michael Prokosch

Tab. 3: Genannte Gästeunterkünfte und Bade-/Heilanstalten in den betrachteten fünf Jahren

heutiges Land

genannter Name

Werbender

Anzahl Inserate

Ort

Hotels Wien

Österreich

Hotel „Metropole“

L. Speiser

26

Wien

Österreich

Hotel „König von Ungarn“

Hess & Voglsang

15

Linz

Österreich

Hotel „Erzherzog Karl“

Ferdinand Marschner

7

Wien

Österreich

Hotel „Goldenes Lamm“

J. & F. Hauptmann

6

Radkersburg

Österreich

Hotel „Kaiser von Österreich“

Ferdinand Pontini

3

Franzensbad

Tschechien

„Deutscher Hof“



38

Franzensbad

Tschechien

Grand Hotel „Maerker“ / ehemals Hotel „Müller“

A. Müller, danach H. Maerker

27

Marienbad

Tschechien

Hotel „Klinger“

J. D. Halbmayr und J. A. Halbmayr

24

Franzensbad

Tschechien

Hotel „Holzer“

Carl Holzer

23

Franzensbad

Tschechien

British Hotel

B. Kraus

21

Wies

Tschechien

„Deutscher Hof“

F. X. Forster

20

Eger

Tschechien

Hotel „Zu den zwei Erzherzögen“

C. Schüg

12

Franzensbad

Tschechien

Gästehaus „Zum Aeskulap“

Mathilde Sgustav

3

Franzensbad

Tschechien

Hotel „Post“

Karl Hübner

1

Franzensbad

Tschechien

Hotel „Kaiserhaus“

Th. Wolf

1

Franzensbad

Tschechien

Hotel „Villa Pröckl“



1

Franzensbad

Tschechien

Hotel „Marienruhe“



1

Franzensbad

Tschechien

Hotel „Schloss Windsor“

Administration

1

Franzensbad

Tschechien

Hotel „Sanssouci“

Lorenz Peter

1

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

241

Wiesbaden

Deutschland

Hotel „Vier Jahreszeiten“



11

Catania

Italien

Grand Hotel „Catania“

Gustav Werdenberg

15

Schweiz

Sonnenberg-Hotel und Pension Seelisberg

M. Truttmann

3

Vierwaldstättersee

Heilanstalten Bad Aussee

Österreich

Kuranstalt Alpenheim

Dr. Schreiber

31

Wien

Österreich

Margarethenbad

Theodor Fischer

17

Wien Dornbach

Österreich

Kiefernadel-Heilanstalt

Dr. Anton Löwy

6

Vöslau

Österreich

Wasserheilanstalt Vöslau-Gainfahrn

Dr. Sigmund Fried­mann

5

Kaltenleutgeben

Österreich

Wasserheilanstalt Kaltenleutgeben

Dr. Wilhelm Winternitz

3

Graz

Österreich

Wasserheilanstalt Frohnleiten

Dr. Josef Netwald

1

Franzensbad

Tschechien

Stadt Egerer Badehaus



97

Franzensbad

Tschechien

Loimanns Badeanstalten

Dr. Loimann

67

Bilin

Tschechien

Kuranstalt Bilin-Sauerbrunn

Brunnendirektion

24

Giesshübl

Tschechien

Mattonis Wasserheilanstalt

Kurdirektion und Heinrich Mattoni

21

Teplitz

Tschechien

Wasserheilanstalt Eichwald

Dr. Alois Brecher

10

Markt Tüffer

Slowenien

Römerbad

Dr. H. Mayrhofer

5

Markt Tüffer

Slowenien

Kaiser-Franz-Josefs-Bad



4

Lipik

Kroatien

Herminenhof

Dr. Kern

23

Alexanderbad

Deutschland

Mineralbad Alexanderbad

Wilhelm Jaeger

2

Arnstadt

Deutschland

klimatische Nachkurstation



1

Buchenthal

Schweiz

Wasserheilanstalt Bad Buchenthal

Dr. Koenig

5

242

Michael Prokosch

Vieles, was soeben bezüglich der Kurorte beschrieben wurde, trifft auch im Spezielleren auf Hotels und Badeanlagen zu. Eines der Hauptargumente für Kurende war wohl die Lage – wobei es wichtig war, zu erwähnen, dass man sehr nahe an den Heilquellen lag. Auch hoteleigene Freizeitangebote wurden gerne hervorgehoben, ebenso wie gute Anbindungen an das Verkehrsnetz; in der Regel wurde die nächste Bahnstation in den Inseraten genannt. Die angebotenen Kuren fanden genauso Platz in den Inseraten und selbstverständlich durfte auch die Herausstreichung der günstigen Preise und des gebotenen Komforts nicht fehlen. Mitunter konnte man in den Einschaltungen auch großes Lob für die Angestellten lesen, was die Gäste zusätzlich bewegen sollte, in die jeweilige Einrichtung zu kommen. Als Beispiel sei hier das „Stadt Egerer Badehaus“ in Franzensbad genannt: Im Jahr 1872 hatte man sich nach der ersten Werbeschaltung90 für ein gleichbleibendes Layout entschieden. Auch der Text wurde 1872 nicht mehr verändert, weswegen man das ganze Jahr lesen konnte: „Die große Reinlichkeit, die solide Behandlung seitens der Badebediensteten ist sehr lobenswerth und dem P. T. Bade-Publikum zu empfehlen.“ Wenn Gäste dennoch unzufrieden sein sollten, dann konnten sie sich in das dort aufliegende „Wünscheund Beschwerdenbuch“91 eintragen. Arco am Gardasee wurde bei der Betrachtung der Kurorte schon erwähnt, soll hier jedoch wegen der genauen Beschreibung der Unterkünfte nochmals zitiert werden: Man bewarb die Gemeinde unter anderem mit den Zeilen „In den Hotels und Pensionen gute und billige Unterkunft bei deutscher Bedienung, auch Privatwohnungen“, vermutlich um italophobe Fremdsprachenmuffel von Südtirol zu begeistern.92

3.3 Ärzte und Praxen Für sich selbst machten acht Ärzte oder Arztpraxen im Lauf der Zeit Werbung, wovon die Hälfe in Wien tätig war. Im Jahr 1872 inserierten nur zwei Heiler in der „Oesterreichischen Badezeitung“. Der 20 Werbeschaltungen bezahlende Doktor Joris bot sich Interessierten als „Reise- und Begleitungs-Arzt“ an – sofern man ihn im Vorhinein eine Vergütung von 50 Napoléon d’or bezahlte –, da er „seit 30 Jahren Mitglied der medizinischen Fakultät in Wien und praktischer Arzt daselbst [und] viel gereist [war …,] Madeira und die meisten Kurorte aus eigener Anschauung“ kannte. In den Ausgaben ab 11. August 1872 verzichtete Joris dann auf die Zeile, in der sein Honorar angesprochen wird.93 Im selben Jahr schaltete Doktor

90

Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 1 (14.04.1872), S. 7. Ebd., 1. Jg./Nr. 2 (28.04.1872), S. 20. 92 Vgl. dazu die drei Inserate 1878: Ebd., 7. Jg./Nr. 17 (04.08.1878), S. 186; 7. Jg./Nr. 19 (18.08.1878), S. 206; 7. Jg./Nr. 20 (25.08.1878), S. 218. 1883 wurde dann die vierte und letzte Anzeige für Arco – allerdings mit stark gekürztem Text – geschaltet: ebd., 12. Jg./Nr. 13 (08.07.1883), S. 124. 93 Ebd., 1. Jg./Nr. 1 (14.05.1872), S. 8; 1. Jg./Nr. 17 (12.08.1872), S. 182. 91

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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Abb. 12: Adolph Friedrich Kunike, Herkulesbad, 1824. Quelle: gemeinfrei https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c9/ Herkulesbad_1824.jpg [Stand: 01.10.2021].

Chorin insgesamt vier Anzeigen94 und ließ darin wissen, dass er seit 1865 Badearzt im damals zu Ungarn gehörigen, heute rumänischen Herkulesbad/Băile Herculane (s. Abbildung 12) bei Mehadia tätig war und Badekuren mit elektrischer Behandlung zu kombinieren wusste. Herkulesbad ist im Übrigen der östlichste Ort, der in den bearbeiteten Jahrgängen der „Badezeitung“ genannt wird. 1878 ist das Jahr, in dem erstens alle vier Wiener Doktoren warben und zweitens die meisten Inserate von Ärzten oder Arztpraxen getätigt wurden; 75 von insgesamt 152 derartigen Anzeigen konnte man in diesem Jahrgang bestaunen. Sechsmal leistete es sich Dr. Ludwig Jelinek für sein „Institut für schwedische Heilgymnastik und Massage“ in der Wiener Rotenturmstraße 21, in der Zeitung Werbung zu machen. Die Einschaltung wurde stets am Beginn des Inseratenteils als zweite Anzeige platziert, wobei sie zwar über die gesamte Seitenbreite ging, aber eine geringe Höhe aufwies.95 94

Vgl. ebd., 1. Jg./Nr. 5 (19.05.1872), S. 48; 1. Jg./Nr. 6 (26.05.1872), S. 57; 1. Jg./Nr. 7 (02.06.1872), S. 70; 1. Jg./Nr. 10 (23.06.1872), S. 102. 95 Vgl. ebd., 7. Jg./Nr. 15 (21.07.1878), S. 166.

244

Michael Prokosch

Abb. 13: Illustration des orthopädischen Instituts in Wien. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 15.04.1883, S. 15.

Damit war Jelinek in guter Gesellschaft, denn unmittelbar über ihm, jedoch in allen Ausgaben dieses Jahres, warb – im selben Format – die orthopädische Heilanstalt von Dr. von Weil in der Cottagegasse 3 im Wiener Bezirk Währing.96 Sechs Jahre später hatte dieser Arzt seine Werbestrategie angepasst, das Format war nur mehr halbspaltig, dafür höher; außerdem war eine malerische Darstellung der nun „Orthopädisches Institut“ genannten Praxis abgebildet (s. Abbildung 13). In den insgesamt 13 Einschaltungen in der ersten, der zweiten und danach jeder übernächsten Ausgabe war zu lesen, dass von Weil den länger im Institut Verweilenden sogar „Unterricht in Wissenschaften, Sprachen, Musik“ erteilen würde.97 Die Nervenheilanstalt in Döbling bezahlte insgesamt 64 Einschaltungen im Jahr 1878 und den betrachteten Folgejahren, also etwa zwei Fünftel aller Arztwerbungen. Ihre Anzeige, die über alle Jahre hinweg gleiches Aussehen hatte, gehört zu den unspektakulärsten von allen. Einspaltig und mit geringer Höhe gesetzt, war – ohne jegliche Verzierungen – nur der Text zu lesen: „Privat-Heilanstalt für Gemüths- und Nervenkranke. Wien, Oberdöbling, Hirschen96

Vgl. ebd. Ebd., 12. Jg./Nr. 1 (31.03.1883), S. 6; 12. Jg./Nr. 2 (15.04.1883), S. 15.

97

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

245

gasse 71.“98 Johann Tobisch, „chirurgischer Hühner­augen-Operateur“ im ersten Wiener Gemeindebezirk, und der Berliner Arzt Dr. Fischer, der „zur Hebung auch der hartnäckigsten Schwerhörigkeit […] ein bequem anzuwendendes Mittel“ um nur fünf Gulden österreichischer Währung anbot, empfahlen sich jeweils zehnmal den interessierten Leserinnen und Lesern.99 Hatte man bei Fischer seine Taubheit gelindert, so konnte man sich fünf Jahre später um seine Balbuties kümmern: Ein Lehrer namens C. A. Kutscher aus Hannover pries seine Therapie gegen das Stottern an, jedoch nur einmal (in der Ausgabe vom 29. April 1883) und mit einer sehr kleinen Anzeige, die lediglich ein Viertel der Seitenbreite umfasste.100 Warben außer Kutscher nur die Währinger und die Döblinger Praxis im Jahr 1883 (beide 13-mal), so sind in den Folgejahren ausschließlich Anzeigen der Nervenheilanstalt in Döbling zu finden. Das Fehlen beziehungsweise die Abnahme von Werbungen lässt den Schluss zu, dass Werbeschaltungen von Ärzten nicht den gewünschten Erfolg brachten. Gerade bei Badeärzten war Einzelwerbung wohl auch nicht sehr sinnvoll, wenn sie ohnehin in einem gut besuchten Kurort praktizierten. Viel effektiver werden wohl Berichterstattungen der „Badezeitung“ wie die folgende gewesen sein, die in der Rubrik „Kleine Mittheilungen“ der 10. Ausgabe von 1872 gedruckt wurde: „Se[ine] Majestät König Ferdinand von Portugal ist mit seiner Gemalin zur Kur in Marienbad am 19. Juni eingetroffen. Mit der Leitung der Kur Höchstderselben ist Dr. Schindler betraut.“101 Man konnte sich als Badegast wohl nicht mehr wünschen, als von einem Arzt betreut zu werden, der sich sogar um Königspaare kümmern durfte. Auch Werbetexte von Ärzten in der Rubrik „Eingesendet“ wurden im Lauf der Jahre immer häufiger, die Einzelanzeigen wurden also nur in einen anderen Teil der Zeitung ausgelagert. Dazu zählen, um nur ein paar Beispiele zu nennen, Dr. E. Alexovits mit zahnärztlicher Praxis in Wien, Dr. S. Schweiger, der ab Mai 1872 die badeärztliche Praxis im Deutschen Haus in Franzensbad übernommen hatte und das Inserat von Dr. Michelstädter: „Mitglied der medizinischen Fakultät, früher Direktor und Chefarzt des Centralspitals in Adrianopel, dann langjähriger Kreisphysikus in Rumänien, beehrt sich anzuzeigen, daß er von nun an während der Badesaison die Praxis in Franzensbad ausüben wird.“102

98

Vgl. die letzte Ausgabe der Oesterreichisch-ungarischen Badezeitung, 24.  Jg./Nr.  22 (22.09.1895), S. 174. 99 Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 7 (26.05.1878), S. 78 (Tobisch) und S. 81 (Fischer). 100 Vgl. ebd., 12. Jg./Nr. 3 (29.04.1883), S. 27. 101 Ebd., 1. Jg./Nr. 10 (23.06.1872), S. 101. 102 Vgl. ebd., 1. Jg./Nr. 5 (19.05.1872), S. 46; 1. Jg./Nr. 6 (26.05.1872), S. 56.

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3.4 Mineralwässer, Badesalze, Arzneien und andere medizinische Behelfe Neben den Kurorten, den einzelnen Kureinrichtungen und den individuellen Ärzten betrieben auch die Hersteller von medizinischen Hilfsmitteln Werbung in der „Badezeitung“. Mineral- und Bitterwässer, Badesalze, Moorbadextrakte und ähnliche Mittel machen zwar einen nicht unbedeutenden Anteil der Werbungen und Werbenden aus, sind aber für den Erkenntnisgewinn in Bezug auf Kurstädte nicht besonders ergiebig. Insgesamt 32 Produkte wie Mineralwässer und Moorextrakte wurden in den fünf betrachteten Jahren in 924 Anzeigen beworben. In der Regel wurden für diese häufig, wenn nicht sogar in jeder Ausgabe, Inserate geschaltet. Schon im ersten Jahr der „Badezeitung“ wurde – um eine repräsentative Aufzählung anzuführen – für Franzensbader Eisenmoorsalz (von Mattoni und Companie sowie von Josef Khittl), Andreas Saxlehners „Hunyadi János Bitterquelle“, Karlsbader Pastillen und Salze (ebenfalls von Heinrich Mattoni), Giesshübler Sauerbrunn (Mattoni und Knoll), Wässer aus Bilin, Ozon- und Sauerstoffwasser (unter anderem von Krebs, Kroll und Companie), Mineralwässer von A. Hegrat, Dr. von Well, A. Prix und anderen, ferner Wasser aus dem Radeiner Sauerbrunn und Karlsbader Moorextrakte (wiederum von Mattoni) geworben. All diese Heilwässer und -salze wurden nicht besonders einfallsreich dargeboten, meistens beschränkt sich der Text für diese Produkte auf die Bezugsmöglichkeit, die Herkunft der Mittel sowie die Krankheiten, gegen die sie wirken sollten beziehungsweise welche gesundheitlichen Vorteile sie mit sich brachten. Mitunter verschönerten auch Abbildungen von den in Flaschen verkauften Mitteln die Werbetexte, diese wären allerdings alle – von den Beschriftungen der Flaschen abgesehen – untereinander austauschbar. Zu den Badesalzen, Sauerquell- und Mineralwässern gesellen sich noch sieben Produkte aus der Kategorie „andere Arzneien“, für die aber in den Jahren 1878 und 1883 zusammen nur 82 Inserate von sieben Heilmittelherstellern geschalten wurden. Von den Ärzten Gross und Hell in Wien war ihre sogenannte „China-Glycerin-Pomade“ entwickelt worden, die gegen Haarausfall, Schuppenbildung und Ergrauen der Haare wirken sollte. Der Großteil dieser Werbung bestand aus einer Auflistung von Verkaufsstellen in diversen Städten.103 Ebenfalls in Wien ansässig war der „Parfumeur u[nd] k. k. Privilegiums-Inhaber“ Paternoss, der im Jahr 1878 seine Klettenwurzel-Quint-Essenz in drei verschiedenen Anzeigenvariationen bewarb. Während er in der dritten und fünften bis zehnten Ausgabe dieses Jahres abwechselnd Werbung mit und ohne zwei Dankesschreiben zufriedener Kunden und unter dem Slogan „einziges Haar- und Bartwuchs erzeugendes und beförderndes Mittel“104 schaltete, machte er dies in der elften bis achtzehnten sowie der letzten Ausgabe mittels eines auf das Wesentliche reduzierten, aber immer noch großformatigen Inserats (s. Abbildung 14). Für die effektive Anwendung dieser Essenz bot 103

Vgl. ebd., 7. Jg./Nr. 1 (28.03.1878), S. 9. Vgl. ebd., 7.  Jg./Nr.  5 (12.05.1878), S.  54. Zu den Anzeigen mit Dankesschreiben vgl. 7.  Jg./Nr.  3 (28.04.1878), S. 33.

104

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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Abb. 14: Werbung für den Klettenwurzelextrakt von J. Paternoss. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 11.08.1878, S. 197.

er zusätzliche Mittel an: Chinarinden-Pomade, eine Haarverjüngungsmilch sowie einen „Orientalischen Rosenmilch-Extrakt“, mit dem „Leberflecke, […] Wimmerln […] etc. verschwinden“105 würden.

105

Ebd., 7. Jg./Nr. 24–25 (22.09.1878), S. 9.

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Der Kinderarzt Martin Steiner, ebenfalls aus Wien, stellte Keuchhusten-Pastillen her, die durch den Apotheker Hugo Bauer vertrieben wurden. Ferner gab es Inserate für „Miller’s Hühneraugenbalsam“, welcher ebenfalls mittels einer Kundenempfehlung beworben wurde, die folgendermaßen lautete: „Vor 10 Jahren hatte sich mir auf der linken Fusssohle eine Verhärtung gebildet, die sich trotz allmöglich angewandter Mittel immer mehr verschlimmerte. Durch den 10tägigen Gebrauch von Miller’s Hühneraugen-Balsam hatte sich diese Verhärtung derart erweicht, dass ich mit dem Fingernagel ein erbsengrosses Hühnerauge auslösen konnte. Von dieser Zeit an löst sich die verdickte Haut von Tag zu Tag mehr ab, so dass ich ein 72jähriger Greis jetzt wieder ohne Schmerzen gehen kann. Ich kann somit Miller’s Hühneraugen-Balsam aus eigener Erfahrung wem immer auf’s wärmste empfehlen. Den 23. August 1882. Karátsonyi v[on] Telekfalva, Salzbergwerks-Rechnungsführer“.106

Solche Dankesschreiben, seien sie nur erfunden oder tatsächlich eingegangen, waren beliebte Mittel, um Werbungen für unterschiedlichste Produkte lebhafter zu gestalten. „Fabrik Král’s k. k. pr[ivilegierte] chemische Präparate in Olmütz“ warb im Jahr 1883 elfmal für „Král’s berühmte Original-Eisenpräparate, namentlich Král’s ‚verstärkter flüssiger Eisenzucker‘“, um „Körperschwäche, Bleichsucht und Blutarmuth“107 entgegenzuwirken. Der Apotheker R. Stütz aus Jena stellte die „Leube-Rosenthal’sche Fleischsolution“ her, die „pur, esslöffelweise, oder eingerührt in Fleischbrühe oder auch mit etwas Liebig’schem Fleischextrakt, um den für manche Personen etwas faden Geschmack der Solution zu verbessern“108 eingenommen werden sollte. Die Hersteller und Verkäufer von Liebigs Fleischextrakt waren über eine solche Art der Werbung wohl nicht sonderlich erfreut, mussten diese Darstellung jedoch nur in zwei Ausgaben des Jahres 1878 der „Badezeitung“ lesen. Von der letzten beworbenen Arznei, Friedrich Schenkiržiks Magenelixier, war schon weiter oben die Rede.

106

Ebd., 12. Jg./Nr. 4 (06.05.1883), S. 35. Ebd., 12. Jg./Nr. 3 (29.04.1883), S. 26. 108 Ebd., 7. Jg./Nr. 4 (05.05.1878), S. 41; 7. Jg./Nr. 7 (26.05.1878), S. 78. 107

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

Abb. 15: Inserat der Vereinigten Gummiwaren-Fabriken. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 28.03.1878, S. 9.

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Abb. 16: Annoncen für medizinische Hilfsmittel. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 22.9.1878, S. 250, 252; Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 21.04.1889, S. 4.

In insgesamt 170 Einschaltungen wurde für elf Produkte inseriert, die als medizinische Behelfe anzusehen sind. Dabei wurden bei fast der Hälfte der Annoncen Darstellungen der angebotenen Waren verwendet. Die Mehrzahl an Werbungen für medizinische Behelfe ist in den ersten beiden betrachteten Jahrgängen zu finden, während im letzten Jahr keine derartigen Dinge angeboten wurden. Vier der Produkte waren Desinfektionsmittel, beispielsweise zur Reinigung von Aborten und Latrinen: Phenylsaurer Kalk wurde in 20 Inseraten in den Jahren 1878 und 1883 von der Firma „E. Pilhal’s Nachfolger“ in der Wiener Hinteren Zollamtsstraße feilgeboten. Carl Tichy im dritten Wiener Gemeindebezirk bewarb 1878 mit nur drei Anpreisungen „Dr. Petri‘s Desinfectionsmittel“. Weitere Desinfektionspulver wurden in jeweils drei Anzeigen im Jahr 1872 von der chemischen Fabrik „Schrader & Berend“ bei Leipzig sowie jener von „Dr. Baehr-Predari & Zdunowsky“ in Aussig/ Ústí nad Labem offeriert. Bei Rheuma, Muskelschwäche und kalten Füßen verhalf das Massagegerät „C. Klemm’s Muskelklopfer“ Abhilfe, für dieses wurden ebenfalls drei Anzeigen – alle im Jahr 1878 – gedruckt. Johann Nepomuk Reithoffer109 (1781–1872), der lange Zeit einzige Hersteller von gummiertem Gewebe in Österreich und Kontinentaleuropa, hatte ein Imperium aufgebaut, welches er 1853 seinen Söhnen übergab und das als eine Vorgängerfirma 109

Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 9, Wien Lfg. 41/1994, S. 68f., online unter: http://www.biographien.ac.at/oebl?frames=yes [Stand: 09.05.2022].

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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der heutigen Semperit Holding AG gilt. In seinem Sterbejahr wurden zwei verschiedene Anzeigen seiner Firma, die Filialen in der Herrengasse und der Mariahilfer Straße in Wien betrieb, in fast allen Ausgaben der „Oesterreichischen Badezeitung“ abgedruckt: Einerseits eine Werbung für „Bett-Einlagen, wasserdicht und geruchslos, für Kinder- und Krankenbetten“,110 andererseits ein bebildertes Inserat für elastische Strümpfe.111 Bis 1878 hatte man sich, als „Vereinigte Gummiwaaren-Fabriken Harburg – Wien, vormals Menier – J. N. Reithoffer, k. k. Hof-Fabrikanten“ firmierend, dazu entschlossen, beide Einschaltungen zu einer einzigen zu kombinieren (s. Abbildung 15). Das schon 1872 verwendete Bild der Punkte zum Maßnehmen am Unterschenkel zwecks Erwerb eines passenden Strumpfes behielt man bei und ergänzte es um eine Darstellung eines Regenmantels, um „wasserdichte Bekleidungsgegenstände“ zu bewerben.112 Das Bild, welche Maße genommen werden sollten, ist in den betrachteten Jahren das einzige, welches nicht nur im Werbetext angesprochen ist, sondern sogar eine erklärende Wirkung hat; ganz im Gegensatz zum restlichen bebilderten Angebot von medizinischen Hilfsmitteln, die allesamt von Firmen in Wien stammten (Abbildung 16). Dies sind Krücken, Roll- und Krankenwägen von Josef Lichtblau, ebenfalls Roll- und Krankenwägen von Johann Cistez, Taschenthermometer von Heinrich Kappeller (alle 1878) sowie Personenwaagen von J. Florenz (1889).

3.5 Finanz- und Transportwesen Während Inserate für Banken und Finanzdienstleister (elf Unternehmen, 85 Inserate 1872, 1878 und 1883, keine in den Folgejahren) nicht spezifisch für die „Badezeitung“ ausgelegt waren und somit auch in jeder anderen Zeitschrift die Produkte wie Darlehen, Kredite und Ähnliches hätten bewerben können, war dies für Transportmittelwerbung anders: Die Reklamen von Verkehrsunternehmen beinhalten bewusst Informationen zu den Verkehrsverbindungen zu verschiedenen Kurorten und den dazugehörigen Fahrplänen. In die Sparte der Finanzdienstleistungen wurden zum ersten natürlich Banken eingereiht. Von den 41 Einschaltungen in den Jahren 1872 bis 1883 wurde knapp die Hälfte von der Filiale der Karlsbader Bank in Franzensbad getätigt, die 19-mal für ihre Angebote warb. Nachgereiht sind die Nordwestböhmische Vereinsbank mit neun Inseraten, die Union-Bank mit sechs – als Einzige in allen drei betrachteten Jahren des obigen Zeitraums –, die Franko-Österreichische Bank mit fünf sowie die Anglo-Österreichische Bank. Die Werbetexte beinhalten keine Bilder, dafür sind sie relativ lang, da sie mitunter auch über Zinssätze, Filialstellen, die jeweiligen Konditionen und natürlich die Reputation der jeweiligen Bank berichten. 110

Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 13 (14.07.1872), S. 135. Vgl. ebd., S. 137. 112 Ebd., 7. Jg./Nr. 1 (28.03.1878), S. 9. 111

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Versicherungsgesellschaften sind die nächsten Mitglieder, die im Rahmen der Auswertung zu den Finanzdienstleistern zählen. Als Anbieter der „Equitablen Lebensversicherungsanstalt der Vereinigten Staaten“ schaltete der Financier Oscar von Stahl aus Wien dreimal und nur im Jahr 1883 Annoncen. Zweimal, jedoch fünf Jahre zuvor, wurde man über eine Jobmöglichkeit als Versicherungsvertreter informiert: „Eine ältere deutsche Transport-Versicherungs-Gesellschaft sucht[e] für den Betrieb ihrer neu eingeführten Reise-Effekten-Versicherungs-Branche – Versicherung von Reise-Effekten gegen die Gefahren des Transportes per Post, Fuhrwerke, Eisenbahnen und Passagier-Dampfboote, sowie Feuersgefahr während des Aufenthalts resp[ektive] Lagerung derselben in den Gebäulichkeiten der betreffenden Transportverwaltungen, in Gasthöfen und Privathäusern – in Wien und den grösseren Städten, Kur- und Badeorten, passende, zuverlässliche Vertreter.“113 Schließlich ist noch die „Riunione Adriatica Versicherung“ zu erwähnen, die mit 33 die meisten Anzeigen schaltete. Waren es 1872 nur sechs, so steigerte sich die Zahl der Inserate 1878 auf elf und 1883 auf 16. Schließlich zählen zu den Offerten des Finanzsektors auch noch jene, die zusammen auf nur sechs Werbungen kamen: Die Aktiengesellschaft der Liesinger Brauerei informierte zweimal über die Subskription von Aktien. Ebenso oft schrieb der Bürgermeister der Stadt Eger das Angebot über die Verpachtung der Versendungslizenz von Eger-Franzensbader Mineralwässern aus. Ebenfalls mit zwei Anzeigen warb der Länderbanken-Verein, nämlich einmal für die Subskription von „Aktien der Österreichischen Baugesellschaft für Kurorte“114 und zwei Wochen später, um über die Repartition der Aktien zu informieren. Einen auch sehr hohen Informationswert hatten die insgesamt 135 Reklamen von Transportunternehmen, denn in deren in der Regel großformatigen Inseraten wurden oft detailliert die Fahrpläne, Ticketpreise und Verbindungsmöglichkeiten widergegeben. Die 1870er Jahre waren, wenn man so will, die goldene Zeit der Werbung für Verkehrsgesellschaften. Vor allem Eisenbahnen als noch relativ neue Transportmittel versuchten, Passagiere unter den Kurgästen zu finden, was ja durch die erwähnte Werbung der einzelnen Kurorte mit schnellen und komfortablen Verkehrsverbindungen begünstigt wurde. Die vier Bahnunternehmen waren die Kaiser-Franz-Josefs-Bahn, die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, die Buschtierhrader Eisenbahn, welche mit einem ganzseitigen Inserat ihren aktuellen Fahrplan bekannt machte,115 ferner das Inserat über die Einführung einer Direktverbindung für Gepäck- und Personentransport „auf der Route Warnsdorf – Franzensbad – Eger“116 durch eine Kooperation zwischen den k.-k. privilegierten Staatsbahnen, der Buschtierhrader Eisenbahn, der Aussig-Teplitzer Eisenbahn sowie der böhmischen Nordbahn. Die Generaldirektion der Österreichischen Staatsbahngesellschaft informierte zudem über Ergebnisse der Generalversammlung. Die Südbahn-Gesellschaft warb 113

Ebd., 1. Jg./Nr. 19 (18.08.1878), S. 206; 1. Jg./Nr. 20 (25.08.1878), S. 216. Mit einem ganzseitigen Inserat in: Ebd., 1. Jg./Nr. 13 (14.07.1872), S. 136. Die folgende Anzeige ist zu finden in: Ebd., 1. Jg./Nr. 15 (28.07.1872), S. 157. 115 In zwei Inseraten: Ebd., 1. Jg./Nr. 7 (02.06.1872), S. 73; 1. Jg./Nr. 12 (07.07.1872), S. 126. 116 In zwei Inseraten: Ebd., 1. Jg./Nr. 7 (02.06.1872), S. 69; 1. Jg./Nr. 9 (16.06.1872), S. 94. 114

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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zwar nur 1878 für sich, dies jedoch mit fünf verschiedenen Sujets bei nur sieben Werbeschaltungen. Unter anderem wurde ein Angebot für den Verkauf oder die Verpachtung eines neuen Hotels bei der Station Toblach im Pustertal öffentlich gemacht. Neben den Eisenbahnen warb auch die Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft (DDSG) für ihre Routen auf der Donau, Save, Theiss und im Schwarzen Meer mit durchaus optisch gut gestalteten Inseraten in den Jahren zwischen 1872 und zumindest 1889. Der Wiedererkennungswert trotz oft unterschiedlicher Anzeigengröße und verändertem -aufbau war durch eine symbolische Abbildung eines Dampfschiffes in der ersten Zeile immer gegeben. Über die Hälfte aller Anzeigen für Verkehrsunternehmen stammten von dieser Gesellschaft. Die „Erste k. k. priv[ilegierte] Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft“117 war die einzige, die das Transportmittel Schiff bewarb: In den betrachteten Jahren inserierten keine Unternehmen, die etwa auf dem Rhein, der Elbe oder der Moldau Passagiere transportierten. Die Seeschifffahrt spielte in den Anzeigen ebenfalls keine Rolle. Auch wenn der Abdruck der Fahrpläne als Service für die Reisenden sicherlich praktisch war, bleibt doch die Frage offen, ob die Aktualität immer gegeben war. Vor allem bei der Betrachtung der Werbungen des Jahres 1889 – in dem die DDSG in jeder Ausgabe vertreten war – kommen diesbezüglich Zweifel auf. Die ersten drei Ausgaben bis inklusive 12. Mai stellten den „Auszug aus der Fahrordnung der Passagierschiffe vom 20. März bis auf Weiteres“ zur Verfügung. Die Fahrpläne „vom 1. Mai bis auf Weiteres“ wurden ab dem 19. Mai gedruckt, dafür jedoch über elf Ausgaben hinweg bis zum 28. Juli. Erst mit der Ausgabe vom 4. August waren der „Oesterreichischen Badezeitung“ die Fahrpläne „vom 1. Juni bis auf Weiteres“118 zu entnehmen.

3.6 Kulinarik 23 Nahrungs- und Genussmittel wurden den Leserinnen und Lesern der „Badezeitung“ im Lauf der fünf Jahre schmackhaft gemacht. Ähnlich den Inseraten für Mineralwässer und Arzneien waren auch jene für leibliche Genüsse relativ oft mit Bildern versehen, jedoch ebenfalls mehrheitlich nur mit Darstellungen von Flaschen und anderen Behältnissen. Außerdem bot es sich an, auch bei Produkten für das leibliche Wohl ihren (vorgeblichen) medizinischen Nutzen hervorzuheben. Im Bereich der Gastronomie lockte in allen Ausgaben des letzten Jahrgangs der Zeitung der Inhaber des Egerer Bahnhofsrestaurants die Badegäste mit frischer Küche und dem Hinweis, dass die Züge „mit reichlichem Aufenthalte zum Speisen“119 verkehren würden. Dies ist die einzige Anzeige explizit für ein Gasthaus in der „Badezeitung“. 117

Vgl. ebd., 1. Jg./Nr. 22 (15.09.1872), S. 233. Vgl. Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 18. Jg./Nr. 1 (21.04.1889), S. 7; 18. Jg./Nr. 4 (19.05.1889), S. 31; 18. Jg./Nr. 15 (04.08.1889), S. 126. 119 Ebd., 24. Jg./Nr. 1 (28.04.1895), S. 5. 118

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Abb. 17: Werbung von „Josef Ringler’s Söhne“ für Konservennahrung. Quelle: Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 28.04.1895, S. 5.

Für Nahrungsmittel gab es in Summe acht Angebote. Van Houten & Zoon, ansässig im holländischen Weesp, und G. A. Ihle als Hauptimporteur des Amsterdamer Unternehmens J. & C. Blooker, warben für Kakaopulver, welches „leichte Verdaulichkeit und deliciöse[n] Geschmack“120 hatte. Eine auf den ersten Blick unscheinbare Werbung schaltete im Jahr 1878 die Wiener Malzpräparatenfabrik des Johann Hoff, „Hoflieferant fast sämmtlicher europ[äischer] Souveräne“:121 Bei ihren 14 Einschaltungen gab es drei verschiedene Sujets, die alle als Dankschreiben zufriedener Kunden aufgebaut waren. Zumal es jeweils verschiedene Briefe waren und die Werbungen auch unterschiedliches Design aufwiesen, kam es bei dieser Werbung für Malzbier, Malzschokolade und Malzbonbons auch vor, dass in einer Ausgabe zwei Inserate geschaltet wurden. So konnte man etwa zuerst in der Begeisterung des Landtagsabgeordneten Karl Stoll schwelgen, welchem die Worte zugeschrieben wurden:

120

Oesterreichische Badezeitung, 7. Jg./Nr. 12 (30.06.1878), S. 140, siehe dazu auch Abb. 6. Ebd., 7. Jg./Nr. 14 (14.07.1878), S. 158.

121

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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„Das erhaltene Malzextrakt-Gesundheitsbier, bemerke ich, thut meinem Kranken wohl, er trinkt es gerne und fühlt beruhigende Wirkung; in Folge dessen ersuche um 28 Flaschen Ihres Malzex­traktGesundheitsbieres und 1 Pfund Hoff’sche Malz-Chokolade […] zu senden“.

Danach konnte man den Dank des Arztes Josef von Preu in Aspang lesen: „Ersuche höflichst um erneuerte Sendung Ihres mir bei Behandlung vieler Leute bereits unschätzbare Dienste geleistet habenden Malzex­trakt-Gesundheits-Bieres, und zwar 28 Flaschen nebst 8 oder 10 Beutel Malzbonbons“.122

Die Prager Firma „Franz Xaver Brosche Sohn“ hingegen machte dreimal für ihr Sortiment an Malagawein, Fleischextrakt der Liebig Company, aber zugleich auch Carbolsäure und Desinfektionspulver Werbung.123 Genauso oft warben 1889 die Geflügelhändler Rittinger aus Ungarn und Kaufer aus Galizien für ihre Produkte. Edelkrebse wurden von Dr. M. Andermann, ebenfalls aus Galizien, angeboten. Besonders stachen die Inserate für Früchte-, Fleisch- und Gemüsekonserven hervor. Während die dafür verantwortliche Bozener Konservenfabrik „Josef Ringler’s Söhne“ 1883 und 1889 bei sieben beziehungsweise neun Werbeschaltungen nur mit Text die Kunden zu überzeugen suchte, hatte man sich bis zum Jahr 1895 eine optisch ansprechendere Annonce überlegt. Die nun geschaltete Werbung informierte nicht nur über „Conservirtes Obst und Gemüse“, sondern das Inserat erinnert auch ein wenig an das Aussehen einer Konservendose. Dazu kommt noch, dass das markante Bild in allen 22 Ausgaben dieses letzten Jahres auf der ersten Seite des Werbungsteils zu bewundern war (s. Abbildung 17).124 Für nicht (nur) alkoholische Getränke warben zwei Unternehmen: Das „Hamburger Kaffee- u[nd] Thee-Lager Wien“ sprach in fünf Schaltungen mit seinem reichen Sortiment an Kaffee, Tee, Rum und Cognac gezielt Hotelbesitzer, Kaffeehausbetreiber und Restaurants in den Badeorten an.125 Daneben machte ein einziges Mal „Franz Wilhelm und Co.“ aus Wien für „echt brasilianische[n] Thee Mate“126 Werbung. Viel größer war die Auswahl an alkoholischen Getränken, allem voran Wein: 197 aller 313 Anzeigen, die kulinarische Genüsse bewarben, waren solche für Wein und Sekt.127 Dazu zählten etwa die Produkte von Josef Dietzl aus Budapest für seinen „Ofner Adlerberger“, Leopold Hain aus Rosenberg für „Echter Tokayer“, dem Wiener Weinhändler Nicolai für „Echten Apfelwein“, der spanischen Weinhandlung Viñador für „Echten Medicinischen Malaga-Sect“, dem Ödenburger Weingroßhändler Samuel Lenck oder auch von Robert Schlumberger für „Vöslauer Tafelweine“. Auch die Pils122

Ebd., 7. Jg./Nr. 14 (14.07.1878), S. 158 und S. 160; ein anderes Dankesschreiben ebd., 7. Jg./Nr. 13 (07.07.1878), S. 145f. 123 Ebd., 1. Jg./Nr. 2 (28.04.1872), S. 16; 1. Jg./Nr. 3 (05.05.1872), S. 31; 1. Jg./Nr. 4 (12.05.1872), S. 38. 124 Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 1 (28.04.1895), S. 5. 125 Oesterreichische Badezeitung 1. Jg./Nr. 2 (28.04.1872), S. 17. 126 Ebd., 7. Jg./Nr. 4 (05.05.1878) S. 44. 127 Die Anzeigenanzahl für Alkoholika ist nicht nur in der „Oesterreichischen Badezeitung“ erschreckend hoch, auch in Jugendzeitschriften dieser Zeit wurden vermehrt geistige Getränke beworben, Barr, Zwischen Reklamekunst und Kunstreklame, S. 237.

256

Michael Prokosch

Abb. 18: Werbung für Rotwein mit und ohne Druckfehler. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 20.05.1883, S. 55; 27.05.1883, S. 65.

ner Aktienbrauerei war mit Werbung vertreten. Bei einem weiteren Getränk wurde bei der Produktion der Zeitung ein kleiner Fauxpas begangen: Beim Rotwein „Chateau Palugyay“ wurde in der Ausgabe vom 20. Mai 1883 vergessen, die Abbildung mit abzudrucken, was die Werbung trotz der zierlichen Überschrift ein wenig schal wirken ließ (s. Abbildung 18).128

3.7 Literatur und Ausstellungen Für insgesamt 23 literarische Werke (s. Tabelle 4, S. 258) und zwei Ausstellungen wurde versucht, mithilfe von 197 Inseraten Interesse unter den Lesenden und Kulturbegeisterten zu wecken. In allen vier August-Ausgaben des Jahres 1883 wurde über die in diesem Jahr stattfindende Münchner Internationale Kunstausstellung informiert und in vier Ausgaben von Anfang Juni an (alle zwei Wochen) und dann wieder in den letzten vier Ausgaben bewarb man die ebenfalls 1883 in Berlin gastierende und vom 10. Mai bis 15. Oktober geöffnete Ausstellung über „Hygiene und Rettungswesen“. Der weitaus größere Teil betraf Literatur; mithilfe der „Oesterreichischen Badezeitung“ kann also zumindest erahnt werden, welche Bücher und Buchreihen das Publikum damals zwecks Lesevergnügen zur Auswahl hatte. Nicht nur medizinische Lektüre und Reiseberichte wurden beworben, sondern sogar ein Lyrikband „Eigenes und Fremdes“ von Josef Steinbach, dem Herausgeber der „Badezeitung“ zwischen 1887 und 1895. Dessen Werbung, 13-mal im Jahr 1889 und noch fünfmal 1895 gedruckt, war eine jener, die nur ein Viertel der Seitenbreite beanspruchte. Diese platzsparende Art der Annonce wurde bei mehreren Buchpräsentationen angewandt. 128

Oesterreichische Badezeitung, 12. Jg./Nr. 6 (20.05.1883), S. 55; 12. Jg./Nr. 7 (27.05.1883), S. 65.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

257

Zwei Reiseführer beziehungsweise Buchreihen von Reiseführern („Tourist in der Schweiz“ von Iwan Tschudi und die Reihe „Europäische Wanderbilder“) aus dem Verlag Orell Füssli wurden in allen Ausgaben des Jahres 1895 beworben. Ebenfalls 22-mal wurde „Dr. Airy‘s Natur-Heilmethode. Oder: Sichere Anleitung um die am Meisten vorkommenden Krankheiten der Menschen […] zu heilen“ aus Richters Verlags-Anstalt (Leipzig 1875) beworben, und zwar in vier verschiedenen Ausprägungen der Anzeigen. Von der Anzahl der Einschaltungen ausgehend, dürfte auch eines der Bücher des ersten Herausgebers der „Badezeitung“ ein wahrer Kassenschlager gewesen sein, nämlich Emil W. Hamburgers „Die Heilmittel von Franzensbad, in ihrer Beziehung zu den Krankheiten des Weibes: populär dargestellt für gebildete Frauen“ aus dem Verlag Bensinger (Prag 1870). Allein zwischen 1872 und 1883 wurde dieses Buch 39-mal feilgeboten. Ein weiterer Herausgeber, Bernhard Raumann, konnte 1883 zwölfmal für sein 1880 erschienenes Buch „Aerztlicher Ratgeber für den Kurgebrauch in Franzensbad“ Werbung machen. Es ist zu vermuten, dass weder Steinbach noch die zuletzt genannten Herausgeber der „Badezeitung“ für die Kundmachungen ihrer eigenen Werke etwas zahlen mussten. Ansonsten wurden immer wieder Ärztliche Ratgeber angeboten (oft von der Buchhandlung L. W. Seidl und Sohn, Wien), wie etwa „Die Chromwasser-Behandlung der Syphilis“ (von Justus Edmund Güntz, Leipzig 1883) und „Ueber die Wirkungen der verdünnten Luft auf den Organismus“ (von Albert Fraenkel und Julius Geppert, Berlin 1883). Selbst andere Badezeitschriften konnten – zumindest zu Beginn des Erscheinens der „Oesterreichischen Badezeitung“ – problemlos Werbung platzieren, wie etwa die deutsche Badezeitung „Union“ 1872 gleich dreimal auf der ersten Seite des Inseratenteils. Dies stand wohl dem Interesse der „Oesterreichischen Badezeitung“ entgegen: Die Konkurrenz warb dabei mit der Zeile: „Inserate finden darin die grösste Verbreitung.“129 Die Frage, ob die Herausgeber diese Einschaltungen schlussendlich ihrerseits verhinderten oder ob die deutsche Badezeitung das Interesse an Werbung in einem auf das gleiche Publikum ausgerichteten Blatt verloren hatte, bedürfte weiterer Nachforschungen. Der wahrscheinlich unglücklichste Einsatz einer Abbildung fällt ebenfalls in die Kategorie „Literatur“. Im Verlag Adolf Hartleben wurde noch vor 1874 eine Buchreihe gestartet, die den Titel „Julius Verne’s Gesammelte Schriften“ trug.130 Es handelte sich dabei um die Romane des weltberühmten französischen Autors Jules Verne. Doch so grobschlächtig, wie schon Zeitgenossen die Eindeutschung des Namens „Jules“ empfunden haben müssen, so schlecht überlegt war auch die Anzeige für diese Reihe, die 1878 in elf Ausgaben geschaltet wurde. Diese erinnert, zumal sie in der Regel um 90 Grad gedreht inseriert wurde, eher an einen Teppich. Erst das genaue Studium der Aufschrift hilft bei der Identifikation des Produkts weiter.

129

Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 5 (19.05.1872), S. 47; 1. Jg./Nr. 6 (26.05.1872), S. 57; 1. Jg./ Nr. 8 (09.06.1872), S. 81. 130 Siehe dazu Andreas Fehrmann, Collection Jules Verne, A. Hartleben‘s Verlag, online unter https:// www.j-verne.de/verne_edit3_2.html [Stand: 01.10.2021].

258

Michael Prokosch

Tab. 4: Beworbene Druckwerke in der „Oesterreichischen Badezeitung“ nach der Reihenfolge ihres Auftauchens

Autor(en)

Kurztitel

Ort und Jahr

Verlag / Buchhandlung

Jahre mit Inseraten

Anzahl Inserate

Emil Hamburger

Heilmittel von Franzensbad

Prag 1870

Bensinger

1872– 1883

39

diverse

Union Deutsche Badezeitung

Frankfurt a. M. 1856 ff.



1872

3

Gerhard von Brenning

Die Weinfraßheilung

Wien 1872

Buchhandlung Kirsch

1872

4

Albert Fraenkel, Julius Geppert

Über die Wirkungen der verdünnten Luft auf den Organismus

Berlin 1883

August Hirschwald

1878

1

J. F. F. Popp

Magen- und Darmkatarrh

Heide 4 1879



1878

13

Dr. Anjel

Anleitung zum zweckmässigen Verhalten beim Gebrauch der Wasserkuren

Berlin ca. 1878

August Hirschwald

1878

1

Julius Verne

Gesammelte Schriften

Wien 1873ff.

Adolf Hartleben

1878

11

Dr. Airy

Dr. Airys Naturheilmethode

Leipzig 1875

Richter’s Verlags­anstalt

1878

22

diverse

Braumüller’s Badebibliothek

Wien ca. 1871ff.

Wilhelm Braumüller und Sohn

1878

1

Friedrich Boschan

Diätetische Winke für Kurgäste in Franzensbad

Wien 1867

L. W. Seidel und Sohn

1878

3

4

5

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

259

Bernhard Raumann

Aerztlicher Ratgeber für den Kurgebrauch in Franzensbad

Wien 1870

Kobrtsch & Gschihay

1883

12

Dr. Anjel

Grundzüge der Wasserkur in chronischen Krankheiten

Berlin 1883

L. W. Seidel und Sohn

1883

1

Alfred Sotier

Bad Kissingen

Leipzig 1881

Giesecke & Devrient

1883

1

Justus Edmund Güntz

Die Chromwasser-Behandlung der Syphilis

Leipzig 1883

Arnoldische Buchhandlung

1883

2

Josef Steinbach

Eigenes und Fremdes

Wien 1888

Max Beitenstein

1889–1895

18

Robert Flechsig

Handbuch der Balneotherapie für praktische Aerzte

Berlin 1888

August Hirschwald

1889

1

diverse

diverse „Interessante Lektüre”, siehe unten

Berlin ca. 1887

Richard Jacobsthal

1889

7

diverse

Europäische Wanderbilder – Collection beliebter Reiseführer

Zürich 1870ff.

Orell, Füssli & Co.

1895

22

Iwan von Tschudi

Tourist in der Schweiz

Zürich 1866

Orell, Füssli & Co.

1895

22

Peter Polis

Das Klima von Marienbad

Aachen 1895

Otto Müller

1895

1

zusätzliche Bücher der Werbung vom Verlag R. Jacobsthal, Berlin: Hans Hildebrandt

Ohne Feigenblatt

Berlin 1888

Richard Jacobsthal

Emile Mario Vacano, Karel Klíč

Bilderbuch für Hagestolze

Leipzig 1876

Klíč und Spitzer

Émile Zola und andere

Pikanterien (Novellen)

Berlin 1887

Richard Jacobsthal

Margarete von Navarra

Das Heptaméron

Berlin 1887

Richard Jacobsthal

260

Michael Prokosch

Abb. 19: Anzeigen für „Julius Verne’s Gesammelte Schriften“ und „Dr. Airys Naturheilmethode“. Quelle: Oesterreichische Badezeitung, 15.09.1878, S. 240.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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Ein weiterer Hinweis auf Literaturinserate soll hier ebenfalls nicht unerwähnt bleiben: In der Rubrik „Eingeschaltet“ wurde in der Ausgabe vom 13. Mai 1883 Werbung für einen Tausendjährigen Wandkalender gemacht, der für einen Gulden zu erstehen war. In Zweifarbendruck und im Eigenverlag des Marburger k.-k. Eichmeisters Emil Stoerck erschienen, dürfe dieser laut Anzeige in jedem „Amte, Schule, Bureau, Salon, Hotel, Geschäftslocale, Wartesaal etc. nicht nur zur Zierde gereichen, sondern auch […] unentbehrlich werden“.131 Das Spannende daran ist, dass bei einem Kalender, der von 1801 bis 2800 reichte, immer noch erwähnt wurde, dass die Gregorianische Kalenderreform berücksichtigt sei. Zudem hatte Stoerck offenbar mehrere Ausgaben solcher Kalender geschaffen, denn im „Heidelberger Anzeiger“ vom Mittwoch, dem 9. Juli 1884, wurde ein Exemplar angeboten, das von 1884 bis ins Jahr 2800 reichte.132 Wenn ein solcher Kalender heute noch existieren sollte, wäre es reizvoll, zu kontrollieren, ob Stoercks Arbeit tatsächlich „unfehlbar richtig“ ist, wie in der Anzeige der „Oesterreichischen Badezeitung“ zu lesen war.

3.8 Andere Werbende Noch 23 weitere Produkte beziehungsweise Firmen mit insgesamt 273 Inseraten, davon gut zwei Drittel im Jahr 1878, die keiner der obigen Kategorien zuzuordnen waren und somit nur bedingt mit dem balneologischen Umfeld etwas zu tun hatten, betrieben in der „Badezeitung“ Werbung. In diesem Zusammenhang kann man getrost behaupten, dass „Inserate […] gleichsam der lebendige Ausdruck alltäglichen Lebens“133 sind. Zu den aus den bisher genannten Kategorien fallenden Werbungen zählten unter anderem jene der Wiener Fabrik „Philipp Haas und Söhne“, die Möbelstoffe und Fußteppiche anpries, der Kassenfabrik Polzer und Stern, ebenfalls in Wien angesiedelt, aber auch der Klavierfabrik Alois Kern. Hatte man sich ein Klavier gekauft, konnte man in der Klavierschule Elise Wild das Instrument erlernen. Eine andere Dame namens Eleonore Jeiteles hatte eine Privatschule eröffnet, für die sie in der „Badezeitung“ Werbung machte. Von der Anpreisung von Netzjacken und Hosen durch Julius Grüneke (siehe Abbildung 6) war schon die Rede. In dieselbe Liga fallen auch der Vertrieb von Billiardtischen der Hernalser Tivolin-Fabrik, von doppelwirkenden Maschinen zur Erzeugung von Gefrorenem durch Johann Jaremkiewicz, von südamerikanischem Insektenpulver durch „J. Mylius und Companie“, ferner von Petroleum-Kochapparaten durch die Firma „E. Jülke“, Closenettes – also Toiletten – durch eine Wiedener Fabrik und das dazugehörige Retiradenpapier, welches

131

Oesterreichische Badezeitung, 12. Jg./Nr. 5 (13.05.1883), S. 44. Heidelberger Anzeiger Nr. 158 (1884), S. 2 (online unter https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidelberger_anzeiger1884/0432 [Stand: 25.09.2021]). 133 Klement, Inserate, S. 259. 132

262

Michael Prokosch

durch Ignaz Grünhut hergestellt wurde. Clemens Ritter von Raczinsky bot ein Fa­ briksgebäude in Frain an der Thaya/Vranov nad Dyjí zum Kauf an und der Ingenieur L. Pokorny warb für seine Künste bei der Trockenlegung feuchter Gebäude. In den Inseraten konnte man auch die fürsorgliche Ader von zumindest Friedrich Boschan erkennen, denn dieser schaltete – vermutlich ohne Bezahlung – im Jahr 1872 als Obmann des Stiftungskomitees einen Ausweis aller Spenden für das Waisenstiftungshaus in Franzensbad.134 Soziale Kontakte konnten ebenfalls mittels der „Oesterreichischen Badezeitung“ geknüpft werden: Ähnlich dem Reise- und Begleitungsarzt Dr. Joris versuchten einige Damen der Gesellschaft, auf Kur zu fahren, um zwar verschiedene Tätigkeiten (etwa als Gouvernante) zu verrichten, aber die Reise nicht unbedingt selbst zahlen zu müssen. Letzteres war natürlich nur der Idealfall, wie eine Annonce vom Sommer 1883 zeigt: „Nach Franzensbad! Junge, intelligente, alleinstehende Frau, der Kur dort bedürftig, sucht dorthin irgendwelchen Anschluss an eine Familie, distinguierte Dame, als Gesellschaftsdame ohne Salair, eventuell auch ganz auf eigene Rechnung – Offerten unter ‚Angela 1000‘ befördert die Annoncen-Expedition von Heinrich Schalek, Wien, I. Wollzeile 14“.135 Eine leicht zu übersehende Anzeige über nur zwei Zeilen informierte über eine Stellensuche einer jungen gebildeten Frau, die als Erzieherin zu arbeiten beginnen wollte: „E. j. geb. Dame i. Bes. best. Zeugn s. Stell, zur Leit. oder Stütze d. Hausfrau und Erziehung d. Kinder oder Erzieherin. Gef. Off. erbet. unt. J. B. postl. Schneidemühl.“136 Die Administration der „Badezeitung“ empfahl ihrerseits „als Gesellschafter, Vorleser, Begleiter oder Pfleger eines alten, kränklichen, gebrechlichen, Stütze oder Aufsicht bedürfenden Herrn“ einen „sehr verläßliche[n], intelligente[n] Mann“.137 Manchmal wurden in den Inseraten jedoch sehr wohl Verbindungen zum Kurwesen hergestellt, wie beispielsweise bei der Eisenmöbelfabrik Reichard und Companie, die ihre Möbel insbesondere für Ärzte und Wärter feilbot. Zwischen 28. April und 19. Mai 1895 wurde von einem Mürzzuschlager Privatier (Wilhelm Daskow) eine „Vollständige Bade-Einrichtung, für 4 Cabinen, mit Wannen, Douchen, Heizofen, Röhrenleitung, ferner ein Haladays-Windmotor, 1 ¼ Pferdekraft, nebst Pumpe. Alles gut erhalten, billig zu verkaufen“138 auf den Markt gegeben. Wollte man sein eigenes Badehaus besitzen, so musste man nur Gelegenheiten abwarten: Im August 1883 wurde für ein „bereits im Betriebe stehendes Thermalbad […] in Siebenbürgen, mit Post- und Eisenbahnverbindung, sehr entwicklungsfähig“, ein Unternehmer gesucht, der dieses für einige Jahre pachten würde. Gleichzeitig wurde auch die Stelle eines Badeverwalters ausgeschrieben, der „in der Balneologie und dem Kurortewesen bedeutende Erfahrungen besitzt; derselbe ist der deutschen, französischen, ungarischen und italienischen Sprache mächtig und besitzt distinguirte Umgangsformen.“139

134

136 137 138 139 135

Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 2 (28.04.1872), S. 15. Ebd., 12. Jg./Nr. 18 (12.08.1883), S. 168. Ebd., 12. Jg./Nr. 12 (01.07.1883), S. 114. Ebd., 7. Jg./Nr. 14 (14.07.1883), S. 159, siehe dazu auch Abbildung 6. Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 2 (05.05.1895), S. 14. Oesterreichische Badezeitung, 12. Jg./Nr. 20 (26.08.1883), S. 184.

Die „Oesterreichische Badezeitung“ (1872–1895) im Spiegel ihrer Werbeschaltungen

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Die Angebote waren, wie an diesen Beispielen ersichtlich, durchaus vielfältig. Gleiches galt für die Gestaltung der Inserate: Manche arbeiteten mit Grafiken; die Größe reichte von einem Einzeiler bis hin zu zumindest viertelseitigen Einschaltungen – von den Schriftgrößen und -arten ganz zu schweigen. Den meisten dieser Firmen und Anbietern war jedoch gemein, dass sie in Wien ansässig waren. Lokale Geldgeber waren vermutlich durchaus von Interesse für die Redaktion der „Badezeitung“, die ja auch ihren Redaktionssitz in Wien hatte.

4. Fazit Die „Oesterreichische Badezeitung“ war ein durchweg abwechslungsreiches Blatt – rund zur Hälfte mit Inseraten gefüllt, während der andere Teil Neuigkeiten gesellschaftlicher, medizinischer und wirtschaftlicher Natur lieferte. Für Untersuchungen von Kurstädten sind solche Badezeitschriften durchaus von Wert: So konnte man in der „Oesterreichischen Badezeitung“ immer wieder Statistiken zum Badewesen der Habsburgermonarchie, aber auch ganz Europas, finden – die Frequenzlisten der Gäste begannen zumeist mit Anfang Juni eines Jahres. Es wurden meteorologische Beobachtungen veröffentlicht, und seit etwa 24. Juni 1883 wurde die „Bücherschau“ zu einem fixen Bestandteil des Nachrichtenteils der „Badezeitung“. Die veröffentlichten Feuilletons konnten ebenso mit interessanten Themen aufwarten, etwa über „Der Stadt Wien Sanitätspflege während der Türkenbelagerung 1683“,140 die „Moorbäder von Linz“,141 „[…] die Ermittlung des Procentgehaltes der Sool- und Moorbäder“142 oder „Das Schul- und Lehrwesen der Mohammedaner“.143 Hin und wieder gab es mehrteilige historische Abrisse von Kurorten in jeder Ausgabe des letzten Jahrgangs, wie etwa die Serie über die „Geschichtliche Entwicklung des Eisenbades Dorna“. Auch wurde versucht, die Badenden vor den Gefahren von Fälschungen im Bereich der Arzneien und Kurprodukte zu warnen („Das Geheimmittel-Unwesen: Aufzählung schädlicher Heilmittel“ mitsamt einer „Sammlung aller direkt schädlich wirkenden Geheimmittel“;144 Nachrichten von Fälschungen des Giesshübler Sauerbrunns;145 ebensolche über Fälschungen der „Hunyadi János Bitterquelle“).146 Die Rubrik „Kleine Nachrichten/Kleine Mittheilungen“ informierte 140

Ebd., Nr. 8 (03.06.1883), S. 67–70. Ebd., Nr. 10 (17.06.1883), S. 91f. 142 Ebd., Nr.  19 (19.08.1883), S.  171–173; 12.  Jg./Nr.  20 (26.08.1883), S.  179–181; 12.  Jg./Nr.  22 (09.09.1883), S. 198–200. 143 Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 9 (23.06.1895), S. 65–69. 144 Oesterreichische Badezeitung, 1. Jg./Nr. 23 (22.09.1872), S. 237–243. 145 Ebd., 12. Jg./Nr. 17 (05.08.1883), S. 159. 146 Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24. Jg./Nr. 9 (23.06.1895), S. 69. Im Juli 1896 wurde übrigens im deutschen Kaiserreich ein Gesetz erlassen, welches das Reklamewesen strenger regelte und „die Verbraucher besser vor Betrug“ schützen sollte, Barr, Zwischen Reklamekunst und Kunst­ reklame, S. 236. 141

264

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über teils skurril wirkende Neuigkeiten wie etwa die Verwendung von getrocknetem Kaffeesatz für Spucknäpfe und die Situation der Pferde in Paris, eine Geschichte über einen Sultan und eine Nähmaschine, die Feststellung, dass Vanille nicht ungefährlich sei, und ähnliche.147 Die letzte in der „Oesterreichischen Badezeitung“, also im Exemplar vom 15. September 1895, publizierte „Kleine Mittheilung“ befasste sich damit, wie wichtig das Lächeln als kosmetisches Mittel sei und wie Damen und Herren richtig lächeln sollten. Manche Produkte beziehungsweise Orte warben spezifisch für spezielle Kurgastgruppen: Kurorte und Medikamente hatten sich der Linderung von „Frauenkrankheiten“ verschrieben, andere kümmerten sich um die Genesung von Füßen und Beinen. Man kann auch feststellen, dass Ärzte in der betrachteten Zeit deutlich mobiler waren als heutzutage – sie hatten nicht eine fixe Praxis in einer Stadt, sondern zogen gemeinsam mit den Badegästen in die Kurstädte, wo sie dann eine Badepraxis übernahmen. Selbst wenn bei der hier dargestellten Untersuchung keine saisonale Abhängigkeit in der Produktwerbung festzustellen war (etwa, dass Regenmäntel vermehrt im Herbst angeboten wurden) und sich die Gestaltung der Inserate im Großen und Ganzen über die zwei Jahrzehnte kaum veränderte,148 wäre eine Untersuchung der Einschaltungen aller Jahrgänge wünschenswert. Im Rahmen dieses Aufsatzes konnten nur ausgewählte Anzeigen aus einem Bruchteil aller Jahrgänge näher beleuchtet werden. Es ist klar, dass aufgrund des auf fünf Jahre beschränkten Untersuchungszeitraumes viele Firmen, Orte und Produkte keine Erwähnung gefunden haben, die aber vielleicht tatsächlich noch beliebter waren als die Stadt Franzensbad, die Firma Mattoni (und ihre Eisenmoorsalze) oder Retiradenpapier. So wurde etwa das Ostseebad Zoppot nicht erwähnt, da es in den fünf untersuchten Jahren keine Werbung geschaltet hatte.149 Die Inserate bieten durch ihre große Anzahl einen repräsentativen Querschnitt über die Entwicklung der Märkte, insbesondere, was das Badewesen betrifft. Im Lauf der Jahre wurden immer wieder neue Annoncen geschaltet, woran man die Entwicklung alltäglicher Gegenstände, der Literatur, aber auch der Reisegewohnheiten am Ende des 19. Jahrhunderts ablesen kann. Bezüglich der Forschung zum Alltag in der Neuzeit anhand von Zeitungen und Zeitschriften, insbesondere zum Kurwesen, soll abschließend an die Zeilen von Hermann Diez erinnert werden, der äußerte, dass in Zeitungen „[…] doch eine Geschichtsquelle allerersten Ranges“ fließe und man hier „noch nach hundert und aberhundert Jahren […] den Pulsschlag der Zeit am deutlichsten und am reinsten fühlen“150 könne.

147

Dazu Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 24.  Jg./Nr.  6 (02.06.1895), S.  45; 24.  Jg./Nr.  19 (01.09.1895), S. 149; 24. Jg./Nr. 18 (25.08.1895), S. 141. 148 Mit der Ausnahme, dass in den 1890er Jahren etwas mehr Bilder verwendet wurden. 149 Vgl. Oesterreichisch-ungarische Badezeitung, 16. Jg./Nr. 1 (30.04.1887), S. 7. 150 Hermann Diez, Das Zeitungswesen, Leipzig 1910, S. 128.

KURSTÄDTE ALS KUNSTMARKT – SONDIERUNGEN ZU EINEM DESIDERAT Holger Th. Gräf

Annäherung an ein vermeintlich sperriges Thema Mit der Frage nach den Kurstädten als Kunstmarkt – gewissermaßen als Konsum­ ort von Kunst – betritt man erstaunlicherweise, wenn nicht Neuland, so doch ein nur dürftig vermessenes Terrain.1 Die folgenden Überlegungen bewegen sich daher gleichsam in einem historiografischen Niemandsland. Plakativ formuliert: Stadt- und Wirtschaftshistoriker allgemein, wie die Historiker der Kur(-stadt) im Besonderen, interessieren sich selten bis gar nicht für die Kunst.2 Bestenfalls nutzen sie Porträts, Genrebilder oder Veduten zur Illustration ihrer Arbeiten oder als Bildquellen. Umgekehrt haben sich die Kunsthistoriker die Frage nach der Kurstadt als Kunstmarkt bislang überhaupt noch nicht gestellt.3 „Kunst“ schlichtweg als Ware zu behandeln, 1



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Dieser Aufsatz wäre in den schwierigen Zeiten der Corona-Pandemie ohne die beständige Versorgung mit Trouvaillen aus den Bad Homburger Kurlisten durch deren Bearbeiter, Dr. Kai Umbach, sowie den Teams des Stadtarchivs Villa Wertheimber und des Stadtmuseums im Gotischen Haus in Bad Homburg, namentlich Beate Datzkow, Andreas Mengel und Dr. Peter Lingens, kaum zustande gekommen. Ihnen allen bin ich herzlich dankbar. Gleiches gilt für den Leiter der städtischen Museen in Bad Wildungen, Bernhard Weller, der meine Anfragen in das Netzwerk der Arbeitsgemeinschaft Kur- und Bädermuseen eintrug, sowie Dr. Rouven Pons, Hessisches Landesarchiv, Abt. HauptstaatsA Wiesbaden. Eine frühe Ausnahme ist: Hans-Ulrich Thamer (Hg.), Bürgertum und Kunst in der Neuzeit, Köln u .a. 2002; Kurstädte spielen in dem Band jedoch keine Rolle. Wobei sich die Entstehung des Kunsthandels bzw. des Kunstmarktes seit der Renaissance durchaus des Interesses der Kunstgeschichte wie der Geschichtswissenschaft erfreut; vgl. zum Überblick: Hans Peter Thurn, Der Kunsthändler. Wandlungen eines Berufes, München 1994; Michael North (Hg.), Art markets in Europe, 1400–1800, Aldershot u. a. 1999; Berit Wagner, Bilder ohne Auftraggeber: der deutsche Kunsthandel im 15. und frühen 16. Jahrhundert mit Überlegungen zum Kulturtransfer, Petersberg 2014; Berit Wagner, Bürgerlicher Geschmack und höfische Sammlung. Überschneidungen im deutschen Kunsthandel und in der höfischen Akquise in der Frühzeit der Kunst- und Wunderkammern, in: Matthias Müller/Sascha Winter (Hg.), Die Stadt im Schatten des Hofes? Bürgerlich-kommunale Repräsentation in Residenzstädten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, Ostfildern 2020, S.  239–277; zum 17.  Jahrhundert: Michael Wenzel, Philipp Hainhofer: Handeln mit Kunst und Politik, Berlin/München 2020; Franz Wilhelm Kaiser/Michael North (Hg.), Die Geburt des Kunstmarktes. Rembrandt, Ruisdael, Van Goyen und die Künstler des Goldenen Zeital-

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mag dem einen oder anderen auch durchaus als Zumutung erscheinen.4 Im Folgenden soll aber die Kunst, hier beschränkt auf die Malerei, als ein Konsumgut untersucht werden, das ebenso wie Ernährung, Kleidung und Freizeitgestaltung zu einem bestimmten von Moden und Trends beeinflussten Habitus gehörte und als Mittel zur Herstellung sozialer Distinktion diente. Aspekte des Kunstgeschmacks und der Kunststile werden dabei selbstverständlich eine gewisse Rolle spielen, allerdings weniger im Hinblick auf ästhetische Geschmacksbildung oder Kennerschaft, vielmehr werden sie als Moden begriffen, welche die Nachfrage und damit wiederum den Markt bestimmten. Angesichts der dürftigen Forschungslage und der für Historiker zentralen Frage nach den heranzuziehenden Quellen werden sich die folgenden Ausführungen – abgesehen von wenigen Ausnahmen – im Wesentlichen auf das Fallbeispiel „Bad Homburg“ beziehen. Dies hängt mit der vergleichsweise guten Literaturlage zusammen. Vor allem aber ermöglichen die ab 1834, zunächst wöchentlich, nach 1870 alle zwei oder drei Tage erscheinenden Kur- bzw. Fremdenlisten mit den darin enthaltenen Inseraten von Auktionen, Ausstellungen, Malern und Kunsthändlern einen lebendigen Einblick in den damaligen lokalen Kunstmarkt.5 Bad Homburg ist mittlerweile zwar aus der Tentativliste zu dem UNESCO-Welterbeantrag „Great Spas of

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ters, München 2017; Andrea Fronhöfer (Hg.), Kunstmarkt und Kunstbetrieb in Rom (1750–1850). Akteure und Handlungsorte, Berlin/Boston 2019; zum transatlantischen Kunsthandel: Lynn Catterson (Hg.), Dealing Art on Both Sides of the Atlantic, 1860–1940, Leiden/Boston 2017. Insbesondere für Frankfurt: Miriam Hall Kirch u. a. (Hg.), Crossroads. Frankfurt am Main as Market for Northern Art 1500–1800, Petersberg 2019. Vgl. allerdings mit einem Schwerpunkt auf England und das 18. Jahrhundert: Maxine Berg, New commodities, luxuries and their consumers in eighteenth-century England, in: Dies./Helen Clifford (Hg.), Consumers and luxury. Consumer culture in Europe 1650–1850, Manchester 1999, S.  63–86; konkret zum Konnex von Geschmacksbildung und Konsum auch Michael Prinz, Aufbruch in den Überfluss? Die englische „Konsumrevolution“ des 18. Jahrhunderts im Lichte neuerer Forschung, in: Ders. (Hg.), Der lange Weg in den Überfluss. Anfänge und Entwicklung der Konsumgesellschaft seit der Vormoderne, Paderborn 2003, S. 191–217, hier S. 202–203. Die Kur- und Badelisten (StadtA Bad Homburg) wurden in einem digitalen Datenbankprojekt am Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde mit finanzieller Förderung der Stadt Bad Homburg erschlossen: https://www.lagis-hessen.de/de/klhg; vgl. Holger Th. Gräf, Ein Gast aus „Bagatelle“ – Aus den Kurlisten von Bad Homburg, in: Unser Homburg 61 (2018), Heft 3, S. 7–9; sowie: Die Kurlisten von Bad Homburg v. d. Höhe: eine Datenbank zur Erforschung der Sozialgeschichte der Kur. Ein Kooperationsprojekt des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde und des Stadtarchivs Bad Homburg v. d. Höhe, https://www.lagis-hessen.de/downloads/20210315_Kurlisten_BadHomburg.pptx [Stand 12.03.2021]. Da die Datenbank erst Ende 2021 als Modul des Landesgeschichtlichen Informationssystems freigeschaltet wurde, wurde auf Einzelbelege zu den im Folgenden erwähnten Kurgästen verzichtet. Die Kur- und Fremdenlisten sind als wertvolle Quelle für die materielle und Konsumkultur der Kurstadtgeschichte bislang nur punktuell und lokal genutzt worden. Vgl. allgemein: Matthias Bitz, Badewesen in Südwestdeutschland 1550 bis 1840, Idstein 1989, S. 23–26; dazu künftig: Kai Umbach, Die Kur- und Fremdenlisten der Stadt Homburg v. d. Höhe – ihre verwaltungsrechtlichen Wurzeln im Kontext von fremdenpolizeilicher Kontrolle, touristischer Informationsabsicht und kommunikativem Publikumshandeln (erscheint 2023).

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Europe“6 ausgeschieden, es gehörte aber zweifellos zu den führenden Gesellschaftsbädern des 19.  Jahrhunderts. Die hier vorgestellten Beobachtungen können daher einen gewissen exemplarischen Charakter beanspruchen. Der Beitrag gliedert sich in vier Abschnitte. Nach einem kurzen Abriss zum Forschungsstand werden die Entwicklung des Kunstkonsums und des Kunstmarktes während des langen 19. Jahrhunderts skizziert. Vor diesem Hintergrund werden zunächst die Kurlisten nach den Malern und ihrem potenziellen Kundenkreis befragt. Anschließend werden das Angebot auf dem Kunstmarkt sowie die Orte des Konsums an einigen Beispielen näher betrachtet.

1. Forschungsstand Die Entwicklung des Kunsthandels im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem bürgerlichen Mäzenatentum und der intensiven Sammeltätigkeit ist insgesamt zwar vergleichsweise gut erforscht.7 Doch zum einen bestehen Forschungslücken, wie beispielsweise die Sammlungsstücke im Einzelnen erworben wurden und welche Händler und Experten die potenten, allerdings meist „beratungsbedürftigen Reichen bei ihren Investitionen“8 unterstützten. Zum anderen wurde bislang die Frage nach der zentralen Funktion der Kurstadt für den nationalen wie internationalen Kunstmarkt noch nicht gestellt.9 Die Wirtschaftshistorikerin Heidrun Homburg erwähnt in ihrem Überblick zu den „German landscapes of consumption, 1750–1850“ die Kurorte überhaupt nicht und stellt resümierend fest, dass Deutschland in Bezug auf Konsumformen und Konsumstätten „a latecomer“ gewesen sei und die traditionellen Märkte und Messen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die üblichen Orte des Handels geblieben seien.10 Auch Peter Borsay listet in seinem Beitrag zu den „Health and leisure resorts 1700–1840“ zwar „specialist luxury shops (such as booksellers, jewellers, souvenir sellers, milliners and confectioners)“11 auf, doch Ateliers, Kunsthändler, Galerien und dergleichen bleiben unberücksichtigt. Umgekehrt nennt beispielsweise Michael Reed im gleichen Handbuch zwar Galerien, Künstler 6

Great Spas of Europe, https://de.wikipedia.org/wiki/Great_Spas_of_Europe [Stand: 08.02.2021]; Volkmar Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 2012. 7 Vgl. exemplarisch: Gabriele B. Clemens, Der rheinische Kunstmarkt, Mäzene und Sammler im langen 19. Jahrhundert, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 76 (2012), S. 205–225; Thurn, Kunsthändler, hier vor allem S. 95–138. 8 Clemens, Kunstmarkt, S. 224; vgl. aber bereits Sven Kuhrau, Der Kunstsammler im Kaiserreich. Kunst und Repräsentation in der Berliner Privatsammlerkultur, Kiel 2005, S. 142–152. 9 Ansätze finden sich bei Thomas Weichel, Mäzenatentum und soziale Stiftungen in einer Kurstadt, in: Jürgen Kocka/Manuel Frey (Hg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin 1998, S. 128–143, hier S. 130–134. 10 Heidrun Homburg, German Landscapes of Consumption, 1750–1850, in: Jan Hein Furnée/Clé Lesger (Hg.), The Landscape of Consumption, London 2014, S. 125–156, hier S. 147. 11 Peter Borsay, Health and Leisure Resorts 1700–1840, in: Peter Clark (Hg.), The Cambridge Urban History of Britain, Vol. 11: 1540–1840, Cambridge 2000, S. 775–803, hier S. 790.

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und Museen als Kennzeichen einer modernen kulturell grundierten Urbanität, hat dabei aber wiederum nicht die Kurstädte im Blick, sondern die Hotspots der Urbanisierung, also London und die großen County Towns.12 Martina Bleymehl-Eiler nennt in ihrem Aufsatz „Luxus am Kurort“ für die deutschen Kurstädte zwar ein breites Warenangebot, das sonst „nur in Großstädten anzutreffen“ war und das auf eine „Verfeinerung und Versinnlichung“13 verweist – Uhren, optische Geräte, Goldschmuck, Juwelen, teure Parfums, Elfenbeinschnitzereien, Messingwaren maghrebinischer Händler u. v. a. m. – Gemälde werden indes nicht genannt. Selbstverständlich werden gelegentlich am jeweiligen Ort ansässige Künstler und Kunsthändler in der Literatur erwähnt, aber meist nur pauschal oder biografisch, etwa wenn sie der „bedeutendsten Hotelunternehmerdynastie des Kurortes“ entstammten, wie beispielsweise der Kunsthändler Philipp Hailmann (1832–1903) in Bad Kissingen.14 Dass die Läden für Gegenstände des gehobenen Konsums – auch für Kupferstiche und Gemälde – in Wiesbaden „zum festen Konzept des Kurhauses“ gehörten und dass 1842 in den hufeisenförmig um den Kurhausvorplatz errichteten Kolonnaden rund 100 „Luxus-Läden“ existierten, arbeitete bereits Burkhard Fuhs heraus.15

2. Kunstkonsum und Kunstmarkt im „langen 19. Jahrhundert“ Der Kunstkonsum im „langen 19.  Jahrhundert“ (Eric Hobsbawm) ist nicht ohne die Entwicklung eines „deutschen Kunstmarktes und einer Sammlungskultur im 18. Jahrhundert“16 denkbar. So ging damals beispielsweise der Anteil der Historienbilder in den bürgerlichen Sammlungen in Hamburg und Frankfurt zugunsten der Landschafts-, Genre-, Stillleben- und Porträtkunst erheblich zurück, ganz dem Vorbild der „bürgerlichen“ Niederlande folgend, wo dieser Prozess bereits im 17. Jahrhundert stattgefunden hatte. Zudem nahmen die Werke einheimischer Maler in den Sammlungen zu, auch wenn sie oft in niederländischer Manier malten. Nicht weiter verwunderlich erfreuten sich daher die Werke der flämischen und holländischen Maler des 17. Jahrhunderts weiter größter Nachfrage. Beliebt in Originalen wie in 12

Michael Reed, The Transformation of Urban Space, in: Peter Clark (Hg.), The Cambridge Urban History of Britain, Vol. 11: 1540–1840, Cambridge 2000, S. 615–640, hier S. 631f. 13 Martina Bleymehl-Eiler, Luxus am Kurort. Ausdruck der Modernität?, in: Peter Weidisch/Fred Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität. Tagungsband zum Symposium in Bad Kissingen 7.–9. März 2014 im Rahmen der transnationalen seriellen Bewerbung „Great Spas of Europe“ um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, Würzburg 2017, S. 269–283, hier S. 277. 14 Fred Kaspar, Kurort im Umbruch oder Kurort und Modernität, in: Weidisch/Ders. (Hg.), Kurort und Modernität, S. 13–29, hier S. 24f. 15 Burkhard Fuhs, Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700–1900, Hildesheim 1992, S. 208–211. 16 Michael North, Kunstsammlungen und Geschmack im ausgehenden 18.  Jahrhundert: Frankfurt und Hamburg im Vergleich, in: Ders. (Hg.), Kunstsammeln und Geschmack im 18.  Jahrhundert, Berlin 2002, S. 85–103, hier S. 85. Danach auch das Folgende.

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Kopien waren zudem die italienischen Meister des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, während die französischen Maler des 17. und frühen 18. Jahrhunderts eher in den fürstlichen Sammlungen zu finden waren.17 Im Laufe des 18.  Jahrhunderts, insbesondere nach dem Siebenjährigen Krieg, änderten sich ebenfalls die Formen des Kunsthandels. Waren zuvor Auftragsarbeiten und der Kauf im Atelier direkt vom Künstler eher die Regel, so wurden nun die Auktionen vom Volumen her zweifellos die wichtigste Vermarktungsform. Erschienen im deutschsprachigen Raum bis 1759 insgesamt gerade einmal gut dreißig Auktionskataloge, so waren es allein im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts über einhundert.18 Bei diesen Auktionen handelte es sich meist um Nachlässe verstorbener Sammler. Frankfurt spielte dabei für die weitere Rhein-Main-Region eine zentrale Rolle. Allein zwischen 1779 und 1784 wurden hier sechzehn große Gemäldesammlungen versteigert.19 Teilweise wechselten dabei erhebliche Mengen an Gemälden den Besitzer. So erzielten im Jahre 1779 bei einer einzigen Auktion rund 1.080 Gemälde gut 15.500 Gulden.20 Während der Napoleonischen Zeit erlebte der Frankfurter Kunstmarkt einen erheblichen Rückgang.21 Die Erholung in den Jahrzehnten danach wurde ab Mitte der 1830er Jahre vom Aufstieg Bad Homburgs als Kurort gewissermaßen vor den Toren der Stadt begleitet, an dem sich auch rasch ein Kunstmarkt etablierte. Allerdings entstand hier keineswegs ein klassisches Konkurrenzverhältnis, sondern vielmehr eine eher komplementäre Beziehung, von der letztlich beide Orte profitierten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts bestimmte neben dem aufstrebenden Kunsthandel zudem die exponentiell wachsende Kunstproduktion wesentlich den Kunstmarkt.22 Sie wurde insbesondere vom raschen Aufstieg der Kunstakademien bestimmt, die sozusagen zum festen Inventar der Residenz- und Hauptstädte wurden und zahllose Maler ausbildeten.23 So werden für die Zeit zwischen 1819 und 1918 etwa 4.000 Künstler allein zur Düsseldorfer Malerschule gezählt.24 Mit rund 3.700 waren es in 17

Die Kunst des französischen Rokoko fand sogar erst nach 1870 Eingang in einige bürgerliche Sammlungen; vgl. Kuhrau, Kunstsammler, S. 187–193. 18 Tilmann von Stockhausen, Leipzig: Bürgerliches Bildersammeln in der Bücherstadt im 18. Jahrhundert, in: North (Hg.), Kunstsammeln, S. 105–115, hier S. 107. 19 Kurt Wettengl, Frankfurter Sammlungen von 1700–1830, in: North (Hg.), Kunstsammeln, S. 69– 84, hier S. 74f.; vgl. auch Sophia Dietrich-Häfner, Im Netz des Frankfurter Kunstmarkts im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Hall Kirch (Hg.), Crossroads, S. 256–279. 20 Viktoria Schmidt-Linsenhoff/Kurt Wettengl (Bearb.), Katalog zu der Abteilung Bürgerliche Sammlungen in Frankfurt 1700–1830, Frankfurt a. M. 1988, S. 112. 21 Wettengl, Sammlungen, S. 76. 22 Vgl. allgemein Robin Lenman, Artists and Society in Germany 1850–1914, Manchester 1997, S. 142– 184; exemplarisch Nadine Müller, ‘Es ist ganz kurios, hier handelt alles mit Bildern’ – Einblicke in den Düsseldorfer Kunsthandel im 19.  Jahrhundert an ausgewählten Beispielen, in: Bettina Baumgärtel (Hg.), Die Düsseldorfer Malerschule und ihre internationale Ausstrahlung 1819–1918, Bd. 1, Petersberg 2011, S. 312–319. 23 Ekkehard Mai, Die deutschen Kunstakademien im 19.  Jahrhundert: Künstlerausbildung zwischen Tradition und Avantgarde, Köln u. a. 2010; Clemens, Kunstmarkt, S. 207. 24 Martina Sitt (Red.), Lexikon der Düsseldorfer Malerschule, 3 Bde., hg. v. Kunstmuseum Düsseldorf/ Galerie Paffrath, Düsseldorf/München 1997–1999.

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diesem Zeitraum nicht ganz so viele, die sich an der Akademie der Bildenden Künste in München in den Malklassen immatrikulierten.25 Doch auch auf den ersten Blick völlig profane Entwicklungen spielten eine erhebliche Rolle. So ging der Bauboom des 19. Jahrhunderts mit einer Flut von Aufträgen an Malern einher, die für die öffentlichen Bauten einzelne Gemälde, meist Historienbilder oder Herrscherporträts, nicht selten auch gleich ganze Gemäldezyklen schufen.26 Letztlich spielte sogar die Entwicklung und rasche industrielle Produktion synthetischer Farbstoffe – die Anilin- und Teerfarben – ab der Mitte des 19.  Jahrhunderts eine gewisse Rolle.27 Mit ihnen stand eine ungleich günstigere Alternative zu den meist sehr kostspieligen natürlichen Farbstoffen zur Verfügung. Gerade für die unteren Preissegmente der Gemälde war der Anteil der Materialkosten nicht unwesentlich. Die Dominanz der akademischen Kunst schlug sich auch bei den bevorzugten Stilrichtungen und Genres auf dem Kunstmarkt nieder. Zunächst dominierten die Strömungen des Klassizismus, der Romantik, der Nazarener und des Biedermeier. Ab Mitte des Jahrhunderts wurde die Landschafts- und Porträtmalerei zunehmend durch die monumentale Historienmalerei ergänzt. Gleichzeitig wurde der Markt mit Kopien der alten flämischen und holländischen Genre- und Landschaftskunst geflutet, womit die Nachfrage nicht nur bei den „Rembrandt-Deutschen“ des Kaiserreichs gestillt werden konnte.28 Gleiches gilt auch für die Kopien der italienischen und deutschen Kunst der Renaissance. Da das Kopieren zum festen Curriculum der Akademieausbildung gehörte, waren auch hier oft akademisch ausgebildete Maler am Werk, teilweise durchaus die Besten ihrer Zeit.29 Zeitgenössische internationale Kunstrichtungen wie etwa der Symbolismus oder der Impressionismus hatten es dagegen zunächst schwer.30 In den damals ausgetragenen Konflikten konnten sich auch schon einmal Kaiser Wilhelm II. (1859–1941) höchstselbst oder Anton von Werner (1843–1915), der einflussreiche Übervater der damaligen Berliner Kunstszene, einschalten und den französischen Impressionismus kurzerhand zur Feindeskunst erklären.31 Dass sich diesem Kunststil verbundene 25

Matrikeldatenbank – Akademie der Bildenden Künste München, https://matrikel.adbk.de/suche/#b_ start=0&c10=Malerei [Stand: 08.02.2021]. 26 Vgl. Clemens, Kunstmarkt, S. 210; Holger Th. Gräf, „Kunst am Bau“ – Monumental-Ausstattungsaufträge und Kunstpolitik in Preußen (1817–1914), in: Guido Siebert (Hg.), Naumburg und die Düsseldorfer Malerschule (1819–1918), Fulda 2015, S. 39–47. 27 Katrin Cura, Professorenklekse – Friedlieb Ferdinand Runge (1794–1867): Entdecker der Teerfarbstoffe und Begründer der Papier-Chromatographie, in: Gudrun Wolfschmidt (Hg.), Farben in Kulturgeschichte und Naturwissenschaft, Hamburg 2011, S. 268–293. 28 Vgl. Johannes Heinssen, Kulturkritik zwischen Historismus und Moderne: Julius Langbehns „Rembrandt als Erzieher“, in: Werner Bergmann/Ulrich Sieg (Hg.), Antisemitische Geschichtsbilder, Essen 2009, S. 121–138; Kuhrau, Kunstsammler, S. 181–187; Ders., Historismus und Kulturkritik. Studien zur deutschen Geschichtskultur im späten 19. Jahrhundert, Göttingen 2003, S. 435–463. 29 Vgl. exemplarisch: Herbert W. Rott, Alte Meister. Lenbachs Kopien für Adolf Friedrich von Schack, in: Reinhold Baumstark (Hg.), Lenbach. Sonnenbilder und Porträts, München 2004, S. 55–75. 30 Catherine Krahmer, Kunstanschauung – Weltanschauung. Das Ringen um die Kunst in Deutschland um 1900, in: Études Germaniques 4 (2009), S. 765–798. 31 Johanna Heinen, Ein „jüdisches“ Mäzenatentum für moderne französische Kunst? Das Fallbeispiel der Nationalgalerie im Berlin der wilhelminischen Ära (1882–1911) – Eine kultur- und sozialhistorische Studie, Berlin 2016, hier v. a. Kap. II.1; Kuhrau, Kunstsammler, S. 76–83.

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Künstler wie Lovis Corinth (1858–1925), Max Liebermann (1847–1935) und Max Slevogt (1868–1932) oder auch die Worpsweder Maler langsam durchsetzen und vor allem auf dem Kunstmarkt behaupten konnten, war neben ihrer Selbstorganisation in den sogenannten „Secessionen“ vor allem bürgerlichen Sammlern bzw. Stiftern zu verdanken.32 Eine gesamteuropäische Kunstrichtung, die insbesondere von Frankreich ausging und sich bis zum Ersten Weltkrieg auch beim deutschen Publikum größter Beliebtheit erfreute, war hingegen der Orientalismus.33 Vorgebildet durch Johann Wolfgang von Goethes (1749–1832) Werk „West-östlicher Diwan“ (erste Ausgabe 1819) wurde der Orient, insbesondere aber das Osmanische Reich, durch die beiden Reisen Kaiser Wilhelms II. nach Konstantinopel und Palästina 1889 bzw. 1898 fast zu einer Art Sehnsuchtsort der Deutschen.34

3. Maler und ihre potenziellen Kunden Das Publikum der vornehmen Gesellschaftsbäder gehörte zweifellos zu den sozio­ ökonomischen wie soziokulturellen Eliten des 19. Jahrhunderts. Die Zahl der Besucher stieg in Bad Homburg in dem guten halben Jahrhundert zwischen 1851 und 1913 um fast 150 Prozent von knapp 6.500 auf rund 16.100 Besucher pro Jahr, die mehr oder minder lange in der Stadt verweilten.35 Da die ästhetische Geschmacksbildung und das damit einhergehende Betrachten, Kaufen und Sammeln von Kunst zu den festen kulturellen Praktiken dieser Kreise gehörten, sind im Grunde alle Kurgäste gleichzeitig als potenzielle Kunden des örtlichen Kunstmarktes anzusehen.36 32

Zum Überblick: Bettina Best, Secession und Secessionen. Idee und Organisation einer Kunstbewegung um die  Jahrhundertwende, München 2000; zur vergleichsweisen „Offenheit für konträre Strömungen“ im damaligen Frankfurt: Ralf Roth, „Der Toten Nachruhm“. Aspekte des Mäzenatentums in Frankfurt am Main (1750–1914), in: Kocka/Frey (Hg.), Bürgerkultur, S.  99–127, hier S.  108; Kuhrau, Kunstsammler, S.  221–231; Thurn, Kunsthändler, S.  124–138, exemplarisch und differenzierend: Bernd Küster/Jürgen Wittstock, Carl Bantzer. Aufbruch und Tradition, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Universitätsmuseum Marburg, Bremen 2002, S. 33–42 (zu Bantzer als „Lehrer und Kulturpolitiker“). 33 Gérard-Georges Lemaire, Orientalismus. Das Bild des Morgenlandes in der Malerei, Köln 2000, mit Schwerpunkt auf der französischen und englischen Malerei; Klaus-Werner Haupt, Die Faszination des Orients im langen 19. Jahrhundert, Wiesbaden 2015. 34 Suzanne Marchand, German Orientalism and the Decline of the West, in: Proceedings of the American Philosophical Society 145 (2001), S. 465–473; vgl. auch: Anja Gerdemann (Bearb.), Sehnsucht Orient: Malerei um 1900, Ausstellungskatalog Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Darmstadt 2018. 35 Zahlen nach Heinz Grosche, Geschichte der Stadt Bad Homburg vor der Höhe, Bd.  3, Frankfurt a. M. 1986, S. 205. 36 Vgl. allgemein: Wolfgang Kaschuba, Kunst als symbolisches Kapital. Bürgerliche Kunstvereine und Kunstideale nach 1800 oder: Vom realen Nutzen idealer Bilder, in: Peter Gerlach (Hg.), Vom realen Nutzen idealer Bilder. Kunstmarkt und Kunstvereine, Aachen 1994, S. 19–21; Clemens, Kunstmarkt, S.  223; Kuhrau, Kunstsammler, hier besonders S.  105–112; sowie Wolfgang J. Mommsen, Kultur als Instrument der Legitimation bürgerlicher Hegemonie im Nationalstaat, in: Claudia Rückert/ Sven Kuhrau (Hg.), „Der Deutschen Kunst ...“. Nationalgalerie und nationale Identität 1876–1998, Amsterdam 1998, S. 15–29.

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Abb. 1: Der Oberlichtsaal im Haus von Oscar Hainauer in der Berliner Rauchstraße mit Bronzen und Gemälden der italienischen Renaissance. Quelle: Krahn, Bronzen, S. 38.

So notierte beispielsweise der englischen Kurgast Henry Thornton am Samstag, dem 14. September 1867 in seinem Tagebuch, über die Zeit nach einem Becher Wasser am Ludwigsbrunnen: […] At 3 o’clock we all went [….] to view the fine china & pictures in the old Palace here, which are to be sold by auction on Monday.37 Hinzu kam, dass sich insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche, teilweise im Kurbetrieb reich gewordene Homburger Bürger sowie einige Frankfurter Familien großzügige Villen errichten ließen, die nach einer entsprechenden Ausstattung verlangten und damit die Nachfrage am Ort steigerten.38 Ge37

Henry Thornton, Journal 1867, Manuskript im Privatbesitz. Ich danke Herrn Eric Leonhardt, Bad Homburg, für die Überlassung eines Digitalisats. Das Tagebuch ist fast auf jeder Seite mit recht geübten Zeichnungen des Autors illustriert. 38 Vgl. allgemein zur großbürgerlichen Wohnkultur im Frankfurt des Kaiserreichs: Birgit Wörner, Frankfurter Bankiers, Kaufleute und Industrielle. Werte, Lebensstil und Lebenspraxis 1870–1930, Frankfurt a. M. 2011, S. 49–92; exemplarisch Astrid Krüger, Martyrium im Speisezimmer, Knabengesang am Tempel. Nachbildungen von Werken namhafter Renaissance-Künstler in der Villa Wertheimber (Bad Homburg), in: Lutz Vogel u. a. (Hg.), Mehr als Stadt, Land, Fluss. Festschrift für

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rade der im bürgerlichen Wohnen außergewöhnlich beliebte und von Hans Makart (1840–1884) zur Vollendung gebrachte Atelierstil benötigte Unmengen von Gemälden als repräsentative Dekorations- und Ausstattungsgegenstände.39 Der öfters in Bad Homburg zur Kur weilende Bankier und Sammler Oscar Hainauer (1840–1894) richtete in seiner um 1877 erbauten Villa in Berlin-Tiergarten sogar einen Oberlichtsaal für seine Bildwerke der italienischen Renaissance ein.40 Ob er einzelne Stücke davon in Bad Homburg erwarb, ist freilich nicht bekannt, aber nicht auszuschließen. Eine gewisse Rolle bei der Geschmacksbildung der Kurgäste dürften auch die Interieurs der Gebäude der Kuranlagen und der Hotels gespielt haben. Für Bayern ist beispielsweise überliefert, dass das Kultusministerium Gemälde der Königlichen Gemäldegalerie in München zur Ausstattung von Kuranlagen und Kurhotels auslieh. So konnten in Bad Reichenhall „durch das Entgegenkommen des Kultusministeriums, das 26 Gemälde aus dem Depot der Galerie in Schleißheim zur Verfügung stellte, […] auch die Nebenräume des Kurhauses mit qualitätsvollen Bildern geziert werden.“41 Ebenso wurde das Kurhaus in Bad Brückenau mit Bildern aus der Filial­galerie in Schleißheim versorgt.42 In Bad Homburg ersteigerte der Spielbankbetreiber François Blanc (1806–1877) im September 1868 rund 80 Gemälde aus dem Sammlungsnachlass des schillernden Barons Julius de Wellens (1804–1868).43 Ob sie der Ausstattung des Kurhauses, anderer Kureinrichtungen oder den privaten Räumen Blancs dienten, sei dahingestellt. Zudem waren die Hotels mit Ölgemälden ausgestattet, was wahrscheinlich den Wunsch der Kurgäste nach dem Erwerb eigener Ölgemälde geweckt oder zusätzlich verstärkt haben dürfte. Ursula Braasch-Schwersmann, Neustadt/Aisch 2020, S. 376–380; Dies., Accatium – die Villa Wertheimber im Gustavsgarten, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 26 (2015), S. 47–96, hier S. 53f. Die Frankfurter Bankiersfamilie Wertheimber besuchte nachweislich ab 1859 Bad Homburg regelmäßig und ließ sich Ende des 19. Jahrhunderts diese Villa errichten. 39 Vgl. Eva-Maria Orosz, Der Makart-Stil. Ein Atelier als Vorbild für das Wiener Interieur, in: Ralph Gleis (Hg.), Makart. Ein Künstler regiert die Stadt. Sonderausstellung des Wien Museums 9. Juni – 16. Oktober 2011, München 2011, S. 116–125, 144–149; 158–161, 198–205; Eva Mongi-Vollmer, Das Atelier des Malers. Die Diskurse eines Raumes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 2004, S. 176–185; Kuhrau, Kunstsammler, S. 68–75, 204–213; exemplarisch: Die Villa Lenbach, in: Baumstark, Lenbach, S. 6–18. 40 Volker Krahn (Hg.), Von allen Seiten schön. Bronzen der italienischen Renaissance und des Barock, Ausstellungskatalog Skulpturensammlung Berlin, 31. Oktober 1995 bis 28. Januar 1996, Heidelberg 1995, S. 38–40; Hans-Ulrich Thamer, Kunst sammeln. Eine Geschichte von Leidenschaft und Macht, Mainz 2015, S. 144–147. Einen Teil seiner Sammlung erwarb nach seinem Tod der Pittsburgher Industrielle Henry Clay Frick, der ebenfalls öfter als Kurgast in Bad Homburg nachgewiesen ist; vgl. zu ihm unten im Text nach Anm. 69. 41 Cornelia Oelwein, Max Littmann (1862–1931). Architekt, Baukünstler, Unternehmer (Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Stadt Bad Kissingen, Altes Rathaus, 22.04.–13.10.2013 anlässlich des 100. Jubiläums des Regentenbaus), Petersberg 2013, S. 211, mit Anm. 495 und S. 215 mit Anm. 510. 42 Ich danke Herrn Prof. Dr. Dr. Andreas Tacke, Trier, für diesen Hinweis. 43 Liste der Gemälde, die François Blanc von Frau de Wellens ersteigert hat, 25. Sept. 1868, StadtA Bad Homburg, Sign. E 002-420. Zu de Wellens vgl. Andrea Pühringer, Das Kurwesen als Motor der Urbanisierung. Stadtplanung und städtische Expansion im 19. Jahrhundert, in: Roswitha Mattausch/ Dies., Mondäne Stadt – Idyllische Landschaft. Der Aufstieg Homburgs zum Kur- und Modebad im 19. Jahrhundert, Neustadt/Aisch 2016, S. 7–67, hier S. 64, Anm. 80.

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Abb. 2: Georg Emanuel Opiz (Umfeld), Porträt eines Kurgastes, Karlsbad 1807. Quelle: Privatbesitz, Foto: Stefan Aumann, Marburg.

Die Kurgäste traten also zum einen als potenzielle Käufer von Gemälden auf, zum anderen als Auftraggeber für die ansässigen Künstler, insbesondere um sich porträtieren zu lassen. Bezeichnenderweise war es kein geringerer als Thomas Gainsbo­ rough (1727–1788), der nach wenig erfolgreichen Anfängen ab 1758 in Bath als Porträtist der vornehmen Besucher des englischen Modebades seinen Durchbruch erlebte, bevor er ab 1774 in London wirkte. Aus diesen gut fünfzehn Jahren sind über 300 großformatige Bildnisse von „monarchs and mistresses, dukes and duchesses, lesser peers and judges, actors, brewers, musicians, physicians, painters, soldiers and politicians“44 – also der sozioökonomischen und soziopolitischen Elite, die im Kern die standesübergreifende Kurgesellschaft ausmachte, im englischen 18. wie im kontinentaleuropäischen 19.  Jahrhundert. Sie lassen sich also durchaus den engli-

44

James Hamilton, Gainsborough: a Portrait, London 2018, S. 178–180, Zitat S. 179.

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Abb. 3: Atelier Michaelis in den Kuranlagen von Bad Homburg. Am linken Bildrand ist das Kaiser-Wilhelms-Bad zu sehen. Quelle: StadtA Bad Homburg, Sign. S 05 004381 (Ausschnitt).

schen Touristenporträts zur Seite stellen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Übergang vom Standesporträt zum standesunabhängigen Gesellschaftsporträt markieren.45 Das frühe Beispiel eines Porträts aus Karlsbad kann über den charakteristischen Sprudelbecher auf das Jahr 1807 datiert werden. Der Dargestellte bleibt leider anonym. Weder Kleidung, Frisur noch Attribute lassen Rückschlüsse auf den Stand des Dargestellten zu. Der Maler könnte zum Umfeld von Georg Emanuel Opiz (1775– 1841) gehören, der 1798 in Karlsbad begonnen hatte, Porträts von wohlhabenden Kurgästen zu malen.46 Das Werk kann zudem als ein frühes Beispiel für das eigene Porträt gleichsam als Souvenir des Kuraufenthalts gelten, was u. a. einen Aspekt des modernen Tourismus darstellt.

45

Andrea M. Kluxen, Das Ende des Standesporträts. Die Bedeutung der englischen Malerei für das deutsche Porträt 1760–1848, München 1989, S. 95f. 46 Andreas Stolzenburg, Art. „Opiz, Georg Emanuel“, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 554f.

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In Bad Homburg spielte der eigentlich in Frankfurt wohnhafte Maler Heinrich Georg Michaelis (1837–1915) eine herausragende Rolle.47 Spätestens ab 1888 betrieb er ein Atelier mitten in den Kuranlagen von Bad Homburg und spezialisierte sich ebenfalls auf Porträts.48 Wie das Lokalblatt 1897 berichtete, entwickelte sich sein Atelier rasch zu einem „Anziehungspunkt für alle Kunstfreunde“. Stets waren hier: „eine Reihe prachtvoller Neuheiten ausgestellt […] und jedem Besucher unentgeltlich zugänglich gemacht. – Das Neueste vom Neuen ist ein lebenswahres, wohlgetroffenes Portrait unseres derzeitigen Kurdirektors, Freiherrn [Axel] v. Maltzahn [1863–1917]. [Und …] neben vielen anderen trefflichen Erzeugnissen der hohen Kunst des Meister Michaelis [bot das Haus] auch das herrlichste Portrait-Album aller vornehmen Besucher unseres Badeortes.“49

Wahrscheinlich fertigte Michaelis aber schon vorher Porträts von Kurgästen an, wie etwa im Jahr 1885 jene des schottischen Ehepaares Arthur (1833–1900) und Katherine Louisa (geb. 1837) Hay Drummond, das öfters in Bad Homburg kurte. Die Bilder hängen heute in der Bibliothek von Innerpeffray in der Nähe von Perth, die ein Vorfahre der Drummonds Ende des 17. Jahrhunderts gestiftet hatte.50 Oft nutzte Michaelis Fotografien als Vorlagen für seine Gemälde, die zuvor etwa im Atelier von Thomas Heinrich Voigt (1838–1896) aufgenommen worden waren.51 Die Nutzung fotografischer Vorlagen hatte sich bereits mit den ersten Daguerreotypien rasch unter den Malern verbreitet.52 Diese moderne Technik der Fotografie 47

Holger Th. Gräf, Heinrich Georg Michaelis (1837–1915). Der Portraitist der Homburger Kurgesellschaft im Kaiserreich, in: Peter Lingens (Red.), Gesichter und Geschichten. Portraits aus 4 Jahrhunderten, Petersberg 2014, S. 100–115; Ders., Art.: „Michaelis, Heinrich Georg, dt. Porträtmaler“, in: Allgemeines Künstlerlexikon 89 (2016), S. 315–316. 48 Plan zu einer nicht ausgeführten Erweiterung des Ateliers 1888, StadtA Bad Homburg, Sign. C 02-1176. Auf das 1899 ebenfalls in den Kuranlagen geplante Atelier hinter dem Kaiser-Wilhelms-Bad des aus Südafrika stammenden, an den Akademien von Hannover, Berlin und Brüssel ausgebildeten und seit 1891 in München tätigen, auf Porträtbüsten spezialisierten Bildhauers Julius Jordan (1864–1907) sei der Vollständigkeit halber hingewiesen; StadtA Bad Homburg, Sign. A 03-786; Ulrich Thieme/ Felix Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, Bd. 19, Leipzig 1926, S. 160. 49 Taunusbote Nr. 166 (18. Juli 1897). 50 Vgl. Art UK, https://www.artuk.org/discover/artworks/arthur-hay-drummond-18331900-128745 [Stand: 23.03.2021]. 51 Vgl. „Fotograf Voigt, Kaiser-Friedrich-Promenade 61a“, in: Orte der Kur. Gebäude, Institutionen und Stätten zur Kur- und Badekultur in Bad Homburg, http://www.lagis-hessen.de/de/odk/record/ id/1224 [Stand: 02.07.2014]. Thomas Heinrich war der Sohn des letzten Homburger Hofmalers Johann Heinrich Voigt; vgl.: Peter Lingens, Zu Johann Friedrich Voigts Familie und zum Verbleib des künstlerischen Nachlasses, in: Im Dienste des Hofes. Der Hessen-Homburger Hofmaler Johann Friedrich Voigt (1792–1817), Katalog zur Ausstellung im Städtischen historischen Museum/Museum Gotisches Haus, 9. September 2017 – 7. Januar 2018, S. 92–101. 52 Vgl. Lenman, Artists, S. 83–86. Diese neue Technik fand auch früh Beachtung unter dem „kunstsinnigen Publikum“ in Homburg. Bereits im August 1840, also genau ein Jahr nachdem dieses Verfahren von dem Physiker François Arago in einer gemeinsamen Sitzung der Pariser Akademien der Wissenschaften und der schönen Künste der Öffentlichkeit präsentiert worden war (vgl. Bulletin de la Société d‘encouragement 38 (1839), S. 325–349), wurden im „Saale des hiesigen Brunnenhauses eine Anzahl höchst gelungener Daguerr’sche[r] Lichtbilder zu Ansicht ausgestellt, so wie gleichzeitig mit

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hatte den Vorteil, dass die Kunden nicht stunden- oder gar tagelang dem Porträtisten sitzen mussten. Michaelis gehörte zweifellos nicht zu dem damaligen elitären Kreis der sogenannten Fürstenmaler, also etwa Franz Xaver Winterhalter (1805–1873)53, Wilhelm von Kaulbach (1805–1874) oder Franz von Lenbach (1836–1904), der ebenfalls mit fotografischen Vorlagen arbeitete54, doch orientierte sich Michaelis Kunst durchaus an diesen Größen des Fachs. Deutlich erkennbar ist dies beispielsweise an dem ihm zugeschriebenen Porträt der Frankfurter Bankierstochter Mathilde Metzler (1870–1920), die er 1888/89 als Debütantin ebenfalls nach einer Fotografie malte.55 Michaelis empfing in seinem Homburger Atelier auch Angehörige des Hoch­ adels. So beschrieb der thailändische König Chulalongkorn (1868–1910) anlässlich seines Aufenthaltes in Homburg im Sommer 1907 das Procedere und den Kontakt zu den örtlichen Fotografen und vor allem zu Michaelis, was allerdings nicht unproblematisch verlief und in einem Eklat endete.56 Das Porträt wurde offenbar nicht vollendet bzw. von Chulalongkorn nicht akzeptiert und tauchte daher noch acht Jahre später als der „König von Siam, sitzend, Leinw. 109/90“57 im künstlerischen Nachlass von Michaelis auf. Da die Porträts von Michaelis meist in Privatbesitz kamen, sind bis heute nur wenige bekannt und noch wenigere publiziert. Die überlieferten bzw. über zeitgenössische Berichte bekannten Porträts machen auf jeden Fall deutlich, dass er zum einen die „Homburger Kurgesellschaft“ porträtierte, zum anderen auch Bildnisse des Kaiserpaares und von Angehörigen des Hochadels in seinem Atelier anbot.58 Die ebenfalls in Bad Homburg tätige Malerin Elisabeth Born (1862–1954) wirft in mancherlei Hinsicht ebenfalls ein Licht auf die damalige Kunstszene in der Stadt.59 Sie kam als Tochter eines an der Bürgerschule tätigen Lehrers zur Welt und erhielt ihre Ausbildung zur Malerin an der Städelschule in Frankfurt und in München. Born konzentrierte sich wie Michaelis früh auf die Porträtmalerei. Da sich auch die meisten ihrer Bilder in Privatbesitz befinden, sind nur wenige bekannt bzw. publider Daguerreotype [operiert …]. Kunstfreunde sind eingeladen, dieser Darstellung und ausführlichen Erklärung über das Entstehen dieser Bilder gefälligst beizuwohnen.“ Homburger Kur- und Badeliste 8 (1840), S. 16. 53 Franz X. Winterhalter kam 1859 von Paris aus nach Bad Homburg. 54 Christian Drude, Das „Lichtwunder“ in der „Malfabrik“: die Kunst der fotografischen (Selbst-) Inszenierung, in: Baumstark, Lenbach, S. 178–207. 55 Die Fotografie aus Privatbesitz ist abgedruckt bei: Wörner, Frankfurter Bankiers, S. 123. Zum Gemälde (Städt. Hist. Museum Bad Homburg, Inv. Nr. 2014/219), vgl. Ursula Grzechca-Mohr, Das Damenporträt als private Auftragsarbeit, in: Lingens (Hg.), Gesichter und Geschichten, S. 76–88, hier S. 80f. Die Familie (seit 1901: von) Metzler hielt sich ausweislich der Kurlisten ab 1838 regelmäßig in Bad Homburg auf. 56 Glai baan – Fern von Zuhause. König Chulalongkorns Reisetagebuch 1907, übers. v. Ampha Otrakul, Berlin 2007, S. 132, 148, 157f. 57 Rudolf Bangel (Hg.), Verzeichnis über Gemälde meist moderner Meister, dabei der Nachlass Hch. Michaelis †, Frankfurt a. M., (Rudolf Bangel’s 906. Katalog), FFrankfurt a. M. 1915, S. 9, Nr. 98. Heidelberger historische Bestände – digital. Verkaufs- und Lagerkataloge – digital, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bangel1915_09_21 [Stand: 30.06.2014]. 58 Vgl. den Bericht in der Lokalzeitung Taunusbote Nr. 166 (18. Juli 1897). 59 Gerta Walsh, Bemerkenswerte Frauen in Homburg, Frankfurt a. M. 1995, S. 79f.

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Abb. 4: Postkarte Atelier Elisabeth Born, gelaufen 1909. Quelle: StadtA Bad Homburg, Sign. S 07 000999.

ziert.60 Wie der Postkartenblick in ihr Atelier zeigt, verließen aber nicht nur Porträts der Kurgäste, sondern auch orientalische Bildnisse, Stillleben und Ortsansichten von Homburg ihre Staffelei. Neben der Malerei erteilte sie in ihrem Atelier zudem Malund Zeichenunterricht für die Kurgäste. Neben den ansässigen Malern werden auch auswärtige Künstler ihren Aufenthalt in Homburg genutzt haben, um Kontakte zu potenziellen Auftraggebern zu knüpfen. Dies galt für die Besuche von Matthäus Merian d. Ä. (1593–1650) in (Langen-) Schwalbach in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ebenso wie für die Aufenthalte der Tischbeins in Bad Pyrmont während des 18. Jahrhunderts.61 Für 1810 wird zu Wiesbaden berichtet, dass es insbesondere während der Saison Künstler an den Ort zog, namentlich „Miniaturporträtmaler, Porträtmaler, Zeichenlehrer [und] Silhouettenschneider.“62 Da die Auftragsvergabe meist mündlich erfolgte bzw. eventuelle schriftliche Vereinbarungen kaum ihren Weg in ein Archiv gefunden haben, bleibt der Nachweis im Detail jedoch schwierig. Auf jeden Fall werden in den Kurlisten 60

Grzechca-Mohr, Damenporträt, S. 82f. Lucas Heinrich Wüthrich, Matthaeus Merian d. Ä.: eine Biographie, Hamburg 2007, S. 158f., 197f.; Reinhold P. Kuhnert, Urbanität auf dem Lande. Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert, Göttingen 1984, S. 218f. 62 Fuhs, Mondäne Orte, S. 209. 61

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Abb. 5: Thomas Heinrich Voigt, H. J. Thaddeus, Homburg 1899. Das von Thaddeus handsignierte Porträt des „Kgl. Hofphotographen“ Voigt zeigt den „Court Painter“ an der Staffelei und dürfte als Werbung für seine Tätigkeit in Homburg gedient haben. Quelle: StadtA Bad Homburg, Sign. S 05 009091.

von Bad Homburg zwischen 1846 und 1914 immerhin rund 250 Gäste als Maler, gelegentlich sogar spezifiziert als Kunst-, Porträt- oder Landschaftsmaler genannt. Ihre tatsächliche Zahl lag wahrscheinlich höher, da die Berufsangabe keineswegs obligatorisch war. Insbesondere bei den Porträtmalern dürften Aufträge von anderen Kurgästen eine Rolle gespielt haben, etwa bei Daniel Macnee (1806–1882), einem der bedeutendsten schottischen Porträtisten des 19. Jahrhunderts, der 1870 in Homburg zu Gast war oder bei seinem aus dem irischen Cork stammenden Kollegen Henry Jones Thaddeus (1860–1929), der sich ab 1895 mehrfach zur Saison im Juli bis September in Homburg aufhielt. In seinen Memoiren berichtet Thaddeus, dass er einige Räume anmietete „one of which could be utilised as a studio, and that year, as well

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as succeeding years, painted a number of portraits there.“63 Beide malten Hunderte von Porträts – von englischen Landgeistlichen über Industrielle und Wissenschaftler bis hin zu Angehörigen des europäischen Hochadels, ja selbst des ägyptischen Khedives. Thaddeus schuf auch eines der damals wohl glamourösesten Damen der New Yorker Gesellschaft, Rita Acosta Stokes Lydig (1875– 1929), die auch selbst als passionierte Sammlerin hervortrat.64 Über die an ihren eigenen Porträts interessierten Gäste hinaus, spielten die Sammler, Mäzene und Kunsthändler unter den Besuchern eine erhebliche Rolle für den lokalen bzw. regionalen Kunstmarkt. Von den stichprobenartig erhobenen Namen von rund vierzig Personen, die im Zusammenhang mit der „Blütezeit bürgerlichen Sammelns“65, also der Zeit zwischen 1850 und 1914, in Berlin genannt werden, taucht immerhin die Hälfte in den Homburger Kur- und Badelisten auf. Zu den frühesten und gleichzeitig wichtigsten Figuren ist in diesem Zusammenhang der Diplomat, Sammler und auch als Kunstautor hervorgetretene Athanasius Graf Raczyński (1788–1874) zu nennen.66 Er sammelte zunächst hauptsächlich italienische Maler der Renaissance und des Barock, später auch zeitgenössische deutsche Maler. Für die Errichtung einer Galerie schenkte ihm der preußische König ein Grundstück am Berliner Königsplatz unter der Bedingung, dass er seine Bilder öffentlich zugänglich machte. Das „Palais Raczynski“ entstand 1842–1844, wurde aber für den Bau des Reichstages nach seinem Tod abgerissen. In den 1860er Jahren wird er dreimal in den Kurlisten genannt. Angehörige der Familie von der Heydt werden zwischen 1846 und 1914 rund sechzigmal in den Kurlisten erwähnt, darunter auch die zentrale Figur des Bankiers und Mäzens August Freiherr von der Heydt (1851–1929), dessen Sammlung nach dem Zweiten Weltkrieg in das 1961 nach der Familie benannte Kunstmuseum in Wuppertal-Elberfeld einging. Auch der bedeutende Zeitungsverleger Rudolf Mosse (1843–1920) weilte 1889 und 1912 in Bad Homburg. Am Ende seines Lebens besaß er mehr als 400 Werke, insbesondere von deutschen Impressionisten. Ebenfalls zu den wichtigsten Mäzenen und Stiftern in Berlin gehörten die beiden Vettern Eduard Georg Simon (1864–1929) und vor allem James Simon (1851–1932), die zwischen 1897 und 1914 jeweils sechsmal in den Kurlisten genannt werden.67

63

Henry Jones Thaddeus, Recollections of a Court Painter, London/New York 1912, S. 239–253, Zitat S. 241, Porträt Lydig nach S. 250. 64 William R. Valentiner (Hg.), Illustrated Catalogue of the Rita Lydig Collection, New York 1913. Wilhelm Reinhold Valentiner (1880–1958) war ein ehemaliger Assistent von Wilhelm von Bode in Berlin und 1907 auf dessen Empfehlung Kurator am Metropolitan Museum of Art in New York geworden; Marco M. Mascolo, Wilhelm Reinhold Valentiner (1880–1958): Connoisseurship, collezionismo e museografia, in: Francesco Caglioti/Andrea De Marchi/Alessandro Nova (Hg.), I conoscitori tedeschi tra Otto e Novecento, Mailand 2018, S. 273–286; Thamer, Kunst, S. 131. 65 Thamer, Kunst, S. 123–191. 66 Zu ihm zuletzt Uta Kaiser, Sammler, Kenner, Kunstschriftsteller. Studien zur „Geschichte der neueren deutschen Kunst“ (1836–1841) des Athanasius Graf Raczyński, Hildesheim 2017. 67 Kuhrau, Kunstsammler, insbesondere S.  9–24 zur Villa „Eduard Simon“. James Simon schenkte 1914 bzw. 1920 den Berliner Museen zusammen mit seiner ägyptischen Sammlung auch die Nofretete, die bei der von ihm finanzierten Grabung in Tell Amarna gefunden worden war. Seine letz-

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Neben diesen Exponenten des Berliner Mäzenatentums tauchen auch herausragende Namen der rheinischen Sammler- und Stifterszene in Homburg auf. So hielten sich zwischen 1875 und 1897 mehrere Angehörige der Aachener Familie von Barthold Suermodt (1818–1887) mindestens sechsmal in Homburg auf, die vor allem Niederländer sammelten.68 Zwischen 1886 und 1916 sind die Familie bzw. einzelne Angehörige der Familie Flechtheim 16-mal in Homburg zu Gast, darunter auch die Eltern und wahrscheinlich der junge Alfred Flechtheim (1878–1937), der bereits um die  Jahrhundertwende als Sammler in Erscheinung trat und einer der wichtigsten Förderer avantgardistischer Kunst in der Weimarer Republik werden sollte.69 Um nur einen Vertreter der amerikanischen Sammlerszene zu nennen, sei der Industrielle Henry Clay Frick (1849–1919) erwähnt. Er war in Kooperation mit dem Stahlmagnaten und Philanthropen Andrew Carnegie (1835–1919) in den 1870er Jahren mit Koks reich geworden. Beide hielten sich öfter in Homburg auf, Carnegie erstmals 1872, Frick 1887. Seine umfangreiche Sammlung bildete den Grundstock der Frick Collection in New York. Gerne wüsste man mehr über den in den 1850er und 1860er Jahren in den Kurlisten genannten „Gemälde-, Kunst- und Antikenhändler“ Ernst Blondin aus Paris oder den 1878 aus New York angereisten „Kunst-Importeur“ David V. Zoller, um nur zwei der rund drei Dutzend Kunsthändler zu nennen, die als solche in den Kurlisten geführt werden. Leider sind sie biografisch nur sehr schwer zu fassen. Diese Personen werden vielleicht auch Michaelis und weniger bekannte Künstler in Homburg besucht haben, doch im Wesentlichen dürften sie an den öfter hier stattfindenden Ausstellungen, Salons und vor allem den Auktionen interessiert gewesen sein. Über einzelne Verkäufe erfährt man freilich nichts, aber die Orte des Konsums und welches Angebot die Gäste in Bad Homburg erwarten konnten, lässt sich zumindest konturieren.

4. Angebot und Orte des Konsums Es ist bekannt, dass auswärtige wie einheimische Kaufleute und Händler im weitesten Sinne früh die Nähe des kaufkräftigen Kurpublikums suchten. Bereits in der nach einer Zeichnung von Valentin Wagner (um 1610–1655) gestochenen großformatigen Ansicht des „Dorffs Hornhausen“ von Matthäus Merian d. Ä. (1593–1650) sind Ende der 1640er Jahre im Vordergrund zahlreiche Handeltreibenden dargestellt, darunter eine Buchhändlerin, die bestimmt auch Kupferstiche im Angebot te öffentliche Intervention war ein Brief an den preußischen Kultusminister, in dem er sich für die Rückgabe der Nofretete-Büste an Ägypten verwendete. 68 Vgl. Thomas Fusenig (Hg.), Suermondt-Ludwig-Museum Aachen. Bestandskatalog der Gemäldegalerie Niederlande 1550–1800, München 2006. 69 Ottfried Dascher/Rudolf Schmitt-Föller, Alfred Flechtheim: Sammler, Kunsthändler, Verleger, Wädenswil 2011.

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Abb. 6: Inserat in der Liste der Homburger Kur- und Badegäste. Quelle: Ebd., 1842, Nr. 9, S. 44.

hatte.70 Johann Philipp Seip (1686–1757), der damals führende Badearzt in Pyrmont, einem der Modebäder des 18.  Jahrhunderts, schreibt, der Ort sei während 70

Vgl. Ulrike Fuss, Badetreiben in Hornhausen, in: Holger Th. Gräf/Helga Meise (Hg.), Valentin Wagner – Ein Zeichner im Dreißigjährigen Krieg. Ausst.-Kat. Hess. Landesmuseum in Darmstadt 13. Februar–20. April 2003, Marburg 2003, S. 355.

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der Sommersaison geradezu „wie ein beständiger Jahrmarkt oder Messe, […]. Man findet auf beyden Seiten der Allee um das Brunnenhaus, auch hin und wieder auf der Neustadt die Buchladen, Buden mit Silberwaaren, Zinn, Porcellan, seidenen und andern Stoffen, Gemälden [!], und alle Arten von Galanteriewaaren.“71 Derartige „ambulante Händler“ unmittelbar in den Kuranlagen kennt man in Homburg rund 100 Jahre später wohl nicht mehr. Ob es aber Verkaufsstände für Gemälde direkt bei den Brunnen und in den sonstigen Kureinrichtungen gab, wie dies etwa Friedrich Christian Reinermann (1764–1835) in den 1820er Jahren für den Kesselbrunnen in Bad Ems festhielt, ist fraglich. Spätestens mit der Verkaufsausstellung, die im Juli 1842 – also bereits wenige Jahre nach dem Beginn des Kurbetriebs – in der Buchhandlung von Louis Schick (1803– 1874) stattfand und in den Kurlisten annonciert wurde, wird ein Niveau ersichtlich, das den Geschmack des vornehmen und kaufkräftigen Publikums widerspiegeln dürfte.72 Werden mit Antonio da Correggio (1489–1534) ein bedeutender Maler der italienischen Renaissance und mit Annibale Carracci (1560–1609) ein hervorragender Vertreter der frühen Barockmalerei benannt, so dürften sich insbesondere englische Kurgäste für die Werke von Hans Holbein d. J. (1497/98–1543) interessiert haben. Mit Alexander Adriaenssen (1587–1661), Adriaen Brouwer (1605–1638) und David Teniers (1610–1690) wird ein Schwerpunkt in der flämischen Genre- und Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts deutlich, in deren Tradition auch der ebenfalls vertretene, in Frankfurt tätige Johann Georg Trautmann (1713–1769) arbeitete. Da der Verkauf „en bloc ou en détail“ angeboten wurde, hoffte man wahrscheinlich auf einen potenten Sammler. Leider sind die Werke der durchaus wohlklingenden Malernamen nicht genauer benannt und von daher nicht zu identifizieren. Weitaus besser überliefert sind die Informationen zur Versteigerung der Sammlung des Freiherrn Carl C. V. von Mergenbaum (1778–1845), die auf dessen rund 45 Kilometer südöstlich von Bad Homburg gelegenen Hofgut Nilkheim stattfand. Für unseren Zusammenhang ist zunächst wichtig, dass diese, laut Vorwort im Katalog, von einem Frankfurter Nachlassverwalter durchgeführte Auktion in Bad Homburg beworben wurde.73 Dies darf als ein deutliches Indiz gelten, dass man bereits gut zehn Jahre nach dem Beginn des Kurbetriebes den Ort als potenziellen Kunstmarkt offenbar ernst nahm. Der 1846 in Frankfurt gedruckte Katalog war in dem mittlerweile zur „Buch- und Kunsthandlung“ avancierten Geschäftslokal von Louis Schick zu erhalten. Offenbar erhoffte man sich, unter den Kurgästen Interessenten für die auf länger als eine ganze Woche angesetzte Auktion zu gewinnen. Ob man damit Erfolg hatte, muss freilich offenbleiben. Interessant ist der im „Karlsruher Virtuellen Katalog“ (KVK) lediglich in der Bayerischen Staatsbibliothek nachgewiesene Auktionskatalog 71

Johann Philipp Seip, Beschreibung der Pyrmontischen Mineralwasser und Stahlbrunnen, Hannover und Pyrmont 1750, S. 36. Ich danke Frau Elisabeth Burk, Münster/W. für diesen Hinweis. 72 Der aus einer Homburger Familie stammende Louis Schick hatte erst im Jahr zuvor in der Louisenstraße 73 eine Buchdruckerei mit einer Buchhandlung eröffnet. Vgl. Taunusbote (27.05.1891), S. 2. 73 Verzeichniß einer bedeutenden und höchst werthvollen Sammlung von Oelgemälden aus der Verlassenschaft des verstorbenen Freiherrn Carl von Mergenbaum [...] welche [...] auf dem Hofgute Nilkheim [...] versteigert werden soll, Frankfurt a. M. 1846, http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10728690-6 [Stand: 13.02.2021].

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Abb. 7: Friedrich Christian Reinermann (1764–1835), Gemäldeverkaufsstand im Kesselbrunnen in Bad Ems, Lithografie um 1820/30. Quelle: Museum Bad Ems.

aber nicht allein deshalb, weil er aus der Privatbibliothek des bayerischen Königs Ludwig I. (1786–1868) stammt, sondern weil darin die Gemälde genauer beschrieben sind und die erzielten Preise handschriftlich eingetragen wurden. Zunächst ist festzustellen, dass von den annähernd 500 Gemälden lediglich 16 keinen Käufer fanden. Insgesamt wurde ein Erlös von 23.300 Gulden erzielt, was nach heutiger Kaufkraft rund 330.000 Euro entspricht. Bei den erzielten Preisen ist wiederum eine deutliche Vorliebe für die Niederländer festzustellen. Unangefochtener Spitzenreiter war ein, leider nicht genauer zu identifizierendes Bild von Philips Wouwerman (1619–1668), das für 2.300 Gulden den Zuschlag erhielt.74 Bartolomé Esteban Murillo (1618–1682), ein spanischer Zeitgenosse Wouwermans, erfreute sich bedeutend geringerer Beliebtheit und war für 74

Ebd., S. 44.

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40 Gulden zu haben. Allerdings dürfte es sich bei seinem „Brustbild einer Sarazenin“75 nicht um das berühmte „Blumenmädchen“ gehandelt haben, das sich bereits seit 1811 in der Londoner Dulwich-Collection befindet, sondern um eine Kopie des frühen 19. Jahrhunderts, ähnlich jener, die gegenwärtig von der Kunsthandlung Etienne Thuriet in Chartres angeboten wird.76 Damals noch nicht entdeckt war offensichtlich Georg Flegel (1566–1638), der heute als einer der bedeutendsten deutschen Stilllebenmaler der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gilt.77 Gerade einmal gut fünf Gulden, also rund 70 Euro, erlöste sein Bild „Blumen stehen in einem rothen Topfe, dabei ein Ring, ein Frosch, ein Kelch und zwei Birnen“.78 Bei dem Werk handelte es sich höchstwahrscheinlich um das in Privatbesitz befindliche und erstmals 1993 publizierte Gemälde „Blumenstilleben mit Pokal“.79 Die Vermutung, dass Homburg damals über die Stadtgrenzen hinaus als Kunstmarkt bzw. Hotspot potenzieller Käufer galt, wird durch die zahlreichen auswärtigen Veranstalter, insbesondere solche aus Frankfurt, bestärkt. Sie schalteten nicht nur Inserate in den Kurlisten, sondern führten auch selbst Auktionen und Verkaufsausstellungen in Bad Homburg durch. Beispielsweise bot 1888 der in Hannover ansässige Kunsthändler Friedrich Schafraneck 168 „Original-Oelgemälde moderner Künstler“ in der Weinhandlung Mähler80 in der Louisenstraße, direkt gegenüber dem Kurhaus an, „worunter die bedeutendsten Meister der Jetztzeit“ vertreten waren.81 Im Jahr darauf veranstaltete wiederum Schafraneck in der Orangerie im Kurpark eine Kunstausstellung, allerdings ohne Verkauf, deren Eintrittsgelder zur Errichtung eines Denkmals des im Jahr zuvor verstorbenen Kaisers Friedrich III. (1831–1888) gedacht waren.82 Gezeigt wurde unter anderem „Der Frühling“ (370 x 630 cm), das großformatige, heute in der Salzburger Neuen Residenz befindliche letzte Gemälde des 1884 verstorbenen Hans Makart.83

75

Ebd., S. 55. The Flower Girl, https://www.dulwichpicturegallery.org.uk/explore-the-collection/151-200/ the-flower-girl/ [Stand: 08.03.2021]; Portrait D A Young Woman In Turban, https://www.proantic. com/en/display.php?id=532229 [Stand: 08.03.2021]. 77 Kurt Wettengl (Bearb.), Georg Flegel (1566–1638), Stilleben. Katalog zur Ausstellung des Historischen Museums Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 18. Dezember bis 13. Februar 1994, Stuttgart 1993. 78 Verzeichniß Sammlung Mergenbaum, S. 47. 79 Wettengl (Bearb.), Georg Flegel, S. 128, Nr. 42. Die Größe weicht allerdings etwas ab. Wobei man in Rechnung stellen muss, dass in dem Auktionskatalog bei den Größenangaben der Rahmen mitgerechnet worden ist. 80 „Louisenstraße 61, Hauptgebäude“, Digitales Gebäudebuch Bad Homburg, https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/dgb/id/232 [Stand: 14.02.2021]. 81 Homburger Kur- und Badeliste 37 (1888), S. 359. Sein Geschäftslokal befand sich damals in der Innenstadt von Hannover in der „Lange[n] Laube“; Adreßbuch, Stadt- und Geschäftshandbuch der Königlichen Residenzstadt Hannover und der Stadt Linden, http://digitale-sammlungen.gwlb.de/ resolve?PPN=810649993_1888 [Stand: 10.03.2021], S. 692. 82 Das Denkmal wurde 1890 in Auftrag gegeben und mit weiteren Spenden finanziert, 1892 eingeweiht; Grosche, Geschichte, S. 259–261. 83 Salzburg Museum, Inv.-Nr. SS 1-73. 76

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Neben den Ausstellungen auswärtiger Kunsthändler und Maler in diversen Buchhandlungen und Ladengeschäften,84 fanden hochkarätige Auktionen und Verkaufsausstellungen auch im Homburger Kurhaus selbst sowie in der erwähnten, 1844 errichteten Orangerie in der Nähe des Elisabethenbrunnens statt. So wird 1899 auf die alljährlich stattfindende Gemäldeausstellung im Prinzensaal des Kurhauses hingewiesen, auf der „ca. 100 Werke der bekanntesten deutschen und ausländischen Meister“ zu sehen waren, die „sämmtlich verkäuflich“ waren.85 Höhepunkte dürften allerdings die Auktionen gewesen sein. Die Versteigerung der Sammlung de Wellens 1868 etwa wurde sogar in der „Kunstchronik“ annonciert.86 Veranstalter war bemerkenswerterweise der Frankfurter Kunstverein. Wie bereits erwähnt, erwarb allein der Spielbankbetreiber François Blanc (auf dieser Auktion rund 80 Gemälde für gut 21.600 Gulden, die in der überlieferten Liste leider nicht weiter spezifiziert sind.87 Für 180 Gulden ersteigerte der Frankfurter Kunstverein ein kleinformatiges Gemälde des in Frankfurt tätigen und aus einer bedeutenden fränkischen Künstlerfamilie stammenden Georg Karl Urlaub (1749–1811) für das Städelmuseum.88 Eine besondere Rolle im kurstädtischen Kunstmarkt kam ab Mitte der 1880er Jahre dem italienischen Maler Hermann (David Salomon) Corrodi (1844–1905) zu.89 Aufgrund seiner Studienreisen nach Nordafrika und in das Osmanische Reich galt er als einer der führenden Vertreter des Orientalismus. Besonders großes Ansehen genoss er im englischen Königshaus und erteilte u. a. der Prinzessin Alexan­ dra (Alix) von Wales (1844–1925), der Gemahlin des späteren Königs Edward VII. (1841–1910), Zeichenunterricht.90 Corrodi lebte zwar meist in Rom bzw. in Frascati, richtete aber für mehrere Jahre Sommer-Ateliers in Baden-Baden und Bad Homburg ein, wo er unter der Aristokratie seine bevorzugten Käufer fand. Sein befreundeter irischer Malerkollege Thaddeus charakterisierte ihn als „persona gratissima with most of the royalties of Europe“.91 In Bad Homburg hielt er sich von 1884 bis ein Jahr vor seinem Tod fast jährlich auf. Zunächst residierte Corrodi in den besten Hotels und ab 1894 im Direktorialbau bzw. dem Kurhaus, wo auch seine Salons

84

Erwähnung verdient hier u. a. die Auktion einer „grosse[n] Sammlung Oelgemälde Düsseldorfer Schule“, die am 17. August 1869 im Ladengeschäft des Materialisten Carl Kreh in der Louisenstraße 69 „vis-á-vis dem Theater“ durchgeführt wurde. Homburger Kur- und Badeliste 59 (1869), Beilage ohne Seitenzählung. 85 Amtliche Homburger Kur- und Badeliste Nr. 21 (1899), S. 144. 86 Kunstchronik 3 (1868), S. 192. 87 Liste der Gemälde, die François Blanc von Frau de Wellens ersteigert hat, 25. Sept. 1868, StadtA Bad Homburg, Sign. E 002-420. 88 Georg Karl Urlaub, Eine Hausfrau rechnet mit ihrer Magd ab, 1798, Frankfurt, Städel Museum, Inv. Nr. 1052. 89 Vgl. Saur – Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, mitherausgegeben und begründet von Günter Meißner, Bd. 21, München 1999, S. 326. 90 Vgl. H. Corrodi, Queen Victoria (1819–1901) on the Terrace of Villa Palmieri c.1894–7, https:// www.rct.uk/collection/404839/queen-victoria-1819-1901-on-the-terrace-of-villa-palmieri [Stand: 19.03.2021]. 91 Thaddeus, Recollections, S. 76.

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stattfanden.92 Sein Bild des Hl. Brunnens vor der Omar-Moschee (Felsendom) in Jerusalem erwarb beispielsweise Kaiser Wilhelm II. im September 1892 nachweislich in Corrodis Homburger Atelier.93 Angesichts der großen Beliebtheit, die Homburg aufgrund der dynastischen Verbindungen des Landgrafenhauses gerade bei den englischen Gästen genoss, wurde diese Besuchergruppe auch mit bestimmten Ausstellungen und Auktionen besonders adressiert. So führte beispielsweise der Homburger Antiquitätenhändler, Auktionator und vereidigte Sachverständige Wilhelm Heinrich Glücklich (1837–1912) im August 1890 in der Orangerie eine Auktion mit 300 Ölgemälden „by only celebrated masters“94 durch, die sich gezielt an englische Gäste wandte. Tatsächlich unterhielt Glücklich zunächst ab 1866 eine Repräsentanz in dem hauptsächlich von Engländern frequentierten „Hotel Victoria“ in der Louisenstraße 91–93, bevor er in den 1880er Jahren wenige Häuser nebenan seine Antiquitäten- und Kunsthandlung einrichtete.95 Auch die Annonce, die 1886 den Verkauf einer „private collection of old and modern masters“ ankündigte, richtete sich an englische Kunden und hob insbesondere ein Porträt Oliver Cromwells von Peter Lely (1618–1680) heraus.96 Als Verkaufslokal wird das Anwesen des im Jahr zuvor verstorbenen Antiquitätenhändlers Anton Theodor Haselhuhn (1844–1885) in Gonzenheim, einem südöstlichen Vorort von Bad Homburg angegeben.97 Und schließlich wurde eine große Verkaufsausstellung in der Orangerie mit „German masters“ entsprechend prominent mit Franz von Lenbachs letztem Porträt des englischen Premierministers William Ewart Gladstone (1809–1898) beworben.98 Vermutlich handelte es sich um das 1886 gemalte und heute in Privatbesitz befindliche Bild. Welche Dynamik sich in diesem kurstädtischen Kunsthandel entwickeln konnte, lässt sich am Beispiel des Gemäldes „Der sterbende Heiland“ des meist in Wien tätigen Künstlers Emil Pirchan (1844–1928) aufzeigen. Das Bild entstand wahrscheinlich Mitte der 1870er Jahre während Pirchans Studienreise in Rom und galt damals

92

Ebd., S. 248. Teresa Sacchi Lodispoto/Sabrina Spinazzè, Hermann Corrodi (1844–1905). Italy and the East – Enchantment and Fascinations of a Nineteenth Century Traveler, Ausstellungskatalog Rom, Galleria Berardi, 10. Nov.–1. Dez. 2016, Rom 2016, S. 123; Kunstchronik NF 4 (1893), S. 46. Das Bild kam 2017 bei Sotheby’s zum Schätzpreis von 80.000–120.000 £ zur Versteigerung. Hermann Corrodi, Italian, The Dome of the Rock, Jerusalem, http://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/ lot.3.html/2017/the-orientalist-sale-l17100 [Stand: 14.02.2021]. 94 Homburger Kur- und Badeliste 49 (1890), S. 465. 95 Zu seinem Antiquitätengeschäft: „Louisenstraße 99, Hauptgebäude“, in: Digitales Gebäudebuch Bad Homburg, https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/dgb/id/278 [Stand: 14.02.2021]. Vgl. auch seine Announce in: Fritz Schick (Hg.), Guide to Homburg and its Vicinity, the Upper Taunus, […], and Frankfort on Main, 12. revidierte Auflage, Bad Homburg 1891, S. 119, sowie Adressbuch der Stadt Homburg vor der Höhe, Bad Homburg 1912/13, Stadtbibliothek Bad Homburg, Sign. HBG 357/15, o. S. 96 Homburger Kur- und Badeliste 43 (1886), S. 406. 97 Heinz Humpert, Familienbuch Gonzenheim, Bd. 1, Gonzenheim 2011, S. 813, Nr. 1930. 98 Homburger Kur- und Badeliste 48 (1890), S. 446. 93

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Abb. 8a: Inserat in der Homburger Liste der Kur- und Badegäste. Quelle: Ebd., 1890, Nr. 48, S. 446.

Abb. 8b: Franz von Lenbach, William Ewart Gladstone, Öl auf Leinwand 1886. Quelle: Privatbesitz, gemeinfrei (Wikipedia).

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als Hauptwerk des Künstlers.99 Es zeigt den „sterbenden Christus“ und erregte insbesondere durch „die malerische Täuschung, […] dass nämlich die Augen des Christuskopfes, aus verschiedenen Abständen gesehen, geschlossen oder geöffnet erscheinen“100 große Aufmerksamkeit. Wie der flankierenden Berichterstattung im Homburger Lokalblatt am 5. August 1877 zu entnehmen war, wurde das Bild in über 30 Sonderausstellungen in Deutschland gezeigt, u. a. in Dresden, Köln sowie Düsseldorf, und von mehr als 50.000 Besuchern gesehen.101 So war es schließlich ab Ende Juli 1877 im Vestibül des Kurhaustheaters gegen einen Eintritt von immerhin einer Mark (heute etwa 15 Euro) zu besichtigen.102 Besitzer war der Wiener Julius Migotti, der mit seinem Neffen in dieser Zeit in der Kurliste genannt wird. Das Gemälde fand offenbar zahlreiche Bewunderer und, da sich „einige Kaufliebhaber gefunden haben, so wird dasselbe Freitag den 10. August […] einer öffentlichen Versteigerung ausgesetzt [und …] ist von Mittwoch den 8. August bis zum Versteigerungstermin in der Vorhalle des Theaters zur freien unentgeltlichen Besichtigung ausgestellt“.103 Der Autor des Artikels im Taunusboten spielte auch auf „die früher bestandene Absicht, hier eine Gemäldegalerie zu gründen, [an], für die der Ankauf eines so einzigartigen Gemäldes […] gewiß sehr zu empfehlen [gewesen wäre].“ Er schließt dann mit einem kleinen Seitenhieb gegen die offenbar dominierenden potenten Käufer aus Großbritannien: „Jetzt wird dasselbe wohl die Reise nach England machen!“ Ob und zu welchem Preis das Bild tatsächlich in englischen Besitz kam, ist unbekannt. Jedenfalls wurde es ein weiteres Mal fast ein halbes Jahrhundert später, aber noch zu Lebzeiten des Künstlers, im Wiener Dorotheum versteigert.104 Wenngleich es kein regelrechtes Skandalbild war, so ist das Aufsehen, das dieses Werk mitten im Bismarck’schen Kulturkampf in Bad Homburg erregte, durchaus bemerkenswert, war der Ort doch auch die Sommerresidenz des preußisch-deutschen Kaiserhauses. Vielleicht war der Ecce Homo jedoch gemeinchristlich tolerabel und entzog sich konfessioneller Interpretationen. Anders stellte sich das ein Jahr später im Falle des Gemäldes „Peter Arbuës verurtheilt eine Ketzerfamilie zum Feuertode“ dar. Es stammt von Wilhelm von Kaulbach (1805–1874) und wurde 1878 mit zwei weiteren Historienbildern im Prinzensaal des Kurhauses gezeigt.105 Veranstalter war der 99

Manfred Knedlik, Pirchan, Emil d. Ä., in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 96, Berlin 2017, S. 35; https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Pirchan_der_%C3%84ltere [Stand: 15.02.2021]. 100 Beilage zur Homburger Kur- und Badeliste 34 (1877), o. S. 101 Taunusbote Nr. 121 (5. August 1877). 102 Homburger Kur- und Badeliste 32 (1877), S. 238. 103 Homburger Kur- und Badeliste 34 (1877), S. 264 und 267. 104 Dorotheum Wien (Hg.), Ölgemälde älterer und neuerer Meister, […], Versteigerung: 25. bis 28. Juni 1924, Wien 1924, S. 20, Nr. 111; https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/dorotheum1924_06_25/0022 [Stand: 15.02.2021]. Wieder wurde im Katalog ausdrücklich auf den „Trick, dass die Augen in der Nähe geschlossen, in der Ferne geöffnet erscheinen“ hingewiesen. Unterlagen zum damaligen Anbieter und/oder Käufer liegen nicht mehr vor; freundliche Auskunft von Dr. Felicitas Thurn-Valsassina, Provenienz-Abteilung des Dorotheum Wien, 02.03.2021. Der Verbleib des bis heute unpubliziert gebliebenen Bildes ist unbekannt. Freundliches Schreiben von Herrn Manfred Knedlik, Regensburg, vom 18.02.2021. 105 Homburger Kur- und Badeliste 42 (1878), S. 370, 372; Taunusbote Nr. 192 (19.08.1878).

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Abb. 9: Inserat in der Homburger Liste der Kur- und Badegäste. Quelle: Ebd., 1877, Nr. 34, S. 264.

Maler und Hofkunsthändler Carl Merkel (1830–1899), der in Wiesbaden direkt neben dem Kurhaus in den Kolonnaden eine dauerhafte Ausstellung unterhielt.106 Kaulbach malte das Gemälde 1869 unter dem Eindruck der Heiligsprechung des 1484 zum Inquisitor von Saragossa berufenen Pedro Arbuës (um 1441–1485) durch Papst Pius IX. (1798–1878) im Jahre 1867. Die liberale und protestantische Presse feierte das Gemälde als kulturkämpferische Tat und stellte die Heiligsprechung als Bruch mit dem Christentum und dem „Bildungsberuf der Menschheit“ dar.107 Die Verbreitung als Reproduktionsgrafik, sei es 1872 in „Der Gartenlaube“108 als Postkarte oder als Fotografie, sorgte für die damals denkbar größte Bekanntheit des Werks. 106

Carl Merkel, Permanente Kunstausstellung (im Kurhaus), Wiesbaden o. J. Dabei handelt es sich um einen immerhin 935 Seiten starken Katalog, dessen einziges nachweisbares Exemplar sich in New York findet: Frick Art Reference Library of The Frick Collection, Sign. 022W637 C K96c. Zur Bedeutung der Wiesbadener Kolonnaden als Orte des gehobenen Konsums vgl. Fuhs, Mondäne Orte, S.  208–211. Freundliche Auskunft von Dr. Rouven Pons, Hessisches Landesarchiv, Abt. HauptstaatsA Wiesbaden, vom 22.03.2021. 107 Vgl. dazu Manuel Borutta, Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 2010, S. 184–186, Zitat auf S. 185; Michael Mönninger, Vom Ornament zum Nationalkunstwerk. Zur Kunst- und Architekturtheorie Camillo Sittes, Braunschweig 1998, S. 26–30; vgl. etwa Eberhard Zirngiebl, Peter Arbues und die spanische Inquisition. Historische Skizze, zugleich Erläuterung zu W. von Kaulbachs Bilde, München 1870. 108 Die Gartenlaube (1872), https://de.m.wikisource.org/wiki/Datei:Die_Gartenlaube_(1872)_b_180. jpg [Stand: 26.02.2021].

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Abb. 10: Fotografische Reproduktion des Gemäldes „Peter Arbues“ von Wilhelm von Kaulbach, 1867. Quelle: Privatbesitz.

Dementsprechend wurde das Gemälde neun Jahre später auch in einem Artikel in der Homburger Kur- und Badeliste sowie in der Lokalpresse den „hiesigen Kunstverständigen und Kunstfreunden“ ausdrücklich zur Betrachtung empfohlen: „Wer sich noch den gewaltigen Sturm, welchen die extreme Partei gegen das Bild und den Meister losliess, vergegenwärtigt, der wird sich beeilen, diesem viel geschmähten, aber noch weit mehr bewunderten Charaktergemälde einen Besuch abzustatten.“109

Mit diesem Beispiel sei zumindest angedeutet, dass die damalige Kunst selbstverständlich ebenso wenig unpolitisch war wie der „Kunstgenuss“ – im Gegenteil: Die staatliche Kunstpolitik nutzte insbesondere die Förderung der Historienmalerei für die breite Vermittlung bestimmter legitimatorischer und/oder identitätsstiftender Geschichtsbilder, die über die grafische Reproduktion in illustrierten Zeitschriften oder in Schulbüchern nachhaltige Wirksamkeit entfalten sollten und gewisserma-

109

Homburger Kur- und Badeliste 40 (1878), S. 344; Taunusbote Nr. 192 (19.08.1878).

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ßen ein kollektives Bildergedächtnis hervorbrachten.110 Der erwähnte Wilhelm von Kaulbach brachte diese kunstpolitische Stimmung treffend auf den Punkt: „Geschichte müssen wir malen, Geschichte ist die Religion unserer Zeit, Geschichte allein ist zeitgemäß.“111 Diese Bestrebungen der preußischen Kulturpolitik konnten den Kunstmarkt gelegentlich ganz unmittelbar beeinflussen – auch und gerade in Homburg, was in einem letzten Beispiel gezeigt werden soll. Auf die Konflikte, die in den Jahren um 1900 im Zusammenhang mit dem Ankauf bzw. der Hängung von französischen Impressionisten in der Berliner Nationalgalerie aufkamen, wurde bereits weiter oben knapp hingewiesen.112 Die Ressentiments gegen die Moderne, insbesondere gegen die französischen Impressionisten, brachen aber nochmals 1911 im Zusammenhang mit dem sogenannten „Vinnen-Streit“ auf.113 Der Worpsweder Maler Carl Vinnen (1863–1922) hatte sich in einem von mehr als 120 Künstlern unterzeichneten und teilweise mit eigenen Stellungnahmen versehenen Aufruf „gegen eine in Deutschland so übermächtig gewordene Interessengruppe und deren Bundgenossen, die Ästheten und die Snobs!“114 gewandt, womit unausgesprochen auch und besonders die großen jüdischen Sammler, Mäzene und Kunsthändler gemeint waren.115 Dabei spielten nicht zuletzt finanzielle Gründe eine Rolle und es wurde konkret gefordert, in den Museen und Sammlungen mehr deutsche Maler anzuschaffen, statt die mittlerweile hochpreisigen „Modernen“ des westlichen Nachbarn. Dieser Streit beschäftigte das deutsche und teilweise auch das internationale Feuilleton über Monate. In Homburg fand der Konflikt seinen unmittelbaren Niederschlag in der 1912 im Kurhaus „unter Förderung der Behörden“ durchgeführten „Sonderausstellung deutscher Maler aus Worpswede-Niedersachsen“, wie die Kur- und Fremdenliste ankündigte.116 Die Ausstellung zeigte die Werke von fast

110

Zum Überblick: Stefan Germer/Michael F. Zimmermann (Hg.), Bilder der Macht – Macht der Bilder. Zeitgeschichte in Darstellungen des 19.  Jahrhunderts, München/Berlin 1997; Lenman, Artists, S.  16–64; zum zeitlichen Umfeld des Kulturkampfes: Borutta, Antikatholizisimus, S.  182–192; zu Preußen(-Deutschland): Rückert/Kuhrau (Hg.), Kunst; Holger Th. Gräf, Historienmalerei zwischen neoromantischer Mittelalterbegeisterung und preußisch-protestantischer Identitätsstiftung im Wilhelminismus, in: Ders./Andreas Tacke (Hg.), Preußen in Marburg: Peter Janssens historische Gemäldezyklen in der Universitätsaula, S. 23–30. Sowie exemplarisch: Holger Th. Gräf, Peter Janssens Historienzyklus in der Marburger Universitätsaula – oder die Aufhebung der hessischen Geschichte in der preußisch-deutschen Nationalgeschichte, in: Roland Kanz/Christiane Pickartz (Hg.), Düsseldorfer Malerschule. Gründerzeit und beginnende Moderne, Petersberg 2016, S. 104–123. 111 Zitiert nach Anton Teichlein, Zur Charakteristik Wilhelm von Kaulbach’s, in: Zeitschrift für bildende Kunst 11 (1876), S. 257–265, Zitat S. 264. 112 Bei Anm. 31; vgl. auch Barbara Paul, Hugo von Tschudi und die moderne französische Kunst im Deutschen Kaiserreich, Mainz 2001; Lenman, Artists, S. 171–176 sowie vor allem Sabine Beneke, Hugo von Tschudi – Nationalcharakter der Moderne um die Jahrhundertwende, in: Rückert/Kuhrau (Hg.), Kunst, S. 44–60. 113 Vgl. Bernd Küster, Art. „Vinnen, Carl“, in: Heike Schlichting (Hg.), Lebensläufe zwischen Elbe und Weser, Bd. 3, Stade 2018, S. 321–324. 114 Carl Vinnen (Hg.), Ein Protest deutscher Künstler, Jena 1911, S. 1. 115 Thamer, Kunst, S. 151–158; Kuhrau, Kunstsammler, S. 76–83. 116 Homburger Kur- und Badeliste 18 (1912), S. 77.

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Abb. 11: Inserat aus der Homburger Fremdenliste. Quelle: Ebd., 1912, Nr. 18, S. 77.

20 Worpsweder Malern – darunter Otto Modersohn (1865–1943), Heinrich Vogeler (1872–1942) und Fritz Overbeck (1869–1909) – und wurde, wie in der Lokalpresse ausdrücklich betont, auch in „Anwesenheit der Spitzen der Behörden“ eröffnet.117

5. Fazit Mehr als erste Sondierungen zur Kurstadt als Kunstmarkt konnten an dieser Stelle nicht geliefert werden. Wünschenswert wäre beispielsweise eine tiefergehende Auswertung der lokalen und regionalen Presseberichterstattung im Zusammenhang mit den größeren publikumswirksamen Ausstellungen und Auktionen. Insbesondere im Umfeld von Kunstausstellungen in der Orangerie bzw. im Kurhaus könnten Recherchen in der Aktenüberlieferung der städtischen bzw. der Kurverwaltung Aufschlüsse zu den Entscheidungsprozessen liefern. Nicht zuletzt wäre eine breitere Sichtung von Tagebüchern und Korrespondenzen von Kurgästen nötig, um die Rezeption der Kunstausstellungen bzw. die Teilnahme an Auktionen besser zu greifen. Schließlich wäre zu untersuchen, wie sich der Kunstkonsum in den Tagesablauf der Kur zwischen Brunnenbesuch, Kurkonzert, Promenaden, Mahlzeiten und Theateraufführungen einfügte. Was hoffentlich bereits deutlich wurde, ist die Tatsache, dass eine Geschichte des deutschen Kunstmarktes bzw. Kunsthandels im langen 19. Jahrhundert an einer intensiven Beschäftigung mit den wichtigen Gesellschaftsbädern dieser Zeit nicht vorbeigehen sollte. Hier fand sich auf relativ kleinem Raum ein kunstinteressiertes und vor allem kaufkräftiges internationales Publikum in einer Dichte, wie sie in den explodierenden Metropolen kaum mehr möglich war. Die zeitgenössischen Künstler hatten die Kurstadt auf jeden Fall als potenziellen Markt klar erkannt. So wurde in den 1890er Jahren beispielsweise in den Künstlerkreisen um die Karlsruher Akademie der Wunsch nach einem eigenen selbstverwalteten Galeriegebäude für Verkaufs-

117

Taunusbote Nr. 136–137 (11.–12. Juni 1912).

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ausstellungen geäußert. „Als Standort dachte man aber nicht an die Landeshauptstadt, sondern in der Hoffnung auf finanzkräftige Käufer an Baden-Baden“, wo die Kunsthalle auch 1909 eröffnet werden konnte.118 Wie einleitend bemerkt, darf Bad Homburg zwar zweifellos als eine Vertreterin der vornehmen Mode- und Gesellschaftsbäder des 19. Jahrhunderts gelten und die hier präsentierten Befunde damit eine gewisse Allgemeingültigkeit beanspruchen.119 Allerdings sind vergleichende Studien zu anderen Kurstädten nötig, um diese Befunde zu verifizieren sowie den Kunstmarkt einerseits als weiteres Charakteristikum des Typus „Kurstadt“ zu profilieren und andererseits möglicherweise spezifische Unterschiede zwischen den Kurstädten herauszuarbeiten.

118

Ulrich Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden. Die Baugeschichte der Stadt und ihr Beitrag zur Entwicklung der Kurarchitektur, Aachen 2008, S. 545. 119 Auch hier sind noch bislang wenig bekannte Künstler neu zu entdecken, vgl. Peter Lingens, Robert Christanelli – ein vergessener Maler in Homburg. Eine Geschichte von unklaren Namen und kopierten Bildern, in: Unser Homburg 64 (2021), Heft 7/8, S. 6–9.

ZUR FRÜHEN REZEPTION DER FOTOGRAFIE IN DEN KURORTEN DER HABSBURGERMONARCHIE Evelyn Reso

„Ich habe mich darauf gefreut, daß ich Beldes erst entdecken würde, und habe schon eine Table d’hôte und eine Kaltwasser-Heilanstalt und einen Photographen hier vorgefunden. Die Table d’hôte und die Kaltwasser-Heilanstalt verfolgen die löbliche Tendenz, die Abmagerung der Kurgäste herbeizuführen, und dem armen Photographen vererben sie dann nichts, als das kleine Stückchen Mensch, das sie übrig gelassen haben.“1

In dieser humoristischen Darstellung seines ersten Eindrucks vom habsburgischen Luftkurort Bad Beldes (heute Bled/Slowenien) am 21.  August 1867 erwähnte der Wiener Schriftsteller Daniel Spitzer (1835–1893) die Table d’hôte, den sozialen Begegnungsort im Hotel, und die Wasserheilanstalt, die das fundamentale Kennzeichen des Kurorts als Gesundheitsraum darstellte. Explizit zählt er auch das fotografische Atelier zu jenen Elementen, die einen kleinräumigen habsburgischen Kurort in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als solchen auszeichneten. Welchen Stellenwert genoss die frühe Fotografie in den Kurorten der Habsburgermonarchie? Was lockte die ersten Fotografinnen2 und Fotografen in die Kurorte? Wer war ihre Kundschaft und was faszinierte diese am neuen Medium? Anhand dieser Fragen soll der folgende Beitrag den Versuch eines Überblicks über die frühe Rezeption der Fotografie in den Kurorten am Beispiel der Habsburgermonarchie leisten.

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Daniel Spitzer, Wiener Spaziergänge, Wien 1869, S. 114. Schon früh betätigten sich Frauen auf dem Gebiet der Fotografie, z. B. war Christina Wolf unter den ersten Daguerreotypistinnen in Wien (ab 1845). Von den ca. 115 fotografischen Ateliers in Wien wurden mindestens neun von Frauen betrieben. Leider sind von ihnen nur wenige Zeugnisse erhalten. Vgl. Timm Starl, Frauenberuf und Liebhaberei. Fotografinnen in Österreich bis zum Ersten Weltkrieg, 2014, S. 4 (= erweiterte Fassung des Beitrags „‘... nimmt auch auf dem Gebiete der Photographie die Leistung der Frau einen immer größeren Raum ein.‘ – Zum Wirken von Fotografinnen in Österreich bis zum Ersten Weltkrieg“, in: Annegret Friedrich (Hg.), Die Freiheit der Anderen. Festschrift für Viktoria Schmidt-Linsenhoff zum 21. August 2004, Marburg 2004, S. 82–88), http:// timm-starl.at/download/Starl_Fotografinnen.pdf [Stand: 23.07.2021], S. 2f.

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1. Kurorte als Anziehungspunkte für Atelierfotografen und -fotografinnen Seit der Bekanntmachung der fotografischen Verfahren der Daguerreotypie von Louis Jacques Mandé Daguerre (1787–1851) im Jahr 1839 in Paris und William Henry Fox Talbots (1800–1877) Kalotypie im Jahr 1841 in London, verbreitete sich das neue Medium in rasantem Tempo und ließ in den meisten europäischen Staaten ein neues Gewerbe entstehen. Waren es vorerst vor allem Wanderfotograf:innen,3 die in den Städten ihre Dienste anboten, so kam es innerhalb von wenigen Jahren bereits zur Gründung erster fotografischer Ateliers. Die zunächst hauptsächlich in den Großstädten situierten Atelierfotografen und -fotografinnen spezialisierten sich dabei meist auf das Porträtfach.4 Etwa zur selben Zeit erlangte der Kur- und Bädertourismus in Europa neue soziale und ökonomische Bedeutung. Dies gilt vor allem auch für die Habsburgermonarchie, wo dem Tourismus eine zentrale Rolle als Wirtschaftsgenerator und den Kurorten hohe Bedeutung in der Stadtentwicklung und -erfahrung zukam.5 Die Kurlandschaft Österreich-Ungarns war mit zahlreichen Bädern und Höhenkurorten sehr vielfältig und genoss bei der gehobenen Gesellschaft aus ganz Europa große Beliebtheit. Die bekanntesten Kurorte waren das böhmische Karls­bad, Franzensbad, Marienbad und Teplitz; ebenfalls gut besucht waren die an der Südbahn gelegenen Badeorte Baden und Vöslau sowie der Luftkurort Semmering; auch die Kurorte des Salzkammerguts Aussee und Ischl, das mit den Sommeraufenthalten Kaiser Franz Josephs warb sowie die Thermalbäder des alpinen Wildbad Gastein zählten zu den beliebten Modebädern Europas; im Winter lockte das milde Klima am „Südbalkon der Monarchie“ zahlreiche Gäste nach Meran, Gries und Arco; und an der Adria erlangten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Seebäder wie Abbazia einen touristischen Aufschwung.6 Die zunehmende Bedeutung der Kurorte als Treffpunkt aristokratischer und wohlhabender bürgerlicher Kreise, ihre zunehmende Erreichbarkeit durch die Eröffnung zahlreicher neuer Eisenbahnlinien und ihr von aristokratisch-großbürgerlichen Lebens- und Stilnormen gekennzeichneter urbaner Charakter machte sie zu begehrten Wirtschaftsstandorten. Sie zogen zahlreiche Ärzte, Hoteliers, Händler, Geschäftsleute und Künstler an, die sich hier niederließen und die Bevölkerungs3



Auch Frauen betätigten sich als Wanderfotografinnen, z. B. Katharina und Barbara Lentsch, siehe ebd., S. 1. 4 Jens Jäger, Gesellschaft und Photographie. Formen und Funktionen der Photographie in Deutschland und England 1839–1860, Hamburg 1995, S. 46–48. 5 Andrea Leonardi, Entrepreneurial Mobility in the Developement of the Austrian Kurorte in the Nine­teenth Century, in: Journal of Tourism History 2/2 (2010), S. 99–116; sowie Hans Heiss, Tourismus und Urbanisierung. Fremdenverkehr und Stadtentwicklung in den Österreichischen Alpenländern bis 1914, in: Alois Niederstätter (Hg.), Stadt – Strom – Straße – Schiene. Die Bedeutung des Verkehrs für die Genese der mitteleuropäischen Städtelandschaften, Linz 2001, S. 217–246, hier S. 240f. 6 Ferdinand Tremel, Der Binnenhandel und seine Organisation. Der Fremdenverkehr, in: Alois Brusatti (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd.  1: Die wirtschaftliche Entwicklung, Wien 2005, S. 369–402, hier S. 396.

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zahlen auch kleiner Ortschaften in die Höhe schnellen ließen. Zwischen 1869 und 1900 wuchs die Bevölkerung in Baden von 7.590 auf 12.447, in Ischl von 6.842 auf 9.655, in Bad Gastein von 922 auf 1.659 und in Meran von 2.795 auf 4.271  Einwohner:innen.7 Unter den „reiche[n] Kurgäste[n], die hier ihre Bedürfnisse nach Konsum, Luxus und den Dienstleistungen für das Alltägliche der gehobenen Kreise ‚angemessen‘ befriedigen konnten“,8 hofften die Zugezogenen ein zahlungsfähiges Publikum für ihr Angebot vorzufinden, das sie genau auf diese „Welt des Luxus und der Dienstleistungen“9 zuschnitten und das sonst nur in Großstädten vorzufinden war.10 Durch ihre Anwesenheit „wiesen [sie] den Kurbezirk ebenso wie die Kurgäste als einen internationalen, ‚großstädtischen‘ Raum aus, der für die kleine Residenz neue Maßstäbe setzte.“11 Zu jenen, die zum mondänen Flair der Kurorte beitrugen, indem sie modernste Technik als Luxusgut verfügbar machten,12 gehörten zweifellos die Fotografen und Fotografinnen. Auch auf sie wirkte die Strahlkraft der Kurorte, die als Zentren der Kommunikation und des Austauschs auch Orte der Modernität und neuer Impulse waren13 und in denen die Fotografen und Fotografinnen dieselbe vermögende Kundschaft anzutreffen hofften, die sich auch in den Großstädten, hauptsächlich in Wien,14 regelmäßig porträtieren ließ. So richteten sie Ateliers in Kurorten ein, als in anderen Ortschaften derselben Größe, aber auch in größeren Städten noch keine oder wenige Atelierfotografinnen und -fotografen tätig waren. Das „Allgemeine Adress-Handbuch ausübender Photographen von Deutschland, den österr. Kaiserstaaten, der Schweiz und den Hauptstädten der angrenzenden Länder“15 führte um das Jahr 1860 in Karlsbad, das im Jahr 1864 10.562 Kurgäste beherbergte,16 sechs Fotografen an, gleichviele wie in Brünn und mehr als in Graz (vier gelistete Foto-

7

Heiss, Tourismus und Urbanisierung, S. 233–237. Burkhard Fuhs, Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700–1900, Hildesheim 1992, S. 209. 9 Fuhs, Mondäne Orte, S. 208. 10 Martina Bleymehl-Eiler, Luxus am Kurort. Ausdruck der Modernität?, in: Peter Weidisch/Fred Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität. Tagungsband zum Symposium in Bad Kissingen 7.–9. März 2014 im Rahmen der transnationalen seriellen Bewerbung „Great Spas of Europe“ um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, Würzburg 2017, S. 269–283, hier S. 277. 11 Fuhs, Mondäne Orte, S. 209. 12 Jäger, Gesellschaft und Photographie, S. 50 13 Fred Kaspar, Reisen ins Bad: immer schon Tourismus?, in: Berner Zeitschrift für Geschichte 81/3 (2019), S. 35–61, hier S. 41. 14 Timm Starl stellte, sich auf Daten der FotoBibl stützend, fest, dass zwischen 1839 und 1914 75 Prozent der Atelierfotografinnen und 60 Prozent der Atelierfotografen im Gebiet des heutigen Österreich in Wien tätig waren. Siehe Starl, Frauenberuf und Liebhaberei, S. 4. 15 Allgemeines Adress-Handbuch ausübender Photographen von Deutschland, den österr. Kaiserstaaten, der Schweiz und den Hauptstädten der angrenzenden Länder als Brüssel, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg, Stockholm, Leipzig o. J. [1860]. 16 Heiss, Tourismus und Urbanisierung, S. 236. 8

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grafen), das zu dieser Zeit die zehnfache Bevölkerungszahl aufwies.17 Auch kleinere Kurorte wie Ischl und Meran mit jeweils zwei oder Teplitz und Aussee mit jeweils einem Fotografen sind im besagten Adressbuch bereits gelistet. Die zugezogenen Fotografinnen und Fotografen stammten nicht nur aus den umliegenden Städten und Kronländern, sondern auch von außerhalb der Monarchie. Dies zeigt sich ganz deutlich am Beispiel der Stadt Meran, die sich seit dem Aufenthalt der Wiener Fürstin Mathilde von Schwarzenberg im Jahr 1836 mit ihrem Leib­arzt Johann Nepomuk Huber, der im folgenden Jahr ein Buch über die Vorzüge des Meraner Klimas und seiner verschiedenen Kuren veröffentlichte18, einen Namen als Winterkurort gemacht hatte und dessen erste Atelierfotografen nahezu alle von auswärts kamen.19 Als erster Fotograf eröffnete der aus St. Florian in Oberösterreich stammende Lorenz Bresslmair (1848–1882) im Jahr 1861 in den Meraner Berglauben sein Tageslichtatelier. 1864 kam der vermutlich aus Bayern stammende Peter Moosbrugger (1831–1883) aus Nizza an der Côte d’Azur über Bozen nach Meran.20 1870 zog Franz Largajoli (1838–1898) von Bozen nach Meran, da er in der Kurstadt eine bessere Auftragslage vorfand.21 Hildebrand von Perckhammer (1855–1911), der zu einer aus St. Pauls stammenden Adelsfamilie von Perckheim und Fennhals gehörte, ließ sich 1879 an der Stefanie-Promenade nieder.22 Der vor allem für seine Gebirgsfotografie bekannte Münchner Bernhard Johannes (1846–1899) überließ sein Atelier in Garmisch-Partenkirchen 1883 seinem Schwager und zog nach Meran, wo er in seinem Atelier in Obermais auch Porträts anfertigte. Der aus Ulten stammende Fotograf Josef Holzner (1853–1935), der seine Ausbildung in Irland genossen hatte, übernahm 1892 Largajolis Atelier, das er „Britannia“ nannte und mit dem Zusatz „English spoken“ bewarb.23 Die zugezogenen Atelierfotografen waren oft eng in die Stadtgemeinschaft eingebunden und engagierten sich mitunter sehr für die Entwicklung und Interessen des Kurortes, so Bernhard Johannes, der Mitglied der Meraner Kurvorstehung, des Ausschusses der Sektion Meran des Alpenvereins und des Naifverbauungsausschusses sowie Vorstand des Meraner Turnvereins war.24

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Einwohnerzahl von Graz (81.119) nach der Volkszählung von 1869, in: Mittheilungen der kais. und köngl. geographischen Gesellschaft in Wien, [Bd. 21], Wien 1878, S. 438; sowie Einwohnerzahl von Karlsbad (7.286) nach der Volkszählung von 1869, in: Eduard Hlawacek, Der Wegweiser für Karlsbad und Umgebung, Karlsbad 1879, S. 86. 18 Johann Nepomuk Huber, Über die Stadt Meran in Tirol, ihre Umgebung und ihr Klima. Nebst Bemerkungen über Milch-, Molken- und Traubenkur, Wien 1937. 19 Gunther Waibl, Von Promenaden und Fotografen, in: Oliver Haid (Hg.), Franz Peter. Fotograf in Meran 1894–1935. Mit bewahrendem Auge, Bozen 1994, S. 7–9. 20 Werbeanzeige in: Fridolin Plant’s neuer Führer durch Meran und dessen Umgebung, Meran 1879, S. 18 [des Anzeigenteils]. 21 Michael Forcher/Meinrad Pizzinini (Hg.), Tiroler Fotografie 1854–2011, Innsbruck/Wien 2012, S. 76. 22 Waibl, Promenaden und Fotografen, S. 8. 23 Der Burggräfler (28. September 1892), S. 10; sowie Adressbuch des Kurortes Meran (Meran, Obermais, Untermais und Gratsch), der Gemeinden des Gerichtsbezirkes Meran und der Gemeinde Lana, Meran 61900, S. 244. 24 Nachruf in der Meraner Zeitung (18. Januar 1899), S. 3.

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Abb. 1: Das Atelier Britannia von Josef Holzner, ehemals Largajoli in Meran, Aufnahme von 1911. Quelle: Palais Mamming Museum, Meran.

2. Das Kurpublikum als Atelierkundschaft Wie bereits angedeutet, bildete das Kurpublikum, das bis zur Jahrhundertwende aus aristokratischen und wohlhabenden bürgerlichen Kreisen bestand, den Großteil der Kundschaft der Atelierfotografen und -fotografinnen in den Kurstädten.25 Grundsätzlich wurde das neue Medium der Fotografie vorerst nur von diesen Schichten in Anspruch genommen, da die Verfahren der Daguerreotypie und der Talbotypie noch sehr kostspielig waren. Die Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner der Kurorte konnte diese lediglich in den Schaukästen der Fotoateliers bestaunen. Erst die Erfindung von Adolphe-Eugène Disdéri (1819–1889), die es ermöglichte, vier bis acht verschiedene Aufnahmen auf einer Glasnegativplatte zu belichten (1854), sowie die Einführung der kleineren und billigeren Carte-de-Visite-Fotos (1854) und der Cabinet-Bilder (1867) machte Fotografien auch für neuaufsteigende Gesellschaftsschichten erschwinglich, wobei sich in Österreich bis 1880 dennoch erst zehn Prozent der Bevölkerung einen Besuch im Fotoatelier leisten konnten.26 In „Hugo Thie25

Leonardi, Entrepreneurial mobility, S. 273. Timm Starl, Im Prisma des Fortschritts. Zur Fotografie des 19. Jahrhunderts, Marburg 1991, S. 45, Anm. 16.

26

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le’s Atelier für Photographie“ in Teplitz kostete ein Dutzend Visitkarten-Por­träts im Jahr 1868 vier Gulden, ebenso viele Cabinet-Porträts acht Gulden.27 Im selben Jahr bezog ein Zimmergeselle in Wien einen Wochenlohn von neun Gulden,28 eine Maschinennäherin einen Wochenlohn von sechs bis acht Gulden.29 Der Bedarf des aufstrebenden Bürgertums an repräsentativen Abbildungen spielte für die Etablierung der Fotografie eine zentrale Rolle.30 Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sich gehobene bürgerliche Kreise zu Repräsentationszwecken der zuvor adeligen Schichten vorbehaltenen Porträtmalerei bedient. In der Nutzung des fotografischen Porträts, dem auch noch eine gesteigerte Abbildungstreue zugesprochen wurde, setzte sich diese Praxis fort. Das große Interesse bürgerlicher Kreise am fotografischen Porträt führte dazu, dass dieses Genre die fotografische Gesamtproduktion des 19. Jahrhunderts dominierte und Ausgangspunkt der Verbreitung der Fotografie war.31 Durch die Teilhabe an der neuesten Mode und Technik drückte das aufgeklärte, liberale Bürgertum seine Stellung als tonangebende gesellschaftliche Schicht aus.32 Gleichzeitig bot der Gang ins Fotoatelier auch eine Unterhaltungsmöglichkeit. Diese gewann in den Kurorten des 19. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung und nahm bald nicht nur urbanen, sondern gar metropolitanen Charakter an.33 Denn Kurorte waren nicht nur Gesundheitsräume, ihnen kam als mondäne Treffpunkte der gehobenen Gesellschaftsschichten hohe soziale und politische Bedeutung zu.34 Dementsprechend fiel die Wahl auf den Kurort nicht allein aufgrund seiner Therapieangebote.35 Möglichkeiten des Zeitvertreibs und der Zerstreuung während des normalerweise mehrere Monate dauernden Kuraufenthalts erhielten einen großen Stellenwert, an den die Kurorte ihre Dienstleistungen und Unterhaltungsmöglichkeiten anpassten und denen sogar eine heilsame Wirkung zugesprochen wurde. So schrieb der Meraner Kurarzt Dr. Josef Pircher (1828–1891) im Jahr 1884: „Da jeder gebildete Mensch, besonders der kränkliche und von Familie und Heimat getrennte, einer gewissen geistigen Anregung bedarf, um sich vor Missstimmung und geistigem Siechthum zu bewahren, so werden Beschäftigung, Zerstreuung und Unterhaltung der Curgäste ebenfalls indirect zu einem Curmittel“.36

27

Werbeanzeige im Aussiger Anzeiger (24. Oktober 1868), S. 344. Stellenanzeigen in: Neues Wiener Tagblatt (28. September 1868), o. S. [8. Seite]. 29 Stellenanzeigen in: Neues Wiener Tagblatt (11. März 1868), o. S. [8. Seite] sowie (12. Oktober 1868), o. S. (8. Seite). 30 Jäger, Gesellschaft und Photographie, S. 88. 31 York Kautt, Image. Zur Genealogie des Kommunikationscodes von Massenmedien, Bielefeld 2008, S. 46 sowie S. 65. 32 Jäger, Gesellschaft und Photographie, S. 149. 33 Bleymehl-Eiler, Luxus am Kurort, S. 279f. 34 Fuhs, Mondäne Orte, S. 16. 35 Leonardi, Entrepreneurial mobility, S. 285. 36 Josef Pircher, Meran als klimatischer Curort mit Rücksicht auf dessen Curmittel, Wien 41884, S. 88. 28

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Abb. 2: Porträtaufnahme der Gräfin Jellacic, die sich mehrmals zur Kur in Meran aufhielt, Atelier Franz Largajoli. Quelle: Palais Mamming Museum, Meran.

Über ihre luxuriöse Art des Zeitvertreibs hinaus war die Anfertigung eines Porträts für die bürgerliche Kundschaft eine Möglichkeit, die individuelle Existenz zur Erinnerung im Bild festzuhalten, gleichzeitig waren Porträtfotografien als Repräsentationsobjekte auch Statussymbole, die gerne gezeigt und ausgetauscht, im bürgerlichen Heim aufgehängt oder Briefen beigelegt wurden.37 Das fotografische Atelier diente dem Bürgertum somit als „Bühne der Selbstdarstellung“ und mit der dort eingenommenen Pose drückte diese aufstrebende Gesellschaftsschicht ihren neuen 37

Jäger, Gesellschaft und Photographie, S. 147 sowie S. 171–173.

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Status aus.38 In ähnlicher Weise diente auch der Kurort als Inszenierungsbühne für bürgerliche Kreise. Nachdem der Kuraufenthalt zuvor nur dem Adel vorbehalten gewesen war, konnte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts hier auch zunehmend diese Gesellschaftsschicht präsentieren und ihren Drang nach Selbstdarstellung befriedigen. Sehen und gesehen werden erlangte eine zentrale Rolle im Kuralltag. Die Inszenierung der eigenen Person war hier auch deshalb von so großer Bedeutung, da sich in den Kurorten als gesellschaftliche Experimentierfelder feste soziale Normen auflösten und gesellschaftliche Grenzen verschwammen. Da sich die Kurgäste abseits des alltäglichen Wohnorts nicht persönlich kannten, sondern hauptsächlich über die jeweilige Kurliste übereinander Bescheid wussten,39 und sich das internationale Publikum ständig neu mischte, erhielten der äußere Schein und die theatralische Inszenierung der eigenen Person eine entscheidende Rolle.40 Die scheinbare Freiheit des Kurorts ließ es zu, sich über Alter und Stand hinwegzusetzen und eine soziale Identität vorzutäuschen, die nicht dem eigenen ökonomischen und sozialen Kapital entsprach, sodass in den Kurorten „Hochstapelei zum Symptom eines sozialen Wandels“41 wurde, der mitunter auch zu einer Verunsicherung der sozialen Orientierung führte. Die fotografische Atelierinszenierung als Kennzeichen elitärer Kultur, in der sich Aristokratisierung des Bürgertums und Verbürgerlichung des Adels gleichsam kenntlich machten,42 schien das Angleichungsbedürfnis der aufstrebenden Bevölkerungsschichten43 einmal mehr erfüllen zu können. Denn in der Inszenierung ähnelten sich die Bilder sehr – unabhängig davon, wer darauf zu sehen war – und die vorhandenen Kulissen und Requisiten konnten auch über die wahre gesellschaftliche Stellung hinwegtäuschen. Darüber hinaus konnten in den Fotoateliers und Buchhandlungen auch Fotografien der Herrschaftseliten wie Kaiser, Erzherzöge und Mitglieder des Hochadels erstanden werden, die sich immer wieder in den habsburgischen Kurorten aufhielten und in denselben Ateliers porträtieren ließen. Wurden diese Fotografien dann neben dem eigenen Bild ins private Fotoalbum geklebt, schienen sich die Porträtierten auf derselben Ebene zu begegnen.44

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Susanne Breuss, Erinnerungen und schöner Schein. Familiäre Fotokultur im 19. und 20. Jahrhundert, in: Matthias Beitl/Veronika Plöckinger (Hg.), familienFOTOfamilie. Begleitbuch zur Jahresausstellung 2000 im Ethnographischen Museum Schloß Kittsee vom 16. April bis 5. November 2000, Kittsee 2000, S. 27–41, hier S. 31. 39 Vgl. die Funktion der Kurliste bei Marie Ebner-Eschenbach in: Evelyne Polt-Heinzel/Daniela Strigl/Ulrike Tanzer (Hg.), Marie Ebner-Eschenbach: Aus Franzensbad. Das Gemeindekind, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014, o. S. (vierter Brief). 40 Fuhs, Mondäne Orte, S. 255f. 41 Alexa Geisthövel, Promenadenmischungen. Raum und Kommunikation in Hydropolen, 1830– 1880, in: Alexander C. T. Geppert/Uffa Jensen/Jörn Weinhold (Hg.), Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2005, S. 203–229, hier S. 210. 42 Jäger, Gesellschaft und Photographie, S. 284. 43 Gisèle Freund, Photographie und Gesellschaft, München 1976, S. 69. 44 Jäger, Gesellschaft und Photographie, S. 183; Starl, Im Prisma, S. 31.

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3. Atelieralltag im Kurort Wer in einem Kurort des 19. Jahrhunderts arbeitete, musste sich seinem charakter­ typischen Rhythmus anpassen, nämlich jenem der Kursaison. Denn die Dienstleistungen und Luxuswaren, die in den Läden und Ateliers der Kurorte angeboten wurden, waren weniger am Eigenbedarf der Bewohner und Bewohnerinnen orientiert, sondern richteten sich nach den Bedürfnissen der Kurgäste. So waren Kurorte konsumabhängige „Städte auf Zeit“45, in denen auch der Geschäftsalltag mit dem Eintreffen und Abreisen der Gäste begann und endete. Wie viele Hoteliers, Hotelbedienstete, Kunstschaffende und Geschäftsleute arbeiteten deshalb auch zahlreiche Fotografinnen und Fotografen an zwei oder mehreren Standorten. So betrieb der aus Elberfeld stammende Oscar Schlegel (1869–1905) ein Atelier im Winterkurort Arco und eines im Sommerfrische-Ort Toblach;46 Jan Nepomuk Langhans (1851–1928) besaß ein Atelier in Prag und eines in Marienbad;47 Friedrich Schiller (1850–1928) eines in Wien und eines in Baden bei Wien, wo er 1908 zudem ein Hotel eröffnete;48 der in Salzburg arbeitende und dort bekannte Fotograf Max Balde49 (1844–1900) besaß auch ein Atelier in Bad Gastein;50 der in mehreren Ateliers in Wien tätige Fotograf Rudolf Krziwanek (1843–1905) betrieb ab 1870 ein Sommeratelier in Bad Ischl.51 Das saisonale Atelier in angesagten Kurorten diente bekannten Fotograf:innen vor allem dazu, Stammkunden auch während ihres Sommerfrischeaufenthalts fotografieren zu können. So besaß das von Adele Perlmutter (1845–1941) betriebene Wiener Fotoatelier „Adèle“ ab 1874 ebenfalls eine Niederlassung in Ischl, wo sich unter anderen Rudolf von Habsburg im Sommer öfter fotografieren ließ.52 In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts stieg die Anzahl der Atelierfotografen und -fotografinnen stetig an. In den von neuester Technik und Luxus geprägten Kurorten war die Konkurrenz stets groß, was zu ständiger Modernisierung führte. Welche Vorreiterrolle dabei den Fotoateliers in den Kurorten zukam, zeigt ein Beispiel aus Meran. Die Kurstadt bekam 1898 erstmals elektrischen Strom aus dem neu erbauten Kraftwerk an der Töll.53 Der Fotograf Hildebrand von Perck-

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Monika Steinhauser, Das europäische Modebad des 19. Jahrhunderts. Baden-Baden – Eine Residenz des Glücks, in: Ludwig Grote (Hg.), Die deutsche Stadt im 19. Jahrhundert. Stadtplanung und Baugestaltung im industriellen Zeitalter, München 1974, S. 95–128, hier S. 97. 46 Lehrling gesucht, in: Innsbrucker Nachrichten (30. Mai 1899), S. 12. 47 „Weltausstellung in Paris 1900“ in der Montags-Revue aus Böhmen (4. Juni 1900), S. 5. 48 „Schiller, Friedrich“ in: Peter Csendes/Ernst Bruckmüller (Hg.), Östereichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 10, Wien 1991, S. 134; online: https://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_S/ Schiller_Friedrich_1850_1928.xml [Stand: 03.08.2021]. 49 Photographie, in: Salzburger Volksblatt (5. September 1902), S. 3. 50 Anzeige von Max Balde in: Salzburger Volksblatt (20. Juni 1883), o. S. [6. Seite]. 51 Ischler Wochenblatt (17. Dezember 1905), S. 3. 52 Ulrike Matzer, Eine Gender-Analyse von Fotografie-Historiografien am Beispiel zweier Berufsfotografinnen in Wien (1860–1914), Diss. Univ. Wien 2021, S. 61. 53 Heiss, Tourismus und Urbanisierung, S. 245.

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hammer versorgte sein Atelier bereits zehn Jahre zuvor mittels eines Wasserrads mit elektrischem Licht – eine Sensation, die Eingang in die Presse fand. So meldete die „Bozner Zeitung“ am 18. Februar 1887: „Das photographische Atelier Perckhammer an der Stefanie-Promenade in Meran wird seit einiger Zeit mit elektrischem Lichte beleuchtet. Zu diesem Zwecke hat Herr v. Perckhammer in dem rückwärtigen Trakte seines Hauses eine dynamo-elektrische Maschine installirt, welche durch die Wasserkraft des Stadtbachs mittelst eines einfachen Wasserrades in Funktion gesetzt wird und 6 Glühlampen in der Lichtstärke von je 10 Normalkerzen versorgt. Allabendlich leuchtet jetzt eine der Glühlampen am Eingang des Hauses in der Herzog Meinhardstraße und setzt die gegenüberstehende Gaslaterne sehr nachdrücklich in Schatten.“54

Um unter der Konkurrenz aufzufallen, bemühten sich die Fotograf:innen um einen guten Standort ihrer Ateliers. Als solcher war die Umgebung der Kuranlagen und Promenaden besonders beliebt.55 Damit das Kurpublikum die Ateliers ohne große Mühe lokalisieren konnte, gaben die Fotograf:innen in ihren Werbeanzeigen bekannte Kureinrichtungen oder Hotels als Bezugsorte an, etwa „vis-à-vis dem Curhause“56 wie Friedrich Schiller sein Atelier in Baden bewarb oder „vis-à-vis der Esplanade“ wie das Atelier „Adèle“ auf seinem Fotokarton verkündete. Darüber hinaus warben sie in den jeweiligen Kurzeitungen für ihre Dienste und statteten an zentralen Plätzen Schaukästen aus, in denen sie ihre Bilder – meist solche von berühmten Kurgästen – präsentierten.57 Dass diese Schaukästen Anziehungspunkte für Kurgäste waren und für den jeweiligen Kurort als willkommene Unterhaltungsangebote galten, zeigt ein Zeitungsartikel aus Bad Gleichenberg, in dem der Schaukasten des dort sowie in Abbazia tätigen Ateliers Betty zu den zahlreichen Vorzügen des Kurorts gezählt wurde: „In unserem Curorte herrscht buntbewegtes Leben der Hochsaison. Den Gästen wird mannigfaches geboten, den sich eines Weltrufes erfreuenden Curbehelfen wird fleißig zugesprochen. Auch für alles andere ist bei uns gesorgt, was Körper und Geist erfrischen kann: gute Unterkunft in den Villen und Hotels bei durch rege Concurrenz bedingten billigen Preisen, Musik, Theater, Tombola, Volkssänger, Concerte, Lawn-tennis etc. Dem Auge bietet das rege Getriebe in den Curanlagen eine stete Abwechslung; bald weidet es an den Naturproducten, bald an jenen der Kunst; hier locken herrliche Arrangements von Gärtnerhänden, Blumen, Baumgruppen u., dort Schaubuden mit zierlichen Erzeugnissen des Gewerbefleißes, die gleichzeitig als hochwillkommene Geschenke für die Zurückgebliebenen im trauten Heim gelten. Eine große Anziehungskraft bilden die photographischen Auslagekästen unserer Ateliers und da müssen wir namentlich das im Porträt- und Landschaftsfach so rührige Atelier Betty hervorheben, das abermals neue Serien-Bilder bekannter Persönlichkeiten ausgestellt hat […]“.58 54

56 57

Bozner Zeitung (18. Februar 1887), o. S. [2. Seite]. Waibl, Promenaden und Fotografen, S. 8. Badener Bezirks-Blatt (22. Mai 1895), S. 8. Vgl. z. B. „Sehenswürdiger Auslagekasten“, Bericht über den Schaukasten des Ateliers von Perckhammer am Meraner Kurhaus in: Meraner Zeitung (09. November 1894), S. 2. 58 Marburger Zeitung (19. Juli 1900), S. 3. 55

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Abb. 3: Blick auf Hintergrundleinwände und Requisiten bei der Aufnahme eines Kinderporträts des Tiroler Fotografen Edmund Violand, der in Tyrnau und im Kurort Pöstyén ein Atelier besaß, um 1880. Quelle: Sammlung Sieber, Innsbruck.

Ähnlich den Ateliers in den Städten stellten die Fotograf:innen der Kurorte bei der Aufnahme ihrer Porträts Einrichtungsgegenstände zur Verfügung, die in bürgerlichen Wohnräumen allgegenwärtig waren.59 Darüber hinaus waren aber auch gemalte Landschaften der Umgebung und fotografische Ortsansichten als Hintergrund­ inszenierung beliebt. Des Öfteren ließen sich Kurgäste als Wanderer abbilden oder in der jeweiligen regionalen Tracht, auf die in den Zeitungsinseraten der Fotoateliers ausdrücklich hingewiesen wurde. So warb der Fotograf Hermann Drachholz (1861–1915) in Bad Aussee mit „Steierische[n] Costüme[n] zu photografischen Aufnahmen“60 und Josef Holzner wies in seinem Atelier „Britannia“ in Meran darauf hin: „Meraner Kostüme stehen zur Verfügung“. Im August 1883 ließ beispielsweise Hugo von Hofmannsthals Vater seine Frau und seinen Sohn (Hugo) im Atelier von Rudolf Krziwanek in Bad Ischl vor einer gemalten Landschaftskulisse in steirischer Tracht porträtieren.61 59

Jäger, Gesellschaft und Photographie, S. 159. Cur- und Fremden-Liste des Badeortes Aussee (13. August 1900), o. S. [4. Seite]. 61 Heinz  Hiebler, Hugo von Hofmannsthal und die Medienkultur der Moderne, Würzburg 2003, S. 306. 60

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Abb. 4: Hugo von Hofmannsthal mit seiner Mutter in steirischer Tracht im Bad Ischler Atelier von Rudolf Krziwanek im August 1883. Quelle: Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, Hs-ID 3.

Da die Anfertigung von Porträts traditionellen Mustern folgte und anhand der immer gleichen Posen, Requisiten und Hintergründe uniform wirkende Bilder hervorbrachte,62 wurden die Fotograf:innen erfinderisch und lockten mit Fotografien in besonderen Ausführungen, womit sie wohl auch dem Bedürfnis der Kurgäste nach einem geeigneten Souvenir entgegenkamen. So warb der Fotograf Julius Richter in Tepliz mit „Porträts auf Wachstuch“ (sog. Panotypien)63 und Alexander Winkelmann, ebenfalls in Tepliz, bot „das eigene Portrait als Zauberbild“64 an. 62

Anton Holzer, Fotografie in Österreich. Geschichte – Entwicklung – Protagonisten 1890–1955, Wien 2013, S. 31. 63 Aussiger Anzeiger (16. März 1861), S. 50. 64 Teplitz-Schönauer Anzeiger (18. Mai 1866), S. 183.

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Abb. 5: Fotokarton-Rückseite des fotografischen Ateliers von Bernhard Johannes in Meran aus den 1880er Jahren. Quelle: Touriseum - Südtiroler Landesmuseum für Tourismus, Meran.

Besonders wirksam in der Bewerbung des eigenen Ateliers waren symbolträchtige Titel und Auszeichnungen. So bemühten sich die Fotografen und Fotografinnen65 der Kurorte um den Titel „k. u. k. Hoffotograf“66 und präsentierten ihre Werke auf den damaligen Gewerbe-, Industrie- und Weltausstellungen. Die dort verliehenen Auszeichnungen und ihre Titel platzierten sie als Qualitätsmerkmal in ihren Werbeanzeigen und auf der Rückseite ihrer Fotokartons neben dem Ateliernamen.67 Ein berühmtes Beispiel hierfür ist Bernhard Johannes, der auf seinen Fotokartons um 1890 sieben Titel, ein Verdienstkreuz, einen Verdienstorden und 15 Medaillen abdrucken ließ.

65

Adele Perlmutter erhielt vom k. k. Obersthofmeisteramt 1868 als erste Frau den Titel „k. k. Hof-Photographin“. Vgl. Wiener Zeitung (25. September 1868), S. 924. 66 Holzer, Fotografie in Österreich, S. 31. 67 Matzer, Gender-Analyse von Fotografie-Historiografien, S. 49f.

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So wie sich die Kurorte stets um illustre Gäste bemühten, da ihr Ruhm zunehmend vom Rang ihrer Besucher:innen geprägt wurde,68 so erhielten auch ihre Atelierfotograf:innen Aufmerksamkeit durch prominente Kundschaft. Wurde ein solcher Besuch dann noch in der Presse vermeldet – etwa, dass sich ein Erzherzog und seine Familie „über die gelungene Ausführung sehr befriedigend geäußert und gestattet [haben], daß die hübschen Bilder im Kunsthandel erscheinen dürfen“69 –, so war die Werbung besonders wirksam. Die Aufnahmen berühmter Kurgäste wurden dann wiederum als Souvenirs an das bürgerliche Kurpublikum verkauft, etwa verpackt in einem Album mit Ansichten des jeweiligen Kurortes.70 Letztere waren neben den Porträtaufnahmen, die die Lebensgrundlage der Atelierfotografen darstellten,71 eine weitere wichtige Verdienstmöglichkeit. Landschaftsaufnahmen stillten das in der gehobenen Gesellschaft verbreitete Bedürfnis nach Repräsentation der Natur und waren bei den Kurgästen als Souvenirs beliebt.72 Auch die Kurvorstehungen setzten zunehmend auf fotografische Bilder zur Bewerbung ihres Kurortes und beauftragten für ihre Werbeprospekte und -anzeigen bei den jeweiligen Fotograf:innen vor Ort entsprechende Aufnahmen. Besonders wertvolle Werbemittel waren auch Alben mit Ansichten des Kurorts, die zum Beispiel hochrangigen Kurgästen als Geschenk überreicht oder auf Weltausstellungen gezeigt wurden.73 So beauftragte der Kurverein von Gleichenberg das bereits erwähnte Atelier „Betty“ mit der Anfertigung eines Albums mit 50 Fotografien der Kuranlagen und Landschaft von Gleichenberg für die Pariser Weltausstellung im Jahr 1900.74

4. Kurgäste und Amateurfotografie Eine Reihe von Weiterentwicklungen, die das Ziel verfolgten, leicht bedienbare und transportierbare Kameras zu Verfügung zu stellen – wie etwa die Erfindung der Tro­-

68

Klaus Bergdolt, Gesundheit als Ausrede? Gesellschaftlicher Glanz und politische Bedeutung der Kurorte im 19. und frühen 20.  Jahrhundert, in: Peter Weidisch/Fred Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität. Tagungsband zum Symposium in Bad Kissingen 7.–9. März 2014 im Rahmen der transnationalen seriellen Bewerbung „Great Spas of Europe“ um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, Würzburg 2017, S. 83–97, hier S. 88. 69 Bericht über den Besuch Erzherzogs Carl Ludwig mit seiner Familie bei H. von Perckhammer in Meran in: Meraner Zeitung (26. Juni 1880), o. S. [3. Seite]. 70 Vgl. z. B. Bericht über ein Album des Wiener Fotografen Wilhelm Helfer z. B. mit Aufnahmen von Spaziergängen der deutschen Kaiserfamilie in Abbazia in: Neue Freie Presse (13. April 1894), S. 7. 71 Jäger, Gesellschaft und Photographie, S. 147. 72 Ebd., S. 48. 73 Vgl. z. B. Fotografiealbum als Geschenk für König Ferdinand von Bulgarien in Franzensbad in: Der Fremdenverkehr (20. August 1911), S. 12; sowie „Karlsbad auf der Pariser Weltausstellung“ in: Prager Abendblatt (27. Oktober 1899), o. S. [4. Seite]. 74 Marburger Zeitung (12. November 1899), S. 3.

Zur frühen Rezeption der Fotografie in den Kurorten der Habsburgermonarchie

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cken­platte75 -, führte in den 1880er Jahren dazu, dass das Fotografieren zu einem „Jedermann zugänglichen Vergnügen“76 wurde. Nun begannen auch die Kurgäste, sich für den „angenehmen Zeitvertreib“77 zu interessieren. Davon zeugt unter anderem ein detaillierter Artikel über „Photographische Apparate für Reise und Touristik“ in der in Wien erschienenen „Illustrierten Curorte-Zeitung“, der einen Überblick über die in der Saison 1892 erhältlichen Modelle bot, wobei einige im Artikel eigens als „Touristen- und Reise-Apparate“ ausgewiesen wurden. Vermehrt fanden sich in den einzelnen Kurzeitungen auch Werbeanzeigen für Fotoapparate. „Alles strömt in die Sommerfrischen und Bäder und wer da noch nicht im Besitze eines photographischen Apparates ist, versäume nicht, sich einen solchen anzuschaffen. Was kann es wohl für schönere Reiseerinnerungen geben, als selbstaufgenommene Photographien von geschauten Naturschönheiten, von liebgewordenen Reisegenossen etc.“78, berichtete die „Hygiea. Illustrirte Cur- und Bade-Zeitung“ im selben Jahr – nicht ohne den Hinweis darauf, wo die entsprechenden Apparate erhältlich waren – und unterstrich damit den Erinnerungswert der individuellen selbstgeschossenen Fotografien. Selbst Radfahrer:innen sollten die neuen Apparate das Fotografieren unterwegs ermöglichen.79 Die größeren Hotels der habsburgischen Kurorte stellten sich auf die fotografierenden Gäste ein und richteten zum Beispiel eigene Dunkelkammern für Amateurfotograf:innen ein, die sie auch in ihren Werbeanzeigen anpriesen.80 Wie sehr die Verbreitung des Fotografierens unter den Gästen den Alltag im Kurort, wo stets berühmte Motive verfügbar waren, beeinflusste, veranschaulicht eine Meldung aus Karlsbad im Sommer 1899: „Die Amateurphotographie artet heuer in unserem Kurorte bereits zu einem Unfuge aus. Kaum hat sich ein Kurgast irgendwo in einem Restaurant oder Kafé niedergelassen, sieht er auch schon das Objekt eines photographischen Apparates auf sich gerichtet und sich zum Angriffspunkte eines Amateurs erkoren. Ganz besonders haben unter dieser zur Plage gewordenen Kunst unsere Kurgäste von Namen zu leiden, denen stets wie ihr leibhafter Schatten ein paar Amateure folgen, den Momentapparat stets zum Gebrauch bereit. Diese sind schon nirgends mehr vor der Zudringlichkeit sicher und es ist daher ganz begreiflich, wenn sie sich ernstlich darüber beklagen.“81

Die Amateurfotografie wirkte sich auch auf die Tätigkeit der Atelierfotograf:innen aus. Zum einen stellte sie eine Konkurrenz für diese dar und beraubte die Por­ trätfotografie ihrer Exklusivität.82 Zum anderen reagierten die Betreiber:innen der 75

Timm Starl, Knipser. Die Bildgeschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980, München/Berlin 1995, S. 33. 76 Photographische Apparate für Reise und Touristik, in: Illustrierte Curorte-Zeitung (30. Juli 1892), S. 10. 77 Ebd. 78 Hygiea. Illustrirte Cur- und Bade-Zeitung (1. Juli 1892), S. 11. 79 Werbeanzeige von R. Lechner (Wilh. Müller) k. u. k. Hof-Manufaktur für Photographie, in: Fremdenblatt – Organ für die böhmischen Kurorte (2. Juli 1899), S. 5. 80 Vgl. z. B. Anzeige des Palast-Hotel „Lido“ in Riva am Gardasee in: Dillinger’s Reisezeitung (10. Oktober 1900), S. 8. 81 Unbefugte Photographen, in: Prager Abendblatt (8. Juli 1899), o. S. [3. Seite]. 82 Holzer, Fotografie in Österreich, S. 20.

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Abb. 6: Ansichtskarte mit einer fotografischen Abbildung des Sprudels in Karlsbad aus dem Jahr 1906. Quelle: Touriseum - Südtiroler Landesmuseum für Tourismus, Meran.

Fotoateliers auf das rege Interesse der Kurgäste an der nun leicht bedienbaren Technik, indem sie zum Beispiel bestimmte Arbeiten für Amateurfotograf:innen übernahmen. So bot Josef Hinteregger (1852–1905) in seinem Atelier in Ischl das Kopieren der Platten an83 und das fotografische Atelier von Wilhelm Helfer (geb. 1864) in Abbazia erteilte im Jahr 1894 Unterricht in Fotografie.84 Der erfolgreiche Fotograf Carl Pietzner (1853–1927),85 der unter anderem Geschäftsstellen in Wien, Teplitz und Karlsbad besaß, schaltete im November 1891 gar eine direkt an Amateure ge-

83

Ischler Bade-Liste (11. Juli 1890), o. S. [4. Seite]. Hygiea. Illustrirte Cur- und Bade-Zeitung (17. März 1894), S. 14. 85 Nachruf in: Kleine Volks-Zeitung (26. November 1927), S. 7. 84

Zur frühen Rezeption der Fotografie in den Kurorten der Habsburgermonarchie

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Abb. 7: Titelblatt „Hygiea. Illustrirte Cur- und Bade-Zeitung“ vom 1. September 1894, nach einer Porträtaufnahme von Marie Valerie und ihren Kindern aus dem Atelier Krziwanek in Ischl. Quelle: ANNO, ÖNB.

richtete Annonce im „Teplitz-Schönauer Anzeiger“, in der er diesen Ausrüstung und Bedarfsartikel, die Übernahme von Entwicklungen und Vervielfältigungen sowie Unterricht in der Amateurfotografie anbot.86 Bald wurden Fotografien auch für weniger begüterte Bevölkerungsschichten erschwinglich und massenhaft vervielfältigt. Um 1900 zierten sie die bis dahin hauptsächlich illustrierten Postkarten. So fertigten die Atelierfotograf:innen auch Ansichten der Kurorte an, die in hohen Auflagen produziert und entsprechend billig

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Für Amateure, in: Teplitz-Schönauer Anzeiger (18. November 1891), o. S. [10. Seite].

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Abb. 8: Porträtaufnahme des Ateliers Betty in Abbazia, 1906. Quelle: Fortepan/Karabélyos Péter.

verkauft werden konnten.87 Ebenso konnten Porträts nun zu einem Bruchteil der Preise für Kabinettfotografien aus dem Atelier auf Postkarten erstanden werden, die noch dazu leichter zu versenden waren.88 Gleichzeitig fanden sich Bilder von berühmten Kurgästen bald auch in der Presse. Nun verließen auch die Atelierfotograf:innen mit ihrer Kundschaft ihre Geschäftsräume und nahmen Porträts im Freien auf. So warb das eben zitierte fotografische Atelier von Wilhelm Helfer in Abbazia mit „künstlerische[n] photographische[n] Familien- und Gesellschaftsaufnahmen im Freien, vor Villen, am Meeresstrande etc.“89 und auch das Atelier Betty porträtierte nun direkt am Wasser.

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Vgl. z. B. Ansichtskartenserie des Ateliers „Betty“ in Gleichenberg in: Marburger Zeitung (26. Mai 1900), S. 4. 88 Karin Walter, Postkarte und Fotografie. Studien zur Massenbildproduktion, Würzburg 1995, S. 142. 89 Hygiea. Illustrirte Cur- und Bade-Zeitung (20. Oktober 1893), S. 16.

Zur frühen Rezeption der Fotografie in den Kurorten der Habsburgermonarchie

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Abb. 9: Erinnerungsfoto einer Kurgästegesellschaft aus dem fotografischen Atelier Müller in Abbazia, 1914. Quelle: Hrvatski muzej turizma/Croatian Museum of Tourism, Opatija.

Die technische Erschließung des Umlands und die zahlreichen daraus entstehenden Ausflugsmöglichkeiten lockten die Gäste der Kurorte, an denen die Kur selbst als Aufenthaltsmotiv immer weiter in den Hintergrund trat, bald hinaus aus den Ortschaften, wo sie ihre eigenen Erinnerungsfotos schossen. Dennoch blieb der Gang ins Fotoatelier in den Kurorten der Habsburgermonarchie bis zum Ersten Weltkrieg eine gängige touristische Praktik und einige der fotografischen Ateliers blieben trotz des einsetzenden Strukturwandels – sowohl den Tourismus als auch das Fotografiegewerbe betreffend – noch über Jahrzehnte bestehen, einzelne davon sogar in Familienhand.90

90

Darunter z.B. das mehrmals zitierte Atelier „Adèle“ (Matzer, Gender-Analyse von Fotografie-Histografien, S. 62f.).

GÄRTEN, PARKS UND NATUR – „GESUNDE“ SPAZIERGÄNGE IN DER KURLANDSCHAFT Christina Vanja

1. Zur Kur nach Bad Ems

„Wir gingen manchmal spazieren, oder besser gesagt, wir wateten im Kot. Die ‚Promenade‘ bestand nämlich in einer Lindenallee, die längs des Flusses gepflanzt war. Man war nie allein, die Schweine und andre Haustiere leisteten einem getreuliche Gesellschaft, so daß man sie mit Stockhieben von sich jagen mußte, um vorwärts zu kommen.“1

In ihren Memoiren schildert Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758) ihre Emser Kur im Sommer 1737 als ein in jeglicher Hinsicht unerfreuliches Erlebnis. Der Schwester Friedrichs des Großen missfiel nicht nur der einzige Spazierweg des Bades, sondern der gesamte Ort: „Er liegt in einem Kessel und ist ganz von Felsen umringt. Man sieht hier weder Bäume noch Laub.“2 Die kunstbeflissene Fürstin wusste, wie eine Allee für angenehme Spaziergänge beschaffen sein sollte. Zwei Jahre zuvor hatte ihr der Markgraf die ‚Eremitage‘ beim Bayreuther Sommerschloss geschenkt, eine Rokokoanlage, die sie architektonisch zu einem vollendeten Kunstwerk ausgestalten ließ. Unter anderem gehörten zu diesem Refugium Laubengänge, Ruheplätze, Wasserspiele und eine repräsentativ arrangierte ‚wilde‘ Natur.3 Die körperlich anstrengenden Bäder in Ems sollten der ‚zarten‘ Gesundheit der preußischen Königstochter allerdings nicht aufhelfen.4 1

Ingeborg Weber-Kellermann (Hg.), Wilhelmine von Bayreuth. Eine preußische Königstochter. Glanz und Elend am Hofe des Soldatenkönigs in den Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Aus dem Französischen von Annette Kolb – Mit zahlreichen Illustrationen von Adolph Menzel und acht zeitgenössischen Porträts, Frankfurt a. M. 1990, S. 477f. 2 Ebd., S. 477. 3 Friedrich Ludwig Müller, Die Markgräfin. Aus dem Leben der preußischen Prinzessin Wilhelmine. Mit einem Sonderteil zur Baukunst in Bayreuth von Beatrice Häring, Bonn 2003; Gabriele Uerscheln/ Michaela Kalusok, Kleines Wörterbuch der europäischen Gartenkunst, Stuttgart 2001, S. 24f. 4 Wilhelmine von Bayreuth hatte bereits eine Tochter, aber diese blieb Einzelkind: Martha Schad, Die berühmtesten Frauen der Weltgeschichte. Von der Antike bis zum 17. Jahrhundert, Wiesbaden 2014, zu Wilhelmine von Bayreuth S. 162–167.

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Christina Vanja

Abb. 1: Matthäus Merian d. Ä., Embser Bad, Kupferstich, um 1650. Blick von der linken Lahnseite auf die hessischen und nassauischen Herrschaftsgebäude, noch ohne befestigtes Ufer mit Promenade. Quelle: Privatbesitz.

Ganz anders erlebte 1763, also nur 26 Jahre später, die bayerische Kurfürstin Maria Anna Sophie (1728–1797), Enkelin Augusts des Starken, den Badeort an der Lahn.5 Ihr Begleiter, Hofrat Carl Philipp von Delling, protokollierte im Reisetagebuch, dass Ems „in einem angenehmen Thall seine lage hat“.6 Die Kurfürstin, die eine rund hundert Personen umfassende Begleitung, darunter Medicus, Chirurgus und Apotheker, mitbrachte, wohnte im Nassauischen Haus, „so seiner größe, und Weitschicktigkeit halber jeden schönen Palais der grösten Stätten kann verglichen werden“. Sie badete und trank ‚Spaa-Wasser‘.7 Ihr scheint auch die Lindenallee, die inzwischen präpariert worden war, zugesagt zu haben, denn die Kurfürstin prome-

5

Karl Billaudelle (Hg. und Kommentar), Embßer Baad-Reiße Welche Ihre Churfürst[liche] Durch[laucht] in Bayern etc. Unsere Gnädigste Frau von Nymphenburg aus dem 18. May A[nn]o 1763 nacher Embs ohnweit Coblenz angetretten, von Carl Philipp von Delling, Bad Ems 1989 [Bad Emser Hefte Nr. 81.1]; Ders., Die „Embßer Baad-Reiße“ der Kurfürstin Maria Anna Sophia von Bayern im Jahre 1763, Bad Ems 1989 [Bad Emser Hefte Nr. 18.2]. 6 Billaudelle, Embßer Baad-Reiße, Heft 81.1, S. 20. 7 Wobei es sich wohl um den Emser Brunnen handelte: ebd., S. 26.

Gärten, Parks und Natur – „gesunde“ Spaziergänge in der Kurlandschaft

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nierte, wie von Delling weiter berichtet, regelmäßig „mit Damen und Kavalieren“ und machte auch sonst hin und wieder eine schöne „Spazierfahrt“ mit dem Wagen.8 Als die Erbgroßherzogin Mathilde von Hessen und bei Rhein (1813–1862) zusammen mit ihrer Schwägerin Amalie (1818–1875), Königin von Griechenland, im Sommer 1841 in Ems kurte, galt das Bad bereits als romantische Sehenswürdigkeit und wurde nicht nur von Kranken, sondern auch von zahlreichen Sommerfrischlern und Tagesgästen aufgesucht.9 Viele Reiseführer empfahlen zudem den Abstecher zur Lahn im Rahmen der vor allem bei Engländern beliebten Rheinreise.10 Die bayerische Prinzessin beschrieb in ihren Briefen an den daheim gebliebenen Gatten das Treiben auf der Emser Promenade, das sie „allerliebst“ fand und wo sie zahlreiche Verwandte begrüßen konnte. Allerdings musste sie, wie alle Kurenden, früh aufstehen, um dem ihr verschriebenen Brunnentrinken nachzukommen. Schon um halb sieben Uhr war sie mit mehreren hundert weiteren Kurgästen am Brunnen und ging dann eine Zeit auf der Promenade umher, „pour faire passer l’eau“.11 Das Trinken des Emser Wassers stand inzwischen, anders als bei Wilhelmine von Bayreuth und Anna Maria Sophie von Bayern, im Zentrum der Kur. Nach einer Eingewöhnungszeit nahmen die beiden Fürstinnen jedoch, wie die meisten Kurgäste, überdies warme Bäder und richteten schließlich ihre ganze Hoffnung auf die „Bubenquelle“, die bereits im 16. Jahrhundert den Ruf besaß, die weibliche Fruchtbarkeit zu fördern.12 Bei allen genannten Frauen blieb die Emser Kur jedoch in dieser Hinsicht erfolglos.13 In seiner Übersicht „Schöne Aussichten. Historische Spaziergänge rings um Bad Ems“ hat der Historiker und Archivar Hans-Jürgen Sarholz die eindrucksvolle Entwicklung des kleinen spätmittelalterlichen Wildbades zum mondänen Kurort des 19. Jahrhunderts mit mehreren tausend Sommergästen vorgestellt.14 Ein Reiseführer von 1786 bemängelte noch die sehr kurze Promenade mit offensichtlich erst jüngst gepflanzten, demnach noch kleinen Bäumen, lobte aber bereits die Lage des Bades als „wildschön“ wegen des hohen felsigen Gebirges, das einen romantischen Kontrast zu sanften Tälern und Wiesengründen, Weinbergen und bewaldeten Höhen bildete, 8



Die „kleinen“ Promenaden, wie von Delling sie nennt, erfolgten vornehmlich am frühen Abend, die Ausflüge wiederum hatten meist Sehenswürdigkeiten der Umgebung zum Ziel. 9 Barbara Beck, Mathilde, Großherzogin von Hessen und bei Rhein, geb. Prinzessin von Bayern (1813–1862), Darmstadt 1993; Amalie 1818–1875. Herzogin von Oldenburg, Königin von Griechenland, hg. vom Kunst- und Kulturkreis Rastede e. V., Oldenburg 2004. 10 Hermann Sommer, Zur Kur nach Ems. Ein Beitrag zur Geschichte der Badereise von 1830 bis 1914, Stuttgart 1999; Karl Baedeker, Handbuch für Reisende in Deutschland und dem Oesterreichischen Kaiserstaate, Koblenz 31846, S. 113. 11 Karl Billaudelle, Zwei Fürstinnen an der Emser Bubenquelle (1841), Bad Ems 1991, hier S. 13. 12 Johann Dryander, Vom Eymsser Bade. Was Natur es in im hab. Wie man sich darin halten soll. Auch zu was Krankheit es gebrauchet sol werden (Einführung von Irmgard Müller), Marburg an der Lahn 1981, S. B IIII. 13 Vgl. Christina Vanja, Zur Bubenquelle nach Bad Ems – Die Badereisen der Markgräfin von Bayreuth (1709–1758), Kurfürstin Maria Anna Sophie von Bayern (1728–1797), Königin Amalie von Griechenland (1818–1875) und Erbgroßherzogin Mathilde von Hessen-Darmstadt (1813–1862), in: Annette C. Cremer/Anette Baumann/Eva Bender (Hg.), Prinzessinnen unterwegs. Reisen fürstlicher Frauen in der Frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2018, S. 269–292. 14 Hans-Jürgen Sarholz, Schöne Aussichten. Historische Spaziergänge rings um Bad Ems, Bad Ems 2014.

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Abb. 2: R. Stieler, Der Badeort Ems, Originalzeichnung. Im Begleittext heißt es: „Die günstige Lage von Ems in dem malerischen Thal der wildströmenden Lahn [,] die hübsche waldfrische Umgebung, die Nähe des Rheins als der großen Heerstraße der Touristen und der zahlreiche Besuch vornehmer Herrschaften haben Ems zu einem großen Luxusbad gemacht […]“. Quelle: Sammelblatt aus: Das Buch für alle. Ill. Blätter zur Unterhaltung u. Belehrung, 1876, Heft 9. Privatbesitz.

Gärten, Parks und Natur – „gesunde“ Spaziergänge in der Kurlandschaft

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durchflossen von der „rauschenden“ Lahn.15 Insbesondere die „Bäderley“ mit den erdkundlich sehenswerten Hausmannshöhlen fehlte in keiner Badeschrift. Vom Gipfel aus konnte man, wie der Badearzt Dr. Albert Jacob Gustav Döring 1839 schrieb, „in schauerlicher Tiefe“ den Kurort sehen.16 Zunächst nur eine Mooshütte, dann auch ein Aussichtsturm (1839) und eine Gaststätte (1862) erwarteten oben die Gäste, die sich auf einem verschlungenen Felsenpfad zu Fuß oder auf Reiteseln hinauf wagten.17 In der Ebene förderten die Herzöge von Nassau nach den Napoleonischen Kriegen den Kurort nachhaltig.18 Eine verbesserte Lindenallee führte 1828 bereits bis zum Haus ‚Vier Türme‘, wo zahlreiche vornehme Kurgäste abstiegen. 1836 wurde das Lahnufer durch eine Mauer befestigt, um dort das neue Kursaalgebäude zu errichten und einen Kurpark mit Blumenbeeten und Rabatten anzulegen – eine Anlage, die ab 1869 durch die bekannte Gartenbaufirma „Heinrich Siesmayer“ aus Bockenheim bei Frankfurt unterhalten wurde.19 Wandelhalle, Musiktempel sowie die neue anglikanische Kirche und nicht zuletzt der Spielsalon verliehen dem alten Kurviertel nun einen ganz neuen Glanz. Mitte des 19. Jahrhunderts galt Ems bereits als ‚Fürstenbad‘: Der Ort, der seit 1866 zu Preußen gehörte, wurde regelmäßig von Kaiser Wilhelm I. ebenso wie von der Zarenfamilie besucht, was das Bad für Personen von Stand ebenso wie für Großindustrielle besonders attraktiv machte.20 Durch den Bau einer Kurbrücke über die Lahn im Jahre 1853 wurde das Bad um die linke Flussseite erweitert. Hier wurden nicht nur der Bahnhof (1858), zahlreiche Hotels und ein neues Badehaus angelegt, von der Brücke aus führten auch zahlreiche, zumeist nach fürstlichen Persönlichkeiten benannte, Spazierwege zu weiteren Aussichtspunkten und Einkehrmöglichkeiten, sodass die Gäste bei Kaffee oder Wein das weiße, sich im Fluss spiegelnde Ensemble der Kurgebäude am anderen Ufer bewundern konnten.21 Die Lahntalbahn, mit der eine rasch anwachsende Gästezahl Ems in der zweiten Jahrhunderthälfte erreichte, ermöglichte neben der Dampfschifflinie zudem Ausflugsfahrten zu entfernteren Orten, die Lahn hinauf nach Nassau oder hinunter an den Rhein mit seinen Burgen und Weinorten. Neben Naturdenkmälern empfahlen die zahlreichen, recht stereotypen Badeschriften der Emser Kurärzte als Ausflugsziele insbesondere alte Forst- und Pfarrhäuser, pittoreske Dörfer, Städtchen und Ruinen sowie die Gruft der Freiherren vom Stein in Fürth.22 15

Es handelte sich um Gerckens Reiseführer. Ebd., S. 3. Ebd., S. 12. 17 Die Überwindung ‚schauerlicher‘ Gebirgsstrecken ist ein literarisch vielfach verwendeter Topos, der, gleichsam freimaurerisch, auch einen Weg zur Gesundheit andeutete: Christina Vanja, Zur Kur in die Alpenregion – Heilanstalten in der Belle Epoche, in: Historia Hospitalium 30 (2017), S. 353–365; vgl. zum Felsengarten bei Wunsiedel mit seinen vielen Höhlen und engen Durchgängen: Karl Braun, Luisenburg. Ein vergessener Landschaftsgarten der Frühromantik, Marburg 2005. 18 Die folgenden Angaben nach Sarholz, Schöne Aussichten. 19 Barbara Vogt, Anlage, Pflege und Verschönerung von Kurparks im Werk der Gartenkünstler Siesmayer, in: Volkmar Eidloth/Petra Martin/Katrin Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung. Kurgärten und Kurparks in Europa / Between Healing and Pleasure. Spa Parks and Spa Gardens in Europe, Ostfildern 2020, S. 55–68, hier S. 57. 20 Hermann Sommer, Stationen eines Kurbads im 19. Jahrhundert – Bad Ems, in: Michael Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 2001, S. 101–131. 21 Sarholz, Schöne Aussichten, S. 119. 22 Sommer, Zur Kur nach Ems, S. 341. 16

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Auch Erzhütten, Schmieden und Bergwerke, wo Führungen und Erfrischungen angeboten wurden, bildeten Haltepunkte.23 Punkten konnte das nahe dem Limes gelegene Ems schließlich mit seiner römischen Vergangenheit: Der Nassauische Altertumsverein legte 1859/60 die Ruinen eines römischen Wachtturms frei.24 Im Jahre 1887 ging schließlich als eine der ganz frühen Zahnradbahnen die Malbergbahn in Betrieb und beförderte die Kurgäste bequem zum Hotel ‚Hohenmalberg‘ hinauf.25 Ems gewann dadurch einen „Luftkurort“ mit Liegekuren für „Brustkranke“,26 und die Patientinnen und Patienten konnten auf Wegen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades einer „Terrainkur“ folgen, die vom Münchner Medizinprofessor Max Joseph Oertel erdacht und 1897 erstmals in Meran umgesetzt worden war.27 Zusammen mit dem ‚Schweizerhaus‘ (bereits 1850 erbaut) und dem „Schweizerthal“ mit Ziegenherden und Angeboten zur Molkenkur entstand nach und nach eine Bad Emser „Schweiz“, die auf die als besonders gesund und überdies als ‚frei‘ geltenden helvetischen Alpen hinwies.28

2. Vom Brunnen zum Landschaftsgarten Über den Kontext des Wandels vom kleinen Badeflecken zur Kurlandschaft in Ems wie andernorts ist sich die Forschung einig: Landschaftsmalerei und Landschaftsdichtung erinnerten seit der Renaissance sowohl an das antike Arkadien als auch an das Paradies.29 Mit dem Motiv des ‚Jungbrunnens‘ konnten sogar direkte Bezüge zwischen biblischem Heilgeschehen und frühneuzeitlichem Heilbad hergestellt werden.30 Die 23

Sarholz, Schöne Aussichten, S. 37. Ebd., S. 20. 25 Ebd., S. 32; Volkmar Eidloth, Die ganze Landschaft ein Garten? Historische Kurorte „… und ihre Umgebungen“, in: Ders./Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 179–197, hier S. 182; Anna Pixner Pertoll, Merans grüner Salon. Die Parks, Promenaden und Alleen der Stadt von den Anfängen des Kurwesens bis zur Gegenwart, Bozen 2017, S.  179–197, hier S.  184; Sommer, Zur Kur nach Ems, S. 339. 26 Sarholz, Schöne Aussichten, S. 32. 27 Eidloth, Landschaft, S. 182; Pixner Pertoll, Merans grüner Salon, S. 31; Waltraud Kofler Engl, Kurpromenaden in Meran. Landschaftsarchitektur – Geschichte – aktuelle Ansprüche, in: Eidloth/ Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 231–242. 28 François de Capitani, Gesunde Schweiz. Der Gesundheitsdiskurs in der Aufklärung, in: Felix Graf/ Eberhard Wolff (Hg.), Zauberberge. Die Schweiz als Kraftraum und Sanatorium, Baden 2010, S.  15–17; Claude Reichler, Entdeckung einer Landschaft. Reisende, Schriftsteller, Künstler und ihre Alpen, Zürich 2005; Christa Habrich, Medizin- und naturwissenschaftshistorische Aspekte der Alpen als Heilungs- und Erholungsraum, in: Josef Nössing (Red.), Die Alpen als Heilungs- und Erholungsraum / Le Alpi Luogo di Cura e Riposo, Bozen 1994, S. 11–34; Margrit Wyder, Kräuter, Kröpfe, Höhenkuren. Die Alpen in der Medizin – die Medizin in den Alpen, Zürich 2003. 29 Dieter Alfter, Alleen als Ursprungsform von Kurparkanlagen. Das Beispiel Bad Pyrmont, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 93–100. 30 Gotthardt Frühsorge, Die Kunst des Landlebens. Vom Landschloß zum Campingplatz. Eine Kulturgeschichte, München/Berlin 1993; Norbert Schneider, Geschichte der Landschaftsmalerei. Vom Spätmittelalter bis zur Romantik, Darmstadt 1999. 24

Gärten, Parks und Natur – „gesunde“ Spaziergänge in der Kurlandschaft

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Abb. 3: „Prospect und gründliche Vorstellung des Pyrmontischen Thals und der weltberühmten Gesund-Brunnen daselbst“. Quelle: Philipp SEIP, Neue Beschreibung der Pyrmontischen Gesund-Brunnen […], Hannover 1717.

Quelle stand, wie die Kunsthistorikerin Irene Haberland am Beispiel des Weinbrunnens in Bad Schwalbach gezeigt hat, im Zentrum einer neuen Bildtradition, welche den „Hylligen Born“, so der bezeichnende Name der Pyrmonter Quelle, zum Kern eines besonderen „locus amoenus“ machte. Die Erwartungen der Kurgäste richteten sich entsprechend auf eine abwechslungsreiche, aber auch in sich stimmige und vor allem heilsame (‚therapeutische‘) Landschaft.31 Die ‚unerfreulichen‘ Felsen und Schluchten, die viele der zumeist in den Alpen oder in Mittelgebirgen gelegenen Thermalbäder kennzeichneten, wurden so im Rahmen eines Gesamtgemäldes geradezu zum Topos des ‚Erhabenen‘.32 31

Der Begriff ‚therapeutische Landschaft‘ wurde 1992 vom amerikanischen Wissenschaftler Wilbert Gesler (geb. 1941) geprägt: Roswitha Mattausch, „Überall wird man von neuen Schönheiten überrascht“. Gärten, Parks und die Homburger „Kurlandschaft“ im 19. Jahrhundert, in: Dies./Andrea Pühringer, Mondäne Stadt – Idyllische Landschaft. Der Aufstieg Homburgs zum Kur- und Modebad im 19. Jahrhundert, Neustadt/Aisch 2016, S. 69–116, hier S. 115, Fußnote 1; Ulrich Gebhard/ Thomas Kistemann (Hg.), Landschaft, Identität und Gesundheit. Zum Konzept der Therapeutischen Landschaften, Wiesbaden 2016. 32 Fred Kaspar, Der Kurgarten. Ein historischer Überblick. Von Spielwiese und Allee zu Kurgarten und Kurpark, Petersberg 2016.

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Die konkrete Aus- und Umgestaltung der Badeorte folgte bereits seit dem 16.  Jahrhundert dem sich wandelnden Naturverständnis, das in der Gartenkunst seinen besonderen Ausdruck fand, und entsprach damit zugleich den Anforderungen der Kurgäste, die auch andernorts über unzureichende Spazierwege und fehlende Sehenswürdigkeiten klagten.33 Es sollte schließlich vor allem das Vorbild des ‚englischen‘ Landschaftsgartens sein, das seit dem späteren 18. Jahrhundert von den Gesundbrunnen ausgehend wunderschöne Kurlandschaften mit einem schier unbegrenzten Wegenetz und zahlreichen malerischen Aussichtspunkten entstehen ließ.34 Viele Kurorte erlebten im 18. und 19.  Jahrhundert eine ähnliche Entwicklung wie Bad Ems,35 und es gab zur Zeit der Weltbäder, wie zuletzt Irene Haberland betonte, geradezu ein Stereotyp, wie eine Kurlandschaft auszusehen hatte.36 Dennoch ist nicht zu vergessen, dass die Zahl der mondänen Kurorte überschaubar ist, während wir über die Vielzahl kleinerer Bäder noch relativ wenig wissen. Der ländliche Badeort (Röthenbach bei Nagold im Schwarzwald), den etwa Eduard Mörike (1804–1875) wegen „rheumatischer und gichtiger Übel“ im Sommer 1862 aufsuchte, bestand nur aus wenigen Gäste- und zwei Badehäusern, und zur Unterhaltung kamen die Honoratioren aus dem nächsten Ort. Als Promenade diente der Fahrweg, der als schattiger „Badwaldweg“ durch ein schönes Tal führte.37 Schwer folgen konnten den neuen Ansprüchen auch die in engen Tälern gelegenen Wildbäder, die wenig Bewegungsraum für Ausflüge boten, wie Bad Gastein, Wildbad oder Pfäfers (bei Bad Ragaz). Hier half letztlich nur eine Leitung des Quellwassers aus den Schluchten heraus.38 Probleme gab es auch, wenn sich die Kurbrunnen inmitten von Städten befanden, wie in Aachen, Baden-Baden oder Wiesbaden, 33

Thomas Gunzelmann, Natur als Innovation. Die Landschaft historischer Kurorte als Therapeutikum, in: Peter Weidisch/Fred Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität. Tagungsband zum Symposium in Bad Kissingen 7.–9. März 2014 im Rahmen der transnationalen seriellen Bewerbung „Great Spas of Europe“ um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, Würzburg 2017, S. 99–127. 34 Katrin Schulze, Kurgärten und Kurparks in Europa – ein Überblick zu Charakteristika und Vielfalt ihrer Anlage und Gestaltung, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 15–28; Christina Vanja/Heide Wunder (Hg.), Die Taunusbäder. Orte der Heilung und der Geselligkeit, Darmstadt/Marburg 2019. 35 Andrea Pühringer, Der Taunus – Konjunkturen einer traditionsreichen Bäderlandschaft, in: Vanja/ Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 149–177. 36 Irene Haberland, Ein erfrischender Quell des Lebens. Vom Jungbrunnen zur Kurpromenade, in: Dies./Matthias Winzen (Hg.), Natur und Kulisse. Vornehme Parallelgesellschaften im 19. Jahrhundert, Oberhausen 2017, S. 103–121, hier S. 118f. 37 Elisabeth Horn, ‚Lang, lang ist’s her‘. Mörikes Badekur in Röthenbach bei Nagold, Marbach am Neckar 2004, S. 15. 38 Werner Vogler, Heilbäder in den Alpen im Spätmittelalter und in der Renaissance am Beispiel Pfäfers, in: Nössing (Red.), Die Alpen, S. 137–156; Elisabeth Lobenwein/Alfred Stefan Weiss, Vom Wildbad zum Heilbad. Die Thermalquellen in Gastein im Blickpunkt der Reiseliteratur bis ca. 1830, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 12 (2013), S. 27–42; Günther E. Natsch, Die Trinkkur mit Mineralwasser. Ein kulturgeschichtlicher Exkurs unter besonderer Berücksichtigung der Therme von Bad Pfäfers/Bad Ragaz, Bad Ragaz 1995; in Leukerbad wurde erst im 19. Jahrhundert eine mit einigen Bäumen gesäumte Promenade zum ‚Lustwandeln‘ angelegt, bis dahin traf man sich auf dem Dorfplatz: Gabriele M. Knoll, Badebüchlein Leukerbad. 500 Jahre Badetourismus in Leukerbad, Leukerbad 2001, S. 34.

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Abb. 4: Bad und Promenade in Wildbad, Stahlstich von H. Schönfeld, gezeichnet von L. Thümling, um 1840. Im Vordergrund promenieren Kurgäste auf der Straße, links befindet sich die Wiese mit Buden. Quelle: Privatbesitz.

sodass bereits vorhandene Plätze und breitere Straßen eine besondere Kurallee ersetzen mussten. Nur die Verlegung des Kurbetriebs vor die Stadt konnte neue Dimensionen eröffnen.39 Bei vielen Kurorten, wie bei Bad Ems, wurden Kuranlagen additiv ergänzt. Eher die Ausnahme stellten Gesamtpläne für ein Kurbad auf ‚freiem Feld‘ dar, wie sich diese im 19. Jahrhundert finden, darunter Bad Oeynhausen und Bad

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Hans Siemons, Casanova in Aachen. Im Weltbad der heissen Quellen machte der venezianische Abenteurer sein Meisterstück, Aachen 2000, S. 24; Volkmar Eidloth, Landschaft, S. 181 zu Baden-Baden; Ulrich Maximilian Schumann, Aus dem Theater in die Natur. Friedrich Weinbrenners Planungen für Baden-Badens Promenade, in: Haberland/Winzen (Hg.), Natur und Kulisse, S. 235–253; Promenade der Klassik. Friedrich Weinbrenner in Baden-Baden, hg. von Stadtmuseum/Stadtarchiv Baden-Baden und Friedrich-Weinbrenner-Gesellschaft e. V., Bad Saulgau 2015; Martina Bleymehl-Eiler, „Das Paradies der Kurgäste“ – Die Bäder Wiesbaden, Langenschwalbach und Schlangenbad im 17. und 18. Jahrhundert, in: Matheus (Hg.), Badeorte, S. 53–80, zu Wiesbaden S. 61.

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Neuenahr, für welche Peter Joseph Lenné (1789–1866) Entwürfe vorlegte.40 Mit ihren Gradierwerken und den an ihnen entlangführenden Wegen besaßen schließlich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Solebäder, wie Bad Reichenhall und Bad Nauheim, ein eigenes Gesicht.41 Für alle diese Kurlandschaften war die Einbeziehung der natürlichen Gegebenheiten, insbesondere der Berge und Flüsse, sowie der bereits vorhandenen Sehenswürdigkeiten für die Eigenwerbung bedeutsam.42 Um ‚Natur‘ handelte es sich allerdings nur bedingt, da Verschiebungen von Erdreich, Abholzungen und Flussregulierungen durchaus üblich waren, um die gewünschte Landschaft herzustellen.43 Nicht zuletzt spielte das Engagement der (überwiegend fürstlichen, seltener städtischen) Obrigkeiten, bürgerlicher Eigentümer oder Pächter für die Ausgestaltung des Bades eine erhebliche Rolle. Sie planten die Kuranlage entsprechend eigenem Geschmack und Geldbeutel auch im Hinblick auf die erwünschten Gäste und die von ihnen erwartete Geselligkeit durchaus variantenreich. Als besonders gut erhaltene Kuranlagen des späten 18. Jahrhunderts mit zahlreichen Spiel- und Bewegungsangeboten, darunter ein Karussell, ist Wilhelmsbad bei Hanau, initiiert vom damaligen Erbprinzen Wilhelm von Hessen-Kassel, herauszustellen.44 Ihr Grundmuster unterschied allerdings die Kuranlagen vom Landschaftsgarten: Der Park entwickelte sich, insbesondere seit Einführung der Trinkkur, vom Brunnen aus. An der Quelle begann zunächst ein Wegenetz mit einer oder mehreren geradlinigen Baumalleen und einem nach und nach hinzugefügten Garten mit Blumenbeeten, Bosketten und vielen Ruheplätzen. Erst in einiger Entfernung ging man in 40

Klaus-Henning von Krosigk, Peter Joseph Lenné als Gestalter von Kurparks, in: Eidloth/Martin/ Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 45–54; Nadja Hormisch, „Der Kurgarten ist hier viel schöner wie in Carlsbad“. Entstehung und Entwicklung des Kurparks Bad Neuenahr, in: Petra Habrock-Henrich/Rita Hornbach/Brigitte Schmutzler (Red.), Peter Joseph Lenné. Eine Gartenreise im Rheinland. Begleitpublikation zur Sonderausstellung „Peter Joseph Lenné – Eine Gartenreise im Rheinland“ der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz/Landesmuseum Koblenz vom 15.04.–16.10.2011 in der Festung Ehrenbreitstein, Regensburg 2011, S. 173–189; Cornelia Jöchner (Konzeption und Text), Peter Joseph Lenné und die Geschichte des Kurparks Bad Oeynhausen. Eine Ausstellung zum 200. Geburtstag des Gartenkünstlers Lenné. Begleitschrift, Bad Oeynhausen 1989. 41 Johannes Lang, Im Garten der Heilung. Die Geschichte des Königlichen Kurgartens von Bad Reichenhall, Bad Reichenhall 2005; Michael Schwahn, Promenade und Kinderspiel – Der Bad Reichenhaller Kurgarten und die Kinderspielplätze in deutschen Sole-Heilbädern, in: Eidloth/Martin/ Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 79–90, hier S. 81; Hiltrud A. M. Hölzinger/ Christina Uslular-Thiele, Jugendstil in Bad Nauheim, Königstein im Taunus 2005. 42 Petra Martin, Wildbach – Floßgraben – Wasserkunst – Wildbach? Die Oos in den Kuranlagen in Baden-Baden, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 219–230. 43 Andrea Pühringer, Das Kurwesen als Motor der Urbanisierung. Stadtplanung und städtische Expansion im 19.  Jahrhundert, in: Mattausch/Pühringer, Mondäne Stadt, S.  7–67; zu Wiesbaden: Bleymehl-Eiler, „Das Paradies der Kurgäste“, S. 62. 44 Gerhard Bott, Heilübung und Amüsement. Das Wilhelmsbad des Erbprinzen, Hanau 2007; Bernd Modrow, In guter Gesellschaft kuren. Zur Geschichte der Bäder und Kuranlagen in Deutschland, in: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e. V. (Hg.), Garten und Gesundheit. Zur Bedeutung des Grüns für das Wohlbefinden, München 2008, S. 20–24; Hans-Heinz Eulner, Der Kur- und Badebetrieb am Wilhelmsbad in medizinhistorischer Sicht, in: Hanauer Geschichtsblätter 21 (1966), S. 125–164; Inken Formann, Wilhelmsbad – ein Kurpark des 18. Jahrhunderts. Geschichte, Entwicklung, Bestand, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 31–44.

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den nach englischen Vorbildern gestalteten Park, der schließlich in die Landschaft hinausführte.45 Überdies gehörten zur Brunnenanlage sehr bald überdachte Wandelgänge und Wandelhallen für das Auf- und Abgehen der Kurgäste bei Regenwetter. Der Kurpark war in besonderer Weise mit dem ‚Spaziergang‘ (so hieß auch der Platz beim Brunnen in Aachen) verbunden.46 Warum dies so sein musste, erklärt das physiologische Konzept der Badekur.

3. Physiologie und Gesundheitslehre als Basis der Kur In der Tradition der aus der Antike überlieferten hippokratisch-galenischen Medizin verstand man den Menschen auch in der Frühen Neuzeit als „unter der Haut“ (Barbara Duden) durch „Säfte“ (humores) bestimmt: nämlich durch Blut, gelbe und schwarze Galle sowie Schleim.47 Jeder Mensch besaß, u. a. durch Geschlecht und Alter, eine individuelle Komplexion, die sein ‚Temperament‘ ausmachten und vom Arzt bei der Behandlung zu berücksichtigen war. Michael Stolberg ist in seiner neuesten Studie zur Medizin der Renaissance auf Heilbäder besonders eingegangen. Demnach zählten diese zu den anerkannten „schweiß- und ausscheidungsfördernden Verfahren“. Es ging darum, so zitiert er einen angehenden Arzt des 16. Jahrhunderts, die „schädlichen Säfte des kranken und leidenden Körpers“ hinwegzuschwemmen.48 „Im gesunden menschlichen Körper“, so Stolberg, „waren ständig Veränderungen am Werk, wurden Stoffe bewegt, Nahrungsmittel assimiliert, Ausscheidungen getätigt und allerlei weitere Funktionen ausgeführt, ohne dass sich eine konkrete Quelle der Bewegung und Veränderung ausmachen ließ.“49 Speziell die Nahrungsaufnahme, zu der auch das Trinken des Brunnenwassers gehörte, stellte sich „als ein durchaus wörtlich zu verstehender Kochvorgang“ dar.50 Zunächst wurde die Nahrung im Magen verarbeitet, wonach die „unnützen, groben und trockenen Bestandteile“ als Kot über den Darm ausgeschieden wurden. Die verbleibende flüssige Nahrung wanderte in einem zweiten Schritt über die Bauchvenen zur Leber, um dort zu nahrhaftem Blut verkocht zu werden, das wiederum über die Venen in den gesamten übrigen Körper gelangte. Erneut wurden unbrauchbare Anteile abgesondert und als gelbe Galle via Darm ebenfalls zu Kot oder gelangten als schwarze Galle zur Milz. Wäss­ rige Anteile gingen über die Nieren als Harn ab. Eine dritte Verkochung erfolgte 45

Adrian von Buttlar, Der englische Landsitz 1715–1760 – Symbol eines liberalen Weltentwurfs, Mittenwald 1982. 46 Anke Ziegler, Deutsche Kurstädte im Wandel. Von den Anfängen bis zum Idealtypus im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2004, S. 181f., 227, 231. 47 Barbara Duden, Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730, Stuttgart 1987. 48 Michael Stolberg, Gelehrte Medizin und ärztlicher Alltag in der Renaissance, Berlin/Boston 2021, S. 204. 49 Ebd., S. 49. 50 Ebd., S. 50f.

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Abb. 5: Eduard Gurk, Der Sprudel in Karlsbad, Aquatinta, erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Quelle: Biehn/von Herzogenberg, Große Welt reist ins Bad, S. 225.

schließlich in den einzelnen Körperteilen, die das Blut für sich nutzten und ihrerseits unbrauchbare Anteile mit dem Harn oder als Schweiß über die porenreiche Haut ausführten. Magen und Leber nahmen demnach die Verkochung der Nahrung zu Blut vor, während Niere, Milz, Blase, Haut und Darm sowie die Lunge, die den Körper von Rauch befreite, vor allem der Ausscheidung dienten. Herz und Hirn sorgten ihrerseits für die belebenden Geister („spiritus vitalis und animalis“).51 Waren Menschen krank, vermuteten Ärzte wie Laien störende Materien, die entweder über die Nahrung in den Körper hineingelangt oder durch körpereigene „Fäulnis“ entstanden waren und, weil der Magen zu schwach oder die Lebenswärme zu gering war, nicht assimiliert werden konnten.52 Die Ursache vieler Leiden waren folglich „lokale Ansammlungen von krankhafter, roher oder unreiner Materie“, die 51

Ebd., S. 51. Ebd., S. 130.

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in „zäher, schleimiger, klebriger“ Konsistenz Gefäße verstopfte und schlimmstenfalls den Blutfluss zum Erliegen brachte.53 Der Körper, so sahen es auch die Patientinnen und Patienten, sollte dringend von derartigem „Schmutz, von rohem Unrat, von Fäulnis und Verderbnis“ befreit und Verstopfungen bzw. Verhärtungen mussten behoben werden. Purgieren konnten Abführmittel, Klistiere, Aderlässe, das Schröpfen und Schwitzbäder, eine entsprechende Diät unterstützte die „Reinigung“. Der Besuch eines Gesundbrunnens, dem zumeist ein häusliches Abführen vorausging, erweiterte den therapeutischen Radius und wurde gerne auch prophylaktisch vorgenommen.54 Neben dem Thermalbad war am Gesundbrunnen das Trinken des Heilwassers spätestens seit dem 16. Jahrhundert erste Wahl, um den Leib von derartigen Schlacken und verdorbenen Flüssen zu befreien. Das Wasser als Arznei musste nun allerdings, wie alle Nahrung, so ‚verkocht‘ werden, dass schließlich alle Organe erreicht und zu nachhaltiger Abführung veranlasst wurden. Dass das Brunnentrinken früh morgens auf nüchternen Magen erfolgen sollte, war allgemeiner Konsens, da nach nächtlicher „Verkochung“ der Leib besonders empfänglich war. Häufig verschrieb der Brunnenarzt allerdings weitere Gläser für den späten Nachmittag, gegebenenfalls von einer anderen Quelle. Im Laufe der Kur wurden die Wassermengen gesteigert, um gegen Ende des Aufenthaltes wieder reduziert zu werden.55 Dem Trinken des Heilwassers war allerdings wenig Erfolg beschieden, so der Brunnenarzt Johann Friedrich Zückert (1737–1778), wenn man träge im Bett lag.56 Der Kurgast musste vielmehr aktiv werden und den Regeln der Diätetik folgen.57 Diese umfassende Gesundheitslehre, die neben Chirurgie und Pharmazie das dritte Standbein des aus der Antike überlieferten medizinischen Lehrgebäudes bildete, geht bis auf das 6. vorchristliche Jahrhundert zurück und wurde insbesondere in den galenischen Schriften zu einem Gesamtmodell ausformuliert. Durch Übersetzungen ins Arabische und zurück in das Lateinische flossen im Mittelalter auch Elemente der orientalischen Heilkunde sowie christlicher Heilsvorstellungen in die Diätetik ein.58 In der Zeit der Renaissance erschienen verschiedene Texte, die das ungesunde und sesshafte Leben in der Stadt kritisierten.59 Bald erschienen deutschsprachige 53

Ebd., S. 135. So Christof Wilhelm Hufeland, Makrobiotik oder die Kunst das menschliche Leben zu verlängern, hg. v. Frank Löhrer (Hg.), Aachen 2000 (auf Basis der Ausgabe von 1873), S. 90. 55 Christoph Wilhelm Hufeland, Praktische Uebersicht der Vorzüglichsten Heilquellen Teutschlands, Berlin 21820, S. 18–29. 56 „Die Leibesbewegung ist so nothwendig, daß ohne dieselbe eine Wasser-Cur selten gut anschlägt“: Johann Friedrich Zückert, Systematische Beschreibung aller Gesundbrunnen und Bäder Deutschlands, Berlin/Leipzig 1768, S. 98. 57 Alfred Martin, Die 6 res non naturales im deutschen Badewesen einschließlich der Klimatologie, in: 80 Jahre Münchner Medizinische Wochenschrift 1853–1933, München 1933, S. 5–9. 58 Wolfram Schmitt, Res non naturales, in: Lexikon des Mittelalters, Bd.  7, Stuttgart/Weimar 1999, Sp. 751–752; Wolfram Schmitt, Gesundheitstheorien in Antike und Mittelalter, in: Maria Blohmke/ Heinrich Schipperges/Gustav Wagner (Hg.), Medizinische Ökologie. Aspekte und Perspektiven, Heidelberg 1979, S. 18–35, hier S. 22. 59 Dietrich von Engelhardt, Diätetik, in: Werner E. Gerabek u. a. (Hg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin/New York 2005, S. 299–303, hier S. 301; Christina Vanja, Macht Stadtluft krank? 54

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„Regimina“ mit konkreten Anweisungen für „Hausväter“ und „Hausmütter“, die für das ‚gesunde‘ Leben der Hausangehörigen Verantwortung trugen.60 Schließlich erfuhr die Diätetik eine pädagogische Nutzung in „Gesundheits-Katechismen“, welche durch Predigten und Schulunterricht verbreitet wurden.61 Ziel der gesunden Lebensweise war eine „harmonia“, welche auf dem rechten Maß („metron“) für jeden Lebensvorgang beruhte. Im Zentrum der streng physiologisch basierten Diätetik standen die „sex res non naturales“, die ‚nicht natürlichen Dinge‘, Vorgänge, die sich nicht von selbst (wie das Atmen) vollzogen, sondern aktiv gelebt werden mussten.62 Jeder Mensch war individuell für seine Physis verantwortlich und musste auf ein Gleichmaß in sechs Lebensbereichen achten: auf Licht und Luft, Essen und Trinken, Wachen und Schlafen, Bewegung und Ruhe, regelmäßige Ausscheidungen und ausgeglichene Gemütsbewegungen.63 Entsprechend war der Tagesablauf bei Vermeidung von Extremen zu ordnen. Da Krankheiten auf eine falsche Lebensweise zurückgeführt wurden, war es die Aufgabe des Arztes, einen Weg zu empfehlen, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen: durch eine Reise, die Umstellung der Nahrung, spezifische Arzneien, Ruhe oder Aktivität und die Bezähmung der Leidenschaften zum Beispiel durch das Hören von Musik. Eine durchgehend prominente Rolle spielte in allen Gesundheitslehren das Essen und Trinken als Basis der Lebenskraft. Aber auch der Bewegung, die den „Fluss“ der Körpersäfte unterstützte, galt die besondere Aufmerksamkeit. Es handelte sich nur teilweise um (auch im heutigen Sinne) sportliche Betätigungen, vielmehr unterschied man die Intensitätsgrade „motus“, „motus levis“ oder „debilis“ und „motus mediocris“ und empfahl vor allem geschwächten Menschen ein besonders langsames Sich-Bewegen.64 Schließlich spielte neben anderen Purgationen das Bad eine prominente Rolle. Es macht, so die Diätetik Gemütskranke Stadtbewohner der Landgrafschaft Hessen in den Hohen Hospitälern Haina und Merxhausen, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 107 (2002), S. 83– 104; Werner Friedrich Kümmel, Der Homo litteratus und die Kunst gesund zu leben. Zur Entfaltung eines Zweiges der Diätetik im Humanismus, in: Rudolf Schmitz/Gundolf Keil (Hg.), Humanismus und Medizin, Weinheim 1984, S. 67–85. 60 Ortrun Riha, Medizin für Nichtmediziner: Die Popularisierung heilkundlichen Wissens im Mittelalter, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 13 (1994), S.  9–34; Birgit Zimmermann, Das Hausarzneibuch. Ein Beitrag zur Untersuchung laienmedizinischer Fachliteratur des 16.  Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung ihres humanmedizinischen-pharmazeutischen Inhalts, Dissertation Marburg 1975, hier S. 108–121; Michael Hero (Bearb.), Schachtafelen der Gesuntheyt, Straßburg 1533/ND Weinheim 1988); Artikel „Lebens=Ordnung“, in: Johann Georg Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats-Stadt-Haus- und Landwirthschaft, in alphabetischer Ordnung, Bd. 67, Berlin 1795, S. 260–317, http://www.kruenitz. uni-trier.de [Stand: 28.11.2021]. 61 Irmtrud Weispfenning, Die Hausväterliteratur in Barock und Aufklärung, in: Blohmke/ Schipperges/Wagner (Hg.), Medizinische Ökologie, S. 36–49; Irmtraut Sahmland, Volksaufklärung realitätsnah und praxistauglich: Der Gesundheitskatechismus Bernhard Christoph Fausts, in: Holger Böning/Hanno Schmitt/Reinhart Siegert (Hg.), Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts, Bremen 2007, S. 209–236. 62 Martin, Die 6 res non naturales. 63 Johann Dryander, New Arztnei und Practicierbüchlin, Frankfurt a. M. 1557, darin: „Von Übung des Leibs“, S. 81f. 64 Schmitt, Gesundheitstheorien, S. 26.

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der Zeit, die insbesondere Wolfram Schmitt eingehend vorgestellt hat, „den Körper feucht, stärkt die natürliche Wärme, fördert die Verdauung, nimmt die Müdigkeit, vergrößert die Poren, entleert die Schlacken, lindert Schmerzen, bekämpft Blähungen.“65 Eine nicht zu überschätzende Bedeutung besaß die sechste und letzte der Regeln, welche die „accidentia animae“ betraf. Die Affekte (Zorn, Angst und Furcht oder Heiterkeit und Freude) hatten Einfluss auf den gesamten Körper, und zwar (anders als im heutigen psychosomatischen Verständnis) als physiologische Vorgänge. Die Trennung von Seelischem und Körperlichem lag, wie Wolfram Schmitt zu Recht betonte, der ‚alten Medizin‘ noch völlig fern und sollte erst durch den naturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel im 19.  Jahrhundert bedeutsam werden. Während Angst und Furcht die Lebenswärme im Innern zusammenzogen, wirkte sich Freude gesundheitlich positiv aus, da sie diese zentrifugal im Körper verteilte und somit, wie alle anderen genannten Diätetiken, letztlich zur gewünschten Reinigung des Körpers beitrug.66 Denn, so Stolbergs prägnante Antwort auf die Frage, was Gesundheit sei: „Der gesunde Körper des 17. Jahrhunderts war vor allem ein Körper, der sich erfolgreich gegen fremde Materie in seinem Körper verteidigte, indem er sie verkochte und assimilierte oder indem er sie über seine Grenzen hinweg nach außen beförderte.“67

4. Bewegung im gesunden Kuralltag Für eine Kur spielten alle Regeln der Diätetik vom förderlichen Klima bis zur Heiterkeit des Gemüts eine Rolle, ja bedingten einander. Die Konsequenz bildete der streng geordnete Kuralltag, vom Aufstehen am frühen Morgen (zwischen fünf und sechs Uhr) bis zum gleichermaßen frühen Zubettgehen (um neun Uhr). Die Stunden des Brunnentrinkens, des Spaziergangs, des Badens und der Mahlzeiten waren in enger Reihung zeitlich festgelegt, wobei sich die Kurgäste möglichst den ganzen Tag über im Freien aufhalten oder zumindest die Wandelhalle aufsuchen sollten. Nur am Nachmittag und in den frühen Abendstunden bestand eine gewisse Programmfreiheit für Ausflüge, (leidenschaftslose) Konversation sowie (erheiternde) Konzert- oder Theaterbesuche.68 Dagegen waren der Gang in den Spielsalon, übermäßige „Geschlechtsliebe“ ebenso wie die Bettruhe bei Tage aus Sicht der Ärzte der Kur nicht zuträglich.69 65

Ebd., S. 27. Ebd., S. 30. 67 Michael Stolberg, Verständnis und Erfahrung von ‚Gesundheit‘ in der medikalen Laienkultur des 17. Jahrhunderts, in: Klaus Bergdolt/Ingo F. Herrmann (Hg.), Was ist Gesundheit? Antworten aus Jahrhunderten, Stuttgart 2011, S. 111–120, hier S. 119. 68 Christoph-Hellmut Mahling, „Residenzen des Glücks“. Konzert – Theater – Unterhaltung in Kur­ orten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Matheus (Hg.), Badeorte und Badereisen, S. 81–100. 69 „Regeln (Gesundheits=)“, in: Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon, Bd.  30, Leipzig/Halle 1741, Sp.  1732–1739, hier Sp.  1733f., www.zedler-lexikon.de [Stand: 66

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Abb. 6: Gottfried Franz, Kurgäste bei Schlangenbad im Taunus beim Ritt mit Eseln, Holzschnitt 1878. Quelle: Privatbesitz.

Der Spaziergang begleitete also fast den ganzen Kuralltag. Gefordert wurde vor allem der Spaziergang zu Fuß. Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein galten jedoch Spazierfahrten mit der, die Insassen durchrüttelnden Kutsche (nicht aber mit der Sänfte) und Spazierritte (auf dem Pferd oder Esel) als akzeptierte Alternativen.70 Im Falle einer Gehbehinderung, die auch nicht mit Gehhilfen ausgeglichen werden konnten, empfahlen einige Badeschriften als Notlösung lautes Reden, das Vorlesen „aufgeweckter Sachen“ oder (in begrenztem Maße) das Singen, um die Motion im Körper zu befördern.71

28.11.2021]; Horst Prignitz, Wasserkur und Badelust. Eine Badereise in die Vergangenheit, Leipzig 1986, S. 83; Martin, Die 6 res non naturales, S. 8; Friedrich August von Ammon, Brunnendiätetik: Anweisungen zum zweckmässigen Gebrauche der Gesundbrunnen und Mineralbäder Deutschlands, Leipzig 41841, S. 80–22; der Bettruhe bei Tage sagte Dr. Moritz Gerhard Thilenius (1745–1808) 1772 den Kampf an und gewann ein Preisausschreiben der hessischen Landgrafen: Helmut Burmeister (Hg.), Beschreibung der Gesundbrunnen und Bäder bey Hofgeismar 1772, Hofgeismar 1989, S. 92. 70 Ammon, Brunnendiätetik, S. 48–50. 71 Zückert, Systematische Beschreibung, S. 98; Ammon, Brunnendiätetik, S. 20.

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Der Spaziergang in seiner Doppelbedeutung als Spazierweg und als Spazieren hatte seinen Ursprung wie die Diätetik insgesamt in der Antike; er findet sich wieder in höfischen (französischen) Gartenanlagen und seit dem frühen 17. Jahrhundert auch in öffentlichen Alleen (von „aller“ = gehen) oder Promenaden (von „promener“).72 Derartige frühe „Gehbahnen“ verbanden in der Regel ein Schloss mit einem Lustgarten, eine Winter- mit einer Sommerresidenz. Bald legten jedoch auch städtische Obrigkeiten vor den Stadttoren oder auf den geschliffenen Wällen bequeme, breite Alleen an, damit Stadtbewohner bei entsprechender Freizeit Licht und Luft genießen und in Bewegung kommen konnten.73 Gehwege an den Gesundbrunnen waren zunächst auf Pfade von den Unterkünften aus und auf gepflastertes Terrain um die Brunnen herum begrenzt. Dies zeigen frühe Darstellungen des Langenschwalbacher Weinbrunnens (heute Bad Schwalbach im Taunus), den Kaiser Rudolph II. (1552– 1612) von Wien aus aufgesucht haben soll.74 Standen die Brunnen in Städten oder Dörfern, diente, wie bereits angemerkt, der vorhandene Platz als Promenade. Als erste Kurpromenade im eigentlichen Sinne gilt die Allee zwischen dem Städtchen Wildungen (heute Bad Wildungen bei Kassel) zur im Wald gelegenen Brunnenanlage, die 1658 angelegt wurde.75 Eine der berühmtesten Promenaden war die Hauptallee im mondänen Bad Pyrmont, die an Schloss und Waisenhaus vorbei zum „Hylligen Born“ führte und im Laufe ihrer Geschichte von unzähligen Berühmtheiten begangen wurde.76 Das Gehen auf der Kurpromenade (oder deren Nebenalleen) war schon den frühen Badebesuchern empfohlen worden, wurde nun aber für alle Patientinnen und Patienten bei der Trinkkur zur unbedingten Pflicht. Das Gehen war nach Länge und Zeit abgemessen.77 Nach jedem Becher oder Glas Wasser78 mussten nämlich 500 Schritte (so in Pyrmont) hin und 72

„Spazieren, nach dem Französischen Ausdrucke, promeniren, von dem Französischen Zeitworte promener“, Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie, http://www.kruenitz.uni-trier. de [Stand: 20.10.2020]. 73 Clemens Alexander Wimmer, Alleen – Begriffsbestimmung, Entwicklung, Typen, Baumarten, in: Ingo Lehmann/Michael Rohde (Hg.), Alleen in Deutschland. Bedeutung, Pflege, Entwicklung, Leipzig 2006, S. 14–35. 74 Haberland, Ein erfrischender Quell des Lebens, S. 112–114; Heide Wunder, Der „Neuw Wasserschatz“ – Sauerbrunnen und Trinkkuren in Langenschwalbach, Schwalheim, Karben und Niederselters, in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 27–51, hier S. 34–36. 75 Bernhard Weller, Die Brunnenalle Bad Wildungen – die älteste Allee in einem Kurort, in: Geschichtsblätter für Waldeck 101 (2013), S. 81–93. 76 Dieter Alfter, Alleen als Ursprungsform von Kurparkanlagen. Das Beispiel Bad Pyrmont, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 93–100. 77 Und dabei keineswegs ein Selbstzweck, wie Kulturwissenschaftler György Sebestyén meint: Die Kurpromenade oder die Erfindung der Kunstnatur, in: Sigrid Canz (Hg.), Große Welt reist ins Bad 1800–1914. Baden bei Wien, Badgastein, Bad Ischl, Franzensbad, Karlsbad, Marienbad, Teplitz. Katalog zur Ausstellung des Adalbert Stifter Vereins, München/Passau 1980, S. 36–42, hier S. 41. 78 Zur Geschichte der Trinkgefäße vgl. Ursula Grzechca-Mohr, Homburger Brunnen-, Bade- und Souvenirgläser, in: Homburg wird Bad! Geschichte(n) vom Kurwesen und Bäderarchitektur. Eine Ausstellung des Museums im Gotischen Haus Bad Homburg v. d. Höhe, 4. März bis 24. Juni 2012, Bad Homburg vor der Höhe 2012, S.  44–71; die Karlsbader Schnabelbecher waren seit 1792 aus Porzellan und temperierten das Wasser: Gabriele M. Knoll, Kulturgeschichte des Reisens. Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub, Darmstadt 2006, S. 49f.

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Abb. 7: Der Weinbrunnen in Langenschwalbach, heute Bad Schwalbach, mit Laub überdachtem Umgang, steinernen Sitzgelegenheiten und Mineralwasserabfüllung. Kolorierter Stich von Joan Janssonius 1657 nach Matthäus Merian d. Ä. 1631. Quelle: Privatbesitz.

zurück oder eine Laufzeit von 10 bis 15 Minuten absolviert werden, damit sich die getrunkene Arznei im ganzen Körper verteilen konnte. Man ging vom Brunnenhaus zu einem Denkmal oder Springbrunnen und wieder zurück. Langsames Gehen war vorgeschrieben, damit die ‚unreinen‘ Flüssigkeiten nicht als Schweiß, sondern, wie medizinisch gewünscht, zuerst als Urin und Kot abgingen.79 Da das Trinken von bis zu zwei Litern Wasser auf nüchternen Magen in der Regel bald seine Wirkung 79

Philipp Seip, Neue Beschreibung der Pyrmontischen Gesund-Brunnen. Darinnen derselben Historie, wahrer mineralischer Inhalt und Gebrauch, Beydes Im Trincken und Baden, Hannover 1717, S. 293f.

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tat, wurden Aborte parallel zu den Promenaden errichtet. In Pyrmont waren es 150 Kabinette, deren Schlüssel man gegen eine Taxe für die Zeit der Kur erwarb.80 Andernorts befanden sich die Toiletten in den Kurgebäuden oder waren in begleitende Mauern mit Arkaden integriert.81 Auch warteten nahe dem Brunnen besonders viele Ruhebänke auf die Brunnentrinkenden, die weder ermüden noch schwitzen sollten. Hatten die Gäste dieses Frühmorgenprogramm in legerer Kleidung absolviert, konnten sie sich umkleiden und, was nicht selten ebenfalls auf der Allee erfolgte, das Frühstück einnehmen. Wem ein zweites Trinken ab vier oder fünf Uhr nachmittags verschrieben worden war, wiederholte die Prozedur. Die weiteren Spaziergänge aus der Kuranlage hinaus in den Landschaftsgarten mit den sich schlängelnden oder im Zickzack bergan verlaufenden Wegen und schließlich weiter in die Umgebung auf den Straßen der Land- oder Holzwirtschaft bzw. der Jagd standen nicht mehr im unmittelbaren Zusammenhang mit der Trinkkur.82 Sie entsprachen der allgemeinen Wertschätzung des Spaziergangs in „freier“ Luft, waren aber auch als Bildungs- und Tugendgang im Sinne der ‚englischen‘ Gartenarchitektur konzipiert. Kurgärten hatten hierbei, wie Christian Cay Lorenz Hirschfeld (1742–1792) in seinem fünften Buch der Gartenkunst83 empfahl, ein besonderes Programm: Es gab zahlreiche Denkmäler und Erinnerungsstätten für die Förderer des Bades ebenso wie für berühmte Ärzte, den Heilsgott Asklepios und Hygeia als Göttin der Gesundheit. Und nicht zuletzt verwies der Spaziergang in die ‚Natur‘ mit seinen vorgegebenen Ausblicken auf die Bukolik der ‚Berge‘ zugleich kritisch auf die Widernatürlichkeiten des zivilisierten städtischen Lebens, das die Krankheit verursacht hatte. Nahezu jedes Bad besaß einen Aussichtspunkt, von dem man auf das Kurviertel mit dem vielfach tempelartigen - oft antik (Asklepios), aber auch christlich als Oktogon gestalteten - Brunnenhaus hinabsehen und des Wirkens Gottes als Spender des Heilswassers gedenken konnte.84 In diesem Sinne kann auch den Spazierwegen vorbei an Kapellen, Kirchen, gelegentlich einer Synagoge und

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Brigitte Erker, ‚Brunnenfreiheit‘ in Pyrmont. Gesundheit und Geselligkeit im letzten Drittel des 18.  Jahrhunderts, in: Raingard Esser/Thomas Fuchs (Hg.), Bäder und Kuren in der Aufklärung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen, Berlin 2003, S. 53–97, hier S. 65. 81 In Aachen erhob die Stadt bereits im 16. Jahrhundert Gebühren für die Benutzung öffentlicher Bedürfnisanstalten ‚hinter der neuen Redoute‘: Siemons, Casanova, S. 35; die Gartenbaufirma Siesmayer beschäftigte in Bad Ems zwei Toilettenfrauen: Vogt, Anlage, Pflege und Verschönerung, S. 57. 82 Burkhard Fuhs, Die heilende Kraft der waldigen Höhen. Die Bedeutung der Kur für die Erschließung der Umgebung Wiesbadens als Gesundheitslandschaft, in: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung NF 35 (1999), S. 187–204. 83 Christian Cajus Lorenz Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Fünfter Band. Nebst Register, Leipzig 1785, S.  85–115; Hirschfeld war Philosophieprofessor in Kiel: Wolfgang Kehn, Christian Cay Lorenz Hirschfeld 1742–1792. Eine Biographie, Worms 1992. 84 Marsilius Weigel, Außführliche Beschreibung deß vortrefflichen, herrlichen / Vnnd köstlichen warmen Badts Embß, deren Mineralien, Gebrauch, Tugent- und Würckungen: Neben kurtzer Erzehlung etlicher Schwachheiten Vnnd Zufäll / so darinn oder dardurch vnd welcher gestalt / können curiert werden, Frankfurt a. M. 1627, Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek: urn:nbn:de:bvb:12-bsb11425061-5 [Stand: 28.11.2021], S. 3–6.

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Wallfahrtsstätten eine seelsorgerische Intention zugesprochen werden. „Ohne Wasser ist kein Heil“, davon gingen die Kurgäste aus, aber spazierend erfuhren sie, dass dieses Heilwasser ein Geschenk Gottes war.85

5. Die Kurpromenade als therapeutischer Raum Sollte der Spaziergang auf der Kurpromenade der Gesundheit dienen, durfte sie nicht, wie bei Wilhelmine von Bayreuth, matschig und verschmutzt sein, sondern musste so gestaltet und gepflegt werden, dass sie gerne aufgesucht wurde.86 Dazu sollte die Promenade zunächst eben angelegt und mit einem guten Belag versehen sein, weshalb man Sand und bald vor allem feinen Kies auftrug sowie an den Seiten Drainagen legte.87 Spazierstöcke, die auf zahlreichen Darstellungen der Kurpromenade zu sehen sind, deuten darauf, dass sich die Kurgäste bei ihrem Gang besonders absicherten.88 Die Kuralleen mussten zudem besonders breit sein, damit zwei, drei oder auch fünf Kurgäste, darunter im Barock Damen mit breiten Reifröcken, bequem nebeneinander Platz fanden, denn es war diätetisch gewünscht, sich während des Promenierens zu unterhalten.89 Den Gesprächen ebenso wie dem interessierten Beobachten anderer Kurgäste dienten zahlreiche und zum Teil besonders lange Sitzbänke an beiden Seiten der Allee. Wie der Mediziner, Professor und Königlich-Preußische Leibarzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) empfahl, sollten die Sitzbretter unbedingt aus Holz und nicht aus (kaltem) Stein sein.90 Der Gärtner 85

Sylvelyn Hähner-Rombach (Hg.), „Ohne Wasser ist kein Heil“. Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser, Stuttgart 2005; Siegfried R. C. T Enders, Kultbauten ausländischer Gäste in europäischen Kur- und Badestädten – ein vernachlässigtes, gemeinsames Erbe?, in: Volkmar Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts. Internationale Fachtagung des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS, des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart und der Stadt Baden-Baden, 25.–27. November 2010, Stuttgart 2012, S. 201–210; zum Äskulaptempel in Baden bei Wien von 1798: Christian Hlavac/Astrid Göttche, Die Gartenmanie der Habsburger. Die Kaiserliche Familie und ihre Gärten 1792–1848, Wien 2016, S. 69; zur achteckigen Form vieler Brunnentempel: Haberland, Ein erfrischender Quell des Lebens, S. 116. 86 Thomas Classen, Landschaft, in: Gebhard/Kistemann (Hg.), Landschaft, S. 31–43. 87 So wurde die 1832 noch naturbelassene Uferpromenade am Wiesbadener Weiher öffentlich kritisiert: Bernd-Michael Neese, „Ein wahrhaft poetisches Produkt eines genialen Künstlers“. Der Weiher im Wiesbadener Kurpark von 1811 bis zur Gegenwart, Wiesbaden 2019, S. 69–73. 88 „Spatzierstab oder Stock, ist ein schmales […] Stäblein, mit einer Schleife Band versehen, diesen sich das Frauenzimmer an etlichen Orten bey dem Spatziergehen zu bedienen pfleget, heißt es bei: Zedler, Band 38, 1743, Sp. 1252, www.zedler-lexikon.de [Stand: 28.11.2021]. „Und hat eine jede Person einen weißen oder schwarzen Stecken von Wachholderholz in der Hand“, schreibt Johann Eckel 1608 über Schwalbach: Martin, Die 6 res non naturales, S. 8. 89 Zum Gehen unangebrachte, da steife Kleidung wurde allerdings bereits im 18. Jahrhundert kritisiert: Bernd Jürgen Warneken, Bürgerliche Gehkultur in der Epoche der Französischen Revolution, in: Zeitschrift für Volkskunde 85/2 (1989), S. 177–187, hier S. 181; Kleidungsempfehlungen gaben viele Badeschriften, z. B. Ammon, Brunnendiätetik, S. 46. 90 Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S. 59.

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in Meran brachte überdies Fußbretter an, um kalten Füßen vorzubeugen. 91 Bald sollten fast überall diese Sitzbänke in Weiß einen frischen Kontrast zum umgebenden, und nach zeitgenössischer Farbenlehre gesunden, Grün bilden.92 Dienten die Sitzbänke der Allee dem auf die Promenade gerichteten Sehen und Gesehen werden, so waren weitere Bänke, die von der Promenade aus aufgesucht werden konnten, Teil der schönen Gartenanlagen und lenkten den Blick auf Gewässer oder auf das weitere Landschaftsbild.93 Aus klimatischen Gründen war die Kurzeit allgemein auf die Monate April bis September beschränkt, was sowohl der diätetischen Beachtung der Luftverhältnisse diente (keine Auskühlung des Körpers) als auch mehrstündige Spaziergänge garantierte.94 Brunnenärzte gaben genaue Hinweise, welche Kleidung für den Gang auf der Promenade erwünscht war, nämlich bei Morgenkühle ein wärmender, unkonventioneller Morgenanzug und am Abend bei kaltem Wetter entsprechend warme Kleidung oder ein baldiger Rückzug in die Gebäude.95 Eine in sämtlichen Badeschriften betonte Eigenschaft der Promenaden war es, dass man dort vor der direkten Sonneneinstrahlung geschützt war. Dieser Schatten war medizinisch bedeutsam, da der Körper der Kurenden feucht bleiben musste, um die gewünschte ‚Reinigung‘ in seinem Innern nicht zu konterkarieren.96 Das allgemein übliche Tragen von Hüten gewährte weiteren Sonnenschutz. Auch Sonnenschirme sind auf vielen Abbildungen zu sehen.97 Die schattenspendenden Bäume im eigenen Kurpark pries jede Badeschrift an. Mindestens zwei, meist jedoch vier oder mehr Baumreihen mussten daher an beiden Seiten des jeweiligen ‚Spaziergangs‘, des Fuß-, Reit- oder Fahrwegs gepflanzt werden. Dem gewünschten Schatten diente die 91

Pixner Pertoll, Merans grüner Salon, S. 56. „Da, wo sich die Brunnengäste während des Trinkens am Morgen aufhalten, muß ein reiches Grün, das so erquickend und stärkend für das Auge ist, überall seinen sanften Teppich und seine schützenden Vorhänge ausbreiten“, Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, S. 87; Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S.  59; Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e. V. (Hg.), Garten und Gesundheit. Zur Bedeutung des Grüns für das Wohlbefinden, München 2008, S. 20–24. 93 Zu Baden-Baden: Jürgen Schönwälder, Ein Kurpark als Landschaftsgarten? Zur Genese und zum Vokabular einer öffentlichen Promenade, in: Haberland/Winzen (Hg.), Natur und Kulisse, S. 345–353. 94 Ammon erwähnt 1841 Wiesbaden und Teplitz: Ammon, Brunnendiätetik, S. 40; in Meran wurden Ende des 19.  Jahrhunderts entsprechend windgeschützte Promenaden angelegt: Pixner Pertoll, Merans grüner Salon, S. 116. 95 Heinrich Vogler, Ems, seine Heilquellen, Kur-Einrichtungen wie medicinische Anwendung, Straßburg 51876, S. 84f.; in Karlsbad erschienen die Frauen 1799 am Morgen offensichtlich unfrisiert, die Haare oft noch in Wickeln oder doch in Schlafhäubchen und in offenen englischen Schlafröcken mit umgehängtem Schal beim Brunnen, andernorts gab es immer wieder Kritik an der zu ‚großen Toilette‘ insbesondere der Damen, die ihre Brust eng schnürten, sodass für Bad Brückenau 1788 eine praktische Badeuniform für die Promenade vorgeschlagen wurde, allerdings ohne Erfolg: Alfred Martin, Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen, Jena 1906 [Reprint London 2015], S. 362. 96 Frühsorge, Die Kunst des Landlebens, S. 197: Entsprechend dem „Journal des Luxus und der Moden“ von 1792 besteht die Kur-Uniform aus einem jägergrünen Kleid, Spazierstock, einem roten Gürtel und einem rot-schwarzen Hut mit grüner Schleife. 97 Zum Beispiel: Gast Mannes (Hg.), Nassau und seine Bäder in der Zeit um 1840. Das Widmungsexemplar „The Brunnens of Nassau and the River Lahn“ von George Barnard an Herzog Adolph zu Nassau, Wiesbaden 2005. 92

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gewählte Baumart, die zugleich auf das Terrain abgestimmt sein musste.98 Linden waren offensichtlich (wie auch bei städtischen Promenaden: „Unter den Linden“) erste Wahl, aber auch Rosskastanien pflanzte man häufig. Beide Bäume besaßen relativ große Blätter, waren aber nicht zu dunkel für einen sommerlichen Gehweg. Bei den Linden wurde insbesondere ihr Duft, bei den Rosskastanien deren schöne weiße Blüten gelobt.99 Vom zentralen Gang aus finden sich in weiteren Reihen u. a. Ahorn-, Kirsch- und Nussbäume sowie Pappeln. Fürst Hermann von Pückler-Muskau (1785–1871) plädierte in seinen Ausführungen zum Heilbad im Muskauer Parkgelände für einheimische oder „bereits vor längerer Zeit eingeführte“ Bäume, dies wohl, weil deren gutes Wachstum erwiesen war, sie aber auch für das Lebensgefühl der Romantik eine Rolle spielten.100 Bekanntlich ließ der ‚grüne Fürst‘ relativ große Stämme mit Pflanzapparaten setzen, um die Zeit des Auswachsens zu verkürzen, ein Verfahren, das vermutlich auch bei Kurpromenaden genutzt wurde. In jedem Fall wurden die Bäume in Gärtnereien oder eigenen Plantagen vorgezogen. Damit der Promenadengang abwechslungsreich blieb, achtete zum Beispiel Peter Joseph Lenné auf Varianten bei den Abständen zwischen den Alleebäumen und auf Ausblicke in das weitere Umland.101 Im Umfeld beeinflussten Wiesen ebenso wie Bäche, Flüsse oder neu geschaffene Kanäle und Weyer mit ihrer Feuchtigkeit das Klima auf der Promenade und schufen zudem ein interessantes Landschaftsbild.102 Besonders wichtig war bei alledem die Unterhaltung. Hierzu diente neben „heiterer“ Geselligkeit allerorten die Kurmusik.103 Sie begann, wie für Pyrmont beschrieben, morgens mit einer Introduktion und vor allem an Sonn- und Feiertagen mit einer geistlichen Musik, der ein Potpourri – zum Teil eigens für die Bäder komponierter – ‚leichterer‘ 98

So pflanzte man in Pyrmont zuerst Kastanienbäume, die aber eingingen und durch Linden ersetzt wurden: Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, S. 94f. 99 Zedler, „Linde, Linden-Baum, Lateinisch Tilia“, Bd. 17, 1738, Sp. 1358–1363: sie „ist ein groß wachsender, breit-ästiger und einen starcken Schatten machender Baum, welcher wegen seiner guten Eigenschaften vor einen derer nutzbarsten geachtet wird.“; Zedler, „Castanien-Baum“, Bd. 5, 1733, Sp. 1302–1305: „Dieser ist ein grosser, starcker Baum, mit einer dichten, braunen und fleckigen Rinde überzogen.“, www.zedler-lexikon.de [Stand: 28.11.2021]. 100 Hermann Fürst von Pückler-Muskau, Andeutungen über Landschafts-Gärtnerei verbunden mit der Beschreibung ihrer praktischen Anwendung in Muskau, hg. v. Günter J. Vaupe, Frankfurt a. M. 1988, S. 87. 101 Nadja Hormisch, „Der Kurgarten ist hier viel schöner wie in Carlsbad“. Entstehung und Entwicklung des Kurparks Bad Neuenahr, in: Habrock-Henrich/Hornbach/Schmutzler (Red.), Lenné, S. 173–189; Cornelia Jöchner (Konzeption und Text), Peter Joseph Lenné und die Geschichte des Kurparks Bad Oeynhausen. Eine Ausstellung zum 200. Geburtstag des Gartenkünstlers Lenné. Begleitschrift, Bad Oeynhausen 1989, S. 56; Klaus-Henning von Krosigk, Peter Joseph Lenné als Gestalter von Kurparks, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 45–54. 102 Petra Martin, Wildbach – Floßgraben – Wasserkunst – Wildbach? Die Oos in den Kuranlagen in Baden-Baden, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 219–230; Bernd-Michael Neese, „Ein wahrhaft poetisches Produkt eines genialen Künstlers“. Der Weiher im Wiesbadener Kurpark von 1811 bis zur Gegenwart, Wiesbaden 2019. 103 Ian Bradley, Promenade Concerts, Music Pavilions and Bandstands. The Place of Music in Spa Parks, in: Eidloth/Martin/Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung, S. 115–122; Max Schönherr, Bademusik, in: Canz (Hg.), Große Welt reist ins Bad, S. 24–32.

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Musikstücke folgte.104 Die Termine waren auf die Brunnenzeiten abgestimmt, die vertragsmäßig engagierten Kapellen spielten also zumeist morgens zwischen sechs und acht Uhr und nachmittags ab fünf bis sechs oder sieben Uhr. Ermuntern sollten die Promenierenden neben der Landschaft und der Gartengestaltung auch die architektonisch ansprechenden Kurgebäude, die ebenfalls ein Aushängeschild der Brunnenbetreiber bildeten, sowie die, zumindest in Modebädern, zahlreichen Boutiquen am Wegesrand, die vor allem Luxuriöses boten.105 Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die Kurpromenade als Teil des Gesamtkunstwerks ‚Kurpark‘ in vielerlei Hinsicht nach zeitgenössischer Vorstellung die Gesundheit und den mit der Kur intendierten Heilungsprozess unterstützte. Die schöne Anlage sprach dabei über das Gehen selbst hinaus alle fünf Sinne106 besonders an, die dem Konzept der ‚alten Medizin‘ entsprechend ebenfalls unmittelbar auf die Physis wirkten: Den seit der Antike priorisierten Sehsinn107 erfreute die Art der Bepflanzung mit „erhabenen“ Bäumen, farbenfrohen Blumenbeeten und abwechslungsreichen Ausblicken in die malerische ‚Natur‘, aber auch die Beobachtung der „munteren“ Gesellschaft auf der Promenade und die Bewunderung der Bäderarchitektur. Den Hörsinn erreichte die ‚leichte‘ Kurmusik ebenso wie unterschiedliche Naturgeräusche, das Rauschen des Flusses, das Plätschern der Brunnenwasser oder der im Park zu erwartende Vogelgesang. Dem Geruchssinn sollten duftende Bäume, Sträucher und Blumen und natürlich die frische Luft schmeicheln.108 Einen möglicherweise unangenehmen Beigeschmack des Heilwassers besserte die Hinzufügung von Milch oder das Lutschen von Bonbons. Der Tastsinn dürfte bei den als „Kurschatten“ bekannten Liebeleien zu seinem Recht gekommen sein.109 Der Kurpark mit seiner Promenade war aus allen diesen Gründen ein idealer Ort für ein Leben gemäß der ‚sex res non naturales‘ und half als ‚therapeutischer Raum‘ den Kurgästen, die ihn spazierend erlebten und Farben, Düfte, Musik und Geselligkeit auf ihr Gemüt wirken ließen, ihre Physis fluid zu halten bzw. die ‚Verstockungen‘ und ‚Verschmutzungen‘ ihres Körpers zu beheben.110 104

Horst Weber, Der Musikpavillon oder Das Spiel um Drinnen und Draußen, in: Haberland/Winzen (Hg.), Natur und Kulisse, S. 197–209, insbes. S. 200. 105 Martina Bleymehl-Eiler, Luxus am Kurort. Ausdruck der Modernität?, in: Weidisch/Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität, S. 269–283. 106 Mark M. Smith, Sensing the Past. Seeing, Hearing, Smelling, Tasting, and Touching in History, Berkley/Los Angeles 2007. 107 Robert Jütte, Geschichte der Sinne. Von der Antike bis zum Cyberspace, München 2000, S. 75. 108 Alain Corbin, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs, Frankfurt a. M. 1990; in Hofgeismar erwartete man, angeregt durch einen künstlichen Wasserfall, den Gesang der Nachtigallen: Burmeister (Hg.), Beschreibung der Gesundbrunnen, S. 11. 109 Martina Bleymehl-Eiler, Der Kurschatten – ein Tabu bei Licht betrachtet. Eine Ausstellung der Stiftung Kur-, Stadt-, Apothekenmuseum Bad Schwalbach, Bad Schwalbach 2007. 110 Werner Friedrich Kümmel, Musik und Medizin. Ihre Wechselbeziehung in Theorie und Praxis von 800 bis 1800, Freiburg i. Br./München 1972; Christina Vanja, Musik im Hospital, in: Kornelia Grundmann/Irmtraut Sahmland (Hg.), Concertino. Ein Ensemble aus Kultur- und Medizingeschichte. Festschrift für Gerhard Aumüller zum 65. Geburtstag, Marburg 2008, S. 244–268; Dies., Georg Philipp Telemanns „Pyrmonter Kurwoche“ (1734) – Über die physiologischen Zusammenhänge von Trinkkur, Promenade und Musik, bislang unpublizierter Aufsatz der Tagung „Musik und Medizin. Musikwissenschaftliche und medizinhistorische Zugänge / Music and Medicine. Musicological and Medical-Histori-

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Abb. 8: Der Rundweg um den Weiher beim Wiesbadener Kurhaus, im Vordergrund ein Patient im Rollstuhl mit Begleitung, Kupferstich um 1830. Quelle: Privatbesitz.

6. Der ungestörte Spaziergang – Exklusion und Exklusivität Das Konzept der heilsamen Promenade setzte allerdings den Ausschluss aller Störungen, die Vermeidung von Lärm ebenso wie die Entfernung unerwünschter Menschen und Tiere voraus. Dazu mussten zunächst die Kurgäste selbst ihren Beitrag leisten, indem sie gemäß ärztlichem Rat schwierige Ehegatten und unruhige Kinder zu Hause ließen.111 Entsprechend war es auch für Frauen keineswegs ungewöhnlich, alleine zur Kur zu fahren.112 Die öffentlich bekanntgegebenen Brunnenordnungen cal Approaches“, veranstaltet vom Verein für Sozialgeschichte der Medizin u. a., Innsbruck 04.11.2021 bis 06.11.2021 (erscheint voraussichtlich in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin) 111 Hiltgund Jehle, „Laß Deinen Mann zu Hause!“ Die Badereise im 19. Jahrhundert, in: Gruppe Neues Reisen (Hg.), Frauen auf Tour. Reisebriefe, Berlin 1988, S. 20–30. 112 Christina Vanja, Women as Visitors of Spas, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 13 (2015), S. 219–225; Birgit Studt, Baden zwischen Lust und Therapie. Das Interesse von Frauen an Bädern und Badereisen in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Hähner-Rombach (Hg.), „Ohne Wasser ist kein Heil“, S. 93–117.

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belehrten Kurgäste vielerorts, dass das Reiten oder Kutschenfahren auf bestimmten Promenaden verboten und das Rauchen auf vorgesehene Plätze begrenzt war.113 Hunde gehörten nicht auf die Promenade,114 und Kinder waren vom Brunnen fernzuhalten.115 Auch das Degentragen wurde aus Furcht vor Duellen auf den meisten Promenaden verboten.116 Unerwünscht waren zudem Gäste, deren Behinderung im ästhetischen Raum einen abstoßenden Anblick bot oder bei deren Erkrankung (vermutlich epileptische) Anfälle zu befürchten waren. Letztere mussten beim Spaziergang begleitet werden.117 Schließlich galt fast überall ein Bettelverbot. Es wurden zwar Almosen gesammelt, die Armen selbst sollten für die Kurgäste jedoch unsichtbar bleiben.118 Zumindest in mondäneren Bädern sorgte Militär, später eine eigene Brunnenpolizei, durch Präsenz auf der Allee für Ruhe und Ordnung.119 Auch die Leitung des Kurbetriebs musste auf ein ungestörtes Promenieren Rücksicht nehmen. Die in jedem Jahr nötige Gartenpflege ebenso wie Bau- und Reparaturarbeiten sollten vor allem im Winter erledigt werden.120 Dies war für die beauftragten Firmen nicht einfach, da etwa die Bäume der Allee, wie für Pyrmont überliefert, mit gefrorenen Ballen in das kalte Erdreich gesetzt werden mussten.121 Bei der Auswahl der Pflanzen galt es nicht nur Sommerblüher zu präferieren, die Pflanzen durften auch nicht allzu viel fortlaufende Pflege benötigen, da nur die sehr frühen Morgen- sowie die späten Abendstunden jenseits des Brunnentrinkens für Gartenarbeiten blieben. Das Verbot, die Promenade während der Brunnenzeiten 113

Titus Malms, Der Roman der Hauptallee. Eine Geschichte in Geschichten, Bad Pyrmont 2011, S. 38; Reinhold P. Kuhnert, Urbanität auf dem Lande. Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert, Göttingen 1984, S. 138. 114 Martin, Deutsches Badewesen, S. 357; im Bad Neu Schauenburg bei Basel mussten die mitgebrachten Tiere ‚gesondert verwahrt werden‘: Gudrun Piller, ‚Wan Baden gehen die Weiber, so hat zu tun der Schneider‘, in: Barbara Alder/Claudia Pantellini (Hg.), Leibundleben. BL.CH. Vom Umgang mit dem Menschlichen Körper. Katalog des Kantonsmuseums Baselland Liestal, Muttenz/Basel 2000, S. 84–88, hier S. 88. 115 Frauke Quurck, Trinken, Baden und Spazieren. Kuranwendungen in Homburg, in: Homburg wird Bad! Geschichte(n) vom Kurwesen und Bäderarchitektur. Eine Ausstellung des Museums im Gotischen Haus Bad Homburg v. d. Höhe, 4. März bis 24. Juni 2012, Bad Homburg vor der Höhe 2012, S. 72–95, hier S. 77. 116 Martin, Die 6 res non naturales, S. 8. 117 Reglement. Wornach die Bürger und Haus= auch Gast=Wirthe in der Stadt Lauchstädt sich zu achten haben, Amt Lauchstädt, den 1sten Junii 1780, Kurfürstentum Sachsen (Nachdruck, in Bad Lauchstädt zu erwerben); für Karlsbad berichtete 1797 das „Journal des Luxus und der Moden“ über „verunstaltete Krüppel, und ‚ekelhafte, mit Lumpen kaum bedeckte Bettler“, die dem Kurpublikum nicht zuzumuten seien: Warneken, Bürgerliche Gehkultur, S. 183. 118 Christina Vanja, Arme Hessen in Kurbädern des 18. Jahrhunderts, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 12 (2013), S. 11–25; Dies., Arme Badegäste im Taunus, in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 105–118. 119 Wobei die gerade verlaufende Allee zur Übersichtlichkeit beitrug: Dieter Hagner, Alleen zur Zeit des Landschaftsgartens – von der Aufklärung bis zum Historismus, in: Lehmann/Rohde (Hg.), Alleen in Deutschland, S. 30–35, hier S. 31; zum Militär in Bad Ems: Christian Heinrich Thilenius, Ems und seine Heilquellen, Bad Ems 1816, S. 13; zur Brunnenpolizei in Pyrmont: Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 137f. 120 Vogt, Anlage, Pflege und Verschönerung, insbes. S. 61. 121 Titus Malms, Der Roman der Hauptallee. Eine Geschichte in Geschichten. Bad Pyrmont 2011, S. 71.

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zu betreten, galt aber nicht nur für Beschäftigte des Kurbetriebs, sondern ebenso für Händler, Handwerker und Transporteure, die üblicherweise den Weg durch den Kurpark nahmen und nun gegebenenfalls Umwege in Kauf nehmen mussten.122 Lärmende Wirtschaftsbetriebe wurden möglichst ganz aus dem Kurbezirk verbannt, und auch die Versorgungseinrichtungen für den Kurbetrieb sowie Bahnhöfe verlegten die Planer an den Ortsrand.123 Die Bauern und Bürger der Umgebung, die traditionell und bis zur Erntezeit, regelmäßig zum Baden und Trinken gekommen waren, Wasser holten oder sich auf die Bänke der Allee setzten, hielt man durch die Erhebung von Kur- bzw. Wassertaxen fern oder begrenzte Besuchszeiten auf die Stunden vor sechs Uhr morgens.124 Fälle des Widerstands gegen einen derartigen Kurbetrieb sind gelegentlich überliefert, aber noch nicht systematisch untersucht. Bauern, die den Bau der Kuranlage als Eingriff in ihre Gemeinderechte verstanden, wollten weder für die Alleen bezahlen noch ihre Wiesen und Felder verkaufen. Gelegentlich zerstörte die Bevölkerung sogar die bereits angelegte Allee, sodass die Bäume neu gepflanzt werden mussten.125 Die Frauen aus Eger, die herkömmlich Trink- und Badewasser für ihre Gäste aus Franzensbad holten, zertrümmerten 1791 sogar die Quellfassung.126 In einigen Bädern wurden ländliche Sonntagsgäste zwar geduldet, blieben aber für die gehobene Badegesellschaft ein Fremdkörper, deren Ausbleiben in Erntezeiten man nicht bedauerte.127 Auch arme Leute, welche ein Badealmosen erhielten, waren Kurgäste. Sie mussten jedoch zumeist, ebenso wie mancherorts die Juden, den Brunnen außerhalb der üblichen Brunnenzeiten nutzen oder an eigenen Quellen trinken und durften vielfach nur die Seitenalleen betreten. Wie für Wiesbaden überliefert, wurden beide Bevölkerungsgruppen sogar gänzlich auf die für sie bestimmten Badehäuser verwiesen.128 Diese Exklusivität der Promenade verunsicherte offensichtlich selbst die in die Kurliste eingeschriebenen 122

Hans-Jürgen Sarholz, ‚Dienstbare Geister‘ in Bad Ems. Der schöne Schein und ein Blick hinter die Kulissen, in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 119–132; Bleymehl-Eiler, „Das Paradies der Kurgäste“, S. 63. 123 Für Bad Homburg: Gerta Walsh, „Damit der Kurbetrieb nicht gestört werde!“ Vom Industriegebiet zum Gewerbepark, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 10 (1999/2000), S. 33–52; für Bad Nauheim: Andrea Pühringer, Der Taunus – Konjunkturen einer traditionsreichen Bäderlandschaft, in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 149–177, hier S. 160. 124 Den Ausschluss der Bauern von Bällen und Konzerten kritisiert 1824 in seiner Erzählung: Adolph Bühren [Friedrich Vogler], Vier Wochen in Pyrmont oder: Wer’s Glück hat, führt die Braut heim. Erzählung in Briefen (1824). Mit einer Einleitung neu herausgegeben von Titus Malms, Bad Pyrmont [1989], S.  24; Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S.  137. In Aachen erhob die Stadt bereits im 16. Jahrhundert eine Kurtaxe: Hans Siemons, Casanova, S. 35; Martina Bleymehl-Eiler, Luxus am Kurort, S. 269–283. 125 So in den 1780er Jahren in Bad Driburg: Fred Kaspar, Bau- und Kulturgeschichte, in: Gräflicher Park Bad Driburg. 1782. Tradition und Moderne. 2007. Arbeitsheft des LWL-Amtes für Denkmalpflege in Westfalen, Petersberg 2007, S. 75–294, hier S. 249. 126 Knoll, Kulturgeschichte des Reisens, S. 53. 127 In Pyrmont durfte die ländliche Bevölkerung den Trinkbrunnen nur von 3 bis 6 Uhr morgens aufsuchen: Kuhnert, Urbanität auf dem Lande, S. 137. 128 Wolfgang Fritzsche, 300 Jahre Jüdisches Kur- und Badewesen in Wiesbaden. Ein Beitrag zur Jüdischen Geschichte Wiesbadens, Wiesbaden 2014; Robert Jütte, Juden als Kurgäste in hessischen Bädern (ca. 1650–1850), in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 81–92.

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Gäste, wie die Satire eines Juristen auf Bad Pyrmont verdeutlicht. Der Protagonist des Briefromans war demnach in ständiger Angst, ob er auch angemessen gekleidet sei, und drückte sich lange Zeit auf den Seitenalleen oder am Rand der Hauptallee he­ rum, um den ‚grünen Männern‘ (der Brunnenpolizei) schnell entkommen zu können. Folglich blieb auch bei ihm ein Kurerfolg aus.129 Hingewiesen sei schließlich auf die Tatsache, dass die ortsansässigen Menschen, Bauern, Handwerker und Arbeiter sowie die vielen Dienstleute von Kurgästen kaum wahrgenommen wurden, selbst wenn sie von ihren Aussichtspunkten interessiert auf pittoreske Dörfer und Städtchen oder Schafherden mit Hirten und Hirtinnen blickten.130

7. Erfahrungen im Kurpark Brunnenärzte und Balneologen warben in hunderten von Brunnenschriften für ‚ihr‘ Bad mit dem Hinweis auf die schönen Promenaden, den ansprechenden Kurgarten und die reizvolle Landschaft mit ihren unzähligen Ausflugszielen und machten detaillierte Angaben, wie eine erfolgreiche Kur verlaufen sollte. Auch Maler und Dichter feierten Badelandschaften in Wort und Bild. Insbesondere ist die Zahl der Kupferstiche, Ölgemälde und Aquarelle unübersehbar, welche die muntere Kurgesellschaft auf der Promenade und die ansprechende Badearchitektur mit Trinkbrunnen, Wandelhallen und Kurhäusern von aussichtsreichen Standorten aus wie Paradiese vorstellt und selten kranke Menschen porträtiert.131 Lange Zeit vermeinten Kulturhistoriker auf den Promenaden ein Zusammenwachsen der Stände durch die hier herrschende „Brunnenfreiheit“ beim ‚bürgerlichen‘ Spaziergang erkennen zu können.132 Eine systematische Auswertung der Berichte über konkrete Kurerlebnisse, der unzähligen Briefe, Tagebücher, gedruckten Schriften sowie der nicht wenigen Erzählungen und satirischen Werken, die von Schriftstellerinnen und Schriftstellern mit Kurerfahrung stammen, steht jedoch noch aus.133 Mit der Frage nach 129

G[eorg] C[hristian] Sponagel, Meine viertägigen Leiden im Bade zu Pyrmont. Eine Brunnen-Lectüre, Pyrmont 31824, S. 198f. 130 Eine Ausnahme bildete Fjodor Iwanowitsch Dostojewski: Sarholz, ‚Dienstbare Geister‘, S. 119. 131 Mannes (Hg.), Nassau und seine Bäder. 132 Vertreterinnen und Vertreter dieser These gehörten insbesondere dem Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen an: Gudrun M. König, Eine Kulturgeschichte des Spazierganges. Spuren einer bürgerlichen Praktik 1780–1850, Wien/Köln/Weimar 1996. 133 Gottfried Heindl, Ein ‚weites Land‘ oder das Bad in der Literatur, in: Canz (Hg.), Große Welt reist ins Bad, S. 33–35; [Maximilian Leopold Langenschwarz], Die Weiber und die Badereisen. Oder: Wie der Pächter Schreiber mit seiner Frau zum Erstenmale nach dem Bade Pfäfers reist. Von ihm selbst erzählt an Dr. Langenschwarz. Eine Improvisation des berühmten deutschen Stegreifdichters im Bade zu Pfäfers. Herausgegeben mit dessen Bewilligung von einem Zuhörer, St. Gallen 1835; Jean Paul, Dr. Katzenbergers Badereise. Eine Satire, München 1960; Heinrich Hoffmann [alias Dr. Polykarpus Gastfenger], Der Badeort Salzloch oder Wie man ein Bad einrichtet, Gäste gewinnt und unterhält, Bad Orb im Spessart 1993 [Reprint der Frankfurter Ausgabe von 1860]; Titus Malms, Der Roman der Hauptallee. Eine Geschichte in Geschichten, Bad Pyrmont 2011.

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den Erfahrungen der Kurgäste kann an dieser Stelle somit nur ein Anfang gemacht werden. Allgemein zeigen diese Berichte, dass die vorgestellte Diätetik und speziell das Verständnis der Heilung als eines körperlichen Reinigungsprozesses nicht nur von Medizinern propagiert, sondern von den Kurgästen gleichermaßen geteilt wurde. Die Schreiberinnen und Schreiber betonten regelmäßig ihr großes Vertrauen in die Heilkraft des Wassers und waren (nicht zuletzt angesichts der nicht geringen Kosten einer Kur) gewillt, den ihnen vom Brunnenarzt individuell vorgeschriebenen Kurplan genau zu verfolgen. Das Vertrauen basierte insbesondere auf Berichten über Heilerfolge am jeweiligen Kurort und den Empfehlungen bekannter Ärzte, wie des Hallenser Medizinprofessors Friedrich Hoffmann (1660–1742), des Pyrmonter Brunnenarztes Dr. Philipp Seip (1686–1757) und vor allem des prominenten Verfechters von Thermalkuren, Christoph Wilhelm Hufeland.134 Für kranke Menschen hatte der Kuraufenthalt wenig mit einer Sommerfrische gemein, sondern glich wohl eher einer Arbeitsstrafe, so Fjodor M. Dostojewski (1821–1881),135 wobei die Forderung, sich ganztägig, auch bei unfreundlichem Wetter, im Freien zu bewegen, nicht nur anstrengend war, sondern zumeist von anderen Spaziergängern, vor allem aber von den Brunnenärzten kontrolliert wurde. Diese hielten auf der Promenade oder in der Wandelhalle ihre Sprechstunden ab und erteilten möglicherweise einen Tadel, welcher anderen Kurgäste nicht verborgen blieb.136 Dass die Kur durchaus drastische Folgen haben konnte, zeigen Hinweise in den Badeschriften, die Nebenwirkungen wie Blähungen, Krämpfe, Erbrechen, Kopfschmerzen, Übelkeit etc. durchaus benennen.137 Daher wurden die Brunnen gerne auch als „Kotzquellen“ und die Promenade als „Furzallee“ bezeichnet.138 Auch passte das häufige Verschwinden in den Aborthäuschen nicht recht zur gewünschten Ästhetik des gemäßigten Gehens an guter Luft. Die Kur, wie alle Heilungsprozesse, besaß insbesondere einen als „Krisis“ verstandenen Tiefpunkt, dem anschließend eine Wendung zum Besseren folgen sollte.139 Darüber berichtete der 36-jährige Achim von Arnim (1781–1831) im Juli 1817 seiner Frau Bettine aus Karlsbad, wo für ihn der Kuralltag mit dem vielen „Marschieren“ beim Brunnentrinken „der anstrengendste Dienst“ war. Die Wende folgte nach einer guten Woche:

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Hoffmann nahm sich insbesondere Bad Lauchstädts an, für das er 1724 eine Brunnenschrift verfasste: Bernd Heimühle, Historische Kuranlagen und Goethe-Theater Bad Lauchstädt, Halle an der Saale 1996, S. 7. 135 Dostojewski schrieb aus Bad Ems am 17. Juli 1874: „[…] ich werde noch aushalten in Erwartung des Erfolges. Glaub mir, manchmal stelle ich in Gedanken Vergleiche an: Wo ging es mir besser; hier oder bei der Zwangsarbeit? Und immer komme ich zu dem Schluß […], daß es bei der Zwangsarbeit trotzdem besser war, ‚ruhiger‘: Ich regte mich nicht so auf, war nicht so gereizt, nicht so überängstlich“, Karla Hielscher, Dostojewski in Deutschland, Frankfurt a. M./Leipzig 1999, S. 236f. 136 Titus Malms, Der Roman der Hauptallee. Eine Geschichte in Geschichten, Bad Pyrmont 2011, S. 45f. 137 Christoph Wilhelm Hufeland, Praktische Uebersicht der Vorzüglichsten Heilquellen Teutschlands, Berlin 21820, S. 31. 138 Prignitz, Wasserkur, S. 78. 139 Hufeland, Praktische Uebersicht, S. 18–20.

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„Was man hier Krisis nennt, habe ich eigentlich überstanden. Heftiges Kopfweh verfinsterte alle Sinne, im Unterleib zog Krampf auf und nieder, und nach vielen Ausleerungen floß zu meinem anfänglichen Schrecken blutiger Eiter aus meinem Hintern. Die Leute sagen aber, das müsse so sein und so ließ ich es mir gefallen.“140

Von Arnim bewegte sich sowohl in der Allee wie auch auf den weiteren Spazierwegen, so wie bei einer Brunnenkur gewünscht, und fuhr schließlich gebessert nach Hause. Nicht jedem Kurgast war jedoch ein derartiges Gehen möglich. Anton Tschechow (1860–1904) zum Beispiel lag 1904 in Badenweiler nur in seinem Zimmer, wo er schließlich auch starb,141 während der ‚hypochondrische‘ Hermann Hesse (1877–1962) im Jahre 1909 den Kurpark desselben Kurorts als viel zu klein und artifiziell empfand und einsame weite Wege in die Landschaft machte.142 Einige Jahre später (1923) beobachtete Hesse im Schweizerischen Baden allerdings die vielen vom Ischias gekrümmten Kurgäste, die sich nur mühsam mit ihren Stöcken auf und nieder bewegten, um schließlich aber nach etlichen Bädern selbst ermattet und kraftlos zu sein.143 Auch Bettine von Arnim (1785–1859) fuhr mehrfach zur Kur und schrieb 1820 aus dem fürstlichen Schlangenbad nach Hause: „Wenn sie ‚unter den Linden‘ gehe, sehe sie ‚jede Bank mit Sehnsucht an.‘“144 Dostojewski war bei seiner vierten Kur in Ems (1879), dessen schöne Lage er lobte, so schwach, dass er nur den engeren Kurbezirk mit der Promenade zum Brunnentrinken aufsuchte und es bedauerte, die vielen angepriesenen Ausflugsziele nicht besuchen zu können. Bei ihm, der trotz des während der Kur allgemein geltenden Arbeitsverbots an den ‚Brüdern Karamasow‘ schrieb, um seine Kur refinanzieren zu können, fehlte zudem das Geld, um ein Fahrzeug zu nutzen.145 Ebenso erging es dem Kaufmann Carl Sauermilch (1812–1864) aus Allenbach im Hunsrück im Jahre 1861, dessen Aktionsradius krankheitshalber (er hatte vermutlich Tuberkulose) deutlich eingeschränkt war.146 Er machte an guten Tagen Ausflüge zum relativ nahe gelegenen „Schweizerhaus“ und genoss dabei die „herrliche Aussicht“, war aber auch stets froh um Ruhepausen auf der Bank. Die Promenade am Brunnen suchte er von seinem aus finanziellen Gründen etwas abgelegenen Quartier zweimal täglich zum Trinken auf, litt aber an dem dortigen Menschengewühl und Lärm. Der permanent vom Heimweh Geplagte drehte jeden Groschen um und nahm gar nicht am Unterhaltungsprogramm des Kurortes (immerhin mit Aufführungen von Jacques Offenbach!) teil. Nur die 140

Roland Schiffter, „… ich habe immer klüger gehandelt … als die philisterhaften Ärzte …“. Romantische Medizin im Alltag der Bettina von Arnim – und anderswo, Würzburg 2006, S. 57. 141 Rolf Dieter Kluge, „… ein großer Garten, dahinter bewaldete Berge …“. Anton Tschechow in Badenweiler, Stuttgart 1998. 142 Hermann Hesse, Kurgast, in: Peter Martens/Rita Grimm/Rolf Langendörfer (Hg.), Eine raffiniert humane Kur. Hermann Hesse in Badenweiler, Freiburg/Breisgau 2009, S. 27–31, hier S. 29f. 143 Hermann Hesse, Kurgast. Die Nürnberger Reise. Zwei Erzählungen, Frankfurt a. M. 1962 (Darin: Kurgast. Aufzeichnungen von einer Badener Kur [1923], S. 11–149, hier S. 11f.). 144 Martin Dinges, Bettine von Arnim und die Gesundheit. Medizin, Krankheit und Familie im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2018, S. 23. 145 Rolf Hübner, Fjodor M. Dostojewski in Bad Ems, Bad Ems 1988, S. 12. 146 Karl Billaudelle (Hg.), Carl Sauermilch: Bad Emser Tagebuch 1861. Notizen, Bad Ems 1990.

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öffentliche Kurmusik, die er allerdings für schlecht befand, hörte er von Ferne. Er fand die Luft in Bad Ems wegen der vielen Aborte und menschlichen Ausdünstungen gar nicht gut, fürchtete sich bei windigem Wetter zu erkälten und litt unter dem sommerlichen Hitzestau im engen Lahntal. An fröhliche Gesellschaft oder gar einen ‚Kurschatten‘ war bei Sauermilch nicht zu denken. Er starb drei Jahre später in seinem Heimatdorf. Mehr Möglichkeiten trotz körperlicher Schwäche hatte der Komponist und Königliche Kapellmeister zu Dresden Carl Maria von Weber (1786–1826), der 1825 zu einer vierwöchigen Kur nach Bad Ems reiste.147 Neben den üblichen Gängen von seiner direkt an der Promenade gelegenen Unterkunft im renommierten ‚Haus Vier Türme‘, konnte er auch mit der eigenen Kutsche ausfahren und genoss mit Bekannten u. a. einen „herrlichen“ Ausflug nach Koblenz mit Besichtigung von Ehrenbreit­stein. Auch berichtete er seiner Frau in munterem Ton von der ‚Esels Partie‘ zum Jägerhaus, nach der er sehr gut geschlafen habe: „Du mußt nehmlich wißen, daß hier über 70 Esel sind, jeder hübsch gesattelt (Damen und Herren Sättel) und von einem Führer begleitet, auf diesen macht man nun alle die steilen Berg Parthien, die sonst unzugänglich wären. Du hast keine Idee, wie romantisch eine so berittene Gesellschaft aussieht, und was für komische Geschichten dabei paßiren […].“148

Der Baron, der fast täglich Konzerte und Theateraufführungen besuchte, wurde, anders als Carl Sauermilch, besonders fürsorglich durch den Brunnenarzt betreut, der ihm als Vertreter ‚heroischer‘ Therapien149 Fontanellen (die Geschwüre künstlich hervorbrachten) und Blutegeln legte, bis auch der Künstler seine ‚Krisis‘ erlebte und schrieb: „Die Bäder sind äußerst mild und angenehm. Sie jagen mir an vielen Stellen des Leibes und der Brust einen Friesel heraus.“150 Somit fanden die ‚Schlacken‘ im Körper ihren Weg durch die Poren der Haut hinaus. Trotz Heiserkeit und anhaltendem Husten war der Arzt zufrieden, „und ich [Carl Maria von Weber, C. V.] bin es auch, in Hoffnung auf die Folgezeit“.151 Doch von Weber musste zu viel sprechen, wie er seiner Frau klagte, denn der bekannte Künstler erhielt zahlreiche Einladungen von anwesenden Fürsten, die er nicht ablehnen konnte, musste sogar zum Ball, wo er der preußischen Kronprinzessin einen Walzer komponierte, und wurde immer wieder von anderen Kurgästen angesprochen: „ich mag fliehen wohin ich will, man findet mich auf und hält mich fest.“152 Selbst für ihn war die Kur teuer, denn neben den regulären Kosten wurden ‚Ehrenausgaben‘, also Spenden, erwartet, deren Höhe er detailliert nach Hause meldete, nämlich „ins Armenhauß; zur Ankunft der Prinzeßin das Feuerwerk […] und dergleichen“.153 Nach dem letzten Bad und ehrlichem 147

Joachim Veith/Eveline Bartlitz/Dagmar Beck (Hg.), „… die Hoffnung muß das Beste thun.“ Die Emser Briefe Carl Maria von Webers an seine Frau, Berlin/Detmold 2007. 148 Ebd., S. 59. 149 Dazu Robert Jütte, Krankheit und Gesundheit in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2013, S. 127–136. 150 Veith/Bartlitz/Beck (Hg.), „… die Hoffnung muß das Beste thun“, S. 63. 151 Ebd. 152 Ebd. 153 Ebd., S. 68.

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Abb. 9: L. Pietsch, Die Promenade in Baden-Baden, Zeichnung von 1864, mit lebhaftem Treiben der Kurgäste, im Hintergrund die Stadt. Quelle: Illustrierte Zeitung, 1864, Nr. 1113.

Befolgen des ‚Reglements‘ konnte er nur hoffen: „Gott gebe sein Gedeihen!“154 Von Weber starb allerdings bereits im Folgejahr. Bettine von Armin sollte, nach einer Pause von über 30 Jahren, mit einer weiteren Kur im hessischen Schlangenbad, wohin sie wegen ‚Lähmungserscheinungen‘ 1852 gereist war, mehr Erfolg haben. Ihr halfen, so ihr eigenes Resümee, die Waldluft und der tägliche Spaziergang. Aber auch sie wurde ein Opfer ihrer inzwischen als Schriftstellerin und Goethefreundin erlangten Berühmtheit: „Hier läuft mir das ganze Bad nach, alle wollen sich mir vorstellen lassen, jeder will dann wieder einen anderen vorstellen und“, teilte sie ihrem Sohn Freimund (1812–1863) mit, „(denke die Widerwärtigkeit,) alle wollen mir die Hand küssen und ehe ich es mir versehe hat eins sie erwischt und geküßt.“155 Körperliche Einschränkungen, Geldmangel, Heimweh und Sorgen um das Wohl der Daheimgebliebenen, aber auch Stand und Berühmtheit mit den damit verbun154

Ebd., S. 113. Dinges, Bettine von Arnim, S. 364.

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denen Verpflichtungen sowie nicht zuletzt ein für die ‚muntere‘ Gesellschaft wenig aufgeschlossenes Naturell und durch Krankheit gedrückte Befindlichkeit konnten also das vorgesehene Kurprogramm trotz bemühter Brunnen-Disziplin nachhaltig desavouieren. Die Schilderungen des Komponisten und der Schriftstellerin, beide im Adelsstand, verweisen auf gesellschaftliche Hierarchien, die der für das persönliche Wohlgefühl gewünschten ‚Brunnenfreiheit‘ mit gelockerten Umgangsformen entgegenstanden. Fürsten und Berühmtheiten luden berühmte Kurgäste ein; nicht zu den ersten Rängen bzw. zum Adel gehörende Kurgäste mussten auf Vermittler hoffen oder blieben Zuschauer. Auf der Promenade mischte sich also keineswegs ein ‚freies‘ Volk, selbst wenn es sich, nach der Exklusion unerwünschter Bevölkerungskreise, bereits um eine relativ geschlossene Gesellschaft handelte. Angehörige der Fürstenhäuser und ihre hohen Beamten sahen sich ganz offensichtlich nicht als Gleiche unter Gleichen, was u. a. ein Bericht der Reiseschriftstellerin Johanna Schopenhauer (1766–1838) verdeutlicht, die immerhin die Ehefrau eines begüterten Danziger Kaufmanns war. Sie fand bei ihrer Kur in Bad Pyrmont 1787 das zeremonielle Verfahren, als Bürgerin einer Adeligen vorgestellt zu werden, nämlich dieser die Hand zu küssen, ohne ein tatsächliches Interesse erwarten zu können, als ihrer unwürdig.156 Dieser und andere Berichte verweisen auf eine gesellschaftliche Hierarchie, welche der in den Badeschriften propagierten, als heilsam verschriebenen freien Kommunikation nicht entsprachen. In weniger mondänen Bädern, wo Fürsten, Adelige und höhere Beamte (Hofräte und Amtsleute der Region), die dem Bürgertum entstammten, in kleinerer Zahl kurten, gab es von vornherein mehr Kontakte. Eine derartige „wahre Brunnenfreiheit“ schilderte 1765 der 24-jährige Johann Christian Kestner (1741–1800) in seinem für die daheimgebliebene Schwester verfassten Tagebuch. Er kurte drei Wochen wegen einer chronischen eitrigen Mittelohrentzündung und Magenbeschwerden in Bad Rehburg nahe dem Steinhuder Meer.157 Das Bad wurde, obwohl der Brunnen bereits seit 1690 belegt ist, erst Mitte des 18. Jahrhunderts mit einer Allee, einem Ruheplatz, einer Wandelhalle sowie Brunnen- und Badehaus systematisch ausgebaut und von zwei Brunnenärzten betreut. Die hannover’sche Oberschicht reiste zu dieser Zeit noch ausschließlich nach Bad Pyrmont. Der Sohn eines hannover’schen Diplomaten und spätere (1773) Ehemann von Charlotte Buff (Goethes Lotte) sollte nach seinem Jura- und Geschichtsstudium Hofarchivar in Hannover werden. In Rehburg lernten sich alle Kurgäste (Offiziere, Amtmänner mit Familie und Frauen ohne Ehemänner) untereinander kennen. Kestner schildert sehr anschaulich, was sie auf der Promenade und an der Quelle über die Spaziergänge hinaus erlebten: Eine Bläsergruppe postierte sich auf der Allee und spielte viermal täglich auf, vom Morgen- bis zum Abendsegen.158 Man nahm unter den Bäumen den „grand Caffée“ und veranstaltete für die Damen auch eine Lotterie mit Galanteriewaren. Erwähnt werden weiterhin 156

Brigitte Erker, ‚Brunnenfreiheit‘ in Pyrmont, S. 75. Alfred Schröcker (Hg.), Die wahre Brunnenfreiheit. Das Kurtagebuch des Johann Christian Kestner vom 9. bis 30. Juli 1765 in Bad Rehburg, Hannover-Laatzen 2005. 158 Ebd., S. 14f. 157

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ein Schwalbenschießen und die Feier des Gottesdienstes im Freien, da die Kapelle für alle Anwesenden zu klein ist. Schließlich tanzt man auch auf der Allee.159 Kestner betonte, dass es dank der ‚Brunnenfreiheit‘ auch möglich war, ungeniert die ‚Frauenzimmer‘ zu mustern. In seiner Freude über den Wegfall der üblichen Etikette meinte Kestner zwar, dass der Stand hier nun wegfalle, bedauerte jedoch gleichzeitig eines der anwesenden Fräulein, dem „ihre unadelige Mutter ihr Schaden tun wird“, die also wegen dieses bürgerlichen Makels Nachteile beim Heiraten haben würde.160 Schließlich wurden auch ihm die Standesunterschiede bewusst und er klagte, „dass ich Meinesgleichen hier nicht habe. Frauenzimmer, junge Frauenzimmer, meine ich, könnten dieses wohl ersetzen; und es sind auch deren hier, aber die meisten sind adlich. Mit diesen mich sehr abzugeben ist nicht recht meine Sache. Wissen Sie warum? Die übrigen und selbst auch wohl die Fräuleins möchten denken, wenn man ihre Gesellschaft viel sucht, man wäre ein bisschen angeschossen. Solche Leute aber, die sich auf diese Weise über ihren Stand versteigen, kommen mir immer zweideutig vor, darum denke ich, andere urteilen ebenso“.161

Kestner wünschte sich also, wie viele gut ausgebildete Bürger, eine Lockerung des üblichen Zeremoniells und mehr Nähe zum Adel während der Kur, aber auch in dem damals noch zweitrangigen Bad Rehburg blieb die propagierte ‚Brunnenfreiheit‘ letztlich ein Wunschtraum.

8. Fazit Die besonders im deutschsprachigen Raum zahlreichen Kurparks gehören heute zu den meist besonders gepflegten und von Anwohnern ebenso wie von Gästen als attraktive Erholungsräume hoch geschätzten Grünanlagen von (auch ehemaligen) Badeorten. Sie entstanden häufig nach und nach und erhielten insbesondere im 18. und 19.  Jahrhundert das Aussehen einer Parklandschaft entsprechend den Idealen der Landschaftsmalerei. Vom Kurzentrum aus entwickelten die Betreiber der Bäder ein weitverzweigtes Wegenetz mit zahlreichen Aussichtspunkten und Einkehrmöglichkeiten. Die Einbeziehung der vorgefundenen natürlichen Verhältnisse und kulturellen Sehenswürdigkeiten in die Wegeführung war dabei ebenso wie der nachhaltige Eingriff in die vorgefundene Landschaft üblich. Keine Badeschrift ließ es aus, mit der Umgebung ihres ‚Gesundbrunnens‘ und der von dort zu Fuß, mit Reittieren, Kutschen oder modernen Verkehrsmitteln gut zu erreichenden Ausflugsziele zu werben. Die Kurlandschaft unterschied sich allerdings deutlich vom Landschaftspark, wie er im frühen 18.  Jahrhundert in England entworfen wurde, durch den unmittelbar bei der Quelle gelegenen Teil des Gartens: Wie seit dem 16. Jahrhundert 159

Ebd., S. 38. Ebd., S. 16. 161 Ebd., S. 17. 160

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bildlich nachvollzogen werden kann, erhielten hier die Brunnen eine Fassung, die auch einen Umgang mit Sitzbänken einschloss. Schließlich entstanden seit der Mitte des 17. Jahrhunderts (offensichtlich zuerst in Bad Wildungen) die ‚Gehbahnen‘, die als Alleen oder Promenaden, die zum Landschaftspark führten, die Gebäude der Kur­anlage miteinander verbanden oder einen Verbindungsweg zur Stadt bzw. zu den Hotels darstellten. Im Ursprung musste ein derartiger ‚Spaziergang‘ allerdings zu gar keinem bestimmten Ziel führen, sondern konnte in einer Wiese, an einem Springbrunnen, dem Schloss oder einem Wachhäuschen enden, denn es ging zunächst um das Gehen. Typischerweise handelte es sich oft um mehrere Baumreihen, deren Zwischenräume gärtnerisch mit Blumenbeeten und Bosquetten verschönert und schließlich durch Memorialorte, Spielplätze (Spielwiesen, Schaukeln, Karussells u. a.) ergänzt wurden. Schöne Ausblicke sollten auch beim Promenadengang die Kurgäste unterhalten und, etwa durch Verweise auf die Wohltäter und Wohltäterinnen des Bades, berühmte Mediziner und den religiösen Ursprung des Heilwassers, belehren. Der Spaziergang galt in der Frühen Neuzeit, im Unterschied zur heutigen psychosomatischen Wertschätzung der Bewegung in schöner Natur, in einem spezifisch physiologischen Sinne als ‚gesund‘. Gesund war entsprechend der im Wesentlichen aus der Antike tradierten Humorallehre, wer regelmäßig alle ‚Schlacken‘, die sich insbesondere durch die Nahrungsaufnahme im Körper ansammelten, durch Urin, Kot, Schweiß oder Winde abführen konnte. Diese Befreiung von ‚Unreinheiten‘ erfolgte durch ‚Kochungen‘, welche zur Assimilation der Nahrung nach Abstoßung von überflüssigen und schädlichen Partikeln führten. Die Ursache von Krankheit sahen Mediziner ebenso wie Laien in ‚Verstockungen‘, ‚Verkrampfungen‘, ‚Fäulnis‘ und ‚Verschleimung‘ im Körperinnern. Neben den üblichen Purgationen sollten, insbesondere bei chronischen Leiden, Heilbäder und Trinkkuren helfen, ‚Verstopfungen‘ aufzulösen und die „materia peccans“ auszutreiben. Abfolge und Umfang des Trinkens und des (an Bedeutung zurücktretenden) Badens legte der Brunnenarzt entsprechend der bei den Patienten festgestellten Leiden und ihrer speziellen ‚Komplexion‘ der ‚Säfte‘ individuell fest. Die Heilung war allerdings durch das Heilwasser allein nicht zu erwarten, vielmehr galt es, die bisherige, nämlich städtisch-sesshafte Lebensweise als zivilisatorische Krankheitsursache abzulegen. Hierzu gab die Lehre von den „sex res naturales“ als Ordnung von den im Alltag zu beachtenden Maßnahmen Anleitung. Jeder Mensch hatte sehr genau auf ein ihm wohltuendes Klima, eine gesunde Nahrung, ausreichenden Schlaf, regelmäßige Bewegung, auf Stuhlgang und Körperhygiene sowie nicht zuletzt auf ein ausgeglichenes Gemüt bei Vermeidung aller Leidenschaften zu achten. Diese Diätetik war auch in Bezug auf die ‚Affekte‘ streng physiologisch basiert. Die Badeordnung mit dem ‚gesunden‘ Spaziergang im Kurpark passte sich hier ohne Weiteres in das Gesamtkonzept der ‚alten Medizin‘ ein. Die ‚Motion‘, die um 1500 mit dem Gang zum Brunnen und um diesen herum begann, sollte nach und nach zum Leitfaden des ganzen Badebesuchs werden. Der Kuralltag wurde entsprechend für die Kurgäste vom morgendlichen Aufstehen bis zum Schlafengehen gleichsam nach dem Metronom strukturiert und sollte möglichst komplett im Freien und in ‚heiterer‘ Stimmung zugebracht werden, wozu Gespräche, Musik, eine kultivierte Natur und gemeinsame Mahlzeiten das Ihrige beitrugen.

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Zur Bewegung bedurfte es bequemer und beschatteter ‚Gehbahnen‘ und weiterer Spazierwege mit Ausblicken in die ‚malerische‘ Landschaft und lehrreichen Haltepunkten. Nötig waren auch Bänke, Aborte und Einkehrangebote. Und die Kurverwaltung hatte für Ruhe zu sorgen, damit in der ‚Idylle‘ möglichst nichts an das Arbeitsleben erinnerte, auf das der Konsumort allerdings angewiesen war. Ausgeschlossen wurden vom Kurgeschehen am Brunnen nach und nach auch alle als ‚unpassend‘ erachteten Personen: die Landbevölkerung, Bettler und Vagabunden sowie Kurgäste minderen Standes, Arme und mancherorts auch Juden. Ob die Kurgäste im Kurgarten tatsächlich ein ‚irdisches Paradies‘ vorfanden, ist bislang noch kaum untersucht. Tagebücher und Korrespondenzen, aber auch Reiseberichte und Novellen geben hier Einblicke. Für das späte 18. und 19. Jahrhundert wird deutlich, dass die Kranken das Thermalwasser als Arznei schätzten und in der Regel darum bemüht waren, den Anweisungen der Brunnenärzte, die sie auch auf der Promenade um Rat fragen konnten, zu folgen. Nicht wenige Kurgäste kamen jedes Jahr wieder und erfreuten sich durchaus der ‚Sommerfrische‘, die Standes- und Familienkontakte, aber auch berufliche Förderung, Eheverbindungen und nicht zuletzt einen Austausch unter Gebildeten ermöglichte. Angenehm und erfolgreich war die Kur jedoch nur bei entsprechender persönlicher Aufgeschlossenheit (einem ‚heiteren Gemüt‘) und (finanzieller) Sorglosigkeit. Auf die körperlichen Folgen der Kur verwiesen bereits die Badeschriften, die sie allerdings auf eigenes Verschulden zurückführten oder als ‚natürlich‘ etikettierten. Heftiger Urinabgang und anhaltender Durchfall ebenso wie Krämpfe und Übelkeit bis zur ‚Krisis‘ scheinen übliche Folgen gewesen zu sein, wurden aber offensichtlich als Kennzeichen des Genesungsprozesses akzeptiert. Da alle Kurgäste, deren Zahl in die Tausende gehen konnte, zugleich den Trinkbrunnen aufsuchten, wurde das morgendliche Gedränge vielfach als sehr unangenehm und zum Teil beängstigend erlebt. Vor allem ärmere Kurgäste, die allein kamen, hatten Heimweh und sorgten sich wegen der hohen Kurkosten. Sie nahmen auch am täglichen Veranstaltungsprogramm nicht teil und konnten keine Ausflüge mit der Kutsche machen. Vornehme Gäste und bekannte Persönlichkeiten wiederum klagten über Zudringlichkeiten und fehlende Ruhe. Vor allem die körperlich durch ihr Leiden sehr elenden Kurgäste konnten den Kurpark und insbesondere die in die Landschaft hinausführenden Wege kaum nutzen und fühlten sich im Kurviertel, wo sich oft die sommerliche Hitze staute und von Gewässern Nebel aufstiegen, eingeschlossen. Vielfach konnten sie selbst in der Ebene der Anforderung des stundenlangen ‚Marschierens‘ nicht genügen. Konzept und Realität stimmten bei diesen Kurgästen offensichtlich nicht überein, sodass vom ‚gesunden‘ Spaziergang nur bedingt zu sprechen ist. In Gottes Paradies gab es weder Krankheit noch einen Edelmann. Im Kurpark dagegen waren körperlich leidende und aus finanziellen Gründen und wegen Heimwehs sorgenvolle Menschen sowie Bürgerinnen und Bürger, die ‚Brunnenfreiheit‘ erwarteten, aber dann doch die bestehenden Rangunterschiede erlebten. Der Glaube an die Heilkraft des Wassers hielt sie zusammen. Schließlich florierten viele Kurorte auch im zunehmend gesellschaftskritischen 19. Jahrhundert; sie wurden Welt- und Fürstenbäder, Treffpunkte des reichen Bürgertums, speziell, wie Marienbad, auch der europäischen Juden, aber ebenso Orte für durch Stiftungen oder Versicherungen unterstützte ‚Sozialgäste‘. Dass die Attraktion der Bäder blieb, obwohl das Heil-

wasser selbst immer genauerer Prüfung unterlag, dürfte nicht zuletzt mit dem Kurpark zusammenhängen. Dessen Entstehung basierte zwar auf dem physiologischen Konzept der antiken Medizin, seine ästhetische Ausgestaltung machte ihn jedoch zu einem für viele Menschen in erweitertem Sinne heilsamen kulturellen Erbe.

KURSTÄDTE – SPORTSTÄDTE? DIE ENTWICKLUNGEN EINER AMBIVALENTEN BEZIEHUNG Matthias Marschik

Im „Illustrierten Österreichischen Journal“ war im Jahr 1907 in einem Feuilleton über die Kurstadt Baden zu lesen: „Sehr hoch steht ja jetzt der Sport in Gunst; im Kurort spielt man besonders Tennis. Daher sehr häufig der Tennisanzug, besonders für Nichttennisspieler. Bei Tennisspielern ist er seltener anzutreffen. Der weiße Anzug wirkt aber glänzend im Kurpark; er wirkt so schön, daß man über seine Betrachtung beinahe den Träger vergißt, was ja auch nicht so übel ist“.1

Ein Vierteljahrhundert später war im „Sport-Tagblatt“ über den Höhenluftkurort Semmering zu lesen: Ende Februar 1932 fanden die Skisprungmeisterschaften des „Wintersportklubs“ sowie ein Motorrad-Skijöring auf der Passstraße statt, „sodaß es nicht wundernahm, daß sich auf unserm populären Wintersportplatz gestern die große Sportwelt wieder ein Rendezvous gab“. Nicht nur die „nach Tausenden zählenden Zuschauer“ waren zufrieden, auch aus „allen Kreisen des Sports, der Indus­ trie und des Handels waren prominente Persönlichkeiten anwesend“. Sie kamen, um zu sehen und gesehen zu werden.2 Solche und ähnliche Zeitungsmeldungen, die in der österreichischen Presse immer wieder erschienen, spannen das Feld auf, um das es im Folgenden gehen soll: In Kurorten wurde Sommer- und Wintersport getrieben, es gab Sportarten, die von jedermann oder nur von ausgesuchten Spezialist:innen ausgeübt werden konnten. Sport in der Kurstadt, das konnte die medizinisch verordnete körperliche Ertüchtigung von Kurgästen, ein gesellschaftliches Ereignis im Sinne von Freizeitsport oder aber eine spitzensportliche Veranstaltung im Sinne der Unterhaltungskultur sein. Was die beiden Sportberichte freilich eint, ist die Tatsache, dass sie von elitären und nicht von populären Massensportarten handeln und dass die Ereignisse abseits urbaner Räume stattfanden: Nicht die Sportmetropole Wien, sondern die Kurorte Semmering und Baden bei Wien waren die Orte des Geschehens. Beide Artikel fallen in den Zeitraum zwischen 1890 und den 1950er Jahren. In dieser Phase nahmen 1

„Sch—z“: In der Saison, in: Illustriertes Österreichisches Journal (01.08.1907), S. 4–6, hier S. 6. Sport-Tagblatt (29.02.1932), S. 8.

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Kurorte eine besondere Rolle im Sportleben ein, ließ sich doch vorher nicht von „Sport“ im engeren Sinn sprechen,3 während sich ab den 1950er Jahren der Sport durch Professionalisierungstendenzen und die Kurstadt durch geänderte Freizeitpraxen massiv veränderten und damit die Beziehung von Sport und Kurstadt neu geordnet wurde. In der Folge sollten Eckpunkte der sportlichen Entwicklung von und in Kurorten wie dem Semmering und Kurstädten wie Baden bei Wien abgeleitet werden, die, bei allen Unterschieden, doch grosso modo auf die meisten mondänen Kurorte und Kurstädte übertragbar sind. Für spezielle Fragestellungen sollen auch Bezüge zu anderen Kurorten hergestellt werden. Nur zum Teil decken die Befunde das sportliche Geschehen in den zahlreichen kleineren Kurorten ab, wiewohl diese oft versuchten, die Sportpraxen in den Kurorten „à la mode“ zu kopieren, um damit im Konkurrenzkampf der Destinationen zu punkten. Welche Rolle der „Sport“ auch in kleineren Kur­orten spielte, wird in einem eigenen Kapitel zusammengefasst. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt jedoch auf „mondänen Kurorten“,4 die sich durch eine selektive, internationale, schichtspezifische Zusammensetzung der Gäste, durch eine darauf ausgerichtete Architektur und Infrastruktur und ein besonderes Unterhaltungsangebot auszeichneten. Ich beginne mit einer gerafften Darstellung zur Geschichte der beiden Kurorte Baden und Semmering, fokussiere dann auf den Bau von Sportstätten und die zeitliche Entwicklung von Sportveranstaltungen. Abschließend wird die Beziehung zwischen Kurorten und Sportkulturen präzisiert und kontextualisiert.

1. Die Kurorte Semmering und Baden In ihrer Genese als Kurorte könnten Baden und der Semmering unterschiedlicher nicht sein: Während die Heilquellen Badens schon in der Römerzeit genutzt wurden, erhielt der Semmering – trotz Ansätzen für einen Kur- und Heilbetrieb ab den 1870er Jahren – erst 1921 den Status eines heilklimatischen Höhenluftkurortes. Während Baden durch seine Lage zwischen Wiener Becken und Wienerwald ein mildes Klima aufweist, galt der Semmering noch um 1900 als raue Gebirgslandschaft. Und während Baden schon im 19. Jahrhundert fast als Vorort Wiens angesehen wurde5 und Ziel von „Landpartien“ wie ein Ort der „Sommerfrische“ war,6 wurde der Semmering erst um 3

Matthias Marschik, Moderne und Sport. Transformationen der Bewegungskultur, in: Ders./Rudolf Müllner/Otto Penz/Georg Spitaler (Hg.), Sport Studies, Wien 2009, S. 23–34. 4 Burkhard Fuhs, Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700–1900, Hildesheim/Zürich/New York 1992. 5 Andreas Förderer prägt dafür den Begriff „Freizeitsatellit der Stadt Wien“: Andreas Förderer, Playgrounds of Europe. Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden 2010, S. 81. 6 Peter Payer, Sommerfrische. Ein bürgerliches Ritual als Sehnsucht nach antiurbanen Sinnesreizen, in: Ferdinand Opll/Martin Scheutz (Hg.), Fernweh und Stadt. Tourismus als städtisches Phänomen, Innsbruck/Wien/Bozen 2018, S. 77–107, hier S. 80.

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1880 touristisch erschlossen.7 Erst ab 1890 standen Baden – als Sommerdestination – und der Semmering – als Ganzjahresziel – in einem Konkurrenzverhältnis um die Wiener „Stadtflüchtlinge“, deren Zahl aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung („Gründerzeit“) auf etwa 150.000 Personen geschätzt wurde.8 In Baden wurden die Kuranstalten ab 1750 sukzessive ausgebaut. Ab 1796 verbrachte Kaiser Franz I. die Sommermonate in Baden und erhob die Stadt zu seiner Zweitresidenz. Die Stadt avancierte zum bedeutsamen Kurort, denn im Gefolge des Hofes kamen auch der Adel und die Beamtenschaft, das gehobene Bürgertum und die Kunstwelt zur sommerlichen Erholung nach Baden, dessen „goldenes Zeitalter“ von 1800 bis in die 1930er Jahre angesetzt werden kann.9 Ab 1842 war Baden via Südbahn mit Wien verbunden, 1907 wurde eine elektrische Straßenbahnverbindung eröffnet. Für den Semmering bedeutete die Verlängerung der Südbahn bis Triest hingegen erst die Vorbedingung der touristischen Erschließung: Doch obwohl das Gebiet ab 1854 in zwei Stunden von Wien aus zu erreichen war, blieb es vorerst unberührte Natur. Erst ab 1870 wurde der Semmering im Zuge des aufkommenden Alpinismus durch Wanderwege erschlossen. 1882 begann eine Phase großer Bautätigkeit, die bis 1914 zur Errichtung zahlreicher Luxushotels, Pensionen und Villen führte. Damit wurde der Semmering zu einer Beletage der Monarchie, zu einem Kurort der Reichen und der Bohème, zu einem Ausflugsziel der Mittelschicht – aber auch zu einem Treffpunkt der internationalen Sportelite.10 Er wurde sukzessive ein Wiener Vorort: „Wien und der Semmering haben sich gegenseitig nichts vorzuwerfen, sie haben immerfort nur Ursache, einander zu bewundern und zu lieben […] wer sich aber nach der ernsten Ruhe des Hochgebirges sehnt, der ist zum zweiten Frühstück schon inmitten der Berge, in dem alpinen Vorort von Wien“.11

Was Kurorte wie Baden und den Semmering, Bad Kissingen oder Baden-Baden, Meran oder Opatija, Karlsbad und Marienbad auszeichnet, ist deren mondäner, internationaler Charakter. In ihren Selbstcharakterisierungen bezeichneten sie sich, analog zum geläufigen Begriff „Weltbad“, gern als „Weltkurorte“.12 Die Differenzierung in noble und kleine Kurorte ist jedoch kein Trend des 19. Jahrhunderts. Ein 1777 verfasster Führer durch die „Gesundbrunnen der österreichischen Monarchie“ hob aus

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Ab etwa 1900 war auch der Semmering nicht mehr „ein großes Reiseziel, sondern eine Außenstelle von Wien (und Budapest!)“: Wolfgang Kos, Die Eroberung der Landschaft. Zu einem kulturhistorischen Ausstellungsprojekt, in: Ders. (Hg.), Die Eroberung der Landschaft. Semmering, Rax, Schneeberg. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung Schloss Gloggnitz 1992, Wien 1992, S. 20–48, hier S. 23. 8 Payer, Sommerfrische, S. 83. 9 Raimar Wieser, Baden. Ein kleines Wien im Aquarell, Baden 1990, S. 97–110. 10 Matthias Marschik/Eduard Völker, Rund um den Semmering, Erfurt 2014, S. 7. 11 Illustierte Fremden-Zeitung (1909), Heft 1, S. 37. 12 Mitunter dient der Begriff auch als Fremdbeschreibung, wenn die „Österreichische Tourismusförderung“ Bad Gastein als Weltkurort anpreist: Bundesministerium für Handel und Verkehr. Gewerbeförderungsdienst (Hg.), Handbuch für den oesterreichischen Fremdenverkehr, Wien 1934, S. 132.

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fast 600 Kurorten allein Karlsbad und Baden hervor.13 Im 19. Jahrhundert erhöhte sich die Zahl der Kurorte freilich erheblich. So listete der „Deutsche Bäderkalender“ von 1927, von den Seebädern abgesehen, 243 Heilbäder und 715 Luftkurorte auf, von denen aber nur wenige den Status eines mondänen Kurorts erreichten.14 Die Zahl der Kurorte im österreichischen Teil der Monarchie dürfte prozentual ähnlich gewesen sein.15 Die steigende Zahl und die Etablierung zusätzlicher heilklimatischer Kurorte ab 1850 verschärften den „Prozess der Polarisierung“.16 Das Kriterium einer spezifischen adelig-großbürgerlichen Tradition erwies sich aber Ende des 19.  Jahrhunderts, also zum Zeitpunkt, als die Kurstädte den Sport inkorporierten und der Sport die Kurorte eroberte, bereits als unzulänglich. Es mussten abgesehen von den Therapieangeboten weitere Bedingungen erfüllt sein, um den Rang als mondäner Kurort zu erhalten: In Zeiten von Modernisierung und Beschleunigung wurde etwa die gute Erreichbarkeit per Bahn und bald auch mit dem Automobil immer wichtiger.17 Das gilt speziell für Baden oder den Semmering, die auch Sommerfrischen waren: Hier konnten Frau und Kinder wochenlang untergebracht werden, während der beschäftigte Mann am Wochenende nachreiste. Die Bedeutung der Verkehrsanbindung zeigte sich etwa in Marienbad und Karls­ bad, wo um 1870 der Aufschwung des Kurbetriebs mit dem Anschluss an die Eisenbahn einsetzte. Gleiches galt für Bad Gastein: Bereits 1905 mit der Bahn vom Norden her erreichbar, schloss 1909 der Tauerntunnel den Ort mittels Direktverbindungen mit dem deutschen Bahnnetz bis nach Amsterdam an: „Der Bau der Tauernbahn hatte wie kein anderes Ereignis […] tiefgreifenden und nachhaltigen Einfluss auf […] die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation“ und erschloss das Gasteinertal „für den europäischen Kulturtourismus“.18 Ähnlich verlief die Entwicklung in Velden. Nach dem Anschluss des Wörthersees 1864 an das Eisenbahnnetz wurde dort im gleichen Jahr die erste Badeanstalt eröffnet. 13

Hans Hornyik, Baden bei Wien: historische Entwicklung als Kur- und Badestadt und Teil des geplanten UNESCO-Weltkulturerbes „Great Spas of Europe“, in: Denkmalpflege in Niederösterreich 56 (2017), Bade- und Kuranstalten, S. 17–21, hier S. 17. Aktuell existieren in Österreich 69 Kurorte, davon 20 in Niederösterreich, drei im Burgenland, 15 in der Steiermark, elf in Kärnten, sieben in Salzburg, sechs in Oberösterreich, je drei in Tirol und Vorarlberg sowie die Therme Wien: Österreichischer Heilbäder- und Kurorteverband, Kurorte und Heilvorkommen, https://www.oehkv. at/ [Stand: 29.12.2020]. 14 Deutscher Bäderkalender, hg. v. Allgemeinen Deutschen Bäderverband, Berlin 1927, S. 11–70. 15 Ein genauer Vergleich ist schon aus definitorischen Gründen nicht möglich, da in österreichischen Quellen einerseits die Kurorte in Böhmen und Mähren, in der „Groß-Steiermark“ und im adriatischen Küstenland mitgezählt und andererseits Bäder, Kurorte, Heilquellen, Sommerfrischen sowie „Höhen-“ bzw. „Winterstationen“ gemeinsam aufgelistet werden; so wurden allein in Niederösterreich 528 Orte verzeichnet: Payer, Sommerfrische, S. 84; vgl. auch die zwischen 1909 und 1914 publizierten regionalen „Illustrierte[n] Wegweiser durch die österreichischen Kurorte, Sommerfrischen und Winterstationen“. 16 Volkmar Eidloth, Kleine historische Geografie europäischer Kurstädte und Badeorte im 19. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, München/ Esslingen am Neckar 2012, S. 15–39, hier S. 20 und 24. 17 Michael Hascher, Modebäder und Eisenbahn. Zur Frage des Beitrags der Technikgeschichte zum möglichen Welterbestatus europäischer Kurstädte, in: Eidloth (Hg.), Kurstädte, S. 159–172. 18 Christian Stadelmann/Werner Grand, Das Gasteinertal, Erfurt 2012, S. 7 und 29.

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Ein weiteres Kriterium im zunehmenden Konkurrenzkampf der Kurorte war die Erweiterung der „Erlebnisqualität“. Gerade mondäne Kurorte müssten spektakuläre Novitäten bieten. Theater, Musik und Tanz reichten als Anreize bald nicht mehr aus, und so wurde die Angebotspalette ständig erweitert. 1934 kam es zur Gründung einer „Österreichische[n] Casino AG“; nur vier Wochen später wurde das erste Spiel-Casino im „Hotel Panhans“ am Semmering eröffnet und einen Monat später ein Casino in Baden. Doch gerade auch der Sport war Teil der „Vergnügungsangebote“, von denen er sich freilich in einem entscheidenden Punkt unterschied: Er war zugleich ein Aspekt der Unterhaltung wie ein Teil der „Kur“ selbst, also des therapeutischen Programms.

2. Anfänge des Sports am Semmering und in Baden Ähnlich wie in vielen Großstädten Europas standen im Hinblick auf Angebote rezeptiven Sportvergnügens auch in der Mehrzahl der großen mitteleuropäischen Kur­orte Pferderennen am Beginn des Ausbaus einer sportlichen Infrastruktur,19 wobei die Möglichkeit von Turf-Wetten nicht unterschätzt werden darf. Mit Verzögerung folgten Golf und Lawn-Tennis. So wurde etwa in Karlsbad 1899 eine Pferderennbahn eröffnet und das im Jahre 1905 erbaute Hotel „Gejzír“ bot erstmals sechs Tennisplätze an. 1904 wurde in Karlsbad der erste Golfplatz Böhmens erbaut. Wie rasch sich der Sport etabliert hatte, zeigen die ärgerlichen Reaktionen angesichts der kurzfristigen Einstellung der Pferderennen: „Die Kurgäste wollen Zerstreuung, die Geschäftsleute einen Verdienst. Durch die Einstellung der Pferderennen in unserem Weltkurort ist eine empfindliche Lücke entstanden, die ausgefüllt werden muß. Baden-Baden und andere kleinere Kurorte würden sich schämen, diesen edlen Sport zu missen“, mehr noch, es würde „den sicheren Bankerott bedeuten.“20

Anfänglich standen in den Kurstädten fast überall adelige oder gut-bürgerliche Sportarten im Zentrum. Doch entwickelten sich die Sportpraxen in der Folge ganz unterschiedlich, wie die Beispiele Baden und Semmering belegen. So war es der städtische Charakter Badens, der – wohl ohne Bezug zur Kurstadt – die frühen sportlichen Aktivitäten hervorrief: Das betrifft die Gründung eines Turnvereins im Jahr 1862 ebenso wie frühe Sportaktivitäten: So wurde im Badener Obergymnasium schon 1891 eine Mischung aus Rugby und Fußball gespielt,21 die ab 1896 als Badener Zweigverein des 1894 entstandenen „First Vienna Football Club“ weitergeführt wurde.

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Eidloth, Geografie, S. 30f. Allgemeine Sport-Zeitung (14.07.1907), S. 847. 21 Karl Heinz Schwind, Geschichten aus einem Fußball-Jahrhundert, Wien 1994, S. 10f. 20

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Abb. 1: „Gesellschaftliche Kur“ auf der Trabrennbahn in Baden: Kurgäste und Tagesausflügler aus Wien versammeln sich zu einem gutbürgerlich-adligen Sportpublikum. Quelle: Sport und Salon, 15.07.1917, S. 15.

Auf dem Status der Kurstadt beruhte hingegen die 1892 unter Alexander Solms-Braunfels22 erfolgte Gründung eines Trabrennvereins in Baden. Er wurde bereits mit der Grundidee ins Leben gerufen, dem kapitalstarken Publikum in die Kurstadt zu folgen, also den zur Sommerfrische weilenden Wienerinnen und Wienern das aus der Krieau gewohnte Angebot auch in Baden zu bieten. Das Konzept war erfolgreich. Schon zum ersten Meeting kamen 15.000 Menschen, sodass in diesem Sommer noch vier weitere Veranstaltungen stattfanden, deren Einnahmen den Ausbau der Tribünen und Stallgebäude erlaubten. Ab 1895 fanden „Championships of Europe“ statt, bei denen die Elite der Traber des Kontinents antrat. Mit einer kurzen Pause während des Weltkriegs wurden die Pferderennen in Baden zunächst bis

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Solms-Braunfels war im I. Weltkrieg Kommandant des k. u. k. Automobilkorps und Privatsekretär des Kaisers. Vor allem aber war er Sportfunktionär. 1899 präsidierte er dem nationalen Komitee für die Olympischen Spiele, 1905 wurde er Mitglied des IOC: Michael Wenzel, Die Olympische Bewegung in Österreich. Ein historischer Beitrag aus sportlicher und struktureller Sicht im Sinne der Olympischen Idee, Diplomarbeit Wien 2013, S. 16–18.

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1937 fortgeführt.23 Schon 1900 wurde die Trabrennbahn auch für das erste Automobil-Rennen in Baden genutzt. Ab 1911 wurden regelmäßig von der Automobil-Sektion des „Vereins Internationaler Sportplatz Baden“ veranstaltete Sandbahnrennen für Motorräder und Automobile ausgetragen.24 Dieser 1899 gegründete Sportclub verdankte sich dem Zusammenwirken lokaler Honoratioren und potenter Kurgäste: Finanziert durch Mitglieder, Stifter und Anteilscheinbesitzer erwarb man ein großes Grundstück nahe dem Bahnhof, auf dem unter Leitung von Präsident Alexander zu Solms-Braunfels und Vizepräsident Bezirkskommissär Ludwig Freiherr von Rosenfeld ein weitläufiges Sportareal errichtet wurde.25 Der Zweigverein der Vienna-Fußballer wurde in den „Verein Internationaler Sportplatz Baden“ integriert. Auch die enorme Expansion des Vereins verdankte sich der Kooperation von Lokalpolitikern und Kurgästen. So bestand das Präsidium im Jahr 1909 aus Henry Baltazzi, einem Herrenreiter und Offizier, der aus einer alten Bankiersfamilie stammte und gute Beziehungen zum Hochadel hatte, aus dem Fabrikanten Freiherr Josef von Odelga und Rudolf Ritter von Czyhlarz, einem Mitglied der Niederösterreichischen Landesverwaltung. Im Jahr 1909 wurde der Verein in der „Alpen-Zeitung“ porträtiert. Er „veranstaltet auf seinem Sportplatz, einem der größten in Österreich, internationale und interne Tennis-Turniere mit hochdotierten Events. Golf, Fußball, Croquet, Bogenschießen und alle anderen Rasenspiele können natürlich gespielt werden. Die Fecht- und Reitsektionen dieses Vereines weisen viele Mitglieder auf. Eigene Vereine befassen sich mit Turnen, leichter Athletik u. a. Alle diese Leibesübungen werden naturgemäß schon aus dem Grunde intensiv gepflegt, als die große Zahl von Kurgästen und Sommerfrischlern teils auf ärztlichen Rat, teils aus eigener Initiative auf Pflege des Körpers bedacht ist. Und da Baden gewissermaßen als Vorort von Wien für das Luft- und Erholungsbedürfnis eines großen Teiles dieses Großstadtpublikums zu sorgen hat, so ist der Wert seiner sportlichen Einrichtungen nicht geringer anzuschlagen, als seine heilbringenden Schwefelthermen.“26

Bekannt war der Verein durch alljährliche internationale Tennisturniere, aber auch durch Bälle und Wohltätigkeitsveranstaltungen. Ab dem Jahr 1900 hatte er auch eine Automobil- und ab 1910 eine Wintersport-Sektion. Der Sportplatz inkludierte zudem eine 1.000 Meter lange Radfahrbahn sowie Plätze für Badminton und Tischtennis. Im Winter konnte man unter Flutlicht Eislaufen und Eisschießen.27 Die große Zeit des „Vereins Internationaler Sportplatz Baden“ war nach 1918 vorbei. Der Verein wurde Anfang 1919 in „Badener Athletic-Sportclub“ (BAC) umbenannt und betrieb vorerst nur mehr Fußball, Tennis und Eislaufen. Erst 1924 ka23

N. N., Geschichtliche Aspekte des Trabrennvereins zu Baden bei Wien, https://www.trabenbn.co.at/ verein/6-geschichte [Stand: 08.01.2021]. 24 Badener Zeitung (21.07.1900), S. 2. 25 Den Großteil der benötigten Mittel stellten die „zahlreichen Freunde im Wiener Jockey-Club“ des Freiherrn von Rosenfeld zur Verfügung: Badener Zeitung (19.02.1949), S. 4. 26 Österreichische Alpen-Zeitung 4 (1909), S. 13. 27 Badener Badeblatt. Kur- und Fremdenliste (31.08.1909), S. 1.

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men wieder Sektionen für Leichtathletik, Handball und Tischtennis dazu. Letztere konnte auf eine lange Tradition des „table-tennis“ in Baden zurückgreifen und war deshalb bedeutsam, weil das vielfach als „Kaffeehaus-Sport“ bezeichnete Tischtennis in Österreich „jüdisch“ konnotiert war.28 Die Tischtennis-Sektion wurde ein Jahr später in den Wiener Verband aufgenommen und feierte dort nationale, später auch internationale Erfolge.29 Der „Badener AC“ trug wiederholt internationale Turniere aus, die anfangs im Kaffeehaus, bald aber im Kurhaus abgehalten wurden. 1933 wurde Österreich mit der Ausrichtung der Weltmeisterschaft beauftragt, die nach Baden vergeben wurde, wobei die Trinkhalle des Kurhauses als Veranstaltungsort diente. Das Publikumsinteresse bei den Finalkämpfen war so groß, dass die mit 700 Zuschauerinnen und Zuschauern bereits überfüllte Halle polizeilich gesperrt werden musste.30 „Baden die neue Sportstadt“ titelte das „Sport-Tagblatt“ und fuhr fort, dass „die erste ganz große Sportveranstaltung in Baden sogar ein ganz überwältigender Erfolg“ gewesen sei: „Noch nie, dies erklärten alle Ausländer, die ja die ganze Welt bereist haben, wurde eine Weltmeisterschaft in derart schönen Räumen wie in der Trinkhalle des Kurparks abgehalten […]. Natürlich wurde durch die vielen jungen Sportler und Sportlerinnen die sonst ruhige Bäderstadt ziemlich aufgewirbelt.“31

Auch die Weltmeisterschaft 1937 wurde in Baden ausgespielt.32 Neben dem „Verein Internationaler Sportplatz“ und dem „Trabrennverein“, die zumindest bis 1918 räumlich wie personell eng verflochten waren, gab es in Baden noch eine dritte, primär von der Kommune getragene Initiative, die Sport und Kur verknüpfte: Nachdem es schon vor 1914 an der Schwechat und am Mühlbach Badestellen gegeben hatte, wurde im Jahr 1926 neben dem bereits 1924 eröffneten Freibad, das nach dem Wiener Vorbild „Gänsehäufel“ benannt wurde, ein Strandbad eröffnet, das dem Ruf eines mondänen Kurortes adäquat sein sollte. Die Becken wurden mit Thermalwasser aus der Marienquelle gespeist, das prunkvolle klassizistische Haupthaus wurde zum zweitgrößten Gebäude der Stadt, das Bad hatte ein Fassungsvermögen 28

Baden beherbergte bis 1938 die drittgrößte jüdische Gemeinde Österreichs; Thomas E. Schärf [Eli Rosen], Jüdisches Leben in Baden. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 2005. 29 Zu den erfolgreichsten österreichischen Spielern der Zwischenkriegszeit gehörten die Badener Erwin Kohn, der 1937 nach Buenos Aires auswanderte, sowie Richard Bergmann, der 1938 nach London floh und etliche Titel für England gewann. 30 Kurt Posiles, Casino Baden in der Staatsliga B, in: Österreichische Tischtennis-Nachrichten 9 (1983), S. 25–30, hier S. 26f. 31 Sport-Tagblatt (28.02.1933), S. 6. 32 Verantwortlich für einen neuerlichen Publikumserfolg war nicht zuletzt die Lokalmatadorin Gertrude „Trude“ Pritzi, geboren 1920 in Wien, die ihre Jugend in Baden verbrachte. Als ihr die Post eine Anstellung als „eine Art Staatsprofi“ anbot, musste sie für den Post SV antreten und kehrte nach Wien zurück. Bei der WM 1937 in Baden erreichte sie das Finale, das jedoch wegen Zeitüberschreitung abgebrochen wurde. Erst 2001 wurde der Titel posthum anerkannt. 1938 folgte in Wembley der Weltmeistertitel, Philip Bauer, Trude Pritzi. Verstorben 1968, Weltmeisterin 2011, in: Der Standard (23.05.2017), https://apps.derstandard.at/privacywall/story/2000057469613/trude-pritziverstorben-­1968-weltmeisterin-2001 [Stand: 08.01.2021].

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für 15.000 Besucherinnen und Besucher. Die Hauptattraktion war ein ausgedehnter Sandstrand: Der Sand stammte vom Donauufer aus Krems, wobei die Stadtverwaltung dem Gerücht, er sei von der italienischen Adria herangeschafft worden, nicht widersprach.33 Das Strandbad diente in erster Linie dem Vergnügen, war aber mit seinem 50-Meter-Becken auch für den Schwimmsport ausgelegt. Genutzt wurde es vor allem vom Badener Zweigverein des „Ersten Wiener Amateur-Schwimmclubs“ (EWASC). Dieser deutschnationale und antisemitische Verein34 hatte Ende der 1920er Jahre in Mödling, St. Pölten, Krems und eben in Baden Zweigvereine gegründet.35 Sie hielten jährlich Zweigvereinskämpfe ab; 1931 fand er in Baden statt.36 Ein weiterer wichtiger Ort des Sports in Baden wurde der Schlosspark, der ab den 1920er Jahren zum Vergnügungspark ausgebaut wurde und auch Möglichkeiten für körperliche Ertüchtigung bot: So konnte der große Teich im Winter für das Eislaufen genutzt werden. Daneben existierten in Baden auch lokale Sportinitiativen, die allerdings mit der „Kurstadt“ wenig zu tun hatten. Schon 1896 war eine „Sektion Baden“ des „Österreichischen Skivereins“ aktiv geworden und veranstaltete einen „Distanzlauf“ von Baden über den Anninger nach Mödling.37 Daneben existierten alpinistische Gruppen, Turnvereine (1919 Gründung des Badener Zweigvereins der Christlich-Deutschen Turner38) und Radfahrvereine. Auch der Arbeiter:innensport wurde aktiv: Im Jahr 1923 wurde ein „ASV Baden“ gegründet39 und seit etwa 1920 existierte eine Schwimmsektion der Arbeitersportler:innen, die sich aber nicht im Strandbad, sondern am Doblhofteich traf. Wie unterschiedlich sich die sportliche Eroberung der Kurorte gestaltete, verdeutlicht im Vergleich dazu die Sportgeschichte des Semmering-Gebietes. Dessen Sportangebot bestand anfangs aus einem breit gefächerten Netz von Wanderwegen bis hin zu alpinistischen Touren. Die Erschließung erfolgte aber weder durch Einheimische noch durch adelige Gäste, sondern durch bürgerliche Vereine, die Gebirgspfade anlegen und Unterstände errichten ließen, also die Natur „kolonisieren“:40

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Rudolf Maurer, „… keine Stadt, die ein solches Bad besitzt“. Das Badener Strandbad 1926–2001 (Katalogblätter des Rollettmuseums Baden 32), Baden 2001, S. 12. 34 Einen Arierparagrafen hatte der EWASC erst 1932 eingeführt, zu diesem Zeitpunkt aber erklärt, „schon seit 35 Jahren judenrein“ zu sein. Bernhard Hachleitner, Arierparagrafen und andere Ausschlussmechanismen, in: Ders./Matthias Marschik/Georg Spitaler (Hg.), Sportfunktionäre und jüdische Differenz. Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938, Berlin/Boston 2019, S. 23–46, hier S. 35. 35 Präsident der Badener Sektion war Hans Eywo, der einer der Badener Ur-Fußballer gewesen war. 36 Badener Zeitung (12.09.1931), S. 4f. 37 Erich Bazalka, Skigeschichte Niederösterreichs, Waidhofen/Ybbs 1977, S. 19f. 38 Ingolf Wöll, Turnen und Sport. Zurück für die Zukunft, https://www.sportunion.at/club/3535/ doc/Union_Turn_und_Sportgeschichte.pdf [Stand: 11.01.2021]. 39 Hildegard Hnatek/Franz Reiter, So war’s einmal in Baden bei Wien, Erfurt 2007, S. 38. 40 Christian Rapp, Die Urbanisierung des Gebirges. Die Rax 1870–1930, in: Kos (Hg.), Eroberung, S. 536–543, hier S. 537.

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„‘Station Semmering!‘ Alle Sinne umfängt der Zauber, der hier ausgegossen ist über Abhang und Schlucht zu unseren Füßen, über die sanft ansteigenden grünenden Höhen zunächst und die weiß herschimmernden Kalkfelsen und ‚Schneeberge‘ in weiterer Ferne, alle Sinne umfängt dieser Zauber“.41

Und noch ein zweiter Sportzweig, der mit einem Kuraufenthalt nichts gemein hatte, entdeckte den Semmering als Sportort: Cyclisten verfassten ausführliche Beiträge über die Bewältigung der Passstraße, wobei nicht selten der „Freund Eisenbahn“ für die Bergaufstrecke in Vorschlag kam.42 Erst etwa zehn Jahre nach dem Fahrrad kam der Schneeschuh – und damit der Wintersport – auf den Semmering: Frühe skisportliche Versuche gab es um 1890, ehe im Jahr 1893 das erste Skirennen Mitteleuropas in Mürzzuschlag stattfand. Die Athleten und Athletinnen des „Ersten Wiener Skivereins“ (gegründet 1892), des „Verbands steirischer Skiläufer“ (gegründet 1893), und des 1895 entstandenen „Österreichischen Skivereins“ (ÖSVn) belebten die Hänge des Semmerings, nicht zuletzt durch die Popularisierung, die der Skilauf durch die Abhaltung jährlicher „Alpenländischer Meisterschaften“ erfuhr. Dennoch kamen, im Gegensatz zum bereits etablierten Sommertourismus, die Versuche, die Hotels, Pensionen und Lokale auch in der kalten Jahreszeit zu füllen, selbst um 1900 kaum in Schwung. Eine umfangreiche Werbetätigkeit hatte erst Erfolg, als der Mürzzuschlager Hotelbesitzer Anton Schruf und der Grazer Indus­ trielle, Radpionier und Weltenbummler Max Kleinoscheg43 mit Skirennen, Kursangeboten und Hochgebirgstouren und mit den „Nordischen Spielen“ im Jahr 1904 den Durchbruch schafften.44 Es gab Wettbewerbe in allen gängigen Wintersportarten (vom Skilauf und -sprung über Eishockey und Eiskunstlauf bis zum Gasselfahren),45 die zu einem vollen Erfolg wurden: Allein beim Skisprungwettbewerb wurden 10.000 Besucherinnen und Besucher gezählt.46 Betrachtet man die „verschiedenen Interessenslagen, die im Zusammenhang mit der ‚Eroberung des Winters’ wirksam wurden […], so kann man ökonomische Gründe genauso ausfindig machen wie reine Sportbegeisterung oder Gesundheitsfanatismus, profitierendes Kalkül ebenso wie bäuerliches Zweckdenken oder hedonistischen Naturgenuß“.47 Die Folge waren 41

P[eter] von Radics, „Auf den Semmering!“, in: Österreichische Bäderzeitung. Organ für die Interessen der europäischen Kurorte und des Kurpublikums (05.07.1885), S. 1. 42 Allgemeine Sport-Zeitung (07.08.1884), S. 693. 43 N. N., Kleinoscheg, Max  (1862–1940), Sportpionier, in: Österreichisches Biografisches Lexikon 1815–1950, Bd. 3 (Lfg. 15, 1965), S. 391f. 44 Kurt Gründler, Wintersport und Alpentouristik im Semmeringgebiet, in: Sport. Sinn und Wahn. Katalog der steirischen Landesausstellung 1991, Mürzzuschlag 1991, S. 151–158. 45 Bianca Russ-Panhofer, Franz Josef Böhm – Die Nordischen Winterspiele von 1904, https://www. museum-joanneum.at/blog/franz-josef-boehm-die-nordischen-winterspiele-von-1904/ [Stand: 08.01.2021]. 46 Hannes Strohmeyer, Schruf, Toni (Anton) (1863–1932), Skipionier und Hotelier, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, hg. v. d. Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 11, Wien 1998, S. 264f., siehe auch: http://www.biographien.ac.at/oebl?frames=yes [Stand: 30.09.2022]. 47 Kurt Gründler, Die Eroberung des Winters. Die Anfänge von Wintersport und Wintertourismus im Semmeringgebiet, in: Kos (Hg.), Eroberung, S. 578–586, hier S. 578.

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Abb. 2: Publikumsmagnet Motorsport am Semmering: Vor Viktor Silberers Hotel Erzherzog Johann treffen sich Autorennfahrer und Autobesitzer anlässlich des Semmering-Rennens 1912. Quelle: Archiv Eduard Völker.

nun „gewaltige Investitionen für den Bau von Sportanlagen, Beherbergungsbetrieben sowie Transporteinrichtungen“, sodass der Semmering „binnen weniger Jahre zum mondänsten Wintersportort der Monarchie avancierte“.48 Es fanden zahlreiche Wettkämpfe und Skikurse statt, an denen auch etliche – adelige und bürgerliche – Frauen teilnahmen. Zudem war der Semmering einer der Orte, an denen zwischen Mathias Zdarsky und den Anhängern der norwegischen Technik um die ‚richtige‘ Ideologie des Skilaufs gekämpft wurde.49 Auch in den Sommertourismus am Semmering wurden zunehmend sportliche Attraktionen aufgenommen: Zwischen 1899 und 1909 sowie 1921 und 1933 fanden auf der Passstraße Rennen für Autos und Motorräder statt. Waren die ersten Wettbewerbe noch eher „Landpartien“ zur Erprobung der Leistungsfähigkeit der Fahr48

Gründler, Eroberung, S. 579. Hermann Gruber/Josef Metzger, Eine Spurensuche im Schnee. Es begann in Wien. 100 Jahre Wiener Skiverband, Wien 2013, S. 30.

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zeuge,50 wurde der Semmering schon bald bewusst als Publikumsmagnet gewählt, ab 1908 war von einer vieltausendköpfigen Zuschauermenge die Rede. Doch brachte der Motorsport zwar Tagesgäste, mit dem Kurort vertrug er sich aber wenig, sodass 1909 Anrainerproteste zu einer zehnjährigen Pause der Veranstaltung führten.51 Als akzeptabler erwies sich der Radsport: Der Semmeringpass war Zielort oder Durchgangspunkt vieler Radrennen, die von den Radsporthochburgen Wien und Graz ihren Ausgangspunkt nahmen. Ab 1948 wurde der Semmering zum Fixpunkt der „Österreich-Radrundfahrt“. Die enge Verwobenheit des Semmerings mit Wien, aber ebenso die Verquickung von Politik, Ökonomie, Tourismus und Sport mit dem Kurgedanken manifestierte sich in der Person des Sportpublizisten Viktor Silberer. Der Wiener Unternehmer, Politiker und Eigentümer der „Allgemeinen Sport-Zeitung“ engagierte sich ab 1892 – im Dienst des Wiener Fremdenverkehrs, aber oft gegen Widerstände der ortsansässigen Bevölkerung – privat wie geschäftlich am Semmering, wo er das Hotel „Erzherzog Johann“, aber 1895 auch für sich selbst eine Villa, das „Silbererschlössl“, bauen ließ. In den Jahren 1900 bis 1909 publizierte Silberer die „Semmeringer Zeitung“ und war Präsident des Semmeringer Vereins, der den Gemeinderat kontrollierte und zwecks touristischer Erschließung des Semmeringgebietes zwischen 1900 und 1909 auch die „Semmeringer Zeitung“ herausgab.52 Waren der oft auch aktiv betriebene Wintersport und der rein rezeptive Motor- und Radsport eher touristisch interessant, kam das weit eher mit dem Kurort verbundene Lawn-Tennis erst im Jahr 1900 auf den Semmering: Es war nicht zufällig das mondäne Hotel „Panhans“, das erste Tennisplätze errichten ließ. Dass es nicht zuletzt darum ging, gesehen zu werden, belegt die über dem Kabinentrakt errichtete zweistöckige Tribüne. Im Winter wurde der Platz für das Eislaufen präpariert. Jedenfalls schloss die kurz nach 1900 auf dem Semmering einsetzende Bautätigkeit nun auch Sportanlagen mit ein, die sich gleichermaßen für Sporttreibende, Touristinnen und Touristen sowie Kurgäste eigneten: 1907 wurde eine Bob- und Rodelbahn mit einem Drahtseilaufzug errichtet, 1910 die Pinkenkogel-Rodelbahn. 1911 erfolgte die Planung der Liechtenstein-Schanze, der damals größten Skisprung­ anlage in Österreich, die auch drei Übungsschanzen für Jugendliche und Anfänger umfasste. Wegen Schneemangels konnte die Schanze erst 1913 eröffnet werden.53 Diese Anlagen ermöglichten eine „Reihe spektakulärer Wettkampfveranstaltungen, die den Semmering binnen weniger Jahre zur ersten Wintersportadresse in den Ostalpen machten. Vor allem die Bob-Rennen um den „Erzherzog-Johann-Cup“ wurden immer mehr zum sportlichen Mittelpunkt der Wintersaison, da zu dieser 50

Michael Zappe (Hg.), Autosport in Österreich. 1898–1938, Wien 2004, S. 6. Martin Pfundner, Vom Semmering zum Grand Prix. Der Automobilsport in Österreich und seine Geschichte, Wien/Köln/Weimar 2003, S. 77–106. 52 Josef Seethaler/Ingrid Serini, Silberer, Victor, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 407f. https://www.deutsche-biographie.de/pnd119325713.html#ndbcontent [Stand: 16.03.2021]; Rudolf Müllner, Sport und Mediatisierung – Österreich vor 1900, in: Arnd Krüger/Wolfgang Buss (Hg.), Transformationen: Kontinuitäten und Veränderungen der Sportgeschichte, Bd. 1, Hoya 2002, S. 84–92. 53 Gruber/Metzger, Spurensuche, S. 47. 51

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Abb. 3: Der Lawn-Tennis-Platz des Hotels Panhans am Semmering bot Raum für das gehobene Kurpublikum, um Sport zu treiben und gesehen zu werden. Quelle: Archiv Eduard Völker.

Abb. 4: Neben dem Skilauf war am Semmering besonders der Rodelund Bobsport populär. In den Bobbesatzungen mischten sich Sportler und Kurgäste. Oft waren auch Frauen involviert. Quelle: Archiv Eduard Völker.

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Konkurrenz Mannschaften aus ganz Europa anreisten. Doch alle Anlagen standen ebenso der touristischen Nutzung und den – gar nicht selten weiblichen – Kurgästen offen. Auch an den Bobrennen nahmen Frauen teil.54 In der „Fremden-Zeitung“ wurden daher auch die touristischen Vorzüge des Semmerings betont: „Das ‚österreichische Engadin‘ – so wird der Semmering wegen seiner großartigen Bedeutung als Wintersportplatz genannt. Doch was braucht’s den Vergleich mit der Schweiz – hat doch der Semmering den ungeheuer großen Vorteil vor den berühmten Wintersportplätzen St. Moritz oder Davos voraus, daß er nicht verloren in der Bergwildnis unbezwinglicher Gletscher, sondern in bloß zweistündiger Entfernung von der Weltstadt sich befindet.“55

So bot der Semmering um 1910 „ein geradezu ideales Laufsteg-Szenario“, in dem der Sport eine zentrale Rolle einnahm: „Im Winter die Parkteiche zu eleganten Eislaufplätzen zugefroren, Schiwiesen neben den Grandhotels, ‚ideal situirte’ Tennisplätze, prestigereiche Sportwettkämpfe, Zuschauertribünen bei Schisprungschanze und Bobbahn, der Zieleinlauf der Automobilrennen als Gelegenheit für eindrucksvolle Selbstdarstellung“.56

Mit dem Sport hatte die Moderne Einzug gehalten: „’Der Sport ist ja von dem modernen Leben unzertrennlich‘, warb die ‚Semmeringer Zeitung‘. Auf den Sport-Semmering kam, wer seine Modernität demonstrieren wollte“.57 Damit hatte die einst raue Landschaft des Semmerings ihren Schrecken verloren, wenn es 1907 nun hieß: „Der Semmering ist ein gutmütiger Wiener Berg, ein braver Herbergsvater aller Arten von Sport, die Sommer und Winter bei ihm zu Gaste sind.“58 Die beiden monumentalen Kur-Hotels hatten daran maßgeblichen Anteil: Das „Südbahnhotel“ hatte in seiner ausgedehnten Parkanlage Tennisplätze, einen eigenen Golf- und einen Croquetplatz sowie Tischtennistische, im Winter standen den Gästen ein hoteleigener Skilift, eine Sprungschanze, eine Rodelbahn und ein Eislaufplatz zur Verfügung. Zudem ließ das Hotel eine 1.000 Meter lange Pferderennbahn errichten, die im Sommer eher wenig genutzt, im Winter aber intensiv für Skijöring und Gasselrennen verwendet wurde. Der Hotelier Franz Panhans hingegen subventionierte den „ÖWSC“ mit 2.000 Kronen, als Dank dafür, dass er den Semmering innerhalb kurzer Zeit zu einer „wintersportlichen Pflegestätte von europäischem Ruf“ gemacht hatte.59 1928 wurde der Mitteltrakt des Hauses in „Sportpension Panhans“

54

Gründler, Eroberung, S. 585. Illustrierte Fremden-Zeitung (1909), Heft 9, S. 23. 56 Désirée Schellerer, Laufsteg Semmering. Lifestyle, Sportladies, Modernität, in: Kos (Hg.), Eroberung, S. 587–594, hier S. 587. 57 Schellerer, Laufsteg, S. 588. 58 Das interessante Blatt (03.10.1907), S. 24. 59 Bazalka, Skigeschichte, S. 43. 55

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Abb. 5: Sommerliche Vergnügungslandschaft am Semmering. Das Hotel Panhans pries seinen „Lido alpin“ als erstes Alpenbad Europas. Quelle: Archiv Eduard Völker.

umbenannt, um „der Entwicklung des Semmerings als Kurort, Weekend und Sportstation“60 Genüge zu tun. Schließlich war am Semmering das Après-Ski so wichtig wie der Sport selbst. Vollendet wurde die Sport- und zugleich Vergnügungslandschaft des Semmerings, als das „Panhans“ und das „Südbahnhotel“ im Jahr 1932 fast gleichzeitig große Schwimmbäder eröffneten: Der aus Holz und Glas errichtete spektakuläre Zubau des „Panhans“ wurde als „erstes Alpenbad Europas“ tituliert. Die im Sommer geöffneten Schiebetüren führten zu einer großen Liegewiese und einer Bad-Restauration und sollten als „Lido alpin“ das mondäne Flair nicht nur des Hotels, sondern des Semmerings noch weiter steigern. Im Gegensatz dazu war das architektonisch anspruchsvollere, aber weniger auffällige Hallenbad im „Südbahnhotel“, mittels Flügeltüren im Sommer gleichfalls offen gebaut, eher funktional konzipiert.61 60

Neue Freie Presse (22.06.1928), S. 8. Désirée Vasko-Juhász, Die Südbahn. Ihre Kurorte und Hotels, Wien/Köln/Weimar 2018, S. 219.

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3. Die weitere Entwicklung Um 1900 ist im Zusammenhang mit einer massiv gestiegenen Frequenz europaweit eine Modernisierung vieler Kurorte zu konstatieren.62 Freilich war die Moderne schon zuvor via Sport in die Kurorte gekommen. Die Hochblüte dieser „Versportlichung“ lässt sich von 1890 bis in die 1930er Jahre verorten. Wenn sich aristokratische Kurstädte zu „Modekurorten“ wandelten, war das nicht zuletzt den Sportangeboten zuzuschreiben, die in den werblichen Maßnahmen der Kurorte wie in der Publikumsgunst zunehmend wichtige Funktionen einnahmen: „Man sieht, der Semmering verdankt seine Berühmtheit dem Menschen der Neuzeit, dem Ingenieur und dem Sportsmann; der Sport hat den Namen Semmering in alle Weltteile getragen, ihn berühmt gemacht.“63 Umgekehrt waren das moderne Bürgertum und bald auch die Mittelschicht nötig, um die Tribünen der großen Sportanlagen zu füllen. Anhand der Weiterentwicklung des Sportlebens in Baden und am Semmering lassen sich Parallelen, aber auch gravierende Differenzen festmachen. Das betrifft schon die Jahre des Ersten Weltkriegs: So brachte die durch Kaiser Karl Anfang 1917 vorgenommene Verlegung des Armeeoberkommandos nach Baden64 keinen Aufschwung des Sports. Bei den im Sommer 1917 und 1918 veranstalteten Renntagen auf der Trabrennbahn beklagten die Medien „wenig interessanten Sport“: „Die Felder blieben […] schwach, die Zeiten waren miserable“.65 Der Semmering erlebte in den Kriegsjahren hingegen eine Hochblüte, es gab trotz der Ausnahmesituation über 100.000 Nächtigungen jährlich, Adel und Großbürgertum kamen weiterhin.66 Seit Kriegsbeginn „hatte man zwei glänzende Winterzeiten und der vorige Sommer bildete ein Rekordjahr. Auch heuer ist der Andrang ein ganz außerordentlicher“, hieß es im Sommer 1916.67 Viktor Silberer berichtete in seiner „Allgemeinen Sport-Zeitung“ laufend vom Semmering, lobte das umfangreiche Sporttreiben, beklagte allerdings das ausschweifende Abendprogramm in den Hotels. Zu Beginn der 1920er Jahre verschafften Kur und Sport, verbunden durch die Klammer des mondänen Amüsements, den „Modekurorten“ erheblichen Zuspruch. Gerade in den unsicheren Nachkriegsjahren konnte sich die bürgerliche Schicht die Aufenthalte leisten, dazu kamen die „Kriegsgewinner, die jetzt ohnedies schon längst am Semmering oder in der Schweiz“ weilen.68 Baden wie der Semmering profitierten zunächst von der Aufbruchsstimmung wie auch von der Hyperinflation, in der Folge dann vom gestiegenen Interesse des Staates am Fremdenverkehr, der 62

Bernd Nicolai, Lebensquell oder Kurschloss? Zum Spektrum der Kur- und Badearchitektur um 1900, in: Rolf Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984, S. 89–120, hier S. 91. 63 Moderne illustrierte Zeitung für Reise und Sport (1910), Heft 2, S. 18. 64 Manfried Rauchensteiner (Hg.), Baden. Zentrum der Macht. 1917–1918. Kaiser Karl I. und das Armeeoberkommando, Wien 2018. 65 Moderne illustrierte Zeitung für Reise und Sport (1918), Heft 7, S. 5. 66 Gründler, Eroberung, S. 580. 67 Allgemeine Sport-Zeitung (16.07.1916), S. 527. 68 Die Neue Zeitung (17.12.1919), S. 1.

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ab Mitte der 1920er Jahre als wichtiger Teil der Volkswirtschaft anerkannt wurde.69 Beide Kurorte – auch der Semmering durfte sich ab 1921 als solcher bezeichnen – versuchten durch ein breit gefächertes Unterhaltungsprogramm ein differentes Publikum anzuziehen: Es gab Walzer und Heurigenlieder, aber auch Jazz und Tango, Theater und Lesungen neben Operette und Cabaret. Als Kriterium erwies sich neben dem Tanzvergnügen besonders das Sportleben. Der Semmering baute dafür primär sein Wintersportangebot aus. Die Skiabfahrts-, Rodel- und Bobpisten, Eislauf- und Curlingplätze und selbst die Sprungschanzen standen den aktiven Sport-, Tourismus- und Kurgästen offen, dienten aber auch als Austragungsorte nationaler und internationaler Sportkonkurrenzen. So fanden etwa die nationalen Ski-Meisterschaften 1928 am Hirschenkogel statt. In einer Novität wurde man allerdings von der nahe gelegenen Rax übertrumpft, auf deren Gipfel seit 1926 eine Seilbahn führte, die Bergsteigerinnen und Bergsteiger sowie Skiläuferinnen und Skiläufer gleichermaßen bediente. „Vorläufig werden sich fast ausschließlich nur Bourgeois das Vergnügen leisten können, die nun statt auf den Semmering, einmal auf die Rax fahren werden.“70 Auf diese von der „Roten Fahne“ geäußerte Kritik reagierte man rasch: Die überhöhten Preise wurden reduziert, es gab Pauschalangebote, günstige Wochentagspreise und zahlreiche Werbemaßnahmen in Wien, sodass schon im ersten Betriebsjahr 180.000 Fahrgäste befördert wurden.71 In Baden setzte man weiterhin primär auf das Sommerprogramm. Trotz der 1926 erfolgten Eröffnung des mondänen Strandbades sei der Ausbau des Sportangebotes „eines der wirksamsten Mittel zur Belebung“. Man brauche „nicht nur Kranke, die ihre Heilung hier suchen, sondern auch die Erholungssuchenden und die Sportbegeisterten […]. Wenn Baden einen Golfplatz besäße – und es wird […] einen solchen haben müssen, dann könnte man mit einem ganz anderen Publikum rechnen als bisher, denn Golf ist heute die große Mode. Kaum ein Engländer72 wird sich auf 14 Tage in einen Ort setzen, wo er nicht täglich seine Golfpartie machen kann und so wie der Engländer von gestern, so der vornehme Holländer, Schwede, Däne von heute, der Deutsche, Oesterreicher, Ungar usw. von morgen“.

69

Ernst Hanisch, Landschaft und Identität. Versuch einer österreichischen Erfahrungsgeschichte, Wien 2019, S. 79. Österreichweit stieg die Zahl der Übernachtungen von 14 (1925) auf 21 Millionen (1931). 70 Die Rote Fahne (10.06.1926), S. 3. 71 Günther Luxbacher, Bergauf schweben. Die Raxbahn – die älteste moderne Seilbahn Österreichs, in: Kos (Hg.), Eroberung, S. 557–566, hier S. 565. 72 Diese Bezugnahme auf englische Sportpioniere ist auf Baden kaum zutreffend: Englische „Expatriates“, Studenten oder aber Geschäftsleute, die länger in Großbritannien gelebt hatten, spielten eine bedeutende Rolle bei der Etablierung neuer Sportarten in Mitteleuropa. Speziell im Tennis- und Golfsport bildeten Kurorte die früheste Bühne für die jungen „sports“: Heiner Gillmeister, Deutsche Kurorte als Schaubühnen für die „English sports“ Tennis und Golf, in: Stadion 44/1 (2020), S. 5–33, hier S. 7, 25–28.

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Abb. 6: Kurorte erwiesen sich als Vorreiter und Wegbereiter des Frauensports, der sogar in werblichen Motiven zitiert wurde. Quelle: Archiv Eduard Völker.

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Der Leitartikel der „Badener Zeitung“ empfahl zudem, die Tennisangebote nachzurüsten, sportliches Eislaufen und Eishockey zu ermöglichen.73 So suchte Baden in den folgenden Jahren neues Publikum anzusprechen, 1926 durch die Einführung von Windhundrennen,74 Anfang der 1930er Jahre durch einen „Alpenvereins“-Kongress und eine Tagung des „Landesskiverbandes für Wien und Niederösterreich“. Die Zeitung „Der Tag“ berichtete im Herbst 1926 über eine Journalisten-Rundfahrt, die der regionale Fremdenverkehrsbeirat organisiert hatte: „Eine Studienfahrt: Wie ist es hier und was kann daraus noch werden? Rax und Semmering werden aller Voraussicht nach den Fremdenzustrom teilen: Die Rax für die Nur-Sportler, der Semmering für das mondäne Winterpublikum. Das nach Eisschießen und Bobfahren sich in Gala wirft und in die Bar geht. Und Jazz tanzt. So ist auf diese Weise manches erwogen worden, man hat Pläne und Kalkulationen gehört und es fehlt eigentlich nur – das Geld […]. In Vöslau und Baden tummeln sich die Leute wieder in den warmen Bädern und braten an der Sonne. Und man erfaßt […] das Bindende, das in dem mondänen Höhenkurort ebenso ist, wie in dem weltgroßzügigen Badener Strandbad: das unnachahmliche, das österreichische Kolorit.“75

Der Beitrag verrät nicht nur die bescheidenen Bemühungen des Fremdenverkehrsverbandes, sondern auch die einzigartige Bedeutung der Kurorte Semmering und Baden – und nicht zuletzt, wie diese Destinationen konnotiert wurden, nämlich als Erweiterungen Wiens. Diese Verortung findet sich um 1930 gehäuft, wenn „die Stadt Baden als elegante Kur-Dependance von Wien“ gesehen wird.76 Und der Semmering sei: „eine Art 27. Bezirk von Wien. Am Semmering hat sich […] vor allem das fashionable Wintersportleben etabliert und dann erst das volkstümliche. Die großen Hotels dominieren, sie beherrschen den Semmering mit ihren Halls, mit ihren wohlgeheizten Zimmern, mit ihren schönen Aussichten, mit ihren Jazzkapellen, mit ihren Tanztees, mit ihren Spazierwegen, dem Luxus und Komfort und dem Gutaufgehobensein. Der Semmering ist eine rasche Wintererholung für jenes mondäne Wien, das es sich leisten kann, mit oder ohne Familie eine Reihe schöner Tage in einem Hotel zu verbringen, dessen Preise angemessen sind und ungefähr mit der Schweiz Schritt halten. Der Semmering bietet auch alles, was andere Hauptstätten des schönen Schnees, der wunderbaren Höhenluft, des angenehmen Wintersports, ihren Stammgästen zu bieten haben. Vergnügungen und sportliche Veranstaltungen werden immer mehr ausgebaut, der Semmering entwickelt sich, er besteht die Konkurrenz gegen die Hochkonjunktur der Schweiz, gegen Pontresina, gegen den Schwarzwald, und er hat heute eine Menge internationaler Gäste, die sich alle als Wahlsemmeringer fühlen“.77

73

Karl Waldek, Sport und Fremdenverkehr, in: Badener Zeitung (25.01.1930), S. 1. Wiener Salonblatt (26.12.1926), S. 10. 75 Der Tag (10.09.1926), S. 4. 76 Tages-Post (Linz) (27.08.1927), S. 10. 77 Die Bühne (1930), Heft 272, S. 37. 74

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Was das Lifestyle-Magazin „Die Bühne“ hier 1930 ankündigt, nämlich dass auch das „volkstümliche“ Wien sukzessive die Kurorte eroberte, das bewahrheitete sich in den 1930er Jahren, am Semmering weit mehr als in Baden, obwohl auch dort, vom Motorradrennen auf der Trabrennbahn bis zum Besuch des Strandbades, zunehmend ein Publikum aus der Mittelschicht und sogar aus der Arbeiterklasse anzutreffen war. Noch weit mehr lässt sich ab 1930 für den Semmering eine markante Veränderung konstatieren: „Erstmals wird die Landschaft zum Terrain für jedermann: Gesetzlich geregelter Urlaub, das Populärwerden von einstigen Elitesportarten wie dem Schilauf und die Weekend-Ausflugsmode sind Faktoren dafür […] Sozialistische Jugendliche veranstalten Sternmärsche auf den Semmering, um gegen die Reichen zu demonstrieren, Massenorganisationen bieten Billig-Ausflüge auf Rax und Schneeberg an. Und Tourismus ist nun, im Kleinstaat Österreich, wichtiger Devisenbeschaffer und wird verstärkt beworben. Auf der Semmering-Titanic gibt es eine späte Pracht­entfaltung, mit Casino und ‚Alpenstrandbad’. Die Landschaft wird zum Rummelplatz, die ‚Welt von gestern’ zieht sich zurück“.78

Augenfällig wurde dies, indem Mürzzuschlag die Winterwettbewerbe der Arbeiterolympiade 1931 übertragen bekam, wobei der Semmering die Skirennen übernahm. Die Quartiere wurden von Arbeiterfamilien in Mürzzuschlag beigestellt. Weil Semmering seine Schanzen nicht zur Verfügung stellte, wurde in Mürzzuschlag rasch eine Sprungschanze errichtet, der Fußballplatz wurde zur Eisfläche umgewandelt. Mit 232 Sportlern und 41 Sportlerinnen waren die Winterspiele im Februar 1931 ein Minderheitenprogramm, dennoch wurden sie zum Erfolg: Über 10.000 Zuschauerinnen und Zuschauer sowie Funktionäre waren angereist. So konnten Baden wie der Semmering bis zum „Anschluss“ 1938 – und letztlich bis zum Kriegsbeginn – ihre Bedeutung erhalten, aber nur durch enorme Investitionen. Sie hatten im Vergleich zu Westösterreich zudem den Vorteil, dass sich die 1933 verhängte 1000-Mark-Sperre aufgrund der geringen Gästezahl aus Deutschland kaum negativ auswirkte. Allerdings veränderte sich das Publikum, denn es gab, abgesehen von den Kuraufenthalten, auch zahlreiche Billigangebote für Kurzurlaube. Zudem versuchte man durch sportliche Großveranstaltungen wie Auto- und Radrennen im Sommer, Skirennen und Skisprungkonkurrenzen im Winter, die Leute zumindest tageweise anzulocken. Dazu kamen Angebote für preisgünstigen Publikumsskilauf oder Badeurlaub.79 Der „Anschluss“ im März 1938 bedeutete am Semmering, wo es zahlreiche jüdische Villenbesitzer, aber auch eine große Zahl jüdischer Gäste gab, einen ebenso großen Einschnitt wie in Baden, der damals drittgrößten jüdischen Gemeinde in Österreich mit etwa 1.800 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern sowie einem ebenfalls zahlreichen jüdischen Publikum. In beiden Orten wurden jüdische Hotels, Villen, Geschäfte und Restaurants geschlossen, enteignet und arisiert, die Synagoge in Ba78

Kos (Hg.), Eroberung, S. 364. Gründler, Eroberung, S. 581.

79

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den wurde der NS-Volkswohlfahrt zur Verfügung gestellt.80 Am Semmering wurde mehr als ein Drittel der Villen arisiert, der aus Estland stammende – und im Sinne der NS-Ideologie „jüdische“ – Unternehmer William Zimdin, wurde gezwungen, das Hotel „Panhans“ an die „Gauelektrowerke“ zu verkaufen, das es als „Gauhotel Semmering“ für NS-Größen weiterführte. Dennoch: Das Kur- und Sportleben sollte am Semmering wie in Baden auch in der NS-Zeit unter den Prämissen von „Kraft durch Freude“ weitergehen. Zugleich war man bestrebt, den Fremdenverkehr im übrigen Land anzukurbeln: „Semmering und Baden bei Wien kannte das ganze Ausland, viele andere Gebiete der niederösterreichischen Alpenwelt schätzten nur die Wiener. Durch die Heimkehr der Ostmark in das Großdeutsche Reich wird nun auch der ‚Dornröschenschlaf‘ der niederösterreichischen Landschaft ein Ende finden.“

Zwar lobte ein Artikel in der „Kronen-Zeitung“ zunächst die Kur- und die „vorbildlichen“ Sportanlagen des Semmerings und in Baden, ging aber mit den Kommunen hart ins Gericht: So sei der „weltberühmte Kurort“ Semmering, obwohl er schon vor dem März 1938 „zu 45 v. H. illegal organisiert“ war, ein „Opfer der überwundenen Zeit. Nicht weniger als eine Million Schilling haben die davongejagten ‚Amtswalter‘ der Systemzeit an Schulden angehäuft“. Über Baden hieß es, dass „aus dieser freundlichen Stadt ein Weltkurort“ gemacht worden sei. Doch sei „Baden ein Opfer Schuschniggscher ‚Regierungs‘- und Verwaltungskunst“ geworden: Man habe vergessen, „den Charakter der Stadt als den eines Kurortes zu erhalten, sondern schuf ein Vergnügungszentrum, einen riesigen ,Nobelheurigen‘. Auch diese Stadt wurde heruntergewirtschaftet, wie man es sich nicht ärger vorstellen kann“.81 Bis zum Herbst 1939 wurden Baden und noch mehr der Semmering speziell durch „Kraft durch Freude“ als Kur- wie als Sportorte bespielt. Ab Kriegsbeginn wurden die Sanatorien und Kureinrichtungen, später auch viele Hotels und Schulen, in Reservelazarette und Rekonvaleszentenheime, z. B. das Kurlazarett „Peterhof“, umgewandelt.82 Die Verbindung von Kur und Sport blieb auch auf diese Weise in pervertierter Form präsent. Nach 1945 versuchten Baden wie der Semmering, an die Tradition vor der NSÄra anzuschließen, was aber nur zum Teil gelang: Zu den Zerstörungen der Kriegszeit und der generellen Not der Nachkriegsjahre kam die (weitgehende) Vertreibung oder Ermordung der jüdischen Bevölkerung und Klientel sowie die alliierte Besatzung: Beide Orte lagen in der sowjetischen Zone, was im Falle Badens dadurch verstärkt wurde, dass die Stadt bis 1955 das Hauptquartier der sowjetischen Besatzungsmacht war: Zahlreiche Einrichtungen wurden von den Sowjets beansprucht, so war der „BAC“-Sportplatz für die Nutzung durch sowjetische Offiziere reser-

80

Christoph Wieser, Baden 1938. Anschluß – Gleichschritt – Volksabstimmung, Baden 1998. Kronen-Zeitung (19.05.1939), S. 9. 82 Peter Weninger, Baden bei Wien, Innsbruck 1993, S. 23. 81

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viert.83 Sport und Kur wurden immer stärker entkoppelt. Zwar blieben Baden wie der Semmering vorerst beliebte Kurorte, doch der Sporttourismus entwickelte sich nicht mehr parallel zu den Kuraufenthalten, sondern wurde ein davon getrenntes zweites Standbein des Fremdenverkehrs. Und der Spitzensport bildete eine dritte Ebene, die an Lukrativität verlor, weil sie durch die Verkehrsanbindung beider Orte meist nur Tagesausflügler anzog. „Auf nach Baden“, hieß es 1947 in der „Weltpresse“, die einen großen Motorradwettbewerb auf dem Badener Trabrennplatz ankündigte: „Eine ganze Reihe interessanter Rennen, darunter ein Zehnrunden-Großkampf um den Sommerpreis der Stadt Baden, stehen auf dem Programm. Alle bekannten österreichischen Fahrer haben zu dieser Veranstaltung genannt. […]. Für die Badner Rennen führt die Badner Elektrische Bahn verstärkten Verkehr, und zwar wird in jeder Viertelstunde ein Zug abgehen.“84

Von der „Kurstadt“ war dabei keine Rede mehr. Was den Spitzensport betrifft, konzentrierte sich Baden nach 1945 auf den Trabersport und auf Tennis, verstärkt setzte man auch auf Motorsport: Zwischen 1947 und 1955 wurden auf der Trabrennbahn gut besetzte Speedway-Rennen veranstaltet, dazu kamen 1953 bis 1955 internationale Auto- und Motorrad-Rennen auf einem fünf Kilometer langen Straßenkurs um den „Bäderpreis von Österreich“. Der Semmering setzte hingegen auf wintersportliche Aktivitäten und fokussierte auf den Skilauf: Einerseits versuchte man eine führende Destination des Publikums­ skilaufs und des Wintertourismus zu bleiben, andererseits nahm man eine Zeitlang den Konkurrenzkampf gegen die Skidestinationen in den westlichen Bundesländern auf. So fanden die nationalen Skimeisterschaften 1952 am Semmeringer Hirschenkogel statt: Dazu mussten die vorhandenen Wintersportanlagen einer gründlichen und umfassenden Erneuerung unterzogen werden. Für etliche Wettbewerbe wurden neue Pisten geschaffen, und auch die Sprungschanze wurde einer Generalsanierung unterzogen.85 1955 trat man nochmals als Veranstalter auf.86 Doch die beginnende Wohlstandsgesellschaft setzte nicht nur den Kurstädten selbst, sondern auch ihrem Sportleben nachhaltig zu. Die Erweiterung der Urlaubsdestinationen ab den 1950er Jahren, als der Motorroller und später das Automobil den Italien-Urlaub erlaubten,87 machten Baden ebenso zu schaffen wie dem Semmering die oft unsichere Schneelage und die übermächtige Konkurrenz aus Westösterreich. 83

Rudolf Maurer, Befreiung? – Befreiung! Baden 1945–1955 (Katalogblätter des Rollettmuseums Baden 55), Baden 2005, S. 80. 84 Weltpresse (04.06.1947), S. 5. 85 Bazalka, Skigeschichte, S. 77f. 86 Teilnehmerin war unter anderen die Lokalmatadorin und regierende Slalom-Weltmeisterin Trude Klecker, 1926 am Semmering geboren, die jedoch seit 1945 in Wien studierte und für den dortigen Akademischen Skiklub startete. Dennoch wurde sie als Läuferin „vom Semmering“ beschrieben, sie „trug […] den Namen des Semmerings und seines Wintersportvereins in alle Welt“; N. N., Die Geschichte des Wintersort[!]vereins Semmering, https://www.wsv-semmering.at/de/verein/geschichte/ [Stand 08.01.2021]. 87 Matthias Marschik/Marcello La Speranza, Automobil in Wien 1955–1975, Erfurt 2011, S. 95–110.

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Abb. 7: Den Kurbetrieb nach 1945 wieder aufzubauen, gelang nur kurzfristig und mit hohem Einsatz: Motorradrennen in Baden 1947. Ab den 1950er Jahren setzten sich neue Urlaubsdestinationen durch. Quelle: Sammlung Toni Egger.

4. Der Sport abseits der mondänen Kurorte Der Semmering und Baden mussten einerseits die übermächtige Konkurrenz der Weltkurorte wie Monte Carlo, Biarritz oder Karlsbad anerkennen und auf deren Entwicklungen reagieren, auf der anderen Seite hatten sie sich gegen kleinere Kurorte zu wehren, die ihre Position in der Welt der Kurorte ausbauen wollten – hatte es sich doch immer mehr eingebürgert, von einem Kurort zum nächsten weiterzuwandern, wenn dort attraktivere Angebote warteten.88 Der „Deutsche Bäderkalender“ von 1927 liefert ein deutliches Indiz, welche Bedeutung dem Thema „Sport“ auch in kleinen Kurorten beigemessen wurde: Mehr als 50 Prozent der gelisteten Luftkurorte, insgesamt 376, verweisen auf Wintersportangebote.89 Gerade in kleineren Orten

88

Karin S. Wozonig, Wie die Eleganz nach Ischl kam und von dort aus weiterzog. Erzählt von Betty Paoli, in: Sinnhaft 21. Alpine Avantgarden und urbane Alpen (2008), S. 6–9. 89 Deutscher Bäderkalender, hg. v. Allgemeinen Deutschen Bäderverband, Berlin 1927, S. 11–70.

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mischten sich ab 1900 die Kurangebote mit Sommer- und Wintertourismus und mit der in bürgerlichen Kreisen beliebten „Sommerfrische“, aber auch mit den je spezifischen Sportaktivitäten der Einheimischen. Deutlich wird, dass Sportangebote im Konkurrenzkampf der Kurdestinationen zu einem Erfolgs- und Distinktionskriterium wurden. Gerade kleine Kurorte ohne umfassendes Sportprogramm konnten sich durch spezifische Sportaktivitäten von anderen abheben: Differenzen zeigen sich, abgesehen von lagebedingten Präferenzen für Sommer- oder Wintersport, auch in der Bevorzugung aktiver Angebote für die Kurgäste selbst oder rezeptiver Schaustellungen, etwa Pferderennen oder Skispringen. Innerhalb der aktiven „sports“ konnte man auf eher elitäre Gattungen wie Golf, Crocket und Lawn-Tennis oder auf volkstümliche wie Schwimmen, Rodeln oder zunehmend auch den Skilauf setzen. In Tages- und Wochenzeitungen, aber auch in speziellen Tourismus- oder Kurblättern versuchten die Orte ihre jeweiligen Vorzüge in Inseraten, aber offenbar auch in bezahlten oder gesponserten Beiträgen anpreisen zu lassen. Ansätze dazu lassen sich schon vor 1900 finden, wenn es etwa über den untersteirischen Kurort Tüffer (heute das slowenische Laško) hieß: „Die heurige Saison scheint einen außergewöhnlichen Aufschwung zu nehmen. Hohe Militärs, die in der Umgebung begüterten Adelsfamilien und der jährlich wiederkehrende Stab von wohlhabenden Wiener und Triester Familien füllen schon die Kurhäuser, Villen und Parkanlagen. Tüffer hat unter den steierischen Kurorten den ausgesprochensten aristokratischen ‚Chic‘. In Tüffer wird viel Sport getrieben.“90

Nach 1900 wurden die Sportangebote erstens häufiger und zweitens differenzierter: Zahlreiche bekanntere Kurorte hatten ebenso wie klassische Sommerfrischen Sport in ihrem Programm: So hieß es etwa über Bad Aussee im Salzkammergut, der Sommergast entbehre dort „keine Bequemlichkeit, er kann der Natur leben, kann sich zerstreuen, kann jedweden Sport betreiben“.91 Aber auch Weikertschlag an der Thaya pries seine Sportmöglichkeiten an: „Schattige Spaziergänge führen zu einsamen romantischen Mühlen oder nach idyllisch gelegenen Dörfern. Sehr gute Straßen für Radfahrer. Freunde der Jagd und Fischerei erhalten von den Pächtern die Bewilligung, den Sport auszuüben; Liebhaber des Kahnfahrens werden an den hübschen Fahrten auf der Thaya viel Vergnügen finden.“92

Wurde hier der aktive Sport angepriesen, versuchte Abbazia (Opatija) durch einen Sportwettbewerb zu punkten. Dort:

90

Fremdenblatt. Organ für die böhmischen Kurorte (20.07.1895), S. 6. Illustrierter Wegweiser durch die österreichischen Kurorte, Sommerfrischen und Winterstationen (1913), Heft Steiermark, S. 23. 92 Illustrierter Wegweiser durch die österreichischen Kurorte, Sommerfrischen und Winterstationen (1911), Heft Niederösterreich, S. 171. 91

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„versammelte der I. Wiener Amateur-Schwimmklub wie alljährlich die Schwimmerschaft an der österreichischen Riviera zum sportlichen Kampf und zum Genusse der Schönheiten, die von der Natur da unten an der blauen Adria so freigebig und für das Auge des Binnenländers doppelt reizvoll dargeboten werden. Der Abbazianer Schwimmertag ist längst populär bei jung und alt unter den Anhängern der edlen Leibes-Übung im flüssigen Element, wie bei den Kurgästen, denen es eine höchst willkommene Abwechslung bringt.“93

Die positive Wirkung des Sports für die Gesundheit oder Gesundung wurde immer öfter auch medizinisch untermauert. So hielt ein Vertreter des Generalverbands der Balneologen in Wien einen Vortrag „über die Beziehungen des Sportes zum Kurortewesen“: „Zuerst beleuchtete der Vortragende die Einwirkung der verschiedenen Sporte und deren Pflege auf die Körperentwicklung, womit sie vorzügliche Hilfsmittel im Kurortebetriebe darstellen. Er ging dann auf die Besprechung der modernen Sportpflege über, die, in Kurorte verlegt, mit sogenannten Wettspielen verbunden, den Kurorten einen Massenbesuch bringen könnten. Durch eifriges Zusammenarbeiten der Sport- und Fremdenverkehrsverbände könne der Sport nutzbringend werden für den Kurbedürftigen wie für den Kurort selbst.“94

In der Zwischenkriegszeit wurde der Kuraufenthalt noch enger an den aktiven wie rezeptiven Sport gebunden, wobei die einen Orte die Ausübung, andere das Vergnügen an der Betrachtung von Sportereignissen hervorhoben: Während etwa Pörtschach am Wörthersee sich mit dem Slogan: „Europas wärmstes Alpenseebad und klimatischer Kurort. Internat. Sport. Mondäne Vergnügungen“95 präsentierte, hieß es über den Kurort Zell am See: „Ungemein lebhaft wird der Sport zu Wasser und zu Lande betrieben. Schwimmen, Rudern, Segelfahrten, Angelfischerei, Tennisspiel, Jagd und Touristik bieten angenehme und gesunde Zerstreuung.“96 Doch immer häufiger bildeten aktiver und passiver Sport keine Gegensätze mehr, wenn es um den Kuraufenthalt ging. Bad Homburg „war wohl das erste deutsche Bad, das […] die Notwendigkeit einer systematischen Sportförderung erkannt hat, und dank dieser Einsicht ist es heute nicht nur ein Kurort mit vielen Sportgelegenheiten, sondern ein führendes Sportzentrum Deutschlands geworden. Die jährlich zahlreichen internationalen Sportwochen in Bad Homburg haben nicht nur die Erfahrung gesammelt, daß in einem Kurort der Sport die geradezu notwendige Ergänzung der dort erstrebten physischen Regeneration ist, sondern daß auch im Kurplan kranker und erholungsbedürftiger Menschen das nach ärztlichen Verordnungen individuell geregelte Sporttreiben einen nicht zu unterschätzenden Heilfaktor bedeutet. So wurde Bad Homburg für die Entwicklung des Tennissportes, insbesondere auch des deutschen, von allergrößter Bedeutung, eine edle Pflanzstätte 93

95 96 94

Allgemeine Sport-Zeitung (19.09.1908), S. 1168. Neues Wiener Tagblatt (12.12.1909), S. 12. Die Bühne (1927), Heft 39, S. 4. Illustrierter Wegweiser durch die österreichischen Kurorte, Sommerfrischen und Winterstationen (1912), Heft Salzburg, S. 110.

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der Tenniskunst, wo in den internationalen Tennisturnieren das Herrlichste geboten wird, was Tennis überhaupt zu bieten vermag. Die besten Spieler der Welt rangen auf den in grünen Wiesen eingebetteten, von hohen Laubriesen des alten, vornehmen Kurparkes beschirmten Kampffeldern um Meisterschaftsehren und wertvolle Ehrenpreise.“97

In einem Beitrag zum „Bäderkalender“ von 1927 bringt der Autor, ein Hauptmann a. D. Schmidt, die Ambivalenz der Beziehung von Sport und Kur deutlich zum Ausdruck, indem es ihm kaum gelingt, sportliche Wettkämpfe in Kurorten mit der körperlichen Ertüchtigung der Kurgäste und der therapeutischen Wirkung von Bewegung in Einklang zu bringen. Schmidt lobt zunächst jene „Leibesübungen“, die „uns außerhalb unserer Berufstätigkeit zur Erholung und Entwicklung unserer körperlichen Fähigkeiten dienen“ und für den Kurgast geeignet sind, der sich „der Wiederbelebung seiner Gesundheit, der Erholung und Kräftigung des Körpers wie des Geistes“ widmen soll.98 Es folgt ein Lob der englischen „sports“,99 wobei „die deutschen Bäder zur Einführung dieser gesunden Spiele in erheblichem Maße beigetragen haben. Gutes [!] englisches Publikum suchte mit Vorliebe die weltbekannten deutschen Heilbäder auf“ und praktizierte hier den Sport, animierte aber auch deutsche Kurgäste. Dann schwenkt Schmidt vom therapeutischen Nutzen des Sports zu dessen Nützlichkeit für die Kurorte, die darauf mit „Meisterschaftskämpfen, Winterkampfspielen, Skiwettlaufen und -springen“ reagierten. „Wertvolle Ehrentitel und Ehrenpreise werden dem Sieger zuteil.“ Er berichtet über die Errichtung von Bob-Bahnen oder von Tenniscourts: „Örtliche Turniere in den kleinen Kurorten eifern mit den großen internationalen Tennisturnieren der Weltbäder“. Er referiert über die Verbreitung des Reitsports, der Jagd sowie des Tontauben- und Pistolenschießens. Und auch der Flugsport „findet durch die Errichtung von Flugplätzen in den Bädern, durch Veranstaltung von Schau- und Rundflügen, weitgehende Unterstützung durch die deutschen Bäder“. „Besondere Beachtung durch das Publikum haben stets die großen Veranstaltungen in den deutschen Kurorten gefunden; sie übten und üben noch heute eine starke Anziehungskraft auf viele Gesellschaftskreise aus. Seien es nun Pferderennen, Reit- und Fahrturniere, Automobilund Motorradrennen oder Streckenfahrten bzw. Konkurrenzen, die Segel- und Ruderregatten, Turniere, Schießwettbewerbe, ferner die übrigen Sportmeetings jeder Art […] manche deutsche Kurverwaltung hat sich dadurch ein großes und festes Stammpublikum von internationalem Ruf geschaffen“.100

97

Sport im Bild (1922), Heft 24, S. 1101. G. Schmidt, Der Sport in den deutschen Kurorten, in: Deutscher Bäderkalender, Berlin 1927, S. 207– 212, hier S. 207f. 99 Innerhalb der vielfach deutschnationalen ehemaligen Weltkriegs-Offiziere gehörte er damit sicherlich einer Minderheit an. 100 Hier und im Folgenden: Schmidt, Sport, S. 209–212. 98

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Die Kurve zur körperlichen Ertüchtigung der Kurgäste schafft der Autor des Artikels nur mehr mit der Aussage, das Sportangebot sollte Geschmack für den Sport machen, und nicht „im Kurgast den Wunsch erwecken, seine Sportbetätigungen zu Höchstleistungen zu treiben […] Vor diesem sich bitter rächenden Fehler muß ihn der Bade- und Hausarzt wie der Sportlehrer bewahren“. Was er hingegen – vermutlich gegen seine Intention – nachhaltig verdeutlicht, ist die Divergenz in der Beziehung von Sport und Kurort. Eine ähnliche Ambivalenz zeichnet ein Beitrag, den die „Moderne Welt“ 1929 publizierte: Ein (Werbe-)Artikel über den Semmering schloss nicht zufällig mit einer Passage zum Thema Sport. Der Kurgast „findet hier alle Sportzweige, die er nur suchen mag. Tennis, Golf, Fußball, Hockey, Reiten und Tanzen lassen die turnerische Bewegung nicht fehlen, deren wichtige Rolle für die Stählung des Körpers längst erkannt wurde. Großstadttreiben und Bergeinsamkeit in glücklicher Verschmelzung gehören mit zu den Grundbedingungen der Wunderwirkungen der Semmeringkuren!“101

Auch wenn die Interdependenzen vage bleiben, ist das Band zwischen Kur und Sport spätestens in den 1920er Jahren fest, wenn auch überaus heterogen, geknüpft: Zum einen genügt es für Kurgäste nicht mehr, die therapeutischen Vorgaben zu erfüllen, sie fühlen sich mehr und mehr zur Sportlichkeit verpflichtet. Zum anderen wissen Kurorte, dass sie ohne spezifisches Sportangebot nicht mehr reüssieren. So heißt es etwa über den Badener Nachbarort Bad Vöslau: „Die Gemeinde-Vertretung hat den Wert der sportlichen Propaganda richtig erkannt und erfaßt, wobei ein moderner Kurort auch modernen Sport pflegen muß, um in der Reihe der internationalen Kurorte figurieren zu können.“102 Und zur Förderung des Tourismus im Kärntner Lavanttal wird gefordert: „Damit wäre dem Fremden gegeben, was er sucht: Bad, Spiel, Sport, moderne Einrichtungen. So könnte Preblau zu einem gern ausgesuchten Kurort ausgestaltet werden und der Ort würde vor allem aus den Reihen der österreichischen Mittelständler, die sich einen Urlaub wie in Pörtschach nicht leisten können, besucht werden.“103

Damit ist die letzte Veränderung im Verhältnis von Sport und Kur in den 1930er Jahren angesprochen: Im Konkurrenzkampf der Kurstätten musste eine zunehmend breitere Klientel angesprochen werden: Ging es zunächst um spezielle Sportangebote für den „Mittelstand“, erweiterte sich das Spektrum allmählich auch auf die Arbeiterschaft. Was schon ab 1895 ein besonderes Ziel der Naturfreunde-Bewegung war, nämlich die Landausflüge der Arbeiterschaft auszuweiten, in der Folge aber generell die Gesundheit der Arbeiterschaft zu erhalten oder wiederherzustellen, das erreichten nun auch die Kurorte. Von einer Gleichstellung der Arbeiterinnen und Arbeiter war man noch weit entfernt, doch die Kluft wurde geringer. 101

Moderne Welt (1929), Heft 19, S. 18 und 26. Österreichische Auto-Rundschau (08.07.1928), S. 31. 103 Kärntner Zeitung (28.08.1927), S. 6. 102

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So schrieb das sozialdemokratische „Tagblatt“ aus Linz recht euphorisch über das Ausseer Land: „Der Arbeiterurlaub bringt Sommer und Winter immer mehr Proletarier in all die kurfürstlichen Hochburgen einer bürgerlich-feudal-kapitalistischen Welt und so sehen wir jetzt, besonders im Sommer, wirklich wahre Massen von Proletariern das ganze Salzkammergut durchwandern [und] so hat sich die soziale Struktur der Sommer- und Wintersaison-Gäste doch schon merklich geändert. In dem Gewühl des Fremdenverkehrs sieht man doch nicht mehr lauter erholungsbedürftige Bankdirektoren, Fabrikanten. Grafen usw., da trifft man schon sehr häufig im Sommer die Wanderbluse der Kinderfreunde, Roten Falken, Jugendlichen, Leute mit dem Abzeichen der Naturfreunde oder der Arbeiterturner […] Sie durchziehen stolz und freudig das für Proleten so lang verschlossene Paradies Salzkammergut.“104

5. Fazit Das Resümee zur Beziehung von Kurorten und Sportpraxen kann nicht simpel ausfallen, was schon bei den Begrifflichkeiten ersichtlich ist, die enorm heterogene Bedeutungsfelder umfassen: Sport kann in diesem Kontext von der leichten körperlichen Ertüchtigung im Zuge eines Kuraufenthaltes (im Sinne von Wandern und Spaziergängen) über die sportliche Betätigung der Kurgäste im engeren Sinn (vom Tennis bis zum Skilauf) bis zur Rezeption nationaler oder internationaler Sportereignisse, die zum Vergnügen der Kurgäste abgehalten werden, reichen, wobei Nebenstränge einerseits zum Alpinismus und zur Turnbewegung (als Verwandte des Sports), andererseits zur Sportaktivität der autochthonen Bewohnerinnen und Bewohner des Kurorts (etwa zum lokalen Fußballklub oder Rodelverein) reichen, die aber letztlich wenig Bezug zu den Spezifika eines Kurortes aufweisen. Nicht weniger komplex ist der Begriff des Kurortes, der mondäne „Weltkurorte“ ebenso umfasst wie nationale Kurorte (wie das hier untersuchte Baden und den Semmering), aber auch kleine Kurstätten, die sich auf bestimmte Heilverfahren konzentrieren. Es gibt alte Kurstädte wie Baden, dessen heilende Wirkung schon den Römern bekannt war, und Orte wie den Semmering, die längst einen Kur-Status hatten, ehe sie offiziell dazu ernannt worden waren. Auch hier existieren Nebenstränge einerseits zu den Seebädern und Höhenluftkurorten, andererseits zu den beliebten Sommerfrischen und zum Wintertourismus. So ist einleitend festzuhalten, dass „Sport“ und „Kurort“ heterogene Signifikanten darstellen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie verschiedene Bedeutungen in verdichteter Form bündeln.105 In der Folge sollen statt abschließender Schlussfolgerungen eher Auffälligkeiten benannt werden. 104

Tagblatt (Linz) (08.01.1929), S. 9. Förderer, Playgrounds, S. 14.

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1. Wenn wir vom klassischen Modell der Etablierung der modernen „sports“ ausgehen, die sich in konzentrischen Kreisen vom sportlichen Mutterland England über die Zentren des Kontinents verbreiteten, um von dort sukzessive in die „Provinz“ zu diffundieren,106 dann weichen mondäne Kurstädte als Enklaven markant davon ab. Kurorten kam im gesamten 19.  Jahrhundert – und damit auch in der Etablierungsphase der Sport-Bewegung – eine „Trendsetterfunktion“ zu. Von der Nutzung moderner Kommunikationsmittel über die Mobilität bis hin zum Gesundheitsbewusstsein und zu Körperbildern wurden sie als „Experimentierfeld“ genutzt, um abseits von Urbanität und Arbeitskontext Neues zu erproben.107 Das galt auch für den Sport, wobei die Gründe von der Anwesenheit englischer „Expats“ über die leichtere Verfügbarkeit von Raum bis zur Unterstützung durch die Kommunen reichen. In manchen Sportarten erwiesen sich die Kurorte sogar als Vorreiter der Etablierung, in anderen erfolgte sie gleichzeitig oder mit weit geringerer Verzögerung als im ruralen Umland. Das gilt in abgeschwächter Form auch für etliche kleine Kurorte, die versuchten, diesem Beispiel mit Verzögerung zu folgen. 2. Bezüglich der zeitlichen Dimension ist eine spezielle Beziehung zwischen dem Sport und den Kurorten von etwa 1890 bis in die 1950er Jahre zu konstatieren. Den Beginn bildete das Auftauchen der modernen „sports“, wobei die Kurorte zum Teil Ausgangspunkte bestimmter Sportarten waren, zum Teil ergänzenden Charakter hatten, wenn es um Sportarten ging, die in der Stadt nicht oder nur unzulänglich ausgeübt werden konnten, oder die Aktivitäten besonders in Zeiträumen erfolgten, wo der urbane Sportbetrieb ruhte. Das Ende der Konstellation wird hingegen von massiven Veränderungen der Freizeitkultur markiert, von steigenden Urlaubsbudgets über wachsende Mobilität bis zu geänderten sozialen Beziehungsmustern, die den Sport und den Kurort gleichermaßen veränderten und deren traditionelle Bedeutungen und Beziehungen erodieren ließen. 3. Wesentlich ist ebenso die räumliche Dimension: Eine gute verkehrsmäßige Erschließung ist Voraussetzung einer engen Beziehung von Kurort und Sport. Doch musste, wie Bernhard Tschofen formuliert, die Bahn „die richtigen Leute“ he­ ranholen, die „die entsprechenden kreativen und wirtschaftlichen Möglichkeiten mitbrachte[n]“, sodass „gleichgesinnte Auswärtige und neugierige Einheimische“ eine Vernetzung bildeten, in der „sportliche, ökonomische und technische Interessen“ gebündelt werden konnten. Wo es sich nicht um singuläre Ereignisse handelte, konnte so – gerade auch in Kurorten – eine längerfristige „Wissensproduktion“ entstehen, die eigene (sportliche) Praxen hervorbrachte, in die „sowohl touristische Logiken als auch regionalkulturelle Traditionen eingeflossen sind“108 106

Matthias Marschik, „Provinz“ ohne Zentrum: Sport in Niederösterreich, in: Oliver Kühschelm/ Ernst Langthaler/Stefan Eminger (Hg.), Niederösterreich im 20.  Jahrhundert, Bd.  3: Kultur, Wien/Köln/Weimar 2008, S. 437–460, hier S. 440. 107 Förderer, Playgrounds, S. 33f. 108 Bernhard Tschofen, Skikultur. Zum Mehrwert eines Geschichte und Gegenwart verbindenden Zugangs, in: Rudolf Müllner/Christof Thöni (Hg.), Skispuren. Internationale Konferenz zur Geschichte des Wintersports, Bludenz 2019, S. 25–38, hier S. 28f.

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und die tiefgreifende Änderungen initiiert haben, was die Lebensstile der Einheimischen wie der Besucherinnen und Besucher betrifft, von konkreten Arbeitsverhältnissen und Freizeitritualen bis hin zu Geschlechterbeziehungen und Körperkonzepten. 4. Im Kurort laufen zwei aufeinander aufbauende Strategien ab, denn neben die therapeutische Behandlung müssen auch die Faktoren Regeneration und Erholung treten: Die Verbesserung des mangelhaften (oder kranken) Körpers geht einher mit dem Aufenthalt in der ungeordneten, jedoch beherrschten Natur. Beide Seiten eines Kuraufenthalts kann der Sport ergänzen bzw. erfüllen. Auf der einen Seite dient Sport der physischen Gesundung, auf der anderen Seite ist er beherrschte Natur: So wie der Park die Wildnis zivilisiert, zivilisiert der Sport den Körper. Dem „englischen“ Garten entspricht in diesem Sinn der „englische“ Sport, denn schon der Landschaftsgarten dient ja nicht zuletzt der „Gesundheitsarbeit“. Gezähmt und pazifiziert wird der Körper, dessen Fitness wiederum die gesteigerte Bewältigung der Umwelt erlaubt. Beherrschbar wird dabei vor allem auch Sexualität und Erotik.109 Das mag ein Grund sein, dass lange Zeit ein von Frauen betriebener Sport akzeptiert war, mitunter sogar propagiert wurde. Sport und Kurorte standen von Beginn an in einer Wechselwirkung, ihre Beziehung ist als „interdependent“ zu interpretieren und bestand in einer gegenseitigen Beeinflussung und in wechselseitigem Profit, wobei sich urbane Einflüsse mit lokalen Entwicklungen verwoben. Es ging weder um eine „Kolonisierung“ der Kurorte durch urbane Sportpraxen, noch um eine Indienstnahme des Sports durch die Kurorte. So wie in den „hohen Künsten“, wo zum einen Musik und Theater in die „Provinz“ gebracht wurden, die Künstlerinnen und Künstler aber andererseits bei den Landaufenthalten gleichwohl Inspirationen sammelten, liefen auch Sportkontakte „freiwillig und zum Vorteil beider Seiten“ ab.110 Das gilt generell für das Zusammenspiel von Kur und Sport, aber auch ganz konkret im Hinblick auf örtliche, zeitliche und personelle Verflechtungen, wie das Extrembeispiel Viktor Silberer verdeutlicht. 5. Burkhard Fuhs prägte in seinem Buch über mondäne Kurorte den Terminus „gesellschaftliche Kur“, womit er verdeutlicht, dass im Kurort der Primat der Gesundheit immer mehr vom Vergnügen ergänzt wurde. Die Erweiterung der „Erlebnisqualität“ wurde zu einem zentralen Kriterium im Konkurrenzkampf der Kurorte. Vergnügungsangebote in Kurorten waren zwar generell nichts Neues, doch mussten nun umfassende „Räume des Vergnügens“ geschaffen werden: Der mondäne Kurort musste im 19. Jahrhundert Theater, Zirkus, Kaffeehäuser, Konzerte, Tanzveranstaltungen, aufwendige Parkanlagen und Ausflugsmöglichkeiten aufweisen. Doch der vor 1900 in den Kurbetrieb implementierte Sport reihte sich, in aktiver wie rezeptiver Form, nicht nur in diese Ausweitung von Freizeitkultur ein, sondern war auch Teil des Heilprozesses und indizierte eine „grundsätzli109

Fuhs, Mondäne Orte, S. 113–121. Payer, Sommerfrische, S. 85.

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che Verschiebung in der Gewichtung von Amüsement und Heilanwendung“.111 Denn im Gegensatz zu Theater und Café ist er keine Ergänzung, sondern Teil der Behandlung. Der Sport ist in diesem Sinn die logische Weiterentwicklung des Kurparks. Der „sports ground“ ist eine im Sinne der Moderne beschleunigte, rationalisierte, säkularisierte und mit der Zeit auch demokratisierte „Bühne, auf der sich das exklusive Publikum in Szene setzen konnte“.112 6. Die dezidiert adelige und gut-bürgerliche Tradition des Sportlebens in Kurorten hatte einen unübersehbaren Gender-Aspekt: Die Klasse, und nicht das Geschlecht, bildete das primäre Differenzkriterium im Sport.113 So konnte sich, zumindest bis in die 1920er Jahre, der Sport im Kurort vom Sport der Arbeiterklasse abheben, zum einen durch die präferierten Sportarten wie Tennis, Golf oder Pferderennen, zum anderen, weil sich die Arbeiterinnen und Arbeiter den Kuraufenthalt (noch) nicht leisten konnten. Hingegen war der „Damen“-Sport in den Kurorten weitverbreitet und akzeptiert. Sofern Frauen der führenden „Gesellschaft“ angehörten, ergaben sich etliche Chancen zu sportlicher Partizipation: Sie waren nicht nur gern gesehenes Publikum, vielmehr wurden Tennis-Konkurrenzen, Skirennen und Rodelwettbewerbe stets auch für Frauen ausgeschrieben. Oft wurde selbst in den Medien von den skilaufenden „Semmeringer Hoserl­ damen“114 berichtet. Frauen konnten im Sport viele Konventionen hinter sich lassen, sie konnten Skispringen, Bob und Skeleton fahren oder den Skigleitflug ausprobieren.115 Die nötigen Sportutensilien sowie die entsprechende Kleidung für die „Semmering-Girls“ wurden vor allem vom Sportmodehaus der Mizzi Langer-Kauba in der Wiener Kaiserstraße angeboten. Es gab freilich zwei Seiten der neuen Frau, denn am Abend mussten Frauen bei Tisch und beim Tanz wieder ganz „weiblich“ auftreten.116 „So rodelt, bobt und skiert man, so lange die Sonne scheint, und findet seine muntere Partnerin des Abends als Ballelfe wieder. Und redet mit ihr, zum Leidwesen der Mütter – Sport, Sport!“117 7. Kurort und Sport müssen stets in größere Kontexte gesetzt werden: Die überlappenden Kulturen des Sports und der Kur repräsentierten über die genuinen Interessen der Kommunen und die Normen und Werte des Sports hinaus stets verschiedenste Sphären des Tourismus, des Journalismus, der Gesundheits-, der Mode- und der Sportartikelindustrie. So verwundert es nicht, dass Sport und 111

Marion Linhardt, Theater in Kur- und Badeorten, in: Dies./Thomas Steiert (Hg.), Musiktheater in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Räume – Ästhetik – Strukturen, Graz 2017, S. 154–218, hier S. 154. 112 Fuhs, Mondäne Orte, S. 133. 113 Gertrud Pfister (Hg.), Frau und Sport. Frühe Texte, Frankfurt a. M. 1980. 114 Schellerer, Laufsteg, S. 590f. 115 Gertrud Pfister, Die Anfänge des Frauenturnens und Frauensports in Österreich, in: Ernst Bruckmüller/Hannes Strohmeyer (Hg.), Turnen und Sport in der Geschichte Österreichs, Wien 1998, S. 88–104. 116 Schellerer, Laufsteg, S. 593. 117 Moderne illustrierte Zeitung für Reise und Sport (1910), Heft 2, S. 18.

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Kurort speziell in der Werbung eine wachsende Symbiose eingingen. Kurorte warben mit Sportangeboten, Sportartikelhändler warben mit Kur- und Sportkleidung. Der Illustrierte Wegweiser durch die österreichischen Kurorte, Sommerfrischen und Winterstationen war voll von Inseraten für „Sport- und Touristenkostüme“, die „für Sport, Touristik und Reise“ Verwendung finden sollten. Es gab Velourhüte und Stickjacken mit dem Markennamen Semmering. Es ging, siehe die „1000-Mark-Sperre“, ebenso um Wirtschaftspolitik wie um halböffentliches Lobbying im „privaten“ Tennisclub oder um Körperpolitiken. 8. Ende der 1950er Jahre begann die besondere Verbindung von Kurstadt und Sport zu erodieren. Das war Ergebnis von Veränderungen im Sport, aber auch in der Freizeit- und Konsumsphäre. Folgen wir Anthony Giddens,118 so bildet die He­ rauslösung aus tradierten Lebenswelten die zentrale moderne Qualität, in der der Sport seinen eigenen Raum erobert: Das lässt sich in der Etablierung des Sports im Kurkontext gut nachvollziehen. Doch der Prozess ging weiter, indem Sport in Form einer gesellschaftlichen Sportifizierung zu einem kulturellen Leitwert und Leitmotiv wird.119 Die einander ergänzenden Felder von Kur und Sport haben sich in dieser Sportivität aufgelöst bzw. amalgamiert: Zum einen fühlen sich Kurgäste mehr und mehr zur Sportlichkeit verpflichtet, zum anderen kommen Kur­ angebote nicht mehr ohne Sportangebot aus. Sport, Kur und Gesundheit haben sich im Credo der „Fitness“ verschmolzen.

118

Anthony Giddens, Consequences of Modernity, Cambridge 1990. Wolfgang Kaschuba, Sportivität. Die Karriere eines neuen Leitwertes. Anmerkungen zur „Versportlichung“ unserer Alltagskultur, in: Volker Caysa (Hg.), Sportphilosophie, Leipzig 1997, S. 229–256.

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Kurstädte – Sportstädte? Die Entwicklungen einer ambivalenten Beziehung

Abb. 8: Eine generelle Sportifizierung der Gesellschaft beeinflusst auch den Kurbetrieb: „Fitness“ als neue Klammer um Kur und Sport. Quelle: Badener Kurbetriebs GmbH.

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VERBORGENE MODERNE – ANMERKUNGEN ZUR ARCHITEKTUR IN KURSTÄDTEN UM 19001 Andreas Tacke

Das Verbergen hatte in der Architekturgeschichte bereits eine lange Tradition, bevor sich der Leitspruch für moderne Baukunst „Form follows function“ durchzusetzen begann und Konstruktion und Material nicht nur sichtbar, sondern auch ästhetisch erfahrbar wurden. Doch die (oberflächliche) Nichtsichtbarkeit um 1900 bedeutet noch lange nicht, dass nicht auf technische Innovationen und auf neue Baumaterialien in Kurstädten zurückgegriffen wurde. Man muss dabei oftmals hinter die ‚malerische‘ Wirkung der Fassade schauen, gleichsam den Vorhang beiseiteziehen, um die Neuerungen bei der historistischen Architektur entdecken zu können. Geht der – um im Sprachbild zu bleiben – Vorhang einmal auf, dann kann man nur noch staunen, was an Moderne, hier in Form von Bau- und Ingenieurkunst, in Kurstädten um 1900 zu sehen ist. Denn das 19.  Jahrhundert unterscheidet sich architekturgeschichtlich von früheren Perioden vor allem auch dadurch, dass neue Baumaterialien – wie Gusseisen, Stahl und dann der Beton – entwickelt wurden und dass diese Materialien revolutionäre Auswirkungen auf die Bautechnik hatten, die zu neuen Bauformen führten bzw. neue Möglichkeiten hinsichtlich veränderter Bauaufgaben boten. Stichworte: Hochhäuser oder bis dato unbekannte Spannweiten bei Brücken bzw. Hallenbauten sowie die großflächige Verwendung von Glas. Manches, was hier als Beispiel für die deutschen Kurstädte um 1900 angeführt wird, ist vertraut und zum Teil von der Forschung umfassend gewürdigt worden. Doch unter der für den Sammelband aufgeworfenen Frage einer „vermeintlichen Idylle“ erscheinen sie in einem anderen Licht und können neu kontextualisiert bzw. 1



Für Hinweise, Anmerkungen und Anregungen danke ich Prof. Dr. Holger Th. Gräf (Marburg), Anja Ottilie Ilg M. A. (Trier), Prof. Dr. Martin Knoll (Salzburg), Dr. Andrea Pühringer (Grünberg) und Prof. Dr. Martin Scheutz (Wien) sowie für ihre ergiebige Auskunft Simon Götz vom Universitätsarchiv der TU Darmstadt, Eva Maria Hölzl M. A. vom Universitätsarchiv der TU München (= TUM Archiv), Dr. Gerhard Kabierske (Karlsruhe), ehem. Leiter des Südwestdeutschen Archivs für Architektur und Ingenieurbau (saai) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), sowie Dipl.-Ing. Julia Zillich von Staab Architekten GmbH (Berlin). Mein Dank geht auch an Tünde Gottschling und Stefan Weil von der UB Mannheim, die einige der gedruckten Geschäftsberichte der Firma Dyckerhoff & Widmann für mich digitalisiert und online gestellt haben.

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dem Bekannten weitere Aspekte hinzugefügt werden. Hervorzuheben ist das Ergebnis, dass bei den Kurbauten die allerneueste Technik Anwendung fand: sowohl bei der Baukonstruktion und dem Baumaterial als auch beim Betrieb. Jedoch war nur der letztere Bereich vom Kurgast unmittelbar erfahrbar, wie beispielsweise durch die Benutzung von Fahrstühlen oder beim Staunen über eine drehbare, vollbesetzte Orchestermuschel. Bei der modernen Konstruktion und den dabei verwendeten modernen Materialien musste man Fachzeitschriften konsultieren, die selbstredend nicht auf den Lektüre-Tischen der Kurgäste lagen. Denn mit Michel Foucault (1926–1984) kann man auch Kurorte als „Heterotopien“ – aus griechisch „hetero“ (anders) und „topos“ (Ort) – bezeichnen.2 Das ist ein von Foucault entwickelter Begriff für Orte („Von anderen Räumen“, 1967)3, die quasi aus der Zeit gefallen sind: „Dann gibt es in unserer Zivilisation wie wohl in jeder Kultur auch reale, wirkliche, zum institutionellen Bereich der Gesellschaft gehörige Orte, die gleichsam Gegenorte darstellen, tatsächlich verwirklichte Utopien, in denen die realen Orte, all die anderen realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden. Es sind gleichsam Orte, die außerhalb aller Orte liegen, obwohl sie sich durchaus lokalisieren lassen. Da diese Orte völlig anders sind als all die Orte, die sie spiegeln und von denen sie sprechen, werde ich sie im Gegensatz zu den Utopien als Heterotopien bezeichnen.“4

Eine wichtige Rolle spielt auch die eigene, ihnen zugrunde liegende Zeitstruktur, die Foucault als „Heterochronie“ – aus griechisch „hetero“ (anders) und „chronos“ (Zeit) – bezeichnet und die die Heterotopien nach außen hin abgrenzt: „Heterotopien stehen meist in Verbindung mit zeitlichen Brüchen, das heißt, sie haben Bezug zu Heterochronien, wie man aus rein symmetrischen Gründen sagen könnte. Eine Heterotopie beginnt erst dann voll zu funktionieren, wenn die Menschen einen absoluten Bruch mit der traditionellen Zeit vollzogen haben.“5

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Diesen Ansatz verfolgt u. a. die Studie von Ute Lotz-Heumann, The German Spa in the Long Eighteenth-Century. A Cultural History, New York/London 2021. Das Buch ist hervorgegangen aus der Berliner Habilitationsschrift (an der HU, 2009) von Prof. Dr. Ute Lotz-Heumann (University of Arizona) zum Thema: „Der Kurort als Heterotopie des 18. Jahrhunderts und der Sattelzeit: Die Entstehung einer bürgerlichen Kultur und Gesellschaft“, Habil. Berlin 2009. „M. Foucault genehmigte die Veröffentlichung des 1967 in Tunesien geschriebenen Textes erst im Frühjahr 1984“, Michel Foucault, Schriften in vier Bänden, Dits et Ecrits, hg. v. Daniel Defert, 4.  Bde., Frankfurt a. M. 2001–2005; hier Bd.  4, 2005, Nr.  360, S.  931–942 „Von anderen Räumen“ (übersetzt von Michael Bischoff), hier S. 931 (Zitat). Foucault – Schriften, S. 935; vgl. die abweichende Übersetzung bei: Michel Foucault, Andere Räume, in: Karlheinz Barck (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Essais (11990), Leipzig 72002, S. 34–46 (aus dem Französischen von Walter Seitter), S. 39. Foucault – Schriften, S. 939; vgl. die abweichende Übersetzung in: Foucault, Andere Räume, S. 43.

Verborgene Moderne – Anmerkungen zur Architektur in Kurstädten um 1900

Abb. 1: Stahlstich „Maschinen-Haus bei Sanssouci“, gezeichnet von Karl Eduard Biermann und gestochen von Hermann Sagert, 1846. Quelle: Archiv des Autors.

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1. Zum Einstieg: Idylle im Schlosspark Beim Blick in die Architekturgeschichte, was alles zur Wahrung von ‚Idylle‘ unternommen wurde, um moderne Technik anzuwenden, aber nicht sichtbar werden zu lassen6, wollen wir nur bis in die 1840er Jahre zurückgehen und schauen in einen Schlosspark und seine Architektur7 – beides zusammen gereichte vielen Kuranlagen zum gattungsgeschichtlichen Vorbild.8 Unser Beispiel, welches hier als Problemaufriss dienen soll, hat seinen Ausgangspunkt in der seit 1745 im Auftrag von Friedrich II. von Preußen (1712–1786) erbauten Schlossanlage „Sanssouci“ (Potsdam). Genauer in der „Großen Fontäne“, die im Mittelpunkt des ebenfalls neu angelegten Schlossparks stand bzw. heute noch steht. Diese Fontäne blieb für den Auftraggeber indes alles andere als sorgenfrei, denn sie funktionierte wegen zu geringen Wasserdrucks nicht. Nach vielen kostspieligen Versuchen ließ Friedrich („der Große“) die Bemühungen, den Brunnen zum Laufen zu bekommen, 1780 einstellen. Abhilfe konnte erst unter König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795–1861) mit der Inbetriebnahme eines Pumpenhauses geschaffen werden. Es entstand von 1841 bis 1843 als Gemeinschaftswerk des Architekten Ludwig Persius (1803–1845) und des „Bauconducteurs“ Martin Gottgetreu (1813–1885) sowie für die technischen Pro­blemlösungen zusammen mit dem Firmengründer August Borsig (1804–1854) und dem „Fabriken-Commissionsrath“ Adolph Brix (1798–1870).9 Nicht nur die Maschinen stammen von Borsig, sondern auch die Eisenkonstruktion als Teil des Bauwerks. 6



Einzelne Ausnahmen bestätigen die Regel: Das Dampfmaschinen- und Pumpenhaus auf der Pfauen­ insel (in der Havel im Südwesten Berlins) von 1824/25 mit seinem unverkleideten schlanken viereckigen Schornstein negiert nicht den technischen Aspekt des Hauses, welches auch eine Wohnung für den Maschinenmeister aufwies. Siehe Sabine Bohle-Heintzenberg, Die Dampfkraft in der Park­ landschaft, in: Ludwig Persius – Architekt des Königs. Baukunst unter Friedrich Wilhelm IV. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung in Schloss Babelsberg 20.07.–19.10.2003, Regensburg 2003, S. 73–79, hier S. 73. 7 Auf die Problematik der sichtbaren Moderne im historischen Kontext von Schloss- und Parkanlage bin ich durch die öffentliche Diskussion um „Biotopia“, also dem Neu- und Erweiterungsbau des Naturkundemuseums Bayern am Nordflügel des Schlosses Nymphenburg in München, gestoßen. Den Wettbewerb gewann im Frühjahr 2014 das Büro Staab Architekten GmbH (vgl. [Stand: 21.04.2021]), das Hin- und Her der Überarbeitungsschritte und der herausgezögerte Baubeginn (der auch Ende 2021 mit Abschluss des vorliegenden Beitrages noch nicht erfolgt war) spiegelt die Problematik unseres Themas in die Gegenwart, und damals wie heute beschränken sich die Äußerungen in der Regel auf die Fassadengestaltung. 8 Ein Überblick bei: Bernd Nicolai, Lebensquell oder Kurschloss? Zum Spektrum der Kur- und Bade­architektur um 1900, in: Rolf Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984, S. 89–120. Zu den Bauaufgaben am Beispiel einer Stadt und allgemein zu den Bautypen siehe die auch für weiterführende Fragen ergiebige Studie von: Ulrich Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden. Die Baugeschichte der Stadt und ihr Beitrag zur Entwicklung der Kurarchitektur, Mainz 2008. Siehe weiter den Sammelband von Volkmar Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts. Internationale Fachtagung des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS, des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart und der Stadt Baden-Baden; Baden-Baden 25.–27. November 2010, Stuttgart 2012. 9 Andreas Meinecke (Bearb.), Ludwig Persius (1803–1845). Bauberichte, Briefe und architektonische Gutachten – eine kommentierte Quellensammlung, München/Berlin 2007, S. 484–507: „Das Dampf-

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Um die ‚Idylle‘ der weitläufigen Parkanlage nicht zu stören – das Pumpenhaus war damals von der königlichen Gartenterrasse von Sanssouci aus sichtbar –, wurde seine Funktion nach außen nicht kenntlich gemacht. Das Maschinenhaus kommt ‚bekleidet‘ als Moschee daher – wobei ihr 36 Meter hohes Minarett den Schornstein ummantelt. Die mit Kohle betriebene Dampfmaschine von Borsig ermöglichte eine 38 Meter hohe Fontäne, eine technische Rekordleistung der Zeit. Das Wasser wird aus der Havel durch eine zwei Kilometer lange Wasserleitung in ein vierzig Meter höher gelegenes Reservoir auf dem Ruinenberg oberhalb von Schloss Sanssouci gepumpt, von dem aus sich die „Große Fontäne“ betreiben lässt. Der Vorschlag, das Pumpenhaus als Technikgebäude nicht erkennbar werden zu lassen, stammte vom Monarchen selbst. Ludwig Persius notiert im „Tagebuch des Architekten Friedrich Wilhelms IV.“ am 8. Januar 1841: „Das Maschinenhaus soll nach Art der türkischen Moscheen mit einem Minarett als Schornst.[ein] erbaut werden.“10 „H. E. R. Belani“, das ist das Pseudonym (ein Anagramm aus ‚Haeberlin‘) des Juristen und Romanschriftstellers Carl Ludwig Häberlin (1784–1858), umriss in seiner „Geschichte und Beschreibung der Fontainenanlage in Sanssouci unter Friedrich dem Großen und Sr. Majestät dem Könige Friedrich Wilhelm IV.“ (1843) schon zeitgenössisch die ästhetische Zwickmühle, in der man sich befand: „Durch einen schmucklosen Bau mit dem einfachen hohen Dampfschornsteine würde die Schönheit des Uferprospektes, so wie die Aussicht von der Höhe von Sanssouci herab gelitten haben. So erheischte daher die landschaftlichen Reize dieses Seepanoramas auch eine anmuthige Verkleidung eines solchen Dampfschornsteins. Allein für diesen Zweck schien bereits alle ästhetischen Formen in den reichen Umgebungen Potsdams erschöpft zu sein; so sah man in Charlottenhof den Candelaber;11 im Park Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Karl [1824–1883] bei Klein-Glienicke den italienischen Bau,12 bei der Dampfmahlmühle der Königl. Seehandlung den stufenförmigen sich erhebenden schlanken Wartthurm von den Küsten Illyriens,13 als Bekleidung der Dampfmaschinenschornsteine angewendet und so kam denn der bescheidene Dichter schöner Formen auf die glückliche Idee, das schlanke phantastische Minaret des Orients anzuwenden,14 das aber auch einen entsprechenden Baustyl des Maschinenhauses nothwendig machte.“15 maschinenhaus von Sanssouci“, hier S. 465 mit Anm. 145. Abgedruckt ist ein Briefwechsel zwischen dem Architekten und Borsig, beginnend mit dem 28.11.1840 und endend mit dem 20.11.1844. – Siehe auch Werner Lorenz, Konstruktion als Kunstwerk. Bauen mit Eisen in Berlin und Potsdam 1797– 1850, Berlin 1995, bes. S. 300–316, Kat. Nr. 10: „Dampfmaschinenhaus für Sanssouci“. 10 Eva Börsch-Supan (Hg.), Ludwig Persius. Das Tagebuch des Architekten Friedrich Wilhelms IV. 1840–1845, München 1980, S. 44f.: Tagebucheintrag vom 08.01.1841, fol. 12. 11 Wie insgesamt Charlottenhof im Park von Sanssouci von Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) entworfen wurde, stammt auch das Maschinenhaus mit dem als Kandelaber verkleideten Schornstein von ihm; siehe Bohle-Heintzenberg, Dampfkraft in der Parklandschaft, S. 73f. 12 Der Turm wurde als Belvedere genutzt, barg aber eigentlich den Schornstein des Maschinenhauses und diente auch als Wasserturm; siehe Persius – Architekt des Königs, S. 219f. Kat. Nr. V.I: Maschinen- und Gärtnerhaus Glienicke, 1838. 13 Angesprochen ist die Dampfmahlmühle der Königlich Preußischen Seehandlung in der Brandenburger Vorstadt von 1841–1843; siehe Persius – Architekt des Königs, S. 223f. Kat. Nr. V.5. 14 Ebd., S. 220f., Kat. Nr. V.2: Dampfmaschinenhaus für Sanssouci, 1840–1842. 15 H. E. R. Belani [Carl Ludwig Häberlin], Geschichte und Beschreibung der Fontainenanlage in Sanssouci unter Friedrich dem Großen und Sr. Majestät dem Könige Friedrich Wilhelm IV. Nebst

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Dass bei den Verkleidungen technischer Gebäude im Schlosspark oder seiner unmittelbaren Umgebung Friedrich Wilhelm  IV. von Preußen das letzte Wort hatte, geht aus einem weiteren Tagebucheintrag Persius’ am ersten Ostertag, dem 11. April 1841, hervor. An diesem Tag besprach der Architekt mit seinem König und Auftraggeber „Projecte f[ür] Schornsteine“.16 Schornsteine von Maschinenhäusern sind hochaufragend und damit der am weitesten sichtbare Teil von technischen Anlagen und bedürfen – wenn man sie ‚verschwinden‘ lassen will – der besonderen Aufmerksamkeit bei der Planung. Wie oben aufgezählt, bediente man sich am preußischen Hof historischer Vorbilder und suchte nach Bauten, bei denen hochaufragende Teile (wie Belvedere, Minarett, Säule oder Wehrturm) Bestandteil der historischen Formensprache sind. Nach Drucklegung des zitierten Werkes von Häberlin alias Belani realisierte Ludwig Persius nicht unweit von Sanssouci entfernt ein zweites Maschinenhaus (1843–45) im Schlosspark von Babelsberg (Potsdam) und ‚bekleidete‘ dieses nun als eine mittelalterliche Burg und den Schornstein als dessen Bergfried.17 Der Griff in die ‚Klötzchen-Kiste‘ der Baustile war jedoch noch lange nicht abgeschlossen. Noch weitere Generationen bedienten sich seiner und erst mit dem Einschnitt des Ersten Weltkrieges sollte auch bezüglich der Architekturgeschichte eine neue Zeit anbrechen. Da waren aber bereits die meisten Kurstädte gebaut und dies – Dank des wirtschaftlichen Aufschwungs etwa ab der Reichsgründung – in Deutschland in einem derart umfassenden Maß, dass später nur noch Einzelbauten als Ergänzung notwendig wurden. Im Ersten Weltkrieg kaum von Schäden betroffen, sind so Neubauten aus der Zeit der sogenannten Klassischen Moderne, die der Maxime „Form follows function“ verpflichtet waren, nur vereinzelt zu finden.18 Noch heute prägt die historistische Architektur das urbane Bild von Kurstädten, welche nur hier und dort nach dem Zweiten Weltkrieg durch Abriss zerstört und durch (oft gesichtslose) Neubauten ersetzt wurde. Doch ist das nicht unser Thema.

einem Situationsplan von Sanssouci mit der Röhrenleitung und einem architektonischen Stand- und Grundriß des neuen Dampfmaschinengebäudes, Potsdam 1843, S. 63 (Zitat). 16 Börsch-Supan (Hg.), Tagebuch, S. 47f., fol. 18. 17 Siehe Persius – Architekt des Königs, S. 221f. Kat. Nr. V.3: Maschinenhaus im Park Babelsberg, 1843–1844. 18 Wie die neue Trinkhalle in Bad Wildbad (Schwarzwald), die von Reinhold Schuler, Baurat im Finanzministerium, entworfen und nach achtmonatiger Bauzeit 1934 eingeweiht wurde. Der Unterbau ist aus Stahlbeton, das Hauptgebäude aus Holz in Ständerbauweise, sodass die Trinkhalle komplett verglast werden konnte. Sie ist der Formensprache der „Weißen Moderne“ verpflichtet; siehe Thomas E. Föhl, Wildbad, in: Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland, S. 473–512, bes. S. 508: „Neue Trinkhalle“.

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2. Die Kunst des Verschwindenlassens Auf den Gegensatz zwischen der Anwendung modernster Baukonstruktionen, Baumaterialien sowie dem Einsatz modernster Technik und dem Einkleiden in eine rückwärtsgewandte ‚malerische‘ Formensprache, die – vermeintlich anders als die der Moderne – der geforderten Idylle nicht abträglich schien, wird schon zeitgenössisch hingewiesen. So ist beispielsweise durch den Architekten und Publizisten Carl August Menzel (1794–1853) folgendes überliefert: „Es dünkt uns, daß ein Dampfmaschinenschornstein eine angenehme Form haben und doch wie ein Dampfmaschinenschornstein aussehen könnte. Dasselbe dünkt uns von dem Maschinenhause. Wir sehen aber, daß, um einen solchen Bau in einer immer neuen Form zu zeigen, der griechische, der italienische Styl, der illyrische Wachtthurm und das arabische Minaret herhalten mußten. Wenn nun noch zehn andere Dampfmaschinenschornsteine in der Nähe gebaut würden, was könnte man noch für verschiedene Baustyle zu sehen bekommen? und wer wird nun noch zweifeln, wenn wir sagen: daß wir jetzt in allen möglichen Baustylen bauen, nur nicht in einem eignen, wie er unserm Religionskultus entspricht. Die Sucht, immer neue, noch nie dagewesene Formen zu erfinden, die in der Natur der Sache nicht zugleich begründet sind, stimmt vortrefflich mit der Narrheit unserer Zeit, welche in jedem Monat die Mode wechselt, und da man in dieser, wie in der Baukunst, gar nicht mehr weiß, wo man noch eine neue Form hernehmen soll, greift man nach Allem, was schon vorhanden war, was man also nicht erst zu erfinden die Bequemlichkeit genießt, wobei man sich aber einbildet, etwas ganz Neues nie Dagewesenes erwischt zu haben.“19

Mit dem Hinweis auf die Mode ist ein Phänomen angesprochen, was nicht den Kern, aber das Äußere historistischer Architektur ausmacht, nämlich die Fassade, die in den unterschiedlichsten Stilen und Materialien ‚eingekleidet‘ werden konnte. Alle (Neo-) Stile standen im langen 19. Jahrhundert zur Verfügung, wie Romanik, Gotik, Renaissance, Barock oder Klassizismus und dieses nicht nur aus dem europäischen, sondern auch aus dem außereuropäischen Kulturkreis. In Potsdam und Babelsberg also einmal das Maschinenhaus als „arabische“ Moschee und das andere Mal als mittelalterliche Burg. Anders als bei der Architektur der Moderne, bei der die (innere) Konstruktion in der äußeren Gestalt aufgehen oder sichtbar werden soll, haben wir es bei der Architektur des Historismus mit Verkleidungen zu tun. Werner Oechslin spricht 1994 von

19

C(arl) A(ugust) Menzel, Grundzüge zur Vorschule einer allgemeinen Bauformenlehre in Bezug auf Standpunkt der Baukunst in jetziger Zeit, in: Jahrbuch der Baukunst u. Bauwissenschaft in Deutschland, hg. von C(arl) A(ugust) Menzel, Bd. 2, Eisleben 1845, S. 2–148, hier S. 35.

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„Stilhülsen“20 und Christian Rabl 2020 von „Architekturen des Inauthentischen“21 – beides können wir für unsere Fragestellung so stehen lassen, da es uns hier nicht um eine Neubewertung historistischer Architektur im Allgemeinen geht.22 Grundlegend für die historistische Architektur ist Gottfried Sempers (1803–1879) „Bekleidungstheorie“.23 Hierbei wird Architektur als strukturelles Grundgerüst verstanden, welches ‚verhüllt‘ wird. Wie beim Menschen, wird bei Semper der Gebäudekörper als nackt aufgefasst, den es zu ‚bekleiden‘ gilt und damit stehen, je nach Anlass, unterschiedliche Kleidungs-, hier Baustile zu Verfügung, die verschiedene Fassadenmaterialien mit einschließen. Es geht also um das architektonische Umund Verhüllen eines Gebäudes und mit diesen kann man unterschiedliche inhaltliche24 oder ästhetische Aussagen treffen. Thomas Nipperdey (1927–1992) spricht in einer kleineren Abhandlung „Wie das Bürgertum die Moderne fand“ (1988) von einer „Verhüllungssymbolik der Historisten“ als Übergang zu „einer mehr oder minder moderaten Halbmoderne“.25 Das ‚Entkleiden‘ wäre also ein Bestandteil des Modernisierungsprozesses in der Architektur, wozu der Wiener Architekt Adolf Loos (1870–1933) in seinen Veröffentlichungen nachdrücklich auffordert – besonders in der berühmten Schrift „Ornament und Verbrechen“ (1908).26 Das gilt jedoch nicht nur für die Architektur, denn die Befreiung von tradierten Formensprachen stand allgemein für einen gesellschaftlichen Erneuerungs- oder Wandlungsprozess, der auch in Kurstädten stattfand. Hier muss man jedoch genau hinschauen, da, wie Adam T. Rosenbaum in seiner Studie (2016) „Bavarian Tourism and the Modern World 1800–1950“ auf ältere Forschung aufbauend zeigen konnte, das Angebot einer „grounded modernity” an modernisierungsgestresste Städter in der Sommerfrische gemacht wurde.27 Das bedeutet nicht den Ausschluss von Moderne oder von Technik, da sehr wohl das Neueste vom Neuesten registriert und 20

Siehe Werner Oechslin, Stilhülse und Kern. Otto Wagner, Adolf Loos und der evolutionäre Weg zur modernen Architektur, Zürich/Berlin 1994. 21 Siehe Christian Rabl, Architekturen des Inauthentischen. Eine Apologie, Bielefeld 2020. 22 Dazu müsste man auch die Tatsache einbeziehen, dass schon in früheren  Jahrhunderten auf ältere Baustile zurückgegriffen wurde. Wie beispielsweise in der Renaissance oder im Barock auf den der Gotik, um beispielsweise konfessionelle und/oder dynastische Kontinuität zum Ausdruck zu bringen. 23 Siehe Hanno-Walter Kruft, Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike bis zur Gegenwart, München 1985, 31991, hier S. 355–362, bes. S. 357–359. 24 Es ist nicht unser Thema, aber auch die unterschiedlichen Baustoffe ließen sich inhaltlich konnotieren. Mit weiterführender Literatur siehe: Andreas Tacke, Kampf der Ziegel. Die Auswirkungen der Reformation auf den Berliner Kirchenbau um 1900, in: Uwe Niedersen (Hg.), Reformation in Kirche und Staat. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 2018, S. 248–271. Oder – bezogen auch auf ein modernes Material – siehe Christian Fuhrmeister, Beton, Klinker, Granit: Material, Macht, Politik. Eine Materialikonographie, Berlin 2001. 25 Thomas Nipperdey, Wie das Bürgertum die Moderne fand, Berlin 1988, S. 65f. 26 Abgedruckt in: Franz Glück (Hg.), Adolf Loos – Sämtliche Schriften in zwei Bänden; hier Bd. 1: „ins leere gesprochen“ und „trotzdem“ (1931/32), Wien 1962, S. 276–288. Vgl. Kruft, Geschichte der Architekturtheorie, bes. S. 419–422. 27 Adam T. Rosenbaum, Bavarian Tourism and the Modern World 1800–1950, Cambridge 2016, bes. S. 3 und S. 240.

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sogar damit Werbung gemacht wurde28 – was in diesem Tagungsband aus unterschiedlichster Perspektive beleuchtet wird. Mit Blick auf die Architektur – so meine These – war die Moderne aber nur auf der Funktionsebene (wie bei Fahrstühlen, drehbaren Orchestermuscheln oder bei der neuesten Technik im Kur- und Badebetrieb) vertreten, nicht aber als ästhetische Erfahrung im Sinne von Adolf Loos. Die Moderne ließe sich aus der Perspektive der Architekturgeschichte mit der Verwendung einzelner Materialien durchspielen,29 wie Beton, Gusseisen, Stahl oder auch durch die großflächige Verwendung von Glas.30 Der Weg war lang und dornig zu einer modernen „Materialästhetik“,31 zu einer „Materialgerechtigkeit“,32 wobei der Beton am längsten brauchte, um als sichtbares Baumaterial bei repräsentativer Architektur Akzeptanz zu finden. Und gerade beim Beton kann seine mühsam errungene Anerkennung als Baustoff der Moderne nach wie vor kippen und gipfeln in dem als abschätzig gemeinten Werturteil „Betonbau“. Am problemlosesten verlief die Billigung beim Gusseisen, da dieses schon früh in Kurstädten sichtbar Verwendung fand. Die Sichtbarkeit von modernen Materialien in Kurstädten um 1900 hat selbstredend da ihre Grenzen, wo Hygienevorschriften zu beachten waren und beispielsweise eine Verkachelung der Wände notwendig wurde33 bzw. wo durch Brandschutzgründe die Verwendung von weniger bis nicht brennbaren Baustoffen geboten war. Grundsätzlich sei aber festgestellt, dass auch die Akteure im Historismus sich als modern empfanden, gerade auch dort, wo sie ältere Bauten niederreißen ließen, um Neues entstehen zu lassen. Für ihre modernen Neubauten mussten viele historische Gebäude weichen, um Platz für ihre (historistische) Moderne zu machen. So

28

Am Beispiel von Bad Reichenhall siehe Rosenbaum, Bavarian Tourism, S. 116f. Das ist mittlerweile – auch dank der Forschungen von Prof. Dr. Monika Wagner (Hamburg), auch wenn ihr Focus auf den Materialien der Bildenden Kunst und weniger jenen der Architektur lag – ein gut abgestecktes Forschungsfeld. Einen Einstieg – auch mit Beispielen zur Architektur – bietet der Sammelband von Monika Wagner/Dietmar Rübel (Hg.), Material in Kunst und Alltag, Berlin 2002. 30 Zu diesem Material in der Architektur siehe die in Druck befindliche und von mir an der Universität Trier im Fach Kunstgeschichte betreute Dissertation (2020) von Hannah Völker: Glas – Bruno Tauts Lieblingsmaterial. Eine Studie zur Vereinbarkeit von Theorie & Praxis: „Ohne einen Glaspalast, ist das Leben eine Last“. 31 Siehe – auch mit Texten zur Materialgerechtigkeit – die Zusammenstellung in: Dietmar Rübel/Monika Wagner/Vera Wolff (Hg.), Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur, Berlin 2005. 32 Der Begriff ist im 19./20. Jahrhundert ambivalent und kann für bzw. gegen die Moderne verwendet werden, siehe den Kurzbeitrag von Monika Wagner, „Materialgerechtigkeit“. Debatten um Werkstoffe in der Architektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Michael Petzet/Jürgen Pursche (Hg.), ICOMOS-Tagung: Historische Architekturoberflächen, München 2004, S. 135–138. Ausführlicher dazu die von Monika Wagner betreute kunsthistorische Dissertation von Nadine Rottau, Materialgerechtigkeit – Ästhetik im 19. Jahrhundert, Aachen 2012. 33 In Bad Kissingen wurden in der Trink- und Wandelhalle 1.700 qm Fläche durch Villeroy & Boch (Mettlach) mit Kacheln und Majolika verkleidet; vgl. Cornelia Oelwein, Max Littmann (1862–1931). Architekt, Baukünstler, Unternehmer. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Stadt Bad Kissingen, Altes Rathaus, 22.04.–13.10.2013 anlässlich des 100. Jubiläums des Regentenbaus, Petersberg 2013, S. 318. 29

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wurde in Bad Kissingen bei der neuen Trink- und Wandelhalle34 ein Vorgängerbau von Friedrich von Gärtner (1791–1847) abgerissen, der, wäre er noch erhalten, heute unter Denkmalschutz stehen würde. Den Begriff der „Moderne“ verwende ich als Kunstwissenschaftler (und dies im Bewusstsein der Problematik von Epochenbegriffen). Für mein Fach spannt sich die Moderne (schematisch betrachtet) zeitlich etwa von der Französischen Revolution bis hin zur Gegenwart; beim letzteren Abschnitt reden wir dann von Architektur bzw. Kunst der Gegenwart. Wenn ich hier den Begriff verwende, dann geht es mir kunsthistorisch um die sogenannte „Architektur der klassischen Moderne“. Also jener Zeitabschnitt, bei dem baugeschichtlich aus dem Späthistorismus, dem Jugendstil sich der Art Deco etc. entwickelte und anschließend in Deutschland ein kurzer Zeitabschnitt begann, den wir in der Architekturgeschichte zur Abgrenzung der Architektur der Moderne bzw. der Gegenwartsarchitektur, rückblickend als „Klassische Moderne“ („Weiße Moderne“, „Neues Bauen“) bezeichnen und der durch die Architektur des Dritten Reichs sein Ende fand. Aus der Perspektive der damals Handelnden kann man jedoch jeden neu aufkommenden Stil als modern und damit umgangssprachlich als Moderne bezeichnen. Architekturgeschichtlich schob sich zwischen die Phase des Historismus oder des Jugendstils, des Art Deco und die spätere Phase der Klassischen Moderne – etwa im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg – eine Tendenz der ‚Vereinfachung‘ in der deutschen Architektur. Bad Kissingen kann davon beredt Zeugnis ablegen. Doch ist hier nicht der Ort, eine Entwicklungsgeschichte der Architektur des Historismus aufzublättern – ein Stil, der in ganz Europa unter jeweils unterschiedlichen regionalen wie nationalen Vorzeichen zu finden ist. Es sei aber angemerkt, dass sich die Moderne durchaus auch im Deutschen Kaiserreich zeigte, allerdings nicht oder nur selten bei sogenannten repräsentativen Bauten, zu denen wir die Architektur der Kurstädte zählen müssen. Im Historismus fanden neue Konstruktionen und Baumaterialien sichtbar meistens dann Verwendung, wenn es um ephemere Architektur ging (wie bei Messehallen) oder um Zweckbauten, wie Bahnhofshallen, Brücken, Fabrikhallen, Markthallen, Talsperren oder Wassertürme. Sigfried Gideon (1888–1968) bemerkte dazu:

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Siehe Thomas E. Föhl, Von Klassizismus bis Neubarock, in: Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland, S. 49–88, hier S. 73–84: Kurhäuser. Diese sind nicht klar zu definieren, da Kurhäuser auch Badehäuser sein können, aber vor allem Trink- und Wandelhallen aufnehmen oder allgemein als Konversationshäuser zu bezeichnen sind und Räume für geselliges Beisammensein oder Veranstaltungen sein können (wie Theater, Fest- und Tanzveranstaltungen, Spielbanken). Ebd., S. 73: „Diese Mehr- bzw. Mischnutzungen fanden ihren sinnfälligen Ausdruck in Benennungen wie: Kur- und Badehaus, Kurhotel, Badhotel und ähnliches, wobei zu bemerken ist, daß sich diese Bezeichnungen im Laufe der Zeit oftmals änderten, wie überhaupt eine gewisse Unsicherheit bei der Benennung dieser Gebäude festzustellen ist.“

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„Kein Zweifel, es fehlte ihnen der Glanz früherer Perioden, die durch Handwerk und lange Tradition gesättigt waren. Diese Bauten erscheinen nackt und nüchtern, aber sie waren ehrlich. Nichts konnte so selbstverständlich zum Ausgangspunkt einer neuen Sprache, unserer eigenen Sprache, dienen wie sie, die das Leben und das Spiel der Kräfte hatten entstehen lassen.“35

2.1 „malerisch“ Die Aufgabenstellung an die beauftragten Architekten war für alle Kurorte ähnlich lautend, wie sie der Pächter des Königlichen Mineralbades [Georg] Roth am 27. November 1896 an die Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg bezüglich des Neubaus eines Kurhauses/Kurhotels in Bad Brückenau formulierte: „Im schönen Wiesengrunde, […], soll sich ein Monumentalbau, drei Stockwerke hoch mit allen Erfordernissen der Neuzeit ausgestattet, erheben. Die Pläne für diesen Neubau, welcher nicht nur nach außen hübsch, sondern vorzugsweise nach innen praktisch sein soll, […].“36

Auch wenn wir auf Kurstädte fokussieren, so muss betont werden, dass sich derartige Erwartungen allgemein in der Architektur des Historismus spiegeln. Neben dem Wunsch nach einer malerischen Wirkung der Gesamtanlage eines Gebäudes kamen Wünsche hinzu nach Anwendung der neuesten Technik bei gleichzeitigem Verschwindenlassen der technischen Einrichtungen oder von einzelnen technischen Bauteilen (wie Schornsteine), der geschönten medialen Präsentation der Neubauten, die Forderung der Auftraggeber nach kurzen Bauzeiten oder die Zusammenarbeit von Architekten und Bauingenieuren. All das gilt generell um 1900 auch für weitere repräsentativere Bauaufgaben im Deutschen Kaiserreich. Herausgegriffen seien die Badehäuser, die in Kurstädten bautypologisch sowie technisch mit der Entwicklung der städtischen Bäder bzw. Volksbäder, also mit öffentlichen kommunalen Einrichtungen, synchron gingen. Als Exemplum kann das Müller’sche Volksbad in München (eingeweiht 1901) von Carl Hocheder (1854–1917) angeführt werden, das eine Grundfläche von fast 4.000  Quadratmetern hat. So ist der Wasserturm als Uhrenturm ‚bekleidet‘ und dient zur Aufnahme des Reservewassers, um den Wasserdruck zu gewährleisten. Die „Deutsche Bauzeitung“ (1902) vermerkt weiter:

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Sigfried Gideon, Architektur und Gemeinschaft. Tagebuch einer Entwicklung, Hamburg 1956, S. 28. Oelwein, Littmann, S. 213–216 (Bad Brückenau, Kurhaus/Kurhotel), bes. S. 213.

36

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„Ueberhaupt waren für die weitere architektonische Durchbildung des Baues die ungezwungene Einführung in das Stadt- und Landschaftsbild, eine klare, malerische Gruppierung und angenehme Umrisslinie der Baumassen ein wichtiges Erfordernis, das die freie Lage des dicht am Wasser sich erhebenden und aus grösserer Entfernung ungehindert sichtbaren Gebäudes bedingte.“37

Ganz im Strom der Zeit liegend wird die angesprochene „malerische“ Wirkung auch bei Kurbauten zu erzielen versucht. Herausgegriffen seien zwei Beispiele: Zum Landesbad in Aachen-Burtscheid, welches von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz errichtet wurde, heißt es im Jahr 1912: „Die ganze Gebäudemasse wirkt durch ihre unregelmäßige Umgrenzungslinie, durch die Verschiedenheit der Abstände von den Straßenfluchten sowie durch den Wechsel der Höhenentwicklung der einzelnen Bauteile sehr malerisch.“38 Eine solche malerische Wirkung war nach Auffassung der Verantwortlichen nur mit einem historischen Baustil zu erreichen, wie unser zweites Beispiel verdeutlicht. So werden in der „Zeitschrift für Bauwesen“ (1916) bei der Beschreibung des Theaterneubaues für Bad Oeynhausen – der Baubeginn lag im Spätsommer 1913 und durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden die Pläne überarbeitet und vereinfacht – die technischen Aspekte ausführlich gewürdigt, um dann lakonisch am Ende des Fachbeitrages die äußere Einkleidung in den Formen des Barocks festzustellen: „Das Gebäude ist entsprechend den baupolizeilichen Vorschriften durchweg massiv ausgeführt, die Grundmauern in Stampfbeton, das aufgehende Mauerwerk aus Ziegeln, die Decken, die tragenden Bauteile der Rangplätze und andere besonders stark belastete Bauteile in Eisenbeton; nur die Sparren des eisernen Dachstuhls, ein Teil der Pfetten und die Bühnenfußböden sind aus Holz hergestellt. Die in Drahtputz ausgeführte Kassettendecke des Zuschauerraumes ist an den eisernen Dachstuhl aufgehängt. Die Architektur des Äußeren ist in Barockformen entworfen.“39

2.2 Schornsteine: real In architekturgeschichtlichen Studien wird den technischen Anlagen – wie z. B. auch den Maschinenhäusern von Badeanlagen – nur beiläufig Aufmerksamkeit geschenkt, geschweige denn, dass man auf Schornsteine achtet. Sicherlich waren sie aber für die

37

Deutsche Bauzeitung 36 (1902), Heft 70 (30.08.1902), S. 445–446; Heft 71 (03.09.1902), S. 453–454; Heft 72 (06.09.1902), S. 458–459: „Das Müller’sche Volksbad in München“; hier S. 445 (Zitat). 38 Andreas Bernhard, Bad Aachen, in: Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland, S.  121–184, hier S.  165–171: „Der Kurbezirk Burtscheids“, bes. S.  170 (Zitat). Zitiert wird vom Autor die selbstständige Publikation: Landesbad Aachen-Burtscheid. Errichtet von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, Mit 3 Abbildungen im Text und 6 Faltplänen, Düsseldorf 1912. 39 Zeitschrift für Bauwesen 66 (1916), Heft 7–9, Sp. 297–308: „Der Neubau des Königlichen Kurtheaters in Bad Oeynhausen“, hier Sp.  299 (Zitat). Siehe Maria Berger, Bad Oeynhauen, in: Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland, S. 401–424, bes. S. 419–421: Theater.

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Architekten eine hohe gestalterische Herausforderung, ebenso wie die neueste Technik die Zusammenarbeit mit Bauingenieuren bzw. Fachbetrieben und Herstellern unabdingbar machte. Als historische Kontinuität erwies sich der Wunsch, diese technischen Bauten/ Einrichtungen zu verbergen. Den Architekten um 1900 gereichte es zum Vorteil, dass sie während ihrer Ausbildung ein breites bauhistorisches Wissen vermittelt bekamen, welches das Kennenlernen von Originalen auf Architekturexkursionen, ihre Aneignung durch Bauaufnahmen vor Ort sowie das Entwerfen in historischen Formen mit einschloss.40 Heute müsste man eine ‚Schornstein-Exkursion‘ durch Kurstädte machen, da die gefundenen Lösungen oftmals nicht in den Architekten- bzw. Bau-Monografien mitberücksichtigt sind und auch nicht visuell mit Abbildungen dokumentiert wurden. Wir greifen deshalb hier nur auf wenige Fallbeispiele zurück. Schauen wir zuerst nach Karlsruhe, genauer auf das Vierordtbad des Architekten Josef Durm (1837–1919). Der Bankier Heinrich Vierordt (1797–1867) vermachte der Stadt qua Testament ein Startkapital, die Planungen begannen 1869. In der Baubeschreibung des Architekten heißt es: „Den Eigentümlichkeiten hiesiger Bauverhältnisse Rechnung tragend, sind nur Wannenbäder, Dampf- und Warmluftbäder in die Anlage aufgenommen worden. Anlagen von Blumenbeeten und Waldpartien umgeben den Bau und bieten reichlich Gelegenheit zu zerstreuenden und erholsamen Sparziergängen vor und nach dem Bade. In den Sommermonaten ist mit dem Baden ein Kurtrinken (Mineralwasser, Milch etc.) verbunden, was sich lebhaften Zuspruchs erfreut.“41

Josef Durm baute die Badeanstalt (ohne Schwimmhalle) mit seiner „malerische(n) Gruppirung“42 von 1871 bis 1873. Später wurde die an einen barocken Schlossgrundriss erinnernde Badeanstalt umgebaut (1898), wobei Teilabrisse für die nun errichtete Schwimmhalle notwendig wurden. In Folge wurde ein größeres Maschinenhaus mit noch höherem Schornstein (40 statt wie früher 20 Meter) gebaut: „Seine orientalisch anmutende Dekoration zeigt, wie sehr man sich bemühte, die technischen Notwendigkeiten durch Kunst zu adeln.“43 Zum Markgrafenbad (1906–1908) von Ludwig Levy (1854–1907) in Badenweiler, welches nach seinem Tod von August Stürzenacker (1871–1951) weitergebaut wurde, kann man in dem „Zentralblatt der Bauverwaltung“ (1911) lesen:

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Siehe beispielsweise Andreas Tacke, Kirchen für die Diaspora. Christoph Hehls Berliner Bauten und Hochschultätigkeit 1894–1911, Berlin 1993, bes. S.  256–289: Lehrtätigkeit, darin die Unterkapitel über Vorlesungen, Exkursionen und Übung in ‚Entwerfen‘. 41 Klaus Schwirkmann, Josef Durm (1837–1919) – Großherzoglich-badischer Oberbaudirektor, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 16 (1979), S.  117–144, hier S. 126f.: „Vierodtbad (1871–73)“, bes. S. 126 (Zitat). 42 Ulrike Grammbitter, Josef Durm (1837–1919). Eine Einführung in das architektonische Werk, München 1984, hier S.  279–286, bes. S.  280 (zitiert wird aus dem Erläuterungsbericht von Josef Durm). 43 Schwirkmann, Josef Durm, S. 126f.: „Vierodtbad (1871–73)“, bes. S. 127 (Zitat).

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„Der Neubau enthält sämtliche Einrichtungen, die die neuere Wasserheilweise und ein neuzeitliches Bad verlangen. Eine ebenfalls mit allen heutigen Errungenschaften auf diesem Sondergebiete ausgestattete Dampfwäscherei ist mit dem Kesselhause abseits der Badegebäude so verbunden, daß letztere – aus dem dunklen Tannengrün des umgebenden Parkes schmuck hervorschimmernd – vollkommen für sich als Baugruppe wirken und durch keinerlei größere Kamin-Auf- oder Anbauten und dergl. gestört werden. Der Entwurf zeigt in der Umrißlinie sowohl des Grundrisses wie des Aufbaues das Bestreben, das neue dem in Renaissanceformen gehaltenen Alten in gefälliger Weise anzupassen bei vollkommen selbstständiger Durchbildung des Äußeren in Formen, die an das Barock anklingen.“44

Für die neue Kuranlage in Bad Aachen, das ist ein Badehaus und Hotel (1914–1916), wurde ein Schornstein in Art eines Schlossturmes realisiert, welcher „die Schornsteine des Fernheizwerkes birgt.“45 Das „Zentralblatt der Bauverwaltung“ (1916) weiß weiter Folgendes zu berichten: „Den Entwurf für alle Bauten sowie für die innere Ausstattung lieferte die Firma Karl Stöhr, Architektur- und Baubureau in München, die auch selbst gegen eine Pauschalsumme die Ausführung bewirkte [bis auf die technischen Einreichungen]. Für die Begutachtung der Pläne in künstlerischer Hinsicht war Professor Dr. Theodor Fischer (1862–1938) in München gewonnen, der sich der Aufgabe mit feinem Taktgefühl angenommen hat und dem viele gute Winke und schätzbare Anregungen zu verdanken sind.“46

Es scheint die Regel gewesen zu sein, dass den Schornsteinen im Entwurfsprozess eine große Aufmerksamkeit geschenkt wurde – mit dem Ziel, ihr Vorhandensein weitgehend unsichtbar zu machen. Vermeintlich eine Ausnahme bildet die Anlage in Bad Nauheim. Dort steht das Technikgebäude mit Schornstein in Sichtweite der Trink- und Wandelhalle und noch dazu in einer leicht axial versetzten Blickbeziehung. Doch dieser Umstand ist der Entstehungsgeschichte und den topografischen Gegebenheiten bzw. bereits erfolgten städtebaulichen Grundsatzentscheidungen geschuldet. Wilhelm Jost (1874–1944) betreute ab 1901 u. a. auch die umfangreichen Neubauten der großherzoglich hessischen Kurverwaltung in Bad Nauheim, die über die Region hinaus große Beachtung fanden. 1905/06 wurde die Maschinenzentrale und Dampfwaschanstalt des Kurbetriebs östlich des Bahnhofs am Goldstein in Bad Nauheim gebaut. Ihm folgte erst später die Kuranlage „Sprudelhof“, welche 1911 in den Formen des Jugendstils abgeschlossen wurde.47 44

Zentralblatt der Bauverwaltung 31 (1911), Heft 61 (29.07.1911), S. 377–381 (Otto Linde, Das Markgrafenbad in Badenweiler); hier S. 378 (Zitat). Siehe Michael Bollé, Badenweiler, in: Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland, S. 233–256, bes. S. 253f.: „Das Markgrafenbad“. 45 Zentralblatt der Bauverwaltung 36 (1916), Nr. 101 (16.12.1916), S. 657–664: „Die neue Kur- und Badeanlagen des Bades Aachen“ verfasst vom „Königl. Baurat Laurent, Stadtbaurat in Aachen“, bes. S. 659 (Zitat). Siehe Bernhard, Bad Aachen, hier S. 171–179. 46 Zentralblatt der Bauverwaltung 36 (1916), S. 664f. 47 Siehe Heinz Wionski (Bearb.), Kulturdenkmäler in Hessen, Wetteraukreis II: Bad Nauheim bis Florstadt (Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland), Wiesbaden 1999, S. 71ff.: Bad Nauheim, bes. S. 84–88: Die Bauten Josts.

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Abb. 2: Ansicht von „Bad-Homburg, gemalt n. d. Natur von H. Michaelis“, links das Kaiser-Wilhelms-Bad mit Technikgebäude, 1892–1895. Quelle: StadtA Bad Homburg, S05 004381.

Abb. 3: Postkarte mit Ansicht vom Kaiser-Wilhelms-Bad in Bad Homburg v. d. Höhe, um 1900. Quelle: Archiv des Autors.

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2.3 Schornsteine: medial Neben dem Fremdeln mit technischen Einrichtungen und infolgedessen nur ihre summarische Berücksichtigung in Bau- oder Architektenmonografien sind Schornsteine oftmals auch nicht auf den zeitgenössischen Repräsentationsfotos zu finden. Sie sind raffiniert verborgen dank der wohlausgewählten Standpunkte der Fotografen, die die Schornsteine hinter Architektur oder hohen Bäumen verschwinden ließen. So geschah es auch in Bad Homburg beim Kaiser-Wilhelms-Bad, dessen schloss­ ähnliche Schauseite mannigfach auf Postkarten festgehalten wurde. Fast alle Fotografen nahmen einen Standort ein, der den hinter dem Hauptgebäude liegenden Schornstein des Technikgebäudes zum Verschwinden bringt. Das Kaiser-Wilhelms-Bad wurde von 1887 bis 1890 erbaut; die Entwürfe entstanden 1886. Am 22. März 1887, dem 90. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. (1797– 1888), erfolgte die Grundsteinlegung. Verantwortlich für das Bauvorhaben zeichnet der weniger bekannte Architekt Louis Jacobi (1836–1910).48 In der schlossähnlichen Gesamtanlage befindet sich – der Zeit gemäß nach Frauen und Männern getrennt – ein „Thermalbad in Verbindung mit Moorbädern“. Für das Aufwärmen der Moorbäder, das getrennt vom Anwendungsraum stattfinden musste, war eine leistungsstarke Heizungsanlange erforderlich, die bei unserem Kaiser-Wilhelms-Bad in einem separaten Gebäude untergebracht wurde. Diese „Moorbereitungs-Anlage“ ist achsensymmetrisch mit Schienen mit den „Moor-Badezellen“ im Mitteltrakt des Haupthauses verbunden; in Holzloren wurde das aufgeheizte Material transportiert, mit dem der Kurgast eingepackt wurde.49 Um das Auskühlen der schweren Moorpackungen zu verhindern, musste sich die Moorbereitungsanlage direkt hinter dem Hauptgebäude anschließen, um weite Wege zu vermeiden. Anlässlich der Grundsteinlegung wurde vom Bürgermeister eine Festrede gehalten, in der er u. a. feststellt – wie die Kreiszeitung für den Obertaunus-Kreis am 24. März 1887 berichtet: „Der Baustil […] ist italienische Renaissance, welche den neuesten technischen Errungenschaften angepaßt ist. Der Bau macht mit seiner stolzen Front und seinen schönen Flügeln einen imponierenden Eindruck.“50 Dieser „imponierende Eindruck“ wurde auf Postkarten festgehalten und dies vielfach unter visueller Ausblendung der „neuesten technischen Errungenschaften“ – auch medial eine verborgene Moderne.

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Eine tragbare Monografie zum Architekten fehlt; kurze Erwähnungen sind zu finden bei: Ruxandra-­ Maria Jotzu/Gerta Walsh/Alexander Wächtershäuser, Louis Jacobi. Bad Homburg und sein Baumeister, Frankfurt a. M. 2010, bes. S. 78–83, und bei: Alfred Biallas, Louis Jacobi 1836–1910, Baumeister und Bürger Homburgs. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, Gotisches Haus vom 23.04.–08.06.1986, Bad Homburg v. d. H. 1986, bes. S. 21–24. 49 Vgl. Handbuch der Architektur, […], hier IV.  Teil (Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude), 5.  Halbband (Gebäude für Heil- und sonstige Wohlfahrts-Anstalten), Heft  3 (Bade- und Schwimm-Anstalten), Stuttgart 1899, S. 218–221, bes. S. 218f. (mit den Zitaten) und Fig. 261 mit dem Grundriss. 50 Biallas, Jacobi, S. 23.

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Wir haben es in Kurstädten oftmals mit einem doppelten Versteckspiel zu tun: Einmal setzten Auftraggeber und Architekt bei Planung und Realisierung von Schornsteinen alles daran, diese optisch verschwinden zu lassen, und andererseits versuchten später die Fotografen einen Standpunkt mit ihren Kameras einzunehmen, der den ohnehin schon ‚getarnten‘ Schornstein gar nicht erst aufs Bild kommen lässt.

3. Kurze Bauzeiten Verborgen blieb auch ein weiterer Aspekt der Moderne, nämlich die beeindruckend kurze Bauzeit bei diesen Großprojekten in Kurstädten um 1900. Diese war nur mit dem Einsatz neuester Bautechnik möglich. Ja, man musste sogar durch die Forderung nach kurzen Bauzeiten auf die allerneuesten Entwicklungen bezüglich Kon­ struktion und Material zurückgreifen, um dieser Anforderung genügen zu können. Damit war man auf Fachingenieure sowie auf Fachfirmen – wir gehen darauf noch ein – aus dem ganzen Reichsgebiet angewiesen, da aus technischer Perspektive betrachtet, diese Projekte konventionell nicht mehr zu realisieren waren. Nicht nur das, die Anwendung modernster Bautechnik und modernster Baustoffe erwies sich auch oftmals als preisgünstiger als die der konventionellen Bauweise. Das hatte auch wirtschaftliche Auswirkungen auf das ortsansässige Handwerk, da dieses in der Regel über das technische Know-how nicht verfügte bzw. bei der rasanten Entwicklung von immer neuen Konstruktionen und Materialien auch nicht verfügen konnte. In einigen Artikeln in Baufachzeitschriften wird deshalb ausdrücklich gewürdigt, wenn und an welchen Stellen und in welchen Phasen bei der Errichtung von Neubauten das örtliche Handwerk beteiligt werden konnte, um das wirtschaftliche Nachsehen für die ortsansässigen Handwerksbetriebe abzufedern.51 Die bereits oben erwähnten Angaben zu den Bauzeiten belegen den Druck, unter dem Bewilligungsbehörden, die Architekten und die Bauwirtschaft standen – es muss während der Einweihungsfeierlichkeiten förmlich nach frischer Farbe gerochen haben, da bis zuletzt die Handwerker in dem Gebäude gewesen waren. In vielen Kurstädten wurde bevorzugt in den Saisonpausen gebaut und anders, als heute – wo man die Saison immer weiter zu verlängern sucht –, war diese um 1900 mehr oder weniger klar umrissen und damit planbar. Sie lagen vom Spätherbst über die Wintermonate bis hin zum Frühjahr. Waren die Projekte nicht in einer Saisonpause zu schaffen, dann wurden sie oftmals in Bauabschnitte aufgeteilt, um nicht durch Baulärm in den Sommermonaten den Kurbetrieb zu stören. So erfolgte beispielsweise in Bad Pyrmont der Neubau des dortigen Kurhotel-Heiligenangerbades (1905–1907) im Jahr 1905 nach der Vertragsunterzeichnung, bis 1906 wurde als erster Bauabschnitt die Bäderabteilung und bis zum Saisonbeginn 1907 das Hotel gebaut.52 51

Am Beispiel von Bad Kissingen siehe Oelwein, Littmann, S. 322. Vgl. Ilona Schäfer-Schmidt, Die Entwicklung der Kuranlagen in Bad Pyrmont, in: Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland, S. 425–456, bes. S. 448–452: Kurhotel-Heiligenangerbad.

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Abb. 4: Bad Kissingen, Wandelhalle, Aufnahme 1911/12. Quelle: Archiv des Autors.

Beeindruckend knapp getaktet ging man beim Bau des Kurhauses in Bad Reichenhall vor: Der Grundstückskauf wurde am 2. Februar 1898 vollzogen, am 18. April 1898 erfolgte die Vorlage der fertigen Entwürfe, die am 27. Mai 1898 mit wenigen Änderungswünschen von der Behörde zurückgegeben wurden. Am 18. Juli 1898 waren die Bauausführungspläne fertig; es folgten die Auftragsvergabe am 15. August 1898 und ab September 1898 Beginn der Bauarbeiten, die im harten Winter von Dezember 1898 bis Februar 1899 unterbrochen werden mussten. Im Mai 1899 wurde der eiserne Dachstuhl aufgesetzt und ein Jahr später, im Mai 1900, war die Einweihung. Es „wurde der moderne Baustoff Beton mit Eisenträgern verwendet; eine Ausführung der Fassade in Haustein hätte den vorgegebenen Finanzrahmen gesprengt. Für die Fassade wurde ein für die Gegend typischer Putz gewählt. Das Mittelteil an der Kurstraße erhielt eine reichere Gliederung und bescheidenen bildnerischen Schmuck, […].“53

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Oelwein, Littmann, S. 210.

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Abb. 5: Bad Kissingen. Brunnen- bzw. Trinkhalle, Aufnahme 1911/12. Quelle: Archiv des Autors.

Schauen wir nach Bad Kissingen – was wir unten noch ein weiteres Mal machen werden – und betrachten die Bauzeit des dortigen Kurtheaters (1904/05) mit seinen über 600 Sitzplätzen. Im Februar 1904 wurde der Auftrag an den Architekten vergeben, der am 14. März 1904 Detailpläne vorlegte. Ende Juli 1904 begannen die Bauarbeiten und am 24. Juni 1905 fand bereits die Eröffnung statt.54 Die dortige Trink- und Wandelhalle (1910/11)55 wurde ebenfalls nach einer kurzen Bauzeit von lediglich acht Monaten fertiggestellt und dies Dank der Verwendung des damals noch wenig erprobten Massivbetonbaus. In unserem Untersuchungszeitraum waren die Bauzeiten vieler Neubauten in den Kurstädten durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges von Verzögerungen betroffen. Doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass ursprünglich kürzere Bauphasen konzipiert waren und dabei die neueste Bautechnik Anwendung finden sollte. So liest man im „Zentralblatt der Bauverwaltung“ (1916) über „Die neuen Kur- und Badeanlagen des Bades Aachen“ – der Artikel war verfasst vom „Königl. Baurat 54

Ebd., S. 304–311: Bad Kissingen, Kurtheater. Ebd., S. 315–324: „Wandelhalle mit Brunnenhalle“.

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Laurent, Stadtbaurat in Aachen“ – dass diese am 8. Juni 1916 eröffnet wurden. Ursprünglich war die Bauzeit für Februar 1914 bis Mai 1915 angesetzt, doch verzögerte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die zügige Fertigstellung.56 Ohne Kriegsauswirkungen hatte der königlich-preußische Baurat Joseph Laurent (1853–1923) nur wenige Jahre zuvor bezüglich der Bauzeit bei einem vergleichbaren Vorhaben eine Punktlandung hingelegt. Wir bleiben in Bad Aachen, da hier wie anderenorts unter technischen Gesichtspunkten eine „Verzahnung von Kurund Badewesen stattfand“.57 Die Großanlage wurde nach nur einjähriger Bauzeit (1912) fertiggestellt. Diese Elisabeth-Halle hatte der Zeit gemäß komplett getrennte Schwimmhallen für Frauen und Männer: „Die Schwimmhallen sind beide basilikal gebaut“ sowie „[…], die Hallen mit Tonnengewölben in Korbbogenform, […]. Beide Gewölbe sind aus 5 cm starkem Drahtputz hergestellt und hängen an dem eisernen Dachstuhl. Die Schwimmbecken aus Eisenbeton […].“58 Rekordverdächtig ist auch die Fertigstellung des Staatlich-Städtischen Kurmittelhauses in Bad Reichenhall:59 Ende Mai 1927 Beginn der Bauarbeiten, Fertigstellung des Eisendachstuhls am 20. Oktober 1927. Auch hier ging es nicht ohne Eisenbeton und diesmal wird erwähnt, dass man eine künstliche Austrocknung durch „Druckumluftverfahren“ herbeiführen musste, um den Fertigungstermin halten zu können. Der Innenausbau war dann bis Ende April 1928 abgeschlossen – die Einweihung fand nach insgesamt nur 256 Arbeitstagen statt.

4. Namenlose Bauingenieure „Eisenbeton“, Massivbetonbau, „Stampfbeton“ „Eisendachstuhl“ oder „Druckumluftverfahren“ sowie beispielsweise die Zentralheizungsanlagen für Großbauten, all das waren technische Neuerungen, zu denen der Architekt Fachleute hinzuziehen musste. Das ist bis heute so geblieben. Für die (etablierten) Architekten, die um 1900 mit den beschriebenen Großaufträgen betraut wurden, kann man feststellen, dass sie traditionell ausgebildet waren. Die technische Revolution überrollte ihren Berufsstand und machte die Hinzuziehung externer Fachkräfte unabdingbar. Und sogar für diese war die technische Entwicklung derart rasant, dass manches mit ‚Learning by doing‘ erprobt werden musste. Wir haben um 1900 bezüglich der Bautechnik eine extrem kurze Zeit zwischen Entwicklung und Anwendung.

56

Zentralblatt der Bauverwaltung 36 (1916), S. 657–664. Siehe auch Bernhard, Bad Aachen, S. 171–179. Bernhard, Bad Aachen, S. 164f. 58 Deutsche Bauzeitung 46 (1912), Heft 77 (25.09.1912), S. 665–669 und Heft 78 (28.09.1912), S. 679– 682: „Die neu erbaute Schwimm- und Badehalle in Aachen. Architekt: Stadtbaurat, kgl. Baurat Laurent in Aachen.“, hier S. 667f. 59 Oelwein, Littmann, S. 217–220: Bad Reichenhall, Staatlich-Städtisches Kurmittelhaus. 57

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Es ist sicherlich der Distanz zu den Ingenieurwissenschaften zuzuschreiben, dass in kunsthistorischen Publikationen die Architekten mit Namen, aber die beteiligten Bauingenieure ohne Namensnennung auftauchen. Das hat Tradition, denn bereits zu den Anfängen – als sich die Tätigkeitsbereiche zwischen Architekt und Bauingenieur zu trennen begannen – sind die Namen der Bauingenieure für die architekturhistorischen Veröffentlichungen kaum ermittelt worden. Sie müssen aber an den innovativen Bauwerken beteiligt gewesen sein, ja mit ihren konstruktiven Lösungen haben sie erst die Voraussetzung dafür geschaffen. Für die Architektur um 1900 genügt in Deutschland allein der Blick in die Artikel der zeitgenössischen Bauzeitschriften, um ihre Namen zu ermitteln – wir werden unten auf die Zusammenarbeit zwischen dem Architekten Max Littmann (1862–1931) und dem Bauingenieur Johann Baptist Bosch (1873–1932) bzw. den Fachingenieuren des Bauunternehmens Dyckerhoff & Widmann noch eingehen –, doch zu Beginn der modernen Konstruktionen aus Guss- oder Schmiedeeisen werden in den Baumonografien traditionell nur die Architekten genannt, die Bauingenieure bleiben namenlos. Von deren Beteiligung sollte man allerdings angesichts der neuen Technik zwingend ausgehen. Eine seltene Ausnahme bildet die Studie von Werner Lorenz „Konstruktion als Kunstwerk. Bauen mit Eisen in Berlin und Potsdam 1797–1850“.60 Der Autor ist selbst Bauingenieur und würdigt dementsprechend deren bauhistorische Leistung – es ist zu hoffen, dass die Kunstwissenschaft den von ihm aufgezeigten Weg weiter gehen wird.61 Schauen wir zur Verdeutlichung der Problematik auf die Anfänge und damit auf die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts und wechseln von Preußen in das Königreich Bayern, dann fällt im Zusammenhang mit modernen Baukonstruktionen häufig der Name des bedeutenden Architekten Leo von Klenze (1784–1864). Die Vorstellung, dass Klenze ohne Ingenieure bei seinen Eisenkonstruktionen ausgekommen ist, dürfte zu revidieren sein.62 Bei seinem Wiederaufbau des abgebrannten hölzernen Dachstuhls des Münchener Nationaltheaters verwendete der Architekt – aus Kosten- und Brandschutzgründen – ab 1823 einen schmiedeeisernen Dachverband. Eine Konstruktion, welche zuvor (1786–1789) erfolgreich beim Théâtre Français in Paris Anwendung fand.63 So auch bei Klenzes berühmter Walhalla bei Donaustauf, welche Klenze im Auftrag von König Ludwig I. von Bayern (1786–1868) realisierte.64 Die Planungen reichen zurück bis in das Jahr 1814, die Grundsteinlegung erfolgte jedoch erst 1830. 60

Siehe Lorenz, Konstruktion als Kunstwerk, bes. S. 71f.: „Konstrukteure“ und bei seinem Katalog werden die Beteiligten im Einzelnen aufgeführt, vgl. S. 249ff. 61 Siehe den Sammelband: Roland May u. a. (Hg.), Konstruktionssprachen. Überlegungen zur Periodisierung von Bautechnikgeschichte. Eine Hommage an Werner Lorenz, Basel 2020. 62 Siehe Werner Lorenz, Laptop im Chiton – Klenze, der Ingenieur? in: Winfried Nerdinger (Hg.), Leo von Klenze – Architekt zwischen Kunst und Hof 1784–1864, Ausstellungskatalog, München/ London/New York 2000, S. 128–143. 63 Siehe Lorenz, Klenze, S. 130–132: Dachstuhl des Nationaltheaters in München. 64 Siehe Adrian von Buttlar, Leo von Klenze. Leben, Werk, Vision, München 1999, S. 141–164: „Die Walhalla“. Zur Dachstuhlkonstruktion siehe vor allem: Lorenz, Klenze, S. 132–134.

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Der Architekt – von beteiligten Bauingenieuren ist nichts zu lesen – publizierte den Neubau nach seiner Fertigstellung 1842 unter dem Titel „Walhalla in artistischer und technischer Beziehung“ selbst.65 Im Kapitel „Construction“ (S. 7f.), schreibt er: „Der Dachstuhl der Walhalla ist in allen Theilen aus Schmiedeisen construirt, […].“ Die Tafel 10 illustriert die technischen Aspekte dieser modernen Dachstuhlkonstruktion. All dies ist jedoch äußerlich nicht zu sehen, da die ganze Anlage als griechischer Tempel in weißem Marmor ausgeführt ist und die sehr flache Hightech-Dachstuhlkonstruktion nicht ablesbar wird. Erst bei heutigen Spezialführungen kann man das Wunderwerk an damals modernster Ingenieurskunst in Augenschein nehmen. Das gleiche gilt übertragen auch für Klenzes Befreiungshalle bei Kelheim (1847– 1863),66 wo Schmiede- und Gusseisen bei der imposanten Dachkonstruktion Anwendung fanden.67 Rückblickend macht Klenze deutlich, dass er sich bei Konstruktion und Material den angebrochenen modernen Zeiten beugen musste. In seinem Brief vom 28. Dezember 1854 an den seit seiner Abdankung 1848 nicht mehr amtierenden König Ludwig I. von Bayern formuliert er ganz offen: „Sowenig ich nun ein Freund des Eisens als sichtbarer Baustoff bin, so sehr muß ich demselben als Konstruktionsmaterial den Vorzug vor dem bald zerstörbaren Holze geben.“68 Heute würde man von einer Kosten-/Nutzenrechnung sprechen, die bei Leo von Klenze zur Akzeptanz (bei „verborgenen“ Architekturteilen) führte. Nicht aber zu einem ästhetisch positiven Verhältnis im Sinne der Materialgerechtigkeit – darunter verstand man auch um 1900 die „ehrliche“ Sichtbarkeit der verwendeten Materialien. Klenze verbarg die moderne Konstruktion und das moderne Material hinter historischen Formen – ganz so, wie es auch noch folgende Generationen tun sollten.69 Schon Klenze war bezüglich der Konstruktion und Statik auf externe Fachleute angewiesen; derartige Kenntnisse hatte damals (wie heute) nicht der Architekt. Und aufgrund der immer komplexer werdenden Materie – vor allem auch bedingt 65

Leo v(on) Klenze, Walhalla in artistischer und technischer Beziehung. Mit XII Kupfertafeln, München 1842. Das folgende Zitat findet sich auf S. 7. 66 Siehe Buttlar, Klenze, S. 408–418: „Die Befreiungshalle bei Kelheim 1847–1863“. Zur Dachstuhlkonstruktion siehe vor allem Lorenz, Klenze, S. 134–136: Befreiungshalle Kelheim. 67 Eine technikgeschichtliche Würdigung bei Alexander Wiesneth, Das eiserne Dachwerk der Befreiungshalle Kelheim, in: Christoph Wagner unter Mitarbeit von Gerald Dagit mit Fotografien von Lorenz Kienzle (Hg.), Die Befreiungshalle Kelheim & König Ludwig I., Geschichte, Mythos, Gegenwart, Historisches Museum der Stadt Regensburg, 09.11.2012–31.05.2013, Regensburg 2012, S. 461–475; und von Christoph Strasser/Thomas Oswald, Befreiungshalle Kelheim. Sanierung des Dachtragwerks und der Dachdeckung, in: ebd., S. 505–513. 68 Zitiert nach Mathias Listl, „Sowenig ich nun ein Freund des Eisens als sichtbarer Baustoff bin [...].“ Ludwig I., Leo von Klenze und die ästhetischen Probleme des 19. Jahrhunderts mit dem bautechnischen Fortschritt, in: ebd., S. 237–247, bes. S. 237 (Zitat). 69 Es geht in der „Ideengeschichte der Architektur“ um den „Zusammenhang von Zweck und Form, Struktur und Hülle. […] Während Semper jedoch die gleichberechtigte Rolle der Bekleidung gegenüber der Struktur für die eigentliche Wirkung der Architektur nachzuweisen bemüht war, distanzierte sich die klassische Moderne davon: Was nicht der funktionalen oder konstruktiven Bestimmung eines Gebäudes diente, lehnte sie vehement ab.“ Robert Kaltenbrunner, Wahrheit und Ehrlichkeit, in: Neue Züricher Zeitung (NZZ) vom [03.12.2012] [Stand: 21.04.2021].

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durch unterschiedliche Eigenschaften der im 19. Jahrhundert in dieser Weise noch nicht gekannten Materialien wie Beton, Eisen, Stahl und dem nun großflächig verwendbaren Glas – spaltete sich im 19.  Jahrhundert die Baukunst in einen Architekten- und Ingenieurberuf auf. Innerhalb des Bauingenieurwesens gab es für die einzelnen Materialien wiederum Spezialisten. Am Beispiel der Zusammenarbeit des Architekten Max Littmann und des auf Betonbauten spezialisierten Bauingenieurs Johann Baptist Bosch sei das verdeutlicht – beide lebten und arbeiteten in München. Ist man aber einmal bei der Rolle der Ingenieurwissenschaften, die sich rasant zum Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten, bezüglich der öffentlichen Neubauten im Deutschen Kaiserreich angelangt, dann sind auch jene Fachmänner der spezialisierten Bauunternehmen mit einzubeziehen, die die neueste Technik in den Kurstädten zur Anwendung brachten – wir werden das am Beispiel von Dyckerhoff & Widmann aufzeigen.

5. Architekt, Bauingenieur und Bauunternehmen: Max Littmann, Johann Baptist Bosch und Dyckerhoff & Widmann – Eine Zusammenarbeit am Beispiel der Trink- und Wandelhalle in Bad Kissingen

„In keinem Ort – außer München – hat Max Littmann so deutliche Spuren hinterlassen wie in Bad Kissingen, das um die Jahrhundertwende zum modernen ‚Weltbad‘ aufstieg, […]. Noch immer sind die von ihm geplanten Bad Kissinger Kurhausbauten die umfänglich größten in ganz Europa.“70

Die von Littmann geschaffenen Gebäude in Bad Kissingen muss man vor dem Hintergrund sehen, dass die Besucherzahlen stetig zunahmen: 1860 waren es circa 5.000 und um 1900 circa 20.000 Kurgäste. Am 18. Juli 1910 unterschrieb Littmann in München den Vertrag als „Spezialkommissär für die Neubauten im Kgl. Kurgarten Bad Kissingen“.71 Zu den von Littmann in Kissingen verantworteten Bauten gehören beispielsweise sein Kurtheater (1904/05), die Ludwigsbrücke (1907/08), das Wohn- und Geschäftshaus Ludwigstraße 3 (1907–1910), der Maxbrunnen (1908–1912), der Rossini-Saal im Arkadenbau (um 1910), die Trink- und Wandelhalle (1910/11), die auch als Konzerthalle genutzt wurde,72 der Regentenbau (1910–1913) sowie als Spätwerk das Staatliche Kurhausbad und Kurhotel (1925–1927). 70

Oelwein, Littmann, S. 292 (Zitat); vgl. S. 292–357: „Max Littmanns Tätigkeiten in Bad Kissingen“. Ein Überblick zu den Kurbauten bei: Kurt Winkler, Bad Kissingen, in: Bothe (Hg.), Kurstädte in Deutschland, S. 361–384. 71 Vgl. Oelwein, Littmann, S. 295. 72 Die bis jetzt genannten Bauten sind gewürdigt in: Deutsche Bauzeitung 47 (1913), Heft 39 (14.05.1913), S. 349–355 [in diesem Teil die Trink- und Wandelhalle]; Heft 43 (28.05.1913), S. 393–394 und Heft 45 (04.06.1913), S. 413–414; Heft 48 (14.06.1913), S. 437–438; Heft 49 (18.06.1913), S. 441–443: „Die neuen staatlichen Bauten in Bad Kissingen“.

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Abb. 6: Bad Kissingen, Trink- und Wandelhalle, Baustellenaufnahme: Betonarbeiten, 1910/11. Quelle: StadtA Bad Kissingen.

Alles wurde von München aus geplant, denn Max Littmann hatte sich im Jahr 1888 dort niedergelassen und baute in München beispielsweise 1896/97 das heute weltbekannte Hofbräuhaus. Littmann war im ganzen Reichsgebiet aktiv; sein beeindruckendes Architektenœuvre wurde 2013 von Cornelia Oelwein umfassend publiziert. Littmann kam privat wie beruflich mit dem Architekten, Bau- und Immobilienunternehmer Jakob Heilmann (1846–1927) zusammen, da er dessen Tochter Ida Heilmann (1871–1944) am 25. November 1891 heiratete und mit dem Schwiegervater ab 1892 die Firma Heilmann & Littmann (1908 schied Max aus) leitete, 1903 folgte die Gründung der Eisenbetongesellschaft. Heilmann selbst kam aus dem Eisenbahnbau, der damals die Bahnhofsarchitektur miteinschloss. Ab 1877 ließ sich Jakob Heilmann in München nieder und widmete sich anschließend dem Hochbau. Wie gesellschaftliche Konstanten im Deutschen Kaiserreich zusammenkamen, verdeutlicht auch die Architektur in Kurstädten um 1900 – so spiegelt das Theater von Littmann in Bad Kissingen als Rangtheater höfische Strukturen und gleichwohl die Moderne wieder: „Das Theater war nach den neuesten Erkenntnissen moderner

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Abb. 7: Bad Kissingen, Trink- und Wandelhalle, Baustellenaufnahme: Dachstuhlarbeiten, 1910/11. Quelle: StadtA Bad Kissingen.

Technik errichtet worden, […]“.73 Jedoch wollen wir uns hier auch weiterhin auf den Aspekt der technischen Neuerungen konzentrieren. So wurden beim Regentenbau Teile in „Eisenbeton“ ausgeführt.74 „Auch im Falle der Ludwigsbrücke bediente sich Littmann neuester Techniken. Um eine Erhöhung der Lasten auf den Fundamenten zu vermeiden, wurden die massiven [ursprünglichen] Gewölbeunterfüllungen entfernt und durch Eisenbetonteile ersetzt – einem modernen Baustoff, dessen sich der Architekt bereits mehrfach mit großem Erfolg bedient hatte.“75

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Oelwein, Littmann, S. 304–311 (Bad Kissingen; Kurtheater), bes. S. 304 (Zitat). Siehe Oelwein, Littmann, S. 328–346 (Bad Kissingen, Regentenbau [= Kurhaus]), bes. S. 330. 75 Ebd., S. 311–313 (Bad Kissingen, Teilneubau der Ludwigsbrücke), bes. S. 312 (Zitat). 74

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Als Exempel, vor allem auch hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den sich entwickelnden Ingenieurwissenschaften, soll uns im folgenden Littmanns beeindruckende Architektur der Trink- und Wandelhalle, welche auch als Konzerthalle genutzt wurde, dienen: „In Bad Kissingen hat sich der virtuose Eklektizist und geniale Baumeister mit der Kuranlage, allen voran mit der Wandelhalle und dem Regentenbau, eines der beeindruckendsten Denkmäler seines Schaffens gesetzt […].“76 Die Planungen zur Trink- und Wandelhalle begannen schon 1905. Die Verzögerungen bis zum Baubeginn 1910 erklären sich aus den notwendig gewordenen Abrissarbeiten bestehender Gebäude sowie der Verlegung von Verkaufsständen (Buden), die während der Saison ihre Geschäfte machten.77 Der Baubeginn war dann – nach Saisonende – am 1. September 1910. Gebaut wurde bis zum 30. April 1911, also bis einen Tag vor dem Saisonbeginn am 1. Mai 1911; zu diesem Termin fand auch eine formlose Inbetriebnahme statt. Die endgültige Einweihung wurde nach Abschluss aller Arbeiten im Mai 1913 feierlich begangen. Wenden wir uns zuerst der sichtbaren Moderne78 zu und gehen zu einem Kurkonzert. Die circa 60 Musiker haben Platz genommen in einer heute noch funktionierenden, drehbaren und 70 Quadratmeter großen Orchestermuschel, die an der Nordseite der Wandelhalle platziert ist. Sie ist so angebracht, dass man – je nach Witterung – die Konzerte im Kurpark oder in der Wandelhalle stattfinden lassen kann. Es handelt sich um eine Eisenkonstruktion, die drehbar gelagert ist. Das Podium ist innen holzverkleidet. Die nach außen mit Kupferblech beschlagene Orchestermuschel wirkt wie eine Apsis zu dem basilikalen Aufbau der Wandelhalle mit seinem erhöhten Mittel- und den beiden begleitenden niedrigeren Seitenschiffen. Der Drehmechanismus wurde durch einen 4 PS-starken Elektromotor angetrieben; die Planung und Montage erfolgte durch die Firma „Georg Noell & Co. Maschinenund Eisenbahnbedarfsfabrik und Brückenbauanstalt“ aus Würzburg, die – 1882/83 gegründet – u. a. Spezialisten für Drehscheibenanlagen waren. Das Podium konnte vollbesetzt gedreht werden, sodass man bei Veranstaltungen die Kurgäste auffordern konnte, von außen nach innen bzw. umgekehrt zu gehen. So beispielsweise am 76

Ebd., S. 299. Ebd., S. 315f. 78 Dem während des 47. Frühjahrskolloquiums des IStG „Kurstädte in der Neuzeit. Vermeintliche Idylle, wachsende Urbanität und demonstrativer Konsum“ (15.–16.03.2021) vorgetragenen Einwand nach meinem Vortrag, dass die Wandelhalle in Bad Kissingen sehr wohl das moderne Baumaterial Beton zeige – und zwar an der Außenfassade –, kann man wiedersprechen, da im Zentralblatt der Bauverwaltung 32 (1912), S. 493, zu lesen ist: „[…] außen erhielt er [der Eisenbeton] ein Versatzmaterial aus in der Kissinger Umgebung gebrochenem Basalttuff, das später durchweg vom Steinmetz bearbeitet wurde.“ Hier wurde also mit einem Zusatzstoff an Naturstein angeknüpft, welcher mit einer Scharrierung auch wie ein Naturstein bearbeitet wurde und wie ein Naturstein wirken sollte. Das hat aber nichts mit der von mir angesprochenen „Materialgerechtigkeit“ zu tun, die in unserem Fall den Beton ästhetisch erfahrbar macht. Das war beim Karlsruher Hauptbahnhof in der Haupthalle der Fall (siehe weiter unten) oder v. a. nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise beim Wiederaufbau von Le Havre durch Auguste Perret (1874–1954) oder mit der Stilrichtung, die sich als „Brutalismus“ (franz. „béton brut“) oder „New Brutalism“ ab den 1950er Jahren eine Zeit lang etablierte. In diesen Stilrichtungen sind die Flächen in Sichtbeton gehalten und es bestand der Anspruch, bei Material und Konstruktion authentisch sein zu wollen. Heute ist die Sichtbarkeit von Material und Konstruktion etabliert und wird beispielsweise in dem 1977 eröffneten Centre Georges-Pompidou in Paris förmlich zur Schau gestellt. 77

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1. Mai 1911 bei der Einweihung der Wandel- und Trinkhalle. Das Konzert hatte im Kurpark begonnen und danach öffneten sich die Türen des Neubaus und gleichzeitig drehte sich die Orchestermuschel – ohne Unterbrechung der Musikdarbietung – zum Innenraum.79 Zur sichtbaren Moderne in Littmanns Trink- und Wandelhalle gehörten auch die Fahrstühle, Telefonkabinen, elektrische Leitungen – also auch elektrisches Licht –, eine elektrische Uhr oder die Warmluftheizung; aber auch beispielsweise die Vacuum-Reinigungsanlage. Diese bestand aus einem System von Luftrohren mit Zapfstellen zum Einklinken von Staubsaugern, welche durch die Vacuum-Reiniger Gesellschaft mbH (Frankfurt am Main) angeboten und verlegt wurde.80 Doch das Alles war gar nichts verglichen mit jener Moderne, die dem Kurgast verborgen blieb. Zwar konnte er den lichtdurchfluteten Quellen- und Brunnenbau bewundern, das ist die Trinkhalle zum Abfüllen des Mineralwassers in Gläsern für die Kurgäste, aber nicht deren Oberlichtkonstruktion. Sie soll sich an diejenige des im Oktober 1913 eingeweihten Karlsruher Hauptbahnhofs anlehnen. Dieser wurde von August Stürzenacker ab 1908 realisiert und zwar als eine „der ersten Verwendungen von Stahlbeton in der Eisenbahnarchitektur“.81 Der Architekt, der uns schon beim Badenweiler Markgrafenbad begegnet ist, griff beim Hauptbahnhof auf Ideen von Wettbewerbskonkurrenten zurück.82 Den Wettbewerb von 1904/05 für den Karlsruher Hauptbahnhof hatte eigentlich Hermann Billing (1867–1946) gewonnen, doch wurde der Bau dem Drittplatzierten, also August Stürzenacker, übertragen.83 Billing hatte für den am 15. November 1904 ausgelobten Wettbewerb mit seinem Partner (von 1905 bis 1910) Wilhelm Vittali 79

Vgl. Oelwein, Littmann, S. 316f. und S. 324. Ebd., S. 318. 81 Centre Georges Pompidou Paris/Jean Dethier/Staatliche Kunsthalle Berlin (Hg.), Die Welt der Bahnhöfe, (1. franz. Aufl. 1978, dt. Sonderausgabe) Berlin (West) 1981, S. 28, Nr. 7 mit Abb. „Große Halle des Bahnhofs von Karlsruhe, Deutschland, 1908–1913; August Stürzenacker, Architekt. Eine der ersten Verwendungen von Stahlbeton in der Eisenbahnarchitektur.“ Vgl. ebd., S. 48, Nr. 4 mit dem Wettbewerbsentwurf von Hermann Billing. 82 Bezüglich der Oberlichtkonstruktion konnte aber nicht Billings Entwurf das Vorbild gewesen sein, wie bei Oelwein, Littmann, S. 318, zu lesen ist. Die Autorin gibt als Jahr für Billings Wettbewerbs­ entwurf zudem 1908 an und folgt damit der irrtümlichen Angabe bei Nicolai, Lebensquell oder Kurschloss, S.  105: „Billings Entwürfe zum Karlsruher Hauptbahnhof 1908 zeigten erstmals eine Oberlichtkonstruktion in Beton, […].“ Das ist aber nicht der Fall, da Billings Entwurf diesbezüglich keine Aussage macht; diese Beobachtung bestätigte mir Dr. Gerhard Kabierske (Karlsruhe), Email vom 13.11.2021. Dieser betont in seinem Schreiben jedoch zurecht, dass unabhängig davon eine enge Verwandtschaft zwischen Billings in Baufachzeitschriften publiziertem Karlsruher Wettbewerbsentwurf und Littmanns Trink- und Wandelhalle in Bad Kissingen besteht. Vgl. zu Billings Wettbewerbsbeitrag zum Hauptbahnhof Karlsruhe von 1904/05 den Ausstellungskatalog München 1998: Hermann Billing – Architekt zwischen Historismus, Jugendstil und Neuem Bauen, Technische Universität München, Ausstellungshalle 16.01.–20.02.1998, Karlsruhe 1998 (Notizen aus dem Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau an der Universität Karlsruhe, Nr. 3, Januar 1998), S. 6–12: „Chronologisches Werkverzeichnis“, mit Aufzählung von Billings Wettbewerbsbeiträgen zum Bahnhof in Dresden (1892), Luzern (1893), Hamburg (1900), Karlsruhe (1904/05), Leipzig (1906/07), Darmstadt (1907) sowie den Wettbewerb zum Bahnhofsplatz Karlsruhe (1911/12). 83 Siehe Gerhard Kabierske, Der Architekt Hermann Billing (1867–1946). Leben und Werk, Karlsruhe 1996, S. 70f. und S. 210f. Nr. 157; sowie Günther Oetzel, Das pulsierende Herz der Stadt. Stadtraum 80

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(1859–1920) einen Entwurf mit dem Kennwort „Gezeichnete Lokomotive“ eingereicht und einen zweiten Entwurf mit dem Kennwort „Platzkarte 3043“ alleine vorgelegt; mit dem ersten Entwurf gewann er den Wettbewerb und der zweite Entwurf wurde angekauft84 – beide Wettbewerbsbeiträge machen jedoch keine Lösungsvorschläge für die Oberlichtkonstruktion. Das Aufgreifen in Bad Kissingen einer Deckenkonstruktion des Karlsruher Hauptbahnhofs zeigt den engen Austausch bei technischen Lösungen zwischen funktionalen wie repräsentativen Bauaufgaben des Historismus, nicht nur im Deutschen Kaiserreich, sondern in ganz Europa. Und dies bezieht sich sowohl auf die modernen Konstruktionen wie auf die modernen Baumaterialien. Eine der führenden Firmen hinsichtlich der Anwendung von Beton war Dyckerhoff & Widmann, denen Knut Stegmann 2014 eine beeindruckende Studie widmete.85 Das Bauunternehmen war an sehr vielen Tief- wie Hochbauten im In- und Ausland sowie maßgeblich an der Entwicklung der Verwendung von Beton beteiligt. Dyckerhoff & Widmann gehörte mit zahlreichen Patenten weltweit zu den Pionieren des Bauens mit „Stampfbeton“, „Stahlbeton“ und „Spannbeton“. „Unter den Ausführungen für die Eisenbahn ragte hervor der Hauptbahnhof Karlsruhe mit seiner großen Schalter- und Durchgangshalle in Eisenbeton, die mit einem Tonnengewölbe überdeckt war.“86 Jedoch hatte hier der Architekt Stürzenacker ‚nur‘ seinen Anteil beim „künstlerischen Entwurf“, der „konstruktive Entwurf“ lag bei der Karlsruher Niederlassung von Dyckerhoff & Widmann87, dort namentlich bei des-

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und industrielle Mobilität. Die Karlsruher Bahnhofsfrage, Karlsruhe 2005 (KIT Scientific Publishing. DOI: [Stand: 25.11.2021]), S. 163ff. Siehe dazu: Deutsche Bauzeitung 39 (1905), Nr.  30 (15.04.1905), S.  181–184; Nr.  32 (22.04.1905), S.  193–194: „Der Wettbewerb für das neue Empfangsgebäude auf Bahnhof Karlsruhe i.B.“, mit Abb. vom Siegerentwurf auf S.  196f. – Siehe weiter Deutsche Konkurrenzen Bd.  18, Heft 9/10 = Nr. 213/214 (1905), S. 1–63: „Bahnhofs-Empfangsgebäude für Karlsruhe“, hier S. 6f. „Nr. 6. Zeichen einer Lokomotive.“, S. 9f. „Nr. 27. Kennwort ‚Platzkarte 3043‘“, S. 12 mit Reihung der Gewinner und des Ankaufes, S. 13 mit Abb. 1 „(Kennzeichen: Gezeichn. Lokomotive.)“ und Abb. 2 „(Kennwort: ‚Platzkarte 3043‘)“. – Siehe weiter Karl Widmer, Die Fassadenkonkurrenz für den Karlsruher Bahnhofsneubau, in: Moderne Bauformen. Monatshefte für Architektur 4 (1905), Heft 5, S. 49–60, hier S. 49: „Mit dem ersten Preis hat eine hervorragende Leistung moderner Architektur einen vollen, unanfechtbaren Sieg errungen. Ein zweites Projekt desselben Architekten, welches von der Regierung angekauft wurde, kommt dem ersten an künstlerischer Reife mindestens gleich.“; ebd., S. 50: „Ein Projekt, das mit einem III. Preis bedacht wurde, von Professor Hermann Stürzen­acker-Karlsruhe, (…) trennt die einzelnen Teile durch räumliche Gleichordnung und verschiedene Stilarten absichtlich voneinander.“; ebd., S. 51: „Eine Anlehnung an historische Vorbilder wird desto mehr zur Lüge, je unmittelbarer sie an irgend einen aus älteren Kulturbedürfnissen hervorgegangenen Typus – sei es mittelalterliches Rathaus oder Renaissancepalazzo – erinnert.“ Zum Entwurf des Architekten Rudolf Bitzan (1872–1938) aus Dresden heißt es folgerichtig (ebd., S. 54): „Freilich wirkt diese Architektur mehr als eine den Kern der inneren Anlage verkleidenden, als organisch aus ihm herausgewachsenen Schaufassade.“ Siehe Knut Stegmann, Das Bauunternehmen Dyckerhoff & Widmann. Zu den Anfängen des Betonbaus in Deutschland, 1865–1918, Tübingen/Berlin 2014. Siehe die Firmenfestschrift von Gert v(on) Klass, Weit spannt sich der Bogen, 1865–1965. Die Geschichte der Bauunternehmung Dyckerhoff & Widmann, Wiesbaden 1965, S. 38. Stegmann, Dyckerhoff & Widmann, S. 195–197 mit Abb. 126, 127 und S. 330, Nr. 271 (Schalter- und Durchgangshalle im Hauptbahnhof, 1908–1910).

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sen Direktor Heinrich Spangenberg (1879–1936).88 Bei seinem Entwurf, so bemerkt dieser Bauingenieur sowie Direktor (1906–1920) und seit 1907 Vorstandsmitglied von Dyckerhoff & Widmann, habe der Architekt „freilich etwas wenig Rücksicht auf die Erfordernisse der Konstruktion genommen“.89 Die Konstruktion wurde in „einem beschränkten Wettbewerb unter […] drei Eisenbetonfirmen“ ausgeschrieben, wobei „den Firmen ein freier Spielraum in der konstruktiven Durchbildung gelassen [wurde], sodaß hier eine originelle und neuartige Lösung möglich war.“90 Eine Beteiligung von Baufirmen für Eisenkonstruktionen am Wettbewerb wurde expliziert ausgeschlossen, weil man „einen Massivbau mit monumentaler Wirkung haben wollte.“91 Der Karlsruher Hauptbahnhof erhielt eine Natursteinfassade – die moderne Betonkonstruktion wurde also nach Außen verkleidet –, doch Heinrich Spangenberg von Dyckerhoff & Widmann vermerkt zufrieden, dass das repräsentative Empfangsgebäude glatte Sichtbetonoberflächen im Innenraum erhielt, denn bei diesen repräsentativen Räumen „ist nirgends versucht worden, mit dem Beton irgendwie Naturstein vorzutäuschen, vielmehr hat man sich überall bemüht, bei der Auswahl der Körnung des Vorsatzmateriales und bei der Bearbeitung den Beton-Charakter zur Geltung zu bringen.“92 Das 1907 von einer Kommanditgesellschaft (KG) in eine Aktiengesellschaft (AG) umgewandelte Familienunternehmen – die Firmengeschichte reicht zurück bis in das Jahr 1865 – leiteten u. a. Eugen Dyckerhoff (1844–1924)93 mit weiteren Familienmitgliedern und Geschäftspartnern. Ursprünglich in Karlsruhe angesiedelt, hatte es im Deutschen Kaiserreich mehrere Niederlassungen, die mit ihren eigenen Konstruktionsbüros, aber auch Buchhaltung und Verwaltung relativ selbstständig agierten. Seit 1905 lautete die genaue Firmenbezeichnung „Tiefbauunternehmung und Spezialgeschäft für Beton- und Eisenbeton-Bauten im Tief- und Hochbau, Fabriken für Zementwaren“94, später firmierte das Unternehmen unter dem Namen „Dywidag“ (bis 2001), welches mit seiner Abkürzung immer noch an den alten Firmennamen „Dyckerhoff & Widmann AG“ erinnerte.

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Zu ihm (ev.) und seiner Frau (kath.), die 1936 bzw. 1939 Suizid begingen, weil er politischen Intrigen und das Ehepaar u. a. wegen ihrer jüdischen Familie – drei der vier Großeltern seiner Frau gehörten der israelitischen Glaubensgemeinschaft an – im Dritten Reich Repressionen ausgesetzt waren, siehe: Karin Orth, Vertreibung aus dem Wissenschaftssystem. Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus vertriebenen Gremienmitglieder der DFG, Stuttgart 2018, S. 363–373: Heinrich Spangenberg. 89 [Heinrich] Spangenberg, Zwei monumentale Hallenbauten in Eisenbeton (Vortrag gehalten im „Deutschen Betonverein“ am 25. Februar 1910), II: Die Haupthalle des Empfangsgebäudes im neuen Hauptbahnhof Karlsruhe, in: Deutsche Bauzeitung 44 (1910), Heft 33, S. 242–245 (bes. Abb. 2 und 3 mit den Konstruktionen), hier S. 243 (Zitat); vgl. Stegmann, Dyckerhoff & Widmann, S. 195. 90 Spangenberg, Hallenbauten, S. 162 (Zitat). 91 Ebd. 92 Ebd.; vgl. Stegmann, Dyckerhoff & Widmann, S. 197. 93 Siehe Knut Stegmann, Zu den deutschen Anfängen des Bauens mit Beton. Der Stampfbetonpionier Eugen Dyckerhoff (1844–1924), in: Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 6, S. 415–424. 94 Klass, Dyckerhoff & Widmann, S. 319.

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Beim Karlsruher Hauptbahnhof, welcher mit seiner Oberlichtkonstruktion von August Stürzenacker (Architekt) und Heinrich Spangenberg (Bauingenieur) vermutlich wegweisend für Littmann war, ist uns das Unternehmen bereits begegnet. 1909–1911 bauten Dyckerhoff & Widmann den westlichen Teil des Leipziger Hauptbahnhofs mit einer damals sensationellen Spannweite von 35 Metern bei der Querbahnsteighalle95 sowie – weltberühmt – die Jahrhunderthalle (1911/12) in Breslau des Architekten Max Berg (1870–1947) mit einer Rippenkuppel in Massivbetonbau, welche (in Sichtbeton) einen Durchmesser von 65 Metern hat.96 Müßig nach meinen bisherigen Ausführungen zu erwähnen, dass die Fachleute des Bauunternehmens eine sehr gewichtige Rolle bei der konstruktiven wie technischen Umsetzung der Großbauten spielten und damit auch einen wesentlichen Einfluss auf die architektonische Gestaltung hatten. So wurden Leipzig und Breslau von der Dresdener Niederlassung von Dyckerhoff & Widmann betreut und damit hatte deren Direktor, der Bauingenieur Willy Gehler (1876–1953), einen maßgeblichen Anteil beim konstruktiven Entwurf bzw. die Oberleitung bei den beiden genannten Projekten inne. Da man bei Dyckerhoff & Widmann alle Bauaufgaben abdeckte, bei denen die Bauherren nicht mehr eine Eisen-, sondern Betonkonstruktion wünschten, war man auch in Kurstädten vertreten, vor allem bei technischen Projekten, wie z. B. bei Brücken. Aber Dyckerhoff & Widmann realisierte beispielsweise auch das Kurhaus (1913) in Bad Kreuznach97 und im selben Jahr die Um- und Erweiterungsbauten am Kurhaus in Baden-Baden.98 An dieses Unternehmen vergab Littmann alle Rohbauarbeiten für seine Trink- und Wandelhalle:99 „Die Gesamtausführung der Grab-, Fundations-, Eisenbeton- und Verputzarbeiten sowie der nötigen Konstruktionspläne und statischen Berechnungen hierfür war der Firma Dyckerhoff & Widmann in Nürnberg übertragen. Dem Architekten [Littmann] stand für die Eisenbetonarbeiten Bauamtmann Dr. Bosch, München, beratend zur Seite.“100

Schaut man sich die bereits genannten Referenzbauten von Dyckerhoff & Widmann sowie jene Bauten, die die Nürnberger Zweigstelle von Dyckerhoff & Widmann errichtet hat101, und den nur nebenbei und nur in dieser zitierten Stelle einmal in der Architektenmonografie erwähnten und nicht weiter recherchierten „Dr. Bosch, München,“ an, dann – und erst dann – wird deutlich, wie innovativ die moderne Baukonstruktion und das verwendete moderne Baumaterial waren. Denn Dyckerhoff & Widmann war eines der führenden Unternehmen bei der Verwendung von 95

Stegmann, Dyckerhoff & Widmann, S. 197f. und S. 337f., Nr. 297. Klass, Dyckerhoff & Widmann, S. 38f.; Stegmann, Dyckerhoff & Widmann, S. 207–212, 239–242 und 348f., Nr. 335. 97 Stegmann, Dyckerhoff & Widmann, S. 362, Nr. 383. 98 Ebd., S. 363, Nr. 386. 99 Ebd., S. 216f. und 340f., Nr. 309 (Kurhausanlagen, 1910–1912). 100 Oelwein, Littmann, S. 322. 101 Stegmann, Dyckerhoff & Widmann, S. 139: Die Nürnberger Niederlassung habe „mit zahlreichen repräsentativen Eisenbetonbauten in Bayern auf sich aufmerksam“ gemacht. 96

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Beton in allen seinen damals bekannten Spielarten und bei dem Münchener „Bauamtmann“ handelte es sich um den Diplomingenieur Dr.-Ing. Dr.-Ing. h. c. Johann Baptist Bosch (1873–1932), der zuletzt (städtischer) Oberbaudirektor und Tiefbauamt-Direktor der Stadt München war, und als einer der Pioniere der Eisenbetonkonstruktionen in Deutschland bezeichnet werden kann.102 Johann Baptist Bosch wurde in Bamberg als Sohn des Schlossermeisters Georg Bosch am 16. Februar 1873 geboren, verstarb am 2. Februar 1932 in München und wurde auf dem dortigen Westfriedhof am 5. Februar begraben. Er war Fachmann für Eisenbetonkonstruktionen, die er unter anderem bei Wasserkraftbauten103 und im Straßenbau bzw. bei Brücken einsetzte.104 Bosch war Mitglied im Bayerischen Architekten- und Ingenieur-Verein (München) und außerordentliches Mitglied der 1880 gegründeten Preußischen Akademie des Bauwesens. Ihm zu Ehren wurde die Brücke über die Isar beim Deutschen Museum nach ihm benannt, ‚seine‘ Bosch-Brücke wurde anlässlich der Fertigstellung des Deutschen Museums 1925 eröffnet; von 1908 bis 1910 war Bosch Leiter des Baubüros im Deutschen Museum gewesen.105 Am 12. März 1930106 verlieh ihm die Technische Universität München anlässlich seines 30-jährigen Dienstjubiläums bei der Stadtgemeinde die Ehrendoktorwürde „in Anerkennung seiner großen Verdienste um die Ingenieurtechnik der Stadt München, seiner Leistungen beim Ausbau der Münchener Wasserkraftanlagen und beim Bau des Deutschen Museums“.107 Den Antrag zur Ehrenpromotion hatte Kaspar Dantscher (1878–1944) begründet, der in dem gleichen Gebiet zuhause war wie Bosch. Bosch („Religion: katholisch“) hatte an der „Kgl. technischen Hochschule in München“ ab dem 29.  Oktober 1891 – also ab dem Wintersemester 1891/92 – in der „Ingenieur-Abteilung“ studiert; das „Absolutorium“ wurde ihm am 9. August 1895 erteilt. Im Zuge der Erteilung des Promotionsrechts (1901) wurde es auch an 102

Eine ausführliche Würdigung unter Berücksichtigung der einzelnen Berufs- und Lebensstationen in dem zwölfseitigen maschinenschriftlichen Nachruf vom Februar 1932 verfasst von „Stadtoberbaurat A. Altmann“ und „Stadtoberbaurat E. Stecher“ mit einem Porträtfoto von Bosch in TUM.Archiv. PA.ED. Bosch, Johann Baptist. Eine kurze Zusammenfassung vom 05.02.1930 seiner beruflichen Stationen ebenfalls im TUM.Archiv.PA.ED. Bosch, Johann Baptist – Zu einigen wenigen Angaben vgl. Werner Ebnet, Sie haben in München gelebt. Biografien aus acht Jahrhunderten, München 2016, S. 107. 103 Siehe J[ohann Baptist] Bosch, Die Wasserkraftanlage im Süden der Stadt München (Sonderdruck, 32 Seiten mit 25 Textabbildungen und 1 Tafel). Von Dr.-Ing. J. Bosch, Berlin 1910. 104 1918 wurde „dem städt. Baurat und Vorstand der Stadtbauamtsabteilung für Wasser- und Brückenbau“ die „IV. Klasse des Verdienst-Ordens vom Heiligen Michael“ von seiner „Majestät de[m] König“ verliehen, vgl. Zentralblatt der Bauverwaltung 38 (1918), S. 37. 105 Siehe [Johann Baptist] Bosch, Der Museumsbau, in: Conrad Matschoss (Hg.), Das Deutsche Museum. Geschichte, Aufgaben, Ziele. Im Auftrag des Vereins Deutscher Ingenieure unter Mitwirkung hervorragender Vertreter der Technik und Naturwissenschaften, Berlin/München 1925, S.  51–83. Interessant sind die technischen Aspekte zu den in Beton und in Eisenkonstruktionen ausgeführten Teilen und die Fotos vom Rohbau vor seiner späteren ‚Einkleidung‘. – Im Archiv des Deutschen Museums befindet sich mit der Signatur „BA-A 10009 GF“ ein „Album zur Erinnerung an Boschs Tätigkeit im Museum mit Fotografien vom Modell des Museums, den Pfählungs- und Rohbauarbeiten sowie von einzelnen Abteilungen“ (135 Aufnahmen). 106 Zum Datum siehe den Entwurf zur Urkunde im TUM.Archiv.PA.ED. Bosch, Johann Baptist. 107 Zentralblatt der Bauverwaltung 50 (1930), S. 246.

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dieser Hochschule möglich, dass man sich diesen Abschluss auf den neuen Titel „Diplom-Ingenieur“ umschreiben lassen konnte; die entsprechende Urkunde ist bei Bosch auf den 30. Oktober 1907 datiert.108 Seine beruflichen Stationen waren in Aschaffenburg und Nürnberg sowie vor allem seit dem 10. September 1900 in München; am 3. April 1902 heiratete er Berta Schwind aus Aschaffenburg, aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Eine Privatadresse von Bosch wird im „Wohnbezirk St. Magdalena in Nymphenburg“ angegeben. 1906 wurde ihm der Titel eines „Oberingenieurs“ verliehen, 1907 wurde er Bauamtmann bei der Abteilung für Wasser- und Brückenbau des Stadtbauamtes München, dessen Leitung er ab 1908 innehatte. Ab 1924 leitete er das gesamte Tiefbauwesen der Stadt München. Bosch wurde 1907 an der „Technischen Hochschule zu Darmstadt“, die vom Großherzog 1899 das Promotionsrecht erhalten hatte, zum Dr.-Ing. mit dem Thema „Berechnung der gekreuzt armierten Eisenbetonplatte und deren Aufnahmeträger unter Berücksichtigung der Kraftwirkungen nach zwei Richtungen“ promoviert. Interessant ist, dass seine Promotion sukzessiv entstand und ein Teil („Die Berechnung der Eisenbetonplatten“) bereits 1905 veröffentlicht wurde.109 Die Versuchsphase, in der sich Baustoff und Konstruktion noch befanden, unterstreicht der Bauingenieur im Vorwort seiner gedruckten Dissertation (1908): „Ohne Zweifel sind wir bei unseren Berechnungen der Eisenbetonkonstruktionen noch nicht auf dem völlig richtigen Wege, […].“110 Dieser „Dr. Bosch, München,“ stand also als Bauingenieur dem Architekten Littmann beratend zur Seite. Seine in einer Learning-by-doing-Phase erprobte Anwendung von Stampf-, Eisen- bzw. Stahlbeton ermöglichte erst in Zusammenarbeit mit den Fachingenieuren der beteiligten Baufirmen – hier der von Dyckerhoff & Widmann – dessen alles entscheidenden Einsatz. Konstruktion und Material garantierten dem Architekten nicht nur die kurze Bauzeit, sondern auch die großzügige (stützenfreie) Spannweite: „Mit einer Länge von 90 Metern und einer Fläche von über 3.000 Quadratmetern ist sie noch heute die größte Wandelhalle in Europa.“111

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Siehe den personenbezogenen Akt „Studierende“ im TUM.Archiv.PA.Stud. Bosch, Johann Baptist. Vgl. dazu seinen selbst verfassten (Kurz-) Lebenslauf im Anhang zu seiner gedruckten Dissertation (1908). 109 [Johann Baptist] Bosch, Die Berechnung der Eisenbetonplatten, in: Beton und Eisen. Internationales Organ für Betonbauten, neuere Bauweisen und Bauwerke 7 (1905), S. 177–180. Die Ausführungen basieren auf einem Vortrag von „Bezirksingenieur Bosch“ vom 09.03.1905 „im oberbayrischen Architekten- und Ingenieur-Verein“. Ebd., S. 281, folgt ein Nachtrag von Bosch bezüglich einer von „Dipl.-Ingenieur Sor“ beanstandeten Formel, die Bosch in seinem Vortrag aufgestellt hatte. Der Fachdisput zeigt, in welchem Fluss die Berechnungen noch standen. 110 Joh[ann] Bapt[ist] Bosch, Berechnung der gekreuzt armierten Eisenbetonplatte und deren Aufnahmeträger unter Berücksichtigung der Kraftwirkungen nach zwei Richtungen, Berlin 1908. 111 Oelwein, Littmann, S.  318. Vgl. jedoch das Zentralblatt der Bauverwaltung 32 (1912), Nr.  77 (21.09.1912), S. 489–493 und Nr. 79 (28.09.1912), S. 505–508 mit 14 Abb., „Geheimer Baurat Peltz“: „Die neue Trink- und Wandelhalle in Bad Kissingen“, bes. S. 491f., wo die Länge und Breite der Wandelhalle mit 80 mal 23 Metern und beim abgedruckten Grundriss genauer mit 78,42 mal 22,60 Metern angegeben wird.

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„Mit der Wandel- und Trinkhalle in Kissingen schuf Littmann, ganz im Gegensatz zu seinen anderen Bauten, eine interessante Symbiose zwischen funktionalistischer und historistischer Architektur. Das moderne Material Beton unterstreicht den Versatzcharakter der hier benutzten Historismen: Arkaden, Triforien, Obergaden in der Wand, Scheidbögen und Kassettendecke als raumschaffende Elemente sind ihren historischen Vorbildern derart entfremdet, daß nur noch strukturelle Assoziationen möglich sind. Das Raumganze kann zwar als sakrale Halle empfunden werden, der Akzent liegt aber auf einer neuen Raumästhetik, die die konstruktiven Elemente des Baus bloßlegt.“112

Das mag der heutige Architekturhistoriker so sehen, die zeitgenössische Würdigung unterstreicht die „malerische“ Wirkung und damit das Verbergenwollen der modernen Konstruktionen und der modernen Materialien. So lesen wir im „Zentralblatt der Bauverwaltung“ (1912): „Die Ausführung der hochstehenden Wände, Pfeiler und Decken erfolgte in Eisenbeton. Innen wurde dieser, […], teils verkachelt, teils verputzt; außen erhielt er ein Versatzmaterial aus in der Kissinger Umgebung gebrochenem Basalttuff.“113

Und weiter heißt es: „Überblicken wir die Wandelhalle mit ihrem Anbau, der Brunnenhalle, in ihrer Gesamterscheinung, so gebührt den Architekten namentlich für ihre innere Gestaltung uneingeschränktes Lob. Mit Freuden schweift das Auge an den langen Perspektiven der Halle entlang und findet immer neue reizvolle Durchblicke und malerische Wirkungen.“114

112

Nicolai, Lebensquell oder Kurschloss?, S. 106; vgl. auch – auf Nicolai bezugnehmend – Oelwein, Littmann, S. 318f. 113 Zentralblatt der Bauverwaltung 32 (1912), S. 493. 114 Ebd., S. 506.

KURORTE ALS „HOTSPOTS“ DER TECHNIKGESCHICHTE? – WECHSELWIRKUNGEN ZWISCHEN HEILBÄDERN, EISENBAHN UND TECHNIKENTWICKLUNG IM ‚LANGEN‘ 19. JAHRHUNDERT Michael Hascher

Kurorte, besonders die des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts, üben eine gewisse Faszination auf die Forschung aus – nicht nur, aber besonders seitdem einige der „Weltbäder“ versuchten, Welterbestätten der UNESCO zu werden. Im Juli 2021 erreichten die letzten im Antrag verbliebenen Städte ihr Ziel und wurden erfolgreich in die Welt­ erbeliste eingetragen. Doch auch jenseits dieses Vorgangs und über die dort berücksichtigten Städte und Aspekte hinaus gibt es einige Fragen, die aus wissenschaftlicher Sicht interessant und diskutierenswert erscheinen. Dazu gehört die Frage der Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung der Kurorte und jener der Technik. Der bekannteste Teilaspekt davon ist die Eisenbahn, zu deren Bedeutung für die Kurorte (bzw. dieser für die Eisenbahngeschichte) ich mich 2010/12 geäußert habe und die auch in den seither erschienenen Arbeiten öfter behandelt wurde.1 Auch für die vorliegende Arbeit wurde ich wegen der Eisenbahn angefragt. Ebenso wie 2010 will ich aber die Perspektive auf größere Teile der Technikgeschichte ausweiten. Der Grund dafür besteht darin, dass das multidisziplinäre Forschungsfeld „Bädergeschichte“ geeignet ist, sowohl Impulse aus meiner Disziplin, der Technikgeschichte, aufzunehmen wie umgekehrt Impulse an die Technikgeschichte abzugeben. Ganz ähnlich lautet daher meine übergeordnete Fragestellung, inwieweit einerseits die technische Entwicklung, die gerade in dieser Zeit der Industrialisierung bekanntlich nicht unerheblich war, den Kurorten Impulse gegeben hat und inwiefern andererseits die Kurorte die technische Entwicklung vorangetrieben haben. Letzte1

Michael Hascher, Modebäder und Eisenbahn. Zur Frage des Beitrages der Technikgeschichte zum möglichen Welterbestatus europäischer Kurstädte, in: Volkmar Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 2012, S. 159–172. Der Aspekt Eisenbahn wird unter anderem im Welterbe-Antrag (Nomination of the „Great Spas“ of Europe for Inclusion to the World Heritage List, o. O. [2020], S. 66f., 325f., https://whc.unesco.org/en/list/1613/documents/ [Stand: 27.11.2021]) erwähnt sowie in neueren Sammelbänden (beispielsweise Christina Vanja/Heide Wunder (Hg.), Die Taunusbäder. Orte der Heilung und Geselligkeit, Darmstadt/Marburg 2019, hier S. 15, 151) oder Monografien (zuletzt Markus Somm, Elektropolis an der Limmat. Baden und die BBC, 1870 bis 1925. Die Beschreibung einer Transformation, Bern 32020).

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Michael Hascher

res scheint insofern naheliegend, als die – in der Forschung auch als „konsumorientiert“ charakterisierten – Kurorte von vermögenden Bürgern und Adeligen besucht wurden, von denen eventuell einige zu der Gruppe gehörten, die man besonders aus der Verkehrsgeschichte als die treibenden Faktoren kennt. Zugespitzt formuliert waren Fahrrad, Auto und Flugzeug in ihren Anfangszeiten „Spielzeuge der Reichen“ und diese waren eben hin und wieder in den Kurorten zu finden.2 Generell passt diese Hypothese auch zu den Befunden der neueren Technikgeschichte, die dem Konsum und der Nachfrage eine große Rolle als Faktor der Technikentwicklung zumessen (gleichsam im Gegensatz zu Karl Marx, der die Entwicklung der Produktivkräfte als entscheidend ansah).3 Um die Fragestellung noch etwas zuzuspitzen, habe ich in Anlehnung an die Bezeichnung von geographischen Schwerpunkten starker Entwicklungen in der Corona-Pandemie den Begriff des „Hotspot“ eingeführt. Die Überlegung dahinter knüpft an das an, was Marcus Popplow in „Technik im Mittelalter“ anschneidet: Er spricht dort von „Orten der Technik“, deren Entwicklung er besonders aufmerksam beobachtet.4 So gesehen lässt sich die hier untersuchte Frage auch so formulieren, ob und wo die Technikgeschichte mehr auf die Entwicklungen in den Kurorten schauen sollte. Abschließend konnten in der vorliegenden Arbeit die in diesem Kontext identifizierten Aspekte nicht untersucht werden. Vielmehr trägt diese eher den Charakter einer erweiterten Benennung von Desideraten. Unbenommen davon wird hiermit der interdisziplinäre Diskurs der Kurortforschung um die technikhistorische Perspektive erweitert. Basis der Untersuchung waren online verfügbare Bände des Baedeker-Reiseführers aus den Jahren 1855 bis 1914. Dadurch unterscheidet sich dieser engere Untersuchungszeitraum mit Quellenbasis vom weiteren Betrachtungszeitraum, der das „goldene Zeitalter“ der europäischen Modebäder 1815–1914 umfasst.5 Diese Quelle mag einige Schwächen haben, bot aber den klaren Vorteil eines vergleichenden

2



Zu den Gemeinsamkeiten dieser Objekte: Kurt Möser, Geschichte des Autos, Frankfurt a. M. 2002, v. a. S. 26–29, 142f.; vgl. generell zur Verkehrsgeschichte: Uwe Fraunholz/Michael Hascher, Verkehrspolitik in Deutschland – ein historischer Rückblick, in: Oliver Schwedes (Hg.), Verkehrs­ politik: eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2018, S.  143–162. Zur Konsumorientierung Volkmar Eidloth, Europäische Kur- und Badestädte des 19. Jahrhunderts. Ein konsumorientierter Stadttyp, in: Siedlungsforschung 28 (2010), S. 157–182. 3 Diese Sichtweise findet sich bei: Ulrich Wengenroth, Technik der Moderne – ein Vorschlag zu ihrem Verständnis, München 2015 ebenso wie in den, wenige Jahre zuvor erschienenen technikhistorischen Einführungs- und Überblickswerken, die resümiert werden bei: Matthias Heymann, Konsolidierung, Aufbruch oder Niedergang? Ein Review-Essay zum Stand der Technikgeschichte, in: NTM. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 21 (2013), S. 403–427. Zu Produktions- und Konsumperspektive, mit Blick auf die neuere ökologische Perspektive auch: Ulrich Wengenroth, Technikgeschichte, in: Friedrich Jaeger/Wolfgang Köbl/Ute Schneider (Hg.), Handbuch Moderneforschung, Stuttgart 2015, S. 288–298, hier S. 294–297. 4 Marcus Popplow, Technik im Mittelalter, München 22019, S. 19. 5 Die naheliegende Wahl des „l’âge d’or“ folgt Paul Gerbod, Loisirs et santé: Les thermalismes en Europe des origines à nos jours, Paris 2004, der in einer langzeitlichen und über Europa hinausreichenden Perspektive den zweiten Teil seiner Arbeit (S. 57–72) so bezeichnet.

Kurorte als „Hotspots“ der Technikgeschichte?

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Zugangs zum Thema mit mehr oder weniger einheitlicher Perspektive.6 Aus der Auswertung ergaben sich Fragen, die anhand neuerer Forschungsliteratur eingeordnet wurden, jedoch meist zur endgültigen Klärung noch in weiteren Studien und anhand anderer Quellen vertieft werden müssten. Zu den anderen Quellen sollten dabei auch die Bauwerke und materiellen Zeugnisse gehören, deren Erhalt durch die jüngste Kurortforschung ja verstärkt in den Blick geraten ist. Der Aufbau des vorliegenden Beitrags beginnt mit einer Art „szenischem Einstieg“ in die Welt der Modebäder, der einen Querschnitt durch die Quelle darstellt (1). Danach wird die Quelle in Längsschnitten ausgewertet (2) und schließlich die Befunde in verschiedene Forschungskontexte eingeordnet (3). Dabei musste neben der zeitlichen und räumlichen Einschränkung auch eine thematische Auswahl getroffen werden, bei der unter anderem die Aspekte, die den Sport oder die Thermalmedizin betreffen, nicht oder nur am Rande beachtet werden.7

1. Vorbereitungen zu einer Kurreise 1911 Stellen Sie sich vor, Sie entstammen einer reichen Bürgerfamilie im Jahr 1911 und planen, im Sommer eine Reise in ein Heilbad zu machen. Sie sind aber völlig unschlüssig, wo es hingehen soll und konsultieren daher ihre Sammlung an Reiseführern der Jahre 1908 bis 1910 – alle aus der renommierten Reihe „Handbuch für Reisende“ von Karl Baedeker: In der mittlerweile 31. Auflage des ältesten Führers über die „Rheinlande“ (1909) finden Sie schon einige Kurorte wie etwa Wiesbaden oder Ems, für weitere deutsche Bäder benötigen Sie die Führer über Süddeutschland (u. a. mit Baden-Baden) und Nord-Westdeutschland (u. a. mit Bad Pyrmont). Das Handbuch zu Österreich-Ungarn enthält beispielsweise Angaben zu den böhmischen Bädern, für andere berühmte „Weltkurorte“ schauen Sie noch in die Werke zu Großbritannien (Bath), Belgien (Spa), Südostfrankreich (Vichy) und Oberitalien (Montecatini Terme). Wenn wir nun annehmen, dass keine eindeutige medizinische Indikation vorliegt, wäre es in dieser Situation vorstellbar, dass die Familie einen Kriterienkatalog zu den Vor- und Nachteilen verschiedener kleinerer und größerer Kurorte zusammenstellt. In diesen würden neben medizinischen, geographisch-klimatischen oder kunsthistorischen Aspekten (wir bewegen uns im Bildungsbürgertum) sehr wahr6



7



Die verwendeten Bände des Baedeker werden im Anhang aufgeführt. Zur grundlegenden Bewertung in der Forschung vgl. Susanne Müller, Die Welt des Baedeker. Eine Medienkulturgeschichte des Reiseführers 1830–1945, Frankfurt a. M. 2012; Frank Uekötter, Im Strudel. Eine Umweltgeschichte der modernen Welt, Frankfurt a. M. 2020, S. 336–348. Weitere Aspekte im Abschnitt 3.1. Die Thermalmedizin und Sport werden im Antrag (Nomination Great Spas, S. 329–332; 350–353) relativ ausführlich behandelt, zum Sport zuletzt Heiner Gillmeister, Deutsche Kurorte als Schaubühnen für die ‚English sports‘ Tennis und Golf, in: Stadion. Internationale Zeitschrift für Geschichte des Sports 44/1 (2020), S. 5–33, die erweiterte Version des Beitrags zum Sammelband Volkmar Eidloth/ Petra Martin/Katrin Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung. Kurgärten und Kurparks in Europa / Between Healing and Pleasure. Spa Parks and Spa Gardens in Europe, Ostfildern 2020.

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Michael Hascher

Abb. 1: Bahnhof Bad Kissingen mit Autobussen und Droschken. Quelle: StadtA Bad Kissingen.

scheinlich auch Kriterien auftauchen, die mit der technischen Infrastruktur zusammenhängen, welche die Bewegung zum und im Kurort sowie den Aufenthalt dort beeinflussen. Nehmen wir das als gegeben an und unterstellen wir noch ein gewisses allgemein-technisches Interesse, so führt der vergleichende Blick in den Baedeker zu folgenden Ergebnissen: Zunächst geht es in einem Reiseführer natürlich um die Reise vom Wohnort zum Ziel. Diese wird im Baedeker nach bestimmten Routen beschrieben, die sich in dieser Zeit (1908–1910) noch hauptsächlich an der Bahn orientieren. Daneben werden in der Einleitung teilweise auch Routen mit dem Fahrrad, dem Auto oder sogar Langstreckenwanderungen vorgeschlagen. Doch für den angenommenen Regelfall, dass zumindest Teilstrecken mit der Bahn zurückgelegt werden, fehlen im Führer nie die Angaben über Einfuhrbestimmungen oder die Tarife beim Bahntransport. Mit der Bahn erreichbar sind 1911 alle der hier interessierenden Kurorte – deutliche Unterschiede gab es allerdings hinsichtlich der Verbindungen, des Umsteigens und der Entfernung der Stadt bzw. der Hotels vom Bahnhof. Ein direkter Zug ist nur für Vichy erwähnt (Vichy-Royat-Express), bei vielen Weltbädern, die vielleicht auch direkt angefahren wurden, wird das nicht thematisiert.8 8



Baedeker, Sud Est de la France, 1910, S. 31f.

Kurorte als „Hotspots“ der Technikgeschichte?

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Am Bahnhof angekommen, wäre der standesgemäße nächste Schritt für eine vermögende Bürgerfamilie, sich mit einem der dort wartenden Hotelomnibusse in ein Hotel „ersten Ranges“ fahren zu lassen. Diese Hotelomnibusse gab es in manchen, doch durchaus nicht an allen Kurorten und der Baedeker vermerkte ihr Fehlen dort, wo er es eigentlich erwartet hätte.9 Oft handelte es sich noch um Kutschen mit 6 bis 8 Sitzen, nur in wenigen Orten gab es Autobusse. Alternativen zum Hotelbus waren in wenigen Fällen motorisierte Taxis (Bath; Wiesbaden), sonst pferdegezogene Droschken oder andere Kutschen, die unterschiedlich stark differenziert wurden und auch für die Bewegung im Kurort wichtig waren.10 In einigen Städten kamen dazu noch Straßenbahnen oder Linienbusse.11 Sehr selten wurden auch schon Leihwagen (Vichy) oder noch Esel angeboten.12 Für die weitere Bewegung am Ort unterstellte der Führer in der Regel, dass man zu Fuß unterwegs war und höchstens für Teilstrecken die genannten Verkehrsmittel nutzte. Reiten war in den Kurorten wohl auch noch statthaft, Fahrradfahren hingegen zumindest auf einigen Straßen in Karlsbad verboten. Auf Automobile eingestellt war nach den Angaben der Baedeker nur Vichy.13 Eine besondere Form des Transports, die Nutzung einer Seilbahn, konnte in einigen der großen Orte sowohl auf dem Weg in ein Hotel als auch beim Wandern oder Spazieren genutzt werden. Ähnliches gilt für einige Straßen- und Nebenbahnen.14 Schließlich seien, um das Verkehrsthema abzuschließen, noch die Schiffe und Boote erwähnt, die nur selten zur An- und Abreise, sondern meist nur zu Vergnügungszwecken nutzbar waren. Der Freizeit dienten auch Aussichtstürme, die an einigen Stellen errichtet worden waren.15 Oft, aber nicht immer gibt es Hinweise auf Zeitungen in den Hotels oder Postund Telegrafenämter in den Orten. Wenn man sichergehen wollte, zuhause nichts zu verpassen oder den Daheimgebliebenen notfalls Nachrichten senden zu können, waren in diesem Punkt sicher weitere Nachforschungen ratsam.

9



Baedeker, Rheinland, 1912, S. 46–54 (Wiesbaden). Baedeker, Süddeutschland, 1909, S. 20–32; 176f., 394–396 (Baden-Baden; Wildbad, Bad Kissingen, „Motorpost“); Ders., Great Britain, 1910, S. 116. 11 Straßenbahnen gab es 1911 nur in Bath, Bad Pyrmont (noch Pferdebahn), Baden bei Wien (elektrisch schon seit 1895) Marienbad, Bad Homburg und Wiesbaden. 12 Baedeker, Sud Est de la France, 1910, S. 31f. 13 Ebd. (Vichy, erwähnt auch Garagen für Automobile und Leihwagen); Das Reiten wird 1909 für die Lichtentaler Allee in Baden-Baden erwähnt, von der es noch 1906 hieß, sie sei von „Radfahrern belebt“ (Baedeker, Süddeutschland, 1906 und 1909, jeweils S. 20–32; Ders., Österreich-Ungarn 1907, S. 113f. (Radfahrverbot im Zentrum von Karlsbad). 14 Von den oben genannten Straßenbahnen erschloss vor allem die Saalburgbahn in Bad Homburg auch ein Ausflugsziel; Umgekehrt waren die in Bad Ems, Bad Pyrmont, Wiesbaden und Karlsbad erwähnten Bergbahnen (Standseilbahnen) vor allem auf Ausflügler ausgelegt, obschon es meistens auf dem Berg auch Hotels gab. Die Bahn in Montecatini Terme verband Stadt und Bäderbezirk. 15 Aussichtstürme werden fast bei allen Kurorten genannt. Eine für die Anreise geeignete „Dampfbootstation“ hatte eigentlich nur Biebrich bei Wiesbaden. Die in Bad Ems fahrenden Boote führten zu keinem erkennbaren Übernachtungsort. 10

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Michael Hascher

Für die Wahl eines Hotels war dessen Erreichbarkeit sicher ein, aber wohl nicht der Hauptgrund. Der Anfangsblock des Baedekers zu jedem Ort gilt den Unterkunftsmöglichkeiten in Gasthöfen/Hotels und an anderen Stellen (Zimmervermittlung usw.), den dortigen Preisen und, mit gewissen Einschränkungen, der Ausstattung: Das heißt, manche Aspekte werden dabei (noch) erwähnt, andere schlicht (v. a. bei den „Hotels ersten Ranges“) vorausgesetzt.16 Häufig thematisiert werden die Ausstattung der Hotels mit Aufzügen und verschiedenen Bädern (auf den Zimmern, als Schwimm- oder Thermalbad o.ä.), selten auch die Heizung, kaum die Beleuchtung und gar nicht, ob es Strom gibt oder wie die Toiletten beschaffen sind.17 Dementsprechend interessiert es den Baedeker auch überraschend wenig, ob es in der Stadt Straßenbeleuchtung oder Kanalisation gibt, einzig Bauten der Wasserversorgung werden (als Landmarke) angesprochen.18 Das eigentlich Besondere an den Heilbädern, das dort vorkommende Mineralwasser, wurde im Baedeker relativ ausführlich gewürdigt. Abgesehen von der Zusammensetzung, von der angenommenen Heilwirkung, von den Hinweisen auf die lokal übliche Form des Badens oder Trinkens kommen dabei auch Aspekte der Infra­ struktur und ähnliches zur Sprache, was in der vorliegenden Untersuchung für die Technikgeschichte interessant zu sein scheint: Zunächst betrifft das die Frage, woher überhaupt das Mineralwasser kommt. Neben den natürlichen Quellen werden auch solche erwähnt, die erst durch Bohrungen erschlossen wurden und deren Bohrtürme bemerkenswert schienen, wie etwa der Kissinger Schönbornturm, dessen erste Bohrungen schon auf das 17. Jahrhundert zurückgingen. Neuere Bohrungen werden in Homburg und Ems erwähnt.19 Was dann genau mit dem Wasser geschieht, wird in den um 1911 greifbaren Baedeker-Bänden kaum thematisiert. Zwar werden die Gebäude der Bäder oder Trinkhallen oft samt ihren Architekten genannt oder gar knapp beschrieben, doch auf die technische Ausstattung wird maximal pauschal eingegangen. So bemerkt der Baedeker zu den „Queens Baths“ in Bath, dass diese „one of the most perfectly equipped“ waren.20 Schließlich fällt auf, dass bei allen zur Stichprobe ausgewählten Kurorten zwar hin und wieder Fabriken oder Salinen genannt werden, diese jedoch immer „ins Bild passen“, also weder negativ kommentiert werden noch den Eindruck machen, als wären sie abseits von Baedekers Wertung als „störend“ empfunden worden. Abgesehen von den Salinen, die ohnehin in die jeweilige Konzeption der Kurorte integriert wurden, 16

Der Baedeker, Süddeutschland, 1906, S. 20–32, stellt für Baden-Badens Hotels „ersten Ranges“ die Ausstattung „mit allem Komfort, Aufzug, elektrisches Licht usw.“ in Aussicht. Andere Hotels werden nach Modernität charakterisiert (Viktoria: „nicht modern, aber gut“). 17 Nachweise von Hotels mit Bädern finden sich ab 1864 in Baden-Baden (Thermalwasser), ab 1888 in Bad Kissingen usw.; Aufzüge werden erstmals 1898 in Karlsbad erwähnt (gleich 9 Stück), aber auch in Bad Nauheim (2 Pensionen), dann erst Baden bei Wien (1903) und Baden-Baden (1906, s. o.). Eine Zentralheizung wird erst 1909 im Hotel Löwe in Bad Ems erwähnt. Zum Licht gibt es nur an der oben genannten Stelle 1906 Auskünfte. 18 Hochbehälter der Wasserversorgung werden 1909 in Wiesbaden und Wildbad erwähnt. 19 Baedeker, Rheinlande, 1909; in Kissingen wird nur bis 1876 der Schönbornturm erwähnt. 20 Baedeker, Great Britain, 1910, S. 116.

Kurorte als „Hotspots“ der Technikgeschichte?

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Abb. 2: Schönbornsprudel in Bad Kissingen. Quelle: StadtA Bad Kissingen.

handelte es sich um Porzellanfabriken (Karlsbad). Berg- oder Hüttenwerke, Metallwarenfabriken und ähnliche „schmutzigere“ Industrieanlagen werden im Umfeld der Kurorte zwar erwähnt, aber nicht in diesen selbst. So kann man aus den Stadtplänen zwar eruieren, dass es beispielsweise in Baden-Baden eine Gasanstalt und einen Schlachthof gab, doch wurde das nicht kommentiert. Eine Ausnahme stellt hier Baden im Aargau dar, bei dem die Ankunft so beschrieben wird: „Vor Baden großartige Fa­ brikanlagen für elektrische Maschinen (Brown, Boveri & Co. [sic]).“21 Welchen Ort die Familie unseres fiktiven Beispiels 1911 schlussendlich gewählt hätte, lässt sich natürlich nicht sagen. Ein Kriterium, die in (Besucher-)Zahlen ausgedrückte Beliebtheit der Kurorte, sei abschließend jedoch noch erwähnt: Die größten Besucherzahlen – 190.000 – verzeichnete Wiesbaden, wobei in diesem inzwischen zur Großstadt herangewachsenen Ort nur von „Fremdenbesuchen“ die Rede war, vielleicht weil die Kurgäste nicht so recht von anderen Besuchern unterschieden werden konnten. Als „principale ville d‘eaux“ wird Vichy mit 100.000 Besuchern bezeichnet, auf das Baden-Baden (75.000) und Karlsbad (66.000) folgen. Fünf Kurorte der überprüften Stichprobe erreichten Besucherzahlen über 25.000 (Marienbad, Ba21

Baedeker, Schweiz, 1909, S. 27 (die korrekte Firmierung hieß „& Cie.“).

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Michael Hascher

den bei Wien, Nauheim, Kissingen, Pyrmont), fünf weitere über 10.000 (Wildbad, Franzensbad, Homburg, Ems, Spa). Manche Bäder wurden auch nur verbal als „besucht“ (Montecatini) oder „ruhig“ (Bath) eingeordnet.22

2. Längerfristige Entwicklungen im Baedeker 1855 bis 1914 Der gerade präsentierte Befund aus dem Jahre 1911 ist der größte erreichbare Querschnitt aus der stichprobenhaften Untersuchung des Baedekers. Herangezogen wurden aus pragmatischen Gründen die online verfügbaren Bände des Reiseführers von den Anfängen bis 1914. Auswahlkriterium für die Bände waren die Suche nach Angaben zu einer Reihe von Kurorten, die einerseits die „Great Spas“ von heute (d.h. die Städte des Welterbeantrags) und einige Bäder in deren Umfeld repräsentieren, andererseits einige zusätzliche Bäder als Korrektiv und Kontrast. Untersucht wurden die in Tabelle 1 dargestellten Bäder, die in den angegebenen Baedeker-Bänden behandelt wurden. Auf Einzelnachweise der Seiten wird im Folgenden daher weitgehend verzichtet. Weitere Aspekte zur Einordnung der Quelle finden sich in Abschnitt 3.2. Neben den elf neuen Welterbestätten der „Great Spas of Europe“ (Baden bei Wien, Baden-Baden, Bath, Bad Ems, Františkovy Lázně/Franzensbad, Karlovy Vary/Karlsbad, Bad Kissingen, Mariánské Lázně/Marienbad, Montecatini Terme, Spa, Vichy) wurden folgende sechs Bäder mit einbezogen: Badenweiler als ein kleineres Bad mit ähnlich langer, römischer Tradition wie einige der „Great Spas“; Bad Homburg als Vertreter der Bäder im Umfeld des Taunus, Bad Nauheim wegen seiner bekannten Modernisierung 1905–1909, Bad Pyrmont als ein „Fürstenbad“ des 18. Jahrhunderts; Wiesbaden als der größte deutsche Kurort, Bad Wildbad als ein traditionsreiches süddeutsches Heilbad (gleichsam als Gegenstück zu Baden-Baden), Bad Reichenhall als Vergleichsbeispiel zu den sich aus Salinenstädten entwickelnden Kurorten (wie Kissingen und Nauheim) und die traditionelle Bäderstadt Baden im Aargau (Schweiz), die sich in eine Industriestadt verwandelte, als Kontrast. Die oben schon angesprochenen Zahlen zu den Kurgästen haben natürlich nicht den gleichen Wert wie offizielle Statistiken. Vielmehr geben sie das wieder, was Baedeker seinen Leserinnen und Lesern vermitteln wollte – was ja auch interessant ist. In den ausgewerteten Bänden ist nur selten explizit von Entwicklungen der Besuchszahlen die Rede: Am Anfang des Betrachtungszeitraums, 1855, wird zu Baden-Baden betont, dass es um 1815 erst 2.460 Kurgäste gehabt habe, die Zahl aber bis 1854 auf 40.000 gewachsen sei,23 d.h. auf mehr als das 16-fache. Gegen Ende 1909 wird zu Wiesbaden – zu dem erst an dieser Stelle überhaupt Zahlen genannt werden 22

Nachweise in der Tabelle; auf den Zusatz „Bad“ wird hier der Lesbarkeit halber verzichtet. Ebenso werden hier die in der Quelle vorkommenden historischen Namen der böhmischen Bäderstädte genannt. 23 Baedeker, Süddeutschland, 1855, S. 439.

1855

Süddtl.

Süddtl.

Oberitalien

NordwestDtl.

Süddtl.

Belgien u. Holland

Sud Est/ France

Süddtl.

Süddtl.

Kissingen

Marienbad

Montecatini

Nauheim

Reichenhall

Spa

Vichy

Wiesbaden

Wildbad

Pyrmont

1855

Süddtl.

Karlsbad

1855

1855

1855

1855

1855

1855

Süddtl.

1855

Homburg

Great Britain

Bath

1855

1855

Süddtl.

Süddtl.

Badenweiler

Süddtl.

Süddtl.

Baden-Baden

Ems

Schweiz

Baden (CH)

1855

Franzensbad

Süddtl.

Baden (A)

Stadt (ohne „Bad“)

1864

1864

1864

1864

1864

1864

1864

1864

1864

1864

1864

1864

1876

1876

1878

1876

1876

1876

1876

1876

1876

1876

1877

1876

1882

1884

1882

1882

1882

1882

1882

1882

1882

1881

1882

1888

1888

1888

1888

1889

1888

1888

1887

1890

1890

1892

1890

1892

1892

1890

1890

1893

1892

1895

1895

1895

1895

1895

1898

1898

1898

1898

1898

1899

1898

1901

1904

1903

1903

1903

1903

1903

1906

1906

1906

1907

1906

1907

1907

1906

1906

1906

1907

1907

Reisehandbücher (grau hinterlegt: Orte, bei denen die Zuordnung zu Bänden wechselt)

Tab. 1: Informationen zu Kurorten in ausgewerteten Jahrgängen des Baedekers

1909

1909

1910

1910

1909

1909

1910

1909

1910

1909

1910

1909

1910

1909

1909

1909

1910

1913

1913

1914

1913

1913

1913

1912

1913

1913

1913

1911

Süddtl.

Rheinlande

Sud Est/ France

Belgien u. Holland

Süddtl.

Nordwest-Dtl.

Oberitalien

Österreich-U.

Süddtl.

Österreich-U.

Rheinland

Österreich-U.

Rheinlande

Great Britain

Süddtl.

Süddtl.

Schweiz

Österreich-U.

428

Michael Hascher

– erwähnt, die Zahl von 190.000 Besuchern entspräche einer Verfünffachung der Besucherzahl seit 1866.24 Auch wenn man diese zu den anderen Bädern genannten Zahlen aufgrund der zeitlichen Abstände und Herkunft (es sind nicht die offiziellen Statistiken) mit Vorsicht genießen sollte, fällt im Vergleich auf, dass auch die Zahlen für andere Bäder erheblich höher sind als am Anfang: Während Baden-Baden 1914 „nur“ doppelt so viele Gäste verzeichnete wie 1855, waren es etwa bei Wildbad fünfmal so viel, bei Marienbad sechsmal und bei Karlsbad und Kissingen gar mehr als achtmal. Dabei zeigen selbst die lückenhaften Aufzeichnungen dazwischen gewisse ‚Dellen‘ mit Rückgängen oder stagnierenden Zahlen. Bemerkenswert, aber für vorliegende Untersuchung nicht relevant, ist die Charakterisierung der Besucher für manche Kurorte: So wird für Wildbad betont, dass dort viele Kranke zu finden seien, Franzensbad wird dagegen als hauptsächliches „Frauenbad“ dargestellt. Hinsichtlich der Anreise vermitteln die Bände der 1850er und 1860er Jahre noch das Bild des Reisens vor der Eisenbahn, das von einem differenzierten System pferde­ gezogener Fahrzeuge dominiert war, die teilweise auch Post transportierten und regional sehr unterschiedlich benannt waren. So führt der Baedeker zu Deutschland und Österreich 1855 in der Einleitung25 Eilwagen, Separat-Eilwagen und Extrapost auf und verweist auf die regional vorkommenden „Stellwagen“. Als eine der wichtigen Verbesserungen für den Straßenverkehr wird beispielsweise noch 1910 der 1827 gegrabene Tunnel unter dem Urtelstein in der Nähe von Baden bei Wien erwähnt. Baden-Baden, Wiesbaden und Baden bei Wien haben um diese Zeit schon einen Bahnhof. In den 1860er Jahren kommt nur Ems hinzu, wogegen bei den anderen nun meist die Anschlüsse mit Eil-, Stellwagen o. ä. zum nächsten Bahnhof erwähnt werden. 1876 werden dann in den vorliegenden Bänden zu fast allen untersuchten Städten Bahnhöfe aufgeführt, nur das kleine Badenweiler verzeichnet erst 1906 den Kleinbahnanschluss an den (andererseits schon 1855 bestehenden) nahegelegenen Bahnhof Müllheim. Die Bahnhofsgebäude waren dem Baedeker kaum eine Bemerkung wert, nur der neue Bahnhof in Wiesbaden (1906) wird einmal erwähnt. Die anderen Verkehrsmittel spielen in der Anreise kaum eine Rolle. Sobald die Eisenbahn da ist, orientieren sich die Reiserouten, nach denen der Baedeker die Orte abhandelt, an ihnen. Für Fußreisende, die zeitweise für das Rheinland, vor allem aber für die Alpen und Südostfrankreich eine Rolle spielen, werden meist in der Einleitung eigene Routen empfohlen, eher auch in eigenen Reihen wie der Reihe „Südbayern“.26 Nach ähnlichem System ging der Baedeker vor, als Rad- und Autoreisen aufkamen: Schon ab 1889 finden sich in den Führern zu Großbritannien, später auch auf dem Kontinent (1903 Österreich, 1904 Belgien) „Hinweise für Radfahrer“ mit Tourenvorschlägen. 1907 werden sie in Österreich auf „Automobilfahrer“ ausge-

24

Baedeker, Rheinland, 1909, S. 45–54. Baedeker, Süddeutschland, 1855, Einleitung. 26 Hinweise für Fußreisende etwa bei Karl Baedeker, Rheinland, 1855; Einfuhrbestimmungen und Tarife für Fahrräder: Ders., Great Britain, 1889 und Belgien, 1906; Automobilisten tauchen in Hinweisen für Touren beispielsweise im Baedeker, Österreich-Ungarn, 1903 auf, als Adressaten genereller Hinweise für „Radfahrer und Automobilisten“ dann in der nächsten (26.) Auflage 1907 (S. XVII). 25

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weitet. Auf die Situation um 1910 wurde schon eingegangen. 1913 erweiterte sich das Angebot „moderner“ Verkehrsmittel noch um das Luftschiff. Erwähnung fand hier eine Luftschiffhalle in Oos bei Baden-Baden.27 Abgesehen von den erwähnten Postkutschen war die Institution „Post“ in den ersten Jahren gleichbedeutend mit dem so benannten Hotel. Die allmähliche Ausdifferenzierung der Kommunikationsangebote schlägt sich in der Erwähnung eines Telegrafenamtes im Bahnhof Baden-Baden (1864) nieder und darin, dass die Rubrik forthin oft mit „Post und Telegraf“ überschrieben ist. Eigene Postgebäude gibt es laut den Beschreibungen des Baedeker 1876 in Baden-Baden, Karlsbad und Franzensbad, ab 1882 im neuen „Stadthaus“ in Marienbad. Erste „Nebenämter“ tauchen 1898 in Baden bei Wien auf. Für den innerörtlichen Verkehr kann das oben skizzierte Bild anhand der anderen Baedeker-Bände insofern historisch eingeordnet werden, als die Hotel-Omni­ busse 1876 erstmals in Karlsbad erwähnt wurden, im selben Jahr wie die Pferdestraßenbahn in Wiesbaden. In beiden Fällen folgten zum Teil auch kleinere Bäder wie Badenweiler (1890 Hotelbus) oder Pyrmont (1898 Straßenbahn). Während die elektrische Straßenbahn aus Wien schon 1895 den de facto etwas entfernteren Vorort Baden erreichte, notiert der Baedeker diese Infrastruktur für Baden-Baden erst 1909 (im Bau), gleichauf mit Homburg (1910) und nach Marienbad (1906). Motorisierte Droschken oder Busse tauchten in den Führern 1909 zum ersten Mal auf, nur jenseits der Kurorte gab es nach der Einleitung zum Band „Südbayern“ schon um 1900 Autobusse.28 Weitere Hinweise auf Autos sind selten, abgesehen von den genannten Garagen und anderen Einrichtungen in Vichy (1906) wird nur einmal 1906 in Baden-Baden die Fischzucht als „beliebter Ausflug von Baden (Omnibus und Automobil)“ erwähnt.29 Somit gehört das Auto auch eher zu den technischen Hilfsmitteln und Einrichtungen zur Bewegung in der näheren Umgebung, zu denen auch Fahrräder, Seilbahnen, Boote und Aussichtstürme zählen. Historisch traten diese gerade in umgekehrter Reihenfolge auf: Aussichtstürme werden 1876 erstmals in Wildbad, Badenweiler und Karlsbad genannt, 1882 in Kissingen und Bath, 1890 in Marienbad. Zum Teil wächst die Anzahl auf mehrere Türme. Dampfboote zu Vergnügungsfahrten tauchen 1888 in der Beschreibung Kissingens auf, Kahnfahrten 1890 in Nauheim; in Spa ist 1913 von „venezianischen Nächten“ die Rede und selbst die Dampfbootstation Wiesbaden-Biebrich wird im selben Jahr wohl weniger wegen der An- oder Abreise denn als Ort der Vergnügungsfahrten erwähnt worden sein. 1890 beschreibt der Führer die Drahtseilbahn auf den Bomberg in Pyrmont, 1906 die in Karlsbad und Montecatini, 1909 folgen Wildbad, Wiesbaden und Ems.

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Baedeker, Süddeutschland, S. 22; zum Fahrrad: ab 1889 in England erwähnt; 1903 Österreich; 1904 Belgien; 1906 Oberitalien; Auto: 1907 Österreich; 1910 Frankreich und Belgien; 1912 Rheinland. 28 Baedeker, Südbayern, 291900, S. XXII. 29 Baedeker, Süddeutschland, 1909, S. 32.

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Die Existenz von Fahrrädern taucht erstmals 1903 in der Beschreibung des Radfahrverbotes für bestimmte Bereiche des Teplufers im Zentrum von Karlsbad auf (bis 1910 erwähnt), während die Beschreibung von Baden-Baden nur 1906 kurz erwähnt, die Lichtentaler Allee sei von Radfahrern „belebt“ (in der nächsten Auflage ist 1909 stattdessen von „Reitern“ die Rede). Auch in den Hotels findet die Infrastruktur phasenweise eine besondere Erwähnung, so beispielsweise bei den Hotels mit Bädern (1876 in Baden-Baden, 1882 in Kissingen, 1890 in Badenweiler) oder denen mit Aufzug (1898 in Karlsbad schon in neun Hotels, in Nauheim zwei Pensionen mit Aufzug; 1903 in Baden bei Wien). Etwa ab 1906 scheint die einzelne Erwähnung dann wieder in einem allgemeinen Standard unterzugehen, der vom Baedeker dann erwartet wird. In diesem Jahr werden in Wildbad und Montecatini noch Aufzüge in Hotels erwähnt, in Montecatini auch eine Zentralheizung. Für Baden-Baden dagegen konstatiert der Reiseführer, die Hotels „ersten Ranges“ seien „mit allem Komfort, Aufzug, elektrisches Licht usw.“ ausgestattet, wobei bei einigen Hotels (auch des zweiten Ranges) zudem Thermalbäder zum Angebot gehörten. Bei niedrigeren Preisen wird der Aufzug weiterhin erwähnt („Peters Hotel Hirsch“: Aufzug und Thermalbad; „Hotel Stadt Paris“: Aufzug), andere Hotels werden als „nicht modern, aber gut“ beurteilt („Hotel Viktoria“). Eine ähnliche übergreifende Formulierung findet sich 1909 zu Wiesbaden, dessen erstrangige Hotels „mit allem Komfort, Thermal- und anderen Bädern, Appartements mit Privatbädern“ ausgestattet seien. In Bad Ems gab es in diesem Jahr auch mehrere Hotels mit Bädern, ebenso mit Aufzug; bei einem („Hotel Löwe“) war die Zentralheizung erwähnt, in Spa ist der Befund ähnlich. In Vichy dagegen scheinen nur die Aufzüge im Badegebäude erwähnenswert. Badezimmer, Schwimm- und Thermalbäder sind die sichtbareren Teile von allgemeinen oder besonderen Wasserversorgungssystemen, die ihrerseits deutlich seltener Erwähnung finden. So erfährt der Leser des Baedekers Süddeutschland 1864, dass das Thermalwasser der Quellen in Baden-Baden durch Röhren in die Bäder geleitet wird, während die Beschreibung anderer Kurorte auf die Lage der Quellen direkt unter den Badegebäuden Wert legt (so in Wildbad). Die Ausführungen schließen dabei Erläuterungen über die (mutmaßliche) Herkunft der Quellen im Berg (v. a. beim „Sprudel“ Karlsbad) ein oder erwähnen auch besondere Materialien der Beckenauskleidung, wie ab 1862 den Asphalt der Schwimmanstalt Baden bei Wien. Während die Soleleitungen in Reichenhall Teil der Schilderung der Salzgewinnungsanlagen sind, scheint das Interesse für Stollen und Leitungen im Zusammenhang der Kureinrichtungen in Baden-Baden besonders groß zu sein: Hier wird 1882 beim neuen Friedrichsbad erwähnt, dass die „Quellen“ jetzt in einem Stollen vereint seien, 1906 dann wieder die Ausweitung auf zwei Stollen. Schließlich ist es dem Baedeker meist auch eine Bemerkung wert, dass manche der Quellen durch Bohrungen erschlossen wurden, beispielsweise in Kissingen, Nauheim (1855), Homburg und Ems.

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Jenseits dieser Erwähnungen taucht die Infrastruktur für Wasser höchstens noch in Gestalt der Landmarken auf, die Hochbehälter oder auch Fernleitungen der Wasserversorgungssysteme darstellen. Gas- oder Elektrizitätswerke oder auch die Beleuchtung von Straßen oder Gebäuden aus diesen Energiequellen werden überraschenderweise nie erwähnt. Als letzter Bereich wurde im Längsschnitt durch die Reiseführer noch auf Hinweise zu Anlagen der handwerklichen oder industriellen Produktion gesucht. Diese tauchen dort durchaus auf, oft auch in der Umgebung, aber seltener in den Kurorten selbst: Beispielsweise vermerkt der Baedeker zur Landstraße nach Ems, sie führe nach Niederlahnstein „in dem engen felsigen und bewaldeten hübschen Thal der an einzelnen Stellen in neuester Zeit canalisirten Lahn am rechten Ufer entlang, an verschiedenen Eisenhütten vorbei.“30 Natürlich finden sich auch in den Kurorten Zeugnisse des Montanwesens – doch erstens geht es hier höchstens um Salz und zweitens ist die klassische Salzgewinnung meistens entweder komplett eingestellt oder nur noch von untergeordneter Bedeutung. Wichtiger sind nun die Nutzung der Salze zur Kur vor Ort oder eben die Abfüllung des salz- oder mineralhaltigen Wassers für den Versand. Erwähnt werden noch aktive Salinen in Reichenhall und Kissingen und anfangs (1862) in Nauheim. Die Menge des Wasserversandes scheint eine Art sportliches Interesse der Baedeker-Redakteure getroffen zu haben und wird relativ häufig erwähnt, beispielsweise 600.000 Flaschen aus Marienbad (1855), 300.000 Krüge aus Kissingen (1876); Versand von Vichy „durch ganz Europa“ (1878), 1 Million Flaschen aus Marienbad, 3 Millionen aus Karlsbad (1882), 3,5 Millionen Flaschen aus Ems (1909). Dazu kamen in Ems die Salzpastillen (1909 erwähnt, heute noch als „Emser Pastillen“ bekannt) und in Karlsbad das „Sprudelsalz“, dessen Versandmenge 1895 mit 40 Tonnen beziffert wird. Außer diesen Produkten erlangen nur noch die Karlsbader Oblaten und die Porzellanfabriken in der Umgebung von Karlsbad die Aufmerksamkeit des Baedeker.

3. Hotspots? Zur Wechselwirkung zwischen Kurort- und Technikentwicklung 3.1 Generelle Hintergründe: Umwelt, Moderne, Tourismus Mit Abstand betrachtet, ist die Untersuchung der skizzierten Aspekte vor dem Hintergrund von drei größeren Kontexten zu sehen: Erstens ging es bei der im vorliegenden Band dokumentierten Tagung natürlich um Stadtgeschichte, im weiteren Sinne auch um Kulturlandschaftsentwicklung. Dies ist die Perspektive „von innen“, die gleichsam den Blick aus den Stadtarchiven und -museen heraus auf die Stadt und ihre Vergangenheit richtet. Gleichermaßen wird 30

Baedeker, Süddeutschland, 1909, S. 420.

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dabei auch die Umgebung betrachtet, und hier kommen noch Akzente dazu, die eigenständige Perspektiven bietet: Gegenstand der Tagung sind Kurorte, besonders solche, die auf der Ressource (meist) warmer, ungewöhnlich mineralisierter Wasserquellen aufbauen. Daher gehört die Geschichte der Kurbäder in den großen Zusammenhang der Ressourcennutzung und damit der Umweltgeschichte. Dies gilt auch deshalb, weil die Entwicklungen der „Kurlandschaften“ zumindest die Wahrnehmung des Kulturlandschaftselementes Wald ändert. Dieser verliert im untersuchten „langen 19. Jahrhundert“ durch den „unterirdischen Wald“, also die fossilen Rohstoffe schon an Bedeutung als Energiequelle, was wiederum ein zentrales Thema der Anthropozän-Diskussion ist.31 Zweitens habe ich den Beitrag in erster Linie als Technikhistoriker geschrieben, dessen Interesse der Bedeutung der Technik der Moderne für die Kurbäder gilt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im technikhistorischen Diskurs „Moderne“ selten dieselbe Bedeutung hat wie in der Architektur- und Kunstgeschichte.32 Zentrales Kennzeichen der „Technik der Moderne“ (Wengenroth) ist die wachsende Relevanz der „einfachen Leute“, deren Nachfrage den zentralen Faktor des bis heute anhaltenden Industrialisierungsprozesses darstellt. Um es vergleichend zuzuspitzen: Nicht die Marx’sche „Entwicklung der Produktivkräfte“ wird heute als Kernprozess der Industrialisierung verstanden, sondern eher die Entwicklung des Konsums. Somit ist es eigentlich verwunderlich, dass den Kurorten als „konsumorientierten Stadttypen“ (Eidloth) nicht schon mehr technikhistorische Untersuchungen gewidmet waren.33 Intensiv thematisiert wurde das Thema „Modernität“ zuletzt bei der Tagung in Bad Kissingen, doch auch die Untersuchung von Adam Rosenbaum zu Bad Reichenhall betonte diesen Aspekt stark.34 Zum Kontext gehört auch die schon in der Betrachtungszeit bestehende Konkurrenz der Kurstädte, die sich im Bewerbungsverfahren fortsetzte.35 Drittens gelten die Bäderreisen als wichtige Wurzeln des modernen Tourismus. Das grobe Muster der Entwicklung ist dabei dessen wachsende Differenzierung: Abgesehen von denen, die aus geschäftlichen oder militärischen Gründen unterwegs 31

Zur Umweltgeschichte: Uekötter, Strudel; zum Antropozän: Nina Möllers/Christian Schwägerl/Helmuth Trischler, Willkommen im Anthropozän, München 2015, und Pierre Fluck, Du paléopaysage au métapaysage à travers l’Anthropocène, in: Ruines et vestiges, May 2017, online unter: hal-02004655, https://hal.archives-ouvertes.fr/hal-02004655/document [Stand: 13.10.2021]; zur Veränderung der Holznutzung im 19. und 20. Jahrhundert jetzt Martin Meiske/Christian Zumbrägel, Holz im Zeitalter von Kohle und Stahl. Zur Persistenz und Wandelbarkeit eines Werkstoffes in der Hochindustrialisierung, in: Technikgeschichte 88 (2021), S. 251–285. 32 Jaeger/Knöbl/Schneider, Moderneforschung, v. a. S. 38–48 (Carsten Ruhl, Architekturgeschichte und Architekturtheorie) und 288–298 (Wengenroth, Technikgeschichte). 33 Wengenroth, Technik der Moderne; Wengenroth, Technikgeschichte; Eidloth, Konsumorientierter Stadttyp. 34 Peter Weidisch/Fred Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität. Tagungsbad zum Symposium in Bad Kissingen 7.–9. März 2014 im Rahmen der transnationalen seriellen Bewerbung „Great Spas of Europe“ um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, Würzburg 2017; Adam T. Rosenbaum, Grounded Modernity in the Bavarian Alps: The Reichenhall Spa Culture at the Turn of the Twentieth Century, in: Central European History 47 (2014), S. 30–53. 35 Andrea Pühringer, Der Taunus – Konjunkturen einer traditionsreichen Bäderlandschaft, in: Vanja/ Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 149–177, hier S. 149f.

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waren, sind in der Geschichte nur die Pilger ähnlich lange zurückzuverfolgen wie die Kurreisenden. Doch nach und nach werden auch bestimmte Sehenswürdigkeiten („Grand Tour“), Berge und Meer zu Zielen von Reisen, Sommerfrischen, Ausflügen oder ähnlichem.36 Meine Untersuchung setzt gerade hier an und steigt über den Blick „von außen“, durch die Baedeker-Reiseführer in einen Vergleich ein. Die zentrale Frage ist dabei, inwieweit die Wechselwirkung der untersuchten Bereiche mit den skizzierten Faktoren interessant für die Technik- und Stadtgeschichte sind. Zugespitzt fragt die Studie also, ob man – vielleicht auch nur für bestimmte Phasen und Themen – von einer besonderen Rolle der oder einzelner Kurorte als „Hotspots“ der Technikentwicklung sprechen kann.

3.2 Baedeker im Kontext anderer Quellen Die Auswertung des Baedekers hatte den Vorteil, dass diese gemeinsame Quelle und Perspektive als Klammer dienen konnte, die vorliegende Untersuchung zusammenzuhalten. Sie hatte aber auch gewisse Nachteile beziehungsweise gibt es Aspekte, die bei der Interpretation zu beachten sind: Zunächst setzt der ausgewertete Bestand erst 1855 ein, sodass sich der Beitrag in den ersten 40 Jahren des Betrachtungszeitraums (1815–1914) nur auf Forschungsliteratur stützen kann. Zudem sind die Quellen natürlich lückenhaft und es wurden (auch wegen der Corona-Pandemie) nur online verfügbare Ausgaben ausgewertet. Die Perspektive ist bürgerlich und touristisch, das heißt, weder die Sichtweisen des traditionellen adeligen Publikums noch die der Arbeiter, Bauern oder der ortsansässigen Bevölkerung werden abgebildet. Zudem ist der Baedeker im (engeren) Untersuchungszeitraum (1855–1914) vornehmlich an Reisen mit der Eisenbahn orientiert, während sich in dieser Zeit (v. a. ab 1900) schon Reiseführer entwickelten, die – wie der „Guide vert Michelin“– eher auf den Autoverkehr ausgerichtet waren.37 Für vertiefende Forschungen zu dem hier skizzierten Thema sollten andere Quellen, wie die Bestände der Stadtarchive, Briefe, Fachliteratur und die erhaltenen Bauwerke, studiert werden. Hinsichtlich der Forschungsliteratur erhebt der vorliegende Beitrag keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die historischen Kontexte habe ich, vor allem bei den Bädern in Belgien und Italien nicht alle im Blick.

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Gabriele M. Knoll, Kulturgeschichte des Reisens. Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub, Darmstadt 2006; Hasso Spode, Tourismologie. Anmerkungen zur Rolle der Historischen Tourismusforschung in der Wissenschaftslandschaft, in: Ferdinand Opll/Martin Scheutz (Hg.), Fernweh und Stadt. Tourismus als städtisches Phänomen, Innsbruck 2018, S. 25–40. 37 Marc Francon, Le guide vert Michelin: l‘invention du tourisme culturel populaire, Paris 2001, S. 3–8.

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3.3 Nutzungsänderung der Kulturlandschaft Bei der Entwicklung von Kurorten handelt es sich um Prozesse des Strukturwandels. Kleine Bauerndörfer oder Salinenstädte werden zu mondänen Kurorten – oder aber Kurorte entwickeln sich zu Groß- oder Industriestädten und verlieren ihren exklusiven Charakter. Das jüngst untersuchte Beispiel der Stadt Baden im Aargau, die sich von einem sehr traditionellen Kurort (Namensgeber der „Badenfahrt“ im 15.  Jahrhundert38) zu einer „Company Town“ des Elektrotechnikunternehmens Brown, Boveri & Cie. (BBC) wandelte, macht als Kontrastfolie deutlich, dass die Entwicklung im 19./20. Jahrhundert normalerweise anders verlief.39 Interessant ist dieser Sonderfall auch deshalb, weil dort ein „konsumorientierter“, also – in wirtschaftshistorischer Sicht – auf den Dienstleistungssektor fixierter, Ort sozusagen in den sekundären Sektor wechselt. Dies schärft die Aufmerksamkeit, dass man, gerade in den Kurorten, keinesfalls zu schematisch Entwicklungslinien von der agrarischen über die Industrie- zur Dienstleitungsgesellschaft erwarten sollte. Im Gegenteil: Viele Kurorte waren dienstleistungsorientiert, bevor sie industrialisiert wurden.40 Bei Wiesbaden indes verschwimmen aufgrund des Wachstums die Grenzen zwischen dem, was man als Phänomene eines Kurorts ansprechen kann und dem, was auch in anderen Großstädten festzustellen ist.41 Andernorts wiederum überlagern Phänomene wie Sommerfrische oder Zweitwohnungen den „normalen“ Tourismus beziehungsweise den Kuraufenthalt.42 Solche Veränderungen werden zum Teil schon zeitgenössisch thematisiert. Beispielsweise erwähnt der Baedeker die rasante Entwicklung der Anfang des 19. Jahrhunderts nur aus wenigen Häusern bestehenden Orte wie Franzensbad (heute Františkovy Lázně) oder des Kurgästeaufkommens in Baden-Baden.43 Zu diesem Wandel gehört neben vielen Neubauten, dass aus Klöstern Hotels werden, aus Salinen Kurhäuser, aus Mühlen Gasthäuser.44 Das in der praktischen Denkmalpflege häufige Thema der Umnutzung/Nutzungsänderung war in dieser Zeit also im großen und kleinen Maßstab präsent. Am augenfälligsten war dabei sicherlich die neue Funktion der Gra-

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Volkmar Eidloth, Bäder und Bäderlandschaften in Mitteleuropa: Skizzen zur raumzeitlichen Entwicklung eines Siedlungstyps bis zum Ersten Weltkrieg, in: Volkmar Eidloth/Andreas Dix/Winfried Schenk (Hg.), Orte und Landschaften der Muße, Freizeit und Erholung (Siedlungsforschung 35), Bonn 2018, S. 9–47, hier S. 13–15. 39 Somm, Elektropolis. 40 Andrea Pühringer, Rauchende Schlote in der Kurstadt. Industrie, Industrialisierung und Kurwesen in Bad Homburg, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 25 (2014), S. 97–125. 41 Von daher ist, nebenbei bemerkt, auch fraglich, ob bei Somm, Elektropolis, die Wahl von Wiesbaden als Kontrastfolie so glücklich war. Im Allgemeinen sind seine Aussagen aber kaum zu bezweifeln. 42 Pühringer, Taunus, S. 171; Exkurs zu den Sommerfrischen bei: Eidloth, Bäder, S. 32–35. 43 Baedeker Süddeutschland, 1855, S. 439; ebd., 1864, S. 213. 44 Eidloth, Konsumorientierter Stadttyp, S. 174 (Mühlen); zu Hotels siehe unten.

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dierwerke: Anstatt ihrem ursprünglichen Hauptzweck – der Anreicherung der Sole – zu dienen, waren jetzt gerade die an die Luft abgegebenen, salzigen Aerosole gefragt, die früher eher als unerwünschte Salzverluste wahrgenommen wurden.45 Zur Nutzungsänderung gehörte auch die erwähnte Entwicklung der „Kurlandschaft“, auf die gleich noch im Einzelnen eingegangen werden muss: Der einst umkämpfte Wald, für den anderenorts noch Flößereianlagen errichtet wurden, musste in der Umgebung der Kurorte in erster Linie der Erholung dienen.46 Aus der Per­ spektive der historischen Kulturlandschaftsforschung, die in den letzten Jahren viele der Phänomene, die hier eine Rolle spielen, unter die Lupe genommen hat, kann dieser Prozess auch als Wandel der Nutzung der „Ressource Landschaft“ beschrieben werden. Unbenommen davon, ob dieses Kalkül in der Realität aufging, waren die meisten Entscheidungsträger der Kurorte im Untersuchungszeitraum wohl davon überzeugt, dass die Orientierung an der Kur der Stadt mehr einbringe (ökonomisch, aber auch sozial oder kulturell) als die Landwirtschaft oder die „gewöhnliche“ Ausbeutung der Mineralwässer zur Salzgewinnung.47 Spannend und keineswegs abschließend untersucht sind in diesem Prozess die Akteure: Klar scheint durch die jüngsten Forschungen, dass die Fürsten, gerade die der kleinen Territorien, eine wichtige Rolle spielten, ebenso die Stadtverwaltungen.48 Wie aber die Zusammenarbeit zwischen Unternehmern, Stadtbevölkerung, Besuchern und den genannten Akteuren der „öffentlichen Hand“ im Einzelnen funktionierte und welche Faktoren Erfolg oder Misserfolg begünstigten, ist allenfalls in Ansätzen erforscht.49 Unstrittig ist dabei sicher, dass für die Phase zwischen den 1830er und den beginnenden 1870er Jahren den Spielbankbetreibern und anderen Unternehmern eine besondere Rolle zukam.50 45

Den Wandel von der Sole als Rohstoff für die Salzgewinnung zur Sole als Heilmittel beschreibt anschaulich Hans-Henning Walter, Der salzige Jungbrunnen. Geschichte der deutschen Soleheilbäder, Freiberg 2006, S. 7–72. Weiteres zu Salinen unten. 46 Thomas Gunzelmann/Christine Dorn, Die Kulturlandschaft der Flößerei im Frankenwald, ein komplexes System und seine Relikte, Kronach 2006; Michael Hascher, Das Holz zu Tale schwallen – Flößereiwehre, in: Erforschen und Erhalten (2019), S. 104–107. 47 Typisch ist hierfür die Entwicklung in Homburg, berichtet von: Roswitha Mattausch, „Überall wird man von neuen Schönheiten überrascht“. Gärten, Parks und die Homburger „Kurlandschaft“ im 19.  Jahrhundert, in: Roswitha Mattausch/Andrea Pühringer, Mondäne Stadt – idyllische Landschaft. Der Aufstieg Homburgs zum Kur- und Modebad im 19. Jahrhundert, Neustadt/Aisch 2016, S.  69–116, hier S.  72: Früher zur Salzgewinnung genutzte Quellen werden 1809 neu gefasst (Ludwigsquelle) bzw. 1834 neu erschlossen (Elisabethbrunnen). Allgemein zu Wandlungsprozessen: Michael Hascher, Technische Landschaften in der Moderne. Beobachtungen aus der Industriedenkmalpflege, in: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 33 (2020), S. 171–178. 48 Pühringer, Taunus, S. 170f.; Andrea Pühringer/Holger Th. Gräf, Natur und Kur – der Frank­ furter Tourismus in Bad Homburg und Bad Orb von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, in: Ferdinand Opll/Martin Scheutz (Hg.), Fernweh und Stadt. Tourismus als städtisches Phänomen, Innsbruck u. a. 2018, S. 385–408, hier S. 388 (Homburg/Bad Orb). 49 Somm, Elektropolis. 50 E. J. Carter, Breaking the Bank. Gambling Casinos, Finance Capitalism, and German Unification, in: Central European History 39/2 (2006), S. 185–213, stellt die Spielbanken in den Kontext des Umbruchs der Finanzwirtschaft, einschließlich der Spekulationen im sich entwickelnden Aktienmarkt.

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Kennzeichnend für den Wandel ist eine „eigentümliche Urbanisierung“, die gewissermaßen eine Gratwanderung vollziehen musste: Einerseits durfte die Stadt nicht zu groß werden (weshalb sich Wiesbaden problematisch entwickelte), andererseits war gleichzeitig die „verfeinerte Lebensform“ des Bürgertums zu beachten. Dies schließt eine „hochwertige Betreuung der Gäste“ mit ein, selbstverständlich mit einer modernen Infrastruktur.51 Ebenso erwarten die Gäste, dass störende Phänomene der sich entwickelnden Industriegesellschaft möglichst ferngehalten wurden, vor allem Rauch und Lärm: So störte sich Wilhelm Grimm laut seinem Tagebuch am „Langen schwarzen Dampf“ und dem Gestank des Dampfers Marianne. Dieser „flog“ über den Rhein; der „poetische Eindruck“ des Sprachwissenschaftlers und Märchensammlers war aber beeinträchtigt.52 In eine ähnliche Richtung ging die Einführung der Straßenbahn in Bad Homburg: Zwar war sie insgesamt betrachtet ein ähnlicher Erfolg wie die Einführung der Dampfschifffahrt auf dem Rhein, doch da es den Gästen an den betroffenen Straßen zu verkehrsintensiv und laut wurde, fand man Hotels, Villen und Pensionen fortan eher in Querstraßen.53

3.4 Eisenbahn und Kutschen Der Einfluss der Eisenbahn auf die Entwicklung der Kurorte war unbestritten vorhanden und ist gut untersucht.54 Umgekehrt gehen von den Kurorten nach derzeitigem Kenntnisstand aber kaum wesentliche Impulse für die Eisenbahnentwicklung aus, sodass der Bäderverkehr maximal für einen begrenzten Zeitraum ein „Hotspot“ der Entwicklung war. Wenn man so weit gehen will, muss man vor allem auf die Zeit von den Anfängen der Eisenbahn bis etwa 1870 schauen: In den frühen Diskussionen um die Frage, ob und wo überhaupt Eisenbahnen angelegt werden sollten, waren Kurorte ein Nebenargument. Offenbar war Friedrich List und anderen bewusst, dass sich eine für damalige Zeit nicht unerhebliche Menge an – zudem zahlungskräftigen – Reisenden regelmäßig in die Kurorte bewegte. Die Prognosen über mögliche Verkehre bezogen also diese potenziellen Kunden mit ein.55 Allerdings folgte 51

Andrea Pühringer, Das Kurwesen als Motor der Urbanisierung. Stadtplanung und städtische Expansion im 19. Jahrhundert, in: Mattausch/Pühringer, Mondäne Stadt, S. 7–66, hier S. 9f. 52 Viola Bolduan, Wiesbaden und Biebrich, in: Wolfgang Bunzel (Hg.), Romantik an Rhein und Main. Eine Topographie – ein Projekt der Romanfabrik, Frankfurt a. M. unter Mitwirkung des Freien Deutschen Hochstifts und des Literaturlandes Hessen, Darmstadt 2014, S. 271–275. 53 Pühringer, Kurwesen, S. 45. 54 Der Aspekt wird daher auch relativ ausführlich im Welterbeantrag behandelt (Nomination Great Spas, S. 325f.: „The Coming of the railway“). 55 Martin Stingl, Erhöhung des National-Reichthums durch eine nichts consumirende Maschine? Hoffnungen und Ängste bei Badens Start in das Eisenbahnzeitalter, in: Ders. (Bearb.), 175 Jahre Eisenbahn am Oberrhein. „Baden wird ein Weltmarktplatz werden“. Begleitband zur Ausstellung des GLA 2013, Stuttgart 2013, S. 6–17, zitiert Lists Befund (erwähnt auch bei Hascher, Modebäder) zum Fremdenverkehr in Baden (1835) wie folgt: „Jetzt schon ist die Zahl derer, die entweder im Sommer seine Bäder besuchen oder seine romantischen Thäler durchstreifen, [...] bedeutend“ (S. 10).

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der Netzausbau insgesamt primär den Güterverkehrsströmen und erschloss andere Zentren, sodass nur die frühen Stichstrecken nach Wiesbaden, Baden-Baden und (Bad) Homburg in gewissem Maß bemerkenswert sind.56 Die Rolle der Spielbankbetreiber in ihrer Entstehung wurde von der Forschung angerissen, könnte aber sicher – vor allem für die Orte jenseits von Bad Homburg – noch genauer untersucht werden.57 Sicher ist, dass lokale Initiativen, seien sie von privater Seite oder von der Kommune, immer eine gewisse Rolle spielten. Doch dies gilt für alle Linien und schon die Erschließung der Kurorte der 1870er Jahre folgt eher einem auch bei anderen Kleinstädten anzutreffenden Muster, als dass sie besonders wäre.58 Fragt man nach der Ausstattung der Eisenbahnen mit spezifischem Rollmaterial für die Reise in die Kurbäder, so wäre es auch hier interessant, mehr über die frühen Jahre und die Diskussionen mit und in den Eisenbahngesellschaften zu wissen: Dass mit der Gründung der „Compagnie Internationale des Wagons-List“ (CIWL) ab 1872 ein Zeitalter der Luxuszüge begann, bei denen die Kurorte auch wichtige Ziele waren, ist bekannt.59 Ebenso macht die Forschung deutlich, dass auch für diese Zuggattungen die Großstädte sowie die touristischen Ziele am Meer und in den Alpen weit wichtiger waren als die traditionellen Heilbäder. Die auf der breiten Basis der Schweizer Verkehrsgeschichte aufbauenden, vorhandenen Erreichbarkeitsstudien zu alpinen Zielen in der Schweiz könnten unter der Fragestellung der Wechselwirkung zwischen Beliebtheit und Erreichbarkeit sicher noch ausgeweitet werden.60 Spannend wäre aber, mehr über die Nebenrolle zu erfahren, die der Kurortverkehr in der Entwicklung des hochwertigen Reiseverkehrs gespielt hat. Zwei Themen wären dazu genauer zu untersuchen: Zum einen der betriebliche Aspekt des Kurswagensystems, zum anderen die Konzeption und Ausstattung des Wagenmaterials selbst. 56

Aufschlussreiche Karten zum Netzausbau mit Unterscheidung der privaten und staatlichen Initiativen finden sich bei: Ein Jahrhundert unter Dampf. Die Eisenbahn in Deutschland 1835–1919 (Geschichte der Eisenbahn in Deutschland. Katalog zur neuen Dauerausstellung des DB Museums 1), [Nürnberg] 2005, S. 63–66; die Stichstrecken nach Baden-Baden, Wiesbaden (1850 abgebildet) und Homburg (1860) gehören zu den Unterschieden zu den bekannten ersten Netzentwürfen Lists und anderer. 57 Eva Schweibelmeier, Kaiser, Kuren und Casino. Bad Homburg v. d. Höhe. Internationales Modeund Fürstenbad, Bad Homburg 2013, S.  7, 31, beschreibt die Rolle der Brüder Blanc, die an der Homburg-Frankfurter Eisenbahn beteiligt waren; Carter, Breaking, S.  185, erwähnt sie im oben genannten Kontext, allerdings keine anderen Beispiele. 58 In den Arbeiten zur Ortsgeschichte der einzelnen Kurbäder finden sich sicher oft ähnliche Hinweise wie bei Adam T. Rosenbaum, Grounded Modernity, der (S.  39) den Beginn der Initiative für die Zweiglinie nach Bad Reichenhall 1862 verortet und hier (als ungewöhnliche Arbeit aus externer Perspektive) stellvertretend für andere zitiert sei. Generell zum Zustandekommen von Eisenbahnlinien und der Rolle von Eisenbahnkomitees: Susanne Brockfeld, „... wird überall die Eisenbahn zu einer Frage des Seins oder Nichtseins“. Eisenbahnkomitees in Westfalen 1830–1870, in: Wilfried Reininghaus (Hg.), Verkehr und Region im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1999, S. 113–126. 59 Zu den Luxuszügen ausführlich François Caron, Histoire des chemins de fer en France, 2 Bde., Paris 1997/2005, hier Bd. 2, S. 313–315, der neben der Compagnie des Wagons-lits (CIWL – auch Internationale Schlafwagengesellschaft) auch auf die Luxuszüge der anderen Bahngesellschaften eingeht. Dass die klassischen Kurbäder gegenüber Zielen in Hochgebirgen oder an der See nur eine untergeordnete Rolle spielten, wird deutlich bei: Thierry Favre, Eisenbahnplakate, München 2011. 60 Thomas Frey/Hans-Ulrich Schiedt, Die internationale Erreichbarkeit von alpinen Schweizer Tourismuszentren 1850–1930 am Beispiel der Rigi, in: David Gugerli/Kilian Elsasser/Monika Burri (Hg.), Die Internationalität der Eisenbahn 1850–1970, Zürich 2003, S. 219–235.

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Hinsichtlich des Kurswagensystems ist zu bemerken, dass die Frage der Bedienung der Kurorte durch die Eisenbahn und die der Rolle dieser Verkehre für die Eisenbahngesellschaften für die französischen Bäder weit besser untersucht ist als für die anderen Bäderländer. Kurswagen, also Wagen, die an Bahnhöfen an andere Züge angehängt werden, um den Passagieren eine umsteigefreie Reise zum Ziel zu erlauben, spielten in diesem System eine zentrale Rolle.61 Dies gilt für Deutschland prinzipiell ab 1857, auf der für einige Bäder relevanten Strecke Frankfurt am Main– Basel.62 Übersichten über (alle) Verbindungen gab erstmals 1845 das „Kursbuch“ der Thurn- und Taxis-Post. Die eisenbahnhistorische Forschung hat sich mit der Frühzeit des Kurswagensystems nicht tiefergehend beschäftigt, allerdings haben Eisenbahnfreunde einige alte Kursbücher reproduziert.63 Für die Reisezugwagen hat die eisenbahnhistorische Nachrecherche zum auf der Tagung thematisierten Fürstenkongress in Baden-Baden 1860 gewisse Desiderate offenbart: Das Ereignis wäre ja prinzipiell geeignet, den Stand der Entwicklung um diese Zeit wie unter einem Brennglas darzustellen, ist aber leider unzureichend erforscht. Sicher ist, dass Napoleon III. mit dem Zug anreiste, allerdings nur bis Strasbourg, denn die Rheinbrücke nach Kehl (deren Baustelle er unter Umständen auch besucht haben könnte) war erst 1861 fertig.64 Wahrscheinlich ist er in dem Wagen angereist, der heute in der Cité du Train in Mulhouse besichtigt werden kann.65 Auf der anderen Seite hat er sicher die Gleise der badischen Staatsbahn benutzt, unter Umständen mit deren Salonwagen, der wiederum im Verkehrsmuseum Karlsruhe aufbewahrt wird, also mehr oder weniger auch als materielle Quelle zur Verfügung steht.66 Die bis zum Ersten 61

Jacques Poisson, Le voyage aux eaux: histoire de la desserte ferroviaire des stations thermales, in: Revue d’histoire des chemins de fer 31 (2004), S. 201–233. Die ältere Forschung findet sich verarbeitet in: Caron, Chemins de fer, Bd. 1, S. 598–606 (le voyage touristique); Bd. 2, S. 313–321 (zu Expresszügen und Bäderverkehr). Die klassische Studie hierzu ist: Maryse Angelier, Thermalisme et rail, sources de progrès, in: La vie du rail (1983) 1909, S. 4–7; 1910, S. 52–56; 1911, S. 465, auf der sowohl Caron, Chemins de fer als auch die Wikipedia-Artikel zu den „Trains d‘eaux“ aufbauen. 62 Andreas Knipping, 175 Jahre Eisenbahn in Deutschland. Die illustrierte Chronik, München 2010, S. 40. 63 Kursbuch nach Knipping, Eisenbahn, S. 35. Publiziert und über wissenschaftliche Bibliotheken zu finden sind v. a. Peter Schindler, Zug- und Wagenverzeichnis zum Reichs-Kursbuch 1914/ND Pürgen 2005 und Wilfried Biedenkopf, Quer durch das alte Europa. Die internationalen Zug- und Kurswagenläufe nach dem Stand vom Sommer 1939, Krefeld 1981, daneben gibt es CD-Ausgaben, beispielsweise zum bayerischen Kursbuch von 1889, sowie einige Publikationen der (als „citizen scientists“ wichtigen) Eisenbahnfreunde. Beispiele für Fahrplanstudien finden sich bei: Hascher, Modebäder. 64 Zur Brücke Allan Mitchell, The Great Train Race: Railways and the Franco-German Rivalry, 1815–1914, London 2000, S. 49, 62, 65f.; Bilder im Zustand nach 1861 und nach ihrer Zerstörung 1870 bei: Stingl, Eisenbahn. Auf weitere, auch digitalisierte Quellen verweist der gute Wikipedia-Artikel Rheinbrücke Kehl, https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinbr%C3%BCcke_Kehl [Stand: 07.10.2021]. Die neuere Forschung zu Napoleon III. enttäuscht leider im Hinblick auf die Eisenbahngeschichte, den Fürstenkongress oder die Kurorte, abseits von globalen Angaben enthalten weder Klaus Deinet, Napoleon III. Frankreichs Weg in die Moderne, Stuttgart 2019, noch die Arbeiten von Pierre Milza, Napoleon III, Paris 2004; Ders. (Hg.), Napoléon  III. L’homme, le politique. Actes du Colloque organisé par la Fondation Napoléon, Paris 2008, mit weiterführenden Hinweisen. 65 https://fr.wikipedia.org/wiki/Cité_du_train#/media/Fichier:CdT_-_Napoléon.jpg [Stand: 14.10.2021]. 66 Michael Kopfmann, Die Großherzoglich Badische Breitspureisenbahn 1840–1855. Zweiter Teil: Der Fuhrpark, Steinen 2019, S. 121–123.

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Weltkrieg in zwar kleinen Stückzahlen, aber doch bei den meisten Bahnen vorhandene Wagengattung der Salonwagen wurde für die badische Staatsbahn untersucht. Dadurch ist bekannt, dass die Hersteller über Jahrzehnte dieselben waren, potenziell also Wissen über gefragte Neuerungen hätten ansammeln können.67 Leider konnten für den vorliegenden Beitrag keine Hinweise auf Quellen aus diesen Unternehmen oder gar deren Auswertung ermittelt werden, mithilfe derer man die Wechselwirkungen zwischen den Erwartungen hoher Adeliger wie etwa des fremden Staatsoberhaupts, der Ausstattung der Wagen mit Toiletten, Heizung oder ähnlichem Komfort und der Übernahme dieser Elemente in die reguläre Wagenausstattung genauer rekonstruieren könnte. Die ältere Forschung, vor allem Schivelbusch, hatte ja schon den Übergang von der Kutsche zum Durchgangswagen skizziert, an der interessanterweise der in Bad Homburg auch an anderer Stelle tätige Ingenieur Edmund Heusinger von Wald­ egg (1817–1886) beteiligt war.68 Die neuere Forschung nahm eher die Ausstattung mit Toiletten, Speisewagen und Schlafgelegenheiten in den Blick.69 Dennoch bleibt der Bezug zu den Kurorten sehr indirekt. Das Zielpublikum der Luxuswagen wollte sicher auch dorthin, doch sind Entwicklungen der Details bei Reisezugwagen wohl eher nicht spezifisch für den Bäderverkehr. Im Übrigen entfernte sich die Eisenbahn zunehmend von den klassischen Kur­ orten, auch wenn sie ihnen vor dem Ersten Weltkrieg die Höhepunkte der Besucherfrequenz verschuf. Ursula Bartelsheim formulierte das treffend so: „Heilbäder wie Baden-Baden und Wiesbaden waren schon früher Zielorte aristokratischen und großbürgerlichen Reisens gewesen, sie verloren jedoch mit der Eisenbahn ihren exklusiven Charakter.“70 Ziele des sich entwickelnden Massentourismus waren aber mehr die Seebäder und Alpen. Umgekehrt kamen von den Kurgästen eine Zeit lang ein wichtiger Teil der Verkehrseinnahmen der Eisenbahngesellschaften,71 doch die Stärke der Eisenbahn lag klar im Massentransport von Gütern, wie Andreas Knipping deutlich macht:

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Jens Freese/Ernst Andreas Weigert, Die Reisezugwagen der großherzoglich badischen Staatseisenbahnen, Freiburg/Br. 2001. 68 Wolfgang Schivelbusch, Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert, München/Wien 1977, wird (auch in späteren Auflagen) gerne und oft zitiert; zum Abteil S. 67–105. Schöne zeitgenössische Bilder der Wagen des 19. Jahrhunderts und ihrer Ausstattung sowie Literaturzitate bei: Hermann Glaser, Kulturgeschichte der Deutschen Eisenbahn, Gunzenhausen 2009, S. 146–156. Zu Heusinger: Pühringer/Gräf, Natur und Kur, S. 389. Knipping, Eisenbahn, S. 41, schreibt den Seitengang dagegen Richard von Helmholtz (1852–1934) zu. 69 Zum Komfort Caron, Chemins de fer, Bd. 1, S. 313 („WC rudimentaires“ in den Anfängen) und Bd.  2, S.  319–324; für Deutschland: Ursula Bartelsheim, Schlafen und Speisen mit Komfort, in: Dies. (Hg.), Ein Jahrhundert unter Dampf. Die Eisenbahn in Deutschland 1835–1919, Nürnberg 2005, S. 100–103. 70 Ursula Bartelsheim, Sommerfrische, in: Ein Jahrhundert unter Dampf, S. 128–133, hier S. 130. Im Übrigen bemerkt die Autorin auf S. 132 zurecht, dass der Baedeker ein wichtiger Teil der Kommerzialisierung des Reisens war. 71 Caron, Chemins de fer, Bd. 1, S. 601, 608 schätzt er die Bedeutung der „Trains de plaisir“ (d. h. aller Formen besonderer Freizeitzüge auf unter 5 % (wohl der Einnahmen).

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„Mochte die Leichtigkeit der Reise in die Residenzstadt oder ins Kurbad den Nimbus der Eisenbahn prägen, so beweisen dürre Zahlen den wachsenden Vorrang des Güterverkehrs. Die Zahl der Personenkilometer auf Deutschlands Schienen war 1879 hundertmal so groß wie 1840, die Zahl der Tonnenkilometer mehr als 3.800-mal so groß“.72

Als gut erforscht können die Empfangsgebäude der Bahnhöfe gelten. Dass ihre Gestaltung dem anspruchsvollen Publikum Rechnung trug, ist ebenso klar wie die Konzeption von Teilen der Bahnhöfe oder separaten Anlagen als „Fürstenbahnhöfe“.73 Hinsichtlich der Fragen, wie man „Eisenbahnräume“ oder -Landschaften gestaltete beziehungsweise wie die städtebauliche Integration der Bahnhöfe vonstatten ging, gibt es aber sicher noch Bedarf für weitere Studien.74 Im engeren Sinn technik­ historisch, also mit Bezug auf den Bahnbetrieb, sind hier indes kaum spannende Fragestellungen erkennbar. Vielleicht waren angesichts des größeren Aufkommens an Kutschen und weiteren besonderen Transportgütern, die wohlhabende Reisende mit sich brachten, die Verladeeinrichtungen etwas anders ausgelegt. Doch dieser Aspekt ist nicht erforscht.75 Sicherlich würde es sich – für diesen wie andere Aspekte – lohnen, die zu den zahlreichen prominenten Kurgästen vorhandenen Quellen einmal unter dem Blickwinkel einer Kulturgeschichte des Reisens genauer zu untersuchen. Die Studie von Marina Soroka bietet zwar schon einige Befunde, hat aber einen anderen Fokus.76 Weit weniger erforscht als die Eisenbahn, aber durchaus von nicht geringerem Interesse ist der Kutschenverkehr, der auch nach der Eisenbahnerschließung noch lange eine wichtige Rolle im städtischen und regionalen Verkehr behielt. Im Unterschied zu den Bahnhofsgebäuden sind hier kaum Bauwerke erhalten. Die im Baedeker erkennbare vielgestaltige Branche, die durch zahlreiche Anbieter von differenzierten Verkehrsdienstleistungen (Postkutschen, Droschken und Fiaker, Stell- und Gesellschaftswagen, städtische und Hotelomnibusse) geprägt war, wäre noch weite-

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Knipping, Eisenbahn, S. 35–37. Beispielhaft zeigt das die vergleichende Studie von Andrea Pühringer, Zwei ungleiche „Schwestern“? Die Kurstädte Bad Homburg vor der Höhe und Bad Nauheim, in: Alexander Jendorff/ Andrea Pühringer (Hg.), Pars pro toto. Historische Miniaturen zum 75. Geburtstag von Heide Wunder, Neustadt/Aisch 2014, S. 470–497, zum „Fürstenpavillion“ von Bad Nauheim und Fürstenbahnhof von Bad Homburg S. 491–494 (mit älterer Literatur). 74 Diese könnten den architektursoziologischen Ansätzen von Máté Tamáska, Orte der Mobilität. Eine architektursoziologische Skizze zum Wandel von „Eisenbahnlandschaften“ im 19./20. Jahrhundert , in: Siedlungsforschung 36 (2019), S. 165–199, folgen und fänden konkretes Bildmaterial zur Landschaftsgestaltung, also beispielsweise Einschnitten bei: Glaser, Kulturgeschichte. Zur städtebaulichen Integration der Bahnhöfe: Nomination Great Spas, S. 326. 75 Ansätze zur Auswertung von Verkehrsströmen nach einzelnen Gütern finden sich in diversen Streckengeschichten, wie etwa: Michael Hascher, Strecke, Transportgüter, Fahrzeuge. Die technische Anpassung an die Erfordernisse, in: Wolfgang Foit (Hg.), Als die Eisenbahn in unsere Heimat kam. Die Geschichte der Maximiliansbahn München – Holzkirchen – Rosenheim, Holzkirchen 2007, S. 45–64. 76 Marina Soroka, The Summer Capitals of Europe, 1814–1919, Oxford/New York 2017. 73

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re Untersuchungen wert.77 Auch hier könnten sich die Forschungen an Beispielen aus Frankreich orientieren, wo zumindest die Erreichbarkeit der dortigen Kurorte über Chausseen durch die Studie von Poisson erforscht ist.78 Bei der Motorisierung des Straßenverkehrs waren die „Flottenfahrzeuge“ die ersten in den Städten (siehe Abbildung 1).79 Gegenüber der Eisenbahn waren sie aber nur in Ausnahmefällen eine Konkurrenz, sondern meist eine Ergänzung.80 Dagegen wurde der Wettbewerb der Kurstädte durch die Eisenbahn verstärkt: Es war nun einfacher möglich, auch mehrere Kurstädte zu bereisen und in einer nicht mehr so lange zu verweilen (und Geld auszugeben). Zudem dehnte die Eisenbahn die Saison in den Winter aus und mancherorts kamen nun die reicheren Gäste.81 Die Eisenbahngesellschaften entwickelten aber auch regelrecht die Ferienorte am Meer und bauten zum Teil eigene Hotels, was in der Entwicklung des Massentourismus den Hauptstrom noch mehr zu diesen Zielen lenkte.82 Schließlich ist noch eine Quelle interessant, die Marina Soroka zitiert: Es geht um den Rückblick einer alten Frau (der Grand Duchess Elena) auf ihre Bäderreisen in den 1840er Jahren, also bevor Eisenbahnen und Dampfschiffe die Kurorte erschlossen hatten. In diesem Zusammenhang erfahren wir von einer späteren Konsultation von Ärzten wegen des Kohlestaubs der Dampfmaschinen. Diese hielten die Auswirkungen aber für weniger schlimm als „the weeks of cold and rumble-dumble of horse-drawn coaches“.83

3.5 Erschließung der „Kurlandschaft“ Die „Kurlandschaft“ oder auch, wie sie im Antrag genannt wird, „therapeutic and recreational spa landscape“ sollte der Kur dienen und nur sekundär anderen Nutzungen, die von den Gästen meist auch eher geringschätzig bewertet wurden.84 Das bedeutete vor allem, dass sich die Kurgäste zu Fuß durch die Landschaft bewegten. Als 77

Der Straßenverkehr vor dem Auto wird traditionell in England gut untersucht, vgl. beispielsweise Alan Rosevear/Dan Bogart/Leigh Shaw-Taylor, The Spatial Patterns of Coaching in England and Wales from 1681 to 1836: A Geographic Information Systems Approach, in: Journal of Transport History 40 (2019), S. 418–444. 78 Poisson, Voyage, S. 205–209. 79 Christoph Maria Merki, Verkehrsgeschichte und Mobilität, Stuttgart 2008; zum Auto: Ders., Der holprige Siegeszug des Automobils 1895–1930: zur Motorisierung des Straßenverkehrs in Frankreich, Deutschland und der Schweiz, Wien 2002, S. 88–106; Möser, Auto, S. 115f., bemerkt hier: „Bade-Omnibusse ... fuhren rentabler, weil für diese Angebote höhere Preise verlangt werden konnten.“ 80 Caron, Chemins de fer, Bd. 2, S. 316, berichtet von Bussen, konstatiert aber nur für den Autoverkehr nach Deauville eine Konkurrenz. 81 Pühringer, Taunus, S. 151, 154. 82 Ralf Nestmeyer, Hotelwelten. Luxus, Liftboys, Literaten, Stuttgart 2015, hier S. 69–74. 83 Soroka, Summer Capitals, S. 43f. 84 In seinem Abschnitt zur „Produktion der Kurlandschaft“ geht Burkhard Fuhs, Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700–1900, Hildesheim 1992, S. 442–

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Abb. 3: Malbergbahn in Bad Ems, Holzstich. Mit der Malbergbahn errichtete dieselbe Aktiengesellschaft 1887 ein Elektrizitätswerk (rechts unten). Es pumpte das Betriebswasser für die Bahn in das Reservoir auf den Berg und versorgte zugleich das Kursaalgebäude mit Strom. Quelle: StadtA Bad Ems.

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seit 1764 in Spa die Promenaden populär gemacht wurden, war dazu auch ein nach Schwierigkeit gestuftes Netz an Spazier- und Wanderwegen notwendig.85 Doch schon Mitte des 19. Jahrhunderts wusste man es durchaus zu schätzen, wenn es dabei um den Genuss der „durch mannigfache künstliche Hilfe unterstützten Natur“ ging.86 Lange waren diese Hilfsmittel der Esel, aber ab den 1880er Jahren kamen hier Bergund Straßenbahnen hinzu, in Ausnahmefällen auch Aufzüge.87 Diese sind für die hier untersuchten Kurorte in einer vergleichenden Studie von Walter Söhnlein relativ gut untersucht.88 Daher kann konstatiert werden, dass für die Frühzeit dieser Technologien der „Hotspot“-Charakter einzelner Kurorte durchaus von Bedeutung war. Dies trifft sowohl auf die Pferdestraßenbahn in Baden bei Wien (1873) zu, als auch für die Standseilbahnen von Bad Ems (1887) und Wiesbaden (1888) und die Straßenbahn von Bad Homburg (1900).89 Ähnlich wie bei den Eisenbahnanschlüssen gingen allerdings von den späteren Anlagen (wie etwa die Merkurbergbahn in Baden-Baden, 1913) keine technikhistorisch relevanten Impulse mehr aus. Auch in der die Differenzierung des Freizeitverkehrs zu Fuß (Promenieren, Spazieren, Wandern) sowie in der begleitenden „Möblierung“ der Landschaft scheinen die Modebäder den anderen Tourismusorten vorangegangen zu sein: Die eng mit der Kur verbundene Promenade ist eine aus den Orten mit Heilquellen kommende Mode. Ebenso sah man Einrichtungen wie Aussichtstürme scheinbar zuerst dort als sinnvolle Investitionen an.90 Genauere Aufmerksamkeit verdient noch der Wegebau, vor allem

459, auch auf diese Abgrenzung von der Nutzlandschaft der Unterschichten ein, die (aus Sicht der Kurgäste) schlicht Holz sammeln würden, statt sich zu „freuen“ (457f.). 85 Nomination Great Spas, S. 65–67. 86 Adalbert Eduard Danzer, Topographie von Marienbad …, Leipzig 1847, zitiert nach Thomas Gunzelmann, Natur als Innovation. Die Landschaft historischer Kurorte als Therapeutikum, in: Peter Weidisch/Fred Kaspar (Hg.), Kurort und Modernität. Tagungsband zum Symposium in Bad Kissingen 7.–9. März 2014 im Rahmen der transnationalen seriellen Bewerbung „Great Spas of Europe“ um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, Würzburg 2017, S. 99–127, hier S. 107. 87 Zu den Bergbahnen und dem Aufzug in Bad Schandau zuletzt: Volkmar Eidloth, Die ganze Landschaft ein Garten? Historische Kurorte „...und ihre Umgebungen“, in: Ders./Petra Martin/Katrin Schulze (Hg.), Zwischen Heilung und Zerstreuung. Kurgärten und Kurparks in Europa / Between Healing and Pleasure. Spa Parks and Spa Gardens in Europe, Ostfildern 2020, S. 179–197, hier S. 182– 184. Zur „Technisierung der Umwelt“ auch: Irene Haberland/Matthias Winzen (Hg.), Natur und Kulisse. Vornehme Parallelgesellschaften im 19. Jahrhundert. Begleitband zur Ausstellung im Museum LA8 in Baden-Baden, Oberhausen 2017, die auch bemerken, dass die Wanderwege „austauschbar“ seien (S. 38f.). 88 Walter Söhnlein, Klassisches Bad und elektrische Bahn. Bad Homburg als Beispiel für Straßen- und Bergbahnen in frühen Badeorten des 19.  Jahrhunderts, in: Aus dem Stadtarchiv. Vorträge zur Bad Homburger Geschichte 28 (2017), S. 27–60. 89 Ebd., S. 35–39 (Homburg: erste Straßenbahn in einem Ort dieser Größe (unter 15.000 Einwohner), zudem als auch für die Oberschicht passend angesehen); 44 (Wiesbaden/Ems); 48f. (Baden bei Wien – eine der ersten Pferdestraßenbahnen in Österreich-Ungarn). 90 Zu Aussichtstürmen: Volkmar Eidloth, Kleine historische Geographie europäischer Kurstädte und Badeorte im 19. Jahrhundert, in: Volkmar Eidloth (Hg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 2012, S. 15–39, hier S. 32–34 und Ders., Landschaft, hier S. 184–186.

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in der Umgebung jenseits der eigentlichen Parks. Inwieweit dort nur Erfahrungen aus Schlossgärten und ähnlichen Gartenanlagen umgesetzt wurden oder eigenständige Herausforderungen bewältigt werden mussten, ist nicht ausreichend geklärt.91

3.6 Fahrräder, Autos und andere neue Verkehrsmittel Fahrräder und Autos entwickelten sich bekanntlich vom modischen Sportgerät zum Verkehrsmittel. Daher schien es naheliegend, dass die soziale Gruppe der vermögenden Bürger und technikaffinen Adeligen, die anfänglich die Hauptabnehmer dieser technischen Produkte waren, diese auch in den Kurorten nutzten.92 Doch scheint es auch Gründe gegeben zu haben, das nicht zu tun, oder zumindest nicht in dem Umfang, der möglich gewesen wäre. Kurorte sind nicht unbedingt als „Hotspots“ der Automobilisierung zu sehen. Vielmehr ist hier eine differenzierte Betrachtung notwendig: Aus vielen Kurorten gibt es durchaus Bilder und Schriftquellen, die nahelegen, dass frühe Fahrrad- und Autobesitzer in den Modebädern herumgefahren sind, um im Wesentlichen damit zu demonstrieren, dass sie den neuesten Trend kennen. So wurden schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Bath die dort als „Hobby horses“ bezeichneten Laufräder gesichtet.93 Auch einzelne Wettbewerbe auf den Pferderennbahnen (mit Fahrrädern, z. B. in Baden bei Wien) oder Straßenrennen (mit Autos, v. a. in und um Bad Homburg) sind belegt.94 Doch zum Teil scheint man in den Kurorten bei aller Sportbegeisterung im Allgemeinen diese spezielle Form des Sports nicht als „passend“ empfunden zu haben, wobei sich die einzelnen Städte durchaus unterschieden. Der Befund der Baedeker-Recherche, dass Vichy im Baedeker eher autofreundlich erscheint und Karlsbad eher fahrradfeindlich, lässt sich anhand der Forschung wie folgt einordnen: Auf der einen Seite trieb die Stadtväter vieler Kurorte nach der Schließung der Spielbanken die „Furcht vor der Herabstufung zum Rentner-Gesundbrunnen“ um, und die neuen Sportarten galten als willkommene neue Attraktion, die Gäste in die

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Mattausch, Gärten, zum Wegenetz und der Ausstattung S. 71f.; siehe auch Pühringer, Taunus, S. 160, 166–168, zur Bedeutung der Vereine. 92 Zum Gesamtkontext der Verkehrsgeschichte: Fraunholz/Hascher, Verkehrspolitik; Christoph Maria Merki, Verkehrsgeschichte und Mobilität, Stuttgart 2008; zum Auto: Ders., Der holprige Siegeszug; Möser, Autos; Uwe Fraunholz, Motorphobia. Anti-automobiler Protest in Kaiserreich und Weimarer Republik, Göttingen 2002. Zum Fahrrad kommen Anne-Katrin Ebert, Radelnde Nationen: die Geschichte des Fahrrads in Deutschland und den Niederlanden bis 1940, Frankfurt a. M. 2010, und die Werke zum Fahrradjubiläum 2017 hinzu, u. a. Hans-Erhard Lessing, Das Fahrrad. Eine Kulturgeschichte, Stuttgart 2017 und Bettina Gundler (Hg.), Balanceakte. 200 Jahre Radfahren, München 2017. 93 Lessing, Fahrrad, S. 45. Das „Sehen und gesehen werden“ beschreiben Haberland/Winzen, Natur und Kulisse, S. 210f., auch für deutsche Bäder. 94 Nomination Great Spas, S. 350–353.

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Abb. 4: Vier Badener mit Hoch- und einem Niederrad, 1893. Quelle: StadtA Baden bei Wien.

Stadt brachte.95 Sie lassen sich allerdings auch als Erweiterung des Behandlungsspektrums interpretieren oder – zusammen gerade mit Radfahren und Autorennen als Beleg für den Modernitätsanspruch des jeweiligen Kurorts.96 Dieser scheint zumin-

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Peter Hölzle, Baden-Baden, in: Wolfgang Niess/Sönke Lorenz (Hg.), Kult-Bäder und Bäderkultur in Baden-Württemberg, Filderstadt 2004, S.  25. Er ordnet in diesen Kontext der Attraktionen das Sportbad, den Tennisclub (1881) und den Flugplatz (1910) ein; zur noch in den 1880er Jahren „darniederliegenden“ Stadt zitiert er Mark Twains Reisebericht (S. 22). Die Entwicklungen anderer Kurorte, bei denen sich hinsichtlich des Sports wiederum Bad Homburg hervortat (vgl. Pühringer, Taunus, S. 151, mit der älteren Literatur). 96 Zum Behandlungsspektrum: Vanja/Wunder, Die Taunusbäder, S. 13; zur Modernität: Pühringer, Taunus, S.  161: „Darüber hinaus sind die neu eingeführten Sportarten […] Radfahren ebenso wie die um die Jahrhundertwende ausgetragenen Autorennen ein weiterer Beleg für den Anspruch der Modernität eines Kurortes.“

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dest unterschiedlich ausgeprägt gewesen zu sein, was bei der gegenseitigen Profilierung der Kurorte, die gerade in vergleichenden Studien sehr deutlich wird, auch wenig überrascht.97 Die Gesellschaft im gut erforschten Bad Homburg hat offenbar stark auf die Mode der Mobilität gesetzt: 1886 gab es dort einen ersten „Bicycle Club“, 1904 war die Stadt Ausrichter des internationalen Gordon-Bennett-Rennens, 1907 des Kaiserpreisrennens und 1910 sowie 1911 der Prinz-Heinrich-Fahrten.98 Keine andere der untersuchten Städte war auf beiden Feldern so früh beziehungsweise so prominent vertreten.99 Andererseits war die Begeisterung für das Fahrrad wohl tatsächlich eine schnelllebige Modeerscheinung, wie Roswitha Mattausch berichtet: Südöstlich der alten Anlagen bestand eine Radfahrbahn, „allerdings nur so lange, wie das Radfahren eine teure und exklusive Sportart war. Als es sich zum allgemeinen Fortbewegungsmittel entwickelte, musste die Bahn der Erweiterung des Golfplatzes weichen.“100 An das Auto als Verkehrsmittel hatten sich die – auch auf die technikbegeisterte Kaiserfamilie ausgerichtete – Homburger Stadtführung offenbar so gewöhnt, dass sie 1905 die Altstadt mit einer Brücke überqueren ließen, die den Verkehr von Automobilen und Straßenbahn erleichterte und auch als erster „Fly-over“-Deutschlands bezeichnet wird.101 Zumindest Bad Homburg wird man also guten Gewissens als „Hotspot“ des Individualverkehrs bezeichnen können – neben den Seebädern wie Nizza, deren Rolle in der Automobilisierung bekannt ist.102 Anderenorts war man offenbar der Ansicht, dass sich Autorennen generell nicht mit dem Ruhebedürfnis eines Kurortes vertrugen und stellte diese entweder ein oder ließ sie gar nicht erst zu.103 So wird man beispielsweise die Entwicklung in Baden-Baden als bemerkenswert einstufen können, aber nicht als ganz so „heiß“ wie in Homburg.104 Schließlich scheinen die Bäder kein Ort für Flugpioniere gewesen zu sein. Gerade hier versuchte Baden-Baden, sich mit der Beteiligung an der Gründung der „Deutschen Luftschifffahrt AG“ als besonders modern zu profilieren. Doch sicherlich fand die Hauptentwicklung der Luftschifffahrt und der Luftfahrt generell anderswo statt.105

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Pühringer, Zwei ungleiche „Schwestern“; Pühringer/Gräf, Natur und Kur. Schweibelmeier, Kaiser, S. 52f. 99 Merki, Der holprige Siegeszug, S. 285, erwähnt sonst nur noch die „meist am Rande von Pferde­sportoder Konzertwochen in mondänden Kurorten (!) wie Cannes, Baden-Baden, Luzern, St. Moritz“ abgehaltenen „Schönheitswettbewerbe“. In der Fußnote werden hier auch Wiesbaden und Homburg erwähnt. Zu den Rennen und Tourenfahrten: Ebd., S. 247–283; Möser, Auto, S. 28f., 70–77. 100 Mattausch, Gärten, S. 83. 101 Schweibelmeier, Kaiser, S. 33. 102 Merki, Der holprige Siegeszug, S. 143, 268f. 103 Stellvertretend diese Ansicht referierend: Hölzle, Baden-Baden, S. 25. 104 Zu den Veranstaltungen und Bauten für das Auto in Baden-Baden: Hascher, Modebäder, S. 167f. 105 Ebd., S. 169. Haberland/Winzen, Natur und Kulisse, S. 233, zeigen ein Plakat für Zeppelinfahrten, auf dem Baden-Baden als einzige Kurstadt ein Ziel ist. 98

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3.7 Luxushotels Die Geschichte der Hotels ist, v. a. im Hinblick auf Kurorte, relativ gut erforscht. In der Entwicklung der Hotelarchitektur spielte der Bau des Hotels „Badischer Hof“ unter Nutzung eines ehemaligen Klosters in Baden-Baden zweifellos eine wichtige Rolle. Danach verlagert sich aber der Schwerpunkt der Entwicklung, gerade auch hinsichtlich der technischen Ausstattung, auf Bauten in den Großstädten und Tourismusorten in den Bergen oder am Meer.106 Die kaum zu überschätzende Bedeutung der Hotels für die Entwicklung der technischen Ausstattung von Gebäuden beschrieb Ralf Nestmeyer so: „Egal ob Zentralheizung, Zimmer mit eigenen Bädern, Wasserklosetts, elektrisches Licht, Fahrstühle oder Telefonanschlüsse – fast immer waren diese Neuerungen in den Hotels viel früher installiert worden als in den privaten Wohnungen und Häusern.“107 Hotels waren also tatsächlich eine Art „Hotspot“ oder ein „Laboratorium“ der Technikentwicklung. Wie weit das aber für die Hotels der Kurorte galt, müsste noch genauer erforscht werden. Sicher ist, dass sie sich schwerer taten, mit den neuen Erwartungen der Gäste umzugehen als die Hotels der Großstädte. Während Anfang des 19.  Jahrhunderts die Hotels der Kurorte noch Trends setzen konnten, waren sie in den 1880er Jahren mit – dort gewachsenen – Ansprüchen konfrontiert, die als „Standard“ erwartet wurden.108 Diese Ausstattungsstandards betrafen die oben angesprochenen Bereiche der sanitären Anlagen (Bad und WC), Heizung, Licht und Elektrizität allgemein, Aufzüge und Kommunikation. Da die Entwicklung der sanitären Anlagen eng mit den Badeanstalten verknüpft war, wird diese im nächsten Abschnitt genauer behandelt. Wegen der Nähe zu den Kurbädern oder eigenen therapeutischen Einrichtungen im Hotelkomplex wurde in vielen Häusern lange auf eigene Bäder verzichtet. Wenn es diese Ausstattung dann doch gab (wie in Baden-Baden ab 1876), wurde sie daher umso aufmerksamer registriert. Bis sich Zimmer mit eigenen Bädern in den Hotels verbreiteten, dauerte es allerdings noch bis Ende der 1890er Jahre, und zum allgemeinen Standard waren sie bis zum Ende des Betrachtungszeitraums nicht geworden.109

106

Nestmeyer, Hotelwelten, S. 35–37; zuvor schon Hasso Spode, Das Hotel, in: Voyage. Jahrbuch für Reise- und Tourismusforschung 9 (2011), S. 10–31, hier S. 14f.; Ulrich Ott (Hg.), Der Badische Hof: 1807–1830. Cottas Hotel in Baden-Baden, Marbach 1997; Maria Wenzel, Palasthotels in Deutschland. Untersuchungen zu einer Bauaufgabe im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Hildesheim u. a. 1991, zum Badischen Hof, S. 82–85. Wenzel vergleicht explizit Hotels in Kurorten und anderen „mittleren und großen Städten“. 107 Wenzel, Palasthotels, S.  74, ähnliche Aufzählungen bei Vanja/Wunder, Die Taunusbäder, S.  14; Pühringer, Taunus, S. 161; Spode, Hotel, S. 16; Soroka, Summer Capitals, S. 47. 108 Wenzel, Palasthotels, S. 81, 103f. 109 Ebd., S. 33 (Hotels bei Sanitäranlagen als Vorbild für Wohnungsbau), 44f., 54, 90, 103 (Badischer Hof baut sanitäre Anlagen ein), 122–124 (Palasthotel Wiesbaden hat nach Umbau 1902–05 Bäder in allen Zimmern),  172, 178.

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Varianten an Heizung gab es viele. Oft wurde die Art der Heizung aber weder kommentiert noch ist sie aus Plänen ersichtlich. Dementsprechend facettenreich ist der Befund im Baedeker, dem Katalog von Wenzel oder anderen Quellen. Eine einordnende Behandlung, die auch das Fernheizwerk in Bad Nauheim miteinschließt und nach den Wechselwirkungen mit anderen Großbauten (Wohnblöcke, Industriebauten, Kasernen) fragt, steht meines Wissens noch aus.110 Licht war in den Einleitungen der frühen Baedeker-Bände ein großes Thema, allerdings waren damit eine Kerze, eine Lampe oder ähnliches gemeint, die man mit auf das Zimmer nahm und die beispielsweise in der Schweiz mal kostenlos und mal einen Franken wert sein konnten.111 Abgesehen davon wird die Beleuchtung – im Baedecker wie in der Forschung – bemerkenswert selten thematisiert oder sie erscheint lediglich in Aufzählungen.112 Dasselbe gilt tendenziell für die Elektrizität und die Anwendung von Gas in den Kurhotels, obwohl es hier in der Menge elektrizitätsgeschichtlicher Werke eventuell noch Untersuchungen gibt. Beide hängen natürlich in der Regel (hauseigene E- oder Gaswerke gab es in den untersuchten Kurorten nicht) von einer städtischen Infrastruktur ab, die später untersucht wird. Relativ gut erforscht wurden in den letzten Jahren die Aufzüge. Jüngst untersuchte Peter Payer diese in Wien, wo es auf dem europäischen Kontinent schon ab den 1870er Jahren relativ viele Aufzüge gab, vornehmlich in Hotels.113 Im Baedeker, so stellte interessanterweise Andreas Bernard in einer früheren Studie fest, gab es bis 1880 keinerlei Erwähnung von Aufzügen, dann aber bis 1910 ständig. Häufig wurden die Aufzüge zusammen mit Elektrizität und Zentralheizung erwähnt, aber meist prominenter herausgestrichen.114 Leider fehlen auch hier Hinweise auf Kurorte, sodass es noch ein Desiderat bleibt, diesen Aspekt genauer zu beleuchten. Schließlich sind verschiedene Formen der Kommunikation in den Quellen ein Thema. So berichtet Soroka aus Vichy von Beispielen, in denen es im Hotel ein eigenes Postamt gab, das von 6:30 Uhr bis 20 Uhr geöffnet war, seltsamerweise begleitet von einem Telegrafenamt mit versetzten Öffnungszeiten (7–21 Uhr).115 Nach

110

Zur Wohnraumheizung gibt es immerhin die Studie von: Manfred Seifert, Technik-Kultur, das Beispiel Wohnraumheizung, Dresden 2012, die allerdings nicht richtig ausgewertet werden konnte. Selbst wenn diese stark auf den Kachelofen fokussiert ist, scheint sie einen größeren Überblick geben zu können als die zahlreichen Untersuchungen zu einzelnen Typen, Zeiten oder Räumen. Das von Pühringer, Taunus, erwähnte, für Bad Homburg verfügbare digitale Gebäudebuch (www.lagis-hessen.de/de/dgb [Stand: 03.08.2022]) bietet hier sicher noch Möglichkeiten für vertiefte Recherchen. 111 Baedeker, Schweiz, 1876, 1882, 1888. 112 Nestmeyer, Hotelwelten, S. 75f., erwähnt Gasleuchten (zusammen mit Bädern und Wasserklosetts) im Tremont Hotel Boston, schon 1829; elektrisches Bogenlicht 1879 im Hotel Kulm in St. Moritz und komplette Ausstattung des New Yorker Hotels Everett in den 1880er Jahren (daneben noch die Zen­tralheizung 1864 im Exchange Hotel Boston). Kurbäder kommen hier nicht vor. 113 Peter Payer, Auf und Ab. Eine Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien, Wien 2018. 114 Andreas Bernard, Die Geschichte des Fahrstuhls. Über einen beweglichen Ort der Moderne, Frankfurt a. M. 2006. 115 Soroka, Summer Capitals, S. 47.

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Nestmeyer sollen die ersten Telefongespräche Ende der 1870er Jahre von Londoner Hotels aus geführt worden sein.116 Daneben gab es hausinterne Kommunikationsanlagen wie Klingeln oder Lichtsignalanlagen.117

3.7 Infrastruktur der Bäder Zur Architekturgeschichte der Bauten, die zum Baden in bzw. Trinken von Heilwasser zur Verfügung standen, wurde viel geschrieben.118 Seltener untersucht ist die konkrete technische Ausstattung, wie sie etwa beim Sprudelhof in Bad Nauheim genauer beschrieben wurde.119 Jenseits der Selbstverständlichkeit, dass sich Bäder­ orte durch Bäderarchitektur auszeichnen, sind diese hinsichtlich der technischen Ausstattung nur einer von mehreren Anwendungsorten. Wie im Bereich der In­ frastruktur üblich, wird die Ausstattung in den Quellen selten direkt thematisiert. Im Baedeker finden vor allem die Bohrungen eine gewisse Aufmerksamkeit (z. B. in Kissingen, Homburg, Nauheim). In der Forschung wird die Bedeutung des Effektes – dass man durch die Bohrungen neue Quellen mehr oder weniger guter Qualität hat – durchaus gewürdigt. Es wird auch der Übergang vom Bohren nach Sole für die Salzgewinnung zur Bohrung nach Mineralwasser für den Versand oder für Kuranwendungen thematisiert.120 Wie aber genau gebohrt wurde und welche Wechselwirkungen es zwischen der Entwicklung der Bohrtechnik und der Erschließung neuer Mineralquellen gab, ist noch wenig untersucht. Sicher ist nur, dass es auf der einen Seite seit dem 16. Jahrhundert erste Formen einer Art Heilquellenschutz gab und dass die Möglichkeit der Erstellung von Tiefbrunnen die Hydrogeologie ebenso beförderte wie den Massenmarkt an Mineralwasser.121 Zu beachten wäre dabei auch der Einfluss des Erdölbohrens, den Friedrich P. Springer wie folgt beschreibt:

116

Nestmeyer. Hotelwelten, S. 76. Wenzel, Palasthotels, S. 32. Danach ersetzten etwa ab den 1880er Jahren elektrische Telegrafie und Lichtsignalanlagen die akustischen Systeme. 118 Einen guten Überblick geben die Literaturverzeichnisse des Sammelbandes: Eidloth, Europäische Kurstädte; kleinere Ergänzungen finden sich in den seither erschienenen Sammelbänden. 119 Britta Spranger, Jugendstil in Bad Nauheim. Vom Golddesign zum Sichtbeton, Darmstadt 2010, S. 165–180, kontextualisiert bei Pühringer, Taunus, S. 160. 120 Pühringer, Zwei ungleiche „Schwestern“, zu den Bohrungen S. 482f., 486, danach erschlossen in Nauheim die „Bohrungen 1823, 1855 [...] Möglichkeit therapeutischer Nutzung“, was für Homburg bereits 1810 der Fall war. In Bad Kissingen liefen Kurstadtentwicklung und Saline noch bis 1868 nebeneinander her; Denis A. Chevalley/Stefan Gerlach, Stadt Bad Kissingen, München 1998, v. a. Sabine Bock, Die Kissinger Salinen, S. LXI–LXVIII und Erwähnungen auf S. XXIX–XXXV, XLIV–XLVI. 121 Nomination Great Spas, S. 327–329. 117

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„Vom Schwerpunkt der kommerziellen Nutzung war die Tiefbohrtechnik bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Suche nach Wasser, Heilquellen, Salzen, Erzen, Kohle und mit der Förderung der flüssigen Medien verbunden. Dann rückte die Suche und Förderung von Erdöl und etwas später von Erdgas in den Vordergrund, ohne dass das Bohren die Bedeutung für die anderen Anwendungen verloren hat.“122

Sofern nicht Badehäuser direkt über den Quellen errichtet wurden, sind Bohrungen ja nur der erste Schritt zur weiteren Nutzung – sei es als Mineralwasser, zum Baden oder zum Herstellen von Siedesalz. Die Prozesse der Herstellung und Installation der dazu notwendigen Rohre, Armaturen, Becken und Behälter waren seit dem 18. Jahrhundert erheblichen Veränderungen ausgesetzt, die einerseits die verwendeten Materialien, andererseits die Technik der Produktion und Installation betrafen. Der vom Baedeker in Baden bei Wien als Werkstoff benannte Asphalt – aber auch die „gewöhnliche“ Keramik (Steingut, Porzellan) – könnte prinzipiell als Ausgangspunkt von Untersuchungen rohstoffhistorischer Aspekte der Kurgeschichte werden.123 Aus der Herstellung und Installation von Sanitärtechnik erwuchsen im Laufe der Zeit einige darauf spezialisierte Industrieunternehmen sowie das Installationsgewerbe als Handwerk.124 Der Markt dafür entwickelte sich letztlich wohl schon in den Kurbädern, denn die Ausstattung der Badehäuser, denen dann die der Thermalbäder, später Badezimmer und Toiletten in den Hotels und schließlich in den Privathäusern folgten,125 waren große Aufträge. Natürlich gab es in diesem Prozess verschiedenste Konkurrenzen und Wahlmöglichkeiten, z. B. für oder gegen Bleirohre, für gewalzte oder gegossene Rohre, für Steingutbecken, Emaille oder Porzellan und vieles mehr.126 Diese könnten auf lokaler Ebene genauer untersucht werden,

122

Friedrich P. Springer, Zur Geschichte der Tiefbohrtechnik aus der Perspektive von Lehr- und Fachbüchern, in: EEK – Erdöl, Erdgas, Kohle 125 (2009), S. 308–314, hier S. 308f. 123 Zum Asphalt gibt es eine Publikation, die nicht ausgewertet werden konnte: Eduard Zirkler, Asphalt – ein Werkstoff durch Jahrtausende, Isernhagen 2001. Eine künftige Studie könnte sich methodisch an den in den letzten Jahren verbreiteten Ansätzen zur „Stoffgeschichte“ orientieren. Zu diesen zuletzt: Nora Thorade, Die Kohlenwäsche. Ein Stoff-Technik-Netzwerk im 19.  Jahrhundert, in: Technikgeschichte 88 (2021), S. 287–312. Schon länger gibt es die Buchreihe „Stoffgeschichten“, deren bekanntester Band wohl folgender ist: Joachim Radkau, Holz – wie ein Naturstoff Geschichte schreibt, München 2007/32018. 124 Dies zeigen beispielhaft die von der Firma „Hansgrohe“ herausgegebenen Schriften, von denen für den vorliegenden Artikel Udo Pfriemer/Friedemann Bedürftig, Aus erster Quelle … Eine Sanitärchronik vom Ursprung bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Schiltach 2001, am ergiebigsten ist. 125 Als Beispiel wird ebd., S. 430f., die Ausstattung der Häuser der Hotelkette „Ritz“ (gegründet 1898) mit einem Bad pro Zimmer genannt. Die Firma Hans Grohe wuchs aus einem Installationsbetrieb für Wasserleitungen (S. 436). 126 Eine stellvertretende Auswahl: ebd., S. 385f. (Steingut), 390–394, 413 (Blei), 426 (Mannesmann-Rohre),  430–436 (Installationsbedarf). Zur Technikgeschichte des Badezimmers jetzt auch: Nina Lorkowski, Warmes Wasser – weiße Ware. Energiewende im Badezimmer 1880–1939, Paderborn 2021; von der älteren Literatur beachtlich ist die Studie, die ein frühes Wellnessresort in den USA (mit Elektrotherapie u. ä.) behandt: Carolyn Thomas de la Peňa, Recharging at the Fordyce. Confronting the Machine and Nature in the Modern Bath, in: Technology and Culture 40/4 (1999), S. 746–769.

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Abb. 5: Maschinenzentrale Bad Nauheim. Quelle: Hiltrud Hölzinger.

bei gleichzeitiger Beachtung der globalen, umwelthistorischen Perspektive, dass die Hygienebewegung, die dahinterstand, auch zur Steigerung des Wasserverbrauchs führte, was diesen Aspekt wiederum mit der städtischen Infrastruktur verband.127

3.8 Infrastruktur der Kurorte Besser erforscht als die technische Gebäudeausstattung der Bäder und Hotels ist die städtische Infrastruktur. Auch hier ist ein genauerer Blick eher ernüchternd und lässt eine gewisse Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit vermuten: Einen „Hotspot“ für die Entwicklung der Orte stellten sie wohl nicht dar. Den Anspruch skizzierte 127

Generell zur Wasserver- und -entsorgung aus umwelthistorischer Perspektive: Uekötter, Strudel, S. 254–265.

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Andrea Pühringer jüngst wie folgt: „Viele Badeorte verdankten dem Kurwesen nicht nur ihren Eisenbahnanschluss, sondern darüber hinaus infrastrukturelle Innovationen, die der gesamten Stadt zugute kamen, etwa die Einführung der Gas-, später der Strombeleuchtung, sowie die Anlage von Kanalisation und zentralem Schlachthof, die für Städte dieser Größe relativ früh erfolgte.“128 Betrachtet man diese Bereiche genauer, so ist die „relativ frühe“ Ausstattung der Kur­ orte mit diesen Infrastrukturen kaum durch vergleichende Studien belegt:129 Diese müssten einerseits über die Ortsgeschichten von Kurorten und etwa gleichgroßen Kleinstädten erfolgen und andererseits die Fachliteratur auswerten, was an dieser Stelle nicht geleistet werden kann. Es ist zu vermuten, dass jenseits der Metropolen und Großstädte kleinere Industriestädte den Kurorten voraus waren oder zumindest gleichauf lagen. Ausgangspunkt vergleichender Studien könnte Bad Nauheim sein, dessen 1905 bis 1911 errichtete Infrastrukturbauten für Strom, Heizung und Wäsche die Frage aufwerfen, wie und wo genau dieser Bedarf denn anderswo gedeckt wurde. Ein knapper Blick auf die einzelnen Bereiche der Infrastruktur ergibt folgendes Bild: Bei der Telegrafie ist durch die „Emser Depesche“ bekannt, dass sie 1870 dort vorhanden war. Frühere Belege finden sich jenseits der Ortsliteratur für Wiesbaden (1854).130 Die Verbreitung des Telegrafen belegt indirekt die von Soroka zitierte Quelle, dass dieser die „instant communication“ ermöglicht habe: Wenn ein Hotelier in Royan erfuhr, dass in Deauville die Preise höher waren, erhöhte er diese ebenfalls.131 Die Telegrafie dürfte die meisten Orte zusammen mit der Bahn erreicht haben. Kurz danach, in wenigen Fällen auch kurz davor, kamen die Gaswerke: In Homburg etwa ist dieses 1859 belegt. Es wurde interessanterweise vor dem Bahnanschluss errichtet – d. h. die ersten Kohlen mussten über die Straße transportiert werden – aber beeindruckend früh ist diese Entwicklung auch wieder nicht.132 Nach Gaswerk und Bahn kam in Homburg schon 1861 die Wasserversorgung, was in der Tat relativ früh ist (die Wiener Hochquellenleitung, die auch Baden bei Wien berührte, kam erst 1873; einige Großstädte hatten 1861 schon eine Fernwasserversorgung). Die Ab128

Pühringer, Taunus, S.  160. Der Artikel zu Kurorten (https://www.duhoctrungquoc.vn/wiki/de/ Kurstadt#Weltbad [Stand: 14.10.2021]) geht im Abschnitt „Weltbad“, dort „Infrastruktur und Versorgung“ noch weiter: „Ein Weltbad bot trotz der geringen Zahl an Einwohnern den Gästen allen zeitgenössischen Komfort, der damals noch nicht einmal in allen Großstädten üblich war. Dazu gehören guter Verkehrsanschluss, Kommunikationsmöglichkeiten (wie Telegrafie und Telefon auf dem jeweils neuesten Stand), luxuriöses Warenangebot, differenzierte Hotellerie und Gastronomie sowie modernste Technologie beispielsweise hinsichtlich der Energieversorgung oder der Wasserver- und Abwasserentsorgung.“ 129 Bei Great Spas werden neben dem Verkehr nur sehr pauschal „sewage and drainage“ sowie „flood prevention“ (Nomination Great Spas, S. 327) genannt. In den neueren Sammelbänden wird dieser Aspekt ebenso wenig genauer betrachtet. 130 Horst A. Wessel (Hg.), Strom ohne Grenzen. Internationale Aspekte der Elektrotechnik, Berlin/ Offenbach 2008, S.  71. Zur Emser Depeche, die ältere Literatur resümierend: Julia Zons, Casellis Pantelegraph. Geschichte eines vergessenen Mediums, Bielefeld 2015, S. 219–221. Vgl. dazu auch den Beitrag in diesem Band. 131 Soroka, Summer Capitals, S. 44. 132 Schweibelmeier, Kaiser, S. 31.

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Abb. 6: Kurmittelhaus und Quellenturm: 1906 wurde über einer besonders starken Thermalquelle dieser Hochbehälter errichtet, der fortan die Badehäuser mit Thermalwasser versorgte. Quelle: StadtA Bad Ems.

wasserentsorgung dagegen lag nach den Worten Schweibelmeiers „lange im Argen“: Nachdem 1867 ein Hauptkanal gegraben war, dauerte es bis 1890, bis die Homburger Kläranlage in Betrieb genommen wurde. Bei anderen Städten wurden die Kläranlagen bislang wenig thematisiert, was für Infrastrukturen generell eher die Regel als die Ausnahme ist.133 Wie die Idylle aufrechterhalten wurde, wenn noch keine technische Infrastruktur bereitstand, hat Hans-Jürgen Sarholz in einem kleinen, aber wichtigen Beitrag zu Bad Ems untersucht: Dort kam die Wasserversorgung erst im Jahr 1874 (für Trinkwasser erst 1907), was bedeutete, dass bis dahin die Mägde, Laufburschen und andere „Dienstbare Geister“ viel zu tun hatten. Größte steuerzahlende Gruppe in der Klassensteuerliste 1870 waren denn auch Mägde/Dienstmädchen (492) vor den

133

Ebd. Zur Infrastruktur generell: Dirk van Laak. Alles im Fluss. Die Lebensadern unserer Gesellschaft – Geschichte und Zukunft der Infrastruktur, Bonn 2019. Dass für Abwassersysteme lange Bauzeiten nicht ungewöhnlich sind, zeigt das bei Pfriemer/Bedürftig, Sanitärchronik, S. 388, angeführte Beispiel der Kanalisation von München, die 1862 bis 1892 errichtet wurde.

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Tagelöhnern (245).134 Die Kanalisation kam in Bad Ems dann 1908, was insofern ins Bild passt, als Hermann Sommer schon 2001 festgestellt hatte, dass um 1900 in Bad Ems viele Einrichtungen als veraltet galten. Elektrische Beleuchtung kam erst 1901 und Telefon erst 1902.135 Hinsichtlich der elektrischen Beleuchtung wiederum ist einem neueren Sammelband zu entnehmen, dass (in Österreich-Ungarn) nach den Großstädten erst die kleinen Industriestädte – also nicht die Kurorte – elektrifiziert worden waren. Breite vergleichende Untersuchungen, aus denen man die Kurorte heraussuchen könnte, wurden dort aber nicht publiziert.136 Ein early adopter der Elektrizität war aber sicherlich die Stadt Ems, die für die Malbergbahn schon 1887 ein Elektrizitätswerk errichtete.137

3.9 Industrie und Handwerk Ausgeschlossen werden kann eine wichtige Entwicklung der Kurorte für die Industrialisierung. Vielmehr ist dort eine besondere Form der Industrie und des Handwerks zu finden, die aber ebenso noch genauerer Erforschung bedarf. Auffällig sind auf den ersten Blick folgende Merkmale: Einerseits gehörte es wohl zum Kern des Selbstbildes der Kurorte, „industriefreie Städte“ (Fuhs) zu sein.138 Andererseits war in manchen Städten der Export von Mineralwasser und anderen mit dem Kurbetrieb verbundenen Produkten (Karlsbader Sprudelsalz und Oblaten, Emser Pastillen u. ä.) ein Wirtschaftszweig, auf den man als Stadt kaum verzichten konnte. In manchen Orten waren gerade die Wassermarken eng mit dem Stadtmarketing verknüpft, „Spa“ und „Vichy“ waren ähnlich bekannt wie „Evian“ und „Vittel“ heute. Das in Krüge oder Flaschen abgefüllte Mineralwasser war auch in den Trinkhallen anderer, konkurrierender Bäder zu haben und in diesem Wettbewerb spielten ebenso Orte mit Mineralquellen wie etwa Niederselters eine Rolle, in denen sich nie ein Badeoder Kurbetrieb entwickelt hatte. Der spätestens seit dem 16. Jahrhundert betriebene Wasserversand erreichte schon in vormoderner Zeit industrielle Ausmaße. Nach

134

Hans-Jürgen Sarholz, „Dienstbare Geister“ in Bad Ems – der schöne Schein und ein Blick hinter die Kulissen, in: Vanja/Wunder (Hg.), Die Taunusbäder, S. 119–132, hier S. 121–124. 135 Hermann Sommer, Stationen eines Kurbads im 19. Jahrhundert – Bad Ems, in: Michael Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 2001, S. 101–131, hier S. 124. 136 Frank Dittmann/Günther Luxbacher (Hg.), Geschichte der elektrischen Beleuchtung, Berlin 2017. 137 Astrid Pötz. Die Malbergbahn. Zur Geschichte eines technischen Denkmals, Bad Ems 1987. Ich danke Hans-Jürgen Sarholz für den freundlichen Hinweis und die Scans. 138 Fuhs, Mondäne Orte, S. 405–408; Vanja/Wunder, Die Taunusbäder, S. 15; Jane M. Adams, Healing with Water. English Spas and the Water Cure, 1840–1960, Manchester 2015, S. 70.

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seiner Ausweitung im 19. Jahrhundert gab es daher an vielen Kurorten eben doch eine Industrie und zwar eine, die sogar Innovationen wie die Vakuumbefüllung von Flaschen (J. A. Hecht, 1822) hervorbrachte.139 Wie dies mit dem Image der Kurstädte vereinbart wurde, zeigen die überlieferten Bauten: das Krugmagazin in Kissingen (1838) stammt noch aus der vorkurstädtischen Zeit, die Flaschenabfüllung in Františkovy Lázně (1872) wurde dagegen im Neo-Barock dekoriert, während eine Anlage mit derselben Funktion in Montecatini Terme relativ nüchtern blieb.140 Die andere Strategie war, die Industriebetriebe – ähnlich wie die Infrastruktureinrichtungen – in die „Hinterhöfe“ der Städte jenseits des Bahnhofs zu verbannen.141 In diesen „Hinterhöfen“, aber durchaus nicht nur dort, entwickelten sich bei näherer Betrachtung auch andere Industriebetriebe, selbst solche, die auch indirekt nichts mit dem Kurbetrieb zu tun hatten. Gut untersucht sind diese Aspekte aber bislang allenfalls für Bad Homburg.142 Neben der Regulierung der Produktion vor Ort wäre in künftigen Studien auch die Folge davon zu untersuchen. Unbenommen davon, dass es klar ist, dass Kurstädte eher „konsumorientierte Städte“ (Eidloth) waren, wäre es doch beispielsweise interessant zu wissen, wie groß die stärkere Abhängigkeit von der Belieferung mit Waren war und auf welche Bereiche sie sich bezog.143 Ein weiterer Aspekt ist das Nebeneinander von klassischer Rohstoffnutzung (zu der eigentlich auch der Mineralwasserversand gehört) in den Salinen und der – zumindest für die seit dem 18. Jahrhundert sich neu als Kurorte erfindenden Städte – neuen Form der Nutzung für Kuranwendungen. Bad Kissingen ist sicher ein gutes Beispiel einer Transformation.144 In Bad Nauheim dagegen spielte die Saline noch länger eine Rolle, in Bad Reichenhall gibt es bis heute eine aktive Salzindustrie.145 Wie sich diese „unvollständige Transformation“ auf die Identität der Stadt oder die Entscheidungen der Stadträte und Bürgermeister auswirkten oder diese damit zusammenhing, könnten weitere Studien zeigen. Eine Orientierung könnte dabei die Untersuchung von Somm geben, die den Sonderfall Baden (Aargau) behandelt, wo genau das Gegenteil geschah: Aus einer sehr traditionellen Kurstadt, die politisch fest in der Hand der an der Kur Interessierten war, wurde unter bestimmten Bedingungen eine Industriestadt, ja sogar eine „Company Town“ des Elektromaschinenkonzerns BBC.146

139

Nomination Great Spas, S. 326f., 353f.; zum Wasserversand auch Vanja/Wunder, Die Taunusbäder, S. 13; Pühringer, Taunus, S. 169f. 140 Spas of Europe, S. 67 (Krugmagazin), 353 (Flaschenabfüllungen). 141 Ebd., S. 326 („backyard“). 142 Pühringer, Rauchende Schlote. 143 Zur Abhängigkeit Vanja/Wunder, Die Taunusbäder, S. 17. 144 Nomination Great Spas, S. 67. 145 Zu Bad Reichenhall: Rosenbaum, Grounded Modernity; zu Nauheim: Pühringer, Zwei ungleiche „Schwestern“, S.  483: Erst Bohrungen 1823 und 1855 erschlossen die Möglichkeit zur therapeutischen Nutzung. 146 Somm, Elektropolis.

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4. Fazit Um am Ende noch einmal auf die eingangs gestellten Fragen zurückzukommen: Was hat die vorliegende Erkundung nun hinsichtlich der wechselseitigen Impulse von Kurstadtentwicklung und Technikgeschichte ergeben? Für die Kurstädte wurde die bekannte Rolle der Eisenbahn, die bis 1870 deutliche Impulse für die erschlossenen Badeorte mit sich brachte, bestätigt und Fragen für weiterführende Untersuchungen skizziert. In bescheidenem Umfang resultierten umgekehrt aus dem Luxusreiseverkehr Impulse auf die Technikentwicklung des Systems Eisenbahn. Der Nachweis der spezifischen Rolle der Kurbäder dürfte aber kaum zu erbringen sein. Dasselbe gilt für die Luxushotels dieser Zeit, bei denen keine Ansätze gefunden wurden, die über das bekannte Beispiel des Hotels „Badischer Hof“ hinausgingen. Die nächsten Impulse aus der Technik suchten sich die Modebäder oder einzelne dort ansässige Akteure nach der Krise, die auf den Gründerboom 1871 bis 1873 und das Spielbankverbot 1872 folgte. Dabei gab es durchaus verschiedene Strategien und Zeitpunkte, zu denen diese Maßnahmen ansetzten. Manchmal ist auch nicht ganz klar, inwieweit man von „Maßnahmen“ sprechen kann, etwa wenn es um die Gründung von Radfahrvereinen im Kontext der Sportbewegung geht. Generell war der Sport ab den 1880er Jahren sicher eine der Strategien zur Attraktivitätssteigerung, die am frühesten greifbar sind. Danach folgten ab den späten 1880er Jahren Investitionen in technische Hilfsmittel zur Erschließung der Kurlandschaft, vor allem Berg- und Straßenbahnen. Diese waren in ganz unterschiedlichem Maße mit anderen Investitionen verbunden, etwa in Elektrizitätswerke (Bad Ems) oder – nicht völlig, aber zumindest etwas abhängig von den städtischen Entscheidungen – technische Ausstattungen von Hotels und Badehäusern. Impulse aus den Kurstädten in die Technikentwicklung können hier kaum ausgemacht werden. Allerdings steckt in dieser „Welle“ an Neuerungen seit den 1880er Jahren auch ein gewisser Modernitätsanspruch, dem in Einzelfällen doch eine gewisse Relevanz über die Kurorte hinaus zugestanden werden kann: Die starke Orientierung von Bad Homburg an der Automobilisierung (Rennen, Fly-over) blieb unter Umständen, und vor dem Hintergrund der Anwesenheit der Kaiserfamilie, nicht ohne allgemeine Folgen. Doch im Einzelnen müsste das sicher noch genauer untersucht werden. Ähnlich, aber nicht so deutlich, verhält es sich mit dem Engagement von Baden-Baden in der Luftschifffahrt. Bei Letzterem muss auch überlegt werden, ob dieses Engagement (und andere Maßnahmen nach 1905) nicht – den Periodisierungsvorschlägen von Maria Wenzel folgend147 – eine Art Reaktion auf die Überschreitung der Höhepunkte in der Kurgastfrequenz war, die sich zwischen 1905 und 1914 abzeichnete und sich beispielsweise in (zumindest vereinzelten) Klagen über Überkapazitäten in den Hotels abzeichnete. Schlussendlich bleiben viele interessante Fragen für weitere Forschungen, was ja in der Wissenschaft nicht ungewöhnlich ist. Daher haben sich sowohl der Welterbeantrag der „Great Spas“ als auch die Tagung des Münsteraner „Instituts für 147

Wenzel, Palasthotels, gliedert den Zeitabschnitt nach 1871 nochmal mit den Zäsuren 1895 und 1905.

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vergleichende Städtegeschichte“ auf jeden Fall gelohnt. Die zahlreichen Quellen, die durch Studien der letzten Jahre erschlossen wurden, verhelfen der Stadtgeschichte, der Kulturlandschaftsforschung und der Denkmalpflege zu neuen Erkenntnissen. Die Rolle der Modebäder in der Technikgeschichte ist nicht so groß, wie man hätte vermuten können. Sie ist aber auch nicht so klein, als dass es nicht sinnvoll wäre, sie noch weiter zu erforschen.

5. Anhang: Ausgewertete Bände des „Baedeker“ Karl Baedeker, Handbuch für Reisende in Deutschland und dem österreichischen Kaiserstaat: nach eigener Anschauung und den besten Hülfsquellen (Erster Theil): Österreich, Süd- und Westdeutschland, Coblenz, 51853. Weitere Auflagen (wechselnde Titel, Zählung nach „Süddeutschland“): 1855 / 1864 / 1876 / 1882 / 1888 / 1890 / 1906 / 1909. Ders., Österreich-Ungarn nebst Cetinje, Belgrad, Bukarest. Handbuch für Reisende, Leipzig 231892. Weitere Auflagen (wechselnde Titel, Zählung nach „Österreich“): 1895 / 1898 / 1903 / 1907 / 1910. Ders., Die Rheinlande, Schwarzwald, Vogesen. Handbuch für Reisende, Leipzig 31 1909 Weitere Auflage („Rheinland“): 1912. Ders., Nordwest-Deutschland: von der Elbe und der Westgrenze Sachsens an, nebst Hamburg und der Westküste von Schleswig-Holstein. Handbuch für Reisende, Leipzig 261899. Weitere Auflagen („Nordwestdeutschland“): 1908 / 1914. Ders., Belgien und Holland, nebst Luxemburg. Handbuch für Reisende, Leipzig 14 1878. Weitere Auflagen („Belgien und Holland“): 1888 / 1904 / 1914. Ders., Great Britain: Handbook for Travellers, Leipzig 1889. Weitere Auflagen („Great Britain“): 1906 / 1910.

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Ders., Sud-Est de la France, Leipzig 71901. Weitere Auflage: 1910. Ders., Oberitalien mit Ravenna, Florenz und Livorno: Handbuch für Reisende, Leipzig 171906. Ders., Die Schweiz nebst den angrenzenden Teilen von Oberitalien, Savoyen und Tirol, Leipzig 181879. Weitere Auflagen („Schweiz“): 1881 / 1887 / 1893 / 1895 / 1897 / 1903 / 1905 / 1907 / 1909 / 1911.

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INDEX DER ORTS- UND PERSONENNAMEN

In dieses Register sind Orte, Länder, Regionen, Gebirge und Gewässer sowie Personen aufgenommen, wobei Standespersonen nach Territorien geordnet wurden.

Aachen 32, 46, 67, 85, 95, 259, 322, 325, 333, 340, 396, 398, 403f. Abbazia 296, 304, 308, 310, 312f., 374f. Acosta Stokes Lydig, Rita (1875–1929) 280 Adria 58, 296, 354, 359, 375 Adriaenssen, Alexander (1587–1661) 283 Adrianopel 245 Afrika 286 Ägypten 136, 281 Aist 214 Aix 162 Alexanderbad 90, 239, 241 Alexandra (Hl. † 303) 140 Allenbach 343 Alliprandi, Giovanni Battista (um 1665–1720) 29 Alpen 16f., 78, 116, 120, 177f., 214, 320f., 357, 362, 365, 370f., 375, 428, 437, 439 Amerika 141, 149, 165, 252, 450 Améry, Jean (1912–1978) 37 Amsterdam 185, 231, 254, 354 Angely, Louis (1787–1835) 177, 181 Anguinet, Bénita (1819–1887) 176, 180 Anna (Hl.) 141 Anninger 359 Antogast 84 Arago, François (1786–1853) 276 Arban, Jean-Baptiste (1825–1889) 203 Arbues, Pedro (um 1441–1485) 289–291 Arco 234, 236, 242, 296, 303 Arkadien 320

Armagh 135 Arnim, Achim von (1781–1831) 342f. Bettine von (1785–1859) 342f. Freimund von (1812–1863) 345 Arnstadt 239, 241 Aschaffenburg 395, 416 Aspang 255 Assmannshausen 225f., 230 Aussee 33, 96, 239, 241, 296, 298, 305, 374 Ausseerland 378 Aussig/Ústí nad Labem 225, 250, 252 Auvergne 48, 160, 164 Babelsberg 390f. Baden (Großherzogtum) 87, 103–105, 110f., 122f., 142 Friedrich I. Großherzog von (1826– 1901) 103f., 123 Luise Großherzogin von (1838–1923) 103, 108 Max Prinz von (1867–1929) 143 Wilhelm Prinz von (1829–1897) 103, 143 Baden im Aargau (Schweiz) 15, 17, 31, 54f., 82, 85, 88, 95, 343, 425–427, 434, 455 Baden bei Wien 12, 20, 24, 26, 31–33, 41, 45, 53f., 64, 79, 82, 84f., 96, 101, 103, 173, 226, 230, 233, 235, 238, 296f., 303f., 334, 351–359, 366f., 369–373, 377f., 423f., 426–430, 443–445, 450, 452 Baden-Baden 10, 15, 22f., 24, 30–32, 34–36,

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Index der Orts- und Personennamen

42, 44, 50f., 53, 56–58, 64, 67f., 72f., 78f., 82, 85–87, 90, 92, 94, 101, 103–105, 107– 113, 115, 118, 123f., 142–145, 153, 159, 184, 201–203, 230, 235, 237, 286, 294, 322, 335, 345, 353, 355, 414, 421, 423–430, 434, 437–439, 443, 446f., 456 Badenweiler 82, 84, 90, 227, 343, 397, 411, 426–430 Baden-Württemberg 203 Baedeker, Karl (1801–1859) 421 Bagno Vignoni 83 Baikalsee 101 Bajae 83 Balde, Max (1844–1900) 303 Baldwin, James (1924–1987) 61 Baltazzi, Henry (1858–1929) 357 Balzarek, Mauriz (1872–1945) 56 Bamberg 415 Barcelona 61, 230f. Bartelsheim, Ursula 439 Basel 339, 438 Bath 23, 64, 74, 83, 85, 101, 197f., 205, 274, 421, 423f., 426f., 429, 444 Baumann, Alexander (1814–1857) 177 Bayern 104, 128, 273, 298, 405, 414, 428f. Ludwig I. König von (1786–1868) 51, 284, 404, 406 Maria Anna Sophie Kurfürstin von (1728– 1797) 316 Maximilian II. Joseph König von (1811– 1864) 103f., 106, 108 Bayreuth 202, 315 Wilhelmine Markgräfin von (1709–1758) 315, 317, 334 Bečva 236 Beethoven, Ludwig van (1770–1827) 31, 199 Beldes/Bled 295 Belgien 421, 427–429, 433 Belzer, Bernhard (1830–1907) 143 Benatti, Josef 51 Bénazet (Familie) 42 Eduard (1801–1867) 44 Jean Jacques (1778–1848) 87 Benedetti, Vincent Graf (1817–1900) 102, 114f., 117

Benedix, Roderich (1811–1873) 177, 179 Benois, Leonti (1856–1928) 137 Bensheim 90 Berg, Armin/Weinberger, Hermann (1883–1956) 132 Max (1870–1947) 414 Berger, Erna (1900–1990) 204 Bergmann, Richard (1919–1970) 358 Berlin 18, 21, 39f., 73, 99, 104f., 107f., 114–117, 123, 153f., 178, 180, 182, 185, 245, 256, 258f., 270, 272f., 276, 280f., 292, 388, 405 Berlioz, Hector (1803–1869) 202 Bernhard, Thomas (1931–1989) 165 Bernus, Moritz (1843–1913) 132 Beust, Friedrich Ferdinand Graf von (1809– 1886) 105, 112 Biarritz 162, 166, 373 Biebrich 423, 429 Biehn, Heinz (1908–1975) 21 Biermann, Karl-Eduard (1803–1892) 387 Bilin/Bílina 216, 223, 234, 238, 241, 246 Billing, Hermann (1867–1946) 411 Bilse, Benjamin (1816–1902) 201 Birch-Pfeiffer, Charlotte (1800–1868) 108 Bismarck, Otto Fürst von (1815–1898) 99, 103, 108f., 112–119, 122, 124f., 289 Bitzan, Rudolf (1872–1938) 412 Blanc, François (1806–1877) 87, 91, 273, 286, 437 Louis (1806–1850) 91, 437 Blondin, Charles (1824–1897) 201 Ernst 281 Blumenthal, Oskar (1852–1917) 39f. Bockenheim 319 Bocklet 79, 84, 90 Böhmen 15, 18, 42, 204, 228, 354f. Böhmermann, Jan 165 Boll 88, 90 Bond Head, Francis (1793–1875) 141 Bonn 154 Borkum 49f. Born, Elisabeth (1862–1954) 277f.

Index der Orts- und Personennamen

Börne, Ludwig (1786–1837) 139 Borsay, Peter (1950–2021) 267 Borsig, August (1804–1854) 388f. Bosch, Georg 415 Johann Baptist (1873–1932) 405, 407, 414–416 Boschan, Friedrich (1818–1882) 210, 233, 258, 262 Bosnien-Herzegowina 54 Boston 448 Bott, Karl 218 Brahms, Johannes (1833–1897) 202 Braunfels 85 Breisig 96 Brenner, Anton Alois 92 Breslau 18, 60, 414 Bresslmair, Lorenz (1848–1882) 298 Brieg 82 Brix, Adolph (1798–1870) 388 Broggi, Luigi (1851–1926) 143 Brouwer, Adriaen (1605–1638) 283 Brückenau 84, 90, 273, 335, 395 Brünn/Brno 297 Brüssel 185, 230, 276 Buchenthal 239, 241 Bucher, Lothar (1817–1892) 116 Budapest 213, 225, 227, 255, 353 Buenos Aires 358 Buff, Charlotte (1753–1828) 346 Bulgarien Alexander I. Fürst von (1857–1893) 54 Ferdinand I. Zar von (1861–1948) 308 Bülow, Hans von (1830–1894) 202 Bundesrepublik Deutschland siehe Deutschland Burgenland 354 Bürgenstock 227 Camberg 71, 84 Cannes 162, 446 Cannstatt 87 Canterbury 135, 138 Carnegie, Andrew (1835–1919) 281 Carracci, Annibale (1560–1609) 283 Chabert, Antoine (1774–1850) 87

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Chartres 285 Chicago 40 Chilcot, Thomas (1707–1766) 198 China 165 Christaller, Walter (1893–1969) 69 Christie, Agatha (1890–1976) 165 Cobden, Richard (1804–1865) 165 Colberg 230 Colmar 15 Corinth, Lovis (1858–1925) 271 Cork 279 Correggio, Antonio da (1489–1534) 283 Corrodi, Hermann (1844–1905) 87, 286f. Cosmar, Alexander (1805–1842) 180 Côte d’Azur 298 Crantz, Heinrich Johann Nepomuk (1722– 1799) 18f. Cromwell, Oliver (1599–1658) 287 Czyhlarz, Rudolf Ritter von (1833–1914) 357 Daguerre, Louis (1787–1851) 296 Dantscher, Kaspar (1878–1944) 415 Darmstadt 104, 385, 411, 416 Mathildenhöhe 137 Davos 157, 200, 364 Deauville 441, 452 Delling, Carl Philipp von 316f. Den Haag 236 Denemy, Christian (1817–1878) 173 Gottfried (1810–1891) 173f., 177f., 181, 187 Karoline (1823–1894) 173 Dennerlein, Kathrin 149 Detmold 175, 178 Deutsches Kaiserreich 34, 114, 133, 143, 145, 170, 263, 270, 272, 394f., 407f., 412f. Kaiser und Kaiserinnen Augusta (1811–1890) 103, 108, 142 Friedrich III. (1831–1888) 285 Wilhelm I. (1797–1888) 52, 54, 102–109, 112–117, 122, 125, 319, 400 Wilhelm II. (1859–1941) 79, 270f., 287 Deutsches Reich (HRR) Kaiser und Kaiserinnen Eleonora II. (1630–1686) 15

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Index der Orts- und Personennamen

Joseph II. (1741–1790) 52 Leopold I. (1640–1705) 15 Rudolph II. (1552–1612) 331 Deutschland 17f., 50, 63, 94, 103f., 108f., 111f., 114f., 129, 138, 159, 182, 186, 204, 226, 228, 231, 239, 241, 267, 289, 292, 297, 370, 375, 390, 394, 405, 415, 421, 428, 430, 438, 440, 446, 457 Dielmann Weber, Nathan von 133 Diem, Karl (1866–1936) 19 Dieppe 162 Diez, Hermann (1866–1939) 264 Disdéri, Adolphe-Eugène (1819–1889) 299 Döbling 221, 238, 244f. Donau 221, 253, 359 Donaustauf 405 Donizetti, Gaetano (1797–1848) 175 Döring, Albert Jacob Gustav (1795–1863) 319 Dorna 263 Dostojewskij, Fjodor (1821–1881) 61, 95, 143, 158, 160, 162, 341–343 Drachholz, Hermann (1861–1915) 305 Dresden 23, 185, 221, 289, 344, 411f., 414 Driburg 42, 84, 90, 340 Dürer, Albrecht (1471–1528) 88 Durm, Josef (1837–1919) 397 Düsseldorf 115f., 269, 286, 289 Dvořák, Antonín (1841–1904) 200 Dyckerhoff & Widmann (Unternehmen) 385, 405, 407, 412–414, 416 Dyckerhoff, Eugen (1844–1924) 413 Ebner-Eschenbach, Marie von (1830–1916) 32, 223 Eckermann, Johann Peter (1792–1854) 16 Eger/Cheb 79, 238, 240, 252, 340 Egger, G. A. 210 Ehrenbreitstein 344 Eidloth, Volkmar 17, 66, 432, 455 Elbe 29, 253 Elbekosteletz/Kostelec nad Labem 199 Elberfeld 280, 303 Elbeteinitz/Týnec nad Labem 199 Eliot, George (1819–1880) 151

Elster 228, 233–235, 238 Ems 11, 24, 26, 30, 33f., 44, 51, 64, 67, 71, 74, 79, 82, 84–88, 95f., 101–103, 114–119, 122–124, 134, 137, 139f., 144, 154, 229–231, 234f., 283f., 315–320, 322f., 333, 339, 342–344, 421, 423f., 426–431, 442f., 452–454, 456 Enders, Siegfried Rudolf Carl Theodor 128 Engadin 364 Engel, Moritz Paul (1844–1897) 46 England 66, 86, 141, 145, 197f., 266, 289, 347, 358, 379, 429, 441 Ennstal 214 Enval 160, 162, 164 Epsom 83 Essen 84 Estland 371 Europa 9, 26, 48f., 61, 110, 115, 120, 128, 149, 169, 180, 221, 296, 364, 394, 407, 412, 416, 420, 431 Eywo, Hans 359 Fachingen 86 Fennhals (Familie) 298 Fischau 84 Fischbach 86 Fischer, Theodor (1862–1938) 238, 241, 245, 398 Fläsch 17 Flaubert, Gustave (1821–1880) 160 Flechsig, Robert Ferdinand (1817–1892) 17, 19, 82, 259 Flechtheim (Familie) 281 Alfred (1878–1937) 281 Flegel, Georg (1566–1638) 285 Flinsberg/Świeradów-Zdrój 228 Folz, Hans (um 1435/40–1513) 82 Fontane, Theodor (1819–1898) 152f., 155f., 161 Ford, Ford Madox (1873–1939) 156, 160 Forges-les-Eaux 83, 85 Foucault, Michel (1926–1984) 22, 41, 148, 386 Fox Talbot, William Henry (1800–1877) 296 Fraenkel, Albert (1848–1916) 257f. Frain an der Thaya/ Vranov nad Dyjí 262 Franken 395

Index der Orts- und Personennamen

Frankenhausen 95 Frankfurt am Main 73, 109, 112, 132, 141, 156, 231, 258, 268f., 271f., 276f., 283, 285f., 319, 411, 438 Frankreich 46, 48, 82f., 87, 94, 104, 108, 110, 114, 117–119, 141, 164, 271, 421, 428, 441 Kaiser, Kaiserinnen und Könige Eugenie (1826–1920) 105 Louis-Philippe I. (1773–1850) 87 Napoleon III. (1808–1873) 48, 104–106, 111, 114, 118, 122, 438 Napoleon Bonaparte (1769–1821) 120, 269, 319 Franz, Gottfried (1846–1905) 330 Franzensbad/Františkovy Lázně 32, 34, 36, 64, 79, 101, 144, 198, 210, 213, 216f., 221–223, 226, 230, 233, 238, 240–242, 245f., 251f., 257–259, 262, 264, 296, 308, 340, 426–429, 434 Frascati 286 Freytag, Gustav (1816–1895) 180 Frick, Henry Clay (1849–1919) 273, 281 Friedrichsdorf 67 Fürth 319 Fürstenberg, Karl Egon III. Fürst zu (1820– 1892) 103 Furttenbach, Joseph (1591–1667) 88 Gagarin, Fürst Grigorij (1810–1893) 143 Gagarina, Fürstin Yekaterina Grigoryevna (1844–1920) 143 Gagern, Heinrich von (1799–1880) 107 Gainsborough, Thomas (1727–1788) 274 Galen, Christoph Bernhard von (1606–1668) 15 Galizien 18, 49, 255 Gardasee 242, 309 Garmisch-Partenkirchen 298 Gärtner, Friedrich von (1791–1847) 394 Gastein 16, 24, 32f., 46, 54, 82, 99, 103, 112, 165, 213, 230f., 296f., 303, 322, 353f. Gehler, Willy (1876–1953) 414 Genscher, Hans-Dietrich (1927–2016) 101 Geppert, Julius (1856–1937) 257f. Gerning, Johann Isaak von (1767–1837) 83

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Gerolstein 86 Gettke, Ernst (1841–1912) 178 Giddens, Anthony (geb. 1938) 382 Gideon, Sigfried (1888–1968) 394 Gießen 125 Giesshübl-Puchstein 215, 238, 241, 246, 263 Gladstone, William Ewart (1809–1898) 287f. Glaise von Horstenau, Edmund (1882–1946) 16 Glatz, Sebastian (1837–1909) 39 Gleichenberg 33, 49–51, 84, 223, 226, 228f., 231, 304, 308, 312 Glücklich, Wilhelm Heinrich (1837–1912) 287 Gmunden 96 Goebbels, Joseph (1897–1945) 16 Goethe, Johann Wolfgang von (1749–1832) 16, 147, 155, 271, 345f. Goetz, Josef (1777–1839) 20 Theodor (1806–1885) 135 Goldmann, Ferdinand 140 Goldschmidt, Siegfried (1877–1926) 75 Gonzenheim 287 Gorbatschow, Michail (1931–2022) 101 Gottgetreu, Martin (1813–1885) 388 Gounod, Charles (1818–1893) 202 Gradlitz/Choustníkovo Hradiště 90 Gramont, Antoine Alfred Agénor de (1819– 1890) 116 Gravelet, Jean-François (1824–1897) 201 Graz 231, 239, 241, 297f., 360, 362 Griechenland, Amalie Königin von (1818– 1875) 317 Gries/Gries-San Quirino 232, 296 Griesbach 72, 84 Grimm, Jacob (1785–1863) 130, 177 Wilhelm (1786–1859) 60, 85, 130, 177, 436 Großbritannien 20, 83, 85, 94, 109f., 119, 145, 289, 367, 421, 428 Könige und Königinnen Alexandra (1844–1925) 286 Anna (1665–1714) 197 Edward VII. (1841–1910) 44, 52–54, 124, 286

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Index der Orts- und Personennamen

Elisabeth I. (1533–1603) 197 Victoria (1819–1901) 142 Gross-Ullersdorf/Velké Losiny 223 Gung’l, Johann (1818–1883) 201 Güntz, Justus Edmund (1838–1903) 257, 259 Güntzer, Augustin (1596– um 1657) 15 Gutenbrunn 84 Haberland, Irene 321f. Häberlin, Carl Ludwig (1784–1858) 389f. Hackländer, Friedrich Wilhelm (1816–1877) 180 Hader, Josef (geb. 1962) 165 Hailmann, Philipp (1832–1903) 268 Hainauer, Oscar (1840–1894) 272f. Hall (Oberösterreich) 33, 231f. Hallein 210 Halm, Friedrich (1806–1871) 180f., 186 Halter, Martin 165 Hamburg 73, 178, 181, 213, 255, 268, 393, 411 Hamburger, Emil W. 210, 233, 257f. Hameln 171 Händel, Georg Friedrich (1685–1759) 198 Hanau 95, 324 Hannover 245, 276, 285, 346 Georg V. König von (1819–1878) 103f. Harburg 210, 251 Härdtl, August Freiherr von (1822–1901) 19 Harrach, Ernst Adalbert von, Kardinal (1598–1667) 15 Harrogate 83 Haselhuhn, Anton Theodor (1844–1885) 287 Hauerz 84 Hausmann, Raphael (1912) 49 Robert (1852–1909) 202 Havel 388f. Hay Drummond, Arthur (1833–1900) 276 Katherine Louisa (geb. 1837) 276 Haydn, Joseph (1732–1809) 198f. Heilmann & Littmann (Unternehmen) 408 Ida (1871–1944) 408 Jakob (1846–1927) 408 Helfer, Wilhelm (geb. 1864) 308, 310, 312 Heringsdorf 50

Herkulesbad/Băile Herculane 243 Hernals 261 Herschel, William (1738–1822) 198 Hersfeld 96 Herzogenberg, Johanna von (1921–2012) 21 Hesse, Hermann (1877–1962) 343 Hessen 140 Hessen und bei Rhein, Ernst Ludwig Großherzog von (1868– 1937) 416 Ludwig III. Großherzog von (1806–1877) 103f. Mathilde Großherzogin von (1813–1862) 317 Hessen-Darmstadt, Ludwig X. Landgraf von (1753–1830) 90 Hessen-Homburg, Elizabeth Landgräfin von (1770–1840) 137 Friedrich II. Landgraf von (1633–1708) 67 Hessen-Kassel, Carl Landgraf von (1654–1730) 73 Wilhelm IX. Landgraf von (1743–1821) 324 Hessen-Rheinfels, Ernst I. Landgraf von (1632–1693) 141 Heydt (Familie) 280 August Freiherr von der (1851–1929) 280 Hilmar, Frantisek Matej (1803–1881) 199 Hinteregger, Josef (1852–1905) 310 Hintertaunus 140 Hirschenkogel 367, 372 Hirschfeld, Christian Cay Lorenz (1742– 1792) 333 Hobsbawm, Eric (1917–2012) 268 Hocheder, Carl (1854–1917) 395 Hoffmann, E. T. A. (1776–1822) 150 Friedrich (1660–1742) 342 Philipp (1806–1889) 134, 142 Hofgeismar 90, 337 Hofmann, Johanna 181 Hofmannsthal, Hugo von (1874–1929) 305f. Hohenzollern (Familie) 104, 108, 114–117, 122 Leopold Fürst von (1835–1905) 115f. Hohenzollern-Sigmaringen, Karl Anton Fürst von (1811–1885) 103, 105

Index der Orts- und Personennamen

Holbein, Hans d. J. (1497/98–1543) 283 Franz Ignaz von (1779–1855) 180 Holland 141, 254, 268, 270, 427 Holler, Christian (1819–1903) 137 Holzhausen 84 Holzmeister, Clemens (1886–1983) 55 Holzner, Josef (1853–1935) 298f., 305 Homburg 24, 32, 38, 44, 51, 56, 60, 67, 71, 73–75, 77, 79, 81, 84–87, 89, 92, 94, 96, 111, 137f., 144f., 150, 158f., 170, 232, 234f., 265f., 269, 271–273, 275–283, 285–294, 340, 375, 399f., 423f., 426f., 429f., 435–437, 439, 443–446, 448f., 452f., 455f. Hörling, Johann Conrad (1819–1883) 19 Huber, Johann Nepomuk 298 Hufeland, Christoph Wilhelm (1762–1836) 18, 334, 342 Hunsrück 343 Iburg 84 Iffezheim 44 Illyrien 389 Innerpeffray 276 Innokentij von Irkutsk (um 1680–1731) 136 Irland 197, 298 Isar 415 Ischl 11, 19f., 24–26, 32–34, 37–41, 45, 49, 51–57, 59, 62, 171–181, 183–188, 296–298, 303, 305f., 310f. Isler, Iwan Iwanowitsch (1810–1877) 200f. Italien 33, 42, 82f., 110, 132, 143, 223, 241, 269f., 280, 286, 359, 372, 421, 427, 429, 433 Jacobi, Louis (1836–1910) 138, 400 Jahn, Karl Wilhelm (1816–1891) 52 Jalta 53 Janssonius, Joan (1588–1664) 332 Japan 204 Jelzin, Boris (1931–2007) 101 Jena 248 Jerusalem 41, 287 Joachim, Joseph (1831–1907) 202 Johannes, Bernhard (1846–1899) 298, 307 Johannisbad/Janské Lázně 213, 231, 234

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Jordan, Julius (1864–1907) 276 Jost, Wilhelm (1874–1944) 56, 398 Kalisch, David (1820–1872) 180 Kaltenleutgeben 239, 241 Kammerer, Emil (1846–1901) 215 Karlsbad/Karlovy Vary 15f., 20, 24, 26, 30, 32, 34–36, 43, 45f., 53, 56, 58, 64, 71, 82, 85, 101–103, 131f., 144, 147f., 153, 184, 198–200, 221f., 238, 246, 251, 274f., 296f., 309f., 326, 331, 335, 339, 342, 353–355, 373, 423–431, 444, 454 Karlsbrunn/Karlova Studánka 227, 234, 238 Karlsruhe 26, 58, 84, 87, 143, 293, 385, 397, 410–414, 438 Kärnten 18, 354 Karpaten 236 Katzenelnbogen 141 Kaukasus 101 Kaulbach, Wilhelm von (1805–1874) 277, 289–292 Kehl 438 Kelheim 406 Kestner, Johann Christian (1741–1800) 346f. Kiel 333 Kiel, August (1813–1871) 176 Kiew, Wladimir I. Swjatoslawitsch Großfürst von (um 960–1015) 136 Kirchschlag bei Linz 214 Kirdorf 76 Kissingen 51, 64, 79, 84, 96, 99, 101, 103, 121, 144, 153, 155, 203f., 237, 259, 268, 353, 393f., 401–403, 407–412, 416f., 422–432, 449, 455 Klecker, Trude (geb. 1926) 372 Klein-Glienicke 389 Kleinoscheg, Max (1862–1940) 360 Kleist, Heinrich von (1777–1811) 180 Klenze, Leo von (1784–1864) 405f. Kliegl, Johann (1808–1883) 203 Kneipp, Sebastian (1821–1897) 130 Koblenz 344 Kohl, Helmut (1930–2017) 101 Kohn, Erwin (1911–1994) 358 Köln 289

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Index der Orts- und Personennamen

Kolovrat, Marie Elisabeth von 15 Königgrätz/Hradec Králové 115 Königstein 84f. Königswart/Lázně Kynžvart 227, 231 Könnemann, Miloslav (1826–1890) 202 Konstantinopel 271 Konstantinsbad/Konstantinovy Lázně 226 Kopenhagen 42, 108 Koppensteiner, Carl 174f., 188f. Koscher, Jenny 39 Köstritz 232 Krabbe, Johannes Siegmund (1839–1901) 52 Krain 18 Krapina-Töplitz/Krapinske Toplice 82, 228, 231f., 234f., 238 Krems 359 Kreuznach 72, 414 Krieau 356 Krim 109f. Kroatien 18, 228, 235, 241 Kronberg 85 Kronthal 84–86 Krynica/Krynica-Zdrój 232, 234 Krziwanek, Rudolf (1843–1905) 303, 305f., 311 Kühn, Johann Gottlieb 18 Kuks/Kukus 29, 90 Kurz, Mathilde 173f., 181 Labitzky, August (1832–1903) 200 Joseph (1802–1881) 198–200 Lade, Adolf (1826–1869) 142 Laer 84 Lahn 44, 140, 316–319, 344, 431 Lamberg, Johann Maximilian Reichsgraf von (1608– 1682) 15 Judith Rebecca von (gest. 1690) 15 Lange, Johann 40 Langenschwalbach siehe Schwalbach Langensteinach 84 Langer-Kauba, Mizzi (1872–1955) 381 Langhans, Jan Nepomuk (1851–1928) 303 Lanner, Joseph (1801–1843) 199 Largajoli, Franz (1838–1898) 298f., 301

Large, David Clay (geb. 1945) 23 Las Vegas 61 Laurent, Joseph (1853–1923) 403f. Lavanttal 377 Le Havre 410 Lehar, Franz (1870–1948) 47 Leipzig 250, 258f., 414 Lely, Peter (1618–1680) 287 Lenbach, Franz von (1836–1920) 277, 287f. Lenné, Peter Joseph (1789–1866) 138, 324, 336 Lersch, Bernhard Maximilian (1817–1902) 19 Lesage, Alain-René (1668–1747) 150 Leuchtenberg, Maria Maximilianowa von (1841–1914) 143 Leukerbad/Loèche-les-Bains 61, 82, 87 Levy, Ludwig (1854–1907) 143, 397 Liebenstein 171, 223 Liebenzell 82 Liebermann, Max (1847–1935) 271 Liechtenstein, Johanna Beatrix Prinzessin von (gest. 1676) 15 Lichtenberg, Georg Christoph (1742–1799) 20 Liesing (bei Wien) 252 Linley, Thomas (1733–1795) 198 Linz 214, 239f., 263, 378 Lipik 218, 223, 226, 228–232, 235–239, 241 Lippspringe 84 List, Friedrich (1789–1846) 436 Liszt, Franz (1811–1886) 202f. Littmann, Max (1862–1931) 405, 407–411, 414, 416f. Lodomerien 18 Loftus, Lord Augustus (1817–1904) 142 Loimann, Gustav (1853–1902) 216, 233, 238, 241 London 151f., 185, 268, 274, 285, 296, 449 Loos, Adolf (1870–1933) 392f. Lorch 86 Lorenz, Werner (geb. 1953) 405 Lortzing, Albert (1801–1851) 202 Lössl, Franz Xaver (1801–1885) 25 Lucca 83 Luchon 162 Luhatschowitz/Luhačovice 232 Lumbye, Hans Christian (1810–1874) 201 Luther, Martin (1483–1546) 141, 158

Index der Orts- und Personennamen

Luxemburg 114 Luz, Wilhelm August (1892–1959) 21 Luzern 411, 446 Lymann Henderson, Martha 142 Macnee, Daniel (1806–1882) 279 Madeira 242 Madrid 116 Maghreb 268 Mähren 18, 232, 354 Mainz 21, 73 Makart, Hans (1840–1884) 273, 285 Maltzahn, Axel Freiherr von (1863–1917) 276 Manigold, Julius (1873–1935) 203 Mann, Thomas (1875–1955) 149, 157 Manteuffel, Hasso von (1897–1978) 103 Marburg 261, 274 Marienbad/Mariánské Láznĕ 24, 34, 36, 53, 58, 101, 125, 134, 144, 147, 198, 213, 221, 223, 226, 231, 233f., 237f., 240, 245, 259, 296, 303, 349, 353f., 425–429, 431 Martin, Alfred (1874–1939) 21 Marx, Karl (1818–1883) 420, 432 Mattoni, Heinrich (1830–1910) 216, 221, 238, 241, 246, 264 Maupassant, Guy de (1850–1893) 162, 164, 166f. Mecklenburg-Schwerin, Friedrich Franz II. Großherzog von (1823–1883) 52 Mehadia 243 Mehring, Gebhard (1864–1931) 20 Meinberg 84 Mendelssohn, Moses (1729–1786) 31 Bartholdy, Felix (1809–1847) 199, 202 Menuhin, Yehudi (1916–1999) 204 Menzel, Carl August (1794–1853) 391 Meran 23, 30, 34, 39, 49, 58, 96, 216f., 225, 227, 232–235, 237f., 296–301, 303–305, 307, 310, 320, 335, 353 Mergenbaum, Carl Freiherr von (1778–1845) 283 Merian, Matthäus d. Ä. (1593–1650) 279, 281, 316, 332 Merkel, Carl (1830–1899) 290 Metternich (Familie) 227 Klemens Wenzel Fürst von (1773–1859) 102

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Mettlach 393 Metzler, Mathilde (1870–1920) 277 Mewes, Gustav 175f. Michaelis, Heinrich Georg (1837–1915) 275–277, 281, 399 Migotti, Julius 289 Mittelmeer 84 Modersohn, Otto (1865–1943) 293 Mödling 359 Moldau 253 Moller, Georg (1784–1852) 87 Moltke, Helmuth Graf von (1800–1891) 103 Montabaur 86 Monte Carlo 87, 373 Montecatini 23, 64, 74, 83, 101, 421, 423, 426f., 429f., 455 Moosbrugger, Peter (1831–1883) 298 Mörike, Eduard (1804–1875) 322 Moskau 135, 137, 152f., 158, 201 Mosse, Rudolf (1843–1920) 280 Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791) 198, 205 Mühl 214 Mühlbach 358 Mühlviertel 214 Mulhouse/Mülhausen 438 Müllheim 428 München 73, 84 104, 185, 198, 270, 273, 277, 395, 398, 405, 407f., 414–416 Schloss Nymphenburg 388, 416 Münster 15, 175, 456 Münsterfeld 96 Murillo, Bartolomé Esteban (1618–1682) 284 Mürzzuschlag 262, 360, 370 Musil, Robert (1880–1942) 37 Nash, Richard „Beau“ (1674–1761) 197f. Nassau (Herzogtum) 84, 86f., 118, 134, 141, 316, 319f. Nassau (Herzöge) 103, 157, 319 Adolph I. (1817–1905) 135, 335 Jelisaweta Michailowna (1826–1845) 135 Nauheim 20, 32, 49, 51, 56, 73f., 84f., 93f., 136f., 144f., 156f., 324, 498, 424, 426f., 429–431, 448f., 451f., 455 Neapel 83

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Index der Orts- und Personennamen

Neff, Karl Timoleon von (1804–1876/77) 135, 140 Nenndorf 90 Neruda, Joseph (1807–1875) 199 Nestroy, Johann (1801–1862) 56, 173, 177, 180f., 185–187, 191, 193–195 Neudorf/Nová Ves 226, 228, 233 Neuenahr 324 Neuhaus/Dobran 84 Neustadt an der Saale 84 New York 280f., 290, 448 Niederlahnstein 431 Niederlande, Sophie Königin der (1818–1877) 181 Niederösterreich 18, 82, 84, 235f., 239, 354, 357, 369, 371 Niedersachsen 171, 292 Niederselters 84, 86, 454 Nilkheim 283 Nipperdey, Thomas (1927–1992) 131, 392 Nizza 162, 298, 446 Noell, Georg & Co. (Unternehmen) 410 Norderney 50, 209, 225, 235, 237 Nordsee 84 Normandie 46 Nowaja Derewnja 200, 203 Nürnberg 414, 416 Nymphenburg siehe München Oberlaa 204 Obermais 298 Oberösterreich 18, 33, 51, 171, 214, 298, 354 Oberschwaben 83 Oberselters 86 Odelga, Josef Freiherr von 357 Ödenburg/Sopron 255 Oertel, Max Joseph (1835–1897) 320 Oeynhausen 82, 84, 145, 323, 396 Offenbach, Jacques (1819–1880) 139, 202, 343 Oldenburg 235, 317 Olmütz/Olomouc 109, 123, 248 Opatija 353, 374 Opiz, Georg Emanuel (1775–1841) 274f. Oppenheim, Adolph (1843/45–1916) 178 Orb (Spessart) 91, 96, 341 Osmanisches Reich 34, 271, 286 Osnabrück 175

Österreich 16, 18, 20, 24, 33, 37, 39, 41,50, 52, 54, 63, 65, 96, 103, 108–114, 123, 132, 165, 177, 239f., 241, 250, 299, 353, 357f., 362, 370, 372, 428 Kaiser Franz I. (1768–1835) 353 Franz Joseph I. (1830–1916) 33, 52, 54, 112, 166, 171, 296 Karl I. (1887–1922) 366 Erzherzöge und Erzherzogin Ludwig Viktor (1842–1919) 166 Marie Valerie (1868–1924) 311 Rudolf (1858–1889) 303 Österreich-Ungarn 18, 213, 238, 240, 243, 296, 421, 443, 454 Österreichische Niederlande 18 Ostsee 84 Ostwestfalen 71, 82 Overbeck, Fritz (1869–1909) 293 Paganini, Niccolò (1782–1840) 202f. Palästina 271 Palladio, Andrea (1508–1580) 88 Panhans, Franz (und Hotel) 355, 362–365, 371 Paris 42, 87, 90, 105, 110f., 116–118, 122f., 151, 159–162, 164, 176, 180, 185f., 191, 199, 202, 231, 264, 276f., 281, 296, 308, 405, 410, 430 Paula Wirer, Franz de (1771–1844) 20 Pawlowsk 200f., 203 Perckhammer (Familie) 304, 308 Hildebrand von (1855–1911) 298 Pergler, Peter 199 Perlmutter, Adele (1845–1905) 303, 307 Perret, Auguste (1874–1954) 410 Persius, Ludwig (1803–1845) 388f. Perth 276 Peterstal 84 Petriolo 83 Petschau 198 Pfäfers 17, 76, 82, 322, 341 Pfalz, Carl Theodor Kurfürst von der (1724– 1799) 84 Pfälzer Wald 83 Pforzheim 92

Index der Orts- und Personennamen

Pichler, August (1817–1888) 175f., 178 Pictorius, Georg (1500–1569) 82 Pierce, Franklin (1804–1869) 141 Pietzner, Carl (1853–1927) 310 Pilsen 216, 222 Pirchan, Emil (1844–1928) 287 Pircher, Josef (1828–1891) 216, 300 Pius IX., Papst (1798–1978) 290 Plötz, Johann von (1786–1856) 177, 191, 194 Plumers/Plombières-les-Bains 82, 85 Poisson, Jacques 441 Pontresina 369 Porto Cervo 166 Pörtschach am Wörthersee 375, 377 Portugal, Ferdinand II. König von (1816– 1885) 245 Pöschl, Ferdinand 173 Pöstyén 305 Potsdam 389–391, 405 Schloss Sanssouci 387–390 Pozzuoli 83 Prag 15, 199, 221, 226, 255, 257f., 303 Preblau 377 Preußen, Könige und Prinzen (siehe auch Deutsches Kaiserreich) Friedrich II. „der Große“ (1712–1786) 100, 180, 388 Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) 102 Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) 109, 388–390 Heinrich Prinz von (1862–1928) 446 Pritzi, Gertrude (1920–1968) 358 Pückler-Muskau, Hermann Fürst von (1785– 1871) 336 Pustertal 253 Pyrmont 11, 22, 27, 29, 31f., 42, 45f., 50, 67, 71, 84f., 90, 96, 100, 168f., 171–193, 278, 282, 321, 331, 333, 336, 339, 341f., 346, 401, 421, 426f., 429 Qualtinger, Helmut (1928–1986) 165 Raab, Johann (1807–1888) 199 Rabl, Christian 392

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Raczyński, Athanasius Graf (1788–1874) 280 Radein 246 Radkersburg 84, 231, 239f. Ragaz 76, 322 Ranna 214 Rastatt (bei Baden) 30, 53 Raumann, Bernhard (1840–1886) 233, 257, 259 Rauzzini, Venanzio (1746–1810) 198 Rax 367, 369f. Rehburg 346f. Reichenhall 32, 46, 50, 226, 273, 324, 393, 402, 404, 426f., 430–432, 437, 455 Reinermann, Friedrich Christian (1764–1835) 283f. Reithoffer (Familie) 213 Johann Nepomuk (1781–1872) 210, 250f. Rembrandt van Rijn (1606–1669) 270 Renchtal 84 Rhein 60, 78, 83, 85, 94, 134, 154, 158, 253, 269, 281, 317–319, 396, 421, 436, 438 Rheinland 142, 421, 427f. Rhein-Main-Region 269 Rhoitsch-Sauerbrunn/Rogaška Slatina 84, 231 Rhön 84 Rhötenbach bei Nagold 322 Richter, Julius 306 Riesengebirge 213 Rijeka 58 Rippoldsau 84, 72 Ritter, Conrad 92 Rödinghausen 84 Rom 156, 286f. Römisches Reich Diokletian, Kaiser († 312) 140 Roosevelt, Theodor (1858–1919) 141 Rosenau unter dem Radhoscht/Rožnov pod Radhoštěm 236 Rosenberg 255 Rosenfeld, Ludwig Freiherr von 357 Rossini, Gioac(c)hino (1792–1868) 174, 202, 407 Roth, Georg 395 Röthenbach bei Nagold (Schwarzwald) 322 Rothenfelde 84 Rousseau, Jean Jacques (1712–1778) 77f. Rumänien 136, 245 Carol I. König von (1839–1914) 115

506

Index der Orts- und Personennamen

Russland 108, 134, 140–142, 144f., 158 Zaren und Zarinnen Alexander I. (1777–1825) 51, 142 Alexander II. (1818–1881) 143 Alexandra Fjodorowna, geb. Prinzessin Charlotte von Preußen (1798–1860) 140 Alexandra Fjodorowna, geb. Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt (1872– 1918) 138 Elisabeth Alexejewna, geb. Prinzessin Luise von Baden (1779–1826) 142 Nikolaus I. (1796–1855) 140 Nikolaus II. (1868–1918) 137f. Sachs, Hans (1494–1576) 28 Sachsen August „der Starke“ Kurfürst von, König von Polen (1670–1733) 316 Johann König von (1801–1873) 103, 112 Sachsen-Coburg-Gotha, Ernst II. Herzog von (1818–1893) 103, 111 Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl Alexander Großherzog von (1818–1901) 103 Sadowa 114f. Sagert, Hermann (1822–1889) 387 Salzbrunn 49 Salzburg 16, 173, 175, 194, 285, 303, 354 Salzkammergut 51, 54, 57, 171, 214, 296, 374, 378 Salzuflen 32, 84, 95 Saragossa 290 Sardinien-Piemont 110 Sarow 136f. Sartori, Franz (1782–1832) 20 Sauermilch, Carl (1812–1864) 343f. Save 253 Schafraneck, Friedrich 285 Schalko, David (geb. 1973) 164–166, 168 Schallerbach 56 Schandau 231, 443 Schenkiržik, Friedrich 217f., 248 Scheuchzer, Johann Jakob (1672–1733) 17 Scheveningen 234, 236 Schewardnadse, Eduard (1928–2014) 101 Schick, Louis (1803–1874) 283 Schickhardt, Heinrich (1558–1635) 88

Schiller, Friedrich (1850–1928) 303f. Schinkel, Karl Friedrich (1781–1841) 389 Schlan 227 Schlangenbad 68, 71, 73, 84–87, 330, 343, 345 Schlegel, Oscar (1869–1905) 303 Schleißheim 273 Schleinitz, Alexander Graf von (1807–1885) 107 Schlesien 18, 228 Schleswig-Holstein 108 Schmidt, Bertha 174, 181, 186 Schneeberg 370 Schnitzler, Arthur (1862–1931) 30, 168 Schock, Rudolf (1915–1986) 204 Schönborn, Lothar Franz von (1655–1729), Kurerzbischof von Mainz 73 Schönwetter, Johann Baptist (1671–1741) 207 Schopenhauer, Johanna (1766–1838) 346 Schottland 197 Schruf, Anton (1863–1932) 360 Schuler, Reinhold 390 Schumann, Clara (1819–1896) 202 Robert (1810–1856) 202 Schwadowitz/Svatoňovice 234 Schwalbach 48, 67, 71, 84–88, 96, 134, 140– 142, 145, 154, 278, 321, 331f., 334 Schwarzenberg, Mathilde Fürstin von (1804– 1886) 298 Schwarzes Meer 253 Schwarzmann, Joseph (1806–1890) 143 Schwarzwald 68, 83, 191, 322, 369, 390 Schwechat 358 Schweiz 17, 21f., 28, 31, 42, 54, 57, 63, 76, 82, 87, 227, 239, 241, 257, 259, 297, 320, 343, 364, 366, 369, 426f., 437, 448 Schwind, Berta 416 Scribe, Eugène (1791–1861) 180, 191, 195 Sebestyén, György (1930–1990) 149 Seip, Johann Philipp (1686–1757) 321, 342 Selters siehe Niederselters Semmering 12, 296, 351–355, 359–367, 369– 373, 377f., 381f. Semper, Gottfried (1803–1879) 392, 406 Seraphim von Sarow (1759–1833) 136 Serbien, Milan I. König von (1854–1901) 54

Index der Orts- und Personennamen

Siam Chulalongkorn, König von (1853–1910) 86f., 138, 277 Siebenbürgen 18, 262 Siegmund, Johann Jakob (1807–1881) 72 Siena 83 Sierstorpff, Caspar Heinrich von (1750–1842) 90 Siesmayer, Heinrich 319, 333 Sigmaringen 103, 105, 115–117 Silberer, Viktor (1846–1924) 362, 366, 380 Simon, Eduard Georg (1864–1919) 280 James (1851–1932) 280 Sizilien 239 Slatina 84 Slawonien 18 Slevogt, Max (1868–1932) 271 Slezák, Anna 199 Slowakei 226, 232 Slowenien 84, 223, 230, 239, 241, 295, 374 Soden (am Taunus) 32, 71, 84, 86, 153, 223 Solms-Braunfels, Alexander Prinz zu (1855– 1926) 356f. Sombart, Werner (1863–1941) 69 Sowjetunion 144 Spa 23, 34, 36, 64, 66, 74, 85, 101, 421, 426f., 429f., 443, 454 Spangenberg, Heinrich (1879–1936) 413f. Spanien 82, 115 Isabella II. Königin von (1830–1904) 115 Spengler, Ludwig (1818–1866) 87 Spessart 91, 124 Spindler, Carl (1796–1855) Spitzer, Daniel (1835–1893) 39, 295 Spohr, Louis (1784–1859) 202 Sporck, Franz Anton Graf von (1662–1738) 29, 90 Springer, Friedrich 449 St. Florian 298 St. Gallen 239 St. Moritz 364, 446, 448 St. Pauls (Eppan) 298 St. Petersburg 109, 135, 137, 152, 158, 200f. St. Pölten 359 St. Wolfgang 52 Starhemberg, Heinrich Wilhelm von (1593–1675) 15

507

Starke, Georg Friedrich (1815–1858) 181, 194 Steiermark 82, 84, 239 Stein (Familie) 320 Steinbach, Josef (1850–1927) 210, 256f., 259 Steinfurth 136 Steinhuder Meer 346 Stellowski, Fjodor 158 Sternberg/Český Šternberk 226, 232, 234f. Stöhr, Karl (1859–1931) 398 Straß, Karl Friedrich Heinrich (1803–1864) 183 Straßburg 207 Strauss, Eduard (1835–1916) 201 Johann (Vater) (1804–1849) 202 Johann (Sohn) (1825–1899) 200–202 Striedbeck, Johann (1707–1772) 68 Strom, Iwan (1825–1887) 143 Stürzenacker, August (1871–1951) 397, 411f., 414 Stuttgart 144 Südtirol 216, 227, 236, 242, 307, 310 Suermodt, Barthold (1818–1887) 281 Sulzbach/Soultzbach-les-Bains 16 Sylt 225, 237 Szliács/Sliač 226, 232 Tanner, Johann Jacob (1807–1877) 72 Tänzer, Aron (1871–1937) 39 Tatzmannsdorf 84, 227, 232 Tauern 354 Taunus 71, 81, 83–85, 95, 130, 138, 223, 330f., 426 Teinach 87 Tell Amarna 280 Teniers, David (1610–1690) 283 Tepl/Teplá 430 Teplitz/Teplice 20, 31, 53, 102, 184, 225, 230–235, 238, 241, 252, 296, 298, 300 Thackeray, William Makepeace (1811–1863) 60, 168 Thaddeus, Henry Jones (1860–1929) 279f., 286 Thailand 138, 277 Bhumibol, König von (1927–2016) 138 Sirikit, Königin von ( geb. 1932) 138 Theiss 253 Thilenius, Moritz Gerhard (1745–1808) 330

508

Index der Orts- und Personennamen

Thornton, Con 138 Edith 138 Henry (1837–1904?) 138, 272 Thouret, Nikolaus Friedrich (1767–1845) 87 Thun-Hohenstein, Leopold Graf von (1811– 1888) 221 Thuriet, Etienne 285 Thüringen 239 Thurn und Taxis, Therese Fürstin von (1773– 1839) 221 Tiedemann, Christoph von (1836–1907) 99f. Tirol 18, 22, 201, 305, 354 Tischbein (Familie) 278 Tobelbad 84 Toblach 253, 303 Tolberg, Johann Wilhelm (1762–1831) 19 Töll 303 Tolstoi, Lew (1828–1910) 152f. Töpfer, Karl (1792–1871) 180, 190 Traun 33 Trautmann, Johann Georg (1713–1769) 283 Trenchin-Teplitz/Trenčianske Teplice 232, 234f. Triest 58, 231, 353, 374 Trouville 162 Tschechien 91, 223, 227, 238, 240 Tschechow, Anton (1860–1904) 343 Tschudi, Iwan von (1816–1887) 257, 259 Tüffer/Laško 239, 241, 374 Rimske Toplice 84 Tunbridge Wells 83 Turgenjew, Iwan (1818–1883) 100, 143, 168 Tyrnau 305 Uffmann, Otto (1822–1885) 174 Ulten 298 Ungarn 18, 82, 213, 238, 240, 243, 255 Urlaub, Georg Karl (1749–1811) 286 Urtelstein 428 Ustinov, Peter (1921–2004) 137 Valdorf (Vlotho) 84 Valentiner, Wilhelm Reinhold (1880–1958) 280 Varzin 116 Vauban, Sébastien Le Prestre de (1633–1707) 77

Veblen, Thorstein (1857–1929) 29 Velden 354 Venedig 61, 201, 203, 225, 232, 235, 237 Verdi, Giuseppe (1813–1901) 174f., 195 Vereinigte Staaten siehe Amerika Verne, Jules (1828–1905) 257f., 260 Vichy 34, 64, 83, 85, 101, 162, 422f., 425–427, 429–431, 444, 448, 454 Vierordt, Heinrich (1797–1867) 397 Vierordtbad 397 Vierwaldstättersee 239, 241 Vieuxtemps, Henri (1820–1881) 202f. Vilbel 84 Villafranca 110 Vinnen, Carl (1863–1922) 292 Violand, Edmund 305 Viterbo 82 Vittali, Wilhelm (1859–1920) 411 Vogeler, Heinrich (1872–1942) 293 Vogesen 82, 457 Voigt, Thomas Heinrich (1838–1896) 276 Vorarlberg 354 Vorderösterreich 18 Vöslau 46, 48, 84, 232, 239, 241, 255, 296, 369, 377 Vries, Jan de (geb. 1943) 70 Wagner, Richard (1813–1883) 202 Valentin (um 1610–1655) 281 Währing 244f. Waidhofen an der Ybbs 236 Waissnix, Olga (1862–1897) 30 Waldburg-Zeil-Wurzach (Grafschaft) 84 Waldeck-Pyrmont (Grafen, ab 1712 Fürsten) 67, 100, 171, 175, 180, 190f. Waldegg, Edmund Heusinger von (1817–1886) 439 Walderdorff, Wilderich von (1617–1680) 15 Walhalla bei Donaustauf 405f. Wallstein, Franz Augustin Graf von (gest. 1684) 15 Waltersdorf 84 Warnsdorf 252 Weber, Carl Maria von (1786–1826) 202, 344f. Weber, Max (1864–1920) 69 Weesp 254

Index der Orts- und Personennamen

Weidmann, Franz Carl (1787/88–1867) 183 Weihrauch, August (1818–1883) 180 Weikertschlag an der Thaya 374 Weilbach 84, 86 Weinberger, Hermann siehe Berg, Armin Weinbrenner, Friedrich (1766–1826) 56, 87 Weinmayr, Franz (1836–1911) 38 Wellens, Julius de (1804–1868) 273, 286 Weller, Karl Alexis (1828–1898) 19 Wereschtschagin, Vasilij (1842–1904) 140 Werner, Anton von (1843–1915) 270 Werner, Carl 140 Wertheimber (Familie) 265, 272f. Weserbergland 84 Westfalen 20, 82 Wetterau 136 Wetzler, Johann Evangelist (1774–1850) 19 Wieden 261 Wien 15, 20, 24, 26, 31–33, 41, 44–46, 49, 53f., 58f., 101, 103, 108f., 110–112, 116, 123, 142, 174, 180, 185f., 194, 199, 201f., 204, 210, 213, 215, 217, 220, 226, 233, 238f., 242–246, 248, 250–252, 254f., 257, 259, 261–263, 287, 289, 295, 297f., 300, 303, 308–310, 331, 334, 351–354, 356–360, 362, 364, 367, 369–372, 374f., 381, 392, 423f., 426, 428–430, 443–445, 448, 450, 452 Wies/Stráž u Chebu 238 Wiesbaden 22–24, 26, 32, 34, 36, 42–44, 46, 51, 53f., 58, 60, 71–74, 78f., 82, 84–87, 92, 94, 133–135, 140, 142–145, 148, 158, 184, 217, 221, 223, 231f., 235, 238f., 241, 268, 278, 290, 322, 338, 340, 421, 423, 425–430, 434, 436f., 439, 443, 446f., 452 Wildbad (im Schwarzwald) 24, 68, 82, 87, 95, 317, 322f., 390, 423f., 426–430

509

Wildbad Einöd (Steiermark) 84 Wildungen 265, 331, 348 Wilhelmsbad 85, 90, 95, 324 Winkelmann, Alexander 306 Winter, Peter von (1754–1825) 198 Winterhalter, Franz Xaver (1805–1873) 277 Wolf, Christina 295 Woronzoff-Daschkoff, Graf Iwan Illarionowitsch (1790–1854) 198 Worpswede 271, 292f. Wörthersee 354, 375 Wouwerman, Philips (1619–1668) 284 Wrangel, Friedrich Heinrich Graf von (1784– 1877) 103 Wunsiedel 319 Wuppertal-Elberfeld 280 Württemberg 20, 27, 68, 87f., 103f., 144, 203 Wilhelm I. König von (1781–1864) 103 Wurzach 84, 127 Würzburg 204, 410 Zaisenhausen 84 Zauner, Johann (1803–1868) 59 Zdarsky, Mathias (1856–1940) 361 Zell am See 375 Zerr, Josef 202 Zimdin, William (1880–1951) 371 Zinnowitz 50 Zoller, David V. 281 Zoppot 264 Zückert, Johann Friedrich (1737–1778) 18f., 327 Zweibrücken (Herzogtum) 84 Zwierlein, Konrad Anton (1755–1825) 19 Zwingli, Ulrich (1484–1531) 158